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HARVARD UNIVERSITY.
LIBRARY
OF THE
MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY.
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NEUROLOGISCHES
CENTRALBLATT
ÜBERSICHT
DER
LEISTUNGEN AUF DEM GEBIETE DER ANATOMIE,
PHYSIOLOGIE, PATHOLOGIE UND THERAPIE DES NERVEN-
SYSTEMS EINSCHLIESSLICH DER GEISTESKRANKHEITEN.
HERAUSGEGEBEN
VON
Dr. E. MENDEL,
PROTBBOB AN DBB ÜNIVEBSITÄT BBBLIN.
ZWANZIGSTER JAHRGANG.
MIT ZAHLREICHEN ABBILDUNGEN IM TEXT.
^LEIPZIG,
VERLAG VON VEIT & COMP.
1901 .
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Neurologisches Centralblatt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Zwanzigster
Heraasgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(Unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel)
zu Berlin.
Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Pottanstalten des Deutschen Reichs,
sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.
1901.
1 .
"s
Januar.
Nr. 1.
Verlag
Leipzig,
von Veit
1901.
& Comp.
Anlv andlgung.
Neurologische Centralblatt
Das
erscheint monatlich zweimal und stellt sich die Aufgabe, neben kurzen Original-Mitthoi-
lungen, einen Überblick über die gesammte einschlägige Litteratur d6s In- und Auslandes,
dnen netxrologisclie'n Jahresbericht zu liefern. Wieweit der Redaktion dieses Ziel zu
verwirklichen gelungen ist, dafür legen die neunzehn abgeschlossen vorliegenden J ahrgänge Zeug-
ab. Unterstützt -von den bewährten ständigen Mitarbeitern, von denen wir hervorheben : Dr.
&. Adler (Berlin), Dr. Alzheimer (Frankfurt a.M.), Dr. Asch (Frankfurt a. M.), Prof. Dr. Asch affenburg
(Halle a.S.>, Prof. v. Bechterew (St. Petersburg), W.Berger(Leipzig),Dr. BeyerfWaldhof b.Freiburg
lik.i.Dr. Biels chowsky (Bresl.au), Dr. Bielschowsky (Berlin), DocontDr. Bikeles (Lemberg), Prof. Bins-
vnger, Dr. Bloch (Berlin), DocontDr. Boedeker (Schlachtensee), Dr. Bresler(Kreiburg i.Schl.), Dr.
Brass (Hannover), Dr. P. Cohn, Dr. T. Cohn (Berlin), Dr. Connstein (Charlottenburg), Docent.
Dr. Oeiders Prof. Dexler (Prag), Prof. Erb, Prof. Eulenburg, Dr. Facklam (Lübeck), Dr. Flalau
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felde). Dr. Lilienstein (Nauheim), Dr. Meitzer (Grosshenneredorf), Dr. Meyer (Chicago), Prof. Dr.
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(Mi*>luu), Docent Dr. Rothmann (Berlin), Prof. Th. Rumpf (Hamburg), Docent Dr. Sachs (Breslau),
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pest, Docent Dr. Schlesinger (Wien), Dr. 0. Schmidt (Freiburg i. Schl.), I)r. Schneyer (Bukarest),
Profi F. Schultze (Bonn), Prof. Dr.R. Schulz (Braunschweig), Geh. Medizinalrath Dir. Dr.F. Siemens
t Lauen bürg)- Dr. Särgo (Wien), Dr. Stieda (St Petersburg), Dr. Stieglitz New York), Prof. v. Strüm¬
pell (Erlangen), Dr. Valentin (Berlin), Docent Dr. Weygandt (Würzburg), Dr. Wille (St. Pirmins-
bergt Dir. Dr. Zander (Rybnik), Dr. Zapperf (Wien), Prof. Dr. Ziehen (Utrecht) — wird das
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Pre;- für den Jahrgang von 24 Nummern beträgt 24 .H, direct von der Verlagsbuchhandlung
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Leipzig- Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp.
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by V-iOO^IC
JÄN 23 1901
Neurologisches Centralblatt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie '
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel)
Zwauigeter ™ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch
alle Bachhandlangen des In- and Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1901. 1. Januar. Nr. 1.
Inhalt. I. Origlnalmlttheilungen. 1. Ein Fall von isolirter traumatischer Lähmung
des N. peroneus prof., von M. Bartels. 2. Mittheilungen zur Friedreich’schen Ataxie, von
Dr. S. Schoenborn. 3. Die Tabes beim weiblichen Geschlecht, von Prof. Dr. E. Mendel.
II. Referate. Anatomie. 1. Studien über die Hirnrinde des Menschen; 2. Heft: Die
Bewegungsrinde, von Ramdn y Cajal. Uebersetzt von Bresler. — Experimentelle Physio¬
logie. 2. Experimentelle Untersuchungen und Studien über den Verlauf der Pupillar- und
8ehfuern, nebst Erörterungen über die Physiologie und Pathologie der Pupillarbewegung,
tob Bach. 3. Zur Theorie des Reflexes von hinterer Wurzel auf hintere Wurzel, von Kohn-
staaaL — Pathologische Anatomie. 4. Lea ldsions du systäme grand sympathique dans
to tabäs et leur rapport avec les troubles de la sensibilitd viscärale, par Roux. 6. Zur Kennt-
■> der histologischen Veränderungen des Rückenmarks, der Bpinalen Wurzeln und Ganglien
ha Dementia paralytica, von Sibelius. 6. Ueber die spinalen Veränderungen bei der pro-
nemren Paralyse, von FOrstner. 7. Zur Frage von den anatomischen Veränderungen des
teirns im Aofangsstadium der progressiven Paralyse, von Kozowsky. — Pathologie des
Nervensystems. 8. Etüde sur les troubles objectifs des sensibilites superficielles dans le
jafeia, par Rieh« et de Gothard. 9. Untersuchungen über die Störungen der Sensibilität bei
nfcea dorsalis, von Frenkel und Foerster. 10. Mechanische Muskelerregborkeit und Sehnen-
nflue bei Tabes dorsalis, von Frenkel. 11. La crise nasale tabetique, par Jullian. 12. Le
MMa labyrinthique, par Bonnier. 13. Les arthropathies tabetiquos et la radiographie, par
Mtart 14. Die Aetiologie und Therapie der Tabes dorsalis, von Pel. 15. Tabäs et trauma-
tfcaee, par 84aax. 16. Diä spinale Ataxie und ihre compensatorische Bewegungsbehandlung,
voa Bai. 17. Beiträge zur Uebungstherapie, von Stadelmann. 18. Ueber spontane Besserung
von Tabessymptomen, von Loewenfeld. 19. Ueber die compensatorische Uebungstherapie bei
*km, von v. Sarbö. 20. Zur Therapie der Tabes, von Benedict. 21. Sur un cas ae mal
perforant et sur deux cas d’uleäre variqueux traitea par dlongation des nerfs, par Bardesco.
S. Les eoBsdquences trophiques de Tälongation des nerfs: ätude experimentale et therapeu-
*1» (mal perforant plantaire, uleäre variqueux, mal perforant buocal, pied tabätique), par
CMpaaH. 23. Le mal perforant et son traitement par Tälongation des nerfs, par Duplay.
14. Le traitement du mal perforant plantaire par la faradisation du nerf tibial postörieur
et de ses branches terminales, par Crocq. 25. D’un cas de troubles trophiques du pied et
de la jambe traitd avec succäs par diatenuon des filets nerveux entourant l’artäre femorale,
per Jehaelty. 26. Etüde sur l’anatomie pathologique de la maladie de Friedreicb, par Vln-
MM. 27. Recherches statistiques sur rätiologie de la paralysie gänärale, par Särleux et
fhnarier. 28. Deila reazione elettrica nerveo-muscolare nella paralisi generale progressiva
itffi alienati, per Lenzi. 29. Die Frühdiagnose der progressiven Paralyse, von Hochs.
Ml Die wahre Ursache der progressiven Paralyse, von Tschisch. 31. Die Paralyse in
Aapfaaasfeld, von Baer. 32. Ueber conjugale Paralyse bezw. Tabes, von Moenkemoeiler.
M. Am den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank-
Uten. — Sociätä de neurologie de Paris.
IV. Parsenallen.
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I. Orginaimittheilungen.
[Aus der psychiatr. Klinik des Herrn Prof. Dr. Fübstneb in Strassburg i/Els.]
1. Ein Fall von isolirter traumatischer Lähmung des
N. peroneus prof.
Von M. Bartels,
Assiatenzarzt der Klinik.
Das Gebiet des N. per. bietet sehr häufig einen Sitz für Lähmungen.
Diese Erfahrung suchte Geehabdt (34) experimentell zu ergründen. Er constatirte
durch den Thierversuch „eine leichtere Läsionsfähigkeit des Peroneusgebietes“
gegenüber anderen Nervengebieten.
Durch dieses Resultat wurde die klinische Erfahrung bestätigt, doch die
eigentliche Frage nur von neuem gestellt und nicht beantwortet Als ätiologische
Momente kommen dieselben wie bei allen peripheren Lähmungen in Betracht.
Sowohl bei Infectionskrankheiten durch Bakterien und Toxine z. B. bei
Typhus (Eibenlohb[11]), wie bei chronischen Vergiftungen durch Arsenik, Blei,
Silber und Alkohol (Remak [9]) sah man die Lähmung auftreten; Bbüns(12)
auch im Gefolge von Diabetes mellitus. Mabtius (24) studirte an einem in
Folge Neuritis nach Empyem auftretenden Fall interessante elektrische Ver¬
hältnisse, indem er grapisch die Curve der faradischen, trägen Zuckung des
M. tibialis anticus darstellte.
Von einer grossen Reihe von Autoren wurde eine Lähmung beobachtet,
die theils auf schwere Entbindung, (Druck des Kopfes im Becken) theils auf
puerperale Neuritis zurückgeführt wurde. (Bianchi (19), Bbivois (20), Le-
FfcVBE (21), Dobion (22), Seeligmülleb (16), Bebnhabdt (5), Remak (9,10),
Jolly(14), Hünebmann (23), Pontoppidan (17), Gesrnee(18) u. s. w.
Remak (9) und Bebnhakdt (6) wiesen zuerst darauf hin, dass die Lähmung
als Frühsymptom von Tabes dorealis auftrete; im Verlauf dieser Krankheit wurde
sie ferner von Westphal (28) und Finkelnbübg (29) beschrieben, während
Sabbö Analgesie des Peroneusstammes der BiEBNACKi’sohen Ulnarisanalgesie als
Krankheitszeichen bei Tabes an die Seite stellte. Auch bei der progressiven
Paralyse sahen mehrfach Autoren die Lähmung auftreten, so Pick (31), Fübstneb (32),
Moeli (33). Theilweise wurde dieselbe aber auf mechanische Läsion in Folge
rücksichtsloser Bewegung der Paralytiker zurückgeführt. Im Verlauf einer
senilen, multiplen Neuritis beschrieb Oppenheim (25) einmal die Lähmung.
Aeussere Schädlichkeiten, die den Nerven direct oder indirect lädirten,
riefen mehrfach eine degenerative Neuritis hervor. So bei Poppeb (26) durch
Compression eines narbigen Stranges nach einer Abscessincision, in ähnlicher
Weise nach Jollt (14) beiderseits in Folge zu langer Fesselung eines erregten
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Epileptikers und in dem Falle Wiksmann (27) durch eine zu lange angelegte
Esmarch’sche Binde nach Stichverletzung des Arteria femoralis.
Hierher gehören auch jene Fälle, welche als Arbeitsparesen beschrieben sind.
Zenker (1) und Roth (2) beobachteten zuerst bei Kartoffelarbeitern, die
lange Zeit in kniehockender Stellung verharrt hatten, eine Fussparese, ebenso Ott (2)
aus ähnlicher Ursache; Bernhardt (6) bei einem Asphaltarbeiter und Remak (9)
bei einem Tischler. In die Behandlung Hofmann’s (4) kamen Arbeiter und
Arbeiterinnen, die sich vorwiegend eine Peroneuslähmung zugezogen hatten,
welche ebenfalls auf eine ausdauernde knieende Stellung und dadurch bedingte
Quetschung der Nerven in der Kniekehle zurückgeführt wurde. Es handelt
sich um die Arbeit des „Rübenversetzens“. In Folge derselben trat auch nach
Skcffer (3) die Parese ein, hier hatten sich ebenfalls die Kranken mit „Rüben-
verziehen“, wie es dieser Autor nennt, beschäftigt. Fraglich ist, ob bei diesen
Beobachtungen nicht auch rheumatische Einflüsse mit in Betracht zu ziehen
sind. Direct eine Zerrung als Ursache der Neuritis wurde angenommen in
Fällen, die Remak (9, 10) beobachtete, z. B. bei gewaltsamen Extensions¬
versuchen im Kniegelenk u. s. w. und in dem später noch zu erwähnenden Fall
in Folge Ueberstreckung durch eine ungeschickte Bewegung beim Kegeln.
Wir haben hier nur die wesentlichsten in der Litteratur erwähnten ätio¬
logischen Factoren genannt. Wer sich näher orientiren will, sei auf die Litteratur-
angabe am Schluss hingewiesen.
Die angeführten Fälle zeigten mit wenigen Ausnahmen eine totale Peroneus¬
lähmung, eine isolirte des N. peroneus profundus erwähnen nur Bernhardt (6)
und Bruns (12). Wegen seiner anatomischen Beschränkung auf diesen Nerven¬
zweig, einer Seltenheit bei der peripheren Lähmung, dürfte der nachstehende
Fall vielleicht eine klinische Darstellung verdienen.
P. G„ früher Präparand auf dem Lehrerseminar in M., 17 Jahre alt
Hereditär nicht belastet. Pat. war stets gesund und ein eifriger Turner.
Ende Juli 1899 sprang Pat. bei Gelegenheit einer Bergwanderung im Walde
über einen massig dicken Baumstamm und fiel beim Aufspringen zu Boden.
Pat. stand auf und fühlte sofort starke Schmerzen im Unterschenkel, die vom
Knie bis zum Fussgelenk sich hinabzogen. Ob er bei dem Fall mit dem Unter¬
schenkel irgendwo anstiess, und wie die Haltung des Fusses bei demselben war,
weiss der Pat. nicht mehr anzugeben. Aeusserlich war eine Verletzung nicht zu
constatiren. Pat. unterbrach trotz der beständigen Schmerzen die Wanderung
nicht, sondern marschierte noch 2 Stunden an demselben Tage. Pat. glaubte den
Fuss „etwas verstaucht“ zu haben. Seit dem Unfall spürte Pat. an dieser Stelle
bei manchen Bewegungen des Fusses wie beim Gehen Schmerzen, in der Ruhe
wenig. Dieselben blieben manchmal auch beim Gehen weg und traten dann
wieder blitzartig auf. Pat. ermüdete bei längerem Gehen leicht. Von Hinken
oder Veränderung der Form und der Haut des Fusses bemerkte Pat. nichts,
trotzdem er nach seiner Angabe sehr darauf achtete. In Folge der Schmerzen
setzte er die turnerischen Leibesübungen aus. Etwa einen Monat nach der Ver¬
letzung machte der Bruder des Pat. gelegentlich einer Wanderung im tiefen
Schmutz denselben darauf aufmerksam, dass er mit dem rechten Fuss so „fest“
auftrete und der Schmutz deshalb so weit umherspritze. Pat. erinnert sich heute
dieser Bemerkung, damals hat er ihr weiter keine Beachtung geschenkt, da weder
1 *
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4
er noch sein Bruder an dem Fuss etwas besonderes bemerkte. Ende Herbst 1899
beobachteten einige Kameraden des Pat., dass er „so merkwürdig“ ging, er hebe
das Bein so hoch und trete „so laut“ mit dem rechten Fuss auf. Nun bemerkte
Pat. selbst seine eigentümliche Gangart. Er suchte in dieser Zeit zum ersten
Mal einen Arzt auf. Derselbe erklärte das Leiden für eine „Zerreissung der
Bänder am Fussgelenke“ und verordnete Salzbäder, Einreibungen und zeitweiligen
Verband. Bei der angegebenen Therapie blieb das Leiden unverändert, die Ein¬
reibungen schmerzten oft sehr.
Gegen Ostern d. J. 1900 hörten die Schmerzen allmählich auf und kehrten
seitdem nicht wieder. Zu derselben Zeit wollte Pat. eines Tages mit dem Absatz
des rechten Fusses einen Gegenstand vom Boden wegstossen, vermochte dieses
aber nicht, denn er kam mit dem Absatz nicht auf den Boden, da die Fussspitze
stets herunterhing. Bei dieser Gelegenheit bemerkte Pat, zuerst, dass er die
Fussspitze nicht heben konnte. Er suchte nun einen anderen Arzt auf, der sein
Leiden als „Versteifung der Sehne“ bezeichnete und wieder Einreibungen verord¬
nete. Die Beschwerden blieben dieselben. Die letzte Zeit zeigte Pat. aber, ab¬
gesehen von der Gangart, bei ausdauerndem Marschieren dieselbe Leistungs¬
fähigkeit wie früher. Pat. turnte auch im Sommer wieder eifrig, nur musste er
z. B. beim Seilspringen stets höher springen wie früher, da er sonst mit dem
rechten Fuss hängen blieb. Selbst bei andauerndem Turnen traten Beschwerden
nicht auf.
Beim Anziehen der Schuhe knickte oft die grosse Zehe nach unten um.
Einmal traten in der Mitte des Sommers eine Woche lang Nachts in dem
betreffenden Gliedabschnitt Zustände ein, die der Pat, als Krämpfe bezeichnete,
ein Gefühl, als wäre das Bein plötzlich zusammengezogen. Pat. giebt positiv an,
dass der Fuss dabei zuckende Bewegungen gemacht habe.
Da die Anomalie des Fusses und Ganges fortbestand, reiste Pat. nach Strass¬
burg und consultirte die hiesige Poliklinik. Es wurde die Diagnose auf isolirte,
motorische Lähmung des N. peroneus profundus gestellt und Pat., da eine ratio¬
nelle Therapie in seiner Heimath nicht möglich war, am 30./VIII. 1900 behufs
eines therapeutischen Versuches in die hiesige Klinik aufgenommen.
Status praes.: Schlanker, muskulöser Mensch, innere Organe gesund, im
Uebrigen keinerlei Krankheitszeichen am Körper nachzuweisen.
Beim Gang wird das rechte Bein auffallend gehoben, der Fuss etwas ge¬
schleudert und mit der Zehenspitze tappend aufgesetzt. Pat. vermag aber gut
zu laufen und auch gewand Treppen zu steigen. Auf den Zehen des kranken
Fusses kann Pat. besser stehen wie auf denen des gesunden. Setzt man den Pat,
so, dass die Unterschenkel frei schweben, so hängt die rechte Fussspitze herab,
der Fuss ist um ein geringes supinirt, die Zehen mehr gerade wie am gesunden
Fuss. Die Sehne des Extensor hallucis longus tritt ilicht hervor. Der rechte
Unterschenkel erscheint gegen den linken deutlich abgemagert; die am letzteren
bemerkliche Wölbung der vorderen Unterschenkelmuskulatur fehlt.
Vasomotorische Störungen (Haut- und Temperaturveränderung) sind nicht
nachweisbar. Abduction und Pronation gelingt wie am normalen Fuss, ebenso
wird die Adduction prompt ausgeführt, und zwar, wie eich leicht feststellen lässt,
durch den Triceps surae und den Tibialis posticus. Letzterer ermöglicht auch
eine geringe Supination, doch nicht wie am gesunden Fuss, da der Tibialis an-
ticus auch bei dem stärksten Willenimpuls sich nicht contrahirt.
Dorsalflexion des ganzen Fusses ist ebenfalls unmöglich, nur die 4. und.
5. Zehe werden bei dem Versuch etwas dorsalflectirt. Dorsalflexion der übrigen
Zehen, speciell des Hallux, fehlt vollkommen. Plantarflexion ohne Störung. Auf«
gefordert die Zehen am gesunden Fuss zu spreizen, machte der Pat. krampfhafte
Anstrengungen, indem er dieselben bald plantar-, bald dorsalflectirt, doch gelinget
D
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5
ihm das Spreizen absolut nicht. Am gelähmten Fusse macht Pat. auf die gleiche
Aufforderung anfangs auch eine Plantarflexion stärksten Grades, dann aber ge¬
lingt zu seinem eigenen grössten Erstaunen die Spreizung, und zwar in folgender
Weise:
Die erste Zehe bleibt ohne Bewegung, die zweite zeigt eine minimale Beu¬
gung der 1. Phalange, Streckung der 2. und 3. Phalange. Die 3., 4. und 5. Zehe,
und zwar am meisten die letzte, werden deutlich abducirt bis zum grössten Ab¬
stand von 1—l s / 4 cm. Dabei wird die erste Phalange deutlich gebeugt, die Zehe
etwas gerade gestreckt und in toto gebeugt. Es wächst die Intensität aller
Bewegungen nach der 5. Zehe zu, welche am ausgiebigsten alle Excarsionen zeigt.
Die Bewegungen geschehen in eigenthümlich langsamer Weise. Durch eine
Plantarflexion werden die Zehen wieder zusammengebracht.
Passiv ist der Fuss nach allen Richtungen ohne Widerstand leicht be¬
weglich.
Mechanische Erregbarkeit der gelähmten Muskeln vom Nerven aus nicht
vorhanden; ebenso fehlt die mechanische Erregbarkeit der einzelnen Muskeln.
Elektrische Reaction:
a) vom Nerven aus:
Reizt man den N. peroneus oberhalb oder am Fibulaköpfchen, so erfolgt nur
Abduction und Pronation;
b) vom Muskel aus:
M. peroneus longus et brevis normal. Von der Reaction der vom N. peron.
prof. versorgten Muskulatur sei hier nur im Allgemeinen wiedergegeben, dass die
gesammte Muskulatur faradisch unerregbar war. Beim M. tibialis anticus und
Extensor dig. communis long. AnSZ > KaSZ, im Extensor hall, long., Extensor
digg. brev. und Extensor hall, brevis KaSZ > AnSZ. In allen Muskeln sehr träge
Zuckung. Dieselbe war am besten darstellbar, wenn man die Elektrode nicht
auf die motorischen Reizpunkte, sondern mehr distal am oberen Rand der Sehnen
aufsetzte.
Die Interossei dorsales zeigten folgendes Verhalten bei faradischer Reizung:
Im 1. Spatium interosseum: Adduction der 2. Zehe;
im 2. Spatium: Beugung der 1. Phalange der 2. Zehe und Streckung der
2. und 3. Phalange;
im 3. Spatium: geringe Abduction der 3. Zehe;
im 4. Spatium: dasselbe bei der 4. Zehe.
Abductor dig. minimi leicht reagirend.
Die Zuckungen erfolgen prompt.
Sensibilität:
Parästhesieen bestehen nicht.
Taat-, Druck-, Temperatur-, Schmerz- und Raumempfindung am ganzen
Unterschenkel einschliesslich Fuss und Zehen normal, speciell im ersten Zwischen¬
zehenraum, ebenso die faradocutane Sensibilität.
Druck auf den N. peroneus am medialen Rande der Bicepssehne nicht
schmerzhaft.
Druck auf einen Punkt 3 Finger unterhalb des Fibulaköpfchen im M. peron.
long., sowie längs des Nervenverlaufs sehr schmerzhaft. Eine fühlbare Verände¬
rung des Nerven ist nicht nachzuweisen.
Die Behandlung bestand in Massage, passiven Bewegungen, Elektrisirung der
Muskeln, sowie constanter Anode 10 Minuten lang an der Stelle der muthmaass-
lichen Läsion.
Nach 4 Wochen wird Pat. aus der Klinik entlassen, da er inzwischen in
hiesigem Orte eine Berufsstellung angenommen hat, und poliklinisch weiterbehandelt.
9 Wochen nach Beginn der Behandlung ist der Status kurz folgender:
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Der Gang ißt noch im Wesentlichen derselbe, doch vermag Pat. eine deutlich
sichtbare, wenn auch geringe Dorsalflexion des ganzen Fusses, eine stärkere der
2.—4. Zehe und eine geringe Supination auszufiihren. Dabei sieht und fühlt man
deutlich den Tibialis anticus sich contrahiren. Der Extensor hallucis long. hat
seine Function noch nicht wieder erlangt.
Die vorstehende Krankengeschichte weist schon auf das Erwähnenswerthe
des Falles hin, und es bleibt nur Folgendes epikritisch hinzuzufügen:
Wir haben hier nach unserer Auffassung einen Fall von traumatischer
Neuritis mit degenerativer Lähmung vor uns.
Der Gedanke, etwa die Erkrankung als eine rein myositische aufzufassen,
ist von vornherein abzuweisen. Denn allein die vom N. peron. prof. versorgten
Muskeln zeigen eine Störung, und verschiedene Symptome deuten, wie ausgeführt
werden wird, auf eine unzweifelhafte primäre Erkrankung des Nerven.
Die Schmerzen traten zuerst auf, später die Erkrankungen der Muskeln,
die • sich in der Lähmung äusserten. Die Schmerzen wurden von dem Patienten
genau an die Stelle des Nervenstammes localisirt. Für eine Neuritis in Folge
der Schädigung spricht die a 11 m ä h 1 i c h e Entstehung einer degenerativen Lähmung
in den zugehörigen Muskeln. Auf dieselbe weist auch der noch jetzt bestehende
Druckschmerz hin. Ob auch objective Störungen der Sensibilität bestanden
haben, ist nicht mehr zu entscheiden, da der Fall erst spat in unsere Behandlung
kam und bei sorgfältigster Untersuchung nichts derartiges nachzuweisen war.
Doch könnte nach Analogie gleicher Fälle eine solche vorhanden gewesen sein,
aber sich wieder zurückgebildet haben, da erfahrungsgemäss die sensible Leitung
zuerst restituirt wird.
Ferner lässt an neuritische Veränderungen die Angabe des Patienten denken,
dass er Nachts eine Woche lang Krämpfe in dem geschädigten Fuss verspürt
habe. Es exacerbiren bekanntlich derartige Reizerscheinungen gerade Nachts.
Als Patient diese Krämpfe verspürte, bestand die Lähmung schon monatelang,
aber im Nerven gingen immer noch neuritische Prozesse vor sich, wie ja auch
der Druckschmerz noch weit über ein Jahr vorhanden war. Motorische Reiz¬
erscheinungen rein neuritischen Ursprunges würden sowohl im Beginn von
peripheren Lähmungen als auch bei Restitution besonders bei Facialisparalysen
mehrfach beobachtet, im letzteren Fall auf Schrumpfungsvorgänge im Nerven¬
stamm zurückgeführt (Remax [10]).
Wir haben somit die Hauptsymptome der Neuritis, nämlich Erscheinungen
der sensiblen und motorischen Zone vor uns; subjective wie Druckschmerzen
längs der Nerven und degenerative Lähmung, dazu kommen noch die motorischen
Reizvorgänge. Aetiologisch kann es sich nur um das Trauma handeln.
Andere Ursachen der peripheren Neuritis, von denen einige im Vorwort
angeführt sind, müssen wir hier durch Status und genaue Anamnese ausschliessen.
Es kann nur die Zerrung gewesen sein. Derartige Fälle von „traumatischer
Neuritis ohne äussere Verwundung“ wurden in letzter Zeit öfters beschrieben.
Auch wir behandeln augenblicklich in unserer Poliklinik einen Patienten mit
Neuritis nach übermässiger Dorsalflexion der Hand. Remax (10) erwähnt in
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dem Nothnagel’ sehen Sammelwerk einige eigene, hiergehörige Fälle. Speciell
fährt er einen Fall an, der der anatomischen Begrenzung und der Mechanik der
Entstehung nach wie auch im Verlauf unserem nahe steht Es handelt sich um
eine Peroneusparalyse, die in Folge von Ueberstreckung bei ungeschicktem Kegeln
eines in diesem Sport ungeübten Mannes eintrat.
Wir haben nns den Vorgang bei unserer Lähmung wohl folgendermaassen
vorznstellen. Bei dem Unfall wurde durch irgend welche Fusshaltung, wahr¬
scheinlich durch starke Plantarflexion und Supination des rechten Fusses, speciell
der N. peron. prof. übermässig gedehnt und gezerrt. Dies geschah vor allem
an der Stelle, wo dieser Nervenzweig bei Durchbohrung des Ansatzes des
M. peron. long. von dem N., peron. superficialis sich abzweigt. Der Stamm des
N. per. prof. macht dort einen Winkel in seinem Verlauf. An dieser Stelle
spürte Patient unmittelbar nach dem Trauma den stärksten Schmerz, und hier
ist auch die grösste Druckempfindlichkeit. Die beiden Nervenästchen verlaufen
von dieser Stelle aus anatomisch leicht trennbar in einer gemeinsamen Scheide,
wobei aber der Theil des Nerven, welcher den späteren Ramus prof. darstellt,
gewöhnlich direct dem Fibulaköpfchen anliegt Vielleicht ist bei der starken
Zerrung auch die Nervenscheide eingerissen. In Folge der mechanischen Läsion
ist dann wahrscheinlich jene theils parenchymatöse, theils interstitielle Ver¬
änderung eingetreten, welche wir heute mit dem Namen Neuritis belegen, obgleich
eine Entzündung im alten strengen Sinne nicht vorliegt. Entsprechend der Art
des Trauma und der verschiedenen Widerstandsfähigkeit der Fasern wurden
diese nicht alle gleichmässig und gleichzeitig geschädigt, wodurch der allmähliche
Eintritt der Lähmung und eventuell das Erhalten der Sensibilität seine Erklärung
finden. Nach einem Monat erst zeigten sioh die Wirkungen der oben an¬
genommenen Neuritis ausser in den Schmerzen in der beginnenden Functions-
störung. Die Muskeln wurden immer mehr in ihren Bewegungen gestört, ohne
dass der Patient bei dem langsamen Verlauf es merkte. Er gewöhnte es sich
unbewusst an, der veränderten Fussstellung Reohnung zu tragen, indem er den
Fuss abnorm hoch hob, dies fiel zuerst seiner Umgebnng auf. In dieser Zeit
erst, etwa nach 3—4 Monaten, war die totale degenerative Lähmung eingetreten.
Auch in den von Remak (10) beschriebenen Fällen stellte sioh erst der Schmerz und
dann wochenlang später die Functionsstörung ein. Remak sagte von denselben:
„In allen diesen Fällen hat also die ursprüngliche plötzliche Gewaltwirkung
nicht sofort die Lähmung, sondern nur die anatomischen Processe hervorgerufen,
welche nachträglich die Leitungsunterbrechung und degenerativen Erscheinungen
bewirkt haben. Diese Processe wird man aber bei der nachgewiesenen ana¬
tomischen Identität nicht anders als neuritisohe bezeichnen dürfen.“
Dass die Lähmung so spät bemerkt wurde, und vor allem, dass der Patient in
seinen Bewegungen so wenig gestört wurde, liegt wohl daran, dass die durch die
Lähmung dieses Nerven bedingte Störung bei weitem nicht so stark ist wie bei
der totalen Peroneuslähmung. Bei letzterer stellt sich in Folge der Lähmung
der Mm. peroneus longus et brevis ein Pes equinovarus, hier nur ein reiner Pes
equinus ein. Der Fuss blieb in Mittelstellung, da die erhaltene Abductions- und
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Pronationswirkung des M. peron. long. et brev. der Adductions- und Supinations¬
wirkung des M. triceps surae et Tibialis posticus das Gleichgewicht hielten.
Wie kräftig übrigens die letzteren Muskeln allein adduciren, weniger supiniren,
liess sich an dem Patienten leicht demonstriren. Die Equinusstellung des Fusses
bedingt durch das Herabhängen der Fussspitze, welche der Schwere nachgab,
verursachte beim Gang die Stepperbewegung wie beim echten Demarche des
steppeurs (Chakcot) der totalen Peroneuslähmung. Der Fuss war auf die Dauer
aber brauchbarer in Folge der besseren Stellung; sie ermöglichte eine häufigere
und ausgiebigere Benutzung des Fusses. Wenn diese auch im Anfang den schon
gezerrten Nerven stets von neuem insultirte, so wurde doch durch die fleissige
Bewegung einer Contractur der Plantarbeuger entgegengewirkt. Diese geringe
Beeinträchtigung der Function wurde nun zum Theil in unserem Falle wohl
noch vermindert dadurch, dass der Patient in Folge seiner turnerischen Leibes¬
übungen alle Muskeln sehr ausgebildet hatte und den Ausfall gewandt zu ersetzen
verstand. Dies erklärt vielleicht, dass die Lähmung als solche von dem Patienten
so spät erkannt und von zwei Aerzten nicht richtig gedeutet wurde. Die Gefahr
einer weiteren Deformität bei dauernder Lähmung lässt die Angabe des Patienten
erkennen, dass die grosse Zehe oft umknicke. Die Zehen waren bis jetzt in der
Ruhe durch die Wirkung der Interossei und Lumbricales und durch den Ausfall
des Tonus der langen Streckmuskeln grade gestreckt, wie immer bei solchen
Lähmungen nach Duchenne (39). Mit der Zeit würde sich aber gewiss durch
Ueberwiegen der starken Plantarflectoren eine Deformität der Zehen eingestellt
haben. Der Wegfall des Widerstandes des Tonus der langen Streckmuskeln
erklärt auch wohl zum Theil, dass der Patient besser auf den Zehen des kranken
wie des gesunden Fusses stehen konnte. Nach Duchenne (39) sind es im
letzten Theil des ersten Zeitabschnittes des Ganges, wie beim Abspringen —dasselbe
gilt auch dann für das Stehen auf den Zehen—, „zuletzt die Zehen und haupt¬
sächlich die ersten Phalangen der beiden ersten Zehen, welche durch ihre Beuge¬
muskeln (die Interossei, den Abductor und Adductur hallucis) kräftig gesenkt
werden, die dem Rumpf den Antrieb nach vorn ertheilen.“ Wie bei dieser
Function so zeigten sich die Interossei am kranken Fuss überhaupt beweglicher
als am gesunden. Dies ergiebt wohl die eigenthümliche Erscheinung, dass der
Patient dort die Zehen zu spreizen vermochte, während ihm dies am gesunden
Fuss nie gelang.
Auszuschalten ist in Folge genauer Anamnese, dass der Patient etwa schon
vor dem Trauma im rechten Fuss allein diese Fähigkeit gehabt oder sie nach
demselben durch Uebung erworben habe.
Die wenigsten Menschen vermögen ihre Zehen ordentlich zu spreizen, die
meisten nur die kleine Zehe zu abduciren, wie Prüfungen an Gesunden nach
dieser Richtung leicht ergeben. Durch die dauernde und frühzeitige Einzwängung
in ein Schuh werk vermögen wir die Zehen nur plantar- oder dorsal zu flectiren,
während wir die Zehen nicht im Spreizen geübt haben und einen Willensimpuls
auf diese Bewegung nicht zu differenziren vermögen. Dass diese Fähigkeit
gewissermaassen in uns schlummern kann, dass die Unfähigkeit nur eine psy-
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chische sein bann, beweist die Thatsache, dass unser Patient auf die erste dahin¬
gehende Aufforderung nach einigen Versuchen gleichsam accidentell die Zehen
spreizte. Er wollte die Zeheu spreizen, vermochte aber diesen Willensimpuls
nicht auf diese Bewegung zu differenziren, sondern er machte es bei dem ersten
Versuch an dem kranken Fuss genau so wie heute noch an dem gesunden.
Er beugte nämlich dabei die Zehen erst krampfhaft und versuchte sie dann
wieder zu strecken. Dabei trat dann, noch erleichtert durch die schlaffe Lähmung
der Extensoren, langsam die oben beschriebene Spreizbewegung ein. Dass im
Wesentlichen nur eine Abduction der 3.-4. Zehe zu Tage trat, nicht auch
Adduction der 1. und 2. Zehe entsprechend der des Daumens und des 2. Fingers
beim Spreizen der Finger lag wohl an mangelhafter anatomischer Beschaffenheit
der entsprechenden Muskeln. Die Spreizversuche sind von dem Patienten nach
dem ersten Erkennen dieser Fähigkeit so oft geübt worden, dass derselbe jetzt
auf Aufforderung ohne suchende Bewegungen sofort die Zehen spreizt. Patient
hat also gelernt, central diese Bewegung für den erkrankten Fuss zu differenziren.
Elektrisch bot unser Fall nichts Abnormes. Das Fehlen der Reaction vom
Nerven aus. wie die träge Zuckung in allen Muskeln lassen ihn zu den schweren
rechnen. Dies ist bei Stellung der Prognose von Wichtigkeit. Jedoch ist die
letztere nicht so schlecht, da sich trotz der deutlichen Atrophie eine geringe
Function schon wieder eingestellt hat. Möglicher Weise wäre bei richiger Er¬
kennung und frühzeitiger sachgemässer Behandlung der Fall nicht so schwer
geworden, doch ist dies schwer jetzt noch zu entscheiden. Ist es erlaubt, von
unserem Fall im Allgemeinen auf die Schädigung zu schliessen, welche die
isolirte Lähmung des N. per. prof. hervorruft, so müssen wir zusammenfassend
constatiren, dass dieselbe nicht so überaus schwerwiegend und störend für den
Patienten ist Düchbnnb’s (39) Behauptung: „Es ist besser, alle den Fuss gegen
den Unterschenkel bewegenden Muskeln zu verlieren, als nur einen bestimmten
Muskel“ trifft hier nicht zu.
Znm Schlüsse fühle ich mich verpflichtet, meinem hochverehrten Chef, Hm.
Prof. Dr. Fübstneb, für die gütige Ueberlassung des Falles auch hier meinen
Dank auszusprechen.
Litteratur.
1. Zenker, Roth, Berliner klin. Wochenschr. 1883. Nr. 41 n. 46.
2. Ott, Philad. Med. Times. 1885. Nr. 447.
3. W. Seiffeb, Berliner klin. Wochenschr. 1897. S. 1111.
4. Hofmanw, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1897. Bd. IX. S. 268.
5. Bernhardt, Berliner klin. Wochenschr. 1892. Nr. 10. S. 227.
6. Derselbe, Archiv f. Psych. Bd. XXIII. S. 268.
7. Derselbe, Deutliches Archiv f. klin. Medicin. Bd. XII. S. 377.
8. Derselbe, Erkrankungen der periph. Nerven. I. Theil. S. 411. — Nothnagel’s Spec.
Pathol. u. s. w. Bd. XI. 1.
9. Rbmak, Archiv f. Psych. Bd. XXIII. S. 273.
10. Remak und Flataü, Neuritis und Polyneuritis. Nothnagel’s Spec. Pathol. u. s. w.
Bd. XI. 3.
11. Eisenlohb, Archiv f. Psych. Bd. VI. S. 548.
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10
12. Bbuns, Berliner kün. Wochenschr. 1890. S. 509.
18. Wibtz, Ueber einen Fall von Peroneuslähmung bei Tnberculose. Dissert. Bonn.
14. Jolly, Neurolog. Centralbl. Bd. XIV. S. 609.
15. Derselbe, Ueber einen Fall von durch Fesselung des Beines entstandener Peroneus¬
lähmung. Charitä-Annalen. 1898. XXIII.
16. Sebliqm&llkb, Lehrbuch der Krankheiten der peripheren Nerven und des Sympa¬
thien. 1882. S. 190.
17. Pontoppidan, Neurolog. Centralbl. Bd. XIV. S. 786.
18. Gessnbb, Zeitsohr. f. Geburtshülfe u. Gynäkologie. Bd. XXXVI. S. 166.
19. Bianchi, Des paralysies tranmatiques du membre införieur chez les nouvelles ac-
couchäes. Thäse de Paris 1867.
20. Bbivois, Paralysies traumatiques du membre inferieur consäcutives ä l’accouchement
laborieux. Thöse de Paris 1876.
21. Lbfüvre, Des paralysies tranmatiques des membres inferieurs. Thbse de Paris 1876.
22. Dobion, Paralysies du nerf poplitä externe d’origine. Thöee de Paris 1884.
28. Hünebmann, Berliner klin. Wochenschr. 1892. S. 960.
24. Mabtius, Neurolog. Centralbl. Bd. VII. S. 644.
25. Oppenheim, Berliner klin. Wochenschr. 1893. 8 . 589.
26. Poppeb: Deutsche med. Wochenschr. 1890. 8 . 994.
27. Wiesmann, Correspondensblatt für Schweizer Aerzte. 1892.
28. Westphal, Charit4-Annalen. 1899. XXIV.
29. Finkblnbübg, Neurolog. Centralbl. Bd. XVIII. S. 709.
30. Sabbö, Neurolog. Centralbl. Bd. XV. S. 351.
31. Pick, Berliner klin. Wochenschr. 1890. S. 1081.
32. Fübstneb, Archiv f. Psych. Bd. XXIV. S. 96.
38. Moeli, Neurolog. Centralbl. Bd. XIV. 8 . 98.
34. Gbbhabdt, Versammlung der südwestdeutschen Neurologen u. Irrenärzte in Baden-
Baden 1895. Befer. Neurolog. Centralbl. Bd. XIV. S. 624.
35. Chaboot, Clinique des waladieB du Bystäme nerveux. 1892. I. S. 169 — 178.
36. Duchenne, Physiologie der Bewegungen, übersetzt von Wbbniokb. 1885.
Nachschrift.
Die oben ausgesprochene Vermuthung, dass die Prognose trotz der schweren
Entartnngsreaction in unserem Falle nicht so sohlecht sei, hat sich bestätigt
Der Patient, welcher poliklinisch weiter behandelt wird, kann alle ausgefallenen
Bewegungen mit dem erkrankten Fusse wieder ausführen, wenn auch noch nioht
ganz mit der früheren Kraft.
[Aus der Heidelberger medicinischen Klinik (Geh. Rath Ebb)].
2. Mittheilungen zur Friedreich’schen Ataxie.
Von Dr. S. Sohoenbom, Assistenzarzt.
Das Krankheitsbild der FniEDBEiOH’schen Ataxie ist in allen seinen Haupt*
syptomen ein wohlbekanntes und von den meisten verwandten Erkrankungen
leicht zu unterscheidendes. Trotzdem weist die Litteratur nicht viel mehr als
200 bekannt gewordene Fälle auf; und wenn, wie man bei dem grossen dieser
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Krankheit seit den FBiEDBEiOH’schen Veröffentlichungen entgegengebrachten
Interesse wohl annehmen darf, die grosse Mehrzahl aller beobachteten Fälle ver¬
öffentlicht worden ist, so muss das Leiden immerhin noch als ein seltenes be¬
zeichnet werden. Nach den zahlreichen englischen Beobachtungen soheint es, als
ob die FaiEDBEiCH’sche Ataiie in England und Amerika etwas häufiger ist als
in Deutschland. Bei einem Material von erst 200 Fällen darf gewiss erwartet
werden, dass die Aufklärung der wenigen noch dunkeln Punkte im Krankheits¬
bilde erleichtert wird durch jeden neu zur Beobachtung kommenden Fall.
Schon aus diesem Grunde dürfte sich die Veröffentlichung der folgenden 4 Fälle,
welche im Laufe der letzten 5 Jahre auf der Heidelberger Medizinischen Klinik
beobachtet wurden, rechtfertigen.
Fall 1. 1 G. H., Bauerssohn von Oftersheim, 23 Jahre alt, wird am 16./1. 1895
in die Klinik aufgenommen. Die Familienanamnese ergiebt ausser einer bei
beiden Eltern ausgesprochenen Neigung zur Kyphose nichts besonderes, namentlich
weder hereditäres noch familiäres Vorkommen von Ataxie. Pat. hat keine be¬
sonderen Krankheiten durchgemacht ausser mit 14 Jahren einen „Rheumatismus“
in Armen und Beinen, dessen Folgeerscheinungen, gelegentliche ziehende Schmerzen,
seit 5 Jahren verschwunden sind. Seit dem 17. Jahre macht sich eine aus¬
gesprochene Unsicherheit aller Bewegungen geltend; beim Gehen wurde Pat.
allmählich so unsicher, dass er — namentlich beim Gehen im Dunkeln — wie
ein Betrunkener schwankt. Mit den Händen kann er z. B. kein Glas mit Wasser
tragen, ohne den Inhalt zu verschütten. Seitens der Hirnnerven sowie der Sphink-
teren und der inneren Organe bestehen keine Klagen. Pat. hat kein Schwindel-
gefähl. Die Intelligenz ist gut entwickelt; er war in der Schule immer einer
der ersten. Die Sprache ist seit dem 17. Jahre nicht so geläufig wie früher.
Seit dem 18. Jahre hat sich eine Verkrümmung des Rückens bemerkbar gemacht.
Der aufgenommene Befund ergab Folgendes: Mittelgrosser, ziemlich gut
entwickelter Bursche mit sehr guter Intelligenz. Die inneren Organe bieten nichts
Abnormes. Nervensystem: Pupillen r. = 1., reagiren prompt auf Licht
und Akkomodation. Bei gerader Blickrichtung ist eine leichte Uuruhe der Bulbi
erkennbar, die bei Seitenbewegungen sich als Nystagmus mässigen Grades
documentirt. Augenhintergrund und Gesichtsfeld beiderseits normal. Die
Hirnnerven sind durchweg von normalem Befund. Die Sprache zeigte anfangs
keine Abnormitäten; im Laufe der Beobachtung stellte sich eine eigenthümliche,
an Stottern erinnernde Ungeschicklichkeit beim Sprechen immer deutlicher ein.
Der Kopf zeigt bei ataktischen Schwankungen des Körpers ebenfalls deutliche
eigene OBcillationen. Die Muskulatur ist mässig entwickelt, doch besteht nirgends
Atrophie, ebenso keine Spannungen. Grobe Kraft überall normal, ausser am linken
Arm, wo eine nach Stichverletzung vor ca. 6 Wochen entstandene Lähmung des
N. radial» mit completer Entartungsreaction und Seusibilitätsstörungen im ent¬
sprechenden Hautbezirke nachweisbar ist. Abgesehen von diesen Stellen ist die
Sensibilität am ganzen Körper normal für Tastempfindung, Kälte und
Wärme, Schmerz, Stereognosie, Muskelsinn, Lokalisationsvermögen. Die Hautreflexe
sind in normaler Stärke erhalten; die Sehnen- bezw. Periostreflexe fehlen am
ganzen Körper (Unterkiefer, Arme, Beine).
1 Fall I und II wurden bereits am 22./I. 1895 von Hrn. Prof. J. Hoffmann im natnr-
historischen medicin. Verein zu Heidelberg demonstrirt. Vgl. Münchener med. Wochenschr.
1895. Nr. 8.
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Schon beim Eintreten des Pat fallt sofort eine deutliche Unsicherheit der
Beine auf; der Gang erinnert an den eines Betrunkenen, es besteht dabei aus¬
gesprochene Ataxie. Diese ist auch in den Armen, im Bumpf und im
Gesicht nachweisbar, und tritt sowohl bei spontanen als aufgegebenen Willkür¬
bewegungen auf. In liegender Stellung ist die Ataxie ebenfalls vorhanden, und
besonders deutlich ist sie bei ruhigem Stehen, wo eine beständige, wackelnde
Unruhe des Rumpfes und der Extremitäten sich kenntlich macht. Dabei finden
auch fast beständige, unruhige Bewegungen im Gesicht, Stimrnnzeln, Lippen-
verziehunpen und dergL statt. Beim Stehen mit Augenschluss nimmt das
Schwanken des Körpers zu, führt aber nicht bis zu völligem Gleichgewichts¬
verlüste. An den Beinen fällt besonders auch die Unruhe der Zehen und ein
starkes Vorspringen der Sehne des Extens. halluc. long. auf.
Es besteht beiderseits Hohlfuss mit starker Wölbung, sowie leichte Kypho¬
skoliose der Wirbelsäule im unteren Dorealtheile (Skoliose nach links).
Aus der Krankengeschichte ist nichts Besonderes hervorzuheben. Schmerzen
nnd Paräathesien, über welche der Kranke Anfangs etwas geklagt hatte, traten
in seiner Aufenthaltszeit im Krankenhause nicht in nennenswerther Weise hervor.
Der Zustand blieb bis zu seiner Entlassung am 30. ,1. 1895 im wesentlichen
unverändert.
Fall II. W. S., lOjähr. Bauernjunge von Sickingen, wird am 9./I. 1895
in die Klinik anfgenommen. In der Familie besteht keinerlei neuropathische
Belastung. Zwei Geschwister sind gesund. Pat. hat in froherer Zeit Scharlach
und Keuchhusten durchgemacht, ohne besondere Folgen. Vor 4 Jahren erkrankte
er an einer — anscheinend ziemlich typischen — Diphtherie, an welche sich
Lähmungserscheinungen anschlossen („das Zäpfchen war gelähmt“, er sprach ganz
undeutlich u. s. w.). Sobald er nach der Krankheit aufstand (etwa 14 Tage nach
Beendigung derselben), machten sich Bewegungsstörungen beim Gehen geltend:
Der Gang wurde wackelig und unsicher und ist seither so geblieben. Es soll in
den 4 Jahren keinerlei Verschlimmerung eingetreten sein. Der Gang sei wie der
eines Betrunkenen. Auch in den Armen, z. B. beim Schreiben soll starke Unruhe
bestehen. Die Intelligenz ist nicht besonders entwickelt; Pat. kommt in der
Schule nicht besonders fort, ist auch leicht jähzornig u. s. w. Von Seiten der
Hirnnerven sind keine Störungen bekannt Es bestehen weder Schwindel noch
irgendwelche Schmerzen. In den ersten 2 Jahren nach der Diphtherie traten
(im Ganzen etwa 6 Mal) kurzdauernde epileptiforme Anfalle auf (Pat zitterte,
verdrehte die Augen, war starr ucd blieb für 10—15 Minuten bewusstlos). Nie¬
mals war Erbrechen vorhanden.
Der aufgenommene Befund ergab: Pat. ist ein blasser Knabe von mittlerem
Ernährungszustände. Die inneren Organe sind normal.
Nervensystem: Pupillen gleich, reagiren auf Lichteinfall und Accomodation
gut. Augenhintergrund normal. Beim Fixiren tritt eine leichte Unruhe der
Bulbi auf. Die Himnerven sind in jeder Beziehung normal. Die Sensibilität
ist am ganzen Körper ungestört, ebenso die rohe Kraft. Die Hautreflexe sind
durchweg lebhaft, die Sehnenreflexe fehlen am ganzen Körper. Schon in
ruhiger Lage treten bei dem Jungen leichte, an Chorea erinnernde, unruhige Be¬
wegungen besonders in den Fingern und Armen, weniger in den Beinen auf
Besonders stark Bind diese Bewegungen beim Sitzen, wo ein allgemeines Pendeln
des Oberkörpers, des Kopfes u. s. w. ein tritt. Der Gang ist breitspurig, stampfend;
es macht sich ein auffallend starkes Taumeln (an cerebellare Ataxie erinnernd),
und Vorwärtsschiessen bemerkbar. Bei Augenschluss und ruhigem Stehen nimmt
das Schwanken meist zu, führt aber nicht bis zum Umfallen des Pat. Im Gesichte
zeigt sich starkes Griraassiren namentlich in dem Stirntheile des Facialisgebietes
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(Stirnrunzeln, Hebung der Augenbrauen), schon in der Ruhe vorhanden,
beim Sprechen zunehmend. Die Sprache ist langsam, gedehnt, eintönig. Die
Intelligenz ist auffallend wenig entwickelt; Pat. kann das ABC nicht aufsagen,
einfache Rechnungen nicht aus fahren u. s. w. '
Am Dorsaltheil der Wirbelsäule besteht eine geringe Skoliose nach links.
Aus der Krankengeschichte ist hervorzuheben, dass in der Nacht vom 15.
auf den 16./I. 1895 ein augenscheinlich epileptischer Anfall erfolgte. Nach den
Angaben der anderen Patienten habe Pat. mit Armen und Beinen um sich ge¬
schlagen, tief und röchelnd geathmet u. s. w. Er ist den ganzen Tag (16./I.)
über sehr stumpf und somnolent, klagt über Kopfschmerzen. Objectiv ist nichts
wahrnehmbar als ziemlich hohe Temperaturen (bis 39°,2). Der nächste Tag zeigte
wieder normales Befinden bei normaler Temperatur. Ein leichter Anfall trat noch
am 18./I. Abends auf, sonst blieb Pat. bis zur Entlassung frei von Anfällen.
Der Zustand blieb im Grossen und Ganzen unverändert. Gelegentlich wurde noch
festgestellt, dass auch hier — wie bei Fall I — eine leichte Dorsalflexion
der Grosszehe bestand. Pat. wurde am 25./II. entlassen.
Fall HI. M. J., 16 jähr. Pfarrerstochter. Patientin ist das jüngste Kind
gesunder Eltern; nur ein älterer Bruder leidet an derselben Krankheit. 7 andere
Geschwister sind gesund. Pat. war von Jugend auf etwas schwächlich, entwickelte
sich aber geistig und körperlich im Ganzen normal. Sie lernte rechtzeitig gehen
und sprechen. Ausser Varicellen machte sie keine Infectionskrankheit durch.
Von Traumen ist nur ein Sturz vom Pony im 10. Jahre zu erwähnen, der ohne
besondere Folgen verlief. Vor etwa 6 Jahren, aber ohne direkten Anschluss
an das Trauma, wurde eine leichte seitliche Verbiegung der Wirbelsäule constatirt.
Um diese zu beseitigen, machte Pat. damals eine 5 Monate dauernde Kranken¬
hausbehandlung durch. Gegen Ende dieser Behandlungszeit wurde zum ersten Mal
ein schlechteres Gehen, Unsicherheit und Schwanken sowie auffallendes Hoch¬
heben der Füsse beim Gehen constatirt. Diese Störung verstärkte sich all¬
mählich; auch traten gelegentliche unwillkürliche Bewegungen in den
Armen und im Gesicht hinzu. Die Gehstörung ist im Dunkeln und bei
geschlossenen Augen am stärksten. Schmerzen und Parästhesieen fehlten
gänzlich. Die Hirnnerven sollen normal sein, speciell besteht keinerlei Sehstörung,
nur eine mässige Myopie. Eine Veränderung der Sprache wurde nicht bemerkt,
ebenso keine psychische Veränderung. Ueber Schwindelgefühl wird nicht geklagt.
Die Periode ist vor 1 / 2 Jahre eingetreten und ist regelmässig.
Pat. wurde am 29./VII. 1899 in die Klinik aufgenommen und bot folgenden
Befund: Sie ist von kleinem Körperbau und ziemlich guter Ernährung; ihre
körperliche Entwicklung macht noch durchaus einen kindlichen Eindruck. Innere
Organe in jeder Beziehung normal. Die Wirbelsäule zeigt eine starke rechts¬
convexe Kyphoskoliose im oberen und mittleren Dorsaltheil. Der Gesichtsausdruck
ist von einer gewissen Starrheit und erweckt den Eindruck geringer Intelligenz,
Bei genauer Prüfung erweist sich aber Psyche, Intelligenz und Gedächtniss als
vollkommen normal. Nervensystem: Hirnnerven vollkommen normal. Pupillen
reagiren prompt auf Licht. Es besteht kein sicher nachweisbarer Nystagmus.
Die Facialismusculatur ist beiderseits normal entwickelt ; beim Sprechen, Lachen u. s. w.
findet oft eine übermässige, grösstentheils unbeabsichtigte Verzerrung der Züge
statt; dagegen ist ein rein spontanes Grimassiren selten zu beobachten. Die
Sprache macht den Eindruck der Schwerfälligkeit, Unbeholfenheit; vereinzelt findet
auch ein Hervorstossen der Worte statt. Skandiren ist nicht vorhanden. In den
Extremitäten ist die grobe Kraft durchaus normal, die Muskeln sind gut ent¬
wickelt und nirgends atrophisch. Die genaue Prüfung der Sensibilität ergiebt:
Tastempfindung durchweg normal (Tastkreise an der Fingerkuppe volar 3—4 mm,
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Grundphalange Mittelfinger 6 mm, Hohlhand 15 mm, Vorderarm 20 mm u. s. w.}.
Gefühl für Kälte und Wärme normal, ebenso für Schmerz. Stereognostischer
Sinn normal. Ferner ist bei genauer Prüfung durchweg intakt das Gefühl fiir
active und passive Lageveränderung, für Wahrnehmung der Lage, für Druck
(Druckdifferenzen von 5—10 g noch empfunden) und für Widerstand. Mit einem
Worte: Auch bei sorgfältigster Prüfung erweis«n sich Hautsensibilität,
Muskelsinn und Gelenksensibilität als absolut normal. Die Sehnen¬
reflexe fehlen am ganzen Körper. Die Bauchreflexe sind lebhaft. Bei
Prüfung der Plantarreflexe findet beiderseits Dorsalflexion des Fusses statt;
die Zehen aber, speciell die Grosszehe, werden rechts dorsal, links dagegen plantar
flektirt. Beiderseits besteht Hohlfuss.
Der Gang der Kranken ist in hohem Grade atactisch und erinnert an den
eines Betrunkenen. Das Schwanken nimmt zu bei ruhigem Stehen und namentlich
bei Stehen mit Augenschluss: doch kommt es nie zu vollkommenem Gleichgewichts¬
verlust bezw. zum Hinfallen der Kranken. Beim Gehen und Stehen, namentlich
auch bei coraplicirten Bewegungen der Hände kommt es zu unfreiwilligen, theil-
weise ziemlich erheblichen athetoseartigen Bewegungen in den Fingern bezw. zu
Ataxie in den Armen. Dabei vermag Pat. aber gut leserlich zu schreiben und
zeichnet fast künstlerisch; freilich geschieht beides langsam. Häufig ist ein leichtes
atactisches Zittern des Kopfes besonders beim Stehen.
Beim Stehen und Gehen wird zur Regulirung des Gleichgewichtes anscheinend
vorwiegend die Grosszehe benutzt; die Sehne derselben springt stark vor, und der
M. extens. halluc. long. scheint hypervoluminös zu sein.
Fall IV. P. J., 20 jähr. Student (Bruder der Vorigen) wird am 10./X. 1899
ins Krankenhaus auigenommen. Die Familienanamnese s. oben. Pat. selbst hat
ausser Varicellen keine Infectionskrankheit oder sonstige ernstere Erkrankung
durchgemacht. Mit 14 Jahren erlitt er beim Fussballspiel einen heftigen Stoss
in die Kreuzgegend, der aber ohne weitere Folgen verlief. Im 13. oder 14. Jahre
trat, angeblich ohne Zusammenhang mit dem erwähnten Trauma, eine geringe
Verkrümmung der Wirbelsäule auf, die nicht nennenswerth fortgeschritten sein
soll Erst mit 17 Jahren zeigte sich eine leichte Gehstörung, eine gewisse Un¬
sicherheit, ein Schwanken beim Gehen. In den Händen hat er von dieser Un¬
sicherheit nichts bemerkt; das Schreiben u. s. w. blieb unverändert. Die Körperkraft
hat sich auch nicht verringert, doch hat Pat. auf dem Gebiete des Sports nie
besonders viel geleistet. Er macht die charakteristische Angabe, dass er beim
Schwimmen, wenn er gerade mit den Armen rudert, leicht die Beine völlig
„vergisst“ und umgekehrt. Er hat übrigens ohne besondere Schwierigkeit rad-
fahren gelernt. Ueber Kopfschmerzen, Schwindel, über psychische Veränderungen
hat Pat. nicht zu klagen, ebensowenig über Sehstörungen. Er glaubt, dass seine
Sprache sich verändert habe, möglicherweise etwas langsamer geworden sei.
Der Befund ergiebt: Mittelgrosser junger Mann mit leidlioh entwickelter
Muskulatur, geringem Fettpolster. Der ganze Eindruck ist der eines in seiner
körperlichen Entwicklung auf infantiler Stufe stehen gebliebenen Menschen. Auch
der Gesichtsausdruck ist etwas kindisch und blöde, die Prüfung der Psyche und
und der Intelligenz ergiebt jedoch normale Verhältnisse. Die inneren Organe
sind durchweg normal. An der Wirbelsäule zeigt sich eine starke rechtsconvexe
dorsale Kyphoskoliose mit consecutivem Rippenbuckel rechts, aber ohne nennens-
werthe compensatorißche Lendenskoliose nach links. Nervensystem: Hirnnerven
normal. Es besteht .ein geringer grober horizontaler Nystagmus. Bei
angestrengtem Seitwärtsblicken tritt ein kleinschlägiger, mit dem Nystagmus
synchroner Tremor des Kopfes ein, der sich auch beim Stehen bisweilen zeigt.
Grimassiren findet hier, noch in höherem Grade als bei der Schwester, beim
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15
Sprechen und Lachen statt; namentlich bemerkt man aber beim Aufwärtsblicken
eine kolossale Faltenbildung im Gebiete des Stirnfacialis. Die Pupillen sind
gleich und reagiren prompt auf Licht und Accomodation. Was die Ex¬
tremitäten betrifft, so ist die grobe Kraft überall der Muskelentwickelung ent¬
sprechend. Die Sensibilität, welche ebenso genau wie bei der Schwester geprüft
wurde, ergiebt vollkommen normalen Befund für Hautsensibilität, Muskel¬
sinn und Gelenksensibilität. Alle Sehnenreflexe fehlen. Die Bauch- und
Cremasterreflexe sind lebhaft, die Plantarreflexe schwach mit träger Dorsal¬
flexion des Fusses und der Zehen. Auch hier springt die Sehne des Ex¬
tensor halluc. long. stark vor, und beim Gehen finden fast beständige Bewegungen
der Grosszehe statt. Auch hier besteht Hohlfuss geringen Grades.
Der Gang ist schwankend, atactisch, in hohem Grade unsicher, dabei deutlich
stampfend. Starke statische Ataxie, die bei Angenschluss in mässigem Grade
zunimmt, ln den Händen ist die Motilität bei intendirten Bewegungen gut. In
der Kühe treten verhältnissmässig selten athetoide Bewegungen der Finger auf;
Pat. schreibt recht gut. Ein VorwärtsschiesBen beim Gehen ist nicht zu beobachten.
Zum Umfallen des Kranken kommt es nie.
Aus der Krankengeschichte ist nur hervorzuheben, dass bei regelmässiger
Ausführung FaENKBi/scher Uebungen es bei beiden Geschwistern gelang, die
Bewegungen soweit zu reguliren, dass die regelmässig geübten Bewegungen
erheblich sicherer wurden. Auf Bewegungen, die ausserhalb des Bereichs der
Uebungen lagen, erstreckte die Besserung sich nicht.
Von den vier erwähnten Fällen entfernt sich nur der Fall II etwas weiter
aus dem Bahmen des „typischen“ Bildes und könnte Anlass zn einer genaueren
differentialdiagnostischen Würdigung geben. Das Auftreten der Symptome im
unmittelbaren Anschluss an eine überstandene Diphtherie sowie das Erscheinen
von epileptiformen Anfallen im Laufe der Krankheit lässt an die grosse Gruppe
der postdiphtherischen Nervenleiden denken, zumal da bei dem Kranken anfangs
eine Gaumensegellähmung vorhanden gewesen sein dürfte. In der That sind
ja Fälle postdiphtherischer Ataxie mit fehlenden Sehnenreflexen, starker Ataxie
der Beine ohne das gleichzeitige Bild einer Neuritis, d. h. ohne erhebliche Paresen
und ohne Sensibilitätsstörungen, beobachtet worden. Aber die Symptome be¬
schränkten sich dort meist auf die Beine und blieben in der Regel auch nicht
jahrelang unverändert bestehen, während bei unserem Fall 4 Jahre nach der
Diphtherie eine diffuse Ataxie aller Körperbewegungen gefunden wurde, ganz
abgesehen von der Frage, ob nicht Symptome der atactischen Störung schon vor
der Diphtherie nachweisbar gewesen wären.
Ist somit die Annahme einer diffusen postdiphtherischen mit Ataxie einher¬
gehenden, dem Gebiete der multiplen Neuritis zuzuweisenden Erkrankung ab¬
zulehnen, so drängt sich um so lebhafter die Frage auf, ob nicht durch die
Wirkung der Infectionskrankheiten, durch das diphtherische Toxin im vorliegenden
Falle, die bis dahin latente Disposition einer centralen Erkrankung mit
charakteristischen Symptomen ans Licht trat. Man hat bei der FßiEDBEiCH’schen
Ataxie seit lange die dem Ausbruche des Leidens etwa vorhergehenden Er¬
krankungen, speciell acute Infectionskrankheiten, sehr beachtet, und die be¬
günstigende Rolle, die letztere gegenüber dem Hervortreten der nervösen Affection
spielen, ist allgemein anerkannt Ich finde unter 200 — mir freilich theilweise
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16
nur im Referat zugänglichen — Beobachtungen FBiEDRBiOH’scher Krankheit
nicht weniger als 42, bei welchen ein solcher Zusammenhang mit acuten In-
fectionskrankheiten, entweder als dem Entstehen der FniEDBEiOH’schen Ataxie
vorausgehend oder den Moment einer auffallenden Verschlimmerung des schon
bestehenden Leidens markirend, von den Autoren angenommen wird. Diphtherie (10)
und Masern (8) spielen hierbei die Hauptrolle. Auch in unserem Falle werden
wir die Diphtherie als agent provocateur auffassen dürfen. Vielleicht spielt auch
die bekannte Neigung der Diphtherie, speciell atactische Erkrankungen des
Nervensystems nach sich zu ziehen, hierbei mit.
Ist denn aber die Erkrankung, welche in unserem Falle im Gefolge der
Diphtherie auftrat, auch wenn die gewöhnlichen postdiphtherischon Formen aus-
zuschliessen sind, überhaupt eine reine FniEDBEiCH’sche Ataxie? Die Frage
ist jedenfalls nicht mit Bestimmtheit zu bejahen. Die zweite grössere Gruppe
der auf angeborner Anlage beruhenden vorwiegend atactischen Störungen, die
Hörödoataxie cöröbelleuse, kommt hier ernstlich in Frage. Freilich auoh ihr
dürfen wir unsern Pat. nicht unbedingt zurechnen. Für cerebellare Ataxie
spricht z. B. der zweifellos psychisch abnorme Befund, vielleicht auch die
epileptischen Anfälle; dagegen aber der Mangel objectiv nachweisbarer Augen-
störungen und die fehlenden Sehnenreflexe. Die Ataxie selbst sowie die Geh¬
störung bieten bei FßiEDBEiCH’scher und cerebellarer Ataxie vielfach nur so
geringe Unterschiede, dass eine scharfe Trennung beider in dieser Richtung
klinisch oft undurchführbar ist. Wohl tritt bei cerebellar-atactischem Gang
das Taumeln besonders stark hervor — auch in der Krankengeschichte unseres
Falles findet sich eine dies betonende Notiz — aber auch der Gang der an
FniEDBEiCH’scher Krankheit Leidenden wird als „taumelnd, wie der eines
Betrunkenen“, häufig genug geschildert Für die zweite Art der Störung ge¬
wollter Bewegungen, den Intentionstremor der multiplen Sklerose, lassen sich
dagegen — wenigstens in typischen Fällen — auch klinisch in der Regel
genügend sichere Merkmale zur Unterscheidung von Ataxie feststellen. Freilich
kommen Uebergänge vor, die diese Unterscheidung sehr erschweren können.
In unserem Falle werden wir uns für die Diagnose: spinale oder cerebellare
hereditäre Ataxie, gar nicht zu entscheiden brauchen. Es finden hier zweifellos
fliessende Uebergänge statt, die sich sowohl auf das anatomische als das klinische
Bild erstrecken. Sicher liegt eine „combinirte Systemerkrankung“ im weiteren
Sinne vor, mit überwiegender Betheiligung der Hinterstränge und der Kleinhirn¬
seitenstrangbahnen, die gleichzeitig in mehr oder minder weitgehendem Maasse
das Cerebellum selbst mit ergriffen hat
Der Grad der Betheiligung des Kleinhirns lässt sich hier nicht mit Sicherheit
ermitteln.
Aber auch dieser atypische Fall schliesst sich, soweit nur das Bild der
Affection des Rückenmarksquerschnittes in Frage kommt, eng an die drei übrigen
an. Wir haben in allen 4 Beobachtungen eine in früher Jugend entstandene
Erkraukung, welche sich im Wesentlichen kennzeichnet als eine hochgradige
Ataxie fast aller Körpermuskeln, mit Gehstörung und Sprachstörung, mit oomplet
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17
fehlenden Sehnenreflexen, bei vollständig erhaltener Sensibilität und normalem
Augenbefunde, speciell erhaltener Lichtreaction der Pupillen. Die Diagnose der
FnmnRKicH’sohen Krankheit steht demnach ausser Zweifel Die Abweichung
hiervon im Fall II habe ich oben gekennzeichnet
Auch anatomisch wird die Rückenmarksaffection bei allen 4 Fallen, auch
graduell, etwa das gleiche Bild zeigen: schwer erkrankt sind die hinteren
Wurzeln, die Hinterstränge, die Kleinhirnseitenstrangbahn. Zweifelhaft ist die
Betheiligung des GowBBs’schen Bündels, während die Erkrankung rein motorischer
Bahnen (Pyramidenseitenstrangbahnen) sicher erst einen geringen Grad erreicht
hat und überhaupt klinisch kaum diagnosticirbar wäre, wenn nicht ein
charakteristisches Symptom, der BABiNaKi’sche Reflex, dafür spräche.
Zum Schlosse sei es mir gestattet, an der Hand der vorliegenden Be¬
obachtungen noch einen kurzen Blick auf einzelne Symptome der FnrRDBBiCH’schen
Krankheit zu werfen. Bezüglich der Aetiologie wurde schon oben erwähnt,
dass als auslöeendes Moment häufig Infectionskrankheiten in Frage kommen.
Als Hauptursache bleibt aber fraglos eine abnorme Veranlagung des Central¬
nervensystems bestehen, die sich in Familiarität und Heredität klinisch äussern
kann, viel regelmässiger aber sich äussert in einem Auftreten der Krankheit
in jugendlichem Alter. Wenn anch die vereinzelten Berichte über congenitales
Bestehen der Krankheit (Nolan u. A.) theils mit Bezug auf präcise Beobachtung,
theils auf die Auffassung des Krankheitsbildes als FniEDBEiCH’sche Krankheit
anzweifelbar sind, so bleibt doch die Thatsache bestehen, dass von ca. 200 Fällen
FniEDBJBiCH’scher Ataxie 123 einen Krankheitsbeginn vor dem 25. Lebensjahre
zeigten, während nur bei 24 (zum Theil kaum als spin. heredit Ataxie zu deutenden)
Beobachtungen ein Entstehen nach diesem Termin angegeben wird; für den
Rest war die Entstehungszeit der Krankheit nicht genau zu eruiren. Heredität
oder Familiarität, bisweilen auch beides, liess sich für 114 Fälle sicher ermitteln;
in mehreren Fällen wurde die durch Heredität wahrscheinlich gemachte Anlage
durch eine Infectionskrankheit und folgendes Auftreten von FniEDBBicH’scher
Ataxie offenkundig. Heredität und Familiarität liessen sich ausschliessen in
12 Fällen; für den Rest der ca. 200 Beobachtungen fehlen hinreichend aus¬
führliche Mittheilungen, doch ist bei der Mehrzahl dieses Restes Erblichkeit un¬
wahrscheinlich.
Die übrigen ätiologischen Momente folgen erst in weitem Abstande. In
einer Beobachtung scheint Gravidität bei einer familiär belasteten Kranken der
agent provocateur gewesen zu sein. In sechs Fällen werden Verletzungen,
welche die Kranken kurz vor dem Ausbruche der Krankheit erlitten, erwähnt.
Bemerkenswert!! ist, dass auch bei Fall HI und IV dieser Mittheilung ein
Trauma in ähnlichem Zusammenhänge erwähnt wird, das freilich von den Patienten
selbst nicht in Bezug zu dem Ausbruche der Krankheit gebracht wurde. Da
auch hier exquisite Familiarität vorliegt, hat das Trauma auf alle Fälle hier
nur eine ganz untergeordnete Bedeutung.
Die Wirbelsäulenveränderungen, welchen schon Fbiedbeich in seinen
ersten Mittbeilungen eine gewisse Bedeutung beimass, bilden bekanntlich einen
2
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18
nicht seltenen Befund bei dieser Krankheit Wie weit sie mit der Genese der
letzteren in Beziehung zu bringen sind, lässt sich zur Zeit nicht entscheiden.
Vielleicht handelt es sich auch hier, wie dies ja von verschiedenen Seiten für
Kyphoskoliosen bei Syringomyelie angenommen wird, um eine mit der Wachs¬
thumsstörung der Röckenmarksstränge parallelgehende, auf gleicher abnormer
Anlage beruhende Veränderung. Im Einzelnen finde ich unter 200 Fällen
60 mit Skoliose oder Kyphoskoliose vermerkt; nur für 4 fand ich eine sicher
normale Wirbelsäule, während für den Rest genaue Angaben fehlen. Imm erhin
ist die Angabe von Hallion *, dass mindestens die Hälfte der Fälle FRiEDEEiOH’scher
Krankheit mit Veränderungen der Wirbelsäule einhergehen, vielleicht etwas zu
hoch gegriffen. Die 4 Fälle der vorliegenden Beobachtung zeigten sämmtlich
Skoliose oder Kyphoskoliose.
Im Gegensatz zu anderen congenitalen Anomalieen muss hervorgehoben
werden, dass bei Fällen echter FniEDEEiOH’scher Ataxie die psychischen
Functionen intact bleiben, ja dass die betr. Patienten nicht selten eine un¬
gewöhnliche Intelligenz und geistige Regsamkeit besitzen, im Gegensatz zu dem
grimassenartigen, bisweilen auch stumpfen Gesichtsausdruck. In denjenigen
Fällen, wo Veränderungen der Psyche, vorwiegend Demenzerscheinungen, zur
Beobachtung gelangen — ich finde in der Litteratur über FsiEDBEiOH’scbe
Krankheit 26 derartige Fälle verzeichnet — handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit
nach nicht um einfache FniEDßEiCH’sche Ataxie, sondern um Mischformen mit
Betheiligung des Cerebellum oder Cerebrum.
Noch in neuester Zeit berichten einige Beobachter* über Fälle Fbibd-
BEiCH’scher Krankheit mit gesteigerten Sehnenreflexen. Es ist wohl
zweifellos, dass es sich auch hier nicht um reine Krankheitsfälle handelt. In
allen einen typischen Beginn und Verlauf zeigenden Beobachtungen Fbied-
BEiOH’scher Ataxie fehlen die Sehnenreflexe schon früh. Ob bei abweichenden
Angaben es sich um eine Verwechselung etwa mit cerebellarer Ataxie handelt,
bleibe dahingestellt Wahrscheinlicher ist es mir, dass, wenn alle übrigen Sym¬
ptome für FBiEDBEiCH’sche Krankheit sprechen, die Steigerung der Reflexe ent¬
weder auf dem zufälligen Intactbleiben der die Reflexe vermittelnden hinteren
Wurzelfasern beruht, oder auf einer vorwiegenden und frühzeitigen Betheiligung
der Pyramidenbahnen, speciell der Pyramidenseitenstränge.
In der That finden wir in der Mehrzahl der Obductionsbefunde auf dem
Gebiete der FaiEDBEiOH’schen Krankheit eine mehr oder minder starke
Degeneration der Pyramiden-Seitenstrangbahnen. Wo liegt aber die klinische
Aeusserung dieser anatomischen Thatsache? In den meisten Fällen fehltet
bisher alle hierfür verwerthbaren Symptome. In neuerer Zeit wurde nun durcl
die Veränderung des Plantarreflexes im Sinne einer trägen Dorsal
flexion der Zehen bei Reizung der Fusssohle (Babinski) uns ein Sympton
an die Hand gegeben, das sich fast ausnahmslos — die gegenteiligen Angabe]
1 Iconographie de la Salpfitrtere. 1892.
* U. A. Howabd Gladstonb. Brain. Winter 1899.
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id
Ton Vergeh a. Abadie 1 habe ich bisher nicht bestätigt gefunden — bei Läsion
der Pyramidenbahnen findet, und zwar anscheinend nur bei dieser. Dies
Symptom wurde seither bei allen Fällen echter Fbiedbkic H’scher Krankheit,
wo überhaupt darauf geachtet wnrde, vorgefunden. Auch Fall DI und IV
unserer Beobachtungen zeigten es zum Theil in exquisiter Weise. R. Cbstam* hat
es bei 10 Kranken stets typisch gefunden.
In geistreicher Weise hat letzterer Autor 8 versucht, dies Phänomen in Zu¬
sammenhang zu bringen mit der bei FuiEDBBioH’scher Ataxie so ungemein
häufigen (auch bei unseren 4 Fällen beobachteten) starken Dorsalflexion der
Grosszehe und — secundär — mit dem Entstehen des Klumpfusses bei dieser
Krankheit. Er glaubt, dass durch den ständigen Reiz der Fusssohle beim Stehen
und Gehen gewissennassen ein permanenter BABiNSKi’scher Reflex ausgelöst
wird und die Zehe so allmählich in Contracturstellung kommt. Hierfür spricht
vielleicht der Umstand, dass in der That die Kranken in der Regel beim Stehen
und Gehen die Dorsalflexiou in stärkerem Grade zeigen als bei ruhiger Rücken¬
lage. Es dürfte aber schwer zu entscheiden sein, ob dies Verhalten wirklich
auf einem so gesteigerten und in Permanenz gebrachten Plantarreflex — der
«einerseits einen ganz abnorm starken Kitzelreiz voraussetzen müsste — und nicht
vielmehr auf den in der That bei der bestehenden statischen Ataxie so noth-
wendigen Equilibrirungsversuchen beruht. Cestan führt für seine Anschauung
weiter an, dass dieses Vorspringen der Sehne des Extens. halluc. long., sowie
auch der Klumpfuss, auch bei anderen Pyramidenbahnläsionen (Hemiplegie,
spast Paraplegie) vorkomme. Wenn diese Beobachtung, über deren Richtigkeit
ich keine eigene Erfahrung habe, übrigens auch die abnorme Stellung der Gross¬
zehe erklären könnte, so scheint mir doch der weitere Zusammenhang mit dem
Entstehen des Klumpfusses anatomisch kaum hinreichend fundirt.
Zum Schlüsse gestatte ich mir, meinem hochverehrten Lehrer, Herrn
Geh. Rath Erb , meinen ergebensten Dank für die freundliche Ueberlassung
der Fälle auszusprechen.
3. Die Tabes beim weiblichen Geschlecht. 1 * * 4 *
Von E. Mendel.
Ueber die Häufigkeit, mit welcher die Tabes beim weiblichen Geschlecht
aoftritt, gehen die Angaben der Autoren weit auseinander. 6 Im Allgemeinen
1 Progrös m^dic&L 1900. Nr. 17.
* Gazette des Höpitam. 1899. Nr. 138.
* BulL de la 8oc. an&tomiqne. 1898. D6cembre.
4 Nach einem in der Berliner Gesellschaft ffir Psyohiatrie and Nervenkrankheiten am
10. Deeember 1900 gehaltenen Vortrage.
* Cf. die Zusammenstellung in der Dissertation von Fbibdbichbbn. Berlin 1893.
2 *
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20
begnügen sich die Lehrbücher damit, zu sagen, dass die Tabes bei Männern
viel häufiger vorkommt, als bei Frauen (Obebstbinbb und Redlich \ v. Leyden
und Goldscheidkb *). G hasset 8 bemerkt, dass er nur eine sehr kleine Zahl
von Tabes bei Frauen beobachtet hat.
Yon denjenigen Mittheilungen, in welchen bestimmte Verhältnisszahlen an¬
gegeben werden, seien einige hier erwähnt:
Ebb giebt das Yerhältniss zwischen männlichen und weiblichen Tabikern
mit 19,5:1 an, Foubnieb mit 26,0:1, Koshbwnikoff mit 11:1, Moczut-
kowski 1 * * 4 * ganz neuerdings mit 13:1.
Wesentlich anders zeigen sich die Beobachtungen der Berliner Neu¬
rologen.
Nach der Tabelle in der HoFFMANN’schen Dissertation aus dem Jahre
1884 war die Verhältnisszahl der WESTPHAL’sohen Klinik 2,7:1, und nach der
Zusammenstellung von Kuhn 6 aus der JoLLY'schen Klinik (136:78) = 1,6:1.
Bei Gelegenheit einer Discussion über die Aetiologie der Tabes in unserer Ge¬
sellschaft® im Jahre 1884 wurden von Hm. Remak Zahlen von 3,3:1, von
Hm. Bebnhabdt solche von 6,2:1 mitgetbeilt.
Es schien mir nicht ohne Interesse, auf Grund eines grösseren Materials
die fraglichen Verhältnisse zu beleuchten. Unter 42 464 in meiner Poliklinik
aufgenommenen Kranken befanden sich 20 539 Männer und 21 925 Frauen.
Von den Männern litten 725, d. h. 3,53 °/ 0 an Tabes, von den Frauen 288,
d. h. 1,31 °/ 0 an derselben Krankheit. Es kam demnach 1 tabische Frau auf
2,7 tabische Männer, eine Zahl, welche demnach völlig mit der oben er¬
wähnten aus der WestphAL’ schen Klinik übereinstimmen würde.
Diesen Zahlen gegenüber ist der Procentsatz in meiner consultativen
Thätigkeit bei den sogenannten besseren Ständen ein wesentlich andrer. loh
finde hier nur einen Fall von Tabes bei einer Frau auf 25 Fälle von Tabes bei
Männern.
Man kann demnach sagen, dass die Häufigkeit der Tabes beim
weiblichen Geschlecht im Wesentlichen dieselben Verhältnisse zeigt,
wie die der progressiven Paralyse: hier wie dort kamen etwa auf drei
kranke Männer 1 kranke Frau bei der ärmeren Bevölkerung; während
bei der wohlhabenden sich zu Gunsten der Frau das Yerhältniss um
das 8—lOfache verbessert
Was das Alter betrifft, in welchen die Tabes beim weiblichen Geschlecht
beginnt, so ergiebt hierüber folgende Tabelle Aufschluss:
1 In Eb8TBi*-Sohwalbe. 1900. Bd. IV. S. 524.
* Krankheiten de« Rückenmarks. 1897. S. 584.
* Traitd pratiqne. L S. 497.
4 RückenmarksschwindsQoht. 1900.
* Arch. I Psych. Bd. XXX. S. 885.
« Archiv L Psych. 1884. S. 863.
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21
10~bis 15 Jahre .
.... 1 Fall
15 „
20
.... 1 „
20 „
25
• v • •
.... 9 Fälle
25 „
30
» •
.... 31 „
30 „
35
»
.... 59 „
35 „
40
r> • •
.... 60 „
40 „
45
>> •
.... 65 „
45 „
50
,.
.... 30 „
50 „
55
•
.... 20 .,
55 „
60
v •
.... 10 „
60 „
65
.... 2 „
Summa 288 Fälle.
Meine Zahlen lassen die grösste Häufigkeit des Beginns im Alter von 40 bis
45 Jahren erkennen. Im Allgemeinen zeigt sich im Vergleich mit dem ersten
Auftreten der Tabes bei Männern, wie sie die vorliegenden statistischen Angaben
von Ebb und Anderen feststellen, dass die Tabes beim weiblichen Geschlecht etwas
später auftritt, als beim männlichen, doch erscheint die Differenz nicht sehr erheblich.
Auf das Alter zwischen 85 und 45 Jahren kommt beinahe die Hälfte sämmt-
licher Fälle (44,3%). Bei Männern zeigt sich derselbe Procentsatz in dem
Alter von 31 bis 40 Jahren. Von den erwähnten 288 weiblichen Tabicis waren
252 verheirathet und 36 unverheiratet.
Von den 252 verheirateten Tabischen waren 83 kinderlos, d. h.
es bestand in 32,9 % kinderlose Ehe.
Die Kinderlosigkeit beruhte zum Theil darauf, dass überhaupt eine Con-
ception nicht stattgefunden hatte (55 Mal), zum Theil darauf, dass lediglich
Aborte eintraten, oder dass ausgetragene Kinder im frühen Lebensalter, meist
in den ersten Monaten, starben. In einzelnen Fällen erschien die Zahl der
Aborte bei kinderloser Ehe sehr gross, so sind z. B. ein Mal 8, ein anderes
Mal 10 Aborte angegeben. Auf die geringe Zahl der Geburten bei tabischen
Frauen gegenüber der normalen durchschnittlichen Fruchtbarkeit hat Lothab
Meter bereits aufmerksam gemacht 1
Auch die Häufigkeit kinderloser Ehen, wie der Aborte ist bereits wiederholt
früher erwähnt worden 2 , ganz besonders aber ist in der trefflichen Arbeit von
Krön über Tabes dorsalis beim weiblichen Geschlecht 8 darauf hingewiesen
worden. Er findet unter 33 verheirateten tabischen Frauen Sterilität in
10 Fällen, also im Wesentlichen einen dem oben angeführten nahekommendeu
Procentsatz mit 30,3.
Es fragt sich nun, wie gross die Zahl der kinderlosen Ehen überhaupt ist
8ixp80n, Spencer Wells und Sims haben für England annähernd übereinstimmend
das Verhältniss der sterilen Ehen auf 12% angegeben, für die ärmere Bevölkerung
‘ Archiv L Paych. XL 8. 253.
* Rkmak, 1. c.; Fbibdbichbin 1. c.; Mobbiub, Neurolog. Beiträge. 1995.
* Zeitachr. f. Nervenheilk. 1898. Bd. XII. S. 303.
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22
auf 10 °/ 0 . Herr College Guttstadt erklärte mir, dass es bei uns eine genaue
Statistik nicht gäbe, man schätzt jedoch die Zahl der kinderlosen Ehen auf
10— 15 °/ 0 - Ich habe nun aus meinem poliklinischen Krankenmaterial 200 Frauen
aus dem Alter von 35—50 Jahren in Bezug auf diese Frage zusammenstellen
lassen. Es ergab sich dabei, dass 21 keine Kinder hatten, d. h. 10,5 °/ 0 , so
dass demnach bei tabischen Frauen die Kinderlosigkeit beinahe
3 Mal häufiger, als bei den unter gleichen socialen Verhältnissen
lebenden nicht tabischen ist Ich brauche dabei nicht zu sagen, dass die
Fälle, in denen auch der Mann tabisch war, hierbei nicht mit in Betracht ge¬
zogen wurden. Die Thatsache der abnorm häufigen Sterilität fallt um so mehr
ins Gewicht, als die Tabes in der grossen Mehrzahl der Fälle in einem Alter
zum Ausbruch kommt, in welchem in der Kegel schon die grösste Zahl der
Entbindungen stattgefunden hat Es erscheint daher nur folgerichtig, anzunehmen,
dass nicht der tabische Process als solcher die Kinderlosigkeit bedingt, sondern
dass bereits vorher ein krankhafter Zustand im Organismus vorhanden war,
welcher die Conception verhinderte oder bei geschehener Conception den Abort
bedingt hat Dieser abnorme Zustand kann allerdings ebenso gut auch im
Körper des Mannes vorhanden gewesen sein, auch wenn derselbe nicht
tabisch war.
Aber auch da, wo lebende Kinder vorhanden waren, ist in einzelnen Fällen
die grosse Zahl jener auffallend, welche jung gestorben sind. Eine 51jährige
Tabica berichtet, dass sie 2 Mal abortirt und 15 Kinder ausgetragen hatte.
Von diesen 15 leben 5, 10 sind im ersten Lebensjahr an „Lebensschwäche“
gestorben. Eine andere 52jährige Tabica, deren Mann an progressiver Paralyse
zu Grunde gegangen ist, hat 11 Kinder gehören, von welchen 8 an Krämpfen
gestorben, 3 gesund sind. Eine dritte hat 3 Kinder geboren, von denen 2 im
ersten Lebensmonat gestorben sind; der am Leben gebliebene Sohn ist an pro¬
gressiver Paralyse der Irren erkrankt
Bei einer 43jährigen Tabica hatten 5 Geburten und 3 Aborte stattgefunden;
von den Kindern sind 4 im ersten Lebensmonat gestorben.
In einzelnen seltenen Fällen war trotz bestehender Tabes Kinderreichthum
vorhanden. Es läge nahe, an dieser Stelle auch auf die Erkrankung der Ehe¬
gatten an Paralyse und Tabes einzugehen, doch verzichte ich darauf, nachdem
ich erat vor kurzer Zeit darüber Mittheilungen gemacht habe. 1
Ebenso widerstehe ich der Versuchung, die Syphilis-Tabesfrage mit Rück¬
sicht auf die vorgetragenen Thatsachen von Neuem aufzurollen.
Die Tabes beim weiblichen Geschlecht scheint mir aus einer Reihe von Grün¬
den, auf welche ich nicht näher einzugehen brauche, am wenigsten geeignet,
durch statistische Zusammenstellung die Entscheidung jener Frage zu bringen.
Die Statistik allein dürfte auch kaum im Stande sein, endgültig die Frage
zu lösen.
Erst neuerdings (1898) haben Kuhn (1. c.) und Güttmann* die Statistik zu
1 Cf. d. Centralbl. 1898. S. 1039.
* Zeitschrift für klin. Medicin. ßd. XXXV. S. 242.
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23
jenem Zweck benutzt. Der eretere beweist mit derselben Sicherheit aus den
Fällen der Nervenklinik der kgl. Charitö, dass die Syphilis eine erhoblicbe Rolle
in der Aetiologie der Tabes spielt, wie der letztere aus den Zahlen der innern
Klinik, dass ein Zusammenhang zwischen Tabes und Syphilis nicht besteht.
Immerhin müsste man aber all unseren klinischen Beobachtungen
gegenüber die Angen verschliessen, wenn man bei der Thatsache, dass
Syphilis oft Sterilität hervorbringt 1 , eine bei der Tabes in auffallen¬
dem Grade vorhandene Sterilität als zufällige Complication er¬
achten würde.
Ich möchte hier noch einige Beobachtungen anschliessen, welche die
Wechselwirkung von Tabes, Paralyse und Lues zeigen.
Bei einer 25jährigen, unverheiratheten Tabica ergab sich, dass ihr Vater
an Lnes gelitten, ihre Mutter an Tabes zu Grunde gegangen war. Eine
31jährige Frau gab an, dass ihr Vater an Gehirnerweichung gestorben. Ebenso
ein 46jährige Tabica. In einem Falle ergab die Anamnese der 44 Jahre alten
Frau, dass ihr Vater an Sehnerveuatrophie, ihre Schwester an tabiscber Paralyse
gelitten, eine andere Schwester hatte Krämpfe, und eine Nichte war geisteskrank.
Sie selbst war von ihrem Manne syphilitisch inficirt worden und kinderlos.
Die hereditäre Belastung, welohe sich in diesen Fällen zeigt, dürfte wahrschein¬
lich im Wesentlichen durch das Bindeglied der Lues vermittelt werden; abge¬
sehen von dieser Form der Heredität kann ich im Uebrigen bei der Tabes
einen irgend welchen erheblichen Procentsatz in Bezug auf Vorkommen von
Nervenkrankheiten bei der Ascendenz nicht finden. Auch sonst konnte ich bei
der Tabes der Frauen wesentlich andere ätiologische Momente, als bei den
Männern nicht entdecken. Die „Erkältung“ spielt auch hier in den Angaben
der Patientinnen die Hauptrolle. Eine besondere Bedeutung der Nähmasohine bei¬
zulegen, war ich ebenso wenig wie Rbon im Stande.
Was die Symptome der Tabes beim weiblichen Gescblechte anbetrifft, so
zeichnen sieh dieselben, wenn ich die grosse Zahl von Fällen überblicke, im
Allgemeinen durch ihren langsamen Verlauf aus.
Das atactische Stadium pflegt spät aufzutreten, und auffallend erscheint es
auch, dass ich nur zwei Fälle von Arthropathie beobachten konnte, ferner,
dass gastrische und andere Krisen seltener bei den Frauen, als bei den Männern
beobachtet werden. Endlich möchte ich in Bezug auf die Symptome noch nach
meinen Erfahrungen der Ansicht sein, dass die völlige Amaurose bei der weib¬
lichen Tabes häufiger zu sein pflegt, als bei der männlichen. Ich beobachtete
unter den erwähnten Fällen 21 Mal völlige Amaurose.
Im Grossen und Ganzen ist der Verlauf der Tabes bei den Frauen milder,
als bei den Männern, und es zeigt sich demnach ein ähnliches Verhalten wie
bei der progressiven Paralyse der Frauen, welche bekanntlich ebenfalls viel
milder verläuft, wie bei den Männern.
Von Complicationen der weibüchen Tabes ist vor allem die Hysterie zu
1 Constitutionelle Syphilis der Weiber hatte unbedingte Sterilität derselben zur Folge
(Braus, Mayr), Franen mit inveterirter Syphilis sind grösstentheils unfruchtbar (Zbisbl).
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— 24
nennen. Wiederholt wurden Fälle beobachtet, in welchen neben der Tabes
eine typische, hysterische Hemianästhesie bestand. Von 3 Fällen von Babe-
Dow’scher Krankheit bei Tabes war der eine sehr wenig entwickelt, so dass er
wohl als Tabe88ymptom (Erkrankung des solitären Bündels?) betrachtet werden
konnte. In den beiden anderen Fällen konnte nachgewiesen werden, dass die
BASEDOw’sche Krankheit bereits vor der Tabes bestanden hat
II. Referate.
Anatomie.
1) Stadien über die Hirnrinde des Menschen. 2. Heft: Die Bewegangs-
rinde, von S. Ram6n y Cajal. Uebersetzt von Dr. J. Bresler. (Leipzig
1900.)
Auch dieses zweite Heft der „Studien“, die Bewegungsrinde behandelnd, ent¬
hält einen überraschenden Reiohthum an neuen Thatsachen.
Die Schlusssätze des Verf.’s sind folgende:
Die vordere Centralwindung und der hintere Theil der ersten und zweiten
Stirnwindung besitzen eine von derjenigen der anderen Rindengegenden verschiedene
Structur; die Besonderheit derselben besteht: in dem Fehlen einer deutlich diffe-
renzirten Körnerschicht (die Körner sind ober- und unterhalb der 4. Schicht
zerstreut), in der enormen Dicke der Schichten der mittelgrossen und oberfläch¬
lichen grossen Pyramiden und in dem Vorhandensein eines specifischen Nerven-
plexuB, der aus starken exogenen Fasern besteht und im Niveau der mittelgrosaen
Pyramiden liegt.
Die hintere Centralwindung ähnelt, wenigstens in einem grossen Theil ihrer
Ausdehnung, der Associationsrinde, da sie eine wohlbegrenzte Körnerschicht ent¬
hält, eine sehr geringe Schicht von mittelgrossen und oberflächlichen grossen
Pyramiden und einen specifisohen exogenen Nervenplexus, der hier einen anderen
Platz einnimmt als in der Rinde der vorderen Centralwindung. Daraus lässt
sich folgern, entweder dass die hintere Centralwindung ein besonderes motorisches
Centrum darstellt, das wegen seiner besonderen Function eine von dem vorderen
verschiedene Structur erfordert hat, oder dass die motorische Bedeutung, die man
ihm zuschreibt, fraglich ist, da wenigstens in einem grossen Theile desselben die
Characteristica der Associationsrinde überwiegen. — Im letzteren Falle könnte man
annehmen, dass es ein Centrum ideomotorischer Association darstellt, dessen Er¬
regung wegen der Nähe der sensoriellen und sensibel-motorischen Sphären in be¬
stimmten Muskelgruppen Bewegungen hervorruft, ebenso wie sie bei directem Reiz
der prärolandischen Gegenden entstehen.
Die motorische Rinde sendet aus und empfängt Balkenfasern; sie empfangt
vielleicht auch Bahnen aus anderen Gehirnterritorien und schickt ihrerseits dorthin
Nervenfasern, die wahrscheinlich in besonderen, gegenwärtig noch unbekannten
Associationscentren enden.
Wie es bei der Sehrinde der Fall ist, so besitzt die motorische Rinde allgemeine
Factoren (plexiforme Schicht, Schicht der mittelgrossen und kleinen Pyramiden u. s. w.)
und specifische Factoren, an denen man sie erkennt; letztere sind der sensible
Plexus der dritten Schicht und die Form und bedeutende Zahl der Riesen¬
pyramiden.
Da die mittelgrossen Pyramiden der Ort sind, an dem sich speciell die
sensiblen Fasern vertheilen, so lässt sich vermuthen, dass diese Zellen das Sub-
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8trat der Tast-, Schmerz- und Temperaturempfindung und den Ausgangspunkt der¬
jenigen Fasern bilden, welche bestimmt sind, Residuen und Erinnerungen dieser
Empfindungen an andere Stellen des Gehirns zu leiten.
Obgleich es unmöglich ist, die wahre Rolle, die den verschiedenen Arten von
Pyramiden zukommt, zu bestimmen, so ergiebt sich doch aus unseren Unter¬
suchungen die hinreichend plausible Hypothese, dass die Pyramidenbahn aus den
Riesenpyramiden und aus nicht wenigen der mittelgrossen Pyramiden stammt,
während die Balkenbahn ihren hauptsächlichen, wenn nicht ausschliesslichen Ur¬
sprung in den kleinen Pyramiden und vielleicht auch in den polymorphen Zellen
nimm t.
31 vortreffliche Abbildungen illustriren die Darlegungen des Verf.’s. Ein
besonderes Lob gebührt der verdienstvollen und gewandten Arbeit des Uebersetzers.
E. Beyer (Littenweiler).
Experimentelle Physiologie.
3) Experimentelle Untersuchungen und Studien über den Verlauf der
Pupillar- und Sehfasem, nebst Erörterungen über die Physiologie und
Pathologie der Pupillarbewegung, von Priv.-Doc. Dr. Ludwig Baoh,
wissenschaftlicher Assistent an der Universitäts-Augenklinik in Würzburg.
(Deutsche Zeitschr. £ Nervenheilk. 1900. XVII.)
In dem ersten Theil der vorliegenden Arbeit werden die Ergebnisse experi¬
menteller Untersuchungen an Taube, Kaninchen, Katze und Affe mitgetheilt Zur
Ausschaltung der Netzhaut eines Auges diente gewöhnlich und empfiehlt sich auch
am meisten die Exenteratio bulbi. Am häufigsten angewandt wurde die von
Teljatnik modificirte Marchi’sche Methode. Günstiger Zeitpunkt zur Unter¬
suchung ist nach Verlauf von 3—4 Wochen. Auch fand Verf. Gelegenheit, ein
Präparat vom Menschen zu untersuchen. Es ergab sich wieder einmal die That-
sache der partiellen Sehnervenkreuzung im Chiasma. Diese fand sich auch sonst,
mit Ausnahme bei der Taube. Wenn auch die ungekreuzten Fasern vornehmlich
temporal verlaufen, so giebt es doch kein geschlossenes temporales Bündel un-
gekreuzter Fasern weder im Sehnerven noch im Tractus. Beim Affen — beim
Menschen ist der Befund analog — erweisen sich Corpus geniculatum laterale,
Stratum zonale des Pulvinar und vorderer Vierhügel als primäre Opticuscentren,
und zwar mit der bekannten Verhältnisszahl von Faserendigungen. Beim Kaninchen
liessen sich die ungekreuzten Fasern „bis in den Kniehöcker und ganz vereinzelt
bis in das Pulvinar thalami, nicht aber bis zum Vierhügel verfolgen“. Im Gang¬
lion habenulae und Corpus Luys fanden sich keine Endigungen. Der Tractus
peduncularis transversus wurde bei Katze, Affe und Mensch nicht gefunden. Im
Oculomotorius- und Trochleariskern, sowie in den betreffenden Wurzelbündeln
fanden sich Degenerationsschollen, es liess sich aber niemals eine directe Ver¬
bindung zwischen Opticus- und Oculomotoriuskern nachweisen (Gegensatz zu
Bernheim er). Die Annahme, dass die Pupillarfasem später degeneriren als die
Sehfasern, wurde nicht bestätigt
Der zweite Theil der Arbeit handelt von den Pupillarreflexbahnen. Das
Vierhügeldach kann nicht als Reflexcentrum angesehen werden. „Die Zahl der
ram Vierhügel hinziebenden Opticusfasern steht im umgekehrten Verhältniss zur
Lebhaftigkeit der Pupillenreaction.“ Das Reflexcentrum wird vielmehr in den
untersten Bereich der Medulla oder die oberste Partie des Halsmarks verlegt;
die hintere absteigende Refiexbahn verläuft wahrscheinlich in der Schleife, die
nun Oculomotoriuskern oder Ganglion ciliare ansteigende Reflexbahn ziemlich
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sicher im hinteren Längshündel. Die diese Ansicht stützenden Mittheilongen
anderer Autoren werden eingehend berücksichtigt.
Auf Grund dieser Anschauungen wird ein Schema der Pupilleninnervation
entworfen und seine Anwendbarkeit bei den verschiedenen physiologischen und
pathologischen Verhältnissen erörtert. Die wichtigsten Momente sind: Die An¬
nahme einer Verbindung der beiden Sphincterenkerne zur Erklärung der consen-
suellen Reaction wird verworfen. Die absteigende Reflexbahn erleidet gemäss
ihres angenommenen Verlaufs eine Kreuzung; das bedeutet zum Theil eine zweite
Kreuzung bei Geschöpfen mit partieller Sehnervenkreuzung im Chiasma, und zwar
ist es wiederum der grössere Theil der Pupillarfasern, der im Chiasma eine
Kreuzung eingeht. Das Fehlen der consensuellen Reaction bei totaler Sehnerven¬
kreuzung erklärt sich auf diese Weise gut. Es ergeben sich einige weitere Er¬
fordernisse: Die directe Pupillarreaction muss die consensuelle an Ausgiebigkeit
übertreffen. Die partielle Sehnervenkreuzung, event. das Vorhandensein bifurcirter
Fasern hat consensuelle Reaction zur Folge. Die beim Kaninchen erhobenen
anatomischen Befunde sind oben erwähnt; da bei demselben aber die consensuelle
Reaction fehlt, so könnte man vielleicht schliessen, dass die Pupillarfasern eine
totale Kreuzung erleiden, ungleich den Sehfasern.
Zum Schlüsse werden an der Hand des Schemas die Folgen zusammengestellt,
die nach einer Läsion der Bahnen an 14 verschiedenen Stellen eintreten müssen.
Unter anderem ergiebt sich dabei, dass bei sagittaler Chiasmadurchscheidung auch
eine directe Reaction zu Stande kommt, also die zweite Kreuzung auch keine
vollständige ist. Die übrigen Consequenzen ergeben sich von selbst bei Betrach¬
tung des Schemas, in welchem auch die zum Theil hypothetischen Sympathicus-
bahnen, sowie die Beziehungen zur Hirnrinde zum Ausdruck gekommen sind.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
3) Zur Theorie des Reflexes von hinterer Wurzel auf hintere Wurzel,
von Dr. Oscar Kohnstamm. (Centralblatt f. Physiolog. 1900. Bd. XIV.
Nr. 18.)
Mislawsky hatte den Reflex von Hinterwurzel auf Hinterwurzel so erklärt,
dass er in den hinteren Wurzeln centrifugale Fasern annahm. Die Existenz
solcher centrifogalen Hinterwurzelfasern bei Säugethieren ist aber nach Verf. mehr
als fraglich. Sicher erscheint, dass die hinteren Wurzeln der Säuger keine centri-
fugalen Mark fasern enthalten. Nicht unmöglich ist es allerdings, dass die centri-
fugalen Hinterwurzelfasern, falls sie existiren, marklos sind oder das Myelin in
einer solchen chemischen Modification enthalten, dass bei ihrem Zerfall keine durch
Osmiumsäure schwärzbaren Fettkörnchen entstehen.
Existiren centrifugale Hinterwurzelfasern in Wirklichkeit überhaupt nicht, so
bietet sich immerhin noch eine physikalisch-physiologische und eine rein physio¬
logische Erklärung für den Reflex von Hinterwurzel auf Hinterwurzel dar:
1. (Physikalisch-physiologische Erklärung.) Die Erregung der gereizten Faser
pflanzt sich im Hinterstrang aufwärts bis zur Schnittstelle des Rückenmarks fort
(letzteres war stets central vom Versuchsfeld durchschnitten) und erzeugt hier eine
negative Schwankung, welche anliegende Hinterstrangfasern erregt, so dass deren
Erregung, auf dem allein offenstehenden Wege abwärts geleitet, an der Hinter¬
wurzel zu Tage tritt; oder
2. (rein physiologische Erklärung) die End Verästelung des gereizten Neurons
in der grauen Substanz wirkt direct oder indirect auf die Endverästelung der¬
jenigen Neurone ein, deren negative Schwankung an der Hinterwurzel zur Be¬
obachtung kommt.
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Aach ohne die Annahme centrifugaler Hinterwurzelneurone scheint demnach
dem Verf. das Phänomen des Reflexes von hinterer Wurzel auf hintere Wurzel
erklärlich. Kurt Mendel.
Pathologische Anatomie.
4) Lea lAsions da systAme gr&nd symp&thique dans le tabAs et leur rap-
port aveo les troublee de la senaibilltA viaoArale, par Jean Ch. Roux.
(Travail du laboratoire du Dr. Dejerine k la Salpetriöre. Paris 1900.)
Verf. nimmt in der sehr fleissigen und gründlichen Arbeit die Frage nach
den anatomischen Veränderungen im Sympathioussystem bei Tabes, die von vielen
Autoren bestritten wurden, wieder auf. In einem ersten Abschnitt untersucht er
den Splanchnicus, den cervicalen und thoracalen Grenzetrang an identischen Stellen
einmal bei 10 an verschiedenen Nerven- und inneren Eirankheiten Verstorbenen,
darauf bei 7 Tabikern. Mit Hülfe der mühsamen, aber einzig exacten Methode
da Zählung stellt er fest, dass die feinen markhaltigen Nervenfasern, die das
Neuron von der hinteren Wurzel zu den Zellen in den Sympathiousganglien dar¬
stellen, bei sämmtlichen Tabeskranken um durchschnittlich die Hälfte vermindert
waren; die starken markhaltigen Fasern, als deren Ursprungsort die Intervertebral¬
ganglien nachgewiesen sind, waren nicht in nennenswerthem Maasse vermindert.
Da er diesen Befund bei den übrigen Fällen nirgends erbeben konnte, schliesst
er, dass es sich hier um eine der Tabes eigenthümliche Veränderung handelt. —
Der zweite Theil der Arbeit ist experimental-pathologischer Art: Verf. durch¬
trennte bei Katzen die hinteren Wurzeln zwischen Rückenmark und Intervertebral-
ganglien und beobachtete darauf eine Degeneration ebenderselben feinen mark¬
haltigen Fasern im Sympathicus; der Schluss hieraus ist, dass diese Degeneration
auch bei der Tabes eine Folge der Erkranknng der hinteren Wurzeln ist. —
Als klinischen Ausdruck dieses Faserschwundes sieht Verf. die Störungen der
visceralen Sensibilität an, die Analgesie der Hoden, der Blase, der Trachea (bei
Compression unterhalb des Ringknorpels), der Brustdrüse, ferner die Analgesie
des Epigastriums gegen Druck oder Stoss. Letztere betrachtet er als Zeichen
einer gestörten Sensibilität des Magens und fand sie häufig begleitet von einer
Schmerzhaftigkeit an den Seiten, besonders der linken, in der Höhe der 7. bis
9. Rippe (entspricht dem einen Maximum der hyperästhetischen Zone bei Magen-
affectionen nach Head. Ref.).
Eine Reihe klinischer Beobachtungen führen Verf. weiter dazu, eine besondere
Form der gastrischen Krisen bei Tabes aufzustellen, nämlich solche, die sich an
bestehende dyspeptische Zustände anschliessen oder sich aus solchen entwickeln
Letztere waren häufig medicamentöser Natur (übermässiger KJ-Gebrauch), aber
auch eine einfache An- oder Hyperacidität oder nervöse Dyspepsie kann dazu
fuhren. Die klinische Erscheinung dieser Krisen trägt einige besondere Merk¬
male: Zwischen den Krisen ist der Magen nicht intact, sondern im Zustande einer
functionellen Störung; die Krisen werden in der Regel durch Excesse im Essen
und Trinken oder durch Ueberanstrengung, Aufregung, bei Frauen auch durch
die Menstruation hervorgerufen, und verschwinden im Gegensatz zu den gewöhn¬
lichen, klassischen Krisen nicht plötzlich, sondern nur allmählich im Laufe von
Tagen oder Wochen; sie sind durch geeignete diätetische Behandlung, besonders
durch die auf der Dejerine’schen Abtheilung beliebte strenge Milchdiät in ihrer
Intensität und Häufigkeit günstig zu beeinflussen, manchmal ganz zum Ver¬
schwinden zu bringen. Ihre Entstehung kann man sich so denken, dass der in
seinen sensiblen Functionen gestörte Magen auf allerhand ungünstige Einflüsse,
die in Form von schlechter oder übermässiger Nahrung, Medicamenten u. s. w.
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28
auf ihn einwirken, nicht die genügenden schützenden und abwehrenden Kräfte in
Bewegung setzt, bis es einmal zu einem starken Paroxysmus kommt und der
Kranke durch die Schmerzen und das Brechen gezwungen ist, dem Magen die
nöthige Ruhe zu gönnen. H. Haenel (Dresden).
5) Zur Kenntniss der histologisohen Veränderungen des Rüokenm&rks,
der spinalen Wurzeln und Ganglien bei Dementia paralytioa, von
Chr. Sibelius (Helsingfors). (Monatsschrift f. Psyoh. u. Neurolog. 1900.
Bd. VII.)
Diffuse, den grössten Theil des Rückenmarksquerschnittes einnehmende Ver¬
änderungen sah Verf. nur in den Fällen, wo langjähriger Alkoholmissbrauch vor¬
gekommen war. Er macht darauf aufmerksam, dass man diese Fälle wie die¬
jenigen mit direct luetischen oder mit heterogenen Affectionen (centrale Gliose
z. B.) ausscheiden muss, wenn man das der Paralyse allein Eigentümliche fest¬
stellen will.
Bei der Hälfte der von ihm untersuchten Fälle constatirte Verf. Alterationen
in den Pyramidenvordersträngen und gewöhnlich hier nur in einzelnen Segmenten.
Pyramidenseitenstrangaffection findet sich natürlich oft, und zwar ohne wie mit
Erkrankung der Hinterstränge. Die Hinterstrangaffectionen stimmen anatomisch
mit denen der gemeinen Tabes überein; nur wählt die paralytische Hinterstrang¬
degeneration mehr launisch die spinocutanen Neurone aus. Die exogenen Hinter¬
strangsfasern sind in der Hauptsache alle betroffen, die bisweilen vorkommenden
Affectionen der endogenen Zonen werden als secundäre Erkrankungen aufgefasst.
In einigen Fällen zeigen die motorischen Wurzeln Degenerationen. In den Fällen,
wo die hinteren Wurzeln in ihrem intra- und extramedullären Verlauf intaot
sind, sind die spinalen Ganglien normal; sie lassen erst von einem gewissen
Minimum der Wurzelläsion an Degeneration erkennen.
Verf. gewann seine Resultate durch serienweise Untersuchung sämmtlicher
Rückenmarkssegmente von 14 bezw. 24 Fällen! G. Ilberg (Sonnenstein).
6) Ueber die spinalen Veränderungen bei der progressiven Paralyse, von
Prof. Fürstner in Strassburg. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrank. 1900.
Bd. XXXIII.)
Es ist im höchsten Grade dankenswerth, dass sich gerade Fürstner, der
die klinischen und anatomischen Kenntnisse über das Rückenmark der Paralytiker
durch zahlreiche Studien bereicherte, der Aufgabe unterzogen hat, das gesammte
Wissen der Gegenwart über die spinalen Veränderungen bei der progressiven
Paralyse kritisch zu sichten.
Die anatomische Untersuchung ergiebt nach des Verf.’s eigenen Erfahrungen,
dass das Rückenmark nur in ganz vereinzelten Fällen intact ist, und diese Fälle
sind in der Regel solche, wo eine Complication sehr früh zum Tode führte. Wenn
bei einem längere Zeit krank gewesenen Patienten das Rückenmark auch bei An¬
wendung der Marchi'sehen Methode unverändert gefunden wird, war nach Verf.’s
Meinung die Diagnose der Paralyse falsch; die Erkennung der Veränderungen ist
freilich bei geringer Affection der Seitenstränge oder bei mehr diffusem Ausfall
der Fasern zuweilen schwierig. Makroskopisch ist das Rückenmark sehr oft
atrophirt, die umgebenden Häute schlottern, die CerebrospinalflüsBigkeit ist ver¬
mehrt. Die Spinalganglien wurden mikroskopisch in Bezug auf Zellen und
Fasern von einigen Autoren krank gefunden; man sprach sich auch dahin aus,
dass diese Erkrankung der Spinalganglien die Degeneration der hinteren Wurzeln
und der Hinterstränge erkläre. Andere Forscher halten die bisher gefundenen
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Veränderungen in den Spinalganglien für ungenügend zur Erklärung der Erkran¬
kung an den genannten Theilen. An der Dura spinalis finden sich oft Ver¬
dickungen und hämorrhagische Auflagerungen. Neomembranen oder Blutergüsse
sah Verf. innerhalb der harten und der weichen Rückenmarkshaut nicht. Ver¬
wachsungen zwischen Dura und Arachnoidea sind häufig. Leptomeningitis spinalis
kommt vor und ist dann in der unteren Hälfte des Rückenmarks stärker als in
der oberen. Eine regelmässige Beziehung zwischen intramedullären Veränderungen
und Erkrankung der weichen Rückenmarkshäute besteht nicht. Die Verdickung
der weichen Rückenmarkshäute ist bei den Paralytikern im Allgemeinen geringer
als bei den Tabikern. In einigen Fällen wirken luetisch-meningitische Processe
complicirend ein. An bestimmten Prädilectionsorten der weichen Häute finden
sich Zellenhäufchen. Erkrankungen der Gefasse und der weichen Häute können
die hinteren Wurzeln schädigen, brauchen es aber nicht immer. Bemerkens-
werther "Weise erleiden nicht nur die hinteren, sondern auch die vorderen Wurzeln
oft Veränderungen. Ausnahmsweise sind die vorderen Wurzeln ausschliesslich
bei Hinterstrangserkrankung und die hinteren Wurzeln ausschliesslich bei Seiten¬
strangsdegeneration afficirt.
Betreffe der intramedullären Veränderungen werden 7 Arten unterschieden:
1. giebt es Erkrankungen der Hinterstränge, hei denen sich die Symptome der
Paralyse zu Jahre lang bestehender Tabes hinzugesellen; 2. finden sich nicht selten
Erkrankungen der Hinterstränge, hei denen sich die Symptome der Paralyse und
die der Hinterstrangserkrankung gleichzeitig entwickeln. Die ersteren Fälle unter¬
scheiden sich in keiner Weise von der Tabes, dieselben Felder der Hinterstränge
werden ergriffen, dieselben verschont. Die zweiten Fälle unterscheiden sich aber
hinsichtlich der erkrankten Felder und anderer Punkte durchaus von der Hinter¬
strangserkrankung bei reiner Tabes. Die 3. Art der Erkrankung besteht in com-
binirter Degeneration der Hinterstränge und der Pyramidenseitenstränge. Verf.
untersuchte 118 Fälle und fand diese combinirte Degeneration bei 62°/ 0 , die
ausschliessliche Erkrankung der Hinterstränge bei 24 °/ 0 und die ausschliessliche
Erkrankung der Pyramidenseitenstränge bei 14°/ 0 . Bei Pyramidenseitenstrang-
affection allein sind die Sehnenreflexe stets erhöht, oft aber auch bei combinirter
Hinterstrang-Pyramidenaeitenstrangdegeneration. Die oft diffusen anatomischen
Veränderungen in den Pyramidenseitensträngen sind zuweilen nur gering, während
die Steigerung der Sehnenreflexe sehr stark war. Die Erkrankung der Hinter¬
stränge tritt bei der combinirten Hinterstrang- und Pyramidenseitenstrangdegene¬
ration meist deutlicher hervor als diejenige der Pyramidenseitenstränge. Die Er¬
krankung der Hinterstränge ist auoh bei dieser combinirten Erkrankung nicht
völlig identisch mit der Erkrankung der Hinterstränge bei Tabes, und zwar sind
die hinteren Wurzeln unregelmässiger betheiligt und die Bilder der intramedullären
Erkrankungen variiren mehr. — War klinisch zu Anfang der Erkrankung erst
Steigerung der Patellarsehnenreflexe vorhanden, event. mit Dorsalclonus, liess dann
die Intensität der Reflexe bis zum Schwunde derselben nach, so findet sich ana¬
tomisch neben der Pyramidenseitenstrangaffection eine bis ins Lendenmark
hinahreichen de Degeneration der Hinterstränge. — Erkrankten zuerst die Hinter¬
stränge und dann die Pyramidenseitenstränge und reichte die Hinterstrangs¬
degeneration hinab bis ins Lendenmark, so kann man die Seitenstrangdegeneration
für gewöhnlich nicht diagnosticiren. Verf. betont mit vollem Recht die Häufig¬
keit der Steigerung der Sehnenreflexe bei Paralytikern; bei Fällen mit vagen
psychischen Symptomen und Abwesenheit neurasthenischer Krankheitszeichen hat
er bei Vorhandensein träger Pupillenreaction die Diagnose der Paralyse oft schon
sehr zeitig richtig stellen können, wenn ungleich stark gesteigerte Patellarreflex-
erregbarkeit bezw. Fussclonus da waren. Bei der 4. Art der intramedullären
Erkrankung: der ausschliesslichen Degeneration der Pyramidenseitenstränge ist die
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Pyramiden vorderstrangbahn in der Regel nicht betroffen, was bei secandärer
Degeneration der Pyramidenbahn in Folge die Paralyse complicirender cerebraler
Herderkrankung vorkommt — dann degenerirt natürlich die mit dem Herd gleich¬
namige Pyramidenvorderstrangbahn. 5. kann sich mit der Degeneration der Pyra¬
midenseitenstrange die Erkrankung benachbarter Theile der Seitenstränge verbinden.
6. können ausser der weissen Substanz noch die Ganglienzellen der grauen Vorder¬
hörner degeneriren; dann entwickeln sich Muskelatrophieen; aber nicht alle Muskel-
atrophieen sind centralen Ursprungs. 7. können die Fasern und gellen der Clark e’-
schen Säulen erkranken und Degeneration der Kleinhirnseitenstrangbahn zur Folge
haben.
Leider mangelt der Platz, um auf wichtige und interessante spinale klinische
Symptome bei Paralytikern eingehen zu können.
Georg Ilberg (Sonnenstein).
7) Zur Frage von den anatomischen Veränderungen des Gehirns im
Anfangsstadium der progressiven Paralyse, von Dr. A. D. Kozowsky,
Director der Gouvernements-Irrenanstalt in Bessarabien (Russland). (Archiv
f. Psych. u. Nervenkrankh. 1900. Bd. XXXIII.)
Bei Individuen mit mehrmonatlicher Krankheitsdauer beobachtete Verf. in
der Hirnrinde atrophisch degenerative Erscheinungen in den Associationsfasem,
Vermehrung der Neurogliakerne im Grundgewebe, Verschluss der epicerebralen
Räume in Folge einer Vermehrung der Adventitiakerne, hyaline Entartung der
Gefässe, exsudative Erscheinungen und Bildung zahlreicher Spinnenzellen. Bei
besonders früh untersuchten Fällen waren die Neurogliakerne vornehmlich in den
tiefen Schichten der grauen Substanz vermehrt, während die Associationsfasern
unversehrt waren. Hier gingen also die entzündlichen Erscheinungen voraus, in
den später zur Beobachtung gekommenen Fällen fanden sich zugleich entzündliche
und atrophisch degenerative Processe. Verf. glaubt deshalb, die Entzündung und
nicht die atrophisch degenerativen Erscheinungen als cardinales, anatomisches
Substrat der progressiven Paralyse ansehen zu müssen.
Georg Ilberg (Sonnenstein).
Pathologie des Nervensystems.
8) Etüde rar lee troublee objeotift des sensibilitds superfioiellee dans le
taböe, par Andr6 Riehe et de Gothard. (Nouv. Icon, de la Salp. 1899.
S. 327.)
Die Verff. haben 8 Fälle von Tabes auf ihre Tast-, Sohmerz- und Temperatur¬
empfindung eingehend untersucht, die Befunde beschrieben und in übersichtlicher,
anschaulicher Weise auf 8 Tafeln in schematische Figuren eingetragen.
In allen Fällen waren ausgedehnte Sensibilitätsstörungen aller 3 Empfindungs¬
qualitäten gefunden worden, die das Gemeinsame haben, dass sie polymorph
sind, dissociirt auftraten und dabei Begmentär angeordnet sind.
Obwohl diese Störungen nicht pathognomonisch für die Tabes sind, da sie
auch bei anderen Krankheiten (z. B. der Syringomyelie), wenn auch nicht in der¬
selben, so doch in ähnlicher Form und Anordnung Vorkommen, so legen die
Verff. ihnen doch einen gewissen diagnostischen Werth bei in den Fällen von
Tabes incipiens und Tabes des Cervicalmarks, wo andere Cardinalsymptome noch
fehlen, und besonders da, wo es sich um die Differentialdiagnose zwischen wirk¬
licher Tabes und Pseudotabes peripherica handelt.
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Die segmentäre Anordnung und der Charakter der Dissociation lassen als
eigentlichen Sitz dieser Sensibilitätsstörungen nicht die peripheren Nerven, auch
nicht die hinteren Wurzeln erkennen, sondern sie sind der Ausdruck einer intra¬
spinalen Erkrankung, die sowohl in der weiBsen Substanz der Hinterstränge, als
auch in der centralgelegenen grauen Substanz ihren Sitz hat.
Facklam (Lübeck).
9) Untersuchungen über die Störungen der Sensibilität bei der Tabes
dorsalis, von Dr. Frenkel und Dr. Foerster. (Archiv für Psych.
Bd. XXXIII.)
Die Verff. berichten ausführlich über die bei 49 Tabikern (sämmtlich bis auf
einen im atactischen Stadium sich befindend) gefundenen Sensibilitätsstörungen.
Die sich hieraus ergebenden allgemeinen Schlüsse können nicht sämmtlich im
Referat angeführt werden, nur die wichtigsten seien hier hervorgehoben:
I. Gelenk- und MuskelBensibilität: Ein Fall von Tabes mit Ataxie ohne
Störungen der Gelenksensibilität ist Verff. nicht bekannt. Die Schwere der Sen-
sibilitätsstörung entspricht im Grossen und Ganzen der Schwere der Ataxie. Auf
der Seite der schwereren Sensibilitätsstörung ist die Ataxie stets grösser.
In der Regel sind die Sensibilitätsstörungen in Zehen und Fussgelenk am
ausgesprochensten.
Sehr häufig sind dieselben auch in den Gelenken der oberen Extremität
(meist in den Fingern).
Das Ermüdungsgefühl ist bei Tabes stets herabgesetzt, bei schweren Atactikern
enorm vermindert.
II. Hautsensibilität: Kein einziger der 49 Fälle zeigte normale Berührungs¬
empfindung, fast stets ist auch die Schmerzempfindung, seltener die Temperatur¬
empfindung gestört, nur besteht nahezu in jedem Falle von Tabes Kältehyper-
iathesie am Rumpfe.
Im Grossen und Ganzen lässt sich behaupten, dass die Hautsensibilitäts-
störangen dem Wurzeltypus folgen, und dass die radiculäre Natur der Tabes so¬
mit auch in der Form der Sensibilitätsstörungen sich zu erkennen giebt.
Nicht selten sind schliesslich bei der Tabes Störungen des stereognostischen
Sinnes, doch treten dieselben stets nur in Begleitung anderer Sensibilitäts¬
störungen auf. Kurt Mendel.
10) Mechanische Muskelerregbarkeit und Sehnenreflexe bei Tabes dorsalis,
von Dr. Frenkel in Heiden (Schweiz). (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk.
1900. XVIL)
An der Hand von mehreren Hundert genau untersuchter Tabeskranker
gelang es festzustellen, dass die Sehnenreflexe an den oberen Extremitäten regel¬
mässiger fehlen als die Patellarreflexe. Und zwar ist diese Erscheinung nicht
nur bei den mittleren und schwereren Formen, sondern auch in den frühesten
Stadien des Leidens zu constatiren. Bei der Prüfung des Tricepsreflexes muss
aber jede idiopathische Muskelcontraction streng vermieden werden, und zwar
um so mehr, weil bei Tabeskranken in der Regel die mechanische Muskelerregbar¬
keit stark erhöht ist. Unter 23 Fällen konnte diese Erscheinung 11 Mal nach-
gewieBen werden; 3 Mal fehlte der Tricepsreflex einseitig, und bei zwei von diesen
Fällen war die mechanische Muskelerregbarkeit auf der gleichen Seite gesteigert.
Niemals wurde abnorm starke Muskelerregbarkeit bei erhaltenen oder gesteigerten
Reflexen gefunden.
Aus den Beobachtungen ergab sich, dass sich die mechanische Erregbarkeit
der tabischen Muskulatur umgekehrt verhält wie die Sehnenreflexe, d. h. normale
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Erregbarkeit bei erhaltenen Sehnenreflexeu, gesteigerte bei fehlenden und bei un¬
gleichen Reflexen, Steigerung auf der Seite mit herabgesetztem Reflex. Offenbar
ist die Erhöhung der mechanischen Muskelerregbarkeit von dem Wegfall irgend¬
welcher, uns unbekannter, reflectorischer Erregungen abhängig.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
11) La orise nasale tabötique, par H. Jullian. (Revue de Medecine. Juli 1900.
S. 590.)
Nasale Krisen bei der Tabes sind zuerst von Klippel beschrieben worden.
Verf. beobachtete einen Tabiker mit gleichzeitiger Anosmie und Abstumpfung des
Gefühls in der Nasenschleimhaut. Von Zeit zu Zeit traten „nasale Krisen“
auf, bestehend in Kitzelgefühl in der Nase und anhaltendem heftigen Niesen ohne
darauf folgende Schleimsecretion. Dauer des Anfalles ca. eine Viertelstunde. Vor
dem Beginn seiner Tabes hatte der Pat. niemals an derartigen Zuständen gelitten.
Strümpell (Erlangen).
12) Le taböa labyrinthique, par Pierre Bonnier. (Nouv. Iconogr. de la
Salp. 1899. S. 131.)
In einer eingehenden anatomisch, physiologisch, pathologisch-anatomisch und
klinisch begründeten Studie sucht Verf. den Nachweis zu führen, dass bei der
Tabes häufig Symptome auftreten, die als eine Affection des Labyrinthes an¬
gesprochen werden müssen, ja dass die Betheiligung des Labyrinths so häufig und
so constant im Verlauf der Krankheit ist, dass man mit gutem Rechte wie von
einer Tabes dorsalis so auch von einer Tabes labyrinthica sprechen könne, wenn
Symptome der letzteren Art vorherrschten. Unter 100 Fällen von Tabes sei mehr
als 80 Mal das Labyrinth betheiligt.
Das Labyrinth nimmt dieselbe Stelle ein wie die Spinalganglien, wobei der
Hörnerv der hinteren Wurzel des Spinalganglions entspricht. Daher erkläre sich
die häufige Betheiligung dieses Organs bei der tabischen Systemerkrankung.
Wiederholt sind von den Autoren bei der Tabes Atrophieen eines oder beider
Hörnerven gefunden worden, und es ist bekannt, dass auch die AtheromatoBe und
Syphilis häufig zu Erkrankungen des inneren Ohres führen. Besonders ausführlich
bespricht Verf. die physiologischen Beziehungen des Labyrinths zur Tabes, ins¬
besondere zum Muskelsinn, der Ataxie und dem Romberg'sehen Symptom. In
einem ebenfalls sehr ausführlichen klinischen Theil theilt er eine Reihe einschlägiger
Beobachtungen mit, um zu begründen, dass jeder Schwindel auf einer Reizung
des Labyrinths beruhe, dass die Gleichgewichtsstörungen der Tabes immer auf
Erkrankungen der Ampullen zurückzuführen seien, und dass die Unsicherheit beim
Geben im Dunkeln lediglich durch Läsionen des Labyrinths entstehen. Auch
zwischen dem Gehörorgan und den Augennerven (Abducens und Oculomotorius)
bestehen Behr enge Wechselbeziehungen. Facklam (Lübeck).
13) Lob arthropathies tabötiques et la radiographie, parDr. Gibert (Mont¬
pellier). (Nouv. Icon, de la Salp. 1900. XIH. S. 145.)
Verf. hat die Arthropathieen von 4 Tabikern mit Hülfe der Röntgenstrahlen
untersucht und dabei Folgendes gefunden: Die Gelenkoberfiächen waren entweder
ganz verschwunden oder deformirt, während die Knochenpartieen in der Nähe
der Gelenke eine übermässige Hyperplasie zeigten. In einem Falle fanden sich
sogar in dem periartioulären Bindegewebe Osteophytenbildungen, die die Neigung
hatten, sich zu einem soliden Tumor zu vereinigen. — Es^handelte sich also in
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allen 4 Fällen um Osteo&rthropathieen mit atrophischen und hypertrophischen
Erscheinungen. Diese Storungen beherrschten das Krankheitsbild jedes Mal der¬
artig, dass die anderen tabischen Symptome (Ataxie, Schmerzen u. s. w.) ganz in
den Hintergrund traten, so dass Verf. den Schluss zieht, dass es sich hier mehr
nm falle sog. trophischer Tabes handelt, obwohl er nicht in Abrede stellen kann,
dass die sensiblen Störungen sich häufig diesen trophischen Störungen hinzugesellen.
Jedenfalls sprächen derartige Fälle für das Vorhandensein eines trophischen Cen-
trams im Rückenmark, dessen Reizung die Knochenhyperplasie zur Folge habe,
während eine ihm entgegengesetzt wirkende Kraft die articuläre Atrophie nach
sich ziehe. Facklara (Lübeck).
14) Die Aetiologie und Therapie der Tabes dorsalis, von Pel. (Berliner
klin. Wochenschr. 1900. Nr. 29.)
Als cansale Noxe der Tabes ist ein im Blut kreisendes Gift, das wenigstens
in ! /j aller Tabesfälle durch die syphilitische Infection in den Körper hinein-
gekommen, anzosehn. Neben den causalen Factoren dürfen die disponirenden, wie
es immer noch geschieht, nicht übersehen werden. Zum besseren Verständniss
der Giftwirkung macht Verf. auf folgende Punkte aufmerksam: 1. Die individuelle
Empfindlichkeit. 2. Bei vorhandener Empfindlichkeit können schon minimalste
Dosen eine giftige Wirkung ausüben. 3. Die elective Wirkung, der zu Folge die
Gifte eine Affinität zu gewissen Theilen des Nervensystems zeigen. Aus den
statistischen Bemerkungen seien die Erfahrungen Minor’s in Russland hervor¬
gehoben. Die eingeborenen Russen acquiriren 5 Mal so häufig Syphilis und Tabes
als die Jaden, während andererseits auf 100 syphilitische Juden ebenso viele
Fälle von Tabes kämen als auf 100 syphilitische Russen, obwohl die Juden zu
nervösen Erkrankungen so sehr disponirt sind. Bei der Therapie ist die „Hygiene
des Nervensystems“ (das Leben eines vernünftigen Greises) und die oft vernach¬
lässigte „Hygiene des Gemüths“, d. h. die Sorge, den Kranken über seine trost¬
lose Zukunft hinwegzutäuschen, von der grössten Bedeutung. Die Mercurial-
behandlung kann grossen Schaden bringen. Indicirt ist sie, wenn 1. neben Tabes
Boch Syphilis8ymptome vorhanden sind, 2. die Tabes sehr schnell nach einer gar
nicht oder nur schlecht behandelten Lues ausgebrochen ist, 3. Pseudotabes vor-
äegt. — Mit dem weniger eingreifenden Jodkalium ist ein Versuch gestattet.
Auf Ergotin, Strychnin, Argentum u. s. w. folgen wohl bisweilen passagere
Besserungen. Gegen die Schmerzen gebrauche man Antineuralgica, Nervina,
innerlich Ichthyol, besonders als Ichthyolmoor. Die kürzlich wieder von Gilles
de la Tourette empfohlene Motschutkowski’sche Dehnung des Rückenmarks
xritigt vorübergehende Erfolge. Gegen die gastrischen Krisen kann man eine
Zeit lang hygienisch-diätetisch Vorgehen; in schweren Fällen ist Morphium nicht
zu entbehren. Neben dem Arsen, neben Bädern, Elektricität und Massage ist
die Frenkel-Leyden’sche compensatorische Uebungstherapie zu erwähnen, die
rweekmfissig angewendet symptomatische und so auch nicht zu verachtende psy¬
chische Erfolge zu verzeichnen hat. Stets soll der Arzt bei den vielen vorhandenen
Behandlungsweisen daran denken, den durch das lange Leiden verzweifelten Kranken
nicht nutzlos durch die Therapie zu belästigen, keine Maassregel zu übertreiben,
den Menschen nioht über der Tabes zu vergessen.
Bielschowsky (Breslau).
15) Tabes et traumatisme, par Dr. M. Söaux. (Journ. de Neurolog. 1900.
Nr. 11.)
Kittheilung eines Falles, in dem sich im Anschluss an einen Sturz vom
Wagen und Ueberfahrenwerden (36 Stunden dauernde Bewusstlosigkeit, Blutungen
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aus inneren Organen, Paraplegie der Beine, Incontinenz) nach und nach Erschei¬
nungen der Tabes entwickelten; nach 2 Monaten Gürtel-und lancinirende Schmerzen;
nach 12 Monaten Schwäche der Beine und Fehlen beider Patellarreflexe; Rom-
berg’sches Symptom, Herabsetzung der Sensibilität, gelegentlicher unwillkürlicher
Urinabgang. Nach Jahren ist die Schwäche der Beine geschwunden, dazu¬
gekommen ist eine deutliche Ataxie der Beine, sowie deutlichere Sensibilitäts¬
störungen in Form der Aufhebung des Lagegefühls, der Verminderung der Schmerz¬
empfindung und einer Hemianästhesie und Analgesie der ganzen linken Seite.
Von Seiten der Pupillen besteht eine leichte Differenz und „träge“ Lichtreaction.
— Von ätiologischen Momenten für diese Krankheit waren ausser dem Trauma
weder hereditäre, neuropathische Belastung, noch Syphilis oder Alkoholismus nach¬
weisbar. Trotzdem glaubt Verf. nicht, dass das Trauma die alleinige Ursache
gewesen ist, sondern nimmt in Uebereinstimmung mit der Mehrzahl der Autoren
eine Prädisposition an, ohne diese Annahme im vorliegenden Falle näher zu be¬
gründen. Er betont ferner den wichtigen und verderblichen Einfluss, den die
längere Bewegungslosigkeit nach der Verletzung auf die Entwickelung der Tabes
ausüben kann, erinnert an die erheblichen Verschlechterungen der Gehfähigkeit,
die bei Tabeskranken nach längerer Bettruhe in Folge einer interourrenten Krank¬
heit häufig beobachtet werden können. H. Haenel (Dresden).
16) Die spinale Ataxie und ihre compensatorisohe Bewegungsbehandlung,
von Dr. A. Bum. (Wiener med. Presse. 1900. Nr. 6.)
Besprechung des Wesens der Ataxie, der verschiedenen Methoden der Uebungs-
therapie und der Indicationen und Contraindicationen derselben. Nichts Neues.
J. Sorgo (Wien).
17) Beiträge sur Uebungstherapie, von Dr. Heinrich Stadelmann. (Wiener
med. Presse. 1900. Nr. 27.)
Zwei mit Erfolg nach der Frenkel’schen Methode behandelte Fälle: 1 Fall
^nit Lähmungserscheinungen und Ataxie an den Extremitäten und 1 Fall von
Chorea. J. Sorgo (Wien).
18) Ueber spontane Besserung von Tabessymptomen, von Dr. L. Loewen-
feld. (Deutsche Praxis. Jahrgang III. H. 10.)
An der Hand einer Reihe eigener Beobachtungen (spontane Besserungen
schwerster Ataxie u. a.) und unter Berücksichtigung der vielfach in der Litteratur
niedergelegten Beobachtungen spontaner Besserung mancher Tabessymptome (Augen¬
muskellähmungen, Krisen, Arthropathieen, lancinirende Schmerzen) warnt Verf. in
seiner besonders für manche therapeutische Optimisten sehr lesenswerthen Arbeit
vor der Ueberschätzung unseres therapeutischen Könnens und fordert zu scharfer
Kritik der Erfolge unserer therapeutischen Bemühungen bei Tabeskranken auf.
Besonders beachtenswerth erscheint dem Ref. folgender Satz des Verf.’»: „Nach
meiner Ueberzeugung würde die heutzutage bei der tabischen Ataxie so viel ge¬
brauchte und gepriesene Uebungstherapie sicher weniger Erfolge aufzuweisen haben,
wenn dieses Symptom nicht in vielen Fällen an sich schon eine Tendenz zum
Rückgängigwerden hätte.“ Ref. möchte sich diesem Satze auf Grund einer nicht
kleinen eigenen Erfahrung durchaus anschliessen. Martin Bloch (Berlin).
19) Ueber die oompensatorische Uebungstherapie bei Tabes, von Dr.
Arthur von Sarbö. (Pester med. chir. Presse. 1899.)
Verf. betont die wichtige Unterscheidung der „kleinen Uebungen“ (Präcisions-
übungen im Liegen und Sitzen) und der Steh- und Gehfibungen. Entere haben
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besonders prophylaktischen Werth, am im präatactischen Stadium dem Auftreten der
Ataxie vorzubeugen. Bei hochgradiger Hypotonie (im paralytischen Stadium der
Tabes) n&tzt die Behandlung gar nicht. Sie darf nur dann begonnen werden, wenn
der Zustand der Beine schon geraume Zeit stationär geblieben ist. Wenn die Ver¬
schlechterung des Gange« im Zuge ist, dfirfen nur die kleinen Uebungen vor-
genotarnen werden, die Steh- und Gehübungen erst dann, wenn seit mindestens einem
halben Jahre sich keine Verschlimmerung mehr zeigt Schlechter Ernährungszustand
muss zuvor durch allgemeine Kräftigung des Körpers beseitigt werden; umgekehrt
kann aber auch flbergrosse Körperfülle für die Behandlung hinderlich sein, ebenso
Sehstörungen, Schmerzen und Krisen, schon wegen der damit verbundenen psy¬
chischen Depression. Aufmerksamkeit, Ausdauer und Willensenergie des Patienten
sind zum Gelingen unentbehrlich. Anstaltsbehandlung ist aus verschiedenen Gründen
so empfehlen. Die prophylaktische Behandlung mit kleinen Uebungen ist täglich
Monate lang fortsusetzen. Bei schon bestehender Ataxie sind durchschnittlich 3 bis
4 Monate erforderlich, und zwar täglich einmal Stehübungen unter Leitung des
Arztes und Morgens, Mittags und Abende die kleinen Uebungen.
Die Erfolge der Behandlung zeigen sich im Wesentlichen beim 8tehen und
Gehen bei offenen Augen nnd im Hellen. Das Wichtigste ist das Gefühl der Sicher¬
heit, das der Patient durch die Uebungen erlangt, die Beseitigung der Furcht vor
dem Hinfallen. Die Behandlung muss unterbrochen und auf die kleinen Uebungen
beschränkt werden, wenn sich eine Verschlimmerung der Ataxie, Schmerzen und
Krisen einstellen, nicht aber beim Auftreten von Schwächegefühl (Courbature). Ver¬
meiden muss mau die Gefahr der Uebermüdung und deshalb die Patienten, denen
vielfach das Ermüdungsgefühl abgeht, bezüglich der Dauer der Uebungen entsprechend
beschränken. E. Beyer (Littenweiler).
20) Zar Therapie der Tabes, von Prof. Dr. Moriz Benedict (Wiener med.
Presse. 1900. Nr. 21.)
Die wichtigste Behandlungsmethode der Tabes ist nach Verf. die blutige
Dehnung der Ischiadici, „und ihr gehört die Zukunft“. Ferner kommen noch in
Betracht Antiphlogosa bei subacutem Verlaufe oder subacuten Nachschüben, cen¬
trale Galvanisation und Points de feu. Antiluetische Behandlung nur in Fällen,
in denen die Lues als Ursache wahrscheinlich ist Meist fehle aber dieses ätio¬
logische Moment. J. Sorgo (Wien).
21) Sur un oas de mal perforant et sur deux oas d’ulcöre v&riqaeux traites
par Alongation des nerfe, par N. Bardesco. (Travaux de Neurologie
ohirurgicale. Paris 1899. October.)
Verf. hat die Nervendehnung bei einem aller Therapie trotzenden und seit
2 Jahren bestehenden Mal perforant angewandt. 12 Tage nach' der Nerven¬
dehnung heilte das Geschwür, und die erhaltenen Erfolge bewogen ihn, die Ope¬
ration bei Unterschenkelgeschwüren zur Anwendung zu bringen, und auch hier
blieb der Erfolg nicht ans. Adler (Berlin).
22) Lea oonsöquenoes trophiques de l’elongation des nerfs: etude ex¬
perimentale et thörapeutiqne (mal perforant pl&ntaire, uloere vari-
queux, mal perforant bnooal, pied tabetique), par A. Chipault. (Travaux
de neurologie ohirurgicale. 1899. Paris. October).
Verf. nimmt an, dass das Mal perforant auf einer rein trophischen Störung
auf Grand einer Neuritis beruhe, und empfiehlt die Dehnung des N. tibial.
posterior. Er hat das Mal perforant auf diese Weise in 50 Fällen der verschiedensten
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Art in Behandlung genommen mit dem Resultate, dass von diesen Fällen nur
ein Mal der Erfolg nicht eintrat. Auf der Grundlage der Tabes oder Syringo¬
myelie entstand unter obigen Fällen das Mal perforant 17 Mal; in 8 Fällen
handelte es sich um Alkoholiker; 4 Mal war Diabetes, 17 Mal Trauma, 9 Mal
Frost die Ursache. Bei 5 Kranken war die Beobachtungszeit 2 Jahr, in 16 Fällen
mehr als 1 Jahr, in 9 Fällen mehr als 6 Monate. Bei diesen 30 Fällen hat
Verf. nur 6 Mal ein Recidiv festgestellt. Verf. hält die Resultate für so vor¬
zügliche, dass er eine andere therapeutische Inangriffnahme nicht auf gleiche
Stufe stellen zu können glaubt. Er begründet seine Ueberzeugung des Näheren
und will die Nervendehnung auch auf das Gebiet der Behandlung des chronischen
Unterschenkelgeschwürs ausgedehnt wissen; freilich habe der Nervendehnung die
eigentliche Behandlung des Geschwürs zu folgen. Den zu dehnenden Nerv soll
man in einer mittleren Distanz von dem Geschwür wählen, und er schlägt hierzu
vor den N. saphenus intern, oder den N. musculo-cutaneus. Was die eigentliche
Behandlung anlange, so spricht Verf. bei Geschwüren mittlerer Ausdehnung der
radicalen Excision das Wort, bei grösseren der Desinfection des Geschwürs und
der Curettage. Bardesco und Delbet, so führt Verf. aus, haben mit selbiger
Methode unter geringer Modification dieselben Erfolge erzielt. Verf. veröffentlicht
drei mit Erfolg operirte Fälle, während sein vierter Fall, in dem es sich um
eine begrenzte Sklerodermie im Bereiche des Saphen. extern, handelt, ohne jeden
Heilerfolg blieb. Verf. möchte seine Methode auch auf die ulcerösen Wunden
nach Schussverletznngen, nach Verbrennungen und auf die in Folge von Röntgen¬
durchleuchtung auftretenden Ulcerationen angewandt sehen, gestützt auf die im
Anfang der Arbeit niedergelegten Erfahrungen. Adler (Berlin).
23) Le mal perforant et son traitement par l’elongation des nerfs, p&r
Duplay. (Travaux de neurologie chirurg. 1899. Nr. 1).
Verf. hat bei einem 52 jähr. Mann, der seit 9 Jahren an Mal perforant litt,
wahrscheinlich in Folge einer Erfrierung der Beine im Kriege 1870, mit Erfolg
die Nervendehnung ausgeführt: in 20 Tagen war das Fussgeschwür vernarbt.
Nach Verf. ist das Mal perforant durch den Symptomencomplex der Ulceration,
der trophischen und sensiblen Störung characterisirt, Aetiologisch unterscheidet
er ein symptomatisches und ein idiopathisches Mal perforant Zu Affectionen
letzterer Art sind besonders Leute disponirt, die viel mit blossen Füssen arbeiten.
Verf. geht dann auf die Geschichte der Nervendehnung ein, er empfiehlt, zur Aus¬
führung den N. tibialis posticus hinter dem inneren Knöchel aufzusuchen, in einer
Länge von 2—3 cm freizulegen und über das Niveau der W'unde emporzuheben;
eine Nervenruptur lässt sich bei vorsichtigem Operiren leicht vermeiden.
Ueber weitere Fälle von Heilungen durch Nervendehnung berichten Saulier
und Finet (Trav. de Neurol. chirurg. Nr. 1), sowie Vauvert (Trav. de Neurol.
chirurg. Nr. 2). Adler (Berlin).
24) Le traitement du mal perforant plantaire par la faradisation du nerf
tibial posterieur et de ses branches terminales par J. Crocq. (Travaux
de neurolog. chirurgicale. 1899. Paris. October).
Verf. hat bei voller Würdigung der Chipault’schen Nervendehnung denselben
Erfolg erzielt, indem er einem 32 jähr. Manne mit Mal perforant eine kleine
Elektrode eines faradiBchen Apparates auf den N. tibial. post, hinter dem Malleol.
intern, aufsetzte, eine grössere auf die Fusssohle unmittelbar hinter die Ulceration
und nun einen sehr starken Strom */ 4 Stunde lang passiren liess. Eine Behandlung
in dieser Weise führt nach 3 Wochen zu bedeutender Verkleinerung des Mal
perfor., nach 6 Wochen zur Vernarbung. Adler (Berlin).
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25) D’un oas de troables trophiquee du pied et de la jambe traite aveo
suooes par distension des fllets nerveux entourant l’artere femorale
par Jaboulay. (Travaux de neurol. chirurg. 1899. Paris. October.)
Verf. hat in einem Falle von Störungen trophischer Natur, die sich mehr
weniger dem Mal perforant näherten, bei einem 45 jähr. Alkoholiker, der zugleich
Luetiker war, diese am rechten Fuss aufgetretenen brandigen Stellen dadurch
therapeutisch angegriffen, dass er im Scarpa’sehen Dreieck die Arteria femoralis
freilegte. Sodann durchriss er die Nerven, welche das Gefäss umliefen. Der
Erfolg war der, dass das nekrotische Gewebe am Fuss sich abstiess und sich
eine die ganze Fusssohlen-Concavität ausfiillende Blase bildete, die später aufging.
Das Geschwür vernarbte, und nach 1 */ 2 Monaten war selbst ohne jeden Schmerz
und Stütze das Gehen möglich. Verf. sieht in einer intensiven Beeinflussung der
vasomotorischen Nerven der unteren Extremität durch die Operation die Ursache
des Erfolges. Adler (Berlin).
26) Emde sur l’anatomie pathologique de la mala die de Friedreioh, par
Dr. Jules Vincelet. Travail du Laboratoire du Dr. Pierre Marie.
(Paris. 1900. Carre et Naud.)
Der Werth der Monographie beruht in einer kritischen Sichtung und über¬
sichtlichen Zusammenstellung der durch eigene Beobachtungen bereicherten
Casuistik mit besonders ausführlicher Wiedergabe der autoptischen Befunde. So¬
mit ist für weitere Studien ein brauchbarer Führer gegeben. Neue Gesichtspunkte
werden nicht eröffnet. ß. Pfeiffer (Cassel).
27) Becherohes statistiques sur l’etiologie de la paralysie gendrale, par
P. Serieux et F. Farnarier. (Revue de medecine. 1900. Februar.)
Bei der statistischen Zusammenstellung von 42 Fällen progressiver Paralyse
mit genauer Anamnese fanden die Verflf. in 80°/ o mit Sicherheit oder Wahr¬
scheinlichkeit eine vorhergegangene Syphilis; in 50°/ 0 war die Syphilis mit
voller Sicherheit nachweisbar. Etwa in einem Dritttheil der Fälle fand sich nur
ausgesprochene hereditäre nervöse Veranlagung. Die Zeit zwischen der syphi¬
litischen Infection und dem Ausbruche der Paralyse schwankte zwischen 6 und
32 Jahren. — Trotz dieser Ergebnisse halten die Verflf. die Syphilis nicht für die
specifische Ursache der Paralyse, sondern glauben, dass andere toxische Substanzen
(Blei, Alkohol, verdorbener Mais) denselben cerebralen Process hervorrufen können.
Die Paralyse sei also keine parasyphilitisohe, sondern allgemein eine „paratoxische“
Erkrankung. Strümpell (Erlangen).
28) Deila reazione elettrica nerveo-muscolare nella parallel generale pro¬
gressiva degli alienati, per V. Lenzi. (Annali di Nevrolog. XVII. 6.)
Verf. unterzog 7 Paralytiker einer genauen elektrischen Untersuchung und
verglich die erhaltenen Zahlen mit den bei zwei gesunden Individuen gefundenen.
Es zeigt sich, dass die faradische und galvanische Erregbarkeit der Muskeln
und Nerven bei der progressiven Paralyse vermindert ist. Jedoch besteht daneben
zuweilen noch in einigen Muskeln und Nerven Uebererregbarkeit.
In Ueberein8timmung mit anderen Autoren fand Verf. häufig die sogenannte
intermediäre Form der Entartungsreaction, d. h. KSZ = AnSZ, besonders bei
solchen Kranken, die gleichzeitig tabische Erscheinungen darboten, und in den
fortgeschritteneren Stadien. Es fand sich auch diese Reaction häufiger an den
oberen als an den unteren Extremitäten. Valentin.
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29) Die Frühdiagnose der progressiven Paralyse, von Prof. Dr. A. Hoche.
(Zweite erweiterte Auflage. Halle 1900.)
Die neue Auflage hat den Umfang des vortrefflichen Werkchens fast um die
Hälfte vergrössert, und zwar kommt diese Vermehrung nicht etwa bloss einzelnen
Capiteln zu Gute, sondern sie bereichert das Buch in allen seinen Theilen. Frei¬
lich wird dieser Zuwachs mehr den Kenner erfreuen, als den nicht-psychiatrischen
Praktiker, dem die Schwierigkeiten der Diagnose nur noch grösser erscheinen
werden. Die Hauptregeln sind eher noch vorsichtiger gefasst, die Ausnahmen
zahlreicher geworden. Die reflectorische Pupillenstarre ist nicht mehr „das klas¬
sische frühdiagnostische Symptom“, lautes Vorlesen nur noch „eine gute Methode“
zur Orientirnng über die Sprache; die alkoholische Pseudoparalyse existirt jetzt
nicht mehr bloss „in der Litteratur“.
Hervorzuheben ist die ausführlichere Behandlung der Aetiologie und jeweils
der Beziehungen zur pathologischen Anatomie, namentlich aber die Symptomato¬
logie, und zwar besonders bezüglich der differential-diagnostischen Werthung der
einzelnen Erscheinungen. Die Darstellung der psychischen Symptome ist in sehr
anschaulicher Weise erweitert, ebenso die Erörterungen über die Differential-
diaguose (gegenüber Alkoholismus und anderen Intoxioationen, ferner Nephritis
und Diabetes). Neu hinzugekommen ist auch die Unterscheidung von Hirntumoren
und von jugendlicher Paralyse.
Ein werthvoller Zuwachs, allerdings mehr in das Gebiet der „Therapie“
schlagend, ist endlich eine eingehendere Besprechung über die Bedeutung und die
Consequenzen der Frühdiagnose, mit besonderer Berücksichtigung der rechtlichen
Verhältnisse nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches.
Die vorgenommene Gliederung des Inhalts in Abschnitte mit Ueberschriften
begünstigt wesentlich die Uebersichtlichkeit und damit die praktische Brauchbar¬
keit des Werkes. E. Beyer (Littenweder).
SO) Die wahre Ursaohe der progressiven Paralyse, von Wladimir Tschisch
(Psychiatr. Wochenschr. 1900. Nr. 29.)
Die wahre Ursache der Paralyse ist nach Verf. einzig und allein die Lues.
Dass nicht alle Syphilitischen später paralytisch werden, erklärt er dadurch, dasus
er bei den später an Paralyse erkrankten Individuen eine ungenügende oder völlig
fehlende Behandlung der Lues nachweisen konnte. Ein syphilitisches Individuum
wird nach Verf.’s Ansicht nach einer genügenden und regelrechten Behandlung
nur ausnahmsweise an progressiver Paralyse erkranken.
Unter den Paralytikern finden sich viel weniger Degenerirte, als unter den
anderen Geisteskranken. Paralytiker weisen nie deutliche und ausgesprochene
psychische oder somatische Degenerationszeichen auf. Ja, er sagt geradezu, dass
Degenerirte, abgesehen von seltenen Ausnahmen, nie an Paralyse erkranken. Para¬
lyse sei eine Krankheit der bis dahin Gesunden, der mit einem normalen Nerven¬
system Ausgestatteten. Verf. ist so fest hiervon überzeugt, dass er dieses Moment
bei der Differentialdiagnose verwerthet. Alkoholmissbrauch spiele keine grosse
Bolle in der Aetiologie der progressiven Paralyse, und wirkliche Alkoholiker er¬
kranken äusserst selten an ihr. Ernst Schultze (Andernach).
31) Die Paralyse in Stephansfeld, von Dr. Lucian Baer. (Dissert. Strass¬
burg i/E. Singer.)
In der Zeit vom 1. Januar 1872 bis 31. März 1900 wurden in Stephansfeld
6391 Patienten zum ersten Mal aufgenommen, 3345 Männer und 3046 Frauen.
Darunter befinden sich 700 Paralytiker (563 Männer und 137 Frauen); der
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Procentsatz beträgt demnach 10,9 (16,8 Männer und 4,5 Frauen). Die Zahl der
Paralytiker ist in den 28 Jahren keineswegs auch nur annähernd constant, sondern
sehr intensiven Schwankungen unterworfen, der Procentsatz bewegt sich in den
einzelnen Jahrgängen bei den Männern zwischen 5,9 und 25,2, bei den Frauen
zwischen 0 und 12. Theilt man den Zeitraum von 1872 —1900 in 3 Perioden:
von 1872—1881, 1881—1889, 1889—1900, so ergeben Bich hierfür die Durch¬
schnittszahlen: 12,8 (20,7 Männer, 4,9 Frauen); 12,1 (18,4 Männer, 4,3 Frauen);
9,6(14,8 Männer, 4,5Frauen). Die Totalsumme der Paralytikeraufnahmen
and speciell der Prooentsatz der an Paralyse erkrankten Männer hat
also continuirlich abgenommen; die Procentziffer der paralytischen
Frauen hat, wenn auch nicht gerade sich verringert, so doch jeden*
falls keinen Zuwachs erfahren. Aus den Städten und Industriegegenden
kommen wesentlich mehr Paralytiker als aus der ackerbautreibenden Bevölkerung.
(Z. B. unter 100 Aufnahmen ans dem Bezirk Untereisass mit Ausnahme des
Stadtkreises Strassburg befinden sich 10,8 Paralytiker, aus Strassburg allein 39,
aas dem ackerbautreibenden Kreis Weissenburg nur 7,9.) Von den Männern ge¬
hört die Mehrzahl den sogen, mittleren und höheren Ständen an, von den Frauen
umgekehrt den niedersten Gesellschaftsklassen. Der Beginn der Paralyse fällt bei
den Männern durchschnittlich zwischen das 35. und 40. Lebensjahr, bei den Frauen
liegt der Anfang der Krankheit meist ein wenig später, aber immer noch in der
sogen, präklimakterischen Zeit. Die durchschnittliche Krankheitsdauer beträgt für
die Männer 2 Jahre 9 Monate, für die Frauen 3 Jahre 11 Monate. Fälle von
völliger Heilung sind nicht zur Beobachtung gekommen, Remissionen dagegen häufig.
Von 382 zur diesbezüglichen Verwerthung passenden Fällen war bei 113
= 29,7 % Lues nachweisbar, eine im Vergleich mit anderen neueren Statistiken
auffallend niedrige Ziffer, die, wie Verf. sagt, „auch nicht ganz den thatsächlichen
Verhältnissen zu entsprechen scheint; zweifellos müsste sie, um der Wahrheit
näher zu kommen, noch bedeutend erhöht werden. Sie repräsentirt eben nur den
Grenzwerth, bis zu welchem mit absoluter Sicherheit eine Infection festgestellt
werden konnte. Es wurden von vornherein alle diejenigen Fälle ausgeschlossen,
welche auf Lues blos verdächtig waren, so auch die, in deren Anamnese wohl
venerisohe Erkrankung, nicht aber die nähere Art des Geschlechtsleidens, ob Ulcus
durum oder molle oder Gonorrhoe, vermerkt war.“ (In den Fällen, für die eine
gute Anamnese zu erlangen war, ist in der Regel Lues angegeben. Eine Statistik
nach den einzelnen Jahrgängen würde wohl auch zum Resultat führen, dass im
letzten Jahrzehnt Lues wesentlich häufiger erwähnt wird als etwa im ersten
Jahrzehnt, in dem man darauf noch wenig achtet. Unter 32 im Jahrgang
1898/1900 zum ersten Mal aufgenommenen Paralysen waren wenigstens 47°/ 0
zweifellos syphilitisch. Ref) Unter den 113 Paralytikern mit zweifellos luetischen
Antecedentien sind 20°/o hereditär belastet, bei 19,4 °/ 0 ist die Lues mit Potus,
bei 4,4 °/o mit schwerem Kopftrauma combinirt. Der Zeitraum zwischen dem Auf¬
treten der primären Symptome der Syphilis und der Erkrankung an Paralyse
schwankt in den 36 Fällen, in denen darüber Aufschluss gegeben wird, zwischen
3 und 26 Jahren.
In den 382 Fällen, die zum Nachweis der Syphilis herangezogen wurden,
ist bei 23,2 °/ 0 Alkoholmissbrauch verzeichnet; davon ist in 5,1% der Abus.
spirit. mit Kopftrauma, in 24,7 % mit Lues verbunden. Zwischen der Zahl der
Alkoholiker und Paralytiker besteht kein Parallelismus; die Städte, die die meisten
Paralytiker liefern, haben die wenigsten Alkoholiker.
Von den 382 Paralytikern haben 6% schwere Kopfbeschädigung erlitten,
doch spielen meist anderweitige Schädlichkeiten mit. Immerhin glaubt Verf. 6
echte „traumatische Paralysen“ festgestellt zu haben, bei denen die Erkrankung
direct an die Kopfverletzung anknüpfte.
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Bei 17°/ 0 der 382 näher geprüften Fälle wurde erbliche Belastung fest¬
gestellt. (Gegen 55°/ 0 der 1880—1900 aufgenommenen Alkoholiker und 37 0 / o
der männlichen und 53,3% der weiblichen Epileptiker und Hysteroepileptiker.)
Ed. Hess (Stephansfeld i/E.).
32) Ueber conjugale Paralyse bezw. Tabes, von Dr. Moenkemoeller in
Osnabrück. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurolog. 1900. Dec. Bd. VIII.)
Einer Gesammtzahl von 741 seit 6 Jahren in Herzberge beobachteten Fällen
von progressiver Paralyse entsprechen 18 Fälle von conjugaler Paralyse bezw.
Tabes. 13 Mal fiel unter diesem Material der Ehemann der Krankheit zuerst
zum Opfer. Nur 2 Mal erkrankte die Frau zuerst, in einem dieser beiden Fälle
Hess sich aber nachweisen, dass die Frau sich schon mit 14 Jahren inficirt batte.
In 3 Fällen erkrankten beide Ehegatten gleichzeitig. In einem dieser letzteren
Fälle liess sich der Nachweis erbringen, dass die Infection bei Beiden gleichzeitig
in der Ehe erfolgt war.
Ein Fall erscheint dem Verf. besonders instructiv: Der 1876 luetisch inficirte
Ehemann heirathet 1879. Die Ehefrau gebar 1880 eine Tochter, die zweifellos
mit hereditärer Lues behaftet war, und macht selbst 1881 wegen specifischer
Erscheinungen eine Schmierkur durch. 1894 beim Ehemann die ersten Symptome
der Tabes, 1895 Dementia paralytica bei der Tochter, 1897 Paralyse der Ehe¬
frau festgestellt.
Die Ursachen, die, ausser der Lues, gewöhnlich in der Anamnese angeschuldigt
werden (Alkoholmissbrauch, Trauma u. s. w.), hielten beim Material des Verf.’s
einer schärferen Prüfung häufig nicht stand und entpuppten sich oft als Folge¬
erscheinungen bezw. Symptome der Paralyse.
Bei Erkrankung eines Ehegatten an Paralyse oder Tabes wird man, falls
der andere neurasthenische und ähnliche Störungen aufweist, auch für diesen stets
an den Beginn einer organischen Erkrankung denken müssen, um in der Prognose¬
stellung keinen Irrthum zu begehen.
Die 18 Fälle von conjugaler Paralyse bezw. Tabes sind am Schlüsse der Arbeit
in Tabellenform hinsichtlich der in Betracht kommenden Momente zusammengestellt.
Kurt Mendel.
III. Aus den Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 10. Dezember 1900.
Herr Max Edel: Ueber bemerkenswerthe Selbstbesch&digungsversuche.
Vortr. bespricht zwei ernstere Selbsterdrosslungsversuche und eine vorüber¬
gehende Tobsucht in Folge von Atropin Vergiftung, welche er im Asyl für Gemüths-
kranke zu Charlottenburg beobachtet hat. Die Selbsterdrosslungsversuche wurden
auf bemerkenswerthe Weise vorgenommen, haben im Gegensatz zu den in Irren¬
anstalten häufig gesehenen vergeblichen und unbedeutenden Versuchen zu schweren
Erscheinungen geführt und hätten zweifellos den Tod zur Folge gehabt, wenn nicht
sofort Hilfe zur Stelle gewesen wäre.
Eine 38jähr. Frau, welche an Paralyse litt und wegen raptusartiger Auf-
regungszustände mit gewaltthätigen Handlungen vorübergehend in die Isolirung
gebracht werden musste, machte in einem Angstaffect am 27./XI. 1899 einen
Selbsterdrosslungsversuch, und zwar mit ihren eigenen Haaren. Sie wurde be¬
wusstlos auf der rechten Seite liegend gefunden. Das lange Haar hatte sie fest
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um den Hals geschlangen; sie hielt das Ende des Haares mit ihren Händen noch
krampfhaft fest. Sie blutete ans der Nase; das Gesicht war gedunsen und
cyanotiseh, die Nasenspitze weisslich. Sie war mit kaltem Schweiss bedeckt. Die
Augen waren vorgequollen, die Bulbi nach oben gedreht Es bestand Chemosis
und blutige Verfärbung der Conjunctiven. Der Speichel war blatig. Der Puls
war klein, unregelmässig und setzte oft aus. Die Athmung stand still. An der
Beugeseite des Zeigefingers hatte das Haar in Folge des heftigen Zuges scharf
in die Haut eingeschnitten. Es musste l 1 ^ Stunde lang mit kurzer Unter*
brechung künstliche Athmung und Herzmassage ausgeführt und eine Reihe von
Campherinjectionen gegeben werden., ehe die Athmung wieder anhaltend selbst¬
ständig functionirte. Die Benommenheit hielt noch längere Zeit an, und erst
nach mehreren Stunden erwachte die Patientin zum Bewusstsein. Um den Hals
verlief eine Harke, welche am Nacken unter dem Haaransatz als ein 2 cm starker
tiefblaurother Streifen mit 2 Begrenzungslinien noch viele Tage deutlich zu er¬
kennen war. Vorn war eine Abgrenzung in der Gegend des Pomum Adami
zwischen dem blassen Hals und der cyanotischen suggillirten Oberhals- und Unter¬
kinngegend vorhanden. Im Verlauf der Harke waren Hautabschürfungen zu sehen,
welche sich mit Schorfen bedeckten. Die Blutungen in den Augenbindehäuten
verschwanden erst nach mehreren Wochen. Unter Digitalisgebrauch besserte sich
der Puls allmählich. Nur in wenigen Fällen sind in der Litteratur ernste
örtliche Veränderungen, wie sie hier Vorgelegen haben, beschrieben. Das Haar
hat hier ohne Knoten und Knebel fast verhängnissvoll gewirkt. Trotz der lange
währenden Bewusstlosigkeit hat das festgezogene Haar und die krampfhafte
Anspannung in den Armen und Händen ein Nachlassen des Druckes auf den
Hals verhindert. Forensisch von Interesse ist, dasB die Marke nicht gleiohmässig
tief um den Hals verlief, sondern dass Bie vorn in Folge des dicken Haares
undeutlich war.
Den zweiten bemerkenswerthen Selbsterdrosslungsversuch machte ein 25jähr.
Mann, der an acuter hallucinatorischer Verwirrtheit mit hochgradigster Aufregung
litt, am 9./XII. 1900. Er riss Stücken von seinem Hemd ab und knotete
sie zu einer Schlinge zusammen. Diese legte er vom Nacken her um den Hals,
drehte sie vorn mehrfach zu einem Knebel zusammen und steckte sein rechtes
Bein bis zum Oberschenkel durch das andere Ende der Schlinge. Indem er nun
das Bein kraftvoll ansstreckte, musste ein heftiger Zug, eine enorme Anspannung
des Knebels und so eine ungewöhnlich starke Zusammenschnürung des Halses
erfolgen. Hier vereinigte sich also Zug — mit Knebel — und Hebelwirkung.
Er wurde dunkelblauroth im Gesicht in sitzender Stellung, aber bei Bewusstsein
angetroffen, während man annimmt, dass bei Zusammenschnürung des Halses sofort
Bewusstlosigkeit eintritt. Die Augen waren vorgequollen, blieben gedunsen, und
in den Augenwinkeln waren Blutungen zu sehen. Um den Hals verlief eine
deutliche Marke, welche entsprechend der Situation am Nacken am höchsten sass
und vorn über der Ringknorpelgegend lag. Sie war nicht gleichmässig tief,
sondern am tiefsten am Nacken, wo der Zug am stärksten gewirkt hatte, und
vorn am Halse, wo der Knebel gesessen hatte.
Die vorübergehende Tobsucht in Folge von Atropinvergiftung kam nach
nur etwa 5 mgr Atropinum sulfuricum zu Stande, welche eine 42jähr. etwas
exaltierte Frau in Folge eines ehelichen Zwistes in selbstmörderischer Absicht
am 28./X. 1900 getrunken hatte. Sie erbrach etwas. Der alsbald hinzugerufene
Arzt fand sie bewusstlos, mit weiten, etwas differenten, lichtstarren Pupillen,
pulslos und unruhig agitirend. In ein städtisches Krankenhaus überführt, wurde
sie unruhig, war gänzlich desorientirt und verursachte ruhestörenden Lärm. Daher
wurde sie in das Asyl für Gemüthskranke gebracht. Schon auf dem Transport wurde
sie tobsüchtig und biss um sieb. In der Anstalt hielt die tobsüchtige Erregung
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an. Sie Bchrie, zeigte Todesangst, wähnte, mit Messern gestochen und gemordet zu
werden. Der Athem war keuchend, der Puls beschleunigt, die Pupillen waren
weit. Sie sah congestionirt aus. Am folgenden Tage war sie ruhiger, konnte
sich an den Besuch des Arztes, ihren Aufenthalt im städtischen Krankenhaus und
ihre Ueberführung von dort nicht erinnern, wusste aber, dasB sie Atropin getrunken
batte. Sie gab an, das Gefühl gehabt zu haben, als würde sie gepickt und mit
Stecknadeln gestochen. In der Erregung hatte sie sich Suggillationen an den
Beinen zugezogen. Sie sah blass aus, hatte gesteigerte Beflexe, und klagte über
Trockenheit im Hals. Das rechte Auge war mit Irisadhäsion und Hornhautleukom
behaftet, die rechte Pupille eng und lichtstarr, die linke weit und reagirte weder
auf Lichteinfall noch Acoommodation. In der nächsten Nacht spürte Bie noch
Jucken im ganzen Körper und vermeinte, von Ungeziefer gestochen zu werden.
Die Störung der Accomodation und Lichtreaction glich sich in wenig Tagen an
dem linken Auge aus. Im übrigen klagte sie noch eine Zeit lang über allgemeine
Mattigkeit und Magenbeschwerden. Nach 14 Tagen wurde sie genesen aus der
Anstalt entlassen. Während Atropin in Dosen von 1—3 mgr bei maniakalischen
Zuständen beruhigend wirkt, hat es hier in relativ geringer Dosis zu stürmischen
Erscheinungen geführt, die wie gewöhnlich bald glücklich abgelaufen sind. Von
Sinnestäuschungen sind namentlich Gefühlsstörungen hervorgetreten. Es schien
eine erhöhte Reizbarkeit der sensiblen Nervenendigungen vorzuliegen. Vortr.
wendet sich gegen die Bemerkung Koberts, dass Pat. mit Atropinvergiftung
vom unwissenden Publicum, ja selbst von Aerzten irrthümlicher Weise in Irren¬
anstalten abgeliefert werden. Eine tobsüchtig erregte Person gehöre in eine
solche. In therapeutischer Hinsicht hebt er den günstigen Einfluss von Morphium-
injectionen hervor.
Herr Leppmann erwähnt einen Fall aus der Strafanstalt Moabit; hier fand
man eines Tages einen Gefangenen erdrosselt, und zwar hatte er dies mit seinem
Halstuche bewirkt. Merkwürdiger Weise konnte man aber an seinem Halse keine
Strangulationsmerkmale finden, und man hätte über die Art des Todes bei diesem
Gefangenen in Zweifel Bein können. Nur an derjenigen Stelle des Halses, welcher
der obere Rand des Halstuches angelegen hatte, fand man kleine Blutungen,
welche in die Commedonen, mit denen der Gefangene behaftet war, gegangen sind.
Herr Toby Cohn: Krankendemonstration. Vortr. demonstrirt 2 Patienten
aus der Poliklinik des Herrn Prof. Mendel.
Der 1. Fall betrifft ein 18jähr. aus gesunder Familie stammendes Mädchen.
Es ist mit der Zange zur Welt gekommen und war von jeher sehr schwächlich.
Andere Krankheiten hat es bisher nicht gehabt. Nachdem es im Alter von
8—9 Monaten Krämpfe gehabt hatte, die als Symptome einer Gehirnhautentzündung
gedeutet wurden, entwickelten sich die jetzt bestehenden Krankheitserscheinungen
allmählich. Es war 7 Jahre alt, alB es zu sprechen begann, die Sprache ist
aber bis heute undeutlich geblieben. Im Alter von 12 Jahren, als es zum ersten
Mal in der Mendel 'sehen Poliklinik behandelt wurde, konnte es ein wenig stehen
und einige Schritte gehen; mehr hat das Kind nie gelernt: die Schule hat es nicht
besucht, sondern nur zu Hause lesen und rechnen gelernt. Erste Menstruation
mit 17 Jahren. Die grösste Störung verursachen jetzt bei der Patientin fort¬
währende, den ganzen Körper betreffende Spontanbewegungen, Undeutlichkeit der
Sprache und häufiges Verschlucken, ausserdem ist sie nicht im Stande, mehr als
einige Schritte allein zu gehen, und sich der Hände zu bedienen. Pat. hat zwar
ein etwas kindisches, verängstigtes und unselbständiges Wesen, aber doch Ver-
ständniss nnd Interesse für ihre Umgebung, sie rechnet gut und hat ein gutes
Gedächtniss; ihr Lachen nimmt öfter den Charakter des unstillbaren Zwangs¬
lachens an. Pat. sieht ihrer Grösse nach einem 12jähr. Mädchen ähnlich. Der
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Kopf steht meist krampfhaft nach rechts gedreht mit auf die Brust geneigtem
Kinn, er kann nach allen Seiten hin gedreht werden, nimmt aber losgelassen wieder
die Drehstellung ein. Die Nackenmuskeln sind fortdauernd gespannt. Die ge-
samrnte mimische Musculatur kann willkürlich nioht völlig erschlafft werden:
Entweder befindet sie sich ganz oder theilweise in tonischem Contracturzustande
oder sie zeigt klonische Zuckungen oder langsame athetoide Bewegungen; auch
die Zungen-, Gaumen- und Kaumusoulatur ist davon betroffen. Paresen oder
Tremor nicht vorhanden. Sensibilität des Gesichts und höhere Sinne zeigen keine
Störung. Sprache näselnd und ausgesprochen bulbär; Silben und Worte werden
gepresst, oft wie scandirend ausgestossen, die Stimme ist auffallend tief und
erinnert zuweilen an die der Bauchredner. Der linke Arm steht in der Buhe
im Schultergelenk um etwa 70° abducirt; der Ellenbogen ist gebeugt, die Hand
extendirt, die Finger sind in die Hohlhand eingeschlagen. Diese feste Contractur-
stellung kann wenig gelöst werden und wird nur durch athetotische Bewegungen
der Finger unterbrochen. Der Ellenbogen kann etwas gestreckt und die Schulter
ein wenig über die Horizontale gehoben, aber nicht viel unter sie gesenkt und
ein wenig gedreht werden. Der rechte Arm zeigt nur geringe Beugecontractur-
stellung, die rechte Hand aber auch Athetosebewegungen. Die Musculatur ist
gut entwickelt, vielleicht beiderseits hypertrophisch. Die grobe Kraft bei den
ausführbaren Bewegungen verhältnissmässig gut, ebenso Händedruck; links ist
dieselbe geringer als rechts, bei kräftigen Bewegungen der rechten Hand treten
links Mitbewegungen ein. Der Bumpf wird meist vorgebeugt gehalten, sowohl
beim Gehen wie beim Stehen und Sitzen; auch in ihm zeigen sich ab und zu
athetotische Bewegungen. Beide Beine Btehen in Streckstellung, die Füsse be¬
rühren beim Gehen und Stehen den Boden nur mit dem inneren Fussrande und
dem Calcaneus (Calcaneo-Vagusstellung). Die grosse Zehe ist oft hyperextendirt,
die übrigen Zehen sind flectirt; an den Zehen sind oft athetotische Bewegungen
zu bemerken. Die Beinmusculatur ist kräftig entwickelt, alle Bewegungen sind
ausführbar, geschehen aber langsam und nicht mit grosser Kraft. Passive Be¬
weglichkeit Behr beeinträchtigt; das rechte Bein ist etwas länger als das linke.
Gang ist spastisch-paretisch, nur wenige Schritte gelingen, und auch das Stehen
ist nur eine kurze Zeit möglich, Patellarreflexe lebhaft, Fussclonus nicht vorhanden,
beiderseits ist das Babinski’sche Fusssohlenphaenomen auszulösen. Sensibilität
int&ct. Herzaction lebhaft, Herztöne rein. Innere Organe zeigen keine Störungen.
Electriscbe Veränderungen fehlen, es handelt sich um einen Fall allgemeiner
cerebraler Gliederstarre (Little’Bcher Krankheit) von ungewöhnlicher Stärke
der Erscheinungen, combinirt mit dem Symptomencomplex der doppelseitigen
Athetose.
Der zweite Fall betrifft eine 36jähr. Frau mit Alopecia areata. Patientin
hatte vor 6 Jahren einen Anfall desselben Leidens, der nach ljähr. Behandlung
heilte. Jetzt sind seit Juli d. J. wieder kreisförmige fcahle Stellen aufgetreten,
vorwiegend auf der linken Kopfhälfte. Unmittelbar nach dem Auftreten der ein¬
zelnen Flecke wachsen auf der befallenen Stelle lange weisse Haare (nicht Lanugo-
bärchen) heraus, die sich erst nach langem Bestehen in der Farbe der übrigen
Haare pigmentiren. Besonders deutlich ist das au einer erst 8—14 Tage be¬
stehenden kahlen Stelle in der rechten Schläfegegend zu sehen, wo bereits jetzt
weisee lange Haare aufgetreten sind. An der linken Kopfseite hat Patientin auch
häufig anfallBweise hemicranische Anfälle mit Uebelkeit und Empfindlichkeit gegen
Lieht und Schall. Nebenbei klagt Bie über Herzklopfen und Schwäche beider
Arme. Das Zusammenvorkommen von Alopecia areata, fleckenweiser Canities und
Hemicr&nie ist bemerkenswerth, mag man nun (mit Saboureau u. A.) einen
bakterieU-toxischen oder (mit der Mehrzahl der Autoren) einen trophoneurotischen
Ursprung der „Area Celsi“ annehmen.
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Herr Leppmann: lieber Ladendiebinnen.
Seit Entstehen der grossen Waarenhäuser haben die Ladendiebstähle wesent¬
lich zugenommen, augenscheinlich, weil die mit Absicht den Augen und Händen
des Publicums möglichst preisgegebene Menge der verschiedenartigsten Lebens¬
bedürfnisse die grösste Versuchung zu unrechtmässiger Aneignung erregt, die
noch durch das scheinbare Fehlen jeder Ueberwachung gesteigert wird.
An den Diebstählen betheiligen sich neben dem gewerbsmässigen Verbrecher¬
thum auch zahlreiche Gelegenheitsverbrecher. Letztere sind fast ausschliesslich
weiblichen Geschlechts, viele davon zeigen durch wiederholtes Unterliegen unter
den Anreiz der gebotenen Gelegenheit ein Hinneigen zu verbrecherischen Gewohn¬
heiten. Fast alle stehen ohne Notb, es sind fast nie ganz Arme, sondern Frauen
und Mädchen aus dem Mittelstände, ja aus besseren und recht wohlhabenden
Ständen.
Der Gegensatz zwischen socialer Stellung und That führte zu häufiger An¬
regung von Zweifeln in die geistige Intactheit und demnach zu zahlreichen Unter¬
suchungen aus § 51 des StrGB.
Vortr. gelangte dabei auf Grund eigener Erfahrungen und der Umfrage bei
anderen Gerichtsärzten zu folgenden Ergebnissen:
Krankhafte Züge bei Diebinnen in grossen Magazinen, namentlich bei den
nicht gewerbsmässigen, sind sehr häufig; am seltensten verhältnissmässig bei denen,
welche dasselbe Vergehen in ähnlicher Weise wiederholt, bezw. sehr umfangreich
ausgeübt haben, am häufigsten, wo es sich um die wahllose Aneignung von
Kleinigkeiten als völlig vereinzelte rechtsbrecherische That handelt.
Ausgeprägte Formen geistiger Störung finden sich bei diesen Diebinnen wenig,
einmal nur sah Vortr. eine weibliche Paralyse. Auch fehlen die sonst bei ge¬
legentlichen Eigenthumsverbrechen häufigen jugendlichen Entarteten, bezw. Minder-
werthigen.
Ein wesentliches Contingent stellen die Hysterischen. Hier berichtet Vortr.
namentlich von einem Falle, welcher beweist, dass bei den Erregungszuständen
Hysteroepileptischer, welche auf Krampfanfälle folgen, nicht immer die Bewusstseins¬
umnebelung zur Schätzung der pathologischen Werthigkeit maassgebend ist, son¬
dern, dass auch rein manische Zustände, auf welche der § 51 des StrGB. an¬
wendbar ist, Vorkommen.
Mit wesentlicher Häufigkeit aber kommen Kranke vor, die gar keine
hysterischen Züge tragen, welche man zur Kennzeichnung der gefundenen Sym¬
ptome als schwere Neurasthenieen bezeichnen muss. Es sind dies hochgradig
erschöpfte und blutarme Personen, ausnahmslos Frauen, welche wiederholte, ent¬
weder rasch aufeinanderfolgende oder coraplicirte Entbindungen überstanden hatten
und die körperlichen neurasthenischen Zeichen an Reflexen und vasomotorischem
Apparat zeigten.
Obgleich es nicht berechtigt scheint, bei dergleichen Personen von einem
zwanghaften Gebundensein unter eine krankhafte geistige Störung, also vom Aus¬
schluss der freien Willensbestimmung zu sprechen, bestehen bei derartig geistig
und körperlich Erschöpften die Bedingungen der verminderten Zurechnungsfähig¬
keit. Das Damiederliegen der Willenskraft im Allgemeinen und der Mangel an
geistiger Spannkraft im Augenblick vermindern die Hemmungen, welche bei Per¬
sonen von gleicher socialer Qualität gegenüber solch augenblicklichen Versuchungen
sonst wirksam sind.
Vortr. bespricht, wie gegenüber diesen unbedeutenden Delicten, auf welchen
bei voll Verantwortlichen nur eine geringe Freiheitsstrafe steht, eine Umgestaltung
unseres Strafen Systems, namentlich eine Anwendung der bedingten Verurtheilung,
am Platze wäre. Er betont dabei, wie im Gegensatz zu den in Folge geistiger
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Mängel dauernd der Rechteordnung Widerstrebenden eine besondere Gemein-
gefährlichkeit der geschilderten Vermindert-Zurechnungsfahigen nicht bestehe
und ein Freilassen von Strafe hier nicht eine andersartige Unschädlichmachung
durch Anstaltsunterbringung bedinge. Wohl aber wäre Vorbedingung aller der¬
artigen, das gegenwärtig geltende Strafgesetz ausgestaltenden Maassregeln die
dauernde staatliche Ueberwachung sämmtlicher in Freiheit befindlicher geistig
Kranker und Zweifelhafter durch Sachverständige von Staate wegen.
Discussion:
Herr E. Mendel hat Gelegenheit gehabt, eine Anzahl von Ladendiebinnep
zu begutachten. Es handelte sich um Imbecille, epileptische und paralytische
Kranke. Er würde es für bedenklich halten, Personen, bei welchen nur eine so¬
genannte Neurasthenie angenommen werden kanD, unter den Schutz des § Öl zu
stellen. Es könnte dies leicht zu einem Rückfall in die Annahme einer Bogen.
Klepto m o n o manie führen.
Herr Roth mann fuhrt einen Fall an, wo er bei einer neurasthenischen (?)
Dame verminderte Zurechnungsfähigkeit angenommen hat.
Herr Leppman will, was die in Betracht kommenden Neurastheniker an¬
betrifft, den Geisteszustand eines Menschen nicht etwa bezweifeln, der irgendwie
neurasthenische Beschwerden hat, sondern nur denjenigen von schweren Neur¬
asthenikern.
Herr E. Mendel: Ueber Tabes beim weiblichen Geschlecht. (Der Vor¬
trag ist als Originalmittheilung 3 in dieser Nummer abgedruckt.)
Herr Krön möchte hinsichtlich der Tabes-Syphilisfrage nicht auf die Statistik
verzichten. Man sollte aber nur die absolut sicheren Fälle von voraufgegangener
Syphilis verwerthen. Bei diesem Verfahren habe er früher unter 41 tabischen
Weibern 42°/ 0 mit Syphilis in der Anamnese gefunden, gegenüber 6,8 °/ 0 bei nicht
tabischen Nervenkranken desselben Geschlechts. Eine neue Reihe von 32 weib¬
lichen Tabikern lieferte 40°/ o ein wandsfreier Fälle mit früherer Syphilis. Diese
Zahlen werden bei anderen Nervenkranken auch nicht annähernd erreicht. Für
die Beziehung der luetischen Infeotion zur erblichen Disposition gebe folgender
Fall ein Beispiel: Ein jetzt 17 Jahre altes Mädchen, das von einem paralytischen
Vater stammt (dasselbe zeigt ausser der charakteristischen Demenz Pupillen¬
starre u. 8. w.), wurde im Alter von 8 Monaten von einem Kindermädchen syphi¬
litisch inficirt. Das Exanthem heilte unter einer Schmierkur und zeigte nie
wieder ein Recidiv. Im Alter von 13—14 Jahren begannen lancinirende Schmerzen
in den Beinen. Jetzt besteht doppelseitige Pupillenstarre, Weßtphal’sches
Zeichen, Analgesie an den unteren Extremitäten, Ataxie. Einer anderweitigen
Schädlichkeit hatte sich die Patientin nicht ausgesetzt.
Herr Jolly fand in der Klinik das Verhältniss von tabischen Männern zu
tabischen Frauen wie 1,77 :1, in der Poliklinik wie 2,17 :1. In den wohlhabenden
Klassen ist der Procentsatz der tabischen Frauen ein geringerer. Bei 35°/ 0
konnte man mit Sicherheit Syphilis annehmen, während bei nicht tabischen
Kranken, die anderweitig nervenkrank waren, nur 7 °/ 0 syphilitisch inficirt waren.
Die Syphilis spielt eine wesentliche Rolle beim Zustandekommen der Tabes.
Herr E. Mendel: Dass ich auf die Statistik Werth bei der vorliegenden
Frage lege, habe ich seiner Zeit durch die Vorführung der Statistik in Bezug
auf Syphilis und Paralyse bewiesen.
Aber die Statistik ist bei dem augenblicklichen Stande der Sache nicht aus¬
reichend, um die Frage zu entscheiden. Wenn sie uns lehrt, dass Syphilis und
Tabee in gewissem Zusammenhang stehen, so sagt sie uns doch nichts über die
Art dieses Zusammenhangs. Immerhin wird immer neues Material, wie das heute
vorgebrachte, geeignet erscheinen, zu Gunsten des Zusammenhangs zwischen Syphilis
und Tabes in die Wagschaale geworfen zu werden. Jacobsohn (Berlin).
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Sooiötö de neurologle de Paris.
Sitzung vom 8. November 1900.
Herr Touche (de Brevannes): Neuralgie im Amputationsstumpfe bei
einem Hysterischen. Vortr. theilt die Krankengeschichte eines tnberculösen Mannet
mit, der in Folge eines Tumor albus am linken Arme amputirt wurde. Diesei
Mann war hysterisch. Noch heute constatirt man bei ihm doppelseitige Ver¬
engerung des Gesichtsfeldes. Die Palpation der Wirbelsäule ruft beim Kranker
Schmerzen hervor von metamerischer Topographie und die in den abwesender
Arm verlagert werden. Die Palpation der Brustwand dagegen ruft Schmerzet
von radiculärer Topographie hervor. In der Discussion bemerkt Herr Pierre
M arie: der Kranke des Vortr. ist ganz entschieden ein Hysterischer. Heri
Brissaud wird sich eben so gut wie ich an analoge Fälle erinnern, die wir
vor Jahren bei Charcot in der Salpetriere beobachtet haben. Hysterische alleir
sind im Stande, solche schöne Localisationen fertig zu bringen. Herr Brissaud
bemerkt, die Geschichte dieses Kranken beweise, dass derselbe ein richtiger
Eecidivist sei, und dass er eine perfecte neurologische Erziehung in den ver¬
schiedenen Hospitälern genossen habe.
Herr Touche (de Brevannes): Zwei Fälle von Rüokenmarkscompression
durch Tumoren der Büokenmarkshäute. Diese zwei Tumoren wurden vor
Prof. Cornil als Psammome erkannt. Die eine Geschwulst bestand gleichzeitig
mit einem Epitheliome des Muttermundes, welches sich auf einem Fibrom ent¬
wickelt hatte. Die andere Geschwulst entwickelte sioh bei einem Kranken, der
an einem Leberkrebs litt.
In dem ersten Fall sass die Geschwulst am oberen Theil des Lumbalmarkes
hatte die Grösse eines Taubeneis und grenzte nach unten tiefer als der unter«
Theil der Lendenanschwellung; von da ab hatte dieselbe eine Höhe von 3 cm. Di«
Geschwulst lag der hinteren Oberfläche des Rückenmarks an, ohne mit demselben
verwachsen zu sein. An der Stelle, wo die Compression des Rückenmarks an
stärksten war, war dasselbe auf einen 2 mm dünnen Streifen reducirt. Bei dei
Untersuchung nach Pal stellte es sich heraus, dass in diesem Theile des Rücken¬
marks alle myelinhaltigen Fasern vollständig verschwunden waren. Nach vorn«
und nach hinten vom Rüokenmark findet man kleine plattgedrückte Streifchen
die bei Pal'scher Färbung zwei bis drei markhaltige Fasern aufweisen. Es sind
also die vorderen und hinteren Wurzeln, die in Folge der Compression vollständig
degenerirt sind. Schnitte, die an der oberen Grenze der Compression gemacht
wurden, zeigten am Brusttheile des Rückenmarks eine sehr ausgesprochene Degene¬
ration der Hinterstränge bis zur hinteren Commissur hinein. Nur an der Innen¬
fläche des Hinterhorns blieb eine Schicht von Fasern normal. Dagegen wai
aber das Gowers’sche Bündel auch stark degenerirt. Im Halsmark war di«
Degeneration auf den Goll’sehen Strang beschränkt, auch erreichte dieselbe niohi
mehr die hintere Commissur. Die Laesion des Gowers’schen Bündels gab siet
in diesem Theile des Rückenmarks nur durch eine bestimmte Blässe der antero-
lateralen Stränge kund; die directen cerebellaren Fasern waren hier nioht mehi
degenerirt. Sohnitte unterhalb der Compression zeigen ebenfalls starke Degene¬
ration verschiedener Fasersysteme. Auf Schnitten durch die Lendenanschwellung
findet man die gekreuzten Pyramidenstränge vollständig und auf beiden Seiten
gleiohmässig degenerirt.
Klinisoh handelte es sioh in diesem Fall um eine spastische Paraplegie mit
Blasen- und Mastdarminoontinenz. Die Sensibilität war zunächst verschwunden,
wurde aber später wieder vollständig normal. Dieser Fall bildet somit einen
eclatanten Beweis für die Meinung Vulpian’s, der behauptete, dass selbst bei
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vollständigem Fehlen von Nervenfasern eine dünne Säule von grauer Substanz
vollständig ausreichend ist, um alle Arten der Sensibilität vollkommen zu leiten.
Im zweiten Falle war die Geschwulst haselnussgruss und sass im mittleren
Theile dee Brustmarks, ohne jedoch mit demselben verwachsen zu sein. Die Ge¬
schwulst sass am hinteren Theile des Rückenmarks und übte auf die beiden
Hälften desselben einen ungleichmässigen Druck aus. Besonders gedrückt war die
linke Hälfte, die bis auf ein 1 bis 2 mm dickes Bändeben reducirt war. Auch die Wurzeln
dee 6. linken Dorsalnervs waren stark comprimirt. Die rechte, nach aussen gedrängte
Hälfte des Rückenmarks war weniger comprimirt und hatte etwa die doppelte
Dicke der linken Hälfte. Auch die Wurzeln auf dieser Seite waren viel weniger
comprimirt. Ein Schnitt auf der Höhe der maximalen Compression zeigte voll¬
ständigen Schwund aller markhaltigen Fasern im Räokenmarke und in den
Wurzeln auf der linken Hälfte. Auf der rechten Hälfte waren einzig in den
Wurzeln die markhaltigen Fasern erhalten. Am Anfänge und am Ende der
Compression waren markhaltige Fasern vorhanden, und zwar an der vorderen
Commissur dicht am Vorderhorn. Auf Durchschnitten des Brustmarks oberhalb
der Compression, sah man die Degeneration des Go 11’sehen Stranges bis zur
hinteren Commissur, sowie der inneren Hälfte des Burdach’sohen Stranges und
des directen cerebellaren Bündels. Auf Durchschnitten durch das cervicale Mark
sagten sich als degenerirt der Go 11’sehe Strang und das directe cerebellare
Bändel. Unterhalb der Geschwulst waren die gekreuzten Pyramidenstränge degene¬
rirt, und es bestand, was besonders charakteristisch ist, eine Asymmetrie dee Rücken-
narks in Folge einer Deformation des linken Vorderhorns, welches nach aussen
verlagert ist, und eine deutliche Verminderung des linken Vorderstranges im
Vergleiche zu dem der rechten Hälfte.
Klinisch hat der Fall mit lancinirenden Schmerzen in der linken unteren
Extremität bis zum Becken hinauf begonnen. Dann Schmerzen im rechten Bein,
he von oben zur Peripherie hinausstrahlten; später Paraplegie mit Schwund
■ler Patellarreflexe. Incontinentia urinae et alvi. Sensibilität erhalten, mit Aus-
iduue einer Stelle am rechten Fusse. In der Disoussion bemerkt Herr Dejerine:
Der letztmitgetheilte Fall vom Vortr. ist äusserst interessant. Bei solchen Fällen
taucht immer die Frage auf, wie es möglich sei, dass die Sensibilität erhalten
bläht trotz einer so kolossalen Reduction dee Rückenmarks. Herr Joffroy:
leb glaube bei dieser Gelegenheit an die Fälle von Charcot und seinem Assistenten
Xichaut erinnern zu dürfen. In der Dissertation dieses letzteren (Sur la mäuin-
fite et la myelite dans le mal vertebral. These de Paris. 1871) findet man auf
Säte 70 die oft citirte Krankengeschichte von einem Fall von Malum Pottii
ai t spastischer Paraplegie, der mit vollständiger Heilung endete. Der Kranke
giig später an Coxitis zu Grunde. Bei der Autopsie fand man das Rückenmark
*» der Stelle der Compression auf das Volumen eineB Federkiels reducirt. Bei
Durchschnitten zeigte sich das Rückenmark auf einer Hälfte fast vollständig zer¬
stört, und auf der anderen Hälfte sehr in Mitleidenschaft gezogen, was nichts¬
destoweniger keine Hinderung bildete zur vollständigen Wiederherstellung der
■otorischen und sensiblen Funotionen dee Rückenmarks. Charcot ist in seinen
Vorlesungen oft auf diesen Punkt zurückgekommen, dass die Integrität der
Functionen möglich ist, trotzdem das Rückenmark durch irgend eine Laesion fast
vollständig durchschnitten ist. loh selbst habe vor Jahren einen hübschen Fall
tou Psammom beobachtet, der das Rückenmark in seinen hinteren Theilen stark
eomprimirte. In meinem Fall wie in dem vom Vortr. waren die klinischen Symp¬
tome dm- Art, dass man an Tabes dorsalis denken konnte.
Herr Souques: Combinlrte Paralyse des Serratas antious und des
Kapillaren Th eiles des Trapezhu. Es handelt sich um eine 20 jährige kräftige
Xsgd, die beim Hinaufgehen einer Treppe ausrutschte und, um nicht herunterzu-
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fallen, sich krampfhaft mit der rechten Hand am Geländer anklammerte, wobei
der rechte Arm das Gewicht des ganzen Körpeis zu tragen hatte und dabei ge¬
zerrt wurde. ' Die Kranke verspürte Schmerzen im rechten Schulterblatt und
konnte den Arm nicht höher als horizontal heben. Bei der Untersuchung
fand man Folgendes: Bei herabhängendem Arm ist das rechte Schulterblatt
in toto etwas gehoben, der untere Winkel desselben steht vor und ist der Wirbel¬
säule genähert. Die rechte Schulter scheint jedoch nicht tiefer zu stehen. Bei
horizontal ausgestrecktem Arm kommt das Schulterblatt so hoch zu liegen,
dass der obere innere Winkel desselben über der Fossa supraclavicularis er¬
scheint. Der untere Winkel und der innere Band des Schulterblattes stehen so
weit vom Körper ab, dass dazwischen sich eine 4 cm weite Vertiefung bildet.
Ausserdem ist der innere Band der Scapula schief gelegen in der Bichtung nach
oben und aussen. Bei gekreuzten Armen ist das „Scapulum alatum“ weniger
ausgesprochen als in der vorhergehenden Stellung des Armes. Bei vertical
erhobenem Arm: Der Arm kann von der Patientin nicht höher als bis zur hori¬
zontalen Linie erhoben werden. Die supra- und infraspinalen Muskeln sind dabei
hart, gewölbt und sehr vorspringend. Deformation der Achselhöhle und
des Thorax. Bei gekreuzten oder horizontal nach vorne ausgestreckten Armen
bemerkt man, dass die hintere und innere Wand der Achselhöhle sich in der¬
selben Fläche befinden. An der lateralen Wand des Brustkorbes auf der Höhe
der Brust sieht man nach aussen convexe Wölbung. Die Thoraxwand, von hinten
gesehen, ist am oberen Theile rechts schmäler als links. Von vorne gesehen
scheint dieselbe im Gegentheil breiter als links. Letztere Deformation kommt viel
mehr zum Vorschein, wenn die Arme horizontal nach vorne ausgestreckt sind.
Die Kranke kann leicht beide Schultern nach vorne bewegen, dabei ver¬
schwindet jede Spur von Deformation; ebenso kann sie die Schultern unbehindert
nach hinten und nach oben bringen. Bei der fara di sehen Untersuchung zeigte
sich die Erregbarkeit des M. serratus anticus herabgesetzt. Die directe galva¬
nische Erregbarkeit war ebenfalls vermindert, daher ist qualitativ die Ent-
artungsreaction nicht auszulösen. Im unteren und mittleren Theil der M. trape-
zius ist die faradische und galvanische Erregbarkeit einfach herabgesetzt ohne
qualitative Modificationen der elektrischen Beaction. Alle anderen Muskeln in
der afficirten Gegend scheinen normal zu sein.
Vortr. schliesst, dass es sich in seinem Falle um eine combinirte Paralyse
des Serratus anticus und des scapularen Theiles des M. trapezius handelt, da
diese Muskeln physiologisch in engem Zusammenhang stehen und synergisch func-
tioniren. Vortr. hat schon früher gemeinschaftlich mit Herrn P. Duval auf die
combinirte Paralyse dieser Muskelgruppe aufmerksam gemacht (Nouvelle Icono-
graphie de la Salpetrige. 1898). B. HirBchberg (Paris).
IV. Personalien.
Herr Prof. Wollenberg (Hamburg) hat einen Ruf als Nachfolger von Prof. Siemer-
ling in Tübingen erhalten und angenommen. Als II. und III. waren vorgeschlagen Prof.
Hoche (Strassburg) und Prof. Cramer (Göttingen).
Von unseren verehrten Mitarbeitern hat sich Herr Dr. Bikeles an der Universität
Lemberg als Privatdocenl habilitirt; Herr Dr. Passow hat die Leitung des von ihm er¬
worbenen Sanatorium Freyhurg für Nervenkranke, Alkoholisten, Morphinisten und Erholungs¬
bedürftige in Meiningen (Thüringen) übernommen. .
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
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Nr. 2.
j
3
Inhalt I. Origlnalmittheilungen. 1. Giebt es centrifugale Bahnen aus dem Sehhügel
m Rückenmark? Von Adolf Wellenberg in Danzig. 2. Zur Kenntnis* des Geruchsorganes
Mi menschlicher Hemicephalie, von Dr. L v. Muralt, Privatdocent 3. Zum Ursprung des
‘ dnse-medialen Sacralfelaes, von Priv-Doc. Dr. 6 . Bikeles. 4. Die Untersuchung der tro¬
pischen Störungen bei Tabes und Syringomyelie mit Röntgenlicht Nebst kritischen Be¬
in zu NalbandofTa Aufsatz: Zur Symptomatologie der trophischen Störungen bei
yelie (Osteomalacie), von Dr. R. Kienböck.
i. Referate. Anatomie. 1. Premier döveloppement de l’encöphale et de l’oeil des
es, par Raband. 2. Beitrag zur Kenntniss der markhaltigen Nervenfasern, von Salt. —
rimenteile Physiologie. 3. Leitfaden der physiologischen Psychologie in 15 Vor-
von Ziehen. — Pathologische Anatomie. 4. Einseitige ZeUverändernng im
» bei Phlegmone am Unterarm, nebst weiteren Bemerkungen über die Pathologie
fiangbenzelle (Einfluss des Fiebers u. s. w.), von Meyer. 5. De la dögönöration dite
proteiqne de la fibre mnsculaire striöe. Tumefaction et dösintögration granu¬
lär Dorante. — Pathologie des Nervensystems. 6. Zwei Fälle von poet¬
ischer Demenz, von Krause. 7. Intracranial gumma in tbe frontal region. Clinical
delivered in tbe German Univeraity at Prague, by Pick. 8. Zur Prognose und Therapie
Hirasyphilis, von v. Hösslin. 9. Tbe pathological Undings in a case of general cutaneus
•msory anaesthesia withont paychical complication, by Bertley. 10. Beiträge znr Patho-
Gehirn- und Rückenmarzssyphilis, von Struppler. 11. Ueber Syphilis des Central¬
ems mit centraler Gliose nnd Höhlenbildung im Rückenmark, von Nebelthau.
r ilis mednllaire pröeoce avec syndröme de Brown-Sequard, par Brousse et Ardin-Delteil.
Lehre von der spastischen nnd insbesondere von der syphilitischen Spinalparalyse,
Fitsdmann. 14. Ein Fall von Myelomeningitis lnetica. Ein Beitrag znr Kenntniss der
■fitätsleitong im Rückenmark, von Karplus. 15. Meningo-myelite syphilitique avec
d’Argyll-Robertson, par Cestan. 16. The diagnosis of nervous Syphilis, by Burr. 17. La
’ ite syphilitique, par Cestan. 18. Sur les maladies de la moölle öpinilre cbez les
dös et les enfants ä la mamelle bdredo-syphilitiqnes, par de Pöters. 19. Syphilis and
utakrankheiten, von Jolly. 20. Ueber gonorrhoische Nervenerkrankungen, von Eulenburg. —
yehlatrie. 21. Ueber Psychologie der individuellen Differenzen. Ideeen zu einer „difle-
Öen Psychologie", von Stern. 22. Ueber Entartung, von Möbius. 23. Experimental
of ohildren, including anthropometrical and psycho-physical measnrements of Washington
chfldren, and a bibliography, by Donald. 24. Homosexualität, von Kautzner. 25. L’in-
m dane les maladies mentales. Etüde clinique et experimentale, par Libertini. 26. Le
da foudre, symptöme, par FM. 27. Beitrag zur psychologischen Genese sexueller
■taititen, von Zingerle. 28. Le sadisme anx conrses de tanreanx, par Fdrd. 29. Beitrag
im im Kindesalter auftretenden Seelenstörungen, von Gumpertz. 30. Das Jngendirresein
—rtia praecox), von Trömner. 31. Folie dadolescence, par Bourneville et Bellin. —
pie. 32. Die Aufgaben des Arztes bei der Einweisung Geisteskranker in die Irren-
veo Koche. 33. Die Fürsorge für geistig zurückgebliebene Kinder, ein Reisebericht
34. 26. Jahresbericht deB Brandenburgischen Hülfsvereins für Geisteskranke für
r 1900/1901, von Zinn und Riebeth. 35. Jahresbericht der Provinzial-Heil-
4
•WH
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50
and Pflegeanstalt für Geistesschwache za L&ngeuhagen bei Hannover vom 1. April 1899 bis
31. März 1900, von VQIker.
III. Bibliographie. 1. Sämiologie da Systeme nerveax, par Dejerine. 2. Die Hülfsschnlrn
für schwachbefähigte Kinder, ihre ärztliche and sociale Bedentnng von Laquer.
IV. Ans den Getellschaften. Psychiatrischer Verein zu Berlin. — Aerztlicher Verein zu
Hamborg. — Socidtä de neurologie de Paris.
V. Vermischtei. Jahresversammlang des Vereins der deutschen Irrenärzte.
VI. Berichtigung.
I. Orginalmittheilungen.
1. Giebt es centrifugale Bahnen aus dem Sehhügel zum
Rückenmark?
Von Adolf Wallenberg in Danzig.
Im Hefte 3, Bd. XXXIII, des Archivs für Psychiatrie hat M. Pbobst soebeu
eine bedeutsame Arbeit über „physiologische, anatomische und pathologisch¬
anatomische Untersuchungen des Sehhügels“ veröffentlicht, in der er u. a. zu
dem Ergebni8s gelangt, dass caudal verlaufende Thalamusfasern nicht über
das Mittelhirn, bezw. die proximale Brückengrenze hinaus peripheriewärts zu
verfolgen sind. Da ich im Verlaufe eigener Mabcjhi- Untersuchungen am
Thalamus der Katze, mit denen ich gegenwärtig noch beschäftigt bin, bezüglich
der centrifugalen Sehhügelverbindungen zum Theil andere Resultate als Pbobst
erhalten habe, so erlaube ich mir im Folgenden ganz kurz zwei Bahnen zu be¬
schreiben, welche ich nach sagittalen Durchschneidungen des Sehhügels vom
Munde her caudalwärts bis zum Rückenmark mit der MABcm-Methode verfolgen
konnte. Die Verletzung traf das Chiasma nahe der Mittellinie, die Kreuzungen
dorsal vom Chiasma, das Grau des Tuber cinerei, die Wandung des 3. Ven¬
trikels, die Commissura mollis, einmal auch medialste Theile des medialen
Kernes, ferner das Dach des 3. Ventrikels mit der Commissura habenularis,
einmal auch die proximalsten Fasern der Commissura posterior ventralis, end¬
lich das gleichseitige Ganglion babenulae und die Taenia thalami. Da der
Schnitt von der Basis des Gehirns aus in dorsaler und caudaier Richtung ge¬
führt wurde, blieben die ventralen Theile der spinalen Sehhügelhälfte relativ
verschont, während umgekehrt die dorsalen Gebiete nahe der Mittellinie und
frontal von der Mittelhirngrenze durchtrennt wurden. Bei Pbobst verhielten
sich die geschilderten Verletzungen, abgesehen von ihrer lateralen Lage, gerade
umgekehrt. Die Mitverletzungen schwankten naturgemäss bei den einzelnen
Versuchstieren: Columna fornicis, Commissura anterior, MEYNBBT’sches Bündel,
medialste Theile des Nucleus anterior thalami und Nucleus medialis, die Regio
praechiasmatica, Haubenstrahlung und unterer Thalamusstiel (1 Mal), vielleicht
auch Fasern aus der Himschenkelschlinge. Stets ausserhalb der Läsion blieben
Hirnschenkelfuss, innere Kapsel, Corpus Luys, ventro-laterale Kernmasse des
Google
51
Thalamus. Bei 2 Katzen drang der Schnitt noch in das Mittelhirn hinein,
diese bleiben natürlich bei der Entscheidung der Frage nach caudalen Sehhügel-
verbindungen unberücksichtigt, soweit sie nicht zur Controle anderer Befunde
herbeigezogen werden können. Von den secundären Degenerationen, welche
nach den geschilderten Verletzungen auftraten, beschreibe ich an dieser Stelle
nur die folgenden zwei:
1. Der Commissura habenularis lateral und ventral anliegende Theile des
spinalen Thalamusgebiets entsenden mächtige Sagittalfasern in caudaler Richtung,
welche am frontalen Ende des Mittelhirns in die quere Richtung umbiegen,
radiär zur Grenze des centralen Höhlengrau zusammenstrahlen, unter Abgabe
von Fasern in das hintere Längsbündel und die Oculomotoriuskerne ventral von
den letzteren kreuzen und in ihrem weiteren Verlauf bis in den Vorderstrang
nnd das Vorderhorn des Rückenmarkes sich genau ebenso verhalten, wie die
Vierhügel vorderstrangfasern aus der MBYNERT’schen Haubenkreuzung: Thajamus-
ursprung des tiefen Markes zum Vorderstrang oder Sehhügelvorderstrangbahu
(ganz in Uebereinstimmung mit Boyce und Bechtebew).
2. Dorsal vom Corpus mamillare und frontal vom rothen Haubenkerne
kreuzen einzelne mittelstarke Querfasern, die sich noch innerhalb des Mittelhirns
dem MoNAKOw’schen Bündel aus der FoaEi/schen ventralen Haubeukreuzung
anschliessen und mit diesem in den Seitenstrang des Rückenmarkes gelangen:
Thalamusursprung des MoNAKOw’schen Bündels oder Sehhügelseitenstrangbahn
(ebenfalls conform mit den Befunden von Boyce und Bechtebew).
Die Untersuchungen über eine Verbindung des Thalamus und des Mittel¬
hirns mit dem Hirnschenkelfuss sind noch nicht so weit abgeschlossen, dass
sie an dieser Stelle Platz finden könnten.
[Aus dem Laboratorium der Universitäts-Irrenklinik Burghölzli-Zürich.]
(Prof. Dr. Bleuler.)
2. Zur Kenntnis« des Geruchsorganes bei menschlicher
Hemicephalie.
Von Dr. L. ▼. Muralt, Privatdocent.
In den letzten Jahren ist dem Centralnervensystem der Missbildungen von
verschiedenen Seiten erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt worden, und speciell
über die Gehirnrudimente, die Medulla oblongata und das Rückenmark von
Hemioephalen und Anencephalen liegen verschiedene gründliche Unter¬
suchungen vor.
Nicht weniger interessant ist das Verhalten der Sinnesorgane bei dieseu
Missbildungen, namentlich dann, wenn der dem Sinnesorgane entsprechende
Hirntheil, die primäre Endstätte, nicht zur Ausbildung gelangt oder frühzeitig
dem die Entwickelung störenden Einfluss zum Opfer gefallen ist. Für die
4*
iqitized bv
Google
52
Retina haben Manz 1 , de Wahl 8 und Hegleb 8 gezeigt, dass dieses Organ stets
im Ganzen wohlgebildet ist, dass aber die Schichten* der Ganglienzellen und der
Nervenfasern fehlen. Das innere Ohr einer anencephalischen Missgeburt wurde
zuerst von Vebaguth 4 untersucht und dabei constatirt, dass sich vom epithelialen
Antheil der häutigen Schnecke nur das entwickelt hat, was mit dem Nerven
selbst später nicht in Verbindung gekommen wäre. An Stelle der HsNSEN’schen,
DEiTBBs’schen und äusseren und inneren Haarzellen fand Vebaguth nur embryo¬
nale, rundliche Epithelzellen.
Das Verhalten der Riechschleimhaut beim Fehlen des Riechhirns ist meines
Wissens noch nie Gegenstand der Untersuchung gewesen. Ich wandte daher
diesem Organ in einem Falle von Hemioephalie 6 meine Aufmerksamkeit zu.
Es handelte sich um eine aasgetragene männliche Frucht, welche 2 Tage
lang lebte, während dieser Zeit kräftig schrie, schluckte und normale Muskel-
ßiechschleimhaut eines Hemicepbalus. Ger. bei Oc. I. Immers. */,, Leitz.
a Cuticularschicht, b Zone der ovalen, c Zone der runden Kerne.
bewegungen und Reflexe zeigte. Der Gesichtstheil des Schädels, speciell auch
die Nase, war wohlgebildet. An der rudimentären Oblongata waren alle Nerven¬
paare bis zum Trigeminus mit den zugehörigen Kernen aufzufinden. Vom
Trochlearis konnten nur noch die Kerne, vom Oculomotorius auch diese nicht
mehr gefunden werden. An Stelle des Grosshirns, des Mittelhirns und des
vorderen Abschnittes des Zwischenhirns fanden sich cystische Räume und
Blutungen, umgeben von Bindegewebe und Nestern von gliösem Stroma, in
welchem Neuroblasten und indifferente Zellen haufenweise gelagert waren. Jede
Andeutung von Bulbus und Tractus olfactorius, Ammonshom u. s. w. fehlten total.
In der Regio olfactoria der Nase wurde dennoch eine Schleimhaut gefunden,
die im Bau der Riechschleimhaut des gleichaltrigen normalen Menschen entspricht.
1 Manz, Das Auge von hirnlosen Missgebarten. Vibchow’s Archiv. Bd. LI.
* de Wahl, De retinae textura in monstro aneDcephalico. 1859. Dorpat. Dias.
8 J. Hegler, Das Ange bei Anencephalie. 1893. Würzburg. Dissert.
* O. Vebaguth, Ueber das innere Ohr bei Anencephalie. Neurolog. Centralbl. 1898.
6 Eine vollständige Bearbeitung dieses Falles erscheint später im Archiv f. Psych.
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53
Die Flächenausdehnung derselben erschien etwas redncirt Die beigegebene
Fignr veranschaulicht ein Stück dieser Riechschleimhaut
An Stelle des Cuticularsaumes sieht man einen hellen, scholligen Rand,
dessen hie und da hervortretende senkrechte Streifung wohl deutlich anzeigt,
dass hier die Structur nur durch Maoeration etwas verwischt ist. Sehr klar ist
die Zone der ovalen Kerne, die etwas plumper, breiter und kürzer sind, als beim
Vergleichsobject Die Zone der runden Kerne zeigt dagegen weder bezüglich
ihrer Dicke noch bezüglich des Verhaltens der Kerne eine Abweichung. Gegen
das Bindegewebe hin ist sie durch eine Schicht mehr ovaler, liegender Kerne
abgeschlossen. In der Tunica propria konnten keine Nervenfasern zur Anschauung
gebracht werden.
Nach His entsteht der Riechlappen in der 5. Woche als Ausstülpung am
Boden und am Vorderende jedes Hemisphärenbläschens. Die Missbildung muss
vor dieser Zeit zu Stande gekommen sein, da jede Anlage des Riechlappens
fehlt Es ist nun wichtig zu constatiren, dass sich trotzdem in der Regio olfao-
toria der Nase schöne Riechschleimhaut entwickelt hat, die abgesehen von etwas
plumperer Form der äusseren, ovalkernigen Zellen ganz mit der normalen Riech¬
schleimhaut übereinstimmt Es ist dies ein schönes Beispiel dafür, dass die
Sinnesorgane der Haut in ihrer Entwickelung in hohem Grade von
der Entwickelung der zugehörigen nervösen Anlage unabhängig
sind. Für das Geruchsorgan gilt dieses Prineip offenbar in höherem Maasse,
als für das Gehörorgan, für die so äusserst oomplicirte häutige Schnecke.
[Aus dem patholog.-anat. Institut des Prof. Ob&zut in Lemberg.]
3. Zum Ursprung des dorso-medialen Sacralfeldes.
Von Priv.-Doc. Dr. Q. Bikeles.
Die Frage, woher die im unteren Rückenmarksabsohnitte entlang dem
hinteren Septum verlaufenden, absteigend degenerirenden Fasern stammen, ob
dieselben nämlich endo- oder exogenen Ursprunges seien, ist bis jetzt noch
nicht endgültig entschieden. Die Mehrzahl der Autoren neigt zwar eher zur
Annahme, dass die Fasern des in Rede stehenden Gebietes aus Zellen der
grauen Substanz entspringen, doch fehlt es auch nicht an entgegengesetzten An¬
sichten, denen zu Folge dieses Gebiet aus den absteigenden Aesten der hinteren
Wanein sich zusammensetzen soll. Angesichts dessen ist jeder weitere Beitrag
zur Lösung dieser Frage von Interesse.
Für den endogenen Ursprung des dorsomedialen Sacralfeldes dürfte schon
die Thatsache sprechen, dass dieses Gebiet ebenso wie das ventrale Hinterstrangs¬
feld bei Tabes erhalten, bei progressiver Paralyse dagegen häufig schon früh¬
zeitig degenerirt gefunden wird. 1 Auch wurde bereits auf die Prädilection des
1 P. Maris, Gazette des höpitaux. 1894.
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54
Degenerationsprocesses in diesem Felde bei Pellagra 1 und Syringomyelie* hin-
gewiesen. Pineles 3 legt mit Recht grosses Gewicht darauf, dass „das Verhalten
des Feldes unabhängig von der Intensität des Krankheitsprocesses im oberen
Lenden- und Brustmark ist. So erschien dasselbe in dem Falle von Sacraltabes,
wo vom mittleren Lumbalmark bis zum 9. Brustnerven die hinteren Wurzeln
unversehrt geblieben waren, ebenso faserreich als in dem Falle, in welchem
Zeichen local tabischer Degeneration durch das ganze Lenden- und untere
Brustmark nachgewiesen werden konnten.“
Ich hatte nun Gelegenheit, einen Fall von Tabes dorsalis anatomisch zu
untersuchen, in welchem die local-tabischen Degenerationen ungewönlieh excessiv
das gane Sacral-Lumbal-Brustmark und ausserdem noch die oberen
hinteren Wurzeln des Halsmarkes, vom 5. Nervenpaare aufwärts, betrafen.
Es erscheinen in diesem Falle bei Färbung nach Weigebt-Pal bloss die
Wurzeleintrittszonen im unteren Halsmark ziemlich gut tingirt, auch sieht man
in dieser Höhe mächtige Bogenbündel aus dem Hinterstrang in das Hinterhorn
einstrahlen. Dagegen sind die Wurzeleintrittszonen des Saoral- und Lumbal¬
markes durchgehends gänzlich degenerirt, im Brustmark sind dieselben entweder
ebenfalls complett degenerirt oder dieselben zeigen eine ganz minimale Spur
einer Färbung. Vom Sacralmark bis in die Höhe des Halsmarkes fehlen
überall die Bogenbündel des Hinterhornes. Nichtsdestoweniger ist das
mediane Feld im ganzen Sacralmark gerade so gut gefärbt, wie in einem ganz
normalen Rückenmarke. Daraus folgt in Uebereinstimmung mit den An¬
schauungen von Gombault und Philippe 4 , dass dieses Gebiet ebenso wie
das ventrale Hinterstrangsfeld bei weitem überwiegend endogenen
Ursprunges ist.
Was den im Lendenmark sich befindenden Abschnitt des medianen Feldes
anbetrifft, so erscheint derselbe gut tingirt in Form eines ovalen Feldes erst
im untersten Lendenmark, während höher oben in dieser Gegend die zer¬
streuten Nervenfasern nicht wesentlich zahlreicher sind, als in anderen Partieen
des Hinterstranges. Es entsteht daher die Frage, ob man nicht wenigstens für
den obersten Theil des medianen Feldes, welcher in der Regel schon im mittleren
Lendenmark deutlich entwickelt ist, einen Ursprung aus absteigenden Aesten
hinterer Wurzeln annehmen dürfte. Mit einer solchen Annahme würde sich
nämlich leicht erklären lassen, weshalb in unserem Falle von ausgedehnter
Degeneration der hinteren Wurzeln des Brustmarkes das mediane Feld erst
unmittelbar über dem Sacralmark als gut erhalten uns entgegentritt. Doch
scheint mir eine solche Schlussfolgerung nicht berechtigt und ist es für mich
wahrscheinlicher, dass die Höhe, in welcher die über den Querschnitt des Hinter¬
stranges zerstreuten, absteigend verlaufenden Fasern sich zu einem compacten
1 Tüczek, Archiv f. Psych. XIII.
* Schlebingrb, Arbeiten ans dem InBtitut des Prof. Obbbsteinkb. H. 8.
3 Pineles, Die Veränderungen des Sacral* und Lendenmarkes bei' Tabes. Arbeiten aus
dem Institut des Prof. Obbbstbineb. H. 4.
4 Progrös mddical. 1894.
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, y Google
55
Bündel sammeln, individuellen Unterschieden unterliegen kann. Auf das Vor¬
handensein gewisser Differenzen in dieser Bahn weist schon Pineles 1 hin und
als ich Gelegenheit hatte, dieses Feld in einem Fall von acuter Myelitis mittelst
MABCHi-Färbung zu untersuchen, konnte ich mich überzeugen, dass auch in
der Art der Formirung des medianen Feldes Verschiedenheiten bestehen, da ich
nichts von einem Fortrücken degenerirter Fasern 1 längs der hinteren Peripherie
in diesem Falle wahrnehmen konnte. Sehr beweisend für unsere Auffassung
ist der Befund von L. R. Mülleb 8 im Falle Holleb , 4 bei welchem nach voll¬
ständigem Zerfall des 10. Dorsalsegmentes durch einen myelitischen Herd nach
Mabchi kein Ausfall des ovalen Feldes im Lendenmark constatirt werden
konnte und zeigte ach eine stärkere Degeneration am hinteren Septum erst im
Sacralmark.
4. Die Untersuchung der trophischen Störungen bei Tabes
und Syringomyelie mit Röntgenlicht.
Nebst kritischen Bemerkungen zu NalbandofTs Aufsatz:
Zur Symptomatologie der trophischen Störungen bei Syringomyelie
(Osteomalacie). 8
Von Dr. B. Kienböck,
H&lfsant am Kaiser Franz Joseph-Ambulatorium in Wien.
(Abtheilang Docent Hebmann Schlesinger.)
Die Schlüsse, die Nalbandoff aus der Röntgenuntersuchung einer phleg¬
monösen, mit Ostitis einhergehenden Entzündung eines Fingers bei Syringomyelie
zog, fordern durch ihre Unrichtigkeit zu einer sachgemässen Besprechung des
Gegenstandes auf, da in Anbetracht der fehlenden radiologischen Erfahrungen bei
den meisten Neurologen die Gefahr besteht, dass nun nach Nalbandoff’s Vor¬
schlag wirklich die Entkalkung von Knochen bei Entzündungsprocessen als ein
neues Symptom der Syringomyelie in die Lehre von der Symptomatologie dieser
Krankheit Eingang finde.
Ich habe eine beträchtliche Anzahl von Fällen mit Tabes und Syringomyelie an
der HL medicinischen Klinik und im Kaiser Franz Joseph Ambula¬
torium in Wien gemeinsam mit Herrn Docenten Schlesinoeb beobachtet,
dabei auf Skelettveränderongen systematisch mit Röntgenstrahlen untersucht und
mich andererseits seit Jahren eingehend mit Radiographie beschäftigt, bin daher
in der Lage, mehrere uns hier interessirende Fragen zu beantworten.
> L. c.
* VergL Hochb, Ueber den Verlauf des ovalen Hinteratrangfeldes. Nenrolog. Central¬
blatt 1896.
* Untersuchungen über Anatomie and Pathologie des untersten R&okenmarksabschnittes.
Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1899.
4 8. 59.
* Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk. 1900. XVIL S. 468.
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56
Sowie die klinische und die anatomische Untersuchung von typischen
Arthropathieen ohne accidentellen eitrigen Entzündungsprocess (bei
Tabes bekanntlich häufiger an den unteren, bei Syringomyelie an den oberen
Extremitäten) oft hochgradige charakteristische Veränderungen des ganzen Ge¬
lenksapparates mit destructiven und hypertrophischen, im ganzen ungemein
deformirenden Processen der Knochen, Knorpel, Kapsel, Bänder und Sehnen-
insertionen erkennen lässt, ist dementsprechend auch das Röntgenbild der er¬
krankten Gelenke ein charakteristisches; insbesondere veranschaulicht dasselbe
vortrefflich die Anwesenheit von Deformationsluxation und Fractur, von Form-
veranderungen der Gelenksenden (Abschleifung und Wucherungen), von Ver¬
knöcherungen in dem Bandapparate, in den Sehnen und Muskeln um das
Gelenk, und zeigt endlich die Strukturveränderungen (Eburnation, Rarefication
und Umlagerung der Knochenbälkchen).
Wir verfügen speciell über eine Sammlung solcher Radiogramme, aus denen
sich meist die neuropathische Natur der Gelenksaffection direct diagnosticiren
lässt. Dies ist für jene Fälle besonders wichtig, wo die klinische Untersuchung
keinen sicheren Aufschluss über die Gelenkserkrankung ergeben hat. So kamen
zwei circa 30jährige Frauen zur Untersuchung, hei denen die Affection eines
Hüftgelenkes die Vermuthung auf Fractur, Luxation, Arthritis u. dergl. erweckt
hatte, in einem der Fälle waren bei interner Palpation Knochenvorsprünge an
der gleichseitigen Linea innominata gefunden worden. Die Röntgenuntersuchung
ergab beide Male das Vorhandensein einer Arthropathie, wie sie für die neuro¬
pathische Erkrankung charakteristisch ist: Erweiterung der Pfanne, Abschleifung
des Kopfes, Auftreibung des Schenkelhalses, verstreute Knochenkerne in der Um¬
gebung und das Fehlen von Zeichen für etwa tuberculöse Coxitis. So ermöglichte
es das Radiogramm, die wegen spärlicher anderweitiger Symptome — auf welche
sich nun erst die Aufmerksamkeit lenkte — unsichere Diagnose Tabes zu festigen.
Bei einem 49jähr. Tischler, der seit 3 Jahren an lancinirenden Sohmerzen
in den Beinen litt, an welchen sich seither Genua vara entwickelten, — und
der von Stebnbebg in der Gesellschaft der Aerzte in Wien als Fall von Tabes
mit Pupillenstörungen, Thermhypästhesie an den Unterschenkeln und „Osteoarthro-
pathieen“ demonstrirt wurde 1 , liess die Röntgenuntersuchung erkennen, welche
pathologischen Veränderungen der Deformität zu Grunde lagen: an beiden Knieen
war der mediale Condylus der Tibia erweicht und unter dem Drucke des Condylus
medialis femoris wie zerquetscht und zerbröckelt, so dass an der Medialseite Aus¬
ladungen und abgesprengte Stücke der Tibia vorhanden waren; auch bestanden
anderweitige Veränderungen, namentlich Verknöcherungen von Bändern des
Gelenks.
Auch kam ein sehr schwerer Fall von Affection eines Hüftgelenks
und beider Kniegelenke bei Tabes zur Beobachtung, der dem von Wilms 2
abgebildeten Fall ganz ähnlich ist, und deshalb nicht näher mitgetheilt werden
muss. Unser 64jähriger Patient war bis dahin von mehreren Collegen wegen
„chronischem Gelenkrheumatismus“ behandelt worden, obwohl er reflectorische
Pupillenstarre, hochgradige Ataxie — namentlich an den Unterextremitäten —,
Verlust der Patellarreflexe und Romberg ’sches Phänomen zeigte; u. a. waren
ferner lancinirende Schmerzen vorhanden. Wegen bedeutend entwickelten Panni-
culus des Individuums war die Bewegungsbehinderung, abnorme Stellung und
1 Wiener klin. Wochenschr. 1900. S. 1190.
* Fortschritte a. d. Geb. d. Röntgenatrahlen. 1899. III. S. 89.
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57
Schmerzhaftigkeit im linken Hüftgelenk auf Grund des Ergebnisses der Palpation
nicht genau zu erklären. Auf dem Radiogramm zeigte sich, dass die Gegend des
ganzen oberen Femurendes von umfangreichen, unregelmässigen, sehr dunkel er¬
scheinenden Knochen Wucherungen eingenommen war; der Femurschaft war luxirt
and der abgebrochene Schenkelkopf nach unten von der deformirten Pfanne ge¬
wandert und mit den paraarticulären Wucherungen verbacken.
Aach was die eitrigen Entzündungen und Geschwürsbildungen
betrifft, die bei Tabes häufig an den Füssen und bei Syringomyelie so oft
an den Händen als Complication Vorkommen und bei letzterem Leiden in
Folge ihrer Schmerzlosigkeit meist vernachlässigt werden, lange andauern und
zu tiefgreifenden Zerstörungen führen, haben unsere Röntgenuntersuchungen die
erwarteten Veränderungen der Knochen im Detail genauer aufgedeckt.
Ausser zahlreichen Fällen mit Panaritien kam ein schwerer Fall von
„trophischen“ Störungen bei Syringomyelie in unsere Beobachtung, der
ein Seitenstück zu einem von Sawostjanoff röntgenisirten und von Nalbandoff
mitgetheilten darstellt: es war in ihrem Falle zu einer tiefgreifenden,
seqaestirenden phlegmonösen Entzündung an der Hand, insbesondere
Handwurzel gekommen, dabei war aber von einem Schwunde der KalkBalze
aus dem erkrankten Knochen nichts zu finden — vielmehr waren nur durch
reactive Entzündung entstandene, umfangreiche, missgestaltete Knochen¬
wucherungen an Stelle des normalen Skeletts getreten, obwohl der Entzündungs-
procese noch florirte; auch an den basalen Theilen der Metacarpalknochen war
keine Entkalkung eingetreten. Diese Veränderungen wurden auch anatomisch au
dem amputirten Gliede constatirt. In unserem Falle konnten dieselben Ver¬
änderungen, namentlich das Vorhandensein von Hyperostose, in der Gegend der
destruirten Handwurzelknochen- und Vorderarmknochenepiphysen und das Fehlen
von Rarefication au den Metacarpalknochen, auf Grund der klinischen und der
Röntgenuntersuchung erschlossen werden; es bestand dabei Deformationsluxation
der Hand auf die Beugeseite des Vorderarms.
Aus einem 2. Falle aber, und aus einer mündlichen Mittheilung Sabasch-
nixoff’s, dass in seiner Sammlung von Röntgenbildern chronisch phlegmonöser
Entzündungen an sonst gesunden Individuen wohl Knochendefecte und Osteo¬
porose, nicht aber völlige Entkalkung von Röhrenknochen aufzufinden seien, zog
Nalbakdowf den oben genannten Schluss.
Der Fall, um den es sich bei Nalbandoff handelt und der in der genannten
Publication ausführlich beschrieben wird, betrifft einen Mann, der von Jugend
auf abnorm grosse Hände und Füsse hatte und seit 7—8 Jahren an MuBkel-
atrophieen, Paresen, Paraesthesien und Schultergelenksentzündung an der linken
Oberextremität litt und vor einem Jahre nach einer Verletzung eine schmerzlose
phlegmonöse Entzündung des linken Daumens acquirirt hatte. Die
Diagnose wurde wohl mit Recht auf Syringomyelie gestellt. Wir finden auch
in der Arbeit eine gute Photographie der Hände vor, wo die starke Anschwellung
des linken Daumens sichtbar ist, und zwei leider unscharfe Röntgenbilder der
linken Hand. Das erste dieser Bilder zeigt, wie die Schatten der beiden Phalangen
des Daumens fast unsichtbar geworden; das zweite Bild, 2 Monate später auf¬
genommen, lässt die Knochenschatten wieder deutlich, wenn auch in etwas ver¬
anstalteter Form erkennen.
Diesen Kalkschwund nun, auf den eine neuerliche Kalkablage-
rung folgt, bezeichnet Nalbandoff als Osteomalacie und Halisteresis
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und sieht darin eine durch die Syringomyelie verursachte Erschei¬
nung. An einer Stelle des Aufsatzes gibt er jedoch zu, dass ein Zusammenhang
der Entkalkung mit dem phlegmonösen, abscedirenden Entzündungsprocesse
bestehen könnte; dabei würde aber nach seiner Meinung die Entkalkung auf
Hyperämie beruhen, und diese letztere im erkrankten Rückenmark (Syringomyelie!)
reflectorisch ausgelöst sein. Unserer Ansicht nach ist diese Erklärung gezwungen;
es erscheint uns natürlicher, von einem Reflexvorgang überhaupt abzusehen und
die Entkalkung einfach aus dem schweren eitrigen Entzündungsprocesse zu
erklären. Gewiss aber ist zum Zustandekommen des Kalkschwundes keine
Rückenmarkserkrankung erforderlich, denn wir haben dieselbe passagere Er¬
scheinung bei ähnlichen aus Panaritien hervorgegangenen Entzündungsprocessen
an den Fingern bei sonst gesunden Individuen mittelst photographischer
Röntgenuntersuchung wiederholt beobachtet Allerdings war es bisher wenig
bekannt und kann auch erst durch Röntgenuntersuchungen häufiger gefunden
werden, dass bei Ostitis die Kalksalze aus dem Knochenknorpel vorübergehend
fast völlig schwinden können. Nalbandoff’s Behauptung, ein neues Symptom
der Syringomyelie entdeckt zu haben, beruht daher auf einem Irrthume.
Am Schlüsse seiner Betrachtungen spricht ferner Nalbandoff die Meinung
aus, dass die Spontanfracturen bei Tabes und Syringomyelie auf
Kalkarmuth der Knochen beruhen dürften. Auch dieser Erkärung
muss, soweit sie sich auf unsere radiographischen Untersuchungen
bezieht, nachdrücklich widersprochen werden. Unsere Röntgenunter¬
suchungen derartiger Fälle ergeben, dass bei jenen Individuen die Knochen des
ganzen Skeletts und speciell Diaphysen, welche von Spontanfractur befallen
worden sind, nach Intensität vollkommen normale Schatten geben, soweit sie
sonst (nämlich abgesehen vom Bruch) keine Formveränderung zeigen;
und abnorm dunkel oder hell sind für die Röntgendurchleuchtung nur die Gelenks¬
enden der Knochen, dort wo eine Arthropathie sitzt (wie z. B. an den medialen
Tibiaepiphysen des von Stebnbebg demonstrirten Tabikers, oder an dem Schenkel¬
hälse im Falle Wilms und in unserer analogen Beobachtung). Die Ursache
der abnormen Brüchigkeit der Röhrenknochen bei jenen spinalen Krankheiten
kann demnach eher in einer durch abnorme Lagerung der Knochenbälkchen
bedingten pathologischen Structur und in Veränderungen der organischen
Grundsubstanz gesucht werden.
In dieser und auch in anderer Hinsicht ist ein Fall interessant, den wir
kürzlich beobachteten. Ein ßOjähriger Patient hatte vor 6 Monaten beim Ab¬
springen aus einem Pferdebahnwagen eine schmerzlose Fractur des rechten
Humerus erlitten. Als der Arzt nach einigen Wochen den Verband abnahm,
prüfte er die Beweglichkeit im Schultergelenk und erzeugte ohne beträchtlichen
Kraftaufwand einen neuerlichen Bruch. Erst die Röntgenuntersuchung zeigte,
dass zwei Fracturen stattgefunden hatten, und zwar eine Schrägfractur des
Schaftes an der Grenze des mittleren und oberen Drittels und eine Querfractur
am chirurgischen Halse; beide waren in massiger Verschiebung unter Bildung
eines festen Gallus ausgeheilt. Wie der Patient im Gegensätze zu seinem Arzte
richtig vermuthet hatte, war also zur Zeit der Abnahme des Verbandes die erste
Fractur solid geheilt und wurde durch die passiven Bewegungen nicht wieder
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erzeugt, sondern es brach nun der Knochen an einer zweiten, höher oben gelegenen
Stelle. Es ist hervorzuheben, dass bei Entstehung dieser zweiten Fractur keine
Ataxie des Kranken mitgewirkt haben konnte, vielmehr gewiss ein abnorm
brüchiger Knochen vorlag. Und doch erschien derselbe an den betreffenden
Punkten im Röntgenbilde nicht transparenter als an anderen Stellen und als bei
gesunden Individuen überhaupt. Ausserdem fand sich bei der Röntgenunter¬
suchung noch ein zweiter unerwarteter Befund: die Knochen des rechten Ell¬
bogengelenks waren an ihrer Gelenkfiäche zum Theil destruirt und die Triceps-
sehne verknöchert. So erklärte sich die partielle Ankylose in dem Gelenk, die
früher lediglich als die Folge von längerer Ruhigstellung der Extremität im
Verbände angesehen worden war. Es handelte sich also um eine Arthropathie;
vielleicht hatte sie schon vor dem Trauma bestanden, vielleicht war sie aber
erst durch das Trauma veranlasst worden. Die Schmerzen bei den Verletzungen
waren auffallend gering und die Ursachen der Fracturen recht unbedeutend ge¬
wesen. In der That ergab auch die neurologische Untersuchung des Patienten,
dass wir es mit einem Falle von beginnender Tabes zu thun hatten. So waren
nun die merkwürdigen Umstände des Falles erklärt.
Behufs weiterer Vervollständigung des Themas möge noch darauf aufmerksam
gemacht werden, dass auch unsere Röntgenuntersuchungen von Skoliosen und
Thoraxdeformitäten bei Syringomyelie die erwarteten Veränderungen
des Skeletts gut zeigten. Die akromegalie-ähnlichen und tatzenartigen Ver-
grös8erungen von Händen und Füssen bei Syringomyelie beruhen endlich
wenigstens zum kleinen Theile auf Voluinszunahme mit Formveränderung der
Knochen, wie auch früher angenommen worden war; so fanden sich wiederholt
an den Phalangen Verdickungen und zarte periostale Auflagerungen, an Phalanx III.
vergrös8erte distale Tuberositäten — wohl als Folge von passiver Hyperämie,
ähnlich wie an Trommelschlägelfingern bei cardialer Cyanose.
Die genannten Veränderungen waren z. B. auf dem Radiogramm der Hände
eines 43jähr. Fleischergehülfen zu erkennen, der von Jugend auf kräftigen
Knochenwnchs und auffallend grosse Hände und Füsse hatte; seit einigen Monaten
litt er an Schwäche und Parästhesieen der Hände, an welchen das ungewöhnliche
Volumen und eine unter unseren Augen im Laufe einiger Monate zunehmende
Muskelatrophie mit bedeutender Verdickung der Weichtheile und Cyanose der
Haut zu beobachten war; auch partielle Empfindungslähmung und Pupillenstörungen
kamen hinzu, was die Diagnose Syringomyelie rechtfertigen dürfte.
Was also den Werth des Durchleuchtungsverfahrens betrifft, müssen
wir zwar leider sagen, dass bisher durch dasselbe für die Lehre von der Symptoma¬
tologie der genannten chronisch progressiven Rückenmarkserkrankungen, nach
unseren Erfahrungen und kritischen Prüfungen der literarischen Mittheilungen,
nichts wesentlich Neues gewonnen wurde. Dagegen war die Röntgenunter¬
suchung oft im einzelnen Falle sehr wichtig; besondere Beachtung verdient die
Thatsache, dass in der Praxis so manche zuerst unklare Fälle von Spontan-
fractur und Arthropathie erst durch Röntgenuntersuchung dem Neurologen und
mithin der richtigen Diagnose zugeführt werden.
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- 60 -
II. Referate.
Anatomie.
1) Premier döveloppement de l'enoöphale et de l’oeil des cyolopes, par
M. fit. Raband. (Comptes rendues de la Soc. de biologie. 1900. Jan.
Pari 8.)
Nach Beobachtungen an Hübner-Embryonen kommt Verf. zu der Ansicht,
dass es sich bei der Bildung der genannten Monstrosität nicht um eine Ent¬
wickelungshemmung, sondern um eine heterotope Difierenzirung des Nervensystems
handelt: das cyclopische Auge im engeren Sinne entsteht nicht aus einer Ver¬
schmelzung zweier ursprünglich getrennter Augen, sondern es bildet sich von
vom herein nur ein auf der ventralen Seite des Embryo gelegenes Auge.
H. Haenel (Dresden).
2) Beitrag zur Kenntniss der markhaltigen Nervenfasern, von G. Sala,
stud. med. an der K. Universität Pavia, unter Leitung des Prof. C. Golgi.
Anatomischer Anzeiger. 1900. Bd. XVIII. Nr. 2 u. 3.)
Verf. hat im Laboratorium des Prof. Golgi die feinere Structur der peri¬
pherischen Nervenfasern, besonders der Markscheiden untersucht. Er bediente
sich einer Imprägnationsmethode (Kaliumbichromat, Osmiumsäure, Platinchlorid
mit nachfolgender Uebertragung in Silbernitrat). Er konnte die von Golgi be¬
schriebenen trichterförmigen Stützapparate in der Markscheide in deutlicher Weise
zur Darstellung bringen und ein besonderes System von gewundenen, mannigfach
verschlungenen zarten Fäden in derselben nachweisen, welche zu den Trichtern
in Beziehung stehen. Die zarte Anordnung dieser Fäden und ihr regelmässiges
Vorhandensein sieht der Verf. als Beweis dafür an, dass es sich hier um prä-
formirte Gebilde und nicht um Kunstproducte handelt, was bei den Imprägnations-
methoden immer zu erwägen ist. M. Bielschowsky (Berlin).
Experimentelle Physiologie.
3) Leitfaden der physiologischen Psychologie in 16 Vorlesungen, von Prof.
Dr. Th. Ziehen in Jena. Fünfte, theilweise umgearbeitete Auflage. (Jena 1900.
Gustav Fischer.)
Verf s. Leitfaden der physiologischen Psychologie, der innerhalb weniger Jahre
nun schon in 5. Auflage erschienen ist, hat sich seit seiner Herausgabe im
October 1890 fast um ein Dritttheil seiner ursprünglichen Seitenzahl vermehrt,
theils in Folge Einschiebung eines neuen Capitels „Ueber den Gefühlston der
Vorstellungen und die Affecte“, theils durch Vervollständigung des über die
Gesichtsempfindungen Gesagten, theils durch Berücksichtigung mancher neueren
Litteratureracheinung. Eine vollständige Angabe aller Arbeiten, auf die sich der
Text stützt, war nicht beabsichtigt und würde auch den Rahmen eines Leitfadens
überschreiten. Das klar und durchsichtig geschriebene Buch hat in der Litteratur
eine sehr verschiedene Beurtheilung erfahren; während viele hervorragende Au¬
toren es enthusiastisch rühmen, lassen andere kein gutes Haar an ihm. Zu
letzteren gehören Curella und vor allem Wundt, der, wenn er auch den Verf.
nicht persönlich nennt, doch in seinem Grundriss der Physiologie an zahlreichen
Stellen harte Angriffe gegen diese „imaginäre hypothetische Gehirnphysiologie“
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richtet. Eine Mittelstellung wird derjenige einnehmen, der berücksichtigt, dass
Verf. einen „Leitfaden“ zu geben beabsichtigte, und dieser Führer in das Gebiet
der physiologischen Psychologie aas Vorlesungen entstanden ist, die an der
Universität Jena vor Studenten der verschiedensten Facultäten gehalten worden
sind. Dieser Umstand erklärt auch die bisweilen sich häufenden Wiederholungen
im Text, die vielfach dem Verf. vorgeworfene Neigung zum Schematisiren und
den bekrittelten Mangel an psychologischer Vertiefung. Verf. schreibt am Schluss
der 11. Vorlesung selbst, dasB er nur skizziren will, in welcher Richtung nach
seiner Ansicht die Lösung des Problems, wie die verschiedenen Formen des Denkens
auf die Ideenassociation und ihre Gesetze zurückzuführen sind, zu suchen sein dürfte.
Dass er sich der sogen. Associationspsychologie, die unsenn naturwissenschaftlich-
medicinischen Denken am meisten einleuchtet, eng anschliesst, kann man ihm
billigerweise ebensowenig Vorhalten wie überzeugten Gegnern dieser ihre beispiels¬
weise voluntaristisohe Richtung.
Verf. beansprucht übrigens durchaus nicht die Wahrheit für sich allein,
sondern spricht in seiner 10. Vorlesung ausdrücklich aus, dass Vieles in seiner
Darstellung hypothetisch, und sein Schema nicht das allein Mögliche, sondern das
Nächstliegende sei. Die von Anfang an supponirte Trennung der empfindenden
Elemente und derjenigen, welche der Erinnerung, der Vorstellung dienen, stellt
er als wahrscheinlich, aber als durchaus noch nicht bewiesen hin. Unsenn
physiologischen und pathologischen Wissen entspricht in der That am meisten
die Annahme, dass Empfindung und Vorstellung an verschiedenartige Rinden¬
elemente gebunden sind, was bei der Verschiedenheit der Rindenzellen in den
verschiedenen Regionen der Hirnrinde wohl biB auf Weiteres gerechtfertigt erscheint.
Auf eine Definition des Wesensunterschiedes zwischen Empfindung und Vorstellung
wird verzichtet, weil sich bislang eine solche nicht geben lässt, und wird nur
hervorgehoben, dass beides rein psychische Processe sind, die wir allerdings nach
gewissen Gesetzen ablaufen sehen.
Ueberhaupt berührt es im Gegensatz zur apodictischen Gewissheit andrer
solcher Bücher wohlthuend, wenn Verf. öfter ein ignoramus oder non liquet aus-
spricht und überall auf die Grenzen der von ihm vorgetragenen Lehre zu den
sog. Geisteswissenschaften hinweist. Ausserordentlich anschaulich wirken die zahl¬
reichen Beispeile aus der Ontogenie und Phylogenie des Menschen. So wird
namentlich in der 14. Vorlesung dem Leser noch einmal an der psychischen Ent¬
wicklung des Kindes der eingreifende Unterschied zwischen den an das Nerven¬
leben gebundenen physiologischen und den psychischen Erscheinungen bez. ihr
Parallelismus klar gemacht.
Was die ersteren anbetrifft, so kann hier, um Geschriebenes nicht zu wieder¬
holen, auf das Referat von Kalischer im Jahrgang 1891 dieser Zeitschrift
8. 646—647 verwiesen werden, zumal Verf. an den Grundzügen seiner Lehre
nichts geändert hat. Daselbst sind auch kurz erwähnt die Associationsgesetze;
ferner das, was er über den Willen und die Aufmerksamkeit sagt, Punkte, in
denen er erheblich von der üblichen Lehre abweicht. Die Selbstbeobachtungen
des Verf., die hauptsächlich zu solchen weitgehenden Folgerungen führen, ver¬
dienen sorgfältige Nachprüfung.
Es bleibt übrig, auf die Stellung des Verf. zu dem von Anfang an
■upponirten Parallelismus der materiellen Hirnerregungen und der psychischen
Erscheinungen, — das sind also die Empfindungen und Vorstellungen bez. die
mit beiden arbeitenden Ideenassociationen, — einzugehen. Verf. verwirft die dua¬
listischen Theorieen, zu denen er auch die animistiscbe Hypothese von Wundt
zählt, und schliesst sich von den monistischen der sog. kritischen an. Nach
dieser sind uns nur gegeben die Empfindungen, die wir zu Vorstellungen ver¬
arbeiten, und „es ist nur eine universelle Hypothese, wenn wir zu dieser psychischen
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Reihe eine zu ihr in causalem Verhältniss stehende materielle Reihe annehmen.
Ueber die Berechtigung dieser Hypothese entscheiden die Erkenntnisstheorie und
die Metaphysik, sofern es solche giebt. Wichtig für uns ist nur der Satz selbst,
dass die materielle Reihe nicht gleich ursprünglich mit der psychischen Reihe
gegeben ist. Nur letztere ist empirisch gegeben, die erstere ist erst erschlossen.“
— — »Die materielle Reihe ist eine Vorstellungsreihe, welche wir uns aus unsern
Empfindungen und deren Erinnerungsbildern abstrahirt haben.“ — "Was nun für
alle materiellen Vorgänge gilt, gilt ebenso auch für die materiellen Vorgänge
der Hirnrinde. Auch sie sind erst erschlossen, nicht primär gegeben wie die
psychischen Vorgänge.“ — Diese materiellen Hirnrindenvorgänge haben noch eine
ganz besondere Beziehung zu allen psychischen Vorgängen“, nämlich die, dass
„die einen nie ohne die anderen und umgekehrt Vorkommen.“ Man ersieht aus
dieser Zusammenstellung einiger Sätze der letzten Vorlesung, wie sich Verf. eng
der von Kant ausgesprochenen Wahrheit, dass uns nur die Reihe der Erscheinungen,
d. i. eben die psychische Reihe, gegeben ist, anschliesst. Der von vornherein
der Uebersichtlichkeit halber angenommene Parallelismus zwischen materieller und
psychischer Reihe ist also nur ein scheinbarer. Aufgabe der physiologischen
Psychologie ist es, sich mit denjenigen physiologischen Erscheinungen zu beschäftigen,
welchen hirnphysiologische Vorgänge entsprechen. Diejenigen psychischen Processe,
für die solche nicht denkbar sind, schliesst sie von ihrer Betrachtung aus im
Gegensatz zur transcendentalen Psychologie, die sie ohne Bezugnahme auf ihre
hirnphysiologischen Parallelerscheinungen behandelt.
Auf die Vorzüge, die das Buch in Folge der mannigfachen, zur Illustration
sehr zweckmässigen Berücksichtigung der pathologischen Psychologie für den
Mediciner, speciell den Psychiater besitzt, haben schon Goldscheider, Mendel,
Munk, Pelmann hingewiesen. — Eine Gefahr läuft allerdings der Leser dieses'
Leitfadens, nämlich die, dass er sich das schwierige Capitel der Psychologie, das
sich ihm hier in sehr verdaulicher Form bietet, viel leichter vorstellen wird, als
es tbatsächlich ist. Wenn indessen durch ihn bei recht vielen der Grund zu
psychologischem Denken gelegt wird, so dürfte der Zweck, den Verf. hei seiner
Herausgabe im Auge hatte, voll erfüllt sein.
Der bisherige Erfolg spricht für die Brauchbarkeit des Buches.
Meitzer (Colditz).
Pathologische Anatomie.
4) Einseitige Zell Veränderung im Halsmarke bei Phlegmone am Unterarm,
nebst weiteren Bemerkungen über die Pathologie der Ganglienzelle
(Einfluss des Fiebers u. s. w), von Assistenzarzt Dr. Ernst Meyer. Aus
der psychiatr. Klinik zu Tübingen (Prof. Siemerling). (Archiv f. Psych.
u. Nervenkrankh. 1900. Bd. XXXIII.)
Ein 56jähr., an acuter Psychose erkrankter Mann war an starker Phlegmone
des rechten Unterarmes, eitriger Pachymeningitis und Meningitis gestorben. Im
rechtsseitigen Halsmark fand sich eine Zellveränderung, die sich vom 5. Cervical-
segment bis zum Brustmark erstreckte und die lateralen Gruppen, vorzüglich die
hinteren, betraf. Das Wesen deB Processes findet Verf. darin, dass zuerst die
Granula in feine Körnchen zerfallen und dann Schwund der feinen Körnchen
eintritt, so dass zuletzt die ganze Zelle vollkommen hell erscheint. Hand in
Hand mit der Alteration der Granula geht eine Formveränderung der Zellen: sie
runden sich ah, die Fortsätze verschwinden mehr und mehr, die Zellen können
zuletzt kugelige oder birnenförmige Gestalt annehmen und erscheinen gleichzeitig
auffallend voluminös. Der Reichthum der verschiedenen Zellbilder war unerBchöpf-
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lieh. Mit March i-Färbung fand sich nur an den Nerven des rechten Armes
Degeneration. Am N. medianus, im Rückenmark und in den spinalen Wurzeln
fehlten sowohl Bakterien als Entzündungserscheinungen.
Die Phlegmone hat nach des Verf.’s geschickt gegebener Darstellung schwere
Störungen in der motorischen und in der sensiblen Sphäre verursacht: Die Muskeln
sind ausgeschaltet und zerstört gewesen, viele Nervenendigungen waren vernichtet
und beeinträchtigt. Deshalb konnte eine grössere Anzahl von Nervenfasern die
von den Vorderhornzellen herrühenden Reize nicht abgeben; es kam zu plötzlicher
Reizstannng im centralen Theil der Nerven und den zugehörigen Nervenzellen,
die vergeblich durch aussergewöhnliehe Anstrengung das periphere Hemmniss zu
durchbrechen suchten, eine Störung des intracellulären Gleichgewichts der Ganglien¬
selle trat ein, die sich anatomisch als Chromatolyse der Granula zeigt. Eine
danernde Wiederherstellung des Gleichgewichts erfolgte nicht, deshalb ging die
Zelle zu Grunde. In der sensiblen Sphäre bestand die Störung in Nekrose der
Haut und Untergang der peripheren Endigungen der sensiblen Nerven. Hierdurch
war die Reizzufuhr vermindert, bez. aufgehoben oder es gelangten abnorme Reize
in die sensible Bahn. Leider waren die Spinalganglien nicht aufgehoben worden;
zweifellos hätten sie schwere Veränderungen gezeigt.
Die Behauptung, dass besondere typische Veränderungen der Ganglienzellen
durch Erhöhung der Körpertemperatur hervorgerufen wurden, erklärt Verf. für
haltlos.
Gerühmt seien die vorzüglichen Mikrophotographieen und Zeichnungen und
ihre tadellose Reproduction! G. Ilberg (Sonnenstein).
5) De la degeneration dite granuleuse proteique de la flbre musoulaire
striöe. Tumöfaotion et dösintdgration granuleuse, par G. Dur ante.
(Bull, de la Societe anatomique. 1900.)
Verf. schickt eine kurze Beschreibung der normalen Elemente der Muskelfaser
voraus: er unterscheidet das Myoplasma (differenzirte Protoplasma), die eigentliche
gestreifte Substanz und das Sarkoplasma (undifferenzirte Protoplasma), das in
äusserst feiner, durchsichtiger Schicht die quergestreiften Myoplasmafibrillen um-
giebt und an einander kittet. Es enthält die Sarkolemmkerne und ist als die
Muttersubstanz des ersteren anzusehen. Er vergleicht die Muskelfaser einer
immensen vielkernigen Riesenzelle, deren mittlere Theile durch eins ihrer eigenen
Differenzirungsproducte gebildet sind. Diesem Sarkoplasma kommen ausser seiner
Eigenschaft als Kittsubstanz noch wichtige Functionen der Ernährung, Verteidi¬
gung und Neubildung zu; es reagirt auf allerhand Schädlichkeiten viel zeitiger
und intensiver als die anderen Theile der Muskelfaser. So besteht die „trübe
Schwellung“ in einer diffusen Hyperplasie des Sarkoplasma, die kein Zeichen der
Degeneration des Muskels ist; hellt man das trüb-geschwollene Protoplasma mit
Essigsäure auf) so wird die verschwundene Querstreifung wieder sichtbar. Die
trübe Schwellung Btellt vielmehr nur einen Zustand gesteigerter Function des
Sarkoplasma dar, der bei Aufhören der Schädlichkeit völlig normalen Verhält¬
nissen wieder Platz machen kann; im anderen Falle kann er allerdings in einen
Zustand fettiger Entartung übergehen, es kann zur anfangs fehlenden Vermehrung
der Sarkolemmkerne und weiter zur wachsartigen Degeneration des Myoplasmas
kommen; nur in Fällen zu intensiver Schädigung tritt direct NekroBe und Ge¬
rinnung der ganzen Muskelfaser ohne die vorhergehende Reaction des Sarco-
plasmas auf.
Im Gegensatz hierzu ist der „körnige Zerfall“ eine Nekrose des Sarkoplasmas
und zeigt einen endgültigen Untergang der Faser an; er beginnt in der Regel
mit einem Verlust der Querstreifung und Hervortreten der Liingsstreifung und
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unterscheidet sich von der trüben Schwellung durch die Grösse der Granula, die
der zerfallenden Muskelfaser entstammen und die „sarcons elements“ der Engländer
darstellen, und ferner durch die Unmöglichkeit, durch Essigsäure die Querstreifung
wieder sichtbar zu machen. Auch dieser Zustand kann sich durch fettige und
wachsartige Degeneration der Elemente in näherer oder fernerer Umgebung com-
pliciren. Wie die wachsartige Degeneration eine dem Myoplasma eigentümliche
Coagulationsnekrose ist, bo ist der körnige Zerfall eine dem Sarkoplasma zu¬
kommende VerflüssigungsnekroBe. — Verf. legt, wohl mit Recht, Werth darauf,
diese beiden Alterationen der Muskelfaser, die trübe Schwellung und den körnigen
Zerfall, die bisher in dem Begriffe der körnigen eiweissartigen (d. h. die mikro¬
chemischen Fettreactionen nicht aufweisenden) Degeneration zusammengeworfen
waren, fernerhin als zwei Processe von ganz verschiedener vitaler Bedeutung
schärfer zu trennen. H. Haenel (Dresden).
Pathologie des Nervensystems.
0) Zwei Fülle von postsyphilitisoher Demenz, von Krause. Vortrag, ge¬
halten in der medicinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft in Jena (Section
für Heilkunde) am 5. Juli 1900. (Deutsche med. Wochenschr. 1900. Nr. 39.)
Verf. demonstrirt 2 Fälle mit postsyphilitischer Demenz und spricht eingehend
über die Demenz als Symptom von Psychosen auf Grund von Gehirnlues. Ein
psychischer Defect ist keineswegs ausnahmslos der Endausgang einer Gehirn-
Syphilis. Die postsyphilitische Demenz ist graduell sehr verschieden und betrifft
auch die geistigen Leistungen in sehr ungleichmässiger Weise; sie ist der End¬
ausgang einer acut bis subacut einsetzenden Psychose und wird stets von mehr
oder minder ausgesprochenen motorischen und sensiblen Ausfallserscheinungen be¬
gleitet. Fälle mit primär sich entwickelnder Demenz bei Gehirnsyphilis gehören
nicht eigentlich zur postsyphilitischen Demenz. Letztere sollte als besondere
Krankheitsgruppe schärfer herausgehoben werden. (Cf. Kowalewsky, Dementia
paralytica syphilitica primaria. — Christian, Demence syphilitique.)
R. Pfeiffer (Kiel).
7) Intraoranlal gumma in the frontal region. Clinical lecture delivered in
the German University at Prague, by Prof. Arnold Pick. (Internat. Clinics.
1900.)
53jährige Arbeitsfrau bemerkte vor 3 Jahren Abnahme der Sehschärfe,
deutete jedoch diese Störung als Alterserscheinung. Vor einem Jahre Beginn des
Climacteriums, gleichzeitig stellten sich Kopfschmerzen ein, welche allmählich Zu¬
nahmen, Bchliesslich beständig wurden und die rechte Schläfengegend einnahmen.
Dazu trat vor einigen Wochen Lähmung des linken Facialis und wenig Bpäter
unter Schmerzen Schwäche der linken Gliedmaassen. Die Patientin wurde ruhelos
und erging sich, entgegen früherer Gewohnheit, in obscönen und indecenten Reden;
die Stimmung wechselte häufig und ohne Grund. Die Anamnese ergab Verdacht
auf Syphilis (venerische Erkrankung des Mannes, mit grauer Salbe behandelt;
unter 13 Geburten ein Abort, eine Frühgeburt), aber keine sicheren Anzeichen
stattgehabter Infection. Status: Parese der linken Extremitäten und des linken
Facialis in seinen 3 Zweigen. Stauungspapille. Steigerung der Patellarreflexe;
beiderseits Fussklonus. Ruhelosigkeit, häufiger Stimmungswechsel und Neigung
zu obscönen Bemerkungen. Unerträgliche Kopfschmerzen und Percussions¬
empfindlichkeit im Bereiche der rechten Schläfengegend. Während der Beobach¬
tung wurde merkbar eine Lähmung des linken Abducens, ferner neuralgische
Google
65
Schmerzen im Ausbreitungsgebiet des linken N. maxillaris superior, eine Hypalgesie
der ganzen linken Seite, Hyperalgesie auf der rechten Körperhälfte und Ab¬
schwächung des linken Plantarreflex es. Unter Quecksilber und Jodkalibehandlung
schwanden in wenigen Wochen alle Symptome, und es trat völlige Restitutio ad
integrum ein.
Verl begründet eingehend die Diagnose auf Gumma der Frontalregion, wahr¬
scheinlich des rechten Stirnlappens, ausgehend von den Meningen, und erklärt die
Hemiparese durch Druck auf die motorischen Centren in der Rolando’schen
Region, die sensiblen Storungen durch Betheiligung der sensorischen Centren,
die linksseitige Abducensparese durch Gegendruck an der Hirnbasis.
R. Pfeiffer (Kiel).
8) Zur Prognose und Therapie der Hirnayphilis, von Dr. Rudolf v. Hösslin.
(Archiv £ klin. Medicin. Bd. LXVI.)
Verl beobachtete 11 Fälle von Hirnsyphilis; die Patienten, sämmtlich männ¬
lichen Geschlechts, standen im Alter von 28—51 Jahren. In einem Falle war
eine voran »gegangene syphilitische Infection geleugnet, bei fünf Kranken waren
Secundärerscheinungen aufgetreten. Die Zeit zwischen Primäraffect und ersten
Gehirnerscheinungen schwankte zwischen 2*/ 8 und 15 1 / J Jahren. Klinisch verliefen
die Fälle 3 Mal mit Convulsionen, 4 Mal mit apoplectiformen Anfällen, in den
anderen Fällen waren nur Allgemeinerscheinungen vorhanden. Bewusstseins¬
störungen wurden 9 Mal beobachtet. Aehnlichkeit mit dem Bilde beginnender
Paralyse hatten 5 Fälle; in allen Fällen aber war sowohl der Pupillen- wie
Patellarreflex vorhanden. Die Diagnose stützte sich ausser auf anamnestisohe
Daten noch besonders auf den Augenspiegelbefund, insofern in 8 Fällen End-
arteriitis retinae bezw. Neuritis optica gefunden wurde. Die Zeit zwischen Beginn
der Gehirnsymptome und der antiluetischen Behandlung schwankte zwischen einigen
Wochen und 12 Jahren. Unter den 3 Fällen, bei denen die Gehirnsymptome
schon drei oder mehr Jahre vor Beginn der Behandlung aufgetreten waren, be¬
finden sich die zwei einzigen Todesfälle, während von den 8 Fällen, in welchen
die Gehirnsymptome weniger lang bestanden batten, 7 Fälle in Genesung aus¬
gingen. Die eingetretene Heilung konnte in einigen Fällen bis ö 1 ^ Jahren ver¬
folgt werden. Recidive traten in 4 Fällen auf, und zwar 1 / a —l 1 /* Jahr nach der
ersten Behandlung; auch diese Recidive, die gewöhnlich leichterer Natur als die
erste Erkrankung waren, gingen in Genesung über. Die Chancen der Heilung
hangen weniger von der Schwere der Symptome als vom Charakter der anato¬
mischen Läsion ab. Die schlechteste Prognose giebt die vorgeschrittene diffuse
Atheromatose der Gebirngefasse, welche durch Thrombosirung zu Erweichungen
fuhrt. Die Therapie bestand in sämmtlichen Fällen in einer combinirten Quecksilber-
Jodbehandlung, ausserdem Schwitzbädern in reichlicher Zahl.
Jacobsohn (Berlin).
9) The pathologioal flndings in a oase of general outaneus and sensory
anaeethesia without psyohioal oomplioation , by H. Berti ey. (Brain.
Spring 1900.)
Verf. hat im Jahre 1891 im Brain das Klinische des Falles veröffentlicht.
Es handelt sich um eine früher syphilitische Frau, bei der langsam vollständiger
Verlust der Temperatur- und Schmerzempfindung der Haut, des Geruchs, Geschmacks,
Gesichts, der Empfindung für Gleichgewicht, für Druck und Gewichte eingetreten
war; die Tastempfindung, das Muskelgefühl und das Gehör war nur partiell ge¬
stört. Dazu Sehnervenatrophie, Fehlen der Patellarreflexe, Schwäche der Musku¬
latur; später trophische Störungen der Haut und Verlust der Secretion einzelner
5
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Drüsen, z. B. Speichel- und Bindehautdrüsen. Tod im Jahre 1898 ohne Eintreten
erneuter Symptome. Die genaue mikroskopische Untersuchung ergab wahr¬
scheinlich auf Syphilis beruhende Degeneration der Blutgefässe im Rückenmarke,
speciell in der grauen Substanz, in den Wurzeln und in der Haut. In den leich¬
testen Graden war nur die Muskulatur der Gefässe verdickt, in den schwersten
war es zu Obliteration der Gefässe gekommen. Die Folge davon waren Degene¬
ration der Ganglien der Vorderbörner und der Clarke’schen Säule, und geringe
atrophische Bündel im Gebiete des linken Bur dach'sehen und des linken Klein¬
hirnseitenstranges. Die Pia war verdickt. Die Sehnerven waren ganz atrophisch.
Bruns.
10) Beiträge zur Pathologie der Gehirn- und Rüokenmarkssyphllis , von
Dr. Theodor Struppler, Assistenzarzt an der medicinischen Klinik des
Herrn Prof. Dr. Bauer in München. (Münchener med. Wochenschr. 1899.
Nr. 49 u. 60.)
I. Cysten im Gehirn syphilitischen Ursprungs.
Bei einem 19jähr. Mädchen trat 12—14 Monate nach luetischer Infection
eine plötzlich einsetzende Hemiplegie auf Eine antiluetische Behandlung hatte
nahezu völlige Wiederherstellung im Gefolge. Fast 2 Jahre später starb Pat. an
einer intercurrenten Krankheit. Die erste klinische Diagnose lautete, auf Hirn¬
apoplexie in Folge von Endarteriitis luetica obliterans. Die Section ergab eine
kirschgrosBe, mit Flüssigkeit gefüllte Cyste, die ihren Sitz vorwiegend im rechten
Linsenkern hatte. Nennenswerthe Gefässveränderungen fanden sich nicht. Doch
hält Verf. nicht dafür, dass es sich um eine reine Encephalitis syphilitioa handelte,
sondern um eine durch ischämische Erweichung als Folge von ganz circumskripter
Arteriitis Byphilitica obliterans entstandene Cyste. Leichter ist die Diagnose,
falls sich anderweitige, unzweifelhafte, syphilitische Veränderungen neben den
Cysten finden; es werden zwei Sectionsprotocolle mit solchem Ergebniss beigefügt.
II. Ein Fall von Pachymeningitis gummosa lumbalis mit Com-
presBionsmyelitis.
Bei einem 34jähr. Metzger wurde ein Symptomencomplex beobachtet, welcher
die Diagnose Myelitis transversa lumbalis rechtfertigte und im Hinblick auf die
Anamnese eine traumatische Ursache voraussetzen liess. Lues war negirt. Die
Obduction ergab Pachymeningitis gummosa lumbalis und Myelitis gummosa. Im
Uebrigen waren die Häute normal. Man muss annehmen, dass die luetische Er¬
krankung das Primäre war und an der entsprechenden Stelle eine Compressions-
myelitis mit secundären Degenerationen hervorrief.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
11) Ueber Syphilis des Gentrainervensystems mit centraler Gliose and
Höhlenbildung im Rückenmark, von Prof. E. Nebelthau in Marburg.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVI.)
Ein 41jähr., vor 12 Jahren wahrscheinlich luetisch inficirter Mann erkrankt
plötzlich unter starken Kopfschmerzen und rechtsseitiger Extremitätenlähmung.
Später anfallsweise auftretende Zuckungen im Gesicht, Sprachstörung und Par-
ästhesieen in der 4. und 5. Zehe. Bei der Untersuchung fällt eine deutliche
Gedächtnisschwäche auf, linke Pupille etwas > r., Reaction ziemlich träge, Neu¬
ritis optica (beginnende Stauungspapille), leichte Facialisschwäche links und ge¬
ringes Abweichen der Zunge nach rechts. Patellar- und Achillessehnenreflexe
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rechts deutlich gesteigert, auf der gleichen Seite Fussel onus. Am weichen Gaumen
vor der Uvula, auf der Brust und am Penis verdächtige, weissliche Narben.
Später Somnolenz, Druckempfindlichkeit der Halswirbelsäule, Zuckungen in der
rechten Gesichtshälfte, undeutlichere Sprache, Schluckbeschwerden, linksseitiger
Kopfschmerz mit Schwindel, rechtsseitige Facialisparese, Sphinkterenlähmung,
Parese der linken unteren Extremität und ebenda Fussclonus, Spannungen in der
Kaumuskulatur und rechten oberen und unteren Extremität! 17 Monate nach
dem Beginn des Leidens erfolgte der Exitus. Bei der anatomischen Untersuchung
fand sich in der linken Gehirnhälfte ein Gumma, welches den Linsenkern grössten-
theils zerstört und auf den Streifenhügel und die innere Kapsel übergegriffen
hatte, sowie in der rechten Hemisphäre eine gleiche Geschwulst, welche sich
hauptsächlich auf die Gegend des Aussenglieds des Linsenkerns beschränkte.
Beide Gerde reichen bis zur Gehirnbasis, liegen der inneren Kapsel unmittelbar
an und erstrecken sich bis in die Nähe der Tractus optici. Ausserdem fand sich
am linken Pedunculus cerebri ein meningitischer Process und im Rückenmark
von dem unteren Dorsalmark aufwärts bis zu den Kernen der Medulla eine Dege¬
neration im Bereich der Hinterhörner, sowie eine centrale Gliose mit Höhlen¬
bildung vom unteren Halsmark bis etwa 10 cm oberhalb der beginnenden Lenden¬
anschwellung und theilweise vollständigem Verschluss des Centralcanals.
Verf. nimmt an, dass in diesem Falle die centrale Gliose und Höhlenbildung
syphilitischen Ursprungs war, und dass die Langhans'sche Stauungshypothese
auf seine Beobachtung keine Anwendung zu finden habe.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
12) Syphilis medullaire prdoooe aveo syndröme de Brown-Sequard, par
Brousse et Ardin-Delteil. (Revue de Mödecine. 1900. Sept. S. 746.)
Bei einem 42jährigen Manne, der noch an den Zeichen florider secundärer
Syphilis litt, trat 6 Monate nach der Infection unter heftigen Rückenschmerzen
eine Lähmung des linken Beines und Incontinentia urinae ein. In beiden
Beinen bestand anfangs Hyperästhesie, während später sehr deutliche SenBibilitäts-
störungen im rechten Bein auftraten. Eine sofort eingeleitete antiluetische Be¬
handlung bewirkte bedeutende Besserung. Die Verff. diagnosticiren eine syphi¬
litische Myelitis auf der linken Seite des Lumbalmarks.
Strümpell (Erlangen).
13) Zur Lehre von der spastischen und insbesondere von der syphilitischen
Spinalparalyse, von Dr. M. Friedmann in Mannheim. (Deutsche Zeitschr.
f. Nervenheilk. 1899. XVI.)
Einleitend giebt der Verf. eine kritische Uebersicht über die einschlägige
Litteratur, wobei er sich für die Existenz einer spastischen Spinalparalyse sui
generis ausspricht, nicht zuletzt im Hinblick auf den eigenen, mitzutheilenden,
anatomisch untersuchten Fall. In einer nur klinisch verfolgten Beobachtung
handelte es sich um eine Patientin, welche nach 14jährigem Leiden an rein
spastischer Beinlähmung — die Arme zeigten sich erst sehr spät und leicht
afficirt — in Folge von acuter Oblongatalähmung starb. Verf. betont, dasB hier
nicht von einem einheitlichen Process die Rede sein kann, höchstens könne man
insofern einen Zusammenhang annehmen, als die Oblongatacentren durch den be¬
nachbarten Degenerationsvorgang einen Locus minoris resistentiae abgeben.
Der Hauptfall betrifft einen 50jährigen Schneidermeister, welcher ein Jahr
nach rechtsseitiger Erblindung in Folge Verschlusses der Art centralis retinae an
progressiver spastischer Parese beider Beine erkrankte. 2 , / J Jahre später konnte
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Pat. noch, wenn auch nur mühsam, gehen. Das linke Bein war stärker paretisch,
auch war hier die beiderseitige, leichte Verringerung der tactilen Sensibilität
deutlicher als auf dem rechten Bein. Die grobe Kraft des linken Armes war
herabgesetzt, die Blasenfunction normal. Der Pat. erlitt alsdann eine linksseitige
Hemiplegie, die auch im linken Arm spastische Symptome hervortreten liess. Sie
besserte sich zwar wieder, führte aber nach 5 Monaten in Folge zunehmenden
körperlichen und besonders geistigen Verfalls zum Tode. — Die Section ergab
intacte Dura mater spinalis, einen vernarbten apoplectischen Herd im rechten
Linsenkern. Die mikroskopischen Veränderungen waren auf der linken Seite des
Rückenmarks hochgradiger, als auf der rechten. Es fand sich eine symmetrische,
von der Cauda equina bis in die Mitte des Pons reichende Degeneration der
Pyramidenseitenstrangbahnen als wesentlichster Befund. Ausserdem wurde ein
theilweiser Schwund der Elleinhirnseitenstrangbahn im unteren Dorsalmark oon-
statirt. Nur auf der linken Seite fand Bich im Hals- und oberen Brustmark eine
leichte Verringerung der Vorderhornganglienzellen, sowie im Hirnschenkelfiiss eine
Faserdegeneration, die Verf. von dem rechtsseitigen Linsenkernherd abhängen
lässt. Sehr wichtig ist die beobachtete, ausgedehnte Endarteriitis obliterans der
Basalarterien. Die Rückenmarksgefässe zeigten vorwiegend Verdickung der
äusseren Häute. Anamnestisoh konnte Syphilis nicht eruirt werden.
In einer langen Epikrise hebt Verf. die Eigenheiten und Complicationen des
Falles hervor. Vor Allem handelte es sich um eine Lateralsklerose von seltener
Reinheit. Die beobachtete leichte Sensibilitässtörung ist einer Erklärung nicht
zugänglich. Die Degeneration hörte mitten im Pons auf; im Anschluss daran
begründet Verf. seine Ansicht, weshalb das Recurriren auf das Gehirn „als Sitz
des spastischen Symptoms“ gezwungen und überflüssig sei. Die Betheiligung des
linken Vorderhorns ist auf das Zusammentreffen der Apoplexie (und der sich
daran anschliessenden secundären Degeneration) mit dem schon bestehenden
Krankheitsprocess zurückzuführen. Die auf klinische Beobachtung gestützte An¬
sicht, dass üb sich bei der Lateralsklerose um einen aufsteigenden Process handle,
besteht im Hinblick auf den Befund einer durch das Rückenmark gleichmässig
verbreiteten Affection nicht zu Recht. Dass die Arme so spät ergriffen werden,
ist auf andere Weise zu erklären. Da sich für die Arterienerkrankung keine
anderen Ursachen nachweisen Hessen, so erklärt sie Verf. für syphilitisch, lässt
es aber dahingestellt, ob sie dem Nervenprocess coordinirt sei oder ihm vielmehr
zu Grunde liege. Dass die letztere Beziehung für die Apoplexie gilt, wird dem
Verf. wohl Niemand bestreiten. E. Asch (Frankfurt a/M.).
14) Bin Fall von Myelomeningitis luetioa. Ein Beitrag zur Eenntniss
der Sensibilitätsleitung im Büokenmark , von Dr. J. P. Karplus.
(Arbeiten aus Prof. Obersteiner’s Laboratorium. 1900. Wien. H. 7.)
35jähr. Mann, der sich vor 8 Jahren luetisch inficirt hatte, erkrankte vor
mehreren Monaten mit Schmerzen in der rechten oberen Extremität, später auch
im Rücken, die auf eine Schmierkur verschwanden, dann aber wieder zurück¬
kehrten. November 1898 Parästhesieen im linken Beine, Harnträufeln, Stuhl¬
verstopfung, später vollständige Gefühllosigkeit des linken Beines, Parästhesieen
auch im rechten Beine, Unfähigkeit zu gehen, Retentio urinae. Bei der Unter¬
suchung: Atrophie der Muskulatur des rechten Vorderarms und der Hände, die
motorische Kraft der rechten oberen Extremität herabgesetzt, die Sehnenreflexe
beiderseits, besonders aber rechts, gesteigert. Ausstrahlende Schmerzen vom Nacken
in den rechten Oberarm mit Druckempfindlichkeit der Nervenstämme. Hochgradige
Druckempfindlichkeit der unteren Brustwirbelsäule, Steifigkeit der Wirbelsäule.
Parese der linken Hüftbeuger, der Kniebeuger und Strecker. Patellarsehnenreflexe
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links stärker als rechts, links Fussclonus. Die Sensibilität am Rumpfe von der
Brustwarze nach abwärts, links viel schlechter wie rechts; besonders deutlich in
der Zone vorn unterhalb des Nabels, rückwärts vom 2. Lumbaldorn nach abwärts.
Vom Knie abwärrs besteht vollkommene Anästhesie. Das Gefühl für passive Be¬
wegungen fehlt an den Zehen des linken Fasses, rechts herabgesetzt.
Die Sensibilitätsstörung hielt bis zum December an, im Januar 1899 ist sie
vollkommen verschwunden, Pat. konnte wieder selbst uriniren, die Atrophie der
rechten oberen Extremität deutlich, links Fussclonus. In Folge ausgedehnten
Decubitus erfolgte der Tod am 16. Januar 1899.
Bei der Section fand sich ein grosser Herd von Keilform in der Höhe des
6. und 7. Dorsalsegmentes, der den Bereich des linken Hinterstranges einnimmt.
Die mikroskopische Untersuchung des Rückenmarks ergab eine diffuse Lepto-
meningitis, besonders deutlich im Dorsalmarke, am ausgesprochensten über der
dorsalen Peripherie, mit kleinzelliger Infiltration und ausgesprochenen Gefass-
veranderungen, jedoch nicht direct charakteristischer Art. Zahlreiche kleine
myelitische Herde, charakterisirt durch verdickte Gefasse, Fettkörnchenzellen, Rare-
ficirung der nervösen Elemente und kleine Häraorrhagieen an verschiedenen Par-
tieen des Rückenmarks, ein grösserer Herd im rechten Vorderseitenstrang des
unteren Cervicalmarks. Der oben erwähnte grosse Herd hatte seine grösste Aus¬
dehnung vom 6.-8. Dorsalsegmente, reichte aber noch in das 5. und 9. Segment
hinein. Er nahm den ganzen linken Hinterstrang ein, reichte nach vorn bis zur
hinteren grauen Commissur, zerstörte auch die dorsalsten Partieen des linken
Hinterhomes und den dorsalsten, lateralsten Theil des Seitenstranges. Aufsteigende
ausgedehnte Degeneration des linken Hinterstranges, dann der Kleinhirnseiten¬
strangbahn und des Gowers’schen Bündels, leichte Degeneration auch rechts.
Absteigende leichte Degeneration in den Pyramidensträngen, dagegen fehlte jede
absteigende Degeneration der Hinterstränge.
Das histologische Bild bot keine für Lues charakteristischen Merkmale, die
Annahme der luetischen Basis der Myelomeningitis stützte sich auf die sicher
vorausgegangene Lues, sowie den Mangel anderer ätiologischer Momente und die
Beeinflussung der Schmerzen durch eine antiluetische Kur.
Von besonderem Interesse ist die halbseitige Sensibilitätsstörung, die ante
mortem wieder zurückgegangen war, aber der Seite des Herdes im dorsalen Marke
entsprach. Während die spastische Parese des linken Beines der Schädigung der
linken Pyramidenbahn entsprach, hat die Erklärung der Sensibilitätsstörungen
grosse Schwierigkeiten. Der zunächst liegende Schluss, dass die Hautsensibilitäts¬
leitung für die untere Extremität an der Grenze vom mittleren und unteren
Dorsalmarke im wesentlichen noch ungekreuzt sei, lässt sich höchstens als Hypo¬
these aufstellen. Redlich (Wien).
15) K öningo-mydlite syphilitique avec eigne d’Argyll-Bobertson, par C e stan
(Salpetriere). (Archive de neurologie. 1900. August)
Mittheilung von 4 Fällen, auf welche hiermit hingewiesen Bei, weil sie sich
zu kurzer Mittheilung nicht eignen. Adolf Passow (Meiningen).
16) The diagnosis of nervous Syphilis, by Charles W. Burr (Philadelphia).
(Univers. Medic. Magazine. 1899. July.)
Eine Zusammenstellung der gewöhnlichen Symptome, die nichts Neues oder
Bemerkenswerthes enthält. Auf das Schwanken und die Flüchtigkeit der Sym¬
ptome wird besonders aufmerksam gemacht. H. Haenel (Dresden).
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17) La polynövrite ayphilitique, par R. Cestan. (Nouv. Icon, de la Salp.
1900. Xin. S. 153.)
Verf. hat 13 einschlägige Fälle zusammengestellt, unter denen 2 bisher nicht
veröffentlichte:
1. Fall (beobachtet auf der Klinik von Prof. Raymond): 34jähriger Stein¬
setzer erkrankt 3 Wochen nach dem Auftreten eines harten Schankers unter
Fieber an Erscheinungen schwerer secundärer Syphilis. 14 Tage später stellte
sich bereits eine schmerzlose Lähmung der rechten Hand ein, die bald auch auf
die linke Seite Übergriff. Injectionen von löslichen Quecksilbersalzen besserten
vorübergehend den Zustand der rechten Hand. Bei der Aufnahme — ca. 3 Monate
nach Auftreten der Lähmungserscheinungen — fand sich ausser anderen Sym¬
ptomen von allgemeiner Lues (Exanthem, Alopecie, Albuminurie) eine vorwiegend
auf das Radialisgebiet beschränkte Lähmung beider Hände mit Muskelatrophie
und Entartungsreaction, aber ohne sensible Störungen. Durch eine energische
Jod- und Quecksilberbehandlung gingen die Lähmungserscheinungen langsam
zurück, so dass Patient nach 5 Monaten fast geheilt entlassen werden konnte.
2. Fall (Klinik von Dr. Babinski): 27jähriger Journalist acquirirt am
1. September 1895 einen harten Schanker. Am 1. October 1895 wird er unter
Fieber, Schwindel, Kopfschmerzen und zunehmender Schwäche bettlägerig. Am
11. October 1896 zeigt sich eine schmerzlose Lähmung beider Beine und Arme.
Schon am 15. October kehrt die Motilität im linken Arme, am 25. October
in den Fingern der rechten Hand zurück und am 1. December 1895 auch
im rechten Vorderarm. Jetzt treten secundäre Erscheinungen an der Haut
und den Schleimhäuten auf. Nach einer Schmierkur schwinden die letzteren,
und es bessern sich die Motilitätsstörungen, so dass Patient am 1. Januar 1896
an Krücken gehen konnte. Bei der Aufnahme am 1. März 1896 fand sich noch
Muskelatrophie des rechten Beines und Armes mit Abschwächung der Reflexe,
Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit der Muskeln des rechten Beines, des
rechten Deltoideus und Biceps brachialis. Sensibilitätsstörungen fehlten auch hier.
Verf. glaubt, dass es sich in diesen beiden Fällen um reine syphilitische
Polyneuritiden gehandelt hat. In der Regel sei die Diagnose durch andere gleich¬
zeitig wirkende Gifte (Quecksilber, Nierenerkrankungen, Alkohol u. s. w.) erschwert
In symptomatischer Hinsicht unterscheidet er 3 Formen: 1. die rein motorische,
2. die sensibel-motorische und 3. die pseudotabische Form. Alle geben eine
relativ günstige Prognose. Die Aehnlichkeit der syphilitischen Neuritiden mit
anderen toxischen und infectiösen peripheren Nervenerkrankungen lässt die An¬
nahme gerechtfertigt erscheinen, dass es sich dabei weniger um Gefässerkrankungen,
als um Wirklingen eines syphilitischen Toxines handelt Facklam (Lübeck).
18) Sur les maladles de la moölle dpiniöre ohez les nouveau-nd» et les
enfants & la mameile hdrödo-syphllitlques , par Dr. de Peters,
St. Petersburg. (Revue de M6deoine. 1900. S. 624.)
Verf. lenkt die Aufmerksamkeit auf eine bisher nicht bekannte eigenthüm-
liche Form der Lähmung, die er wiederholt bei hereditär-Byphilitischen Neugeborenen
oder Säuglingen in den ersten Lebensmonaten beobachtet hat Gewöhnlich tritt
ziemlich plötzlich in wenigen Tagen eine Lähmung einer oder beider oberen
Extremitäten ein. Der gelähmte Arm hängt schlaff und pendelnd herab und
wird auch beim Kneifen der Haut nicht bewegt. In anderen Fällen bleibt aber
die Beweglichkeit der Hand und der Finger erhalten, und nur im Schulter- und
Ellenbogengelenk sind die Bewegungen aufgehoben. In einer dritten Reihe von
Fällen endlich sind umgekehrt die Bewegungen der oberen Gelenke erhalten.
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71
während Hand and Finger gelähmt sind. In diesen Fällen tritt häufig eine
eigentümliche und besonders charakteristische Stellung der Arme ein: der Vorder¬
arm ist stark pronirt, das Handgelenk gebeugt und abducirt. Die Arme erinnern
in dieser Stellung sehr an die Flossen eines Seehundes; Verf. gebraucht daher
für die Stellung kurz die Bezeichnung „Flossenstellung“. Unter 11 Fällen hat
Verf. 9 Mal diese Flossenstellung der Hände beobachtet, welche übrigens auch
bei andersartigen Lähmungszuständen kleiner Kinder nicht selten vorkommt. Sie
hängt von der überwiegenden Lähmung der Extensoren und Supinatoren der
Hand (N. radialis) ab. In manchen Fällen gesellen sich zu den Lähmungs¬
erscheinungen in den oberen Extremitäten auch noch hinzu Schwäche des Nackens,
der Beine u. s. w. Die Patellarreflexe sind zuweilen erloschen. Die gelähmten
Glieder scheinen oft hyperästhetisch zu sein. In einzelnen Gebieten können auch
Contracturen auftreten.
Zur Erläuterung dieses allgemeinen Krankheitsbildes theilt der Verf. 5 aus¬
führliche Krankengeschichten mit. Im Ganzen hat er, wie erwähnt, 11 hierher
gehörige Fälle beobachtet: 3 Mal war nur eine obere Extremität befallen, 8 Mal
waren beide Arme ergriffen. 2 Mal waren der ganze Arm und der Nacken ge¬
lähmt, 6 Mal nur Hand und Finger ohne Betheiligung der oberen Muskeln. In
allen Fällen war die Lähmung innerhalb der ersten fünf Lebensmonate entstanden.
4 Mal bestanden gleichzeitig noch andere deutliche Zeichen hereditärer Syphilis
(Papeln auf der Haut und auf den Schleimhäuten), in allen anderen Fällen war
aber der Verdacht auf hereditäre Syphilis ebenfalls sehr naheliegend. Anatomische
Befunde liegen bis jetzt nicht vor; doch handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit
nach um eine Affection des Rückenmarks von radioulärem Charakter. Näheres
lässt sich aber noch nicht sagen. Die Prognose ist durchaus günstig. Verf.
wandte stets Einreibungen mit grauer Salbe an und beobachtete fast immer
rasche Heilung. Strümpell (Erlangen).
19) Syphilis und Geisteskrankheiten, von Geh. Rath Jolly. Aus den Vor¬
trägen über Syphilis u. Gonorrhoe. (Berliner klin. Wochenschr. 1901. Nr. 1.)
Verf. spricht über die Rolle, welche die Syphilis in der Aetiologie und
Symptomatologie der Geisteskrankheiten spielt. Er unterscheidet hierbei die
durch angeborene und die durch erworbene Syphilis gesetzten psychischen
Störungen.
Von letzteren sind zunächst zu nennen die Zustände „allgemeiner Nervosität“
leichteren und schwereren Grades, welche dann zu mehr oder weniger schwerer
geistiger Störung führen können. Die Ursache dieser bei Syphilitischen auf¬
tretenden Neurasthenie ist häufig in der durch die Infection herbei geführten
Anämie (welch letztere auch durch die specifische Behandlung bedingt sein kann),
ferner aber auch zuweilen in den Anfängen jener irritativen Processe, wie sie
weiterhin im Centralnervensystem durch die Lues hervorgerufen werden, und
schliesslich gelegentlich auch in dem psychischen Einfluss zu suchen, den die
Syphilis auf den Träger ausübt: in der Depression über die erworbene Krankheit
und deren mögliche Folgen.
Im Laufe der Syphilis werden ferner beobachtet, und zwar nicht als zufällige
Complication, sondern durch dieselbe bedingt, die Epilepsie, melancholische
Depression von vorwiegend hypochondrischer Färbung (Syphilodophobie), ferner
die Amentia (häufig bei schwerer Gehirnsyphilis), seltener die Manie und
Paranoia.
Des weiteren bespricht Verf. die Differentialdiagnose zwischen progressiver
Paralyse und syphilitischer Pseudoparalyse (Fournier), sowie die Beziehung
ersterer zur Lues. Die Syphilis ist eine durchaus wesentliche und wichtige, aber
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nicht die einzige Ursache der Paralyse. Ein Rest von Fallen von Gehirnerweichung,
in denen Syphilis ausgeschlossen werden kann, bleibt übrig, welcher beweist, dass
es eine Dementia paralytica ohne vorangegangene Syphilis giebt, bei welcher
andere Schädigungen (Alkoholismus, Trauma, Ueberarbeitung) die Ursache bilden.
Neben der klassischen Paralyse sieht man nun aber auch der Paralyse über¬
aus ähnelnde Fälle, bei denen Verlauf anatomischer Befund und Erfolg der Therapie
uns überzeugen, dass die Syphilis eine unmittelbare Rolle gespielt haben muss,
und für diese ist der Name der „syphilitischen Pseudoparalyse“ zu reeerviren.
Bei der klassischen Paralyse ergeben die Statistiken einen Procentsatz von
mindestens 40 °/ 0 vorangegangener Syphilis gegen etwa 16 0 / 0 bei Nichtparalyse
und Nichttabes.
Betreffs der Therapie fasst Verf. seine Erfahrungen in folgenden bemerkens-
werthen Sätzen zusammen:
In Fällen von Paralyse, in welchem uns jede syphilitische Anamnese fehlt,
ist ein Grund für die specifisohe Kur nicht vorhanden, ebenso wenig in denen,
in welchen bereits Demenz eingetreten ist und charakteristische Ausfallserschei¬
nungen sich seit langer Zeit erhalten haben. In anderen Fällen, und zunächst
jedesmal dann, wenn die Erscheinungen der Hirnlues charakteristisch vorliegen,
sind Versuche mit der antisyphilitischen Therapie zu machen, und sie sind auch
dann gerechtfertigt, wenn wir das scheinbar reine Bild der Dementia
paralytica finden mit sicherer syphilitischer Anamnese.
Auf dem Wege der hereditären Lues werden von Krankheitsbildern im
psychischen Leben besonders verursacht: allgemeine Nervosität, schwerere Neu¬
rasthenie, Hysterie und juvenile Form der Dementia paralytica.
In klarer, sachlicher Darstellung und objectiv kritischer Betrachtung des
Themas hat Verf. in dieser Arbeit die Beziehungen zwischen Psyohosen und
Syphilis beleuchtet, besonders lesenswerth und präcis gefasst sind seine Ansichten
über Aetiologie und Therapie der progressiven Paralyse. Kurt Mendel.
20) lieber gonorrhoische Nervenerkrankungen, von A. Eulenburg. Vortrag,
gehalten in den combinirten Sectionen für innere Medicin u. Neurologie der
72. Versammlung deutscher Naturforscher u. Aerzte in Aachen am 18. Nov.
1900. (Deutsche med. Wochenschr. 1900. Nr. 43.)
Verf. beobachtete 9 Fälle von gonorrhoischer Neuralgie bezw. Neuritis —
die Neuralgieen beim weibliohen Geschlecht sind ausser Betracht gelassen, weil
der sichere Nachweis der Gonorrhoe bekanntlich ausserordentlich schwierig ist —
4 Fälle von gonorrhoischer Muskelatrophie und einen von gonorrhoischer
Myelitis (bezw. Polyneuritis und Poliomyelitis).
Die gonorrhoische Neuralgie erscheint mit Vorliebe als Ischias, oft unter
gleichzeitiger Betheiligung anderer lumbosacraler Nerven, besonders der Genital¬
nerven, seltener auch sensibler Armnervengebiete. Es handelt sich um heftige
Schmerzanfälle bei meist jugendlichen Individuen, zuweilen von intermittirendem
Fieber begleitet, oft verbunden mit sexualneurasthenischen oder allgemein neu-
rasthenischen Symptomen. Die Muskelatrophieen und atrophischen Lähmungen
folgen meist gonorrhoischen Gelenkaffectionen, besonders des Schulter- und Knie¬
gelenkes, sind zunächt circumscript als periarticuläre Muskelatrophie oder atro-
phirende Myositis, seltener als neuritiscbe Atrophie, und ergreifen bei progressiver
Tendenz auch homologe Abschnitte der Musculatur der anderen Körperhälfte.
Fraglich bleibt, ob die Ausbreitung durch ascendirende Neuritis und consecutive
Poliomyelitis anterior statthat. Die gonorrhoischen Rückenmarkserkran¬
kungen zeigen klinisch eine gewisse Aehnlichkeit mit der Tabes, aber stärkeres
Mitergriffensein der motorischen Sphäre, Fehlen der oculopupillären Symptome
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— 73 -
and verschiedenen Verlauf. Diagnostisch mehr oder minder bedeutsam für
gonorrhoische Nervenerkrankungen Bind ferner 1. noch fortdauernder Gonokokken-
befand im Urethralsecret, neben Fortbestehen gonorrhoischer Urethritis und sonstiger
Localaffecte, 2. bei fehlendem Gonokokkenbefdnd Fortbestehen oder zeitliches
Voraufgehen gonorrhoischer Urethritis (und sonstiger Localaffecte) in ihren ver¬
schiedenen Formen und Stadien, 3. gleichzeitiges Vorhandensein anderweitiger
gonorrhoischer Localisationen und Metastasen, 4. gewisse symptomatische Eigen¬
tümlichkeiten der betreffenden Nervenaffectionen selbst. Die Prognose ist
relativ günstig. Die Behandlung muss individualisirend sein. Verf. empfiehlt
n. A. Jodipin (Merck). R. Pfeiffer (Kiel).
Psychiatrie.
21) Ueber Psychologie der individuellen Differenzen. Ideeen zu einer
„differentiellen Psychologie“, von William Stern. (Schriften der Gesell¬
schaft für psychologische Forschung. H. 12. 3. Sammlung. 1900. Leipzig.
J. A. Barth. VIII u. 146 S.)
Es dürfte nachgerade der Gesammtheit der Neurologen und Psychiater klar werden,
dass mit der Vulgärpsychologie, bei der man fremde Seelenzustände hinlänglich durch
die Analogie mit eigenen psychischen Erlebnissen erklären zu können glaubte, doch
auf die Dauer nicht mehr auszukommen ist. Ganz ohne Grund freilich erschollen
die Klagen der Aerzte wie auch der Litteraturforscher, Historiker u. s. w. nicht,
dass sich die moderne Experimentalpsychologie gegenüber der Anwendung auf die
Probleme jener Wissenschaften zu spröde und steril erweist So kam es, dass in jenen
Schriften Begriffe wie Ratlosigkeit, Festigkeit, Pedanterie u. dergl. noch immer
wuchern, die wohl für die Charakterschilderungen eines Romanschriftstellers ganz
brauchbar sein mögen, während sie auf wissenschaftlichem Boden doch nur Unkraut
bedeuten, dessen Ersatz durch die im Experiment cultivirten Begriffe der exacten
Psychologie gewiss schon erfolgt wäre, wenn die Letzteren nur ausserhalb der Treib¬
bausatmosphäre des Iaboratoriums besser gedeihen wollten.
Hier eine Lücke auszufüllen, erscheint das Buch von Stern wie gerufen. Es
stellt sich die Aufgabe, die Differenzen im psychischeu Leben der Individuen, Völker
u. 8. w., die Bedingungen dieser Differenzen und die Aeusserungen derselben zu be¬
handeln. Ohne viel nennenswerthe neue Untersuchungen zu bieten, formulirt es das
Problem, eichtet die Vorarbeiten und giebt Fingerzeige zum experimentellen Vor*
wärtBschreiten in dieser Richtung. Auf letzterem Wege sind noch die wichtigsten
Erfolge zu erhoffen, während die Methoden der Selbstbeobachtung und Beobachtung
anderer, des Studiums der Geschichte, Cultur und Poesie, sowie der Enquöte bloss
untergeordnete Bedeutung haben.
Die Differenzen der Sinnesempfindlichkeit, die sich nur in Fällen maximaler
Hebung klar feststellen lassen, fallen weniger ins Gewicht, als die qualitative Be¬
deutung der einzelnen Sinnesgebiete für das Anschauungsleben und die höheren
geistigen Funktionen, Sprache, Lernen u. s. w.; vor allem die Frage nach dem visu¬
ellen, auditiven oder motorischen Typus ist zu betonen. Die Güte des Gedächtnisses,
das sich durch Auswendiglernen prüfen lässt, ist abhängig von dem Verhältniss, in
dem die Function des Erlernens und die des Behaltene zu einander stehen. Grössere
Differenzen als beim Associationsexperiment ergeben sich in Bezug auf die Auffas¬
sungstypen, die sich als subjectiver und objectiver Typus unterscheiden lassen. Die
Aufmerksamkeit ist nach ihrer Energie und ihrer Ablenkbarkeit zu untersuchen. Im
Zusammenhang damit erhebt sich die Frage nach der Schlaftiefe. Wichtig sind die
Experimente über Combinationsfähigkeit und vor allem über Urteilsbildung. Zu
weiteren Versuchen ermuntern die überraschenden Resultate der Suggestibilitätsprüfung
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nach Seashore, Binet u. a., wozu Stern eine neue Experimentanordnung angiebt,
die auf der Feststellung der Wahrnehmungsschwelle für allmähliche Tonveränderung
von verschiedener Geschwindigkeit beruht. Mit den Differenzen im Urtheilstypus
hängen die Reactionstypen zusammen.
Während die Gefühle auch der individualpsychologischen Forschung schwer zu¬
gänglich sind, lässt sich eine Menge neuer Aufschlüsse erwarten von der Unter¬
suchung des psychischen Tempos; es handelt sich um die natürliche Ablaufsgeschwindig¬
keit des psychischen Lebens überhaupt. Die Methode, die Verf. empfiehlt, das
Klopfen eines dreitheiligen Rythmus, ist wegen ihrer leichten Ausführbarkeit und in
Hinsicht schon auf die wenigen mitgeteilten Resultate so vielverheissend, dass ihre
Nachprüfung dringend anzurathen ist. In der Frage der psychischen Energetik und
der Arbeitseigenschaften hat die Differentialpsychologie vor Allem anzuknüpfen an die
Fülle der exacten Specialforschungen Kräpelin's und seiner Schule. Eine ziemlich
reiche Bibliographie schliesst das anregende Buch, dessen Lectüre der erfreulichen
Perspektiven wegen, die es bietet, aufs Wärmste zu empfehlen ist.
Weygandt (Würzburg).
22) Ueber Entartung, von P. J. Möbius. (Grenzfragen des Nerven- und Seelen¬
lebens. 1900. Wiesbaden. J. F. Bergmann.)
Verf. definirt den Entarteten als denjenigen, der vererbbare Abweichungen
vom Typus zeigt. Während es nun betreffs des Körpers eines Menschen unschwer
ist zu entscheiden, ob derselbe normal ist oder vom Typus abweicht, ist die Be-
urtheilung des Gehirns und des geistigen Zustandes viel schwieriger und gehört
in das Gebiet der Psychiatrie. Während es einen „körperlichen Canon“ giebt,
fehlt uns noch ein geistiger. Letzterer kann nicht in der Studirstube oder im
Laboratorium, sondern nur inmitten der ärztlichen Erfahrung ausgearbeitet werden.
Verf. giebt eine Uebersicht über die körperlichen Zeichen der geistigen Ent¬
artung, bespricht dann die Frage, wie der Geisteszustand der Entarteten beschaffen
ist, und geht schliesslich zur Psychologie des Verbrechers über. Die Strafe soll
nicht eine Rache oder Sühne sein, sondern man boII in ihr ein nothwendiges Uebel
zur Zurückdrängung schlechter Triebe und zum Schutze der Gesellschaft sehen.
Deshalb wird man von unnützen Quälereien, wie z. B. von der Isolirhaft absehen.
Der Verbrecher muss überwacht und zu nützlicher Thätigkeit gezwungen und nur
etappenweise, d. h. unter allmählicher Abstufung der Ueberwachung, der Freiheit
wiedergegeben werden. „An der Todesstrafe ist festzuhalten, aber nur für
Mörder“, deren Abweichung vom Typus so gross ist, dass ihre Existenz sich mit
derjenigen der Gesellschaft nicht verträgt. Beim Tödten ist aber jede Rohheit
zu vermeiden; es soll nicht Leiden erzeugen, sondern nur das ganz Untaugliche
beseitigen.
Neben der Frage nach dem verbrecherischen hat diejenige nach dem genialen
Menschen die Aufmerksamkeit alle Zeit besonders gefesselt. Auffallend oft hieten
Menschen, die für Genies oder Helden gehalten werden, krankhafte Erscheinungen.
Neben ihren grossen Eigenschaften sind unverkennbare Defecte vorhanden, diese
Uebermenschen haben ihre Genialität theuer bezahlt und nur auf Kosten anderer
Eigenschaften erhalten; es kann eben in Anbetracht der Grenzen der mensch¬
lichen Natur ein Uebermaass nur in der einen oder andern Richtung, aber nicht
gleichmässig nach allen Richtungen hin bestehen.
Verf. weiss, mit seiner Abhandlung nicht etwas Fertiges oder Abschliessendes
gegeben zu haben, ihm lag nur daran, das Denken anzuregen, welchen Zweck er
sicherlich durch seine geistreichen Ausführungen erreicht. Kurt Mendel.
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23) Experimental study of ohildren, inoluding anthropometrioal and
psycho-physical measurements of Washington sohool ohildren, and a
bibliography, by Arthur Mac Donald, Specialist in the Bureau of Edu-
cation, Washington. (Government printing office. 1899.)
Ueber die an den Washingtoner Schulkindern angestellten anthropometrischen
und psychophysischen Studien ist im vorliegenden, über 200 Seiten starken Buche
vom Schuldepartement der Vereinigten Staaten eingehender Bericht erstattet
worden. Die erhaltenen Resultate sind in grossen Tabellen geordnet wieder¬
gegeben und aus diesen manche zum Theil recht interessante Schlüsse gezogen.
Zum Vergleich werden die an andern Orten Amerikas sowie Europas gewonnenen
Zahlen herangezogen. Es ist unmöglich, auf alle Einzelheiten hier einzugehen.
Doch seien hier einige Beobachtungen über die mit Abnormitäten behafteten
Schulkinder erwähnt; man fand nämlich, dass solche verhältnissmässig mehr den
nicht arbeitenden Classen, als den arbeitenden Classen entstammen, dass Sprach-
mängel häufiger bei Knaben, als bei Mädchen Vorkommen und endlich solche mit
Anomalien behafteten Sander den normalen Durchschnittskindern an Höhe, Ge¬
wicht und Kopfumfang nachstehen. Ascher.
24) Homosexualität, von Karl Kautzner. (Archiv f. Criminal-Anthropologie.
Bd. II.)
Verf. veröffentlicht ein einschlägiges Gutachten und schliesst sich darin den
bekannten Anschauungen Cramer’s an, die darin gipfeln, dass die conträre
Sexualempfindung nicht als pathologisch anzusehen sei, so lange sie nicht mit
anderweitigen, krankhaften Erscheinungen verknüpft sei.
Schultze (Andernach).
25) LInhibition dans les maladies mentales. fStude clinique et experimentale,
par G. Libertini, Neapel. (Arch. de inöd. experiment, et d’anatomie
pathologique. 1900. September.)
Verf. hat das Phänomen der Hemmung bei Gesunden und Geisteskranken
nach der Methode studirt, die sich ihm in früheren Thierversuchen bewährt
hatte: er beinisst die Stärke der cerebralen Hemmung an der Latenzzeit eines
spinalen Reflexes; und zwar hat er dabei die Reactionsbewegung des Armes bei
Reizung der Haut desselben durch einen Inductionsstrom gewählt.
Die durch Versuche am Gesunden ermittelte Latenzzeit dieses Reflexes betrug
durchschnittlich 83—86 Tausendstel Secunde; bei den verschiedenen Formen von
Geistesstörung wies sie durchgängig eine Verkürzung auf, die ungefähr im Ver-
hältniss zu dem Grad des psychischen Verfalls stand: am kürzesten war sie bei
den Mikrocephalen, bei denen sie fast den Werth erreichte, der für den Affen
gefunden worden war (49—61 o), ebenfalls sehr kurz bei den Paralytikern und
Epileptikern. Bei letzteren wurde die bemerkenswerthe Thatsache festgestellt,
dass regelmässig in den einem Anfall folgenden 4—8 Stunden die Länge der
Latenzperiode erheblich zunahm, sogar bis über die Werthe beim Normalen
hinaus; Control versuche ergaben, dass diese Verlängerung nicht auf Rechnung
der Muskelermüdnng zu setzen sein konnte. Bei Erregungszuständen war die
Verkürzung der Latenzperiode ausgeprägter, als bei Depressionszuständen, doch
war auch bei letzteren stets ein geringerer Werth, als beim Gesunden, d. h. ein
Ausfall psychischer Hemmungen zu beobachten. Sehr interessant sind die Ver¬
suche, in denen eine Gehirnregion möglichst isolirt intensiven physiologischen
Reizen ausgesetzt wurde (Beobachtung wechselnder farbiger Lichter): es konnte
dadurch eine Verkürzung der Latenzzeit der Reaction hervorgerufen werden, die
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auch beim Geisteskranken nicht fehlte. — In Fällen infantiler spastischer Hemi¬
plegie bestand zwar auch eine Verkürzung der Latenzzeit, doch war kein Unter¬
schied zwischen der gelähmten und der gesunden Seite nachweisbar; es stimmt
dies gut überein mit dem negativen Resultate, das Verf. bei Thieren nach Ex¬
stirpation der Rolando’schen Region einer Seite erhalten hatte, und ist ein
wichtiges Argument gegen die Anschauung, dass die motorischen Centren und
die Pyramidenbahn mit einem „Hemmungscentrum“ identisch seien; nicht einmal
als Durchgangsstation für hemmende Impulse kann die Rolando’sche Region von
Bedeutung sein; diese letzteren stammen nach den Ergebnissen der Versuche an
Thieren und Menschen vorzüglich aus der Gegend des vorderen und hinteren
Poles des Gehirns und werden wahrscheinlich auf der cortico-ponto-cerebello-
spinalen Bahn geleitet. — Die Hypothese des Verf.’s ist, dass die höheren
nervösen Centren dauernd einen Hemmungstonus auf das Rückenmark ausüben;
diese Hemmungswelle nimmt allmählich ab im Verhältniss, wie die Rückenmarks¬
segmente sich von der Rinde entfernen. Man kann eine nahe Beziehung zwischen
dem Entwicklungsgrade des Grosshirns und seiner hemmenden Kraft annehmen,
und weiter eine verschiedene Werthigkeit der einzelnen Hirnregionen in dieser
Hinsicht, insofern als dem Stirnhirn die meisten, der motorischen Region die
wenigsten hemmenden Functionen zukommen. Diese Functionen tragen daher
einen deutlichen psychischen Charakter (ch. de psychioit6).
H. Haenel (Dresden).
26) Le coup de foudre, Symptome, par Ch. Fer6. (Revue de Medecine.
1899. Juli. S. 581.)
Unter „coup de foudre“ versteht Verf. die plötzliche blitzartig einschlagende
sexuelle Zuneigung eines Mannes zu einem ihm bis dahin ganz unbekannten weib¬
lichen Wesen oder umgekehrt eines Weibes zu einem Manne. Als historische
Beispiele oitirt er die Phedra des Racine, Romeo und Julie, Garibaldi und Anita.
Der „coup de foudre“ tritt besonders bei Psychopathen auf (bei Epilepsie oder
schwerer Neurasthenie) und ist oft mit Erinnerungstäuschungen verbunden, mit
der sogen, „fausse rfoniniscence“, d. h. dem Gefühl, dass man das eben zum ersten
Male Gesehene und Erlebte schon einmal früher gesehen oder erlebt habe. Verf.
erzählt zwei interessante Beispiele vom „coup de foudre“ bei einem Epileptiker
und einem schweren Psychopathen. Strümpell (Erlangen).
27) Beitrag zur psychologischen Genese sexueller Perversitäten, von
Zingerle. (Jahrbücher f. Psych. u. Neurolog. 1900. Bd. XIX. S. 333.)
21jähr. belastete Frau (Zangengeburt), mit 6 Jahren an einem Gehirnleiden
erkrankt, seit je abnorm (Phobieen, Reizbarkeit, Stimmungswechsel u. s. w.). Seit
der Pubertät hat Pat. zahllose Diebstähle verübt. Verheirathet zeigte sie anfangs
directen Widerwillen gegen den Coitus, später duldete sie denselben gleichgültig.
Bezüglich der Diebstähle ergab sich nun Folgendes: Patientin empfindet
periodisch, besonders postmenstruell, einen unwiderstehlichen Drang zum Stehlen,
wobei sich heftiger Orgasmus einstellt; die wollüstige Erregung erreicht nach
vollzogenem Diebstahl ihren Höhepunkt. Es ist dabei der Kranken nicht um den
Besitz der gestohlenen Objecte zu thun (welche sie gleich naohher wegwirft oder
vernichtet), sondern um die mit der That verbundene Angst und Aufregung.
Der Versuch einer psychischen Einwirkung in der Art, dass dem Gatten
gerathen wurde, beim sexuellen Verkehre ein ablehnendes Verhalten einzunehmen,
war von auffallendem Erfolge begleitet. Patientin wurde alsbald hochgradig
erregt; der Coitus hinterliess bei ihr lebhafte Befriedigung und das Verlangen
77
nach Wiederholung. In der Folge beging Patientin keine Diebstähle mehr; im
ehelichen Verkehr stets ungemein erregt und bedürftig.
Die der handelnden Person sich entgegenstellenden Hindernisse und Gefahren
and die damit verbundenen Affecte also sind hier das wesentliche und Wollust
erzeugende Moment. Ver£ weist nun auf folgende Tbatsachen hin: Patientin ge¬
hört zweifellos zu den „Entarteten“. Der Geisteszustand derartiger Individuen
ist besonders charakterisirt durch die Mächtigkeit des Gefühllebens; Vorstellungen
oder Affecte sind häufig bei ihnen von einer Anzahl körperlicher Empfindungen
begleitet, wie dies normaler Weise nicht beobachtet wird; gerade sexuelle Empfin¬
dungen schliessen sich häufig an indifferente Vorstellungen oder Affecte an. Die
meist frühzeitig erwachten sexuellen Gefühle verknüpfen sich mit irgend einem
Affecte, einer Vorstellung; diese Associationen sind aber bei solchen Individuen
nachhaltiger, und die sexuelle Befriedigung bleibt an einen nicht geschlechtlichen
Act gebunden. Die Erweckung von Wollust durch einen geschlechtlichen Act ist
nicht möglich.
In strafgerichtlicher Hinsicht müsste auf das Moment des „unwiderstehlichen
Zwanges“ hingewiesen werden. Pilcz (Wien).
28) Le sadisme aux ooursee de taureaux, par Ch. F6re. (Revue de M6decine.
1900. August. S. 613.)
Ausführliche Mittheilung der Geständnisse einer stark psychopathischen
38jährigen Dame über ihr sexuelles Leben. Die Betreffende empfand ihre ersten
sexuellen Erregungen beim Anblick eines zu Füssen seiner Mutter schluchzenden
jungen Mannes. Später traten die lebhaftesten erotischen Empfindungen auf beim
Anblick der wüthenden gequälten Thiere während eines spanischen Stiergefechts.
Aehnliche Vorstellungen zeigten sich oft in den erotischen Träumen. Bemerkens¬
werth ist, dass dieselbe Dame auch an andersartigen abnormen Associationen litt,
insbesondere an Farben Vorstellungen durch Geschmacksempfindungen (saurer Ge¬
schmack, insbesondere Essig, rief die Empfindung von Roth hervor).
Strümpell (Erlangen).
28) Beitrag su den im Kindesalter auftretenden Seelenstörungen, von Dr.
Karl Gumpertz, Nervenarzt in Berlin. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh.
1900. Bd. xxxm.)
Verf. beschreibt die von ihm beobachteten psychischen Erkrankungen eines
6jihr. Mädchens und eines löjähr. Knaben. Das Mädchen hatte an Ruhr ge¬
litten, während der Durchfälle sehr wenig Nahrung erhalten, war nach Nachlassen
des Fiebers hallucinatorisch verwirrt gewesen und hatte eigentümliche „Lauf-
anfalle“ gehabt. Nach 10 Wochen erfolgte gleichzeitig mit Hebung der Körper¬
kräfte psychische Genesung. — Der Knabe hat epileptiforme Anfälle, häsitirende
Sprache, fibrilläres Zittern der Zunge und der Lippen, sowie unsichere Licht-
reaction der Pupillen dargeboten. Er ist später gestorben. Verf. hat die Dia¬
gnose bei dem Knaben auf Dementia paralytica gestellt.
G. Ilberg (Sonnenstein).
30) Daa Jugendirreseln (Dementia praeoox) von E. Trömner. (Sammlung
zwaugloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nerven- und Geisteskrankheiten,
Bd. III. Halle. C. Marhold)
Verf. bespricht in diesem Hefte die Symptomatologie der Hebephrenie und
Katatonie, deren Aetiologie, in welcher Heredität und Pubertät die Hauptrolle spielen,
»wie die Differentialdiagnose der Neurasthenie, Hysterie, Paralyse, Paranoia, Epilepsie,
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Melancholie, Manie, dem Stupor und der hallucinatorischen Verwirrtheit gegenüber.
Die Arbeit giebt die bekannten Kräpelin’schen Anschauungen wieder. Für die
Katatonie besonders charakteristisch hält Verf. die Echosymptome; „ein Stupor mit
Echopraxie ist fast sicher katatonisch“. Kurt Mendel.
31) Folie d’adolesoenoe, par Bourneville et Bellin. (Archives de neurologie.
1900. August.)
Ausführlich mitgetheilter Fall eines stark belasteten Mädchens, das bis zum
14. Lebensjahr bettnässte und angeblich im Anschluss an eine Unterbringung in
einem Stift an Halluoinationen, Visionen und melancholischer Verstimmung erkrankte;
hieran schloss sich eine maniakalische Erregung, die in eine Melancholie ohne
Sinnestäuschungen überging, woran sich eine völlige Heilung mit Auftreten der
Menstruation anschloss. Behandlung bestand in Bädern und Cbloral-Bromdosen
gegen die Schlaflosigkeit. Der Fall bietet manches Interessante.
Adolf Passow (Meiningen).
Therapie.
32) Die Aufgaben des Arztes bei der Einweisung Geisteskranker in die
Irrenanstalt, von Prof. Dr. A. Ho che in Strassburg i/E. (Sammlung zwang¬
loser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nerven- und Geisteskrankheiten.
1900. Halle. Bd. III. C. Marhold.)
Ein vorzügliches Vademecum für den practischen Arzt, von dem man nur
wünschen kann, dass es recht bald in alle ärztlichen Kreise vordringe. — Verf.
bespricht zunächst die Hanptindicationen zur Einweisung in die Anstalt, die Gemein¬
gefährlichkeit, die Selbstmordneigung und Nahrungsverweigerung, nachdem er vorher
gerathen hat, die sog. relative Indication möglichst weit zu fassen, weil zweifellos für
die meisten psychisch Kranken in der Anstalt besser gesorgt wäre als im eigenen
Heim. In der Zeit bis zur Aufnahme in eine geeignete Anstalt soll die Bett-
behandlnng, bei Aufregungszuständen die Bäderbehandlung, soweit diese möglich ist,
durchgeführt werden; eventuell müssten Narcotica gebraucht werden, falls der Arzt
ihre Wirkung öfters controlliren könne. An dieser Stelle vermisst Bef. einige für
den practischen Arzt dringend nöthige specialisirte Rathschläge, welche Arzneimittel
er in Fällen hochgradiger Erregung anwenden, bis zu welchen Gaben er gehen darf,
wenn er wirklich Erfolg sehen will, und in welcher Form er sie am besten ver¬
abreicht. Besitzt nämlich der zu einem solchen Kranken gerufene Arzt nicht wenig¬
stens gewisse Anhaltepunkte, so kann man sicher sein, dass er erst lange in seinem
Verordnungsbüchelchen nachschlagen muss und, wenn er schliesslich ein einigermaassen
brauchbares Mittel findet, dies in zu kleiner Dosis giebt, wodurch er unter Um¬
ständen die Erregung nur steigert. Auch wird man gut thun, dem Arzt für Fälle
schwerer Erregtheit das Gefühl ähnlicher Verantwortlichkeit an das Herz zu legen,
wie es ihm während des Studiums am meisten im Fache der Geburtshilfe beigebracht
wird. Hat er z. B. ein Mittel, dessen Dosirung ihm bei der Verschiedenheit der
körperlichen Constitution in gewissen Grenzen natürlich überlassen werden muss,
injicirt, so wird er selbstverständlich erst den Eintritt der Wirkung abwarteu müssen,
ehe er den Kranken verlassen darf; bleibt es ohne Erfolg, so hat er erst recht zur
Stelle zu bleiben, besonders wenn die Personen der Umgebung des Kranken diesen
nur mangelhaft vor sich selbst oder sich vor ihm schützen können, oder er muss
eine geeignete Persönlichkeit oder einen passenden Ort zur Bewachung desselben
ausfindig machen. — Befolgt der praktische Arzt bei der Abfassung des Zuführungs¬
zeugnisses oder des Fragebogens die im letzten Theile der Arbeit ausführlich ge-
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gebenen Winke, so wird er nicht nar die Psychiatrie dnrch die für die Statistik und
Forschung so nöthige Genauigkeit der Anamnese fördern, sondern auch dem von ihm
eingewiesenen Kranken den besten Dienst erweisen, indem er dem Psychiater ein
rasches und erfolgreiches Eingehen auf seine Individualität ermöglicht.
Meitzer (Colditz).
33) Die Fürsorge für geistig zurückgebliebene Kinder, ein Reisebericht von
Dr. Max Görke. Jahresbericht des Krankenhospitals zu Allerheiligen. 1899/1900.
(Breslauer Statistik. Band XX.)
Verf., ehemaliger Assistenzarzt an der Abtheilung für Ohren-, Nasen- und Hals-
kranke des Allerheiligenhospitals zu Breslau, und als solcher vertraut mit der Unter¬
suchung sprach kranker Kinder, versuchte auf einer Reise durch zahlreiche Städte
Deutschlands und der Schweiz, sowie durch Wien, Paris und London Erfahrungen
über die zweckmässigste Art der Fürsorge für geistig zurückgebliebene Kinder, speciell
solche, die gleichzeitig Sprachgebrechen aufweisen oder durch angeborene bez. früh
erworbene Schwerhörigkeit eine Störung des Intellectes erfahren haben, zu sammeln.
Er bespricht zunächst die historische Entwickelung der Hülfsschulen und widerlegt
hierbei die Einwände der Gegner dieser Einrichtung. Einer der Haupteinwände ist
der, dass diese Schulen Geldkosten beanspruchten, die nicht im Verhältnis zu den
dort erzielten Resultaten ständen. Dem hält er entgegen, dass durch die Hilfsschulen
ein grosser Procentsatz von Elementen, deren Unterhaltung sonst dem Fiscus anheim¬
fallen würde, wenigstens zum Teil erwerbsfähig gemacht, ein anderer von der Bahn
des Verbrechens abgelenkt werde. Soweit man eine Uebersicht hätte, wären bisher
nur vereinzelte Bestrafungen von aus Hülfsschulen entlassenen Zöglingen vorgekommen.
In England, das nächst Deutschland auf diesem Gebiete am weitesten vorgeschritten
sei, würden zur Zeit die Zwangserziehungs- und Besserungsanstalten viel weniger in
Anspruch genommen. Zweck und Ziel der Hülfsschulen oder classes spdciales, wie
sie in der Schweiz und Frankreich heissen, soll es ja sein, 1. durch Anschauung und
Belehrung die zum Verständniss des Lebens und zur activen Antheilnahme an dem¬
selben nothwendigen Begriffe zu bilden, 2. durch methodische Erziehung den Charakter
dee Schülers zu bilden, damit dieser im Leben einen gewissen Halt hat und sich
nicht Augenblicksneigungen ganz und gar überlässt, und 3. ihn für einen praktischen
Beruf vorzubilden, in dem er trotz der schwachen Befähigung in gemeinsamer Arbeit
mit seinen Nebenmenschen wirken kann und der Allgemeinheit nicht als ganz un¬
nützer Ballast zur Last fallt. — In der Grundfrage: „Welche Kinder gehören in eine
Hülfsschule?“ theilt er nicht den jetzt fast als Norm geltenden Satz, dass jedes Kind,
welches 2 Jahre erfolglos dem Unterricht in der Normalschule beigewohnt hat,
dort Aufnahme finden müsse, sondern fasst seine Ansicht folgendermaassen: Jedes
bildungsfähige Kind, das in Folge idiopathischer geistiger Schwäche oder in Folge
von Sinnesdefekten in seiner intellectuellen Entwickelung soweit zurückgeblieben ist,
dass es den Anforderungen der Normalschule nicht gewachsen ist, gehört in eine
Hülfsschule, vorausgesetzt, dass der Sinnesdefect nicht durch seine Hochgradigkeit
einen Unterricht in einer Taubstummen- oder Blindenanstalt erheischt
Es würde zu weit führen, die einzelnen Forderungen des Verf.’s die Organisation
der Hülfsschulen betreffend aufzuzählen; erwähnt mag nur werden, dass auch er dem
Arzte, der neben vollständiger Beherrschung der Untersuchungstechnik und Behand¬
lung der Sinnesorgane psychiatrische Kenntnisse besitzen müsse, einen Hauptanteil
an der Leitung derselben zuerkannt haben will. Er soll bei der Aufnahme der
Kinder mitzusprechen haben, weil nur er, nicht der Lehrer, entscheiden kann, ob das
Kind wirklich schwachbefähigt ist oder nur durch Vorhandensein krankhafter Er¬
scheinungen am Hör-, Nasen- und Sehorgan solches vortäuscht. Auch bei der Ent¬
lassung und Berufswahl soll er mitwirken. Da häufig erst eine längere Beobachtung
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zur Klarheit über ein Kind kommen lässt, so muss ihm Gelegenheit geboten werden,
dasselbe im Unterricht, beim Spiele za sehen. Er soll bei der Festsetzung dee
Lehrplanes, der Daner der einzelnen Stunden, vor Allem bei der Verweisung der
Kinder in entsprechende klinische oder poliklinische Behandlung mitznreden haben.
Da ihm so eine grosse Reihe von Pflichten obliege, so wäre es vorteilhaft, wenn
nicht mehrere Schulärzte im Nebenamt thätig wären, sondern ein einziger Arzt mit
diesen Geschäften betraut würde und dementsprechend sich einzuarbeiten hätte. —
Die Lehrer an den Hülfsschulen müssen eine besondere Eignung und grosses Inter¬
esse für ihr schweres Amt besitzen. Unerlässlich ist für sie als Vorbereitung auf
ihren Beruf wochenlanges Hospitiren in gut organisirten Hülfsschulen, Kenntnisse im
Handfertigkeitsunterricht und besonders in der Lehre von den Sprachgesetzen, Sprach¬
fehlern und in praktischen Artikulationsübungen. In Wien müssen die Lehrer, die
an einer Hülfsschule unterrichten wollen, den Nachweis ihrer Fähigkeit durch eine
Prüfung darthun. Verf. schiebt den niedrigen Procentsatz von Stotterern und
Stammlern (6,5 °/ 0 bez. 9 °/ 0 ) in Breslau gegen Görlitz mit 14 bez. 33°/ 0 auf die
gut organisirten Sprachkurse, in denen die sprachkranken Kinder Breslaus sach-
gemässen Unterricht erhalten. Diejenigen Kinder, die neben den Sprachfehlern an
Imbecillität leiden und deren giebt es viel, gehören allerdings nicht in die Sprachkurse,
in denen sie mit geistig normalen Kindern nicht fortkommen, sondern in die HOlfa-
schulen, wo der Sprachunterricht einen wesentlichen Unterrichtsgegenstand bilden
muss. Stottern und Stammeln sind Nervenkrankheiten, nicht pädagogische Kinder¬
fehler; jeder Fall verlangt daher eine sachgemässe ärztliche Behandlung; der Arzt
soll die Anweisung geben, der Lehrer diese ausführen. Dass es dabei weniger auf
den Unterricht als auf die Behandlung ankomme, habe das Beispiel einiger Schweizer
Städte gezeigt, die ihre sprachkranken Kinder in Ferienkolonien geschickt haben.
Dort brachte ein mehrwöchentlicher Aufenthalt in schöner, gesunder Gegend und guten
hygienischen Verhältnissen bei wenig anstrengenden Uebungen besseren und rascheren
Erfolg als der Articulationsdrill in engen Schulräumen. — Am Schluss der Abhand¬
lung findet sich ein vom Verf. ausgearbeitetes Schema für die Personalacten der
Hülfsschüler, auf deren Wichtigkeit an anderer Stelle aufmerksam gemacht wird. Ks
enthält in logischer Reihenfolge die Punkte, auf die der Lehrer bez. der Arzt sein
Hauptaugenmerk zu richten hat. Meitzer (Colditz).
34) 26. Jahresbericht des Brandenburgisohen HülfhVereins für Geistes¬
kranke für das Geschäftsjahr 1900/1901, von Director Dr. Zinn und
Oberarzt Dr. Riebeth.
Der 26. Jahresbericht zeigt eine Zunahme von 4573 und eine Ausgabe von
4343 Mk.; 3824,12 Mk. wurden zu Baargeldunterstützungen von Geisteskranken
verwendet.
Das Capitalvermögen betrug 30258,55 Mk. M.
36) Jahresbericht der Provinzial-Heil- and Pflegeanstalt für Geistes¬
schwache zu Langenhagen bei Hannover vom 1. April 1899 bis
31. März 1900, von Director Dr. Völker.
Der Bericht zeigt eine Aufnahme von 41 Männern, 31 Weibern, und einen
Bestand am 31./III. 1900 von 417 männlichen und 280 weiblichen Kranken.
Die Zahl hatte sich im Jahre 1899 nur um 7, im vergangenen Jahr nur um 15
erhöht.
Von den Aufgenommenen waren 30,5 °/ 0 im Alter von 9—12 Jahren, bei
37,5 °/ 0 liess sich eine hereditäre Veranlagung nicht nachweisen.
Die Section von 28 gestorbenen Kranken ergab in 50°/ 0 Tuberculose als
directe Todesursache, in 2 Fällen war Tuberculose als Nebenbefund erhoben.
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Bei einem 14jähr. Idioten, welcher im Stat. epilept. gestorben, fand sich
eine Embolia art. pulmon., ein Mal wird eine Porencephalie, ein Mal Aplasia
corpor. callosi. *
Von 163 verpflegten Epileptikern blieben 10 (4 Männer und 6 Weiber) von
Anfällen ziemlich verschont. Unter diesen hatten 3 (2 Männer und 1 Weib)
seit 4 Jahren keinen Anfall gehabt und konnten als vorläufig geheilt angesehen
werden.
„Auch in diesem Jahr wurde bei einer Anzahl die Anwendung der Bromsalze
eingeschränkt oder ganz ausgesetzt, ohne dass sich ein bemerkenswerther Einfluss
auf das Befinden der Kranken oder die Anzahl der Anfälle geltend machte.“
M.
UL Bibliographie.
1) Sömiologie du systöme nerveux, par J. Dejerine. (Traite de pathologie
generale. Tome V. 820 S. mit 306 Figg. 1900. Paris. Masson et Co.)
In Bd. V des Handbuches der allgemeinen Pathologie finden wir eine er¬
schöpfende und durchaus klare Darstellung der Symptomatologie des Nerven¬
systems. Der rähmlichst bekannte Name des Verf.’s giebt uns volle Garantie für
den Inhalt dieses Werkes.
Den umfangreichen Stoff theilt Verf. in folgende 12 Kapitel (welche er dann
in einzelne Theile zerlegt):
I. Störungen der Intelligenz (Hirnapoplexie, Coma, Schlaf und schlaf-
ähnliche Zustände).
H Störungen der Sprache (motorische, sensorische und totale Aphasieen,
der intellectuelle Zustand der Aphatiker, die physiologische Psychologie und
Diagnostik der Aphasie u. s. w.).
IIL Störungen der Motilität (Lähmungen, Muskelatrophieen, Coordinations-
störungen, pathologische Muskelcontractionen — Zittern, Athetose, Chorea, Tics,
Convulsionen, Contracturen, Tetanus, Tetanie, Katalepsie, Hypotonie).
IV. Topographie der Lähmungen und der Muskelatrophieen vom
Standpunkte ihrer anatomischen Localisation (sowohl im peripheren, wie
auch im centralen Nervensystem).
V. Symptomatologie der Hand, des Fusses, des Gesichts, des
Ganges, der Haltung und der Wirbeldeviation (bei den verschiedensten
Nervenkrankheiten).
VI. Mechanische und elektrische Nerven- und Muskelreaction.
VII. Störungen der Sensibilität (oberflächliche und tiefe Sensibilitäts¬
störungen, viscerale Anästheeieen, subjective Störungen der Sensibilität — Meralgie,
Akroparästhesie u. a.).
VIII. Symptomatologie der Sensibilitätsstörungen vom Stand¬
punkte ihrer topographischen Vertheilung (peripherische Nerven, spinale
Wurzeln, Röckenmarkssegmente, Gehirn).
IX. Reflexe.
X. Viscerale Störungen nervösen Ursprungs (nervöse Störungen
seitens der Athmungsorgane, des Herzens und der Gefasse, Digestionsstörungen,
urinäre Storungen, genitale Störungen, das nervöse Fieber).
XI. Trophische Störungen (Gelenke, Knochen, Haut).
XTT- Augenstörungen bei Erkrankungen des Nervensystem s(functio-
nelle Sehstörungen, Augenstörungen bei organischen Krankheiten des Nervensystems
6
Digilizedby G00gle
82
— Ophthalmoplegieen, Pupillenstörungen, Stauungspapille, Hemianopsie, corticale
und psychische Blindheit).
Dieser umfangreiche Stoff ist in einer geradezu klassischen Weise bearbeitet,
wobei Verf. ausser zahlreichen eigenen Beobachtungen stets diejenigen anderer
Autoren berücksichtigt. (Ein Litteraturverzeichniss ist dem Buche nicht bei¬
gegeben.) Es ist auch besonders hervorzuheben, dass überall eine anatomische und
physiologische Darstellung der klinischen vorangeht, wobei die anatomischen
(speeiell die topographischen) Thatsachen durch sehr instructive Bilder veranschau¬
licht werden. Auf etwa 300 Bildern sucht Verf. die verschiedensten Nerven-
symptome darzustellen, wobei er besonders die mannigfachen Hand- und Fuss-
stellungen bei Erkrankungen sowohl des peripherischen, wie auch des centralen
Nervensystems berücksichtigt. Die Bilder stellen zum grössten Theil ausgezeich¬
nete, sehr plastische photographische Aufnahmen dar; da, wo es nöthig war, gab
Verf. schematische Zeichnungen. Wir empfehlen dieses Werk den Fachcollegen
auf das Wärmste. Edward Flatau (Warschau).
2) Die Hülfbsohulen für sohwaohbefähigte Kinder, ihre ärztliche und
sociale Bedeutung, von Dr. med. Leopold Laquer, Nervenarzt in Frank¬
furt a/M. Mit einem Geleitwort von Dr. med. Emil Kraepelin, Professor
der Psychiatrie in Heidelberg. (64 S. Wiesbaden 1901, J. F. Bergmann.)
Der Verf. hat in der vorliegenden Schrift ein in hohem Grade actueiles
Thema behandelt.
An den verschiedensten Orten rüstet man sich, da die hülfreiche Hand zur
Bekämpfung individueller geistiger Schäden und zur Verhütung socialer Miss¬
stände anzulegen, wo am ehesten ein Erfolg für die Zukunft in Aussicht steht —
in der Schule. Mit der stricten Durchführung der Schulpflicht für alle Kinder
von dem schulpflichtigen Alter an hat man alle in dieselbe Schule gezwängt.
Da wo mangelhafte geistige Veranlagung, wo Imbecillität vorhanden war, verfehlt
die Schule nicht bloBS ihren Zweck, sie schädigt vielmehr Lehrer und Schüler.
Der Imbecille bleibt der Letzte in der Klasse, da er dem Unterricht nicht
zu folgen vermag, der gewissenhafte Lehrer wendet ihm, um etwas zu erreichen,
mehr Zeit und Mühe zu, als ihm mit Rücksicht auf die anderen Schüler zu¬
kommt, bis er sich schliesslich überzeugt, dass alles vergebens ist, und dann
wendet er sich völlig von ihm ab.
Wenn die Schule neben dem Erwerb positiver Kenntnisse dem Schüler in
gemeinschaftlicher Arbeit mit den Genossen altruistische Gefühle wecken und
ausbilden, ein wichtiges Mittel für die sociale Erziehung sein soll, so macht sie
den Imbecillen, welcher verlacht und gehöhnt wird, sich mit Unrecht zurück-
gesetzt hält, antisocial, und bei einem nicht kleinen Theil jener Imbecillen, welche
später mit dem Strafgesetz in Conflict kommen, lässt sich die Ausbildung ihrer
antisocialen Neigungen in die Schule zurückverfolgen, wo jene aus einem Kampf
des geschädigten Interesses des Individuums gegen die Geaammtheit sich ent¬
wickelten.
Hier soll und muss Wandel geschaffen werden.
Mit Recht glaubt Verf., dass Hülfsklassen, d. h. Nachhülfestunden, für Schwach¬
sinnige nicht ausreichen; die Schwachsinnigen sind nicht im Stande, in den
meisten Lehrgegenständen mit geistig vollwerthigen Kindern gleichen Schritt zu
halten — und er hält die Einrichtung selbständiger Hülfsschulen für erforderlich.
Eine solche besteht in Frankfurt a/M., an dieser ist der Verf. thätig, und dass
eine solche Schule von kranken Individuen des Beiraths eines Arztes bedarf, ist
selbstverständlich.
Diese Frankfurter Hülfsschule besteht aus 6 Klassen und ist zunächst für
diejenigen Schüler bestimmt, welche nach 2jährigem, regelmässigem Besuch der
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83
an tonten Klasse einer Volksschule auf Grund von Schwachsinn das Ziel der
Aofnahmeklasse nicht erreichen können. Die Zahl dieser schwachsinnigen Kinder
beläuft sich auf 0,52 °/ 0 (102 auf 19401 Gesammtzahl der schulpflichtigen Bänder).
Dass epileptische Kinder grundsätzlich von der Schule fern zu halten sind
(S. 39), dürfte wohl eine gewisse Einschränkung erfahren. Wo sollen diese ihre
Schulbildung erhalten? Sollen noch besondere Schulen für diese errichtet werden?
leh glaube, dass nur da, wo die epileptischen Anfalle sehr häufig sind, der Be¬
such der Schule zu verbieten sei, und sehe kein Hinderniss, wenn die Anfälle
wöchentlich ein oder zwei Hai kommen. Mit Recht aber macht der Verf. darauf
aufmerksam, dass für die sogen, moralisch Schwachsinnigen die gesetzlich bestimmte
Fürsorgeerziehung Minderjähriger genügende Handhabe bietet, die Schule zu
»setzen.
Sehr beherzigenswert!! erscheint der Vorschlag des Verf.’s, die Hülfsschule
mit Internaten zu verbinden, in welchen die Kinder gespeist und in den Nacb-
mittagsstunden beschäftigt werden, eine Einrichtung, welche bereits in der
Leipziger Schwachsinnigensohule angebahnt ist.
Endlich aber wird besonderer Werth darauf gelegt, dass nur durch mehr¬
jährige weitere Versorgung und Unterstützung der aus der Hülfsschule entlassenen
Zöglinge die Selbständigkeit und Erwerbsfähigkeit derselben im späteren Leben
gewährleistet wird.
Aus den wissenschaftlichen Ergebnissen, welche die bisherige Beobachtung
der Kinder in den Hülfsklassen gebracht hat, seien hier nur angeführt, dass die
Beseitigung der Rachenmandeln von sehr geringem Einfluss auf die Leistungs¬
fähigkeit der schwachsinnigen Kinder ist, dass unter 180 Imbecillen nur 6 Mal
eine einfache (angeborene?) Pupillendifferenz feetzustellen war.
Der reiche Inhalt des Buches hat hier nur eine dürftige Skizze erfahren; es
scheint mir bestimmt, in der Frage für die öffentliche Fürsorge der Schwach¬
sinnigen gerade in der entscheidendsten Lebensepoche derselben, d. h. in der
Schulzeit, eine wichtige Etappe zu bilden, und wird demnach nicht bloss für
Aerzte und Lehrer, sondern auch für Alle, welche sich amtlioh oder aus Neigung
für sociale Fragen interessiren, eine Quelle der Belehrung und Anregung bilden.
M.
UL Aus den Gesellschaften.
Psychiatrischer Verein zu Berlin.
Sitzung vom 15. December 1900.
Herr Richter (Dalldorf): Projeotion mikroskopischer Schnitte durch
wehte Hemisphäre und Rückenmark einer 7 Jahre alten Schussverletzung
das Gehirns.
Es handelt sich am den Mann, dessen Krankengeschichte vom Vortr. bereits
in der Sitzung des Berliner psychiatrischen Vereins vom 13. März 1897 vorge¬
tragen wurde. Derselbe machte nach 5 monatlicher Verheirathung einen Mord¬
versuch auf seine Frau und einen Selbstmordversuch; bei letzterem schoss er sich
mit einem Revolver eine Kugel in den Kopf (rechtes Scheitelbein). Es erfolgte
sofort Lähmung des linken Armes und beider Beine, auch Blasenlähmung. Es
blieben beide Fasse und der linke Arm gelähmt, namentlich war das linke Bein
vollständig ohne active Bewegung. Unvollständige Lähmung des linken Gesichts¬
nerven. Später war die grobe Kraft des linken Armes „ein wenig“ vermindert,
die im linken Bein sehr erheblich, die im rechten Bein auoh nur wenig herab¬
gesetzt Patient war nicht im Stande, ohne wesentliche Unterstützung zu gehen;
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bei allen Bewegungen, die irgendwie Anstrengung erfordern, gerieth Patient im
ganzen Körper in heftige Zitterbewegungen. Am linken Arm Scbmerzempfind-
lichkeit herabgesetzt. Kniescheiben reflex sehr stark, beiderseits FuBSclonus, Blasen-
Mastdarmreflex später normal. 8 Monate nach der Schussverletzung Trepanation,
nach derselben Anfall von clonischen und tonischen Krämpfen im linken Ara
mit anschliessenden Krämpfen im linken Facialis. Dieser Anfall wiederholte sich
mehrmals, sodann völlige Lähmung des linken Armes; nach und nach stellte sich
die Bewegungsfähigkeit desselben wieder her, auch das linke Bein besserte sich.
Die Patellarreflexe blieben sehr gesteigert, lebhafter Fussel onus, bei Bewegungen
und Aufregung lebhafte clonische Zuckungen, besonders des rechten Beines. Im
2. Jahr nach der Schussverletzung (Charite) epileptische Krampfanfalle; er
konnte jetzt beide Beine von der Unterlage erheben, das rechte war jedoch
deutlich kräftiger. Er ging auf den Fusspitzen, musste aber .stets unterstützt
werden; bei jedem Schritt beschrieb das linke Bein einen nach aussen convexen
Bogen. Im 4. Jahr der Verletzung dauernd bettlägerig. Nun 3% Jahr in
Dalldorf. Der ganze linke Facialis gelähmt. Patellarreflex gesteigert, links mehr.
Beim B[eben des linken Beines clonisches Zittern, keine Sensibilitätsstörung, mit
Unterstützung vermochte sich Patient eben aufrecht zu erhalten, konnte aber
allein weder stehen noch gehen, der linke Arm schwächer als der rechte. Die
letzten Jahre liess sich Patient nicht mehr untersuchen, war zu aufgeregt, er
blieb aber links gelähmt und auch das rechte Bein war gelähmt. 7 Jahre,
5 Monate, 20 Tage nach der Verletzung starb Patient. Die Section ergab, dass
die Kugel vom rechten unteren Scheitelbeinwinkel aus in der Präcentralfurche
hinauf gegangen war, die Windungen rechts und links verletzend, doch nicht
bl 088 so oberflächlich, als der Vortr. vor der Zerschneidung des Gehirns ange¬
nommen hatte. Die Kugel war dann unter der rechten vorderen Centralwindung
weg in die linke Hemisphäre (unter dem Sinus weg durch die Falx), und zwar
die vordere Centralwindung eingedrungen, hatte die linke Centralfurche gekreuzt
und war in der hintern Centralwindung (zwischen dem ersten und zweiten Viertel)
stecken geblieben. Die Kugel wog 6,7 g.
Der Vortr. demonstrirte 14 frontale Gehirnschnitte durch die verletzte Stelle
der rechten Hemisphäre, sowie Rückenmarksschnitte durch das 5. bis 8. Segment
und aus dem Ende des Rückenmarks. Das 9. Segment hatte sich nachträglich
(s. früheren Vortrag) auch als erkrankt herausgestellt, es bestand überhaupt
durchweg eine Myelitis chronica interstitialis. Die Gehirnschnitte zeigten sammt
und sonders eine centripetale Balkendegeneration, und zwar zogen die degenerirten
Balkenzüge geschlossen bis hoch in die Windungskuppen hinein, um sich dort
palmenartig auseinander zu begeben. Die Stabkranzzüge ziehen nach der An¬
nahme des Vortr. von unten her durch diese fächerartigen Züge durch und legen
sich in den Windungen an beide Seiten derselben an, die longitudinalen Faser¬
züge müssen beide kreuzen. Der Vortr. erinnert hierbei an die „Membranen“
des von ihm beschriebenen Falles von Porencephalie (Archiv f. Psych. Bd. XXXII).
Eine alte Fissur im 5. Rückenmarksegment und ein linksseitiger Defect im 7.
(nach schriftlicher Mittheilung hat der Vortr. mit dem Schlusswort seiner Demon¬
stration: „Diese Dinge habe ich meinen Herren Assistenten, sowie Herrn Dr.
Nawratzki, gelegentlich gezeigt und haben sie sich von den Befunden über¬
zeugen können“ nicht etwa sagen wollen, dass sich die Herren nun mit seiner
Interpretation dieser Befunde identificirten; der Vortr. hebt das um so mehr
hervor, als er nach nochmaliger Durchmusterung der betreffenden Rückenmarks¬
schnitte doch die Ueberzeugung gewonnen hat, dass sie nicht mit genügender
Sicherheit den Defect des 7. Cervicalnerven als durch den Schuss bedingt, ch&rak-
terisiren. Die Untersuchung des betreffenden Segmentes wird fortgesetzt) sind
nach dem Vortr. durch die Gewalt des Schusses bedingt (v. Bergmann, Anfäng-
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liehe ßlasenlähmung!). Die Degeneration ging von den Verletzungen beider
Hemisphären durch beide Pyramiden bis zu jener Fissur des 5. bezw. jenem
Defect des 7. Segmentes und von da bis ans Ende des Kückenmarks. Schliess¬
lich erinnert der Vortr. an die schon anderweitig angerathene Vorsicht bei
Localdiagnosen des Gehirns im Falle schwerer Schuss-, Sturz- u. s. w. Verletzungen,
da oft Verletzungen des Kückenmarks mit vorliegen. — Die linke Hemisphäre
schneidet der Vortr. horizontal.
Herr Geelvink demonstrirt zwei Gehirne mit Cystioerken-Invasion.
1 . Im Marklager des rechten Scheitellappens eine 5 cm breite, 4 cm hohe
Höhle, die durch eine aus Gehimsubstanz gebildete, querverlaufende Scheidewand
getheilt ist; der Wandung jeder Hälfte der Höhle liegt eine schleierartige, weiss-
liche Membran in Falten lose an, der Zugehörigkeit zum Cysticercus taen. solium
bewiesen wird durch die mikroskopische Beschaffenheit der Membran, durch das
gleichzeitige Vorhandensein zahlreicher gewöhnlicher Finnen und den Nachweis
von Haken im Kopfzapfen einer derselben. Auf das Ungewöhnliche bezüglich
Grösse und Sitz der beiden Cysticerken wird hingewiesen.
2. An der Basis seines Gehirns, an dessen Convexität zahlreiche Cysticerken
vorhanden sind, finden sich traubenartige Gebilde, deren Beeren durchscheinende,
etwa linsengrosse Bläschen sind; ausserdem weissliche, mehrere Centimeter lange
Schläuche und Säcke, die mit einem Ende in der Nähe der Arteria basilaris
fixirt, im Uebrigen aber frei beweglich sind.
Eine ganze Anzahl dieser Schläuche finden sich auch im Arachnoidealraum
der Pars cervical. des Kückenmarks, während sich über dem Lumbaltheil und
zwischen den Bündeln der Cauda equina gewöhnlich geformte Cysticerken
vorfinden.
Der Fall vermehrt die Zahl der zuerst von Virchow als Traubenhydatiden
bezeichneten, später durch Zenker als Cysticercus racemosus erforschten
eigenartigen Formenbildung des Cysticerkus, über deren Zustandekommen — ob
durch endogene Wachsthumsvorgänge oder durch Anpassung an die Raumverhält-
nis8e der Umgebung veranlasst — sich Sicheres nicht aussagen lässt.
Vortr. berichtet, dass sich unter den ersten 1200 Sectionen in der Anstalt
Herzberge 9 Mal Cysticerken im Gehirn fanden, also in 0,75 °/ 0 . Der verhält-
nissmässig hohe Procentsatz erscheint bei Berücksichtigung des Umstandes, dass
von diesen 9 Personen 4 noch im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts geboren
waren, weniger auffallend.
Klinische Symptome hatten die Cysticerken nicht gemacht in 4 Fällen,
darunter 3 Fälle, in denen sie sich nur in einzelnen Exemplaren vorfanden.
Bei den übrigen 5 Personen hatte sich in einem Falle ein Symptomenbild
entwickelt, welches mit Berücksichtigung vorangegangener syphilitischer Infection
als Lues cerebro-spinalis gedeutet wurde; in zwei anderen Fällen musste das
Vorhandensein multipler Erweichungsherde als wahrscheinlich angesehen werden,
wenn auch Zweifel an der Diagnose bestehen blieben.
Schliesslich fanden sich bei zwei Krankheitsbildern von Dementia senilis
Symptome localisirter Erkrankung, deren Genese unklar blieb.
In einem dieser letzteren Fälle bestand motorische Aphasie und rechts
Facialislähmung; die Anamnese ergab, dass Patient vor 24 Jahren zum ersten
Haie und seitdem 6—8 Mal Anfälle von Sprachlähmung gehabt hatte; es fand
sich ein Cysticercus, der den Fuss der linken 3. Stirnwindung comprimirte.
Es waren also mindestens 24 Jahre seit der Infection mit Cysticerken
vergangen.
Herr Max Edel (Charlottenburg): Vergiftung mit Höllensteinstiften.
Vortr. berichtet unter Demonstrirung eines nach der Kaiserling’schen
Methode conservirton und im Institut für Staatsarzneikunde aufbewahrten Prä-
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parates über einen Fall von Verätzung des Mundes, Schlundes und Kehlkopfe«,
welche sich ein Paranoiker durch Verschlucken von 3 Höllensteinstiften in
suioidaler Absicht zugefugt hatte. Er war bald darauf in das Asyl für Gemüths-
kranke mit einer rechtsseitigen fibrinösen Pneumonie aufgenommen worden und
nach wenigen Tagen daran gestorben. Auf der oberen Zungenfläche sieht man
einen braunschwarzen Aetzschorf. Der weiche Gaumen, Uvula, Tonsillen, Sinus
pyriformes und Epiglottis waren von einer dicken, graugrünliohen, croupösen
Membran umhüllt, welche sich in die Speiseröhre hinein erstreckte, dieselbe völlig
auskleidete und sich leicht abstreifen liess. Nach Entfernung derselben sieht
man den grünlich gefärbten Zungengrund. Die Schleimhaut ist dort wie in der
Speiseröhre unversehrt geblieben. Die Verätzungen befinden sich in diffuser
Weise zwischen Zungengrund und Kehldeckel, sind am stärksten in dem Sinus
pyriformis und erstrecken sich vom Zungengrund aus in den Kehlkopf hinein,
wo geschwürige Streifen von den verätzten Ligg. ary-epiglottic. aus beiderseits
über den Stimmbändern nach vorn ziehen. Im Allgemeinen sind die Verätzungen
nicht sehr tiefgehende. Sie erklären sich leicht. Die 3 Stifte wurden wohl
gleichzeitig im Affect in den Mund genommen und werden wahrscheinlich in den
beiden Sinus pyriformes eine Weile stecken geblieben sein, bevor sie hinunter¬
glitten. Dabei konnten sie dort eine stärkere Wirkung entfalten. Der Höllen¬
stein ist jedenfalls im Mundschleim zum Theil gelöst worden, wofür die diffuse
Natur der Verätzung spricht. Von dieser Aetzlösung ist dann vom Zungengrund
aus beiderseits etwas Flüssigkeit in das Innere des Kehlkopfes übergefloesen. Im
Uebrigen haben sich die berührten Theile des Rachens und der Speiseröhre durch
Ausschwitzung der croupösen Hülle vor stärkerer Aetzwirkung geschützt. An
mehreren Fingern der rechten Hand befanden sich tiefschwarze Flecke, die von
den Höllensteinstiften herrübrten. Die Section ergab im Uebrigen, abgesehen
von Pleuropneumonie der rechten Lunge, Hyperämie und Oedem der linken Lunge,
Röthung, Schwellung der Bronohialschleimhaut. Aus den Bronchien entleerte
sich ödematÖBe Flüssigkeit. Die Magenschleimhaut lag in Falten, war injicirt
und im Fundus mit glasigem Schleim bedeckt. Das Duodenum war weit mit
stark gerötheter und geschwollener Schleimhaut. Ausser diesen Entzündungen
war im Darm nichts besonderes zu bemerken. Die inneren Organe zeigten keine
weissliche Verfärbung und bei der makroskopischen und mikroskopischen Unter¬
suchung nur geringfügige parenchymatöse Veränderungen. Das Gehirn wies
ödematöse Durchtränkung und Hyperämie auf. Als Todesursache ist die Lungen¬
entzündung anzusehen, welche zufällig hinzugetreten sein kann. Es sei aber auch
ein indirecter Zusammenhang zwischen der Verätzung mit Höllensteinstiften und
der Pneumonie denkbar. Nach Thierversuchen mehrerer Autoren ist eine enorme
Hypersekretion der Bronchialschleimhaut, wie sie hier gefunden wurde, sowie
schwere Respirationsstörung durch Lähmung von Athmungsmuskeln naoh Ver¬
giftung mit Silbersalzen beobachtet. Es könne daher auf dem durch die Hyper¬
sekretion der Bronchialschleimhaut geschaffenen günstigen Boden der im Munde
vorhandene Pneumonieerreger erst seine pathogene Wirkung entfaltet haben. In
klinischer Hinsicht interessirte die paranoische Auslegung seiner Mundverätzung.
Der Patient delirirte, sah Käfer und griff nach ihnen. Er behauptete, sein Kiefei
wäre ihm auf rohe Weise mittelst eines elektrischen Drahtes verbrannt und zer¬
schmettert worden. Sein Mund brenne, er könne nicht schlucken, weil lautei
Zahnsplitter darin sässen. Er verlange Schadenersatz u. s. w. ’ Die Zunge wai
an den Seiten, wo die Luft weniger Zutritt hatte, milchig weiss und dick be¬
legt Es lösten sich schwarze Fetzen von der Unterlippe, dem Zahnfleisch unc
harten Gaumen los. Die Stühle waren diarrhöiBch und anfangs mit flockigen
wie zusammengelaufene Milch aussehenden Massen gemengt. Der Höllensteinstif
habe bisher hin und wieder zu Vergiftungserscheinungen geführt, indem er be:
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Anwendung im Rachen unglücklicher Weise abbrach und verschluckt wurde.
Das batte in der Regel keine ernsteren Folgen. Dass er aber in selbstmörde¬
rischer Absicht genommen wurde, sei bisher in der Litteratur nicht bekannt
Jacobsohn (Berlin).
Aentlioher Verein au Hamborg.
Sitzung vom 26. Juni 1900.
Herr Saenger demonstrirt einen 16jährigen Kutscher, der in Folge eines
Sturzes vom Wagen eine Bchädelbamafractur erlitten hatte. Die Folge war
eine complette Lähmnng dee linken Acnsticns und Facialis. Letzterer war in all
seinen Aesten gelähmt, bot Entartnngsreaction dar, ferner Störung des Geschmackee
im vorderen Drittel der linken Zungenhälfte und Tiefstand des linken Zungen-
grundes. Zufällig konnte Vortr. den Patienten beim Weinen beobachten und
conatatiren, dass sich die Thränen ans beiden Augen in gleicher Menge ergossen.
Dieses Verhalten war der Grund der Demonstration in Hinblick auf das öfter
beobachtete Ausbleiben des Weinens bei Facialislähmung (sc. in der Gegend des
Gangl. genicnli) auf dem Auge der gelähmten 8eite. Vortr. bespricht die ver¬
schiedenen zur Erklärung in Betracht kommenden Ansichten und kommt zu dem
Resultat, dass die Annahme, im Facialis allein den Innervator der Thränendröse
zu suchen, zur Zeit noch durchaus nicht genügend erhärtet erscheint. (Der
Gegenstand wird ausführlich in dem demnächst erscheinenden Band II der Neu¬
rologie des Auges von Wilbrand und Saenger besprochen werden.)
(Autoreferat.)
Herr Saenger: Neuere Erfahrungen über die nervösen Folgesustftnde
nach BjeenbehnunfMlen. (S. Referat in d. Centralbl. 1900. S. 1083.)
Herr Einstein hat, um die Häufigkeit der Unfallneurose festzustellen,
5276 Betriebsunfälle, die innerhalb 4 Jahren bei der SpeditionB - Berufs-
genos8enschaft angemeldet waren, durchgesehen und kam zu dem Resultat, dass
nur 7 pro Mille auf Grund von Unfallneurose Anspruch auf Rente erhoben. Das
Vorkommen der Unfallneurose ist also bei seinem Material verhältnissmässig selten.
Die sogenannten objectiven Symptome bieten keine sichere Grundlage für die
Beurtheilong: in schweren Fällen wurden sie manchmal ganz vermisst. Für das
ätiologisch wichtigste Moment hält er die Thatsache, dass der Unfall eine „Rente“
bedingt Daher kommt es wohl, dass auch in den Saenger’sohen Fällen die
Angestellten, d. h. die wirthschaftlich Schwächeren, intensivere Folgen gezeigt
haben, als die mitverletzten, meist gut situirten Passagiere I. und II. Classe.
Vortr. empfiehlt dringend, wo irgend möglich, durch Kapitalabfindung zu ent¬
schädigen, und betont zum Schlösse die Wichtigkeit der Prophylaxe der Unfall¬
nettrosen, deren Durchführung hauptsächlich Aufgabe des zuerst behandelnden
Arztes ist (Autoreferat)
Herr JeBsen berichtet, dass nach seinen an einem einheitlichen Material von
über 1000 Betriebsunfällen gewonnenen Erfahrungen in den letzten 6 Jahren die
Zahl der „traumatischen Neurosen“ von etwa 7 auf etwas über 2 0 / W) gesunken ist,
Ziffern, welche den von Einstein berichteten entsprechen. Dem entspricht auch
die relative Gutartigkeit der Saeuger’schen Fälle. Dieses Absinken kann seinen
Grund darin haben, dass einerseits die Arbeiter immer mehr den Werth der
Arbeit schätzen gelernt haben, andererseits die Aerzte vorsichtiger in ihren pro¬
gnostischen Aeusserungen, härter und geübter in ihren Schätzungen geworden
find. Andererseits hat sich die Zahl der durch Unfall bedingten organischen
bezw. functioneilen Nervenleiden vergrössert, weil man dem Trauma als ätio-
gischem Momente mehr Aufmerksamkeit schenkt. (Autoreferat.)
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Herr Saenger sieht die Ursache dafür, dass er Unfallsneurosen häufiger
sieht als die Vorredner, in seiner specialistischen Thätigkeit. Er betont, dass er
schon vor Jahren auf die Nothwendigkeit eines Arbeitsnachweises für Unfall¬
verletzte hingewiesen habe, und hält die ursprünglich von Jolly gegebene An¬
regung der baldmöglichsten definitiven Abfindung für durchaus erstrebenswerth.
Sitzung vom 13. und 27. November und 11. December 1900.
Herr Trömner: lieber Psychologie und Indioationen der Hypnose.
Der Hypnotismus tritt immer mehr aus dem Stadium der leidenschaftlichen
in das der kritischen Beurtheilung. Uebertriebene Urtheile im einen oder anderen
Sinne entspringen zum Theil falschen psychologischen Anschauungen, zum Theil
falscher Indicationsstellung. Hypnotherapie eignet sich nicht für all¬
gemeine Anwendung. Man muss nach Krankheiten und Individuen scheiden.
— Die Psychologie der Hypnose sucht Vortr. auf die Fragen zu gründen: Was
ist eine Suggestion? und Unter welchen Bedingungen wird sie vom
Gehirn angenommen? Suggestion, äusBerlich betrachtet, ist nach dem Vortr.
eine paradoxe (d. h. der bisherigen Erfahrung des Objects widersprechende) Ver¬
sicherung oder Ankündigung, gegeben in der Absicht, eine entsprechende Ueber-
zeugung oder einen dieser Ueberzeugung entsprechenden inneren Vorgang herbei¬
zuführen oder zu begünstigen. Die Bedingungen, unter welchen eine Suggestion
angenommen wird, liegen in der (dauernden oder momentanen) Disposition des
Gehirns.
Jede mit Nachdruck in das Gehirn eingeführte Vorstellung entfaltet bestimmte
weitere Wirkungen, welche im normalen (allseitigen) Wachsein wesentlich in der
Einwirkung verwandter (associirter) Vorstellungen bestehen. Die therapeutisch
geschätzten Wirkungen einer Suggestion aber sind die so zu nennenden Tiefen¬
wirkungen, welche in der Erregung zugehöriger Empfindungen, Affecte oder moto¬
rischer Innervationen bestehen; solche Wirkungen treten nur in abweichenden
Bewusstseinszuständen auf. Als solche Zustände mit gesteigerter Suggestibilität
beschreibt Vortr. den diffus schwach-associirten (im Sinne von 0. Vogt), den
einseitig eingeengten, den Affect und den natürlichen Schlaf. Zwischen Affect
und Schlaf bestehen engste antagonistische Beziehungen. Affectlosigkeit ist die
unerlässlichste der Schlafbedingungen. Dieselben Bedingungen fordert der hypno¬
tische Schlaf. Die hypnotische Technik muss sich ihnen anpassen. Motorische
Buhe und Abwesenheit von Sinnesreizen fordert der Schlaf weniger als Affect¬
losigkeit. Mit der Schlaftiefe steigt die Anschlagskraft der Suggestion.
Die Suggestibilität des Gehirns steht im umgekehrten Verhältniss zum Um¬
fange des Bewusstseins und zum Associationsgrade seines Inhalts.
Vortr. hat in etwa 3 Jahren 142 Personen hypnotisirt — fast nur zu thera¬
peutischen Zwecken: 37 männliche Individuen (5—60 Jahre alt) und 105 weib¬
liche (6—71 Jahre alt). Die Diagnosen waren Neurasthenie (33 Mal), Hysterie
(28 Mal), Migräne (9 Mal), Trigeminusneuralgie (5 Mal), Muskelkrämpfe (5 Mal),
Chorea (5 Mal), Stottern (5 Mal), traumatischer Kopfschmerz (4 Mal), Tabes
(4 Mal), Epilepsie (4 Mal), Hypochondrie, Melancholie, Enuresis, Nachtwandeln,
Ischias, Sohreibkrampf, multiple Sklerose und Myelitis. Davon waren refractär 9,
somnolent 19, hypotactisch 84 und somnambul 30. Die refractären Fälle waren:
1 neurasthenischer Zwangsaffect, 1 schwere Hypochondrie, 1 Chorea, 1 trauma¬
tische Schulterneuralgie (mit schweren Sorgen), 1 Agoraphobiker (zugleich Renten¬
kämpfer) und 4 zähe, verschiedentlich und vergeblich behandelte Hysterien. Von
den tief schlafenden gehörten relativ die meisten den pathologischen Schlaf¬
zuständen und der Epilepsie, die wenigsten der Hysterie an. Auch nach den
Erfahrungen des Vortr. sind Hysterische schwer zu hypnotisiren. Mit Wetter-
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strand, Vogt u. A. hält auch Vortr., wenn überhaupt Hypnoße, so doch die
Herbeiführung eines tiefen Schlafes für wünschenswerth. Schaden sah Vortr. in
folgenden Fällen: 1. Müdigkeit, Kopfschmerz und unruhiger Schlaf nach der
ersten Hypnose, bei mangelhafter Technik oder imgenügendem Erwecken, 2. nach
Versuchen, bei ungenügender Schlaftiefe Katalepsie oder automatische Bewegungen
zu erzeugen, 3. nach misslungenen Hypnotisirungsversuchen, 4. Ohnmächten oder
Krämpfe bei Hysterischen, letztere, wie es schien, im Beginn des hypotactischen
Stadiums. Solche Störungen lassen sich durch sehr vorsichtige Entwickelung der
Hypnose und Vermeidung von Experimenten umgehen.
Die therapeutischen Erfolge waren am geringsten bei reinen Hypochondrieen
(Autosuggestion und Misstrauen) und bei gewissen, noch nicht näher zu be¬
stimmenden Formen der Hysterie. Bei Hysterie ist häufig die Dauer der Suggestions¬
wirkung — vom Vortr. Suggestionsfestigkeit genannt — sehr gering. Epileptiker
fand Vortr. leicht zu hypnotisiren (wenn noch keine Demenz bestand). Die besten
Erfolge sah Vortr. bei den pathologischen Schlafzuständen (Pavor noch, Nacht¬
wandeln, Bettnässen, Schlafsucht); hier hält er die hypnotische Suggestion für
specifisch indicirt. Von den Beschwerden der erworbenen, nicht degenerativen,
Neurasthenie fand er Schlaflosigkeit und die chronische Obstipation (der Frauen)
am besten der Suggestion zugänglich.
Becht gute Erfolge hatte Vortr. in 3 Fällen schwerer Trigeminusneuralgie:
L 7 Jahre alter Gesichtsschmerz, dem schon 11 gesunde Zähne geopfert wurden;
elektrische Behandlung erfolglos, dann Heilung durch (tiefe) Hypnosen in 14 Tagen;
Heilungsdauer bis jetzt s / 4 Jahre. II. 1 / 3 Jahr alte, anhaltende Neuralgie des
Auriculo-temporalis; durch Hypnose und Galvanisation in 6 Wochen bis auf ge¬
ringe Sensationen geheilt; 1 / 8 Jahr später gute Nachricht. III. Neuralgie nach
Influenzaanfallen, zuletzt im ganzen Gesicht und anhaltend; nach einer einzigen
Hypnose (tief) Heilung; nach 3 / 4 Jahren gute Nachricht, kein Recidiv. Gute
Resultate liefert die Hypnose bei den sonst recht schwer zu behandelnden Tics.
Ein Stemo-cleido-Krampf heilte in etwa 6, ein Fall von Maladie des tics impul-
sifs (Jolly) in etwa 20 Sitzungen. Bei Chorea scheitert der Erfolg häufig an
der motorischen Unruhe und der Aufmerksamkeitsstörung, wenn auch die Hypnose
gelingt; von 5 Choreatischen schliefen 3 hypotactisch und 1 somnambul. Beim
Stottern gab Hypnose allein keine befriedigenden Erfolge; hier hält Vortr. Com-
bination mit Uebungstherapie (nach Gutzmann oder Liessmann) für noth-
wendig. Im Ganzen wird es noch gewissenhafter Studien bedürfen, um genauere
und weitere Indicationen zu gewinnen.
Am Schlüsse gab Vortr. folgende Thesen:
1. Es ist anzunehmen, dass jeder geistesgesunde Mensch der Hypnose in
irgend einem Grade zugänglich ist.
2. Die Hypnose gelingt um so tiefer, je leichter das Bewusstsein des Objects
einzuengen, bezw. zu dissociiren ist, je weniger Affecte und je weniger schlaf-
störende Autosuggestionen zu beseitigen sind.
3. Hypnose ist ein differentes Heilmittel, üble Nachwirkungen lassen sich
jedoch durch Vorsicht vermeiden.
4. Die Erfolge therapeutischer Suggestionen hängen von dem Inhalt und der
Festigkeit bereits vorhandener Autosuggestionen ab.
5. Es ist nöthig, zwischen Suggestibilität und Suggestionsfestigksit zu unter¬
scheiden; beide wachsen, ausser bei Hysterie, mit der Tiefe der Hypnose.
6. Specifisch indicirt erscheint die hypnotische Suggestion bei allen un-
complicirten Störungen der Schlaffunction.
7. Dringend zu fordern ist ein Gesetz, welches das Verbot hypnotischer
Schaustellungen dahin ergänzt, dass die Ausübung des Hypnotismus und des mit
ihm identischen Magnetismus nur den Aerzten gestattet ist. (Autoreferat.)
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90
Herr Nonne betont ebenfalls, dass die Hypnose ein differentes Heilmittel
und nur den Händen Sachverständiger zu überantworten sei.
Nach kurzem historischem Ueberbliok über die psychologische Auffassung der
Hypnose giebt er derüeberzeugung Ausdruck, dass heute den physikalischen Methoden
zur Herbeiführung des hypnotischen Zustandes keine Bedeutung mehr beigelegt
wird und dieselbe lediglich durch die psychische Einwirkung zu Stande käme.
Betreffe der therapeutischen Verwerthung der Hypnose stimmt er Herrn
Trömner bei, dass tiefere und tiefe Grade der Hypnose von prompterer und
nachhaltigeren Wirkung sind. N. sieht die Hauptindication für die Hypnotherapie
in der monosymptomatischen Form der Hysterie. In solchen Fällen wirkt die
hypnotische Behandlung nicht selten, wo die anderen suggestiven Beeinflussungs-
methoden der verschiedensten Art versagt haben. Andererseits versagt die Hypno¬
therapie nicht selten, wenn bereits eine frühere Anzahl anderer Behandlungs¬
methoden vorhergegangen sind.
N. sieht in den verschiedenen Formen der Neurasthenie, besonders in den
überaus häufigen Zwangszuständen der Neurastheniker keine Indication für die
Hypnotherapie, ebenso sind die allgemeinen neuralgieformen Zustände nach seiner
Erfahrung einer nachhaltigen Wirkung durch die hypnotische Behandlung nicht
zugänglich.
N. warnt besonders davor, eine grössere Reihe von hypnotischen Sitzungen
auf einander folgen zu lassen; er seihst bricht die Behandlung ah, wenn nicht
nach wenigen Sitzungen ein greifbares Resultat erzielt wird. Ferner sieht er in
der hypnotischen Therapie an der Hand einer zwölfjährigen Erfahrung nur ein
symptomatisches Mittel, um einzelne besonders störende Symptome zu beseitigen.
Die Beeinflussung des Allgemeinzustandes, welcher in den meisten Fällen die za
behandelnden Symptome hervorgebracht hat, bleibt das Wichtigste. Die Be¬
rechtigung der Specialisirung auf Hypnotherapie vermag N. nicht anzuerkennen.
Herr Physicus Deneke legt Werth auf die voq dem Vortr. ebenso wie von
Herrn Nonne betonte Thatsache, dass die Hypnose ein differentes, nur mit Vor¬
sicht anzuwendendes Heilmittel sei, das auch Schaden bringen könne. Ein Gut¬
achten des Reichsgesundbeitsamtes aus dem Jahre 1895, das allen Bundes¬
regierungen mitgetheilt sei, verbreite sich sehr eingehend über die bei hypno¬
tischen Proceduren möglichen Schädigungen der Patienten und komme zu dem
Schlüsse, dass Schaustellungen von Hypnotiseuren zu verbieten seien und ein
Verbot an Nichtärzte, die Hypnose als Heilmittel anzuwenden, wünschenswerth
sei. Die Schaustellungen seien denn auoh in Hamburg wie in anderen Gross¬
städten seit einigen Jahren verboten, zu einem Verbot der hypnotischen Behand¬
lung durch Kurpfuscher aber fehle die gesetzliche Handhabe. D. hoffe jedoch,
dasB durch Anwendung einer am 1. Juni d. J. erlassenen Senatsverordnung dem
Missbrauch der Hypnose durch Kurpfuscher wenigstens zum grossen Theile ge¬
steuert werden würde. Diese Verordnung verbiete u. a. die öffentliche Ankündigung
von Heilmitteln und Heilmethoden, die ihrer Beschaffenheit nach geeignet seien
Gesundheitsschädigungen hervorzurufen. Da die Hypnose sowohl direct als auch
indirect, durch dauernde Beschränkung der Willensfreiheit bei besonders disponirten
Personen, Gesundheitsschädigungen hervorrufen könne, so sei nach Auffassung der
Medicinal- und Polizeibehörde die öffentliche Ankündigung derselben als Heil¬
methode in Hamburg verboten. Der von dem Vortr. erwähnte Hypnotiseur Tiedtke
habe auf Grund dieser Verordnung bereits einen Strafbefehl erhalten, und die von
ihm beantragte gerichtliche Entscheidung stehe in Kürze bevor. (Dieselbe ist im
Sinne der Bestätigung des Strafbefehls ausgefallen.) Man dürfe die Wichtigkeit
einer solchen anscheinend kleinlichen Maassregel, wie des Verbots der öffentlichen
Ankündigung, nicht unterschätzen; D. habe nach seinen amtlichen Erfahrungen
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91
die üeberseugung, dass durch die Verhinderung der Reklame der Kurpfuscherei
der Lebensnerv abgeschnitten werde.
Herr Saenger theilt zunächst einige Fälle aus der Praxis mit, in welchen
er nach von Anderen ausgeführter Hypnotisirung schädliche Folgen in Form von
hysterischen Krampfzuständen, Lähmungen, choreaähnlichen Bildern u. s. w. sah.
Er geht dann auf die vom Vortr. urgirte Vergleiohung der Hypnose mit dem
Schlaf ein, hebt hervor, dass die Erklärung das Wesen nicht erschöpft, und be¬
weist dies, indem er kurz die verschiedenen Ansichten der Physiologen und
Kliniker reproducirt — Joh. Möller, Pflüger, Preyer, Mosso u. A. —. Er
fährt aus, dass von Einigen Anämie, von Anderen Hyperämie des Gehirns an¬
genommen wird. Er erwähnt den berühmten Fall StrümpeH’s, bei dem durch
Abhaltung der Sinnesreize jederzeit Schlaf erzeugt werden konnte. Ferner wird
die geistreiche Mauthner’sche Theorie besprochen, der die Unterbrechung im
centralen Höhlengrau als das den Schlaf bestimmende Moment hinstellt. S. tritt
wf Grund seiner Beobachtungen der beim Schlaf eintretenden Ptosis (die er im
ßd. H der „Neurologie des Auges“ mitgetheilt hat) für die von Joh. Müller
gegebene Anschauung ein. Gegen die Trömner’sche Ansicht, dass der Schlaf
eine Autosuggestion sei, spricht schon die Erfahrung bei Säuglingen und Thieren.
Da» der Schlaf eintrete, wenn kein Affect die Seele bewege, wird durch die
Beobachtung von im Gebirge Verirrter widerlegt, die in Folge der Kälteeinwirkung
trotz Angstaff ec tes e inschlafen.
S. berichtet, dass er genau analoge Fälle von hysterischer Hemiplegie, von
Contracturen, von Enuresis nocturna mit demselben Erfolge ohne Hypnose, nur
mit Wachsuggestion unter Anwendung verschiedenster, der Invididnalität an-
gepasster Maassnahmen geheilt habe. Hierbei hebt er besonders hervor, dass
damit allein eine Heilung eines nervösen Leidens nicht erzielt werde, sondern
nur dadurch, dass der Allgemeinzustand berücksichtigt wird. Die Hypnose wirkt
niemals heilend, sie ist höchstens im Stande, Symptome zu beseitigen. Nur in
Terzweifelten Fällen ist einmal der Versuch erlaubt, z. B. beim Nachtwandeln.
Die Aufgabe des Arztes ist es vor Allem, die Patienten nicht willenlos zu machen,
Wadern mit allen Mitteln danach zu streben, ihren Willen zu kräftigen und ihr
Selbstvertrauen zu heben. (Autoreferat.)
Herr Rumpf steht nicht auf dem ablehnenden Standpunkt des Herrn
Saenger, will aber nicht so weit gehen wie Herr Trömner; er ist der Ansicht,
dass man im Allgemeinen die Indicationen an die Hypnotherapie schärfer be¬
grenzen solle — als man es früher gethan habe, und ebenso schärfer — als es jetzt
noch die Specialisten für Hypnotherapie thun. Schädigungen durch unvorsichtige
ind technisch fehlerhafte Hypnotisirungen hat auch R. gesehen.
Herr Boettiger hat auch die Empfindung, als ob die Begeisterung für die
Hypnose im Abnehmen begriffen sei. Bei Beurtheilung der Berechtigung und
Zweckmässigkeit ihrer therapeutischen Verwerthung muss man unterscheiden
zwischen den leichteren und den tieferen Graden der Hypnose. Die letzteren
rtprisentiren zweifellos pathologische psychische Zustände; schon die zu ihrer
Erreichung nothwendige hochgradige Suggestibilität ist pathologisch und häufig
dn Symptom geistiger Minderwertigkeit, das entweder dem Hypnotisirten, in
hesem Falle einem Psyohopathen, schon vorher eigen war oder durch die Hypnose
bei ihm gezüchtet worden ist, in Folge Weckung einer latenten krankhaften
Disposition. Auf die Gefahren dieser tiefen Hypnosen ist ja schon allseitig hin-
i erwiesen: es fragt sich nun, ob der eventuelle Nutzen diese Schädigungen auf-
nnriegen vermag. B. verneint dies entschieden, zumal die Erfolge durch solche
Hypnosen durch andere therapeutische Maassnahmen genau ebenso zu erreichen
und: er hält daher die therapeutische Verwerthung tieferer Grade der Hypnose
fär verwerflich.
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Die leichteren Gh*ade der Hypnosen andererseits sind erst recht unnütz, weil
sie keinesfalls mehr leisten als andere Behandlungsmethoden und immer nur ein¬
zelne Symptome bekämpfen. Immerhin mögen sie gelegentlich Anwendung finden,
nicht als ultimum refugium, wie einige der Herren Vorredner empfahlen, sondern
dann, wenn die Patienten selbst die Autosuggestion mitbringen, dass ihnen die
Hypnose bereits gut helfen würde. Dann könnte die Hypnose schon einmal
anderen Therapien überlegen sein, aber keinesfalls mehr, als ceteris paribus andere
therapeutische Maassnahmen der Hypnose bei denselben Krankheiten, aber bei
anderen Patienten. Es ist auch nicht richtig, dass tiefe suggestive Wirkungen
nur im nicht wachen Zustande angenommen werden; vielmehr leisten Wach¬
suggestionen im Ganzen dasselbe.
Schliesslich schädigt das Hypnotisiren gelegentlich nicht nur den Patienten,
sondern öfter auch die Hypnotiseure, indem sie sich von dem angeblich Hypno-
tisirten theils durch deren Dummheit oder Gefälligkeit, theils durch ihre Bosheit
betrügen lassen, wofür B. Beispiele anführt.
Also: die therapeutische Verwendung der tiefen Grade der Hypnose ist ver¬
werflich, die der leichten Grade entbehrlich, nur gelegentlich da angebracht, wo
die Patienten selbst dringend nach ihr verlangen, vorausgesetzt, dass gleichzeitig
die Art der Krankheit Angriffepunkte für die Einwirkung hypnotischer Suggestionen
darbietet. (Autoreferat.)
Herr Bonne (Flottbeck) weist angesichts der ausserordentlichen Suggestibilität
unserer heutigen Gesellschaft auf die zunehmende Nothwendigkeit des Ausbaues
der Suggestivbehandlung hin, damit dieselbe in rechter Weise ein tägliches
Armentarium für den praktischen Arzt werde.
B. versteht unter Suggestion jede von aussen unser Seelenleben treffende
Anregung, Beeinflussung, jeden „Seelenreiz“ und vergleicht diesen Charakter der
Suggestionen mit den Nervenreizen.
Diese „Seelenreize“ können die Psyche treffen bei vollem Bewusstsein. In
diesem Falle handelte es sich um Wachsuggestionen. Sollen dieselben von thera¬
peutischem Effect sein, werden sie einer gewissen Intensität nicht entbehren können.
Zu zweit können die Suggestionen die Psyohe treffen bei eingedämmtem Be¬
wusstsein, d. h. in einem Zustande, welcher dem ersten Stadium des Liäbault'-
schen und Bernheim’schen Begriffs der Hypnose entspricht. Zu dritt können
die Suggestionen die Psyche treffen bei aufgehobenem Bewusstsein oder in der
tiefen Hypnose. Letzteres Stadium ist nur in gewissen Fällen für die Suggestiv¬
therapie verwendbar, da es zu häufig in wirklichen Schlaf übergeht oder wenigstens
von so tiefer Bewusstlosigkeit begleitet ist, dass die Suggestionen ihrer Reiz¬
wirkung verloren gehen.
B. benutzte die Suggestivtherapie seit Jahren in ausgiebigster Weise in der
täglichen Praxis, zunächst in der chirurgischen, und zwar vor allem zur Einleitung
von Narkosen zur Vermeidung des Excitationsstadiums und Ersparung von
Chloroform; sodann zur rein suggerirten Narkose in der kleinen Chirurgie, ferner
zur Beseitigung von Nachschmerzen und zur leichteren Ertragung der Beschwerden
in inoperablen Fällen.
Mit Vorliebe verwendet B. die Suggestionstherapie mit ganzer oder halber
Hypnose bei Erschöpfungsneurosen, Agoraphobie, Sprachstörungen, Kopfschmerzen,
Neuralgieen, functionellen Neurosen, soweit dieselben nicht durch elektrische Be¬
handlung beeinflusst werden, Appetitlosigkeit, Aversion gegen gewisse Nahrungs¬
mittel, wie z. B. gegen Milch bei Kindern und Magenkranken, bei gemüthlichen
Verstimmungen, überhaupt überall dort, wo der Kranke unter dem Einflüsse er¬
höhter Suggestibilität sein Leiden empfindet.
Sodann benutzt B. die Hypnose, um aufgeregte Kranke, Reconvalescenten,
Deliranten in Schlaf zu bringen. Bei letzteren liegt die Schwierigkeit der Technik
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darin, dass der Arzt sich in die entgleiste Bewusstseinsphäre des Patienten ge-
wissermaassen erst einschleiohen muss.
B. betont, dass man niemals tiefe Hypnose erzwingen soll, sondern legt das
Hauptgewicht auf die Bewusstseinseindämmung durch Schaffung des „geistigen
Milieu“ und die zu ertheilenden Suggestionen. B. verurtheilt ebenfalls alle
Schaustellungen der Hypnose und alle Hypnotisirungen mit unwahren oder scherz¬
haften Suggestionen als verwerflich auf das Schärfste. Psychotherapie sei an¬
gewandte Psychologie und angewandte Ethik, dann werde man auch keine Willens-
Schwächung, sondern Willenskräftigung durch dieselbe erzielen.
Sodann weist B. auf die allgemeine Anwendung der Wachsuggestion in der
täglichen Praxis hin und berührt hier die „verkehrten Suggestionen“ der Aerzte
und deren Folgen bei Unfallverletzten, bei gynäkologischen und ähnlichen Fällen.
Die methodische Wachsuggestion übt B. seit Jahren in seiner Eigenschaft als
Guttempler in ausgedehntester Weise mit bestem Erfolg zur Heilung bezw. Rettung
Trunksüchtiger. (Autoreferat)
Herr Fock erhebt Widerspruch gegen die Meinung, man dürfe die hypno¬
tische Suggestion nur anwenden, wenn alle anderen Hülfsmittel versagen. Wenn
man überhaupt die Suggestion systematisch therapeutisch verwenden will, so soll
man sie in einer Form anwenden, wie sie am wirksamsten ist und am sichersten
dirigirt werden kann; das ist nicht die larvirte Wachsuggestion, bei der der
Patient stets an die Worte und äusserlichen Handlungen des Arzteß, z. B. Faradi-
sation, eigene Ideeenverbindungen, oft unabsichtlich und auch unbewusst, anschliesst,
die den beabsichtigten Effect in Frage stellen können, sondern die hypnotische
Suggestion, denn das Wesentliche an der Hypnose ist die Ausschaltung der kriti-
sirenden und Reflexionen anstellenden Gehirnthätigkeit, also die Erhöhung der
Suggestibilität. Man soll möglichst tiefe Hypnossn erstreben, denn bei derselben
Person wächst die Suggestibilität und die Suggestionsfestigkeit mit der Tiefe der
Hypnose, während diese Eigenschaften bei verschiedenen Personen die grössten
Pnterschiede zeigen können: Bei Einem erreicht man in oberflächlicher Hypnose
sehr gute Resultate, während bei dem Anderen trotz tiefer Hypnose auf die Dauer
wenig zu erzielen ist. Gelegentlich geht die tiefe Hypnose in natürlichen Schlaf
über; in diesem sind die Suggestionen natürlich unwirksam, und wenn der Arzt
diesen Zustand noch für Hypnose hält, so kann er zu Trugschlüssen kommen.
Die Hypnose allein bildet aber immer nur den einen Factor; ebenso viel
kommt es auf die Zweckmässigkeit der in der Hypnose ertheilten Suggestionen
an; diese müssen, auch redactionell, möglichst dem Gedankenkreis des Patienten
angepasst sein; deshalb ist sehr ausführliche Anamnese nöthig. Manchmal kann
man auf diese Weise eine krankmachende Autosuggestion mit leichter Mühe
heraushebeln, an deren Beseitigung man ohne Anamnese der psychischen Vorgänge
im Patienten sich Bonst hätte lange abmühen können. Gefahren bietet die Hyp¬
nose bei sachgemässer Anwendung nicht mehr alB andere Heilmethoden, besonders
bei Beschränkung auf die rein verbale Methode zur Einleitung der Hypnose. Die
Hypnose schwächt nicht die Willenskraft, sondern sie kann im Gegentheil grade
Tom Arzte zur Stärkung derselben angewendet werden; in der Praxis ist dies
besonders wichtig z. B. bei der Heilung der Trunksucht. Der Gefahr, dass Je¬
mand missbräuchlicherweise hypnotisirt werde, kann der Arzt leicht Vorbeugen
durch die Suggestionen: der Patient werde stets nur von einem Arzte zu bypno-
t«iren sein, nur zu therapeutischen Zwecken und nie gegen seinen Willen. Er¬
fahrungsgemäss realisiren sich diese Suggestionen gut.
Die Hypnose wird voraussichtlich immer mehr Allgemeingut aller Aerzte
werden; daneben wird aber auch die Zahl der Aerzte wachsen, welche sich mehr
oder weniger ausschliesslich mit ihr befassen, für schwierigere und lange dauernde
Koren. (Autoreferat.)
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Herr Trömner (Schlusswort) fasst die Ergebnisse der Discussion zusammen:
Die Werthung der Hypnose werde immer noch „von der Parteien Gunst und
Hass verwirrt“. Nur Sichtung nach Fällen und Individuen könne zur Klärung
führen. Von allen Erfahrenen werde zugegeben, dass die Hypnose kein Allheil¬
mittel sei, dass sie aber in gewissen Fällen mehr leiste und sichereren Erfolg
habe, als die durch reine Wachsuggestion getragenen Methoden. Welchen Krank¬
heiten und welcher Kategorie von Individuen solche Fälle zugehören, muss eben
durch fortgesetztes, vorurtheilsfreies Studium ermittelt werden. T. hat versucht,
einige Indicationen nach Krankheiten aufzustellen.
Indicationen nach Individuen können nur durch psychologische Vertiefungen
gewonnen werden, für die gerade die Hypnose das beste Hülfsmittel ist. Die
Behauptung von Herrn Sa eng er, dass alle Erfolge der Hypnose sich auch auf
anderem Wege erreichen lassen, hält T. für unbeweisbar; wohl aber kenne jeder
genügend erfahrene Hypnotherapeut genug Fälle, denen langes Elektrisiren nichts
genützt hat, die aber durch Hypnose gebessert bezw. geheilt wurden. Eine solche
Therapie müsse man zu vervollkommen suchen, nioht aber a limine abweisen.
Diesen Vortheilen der Hypnose gegenüber fallen die so oft behaupteten Schädi¬
gungen nicht ins Gewicht. Nutzen und Schaden jeder Therapie hängen von
Können und Gewissenhaftigkeit des Therapeuten ab. Speciell die Schäden der
Hypnose seien mit wenigen Ausnahmen auf fehlerhafte Technik zurückzuführen.
Nicht zu billigen sei deshalb die Verwendung anderer Mittel als der reinen
Verbalsuggestion. Die von Herrn Saenger wieder hervorgehobene Willen¬
losigkeit der Hypnotisirten bestehe in der Mehrzahl der Fälle nicht. Die
meisten Hypnotisirten realisiren therapeutische Suggestionen, lehnen aber unbefugte
Experimente ab; sind also nicht willenlos. Selbst dass durch langes und ge¬
wissenhaftes Hypnotisiren die Energie geschwächt werde, sei oft behauptet,
aber nicht bewiesen worden.
Was nun T.’s auf Li6bault und Bernheim gestützte Anschauungen über
die Natur des „gewöhnlichen“ Schlafes betrifft, so wiederholt er, dass auch er Er¬
müdung und Abwesenheit von Sinnesreizen genannt habe, aber nur als „Schlaf-
bedingungen“; das Wesen des Schlafes treffen sie nicht. Dass Abwesenheit
von Sinnesreizen nicht nöthig ist, zeige sich darin, dass ob Menschen giebt, welche
im Lärm einer Strassenbahn trefflich schlafen, und dass habituell Sohlaflose trotz
Abwesenheit aller Sinnesreize oft schlaflos bleiben. Gegen die Ermüdungstheorie
spricht die Erfahrung, dasB viel Schlaf immer schläfriger macht, und dass Ueber-
ermüdung der Hirnrinde sogar den Schlaf verscheucht. Vom Wesen des Schlafes
wissen wir bis jetzt nur. dass er „mehr ein Phänomen der Gewohnheit
als der Ermüdung ist.“ (Vortrag.) Um nun die vielfach erwiesene Thatsache
des suggestiven Momentanschlafes zu erklären (der wie jeder hypnotische Schlaf
dem natürlichen durohaus ähnelt und in ihn übergehen kann), können wir nicht
anders als annehmen, der Schlaf ist ein Vorgang, dessen Wesen uns nicht be¬
wusst wird, und der auch durch die blosse Vorstellung des Schlafes erzeugt werden
kann — unter gewissen Bedingungen: motorische Ruhe, Abwesenheit von Sinnes¬
reizen, Empfindungen der Müdigkeit und Affectlosigkeit (Vortrag). Selbstverständ¬
lich kann dies nur für den Schlaf des erwachsenen Menschen gelten. Der Schlaf
des Erfrierenden ist sicher kein normaler Schlaf, sondern steht der Ohnmacht näher.
(Autoreferat).
Herr Hosb stellt eine 12jähr. Patientin im Stadium der Reconvalescenz nach
einer subaouten spontanen (infectiösen) symmetrischen Polyneuritis vor mit
lttbtefei der elektrischen Reaotion beider Faoiales (auch des früher nicht ge-
lstfmteidpri
‘»bfnAiJshifl'oedebiiVater potator maxime strenuus an Apoplexie gestorben, Mutter
ge8i(rtd;f^tie'‘i Schwester chlorotisch, ein Bruder gesund. — Pat. selbst wiederholt
Catarrh. intestinal., erkrankte vor */ 4 Jahr ohne Fieber, ohne Angina, an Para-
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plegie der unteren Extremitäten, Schwäche der Rückenmuskeln und der Hände,
Lähmung des Facialis dext. Schmerzen in den Beinen nur vorübergehend bei
Berührung, keine sensiblen lind keine Blasen-Darmstörungen.
Nach 4 Wochen wird von Dr. Mendel constatirt: atactischer Gang, Fehlen
der Patellarreflexe, Erhaltensein der Pupillenreaction, deutliche rechtsseitige
Facialisparese.
Status am 1. November (nach 6 Wochen): Paraparese beider Beine mit
Schwäche des Quadriceps femor., des Tibial. ant und des Extens. digitor. comrn.,
leichter Steppergang (keine Ataxie), keine sensiblen, thermischen, vasomotorischen
and trophisehen Störungen, insbesondere keine weseutliche Atrophia muscul.;
Fehlen der Patellarreflexe, keine nachweisbaren Nervenanschwellungen oder schmerz¬
hafte Druckpunkte. Elektrische Reaction des Cruralis und Peroneus, ebenso der
erwähnten Muskeln nur mit stärksten, schmerzhaftesten Strömen kaum auszulösen,
keine Entartungsreaction. — An den Händen gewisse Ungeschicklichkeit der
Fingerbewegungen, keine Ataxie, keine auffallende Atrophie, keine spontanen Be¬
wegungen. Von Facialisparese nichts mehr nachzuweisen, keine sonstigen Gehira¬
nervenstörungen. Faradische und galvanische Reaction beider Faciales indirect
und direct fehlend.
Status am 10. December (nach 12 Wochen): Gang ohne anffallende Ver¬
änderung, Patellarreflexe fehlend (? links angedeutet — Jendr&ssik), Fusssohlen-
reflexe vorhanden, kein Romberg. Elektrische Reaction kaum von dem Befund
vom 1. November abweichend, auch an den Interosseis manuum herabgesetzt,
Xervenstämme der Arme reagirend. Beide Faciales sind auch heute noch un¬
erregbar.
Vortr. bespricht nach Ausschluss der Neurotabes peripherica wegen des
Fehlens der sensiblen Störungen, der Ataxie, des Romberg’schen Symptoms die
Differentialdiagnose zwischen Poliomyelitis und Polyneuritis und schliesst erstere
»us wegen der schubweisen symmetrischen Entwickelung der Lähmungen, des
Fehlens der vesicalen und analen Störungen, der mangelnden Atrophieen, der
Betheiligung der Faciales und zum Schluss der eigenartigen elektrischen Ver¬
änderungen (die den Fällen von Remak, Bernhard und Hösslin zur Seite
gestellt werden) und die bei der Poliomyelitis congruent gehen mit dem Grade
der Atrophieen, während bei der Polyneuritis die Restitution der Lähmung mit
Ungern Ueberdauern der elektrischen Veränderungen erfolgt.
Vortr. giebt eine Uebersicht über den gegenwärtigen Stand der Anschauungen
über Poliomyelitis und Polyneuritis (Centralisten: Raymond, Erb, Remak,
Eisenlohr, Babinski — Peripheristen: v.Leyden, Dejerine, v. Strümpell).
Aetiologisch wird in diesem Falle eine Autointoxication von Seiten des Darm-
tractus bei hereditär (alkoholisch) geschwächtem Nervensystem angenommen und
trotz der günstigen Prognose die Gefahr eines Recidivs nicht verschwiegen.
Bericht zur Demonstration eines Kranken mit Dystrophia musoulorum
progressiva adultorum am 10. Juli 1900: Die Untersuchung des aus dem
rechten Delta herausgeschnittenen Muskelstückcheus ergab: Muskel auf der Schnitt¬
fläche etwas blass, sonst makroskopisch unverändert, mikroskopisch hochgradige
Wichsartige Degeneration des Muskelgewebes mit Verlust der Quer- und Längs-
streifung und Uebergang des Muskelprotoplasmas in körnige Massen. Stellenweise
geringe Kern Vermehrung des Sarkolemms. Eine Verfettung der Muskelfasern wurde
trotz der den Muskel überlagernden, ca. I 1 /, cm dicken Fettschicht nicht nach¬
gewiesen (Dr. Delbanco) und erklärt sich diese Abweichung von dem Befund
hei der Harpunirung aus der Art des untersuchten Gewebes, bei dieser ober¬
flächliche Fettmassen — bei der Muskelausscheidung wirkliches (restirendes)
Muskelgewebe. Nonne (Hamburg).
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Sooiöte de nearologie de Paris.
Sitzung vom 8. November 1900.
Herr Pierre Marie: Ueber Spätskoliose bei Kinderlähmung. Yort. stellt
einen Kranken vor, der im Alter von 5 Jahren eine spinale infantile Lähmung
am rechten Bein gehabt hat. Der Kranke konnte später, wenn auch hinkend,
aber ohne Stock gehen. Im Alter von 34 Jahren traten von neuem amyotro-
phische Symptome auf. Gleichzeitig begann auch eine Skoliose sich auszubilden,
die zur Zeit sehr ausgesprochen ist. Es ist möglich, dass solche spätauftretende
Skoliose mit dem Wiederauftreten der Amyotrophie in Zusammenhang zu bringen
ist. Vortr. hat aber einen solchen Fall von Skoliose gesehen, ohne dass es sich
um Wiederauftreten von Amyotrophie gehandelt hätte. Er kennt in der Litteratur
nur drei ähnliche Fälle, wovon zwei sich in der Monographie von Heine finden
und der . dritte in der Dissertation von Sanze (Paris. 1881).
Herr Pächarmant und Herr Pierre Marie: Ein Pall von tabisoher
Arthropathie gebessert durch den Gebrauoh von Aspirin. Es handelt sich
um einen 71jährigen Mann, der seit 6 Jahren an Tabes dorsalis leidet. Seit
dem 8. October 1900 typische Arthropathie im linken Knie. Bis zum 20. October
wird täglich Salol und Natr. salicylicum ohne Erfolg gegeben. Am 23. wird 3 g
Aspirin verabreicht (in 6 Pulvern k 0,50 g.). Schon am folgenden Tag ver¬
spürt der Kranke eine bedeutende Erleichterung, die spontanen Schmerzen haben
vollständig aufgehört. Zwei Tage später lässt auch die Schwellung bedeutend
nach. Vom 17. bis zum 25. October hat das Volumen des Knies um 6 cm ab¬
genommen. Seitdem geht die Schwellung langsamer zurück.
R. Hirschberg (Paris).
V. Vermischtes.
Für die am 22. und 23. April d. J. abzuhaltende Jahresversammlung des Vereins
der deutschen Irrenärzte ist vorläufig folgende Tagesordnung festgestellt worden:
I. Referate: 1. Ueber die neueren Bestrebungen auf dem Gebiete der familialen
Irrenpflege. Referent: Herr Geh. Rath Prof. Dr. Moeli (Berlin-Herzberge). — 2. Ueber den
heutigen Stand der pathologischen Anatomie der sogen, functioneilen Psychosen. Referent
Herr rriv-.Doc. Dr. Heilbronner (Halle).
II. Bis jetzt angekündigte Vorträge: 1. Herr Prof. Dr. Siemerling (Tübingen): Zur
pathologischen Anatomie der progressiven Paralyse. — 2. Herr Priv.-Doc. Dr. E. Meyer
(Tübingen): Zur Klinik der Puerperalpsychosen.
VT. Berichtigung.
Neurolog. Centralbl. 1900. S. 878, Z. 19 v. o. liess statt primären „secundären“
und Z. 20 v. o. statt secundäre „primäre“.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 18.
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dCill I» CI IIUI ohrtrommeln von Schwerhörigkeit und Ohrensausen geheilt
worden ist, hat seinem Institut ein Geschenk von 25,000 Mark Übermacht, damit solche
taube und schwerhörige PersoneD, welche nicht die Mittel besitzen, sich die Ohrtrommeln
zu verschaffen, dieselben umsonst erhalten können. Briefe wolle man adressiren-. No. 689.
Das Institut Nicholson, “Longcott”. Gunnersbury, London, W.
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= Behandlung in klinischer Form. =
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Das ganze Jahr geöffnet. Näheres durch den Prospekt.
Dr. Carl Römer (früher in Cannstatt).
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Das ganze Jahr hindurch geöffnet.
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Verlag von VEIT & COMP, in Leipzig.
Soeben erschien:
FRAUENFARRIKARBEIT und FRAUENFRAGE.
Eine prinzipielle Antwort auf die Frage
der
Ausschliessung der verheirateten Frauen aus der Fabrik.
Dr. Ludwig Pohle,
l'rivatdozent an der Universität Leipzig.
gr. 8. 1900. geheftet 2 Ji.
Der Verfasser führt den Nachweis, dass entgegen der sozialdemokratischen Auf¬
fassung, die auf dem internationalen Kongress für Arbeiterschutz in Zürich vertreten
war, die Ansschliessung der Frauen von der Fabrikarbeit vom Standpunkt der sozialen
Notwendigkeit und einer gesunden Wirtschaftspolitik aus, sowie auch aus ethischen
und moralischen Gründen nicht nur möglich sei, sondern auch geboten erscheine. Zum
mindesten müssten die verheirateten Frauen für die Zeit, während der sie ihre Kinder zu
erziehen hätten, etwa bis zum vierzehnten Lebensjahre derselben, von der Fabrikarbeit
aasgeschlossen sein.
Druck von Metzger Sc Wittig in Leipzig,
F£B 36 1901
Neurologisches Centralblatt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Zwanziger (Unter Mithö,fe von Dr - Kurt Mendel)
._ ? _ _ ™ Jahrgang.
ÄÄÄKTAÄ
sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.
1901.
1. Februar.
$ Leipzig,
Verlag von Veit & Comp.
1901.
Nr. 3.
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Verlag von VEIT & COMP, in Leipzig.
Soeben erschien:
LEHRBUCH
DER
SPECIELLEN CHIRURGIE.
Von
I)r. Hermann Tillmanns,
Professor an der Universität Leipzig
und Generalarzt i !a suite des Königl. Sachs. Sanitätseorps.
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Dr. W. Balser’s Sanatorium Köppelsdorf
bei Sonneberg in Thüringen. 390 Meter über dem Meer.
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Anstalt für Reconvalescenten, Erholungsbedürftige, Blutarme und Nervenkranke.^
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FEB 28 1901
Ideologisches Centralblatt.
Übersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel)
Zttuigster " B * rt1n ' Jahrgang.
Koert&efa erieheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch
iH* Bichhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
19ÖL 1. Februar. Nr. 3.
Inhalt I. Origlnalmlttbeilungen. 1. Ein neues Silberimprägnationsverfahren als Mittel
rar fSrbung der Axencylinder. Vorläufige Mittheilung, von Dr. J. Fafersztajn, Nervenarzt
in Lemberg. 2. Ueber Blutdruckmessungen im Dienste der Diagnostik traumatischer Neur-
sstbenieen und Hysterieen, von Privatdocent Dr. H. Straus«. 8. Ein Pall von Myasthenia
peeodeparalytica gravis, von Dr. Kurt Mandel.
IL Referate. Anatomie. 1. The histogenesis of the cellular elements of the cerebral
«rta, bj Paton. 2. A microscopic demonatration of the normal and pathological bistology
tf BMogÜa cells, von Robertson. — Experimentelle Physiologie. 8. Ueber die Wirkung
der Ermüdung auf die Structur der Nervenzellen der Hirnrinde, von Buerrinl. 4. Recherches
aper mentale« snr la resistance des centres nerveux rabdullaires ä la fatigue, par Joteyko.
S. Ueber Ermüdung der Kinder im gesunden und kranken Zustande, von Anton. 6. Sur la
Physiologie des coaches-optiquea, par Monaco. 7. Restauration des fonotions du coeur et du
sjaäme nerveux ceDtral aprös l’anbraie complbte, par Battolii. 8. Zur Anatomie and Physio-
ngnexperimenteller Zwischenhirnverletznngen, von Probst. — Pathologische Anatomie,
i M&aoisme de la sbnilitb et de la mort des cellules nerveuses, par Marinosco. — Patho¬
logie des Nervensystems. 10. Ueber Hemianopsie und ihre localdiagnostische Ver-
wrtkzng, von Salomonsohn. 11. A case presenting right-sided hemiplegia with hemi-
Mertbesia, right homonymons hemianopsia, jargon aphasia, Wernicke’s pupillary reaction
sgB and neuritic pain in the arm of the paralysed side, by Derkum. 12. The report of two
Ina eases, with Operation, by Courtnoy. 13. An angeioma of Broca’s convolution, von
Ibf*. 14. Cerebral tumour with optic neuritis, by Clarke. 15. Zur Symptomatik der Ge-
«hwtlde des Balkens, von Zingorle. 16. Case of glioma of Ihe corpus callosum, by Black-
mti. 17. Klinischer Beitrag zur Kenntniss der Erkrankungen des Hirnschenkels, von Haonol.
18. Ueber eine Affection der Varol’schen Brücke mit bilateraler Lähmung der willkürlichen
Aagenbewegungen, Zwangslachen nnd Zwangsweinen, sowie frühzeitiger Atrophie der rechts-
idttgen Unterscbenkelmuskeln, von v. Bechterew. 19. Un cas de diabbte insipide dependant
fo güoearcome du plancher du quatribme ventricle, par Marlnesco. 20. Ein Fall von
law am Boden der jRautengrnbe. Beitrag zur Kenntniss des hinteren LängBbündels, von
IMar. 21. Ein Fall von Meningealcyste der Medulla oblongata. von Fabrls. 22. Zar
luatsiu der infantilen Pseudobtübärparalyse, von v. Halban. 28. Ein Fall von Baibär-
Haaag mit Betheiligung der Extremitäten ohne anatomischen Befund, von SchOle. 24. Ueber
riaonB von aenter Baibärparalyse mit Sectionsbefund, von Ransohoff. 25. Ein Fall von
flnleMbärparalyse, von Kohn. 26. Asthenie bulbar paralysis, by Hall. 27. Ueber ein
■nbuoes Sarkom der rechten Felsenbeinpyramide, von Seiffer und Koch. — Psychiatrie.
Ä Biber quantitative nnd qualitative Veränderungen geistiger Vorgänge im hohen Greisen-
ikar. Experimentelle Untersuchungen von Ranschburg und Bällnt. 29. Zur forensischen und
t&Mhen Beurtheilung der Pseudologia phantastica, von Henneberg. 30. The insane iew,
Iftledtee. 31. Ereditä e degeuerazione nello eviluppo della demenza consecutiva ea in
(M&i delle stereotipie ricontrate in essa. Marita la demenza consecutiva un capitolo a sb
jsmeografia mentale? von Mondio. 32. Some observations on the various physical changes
«wubg during the acute and snbacute stages of melanoholia, von Bruce und Alexander. —
Therapie. 33. Ueber einige physiologische und therapeutische Wirkungen der Anwendung
hchgaapannter Wechselströme (,. Arsonvalisation“), von Eulenburg.
M. Aas den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬
em. — Socibtb de nenrologie de Paris. — Wiener medicinischer Club.
Diqitize
Jd by Google
98
I. Orginalmittheilungen.
[Aus dem Institute für pathologische Anatomie der Universität in Lemberg
(Prof. Obbzut).]
1. Ein neues Silberimprägnations¬
verfahren als Mittel zur Färbung der Axencylinder.
Vorläufige Mittheilung.
Von Dr. J. Pajersztajn, Nervenarzt in Lemberg.
Setzt man einer Losung von salpetersaurem Silber Ammoniak hinzu, so
entsteht ein Niederschlag, der im Ueberschuss von NH 3 löslich ist. Vermischt
man eine solche ammoniakhaltige Silberlösung (AgN0 3 .2NHJ) mit einem Aldehyd¬
körper, so trübt sich das Gemenge, und nach einer Weile bedecken sich die
Glaswände des Probirröhrchens mit einem spiegelnden Silberbelage. Läuft die
Reaction sehr energisch ab, so bildet sich kein Spiegelbelag, und die Reduction
geht unter Absetzen eines dichten schwarzen Niederschlages von statten.
Diese, in der Bildung eines Silberspiegels bestehende Reaction, habe ich
zur Imprägnation des Nervengewebes versucht, indem ich voraussetzte, dass es
interessant wäre, das Verhalten der Nervensubstanz einem chemischen Reductions-
processe gegenüber zu studiren, bei welchem ausser rein chemischer auch anders¬
artige moleculäre Kräfte (das Anziehen der Silberpartikelchen durch die Glas¬
wandungen) zur Geltung kommen.
Es zeigte sich nun, dass der Gang der Reduction im Nervengewebe unter
gewissen Bedingungen ein electiver ist, und dass es in erster Reihe die Axen¬
cylinder sind, in denen sich eine Imprägnation durch abgeschiedene Partikelchen
metallischen Silbers abspielt. Nach einer Serie von Versuchen gelangte ich zur
Ausbildung einer Methode, welche sich als ein brauchbares, ja in den günstigsten
Fällen als ein eclatantes Mittel zur electiven Färbung der Axencylinder
bewährte. Die Brauchbarkeit des Verfahrens veranlasst mich schon jetzt,
meine Resultate der Oeffentlichkeit zu übergeben, obgleich es noch nicht ge¬
lungen ist, die Methodik vollkommen tadellos auszuarbeiten, und ich es mir
Vorbehalten muss, auf diesem Gebiete weitere Forschungen anzustellen.
1. Vorbereitung des Materials.
Die Stücke werden in 5 —10 % Formalin gehärtet Die Härtung muss
wenigstens einige Tage dauern, sie bann aber auch auf Monate ausgedehnt
werden. Auch Chrompräparate nehmen die Färbung an. Sind die Chromstücke
überhärtet, so müssen die Schnitte mit dem bekannten Lustgabten- PAL’schen
Entfarbungsverfahren vorbehandelt werden. Die Formolhärtung giebt im All¬
gemeinen viel bessere Resultate. Es beziehen sich alle folgenden Bemerkungen
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99
auf Formolpräparate; was die Chromhärtung anbetrifft, so werden in den be¬
treffenden Punkten specielle Angaben gemacht werden.
Das Leichenmaterial (12—30 Stunden post mortem) kann ebenso gut wie
frisches Gewebe verwendet werden; die Imprägnation gelingt auch am embryo¬
nalen Material, welches aber keine besonderen Vortheile bietet
11. Schneiden.
Die Stücke (sowohl bei Formol- wie Chromhärtung) werden mit dem Ge-
friermikrotom in Schnitte zerlegt
Bei Formalinhärtung bietet die Gefriermethode nicht die geringsten Schwierig¬
keiten; ältere Chrompräparate sind nach dem Gefrieren sehr brüchig. Man
lasse solche Stücke nicht zu stark frieren, schneide vielmehr in halbgefrorenem
Zustande und übertrage die Schnitte nicht sofort in Wasser, sondern warte ab,
bis sie auf dem Messer oder auf der Spitze der Präparirnadel aufthauen.
Die Schnitte kommen in destillirtes Wasser. Das Formalin muss gründlich
ausgewaschen werden; bei Chrompräparaten genügt ein oberflächliches Abspülen.
111. Das Silberbad.
a) Die Silberlösung. Es wird eine 2% AgN0 3 -Lösung im destillirten
Wasser angefertigt Dieser wird tropfenweise (Tropfflasche) so lange Ammoniak
ragesetzt, bis sich die anfängliche Trübung vollkommen geklärt hat. Dann wird
die Flüssigkeit wieder mit einer Portion vorräthig gehaltener 2°/ 0 AgN0 3 -Lösung
versetzt, bis sich von Neuem ein gelblicher Niederschlag bildet, der sich beim
Umrühren des Gefasses nicht mehr löst Nun muss der Niederschlag abfiltrirt
werden; es können hier wegen der Feinheit des Niederschlages nur die sogen,
gehärteten Filtrirpapiere in Anwendung kommen (am besten als sogen, ana¬
lytische Filter). 1 Das vollkommen klare Filtrat hat keinen ammoniakalischen
Geruch mehr und enthält nur gebundenes NH 3 . Die so vorbereitete Flüssigkeit,
die water als Mutterlösung bezeichnet werden soll, ist bei Lichtabschluss Wochen
lang haltbar. Die sorgfältige Zubereitung der Mutterlösung ist von grösster
Wichtigkeit. Ueberschüssiges NH, hemmt den Reductionsverlauf sowohl im
Heagensglase, wie auch im Gewebe. Dieser Hemmungswirkung verdankt unser
Verfahren seine electiven Eigenschaften, sie muss aber in Schranken gehalten
und je nach der Beschaffenheit des Präparates quantitativ modulirt werden.
Do Gebrauch einer Mutterlösung, die kein freies NHg enthält, erlaubt durch
wen entsprechend dosirten Ammoniakzusatz diese Aufgaben zu erfüllen.
b) Alkalizusatz. Die Mutterlösung wird durch Formaldehyd fast mo¬
mentan reducirt Ueberschüssig zugesetztes NH 3 hemmt, wie gesagt, den Re-
doctionsverlauf, man kann aber durch Alkalizusatz dieser Hemmung energisch
srtgegen wirken. Diese Concnrrenz der Einflüsse von NHg und der Alkalien
ist sich meistens mit grossem Vortheile zum Färbungsverfahren anwenden,
*enn ae auch nicht immer nothwendig ist. Welches Alkali oder alkalisch-erdiges
1 Bei der bekannten Firma Grübler (Leipzig) erhältlich.
7*
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100
Hydroxyd (NaHO, KHO, Ca(OH) 2 , Ba(OH) 8 ) gebraucht wird, das scheint irrele¬
vant zu sein, doch glaube ich vom Barytwasser mehrmals besonderen Nutzen
gesehen zu haben. Der Alkalizusatz geschieht in der unten sub c) angegebenen
Weise. —
c) Imprägnation. Man hält Tropffläschchen von 50 ccm mit folgenden
Beagentien gefüllt: 1. Liqu. Ammoniae (10°/ 0 ), 2. 1% NH 3 -Lösung, 3.0,3%
NaOH-Lö8ung, 4. 10% Barytwasser.
Mit der Mutterlösung werden vier kleine Schälchen gefüllt Schälchen
Nr. 1 enthält die reine Mutterlösung, Nr. 2 dieselbe mit Zusatz von 1 bis
2 Tropfen verdünnten NH 3 , Nr. 3 mit Zusatz von 2 bis 3 Tropfen verdünnten
NHg und 1 bis 2 Tropfen einer Alkalilösung, Nr. 4 mit Zusatz von 1 Tropfen
10% NH S und 2 bis 5 Tropfen einer Alkalilösung.
Im NHg-armen Silberbade entsteht bei Alkalisirung ein gelblich-brauner
Niederschlag (Ag a O), der sich jedoch beim Umrühren bald löst; geschieht di«s
nicht, so muss der Lösung noch 1 Tropfen 1 % NH 3 zugesetzt werden.
In jedes Schälchen werden je einige Schnitte direct aus destillirtem Wasser
übertragen und 5 —10—20 Minuten in der Silberlösung gebadet Enthält die
Lösung mehr NH 3 , so können die Schnitte länger im Bade verbleiben, ist sie
dagegen NHg-arm oder gar -frei (reine Mutterlösung), so nehmen die Schnitte
nach 2—5 Minuten — und zwar um so eher, je mehr nicht weggespülten
Formalins in ihnen enthalten ist — eine gelblich-rothe Farbe an. Es bedeutet
dies, dass der Schnitt dringend einer weiteren Behandlung bedarf.
IY. Rednction.
Zum Zwecke der Reduction werden die Schnitte aus dem Silberbade direct
(ohne Abspülen) in eine 5% Formalinlösung (12,5 des 40% F.: 100) über¬
tragen. Die Reduction findet fast momentan statt. Die Schnitte werden in
einem Tropfen der Formalinlösung auf den Objectträger gebracht und mikro¬
skopisch untersucht; ist die Färbung gelungen, so kommen die Schnitte bis zur
Weiterbehandlung in destillirtes Wasser.
Formalin wirkt energischer als alle anderen Aldehyde. Lang¬
sames Reduciren ist zu vermeiden, da im Reductionsbade die Silberlösung schon
binnen Kurzem aus den Schnitten ausgelaugt wird und sich eine Spiegelbildung
dicht unterhalb des Präparates am Boden des Gefässes bildet, während der
Schnitt selbst sich nicht färbt Andere reducirenden Substanzen, so z. B. die
meisten photographischen Entwickler, wirken zu energisch und verursachen eine
diffuse Silberfällung. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich diese Körper
unter gewissen Umständen mit Erfolg werden verwenden lassen. Diesbezügliche
Versuche sind im Gange.
Der Verlauf der Reduction vollzieht sich verschiedenartig, je nach der Be¬
schaffenheit des Silberbades. Es muss jedes Mal ausprobirt werden,
welches Silberbad (im Sinne des NHg- und Alkaligehaltes) die besten Resultate
giebt. In dieser Hinsicht verhalten sich Schnitte verschiedener Herkunft (wenn
auch von den nämlichen Organen) ganz individuell, so dass von allgemeinen
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101
Regeln kein« Rede sein kann. Im günstigsten Falle nehmen die Schnitte in
der Formalinlöenng fast momentan eine tiefgraue Farbe an; zuweilen haben sie
dabei einen diffusen Stich ins Gelbbraune. Es zeigt sich nun unter dem Mikro¬
skop, dass alle oder fast alle im Präparate vorhandenen Axencylinder,
sowohl die dickeren, wie die dünnsten, die längs- und die quer¬
getroffenen auf einem farblosen oder diffus gelblichen Grunde
intensiv braun bis tiefschwarz hervortreten. In den gut imprägnirten
Fasern ist auch bei starken Vergrösserungen keine Kömelung aufzufinden; ein
sehr feingekörntes Aussehen haben die Axencylinder nur in den weniger ge¬
lungenen Präparaten. — Die Nervenzellen sind unsichtbar oder sehr schwach,
und zwar gelblich-braun gefärbt; zuweilen schwärzen sich aber auch diese sammt
den Dendritenursprüngen. Auch wenn die Zellen gefärbt sind, bleibt gewöhnlich
der Neurit farblos und tritt erst in einer gewissen Entfernung von der Zelle
nun Vorschein. Untingirt bleiben in der Regel auch die eigentlichen pericellu-
lären Endausbreitungen der Nervenfasern, wenn man auch in gelungenen Präpa¬
raten fast jede Zelle von einem dichten Gewirr feinster Fäserchen umsponnen
findet Diesbezügliche Ausnahmen gehören jedoch nioht zu den Seltenheiten;
Beispiele guter Zellenfarbungen und Endverästelungen werden bald angeführt. —
Ausser den Nervenelementen werden oft aüch Kerne — besonders in den kern¬
reichen Organen —, sowie rothe Blutkörperchen braun bis schwarz tingirt. Die
Kemfärbung dehnt sich oft auch auf die Neurogliakerne aus; es kommt auch
vor, dass Gliafasern und Gliazellen eine Tinction annehmen.
Ist dem Silberbade zu viel Alkali zugesetzt worden, so bräunen oder
schwärzen sich die Schnitte ganz diffus und ist die Differenzirung eine mangel¬
hafte. Ist dagegen der NH^Gehalt des Silberbades zu hoch, so geht die Reduction
gamicht von statten und lässt sich auch durch nachträgliches Alkalisiren nicht
immer vortheilhaft gestalten. Erst nach 5—15 Secunden werden solche Schnitte
in Formalin gelbbraun — ohne oder mit mangelhafter Differenzirung. Findet
sich endlich im Silberbade zu wenig NHg, so bildet sich bei der Reduction ein
grobkörniger Niederschlag, der sich gewöhnlich ziemlich streng im Achsenraume
sammelt, im Allgemeinen aber eine sehr unwillkommene Erscheinung ist Oft
kommt es sogar zu einem ganz diffusen Niederschlage.
Die angeführten Grundersoheinungen des Reductionsverlaufe sollen zur all¬
gemeinen Orientirung in der leicht zu erlernenden Technik dienen; in jedem
Einzelfalle muss es der persönlichen Uebung des Untersuchers überlassen werden,
welche Wege zur Correction eines mangelhaften Silberbades einzuschlagen sind.
Was die Chrompräparate anbetrifft, so muss man folgende Punkte in Be¬
tracht ziehen.
a) Die Schnitte werden aus dem destillirten Wasser in eine stark ammonia-
kalische Silberlösung übertragen. Im NH 3 -armen Silberbade bildet sich ein
rother krystallinischer Niederschlag von Chromsilber — eine Verbindung, die in
NH, löslich ist Der Ammoniaküberschuss dient eben dazu, das freie Chrom
(nicht das als Beize im Gewebe gebundene) auszuwaschen und zu entfernen.
b) Die Schnitte kommen sodann in ein zweites NH 3 -ärmeres Silberbad, in
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dem sie 5—20 Minuten verbleiben sollen. Man muss sich hüten vor dem
Gelblichwerden der Schnitte, welches durch allzu langes Verweilen im Silber¬
bade verursacht wird. Aus diesem Silberbade werden die Schnitte direct in
5°/ 0 Formalinlösung übertragen. Alkalizusatz spielt hier nicht die Rolle eines
mächtigen Unterstützungsmittels — es beschleunigt zwar die Reduction, fuhrt
jedoch oft zur diffusen Bräunung oder Schwärzung; es giebt aber Fälle, in denen
ein sehr vorsichtiges Alkalisiren (0,05—0,1 °/ 0 NaHO) nützlich sein kann. Im
Allgemeinen lässt sioh das Graduiren des Reductionsverlaufe nur durch NH,-
Zusatz bewerkstelligen, und zwar spielt sich die Reduction unter Bildung eines
diffusen Braun oder eines körnigen Niederschlages bei NHg-Mangel ab und findet
gar nicht Platz bei grossem NHg-Ueberschusse. Durch Ein tropfen 1—10°/ 0 NH,
in das Silberbad muss der richtige Weg empirisch gefunden werden. Das
mikroskopische Bild ist das nämliche wie bei der Formalinhärtung mit dem
Unterschiede, dass der Grund, auf dem die geschwärzten Axencylinder hervor¬
treten, tiefer gelb gefärbt ist. Je näher man an die obere Grenze des NH,-
Gehaltes im Silberbade herankommt, desto stärker tritt diese diffuse Färbung
auf Kosten der electiven Tinction zum Vorschein.
V. Verstärkung der Färbung.
Hat sich die Färbung als zu schwach erwiesen, was besonders bei Chrom¬
präparaten nicht selten der Fall ist, so kann man, nach gründlichem Weg¬
spülen des Formalins, die Imprägnations- und Reductionsprocedur vorteilhaft
noch ein bis zwei Mal wiederholen.
VI. Differenzirung und Fixirnng des Silberniederschlags.
Ein besonderes Differenzirungsverfahren wäre bei den bestgelungenen Formalin-
präparalen eigentlich nicht nöthig; für diejenigen aber, die neben der electiven
Schwärzung der Axencylinder noch einen diffusen gelblichen Ton angenommen
haben, sowie besonders für Chrompräparate, die fast immer diffus gelblich sind,
empfiehlt es sich, zur Differenzirung zu greifen — und dies um so mehr, als
durch das Vergolden (oder Verplatiniren) der Präparate diese Aufgabe zugleich
mit einer Dauerfixirung des Silberniederschlags erreicht werden kann. Die
Dauerfixirung ist von Bedeutung, da ohne diese die Präparate nicht in Harz
eingesohlossen werden können (auch nicht ohne Deckgläschen), — die Färbung
geht in wenigen Wochen durch allmähliches Verbleichen zu Grunde.
Als Differenzirungsmittel dient eine 0,3 °/ 0 Chlorgoldlösung, von der 1 bis
3 Tropfen in ein 10—15 ccm Alkohol 96°/ 0 enthaltendes Schälchen eingetragen
werden. Die Schnitte gelangen in diese Lösung nach gründlichem Wegspülen
aller Formalinreste und verbleiben im Dunkeln (!) 12—24 Stunden. In der
Goldlösung wird der Schnitt rosaroth bis violett. Der braungelbe Ton ver¬
schwindet gänzlich, während die Färbung der Axencylinder noch saftiger, pech¬
schwarz, zuweilen auch tiefbraun wird; eine allgemeine Röthung des Grundes,
manchmal auch eine rosa-rothe Färbung des Myelins und der Zellen ist nicht
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Wo man die diffuse röthliche Goldfärbung vermeiden will, ist PtCl 4 ver¬
wendbar, da dieses (wie überhaupt Chloride) eine Differenzirung ermöglicht und
andererseits ein Platinüberzug des Silberniederschlags zu Fixirungszwecken ebenso
geeignet wie der Goldüberzug ist
VII. Ein8chlie8sen der Präparate.
Die Schnitte werden nach der Au- oder Pt-Fixirung in üblicher Weise in
Canadabalsam unter das Deckglas gebracht Die Haltbarkeit der Präparate ist
eine grosse; sie erstreckt sich jedenfalls über mehrere Monate.
An einer Reihe von Präparaten will ich hier in aller Kürze einen Ueber-
blick der Resultate schildern, die bei der Anwendung des soeben beschriebenen
Verfahrens erzielt werden konnten. Sie bestehen hauptsächlich in gelungenen
Axencylinderfärbungen; es kommen aber auch Tinotionen zur Ansicht, in denen
die Nervenzellen besonders hervortreten, so dass man auf den ersten Blick den
Eindruck gewinnen kann, dass es sich um GoLGi’sche Bilder handelt
1. N. vagus. (Menschliches Cadavermaterial. Formalinhärtung.) Sowohl
an Längs- wie Querschnitten alle Axencylinder tief schwarz. Myelin farblos,
nach dem Vergolden rosa-roth. Hie und da tiefbraune Kerne im interstitiellen
Gewebe.
2. Chiasma n.opticorum. (Menschl.Cadaver. Formalinhärtung.) Imganzen
Präparate dicht aneinander gedrungene Axencylinder verschiedenen Calibers tief-
schwarz imprägnirt Sehr anschauliche Kreuzungsbilder.
3. Spinalganglion. (Menschl. Cadaver. Formalinhärtung.) In den durch¬
ziehenden Nervenbündeln nur die Axencylinder gefärbt Zickzackartiger Verlauf
einer Anzahl von Fasern. Ganglienzellen tiefbraun, zuweilen mit feinkörnigem
Silberniederschlage besät An vielen Exemplaren ist die unipolare Form, sowie der
Ursprung des Nervenfortsatzes sehr hübsoh zu sehen; besonders interessant sind
die bizarren spiraligen Windungen des Nervenfortsatzes, welche kränz- und
schlingartig die meisten Ganglienzellen umzingeln. — Tiefbraune Bindegewebs-
kerne.
4. Spinalganglion. (Menschlicher Cadaver. Chromhärtung.) Axen¬
cylinder wie oben. An viele Ganglienzellen nähern sich sehr dünne tiefschwarze
Fäserchen, welche den Nervenfortsatz auf seinem Wege begleiten oder auch von
der Seite herantreten und sich endlich in der Form korbartiger, feinmaschiger
Geflechte in der Zellenkapsel ausbreiten. Auch gedrängte Züge solcher dünnen
Fäserchen sind zwischen den Zellen zu sehen. An vielen Fasern sind stellen¬
weise spindelartige Auftreibungen zu sehen, in denen man oft eine Kernstructur
entdecken kann. Es handelt sich hier wahrscheinlich um sympathische Nerven¬
fasern und deren korbartige Endausbreitungen (R. y CavaL). In den mensch¬
lichen Spinalganglien wurden bis jetzt diese Gebilde noch nicht beschrieben.
5. Rückenmark. (Menschl. Cadaver. Formalinhärtung.) Der ganze Schnitt
gefärbt In der weissen Substanz alle Axencylinderquersohnitte, auch die feinsten,
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tadellos imprägnirt. Myelin ganz farblos. Die vorderen Wurzelfasem treten prägnant
hervor und sind dicht bis an die Zellenureprünge zu verfolgen. Vorderhorn¬
zellen gelblich-braun. Die Dendriten lassen sich nur auf kurze Strecken ver¬
folgen. Reichhaltiges Fasergeflecht im Grau der Vorderhörner, sowie in den
CiiABKE’sohen Säulen; feine Fäserchen treten dicht an die Zellen heran, End¬
ausbreitungen im engeren Sinne sind jedoch nicht zu sehen. Hintere Wurzel-
fasem treten bis tief in das Hinterhorn sehr scharf hervor; weiter sind nun
vereinzelte Fasern zu beobachten. Fasern der vorderen Commissur sehr prägnant
tingirt; in der hinteren Commissur dagegen, sowie in der RoLANDo’schen Substanz
lassen sich nur ganz vereinzelte Fasern, bezw. Theile derselben auffinden.
6. Rückenmark von Neugeborenem. (Mensohl. Cadaver. Formalin¬
härtung.) Bild wie oben, die Axencylinderquerschnitte sind aber nur in den
myehnisirten Partieen zu sehen, und die Zellen sind viel dunkler tingirt; an
vielen ist der Neurit deutlich zu erkennen und ziemlich weit zu verfolgen. —
Hie und da ist auch zu beobachten, dass derselbe im Ursprungstheile aus feinen
Fibrillen besteht. Auch in diesem Präparate ist die hintere Commissur mangel¬
haft gefärbt
7. Medulla oblongata. (MenschL Cadaver. Formalinhärtung.) Der
ganze Schnitt gefärbt. Axencylinderquerschnitte in der weissen Substanz, Hypo-
glossnsfasem, Fibrae arcuatae, Kreuzungen in der Raphe — alles dies sehr
deutlich zu sehen. Besonders interessant ist das Bild im Vliess und im Hilus
der Oliven; dicht nebeneinanderliegende dünne Fasern bilden ein feinmaschiges
Geflecht, welches in das Innere der Olive eindringt und sich in den denkbar
reichhaltigsten Verästelungen dicht an den Olivenzellen aufsplittert Die Faser¬
färbung dringt aber auch hier (s. o.) nicht bis an die Zellenkörper selbst Die
Olivenzellen sind nur als ovaläre gelbliche Klumpen zu sehen.
8. Cerebellum. (MenschL Cadaver. Chrompräparat) Gefärbt sind alle
im Schnitte vorhandenen PuBKiNjE’schen Zellen mit üppigen Dendritenveräste¬
lungen. Der Neurit nicht sichtbar. — Zwischen den Dendriten beobachtet man
zahlreiche vertical verlaufende Fasern, die bis in die Körnerschicht zu ver¬
folgen sind.
9. Cerebellum. (MenschL Cadaver. Formalinhärtung.) Gefärbt sind
die Körper der PüBKiNjE’schen Zellen sanunt den dickeren Dendriten; feinere
Verästelungen unsichtbar. Die Zellen sind durch zarte, von unten herankommende
Fäserchen korbartig umsponnen (Endausbreitungen der Kletterfasem?). In der
molecularen Schicht nicht wenige Korbzellen, sowie von der Körnerschicht auf¬
steigende Nervenfortsätze. In der Markschicht, sowie auch zwischen den Zellen
der Körnerschicht eine Massenfärbung der Axencyünder.
10. Hirnrinde. (MenschL Cadaver. Formalinhärtung.) Ein verblüffend
reiches Fasergewirr, in dem radiär und tangential verlaufende Züge dickerer
Fasern zu sehen sind. Zellen ganz unsichtbar.
11. Gehirnrinde. (Kaninchen. Formalinhärtung.) Scharf hervortretende
Bilder längs- und quergetroffener Axencylinder in der Marksubstanz. Die Pyra¬
midenzellen sind unvollständig gefärbt; zwischen diesen hie und da kleine Zellen
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mit sehr complicirten Dendritenverästelungen. Die Imprägnation dieser Zellen
erinnert lebhaft an GoLOi’sche Präparate.
Es wären hier auch befriedigende Imprägnationen der sympathischen
Ganglien, der Haut- and Schleimhäuteerven zu verzeichnen. Bei niederen
Thieren (Lambricas) sind die Resultate weniger gut. Die Imprägnation scheint
für Xervenendapparate, Muskeln- und Drüsennerven ganz ungeeignet zu sein.
Diese kleinen Beispiele werden wohl genügen, um die Brauchbarkeit der
Methode zu beweisen. So weit meine bisherigen Erfahrungen reichen, lässt sie
sich auch beim Studium der Degenerationen (älteren und frischeren Datums)
verwenden. —Es ist dies ein nicht zu unterschätzender Vortheil des Imprägnations¬
verfahrens. Anderseits aber leidet unsere rascheSilberreductionsmethode an
einem grossen Mangel, den zu beseitigen bis jetzt noch nicht gelungen ist. Der
Mangel besteht in einer Launenhaftigkeit der Tinction, so dass wir in vielen
Fällen vom Gelingen der Präparate abhängig sind. Gewisse Bestandteile des
mikroskopischen Bildes — so z. B. die Querschnitte der Axencylinder in der weissen
Substanz, die ein- und austretenden Wurzelfasern, die Kreuzungen dickerer
Fasern in der vorderen Commissur — sind wohl immer tadellos imprägnirt;
was aber die feineren Fasern im centralen und corticalen Grau anbetrifft, so
rieht damit die Sache ganz anders. Es giebt Stücke (anscheinlich auch von
verschiedenen Gewebstheüen eines und desselben Individuums), die einer guten
Imprägnation ganz unzugänglich sind oder nur fragmentarische Resultate
liefern. Zum Glück sind partiell gelungene Tinctionen oft noch lehrreich und
interessant genug.
Es ist hier nicht der geeignete Ort, Betrachtungen über eine solche Un¬
beständigkeit der Resultate zu entwickeln. Es sei nur gestattet, der Hoffnung
Ausdruck zu geben, dass die fassbaren chemischen Vorgänge, auf denen unser
Imprägnationsverfahren beruht, im Laufe weiterer Untersuchungen sich in einer
vorteilhaften Richtung modificiren lassen werden. — Aber auch von diesen
Ansprüchen an die Zukunft abgesehen, glauben wir aussprechen zu dürfen, dass
unser Verfahren schon in der jetzigen Ausbildung ein brauchbares Forschungs¬
mittel ist, welches verdient, in jedem geeigneten Falle versucht zu werden.
Nachtrag bei derCorrectur: Das Doppelsalz AgN0 3 .2 NH 3 (diammoniaka-
lisches Silbernitrat) kann nach Mabignac in krystallinischer Form gewonnen
werden. Eine gesättigte AgN0 3 -Losung wird mit heissem NH S behandelt; beim
Abkühlen dieser Lösung oder auch bei längerem Stehenbleiben (im Dunkeln)
bilden sich glänzende Nadeln von AgN0 3 .2 NHg. Bei Lichtabschluss sind so¬
wohl die Krystalle, wie auch die Salzlösungen haltbar. Es empfiehlt sich aber,
immer mit frischen Lösungen (1—2%) zu arbeiten.
Als eine sehr reductionsfahige und zur Färbung zuweilen gut anwendbare
Silberverbindung kann auch eine Lösung von Silberoxyd (Ag a O) in Ammoniak
empfohlen werden. — Ag a O wird aus AgN0 3 -Lösungen durch Alkalien gefallt
(im Dunkeln), gewaschen und getrooknet. Die Lösung hat eine bräunliche
Farbe und ist, auch im ganz frischen Zustande, ein wenig trüb. Sie muss
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ex tempore in kleinen Mengen bereitet werden, sowohl der leichten Zer¬
setzbarkeit, wie auch der Explosionsgefahr wegen. Letztere wäre besondere
bei stärkeren Concentrationen and intensiver Lichteinwirkung, ebenso wie auch
beim Austrocknen der Lösungen, zu befürchten. In Anbetracht der grossen
Reductionsfähigkeit müssen die Ag 2 0-Lösungen viel Ammoniak enthalten; bei
einem grossen NH 3 -Gehalte kann Alkalizusatz auch hier zuweilen mit Vortheil
gebraucht werden.
[Aus der III. med. Universitätsklinik zu Berlin (Director: Geh.-Rath. Prof. Senatob.]
2. Ueber Blutdruckmessungen im Dienste der Diagnostik
traumatischer Neurasthenieen und Hysterieen.
Von Privatdocent Dr. H. Strauss,
, Assistent der Klinik.
Messungen des Blutdrucks bei functionellen Neurosen sind von einer
Reihe von Autoren und mit den verschiedensten Instrumenten vorgenommen
worden. Dieselben haben in der Regel eine Erhöhung des Blutdruckes er¬
geben. Das hat u. A. schon Federn 1 behauptet, und das ist in neuerer Zeit
speciell von Heim 2 an neuropathischen Kindern, von Schüle 8 an erwachsenen
Neurasthenikern, sowie von Hochhaus 4 an Herzneurasthenikern zahlenmässig
festgestellt worden. Auch bei starken Rauchern hat Weiss 6 hohe Werthe für
den Blutdruck nachweisen können. Von psychischen Emotionen ist gleichfalls
bekannt, dass sie geeignet sind, den Blutdruck zu erhöhen. So sah Weiss nach
Erregungen Steigerungen des Blutdrucks um 30—40 mm Qaecksilber auftreten,
und eine Reihe von Untersuchem, so z. B. Kapsammer 6 , Tschlenoff 7 , Hoch¬
haus u. A. weisen auf die Bedeutung dieses Moments gerade bei der Unter¬
suchung nervöser Personen hin, weil bei diesen die durch psychische Processe
bedingten Aenderungen im Blutdruck besonders häufig und ausgiebig zu sein
pflegen. Körperlicher Schmerz kann dieselbe Wirkung auf den Blutdruck
äussern, wie eine psychische Emotion. Wenigstens sah Kapsammer bei einer
Reihe von Operationen, bei welchen Nerven gereizt wurden, Erhöhungen des
Blutdruckes, die zwischen 40 und 70 mm Quecksiber betrugen, und nur bei
der Reizung des Nervus ischiadicus in der Narkose sah er ein Absinken des
Blutdruckes eintreten. Bei Ischias fand Schüle keine hohen Werthe für
1 Federn, Münchener med. Wochenschr. 1896. Nr. 51.
* Heim, Deutsche med. Wochenschr. 1900. Nr. 20.
* Schüle, Berliner klin. Wochenschr. 1900. Nr. 38.
4 Hochhaus, Deutsche med. Wochenschr. 1900. Nr. 44.
* Weiss, Münchener med. Wochenschr. 1900. Nr. 3 u. 4.
4 Kapsammer, Verhandlungen der Berliner med. Gesellsoh. Berliner klin. Wochenschr.
1900. Nr. 1.
7 Tschlenoff, Zeitschr. f. physikal. u. diät. Therapie. Bd. IV.
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den Blutdruck; bezüglich der functionellen Neurosen — der Neurasthenie und
der Hysterie — hatte aber auch dieser Untersucher „entschieden den Eindruck,
dass bei den genannten Erkrankungen eine Neigung zur Blutdruoksteigerung
besteht.“ Anämie und Unterernährung sollen nach Sohütjs indessen die Neigung
zu Blutdrucksteigerungen herabsetzen. Hochhaus, der 86 Fälle von Herz¬
neurosen mit dem RivA-Rocci’schen Blutdruckmesser untersucht hat, spricht
sogar davon, dass hohe Werthe für den Blutdruck geeignet sind, bei der differen¬
tiellen Diagnose zwischen nervöser und organischer Herzerkrankung bei Aus¬
schluss von Arteriosklerose, chronischer Nephritis und chronischer Bleiintoxication
die Diagnose in der Richtung der ersteren zu verschieben. Nur Broadbent 1
hat auf dem hier genannten Gebiete andere Beobachtungen gemacht, indem er
bei functionellen Neurosen häufiger niedrige Werthe fand.
Diese Feststellungen, welchen noch eine Reihe ähnlicher — von Gum-
precht*, Henbbn 9 , Bruce 4 u. A. — anzureihen wären, besitzen zunächst ein
rein theoretisches Interesse, allein sie entbehren auch nicht einer praktischen
Bedeutung, insofern durch sie ein positiver Untergrund für die schon lange
vertretene Auffassung gegeben wird, dass bei Neurasthenikern auf dem Umwege
häufiger Blutdrucksteigerungen das Zustandekommen einer Arteriosklerose mit
ihren mehr oder weniger ausgeprägten Folgeerscheinungen am Herzen erleichtert
wird.® Noch grösser erscheint uns aber ihre praktische Bedeutung nach der
diagnostischen Richtung für die Sicherstellung von Neurosen überhaupt und
zwar vor allem solcher traumatischen Ursprungs, insbesondere für die Unter¬
scheidung der letzteren von der Simulation. Gilt es doch gerade für letz¬
teren Zweck, nicht die traumatische Neurose, sondern die Neurose über¬
haupt festzustellen. Unseres Wissens liegen nach dieser speciellen Richtung
hin keine diesbezüglichen Untersuchungen vor, und es hat ein Vorschlag,
solche Untersuchungen zu diagnostischen Zwecken im concreten Fall an¬
zustellen, auch nur dann einen Sinn, wenn wir hierzu eine einfache, handliche,
Ton Jedermann leicht ausführbare, dabei aber in ihren Ergebnissen für klinische
Zwecke ausreichende Methode besitzen. Solche Methoden scheinen wir nun in
der That in neuerer Zeit einerseits in der RivA-Rocci’schen, andererseits in der
GlRTirEB’schen Methode der Blutdrucksbestimmung zu besitzen. Ueber die
entere besitzen wir keine persönlichen Erfahrungen, doch sind Gumprecht,
Henken und Hochhaus mit ihr recht zufrieden, dagegen haben wir mit der
letzteren eine Reihe von Untersuchungen angestellt, die uns zu dem Urtheil
1 Bboadbent, Wiener med. Presse, 1898.
* Gumprecht, Versamml. deutscher Naturforscher. 1899 u. Zeitschr. f. klin. Med.
Bd. XXXIX
• Hbhsbn, Deutsches Archiv t klin. Med. Bd LXVIL
4 Bruce, Scottish Med. and Surgical Journal. 1900. August. Kef. in Münchener
sied. Wochen sehr. 1900.
4 Bezüglich der traumatischen Neurosen ist eine solche Auffassung Bpeciell auch von
Oppenheim (Die traumatischen Neurosen. 1892. Berlin), Schuster (Berliner Klinik. 1899),
M. Edel (Aerztliche Sachverständigen-Zeitung. 1900. Nr. 8) und mir selbst (Charite-
Annalen. Bd. XXV. 8.189) u. A. vertreten worden.
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geführt haben, dass wir in dieser Methode zwar kein ideales, aber doch eia
relativ einfaches und bei richtiger Ausführung auch für die Zwecke kli¬
nischer Fragestellung brauchbares Mittel für die Blutdruckmessung besitzen.
Mit dieser Methode haben wir 1 deshalb eine Reihe von Blutdruckbestimmungen
bei Fällen von traumatischen Neurosen ausgeführt, um Untersuchungen fort-
zusetzen, die wir schon früher in derselben Absicht, aber ohne Erfolg, mit dem
BASOH’schen Sphygmomanometer unternommen hatten. Wenn wir die Ergeb¬
nisse dieser Untersuchungen hier kurz mittheilen, so geschieht dies weniger mit
der Absicht, hier etwas schon Vollendetes der Oeffentlichkeit zu übergeben, als
mit dem Wunsche, die Aufmerksamkeit weiterer Kreise, speciell soloher wach¬
zurufen, welche Gelegenheit haben, an einem grossen Materiale von traumatischen
Neurosen die praktische Brauchbarkeit des Gedankens eingehend zu prüfen.
Wenn uns bei kritischer Auswahl unserer Beobachtungen auch nur 9 Fälle
geblieben sind, deren tonometrische Befunde wir anführen können, so halten wir
die Mittheilung derselben doch für angezeigt, weil uns jeder — auch der gering¬
fügigste — Befund bei traumatischen Neurosen wichtig erscheint, wenn er nor
die Eigenthümlichkeit besitzt, dass seine Erhebung jedweder subjectiven Ein¬
wirkung von Seiten des Untersuchten entzogen wird.
Wie wir bereits bemerkt haben, kommt es bei der Anwendung der
GÄBTNEß’schen tonometrischen Methode sehr auf Genauigkeit in der Ausführung
an, denn es kann die Tageszeit, die Lage des Untersuchten, die Höhe, in der sich
der für die Tonometrie benutzte Finger befindet u.s.w., das Untersuchungsergebnias
beeinflussen. Dass psychische Erregungen des Untersuchten nach derselben
Richtung hin wirksam sein können, haben wir bereits erwähnt. Auch den Ein¬
fluss alimentärer Momente können wir nach eigenen Untersuchungen nicht ganz
vernachlässigen. Ferner ist die Frage, ob man an der rechten oder linken
Hand untersucht, nicht bei allen Patienten gleichgiltig. Wir haben deshalb alle
unsere Untersuchungen Vormittags zwischen 10 und 12 Uhr — nach dem
2. Frühstück der Untersuchten — am linken, in Herzhöhe gehaltenen, Zeige¬
finger des vor dem Untersucher sitzenden Patienten vorgenommen, und zwar
haben wir stets mehrere Bestimmungen hinter einander ausgeführt, wobei wir
möglichst davon Abstand nahmen, den ersten — meist höheren — Werth zu
notiren. Bei diesem Vorgehen haben wir mit dem uns zur Verfügung stehen¬
den Apparate (Quecksilbermanometer) bei gesunden Männern einen Durchschnitts¬
werth von etwa 90—100 mm Quecksilber — derselbe lag 90 näher als 100 —
gefunden, und stehen hiermit den Mittelwerthen von Schule und Weiss sehr
nahe, von welchen der Erstere 100—110, der Letztere (für Männer) 90—120
angiebt. Da es bekannt und durch neue Untersuchungen, die auch wir
bestätigen können, bekräftigt ist, dass Arteriosklerose, chronische Nephritis sowie
chronische Bleiintoxication den Blutdruck zu steigern vermögen, so haben wir
für die Beurtheilung der hier aufgeworfenen Frage alle Fälle von traumatischen
Neurosen ausgeschlossen, welche an einer der genannten Erkrankungen litten.
1 Bei diesen Untersuchungen wurden wir von Herrn Dr. Ekqren eifrigst unterstützt.
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Weiterhin haben wir mit Rücksicht auf die Thatsache, dass auch beginnende,
dem untersuchenden Finger entgehende Arteriosklerose den Blutdruck zu steigern
rermag, als obere Altersgrenze für die Patienten, welche wir unseren Betaachtungen
zu Grunde legen wollen, das 36. Lebensjahr gewählt Dadurch erklärt es sich
auch, dass wir im Laufe eines halben Jahres nicht mehr als 9 für unsere Unter¬
suchungen geeignete Patienten zur Verfügung bekamen. Bei diesen ergab
non die lege artis ausgeführte Blutdruokbestimmung mit dem GlBTNEB’schen
Tonometer in 25 an verschiedenen Tagen ausgeführten Einzeluntersuchungen
Werthe zwischen 100 und 110 7 Mal
» 110 „ 120 7 „
» 120 „ 130 7 „
über 130 1 „
Nur 3 Mal fanden wir Werthe von 95, und dies war stets bei solchen
Pitienten der Fall, welche schon längere Zeit in klinischer Behandlung waren.
Ueberhaupt fiel es uns auf, dass die relativ niedrigen Werthe bei Patienten er¬
hoben wurden, die schon längere Zeit in der Klinik waren, während die höheren
Werthe meist in die Anfangszeit der Beobachtung fielen. Mit Rücksicht hierauf
and wir zu der Auffassung geneigt, dass die wiederholt erfolgte Fest¬
stellung von relativ hohen Tonometerwerthen bei Personen, welche
auf eine functionelle Neurose verdächtig sind, und welche weder an
Arteriosklerose noch an Nephritis oder an chronischer Bleiintoxi-
eation leiden, geeignet ist, den bereits anderweitig nahegelegten
Verdacht auf das Vorhandensein einer Neurose zu stützen. Dabei
kann allerdings nur der von einem die Methode beherrschenden Untersncher unter
allen Cautelen wiederholt erhobene nnd verwerthete positive Befund eine prak¬
tisch-diagnostische Verwendung erfahren. Wenn wir auch mit Rücksicht auf die
Kleinheit unseres Beobachtungsmaterials uns in dieser Frage noch kein abschliessendes
Crtheil erlauben, so glauben wir doch, den Satz in dieser Form jetzt schon vertreten
m können, und wir erhoffen speciell für die Beurtheilung traumatischer Herzstörungen
van der Benutzung von Blatdruckmessnngen an gar manchen Stellen eine Erweite¬
rung unseres diagnostischen Könnens. Wir hegen diese Auffassung nicht bloss mit
Bneksieht auf die bereits erwähnten Beobachtungen von Hochhaus, sondern
rach mit Rücksicht auf eigene Erfahrungen an zu begutachtenden Fällen von
traumatischer Herzerkrankung. So sahen wir erst jüngst bei einem Fall von
nmnatischer Herzneurose einen Tonometerwerth von 135 mm Hg, während
wir bei einem Fall von traumatisch entstandener Herzdilatation ohne nachweis¬
bare Klappenerkrankung, den wir wegen seiner Seltenheit in Bd. XXV der
Chirita-Annalen genauer mitgetheilt haben 1 , Tonometerwerthe zwischen 50 und
SO mm Hg constatiren konnten. Auch für die Beurtheilung der Richtigkeit
wn Angaben, welche auf Simulation verdächtige Patienten über Schmerzpunkte
mekeu, seheint uns die Messung des Blutdrucks einer Verwendung fähig, wenn
1 Der Pat. ist inzwischen gestorben, und die Section hat unsere Diagnose (Dilatation
»iae Klappenfehler) vollkommen bestätigt.
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110
wir in Analogie des MANNKOPP’schen Versuches den Blutdruck vergleichs¬
weise bestimmen, einmal, ohne dass wir auf die angeblich schmerz¬
hafte Stelle drücken, und das andere Mal, während wir auf dieselbe
einen Druck ausüben. So haben wir bei dem eben erwähnten Falle von
traumatischer Herzneurose durch Druck auf einen vom Patienten angegebenen,
von Unfall herrührenden Schmerzpunkt eine Steigerung des Blutdrucks um
15 mm Hg und in vier anderen Fällen von Trauma Steigerungen von 20, 30,
35 und 40 mm Hg bei Druck auf angegebene Schmerzpunkte beobachtet. Auf
den Rath von Herrn Geh.-Rath Senator haben wir auch 2 Fälle von Ischias
in derselben Weise untersucht. In der That waren auch hier Steigerungen des
Blutdrucks um 25 und 80 mm Hg bei Druck auf den schmerzhaften Nerven
zu constatiren. Auch bei Gesunden haben wir uns durch Kneifen dünner
Hautfalten davon überzeugt, dass die Erregung eines intensiven Schmerzes
den Blutdruck zu steigern vermag. Bei 25 derartigen Untersuchungen an
Gesunden vermissten wir nur 3 Mal eine Blutdrucksteigerung, 14 Mal betrug
die Steigerung über 15 mm Hg, aber nur 4 Mal über 20 mm Hg. Daraus ergiebt
sich nicht nur, dass die Methode zur Prüfung auf das Vorhandensein von
Schmerz in der That geeignet ist, sondern auch dass ihre Ergebnisse um so
werthvoller sind, je mehr sie die Zahl von 25—30 mm Hg (letzterer Werth war
der höchste, den wir bei Gesunden beobachteten) überschreiten. Wenn man die
Intensität des ausgeübten Druckes jeweils berücksichtigt und ausser an den von
den Patienten angegebenen Schmerzpunkten zum Vergleich noch an anderen
beliebigen — womöglich aber correspondirenden — Punkten bei demselben Druck
den Tonometerwerth bestimmt, so wird man mit einer solchen Untersuchung
vielleicht etwas Aehnliches erreichen können, wie mit dem MANNKOPF’schen
Phänomen, das ja auch nicht eindeutig, aber dennoch in manchen Fällen gut
verwerthbar ist.
Wir wollen uns vorerst mit der Registrierung der mitgetheilten Befunde
begnügen und nur von ihnen behaupten, dass sie im Verein mit einigen im
Anfang dieser Mittheilung angeführten Beobachtungen von Kapsammer die
Hoffnung erwecken, dass auch nach dieser Riohtung hin Blutdruckmessungen
für die Unterscheidung einer thatsächlich vorhandenen Nervenaffection von Simu¬
lation in manchen Fällen vielleicht mehr oder weniger grosse Dienste zu leisten
vermögen. Wie gross und wie zahlreich diese Dienste sein werden, müssen
aber erst weitere umfangreiche Untersuchungen lehren. Selbst wenn auch
die Zahl der Fälle, in welchen die Diagnostik von einer solchen Untersuchung
einen erheblichen Gewinn erzielen kann, nicht sehr gross sein sollte, so wäre
die’ Methode — wenn sie das hält, was sie verspricht — immerhin deshalb mit
Freuden zu begrüssen, weil sie die nicht sehr grosse Zahl der sogenannten
„objectiven“ Symptome bei traumatischen Nervenerkrankungen um eins ver¬
mehren würde. Allerdings ist — und das muss als ein gewisser Nachtheil der
Methode nochmals betont werden — eine sehr grosse Kritik in der Verwerthung
der Befunde nothwendig, da Blutdruckerhöhungen an sich noch keinen ein¬
deutigen Befund darstellen. Speciell ist nach dieser Richtung hin auch noch
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in praxi auf direct vorausgegangene körperliche Anstrengung (Treppensteigen,
Husten, Niesen, Bauchpressenactäon u. s. w.), sowie auf geistige Anspannung zu
achten, die beim Gesunden nach unseren eigenen Erfahrungen nicht selten
Steigerungen von 10—20 mm Hg erzeugen.
[Aus der Klinik des Herrn Prof. Mendel.]
3. Ein Fall von Myasthenia pseudoparalytica gravis. 1
Von Dr. Kurt Mendel,
Assistenzarzt der Klinik.
Bei der immerhin noch geringen Anzahl der Beobachtungen von myasthe¬
nischer Paralyse erscheint jeder neu hinzukommende Fall, in welchem die
sichere Diagnose der Myasthenie gestellt werden kann, der Veröffentlichung werth.
Es handelt sich um ein 21 jähriges Dienstmädchen, deren Eltern beide an
Phthise gestorben sind. Von 13 Geschwistern sollen 10 nicht mehr leben; die
Ursache des Todes vermag Pat. nicht anzugeben, nur von einer Schwester weiss
Pat mit Sicherheit, dass sie an Lungenschwindsucht gestorben iBt. Von den drei
noch lebenden Geschwistern soll eiu Bruder gesund, einer schwindsüchtig sein;
eine Schwester, welche ich selbst gesehen habe, ist hochgradig tuberculös und
kyphoskoliotisch.
Patientin selbst ist normal geboren, hat im 2. Lebensjahre Scharlach und
Diphtherie durchgemacht, lernte angeblich erst mit 3 Jahren laufen. Sie ist
seit dem 16. Jahre menstruirt, doch sei das Unwohlsein seit Juni 1900 ausge¬
blieben. Lues und Alkoholismus werden negirt, ebenso Influenza oder eine
andere Infectionskrankheit vor Ausbruch des jetzigen Leidens.
Weihnachten 1899 verspürte Pat. Schmerzen im linken Bein beim Gehen.
Bald darauf, im Februar 1900, fiel es ihr, angeblich im Anschluss an einen
Schreck, auf, dass ihr das Sprechen und Schlucken schwerer wurde. Es stellte
sich ferner, besonders gegen Abend, „Hämmern im Kopfe“ ein. Die Be¬
schwerden wurden allmählich stärker: Pat. fühlte Müdigkeit und Ermatten bei
jeglicher Arbeit und Thätigkeit, so besonders beim Gehen, Sprechen, Lesen,
Schreiben, Kauen und Schlucken. Es wurde ihr schwer, feste Nahrung hinunter
zn bringen, sie brauchte lange Zeit, um ihre Mahlzeiten zu gemessen, zuweilen
kam das Essen durch die Nase wieder heraus. Schliesslich bestand vermehrte
Speichel- und Urinsecretion. Pat. giebt spontan an, dass sämmtliche Beschwerden
Abends stärker waren, während sie sich Morgens leidlich wohl fühlte. Nachts
leidet Pat. oft an Wadenkrämpfen.
Im Juli 1900 habe sie dann noch während einer kurzen Zeit Anfalle von
Bewusstlosigkeit gehabt, in welchen sie stehen blieb, starr vor sich hinblickte
und Gegenstände, die sie gerade in der Hand hielt, fallen liess. Diese Anfälle
kamen später nicht wieder.
Eine im städtischen Krankenhause zu Landsberg a/W. durchgemachte Schmier¬
kur ist nach Angabe der Pat. völlig erfolglos geblieben.
Die Kranke wurde am 4. Januar d. J. in die Prof. MxNDKL’sche Klinik auf¬
genommen. Der objective Befund* ergab Folgendes:
1 Nach einer Krankendemonstration in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und
Nervenkrankheiten am 14. Jannar 1901.
1 Die einzelnen Untersuchungen führte ich in Gemeinschaft mit Herrn Dr. J. Kbon aus.
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Kräftig gebautes Mädchen mit gut entwickelter Muskulatur, genügendem
Fettpolster. Gesichtsfarbe cyanotisch. Gesichtsausdruck freundlich.
Psyche bietet nichts Auffallendes. Keine Intelligenzdefecte.
Die rechte Lidspalte ist deutlich weiter als die linke. Der Augenschluss ist
beiderseits schwach, rechts jedoch deutlich schwächer als links. Auch der rechte
untere Facialis ist etwas schwach. Beide Mm. recti interni sind leicht paretisch,
der rechte mehr als der linke; beide ermüden leicht beim Fixiren nach der Seite,
die Bulbi können nicht lange in Endstellung gehalten werden.
Prüft man die Pupillenreaction auf Lichteinfall, so zeigt sich häufig —
wenn auch nicht constant bei jeder Untersuchung — dass, nachdem zunächst die
Pupille sich deutlich verengt hat, die Contraction nachlässt, die Pupille sich aber
alsbald wieder zusammenzieht, dann wieder weiter wird und so ihr Spiel nach
Art des Hippus fortsetzt. Lässt man an den betreffenden Tagen das Licht mehr¬
mals hintereinander auf die Pupille auffallen, so geschieht die erste Zusammen-
ziehung sehr stark, die zweite und besonders die dritte schon schwächer, jede
nächstfolgende noch weniger kräftig, zu einem völligen Ausbleiben der Reaction
kommt es jedoch nicht. Nach kurzem Pausiren sieht man dann wieder eine deut¬
liche Contraction des Sphincter wie bei der ersten Prüfung.
Die Masseteren sind kräftig, doch nimmt ihre Kraft bei wiederholtem Oefihen
und Sohliessen des Mundes deutlich ab, ebenso wird es der Pat. schwer, die
Zunge oft hintereinander genügend weit hinauszustrecken.
Beim Phoniren sah ich zumeist gar keine Bewegung des Gaumens. An
einigen Tagen, und zwar besondere Morgens, konnte ich aber beim A-sagen den
Graumen sich 2 bis höchstens 3 Mal deutlich heben sehen, alsdann stellte er
jedoch seine Bewegung völlig ein.
Die Stimmbänder schlossen 8 —10 Mal hintereinander gut zusammen,
darauf musste die laryngoskopische Untersuchung wegen Athemnoth der Pat. aus-
gesetzt werden.
Der Gaumenreflex war entweder sehr schwach oder fehlte ganz, der Rachen¬
reflex war auszulösen.
Es bestand keine Spur von Atrophie an Zunge, Lippen oder überhaupt
irgend einem Muskel.
Entartungsreaction war nirgends nachzuweisen.
Geschmack und Geruch waren ungestört.
Die Sprache ist stark bulbär (Demonstration), und zwar ist dieselbe Abends
stets viel undeutlicher als Morgens. Das Ermüden beim Sprechen und den Ein¬
tritt von Athemnoth erkennt man sehr gut, wenn man Patientin zählen lässt
(Demonstration).
Besondere deutlich zeigt sich dies aber beim Singen (Demonstration). Die
Kranke, welche früher eine sehr gute Sängerin war und sogar bei Aufführungen u. 8. w.
oft Solo vortragen musste, beginnt auch jetzt mit guter, kräftiger Stimme zu
singen, nach etwa 10—20 Worten tritt aber Ermüdung und Athemnoth ein,
Pat. fängt an, die Worte schnell herauszustossen, der Speichel flieset ihr im
Munde zusammen; nach kurzer Pause beginnt sie dann wieder mit klangvoller
Stimme und kann die Töne auch wiederum gut halten, um alsbald wieder zu
ermüden.
An den Bewegungen der oberen und unteren Extremitäten (Demonstration)
zeigt sich gleichfalls das Symptom der Ermüdung. Oft konnte Pat. Abends nur
4—5 Mal hinter einander die Arme heben, alsdann sanken sie schlaff und wie
gelähmt an den Rumpf hinab; nach einer Pause von ca. 1 / 3 Minute konnten dann
die Arme wieder voll Kraft bis zur Verticalen gebracht werden. An anderen
Tagen vermochte Pat. Morgens ca. 25—30 Armhebungen hintereinander auszuführen,
ehe die Ermüdung eintrat. Das Gleiche gilt für Ellenbogen-, Hüft-, Knie- und die
Diqitized bv
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übrigen Gelenke. Nach längerem Gehen begann Pat zu hinken. Ein Schwächer¬
werden der Patell&rreflexe nach wiederholtem Beklopfen der Sehne konnte nicht
festgeetellt werden.
Die Kranke gab an, auf der ganzen rechten Körperhälfte Nadelberührungen
deutlich stärker zu fühlen als links.
Der Lungenbefund war ohne Sonderheit. Die Athmung war mühsam, es
erfolgten 24 — 30 Athemzüge in der Minute. Bei Prüfung des LiTTBw’schen
Zwerchfellphänomens sah man bei der ersten tiefen Athmung den Schatten sehr
weit nach abwärts steigen, allmählich liess dies aber nach, und nach ca. 6 bis
8 Athemzügen war kaum noch ein Ausschlagen des Schattens sichtbar.
Die Herzgrenzen sind normal, die Herztöne rein, die zweiten Töne über der
Herzbasis nicht klappend. Keine Arteriosklerose. Der Puls ist ziemlich klein,
nicht gespannt, stark aussetzend. Zeitweilig, besonders Abends, setzte jeder 4.
oder 5. Schlag aus (s. Curve), bei anderen Untersuchungen fehlte der Herzschlag
erst nach 10 — 20 Schlägen, ja an einzelnen Tagen konnte man des Morgens
30—40 regelmässige Schläge hintereinander zählen. Nach mehrmaligem Hin-
und Herlaufen trat die Arhythmie stärker hervor, eine Verlangsamung des Pulses
war hiernach nicht zu constatiren.
Die Blutuntersuchung ergab durchaus normales Verhalten, speciell keine
Vermehrung der weissen Blutkörperchen, normalen Hämoglobingehalt, normale
Form der Zellen.
Der Urin enthielt bei wiederholten Untersuchungen geringe Spuren von
Albumen, und zwar bis zu 0,23 °/ 00 , ferner Spuren von Albumosen, der Indican-
gehalt war nicht vermehrt. Im mittels Centrifuge gewonnenen Sediment fanden
»ich ganz vereinzelte hyaline und granulirte Cylinder. Tuberkelbacillen konnten
in demselben nicht nachgewiesen werden. Ein Mal wurde der Harn eiweissfrei
befunden. Die Milz war an einzelnen Tagen deutlich als vergrössert fühlbar.
Was nun die elektrische Prüfung betrifft, so ergab dieselbe an den ersten
Tagen der Beobachtung völlig normales Verhalten. (Allerdings muss zugegeben
werden, dass in der ersten Zeit der zu untersuchende Muskel bis höchstens 20 Mal
hintereinander gereizt wurde.) Am 11. Januar sah ich das erste Mal, in den
Gaumen- und Kaumuskeln allerdings nur undeutlich, deutlicher in den Bicipites,
besonders gut aber in der vorderen und hinteren Portion der Deltoidei mya¬
sthenische Reaction: nach Application von ca. 20—30 (bei anderen Untersuchungen
wweilen erst nach 50 — 60) tetanisirenden Strömen trat ein Nachlassen, in dem
Deltoideu8 sogar völliges Aufhören der Muskelcontraction ein, nach etwa */, Minute
Pause konnte man aber dann mit gleichem Strome wieder eine deutliche starke
Muskelzuckung hervorrufen. Der faradische Strom liess die myasthenische Reaction
stets deutlicher erkennen als der galvanische.
Es kann wohl kaum einem Zweifel unterliegen, dass es sich in diesem
Falle um die sogenannte „Myasthenia pseudoparalytica“ handelt.
Au3zaschlie88en sind von vornherein — in Hinsicht auf die Symptome und
den Verlauf — die progressive atrophische Bulbärparalyse, die acute apoplektische
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114
Bulbärparalyse, die sogenannte Pseudobulbärparalyse, ferner auch Muskel-
dystrophie und Polyneuritis.
Differentialdiagnostisch käme ernsthaft eigentlich nur in Betracht die
Polioencephalomyelitis. Gegen diese Diagnose spricht aber das Fehlen fort¬
schreitender Muskelatrophieen, das Fehlen qualitativer oder quantitativer Ver¬
änderungen der elektrischen Erregbarkeit, das Fehlen des fibrillären Zitterns,
ferner spricht gegen Polioencephalomyelitis das Vorhandensein der myasthenischen
Reaction, sowie der Wechsel der Erscheinungen, wie er sich besonders zwischen
Morgen und Abend kundgab.
In ätiologischer Hinsicht erscheint in unserem Falle von Interesse die
starke tuberculöse Belastung der Patientin.
Wenn ich nun noch einiges Bemerkenswerthe aus dem Krankheitsbilde
herausgreife, so ist dies zunächst die (auch von anderen Beobachtern) festgestelle
Complication von myasthenischer Paralyse und Hysterie, welch letztere sich in
meinem Falle besonders durch die rechtsseitige Hyperästhesie kundgab. Dass
dieselbe rein hysterischer Natur ist, zeigt der Umstand, dass es stete mit
Leichtigkeit gelang, auf suggestivem Wege die Hyperästhesie auf die andere
Körperhälfte zu transferiren.
Beachtenswerth erscheint ferner das Verhalten der Pupillen. Wenn auch
bei Normalen und besonders bei Hysterischen ein Schwanken der Pupillenweite
bei Liohteinfall nicht selten gefunden wird, so legte doch die zeitweilig — und
gerade nur zeitweilig — beobachtete Deutlichkeit des Phänomens den Gedanken
nahe, dass es sich hier — ebenso wie bei den Extremitätenmuskeln — um ein
Ermüden und Wiederkräftigwerden des M. sphincter pupillae handelt, zumal
auch in einem Falle von Grocco 1 Gleiches beobachtet wurde.
Auffällig erschien der Nachweis von Albumen (ca. 0,2 °/ 00 ) und vereinzelten
Cylindern im Urin. — Von den in der Litteratur bekannten Fällen sei erwähnt,
dass in einem Falle von Oppenheim-Hibschbebg * mit typischer Myasthenia
pseudoparalytica + Hysterie der Exitus an Nephritis erfolgte, in einem Falle
von Senator 3 fanden sich im Harn Eiweiss und Cylinder (allerdings lag eine
Complication mit multiplen Myelomen vor), in einem Falle von Oppenheim 4
ergab die Autopsie eine Nierengeschwulst, im STRüMPELL’schen 6 Falle Miliar¬
tuberkel der Nieren, im Falle Sossedorf® parenchymatöse Nephritis und im
Falle Dreschfeld 7 Granularatrophie der Nieren. Diesen Fällen würde sich
der meinige anreihen. Es kann die Nierenaffection als Ausdruck einer Allgemein-
infection oder -intoxication des Organismus angesehen werden, andererseits kann
aber auch angenommen werden, dass von der veränderten Niere aus infectiöees
1 Arch. ital. di Clin. Med. 1896. Ref. in Revue neurolog. Nr. 28.
* Citirt in „Die myasthenische Paralyse“ von H. Oppenheim. Berlin 1901. S. 138.
8 Berliner klin. Woohenschr. 1899. Nr. 8.
* In „Die myasthenische Paralyse'* von H. Oppenheim. Berlin 1901. S. 16.
• Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1896. Bd. VIII.
• These inaugurale. Genfeve 1896.
1 Brit. Med. Jouru. Aug. 1893.
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Material in den Kreislauf gelangt und so die Myasthenie erzeugt sei. Uebrigens
war die Menge Albumen bei jeder Untersuchung so gering, dass sie nur
mittels Unterschichtungsprobe nachgewiesen werden konnte, beim Kochen und
Zusatz von Säure aber eine Trübung kaum oder garnicht sichtbar war. leb
halte es daher für nicht ausgeschlossen, dass Albuminurie sich bei der Myasthenie
häufiger findet, als im Allgemeinen angenommen wird, zumal es — wie mein
Fall zeigt — möglich ist, dass erst eine wiederholte Untersuchung des Urins
an verschiedenen Tagen das Vorhandensein von Eiweiss erkennen lässt.
Ganz besonderes Interesse erheischt schliesslich die Abnormität des Herz¬
schlages. Wie erwähnt, setzte in unserem Falle der Puls Abends häufig nach 4 bis
5 Schlägen aus, Morgens meist nach 10—20 Schlägen. Während Tachycardie
des öfteren bei der Myasthenia pseudoparalytica beobachtet worden ist, finde
ich ein directes Aussetzen des Pulses nirgends in der Litteratur erwähnt. —
In einem Falle von Senator 1 wird eine „leichte Unregelmässigkeit der Herz-
action*‘, in einem Falle von Gbocco 2 eine Verlangsamung des Herzschlages
nach Anstrengungen („ralentissement sensible du coeur aprös de faibles efforts“)
angegeben.
Es erscheint ja nun allerdings am naheliegendsten, in unserem Falle die
Arhythmia cordis auf die bestehende Nierenaffection zurückzuführen und von
ihr abhängig zu machen. Auffallend bleibt bei dieser Annahme immerhin das
Fehlen der Herzhypertrophie, der Arteriosklerose, der klappenden zweiten Herz¬
töne, überhaupt das Fehlen jeglichen Zeichens von erhöhtem Blutdruck, auch
spricht dagegen das ganze Aussehen und das Alte- der Patientin.
Auf jeden Fall halte ich es für gerechtfertigt, die Möglichkeit in Er¬
wägung zu ziehen, dass in unserem Falle die Arhythmie der Ausdruck einer
myasthenischen Erkrankung des Herzens ist.
Denkbar ist es immerhin, dass — ebenso wie die Extremitäten- und
Athemmuskeln (ebenso wie auch vielleicht der M. sphinoter pupillae) — der
Herzmuskel in myasthenischer Weise ermüdet, um nach kurzer Ruhepause seine
Arbeit wieder aufzunehmen.
n. Referate.
Anatomie.
1) The histogeneaifl of the oeilular elements of the cerebral oortex, by
Stewart Paton. (John Hopkins Hospital Reports. Vol. IX.)
Die Untersuchung einer Serie von Schweine- und Kaninchenembryonen führte
Verf. zu folgenden Ergebnissen:
Der ursprüngliche ektodermale Wulst, der später die Grosshirnrinde bildet,
enth< in der ersten Zeit nur drei Zellarten: Keimzellen, Spongioblasten und
1 Deutsche med. Woohenschr. 1898. Nr. 1.
* Cit. nach Revue ueurolog. Nr. 28.
8 *
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indifferente Zellen. Auch mit wachsender Dicke des Wulstes erscheinen keine neuen
Zellarten, speciell keine Uebergangszellen (His). Bezüglich des Schicksals der
Keimzellen ist es am wahrscheinlichsten, dass sie sowohl Spongioblasten als auch
indifferente Zellen bilden; dass Bie, wie His will, auch direct, ohne durch ein
indifferentes Stadium durcbzugehen, Neuroblasten bilden, kann Verf. nur für
niedere Vertebraten zugeben, nicht für die von ihm untersuchten Species und den
Menschen. — Die erste wichtige Schichtung besteht in der Bildung einer Ganglien-
zellenscbicht durch die Auswanderung von Zellen aus der Ependymschicht. Die
meisten der indifferenten Zellen, die bestimmt sind, Neuroblasten zu werden,
machen auf diesem Wege eine halbe Wendung, indem sie ihr schmäleres, spitzeres
Ende zum Schluss vom Ventrikel ab-, statt demselben zuwenden. Einige wenige
Zellen machen indessen diese Wendung nicht mit; es sind dies wahrscheinlich
die späteren Zellen vom Martinotti'sehen Typus.
Wenn die erste Periode der Entwickelung der Hirnrinde die der Zell¬
wucherung und Zelldifferenzirung ist, so ist eine zweite, von der ersten wohl zu
trennende die des Aufhörens individueller Zellthätigkeit und des Zunehmens der
Grundsubstanz. Das Wachsthum des Gehirns fällt von einem bestimmten Zeit¬
punkt an (10—12 cm Länge der Schweineembryonen) fast ausschliesslich auf
Rechnung dieser Vermehrung von Grundsubstanz; unter diesem letzteren Begriff
versteht Verf. nicht nur die Neuroglia, sondern auch das von Nissl, Ap&thy
und Bethe beschriebene specifische Fibrillennetz. Diese Fibrillen, anfangs in
paralleler Lagerung in den sogen, apicalen Fortsätzen der Zellen der Ganglien-
zellschicbt eingeschlossen, wachsen von diesem Zeitpunkt an aus den Zellfortsätzen
heraus, verzweigen sich und bilden ein dichtes, diffuses Netzwerk. Verf. sieht
hierin eine Bestätigung der Nissl’schen Anschauung, dass die graue Rinde sich
noch durch einen anderen Bestandtheil vom Mark unterscheidet, als durch blosse
Verschiedenheit im Gehalt an Zellen und markhaltigen Fasern.
Die Untersuchungen drängen zu der Ansicht vom ektodermalen Ursprung der
Neuroglia: Die Spongioblasten schwinden im Belben Maasse, wie die sogen,
ependymale Zellschicht sich verkleinert, und an ihre Stelle treten die aus den
indifferenten Zellen entstandenen Gliaelemente. Die Entstehung der Neurogli»
trägt also im Gegensatz zu der der Ganglienzellen den Charakter einer regressiven
Metamorphose. Die Hensen’scbe Anschauung, dass die Neuroglia aus meso¬
dermalen, mit der Entwickelung der Blutgelässe eingedrungenen Elementen ent¬
standen Bei, hat Verf. an keinem Punkte bestätigen können. — Ueber das End¬
schicksal der indifferenten Zellen wissen wir noch nichts Genaues. Eine grosse
Menge derselben sind noch bei der Geburt vorhanden, und eine Anzahl derselben
bleibt vielleicht das ganze Leben erhalten. Möglich, dass diese es sind, die unter
pathologischen Verhältnissen eine Rolle in der Entstehung gliomatöser Geschwülste
spielen. H. Haenel (Dresden).
2) A miorosoopio demonstration of the normal and pathologioal histology
of mesoglia oells, von Dr. F. Robertson. (Journal of Mental Science.
1900. October.)
Demonstration und vorläufige Mittheilung über die Ergebnisse eines neuen
Platinimprägnationsverfahrens in Anwendung auf Schnittpräparate aus Hirnrinde
und Marklager von Mensch und Hund. Ueberall finden sich neben der ebenfalls
sichtbaren Neuroglia Zellen eines anderen Typus mit einem charakteristischen
Protoplasma, einem Kern und einer Anzahl, seltener gar keinem oder nur zwei
Fortsätzen. Dieselben stehen weder mit dem vasculären Gewebe, noch mit den
Nervenzellen und Nervenfasern in Verbindung und scheinen deshalb nicht als
stützendes Gewebe zu dienen. Die Menge dieser sogen. „Mesogliazellen“ ist be-
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träehtlich und kommt derjenigen der Neurogliazellen ungefähr gleich. Bei
pathologischen Vorgängen fnnctioniren sie vielleicht als Phagocyten oder stehen
möglicher Weise zu den Amyloidkörpern in irgendwelcher Beziehung.
Schmidt (Freiburg i/Schl.).
Experimentelle Physiologie.
S) Heber die Wirkung der Erm&dung auf die Struotur der Nervenzellen
der Hirnrinde, von Guerrini. (Arch. ital. de Biolog. XXXII. S. 62.)
Verf. hat 12 Hunde Wegestrecken von 35—98 km zurücklegen lassen an
einem von Grandis angegebenen Apparat. Folgende Veränderungen, ausgeprägter
in der Grosshimrinde als im Kleinhirn und in ersterer am stärksten in der
motorischen Region, konnte er mit Hülfe der Nissl-Methode feststellen:
1. V ergrösserung der pericellulären Lymphräume, 2. Ansammlung von Leu ko¬
chten im pericellulären Raum, 3. Veränderung des achromatischen Netzes, 4. Zer¬
fall der Chromatinschollen, 5. Vacuolen im Protoplasma, 6. unregelmässige Kern-
contor, 7. Vacuolen im Kern.
Der Grad der Veränderungen habe im directen Verhältnisse zum Grade der
Ermüdung gestanden.
Ausführliche Angaben werden in Aussicht gestellt.
Geelvink (Herzberge).
4) Reoherches experimentales sur la reaistanoe des oentres nerveux mö-
dullaires a la fatigue, par J. Joteyko (Paris). (Travaux du laboratoire
de l’Institut Solvay. III. Fase. 2.)
Die auf dem Gebiete der Ermüdungsphänomene schon durch mehrere Arbeiten
bekannte Verfasserin giebt hier einen neuen, werthvollen Beitrag zur Physiologie
der Nervencentren. Elin näheres Eingehen auf die an interessanten Einzelheiten
reiche, klar angelegte und elegant ausgeführte Arbeit müssen wir uns leider hier
versagen. Sie hat zum Ausgangspunkt die Angabe Wallers, dass die nervösen
Centren ermüdbarer seien als die Endapparate. Die Verf. gründet ihre Versuche
hauptsächlich auf die Beobachtung der Reflexzuckung, die in dem der gereizten
Seite gegenüberliegenden Beine des Frosches zu Stande kommt Ihre beweisenden,
in verschiedenen Modificationen ausgeführten Experimente sind die folgenden:
macht man den einen Ischiadicns durch Hervorrufung des Anelektrotonus naoh
Bernstein oder durch Application von Narcoticis (Aether, Chloroform) u. 8. w.
auf kurze Zeit für die Leitung des Reizes unwegsam, und reizt den anderen, bis
völlige Ermüdung seines zugehörigen Gastrocnemius eingetreten ist, so wird nach
Aufhebung des LeitungBhindernisses bei Fortdauer des gleichen Reizes im ersten
Bein eine lebhafte Reflexzuckung beobachtet. Diese Erscheinung beweist, dass
das Rückenmark, das während der ganzen Zeit thätig war, weniger rasch ermüdet
ist als die Endorgane, Nerv und Muskel. Dasselbe Ergebniss hatte bei gleicher
Versuchsanordnung die directe Reizung des Rückenmarks, mit tetanisirendem
Strome sowohl, wie mit einzelnen Inductionsschlägen, und zwar zeigten die Ver¬
suche, dass das Rückenmark mindestens 4 Mal so lange gereizt werden konnte
als der Muskel, ohne dass ein Zeichen von Ermüdung bemerkbar wurde. Als
weitere, mehr nebenbei gewonnene Ergebnisse stellten sich folgende heraus: Die
minimale Stromintensität zur Hervorrufung eines completen Anelektrotonus be¬
trägt 0,20 M.-A. Wendet man den Strom jede Minute und vermindert ihn dabei
allmählich bis auf 0,16 M.-A, so ist nach endgültiger Oefihung desselben die Erreg¬
barkeit des Nerven in seinem ganzen Verlaufe unverändert geblieben. — Ein
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durch minimale Mengen Strychnin, sulfuric. (0,0001 g) vergiftetes Rückenmark
ist im Stande,, eine mindestens 100 Mal so grosse Arbeit als der Muskel zu
leisten. Die Quelle dieser Kraft ist uns vollständig unbekannt. — Die „Ermüdungs-
curve“ unterscheidet sich bei Reizung des Centralorgans nur in unwesentlichen
Punkten von der bei directer Reizung des Muskels: die anfängliche Phase der
erhöhten Erregbarkeit dauert länger, und der Abfall ist weniger gleichmässig als
bei letzterem. — Als Endresultat: Die Erscheinungen der motorischen Ermüdung
rühren her von dem Versagen der Thätigkeit der intramusculären Nerven¬
endigungen; die Centren dagegen sind einer langen Arbeitsleistung fähig, ohne
zu ermüden. H. Haenel (Dresden).
5) Ueber Ermüdung der Kinder Im gesunden und kranken Zustande, von
Prof. Dr. G. Anton in Graz. (Halle a/S. 1900. C. Marhold.)
Angeregt durch die 1898 erschienene Arbeit von Bi net und Henri: „La
fatigue intellectuelle“ bespricht Verf. in diesem Schriftchen, dem ein Vortrag in
der Sitzung von Aerzten und Pädagogen im Verein der Aerzte Steiermarks im
April 1900 zu Grunde liegt, kurz das Wesen der Aufmerksamkeit, die Begleit¬
symptome der intellectuellen Arbeit und die Methoden, die man zur Untersuchung
dieser Erscheinungen angewendet hat, insbesondere diejenigen, die bei Schul¬
kindern zur Prüfung der Ermüdung von Bürgerstein, Hopfner, Richter,
Griesbach und Ebbinghaus angegeben worden sind. Alle ergaben mit mehr
oder weniger Sicherheit, dass im Anfang eine Zunahme der Arbeitsleistungen be¬
merkt wird, später dagegen die Menge, wie der Werth der Arbeit sich verringert.
Es ist hauptsächlich die Uebung, die im Beginn die Arbeit verbessert. — Die
nervösen Beschwerden vermehren sich bei Kindern nach Nestereff’s Unter¬
suchungen von 8"/ 0 in den Vorbereitungsklassen auf 69°/ 0 in der 8., also obersten
Classe. Die geistige Erschöpfung, die bedingt ist durch die Anstrengung der
Kinder in der Schule, wird aufgehoben durch entsprechende Ruhepausen. Treten
diese nicht ein, so wird sie constitutioneil. Weiter schildert Verf. die Gefahren,
welche das in der Entwickelung begriffene und somit schon „in einem der Ent¬
zündung nahestehendem Zustand befindliche Kindergehirn“ bedrohen. Namentlich
in der folgenschwersten derselben, der Geschlechtsreife, heisst es sorgfältig auf
ein Stillestehen in der geistigen Entwickelung, auf Nachlass der Aufmerksamkeit,
auf Interesselosigkeit, Unlust, Angstgefühl, auffälligen Wechsel der Stimmungs¬
lagen, Auftreten bizarrer Neigungen, Frageßucht u. s. w. achten. Das Krankheits¬
bild kann sich zu ausgeprägten Psychosen steigern. Verf. beobachtete speciell
nach dieser sogenannten Pubertätspsychose häufig Zurückbleiben ethischer mora¬
lischer Defecte, seltener solche des Intellects, des Gedächtnisses. Zuletzt wird
noch der vielfachen periodischen Schwankungen, die manches Nervenleben darbietet,
Erwähnung gethan. Sie beeinflussen erheblich die Disposition zu geistiger Arbeit
und wollen daher namentlich bei Kindern beachtet Bein. In 8 Schlusssätzen fasst
Verf. noch einmal seine Erfahrungen, die im Vorstehenden skizzirt sind, zusammen.
Meitzer (Colditz).
6) Sur la Physiologie des oouohes-optiques, par Lo Monaco. (Arch. ital.
de Biologie. XXX. Fase. 2.)
Verf. hat Hunde nach der von ihm angegebenen Methode (Durcbschneidung
des Corp. callos.), über welche s. Z. in d. Centralbl. berichtet worden ist, operirt
und zunächst festgestellt, dass elektrische Reizung der Oberfläche des Thalamus
opt. keinerlei Bewegung zur Folge hat; es zeigt sich ferner, dass nach Exstir¬
pation des inneren Theils des Thalamus Blindheit auf dem gekreuzten Auge und
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Herabsetzung der Tast- und Schmerzempfindung, sowie der Muskelkraft auf der
gekreuzten Seite eintritt; all diese Störungen versoh wanden nach etwa 4 Wochen.
Kaplan (Herzberge).
7) Restauration des fonotions du ooeur et du systöme nerveux oentral
aprea l’anömle oomplöte, par Frödöric Battelli. (Compt. rend. des
seanc. de l’acad. des Sciences. Paris. 1900. März.).
Verf. hat an ausgewachsenen Hunden die Zeit festgestellt, nach welcher bei
Herstellung completter Anämie (durch Reizung mit dem Inductionsstrom, durch
Snffocation und durch Chloroformirung) Herz und centrales Nervensystem ausser
Function gesetzt, wieder normal functioniren, und hat Folgendes gefunden:
1. Bei Anwendung rythmischer Ventrikelcompression schlägt das
Herz nach 10 Minuten langem Stillstand wieder (bei Tod durch Elektrisiren noch
nach 20 Minuten, wenn man eine elektrische Ladung anwendet).
2. Das centrale Nervensystem erlangt seine Functionen nach 10 Minuten
langem Herzstillstand wieder (bei Tod durch Elektrisiren noch nach 15 Minuten).
3. Die Thiere lebten nicht länger als 22 Stunden (allmähliche Entkräftung,
Pleuraverletzung).
4. Die allgemein verbreitete Annahme, die psychischen Functionen seien nach
totaler Anämisirung nicht wieder herstellbar, ist also nicht zulässig.
5. 18 Minuten nach Erstickung konnten die Thiere wieder ins Leben ge¬
rufen werden; bisher wurden nur höchstens 8 Minuten erreicht bei künstlicher
Athmung.
6. Nach 10 Minuten langem Herzstillstand durch Chloroformtod konnten die
Thiere wieder ins Leben gerufen werden.
7. Die Methode der rythmischen Ventrikelcompression verspricht Erfolg auch
beim Menschen bei Herzstillstand durch Chloroform, Erstickung, Unglückställe in
der elektrischen Industrie. H. Gessner (Nürnberg).
6) Zur Anatomie und Physiologie experimenteller ZwisohenhirnVerletzungen,
von Dr. Moriz Probst, Vorstand des hirnanatomischen Laboratoriums der
niederösterreichischen Landesirrenanstalt in Wien. (Deutsche Zeitschrift für
Nervenheilk. 1900. XVII.)
Die Arbeit stellt eine Erweiterung bez. Ergänzung der bekannten Unter-
inchungen Monakow’s über das Zwischenhirn dar. Während derselbe bei
Kaninchen, Katzen und Hunden umschriebene Rindenfelder abtrug, brachte Verf.
bei Hunden, Katzen und Igeln theils circumskripte Verletzungen im Zwischenhirn
herror, theils wurden circumskripte Rindenpartieen abgetragen und die danach
entstandenen secundären Degenerationen auf lückenlosen Serienschnitten nach
Uarchi mit Osmiumsäure untersucht. Er bediente sich dabei einer eigens für
»eine Versuche construirten Hakencanüle, bei deren Gebrauch eine regelrechte
Trepanation meist unterbleiben kann. Bei 21 Thieren, die nach der Operation
noch 2—4 Wochen am Leben blieben, wurden umschriebene und grössere Seh-
hügelverletzungen, sowie Halbseitendurcbschneidungen im Pons und in der hinteren
Zweihügelgegend vorgenommen. Wurde ein bestimmter Kern des .Sehhügels zer-
»tört, so zeigte es sich, dass die von diesen Zellen entspringenden Nervenfasern
degeneriren. Durch die Marchi- Färbung konnte der Verlauf dieser Fasern bis
in die BLirnrinde genau verfolgt und das Einstrahlungsgebiet in die Grosshirn¬
rinde featgeetellt werden. Es ist aber hierbei auf die Fasern zu achten, welche
den Sehhügel durchsetzen und mehr caudalwärts entspringen. In keinem Falle
liess sich eine aufsteigende Degeneration weiter als bis in die grossen subcorticalen
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Ganglienmassen verfolgen. Es enden also sowohl die Schläfen- wie die Hauben¬
fasern, als auch die vom Kleinhirn stammenden Fasern im Sehhügel. Durch
Verletzungen der medial ventralen Kerngruppe des Sehhügels liess sich eine Ver¬
bindung des medial-ventralen caudalen Antheils des Zwiscbenhirns mit dem fron¬
talen Ende der 4., bez. 3. Aussenwindung feststellen.
Wird das Meynert’sche Bündel durchschnitten, so degenerirt es einerseits
zum Ganglion habenulae, andererseits auch zum Gangl. interpedunculare hin, woraus
sich ergiebt, dass es auf- und absteigende Fasern enthält. In zahlreichen Durch¬
schneidungsversuchen durch die Brücke wurde eine Degeneration der Forel’schen
Commissur erzielt, und zwar 5 Mal einseitig. Nach Halbseiten durchschnei düngen
in der Brücke degeneriren Fasern in der Nähe des medialen Antheils der Schleife
frontalwärts und gelangen lateral-ventral vom rothen Kern zum dorsalen Mark
der Regio subthalamica, von wo aus sie ventralwärts in das Tuber cinereum zur
Mey nert’schen Commissur der anderen Seite ziehen, aber nicht zum Linsenkem
gehen, sondern die innere Kapsel schief durchqueren und in die Gitterschicht
des Sehhügels ventral vom Corpus geniculatum ext. eintreten, um sich hier zu
zersplittern.
Bei Versuchen, in welchen das Vicq d’Azyr’sche Bündel dorsal vom Corpus
mammillare durchschnitten war, ergab sich, dass eB in einer zum Kern anterior a
aufeteigenden Richtung degenerirt und sich namentlich im ventralen und lateralen
dorsalen Theil dieses Kerns aufsplittert. Die Fasern des Haubenbündels gehen
von der Verletzungsstelle an die laterale Seite des dorsalen Längsbündels, wo
dasselbe aus dem tiefen Kern der hinteren Commissur entspringt. Dieselben
degeneriren in absteigender Richtung und enden mit Aufsplitterungen in der
Substantia reticularis der hinteren Zweihügelgegend.
Die einander widersprechenden Ansichten über den Sehhügel sind darauf
zurückzuführen, daBS das Zwischenhirn nicht in lückenlosen Serienschnitten unter¬
sucht wurde, und dass bei den Versuchen der einzelnen Forscher verschiedene
Theile des Sehhügels verletzt wurden. An der Hand seiner Beobachtungen glaubt
Verf. annehmen zu dürfen, dass beide Meinungen zu Recht bestehen, wonach die
Neurone sowohl blind im Sehhügel endigen, als auch daselbst entspringen. Der
Sehhügel entsendet sowohl eine Menge Bahnen zur Grosshirnrinde, welche dort
blind endigen, andererseits erhält er Bahnen von der Grosshirnrinde, welche mit
Aufsplitterungen im Thalamus opticus endigen. Andere, auf längere Strecken
caudal verlaufende Bahnen, welche etwa am Sehhügel entspringen, waren nicht
nachzuweisen. Die vom Kleinhirn zum rothen Kern hin degenerirenden Fasern
des Bindearms enden nur zum Theil im rothen Kern, während sich ein grosser
Theil derselben im Sehhügel aufsplittert. Ueber denselben hinaus reicht keine
Degeneration.
Es ergiebt sich also aus diesen Untersuchungen, dass der Sehhügel dazu
dient, alle peripherwärts vom Rückenmark und Kleinhirn an ihn gelangenden Er¬
regungen aufzunehmen, umzusetzen und weiterzugeben. Dies geschieht theils
durch seine zahlreichen Verbindungen mit dem Grosshirn centripetal zur Gross¬
hirnrinde, theils peripher zum Vierhügel und rothen Kern, von wo die Vierhügel¬
vorderstrangbahn, das dorsale Längsbündel und das Monakow’sohe Bündel die
Erregungen peripher in das Rückenmark leiten.
Im Sehhügel werden also die mannigfachsten Eindrücke und Empfindungen
zwischen Peripherie und Grosshirnrinde umgescbaltet.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
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Pathologische Anatomie.
9) Meoanisme de la sönilite et de la mort des cellales nerveuses, p&r
G. M arinesco. (Gazette des höpitaux. 1900. Avril.)
Verf. hat Nervenzellen ans dem Rückenmark und Gehirn von 60—lOOjähr.
Individuen untersucht und gefunden, dass die stark tingiblen Elemente an Volum
und Zahl vermindert sind („senile Chromatolyse“), besonders in der Umgebung
des Kernes. Das Pigment nimmt mit zunehmendem Alter zu und verhindert auf
diese Weise die Ernährungs- und Respirationsthätigkeit der Zelle. Die Zell¬
fortsätze verschwinden, die Zelle kommt in das Stadium der „Pigmentatrophie“.
Makrophagen sind bei diesem Process nicht wirksam, wie bei anderen patho¬
logischen Processen. Als Ursache der Zellatrophie müssen vielmehr chemische
Veränderungen angenommen werden, und auf Grund dieser Veränderungen würde
sich nach Meinung des Autors zur Prophylaxe gegen das Senium vielleicht eine
Serotherapie begründen lassen (!). H. Gessner (Nürnberg).
Pathologie des Nervensystems.
10) Ueber Hemianopsie und Ihre looaldiagnostische Verwerthung, von
Dr. Salomonsohn. (Deutsche med. Wochenschr. 1900. Nr. 42 u. 43.)
Gedrängte, zum Referat ungeeignete Zusammenfassung unserer Kenntnisse
über den localdiagnoetischen Werth der Hemianopsie. Hervorgehoben sei hier,
dass Verf. an der Existenz der hemiopischen Pupillenstarre festhält, gleichzeitig
aber betont, dass nur der positive Befund, nicht aber das Ausbleiben
des Phänomens localdiagnostisch verwertbbar ist. Es kann nämlich eine
Verengerung der Pupille auf Beleuchtung der blinden Netzhauthälfte noch ein¬
trete n, selbst wenn die Läsion vor dem Corpus geniculatum externum die Seh¬
bahn trifft, denn 1. „kommt es bei Lichteinfall ins Auge leicht zu unwillkürlicher
Accommodation mit oder ohne Convergenzbewegung, 2. wird bei der Prüfung
durch abgelenkte Strahlen oder diffus von der beleuchteten Netzhaut reflectirtes
Licht das Augeninnere erhellt, und dies kann bei lebhafter Reflexerregbarkeit
ausreichen, von der sehenden Netzhaut aus die Iriscontraction auszulösen; 3. kann
dazu auch die Erregung der Aufmerksamkeit genügen (Haab’scher Hirnrinden¬
reflex); 4. kann die blinde Netzhaut für die Prüfung mit Perimeterobjecten zwar
unempfindlich sein, helles Licht aber noch percipiren (eigene Beobachtung);
5. kann, wenn die Pupillarrefiexfasern im Tractus opticus als geschlossenes Fas-
cikel verlaufen, dieses trotz Unterbrechung der Lichtleitung intact sein.“
Am Schlüsse folgen Mittheilungen Ober einen Fall von monocular-manifester
Hemianopsie mit hemiopischer Pupillarreaction, über binoculare Hemianopsia in¬
ferior auf luetischer Basis, sowie über Hemianopsia transitoria post narcosim.
R. Pfeiffer.
11) A oase presenting right-sided hemiplegia with hemlanesthesia, right
homonymoua hemianopsia, jargon aphasia, Wernioke’s pupillary reac-
tion sign and neuritio pain in the arm of the paralysed aide, by
F. X. Derkum. (Journal of Nervous and Mental Disease. 1900. XXVII.
S. 201.)
Den zum Theil schon in der Ueberschrift angegebenen Symptomencomplex,
bestehend in völliger rechtsseitiger Hemiplegie und Hemianästhesie, rechtsseitiger
homonymer Hemianopsie, sensorischer Aphasie, Alexie, ferner deutlich nachweisbarer
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Wernicke'scher Pupiilenreaction und schliesslich neuritischen Schmerzen in dem
gelähmten Arm hat Verf. bei einer 62jährigen Frau — anscheinend mehrere
Jahre lang — beobachtet und sucht ihn zu erklären durch vasculäre Erkrankungen,
sei es hämorrhagischer, sei es embolischer Natur, die zu erheblicher Läsion des
ganzen hinteren Schenkels der Capsula interna und der benachbarten Partieen, so
des Thalamus opticus und eines grossen Theiles der Substanz und Rinde der
linken Hemisphäre, geführt haben. Kühne (Allenberg).
12) The report of two brain oaaes, with Operation, by J. W. Courtney.
(Providence Medical Journal. I. S. 16.)
I. Bei einem 16jährigen Knaben treten ohne bekannte äussere Ursache im
Verlaufe von etwa 1 */ 2 Jahren allmählich Fremdkörpergefühl im linken Auge,
Kopfschmerz, Nackenstarre, Erbrechen, Convulsionen, völliger Verlust des Seh¬
vermögens beiderseits (doppelseitige Opticusatrophie), anfallsweiser Tremor in
Gesicht und Extremitäten, der auf der rechten Seite begann, endlich Parese des
linken M. rectus internus und Dilatation der rechten Pupille auf. Die Diagnose
wird gestellt auf Tumor des rechten Thalamus opticus.
Zur Linderung der Beschwerden wird eine 3 malige Punction und’ zeitweise
Drainage der Seiten Ventrikel vorgenommen, die auch vorübergehend Besserung
hervorbringt. Schliesslich erfolgt jedoch unter fast völligem Stupor und spastischen
Erscheinungen der Exitus letalis. Die Autopsie ergiebt ein Gliom des linken
Thalamus opticus, das in den linken Ventrikel hineinragt.
Als interessant ist bei dem Falle noch hervorzuheben, dass nach der ersten
Punction, bei der wahrscheinlich der Troikar das hintere Ende der linken oberen
temporalen Windung getroffen hatte, eine mehrwöchige Amnesie für Namen eintrat.
II. In Anschluss an eine rein äusserliche Verletzung der linken Kopfeeite
tritt bei einer 46jährigen Frau einige Stunden nach dem Unfälle eine partielle
sensorische Aphasie und Alexie, ohne irgend welche motorische Lähmungs¬
erscheinungen, auf, die — bis zur Operation — 9 Jahre andauerte. Die Eröffnung
der Schädelhöhle auf dem linken Scheitelhöcker lässt unter der Dura eine trans¬
parente, gelatinöse, gefassreicbe Masse sehen, aus der sich auf Punction reichlich
farblose Flüssigkeit entleert.
Der Erfolg der Operation war wenig befriedigend, da sofort nach derselben
eine complete rechtsseitige Hemiplegie eintrat, ohne dass die Sprachstörung
irgeudwie wesentlich gebessert wurde. Ueber den weiteren Verlauf des inter¬
essanten Lebens wird nichts mitgetheilt.
Verf. warnt vor einer chirurgischen Polypragmasie bei Gehirntumoren, da die
Erfolge wenig befriedigend sind. Im Allgemeinen — abgesehen von ganz ober¬
flächlichen, circum8cripten Geschwülsten — könne mit einer Operation höchstens
eine Linderung, durch Herabsetzung des Hirndruckes, bewirkt werden, oft aber
träte, besonders bei langer Dauer der Operation, in Folge Shockwirkung der
Exitus letalis ein. Kühne (Allenberg).
13) An angeioma of Brooa’s oonvolation, von A. F. Shoyer. (Journal of
Mental Science. 1900. October.)
Bisher sind erst 6 Fälle von Angiom in der Hirnsubstanz bekannt geworden.
Der gegenwärtige betrifft eine mit rechtsseitiger cerebraler Kinderlähmung be¬
haftete 6ljähr. Geisteskranke, eine schwachsinnige unruhige, grämliche Person,
hinfällig und aphasisch und zeitweilig an manischen und epileptiformen Anfällen
leidend. Tod, 4 Jahre nach der Erkrankung, an Enteritis. Autopsie: Schädel-
dach dick und dicht, Dura verdickt und durchweg mit ihm verwachsen. Weiche
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Häute verdickt und an dem Tumor in der Broca’schen Windung festgeheftet.
Piagefässe liegen über beiden Hemisphären unregelmässig varicös in den erweiterten
Solei, ln der Broca’schen Windung liegt ein etwas angerissener schwarzer
Tumor von etwa zollgrossem Durchmesser, in ungefährer Form der Windung,
mit gut abgesetztem, cavernösem Bau, ohne äussere Kapsel und mit coagulirtem
Blut gefüllt. Die benachbarte weisse Substanz erschien wie porös durch eine
Menge kleiner Lücken. Die linke Art. foss. Sylv. war bis zum Abgang eines
kräftigen Astes zum Tumor bedeutend dicker als die rechte. Der linke Hirn¬
schenkel, Pons und Oblongata bis zur Decussation zeigen Schrumpfung. Aorta
leicht atheromatös. — Histologie: Die Wandungen der Geschwulst bestehen
aus fibrösem, grösstentheils mit Venenendothel belegtem Gewebe. Die Substanz
zwischen den Cavernen ist sehr schmal, aus nervösem Material modificirt und
enthält Neuroglia, sehr wenig degenerirte Nervenzellen und eine ansehnliche Menge
entarteter perlschnurförmiger Markfasern. Die Arterienwände sind hyalin ver¬
dickt, die umgebenden erweiterten Lymphräume enthalten einige Zellkerne, deren
Fortsätze ein areolares Netzwerk bilden. Der Piaüberzug der Stelle ist sehr dick
und kernreich. Zahlreiche normale Capillaren in der Matrix des Tumors. — Die
Spalträume der weissen Substanz enthalten ein bis mehrere Blutgefässe, in ein
lockeres areolares Netzgewebe aufgehangen. In der benachbarten Rinde sind die
Pyramidenzellen spärlich, und die Tangentialfasern fehlen ganz. Entferntere
Schnitte aus derselben Windung zeigen normale Verhältnisse. Die Projections-
bahn zeigt in Pons und Meduila die gewöhnlichen Zeichen der Entartung.
Schmidt (Freiburg i/Schl.).
14) Cerebral tumour with optio neuritis, by Ernst Clarke. (Brit Med.
Journ. 1900. 13. Oct.)
Eine 56jährige Frau, bei der weder Lues noch irgend eine Verletzung des
Schädels anamnestiBch nachzuweisen, erkrankte im October 1898 an einem kurz¬
dauernden, vorübergehenden Anfall von Aphasie. Nach diesem Anfalle traten an
Intensität wechselnde Kopfschmerzen auf; es zeigte sich allmählich Zittern der
rechten oberen Extremität, Taubheit des rechten Beins und — 9 Monate nach
Beginn der Erkrankung — Abnahme der Sehkraft.
Bei der jetzt vorgenommenen Untersuchung fand sich ausser ausgesprochenem
Tremor des rechten Armes, besonders der rechten Hand: langsame Sprache, keine
Aphasie, erhöhte Reflexe. — Das rechte Auge zählt Finger kaum auf 1 / > m und
zeigt Atrophie des N. opticus („post-neuritische“); linkB besteht Stauungspapille
bei normaler Sehschärfe.
Es wurde die Diagnose eines Tumors der Centralwindungen linkerseits (Arm
and Beincentren) gestellt. — Eine in Aussicht genommene Operation wurde
wegen des guten Allgemeinbefindens der Pat. hinausgeschoben und letztere aus
dem Hospital entlassen.
Aber schon 2 Tage nach der Entlassung wurde Pat. wieder ins Hospital
gebracht, und zwar in comatösem Zustand. — Bei der nunmehr vorgenommenen
Operation (linkes Scheitelbein oberhalb des Ohres) wölbte sich das Gehirn kinder¬
faustgross vor; eine Geschwulst wurde nicht gefunden. Baldiger Exitus.
Bei der Section fand sich genau an der diagnosticirten Stelle eine meist
knorpelartige Geschwulst. Die mikroskopische Untersuchung ergab ein Psammo-
gliom.
Abgesehen von der exacten Diagnose und der Seltenheit des Tumors inter-
easirt der Fall dadurch, dass 48 Stunden vor dem Tode keine ernsteren Krankheits¬
symptome vorhanden waren.
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Der Augenbefund, glaubt Verf., deute darauf bin, dass zur Erklärung der
Entstehung der Stauungspapille beide Theorieen (die mechanische und toxische)
richtig seien. (? Ref). E. Lehmann (Oeynhausen).
15) Zur Symptomatik der Geschwülste des Balkens, von Zingerle. (Jahr¬
bücher f. Psych. u. Neurolog. 1900. XIX. S. 367.)
öOjähr. Mann. Krankheitsbeginn 7 Wochen vor der Spitalsaufnahme, mit
plötzlicher Bewusstseinstrübung; dann Apathie, Schlafsucht, Unvermögen zu stehen
und gehen, Verwirrtheit. Bei der Aufnahme ist Pat. schwer verwirrt, liegt, sich
selbst überlassen, völlig regungslos da. Miene starr. Percussion des Schädels
wird schmerzhaft empfunden. Pupillen reagiren träge. Hirnnerven frei; keine
eigentliche Ataxie der Hände, nur leichte Unsicherheit in Folge der Schwäche.
Pat. kann nicht gehen und stehen; aufgestellt und unterstützt, zeigt er indessen
keine typische Gangstörung. Neuritis optica incipiens. Dauernd ganz apathisches
Verhalten, die leichten Paresen rechterseits ein wenig deutlicher.
Unter comatösen Erscheinungen Exitus. Bei der Obduction wurde ein Tumor
(Rundzellensarkom) des Balkens gefunden, ersichtlich von der rechten Taenia
thalami optici ausgehend, sonst nirgends mit der Umgebung verwachsen; die Ge¬
schwulstmasse in der rechten Balkenhälfte viel stärker gewachsen.
Interessant ist einmal das acute Manifestwerden der Symptome; es ist anzu¬
nehmen, dass durch das langsame Wachsen des Tumors die erhaltenen Reste die
Functionen bis zu einem gewissen Theile noch compensiren konnten, wenn diese
Grenze überschritten ist, treten die Ausfallserscheinungen mit einem Schlage in
Evidenz. Die Allgemeinsymptome fehlten fart vollständig (mit Ausnahme des
positiven Spiegelbefundes). Psychisch bestand das Bild des stuporösen Blödsinns.
Besonderes Gewicht legt Verf. auf das eigenthümlicbe Missverhältniss zwischen
den geringfügigen PareBen der Muskulatur und den Bewegungsstörungen. Keine
der Gliedmaassen für sich waratactisch oder gelähmt; aber gerade jene Coordinations-
leistung, welche von beiden Körperhälften gleichzeitig vollführt wird, also das
Gehen und Stehen, ist durch die Läsion des Balkens unmöglich geworden. Verf.
möchte für dieses Symptom die Bezeichnung „Balkenataxie“ vorschlagen und
macht auf die Aehnlichkeit mit der „frontalen Ataxie“ bei Stirnhirnerkrankungen
aufmerksam. Die auffallende Bewegungsarmuth der mimischen und willkürlichen
Bewegungen kann in Zusammenhang gebracht werden mit dem Ausfälle eines so
grossen, Anreize zu den motorischen Centren zusendenden Fasersystems. („Zur
normalen Bethätigung der motorischen Centren ist ihr Zusammenhang mit den
anderen Rindenregionen nothwendig und die natürliche Erregungsquelle ist in
den langen und kurzen Associationsfasern zu suchen“ [Monakow].)
Pilcz (Wien).
16) Case of glioma of the oorpus oallosum, by C. Mabel Blackwood.
(Journal of Mental Science. 1900. July.)
Ausgehend von den hinteren zwei Dritteln des Corpus callosum, erstreckte
sich der Tumor beiderseits senkrecht nach oben und seitlich bis 6 / 4 cm gegen die
Hirnrinde und in einiger Ausdehnung bis in den Gyrus fornicatus, drückte und
verschloss zum Th eil die Seiten Ventrikel, deren Ependy m er veränderte. Er war
nicht abgekapselt und ging ohne scharfe Grenze in die weisse Substanz über.
Die Basalganglien waren normal. Der grössere Theil lag beiderseits in der
Grösse eines halben Taubeneies über dem Dache des Seitenventrikels. Die Con-
sistenz war weich, einige Stellen gelatinös, andere durchscheinend, die Farbe
grauröthlich. Ueberall kleine Hämorrhagieen und Cystchen voll strohgelber klarer
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Flüssigkeit. Die Brücke war weich und zerfallen, das Bückenmark ohne Ver¬
änderung. Die Hirnschaale war dünn, die Hänte normal, die Windungen etwas
atrophisch and abgeplattet. — Die Lungen waren pneumonisch indurirt, ein
weiteres Gewächs fand sich nirgends.
Die Bindenzellen der linken ansteigenden Frontalwin düng zeigten granuläre
Entartung, die Blutgefässe verdickte Wandungen. Die Zellen der Geschwulst
haben zweierlei Formen. Die eine ist etwa eiförmig, mit Fortsätzen an den
Winkeln, die mit einander ein Netzwerk bilden. Die kleineren Zellen dieser
Form haben einen, die grossen drei bis vier Kerne. Die Zellsubstanz ist schwach
granulirt, das intranuoleäre Netz deutlich. Die Blutgefässe sind normal, aber in
ihrer Umgebung sind kleine Hämorrhagieen und Pigmenthäufchen sichtbar. — In
anderen Gegenden des Tumors nähern sich die Zellen dem sarkomatösen Typus,
doch ohne dessen embryonalen Charakter. Einige gehören der kleinen Bund¬
zellenvarietät mit grossen Kernen an; hier ist zugleich der Blutreichthum grösser
und die Hämorrhagieen sind zahlreicher, das Beticulum zart. An anderen Stellen
beobachtet man massenhaft Spindelzellen in einem dichteren und gröberen Beti¬
culum.
Der Tumor gehörte einem 56jährigen belasteten Manne an, der früher
Krankheitsanfalle gehabt haben soll. Seine letzte Krankheitsattacke verlief rapid
und führte innerhalb 5 Wochen zum Exitus. Er war sehr schwach, Bein Gang
schwankend, Lippen und Glieder zitterten. Enge, schwach auf Licht und Accom-
modation reagirende Pupillen. Sehschärfe herabgesetzt. Gehör gut, Haut- und
Kniereflexe gesteigert. Intelligenz sehr geschwächt, Gedächtniss sehr arm. Un¬
bestimmte Furcht vor etwas Drohendem, ruhelose Bewegungen. Er wurde bald
somnolent, schliesslich halb-komatös und starb. Krämpfe wurden nicht beobachtet.
0. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
17) Klinischer Beitrag zur Kenntniss des Erkrankungen des Hirn-
sohenkels, von Dr. Hans Haenel, früherem Assistenten der psychiatrischen
und Nervenklinik in Halle, z. Zt. Assistenten am Stadtkrankenhause in
Dresden. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVII.)
Die hauptsächlichsten Punkte der mitgetheilten Krankengeschichte werden
von dem Verf. folgendermaassen zusammengefasst: Allmähliche Entwickelung einer
linksseitigen Parese mit gleichzeitigen sensiblen und motorischen Symptomen fast
ohne alle Allgemeinerscheinungen. Betroffen werden zuerst das Gesicht, dann
Arm und Bein und nach längerer Zeit die Muskeln des rechten Auges. Bei der
Aufnahme fand sich Lähmung sämmtlicher vom rechten OculomotoriuB versorgten
äusseren Augenmuskeln, Parese des linken Quintus in seinem motorischen und
sensiblen Theil, des ganzen Facialis, des Acusticus, vielleicht auch des Glosso-
pharyngeus, Parese des linken Armes und Beines mit Steigerung der Beflexe und
Spasmen, besonders im Bein, starke Gleichgewichtsstörung mit Umfallen nach
links, Hemihypästhesie für fast alle Gefühlsqualitäten, in den distalen Abschnitten
der Extremitäten am stärksten ausgeprägt. Während sich die motorischen
Störungen besserten, blieb die Herabsetzung des Gefühls unverändert bestehen.
Die Angenmuskelstörungen wechselten insofern, als die Function des rechten
Bectus internus, inferior und superior theilweise wiederkehrte, während dafür die
Binnenmuskeln und der linke Bectus externus, superior und inferior befallen
werden.
Zu einer Section ist der Fall nicht gekommen. Es wurde ein Tumor mit
dem Sitz etwa in der Mitte des rechten Hirnschenkels angenommen. Dazu kommen
die secundär in Mitleidenschaft gezogenen Bezirke. Mittel- und Ausgangspunkt
der Affection ist die Schleife. Nach vorn zu endet das ganze fragliche Gebiet
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an der hinteren Commissur, während die hintere Begrenzung mit dem Ende des
Vierhügeldaches zusammenfällt. Auffallend war dabei die Intactheit des Hypo-
glossus, wo doch der Facialis mit allen drei Aesten betheiligt war. Der weitere
Verlauf kann schon durch eine ganz geringe Verschiebung des Herdes gedeutet
werden. Die Besserung der Gleichgewichtsstörungen wird erklärt unter Hinweis
auf Luciani’s Thierversuche, die ein compensatorisches Eintreten der einen
Kleinhirnhemisphäre für die andere ergaben. Der Wechsel im Augenbefund
erklärt sich bei der Annahme des Auftretens einer associirten Blicklähmung durch
Läsion einer entsprechenden Bahn. — Abgesehen von der Möglichkeit einer ge¬
nauen Localdiagnose ist der vorliegende Fall interessant einmal durch das Ver¬
halten der Facialisparese: Der Ausfall zeigte sich bei den Affectbewegungen und
fehlte bei der intendirten Motilität. Eb erklärt sich dies durch Annahme einer
Schädigung des Thalamus. Des Weiteren ist hervorzuheben, dass die Sensibilitäts¬
störungen das nach Wern icke für circumscripte Rindenläsionen charakteristische
Verhalten aufwiesen, d. h. parallel den Motilitätsstörungen zum Ausdruck gelangten.
Die für die letzteren geltenden Erwägungen, insbesondere die Thiere Monakow’s,
können auch auf die sensiblen Störungen angewandt werden.
E. Asch (Frankfurt a/M).
18) Ueber eine Affeotion der Varol’sohen Brücke mit bilateraler Lähmung
der willkürlichen Augenbewegungen, Zwangslachen und Zwangsweinen,
sowie frühzeitiger Atrophie der rechtsseitigen Untersohenkelmuskeln,
von Prof. W. v. Bechterew in St. Petersburg. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven-
heilk. 1900. XVII.)
Es handelt sich um einen 28jähr. Gaukler, welcher 1886 eine luetische In-
fection von schwerem Verlauf durchmachte und, seit dem 13. Jahre dem Brannt¬
weingenuss ergeben, namentlich in den letzten Monaten vor Ausbruch des Leidens
grosse Mengen Alkohol zu sich nahm. Dasselbe begann mit einem Schwindel¬
anfall, Schwäche im rechten Arm und rechten Bein, Schwere der Zunge und
Kopfschmerzen.
Stat. praes.: Linke Pupille etwas > r., von guter Reaction, Parese des
rechten Facialis, Zunge weicht nach rechts ab, Sprache undeutlich, abgebrochen,
mit Ueberspringen von Buchstaben, Neigung zu unmotivirtem Lachen, Parese der
rechten oberen und unteren Extremität, Gang paralytisch, Patellarreflöx beiderseits
erhöht, besonders links, Achillessehnenreflex links lebhafter als rechts. Im Verlauf
der Krankheit nahmen die Kopfschmerzen zu, waren besonders an der linken
Seite des Hinterhaupts etwas hinter dem Proc. mastoideus localisirt und traten
hauptsächlich beim Beklopfen des Schädels auf. Ferner stellte sich linksseitige
Abducenslähmung, leichte Atrophie der linken Zungenhälfte, Verschlucken, vorüber¬
gehende Temperatursteigerung und Erhöhung des rechten Patellar-, Knie- und
Achillessehnenreflexes, sowie rechtsseitiger Fussclonus ein. Nur wenige Wochen
später traten doppelseitige Krämpfe mit bilateraler Extremitätenlähmung auf, in¬
dem die rechtsseitigen Extremitäten, welche Bich von dem ersten Anfall schon
vollkommen erholt hatten, neuerdings paralytisch wurden, während sich links
Muskelparesen einstellten. Dabei Retentio urinae und Obstipation, Muskelatrophie
im rechten Unterschenkel, Herabsetzung der Sensibilität am rechten Arm, Puls
beschleunigt, Athmung ungleicbmässig und rasch, beständige Husten- und Ex¬
spirationsbewegungen, begleitet von einem besonderen stöhnenden Geräusch. Bei
der Untersuchung der Augen wird festgestellt, dass sich die Bulbi zusammen
weder nach rechts, noch nach links, wohl aber naoh oben, unten und innen be¬
wegen. Bei geschlossenem linken Auge kann das rechte nach aussen abweichen,
aber nur sehr wenig, während das linke nicht einmal für sich nach aussen hin
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sich verschieben kann. Nach innen kann jedes Auge für sich abweichen, aber
ebenfalls nur sehr wenig. Accommodation und Pupillenreaotion beiderseits normal!
Fast unaufhörlich Hustenbewegungen bei gänzlichem Mangel jeder Lungen* oder
Kehlkopfaffection. Unmotivirtes Weinen und Lachen. Der Exitus erfolgte ziemlich
plötzlich, eine Section musste leider unterbleiben.
Die Hemiplegie mit gekreuzter Abducenslähmung ist charakteristisch für
Affectionen der dem gelähmten Abducens entsprechenden Hälfte des unteren Theils
der Varolsbrücke; ausserdem sind die benachbarten Theile der Medulla oblongata
vielleicht noch mitbeteiligt. Die Schluckbeschwerden lassen auf eine Affection
des Glossopharyngeus und Vagus schliessen. Offenbar ging der ursprünglich auf
die linke Brückenhälfte localisirte Process später auf die rechte Seite über, was
aus der rechten Facialisparese mit Betheiligung des oberen Astes derselben, aus
einer Steigerung der Schluckbeschwerden und dem Auftreten completer Glosso-
plegie geschlossen werden kann. Verf. nimmt mit grosser Wahrscheinlichkeit an,
dass es sich hier um eine Hämorrhagie aus einem von der Hirnbasis her in die
Brücke eindringenden Ast der Art. basilaris handelt. Offenbar wurden dadurch
die Wurzeln des linken Abducens betroffen und die fiir die rechte Körperhälfte
bestimmten Pyramidenbahnen der linken Brückenhälfte coraprimirt.
Von grossem Interesse ist in diesem Falle die Aufhebung der seitlichen Be¬
wegungen beider Bulbi, was entweder durch eine bilaterale Affection der corti-
calen Leitungsbahnen nach ihrer Kreuzung oder in Folge einer Veränderung beider
Abducenskerne bedingt ist. Das zwangsweise Lachen und Weinen ist hier durch
eine Erkrankung der den Sehhügeln angehörenden Bahnen veranlasst, welche im
Gebiet der Formatio reticularis, also in der Brückenhaube, gelagert sind.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
19) Un caa de diaböte insipide döpendant d’un gliosaroome du planoher
du quatriöme ventriole, par G. Marinesco. (Gazette des höpitaux. 1900.)
Einem 28jähr., hereditär belasteten Patienten fiel eine schwere Kiste auf den
Rücken und schleuderte ihn zu Boden. Einige Tage später stellten sich Schmerzen
in der Lumbalgegend und heftiger Durst ein, gleichzeitig Polyurie bis zu 12 Litern
täglich. Dabei Kräfteverlust und Schlaflosigkeit. Pat. wurde verstimmt und
reizbar, klagte über Parästhesieen in den Fingern und in den Beinen; Verlust
der Potenz. Objectiv bestand ausser einigen anästhetischen Stellen an der Innen¬
seite des rechten Beines keine Sensibilitätsstörung. Die Pupillen waren erweitert,
reagirten prompt, die Sehnenreflexe normal. Pulsfrequenz betrug 60. Ira Urin
fand sich weder Eiweiss noch Zucker. Unter zunehmender Schwäche und Ab¬
magerung kam es zu plötzlichem Exitus; kurz vorher war noch Glykosurie con-
ftatirt worden.
Der ganze 4. Ventrikel war ausgefüllt von einem Gliosarkom, das vom Calam.
seriptor. bis zum proximalen Ende der Medulla oblong, reichte; im ventralen An-
theü des Tumors fand sich eine mächtige Hämorrhagie. Die Neubildung hatte
den proximalen Theil der Vaguskerne, die hinteren Längsbündel, die dorsale
Partie der Schleife und an einer Seite einen grossen Theil des dorsalen Vagus-
kemes und der Substant. reticul. zerstört. Die Pyramiden waren abgeplattet.
Die Contouren der aufsteigenden Trigeminuswurzel und der Subst. gelat. Rolandi
waren weniger scharf aU normal.
Bemerkenswerth ist, dass Pat. trotz Zerstörung des noeud vital noch so lange
lebte: sein plötzlicher Tod dürfte durch die Hämorrhagie herheigeführt worden
•ein, die den Aquäduct und den 3. Ventrikel noch füllte.
R. Hatschek (Wien).
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20) Ein Fall von Tumor am Boden der Rautengrube. Beitrag zur Kennfc-
ni88 des hinteren li&ngsbfindels, von Dr. Alexander Spitzer. (Arbeiten
aus Prof. Obersteiner’s Laboratorium. 1899. Wien. Heft 6.)
34jähriger Phthisiker. Beginn der in etwa 8 Monaten zum Tode führenden
Gehirrerkrankung mit Deviation des Kopfes und der Augen nach rechts. — Ein
Monat vor dem Tode: Keine Hirndrucksymptome. Habituelle Senkung und
massige Linkswendung des Kopfes. Heftiger Schwindel und Nausea beim Drehen
desselben nach rechts, beim Erheben und Rückwärtsneigen. Linker Abducens
gelähmt, rechter Rectus internus paretisch (auch monocular und bei der Con-
vergenz). Geringe Deviation beider Augen nach rechts, des linken mehr als des
rechten. Linksseitige Facialisparese. Rigor der Kaumuskeln. Stamm und Extre¬
mitäten frei. Section: Am Boden des 4. Ventrikels im dorsalen Theile der Haube
links ein haselnussgrosser, kugeliger Solitärtuberkel, welcher den linken Abducens-
kern und den linken dorsomedialen Acusticuskern vollkommen, beide hinteren
Längsbündel auf einer kurzen Strecke zerstört. Mit Ausnahme des leicht dege-
nerirten Quintus und 1. Cervicalis beiderseits, für deren indirecte Schädigung
Verf. mechanische Momente heranzieht, sind alle anderen Degenerationen auf
directe Faserunterbrechung zurückzuführen. Ein sehr wenig und nur links dege-
nerirtes „laterales Haubenbündel“ hält Verf. für eine spino-thalamische Bahn, und
in einem ebenfalls nur links und wenig entarteten „ventralen Haubenbündel“ sieht
er einen Theil der centralen Quintusbahn. Ausserdem findet sich in beiden hin¬
teren Längsbündeln eine starke absteigende Degeneration bis in das Vorderstrang¬
grundbündel des Halsmarkes und eine schwächere, aufsteigende bis zu den Kernen
der Oculoraotorii, während die Wurzeln derselben intact sind. Schliesslich sind
in der Höhe der Hinterstrangkerne links degenerirte Fibrae arcuatae internae zu
sehen. — Verf. erklärt die Eigenthümlichkeiten der pontinen Blicklähmung (ge¬
ringere Betheiligung des Internus gegenüber dem Abducens, stärkere Internusparese
beim Blick nach der Seite, schwächere bei der Convergenz), individueller Unter¬
schiede durch Heranziehung theils anatomischer, theils functioneller Verhältnisse
(Aufsplitterung der Internusbahn, Vermeidung von Doppelbildern, doppelseitige
Innervation, Refractionsanomalien, Sehschärfe). Er discutirt die Frage des pon¬
tinen Blickcentrums, verlegt das subcorticale Centrum in das Zwischenhirn und
giebt den vermutblichen Verlauf der hier entspringenden Blickbahn an. Das von
ihm gefundene aufsteigend degenerirte Bündelchen im Fase. long. post. iBt der
aufsteigende Schenkel der centralen Internusbahn. Nach der Ansicht des Verf.’s
gestattet das hintere Längsbündel trotz der von ihm für den Menschen fest¬
gestellten, entgegengesetzten Verlaufsrichtung seiner Fasern eine in functioneller
Hins icht einheitliche Auffassung. Es sammelt diejenigen für die Kopf- und Augen¬
beweger bestimmten motorischen Fasern, welche vom Zwischen- bezw. Mittelhirn,
von den Deiters’schen und den Hinterstrangskernen entspringen und die in
diesen Kernen anlangenden sensiblen Kerne aus der Retina, dem Trigeminus, dem
Ohrlabyrinth und den sensiblen Halsnerven auf die motorischen Zellen des Hals¬
markes und der Augenmuskelnervenkerne übertragen. Das hintere Längsbündel
bildet den motorischen Schenkel eines zur räumlichen Orientirung dienenden
Reflexbogens; es führt die zum Austasten des Raumes nothwendigen Bewegungs¬
impulse, und der ganze Reflexbogen dient zur Auffassung der räumlichen Be¬
schaffenheit der uns umgebenden Objecte, d. h. zum Aufbau unserer extensiv ge¬
ordneten Vorstellungswelt. Aus der Durchtrennung dieses motorischen Schenkels
erklärt sich der beim Pat. beobachtete eigentümliche Bewegungsschwindel. Der
Wichtigkeit seiner Function entspricht auch das phylogenetisch hohe Alter des
hinteren Längsbündels. Bei den Fischen ist es vielleicht die einzige centrale
motorische Bahn und dient hier unterschiedslos den noch nicht scharf gesonderten
verschiedenen Arten von Bewegungen. Mit der Sonderung der ursprünglichen
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BewegnngBform in die mehr reflec torischen, orientirenden und in die höheren
willkürlichen Abwehr- und Angriffsbewegungen differenzirt sich such die einheit¬
liche motorische Bahn in das eigentliche hintere Längsbündel, welches für die
Orientirung dient und deshalb auf das Gebiet der Kopf- und Augenbeweger sich
zurückzieht, und in die Pyramidenbahn, welche die höheren Bewegungen leitet.
Die Orientirungsbewegungen lehnen sich an die Sinnesphäre des Bewusstseins an,
wodurch ihr activer Charakter verloren geht, während die anderen wegen ihrer
Befreiung von der objectivirenden, receptiven Sphäre des Bewusstseins als will¬
kürliche empfunden werden. Die anatomische Differenzirung der motorischen
Bahn entspricht also einer psychologischen Gliederung unseres Bewusstseins in
eine Vorstellungs- und Willenssphäre. — In psychologischer Hinsicht ist also das
hintere Längsbündel eine motorische Vorstellungsbahn (centrifugale Sinnesbahn).
Die motorische Kleinhirnbahn nimmt eine wenig differenzirte Mittelstellung ein.
(Autoreferat.)
21) Ein Fall von Meningealoyste der Medulla oblongata, von Dr. A. Fabris
(Turin). (Ziegler’s Beiträge zur pathol. Anat. XXVIII.)
Histologische Beschreibung einer nussgrossen, weichen, gallertigen Geschwulst,
die auf dem unteren Theile des Pons und dem oberen der Pyramiden Bass, ohne
im Leben Symptome zu machen. Sie erwies sich als eine Papillen tragende
Cyste mit vorwiegend cylindrischem und Flimmerepithel, also ein heterotopisches
Gewebe, das seinen Ursprung am wahrscheinlichsten vom Epithel des Centralcanals
durch Abschnürung und selbständige Weiterentwickelung genommen hat Die
örtlichen Beziehungen der Cyste, der Zusammenhang mit der Pia mater dieser
Gegend, der Charakter des Epithels, sowie das Ganze des histologischen Baues
machten diesen Ursprung wahrscheinlicher, als eine gewöhnliche epidermoidale
Entstehung. — Ref. erscheint die Bezeichnung der Geschwulst als Meningealcyste
insofern nicht ganz günstig gewählt, als sie nach Analogie mit anderen Wort¬
bildungen die Vorstellung erwecken muss, als handele es sich um eine Geschwulst,
die aus Elementen der Meningen sich entwickelt hat. „Cyste in den Meningen“
würde weniger präjudiciren. H. Haenel (Dresden).
22) Zur Kenntniss der infantilen Pseudobulbärparalyse, von Dr. H. v. Hal¬
ben. (Wiener klin. Wochenschr. 1899. Nr. 40.)
9 Jahr altes, hereditär nicht belastetes Mädchen; normale Geburt. Einige
Monate nach derselben war Speichelfluss aus dem etwas geöffneten Munde auf¬
fallend. Es lernte erst mit dem 4. Jahre gehen und lernte nie sprechen, machte
auch nie Versuche dazu.
Die linke Hand wurde immer weniger gebraucht als die rechte.
Intelligenz und Sprachverständniss gut, lebhafter, jähzorniger Charakter.
Feste Nahrung konnte sie nie kauen, Flüssigkeiten kommen zum Theil aus dem
Munde zurück, nie durch die Nase; Verschlucken häufig. Seit 3 Monaten häufig
Anfalle von Bewusstlosigkeit mit Krämpfen, links stärker, vor den Anfällen
Schmerzen im linken Arm.
Stat. praes.: Linke Nasolabialfalte etwas seichter, Stirnrunzeln und will¬
kürliche Mundbewegungen unmöglich, Augenschluss normal, ebenso die mimische
Innervation des Facialis, Mund halb offen, Speichelfluss, der Unterkiefer kann dem
Oberkiefer genähert werden, keine willkürliche Bewegung der Zunge, kein Masse-
terenreflex, Rachen- und Gaumenreflexe angedeutet, Sensibilität des Gesichts links
leicht herabgesetzt. Bewegung des Kopfes nach vorn und Drehung sowie Neigung
nach links schwächer, keine fibrillären Zuckungen, keine Entartungsreaction, keine
Muskelatrophie.
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Linke obere Extremität weniger entwickelt als die rechte, cyanotisch, kühl,
paretiech, geringer Rigor; Reflexsteigerung an beiden Armen, links mehr, Sensi¬
bilität normal. Bauchdeckenreflexe rechts stärker.
Patellarreflexe beiderseits gesteigert, Achillessehnenreflex links etwas gesteigert,
Plantarreflex geringer als rechts. Motilität und Sensibilität an den unteren
Extremitäten normal. J. Sorgo (Wien).
23) Ein Fall von Bulbärlähmung mit Betheiligung der Extremitäten ohne
anatomischen Befund, von Priv.-Doc. Dr. Schüle in Freiburg i/Br.
(Münchener med. Wochenschr. 1899. Nr. 13.)
Bei einer nicht belasteten 63jähr. Frau bestehen seit Frühjahr 1897 herum¬
ziehende Schmerzen in den Armen und Beinen, welchen sich 3 Monate später
deutliche bulbäre Symptome (näselnde Sprache und Schluckbeschwerden) hinzu¬
gesellten. Nach weiteren 2 Monaten trat eine Schwäche der Beine und Parese
der Arme auf. Sensibilitätsstörungen waren nicht nachzuweisen, die Patellar- und
Achillessehnenreflexe waren schwach auslösbar. Alle Bewegungen konnten, wenn
auch ohne besondere Kraft, ausgefiihrt werden. Der Ernährungszustand sämmt-
licher Muskeln war ein guter, Sphinkteren intact, Psyche normal. Bei der
Autopsie und mikroskopischen Untersuchung des Centralnervensystems fanden sich,
abgesehen von einigen ganz frischen Blutungen in der Medulla, nirgends deutliche
V eränderungen.
Da von einer charakteristischen Ermüdung des Muskelapparats niemals eine
Spur nachzuweisen war, so ist der Fall auch nicht zur asthenischen BulbärparalyBe
zu rechnen, trotzdem aber in die Gruppe der „Bulbäraffectionen ohne anatomischen
Befund“ einzureihen. E. Asch (Frankfurt a/M.).
24) Ueber einen Fall von aouter Bulb ärparalyse mit Seotionsbefund, von
Dr. Albert Ransohoff, Assistenzarzt in Stephansfeld. (Deutsche Zeitschr.
f. Nervenheilk. 1899. XV.)
Bei einer 76jähr., hereditär belasteten Frau bestanden die Erscheinungen
einer chronischen Psychose mit Verfolgungsideeen ohne wesentliche Demenz,
ausserdem Arteriosklerose mit stenokardischen Anfällen. Ende August 1898
Schwindelanfall, 2 Monate später Schluckbeschwerden, nasale Stimme, Athemnoth,
Exitus. Bei der Autopsie fand sich im rechten und linken Linsenkern je ein
alter Erweichungsherd von etwa 1 cm sagittalem Durchmesser und im Marklager
des rechten unteren Scheitelläppchens ein solcher von Hirsekorngrösse. Die Ge-
fasse der Hirnbasis liessen zahlreiche, atheromatöse Einlagerungen, die beiden
Art. vertebrales spindelförmige Erweiterungen erkennen. Ferner war in der
rechten Bulbushälfte im lateralen Gebiet der Formatio reticularis ein grösserer
und in den seitlichen Windungen der rechten Olive ein kleinerer Herd vorhanden.
Durch den frischen Herd sind zerstört: Substantia gelatinosa der spinalen Quintus-
wurzel, Substantia reticularis alba lateralis, das obere Ende des Nucleus ambiguus,
Fibrae arcuatae int. zwischen Olive und Corpus restiforme und die centrale
Haubenbahn, letztere aber in geringerem Grade. Des Weiteren ist das Pick'sehe
Bündel und das abirrende Bündel der Seitenstränge auch secundär degenerirt.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
25) Ein Fall von Pseudobulbärparalyse, von Dr. Ernst Kohn. (Prager
med. Wochenschr. 1900. Nr. 17.)
Der Fall des Verf.’s betrifft ein 19jähr. Mädchen, die rasch hintereinander
zwei apoplektische Insulte erlitt, welche von Lähmungen im Bereiche des ge-
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aammten Facialis und motorischen Quintus beiderseits, der Zunge und der oberen
Extremitäten, von Schlingstörungen und vollständiger Stummheit gefolgt sind.
Contractur der Kaumuskeln, Grhaltensein der Affectbewegungen, aller Reflexe,
sowie normale elektrische Erregbarkeit. Kein Zeichen von Atrophie im Bereiche
der gelähmten Muskeln, keine Störungen der Intelligenz; bis auf Störung der
Stereognosie und des Muskelgefühls in den Fingern der rechten Hand normale
Sensibilität. Dabei besteht Schrumpfniere mit Herzhypertrophie.
Bezüglich der apoplectischen Insulte ist die Nephritis und die Herzhyper¬
trophie anzuschuldigen. Es müssen mindestens zwei Herde vorhanden sein, und
zwar mit suprabulbärem Sitze, insbesondere wegen des Ausbleibens der Atrophie
und des Erhaltenseins der elektrischen Erregbarkeit und der Reflexerregbarkeit,
des Fehlens schwerer bulbärer Erscheinungen u. s. w. Redlich (Wien).
26) Asthenie bnlbar paralysis, by Dr. Hall. Sheffield medico-chirurg. Soc.
(Brit. med. Joum. 1899. 25. Nov.)
Eine verheirathete Frau verspürt Schwäche und Ermüdbarkeit in den Armen,
später auch in den Beinen. Hierzu trat Ptosis, besonders linkerseits, welche
Lähmungserscheinung Abends stärker hervortritt, um Morgens fast gänzlich zu
verschwinden. Besserung nach W T eir-MitcheH’scher Kur. — Bald jedoch zu¬
nehmende Verschlechterung: näselnde Sprache, Schlingbeschwerden, zeitweilig An-
ialle von Dyspnoe. — 6 Monate nach Beginn des Leidens plötzliche Bewusstlosig¬
keit und Tod unter Suffocationserscheinungen. — Die Section ergab ein durchaus
negatives Resultat. E. Lehmann (Oeynhausen).
27) Ueber ein myelogenes Sarkom der reohten Felsenbeinpyramide, von
Seiffer und Koch. (Charite-Annalen. 1900. XXV.)
Der mitgetheilte Fall betrifft einen Pat., der bereite im Jahre 1891 von
Remak und Schorler in der laryngologischen Gesellschaft (Deutsche med.
Wochenschr. 1892. S. 674), dann von Remak in der Gesellschaft der Charit6-
Aerzte (Berliner klin. Wochenschr. 1892. S. 1112) und zuletzt von Seiffer in
der Sitzung derselben Gesellschaft vom 31. Mai 1900 besprochen worden und
hier im Zusammenhang sowohl nach der klinischen als auch nach der anatomischen
Seite hin ausführlich behandelt ist. Da die genannten Sitzungsberichte alles
Wesentliche enthalten, genügt es, hier darauf zu verweisen.
Martin Bloch (Berlin).
Psychiatrie.
28) Ueber quantitative und qualitative Veränderungen geistiger Vorgänge
im hohen Qreiaenalter. Experimentelle Untersuchungen von Paul Ransch-
bürg und Emerich Bälint (Budapest). (Allg. Zeitschr. f. Psych. LVII.
S. 689.)
Die Untersuchungen der beiden Verff. umfassten einfache und zusammen¬
gesetzte Reactionen auf akustische bezw. optische Reize, verschiedene Arten der
Ideeenassociationen, und zwar elementare Urtheilsreactionen, Additionsreactionen
und freie Vorstellungsverbindungen. Sie bedienten sich eines Hipp’schen Chrono-
tkops, zweier Morse-Taster, zweier Römer'sehen (nicht Rohm er, wie immer ge¬
schrieben steht) Schallschlüssel und des Alber’sehen optischen Reizapparates.
Versuchsobjecte waren 12 männliche Insassen des Siechenhauses in Budapest
zwischen 61—80 Jahren, alle nicht bemerkbar dement; das mittlere Alter betrug
9*
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132
72 Jahre. Als Vergleichsobjeete dienten 10 jugendliche Krankenwärter, mit einem
Durchschnittsalter von 26 Jahren.
Die einfache Hörreaction war bei den Greisen durchschnittlich beträchtlich
langsamer als bei den Wärtern; der Unterschied verringerte sich ohne ganz zu
verschwinden, wenn die musculär und sensorisch Reagirenden gesondert betrachtet
wurden. Auch die Wahlreactionen waren fast durchweg bei den Greisen erheblich
länger, desgleichen die Wortreactionen (Lesen und Nachsprechen grossgedruckter
Worte). Kaum nennenswerth verschieden war die Zeitdauer für einfache Addi¬
tionen, einfache Urtheile dagegen erfolgten wieder langsamer und häufiger un¬
richtig bei den Greisen; ebenso nahmen freie Associationen viel mehr Zeit in
Anspruch.
Zur Eintheilung der Associationen benutzten die Verff. mein Schema, dem
sie nur als eine den causal abhängigen Vorstellungen verwandte Gruppe die
„zweckbestimmenden“ Associationen einfügten. Die inneren Associationen über¬
wogen bei beiden Gruppen von Versuchspersonen recht bedeutend, was die Verff.
auf den Bildungsgrad zurückführen. Die zweckbestimmenden Associationen waren
bei den Greisen sehr häufig, während sie bei den Wärtern gar nicht Vorkommen.
Ebenso fehlten gänzlich die Wortergänzungen (ob das an der meist gebrauchten
ungarischen Sprache liegt?) und sinnlose Klangassociationen. Auch Reime waren
selten. Die Verff. schliessen aus der sehr geringen Anzahl der Associationen nach
räumlicher und zeitlicher Coexistenz, dem absoluten Ueberwiegen der begrifflich
verwandten Beziehungen, dem gänzlichen Fehlen mittelbarer Associationen, dass
die verknüpfende Kraft der Vorstellungen beim Greise sich nicht aus dem Kreise
des Reizwortes zu entfernen vermöge, dass die Elasticität der Vorstellungsthätig-
keit im Greisenalter abnehme; aus der Zahl der verschiedenen zur Antwort be¬
nutzten Worte wird auf eine Einbusse des Vorraths an Vorstellungen geschlossen.
Als erster etwas ausgedehnterer Versuch mit Zeitmessungen an einem der¬
artigen Material verdienen die Untersuchungen volle Beachtung; ob die Schlüsse
nicht etwas zu weitgehend für die doch immerhin beschränkte Zahl von Experi¬
menten sind, möchte ich mit dem Wunsche zu bedenken geben, dass recht bald
weitere Untersuchungen die Ergebnisse bestätigen und die Brauchbarkeit der Methoden
voh Neuem beweisen. Aschaffenburg (Heidelberg).
20) Zur forensischen und klinisohen Beurtheilung der Pseudologia ph&n-
tastioa, von Henneberg. (Charitö-Annalen. 1900. XXV.)
Ein forensisch wie klinisch gleich interessanter casuistischer Beitrag zu der
Lehre der von Delbrück zuerst geschilderten Krankheitsform der pathologischen
Lüge und der psychisch abnormen Schwindler, der zum Referat nicht geeignet
ist, aber im Original naohgelesen zu werden verdient.
Martin Bloch (Berlin).
30) The insane jew, by C. F. Beadles. (Journal of Mental Science. 1900.
Ootober.)
Von einigen der auffallendsten Eigenthümlichkeiten der Geisteskrankheit bei
den Juden ist die wichtigste die grosse Rolle, welche der allgemeinen Paralyse
unter den männlichen Kranken zukommt. Die Statistik über mehr als 1000
jüdische Geisteskranke ergiebt dafür etwa 21 °/ 0 aller Aufnahmen männlicher
Geisteskranker gegenüber einem jährlichen Durchschnitt von 13 °/ 0 der Aufnahmen
bei öffentlich unterstützten Irren und nur 10 °/ 0 der männlichen Aufnahmen in
den öffentlichen Anstalten des Londoner Bezirks. Die Sterblichkeit der männ-
liehen jüdischen Anstaltsinsassen beträgt 41°/ 0 , während sie in den Landes- und
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Stadtasylen für sämmtliche Männer 1898 nur 26 °/ 0 ergab. Bei den weiblichen
jüdischen Kranken liegen die Verhältnisse ganz ähnlich. Als Ursache scheint
Syphilis sehr häufig zu sein, doch ist sie schwerer eruirbar als bei Nichtjuden;
Potus spielt als Ursache eine geringe, geschlechtliche Ausschweifungen eine sehr
grosse Bolle. Bei Männern ist Neurasthenie, bei Frauen Hysterie sehr verbreitet.
Erbliche Seelenstörung, bei jungen Leuten Minderwertigkeit und Perversion, bei
Kindern hochgradige Nervosität ist häufig. Die absolute Häufigkeit der Geistes-
Störung bei den Juden lässt sich auch in England nicht genauer bestimmen. Das
Durchschnittsalter bei psychischer Erkrankung ist für beide Geschlechter niedriger
als für Nichtjuden und beträgt 37 Jahre fiir Männer, 36 für Frauen gegen 43
im Allgemeinen; die durchschnittliche Lebensdauer jüdischer Irren ist 44 und
47 Jahre bei Männern bezw. Frauen gegen 51 und 55 Jahre der Gesammtzahl
für London. Die wiederholten Aufnahmen machen in jüdischen Anstalten das
Doppelte (l4°/ 0 ) derjenigen in anderen Anstalten aus, was theils auf der Ge¬
pflogenheit, die Kranken vorzeitig aus der Anstalt zurückzunehmen, theils auf der
Häufigkeit periodischer Erkrankung beruht. Die relativ hohe Genesungs- und
niedrige Sterbeziffer bei jüdischen Frauen hängt mit der Häufigkeit (15 °/ 0 der
weiblichen jüdischen gegen 3 °/ 0 der allgemeinen Aufnahmen) von Puerperal¬
psychosen zusammen. Dass erstere durch die übliche vorzeitige Entlassung künst¬
lich herabgedrückt ist, geht aus der Thatsache hervor, dass in einer jüdischen
Anstalt 27 °/ 0 der aufgenommenen Kranken schon einmal krank waren.
Ueber 80°/ o der jüdischen Geisteskranken waren Ausländer, hauptsächlich
Russen, Polen, Deutsche mit der niedrigsten Lebenshaltung. Die chronischen
Anstaltsinsassen jüdischer Herkunft sind mit den unangenehmsten Zügen unsocialer
Kranker in einem hohen Grade behaftet. Die aus der City stammenden Israeliten
haben eine geringe Widerstandsfähigkeit und hohe Sterblichkeit. Epilepsie ist
bei jüdischen Irren selten. Angst und Mühsal ist die häufigste Ursache der Er¬
krankung. Die Genesungsaussichten sind geringer als bei Nichtjuden.
Schmidt (Freiburg i/Schl.).
31) Eredlta e degenerazione nello sviluppo della demenza oonseoutiva ed
in qaello delle stereotipie rioontrate in essa. Merita la demenza
oonseoutiva un oapitolo a sö in nosografla mentale? per G. Mondio.
(Rivista mensile di Neuropat. e Psich. 1900. Nr. 4 u. 5.)
Zur Unterlage für die Frage nach dem Einfluss von Vererbung und Ent¬
artung auf die Entwickelung der seoundären Demenz und auf die Entstehung von
Stereotypieen hat Verf. die Krankengeschichten von solchen 60 secundär Schwach¬
sinnigen ausgewählt, welche die ausführlichste und umfassendste Stammesgeschichte
and eine zuverlässige Diagnose der Primärpsychose liefern konnten. Aus dieser
Sammlung ist zunächst ohne Weiteres evident, dass der Verfall in Demenz um so
rascher vor sich geht und um so tiefer ist, je mehr neuropathische Schädigungen
die jugendliche Seele trafen, und dass er in einem um so früheren Lebensalter
einsetzt, als die erbliche Belastung eine intensivere ist Die wichtigsten Symptome
dieser Demenz Bind die somatischen, und unter diesen das werthvollste und con-
etanteste der Automatismus, die Stereotypie. Sie ist in allen Fällen des Verf.’s,
die er hier nach dem Princip der ursprünglichen Krankheitsform in die Gruppen
der Demenz nach Manie (19), Melancholie (15), Paranoia (14), epileptischer
Seelenstörung (7), Paralyse und Senium (5) auftheilt und bespricht, in charakte¬
ristischen Formen und Schattirungen vorhanden, wie sich aus der individualisirenden
Beobachtung des gesammten Habitus und der täglichen Lebensführung des Ein¬
zelnen ergiebt So erhält selbst die verbreitetste Stereotypie überall ein indivi¬
duelles Gepräge, tritt, sobald es gelingt, die Wahnvorstellung, welche sie in einem
184
frühen Stadium der Krankheitsentwickelung hervorgerufen hat, zu eruiren, als ein
organisches Glied in die Pathogenese ein und wird zu einem brauchbaren Moment
für die Pathogenese. In diesem Sinne ist z. B. die deambulatorische Stereotypie
eines postmanisch Schwachsinnigen etwas ganz anderes als diejenige eines Dementen
nach Paranoia. „Der Automatismus im allgemeinen bedeutet uns immer die
Thatsache einer Degeneration; die automatische Handlung im besonderen ist uns
eine Offenbarung früherer Gewohnheit, des Individualcharakters.“ Daraus ergiebt
sich zugleich die Nothwendigkeit, der secundären Demenz ihre bisherige Stellung
im nosographischen Verbände auch weiterhin zu belassen. Als Kern der PsychoBe
bleibt immer noch ein Wahngebilde übrig; sofern aber zuweilen eine Phase des
Stillstandes im Ablauf der Psychose zur Demenz eintritt, kann sich aus jenem
Kern gelegentlich ein neues Individuum entwickeln und einen Ausbau zu „ge¬
wisser“ Selbständigkeit erfahren; das ist die secundäre Paranoia. Verf. scheint
zwischen den extremen Gegensätzen der Anschauungen v. Krafft-Ebing’s und
Tannini’s eine Vermittelung finden zu wollen.
Schmidt (Freiburg i/Schl.).
32) Some observations on the various physioal ohangea ooourring during
the aoute and subaoute stages of melancholia, by L. C. Bruce and
H. de Maine Alexander. (Journal of Mental Science. 1900. October.)
Täglich zwei Mal angestellte regelmässige Messungen des arteriellen Blut¬
druckes im Verlauf frischer Melancholieen in Bettlage ergaben, dass der
anfangs hohe Blutdruck in sehr verschieden langer Zeit (Tage bis Wochen) stufen¬
weise sank, und die Verff. fanden, dass zugleich auch gewisse Begleiterscheinungen
(Puls, Temperatur, Schlaf u. s. w.) gesetzmässige Aenderungen ihrer Verhältnisse
durchmachten. Demnach sei anzunehmen, dass die Mehrzahl der frischen Fälle
von Melancholie vor der Genesung oder dem Uebergang in das chronische Stadium
regelmässig ein acutes und ein subacutes Stadium durchlaufen.
I. Acutes Stadium: Grosse Depression, Unruhe, lebhafte Hallucinationen,
Schlaflosigkeit; Puls 90 —120 p. m., hart, zur Arhythmie neigend. Arterielle
Spannung hoch: 140—180 mm Hg. Temperatur subfebril: 37,22 — 37,77° C.
Urin spärlich, i. M. 885 g pro die. Hamstoffmenge gering, i. M. 12,0 g. Spuren
von Albumen. Zunge belegt, weissfarben. Appetitlosigkeit, Magenverdauung von
coagulirtem Eiweiss absolut aufgehoben. Motorische Kraft des Magens schwach.
Haut trocken.
2. Subacutes Stadium: Depression und Unruhe weniger intensiv, Hallu¬
cinationen weniger von Einfluss, wenn vorhanden. Schlaf im allgemeinen gut.
Puls 70—80 p. M., weicher, rhythmisch. Arterieller Druck geringer: 120—130 mm
Hg. Temperatur niemals über 36,9 °C. Urin reichlicher, i. M. 1236 g pro die.
Harnstoffausscheidung beträchtlich vermehrt, i. M. 25,8 g. Albumen fehlt. Zunge
gereinigt. Appetit besser. Magenverdauung zuerst noch schwach, später gut.
Haut feucht, manchmal profuses Schwitzen.
Wenn diese Beobachtungen richtig sind, so muss es für die Behandlung
darauf ankommen: 1. den Blutdruck herabzusetzen, 2. die Abscheidung von Harn¬
stoff zu vermehren, 3. eine gesunde Herzthätigkeit zu erzielen und 4. die Ver¬
dauung und Resorption durch künstliche Präparation der Nahrung zu unterstützen.
Schmidt (Freiburg i/Schl.).
Google
Dii
135
Therapie.
33) lieber einige physiologisohe und therapeutische Wirkungen der An¬
wendung hochgespannter Wechselströme („Arsonvalisation“), von Geh.
Rath Prof. Dr. A. Eulenburg. (Therapie der Gegenwart. 1900. Dec.)
Verf. bespricht in einer knappen, offenbar für Praktiker berechneten Ueber-
sicht den Stand unserer Kenntnisse über die physiologischen Wirkungen der
Tealaströme und über die therapeutischen Erfolge mit denselben: er will für die
Behandlung mit diesen Strömen — entgegen neuerlichen Ausführungen des Ref.
— an der (soweit dem Bef. bekannt, von Benedikt zuerst gebrauchten) Be¬
zeichnung „Arsonvalisation“ festhalten, indem er die vom Ref. vorgeschlagene
Benennung „Tesla'isation“ ohne überzeugende Begründung verwirft.
Nachdem Verf. das von ihm benutzte Instrumentarium und die Hauptmethoden
in grossen Zügen besprochen hat, wendet er sich zu den physiologischen Effecten
des Teslastromes, und zwar zunächst zu dem von Arsonval beschriebenen Ein-
flnss auf den Blutdruck. Verf. hat darüber selbst Untersuchungen an 13 Personen
mittels des Basch’schen Sphygmomanometers angestellt und eine ziemlich be¬
trächtliche Blutdrucksteigerung (zwischen 2 und 11, in der Mehrzahl der Fälle
zwischen 5 und 8 cm) constatirt. Die Steigerung trat im Käfig während der
Bestrahlung ein, um nach Beendigung derselben entweder noch kurze Zeit zuzu¬
nehmen oder allmählich abzusinken. Thierversuohe ergaben keine sicheren posi¬
tiven Ergebnisse, auch d’Arsonval’s bekannter Kaninchenohr-Versuch gelang
nicht. Was die Wirkung der Teslaströme auf Respiration und Stoffwechsel betrifft,
so fand Verf. bei seinen Versuchen an chloralisirten Kaninchen Zunahme der
Athemfrequenz und Athemtiefe, bei narkotisirten und tracheotomirten Thieren
find Verf.’s Mitarbeiter, Dr. Baedeker, anfänglich Vermehrung der Athemgrössen,
bei späteren Versuchen mit abgeänderter Methode aber widersprechende Resultate.
— An der Haut trat bei Ableitung vom 2. Solenoid bei allen Versuchspersonen
primäre Herabsetzung des Kältegefühls und (in geringem Grade) des Berührungs¬
and Schmerzgefühls bei secundärer Steigerung dieser Gefühlsqualitäten ein.
Verf.’s therapeutische Versuche verzeichneten Erfolge 1. bei Dermatosen und
Dennatoneurosen, die mit Juckreiz einhergingen (Ekzem, Psoriasis, Lichen, Acne,
Prurigo, Pruritus, Erythema exsudativum, Lupus); die Erfolge bestanden im Wesent¬
lichen in Herabsetzung des Juckreizes; über Heilungen kann Verf. noch nicht
viel sagen, obwohl vereinzelte überraschende Besserungen zu verzeichnen waren;
2. bei Neuralgieen, Myalgieen, Arthralgieen. Verf. hebt besonders 3 unter 4 Fällen
von Ischias hervor, bei denen die Hochfrequenzströme Besseres leisteten als die
Fnnklinisation.
Die Allgemeinbehandlung mit diesen Strömen bei Hysterie und Neurasthenie
hat Verf. verhältnissmässig wenig günstige Erfolge gegeben, was er damit erklärt,
da« dem neuen Verfahren von den Kranken noch nicht genügend Vertrauen ent-
gfgengebracht wird. Es wäre aber zu erwarten, dass sich das mit der Zeit
ändern wird. — Ueber die Wirkung der Ströme bei Stoffwechselkrankheiten hat
Verf_ wie er sagt, kein eigenes Urtheil; er glaubt jedoch trotzdem, die Möglich¬
keit „stoffwechselsteigernder Wirkung“ nicht ganz von der Hand weisen zu sollen.
Wenn Ref. dem Bericht über die Ausführungen des Verf.’s einige Worte
beifugt, so geschieht das, weil die Schlussfolgerungen des Verf.’s von denen des
fiet in wesentlichen Punkten abweichen. Diese Abweichungen beziehen sich
1. auf die Athmungs-, 2. auf die Blutdrucks- und 3. auf die therapeutischen
Versuche. — Die vom Ref. gemeinsam mit A. Löwy ausgeführten Äthmungs-
versuche, die der Verf. auch citirt, haben ergeben, dass, wenn man gewisse un¬
erlässliche Cautelen anwendet (z. B. Ausschaltung der Ozon- und Schallwirkung
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136
u. dergl.), von einem Effect der Hochfrequenzströme auf den Gasaustausch keine
Rede ist. Inwieweit bei E.’s Versuchen jene Fehlerquellen vermieden worden
Bind, ist aus dem Aufsatz nicht zu ersehen; es ist wohl zu erwarten, dass eine
spätere, ausführliche Mittheilung des Verf.’s für die Widersprüche zwischen seinen
und des Ref. Befunden eine Aufklärung bringen wird. — Aehnliches gilt von
den Blutdruckversuchen, die dem Verf. ein positives, dem Ref. ein völlig negatives
Resultat gaben. Die Thatsache allein, dass die Messapparate bei den beiden
Untersuchungen verschieden waren, kann den Widerspruch kaum erklären, wenn
auch im Allgemeinen das vom Ref. benutzte Tonometer (nach Gärtner) als das
relativ zuverlässigste Instrument angesehen wird. Die Möglichkeit, daB8 auch hier
accidentelle Momente Vorlagen, die neben der reinen Stromwirkung auf E.’s Versuchs¬
personen einwirkten, ißt auch hier wohl zu erwägen.
Was schliesslich die therapeutischen Resultate betrifft, so herrscht zwischen
denen E.’s und des Ref. insofern eine „erfreuliche“ Uebereinstimmung, als ob-
j ective Heilungen oder Besserungen (wie Bie von den Franzosen behauptet worden
sind) in beiden Untersuchungsreihen nicht gefunden wurden. — Subjective
Besserungen, besonders Beseitigung von Schmerzen und Parästhesieeu, hat freilich
E. ebensowohl beobachtet, wie der Ref. (dessen therapeutische und Blutdruck¬
versuche übrigens von E., trotzdem sie die ersten in Deutschland publicirten und
dem Verf. wohl bekannt sind, gar nicht erwähnt werden). — Aber zur Linderung
subjectiver Beschwerden allein bei wenig oder garnicht beeinflusstem Grundübel
wird wohl schwerlich einem Arzte ernstlich gerathen werden können, sich einer
so kostspieligen und umständlichen Methode zu bedienen, wie es die — sit venia
verbo! — Teslaisation ist. — Solange nicht kritische Untersucher wirkliche, un¬
zweifelhafte objective Besserungen bezw. Heilungen durch die Teslaströme nach-
weisen, bleibt die Behauptung des Ref., dass die Wirkung dieser Ströme un¬
gezwungen durch reine Suggestion erklärt werden kann, unwiderlegt und sind
alle optimistischen Hoffnungen auf die Zukunft nicht genügend begründet.
Toby Cohn (Berlin).
in. Aus den Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 14. Januar 1901.
Herr Schiffer stellt vor der Tagesordnung ein kleines Kind vor, bei dem
die Mutter am 5. Tage nach der Geburt bemerkte, dass dasselbe die Beine nicht
gerade maohen konnte. Dieser Zustand ist auch noch ziemlich unverändert his
jetzt geblieben. Es handelt sich um ein sonst gesundes Kind, bei dem sich alle
4 Extremitäten in leichter Contracturstellung befinden; diese Stellung war früher
noch stärker ausgeprägt. Beine und Arme werden in Flexionsstellung gehalten,
und das passive Strecken derselben ist mit Schwierigkeit verbunden bezw. nicht
ganz vollständig ausführbar. Es handelt sich also um einen Fall von angeborenen
Contracturen, ein Zustand, der mit Arthrogryposis bezeichnet wird, und der
früher fälschlich mit Tetanie in Verbindung gebracht wurde. S. meint, dass es
sich hierbei um eine peripherische Affection handelt, um Veränderungen in den
Bändern und Gelenken. WaB die Ursache anbetrifft, so könne in diesem Falle
der zu frühe Abfluss des Fruchtwassers als Entstehungsgrund angenommen werden,
indem dadurch die Extremitäten lange Zeit in dieser Stellung im Uterus fixirt
blieben. Therapeutisch sind diese Fälle sehr gut zu beeinflussen.
Herr Bloch fragt nach dem Verhalten der Reflexe bei dem Kinde.
zedby G00gle
Digiti;
137
Herr Schiffer erwidert, dass die Reflexe gesteigert sind.
Herr S. Kalischer hatte Gelegenheit, den vorgestellten Fall mit zu be¬
obachten, sowie mehrere ähnliche Fälle zu sehen. Diese angeborenen Contracturen
treten bald multipel auf (Flexion aller Extremitäten), bald isolirt. Ihr Grad
wechselt; bald kommt es durch die zunehmende willkürliche Bewegung und durch
passive Dehnungen, wie hier, zum Ausgleich, oder es ist, wie in einem von K.
beobachteten Falle von Flexion des linken Unterarms eine Incision der Biceps-
sehne nothwendig. Ursächlich scheinen lediglich intrauterine mechanische Ver¬
hältnisse in Frage zu kommen, zumal alle Zeichen einer intratötalen Gelenk¬
erkrankung fehlen. Der Begriff Arthrogrypose wurde wohl mit Unrecht auch für
diese angeborenen Contracturen angewandt; er ist meines Wissens zuerst von
Cruveilhier bei der Tetanie gebraucht, mit der diese AfFection nichts gemein
hat, und sollte für die typische tetanische Stellungsanomalie reservirt bleiben.
Es giebt allerdings Fälle — und K. hat mehrere derartige gesehen —, in denen
bei Kindern in den ersten Tagen oder Wochen tonische Spasmen andauernden
oder intermittirenden Charakters auftreten, bei denen namentlich Hand und Finger
eine tetanie-ähnliche Stellung einnahmen; allein einmal fehlen in diesen Fällen
alle anderen Zeichen der Tetanie, andererseits lagen dort meist sichere Zeiohen
einer organischen AfFection des Hirns oder der Hirnhäute vor. Die Fälle sind
K. meist nur flüchtig zu Gesicht gekommen und. wahrscheinlich bald zu Grunde
gegangen. Auch für diese Fälle ist wohl der symptomatische Begriff der Arthro¬
grypose, wie er von Gynäkologen und Pädiatern gebraucht wird, besser zu ver¬
meiden. — Die Abgrenzung der angeborenen Contracturen von der angeborenen
Form der spastischen cerebralen Kinderlähmung dürfte, wie der Vortr. schon
hervorhob, keine Schwierigkeiten machen.
Herr Kurt Mendel: Krankenvorstellung (Myastheniapseadoparalytioa).
(CI Originalmittheilung 3 in dieser Nummer d. Centralbl.)
Herr Jolly hat im letzten Herbst Gelegenheit gehabt, eine Autopsie bei
einem solchen Falle zu beobachten, bei einem Patienten, bei welchem die Krank¬
heit in zwei Schüben auftrat. Die Autopsie hat makroskopisch nichts ergeben,
und auch die mikroskopische Untersuchung, die noch nicht beendet ist, wird
wahrscheinlich das gleiche Resultat haben, so dass die Hypothese, dass in solchen
Fällen es sich um eine Störung im Chemismus der Muskeln handele, noch immer
Recht hehält.
Herr Oppenheim glaubt sich zu entsinnen, dass auch in einem Falle von
Grocco ein ähnliches Phänomen von Seiten des Herzens, wie es der Vortr. bei
seinem Falle beobachtet hat, vorhanden war.
Herr K. Mendel erwidert Herrn Oppenheim, dass in dem Falle von
Grocco nicht von einem Aussetzen des Herzschlages, sondern nur von einer
Verlangsamung desselben („ralentissement du coeur“) nach Anstrengungen die
Rede ist.
Herr Paul Manasse (als Gast): Kurze Demonstration zur Neuroplastik.
Der Vortr. hat im physiologischen Institute der Universität Berlin seit dem
Jahre 1898 Versuche an Hunden ausgeführt, welche die Nervenpfropfung (Greffe
nerveuse, L6tievant) betreffen. Ausgehend von einem Falle von Radialislähmung,
den Sick und Sa enger mittels Pfropfung des peripherischen Radialisendes auf
den N. medianus geheilt hatten (s. Langenbeck’B Archiv. Bd. LIV), versuchte
er in analoger Weise die peripherische Facialislähmung durch Vereinigung des
N. facialis mit dem N. accessorius, zunächst an Hunden, zur Heilung zu bringen,
ohne Kenntniss davon, dasB diese Operation von Faure und Für et bereits am
Menschen vorgenommen und im Jahre 1898 in französischen Zeitschriften be-
ichrieben worden war. Vortr. hatte von vornherein einen anderen Weg ein-
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138
geschlagen als die französischen Autoren, welche an der Innenseite des M. sterno-
cleido-mastoideus den N. accessorius mit Schonung des Astes für den Kopfnicker
durchtrennten und den nach oben geschlagenen Nerven mit dem am Foramen stylo-
mastoideum abgeschnittenen Stamm des N. facialis vernähten. Nebenbei bemerkt,
erzielten sie keine Heilung. Der Vortr. durch trennte in seinen Versuchen dicht
an der Austrittsstelle aus dem Canalis Fallopiae den N. facialis und vereinigte
ihn, nach Durchschneidung des hinteren Biventerbauches, mit dem Stamm des
N. accessorius, ohne seitliche Anfrischung des letzteren, durch 3—4 neurale, bezw.
paraneurale Seidennähte. Dabei wurde der N. accessorius etwa in l / t seiner Dicke
mitgefasst. Bei dieser Methode Hessen sich zwei Fehler der französischen Autoren
vermeiden, welche durch die Durchschneidung des N. accessorius 1. eine partielle
Cucullarislähmung und 2. eine Schwächung gerade desjenigen motorischen Centrums
hervomefen, auf dessen Leistungsfähigkeit sie angewiesen waren. Denn die That-
sache einer schweren, degenerativen Veränderung motorischer Centren nach Durch¬
trennung der zugehörigen Nerven steht fest. Von 11 operirten Hunden, bei
denen stets rechts die Neuroplastik vorgenommen wurde, kommen 5 in Betracht
Nach 7—8monatHcher Beobachtung wurde auf der Hnken Seite der N. facialis
resecirt (1—2 cm), um den Gegensatz zwischen der früher operirten Gesichtshälfte
und der jetzt gelähmten stärker hervortreten zu lassen, und um den Einwand zu
entkräftigen, als ob nennenswerthe Collateralen des Hnken N. facialis die Function
auf der rechten Seite übernommen hätten. Nach weiterer 4monatl. Beobachtung
wurden die Thiere getödtet, nachdem kurz zuvor folgender Versuch angestellt
worden war: Freilegung der Stelle der Neuroplastik. Bei Application der Lud-
wig’schen Elektrode auf den Stamm des N. accessorius gerathen prompt die
rechtsseitigen Facialismuskeln in tetanische Contraction (durchschnittlich 200 mm
Rollenabstand am DuBois’schen Schlitteninductorium, primärer Strom von nicht
ganz 2 Daniell), und zwar am stärksten bei Reizung des N. accessorius ventral-
wärtB der Stelle der Plastik, schwächer an der Nahtstelle Belbst, am schwächsten
peripherwärts derselben. Die klinische Wiederherstellung zeigte sich daran, dass
bei allen Hunden gleichmässig die Schlaffheit und Atrophie der Gesichtsmuskeln,
sowie die Verziehung der Gesichtshälften verschwanden, und bei 2 Hunden der
Cornealreflex, bei 3 Hunden willkürliche Bewegungen der Gesichtsmuskeln be¬
obachtet wurden. Die directe und indirecte faradische Erregbarkeit, welche
3—4 Monate nach der Operation völlig verschwunden war, kehrte nach dieser
Zeit zurück und erreichte die normale Höhe. Die mikroskopische Untersuchung
der Nahtstelle ergab den deutlichen Uebergang markhaltiger Nervenfasern in
erheblicher Zahl vom N. accessorius auf den N. facialis. (Demonstration der
mikroskopischen Präparate.)
Auf Grund dieser Thatsachen hält der Vortr. die Nervenpfropfung in der
hier geschilderten Weise für geeignet, die Heilung schwerer peripherischer Facialis-
lähmungen auch beim Menschen zu versuchen. (Ausführliche Veröffentlichung
s. Langenbeck’s Archiv. Bd. LXU.)
Herr Rothmann: Die sehr interessante Demonstration des Herrn Vortr.
giebt zu einer Reihe wissenschaftlich und praktisch wichtiger Fragen Veranlassung.
Die Thatsache, dass die Kerngruppe eines Nerven bei der Vereinigung des
letzteren mit dem peripheren Theil eines anderen die Function desselben über¬
nimmt, ist ja wiederholt festgestellt worden. Nicht nur die einzelnen Armnerven
unter einander sollen sich derart vertreten können, sondern Langley hat sogar
nach Vereinigung des centralen Vagusstumpfes mit dem peripheren Sympathicus-
theil durch Reizung des ersteren die bekannte Sympathicuswirkung im Gesicht
(Oeffnung des Auges, Pupillardilatation, Gefässverengerung am Ohre u. s. w.) be¬
kommen. Bei den Versuchen des Vortr. ist nun nicht der ganze centrale
AccesBoriusstumpf mit dem peripheren Facialisende vereinigt worden, sondern dem
Dinitb«
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139
im Ganzen intact gebliebenen Accessorius wurde der Facialis nur angelegt. Da
nun der Accessorius schon viel dünner als der Facialis ist, so können nur wenige
Fasern in den Stamm des Facialis eingedrungen sein und sieb mit Facialisfasern
vereinigt haben. Alle übrigen Fasern des Facialis dürften aber nach 8 Monaten
dem Untergange verfallen sein. Da, die Richtigkeit dieser Erwägung vorausgesetzt,
die Wahrscheinlichkeit einer Restitution der Facialisfunction schon allein in Hin¬
sicht auf das Verhalten des peripheren Nerven keine sehr grosse ist, so fragt R.
den Vortr., wie sich der periphere Facialis auf Weigert-Präparaten darstellt,
und in wie grossem Umfang Degeneration von Fasern eingetreten ist. Zur Be-
urtheilung der ;Facialisfunction, die ja beim Hunde durch directe klinische Be¬
obachtung nur sehr schwer festzustellen ist, wäre es weiterhin von grösster
Bedeutung, an den Versuchsthieren Reizungen vom Facialiscentrum der Hirnrinde
aus vorzunehmen. Dieselben könnten am sichersten darüber Aufschluss geben, ob
sich thatsächlich eine Bahn für willkürliche Facialisinnervation auf dem Umwege
über den Accessoriuskern gebildet hat. R. stellt ferner die Frage, ob die
Acces8oriuskerne selbst untersucht worden sind. Da ja der Accessoriuskern auf
der Seite der Nervenvereinigung jetzt, nach den Ausführungen des Vortr., sowohl
seine normale Function, als auch die Facialisinnervation zu besorgen hat, so wäre
es doch höchst interessant, festzustellen, ob dieser so enorm gesteigerten Leistung
eine Veränderung der Ganglienzellen irgend welcher Art gegenüber dem Accessorius-
kern der anderen Seite entspräche. Jedenfalls dürfte es gerathen sein, über alle
diese Fragen Genaueres festzustellen, ehe man daran geht, beim Menschen derartige
Operationen zu versuchen.
Herr Remak, der einige der operirten Hunde gesehen hat, bittet, sich keine
übertriebenen Vorstellungen von der jedenfalls nur sehr unvollkommenen functio¬
neilen Restitution, besonders der willkürlichen Facialisinnervation zu machen.
Das Interesse der Versuche liegt wesentlich darin, dass die Untersuchung der
elektrischen Erregbarkeit, der Reflexe und der anatomische Befund überhaupt ein
Hineinwachsen einzelner functionsfähiger Fasern aus der Bahn des Accessorius
in die des Facialis nachwies. Bei einem Hunde mit unvollständig wieder her¬
gestellter Facialislähmung, bei dem übrigens die nachträgliche anatomische Unter¬
suchung zeigte, dass der Facialis nicht ganz durchtrennt gewesen war, fielen
Remak Spontanzuckungen der Oberlippe auf, welche ganz wie in zwei in dieser
Gesellschaft im November 1898 von ihm vorgestellten Fällen (d. Centralbl. 1898
und Berliner klin. Wochenschr. 1898. Nr. 52) von Gesichtsmuskelzuckungen bei
abgelaufenen Facialislähmungen, also Mitbewegungen des Lidschlages, analysirt
wurden.
Herr Oppenheim wendet sich gegen die vom Vortr. gemachte Bemerkung,
dass hier bei Durchscheidung des N. accessorius die Gefahr vorlag, dass secundär
dessen Kern degenerirt würde. Das würde nur eintreten, wenn nach der Durch¬
trennung des Nerven der Kern nicht mehr functioniren könnte. Da er aber diese
Function nach Verlöthung seiner Fasern mit dem Facialis wieder übernehmen
kann, so wird er auch anatomisch keine Einbusse erleiden.
Herr Remak weist auf den Unterschied hin, ob der Accessoriuskern die
Innervation seines eigenen oder eines fremden Gebietes, d. h. des Facialis, über¬
nehmen solL In letzterem Falle war es doch vielleicht ganz nützlich, eine retro¬
grade Kerndegeneration zu vermeiden.
Herr M. Rothmann: Nach den Ausführungen des Herrn Remak über die
Function des Facialis bei den operirten Thieren — die aber beträchtlich von den
Beobachtungen des Vortr. differiren — muss es doch sehr bedenklich erscheinen,
solche Versuche beim Menschen auszuführen. Man wird event. gerade das er¬
reichen, was wir bei allen Facialislähmungen am meisten fürchten müssen, dass
es zu ungeordneten, dem Willen nicht unterstellten Bewegungen in der gelähmten
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GeBichtsmuskulatur kommt. Was die Frage der Degeneration der Ganglienzellen
nach Nervendurchschneidung betrifft, so sind dooh hier auch sehr beträchtliche
Regenerationsvorgänge festgestellt worden, die sicherlich zur völligen Restitution
führen, sowie die centralen Nervenstümpfe sich wieder mit peripheren Nervenenden
vereinigt haben, ob das nun Fasern des eigenen oder eines fremden Nerven sind.
Es dürfte daher für die Restitution der Leitung in dem peripheren Facialisstumpf
rationeller sein, auf die Gefahr der Accessoriuslähmung hin, den ganzen centralen
Accessoriusstumpf mit dem peripheren Facialis zu vereinigen und so dem letzteren
eine grössere Zahl von centralen Nervenstümpfen zur Wiedergangbarmachung der
Nervenleitung zuzuführen.
Herrn Oppenheim lag es daran, nur allgemein den Ein wand des Vortr. zu
entkräften, dass hier bei Durchtrennung des N. accessorius und dessen nach*
folgender Verknüpfung mit dem Facialis der Accessoriuskern degeneriren müsse.
Dass es für den Kern schwieriger ist, die Aufgabe für einen fremden Nerven zu
erfüllen, als für den eigenen, liegt auf der Hand.
Herr Manasse bemerkt zunächst auf die Ausführungen des Herrn Roth-
mann, dass die Lösung aller wissenschaftlichen Fragen bei dem vorliegenden
Thema durch eine einzige Arbeit nicht zu erzielen sei. Hier handelte es sich
zunächst um die Erörterung der klinischen und anatomisch-physiologischen Ver¬
hältnisse an den operativ vereinigten peripherischen Nerven. Inwieweit die zu¬
gehörigen Centren im Gehirn dabei verändert werden, ist eine Frage für sich,
die ihrerseits wieder Jahre zu ihrer event. Lösung braucht.
Die Vermuthung des Herrn Rothmann, dass die bei einzelnen Hunden un¬
vollständig gefundene klinische Wiederherstellung das reguläre Findresultat der
Operation sein könnte, weil die vom Accessoriuscentrum ausgehenden Bewegungen
andere sein müssten wie die ursprünglich vom Facialiscentrum veranlassten, wider¬
legt der Vortr. durch den Hinweis auf den Fall von Sick und Säen ge r, wo
die vom Medianuscentrum ausgehenden Impulse die Muskeln des Radialisgebietes
zu der normalen Thätigkeit anzuregen im Stande waren. Wahrscheinlich vermag
der Mensch durch den Einfluss des Willens, der Vorstellung und Uebung nach
derartigen Operationen die motorischen Impulse in der Bahn ein und desselben
Nerven derartig abzustufen, dass sogar antagonistische Muskelgebiete (wie bei
Sick und Saenger) wie unter normalen Verhältnissen functioniren.
Herrn Remak gegenüber, welcher die klinische Wiederherstellung der ope-
rirten Hunde weniger gelten lässt, zumal er einen Versuch gesehen, bei dem der
N. facialis unvollständig durchtrennt war, bemerkt der Vortr., dass dieser Hund
selbstverständlich aus der Betrachtung ausgeschieden sei. Im Uebrigen lägen für
die Anerkennung der klinischen Heilung bei den anderen Hunden genügend That-
sachen vor.
Herr Benda spricht und demonstrirt I. über die Verwendung der neuen
Fettfarbstoffe für die Histologie des Nervensystems.
Jene Farbstoffe, Sudan III und Scharlach R. (letzteres empfohlen von
L. Michaelis) färben das Fett der normalen und der frisch zerfallenen Mark¬
scheiden gleichmässig. Um mit ihnen in ähnlicher Weise, wie mit derMarchi-
Methode, eine Contrastfärbung zwischen normalen und zerfallenen Markscheiden zu
erzielen, färbt Vortr. an Formalin-Gefrierschnitten zunächst die Markscheiden nach
Weigert, und danach mit Sudan oder Scharlach. Die Schnitte müssen in Laevu-
lose (nach Michaelis) oder in Glycerin aufbewahrt werden. Alsdann sind die
normalen Markscheiden blau, die zerfallenden Markscheiden und die Körnchenzellen
roth. (Erscheint ausführlich in d. Centralbl.)
II. Ueber die normale und pathologische Histologie der Hypophysis.
Die Mittheilungen bilden hauptsächlich ein Referat über den vor Kurzem in
der Berliner klin. Wochenschr. 1900, Nr. 52 erschienenen Aufsatz. Vortr. fügt
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dann noch hinzu, dass er die von Roporitooh in den Hypophysiszellen ge*
fimdenen Vacuolen weiter untersucht hat. Dieselben sind meist als Sekretvacuolen
angesehen, von einem Autor aber für zerfallende rothe Blutkörperchen erklärt
worden. Es handelt sich, wie man an ungefärbten, sowie an Sudan- und Osmium¬
präparaten sicher nachweisen kann, um Fetttropfen, die bei den üblichen Präpa¬
rationen als Lacken erscheinen.
Ferner theilt Vortr. mit, dass er mit Erlaubniss des Herrn Mendel den
von diesem früher beschriebenen Hypophysistumor eines Akromegalen nachunter-
lucht hat, und auch in diesem Tumor die charakteristischen Elemente der Hypo-
physis, die gekörnten (chromophilen) Zellen, nachweisen konnte. Hierdurch iBt
auch in diesem Falle, der nach den gewöhnlichen Methoden durchaus als ein
Bondzellensarkom oder Angios&rkom erscheinen musste, wahrscheinlich gemacht,
dass er ebenso, wie die vier anderen vom Vortr. untersuchten akromegalen Hypo¬
physisgeschwülste, als eine hyperplastische Neubildung des Drüsengewebes auf¬
zufassen ist. Vortr. weist daraufhin, dass mehrere neueste Autoren (Hutchinson,
Gabler) für die gleiche Auffassung eintreten, dass seine Methoden aber erst be¬
stimmte Kriterien für diese Auffassung entweder durch den Nachweis der gekörnten
Zellen oder durch den Nachweis von Uebergangsbildem in normale Hypophysis¬
abschnitte erbringen. Jacobsohn (Berlin).
Sooietä de neurologie de Paris.
Sitzung vom 8. November 1900.
Herr Klippel: Neuroretinitis und oontralaterales halbseitiges Zittern
in Folge eines Abdominaltyphus. In der Reconvalescenzperiode eines schweren
Abdominaltyphus trat im linken Auge eine Neuroretinitis mit fast vollständiger
Erblindung auf. Gleichzeitig entwickelte sich eine Parese mit Zittern in der
rechten oberen Extremität. Diese Erscheinungen bestehen seit Monaten ohne
jegliche Veränderung. Neuritis optica nach Typhus bildet keine Seltenheit; was
aber diesen Fall auszeichnet, ist die Combination der Neuroretinitis mit einer
Parese des Armes der entgegengesetzten Hälfte des Körpers. Um diesen Symp-
tomen comp lex zu erklären, nimmt Vortr. eine einzige Laesion an der Gehirnbasis
an, wahrscheinlich in der Gegend der Vierhügel.
Herr Leopold Levi: Das Babinski’sehe Zeiohen bei Abdominaltyphus.
Dieses Symptom wurde systematisch in 20 Fällen von Abdominaltyphus unter-
«ucht, es war in 50 °/ 0 der Fälle vorhanden. Es trat in verschiedenen
Perioden der Krankheit auf: am 7. Tag, am 21., vom 26. bis zum 45. Manche
Kranke verliessen das Krankenhaus im 2. Monat nach Beginn der Krankheit,
ond der Babinski’sche Reflex bestand noch immer. In einem Fall verschwand
dieser Reflex zunächst auf einer Seite. Unter diesen Kranken waren 7 Weiber
nnd 3 Männer. Das Alter war zwischen 16 und 39 Jahren. Unter den Ante-
«dentien ist oft Nervosität und Hysterie notirt. Alkoholismus ist zwei Mal ver¬
zeichnet. Ein Kranker war herzleidend, und in einem Falle handelte es sich um
eine beginnende Schwangerschaft. Der Typhus bei diesen Kranken zeichnete
»ich durch hohes Fieber aus, bei manchen erreichte dasselbe 40,6°. Alle Fälle
(zwei sind noch in Behandlung) gingen in Heilung aus. In zwei Fällen waren
wate myelitische Symptome vorhanden (vorübergehende Incontinentia urinae et
alvi, decubitus dorsalis). Bei einem anderen Patienten bestand vorübergehend
während der Reconvalescenz Harnverhaltung. Bei keinem der Kranken wurden
meningitische Symptome beobachtet. Leichtes Delirium wurde bei zehn Patienten
beobachtet. Die Patellarreflexe waren immer zugegen, und fast immer (mit Aus-
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142
nähme von zwei Fällen) gesteigert. Was den Fussclonus an belangt, so kann man
die Fälle in folgende Kategorieen vertheilen: Fussclonos gleichzeitig mit Babinski-
Reflex 5 Mal. Fossclonus abwesend, Babinski-Reflex vorhanden 5 Mal. Fuss-
clonus vorhanden, Babinski-Reflex fehlt, 4 Mal.
Discnssion.
Herr Babinski meint, dass, wenn die Beobachtungen von Herrn L6vi von
anderen Klinikern bestätigt werden, man den Schluss wird ziehen dürfen, dass
das Nervensystem im Laufe eines Abdominaltyphus oft in Mitleidenschaft gezogen
wird. Die Statistik des Herrn L6vi beweist schon jetzt, dass in der Hälfte der
Fälle in den Pyramiden-Strängen eine Perturbation stattfindet.
Herr Dupre meint, es wäre interessant, die Kranken weiter zu verfolgen,
um zu sehen, was aus diesem Reflex Monate, ja Jahre nach überBtandenem Typhus
geworden ist.
Herren Ardin-Delteil und H. RouviÄre (aus Montpellier): Ueber den
Plantarreflex bei progressiver Paralyse. (Diese Mittheilung wird in extenso
in der Revue Neurologique erscheinen).
Herr Babinski bemerkt, dass Herr Jean Charuel aus Nancy in seiner
Dissertation (Contribution ä l’etude du phenomene des orteils) den Zehenreflex
bei progressiver Paralyse untersucht hat und zum Schluss kommt, dass man diesem
Reflex häufig bei der motorischen Form der progressiven Paralyse begegnet
Dieser Reflex ist manchmal das einzige Zeichen einer Laesion der Pyramiden¬
strangbahn bei combinirter Sklerose.
Herr Briseaud: Herpes zoster am Thorax metamerisoh vertheilt. Es
handelt sich um einen Herpes zoster an der linken Hälfte der Brust, welcher aus drei
Haufen von dicht neben einander sitzenden Bläschen besteht, und drei aufein¬
ander folgende Zwischenrippenräume einnimmt. Die drei Haufen bildeten jedoch
zusammen eine Linie, die senkrecht zur Körperaxe verläuft. Diese Disposition
würde beweisen, dass die Laesion im Rückenmarke in der Weise localisirt ist,
dass ihre Metamerie dem Theile des Rumpfes entspricht, wo der Herpes zoster
verbreitet war.
Herr 0. Crouzon: Der Babinski-Reflex bei Epilepsie.
1. Während des epileptischen Anfalls. 37 Anfälle wurden bei 27
Epileptikern beobachtet, und 21 Mal wurde der Zehenreflex notirt. Von den
27 Kranken war dieser Reflex bei 15 mit Extension der Zehen. In zwei Fällen
von Status epilepticus handelt eB sich ebenfalls um einen Plant&rreflex mit
Streckung der Zehen.
2. Während des hysterischen Anfalls. Bei zwei Kranken, der eine
Hysteroepileptiker, der andere rein Hysteriker, war der Plantarreflex mit Beugung
der Zehen verbunden.
3. Ausserhalb des epileptischen Anfalls, wenigstens eine halbe Stunde
nachher. Von 91 Kranken war bei 16 der Reflex mit Streckung der Zehen ver¬
bunden. Dieses Symptom schien nicht in Zusammenhang mit der Häufigkeit der
Anfälle zu stehen. Bei einem Kranken, der halbseitige Epilepsie hatte, war der
Reflex beiderseitig mit Beugung der Zehen verbunden.
4. Bei cerebraler Paralyse der Kinder, mit Epilepsie verbunden.
Streckung der Zehen wurde constatirt bei Hemiplegieen, Diplegieen und Paraplegieen
cerebralen Ursprungs, ohne dass die Epilepsie in irgend welcher Weise von Ein¬
fluss auf den Plantarreflex gewesen wäre. Vortr. zieht folgende Schlösse aus
seiner Arbeit:
Jeder Kranke reagirt immer in derselben Weise.
Die Reizung der Planta pedis während des epileptischen Anfalls kann zur
Folge haben: entweder Unbeweglichkeit der Zehen mit nachfolgender Flexion
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143
derselben; oder Unbeweglichkeit, dann Streckung mit nachfolgender Beugung
oder noch Streckung der Zehen während der ganzen Dauer des Anfalls. Die
Dauer der Streckung ist verschieden und währt einige Minuten bis mehrere Stunden.
R. Hirschberg (Paris).
Wiener medioinlsoher Olub.
Sitzung vom 25. October 1899.
(Wiener medicin. Presse. 1899. Nr. 46 u. 47.)
Herr R. Kienböck demonstrirt einen seltenen Fall von angeblioh nach
Trauma aufgetretener Muskelatrophie. Ein 32jähriger Mann batte vor zwei
Monaten durch einen Sturz vom Wagen eine linksseitige Humerusfractur erlitten,
und angeblich zwar damals keine Erscheinungen von Wirbel- oder Rückenmarksver¬
letzung dargeboten, aber einige Tage später Muskelatrophie der rechten Hand, die
zur Zeit der Demonstration noch in erheblicherem Grade, verbunden mit beginnender
Contradur und bedeutender Schwäche, zu constatiren ist. Die Wirbelsäule und der
übrige neurologische Befund normal, bis auf Paraesthesieen im rechten Arm, Erweiterung
der rechten Pupille und Steigerung der Sehnenflexe. K. spricht sich bei der Be¬
sprechung der Differentialdiagnose dahin aus, dass es sich wahrscheinlich um Spinal¬
erkrankung handle, wobei die ätiologische Rolle des Traumas unklar sei. Möglicher¬
weise habe im Gegensätze zu den Angaben des Pat. die Muskelatrophie schon
vorher bestanden (progressive Muskelatrophie, verschlimmert durch das schwere
Körpertrauma), oder es müsste wenigstens Prädisposition des Rückenmarkes ange¬
nommen werden. Denn da angeblich sofort nach dem Trauma keiue Lähmungen
aufgetreten seien, müsse auch eine (acute) traumatische Marklaesion (Blutung oder
Erweichung) als sehr unwahrscheinlich bezeichnet werden.
Herr H. Schlesinger demonstrirt einen Knaben mit Pseudohypertrophia
musoulorum mit eigentümlichem Beginne des Leidens im 7. Lebensjahre. Die
Matter bemerkte zuerst Gangstörung, indem der Knabe mit den Fersen nicht den
Boden berührte. Keine sensiblen Reizerscheinungen. Die Untersuchung zeigt hoch¬
gradige Parese der Rumpf- und Schultergürtelmusculatur, die Schulterblätter sind
ohne mu8culäre Unterstützung und daher passiv ausserordentlich beweglich; auch die
Musculatur der Hüfte erscheint ausserordentlich geschädigt; der Knabe klettert an
sich empor, geht charakteristisch watschelnd. Beim Stehen und Gehen fallt auf, dass
sich der Kranke nur auf die Fussspitzen aufstützt. Bedeutende Wadenhypertrophie
und fixirter Pes valgo-equinus beiderseits. Der Vortr. betont die Seltenheit initialer
Contracturen bei Dystrophie, und dass es bei derselben auch im weiteren Verlaufe
relativ selten zu Contracturen komme.
Vortr. stellt ferner einen 40jährigen Pat. vor mit Syringomyelia sacrolum-
balia vor. Vor 8 Jahren hat sich Pat. angeblich die Füsse beim Schneeschaufeln
«froren; in den letzten Jahren traten wiederholt Entzündungsprocesse an den Zehen
auf, welche Amputationen von mehreren Zehen des linken Fusses und der grossen
Zehe des rechten erforderlich machten. Vor einigen Wochen trat spontanmässig
schmerzhafte Gangrän des rechten Vorderfusses auf. Jetzt zeigen sich die ent¬
sprechenden hochgradigen Verstümmelungen mit skleroderma-ähnlichen Veränderungen
der Haut und Verunstaltungen der restirenden Nägel. An der linken Unterextremität
ist die Musculatur des Gesässes, der Kniebeuger und Waden sehr atrophisch und
zeigt fibrilläre Zuckungen. Patellarreflexe gesteigert, kein Fussclonus. Keine Blasen-
Mastdarmstörungen. Was die Sensibilität betrifft, so lassen sich grobe Störungen nur
für die Temperaturempfindung nachweisen, und zwar sowohl an Unterschenkeln und
Pässen, als auch an den Oberextremitäten in segmentaler Ausbreitung. An der
Wirbelsäule ist keine Erkrankung zu constatiren.
itizedby G00gle
144
Vortr. weist die Annahme einer Lepra zurück und diagnosticirt Syringomyelie.
Er nimmt an, dass sich die Erkrankung — wie gewöhnlich — auch anf die höher
gelegenen Abschnitte der Wirbelsäule erstrecke, dass aber im Wesentlichen lumbo-
8acrale Syringomyelie vorliege. Diese bisher noch nicht genauer studirte Form der
Syringomyelie lässt sich nach Vortr. durch eine Reihe von typischen Merkmalen
charakterisiren. [Segmentale oft dissociirte Sensibilitätsstörungen an den unteren
Extremitäten, Muskelatrophieen, besonders einseitige am Unterschenkel, trophische
Störungen an den Füssen, zuweilen Blasen-Mastdarmstörungen, Veränderungen an der
Wirbelsäule (Skoliosen der unteren Abschnitte, congenitale Anomalieen).]
Sitzung vom 8. November 1899.
(Wiener med. Presse. 1899. Nr. 48.)
Herr E. Redlich zeigt einen Fall von chronischer Poliomyelitis; einen
49jährigen hereditär und luetisch nicht belasteten Tramwagenconductenr, der seit
einem Jahre Schwäche und Abmagerung der Beine, zuerst des rechten, dann auch
des linken, bemerkte. Keine Schmerzen. Kräftiger Mann, Wirbelsäule, Hirnnerven
und Oberextremitäten frei von jeder Störung. An den Unterextremitäten sind die
motorischen Störungen rechts viel bedeutender als links. Schwäche und Atrophie
en masse von den Füssen hinauf bis auf das Gesäss, wobei die Parese über die
Atrophie überwiegt; fibrilläre Zuckungen; Steppergang. Keine Ataxie. Patellarreflexe
beiderseits lebhaft. Nervenstämme weder verdickt noch druckempfindlich; keine sen¬
siblen Reiz-oder Ausfallserscheinungen. Hantreflexe normal, ebenso die Blasenfunctionen.
Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit bestehen an den erkrankten Muskel¬
gebieten, Herabsetzung für den galvanischen und faradischen Strom bis zur Ent-
artungsreactiou. Im Laufe einer 8 monatlichen Beobachtungsdauer constatirte Vortr.
eine Verschlimmerung des Leidens; er diagnosticirt chronische Poliomyelitis, wobei
er die Schwierigkeit eiuer Abgrenzung von progressiver spinaler Muskel atroph ie er¬
örtert. Polyneuritis sei im obigen Falle auszuschliessen, die Aetiologie unklar.
Herr R. Neurath demonstrirt ein 5 Jahre altes Kind mit Raynaud’sohem
Symptomenoomplex, welcher seit 2 Jahren bestehen soll, und zwar im Gesicht
(an den vorstehenden Theilen) und an den Händen. Von Seite des Nervensystems
und der Circulationsorgane keine Abnormität; Sensibilität stets intact. Nervenstämme
nie druckempfindlich. Vortr. hebt hervor, dass sich die Raynaud'sehen Phänomene
hier im zweiten Stadium befänden (symmetrische locale Asphyxie), und dass die
Prognose schlecht sei, indem die spätere Ausbildung von symmetrischer Gangrän nicht
unwahrscheinlich sei.
Herr R. Neurath demonstrirt einen 4 Jahre alten Knaben mit poiiomye-
litisoher Lähmung des rechten Armes und eigenartigen Skelettanomalieen.
Die Lähmuug soll im 6. Monate ohne Fieber plötzlich eingetreten sein. Die Atrophie
betrifft den Cucullaris, Deltoideus, Triceps, die gesammte Beuge- und Supinations-
musculatur des Vorderarmes. Die Extremität ist um 3—4 cm dünner als die contra¬
laterale, der Vorderarm kühl anzufühlen und dorsoconcav gekrümmt mit Subluxation
der 8upinirt herunterhängenden Hand. (Röntgen-Photographie.) Vortr. spricht als
mögliche Erklärung für diese Skelettverkrümmung die Meinung aus, die volare Seite
könne vielleicht gegenüber der dorsalen Seite schlechter mit Blut versorgt und dann
im Knochenwachsthum zurückgeblieben sein.
Robert Kienböck (Wien).
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
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pflege mt einzureichen. Auskunft ertheilen die Oberärzte Herren Hofrath
Dr. Ganser und Dr. Hecker.
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Verlag von VEIT & COMP, in Leipzig.
Soeben erschien:
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o. ö. Professor der Anatomie iu Basel.
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worden ist, hat seinem Institut ein Geschenk von 25,000 Mark Übermacht, damit solche
taube und schwerhörige Personen, welche nicht die Mittel besitzen, sich die Ohrtrommeln
zu verschaffen, dieselben umsonst erhalten können. Briefe wolle man adressiren; No. 689.
Das Institut Nicholson, “Longcott”. Gunnersbury, London, W.
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Das ganze Jahr hindurch geöffnet.
Prospekte durch den dirigirenden Arzt und Besitzer !>**. me<l. Batike.
MAR . 5 1901
Neurologisches Centralblatt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Heraoegegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithftlfe von Dr. Kurt Mendel)
Zwanzigster " BMin ' Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch
ille Bachhandlangen des In- and Aaslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1901. 15. Februar. Nr. 4.
Inhalt. I. Originalmittheilungen. 1. Ueber Dysphagia amyotactica, von Priv.-Doc.
G. J. Restollmo in Moskau. 2. Ueber eine neue Modincation der Golgi’schen Silberimpräg-
nirungsmethode, von Priv.-Doc. Dr. Hans Gudden. 3. Zur Frage der erblichen Uebertragbar-
keit der Brown-Sdqaard'aohen Meerschweinchenepilepsie, von Dr. Max Sommer. 4. Die
psyeho-reflectorische Facialisbabn (Bechterew) unter Zagrandelegung eines Falles von Tumor
ua Bereich des Thalamus opticus, von Priv.-Doc. Dr. Max Borst. 5. Ueber angeborene Kurz¬
lebigkeit einzelner Theile des Nervensystems, von Dr. Adler in Breslau. 6. Ueber Appendi-
eitis in „nervösen“ Familien, von Dr. Adler in Breslau.
. II. Rolerate. Anatomie. 1. Zur Histologie des Kleinhirns der Petromyzonten, von
Sehaper. 2. Der heutige Stand unserer Kenntnisse von den anatomischen Beziehungen des
Kleinhirns zum übrigen Nervensystem und die Bedeutung derselben für das Verständniss der
Symptomatologie und für die Diagnose der Kleinhirnerkrankungen, von Bruns. — Experi¬
mentelle Physiologie. 3. La göographie psychologique du manteau odröbrol et la
doetrine de Flechsig, par Bianchi. 4. Ueber die Ausdehnuug der Sinnessphären in der
Gnmtrirnrinde, von Munk. 5. Hughlings Jackson und die motorischen Rindencentren im
Lichte physiologischer Forschung, von Hitzig. — Pathologische Anatomie. 6. Congeni¬
tale Aplasie des Kleinhirns bei einem Hunde. Mikroskopischer Untersuchungsbefund, von
Dsgaaalla und 8pangaro. 7. Befunde bei einseitiger Kleinhirnataxie mit gekreuzter Lähmung,
von Anton. — Pathologie des Nervensystems. 8. Aphasie, hömiplögie, apoplexie
suite (Pbdmorrhagie gastrique. Autopsie, par Bouverst. 9. Ueber Aphasie (eine musikalisch-
psychologische Studie), von Buttersack. 10. fitude sur les paraphasies, par Pit res. 11. Caae
of total aphasia and right hemiplegia in a patient, who had previously lost his left arm by
accident, by Henderson. 12. Revue gdndrale sur l’agnosie, ceoitö psychique, par Clapardde.
18. Un cas de cdcitö verbale pure, par Rapin. 14. I/ecriture en miroir, par Ballet et 8ollier.
15. Aphasie motrice pure sans agraphie, par Ladame. 16. La surditö verbale, par Thomas.
17. Ueber den Schwindel, von 8lnger. 18. Case of cerebellar abscess, Operation, recovery,
by Haydon. 19. Kleinhirncyste, von Gerhardt. 20. Tumor cerebelli, door v. Ziegenweidt.
21. De l’asynergie cdröbelleuse, par Babinski. 22. On the state of the knee-jerk in cases of
cerebellar tumour, by Hawthorne. 23. Zwei Fälle von Kleinhirntumoren, von Schede. 24. Eine
acut entstandene Bewegungsstörung mit dem Charakter einer Kleinhirnataxie, von v. Bech¬
terew. 25. Incoordination motrice oöröbellenae. Contribution ä l’etude de son möcanisme
et du traitement de certaines de ses form es, par Lidnaux. — Psychiatrie. 26. L’alcoolisme
ehez Tenfant, par Delobel. 27. Ereditä ed alcoolismo, del Lui. 28. Alcoholio homicide, by
trillvan.
III. Am den Gesellschaften. Altonaer ärztlicher Verein. — Socidte de neurologie de
Paris. — Sooidte de mddecine mentale de Belgique. — Medicin. Gesellschaft in Warschau. —
Verein für Psychiatrie nnd Neurologie in Wien.
IV. Pertonalien.
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146
L Orginalmittheilungen.
1. Ueber Dysphagia amyotactica. 1
Von Priv.-Doc. Q. J. Bossolimo in Moskau.
Die von J. M. Setsghenoff fest begründete alte physiologische Wahrheit,
dass die oberen Abschnitte des Centralnervensystems einen hemmenden Einfluss auf
die Reflexe ausüben, findet in der Physiologie des Menschen eine beständige
Stütze sowohl bezüglich deijenigen reflectorischen Processe, welche durch das
Zusammenwirken des sensitiven Elementes und der Function der ganz eigentlich
den willkürlichen Bewegungen dienenden Organe entstehen, als auch bezüglich
solcher complicirter Reflexe, welche, wenn auch bis zu einem gewissen Grade
zur Selbstthätigkeit befähigt, dennoch zugleich sich mit den Willensimpulsen in
Wechselwirkung befinden. So kann z. B. der Knie- oder der Fasssohlenreflex,
bei denen sich Muskeln der willkürlichen Bewegungen contrahiren, durch den
hemmenden Einfluss activer Aufmerksamkeit, welche das Individuum der zu
prüfenden Extremität zuwendet, aufs Aeusserste herabgesetzt erscheinen; ebenso
kann auch z. B. der bis zu einem gewissen Grade dem Willen unterworfene
Reflexact der Entleerung der Harnblase unter dem Einflüsse des Aufmerksamkeits¬
zustandes bedeutende Störungen seiner methodisohen Regelmässigkeit erleiden.
Bei diesen Erscheinungen tritt die Rolle der Aufmerksamkeit, sowohl der
activen, wie der passiven, ganz in den Vordergrund, und alles, was den Zustand
derselben nach der einen oder der anderen Seite hin zu verändern vermag, findet
unfehlbar seinen Abglanz in den Aeusserungen deijenigen physiologischen Processe
seitens des Nervensystems, welche sich Vasallen gleich in Abhängigkeit von den
Centren der psychischen Thätigkeit befinden; und da die Emotion, sei es eine
primäre, als allgemeiner seelischer Hintergrund, auf dem der Act der Auf¬
merksamkeit entstand, oder sei es als secundäre Erscheinung, die durch den
Inhalt der Denkprocesse hervorgerufen wurde und in jedem einzelnen Falle die
Aufmerksamkeit begleitet, in ihren verschiedenen Graden und qualitativen Ab¬
stufungen gleichsam als ein Rahmen für die der Aufmerksamkeit unterworfenen
Vorstellungen erscheint, so muss sie sich naturgemäss auch in den Beziehungen
zwischen der activen Aufmerksamkeit und der Mehrzahl der Reflexe wiederspiegeln.
Eine der mächtigsten Emotionen ist diejenige, welche aus der Tiefe der
Entwicklungsgeschichte der menschlichen Seele hervorgeht und als natürliche
Fortsetzung des fundamentalen Selbsterhaltungstriebes dient — das ist das
Angstgefühl, und gerade dieses Gefühl ist, wie die Psychologie und die Klinik
darthun, ganz besonders geneigt, in den Gang vieler Reflexe und soloher, den
1 Vortrag, gehalten in der Sitzung des Vereine der Neuropatbologen und Psychiater
an der Moskauer Universität am 17. März 1900.
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147
letzteren analogen, automatischen und usuellen complicärten Bcweguugsakten, als
da sind die Bede, die Schrift, der Gang u. dgl. einzugreifen.
Bei schwacher Einwirkung kann sich die Bolle dieser Emotion auf gegen¬
seitige Hemmung der Reflexe beschranken; ist sie jedoch stark entwickelt, dann
fährt sie zu dauernder Störung der Regelmässigkeit complicirter Reflexacte und
automatischer und habitueller Bewegungen. Genugsam bekannt sind in dieser
Beziehung solche Krankheitserscheinungen, wie Störungen der Harnentleerung,
relative Impotenz auf Grundlage von Zwangsvorstellung der Angst und
mangelnden Selbstvertrauens, Störungen der Athmungsthätigkeit, und ferner
Stottern, Mogigraphie, Astasie, Abasie und andere cerebrale Amyotaxieen,
d. h. solche Störungen, welche sich bei Leuten mit degenerativer Anlage des
Nervensystems gleichzeitig mit Erscheinungen von Tic, fibrillären Zuckungen,
Zwangsempfindungen, -Gedanken und -Angstzustandeu entwickeln, Störungen,
welche von der sich bei diesen Leuten findenden Labilität solcher delicater
Bewegungsprocesse, wie es die complicirten Reflexe, die automatischen und usuellen
motorischen Processe sind, herrühren und, Dank ihrer specifischen functioneilen
Färbung, in klinischer Hinsicht als besondere Formen abgetrennt werden können.
In Anbetracht des Interesses, welches die obenerwähnten theoretischen Er¬
wägungen darbieten und der ganz besonders wichtigen und eigenartigen klinischen
Bedeutung der von mir bei mehreren Kranken verfolgten Störungen der dieser
Kategorie angehörenden Erscheinungen, erlaube ich mir, der Aufmerksamkeit
der Leser eiuige kurze Krankengeschichten zu unterbreiten, sowie auch die aus
ihnen resultirenden Schlussfolgerungen in Betreff einer Frage, welche in dem
modernen Plane der Nervenkrankheiten noch keinen feststehenden Platz
gefunden hat
In vorliegender Arbeit beabsichtige ich, mich sowohl mit der Analyse, als
auch mit der nosologischen Qualification derjenigen Form von Störungen des
Schlingactes zu beschäftigen, die niohts gemein hat weder mit denjenigen Dys-
phagieen, welche durch organische Veränderungen in der Rachenhöhle, im
Schlunde und in der Speiseröhre bedingt werden, noch auch mit denjenigen
Schwierigkeiten des Durchtrittes von Speise in den Magen, welche von einem
Krampf der Speiseröhre (hysterischer Oesophagismus u. dgl.) abhängen oder von
paralytischen Affectionen der betreffenden Muskulatur auf Grundlage organischer
Veränderungen des verlängerten Marks; der uns interessirende Symptoraencomplex
besteht, wie aus den Krankheitsgeschichten ersichtlich sein wird, im Wesentlichen
in Störung der Regelmässigkeit der Functionen der höheren Apparate des Nerven-
sjitems und enthebt uns daher der Nothwendigkeit, eine Beschreibung analoger
Störungen somatischen Ursprungs zu liefern.
Fall I.
Kaufmann Tsch., 42 Jahre alt, wandte sich an uns am 31. October 1889; er
iit 22 Jahre verheirathet, hat 4 gesunde Kinder. Hereditäre Erkrankungen werden
ia Abrede gestellt Von degenerativen Anzeichen finden sich nur eine sehr niedrige,
Stirn und stark verwachsene Augenbrauen auf stark convexen SupeTcilienbögen.
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148
Abusus ln baccho nicht vorhanden. Pat. hat einmal (vor längerer Zeit) an Magen-
catarrh und an Gallensteinen gelitten.
Vor 10 Jahren hatte er einmal eine grosse Unannehmlichkeit im Hause; mit
den Worten: „wenn es so ist, dann will ich auch nicht länger leben“ packte er sich
selbst mit beiden Händen an die Gurgel, aber im nächsten Momente dachte er auch
schon: „ob ich mir nicht wirklich irgend einen Schaden zugeffigt habe.“ Darauf
wurde von 10 Uhr Morgens bis zum Abend nichts Besonderes bemerkt; am Abende
war er bei Jemandem zu Gast, und da fiel es ihm gleich auf, dass er feste Speise
garnicht herunterschlucken konnte (es treten Spasmen im Schlunde ein und erscheinen
dabei Angstgefühle) und flüssige nur mit Mähe; so blieb es 3 Monate lang, wobei
die ganze Zeit Aber flüssige Speise besser durchging, als feste. Darauf verging die
Hauptstörung, es verblieb nur eine gewisse Unruhe während des Theetrinkens und
Zeitunglesens.
Vor 4 Jahren bemerkte er plötzlich, ohne besondere Veranlassung und ohne
Vorboten, am Tage seiner Ankunft auf dem Jahrmarkt, dass er flüssige Speise nicht
schlucken könne, und seit dieser Zeit, also ganze 4 Jahre lang, hat ihn diese Be¬
fürchtung nicht verlassen; nur sehr selten trat eine geringfügige Veränderung dieses
Zustandes ein. Je mehr die Speise dem Wasser glich, je dünnflüssiger sie war,
desto grösser war die Angst, sie nicht schlucken zu können; wässerige Gemüse und
Früchte werden schlecht geschluckt; gewöhnlich nimmt der Kranke nur feste Speise
zu sich, die er mit etwas Flüssigkeit begiesst Trotz Anwendung verschiedener Kniffe
empfindet der Kranke beim Essen immer eine gewisse Unruhe, sucht mit den Händen
verschiedene Bewegungen zu machen, bemüht sich allein zu speisen, um nicht Andere
zu stören. Beim Hinunterschlucken flüssiger Nahrung treten sehr stürmische Spasmen
des Schlundes ein. Bei der Berührung der Vorderflfiche seines Halses oder bei Ein¬
führung eines Löffelstiels in seinen Schlund ergreift den Kranken heftige Angst und
Unruhe, er sträubt sich, schlägt die Hand des Untersuchenden weg. Anästhesie des
Schlundes ist nicht vorhanden, auch keinerlei hysterische Symptome, wie Hemi-
anästhesieen, hysterogene Punkte und Zonen, Functionsstörungen höherer Sinnesorgane,
Krampfanfälle. Das Nervensystem weist auch im Uebrigen keine Störung auf.
Empfindsamkeit oft bis zu Thränen. Kein Trübsinn. Keine Reizbarkeit
Keine hypochondrischen Erscheinungen.
Die Behandlung mit allen möglichen äusseren und inneren Mitteln, mehrere
Monate hindurch fortgesetzt, führte absolut zu keinem Resultat.
Fall II.
Eudoxia S., 42 Jahre alt, 22 Jahre verheirathet, nicht schwanger gewesen; be¬
friedigter Coitus.
Sie wandte sich an unser klinisches Ambulatorium wegen Schlingbeschwerden
und der Furcht zu ersticken.
Hat ihre Eltern früh verloren, kann über den Gesundheitszustand derselben und
anderer Verwandten Nichts mittheilen.
Syphilis nicht vorhanden. Pat. raucht nicht, trinkt keinen Wein. Im Jahre
1898 hat sie Gelenkrheumatismus durchgemacht, dabei 4 Monate zu Bette gelegen;
das rechte Fussgelenk bis jetzt schmerzhaft. Am Halse, in der Gegend der Fossa
jugularis, eine flache Narbe „von Skropheln herrührend“. Pat. ist blass, schlecht
genährt.
Schwach entwickelte Ohrläppchen. Die Zunge lang, sehr schmal.
In den inneren Organen keine Veränderungen.
Leidet an Herzklopfen und Herzbeklemmung, seitdem ihr Mann, vor vielen Jahren,
sich dem Trünke ergeben hatte und sie häufig gezwungen war, auf seine Heim¬
kehr warten zu müssen.
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149
Leidet ton Kindheit auf an Stottern, wie sie meint, in Folge eines Schrecks;
tat der letzten Erkrankung hat sich das Stottern verschlimmert.
Der Beginn der jetzigen Erkrankung datirt seit Anfang September 1899. Da¬
mals kam die Kranke aus der Kirche nach Hanse, nach einem Abendgottesdienst,
der ron einem Geistlichen mit heiserer Stimme abgehalten worden war; letzterer
Umstand hatte auf die Kranke grossen Eindruck gemacht und die Angst hervor-
gernfen, dass sie selbst von einer solchen Heiserkeit befallen werden könnte. Bald
daran/ wollte sie Thee trinken und fühlte, dass ihr das Schlucken schwer falle, als
vom sie es verlernt hätte.
Das ging so weiter bis zum 8. October 1899, da verschluckte sie sich zufällig,
treckrak darüber, und die Schlingbeschwerden wurden alsbald stärker und ver¬
schlimmerten sich gradatim immer mehr bis zur Zeit unserer Untersuchung. Wenn
aaeh bisweilen Erleichterung eintrat, so war es selten und in geringem Grade; ge-
«Stmlich geht es des Abends mit dem Schlucken schlechter, des Morgens besser;
nieilen verschluckt sie sich vor Angst und fängt an zu husten. Flüssige Nahrung
kenmter zu schlucken, fällt ihr schwerer; sie hält den Schlack lange im Mnnde,
bringt ihn von der einen Seite der Mundhöhle auf die andere, um ihn schliesslich,
nach lange anhaltender Erregung, hinunter zu schlucken, wobei er ganz frei weiter
geht, oder ihn unter panischer Furcht auszuspucken. Bei Aufregungen schlackt sie
schlichter.
Aach vor der Krankheit fiel es ihr schwer, Pillen und einzelne Erbsen hinunter
m schlucken.
Bei unseren Versuchen, die mit Olive versehene Sonde einzuführen, war die
Angst der Kranken so gross, dass sie nicht einmal die Sonde in den Mund zu stecken
gestattete.
Während dieser Krankheit empfindet die Pat, wenn sie verstimmt ist, dass es
ihr unmöglich sei, tief zu athmen. Beim Schluchzen tritt manchmal ein Krampf der
Stimmbänder ein, welcher von erschwerter, pfeifender Inspiration begleitet wird. Der
Pharyngealreflex ist abgeschwächt, alle übrigen Reflexe sind normal. Sonst sind
keinerlei somatische Störungen seitens des Nervensystems vorhanden. Hysterische
Anfälle und Stigmata fehlen. Seitens der Psyche bemerkt man Reizbarkeit, Empfind-
amkait Neigung znm Trübsinn. Irgend welche anderweitige Zwangsangstideeen oder
»ästige Zwangsvorstellungen sind nicht vorhanden. Gedächtniss und Auffassungsgabe
ad normal. Hallncinationen fehlen. Viele Jahre bat Patientin sich aufregen und
beunruhigen müssen in Erwartung des Nachhausekommens ihres betrunkenen Mannes.
Im Laufe der folgenden l 1 /, Monate trat unter dem Einflüsse der Behandlung
■it läsen. Codein mit Bromnatrium, sowie allgemeiner und localer Franklinisation,
üe unbedeutende Besserung ein.
Fall III.
Nikolaus S. erschien am 11. December 1893; 39 Jahre alt, verheiratet, hat
2 Kind«, entstammt einer neuropathischen Familie; eine seiner Schwestern hatte
«m dichte Augenbraue und litt an Sclerose des Kleinhirns. Gleichzeitig mit ver¬
miedenen, übrigens schwach ausgeprägten Erscheinungen von Neurasthenie bestand
»ei den Pat selbst seit langer Zeit eine Neigung zu Phobieeu, hauptsächlich Angst
** den Gewittern und vor hohen Plätzen. Vor einem Monate trat bei ihm plötz-
“i. als er sich verschluckt hatte, die Angst vor dem Hinunterschlucken sowohl von
als auch von festen Speisen ein. Es sind keinerlei hysterische Symptome
’väaodeu, auch kein Anhaltspunkt für Annahme eines organischen Leidens der
^poserthre oder des Magens.
Nach einer einzigen Franklinisationssdance und zweiwöchentlichem Gebrauch von
*-4iara und Bromnatrium verschwanden die Schlingbeschwerden vollständig, jedoch
^ am in derselben Weise nach 2 — 3 Monaten von Neuem aufzutreten; von da
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150
ab hörten die Schlingbeschwerden mehrere Jahre lang nicht auf; weitere Schicksale
des Pat. unbekannt.
Pall IV.
Frau B. f 58jährige Wittwe. Ihr ältester Sohn 86 Jahre alt, der zweite war
todtgeboren. Patientin seit 24 Jahren Wittwe. Ihre Mutter war Alkoholistin. Gin
Bruder war tuberculös, ein zweiter Bruder Alkoholiker und starb an der Tuberculose.
Psychische Erkrankungen kanten in der Verwandtschaft nicht vor. In den Kinder¬
jahren häufig ängstlich-erregte Gemüthsstimmung und das Gefühl der Angst, dass
ihre Mutter in betrunkenem Zustande erscheinen würde, sie aus der Pension abzu¬
holen. Der Mann der Kranken war auch Trinker und gab ihr dadurch auch viel
Veranlassung zu Furcht und Beunruhigungen. Sie war im Ganzen 4 Jahre ver¬
heiratet.
Im 27. Lebensjahre begannen, nach einigen Anfällen von Präcordialangst, Er¬
scheinungen von Agoraphobie, die auch jetzt noch Vorkommen. Mit 25 Jahren fingen
Anfälle von Schlingbeschwerden an, welche mehrere Monate andauerten. Im Ganzen
waren 6 solcher Anfälle, der vorletzte war vor 6 Jahren. Wegen des erschwerten
Sehlingens, mit dem der erste Anfall begann, wurde damals eine Sondirung vor¬
genommen. Jetzt, am 30. Dec. 1899, sind es bereits 3 Wochen her, dass der
7. Anfall eingetreten ist, hervorgerufen durch Ermüdung bei der Pflege ihrer todt-
kranken Wärterin. Die letzten 3 Wochen leidet die Kranke an Schlaflosigkeit, in
Verbindung mit erschwertem Schlucken, dabei Empfindungen von Zusammenschnüren
der Kehle, eines Fadens in der Gurgel, durchschnittene Gurgel, und namentlich —
Angst sich zu verschlucken; feste Speise geht besser durch, flüssige schlechter.
Untersuchungen des Rachens und der Speiseröhre geben immer negative Resultate.
Hysterische Anfälle waren nicht vorhanden, andere auch nicht. Lange bestehendes
Hämorrhoidalleiden in der Familie verbreitet.
Pharyngealreflex herabgesetzt. Innere Organe gesund. In letzter Zeit Ver¬
stopfung. Scharf ausgesprochene vasomotorische Erscheinungen. — Die linke Pupille
etwas weiter als die rechte. Alkohol- oder Tabakmissbrauch hat nicht stattgefunden.
Kniereflexe normal. Urin normal. Gegenwärtig etwas Neigung zu Trübsinn. Der
Schlaf sehr schlecht, ungenügend, unruhig. Zuweilen Empfindungen von Oppression
der Brust. Hemihypaesthesia dextra der Haut und der höheren Sinnesorgane.
Fall V.
Frau S., 29 Jahre alt, 7 Jahre kinderlos verheirathet, hat keine Aborte gehabt,
auch keinerlei Maassnahmen gegen Gravidität angewandt. Ihr Vater war Alkoholiker;
die übrigen Familienglieder gesund, in der Verwandtschaft sind weder Tnberculose,
noch psychische oder andere Nervenkrankheiten vorgekoromen. Patientin ist sehr
mager, blass und von schwächlicher Constitution. Hat vor 2 Jahren und vor 1 Jahre
Metritis, Oophoritis und Salpingitis durchgemacht. Hat immer Widerwillen gegen den
Coitus empfunden; nach einem solchen — grosse Gereiztheit und Erbitterung gegen
den Mann; ein Gefühl der Befriedigung hat sie nach dem Coitus fast niemals
empfunden. Litt immer an Schwäche des Nervensystems, die sich besonders nach
ihrer Verheiratung bemerkbar machte. Der Mann der Kranken trinkt und kommt
häufig spät Abends und in betrunkenem Zustande nach Haus, in Folge dessen die
Frau oft in voller Angst auf ihn warten muss; dadurch wurde bei der Kranken
eine beständige unruhig-ängstliche Stimmung hervorgerufen und der Boden vorbereitet
für einen panphobischen Zustand, der sich besonders vor 6 Monaten verschlimmert
hat, als Patientin sich von ihrer Lieblingsschwester trennen musste.
Am 10. October 1898 erhielt die Kranke die Nachricht von dem plötzlichen
Tode einer Freundin, wobei sie einen starken Globus empfand; gleich darauf stellte
sieh bei ihr die Angst, sich zu verschlucken, ein, und, als Folge davon — Furcht
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tot dem Schlucken Oberhaupt, wenn auch nicht stark ausgeprägt; am 1. Nov. 1898
gerieth der Kranken ein Brodkrflmchen in die Kehle, und es stellte sich, ausser
Verschlimmerung des Schluckens, noch ein heftiger Schmerz in der rechten Seite der
Kehle ein.
Status am 3. November 1898: Herzklopfen, linksseitige Intercostalneuralgie,
Kopfschmerzen. Schwaches Athmungsgeräusch in der rechten Lungenspitze. Keine
Hämorrhoiden; etwas Verstopfung. Patientin ist Raucherin, hat jetzt 2 Tage nicht
geraucht. Sie arbeitet sehr viel, Tagsüber in der Kanzlei, Abends schreibt sie
zu Hause.
Trübe GemQthsverfassung; schlechter Schlaf. Hysterische Anfälle kommen nicht
vor. Heinihypästhesie nicht vorhanden. Leichte Verminderung des Schlundreflexes.
Nach 3 Wochen, während deren die Kranke Fe + As., Cod. + NaBr., Castor. + Valer.
einnahm und zur Nacht Abreibungen des Körpers mit Spiritus und Wasser ge*
brauchte, verging die Schluckstörung. 2 Monate darauf wurde Besserung des All*
gemeinzustandes constatirt Eine am 20. Febrnar 1899 festgestellte Paraparesis
inferior hysterica schwand sofort während einer Franklinisationssöance.
Am 6. Februar 1899 theilte man der Kranken mit, dass einer ihrer Bekannten
ein Knochen im Halse stecken geblieben und sie daran gestorben sei; sofort stellte
sich bei der Patientin wieder hochgradige Behinderung des Sohluckens, sowohl von
fester, als auch von flüssiger Speise ein und verging erst nach 5 Wochen.
(Fortsetzung folgt)
2. Ueber eine neue
Modification der Golgi’schen Silberimprägnirungsmethode. 1
Von Priv.-Doc. Dr. Hans Gudden,
leitendem Arzt d. peycbiatr. Abthlg. am Krankenhause 1. J. Mönchen.
Es ist bekannt, dass dem von Golgi entdeckten und späterhin vielfach
modificirten Verfahren der Silberimprägnation der Nervenzellen und Fasern noch
immer viel Unsicherheiten anhaften. Am besten gelingt es am embryonalen
Nervensystem von Menschen und Thieren, sowie beim Nervensystem von Thieren
überhaupt. Dagegen versagt es leider sehr häufig am erwachsenen menschlichen
Gehirn und Rückenmark. Ich glaube nun eine Modification in der Technik
der Silberfarbung gefunden zn haben, welohe allgemein und besonders in Bezug
auf das Nervensystem des Menschen sicherere Resultate zu geben geeignet ist,
als sie bisher erreicht wurden.
Bei den Versuchen, die ich anstellte, ging ich von einer Erfahrung der
Dermatologen aus. Seit Mitte der 90 er Jahre werden mit grossem Erfolg in
der Behandlung entzündeter Schleimhäute, namentlich bei Gonorrhoe statt der
sonst üblichen Höllensteinlösungen organische Silberverbindungen, in erster
Linie das Protargol, angewandt Die organischen Silberverbindungen haben
nicht die ätzende Wirkung des Höllensteins und vermögen daher viel tiefer
1 Nach einem am 15. Januar 1901 in der morphologischen Gesellschaft gehaltenen
Vorträge.
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152
in das Gewebe einzudringen. Diese grössere Imbitionsfahigkeit versuchte ich
nun am todten Gewebe auszunutzen, indem ich bei Anfertigung von Goloi-
Präparaten das Argentum nitricum durch organische Silberlösung ersetzte. So
erhielt ich mit milchsaurem Silber 1 (Aktol) durchaus brauchbare Bilder, wobei
sioh verhältnissmässig mehr Zellen sammt ihren Ausläufern färbten, als man
selbst bei gelungenen Präparaten bisher zu sehen gewohnt war. Auch bei
grösseren Stücken von 2—8 ccm drang das Silber sehr tief ein.
Da ich gleich bei den ersten Versuchen trotz relativ ungünstiger Objecte —
ich benutzte Grosshirn- und Kleinhirnrindenstücke von Paralytikern, die erst
16 Stunden nach dem Tode gewonnen waren und nur 14 Tage im Chrom-
formolgemisoh (d. h. Kali bichromic. 2,5, Aqua dest. 100,0, Formol nach Be¬
lieben) sich befanden — so gute Erfolge hatte, glaube ich die Ueberzeugung
aussprechen zu dürfen, dass durch Verwendung von passenden organischen
Silberlösungen die Unsicherheit der GoLGi-Methode am erwachsenen mensch¬
lichen Nervensystem sich wesentlich verringern, wenn nioht ganz aufheben lässt.
Zum Schlüsse möchte ich bemerken, dass sich lange nicht alle der bisher
von der Industrie dargestellten organischen Silberverbindungen (Arg. acetäcum,
benzoicum, caseinioum, oinnamylioum, cyanatum, salicylicum, citricum, lacticum,
sulfophenylicum, sozojodolioum, colloidale, Argen tanin, Argen toi u. s. w.) ver¬
werten lassen, da ein Theil derselben mit Chrom keinen Niederschlag giebt,
und dass bei manohen der angeführten Präparate die Chromsilberfällung nur
bei neutraler Reaction zu erzeugen ist
3. Zur Frage der erblichen Uebertragbarkeit der Brown-
S£quard ’schen Meerschweinchenepilepsie.
Von Dr. Max Sommer,
Assistenzarzt an der psychiatrischen Klinik des Herrn Prof. Binswangkb in Jena.
In Nr. 11 dieses Centralbl. 1900 wendet sich Hr. Prof. Obebstedteb (Wien)
gegen meine im Anfang 1900 erschienene Arbeit über die BBOWN-SfiQüABD’sche
Meerschweinohenepilepsie und ihre erbliche Uebertragung auf die Nachkommen. 2
Obbbsteineb sagt: „Meiner Meinung nach müsste eine einzige sichere und
zweifellos positive Beobachtung allen negativen Erfahrungen ihre Bedeutung
nehmen.“ loh kann nun einerseits Obebsteineb’s Beobachtung nioht als be¬
weisend anerkennen und muss andererseits betonen, dass mich meine Versuche,
gerade wenn ich sie den OßBBßTEiNEB’schen gegenüberstelle, auch zu positiven
Schlussfolgerungen berechtigen.
Obebstbinbb’s Versuche stellen durchaus nicht in jedem Punkt eine Be¬
stätigung der Bkown-S&quabd ’schen Versuche dar. Weder hat Obebstbinsb
1 Am der chemischen Fabrik von Heyden in Radebeul-DreBden, Preis pro kg 14 Mk.
Löslichkeit in destillirtem Wasser 1:16.
1 Zhqlhb’s Beiträge z. path. Anat. u. z. allg. Pathol. 1900. XXVII.
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etwas von den von Bbowh-Säquard beschriebenen Erscheinungen unmittelbar
nach der Operation auftreten sehen, noch hat er eine erbliche Uebertr&gung der
Zehendefecte constatiren können, die nach Brown-Säquard fast regelmässig bei
den mit Epilepsie behafteten Jungen vorhanden sein sollen. Dagegen hat er
bestätigt, dass nach der Ischiadicussection bei Meerschweinchen der von Bbown-
SRquard als Epilepsie bezeichnet« Krankheitszustand auftritt Da er bei zwei
der von epileptischen Thieren abetammenden Jungen bei Beizung der epilepto-
genen Zone Krämpfe auftreten sah, folgert er, dass seine Versuche auch eine Be«
stätigung von BROWN-SäQUARD’s Behauptung enthielten, dass sich dieser könsthoh
erzeugte Krankheitszustand erblich übertragen könne. Dieser Annahme Obkb-
stehtkr’s muss ich widersprechen.
Es fällt bei seinen Versuchen auf, dass die Operation augenscheinlich äusserst
nachtheilig auf den Gesammtorganismus der operirten Thiere eingewirkt hat.
Die Fruchtbarkeit der Thiere erscheint herabgesetzt, die Nachkommen derselben
zeigen zum grossen Theil eine verminderte Lebensfähigkeit. Unter den 82 Jungen,
die er von kranken Thieren erzielt hat, zeigten 12 kein normales Verhalten,
indem 11 schwach, 3 paretisch, 3 augenkrank waren und 2 Krampferschei¬
nungen darboten. Die beiden letzteren Thiere waren ebenfalls in hohem Grade
schwach und zeigten auffallende Lähmungsersoheinungen. Beide Thiere gingen
in kurzer Zeit zu Grunde, da sie — wie Obebstbdjbb selbst sagt — wenig
lebensfähig waren.
Wir wissen, dass in Folge eines erworbenen krankhaften Zustandes die
Keimzellen eine schwere tiefgreifende Schädigung erfahren können. Augen¬
scheinlich kann nun die Iohiadioussection und die in ihrem Gefolge auftretende
Epilepsie bei den Meerschweinchen solch keimschädigenden Einfluss haben.
Daher sehen wir in den OBBBSTEiNEB’soben Versuchen bei den Nachkommen
solcher Thiere neben allgemeiner constitutioneller Sohwäche die Anlage zu den
verschiedensten Nervenkrankheiten, besonders zu motorischen und trophischen
Lähmungen auftreten. Ich sohliesse mich Obersteineb an, insofern er sagt,
dass diese erworbenen pathologischen Zustände eine hereditäre Disposition schaffen
können, ich kann mich aber nicht davon überzeugen, dass er bewiesen habe,
dass sich diese pathologischen Zustände direct auf die Nachkommen übertragen
können.
Die bei den 2 Jungen Obebsteineb’s aufgetretenen Krampfanfälle fasse
ich in Uebereinstimmung mit Ziegler lediglich als Symptom allgemeiner De-
erepidität auf. Obkbsthineb sagt zwar, dass diese Anfälle nach Kneifen in der
epileptogenen Zone aufgetreten seien, doch fragt es sioh, ob sie sich nicht auch
auf andere Beize hin eingestellt hätten. Auch ist die Annahme nicht von der
Hand zu weisen, dass die epileptogene Zone bei Meerschweinchen ganz allgemein
einen Locus minoris resistentiae speciell für eine Schädigung des Centralnerven¬
systems darateilt. Ziegler sah einmal, als er einem Meerschweinchen einen
kleinen Hautsohnitt am Halse zwecks Vornahme einer kleinen Operation bei¬
brachte, einen isolirten Krampfanfall auftreten.
Wir wissen ja aus der menschlichen Pathologie, dass Krämpfe ein häufig
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auftretendes Symptom sind, und sind seit langem gewöhnt, durchaus nicht jeden
Krampfanfall als epileptischen zu bezeichnen. Binswangeb sagt in seiner Be¬
arbeitung der Epilepsie, „die Kinderkrämpfe der ersten Lebenswoohen sind in
der überwiegenden Mehrzahl der Fälle das Signal der Lebensunfähigkeit“ Ich
möchte dasselbe hier von den bei den Jungen Obebsteineb’s in den ersten
Lebenstagen auftretenden Krampfanfallen behaupten, zumal diese Thiere in
kurzer Zeit zu Grunde gingen. Die Annahme, dass diese Krämpfe ihrer Natur
nach dieselben gewesen seien, wie die bei den Eltern als Folge der Operation
aufgetretenen, sich diese Thiere also ebenfalls in dem epileptischen Krankheit»-
zostand befanden, ist nicht bewiesen.
Die BnowN-SfiQUABD’schen Versuche lassen dieselbe Deutung zu. Wrst-
phal’s Versuche enthalten ebenfalls keinen sicheren Beweis für die erbliche
Uebertragbarkeit erworbener pathologischer Zustände. Zwei Junge, die von
einem durch den Klopfversuch epileptisch gewordenen Meerschweinchen ab¬
stammten, sollen bei Beizung der epileptogenen Zone allerdings nur unvoll¬
kommene, aber deutlich als solche charakterisirte Anfälle bekommen haben.
Da We8tphal eine Beschreibung dieser Anfälle nicht gegeben hat, wissen wir
nicht, was er unter einem unvollkommenen epileptischen Anfall bei einem
Meerschweinchen versteht Er giebt nicht einmal an, ob er diese Anfälle bei
den Jungen nur einmal bei Beizung der epileptogenen Zone hat auslösen können
oder öfters. Wir können also erstens annehmen, es handelt sioh hier gar nicht
um epilepische Anfälle, und zweitens, die erwähnten Krampferscheinungen waren
nur ein Symptom der Decrepidität Von einer wirklichen Uebertragung des
epileptischen Krankheitszustandes auf die Jungen ist auch hier nicht der
Schatten eines Beweises geliefert Zur weiteren Stütze meiner Behauptung, dass
noch keine sichere, zweifellos positive Thatsache in der umstrittenen Frage vor¬
liegt, die bisher beschriebenen Krämpfe vielmehr stets der Ausdruck der Lebens¬
unfähigkeit waren, muss ich die Schlussfolgerungen erwähnen, zu denen mich
meine eigenen Versuche berechtigen.
Als ich einer Anregung meines Lehrers, des Herrn Prof. Binöwangeb,
folgend die Versuche Bbown-Säquabd’s wiederholte, kam es mir besonders
darauf an, festzustellen, ob sich thatsächlich der erworbene krankhafte Zustand
der sogen. Epilepsie auf die Nachkommen übertrage. Meine Versuche ent¬
halten nun das negative Resultat dass ich Krämpfe bei den Nachkommen nicht
auftreten sah. Sie enthalten aber auch ein positives Resultat, indem sie meine
Ansicht stützen, dass die bei den Nachkommen epileptischer Thiere auftretenden
Krämpfe nur ein Zeiohen der allgemeinen Decrepidität sind und also bei
kräftigen lebensfähigen Nachkommen nicht auftreten. Bei den 23 Jungen
meiner Zuchten sah ich nur 1 Mal eine Trübung der Cornea, und nur 2 Mal
fiel mir eine geringere körperliche Entwiokelung auf. Ich habe sogar 2 absolut
gesunde Meerschweinchen, die von einem von einem kranken Thiere abstam¬
menden Jungen geworfen wurden. Daraus folgere ich, daaB meine Meer¬
schweinchen, die aus verschiedenen durchaus gesunden Zuchten frisch angekauft
waren und eine sehr gute Pflege erhielten — vielleicht eine bessere, als die
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155
OBEBfiTKDmt’gehen Thiere —, widerstandsfähiger waren, einen gesünderen,
kräftigeren Organismus hatten als die seiner Zeit von Oberste» ek verwendeten
Meerschweinchen. So erkläre ich mir, dass die Jungen, die ich erzielte, im
Gegensatz zu den decrepiden Jungen Obebsteineb’s fast durchweg ein nor¬
males Verhalten zeigten und sogar zu weiterer Fortpflanzung geeignet waren. Die
Annahme aber, dass es sich bei den von Brown-Säqüard und Obersteiner
geschilderten Krampfanfällen bei den Descendenten nicht nur um das Symptom
einer allgemeinen Decrepidität handelte, wäre nur dadurch zu beweisen, dass auch
bä sonst gesunden kräftigen Jungen diese Krampfanfälle auftreten, die dieselben
ügenthümlichkeiten zeigten, wie bei den Eltern. Der endgültigen Lösung dieser
Frage hoffe ich durch eine einfache Versuchsanordnung näher zu kommen,
ich werde epileptisch gemachte Meerschweinchen in hygienisch und diätetisch
günstigste Verhältnisse bringen und zur Zucht verwenden, andererseits werde
ich Meerschweinchen künstlich zu schwächen suchen und in ungünstige Ve>
bältnisse bringen. Würde ich aus der ersteren Beihe Nachkommen erzielen,
die kräftig entwickelt sind und keine Krampferscheinnngen darbieten, aus der
zweiten Reihe dagegen solche, die allgemeine Decrepidität zeigen, und bei denen
vielleicht auch Krämpfe auftreten, so wäre meine Annahme bewiesen. Jeden¬
falls ist Obersteiner bis jetzt der Beweis noch nicht geglückt, dass sich er¬
worbene pathologische Zustände auf die Nachkommen vererben.
4. Die psycho-reflectorische Facialisbahn (Bechterew) unter
Zugrundelegung eines Falles von Tumor im Bereich des
Thalamus opticus.
Von Priv.-Doc. Dr. Max Borat,
L Assistenten am pathologischen Institat der Universität Würzborg.
Die hervorragenden Untersuchungen W. v. Bechtebew’s haben gezeigt, dass
man ausser den Bahnen, welche für die willkürliche Erregung des Facialis
io Betracht kommen, anatomisch Leitungswege unterscheiden muss, innerhalb
welcher durch psychische Impulse hervorgerufene Reflexe des Facialis sich ab¬
spielen. Diese Wege verlaufen von den — je nach dem psychischen Impuls
verschiedenen — erregten Stellen der Grosshirnrinde durch den Stabkranz der
Sehhügel zum Thalamus opticus, und von hier durch das Haubenfeld der Hirn¬
schenkel und durch das Haubenfeld der Brücke zur Peripherie. Die Mittheilungen
Bkhteeew’s fanden bemerkenswerthe Unterstützung durch eine Reihe klinischer
Beobachtungen (Nothnagel, Rosenbach, Gowebb, Kiyilzew), welche zeigten,
dass man auch im Krankheitsbild zwischen willkürlicher und psychoreflectorischer
Faeitbserregung bezw. Facialislähmung trennen könne und müsse. Insbesondere
hat man bei Erkrankungen des Sehhügels constatirt, dass die Patienten die
hianke Gesichtshälfte wohl willkürlich bewegen konnten, während bei emotiver
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Gesichtsbewegungen diese Gesichtshälfte so gut wie unbewegt blieb (Monakow).
Es hat sich jedoch bis jetzt nicht mit Sicherheit feststellen lassen, an welcher
Stelle des Sehhügels ein Herd seinen Sitz haben muss, um die genannte eigen¬
tümliche Erscheinung hervorzurufen. Nach Bbchtebbw müsste der Herd in
den hinteren Partieen des Thalamus opticus gelegen sein.
Ohne mich weiter auf eine Reproduction des bisher über diese Frage be¬
kannt Gewordenen einzulassen, möchte ich in aller Kürze über einen eigenen
hierher gehörigen Fall Bericht erstatten, der als ein bescheidener Beitrag zu dem
interessanten Thema aufgenommen werden möge. Der Fall gleicht in Vielem
den von Kiyilzew und Nothnagel mitgetheilten. Ich habe ihn mit Polt
einer genauen anatomischen Untersuchung unterzogen und verweise bezüglich
der Details auf die Dissertationsschrift des Genannten. Die krankengeschicht-
liehen Notizen, für deren Ueberlassung ich Herrn Geheimrath v. Lrube — auf
dessen Klinik im hiesigen Juliusspitale der betreffende Patient gelegen war —
zu grossem Dank verpflichtet bin, sind kurz folgende:
Der 51 Jahre alte Patient zeigte folgende (von Ende Mai 1899 bis Februar
1900) allmählich zur Entwickelung gekommene Symptome: Hemiplegie rechts,
Lähmung der linken oberen Extremität, Parese der Mm. recti superiores und
obliqui inferiores beiderseits, sowie auch des M. rectus externus rechts und des
M. orbicularis; Ptosis, Neuritis optica, Stauungspapille; Ataxie, Athetosis (Be¬
wegungen des Pillendrehens). Ausser noch anderen, für die folgenden Aus¬
führungen weniger wichtigen Symptomen zeigte der Patient vor Allem die auf¬
fallenden Erscheinungen einer psycho-reflectorischen Facialislähmung rechts bei
nur ganz geringer rechtsseitiger willkürlicher Facialisparese: während er z. B.
auf Kommando lachen konnte, war ihm das auf psychische Impulse hin nicht
möglich.
Auf Grund des letztangeführten Symptoms, der Ataxie, der Athetose, der
Lähmung der Oculomotoriusfasern u. s. w. einerseits, der in den späteren Stadien
der Krankeit aufgetretenen epileptischen Zuckungen, der Intelligenzstörungen
andererseits, wurde von Herrn Geheimrath von Le übe folgende klinische Dia¬
gnose gestellt und vor der Obduotion an das pathologische Institut hinüber¬
geschickt :
1. Herderkrankung (Tumor am wahrscheinlichsten) im linken Thalamus
opticus zum Pons fortschreitend.
2. Herderkrankung in der Hirnrinde. Decubitus.
Es ist dies somit einer der wenigen Fälle, in welchen ein Herd im Bereioh
des Thalamus opticus intra vitam richtig diagnosticirt wurde.
Der Patient kam am 21. Februar 1900 ad exitum, und die von Herrn Ge¬
heimrath von Rindfleisch vorgenommene Obduction ergab folgenden, in aller
Kürze wiedergegebenen Befund: Geringe Asymmetrie des Schädeldaches, flache
Gefässfurchen, wenig Diploö. Venöse Hyperämie der Dura, Abplattung der Gyri
der Hemisphären des Grosshirns, Oedem der Pia in den hinteren Hemisphären-
partieen. In den Sinus ungeronnenes Blut. Starke Füllung der grossen Gefässe
an der Hirnbasis. Im linken und rechten Seitenventrikel reichlich klare Flüssig-
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157
keit, Ependym verdickt. Rosige Hyperämie des Centrum Yienssenii beiderseits.
Zwei kleine kugelige Geschwülstchen von massig harter Consistenz finden sich rechts
und links im Marklager der Hemisphären; das rechte gegen die Centralwindung
hin gelegen. Der Haupttomor kam im 3. Ventrikel medial vom linken Thalamus
opticus zum Vorschein, das Ependym vorwölbend; er setzte sich nach hinten,
medial und unterhalb des Thalamus gelegen und diesen verdrängend, in den linken
Hirnstiel fort, dessen Querschnitt gegenüber der rechten Seite bedeutend ver-
gröesert erschien, und ragte weiterhin in die vordere Hälfte der Brücke hinein.
Die Geschwulst war von geringer Consistenz, fleischroth, von Blutungen durch¬
setzt, im Centrum ausgiebig erweicht, gelb, verfettet Die Untersuchung des
Rückenmarkes ergab keine bemerkenswerthen Veränderungen. Von den
übrigen Organen interessirten am meisten die Lungen. Im Oberlappen der
linken Lunge fand sich ein faustgrosser, weisser, massig derber, mit gallertigen
Einsprengungen versehener Tumor (offenbar der Primärtumor), der an der
Oberfläche der Lunge im Bereich einer weisslichen Schwiele eine tiefe narbige
Einziehung bewirkt hatte. Ueber den Tumor, in dessen Umgebung sich
noch eine Reihe kleiner kugeliger Geschwulstknötchen vorfand, lagerten sich
Theile des stark vicariirend geblähten Oberlappens, zum Teil sogar eine be¬
sonders ausgebildete, abnorme, zungenförmige Parthie des Oberlappens hinüber,
so dass die (Jeschwulst von aussen fast völlig verdeckt erschien. Von der
Schnittfläche des Tumors konnte ein zäher Schleim entfernt werden. Im
linken Unterlappen fand sich eine frische hypostatische Pneumonie mit be¬
ginnender fibrinöser Pleuritis. Der übrige Sectionsbefund bot nichts Bemerkens-
werthes.
Da es zu einer präcisen Beantwortung der Frage, welche Leitungsbahnen
in diesem Falle besonders betroffen wurden, nöthig war, die Ausdehnung des
metastatischen Hirntumors selbst und der secundären und durch directen Druck
entstandenen Degenerationen in seiner Umgebung aufs Genaueste festzustellen, so
wurde auf die feinere topographisch-mikroskopische Untersuchung des Central¬
nervensystems ganz besonderer Wert gelegt. Die Präparate des Hirnes und
Rückenmarkes wurden nach Härtung in Formol und MüLLEß’scher Flüssigkeit
mit Hämatoxylin-Eosin, nach van Gibson’s Methode und nach der Methode
von Pal (Nachfärbung mit Alaunkarmin) behandelt Durch die Stammganglien
und die Hirnstiele wurden in Serien grosse Frontalschnitte gelegt, durch die
vordere Hälfte der Brücke und die Vierhügel ebenfalls Frontalschnitte, durch
die hintere Hälfte des Pons mit der angrenzenden Medulla oblongata in sagittaler
Richtung Durchschnitte vorgenommen; ferner wurde eine Reihe von Schnitten
durch die linke Kleinhirnhemisphäre gemacht.
Ich muss darauf verzichten, eine Beschreibung der einzelnen Schnitte der
ganzen Serie an dieser Stelle zu geben, bitte vielmehr in der schon erwähnten
Dissertationsschrift von Poly das Einschlägige nachzulesen. Hier kann es sich
nur um eine knappe Darstellung der Resultate der ganzen Untersuchung
handeln. Die histologisch äusserst interessante primäre Lungengeschwulst
stellte sich dar als ein adenomatöses Cylinderepitheliom, welches in seine Drüsen-
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räume hinein reichlich schleimige und colloide Massen absetzte. Die Hirn¬
tumoren stimmten mit der Langengeschwulst in jeder Beziehung überein.
Im Bückenmark war als einzig wichtiger Befund eine massige Atrophie der
Vorderhömer mit tbeilweisem Schwund der hier gelegenen Ganglienzellen im
Hals und Brustmark zu erheben. Im Allgemeinen waren die Markscheiden der
vorderen Wurzeln hier schwächer gefärbt als die hinteren. Degenerationen in
den weissen Fasersystemen fanden sioh nicht
Was die Verbreitung der Hauptgeschwulst im Gehirn betrifft, wie sie nach
Herstellung der mikroskopischen Präparate an den verschiedensten Durchschnitten
durch die befallenen Regionen sich darstellte, so ergab sich, dass die Neubildung
wesentlich im Haubenfeld des linken Hirnschenkels wuchs, von hier aus sich
nach vom, unterhalb und medial vom linken Thalamus opticus verbreitete, nach
hinten aber sich in die Haubenregion der Brücke und weiter in die linke
Kleinhirnhemisphäre vorschob, hier einen etwa kirschgrossen, oberflächlich ge¬
legenen Knoten erzeugend. Im linken Hirnschenkel wuchs die Neubildung
vorwiegend in der Haubenpartie desselben, diese nahezu völlig substitairend,
hatte aber auch die Substantia nigra zerstört und war auf die medialen Partieen
des Hirnschenkel fusses übergetreten (die Markscheidenfarbung im Hirnschenkel-
fuss war überhaupt vielfach mangelhaft); weiterhin griff die Neubildung, aber nur in
den hinteren Theilen der Himschenkel, auch auf das Haubenfeld des rechten
Hirnschenkels über, jedoch die lateralen Partieen der rechten Hirnschenkel¬
haube verschonend. Die Regio subthaiamica stellte das Hauptverbreitungs¬
gebiet der Geschwulst nach vorne dar. Zunächst traf man das Gewächs dicht
unterhalb des linken Thalamus, dann unterhalb und medial von dem¬
selben, ganz vorne jedoch durchaus medial vom Thalamus gelegen; es hatte
den Thalamus comprimirt und dementsprechend fanden sich Degenerationszonen
an der unteren und medialen Peripherie des Thalamus; besonders stark erschien
das Pulvinar betroffen. Die Capsula interna der linken Seite war gut erhalten,
insbesondere das Corpus striatum; auch der Linsenkern war nur in seinen
hinteren Abschnitten von unten her von der Geschwulst comprimirt, sonst aber
intact. Ueber den Thalamus opticus nach vom hinaus reichte die Geschwulst
nicht. Ich will noch anführen, dass die Radiatio occipito-thalamica und die
Radiatio temporo-thalamica intact gefunden wurden. In Sagittalschnitten
durch Brücke und verlängertes Mark fanden sich linkerseits hochgradige Faser¬
degenerationen, über deren Ausdehnung ich die Arbeit von Polt nachzulesen
bitte. Die Ganglienzellenpartieen der bekannten peripheren Facialiskeme waren
wohl erhalten.
Wenn ich schliesslich das Verhältniss der gefundenen pathologischen Ver¬
änderungen, welche die wachsende Geschwulst an den genannten wichtigen
Himteilen bewirkte, zu der BECHTEBEw’schen psycho-reflectorischen Fadalis-
bahn kurz berühren soll, so zeigte sich, dass auch in dem mitgetheilten Fall,
wie in früher von Anderen veröffentlichten, hauptsächlich die hinteren (und
medialen) Partieen des Thalamus pathologisch verändert waren; da jedoch zugleich
das Haubenfeld des linken Himschenkels und ein grosser Theil der Haubenregion
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— 150 —
der Brücke von der Geschwulst besetzt war, lässt sich in diesem Fall etwas
Sicheres über den Verlauf der fraglichen Bahnen im Thalamus selbst nicht
usagen. Ueber ihren Verlauf im Hirn Schenkel aber lässt sich eine Vermutung
aufstellen: denn, da der Patient klinisch an der linken Gesichtshälfte keine
Spur von willkürlicher und psycho-reflectorischer Faoialislähmung zeigte, die
Geschwulst aber, wie wir sahen, an einer Stelle von der Haube des linken auf
die des rechten Hirnschenkels übergegriffen hatte, in letzterer jedoch die
lateralen Partieen verschonte, so ist es erlaubt, anzunehmen, dass die frag¬
lichen BBOHTERBw’schen Bahnen in den lateralen Partieen der Himschenkel-
baoben verlaufen.
Die linkerseits gefundenen Degenerationen innerhalb der Faserbahnen der
Brücke und des verlängerten Markes Hessen sich, soweit es sich um dorsal
verlaufende Faserzüge handelte, mit einiger Berechtigung auf Degenerationen
sensibler Bahnen und eventuell der psycho-reflectorischen Faciaüsbahn
besehen, soweit es ach um ventral gelegene Züge handelte, auf Degeneration
motorischer Bahnen zurückführen, was ja auch mit der Erscheinung einer
Hemiplegie rechts bei dem Patienten harmonirt In der rechten Hälfte
des Pons bezw. der Medulla oblongata fanden sich fast normale Verhältnisse;
einige im unteren Theile der rechten Ponshälfte verlaufende Faserzüge,
welche nach dem rechten Facialiskern hin verUefen, waren vielleicht als
die, weiter oben in den Schnitten durch die linke Hälfte des Pons angetroffenen,
jetzt nach ihrer Kreuzung in der rechten unteren Ponshälfte erscheinenden und
hier mangelhafte Markscheidenfärbung aufweisenden Fasern für die willkür¬
liche Facialiserregung anzusehen; die mangelhafte Markscheidenfärbung wies
mf beginnende Degeneration auch in diesen Bahnen hin, was wiederum den
klinischen Erscheinungen einer geringfügigen Parese der willkürlichen Fa-
colisinnervation in unserem Fall entsprach.
5. Ueber angeborene Kurzlebigkeit einzelner Theile des
Nervensystems.
y
Von Dr. Adler in Breslau.
Im natürlichen Verlauf der Dinge beginnt das Parenchym der einzelnen
Korperorgane nach dem Erlöschen der Geschlechtsfunctionen mehr oder weniger
langsam zu atrophieren und an Stelle des untergehenden specifischen Gewebes
interstitielles Gewebe (Binde-GUa-Fettgewebe) zu treten. Sämmtüche Organe
weisen daher im Alter eine Verarmung an fnnctionstüchtiger Substanz und eine
Vermehrung des interstitiellen Gewebes auf, welch letztere sogar eine Ver-
gröeserung des senilen Organs (Prostatahypertrophie) bewirken kann.
Schreitet nun beispielsweise im Alter die Atrophie des Gehirns ungewöhnlich
nach fort, so entsteht das Bild des Altersblödsinns, beginnt dagegen diese
Gehirnatrophie ungewöhnlich früh, etwa schon in der Pubertätszeit, dann kommt
y Google
160
es zur Hebephrenie, dem Jugendblödsinn. Beide Krankheiten entstehen auf
dem Boden der nervösen Degeneration.
Während uns, da wir gewohnt sind, im Alter physiologisch die geistigen
Fähigkeiten abnehmen zu sehen, ein rascheres Fortschreiten und eine grössere
Intensität dieser Atrophie in einzelnen Fällen plausibel erscheint, gelangen wir
zu einem Verständniss der Entetehungsweise des Jugendblödsinns nur dann,
wenn wir uns im Gebiete anderweitiger Erkrankungen dee Nervensystems naoh
analogen Vorkommnissen umsehen. Und da bemerken wir, dass ein so früh¬
zeitiges Eingehen ganzer Abschnitte oder wenigstens einzelner functioneil zu¬
sammengehöriger Theile des Nervensystems keineswegs selten ist. Ich führe
hier an: die Hörödoataxie cöröbelleuse, welche naoh Ablauf der Wachs¬
thumsperiode, und die hereditäre (spinale) Ataxie, welche meist schon im
Pubertätsalter, manchmal aber bereits im ersten Lebensdecennium beginnt Man
muss sich vorstellen, dass hier ganze Organe oder Organtheile von Anfang an
mangelhaft insofern angelegt sind, als ihre Lebensdauer von vornherein zu kurz
bemessen ist, indem ihnen nur für eine abnorm kurze Zeit Lebenskraft zu-
ertheilt ist. Dieselbe reicht bei der Hebephrenie für das Assooiationssystem des
Grosshirns, bei der hereditären Ataxie für einzelne Rückenmarksstränge nur bis
zur Pubertätszeit aus, während bei der cerebellaren Ataxie die Lebensdauer des
Kleinhirns etwa der Länge der Wachsthumsperiode entspricht In ähnlicher
Weise denke ich mir die Entstehung vieler Fälle von progressiver Bulbär-
paralyse und der verschiedenen Formen der progressiven Muskelatrophie:
der neurotischen, ebenso wie der Dystrophia muscularis progressiva
und der spinalen Muskelatrophie; stets handelt es sioh um vorzeitiges, be¬
reits in der Anlage begründetes Zugrundegehen der Musculatur, wobei bald die
Vorderhörner des Rückenmarks, bezw. die motorischen Kerne der Oblongata,
bald die peripheren Nerven, bald die Muskelfasern selbst zu kurze Lebensdauer
auf den Weg mitbekommen haben. Dieselbe Aetiologie hat meiner Meinung
naoh meist auch die Paralysis agitans und die amyotrophische Lateral¬
sklerose, die Hemiatrophia facialis progressiva, bei der Mendel eine
chronische Neuritis im N. trigeminus naohgewiesen hat, endlich eine Anzahl
Fälle von spastischer Spinalparalyse, wie Steümpell zuerst erkannte, und
der bei Frauen in mittlerem Lebensalter besonders häufigen chronischen
Myelitis. Schliesslich dürften auch manche Fälle von Atrophie des
N. acusticus und opticus hierher zu rechnen sein.
Die mangelhafte Anlage einzelner Theile des Nervensystems in Bezug auf
ihre Lebensdauer stellt eine der schwereren Formen nervöser Degeneration
dar; warum in dem einen Falle dieses, im anderen jenes Gebiet betroffen ist,
entzieht sich vorläufig unserer Einsicht. Ich kenne beispielsweise eine Familie,
wo die Grossmutter an Paralysis agitans, die Mutter an Migräne nnd allgemeiner
Nervosität, die Tochter an hereditärer Ataxie leidet
Die vorstehenden Betrachtungen dürften in ätiologischer und prognostischer
Hinsicht von einigem Werth sein; in ätiologischer insofern, als sie die für ein¬
zelne der genannten Krankheiten vielfach als verantwortlich angeführten Momente
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161
der Erkältung, Ueberanstrengung und Gemütsbewegungen, deren grosse Be¬
deutung ich bei anderen Nervenkrankheiten durchaus nicht unterschätze, uns
entbehrlich machen, und in prognostischer Beziehung, als sie uns die Ohnmacht
unserer therapeutischen Bemühungen verständlich erscheinen lassen.
Uebrigens dürften auch im Gebiete der somatischen Krankheiten eine
Anzahl Formen der mangelhaften Anlage einzelner Organe in Bezug auf ihre
Lebensdauer ihre Entstehung verdanken.
Ich rechne hierher manche Fälle von Sklerose des Mittelohres, von
Lungenemphysem, Atrophie der Magen- und Darmschleimhaut,
diffuser Sklerodermie, Nierenschrumpfung, Arteriosklerose und
Arthritis deformans.
6. Ueber Appendicitis in „nervösen“ Familien.
Von Dr. Adler in Breslau.
In Nr. 44 der Deutschen medicin. Wochenschr. 1900 lenkt Sohauman die
Aufmerksamkeit auf die Beziehungen zwischen den allgemeinen Neurosen und
der Appendicitis. Er hat nämlich beobachtet, dass in 12 von 14 Familien, in
welchen mehrere Mitglieder an Appendicitis litten, Hysterie, Neurasthenie, Epi¬
lepsie und Geisteskrankheiten vorgekommen waren. Dies Zusammentreffen hält
er für kein zufälliges, vielmehr glaubt er, dass in derartigen Fällen die ner¬
vöse Diathese Verhältnisse (etwa Lage- oder Gestaltsveränderungen bez. gewisse
Eigenthümlichkeiten in der feineren Structur des Proc. vermiform.) schaffe, welche
die Entstehung einer Wurmfortsatzentzündung begünstigen.
Midi selbst veranlasste der Tod zweier mir bekannter Herren — Brüder —,
welche beide im besten Mannesalter, der eine an Appendicitis, der andere an
einem Duodenalgeschwür zu Grunde gingen, darüber nachzudenken, welche
Momente etwa ein familiäres Vorkommen solcher Darmkrankheiten herbeiführen
könnten.
Einen Fingerzeig glaubte ich gefunden zu haben, als ich von Kranken,
welche wegen Magenatonie in meiner Behandlung standen, bei der Aufnahme
der Anamnese erfuhr, dass einzelne ihrer Verwandten wiederholt an „Blinddarm¬
entzündung“ erkrankt gewesen seien.
So behandle ich gegenwärtig einen Herrn an Magenatonie, dessen Mutter
mehrfach Blinddarmentzündung gehabt hat Seine Schwester leidet an Epilepsie.
In einer anderen „nervösen“ Familie, in welcher viele Fälle von Erkrankung
an Neurosen und Psychosen zu meiner Kenntniss gelangt sind, leidet ein Mit¬
glied an Magenatonie, zwei Geschwisterkinder aber an recidivirender Appendicitis.
Ich kam daher auf den Gedanken, dass eine Insuffioienz der Darm-
museulatur — familiär oder auf nervöser Basis auftretend — es sei, welohe
eine Disposition für die Entstehung von Appendicitiden abgeben könne. Dieselbe
braucht nicht so stark zu sein, dass sie eine chronische Obstipation verursacht,
wird sich aber am Proc. vermiformis unter Umständen insofern bemerklioh
li
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Google
162
machen, als sie den Wiederaustritt hineingelangten Danninhalts verzögern und
so zur Entstehung von Kothsteinen Anlass geben kann. Bei der Entstehung
eines peptischen Duodenalgeschwürs aber durfte eine musoulärePylorus-
insufficienz das begünstigende Moment darstellen.
n. Referat«.
Anatomie.
1) Zur Histologie des Kleinhirns der Petromyzonten, von Prof. A. Sch aper
in Boston. (Anatom. Anzeiger. 1899.)
Verf. hat an einem 11,5 cm langen Petromyzon flnviatilis das Kleinhirn
(allerdings nur mit Boraxcarminfarbung) untersucht und im Gegensatz zu den
früheren Forschern, welche in der als Kleinhirn bezeichneten Querlamelle nur eine
Commissur zu sehen glaubten, gefunden, dass neben einer Ependymschicht eine
Körnerschicht, Schicht der Purkinje’schen Zellen und eine Molecularschicht vor¬
handen ist Durch die Golgi- und vitale Methylenblaumethode hofft er auch
die Fortsätze nachweisen zu können. Das Cerebellum der Petromyzonten ist somit
den Kleinhirnen der übrigen Vertebraten gleichwertig.
H. Gessner (Berlin).
2) Der heutige Stand unserer Kenntnisse von den anatomischen Be¬
stehungen des Kleinhirns nun übrigen Nervensystem und die Bedeutung
derselben für das Verst&ndniss der Symptomatologie und für die Dia¬
gnose der Kleinhirnerkrankungen, von Bruns. (Berliner klin. Wochen¬
schrift. 1900. Nr. 26 u. 27.)
Verf. nimmt im Kleinhirn einen spinobulbäroerebellaren Reflexbogen an, der
in automatischer Weise für die Erhaltung des Gleichgewichts sorgt. In Ver¬
bindung mit diesem steht ein cerebellocerebraler Reflexbogen, durch den das
Grosshim controlirend auf die Thätigkeit des automatischen Gleichgewichtscentrums
im Kleinhirn einwirken kann. Ausserdem hat das Kleinhirn noch einen gewissen
Einfluss auf die Reize, die auf der Bahn von der motorischen Hirnrinde zu den
Muskeln laufen. — Die Symptome hei Erkrankungen des Kleinhirns sind 1. die
cerebellare Ataxie, 2. Schwindel, 3. Veränderungen in der Stellung der Augen-
axen und Nystagmus, 4. Schwäche der Körpermusculatur. Verf. bringt in geist¬
reicher und bestechender Weise die Symptomatologie der Kleinhirnerkrankungen
in Einklang mit seinen Anschauungen von der Physiologie und Anatomie des
Oerebellums. Drei schematische Zeichnungen, die Bruce entnommen sind, dienen
zur Erläuterung dieser schwierigen Verhältnisse.
Bielschowsky (Breslau).
Experimentelle Physiologie.
3) La göographie psyohologique du manteau oöröbral et la dootrine de
Flechsig, par L. Bianchi. (Rev. de psychol. clin. et thärap. 1900. Juni-
August.)
Eine theoretische, geistreich geschriebene Betrachtung über die Flechsig’sche
Lehre. In den ersten Abschnitten bemüht sich Verf., auf psychologischem Wege
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163
die zahlreichen aseociativen Elemente auch in den sogen. Projectionsfeldem nach-
zuweisen, und kommt zu dem Ergebniss, dass dieselben in den Functionen der
letzteren Regionen eine solche Rolle spielen, dass ihr gegenüber die Bedeutung
der eigentlichen „Associationsfelder“ erheblich verliert. Ja er stellt den Satz auf,
da» die „Associationsfelder“ Flechsig’s zum Theil nichts als Perceptions-, also
Projectionsfelder auf einer höheren Entwickelungsstufe sind. — Im zweiten Theile
geht Verf. auf den Stirnlappen ein, und erörtert seine Bedeutung als Hemmungs¬
oder Aufmerks&mkeitaorgan — Erklärungen, die er verwirft —, wie als Organ
dar höchsten moralischen und socialen Functionen des Menschen.
H. Haenel (Dresden).
4) Ueber die Ausdehnung der Sinnessphären ln der Groeshirnrinde , von
Hermann Munk. (Sitzungsber. der Kgl. preuss. Akademie d. Wissenschaften.
14. Dec. 1899. 19. Juli 1900.)
Verf. wendet sich zuerst gegen die beiden Autoren, die seine Lehre von den
Sinnessphären angegriffen haben: Luciani, der die scharfe Begrenzung derselben,
und Flechsig, der die vollständige Ausfüllung der Himoberfläche durch die¬
selben, bestritten hatte. Was den ersteren Punkt betrifft, so hat er durch ezacte
Wiederholungen zahlreicher früherer Versuche, bei denen er vor Allem auf genaue
Einhaltung der früher festgelegten Grenzen der einzelnen Sphären Bowie auf die
Vermeidung von Nebenwirkungen Werth legte, den Beweis erhalten, dass eine
Läsion, die sich ausschliesslich auf eine Sinnessphäre beschränkt, nur Störungen
auf dem betreffenden Sinnesgebiete macht, dasB bei Verletzung der Occipitalregion
alle Störungen des Gefühls oder der Beweglichkeit der Extremitäten fehlen und
umgekehrt bei Verletzung der Fühlsphäre solche des Gesichts, u. a. „Ueber die
vordere Sehsphärengrenze, bezüglich deren Lage meine Angabe Bewährung fand,
schiebt sich eine andere Sinnessphäre nicht in die Sehsphäre hinein.“ — Eingehend
auf die Ansicht Flechsig’s, dass es Rindengebiete gebe, die keine Sinnessphäre
seien, hat Verf. ein Gebiet einer genaueren Untersuchung unterworfen, das bis
d&hin als „functionslos“ im obigen Sinne galt: das ist die Rinde des Gyrus an¬
gularis beim Affen, und die entsprechende, zwischen Extremitäten- und Kopfregion
einerseits und der Sehsphäre andererseits gelegene Rinde beim Hunde, früher als
Stelle F bezeichnet. Als Folge der einseitigen Exstirpation dieser Rindenpartie
ergab sich eine Herabsetzung der Empfindlichkeit des gegenseitigen Auges (leich¬
teres Thränen desselben) und als Folge der beiderseitigen Exstirpation die Un¬
fähigkeit, die oberen Augenlider so hoch wie normal zu heben, ferner normal zu
fixiren und die Lage der Objecte in der Tiefe des Gesichtsfeldes zu erkennen.
Die letztere Störung liess sich mit grosser Deutlichkeit erkennen aus Fehlern und
veränderten Bewegungscoordinationen, die der operirte Affe beim Aufsuchen und
■peciell Ergreifen seiner Nahrung darbot. Diese Störungen waren am Auge der
Art nach durchaus entsprechend den Gefühls- und Bewegungsstörungen, die nach
Exstirpation der Extremitätenregion an Arm und Bein sioh finden; sie geben
daher die Rinde des Gyrus angularis beim Affen und die Stelle F beim Hunde
gleichfalls als eine Region der Fühlsphäre zu erkennen, nämlich die Augenregion.
Der Inhalt der zweiten Mittheiluug ist ebenfalls zum Theil polemischer
Natur, und hat den Zweck, die bestrittene Ansicht des Verf.’s, dass im Stirn-
Iappen des Hundes und Affen die Fühlsphäre des Rumpfes einschliesslich der für die
Athenobewegungen zu suchen sei, zu stützen. Er weist darauf hin, dass in den
Versuchen anderer Autoren Rumpfbewegungen, die durch Schulter- und Becken-,
Extremitätenmuskeln, und solche, die durch Rumpfmuskeln im eigentlichen
Sinne zu Stande kommen, nicht genügend auseinander gehalten sind. Theils aus
ifa ym Grunde, theils weil die Beobachtung der operirten Thiere nicht genügend
11 *
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164
lange fortgesetzt wurde oder auch Verletzungen benachbarter, anderswerthiger
Rindengebiete stattgefunden hatten, werden besonders die Angaben von Horsley
und Schäfer, die ein Rumpfcentrum im Gyrus marginalis gefunden haben wollten,
für irrthümlich erklärt. Als Ergänzung früherer Reizversuche am Stirnlappen
führte nun Verf. neuerdings ein- und doppelseitige Exstirpationen desselben aus,
die seine früheren Ansichten bestätigten. Die Ausfallserscheinungen nach diesen
Operationen waren subtilerer Art, aber doch unzweifelhafte; der einseitig operirte
Hund führte freiwillig heim Laufen kurze Drehungen nur nach der der operirten
gleichnamigen Seite aus, nach der anderen nur solche im grösseren Bogen. Zu
kurzer Wendung experimentell bewogen, führte er dieselbe zwar auch nach der
gestörten Seite hin aus, aber mehr „zeigerartig“, durch Drehung im Becken.
Beim Affen trat nach doppelseitiger Stirnlappenexstirpation eine vermehrte
Krümmung der Wirbelsäule beim Sitzen au£ so dass die Kniee in den Achsel¬
höhlen, das Kinn dicht über den Knieen ruhte — die schon früher beobachtete
sogen. Katzenbuckelstellung des Hundes nach der gleichen Operation war ein
analoger Befund —; ferner eine Gleichgewichtsstörung derart, dass das Thier
heim Sitzen häufig die Beine, schräg nach oben gestreckt, mit den Sohlenfi&chen
gegen die Wand stützte und den Rumpf und Kopf auf der so gebildeten schiefen
Ebene ruhen liess (vom Verf. „Faltstellung 14 genannt). Dabei wurde noch häufig
der Rumpf mit einem aufgestemmten Arm seitlich gestützt, und trotzdem trat
noch gelegentlich eine langsame Neigung des Rumpfes nach der Seite auf, die
zu wiederholtem Zurechtrücken nöthigte. Während der normale Affe gern und
häufig in Frontalstellung auf der Stange sitzt, nahm der stirnlappenlose nach
seiner Wiederherstellung noch Jahre lang regelmässig die Seitenstellung (Sagittal-
ebene parallel der Längsachse der Stange) ein, als diejenige, bei der das Gleich¬
gewicht leichter aufrecht zu erhalten ist. Ueberhaupt waren die beschriebenen
Ausfallserscheinungen sämmtlich von langer Dauer, zum grössten Theil irreparabel.
Die Stimlappenrinde stellt also die Rumpfregion dar.
H. Haenel (Dresden).
6) Hughlinga Jackson und die motorischen Bindenoentren im Lichte
physiologischer Forschung, von E. Hitzig. Seeond Hughlings Jackson
Lecture. (Berlin 1901.)
Der erste Theil dieser in grossen Umrisslinien gezeichneten Schrift giebt
eine Schilderung des wissenschaftlichen Entwickelungsganges von Hughlings
Jackson. Als das bleibend Werthvolle seiner Lehre wird die Darstellung von
den corticalen Krämpfen hervorgehoben, ebensowohl, was das allgemeine Princip
von der Ladung und der auf nachbarliche Gebiete übergreifenden Entladung der
Rinde angeht, als auch die Feststellung derjenigen Muskeln, in denen der corti-
cale Krampf zu beginnen pflegt, und der Reihenfolge, in der sie bei verschieden¬
artigem Beginn von dem Krampfe befallen werden. Ebenso hat sich seine An¬
schauung von der corticalen Combination von Bewegung und Empfindung im
Princip als richtig erwiesen, desgleichen diejenige von dem Verhältniss der sub-
corticalen Gebilde zu den cerebralen Mechanismen, obgleich letztere auf irrthüm-
lichen anatomischen und physiologischen Voraussetzungen beruhte.
Im zweiten Theil wird eine historisch-kritische Betrachtung über die Ent¬
wickelung der Lehre von den Rindencentren überhaupt gegeben, wozu ja Niemand
berufener erscheinen kann als der Verf. Es werden dabei zwei Fragen auf¬
geworfen: 1. ob die Gesammtsumme unserer Erfahrung zu der Annahme von
Centren in der Hirnrinde überhaupt berechtigt, und 2. in welcher Weise solohe
Centren etwa fimetioniren möchten. Die erste Frage ist von der Forschung der
letzten 30 Jahre im Wesentlichen bejaht worden. Gegen Goltz, den hauptsäch-
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lichsten Vertreter der Gegner der Localisationslehre, werden einmal die Ergebnisse
▼on Reiz versuchen (Verschiedenheit des Effects bei Reizung der weissen oder der
grauen Substanz, Auftreten der negativen Schwankung bestimmter Bahnen im
Rückenmark nur bei Reizung dee entsprechenden Centrums und umgekehrt) ins
Feld geführt, ferner auf die zum Studium der Localisation ungeeignete Methode
von Goltz (Massenhaftigkeit der gesetzten Zerstörungen) hingewiesen. Ebenso wird
die Lehre von Luciani von einer Uebereinanderlagerung der einzelnen Centren
als nicht zutreffend zurückgewiesen; der Irrthum entstand ebenfalls durch Nicht¬
beachtung der Regel, bei den vorliegenden Fragen stets die Methode der mini¬
malsten Zerstörungen anzuwenden. — Bei der Erörterung über die Frage nach
der Function der Centren erinnert Verf. daran, dass schon bei den ersten grund¬
legenden ExstirpationBversuchen die Störung dahin charakterisirt worden war, dass
die operirten Thiere nur ein mangelhaftes Bewusstsein von den Zustanden ihrer
Glieder hatten, und dass ihnen die Fähigkeit, Bich vollkommene Vorstellungen
über diese Glieder zu bilden, abhanden gekommen war. Die Erweiterung der
Kenntnisse führte nun zu verschiedenen anderen Theorieen: Ferrier, als haupt¬
sächlichster Vertreter der motorischen Theorie, bestritt das Vorkommen irgend¬
welcher Anästhesieen bei streng corticalen Läsionen und führte alle beobachteten
Ausfallserscheinungen auf motorische Defecte zurück. Demgegenüber haben vor
Allem Munk, Mott, v. Bechterew, in etwas abweichenderWeise auch Schiff
die Existenz verschiedenartiger Sensibilitätsstörungen nach Rindenläsionen ebenso
entschieden betont; letzterer behauptete von Anfang an, dass die genannte Zer¬
störung keinerlei motorische Lähmung hervorrufe, und st imm t zum Schluss seiner
Arbeiten mit der ursprünglichen Auffassung Hitzig’s von der Störung des Lage¬
bewusstseins völlig überein, so entschiedener Gegner der Localisationslehre er
anfangs war. Munk gegenüber, der von Anfang an für strengste Localisation
der corticalen Functionen eingetreten war, aber die Ansicht vertritt, dass sämmt-
liche Gefühle und Gefühlsvorstellungen in den entsprechenden Theilen seiner
„Fühlsphäre“ vertreten sind, wird betont, dass, wenigstens beim Hunde, nur die
bewusste Verarbeitung der sämmtlichen subcortical entstehenden Gefühle zu mehr
oder minder localisirten Gefühlsvorstellungen in den Extremitätenregionen vor
sich geht. Bezüglich der Art und Weise der Function seiner „motorischen
Centren“ fasst Verf. seine Ansicht dahin zusammen, dass die anderweitigen Vor¬
stellungen des Thieres, deren Gesammtheit man als seinen Willen zu bezeichnen
pflegt, auf welchem Sinnesgebiet immer sie auch entstanden sein mögen, nicht
mehr im Stande sind, die zur Ausführung des Willens erforderlichen Bewegungen
anxuregen, sobald das genannte Centrum ausgeschaltet ist. — Ueber das Ver-
hältniss des Gyros sigmoideus zum Sehvermögen, wie über die Frage nach der
Restitution scheinbar verloren gegangener Rindenfunctionen hält sich Verf. im
Wesentlichen an seine im vorigen Jahre in Paris und Halle vorgetragenen, zum
Theil aus neueren Experimenten gewonnenen Anschauungen, auf die hier verwiesen
werden kann. Ais Resultat des Ganzen tritt die Thatsache hervor, dass die
Wissenschaft drei Jahrzehnte nach den ersten klassischen Untersuchungen Hitzig’s
■eine Lehre in keinem wesentlichen Punkte hat erschüttern können.
H. Haenel (Dresden).
Pathologische Anatomie.
6) Congenitale Aplasie dee Kleinhirne bei einem Hunde. Mikroekopieoher
Untersuchungsbefund, von Deganello und Spangaro. (Arch. ital. de
Biolog. XXXII. S. 165.)
Die Autopsie des in klinischer Beziehung in Bd. XXX d. Arch. ital. de
Biolog. durch Stefani beschriebenen Hundes ergab ein um mehr als die Hälfte
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im Gewicht zurückgebliebenes Kleinhirn; die äussere Gonfiguration war nicht ver¬
ändert, nur fühlte sich das Cerebellum derber an als ein vollentwickeltes.
Histologisch fand sich eine erhebliche Verminderung in der Dicke der
Molecularsohicht, eine auffällig geringe Zahl der Zellen in der Körnerschicht, eine
unvollständige Entwickelung der Purkin je'sehen Zellen bezüglich der Form und
das Vorhandensein von Zellen der Granularschicht zwischen den Purkinje’schen
Zellen; das Gesammtbild entsprach dem Zustande im embryonalen Leben, so dass
eine EntwickelungBhemmung angenommen wird. Ausser den erwähnten keine
Veränderungen im Kleinhirn und in den übrigen Theilen des Nervensystems,
speciell auch nicht in der Oblongata. Geelvink (Herzberge).
7) Befände bei einseitiger Kleinhirnataxie mit gekrauster Lähmung, von
Anton. (Jahrbücher f. Psych. 1900. XIX. S. 309.)
55jähr. Arbeiter wird plötzlich von Schwäche und Zittern in den unteren
Gliedmaassen befallen; zugleich Schwindel, Schwarzwerden vor den Augen. Bei
der Aufnahme (August 1895) linksseitige Hemiparese. Sensibilität links hoch¬
gradig gestört. Linksseitige Hemianopie. Pupillen gleich, auf Licht träge
reagirend. Patellarsehnenreflex links kaum auslösbar. In den nächsten Wochen
allmähliche Besserung der Erscheinungen. Am 20. Dec. heftiges Erbrechen; die
Sprache wurde lallend und näselnd; eine besondere Zunahme der linksseitigen
Lähmungserscheinungen war nicht zu constatiren, dafür bedeutende Ataxie in den
rechten Extremitäten. Schlingbeschwerden. Schwanken beim Aufrechtstehen. In
der Folge blieben die rechtsseitigen Gliedmaassen dauernd ataktisch, ohne Lähmungs¬
erscheinungen zu bieten (Dynamometer!), die linksseitigen paretisch. Hechts traten
auch Zwangsbewegungen auf, die Sehnenreflexe rechts nicht auslösbar, links
deutlich. Sprache blieb mangelhaft; auffallend wenig Mienenspiel. Pupillen links
weiter als rechts, beide sehr träge reagirend. Hörvermögen links fast erloschen.
Dauernde Incontinentia urinae. Das Mienenspiel ging später ganz verloren, die
Pupillen wurden lichtstarr, auf Accommodation noch immer sich bewegend. Am
13. März 1896 Exitus.
Makroskopisch: Thrombose der rechten Arteria cerebri profunde und oerebelli
superior. Erweichungen und Hesorptionen an der medialen Seite des rechten
Schläfelappens und in der rechten Kleinhirnhälfte. ‘
Eine ungemein sorgfältige histologische Untersuchung (Weigert-Pal-
Marchi) ergab viele interessante Einzelheiten, als deren wichtigste folgende
hervorgehoben seien: Im Grosshim waren erweioht Theile des Gyr. hippocampi,
occipitalis und temporalis IV, dann die untere Partie der Caloarina. Secund&re
Degeneration des grössten Theiles vom Fornix. Im Gehirnstamme waren erweioht
der hintere Sohenkel der inneren Kapsel, der innere Kniehöoker ganz, der äussere
theilweise; secundäre Degeneration der Pyramiden und der Verbindung des
Schläfelappens mit dem Kleinhirn (gekreuzt). Secundäre Degeneration der lateralen
Ventrikelwand des Temporallappens, des Fasciculus longitudinalis inferior und des
Türck’schen Bündels (1. Schläfenwindung, Convexität). Erweicht waren ferner
die ventralen und lateralen Sehhügelantheile, der Lobus quadratus cerebelli dexter,
der Bindearm bis auf die Haubenregion. Secundäre Degeneration des rechten
Bindearmes, der mittleren und äusseren Partieen des Corpus restiforme, der inneren
und äusseren Bogenfasern, des Tr actus oerebello-olivaris. Kleinhirn seite nstrang
rechts bedeutend, links weniger degenerirt. Die seitliche Bandzone rechte, weniger
links, gleichfalls degenerirt. Endlich deutliche Veränderungen der Clarke'sehen
Säulen reohts. (8 dem Texte beigegebene Abbildungen veranschaulichen diese
Befunde.)
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Die linksseitige Lähmung entspricht der Pyramidenlfision, die Sensibilitäte¬
st« rang der Degeneration im hinteren Schenkel der Capsula interna, die Hemiopie
der Erweichung im Kniehäcker mit folgender Degeneration des lateralen Tractus
opticus. Die Unterbrechung der Sti-ahlungen zum rechten Schläfenlappen lässt
die (gekreuzte) Taubheit als centrale erscheinen. Die rechtsseitige Ataxie muse
mit der Kleinhirnerkrankung in Zusammenhang gebracht werden, ln der rechten
Rüekenmarkshälfte findet sich als anatomisches Substrat die Degeneration in der
Randzone, welche viererlei Bahnen enthielte: absteigende und aufsteigende von
und zu der gleichseitigen Kleinhirnhälfte, ebenso, nur in geringerem Maasse, für
die contralaterale. Der Verlust der Sehnenreflexe wäre mit den Veränderungen
der Clarke'sehen Säulen in Zusammenhang zu bringen. Dass die Symptome der
Kleinhirnläsion keine Compensation erfahren konnten, erklärt sioh aus der vorher¬
gehenden Erweichung im Gebiete der Art. cerebri posterior.
Pilcz (Wien).
Pathologie des Nervensystems.
8) Aphasie, hömiplögie, apoplexle suite d’hdxnorrhagie gaatrique. Autopsie,
par L. Bouveret. (Revue de Mödecine. 1899. S. 81.)
Im unmittelbaren Anschluss an eine sehr starke Magenblutung (bedingt durch
ein Ulcus ventriculi) trat bei einem 68jähr. Manne vollständige Aphasie, verbunden
mit geringer rechtsseitiger Hemiparesis, auf. Wenige Tage später zeigte sich
unter ausgesprochenem apoplektischen Insult eine totale rechtsseitige Hemiplegie.
Nach mehrständigem Koma starb der Kranke. Die Seotion zeigte im Gehirn
weder eine Erweichung, noch eine Blutung, wohl aber ein sehr auffallendes
beiderseitiges Gehirnödem. Strümpell (Erlangen).
8) lieber Aphasie (eine musikalisch-psychologische Studie), von Butter-
saok. (Charite-Annalen. 1900. XXV.)
42jähr. Arbeiter hat im Juni 1899 eine Apoplexie erlitten, die zu rechts¬
seitiger spastischer Hemiplegie und Aphasie geführt hat. Bei der Aufnahme im
April 1900 wird eine spastische rechtsseitige Lähmung mit Beteiligung des
unteren Facialis und lebhaften Reflexen, sowie Hypästhesie der rechten Seite
oonstaiirt. Spontansprechen zunächst fast völlig aufgehoben, dagegen vermag
Pst eine Menge verschiedener Lieder mit Text gut zu singen, von einer Zahl
anderer singt er die Melodie richtig, aber nur auf den Text „la, la“, dabei wird
aber einigen Tönen bezw. Tonfiguren das riohtige Textwort untergelegt Den
Text ohne Melodie vermag er nicht herzusagen. In der Zeit seines Aufenthaltes
in der Klinik lernte er einige alltägliche Phrasen hinzu, Rechenvermögen sohien
aufgehoben. Lese- und Schreibvermögen desgleichen, ebenso auch Leseverständniss.
Mimik sehr lebhaft und besonders auch beim Singen entsprechend dem Text
deutlich differenzirt. Verf. knüpft an diese Beobachtung eine Reihe psychologischer
Betrachtungen, deren Wiedergabe sioh dem Referat entzieht, auf deren Leotüre
im Original daher hier zu verweisen ist. Martin Blooh (Berlin).
10) Etüde sur les paraphasies, par A. Pitres. (Revue de MSdecine. 1899.
S. 337. S. 442. S. 508.)
Nach einer kurzen einleitenden Uebersioht über die geschichtliche Entwicke¬
lung des Begriffes der Paraphasie beriohtet Verf. in ausführlicher Weise über
sechs eigene einschlägige Beobachtungen. Die an interessanten Details reichen
Krankengeschichten eignen sich nioht zu einem kurzen Auszuge. Im 1. Falle
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handelte ee sich am Paraphasie beim spontanen Sprechen, bei der Benennung von
Gegenständen und beim ßecitiren. Nachsprechen gnt. Paralexia beim lauten
Lesen, leises Lesen normal. Paragraphie beim Spontansohreiben and beim Dictat-
sohreiben. Abschreiben gat Kopfrechnen ebenfalls gut. Keine gleichzeitige
Hemiplegie, aber linksseitige Hemianopsie. — Im 2. Falle bestand ebenfalls
Paraphasie ohne Worttaubheit. Nachsprechen ebenfalls gestört. — Im 3. Falle
war die Paraphasie vereinigt mit starker Störung des Nachsprechens. Gleich¬
zeitige Paragraphie, aber erhaltene Fähigkeit des Zeichnens. — Der 4. Fall bot
Paraphasie im Verein mit starker Paralexie dar, während das Dictatschreiben
ganz leidlich von statten ging. — Im 6. Falle war die Paraphasie mit starker
Paragraphie verbanden, während das laute Lesen nur wenig gestört war. Ab¬
schreiben correot, Nachsprechen unvollkommen. — Im 6. Falle endlich bestand
Paraphasie, schlechtes Benennen der Gegenstände, Naohsprechen nur bei einsilbigen
Wörtern gut, lautes Lesen gestört, Spontanschreiben fast ganz unmöglich, Dictat¬
schreiben schlecht, Nachschreiben gut Zahlenschrift erheblich besser als Buch¬
stabenschrift.
Im Anschluss an diese Beobachtungen bespricht Verf. den Symptomencomplex
der Paraphasie in eingehender Weise, ohne wesentlich Neues zu bringen. An
die Paraphasie schliesst sich oft in wechselnder Combination die Paralexie und
die Paragraphie an. Den Sohluss des Aufsatzes bildet die theoretische Erörterung
der Entstehung und des Wesens aller dieser Störungen. Die Theorieen von
Cordat, Kussmaul und Wernicke wurden als unzureichend zurückgewiesen.
Pat selbst hält die Paraphasie für eine complioirte Erscheinung. Wesentlich ist
eine „Disharmonie in dem Spiele der Erregungen zwischen Vorstellungen und
Bewegungen“. Dazu gesellen sich oft noch hinzu „Störungen oder vollständige
Unterbrechung der Associationswege, welche die einzelnen receptiven und moto¬
rischen Sprach- bezw. Schriftcentra mit einander verbinden“. Diese allgemeinen
Sätze werden im Einzelnen für alle die verschiedenen Formen der Paraphasie
näher ausgeführt. (Dem Ref. ist aufgefallen, dass Verf. die interessanteste Er¬
scheinung der Paraphasie, nämlich den grossen Einfluss lautlicher oder begriff¬
licher Associationen, so gut wie gar nicht hervorhebt.)
Strümpell (Erlangen).
II) Case of total aphasia and right hemiplegla in a pattent, who had
previously lost hls left arm by aooldent, by John Henderson. (Glasgow
Medical Journ. 1900. Dec.)
Nur das eigentümliche Zusammentreffen einer rechtsseitigen Hemiplegie bei
einem Menschen, der vorher Beinen linken Arm verloren hatte, und die in Folge
der Hemiplegie erzeugte absolute Haltlosigkeit veranlasst« den Verf., den Fall
mitzutheilen. 44jähr. Mann hatte vor 6 Jahren den linken Arm in Folge eines
Unfalles verloren. 3 Jahre später war er zum Potator geworden. Ee trat ohne
Vorboten eine apoplektisch einsetzende Aphasie, begleitet von einer vollständigen
Hemiparalysis dextra, auf. Ausserdem rechtsseitige Hemianalgesie, Steigerung der
Sehnenreflexe und Fehlen der Hautreflexe auf der rechten Seite. Absolute moto¬
rische und etwas weniger ausgeprägte sensorische Aphasie, Alexie und Agraphie.
Nach einigen Monaten geringe Abmagerung der rechten oberen Extremität. Verf.
nimmt einen thrombotischen Process mit folgender Erweichung an.
P. Sohuster (Berlin).
12) Revue gönörale sur l’agnosie, oöcitö psyohique, par Ed. Claparöde.
(Annöe psychol. 1900. VI.)
Die Arbeit stützt sich auf das Studium von 177, meist deutschen, Veröffent¬
lichungen über das genannte Thema, die im Anhang, jede mit kurzer Inhalts-
Diqitiz!
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ingabe, zusammengestellt sind. Verf. unterscheidet Störungen der primären
Identification (primäre Agnosie) von solchen der secundären Identification (Asym¬
bolie). Die Diagnose der letzteren hat zur Voraussetzung, dass Störungen der
erstgenannten Art fehlen. Voraussetzung für das Bestehen einer Agnosie über¬
haupt ist das Ausschliessen einfacher Rindenblindheit, d. h. von groben Sensi¬
bilitätsstörungen optischer Art. — Primäre Agnosie liegt vor, wenn der Farben¬
sinn gestört ist (Unmöglichkeit verwandte Farben auszusucben, die Farbe des
Blutes, des Grases aufzufinden), der Formensinn — bei dem motorische bezw.
kiojuthetische Elemente eine Rolle spielen — (Erkennen der Aehnlichkeit geo¬
metrischer Figuren u. s. w.), die Tiefenlocalisation, die Erkennung der Form durch
Betasten (unter bestimmten Umständen) Störungen aufweisen. — Unter Asymbolie
wird der Verlust des intellectuellen Wiedererkennens im Gegensatz zum ersteren,
dem sensoriellen Wiedererkennen, verstanden. Verf. weist auf die schon von
früheren Autoren gemachte Bemerkung hin, dass die Seelenblindheit ihren Grund
häufig nicht sowohl in dem Verlust der optischen Gedächtnissbilder hat, als in
der Unmöglichkeit, dieselben mit den gewohnten Associationen aus den anderen
Sinnesgebieten in Verbindung zu setzen; sie beruht deshalb nach Lissauer
hauptsächlich auf einer Verletzung der langen Associationsbahnen. Wenn es
trotzdem asymbolische Kranke giebt, bei denen die optische Erinnerung gestört
ist, so spricht das nicht gegen die genannte Auffassung. Verf. betont ferner die
Rolle, die gewohnten Körperhaltungen, kinästhetische Erinnerungsbilder, die
„Empfindung des Schon-gesehen-habens“ (Sentiment du döjä-vu) spielen, geht auf
die Ursachen ein, die zum Verlust des Orientirungsvermögens führen (derselbe
kann sich bis auf die Unmöglichkeit, sich am eigenen Körper zurechtzufinden,
ausdehnen); sowie auf die Unterscheidung zwischen motorischer und sensorischer
Asymbolie. Die Störungen der Sprache zieht er nur insoweit in den Kreis seines
Berichts, als sie mit dem Hauptthema in näherer Beziehung stehen (optische
Aphasie Freund’s). Die Bedeutung des Symptoms des Haftenbleibens (W ernicke)
wird nach Gebühr gewürdigt und hingewiesen auf die Einflüsse, die u. a. emotio¬
nelle und Willenseinflüsse auf das Zustandekommen oder Fehlen der Agnosie
ausüben können. Wichtig und instructiv ist ein Untersuohungsplan, den Verf.
am Schluss seiner mehr systematisirenden und ordnenden als referirenden Arbeit
giebt, und der als Leitfaden für künftige Untersuchungen entsprechender Fälle
gute Dienste leisten kann. H. Haenel (Dresden).
13) Un oas de cöoitö verbale pure, par Dr. Rap in. (Revue mödicale de la
Suisse rom. 1900. Nr. 12.)
39jähriger Mann; seit vielen Jahren Herzfehler. Schwächeanfall ohne Be-
wusstseinsverlust, Brechen oder Convulsionen; am folgenden Tage Unfähigkeit zu
sprechen, rechtsseitige Hemiplegie und Anästhesie; Diplopie; darauf die Erschei¬
nungen der Paraphasie. Sprachfähigkeit stellt sich langsam wieder ein; auch
das Bein erhält wieder eine geringe Beweglichkeit Etwa 14 Tage nach dem
Anfalle bemerkte Pat., dass er unfähig sei zu lesen, er unterschied die einzelnen
Buchstaben, verstand aber nicht deren Bedeutung. Das Spontanschreiben (mit
der linken Hand) ist erhalten, ebenso das Dictatschreiben, während das Copiren
unmöglich ist. Figuren, Zeichnungen u. 8. w. werden richtig aufgefasst. Es be¬
steht ferner rechtsseitige Amblyopie mit concentrisoher Einengung des Gesichts¬
feldes und laterale, homonyme Hemianopsie mit Dyschromatopsie. Die Erinnerungs¬
fähigkeit für Vorkommnisse jüngeren Datums ist hochgradig herabgesetzt; 3 / 4 Jahre
später besteht immer noch Alexie und totale Hemianästhesie, während Arm und
Bein ziemlich gut bewegt werden können. H. Wille (St. Pirminsberg).
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14) L’öoriture en miroir, p&r Ballet et Sollier (Paris). Internat. Congress.
(Progres mödical. 1900. Nr. 32.)
Ballet berichtet von einem linkshändigen Mädchen, das im Alter von einem
halben Jahre von selbst ohne Aufforderung in Spiegelschrift mit der linken Hand
schrieb und erst später durch Erziehung und Unterricht mit rechter Hand normal
schrieb. Er findet in seiner Beobachtung eine Stütze für die Behauptung von
Carl Vogt, dass ein Linkshändiger von Geburt aus normaler Weise Spiegel¬
schrift schreibt.
Sollier berichtet von einem ähnlichen Falle und von seinen experimentellen
Studien bei Hysterie. Adolf PasBow (Meiningen).
10) Aphasie motrioe pure saus agraphie, par Ladame (Genf). Internat.
Congre88. (Progrds medical. 1900. Nr. 32.)
Nach dem Verf. muss man unterscheiden zwischen Aphasieen und Anarthrieen;
letztere beruhen auf Verletzungen der Projectionsneurone, welche die motorischen
Fasern der Phonation bilden. Die Aphasieen sind aber andererseits auf Storungen
der intracorticalen, intercorticalen und transcorticalen Associationsneurone zurück-
zuführen. Bei der reinen motorischen Aphasie ohne Agraphie sind nun die Asbo-
ciationsneurone, die das Broca’sche Centrum mit den phonetischen Centren der
Centralwindungen in beiden GrosshirnhemiSphären verbinden, zerstört, während
die Associationswege zwischen dem Broca’schen Centrum und dem motorischen
Schreibcentrum intact sind.
Bei der reinen motorischen Aphasie legt Verf. den Hauptwerth auf den
vollständigen Mutismus, den völligen Verlust jedes Wortes, während bei der ge¬
wöhnlichen motorischen Aphasie stets wenigstens Silben oder halbe Worte, auch
wohl Phrasen noch vorhanden sind. Differentialdiagnostisch ist auf Hysterie und
Simulation von Mutismus zu achten. Adolf Passow (Meiningen).
16) La surditö verbale, par Thomas. (La Parole. 1900.)
Die sehr lesenswerthe Arbeit erörtert in klarer und übersichtlicher Weise
den jetzigen Stand der Lehre von der Worttaubheit mit besonderer Rücksicht
auf die reine Worttaubheit (Lichtheim’s sensorische subcorticale Aphasie)
und die reine Wortblindheit. Verf. schliesst sich ira Grossen und Ganzen
an Dejerine’s Standpunkt an, ohne aber in Einzelheiten ein eigenes Urtheil
vermissen zu lassen. Mit Recht betont er, dass anatomische Befunde bindende
Schlüsse nur zulassen, wenn eine wirkliche sachkundige Durchsuchung des ganzen
Gehirns mittelst Serienschnitten stattgefunden hat. Beachtung und Nachprüfung
verdient sein Hinweis, dass auch bei motorischer Aphasie nicht jede Beeinträchti¬
gung des Wortverständnisses fehlt; es finde sich zwar keine Sprachtaubheit für
Worte, aber für den Sinn ganzer Sätze. Die Thatsache, dass motorisch Aphasische
Schwierigkeit haben, längeren Auseinandersetzungen zu folgen, wird jeder be¬
stätigen können. Es wird sehr lehrreich sein, weitere Untersuchungen darüber
anz asteilen, ob dieser Ausfall über das Maass der gewöhnlich bei Gehirnkranken
sich findenden allgemeinen Herabsetzungen der geistigen Leistungen hinausgeht.
Ref. zweifelt nioht, dass hierbei die Anschauung des Verf.’s Bestätigung erfahren
wird. Umsomehr, als er sie stützt durch sehr interessante Beobachtungen Apha-
sischer, welche polyglott waren. Hier zeigte sich, dass, nachdem eine motorische
Aphasie nach incompleter Läsion sich für die Muttersprache zurückgebildet hatte,
schwerste Störungen in früher beherrschten fremden Sprachen zurüokblieben, nicht
nur im Selbstsprechen, sondern im Verständniss. Der Ausfall oder Schädigung
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dar notorischen Cosnponente dee Wortes macht sich also für die gesammte Sprache
fahlbarer, sobald es sich am schwierigere Aufgaben handelt.
Verf unterscheidet 1. die klassische sensorische Aphasie Wernicke’s (im
hinteren Abschnitt der oberen Schläfenwindungen), 2. eine Abart derselben, bei
der die Worttaabheit und Paraphasie sehr zurücktreten, dagegen Schreib- und
Lesestörungen das Bild beherrschen (in Rinde und Mark des Gyrus angularis),
3. die reine Worttaubheit und die reine Wortblindheit
Die reine Wortblindheit ist ihm Folge einer Unterbrechung zwischen
Gyrus angularis und den beiden Hinterhauptslappen.
Ob psychologisch hier mit Dejerine eine Isolirung eines eigenen visuellen
Wortcentruins oder eine Isolirung der allgemeinen Sehcentren von der akustisch-
motorischen Zone vorliege, will Verf. offenlassen, neigt aber offenbar mehr zu
letzterer Ansiaht
Um die Frage der Localisation der reinen Worttaubheit zu erhellen,
lässt er die Fälle der Litteratur Revue passiren und scheidet die ohne Sections*
befand aus. Von denen mit Sectionsbefand scheidet er weiter den von Pick
aas dem Jahre 1896 als nicht dem Typus der reinen Worttaubheit entsprechend
(8.38) aus und erkennt als entscheidend nur den Fall von Dejerine und
Strieux und den des Ref. (Psyohiatr. Abhandlungen. Herausgegeben von Wer-
nicke. H. 7 u. 8) an. Gegen ersteren Fall macht Verf. allerdings geltend, er
•ei eigentlich niemals wirklich frei von Sprach-, Schreib- und Lesestörungen ge¬
wesen, und der Sectionsbefand Bei in Wahrheit der Befand für die in den letzten
Lebensjahren der Patientin vorhanden gewesene corticale sensorische Aphasie,
nicht für reine Worttaubheit Trotzdem fügt er sich im Ganzen Dejerine’s
Schlüssen. Meinen Fall erklärt er für den, welcher am meisten den Forderungen
des Schemas entspreche, und erkennt an, dass der anatomische Befund dazu
nöthige, einen subcorticalen Sitz der reinen Worttaubheit zuzugestehn. Um so¬
wohl Dejerine’s, wie meinem Falle gerecht zu werden, nimmt Verf. an, dass es
swei Arten von seiner Worttaubheit gäbe: eine suboortioale, entsprechend meinem
Falle und der Ansicht Lichtheim’s, und eine corticale, durch doppelseitige
Schädigung der Höroentren bedingte. Letztere beruhe also entsprechend der
Lehre von Pick und Dejerine auf einer generellen Abschwächung des Hör¬
vermögens.
Verf. schlichtet also den Streit dahin, dass beide Parteien Reoht haben.
Ich habe schon an anderer Stelle in d. Centralbl. (Ein Fall von Eoholalie.
1900. Nr. 9) kurz meine Bedenken dagegen geltend gemacht, den Fall Deje¬
rine als reine Worttaubheit im Sinne der Lichtheim’schen Krankheit anzu¬
erkennen. Ich führte aus, dass er (in dem in Betracht kommenden Anfangs*
Stadium) klinisch das Bild der transcorticalen Aphasie mit allerdings sehr lehr¬
reichen Besonderheiten darbot. (Ob man die transcorticale Aphasie wie Dejerine
und Verf nur für eine klinische Abart der corticalen auffaöst oder als besondere
klinische Form, ist für die hier behandelte Frage gleichgültig — jedenfalls ist
sie verschieden von dem Symptomenbild der subcorticalen.) Ich habe mich ferner
bemüht, in meiner erstcitirten Arbeit die Fälle mit allgemeiner Hörschädigung
als Pseudoeprachtaubheit von der reinen Worttaubheit abzutrennen. Da ich auf
beide Punkte in einem in Druck befindlichen Sammelreferat eingehend zurück -
komme, will ich mich hier darauf beschränken, die Beweiskraft deB im Uebrigen
ausserordentlich werthvollen Falles von Dejerine für den Sitz der Lichtheim’-
sehen Krankheit zu bestreiten.
In sehr angebrachter Weise erinnert Verf. in einem kurzen Capitel daran,
dass es auch hysterische Worttaubheit giebt, und berichtet namentlich über
einen Fall von Raymond, in welchem die Hysterie genau den Symptornenoomplex
der reinen (Lichtheim’sohen) Form copirte.
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172
Das Capitel: „Allgemeine Auffassung der Sprache“ enth< sehr besonnene,
zum Theil auf Experimente gestützte Darlegungen über die Psychologie der
Sprache, im Besonderen die Vorgänge beim Schreiben und Lesen.
Liepmann.
17) Ueber den Schwindel, von Prof. Singer. (Prager med. Wochenschr,
1900. Nr. 11.)
Verf. geht in seinen Ausführungen von dem Drehschwindel aus, wobei er
zunächst auf die experimentellen Ergebnisse eingeht, die Function der Bogen*
gangsapparate bespricht, die er als ein Organ zur Wahrnehmung der bei Dreh¬
bewegungen auftretenden Winkelbeschleunigung bezeichnet. Zur Wahniehmung
der Gleichgewichtslage des Kopfes und der geradlinigen Bewegung dienen nach
Breuer die Otolithen. Die ohne wirkliche Bewegung des Kopfes auftretende
Empfindung des Gedreht- oder Bewegtwerdens in Verbindung mit der Schein¬
bewegung der gesehenen Objecte nennt man Schwindel. Zu diesen subjectiven
Erscheinungen gesellen sich dann die nothwendig erfolgenden compensatorischen
Bewegungen, dann die psychischen Erscheinungen der Furcht, Blässe, Angst,
Schweiss u. s. w. Verf. hebt aber hervor, dass die Erscheinung des Drehschwindels
auch ohne die Scheinbewegung der gesehenen Objecte auftreten kann. Schwindel
und scheinbare Bewegung der Objecte sind also bis zu einem gewissen Grade
unabhängig von einander.
Verf. beschreibt hierauf eingehend die Verhältnisse, unter denen Schwindel
auftritt, für Einzelnes instructive Beispiele bringend. Er erwähnt zunächst den
Moniere'sehen Schwindel, wobei er betont, dass zur Auslösung desselben ausser
der Ohraffection auch eine gewisse Disposition nothwendig ist Der Hagen*
Schwindel ist sehr selten; Verf. hat bisher bloss einen einzigen Fall gesehen.
Dieser Fall zeigte aber nioht die von Trousseau gegebene Schilderung der
Schwindelanfälle. Bei manchen der von Trousseau beschriebenen Kranken
dürfte es sich um den sogen, arteriosklerotischen Schwindel gehandelt haben, der
oft nur der Vorläufer schwerer cerebraler Erscheinungen ist. Wahrscheinlich
liegen auch diesen Schwindelanfällen kleinste Hirnerweichungen oder Hirnblutungen
zu Grunde.
Verf. bespricht hierauf den optischen Schwindel, wobei er eine retinale Form
und eine oculomotorische unterscheidet. Erstere ist durch optische Eindrücke
selbst, letztere durch Störungen im Augenmuskelapparate bedingt. Eine aus¬
reichende Erklärung für diese Art des Schwindels ist noch ausständig. Verf.
wendet sich gegen die Annahme von Mendel, wonach jeder Form von Schwindel
Störungen in den Circulationsverhältnissen der Augenmuskelkerne zu Grunde
liegen würden.
An den optischen Schwindel reiht Verf. den Höhenschwindel an, der bis zu
einem gewissen Grade ein physiologisches Vorkommniss ist. Die Erklärung des¬
selben aus der Furcht zu stürzen, ist, wie leicht nachzuweisen, nicht richtig.
Das Primäre dürfte eine Erregung der raumempfindenden Organe sein, die Furcht
erst secundär. Nicht unplausibel ist ein Erklärungsversuch von Bonnier, der
dabei eine Art von Ueberempfindlichkeit der raumpercipirenden Organe annimmt.
Verf. erwähnt zu Gunsten dieser Ansicht die Selbstbeobachtungen eines an Höhen*
Schwindel leidenden Collegen.
Der Höhenschwindel ist ein Schwindel in verticaler Richtung, die ihm ver¬
wandte Agoraphobie ein Schwindel in horizontaler Richtung. Der einfache neur-
asthenisohe Schwindel ist in solchen Fällen oft der Vorläufer der Agoraphobie.
Bei diesem Anlasse wendet sich Verf. gegen die von Freud vertretene Ansicht
von der Aetiologie der Agoraphobie, wie überhaupt der AngBtneurosen, nämlich
>yGOOgl
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173
an« sexuellen Schädlichkeiten her. Nach den Erfahrungen des Verf.’s finden sich
bei Agoraphobie relativ oft Herserkrankungen. Dabei mag bei einem Theile der
Fälle das Bewusstsein der gefährlichen Erkrankung einen neurasthenischeu Zustand
und damit Agoraphobie hervorrufen, bei anderen sind ee wohl mit den Kreislauf¬
störungen in Verbindung stehende Schwindelanfälle, welche als psychisches Trauma
wirken und so zur Agoraphobie Veranlassung geben.
Des Weiteren erwähnt der Verfl den Kehlkopfschwindel, wie er am häufigsten
als Ictus laryngis bei Tabes sich findet. Hier handelt es sich wahrscheinlich um
einen reflectorischen Schwindel, ebenso bei dem von Leube beschriebenen Falle,
wo Einfahrung des Fingers in den Mastdarm Schwindel hervorrief.
Verf. bespricht dann die toxische Form des Schwindels bei Alkohol, Tabak
u. a. w., bei Diabetes, Nephritis u. s. w., endlich den Schwindel bei organischen
Erkrankungen des Gehirns, sowie den Gerlier’schen Schwindel.
Zum Schlüsse giebt Verf. einige Hinweise auf die Therapie des Schwindels.
Bedlioh (Wien).
18) Cms of oerebellar abaoess, Operation, recovery, by F. H. Haydon.
(Brit med. Journ. 1900. 9. Juni. S. 1405.)
Der mitgetheilte Fall betrifft einen Patienten, welchem Verf. vor 4 Jahren
in der Gegend des linken Warzenfortsatzes einen intracraniellen Abeoess eröffnet
hatte und dessen Krankengeschichte Verf. im Brit. med. Journ. 1896. 21. März
veröffentlichte. — Pat. war 4 Jahre gesund und ernährte sich durch seiner Hände
Arbeit Im Januar 1900 erkrankte er unter Erscheinungen von Erbrechen,
Kopfschmerz in der Stirn- und besonders linken Hinterhauptsgegend. — Er
wurde apathisch, schläfrig; leichter seitlicher Nystagmus; Puls 60. — Ohren frei;
keine Schwellung oder Empfindlichkeit der Warzenfortsatzgegend. — Bald kam
es zu Koma, schnarchender Athmung, linksseitiger Facialislähmung. Der linke
eorneale Lidreflex erloschen.
An der Stelle der früheren Inoisionsnarbe wurde incidirt und ein Kleinhirn-
abaceea entleert Drainage. — Pat wurde nach etwa 6 Wochen geheilt entlassen.
E. Lehmann (Oeynhausen).
19) Kleinbirnoyste, von C. Gerhardt (Charitö-Annalen. 1899. XXIV.)
20jähriger Pat., erblich nicht belastet, dem vor 1 Jahre ein Bandwurm ab¬
getrieben ist, hat schon vor 2 Jahren einen Monat lang an Kopfrehmerzen ge¬
litten; Weihnachten 1898 starke Genickschmerzen und anfallsweise auftretendes,
jedes Mal , / 1 Stunde andauerndes Reissen in der linken Gesichtshälfte. Auch
beim Bücken Kopf- und Genickschmerzen. 4 Wochen später Kopfschmerzen mit
Uebelkeit und Erbrechen. Bei der Aufnahme ist Pat. fieberfrei, die Pulsfrequenz
schwankt zwischen 48 und 120 Schlägen, Pat. hat heftige Kopfschmerzen, hält
den Kopf steif. Pupillen im Schmerzanfall eng, später weit, ophthalmoskopisch
Stauungspapille. Während der Schmerzanlälle Hinterkopf und Gegend der vier
oberen Halswirbel sehr druckempfindlich, Pulsverlangsamung. Am 2. Tage nach
der Aufnahme vorübergehend Doppeltsehen, am 3. Tage fehlen die Tags vorher
lebhaften Patellarreflexe. Gang des Pat. ist taumelnd; am nächsten Tage Patellar-
reflexe wieder nachweisbar. Täglich 4—6 — 9 Schmerzanfälle; während derselben
zeitweise Doppeltsehen. Am 6. Tage nach der Aufnahme während eines Anfalles
plötzliohe Pulsbeschleunigung, Cyanose, Stocken der Athmung und Exitus. Bei
der Autopsie findet sich beim Einschneiden des Unterwurms etwa 2—3 mm unter
dar Oberfläche eine etwa apfelgrosse, mit blutiger Flüssigkeit gefüllte Cyste, mit
einer feinen Membran ausgekleidet Oberwurm erhalten. Vierhügel stark ab¬
geplattet Martin Bloch (Berlin).
Google
174
20) Tumor oerebelli, door von Ziegenweidt. (Psychiatr. en nenrol. Bladen.
1899. 1. Blz. 36.)
Ein 49 Jahre alter Mann hatte im August 1895 einen Schlag auf den Kopf
bekommen und war danach eine Zeit lang bewusstlos gewesen. Blutung aus Nase
oder Ohr war nicht vorhanden gewesen. Die Wunde heilte rasch. 3 Monate
nach der Verletzung stellten sich allmählich häufiger werdende Aniälle von Kopf¬
schmerz ein, der seit Februar 1896 beständig vorhanden war. Gleichzeitig nahm
das Sehvermögen ab, und später wurde Pat. vollständig blind. Pat. klagte über
Schmerz in der linken Hälfte des Gesichts im Trigeminusgebiet, Gefühl von Taub¬
sein in der linken Zungenhälfte und Wangenschleimhaut. Schon vor der Ver¬
letzung hatte er an Benommenheit und verminderter Hörschärfe rechts gelitten.
Es bestand deutliche Facialisparese und vorübergehend Störung der Bewegung
der Augen nach unten. Der Geschmack war an beiden Seiten der Zunge gestört,
nicht an der Spitze. Die linke Pupille war grösser als die rechte, beide Pupillen
reagirten aber auf Licht und hei Convergenz. Die ophthalmoskopische Unter¬
suchung ergab Stauungspapille in beiden Augen. Die Muskelkraft der Extremi¬
täten schien nicht gelitten zu haben, ebenso wenig die Hautsensibilität. Der
Patellarreflex war auf beiden Seiten gesteigert, Fussclonus war nicht vorhanden,
Bauch- und Cremasterreflex waren links stärker als rechts, der Coiyunctiva- und
Corneareflex war links aufgehoben, rechts schwach. Der Gang war ataktisch,
später wich Pat. zuweilen nach links ab. Tremor war nicht Vorhemden, aber
Pat. klagte über ein zitterndes Gefühl im ganzen Körper. Der Kopf nahm eine
Zwangsstellung nach links unten ein.
Die Diagnose einer Kleinhimgeschwulst konnte bei der zeitig auftretenden,
schnell zur Blindheit führenden Stauungspapille, dem ataktischen Gang, dem Er-
griffensein basaler Hirnnerven nicht zweifelhaft sein, aber die Localisation bot
Schwierigkeiten. Der Schmerz im Gebiete des linken Trigeminus, die vorüber¬
gehende Parese des linken Facialis, die Zwangsstellung des Kopfes nacb links
sprachen dafür, dass der Sitz auf der linken Seite sei; das Ab weichen nach links
beim Gehen, wie auch die Taubheit auf dem rechten Ohre sprachen mehr für die
rechte Seite. Die Abweichung nach links beim Gehen konnte aber eben so gut
eine Reizerscheinung als eine Ausfallserscheinung sein, und die Taubheit auf dem
rechten Ohr erklärte sich genügend durch einen Mittelohrkatarrh, deshalb nahm
Verf. an, dass der Tumor in der linken Kleinhimhemisphäre oder in der Um¬
gebung derselben liege und auf Pons, Facialis und Trigeminus drücke; er trepa-
nirte auf dieser Seite, ohne eine Geschwulst zu finden. Beim Verbandwechsel
fand sich wiederholt Vorfall von. Gehirnmasse, die entfernt werden musste. Pat.
starb 9 Tage nach der Operation, und bei der Section fand sich zwischen rechter
Kleinhirnhemisphäre, Tentorium und Pons eine apfelgrosse Geschwulst, die den
Trigeminus und Acusticus in sich schloss, der Facialis verlief unter ihr; die rechte
Hälfte des Pons war platt in die Länge gestreckt. Die linke Kleinhimhemisphäre
fehlte fast ganz.
Da die Abnahme des Gehörs schon vor der Verletzung bestanden hatte,
konnte man mit grosser Sicherheit annehmen, dass auch die Geschwulst schon
vorher vorhanden war und nach der Verletzung nur ihr Wachsthum beschleunigt
wurde. Walter Berger (Leipzig).
21) De r&8ynergie odröbelleuae, par J. Babinski. (Revue neurologique.
1900. )
Verf. berichtet über 2 Fälle eigener Beobachtung. In beiden bestand ausser
anderen Symptomen, die auf eine organische Störung im Gebiet des Pons and
der Hiraschenkel, sowie des Kleinhirns hinwiesen, eine eigenartige Störung in
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der Coordination der Bewegungen, die sich kurz als ein mangelhaftes Zusammen¬
arbeiten der Rumpf- und Beinmuskeln, sowie der Ober- and Unterschenkelmuskeln
bezeichnen liest. Beim Versuch zu gehen wird das Bein nach vorwärts gestellt,
dar Oberkörper folgt aber nicht nach, so dass Pat, nach hinten fällt, wenn er
nicht von vorn her an beiden Händen geführt wird. Soll Pat. im Stehen Kopf
und Rumpf nach hinten fiberbiegen, so droht er schon beim ersten Versuche hin¬
zufallen, weil er die zur Beibehaltung des Schwerpunktes nöthige Beugung in den
Fass- und Kniegelenken, die beim Gesunden unwillkürlich eintritt, nicht ausffihrt.
Soll er sich aus der Rückenlage aufsetzen, so gelingt ihm dies nicht, sondern
statt des Rumpfes erheben sich die gestreckten Beine von der Unterlage, weil die
vorherige Feststellung der Oberschenkel gegen das Becken, durch die es dem
M. ileo-psoas ermöglicht wird, sein Punctum fixum an seiner unteren Insertion zu
nehmen, ausfallt. (Auf das gelegentliche halbseitige Auftreten dieses Symptoms
bei Hemiplegie hat Verf. schon früher hingewiesen.) Einen in einer gewissen
Höhe vor ihn gehaltenen Gegenstand vermag er zwar mit der Fussspitze zu be¬
rühren, doch führt er die dazu nöthigen Bewegungen (Beugung des Oberschenkels,
Streckung des Unterschenkels u. s. w.) nach einander und ruckweise aus, ebenso
das Wiederhinsetzen des Beines, nicht wie der Gesunde, sondern so, dass die Be¬
wegungen in den einzelnen Gelenken zum Theil gleichzeitig ausgeführt werden
und mit einander verschmelzen. Die Kraft der einzelnen Muskeln war dabei
dauernd gut erhalten, Sensibilitätsstörungen nur in Form einer leichten Hemi-
hypistheeie nachweisbar. — Die zweite Pat., die ganz die gleichen Coordinations-
störangen dargeboten hatte, starb plötzlich, und es fand sich ein hühnereigrosses
Sarkom der rechten Kleinhirnhemisphäre. (Leider ist in dem Sectionsprotocoll
über das Verhalten des Wurms nichts angegeben. Ref.) Verf. bezeichnet die
beschriebenen Bewegungsstörungen als pathognomonisch für Läsionen des Klein¬
hirns. H. Haenel (Dresden).
22) On the state of the knee-jerk in oases of oerebellar tumour, by
C. 0. Hawthorne. (Glasgow med. Journ. 1899. Sept.)
Unter 7 Fällen von Hirntumoren stellte Verf. 6 Mal die Diagnose auf Klein¬
hirntumor. Während bei den zwei anderen Fällen' die Kniephänomene vorhanden
waren, fehlten sie bei den genannten fünf 3 Mal oonstant; in einem Falle waren
sie anfangs vorhanden, um allmählich zu verschwinden, schliesslich jedoch, nach¬
dem eine Parese des linken Beines aufgetreten war, in diesem wieder nachweisbar
zu werden. Im 5. Falle fehlten sie fast constant. Zur anatomischen Untersuchung
scheinen, da Angaben hierüber fehlen, die Fälle nioht gekommen zu sein. Zum
Schluss verbreitet sich Verf. über die verschiedenen Theorieen betreffend das
Fehlen der Patellarreflexe bei Kleinhirntumoren.
Martin Bloch (Berlin).
23) Zwei Fülle von Kleinhirntumoren , von Prof. Schede (Bonn). Vortrag,
gehalten in der niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde am
22. Januar 1900. (Deutsche med. Wochenschr. 1900. Nr. 30.)
Im 1. Falle bestanden neben heftigen Allgemeinerscheinungen starke cere-
beüare Ataxie mit Neigung, nach links zu fallen, ferner Abnahme des Hör¬
vermögens, besonders auf dem linken Ohre, rechts Parese des linken Armes. Die
Operation ergab einen Tumor nahe der Oberfläche der linken Kleinhirnhälfte, die
Entfernung gelang leicht, der Erfolg war glänzend. Schon am nächsten Tage
war die Hörstörung im Wesentlichen verschwunden, die anderen Symptome
besserten sich ebenfalls rasch, und es trat völlige Genesung ein, nur das Lesen
von Kleingedrucktem machte Schwierigkeiten. — Der Tumor war ein Gliom.
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Fall 2 bot neben Allgemeinerscheinungen starke Ataxie mit Neigung nach
links zu fallen. — Links nahe der Mittellinie sass eine wallnussgrosse, glatt-
wandige Cyste, die entleert und dr&inirt wurde. Der Zustand blieb unbeeinflusst
Der Exitus erfolgte ziemlich plötzlich. — Wie die Section ergab, hatte die ent¬
leerte Cyste nur einen Theil des Tumors gebildet, die Hauptmasse desselben war
im Wurm gelegen. Es bestand beträchtlicher Hydrocephalua internus mit Dila¬
tation sämmtlicher Ventrikel; der Tumor (ein Gliom) war vom 4. Ventrikel nur
durch ein papierdünnes Plättchen Gehirnsubstanz geschieden. In der Umgebung
Gehirnerweichung; Pons und Medulla oblongata platt gedrückt.
R. Pfeiffer.
24) Bipe aout entstandene Bewegungsstörung mit dem Charakter einer
Kleinhirnataxie, von W. v. Bechterew. (Obosrenije psichiatrii. 1900.
Nr. 1.)
Von der acuten Ataxie, die sich im Gefolge von Infectionskrankheiten ent¬
wickelt und zuerst 1868 von Leyden beschrieben wurde, muss man streng eine
Bewegungsstörung, die bei chronischen Alkoholikern entsteht, unterscheiden. Diese
hat den Charakter einer cerebellaren Ataxie und äussert sich folgendermaassen:
gewöhnlich nach einem starken Rauschzustand, manchmal auch nach gewöhnlichem
Schlaf bemerkt Pat. plötzlich, dass er nicht mehr ordentlich gehen kann, da ihm
die Fähigkeit, das Gleichgewicht zu bewahren, verloren gegangen ist. Dabei ist
der Rausch selbst schon vollkommen vergangen; trotzdem ist noch Schwindel, ein
Gefühl von Schwere im Kopf, Uebelkeit, oft sogar Erbrechen vorhanden. Diese
allgemeinen Symptome schwinden bald, die Ataxie aber bleibt bestehen. Sie wird
beim Gehen stärker, jedoch nicht bei Bewegungen einzelner Gliedmaassen; es ist
also kein Intentionszittem. Ausserdem besteht Nystagmus und ein leichter Tremor
der Zunge. Lähmungen und Sensibilitätsstörungen fehlen. Die Kniereflexe sind
etwas erhöht, die Hautreflexe entweder unverändert oder etwas schwächer als
normal. Hin und wieder wird Schmerzempfindlichkeit des Ocdpitalgebietes bei
tiefer Percussion beobachtet.
Bei richtiger Behandlung (Bäder, Jodkali und Strychnin innerlich) dauert
die Erkrankung einige Wochen bis 2—3 Monate.
In Betreff der Pathogenese liegen fürs Erste noch keine Daten vor; jedoch
meint Verf. auf Grund der Symptomatologie annehmen zu dürfen, dass es sich
hier um eine acute Erkrankung der mittleren Regionen des Cerebellums handelt,
die durch einen acuten Alkoholexcess auf durch chronischen Alkoholismus schon
geschwächtem Boden entsteht. Wilh. Stieda.
26) Inooordination motrloe oöröbelleuse. Contrlbution ä l’ötude de son
möoanisme et du traitement de oertaines de ses form es, par Liönaux.
(Annales de mödecine vetörinaire. 1900. S. 489.)
Unter Bezugnahme auf die Arbeiten von Luciani und LuBsano, betreffend
die statischen Functionen des Kleinhirns, ergeht sich Verf. in Betrachtungen über
die Uebertragung der durch das Experiment gewonnenen Schlüsse auf die beim
Hunde beobachteten Kleinhirnaffectionen. Derartig kranke Thiere können
nicht stehen, vermögen aber liegend ihre Glieder oder selbst den Rumpf zu be¬
wegen — eine Eigenschaft, die Verf. zur Trennung gewisser Formen von Klein-
himherden von der Myelitis benützen zu können glaubt Leider wird nicht ge¬
sagt, wie hiervon die spinale Ataxie zu trennen wäre. Umgiebt man Brost und
Bauch eines cerebellarataktischen Hundes mit einem Stofffutteral, so dass die seit¬
lichen Rumpfbewegungen möglichst vermieden werden, so geht das Thier sofort
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besser. Dies zeigt nach dem Verf. die Bedeutung der musculären Asthenie für
das Zustandekommen cerebellarer Incoordination und gestattet eine therapeutische
Ausnützung. Han kann nämlich unter Umständen, die einen günstigen Ausgang
▼ermuthen lassen, bei dieser Therapie warten, bis die Herderkrankimgen ver¬
schwunden sind. Dexler (Prag).
Psychiatrie.
26) I/aloooliame ohez l’enfant, par Dr. Delobel. (Annales de medeoine et
Chirurgie infantile. 1901. Nr. 1.)
In seiner Eigenschaft als inspicirender Arzt der vom Findelhaus in Privat¬
pflege gegebenen Kinder hatte Verf. Gelegenheit, einige interessante Beobachtungen
über die Schäden des Alkohols bei Kindern zu machen. Nach seinen Ehrfahrungen
ist die Darreichung des Alkohols bei kleinen Kindern viel verbreiteter, als man
allgemein annimmt Verf. unterscheidet drei Möglichkeiten, durch welche das
Kind zu gefährlichen Alkoholdosen gelangt:
1. Durch die Muttermilch. Erfahrungen anderer Autoren und zwei eigene
Beobachtungen machen es höchst wahrscheinlich, dass Kinder bei trunksüchtigen
Ammen an Convulsionen erkranken; in dem einen selbst beobachteten Falle scheint
nach jedem Alkoholexcess der Amme ein Krampfanfall des Kindes ausgelöst worden
za sein. Als minder augenfällige Folgen eines Alkoholismus durch die Mutter¬
milch sind Unruhe, Schreien, Schreckhaftigkeit, schlechter Schlaf, Abmagerung
oder pastöse Ueberernährung anzusehen; ein Kind aus des Verf.’s Inspections-
erfahrung war bei der trunksüchtigen Pflegeamme so herabgekommen, dass Verf.
dasselbe für verloren hielt und selbst recht erstaunt war, als es sich nach Wechsel
der Kost rasch erholte.
2. Darreichung von Alkohol in Folge Unverstandes der Eltern. In Paris
besonders beliebt ist das Naschenlassen kleiner, in brandweinhaltigen Kaffee ge¬
tauchter Zuckerstückchen („canards“). Ein Kind, das so mit der Alkoholaufnahme
begonnen hatte, später immer stärkere Alkoholdosen erhielt, starb im Alter von
5 Jahren an Lebercirrhose.
3. Freiwilliger Alkoholgenuss. Bei Kindern, die frühzeitig an starken
Alkohol gewöhnt wurden, kann schliesslich eine Trunksucht wie beim Erwachsenen
sich entwickeln. Verf. sah ein 4jähr. Kind an einer schweren Bumintoxication
zu Grunde gehen, die dadurch entstanden war, dass das Kind in einem unbeobach¬
teten Momente eine Rumflasche austrank. Schon 1 Jahr früher hatte das Kind
eine grössere Schnapsmenge erwischt und war nur mit Mühe von den bedrohlichen
Vergiftungserscheinungen befreit worden. Ein junger Mann aus des Verf.’s Be¬
obachtung hatte mit 7 Jahren bereits mehrere Zustände von Volltrunkenheit, mit
10 Jahren Delirium tremens, beging später einen Diebstahl und mit 18 Jahren
ein Sittlichkeitsverbrechen.
Selbstverständlich tritt Verf. auf Grund dieser seiner Erfahrungen mit grosser
Entschiedenheit gegen die Alkoholdarreichung im frühen Kindesalter auf.
Zappert (Wien).
27) Breditfi ed alcoollsmo, del A. Lui, medico ajuto del manicomio provinciale
di Brescia. (Annali di Nevrologia. 1900. Napoli. XVIII.)
In einer früheren, mit Seppilli zusammen veröffentlichten Arbeit hat Verf.
dem Alkoholwahnsinn an Häufigkeit die 3. Stelle unter den Geisteskrankheiten
anweisen können. In der vorliegenden, auf etwa 1500 Individuen (in 5 Jahren)
sich erstreckenden Arbeit hat Verf. Folgendes ermittelt; etwa 57 °/ 0 an Alkohol-
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Wahnsinn Erkrankter waren hereditär belastet. In 35% war die degenerative
Anlage direct, in 25°/ 0 indirect übertragen; der Procentsatz der vom Vater über¬
kommenen Anlage war relativ viel grösser als von der Matter. Bei den Ascen-
denten fanden sich die verschiedensten Psychosen, ferner Epilepsie, Schwachsinn,
Verbrecherthum, Tuberculose, Pellagra u. s. w., niemals fehlten die Gewohnheits¬
trinker. Verf. bekämpft die Anschauung Bochereau’s, dass die Tendenz zum
Alkoholismus bedingt sei durch das Aufwachsen bei den trunksüchtigen Eltern;
vielmehr liege der Hang tief in der Anlage begründet.
Beim Vergleich der hereditär belasteten und der nicht belasteten Alkoholisten
fand Verf. die psychischen Anomalieen und Charakterfehler bei jenen 4 Mal
stärker vertreten als bei diesen, häufiger Recidive und zuweilen echte Dipsomanie.
Die belasteten Alkoholisten stellen einen höheren Degenerationsgrad dar und
reagiren auf die Wirkungen des Giftes viel leichter und intensiver als die nicht
belasteten.
12% der beobachteten Geisteskranken stammten direct von Alkoholisten;
von den hereditär belasteten waren 20% Descendenten solcher Alkoholisten-
abkömmlinge; % dieser Descendenten boten die degenerative Form der Geistes¬
störung (hypochondrischer Schwachsinn in 35%, Hysterie in 30%, periodisches
Irresein in 23%, Epilepsie in 12%). 24 % waren Imbecille und Idioten durch
directen Alkoholismus der Eltern.
Um diese Verhältnisse näher zu erläutern, fügt der Verf. eine schematische,
instructive Darstellung der hereditären Beziehungen seiner Arbeit bei.
H. Gessner (Nürnberg).
28) Alooholio homioide, by Dr. W. C. Sullivan. (Journal of Mental Science.
1900. October.)
Eine klinische Untersuchung, 36 Fälle von Todtschlag und 44 Fälle von
schwerem Mordversuch umfassend, die unter dem Einfluss von Alkoholismus
begangen wurden, versucht die Symptome des Mordes aus Gründen der Trunk¬
sucht aufzufinden. In analytischem und vergleichendem Verfahren wird an vier
typischen Beispielen eine Summe gesetzmässiger Phänomene gewonnen: die Ab¬
wesenheit eines ersichtlichen Motivs und äusseren Reizes bei psychomotorischer
Reizbarkeit kommt in der acuten Trunkenheit am reinsten zum Ausdruck und
giebt der That den extremen automatischen Charakter. Diese motorische Tendenz
ist in gewissen Phasen der Vergiftung gesteigert und dem Einfluss der früheren
Stufen der That auf die späteren oder, seltener, der Einwirkung einer Suggestion
von aussen in erhöhtem Maasse ausgesetzt Leichtere Bewusstseinsstörung mit
Amnesie des Vorganges oder seiner Motive ist häufiger bei chronischer Intoxi-
cation. Bei ursprünglich normal organisirten Menschen ist erst in späteren
Stadien des Potatoriums diesen Bedingungen der Boden vorbereitet; ist aber
von vornherein ein Grad ererbter oder erworbener Minderwertigkeit vorhanden,
so wird die Entwickelung der Handlung sich eher überstürzen und die Rolle der
Intoxication zuweilen durch leichte psychische Störung verdeckt sein. Schlieest
sich dem Angriff auf das Leben anderer ein Selbstmordversuch an, so ist der
auslösende Anstoss zum Angriff regelmässig auf ein inneres Motiv zurückfuhrbar.
In den 15 Fällen dieser Art fehlten die äusseren Einflüsse ganz oder fast ganz.
Das bedrohte Opfer ist meist das Weib: der geschlechtliche Einfluss war in 24
von den 36 Fällen von Mord erwiesen; die Waffen sind meistens häusliche Ge-
räthe oder das gewöhnliche Werkzeug des Betreffenden.
Der chronische AlkoholismuB ist eine multiple Functionsstörung; die Organ-
empfindungen sind wesentlich verändert und damit die affective Persönlichkeit;
es reeultirt eine emotive Depression, die um so mehr dominirt, als die höheren
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Hirnfonctionen schwächer und die visceralen Bedingungen stabiler werden. (Diese
Constanz der Beziehung von Organstörungen und psychischen Störungen derselben
Form gilt für alle Intoxicationen: Blei, Quecksilber, Secale, Schwefelkohlenstoff.)
Die visceralen Störungen bedingen also eine Tendenz zum Ablauf derjenigen
Reflexe, welche von dem Affect des Aergers auslösbar sind. In geringerem Grade
offenbart sich die Reactionsbereitachaft im Antworten auf umgebende Reize und
erscheint ab krankhaft dann nur durch die unverhältnissmässige Reaction. In
markirt toxischen Fällen kommen die äusseren Reize kaum zum Worte. In früheren
Stadien chronischen Alkoholmissbrauchs bedarf es zum Zustandekommen des Ver¬
brechens der Paralysirung der höheren Controlceutren über das neugesohaffene
impubive Temperament durch einen acuten Rausch. Später werden die ungeord¬
neten Organreize vielgestaltiger, die Erinnerung an den Vorgang ist dem Thäter
klarer, ihre Motive aber noch unbewusst: „es ist etwas über ihn gekommen“.
Auf einer weiteren Krankheitsstufe tritt ein dunkles Motiv, etwa ein Verdacht
auf, der in der Nüchternheit abgelehnt wird. Weiterhin schliessen sich die Fälle
an, in denen die vagen Organerfahrungen sich zu einer definitiven Wahnvorstellung
metastasirt haben; sind die Sensationen bestimmtere (Dyspepsie, Impotenz), so
kann dieeer Vorgang in der Wahnvorstellung anklingen (Wahn der vergifteten
Speise, der ehelichen Untreue). Schliesslich greift im schwersten Grade der Er¬
krankung die Herrschaft der Organstörungen durch das Gemeingefühl auch auf
das äussere Sinnesfeld über: die Hallucination tritt auf, um den Impuls zu recht¬
fertigen, die Wahnidee zu bestätigen. — Der Fundamentalfactor der besprochenen
Phänomene bt also die Störung der organischen Sensation; sie erzeugt die kranke
That und den kranken Gedanken, und zwar jene zuerst in einem rüstigeren Hirn,
wogegen der letztere die spätere Geburt eines geschwächten Organes ist.
Schmidt (Freiburg i/Schl.).
III. Aus den Gesellsohaften.
Altonaer ärztlicher Verein.
Sitzung vom 16. Januar 1901.
Herr Boettiger berichtet über seine Erfahrungen bei der Behandlung des
Sehreibkrampfee auf Grund einer Beobachtung von 19 Fällen im Laufe der
letzten 3 Jahre. Er schildert kurz die Aetiologie, sowohl die allgemeine wie die
local bedingte, in letzterer Beziehung namentlich das bei Schreibkrampfkranken
stets zu beobachtende mangelhafte Zusammenwirken der Antagonisten bei den
Bewegungen der Finger, und geht dann genauer auf die Symptomatologie ein,
besonders auch auf die Characteristica der Schrift der Kranken unter Vorzeigen
von Schriftproben aus allen Stadien der Krankheit. Zum Vergleich und zur
Differentialdiagnose demonstrirt Vortr. gleichzeitig Schriftproben von hysterischer
Schreibstörung, von multipler Sklerose, Paralysis agitans und sonstigen spastischen
Symptomencomplexen, wobei er namentlich die grosse Aehnlichkeit der Schrift
bei Schreibkrampf und bei Krankheiten, die mit spastischen Paresen der Arme
einhergehen, hervorhob. Die sensiblen Störungen beim Schreibkrampf, sein Ueber-
gehen auf den linken Arm nach Schreibversuchen mit diesem, sowie die psychisch
bedingten Schreibstörungen, die Schreibangst beim Beobachtetwerden u. s. w.,
werden kurz erwähnt, zum Theil unter entsprechenden Demonstrationen. •
Während die Prognose der psychischen Schreibstörungen sehr gut ist, muss
dieselbe beim Schreibkrampf häufig zweifelhaft oder schlecht gestellt werden, be¬
sondere dann, wenn die Kranken schon seit Jahren an ihm leiden oder schon in
höherem Alter stehen. Jedoch sind auch deren Beschwerden und Functions-
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Störungen stets noch zu lindern und zu bessern. Die günstiger liegenden Fälle,
namentlich bei noch etwas jüngeren Leuten bieten hingegen meist eine gute
Prognose.
Bei der Therapie kommt zunächst gewöhnlich wegen complicirender allge¬
meiner Neurasthenie eine entsprechende Allgemeinbehandlung in Betracht. Von
besonderer Wichtigkeit ist dann aber die Localbehandlung. Es werden bei
dieser im Grunde genommen stets zwei verschiedene Principien verfolgt und diesen
entsprechend zwei ganz verschiedene Wege eingeschlagen: die neuen Therapeuten
stellen die kranke Hand möglichst ruhig beim Schreiben, z. B. durch dicke und
Kugelfederhalter, durch Buchheim’s Faustfederhalter, durch NusBbaum’s
Bracelett und Aehnliches mehr, und dann durch die Vorschrift, möglichst aus dem
Ellbogen- oder Schultergelenk heraus zu schreiben. Die Erfolge dieser Maass¬
nahmen sind unter Umständen sehr schnell in günstigem Sinne ersichtlich, pflegen
aber stets nur sehr geringen Bestand zu haben. Die anderen Therapeuten jedoch,
und mit ihnen der Vortr., suchen im Gegentheil eine erhöhte Geschmeidigkeit
und Leistungsfähigkeit der zum Krampf neigenden Muskeln zu erzielen und durch
Bekämpfung schlechter Angewöhnungen beim Schreiben auf eine Schreibmethode
hinzuarbeiten, bei welcher die vollkommenste Ausnutzung aller coordinatorischen
Fähigkeiten selbst der kleinsten und unscheinbarsten Handmuskelchen erstrebt
wird. Das erstere geschieht vermittels Anwendung von Elektricität, Massage und
allgemeiner Gymnastik, das letztere durch specielle Gymnastik in der Form eines
regelrechten Schreibunterrichts, welcher der Hand beim Schreiben eine Haltung
und Bewegung giebt, die eine, wenn auch manchmal nur andeutungsweise erkenn¬
bare Betheiligung aller kleiner Fingermuskeln an der Schreibbewegung gewähr¬
leistet. Dieses Erfordern iss erstreckt sich ganz besonders auf Daumen, Zeige-
und Mittelfinger, als die den Federhalter in erster Linie regierenden Finger.
Wohl mit die Wichtigste und eine den Schreibkrampfkranken fast stets verloren¬
gegangene Bewegungscoordination ist das gleichzeitige Beugen in den Interphalan-
gealgelenken und Strecken im Metacarpophalangealgelenk des 2. und 3. Fingers
bei Ausführung der Grundstriche. Diese und andere coordinatorische Störungen
müssen stets erst an recht gross (7—8 cm lang) ausgeführten Figuren und Buch¬
staben corrigirt werden, ehe sie auch bei der gewöhnlichen, allerdings nie zu
kleinen Schrift zum Schwinden kommen. Nebenbei ist natürlich auf den Feder¬
halter (leicht, nicht zu dünn), die Art der Feder, Lage des Papiers, des Armes
lind Aehnliches zu achten. Ein gleichzeitiges Fernhalten von jeder beruflichen
Thätigkeit hält Vortr. nicht für in jedem Falle erforderlich, vielmehr nur in be¬
sonders schweren Fällen oder bei zu angestrengter Schreibthätigkeit des Kranken
für angezeigt.
Von 11 Kranken, die sich einer solchen eingehenden Kur unterwarfen, ver¬
mochte Vortr. drei so weitgehend zu bessern, dass sie mit relativ guter Schrift
ihrem Berufe vollständig nachgehen konnten, und vier vollständig zu heilen.
Diese letzteren befanden sich im Alter von 24, 36, 24 und 40 Jahren; die übrigen
4 Patienten brachen die Behandlung vorzeitig ab. Bei 3 Geheilten dauert der
Erfolg seit etwa 1—2 Jahren an, bei dem vierten ist die Heilung erst vor einigen
Wochen erfolgt. Gewiss ist das Material nicht gross, aber immerhin genügend,
um zu beweisen, dass Schreibkrampf keine von vornherein aussichtslose Er¬
krankung ist (Autoreferat.)
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Soaiötö de neurologie de Paris.
Sitzung vom 6. December 1900.
Herr Leopold Levi und Follet: Myoklonie und Spondylose rhimomd-
lique (Krankenvorstellung).
Es handelt sich um eine 75jahr. Frau, die bis vor 2 Jahren stets gesund
war. Sie liess sich ins Krankenhaus aufnehmen wegen heftiger Kreuzschmerzen
und Erscheinungen von Myoklonie. Bei der Untersuchung findet man bei dieser
Frau gleichzeitig zwei Symptomencomplexe vereinigt, die noch ziemlich wenig
bekannt sind. Die unteren Extremitäten sind von eigentümlichen Bewegungen
behaftet, die symmetrisch in verschiedenen Muskelgruppen der Ober- und der
Unterschenkel unter dem Einfluss von mechanischen Beizen auftreten und von
kurzer Dauer sind. Es handelt sich in diesem Falle offenbar um Myoklonie, in
dem Sinne, wie dies Ziehen beschrieben hat. Die Vortr. glauben nicht, dass es
sich in ihrem Falle um den Myoclonus multiplex von Friedreich handelt, da *
bei letzterem die Krämpfe spontan, ohne jeglichen Beiz auftreten und durch den
Willen sistirt werden können. In zweiter Linie ist die Patientin von den eigen¬
artigen Ankylosen behaftet, die Pierre Marie unter dem Namen von Spon¬
dylose rhizomölique beschrieben hat: Ankylose der Wirbelsäule, der Hüft¬
gelenke und Schmerzen in der Kreuzgegend und in den unteren Extremitäten.
Was diesen Fall vor den Fällen, die P. Marie u. A. beschrieben haben, aus¬
zeichnet, ist zunächst das, dass es sich um eine Frau, und um eine sehr alte
handelt. Zweitens ist hier keine Infectionskrankheit vorausgegangen, es existiren
auch keine Zeichen von Bheumatismus an den anderen Gelenken. Die charakte¬
ristische Verkrümmung der Halswirbelsäule ist nicht vorhanden. Die Schulter-
gelenke sind intact. Die Schenkel sind nicht, wie gewöhnlich in den Fällen
von P. Marie, flectirt, in Abduction und nach aussen rotirt. Die charakteristi¬
schen Exostosen fehlen, auch die nodosites de Bouchard an den Fingern, die
man oft bei diesen Kranken findet, sind nicht vorhanden. Dieser Fall gehört in
die Kategorie, die Möry (Bullettin de la S. med. des höpitaux. 1899. 30. Juni)
beschrieben hat. Nun fragt es sich, ob diese zwei Symptomencomplexe zufällig
bei der Kranken sich zusammen treffen, oder ob dieselben in einer innigeren Be¬
ziehung zu einander stehen, d. h. ob die Myoklonie als ein Symptom der Spondylose
rhizomölique betrachtet werden kann. Es ist daran zu erinnern, dass schon in dem
ersten Falle, den P. Marie in der Sociötö möd. des höpitaux (1898,) vorgestellt
hat, eigentümliche fibrilläre Zuckungen bei dem Kranken aufgefallen sind. In
zwei Fällen von Mi Hau (S. möd. des höpitaux. 1899) ist ebenfalls fibrilläres
Zittern notirt
Discussion:
Herr Pierre Marie: Der Fall von Lövi ist sehr interessant. Die Intactheit
der Bewegungen der oberen Extremitäten, ausser einem leichten Knacken in den
Schultergelenken, ist zu beaohten. Das Vorhandensein von myoklonischen Zuckungen
ist ebenfalls sehr interessant. Meines Wissens ist Coexistenz von Myoklonie mit
Spondylose rhizomölique von Niemandem bis jetzt beschrieben worden. Be¬
sonders auffallend ist die Sache doch nicht, da bei dieser Krankheit Störungen
der Gelenke und der Muskeln die Hauptläsion sind. Der Fall von Levi beweist
aber, dass die Störung der Muskeln bei dieser Krankheit auch anders als durch
Atrophie sich documentiren kann.
Herr Leopold L6vi und Follet: Ueber symptomatischen Paramyo¬
klonus.
Prof. Kaymond hat in seinen Vorlesungen zuerst darauf aufmerksam ge¬
macht, dass der Paramyoklonus als Symptom bei verschiedenen Nervenkrank-
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heiten auftreten kann. Die Vortr. haben Gelegenheit gehabt dieses Symptom zu
beobachten in einem Falle von cerebralem Oedem urämischen Ursprungs. Bei
dieser Kranken, die in vollständigem Koma lag, traten die myoklonischen Zuckun g en
in Anfällen auf, die etwa 10 Minuten dauerten, im rechten Fusse anfingen, auf
das rechte Bein sich erstreckten, dann auf den linken Fuss und das linke Bein
übergingen. Jedoch sind rechts die Zuckungen schwächer als links. Bei voll¬
ständig ausgebildeter Krisis betheiligen sich auch die Pectoralmuskeln und die
Muskeln der oberen Extremitäten. Der Anfall tritt spontan auf und nicht unter
dem Einflüsse von mechanischen Erregungen, die ohne Wirkung auf den Aus¬
bruch der Zuokungen bleiben. Kopf- und Halsmuskeln bleiben von den Zuckungen
verschont. Bei der Autopsie fand man gemischte (interstitielle und parenchy¬
matöse) Nephritis. Am Gehirn ausser einer starken Blässe und gleichmässiger
Schwellung keine Veränderungen. Die Vortr. glauben, dass in diesem Falle der
Paramyoklonus toxischen Ursprunges sei und als Aequivalent der allgemeinen
Convulsionen zu betrachten ist, denen man ja häufig bei urämischen Zuständen
begegnet. Der Ausgangspunkt der myoklonischen Zuckungen wäre im Gehirn zu
suchen, wie dies auch Prof. Raymond annimmt.
Herr Laignel-Lavastine: Haematomyelie des Bpioonut und der Basis
des Conus termlnalis des Rückenmarkes (mit Krankenvorstellung).
Vortr. stellt einen 65jähr. Mann vor, der wegen Harnverhaltung in’s Hospital
aufgenommen wurde. Der stets gesunde Mann ist vor 7 Jahren von einem
Wagen überfahren worden. Das eine Rad streifte die Kreuzgegend. Der Ver¬
letzte wurde ins Krankenhaus gebracht und konnte während 3 Monaten nicht
gehen. Blase und Mastdarm waren damals nicht gestört. Die Gehstörung ver¬
schwand vollständig, und es blieb nur eine Empfindlichkeit in der Kreuzgegend
zurück, in Folge deren der Kranke sich nicht nach vorn beugen konnte. Bis
Ende 1899 keine Veränderung. Eines Abends legte sich der Kranke vollständig
g es und ins Bett. In der Nacht wachte er auf mit einem Gefühl, als wären seine
Beine von kaltem Wasser umgeben, gleichzeitig starke Schmerzen in der Kreuz¬
gegend und in den Beinen. Als er aufstehen wollte, bemerkte er, dass seine
Beine sehr schwer waren, und dass er sich kaum schleppen konnte. Das Uriniren
war erschwert 24 Stunden darauf vollständige Paraplegie mit rascher Ab¬
magerung der Beine. Bei der Aufnahme in das Krankenhaus fand man eine
stark erweiterte Blase (Patient hatte seit 36 Stunden nicht urinirt). Die Haut
des Penis, des Hodensackes, die Schleimhaut der Eichel, die Haut der Perineal¬
gegend bis etwa 2 cm weit vom After entfernt, war vollständig anästhetisoh.
An der analen und perinealen Gegend Hautsensibilität vollkommen normal.
Cremasterreflex fehlt links, rechts schwach. Der Druck der Hoden wird in
charakteristischer Weise empfunden. Impotenz seit dem Beginne der Paraplegie.
Leichte Atrophie der Oberschenkel, sehr ausgesprochene Atrophie der Unter¬
schenkel mit Equinu8stellung der Füsse. Durch Willensimpulse werden die Ober¬
schenkelmuskeln contrahirt; die Unterschenkelgegend bleibt unbeweglich. In der
Hüfte und im Knie kann er das Bein beugen und strecken. Mit den Füssen
und Zehen kann er aber keine einzige Bewegung machen. Herabsetzung der
faradischen Erregbarkeit in der Obersohenkelmusculatur. In den Muskeln der
Unterschenkel ist die faradische Reaction theilweise sehr schwach, theilweise voll-,
ständig erloschen. Bei galvanischem Strome ist die Erregbarkeit der Ober-
schenkelmusculatur ebenfalls herabgesetzt; die Contractionen sind jedooh nioht Ver¬
langsamt, und die Erb’sohe Formel nioht modifioiri In Folge der äussersten
Atrophie der anteroexternen Muskelgruppe des Unterschenkels ist die KOZ ■» 0,
KSZ vorhanden. Die Patellarreflexe sind vorhanden und sogar sehr lebhaft. Der
Achillessehnenreflex und der plantare Hautreflex erlosohen. Die Muskel* und
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Gelenbsnsibilität ist vorhanden. Die Untersuchung der Hautsensibilität zeigte
Uctile Hypoästhesie an der antero- externen Gegend der Unterschenkel, an den
Fnasrücken and längs eines Streifens in der Mitte der hinteren Oberfläche der
Beine linke von der Glutäalgegend, rechts von der Fossa poplitea bis zu den
Fassen herab incL der Fusssohlen. An denselben Stellen gleichzeitig Herabsetzung
der Schmerz- und der Temperaturempfindung. Am Rücken des linken Fasses
ToDstüdige Anästhesie für Kälte. Die Ernährung der Haut an der Becken¬
gegend und an den Beinen ist mangelhaft, die Nägel verdickt und krallenförmig
gebogen, leichte Cyanose. Die Haut trocken und schuppig. Rothe und leichte
Erosion am rechten Rande des Kreuzbeines.
Die Störungen an der Hautsensibilität lassen auf eine Läsion im Bereiche
des 1., 2. und 3. Sacralsegments schli essen, und man kann annehmen,
due das Rückenmark zwischen dem 5. Lumbal- und 3. Sacralsegment erkrankt
iit Um welche Läsion handelt es sich bei diesem Kranken? Ist die Cauda
eqnina lädirt, oder der Conus medullaris, oder endlich der Epiconus medul-
liris, d. h. die Gegend unmittelbar über dem Conus medullaris gelegen und dicht
unter der 5. lumbalen Wurzel (Minor)? Mit einem Worte: handelt es Bich um
eine Wurzelerkrankung oder um eine Läsion der grauen Substanz des Rücken-
nirkes? In Anbetracht des Verlaufes (die motorischen und sensiblen Störungen
bleiben ohne Veränderung bestehen), des Fehlens von Schmerzen, der Vertheilung
der sensiblen Störungen, nimmt Vortr. an, dass es sich um eine Haematomyelie
mf der Höhe des Epiconus medullaris und der Basis des Conus medullaris
bandelt
In der Discussion äussert sich Herr Raymond dahin, dass er mit der
Diagnose des Vortr. vollständig übereinstimmt.
Herr U. Touche: Paohymeningitia oervioo-dorsalia im Verlaufe von
Tabes.
Vortr. theilt die Krankengeschichte und das Sectionsprotokoll einer tabi sehen
Frm mit, bei der 2 Jahre vor dem Tode die Hände während der Arbeit plötzlich
panlysirt wurden. An den Beinen, Blase und Mastdarm wurden die gewöhn¬
lichen tabischen Störungen constatirt. An der rechten oberen Extremität Ankylose
mit Verdickung im Ellenbogengelenke und mit einer 'Decubituswunde. Eigen¬
tümliche Verkrümmungen an den Fingern: die ersten 3 Finger sind in der
MeUc&rp&laxe wie verlängert, gestreckt und vollständig ankylosirt, der 4. und
a. Finger sind treppenähnlich deformirt, wie bei der Arthritis deformans. Die
linke obere Extremität ist äusserst schwach, abgemagert, aber keine Deforma¬
tionen an den Gelenken. Die Patientin starb an zunehmender Kachexie. Bei der
Antopeie fand man Lungentuberculose. Malum Potii am oberen Theil der Brust-
Wirbelsäule ohne Verkrümmung derselben. Oberflächliche Veränderungen auf der
hinteren Fläche der Körper der unteren Cervical- und der ersten Brustwirbel.
Die Dora mater spinalis ist auf dieser Höhe ausserordentlich stark verdickt. Die
Verdickung der Dura mater beginnt auf der Höhe der Austrittsstelle des 6. Dorsal-
Mrren. Hier nimmt die Verdickung die hintere Fläche der Dura mater ein. Höher
tntreekt sich die Verdickung auf die lateralen Theile der Dura mater; und auf
kr Höhe der 2. und 1. Dorsal-, 8. und 7. Cervicalwurzel bildet die Verdickung
w iwei seitliche Streifen, die die Wurzeln besonders rechts stark comprimiren.
Wüter hinauf verschwindet die Pachymeningitis vollständig. Die mikroskopische
Untersuchung des unteren Brust- und Lendenmarkes zeigt vollständige Degene¬
ration der hinteren Wurzeln und der Hinterstlänge mit Ausnahme der cornu-
Mmndssnralen Zone. Dieselben Veränderungen findet man ebenfalls an der Stelle,
vo dis Wurzeln comprimirt sind, und ausserdem sind die 7. und 8. Cervical-
’onknrurxel, die 1. und 2. Brustvorderwurzel rechts vollständig, links theilweise
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entartet. Ausserhalb dieser comprimirten Stelle sind die vorderen Wurzeln längs
des ganzen Rückenmarkes vollständig normal.
Bei der Discussion bemerkt Herr Pierre Marie, dass die pachymeningi-
tische Erkrankung im Falle des Herrn Touche höchstwahrscheinlich von der
Tabes unabhängig ist. Sie ist um so interessanter und beweist, wie wichtig es
wäre, in allen Fällen von Rückenmarkserkrankungen die Dura mater spinalis
genau zu untersuchen. So z. B. ist die Dura mater spinalis bei Syringomyelie
und bei Hydromyelie sehr oft verdünnt.
Herr G. Marinesco (Bukarest): Untersuchungen über die Verände¬
rungen an den Zellen der Spinalganglien bei Tabes. (Vorgetragen von
Herrn Prof. Joffroy.)
M. hat in 9 Fällen von Tabes die Spinalganglien nach den neusten Me¬
thoden untersucht und kommt zu dem Schlüsse, dass die verschiedenartigen Ver¬
änderungen, die er in den Zellen dieser Ganglien constatirt hat, nichts Charakte¬
ristisches darbieten, und dass es nicht möglich sei, diese Veränderungen als
Ursache der Entartung der Rückenmarkshinterstränge bei der Tabes zu betrachten.
In der Discussion äussert sich P. Marie folgendermaassen: Vor einigen
Jahren war ich der Meinung, dass die ersten Veränderungen bei der Tabes
ihren Sitz in den Spinalganglien haben. Diese meine Ansicht war rein theore¬
tisch, und ich gestehe, dass die Thatsachen meine Theorie nicht bestätigt haben.
Bei allen Autopsieen von Tabikern, die ich seitdem gemacht habe, habe ich nie
Veränderungen in den Spinalganglien gefunden. Ich habe in Folge dessen auf
meine frühere Meinung verzichtet, und ich stimme vollständig mit der Meinung
des Herrn M. überein. Ich muss offen gestehen, dass ich für den Augenblick
keine Ahnung habe, wo die tabischen Veränderungen ihren Anfang nehmen.
Herr Touche (Brevannes): Suboortioale Blutung ln der zweiten fron¬
talen Windung rechts. Progressiv zunehmende Hemiplegie. Paralyse
der Bewegungen der Augen nach links.
Es handelt sich um einen 56jähr. Herzkranken, der gegen Ende März 1900
über zunehmende Schwäche in der rechten Hand klagte. Bei der Untersuchung
fand man ausser einer Lähmung der Beuger und Strecker der Hand und der
Finger, des Supinator und des Pronator, Lähmung der Zehen auf derselben Seite
und gesteigerte Patellarreflexe auf beiden Seiten. Allmählich stellte sich eine
linke Hemiplegie ein. Am 5. April wurde dieselbe constatirt. Die Bewegungen
der Augen waren damals frei, die Pupillen mittelgross, reagirten auf Licht. Der
untere Facialis war leicht gelähmt. Die Zunge konnte nicht aus dem Munde
herausgestreckt werden. Es existirten keine Sensibilitätsstörungen. Die Patellar¬
reflexe verschwanden später auf beiden Seiten. Es war kein Fussclonus vor¬
handen.
Am 10. April Status idem. Incontinentia urinae et alvi.
Am 21. April komatöser Zustand. Schluckbeschwerden. Die Pupillen stark
erweitert, lichtstarr. Der Kranke kann auf Befehl die Augen nach rechts be¬
wegen. Dagegen nach links kann er die Augen nicht bewegen. Dieselben über¬
schreiten nicht die Mittellinie.
Der Kranke starb nach einem Monat seit dem Beginne der Krankheit
Bei der Autopsie fand man die Gehirnrinde intact. Ein horizontaler Schnitt
durch die rechte Hemisphäre in der Mitte des Thalamus opticus zeigt keinerlei
Veränderung. Ein ähnlicher Schnitt dicht am Uebergang der zweiten frontalen
Windung in die 1. Centralwindung zeigt den Anfang einer Blutung in der sub-
corticalen weissen Substanz. An dieser Stelle zeigen Schnitte in die Tiefe, dass
die weisse Substanz durch die Blutung ausgehölt, dass die graue Rindensubstanz
intact ist, und dass die Centralwindungen nach hinten verdrängt sind. Am Be-
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ginne der 3. Centralwindung hört die Blutung auf. Die Eigenthümliohkeit dieses
Falles besteht 1. in der langsamen und progressiven Entwickelung der Hemiplegie,
so dass man an eine Erweichung hätte denken können, 2. in dem Auftreten von
gesteigertem und dann vollständigem Verschwinden der Patellarreflexe, 3. in der
Unmöglichkeit die Augen nach links zu bewegen.
In der Discussion bemerkt Herr Baymond, dass dieser Fall ein Beleg
ist für die jüngst publicirten Arbeiten über die corticale Localisation der Augen-
bewegungen. Namentlich hat Pilz auf dem letzten Pariser Congress seine Ex¬
perimente bei Hunden mitgetheilt, die ganz mit den Fällen, die aus der Sal¬
petrige stammen, übereinstimmen.
Herr Ch. Achard: Urticaria abdominalis in symmetrischen und seg¬
mentären Streifen.
Vortr. theilt die Krankengeschichte einer 26jähr. Wöchnerin mit, die während
des Puerperiums einen Anfall von Nesselsucht bekam, von eigentümlich symme¬
trischer Localisation. Der Hautausschlag, der alle Charaktere einer Urticaria
darbot, bestand aus zwei 10 cm breiten Streifen auf der Höhe der Taille. Nach
vorn verschmälerten sich diese Streifen und hörten etwa 5 cm weit vom Nabel
auf. Nach hinten standen dieselben von der Wirbelsäule etwa 10 cm weit ab.
Die Bänder der Eruption sind scharf begrenzt Die Empfindungen für Tast-,
Temperatur- und SchmerzBinn sind an der Stelle des Ausschlages nicht gestört. Die
Kranke ist zwar sehr nervös, bietet aber keine hysterischen Stigmata dar. Sie
bat vorher nie an Nesselsucht gelitten, soll aber an einem Herpes zoster am
unteren Theile des Brustkorbes vor 7 Jahren gelitten haben. Nach 24 Stunden
war der Nesselausschlag verschwunden. Mehrere Male ist auf den Zusammenhang
der Topographie von Urticaria mit der Vertheilung der Hautnerven aufmerksam
gemacht worden. Dieser Fall ist ein hübsches Beispiel von segmentär gelegenem
Nesselauschlag. Auch die Doppelseitigkeit und Symmetrie der Eruption spricht
für einen central-spinalen Ursprung des Leidens.
Herr Ch. Achard und A. Clere: Erythem am Thorax von segmen¬
tärer Form, begleitet von einem pleuritisohen Exsudat.
Es handelt sich um einen 58jähr. Mann, der mit Schmerzen im Abdomen
ohne Verdauungsstörungen und mit leichtem Husten ohne Dyspnoe erkrankte. Bei
der Untersuchung constatirte man an der linken Hälfte des Thorax ein Erythem
von viereckiger Form, welches sich horizontal erstreckte und die 8., 9. und
10. Bippe durchkreuzt. Diese Böthe der Haut beginnt etwa 5 cm weit von der
Mittellinie des Bückens entfernt und hört vorn in der Warzenlinie auf. In die
Höhe misst dieselbe 3 1 / 2 cm. Sie ist von ziegelrother Farbe, bildet keine Er¬
höhung der Haut und ist weder von Bläschen noch von Krusten bedeckt. Die
objective Hautsensibilität ist normal. Gleichzeitig besteht in den unteren zwei
Drittel der Brust auf derselben Seite eine exsudative Pleuritis leichten Grades.
Dieser Fall bildet ein Beispiel von einer Hauteruption von segmentärer
Topographie, ähnlich wie Herpes zoster. Aber in diesem Falle handelte es sich
nicht um Herpes zoster, da die Haut nur roth war und es nicht zu Bläschen¬
bildung kam. Das gleichzeitige Bestehen einer Pleuritis wirft die Frage auf über
den Zusammenhang der Entzündung der Haut und des Bippenfelles. Die topo¬
graphische Vertheilung des Hauterythems spricht gegen periphere Entzündung
da* Intercostalnerven, hervorgerufen durch den pleuritischen EntzündungBprocess.
Die Vortr. sind eher geneigt, einen centralen Ursprung anzunehmen, indem sie
glauben, dass es sich entweder um einen reflectorischen Process handelt, hervor¬
gerufen durch Beizung der Pleura, oder dass eine allgemeine Ursache, die auf
das Bückenmark eingewirkt hatte, consecutiv und gleichzeitig die Pleuritis und
die Hautentzündung hervorgebracht hat.
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In der Discussion bemerkt Herr Dejerine, dass die eben beschriebene
Eruption die Gegend mehrerer Wurzeln einnimmt, und er wäre der Meinung, dase
es weh eher um eine radiouläre Vertheilung handelt. Es wäre passender, die
Bezeichnung segmentär für Erscheinungen zu reserviren, die auf verschiedenen
Segmenten der Gliedmaassen localisirt sind.
Herr Henry Meige ist dagegen der Meinung, dass die Bezeichnung „seg¬
mentär“ auch für Störungen anzuwenden ist, die verschiedene Segmente des
Rumpfes einnehmen. Die Fälle des Herrn Achard bestätigen auch die Theorie
von Brissaud Aber die peripheren Metamere, die metamerischen Seg¬
menten im Rückenmark entsprechen. Wollte man bei den Fällen von Achard
einen radiculären Ursprung annehmen, so wäre man genöthigt, eine Läsion vor&us-
zusetzen, die mehrere übereinanderliegende intercostale Wurzeln gleichzeitig trifft.
R. Hirschberg (Paris).
Sooiötd de M&deoine mentale de Belgique.
S6ance ordinaire tenue ä l’universite de Bruxelles le 28 avril 1900.
Herr Claus: Geber Hedonal.
Verf hat das Hedonal (Methylpropylcarbinolurethan) nicht nur bei ein¬
facher nervöser Schlaflosigkeit, sondern auch bei einem Tabiker, bei dem auch
eine sedative Wirkung auf die lancinirenden Schmerzen bemerkbar war, mit gutem
Erfolg als Hypnoticum angewendet, sondern auch bei cerebralen Erregungs¬
zuständen. In Gaben von 1—2 g brachte es seinen meist an organischen Krank¬
heiten leidenden Patienten entweder Beruhigung oder mehr oder weniger voll¬
ständigen Schlaf. Ausser einer bei zwei hinfälligen Kranken beobachteten Pro¬
stration, die am Tage nach der Darreichung einer 2 g-Dosis noch anhielt, hat
Verf. keine üblen Nebenwirkungen, dagegen in 2 Fällen (periodische Manie,
Alkoholpsychose) angeblich sogar eine Besserung des Allgemeinbefindens constatirt.
Auch zeigte sich keine üble Beeinflussung des Appetits, keine accumulirende und
keine diuretische Wirkung, welch letztere eigentlich allen Urethanen eigentümlich
ist. Er ging in einem Falle bis zu 5 g pro dosi und glaubt, dass eine solche
Gabe anstandslos mehrere Tage hintereinander gegeben werden kann. Bevorzugt
wird die Darreichung in Cachets oder als Pulver mit einem Schluck einfachen
oder Zimmtwassers, falls der an Menthol erinnernde Geschmack dem Patienten
unangenehm sein sollte.
Die zum Beleg beigefügten 10 „summarischen“ Krankengeschichten lassen
nähere Angaben vermissen, wie oft ungefähr das Mittel gegeben worden ist. Auf
einzelne erfolgreiche Verabreichungen lässt sich ja noch kein Urtheil gründen.
Nach den bisher vom Ref. eingesehenen Arbeiten über Hedonal hat dies haupt¬
sächlich bei einfacher Agrypnie Erfolge zu verzeichnen und besitzt keinen narco-
tischen Effect.
In der Discussion widersprach auch Dr. Crocq den Ausführungen des Vortr.
Er hat ebenfalls Versuche mit Hedonal gemacht, indessen nur hypnotischen Erfolg
bei gewöhnlicher Schlaflosigkeit und bei Kranken mit leichter Erregung gesehen.
Herr Lentz: Schwachsinnigen- und Idiotenunterrioht.
Vortr. spricht sioh abfällig aus über den zur Zeit gar zu sehr in den Vorder¬
grund geschobenen Unterricht dieser Klasse von kranken Kindern, nachdem er
als Inspioient des öffentlichen Unterrichts genug Gelegenheit gehabt hat, zu be¬
obachten, dass den normalen Kindern schon viel zu viel theoretischer Kram ein¬
gepaukt wird, dass sie dagegen nichts wüssten von dem, was um sie herum vor-
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gehe, and deswegen du, wu sie läsen, meist nicht verständen. Bei den geistig
zurückgebliebenen, im beeil] en and idiotischen Kindern gelänge es schliesslich auch
mit Aufwand von viel Zeit und Mühe, ihnen du Lesen beizubringen; aber wu
wäre damit gewonnen? Besser wäre es, sie ein leichtes Handwerk zu lehren
und jene Mühe dafür zu verwenden, den besserbegabten Schülern guten Unterricht
su Theil werden zu lassen; auch in der Volksschule müsse übrigens du Hand*
werkszeug neben dem Buche liegen, d. h. praktische Unterweisung mit theo¬
retischem Unterricht Hand in Hand gehen. Der Unterricht in den Irrenanstalten
habe gar keinen Sinn; man könne doch heute dort nur solche aufhehmen, die
zwar noch einer gewissen Erziehung fähig wären, für die aber theoretischer
Unterricht der reinste Ueberfluss wäre, besonders, nachdem man aus den Irren¬
anstalten alle geistig zurückgebliebenen Kinder, ferner aber auch die einfachen
Imbeeillen bez. Idioten ersten Grades, sofern sie nicht durch Zeichen der Ent¬
artung besondere ärztlich4 Behandlung erforderten, ausgeschieden habe. Die Er¬
ziehung der Imbeeillen und Idioten ersten Grades müsse in der Familie und in
der Oeffentlichkeit stattfinden, wo ihre Sinne durch vielfache, fortwährend neue
Eindrücke besser angeregt würden als in der entmutigenden, niederdrückenden
Einförmigkeit der Anstalt. Sie sollten also im Schosse ihrer Familien bleiben
und am Tage specielle Schulen mit besonderer Organisation besuchen; aus diesen
will er verbannen du Lesen, Schreiben und schriftliche Rechnen, will dagegen den
Kindern möglichst allgemeine Kenntnisse durch Anschauungsunterricht, vor allem
aber womöglich ein mit ihren Kräften und geistigen Fähigkeiten vereinbares
Handwerk beibring en. Leider lieese sich dies nur in grossen Centren durchführen.
Er tadle also nicht wie kürzlich Ley du Zuwenig des Unterrichte, sondern eher
das Gegentheil. Man solle die Zeit des theoretischen Unterrichts lieber auf
praktische Unterweisungen verwenden; leichter wäre es, schwachsinnigen Kindern
du ABC, du ihnen doch nichts nütze, beizubringen, als eine einfache Handfertig¬
keit, die ihnen später zur Fristung ihrer Existenz sehr viel nützen könne.
Selbst in der Anstalt Manage in Belgien, die ungerechtfertigter Weise von Ley
schwer angegriffen worden wäre, gehe man ihm zuweit mit dem theoretischen
Unterricht. Die Resultate, die dort in den Werkstätten erzielt würden, wären
sehr gute, der ganze Eindruck dort sei ein viel besserer gewesen, als der, den
er in der Schule gewonnen hätte, wo sich doch dieselben Kinder viel mehr ge¬
plagt hätten. Es existirten dort zwei gut eingerichtete Werkstätten, eine für
Schneiderei und eine für Schuhmacherei; jetzt wolle man auch noch die Korb¬
macherei einführen. Er glaube, dass sich auch die Handwerke des Holzschuh¬
machers, Sattlers, Bürstenbinders und Stuhlflechtere mit Vortheil einrichten
lieesen. Auch im landwirthschaftlichen Betrieb liesse sich noch mancher Idiot
brauchbar beschäftigen, wie überhaupt die Behandlung dieser Kranken in der
Colonie seine ganzen Sympathieen besitze.
Rösumö: Bei der grossen Menge der Idioten müsse man scheiden zwisohen
Unterrichts- und Erziehungsfähigen; für den Unterricht wären nur sehr wenig
reif, und diese dürften nicht in die Irrenanstalten kommen; die meisten aber
wären mit Hülfe der Anschauungsmethode erziehungsfähig und könnten eine
Handfertigkeit lernen, mit der sie sioh nützlich zu machen vermöchten.
Herr Swolfs findet am rationellsten folgende Eintheilung:
1. Geistig zurückgebliebene Kinder (verzögerte Ausbildung der psychischen
Centren, z. B. in Folge von Krankheit),
2. die sogen. Simples d’esprit (gewisser Grad geistiger Schwäche),
3. Imbeeillen und Idioten.
a) Abtheilung der Reinlichen, b) der Unreinen, c) der Epileptischen.
Für Gruppe 1 und 2 ist ein oberflächlicher Unterricht möglich, besonders
nach der Fröbel’schen Methode. Die physische Erziehung richtet sich nach den
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in allen guten Pensionen und Internaten üblichen Regeln. Haupterfordern iss ist,
dass jeder Lehrer nur eine kleine Zahl Schüler bekommt. Er verglich die ge¬
schmähten Einrichtungen Belgiens mit denen in Bicetre hei Paris und fand, dass
die Resultate sowohl des theoretischen als des Handfertigkeitsunterrichts im
ersteren nicht schlechter waren als im Bicetre, sondern zum Theil besser, und
dass man in diesem nur mehr Rühmens davon machte. Bourneville selbst ge¬
stand ihm aber bez. der Resultate des Unterrichts bei Imbecillen und Idioten
mit den Worten: „Wo nichts ist, da hat der Kaiser das Recht verloren“ die
Geringfügigkeit derselben zu. Auch hat er selbst bei einem zweiten Besuch in
Bicetre, bei welchem sich Bourneville ähnlich negativ über die mit der Fröbel-
Methode erreichten Unterrichtsresultate aussprach, in dieser Richtung keine Fort¬
schritte beobachtet.
Herr Robert, Arzt in Manage, geht nach persönlichen Bemerkungen über
die gegen die Anstalt gerichteten Angriffe auf die in Manage übliche Fröbel-
Organisation ein; es giebt dort 3 Abtheilungen mit ca. 16 Schülern. In der
untersten erhalten die Kinder den ersten Unterricht mit Lochhölzchen; zeigen sie
Verständniss, dann kommen sie in die zweite u. s. w. Die Primärschule thut
dann das übrige im Bereiche des Möglichen. Neben dem Anschauungsunterricht
legt er den Hauptwerth auf die Handarbeit; jedes Kind hat auch bei der Rein-
und Instandhaltung des Saales seine bestimmte Aufgabe. Je nach dem Intellect
findet sich dann weiter Arbeit im Feld oder in den Werkstätten; 60°/ 0 sind
regelmässig und methodisch beschäftigt.
Herr Demoor stimmt Lentz bei, wenn dieser fordert, dass die Irrenanstalt
nur für die unreinen und nicht besserungsfähigen Idioten da sei und keine Schule
brauche; alle anderen gehörten in Specialschulen. Hauptsache ist dort, dass der
Schüler ein Handarbeiter wird, der einige Unterrichtsbegriffe besitzt; also neben
der Klasse die Werkstätte!
Herr Da ms charakterisirt kurz die Einrichtungen des Asyls von Tessenderloo,
wo der Unterricht ebenfalls nach der Fröbel’sehen Methode ertheilt wird.
Communication de M. le Dr. van Gehuchten: A propos de l’ötat monlli-
forme des neurones.
Polemik gegen M. Havet; s. Bulletin de la Societe de Mödecine mentale.
1900. Juin. S. 146—162.) Meitzer (Colditz).
Medioinisohe Gesellschaft ln Warschau.
Sitzung vom 21. November 1899.
Herr St. Kopezynski berichtet über folgenden Fall von Himsyphilis. Bei
einer 42jährigen Frau zeigte sich 3 Jahre vor dem Tode Abschwächung der geistigen
Fähigkeiten. 1 Jahr vor dem Tode linksseitige Hemiplegie. Nach einigen Wochen
rechts Oculomotoriuslähmung. Steter Wechsel der Pupillenbreite und ihrer Licht-
reaction. Fortschreitende Demenz. Section ergab Abflachung der Windungen, Ver¬
dickung der Basalgefässe, zwei Erweichungsherde in der Gegend der inneren Kapsel
und Nucl. lenticularis und sklerotischer Herd in der rechten unteren Ponshälfte.
Mikroskopische Untersuchung der Erweichungsherde ergab Fettkörnchenzellen, Blut¬
pigment, Amyloidkörper, Blutextravasate, kleinzellige Infiltration, Verdickung der Pia
im Trigonum interpedunculare. Degeneration des rechten Oculomotorius. Deutliche
Veränderung des Gefässes am Pulvinar thalami (Verdickung der Intima, Infiltration
der Adventitia u. a.) und an anderen Gefässen. In einigen Gef&ssen die Heubner’-
schen Arteriomata. Im Rückenmark Degeneration der Pyramidenseitenstränge, beson¬
ders rechts. Deutliche Alterationen im Gebiete des Chiasma opticum (Infiltration!
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der Pia mit zum Theil gummösem Charakter; diese Infiltration verläuft neben dem
Chiasma und einem Traetos opticus). Vortr. bespricht ferner die Beziehungen zwisohen
Dementia paralytica und Pseudoparalysis luetica. Bei der letzteren Krankheit sollte
keine tiefgreifende Charakterveränderung stattfinden, die Selbstkritik sei länger er*
halten, mau findet häufig Herderscheinungen, Kopfschmerzen, Pupillenwechsel (Breite
und Beaction), längere Krankheitsdauer. Der Pupillenwechsel bei Himsyphilis wäre
von den sich verändernden Alterationen im Chiasma abhängig. Die Heubner’schen
Arteriomata verdanken ihre Entstehung, nach Meinung des Vortr., der differencirten,
gewucherten Intima. Die ausschliessliche Degeneration der Pyramidenseitenstränge
mit Freilassen der Pyramidenvorderstränge soll für die völlige Pyramidenkreuzung
(im vorliegenden Falle) sprechen.
Sitzung vom 28. November 1899.
Herr Dydynski demonstrirte ein lmonatl. Mädchen mit cerebraler Kinder¬
lähmung. Von der Geburt an merkte man bei der kleinen Pat. folgende Erschei¬
nungen: Lähmung sämmtlicher Extremitäten, sehr starke Beugecontracturen, Sehnen¬
reflexe schwer zu erhalten (Rigidität der Muskeln). Keine Atrophieen. Vortr. macht
besonders aufmerksam auf die vollkommene Symmetrie der Krankheitserscheinungen
an beiden Köperhälflen.
Herr Bregman demonstrirte einen 55jähr. Arbeiter mit Troohlearia- und
Oculomotoriuslähmung in Folge von Sohädelbruoh. Pat fiel vor 3 Wochen
von der Treppe herunter und merkte am folgenden Tage, dass er sein linkes Auge
nicht mehr öffnen kann. — Status: Ptosis sinistra. Das linke Ange bewegt sich
nach rechts gut, nach links nur unvollständig; nach allen übrigen Richtungen ist
dasselbe unbeweglich. Linke Pupille weiter als die rechte und zeigt keine Licht-
reaction (Accommodationsfähigkeit erhalten). Vortr. meint, dass es sich im vor¬
liegenden Falle um eine exclusive Lähmung der Nn. III und IV (links) an der
Schädelbasis gehandelt bat. Das Vorhandensein des Argyll-Robertson’schen
Symptoms in diesem Falle zeigt dass diese Erscheinung auch bei Erkrankung peri¬
pherer Nerven Vorkommen kann. Es ist bemerkenswert!!, dass der Muskel, welcher
das obere Lid erhebt, Entartungsreaction zeigte (normal keine Reaction; im vor¬
liegenden Falle deutliche Hebung des Oberlides bei KaS und bei stärkeren Strömen
bei KaO; AnSZ und AnOZ).
Sitzung vom 5. December 1899.
Herr Dydynski demonstrirte 1. ein 20jfthr. Mädchen mit Paralyais pro¬
gressiva (auf Grund von hereditärer Syphilis). Das betreffende Mädchen soll früher
stets gesund und lebenslustig gewesen sein. Seit 10 Monaten wurde sie apathisch,
vergesslich, traurig. Fortschreitende Demenz (lässt Drin und Koth unter sich,
apathisch, interesselos, isst nur dann, wenn man sie daran erinnert) und sehr deut¬
liche Gedächtnissschwäche. Pupillen ungleich, reagiren auf Licht nicht und nur
schwach auf Accommodation, Dysarthrie, Tremor linguae, Steigerung der Patellar-
reflexe. Vater des Pat. syphilitisch, bei der Mutter mehrere Aborte;
2. einen lOjähr. Knaben mit oerebraler Kinderlähmung. Pat. klagte seit
einigen Jahren über leicht eintretende Erfrierung der drei letzten Zehen an beiden
Füssen. Seit 1 Jahre nervös, roissmuthig, ungehorsam. Allmählich fortschreitende
Gedächtnissschwäche, Störung des Ganges. — Status: Spastisch-paretischer Gang
(besonders rechts). Paraparesis inferior (rechts deutlicher). Parese der rechten
oberen Extremität und des rechten unteren Facialis. Abweichung der Zunge nach
rechts. Rigidität der Beine. Steigerung der Sehnenreflexe. Hautreflexe fehlen fast
vollständig. Keine Articulationsstörung. Etwas näselnde Sprache. Pupillen normal;
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3. ein 38jähr. Arbeiter mit multipler Hirnnervenlähmung, welche sich
nach einem schweren Kopftranma entwickelte. — States: Lähmung des rechten
Hypoglossus mit Atrophie der rechten Zungenbälfte. Die letztere reagirt auf Inductions-
ström nicht; bei Prflfung mit constantem Strom partielle Entartungsreaction. Läh¬
mung eines Astes des N. Willieii rechts (für M. cucullaris). Lähmung des linken
N. acusticus. Hypästhesie im Gebiete des ersten Astes des rechten N. trigeminus.
Neuritis optica auf beiden 8eiten (besonders der nasalen Hälften) und Hemianopsie
bilateralis heteronyma temporalis. Parästhesieen in den Extremitäten und Druck¬
empfindlichkeit der Nervenstämme.
Vortr. nimmt an, dass es sich um Blutextravasate in den Himnerven handelt,
welche in Folge sehr heftiger Kopferschütterung zu Stande kamen.
E. Flatau (Warschau.)
Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien.
Sitzung vom 13. März 1900.
Herr Elzholz demonstrirt eine Patientin mit fraglicher Diagnose (Syringo¬
myelie oder amyotrophiaohe Lateralsklerose). Die 49 jährige Kranke hatte
vor einem Jahre einen Anfall von Bewusstlosigkeit und klonischen Zuckungen im
rechten Facialisgebiete und transitorische Aphasie. Ziemlich rasch einsetzendes Un¬
vermögen, den rechten Oberarm zu gebrauchen. Lichtstarre-Pupillen, hochgradige
Parese im Bereiche des rechten Schultergürtels und des rechten Ellbogecgelenkes,
während die Vorderarm- und Handmusculatnr nur etwas paretisch erscheint Atrophie
der am stärksten paretischen Muskeln, namentlich des M. deltoideus, weniger des M.
biceps und des M. brachialis int. und supinator longus. Fibrilläre Zuokungen, in
einigen atrophischen Muskeln Entartungsreaction. Bicepsrefiex rechts, Vorderarm¬
reflexe fehlen, Tricepsrefiex rechts lebhaft Achillessehnen- und Patellarreflexe rechts
deutlich gesteigert. Keine Rigiditäten, Sensibilität überall intact
Vortr. lässt es unentschieden, ob amyotrophische Lateralsklerose oder Syringo¬
myelie vorliegt, wahrscheinlich sei eine Combination des Krankheitsprocesses mit
Paralyse vorhanden.
Herr E. Rai mann demonstrirt Präparate eines Falles von Polioenoephalitie
sup. haemorrhagioa acuta, die von einem 46 jährigen Alkoholisten stammen. Der¬
selbe wurde wegen eines Delirum alcoholicum aufgenommen, ausserdem wies er eine
Orientirungs8törung auf. Es bestanden: Romberg’sches Symptom, beiderseitige Ab-
ducensparese, nystaktische Zuckungen. Die Pupillen, anfangs eng und leicht starr,
wurden später different und vollkommen starr. Sonst keine Störungen. Am zehnten
Krankheitstage erfolgte unter allmählichem Erlöschen der Reflexe Exitus letalis. Der
Krankheitsprocess beschränkt sich streng auf den Boden des IV. Ventrikels und des
Aquaeductus Sylvii und reicht bis zum hintersten Drittel des III. Ventrikels. In
diesem Gebiete besteht eine ausserordentliche Hyperämie, sind viele verbreiterte und
geschlängelte, strotzend mit Blut gefüllte Gefässe, sowie zahlreiche Hämorrbagieen,
theils in den perivasculären Räumen, theils frei im Gewebe vorhanden. Keine Rund¬
zelleninfiltration, keine Kern Vermehrung.
Herren Erwin Stransky und Ten Cate sprechen über oorrelative Empfind-
liohkeitssohwankong. (Ist ausführlich in den „Jahrb. für Psychiatrie“ mit-
getheilt.)
Herr Obersteiner macht darauf aufmerksam, dass die Versuche der Vortr.
auch auf eine gewisse Selbständigkeit der Segmente auf trophischem und vasomoto¬
rischem Gebiete hinzuweisen scheinen.
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191 —
Harr Filz: Zar Aetiologie and pathologischen Anatomie des perio¬
dischen Irreseins. (Erscheint ausführlich in der „Monatsscbr. f. Psychiatrie und
Neurologie.)
Sitzung vom 22. Mai 1900.
(Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 24.)
Herr R. Neurath demonstrirt einen Fall von spinaler Kinderlähmung mit
Elongation der Knoohen der gelähmten Extremität. Es handelt sich um
einen 2 1 /, Jahre alten Knaben mit deutlicher Rhachitis. Seit dem 6. Lebensmonate
ist das linke gelähmte Bein länger als das rechte gesunde, die Lähmung hatte in
den ersten Lebensmonaten eingesetzt Die radiographische Untersuchung ergiebt
starke Verkrümmung der Knochen der gesunden Extremität mit typischen rhachi-
tischen Veränderungen an den Epiphysen, während die Appositionszone der gelähmten
Extremität fast normal erscheint. Die besonders starke Belastung des gesunden
rechten Beines bewirkt die Localisation der stärkeren rhachitischen Veränderungen
an dieser Extremität Eine Längendifferenz zu Gunsten der gelähmten Extremität
tritt deshalb nur selten auf, weil die Lähmung nur selten zur Zeit einer bestehenden
floriden Rhachitis einer unteren Extremität auftritt und die Untersuchung des Falles
zu einer relativ frühen Zeit nicht oft vorgenommen wird. Späterhin wiegt die
Atrophie des gelähmten Beines die gehemmte Entwickelung des gesunden auf. Es
liegt also nicht eine Elongation des gelähmten, sondern eine Entwickelungshemmung
des gesunden Beines vor.
Herr v. Halban demonstrirt einen Fall von infantiler Pseudobulbärpara¬
lyse. Das nun 9 Jahre alte Mädchen kam gut entwickelt zur Welt und war gesund
bis zu seinem dritten Lebensjahre, konnte gut gehen und sprechen. Nach einem fieber¬
haften Zustande im dritten Lebensjahre Sprachstörung, Zuckungen in allen vier Ex¬
tremitäten ohne Bewusstseinsverlust mit nachfolgender Lähmung aller Extremitäten,
rechts mehr als links. Hochgradige Kau- und Schluckstörung. Allmähliche Besserung
in den folgenden zwei Jahren. Das Kind blieb geistig nicht zurück. Nystagmus
horizontalis, rechtsseitiger Lagophthalmus, links Angenschluss kraftlos, Lippenbewe¬
gungen gelingen nur theilweise, keine mimische Facialislähmung, spastische Hyper¬
innervation des Facialis, Salivation. Steigerung des Masseterrefiexes, Zungenbewe¬
gungen eingeschränkt Keine Störung der Rachen-, Gaumen-, Nasenreflexe, anschei¬
nend keine Gaumensegellähmung. Sprache sehr erschwert, auch besteht Stottern.
Streckung im Handgelenk an den oberen Extremitäten nur unvollkommen, Rigor in
demselben Gelenk. Die Reflexe sind beiderseits sehr gesteigert, Sensibilität normal.
Die Bewegungen in den Händen sind nicht eingeschränkt. Skoliose der Wirbelsäule;
keine Störung der Sphinkteren. Linke Extremitäten in der Entwickelung gleich
zurückgeblieben, die Bewegungen im Hüft- und Kniegelenk sind kräftig, beiderseitiger
Pes valgus. Patellar- und Achillessehnenreflex beiderseits gesteigert, Sensibilität un¬
gestört, spastisch-paretischer Gang.
Vortr. meint, dass die infantilen cerebralen Lähmungen mit bulbären Symptomen
nicht allzu selten sind, und dass ein Theil der Fälle in Anstalten für schwachsinnige
und taubstumme Kinder untergebracht sei.
Herr Zappert stellt einen 7Vj Jahre alten Knaben vor, der vor 9 Tagen
plötzlich ohne Bewusstseinsverlust an Aphasie und rechtsseitiger Hemiparese
erkrankte. In den nächsten Tagen Kopfschmerz, Erbrechen, später rechtsseitige
Krämpfe mit Bewusstseinsverlust. Pulsverlangsamung, Nackensteifigkeit, eingesunkenes
Abdomen. Vortr. diagnosticirte tuberculöse Meningitis und erklärt den Beginn mit
Aphasie als Ausdruck einer primären Exsudation an der linken Grosshirnconvexität.
Herr v. Frankl-Hochwart hat nur zwei Mal ein Einsetzen von Meningitis
mit Aphasie beobachtet. Das relativ häufige Auftreten der Aphasie im Verlaufe
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192
einer Meningitis kommt dabei nicht in Frage. In beiden Fällen waren Eigentüm¬
lichkeiten vorhanden, welche an die aphasische Sprachstörung der Paralyse erinnern,
ein Kommen und Gehen der Aphasie innerhalb von Stunden und Tagen, schliesslich
eine Stabilisirung derselben.
Herr H. Schlesinger erkl&rt die Aphasie als FrQhsymptom einer Meningitis
nach seinen Erfahrungen fflr keine seltene Erscheinung. Er erinnert sich an 4 oder
6 Fälle bei mit Tuberculose behaftet gewesenen Individuen; die von v. Frankl-
Hochwart constatirten Schwankungen hat er nicht beobachtet. Bei einem Falle
handelte es sich um eine eintägige Aphasie, welche dann ganz zurücktrat.
Herr E. Be dl ich sah Meningitis mit initialer Aphasie, welche dauernd blieb.
In einem Falle bestand eine sensorische Aphasie bei einer linksseitigen Otitis media
suppurativa. Man dachte deshalb an einen Abscess im linken Schläfelappen; die
Annahme stellte sich bei der Operation als irrthümlich heraus, die Ursache der Aphasie
war eine Meningitis tuberculosa.
Herr Zappert hat ein Einsetzen der Meningitis mit Hemiplegie selbst in zwei
Fällen gesehen; es waren dies Fälle, in denen Convulsionen der Hemiplegie voran¬
gegangen waren, in beiden Fällen sicherte die Obduction die Diagnose.
Herr Obersteiner demonstrirt die Qllaaellen in der moleoolaren Sohioht
dee Grosshirn». Färbt man die Grosshirarinde erwachsener Menschen nach Marchi,
so sieht man im äusseren Drittel der molecularen Schicht eine grosse Anzahl schwarzer
Pünktchen, welche sich bei entsprechender Vergrösserung als Gliazellen erweisen, in
denen sich Fettkörncben eingelagert haben. Beim l 1 /, jährigen Kinde sind diese
Körnchen noch ungemein selten, beim 14jährigeD Kinde sind sie recht deutlich und
nehmen mit dem fortschreitenden Alter an Grösse und Zahl zu. Zu gleicher Zeit
erhalten sie in höherem Alter eine gelbbräunliche Farbe, man hat daher das Auf¬
treten dieses Falles in Gliazellen irriger Weise meist für den Ausdruck des Seniums
gehalten.
Ausserdem treten bereits im mittleren Lebensalter helle, lichtbrechende Körnchen
in Gliazellen auf, die in höherem Alter zu grösseren Kugeln anwacbsen und mit dem
Zerfall der Zelle wahrscheinlich die Grundlage der amylolden Körper darstellen.
Letztere entwickeln sich jedenfalls aus der Glia und durchaus nicht aus Axen-
cylindern. H. Schlesinger (Wien).
IV. Personalien.
Unser verehrter Mitarbeiter, Herr Dr. Meitzer, ist vom 1. Januar 1901 ab als An¬
staltsarzt nnd Bezirksarzt an die Königl. Sachs. Landeserziehungsanstalt für schwachsinnige
Knaben in Grosshennersdorf bei Herrnhut L d. Lausitz berufen worden.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 18.
Verlag von Vbit & Coup. in Leipzig. — Druck von Mitmh & Wrrria in Leipzig.
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fassung, die auf dem internationalen Kongress für Arbeiterschutz in Zürich vertreten
war, die Ausschliessung der Frauen von der Fabrikarbeit vom Standpunkt der sozialen
Notwendigkeit und einer gesunden Wirtschaftspolitik aus, sowie auch aus ethischen
und moralischen Gründen nicht nur möglich sei, sondern auch geboten erscheine. Zum
mindesten müssten die verheirateten Frauen für die Zeit, während der sie ihre Kinder zu
erziehen hätten, etwa bis zum vierzehnten Lebensjahre derselben, von der Fabrikarbeit
ausgeschlossen sein.
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1901. 1. März. Nr. 5.
Inhalt. I. Originalmittheilungen. 1. lieber ein wenig bekanntes Fasersystem an der
Peripherie des antero-lateralen Abschnittes des Halsmarkes, von Akademiker W. v. Bechterew.
2. Weiteres über das intermittirende Hinken, von S. Goldflam in Warschau. 3. Ueber Dys-
pbagia amyotactica, von Priv.-Doc. G. J. Rossolimo in Moskau. (Fortsetzung.) 4. Zur
Histologie der CompressiousveräDderungen des Rückenmarks bei Wirbelgeschwülsten, von
J>r. Max Bielschowsky.
II. Referate. Anatomie. 1. A notc on the deep transverse fibres of the pons, by
Laslett. 2. Heraiatropby of tbe brain and ita results on tbe cerebellum, medulla and spinal
cord, by Mott and Tredgold. — Experimentelle Physiologie. 3. Spinale Sch weissbannen
und Schweisscentren beim Menschen, von Schlesinger. 4. Ueber die physiologische Bedeutung
des Ammousborns, von Ossipow. 5. Untersuchungen über die Resorption des Liquors bei
normalem und erhöhtem intracraniellen Druck, von Spina. — Pathologische Anatomie.
6. Ueber Wurzel- und Zellveränderungen im Centralnervensystem des Kindes, von Zappert.
7. Ueber den Einfluss der Wass-.rentziehung auf die Nervenzelle, von Brasch. — Patho¬
logie des Nervensystems. 8. Die Gehirnerschütterung und ihre gerichtsärztliche Be-
urtheilung, von Niehues. 9. Ueber HirnerechütteruDg und acuten Hirndruck, von 8imon.
10. Ein Fall von Schädelverletzung mit Verlust erheblicher Gehirmuassen ohne nachweisbare
Funetionsstörungeu, von Gutmann. 11. Some medico-legal aspects of trauma in relation to
diseased cerebral arteries, by Krauss. 12. Die Scbussverletzungen durch das schweizerische
Mihtärgewehr, zusammengestellt ans den Jahren 1880—1900, von Henne. 13. Todesfall
dureli psychischen Insult, nebst Bemerkungen über Delirium nervosum Dupuytren und
Operationspsychosen, von Pagenstecher. 14. Katatonische Kraokbeitsbilder nach Kopf¬
verletzungen, von v. Muralt. 16. Ueber einen Fall von primärer isolirter Läsion des Sprach-
eentrums nach Trauma (Haematoencephalie) und secundärer Jackson'scher Rindenepilepsie
mit Rückgang der Erscheinungen ohne Trepanation, von Struppler. 16. Zum traumatischen
Im—ip, von Manke. 17. Casnistische Mittheilungen über Schädel- und Gehirnverletzungen,
to* FrSMIch. 18. Ueber Schädel-Hirnverletznngen, von Goldstein. 19. Ein Fall von trau-
mttoeher periodischer Lähmung, von Donath. 20. Beobachtungen über Seli- und Hörstörungen,
—wie über Angenmuskellähmangen nach Schädelverletzungen, von Knotz. 21. De l’hömiplegie
tramnatique, par Martial. 22. Ein Fall von traumatischer Spätapoplexie, von Mazurkiewicz.
23. SulT emicontrattura monosintomatica nel trauma nervoso, di Luzenberger. 24. Die Er¬
werbefähigkeit bei traumatischen und nicht traumatischen Neurosen, von Jeremias. 25. Sur
ks phönom&nes nerveux consecutifs aus traumatismes de la region dorso-lumbaire de la
—tonne Tert^brale, par Veihoogen. 26. Ueber einen Fall von Stichverletzung des Rücken¬
mark*, von Jolly. 27. Traumatic beuiorrhages into the spinal cord, by Bailey. 28. Deux
eas de lesions raödullaires en rapport avec an traumatisrae, par Decroly.
HL Personalien.
13
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194
I. Orginalmittheilungen.
1. Ueber ein wenig bekanntes Fasersystem an der
Peripherie des antero-lateralen Abschnittes des Halsmarkes.
Von Akademiker W. v. Beohterew.
Schon seit längerer Zeit habe ich den Wunsch, auf jenes Fasersystem
zurückzukommen, welches von mir den Namen Olivenstrang (Dreikantenbahn
von Helweg) erhalten hat, und wovon in einem besonderen Artikel dieses Centralbl. 1
eine eingehende Beschreibung vorliegt Durch verschiedene anderweitige Inan¬
spruchnahme ward ich jedoch immer wieder an der Ausführung dieser Absicht
verhindert. Unmittelbare Veranlassung vorliegender Notiz ist nun der Umstand,
dass das genannte Fasersystem in letzter Zeit zur Discussion gelangt und von
mehreren Seiten (Reinhold*, Pick 3 , Obeesteinee 4 ) zum Gegenstände der Be¬
arbeitung herangezogen ist. Dass die Angelegenheit solcher Bearbeitung und
Beachtung vollauf würdig ist, kann nicht zweifelhaft sein, zumal mehrere Punkte
immer noch ihrer endgültigen Erledigung harren, insbesondere so weit sie sich
beziehen 1. auf die Faserrichtung und 2. auf Ursprung und Endigung des
fraglichen Systems.
In Bezug auf den erstgenannten, die Faserrichtung betreffenden Punkt
möchte ich zunächst die in der Literatur über diese Frage auftretende miss¬
verständliche Meinung berichtigen, als würde das in Rede stehende Faser¬
system von mir als ein aufsteigendes betrachtet. Hervorgerufen ist diese Auf¬
fassung, wie mir scheinen will, durch einige in meiner Beschreibung der Bahn
vorhandene Ungenauigkeiten der Ausdrucksweise. So heisst es z. B. in dem
speciell darüber veröffentlichten Artikel dieses Centralbl. 6 u. A.: „Uebrigens ist
es unzweifelhaft, dass die Fasern des in Rede stehenden Bündels in dem vorderen
Horn ihren Anfang nehmen.“ Ein ebenso unzutreffender Ausdruck findet sich
an einer weiteren Stelle, wo es heisst: „Immerhin aber unterliegt es keinem
Zweifel, dass ersterer (Olivenstrang) in dem gleichseitigen Vorderhorne des Markes
entspringt und demgemäss das Gebiet des Grundbündels passiren muss.“ 6
In beiden Fällen ist hier nicht der wirkliche Faserursprung des Olivenstranges
gemeint, etwa im Sinne der Neuronlehre, die ja um jene Zeit noch nicht zu
ihrer gegenwärtigen Entwickelung gediehen war, sondern es handelte sich lediglich
1 1894. Nr. 12.
1 Reihhold, Deutsche Zeitschr. f. Nervenbeilk. 1897. X.
8 A. Pick, Beiträge zur pathologischen Anatomie des Centralnervensystems. 1890.
4 H. Obbbstbinbb, Arbeiten aus dem Institute für Anatomie und Physiologie dos
Centralnervensystems. 1900. Heft 7.
8 Neurolog. Centralbl. 1894. Nr. 12.
8 W. v. Bbchtbbkw, Die Leitungsbahnen. 1899. Leipzig. S. 99—100.
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195
um Angabe rein topographischer Verhältnisse, um von unten nach oben fort¬
schreitende Beschreibung des Faserzuges. Zur Bestätigung des Gesagten kann
ich anführen, dass ich den Olivenstrang in beiden vorhin genannten Arbeiten
als ein mit der centralen Haubenbahn einheitliches Fasersystem, welches in den
unteren Oliven eine Unterbrechung erleidet, auffasse. „Da von der anderen
Seite der unteren Oliven in cerebraler Richtung 1 die von mir zuerst beschriebene
centrale Haubenbahn hervorgeht, so ist es wahrscheinlich, dass dieselbe und
das Olivenbündel des Halsmarkes zu einem auf seinem Wege durch die unteren
Ohren unterbrochenen Fasersystem gehören.“ 1 Nichts desto weniger habe ich
die centrale Haubenbahn niemals anders als absteigendes System betrachtet
and sind von mir, wie von Anderen, sogar Fälle von absteigender Degeneration
dieser Bahn beschrieben worden. 8 Unter Anderem beziehe ich mich in meinen
„Leitungsbahnen“ 4 auch auf einen Fall von Meyer, in welchem neben Dege¬
neration der centralen Haubenbahn Atrophie der unteren Olive und des spinalen
Olivenstranges vorgefunden wurde. Man ersieht hieraus, dass ich den Oliven¬
strang nie als eine aufsteigende, sondern immer als eine absteigende Bahn be¬
trachtet habe.
Obwohl nun Pick die Ansicht vertritt, der Olivenstrang stelle eine auf¬
steigende Bahn dar, so sind von ihm, wie ich glaube, keine völlig überzeugenden
Belege zu Gunsten derselben beigebracht worden, wohingegen für die absteigende
Natur des Fasersystems ausser der oben erwähnten Beobachtung Meybr’s ein
Fall von Reinhold 6 geltend gemacht werden kann, in welchem ebenfalls ab¬
steigende Entartung des Olivenstranges zur Beobachtung gelangte.
Was den Ursprung der Bahn betrifft, so habe ich mit Rücksicht auf die
mit der Entwiokelungsmethode gewonnenen Befunde, wie schon erwähnt, an¬
fänglich 6 der Vermuthung Raum gegeben, dieselbe stehe in nächster Beziehung
za den unteren Oliven, und aus diesem Grunde führte ich sie unter dem Namen
Olivenbündel auf. Diese Ansicht konnte jedoch nicht mit völliger Sicherheit
weiter begründet werden, sondern erschien zunächst nur gestützt duroh das
topographische Verhalten des cerebralen Abschnittes der Bahn, was auch in
meinen „Leitungsbahnen“ ausdrücklich betont wird, wo es auf S. 99 heist: „Mit
dem Erscheinen der unteren Oliven aber verschwindet er (speciell der Oliven¬
strang) plötzlich. Man könnte im Hinblick auf den letztgenannten Umstand an Be¬
ziehungen des io Rede stehenden Bündels zu den Nervenzellen der unteren Olive
denken, doch sind für diese Annahme noch keine vollgültigen Be¬
weise vorhanden.“
1 Aach der Aasdrack „in cerebraler Richtung“ ist hier natürlich nur in topographischem
Sinne gemeint.
* W. v. Bkchtbbbw, Neurolog. Centralbl 1894. Nr. 12.
* W. ▼. Bbcbtbbiw, Die Leitungsbahnen. I. Aufl. 1894. Leipzig. Fussnote zu
S. 105. II. Aufl. 1899. S. 301 u. 302. — S. auch meine Arbeit: Ueber syphilitische cerebro¬
spinale Sklerose. Archiv f. Psych. XXVIII.
4 A. a. O. S. 302.
4 Reinhold, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1897. X.
* Vergl. meine eben erwähnte Schrift.
13*
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196
Noch bestimmter präcisire ich diese Verhältnisse in einem Zusätze zu der
demnächst erscheinenden französischen Ansgabe meiner „Leitungsbahnen“, wo
ich für das „Olivenbündel“ mit Rücksicht auf seine topographische Lagerung
den Namen Fasciculus periolivarius (Periolivarbündel) in Vorschlag bringe, eine
Bezeichnung, die in keiner Weise Beziehungen desselben zu den grossen Oliven
präjudicirt, sondern nur seine Nachbarschaft zur Olive ausdrücken soll.
Die Frage nach den Beziehungen des betrachteten Fasersystems zu den
unteren Oliven muss also so lange offen bleiben, bis die Möglichkeit einer
positiven Entscheidung derselben vorliegt In welchem Sinne aber letztere
auch ausfallen möge, immerhin dürfen wir eine Reihe von Befunden, die
auf Beziehungen des „ Periolivarbündels“ zu den unteren Oliven hindeuten,
schon jetzt nicht unbeachtet lassen. Es gehört hierher zunächst eine Be¬
obachtung von Meyer über eine hämorrhagische Affection der Haubengegend
im Niveau des Facialis- und Abducenskerues, wobei Degeneration der centralen
Haubenbahn, der grossen Olive und des uns hier interessirenden Fasersystems
auf der dem Krankheitsherde entsprechenden Seite vorlag. Ferner beobachtete
Reinhold 1 in einem Falle von Hämorrhagie im Gebiete des Rautengrubenbodens
Degeneration des Bündels auf der entsprechenden Seite. Ganz neuerdings noch
constatirtc Spilleb 2 in einem Falle von hämorrhagischem Extravasat an der
Gehirnbasis, welches die äussere Kapsel, den Linsenkern, den hinteren Schenkel
der inneren Kapsel und den Sehhügel ergriffen hatte, mit Hülfe der Mabchi-
Metbode Degeneration eines Faserzuges, welcher in der Brückengegend zur Seite
der Pyramide lagerte und weiterhin lateral von den grossen Oliven zum Rücken¬
marke hinabstieg. Im Niveau der Pyramidenkreuzung besass der Faserzug die
Lage des „Periolivarbüudels“. Das Rückenmark ist in diesem Falle leider nicht
untersucht worden. Nach Obersteiner soll es sich hier um Degeneration des
gleichen Fasersystems handeln, doch ist dies, wie ich meine, nicht so ganz
sicher. Berücksichtigt man jedoch, dass in aufsteigender Richtung Degeneration
des Bündels bisher nicht beobachtet wurde, und dass bei Affection der Olive
dasselbe auch nicht in absteigender Richtung degenerirt, so muss man in Ueber-
ein8timmung mit Obebsteineb 3 zu der Ansicht kommen, das Bündel stehe
direct oder indirect zu höher gelegenen Gebilden in Beziehungen. Dagegen
liegt keinerlei Grund vor, an Beziehungen des fraglichen Bündels zu der Pyramiden¬
bahn zu denken, wie Obersteiner dies thut. Zu Ungunsten dieser Annahme
spricht meiner Ansicht nach nicht allein die ungleichartige Entwickelung beider
Fasersysteme, denn nach meinen Beobachtungen ummarkt sich das „Periolivar-
bündel“ in der Regel etwas später als die Pyramidenbahn, sondern spricht auch
die auffallende Verschiedenheit der Faserstämme in beiden. Während nämlich
die Pyramidenbahn zumeist ziemlich dicke Markfaseru aufweist, enthält das uns
1 Reinhold, Deutsche Zeitschr. f. Nerrenheilk. 1897. X.
- Spilleb, Brain. 1900. XXII.
* H. Oubbsteinxb, Arbeiten aus dem Institute für Anatomie und Physiologie des
Centralnervensystems. 1900. Heft 7.
Digit
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197
hier beschäftigende Bündel durchweg ausserordentlich zarte Fasern mit spär¬
lichem Markbelage. Diese Verschiedenheit der Faserstämme kann vom Stand¬
punkte jener Ansicht, die unserem Bündel nahe Beziehungen zu der Pyramiden-
bahn zuschreibt, meines Erachtens keinerlei Erklärung finden.
2. Weiteres über das intermittirende Hinken.
Von S. Qoldflam in Warschau.
Die hervorragende Arbeit von Ebb 1 hat das obige Thema wieder auf die
Tagesordnung gestellt Bei der grossen Bedeutung des Leidens, welches das
Menschenleben nicht selten schon im frühen Alter bedroht oder ihm gar ein
Ende macht, war es auffallend, dass darüber so vfrenig berichtet wurde, zumal
so viele dunkle Punkte der Erklärung harren. Ueberdies gehört die Affection
nicht zu den seltenen. Mein erster Aufsatz 2 über diesen Gegenstand stützte
sich auf 6 Beobachtungen, Ebb’s Arbeit enthält nicht weniger als 12 Fälle.
Diesem Artikel liegen 24 Fälle zu Grunde, die zu beobachten ich in den letzten
Jahren Gelegenheit hatte.
Das Symptomenbild des intermittirenden Hinken ist als ein geradezu charak¬
teristisches anzusehen. Sein frühzeitiges Erkennen, das von lebenswichtiger Be¬
deutung sein kann, ist scheinbar ein leichtes, und dennoch sind sogar von er¬
fahrenen Aerzten Fehlgriffe gethan worden; ich habe einen Fall gesehen, wo
nach Application von Blutegeln, einen anderen, wo nach Incision der Ferse die
Wunden nicht heilten und Gangrän sich einstellte; man hat eben den Zustand
der zuführenden Fussarterien nicht berücksichtigt, die in beiden Fällen ob-
literirt waren.
Ich beabsichtige nicht, eine ausführliche Darstellung der ganzen Pathologie
des intermittirenden Hinkens zu geben; dies wurde bereits von Chakcot und
von mir, in glänzender Weise aber von Ebb in der citirten Schrift gethan; ich
will nur einige Punkte einer näheren Besprechung unterziehen.
Wie erwähnt, ist das Symptomenbild des intermittirenden Hinkens ein
ganz charakteristisches: klagt ein Kranker nach längerem oder kürzerem Gehen
über auftretende Schmerzen oder Parästhesieen in den Beinen, meistens in der
Wade oder dem Fusse, gehen diese Erscheinungen naoh kurzer Rast vorüber,
treten sie aber wieder zu Tage nach aufgenommenem GaDg, so dass der Kranke
dann abermals gezwungen ist, für kurze Zeit zu stehen oder zu sitzen und wieder¬
holt sich dieses Spiel — das typische Bild des intermittirenden Hinkens —
unter denselben Verhältnissen, dann soll man unverzüglich die Fussarterien
untersuchen, ob in ihnen Pulsation vorhanden ist oder nicht. 3 Das Ausbleiben des
1 Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1898. XXII.
* Deutsche ined. Wochenschr. 1895. Nr. 36.
* Vor einigen Jahren liess ich die beiden Fussarterien auf das Verhalten des Pulses
poliklinischen Kranken feststellen. Es wurden der Reihe nach 200 Kranke untersucht:
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198
Pulses an den Dorsales pedis und Tibiales postieae oder an den einen von ihnen, be¬
sonders an den Dorsales pedis ist das Ausschlaggebende für die ganze Erkrankung,
es wird auf ein Mal darüber grelles Licht geworfen, dass keine Rede mehr
sein kann von Rheumatismus, Ischias oder einer Neuralgie — wofür das inter-
mittirende Hinken oft gehalten wird —, sondern dass wir es mit einer ernsten
Erkrankung zu thun haben. Die Verengerung bezw. der Verschluss der zuführenden
Arterien am Fusse und Unterschenkel in Folge von Erkrankung ihrer Wan¬
dungen erklärt genügsam die Erscheinungen des intermittirenden Hinkens und
die unheilvollen Consequenzen, die nicht selten im weiteren Verlaufe sich ein-
stelleu. Neben dieser Veränderung an den Arterien und als Corollair finden
wir an den Beinen, namentlich den distalen Theilen, Zeichen der gestörten
Circulation in der überwiegenden Zahl der Fälle, so gestautes Venennetz, Kälte,
Cyanose, Schwellung, Flecken und Ekchymosen der Haut, manchmal Phlebo¬
thrombose und Phleboliten; der nach Fingerdruck entstandene weissgebliche
Fleck schwindet nur sehr langsam. Die Muskeln sind manchmal auf Drack
empfindlich, sie magern ab, nicht selten ist in ihnen ein sehr ausgesprochenes
fibrilläres Zucken, sogar ausgesprochener als bei spinaler progressiver Muskel¬
atrophie, manchmal tonische Krämpfe in den Wadenmuskeln, bemerkbar — als
Ausdruck schlechter Nutrition.
Die Arteriitis ist gewöhnlich eine symmetrische Erkrankung, beide Beine
werden ergriffen. In nicht wenigen Fällen aber leidet nur ein Bein, das andere kann
vollständig gesund sein, die Arterien an ihm gut fühlbar, und dieser Zustand
Jahre lang bestehen. In vielen Fällen waren beide zuführenden Arterien er¬
griffen, in vielen aber nur eine, nämlich die Dorsalis pedis, deren Verengerung
bezw. Verschluss genügt, um Erscheinungen des intermittirenden Hinkens hervor¬
zurufen, nicht aber um Gangrän herbeizufuhren. Ich habe keinen einzigen
Fall gesehen, wo die A. tibialis postica verengert bezw. obliterirt, der Puls der
A. dorsalis pedis aber erhalten war.
Unter meinen 24 Fällen war die Dorsalis pedis beiderseits in 13 Fällen
pulslos, in 10 Fällen war der rechte oder der linke Fuss zur Hälfte ergriffen,
nur in einem Falle war sie beiderseits schwach fühlbar. Die A. tibialis postica
war beiderseits in 7 Fällen, auf der rechten und linken in je 4 Fällen pulslos;
98 Männer, 84 Frauen and 18 Kinder. Nor bei 9 Kranken konnte man eine der zuführenden
Arterien nicht fühlen, also weniger ata in & */ 0 , nämlich eine der A. dorsalis pedis 7 Mal,
die A. tibialis postica 1 Mal, die letztere aaf beiden Füssen 1 Mal; es waren darunter
5 Männer, 2 Frauen, 2 Kinder. Selbstverständlich boten diese Kranken, die an ganz hetero¬
genen Erkrankungen, wie Herzfehler, Lebercirrhose, Emphysem, Bronchitis, Rheumatismus,
auch Hysterie laborirten, keine Erscheinungen dar, die auf intermittirendes Hinken hiu-
deuteten. In keinem Falle waren beide zuführenden Arterien pulslos. Daraus ist die unzweifel¬
hafte Wichtigkeit des Fehlens der Pulsation an den Fussarterien ersichtlich, die noch erhöht
wird, wenn an beiden zuführenden Schlagadern der Puls nicht zu finden ist. — Diese Zahlen
decken sich mit den von Ebb an einem viel grosseren Material von 700 Kranken ermittelten:
von 381 stationären Kranken boten nur 4 Anomalien, von 320 ambulatorischen waren in
19 Fällen einzelne Fusspulse vermisst worden. Nach Ebb muss das Fehlen der Fussarterien-
pulse fast mit Sicherheit als pathologisch bezeichnet werden.
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199
in den übrigen 9 Fällen war an ihr der Puls vorhanden bei Fehlen an der
Dorsalis. In manchen Fällen bezogen sich die Klagen und Erscheinungen des
intermiitirenden Hinkens nur auf ein Bein, die Pulslosigkeit aber der Arterien
betraf beide Füsse; gewöhnlich traten bald Erscheinungen auch seitens des
anderen Fusses hervor.
Ich verzichte, die Zahlen betreffs der Poplitea anzuführen, da hier bei der
tiefen Lage nur positives Resultat einen Werth hat, das Ausbleiben aber nicht
verwerthet werden kann. Die Aae. crurales waren nur in einem Falle, viel¬
leicht wegen Fettleibigkeit, nicht zu fühlen.
Die Symptome des intermittirenden Hinkens können Jahre lang ohne
Aenderung bestehen, es scheint in dem Process ein Stillstand eingetreten zu
sein. Allein die Arteriitis ist gewöhnlich ein progressives Leiden, es erstreckt
sich auf immer grössere Gebiete; demgemäss erscheinen im weiteren Verlaufe
spontane Schmerzen, ganz unabhängig vom Acte des Gehens. Es sind eben
solche Fälle, in denen beide zuführenden Arterien ergriffen sind, in denen wahr¬
scheinlich die Obliteration hoch auf den Unterschenkel steigt, und die im wei¬
teren Verlauf zur Gangrän neigen. Es sind dies sehr heftige Schmerzen, die
in der Ruhe entstehen, ja im Bette Nachts ihren Höhepunkt erreichen, sie sind
auch am Tage vorhanden, aber nicht so intensiv. Sie treten meistens in An¬
fällen auf, doch ist auch die Zwischenzeit von ihnen nicht frei. Es ist ein
Bohren, Reissen, Stechen, Schneiden u. s. w., das die Kranken in der Tiefe der
Wade, bezw. des Fusses, empfinden, sie des Schlafes beraubt, Wochen lang das
Bett zu hüten zwingt und als Reaction der sensiblen Nervenfasern in Folge
nngenügenden Blutzuflusses anzusehen ist. Das intermittirende Hinken stellt
gleichsam das erste Stadium des Processes dar, in welchem die Blutversorgung
in der Ruhe noch leidlich von Statten geht, aber beim Gehen nicht mehr aus¬
reicht, den Bewegungsapparat, die Bänder, Gelenke, namentlich die Muskeln,
genügend mit Blut zu speisen; diese relative Ischämie verräth sich durch
Schmerz beim Gehen. Ist die Verengerung aber weiter gediehen bezw. Ver¬
schluss eingetreten, hat sich die Arteriitis auf weite Gebiete erstreckt, auch auf
die kleinen Aestchen der Nerven, dann ist die Blutversorgung auch in der Ruhe
insofficient: es treten Schmerzen auch in der Ruhe auf.
Wenn auch die Arteriitis die Hauptursache der Erscheinungen bildet, so
tragen vasomotorische Störungen dazu bei, den Effect zu steigern. Mögen sie die
Folge der Arteriitis selbst sein — die in der Wand der veränderten Arterien
eingelagerten Fasern erleiden eine Störung —, mögen sie eine Folge der Ischämie
sein, mögen sie, was wahrscheinlicher, eine primäre Erscheinung darstellen,
genug, vasomotorische Störungen treten uns beinahe in jedem Falle von inter-
mittirendem Hinken entgegen, bestimmen vielleicht manche Erscheinungen, wie
das paroxysmale Auftreten der Schmerzen, tragen dazu bei, die schon vorhandenen
zu verschärfen, indem durch Vasoconstriction die Verengerung der Arterien noch
vollkommener wird. Sehen wir doch Fälle, wo nur eine der zuführenden Fuss-
arterien, die A. dorsalis pedis obliterirt erscheint, wo aber die in der Ruhe auf¬
tretenden starken Schmerzen Zeugniss davon ablegen, wie sehr die Ernährung
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200
gelitten hat; diese Schmerzen werden gewöhnlich von sehr ausgesprochenen
vasomotorischen Erscheinungen begleitet Meistens ist es eine anfallsweise anf-
tretende Blässe, der Fuss bezw. ein Theil desselben, gewöhnlich der vordere, die
Zehen, werden plötzlich leichenblass, daneben können Stellen vorhanden sein
mit bläulicher Verfärbung, so können eine oder mehrere Zehen kreideweiss sein
die anderen blau, ja an einer Zehe können beide Verfärbungen vertreten sein;
> das Aussehen gleicht dann einer Marmorirung. Nach kürzerer oder längerer Zeit
verschwinden die vasomotorischen Erscheinungen und machen der normalen
oder früher vorhandenen, durch gestörte Bluteirculation bestimmten Ver¬
färbung Platz.
Das vasomotorische System scheint auch in anderen Gebieten Störungen
zu erleiden. So habe ich auffallende Injection des Gesichts gesehen, nament¬
lich aber treten bei den mit intermittirendem Hinken Behafteten ziemlich oft
Erscheinungen von Angina pectoris zu Tage. Da sie junge Leute betrafen, bei
denen keine Zeichen von Arteriosklerose zu finden waren, so liegt die Vermuthung
nahe, dass bei ihnen die stenocardischen Anfälle auf vasomotorische Störungen
zu beziehen sind. Die Letzteren bilden also eine beinahe constante Erscheinung,
sie sind manchmal so ausgesprochen, dass dadurch ein Bild entsteht, welches
der RAYNAUD’scben Krankheit sehr ähnlich ist. Das Entscheidende für die
Diagnosestellung wird wohl unter anderem immer der Zustand der Arterien sein.
Das Symptomenbild des intermittirenden Hinkens ist das Charakteristischste
und wahrscheinlich das Häufigste, unter dem sich die Arteriitis in den Beinen
manifestirt, aber nicht das Einzige. Es kommen Fälle vor, wo die Erscheinungen
des intermittirenden Hinkens garnicht oder nur sehr verschwommen oder nur
ganz periodisch auftreten. Das Bild beherrschen von vornherein die eben ge¬
schilderten Schmerzen, die spontan in der Ruhe entstehen, in der Nacht ex-
acerbiren und vom Gehen unabhängig sind. Sie werden tief in der Wade, der
Sohle, am Fussrücken oder den Zehen empfunden, strahlen nicht selten am
N. ischiadicus entlang bis zur Glutäalgegend aus oder ergreifen das ganze Bein.
Es braucht nicht hervorgehoben zu werden, dass auch in diesen Fällen das
Verschwinden der Pulsation an den Fussarterien das wichtigste Kriterium ist;
es sind dies meist schwere Fälle, in denen beide zuführenden Arterien ergriffen
sind und die Gefahr des Brandes besteht.
Eine andere Modalität, unter der die Arteriitis sich klinisch verrathen kann,
besteht in den Parästhesieen der Beiue. Diese begleiten ja ausnahmslos alle
Fälle von intermittirendem Hinken. Das Gefühl von Kälte, Eingeschlafensein,
Taubwerden, Prickeln u. s. w. gehört zu den gewöhnlichen Klagen solcher
Kranken. Selten sind die Fälle, wo weder Erscheinungen des intermittirenden
Hinkens, noch die intensiven Schmerzen vorhanden oder nur angedeutet sind,
wo aber die Parästhesieen eine ungewöhnliche Stärke erreichen und das Bild
beherrschen wie in folgender Beobachtung.
J. A., 30 Jahre alt, kam in die Poliklinik am 1./VI. 1898. Als Forstbeamtei
war er beständig Unwetter, Durchnässen der Füsse ausgesetzt. Vor 4 J / 4 Jahren
verspürte er nach einer solchen Durchnässung Brennen in den Beinen, namentlicl
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201
im rechten und von den Füssen bis zu den Knieen ein Gefühl von Unbehagen,
d»8 »her nicht beständig war und ihn zuerst in seiner Beschäftigung nicht iu-
commodirte, nur das Gehen ein wenig erschwerte, wofern gerade Parästhesieen
rorhanden gewesen sind. Nach Gebrauch von Limanen bei Odessa (gleichwerthig den
Moorbädern) war er von den genannten Beschwerden frei, doch blieben die Beine
ein wenig schwach. Vor 2 s / 4 Jahren fing er an, an einem starken Kältegefühl
in den Füssen zu leiden, bald darauf bekam er Schmerzen in der rechten grossen
Me, später in der rechten 4. Zehe, besonders heftig Nachts. Im nächsten Früh¬
jahr nächtliches, sehr quälendes Brechen an den Fussrücken, alternirend mit
Schmerz in den genannten Zehen, während er am Tage beinahe frei von Be¬
schwerden war und seiner Beschäftigung nachging. Nach dem Wiedergebrauch
Ton Limanen ging das Breunen in den FusBriicken vorüber, die Schmerzen aber
erstreckten sich auf alle Zehen des rechten Fusses, in leichterem Grade auch auf
die des linken; im Herbst erreichten sie eine solche Höhe, dass Pat. wochenlang
schlaflose Nächte verbrachte und auch am Tage nicht frei von ihnen war. Er
lag in einer Klinik 4 Monate, wo nach Elektricität und Massage die Schmerzen
geringer wurden, das Kältegefühl aber zunahm. Die Schmerzen stellten sich wieder
ein im letzten Winter, dennoch konnte er bis Frühjahr seiner Beschäftigung ob¬
liegen, da sie am Tage nachliessen.
Jetzt klagt Pat. am meisten über das Kältegefühl von den Füssen bis zu
den Knieen, das ihn namentlich Tags über quält, wobei die Füsse blass werden.
Er hat auch Schmerzen in den Zehen, namentlich in der 1. und 4. neben und
unter den Nägeln, aber auch an der Innenfläche der Füsse und Fersen, seltener
sn einer anderen Stelle, z. B. am Malleolus ext., diese Gegend schwillt dann an
and wird blau. Schon seit längerer Zeit werden die Füsse, namentlich die Zehen
blau, was sich beim Herunterhängen noch steigert.
Vor 10 Jahren Febris intermittens einige Monate lang, danach sind inconstante
Schmerzen in der linken Bauchhälfte geblieben. Seit einigen Jahren Diarrhoe
(5—6 Stühle täglich) alternirend mit Constipation. Seit 1 Jahre ein inconstanter
Schmerz auf dem Sternum, der in der letzten Woche 2 Mal Abends besonders
hrftig wurde, nach dem Rücken und zwischen die Schulterblätter ausstrahlte,
1 Stunde anhielt und von Angst und Beklemmung begleitet war (Angina pectoris?)
5 gesunde Kinder, 1 Abort, keine Syphilis. Trinkt und raucht sehr massig.
Er ist ein Mann von gutem Bau und Ernährung. Geringes Emphysem; die
Eemöne dumpf, schwach, Radialpuls weich, klein, der Cruralpuls ebenfalls ver-
liitEiBsmässig schwach, an den Popliteae ist er nicht zu fühlen. Die Pulsation
m der Art. dorsalis pedis und tibialis postica ist an beiden Füssen nicht vor¬
handen. Das Venennetz am Fussrücken und an der inneren Fläche stark entwickelt,
flie äossere Fläche des rechten Fusses geröthet und geschwollen; hier und hinter
d-m rechten Malleolus ext. ein Strang palpirbar (wahrscheinlich thrombosirte
Vme), am äusseren Rande des linken Fusses ein rundlicher Knoten (Phlebplit?);
i? vorderen Abschnitte der Füsse, namentlich die Zehen, bläulich. Die Sensi-
Mitit vollständig erhalten. Die Sehnenreflexe lebhaft. Am Skiogramm sind die
frMiterirten GeFässe nicht sichtbar.
Bei einer zweiten Untersuchung, eine Woche später, war der linke Fuss
leichenblass, der rechte blau. Der Kranke klagte ausschliesslich über das ihn
peinigende Kältegefühl.
Die Arteriitis ist, wie wir gesehen haben, ein constanter Befund beim inter-
t^ttrenden Hinken. In äusserst seltenen Fällen können die Erscheinungen des
Röteren vorhanden sein, und dennoch ist schwache Pulsation zu fühlen, hier
kun es eben noch nicht zur Verlegung des Stromes. Einen solchen Fall
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202
veröffentlicht Ebb (seine 12. Beobachtung) und erklärt ihn dadurch, dass mög¬
licher Weise die tiefen Muskeläste zuerst ergriffen waren.
Es folgt eine Beobachtung, in der die Beschwerden sich zuerst auf den Fuss
bezogen, wo noch Pulsation vorhanden gewesen, der andere Fuss jedoch be¬
schwerdefrei war, trotzdem die Arterien pulslos waren; im weiteren Verlaufe aber
kamen Erscheinungen vorwiegend in dem Fusse zu Tage, wo der Puls bereits
verschwunden war. Diese Thatsache lässt sich auch durch vasomotorische Ein¬
flüsse erklären. Der Fall, der zweifellos zum Symptomencomplexe des inter-
mittirenden Hinkens gehört, zeigt, dass das Gehen nicht immer unterbrochen
werden muss, dass die Kranken bisweilen nur zum langsamen Schritt ge¬
zwungen sind.
L. J., 40 Jahre alt, Privatlehrer, suchte die Poliklinik am 26./I. 1900 auf.
Er verspürt seit etwa 2 Wochen beim Gehen Schmerzen in der linken Unter¬
extremität, zuerst am inneren Knöchel, dann am äusBeren, jetzt im ganzen Bein.
Er kann daher nur langsam gehen, braucht aber nicht stehen zu bleiben. Auf
Befragen giebt er zu, in den letzten Tagen auch im rechten Bein Schmerzen ver¬
spürt zu haben, schenkte ihnen aber keine Aufmerksamkeit.
Von massigem Bau und Ernährung; an den inneren Organen keine Ver¬
änderungen. Ziemlich grosse Spuren von Eiweiss im Urin, keine Cylinder. Es
fällt zunächst auf, dass am linken Fusse, welcher zuerst erkrankte, die Pulsation
an der linken Dorsalis pedis deutlich vorhanden, an dem rechten Fusse aber, wo
die Erscheinungen später auftraten und in geringerem Grade bestanden, der Puls
an der Dorsalis pedis fehlt Beide Aae. tibiales posticae, auch die Popliteae pul-
Biren. An den Muskeln der Unterschenkel und der Füsse sehr ausgesprochenes
fibrilläres Zucken, noch stärker als bei spinaler, progressiver Muskelatrophie; keine
Veränderung der elektrischen Erregbarkeit. Trinkt nicht. Keine Lues. Raucht
etwa 15 Cigaretten täglich.
16./H. Trotz Diät, Bädern, Tabakabstinenz keine Besserung. Die Klagen
beziehen sich jetzt mehr auf das rechte Bein, das im Bette auch taub wird.
Zahlreiche Venen an den Füssen sichtbar, auch viele rundliche, hirsekorngrosse,
rothe oder bläulich graue Flecke (kleine Hautekchymosen und Verwandlung des
Pigments), aber keine Cyanose noch auffallende Kälte.
23./IH. Klagen über heftige Schmerzen in den Knochen der Unter¬
schenkel und den Knieen. Die Spuren von Eiweiss verschwinden nicht trotz
einer Milchdiät.
6./VI. Auf 0,001 gr Nitroglycerin 3 Mal täglich keine Besserung, nur daa
fibrilläre Zucken hat bedeutend nachgelassen. Die Spuren von Eiweiss grösser.
18./IV. Zweifellose Besserung, nur die Beine sind beim Gehen sohwer. Der
Schmerz am rechten Ischion, den er in den letzten Tagen verspürt, ist auch ver¬
schwunden. Die Flecken sind weniger zahlreich. Keine Spur von Eiweiss.
6./VI. Klagt nicht mehr über die Beine, an denen derselbe objective Be¬
fund zu erheben ist, nämlich Fehlen der Pulsation an der A. dorsalis pedis dextra.
Beim Sprechen tritt Schmerz am Sternum ein, es wird ihm dann dunkel vor den
Augen, übel, er verliert aber nicht das Bewusstsein. Kein Eiweiss.
In der folgenden Beobachtung waren beide zuführende Arterien an beiden
Füssen nicht fühlbar, jedoch Erscheinungen nur seitens eines Fusses aufgetreten
und zwar da, wo ausgesprochene vasomotorische Störungen vorherrschten. Der
Fall zeichnet sich auch durch die Zartheit anderer dem tastenden Finger
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zugänglicher Arterien und Kleinheit des Kalibers aus, wovon noch die Rede
sein wird.
B. J., 26 Jahre alt, kam in die Poliklinik am 27./IV. 1898. Seit ’/> Jahre
Schmerzen in der rechten Wade, hauptsächlich beim Gehen; es kam in der letzten
Zeit dazu, dass er nach etwa 100 Schritten sich wegen dieser Schmerzen und
eines tauben Gefühls im rechten Fusse auf einige Minuten niedersetzen muss.
Der Letztere ist immer kalt, zuweilen sehr blass. In der letzten Woche stellten
sich dieselben Erscheinungen von Schmerz und Taubsein unter denselben äusseren
Verhältnissen auch im linken Fusse ein. Die Schmerzen treten auch Bpontan
auf; so schrie er in der letzten Nacht vor Schmerz in der rechten Wade auf.
Er diente beim Militair 4 Jahre als Musikant, wurde dann befreit, angeblich
wegen Schmerzen in der Herzgegend, die bereits geschwunden sind. Als Hausirer
ist er gezwungen, viel zu gehen. Keine Alkoholezoesse, keine Syphilis; die
Kinder sind gesund, die Frau hat nicht abortirt.
Von mässigem Körperbau und Ernährung, die inneren Organe scheinen nicht
verändert, es fällt nur auf, dass der Puls auch an den grossen Arterien, wie den
Femorales, verhältnissmässig klein ist und etwa der Grösse der Brachiales ent¬
spricht. Die Radiales erscheinen sehr kleinen Calibers, die Wand vielleicht ein
wenig hart; die Temporales ein wenig geschlängelt. Weder an den Aae. dorsales
pedis noch tibiales posticae ist Pulsation wahrzunehmen. Während der Unter¬
suchung wechselte das Colorit der Haut, indem der rechte Fuss leichenblass
wurde; nach etwa 15 Minuten kehrte allmählich die normale Verfärbung wieder.
Der rechte Fuss fühlt sich kälter an als der linke, die rechte Wade ist auf
Druck sehr empfindlich. Sensibilität, Reflexe normal. Im Laufe der mehrmonat¬
lichen Behandlung konnte keine Besserung erzielt werden.
Die folgende Beobachtung betrifft den jüngsten meiner Patienten, sie zeigt,
dass das reine Bild des intermittirenden Hinkens Jahre lang an einem Beine
bestehen kann, ohne das andere zu ergreifen. In diesem Falle ist auch eine
Besserung in den Symptomen eingetreten, nicht aber im objectiven Befund der
Arterien.
Ch. L, 25 Jahre alt, kam in die Poliklinik am 17./VI. 1898. Die Krank¬
heit begann vor einem Jahre mit Schmerzen in der linken Wade, die sich beim
Gehen schon nach 30—50 Schritten einstellten; nachdem der Kranke wenige
Minuten gestanden oder gesessen hatte, schwand der Schmerz, das Gehen konnte
wieder aufgenommen werden, bis nach ungefähr derselben Distanz der Schmerz
den Kranken wieder veranlasste zu ruhen u. s. f. Je länger die Ruhe währte, einen
desto längeren Weg konnte er machen. Ausserdem erscheint von Zeit zu Zeit,
auch in der Ruhe, an der inneren Fläche des linken Unterschenkels eine schmerz¬
hafte umschriebene Schwellung mit Röthung der Haut, die nach ein paar Stunden
bis Tagen schwindet, dann wieder an einer benachbarten Stelle auftritt. Sonst
keine Parästhesieen, auch hat Pat. nicht bemerkt, dass der linke Fuss leichter
kälter wird als der rechte.
Er ist Privatlehrer, hat immer eine sehr mäsBige Lebensweise geführt, nie
eine venerische Krankheit durcbgemacht, keine alkoholischen Getränke genossen;
nur fing er frühzeitig an, leidenschaftlich Cigaretten zu rauchen.
Er ist von mässigem Bau und Ernährung, in den inneren Organen keine
Veränderung. Die Radialpulse sind auffallend schwach, klein. Am linken Beine
sind weder die Art. poplitea noch die Dorsalis pedis und die Tibialis postica zu
fühlen, während diese Arterien am rechten Bein gut palpabel sind. Die linke
Wade ist magerer als die rechte, die elektrische Erregbarkeit nicht verändert.
Beide Füsse fühlen sich kalt an, sind aber weder cyanotiscb, noch abnorm blass.
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204
Entlang der inneren Fläche des linken Unterschenkels zieht ein harter, violetter,
schmerzhafter Strang (thrombosirte Hautvene ?) und fühlen sich kleine bis bohnen¬
grosse, bläuliche und schmerzhafte Knoten (Phleboliten?). Ich liess den Kranken
durch das Zimmer gehen, nach einigen Minuten stellte sich der Schmerz in der
linken Wade ein, die auf Palpation schmerzhaft wurde, der linke Fuss erschien
blässer als der rechte.
Es wurde Schonung der Beine verordnet, wollene Strümpfe, warfne Bäder,
Jodkali, Tabakabstinenz. Patient wurde auch vielfach elektrisirt. Im weiteren
Verlaufe erstreckte sich der Schmerz auch auf die linke Sohle. Die Epidermis
des linken Fusses und der Zehen hat Neigung zu Verdickungen.
Zum letzten Mal sah ich Patient nach 2 Jahren am 17./VI. 1900. Eine
Besserung ist unverkennbar, indem der Schmerz, der sich von der linken Wade
auf das ganze Bein erstreckt, erst nach etwa 100 Schritten auftritt —je langsamer
der Gang, desto später der Schmerz —, während die schmerzhaften Stränge und
Knoten, die circumscripten Schwellungen und Röthungen nicht mehr zum Vor¬
schein kommen. Der objective Befund an den Arterien ist derselbe wie vor
2 Jahren.
Die pathologische Anatomie will ich nur flüchtig schweifen, da ich über
keine neue eigene Erfahrung verfüge; über den Fall P. — wo wegen Gangrän
die Exarticulation im Kniegelenke vorgenommen wurde — wird wohl ander¬
weitig berichtet werden. In allen zur Untersuchung gekommenen Fällen fand
sich, wie man aus Obigem klar erwarten konnte, an den zuführeuden
Arterien des Fusses bis in die kleinsten Verzweigungen hinein, auch in den
Vasa vasorum, ferner in den Haut-, Muskel- und Nervenstämmchen, andererseits
auch in den höher gelegenen Abschnitten der Gefässe, Wucherung und Ver¬
dickung der Intima, Verengerung des Lumen des Gefasses bis zur vollständigen
Obliteration, die Media meistens mächtig hypertrophirt. Aehnliche Verände¬
rungen, wenn auch nicht so hochgradig, fanden sich an den Venen. Für die
Details und die Deutung der mikroskopischen Bilder verweise ich auf die Arbeiten
von Dütil und Lamy, Ladeban, Eub, Bobchard, Ivaga, Mabinesco, Stern-
bebg, Schhötheb u. A. Die Nerven erweisen sich zumeist normal, in einigen
Beobachtungen wenig alterirt, in einigen boten sie hochgradige degenerative
Veränderungen dar(JoFFBOYund Achard, Dütil und Lamy, Schlesingeb u. A.).
Schwierig sind die Ursachen dieser auf die Beine beschränkten Endarteriitis
zu ermitteln. Gewöhnlich ist Arteriosklerose nicht zu finden, wenigstens an
den dem tastenden Finger zugänglichen Schlagadern; auch sind keine Erschei¬
nungen vorhanden, die auf Atherom der Hirnarterien hinweiseu, in der Mehr¬
zahl der Fälle keine, die auf eine Niereuerkrankung, sei es als Theilerscheinung
einer allgemeinen Arterio-capillary-fibrosis im Sinne von Gull und Sutton,
sei es als primäre Erkrankung, an der secundär die Arterien sich betheiligen.
hindeuten. 1 Zudem müssten ja bei irgend wie ausgebreiteter Arteriosklerose
1 In drei meiner Fälle fanden sich Spuren von Eiweiss, die unter dem Eiuflasse vod
Diät schwanden; da zudem keine morphologischen Elemente und Erscheinungen seitens des
Circulationssystems vorhanden waren, so können sie nicht als tiefgreifende Nephritiden an¬
gesehen werden. Nur in einem Falle, der einen Syphilitiker betraf, entwickelte sich lange
nachdem schon das intermittirende flinken sich eingestellt hatte, eine Nierencirrhose mit all¬
gemeiner Arterio-, auch Hirnsklerose aus.
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205
sich secundäre Veränderungen am Herzen ausbilden, was eben in der grossen
Mehrzahl der Fälle nicht zutraf. 1 Wie wenig die Endarteriitis beim intermitti-
renden Hinken in Beziehung zum Atherom steht, beweist das Alter meiner
Kranken: von den 24 Fällen befanden sich 3 im Alter zwischen 25—30 Jahren,
11 zwischen 30—40 Jahren, 6 zwischen 40—50 Jahren, die übrigen Fälle
kommen auf die höheren Altersstufen. Es ergiebt sich daraus, dass die Arteriitis
hier meist jugendliche und in vollem Mannesalter befindliche Personen befallt.
Weiter ist die Thatsache hervorzuheben, dass meine Fälle ausschliesslich Männer
betrafen; auch in den Mittheilungen anderer Verfasser sind Weiber viel seltener
als Männer vertreten. Dann ist zu bemerken, dass meine Kranken durchweg
jüdischer Abstammung warpn; die Kranken von Stehnbbbg stammten aus
Russisch-Polen, die 4 Fälle von Bouchabd ans Russland, auch berichtet Haga,
•lass die spontane Gangrän in Japan häufig vorkommt.
Chabcot, der bekanntlich das intermittirende Hinken zuerst in die mensch¬
liche Pathologie eingeführt hat (die Erkrankung war schon früher bei den
Pferden bekannt und ist die Benennung der Thierpathologie entlehnt) glaubte,
dass das Leiden in enger Beziehung zum Diabetes, der ja auch eine der Ursachen
der Arteriosklerose ist, stehe. Diese Behauptung konnte ich nicht bestätigen,
da ich nur in einem Falle sah, dass das intermittirende Hinken bei einem
Diabetiker, nach Jahre langem Bestehen des Diabetes, auftrat. Ebenso wenig
«■ar in meinen Fällen von Gicht die Rede.
Ebb räumt dem Nicotinismus die bedeutendste Rolle für die Entstehung
des Leidens zu. Ein Analogon können wir ja schon in der sogenannten falschen
Angina pectoris, die man ja als Claudication du coeur (Potain) mit Recht be¬
zeichnet, und die sehr oft auf Nicotinvergiftung beruht; ich machte bereits
darauf aufmerksam, dass bei einigen von meinen Patienten stenocardische Er¬
scheinungen auftraten. Ruft ja bekannteich Tabakvergiltuug vasomotorische
Störungen hervor, die in dem Bilde des intermittirenden Hinkens so ausgeprägt
erscheinen und wird Nicotinismus unter den Ursachen der Arteriosklerose an¬
geführt Die meisten meiner darauf befragten Kranken waren mehr oder weniger
starke Raucher — das Cigarettenrauchen ist hier zu Lande sehr verbreitet —
doch giebt es solche, die nie geraucht haben, und die Abstinenz war nicht von
eclatantem Erfolg gekrönt, wie es meistens bei der falschen Angina pectoris, die
auf Tabakexcessen beruht, der Fall ist.
Es müssen daher noch andere Momente mitwirkeu. In meinem ersten
Aufsatze referirte ich über zwei Brüder betreffende Fälle, die auch Ebb be¬
schreibt und recurrirte damals auf eine angeborene Disposition, wie sie seit jeher
für die Hirnarterien bekannt ist. Auch neulich hatte ich Gelegenheit, 2 Brüder
zu beobachten, von denen der ältere, 37jäbrige, an typischem, beiderseitigem
intermittirendem Hinken mit Fehlen der Pulsation an beiden Fussarterien mit
1 Unter den 124 Fällen von Arteriosklerose, die Edqbbn iu seiner bekannten Monographie
nuamtnenstellt, ist nnr eine Beobachtung vorhanden, aas der zu erecbliesseu wäre, dass der
Wjäbrige Syphilitiker an intermittirendem Hinken litt.
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206
nachfolgender Gangrän des linken Beines (Ezarticulation im Kniegelenke) leidet.
Bei dem 36jähr. neurasthenischen Bruder, Nichtraucher, mit nervösen Beschwer¬
den seitens des Herzens und der Arterien, mit Parästhesieen, vagen Schmerzen im
linken Bein, die nichts Gemeinsames mit intermittirendem Hinken haben, sind beide
Aae. dorsales pedis unfühlbar und beide Füsse seit Jahren kalt Unter meinen
Kranken sind einige vorhanden, wo neuropathische Heredität besonders ausge¬
sprochen war, so einer, in dessen Familie Psychosen und Neurosen vielfach
vorgekommen sind, ein anderer mit überzähligen Fingern. Auch Oppenheim 1 be¬
tonte neulich die neuropathische Diatbese. ln nicht wenigen Fällen war Schwäche
des Pulses an den zugänglichen Arterien auffallend, eine Kleinheit des Calibers,
eine Zartheit ihrer Wandungen und dumpfe, schwache Herztöne, Erscheinungen
die wahrscheinlich auf eine angeborene Schwäche des Circulationsapparates
hinweisen. s
Muss also der nervösen Disposition solche Bedeutung zugemessen werden,
so ist es auffallend, dass das weibliche Geschlecht, das ja zu nervösen Affectionen
besonders neigt und z. B. der so verwandten ÜAYNAüD’schen Krankheit so sehr
unterliegt, von dem intermittirendeu Hinken so zu sagen gauz verschont bleibt
Allerdings sind Männer den Unbilden des Wetters, der Durchnässung, die so
vielfach von den Kranken beschuldigt werden, mehr ausgesetzt als Frauen.
Auch das Rauchen ist nur bei ihnen verbreitet. Dass das intermittirende
Hinken so überwiegend die Unterextremitäten betrifft, hat vielleicht darin seine
Erklärung, dass die Beine mehr als andere Glieder angestrengt werden und
häufigen Aenderungen des Tonus und Weite der Gefässwände unterworfen sind *,
dass die Verhältnisse der Circulation hier die schlechtesten sind.
Von anderen wirksamen Ursachen der Arteriitis will ich noch die Syphilis
und den Alkoholismus erwähnen. So sehr auch in Fällen von intermittirendem
Hinken, namentlich soweit sie junge Leute betreffen, der Verdacht einer syphi¬
litischen Grundlage — nach der Analogie mit Gehirnarterienaffectionen —
wachgerufen wird, so lässt die Nachfrage vollständig im Stich. Unter 24 Fällen
hatten 23 sicher keine Syphilis, nur bei einem war sie vorhanden. So oft die
specifische Behandlung eingeleitet wurde, war sie ohne Erfolg, auch ohne
nennenswerthen bei dem erwähnten Syphilitiker; ja in einem Falle stellte sich
während des Traitement mixte in einem Schwefelbadeorte ausgebreiteter Brand
ein, der bald zur Exarticulation im Kniegelenke führte.
Auch der Alkoholismus ist ohne Bedeutung; unter meinen Kranken war
nur einer, der Excesse in dieser Richtung ausübte, alle anderen haben gar nicht
oder sehr mässig getrunken, und waren keine Erscheinungen des Alkoholismus
vorhanden.
1 Deutsche Zeitscbr f. Nervcnbeilk. Bd. XVII. S. 817.
* Sack fand in 94°/, aller Fälle von Arteriosklerose die A. tibialis erkrankt, Phlebek-
tasicen an den Unterextremitäten häufiger, als an anderen Körpertheilen. Stbbnbbbg macht
daranf aufmerksam, dass normaliter die Wanddicke der Arterien der Unterextreiuitäten
Schwankungen zeigt, und dass es speciell in der Intima der kleinen distalen Arterien zu
Wucherungen kommen kann.
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207
Somit ist von den thatsächlichen ätiologischen Momenten znrückzuhalten
das Erscheinen im jnngen und vollen Mannesalter, das Bevorzugen einer Basse,
das in manohen Beobachtungen verzeichnete familiäre Auftreten und die Dis¬
position zu nervösen und psychischen Erkrankungen, die in nicht geringer Zahl
von Fällen nachgewiesene, allgemeine, vielleicht angeborene Schwäche des
Circulationssystems, Kleinheit des Calibere, Zartheit der Arterien Wandungen; das
überwiegende Befallenwerden des männlichen Geschlechts und die Beschränkung
auf die Unterextremitäten lässt, wie bereits erwähnt, eine andere Erklärung zu.
Die angeführten Daten, nicht zum wenigsten das meist symmetrische Auf¬
treten, drängen dazu, dem nervösen Element, der nervösen Disposition eine grosse
Bedeutung für die Aetiologie des intermittirenden Hinkens einzuräumen.
Aeussere Momente, der Nicotinismus in erster Beihe, auch Durchnässungen u. s. w.
können dazu beitragen, die Labilität des Nervensystems, die nervöse Dis¬
position zu Tage zu fördern, sind, so zu sageD, agents provocateurs einer be¬
stehenden Anlage.
Fraglich allerdings ist es, ob die primären nervösen Einflüsse allein, sei es
centrale, sei es periphere, alle Erscheinungen des intermittirenden Hinkens zu
erklären im Stande sind; hier kommt es namentlich darauf an, ob auch die
Arteriitis, die wir als die Grundlage der Affection ansehen und für das bedeut¬
samste Symptom — die Gangrän — verantwortlich machen, dadurch zu erklären
wäre. In der That liegen Erfahrungen vor, die Sternberg anführt und die
den Einfluss von Läsionen des centralen und peripheren Nervensystems auf
Entstehung von anatomischen, peripheren Gefassalterationen beweisen. Alexander
Frankel (Wien) betont gerade diesen Zusammenhang (neurotische Angiosklerose)
und leitet die Erkrankung ab von einem durch Beizzustand entstehenden Krampf
der Media, die zur Hyperplasie der mittleren Schicht und zu weiteren conse-
cutiven Veränderungen führt Die Frage wurde auch experimentell in Angriff
genommen, theils mit positivem Erfolg (Lewaschew, Bervoets, Frankel,
Cebchanowicz), theils mit negativem (Sternberg).
Besonders wichtig für die uns beschäftigende Frage sind diejenigen Beob¬
achtungen von functioneilen Erkrankungen des Nervensystems, die dem inter-
mittirenden Hinken am nächsten stehen, wo sich arterielle Frocesse an peri¬
pheren Gewebstheilen vorfinden. So berichtet Dehio über einen Fall von
symmetrischer Gangrän (ÜAYNAüD’scher Krankheit) 1 , in dem an den Fingern
Endarteriiti8 bezw. Endophlebitis zugegen waren; in dem anderen von Erythro-
melalgie* eine Endarteriitis der A. ulnaris, die er auf Verminderung des
arteriellen Tonus in Folge der Beizung der Vasodilatatoren bezieht Hier sei
ein Fall angeführt, den ich der BAYNAUD’schen Krankheit zuzählen muss, in
dem es zu Gangrän nicht kam, wo aber dennoch arteriitische Processe sioh
fanden; er bietet sonst noch manches Interessante, so dass seine Veröffentlichung
gerechtfertigt erscheint
, y Google
* Deutuche Zeitachr. f. Nervenheilk. Bd. IV. S. 1.
' Berliner klin. Wochenschr. 1896. Nr. 37.
208
Die 30jährige M. P. bekam vor 11 Jahren — ein Jahr vor der Heiratlj—
Schmerzen im rechten Ringfinger, die zuerst gering waren, allmählich an Stärke
Zunahmen. Jede Behandlung, auch eine elektrische vor 7 Jahren, 9 Monate lang,
Mieb ohne Erfolg. Die im Jahre 1890 vorgenommene Abtragung des Hälfte de«
Nagels dieses rechten Ringfingers brachte nicht Erleichterung, im Gegentheil die
Schmerzen gewannen an Intensität und sind seit 3 Monaten so entsetzlich, dass
beinahe vollständige Schlaflosigkeit besteht und Selbstmordgedanken auftauchen.
Die Kranke magerte sichtlich ab.
Seit 10 Jahren typische Migräne, die Anfälle treten ein oder mehrere Male
im Monat auf, dauern 24 Stunden. Vor 12 Jahren machte die Kranke eine leichte
Variola durch, die keine Spur hinterlassen hat. Seit einigen Monaten Herzklopfen
beim Gehen und in Folge von psychischen Bewegungen. Von den vier Schwanger¬
schaften endeten die zwei ersten mit Abort im 3. Monat in Folge von zufälligen
Traumen, von den zwei reifen Kindern starb eins in Folge von Hämorrhagie aus
der Nabelschnur, das andere ist 7 Jahre alt und gesund. Menstruation normal.
Keine Lues.
Die Eltern der Kranken sind leibliche Vettern. Der Vater, jetzt 52 Jahre
alt, leidet an Asthma, die Mutter, 50 Jahre, an Rheumatismus. Ein Grossvater
starb an Tuberculose, eine Grossmutter war taub. Von den 2 Schwestern leidet
die 19jährige ältere an Chlorose und Krämpfen (Hysterie?), die 14jährige jüngere
an Migräne. Zwei Tanten und ein Onkel sind Rheumatiker, eine andere Tante
leidet an Nervosität und Schlaflosigkeit, Eine Cousine ist seit 4 Jahren rechts¬
seitig gelähmt. Bei vielen Mitgliedern der Familie ist Sehschwache und Taubheit
vorhanden.
Die Patientin ist von gutem Bau und leidlicher Ernährung. Ictus cordis
im 5. Intercostalraum, die rechte Herzgrenze läuft parallel dem rechten Rande
des Sternum, die obere auf der 3. Rippe. An der Spitze statt das 1. Tones
ein schabendes Geräusoh, der 2. Pulmonalton deutlich accentuirt. Puls 80, klein,
Lunge gesund.
Die ganze rechte Hand ist blässer, doch nicht kälter als die linke. Unter
dem Nagel des rechten Ringfingers bläuliche Veriärbung, die Pat. schon in den
ersten Jahren der Krankheit bemerkte. Sogar starker Druck der Volarfläche der
letzten Phalanx dieses Fingers ruft keinen Schmerz hervor, allein die ulnare
Hälfte der dorsalen Fläche der Nagelphalanx ist auf Berührung äusserst schmerz¬
haft. Druck der Nervenstämme, des Plexus, der Proc. spinosi, der Muskeln ab¬
solut schmerzlos. Alle Bewegungen gut ausführbar, nur die Kraft der rechten
Hand ein wenig geringer — 50 kg entgegen der linken 60 kg —. Sensibilität
überall gut erhalten. Keine points hysterogenes, keine Einengung des Gesichts¬
feldes, keine AchromatopBie oder Pharynxanästhesie, keine Spasmen. Knie- und
Tricepsreflexe sehr lebhaft.
Den stechenden Schmerz localisirt die Pat. unter den Nagel des rechten
Ringfingers; von da strahlt er an der dorsalen Fläche dieses Fingers entlang bis
zur Aussenseite des Vorder- und Oberarms, wenn der Anfall stark, bis zur
Schulter, wenn er sehr heftig wird; an der Volarfläche des Fingers zieht er nur
bis zum metacarpo-phalangeal Gelenke hin. Der Schmerz tritt in Anfällen auf,
die ca. 1 Minute dauern — länger würde ihn die Pat., wie sie behauptet, nicht aus-
halten können — aber oft wiederkehren, namentlich Nachte (jede 5—10 Minuten),
wo sie besonders heftig werden und den Schlaf und die Ruhe rauben. Erst bei
Tagesanbruch werden die Anfälle seltener und schwächer; dann Btellt sich Schlaf
für 2 Stunde ein. Den Schmerz begleiten convulsiviscbe Zuckungen der ganzen
rechten Oberextremität, ja der ganze Körper zittert. Höchst empfindlich ist der
Finger gegen Kälte — er wird seit Jahren mit einem Pelzüberzug geschützt —,
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aber auch gegen Wärme, so dass die Kranke Nachta die rechte Hand beständig
ausser der Bettdecke hält.
Der weitere Verlauf stellt sich kurz resumirt folgenderraaassen dar: Unter dem
Einflüsse der Galvanisation trat eine nur wenige Tage anhaltende unwesentliche
Besserung ein. Mai 1891 traten die Schmerzanfälle wieder häufiger auf, hielten
länger an und waren von olonischen Zuokungen in allen Gliedern begleitet; auch
die Zwischenzeit ist nicht frei. Schlaflose Nächte, Selbstmordideeen, — Patientin
wollte sich den Finger abbeissen. — Hypnotische Behandlung vollständig ge¬
scheitert. Seit Juli 1891 bettlägerig, auch cardialgische Schmerzen. Herzthätig¬
keit tumultuarisch. Puls irregulär über 120, Dyspnoe, r. h. u. Dämpfung, sonst
verschärftes Athmen. Abdomen aufgetrieben, Leber stark vergrössert. Im Urin
0»l5%o Eiweiss, körnige Cylinder, Epithelien aus Nierencanälchen. Ab und zu
alterniren die Schmerzen im Finger mit heftigen Leibschmerzen. Pat. fleht, ihr
den Finger zu amputiren. Nach Digitalis Herzthätigkeit besser. Die äusserste
Noth veranlasste die Aerzte, dem Wunsche der Kranken nachzukommen, und
so wurde die Exarticulation des rechten Ringfingers im Metacarpophalangeal-
gelenke ausgeföhrt (14./VII. 1891). Die Narcose (Gemisch von Chloroform,
Aether und Alkohol) wurde gut überstanden. Schon in der Nacht nach der
Operation musste der Verband gewechselt werden, wegen des überaus unaussteh¬
lichen Gefühls von Brennen am Dorsum der rechten Hand, in den nächsten Tagen
wurde sehr geklagt über ähnliche Schmerzen daselbst und im Stumpfe des ab¬
getragenen Fingers, Allgemeinbefinden und Herzthätigkeit schlecht. Bald aber
Hessen die Klagen über die rechte Hand nach, von Zeit zu Zeit empfand die
Kranke noch im abgetragenen Finger Schmerzen, aber lange nioht so intensiv,
dagegen traten cardialgische Schmerzen auf (Schwellung der Leber). Die Wunde
heilte ganz gut, die Schmerzen im Finger und in der rechten Hand verloren sich
gänzlich. Leider starb die Pat. an den Folgen ihrer sehr vorgeschrittenen Herz¬
krankheit im Monate August desselben Jahres.
Die Untersuchung des amputirten Fingers ergab folgendes. Die bläuliche
Verfärbung unter dem Nagelblatt verlor sich nicht. Trotz sorgfältiger Präparirung
gelang es nicht, alle Nervenäste und Gefässchen herzustellen. Die Conservirung
geschah in MüLLEB’scher Flüssigkeit; gefärbt wurde mit Picrocarmin, Hämatoxylin
und Eosin.
N. volaris medialis. Die Zahl der Nervenfasern scheint vermindert, die
bindegewebige Zwischensubstanz verdickt (Endoneuritis); die Nervenfasern haben
normales Aussehen.
N. volaris ulnaris. Die Nervenfasern sind nicht verändert, im Endoneurium
Vermehrung der Kerne.
Aae. volaris medialis et ulnaris zeigen massige Verdickung der Intima mit
Proliferation ihrer Zellen.
A. dorsal» medialis. Intima bedeutend verdickt, ihre Zellen gewuchert,
Lumen verengt.
Die A. dorsalis ulnaris wurde nicht aufbewahrt, nur die begleitende Vene,
die keine Veränderung darbot.
Bei der hereditär stark belasteten 30 jährigen Frau stellen sich im Alter
von 19 Jahren ohne greifbare Ursache Schmerzen im rechten Ringfinger ein,
die im Laufe der Zeit so an Intensität zunehmen, dass sie zur selbstständigen
Krankeit sich erheben. Dieser Schmerz an einer ganz begrenzten Stelle der
Nagelphalanx beherrscht elf Jahre lang so vollständig die Scene, dass er be¬
stimmend für das ganze Schicksal der Kranken sich gestaltet und indirect das
frühzeitige Ende herbeiführt Denn das Herzleiden, diese directe Ursache des
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Todes, ist wahrscheinlich auf die so oft sich im Laufe so vieler Jahre wieder¬
holenden besonders starken Schmerzattaquen zurückzuführen. Der Schmerz bei
der nervösen, hereditär belasteten, migränischen, aber nicht hysterischen Frau
mag wesentlich psychisch bedingt gewesen sein, doch lässt sich nicht leugnen,
dass hier doch ein starker Reiz peripherer, sensibler Nerven vorlag, gleichviel
wodurch er auch bedingt gewesen sein mag. Schmerzhafte periphere Eindrücke
werden aber von Vasodilatation begleitet. Dieselbe kann lange Zeit nicht an-
halten und macht der Yasoconstriction Platz; so sahen wir an derselben Ex¬
tremität Blässe der Hand und bläuliche Verfärbung der Nagelphalanx. Ausser¬
dem bewirkt ein starker peripherer Reiz Erhöhung der reflectorischen Erregbar¬
keit nicht allein auf motorischem Gebiete, sondern auch im Bereiche der vaso¬
motorischen Centren; so sahen wir während der Schmerzattaquen clonische
Zuckungen sich auf die ganze betreffende Extremität erstrecken, ja auf sämmt-
liche Glieder. Alle diese Momente, nicht zum wenigsten der wüthende Schmerz
selbst, riefen Steigerung der Herzaction hervor, die auch dadurch verstärkt
werden konnte, dass der gesteigerte Blutdruck sich auf den linken Ventrikel
fortpflanzt und hier die Wandungen reizt Dauert, wie hier, solche ange¬
strengte Herzthätigkeit viele Jahre, so ist es verständlich, dass am Endocard,
besondere an Stellen stärkeren Reibens, an den Herzklappen, Verdickungen und
Schrumpfungen entstehen, die zu Herzfehlern führen. Es ist nicht leicht
möglich, die vor zwölf Jahren überataudene leichte Variola für den Herz¬
fehler verantwortlich zu machen, da die ersten Erscheinungen erst etwa 10 bis
12 Monate vor dem Tode auftraten. Die Albuminnrie kam ganz in der letzten
Zeit hinzu, zu anderen Zeichen der Asystolie.
Die an den kleinen Arterien des erkrankten Fingere gefundene Endarteriitis
ist in ähnlicher Weise wie die Endocarditis zu erklären. Wohl handelte es sich
zuerst um eine rein functionelle Erkrankung, zeigten doch die Nervenästchen
des Fingere, die leider nicht alle aufbewahrt wurden, naoh so langem Bestehen
der Krankheit sehr geringe Veränderungen, aber unter dem Einflüsse von vaso¬
motorischen Störungen unterlagen die Arterien häufigen Veränderungen des
Tonus der Gefässwand. Thoma hat bewiesen, wie sehr die Dicke der Intima
von den mechanischen Bedingungen der Circulation abhängt, und wie arterio¬
sklerotische Processe mit Vorliebe in den Gefässen einsetzen, in denen häufige
Schwankungen des Blutdruckes und Veränderungen des Tonus der Gefäss-
wandung stattfinden.
Es muss zugestanden werden, dass die Classification des Falles Schwierig¬
keiten bereitet Unmöglich kann man ihn den Neuralgieen zureihen, da der
Schmerz nicht an einen Nerv gebunden war, nicht die Bahn eines Nerven inne¬
hielt, sondern eng umschrieben auf die ulnare Hälfte der Nagelphalanx beschränkt
blieb und progressiv an Intensität, aber nicht an Extensität zunehmend, 11 Jahre
dauerte und jeder Behandlung trotzte. Das Bestehen von vasomotorischen
Störungen, die grosse Empfindlichkeit des Fingers gegen Temperaturechwankungen.
sowohl Kälte als Wärme, machen es wahrscheinlicher, dass wir es mit der
RAYNAUü’schen Syncope und Asphyxie locale zu thun hatten. Das Fehlen der
y Google
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Symmetrie kann nicht für stichhaltig gelten, da solche Fälle bereits bekannt
sind (Z kt.t.kr )-
Dieser Fall soll beweisen, dass eine primär fonctionelle Erkrankung, wie
der RAYNAUü’sche Symptomenoomplex, organische Veränderungen am peripheren
Gefasssystem hervorrufen kann, wesentlich durch Vermittelung von vaso¬
motorischen Störungen, ln analoger Weise ist die Endarteriitis in den Fällen
von intermittirendem Hinken zu deuten, die namentlich junge Leute und in
vollem Mannesalter befindliche Personen mit sonst gesundem Circulations-
system betreffen. Die neuropathische Disposition äussert sich hier durch eine
Labilität, krankhafte Erregbarkeit des vasomotorischen Systems, dessen Störungen
organische Veränderungen an peripheren Gefässen herbeiführt
Eins der hervorstechendsten Symptome des intermittirenden Hinkens ist
der Schmerz. Wenn er beim Gehen zum Vorschein kommt, von den Kranken
als Krampf, Ziehen, Taubwerden u. s. w. bezeichnet wird und geradezu in die
Maskein verlegt wird, so ist seine Entstehung ohne Weiteres in der That in
den Muskeln zu suchen in Folge von ungenügender Blutversorgung. Der Blut¬
xufluss mag beim Liegen, Sitzen oder Stehen ausreiohen, anders beim Gehen,
wo grössere Anforderungen an die verengten und rigiden Arterien gestellt werden,
der Blutstrom erweist sich ungenügend, und die schlecht beflutheten Muskeln
antworten durch schmerzhaften Krampf, Ziehen u. s. w. Zudem ist ja nicht un¬
möglich, wie Ebb bemerkt, dass in veränderten Gefässen die Action der Vaso¬
motoren in perverser Richtung sich geltend macht und bei gesteigerter Muskel-
thätigkeit statt der normalen Vasodilatation Vasoconstriction erfolgen wird.
Ausser diesen beim Gehen auftretenden Schmerzen giebt es, wie an Kranken¬
geschichten gezeigt wurde, andere, die spontan entstehen, meist des Nachts im
Bette. Er wird von den Kranken als brennend, bohrend, stechend bezeichnet
und meist in die distalen Theile, in die Zehen, Sohle, Fussrücken verlegt.
Selbstverständlich ist hier nicht die Rede von Schmerzen, die die Gangrän be¬
gleiten und ohne Weiteres erklärlich sind. Die anderen, die nervösen Schmerzen
treten auf, lange Zeit bevor von Sphacelus eine Spur vorhanden ist, und selbst
in solchen Fällen, in welchen der Blutstrom noch nicht verlegt ist, wo Pulsation
an den Fussarterien noch fühlbar ist; sie gehen manchmal den eigentlichen
Erscheinungen des intermittirenden Hinkens voran und erreichen eine ungewöhn¬
liche Intensität. Es ist nicht unmöglich, zu denken, dass diese Schmerzen dem
Umstande ihre Entstehung verdanken, dass der endarteriitische Process auch die
Vasa nervorum ergreift. In der grossen Mehrzahl der Fälle stellen sich die
Nerven als normal dar, was mit der gewöhnlich erhaltenen Motilität und Sensi¬
bilität gut übereinstimmt; in manchen Beobachtungen aber boten sie Ver¬
änderungen dar, meist degenerative Processe, die allenfalls als secundär aufzu¬
fassen sind. Ein anderer Entstehungsmodus für die Schmerzen wäre der,
dass der vor sich gehende endarteriitische Process selbst dieselben hervorruft.
Haben ja Nothnagel und Lang auf Schmerzen vasculären Ursprungs
aufmerksam gemacht, die in den in den Gefasswandungen gefundenen Vateb-
PACiHi’schen Körperchen eine anatomische Grundlage haben; zwar wissen wir,
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212
dass die gewöhnliche Arteriosklerose selten von Schmerz begleitet wird und dass
sich möglicherweise der vasculäre Schmerz namentlich auf syphilitisch veränderte
Gefasse bezieht; doch ist diese Möglichkeit des Entstehens auch für die Arteriitis
des intermittirenden Hinkens nicht von der Hand zu weisen.
Das intermittirende Hinken ist ein ernstes Uebel, namentlich in Anbetracht
seiner furchtbaren Consequenz, der Gangrän. Wenn diese auch nicht in jedem
Falle auftritt — unter meinen 27 Beobachtungen nur 7 Mal — wenn auch
ihre Ausdehnung eine verschiedene sein (von nur die- oberflächlichen Theile er¬
greifendem Sphacelus bis zum Brand ganzer Extremitäten) und die Behandlung
zu ihrer Verhütung in bescheidenem Maasse beitragen kann, so lässt sich doch
nicht im Voraus sagen, ob diese Gefahr vorliegt, oder ob ihr vorgebeugt werden
kann. Dazu kommt der Umstand, dass das Leiden, namentlich wenn es nicht
frühzeitig erkanut und entsprechend behandelt wird, ein progressives ist, dass
die Endarteriitis von den distalsten Theilen beginnend nach oben schreitet, dass
sie, wenn sie zunächst auf ein Bein beschränkt bleibt, die Tendenz hat, auf das
andere überzugreifen. Auch in den verhältnissmässig milden Fällen stört das
Leiden in hohem Maasse die Erwerbsfahigkeit und den Lebensgenuss, zumal
die Beschwerden, die nicht selten sehr intensiven Schmerzen der Therapie gegen¬
über sehr refractär zeigen.
Die Behandlung hat zuerst die hygienischen und diätetischen Verhältnisse
zu berücksichtigen. Da die Grundlage des Leidens auf einer stabilen organischen
Erkrankung der ernährenden Arterien beruht, so sind die Beine möglichst zu
schonen. Es muss Zeit gewonnen werden, bis sich, sei es ein collateraler Kreis¬
lauf, ausbildet, — die neu entstandenen Gefasse sind leider auch endarteriitisch
verändert — sei es die Canalisation der obliterirten Arterien, und somit eine
bessere Ernährung der affioirten Glieder ermöglicht wird. Grössere Fusstouren
sind absolut zu verbieten, das Maass des zu leistenden Ganges soll vom Arzte
je nach dem Grad der Affection bestimmt werden. Alle äusseren Schädlichkeiten,
die vasomotorische Störungen herbeiführen (sowohl psychische - emotionelle,
als auch physische), oder solche, welche die vorhandene nervöse Disposition
unterhalten können, müssen möglichst ferngehalten werden. Da erfahrungs-
gemäss Kälteeinwirkung schädlich ist, sollen die Füsse möglichst warm gehalten
werden, namentlich muss sich Patient vor Durchnässung hüten. Alkoholische
Getränke sind absolut zu verbieten, ebenso das Rauchen wegen des üblen Ein¬
flusses auf die Gefässnerven. Die Diät soll eine wenig reizende sein, gepökelte
Fisch- und Fleischsorten, Wildpret sind besser ganz zu vermeiden, ebenso ge¬
würzte Speisen, Muscheln, Krebse.
Von der eigentlich medicamentösen Behandlung sah ich wenig Erfolg.
Vergebens habe ich lange Zeit Jodkali verabreicht, die Endarteriitis blieb unbe¬
einflusst, auch andere Symptome besserten sich nicht. Die specifische Behand¬
lung, die ich in einigen Fällen im Beginne meiner Beobachtungen verordnet«,
scheiterte vollständig, ja ich sah einmal im Laufe derselben eine ausgebreitete
Gangrän eintreten. Auch die sog. vasodilatatorischen Mittel, wie Natrium nitrosum,
Nitroglycerin u. A. erwiesen sich ohne Einfluss.
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Warme indifferente Bäder wurden gut vertragen und von den Kranken
gerühmt Ich sah in zwei Fällen subjective Besserung bei Anwendung von
Fussbädem mit Zusatz von Senfmehl, einen anderen, wo kalte Umschläge die
Schmerzen linderten — ein Beweis, wie individuell verschieden unser thera¬
peutisches Eingreifen wirkt
Von Bäderkuren sah ich wenig Erfolg, sowohl von Soolen und kohleu-
sauren Thermalsoolquellen, als von Jod- und bromhaltigen Kochsalz- und Schwefel-
wässern. Nur in einem Falle war die Besserung nach sich jährlich wieder¬
holendem Besuch von Gastein anhaltend.
In ganz vereinzelten Fällen bewirkte Elektricität in Form von galvanischen
und hochgespannten Strömen subjective, leider nioht anhaltbare, Besserung.
Es lässt sich der Proceas wohl in vielen Fällen aufhalten, Stillstand auf
viele Jahre erreichen, durch Anwendung der schon betonten hygienischen und
diätetischen Maassregeln Zeit gewinnen bis zur Ausbildung besserer Kreislauf¬
verhältnisse. In einem Falle trat Genesung ein mit Wiedererscheinen einer
schwachen Pulsation an den vorher nicht fühlbaren Fassarterien. Ebb hat
solche Ereignisse öfters beobachtet Auoh bedeutende Besserung konnte er in
nicht wenigen Fällen erreichen; überhaupt lauten seine Erfahrungen ermuthigend.
3. Ueber Dysphagia amyotactica.
Von Priv.-Doc. G. J. Bossolimo in Moskau.
(Fortsetzung.)
Fall VI.
Frau N. X., 38 Jahre alt, verheiratet, war früher zwei Mal schwanger ge¬
wesen (2 Kinder), jetzt vor 2 Monaten, von dem 2. Manne, 1 Kind (das dritte);
eine Menge natürlicher und artificieller Aborte; Patientin jetzt ohne Beschäftigung,
hat sich früher speciell mit Musik beschäftigt.
Heredität: Die Matter und viele Verwandten derselben litten an Alkoholismus
und an Tuberculose, viele auch an Hämorrhoiden; der Vater war Alkoholiker und
Hämorrhoidarier, anch in seiner Linie waren viele Schwindsüchtige.
Schon in der Kindheit begannen bei der Kranken pathologische Angstzustände,
und zwar hatte sie Furcht vor dunklen Zimmern, in Folge dessen sich oft Schlaf¬
losigkeit einstellte. Als der Unterricht in der Musikschule begouueu hatte, zeigte
sich bei ihr Mangel au Selbstvertrauen, Schüchternheit, beständige nnmotivirte Furcht.
Als sie noch nicht 16 Jahre alt war, verlor sie ihre Mutter, worauf sich Furcht
vor dem Tode und vor Leichen einstellte, sowie beständige Niedergeschlagenheit.
Der Anfang des geschlechtlichen Verkehrs, im 21. Lebensjahre, war mit Excessen,
allen möglichen Maassnahmen gegen Schwangerschaft and Mitteln zur Herbeiführung
von Aborten verknüpft. Im 23. Lebensjahre — Angst, nach oben zu sehen. Im
28. Jahre krankhafte Empfindungen im Herzen und neue Verschlimmerung aller
Angsterscheinungen. Nachdem sie im 30. Jahre ihren Freund verloren und dabei
vielerlei Widerwärtigkeiten dnrchzumachen hatte, stellte sich ein neuer Anfall von
Angstznständen ein — die Furcht, sich im Theater zu befinden, Agoraphobie, die
Angst auf hohe Gegenstände zu blicken; ferner eine Reihe von physischen Empfin¬
dungen bald der Schwere, bald der Leere im Kopfe und Herzen.
Späterhin änsserste Empfindlichkeit des Gehörorganes gegen Töne, Furcht zu
spielen and auf Spielende zu blicken. Im 32. Jahre trat besonders Platzfurcht
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hervor, welche, mit einigen Schwankungen, auch bis jetzt fortbesteht. Alle Phobieen
wurden geringer, Hessen in den letzten Monaten der Gravidität nach.
Die Schlingstörung zeigte sich im 36. Lebensjahre. Eines Abends, nach
dem Essen stellten sich starker Magendruck, Athemnoth, unaufhörliches Aufstossen
ein. — Dies veranlasste die Patientin, häufig den Speichel herunterzuschlucken,
plÖtzUch wurde ihr das Schlucken vollkommen unmöglich. Die Kranke erschrak
heftig, fühlte einen Schmerz im Herzen und hatte die Empfindung des Herzstill¬
standes; jedoch konnte sie auch, wiewohl unter grosser Unruhe, Speise hinabwürgen;
Nach l 1 /, Monaten trat nach einer Unannehmlichkeit vollkommene Unmöglichkeit
ein, sowohl feste, wie flüssige Speisen herunterzuschlucken, dabei Angst und Athem¬
noth wahrend des Essens. Diese Erscheinungen, in deren Verlauf auch die Agora¬
phobie wieder zunahm, dauerten 3 Monate lang und schwanden endUch unter dem
Gebrauch von Codein und Bromnatrium und FrankUnisation.
Während vieljähriger Beobachtung konnten an der Patientin, ausser den er¬
wähnten, noch folgende Erscheinungen festgestellt werden: vielerlei neurasthenische
Erscheinungen, sowohl somatische, wie psychische, bei vollständigem Fehlen typischer
Symptome von Hysterie. Viele vasomotorische Erscheinungen. Beständige Neigung
zu Verstopfung und Hämorrhoidalbeschwerden; eine Zeit lang PyeHtis ascendens e
cystitide; eine günstig verlaufene grippöse Pneumonie; chronische Salpingo-Oophoritis.
Keine organischen Veränderungen am Herzen. Verminderte Elasticität der kleinen
Gefässe. Harnsaure Diathese.
Fall VII.
Fräul. L., 31 Jahre, einer degenerirten FamiUe entstammend; der Vater
Hämorrhoidarier, mit allen möglichen Parästhesieen am Rumpf und an den Unter¬
extremitäten; der ältere Bruder, genau mit denselben Erscheinungen, leidet ausser¬
dem an unaufhörlichem Juckreizen am After; der jüngere Bruder, gleichfalls
Hämorrhoidarier; leidet an gastralgischen Anfällen.
Die Kranke selbst litt beständig an Verstopfung und hämorrhoidalen Erschei¬
nungen; häufig kam Nasenbluten vor, auch profuse Menorrhagieen. Fluor albus.
Constitution und Ernährung schwach. Schlechter Schlaf. Reizbarkeit. Deprimirte
Gemüthsstimmung. Patientin ist grob, misstrauisch. Anfälle hat sie keine. Die
Athmungsorgane und das Herz sind in Ordnung. Krämpfe peripherer Gefässe.
Vor 4 Monaten, am 12. October 1899, hatte Patientin eine grosse, sich auf
romantischer Grundlage abspielende Unannehmlichkeit zu bestehen; es traten Schlaf¬
losigkeit und Schmerz in der Zunge ein, ein stechendes Gefühl in derselben bei
jeder Nahrungsaufnahme; darauf stellte sich Schmerz in der Kehle ein (stärker auf
der rechten Seite) und Behinderung des Schluckens, anfängüch nur fester, später
auch flüssiger Speise; dabei handelt es sich nicht um eine Zwangsidee der Angst,
sondern es waren vielmehr die Sensationen in der Schleimhaut, welche die Kranke
stark belästigten und den Schluckact hinderten. Rechtsseitig Hemihypästhesia der
äusseren Hautdecken. Im Laufe des letzten Monats heftiger Juckreiz an den äusseren
Geschlechtsteilen. Der Schlundreflex wurde nicht untersucht. Zweimonatiiche Be¬
handlung brachte keine Besserung im Zustande der Kranken zu Wege.
Fall VIII 1 .
Z., Sohn eines Geistlichen, 26 Jahre alt, seit l l / 2 Jahren krank, trat ins
Krankenhaus ein am 16. September 1888. Subjective Klagen: erschwerte Action
des Kauens, Schluckens und Athmens; dumpfer, zusammenschnürender Schmerz im
1 Den ersten Theil dieser Krankengeschichte referire ich mit liebenswürdiger Erlaubnis
des Herrn Prof. A. J. Koshbwnikofv, in dessen Klinik der Kranke 3 Monate nnter unserer
Beobachtung zngebracht hat; ich benutze diese Gelegenheit, um hiermit meinem hochverehrten
Lehrer herzlichen Dank auszusprechen.
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Nacken, der sich auch auf den Bücken znm Gebiete der Wirbelsäule (zwischen
den Schulterblättern) ausbreitet
Ananmesis. Der Vater des Kranken ist 63 Jahr alt und gesund; die Mutter
starb, 36 Jahr alt, an Nervenfieber; von den beiden Brüdern des Pat. starb der
eine im Alter von 30 Jahren an Schwindsucht, der andere, 17 Jahr alt, an einer
acnten Krankheit; zwei Schwestern sind vollkommen gesund. Der Kranke selbst hat
viele Krankheiten durchgemacht, und zwar nach seinen Angaben folgende:
In den Jahren 1864 nnd 1865, als er 2 —3 Jahr alt war, eine Hautkrankheit,
welche weisse, glatte Narben hinterliess.
1867—1879 oft recidivirende Entzündung der Mandeln, welche auch später
zuweilen auftrat
1872 ein 3 Monate andauernder Husten mit reichlicher 8chleimabsonderung
(Bronchitis).
1873 Masern nnd Rückfallstyphus.
1874 zwei Mal Entzündung der linken Lnnge.
1876—1877 mehrere Mal Wechselfieber.
In den Jahren 1878—1879 starke Dyspnoe und Aphonie. Wurde (von einem
Laryngologen) mit Cauterisationen und mit comprimirter Luft behandelt.
1880 Flecktyphus.
1882—1884 beständige Athemnoth, welche bald stärker, bald geringer wurde,
aber nicht vollständig verging. Um die Athemnoth los zu werden, wandte er fol¬
gende Maassregeln an: Cauterisationen der Nase nnd der Kehle (Lapis, Galvanocaustik),
Behandlung mit comprimirter Luft; machte einen Cursus von Hydrotherapie nnd eine
Milchkur durch.
Im Herbst 1886 bekam der Kranke einen starken Schnupfen. Nachdem er
2 Wochen lang die gewöhnlichen, bei Schnupfen gebräuchlichen Mittel erfolglos an¬
gewandt hatte, begann er, in der Hoffnung, damit die Nase regsam zu machen, zu¬
erst Prisen von Cocain (per se) und dann Tabak in grossen Quantitäten zu schnupfen.
Als Resultat 6 Wochen langen Tabakschnupfens ergab sich Folgendes: starke Trocken¬
heit der Nasen- und Mundschleimhaut; Undurchgängigkeit der Nase; drückender, zu¬
sammenziehender Schmerz im Nacken und hinteren Theile des Halses, Erschwerung
des Schluckens und Schlaflosigkeit. Pat. liess darauf das Tabakschnupfen sein
und wandte sich an Specialisten für Nasenkranbheiten. Nach Application von Gal¬
vanocaustik (nach den Angaben des Kranken hatte der Arzt bei ihm Hypertrophie
der Nasenschleimhaut gefunden) wurde die Nase freier, die Behinderung des Schluckens
verschwand, nur der Kopfschmerz blieb bestehen. Im Herbst 1887 fing der Kranke
wieder an, Tabak zu schnupfen, da die Trockenheit und ungenügende Durchgängig¬
keit der Nase ihn am Schlafen hinderten, In dieser Zeit wurde der Schmerz im
Nacken und Halse stärker und trat wieder Behinderung des Schluckens ein. Von da
ab (October 1887) hörten der Nackenschmerz und die Erschwerung des Schling¬
actes nicht mehr auf, indem sie bald stärker, bald schwächer auftraten. Der Kranke
nahm lange Zeit hindurch Bromnatrium, Arsenik, Lapis ein und wandte Massage des
Nackens an.
Im Jahre 1888 nahm der Kranke noch zwei Mai das Tabakschnupfen auf,
wobei während der letzten Anwendung des Tabaks sich die Unmöglichkeit, feste
8peisen zu schlucken, einstellte. Pat. entsagte nun dem Tabakschnupfen endgültig
and begann, sich mit Douchen aus Wasser von Zimmertemperatur, die auf den
Nacken applicirt wurden, zu curiren, worauf sich das Schlucken anfänglich besserte,
dann aber stationär wurde.
Status praesens im September 1888: Pat. von kräftiger Constitution;
Knochenskelett und Muskelsystems gut, Unterhautfettpolster mässig entwickelt.
Bei der Untersuchung der Nasenhöhle wurden ausser unbedeutender Trocken¬
heit der Schleimhaut keinerlei anatomische Veränderungen, wie Hypertrophie,
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216
Erosionen u. dgl. bemerkt. Die Configuration des Brustkorbes ist eine regelrechte.
Die Percussion der Brust ergiebt auf der rechten Seite derselben hellen Schall, auf
der linken einen etwas dumpferen. Bei der Auscultation hört man Ober der linken
Scapula unbestimmtes Athroen. Die Lungengrenzen sind normal. Athemnoth zeigt
sich bei jeder Lage des Kranken, sowohl bei Bewegungen, als auch während ruhigen
Verhaltens. Es ist eigentlich keine Athemnoth, sondern vielmehr, wie sich der Kranke
ausdrückt, es ist ihm unbequem zu athmen, aber woher diese Unbequemlichkeit
komme, darfiber kann er weder sich selbst, noch anderen Rechenschaft ablegen. Es
scheint ihm, als wenn im Zimmer nicht genfigend Luft vorhanden sei. Ueber Anfälle
von Dyspnoe klagt er nicht Die Grenzen der Herzd&mpfung sind normal. Der
Spitzenstoss wird zwischen der 6. und 6. Rippe nach innen von der Mamillarlinie
gefühlt. Alle 4 Töne sind rein; Puls 80 Schläge in der Minute. Keine Atheromatose.
Die Schleimhaut der Mund-, Rachen- und Schlundhöhle weist keinerlei krank¬
hafte Erscheinungen auf. Die Zunge ist normal gross und feucht. Kein Speichel¬
fluss. Das Kauen und Schlucken ist in sofern erschwert, als bei Ausführung dieser
Acte die unangenehme Empfindung im Nacken stärker wird; es ist dem Kranken,
als befinde sich am Nacken etwas, das ihn hindere, diese Acte auszuführen. Dess-
halb bemüht er sich, weniger zu essen und vorwiegend flüssige Nahrung zu
sich zu nehmen. Der Appetit ist gut; dyspeptische Erscheinungen sind nicht vor¬
handen. Pat. nimmt viel Getränk zu sich (bis zu 18 Glas täglich), in Folge des
beständigen Gefühls der Trockenheit im Munde. 8eitens des Darmcanals Ver¬
stopfung je 2—3 Tage. Leber und Milz nicht vergrössert Urogenitalorgane normal.
Nervensystem: Bewegungen der Augäpfel normal. Keine Symmetriestörungen
des Gesichts. Die Kaumuskeln contrahiren sich auf beiden Seiten gleichmässig. Der
Unterkiefer hebt und senkt sich gut. Ueberhaupt ist der Kauapparat normal, jedoch
stellt sich während seiner physiologischen Thätigkeit eine sonderbare und zuweilen
unangenehme Empfindung in der Gegend des mandibulo-teraporalen Gelenkes ein.
Die Stellung des weichen Gaumens und der Zunge ist normal, die Bewegungen dieser
Organe gleichfalls. Die Untersuchung des Kehlkopfes ergiebt in Bezug auf anato¬
mische Veränderungen ein negatives Resultat. Störungen der Phonation sind nicht
vorhanden. Dennoch kann der Kranke nicht lange sprechen, ermüdet rasch. An¬
fänglich spricht er regelrecht, aber nach einigerZeit fängt er an, die Worte falsch aus¬
zusprechen, die Zunge gehorcht ihm nicht vollkommen. Indessen sind das unbestän¬
dige Erscheinungen; in manchen Stellungen, und zwar nicht immer in derselben, wird
ihm das Sprechen leichter, als in anderen, und zuweilen kann er besser sprechen,
wenn er das Genick mit der Hand stützt. Auch hierbei, wie in den Störungen
anderer Acte, erscheint als Hinderniss die eigenthümliche Empfindung im Nacken,
welche den Kranken beständig belästigt, aber bei Ausführung der Acte des Kauens,
Schluckens und Sprechens in verstärktem Maasse. Der Kranke giebt sich sicht¬
lich Mühe, sich auf irgend eine Weise von dieser Empfindung zu befreien; zu
diesem Zwecke legt er am häufigsten die Hand fest auf den Nacken und bemüht
sich, durch den Druck dies ziehende, unangenehme Gefühl im Nacken zu verringern.
Zu gleichem Zwecke macht er unwillkürlich und sich selbst unbewusst ver¬
schiedene Bewegungen mit dem Kopfe, nur um auf irgend eine Art das unangenehme
Gefühl im Nacken los zu werden. Kopfschmerzen hat Patient nicht. Die Con¬
figuration der Gelenke ist regelrecht. Die Bewegungen der Extremitäten gehen
vollkommen frei von Statten. Der Ernährungszustand und die Muskelkraft sind in
den Ober- und Unterextremitäten befriedigend. Die Muskelkraft der Oberextremi¬
täten ist = 32 kg. Lähmungen, Rigiditäten und Contracturen sind nicht vorhanden.
Der Achillessehnenrfleex fehlt. Die Sehnenreflexe des Kniegelenkes und der oberen
Extremitäten sind normal; der Oberflächenreflex der Haut der Fusssohle und deren
Sehnenreflex, die Reflexe des Cremaster und der Bauchdecken sind gleichfalls normal.
Die Pupillen reagiren normal. Der Pharyngealreflex ist abgeschwächt. Die Function
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der Beckenorgane ist regulär. Die Potenz ist etwas geschwächt. Sensibilitäts¬
störungen sind überhaupt nicht vorhanden; weder Anaesthesieen, noch Hyperästhesieen,
noch Hyperalgeßieen. Kor ist eine geringe Herabsetzung der Berührungsempfindung
im Bereiche des Ulnarrandes des Unterarmes, der Eminentia hypotbenar. und von
l 1 /, Fingern (des kleinen nnd der Ulnarseite des Ringfingers) der linken Hand
bemerkbar. An diesen Stellen kann der Kranke angelegte Gegenstände schlecht
unterscheiden und empfindet eine gewisse Vertaubung. An den übrigen Stellen ist
die tactile Empfindung normal. Dementsprechend ist an den erwähnten Stellen der
linken Oberextremität der Drucksinn herabgesetzt. Der Temperatursinn dagegen ist
an beiden Händen gleich gut, auch an den Stellen mit verringerter tactiler Empfind¬
lichkeit. Störungen der höheren Sinnesorgane sind nicht vorhanden.
Der Kranke ist leicht gereizt nnd geräth leicht in Aufregung, wiewohl er sich
zu beherrschen sucht. Seine Weltanschauung ist eine pessimistische. Er erklärt das
damit, dass er wenig Freudiges und Angenehmes im Leben erfahren habe. Dazu
gehört auch, dass er häufig kränkelte und krankheitshalber seinen Gymnasialcursus
nicht beendigen konnte.
Von unseren ferneren, im Laufe von 11 Jahren an Z. angestellten Beob¬
achtungen können wir noch Folgendes anführen: er war die ganze Zeit über fast
ausBchliessich mit seinen Schlingbeschwerden beschäftigt, welche hauptsächlich feste
Speisen betrafen; meistens trank er Milch oder eine andere flüssige Nahrung, selten
fügte er Fleisch- oder Zwiebackspulver hinzu. Der Schlingact ging schwierig von
Statten; die Aufmerksamkeit wird beständig in Anspruch genommen von dem Schling¬
reflex, welcher fortwährend Anlass giebt zu verschiedenen Beobachtungen, Versuchen,
Erwägungen und Zweifeln. Deutlich ausgesprochene Angstideen hatte der Kranke
nicht. Als er einmal eine ulceröse (scorbutische?) Affection der Mundschleimhaut
hatte, ging das Schlucken bedeutend leichter von Statten, ebenso wie auch bei
anderen künstlich hervorgerufenen Reizzuständen der Mund- und Rachenschleimhaut,
desgleichen während des Bestehens eines Ausschlages (Acne) an der Haut der hin¬
teren Fläche des Halses und am Nacken.
In analoger Weise verliefen auch die Erscheinungen von Seiten des Kauens,
der Athmung und der Sprache.
Es entwickelte sich bei dem Kranken eine bedeutende Magenerweiterung und
Atome der Gedärme und gleichzeitig ein gewisser Grad von allgemeiner Verfettung.
Seitens der Psyche konnte bei ihm constatirt werden eine ganze Welt von zuweilen
sich ihm aufdrängenden Reflexionen über alle mögliche Themata, hauptsächlich
philosophische mit pessimistischer Färbung, oder auch mediciniscbe, welche daun
meistens zu seinen krankhaften Störungen in Beziehung standen.
(ScblaBs folgt.)
[Aus dem Laboratorium des Herrn Prof. Mendel.]
4. Zur Histologie der Compressions-
veränderungen des Rückenmarks bei Wirbelgeschwülsten. 1
Von Dr. Max Bielsohowsky.
M. H.! Wenn ich mir bei der grossen Zahl umfassender Arbeiten, welche
in der letzten Zeit über den vorliegenden Gegenstand veröffentlicht worden sind,
1 Nach einem Vortrag am wissenschaftlichen Abend der MsNDBi/schen Poliklinik am
31. October 1900.
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erlaube, Ihnen drei neue Fälle dieser Art vorzuführen, so hat dieses folgende
Gründe: Erstens lassen sich an diesen Fällen die verschiedenen Entwiokelungs-
stadien der Compressionsmrkung auf das Rückenmark darlegen und zweitens
zeigen zwei von ihnen so bemerkenswerthe Nebenbefunde, dass diese allein die
Mittheilung rechtfertigen dürften.
Fall I. Frau 0.; aufgenommen im städtischen Krankenhaus Gitschiner-
strasse am 28./IV. 1899.
Anamnese: Hereditäre Belastung nicht nachweislich. Von Kinderkrankheiten
abgesehen, will die Patientin früher stets gesund gewesen sein. Am 21./IX. 1898
wurde sie an Mammacarcinom operirt. Seit dieser Zeit sind die Menses bei ihr
unregelmässig geworden. Seit März klagte sie über Schmerzen von neuralgischem
Charakter in der Brust, die anfallsweise auftraten und zuletzt immer stärker
wurden. Zudem hat sie das Gefühl des „TaubseinB“ am ganzen Körper, besonders
im rechtem Fusse; sie kann deswegen beim Gehen nicht ordentlich auftreten. In
der letzten Zeit ist Stuhlgang und Urin angehalten; letzterer musste mit Catheter
entleert werden.
Status: Mittelgrosse, kräftig gebaute Frau von gelblichblasser Hautfarbe.
Die linke Mamma fehlt Von der linken Achselhöhle bis zur rechten Achselhöhle
verläuft quer über die Brust eine breite Narbe; ein Stück vom Sternum ist resecirt
Von seiten der Befunde an den inneren Organen sei nur hervorgehoben: ein. lautes
systolisches Blasen an der Herzspitze. Von seiten des Nervensystems wurde notirt:
Pupillen reagiren prompt auf Licht und Accomodation. Im Gebiet der Gehiranerven
keine Störung. Die Motilität und Sensibilität der oberen Extremitäten ist intact.
Die motorische Kraft der unteren Extremitäten, besonders der rechten, ist herab¬
gesetzt. Feine Berührungen werden auf dem rechten Bein häufig nicht gespürt.
Warm und kalt wird an beiden Beinen und auf der Bauchhaut bis zum Nabel
nicht richtig unterschieden. Ebenso ist die Schmerzempfindung in diesem Gebiete
stark herabgesetzt. Es besteht Strangurie. Die Patellarreflexe sind lebhaft; Fass¬
und Patellarclonus waren zunächst nicht auslösbar. — Im weiteren Verlauf der
Krankheit wuchs die vorhandene Parese zu einer spatischen Paraplegie mit stark
gesteigerten Sehnenreflexen, Fuss- und Patellarclonus an. Das rechte Bein gerieth
dabei zeitweise in Beugecontractur im Kniegelenk; bei passiver Streckung ging
es sofort wieder in die Beugestellung zurück. — Gegen Ende des Krankheits¬
verlaufes wurde beobachtet, dass die Kranke bei der Aufforderung das linke Bein
zu bewegen, das rechte Bein mitbewegte. Die active Beweglichkeit beschränkte
sich auf geringe Excursionen im Kniegelenk und in den Zehen. Später traten
Decubituserscheinungen an den Hacken auf, und unter stetig zunehmender Ent¬
kräftung ging die Kranke nach mehr als 6 monatlichem Krankenlager im Coma
zu Grunde.
Die Section zeigte einen Markstück grossen Geschwulstknoten in der un¬
mittelbaren Nachbarschaft der Operationsnarbe. Es handelt Bich also um ein
Carcinomrecidiv an der operirten Mamma. Von dort aus hatten sich Metastasen
in den Nieren, in der Leber, welche vollständig mit Tumormassen durchsetzt war,
und im linken Scheitelbein in der Höhe des Tuber entwickelt. Der Knochen
war hier in der Ausdehnung eines Fünfmarkstückes zerstört. In die Kopfschwarte
war die Geschwulst noch nicht vorgedrungen. In die darunterliegende Dura da¬
gegen war sie eingedrungen, hatte aber die Pia und die Oberfläche des Hirns
an der entsprechenden Stelle noch völlig intact gelassen. Die Wirbelsäule war
von der Höhe des 6.— 8. Brustwirbelkörpers von Krebsmassen durchwachsen,
welche von vorn her in den Wirbelcanal eindrangen, daB Periost nud epidurale
Fettgewebe durchwuchert hatten, in den äusseren Schichten der Dura aber Halt
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gemacht hatten. Die Innenfläche der Dura war vollkommen frei. Das Volumen
des Rückenmarks ist an dieser Stelle etwas reducirt, schätzungsweise etwa um
ein Fünftel seines Durchmessers, hat aber den normalen kreisrunden Umfang
bewahrt. Seine Consistenz ist etwas weicher als in den darüber und darunter
liegenden Bezirken. Auf dem Querschnitt quillt aber das Mark nicht über das
Niveau der Schnittfläche Die Zeichnung des Querschnittes ist gut erhalten und
bietet makroskopisch nichts besonderes. Eine Verwachsung der Häute unter
einander hat nicht stattgefunden.
In diesem wie in den folgenden Fällen wurden für die mikroskopische Unter¬
suchung des Rückenmarks Blöcke in Abständen von 2 bezw. 3 Segmenten ent¬
nommen und jeder einzelne Block in 3 Theile zerlegt. Ein Theil wurde dann
für die Nissi/sche, der zweite für die MxRCHi’sche Methode, der dritte für Kern-,
Axencylinder- und Markscheidenfärbungen verwendet. Besondere Aufmerksamkeit
wurde den Verhältnissen an der Compressionsstelle und den benachbarten Segmenten
zugewandt.
Beginnen wir mit der mikroskopischen Betrachtung der Compressionsstelle,
wie sie sich in van GiESON-Präparaten zeigt, so bietet der Querschnitt folgendes
Bild: Bei schwacher Vergrösserung zeigt die weisse Substanz ein siebartiges,
durchlöchertes Aussehen, welches dadurch bedingt ist, dass zahlreiche Maschen der
Neuroglia leer geworden, d. h. ihres Inhaltes an Nervenfasern beraubt sind. Inner¬
halb dieser leeren Maschen sind an zahlreichen Stellen central gelegene homogene
Pünktchen — die Querschnitte der noch erhaltenen Axencylinder — zu finden.
Mitunter sind die nackten Axencylinder innerhalb der Maschen eine kurze
Strecke zu verfolgen und zeigen dann einen korkzieherartig gewundenen Verlauf.
Neben diesen Axencylindern, oft aber auch ohne dieselben, finden sich in den
Maschen zeitige Gebilde. Sie haben einen runden Zellleib mit fein granulirtem
Inhalt und einem meist wandständigen dunklen Kern. Es handelt sich um die
bekannten Fettkörnchenzellen. Mitunter findet man in den Hohlräumen unregel¬
mässig gestaltete, schollige Gebilde, welche durch die Pikrinsäure der GlESON’scheu
Farbe leicht gelb gefärbt sind. In Präparaten nach Weigert nehmen dieselben
einen bläulichen Farbenton an, während sie nach der MARCHi’schen Methode
sich bräunlichschwarz tingiren. Hier handelt es sich um Degenerationsproducte
aus dem zerfliessenden Myelin der Nervenfasern. Die Areolierung der weissen
Substanz ist in den Vorder- und Seitensträngen eine ziemlich gleichmässige. (Fig. I.)
Wenn auch bei starker Vergrösserung etwa 20 derartige Hohlräume im Gesichts¬
felde liegen, so sind doch überall noch eine Anzahl gut erhaltener Nervenfasern
zwischen ihnen vorhanden. Die Stützsubstanz ist stellenweise, und zwar besonders
in der unmittelbaren Nachbarschaft der grauen Substanz und der grösseren Ge-
fässe, etwas verdichtet, zeigt aber nirgends sichere Veränderungen ihrer Structur.
Etwas anders ist das Bild im ventralen und mittleren Bezirk der Hinterstrange.
Hier sind die Löcher weniger zahlreich und liegen demgemäss in grösseren Ab¬
ständen von einander. Die Glia ist hier allenthalben stark verdichtet und von
normalen Nervenfasern ist in diesem Gebiet kaum noch etwas nachweisbar. In
der grauen Substanz ist zunächst zu bemerken, ein starker Zellausfall im Bereich
der Vorderhörner. Einige Präparate lassen motorische Zellen überhaupt nicht
erkennen; in anderen Präparaten finden sich nur stark geschrumpfte, sehr kleine
Exemplare meist mit wandständigem Kern. Nach der NiSSi/schen Methode ist
die achromatische Substanz des Zellleibes dunkel tingirt, von welcher sich einzelne
Nissii - Körperchen nur unscharf abheben. In den kleinsten von ihnen ist eine
Difierenzirung der Bestandteile des Zellleibes nicht möglich. Auch im Bereich
der Hinterhörner und der CLARKE’schen Säule ist der geringe Zellgehalt auffallend.
In der letztgenannten Zellgruppe ist das geringe Volumen der noch vorhandenen
Zellen bemerkenswert. Eine Erweiterung des pericellulären Raumes ist nur
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an den am stärksten geschrumpften Zellen vorhanden und offenbar durch die
Schrumpfung des Zellleibes bedingt.
Die Neuroglia hat in der grauen Substanz überall ihr normales Gefüge.
Die Gefässe der grauen Substanz und der weissen Substanz sind sämmtlich prall
gefüllt. Die starke Füllung tritt besonders an den Gefässen geringeren Kalibers
hervor. Dabei haben nennenswerthe Veränderungen in der Structur der Wand
im allgemeinen nicht stattgefunden. Nur an kleinen Arterien und Venen haben
die faserigen Bestandtheile der Wand eine Verdichtung erfahren und an ganz
vereinzelten Stellen bildet der Querschnitt der Wand einen homogen aussehenden,
structurlosen Ring. Die adventitiellen und perivasculären Lymphräume der Ge¬
fasse sind nirgends erweitert.
Querschnitt au der Compressionsstelle. Photograuim nach einem van Ginsox-Präparat.
Die Pia bietet das normale Aussehen, nur fällt auch in ihr die starke
Füllung der Gefässe auf. Von einer Erweiterung des epispinalen Raumes, des
hypothetischen Lymphraumes zwischen Pia und der gliösen Randschicht des
Rückenmarks, ist nirgends etwas wahrzunehmen. Die Pia liegt der Peripherie
des Rückenmarks überall dicht an.
Al abchi - Präparate ergänzen das geschilderte Bild insofern, als sie die in
den Maschen befindlichen Fettkörnchenzellen durch die schwarze Tingirung dei
Zellinhaltes deutlicher hervortreten lassen. Ferner sieht man an ihnen, dass
ziemlich gleichmässig über den ganzen Querschnitt feine Körnchen zerfallenen Markes
in der weissen Substanz zwischen gut erhaltenen Nervenfasern verbreitet sind
An den Gefässen dieser Präparate ist der starke Fettgehalt der zeitigen Element«
in der Wandung auffallend; besonders die Adventitia der grösseren Gefasse is -
reich an derartigen fetthaltigen, bald rundlichen, bald mehr spindelförmigen Zeller
welche auf Querschnitten das Gefässlumen und die inneren Häute wie ein schwarze:
Wall umgeben. Die kleinen Gefässe sind besonders durch den Fettgehalt ihre'
lntimazellen auffallend. Ferner ist hervorzuheben, dass diese Bilder an den Gefass
3 y Google
221
wänden sich am deutlichsten da zeigen, wo die Veränderungen am nervösen
Parenchym am stärksten sind: es besteht ein constanter Parallelismus zwischen
Zerfall der Fasern und dem Fettgehalt der Gefässzellen. Von den frei in den
Haschen liegenden Fettkörnchenzellen unterscheiden sich diese Zellen durch ihr
kleineres Volumen. In ihrer Gestalt und ihrer Lage liegt der sichere Hinweis,
dass es sich hier um präformirte Gebilde der Gefasswand handelt, welche nur
durch Fettaufnahme eine mehr oder weniger starke Vergrösserung ihres Volumens
erfahren haben. Gefässneubildungen haben nirgends stattgefunden; nirgends finden
sich Leukocyten in der Gefasswand oder in der Umgebung derselben. Die vorderen
Wurzeln sind in geringem Grade verjüngt, zeigen aber keine deutlichen Zerfall*
producte, noch auch eine Zunahme ihres interstitiellen Bindegewebes. Die hinteron
Wurzeln haben völlig normales Gefiige. Die geschilderten Veränderungen klingen
nach oben und nach unten von der Compressionsstelle allmählich ab. Die Er¬
scheinungen der secundären Degeneration sind die typischen. Es findet sich
absteigende Degeneration im Pyramidenseitenstrang und im Bezirk beider
ScHOLZE’schen Comma im Hinterstrang, welche über 2 Segmente unterhalb der
Compression verfolgt werden konnte. Das FLECBSio’sche ovale Feld und die
parallel der hinteren Peripherie des Hinterstranges gelegene dorsale Zone sind
frei. Aufsteigend degenerirt sind die Hinterstränge in der typischen Form unter
Beteiligung der ventralen Kuppe und unter allmählichem Abrücken der degene-
rirten Fasern vom Hinterhorn und von der hinteren Peripherie, sowie die Klein-
himseitenstrangbahn und die Anterolateralbündel. Verfolgt wurde die aufsteigende
Degeneration bis zum 2. Cervicalsegment.
(Fortsetzung folgt.)
II. Referate.
Anatomie.
1) A note on the deep transverae fibrös of the pons, by Laslett. (Brain.
Summer 1900.)
Der Verf. hat in einem Falle von kleinem Erweichungsherde in der rechten
Seite des Pons, der so gelegen war, dass in der oberen Ponshälfte gerade ein
Theil der oberen Querfasern des Pons und ein kleiner Theil der dorsalsten
Pyramidenfasern erweicht waren (die Raphe erreichte die Erweichung nicht), die
?ecundären Degenerationen untersucht. Eis waren degenerirt Querfasern des Pons
»uf der gleichen Seite, zum Theil in den lateralen Ponskernen endigend, zum
Theil in den mittleren Kleinhirnschenkel gelangend, und ebensolche Fasern in
geringerer Menge auf der anderen Seite. Die kleine Pyramidenbahndegeneration
wurde nur bis an das untere Ende des Pons verfolgt. Die Degeneration der
Qnerfasern fand sich nur in den Höhen des Pons, in denen die Erweichung sass;
die QuerfaBem der Brücke müssen also einen ganz horizontalen Verlauf nehmen.
Es handelte sich in diesem Falle um rein cerebellopetale Fasern.
Brun s.
2) Hemiatrophy of tbe brain and its reBults on the cerebellum, medulla
and spinal oord, by F. W. Mott and A. F. Tredgold. (Brain. Summer
1900.)
Die VerfF. haben in 3 Fällen von Hemiatrophie des Grosshirns das gesamrate
Nervensystem untersucht. In 2 Fällen sass die Läsion in der Rinde, in einem
Google
222
in den Basalganglien der einen Seite. Sie kommen zu folgenden, theilweise neueu
Resultaten:
1. In Fällen von Hemiatrophie, bei denen die Läsion auf die Rinde beschränkt
ist, findet sieb absteigende Degeneration in centrifugalen Bahnen durch Pons,
Medulla oblongata und Rückenmark.
2. Betrifft die Läsion die Basalganglien, so kommt zu dieser Degeneration
noch eine Atrophie der gekreuzten Kleinhimhälfte und des oberen Kleinhirn-
Bchenkel8, ferner der mittleren Schleife im Pons und deB Stratum interolivare in
der Medulla oblongata derselben Seite wie die Hirnläsion.
3. Auf der Seite der degenerirten Pyramidenbahn findet sich eine Verringerung
in der Zahl der Vorderhornganglien, besonders in der lateralen und hinteren
äusseren Gruppe; ebenso eine Verringerung des Netzwerkes der markhaltigen
Fasern in den Vorderhörnern.
4. Wenn eine Läsion (in der Rinde der motorischen Region einer Seite.
Ref.) in sehr frühem Alter erfolgt, nimmt die Zahl der grossen motorischer
Ganglienzellen in der Hirnrinde auf der anderen Seite zu.
5. Trotz ausgesprochener Degeneration der centrifugalen ProjectionBfasen
bleiben die Associationsfasersysteme intact. Das stimmt für Gross* und Kleinhirn
6. Es existirt im Kleinhirn eine Lage von Granulazellen direct unter de'
Purkinje-Zellen. Diese sind unterschieden von den eigentlichen Zellen d«?
granulirten Schicht; sie gehören wahrscheinlich zu einem intracerebellaren Association:
Systeme.
7. Es besteht eine Faserverbindung zwischen dem Corpus dentatum cerebel
und den gekreuzten BaBalganglien.
8. Zwei der untersuchten Fälle beweisen die Existenz einer absteigend«
Bahn, die in der Region des Thalamus opticus entspringt and durch mittle
Schleife und Stratum interolivare zum Vorderseitenstrang derselben Seite d
Rückenmarkes gelangt, wo sie bis zur Lnmbarregion hinabgelangt.
Die Arbeit enthält eine grosse Anzahl von die einzelnen Befunde illustrirend
Abbildungen. Bruns.
Experimentelle Physiologie.
3) Spinale Sohweissbahnen und Schweissoentren beim Menschen., \
Hermann Schlesinger. (Festschrift zu Ehren von Moritz Kaposi. W
und Leipzig. Braumüller u. Sohn. 1900.)
Die Thierexperimente, welche bisher zum Studium der Schweisscentren s
geführt wurden, sind für die Lösung dieser Frage beim Menschen nicht lei
verwerthbar. Verf. hat es sich daher zur Aufgabe gestellt, an Krankheitsfal
die er theils aus eigener Erfahrung, theils aus der Literatur gesammelt, d
Frage näher zu studiren. Die öftere Vereinigung von Störungen der Schw«
secretion und anderweitigen Symptomen spinaler Erkrankung liess hoffen, <
auf dem Wege der klinischen Beobachtung manches werthvolle Result&t.
Klärung der vorliegenden Frage sich werde finden lassen.
Verf. beschäftigt sich vorerst mit den regionären Schweissanomalieerv
beginnt mit den halbseitigen Störungen im Gesichte. Man beobachtet entw
eine Hyperidrosir oder eine Anidrosis oder eine „paradoxe“ Schweißssecrei
welch letztere sich durch abnorme Reaction auf äussere Reize, Schweissanst»
bei Kälte, Trockenheit bei Hitze, kennzeichnet. Diese Anomalieen können
eine gesammte Gesichtshälfte beschränkt sein oder sie befallen einzelne T
derselben; im letzteren Falle zeigen sie eine ähnliche segmentirte Anordnung
die Sensibilitätsstörungen bei centraler Trigeminuslähmung. Sie sind öfters.
223
nicht immer, mit Functionsstörungen von Seiten des Sympathicus combinirt. Die
Schweissb&ken verlaufen also wohl in nächster Nähe der vasomotorischen Fasern,
sind jedoch von letzteren genügend getrennt, um isolirt von einer Schädlichkeit
betroffen werden zu können.
Den Sitz des paarigen Schweisscentrums für das Gesicht, oder — wie es
nicht unwahrscheinlich ist — der mehrfachen kleinen Centren glaubt Verf. auf
Grand klinischer und anatomischer Betrachtungen ins untere Halsmark verlegen
20 können.
Ein zweites, gesondert erkrankendes Schweissterritorium stellt die obere
Extremität dar. Auch hier deckt sich das Vertheilungsgebiet der sensiblen und
sodoralen Nerven annähernd, und der spinale Sitz beider Centren dürfte in den¬
selben Bückenmarkspartieen zu suchen sein. Identisch sind aber beide Centren
aicht, da jedes einzelne getrennt erkranken kann und ausserdem die spinalen
Sch weissbezirke grösser zu sein scheinen als die sensiblen.
Ein drittes, grosses, selbständiges Schweissgebiet umfasst die obere Thorax-
iälfte, den Hals und den behaarten Kopf; ein viertes, seltener isolirt erkrankendes,
«ioe untere Extremität. Ueberall macht sich die Erscheinung geltend, dass die
Schweissnerven in ihrer peripheren Ausbreitung der segmentalen Vertheilung
| der sensiblen Neren näher stehen als jener der motorischen.
Sucht man nun im Rückenmarke nach dem Sitze solcher Läsionen, welche
| sidorale Störungen hervorrufen, so muss man ausser den die erwähnten vier
I Schweiasterritorien versorgenden Centren auch das Vorhandensein von längs-
nrlaufenden Schweissfasem annehmen; dadurch würde die klinische Thatsache
erklärlich, dass von fast allen Rückenmarkshöhen Störungen der Schweisssecretion
losgelöst werden. In Analogie mit den Sensibilitätsstörungen lässt sich hierbei
Tennuthen, dass bei Erkrankungsherden der grauen Substanz segmentale, bei
Lädonen der weissen Substanz ausgedehntere, eventuell halbseitige Schweiss-
uomalieen auftreten; im enteren Falle werden die Centren, im zweiten die Bahnen
I der Sehweissfunction geschädigt
Bezüglich des peripheren Verlaufes der Schweissnerven lässt sich etwas
odjeres nicht sagen; doch ist es sicher gestellt, dass Bowohl motorische (Facialis)
ki sensible Nerven Schweissfasern fuhren. Ebenso wenig bekannt ist der Vor¬
auf der Schweissnerven cerebralwärts von den Rückenmarkscentren; er deckt sich
f .-j—r-jlg n i c ht mit jenem der sensiblen Systeme, da man bei Rückenmarksläsionen
loralen Störungen auf derselben Seite finden kann, wie die motorischen,
td die sensible Lähmung gekreuzt ist Es scheint also, dass die sudoralen
sich schon oben in der Oblongata kreuzen, dann in der Nähe der moto-
Bahnen absteigen, ein gleichseitiges Centrum der grauen Substanz auf-
tmd auf derselben Seite des Rückenmarks austreten.
Ausser den regionären halbseitigen Schweissanomalieen findet man auch Fälle
ppelseitiger Hyperidrosis, Anidrosis u. s. w. Es ist in einem Theile solcher
Ue die Annahme einer Erkrankung der paarigen spinalen Centren berechtigt,
d man sieht auch gelegentlich anderweitige Symptome, welche auf ein aus-
iebnteres Spinalleiden hin weisen. In einem anderen Theil der Beobachtungen
is eine Erkrankung des Gehirns, der Medulla oblongata, peripherer Nerven,
wie der Schweissdrüsen zur Erklärung herangezogen werden.
Verl berührt endlich auch die Frage der eventuellen Localisation der Schweiss-
Btren und der Schweissfasem im Rückenmarksquerschnitte, sowie die Austritts-
tfien der letzteren aus der Medulla spinalis. Es lassen sich diesbezüglich nur
*br oder weniger hypothetische Behauptungen aufstellen: So ist die alte Char-
pwlie Localiaimng der Schweisscentren zwischen Vorder- und Hinterhom nicht
»»Lncheinlich, die Verlegung der Sch weissbahnen in den einspringenden "Winkel
W Seitenstränge zwischen Hinter- und Vorderhorn nicht auszuschliessen.
Google
224
Der Verlauf der Schweissnerven ist nur für das Gesicht naher studirt; diese
treten anscheinend durch den Ramus communicans des 2., vielleicht auch des
3. DorBalis in den Grenzstrang ein, um dann auf grossen Umwegen zur Gesichts¬
haut zu gelangen.
Am Schlüsse seiner werthvollen Untersuchungen stellt der Verf. kurz eine
Reihe selbstbeobachteter und in der Literatur vorhandener Beobachtungen über
spinale Schweissanoraalieen zusammen und fordert dazu auf, weiteres klinisches
Material zum Studium dieser Frage zu verwerthen. Zappert (Wien).
4) Ueber die physiologische Bedeutung des Ammonshorns, von V. P.
Ossipow. (Arch. f. Anat. u. Phys. 1900. Physiolog. Abthlg. Suppl.-Bd.)
Die Versuche des Verf.’s sind unter der unmittelbaren Leitung Munk’s an
Hunden angestellt worden. Die Operationsmethode, welche behufs Exstirpation
des Ammonshoms eingeschlagen wurde, ist im Original ausführlich beschrieben.
Auf die Operationswunde wurden keinerlei antiseptische Mittel gebracht. Be¬
sonders wichtig ist, dass kein Blut in die Tiefe des Ventrikels eindringt. Zur
Prüfung des Geruchs vor und nach der Operation diente Fleisch und Oleum origani
vulgare. Die Augen waren dabei verbunden. Auch wurden die Thiere vor der
Operation daran gewöhnt, Fleisch mit verbundenen Augen zu suchen.
Im Ganzen wurde das Ammonshorn bei 5 Hunden beiderseits, bei 2 Hunden
einseitig exstirpirt. Der im Cornu inferius liegende Antheil des Ammons¬
horns blieb stets erhalten (ungefähr ein Drittel seiner ganzen Länge).
Stets wurden nach der Operation Sehstörungen beobachtet, aber Verf. glaubt die¬
selben auf Mitverletzung der optischen Leitungsbahnen zurückfuhren zu können.
Hautsensibilität und Muskelgefühl blieben stets intact. Auch Störungen des Ge¬
hörs und des Geschmacks wurden nicht beobachtet (Prüfung mit FleischBtücken,
die mit Origanumöl bestrichen waren). Die Reaction auf Gerüche war schon in
den Tagen unmittelbar nach der Operation ebenso lebhaft wie vor der Operation.
Alle Hunde suchten die Fleischstückchen bei verbundenen Augen nach der Ope¬
ration ebenso gut wie vor derselben. Verf. spricht daher dem Ammonshorn
(richtiger: den abgetragenen zwei Dritteln. Ref.) irgend eine wesentliche Be¬
deutung für den Geruchssinn ab. Die von anderen Autoren beobachteten Geruchs-
8törungen erklären sich nach Verf. aus Mitverletzungen des Gyrus hippocampi.
Bei 2 Hunden stellten sich epileptische Anfälle ein, welche Verf. nicht auf
das Fehlen des Ammonshorns, sondern auf Circulationsstörungen und Narbenreizung
in Folge der Operation bezieht. Th. Ziehen.
5) Untersuchungen über die Resorption des Liquors bei normalem und
erhöhtem intracraniellen Druck, von A. Spina. (Pflüger’s Archiv.
LXXXIII.)
Verf. hat zunächst den Boe hm 'sehen Versuch wiederholt und bestätigt, dass
Milch oder Fuchsinlösung, welche man in den Subduralraum des Hunderücken¬
marks einspritzt, post mortem noch in die Venen gelangt. Uebte er während
des Experiments auf ein oder beide Augen einen massigen Druck aus, so stieg
der Druck der Cerebrospinalflüssigkeit, in der Venencanüle aber bewegte sich die
Flüssigkeit rascher fort. Mit der Steigerung des Liquordruckes nimmt also die
Resorption des Liquors durch die Venen zu. Die specielle Versuchsanordnung
und Beweisführung muss im Original nachgelesen werden. Steigert man den
Einlaufsdruck, d. h. den Druck, unter welchem man z. B. aus einer Mariotte’-
schen Druckflasche Fuchsinlösung durch eine Canüle in den Subduralraum ein-
laufen lässt, mehr und mehr, so beobachtet man oft statt eines vermehrten Aus-
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fluaes tos der Venenc&nüle Exophthalmus und Chemosis. Weitere Versuche
ergaben, dass von den Liquorräumen aus sich auch die meisten grösseren Venen
injiciren lassen, so z. B. die Kopf- und Halsvenen, die Vena azygos, die beiden
HohlTenen u. s. w.; auch die Tricuspidalklappe lässt eine deutliche Fuchsinfärbung
erkennen. Es genügt hierzu eine sechsstündige Einwirkung eines Injectionsdruckes
Ton 100 mm Hg. Dass etwa das in den Venen constatirte Fuchsin aus den
Ljmphgefassen kommt, glaubt Verf. ausschliessen zu können. Sehr bemerkens¬
wert!) ist, dass die Versuchsergebnisse sich wesentlich ändern, sobald man das
Schädeldach über dem grossen Längssinus trepanirt. Die Besorption ist zwar
auch dann zunächst noch dem Liquordruck proportional; wenn aber dieser eine
bestimmte Grenze überschritten hat, hört der Abfluss auf, weil durch das sich
aasdehnende Gehirn der Sinus in frontaler Richtung gezerrt und so sein Lumen
Terlegt wird.
Versetzt man die Injectionsflüssigkeit mit Presshefe, so kann man nach
6 Standen (Tnjectionsdruck 25 mm Hg) im Blut der Vena jugularis externa und
der Kopfvenen Hefezellen nach weisen. Die dem Liquor zur Verfügung stehenden
Abfinmbahnen nach den Venen müssen also weit genug sein, um auch die relativ
starren Hefezellen passiren zu lassen. Auch in den LängBsinus vermögen Hefe¬
zellen zu gelangen; Pacchioni’sche Granulationen sind dabei nicht betheiligt
and sonach für den Uebertritt des Liquors in die venösen Bahnen nicht unent¬
behrlich.
Wird bei den obigen Versuchen der Cadaver in Bauchlage gebracht und
lässt man den Kopf während der Injection über den Rand des Operationsbrettes
herabhängen, so tropft nach längerer Dauer des Versuchs aus der Nase die be¬
zügliche Injectionsflüssigkeit (Fuchsinlösung oder abgerahmte Milch) heraus.
Dieser Ausfluss findet auch bei einem den normalen Liquordruck nicht über¬
steigenden Injectionsdruck statt. Die Menge der ausfliessenaen Milch hängt
wiederum direct von der Höhe des Injectionsdruckes ab. In Uebereinstimmung
mit Schwalbe weist Verf. nach, dass die ausfliessende Milch aus den Lymph-
srefässen stammt. Verf. bezeichnet dies als „lymphatische Resorption“. Durch
weitere Versuche weist Verf. nach, dass diese lymphatische Resorption auch von
dem angiogenen Druck — d. h. von Steigerungen des Liquordruckes in Folge
arterieller Hyperämie — beeinflusst wird: sie steigt und fällt mit demselben.
Trepanation hat auf die lymphatische • Resorption keinen Einfluss.
Th, Ziehen.
Pathologische Anatomie.
6) Ueber Wurzel- und Zell Veränderungen im Centrain ervensystem des
Kindes, von Dr. Julius Zappert. (Arbeiten aus dem Institut für Anat.
u. PhysioL des Centralnervensystems an der Universität Wien. Herausgegeben
von Prof. Dr. Heinrich Obersteiner. 1899. Heft 6.)
Die vorliegende Arbeit ist eine Erweiterung und Vervollständigung der in
ernem früheren Aufsatze (Ebenda. 1897. Heft 5) desselben Verf.’s niedergelegten
rntosnchungen über Wurzeldegenerationen beim Kinde. Die Zahl der unter-
»achten Rückenmarke ist eine sehr beträchtliche (140), und in der neuesten
Arbeit hat Verf auch den Veränderungen der hinteren Wurzeln und der weissen
Substanz besondere Aufmerksamkeit gewidmet. In 10 Fällen wurden auch die
Med. obL nach Marchi durchforscht und in 30 Fällen auch die Vorderhornzellen
<“*h Nissl untersucht. Zu bedauern ist es, dass bei diesem reichen anatomischen
Materiale nur in den seltensten Fällen ein genauerer klinischer Befand dem Verf.
zur Verfügung stand, um so mehr als mit den Resultaten seiner Untersuchungen
15
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„möglicherweise der erste Schritt gethan ist, um der grossen Fülle nervöser
Symptome, wie sie beim Säugling als Begleiterscheinungen anderer Krankheiten
und auch scheinbar spontan auftreten, eine anatomische Grundlage zu verschaffen
und so allmählich das zum Theil noch Behr räthselhafte Gebiet der Säuglings¬
neurologie den übrigen Theilen der Nervenheilkunde ebenbürtig zu gestalten.“
ln den Vorderwurzeln von Kindern unter 2 Jahren sind Degenerationen ein sehr
häufiger Befund. Negativ war der Befund unter 140 Fällen 25 Mal, 5 Mal fand
sich sehr geringe, 47 Mal geringe, 52 Mal deutliche, 4 Mal sehr deutliche und
7 Mal starke Körnung an Marchi-Präparaten. Der Verlauf der vorderen Wurzeln,
bezw. ihr Ursprung aus der lateralen Ganglienzellengruppe trat meist sehr schön
dabei zu Tage. In die vordere Commissur hinein konnten Wurzelfasern nie
verfolgt werden. 2 Fälle ausgenommen, bei welchen intra vitam Spasmen der
Extremitäten bestanden hatten, waren die Veränderungen auf den intraspin&len
Antheil der Wurzeln beschränkt. Am ausgeprägtesten waren sie immer im Lenden¬
marke, meist auch im Halsmarke in gleicher Weise, hingegen wurde die Körnung
im Brustmarke fast immer vermisst.
Auch die motorischen Hirnnervenwurzeln, namentlich Oculomotorius, Abducens,
motorischer Trigeminus und Oculomotorius waren häufig von denselben Verände¬
rungen betroffen, ebenso die von den Clarke’schen Säulen ausgehenden, zur
Kleinhirnseitenstrangbahn ziehenden Fasern. Aber nur selten liess sich bei
letzteren die Körnung bis in die Kleinhirnseitenstrangbahn hinein verfolgen, und
auch in diesen seltenen Fällen war sie in der Kleinhirnseitenstrangbahn nur im
untersten Dorsalmarke zu sehen und verschwand cerebralwärts rasch.
Degenerationen der hinteren Wurzeln sind viel seltener als der vorderen.
Unter 140 Fällen waren sie 25 Mal auf die eintretende Wurzel beschränkt (viel¬
leicht bedingt durch Zerrung bei der Herausnahme des Markes), 36 Mal auch in
der Wurzelzone der Hinterseitenstränge zu beobachten und 3 Mal in Form ge¬
ringer, 13 Mal in Form deutlicher Körnung.
Das Charakteristische des Säuglingsbefundes ist also die Degeneration der
vorderen Wurzelfasern. Die Degeneration der hinteren Wurzeln ist bei Kindern
unter 2 Monaten seltener als bei älteren.
Innerhalb der weissen Substanz fanden sich in einzelnen Fällen Körnchen im
Kleinhirnseitenstrauge, wie erwähnt, ferner in der vorderen Commissur und
relativ häufig in den Hintersträngen. Im Gegensatz zu Thiemich trennt Verf.
scharf die schwarzen Schollen der Marchi-Färbung von den in den Hinter¬
strängen der Neugeborenen oft zu beobachtenden Fettkörnchenzellen. Abgesehen
von der Lagerung der letzteren ausserhalb der Nervenfaser ist für diese Trennung
bestimmend der Umstand, dass man sie fast immer nur in den in der Entwickelung
zurückgebliebenen Antheilen der Hinterstränge findet. Sie stehen wahrscheinlich
in Beziehung zur Entwickelung der Hinterstränge, wobei nach Verf. nur zweifel¬
haft bleibt, ob sie in gewissen Stadien der Hinterstrangbildung regelmässig er¬
scheinen oder nur bei pathologisch behinderter Markentwickelung.
Verf. erörtert ausführlich die Deutung dieser histologischen Befunde. Als
postmortale Veränderungen, als einfache Verunreinigungen oder als Symptome der
Entwickelung in den Vorderwurzeln können dieselben nach seinen Ausführungen
wohl nicht aufgefasst werden. Der Umstand, dass sie an bestimmte Wurzelgebiete
gebunden sind, auch bei Thieren nach Injection von Bakterienculturen nach des
Verf.’s Versuchen zur Beobachtung gelangen, analoge Befunde bei alkoholischer
und diphtheritischer Neuritis weisen dieselben in das pathologische Gebiet Die
Häufigkeit der Vorderwurzeldegeneration bei Kindern ist als Ausdruck einer be¬
sonderen Vulnerabilität derselben im Kindesalter anzusehen, die im späteren Alter
nicht mehr so deutlich hervortritt.
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Veränderungen in den Vorderbornzellen waren nicht constant. In einigen
Fällen mit starker Wurzeldegeneration fand sioh auch Chromatolyse in den Zellen:
in anderen fehlte sie. Dies spricht aber nach Verf. keineswegs gegen die An¬
nahme einer primären Schädigung der Zellen; es könnte sich um eine zeitliche
Differenz in der Erkrankung beider Neuronantheile handeln, dergestalt, dass die
Zellen eich schon wieder von der Schädigung erholt hätten, während die Wurzeln
noch Degenerationszeichen aufweisen.
Die Aetiologie dieser Degenerationen ist noch dunkel und ein Zusammenhang
mit bestimmten klinischen Symptomengruppen derzeit noch nicht aufzustellen.
Das ein solcher aber bestehen muss, ist wohl mehr als wahrscheinlich. In einigen
Men mit starker Wurzeldegeneration waren klinisch Dauerspasmen vorhanden
gewesen. Leider war, wie erwähnt, eine klinische Beobachtung der mikroskopisch
untersuchten Fälle dem Verf. nicht möglich.
Thiemioh (Jahrbücher f. Kinderheilk. LII) kommt auf Grund eines kleineren,
»her klinisch beobachteten Materials hinsichtlich des Zusammenhanges zwischen
Wuneldegeneration und den in vivo bestandenen nervösen Störungen zu einem
durchaus verneinenden Standpunkte. Er erblickt in der Marc hi-Degeneration
den Ausdruck einer trophiBchen Alteration, die auf das Vorhandensein einer
fbflctionellen Störung keinen Schluss gestattet (Nonne). Eine endgültige Ent¬
scheidung dieser Frage, deren Aufrollung wohl das Verdienst des Verf.’s ist, ist
harte wohl noch nicht möglich.
Eine tabellarische Zusammenstellung des reichhaltigen Materials beschlieest.
die sorgfältige Arbeit. J. Sorgo (Wien).
7) Heber den Einfluss der Wasserentziehung auf die Nervenzelle, von Dr.
Felix Brasch. (Fortschritte der Medicin. XVI. Nr. 21.)
Verf untersuchte Bückenmark und Spinalganglien nach Nissl’scher Methode
bei Kaninchen, deren Körper Wasser entzogen worden war, sei es durch intra-
peritoneale Injectionen von Glycerin oder concentrirter Kochsalzlösung, sei es
durch Einführung von wasserentziehenden Stoffen in den Magen.
Ee zeigte sich, dass das äussere Aussehen der Nervenzelle nach Wasser-
artriehung eine sehr charakteristische Veränderung, besonders den Zellkern be¬
treffend, eingeht.
Die Versuche ergaben ferner die Thatsache, dass man in der Retraction des
Kerninhaltes der Ganglienzelle von der Kernmembran eine rein physikalisch durch
IV Muerentziehung bedingte Veränderung experimentell erzeugen kann, die keinen
wkrobiotischen, sondern einen biologischen Charakter besitzt, d. h. der Rück¬
bildung fähig ist. Kurt Mendel.
Pathologie des Nervensystems.
8) Die Gehirnerschütterung und ihre geriohtsftrstliohe Beurtheilung , von
Dr. Niehues. (Friedreich’s Blätter f. gerichtl. Medicin u. Sanitätspolizei.
1900. LL)
Die unter reicher Literaturverwendung theoretisch behandelte Arbeit zerfällt
m einen klinischen und einen forensischen Theil. Gehirnerschütterung kann
»wwr durch feste Körper auch durch Flüssigkeiten oder Luftstösse hervorgerufen
werden. Je grösser der Querschnitt des verletzten Körpers, desto grösser die
Erschütterung und desto geringer die äusseren Verletzungen. Die Gewalteinwirkung
ist meist einmalig, kann aber auch mehrmalig sein und gleioht dann dem experi¬
mentell erzeugten „Verhämmern“. Je fester die Knochenstructur, desto wirkungs-
15*
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voller die Erschütterung; daher die Häufung der Fälle in den mittleren Lebens¬
jahren. Ein prädisponirendes Moment für positiven Erfolg ist nervöse Disposition;
deshalb sind Trinker — von anderen naheliegenden Gründen abgesehen — be¬
sonders häufig davon betroffen. Was das Symptomenbild anlangt, bo wird aus¬
drücklich betont, dass die Bewusstlosigkeit sich der Gewalteinwirkung stets
unmittelbar anschliesst. Geschieht dies nicht, so liege eine Verwechselung mit
Hämorrhagie vor. Ebenso hat jede Gehirnerschütterung eine kurze Zeit lang
retrograde Amnesie im Gefolge. — Die Zahl der positiven anatomischen Befunde
bei Gehirnerschütterung wächst stetig mit Verfeinerung der Untersuchungsmethoden;
man fand starke Venenfüllung in den Hirnhäuten, oapilläre Apoplexieen in der
Markmasse, endlich Gefässveränderungen verschiedenster Art.
Der begutachtende Arzt ist oft in schwieriger Lage; er hat die Diagnose
aus dem Nachweis der Gewalteinwirkung, der klinischen Symptome und aus dem
Leichenbefund zu begründen. Zeitbestimmung, Feststellung des Werkzeuges und
des genauen Ortes der Gewalteinwirkung sind aus Nebenverletzungen zu er-
schliessen. DifferentialdiagnostiBch kommt vor Allem die acut« Alkoholvergiftung,
Selbstmord, Tod durch Blitzschlag oder Nervengifte in Frage. Die sichere Auf¬
findung der Todesursache kann hohe oriminalistische und civilrechtliche Bedeutung
haben.
Als seltene, forensisch wichtige Folgen einer nicht tödtlicb verlaufenden
Gehirnerschütterung — der der letzte Abschnitt gewidmet ist — werden genannt:
Störungen der Sehkraft und des Gehörvermögens, Sprachverlust, traumatischer
Diabetes, traumatischer Hirntumor, Epilepsie, traumatische Neurose und Verfall
in Geisteskrankheit. Indessen ist im Einzelfall der Nachweis des Causalzusammen-
hanges mit grösster Vorsicht zu führen. Kalmus (Lübeck).
9) Ueber Hirnerachütterung und acuten Hirn druck, von Dr. Hugo Simon.
(Archiv f. Kinderheilk. 1900. XXX.)
Die ursprüngliche Annahme, dass die „Gehirnerschütterung“ in einer durch
die Fortleitung der Schwingungen bedingten Verschiebung der einzelnen Gehira-
theilchen bestehe, ist durch neuere Untersuchungen (Gama, Nelaton, Fischer)
als widerlegt anzusehen. Wir wissen jetzt, dass eine Masse, wie das Gehirn,
welche einen Hohlraum nicht vollständig ausfüllt, durch starke Erschütterungen
der Kapsel wohl in Gesammtbewegung gerathen kann, dass aber eine Verschiebung
der einzelnen Theilchen untereinander nicht stattfindet. Allerdings sind damit
die pathologischen Veränderungen, welche die Symptome der Gehirnerschütterung
hervorrufen, nicht erklärt, um so mehr, als die Hypothese der „Gefässlähmung“
durch die Erzeugung von Erschütterungssymptomen an blutleergemachten „Salz“-
fröschen (Koch und Filehne) unhaltbar geworden ist. Wenn wir also auch
nicht wissen, welche Veränderung die Gehirnpartieen durch die Commotio cerebri
erfahren, so zeigt sich doch klinisch, dasB sämmtliche Centren der Grosshirnrinde,
unter Umständen bis zur völligen Functionsunfähigkeit, geschädigt sein können.
Man kann die Krankheitszeichen in Rinden- und Bulbärsymptome trennen. Beim
Kinde überwiegen die ersteren, namentlich die Bewusstlosigkeit und das Erbrechen;
dagegen ist die den letzteren zugehörige Pulsverlangsamung nicht häufig und
selbst bei schweren, complicirten Fällen nicht immer vorhanden.
Wenn sich nach einem Kopftrauma die Bewusstlosigkeit lange hinzieht, wenn
Convulsionen oder Lähmungen hinzutreten, so handelt es sich nicht um einfache
Gehirnerschütterung, sondern um schwere Gehirnverletzungen, meist um Blutungen.
Verf. bringt vier ausführliche Krankengeschichten solcher Fälle. Zwei davon
v boten motorische Aphasie, einer motorische und amnestische Aphasie, ein vierter
wies complicirte Lähmungssymptome und Glykosurie auf, deren Bedeutung Verf.
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ausführlich bespricht. Alle Fälle heilten aas, doch machten die beobachteten
Ausfallssymptome eine cerebrale Localdiagnose recht gut möglich.
In kürzerer Fassung bespricht Verf. die Verhältnisse beim Hirndruck.
Indem er auch hier von theoretischen Sätzen ausgeht, weist er darauf hin, dass
im Eindesalter das Ueberwiegen der Himmasse gegenüber dem Liquor ein un¬
günstiges Moment darstellt, während andererseits die Nachgiebigkeit des Schädels
bei jüngeren Kindern gelegentlich eine lebensrettende Bedeutung erlangen kann.
Ein iu88er8t seltenes Beispiel einer solchen Heilung nach einer Meningealblutung
enthält die vom Verf. angeführte Krankengeschichte. Bei dem 5jährigen Knaben
bildete sich nämlich 6 Tage nach einem Unfall eine pulsirende Geschwulst ent¬
sprechend der Naht zwischen Seitenwandbein und Schläfenbein, und gleichzeitig
kehrte das während der ganzen Zeit gestörte Bewusstsein wieder zurück und
schwanden die bedrohlichen Hirnerscheinungen. Die Geschwulst resorbirte sich
Tollständig und es blieb keinerlei Folgesymptom der schweren intracraniellen
Verletzung zurück. Zappert (Wien).
10) Ein Fall von Bchädelverletzung mit Verlost erheblicher Gehirnmassen
ohne nachweisbare Funotionsstör ungen , von A. Gut mann. (Deutsche
med. Wochenschr. 1900. Nr. 22.)
In dem kurz mitgetheilten Falle waren nach schwerem Schädel träum a mit
Verlust erheblicherer Gehiramassen Functionsstörungen nicht zurückgeblieben,
allerdings reicht die Beobachtungszeit zu einem definitiven Urtheil keineswegs
ans (Ref.). R. Pfeiffer.
11) 8ome medioo-legal aspeots of trauma in relation to diseased cerebral
arteriös, by William C. Krauss, M. D., Buffalo, New York. (Transactions
of the American Mikroscopioal Society. 22. annual meeting, held at Columbus,
Ohio. 1899. 17—19. Aug.)
Verf. bespricht die verschiedenen pathologisch-anatomischen Veränderungen
der Cerebralgefasse, wobei er besonders der nur mikroskopisch nachweisbaren
gedenkt, und führt dann an der Hand einiger sehr anschaulicher Fälle aus, ein
wie schiefes Urtheil zuweilen vor dem Forum gefällt wird bezw. werden kann,
wenn der Mikroskopiker nicht um sein Gutachten befragt wird. Dieser ist oft
im Stande den schon lange bestehenden krankhaften Zustand der Gehirngefässe zu
demonstriren und eventuell zu beweisen, dass das Trauma, das scheinbar die
makroskopisch festgestellte Hämorrhagie u. ähnl. verschuldet hat, nur eine ganz
nebensächliche Rolle gespielt hat. Meitzer (Colditz).
12) Die Bohussverletzungen durch das schweizerische Militärgewehr, zu-
sammengestellt aus den Jahren 1880 —1800, von Dr. W. Henne.
(Inaug.-Dissert. 1900. Basel.)
Aus dieser ausführlichen Arbeit seien allein einige Beobachtungen heraus¬
gerissen, welche speciell in den Rahmen dieses Centralblattee passen. Bekanntlich
batte Krönlein beim 28. Congress der deutschen Gesellschaft für Chirurgie Mit¬
theilung über zwei eigenthümliche Fälle von Schädel-Himschüssen aus unmittel¬
barer Nähe (Suicidium) gemacht, wo trotz Zertrümmerung der Schädelkapsel eine
Zerstörung der Hirnmasse gar nicht, oder in einer der bisher gewohnten Aus¬
dehnung ganz unähnlichen Weise erfolgte. Die Richtigkeit dieser Beobachtung
wurde bisher von verschiedenen Seiten angezweifelt, und Köhler z. B. in seinem
neuesten Werke über die modernen Kriegswaffen nahm an, dass das Gehirn von
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230
einem Dritten aus seinen Hüllen entfernt worden sei. Verf. ist nun in der Lage,
noch einen 3. Fall mittheilen zu können, der den Vorzug hat, in allen seinen
Einzelheiten von zuverlässigen Augenzeugen beobachtet worden zu sein. Der Fall
ereignete sieb bei einer Schiessübung am St. Gotthard, wo aus Unvorsichtigkeit
ein Soldat von hinten her, aus einer Entfernung von etwa 8 m, durch einen Schuss
in den Kopf getödtet wurde. Der Schädel war geöffnet, und das Hirn lag auf
der Basis hinten links von der Lerche, etwa 30 cm von dieser entfernt; es war
von der Uedulla quer abgerissen, im Uebrigen in seiner Form gut erhalten; nur
einige Partieen der Hirnbasis fehlten. Von dem die Schiessübung leitenden
Officier wird ausdrücklich bemerkt, dass das Gehirn vor dem Hanne auf den
Boden gefallen sei, also nicht etwa in Folge des Sturzes aus der Schädelkapsel
herausrollte. Auf Veranlassung von Dr. Bircher unternahm nun Verf. inter¬
essante Versuche, theils mittels dünnwandigen Conservenbüchsen, theils an enthirnten
Schädeln, wobei die natürlichen anatomischen Verhältnisse möglichst genau nach¬
gebildet wurden (innerhalb des Schädels eine diesem gut anliegende Schweinsblase,
in diese eine zweite Schweinsblase, die mit Kleister von der Consistenz des Hirns
gefüllt wird; zwischen beiden Häuten eine dünne FlüssigkeitsBchicht). Diese Ver¬
suche erzielten dasselbe Resultat, wie die erwähnten Beobachtungen an Lebenden.
Die gefüllte Blase wurde in toto herausgeschleudert und fand sich ungefähr in der
gleichen Lage neben der Büchse oder dem Schädel, die sie früher einnahm. An der
Unterfläche ein Streifschuss, aus dem etwas Brei herausquillt. Verf. erklärt sich
diese eigentümliche Wirkung mittels des im Liquor cerebrospinalis erzeugten
hydrodynamischen Druckes. Derselbe ist bei Näheschüssen in Folge der colossalen
Geschwindigkeit, mit der das Geschoss durchschlägt, ein so gewaltiger, dass er
einmal das durch das perforirende Geschoss schon präformirte Schädeldach völlig
zertrümmert, ferner den im Gehirn selbst erzeugten bedeutend geringeren hydro¬
dynamischen Druck völlig paralysirt, somit dasselbe in seiner äusseren Form
erhält, und endlich das Gehirn, da es nach unten nicht ausweichen kann, aus der
geöffneten Schädelkapsel herausschleudert. Notwendig ist dabei allerdings, dass
das Geschoss die Hirnbasis passiert. Nun ist aber die Geschwindigkeit, mit der
das Geschoss den Schädel durchsohlägt, viel grösser, als diejenige mit der Bich
der Druck im Liquor cerebrospinalis fortpflanzt, das Geschoss entfaltet seine
Wirkung somit erst, wenn es den Schädel schon verlassen hat.
Bei Schüssen aus grösserer Entfernung ist der hydrodynamische Druck im
Liquor ein viel kleinerer, die Zerstörungen des Schädeldaches also geringer, je¬
doch kann der im Hirn entstandene Druck nur noch zum Theil paralysirt werden;
hier sind somit die Verletzungen bedeutendere. Bei Schüssen aus sehr grosser
Entfernung, also mit geringer Geschwindigkeit, fällt der hydrodynamische Druck
überhaupt weg, und es entstehen perforirende oder nicht perforirende Lochschüsse
des Schädels. H. Wille (St. Pirminsberg).
13) Todesfall durch psychischen Insult, nebst Bemerkungen über Delirium
nervosum Dupuytren und Operationspsyohosen, von Pagenstecher in
Elberfeld. (Deutsche med. Wochenschr. 1900. Nr. 37.)
Der 51 jähr. Patient, Kaufmann, war psychisch und körperlich gesund, kein
Trinker. Im sofortigen Anschluss an eine ganz gleichgültige Verletzung — kleiner
Schnitt am Daumenballen und Verunreinigung durch Tinte — tritt plötzlich und
mit elementarer Gewalt die Idee einer Blutvergiftung auf. Pat. empfindet auf¬
steigende Schmerzen im Arm „als Zeichen fortschreitender Vergiftung“ und bittet
die Aerzte um Amputation. Ohnmacht, unruhige Nacht. Am Morgen besteht
Delirium mit starker Agitation, verschiedenen Sinnesdelirien, Grimassiren und
Zuckungen des Unterkiefers, Schwatzhaftigkeit und grosser Schwäche. Durch
idby GoO^lc
281
Ansprache ans seiner Verwirrtheit erweckt, giebt der Kranke meist vernünftige
Antworten, sorgt sich um seine Familie, hegt Todesgedanken u. s. w. Kein Fieber,
ruhiger Puls, kein Zeichen von Wundinfection. 20 Stunden nach der Verletzung
erfolgt eine Art unvollständiger Krise mit Schweiss und subjectiver Erleichterung,
doch bleibt das Bild im Wesentlichen unverändert bis zum Tode, der 32 Stunden
nach Beginn ganz unerwartet und überraschend schnell eintritt. Die Section
ergab keine Anzeichen für eine Wundinfectionskrankheit, aber auch keine rechte
Todesursache. Die Untersuchung auf Gifte und Ptomaine, ausgeführt von einer
ersten Autorität auf diesem Gebiete, blieb resultatlos, ebenso die Untersuchung
des Messers, der Feder und der Tinte, eingeschlossen die bakteriologischen Proben.
Bemerkenswerth ist, dass Pat. mit 240,000 Mk. bei 6000 Mk. jährlichem
Einkommen versichert war. Die Unfallsversicherungsgesellschaften weigerten sich
die Summe zu zahlen, da sie den causalen Zusammenhang zwischen Unfall und
Tod leugneten. Zwei Gutachter nehmen selbstmörderische Vergiftung durch Curare
an, da die Athmung länger anhielt, als das Herz schlug, ein dritter Arzt glaubte
zunächst an Tetanus, später an acute hysterische Psychose mit ungewöhnlichem
Ausgang.
Verf. deutet den Fall als „acutes Irresein durch psychischen Insult“ und
nimmt an, dass Herzinsufficienz möglicherweise den plötzlichen Tod veranlasst habe.
Verf. führt noch zwei Beispiele von Delirium nervosum (Dupuytren) an
und betont wiederholt nachdrücklich die Uebereinstimmung des Delirium nervosum
in Aetiologie und Symptomen mit der Mania acutissima der Psyohiater.
R. Pfeiffer.
14) Katatonisohe Krankheitsbilder nach Kopfverletzungen, von L. v. M uralt
(Zürich). (Allg. Zeitschr. f. Psych. LVU. S. 457.)
Bei der Unklarheit, die in der Ursachenlehre der Psychosen herrscht, muss
jeder Versuch, bestimmte Erkrankungen auf bestimmte Ursachen zurückzuführen,
dankbar begrüsst werden. Von Mural t’s Fällen sind einige zweifellos in directe
zeitliche Abhängigkeit von schweren Schädeltraumen zu bringen. Sie unter*
scheiden sich aber in den Symptomen wie im Verlauf nicht von anderen Kata-
tonieen; es fehlen besonders die Symptome der traumatischen Neurose. Die
Mehrzahl der Fälle weist darauf hin, dass besonders solche Leute an reiner
traumatischer Katatonie erkranken, bei denen Vorbedingungen (nicht aber
bestimmte Symptome) zum Ausbruch von Spannungsirresein vorhanden waren. In
ihrer schlechten Prognose wie in der Beziehung zur Lebensdauer und der Mög¬
lichkeit der Remissionen unterscheiden sich die im Anschluss an Trauma aus-
brechenden Katatonieen nicht von den übrigen. Der Verf. ist der Ansicht, dass
die katatonischen Symptome der klinische Ausdruck einer mehr oder weniger
verbreiteten, diffusen, mit unseren Untersuchungsmitteln noch nicht genau fest¬
zustellenden Läsion der Hirnsubstanz sind.
Aschaffenburg (Heidelberg).
15) Ueber einen Fall von primärer isolirter Läeion des Spraohcentrums
nach Trauma (Haematoenoephalie) und seoundärer Jaokson’soher
Bindenepilepsie mit Büokgang der Ersoheinungen ohne Trepanation,
von Theodor Struppler. (Aus der II. medicinischen Universitätsklinik in
München [Prof. Bauer].) (Deutsche med. Wochenschr. 1900. Nr. 12.)
Der I8jähr. Patient erhielt am 16./X. 1899 mit dem Hirschhorngriff eines
Stockes einen Schlag auf die linke Scheitelgegend, sank zu Boden und war einige
Minuten bewusstlos. Wiedererwacht, konnte er nicht sprechen, war schwindlig,
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aber im Stande, allein nach Hause zu gehen; die Nacht verlief gut. Am nächsten
Morgen spontan Erbrechen, im Uebrigen Wohlbefinden, abgesehen von dem Un¬
vermögen zu sprechen. — Stat. praes. (18. October): Linke Parietalgegend leicht
ödematös und druckempfindlich; auf der Höhe der Schwellung eine etwa 2 cm
lange, borkenbedeckte Wunde, unterhalb dieser Stelle leichte Fluctnation und grosse
Schmerzhaftigkeit. Geringe Deviation der Zunge nach rechte, seit heute leichte
Parese des rechten unteren Facialis, nachdem die Sprachstörung 2 Tage isolirt
bestanden. Cephalalgie, leichter subjectiver Vertigo. Spontanes Sprechen und
Naohsprechen völlig unmöglich (manchmal unverständliches Lallen), geringe Störung
des Sprachverständnisses, mässige Paragraphie, keine Alexie. Leichte Hyper¬
ästhesie an Bumpf und Extremitäten, Steigerung der Patellar- und Achillessehnen-
reflexe, des linken Bauchdecken- und des Würgreflexes. Heute in der rechten
Hand pelziges Gefühl und Ameisenlaufen, leichte Schwäche beim Schreiben. —
Psyche intact. Innere Organe normal. Puls, Respiration und Temperatur normal.
Vom 22.—24. October mehrfach Anfälle von Rindenepilepsie (theils monoplegische
Epilepsie, einmal verallgemeinerte partielle Epilepsie). Actinogramme lassen
nichts Abnormes erkennen. — Sehr rasche Besserung der Sprachstörung, am
80. October ist nur das sehr schnelle Sprechen noch erschwert, und besonders
das Aussprechen von B und Y. — Schwinden der anderen Symptome. Nach
10 Wochen Sprach vermögen normal.
Verf. nimmt eine Blutung aus einem der Zweige der linken Arteria oerebri
media an, welche die mittleren seitlichen Partieen der Hirnrinde versorgen.
Prognostisch sind derartige Fälle im Allgemeinen günstig, die Vorhersage nur
dann infaust, wenn in der Umgebung der Läsion rothe oder gelbe Erweichung
mit chronisch fortschreitender interstitieller Entzündung mit ihren üblen Conse-
quenzen schleichend entsteht. — Therapeutisch ist exspectatives Verhalten das
Richtige, eine Operation nur angezeigt, wenn die Rindensymptome sich nicht
bessern oder bedrohlich werden, ein subpiales Hämatom oder ein encephalitischer
Rindenherd wahrscheinlich wird, ferner bei verzögerter Rückbildung, Zunahme
der Lähmungen durch Erweichungen und Oedem an der Peripherie des Herdes,
endlich in späteren Stadien bei Verdacht auf HirnabsceBS.
R. Pfeiffer.
16) Znm traumatiaohen Irresein, von Dr. Manko. (Zeitschr. f. Medicinal-
beamte. 1900. Heft 8.)
In dem ersten Fall, den Verf. bringt, handelt es sich um einen Mann, bei
welchem im Anschluss an ein schweres, von 14 tägiger Bewusstlosigkeit gefolgtes
Kopfbrauma, sich eine allmählich fortschreitende Demenz entwickelt hatte. Im
weiteren Verlauf entwickelten sich Reizbarkeit, spastische Störungen, apoplekti-
forme Anfälle, Pupillendifferenz. Erst nach 8 Jahren trat der Exitus ein. Die
Section zeigte neben einer Pachymeningitis und alten Erweichungsherden eine
Keilbeinfractur.
Zweifelhaft ist die traumatische Aetiologie bei einem zweiten Paralytiker,
bei welchem nach dem nach 4 Jahren erfolgten Tode eine alte Basisfractur con-
statirt wurde, ohne dass in der Anamnese und auf dem Fragebogen etwas von
einem Trauma vermerkt war. Weiterhin beschreibt Verf. den Fall eines neuro-
pathischen .Soldaten, bei welchem sich im Anschluss an eine von den Kameraden
vorgenommene Misshandlung schnell progrediente Verblödung anBchloss. Allerdings
hatten sich auch sohon vor jener Misshandlung geistige Auffälligkeiten — De¬
pression, Apathie — bei dem Kranken gezeigt. Für die bekannte Thataache,
dass umgekehrt schwere Kopf- und Hirnverletzungen durchaus nicht immer von
geistigen Veränderungen gefolgt zu sein brauchen, dafür bringt Verf. einen
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238
instructiven Fall, in welchem bei einem Öjähr. Kinde eine sohwere Kopfverletzung
durch den Flügel einer Windmühle erzeugt wurde. Mit dem fraglichen Zusammen¬
hang einee Kopftraumas und dem Begehen einer Reihe betrügerischer und ähn¬
licher Handlungen beschäftigt sich der Schluss der Arbeit Verf. fand in dem
citirten Falle keinen ausreichenden Grund, einen solchen Zusammenhang anzunehmen.
P. Schuster (Berlin).
17) CMulstisolie Mittheilungen über Schädel- und Gehimverletzungen,
von Dr. Carl Fröhlich in Aschaffenburg. (Münchener med. Wochenschr.
1900. Nr. 6.)
L Schwere Schädel- und Gehirnverletzung. Ausgang in Ge¬
nesung.
Ein 14jähr. Junge erlitt eine Depressionsfractur am vorderen Rande des
rechten Scheitelbeins, die Austritt von Gehirnmasse zur Folge hatte. Ein grosses
Knochenstück wurde mit der Kornzange herausgezogen. Im Verlaufe bildete sich
ein pilzförmiger Hirnprolaps, der abgetragen wurde. Sofort naoh der Verletzung
bestand Bewusstlosigkeit und complete Lähmung der linken Körperhälfte. Ein
Jahr später erinnerte nur eine Parese des linken Armes an den erlittenen Unfall.
II. Schussverletzung des Schädels. Nach einem Jahre trauma¬
tische Encephalitis. Tod.
Ein Jahr nach einem Schuss in die rechte Schläfengegend, wonach sich Er¬
blindung des rechten Auges eingestellt hatte, trat unter den Erscheinungen einer
Meningitis der Tod ein. Bei der Section zeigte sich, dass die Kugel hart hinter
dem äusseren Orbitalrande, und zwar nicht in die Sohädelhöhle, sondern in die
Augenhöhle eingedrungen und hier in der Nähe deB Opticus am Dache der
Orbitalhöhle liegen geblieben war. Eis fand sich basale, eitrige Meningitis cerebro¬
spinalis und am Vorderlappen des Gehirns eine nussgrosse, erweichte, gelbe Stelle.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
18) Ueber Schädel-Hirnverletzungen, von L. Goldstein. (Monatsschrift für
Unfallheilk. 1901. Nr. 1.)
Nach Recapitulirung der in der Literatur niedergelegten Beweise (Kocher-
Ferrari, Rosenblath, Friedmann, Koppen, Hauser u. A.), dass bei Schädel¬
verletzungen selbst bei intacten äusseren Theilen dennoch Veränderungen des
Schädelinhalts — besonders Gefassveränderungen, sowie solche der Ganglienzellen —
auftreten können, bringt Verf. einige eigene Fälle aus seiner gutachtlichen Praxis.
Im 1. Falle handelt es sich um einen Bruch der Halswirbelsäule und eine
starke Gehirnerschütterung. Verf. nimmt, trotzdem keine Section gemacht wurde,
an, dass es sich um traumatisch erzeugte Gefässveränderungen im Sinne Fried-
mann’s gehandelt habe.
Ein 2. Fall betrifft eine noch lebende junge Frau, bei welcher erst 2 Jahre
nach einer schweren Schädelhirnverletzung Epilepsie aufgetreten war.
Drei weitere Fälle zeigen rein psychische Störungen. Von diesen kam einer
zur Section. Es fanden sich leichte Gefässverdickungen, kleine Höhlen in den
Hirnschenkeln, sowie im Kleinhirn. Im Grosshirn links war eine grössere Cyste,
sowie ebenfalls eine Anzahl der nämlichen kleinen Höhlen, wie sie im Hirn¬
schenkel waren.
Verf. zieht aus seinen Beobachtungen den Schluss, dass bei allen einiger-
maassen heftigen Kopfverletzungen, besonders wenn Bewusstlosigkeit vorhanden
war, sowohl betreffs der Prognose, wie auch betreffs der functionellen Folge¬
erscheinungen äusserste Vorsicht in der Beurtheilung geboten sei.
P. Schuster (Berlin).
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234
19) Ein Fall von traumatisoher periodischer Lähmung, von Dr. Julius
Donath. (Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 2.)
25jähr. Gemüse Verkäuferin. In der Anamnese Malaria, Pneumonie, Typhus.
Sturz vom Wagen mit Distorsion des linken Fusses. 3 Tage später plötzliche
Lähmung des ganzen Körpers. Während des 5 tägigen Spitalsaufenthaltes 10
solche Lähmungen. 6 Wochen häusliche Behandlung mit häufigen Lähmungen,
dann wieder SpitalBaufnahme. Starke links convexe dorsale Skoliose, leichte con-
centrische Einengung des Gesichtsfeldes für Weise und Farben, Pupillendifferenz.
Die Lähmungen betreffen die gesammte Körpermusculatur mit Ausnahme der
Augen-, Gesichts- und Zungenmuskeln. Starker Schweiss während und gegen
finde des Anfalls. Die Lähmung ist schlaff 1 , das Bewusstsein erhalten, mit den
stärksten galvanischen und - faradischen Strömen weder an den Nervenstämmen,
noch an den Muskeln der Extremitäten und des Rumpfes eine Reaction hervor¬
zurufen. Dabei wurden die Ströme schmerzhaft empfunden. Die Athmung ist
frei, Aushusten unmöglich. Die Lähmung beginnt an den Fingern, ergreift nach¬
einander Oberarme, Füsse, Unterextremitäten und schwindet in derselben Reihen¬
folge. In der anfallsfreien Zeit Steigerung der Patellarrefiexe, Bauch- und Achilles¬
sehnenreflexe nioht auszulösen, Sohlenreflexe lebhaft, mechanische Muskelerregbarkeit
herabgesetzt. Grobe Kraft erhalten. Anfälle werden leicht ausgelöst durch
Liegen, Erkältung und psychische Affecte.
Durch Herumgehen liess sich der Anfall zuweilen bekämpfen. Während des
Anfalls Kopfschmerzen und Schmerzen in den Unterschenkeln, keine Parästhesieen.
Dauer der Anfälle l / t Stunde bis 8 Tage.
Verf. bespricht die in der Literatur niedergelegten Fälle und Theorieen.
Er neigt zur Annahme einer Giftwirkung. J. Sorgo (Wien).
20) Beobachtungen über Seh- und Hörstörungen, sowie über Augenmuskel¬
lähmungen naoh Sohftdelverletsungen, von Dr. Ignaz Knotz. (Wiener
med. Presse. 1900. Nr. 30, 31 u. 36.)
Verf. theilt 10 Fälle von Schädelverletzungen mit Basisfractur mit, 6 Mal
trat sofort schwere Bewusstseinsstörung auf, 4 Mal erst nach 6—16 Minuten, in
2 Fällen war sie gering, in einem Falle fehlte sie; Erbrechen trat 4 Mal ein.
Als Zeichen des Basisbruches kamen zur Beobachtung Blutungen unmittelbar
nach der Verletzung, und zwar aus dem Rachen (3 Fälle), Nase und Rachen
(3 Fälle), aus der homolateralen Nasenöffnung (2 Fälle), dem homolateralen Gehör-
gang (4 Fälle); Blutungen einige Zeit naoh der Verletzung aus Rachen, Nase
und Rachen, Rachen und Nasenöffnung (je ein Fall), ins Gewebe der Lid- und
Bulbusbindehaut (3 Fälle), Protrusion des Augapfels (2 Fälle).
In 8 Fällen trat Amblyopie auf, die auf der Seite der Verletzung 7 Mal
vorübergehend und 1 Mal bleibend war, am gegenüberliegenden Auge 6 Mal
kürzer dauernd zur Beobachtung kam. Erblindung derselben Seite sofort und
dauernd in einem Falle, nach einigen Tagen weichend in einem anderen. In
einem Falle war 2 Tage lang dauerndes Rothsehen auf der verletzten Seite vor¬
handen. Concentrische Gesichtsfeldeinschränkung entwickelte sich 5 Mal, in 4 Fällen
bleibend, davon 2 Mal auch das gegenüberliegende Auge betreffend.
Die concentrisohe Gesichtsfeldeinschränkung betrachtet Verf. als geradezu
pathognomonisch für Sehnervenscheidenblutung in Folge Fractur des Canalis
opticus bei Basisbrüchen.
Augenmuskellähmungen traten in 6 Fällen auf, 1 Mal totale Ophthalmoplegie
derselben Seite, einseitige Riechstörung 1 Mal, 8 Mal Hörstörung auf der Seite
der Verletzung, und zwar 4 Mal dauernde. J. Sorgo (Wien).
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21) De rhömiplögie traumatique, par Rene Martial. (Nouv. icon. de Ia
Salp. 1900. XIII. S. 209.)
98 Seiten starke, auf Anregung Pierre Marie’s entstandene Monographie»
der im Ganzen 47 Beobachtungen zu Grunde liegen, darunter eine Anzahl eigener,
bisher nicht veröffentlichter Fälle.
Es werden der Reihe nach die verschiedenen ätiologischen Momente aufgeführt
und mit Krankengeschichten belegt; sodann die verschiedenen Formen der trau¬
matischen Hemiplegie besprochen und ihre zum Theil sehr verschiedenartige
Symptomatologie an der Hand einschlägiger Fälle erläutert. Je nach der Zeit
des Auftretens der Hemiplegie unterscheidet Verf. eine „H6mipl6gie traumatique
simple“ von einer „Hemiplägie traumatique tardive“. Bei der ersteren tritt die
Hemiplegie sofort ein, bei der letzteren erst eine geraume Zeit nach dem Trauma.
Bei der ersteren Form bespricht Verf. eingehend die einzelnen Störungen,
insbesondere die des Gesichtsfeldes (Hemianopsie), der Sprache, des Knochen- und
Muskelwachsthums, der Intelligenz u. s. w. Bei der zweiten Form, die nicht zu
verwechseln ist mit hysterischer Hemiplegie, handelt es sich in der Regel um
Hämorrhagieen, die erst allmählich zur Hemiplegie führen.
Besonders eingehend wird schliesslich noch die pathologische Anatomie be¬
sprochen und zum Schluss ganz kurz die Prognose und Therapie berichtet.
Facklam (Lübeck).
22) Ein Fall von traumatischer Spätapoplexie, von Mazurkiewicz. (Jahr¬
bücher f. Psych. u. Neurolog. 1900. XIX. S. 553.)
Erstes Trauma (Sturz) März 1898, ohne unmittelbare Folgen. Mai desselben
Jahres wieder Sturz. Bald darauf Kopfschmerzen, Erschwerung der Sprache,
kein Bewusstseinsverlust. Bei der Aufnahme zeigt sich Pat. apathisch; Sprache
monoton, ein wenig lallend, im Uebrigen durchaus normaler Befund. In den
folgenden Tagen allmählich Lähmungserscheinungen (rechterseits), zunehmende
Somnolenz, Cheyne-Stoke’sche Athmung. Lumbalpunction liefert blutig tingirte
Flüssigkeit. Sub finem Krampfanfälle; Exitus. Die Nekropsie wies einen apo-
plektiBchen Herd in der Wandung des linken Seiten Ventrikels auf mit Durchbruch
in diesen, einen zweiten, ebenfalls frischeren Herd in der Brücke und unter der
Rinde, etwa in der Gegend der linken vorderen Centralwindung, eine ältere apo-
plektische Cyste. An den Gefässen fehlten irgendwelche krankhaften Verände¬
rungen vollständig. Auch die Localisation entspricht den typischen Fällen.
Die Differentialdiagnose gegenüber Tumor kann gelegentlich ganz unmöglich
sein. Gegen Gehirnabscess spricht das Fehlen eines entsprechenden ätiologischen
Momentes und des Fiebers. Eine Unterscheidung gegenüber einer Encephalitis
kann gleichfalls oft unmöglich sein. Eine sichere Entscheidung wird oft erst
nach Durchbruch in den Ventrikel möglich sein (Quincke’sche Lumbalpunction!).
Pilcz (Wien).
23) Bull* emloontrattura monosintomatioa nel trauma nervoso, per Prof.
Dr. A. di Luzenberger. (Rivista mens, di psichiatr. forens. 1900.
10. October. III.)
Mittheilung zweier Fälle von Hemicontractur nach Trauma. Es handelt sich
um sonst gesunde Männer im Alter von 25 und 40 Jahren, die aus gesunden
bezw. leicht nervösen Familien stammen. Im Anschluss an eine leichtere ein¬
seitige Kopfverletzung trat bei dem ersteren zunächst ein Aufregungszustand und
nach einigen Stunden von der Hand aufsteigend eine Beugecontractur im contra¬
lateralen Arm ein, die bereits am folgenden Morgen sich über die ganze Körper-
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236
hälfte weiterverbreitet hatte. Incontinentia urinae, Insomnie und starke Kopf¬
schmerzen hielten mehrere Wochen lang an, die Sprache wurde häsitireud, der
Kranke vergesslich, schweigsam und indifferent Der andere Pat. war vor 7 Jahren
aufs Genick gestürzt, ohne das Bewusstsein zu verlieren, worauf sich einseitige
Contraoturen desselben Charakters und Umfanges nach der ersten soporösen Nacht
langsam im Laufe eines Monats zu voller Höhe entwickelten. Ein Jahr später
verlor er aus Unklugheit sehr rasch seine ganze Habe, wurde nachlässig, unsauber
und kindisch-schwachsinnig; beide Kniesehnenreflexe sind gesteigert. In beiden
Fällen trat nach langer Beobachtungsdauer Besserung ein, aber keines der an¬
geführten oder noch zu nennenden Symptome verschwand jemals ganz.
Die Contracturen sind beide Male nicht schmerzhaft, schonende passive Be¬
wegungen verursachten kein unangenehmes Gefühl. Die Antagonisten sind nicht
betheiligt, es besteht keine Atrophie, keine organische Muskelverkürzung, keine
Aendenmg der elektrischen Erregbarkeit, keine Modification der sensiblen Quanti¬
täten zur Zeit der erheblich lange Zeit nach dem Unfall aufgenommenen Beobach¬
tungen, nachdem bereits mehrseitige Besserung eingetreten ist. Verf. beschäftigt
offenbar lediglich das Verhältniss dieser Fälle zur traumatischen Hysterie, weshalb
er durch das Fehlen gewisser Localphänomene, die einer hysterischen Contractur
zukommen würden, nicht sowohl veranlasst wird, die Stellung derselben zu anderen
traumatischen Cerebrospinalkrankheiten zu berücksichtigen, als vielmehr die Dia¬
gnose: traumatische Hysterie (welche übrigens hier die zu erwartende Begründung
vermissen lässt) vorweg zu nehmen und auf Grund dieser Prämisse die vorliegende
Contractur als eine (hysterisch) „monosymptomatiBche“ zu nennen, ungeachtet beide
Mal folgende andere Localsymptome derselben Gebiete vorliegen: Myoparalyse
bezw. Parese, Störung des Ortsgefühls, Ataxie, Steigerung der Sehenenreflexe.
Dazu kämen noch die nur flüchtig und unvollständig berührten cerebralen und
psychischen Krankheitssymptome. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
24) Die Erwerbsfähigkeit bei traumatischen und nicht traumatischen
Neurosen, von Jeremias. (Monatsschr. f. Unfallheilk. 1900. Nr. 12.)
Verf. hat in der Klinik des Herrn Prof. Mendel auf Anregung des Ref.
26 Patienten mit traumatisch entstandenen Neurosen und 40 Patienten mit nicht
traumatisch entstandenen Neurosen auf ihre Arbeitsfähigkeit untersucht Die
trotz des so grossen Krankenmaterials der Mendel’schen Poliklinik und Klinik
relativ kleine Zahl der zur Untersuchung herangezogenen Fälle findet ihre Er¬
klärung in dem Umstande, dass zwecks Gewinnung möglichst gleichartiger Ver-
gleichsbedingungen bei der Auswahl der Fälle eine Menge von Einschränkungen
gemacht wurden: Bei den Frauen kamen nur die in Betracht, welche mindestens
bis zum Ausbruch des Leidens in regulärer Lohnarbeit gestanden hatten. Aus¬
geschlossen wurden alle organischen Nervenerkrankungen, sowie ferner alle
organisch-functionell gemischten Erkrankungen und alle durch innere oder chirur¬
gische Leiden complicirte Fälle. Die an dem so eingeengten Material gewonnenen
Resultate stellt Verf. tabellarisch geordnet zusammen, indem jedes Mal das bis¬
herige Rentenverfahren, die subjectiven Klagen, der objective Befund und die
Erwerbsfähigkeit (letztere sowohl nach dem Urtheil des Arztes, wie nach der
Ansicht des Patienten) angegeben ist. Dabei ergeben sich interessante Zahlen:
Völlig erwerbsunfähig sind von den Traumatikern 56°/ 0 , von den Nicht-Trauma-
tikern 20°/ 0 . Mehr als a /s erwerbsfähig sind von den Nicht-Traumatikern 37,5 °/ 0 ,
von den Traumatikern jedoch nur 8 °/ 0 . Von den 56°/ 0 nach ihrer eigenen An¬
sicht erwerbsunfähigen Traumatikern blieben nach ärztlicher Begutachtung nur
12% übrig. Noch demonstrabler wurden die angegebenen Unterschiede, wenn
ganz abgesehen wurde von der Subjectivität sowohl des Arztes wie des Patienten
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and bloss objectiv festgestellt wurde, welche Zahl seit mehr als Jahresfrist that-
sichlich weniger als % erwerbsfähig war. Hier stehen 40°/ o Traumatiker nur
20% Nicht-Traumatikern gegenüber!
Verf. kommt im weiteren Verfolg der Erörterungen dazu, das Plus auf Seiten
der Traumatiker als die Folge der „Rechts- und Begehrungsvorstellungen“ anzu-
gpreehen; er stellt sich also ganz auf den letzthin von Strümpell präcisirten
Standpunkt. Die sich in den vorstehenden, statistisch nachgewiesenen, nachtheiligen
Folgezuständen des Unfallgesetzes äussernden Umstände können bis zu einem ge¬
wissen Grade compensirt werden durch frühzeitige Wiedergewöhnung des Ver¬
letzten an die Arbeit. Wie eine solche eventuell erreicht werden kann, das wird
im Anschluss an die bekannten Vorschläge von Imme!mann (Beschäftigungs¬
pflicht invalide gewordener Arbeiter in jedem einzelnen Betriebe), von Möbius
und von Saenger (organisirter Arbeitsnachweis), von Strümpell und von
Jolly (Vereinfachung und Abkürzung des Processverfahrens) erörtert. Mit Recht
sieht Verf. einen wichtigen Fortschritt in der durch die jüngste Novelle zum
Gesetz eingeführten Abfindung der kleineren Renten (bis zu 15%). Vor allem
empfiehlt es sich ferner, in allen Fällen schon von vornherein zwischen schweren
und zwischen leichten, bezw. zweifelhaften Fällen zu unterscheiden. Für die
entere Gruppe sollte mindestens für Jahresfrist eine ziemlich hohe Rente fest¬
gesetzt, und der Pat. möglichst selten untersucht werden. Für die leichten Fälle
sollte nach Abschluss des Heilverfahrens eine Uebergangsrente von 66—50%
bewilligt werden, und letztere nach einem Jahre ganz in Wegfall kommen. Als
weiterhin empfehlenswerth wird die Begutachtung aller schwierigen Fälle durch
eine Aerztecommission und die (leider wohl unerreichbare. — Ref.) jedesmalige
Krankenhausbeobachtung empfohlen. Sehr nützlich wäre auch eine planmässige
h'&chcontrole der Rentenempfänger.
Der Werth der Arbeit liegt in der statistischen Gegenüberstellung möglichst
gleichartiger traumatischer und nicht-traumatischer Fälle.
P. Schuster (Berlin).
85) Sur les phönomönea nerveux oonseoutift aux traumatlsmes de la
rögion dorso-lombaire de la oolonne vertöbrale, par Renö Verhoogen.
(Journ. möd. de Bruxelles. 1900. 15. April.)
Die vorliegende Arbeit bringt einige äusserst merkwürdige Beobachtungen:
L 50jähr. Mann, Zugführer, fiel bei einem Zusammenstoss von der Masohine,
stürzte auf die Nierengegend und erlitt ausserdem Contusionen am rechten Knie.
Viertelstündige Bewusstlosigkeit. Pat. nahm nach einem halben Jahre seinen
Dienst — wenn auch mit Beschwerden — wieder auf. Er klagte über Kreuz-
schmerzen, besonders bei Bewegungen. Hypästhesie im rechten Bein und der
rechten Lumbalgegend im Verein mit concentrischer Gesichtsfeldeinengung sicherten
die Diagnose Hysterie.
H 45jähr. Mann mit heftiger Contusion der Kreuzbeingegend arbeitete trotz
der sofort eintretenden Beschwerden noch einen Tag und fühlte am anderen Tage
heftige Schmerzen in der Kreuzgegend und den Beinen. Die untere Brustwirbel-
äinle war druckempfindlich, der 3. Lendenwirbel vorspringend. Der Vorsprung
verschwand unter Extension. Da auch Lungentuberculose vorlag, so wurde die
Diagnose einer tuberculösen Wirbelerkrankung gestellt, deren Ausbruch das Trauma
terrorgerufen hatte. Pat. starb an Tuberculose. Bei der Section fand man trotz
ier genauesten Untersuchung absolut nichts an der Wirbelsäule. Verf. zieht aus
diesem Fall den berechtigten (und auch vom Ref. an anderer Stelle gefolgerten)
Schluss, dass es einen durch Muskelcontractur bedingten Gibbus giebt.
HL 26jähr. Mann stürzt mit dem Rücken gegen einen Haufen Steine und
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238
«rleidet eine Paraplegie der Beine. Kein Zeichen einer Verletzung der Wirbel¬
säule, kein Gibbus. Im weiteren Verlauf trat Fieber auf. Die Lumbalpunction
förderte braunrothes Serum zu Tage (etwa 30 ccm). Nachher völlige Genesung!
Verf. nimmt eine Blutung im Duralsack als Ursache der Paraplegie an.
IV. Kutscher wird vom Bock geschleudert und fällt auf den flachen Rücken.
Erst 3 Wochen nach dem Trauma heftige Lumbago, Wadenschmerzen beim Stehen
und Gehen, Fehlen eines Patellarreflexes. Diagnose wurde auf eine meningeale
Blutung in der Lumbalgegend gestellt. Langsame, bis zur völligen Genesung
fortschreitende Besserung.
V. 19jähr. Mädchen stürzt vom Pferde und empfindet beim Aufstehen nur
leichten Schmerz. Anderen Tags Erbrechen. Nach einigen Tagen Fieber,
Albumen im Urin, Druckschmerzhaftigkeit des Leibes. Icterus und heftiger
Schmerz in der Cervicodorsalgegend. Unterer Theil der Wirbelsäule sehr druck¬
empfindlich und Hypästhesie der Beine und des Rumpfes. Tod unter Ansteigen
des Fiebers. Section zeigte eine ausgedehnte Blutung in den lumbo-dorsalen
Muskeln, extrameningeale Blutung im Rückenmark mit Coagulum auf der äusseren
Fläche der spinalen Dura. Rückenmark selbst intact.
P. Schuster (Berlin).
26) Ueber einen Fall von Stiohverletsung des Rückenmarks, von F. Jolly.
(Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. 1900. XXXIII.)
Im März 1895 hatte eine Frau einen Dolchstoss in die linke Seite des
Halses erhalten, wodurch zunächst beide Beine ganz, der linke Arm theilweise
gelähmt, Unempfindlichkeit des rechten Beines und der rechten Hälfte des Rumpfes
bis zur Brust hinauf und starke Schmerzhaftigkeit der linken Körperhälfte hervor¬
gerufen wurden. Im Mai 1895 wurden in der Charitö constatirt: Motilitäts¬
störungen im linken Arm, und zwar in den peripheren Theilen bedeutender als
in den centralen, Atrophieen, vasomotorische Störungen und Entartungsreaction
ebendaselbst, hochgradige Störungen der Motilität, Spasmen und sehr erhöhte
Reflexe in den unteren Extremitäten, links stärker als rechts. Ausserdem fanden
sich Sensibilitätsabnahme im rechten Bein, rechter unterer Rumpfhälfte, verschie¬
denen Theilen des rechten Oberarmes und des linken Armes. Auf der linken
Körperhälfte dagegen wurde bis zum Hals hinauf Steigerung der Schmerzempfindlich¬
keit nachgewiesen. Nachdem zunächst bedeutende Besserung der meisten Be¬
schwerden eingetreten war, entwickelte sich 1896 schnell zum Verfall führende
Lungentuberculose. Die Bewegungsfähigkeit des linken Beines war im September
1896 dann wieder völlig aufgehoben, die des rechten Beines nur in geringem
Umfange möglich. Rechts fehlten in der unteren Körperhälfte Tastsinn, feines
LocaliBirungsvermögen bei Druck und Temperaturempfindlichkeit, während links
Hyperalgesie da war. Am 10. November waren beide Beine schlaff, leicht
spastisch, nur im rechten Bein waren minimale active Bewegungen möglich. Der
linke Vorderarm und die linke Hand waren stark atrophiert. Die Patellarreflexe
waren beiderseits lebhaft, links fand sich Fussklonus. Links war der Schmerz¬
sinn erhalten. Im rechten Bein bezüglich unteren Rumpf bestand Hypalgesie.
Am 14. November 1896 starb die Kranke. — Am Plexus brachialis wurde bei
der Section keine gröbere Veränderung sichtbar, wohl aber in der Zwischen¬
wirbelsäule zwischen dem 6. und 7. Halswirbel eine flache Vertiefung nachweisbar,
und das Rückenmark war im unteren Theil des 8. Cervical- und im oberen Theil
des 1. Dorsalsegments in Folge der Verletzung erweicht. Die Verletzung war von
vorn nach hinten gegangen, hatte die linke Hälfte des Rückenmarks besonders
stark betroffen und auch den hinteren Theil der rechten Hälfte in Mitleidenschaft
gezogen. Aufsteigende und absteigende Degeneration in ziemlich grossem Um¬
fange wurde in verschiedenen Bezirken der weissen und der grauen Substanz
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239
nachgewiesen. Die beobachtete Besserung in den Beschwerden erklärt Verf. da¬
durch, dass ein Theil des secnndären Oedems in der Nachbarschaft der Verletzung
znrückging, die Verschlechterung vor dem Tode deutet er als spätmyelitische
Degeneration, durch die der anatomische Process noch nachträglich eine weitere
Ausdehnung erfuhr.
Das Studium der mit sehr gelungenen Rückenmarksphotographieen aus¬
gestatteten Arbeit ist in hohem Grade dadurch lehrreich, dass der Zusammenhang
zwischen den verwickelten klinischen Erscheinungen des Falles mit den Details
des anatomischen Befundes eingehend untersucht und besprochen ist. Namentlich
die anatomische Erklärung der sehr complicirten Sensibilitätsverhältnisse ist von
grossem Interesse, zeigte doch der betreffende Fall nicht nur die Erscheinungen
des Bro wn-Sequard’schen Typus, sondern auch Bathyanästhesie und Allohyper¬
ästhesie. Die linksseitige Sympathicuslähmung wird hergeleitet aus der voll¬
ständigen Durchtrennung der linken Hälfte des unteren Halsmarkes oberhalb des
Abganges der die Sympathicusfasern mitfuhrenden 1. Dorsalwurzel.
G. Ilberg (Sonnenstein).
27) Traumatio hemorrhages into the spinal oord, by Pearce Bailey.
(Medical Record. 1900. 7. April.)
Verf. theilt die Rückenmarksblutungen zweckmässigerweise ein in primäre
(solche, bei welchen die Blutung primär ohne Dazwischenkunft von Knochen¬
brüchen, Dislocationen u. s. w. erfolgt) und in secundäre (bei welchen die Blutung
unter complicirenden Knochenbrüchen u. 8. w. zu Stande kommt). Er handelt
zuerst die secundäre Hämatomyelie ab und bringt einen sehr instructiven Fall,
welcher einen 36jähr. Mann betrifft. Der Pat. war 15 Fuss tief gestürzt und
hatte sich eine Dislocation oder Bruch des 7. Halswirbels zugezogen. Es hatten
sich eine rechtsseitige Hemianästhesie, sowie auf der linken Seite die Symptome
der Lähmung des cilio-spinalen Centrums eingestellt. Der linke Patellarreflex
war gesteigert. Von Seiten der Motilität bestand nur allgemeine GliederBchwäche.
Als klinisch unwichtige Form der secundären spinalen Blutung erwähnt Verf.
noch die in den Spinalcanal hinein erfolgende Blutung. Ausführlich beschäftigt
sich Verf. sodann mit der primären Hämatomyelie. Er erwähnt zunächst die be¬
kannten Lieblingssitze der Blutungen in der grauen Substanz, betont aber des
■Weiteren, dass auch die weisse Substanz sehr wohl der Sitz von grossen und
kleinen Blutungen sein könne. Eine Reihe von Beobachtungen mit sehr guten
Zeichnungen weist grosse Blutungen in der Kuppe der Hinterstränge, centrale
Blutungen mit Neubildung von interstitiellem Gewebe, sowie schliesslich äusserst
zahlreiche mikroskopische und etwas grössere punktförmige Blutungen zerstreut
durch graue und weisBe Substanz des ganzen Rückenmarks auf. Gerade die
letztere Form hat deshalb ein so grosses praktisches Interesse, weil man diese
Vorgänge vielfach mit den anscheinend functionellen traumatischen Erkrankungen
in Verbindung gebracht hat. Aber demgegenüber muss betont werden, dass sich
jene Form der multiplen und disseminirten traumatischen kleinen Blutungen in
der Regel bis jetzt nur bei Kindern gefunden hat.
Den Schluss der Arbeit bildet eine klinische Besprechung sowohl der mit
ausgedehnter herdförmiger Blutung einhergehenden primären Hämatomyelie, als
auch der mit einer kleinen focalen Blutung einhergehenden. Hierbei wird auch
der Prognose und der therapeutischen Seite mit einigen Worten gedacht. Die
disseminirte Form der Hämatomyelie kann klinisch nicht diagnosticirt werden.
Es scheint jedoch dem Verf. wahrscheinlich, dass die letzte Form, wenn auch bei
Erwachsenen noch selten gefunden und beschrieben, dennoch eine grosse Rolle
spielt unter den nach schweren Traumen vorkommenden vielen vagen klinischen
Symptomenbildem. P. Schuster (Berlin).
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28) Deux om de lösione mädollaires en xmpport aveo an tr&am stimme, par
0. Decroly. (La Policlinique. 1900. Nr. 6.)
I. 6jähr. Rind. Vor l 1 /, Jahren Fall auf einer Treppe. Schon 2 Tage vorher
klagte das Kind über Kopfschmerz. Nach dem Trauma schlaffe Lähmung der
Musculatur, die Paralyse verschonte nur Kopf und Hals und zum Theil den linken
Arm. Letzterer verliert jedoch auch am folgenden Tage seine Beweglichkeit.
Stat. praes.: Schlaffe Lähmung der 4 Extremitäten und der Rumpfmusculatur,
Kopf und Hals frei, ausgesprochene Atrophie, Entartungsreaction in verschiedenen
Muskeln, in anderen geht die Lähmung wieder zurück, Fehlen der Sehnenreflexe,
trophische Störungen, Erhaltensein der Hautreflexe, keine Sensibilitätsstörungen,
keine Sphinkterlähmungen, keine Veränderung der Intelligenz. Diagnose: Acute
Poliomyelitis anterior. Wahrscheinlich ißt das Trauma eine Folge, nicht die
Ursache der Rückenmarksläsion. Behandlung: Active und passive Uebungen,
Massage, Elektricität (faradisch und galvanisch), orthopädische Apparate, robo-
rirende Diät.
IL 60jähr. Frau fällt 14 Stufen hinab auf den Rücken. 1 j i Stunde be¬
wusstlos. Spastische Lähmung der 4 Extremitäten, des Rumpfes und des Halses.
Sphinkteren^völlig intact, Athmung gestört, Parästhesieen. Nach 6 Wochen kommt
die Motilität in den unteren Extremitäten allmählich wieder, das Gehen wird
wieder möglich. Dann wird linker Arm, Rücken und Nacken besser, während
der rechte Arm fast völlig gelähmt bleibt. Elektrisch keine Veränderungen (nur
geringe Herabsetzung der Erregbarkeit). Sehnenreflexe gesteigert, ebenso Haut¬
reflexe, Babinski’sches Phänomen rechts. Kein Klonus. Am ganzen Körper,
ausser am Kopfe, Hypästhesie. An den Händen völliges Fehlen des Muskelsinns
und des stereognostischen Sinns. Intelligenz intact. Diagnose: Compressions-
myelitis oberhalb des 4. Cervicalpaares. Genaue Höhenbestimmung nicht möglich,
da die Symptome nicht ausgeprägt genug sind. Behandlung: Massage, passive
Bewegungen (um Ankylosen und Muskelsteifigkeit zu verhindern), Galvanisation
(zur Verbesserung der Bewegungsstörungen). Kurt Mendel.
UI. Personalien.
Herr Prof. Dr. Wkstphal wurde definitiv zum Leiter der psychiatrischen Klinik in
Greifewald ernannt
Unser verehrter Mitarbeiter, Herr Dr. Liepmann, hat sich an der Universität Berlin
als Privat-Docent habilitirt.
Am 23. Februar d. J. wurde das 25jährige Jubiläum des Warschauer Collegen Dr.
J. Goldflam gefeiert. Durch seine unermüdliche wissenschaftliche Thätigkeit, spaciell
durch seine werthvollen Arbeiten über die Nervensyphilis, die heilbare Bulbärparalyse,
familiäre, paroxysmale Lähmung, Claudication und viele andere, hat sich G. einen wohl¬
verdienten Platz in der neurologischen Wissenschaft verschafft. Seit 25 Jahren ist G. als
Arzt in Warschau thätig und erfreut sich dank seines echt humanen Wesens einer grossen
Sympathie, sowohl seitens des Publicums, als auch der Collegen und seiner zahlreichen
Schüler. Am Jubiläum haben sich auch ausländische Collegen (Benedikt, Bernhardt,
Edinger, Erb, Eulenburg, Joffroy, P. Marie, Mendel, Obersteiner, Raymond,
H. Schlesinger, Wernicke) betheiligt. Wir wünschen dem Jubilar noch viele Jahre
rastloser Arbeit auf dem Gebiete der Wissenschaft und der Humanität.
E. Flatau (Warschau).
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 18.
Verlag von Vkit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtsgbb & Wimo in Leipzig.
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und Stoffwechsels. Diätkuren. Hydrotherapie, F.lectrotherapie etc. T.unqen - und
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Leitende Aerzte: Dr. Determann und Dr. van Oordt (Hausarzt)
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Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithfilfe ron Dr. Kurt Mandel)
Zwanzigster “ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Hark. Zu beziehen durch
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direct von der Verlagsbuchhandlung.
190L 16. März. ~ Nr. 6.
Inhalt I. Origlnalmftthellungen. 1. Zur Histologie der Compressions Veränderungen
des Rtekenmarks bei Wirbelgeschwülsten, von Max Bielschowskv. (Fortsetzung.) 2. Ueber
Dygphagia amyotactica, von Priv.-Doc. G. J. Rossolimo in Mossau. (Schluss).
II. Referate. Anatomie. 1. Sülle fibrille nervöse ultraterminali nelle piaBtre motrice
dell* uomo, per Rufflni. 2. Ueber die Insel des Ungulatengehirns, von Holl. 3. A topo-
grapbical atlas of the spinal cord, by Bruce. — Experimentelle Physiologie. 4. Unter¬
suchung Ober den Ursprung and Betrachtungen über die Bedeutung der Glandula pituitaria,
von Collina. 5. Wird durch die Thyreoidea ein sich normalerweise im Organismus bildendes
Gift zerstört? von Baldl. — Pathologie des Nervensystems. 6. Unfallnervenkrank¬
heiten. vod Edingcr und Auerbach. 7. Ein Fall von Unfallneurose, von Buttersack. 8. Ein
Fall von neurastheniacbem Schütteltremor nach Trauma, von Becker. 9. Injuries of the
serres due to fracture, by Cumzton. 10. Ueber die Bedeutung der Lumbalpnnction für die
Diagnose und Therapie der Haematorrbachis traumatica, von Strausz. 11. Ein Fall von
äehnssverletzung des Rückenmarks bei Selbstmordversuch, von Konrdd. 12. Poliomyelitis
anterior chronica nach Trauma, von Mayer. 13. Zur Lehre der postoperativen Seelenstörungen,
tob Engelhardt 14. Beitrag zur Pathologie des Halssympathicus, vou Helilgenthal. 15. Bei¬
trag zur Kenntnis» der recurrirenden Tetania gravidarum, von HOdlmozer. 16. Tetanie au
coun d’une entöro-colite aiguö, par Leroux. 17. Ueber Eklampsie, Tetanie und Poliomvelo-
ttesphalitis der Kinder, von Concettl. 18. Casuistiscbe Beiträge zur Tetanie und den anderen
toaiauen Krampfformen bei Magendilatation, von Ury. 19. Morbus Basedowii, särlig med
besann til patogenese og behandling, af Vetlesen. 20. Association des syndrömes Basedowien,
Ktirodernuque et tätanique, par Duprä et Qrlllaln. 21. Nene Beiträge zur Pathogenese der
Basedow’acneo Krankheit, von Hatkovec. 22. Altes und Neues über die Basedowsche Krank¬
heit und ihre chirurgische Behandlung, von 8chulz. 23. Zur Frage der Pathogenese der
Bseedow'schen Krankheit, von Treltzki. 24. Maladie de Basedow dans l’enfance, par Zuber.
Ä Zar Pathologie und Therapie der Basedowschen Krankheit, von DInMer. 26. Notes on
two caecs of exophthalmic goitre appearing suddenly in men, who have been in action, by
ÜMrlaad. 27. Hysterie et goitre exophthalmique alternes, par Fdrt. 28. Beitrag zur Aetiologie
der BaaedowSchen Krankbeiit und des Thyreoidismus, von Breuer. 29. BasedowSche Krank¬
haft mit Myxödemsymptomen, von Hirzchl. SO. Sur un oas de sommeil prolonge peudant
m/k mois par tumeur de l’bypophyse, par Soca. 31. Un caso di acromegalia, par Venutl.
Mk£ar Klinik der Akromegalie, von Bregman. 33. A case bearing npon the pathology of
stfpNgaly, by Lodge. 34. Gigantisme, acrom^galie et diabfcte, par Achard et Loeper.
Stk Ueber einen Fall von aenter, maligner Akromegalie, von Gubler. 36. Contributi clinioi
eV- «eatomo-patologici alla conoscenza dell' acromegalia (malattia di Marie), per Bonardl.
St, Otte of acromegaly and infantile myxoedema occuring respectively in father and
jp^b feer. by Pope and Clarke. 38. Obductionsbefand eines Falles von Akromegalie, von
tfjjet. 89. Zur Lehre vom myxödematösen Irresein und über Sohilddrüsentherapie bei
Gpftsükranken, von Pilcz. 40. Beitrag zur Schilddrüsenbehandlung, von Schubert. —
okUtrie. 41. The relation of criminality in the offspring to alcobolism in the parents,
«w Mloovltdi.
WL Am den Gesellschaften. 18. internationaler medicinischer Congress in Paris vom
2-—ftAognet 1900. — Wiener medicinischer Club.
16
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242
I. Orginalmittheilungen.
[Au8 dem Laboratorium des Herrn Prof. Mendel.]
1. Zur Histologie der Compressions-
veränderungen des Rückenmarks bei Wirbelgeschwülsten.
Von Dr. Max Bieisohowsky.
(Fortsetzung.)
Fall II. 1 Frau G., 51 Jahr alt; aufgenommen am 2./VI. 1898, entlassen
am 23./VII. 1898.
Anamnese: Vater starb an Altersschwäche, Mutter starb nach einer Ent¬
bindung. Keine Nerven- oder Gemüthskrankheiten in der Familie. Patientin
ist seit 21 Jahren verheirathet, hat 4 gesunde Kinder, eines starb an Keuchhusten.
3 Aborte in der ersten Hälfte der Schwangerschaft. Von Lues ist nichts zu
eruiren. Als Kind hatte sie Keuchhusten, -war aber sonst bisher nie krank. Das
jetzige Leiden begann allmählich im Februar 1896. Es stellte sich taubes Gefühl
in den Fusssohlen ein, sie knickte mitunter in den Knieen zusammen, taumelte
oft und hatte unter Schwindel zu leiden. Sie musste ihre Schritte beobachten,
sonst fiel sie hin. Sie kam gleich in ärztliche Behandlung, bekam interne Mittel
und wurde galvanisirt; aber der Gang verschlechterte sich immer mehr. Zwei Mal
war sie im Jahre 1896 8 Wochen lang im Krankenhaus, aber die Verschlimmerung
steigerte sich. Die Beine waren allmählich steif geworden, und der Gang war
nur mit Unterstützung möglich. Ende Mai 1897 konnte sie gar nicht mehr
gehen. Von Juni bis November war sie wieder in Krankenhausbehandlung. Eis
trat eine Beugecontractur der Beine ein, welche heute noch besteht und keine
Streckung zulässt. Der Versuch, dieselbe durch einen Streckverband auszugleichen,
misslang. Auch war dort eine Contractur der Oberschenkeladductoren eingetreten,
welche zur Zeit noch fortbesteht. Schmerzen bestanden nicht, wohl aber Kribbeln
unterhalb der Kniee. Das rechte Bein war von vornherein mehr betheiligt als
das linke. Damals war auch bereits festgestellt worden, dass der motorische
Zustand der Beine insofern wechselte, als bald das linke, bald das rechte das
schwächere war. In letzter Zeit kommen häufig blitzartige Zuckungen (Be¬
wegungen) in den Beinen vor, früher nur selten. Schliesslich machten sich in
den letzten Monaten Beschwerden bei der Urinentleerung bemerkbar. Sie musste
häufig sehr stark pressen. Katheterisirt wurde sie jedoch nie. Seit 3—4 "Wochen
besteht Incontinentia urinae. Der Stuhl ist angehalten. Die Unterschenkel sollen
abgemagert sein, der übrige Körper dagegen nicht. Appetit und Schlaf ist sehr gut.
Status: Patientin klagt, abgesehen von der Lähmung der Beine, darüber,
dass tagsüber circa 5—6 Mal der Urin ohne ihren Willen abfliesst. In sitzender
Stellung klagt sie über Schmerzen und ein Spannungsgefühl auf der Rückseite
des Oberschenkels. Unterhalb des Magens hat sie die Empfindung, als ob ein
Stein daliege; unter den Brüsten, als ob ein Strang da wäre (Gürtelgefuhl).
1 Die Krankengeschichten der Fälle II und III stammen von meinem Frennde Dr.
Schustbb.
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248
Mittelgroße magere Person von schlaffer Mnsculatur und blassen Schleim¬
häuten. Starker Foetor urinarius. Facialis und Augenbewegungen intact; Pupillen
gleich, mittelweit. Normale Reaction anf Licht und Acoomodation. Augengrund
normal. Zunge und Gaumenbewegung sind in Ordnung, desgleichen die Rachenreflexe.
Kopfbewegungen sind frei, nicht schmerzhaft. Obere Extremitäten ohne Atrophieen.
Kraft der Arme beiderseits gleich und gut. Keine Steigerung der Tricepsreflexe.
Sensibilität im Gesicht angeblich rechts etwas besser; jedoch werden Nadelspitze
und Knopf beiderseits gut unterschieden. An den Armen ist die Sensibilität in
Ordnung. Während auf der Brust bis zum Rippenbogen die Nadelspitze ganz gut
erkannt wird, muss Patientin bei der Prüfung mehr aufpassen von einer Höhe
2—3 Querfinger breit unterhalb der Mamma ab nach unten. Aber auch in
der Regio hypogastrica wird spitz und stumpf noch unterschieden. Auf dem
Röcken wird angeblich Spitze und Knopf überall gut unterschieden. Die Percussion
der Wirbelsäule ist nur im mittleren und unteren Theil etwas empfindlich.
Erst bei stärkerem Klopfen wird ein lebhafter Schmerz angegeben, der sein
Maximum auf der Höhe des 5. Brustwirbels hat. Die Wirbelsäule selbst zeigt
keine auffallende Verkrümmung, soweit sich das in Bettlage feststellen lässt.
Auch ist an den Knochentheilen der Wirbelsäule nichts Abnormes zu fühlen. Die
Beine befinden sich in sehr starker Beugecontractur, bei welcher das Hüftgelenk
einen Winkel von 130° und das Kniegelenk einen Winkel von 75° bildet. Das
Fussgelenk steht ebenfalls contracturirt in Mittelstellung zwischen Beugung und
Streckung, so dass die FussBohlen flach aufstehen. Die Oberschenkelmuseulatur
fühlt sich fast bretthart an. Ferner besteht eine hochgradige Contractur in den
Adductoren, welche die Kniee fest an einander presst. Passive Bewegungen lassen
■ich mit den Beinen selbst bei Anwendung grosser Kraft nicht in nennenBwerther
Weise vornehmen. Localisirte Atrophieen bestehen nicht, wenn auch die Unter¬
schenkel in toto sehr dünn sind. Willkürlich kann die Kranke in sämmtlichen
Gelenken nur abortive Bewegungen machen. An dem rechten Oberschenkel wird
auf Beuge- und Streckseite spitz und stumpf gut unterschieden. An dem linken
Oberschenkel wird auf Beuge- und Streckseite die Spitze nur unklar gefühlt.
Die Damm- und Genitalgegend fühlt spitz und stumpf klar mit Ausnahme der¬
jenigen Bezirke, die noch zum linken Oberschenkel gehören. Am rechten Unterschenkel
wird Spitze und Knopf gut unterschieden, am linken Unterschenkel und Fuss
besteht die gleiche Herabsetzung etwas ausgesprochener wie am Oberschenkel.
Patellarreflexe sind nicht zu erzielen (starke Spasmen). Beiderseits besteht Fuss-
clonua. Der Bauchdeckenreflex fehlt, die Hautreflexe sind sonst lebhaft. Das
selbständige Stehen und Gehen ist unmöglich. Das Aufrichten aus liegender
Stellung fällt der Patientin schwer wegen der Contractur der Beine, nicht wegen
ihrer Rückenschmerzen. DecubituB ist nicht vorhanden. Von Seiten der inneren
Organe lag nichts Bemerkenswerthes vor. — Im weiteren Verlauf der Krankheit
traten die Sensibilätsstönmgen an der Brust deutlicher hervor, und zwar konnte
die Zone der Sensibilitätsstörung nach oben mit ziemlich scharfer Begrenzung
bestimmt werden. Sie entsprach dem Verlauf der 6. Rippe auf der linken
Seite, während sie rechts einen Intacostalraum tiefer lag. Die Diagnose lautete:
Röckenmarkscompression durch Tumor in der Höhe des 5. Brustwirbels. Die
Patientin wurde nach dem jüdischen Krankenhause verlegt (Prof. Isbabl), und
dort wurde auf Grund einer Radiographie, welche eine Verdunklung des 5. Brust¬
wirbelkörpers zeigte, der Versuch gemacht, eine Entfernung der Geschwulst auf
operativem Wege vorzunehmen. Bei der Eröffnung des Wirbelcanals drängte
neh nach Freilegung der Dura das Rückenmark in die Wunde hinein. Da sich
an Stelle des erwarteten Wirbeltumors nur eine etwa kirschkerngrosse, gleich-
mässige Hervorwölbung des Wirbelkörpers in den Wirbelcanal hinein fand, so
war die Vermuthung gerechtfertigt, dass die schweren klinischen Erscheinungen
16 *
244
davon garnicht abhängig zu machen seien, sondern vielleicht auf einer intradur&len
Neubildung beruhten. Es wurde deshalb der Duralsack geöfihet, und es flose
eine massige Menge von Arachnoidealflüssigkeit ab. Vor der Spaltung der
Dura hatte man bemerkt, dass das Rückenmark ohne die geringste
Pulsation war. Jetzt nach der Durchtrennung der Dura begann es
deutlich zu pulsiren. Von einer Neubildung innerhalb des Duralsackes fand
sich nichts. Die Innenfläche der Dura und die weichen Häute hatten ihr normales
Aussehen. Das Rückenmark selbst erwies sich als etwas abgeplattet und verdünnt.
Von dem erwähnten Knochenvorsprung des 6. Wirbelkörpers wurde ein Stück
für die mikroskopische Untersuchung abgemeisselt. Die Wunde wurde dann ge¬
schlossen. Leider ging die Kranke kurze Zeit nach der Operation zu Grunde. —
Durch die Autopsie wurden die bei der Operation schon erkannten Befunde be¬
stätigt. Das Rückenmark war an der Stelle der Compression auf etwa ein Drittel
seines normalen Volumens reducirt. Die Längsausdehnnng der oomprimirten Stelle
betrug 1 cm und gehört dem oberen Theil des 6. Dorsalsegmentes an. Von dort
erfolgt nach oben und nach unten eine allmähliche Zunahme des Umfanges zur
Norm. Die Consistenz des Organs an der comprimirten Stelle ist weich, das
Mark hat eine gelblichbraune Färbung und quillt rahmartig über das Niveau des
Querschnittes hervor. Eine Verwachsung der Rückenmarkshäute unter einander
am Orte der Läsion besteht nicht. Die mikroskopische Untersuchung des ab-
gemeisselten Tumorstückes ergiebt, dass es sich um spongiöses Knochengewebe
handelt, welches sich von normaler Wirbelspongiosa nicht wesentlich unterscheidet;
nur das Periost hat eine leichte fibröse Verdickung an dieser Stelle erfahren. Es
handelt sich also um eine einfache Hyperplasie des Wirbelkörpers an dieser
Stelle, welche man den gewöhnlichen Exostosen zuzurechnen hat. Der mikro¬
skopische Rückenmarksbefund ist folgender:
Die markhaltigen Nervenfasern der weissen Substanz sind an der Compressions-
stelle in allen Bezirken gleichmässig in einem Zustande starken, fettigen Zerfalls.
Marchi - Präparate zeigen schon bei der Betrachtung mit blossem Auge eine
schwarze Färbung der weissen Substanz. Ueberall finden sich grössere und kleinere
schwarze Schollen und zwischen ihnen gleichmässig vertheilt zahlreiche Fettkörnchen¬
zellen. Die Grenzen der grauen und weissen Substanz sind unscharf, und von
der normalen Structur der Hinterhörner ist nirgends eine Spur mehr zu finden;
vielmehr ist ihr Bereich erfüllt von rothen Blutkörperchen, zwischen denen sich
grössere und kleinere Spalträurae befinden. In den Spalträumen liegen stark
veränderte Gefässe. Von Ganglienzellen ist nichts zu entdecken. Spalträume
finden sich auch in der weissen Substanz, vornehmlich im Gebiete der Hinter¬
stränge, wo sie im Verlauf der Septen radiär nach dem Centrum hinstrahlen.
An Kernfärbungen und GiEBON-Präparaten sieht man, dass eine enorme Gefäss-
Vermehrung in allen Bezirken der weissen Substanz stattgefunden hat. Die grösseren
längsgetroffenen Gefässe sind korkzieherartig geschlängelt. Stellenweise besonders
im ventralen Gebiet der Hinterstränge, ist die Gefässbildung eine so massenhafte,
dass es zur Bildung von Gefnssconglomeraten gekommen ist, in denen zahlreiche knäuel-
förmig mit einander verbundene Quer- und Längsschnitte beisammen liegen. Die Wand
der Gefässe ist häufig verdickt, und zwar vornehmlich auf Kosten der faserigen Be-
staudtheile. Von einer Erweiterung des adventitiellen Lymphraumes an den
grösseren centralen Gelassen kann nicht die Rede sein. Ebenso wenig findet sich
eine Erweiterung des sogenannten epispinalen Raumes. Zahlreiche Gefässe der
weissen Substanz sind prall mit roononucleären und polynucleären Leukocyten
gefüllt, welche an zahlreichen Stellen die Wand durchdringen und das umgebende
Gewebe infiltrirt haben. An anderen Stellen der weissen Substanz haben Austritte
rother Blutkörperchen stattgefunden, welche sich zum Theil als kleine, scharf
begrenzte hämorrhagische Herdchen documentiren, zum anderen Theil das Gewebe
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245
im Verlauf der Gliasepten infiltriren und sich allmählich zwischen den benachbarten
Nervenfasern verlieren. Besonders in den sonst noch gut erhaltenen Grenzbezirken
der Vorderhörner sieht man zahlreiche, gleichmässig vertheilte, gut geformte rothe
Blutkörperchen liegen. In den centralen Gebieten der weissen Substanz ist
überall bereits eine Verdichtung der faserigen Bestandtheile der Glia wahrnehmbar.
Die Pia bietet, abgesehen von einer starken Füllung ihrer GefUsse, nichts Besonderes.
Wsiemrr - Präparate ergänzen die geschilderten Mabchi- Bilder insofern, als sie
zeigen, dass trotz der starken Verheerungen der weissen Substanz in einigen Bezirken,
besonders in den peripherischen Abschnitten der Hinter- und Seitenstränge gut
erhaltene Nervenfasern, allerdings nur in geringer Zahl, vorhanden sind. Besonders
auffallend ist an Wxiöbbt- Präparaten aber folgender Befund (Fig. II):
Atypisch gelegene Nervenfaaerbündel im Sulcus long. ant. (Fb.) im distalen Theile
des 4. Dorsalsegmentes. Mikrophotogr. Leitz Obj. 3, Oc. 3. W kigkbt’ Bche Mark¬
scheidenfärbung.
Man sieht im Sulcus longitudinalis anterior, und zwar in dem Fortsatz,
welchen die Pia mit den Gefässen in ihn hineinschickt, zahlreiche zarte Bündelchen
ron Nervenfasern, deren Markscheiden eine deutliche bindegewebige Hülle auf¬
weisen, die also vollkommen das Aussehen peripherischer Nervenfasern zeigen.
Der Querdurchmesser der einzelnen Fäserchen ist etwas zarter als derjenige der
extraspinalen vorderen Wurzelfasern. Diese Nervenfasern können weiter abwärts
in die graue Substanz hinein verfolgt werden. Weiter unten wird von ihnen noch
die Bede sein. An der Grenze des 6. und 7. Brustsegmentes fangen die geschil¬
derten Veränderungen bereits an abzuklingen. An der Peripherie der Vorder- und
Seitenstränge, sowie in der hier schon scharf begrenzten grauen Substanz tritt
bereits eine grosse Zahl von normalen Nervenfasern auf. Die Spalträume in der
grauen und weissen Substanz werden schmäler und kürzer. Nissl- Präparate
zeigen bereits vereinzelte Ganglienzellen, zum Theil von normalem Verhalten, zum
Theil in geschrumpfter Form, wie sie im Compressionsgebiete des I. Falles be¬
schrieben worden sind. Die Zahl der neugebildeten Gefässe nimmt ab, aber immer
fällt noch ihre pralle Füllung mit Leukocyten auf. Die oben erwähnten Nerven¬
bündel des Snlcus longitudinalis anterior haben hier bereits den Boden des Sulcus
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erreicht, und man kann genau verfolgen, wie dieselben zusammen mit den centralen
Gefässen in das basale Gebiet der Vorderhörner eintreten. Hier liegen sie der
äusseren Gefasswand so dicht an, dass ihre bindegewebige Zwischensubstanz mit
dem adventitiellen Bindegewebe der Gefässe ein continuirliches Ganzes bildet.
Die Bündel verlaufen also gewissermaassen in der Adventitia dieser Gefässe. Es
sei hier vorweggenommen, dass im mittleren und unteren Theil des 7. Brust¬
segmentes diese Fasern in den basalen Partieen der Vorderhörner sich verlieren;
sie entfernen sich von den Gefässen und verlieren dabei allmählich ihre binde¬
gewebige Hülle. In den tieferliegenden Segmenten sind derartige Bündel weder
im Sulcus longitudinalis anterior noch an den centralen Gefässen nachweisbar.
Weiter unten treten die geschilderten Veränderungen vollkommen zurück, und
schon in der Höhe des 9. Dorsalsegmentes hat, abgesehen von den secundären
Degenerationen, die Rückenmarkssubstanz ihr normales Aussehen erreicht. Ober¬
halb der Compressionsstelle ist dasselbe allmähliche Abklingen der durch den
Druck bedingten Veränderung zu constatiren. Im oberen Bereich des 4. Dorsal¬
segmentes haben bereits normale Verhältnisse platzgegriffen, abgesehen von
den secundären Strangveränderungen. Die genannten Nervenbündel im Sulcus
longitudinalis wurden nach oben bis zum 3. Dorsalsegment verfolgt. In derselben
Höhe findet man sie auch in der Adventitia der centralen Gefässe wieder, und
zwar hat es den Anschein, als ob sie hier ihre Fasern wenigstens zu einem
grossen Theil aus der vorderen Commissur erhalten. Der Verlauf dieser Fasern
ist demnach folgender: Sie kommen in der Höhe des 3. Dorsalsegmentes aus den
Fasern am Boden des Sulcus anterior bezw. aus der vorderen Commissur, gehen
in einzelnen Bündeln in die Adventitia der centralen Gefässe an der Basis der
Vorderhörner zu beiden Seiten des Centralcanals und biegen dabei aus der
horizontalen in die verticale Verlaufsrichtung um. Oberhalb der Compressions-
stelle biegen die Fasern nach vorn in den Sulcus longitudinalis anterior ab, wo
sie in mehreren Bündeln hintereinander liegen und dabei ein Auseinanderklaffen
der Ränder der vorderen Furche bedingen. In dieser Lage bleiben sie im Bereich
des Compressionsgebietes; unterhalb derselben treten sie dann wieder mit den
centralen Gefässen in das basale Gebiet der Vorderhörner ein und verlieren sich
unter den markhaltigen Nervenfasern dieser Zone. Von Erscheinungen secundärer
Degeneration, welche mittelst der MARCHi’schen Methode festgestellt wurde,
fanden sich:
I. Unterhalb der Compressionsstelle die typische Degeneration des Pyramiden¬
seitenstranges, verfolgbar bis zur Höhe des 2. Sacralsegmentes.
II. Degeneration eines Faserstreifens im Hinterstrang unmittelbar an und
parallel mit der hinteren Peripherie. Seine Breitenausdehnung reicht beiderseits
vom hinteren Längsseptum bis in die Nähe der Markbrücke. In der Höhe des
8. Dorsalsegmentes sammelt sich ein Theil der Fasern im dreieckigen Feld des
dorsomedialen Abschnittes, unmittelbar am hintersten Theil des Septums. Ver¬
folgbar war diese Bahn bis an den Uebergangstheil des 12. Dorsal- und 1. Lumbal¬
segmentes. Eine Verlängerung und Fortsetzung in das FLECHSio’sche ovale
Feld konnte nicht beobachtet werden: schon in der Höhe des 1. Lendensegmentes
hatte der gesammte Hinterstrang sein normales Aussehen. Auffallend war das
gänzliche Fehlen secundärer Degeneration im Gebiete des ScHUi<ZE’8chen Comma.
III. Mässiger Faserzerfall im ganzen Gebiete der Vorderstränge unmittelbar
unterhalb der Compression, welcher bereits 2—3 Segmente tiefer allmählich
verschwand.
Oberhalb der Compressionsstelle wurde beobachtet:
I. Die typische Degeneration der Hinterstränge, welche mit zunehmender
Entfernung immer mehr nach innen rückte und sich schon im Bereich des 4. Dorsal¬
segmentes auf das Gebiet der GoLi/schen Stränge, einschliesslich der ventralen
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247
Kappe, beschränkte. Dabei racken die degenerirten Fasern auch aus dem Bereich
des hintersten Viertels der GoLL’schen Stränge fast gänzlich heraus, so dass dieser
Abschnitt der Goix’scben Stränge vom 3. Dorsalsegment bis in die proximalsten
Abschnitte des Cervicalmarks wieder in der überwiegenden Mehrzahl von normalen
Fasern eingenommen wird.
II. Die typische Degenerationszone in der Kleinhirnseitenstrangbahn und
des Anterolateralbündels beiderseits. In der Höhe des 6. Cervicalsegmentes wird
das letztgenannte Bündel von der Peripherie des Seitenstranges in seinem vorderen
Theile von einer schmalen Zone normaler Fasern abgedrängt.
III. Schliesslich wurde unmittelbar oberhalb der Compressionsstelle eine
Degeneration geringen Grades im Gebiete der Vorderseitenstränge beobachtet,
welche über 3 Segmente deutlich zu verfolgen war. Besonders distinct tritt ein
gut begrenztes Terrain zerfallner Fasern im ventralen und medialen Gebiete des
Vorderstranges auf, das bis zur 6. Cervicalwurzel verfolgt werden kann. Es
handelt sich hier, wie in den entsprechenden Gebieten unterhalb der Compressions¬
stelle, um ein Zugrundegehen kurzer und längerer Strang- oder Associations¬
fasern. Da uns in diesem Falle das Gehirn nicht zur Verfügung stand, konnten
die aufsteigend degenerirten Fasern nicht über das 2. Cervicalsegment hinaus
verfolgt werden.
Fall III. Frau M., 47 Jahre alt.
Anamnese: Hereditär nicht belastet. Seit 28 Jahren verheirathet; ein
Partus. Kind starb nach 18 Tagen, kein Abort. Der Ehemann hatte vor 6 Jahren
ein Ulcus durum und machte eine Inunctionskur durch. Ausschlag hat sie selbst
niemals an sich bemerkt. Als Kind hatte sie Masern und Scharlach, Typhus und
öfters Brätine, als verheirathete Frau Pocken und Lungenentzündung. Im Juli 1897
wurde das rechte Auge, welches etwa 3 Jahre vorher durch Stoss verletzt worden
war, enucle’irt. Der Beginn der jetzigen Krankheit fällt in den October 1897.
Sie begann mit rasenden Schmerzen, welche panzerformig um den Rumpf sich aus¬
breiteten. Die Schmerzen liessen eine Zeit lang nach, traten aber Mitte November
mit erneuter Heftigkeit auf, so dass die Patientin bettlägerig wurde. Gleichzeitig
begann sie über allgemeine Schwäche und Abgeschlagenheit zu klagen. 8 Tage
vor der Aufnahme in die Klinik des Herrn Prof. Mendel trat ein Kribbeln in
den Beinen und Füssen ohne erhebliche Schmerzen auf. Dabei wurde die Be¬
weglichkeit der Beine stetig schwerer, so dass das Gehen und Stehen unmöglich
wurde. Die Lähmung der Beine entstand auf beiden Seiten gleichzeitig. Seit
den letzten Tagen vor der Aufnahme sei auch der Leib stark aufgetrieben und
die Athmung erschwert. Psychisch bietet die Kranke nichts Besonderes. Die
wesentlichen Klagen sind bei der Aufnahme: lähmungsartige Schwäche und Ab¬
gestorbensein beider Füsse und Beine, Aufgetriebenheit des Leibes mit der
Empfindung, als ob derselbe mit einem Reifen zugeschnürt sei; ferner Schmerzen
and ein Gefühl von Steifheit im Rücken, am meisten zwischen den Schulterblättern
und im Kreuz.
Status: Patientin ist eine fette, muskelschwache Person von mittlerer Statur;
die Gesichtsfarbe ist blass, die Lippen sind leicht cyanotisch. Der Augengrund ist
linksseitig in Ordnung, Reaction auf Licht und Accomodation normal. Der rechte
Bulbus ist enucleirt. Im Gebiet der Hirnnerven findet sich nichts Abnormes. Die
Kraft der Arme ist in allen Bewegungsrichtungen eine gute; es bestehen nirgends
Atrophieen. Die Tricepsreflexe sind lebhaft. Die Sensibilität der Arme ist
intact. Die Wirbelsäule zeigt keinen vorspringenden Dornfortsatz. Die obere
Brustwirbelsäule ist auf Beklopfen etwas empfindlich. Die normale S-formige
Krümmung ist verwachsen, die untere Brust- und Lendenwirbelsäule ist in ganz
geringem Maasse kyphotisch. — Ein selbständiges Aufrichten aus horizontaler
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Bettlage ist unmöglich; ebenso das Gehen und Stehen. Die Musculatur der Beine
ist ausserordentlich schlaff und atonisch; die Haut ist blass, ohne besondere
Veränderungen der Hautgebilde. Die passive Beweglichkeit ist überall frei. Eis
besteht eine absolute, active Bewegungslosigkeit beider Beine und Füsse. An
den Beinen überall, sowie am Rumpf von der Höhe der Brustwarze an wird
Nadelspitze und Knopf nicht deutlich gefühlt; jedoch werden tiefe Einstiche noch
schmerzhaft empfunden. An der Brust und am Bauch ist das Berührungsgefühl
noch gut erhalten, an den Beinen jedoch herabgesetzt. — Am Rücken beginnt
die Zone der Hypästhesie in der Höhe des 4. Brustwirbels. Die Patellarreflexe
sind beiderseits von gewöhnlicher Stärke, der Achillessehnenreflex und die
Bauchdeckenreflexe fehlen. Das Lagegefühl beider Beine und Füsse ist grob
gestört. Die elektrische Untersuchung an beiden unteren Extremitäten ergiebt
folgenden Befund: die faradische Erregbarkeit der Muskeln an beiden Unter¬
schenkeln und am linken Oberschenkel ist gut erhalten; am rechten Oberschenkel
sind nur vereinzelte Zuckungen zu erzielen. Galvanisch konnten Zuckungen an
beiden Unter- und Oberschenkeln des dicken Fettpolsters wegen nicht beobachtet
werden. Die Urinentleerung ist willkürlich absolut unmöglich und erfolgt nur
durch Catheterismus. Der Stuhlgang geht ohne Wissen der Patientin ab. Der
Druck auf die Nervenstämme der unteren Extremitäten ißt nicht schmerzhaft.
Von Seiten der inneren Organe wurde notirt: Eine geringe Verbreitung
der Herzdämpfungsgrenzen nach rechts, sowie ein systolisches Geräusch an der
Herzspitze. Urin frei von Eiweiss und Zucker. Am Kreuzbein besteht ein aus¬
gedehntes Decubitußgeschwür.
Der weitere Krankheitsverlauf gestaltet sich folgendermaassen: Es traten in
Zwischenräumen von wenigen Tagen schwere Anfälle von Dyspnoe auf, in welchen
die Patientin stark cyanotisch wurde und in sitzender Stellung mit aufgestützten
Armen und mit Zuhülfenahme sämmtlicher Hülfsmuskeln nach Athem rang. Der
Decubitus machte trotz aller dagegen gerichteten Bemühungen grössere Fortschritte,
und es trat ein starkes Oedem in beiden Unterschenkeln auf, zu dessen Entfernung
Dauercanülen in die Haut eingeführt wurden. 8 Tage nach der Aufnahme in
die Klinik ging die Kranke in einem dyspnoischen Anfall zu Grunde.
Sectionsprotocoll: Die Section wurde 20 Stunden nach dem Tode vor¬
genommen. MittelgroBse, weibliche Leiche mit sehr starkem Panniculus adiposus.
Das Abdomen ist kugelförmig aufgetrieben. — Bei der Eröffnung der Schädel¬
höhle zeigen sich die Venen der Dura mater prall mit Blut gefüllt. Beim Durch¬
schneiden des Sinus longitudinalis flieset eine reichliche Menge dunklen Blutes
ab. Die Pia ist im Bereich des Stirn- und Parietalhims an der Mantelkante
massig verdickt. An den Gefassen der Basis cerebri, besonders an der Arteria
basilaris und deren Aesten sind die Wandungen stellenweise verdickt, klaffen
beim Durchschneiden und lassen vereinzelte Kalkablagerungen erkennen. Befunde
an der Gehirnsubstanz und an den Ventrikeln sind ohne Besonderheiten.
Thorax: Bei der Herausnahme der Lungen sind an der sonst glatten und
spiegelnden Pleura pulmon. vereinzelte kleine, linsengrosse Knötchen, welche nur
einen sehr geringen Dickendurchmesser (1 mm) besitzen, erkennbar. Gegen das
Lungengewebe der Umgehung sind sie anscheinend scharf begrenzt. Blut- und
Saftgehalt des Lungengewebes gering, nur bei Druck auf den durchschnittenen
Unterlappen quillt etwas blutiger Schaum über die Schnittfläche hervor.
Beim Eröffnen des Pericardialsackes findet sich am Boden desselben eine
geringe Menge einer strohgelben Flüssigkeit. Das Herz ist vergrössert (die Herz¬
spitze ausserhalb der Mamillarlinie). Epicard spiegelnd und glatt. Zwischen
ihm und dem Herzmuskel sind besonders an der Grenze der Vorhöfe grosse Mengen
von Fett eingelagert. Beim Durchschneiden der Herzwand zeigt das Myocard
am linken und rechten Ventrikel eine gelblichrothe Farbe. Das Endocard der
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Ventrikel ist im Allgemeinen spiegelnd glatt; nur vereinzelt finden sich im linken
Ventrikel kleine Stellen, wo dasselbe verdickt ist und eine milcbartige Trübung
aufweist. Stark verdickt dagegen sind die Klappensegel der Valvula mitral is,
besonders an den Ansatzstellen der Chordae tendineae, wo sich vereinzelte hirse¬
korngrosse steinharte Knötchen finden. Die Klappensegel sind dementsprechend
in ihrer Beweglichkeit gehemmt und erscheinen verkürzt. Im Endocard sind
ferner, und zwar lediglich am linken Ventrikel, kleine linsengrosse Knötchen von
derselben Beschaffenheit wie an der Pleura vorhanden; an Zahl sind es fünf.
Abdomen: Darmschlingen prall mit Gasen gefüllt. Parietales und viscerales
Blatt des Peritoneums mit starken Fetteinlagerungen.
Die Leber überragt die Rippenbogen etwa 2 Querfinger breit. Peritoneale
Kapsel glatt und durchscheinend. Zahlreiche, gelbliche Knoten sind an der Ober¬
fläche derselben in geringen Abständen von einander vorhanden. Die Grösse
schwankt zwischen derjenigen einer Linse und einer Haselnuss. Ihre Consistenz
ist derb; gegen die Umgebung sind sie gut begrenzt. Auf den Schnittflächen
des Organs sind sie gleichfalls erkennbar. Die Zeichnung der Schnittflächen im
übrigen normal.
Milz gross und weich. Farbe der Schnittflächen dunkelbraunroth. Bei nur
geringem Druck quillt die Pulpa als braunrother Brei über die Schnittfläohe hervor.
Die Nieren sind beide von einer starken Fettkapsel umgeben. Die Farbe der
Oberfläche gesprenkelt gelblichroth und blauroth. Die Schnittfläche der Rinde
beiderseits dunkelblauroth; die Markkegel zeigen einen mehr dem gelblich¬
roth sich nähernden Farbenton. Die Zeichnung der Rinde und der Marksubstanz
ist gut erkennbar. Harnkanälchen der Markkegel verbreitert. Beide Nieren sind
gelappt (in einzelne Renculi gegliedert). Magen und Darm ohne Besonderheiten.
Bei Herausnahme der Beckenorgane zeigt sich der Uterus vergrössert. Bei
der Palpation des Organs ist eine harte Stelle in der Wand an der Ansatzstelle
des rechten Eileiters fühlbar. Beim Einschneiden an dieser Stelle findet sich
ein wallnussgrosser, derber, gelber, gegen die Uterusmuskulatur gut begrenzter
Knoten, der an einer Stelle bis fast zum Lumen des Uteruscanals reicht. Die
Schleimhaut hat an dieser Stelle eine schmutzig braune Färbung, ist verdickt und
hat ein zerklüftetes, bröckliches Aussehen. (Ausserdem vereinzelte Schleimhaut¬
polypen.)
Ovarien apfelgross, beide Organe sind zu einem Conglomerat kleiner, von
dünnflüssigem Schleim erfüllter Blasen und Bläschen umgewandelt.
Rectum normal.
Die Wand der Blase ist von einer dünnen Schicht zähflüssigen Schleimes
bedeckt; in der sonst blassen Schleimhaut finden sich zwei tief dunkelrothe, mit
deutlichen Gefässzeichnungen versehene, thalergrosse Stellen.
Bei der Herausnahme der Medulla spinalis zusammen mit ihrer duralen Hülle,
bleibt im oberen Dorsaltheil, und zwar in der Höhe des 1. Brustwirbels ein etwa
mandelgrosser mit der Aussenfläche der Dura fest verwachsener, aber dieselbe
nicht durchdringender, braunrother Knoten von derber Consistenz hängen. Die
vordere Wand des Wirbelcanals ist hier rothschwarz gefärbt, erweist sich beim
AnfÖhlen rauh und zerklüftet und giebt dem Druck des Fingers unter leise
knisternden Geräuschen nach. Eine Verschiebung der betreffenden Brustwirbel
gegen einander oder gegen die benachbarten hat nicht stattgefunden. Der Quer¬
schnitt des Rückenmarkstranges ist hier gegen die angrenzenden Stellen verringert;
die Consistenz des Organs ist auffallend weich. Die Zeichnung des Querschnittes
“t etwas verwaschen, aber immer noch erkennbar. In der weissen Substanz
Soden sich einzelne grauröthliche, stecknadelkopfgrosse Herde. Bei der Anlegung
Ton Querschnitten durch das Rückenmark oberhalb der Compressionsstelle zeigt
»ich das überraschende Bild, dass in der Höhe des 8. Cervicalsegmentes ein mit
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seinem grössten Durchmesser transversal gestellter, etwa 0,75 mm langer Spalt
die Gegend des Centralcanals einnimmt. Dieser Spalt wird nach obenhin enger
und ist bereits in der Gegend des 6. Cervicalsegmentes mit blosBem Auge kaum
nur eben noch erkennbar. Unterhalb der Compressionsstelle sind makroskopisch
wahrnehmbare Veränderungen auf den angelegten Querschnitten nicht zu verzeichnen.
Anatomische Diagnose: Carcinoma et Myoma intraparietale uteri. Me-
tastasis hepatis, pleurae utriusque et endocardii. Metastasis corporis vertebrae
dors. I et II. Myelomalacia (ex compressione). (Nephr. parench. chron?) Endo-
carditis valvularis chron. fibrosa et nodosa. Fettige Infiltration und Metamorphose
des Myocards. ArteriosclerosiB arteriar. cerebri. Degeneratio cyBtica ovarii utriusque.
Cystitis hämorrh. chron.
Ohne auf die klinische Seite des Falles näher eingehen zu wollen, möchte
ich nur kurz bemerken, dass die Diagnose in diesem Falle zwischen einer Röcken-
markscompression und einer transversalen Myelitis im obersten Brustm&rk
geschwankt hatte. Die Autopsie lehrte, dass der letztere Fall zutraf. Bei dem
ungewöhnlich starken Panniculus adiposus war es unmöglich gewesen, die primäre
Neubildung im Uteruskörper klinisch festzustellen; ebenso wenig waren die noch
winzigen Lebermetastasen der Palpation zugänglich.
Die eigentliche Todesursache ist in einer Herzinsufficienz zu suchen, welche
durch Klappenveränderungen und vornehmlich durch die starke fettige Infiltration
und Metamorphose des Herzmuskels selbst bedingt war.
Die mikroskopische Untersuchung dieses Falles führte zu folgenden Befunden:
Zunächst zeigte die Untersuchung der erkrankten Partie der Uterusschleimhaut,
dass es sich hier um ein Carcinom handelte, welches von den Drüsen der Corpus-
schleimhaut seinen Ausgang nahm, und, was als Curiosität gelten kann, in die
Lymphspalten des benachbarten Myoms eingedrungen war. Auf Querschnitten
sieht man kleine Krebszellenconglomerate von den Faserzügen des Myoms um¬
schlossen. Ueber die Metastasen der Leber, der Pleura im Endocard und in der
Wirbelsäule wurde schon berichtet. Im Gebiet des 2. Dorsalsegmentes, wo der
Tumor in die Dura eingedrungen ist, wurden für die mikroskopische Untersuchung
die Häute im Zusammenhang mit dem Rückenmark gelassen und so fixirt, um
die topographischen Beziehungen der einzelnen Gebilde zu einander möglichst un¬
verändert auch auf dem mikroskopischen Präparate zur Darstellung zu bringen.
In diesem Falle wurden alle Segmente des Rückenmarks untersucht, nnd zwar
kamen die gangbaren Methoden zur Anwendung.
Mikroskopischer Befund am Orte der stärksten Compression: Die von dem
1. Brustwirbelkörper ausgehenden Geschwulstmassen haben das Periost und das
epidurale Fettgewebe vollkommen durchsetzt und Krebsschläuche dringen bereits
zwischen die fibrösen Züge der Dura ein. Die innere Oberfläche derselben aber
haben sie an keiner Stelle erreicht. Die Dura ist im ganzen hier etwa um die
Hälfte ihrer gewöhnlichen Breite verdickt. Der Tumor an und in der Dura
beschränkt sich lediglich auf den ventralen Bezirk derselben und entspricht, auf
den äusseren Umfang des Rückenmarks projicirt, ungefähr der Strecke zwischen
den beiderseitigen Austrittsstellen der vorderen Wurzeln. Die Arachnoidealmaschen
sind am vorderen wie am hinteren Umfang auf einen ganz dünnen zarten Spalt
zusammengedrückt, so dass Dura und Pia dicht an einander liegen. Die grossen
Gefässe, besonders die Venen der Pia sind in diesem Gebiete wie platt gedrückt.
Am seitlichen Umfange dagegen haben die arachnoidealen Maschen ihre gewöhnliche
Breite und die hier verlaufenden Gefässe ihr gewöhnliches Aussehen.
• van Gieson- Präparate zeigen wie in Fall I die siebartige Veränderung
der weisBen Substanz, nur ist dasselbe weniger gleichmässig über dieselbe ver¬
breitet. Besonders betroffen sind die dorsalen Bezirke der Seitenstränge, die
Vorderstränge und der ventrale Abschnitt der Hinterstränge. In den stark
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erweiterten Gliamaschen finden sich Fettkörnchenzellen und stellenweise die ihrer
M&rkholle entkleideten Reste von Axencylindern.
An anderen Stellen liegen in denselben homogen aussehende, kugelige Schollen
welche zuweilen den ganzen Hohlraum auafiillen. Nicht selten sieht man mehrere
derartige Gebilde auf einem Gesichtsfelde in verschiedenen Maschen neben einander
liegen. Im Innern dieser Kugeln sieht man an vereinzelten Stellen kleinere
Hohlräume auftreten. Aus der Lage und dem tinctoriellen Verhalten dieser Gebilde
geht hervor r dass es sich um mehr oder minder gequollene Axencylinder handelt.
Die Stützsubstanz hat in allen Bezirken des Querschnittes, besonders in den
Seitensträngen, in der Nachbarschaft der grauen Substanz, eine starke Verdichtung
ihrer faserigen Bestandteile erfahren. Damit ist an einzelnen Stellen eine erhebliche
Vermehrung der Gliakerne verbunden. Die Gefässe der weissen Substanz sind
allenthalben stark gefüllt und zeigen da, wo sie längsgetroffen sind, einen etwas
gewundenen Verlauf. Stellenweise sind an den grösseren Gefässen auch Veränderungen
an der Wandung vorhanden, welche im Wesentlichen in einer Verdichtung der
Fasern und circumscripten Kernansammlungen in der Adventitia bestehen. Auf¬
fallend ist es auch, dass viele von den peripherischen Gefässen bei ihrem Ein¬
strahlen in die weisse Substanz von sehr starken fibrillären Faserztigen aus der
Pia begleitet werden.
Mabchi- Präparate zeigen eine Uebersäung des Querschnittes der weissen
Substanz mit schwarzen Schollen in mannigfaltiger Gestalt und Grösse; am dichtesten
liegen dieselben in denjenigen Bezirken, in denen auch die Maschen am zahl¬
reichsten sind. Die graue Substanz ist überall leicht von der weissen zu sondern.
Die Zahl der Vorderhornzellen hat eine erhebliche Verminderung erfahren, und
die s noch vorhandenen Zellen zeigen dieselben geschrumpften Formen, wie sie in
Fall I beschrieben worden sind. Die übrige graue Substanz bietet nichts Besonderes.
Besondere Berücksichtigung verdient die Gegend des Centralcanals. Die Ependym-
zellen desselben bieten hier das Bild eines regellosen Haufens, in welchem an
keiner Stelle mehr die Andeutung eines Lumens vorhanden ist. Auffällig ist der
grosse Raum, welchen diese Zellen einnehmen, und welcher um ein mehrfaches über
das hinausgeht, was man unter normalen Verhältnissen an dieser Stelle beobachtet.
Das Commissurengebiet ist durch die starke Zellansammlung in toto etwas ver¬
breitert. Die Gestalt der Zellen entspricht überall derjenigen der gewöhnlichen
Ependymzellen, nur an der äusseren Peripherie des Zellhaufens haben dieselben
eine mehr abgestumpfte, zuweilen auch rundliche Form. Ein breiter Streifen dicht
verfilzter Gliafasern, welcher seitlich biß in das mediale Gebiet der Vorderhornbasis
hineinreicht, umgiebt diesen Zellenhaufen. Die Gefässe in diesem Gebiete des Central-
eanals sind ausgezeichnet durch die Dicke ihrer Wandung; sie ist bedingt durch
eine Vermehrung der faserigen Bestandteile der Adventitia. Von diesen Gefässen
wird weiter unten noch die Rede sein. Die adventitiellen Lymphräume an den
centralen Gefässen sind auch hier nicht erweitert, sondern haben im Compressions-
gebiete ihre normale Breite. Die Pia hat, abgesehen von der starken Blutfüllung
ihrer Gefässe, überall das normale Aussehen und liegt auch überall dem gliösen
Randsaom dicht an.
Oberhalb der Compressionsstelle treten auf dem Querschnitt starke Veränderungen
»nf, welche durch die Bchon im Sectionsprotocolle erwähnte Höhlenbildung hervor¬
gebracht wurden. In der Höhe des 1. Dorsalsegmentes tritt an Stelle des centralen
Ependymzellenhaufens ein mit dem grössten Durchmesser in sagittaler Richtung
verlaufender Hohlraum, dessen Wand überall von einer continuirlichen Schicht
epithelialer Zellen gebildet wird. Nach ausBen von ihm folgen dann eine Zone
tubischer, weniger regelmässig gestalteter Zellen in mehreren Schichten. Mit seinem
dorsalen Zipfel senkt sich dieser Hohlraum in das Septum longitudinale posterius
hinein und bedingt auf diese Weise ein Auseinanderweichen der beiden Hinter-
3y Google
262
stranghälften an ihrer ventralen Kuppe. In sohönen Bogenlinien umkreisen die
Fasern der hinteren Commissur diesen Zipfel. Die Zone dm* Gliafasern um den Hohl-
raum übertrifft an Breite ein Weniges diejenige des vorigen Segmentes und verliert
sich ohne scharfe Grenze im ventralen Theil der Vorderhornbasis. In den Vorder-
hörnern sind auf beiden Seiten stark gequollene, abgerundete, motorische Zellen
vorhanden, welche an Nissn-Präparaten das Bild der vollkommenen Chromatolyge
bieten. Der Zellleib hat das Aussehen einer matten Glasplatte. Die Nisen-Körper
sind zu einem gleichmässigen Staube aufgelöst; der Kern liegt in den meisten dieser
Zellen abgeplattet an der Peripherie. In der weissen Substanz sind die Er¬
scheinungen der aufsteigenden Degeneration, welche noch erörtert werden sollen,
wahrnehmbar. In der Höhe des 8. Cervicalsegmentes hat die Ausdehnung der
centralen Höhle beträchtliche Fortschritte gemaoht (Fig. III). Sie nähert sich
hier der Form eines Dreieoks, dessen Basis in der Commissur liegt, und dessen
Marchi - Präparat aus der Höhe des
8. Cervicalsegmentes (Photogramm).
Präparat gef. nach v. Gibbon. 7. Cervical-
segment. Seoundäre Spaltbildung im Unken
Vorderhorn (in Wirklichkeit rechtB). Photo¬
gramm.
Spitze weit in das Septum longitudinale posterius hineinstrebt. Die Wand ist
hier nicht mehr gradlinig, sondern vielfach gebuchtet und entsendet nach allen Rich¬
tungen kleine Ausläufer. Die innere Auskleidung ist durchweg von einer einfachen
Epithelschicht gebildet. Der Gliasaum, welcher die Höhle nach aussen umgiebt,
zeigt hier gewisse Veränderungen. Er verbreitert sich an verschiedenen Stellen
um mehr als das Dreifache seines ursprünglichen Dickendurchmessers, so besonders
in der Mittellinie vorn im Gebiet der vorderen Commissur und hinten nach
dem Septum longitudinale posterius hin. In seinen seitlichen Abschnitten ver¬
schwindet er in dem normalen Gliagerüst an der Vorderhornbasis. Die centralen
Gefasse im rechten Vorderhorn zeigen hier eine starke Erweiterung ihres Lymph-
raumes, und die graue Substanz in ihrer Umgebung sieht durchscheinender und
heller aus, als in den weiter entfernten Partieen. Noch ein Segment höher hat
der centrale Hohlraum seine grösste Ausdehnung erreicht; er dringt hier lateral -
wärts mit einigen Ausläufern bis weit in die Vorderhörner vor. In den gliösen
Faserstreifen treten hier zahlreiche quer- und längsgetroffene Gefasse auf, welche
erweitert und in ihrer Wandung stark verdickt sind. An einigen von ihnen
bildet die Adventitia einen an Gieson - Präparaten sich flammendroth färbenden,
kernarmen, fast homogenen Ring. Die Media und Intima haben wesentliche Ver-
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263
indenmgen nicht erfahren. In dem sonst kernarmen, gliösen Fasergebiet, das
die Höhlang nmgiebt, sieht man an einzelnen Stellen Reihen von epithelialen
Zellen in paralleler Richtung zur Wandung der Höhle auftreten. In dem
Gebiete, welches im vorher beschriebenen Segment im rechten Vorderhorn durch*
scheinender und heller als die Nachbarschaft aussah, entwickelt sich jetzt ein
neuer winklig geknickter Spaltraum, welcher die graue Substanz vom Vorderhorn
bis zur Substantia gelatinosa des Hinterhorns durchzieht (Fig. IV). Er beginnt
an der vorderen Peripherie des Vorderhornes als eine schmale Lücke, erlangt an
der Basis desselben seine grösste Breite und zieht dann, sich allmählich wieder
veijüngend, bis in die Spitze des Hinterhornes. Dabei kommt er mit einem
medialwärts vorspringenden Zipfel bis in die Nähe des centralen Hohlraumes,
ohne denselben vollkommen zu erreichen. Er folgt in seiner Ausbreitung ganz
deutlich dem Verlauf der centralen Gefässe. Die Wand dieses neuen Spaltraumes
ist an einigen Stellen gradlinig, an anderen Stellen zerklüftet, und seine Wand
vird hier von zerfallenem Gewebe gebildet. In seiner Lichtung liegen Gewebs¬
trümmer aus der Stützsubstanz und Reste von kleinen Gefässen, deren Structur
mehr oder minder verwaschen ist. An einigen Stellen wurden auch kleine An¬
häufungen von Fettkörnchenzellen in ihm gefunden. In der unmittelbaren Nach¬
barschaft dieses Spaltes ist das Gewebe aufgelockert und transparent, und der
Uebergang zu den normalen Partieen der grauen Substanz erfolgt ganz allmählich.
Die motorischen Zellen des rechten Vorderhoms sind hier in grosser Zahl, besonders
»m Bereich der hinteren lateralen Gruppe, stark gequollen und zeigen an Nissl-
Präparaten die schon beschriebenen chromatolytischen Veränderungen. Im medialen
Gebiet des linken Vorderhorns macht sich in dieser Höhe eine Rarefication des
Gewebes durch ein Auseinanderrücken der faserigen Bestandteile der Stütz-
cubstanz bemerkbar; aber zu einer Spaltbildung kommt es nicht. Die Zellen des
liuken Vorderhorns bieten hier keine besonderen Veränderungen. Eine directe
Einwirkung der Höhlenbildung auf die weisse Substanz hat nicht stattgefunden;
abgesehen von den auf die Compression zu beziehenden sec. Strangveränderungen
lassen sich nach keiner Uethode nennenswerte Veränderungen in ihr nachweisen.
Auch die ein- und austretenden Wurzeln sind in der Höhe der Höhlenbildungen
als normal zu bezeichnen.
Oberhalb des 7. Cervicalsegmentes tritt eine rasche Verengerung der centralen
Höhle au£ und ebenso verschwindet die Spaltbildung im rechten Vorderhorn sehr
rasch. Die vorher stark gebuchtete Höhle nähert sich wieder der Dreieckform und
in der Höhe des 4. Cervicalsegmentes hat dieselbe nur noch eine Breite von
1,5 mm. Der nach dem Septum longitudinalis posterius gerichtete Ausläufer
«■hält sich aber constaut bis an die Grenze des 2. und 8. Cervicalsegmentes.
Trotz der stetig zunehmenden Verengerung bleibt die Lichtung des Centralcanals
bis in die proximalsten Abschnitte des Rüokenmarks doch eine so weite, dass
*ie an den mikroskopischen Präparaten mit der Lupe deutlich zu erkennen
lat Dieses Verhalten konnte bis zu seiner Erweiterung in den 4. Ventrikel
verfolgt werden. Die innere Epithelbekleidung bleibt constant dieselbe. Der
gliöse, den Hohlraum umfassende Saum wird mit zunehmender Verkleinerung des
Hohlraumes schmäler, bleibt aber bis an die Grenze der Medulla oblongata inner¬
halb pathologischer Breiten. Auch die in der Höhe der grössten Höhlenerweiterung
*tark hervortretenden Gefässveränderungen in der gliösen Wandschicht treten mit
zunehmender Entfernung immer mehr zurück, und auch die Zahl der Gefässe
verringert sich in diesem Bereich. Die Spaltbildung im rechten Flügel der
grauen Substanz hat in der Höhe des 4. Cervicalsegmentes ihr Ende erreicht, und
es erinnert hier nur noch das transparente Aussehen des Gewebes in der Umgebung
dw centralen Gefässe an ihr Bestehen in den weiter caudalwärts liegenden Seg¬
menten.
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254
Unterhalb der Compressionss teile findet dasselbe allmähliche Abklingen der
durch den Druck bedingten Veränderungen statt, wie es in dem I. und IL Falle
beschrieben worden ist; es kann deshalb auf ihre nochmalige Beschreibung ver¬
zichtet werden. Eine besondere Darstellung verlangen nur die Bilder, welche
der Ceutralcanal und seine nähere Umgebung bieten, ln der ganzen Länge des
Dorsalmarkes bildet derselbe einen offenen Canal, dessen Lumen die normale
Breite weit übertrifft. Seine innere Epithelbekleidung ist eine continuirhche.
Das dichte gliöse Faserflechtwerk seiner Umgebung bleibt ebenso wie das Lumen
des Canals ein auffallend breites, und es finden sich in ihm zahlreiche Ependym-
zellenhaufen, welche in einzelnen Höben noch einen deutlichen Zusammenhang mit
der inneren Epithelschicht bewahrt haben. An der Grenze des Dorsal- und
Lumbalmarkes findet man auf Querschnitten zum 1. Male einen doppelt angelegten
Centralcanal, welcher, wie aus Serienschnitten hervorgeht, durch eine Divertikel¬
bildung bedingt ist. Noch weiter caudalwärts in der Höhe des 1. Sacralsegmentes
nimmt die Substantia gelatinosa centralis um mehr als das Doppelte ihrer vorherigen
Breite zu. Statt eines Centralcanals finden sich hier mehrere von Cylinderepithel
Gegend des Centralcanals in der Höhe des 1. Sacralsegmentes.
Ependymzellengruppen bei G. Kernfärbung. Mikrophotogranun.
Leitz Obj. 5, Oc. 3.
ausgekleidete Lumina, welche in 3 Gruppen angeordnet sind. Zwei davon stehen
seitlich von der Mittellinie, also lateral wärts von der normalen Stelle des Central -
canals und eine hinter und zwischen beiden (Fig. V). So wurden auf einigen
Schnitten 7 derartige Canäle gezählt. In den einzelnen Gruppen finden sieb
abwechselnd je 2 bis 3. Der Vergleich benachbarter Schnitte zeigt, dass auch
hier eine gehäufte Divertikelbildung das Zusammenkommen des Querschnittbildet
bedingt. Die Canäle sind von einem breiten, gliösen Faserring umschlossen
welcher mit einem dorsalwärts gerichteten Zapfen wieder in das Septum longi¬
tudinale posterius eindringt und die beiden Hälften der Hinterstrangkuppe aus-
einandertreibt. Zwischen den Gliafasern sind auch hier wieder massenhafte Ependyro
zellengruppen eingesprengt, welche in der Nachbarschaft der Canäle am dichtester
sind und dieselben wie einen Wall nach aussenhin umgeben. Auch in den von
Centrum weiter entfernten Ependymzellengruppen ist stellenweise die Neigung zi
kreisförmiger Anordnung deutlich erkennbar. Die Begrenzung dieser centralei
Formation gegen die Nachbarschaft ist überall eine scharfe. Sie infiltrirt da:
anliegende Gewebe nirgends und macht nur leichte Verdrängungserscheinungen
insofern alB die Fasern der vorderen Commissur etwas gegen den Sulcus anterio
und diejenigen der hinteren Commissur in das Septum posterius vorgestülpt werden
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255
Das Bild der centralen gliösen Substanz bleibt bis in das untere Sacralmark mit
geringen unwesentlichen Veränderungen dasselbe und macht dann hier annähernd
normalen Verhältnissen Platz. Aber auch hier fallen noch die massenhaft in das
centrale Gliafilzwerk eingesprengten Ependymzellhaufen auf.
Secundäre Degeneration oberhalb der Compressionsstelle:
I. Die Hinterstränge zeigen an Mabchi - Präparaten eine gleichmässige Be¬
stäubung ihres gesamraten Areals bis zum 7. Cervicalsegment, von wo ab ein
constantes Nachinnenrücken der degenerirten Fasern bemerkt wird. In der Höhe
des 7. Cervicalsegmentes kommt frisch hinzu eine Degeneration innerhalb beider
hinteren Wurzeleintrittszonen, bei völliger Intactheit der hinteren Wurzeln selbst,
welche sich weiter centralwärts an die durch die Compression zerstörten Fasern
lateral anlegen. Eine Beschreibung ihrer genauen Localisation ist wegen der
durch die Höhlenbildung stark veränderten Configuration des Querschnittes nicht
angängig. Die Degeneration in den Hintersträngen konnte bis in das Gebiet
des GoLL’schen und BuRDACH’schen Kernes verfolgt werden.
n. Die Kleinhirnseitenstrangbahnen sind beiderseits in geringem Grade
dcgenerirt. Degenerirte Fasern können bis in die Corpora restiformia verfolgt
werden, wo sie zunächst ziemlich gleichmässig über das Faserareal vertheilt liegen,
sich später aber im dorsalen und lateralen Bezirke derselben zusammenfinden.
Die Anterolateralbündel weisen eine sicher erkennbare Degeneration nicht au£
Absteigende Degeneration:
I. Im Gebiet der Pyramidenseitenstrangbahn bis in die Höhe des 2. Sacral-
segmentes.
U. In den Hintersträngen genau entsprechend dem Areal des ScHULZE’schen
Comma. Die degenerirten Fasern dieser Zone konnten bis zum 12. Brustsegment
▼erfolgt werden, wo sie unter allmählicher Abnahme verschwinden. Eine geringe
Degeneration ist in der hinteren Randzone der Hinterstränge, welche im Sacralmark
ihre continuirliche Fortsetzung in das FnBCHSio’sche ovale Feld findet und bis zur
Höhe der 2. Sacralwurzel verfolgbar war.
Schliesslich konnte auch in diesem Falle die auf- und absteigende Degeneration
kurzer Bahnen unmittelbar oberhalb und unterhalb der Compressionsstelle, welche
sich gleichmässig über die Vorder- und Seitenstränge ausbreitete, andeutungsweise
erkannt werden.
(Fortsetzung folgt.)
2. Ueber Dysphagia amyotactica.
Von Priv.-Doc. G. J. Rossolimo in Moskau.
(Schloss.)
Aus den mitgetheilten 8 Krankengeschichten ergiebt sich, schon bei einem
flüchtigen Blick auf dieselben, eine für alle diese Kranken gemeinsame Besonderheit;
äe stellen oder stellten eine, einmal im Leben oder mehrmals, bald als einziges
Symptom, bald in Verbindung mit anderen krankhaften Erscheinungen auf¬
getretene Störung des Schlingactes dar, und zwar eine so starke Störung, dass
dieses Symptom sowohl von dem Patienten selbst, als auch von uns in den
Vordergrund gestellt wurde. Eine andere, allen unseren Fällen gemeinsame
Eigenthümlichkeit besteht darin, dass diese Schluckstörung weder von organischen
Veränderungen der dem Durchtritt der Speisen in den Magen dienenden
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250
Wege herrührte, noch auch von irgend einer anatomischen Affection des Nerven¬
systems.
Zu besserer Erkenntniss der Art der von uns beobachteten Schluokstörang
wollen wir die aus der Prüfung unseres Materials sich ergebenden Daten der
Reihe nach durchnehmen.
Das Alter unserer Kranken im Augenblick ihrer Erkrankung war ein
mittleres, in den Grenzen zwischen 24 und 42 Jahren schwankend; während
der Beobachtungszeit bewegten sich die Altersstufen in weiteren Grenzen zwischen
29 und 58 Jahren.
Das Geschlecht war in fünf Fällen weiblich — ein Fräulein und vier
Frauen, in drei Fällen waren es Männer — ein lediger und zwei verheiratete.
Beschäftigung und gesellschaftliche Stellung: drei Kranke aus
den Kreisen der Intelligenz (ein Lehrer, eine Comptoiristin, eine Musikerin);
vier dem Kaufmannsstande Angehörende, darunter drei Frauen ohne berufliche
Thätigkeit, ein Landwirth.
Heredität: Alkoholismus in drei Fällen, in einem Falle von Seiten
beider Eltern herrührend, in zwei Fällen von einer Seite.
Tuberculose, ohne sonstige hereditäre Krankheiten, in einem Falle; mit
Alkoholismus oombinirt in zwei Fällen.
Allgemeine neuro- und psychopathische erbliche Anlage bei
zwei Kranken.
Gefässkrankheiten und Hämorrhoiden bei drei Kranken. In zwei
Fällen konnten keine anamnestischen Angaben erhalten werden.
Dabei konnten nur bei zwei Kranken deutlich ausgesprochene äussere ana¬
tomische Degenerationsanzeichen vermerkt werden: bei dem einen eine schmale
Zunge und mangelhafte Entwickelung der Ohrläppchen, bei dem anderen dicht
verwachsene Augenbrauen bei niedriger Stirn und convexen Augenbrauenbogen.
Allgemeine Ernährungskrankheiten und Erkrankungen innerer
Organe wurden bei sechs Kranken notirt, darunter Anaemie bei vier Frauen.
Frauenkrankheiten bei 3 von 5 Frauen.
Veränderungen von Seiten der Schleimhaut und des naso-pha-
ryngealen Raumes bei einem Kranken.
Gichtische Diathese bei einer Kranken; dieselbe hatte auch Pyelitis und
Cystitis subacuta.
Von Störungen des Nervensystems wären vor Allem zu erwähnen:
Vasomotorische Störungen in Form gesteigerter Thätigkeit und Reflexe
der Erreger der Hautgefässe, unregelmässiger Herzthätigkeit, hämorrhoidaler
Erscheinungen im Zusammenhang mit dem Zustande des Nervensystems bei
6 Kranken; bei einer der Patientinnen ausserdem Asphyxie locale.
Von verschiedenen subjectiven Sensibilitätsstörungen, die nicht zur
Sphäre der Schluckfunction gehören, wurden beobachtet: Gefühl von Oppression
der Brust und Empfindungen am Herzen (bei zwei Pat); ein unbequemes Gefühl
in den Kiefergelenken (bei einem Pat); Parästhesieen an verschiedenen Theilen
des Rumpfes und an den Beinen, zugleich Jucken an den äusseren Geschlechts -
litized by GoO^IC
257
theilen (bei einem Pat.); Gefühl der Schwere und des Druckes im Bauche, be¬
sonders in dessen unteren Abschnitten, dabei Sausen im linken Ohr (bei
einem Pat).
Sensibilitätsstörungen, welche mit der Störung der Schling¬
function in Verbindung standen, waren bei sechs Kranken vorhanden,
und zwar:
Globus vor der Behinderung des Schluckens und später Schmerz an der
rechten Seite der Gurgel während des Schluckens (ein Pat).
Empfindung von Zusammengeschnürtsein der Kehle mit einem Faden, von
durchschnittener Kehle (ein Pat).
Gefühl der Schwere im Nacken und der Trockenheit in der Nase (ein Pat).
Empfindung von Brennen in der Schleimhaut des Mundes und Rachens,
besonders während des Essens (ein Pat).
Schwere in der Magengrube und Dyspnoe unmittelbar vor dem Eintritt der
Schlingstörung (ein Pat).
Gefühl von Zuschnürung der Kehle (ein Pat).
Indem wir nun zu der Hauptsache, dem gestörten Schlingact selbst, über¬
gehen, wollen wir aus unserem Material zunächst diejenigen Momente hervor-
hebeu, welche zu den allgemeinen prädisponirenden Ursachen gehören, die
wir bei sechs unserer Kranken finden konnten, und zwar:
Schweres Familienleben und dabei während vieler Jahre häufiges
Warten auf die Heimkehr des betrunkenen Mannes bei drei verheiratheten
Patientinnen, wobei man bei der einen noch hinzufugen könnte das ihr in der
Kindheit oft vorgekommene peinvolle Erwarten der Ankunft ihrer betrunkenen
Mutter in der Pension, wo die Kranke lernte. Es sei hierbei bemerkt, dass
unter unseren Patientinnen im Ganzen vier verheirathete waren.
Acute Bekümmernisse in zwei Fällen: in einem Streit mit der Frau, im
anderen Misslingen einer romantischen Affaire, mit darauf folgender längerer
Schlaflosigkeit.
Sexuelle Ursachen in 2 Fällen; in einem, mehljährige Anwendung von
Praeservativen und Coitus interruptus, und im anderen, häufiger widerwillig und
ohne Befriedigung vorgenommener Coitus.
Beschäftigung mit Musik und Artistenleben in einem Fall.
Was nun diejenigen Ursachen betrifft, welche unmittelbar die
Schlingstörung hervorriefen, so sind dieselben bei einigen unserer Kranken
so eng verbunden mit dem Mechanismus der Entstehung von Dysphagie über¬
haupt und mit dem ganzen Kranheitsbilde, dass wir es für mehr geeignet
erachten würden, diese Frage nicht zu trennen.
Zunächst müssen wir alle unsere 8 Kranken eintheilen in solche, bei
denen das Element des Affectes der Furcht deutlich hervortritt (bei 6 Kranken,
Fall 1, 2, 3, 4, 5, 6) und (die kleinere, aus 2 Fällen bestehende Gruppe) in
solche, bei denen unter den psychischen Momenten in erster Linie der Gedanke
an das erschwerte Schlucken steht, jedoch ohne dass derselbe nothwendiger
Weise die dysphagische Störung begleitete; während da, wo die Furcht auftrat,
17
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258
sie entweder gleichzeitig mit dem ersten Impulse zur Behinderung des Schlack*
. actes erschien oder die Dysphagie scharf markirt verstärkte und ihr eine specielle
Färbung verlieh.
Indessen als erstes Moment in dem Bilde der krankhaften Störung bei
unseren Kranken muss man in einigen Fällen (2, 4 und 6) verminderte Arbeit
der Schluckbewegung selbst ansehen, in anderen Fällen (1, 3, 5, 7, 8) irgend
einen Reiz der Empfindungsnerven entweder der äusseren Hautdecken (Fall 6
und 7) eigenhändiges Zusammenpressen der Gurgel des Kranken und das Gefühl
eines Druckes auf den Nacken, oder in der Mund-, Nasen-, Rachen-, Schlund¬
höhle (3, 5, 7, 8) Gefühl der Trockenheit in der Nase, des Brennens im Munde
und Rachen, Reizung des Kehlkopfs, Globus, Gefühl der Ermüdung beim
Schlucken; dabei spielte eine solche Rolle als Erreger der Dysphagie sowohl
objective Reizung der genannten Theile, als auch subjective Sensibilitätsstörungen.
Zur Charakteristik des dysphagischen Processes finden wir in unserem
Material auch Daten in Betreff der Frage von der Abhängigkeit des Reflexes
von der Art der Speise, so passirt feste Speise schwieriger bei 3 Kranken
(1, 7, 8), darunter bei den beiden, bei denen das Element des ausgeprägten
Affectes fehlt und stabile subjective Sensibilitätsstörungen vorhanden sind; flüssige
Speise geht bei 2 Kranken (2, 4) schwerer durch, und endlich bei Dreien
(3, 5, 6) geht der Durchtritt von flüssiger und fester Speise gleich schlecht
vor sich.
Der Verlauf der krankhaften Störung des Schluckactes bei unseren Kranken
zeichnet sich aus durch Neigung 1. zu langer Dauer, von 3 Wochen bis (bisher)
14 Jahren und 2. zu Recidiven (bei 4 Kranken), wobei in der Mehrzahl der
Fälle die folgende Attaque länger andauert, als die erste; so verhielt es sich
wenigstens bei 3 der Recidivisten mit je 2 Rückfallen; der vierte hatte 7 Rück¬
fälle, von annähernd gleicher Dauer.
In den von uns beobachteten Fällen verlief die Krankheit folgendermaassen:
Nr. I: 1 Anfall 3 Monate, der 2. Anfall 4 ] / 2 Jahr und vielleicht mehr.
Nr. 2: 1 Anfall 6 Monate, bessert sich.
Nr. 3: 1 Anfall l 1 /, Monat, der 2. Anfall 7 Jahr, noch nicht beendet.
Nr. 4: 6 Anfalle von je 6—12 Monate Dauer; der 7. hat begonnen.
Nr. 5: 1 Anfall 3 Wochen, der 2. Anfall 5 Wochen.
Nr. 6: 1 Anfall 3 Monate.
Nr. 7: 1 Anfall 6 Monate, noch nicht zu Ende.
Nr. 8: 1 Anfall 14 Jahre, dauert noch immer fort
Diese Tabelle beleuchtet unter anderem auch die Frage nach den Ausgängen
des Leidens: wir finden in ihr bei 6 Kranken einen noch unbeendigten Anfall
und nur bei zweien, Nr. 5 und Nr. 6, ein Aufhören der Anfalle, jedoch auch
in diesen Fällen ohne Hinweis darauf, dass nicht Recidive möglich wären.
Der Zustand des Schlundreflexes konnte bei unseren Patienten nicht
immer genau festgestellt werden, insbesondere bei denjenigen, bei welchen die
Angst sich zu verschlucken im Vordergründe stand — die für die Reflexprüfung
nothwendigen Manipulationen regen sie dermaassen auf, dass sie manches Mal
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259
bei dem blossen Gedanken an Einführung eines Spatels oder eines ähnlichen
Gegenstandes ein panischer Schrecken ergreift Nichts desto weniger war bei
zwei dieser Kranken (4 und 8) der Schlundreflex merklich herabgesetzt; bei
2 anderen (2 und 5) war die Verringerung unbedeutend.
Im inneren Zusammenhänge mit diesem Umstande sollten die Facta stehen,
welche die verschiedenen hysterischen Symptome bei unsern Kranken betreffen.
In der That sind solche Symptome nachgewiesen worden, wiewohl nur bei wenigen
Patienten, aber nur bei denjenigen, bei welohen Herabsetzung des Schlund¬
reflexes gefunden wurde. Scharf ausgeprägte hysterische Erscheinungen konnten
nur bei einer unserer weiblichen Kranken (5) in Form von Globus und von vor¬
übergehender Paraparesis inferior mit entsprechender Anästhesie der Hautdecken
constatirt werden. Bei einer Kranken (4) wurde ein leichter Grad von rechts¬
seitiger sensorischer und sensorieller Anästhesie festgestellt, bei einer anderen (7)
rechtsseitige Hauthyperästhesie und Schmerz in der rechten Hälfte des Rachens
und endlich bei noch einer (2) nur eine gewisse Neigung zum Thränenfluss.
Von den in unseren Fällen gleichzeitig mit der Grundstörung oonstatirten
psychischen Abweichungen von der Norm, wollen wir vor Allem die
Pbobieen absondern; wir finden solche bei 3 Kranken, und zwar: bei No. 6
langen sie in frühester Kindheit an, und nachdem sie nach ihrem Inhalte in
den letzten Jahren unendlich variirt hatten, beschränken sie sich auf Agora¬
phobie, an welche sich, als episodische Erscheinung, die Dysphagie ansetzt; etwas
Analoges stellt die Kranke No. 4 dar, welche jetzt den 7. Anfall von Dysphagie
durchmacht, bei bestehender Agoraphobie, die sioh schon längst und unverrück¬
bar bei ihr festgesetzt hat; ein drittes Subject, No. 3, litt bereits vor der jetzigen
Erkrankung an Gewitter- und Höhenfurcht — Von sonstigen psychopathischen
Besonderheiten bestehen bei der Mehrzahl unserer Kranken wenig ausgeprägte
neurasthenische Symptome, wobei bei der Kranken No. 6 hypochondrische Er¬
scheinungen merklich hervortreten, der Patient No. 8 aber die deutlich ausge¬
prägte depressive Form einer raisonnirenden Psychose bei Abwesenheit von Pho-
bieen aufweist
Schliesslich erübrigt uns noch zu erwähnen, dass in zwei unserer Fälle
ausser der Hauptstörung, d. h. der Dysphagie, noch andere Störungen moto¬
rischer Acte von amvotaktischem Typus vorhanden waren: bei Patientin
No. 2 — von Kindheit an Stottern, welches sich seit dem Auftreten der Schluck¬
störung verstärkte, sowie in derselben Zeitperiode wie letzteres sich einstellende
unregelmässige und erschwerte Athmung; bei dem Kranken No. 8 erschwertes
Kauen und Athmen und fehlerhafte Sprache (wenn ihn die Unterhaltung er¬
müdet).
Wir können unser ganzes Rohmaterial, sowie die aus seinen einzelnen
Theilen hergeleiteten Schlussfolgerungen für vollkommen ausreichend erachten,
am daraus ein mehr oder weniger abgerundetes Bild der von uns extrahirten
klinischen Form aufzubauen. — Der hier von uns beschriebene krankhafte Symp-
tomenoomplex entwickelt sich bei Leuten mit allgemeiner neuro- und psycho¬
pathischer Heredität, welche zudem verschiedene anatomische und functionelle
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Anzeichen von Degeneration darbieten; die Schlingstörung tritt bei diesen Per¬
sonen in dem Alter auf, in welchem sich bei Leuten dieses Typus auch die
Mehrzahl von Erkrankungen analogen Charakters, i. e. Amyotaxieen, mit Aus¬
nahme des Stotterns, entwickelt, d. h. nach dem Abschluss des jugendlichen
Alters, und kann bisweilen den Kranken bis in’s hohe Alter verfolgen; sie ent¬
wickelt sich auf dem Boden der grossen Labilität eines so complicirten, halb
reflectorischen, halb willkürlichen, nervösen Processes, wie es der Schlingakt ist,
entweder als selbstständiger Zustand verminderten Reflexes, oder einerseits unter
Betheiligung (und zwar in recht bedeutendem Maasse) der Aufmerksamkeit in
der Form eines Zwangsgedankens, und noch mehr bei greller Intonation der
specifischen Emotion — der Angst, andererseits unter dem Einflüsse irgend einer
objectiven organischen Erkrankung der, betheiligten Organe oder einer subjec-
tiven, oft sich aufdrängenden Empfindung mit entsprechender Localisation. Die
Rolle eines prädisponirenden Momentes kann alles dasjenige spielen, was die
Emotionssphäre in Spannung erhält, u. a. wie es sich bei drei unserer Kranken
erwies, etwa die Unruhe in Erwartung des irgendwo trinkenden Mannes, d. h.
der Zustand der Erwartung, gleichzeitig mit der Vorstellung des Schluckens;
ausserdem kann auch beschleunigtes, sehr häufiges Schlucken zur Erkrankung
prädisponiren. Eine solche Dysphagie kann zum Ausdruok kommen bald als
einfache Unmöglichkeit zu schlucken, bald als Empfindung von etwas das
Schlucken Behinderndem, bald als Unvermögen zu schlucken vor Angst, dass es
nicht gelingen würde, oder dass man ersticken müsse, wobei die Dysphagie sich
mehr auf feste Speise erstreckt — das ist mehr der Fall bei denjenigen Kranken,
bei welchen fremdartige Empfindungen im Munde und Rachen vorhanden sind,
oder bei welohen die Zwangsfurcht besteht, dass sie unmöglich den Schluckakt
ausführen könnten; in einer anderen Reihe von Fällen geht flüssige Speise be¬
deutend schwerer hinunter — namentlich bei herabgesetzter Empfindlichkeit des
Schlundes und ferner, wenn die Angst, sich zu verschlucken, ein tritt; endlich
kann das Schlucken sowohl von fester, als auch von flüssiger Speise gleicher¬
weise erschwert sein.
Ist die Krankheit ein Mal aufgetreten, so besitzt sie in den meisten Fällen
die Eigentümlichkeit, tief Wurzel zu fassen, was sich einerseits kundgiebt durch
ihre Neigung zu recidiviren, andererseits durch die ganz besonders lange, meist
viele Jahre umfassende Dauer der Krankheit, wobei man unbedingt eine kürzere
Dauer der Anfälle da constatiren muss, wo ausser der Dysphagie noch irgend
eine andere Phobie vorliegt, sowie auch bei Vorhandensein einer hysterischen
Ingredienz; hartnäckiger hält sich der dysphagische Symptomencomplex in den¬
jenigen Fällen, wo er einen monosymptomatischen Charakter hat, und in Bezug
auf solche Varianten ist es schwer zu sagen, was ihr endgültiges Geschick sein
würde — man muss wohl annehmen, dass es sich wenig von dem Schicksal der
meisten Phobieen und cerebralen Amyotaxieen unterscheidet, d. h. dass die Er¬
scheinung mit den Jahren, in vorgerücktem Alter, verschwindet
Was die Behandlung betrifft, so kann sie sich wenig unterscheiden von der
Therapie analoger Zustände; subcutane Einführung von Arsen, inn erlich beruhigende
iqitized bv
Google
261
Mittel, insbesondere Codein mit Bromnatrium, locale und allgemeine Franklini-
sation, hypnotische Suggestion — das wären die Mittel, deren Anwendung wir
Vorschlägen würden; jedoch muss man nothwendigerweise im Auge behalten, dass
eine solche Therapie, wie wahrscheinlich eine jede anderweitige, sich bei der¬
artigen Kranken nur insoweit wirksam erweisen kann, als es ihr gelingt, die den
Reflex hemmende bewegliche Emotion zu unterdrücken, d. h. in sehr wenigen
and ganz leichten Fällen, und hauptsächlich in denjenigen, in welchen man
wenigstens einen Theil der Erscheinungen auf Rechnung der Hysterie setzen
kann.
Zum Schlüsse erübrigt uns noch, den Platz anzugeben, welchen der von
ans beschriebene Symptomencomplex in der nosologischen Tabelle der Neurologie
einnehmen soll.
Wir halten es für überflüssig, uns mit irgend welchen Erörterungen über
die Möglichkeit einer organischen Unpassirbarkeit der Wege für die Speise auf¬
zuhalten, obgleich eine Sondenuntersuchung durchaus nicht bei allen unseren
Kranken aasgeführt worden ist, in den Fällen, wo die Dysphagie aufhört, bleibt
auch keine Spur von Undurchgängigkeit, in Fällen von stabiler, mehrjähriger
Dysphagie aber kam nichts Neues hinzu, was die Diagnose einer organischen
Stenose hätte begründen können; ausserdem fusst das ganze Bild des Anfanges
und Verlaufes der Krankheit so unerschütterlich fest auf einer Kette unterein¬
ander verschlungener neuropsychischer Momente, dass jeder Gedanke an eine
organische Unterlage, darunter auch von Seiten des Nervensystems, müssig er¬
scheint
Da jedoch der von uns beschriebene Symptomencomplex, wenn er sich auch
aaf einem speciellen, prädisponirenden Boden entwickelt, immerhin manches Mal
seine Entstehung diesen oder jenen Reizen oder Empfindungen Seitens der Haut
und der Schleimhäute einander berührender Gebiete verdankt, so wird es ver¬
ständlich, dass auch unserer amyotaktischen Dysphagie irgend welche nervöse
oder nicht nervöse anatomische Veränderungen zu Grunde liegen könnten, ähnlich
wie die Affectionen der Gelenke beim Schreibkrampf oder ein organischer
Krankheitsheerd im Gehirn vor dem Eintritt des Stotterns u. dgl. mehr.
Auch bei der Differentialdiagnose der mit nicht ganz scharf ausgesprochenen
Symptomen verlaufenden Fälle der von uns beschriebenen Schlundstörung muss
man ganz besondere Aufmerksamkeit einerseits auf die Speiseröhre richten,
andererseits auf die Functionen des untersten niedersten Bulbärmechanismus,
um eine falsche Deutung der Fälle zu vermeiden, in der Art eines Falles, wie
wir ihn usque ad finem zu verfolgen Gelegenheit hatten.
Eine 41jährige Wittwe, welche in ihrem 27. Lebensjahre ihren Mann ver¬
loren hatte, litt häufig an Erscheinungen von Globus hystericus; während der
letzten Jahre häufig geschlechtliche Erregungen. V/ 3 Jahre vor ihrem Eintritte
in unsere Klinik war sie als Oekonomin in Stellung, hatte auch mit Unannehm¬
lichkeiten zu kämpfen; eines Tages, während der Mahlzeit, bemerkte sie, dass die
Speise nicht in den Magen hinuntergehen konnte, sondern anscheinend auf dem
halben Wege stecken blieb; seitdem wurde sie häufig von dem Gedanken beun-
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ruhigt, wie schwer es sei, fremdes Brod zu essen, und vermied es, aus Furcht
vor Vorwürfen, an der gemeinsamen Tafel zu speisen; sie kam zur Ueberzeugung,
dass sie nicht zu schlucken verstände, und wurde deswegen au uns gewiesen.
Die Sonde passirte fast jedes Mal ohne jedes Hinderniss; man constatirte geringe
hysterische Erscheinungen, unter anderen einen schmerzhaften Globus; Schmerzen
in der Region des Brustbeines, deutliche Verschlimmerung des Schluckens bei
Aufregungen. Zwei Monate nach ihrem Eintritte Erscheinungen von rasch zu¬
nehmendem Verfall der Ernährung, tiefe Störungen Seitens des Gehirns und
der peripherischen Nerven und zwei Wochen später Tod. Die Section ergab
eine ringförmige krebsige Neubildung in den Wandungen der Speiseröhre im
Niveau des Aortenbogens. Mikroskopisch das Bild einer subacuten parenchy¬
matösen Polyneuritis; grobe Veränderungen im centralen Nervensystem waren
nicht zu finden.
Bei der Feststellung des Wesens unseres Syndroms kann auch die Hysterie
nicht übergangen werden; zu ihren Gunsten spräche erstens der nicht selten
psychische Ursprung der Krankheit und zweitens der Umstand, dass bei einzelnen
unserer Kranken einige hysterische Erscheinungen constatirt wurden, und in
einem Falle der Globus hystericus sogar den ersten Anstoss gab zur Krystaüi-
sation des ganzen Krankheitsbildes. Jedoch, erstens braucht nicht jede Störung
motorischer Function nur'deshalb einen hysterischen Charakter zu tragen, weil
sie unter dem Einflüsse eines psychischen Momentes entstanden ist, und anderer¬
seits, wem wäre es nicht bekannt, wie oft leichte hysterische Erscheinungen,
besonders in der Form oberflächlicher Sensibilitätsstörungen, ganz von selbst auf
dem Bilde eines beliebigen anderen organischen oder functionellen Leidens auf-
flackem? Aber die Hauptsache ist, dass die Mehrzahl unserer Kranken keine
solche Complicationen hatte, und dass der Zustand ihres Nervensystems eher auf
eine allgemeine Degeneration hinwies, wobei die Entwickelung und der Verlauf
der Krankheit ihrem Wesen nach vollkommen dem Verlauf analoger Erkran¬
kungen von amyotaktischem Charakter entsprach; wir können daher für unser
Syndrom keinen anderen Platz auffinden, als denjenigen, welcher ihm in der
Reihe ähnlicher Störungen automatischer und usueller Bewegungen und compli-
cirter Reflexe angewiesen werden konnte, und halten es nicht für nothwendig,
diesen Symptomencomplex als eine besondere Krankheitsform abzutrennen; daher
würden wir es auch als am passendsten ansehen, ihn als amyotaktische
Dysphagie zu bezeichnen.
Aber auch die amyotaktische Dysphagie liefert, indem sie gleichsam als eine
abgetrennte Form einer der umfangreichsten nosologischen Einheiten der modernen
Neuropathologie erscheint, zu gleicher Zeit Daten für eine minutiösere Klassi*
fizirung der zu ihr gehörigen Fälle, und so kann sie, auf Grundlage des Ueber-
wiegens des einen oder des anderen Momentes im Entstehungsmechanismus und
in der Aeusserungsweise der Schluckstörung in folgende Unterarten eingetheilt
werden:
1. Dysphagia amyotactica motoria — motorische amyotaktische Dys¬
phagie, welcher ein schlaff verlaufender Schluckact zu Grunde liegt.
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2. Dysphagia amyotactica sensoria — sensorische amyot. Dysph.,
wenn als Hanpttriebfeder des Processes Sensationsstörung erscheint
3. Dysphagia amyotaotica psyohica — psychische amyot. Dysph., in
weleher das psychische Element einer specifischen Angst oder einer Zwangsidee
vorherrscht
EL Referate.
Anatomie.
1) 8ulle übrille nervöse nltraterminali nelle piaatre motrloe dell’ uomo.
per Dr. A. Ruffini. (Rivista di patologia nerv, e ment. 1900. October.)
Das Stadium der von Apäthy auf dem anatomischen Congress zu Pavia
1900 ausgestellten Präparate über die Nervenfaserendigungen bei einigen Annelliden,
speciell der Pontobdella, veranlassten den Verf., seine alten Fi seherischen Gold-
chlorürpräparate von der menschlichen Thenarmusculatur wieder durchzusehen und
im Einvernehmen mit Apathy seine mit den Angaben des Letzteren principiell
übereinstimmenden Befunde zu veröffentlichen. — Man entdeckt nach ihm bei
genauer Besichtigung der Nervenendplatte in der Mehrzahl der Präparate, dass
von einer beliebigen platten Verästelung des Axencylinderfortsatzes in derselben
eine sehr feine, in unregelmässigen Zwischenräumen mit deutlichen Varicositäten
versehene, marklose Nervenfibrille entspringt und unverästelt nach kürzerem oder
längerem, meist geschwungenem Verlauf über (oder auch durch?) das Sarkolemm
in der contractilen Substanz derselben oder häufiger einer benachbarten Muskel¬
faser zu enden scheint. Versuchte man nun, dem Schicksal der Fibrille von
diesem Punkte aus weiter nachzugehen, so konnte man am äussersten Ende einer
Anzahl solcher ultraterminalen Fäserchen eine deutliche Anschwellung weit
grösseren Umfangs, als die oben geschilderten Varicositäten sind, beobachten; in
anderen Präparaten aber, worin die Goldreaction nicht vollkommen herauskam,
war noch stets über die letzte Farbenreaction hinaus ein feinster, mehr weniger
langer, allerdings nicht ganz continuirlicher, markloser Faden ziemlich gradlinig
zu verfolgen und einmal sogar zu sehen, dass er ein kurzes collaterales Aestchen
gleichen Charakters abgab. Endlich in wenigen Fällen endete die Nervenfibrille,
indem sie auf engstem Raum mehrmals dichotomisch auseinander wich, in einem
■ecundftren Endplättchen kleinster Ausdehnung, aber ähnlicher Form wie
das primäre, unter Anschwellung der Varicositäten. Doch auch über diese letzte
und eigentliche Endigung ging in einem Falle das marklose Fäserchen noch
hinaus, indem es, nunmehr ohne Varicositäten, glatt und ununterbrochen noch
weithin verfolgt werden konnte, ohne dass es aber gelang zu sehen, wie und wo
es endete. — Verf. hofft mit Apäthy, hier einem ebenso geschlossenen System
von Anastomosen, worin verästelte ultraterminale Fasern aus verschiedenen End¬
plättchen und vielleicht auch sensible Fibrillen aufgehen, auf der Spur zu sein,
wie es Apathy in der Darm wand von Pontobdella als „geschlossenes Polygon¬
gitter“ der Elementarfibrillen beschreibt. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
2) Ueber die Insel des Ungolatengehlrns, von M. Holl. (Archiv f. Anat. u.
Phys. 1900. Anat. Abthlg. S. 295.)
Verf. zieht aus seinen eingehenden, allerdings bezüglich der Deutung
nicht ganz einwandfreien Beobachtungen den Sohluss, dass allen untersuchten
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Ungulatengehirnen eine namentlich in die Länge entwickelte Inselwindung zu-
komrat. Bei einigen Arten zeigt sie deutlich den Charakter einer Bogenwindung.
In allen Fällen soll sie der 1. Bogenwindung des Ungulatengehirns entsprechen.
Oefter (Rennthier, Pferd) hat Verf. Sulci und Gyri breves gefunden. Mit Recht
wird die grosse Variabilität der Furchung (innerhalb einer Species) betont.
Besonders werthvoll sind die Abbildungen (u. A. Rhinoceros- und Tapirgehirn.)
Th. Ziehen.
3) A topographical atlas of the spinal cord, by Alexander Bruce. (London,
Edinburgh and Oxford 1901, Williams and Norgate.)
Die Kenntniss einzelner Gebiete des Centralnervensystems nähert sich all¬
mählich einem gewissen Abschluss. So haben wir über die Rückenmarksfaserung
in den letzten Jahren in zahlreichen Arbeiten fast durchweg Uebereinstimmendes
erfahren. Gerade jetzt wendet sich aber das Interesse derjenigen, welche sich mit
dem Rückenmarke beschäftigen, neuen, besonderen Aufgaben — der Localisation
der einzelnen Muskelkerne — zu. Die Fortschritte der Segmentaldiagnose sowohl,
als namentlich auch die Aenderungen, welche allmählich in der Auffassung des
Gesammtkörpers durch die modernen anatomischen Forschungen über die Segment¬
anordnung aller Theile des Körpers, der Muskeln sowohl als der Nerven, ja der
Arterien und der Knochen, eingetreten sind, machen solche Untersuchungen zu einem
neuen wichtigen und Bchönen Studium. In diesem Stadium unserer Arbeit kommt
ein trefflich ausgeführter Atlas sehr gelegen, den Verf. in Edinburgh eben ver¬
öffentlicht hat. Verf. hat das Rückenmark einer jungen Frau in seine sämmt-
liehen Segmente zerlegt, diese geschnitten und aus jeder Segmentserie denjenigen
Schnitt gewählt, welcher alle Charakteristica des betreffenden Segmentes am Besten
bot. Diesen hat er photographirt Bei einigen Segmenten mussten, weil zu viel
Aenderungen der Form Vorkommen, auch zwei Schnitte abgebildet werden. Auf
32 sehr schönen Lichtdrucktafeln veröffentlicht er die gewonnenen Bilder. Jedem
nach der Markscheidenmethode gefärbten Bilde ist ausserdem ein Abschnitt bei¬
gegeben, der die grossen — sog. motorischen — Zellen nach einem Toloidinblau-
präparat darstellt. Auch hier mussten mehrfach zwei Bilder gegeben werden.
Verf. spricht die Hoffnung aus, dass die hier abgebildeten Typen sich nicht nur
bei der Identification einzelner Schnitte nützlich erweisen werden, sondern auch
als Grundlage beim Vergleich gegen Pathologisches, und schliesslich, dass sie als
gutes Hülfsmittel bei dem Studium der Localisation dienen möchten. Ref. kann
diesen Wünschen nur beistimmen. Gewiss wird der neue Atlas ein willkommenes
Hülfsmittel in diesen drei Richtungen sein. Neben der guten technischen Aus¬
führung der Schnitte und der Photographieen ist auch die gesammte künstlerische
Anlage hervorragend. Edinger (Frankfurt a/M.).
Experimentelle Physiologie.
4) Untersuchungen über den Ursprung und Betrachtungen über die Be¬
deutung der Glandula pituitaria, von Colli na. (Arch. ital. de biolog.
XXXII. S. 1.)
Die Arbeit bietet im Wesentlichen eine Uebersicht der über den Bau und
die Function der Hypophyse geltenden Anschauungen. Verf. selbst ist der
Meinung, dass den Thatsachen am meisten seine Hypothese gerecht wird, welche
besagt, dass die Hypophyse die Aufgabe habe, einen für die normale Ernährung
deB Nervensystems nöthigen Saft zu produciren; der Ausfall der Hypophysefunction
führe zu einem raschen Zerfall des Nervensystems. Anatomische Untersuchungen
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an Hühnerembryonen, die sehr cursorisch mitgetheilt werden, lassen Verf. unter
Yerwerthung der Resultate Anderer die Ansicht vertreten, dass die Hypophyse
dreifacher Herkunft sei: 1. der Himantheil, pars infundibularis, 2. der ekto-
dermale, der bei den Säugern sehr atrophirt ist und dem ReBt des Hypophysen-
ganges entspricht, und 3. der entodermale, welcher die Hauptmasse und den bei
höheren Thieren allein functionirenden Bestandtheil ausmacht.
Geelvink (Herzberge).
6) Wird durch die Thyreoidea ein sich normalerweise im Organismus
bildendes Gift zerstört P von Bai di. (Arch. ital. de biolog. XXXI.
S. 281.)
Die Frage wird verneint — wenigstens für ein in den Blutstrom über¬
gehendes eventuelles Gift — auf Grund von Experimenten an Hunden, denen
nach vollständiger Thyreoidektomie vor Eintritt thyreopriver Erscheinungen be¬
trächtliche Mengen eines durch Kältesedimentirung gewonnenen Hundeserums
intraperitoneal wiederholt injicirt wurde; dieses Serum stammte von Hunden,
welche im Augenblicke des Aderlasres schwere — acute oder chronische — Zeichen
thyreopriver Erkrankung geboten hatten. Keiner der injicirten Hunde zeigte
anmittelbar nach den Injectionen Intoxicationserscheinungen, sie gingen jedoch
sämmtlich später an Cachexia thyreopriva zu Grunde.
Die Thatsache, dass ein Aderlass auf den Zustand thyreoidektorairter Hunde
günstig ein wirkt, hat auch Verf. wieder beobachtet, doch kann sie jetzt nicht
mehr gedeutet werden durch Entfernung eines im Organismus entstandenen Toxins.
Geelvink (Herzberge).
Pathologie des Nervensystems.
6) Unfallnervenkrankheiten, von Prof. Edinger und Dr. Auerbach. (Real-
Encyklopädie der gesammten Heilkunde. 3. Auflage.)
In einem allgemeinen Theil wird zuerst die sogen. Commotio medullae
«pinalis, die bestehenden Zweifel an der Existenz einer solchen, dann die Gruppe
der traumatischen Neurosen besprochen. Die Verff. skizziren ihren Standpunkt
hinsichtlich der Pathogenese scharf dahin, dass die Entstehung der traumatischen
Neurosen einstweilen nur psychologisch zu analysiren sei. Symptome und Verlauf
bilden ein zweites grosses Kapitel. Hier werden die Hauptäusserungen und
Hauptformen des Auftretens der Neurosen nach Trauma aufgeführt und zum Theil
an ausgewählten Beispielen erläutert.
Diagnose, Begutachtung, Simulation, Aggravation folgen daraufhin in der
Besprechung. Dieser Abschnitt ist etwas stiefmütterlich behandelt, wohl weil über
Simulation noch an einer anderen Stelle des Sammelwerkes gehandelt wird. Die
Yerff. nehmen betreffend der Simulation den wohl allgemein jetzt acceptirten
Standpunkt ein. Verlauf, Prognose und Behandlung bilden den letzten Abschnitt
des Aufsatzes, welchem ein — allerdings nicht erschöpfendes — Litteratur-
verzeichniss beigegeben ist. P. Schuster (Berlin).
7) Ein Fall von Unfalinearose, von Buttersack. (Charite - Annalen.
1900. XXV.)
51jähr. Eisenhobler erhält am 28. November 1900 durch das Reissen eines
Treibriemens einen Schlag mit diesem gegen den Hinterkopf. Einige Secunden
bewusstlos, arbeitete er später weiter. April 1899 Klagen über Schwindel, Kopf¬
schmerzen und Vergesslichkeit, kurz darauf Zittern des Kopfes und des rechten
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Armes. Aufnahme im November 1899. Bei ruhiger Bettlage keine auffallenden
Symptome. Hinterhaupt klopfempfindlich. Beim Aufriohten starkes Zittern dee
Kopfes, geringeres dee Rumpfes. Gang schwankend. In den nächsten Wochen
Verschlimmerung der Symptome. Der Gang wurde spastisch, die Musculatur der
Extremitäten war sehr rigide, Abnahme der groben Kraft, besonders rechts. An¬
ästhesie der rechten Körperhälfte, grobschlägiges Zittern des rechten Armes, hoch¬
gradiges Stottern. Druck auf den Kehlkopf machte die Sprache sofort fliessend,
ebenso coupirte Druck auf die verschiedenen Stellen des Körpers das Zittern.
Pak konnte nur mit Unterstützung und selbst dann nur äusserst mühsam gehen.
Es gelang, das Zittern durch fixirende Verbände, die Sprachstörung durch metho¬
dische Sprech- und Inspirationsübungen, die Gehstörung durch Gehübungen zu
beseitigen, die Anästhesie verschwand unter dem Einfluss hypnotischer Suggestion.
Indessen trat das Zittern nach Abnahme der Verbände wieder auf und war auch
in der Folge nicht dauernd zu beseitigen, auch seine Klagen über Kopfschmerzen
und Schwindel wichen keinerlei suggestiver Behandlung, während die Störungen
der Sprache, der Sensibilität und des Ganges definitiv geheilt blieben. Von
Interesse ist bei dem Falle, dass der rechte Arm des Pat. bei seiner Beschäftigung
einer dauernden maschinellen Erschütterung auBgesetzt war, und dass das Trauma
die stärksten Erscheinungen der Neurose in diesem Gliede provocirt hatte.
Martin Bloch (Berlin).
8) Ein Fall von neurasthenischem Schütteltremor nach Trauma, von Dr.
Ph. F. Becker. Aus der medicin. Universitätsklinik in Bonn. (Münchener
med. Wochenschr. 1900. Nr. 10.)
Der nicht erheblich belastete, aber schon als Kind nervöse 24j ähr. Patient
erlitt einen Pferdehufschlag in die reohte Inguinalgegend. In Folge davon stellte
sich Zittern in den Armen und am Kopf ein, das noch 7 Monate später bestand
und den wichtigsten Gegenstand der vorliegenden Arbeit bildeh Es wird als
neurasthenischer Schütteltremor aufgefasst. Von anderen neurasthenischen Sym¬
ptomen fand sich psychische Depression, mangelnde Concentrirungsfähigkeit, un¬
ruhiger Schlaf, Kopfsohmerz und Steigerung der Sehnenreflexe. Das Zittern ist
mässig schnellschlägig nnd unregelmässig nach Frequenz und Amplitude. Am
Kopf gehen die Bewegungen vorwiegend um eine verticale Axe. Hier wie an
den Armen steigert psychische Erregung den Tremor. Er besteht fast andauernd
und erinnert bald an den der multiplen Sklerose, bald an Paralysis agitans, lässt
sich aber von beiden durch sichere Merkmale trennen. Auf die bedeutende Starke
und die hartnäckige Persistenz des Tremors wird besonders hingewiesen.
E. A*sch (Frankfurt a/M.).
8) Injuries of the nerves due to fraoture, by Charles Green Cumston,
M. D. (Boston). (Pediatrics. 1900. 1. April.)
Ein 16jährige8 Mädchen erlitt eine Fractur des linken Humerus über der
Condylengegend. Nach Abnahme des angelegten Schienenverbandes konnte Pat.
die Hand nicht bewegen und suchte deswegen ärztliche Hülfe auf Es fand
sich eine Lähmung im Bereiche des N. medianus mit folgenden Symptomen: die
Pronation ist eingeschränkt, die Function des Daumens hochgradig alterirt, die
Sensibilität an den Fingern, namentlich dem Zeigefinger, gestört Da sich in der
Ellbogengegend ein Narbengewebe mit Callus fühlen liess, so wurde in der An¬
nahme, dass dadurch der Medianus geschädigt sei, zur Operation geschritten.
Thatsächlich fand sich ein scharfer Knochenvorsprung, welcher den über ihn ver¬
laufenden Nerven in der Länge von 2 cm breiter und dünner gemacht hatte, als
an den intacten Nerventheilen. Die Knochenkante wurde weggemeisselt, das Bett
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des Nerven geglättet und derselbe von dem umgebenden Narben ge webe befreit.
Die Wunde heilte rasch zu, und nach einigen Wochen war bis auf geringe Defecte
der Daomenbewegung die Function der Hand wiederhergestellt.
Verf nimmt den vorliegenden Fall zum Ausgangspunkt einer kurzen Be¬
sprechung der Nervenverletzungen bei Fr&cturen. Dieselben sind entweder primär,
gleichzeitig mit der Verletzung gesetzt, oder secundär, während des Heilungs-
proceeses entstehend. Die primäre Nervenschädigung heilt manchmal spontan, oft
ist eine Operation nöthig; innerhalb des fixen Verbandes entgehen nicht Belten
langsam heilende Störungen dem Arzte und Patienten. Seoundäre Alteration der
Nerventhätigkeit wurde durch Narben- bezw. Callusgewebe verursacht; manchmal
ruft ein dislooirtes Knochenfragment noch secundär Nervenläsionen hervor. Am
meisten betroffen werden die Extremitätennerven (namentlich Radialis, weniger
häufiger der N. inframaxillaris et infraorbitalis). Complete Zerreissung eines
Nerven kommt bei offenen Fracturen ebenfalls zur Beobachtung und bietet gleich¬
falls günstige Chancen für ein operatives Vorgehen. Einige Detailfragen erörtert
Verf. durch Beispiele aus der Litteratur. Zappert (Wien).
10) Ueber die Bedeutung der Lumbalpunotion für die Diagnose und
Therapie der Haematorhaohts traumatica, von Strauss. (Charit^-Annalen.
1900. XXV.)
Es handelt sich in der Beobachtung des Verf.’s um einen 47jähr. Zimmer-
mann, der von einem Wagen zu Boden gestürzt war, 1 / 4 Stunde bewusstlos lag,
nachdem er zu sich gekommen war, aber noch einen halbstündigen Weg zu seiner
Wohnung zurücklegen konnte. Hier legte er sich sofort zu Bett, klagte über
Schmerzen in der linken Kopfhälfte, Steifigkeit und Schmerzen im Genick,
Schmerzen im Kreuz und in den Beinen; einmaliges Erbrechen. Keine Blasen-
und Uastdarmstörungen, keine äusseren Verletzungen. Mit denselben Klagen wird
Pai wenige Tage nach dem Unfall in die Charitö aufgenommen. Die Unter¬
suchung ergiebt keine ausgesprochenen Lähmungserscheinungen, doch vermeidet
Pat wegen Schmerzen ängstlich jede Bewegung des Kopfes, des Rumpfes und
der Beine. An der Wirbelsäule keine Deformität, Hyperästhesie der Beine, des
Os sacrum und der Lendenwirbelsäule. Nachdem dieser Zustand 11 Tage unver¬
ändert angedauert hat, werden bei der Lumbalpunction 15 ccm theerfarbenes Blut
bei einem Druck von 230 mm Wasser entleert. Danach schnelle Besserung, so
dass Pat nach 4 Tagen entlassen werden konnte. Verf. betont die diagnostische
und vor Adlern auch die therapeutische Bedeutung der Lumbalpunction in seinem
Falle, der als traumatische Hämatorhachis aufzufassen sei; die mikroskopische
Untersuchung der Spinalflüssigkeit hatte wohlerhaltene und ausgelaugte rothe
Blutkörperchen, letztere in Stechapfelform und Leukocyten, letztere etwas reich¬
licher als im gewöhnlichen Blut, ergeben. Martin Bloch (Berlin).
11) Bin Fall von Sohussverletzung des Rüokenmarks bei Selbstmord¬
versuch , von Dr. B61a Konräd. (Pester med.-chirurg. Presse. 1900.
Nr. 45—47.)
Beschreibung eines Falles, bei dem die vorhandenen Motilitäts- und Sensi-
bilitätastörungen eine genaue Local-, d. h. Segmentdiagnose ermöglichten; dieselbe
vorde durch Röntgographie bestätigt und die Revolverkugel operativ entfernt;
sie lag in der Höhe dee 4. und 5. Lumbalsegments. Pat. unterlag später einer
eitrigen Meningitis. H. Haenel (Dresden).
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12) Poliomyelitis anterior chronica nach Trauma, von Ernst Meyer,
Privatdocent und Assistenzarzt der psychiatr. Klinik zu Tübingen. (Münchener
med. Wochenschr. 1901. Nr. 5.)
59jähr. Bauer. März 1900 Verletzung am rechten Fuss. Direct im An¬
schluss an diesen Unfall bildet sich im Laufe von 6—8 Monaten eine fast völlige
Lähmung des rechten und grosse Schwäche des linken Beines aus mit unzweifel¬
haft progressiver Tendenz. Dabei: Atrophie der Musculatur, starke elektrische
Veränderungen, Herabsetzung bezw. Fehlen der Haut- und Sehnenreflexe im Ge¬
biete der Lähmung, Parästhesieen, doch keinerlei objective Sensibilitätsstörungen.
Blase und Mastdarm frei. Keine Spasmen.
Diagnose: Poliomyelitis anter. chron. Auffallend sind die Parästhesieen.
Verf. nimmt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Krankheit und
dem erlittenen Unfall als wahrscheinlich an (moleculäre Veränderung des Rücken¬
marks durch Erschütterung [Erb]). Kurt MendeL
13) Zur Lehre der postoperativen Seelenstdrungen, von Dr. G. Engelhardt.
(Deutsche Zeitschr. f. Chirurg. 1900. LVIII.)
Aus der Zusammenstellung der Ansichten vieler Autoren und einer Reihe
selbstbeobachteter Fälle wird Verf. zu folgenden Schlüssen geführt:
1. Die postoperativen Psychosen entwickeln sich am häufigsten bei prä-
disponirten Individuen (durch Heredität, chronische Intoxicationen, Kummer,
schwächende Krankheiten).
2. Die Erschöpfung, welche durch die Operation selbst bedingt ist, bezw.
durch die den operativen Eingriff veranlassende Krankheit, kann als ursächliches,
höchstens als auslösendes Moment bei prädisponirten Fällen angesehen werden.
3. Einige Fälle von postoperativen Psychosen im engeren Sinne giebt es,
welche ätiologisch bisher einem Verständnis noch nicht zugänglich sind; dieselben
gehören aber zu den grossen Seltenheiten. H. Haenel (Dresden).
14) Beitrag zur Pathologie des Halssympathious, von Dr. Heiligenthal,
Nervenarzt in Baden-Baden, früher Assistenzarzt an der psychiatr. Klinik zu
Tübingen. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XXXIII.)
Durchschneidet man beim Thier den Halssympathicus, so findet man zunächst
dauernde Verengerung der Pupille, Enge der Lidspalte, stärkere Injection der
Hautgefasse und erhöhte Temperatur auf der betreffenden Seite, Herabsetzung
bezw. völlige Aufhebung der Schweisssecretion und Störungen der Speichelsecretion.
Später kommen noch hinzu: Zurücksinken des Bulbus, verbunden mit Abnahme
der Spannung und hin und wieder Atrophie der betreffenden Gesichtsseite.
Bei 5 Kranken der Tübinger psychiatr. Klinik fand Verf. diese Cardinal-
symptome der Halssympathicuslähmung in wechselnder Vollkommenheit wieder:
4 Mal bestand Struma, 1 Mal hatte ein Trauma stattgefunden. Weniger die
Grösse der Struma, als ihre Ausdehnung nach hinten und nach der Seite wird
dem Halsstrang des Sympathicus gefährlich; der letztere ist auf der Wirbelsäule
und ihren Muskeln festgeheftet und kann bei Verschiebung des GefässstrangeB
diesem nicht folgen, wie es der Vagus thut. In dem traumatischen Falle war die
Sympathicuslähmung combinirt mit einer Lähmung des Armes; der Sitz der Läsion
ist ausserhalb der Medulla spinalis zu suchen. Const&nt fanden sich bei den
beobachteten Kranken dauernde Enge der Lidspalte und der Pupille auf der ge¬
lähmten Seite, sowie Verschiedenheit in der Innervation der Gefässe im Ver¬
gleich mit der gesunden Seite. Vermehrung der Thränensecretion bemerkte Verf.
nur einige Male, Sistirung der Schweisssecretion auf der gelähmten Seite nur ein
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Mal. Asymmetrie der Gesichtshälften war ebenfalls nur in einem Theil der
Fälle vorhanden und Verf. schiebt sie hier zum grossen Theil auf hochgradigen
Schwund des die Grube unter dem Jochbein ausfullenden Fettpolsters — also auf
einen trophischen Vorgang. In einem Falle war stärkere Röthung auf der ge¬
sunden Seite zu bemerken, während die Temperatur bei mehrfachen Messungen
auf der kranken Seite höher war; in einem anderen Falle fand sich auf der
kranken Seite zeitweise niedrigere Körperwärme.
Verf bemerkt, dass die Lähmung des Sympathicus, von Traumen abgesehen,
durch Geschwülste, Abscesse, Aneurysmen, entzündliche oder infectiöse Processe
am Halse, besonders oft aber durch Struma hervorgerufen wird.
G. Ilberg (Sonnenstein).
15) Beitrag zur Kenntniss der recurrirenden Tetania gravidarum, von Dr.
C. Hödlmoser. (Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 28.)
Die 33jährige Patientin hatte bis zu ihrem 17. Lebensjahre an 3—4 Mal
jährlich sich wiederholenden Krämpfen der oberen Extremitäten und der Gesichts-
mnakeln gelitten. Diese Krämpfe traten später zur Zeit der Gravidität wieder
auf Um die Mitte der 7 folgenden Graviditäten stellten sie sich ein, und zwar
xur Zeit, als die Patientin die ersten Kindsbewegungen spürte. Die gegenwärtig
33 Jahre alte, im 6. Graviditätsmonate befindliche Frau leidet seit einigen Tagen
wieder an Krämpfen. Die Hände in Geburtshelferstellung, die Daumen stark
opponirt, Ellbogengelenke in Beugestellung, die übrigen Muskelgebiete des Körpers
iu leichtem Hypertonus; das war das Bild des 3 Stunden dauernden Anfalles.
Chvostek und Trousseau positiv, Tremor manuum, normale Sensibilität. Eine
elektrische Prüfung konnte wegen zu kurzer Beobachtungsdauer nicht vorgenommen
werden.
Der Fall ist durch seine häufigen Recidive bemerkenswerth. Die schon im
Pubertätsalter aufgetretenen Anfälle beweisen, dass Patientin für diese Erkrankung
besonders disponirt war; jede folgende Gravidität bildete ein auslösendes Moment
für die Anfalle.
Verf. schlägt für solche Fälle häufiger, aber durch grössere Zwischenräume
getrennter Anfälle von Tetanie die Bezeichnung „recurrirend“ an Stelle von
recidivirend vor, analog der Bezeichnung „recurrirende Polyneuritis“.
J. Sorgo (Wien).
16) Tetanie au oours d’une entöro-colite aiguö, par Dr. Charles Leroux.
(Archives de medecine des enfants. 1901. Februar. IV.)
Im Verlaufe eines schweren Darmkatarrhs (am 15. Tage) treten bei einem
-jähr. Kinde allgemeine Convulsionen und dauernd Spasmen der Extremitäten
auf Die allgemeinen Krämpfe gehen in den nächsten Tagen zurück, die Con-
tracturen bestehen fort und bieten folgendes Bild: Hände stark palmarwärts
fledirt, Finger den Daumen bedeckend in Geburtshelferhandstellung, Beine in
starker Extension, Füsse in Varo-equinusstellung, Zehen gebeugt. Bei Druck auf
die Bicipitalfurche steigert sich die Handcontractur; das Facialisphänomen wurde
nicht geprüft. Sonstige Krankheitserscheinungen (ausser dem Darmkatarrh) zeigt
das Kind keine. Rachitis besteht nicht. Nach mehrtägigem unveränderten Be¬
stehen gehen die Spasmen allmählich zurück, das Darmleiden bessert sich gleich¬
falls und das Kind wird schliesslich völlig gesund. Verf. hält den Zustand für
Tetanie und bezeichnet ihn als eine seltene Complication acuter Darmprocesse im
Kindesalter. (Zweifellos handelt es sich hier um einen Fall der in letzter Zeit
Ton pädiatrischer Seite mehrfach beschriebenen DauerspaBmen [persistirende
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Tetanie, Esoherich; Muskelspasmen bei sohwerenSäuglingskrankheiten, Zappert;
Myotonie, Hochsinger], deren Zugehörigkeit zur Tetanie recht zweifelhaft er¬
scheint. Ref.) Zappert (Wien).
17) Uebar Eklampsie, Tetanie und Poliomyeloenoephalitis der Kinder, von
Dr. Luigi Concetti. (Allg. Wiener med. Zeitung. 1900. Nr.25—28.)
Verf. spricht über Fälle von Eklampsie, Tetanie, MeningiBmup, Poliomyelitis,
Polioencephalitis der Kinder, die er von einem gemeinsamen ätiologischen Gesichts¬
punkte aus alB Intoxicationskrankheiten betrachtet, theils infectiöser, theils
bakteriell-toxischer Natur oder von Produoten fauler Darmgährung herrührend.
Je nach der Disposition des Kindes im Allgemeinen, jener der verschiedenen Theile
seines Nervensystems im Besonderen, je nach der Wirksamkeit eventuell voraus¬
gegangener schädigender Momente (Lues, Alkoholismus, Asphyxie bei der Geburt)
wird es bald zu leichten, bald schwereren, unter diesem oder jenem Bilde er¬
scheinenden, bald rein functionellen, bald anatomisch bedingten Störungen kommen.
J. Sorgo (Wien).
18) Caauistische Beiträge zur Tetanie und den anderen tonischen Krampf¬
formen bei Magendilatation, von Hans Ury. [Aus der Privatklinik für
Magen- und Darmkrankheiten von Dr. J. Boas in Berlin.] (Deutsche med.
Wochenschr. 1900. Nr. 29 u. 30.)
Neben der fast immer letal endenden echten Tetanie kommen bei Magen¬
dilatation andere tonische tetanie-ähnliche Krampfformen vor, welche prognostisch
erheblich günstiger sind, ferner sogen. Abortivformen (Parästhesieen in den Extre¬
mitäten ohne eigentliche Krampfzustände).
Bei echter Tetanie ist während des Anfalls ein Versuch mit Narcoticis er¬
laubt, wichtig vor allem beständige Flüssigkeitszufuhr, Aehnliches gilt für die
Therapie der anderen tonischen Krampfzustände. Die Abortivformen erfordern
als Alarmsymptome schleunigste und energische Wasserzufuhr.
Vom prophylaktischen Standpunkt befürwortet Verf. gleich Albu bei echter
Tetanie die möglichst frühzeitige Operation: meist wird die Gastroenterostomie
genügen. Ohne Operation gehen solche Fälle fast sicher zu Grunde.
Tetanie-ähnliche Anfälle geben keine zwingende Indication für chirur¬
gisches Eingreifen ab. Hat eine consequent durchgeführte, sachgemässe Behand¬
lung fehlgeschlagen oder verheisst die innere Therapie von vornherein keine
dauernden Erfolge (starre enge NarbenBtricturen am Pylorus oder Duodenum),
ferner bei carcinomatösen Pylorusstenosen kann man die Operation anrathen. In
frisoheren Fällen warte man ruhig ab und gebe entsprechende Diät, Ausspülungen,
Klysmata.
Die prämonitorischen Symptome sind, wie oben angegeben, intern zu be¬
handeln, ein operativer Eingriff ist nur dann sofort geboten, wenn die Unter¬
suchung echte Tetanie ergiebt. R. Pfeiffer.
19) Morbus Basedowii, särlig med hensyn til patogenese og behandling,
af H. J. Vetlesen. (Norsk Mag. f. Lägevidensk. 1899. XIV. S. 756.)
Nach dem Verf. beruht die Basedow’sche Krankheit auf einer von der
Schilddrüse ausgehenden Autointoxication, deren primärer Impuls im Nervensystem,
in einer perversen Innervation, zu suchen ist. Auf bestimmte nervöse Organe
wagt Verf. nicht hinzuweisen, auch den Sympathicus mag er nicht in den Vorder¬
grund stellen. — Einen in früherer Zeit beobachteten Fall abgerechnet, den Verf.
nicht zum Gegenstand eines genaueren Studiums gemacht hat, hat er 13 typische
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Fälle von Basedow’scher Krankheit beobachtet und 8 Fälle, in denen das Krank¬
heitsbild verwischt, nicht vollständig entwickelt war.
In 7 von den 13 typischen Fällen war erbliche Belastung vorhanden, in
einem konnte möglicherweise erbliche Disposition zu Herzfehler angenommen
werden. Gelegenheitsursachen waren deprimirende Gemüthsbewegungen, Schreck,
geistige Ueberanstrengung und in 3 Fällen, von denen in zweien keine erbliche
Disposition bestand, Influenza. Bei nicht weniger als 6 von den 13 Kranken
bestand nebenbei auch Hemikranie, bei zweien erblich, auf deren Beziehung zum
gewöhnlichen Kropf Verf. schon früher hingewiesen hat.
In Bezug auf die Therapie erwähnt Verf. die Anwendung von Schwefelsäure,
die sich ihm in einigen Fällen günstig erwies, und empfiehlt, die Anwendung von
phosphorsaurem Natron zu versuchen. Schilddrüsenpräparate hat Verf. nicht an¬
gewendet, weil sie eine potenzirte Functionirung der Schilddrüse herbeiführen
and bei Gesunden Symptome der Basedow'sehen Krankheit erzeugen können;
Thymus verdient dagegen nach dem Verf. versucht zu werden. Durch die
Bssection der Schilddrüse kann nach Verf., wie er aus seinen eigenen Erfahrungen
und denen Anderer schliesst, in manchen Fällen eine wirkliche und dauernde
Heilung erzielt werden, in anderen Fällen nur eine relative Heilung oder be¬
deutende Besserung mit Neigung zu Recidiven, in manchen auch nur eine vorüber¬
gehende, unbedeutende Besserung, je nachdem nach der Operation Schrumpfung
mit Aufhebung der toxischen Secretion oder Proliferation zurückgebliebener Reste
der Schilddrüse ein tritt. Walter Berger (Leipzig).
20) Association des syndrömes Basedowien, solörodermique et tdtanique,
par E. Duprö et G. Grillain. (Bull, et mem. de la soc. m6dic. des höpit
de Paris. 1900. Mai.)
Bei einer 34jähr., schwer hereditär belasteten Frau, die verschiedene Stig¬
mata der Degeneration an sich trug, entwickelten sich im Alter von 13 Jahren
die ersten Zeichen von Morbus Basedow, die bald in voller Ausbildung vorhanden
waren. Im Alter von 24 Jahren traten an den beiden letzten Fingern der linken
Hand die Zeichen von Sklerodermie auf, die jetzt beide Hände, Stirn und Nase
befallen hat. Mit 29 Jahren traten häufige Anfalle von Tetanie auf^ die jetzt
ooch andauern und auch von den charakteristischen Veränderungen in der elek¬
trischen Erregbarkeit der Muskeln begleitet sind. — Für das Zusammentreffen
der beiden ersten Affectionen konnte Verf. 12 Beobachtungen in der Literatur
finden; das Auftreten von Tetanus bei Basedowscher Krankheit ist etwas ausser¬
ordentlich Seltenes. — Das verbindende Glied in ihrem Falle sehen die Verf. in
der Erkrankung der Schilddrüse, von der ja bekannt ist, dass sie zu jeder der
drei Krankheiten einzeln in Beziehung treten kann.
H. Haenel (Dresden).
21) Neue Beiträge zur Pathogenese der Basedow'sohen Krankheit, von
Dr. Ladislaus Haskovec. (Wiener med. Wochenschr. 1900. Nr. 2.)
Verf. verweist in der Arbeit auf seine im Institut Spina ausgeführten Ver¬
suche mit Injection von Schilddrüsenextract. Es trat danach immer Puls-
beachleunigung au£ welche, wie Durohschneidungsversuche der Vagi, der Medulla
oblongata und des Rückenmarks, sowie Exstirpation der sympathischen Ganglien
ergaben, auf centrale Reizung der Accelerantes zurückgeführt werden musste.
Es ist damit die „Brücke zwischen der toxischen und sympathischen Theorie
hergestellt“.
Nach Verf. ist also die Basedow’sche Krankheit auf eine Functionsstörung
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272
der Schilddrüse zurückzuführen, deren toxische Producte eine beinahe elective
Wirkung auf das sympathische Nervensystem zeigen.
J. Sorgo (Wien).
32) Altes and Neues über die Basedow’sohe Krankheit und ihre chirur¬
gische Behandlung, von Dr. J. Schulz. (Wiener med. Blätter. 1900.
Nr. 11—17 u. 20—23.)
Verf. theilt nach einer die Symptomatologie, Pathologie und Therapie in
kurzen Zügen zusammenfassenden Litteraturübersicht, die operativen Resultate
Kummers aus dem Neuen allgemeinen Krankenhaus in Hamburg mit. Er be¬
richtet über 20 Fälle von Schilddrüsenoperation bei meist ausgesprochenem und
schwerem Basedow mit durchwegs gutem Erfolge. In der Mehrzahl der Fälle
wurde Heilung erzielt. Die Resultate sind Dauerfolge, denn die Nachuntersuchungen,
die in jedem Falle vorgenommen werden konnten, erfolgten nach l 1 / a —11 Jahren.
An dem Nutzen und der Berechtigung der Operation kann demnach wohl nicht
gezweil'elt werden. J. Sorgo (Wien).
23) Zar Frage der Pathogenese der Basedow’sohen Krankheit, von Dr.
J. Troitzki. (Inaug.-Dissert. 1900. St. Petersburg. [Russisch.])
Die aus dem klinischen Laboratorium von Prof. Ssirotinin stammende
Arbeit zerfällt in zwei Theile: Der erste enthält eine ausführliche kritische Ueber-
sicht der verschiedenen Theorieen der Basedow'sehen Krankheit. Verf. zeigt
hier, dass die Mannigfaltigkeit der die Basedow’sche Eirankheit betreffenden
klinischen, pathologisch-anatomischen und experimentellen Thatsachen sich durch
keine der bisher vorgeschlagenen Hypothesen ein wandsfrei erklären lässt, und dass
auch die neuen Versuche Cyon’s über Beeinflussung der Herzthätigkeit und der
Glandula thyreoidea durch den N. depressor keine wesentliche Bedeutung für eine
einheitliche Auffassung des genannten Leidens haben. Am Wahrscheinlichsten
erscheint ihm die von Byrom-Bramwell, Brissaud, Marie u. A. vertretene
Ansicht, dass der Ausgangspunkt der Krankheit im Centralnervensystem gesucht
werden muss, und dass die Functionsveränderung der Glandula thyreoidea, trotz
ihrer wesentlichen Bedeutung, selbst durch krankhafte Innervation seitens des
Gehirns bewirkt wird. Im zweiten Theil berichtet Verf. über seine eigenen
Experimente, die die Aufgabe hatten, zu erforschen, inwiefern Läsionen des ver¬
längerten Marks bei Thieren Symptome der Basedowschen Krankheit hervor¬
bringen, im Anschluss an die experimentellen Untersuchungen von Fi lehne,
Bienfait und Durduffi. Als Versuchstiere dienten ausschliesslich Kaninchen.
Verf. brachte den Thieren eine Läsion der Corpora restiformia bei, indem er an
das laterale Feld des verlängerten Marks einen nadelförmigen Thermokauter appli-
cirte oder daselbst mit einem Gräfe’schen Messer einen Einschnitt machte. Bei
derartig operirten Thieren wurde Beschleunigung der Herzthätigkeit und Hervor¬
treten der Augäpfel beobachtet. Weitere Versuche zeigten, dass die Erscheinung
des ExophlhalmuB bei Läsion eines Corpus restiforme am contralateralen Auge
auftritt, und dass sie durch eine Erregung zu Stande kommt, die vom verlängerten
Mark durch den Halstbeil und das obere Ganglion des N. sympathicus geleitet
wird. lHe Erregung der Herzthätigkeit dagegen gebt durch das untere Hais¬
und obere Brustganglion des N. sympathicus. Ausserdem beobachtete Verf. in
einer Reihe seiner Versuche bei Läsion der Corpora restiformia Hyperämie der
Glandula thyreoidea. Die mikroskopische Untersuchung der Medulla oblongata
der operirten Thiere zeigte, dass die Läsion, durch welche die Cardinalsymptome
der Bascdov/’schen Krankheit sich reproduciren lassen, sich nicht auf einen eng
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begrenzten Punkt beziehen lässt, sondern dass dazu eine aasgebreitete Läsion im
dorsalen Gebiet des verlängerten Marks mit Einschluss der unteren Oliven vor¬
handen sein muss. P. Rosenbach (St. Petersburg).
24) Maladie de Basedow dana l’enfanoe, par Dr. Zuber. (Archives de
m6decine des enfants. 1900. II. Nr. 10.)
Auffallend ist bei dem hier beschriebenen Falle nicht nur das frühe Alter
(I3jähriges Mädchen), sondern auch der ungewöhnliche Verlauf. Zuerst stellte
sich eine Vergrösserung der Schilddrüse mit rapider Abmagerung ein, dann kamen
Herzklopfen, Zittern, Exophthalmus, so dass schliesslich der ganze Symptomen-
complex des Morbus Basedow zu erkennen war. Während das Kind mit diesen
Krankheitserscheinungen sich im Spital befand, trat ein schwerer Gelenkrheuma¬
tismus mit Pericarditis und Chorea auf; doch besserten sich die Basedowschen
Symptome zusehends, und 6 Monate nach dem ersten Anzeichen dieser Krankheit
war dieselbe bis auf unbedeutende Reste geschwunden.
Eine kurze Zusammenstellung der Symptome des Morbus Basedow im Kindes¬
alter Bchliesst sich früheren derartigen Arbeiten (Steiner) an.
Zappert (Wien).
25) Zar Pathologie und Therapie der Basedowschen Krankheit, von Prof.
Dr. Dinkler in Aachen. (Münchener med. Wochenschr. 1900. Nr. 21.)
Bei der anatomischen Untersuchung eines Falles von Basedowscher Krank¬
heit, der klinisch durch das Vorhandensein von Hemiplegie, bulbären und
psychischen Störungen complicirt war, Hessen sich nach Anwendung der Marchi-
Uethode in den corticomusculären, motorischen Leitungsbahnen Degenerations-
erscheinungen nachweisen. Ausserdem wurde dabei eine enorme Hyperplasie der
Thymusdrüse festgestellt. In einem anderen Falle war in der Struma eine inten¬
sive Wucherung und Hyperplasie der Epithelzellen mit Neigung zur Bildung
atypischer Drüsengänge in Form soUder, geschwulstähnlicher Alveolen zu con-
statiren. In beiden Beobachtungen waren die Capillaren und Venen ausser-
ordentHch erweitert, während die Arterien mehr normale Verhältnisse zeigten.
Es kann somit von einem Ausgleich der pulsatorischen Blutbewegung durch den
parenchymatösen Seitendruck keine Rede sein. In Bezug auf die Entstehung des
Leidens ist Verf. der Ansicht, dass dabei Substanzen, welche auf Herz und Gefass-
system in gleicher Weise schädlich wirken, von Einfluss sind. Er stimmt der
Möbius’schen Auffassung einer thyreogenen Intoxication nicht nur vollkommen
bei, sondern glaubt auch mit ihm, dass bei der Entwickelung der Schilddrüsen¬
veränderungen nervöse Einflüsse (Medulla oblongata, Sympathicus) keine ursäch¬
liche Rolle spielen. E. Asch (Frankfurt a/M.).
26) Notes on two oases of exophthalmio goitre appearing suddenly in
men, who have been in action, by W. H. Haorland. (Brit. med. Journ.
1900. S. 684.)
Mittheilung von 2 Fällen von Morbus Basedowii, welcher bei zwei activen
Soldaten sich acut entwickelte.
Im 1. Falle handelte es sich um einen 29jähr., nervös erregbaren Mann, der
in der Schlacht bei Elandslaagte eine leichte, bald heilende Kopfwunde erhielt
und bald darauf an ausgesprochener Basedow’scher Krankheit erkrankte. Als
Ursache ist wahrscheinHch die durchgemachte nervöse Erregung anzusehen.
Der 2. Fall betrifft einen 30jähr., neuropathisch nicht belasteten, in allen
Gefechten grösste Ruhe bewahrenden Pionier, der als Reconvalescent von einem
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Ruhranfall ins Hospital kam and bald darauf die charakteristischen Krankheits¬
symptome zeigte. — Die Matter des Pat war wegen Struma operirt worden.
E. Lehmann (Oeynhausen).
27) Hysterie et goitre exophthalmique alte nies , par Ch. Fe re. (Nouv.
Icon, de la Salp. 1900. XIII S. 494.)
Hysterie und Basedow finden sich oft vereint bei demselben Individuum; und
zwar treten die eigentlichen hysterischen Symptome in der Regel früher auf als
die Basedow-Symptome. Beclöre geht sogar soweit, zu behaupten, dass die
Hysterie eine Secretionssteigerung der Schilddrüse hervorrufe, die ihrerseits zur
Vergiftung des Körpers und zum Basedow führe.
Zum Beweise dieser Theorie theilt Verf. die Krankengeschichte einer 59jähr.
Frau mit, die lange Jahre an Symptomen einer linksseitigen Hysterie litt (Hemi-
anästhesie mit Betheiligung des Geruchs, Geschmacks, Gehörs und Gesichtsfeldes
und linksseitige Hemiparese). Zu diesen rein hysterischen Symptomen gesellten
sich später rechterseits Symptome der Basedowschen Krankheit, nämlich Exoph¬
thalmus des rechten Auges mit dem Graefe’schen Symptom und Tremor der
Finger der rechten Hand; daneben zeigte sich eine Pulsbeschleunigung bis zu
120 Schlägen in der Minute.
Auffallend war, dass die primären hysterischen Erscheinungen einer Behand¬
lung und jeweiligen Besserung zugänglich waren, ja seit 6 Jahren zum Theil
ganz verschwanden, während die übrigens gutartigen Basedow-Symptome unver¬
ändert bestehen blieben.
Am Merkwürdigsten war aber, dass eine 18jähr. Tochter der Patientin seit
ihrem 13. Lebensjahre an genau denselben hysterischen Erscheinungen der linken
Körperhälfte litt, ohne dass bisher die Zeichen einer Basedowschen Krankheit
aufgetreten waren. Facklam (Lübeck).
28) Beitrag zur Aetiologie der Basedow'sehen Krankheit und des Thy-
reoidismus, von Dr. Robert Breuer. (Wiener klin. Wochenschr. 1900.
Nr. 28.)
Im 1. Falle handelte es sich um einen 43jähr., vorher gesunden Mann, bei
dem sich im Anschluss an eine acute, durch Staphylococcus bedingte abscedirende
Thyreoiditis ein typischer schwerer Basedow mit wohl ausgebildeten Augen-
Bymptomen entwickelt hatte. Die Krankheit führte nach einem halben Jahre,
zuletzt unter dem Bilde einer Psychose, zum Tode. Bei der Autopsie fand sich
in der Schilddrüse ausser den Resten des Abscesses eine diffuse Hyperplasie des
Organes mit leichten sklerotischen Veränderungen.
Der Fall ist insofern beachtenswerth, als sämmtliche Symptome, auch die
Augensymptome, wohl sicher thyreogener Natur waren, da es doch kaum angeht,
für den Exophthalmus eine besondere Ursache anzunehmen. Der Fall spricht
einerseits gegen jene Autoren, welche nur auf Grund einer eigentümlichen Neu¬
rose sich den echten Basedow erklären können, andererseits macht er wahrschein¬
lich, dass auch in anderen, nach Schreck u. s. w., vielleicht in Folge einer con-
gestiven Hyperämie der Schilddrüse entstandenen Fällen, der Exophthalmus wie
die übrigen Symptome rein thyreogener Natur sei.
Einer Reihe von anderen Fällen Basedow'scher Krankheit oder verwandter
Symptomencomplexe war der Entwickelung des Krankheitsbildes therapeutischer
Jodgebranch vorausgegangen.
Bei 4 Fällen (3 Frauen, 1 Mann) mit alter Struma, bei welchen der Struma
wegen oder wegen Gelenkschmerzen oder Arteriosklerose Natrium- oder K&lium-
jodat gegeben wurde, entwickelte sich unter gleichzeitiger Verkleinerung der
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Stroma ein dem constitutioneilen Jodismus entsprechendes Krankheitsbild: Schwäche,
Zittern, Herzklopfen, Tachykardie, Durchfälle, psychische Erregung, rapide Ab¬
magerung. Zwei Mal war Gräfe, ein Mal Stellweg positiv. Diese Symptome
überdauerten das Aussetzen der Jodtherapie Monate lang. Exophthalmus war
nie aufgetreten, 3 Mal aber war eine weitere Lidspalte und Btarrer Blick zu
conrtatiren.
In 5 weiteren Fällen entwickelte sich nach der Joddarreichung ein typischer
Buedow mit deutlichen Augensymptomen (Exophthalmus, Gräfe, Stell wag). In
3 Fallen fehlten vorher alle Symptome des Basedow bis auf eine leichte Struma.
Ja xweien dieser Fälle war gegen letztere Jod-Jodkalisalbe gebraucht, im 3. Falle
Pinselung der Nase mit Jodglycerin vorgenommen worden. In zwei weiteren
Fallen hatte schon vor der Jodbehandlung Herzklopfen bestanden, in einem Falle
mit, in dem anderen ohne gleichzeitige Struma. Im ersteren Falle waren Ein¬
reibungen mit Jodsalbe vorangegangen, im anderen wegen Wallungen und Kopf¬
schmerzen Pillen mit 0,1 Kal. jod. verordnet und durch 6 Wochen deren je
nrei täglich genommen worden. In beiden Fällen typischer Basedow im Anschluss
au die Therapie. Daran reiht Verf. einen Fall von Basedow, welcher bis auf
leicht« Struma und geringen Exophthalmus geheilt, der aber im Anschluss an
Jodpinselungen gegen eine Bursitis praepatellaris wieder recidivirte.
In den ersten 4 Fällen von Jod-Thyreoidismus handelte es sich durchweg
am ältere, mehr als 50 Jahre alte Leute, in den Fällen von wirklichem Basedow
nach Jodgebrauche aber um jüngere weibliche Individuen.
Auf Grund dieser Beobachtungen fordert Verf. zur Vorsicht auf in der Jod-
medieation bei Patienten, welche an Herzklopfen leiden, und ebenso bei älteren
«ruinösen Individuen und bei allen mit Strumen behafteten Frauen. Ob derartige
Beobachtungen, wie die mitgetheilten, von localen Verhältnissen abhingen und
örtlich begrenzt sind, werden erst weitere Forschungen lehren.
Als Ursache des Jod-Thyreoidismus und Jod-Basedow ist die durch Jod an¬
geregte Schilddrösenresorption anzusehen. Das differente Verhalten verschiedener
Individuen lässt Bich durch verschiedene Empfindlichkeit des Organismus gegen
das Schilddrüsensecret erklären. Der Umstand, das der Jod-Thyreoidismus vor¬
wiegend bei älteren, der Jod-Basedow bei jüngeren Individuen auftritt, deckt
«ich mit der Thatsache, dass ältere Individuen wenig zu Basedow incliniren.
Auch diese Fälle sind ein weiterer Beleg für die thyreogene Aetiologie der
Basedow’schen Krankheit. J. Sorgo (Wien).
39) Basedow’sche Krankheit mit Myxödemsymptomen , von Doc. Dr. Jos.
A. Hirschl. (Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 27.)
Patientin, eine 33jähr. Frau, erkrankte an Typhus abdominalis, und im An¬
schlüsse entwickelte sich eine typische Basedow’sche Krankheit. Nach 2 Monaten
lieaaen die Herzpalpitationen nach, und es entwickelte sich nun eine Erkrankung
der Gesichtshaut, in wulstartiger Verdickung der Haut am Rande des Unter¬
kiefers bestehend und in teigiger Consistenz des Unterhautzellgewebes, und Ver¬
änderungen der Haut der Unterextremitäten. Haut und Unterhautzellgewebe
verdickt, die Haut rothhraun, glanzlos, abschilfernd, faltenlos, mit erweiterten
Follikelöffnungen, in denen die Haare fehlen. Die Haut ist kälter, straff ge¬
spannt, Faltenbildung unmöglich. Durch Fingerdruck ist die Haut nicht ein-
drüekbar. Diese Veränderung setzte sich am Fussgelenke scharf ab. Rechts
derselbe Process, nur geringer entwickelt. Zugleich machte sich Vergesslichkeit
bemerkbar, und es trat Genitalatrophie auf. Herzpalpitationen, Tachykardie,
Schweisse und alimentäre Glykosurie fehlten.
Das Zusammenvorkommen von Myxödem- und Basedow-Symptomen bei einem
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Individuum erklärt Bich Verf. so, dass Basedow-Symptome noch fortbesteheu
können, wenn auch die Hypersecretion der Drüse bereits aufgehört hat. Klinisch
entspräche diesem Zustande eine Heilung des Processes mit Zurückbleiben von
Basedow-Symptomen. J. Sorgo (Wien).
30) Sur un cas de sommeil prolongö pendant sept mois par tumeur de
Thypophyse, par F. Soca. (Nouv. Iconogr. de la Salp. 1900. XI3L S. 101.)
I8jähr. Mädchen fällt eines Tages plötzlich ohne vorhergehende Krankheits¬
erscheinungen beim Baden bewusstlos um. Nach dem Erwachen bemerkt sie eine
Schwäche beim Gehen, Unsicherheit des Ganges und klagt über heftige Kopf¬
schmerzen. Die Gehstörung nimmt rapide zu, ebenso verringern sich die Körper¬
kräfte zusehends, so dass sie 3 Wochen nach diesem Anfall ins Hospital gebracht
werden muss. Bei der Aufnahme: Visus fast = 0, beiderseitige Atrophia optici,
Pupillen erweitert und lichtstarr, heftiges Erbrechen, Abnahme der Intelligenz.
Keine Augenmuskellähmungen. — Das Erbrechen hört nach 5—6 Tagen ganz
auf; ebenso verlieren sich nach wenigen Tagen die Kopfschmerzen. Aber schon
am Tage nach der Aufn ahm e fällt Patientin in einen 7 Monate lang anhaltenden
Schlaf, aus dem sie indessen jederzeit für wenige Augenblicke erweckt werden kann,
und aus dem sie zuweilen auch spontan erwacht, aber nur um alsbald wieder
einzuschlafen. Es gelingt, während des künstlichen Wachens ihr Nahrung zu
geben und sie auch zum Sprechen zu bringen, aber sie bleibt müde und sohläft
gleich wieder ein, wenn man sie in Ruhe lässt. Der körperliche Status blieb
während der ganzen Zeit der gleiche. 15 Tage vor ihrem Tode ergab die Unter¬
suchung Folgendes: Hochgradige Intelligenzschwäche, keine Sprachstörung, völlige
Amaurose, keine AugenmuBkellähmungen. Abnahme des Geruchsvermögens rechts,
hochgradige Schwäche der gesammten Musculatur, die r. > 1.; Steigerung der
Patellarreflexe. Niemals Convulsionen. Keine Pulsverlangsamung. — Sie starb
sehr rasch an einer tuberculösen Bronchopneumonie.
Sectionsergebniss: Mandarinengrosses Sarkom der Basis, ausgehend von
der Hypophyse. Dasselbe sass auf der Sella turcica, hatte die Optici mit Chiasma,
die Corpp. mamillaria und das Tub. cinereum in sich aufgenommen, war biB in
den 3. Ventrikel vorgedrungen und hatte die Hirnschenkel und Olfactorii leicht
comprimirt, die Oculomotorii aber nur umwachsen, ohne dieselben zu comprimiren.
Verf. knüpft hieran Bemerkungen über Art und Vorkommen des prolongirten
Schlafes bei Hirntumoren. Nicht zu verwechseln sei dieses Symptom mit der viel
häufiger beobachteten Somnolenz oder dem prämortalen Koma Hirnkranker; ebenso
wenig könne hier an einen hysterischen Schlafzustand gedaoht werden. Am meisten
Aehnlichkeit zeige dieser Fall mit den von Gayet undWernicke beobachteten,
wo der Tumor auch an ähnlicher Stelle (Basis des 3. Ventrikels) sass. Weitere
Schlüsse will Verf. hieraus aber nicht ziehen.
Bemerkenswerth an dem Falle ist noch, dass die Kranke das Bernhardt’sche
Symptom der Hypophysentumoren (Abnahme der Sehkraft bei ophthalmoskopisch
normalem Verhalten der Sehnerven) nicht zeigte, und dass die Oculomotorii,
trotzdem sie von Tumormasse umwachsen waren, ihre Function nicht eingebüsst
hatten, wie es sonst die Regel bei Tumoren der mittleren Schädelgrube ist. Dies
findet seine Erklärung in der Weichheit des Tumors, der das widerstandsfähigere
Nervenpaar nicht hatte comprimiren können. Facklam (Lübeck).
31) Un oaso dl aoromegalia, par E. Venuti. (Clinica med. ital. 1900. Nr. 6.)
Verf. theilt einen Fall von Akromegalie mit, die sich bei einem früher ge¬
sunden, hereditär nicht belasteten Manne im 29. Lebensjahr im Anschluss an eine
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Inflnenza entwickelte. Vorher schon hatte der Patient an hartnäckigen, circum-
scripten Knoten in der Haut der Oberlippe gelitten, die den Verdacht einer
syphilitischen Affection erweckt hatten. Die subjectiven Beschwerden bestanden
besonders in Kopfschmerzen, Ohrensausen, Mattigkeit Objectiv fanden sich Ver-
grösserungen im Gesicht, dem Unterkiefer, der Zunge und den Rachenorganen,
leichte Kyphose, sowie Vergrösserung der Hände und Füsse. Die Potenz war
aufgehoben. Valentin.
32) Zur Klinik der Akromegalie, von Dr. L. E. Bregman, Primärarzt an
der Abtheilung für Nervenkranke im israelitischen Spital in Warschau.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVII.)
Der 44 Jahre alte Patient hatte seit der Kindheit, ebenso wie eines seiner
Geschwister und eines seiner Kinder, auffallend grosse Daumen (familiärer, par¬
tieller Riesenwuchs). Mitte der 30 er Jahre begannen Erscheinungen der Akro¬
megalie herVorzutreten, die sich schliesslich zu einem typischen Krankheitsbilde
vereinigten. Irgendwelche Symptome eines Hypophysistumors fehlten, weshalb
Verf. auch vorzieht, die Ursache der Erkrankung in einer Affection des Nerven¬
systems zu suchen. Wie die Radiographie ergab, war die Vergrösserung der
Hände vorwiegend auf Verdickung der Weichtheile zurückzuführen. Von Besonder¬
heiten bei diesem Fall ist ferner Folgendes hervorzuheben: Einmal fand sich
Diabetes mellitus mit entsprechenden Veränderungen des Augenhintergrundes.
(Bef. vermisst einen Hinweis, dass die bei dem Pat. beobachtete allgemeine Körper-
schwäche, leichte Ermüdbarkeit, Impotenz, Abnahme der Patellarreflexe direct von
dem Diabetes abhängen können.)
Bemerkenswerth sind noch folgende Erscheinungen: Starke Atrophie der
linken Zungenhälfte, Atrophie der Schultergürtelmuskeln, besonders des linken
M. supra- und infraspinatus, Haarausfall und Hautschuppung der linken Kopf¬
hälfte, leichte Parese der linken Körperhälfte mit geringen, nur im Gesicht deut¬
lichen Sensibilitätsstörungen, eine anamnestisch eruirte, vorübergehende Anschwellung
in der Umgebung des rechten Auges (vasomotorische Störung).
E. Asch (Frankfurt a/M.).
33) A oase bearin g upon the pathology of aoromegaly, by Percy G. Lodge.
(Brit. med. Journ. 1900. 28. Juli.)
Ein 22jähr. Mann, dem wegen eines Rundzellensarkoms der rechten Tibia
der Oberschenkel amputirt wurde, erkrankte etwa 9 Monate nach der Operation
an hochgradigen Schwellungen (Vergrösserung) der Hände, besonders der Finger,
entsprechend dem Krankheitsbilde der Akromegalie. — Allmähliche Abnahme der
geistigen Function, Marasmus; schnell eintretender Tod. Eine Section wurde
nicht gemacht.
Verf. nimmt als Ursache der Akromegalie eine Metastase in der Hypo-
physis an. E. Lehmann (Oeynhausen).
34) Gigantisme, aoromögalie et diabdte , par Ch. Achard et M. Loeper.
(Nouv. Icon, de la Salp. 1900. XIII. S. 398.)
34jähr. Mann von 2,12 m Länge, der aus einer Riesenfamilie stammt (Vater
maass 1,95 m, eine Schwester 1,80 m und ein Bruder des Vaters 2,10 m), kommt
wegen Schmerzen in den Beinen in die Klinik. Bei der Untersuchung zeigte
sich, dass er an Diabetes litt. Ausserdem fanden sich einige nicht sehr aus¬
geprägte Zeichen einer neben dem Riesenwuchs bestehenden Akromegalie. An¬
zeichen einer Erkrankung der Hypophysis Hessen sich sonst nicht nach weisen.
Facklam (Lübeck).
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35) Ueber einen Fall von aonter, maligner Akromegalie, von Dr. Rob.
Gubler (Turbenthal). (Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1900.
Nr. 24.)
Die Krankheit begann bei der damals 30jährigen Frau mit Aufhören der
Menses, Kopf- und Gliederschmerzen. Dann trat ein Schwächezustand, psychische
Depression und Abnahme der Sehkraft auf. 3 Jahre nach Beginn des Leidens
bot Patientin das typische Bild der Akromegalie, 4 Jahre nach Anfang der
Krankheit starb Patientin; die Section ergab eine Struma parenchymatosa bypo-
phyBeos.
Als besonders bemerkenswerth in seinem Falle hebt Verf. hervor: das erste
Anzeichen des Leidens bildete das Aufhören der Menses, ein weiteres Frühsymptom
waren rheumatoide Schmerzen, welche Verf. als Akroparästhesieen auffasst. Einer
starken Herabsetzung der Sensibilität im Bereich des rechten Trigeminus folgte
1 / 2 Jahr später eine starke Steigerung, was sich durch Lähmung bezw. später
Reizung des Ganglion Gasseri seitens der Hypophysisgeschwulst erklären lässt
Betreffs der durch die Hypophysisstruma bedingten Sehstörungen sind die inter¬
essanten Einzelheiten im Originale nachzulesen.
Auf Grund des pathologisch-anatomischen Befundes, welcher nicht ein Sarkom
der Hypophysis, sondern eine acute diffuse Hyperplasie derselben ergab, glaubt
Verf. die Akromegalie als Folge einer abnormen Steigerung der Functionen deg
Himanhanges, verbunden mit einer gewissen Perversität derselben, nicht — wie
Sternberg — als Folge des Ausfalls der physiologischen Functionen der
Hypophysis ansehen zu müssen. Die Akromegalie würde hiernach nicht mit dem
Myxödem, sondern eher mit dem Morbus Basedowii in Parallele zu setzen sein.
Kurt Mendel.
36) Contribati clinioi ed anatomo-patologioi alla oonosoenza delT aoro-
megalia (malattia di Marie), per Edoardo Bonardi. (Morgagni. 1899.
Nr. 9.)
Verf. berichtet über 4 neue Fälle von Akromegalie, von denen einer zur
Autopsie kam und eine Atrophie der Hypophyse und Hypertrophie der Epi¬
physe aufwies, neben Atrophie und kalkiger Degeneration der Schilddrüse, aus¬
gesprochener Arteriosklerose, Stenose und Insufficienz der Aorta, Insufficienz der
Mitralis, chronischer interstitieller Nephritis und Stauungsleber, ausserdem am
Nervensystem diffuse Sklerose des Rückenmarks, speciell in den Vorderseiten¬
strängen, aber auch in den Hinteraträngen. Verf. bespricht sodann die so häufig
bei der Akromegalie gefundenen cardio-vasculären Störungen (grosses, schlaffes
Herz, Klappenfehler, Atheromatose und Erweiterungen der Aorta u. s. w.). Von
den 4 Fällen zeigt einer deutliche Heredität; diese war auch in einem früher
von dem Verf. publicirten Falle vorhanden. In allen Fällen handelte es sich um
Individuen, die vielen Strapazen und Entbehrungen ausgesetzt waren.
Der erste Fall des Verf.’s zeigt als interessante Complication eine Lähmung
des rechten N. radialis, der zweite eine Combination mit Tabes dorsalis,
der vierte schwere sympathische Störungen (Hyperhidrosis unilateralis faciei
et colli, bläulichrothe Färbung der Haut, Erhöhung der Temperatur und Exoph¬
thalmus derselben Seite), Hyposmie und Hypogeusie. In drei von diesen Fällen
und einem früher beschriebenen Falle bestand Kopfschmerz, der in 2 Fällen
anfallsweise sehr stark, mit Nausea und zuweilen Erbrechen, auftrat. Einmal be¬
stand doppelseitige Stauungspapille, einmal temporale Atrophie mit concentrirter
Gesichtsfeldeinschränkung. (In dem zur Autopsie gekommenen Falle ist keine
Untersuchung des Augenhintergrundes gemacht worden.)
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Die Hypertrophie der Epiphyse in dem einen Falle erklärt Verf. unter Zu-
bülfenabme der Entwickelungsgeschichte (rudimentäres Parietalauge) als Theil-
erseheinung der Hypertrophie der einzelnen Schädeltheile. Die mikroskopische
Cntersuchung der Musculatur (die intra vitam sehr leicht ermüdete), ergab nur
Verschmälerung oder Verbreiterung der Markfasern ohne jede Degeneration und
mit Erhaltung der Querstreifung.
Therapeutisch wurden in einem Falle (in dem mit sympathischen Störungen
eombinirten) Thyreoidintabletten (Merck) gegeben und daneben bitemporale
Galvanisation, abwechselnd mit Faradisation des Sympathicus, erfolgreich angewandt.
H. Gessner (Nürnberg).
37) Caae of aoromegaly and infantile myxoedema ooooring reapeotively
in father and daughter, by J. M. Pope and Astley V. Clarke. (Brit.
med. Joum. 1900. 1. December.)
Mittheilung der Krankengeschichten (Abbildungen) von Vater und Tochter,
von denen erste rer seit Beinern 14. Lebensjahr an Akromegalie, letztere seit dem
5. Jahre an infantilem Myxödem leidet. Die Verff. weisen auf die von anderen
Autoren (Sternberg) betonte Aehnlichkeit beider Affectionen hinsichtlich gewisser
Symptome hin und sind geneigt, in den mitgetheilten Fällen eine mangelhafte
Function der Glandula thyreoidea als Ursache anzunehmen, welch erstere hereditär
vom Vater auf die Tochter übertragen sei. — Zu bemerken ist, dass der Vater
ein etwas gedunsenes Gesicht hatte, welches ebenso wie die Hautscbwellungen
der Hände nach Darreichung von Thyreoidextract sich besserte.
E. Lehmann (Oeynhausen).
38) Obduetionsbefand eines Falles von Akromegalie, von E. Mendel.
(Berliner klin. Wochenschr. 1900. Nr. 46.)
Bei der 29jähr. Patientin, welche die typischen Erscheinungen der Akro¬
megalie bot (insbesondere noch Hemianopsia temporalis, Anschwellung der Schild¬
drüse, Fehlen der Patellarreflexe, Cessatio mensium), erfolgte nach 6jähr. Bestehen
der Krankheit plötzlich in einer heftigen Schmerzattaque der Exitus.
Die Section ergab an der Hirnbasis in der Gegend des Chiasma opticum ein
mehr als waUnussgrosses Rundzellensarkom. Die Traotus optici sind in ein Paar
dünne Strange ausgezogen und durch die Geschwulst in ihrer Lage stark ver¬
schoben. Das Cbiasma erscheint wie ein dünnes, fast bindegewebig aussehendes
Band. Von dem normalen Gewebe der Hypophysis ist nichts mehr vorhanden.
Schilddrüse durch Entwickelung oolloider Massen stark vergrössert; persistirende
Thymusdrüse, Milz vergrössert (20:8), Mammae auffallend stark, rechtes Ovarium
kleincystisch degenerirt
Verf. glaubt nicht, dass all die pathologischen Veränderungen lediglich auf
die Erkrankung der Hypophysis bezw. auf die gestörte oder ausgefallene Function
derselben zurückzuführen sind, hält es vielmehr für wahrscheinlich, dass die Akro¬
megalie eine allgemeine Erkrankung der Blutdrüsen, durch ein unbekanntes Gift
hervorgerufen, darstellt, bei welcher mit besonderer Vorliebe und Häufigkeit die
Hypophysis ergriffen wird.
Das Fehlen der Patellarreflexe führt Verf. nicht auf Rückenmarksveränderungen,
sondern auf den Hirntumor zurück. Kurt Mendel.
39) Zur Lehre vom myxödematosen Irresein und über Sohilddrüsen-
therapie bei Geisteskranken, von Pilcz. (Jahrbücher f. Psych. u. Neurol.
1901. XX. S. 77.)
45jähr., erblich belastete Frau. Melancholisches Zustandsbild mit ungeheuer¬
lichen nihilistischen und pessimistischen Wahnideeen. Trotz derselben auffallend
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asthenischer Affect, eigentümlich apathisch-torpides Verhalten. Nach etwa ein¬
jährigem Bestehen der Psychose entwickeln sich ziemlich rasch alle somatischen
Erscheinungen des Myxödems. Unter Thyreoidinbehandlung rascher Rückgang
sowohl der körperlichen wie der psyohischen krankhaften Symptome. Heilung.
Bei Aussetzen der Behandlung rascher Rückfall, der nach neuerlicher specifischer
Organotherapie wieder schnell von Genesung gefolgt ist. Dieses Mal anscheinend
Dauerheilnng, da nach abermaligem Aussetzen der Behandlung die Patientin
gesund blieb.
Das Myxödem zieht in fast allen Fällen eine Beeinträchtigung der psychischen
Sphäre nach sich; die allgemeinen psychischen Störungen bestehen in Verlangsamung
und Hemmung der psychischen Leistungen, in Apathie, Schlafsucht, Verlust des
Gedächtnisses. Neben diesen allgemeinen Störungen, für welche Verf. den Aus¬
druck „myxödematösen Geisteszustand“ vorschlägt, kommen ausgesprochene Psychosen
vor, „das myxödematöse Irresein“. Die Geistesstörungen weisen unter einander
symptomatologisch keine Uebereinstimmung auf (manische, melancholische Zustands¬
bilder, Wahnideeen, Sinnestäuschungen u. s. w.), erhalten aber durch den gleich¬
zeitig bestehenden allgemeinen myxödematösen Geisteszustand ihre eigenartige
Färbung. Die Frage, ob bei einem Myxödemkranken mit Psychose eine einfache
Combination vorliegt, oder ob die Geistesstörung als abhängig vom Myxödem, als
Symptom desselben zu betrachten ist, lässt sich ex juvantibus, d. h. durch den
Erfolg der Schilddrüsentherapie auch auf die Psychose entscheiden. Fälle selbst
12jähr. Bestehens der Geistesstörung bei Myxödem heilten noch unter Thyreoidin¬
behandlung. Andererseits giebt es Combinationen irgend einer chronischen, un¬
heilbaren Psychose und von Myxödem, wobei die Behandlung nur das letztere,
natürlich nicht die Geistesstörung (Paranoia, Zirkel Wahnsinn u. 8. w.) beeinflusste.
Das myxödematöse Irresein entwickelt sich in der Regel erst nach längerem
Bestehen der somatischen Symptome, kann denselben auch manchmal vorausgehen;
es befällt, wie das Myxödem überhaupt, vorwiegend weibliche Personen. Zur
Stellung der Diagnose in Fällen mit wenig ausgesprochenen oder noch fehlenden
körperlichen Symptomen wäre es nothwendig, viele und symptomatisch möglichst
detaillirte Krankheitsgeschichten zu erhalten. (Verf. verweist auf diesbezügliche
Mängel in der einschlägigen Casuistik.) Ferner ist es wichtig, nach den Er¬
scheinungen der „Formes fruBtes“ des Myxödems zu fahnden. Verf. macht be¬
sonders aufmerksam auf die Untersuchungen von Hertoghe über die „Hypo-
thyreo'idie benigne chronique“.
Verf. bespricht schliesslich die Schilddrüsentherapie bei nicht myxödematöseu
Geisteskranken, welches Verfahren besonders von englischer und amerikanischer
Seite eingeschlagen und ausgebaut wurde. Es werden dabei hohe Dosen (12 Tabletten,
i. e. 60 grains pro die!) gegeben. Gefahr plötzlicher Herzschwäche (2 Todes¬
fälle). Es liegen einige sicher gestellte Fälle vor von Heilungen secundärer Demenz.
Die meisten der berichteten Heilungen halten aber einer Kritik nicht Stand, da
es sich um Krankheitsbilder handelt, welohe einer Spontanheilung in hohem
Maasse zugänglich sind (Fälle von acuter Melancholie, Amentia u. s. w.).
Verf. hatte 5 Fälle secundärer «Demenz nach acuter Psychose der Thyreoidin-
medication unterzogen; der Erfolg war gänzlich negativ. Bemerkenswerth waren
die somatischen Erscheinungen während der Behandlung: Tachykardie bis 140,
Sinken des Blutdruckes um 40—50 mm Hg, Abnahme des Gewichtes, zwei Mal
subfebrile Temperatur (37,5), Albumosurie, zwei Mal Auftreten von Aceton; io
einem Falle bedeutende gastrische Störungen und starke Indicanurie.
(Autoreferat.)
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40) Beitrag sur Sohüddrüaenbehandlung, von Dr. J. Schubert. (Festschrift
rar Feier des 50jähr. Bestehens des Stadtkrankenhauses zu Dresden.)
Verf. berichtet Ober einen ziemlich schweren Fall von Myxödem, bei dem 3 Mal
täglich 0,3 g Schilddrüsensnbstanz in Form der Tabletten den Kranken binnen weniger
Monate wieder vollständig herstellte, so dass er seine thierärztliche Praxis wieder
selbst übernehmen konnte. Nachdem der Kranke das Mittel dann noch ein Viertel¬
jahr fortgenommen hatte, wurde es ausgesetzt. Schon nach einigen Wochen kehrten
die Beschwerden und objectiven Symptome wieder zurück und verschlimmerten sich
bald so erheblich, dass die Behandlung mit dem Mittel wieder aufgenommen
wurde. Nach 1 1 / a Jahren, während welcher Zeit Pat. sich bei fortgesetzter Einnahme
von 3 Mal täglich 0,3 g Thjrreoidin vollständig wohlbefand und nie eine Steigerung
da- Herzthätigkeit, sondern im Oegentheil eher eine niedrigere Pulsfrequenz wie
früher beobachten liess, auch seltener Anfälle von Herzschwäche, die schon vor der
Thjreoidinbehandlung bestanden hatte, versuchte Verf. noch einmal die Tagesmenge
tu verringern, aber auch diesmal traten bald wieder Beschwerden hervor. Es konnte
in diesem Falle also nicht von einer Heilung des Myxödems, sondern nur von einer
temporären Beseitigung der Symptome die Bede sein.
Die Thatsache, dass in diesem Falle im Laufe der Zeit 2250 Stück Schild¬
drüsentabletten ä 0,3 g Drüsensubstanz ohne die kleinste objective und subjective
Schädigung genommen worden waren, ferner die Mittheilungen von Fällen, in denen
selbst sehr grosse Mengen Schilddrüsentabletten auf einmal eingenommen keinen
Schaden gestiftet hatten (90 Tabletten ä 0,3 g von einem Kinde, Becker, Deutsche
med. Wochenschr. 1895. Nr. 37; Buschan, ebendort 1895. Nr. 44), legten Verf.
den auch schon von anderer Seite ausgesprochenen Qedanken nahe, dass es sich bei
dem sogen. Thyreoidismus nur um Folgen des Genusses verdorbener Präparate handle.
Er und ein anderer Dresdner Arzt machten daher Versuche an sich mit Tabletten,
die aus derselben Quelle bezogen, ebenfalls stets geruch- und geschmacklos waren,
vie diejenigen, die obengenannter Patient eingenommen hatte.
Man begann mit 2 Tabletten ä 03 g und stieg täglich um 2. Am 4. Tage,
also nach Genuss von 8 Tabletten, spürte Verf. fliegende Hitze und leichte Unruhe.
Dazu kamen am 5. und 6. Versuchstage noch Herzklopfen, Kopfschmerzen, schlechter
Schlaf, quälende Träume, Mattigkeit Am 7. Tage, an dem 12 Tabletten genommen
wurden, trat ein ziemlich lang anhaltender Anfall von Angina pectoris auf, nach
dem auch Zucker in ziemlicher Menge im Ham nachweisbar war. Nach Anssetzen
der Tabletten verschwanden alle Beschwerden innerhalb zweier Tage. — In dem
anderen Falle stellten sich erst am 6. Versuchstage Gefühl von fliegender Hitze,
0ppreesion8gefühl und Mattigkeit ein und verloren sich sofort nach Aussetzen des
Mittels. Im Urin kein Zucker und Eiweiss.
Durch diese Versuche wurde bewiesen, dass die Symptome des Thyreoidismus
auch durch den Genuss unverdorbener Schilddrüsentabletten hervorgerufen werden
können. Sehr wahrscheinlich ist, dass verdorbene Präparate diese Symptome ver¬
schlimmern und beschleunigen. Meist wird sich dann nebenher als Hauptsymptom
der Fleischvergiftung Diarrhoe finden. Die Annahme Buschan’s, dass „durch Be¬
vorzugung vegetabilischer Kost während der Schilddrüsenkur der Thyreoidismus ver¬
mieden werden könne/ 1 fand Verf. bei diesen Versuchen nicht bestätigt. Denn ob¬
gleich er in diesen Tagen Fleisch und Alkoholika möglichst bei Seite liess, wurde
er doch von ziemlich erheblichen Sypmtomen betroffen, während die andere ärztliche
Versuchsperson, die weniger erkrankte, die Diät nicht geändert hatte.
Verf. empfiehlt mit Rücksicht auf die aus diesen Versnoben hervorgegangene
Thatsache, dass die verschieden starke Wirksamkeit der Schilddrüse sich aus der
verschieden grossen Empfindlichkeit des einzelnen Individuums erklärt, mit kleinen
Dosen zu beginnen und diese nur dann zu steigern, wenn ein Erfolg nicht oder
nicht mehr zu constatiren ist Meitzer (Colditz).
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282
Psychiatrie.
41) The relation of oriminality in the offspring to alooholism in the
parents, von Louise G. Robinovitoh (New York). (Medico-Legal Journal.
1900. December.)
Von 50 Verbrechern, die in St. Anne (Paris) für geistig gesund und zu¬
rechnungsfähig befunden wurden, waren 48°/ 0 durch Alkoholismus des Vaters
oder der Mutter oder beider belastet. Eine von anderer Seite vorgenommene
Nachforschung im „State Reformatory“ in New York (8827 Fälle) ergab 47,6 °/ 0
derart belasteter, nicht geisteskranker Verbrecher. Die beiden Zahlen stimmen
also völlig überein. (Ob alle diese Verbrecher geistesgesund waren, darüber
Hesse sich vielleicht streiten. Ref.) Trunksüchtige Eltern bekommen nicht nur
schwächere Kinder wie andere Eltern, sondern überhaupt weniger Kinder (was
im Grunde gar kein Unglück ist). Ed. Hess (Stephanefold).
IIL Aus den Gesellschaften.
13. internationaler medioinisoher Congress in Paris vom 2. bis
0. August 1900.
(Fortsetzung.)
Neurologische Seotion.
Herr G. Marinesco: Ueber das Wesen und die Behandlung der aouten
Myelitis.
Jede acate Myelitis ist gekennzeichnet durch krankhafte Veränderungen der
Gefässe, des Stützgewebes und der Nervenzellen. Letztere verfallen rasch der Dege¬
neration. Die bei sehr vielen Fällen von Myelitis sichtbaren Gewebsschädigungen
erweisen sich als hämorrhagische Erweichung, als eine Folge der durch toxische und
infectiöse Einflüsse bewirkten Circulationsstörungen. Je nach Ausdehnung und Topo¬
graphie dieser Gefässalterationen kann man mit Leyden und Goldscheider mehrere
Arten von Myelitis annehmen: Eine transversale, eine diffuse auf- und ab¬
steigende, eine disseminirte, und eine Polio-Myelitis.
Mit dem Studium dieser letzteren hat sich Pierre Marie beschäftigt,
dessen Anschauungen Vortr. vollkommen beistimmt. Vortr. hatte Gelegenheit,
6 Fälle von acuter Myelitis zu beobachten. Bei 2 von ihnen fand er Strepto¬
coccen; bei einem dritten einen Pneumococcus, bei einem vierten einen dem
Milzbrand ähnlichen Bacillus. Im 5. Falle konnte ein Bacillus oder Coccus
nicht nachgewiesen werden. Jedoch beweist das nichts gegen die infectiöse Natur
der Myelitis, da Versuche dem Vortr. dargethan haben, dass die Microben nach
einigen Tagen aus dem Mark verschwinden, und dieser Fall wurde erst 3 Monate
nach dem acuten Einsetzen der Myelitis vom Tode dahingerafft. Im 6. Fall bestand
eine Myelitis, die Vort. in gleicher Weise einmal bei einem jungen Hunde sah und
auch beschrieben hat. Es bestand eine Meningomyelitis, sie zeigte sich in
Form von getrennten Herden, welche ganz besonders dem Verlaufe der vorderen und
hinteren Wurzelgefässe folgten. Microben fanden sich nie in den polio-myelitischen
Herden. Die aufsteigende Landry’sche Paralyse ist am häufigsten abhängig
von einer diffusen, auf- und absteigenden Myelitis, wie dies von dem Vortr., Pierre
Marie und Oettinger, durch den Fall von Ballet und Dutil gezeigt wurde.
Manchmal ist sie die Folge einer Polyneuritis. (Dejerine, Kahler, Pitres
und Vaillard, Raymond); Vortr. selbst sah einen merkwürdigen Fall dieser Art
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Die meisten Hicroben können eine Myelitis erzengen. Zuerst aber sind in
dieser Beziehung zu nennen die Streptococcen und die Pneuroococcen, sowie
die Erreger der Hundswutb. Vortr. konnte auf folgende Arten experimentell
Myelitis erzeugen:
L Durch Einspritzung von Microben in eine vom Mark entfernte Blutbahn.
2. Einführung derselben in einen Theil der Blutbahn, der das Mark direct
umspült. (Lamy’sche Methode.)
3. Durch die Nervenbahn. Einimpfung in den Hüftnerv.
4. In den BückgratcanaL
Die Methode 1 erzeugt nur selten Myelitis. Die Methode 2 bewirkt
Poliomyelitis. Die Methode 3 erzeugt ausgesprochene Menigomyelitis, die Methode 4
eine sehr bedeutende Meningomyelitis, wagrecht zu 4er Einspritzung, und abnehmend
in auf- und absteigender Richtung. Folgt man den erkrankten Gefässen, so kann
man die transversale, die disseminirte, die Poliomyelitis erkennen. Durch Abkühlen
der Wirbelsäule, durch Traumen kann man den experimentell erzeugten Process -be¬
schleunigen.
Bei jeder acuten Myelitis sind zwei leucocytäre Reactionen zu be¬
obachten:
1. Eine frtkhzeitige Abwehrreaction, bestehend in dem Auswandern der Mono-
and Polynucleären, eine Reaction, welche die Besiegung der Mikroben zum Ziele hat.
2. Eine spät eintretende leucocytäre Reaction, welche die Aufgabe bat, die aus
der Myelitis entstehenden Degenerationsproducte fortzuschaffen.
Bei durch Streptococcen bedingter Myelitis hat Vortr. das Marmorek’sche
Serum, doch ohne deutliche Resultate verwendet Denselben Misserfolg
hatte Vortr. bei der Anwendung von Methylenblau in 2 Fällen von
Meningomyelitis. Gegen die heftigen Schmerzen benutzte Vortr. mit Erfolg in
einem Falle die Injection von Cocain in die Rückenmarkshöhle.
Herr Dr. Ferrier (London); On the differential diagnosis of organio
and hyBterioal hemiplegia.
Die hysterische Hemiplegie kann eine organische vortäuschen. Es gibt wohl
kein immer gegenwärtiges Zeichen, das uns die sofortige Unterscheidung ermöglichen
würde. Die spätere Diagnose zu stellen, gelingt aber in den meisten Fällen, wenn
Folgendes beachtet wird:
1. Die persönliche und die Familien-Geschichte.
2. Die Art des ersten Auftretens.
3. Die eigentlichen Merkmale der Lähmung.
4. Ihr Verlauf und ihr Ende.
5. Das Verhalten der oberflächlichen und der tiefen Reflexe.
Zu 1. Die organische und die hysterische Hemiplegie kann in jedem Alter auf-
treten. Die Patienten mit letzterer sind neuropathisch, hysterisch. Sie hatten vorher
hysterische Anfälle, sie besitzen „Stigmata“, „Zonen“ u. s. w.
Die Kranken mit organischer Hemiplegie sind solche, die mit Ausnahme jener
Fälle, in welchen es sich um Traumen (Verletzungen des Schädels) handelt, in Folge
von Gefass-, Herz- oder Nierenerkrankungen zu Circulationsstörungen, Embolieen,
Thrombosen, neigen.
Zu 2. Die hysterische Hemiplegie zeigt sich gewöhnlich ausgelöst durch irgend
welche Nervenstörungen. Zuweilen bietet sie das Bild einer (hysterischen) Apo¬
plexie. Aber diese ist nur eine Phase des grossen hysterischen Anfalls und unter¬
scheidet sich von der wahren Apoplexie durch die Abwesenheit von Circulations-,
Athmungs-, Temperaturstörungen.
Zu 3. Die Symptome. Bei der hysterischen Hemiplegie ergreift die Lähmung
zugleich die obere und untere Extremität; aber sehr selten das Gesicht.
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Sobald dieses mitergriffen ist, zeigt es gewöhnlich auf derselben oder anf der entgegen¬
gesetzten Seite das krampfhafte labio-glossale Bild (Charcot) Das Bein ist
gewöhnlich mehr befallen wie der Arm, und beim Gehen wird es wie eine leblose
Masse nachgeschleppt. Dabei beschreibt es keine kreisförmige Linie wie bei der or¬
ganischen Paralyse. (Todd’sches Symptom.)
Die hysterische Hemiplegie ist in den meisten Fällen mit der sensitiv-sensorischen
Hemiplegie vereinigt. Bei der von Läsionen der Empfindungsbahnen der inneren
Kapsel herröhrenden Hemiplegie ist die Unempfindlichkeit selten tief. Die Sinne
(Gehör, Geruch, Geschmack) werden selten zugleich befallen, und wenn das Gesicht
mit ergriffen ist, ist es eher Hemiopie, als Amblyopie mit concentrischer Gesichts¬
feldeinengung, wie bei der Hysterie.
Die hysterische Monoplegie zeigt sich gewöhnlich als Folge eines örtlichen
Trauma und unterscheidet sich von der rindenförmigen Monoplegie durch ihre ans-
schliesaliche Beschränkung auf diese Extremität oder auf einen Theil davon und
durch die Verbindung morphologischer Unempfindlichkeit (Charcot), welche nicht
der Vertbeilung irgend eines sensiblen Nerven entspricht.
Zu 4. Die hysterische Hemi- oder Monoplegie kann eine unbestimmte Zeit danem
und bis ans Ende denselben Character von Schlaffheit behalten. Bei der organischen,
die länger als 3 Monate gedauert hat, verschwindet die Schlaffheit, um der Contractar
Platz zu machen, und diese, nur um der Atrophie zu weichen. Contracturen ent¬
wickeln sich allmählich und nicht plötzlich wie bei Hysterischen.
Die hysterischen Lähmungen zeigen grosse Variabilität, sie können nach unbe¬
stimmter Dauer plötzlich verschwinden.
Zu 6. Bei der hysterischen Hemiplegie müssen die tiefen Reflexe nicht noth-
wendig verändert sein; wahrer Fussclonus ist selten. Bei einer organischen Hemi¬
plegie sind sie dagegen immer gesteigert Clonus gehört zur Regel.
Der Plantarreflex fehlt bei der hysterischen Hemiplegie oder er ist schwer aus¬
zulösen. Wenn, so zeigt er den normalen Beugetypus.
Bei organischen Hemiplegieen (bei allen Erkrankungen der Pyramiden¬
bahnen) zeigt er den Extensionstypus (Babinski’s Zehenphänomen).
Herr W. Roth (Moskau): Le diagnostio de l’hdmiplögie org&nique et
de l’hömiplögle hystörique.
Das genaue anatomische Studium einerseits und die Analyse der pathologischen
Bedingungen und klinischen Symptome andererseits gestatten uns zwei Gruppen von
Hemiplegieen zu unterscheiden: Die organische und die hysterische.
Allerdings giebt es noch Hemiplegieen, deren Natur nicht genögend aufgeklärt
erscheint. So die Hemiplegieen bei der Migräne, bei gewissen Vergiftungen.
Ausserdem können gewisse Symptome der organischen Hemiplegieen Veränderungen in
ihrer Stärke aufweisen, selbst in Folge eines psychischen Einflusses, ohne deshalb
hysterischer Herkunft zu sein.
Die durch die anatomische Prüfung gelieferten Tbatsachen allein genügen nicht,
um das Feld der organischen Hemiplegie zu begrenzen.
Es giebt viele Hemiplegieen, welche vom klinischen Standpunkt aus zu den
organischen gerechnet werden müssen, trotz der Abwesenheit von bei der Autopsie
wahrnehmbaren Läsionen.
Die meisten aetiologischen Factoren, die bei einer gewissen Stärke
organische Hemiplegie zu erzeugen im Stande sind, können bei schwächerer
Ausbildung „functionelle“ herbeiführen. Diese „functionelle <( Hemiplegieen
haben mit der Hysterie nichts zu thun und können von den „organischen“
Hemiplegieen nicht getrennt werden.
Man kann auf diese Weise eine Hemiplegie sehen, von der man nicht weiss,
ob sie durch Hysterie, durch eine anatomische oder eine functionelle Gehirnverletzung
bewirkt ist.
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Bei den meisten Fällen können wir nnr unter Berücksichtigung der Gesammt-
faeit der Symptome eine Diagnose stellen. (Ref. weist auf Babinski und Andere,
die diesen Gegenstand behandelten, hin.)
Die hervorstechendsten Merkmale der organischen Hemiplegie
sind: A. — Die Gruppe jener Symptome, die das Syndrom der Apo¬
plexie bilden. Sie können nur ganz ausnahmsweise durch eine hysterische Apo¬
plexie vorgetänscht werden.
B. Die Herdsymptome.
1. Aphasie ln allen ihren Formen.
Es ist nicht schwer, diese von der hysterischen Stummheit zu unterscheiden.
2. Der verringerte Muskeltonus und die Lähmungen.
a) Conjugierte Abweichung der Augen.
Die Amplitude der Augenbewegungen nach der gelähmten Seite bleibt oft lange
Zeit verringert Manchmal zeigt sich diese Verringerung nur bei den willkürlichen
Bewegungen, nicht bei Reflexbewegungen, oder selbst, wenn der Kranke mit den
Augen einem Gegenstände folgt, welcher sich in den seitlichen Richtungen bewegt
b) Gesichtslähmung. Der Kranke „raucht die Pfeife“; der obere Ast des
Facialis ist ergriffen.
Die Gesichtslähmung kann derart sein, dass sie sich nur bei mimischen Be¬
wegungen zeigt Bei der hysterischen Hemiplegie ist Gesichtslähmung ausserordent¬
lich selten. Was gewöhnlich als solche bezeichnet wird, ist eine Pseudolähmung, eine
Hypotonie mit kleinen, charakteristischen Erschütterungen des Facialis der entgegen¬
gesetzten Seite, ausgelöst durch Hypertonie.
c) Abweichung der Zunge nach der gesunden 8eite und typische Dys¬
arthrie, welche in Verbindung steht mit dem Grade der Lähmung.
Bei der Hysterie zeigt Bich die Zungenabweichung unter den bekannten überaus
wechselnden Formen (Hemispasmus).
d; Die relative Intensität der Lähmung der Gliedmassen und der
Muskelgruppen eines Gliedes ist von typischer Art
Daher kommt es zu den typischen Gangveränderungen, zu den charakteristischen
Stellungen der gelähmten Glieder. Dagegen Todd’scher Gang bei den Hysterischen.
e) Die unwillkürlichen associirten Bewegungen der gelähmten
Gliedmassen.
0 Die Entwicklung der Lähmung zeigt gewöhnlich bestimmte
Bigenthflmlichkeiten.
g) Die Abnahme der Lähmungserscheinungen erfolgt in regel¬
mässiger Weise.
3. Die Contracturen sind in Form und Entwickelung charakteristisch.
4. Sehnen- und Knoohenreflexe sind hochgradig gesteigert. Sie gehen
Hand in Hand mit der Hypertonie der Muskeln. Ausnahmsweise kommt auch bei
Hysterischen Fussclonus vor.
5. Die Hautreflexe sind in ihrem Verhalten minder verwerthbar mit Ausnahme
des Zehenphänomens (Babinski.) Doch findet sich Extension der grossen Zehe in
AusnahmefäUen auch bei der Hysterie. Das Fehlen des Bauchcremasterreflexes zu
Beginn der Lähmung muss in Betracht gezogen werden.
6. Die Hemianaestheeie ist weniger deutlich, als die Lähmung; der Grad der
Anaestheeie muss nicht auf der ganzen Hälfte des Körpers gleich sein, aber man
findet nicht wie bei der Hysterie jene schroffen Uebergänge, jene segmentäre An¬
ordnung. Zuweilen besteht eine deutliche Abnahme des stereognostischen
Sinnes.
7. Hemianopsie. x
Fehlen von Alteration anderer üoherer Sinne.
8. Der peyohiaohe Zustand.
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9. Ciroulationa- und Temperaturstörungen.
10. Aouter Druokbrand.
Die Hysterie ahmt zuweilen Herdsymptome nach — aber in sehr unvollkommener
Art and Weise.
Von vornherein kann man kein Symptom als ein direct pathognomonischee be¬
zeichnen. Allein das Vorhandensein eines einaigen im Vorstehenden grossgedruckten
Zeichens sichert die Diagnose einer organischen Läsion, wenn keine Anhalts¬
punkte dafür vorliegen, dass man es mit der Vereinigung von Hysterie nnd organischer
Erkrankung zu thun habe. Die wirklichen Ursachen der organischen Hemiplegie sind
nicht immer die, die am wahrscheinlichsten scheinen; daher der Boden, auf welchem
die Krankheit sich entwickelte, die Bedingungen, unter denen sie auftritt, nur in
zweiter Linie in Betracht zu ziehen sind.
Für die Unterscheidung hysterischer und organischer Hemiplegie werden aber
sprechen — wenn die Symptome der Erkrankung keine genügenden Anhaltspunkte
liefern — die aetiologischen Factoren, die in Alter, Geschlecht, Nationalität, Lebensweise,
Allgemeinzastand der inneren Organe begründet sind. Des weiteren vorangegangene
Erkrankungen wie die Malaria, der Typhus und andere Infectionskrankheiten, wie
auch Veränderungen des Stoffwechsels, z. B. Diabetes.
Die Bedingungen, unter denen die Hemiplegie auftrat, werden ausschliessen
lassen das Bestehen einer Autosuggestion; oder sie weisen auf eine Blutung hin
(heftige Muskelanstrengungen, kalte oder heisse Bäder u. s. w.)
Die plötzliche Entstehung einer organischen Hemiplegie kann wieder ihrerseits
als Shok wirken und hysterische Symptome aaslösen.
Die vorübergehenden Hemiplegieen sind oft — mit Unrecht — alle auf
Rechnung der Hysterie gesetzt worden. Ihre Heilung kann mit irgend einem
Suggestionsverfahren zusammenfallen und so den Irrthnm erleichtern. Stets aber ist
an ihre Existenz zn denken, bevor hysterische Hemiplegie — bei Fehlen deutlicher
hysterischer Symptome — angenommen wird.
Herr Hitzig (Halle): Ueber das oorticale Sehen beim Hunde.
Der Streit um die Lehre von der Localisation der Functionen im Grosshirn ist
noch nicht entschieden. Der hauptsächlichste Gegner dieser Lehre, Goltz, hat in
einigen Punkten nachgegeben. Fast sämmtliche Anhänger der Localisationslehre
geben an, dass Verletzungen der vorderen Hälfte oder auch beliebiger anderer Theile
des Grosshirns des Hundes gleich den Verletzungen der sogenannten Sehsphäre zu
Sehstörungen führen, ohne dass sie jedoch dadurch sich zur Aufgabe ihrer localisa-
torischen Stellung hätten veranlasst gesehen. Vortragender hat schon seinerseits vor
sehr langer Zeit die Richtigkeit der Thatsachen zugestanden, dass auf Eingriffe in
den Vorderlappen des Hundes Sehstörungen folgen. Andererseits ist er von der
Richtigkeit der Localisationslehre überzeugt. Darin liegt ein Widerspruch: Wenn
seine Aufklärung gelingt, erscheint nicht nur der wesentlichste Einwand gegen die
Localisationslehre beseitigt, sondern es eröffnen sich noch tiefere Einblicke in den
cerebralen Mechanismus zumindest des Hundes. Die Lösung erschien Vortragendem
in folgender Weise möglich. Entweder hat der Hund nur ein corticales, im Hinter¬
hauptslappen liegendes Sehcentrum — oder er besitzt deren mehrere, von denen
mindestens eines im Vorderlappen liegt.
War die letztere Annahme die richtige, so musste eine snccessive Verletzung
der verschiedenen, dem Sehen dienenden corticalen Gebiete mit Nothwendigkeit eine
Summirung vorhandener oder ein erneutes Aufleben bereits verschwundener Seh¬
störungen herbeiführen.
Der Versuchsplan war somit in grossen Zügen gegeben.
Vortragender bespricht nun denselben und wählt für seine diesmaligen Be¬
trachtungen bei dem ungeheuren Material, das er seit dem Jahre 1883 erhielt, die
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287
Besprechung nur einiger Methoden und des Verhältnisses des Ojrus
sigmoides sowie der sogenannten Sehsphäre zum Sehen.
Nach Wiedergabe der Operationsmethode geht Vortragender zu den Unter*
suchungsmethoden Ober. Wir können leider an dieser Stelle dieselben nicht be¬
sprechen. Nur die hochinteressante Methode, die der Vortragende zum Nachweis
gewisser optischer Störungen anwendet, soll skizzirt werden. Mittelst derselben kann
man einen Hund wie einen Menschen periroetriren. Man lässt ihn ein Stack Fleisch
fixiren und sucht mit Hilfe eines kleineren 8tückchen Fleisches, welches mit einer
gebogenen Zange gefasst wird, von hintenher sein Gesichtsfeld ab.
Gegenüber Munk, der den Satz aufstellt, dass die bei Eingriffen in das
Vorderhirn auftretenden Sehstörungen auf eine unbeabsichtigte Be¬
leidigung der Sehsphäre beruhen, erklärt Herr Hitzig mit aller Be¬
stimmtheit nach den Ergebnissen seiner Versuche, dass Munk hierin
im Irrthum sei.
Zur Stellung, die dem Gyrus sigmoides zukommt, bemerkt Vortr.:
1. Ein zweites corticales optisches Centrum — wenn der Huud Oberhaupt ein
solches besitzen sollte—liegt jedenfalls nicht im Gyrus sigmoides; denn wenn dies der
Fall wäre, so müsste nach jeder Verletzung dieses Gyrus, und, a fortiori, nach einer
Torgängigen Verletzung der Sehsphäre, gesetzmässig eine Sehstörung eintreten. Das
Ausbleiben einer solchen, auch nur in einem einzigen Falle, macht die Annahme
unhaltbar, dass dieser Gyrus zum Sehen diene.
2. Da eine unbeabsichtigte Verletzung des corticalen optischen Centrums (wie
soeben erläutert) ausgeschlossen war, so zwingt das Eintreten von Sehstörungen nach
primären Verletzungen des Gyrus zu der Annahme, dass directe oder indirecte Ver¬
bindungen zwischen ihm und der Sehsphäre bestehen, vermittelst deren der durch
die Operation gesetzte Beiz übertragen werden und eine zeitweise Behinderung des
Sehens bewirken kann.
Die von Hitzig 1871 behufs Vornahme bestimmter Operationen empfohlene
Stelle, später von Munk A, genannt, soll das eigentliche „centrale Organ für
das Sehen“ bergen. Vortr. hat nun diese Stelle geätzt, scarificirt, aus¬
gelöffelt uud unterschnitten, ohne dass in der Regel auch nur die Spur
einer Sehstörung eintrat. Es sind daher folgende Leitsätze aufzustellen:
1. Die Stelle A x kann das eigentliche Sehcentrum im Sinne Munk’s unmöglich
sein. 8onst würde ihre Verletzung unter allen Umständen eine erhebliche und längere
Zeit anhaltende Sehstörung nach sich ziehen müssen. Dies trifft aber nur bei pri¬
mären Eingriffen in diese Region zu, während oberflächliche secundäre Eingriffe ganz
oder so gut wie ganz ohne Sehstörungen verlaufen.
2. Dagegen muss diese Stelle ebenso wie der Gyrus sigmoideus in derartigen
Beziehungen zu dem eigentlichen optischen Centrum stehen, dass dessen Thätigkeit
durch Eingriffe in jene Stelle zeitweise beschränkt oder aufgehoben werden kann.
Die Untersuchungen haben also einen Anhaltspunkt für die Exis¬
tenz von zwei oder mehreren corticalen Sehcentren nicht ergeben.
Unzweifelhaft existirt ein solches, aber weder liegt es im Gyrus sig¬
moideus, noch ist die Stelle A x von Munk als ihr vornehmster Theil
zu betrachten. A. Friedländer (Frankfurt a/M.).
(Fortsetzung folgt.)
Wiener medioinisoher Club.
8itzung vom 22. November 1899.
(Wiener med. Press. 1899. Nr. 60. S. 2111.)
Herr G. 8teiner stellt einen Fall von infantiler Entbindungsl&hmung,
Typus Erb, vor. Die Geburt des Kindes hatte in Beckenlage mit manueller Hülfe
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288
stattgefunden, und sofort wurde eine Lähmung des rechten Armes constatirt Das
heute 10 Wochen alte Kind zeigt noch an der betroffenen Extremität eine Unmög¬
lichkeit der Hebung im Schultergelenke, der Beugung im Ellbogengelenke und der
Supination des Vorderarmes. Die entsprechenden MuBkeln zeigen Atrophie, lassen
jedoch keine Entartungsreaction nachweisen. Keine wesentliche Störung der Sensi¬
bilität und keine oculo-pupillären Symptome zu constatiren. Die Entstehung der
Lähmung in diesem Falle könnte nach Vortr. ihre Erklärung finden in einer
Quetschung des Erb’schen Punktes zwischen Schlüsselbein und 1. Rippe oder in
einem Prager Handgriff oder drittens in einem Hämatom, das sich an dem rechten
Kopfbicker des Kindes findet.
In der Discussion hält im Gegensätze zu Vortr. Herr R. Neurath das Vor¬
handensein einer spinalen Läsion für wahrscheinlicher. Er hat zwei Fälle von schlaffer
Lähmung beider Unterextremitäten bei nach Wendung auf die Ferse und Extraction
asphyktisch geborenen Kindern gesehen, bei denen sich nach einiger Zeit leichte
Zehenbewegungen wieder einstellten. Der eine dieser Fälle kam zur 8ection, welche
im Rückenmarke multiple miliare Blutungen, am dichtesten in der Lendenanschwel¬
lung aufdeckte.
Herr Singer zeigt einen 20jährigen Patienten, bei welchem ein otitischer
Absoess im linken Bohlftfelappen mit bestem Erfolge beseitigt worden war. Die
Symptome desselben bestanden in rasenden Kopfschmerzen, Paraphasie, Convulsionen,
Trismus, Nackenstarre, Anfälle von Bewusstlosigkeit und amnestischer Aphasie. (Der
Fall wurde in extenso publicirh)
Sitzung vom 17. Januar 1900.
(Wiener med. Presse. 1900. Nr. 6. S. 270.)
Herr E. Redlich hält einen Vortrag über senile Epilepsie. Als solche be¬
zeichnet er jene Fälle, die nach dem 60. Jahre beginnen. Er hat etwa ein Dutzend
gesehen, wobei symptomatische Epilepsie ausgeschlossen wurde (Anfälle bei Nephritis,
Diabetes, toxischen Agentien, cerebralen Blutungen und Erweichungen). Bei der
Besprechung der eigentlichen senilen Epilepsie geht Vortr. von ätiologisch-pathogene¬
tischen Momenten aus. Der Heredität kann er trotz dahingehender Aeusserongen
anderer Autoren keine besondere Bedeutung beimessen, wohl aber Alkoholismus,
Schädeltraumen und Syphilis, besonders aber Arteriosklerose. Das Bestehen der
arteriosklerotischen Epilepsie Mit Vortr. für sichergestellt, während die cardiale Epi¬
lepsie noch zweifelhaft ist. Im Anschlüsse bespricht er noch kurz die pathologische
Histologie der Epilepsie, vor allem die von Chaslin beschriebene Gliose, sowie eigene,
als miliäre Sklerose bezeichnete Befunde bei zwei Fällen seniler Epilepsie. In sym-
ptomatologischer Beziehung findet Vortr. keinen Unterschied zwischen der senilen
und der gewöhnlichen Epilepsie.
In der Discussion sind die Bemerkungen des Hrn. H. Schlesinger hervor¬
zuheben; derselbe schliesst sich der Meinung vollkommen an, dass bei der Annahme
von causalen Beziehungen zwischen Herzkrankheit und Epilepsie die äusserste Vor¬
sicht geboten sei. Schlesinger hat durch lange Zeit alle in seine Beobachtung
gelangenden Fälle von Herzkrankheiten auf Epilepsie inquirirt und andererseits bei
allen Epileptischen auf den Zustand des Herzens besonders geachtet und nur in einem
einzigen Falle eine Coincidenz gefunden. Robert Kienböck (Wien).
Um Einsendung von Separatabdrüoken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 18.
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(Unter Mithtilfe von Dr. Kurt Mendel)
di Berlin.
Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs,
sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.
1901.
1. April.
> Leipzig,
Verlag von Veit & Comp.
1901.
Nr. 7.
ANKÜNDIGUNGEN.
Beim Stadt-Irren- und Siechenhause in Dresden sind vier Hilfsarztstellen
und zwar eine am 1. Mai und drei am 1. Juni dieses Jahres zu besetzen.
Gehalt 1000 c/ff im ersten, 1250 c'ff im zweiten und 1500 cif im dritten
Dienstjabre neben freier Station für jede Stelle.
Die Anstalt, bestehend aus dem Irrenhause (Beobaehtungsstation) mit
einer Jalivesaufnahme von 950 bei einem durchschnittlichen Bestände von
70 Kranken, und dem Sieehenhause (für chronisch Kranke jeder Art) mit
einer Jahresaufnahme von 340 hei einem Bestände von 870 Kranken, aus¬
gestattet mit Laboratorium und Sectionshaus, bietet reichlich Gelegenheit zu
wissenschaftlicher und praktischer Ausbildung. — Bewerbungen mit Nach¬
weisen sind bis zum 16. April 1901 an das Krankenpflegamt einzureichen.
Auskunft ertheilen die Oberärzte Herren Holrath Dr. Ganser und Dr. Hecker.
Bekanntmachung.
Die Stelle eines I. Oberwärters an einer psychiatrischen Klinik ist
zum 1. Juli d. Js. mit einem im Lazaretlidicnst, insbesondere der Pllege von Geistes¬
kranken erfahrenen Manne neu zu besetzen. — Anfangsgehalt 800 Mark neben
Familienwohnung und freier Station im Werthe von 0OO Mark.
Meldungen mit Zeugnissen und Photographie sind baldigst an die Annonceu-
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Kuranstalt für alle nervösen Erkrankungen, Alkoholismus, llorphiurasucht.
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Näheres durch den Prospekt. Dl*. Carl Römer.
Dr. W. Balser’s Sanatorium Köppelsdorf
bei Sonneberg in Thüringen. 390 Meter über dem Meer.
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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
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Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel)
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Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1901. TT April. Nr. 7.
Inhalt I. Originalmittheilungen. 1. Zur Pathogenese und Klinik der Wadenkrämpfe,
von Oberarzt Dr. P. Nficke in Hubertusburg. 2. Ein Fall von oberflächlicher Erweichung
des Gesammtgebietes einer Arteria fossae Sylvii, von Priv.-Doc. Dr. 6. Bikeles. 3. Zur
Histologie der Compreesionsveränderungen des Rückenmarks bei Wirbelgeschwülsten, von
Max Bielsehowsky. (Fortsetzung.)
II. Referate. Anatomie. 1. Secundäre sensible Bahnen im Gehirnstamme des
Kaninchens, ihre gegenseitige Lage und ihre Bedeutung für den Aufbau des Thalamus, von
Wallaoberg. — Experimentelle Physiologie. 2. De hyperalgetische Zonen von Head,
af Moll van Charante. — Pathologische Anatomie. 3. Lesions secondaires dans les
eeDules du uoyau de l'hypoglosse ä la suite d’un cancer de la langue, par Parhon et Goldstein.
4. Cancer de la face. Lesions secondaires dans le noyau du facial, par Parhon et Savon. —
Pathologie des Nervensystems. 5. Zur Lehre von den multiplen Hautnervenaffectionen,
zugleich ein Beitrag zur Klinik der Meralgia paraesthetica, von Schlesinger. 6 . Neuritis
aoccn dens traumatica ohne äussere Verwundung, von Brodmann. 7. Remarks on the diagnosis
and treatment of arsenical neuritis, by Bury. 8. Beitrag zur Klinik des Herpes zoster oph-
thalmicus, von KOnigstein. 9. The pathology of herpes zoster and ita bearing on sensory
localisation, by Head and Campbell. 10. Zona au cours d’une diphthörie, par Vieiiet. 11. Poly-
neuritis nach Verbrühung, von Pal. 12. Ueber einen Fall von Polyneuritis, von Zahn.
13. Ueber Poliomyelitis acuta der Erwachsenen und über das Verhältnis der Poliomyelitis
zur Polyneuritis, von StrOmpeil und Barthelmes. 14. Zur Lehre von der multiplen selbständigen
Gehirnnervenneuritis (Fall von Diplegia facialis combinirt mit Ophthalmoplegia externa), von
v. Rad. 15. Zur Kenntniss der multiplen Neuritis, von Henrlci. 16. Angioneurose und
„Neuraugiose“. Ein Beiträg zum Studium von den Beziehungen zwischen Blutcirculation
und peripherem Nervensystem, von Hanser. 17. Trois observations de polynövrites grippales,
par Caatan et Babonnelx. 18 . Beitrag zur Klinik der Landry’schen Paralyse mit besonderer
Berücksichtigung ihrer Bakteriologie und Histologie, von Kapper. 19. Ueber Landry’sche
Paralyse, von Wappenschmitt. 20. Landry’s paralysis: remarks on classiflcation, by Taylor
and Clark. 21. Landry's paralysis, by Knapp and Thomas. 22. Ueber die Verbreitung der
Leprabacillen im menschlichen Körper, von Uhlenhuth. 23. Etwas über Pellagra, von Zlatarovic.
24. Der erste Fall von pellagrosem Irresein in der steiermärkischen Landes-Irrenanstalt
Feldhof, von van Bcarpatetti. 25. Lösions nerveuses dans la pellagre (Note pröalable), par
Babas et Sion. 26. Zwei Fälle von Beri-Beri (Panneuritis endemica Bälz) an Bord eines
deutschen Dampfen, von Schmidt. 27. Ein Fall von Beri-Beri, von Seiffer. 28. Zur Klinik
und pathologischen Anatomie der Beri-Beri-Krankheit, von Rumpf und Luce. 29. The clinical
features of Beri-Beri, by Norman. 30. Des növrites palnstres, par Sacquöpöe et Dopter.
31. Zur Lehre von den alkoholischen Angenmuskellähmungen, von Raimann. 32. Polio-
eacephalitis superior acuta und Delirium alcoholicum als Einleitung einer Korsakoff’schen
Psychose ohne Polyneuritis, von Raimann. 33. Die ataktische Form der Polyneuritis alco¬
holica (Neurotabes peripherica), von HOnig. 34. Neurofibromatose gönöralisee. Autopsie, par
Mario et Couvelaire. 35. A oase of multiple neuro -fibromata of the ulnar nerve, by Keen
aod Spiller. 36. Large sarcomatons nenroma of the internal popliteal nerve, by Buchanan.
87. Die feineren Veränderungen durchschnittener Nervenfasern im peripheren Abschnitt, von
■arawioff. — Psychiatrie. 38. Psychiatrische Beiträge zur Psychologie des Rhythmus
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and Reimes, von Pick. 39. Zar Mechanik des Gedächtnisses, von Adarakiewicz. 40. La base
cytologique de l'instinct et de la ra&noire, par Ziegler. 41. La base cytologiqoe primordiale
deB retiexes, de l’instinot et de la mdmoire, par Solvay. 42. Psychische nna Nervenkrank,
heiten in Abessinien, von Holzinger. 43. Sa alcane forme di alterazione della cellala ner¬
vosa nelle psioosi acute confosionali, per Camia. 44. The bromide sleep in a case of mania,
by Ragg.
III. Aut den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft fflr Psychiatrie and Nervenkrankheiten.
— Wiener medicinischer Club.
I. Orginalmittheihingen.
1. Zur Pathogenese und Klinik der Wadenkrämpfe.
Von Oberarzt Dr. P. Nftoke in Hubertusburg.
Eins der häufigsten Vorkommnisse im Leben ist bekanntlich der Waden¬
krampf, und wohl nur Wenige werden darüber nicht aus eigener Erfahrung zu
beriohten wissen. Um so mehr muss es auffallen, dass wir davon relativ noch
sehr wenig wissen und die meisten Lehrbücher über diesen Gegenstand mit nur
wenigen Bemerkungen hinweggehen. Offenbar ist es ein an sich meist harmloses
Zeichen, so dass man seine Aufmerksamkeit lieber anderen, interessanteren neu¬
rotischen Erscheinungen zuwandte.
Ganz neuerdings hat nun Ffeafc 1 , dem die Neurologie und Psychiatrie im
engeren und weiteren Sinne schon so Vieles verdankt, auch diese Erscheinung
näher besprochen. Die tonischen Krämpfe (crampes) sind nach ihm schmerz¬
hafte Contractionen, erzeugt durch eine willkürliche äusserete Verkürzung der
Muskeln — besonders bei heftigen Bewegungen —, aber auch durch eben solche
unwillkürliche. Sie erscheinen in ziemlich viel Muskeln, z. B. in den Nacken-,
Zehenmuskeln u. s. f., besonders häufig aber bekanntlich in den Wadenmuskeln.
Ffcnfc glaubt diesen Krampf der W ESTPHAL’schen „paradoxen“ Contraction
an die Seite stellen zu müssen. Hier wie dort kann die passive Verkürzung
eines Muskels eine Zusammenziehung desselben erzeugen. Durch ungleiche
Contraction der Muskelbündel können im Krampfe Zerrungen der Nerven und
Gefässrupturen bis zu Ekchymosen und intramuscularen Blutungen entstehen,
wodurch die eventuell lange andauernden Schmerzen erklärt werden. Waden¬
krämpfe erfolgen durch heftige Flexionsbewegungen des Beines, wie beim Berg¬
steigen, Schwimmen, oder bei Entspannung der gleichen Muskeln beim Liegen
„en chien de fusil“. „Die Hypotonie der Antagonisten scheint die Pathogenese
des Krampfes zu beherrschen.“ Die Krämpfe sind sehr häufig bei Ermüdung
und bei Neurasthenikern aller Art. Manche Epileptiker werden aus dem post¬
epileptischen Torpor durch schmerzhafte Wadenkrämpfe geweckt. Die Patho¬
genese derselben kann durch ihre Verwandtschaft mit den nächtlichen Lähmungen
weiter aufgehellt werden, wie sie so oft bei Hysterischen und Neurasthenikern
stattfinden, mit oder ohne Akroparästhesie. Der Wadenkrampf kann sogar allein
1 Fßsä, Les crampes et les paralysies nocturnes. Mödecine moderne. 1900.
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mit Ameisen kriechen der Hände zusammen Vorkommen. Sehr wiohtig ist, dass
die Wadenkrämpfe, wie auch die nächtlichen Lähmungen im Allgemeinen, nur
oder wenigstens sehr vorwiegend bei Hysterischen auf der Seite mit den perma¬
nenten Symptomen auftreten, wo zugleich oft somatische Entartungszeichen
bestehen, was die somatische Basis der hystero-neurasthenischen Symptome und
ihre Localisation nur noch mehr beweist Die Wadenkrämpfe verschwinden vor
der Parese und der Akroparästhesie, so dass sie der Paralyse untergeordnet zu
sein scheinen.
So weit F£b£. Er setzt also in der Genese der „crampes“, besonders aber
der Wadenkrämpfe, heftige Verkürzung der Muskeln oder eine Entspannung an
erste Stelle, wobei Ermüdungszustände, nervöse, hysterische, epileptische, namentlich
aber paralytische Zustände (wie in der nächtlichen Lähmung Hysterischer) be¬
günstigend wirken.
Für die Ermüdung als wichtiges Moment dürfte die Thatsache sprechen,
da« besagte Krämpfe allerdings vorwiegend Nachts auftreten oder nach langen
Märschen, längerem Schwimmen, Tanzen u. s. f. Doch scheint hier überall
Wadenkrampf immerhin sehr selten zu sein. Dass es bei Turnern je eintritt, auch
nach Ermüdung, habe ich nicht gesehen. Ich habe einige Nachfrage gehalten
nnd erfahren, dass in Kasernen und selbst im Manöver die nächtlichen Waden-
hämpfe kaum häufiger sind, als sonst, dagegen treten sie nicht selten ein, wenn
die Mannschaften ihre Stiefeln anziehen, wahrscheinlich durch starkes Forciren,
rielleicht auch durch gewisse ungeschickte Bewegungen veranlasst. Genau das¬
selbe gilt auch vom Bergsteigen, sogar bei Anfängern. Beim Schwimmen ist
es gleichfalls selten und tritt bisweilen gleich Anfangs auf. Es kann also dann
nur heftige Verkürzung oder fehlerhafte Bewegungen die Schuld tragen, worauf
ja nächtliche Wadenkrämpfe überhaupt am häufigsten zurückgeführt werden,
allerdings meist noch unter Begünstigung anderer Momente.
Hier muss aber sicher unterschieden werden. Die meisten erwachsenen
Menschen schlafen in der Seitenlage, am häufigsten auf der rechten 1 Seite, nicht
also mit lang ausgestreckten Beinen auf dem Rücken liegend, sondern seitlich
mit leicht gebeugtem Knie- und Hüftgelenk* und geringer Plantarflexion. Die
1 Warum dies geschieht, ist noch nioht erklärt, ebenso wenig, ob die rechte Seitenlage
(he bygieinischste, rationellste ist, wie sie es scheint. Das Athmen scheint nämlich hier am
leichtesten vor sich zu geben. Es ist gewiss auch kein blosser Zufall, dass Pollutionen und
laadve Träume — erste re entstehen meist nach letzteren, wie ich glaube — wohl fast nur
in der R&ckenlage erfolgen, jedenfalls in Folge von gewissen Stauungserscheinungen und
deren Folgen. Wahrscheinlich ist in dieser Lage auch die Onanie am häufigsten, aus gleichem
Grunde. Unverständlich ist mir aber, wie Poollbt (s. Manhbimbb, Troubles raentaux de
Penf&nce. 1899. Paris) unter Anderem gegen dies Laster die linke Seitenlage empfehlen kann!
* Giaänuu und Majako (Un degenerato antropoide. Riv. mensile di Neuropatologia
e Psichiatria. 1900. Nr. 6) beschreiben einen höchst merkwürdigen 44 jährigen Idioten, ein
wahres Unicum, und erwähnen, dass derselbe im Schlafe wie ein Knäuel gekrümmt dalag,
den Kopf auf der Brust und das Gesicht oft mit beiden Händen bedeckend. Also hier fand
das Maximum der normalen Krümmung statt, was die Verf. ohne Weiteres als Atavismus
auffassen. In der Krankengeschichte wird aber nirgends das Auftreten von Krämpfen,
»peeiell von Wadenkrämpfen erwähnt.
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Winkelgrösse der Gelenke kann variiren, auch bezüglich der gegenseitigen Lage.
In der Seitenlage wird offenbar das Gleichgewicht der Muskelspannungen im
Liegen herbeigeführt, und daher wird sie instinctiv gesucht Oder sollte hier
etwa eine Erinnerung an die vorgeburtliche oder gar an eine phylogenetisch
weit zurückliegende Periode vorliegen, also ein echter Atavismus? Das ist jeden¬
falls eine sehr kühne Hypothese!
Die Beugung der Muskeln ist also jedenfalls im Schlafen für gewöhnlich
nur eine sehr massige, welche kaum je einen Krampf auslösen dürfte. Wohl
aber können einmal stärkere oder auch ungeschickte Bewegungen stattfinden
und so Anlass zur Zusammenziehung geben. Jedenfalls gesohieht eine solche
Hyperflexion u. s. w. aber nur selten oder wird vielmehr nur selten von Waden¬
krampf gefolgt Bisweilen kann solcher durch besonders brüskes Ausstrecken der
Beine, und wenn starke Plantarflexion dabei gleichzeitig auftrat, erzeugt
werden.
Aber auch directer oder indirecter Druck auf Gefasse, Nerven und Muskeln
scheint nur selten Wadenkrämpfe herbeizuführen, sonst müssten z. B. die Frauen
(Strumpfbänder) sehr häufig davon befallen sein, was wahrscheinlich nicht der
Fall ist. Stiefeldruck, besonders auf ein Hühnerauge, erzeugt allerdings nicht
selten reflectorisch den Krampf, besonders an den Zehen. Vold (siehe unten)
erwähnt bei seinen Traumexperimenten, wo Nachts die Knöchel- und Fussgelenke
umschnürt wurden, nicht das Auftreten von Krämpfen.
Verkürzungen und Druck sind also nur selten die alleinige Veranlassung,
und sie fehlen scheinbar oft genug ganz. Es muss daher meist ein anderer
Grund gesucht werden. Wo die Ermüdung als Ursache bezichtigt wird, liegt
es nahe anzunehmen und ist schon wiederholt gesagt worden, dass gewisse Er-
müdungsproducte die Muskelnerven, oder vielleicht die Muskelfasern, oder beide
zusammen, gereizt haben. Dafür scheint zu sprechen, dass die Krämpfe bis¬
weilen doppelseitig auftreten und sich wiederholen.
Dass jedenfalls chemische Reize eine grosse Rolle spielen, sehen wir aus den
häufigen Wadenkrämpfen bei Cholera, Cholera nostras, Diarrhoe, Typhus, Diabetes,
Blei-Arsen-Schwefelvergiftung u. s. f. Auch bei Epilepsie und Hysterie dürfte ein
ähnlicher Zusammenhang bestehen, ebenso nach Magenüberfüllung, wie ich sie
beobachtete, bei Schwangerschaft, Unterleibsgeschwülsten, wahrscheinlich auch
bei Obstipation u. s. w. Man hat nun freilich bei Cholera, Typhus, Diarrhoe
besonders an die Folgen der Blutverdickung gedacht, während man bei Magen¬
überfüllung, Obstipation, Schwangerschaft u. s. w. mehr einfache Stauungs¬
erscheinungen und Druck auf Nerven, Muskeln im Auge behalten könnte, ebenso
bei Varicen, wobei Krämpfe bekanntlich recht häufig sind. Dasselbe würde
auch von Herz- und Nierenkrankheiten gelten, doch ist über hier stattfindende
Wadenkrämpfe in den Büchern wohl kaum etwas zu finden. Das allen ge¬
nannten Leiden Gemeinsame liegt aber jedenfalls in der abnormen Beschaffen¬
heit des Blutes — sicher auch da, wo es sich mehr um Stauungen han¬
delt —, die reizend wirkt. Diese reizende Blutmischung kann permanent oder
zeitweilig, allgemein oder vielleicht auch nur local bestehen.
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293
Freilich ist die Vorliebe gerade für die Wadenmusfeeln völlig unklar.
Warum sollen diese z. B. ermüdeter sein, als die Oberschenkel, Füsse und Arme?
Warum besteht nur hier allein von allen Muskeln eine grössere Erregbarkeit
der sensiblen Muskelnerven? Tst diese ferner gleich oder in der Intensität
schwankend, oder endlich liegt es nur an der Variationsgrösse der Reize?
Warum werden meist nur die oberflächlichen Muskeln contrahirt und wird öfters
der 1L gastrocnemius als der M. soleus ergriffen, oder stets beide zusammen?
Die Kreislaufsverhäifcnisse sind sicher an der Wade nicht günstig, doch noch
günstiger als in der Tiefe oder am Fusse. Vielleicht liegen dem häufigeren
Auftreten des Krampfes gerade in der Wade noch sonstige mechanische oder
anatomische Verhältnisse zu Grunde.
Ziemlich unklar ist auch die Rolle der Varicen. Selbst bei grösseren können
Wadenkrämpfe ganz fehlen oder sehr selten sein, während sie bei leichten
eventuell häufiger sind. Jedenfalls zeigen Varicen grössere Blutstauung im
Muskel selbst an und damit eine gewisse chemische Reizung. Einmal beobach¬
tete ich an mir selbst Nachts einen lebhaften Wadenkrampf. Als ich vorsichtig
naehfählte, schienen mir die Muskeln nicht contrahirt und schmerzhaft zu sein,
wohl aber der ganze varicöse Venenstrang gekrampft und sehr druckempfindlich.
Eine ähnliche Beobachtung aus der Litteratur kenne ich nicht. Hier handelt es
ach also scheinbar um einen „Pseudo-Wadenkrampf“.
Man wird a priori geneigt sein anzunehmen, dass bei Nervösen überhaupt
ceteris paribus die Wadenmuskeln leichter gereizt werden können. Fünf: spricht sich
sogar entschieden in diesem Sinne aus. Ich bin aber trotzdem noch nicht davon
überzeugt, da ich selbst bei Nervösen und Epileptikern die Krämpfe kaum öfter
eintreten sah, als sonst Ein speciell bezüglich der Epileptiker sehr erfahrener College
bestätigte mir das Gleiche. Nahe liegt es hier auch zu fragen, wie sich die
Sache bei den Geisteskranken verhält. loh kann mich, trotz sehr reicher Er¬
fahrung, nicht besinnen, von ihnen je besondere Klagen über Wadenkrämpfe
vernommen zu haben, und auch eine nähere Umfrage bei den Oberpflegern blieb
negativ. Wadenkrämpfe scheinen also hier kaum häufiger als sonst zu sein.
Die Litteratur lässt einen darüber leider ganz im Stich. Nach LiTTBfi 1 sollen
Krämpfe bisweilen nach „surexcitation du cerveau“ stattfinden, doch ist dieser
Begriff ganz unklar.
All e genannten Punkte verlangen also noch eingehende Untersuchungen.
Dasselbe gilt auch von den eigentlichen Nervenkrämpfen. Ich kannte einen
Herrn, der früher (im reifen Alter!) eine tuberkulöse Meningitis durchgemacht
hatte und dann an (vielleicht daraus entstandener) progressiver Muskelatrophie
'die Möglichkeit einer Syringomyelie ward auch ausgesprochen) litt, sowie viele
•Jahre hindurch an schmerzhaftesten, wiederholten Wadenkrämpfen, die ihm oft
genug die Nachtruhe raubten. Auch ist mir eine nervöse Dame bekannt, die
nach Ablatio ovariorum (wegen Myomata uteri) neben anderen Symptomen sehr
heftige Crampi bekam, die sie früher nur selten und schwach gehabt hatte.
1 LittbA et Robih, Dictionnaire de mddecine etc. 1865. Paris. Article: Crampe.
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204
Besonders wird man nach dem Vorgänge von Ffcais auf paralytische Zustände
bei Nervenkrankheiten u. s. w. zu achten haben.
Skeligmülleb 1 macht mit Recht auf den merkwürdigen Umstand auf¬
merksam, dass bei dieser Contraction die Ferse ihre Mittelstellung nur wenig
verändert, und dass wahrscheinlich manche Formen von lumbago auf Krampf
beruhen, was Fünf: 2 sogar als ganz sicher ausspricht Eigenthümlich ist auch,
dass der Krampf nur an einer Stelle auftritt und nicht zu wandern scheint
Sehr selten, wie gesagt, sind beiderseitige — zugleich oder nach einander er¬
folgend — oder wiederholte Wadenkrämpfe. Neulich bekam ich rechts in der
Wade einen leichten Krampf, der aber nicht in der Mitte einsetzte, sondern
ganz seitlich und hier beschränkt blieb. Das ist bisher wohl auch noch nicht
beobachtet worden. Manche Crampi sind ganz kurz, fast klonisch. Ob wirklich
bei heftigen Contractionen intramusculäre Blutungen aufbreten können, wie F£r£
sagt, erscheint mir noch etwas zweifelhaft, ausser dort natürlich, wo die Gefässe
brüchig sind.
Die Wehleidigkeit nach den Krämpfen kann ziemlich lange andauem. Vor
langen Jahren bekam ich einmal Nachts furchtbar schmerzhafte Wadenkrämpfe
in beiden Beinen (ob wiederholt, weiss ich nioht mehr) nach einer sehr langen
Eisenbahnfahrt (von Brindisi nach Ravenna), konnte danach während einiger
Stunden nur mühsam, hinkend, gehen, und die Drucbempfindlichkeit der Waden
und ein gewisses Gefühl des Wundseins war noch am 3. Tage nachweisbar.
Bisweilen ist zugleich der Fuss in verschiedener Weise ergriffen. Die rechte
Wade scheint öfter betroffen zu sein, als die linke, und bei doppelseitigen
Krämpfen ist wahrscheinlich die Stärke in beiden Ghedern nicht immer gleich.
Beobachtet werden ferner auch Abortivkrämpfe, die nirgends erwähnt
werden. Man verspürt dann ein beginnendes Krämpfen in Wade oder Zehen,
das man aber durch schnelles Ablenken der Aufmerksamkeit und Stillhalten des
Gliedes noch rechtzeitig unterdrücken kann. Ueberhaupt spielt die Aufmerksam¬
keit eine wichtige Rolle bei der Verstärkung oder Verminderung der Zusammen¬
ziehung. Ja, es schien mir sogar, als ob eventuell schon blosse Aufmerksamkeit
Crampi erzeugen könnte. Dies ist aber noch weiter zu verfolgen, wie auch, ob die
Wadenkrämpfe häufiger beim Einschlafen, mitten in der Nacht oder in den Morgen¬
stunden auftreten. Letzteres sah ich am öftesten. Auch der Grund hiervon
wäre zu untersuchen, da man eigentlich annehmen müsste, dass Ermüdungsstoffe
gerade Abends am häufigsten sind. Der Einfluss des Geschlechts, Alters, Berufs,
der Körperconstitution, der Jahreszeit u. 8. f. ist zur Zeit noch gänzlich unbekannt
Vielleicht spielt auch das Temperament mit, also eventuell die Rasse.
Noch ist zuletzt eines interessanten Punktes zu gedenken. Vold s hat
nämlich in geistreicher und eingehender Weise zu beweisen gesucht, dass nicht
' Seeligmüller , Eulenburg’s Real-Encyklopädie der ges. Heilkunde u. s. w. 1880.
Wien udJ Leipzig. Artikel: Crampoa.
* L. c.
3 Vold, Ueber „Hallucinationen”, vorzüglich „Geeichtehallucinationen“ u.s.w. AUgem.
Zeitschr. f. Psych. 1900. Bd. LVII. S. 684; epeciell 654.
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nur im Traume, sondern auch im Wachen Hallucinationen, speciell des Gesichts,
zum sehr grossen Theile cutan-musculären Ursprungs sind. Seine Theorie hat
zweifelsohne viel Bestechendes, obgleich mir nicht immer seine Traumexperimente
absolut beweisend zu sein scheinen und noch weniger seine weiteren Ausführungen,
was bei einem so schwierigen Gegenstände ja nicht zu verwundern ist. Er bringt
nun aus der Litteratur mehrere Beispiele 1 von Wachhallucinationen bei, wo
plötzlich Gesichtstäuschungen von Waden — vergrössert oder nicht, auch trans-
formirt — erschienen, was er auf „outan-musculäre Wadenreize“ beziehen möchte
(in dem Hauptfalle hatte die Person beim Erscheinen der Hallucination die
Treppe gefegt). Nun liesse sich vielleicht fragen, ob Aehnliches auch bei den
Wadenkr&mpfen stattfinden könnte, da ja hier besonders kräftige „Wadenreize“
vorliegen. Da die Krämpfe meist aber urplötzlich und so heftig einsetzen, dass
man gewöhnlich sofort aufwacht, so ist eine Auslösung irgend eines Traumes
durch sie mehr als unwahrscheinlich. Anders steht es dagegen mit den „Abortiv¬
krämpfen“. Die Contractionswelle könnte so leicht verlaufen, dass sie nur bis
ins Unterbewusstsein gelangt und sehr wohl Träume bewegten Inhalts — Be¬
wegung des Träumers oder anderer Personen — oder Träume von Waden u. s. w.
erzeugen könnte. 2 Freilich wäre dann der Beweis in concreto nicht zu führen,
da die Ursache eben nicht bewusst ward. Aber auch dann wäre der Reiz nur
ein vorübergehender und Vold 3 macht gewiss mit Recht darauf aufmerksam,
dass ein solcher für das Entstehen eines Traumes viel weniger bedeutsam ist,
als langandauemder Reiz.
Ueberschauen wir das Vorangehende, so haben wir bezüglich der Patho¬
genese der Wadenkrämpfe als die häufigste Ursache chemische Reize höchstens
wahrscheinlicher gemacht, als es bisher geschah; dagegen ist leider der springende
Punkt, warum und wodurch die stetig, event nur zu Zeiten gesteigerte Erregbar¬
keit der sensiblen Muskelnerven allein nur im Wadenmuskel erfolgt, ebenso
im Dunkeln geblieben, wie zuvor. Die bezeichnet« irgendwie abnorme Blufc-
mischung muss in den meisten Fällen aber wohl nur als Voraussetzung ge¬
dacht werden. Gelegenheitsursachen sind weiterhin nöthig, am häufigsten wie
wir sahen, abnorme Flexion, Extension oder ungeschickte Bewegung. In vielen
Fällen freilich ist ein äusserer Anlass nicht zu erkennen. Die Crampi sind
1 Diese Fälle erscheinen mir aber wenig verlässlich. Sollten sie es trotzdem sein, so
handelt es sich wahrscheinlich um sogen. „Tagträume“ (day-dreaming), wo eventuell Ge-
■ichtshallucinationen auftretcn können. Auch bei Ermüdungszuständen aller Art, wo das
Bewusstsein leicht umflort ist, besonders aber vor dem Einschlafen, kann es geschehen.
Dahin gehören sicher die berühmten Fälle von Göthk, Jean Paul, Spinoza u. A. Beim
scharfen Denkacte, nicht ermüdeten u. s. w. Gehirne dürften solche sogen, physiologischen
Hallucinationen aber nicht Vorkommen.
* Umgekehrt wäre es aber auch möglich, dass ein böser Traum brüske oder ungeschickte
Bewegungen, und damit einmal Wadenkrampf veranlasst. Ich kenne freilich keinen hierher
gehörigen FalL Fände er statt, so könnte dann leicht einer fälschlicherweise den Causalnezus
von Traum und Krampf umkehren wollen.
* Vold, Experiences sor les röves etc. Revue de l’hypnotisme et de la psychol.
Janv. 1896.
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weiter im Wesentlichen peripher bedingt, central gewiss nur selten, sonst
müssten sie bei Psychosen u. s. w. häufig sein, was sie nicht sind, speciell aber
häufig bei der Paralyse, wo doch oft genug Herdsymptome da sind.
Wie man sieht, haben wir eine ganze Reihe von Punkten besprochen, Be¬
obachtungen beigebracht und Probleme aufgestellt, die bisher wohl nirgends
erwähnt wurden. Somit erscheinen obige Beiträge nicht ganz des Interesses
bar und sie sollen vor Allem zu weiteren Beobachtungen in bezeichneter Richtung
und zu Untersuchungen mannichfacher Art Anregung geben, namentlich aber zu
ziffernmässigen Belegen.
Als Nachtrag sei hier noch kurz erwähnt, dass Wadenkrämpfe bei Thieren
nicht Vorkommen. Prof. DhxiiEb aus Prag, der die Nervenkrankheiten der
Hausthiere sehr genau kennt, schrieb mir nämlich am 2. Febr. 1901 Folgendes:
„Das was wir Wadenkrämpfe nennen oder was ihnen homolog wäre, habe ich
beim Thiere (Vertebraten) niemals gesehen; wohl aber giebt es tonische, höchst
schmerzhafte Krämpfe der gesammten Beinmusculatur bei niedergeschlissenen
Thieren “ 1
[Aus der internen Klinik und dem patholog.-anat Institut in Lemberg.]
2. Ein Fall von oberflächlicher
Erweichung des Gesammtgebietes einer Arteria fossae Sylvii.
Von Priv.-Doc. Dr. G. Bikeles.
F. F., 29 Jahre alt, wurde am 13./VI. 1899 auf der internen Klinik auf¬
genommen. Patient klagte über Herzklopfen und Athembeschwerden, die sich
besonders bei jedweder Arbeit steigern, dann über Nachtschweisse, Husten und
Kopfschmerzen. Das Herzklopfen bemerkte Patient bereits, als er 10 Jahre
alt war. Der Ernährungszustand bei der Aufnahme war ein schlechter, das
subcutane Fettpolster geschwunden, die Hautfarbe blass mit einem Stich ins
cyanotische. Auch während des Verbleibens auf der Klinik anhaltend starker
Husten, des öfteren Auftreten von profusen Schweissen und hochgradiger Schwäche.
Am 27./VI. wurde die linke untere Extremität ödematös und liessen sich
an derselben leicht ausgedehnte, aber nicht schmerzhafte Venen wahrnehmen.
1 Ich kann mir nicht versagen, ans dem Briefe Prof. Dbxleb’s noch folgende inter¬
essante Sätze zn veröffentlichen, obgleich sie nicht direct mit unserem Thema za than
haben: „... Es giebt, wie Sie ganz richtig vermnthen, kein veterinäres Werk über Thier¬
psychosen. Alles was wir darüber besitzen, ist ein kindliches blödes Stammeln, nioht werth
der Beachtung; ausserdem zerstreut in allen möglichen Winkeln. ... Ich bin Ihr vollster
und strengster Anhänger in der Verortheilung der Uebertragung von ReactionserBcheinungen
der menschlichen Psyche aaf die thierische; da wird sehr viel geplanscht and immer wieder
auf den „Traum des Hundes“ hinge wiesen. Das Thema wäre so angemein interessant zu
bearbeiten — namentlich von der beliebten, gewiss überschwenglichen Anbetung der Thier¬
psyche ...“
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Am 29./VI. Nachts verschlimmerte sich der Zustand des Patienten und
am nächsten Morgen war das Vorhandensein einer Lähmung in der
linken oberen Extremität und in der linken Gesichtshälfte zu constatiren,
während die linke untere Extremität bloss paretisch war. Was das
Gesicht anbetrifft, so ist der linke Stirnast ganz frei und Patient faltet die
Stirn auf beiden Seiten gleichmässig; beim Augenschluss besteht links eine
leichte Parese im Orbicularis oculi; der untere Facialisast ist links ganz gelähmt,
und zwar sowohl bei willkürlicher, als auch bei mimischer (Lachen u. s. w.)
Innervation. Die motorische Portion des linken Trigeminus ist intact Die
heransgestreckte Zunge weicht ab nach links und ist deren Beweglichkeit in
der Richtung nach links bedeutend geringer, als nach rechts.
Sehnenreflexe rechts vorhanden, links gesteigert (Fussclonus nicht vorhanden);
dagegen ist der Cremasterreflex rechts lebhafter, als links, und der Sohlenreflex
ist rechts deutlich, links schwach.
Sensibilität; tactile und Schmerzempfindung ist auf der ganzen linken Hälfte
einschliesslich des Gesichtes herabgesetzt; auch die Temperaturempfindung ist
auf der linken Seite herabgesetzt, doch ist am Gesicht kein Unterschied zwischen
beiden Seiten vorhanden.
Beide untern Extremitäten fühlen sich kalt an, ohne dass ein merklicher
Unterschied zwischen rechts und links wahrnehmbar ist.
Die klinische Diagnose von Prof. Glüzinski lautete: Vitium cordis oongeni-
tum snb forme defectus septi ventriculorum et Stenosis ostii art pulm. Tubercu¬
losis pulm. in stad, destructionis. Thrombosis ven. extrem, inf. sin. subs. embolia
art fosme Sylvii ad reg. caps. intern.
9./VH. Status idem, nur wird die Zunge ohne Abweichung herausgestreckt
Wegen anhaltender Schwäche des Patienten konnte Muskel- und stereo-
gnostischer Sinn nicht untersucht werden.
Exitus letalis am 17./VIII. 1899 Abends.
Die Obduction vom 18./VIII. 1899 bestätigte zunächst mehr weniger
die erwähnte klinische Diagnose. Der Hirnbefund war wie folgt: An der Pia
mater der Convexität der rechten Grosshirnhemisphäre, besonders in der Gegend
des Lob. temp. und pariet. inf. einige, fast gleichmässig vertheilte, leicht abzieh¬
bare Blutgerinnsel. Gleichfalls befinden sich zahlreiche Blutgerinnsel zwischen
den Blutgefässen innerhalb der Fossa Sylvii rechts. Die Arteria fossae Sylvii
•iexfcra ist grösstentheils mit einem weisslichen Blutgerinnsel ausgefüllt, welches
überwiegend der Gefasswand nur locker anhaftet Das in Frontalschnitte zer¬
legte Hirn zeigt an der Oberfläche innerhalb der Hirnrinde und unterhalb der¬
selben im Gyrus frontalis inferior, mit Ausnahme des vorderen 3 cm messenden
Abschnittes, in den zwei unteren Dritteln der Gyri centr. (ant. et post.), im Gyr.
tempor. super, und im ganzen Lobus parietalis inferior, also im ganzen Aus¬
breitungsgebiete der rechten Arteria fossae Sylvii zahllose grössere und kleinere,
dicht bei einander sitzende und häufig auch confluirende Erweichungsherde.
Dis Erweichungsherde reichen entsprechend dem Lobus parietalis inferior am
tiefsten in das weisse Marklager hinein (3 cm); weniger tief erstrecken sich die
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Herde im Gyrus centralis posterior (2 cm) und im Gyrus centralis anterior
(1,5—2 cm); im Gyrus frontalis inferior finden sich schon makroskopisch ganz
oberflächlich gelegene und tiefer in die weisse Substanz hineingreifende Herde
hart bei einander. In der Tiefe zeigt die rechte Hemisphäre bloss eine leichte
ödematöse Beschaffenheit.
Hirn und Rückenmark wurden in MüLLEB’sche Flüssigkeit gebracht und
dann überwiegend nach Mabchi gefärbt
Die MABOHi-Präparate zeigen in diesem Falle eine deutliche Degeneration,
die aber nicht die Intensität aufweist, wie man sie nach 2 1 / i wöchentlicher
Krankheitsdauer erwarten würde. Es ist dies ein bei herabgekommenen, maran¬
tischen Individuen von mir wiederholt bemerktes Vorkommniss.
Entsprechend der klinischen und pathologisch-anatomischen Constatirung,
dass nämlich die linke untere Extremität von Lähmung relativ, und dass das
obere Drittel der Gyri centrales von Erweichung gänzlich verschont geblieben
sind, hört auch schon hoch oben, am Rückenmarke, in den obersten Segmenten
des Dorsaltheiles jede Spur von Degeneration der Pyramidenbahn auf.
In der Medulla oblongata findet man in den MABcm-Präparaten einzig
und allein eine Degeneration der entsprechenden Pyramidenbahn; die Schleife
ist hier ganz intact und zeigt trotz der so ausgedehnten Läsion innerhalb
der Gyri centrales und des Lobus parietalis inferior nichts von einem Enthalten
von schwarzen Schollen. Erst im Pons kann man in der rechten Hauptschleife
das Vorkommen von zerstreuten und mehr oder weniger dicht bei einander
liegenden schwarzen Schollen wahrnehmen. Dieselben decken sich ganz mit
den Abbildungen Hoche’s 1 und sind auch gemäss dem Nachweise dieses Autors
mit Entschiedenheit als motorische, der Schleife nur beigemengte Elemente an¬
zusehen. Die Pyramidenbündel im Pons sind rechterseits fast ganz mit aller¬
dings . nicht sehr dichten schwarzen Schollen bestreut Von den ventralen
Pyramidenbündeln sieht man degenerirte Fasern in sehr grosser Anzahl die
Mittellinie überschreiten und verlieren sich dieselben zwischen den Pyramiden-
bündeln der anderen Seite.
Aus der Gegend des Genu und des hinteren Schenkels der inneren Kapsel
wurden zahlreiche Frontalschnitte augefertigt Dieselben zeigen vor allem, dass
auch mikroskopisch in den Basalganglien und in den erwähnten Abschnitten
der Capsula interna gar keine Erweichungsherde vorhanden sind. Was die
Degeneration in den verschiedenen Abschnitten des hinteren Schenkels der
Capsula interna anbelangt, so entspricht im Allgemeinen die Lage derselben den
von v. Monakow* für Frontalschnitte bei Hemiplegie gegebenen Abbildungen,
doch ist das jeweilige Ausdehnungsgebiet der Degeneration in diesem Falle noch
beträchtlicher. Lässt sich auch letztere Differenz leicht durch die in diesem
Falle zur Anwendung gelangte MABCHi’sche Färbung erklären, so ist es jedoch
auffallend, dass in diesem Falle die Degeneration wenigstens das ganze
1 Archiv f. Psych. XXX.
s Himkraukheiteu. Nothnagel’» Sammelwerk.
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Areal wie bei Hemiplegie einnimmt, trotzdem, wie der negative Befund
im Dorealtheil des Rückenmarks am überzeugendsten darthut, die Pyramiden-
fasern für die untere Extremität nicht erheblich gelitten haben. Es möge aller¬
dings daran erinnert werden, dass die Degeneration dieses Areals keine sehr
Mte ist, und dass hier und da innerhalb des Degenerationsbezirkes ein win¬
ziges, von schwarzen Schollen freies Bündel, welches aber ringsum von degene-
rirten Fasern umschlossen ist, anzutreffen ist.
Im Gegensätze zu dem von jedweder Degeneration gänzlich freien Nucleus
medi&iis thalami optici finden sich im Nucleus lateralis verhältnissmässig zahl-
rache degenerirte Fasern, und zwar nicht bloss in der Nähe der Capsula interna,
sondern über den ganzen Nucleus lateralis zerstreut. Das sei nur im Allgemeinen
bemerkt; zu näheren Schlussfolgerungen über Verlauf und Abstammung dieser
Fasern schien dieser Fall nicht geeignet.
Von dem Hirnschenkel bröckelte leider in dem etwas engen, die Mabchi-
Ftässigkeit enthaltenden Gefasse der mediale (mehr als l j A betragende) Theil
ab. Man trifft daher gleich medial die Pyramidendegeneration an. Lateral
begrenzt sich die Pyramidendegeneration zunächst, wie im Falle Hoohb’s, mit
kegelförmigem Contour und sich nach aufwärts leicht verjüngend, doch schliesst
sch hart am oberen Rande des Hirnschenkels an die stumpfe Spitze des Kegels
ein entlang der Substantia nigra verlaufende, degenerirte Fasern enthaltender
Streifen von 3mm Länge an. Anderweitige degenerirte Fasern enthält
das äussere Drittel des Hirnschenkelfusses nicht und weicht also
in dieser Beziehung wesentlich von dem Befunde in den Fällen Hoche’s ab,
obwohl auch in diesem Falle Hirnnerven betheiligt waren. Die Lage der
eigentlichen Pyramidenbahn aber stimmt vollständig überein mit der Lage der
Pyramidenbahn im Pes in den Fällen von Hoche’s, trotzdem die Pyramiden-
lasem für die linke untere Extremität in unserem Falle anatomisch, wie bereits
erwähnt, nicht degenerirt sein sollten, während in den Fällen Hoohe’s obere
und untere Extremität gleichmässig betroffen waren. 1 Mein hochgeehrter Lehrer,
Herr Prof. Obbbsteineb, theilt mir brieflich mit, dass seiner Erfahrung nach
die Degenerationen im Pes beträchtlichen individuellen Differenzen unterliegen.
Weiter verweist mich Herr Prof. Obbbsteineb auf die Arbeit von Mellus 2 ,
in der dieser Autor nachweist, dass bereits in der Capsula interna die
Pyramidenbahnen für verschiedene Körpertheile (obere, untere Extre¬
mitäten und Facialis) unter einander vermengt sind, so dass die scharfe
Abgrenzung, wie sie von Beevob und Hobsley verschiedentlich versucht wurde,
nicht durchführbar erscheint 3 Man müsste also auch in diesem Falle eine
schon hoch oben eintretende Vermengung von Pyramidenfasern verschiedener
Gebiete annehmen.
1 Die Fasern für die untere Extremität sollen sich lateral im eigentlichen Pyramiden-
ftld befinden.
* Journal of nerv, and ment, disease. 1899.
* VergL auch kurzes Referat im Neurolog. Centralbl. 1899.
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300
Anatomisch ist also in diesem Fall beacbtenswerth dies eben erwähnte
Verhalten, dann der Mangel einer Degeneration eigentlicher Scbleifenfasem trotz
der so ausgedehnten Erweichung in den Gyri centrales und im Lohns parietalis
inferior. Es würde somit die von v. Monakow, Dejerine u. A. behauptete
Unterbrechung der sensiblen Bahn im Thalamus opticus eine weitere Be¬
stätigung finden.
Klinisch ist in diesem Falle die Thatsache ungemein beachtenswerth, dass
trotz einer so ausgedehnten Erweichung doch nur der linke untere Facialis
vollständig gelähmt und der linke Hypoglossus paretisch sind. Motorische
V-Wurzel, Augenmuskelnerven uud Stimfacialis waren vollständig intact. Die
Verwerthung dieses Falles erheischt aber Vorsicht Wir haben es hier nämlich
nicht mit einem Herde, sondern mit zahllosen, hart an einander liegenden
Herden zu thun. Bei Färbung nach Weigert trifft man noch stellenweise
zwischen den einzelnen Erweichungen gut gefärbte Nervenfasern an. Jedenfalls
ist es aber auffallend, dass die wenigen auf diese Weise erhalten gebliebenen
Fasern vollständig zur Erhaltung der Function erwähnter Nerven ausreichen sollten.
In diesem Falle waren auch Störungen des Tast-, Schmerz- und Temperatur¬
gefühls vorhanden. Angesichts dessen, dass diese Störungen in gleichem Grade
die linke untere, wie die linke obere Extremität betrafen beim Mangel von Er¬
weichungsherden in der Capsula interna und in den Basalganglien und beim
Erhaltensein des centralen Gebietes für die untere Extremität, darf man mit
Wahrscheinlichkeit diese Hemianästhesie als eine bloss functionelle ansehen.
Bekanntlich sehen nämlich Chabcot und Pitbeb die die Hemiplegie begleitenden
Hemianä8thesieen als hysterische an und würde auch unser Fall trotz der
grossen Ausdehnung der corticalen Läsion jenen Fällen zugerechnet werden
müssen. Damit soll aber nicht gesagt werden, dass in diesem Falle überhaupt
keine anatomisch begründeten Sensibilitätsstörungen vorhanden gewesen seien.
Wäre es möglich gewesen, Muskel- und stereognostisehen Sinn zu prüfen, dann
hätte man aller Wahrscheinlichkeit nach Ausfälle, die durch die Erweichung
bedingt waren, nachweisen können. Die frühere Bemerkung bezieht sich daher
nur auf die in.der Krankengeschichte erwähnten Sensibilitätsqualitäten.
[Aus dem Laboratorium des Herrn Prof. Mendel.]
3. Zur Histologie der Compressions-
veränderungen des Rückenmarks bei Wirbelgeschwülsten.
Von Dr. Max Bielsohowaky.
(Fortsetzung.)
M. H.! Bevor ich auf die Frage eingehe, wie die geschilderten Querschnitts¬
bilder an den Compressionsstellen dieser Fälle zu deuten sind, gestatten Sie mir
in Kürze den Stand unserer Kenntnisse in dieser Frage zu skizziren. Bis zum
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301
Jahre 1882 hatte die Lehre Leyden’s eine fast allgemeine Geltung, dass die
durch den langsamen, allmählich sich entwickelnden Druck bedingten Rücken-
marksveränderungen, wie sie bei tuberculösen Processen in den Wirbeln und
bei Neubildungen in denselben stattfinden, als Ausdruck einer echten circumscripten
Entzündung zu betrachten seien, dass es sich also um eine Compressionsmyelitis
sensu strictiori handle. Durch die experimentellen Arbeiten Kahleb’s *, welcher
flüssiges Wachs in den Wirbelcanal junger Thiere injicirte, wurde diese Lehre
ins Wanken gebracht. Kahleb, welcher stets durch die Sectionen nach weisen
konnte, dass das Injectionsmaterial selbst keine nennenswerthe Reaction auf die
benachbarten Theile ausgeübt hatte, fand je nach dem Zeitpunkt, in welchem
die Thiere getödtet wurden, verschiedene Veränderungen an den entsprechenden
Rückenmarksstellen. Das erste, was sich von krankhaften Veränderungen constatiren
liess, waren Veränderungen am Parenchym der weissen Substanz, welche sich
vornehmlich in starken Scbwellungszuständen der Axencylinder äusserten. Später
verschwinden die Nervenfasern unter gleichzeitigem Auftreten von Fettkörnchen¬
zellen, und es treten leere Gliamaschen im Gewebe auf, welche schliesslich
durch eine Verdichtung der Stützsubstanz ausgefüllt werden: der Ausgang ist
die herdförmige Sklerose. Kahles kommt auf Grund seiner Befunde zu dem
Schluss, dass nichts für eine primäre Entzündung des Gewebes spreche, denn
es fehlen am Gefassapparat alle diejenigen Zeichen, welche für die Anuahme
einer Entzündung von ausschlaggebender Bedeutung sind. Das histologische
Bild sei vielmehr durch mechanische Ursachen hervorgerufen, und zwar im
Wesentlichen bedingt durch eine Verhinderung des Lymphabflusses. Die an¬
gestaute Lymphe wirke zunächst zerstörend auf die Nervenfasern. Die Er¬
scheinungen an der Stützsubstanz und die Verdickungen der Gelasse seien
8ecundär. Die KAHLEB’schen Untersuchungen wurden durch zahlreiche experi¬
mentelle Arbeiten erweitert und ergänzt, unter denen diejenige von Rosenbach
und Stchbbbak 8 besonders hervorzuheben sind. Primär ist der durch eine
gesteigerte seröse Transsudation aus den Blutgefässen bedingte, unter Quellungs¬
erscheinungen einhergehende Zerfall des nervösen Parenchyms, welche von Proli¬
ferationserscheinungen der Stützsubstanz gefolgt wird. Gegen die entzündliche
Genese des Processes spreche, ausser den schon von Kahleb betonten Gründen,
der Umstand, dass die Rückenmarksveränderungen auf den Ort der Compression
beschränkt bleiben und auch in der Pia entzündliche Veränderungen constant
fehlen. Während diese Untersucher mit reizlosen Körpern das Rückenmark
Gomprimirten, suchte Schmaus 3 durch das Experiment diejenigen Bedingungen
herzustellen, unter denen das menschliche Rückenmark bei entzündlichen
Processen in seiner unmittelbaren Umgebung steht, also speciell beim Malum
Pofctii. Er inficirte die Aussenseite der Dura mit tuberculösen Gewebs-
partikelchen und schloss die Wunden, deren Heilung meist per primam erfolgte.
1 Kahler, Prager Zeitechr. f. Heiik. 1882.
1 Roschbach and Stchbbbak, Ueber die Gewebsveränderungen des Rückenmarks in
Folge von Compression. Virchow’a Archiv. Bd. CXXII.
5 Schicaüs, Die Compressionsmyelitis bei Caries der Wirbelsäule. 1890. J.F.Bergmann.
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302
In der überwiegenden Zahl seiner Fälle entwickelte sich eine tuberculöse Pachy-
meningitis externa. Die Veränderungen am Rüokenmark stimmten in diesen
Fällen im Wesentlichen mit den KAHLEB’schen Bildern überein, wenn auch die Ver¬
änderungen sich weitüber den eigentlichen Ortder Compression ausdehnten. Schmaus
gelangt also auch für seine Fälle zu der Annahme einer mechanischen Genese
der Veränderungen, und zwar glaubt auch er an das primäre Auftreten einer
Lymphstauung; nur bezweifelt er, dass der Druck als auslösendes Moment all¬
gemeine Gültigkeit beanspruchen könne. In zwei von seinen Fällen, in denen
sich deutliche Veränderungen im Rückenmark nach weisen liessen, waren die
tuberculösen Auflagerungen auf der Dura so gering, dass von einer Druckwirkung
schlechterdings nicht die Rede sein konnte. Für diese Fälle nimmt er ein
entzündliches, collaterales Oedem als auslösenden Factor an. Abgesehen von
diesen Fällen fand Schmaus in 2 Fällen echte tuberculöse Entzündungen, welche
durch ein Einwandem der Bacillen von der Infectionsstelle hervorgerufen sein
mochten, und in einem Falle einen entzündlichen Erweichungsherd, für welchen
sich eine directe Invasion der Baoillen nicht nachweisen liess. Er bezeichnet
diese Entzündung als eine reaotive gegenüber dem abgestorbenen Parenchym
und vergleicht sie mit den entzündlichen Processen, welche an dem Grenzgebiet
von Infarcten beobachtet werden und mit der Resorption derselben im Zusammen¬
hänge stehen. Die überwiegende Mehrzahl der pathologisch-anatomischen Forscher
sind in der Deutung der von ihnen erhobenen Befunde in den wesentlichen
Punkten den KAHLER’schen Anschauungen gefolgt, und es besteht der Terminus
„Compressionsmyeliti8“ heutzutage nicht mehr zu Recht Dies gilt für alle durch
Druck bedingten Rückenmarksveränderungen, gleichviel ob eine im Gefolge der
Wirbelcaries auftretende Pachymeningitis oder ein von den knöchernen oder
häutigen Hüllen des Rückenmarks ausgehende Neubildung der comprimirende
Factor ist. Dass hierbei die intraduralen Tumoren, welche direct in die Rücken¬
markssubstanz eindringen, complicirtere Bedingungen schaffen und sich in
gewissen Punkten von den extraduralen Tumoren erheblich unterscheiden, versteht
sich von selbst. Es sind also mechanische Veränderungen der Cireulation im
weitesten Sinue, welche durch den Druck hervorgerufen werden, und die secundär
auf das Rückenmarksgewebe einwirken. An welchem Punkte der Cireulation
die Störung primär sich geltend macht, darüber gehen allerdings die An¬
schauungen noch weit auseinander. Die von Kahleb angenommene primäre
Lymphstauung durch Verlegung der Lymphabflusswege ist auch in der mensch¬
lichen Pathologie für zahlreiche Fälle acoeptirt worden. Andere Autoren glaubten,
die Veränderungen auf eine durch den Druck bedingte Verlegung des Lumens
der Arterien zurückführen zu sollen und deuteten die Substanzveränderungen
im Gewebe als Ausdruck einer Ischämie. Schliesslich wurde auch der Druck
auf die venösen Blutbahnen, bei extraduralen Processen speciell auf die
epiduralen venösen Sinus, als das primär schädigende Moment angeschuldigt;
daraus sollte sich secundär ein echtes Stauungsödem in dem entsprechenden
Rückenmarksabschnitte entwickeln. — Wenn auch in der weitaus grössten Zahl
der Fälle die Veränderungen sich zwanglos auf die Einwirkung rein mechanischer
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Momente zurückführen lassen, so bleibt doch ans der Litteratur eine Reihe von
Fällen übrig, welche dieser Deutung zu widersprechen scheinen. Es sind von
Bruns, Dexler, Schlesinger u. A. bei Compressionen durch Neubildung Ver¬
änderungen im Rückenmark beschrieben worden, welche nach der herrschenden
Auffassung die Bezeichnung „transversale Myelitis“ rechtfertigen würden. Auf
diese Kategorie von Fällen soll noch weiter unten genauer eingegangen werden.
Ich muss es mir versagen, an dieser Stelle auf die einschlägige Litteratur genauer
einzugehen, und weise nur auf das ausgezeichnete Referat von Casslrer 1 aus
dem Jahre 1898 hin, in welchem alle hierhin gehörigen Arbeiten in klarer Weise
zusammengestellt und kritisch gesichtet sind.
Wie verhalten sich nun in unseren Fällen die beschriebenen Rückenmarks-
veränderuDgen zu dieser Frage? Da ist denn auf den ersten Blick ersichtlich,
dass nicht alle 3 Fälle ohne Weiteres unter eine Rubrik gebracht werden können.
Die Fälle I und III unterscheiden sich an den Compresskmsstellen sehr erheblich
von Fall II. Die erstgenannten zeigen, um mit der negativen Seite zu beginnen,
keine sicheren Kennzeichen der Entzündung. Nirgends finden sich perivasculäre
Infiltrationen, nirgends entzündliche Veränderungen in der Gefasswand selbst
Die Pia ist ebenfalls frei von infiltrativen oder hyperplastischen Zeichen, und
der Process beschränkt sich in seinen wesentlichen Merkmalen auf das Bereich
der Druckwirkung.
Was wir in den beiden Fällen als das am stärksten hervortretende Zeichen
der Erkrankung betrachten müssen, sind die stark erweiterten Güamaschen,
welche in ihrer Gesammtheit dem Querschnitt ein siebartig durchlöchertes
Anssehen verleihen. Die Entstehung dieser Hohlräume ist bedingt durch eine
starke Quellung der Markscheiden, welche sich bei der Rückenmarkscompression,
wie bei zahlreichen anderen destructiven Processen vasculären Ursprungs, als
die vulnarabelsten Bestandtheile des nervösen Gewebes erweisen. Es entsteht auf
diese Weise ein Bild, welches mit dem von Leyden bei acuter Myelitis als
„blasiger Zustand“ beschriebenen die grösste Aehnlichkeit besitzt. Der Axen-
cylinder überdauert das Zerfliessen der Markscheide zuweilen lange Zeit, und
man findet ihn in centraler oder wandständiger Lage in der Lichtung der ver-
grösserten Maschen. Zuweilen aber zeigt der Axencylinder starke Quellungs¬
erscheinungen, wie sie in Fall II beschrieben worden sind. Hand in Hand mit
diesen Veränderungen der Nervenfasern geht ein Auftreten von Fettkörnchen¬
zellen einher, welche sich vornehmlich im Lumen und in der Randzone dieser
Maschen, sowie in der bindegewebigen Hülle der Gefasse finden. Diese Fett¬
körnchenzellen präjudiciren nicht das Geringste für den pathologischen Charakter
des Processes. Sie entstehen im Centralnervensystem überall da, wo Par¬
enchym zu Grunde geht, und haben im Speciellen die eugsten Beziehungen
zum Zerfall der Markscheiden. Es lässt sich bei allen destructiven Processen,
gleichviel welcher Art sie sind, ein constanter Parallelismus zwischen dem
1 Cassibbb, Ueber CompressioDsmyelitis. Zasammenfassendes Referat im Centralbl. f.
allg. Pathol. u. s. w. 1898. Bd. IX.
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Parenchymzerfall und der Dichtigkeit ihres Auftretens nachweisen, voraus¬
gesetzt natürlich, dass man das geeignete Material mit richtigen Methoden be¬
handelt. In Arbeiten früherer Zeit wurden die Zellen vielfach als Abkömmlinge
der Leukocyten bezeichnet, und auch jetzt noch wird eine derartige Entstehung
(Schmaus, Hoche u. A.) wenigstens für einen Theil derselben angenommen.
Ich konnte weder in den vorliegenden Fällen, noch auch in der grossen Zahl
disseminirter, entzündlicher Processe, die ich daraufhin zu untersuchen Ge¬
legenheit hatte, niemals einen derartigen Ursprung nachweisen. Niemals konnte
ich auch in solchen Fällen, wo Leukocyten sich frei im Gewebe fanden, Be¬
obachtungen machen, welche dafür gesprochen hätten, dass dieselben zu Fett¬
körnchenzellen werden. Vielmehr sah ich zu wiederholten Malen da, wo neben
reichlichen Fettkörnchenzellen sich Leukocyten im Gewebe fanden, dass dieselben
einer raschen Nekrobiose verfallen. An anderer Stelle habe ich zusammen mit
Dr. Schusteb 1 bereits den Nachweis geführt, dass die Fettkömchenzelleu vor¬
nehmlich aus den Gliazellen hervorgehen, und dass die Bindegewebszellen der
Gefässwände im Stande sind, sich mit dem fettigen Zerfallsmaterial zu beladen.
Das Auftreten der Fettkörnchenzellen ist lediglich als der Ausdruck der Resorption
des fettigzerfallenen Parenchyms zu betrachten; und zwar müssen wir auf Grund
des heutigen Standes unserer Kenntnisse annehmen, dass der Rücktransport des
fettigen Materials in die Lymphbahn nicht direct, sondern auf dem Wege durch
die die Lymphspalten begrenzenden Zellen — das sind Neuroglia- und Bindegewebs-
zellen der Gefässwände — erfolgt Für den Rücktransport ist möglicher Weise
eine feine Emulsionirung des aus dem Zerfall hervorgehenden Fettes erforderlich,
welche diese Zellen bewerkstelligen. Es sei mir an dieser Stelle gestattet, auf
die grundlegende Arbeit Wlassak’s* über die Herkunft des Myelins hinzu weisen.
An dem sich entwickelnden Nervensystem konnte der Autor zwei Zellarten nach¬
weisen, welche das für den Aufbau der Markscheiden erforderliche Bildungsmaterial
heranschafifen: es sind dies die Zellen der Spongioblasten und die Bindegewebs¬
zellen der Gefasse. Das Stützgewebe des Nervensystems ist nach den Ergebnissen
seiner Forschung der Uebertragungsapparat für die bei der Construction der
Nervenfasern erforderlichen Myelinbestandtheile. Die pathologischen Bilder zeigen,
dass bei der Destruction der Nervenfasern dieser selbige Apparat in gleicher
Weise in Action tritt, nur erfolgt hier der Transport in umgekehrter Richtung.
Fall III, welcher anatomisch ein etwas älteres Stadium der Compression
darstellt wie Fall I, zeigt an der Compressionsstelle neben der Maschenbildung
in grösseren Bezirken, die oben bezeichnet worden sind, bereits die Ansätze zur
Sklerosirung. Hier sind die Gliasepten verbreitert, der Kern- und Fasergehalt
derselben vermehrt. Die graue Substanz zeigt an den CompressionssteUen dieser
Fälle nur relativ geringe Veränderungen, am deutlichsten treten die Erscheinungen
an den Vorderhornzellen hervor, welche als Schrumpfungsvorgänge aufzufassen
sind. Der Zellleib wird kleiner, zeigt keine oder nur verstümmelte Fortsätze;
1 Schusteb and Biblschowskt, Zar Histologie der multiplen Sklerose. Zeitschr. f.
klin. Med. 1897.
J Wlassak, Archiv f. Entwickelungsmechanik. 1898. VI.
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305
die Nissl- Körperchen sind in den grösseren Exemplaren noch als unregel¬
mässig durcheinander geschüttelte Körnchen von der dunkel gefärbten Grund-
substanz zu differenziren, in den kleinsten Exemplaren hört jede Dififerenzirung
auf. Auch der Kern erweist sich häufig als geschrumpft, zeigt nicht selten
kleine Falten in seinen Randpartieen und ist in den am stärksten erkrankten
Zellen als deutlich gesondertes Gebilde nicht mehr zu erkennen. Am längsteh
von ihm erhält sich das Kemkörperchen.
Die Gefässe zeigen zunächst keine erheblichen Veränderungen, nur in den
bereits sklerosirten Partieen macht sich eine Verdickung der Getasswand auf
Kosten der faserigen Bestandtheile der Adventitia bemerkbar, und an ganz
vereinzelten Stellen deutet das homogene Aussehen und das tinctorielle Verhalten
darauf hin, dass eine hyaline Degeneration der Gefasswand sich einleitet Gleich-
massig findet sich in allen Präparaten die pralle Blutfüllung, besonders an den
ca|>illaren Gefässen und den kleinsten Venen.
Wenn wir die entzündliche Genese dieser Veränderungen von der Hand
weisen und uns mit der Mehrzahl der neueren Autoren zu der Anschauung
bekennen, dass wir das Ergebniss mechanischer Wirkungen vor uns sehen, so
bleibt doch noch die schwierige Frage zu beantworten, an welcher Stelle dieser
fehlerhafte Mechanismus primär einsetzt Für die Annahme einer primären
Lymphstauung, welche in der Litteratur die meisten Anhänger hat, geben unsere
Bilder in diesen beiden Fällen keinen Anhaltspunkt, denn es sind weder die
perivasculären, noch die pericellulären Bäume, noch auch der epispinale Baum,
welche zu einem Lymphgefässsystem gehören, erweitert; ebenso wenig kann von
einer Erweiterung der sogenannten adventitiellen Lymphspalten, für welche eine
directe Communication mit dem Arachnoidealraum angenommen wird, die Rede
»in. Auf Grund der- von mir erhobenen Befunde, besonders im Hinblick auf
die in Fall II gemachten Beobachtungen, neige ich vielmehr zu der Annahme,
da® eine echte venöse Stauung durch Compression der an der vorderen und
hinteren Peripherie verlaufenden Venenstämme stattgehabt hat. Dafür sprach,
abgesehen von der prallen Blutfüllung der Venen und Capillaren, auch die
Abplattung der grösseren Venenstämme in der Pia. Eine derartige venöse
Stauung wurde gelegentlich schon in vivo beobachtet. Kümmel fand bei
der Operation eines Tumors, welcher das Rückenmark in einer Länge von etwa
4 cm zusammendrückte, eine hochgradige Cyanose des Organs, welche nach
Entfernung des Tumors rasch der normalen Färbung wich. Es liegt mir natürlich
fern, auf Grund meiner Beobachtungen eine primäre venöse Stauung für alle
derartigen Fälle supponiren zu wollen, vielmehr glaube ich, dass bei den complicirten
Circulation8verhältnissen des Rückenmarks die Angriffsstelle in verschiedenen
Fällen eine sehr verschiedene sein kann. Man wird schliesslich auch immer
noch neben den veränderten Circulationsverhältnissen eine directe Druckwirkung
des Tumors auf das Parenchym in Betracht ziehen müssen, einen Factor, der
bei der pathologischen Beurtheilung dieser Fälle in letzter Zeit nicht mehr die
gebührende Berücksichtigung gefunden hat.
(Sohlass folgt.)
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n. Referate.
Anatomie.
1) Seoundäre sensible Bahnen im Oehlrnatamme de« Kaninchens, ihre
gegenseitige Lage und ihre Bedeutung für den Aufbau des Thalamus,
von Adolf Wallenberg in Danzig. (Anatomischer Anzeiger. 1900. XVIII.
Nr. 4 u. 5.)
Die vorliegende Arbeit ist eine Erweiterung der vom Verf. schon im Jahre
1896 beschriebenen Untersuchungsergebnisse über den Verlauf der Becundären
Bahn des sensiblen Quintus beim Kaninchen. An 35 Thieren, bei denen die
sensible Endkernsäule der spinalen Quintuswurzel in verschiedenen Höhen lädirt
worden war, konnte der Verf. weitere Details über den Verlauf der secundären
Quintusfasern und ihrer Endigung im Thalamus feststellen. Ferner gelang es
ihm, die topographischen Beziehungen dieser Fasern zu den secundären spinalen
Fasergruppen und zu den Hinterstrangskern-Schleifenfasern näher zu bestimmen.
Ueber die einzelnen anatomisch werthvollen Ergebnisse der Arbeit muss auf das
Original verwiesen werden. Max Bielschowsky (Berlin).
Experimentelle Physiologie.
2) De hyper&lgetisohe Zonen van Head, af O. H. Moll van Charante.
(Inaug.-Dissert. 1900. Leiden.)
Aus dieser sehr tüchtigen Arbeit, entstanden an der Universität Wien, theilt
Bef. nur die Schlüsse mit, zu denen Verf^ gelangt, weil dieser bald selbst einen
kurzen Auszug daraus in einem Archiv geben wird.
Die Arbeit selbst beruht auf vielen Beobachtungen an 21 Fällen und ist
mit sehr vielen deutlichen Abbildungen, die den Werth und die Ueberaichtlich-
keit wesentlich erhöhen, versehen.
1. Die Ausbreitung von Herpes zoster ist nicht als Mittel zu gebrauchen,
um die Ausbreitung der hinteren Wurzeln festzustellen.
2. Um die periphere Ausbreitung der hinteren Wurzeln kennen zu lernen,
ist es nothwendig zu studiren, welche Aeste von einer hinteren Wurzel abgehen,
und welches Hautgebiet durch diese Aeste innervirt wird. Die Kenntniss der
Stelle von Rückenmarksläsionen und der Anästhesiegrenze in den verschiedenen
Fällen von Rückenmarksläsionen kann uns keine Einsicht geben in die periphere
Ausbreitung der hinteren Wurzel.
3. Es bestehen so grosse Unterschiede in der Form zwischen Head’s Zonen
und den jetzt gültigen Meinungen über die Ausbreitung der hinteren Wurzeln in
der Haut, dasB Head’s Zonen nicht als die periphere Ausbreitung der hinteren
Wurzeln aufzufassen Bind.
4. Unsere Kenntnisse über den Ursprung des Sympathicus aus dem Rücken¬
mark sind nicht genügend für eine Theorie, dass die Haut hyperalgetisch wird
bei Kranksein eines Organs, weil die sympathischen und peripheren Nerven aus
demselben Niveau des Rückenmarks stammen.
5. Alle Autoren, die dieses Gebiet bearbeitet haben, bekamen Resultate, die
mit Head’s Theorie nicht übereinstimmen. So auch Verf.
Ref. möchte noch aufmerksam machen auf die hier nicht erwähnte Methode
der correlativen Empfindlichkeitsschwankung(Stransky und TenCate, Jahrbücher
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t Psych. u. Neurolog. Wien 1899) als Methode zur Bestimmung der Hautinner-
T&tion aas Bückenmarkssegmenten. TenCate (Rotterdam).
Pathologische Anatomie.
3) L&lona seoondaires dann les oellules du noyau de l*hypogloaae & la
suite d’un oanoer de la langue, par Parhon et Goldstein. (La Roumanie
mWicale. 1900. Nr. 1 u. 2.)
Die VerfL haben in einem Falle von Zungenkrebs die Hypoglossuskerne an
Serienschnitten nach der Niesl'sehen Methode untersucht und in bestimmten
Zellbezirken die bekannten seenndären Zellveränderungen constatirt. Obgleich sie
keine genauen Angaben über die von der Neubildung zerstörten Bezirke und
Fmkelantheile machen, glauben sie sich doch auf Grund ihres einzigen Falles
berechtigt, den Hypoglossuskern in mehrere Gruppen zu zerlegen, von denen jede
einzelne zu bestimmten Zungenmuskeln gehören soll. Da diese Befunde auf Behr
unsicherer Basis stehen, kann auf die näheren Localisationsversuohe der Yerff.
nicht eingegangen werden. Max Bielschowsky (Berlin).
4) Cancer de la feoe. Ldsiona seoondaires dans le noyau du faoial, par
Parhon et M. Savon. (La Roumanie mädicale. 1900. Nr. 1 u. 2.)
In einem Falle von Gesichtskrebs, welcher die Muskeln der Nase mit dem
M. corrug. supercilii und der Oberlippe auf beiden Seiten zerstört hatte, ist von
den Verf t der Kern des N. VII genau nach der Methode von.Nissl untersucht
worden. Sie fanden die Zeichen der seoundären Zelldegeneration vornehmlich in
euer Gruppe, welche der basalen Portion des mittleren Drittels dieses Kernes
ugehört, und sehen in ihr die Ursprungsstätte der zu den zerstörten Muskeln
gehörigen Facialisfasern. Max Bielschowsky (Berlin).
Pathologie des Nervensystems.
5) Zur Lehre von den multiplen Hautnervenaffeotionen, zugleich ein
Beitrag zur Klinik der Meralgia paraesthetioa, von Docent Hermann
Schlesinger. Aus dem Kaiser Franz-Josef-Ambulatorium in Wien. (Fest¬
schrift für Prof. Neumann. Wien 1900. Deuticke.)
Verf. hat die Meralgia paraesthetica recht oft gesehen, darunter auoh bei
zwei Aerzten. Unter Mittheilung zweier Krankengeschichten betont er, dass mit¬
unter die Bernhardt’sche Sensibilitätsstörung auf uratischer Grundlage entstehe.
In einem der Fälle war eine isolirte Erkrankung eines zweiten Hautnerven-
stunmes (des Ramus cutaneus palmaris des N. mediauus) neben der des N. cutaneus
femoriß externus vorhanden. Die Affection an der Hand war durch das Auftreten
rinea guldengrossen, äusserst scharf begrenzten, anästhetischen Fleckes in der
Hohlhand charakterisirt, welcher zum Theil noch den Thenar occupirte. Bei
Dors&lflexion der Hand ein stechender Schmerz in der Hohlhand. Da der Ramus
cutaneus palmaris die Fascie oberhalb des Handgelenkes durchbohrt, kann er bei
einer Erkrankung derselben leicht in Mitleidenschaft gezogen werden.
Verf. spricht die Vermuthung aus, dass multiple isolirte Hautnervenaffeotionen
häufiger Vorkommen dürften, und theilt einen weiteren Fall mit, in welchem bei
einem luetisch afficirten Manne unter heftigen Schmerzen im Oberschenkel und
Daumen sich eine typische Bernhardt’sche Sensibilitätsstörung am rechten Ober¬
schenkel and ein Sensibilitätsdefect für Berührung, Schmerz- und Temperatur-
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eindrücke am rechten Daumen und ein wenig auf das Dorsum der rechten Hand
übergreifend entwickelte. Tiefe Sensibilität intact. Nirgends Druck empfindlich.
Auf Schmierkur dauerndes Schwinden der Schmerzen und Sensibilitätsstörungen.
In einem anderen Falle war bei einem Luetiker die gleiche Sensibilitäts¬
störung an einem Daumen, ein zweiter Sensibilitätsdefect ohne scharfe Begrenzung
zwischen Mamma und Sternum, ein dritter am linken Unterschenkel von der
Kniekehle abwärts von Handtellergrösse, auch ohne scharfe Begrenzung. Heftiges
Prickeln im Daumen. Sonst keine nervösen Erscheinungen. Wiederholte specifische
Behandlungen beseitigten die Empfindungsstörungen an der Brusthaut und am
Unterschenkel, aber nicht am Daumen. Pat. ist sonst gesund (5 Jahre nach
Krankheitsbeginn), kein Zeichen einer Spinalaffection nachweisbar.
R. Kienböck (Wien).
6) Neuritis asoendens traumatica ohne äussere Verwundung, von Dr.
K. Brodmann. Aus der psychiatrischen Klinik in Jena. (Münchener med.
Wochenschr. 1900. Nr. 24 u. 25.)
Ein 33jähr., früher gesunder Arbeiter, der kein Potator ist, erlitt im Früh¬
jahr 1898 einen Unfall, indem er die Fingerkuppe des 4. Fingers der rechten
Hand mit ziemlicher Wucht anstiess. Eine äussere Verletzung war niemals be¬
merkbar. Sofort nach dem Trauma traten sehr heftige Schmerzen in der ganzen
rechten Hand auf, denen sich später Kribbeln und Eingeschlafensein der Finger
hinzugesellte. Die Schmerzen gingen allmählich auch auf den Vorderarm über,
nahmen an Heftigkeit zu und waren besonders bei Bewegungen sehr intensiv.
Nach 4 Monaten war eine Atrophie der Mm. interossei und des Thenar der
rechten Hand, sowie eine Abmagerung der Schultermuskeln bemerklich, die Nerven-
8tämme waren druckempfindlich, während objective Sensibilitätsstörungen und
Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit fehlten. Im Sommer 1899 breiteten
sich die Schmerzen über das Genick hinweg zur linken Schulter und zum linken
Oberarm aus. Bei einer wegen Festsetzung der Unfallrente vorgenommenen
zweiten, sehr eingehenden Untersuchung (December 1899) wurde eine Atrophie
des ganzen rechten Armes sowie der Schultermuskeln, besonders des Bioeps,
Cucullaris und Deltoideus, ferner deutlicher Tiefstand der rechten Schulter und
Abflachung des rechten Supra- und Infraspinatus festgestellt. Am ganzen rechten
Arm bestand ausserdem Anästhesia dolorosa und Herabsetzung der tactilen Sensi¬
bilität. Die elektrische Untersuchung ergab an einzelnen Muskeln des rechten
Vorderarmes und der rechten Hand partielle Entartungsreaotion.
Verf. nimmt an, dass es sich in diesem Falle um eine nicht infectiöse, trau¬
matische Neuritis gehandelt hat, welche durch eine Verletzung feiner sensibler
Nervenzweige an der Spitze des 4. Fingers veranlasst war. Wahrscheinlich ist
die Entzündung innerhalb der Nervenscheiden auf die betreffenden Nervenstämme
aufwärts und auf andere Nervenzweige abwärts fortgeschritten, ist dann auf das
Rückenmark selbst übergegangen und hat schliesslich zu myelitischen Verände¬
rungen mit doppelseitigen Symptomen geführt.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
7) Remarks on the diagnosis and treatment of arsenloal neuritis, by
Judson S. Bury. (Brit. med. Journ. 1900. 8. December.)
Verf. versucht auf Grund der bei der Epidemie in Manchester gemachten
Beobachtungen differential-diagnostische Merkmale zwischen der durch Alkohol
und der durch Arsenikvergiftung hervorgerufenen Neuritis festzustellen. Während
er für erstere als charakteristisch Herzvergrösserung, Herzschwäche und deren
Folgen, Gedächtnissschwäche ansieht, sind für letztere besonders die Haut-
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erkrankungen (Pigmentbildung, erythematöse Ausschläge u. s. w.), Haar- und
Nägelausfall, Schnupfen, Oedem des Augenlides, lllcerationen des Gaumens und
Rachens in die Augen fallend.
Ferner treten bei der „Arsenik-Neuritis“ die Hyperästhesie der Haut, sowie
die vasomotorischen Störungen in den Vordergrund (viele Fälle machten anfänglich
den Eindruck von Erythromelalgie). Auch Ataxie glaubt Verf. relativ mehr bei
Arsenikneuritis beobachtet zu haben.
Therapeutisch empfiehlt Verf. neben der symptomatischen Behandlung der
Schmerzen in den ersten Stadien Darreichung von Natr. salicyl. und Jodkali.
E. Lehmann (Oeynhausen).
8) Beitrag zur Klinik des Herpes zoster ophthalmious , von Doc. Dr.
L. Eönigstein. (Wiener med. Presse. 1900. Nr. 31.)
I. 60jähr. Mann; nach mehrtägigen Prodromen (Kopfschmerz, Fieber) Herpes
an der linken Stirnhälfte bis in die behaarte Kopfhaut und am Oberlide. Colla-
terales Oedem. Lähmung aller vom Oculomotorius versorgten äusseren Augen¬
muskeln. Die Lähmung blieb 6 Wochen stationär und war nach weiteren
4 Wochen geschwunden.
II. 46jähr. Arbeiter; Substanzverluste an der linken Cornea, Unempfindlich¬
keit derselben, Herpesbläschen am linken Oberlide. Letztere heilten rasoh, die
Corneaerkrankung mit Hinterlassung-'von Trübungen.
IIL 69jähr. Frau; Anfälle von Glaukom. An der rechten Cornea am Rande
ein Infiltrat. Ein Herpes frontalis soll vorausgegangen sein.
Verf. geht auf die Vertheilung der sensiblen Hautäste des 1. Trigeminus-
astes und deren topographische Beziehungen zu den Gebilden der Orbita und des
Weiteren auf die Theorieen des Herpes zoster ein. Du bl er’s Neuritistheorie
lute sich nicht anwenden auf jene Fälle von Zona, in denen das ganze Gobiet
des 1. Astes ergriffen sei, heftige Kopfschmerzen vorangingen und die Eruption
plötzlich und im ganzen Nervengebiete gleichzeitig erfolgte. Solche Fälle können
nur durch einen centralen Sitz der Erkrankung erklärt werden.
J. Sorgo (Wien).
9 ) The pathology of herpea zoster and its bearing on sensory looalisation,
by H. Head and A. W. Campbell. (Brain. Autumn 1900.)
Die vorliegende ausgezeichnete Arbeit der beiden wohlbekannten Verff. ist
das Product eines Jahre langen Fleisses. Sie beruht auf der anatomischen Unter¬
suchung von 21 klinisch beobachteten Fällen von Herpes zoster, und zwar in
illen Stadien nach der Eruption — ein paar Tage bis viele Jahre —, dabei
sind Fälle von genuinem Herpes, von Herpes bei Wirbelsäulenerkrankung (Krebs)
und bei allgemeinen Nervenerkrankungen berüoksiohtigt (Tabes, Paralyse). Unter¬
sucht sind die Intravertebralganglien, die Wurzeln, peripheren Nerven und das
Rückenmark. Was das bedeutet, geht wohl am besten daraus hervor, dass seit
v. Bärensprung das Ganglion intravertebrale als den Sitz der Erkrankung beim
Herpee zoster erkannte — also seit 1861 — nur in 5 Fällen eine genaue histo¬
logische Untersuchung dieses Ganglion vorgenommen ist (3 Fälle von Lesser,
einer von Chandelux, einer von Dublor). Die Arbeit ist ausserdem eine
Fortsetzung und Ergänzung der grossen Arbeiten Head’s über die Sohmerzzonen
der Haut bei visceralen Erkrankungen und ihre Beziehungen zu den Rückenmarks¬
iegmenten.
In allen Fällen — abgesehen von einigen, wo die Eruption lange Zeit vorher¬
gegangen und nur gering war, wo also die Ganglienaffection wohl vollkommen
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geheilt war — fanden eich Veränderungen in den der Hauteruption entsprechenden
Intravertebralganglien. In frischen Fällen handelte ee sich um eine acute,
hämorrhagische Entzündung im dorsalen Theil des Ganglions mit mehr weniger
erheblicher Zerstörung der Zellen, in alten um eine Narbenbildung an derselben
Stelle mit definitivem Schwund der Ganglienzellen. Dann fand sich auch die
Scheide des Ganglions verdickt. Stets fand sioh auch eine Degeneration der ent¬
sprechenden hinteren Wurzel, wenigstens, wenn etwa 10 Tage nach der Eruption
des Herpes vergangen waren; bis zum 14. Tage erreichte diese mit Marchi
nachweisbare acute Degeneration ihren Höhepunkt; dann werden die Zerfalls-
producte wieder fortgeschafft; in leichteren Fällen war dann bald die betreffende
Wurzel wieder normal, in schwereren trat Sklerose ein, aber selbst nach 75 Tagen
fanden sich noch Zerfallsproducte. In sehr schweren Fällen kann die hämor¬
rhagische Entzündung selber ein Stück weit in den peripheren Ast des Ganglions
und in den gemischten Nerven hineinreichen; im Allgemeinen aber handelt es
sioh auch in diesen Theilen nur um secundäre Degeneration, die hier in derselben
Zeit eintritt und abläuft, bezw. zur Sklerose führt, wie in der Bückenmarks¬
wurzel. Diese Erkrankung lässt sich in der Peripherie bis in die feinsten Haut¬
nerven verfolgen, sie ist im Dorsalast der thoracicalen Wurzeln stärker als in
den Kami perforantes laterales und anteriores, vermuthlich weil der dorsale Ast
fast rein sensibler Natur ist. Die secundäre Degeneration der hinteren Wurzeln
erreicht am 9.—10. Tage auoh das Rüokenmark, sie befällt hier die bekannten,
den betreffenden hinteren Wurzeln zugehörigen Zonen — auch eine geringe ab¬
steigende Degeneration tritt ein —; bei Herpes am Arme endigt die Degeneration
am Nucleus Burdach — bei Herpes, die das Bein mitbetraf^ lag sie im oberen
Dorsalmarke im Goll’schen Strange. Bei Herpes in Gebieten des Dorsalmarkee
konnte dagegen die secundäre Läsion nur bis in’s erste Dorsalsegment verfolgt
werden; sie lag zuletzt an der Peripherie des Markes. Nach den Verff. müssen
also die Spinalganglien der Dorsalregion nur kurze Fasern in die Hinterstränge
entsenden; die langen, bis zur Medulla oblongata aufsteigenden, stammen lediglich
von den Beinen oder den Armen. Bei Herpes im Trigeminusgebiete fand sich
die acute Entzündung in einem Theile des Ganglion Gasseri, Degeneration in der
Wurzel des Nerven und in der sogenannten aufsteigenden Trigeminuswurzel. Bei
einer Affection des zum 3. Ast gehörigen Theil es des Gasser'sehen Ganglions
waren die oberen zwei Drittel der aufsteigenden Wurzel zerstört; die Verff.
nehmen an, dass zum 2. Aste der Rest der au&teigenden Wurzel gehört, während
die 1. Wurzel — bezw. ihr 2. Neuron — direct um den sogenannten oberen
sensiblen Trigeminüskern endigt. Die sogenannte absteigende Trigeminuswurzel
war nie mit degenerirt. In der Haut sitzt die Herpesblase auf der nackten, sehr
entzündeten Papille, die geschlossenen Bläschen enthalten nie Bakterien; dennoch
sind die zu den betreffenden Hautpartieen gehörigen Lymphdrüsen geschwollen.
Der genuine Herpes zoster ist also eine acute specifische Erkrankung der
Intravertebralganglien, die wohl infectiöser Natur ist. Es kann — in den ver¬
schiedensten Jahreszeiten — sogar zu kleinen Epidemieen kommen. Die Er¬
krankung entspricht also in allen Theilen der acuten Poliomyelitis anterior, sie
ist so zu sagen eine Poliomyelitis posterior. Meist wird nur ein Ganglion be¬
fallen, seltener zwei bis drei; letzteres am ersten noch am oberen Cervicalplexus.
Die dorsalen Ganglien erkranken besonders häufig. Dem Ausbruch ‘des Herpes
geht meist eine Hyperästhesie vorher, manchmal ein Erythem in den später be¬
fallenen Parti een.
Die Eruption des Herpes zoster betrifft bei Erkrankung eines bestimmten
Ganglions immer bestimmte Hautpartieen. Die Verff. haben eine grosse Zahl von
genau aufgezeiebneten Herpesfallen gesammelt und bestimmt, welche Ganglien in
den betreffenden Fällen erkrankt sein mussten. Durch ihre Sectionen haben sie
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nachgewieeen, dam 10 von solchen 19 aufeinander folgenden Zonen richtig be¬
stimmt waren, also werden auch wohl in den übrigen Zonen keine groben Fehler
«ein. Kleinere Variationen können natürlich Vorkommen, sie hängen von Körper¬
grösse, Alter, Geschlecht ab; ausserdem kann die betreffende Hautpartie um ein
halbes Ganglion mehr köpf- oder caudalwärts liegen, als unter gewöhnlichen,
normalen Umständen (präfixirter oder postfixirter Typus). Ein Ineinandergreifen
(overlap) der einzelnen Regionen findet höchstens um eine halbe Region nach oben
oder unten statt; am stärksten ist das Uebergreifen an die Extremitätenenden,
am geringsten am Rumpf. Die Verff. erklären aber ausdrücklich, dass sie nur
von den Herpeszonen handeln, über die Beziehungen dieser Zonen zu denen des
reflectirten Schmerzes wollen sie später berichten. Sie geben dann eine schema¬
tiche Tafel der betreffenden Zonen.
Zum Schluss bringen sie die ausführlichen Krankengeschichten und Sections-
befände ihrer 21 Fälle und 16 vorzüglich ausgeführte Tafeln.
Bruns.
10) Zo rn » au oours «Tone diphthörie, par M. Viellet (Gazette des höpitaux.
1900.)
Bei einem an Scharlach erkrankt gewesenen Kinde blieb eine hartnäckige
Coryza zurück. Nach 7 Monaten kam es plötzlich zum Auftreten von Membranen
in der Nase; diese bakteriologisch als Diphtherie sichergestellte Affection blieb
auf die Nase beschränkt. Gleichzeitig trat Herpes zoster im Gebiet des rechten
Ulnaris auf, dem 2 Tage später Herpes zoster im Gebiet des rechten Radialis
folgte. Verf. betont, dass diese Complioation der Diphtherie mit Herpes zoster
eine äusserst seltene ist. (Die erste Serumeinspritzung wurde erst nach Auftreten
des Herpes vorgenommen.) R. Hatschek (Wien).
11) Polyneuritifl nach Verbrühung, von Dr. J. Pal (Allg. Wiener med.
Zeitung. 1900. Nr. 15.)
53jähr. Pfründnerin mit chronischer Gelenksentzündung. Vor 7 Jahren zog
sie sich durch heisse Suppe Brandwunden an der linken oberen Extremität, Brust
and linken Bauchseite zu. Nach einem Monate Spitalsaufhahme, schon vorher zu*
nehmende Schmerzen in den unteren und später auch oberen Extremitäten und
reissende Schmerzen in den Unterschenkeln. Einschränkung der activen Be¬
weglichkeit, namentlich an den unteren Extremitäten und an den beiden Hand¬
gelenken, Atrophie der kleinen Handmuskeln, paralytische Spitzfussstellung.
Dorsalflexion an Händen und Füssen aufgehoben. Atrophie der Unterschenkel,
Hyperästhesie der Haut der unteren Extremitäten, Druckempfindlichkeit der
Nervenstämme. Weiterhin starke psychische Depression, Incontinentia urinae
et alvi.
Alkoholismus war von der Pat. zugegeben. Den Anstoss zum Ausbruch der
Polyneuritis sieht aber Verf. in den durch die Verbrühung gebildeten Toxinen.
J. Sorgo (Wien).
12) Ueber einen Fall von Polyneuritis, von Theodor Zahn. Aus der
psychiatr. Universitätsklinik in Würzburg. (Münchener med. Wochenschr.
1901. Nr. 11.)
32jährige Kranke. Alkoholismus und Lues negirt. Beginn der Erkrankung
mit Ermüdung in den Beinen und im linken Arm, dann Schmerzen, auffallende
Gedächtnisschwäche und Mattigkeit. Die Vergesslichkeit bezog sich hauptsächlich
Mf Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, Objectiv: starke Contractur in den
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Kniegelenken. Quadriceps völlig gelähmt und stark atrophisch. Fuss- und Zehen¬
gelenke activ nicht beweglich. Patellarreflexe fehlen. Lähmung des Deltoideus
links und Contractur seiner Antagonisten, ferner Lähmung der Mm. interossei
und der beiden ulnaren Lumbricales links. Alle gelähmten Muskeln sind weder
faradisch noch galvanisch erregbar. Nervenstämme nicht druckempfindlich. Vorn
an den Unterschenkeln und auf den Fussrücken Sensibilitätsstörungen.
Während der Behandlung blieb das psychische Verhalten unverändert, etwa
8 Monate nach Beginn des Leidens fingen aber die Lähmungen an zuriickzugehen,
ebenso wurden die Sensibilitätsstörungen geringer. Die elektrische Erregbarkeit
kehrte wieder.
Im Juli 1899, nicht ganz 2 Jahre nach Beginn des Leidens, starb Patientin
an einer intercurrenten Krankheit.
Die pathologisch-anatomische Untersuchung ergiebt: die meisten Nervenbündel
des N. cruralis normal. Einige weisen einen Faserausfall mässigen Grades auf
Rückenmark völlig ohne Sonderheit. Gehirn wurde nicht untersucht.
Die Polyneuritis war somit nahezu ausgeheilt. Die Affection hatte die Beine
ganz symmetrisch, und zwar vorwiegend deren Streckseiten ergriffen.
Ein ätiologisches Moment für die Entstehung der Polyneuritis und der
Korsakow'sehen Psychose war in diesem Falle nicht zu eruiren.
Kurt Mendel.
13) Ueber Poliomyelitis acuta der Erwachsenen und über das Verhftltniss
der Poliomyelitis zur Polyneuritis, von Prof. Dr. A. Strümpell und
Dr. A. Barthelmes. Aus der medicinischen Klinik in Erlangen. (Deutsche
Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVIII.)
Ein 32jähriger, vorher gesunder Mann erkrankt plötzlich unter sehr starken
Kreuzschmerzen, in deren Gefolge innerhalb 5—6 Tagen eine Lähmung beider
Beine auftritt. Ausser starkem Schweiss am 4. Krankheitstage keine Allgemein¬
erscheinungen. Stärkere peripherische Schmerzen, Parästhesieen oder Sensibilitäts¬
störungen fehlen vollkommen. Nach 3 Woohen waren die acuten Reizsymptome
verschwunden, und eB blieb nur die Paraplegie zurück, die gelähmten Muskeln
wurden atrophisch, verloren entweder die elektrische Erregbarkeit ganz oder
zeigten deutliche Entartungsreaction.
Das sehr acute Einsetzen der Lähmung und das Fehlen von Parästhesieen
in den Beinen spricht gegen die Annahme einer Polyneuritis. Hingegen deuten
die sehr heftigen Kreuz- und Rückenschmerzen auf einen acut entzündlichen
Process im ventralen Gebiet des Lendenmarks hin. Auch ist das Stationärbleiben
der Lähmung für Poliomyelitis charakteristisch.
Während auf der rechten Seite die Kniestrecker, die Dorsalflectoren des
FusBes und der Zehen gelähmt, die Glutaei und Kniegelenkbeuger paretisch
waren, erschienen links die Adductoren der Hüfte, die Beuger und Strecker des
Kniegelenks betroffen und ausserdem waren alle Bewegungen im Fussgelenk und
in den Zehen behindert. Der poliomyelitische Herd würde sich demnach rechts
vom 4. Lumbal- bis zum 1. Sacralsegment inclusive erstrecken, während er links
sohon im 3. Lumbalsegment beginnen und bis zum 2. Sacralsegment reichen
dürfte.
Bemerkenswerth war in diesem Falle das beiderseitige vollkommene Frei¬
bleiben des M. sartorius. Es spricht dies für die Annahme, dass sein Centrum
in den obersten Lumbalsegmenten zu suchen ist. Auch sind es wahrscheinlich
im 1. Sacralsegment die Centren für die Dorsalflexoren des Fusses und der Ziehen
und im 2. Sacralsegment die Centren für die Plantarflexoren von Fuss und Zehen
künftig zu suchen.
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Während sich die acute Poliomyelitis der Kinder uud Erwachsenen durch
einen infectiös-entzündlichen Process im Gebiet der Vorderhörner charakterisirt,
bandelt es sich bei der acuten Polyneuritis um eine hämatogen-toxische Nerven¬
degeneration, bei der neurotischen und spinalen Muskelatrophie hingegen um eine
endogen bedingte, fortschreitende Atrophie der motorischen Neurone.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
14) Zur Lehre von der multiplen selbständigen Gehiranervenneuritis (Fall
von Diplegia facialis oombinirt mit Ophthalmoplegia externa), von
Carl v. Rad in Nürnberg. (Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilk. 1900.
XVIL)
Ein 14jähr. junger Mann aus gesunder Familie überstand mit 8 Jahren eine
sehr schwere tuberculöse Cerebrospinalmeningitis, in Folge welcher das linke
Ange nicht mehr vollständig geschlossen werden kann. Ende Mai 1899 traten
plötzlich sehr heftige, von den Ohren in beide Gesichtshälften ausstrahlende
Schmerzen auf, in deren Gefolge etwa 14 Tage später eine beiderseitige Facialis-
und kurz darauf auch eine rechtsseitige Abducenslähmung, sowie eine complete
Ophthalmoplegia externa mit Verschontbleiben des Levator palpebrae bemerkt
wurde. In dem Gesicht ist jede mimische Bewegung erloschen, die reflectorischo
Erregbarkeit ist völlig aufgehoben, der Facialis ist an der Austrittsstelle am
Foramen stylomastoideum und an seinen einzelnen elektrischen Reizpunkten stark
druckempfindlich. Es besteht Entartungsreaction und Erhöhung der mechanischen
Erregbarkeit der Gesichtsmuskeln. Sensibilität, Geschmack und Gaumensegel sind
iutact, keine Hyperacusis. Auch am übrigen Nervensystem keine Veränderungen.
Im weiteren Verlauf besserte sich zuerst die Augenmuskellähmung, nach 3 Monaten
auch die Diplegia facialis, und nach 4 1 /, Monaten konnte vollkommene Heilung
coDstatirt werden. Interessant war dabei, dass auch die nach der tuberculösen
Meningitis zurückgebliebene Schwäche im linken Augenfaoialis ebenfalls wieder
zurückging.
Das acute Einsetzen der beiderseitigen Lähmung, die initialen Schmerzen
und die sehr stark ausgeprägte Druckempfindlichkeit der Nerven und Muskeln,
sowie der ausgesprochen periphere Charakter der Lähmung und der spätere Ver¬
lauf derselben sprechen ftir eine neuritische Affection. Die Ophthalmoplegia
«terna, welche nur den Levator palp. verschont Hess, ist auf eine Erkrankung
einzelner Fasern der beiden Oculomotorii, sowie beider Nn. abducentes und troch-
le&res zurückzufiihren. Verf. glaubt diese Erscheinung ebenfalls durch die An¬
nahme einer peripheren Affection erklären zu sollen, welche ja durch das Bestehen
der neuritischen Diplegia facialis und das ganz acute Einsetzen eine weitere
Stütze erhält.
In ätiologischer Beziehung ist der Fall unklar. Für hereditäre Lues boten
rieh keine Anhaltspunkte, und es bleibt unentschieden, ob der tuberculösen Dia»
these irgendwelche Bedeutung zugesprochen werden soll.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
15) Zur Kenntniss der multiplen Neuritis, von Dr. C. Henrioi, Hülfsarzt
an der inneren Abtheilung des Diakonissenhauses in Dresden. (Münchener
med. Wochenschr. 1900. Nr. 26.)
Es handelt sich um 5 Fälle von Polyneuritis, in welchen 3 Mal der Alkohol,
1 Mal eine überstandene Infeotionskrankheit und bei einem Kranken eine Arsenik¬
vergiftung die Rolle des agent provocateur spielte. In zwei der durch Alkohol-
intoxication veranlassten Beobachtungen waren auch die Korsakow'sehen Sym¬
ptome vorhanden.
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Am meisten Interesse verdient der Fall, welcher im Anschluss an einen
reichlichen Genuss von Arsenik zur Beobachtung gelangte. Eine Woche nach
dem Vergiftungsversuch machten sich die ersten Erscheinungen der multiplen
Neuritis in Gestalt von Parästhesieen, Schwäche in den Armen and Beinen and
von trophischen Störungen der Haut bemerkbar. Nach 2 Monaten konnte deut¬
liche Atrophie der Interossei, des Thenar und Hypothenar, and besonders der
Mm. trioipite8 and qaadrioipites nachgewiesen werden. Aach war in denselben
die faradische Erregbarkeit erloschen. Ausserdem waren mittelstarke Sensibilitäts-
störungen nachweisbar. Der Puls zählte noch nach 5 Monaten 100 Schläge bei
normalem Herzbefund. Während sich das Krankheitsbild in centripetaler Richtung
entwickelte, ging die Besserung in entgegengesetzter Folge, und zwar schneller
an den Armen als an den Beinen, vor sich.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
16) Angioneurose und „Neurung! ose“. Bin Beitrag «um Studium von den
Beziehungen swlsohen Blutoiroulation und peripherem Nervensystem,
von Dr. A. Hans er in Mannheim. (Deutsche Zeitsohr. £ Nervenheilk.
1900. XVIII.)
Während bei den Angioneurosen vorübergehende Störungen des Circulations-
apparates auftreten, welche heilbar sind, bestehen bei den „Neurangiosen“ labile
Veränderungen des peripheren Nervensystems, welche sich an primäre Störungen
des Gefässsystems anschliessen. Es giebt Circulationsstörungen vorübergehender
Art, welche sowohl bei nachweisbar gesundem, wie krankem Gefässapparat am
peripheren Nervensystem eine transitorische Schädigung hervorrufen. Dieselben
sind im Gegensatz zu den umgekehrt entstanden gedachten Angioneurosen unter
dem Begriff der Neurangiosen zusammenzufassen, wenn die Disposition zu solchen
Störungen besteht Und zwar ist dabei nioht nur der arterielle, sondern haupt¬
sächlich auch der venöse Kreislauf zu berücksichtigen. Die Symptome zeigen sich
meistens am sensiblen, selten am motorischen, manchmal am secretorischen, aber
niemals am trophischen Nerven. Es gehören dazu manche Neuralgieen bei
Störungen des Kreislauft und einige andere Neurosen, vielleicht auch das inter-
mittirende Hinken in seinem Frühstadinm und die Dystasia intermittens.
E Asch (Frankfurt a/M.).
17) Troia Observation« de polynövrites grippales, par Cestan et Babonneix.
(Gazette des höpitaux. 1900.)
L Ein 46jähr. Mann, der seit 25 Jahren häufig an Grippe erkrankt war,
bekam im Februar 1900 wieder einen heftigen Influenzaanfall. Im Laufe eines
Monates stellten sich allmählioh Schwäche der Beine, Parästhesieen in denselben
und Oedem der Malleolargegend ein. Im April wurde völlige Lähmung des linken,
hochgradige Parese des rechten M. quadric. femor. constatirt, die Sehnenreflexe
fehlten an den Beinen, die Hautreflexe waren normal. Es bestand Druckschmers
der Musculatur, Cyanose der Füsse. Beiderseits Entartungsreaction im Quadrioepe,
partielle Entartungsreaction in den vom Peroneus versorgten Muskeln mit Aus¬
nahme des M. tibial. anticus und im Gastrocnemius. — Rasche Besserung.
II. Bei einem 47jähr. Patienten kam es nach vorausgegangener Influenza zu
Paresen der Arme und Beine mit Parästhesieen, erloschenen Sehnenreflexen u. s. w.
2 Wochen darnach trat doppelseitige Facialisparalyse mit Entartungsreaction auf,
während an den Extremitäten bloss quantitative Aenderungen der elektrischen
Erregbarkeit bestanden. — Rasche Besserung.
III. Ein 30jähr. Patient fühlte sich nach Ueberstehen eines Influenzaanfalles
2 Wochen ganz wohl, dann traten zunächst Parästhesieen au Zehen und Fingern
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tuf^ die immer weiter centralwärts fortechritten. 5 Wochen naoh Beginn der
Influenia kam es zu Pareeen sämmtlicher Extremitäten. Haut- und Sehnenreflexe
erloschen, Babinski’sches Zeiohen fehlte. Die Nerven und Muskeln waren
druckempfindlich. Lähmung eines Stimmbandes und Lähmung im Bereich der
Bumpfmusculatur gesellte sich hinzu. Es bestand Entartungsreaotion im Bereich
der Nn. median., ulnar., in den Mm. supinat. long. und biceps, im N. cruralis, den
Muskeln an der Streckseite des Beines und in dem Gastrocnemius. Es erfolgte
Wiederherstellung.
Die Influenzaneuritis tritt in der Beoonvalesoenz ein, sie ist eine tardive
Complication. Bald beginnt sie mit sensiblen, bald mit motorischen und tro-
phischen Störungen. Stets prädominiren die motorischen Ausfallserscheinungen,
doch sind sensible Störungen stets vorhanden, wenn auch weniger intensiv als bei
andersartigen Neuritiden. Kumpf-, Nacken- und Gesichtemusculatur wird selten
ergriffen, häufig ist dagegen der Vagus betheiligt; auch Augenmuskellähmungen,
Iihmung des Acusticus, des Pharynx, des Diaphragma sind beschrieben worden.
An den Extremitäten sind die Streckergruppen bevorzugt und die Ataxie häufig
tuffallend stark; die Lähmungen sind sohlaffe. Die Dauer der Influenzaneuritiden
«streckt sioh auf Monate bis Jahre, die Prognose ist im Allgemeinen — aber
nicht ausnahmslos — günstig. Verf. verweist auf Bonnet, der den anatomischen
Nachweis für die Existenz der Influenzaneuritis geliefert hat, lässt die Frage
offen, ob es sich um toxische oder infectiöse Läsion handle. Für die Wieder¬
herstellung hält er Einleitung einer entsprechenden Therapie (Elektricität, Massage,
Strychnin u. s. w.) für wichtig. R. Hatsohek (Wien).
18) Beitrag zur Klinik der Landry ’sohen Paralyse mit besonderer Be¬
rücksichtigung ihrer Bakteriologie und Histologie, von Dr. Julius
Kapper. (Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 7.)
33 j ähr. Hülfsarbeiter. Beginn der Krankheit mit Parästheeieen in den
Fingern, einige Tage später reissendem Kopfschmerz in beiden Schläfen, Schmerzen
in den Kniegelenken und Waden, die sich auf Druck steigerten. Parästheeieen
in den Füssen und Schwächegefühl. Bei der Aufnahme erhob man folgenden
Status: subikterisches Colorit, Schmerzhaftigkeit beim Beklopfen des Schädeldaches,
diffuse Bronchitis, freies Sensorium, ooncentrische Gesichtefeldeinschränkung für
Weiss und für Farben, Fehlen der Cornealreflexe; beiderseitige Gaumenparese, Fehlen
der Gaumenreflexe, Abweichen der Uvula nach links, leiohte Schwäche des linken
Facialis bei Affectbewegungen, Neigung sich zu verschlucken, beiderseitige Internus-
nsd Transversusparese im Larynx, schlaffe Parese der unteren Extremitäten mit
Fehlen der Reflexe bei intacter oberflächlicher und tiefer Sensibilität; Bauchdeoken-
refieze fehlen, Sphinkteren normal; Parese beider oberen Extremitäten, oberfläch¬
liche Sensibilität intact, die tiefe leicht gestört, Fehlen der Reflexe; keine Druck¬
empfindlichkeit der Nervenstämme, keine Ataxie, keine Atrophie, keine Entartungs-
reaction. Im Harn Indican und Scatol. In den folgenden Tagen Phrenicus-
lihmung, Schlingkrämpfe, profuse Schweisse, Dyspnoe, Cyanoee, Tod im Collaps.
Dauer der Krankheit etwa 15 Tage. Makroskopisch liess sioh im Central-
Herren System nur starke Hyperämie des Gehirns nach weisen; histologisch ergaben
Bückenmark und periphere Nerven negativen Befund.
Verf. erörtert ausführlich die Differentialdiagnose gegenüber Polyneuritis,
Myelitis, Gold fl am’s familiärer Lähmung, Poliomyelitis, acuter Bulbärparalyse
and Hysterie.
Hervorzuheben sind drei bei Landry’scher Paralyse bisher nicht beobachtete
Symptome:
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1. der Beginn mit Parästhesieen in den Fingern, vom Verf. zurückgeführt
auf die Berufsthätigkeit des Kranken (Wäscherei);
2. die concentrische Gesichtsfeldeinschränkung;
3. die Internus- und Transversuslähmung.
Die bakteriologische Untersuchung von Harn und Blut blieb negativ. Verf.
führt die Erkrankung auf Autointoxication zurück, wofür die Obstipation, das
Auftreten von Scatol und Indican im Harn, die Besserung des Allgemeinzustand«
nach einer Irrigation sprach. Verf. empfiehlt in solchen Fällen Irrigationen,
Sorge für Diaphorese und Diurese und Darreichung von Darmantisepticis.
J. Sorgo (Wien).
10) Ueber Landry’sohe Paralyse, von Dr. Otto Wappenschmitt Aus
dem pathologischen Institut der Universität München (Prof. Bollinger).
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVI.)
Nach ausführlicher Zusammenstellung der seit dem Jahre 1890 mitgetheilten
Fälle von Landry’scher Paralyse, berichtet Verf. über eine eigene Beobachtung
dieses Leidens, in welcher Folgendes bemerkenswert!! ist:
Ein 24jähriger, früher stets gesunder und nicht belasteter Lackirer(!) em¬
pfindet seit Februar 1898 Beschwerden beim Gehen, Schmerzen in den Beinen und
später auch in den Armen, sowie Schwere und Steifigkeit in letzteren und Un¬
fähigkeit zu Bewegungen der unteren Extremitäten. Bald darauf Gesichtslähmung
und Sprachbeschwerden. Bei der Untersuchung findet sich eine beiderseitige
Facialisparalyse. Rechte Pupille etwas > links, von prompter Reaction auf Licht
und Entfernung. Rechter Gaumensegel steht etwas höher als linker, Uvula weicht
leicht nach links ab. Häufig Verschlucken. Vollständige Lähmung sämmtlicher
Extremitäten. Tactile Sensibilität aufgehoben, am Fussrücken verlangsamte Leitung
mit Nachempfindung, Schmerz- und Temperaturempfindung an den Armen und
vom Nabel an abwärts gesteigert. Lagegefühl erhalten, Haut- und Weichtheile
der Extremitäten, sowie beide Crurales, Ischiadici, Peronei, Tibiales und Ulnares
druckempfindlich. Sämmtliche Reflexe aufgehoben, mässige Dermographie, Ge¬
dächtnis und Intelligenz gut, Blasenlähmung. Nach 10 Tagen Exitus. Bei der
Autopsie fand sich Milzvergrösserung, beginnende hämorrhagische Pneumonie,
geringe Schwellung der Darmfollikel und bei der anatomischen Untersuchung am
Rückenmark eine rein spinale, ansteigende und später auf die Medulla oblongata
übergreifende Paralyse wahrscheinlich infectiöser bezw. toxischer Natur mit Hyperämie
in allen Höhen, Blutungen in den perivasculären Lymphräumen der grauen Sub¬
stanz (ausser dem Lumbalmark), mit hyalinen Thromben im Lumbal- und Cervical-
mark, Infiltrationen der Gefässwände und chromatolytischen Veränderungen der
Ganglienzellen.
Verf. nimmt an, dass es sich in vielen Fällen von „bulbärer Landry’scher
Paralyse“ um eine Infection bezw. Intoxication handelt.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
20) Landry's paralysis: remarks on Classification , by E. W. Taylor and
J. E. Clark. (Journal of nervous and mental disease. 1900. XXVII.
S. 177.)
Nachdem die Verff. eingehend die Verschiedenartigkeit der klinischen Sym¬
ptome, der pathologisch-anatomischen Befunde und der ätiologischen Factoren der
unter dem Namen „Landry’sche Paralyse“ beschriebenen Fälle erörtert haben,
kommen sie zu dem Schlüsse, dass diese Affection nicht eine Erkrankung sui ge-
neris vorstellt und es daher wünschenswerth ist, den Ausdruck Landry’sche
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Paralyse als unnöthig und irreführend aufzugeben, da mit grosser Wahrscheinlich¬
keit unter diesem Begriffe eine ganze Reihe anderer Erkrankungen mit aufgeführt
würden. Kühne (Allenberg).
21) Landry’s paralysis, by Philip Coombs Knapp and John Jenks
Thomas. (Journal of nervous and mental disease. 1900. XXVII. S. 74.)
Verf. berichtet über 3 Fälle von L an dry'scher Paralyse, von denen zwei
zur Genesung kamen, während einer (eine 28jähr. Frau) in 14 Tagen zum Exitus
kam. Die mikroskopische Untersuchung des Rückenmarks desselben ergab eine
parenchymatöse Degeneration der Ganglienzellen der Vorderhörner, ferner Dege¬
neration der vorderen und hinteren Nerven wurzeln, sowie der peripheren Nerven
(N. ischiadicus), schliesslich Dilatation der Blutgefässe in den Vorderhörnern des
Rückenmarks, den Rückenmarkshäuten und Nervenwurzeln.
Auch dieser Fall bestätigt wieder die von den Verff. und anderen Autoren auf¬
gestellte Behauptung, dass die L an dry'sehe Paralyse auf einer, wahrscheinlich
durch ein toxisches Agens hervorgerufenen Erkrankung des gesammten peripheren
motorischen Neurons beruht. Kühne (Allenberg).
22) Ueber die Verbreitung der Leprabaoillen im menschlichen Körper, von
Uhlenhuth. Vortrag, gehalten im medicinischen Verein in Greifswald am
6. Januar 1900. (Deutsche med. Wochenschr. 1900. Nr. 21.)
Verf. fand in einem Falle von Lepra mixta fast in allen Organen Lepra¬
bacillen, besonders reichlich in der Haut und Schleimhaut der oberen Luftwege
bis zum zweiten Trachealring, in Milz, Knochenmark, Hoden, Leber, Nebennieren,
subcutanen Lymphdrüsen, in den Endothelien der Hautcapillaren, den Wandungen
der Hautvenen und Hautarterien. Spärlich war die Aussaat der Bacillen zwischen
den Muskelfasern des Herzens und der Körpermusculatur, sehr spärlich in Lunge,
Bronchialdrüsen, Prostata, den Nieren, frei von Bacillen waren Glaskörper, Linse,
Retina, N. opticus, der Darmtractus, die Hamblasenwandung, das Epithel der
Glandula submaxillaris und des Pancreas, das intacte Epithel der Haut und
Schleimhäute, die Talg-, SchweiBs- und Schleimdrüsen. Vereinzelte Leprabacillen
machen anscheinend keine histologischen Veränderungen, grössere Mengen von
Bacillen bedingen Keroinfiltration und Bindegewebswucherung. — Die Bacillen
liegen fast immer in den durch Vacuolenbildung ausgezeichneten, sogenannten
Virchow'sehen Leprazellen, gruppenweise oder in colossalen Haufen (Lepra¬
schollen, Globi) eingelagert Das Nervensystem wurde gemeinsam mit Dr.
Westphal untersucht.
Der N. peroneus ist in seinen verschiedenen Bündeln verschieden stark dege-
nerirt, zum Theil völlig untergegangen; Endo- und Perineurium verdickt, Gefilss-
wandung verbreitert, Lumen zum Theil obliterirt; erhebliche Kemwucherung. —
In den Nn. ulnaris und saphenus ist die Degeneration noch ausgesprochener; alle
drei Nerven zeigen ausserordentlich reichliche Leprabacillen, dieselben liegen
theils in der Sch wann'sehen Scheide, scheinen auch in den Axencylinder sich
hinein zu erstrecken oder liegen dicht um die Nervenfasern herum (N. peroneus
und’ ulnaris). Vagus und Sympathicus sind frei von Leprabacillen.
Die Spinalganglienzellen enthalten Leprabacillen im Pigment oder regellos
?ertheilt, die Zellstruotur ist nur wenig verändert.
Auf den Rückenmarksquerschnitten finden sich Leprabacillen in den Vorder¬
hornganglienzellen, und zwar den Zellen selbst, den Dendriten und dem Axen-
cylinderfortaatz, nicht ausserhalb der Zellen. Zellen der Hinterhörner, ebenso die
Groeshirnganglienzellen sind frei, dagegen enthalten die Purkinje’schen Kleinhirn-
gellen spärliche Bacillen bei normaler Structur.
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Verf. fand Harn, Schweiss, Faeces, Talgdrüsen«ecret und Hautschuppen frei
von Bacillen, solche dagegen im Nasensecret, spärlicher im Aaswurf. Verf. sieht
mit Sticker die Nase als Hauptaosscheidongsort der Bacillen an and empfiehlt
zur Frühdiagnose, wenn im Nasensecret Bacillen zunächst vermisst werden sollten,
Excision and mikroskopische Untersuchung eines Schleimhautstückchens. Aus der
enormen Menge der Bacillen in den Gefässwandungen, besonders auch in der
Intima der Aorta und Vena jugularis, ferner aus dem Nachweis der Bacillen in
den Leukocyten in einem Gefass der Hypophyßiß cerebri und der Hautgefioe
schließet Verf. im Gegensatz zu Sticker auf erhebliche Verbreitung der Bacillen
durch die Blutbahn. — Die Bacillen wuchern anscheinend mit Vorliebe den
Nerven entlang und gelangen vielleicht auch auf diesem Wege in die Central*
organe. R. Pfeiffer.
28) Etwas über Pellagra, von Zlatarovic. (Jahrbücher f. Psych. u. NeuroL
1900. XIX. S. 283.)
Der Studie liegen 204 Fälle zu Grunde, welche in der Irrenanstalt Pergine
(Südtirol) beobachtet worden waren. Unter den Kranken waren die meisten
Bauern, überhaupt Landbewohner, kein einziger Städter. 123 Fälle wurden ge¬
heilt, 39 gebessert, 7 nicht geheilt, 30 endigten letal. Von den geheilten und
gebesserten Kranken recidivirten 29.
Mit Rücksicht auf den Umstand, dass unter den Patienten einige notorisch
erst nach mehrjährigem Anstaltsaufenthalte an Pellagra erkrankten, unter Berück¬
sichtigung der geographischen Verbreitungsverhältnisse der Pellagra — es sind
im Allgemeinen Gegenden, die starken und periodischen Alluvionen ausgesetzt
sind, wobei aber die grossen Städte allein in der verseuchten Umgebung verschont
bleiben —, wendet sich Verf. gegen die sogenannte „Maistheorie“ als aus¬
schliesslichen ErklärungBgrund. Denn einerseits giebt es in den Städten gewiss
auoh Armuth und Polentaesser, andererseits konnte bei den in der Anstalt er¬
krankten Patienten dauernder Genuss von verdorbenem Mais ausgeschlossen werden.
Nach dem Verf. handelt es sich vielmehr um eine chronisohe Infectionskrankheit,
deren Microbus an den Boden gebunden ist und eine gewisse, durch besondere
klimatische und geographische Verhältnisse bedingte Beschaffenheit desselben
braucht. Der Infection sind naturgemäss die Landleute, welche den Boden be¬
arbeiten, mehr ausgesetzt als Städter; eine Prädisposition wird ausserdem erzeugt
durch allgemein schwächende Einflüsse wie Alkoholismus, schlechte oder zu ein¬
förmige Ernährung (vorwiegend Maiskost). Eine direote Ansteckung von Person
zu Person konnte Verf. in einwurfefreier Weise einmal constatiren (es wären
entweder die Dejecte oder das Erythema exsudativum contagiös). Die Haupt¬
symptome sind: 1. Verdauungsstörungen (meist Diarrhöen, Herabsetzung der freien
Salzsäure im Magen). 2. Die charakteristischen Hautveränderungen, welche haupt¬
sächlich und immer symmetrisch an den nicht von Kleidern bedeckten Parti een
auftreten. 3. Spinale Symptome stets spastischer Natur. Patellareehnenreflexe
stets gesteigert, erhöhter Muskeltonus, spastisch-paretisoher Gang, in den Terminal-
Stadien Paraparesen und Paraplegieen, Tremores, fibrilläre Muskelzuckungen, all¬
gemeine gleichmässige (nur in einem Falle localisirte) Atrophieen der Musculatur,
Sensibilitätsstörungen fehlten. Von anatomischen Veränderungen wurden meist
im Lenden- und Brustmarke Läsionen der Hinterstränge, aber auch Querschnitts¬
erweichungen gefunden.
Was die psychischen Störungen betrifft, so überwiegen anfangs die Zeichen
reizbarer Schwäohe (die Kranken sind ausserordentlich emotiv, reizbar, beein¬
flussbar), später entwickeln sich ausgesprochene Psychosen vom Charakter der
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VtUacbolie (sehr oft Dämonomanie), ferner Verwirrtheit, Stupor, Demenz. Manieen
wurden niemals beobachtet.
In vorgeschrittenen Fällen ist die Therapie machtlos, im Allgemeinen aber
die Propose nicht ungünstig. Von grösster Wichtigkeit ist die Hebung des
Ernährungszustandes, reichliche gemischte Kost, Verabfolgung von freier Salz¬
säure, Einen u. s. w. Als dringend fordert Verf. die Errichtung von Pellagro-
Serien und sogenannten „Sanitätsspeisehäusern“ für die mittellose Bevölkerung
(oseh Analogie der in Oberitalien schon bestehenden Institutionen).
Pilcz (Wien).
34) Der erste Fall von pellagröeem Irresein in der steierm&rkisohen
Landee-Irrenanstalt Feldhof, von J. van Scarpatetti. (Psychiatrische
WochenBchr. 1900. Nr. 7.)
Allgemein wird auf Grund bakteriologischer Untersuchungen und experimen¬
teller Versuche die Intoxication mit verdorbenem Mais als ätiologisches Moment
«genommen. Daneben sind aber noch zwei von den Forschern nur als neben¬
sächliche Ursachen bezeichnete Momente nach der Ansicht mancher Autoren als
wichtig heranzuziehen. Das ist einmal die individuelle Disposition, ohne deren
Annahme es unerklärlich ist, warum nur vereinzelte Glieder einer Familie bei
gleicher Nahrung erkranken, und die Erkältung, deren Bedeutung den Eingeborenen
rar Genüge bekannt ist. Auch Insolation kann hie und da nach Verf. die Rolle
einer Nebenursache spielen: die Italiener nennen deshalb die Pellagra geradezu
mal del sole.
Verf. theilt dann die Krankengeschichte eines Schulfalles von Pellagra mit,
da- die Trias der Pellagrasymptome (Diarrhöen, Hautaffectionen, Störungen des
Nervensystems, hier in der Form von multipler Neuritis und Melancholie) deutlich
leigte. Der mitgetheilte Fall ist der erste in Steiermark beobachtete Fall von
Pellagra. Ernst Sohultze (Andernach).
35) Läsion* nerveuses dann la pellagro (Note prdalable), par V. Babes
et V. Sion. (La Roumanie mödicale. 1899. VH. S. 129.)
Die Verff. betrachten die in Rumänien sehr häufige Pellagra als eine durch
ein toxisches Agens, bei dessen Entstehung die Maisernährung eine gewisse Rolle
»piele, hervorgerufene Erkrankung bei besonders dazu prädisponirten Individuen.
Auf eine genauere Definition dieses toxischen Agens verzichten sie in diesem
Artikel, verweisen vielmehr erst auf spätere Veröffentlichungen und geben hier
hauptsächlich eine Uebersicht über ihre histologischen Untersuchungen der Haut,
da Darmtractus, der Nieren und des centralen Nervensystems bei Pellagrösen,
Ton denen ich Folgendes hervorhebe: Die Tuczek-Marie’schen combinirten
Syttemerkrankungen des Rückenmarks bei Pellagra haben in ihren Beobachtungen
eise weitere Bestätigung gefunden. Daneben sahen sie sehr oft degenerative
Veränderungen in den hinteren Wurzeln, die sich zum Theil auf die Hinterhörner
fortsetzten; ferner vereinzelte sklerotische Herde sowohl in Hinter- als auch in
Vorderhörnern; schliesslich noch Veränderungen in dem architektonischen Aufbau
da Rückenmarks (Vorlagerung der Clarke’schen Säulen nach dem Vorderhorn
1- &. m.), die sie als congenitale Anomalieen an sehen, die zugleich ein äusseres,
Matomischee Zeichen für die pellagröse Disposition sein sollen.
In der Hirnrinde haben sie proliferative Vorgänge mit deutlicher Affection
dar Pyramidenzellen, besonders in der psychomotorischen Sphäre, gesehen.
Kühne (Allenberg).
Digilized by LjOoqic
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26) Zwei F&lle von Beri-Beri (Pmnneoritia endemioa Bäls) an Bord eines
deutschen Dampfers, von Dr. P. Schmidt. (Mflnchener med. Wochenschr.
1900. Nr. 6.)
Der 1. Fall betraf einen 22jähr. Chinesen von schwächlicher Constitution
und ging tödtlich aus. Am Herzen fand sich ein diastolisches Geräusch. Es
bildete sich im Verlauf eine Parese der Arme und Beine aus.
In dem 2. Falle handelte es sich um einen 20jähr. Chinesen von kräftiger
Constitution. Ausgang in Heilung. — Auch hier wurde Betheiligung des Herzens
constatirt.
Auf dem gleichen Schiffe herrschte bereits früher eine Beri-Beri-Epidemie.
In beiden Fällen waren einige Wochen vor deutlichem Ausbruch der Krankheit
Oedeme der Füsse aufgetreten. (Ref. vermisst Angaben über die Körpertemperatur.)
E. Asch (Frankfurt a/M.).
27) Bin Pall von Beri-Beri, von Dr. W. Seiffer, Assistent an der Nerven-
klinik und -Poliklinik der Charite in Berlin (Prof. Dr. Jolly). (Münchener
med. WochenBchr. 1900. Nr. 22.)
Während einer sehr langen Seereise mit einem Segelschiff nach Ostindien
erkrankte von der vorher vollkommen gesunden und nur aus deutschen Seeleuten
bestehenden Mannschaft innerhalb verhältnissmässig kurzer Intervalle mehr als
ein Drittel (5 von 14) unter ähnlichen Erscheinungen. Es handelte sich um An¬
schwellungen des ganzen Körpers, namentlich der Beine, um Lockerung des Zahn¬
fleisches mit und ohne Blutungen, um Athembeschwerden und Appetitlosigkeit,
ferner um Schlaffheit der Waden und leichte Ermüdung beim Gehen. Bei der
Landung in Santos (Brasilien) wurde von den dortigen Aerzten Beri-Beri dia-
gnosticirt. Vielleicht war in einzelnen Fällen auch Scorbut mit im Spiel.
Bei der Untersuchung des einen 19jähr. Patienten, welche 4 Monate nach
Ausbruch der Beschwerden vorgenommen wurde, fanden sich unsicherer, p&retischer
Gang, der an den Steppergang erinnert, mit starken Beugungen an den Knieen
und Hüften, Fehlen der Patellar-, Achillessehnen- und Plantarreflexe, schlaffe
Muskeln der Beine, die besonders am Oberschenkel und an der Streckseite etwas
abgemagert sind. Die Muskelschwäche tritt besonders im Peroneus- und Tibialis-
gebiet hervor. Die Zehen sind activ unbeweglich. In allen Unterschenkelmuskeln
und in der Streckmusculatur der Oberschenkel besteht Entartungsreaction, und
zwar hauptsächlich in beiden Mm. peronei und im M. extensor digit. common.
An den Unterschenkeln und Füssen ist die Schmerz- und Temperaturempfindung
aufgehoben, während an der Innenseite der Beine nnd an den Zehen zwei insel¬
form ige, längliche Defecte bestehen. Die Nervenst&mme sind weder verdickt noch
druckempfindlich.
Auch bei den anderen Patienten sollen gleiche Lähmungserscheinungen vor¬
gekommen sein. Jedenfalls sprechen die Beobachtungen gegen die Immunität
der Europäer gegenüber Beri-Beri. E. Asch (Frankfurt a/M.).
28) Zur Klinik und pathologischen Anatomie der Beri-Beri-Krankheit,
von Prof. Dr. Rumpf und Dr. Luce. Aus dem neuen allgemeinen Kranken¬
hause in Hamburg-Eppendorf. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900.
XVIII.)
10 Fälle von Beri-Beri, welche mit nur zwei Ausnahmen Chinesen betrafen.
In den beiden anderen Fällen handelte es sich um einen Apotheker und einen
Kapitän, welche in überseeischen Gebieten gelebt hatten. Nur ein Mal endete
Google
821
d&s Leiden tödtlich, und hier konnte das centrale und periphere Nervensystem,
sowie die Musculatur einer anatomischen Untersuchung unterworfen werden.
Es fand sich an den peripheren Nerven eine Neuritis chronica interstitialis
lipomatosa mit ziemlich beträchtlichem Markfaserausfall und parenchymatöser
Markfaserdegeneration und an den Muskeln eine Myositis acuta parenchymatosa
et chronica interstitialis, so dass das Leiden nicht mehr als Polyneuritis, sondern
als Polyneuromyositis aufzufassen wäre. Ausserdem liess sich im Rückenmark
vermittels der Marc hi-Methode eine frische parenchymatöse diffuse Markscheiden-
degeneration des Marks mit einzelnen parenchymatös-neuritischen Herden in den
hinteren Wurzeln und chronisch interstitielle Neuritis der hinteren Wurzeln fest¬
stellen.
Die Verff. glauben, dass es sich um ein endemisches, infeotiöses Gift handelt,
du auf das Centralnervensystem, und zwar in erster Linie auf dessen neuro-
musculären Apparat zerstörend einwirkt. E. Asch (Frankfurt a/M.).
29) The olinioal features of Beri-Beri, by Conolly Norman. (Transactions
of the Royal Academy of Medecine in Ireland. XVII.)
Verf. giebt eine Beschreibung der Symptomatologie der Beri-Beri, wie sioh
dieselbe ihm an den Patienten einer kleinen Epidemie im Irrenhaus darbot.
Verf ist der Ansicht, dass sporadische Fälle von Beri-Beri hier in Europa, be¬
sonders in Irrenanstalten, gar nicht so selten seien, aber meistens wohl nicht
erkannt würden, da ihr Vorkommen nur ein sporadisches sei. Von vorn herein
bemerkt Verf., dass die befallenen Kranken keine Aenderung in ihrer Geistes¬
krankheit unter dem Einfluss ihrer hinzugetretenen Beri-Beri-Erkrankung zeigten.
Der Beginn der Erkrankung gesohah mit Sensibilitätsstörungen, schmerzvoller
Schwere und Müdigkeit der Beine und dumpfem Wadenschmerz. Unter den Par-
ästhesieen waren es besonders ein Gefühl von Nadeln, sowie ein eigenthümliches
Gefühl „des Darüberkriechens“ (Piri-Piri der Japaner). Die Nervenstämme und
Moskelbäuche waren druckempfindlich, manchmal bestand Anaesthesia dolorosa.
Die objectiven Sensibilitätsstö rangen kamen und verschwanden oft im Laufe eines
Tages. In einigen Fällen bestand Anästhesie des Larynx.
Die Patellarreflexe waren anfänglich gesteigert, später abgeschwächt. Von
motorischen Symptomen war das erste eine leichte Affection der Peronealmuskeln
und der Fussbeuger. Am häufigsten von allen Lähmungen war die Peroneal-
lihmung mit Steppergang. Es kamen jedoch auch Lähmungen der Oberschenkel-
mnseulatur and deijenigen des Beckens vor. Die Arme waren bei Weitem weniger
oft befallen. Ein Mal bestand Ptosis und Strabismus, sowie Mydriasis. Die Kau¬
muskeln waren frei. Ebenso waren die Sphinkteren und der Facialis nie mit-
betheiligt. Im Gefolge der mit Entartungsreaction verbundenen Lähmungen
entwickelten sich Atrophieen. Auoh Erschlaffung der Gelenke bildete ein häufiges
Symptom.
Eins der gewöhnlichsten Symptome war ferner in den vom Verf. beobachteten
fallen die Störungen von Seiten des Cor: Palpitationen, Tachykardie und abnorme
Erregbarkeit des Herzens. Der Puls correspondirte oft nicht mit dem Herzschlag.
Die Athmung war meist beschleunigt. Oedeme bestanden in allen Fällen, bald
gering und flüchtig, bald sehr bedeutend. Das Oedem begann nicht an den
Knöcheln, sondern an den Tibiakanten, auf der inneren Seite derselben. Im
Verlauf der Krankheit waren besonders Schwächezustände von Seiten des Herzens
gefährlich, einige Male trat auch Lähmung des Zwerohfells oder allgemeine Er¬
schöpfung ein. Eine grosse Anzahl von Photogrammen erläutert die in dem
Texte gemachten Beobachtungen. P. Schuster (Berlin).
21
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322
30) Des nevrites paluatres, par E. Saoquepee et Ch. Dopter. (Revue de
m&decine. 1900. S. 340 o. 468.)
Die Verff. haben eine grössere Anzahl von Polyneuritisfällen gesammelt, die
im Anschluss an Malariaerkrankungen aufgetreten waren. Fast immer handelte
es sich um die schweren Malariaformen, um die „komatösen“ und „biliösen“
Formen. Die meisten Beobachtungen stammen daher auch aus südlichen Gegenden,
aus Algier und namentlich aus dem Senegalgebiet. Zuweilen kommen neben dem
Paludismus gleichzeitig noch andere ätiologische Momente (Alkoholismus u. a.) in
Betracht, ln Bezug auf ihre speciellen Symptome bietet die Malaria-Polyneuritis
keine besonders charakteristischen Eigentümlichkeiten dar.
Strümpell (Erlangen).
31) Zur Lehre von den alkoholischen Augenmuskellähmungen, von E. Rai-
mann. (Jahrbücher f. Psych. u. Neurolog. 1901. XX. S. 36.)
Im Anschluss an zwei genau beobachtete Fälle von Polioencephalitis superior
acuta hämorrhagica (Wernicke) bei Alkoholikern wirft Verf. die Frage au£ ob
diese Erkrankung wirklich so selten sei, da er in der Litteratur nur noch 21 Fälle
dieser Erkrankung alkoholischer Aetiologie auffinden konnte. Nun werden Augen¬
muskellähmungen acuten Charakters bei Säufern relativ häufig beobachtet, und
bei vielen dieser Fälle sind auch Allgemeinsymptome, Begleiterscheinungen vor¬
handen: klinische Bilder, welche den ausgesprochenen Fällen von Polioencephalitis
nahekommen.
Verf. bespricht nun folgende Gruppen frisch erkrankter Alkoholiker: Was
die Alkoholdeliranten anbelangt, so findet sich in der Litteratur wenig Positives
über gleichzeitige Ophthalmoplegieen (freilich hatten die meisten Fälle von Polio-
encephalitis mit dem Bilde eines Deliriums begonnen). Unter 44 typischen Deli¬
ranten eigener Beobachtung fand Verf. 7 Fälle mit Augenmuskelstörungen, meist
solchen der Pupilleninnervation, die schon durch ihr klinisches Bild auf den
centralen Sitz der Läsion hinweisen (z. B. reflectorische Pupillenstarre).
Bei einer zweiten Gruppe von Alkoholikern, den Trägem einer Korsakoff’-
sehen Psychose, musste auf die Litteratur zurückgegriffen werden. Verf. stellt
aus der Casuistik 50 alkohologene Fälle zusammen; darunter fanden sich 15 Mal
(d.h. in30°/ 0 ) Augenmuskelstörungen (Pupillendifferenz, Argyll-Robertson U.B.W.).
Bei einer dritten Gruppe von Alkoholikern, 95 meist schwer und letal ver¬
laufenden Fällen von Polyneuritis, fanden sich 31 Mal, d. h. in 33°/ 0 » derartige
Ophthalmoplegieen.
Ausserdem wurden solche Störungen noch bei anderen Alkoholikern beobachtet
(Alkoholparanoia, Epilepsie u. s. w.). Verf. bringt die Krankheitsgeschichten
folgender weiterer persönlicher Beobachtungen: Pupillendifferenz und Fehlen der
Lichtreaction in einem Falle von acuter Hallucinose und einem Falle von chro¬
nischem AlkoholismuB mit „Querulantenwahnsinn“.
Bei allen diesen Kranken nun findet sich eine Symptomentrias: Geistesstörung,
Augenmuskellähmung, Polyneuritis, in der verschiedenartigsten Weise variirt. Was
speciell die Ophthalmoplegieen anbelangt, so drängt Alles zu einer einheitlichen
Auffassung derselben in ätiologischer wie klinischer Hinsicht.
Die Augenmuskelstörungen setzen ziemlich plötzlich, doch nie aus voller
Gesundheit ein. Es handelt sich vorwiegend um Anisokorie, Störungen der
Pupillenreaction auf Licht allein, oder vollständige Starre derselben; von den
Aussenmuskeln werden am häufigsten die Recti extemi betroffen. Wo nicht unter
Steigerung der schweren Allgemeinerscheinungen der Fall letal verläuft, bilden
sich alle die Störungen wieder zurück, doch ist die Reconvalescenz eine sehr
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323
protrahirte (noch Jahre lang kann eine Schwäche in dem einen oder anderen
Muskel Zurückbleiben).
Der Obductionsbefund ergab in den meisten Fällen das typische Bild der
Polioencephalitis haemorrhagica acuta. Dass gelegentlich Hämorrhagieen mit
typischer Localisation gefunden wurden ohne intra vitam manifeste Erscheinungen,
lässt sich durch die Annahme erklären, der Process an den Gefässen habe nicht
zu einer Hitbetheiligung der nervösen Elemente geführt Dass umgekehrt klinisch
schwere Störungen ohne anatomisches Substrat (auch auf empfindliche Methoden
hin) beobachtet wurden, lässt daran denken, dass die Ganglienzellen schon in ihrer
Function durch toxische Wirkung geschädigt sein konnten, ehe sich gröbere
morphologische Veränderungen bildeten.
Verf. bespricht die grosse praktische Bedeutung der reflectorischen Pupillen-
Btarre alkohologenen Ursprungs in differentialdiagnostischer Beziehung der pro¬
gressiven Paralyse gegenüber und theilt einen sehr interessanten Fall eigener
Beobachtung mit, eine Combination von Dementia paralytica mit Delirium tremens
und acuter alkoholischer Pupillenstarre.
Bezüglich der sogenannten Alkoholparalyse meint Verf., dass es sich meist
nur um eine Combination von echter Paralyse mit Symptomen des chronischen
Alkoholismus handeln dürfte. Für eine Minderheit von Fällen käme aber die
Korsako fFache Cerebropathia alcoholica, bezw. toxämica in Betracht.
Zum Schlüsse der höchst lesenswerthen Arbeit giebt Verf. einige praktische
Winke bezüglich der Therapie des Alkoholdeliriums überhaupt. Energisch warnt
Verf. vor der manchmal noch immer geübten Anwendung der Opiate bei den
Erregungszuständen der Deliranten. Ob ihrer obstipirenden Wirkung sind diese
Mittel geradezu contraindicirt; es empfiehlt sich vielmehr die Verabfolgung
schwacher Calomeldosen. Hypnotica schaden nichts, sind aber überflüssig; bei
Collapszuständen ist das souveräne Stimulans der Alkohol.
Bezüglich der Krankheitsgeschichten wäre noch nachzutragen, dass einer der¬
selben ein sehr genauer histologischer Befund beigegeben ist. Einen der Fälle
hatte Verf. sohon seiner Zeit in extenso publicirt (Wiener klin. Wochenschr.
1900. S. 31: „Polioencephalitis superior acuta und Delirium acutum als Einleitung
einer Korsakoff’schen Psychose ohne PolyneuritiB“ [vgl. nächstes Beferat]).
Piloz (Wien).
32) Polioenoephalitia superior aouta und Delirium alooholioum als Ein¬
leitung einer KorsakofTsohen Psychose ohne Polyneuritis, von Dr.
Emil Bai mann. (Wiener klin. Wochenschf. 1900. Nr. 2.)
37jähr. Patient, Potator; bereits 3 Mal Anfälle von epileptiformem Charakter,
Schielen, linksseitiger Lähmung, Sprachverlust. Beim dritten Anfalle setzte das
Delirium alcoholicum ein. Es trat acut am rechten Auge eine complete Ophthalmo-
plegia externa et interna ein. Estere bildete sich bis auf eine Abducenslähmung
in 24 Stunden zurück. Letztere besteht auch am linken Auge und bildet sich
nur langsam zurück. Anfangs bestand Miosis bei Lähmung des Sphinkter und
reflectorische PupillenBtarre. Einige Tage nach Ausbruch des Deliriums konnte
erhoben werden: Klopfempfindlichkeit der Schädelknochen, hochgradige Gleich¬
gewichtsstörung mit der Neigung rückwärts zu fallen, Steigerung der Sehnen¬
reflexe, langsamer, regelmässiger Puls. Das Anfangs typische Delirium alcoholicum
geht allmählich in den Korsakoff’schen Symptomencomplex über mit schwerer
Gedachtnisastörung, vollständiger zeitlicher und örtlicher Desorientirtheit und
massenhaften Erinnerungsfälschungen. Nach etwa einem Monate begann die
Psychose abzuklingen und verlor sich im Laufe weiterer 2 Monate. Abducens-
pvese, horizontaler Nystagmus und träge Pupillarreaction schwanden erst nach
% 21 *
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324
weiteren 2 Monaten bis auf Beste. Während der ganzen Krankheit kein poly-
neuritisches Symptom; denn die Lähmnng der Abducentes konnte nach der ganzen
Entwickelung der Augenmuskelstörungen nicht in dieser Weise gedeutet werden.
J. Sorgo (Wien).
33) Die ataktische Form der Polyneuritis alcoholica (Neurotabes peri¬
pherica), von Dr. Izso Honig. (Archiv f. klin. Medicin. LXVII. S. 123.)
Bei einem neuropathisch nicht belasteten, aber mit Lues inficirten Potator
tritt im Verlaufe von 4 Wochen eine zuerst die unteren und bald nachher auch
die oberen Extremitäten ergreifende Schwäche au£ zu der sich verschiedene Par-
ästhesieen und schmerzhafte Krämpfe in einzelnen Muskelgebieten hinzugesellen.
Die Schwäche besonders der unteren Extremitäten steigert sich bald in solcher
Weise, dass der Kranke nicht gehen kann. Es stellten sich im weiteren Verlaufe
fast ununterbrochene, mit heftigen Schmerzen verbundene Krämpfe in den Fingern
ein, so dass Pat. Tage lang dieser Beschwerden wegen nicht schlafen kann.
Ausser diesen Krämpfen, die auch vielfach im Krankenhause beobachtet wurden,
war das auffallendste Symptom die Ataxie, welche beim Stehen und Gehen, sowie
bei spontanen Bewegungen der Extremitäten sehr lebhaft hervortrat. Sensibilitäts¬
störungen (d. h. Herabsetzung des Gefühls) waren nur in geringem Maasse vor¬
handen, dagegen bestanden bedeutende trophische Veränderungen. Von den
Reflexen fehlten die Sohlen- und Patellarreflexe, aber die Pupillen reagirten gut
Es stellte sich im Verlaufe geraumer Zeit vollkommene Besserung ein. Verf.
geht nach ausführlicher Beschreibung dieses Falles auf die den Gegenstand be¬
treffende Litteratur ein und fasst nach Bekanntgabe derselben seine Ansicht über
die Pathogenese der Neurotabes dahin zusammen, dass theils auf Grund der bisher
bekannten anatomischen Befunde, theils nach Erwägung einzelner klinischer Sym¬
ptome (wie z. B. psychische Störungen, Ataxie, Krämpfe) es schon unzweifelhaft
wäre, dass die Neurotabes den rein peripheren Nervenerkrankungen nicht zugetheilt
werden kann, dass auch die Beteiligung des Bückenmarks dabei schon als er¬
wiesen, diejenige des Gehirns als sehr wahrscheinlich betrachtet werden könnte.
Jacobsohn (Berlin).
34) Neurofibromatose gdndraliaöe. Autopsie, par Pierre Marie et A. Cou-
velaire. (Nouv. Icon, de la Salp. 1900. XIII. S. 26.)
Im Anschluss an eine Erfrierung seiner Füsse und Unterschenkel entwickelte
sich bei einem 52jähr. Manne unter Schmerzen und zunehmender Muskelschwäche
ein Krankheitsbild, welches sich durch zahlreiche kleine gerstenkorn- bis erbsen¬
grosse Tumoren und Pigmentflecke in der Haut der Extremitäten, des Rumpfes
und des behaarten Kopfes auszeichnete. Daneben bestand Anästhesie gegen Nadel¬
stiche fast am ganzen Körper, Miosis und Gesichtsfeldeinengung und Abnahme
der Intelligenz. In den folgenden 4 Jahren wurde Pat. körperlich immer ge¬
brechlicher und bald ganz bettlägerig. Er bekam ausserdem eine zunehmende
Kyphoskoliose und ging schliesslich kachektisch zu Grunde.
Bei der Section fand sich eine hochgradige Verkrümmung des ganzen
Thorax und Beckens, deren Knochengerüst auffallend weich war. Nicht nur in
der Haut, sondern auch im Dünndarm, Mesenterium und Magen fanden sich kleine,
harte Knötchen, und die Haut- und Muskeläste der peripheren Nerven, sowie die
mesenterialen Aeste des Sympathicus zeigten zahlreiche linsengrosse An¬
schwellungen.
Bei der mikroskopischen Untersuchung erwies sich ein Theil der be¬
schriebenen Tumoren als echte Neurofibrome; bei einem anderen Theil aber — wie
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325
z. 6. den intradermalen und intestinalen Knötchen — konnten nur bindegewebige
Strnctnr, aber keinerlei nervöse Elemente nachgewiesen werden. Die Muskeln
waren fast durchgehende atrophisch und degenerirt.
Bemerkenswerth in diesem Falle von allgemeiner Neurofibromatose sind das
späte Auftreten mit 52 Jahren, die auffallenden Veränderungen am Skelett (Osteo-
malacie) und an den Muskeln, sowie das Auftreten von reinen Fibromen in der
Haut und im Intestinaltractus ohne nervöse Elemente.
Dieser letzte Befund giebt den Verff. Veranlassung, die Ansicht v. Reckling-
hausen’s zu bekämpfen, der bei allen diesen multiplen Fibromen der Haut einen
nervösen Einfluss annimmt Sie glauben vielmehr, dass es ausser den echten
Neurofibromen auch noch andere Hautfibrome giebt, die ihren Ursprung ausserhalb
der Nerven haben. Facklam (Lübeck).
36) ▲ oase of multiple neuro flbromata of the ulnar nerve, by W. W. Keen,
M. D., L. L. D., and William G. Spiller, M. D. (Philadelphia). („Fest¬
schrift“ in honor of Abraham Jacobi [New York]. Knickerbocker Press.
1900.)
Dem klinischen, von Keen veröffentlichten Theile der Arbeit entnehmen wir
folgende Details: 47jähr. Arbeiter, der seit langer Zeit an Rheumatismus leidet.
Vor einigen Jahren bildeten sich einige Knoten im linken Handteller, die Anfangs
nur bei stärkerem Druck, später auch spontan schmerzhaft waren und schliesslich
zu heftigen Schmerzen und Schlaflosigkeit führten. Eine vor 7 Jahren vor¬
genommene Excision zweier Knoten hatte vorübergehenden Erfolg. Da aber die
anderen damals noch nicht schmerzhaften Knötchen im Laufe der Jahre empfindlich
wurden, entschloss sich Pat. im Jahre 1899 zur zweiten Operation: An der ul¬
naren Seite der Hand waren 6 kugelige, bezw. spindelige Knoten hintereinander
angeordnet; die vom Ulnarnerven versorgten Hautpartieen zeigten deutliche
Störungen der Sensibilität. Es wurden sämmtliche Tumoren entfernt, wobei sich
zeigte, dasB dieselben in der Substanz des Ulnarnerven eingebettet waren. Der
Erfolg war insofern ein günstiger, als nach 5 Monaten kein schmerzhaftes Recidiv
and in Folge dessen volle Gebrauchsfähigkeit der Hand sich eingestellt hatten.
Spiller hat die excidirten Stückchen histologisch untersucht. Sie erwiesen
sich als Fibrome mit mehr oder weniger reichlichem Nervengewebe. Die Dia¬
gnose der multiplen Neurofibromatosis war dadurch sichergestellt. Eine eingehende
Darstellung der Litteratur, die wir vorwiegend deutschen Autoren verdanken,
schliesst die mit lehrreichen Abbildungen versehene, interessante Arbeit.
Zappert (Wien).
36) Large saroomatous neuroma of the internal popliteal nerve, by George
Buchanan. (Brit. med. Journ. 1900. 21. April.)
Bei einem 20jähr. Patienten zeigte sich 3 Monate nach einem Trauma (Stoss
vor den Oberschenkel dicht oberhalb des Kniees) eine haselnussgrosse Geschwulst
in der Kniekehle. Dieselbe wuchs schnell und füllte naoh weiteren 6 Monaten
die ganze Kniekehle aus, blieb aber beweglich. — Schmerzen waren nicht vor¬
handen; von Seiten der Motilität und Sensibilität bestand an dem afficirten Beine
keine Veränderung; nur an der Fusssohle geringe Anästhesie; keine Oedeme.
Eine vorgenommene Probeincision zeigte, dass die den Tumor abgrenzende
Öewebsschicht von der Nervenscheide des N. poplit. int. gebildet wurde, und dass
genannter Nerv in die Geschwulst eingeschlossen war. — Die mikroskopische
Untersuchung ergab ein Rundzellensarkom. Es wurde daher Amputatio femoris
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326
vorgeschlagen und ausgeführt. — Es fand sich, dass der N. poplit int. auf einer
Länge von 6 englischen „Zoll“ von dem Tumor eingeschlossen war.
Bei der später vorgenommenen genaueren Untersuchung (Dr. Muir) wurde
u. A. ein Nervenstück unterhalb des Tumors nach dem Uarchi'sehen Verfahren
behandelt und untersucht. — Es ergab sich das interessante Resultat, dass ent¬
sprechend dem geringen klinischen Befunde der grösste Theil der Nervenfasern
unverändert war. — Nur ein oder zwei feine Nervenbündel zeigten deutliche
Degeneration; ausserdem lagen einige degenerirte Fasern zerstreut in den stärkeren
Nervenbündeln. E. Lehmann (Oeynhausen).
37) Die feineren Veränderungen durchschnittener Nervenfasern im peri¬
pheren Absohnitt, von W. Murawieff. (Ziegler’s Beiträge zur patholog.
Anatomie. 1901. XXIX.)
Verf. weist nach einer von ihm angegebenen Färbemethode (Formol-Alkohol-
Methylenblau) nach, dass sich in der normalen Markscheide zahlreiche regelmässig
vertheilte dunkle Körnchen finden, die in zwei concentrischen Ringen, der eine
dicht an der äusseren Peripherie der Markscheide, der andere näher am Axen-
cylinder gelegen, angeordnet sind. Diese chromatophilen Körnohen sind in eine
blasse, achromatophile Substanz eingelagert. Ausserdem sind die Kerne der
Schwann’schen Scheide in der normalen Faser von einer geringen Menge Proto¬
plasma umgeben, das bei der Degeneration eine wichtige Rolle spielt. — In den
ersten Tagen nach der Durchschneidung, die am Kaninchen-Ischiadious vorgenommen
wurde, findet sich eine Verminderung der chromatophilen Körner, eine Fragmen-
tirung des Axencylindere, Vermehrung und Formveränderung der Kerne und
Wucherung des Protoplasmas, das allmählich das Mark in einzelne Inseln zersprengt
und weiter zu einer Verdickung der ganzen Faser fuhren kann. An Control¬
präparaten, die mit Osmiumsäure und nach Marchi behandelt wurden, zeigte sich
vor allem, dass in den ersten Tagen die zwischen den Markfragmenten befindliche
(Protoplasma-)Substanz keinerlei schwarze Körnchen zeigt; solche treten erst ganz
am Ende der 1. und in der 2. und 3. Woche auf. Schwarze Schollen in der
Marksubstanz zeigten sich ebenfalls erst um dieselbe Zeit Der Grad der Ver¬
änderungen in den verschiedenen Nervenfasern war ein sehr verschiedener. —
Die Wanderung der Kerne der Schwann’schen Scheide in das Innere der Mark¬
substanz erklärt Verf. dadurch, dass dieselben von dem wuchernden, die Mark¬
fragmente durchsetzenden Protoplasma bei ihrer Theilung mitgenommen werden;
es handelt sich demnach um einen rein passiven Vorgang, und es besteht kein
Grund, für die Kerne eine eigene Looomotionsfähigkeit anzunehmen.
Verf. stellt zum Schluss folgende Sätze auf:
1. Die Grundlage der „Degeneration“ der Nervenfaser nach ihrer Durch¬
schneidung bildet die Aufsaugung der Marksubstanz in Folge des Erlöschens oder
der Herabsetzung der Processe der Synthese in ihr. Chemische Veränderungen
des Marks treten erst spät auf, sind äusserst ungleichmässig und können in dem
Degenerationsprocess jedenfalls nicht die Hauptrolle spielen.
. 2. Die Kerne der Schwann’schen Scheide und das dieselbe umgebende
Protoplasma weisen, zum Theil vielleicht in Folge von Gleichgewichtsstörung der
Gewebe und eines gewissen Reizes von Seiten des zu Grunde gehenden Markes,
eine erhöhte Lebensthätigkeit auf. Das Wachsthum des Protoplasmas wird später
sogar monströs, schliesslich geht es durch fettige Degeneration zu Grunde. —
Eine Reihe tadelloser Abbildungen illustrirt die geschilderten Veränderungen aufs
Beste. H. Haenel (Dresden).
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Psychiatrie.
38) Psychiatrische Beiträge sur Psychologie des Rhythmus und Reimes,
von Prof. A. Pick (Prag). (Zeitschr. f. Psychologie u. Physiologie der Sinnes¬
organe. XXI.)
Angeregt durch den in der Vierteljahrsschrift für Philosophie (1898) er¬
schienenen Aufsatz von K. Groos, in dem dieser auch aus der Psychopathologie
Rille von „productiven Hörspielen“ bringt, erinnert sich Verf. zweier psychiatrischer
Beobachtungen, die als Analogie für receptive Hörspiele gelten können.
Männlicher Eiranker, von jeher geistig abnorm, stark miopisch, seit 1888
Netzhautablösung, litt schon als Kind an Ohrgeräuschen, die sich mit der Zeit
verschlimmerten; grosser Drang zum Lesen und Lernen, hatte viele Vene gelesen
und auswendig gelernt, sich in der Uebenetzung von Gedichten versucht. In den
letzten Jahren Charakterveränderung; seit 14 Tagen hörte er auf beiden Ohren
Stimmen, die ihm seine sexuellen Exoesse vorwarfen, ihm mit Strafen drohten,
and zwar alles das in Reimen; z. B.: Du hast gelogen, Du hast betrogen, Du
hast gestohlen, Dich wird der Teufel holen. (Im 16. Jahr einmal wegen Geld¬
veruntreuung bestraft.) Er erkennt die Stimmen als gereimt; während er aber
früher, wenn er sich mit Dichten versuchte, die Reime suchen musste, gaben sie
sich jetzt von selbst. Alles, was er sah und fühlte, hörte er auch gleich in
Reimen ausgedrückt, bezw. Glossen dazu. Häufig wurden auch Verse aus ihm
bekannten Gedichten hallucinirt; klappte es einmal mit den Versfüssen nicht, so
hörte er dann die oder jene Silbe so gedehnt, event. durch die begleitende Melodie,
dass der Rhythmus dann doch stimmte. Später hörte er alle Adern, das Herz,
den Blotstrom sprechen; das Krankheitsbewusstsein schwand immer mehr, Gesichts-
hallucinationen und Wahnideeen nahmen zu. Später in eine andere Anstalt
überführt. — Verf. schlussfolgert, dass es sich hier offenbar um ein rhythmisch
gut veranlagtes Individuum handelte; dazu kamen die langen Geräusche, die
„die illusorische Basis für die rhythmischen Hallucinationen gaben“, und „endlich
ist es wohl begreiflich, dass unter pathologischen Zuständen das Pulsiren von
Herz und Ge fassen subjectiv viel stärker hervortritt und in einem psychisch
dazu disponirten Falle Veranlassung zur Auslösung rhythmischer Empfindungen,
and zwar auch solcher im Gehörorgane, gegeben wird, welch letzteres schon,
wie erwähnt, disponirt erscheint“.
Den zweiten Fall hat Verf. nur ein Mal gesehen; aus den Aufzeichnungen
der Dame, die an einer auf hysterischer BasiB entstandenen Psychose litt, inter-
erairtFolgendes besonders: Vergiftungswahnideeen,Beeinträchtigungsideeen, traum¬
artige Hallucinationen; spürte Brausen und Sausen im Kopfe, hörte ihre Jugend¬
sünden, ihre Nothlügen herzählen, in allen ihr bekannten Sprachen zu ihr sprechen
und schliesslich auch in Versen. Alle waren sie zunächst auf sie gemünzt, ver¬
spotteten sie wegen ihrer dummen Verse, drohten ihr und forderten sie auf, Verse
za machen. Gesichtshalluoinationen illustrirten ihr die gehörten Reime. Bei
einer Unterbrechung des Anstaltsaufenthaltes hörte sie aus dem Getrappel der
Pferde, den Tritten der Menschen, dem Pusten der Locomotive, dem Ticken der
Uhr reimende Stimmen, die sie zum Theil nach einer immer wiederkehrenden
Melodie höhnten. — Als somatische Grundlagen für das Rhythmische dieser Ge-
hörshallucinationen betrachtet Verf. hier das Zusammenfällen der Verse z. B. mit
Gehbewegungen, ferner das Sausen im Kopf neben der in diesem Falle wenigstens
scheinbaren rhythmischen Veranlagung der Patientin.
Beide Fälle bestätigen die Wichtigkeit des Erwartungsaffectes, der für die
Entstehung der Illusionen nicht weniger als für die der Hallucinationen in Be¬
tracht kommt, und dessen Beziehungen zur Rhythmusbildung schon längst Be-
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328
achtung gefunden haben. Der in beiden Fällen constatirte Factor des Unwillkür¬
lichen findet wiederum ein Analogon in dem Resultat der neuerdings angestellten
Gedächtnissversuche mit sinnlosen Silben.
Zum Schlüsse berichtet Verf. noch kurz über eine nicht manische Kranke,
bei der es häufig, angeblich zur Befreiung peinigender Vorstellungen, zu zuweilen
ganz sinnlosen sprachlichen Aeusserungen kam, die rhythmisirt und gereimt waren,
und endlich über einen Patienten, der erkrankt unter den Erscheinungen acuter
Alkoholparanoia, vermischt mit solchen des Deliriums, hauptsächlich an Gehöre¬
täuschungen litt. Er gab am ersten Tage seines Anstaltsaufenthaltes an, dass
ihm in der ersten Nacht, und zwar nur in dieser, eine Stimme alles Mögliche aus
seinem früheren Leben vorgehalten habe; es hätte wie Musik geklungen, sei
rhythmisch gewesen und hätte Versform gehabt; er hörte die Stimme auf dem
Ohre, mit dem er auf dem Polster lag, hatte grosse Angst dabei. Später hatten
die Hallucinationen nicht mehr diesen rhythmischen Charakter.
Meitzer (Colditz).
39) Zar Mechanik des Gedächtnisses , von Albert Adamkiewicz. (Zeit¬
schrift f. klin. Medicin. XL. S. 402.)
Ausgehend von einem Falle, in welchem ein 2jähr. Kind an einem sogen.
„Ariston“ die 25 Tonstücke, welche vermittels gleichvieler Tonblätter an demselben
hervorgebracht werden konnten, sofort nach ihren Melodieen erkannte und ferner
nach dem blossen Aussehen des Tonblattes schon angeben konnte, welches Tonstück
durch dasselbe hervorgebracht werden konnte, schliesst Verf., da ein Kind von 2 Jahren
die Fähigkeit, mit Ueberlegung zu unterscheiden, d. h. mit Bewusstsein zu denken
und also geistig zu arbeiten, in einem ganz unvollkommenen Grade besitzt, dass
dem Kindergehira eine Eigenschaft, Eindrücke festzuhalten, zukomme, die mit
der Intelligenz, ja der geistigen Arbeit überhaupt nichts zu thun haben kann. Da
das Festhalten von Eindrücken nichts anderes als das Gedächtniss sei, so gehe
aus dem Gesagten hervor, dass das Gedächtniss keine mit seiner psychischen
Kraft identische Eigenschaft der Gehirnmaterie sei und folglich mit denjenigen
Eigenschaften dieser Materie in Zusammenhang stehe, die sie vor der psychischen
Entwickelung bereits besitze, und die keine andere als die Materie selbst, also
physikalischer Natur sein könne. Dm Kindergehirn nehme demnach Eindrücke
ohne Zuhülfenahme geistiger Arbeit auf und halte sie rein mechanisch fest. Das
Kindergehirn verhalte sich gegen Eindrücke, die ihm zufiiessen, nicht anders, als
die photographische Platte zu den Strahlen des Lichtes u. s. w. Auf welchen
Eigenschaften die physische Gedächtnisskraft der Gehimmaterie beruht, sei un¬
bekannt, es könne aber keinem Zweifel unterliegen, dass diese keine anderen sein
können, als die der lichtempfindlichen Platte oder die des schallempfänglichen
Wachses. Es müsse sich um eine besondere Attractionskraft der jugendlichen
Gehimmasse für die den Sinneserregungen zu Grunde liegenden Schwingungen
handeln, um eine Kraft, für die Verf. die Bezeichnung Myelopexis (jivtlög und
niij'Wfii) vorschlägt. Verf. bringt zum Reichthum des Nervenmarkes im Gehirn
die psychische Kraft, zur Feinheit desselben die physische Kraft des Gedächtnisses
in Beziehung. Die Natur hätte dem Gehirn eine Consistenz gegeben, welche für
das Imprägniren wie geschaffen, ja geradezu als ideal erscheinen müsse. Ueber
die specielle Art, wie sich die Sinneseindrücke in die Gebirnmasse imprägniren,
könne man sich vorläufig keine Vorstellungen machen, es müsse sich tun das
Subtilste handeln, dessen die Natur in Bezug auf die Feinheit einer mechanischen
Leistung fähig sei. Auf dem Fundamente des Gedächtnisses baue erst die Psyche
ihr mächtiges Gebäude auf. Die phänomenalen Gedächtnissqualitäten des jugend¬
lichen Gehirns stellten eine natürliche, physiologische Eigenschaft dar, sie beruhten
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auf physischen Eigenschaften der Gehirmnasse und bildeten zwar das Substrat
für die psychische Arbeit, hätten aber mit dieser Arbeit als solcher nichts zu
thuD, sie seien deshalb noch lange kein Beweis einer vorhandenen, besonderen
psychischen Begabung. Jacobsohn (Berlin).
40) La base oytologique de Tlnstinot et de la memoire, par H. E. Ziegler
(Jena). (Travaux de laboratoire de l’institut Solvay. Bruxelles 1900. III,
3. S. 1.)
Instinct und Intelligenz ergänzen sich gegenseitig. Der Instinct ist etwas
Angeborenes, Ererbtes, derart Eigentümliches; die Intelligenz und mit ihr das
Gedächtniss etwas unter dem wechselnden Einfluss der Aussenwelt individuell
Erworbenes. Daher muss es auch nach Ansicht des Verf.’s zweierlei verschiedene
anatomische Substrate für die diese Functionen repräsentirenden Leitungsvorgänge
im Gehirn geben.
Den enteren (Reflexen und Instincten) dienen die Nervenbahnen (Neurone),
wie sie bei der ontogenetischen Entwickelung normaler Individuen von vornherein
anftreten, und wie sie bei allen Individuen derselben Species in gleioher Weise
angeordnet sind. Naoh den neuesten Forschungen von Apäthy und Bethe sind
es in letzter Linie die feinsten Fibrillen, die diesen psychischen Functionen als
Leitungsbahnen dienen. Da sie angeboren, ererbt sind, nennt Verf. sie „voies
cleronomes“.
Im Gegensatz hierzu sucht Verf. das morphologische Substrat des Gedächt¬
nisses, welches von den verschiedenen Einflüssen der Aussenwelt abhängig ist, in
einer gewissen plastischen Eigenschaft der Neurone, die nach ihm darin be¬
stehen soll, dass der Sinnesreiz, der im Gedächtnisse haften bleibt, auf der Bahn,
die er durchlänft, je nach der Stärke und Häufigkeit seiner Wiederholung, ge¬
wisse vorübergehende oder bleibende Structurveränderungen in der Zelle und
deren Fortsätzen hinterlässt. Diese Bahnen werden erst während des Lebens
gebildet und können, wenn sie vernachlässigt werden, auoh wieder verschwinden,
woraus sich der Vorgang des Vergessene erklärt.
Zum Beweise dieser Hypothese von der Plasticität der cerebralen Neurone
erinnert Verf. an den Parallelismus, der bei Kindern zwischen der allmählichen
Entwickelung der Intelligenz und dem langsamen Auftreten der Zellfortsätze in
dar Hirnrinde besteht. Bei Hunden, denen die Augenlider nach der Geburt ver¬
näht wurden (und bei Menschen, die erblindet waren) hat Berger gefunden, dass
die Zellen in der Sehregion kleiner waren und dichter bei einander lagen, und
dass die Zellfortsätze viel weniger entwickelt waren, als bei sehenden Individuen.
Bei der Paralyse sind analoge Beobachtungen gemaoht. Demoor hat nach-
gewiesen, dass unter dem Einfluss gewisser Nervengifte (Morphium, Chloroform
u. s. w.) die Zellfortsätze ihre Verzweigungen (Endbäumohen) verlieren, und Stefa¬
no wska hat bei ätherisirten Mäusen gefunden, dass die birnförmigen Ansätze der
Dendriten verschwinden und ein eigentümlicher „6tat perl6“ der feinsten Ver¬
zweigungen sich einstellt.
Ganz analoge Erscheinungen finden sich auch bei einigen Rhizopoden. Hier
verdicken und vergrössem sich diejenigen Fortsätze, die eine Nahrung ergriffen
haben. Man könnte sich also sehr wohl denken, dass auch im Gehirn der höheren
Thiere durch die Reize, welche die Neurone durchlaufen, das Protoplasma eine
Differenzirung erfährt, dass Fibrillen neu gebildet oder vorhandene verstärkt
werden. Diese Differenzirungen innerhalb der Zelle und die kleinsten Form¬
veränderungen ihrer Endverzweigungen würden als Ausdruok der Plasticität der
Neurone, mithin als die „cytologische Basis“ des Gedächtnisses anzusehen sein.
Facklam (Lübeck).
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330
41) La base oytologique primordiale, des röfiexee, de lünstinot et de la
mdmoire, par E. Solvay. (Travaux de laboratoire de l’institut Solvay.
Bruxelles 1900. III, 3. S. 21.)
Die Theorieen Ziegler’s (vgl. vor. Referat) genügen dem Verf. nicht; er
möchte weiter gehen und nicht die morphologischen Veränderungen der Zellen
und ihrer Ausläufer als Basis der psychischen Functionen ansehen, sondern den
Ausgangspunkt des „Leitungsvorganges“ in chemischen Oxydationsprocessen suchen.
„La memoire est dans le tissu ä grande oxydation plus que dans le cortex. La
pens6e est plus musculaire que cerebrale.“ Facklam (Lübeck).
42) Psyohisohe and Nervenkrankheiten in Abessinien, von F. Holzinger.
(Psychiatr. Wochenschr. 1900. Nr. 51 u. 52.)
Verf. war als Mitglied der Sanitätscolonie des russischen Rothen Kreuzes
1896 während des abessinisch-italienischen Krieges in Abessinien. Die Zahl der
von der Commission ambulatorisch behandelten Kranken war eine recht beträcht¬
liche, und andererseits waren dort Alkoholismus und Lues die hauptsächlichsten
ätiologischen Momente für die Entstehung von Geistes- und Nervenkrankheiten,
innig vereint und erschreckend verbreitet. Syphilis ist dort so häufig, wie kaum
sonstwo; Verf. schätzt die Zahl der Syphilitischen für Schoa auf etwa 80°/ 0 ;
Syphilis wird dort geradezu „unsere Krankheit“ genannt
Trotzdem ist die Ausbeute an nervösen und psychischen Affectionen eine
geringe; auf etwa 13000 Kranke kommen etwa 150 Fälle, darunter 12 reine
Psychosen. Nicht ein Mal hat Verf. progressive Paralyse gesehen, und er glaubt,
dass diese Krankheit dort überhaupt fehlt Tabes dorsalis ist relativ selten
(6 Fälle). Es muss dies doppelt auffallen gegenüber der entsetzlichen Verbreitung
der Lues.
Verf. berichtet des Genaueren über die Psychosen; es handelte sich um an¬
geborenen oder erworbenen Schwachsinn, primäre Verrücktheit, hallucinatorischen
Wahnsinn, einfache Hallucinationen, maniakalische Erregungszustände. Hysterie
scheint relativ häufig zu sein, besonders in der Form hysterischer Krämpfe.
Sehr gross ist die Gruppe neuralgischer Affectionen; dass die Häufigkeit der
Malaria daran theilweise schuld ist, wird dadurch wahrscheinlich gemacht, dass
die meisten dieser Fälle auf Chinin oder Arsen gut reagirten. Neurasthenie giebt
es in Abessinien nicht Ernst Schnitze (Andernach).
43) Sa mloune forme di alteraeione della oellula nervosa nelle psioosi
acute oonfusionali, per Dr. M. Camia. (Rivista di patologia nerv, e ment
1900. September.)
In 4 Fällen von acuter Verwirrtheit, die allgemeiner fieberhafter In-
fection bezw. Intoxication erlegen waren, und deren innere Organe auch nur die
frischen Veränderungen des nämlichen Charakters aufwiesen, zeigten die Ganglien¬
zellen im centralen Nervensystem drei bestimmte Arten von Veränderungen:
1. Abnahme, Zerfall und Diffusion der chromatischen Substanz, „Rarefication
des Protoplasma“ (Nissl, Cramer) war in allen 4 Fällen verbreitet, doch ver¬
hielten sich die verschiedenen Zelltypen in jedem Falle anders elektiv für diesen
Process.
2. Ausserdem intensive Färbung und Runzelung des Kerns; derselbe wird
duroh tiefere Verfärbung und „Homogenisation mit Atrophie“ im Protoplasma
verdickt, so dass nur das Kernkörperchen sichtbar bleibt, falls nicht auch dieses
durch weitere Vertiefung der Protoplasmafärbung abgedunkelt wird (Marinesco,
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331 —
Nissl). An diesen Veränderungen war hauptsächlich Fall II mit den mittleren
and kleinen motorischen Bindenpyramiden betheiligt.
3. Centrale Chromatolyse, sehr oft verbunden mit Schwund der Zellfortsätze,
Schwellung und Wandlagerung des Kerns, nierenförraige Form Veränderung der
Zelle, Anhäufung chromatischer Substanz in ihrer Concavität (Ballet et Faure,
Marinesco, Herver). Diese mit den Zellveränderungen nach Durchtrennung
der Axencylinder identischen Processe fanden sich im 1., 3. und 4. Falle be¬
sonders in den Clarke’schen Säulen verbreitet, wurden aber im 2. Falle durch¬
gängig vermisst.
Alle 3 Typen kann man wegen des elektiven Verhaltens der Zellgruppen
wohl als Effecte einer Intoxication ansehen, in der 3. Form allerdings unter der
Voraussetzung, dass die toxischen Stoffe die Axencylinder zuerst afficirt und dann
erst in cellulipetaler Richtung ihre deletäre Wirkung weiter entfaltet haben,
welches ja ihr gewöhnlicher Weg bei anderen Vergiftungen ist. Aus experimen¬
tellen Versuchen ist bekannt, dass Zellen, welche im chromatischen Antheil ver¬
ändert sind, normal functioniren können (und umgekehrt), daher kann man zur
Zeit noch keine sicheren Schlüsse auf die pathologischen Symptome der beiden
ersten Veränderungsformen machen. Nur in Fall I, wo die motorische Schwäche
hochgradig und rasch progressiv war, war auch die Läsion der motorischen
Bindenzellen so diffus, dass sozusagen keine einzige grosse und Biesenpyramide
intact geblieben war. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
44) The bromide sleep in a oase of mania, by Philip M. Ragg. (Brit.
med. Joum. 1900. 3. November.)
Mittheilung eines Falles von Manie, der mittels des von Macleod beschrie¬
benen und therapeutisch angewandten Bromschlafes (cf. Neurolog. Centralbl. 1900.
S. 364) mit Erfolg behandelt wurde. E. Lehmann (Oeynhausen).
IIL Aus den Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 11. März 1901.
Herr Bernhardt: Krankenvorstellong.
Vortr. stellt einen 3jährigen Knaben vor, der 103 cm lang ist, und dessen
Körpergewicht 49 Pfund beträgt. Der Gesichtsausdruck des Kindes erscheint
älter. Das abnorme Wachsthum des Knaben datirt seit l 1 / a Jahren. Besonders
stark entwickelt sind seine Geschlechtstheile, insofern die vollkommene Ausbildung
der Schamhaare, die Grösse des Penis und der Testikel derjenigen eines Erwachsenen
gleichen. Die geistige Entwickelung des Kindes ist seinem Alter entsprechend.
Andere abnorme Eigenschaften konnten an dem Einaben nicht festgestellt werden.
In einem ähnlichen Falle, den Vortr. erwähnt, wurde ausserdem eine Neuritis
optica gefunden, so dass eine Akromegalie bezw. ein Tumor vermuthet wurde.
Es fand sich post mortem ein Tumor der Glandula pinealis.
Herr Oppenheim hat mehrere Fälle von frühzeitiger und übermässiger
Entwickelung der Genitalien beobachten können, so in einem Falle von Epilepsie
und in zwei Fällen von Poliomyelitis.
Herr Brasch: Ueber die sogenannte hereditäre und infantile Tabes.
(Krankenvorstellung.)
Es handelt sich um ein 15jähr. Mädchen, dessen Vater an Tabes gestorben
ist. Die Mutter der Patientin giebt an, dass sie sich im Jahre 1867 verheirathet
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hat; ihr Mann hätte zu einer Zeit, wo er nicht in Berlin anwesend war, Aus*
schlage gehabt. Sie selbst hat mehrere Male todt geboren und mehrere Aborte
gehabt. Die vorgestellte Patientin soll mit Ausschlägen zur Welt gekommen
sein und mehrere Jahre an den Augen gelitten haben. Patientin ist ein schlankes
Mädchen und zeigt ausser Pupillenstarre und Westphal ’schem Phänomen nichts
Besonderes. Sie will zuweilen stechende Schmerzen in den Beinen haben und
hat im Dunkeln öfters das Gefühl, als ob sie fehltritt. Es besteht kein Schwanken
und keine Ataxie, ebenso keine Herabsetzung des Gefühls. Nach Ansicht des Vortr.
handelt es sich um einen Fall von sogenannter infantiler und hereditärer Tabes.
Bei kritischer Durchsicht der Litteratur konnte Vortr. nur 7 solche Fälle fest¬
stellen. Zum Schluss erwähnt Vortr. noch 3 Fälle, in welchen er bei Ehegatten
Tabes bezw. Paralyse entweder voll entwickelt oder Erscheinungen dieser Krank¬
heiten beobachten konnte.
Herr Gumpertz verweist auf einen im Neurolog. Centralbl. 1900. Nr. 17
publicirten Fall, welcher von manchen Autoren wohl als Tabes infantilis gedeutet
worden wäre. Es bestand Incontinentia urinae et alvi, Pupillenstarre, einseitig
fehlendes Kniephänomen. Eine echt syphilitische Erkrankung, Keratitis parenchy-
matosa (mit vorübergehender Kniegelenksschwellung), war vorhergegangen. Von
Lues in der Familie erwähnt G. einen Fall von Neuritis optica mit Pupillen-
starre bei einer Frau, deren Mann Tabessymptome zeigte; ferner folgende Be¬
obachtung: Erb’sche syphilitische Spinalparalyse beim Manne, Amaurose und
Westphal’scheB Zeichen bei der Frau.
Herr Krön erinnert bezüglich der Statistik an den Fall, den er in der
Discussion über den Vortr. Mendel’s (Neurolog. Centralbl. 1901. Nr. 1) erwähnt
hat. Hier war eine syphilitische Infection in frühester Kindheit erfolgt. Als
Beitrag zur familiären Syphilis und Tabes diene folgende eigene Beobachtung:
Ein Mann wurde 1893 syphilitisch inficirt. 6 Wochen später steckte er beim
ersten Coitus seine Frau an. 5 Jahre nach der Infection trat Gürtelschmerz bei
dem Manne auf. Es zeigte sich einseitige reflectorische Pupillenstarre, einseitiges
Fehlen des Kniephänomens. Blasenbeschwerden, lancinirende Schmerzen in den
Beinen, Abnahme der Potenz gesellten sich hinzu. Ungefahr zur gleichen Zeit
klagte die Frau über Rückenschmerz mit lancinirendem Charakter. Die Unter¬
suchung ergab reflectorische Pupillenstarre beiderseits, leichte Abblassung der
Papillen (Dr. Gutmann), Behr schwaches Kniephänomen. In diesem Falle ist
also Mann und Frau fast gleichzeitig syphilitisch inficirt worden und, wie es
scheint, auch wohl ziemlich gleichzeitig an Tabes erkrankt Vielleicht würde die
oonjugale Tabes öfter angetroffen werden, wenn man stets beide Ehegatten daraufhin
untersucht, sobald einer Tabes zeigt. Dass ausser der Syphilis noch ein anderes
Moment hinzukommen muss, um die Störung hervorzurufen, dürfte wohl die
richtigste Anschauung sein. Andernfalls würde wohl bei der Verbreitung der
Lues (12—12,5°/ 0 nach Erb und Blaschko) die Tabes noch häufiger sein.
Herr S. Kalischer glaubt, dass alle Autoren darin übereinstimmen, dass
die infantile Tabes so gut wie immer irgend einen Zusammenhang mit Syphilis
aufweist, sei es, dass die Eltern oder Kinder syphilitische Erscheinungen auf¬
wiesen, oder dass die Eltern Erscheinungen einer luetischen Nervenaffection zeigten,
oder dass die Tabes bei den Kindern unrein und von Himerscheinungen wie Con-
vulsionen, psychischen Störungen u. s. w. begleitet war. — Das Gleiche gilt von der
sogenannten infantilen hereditären Tabes, von der auch K. einen Fall im Archiv
f. Kinderheilk. 1897. XXIV beschrieben hat: „Ueber infantile Tabes und here¬
ditär syphilitische Erkrankungen des Centralnervensystems.“ — Was die hereditäre
Tabes bezw. die directe Vererbung der Tabes bei Erwachsenen anbetrifft, so ist
nur der eine Fall ausführlich mitgetheilt (Ueber erbliche Tabes. Berliner klin.
Wochenschr. 1898. Nr. 18), den K. hier im November 1897 vorstellen konnte.
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833
Nur in diesem Falle handelte es sich bei Mutter und Sohn (27 Jahre) um eine
echte Tabes, und bei Beiden fehlten alle Zeichen einer syphilitischen Erkrankung
des Nervensystems, wie ein jeder Hinweis auf vorausgegangene Lues. K. glaubt,
dass wenigstens bei dem Sohne, der sich übrigens als Musiker sehr überanstrengt
hatte, hier die Tabes praecox auf Grund der neuropathischen Veranlagung oder
Belastung sich entwickelte, wie K. überhaupt mit Charcot annehmen möchte,
dass eine schwere neuropathische Belastung keine unerhebliche Rolle in der
Aetiologie der Tabes spielt und besonders der Tabes juvenilis oder praecox.
Herr Brasch kann sich mit den Ausführungen Kalischer’s nicht ein¬
verstanden erklären, und erhebt Protest gegen den Missbrauch des Wortes „in¬
fantile Tabes“.
Herr Gumpertz: Krankenvorstellung.
Vortr. stellt eine 24jährige, an Phthisis leidende Frau vor, welche am
23. September 1900 entbunden worden ist. 8 Tage vor der Entbindung merkte
Patientin eine Störung der feinen Handbewegungen, am 26. September stellten
»ich eklamptische Anfalle ein, die sich ungefähr 20 Mal wiederholten. Urin wurde
eiweissfrei gefunden. 8 Tage nach der Entbindung sollen beide Hände in
typischer Eadialisstellung gestanden haben. Es besteht zur Zeit eine Atrophie
der Fingerstrecker an beiden Armen; einzelne Streckersehnen sind geschwollen,
auch der 3. und 4. Metacarpus ist verdickt; die Daumenballen sind etwas atro¬
phisch, der Daumen ist vornehmlich rechts dem Zeigefinger stark genähert. Die
herabhängenden Hände können activ erhoben, auch hyperextendirt werden; dagegen
ist die Streckung der ersten Fingerglieder rechts gamicht möglich, links gelingt
die Streckung des Daumens, rechts nicht. Spreizung der Finger und Extension
der beiden letzten Phalangen gelingt gut, ebenso die Abduction des kleinen
Fingers. Triceps und Supinatoren, sowie der ganze Rest des Plexus brachialis
sind frei. Faradisch erregbar sind vom Radialisgebiet ausser Triceps und Supi¬
natoren beiderseits der M. extensor carpi ulnaris, links auoh der Extensor pollicis
longus; galvanisch zeigen die Fingerextensoren ausgesprochene träge Zuckung,
doch ist KaSZ > AnSZ. Spontanschmerzen haben in erheblicher Art nie be¬
standen, jetzt ist Druck auf die geschwollenen Streckersehnen schmerzhaft. Die
Sensibilität ist in allen Qualitäten normal. Vortr. entscheidet sich im vorliegenden
Falle für das Vorhandensein einer acuten Poliomyelitis anterior. Nach den Unter-
Buchungen von Lamy, Rothmann, Hoche sind die Vorderhoraarterien einer
embolischen Verstopfung besonders ausgesetzt. Tuberculose und Puerperium
können leicht zur Verschleppung bakterieller Keime geführt haben. Wenn man
die ziemlich gleichzeitig eingetretene Eklampsie auf gleiche ursächliche Momente
zurückführt, so dürfte für die Auffassung dieses Leidens hier eine befriedigende
Grundlage geschaffen sein. Die übliche Toxintheorie erklärt eine post partum
aufgetretene, ohne Albuminurie verlaufende Eklampsie gamicht. Vortr. erinnert
an das analoge Bild, welches die im Verlaufe acuter Meningitis bei Rändern sich
einstellende Spinallähmung bietet, und schildert eine einschlägige Beobachtung.
Wie sich beim Thierversuch neben den Rückenmarksembolieen auch solche in
Leber und Niere einstellen, gelegentlich aber auch das bakterielle Material bis in
die Pia geschleppt wird (Hoche), so müssen wenigstens einzelne Eklampsiefälle
*uf diese Weise erklärt werden. Dass sich bei Kindern häufig, bei Erwachsenen
so gut wie nie die Spinallähmung auf Arm und Bein ausgedehnt findet, bezieht
Hoche darauf dass die Lymphbahn zwischen beiden, der Centralcanal, im späteren
Alter obliterire.
Herr Remak meint, dass der Vortr. mit der Bemerkung, dass dieser Fall
nicht dem Habitus der puerperalen Neuritis entspricht, zu leicht über die wahr¬
scheinlichste Diagnose einer symmetrischen Polyneuritis der Oberextremitäten
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334
hinweggegangen ist. Allerdings ist soeben Moebins in einem im Febrnarheft
von Schmidt’s Jahrbüchern erschienenen Bericht über den die puerperale Neu¬
ritis behandelnden Abschnitt der Remak’schen Monographie über Neuritis und
Polyneuritis in Nothnagel’s Handbuch auf Grund von fünf dort mitgetheilten
eigenen Beobachtungen des Redners wieder für seinen besonderen Typus (Er¬
krankung der Endäste des Medianus und Ulnaris) eingetreten. Er erwähnt aber
nicht, dass auch die dort nachzulesende Casuistik der puerperalen Neuritis und
Polyneuritis in recht mannigfachen, durchaus nicht typischen Formen auftreten
kann. Eine spinale Pathogenese doppelseitiger partieller degenerativer Radialis-
paralyse, z. B. nach Bleivergiftung, hat R. bekanntlich selbst schon vor vielen
Jahren vertreten. Die zahlreichen bekannten anatomischen Befunde haben aber
immer wieder eine wesentliche peripherische neuritische Erkrankung festgestellt.
Ob dieselbe nach Erb u. A. in letzter Instanz nicht etwa doch auch durch rein
functioneile Störungen der spinalen Ganglienzellen veranlasst sein könnte, bleibt
dahingestellt.
Herr Gumpertz hat der Kürze wegen Remak’s Arbeiten, wie auch anderer
Autoren, nicht erwähnt. Im vorliegenden Falle tritt G. für die spinale Locali-
sation ein wegen des schnellen Einsetzens der Lähmung, wegen des Fehlens von
Spontanschmerzen und Sensibilitätsstörungen und der langsamen functionellen
Besserung. Bei der Schwierigkeit der differentiellen Diagnose, welche Strümpell
noch jüngst betont hat, müsse man sich von den Gesichtspunkten leiten lassen,
welche unserem Causalitätsbedürfnisse Rechnung tragen, und da sei die mit den
neueren Thierversuchen im Einklang stehende Annahme des Vortr. einer statt¬
gefundenen infectiösen Embolie wohl die wahrscheinlichere.
Herr Placzek: Zar pathologischen Anatomie der spinalen Kinder¬
lähmung.
Es handelt sich um ein l*/ 4 jähriges Kind, welches 4 Tage nach Beginn der
Erkrankung im Krankenhaus aufgenommen wurde, und bei dem die unteren
Extremitäten gelähmt waren; später trat auch noch eine Lähmung des linken
Armes ein, während der rechte gesund blieb. Das Kind ging 3 Monate nach
Beginn der Erkrankung zu Grunde. Die Durchmusterung der aus dem Rücken¬
mark hergestellten Präparate ergiebt, dass die ganze Vorderhomsäule in seiner
ganzen Länge afficirt ist. Die Ganglienzellen sind zum Theil geschwunden, zum
Theil degenerirt; diese Veränderung, vereint mit einem grossen Schwund mark-
haltiger Fasern, trifft man im Dorsal- und Cervicalmark vornehmlich im linken
Vorderhorn, in den übrigen Partieen des Rückenmarks auf beiden Seiten. Auch
die Clarke’schen Säulen zeigen Veränderungen. In allen Rückenmarkshöhen ist
auch lebhafte Vascularisation zu beobachten, die perivasculären Lymphräume sind
stellenweise mit Lymphzellen vollgepfropft. Die Gliasubstanz ist entweder normal
oder nur aufgelockert. Die vorderen Wurzeln zeigen fast überall deutliche Dege¬
neration, ebenso zeigten sich die Fasern des untersuchten N. peroneus degenerirt;
die Muskelfasern aus Muskeln der betroffenen Extremitäten erwiesen sich stark
verschmälert: Auf Grund des erhobenen anatomischen Befundes in den Vorder-
hörnern schliesst sich Vortr. der Ansicht an, dass die Poliomyelitis eine Infeotions-
krankheit sei, bei welcher die Entzündung der Rückenmarkssubstanz durch toxische,
durch die Blutgefässe ins Rückenmark gebrachte Stoffe erzeugt wird.
Herr Henneberg: Ueber den centralen Verlauf des Gowers’sohen
Bündels beim Menschen.
Vortr. demonstrirt nach der Marchi’schen Methode behandelte Schnitte, die
den Verlauf des Gowers’schen Bündels erkennen lassen. Die Präparate stammen
von einem Falle von Myelitis acuta, in welchem nach 3wöchentlicher Krankheits¬
dauer der Exitus eintrat. Es fand sich eine Erweichung des Doroalmarks bis
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zun 4. Dorsalsegment; von hier bis zum 3. Gervicalsegmeut bestanden mehr herd¬
förmige Veränderungen.
Die Angaben über den Verlauf des Gowers’schen Bündels beim Menschen
stimmen in mehrfacher Beziehung nicht überein. Hoche, Bruce, Luslett u. A.
fanden, dass in Uebereinstimmung mit den von Loewenthal, Auerbach und
Mott bei Thieren erhobenen Befunden das Gowers’sche Bündel, nachdem es
die Brücke durchsetzt hat, in das Vel. med. ant. und in das Kleinhirn gelangt,
v. Sölder und Quensel konnten einen Theil der Fasern bis in die Umgebung
des Corp. genicul. med., bezw. bis in den ventro-lateralen Kern des Thalamus ver¬
folgen. Rossolimo konnte die von allen genannten Autoren beschriebenen, in
das Kleinhirn ziehenden Fasern nicht auffinden; nach ihm endet das Gowers’sche
Bündel in der SubBtantia nigra und nach Passieren der inneren Kapsel in den
Gliedern des Linsenkerns.
Die Befunde des Vortr. stimmen am meisten mit den von Quensel erhobenen
überein. Bis zur Höhe der oberen Olive giebt das Gowers’sche Bündel zahl¬
reiche Fasern zum Corpus restiforme ab. Es liegt hier zwischen den Fasern des
Trapez, ventral und lateral von der oberen Olive; einzelne Fasern durchziehen
diese. Um und durch den sensiblen Trigeminuskern verläuft ob des Weiteren
dorealwärts und gelangt in die laterale Schleife, von hier aus in das Velum med.
ant., und lateral vom Bindearm ins Kleinhirn. Die Bindearme selbst bleiben
völlig frei von Degeneration, ebenso die mediale Schleife. Etwa ein Drittel der
Fasern lässt sich weiter proximalwärts in enger räumlicher Beziehung zu den
Fasern der lateralen Schleife bis in die ventro-mediale Umgebung des Corpus
genicul. int. verfolgen. Hier nehmen die Fasern einen ventro-lateral gerichteten
und zerstreuten Verlauf. Nach Verlassen des Corpus genicul. int. findet sich
ein Theil der Fasern in dem am meisten nach hinten und ventral gelegenen
Theile des lateralen Thalamuskerns, wo sie zu enden scheinen. In Ebenen, die
durch den distalen Theil des Nucleus medius fallen, findet sich keine Dege¬
neration mehr.
Das anscheinend aus dem Dorsalmark stammende, als „Fasciculus spino-thala-
micus“ des Gowers’schen zu bezeichnende Bündel ist bei Thieren bisher nicht
beschrieben. Beim Kaninchen fanden Cohnstamm und Wallenberg nur ein¬
zelne bis in den Thalamus zu verfolgende Fasern.
Was die physiologische Bedeutung des Gowers’schen Bündels anbelangt, so
findet sich nicht selten (Gehuchten, Brissaud, Schlesinger, Lloyd) die
Vennuthung ausgesprochen, dass das Gowers’sche Bündel die Bahn für die
Schmerz- und Temperaturreize darstelle. Der Theil des Gowers’schen Bündels,
der sich in das Kleinhirn begiebt und wohl nur einen Theil der Kleinhirnseiten¬
strangbahn darstellt, kann für die Leitung des Schmerz- und Temperatursinnes
kaum in Frage kommen, da weder klinische noch experimentelle Erfahrungen
dafür sprechen, dass das Kleinhirn mit den genannten Sinnesqualitäten etwas zu
thun hat. Nimmt man an, dass das Gowers’sche Bündel der Schmerz- und
Temperaturleitung dient, so würde allein der Fasciculus spino-thalamicus desselben
in Frage kommen können, und dieser erscheint für eine derartige Function zu
geringfügig. Jacobsohn (Berlin).
Wiener medicinisoher Club.
Sitzung vom 31. Januar 1900.
(Wiener med. Presse. 1900. Nr. 8. S. 363.)
Herr R. Kienböck berichtet über einen Fall von multiplen Sohuasver-
letzungen des Kopfes, mit Bestimmung des Sitzes der Projectile durch das
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Böntgen-Verfahren. Es handelt sich um einen etwa 60jährigen Hann, der vor
7 Jahren in selbstmörderischer Absicht mehrere Schrotschüsse gegen seine rechte
und linke Schläfe abgefeuert hat, ohne andere Erscheinungen als eine vorübergehende
Bewusstlosigkeit davon zu tragen. Seit einem Jahre wurde zunehmende Demenz,
Gedächtnissschwäche und Unsicherheit in den Bewegungen der linksseitigen Extre*
mitäten bemerkt; Bedlich, der den Fall ebenfalls untersuchte, fand an den letzteren
leichte Parese, Ataxie nnd Ortsinnstörung vor. Es war nicht ausgeschlossen, dass
die Erscheinungen auf der längst vergangenen Schuss Verletzung beruhten. Vortr.
stellte durch das Böntgenverfahren das Vorhandensein von 4 kleinen plattgedrückten
Metallstücken im Kopfe des Patienten fest; sie sassen extracraniell; das eine war
aber in die Tiefe einer knöchernen Depression in der rechten Schläfe zn localisiren,
wodurch der rechte Stirnlappen verletzt sein konnte. Schnitzler entfernte am
14. December 1899 dieses Projectil und fand an diesem Punkte auf dem Boden einer
kleinen Trepanationsöffnung die Hirnhaut adhärent Die Krankheitserscheinungen
wurden jedoch im weiteren Verlaufe durch die Operation nicht behoben. (Beferent
erfuhrt im Hai 1900, dass sich die Erscheinungen eines in der rechten Hirnhälfte
sitzenden Herdes noch verschlimmert haben.)
Herr Wilhelm Schlesinger berichtet über einige Fälle von Akromegalie
mit Diabetes. Dieser letztere behauptet im 1. Falle nach seiner Ansicht dem erst¬
genannten Leiden gegenüber insofern eine selbständige Stellung, als es durch diäte¬
tische Maassnahmen sehr gebessert worden ist Bei einem 2., weit vorgeschrittenen
Falle von Akromegalie (demonstrirt) ist der Harn für gewöhnlich zuckerfrei, enthält
aber, nach Verabreichung von Lävulose, bis zu 2,5 °/ 0 Dextrose. Ein 3. Fall mit
leichtem Diabetes zeigt Andeutungen akromegalischer Veränderung au der Nase und
an den Muskelleisten des Hinterschädels. In allen 3 Fällen fehlen bis jetzt Sym¬
ptome eines Hypophysentumors; es gingen, wie in allen Fällen der Litteratur, die
akromegalischen Erscheinungen der Glycosurie voraus. Vortr. glaubt, das Glycosurie
bei Akromegalie bald als nur symptomatisch (vielleicht in Folge Hirntumors), bald als
echter Diabetes aufzufassen sei.
Discussion:
Herr Max. Sternberg meint, dass bei Coincidenz von Akromegalie und Olycos-
urie ein causaler Zusammenhang anzunehmen sei. Er hält auch den 3. Fall de6
Vortr. für sehr akromegalieverdächtig. Wo ausgesprochener Diabetes besteht (wie
im 1. Falle), nimmt er mit Vortr. das Bestehen von Pankreaserkrankung an. Es
dränge sich dabei die Annahme eigenartiger Beziehungen zwischen den verschiedenen
Blutdrüseu des Körpers auf. Bobert Kienböck (Wien).
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 18.
Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Hansu & Wrme in Leipzig.
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m. 16. ApriL Nr. 8.
Inhalt I. Origlnalmitthellimgen. 1. Neue Mittheilungeu über Störungen der Tiefen*
localiaation, yon Prof. A. Pick in Prag. 2. Axencylinderfärbung. Vorläufige Mittheilung,
ron Dr. L. Kaplan. 8 . Zur Histologie der Compressionsveränderungen des Rückenmarks bei
Wirbelgeschwülsten, von Max Bieischowsky. (Schluss.)
II. Referate. Anatomie. 1. Ueber das angebliche Vorhandensein eines Reticulums
in der quergestreiften Muskelfaser, von Motta-Coco. — Experimentelle Physiologie.
2. Ueber die Automatic des sympathischen Systems nach am Auge angestellten Beobach;
tnngeo, von Lewantfowsky. 8. Lebens de Physiologie experimentale, par Dubolt et Couvreur.
4. Experimente on tbe value of vascular and visceral faotors for the genesis of emotion, by
Skerrtagton. — Pathologische Anatomie. 5. Further observations on the structural
alterations in the cells of the spinal cord following varioua lesions, by Warrlngton. — Patho¬
logie des Nervensystems. 6. Ueber die Verbreitung der Neurasthenie unter verschiedenen
Beröjkerungsklassen. Nebst kürzeren symptomatischen Bemerkungen, von Petrin. 7. Zur
Cacuistik hysterischer Sebstörungen (Hysteria virilis), von Wettendorfer. 8. Transient real
bHndness in hysteria, by Harlan. 9. A case of monocular hysterical amaurosis in a girl
serenteen veare of age, by Veaeey. 10. Ein Fall von hysterischer Stummheit, jedenfalls
heirorgerufen durch Intoxication, von Bloch. 11. Hysterischer Mutismus im Verlauf von
Typhus abdominalis, von Gutmann. 12. Zur Symptomatologie der hysterischen Taubheit, von
Barth. 13. Ueber einen Fall von hysterischer Taubheit, von Schultze. 14. Ueber hysterische
Aphonie, von Opp. 15. Vertigo auralis hysterica. Zur Frage der Harnveränderungen nach
den Anfallen der grande hystdrie, von Rybaikin. 16. Two cases of general anaesthesia, by
Bur. 17. Hemianesthesie hystdrique traitde par la resensibilisation progressive, par Vial.
18. Hysterische Krämpfe in Folge von Autointoxication, von Horvdth. 19. Ueber die Haut-
ftisetionen der Hysterischen und den atypischen Zoster, von Bottmann. 20. La mdtamdrie
dans les trophonevroses, par Brittaud. 21. Hyperthermie nerveuBe ohez la femme par irri-
ttfon du syst&me nerveux utdrin, par Leven. 22. Ein einwandsfreier Fall von hysterischem
Fieber, von Wormser und Bing. 28. Giebt es ein hysterisches Fieber? von Kobler. 24. Un cas
fanorexie hystdrique, par Gasne. 25. Des troubles gastro-inteBtinaux du nervoeisme, par Dubois.
26. Deux cas de pseuao-appendicite hystdrique, par Plrler. 27. Hdmorragies ndvropathiques
des Organes gdnito-urinaires, par Lancereaux. 28. Polyurie et pollakiurie hystdrique, par Abadie.
W. Zwei praktisch wichtige Fälle von Hysterie, von Fürst. 30. De l’hystörie male ae l’enfance, par
Boarasville et Boyor. 31. Ueber drei Fälle von „Hysteria magna“. Ein Beitrag zur Differential-
diagnose zwischen Hysterie UDd Epilepsie, von Steffens. 82. Ueber typische, aureb elektrischen
Strom erzeugte, hysterische Hemianästhesie und Hemiparese, von Strauss. 83. Nervenaflinität
«ad Blitzschlag, von Roichl. 84. Nervenaflinität und Blitzschlag, von Reichl. 85. Beobaoh-
Ä bei Elektricitätsarbeitem. Vorläufige Mittheilung, von Jelinek. 36. On the prognosis
eria; a contribution to tbe question of fatal hysteria, by Frlnkel. 37. Incontinence
of «rine in children, by Huber. 38. Nervöser Speichelfluss als eine selbständige Krankheits-
ferm, von v. Bechterew. 39. A case of negro letbargy, by Mackenzie. 40. African lethargy
* the sleeping sickness, by Manson and Mott. — Psychiatrie. 41. Die Prognose der
Qärtuhianzheiten. Für praktische Aerzte und Studirende, von llberg.
22
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338
III. Bibliographie. Die paroxysmale Tachycardie (Anfälle von Hengegen), von Äugest
Hoffmans.
IV. Ans den BeeelUchafteo. Psychiatrischer Verein zu Berlin.—Wiener mediciniseherClob.
V. Neurologische und ptychielrltche Litteratur vom 1. Jenner bis 1. März 1901.
VI. Vermischtet. Jahresversammlung des Vereins der deutschen Irrenärzte.
I. Orginalmittheilungen.
L Neue Mittheilungen
über Störungen der Tiefenlocalisation.
Von Prof. A. Piok in Prag.
Es war das grosse Verdienst Exnkb’s, dass er im Jahre 1894 l , über die
theoretische Discussion der, für die Localisation im Sehraome bedeutsamen,
physiologischen Thatsachen hinausgehend, als Erster den klinischen Beweis
erbrachte, dass die Störung dieser Function durch cerebrale Herdaffeotion that-
sächlich zu Stande kommen könne; einige Jahre später habe ich dann den
Gegenstand aufgenommen und die, auch localisatorisch fixirte, Erscheinung als
Störung der Tiefenlocalisation beschrieben 9 ; dieselbe ist dadurch oharakterisirt,
dass der davon betroffene Kranke, ohne merkbare gröbere Störung des inneren
oder äusseren Muskelapparates der Augen, beim Greifen nach vorgehaltenen
Objecten meist hinter dieselben greift und erst langsam, förmlioh suchend, den¬
selben zu fassen bekommt; seither sind mehrfache Mittheilungen gemacht
worden 9 , die in Uebereinstimmung mit meinen Aufstellungen stehen und ist
vor allem Anton zu nennen, dessen, auoh sonst sehr interessante, Publication
eine vollständige Bestätigung der Localisation gebracht hat 4
Ich habe damals angeführt, dass mir diese Störung auoh als vorübergehende
Folgeerscheinung apoplektiformer Anfälle bei Paralytikern von früheren Beobach¬
tungen her bekannt ist und auf einzelne Fälle aus der Litteratur verwiesen, in
denen es sich offenbar um dieselbe Erscheinung gehandelt; eine eigene Beobach¬
tung konnte ich damals nicht mittheilen, und nehme deshalb jetzt, wo ich dazu
in der Lage bin, Veranlassung, auf die Frage zurückzukommen; mit der einen,
die Paralyse betreffenden Beobachtung glaube ich mich begnügen zu sollen,
weil sich auoh mir die neuerlich mehrfach betonte Thatsache aufdrängt, dass
die paralytischen Anfalle im letzten Decennium, zum Theil gewiss unter dem
Einflüsse der „Bettbehandlung“, seltener geworden sind; überdies ist die hier
1 Erklärung der psychischen Erscheinungen. I. S. 255.
* Beiträge zur Pathologie and pathologischen Anatomie des Centralnervensystems.
1898. S. 187.
* VergL namentlich die zasammenfassende Darstellung bei Nodet: Les agnosies. La
cloitä psychique, en particolier. Paris 1899. S. 58.
4 Beiderseitige Erkrankung der Scheitelgegend des Grosshirns. Wiener klin. Woohenachr.
1899. Nr. 48.
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339
besprochene Erscheinung eine so typische, sich ziemlich gleichförmig darstellende,
dass es auch deshalb genügen wird, einen Fall dieser Kategorie ausführlich
hier mitzutheilen.
Am 6. Juni 1899 wird der 43jährige verheirathete Sch. Rudolf, gewesener
Diener, in die Klinik aufgenommen. Er ist den von der Frau gegebenen anam-
neetischen Angaben zufolge seit 17 Jahren verheirathet und Vater eines gesunden
Knaben. Vor etwa 8 Jahren inficirte er sich extramatrimoniell und soll etwa
1 Jahr nach dieser, in ihrer Art der Frau nicht genauer bekannten Infection
einen Ausschlag am Körper gehabt haben, der mit Salbeneinreibungen behandelt
wurde. Pat. war Potator (Bier und Schnaps). Irgend welche andere Erkrankungen
waren bis dahin nicht beobachtet worden. Die jetzige Erkrankung des Pat. be¬
gann vor etwa 5 Jahren mit einem Ausfälle vorübergehender Art, von dem Be¬
wusstlosigkeit, plötzliche Sprachlosigkeit und Convulsionen in der rechten Körper-
hälfte beriohtet werden; von da ab nahm die Intelligenz des Kranken ab, er wurde
vergesslich, seine Stimmung war eine ausserordentlich wechselnde, bald grundlos
trübe, bald wieder erregt; bald konnte er auch seinen Dienst nicht mehr ver¬
sehen. In der Folgezeit sollen die Anfalle sehr häufig, 2—3 Mal in der Woche,
aufgetreten und im Allgemeinen dem früher erwähnten gleich gewesen sein; in
der letzten Woche war Pat. oft unrein, urinirte ins Bett, liess den Stuhl in die
Kleider, machte die unsinnigsten Dinge, begann Nachts, ohne anzuzünden, zu
nähen, zog sich nackt aus, warf in der Wohnung alles durcheinander. Seine
Mutter scheint an AlterBblödsinn gelitten zu haben.
Bei der Aufnahme zeigt Pat. das Bild einer, weit vorgeschrittenen progressiven
Paralyse; stumpf euphorisches Verhalten, weitgehende psychische Schwäche, schwere
paralytische Sprachstörung; lichtstarre Pupillen, die linke weiter als die rechte,
Facialisdifferenz, ausgesprochenes Beben in der Musculatur des unteren Facialis-
gebietes, starker Tremor der Zunge und der Hand, Schrift hochgradig gestört,
Gang unsicher; Hypästhesie am ganzen Körper, Kniephänomen sehr lebhaft, Fuss-
phänomen rechts angedeutet, kein Zeichen florider Lues.
Am 26./I. Abends constatirt der herbeigeholte Assistent, ohne dass ein
Krampfanfall vorangegangen war: Der Bliok des Pat. ist starr, der Kopf ist nach
rechts gewendet, der linke Facialis zeigt starke Parese, die linke obere Extremität
wird in rechtwinkliger Beugestellung fixirt gehalten und setzt Streckversuchen
einen kaum überwindlichen Widerstand entgegen; eine tief in den linken Arm
eingestochene Nadel wird anscheinend gar nicht gefühlt, ebenso ist die Schmerz¬
empfindung des linken Beines beinahe aufgehoben; wird dieses gehoben, so fällt
es schlaff zurück, während das rechte Bein bei solchen Hebeversuchen, ebenso wie
der rechte Arm, einige Zeit zitternd erhoben bleibt. Auf Anrufe reagirt Pat. gar
nicht; wird ihm die Frage nach seinem Namen wiederholt ins Ohr gerufen, ant¬
wortet er zunächst nur mit einem Beben der Lippen; nach mehreren Minuten
kommt sein Name stammelnd „Sch... sch... i... i... indl... 11... ee... rr“ über die
Lippen; tiefe Reflexe lebhaft, besonders links, Temp. 38,4; urinirt ins Bett.
9 Uhr Abends: Kopf andauernd starr nach rechts gedreht; Versuche, ihn gerade
zu legen, stossen auf starken Widerstand; ist es trotzdem gelungen, so kehrt er,
sobald man ihn loBlässt, wieder in die rechte Seitenlage zurück; Contracturstellung
des linken Armes besteht fort, ebenso das Unvermögen zu sprechen. Temp. 38,2.
27./I. früh. Temp. 37,4. Das Bewusstsein des Pat. entschieden freier, auf¬
gefordert seinen Namen zu nennen, thut er dies nach einiger Zeit schwerfällig,
mit bebender Stimme, doch deutlicher als gestern; dem Verlangen, die linke Hand
tu reichen, kommt er in der Weise nach, dass er entweder die rechte reicht oder
die Unke mit der rechten dem Arzte entgegenhebt; Pat. liegt in derselben Haltung
wie gestern zu Bett, Kopf und Blick nach rechts gerichtet; der linke Mundfacialis
22 *
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p&retisch; die Contracturstellung des linken Armes lässt sich ohne besondere Kraft-
anwendung in Streckstellung bringen; linksseitig nahezu völlige Analgesie; Triceps-
sehnenreflex links sehr lebhaft, rechts vorhanden, Periostreflex links sehr gesteigert,
rechts lebhaft, Cremasterreflex links fehlend, Hypochondrienreflex links schwach,
rechts lebhaft, Bauchreflex links und rechts sehr lebhaft; Patellarsehnenreflex
beiderseits gesteigert, besonders links. Hein Fussclonus. Plantarreflex links vor¬
handen, rechts gesteigert; das linke Bein fallt, wenn man es hebt, sofort zurück
Die Bewegungen der Augen nach oben, rechts und unten sind frei, nach links
hin werden sie kaum über die Mittellinie gebracht (döviation conjuguee); Lieht-
reaction bei künstlicher Beleuchtung deutlich vorhanden, rechte Pupille weiter
als die linke, linke prompt, rechte etwas träger auf Licht reagirend. Linksseitige
homonyme Hemianopsie. Die von links gegen rechts hin ins Blickfeld gebrachte
Uhr scheint Pat. beiläufig erst dann zu erblicken, wenn sie gerade vor ihm sich
befindet, während er sie, wenn sie von rechts angenähert wird, schon weit aussen
erblickt. An diesem Abende wird auch zuerst die hier zu besprechende Störung
constatirt. Wenn die Uhr dem Pat. in der rechtsseitigen Gesichtshälfte vorgehalten
wird, so greift er, sie deutlich fixirend, regelmässig zuerst dahinter,
dann erst ergreift er sie, zitternd mit der Hand nach vorn und
etwas nach aussen tastend. Diese Störung der Tiefenlocalisation wird mit
zunehmender Entfernung vom Auge immer geringer, so zwar, dass sie in einer
Entfernung von '/j m nahezu versohwunden ist.
28./I. Der Kranke nimmt noch immer dieselbe Stellung ein, der Kopf noch
immer nach rechts gedreht, die Augen aber schon in der Mittellinie, die rechte
Stirnhälfte deutlich stärker gerunzelt als links, der rechte Augenbrauenbogen
höher stehend. Der linke Mundwinkel etwas tiefer; bei willkürlichen Bewegungen
wird diese Differenz deutlicher. Zunge nach links abweichend; Pupillen bei trüber
Tagesbeleuchtung mittelweit, beim Blick geradeaus keine Differenz. Wird eine
Wachskerze von rechts her dem Gesichte genähert, so kommt es zeitweise vor,
dass di6 linke Pupille deutlich enger ist als die rechte; das letztere Verhältniss
bleibt auch aufrecht, wenn der Wachsstock gerade in der Mittellinie, beide Augen
gleichmässig beleuchtend, steht; bezüglich der Fälle, wo bei Beleuchtung von rechts
her die rechte Pupille enger ist, zeigt es sich, dass nach kurzer Zeit die Differenz
schwindet; im entgegengesetzten Falle bleibt die Differenz trotz langer Belichtung
zu Ungunsten der linken Pupille bestehen; die Hemianopsie besteht weiter; der
Kranke hebt heute schon den linken Arm im Schultergelenke spontan, etwas auch
schon das linke Bein, beugt ob auch ein wenig im Kniegelenk; keine sichtliche
Differenz zwischen den beiden Körperhälften im Verhalten bei Nadelstichen. Der
linke Hypochondrienreflex so wie gestern leicht angedeutet, sich aber bald er¬
schöpfend. Der linke Bauchreflex ebenfalls schwach vorhanden. Cremasterreflex
beiderseits vorhanden, links vielleicht etwas schwächer. Patellarreflex beiderseits
lebhaft. Fussclonus links angedeutet. Die Störung der Tiefenlocalisation noch
vorhanden, aber nicht mehr so stark wie gestern, und zwar in der Weise, dass
bei Nahestellung der Objecte das Greifen unsicherer und langsamer erfolgt, als
wenn die Objecte in grösserer Entfernung gehaltem werden.
28./I. Abends. Kopf noch immer nach rechts, die Augen etwas nach rechts
von der Mittellinie eingestellt. Die Pupille bei indirecter Belichtung rechts grösser
als links, bei directer Belichtung von rechts wird die Differenz geringer, aber
noch deutlich, bei directer Belichtung von links die rechte zuerst ungefähr doppelt,
bei längerer Belichtung etwa 3 Mal so gross als die linke; die linke Pupille
reagirt rascher und ausgiebiger als die rechte. Die linke Hemianopsie besteht
weiter, ebenso die Tiefenlocalisationsstörung in derselben Weise wie
Vormittags; wird dem Pat. die Uhr nahe vors Gesicht gehalten, so
greift er zuerst hinter dieselbe, und fasst sie von aussen rechts,
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wird eie ihm entfernter gehalten, so fasst er sie von innen, indem
er die Hand zitternd von vorn ihr nähert; Augenbewegungen wie
gestern; geringe, bei Innervation deutlicher werdende Differenz im Gebiete des
Facialis, mit dem linken Arme werden geringe Bewegungen im Schulter- und
Ellbogengelenke ausgefiihrt, der passive Widerstand gering, die linke untere
Extremität wird spontan nicht bewegt, grosser Widerstand bei passiven Bewegungen,
Reflexe wie vormittags, Fussclonus links nicht zu erzielen.
30./I. Teq>p. 4 Uhr 37,4, 5 Uhr 37,2, Puls 90. Pat. liegt Abends theil-
nahmsloe im Bette, reagirt nicht auf Fragen, kommt Aufträgen nicht nach. Von
Zeit zu Zeit ein Zucken in den rechten Extremitäten, vornehmlich in den Fingern,
und leichte Beugung im Kniegelenke, mit energischer, sofort folgender Streckung;
die linken Extremitäten liegen ganz unbewegt und führt Pat. trotz vielfacher
Aufforderung keine Bewegung aus. Kopf und Augen nach rechts gedreht, heute
ist die linke Pupille grösser als die rechte und bleibt diese Differenz auch bei
directer Belichtung der gut reagirenden linken Pupille bestehen. Reflexe wie an
vorangehenden Tagen, linker Patellarclonus sehr leicht zu erzielen. Prüfung der
Hemianopsie durch die Stumpfheit des Pat. sehr erschwert, da er auch das ihm
von rechts her genäherte Licht wenig beachtet. Aus dem gleichen Grunde ist
auch die Störung der Tiefenlocalisation nicht nachweisbar. Pat. antwortet heute
nicht einmal mehr mit unverständlichem Lallen, sondern liegt ganz sprachlos
im Bette.
1. /IL Die Lage des Kopfes, wenn er ruhig da liegt, ist noch immer die
nach rechts gedrehte. Ruft man Pat. von links an, so Behaut er längere Zeit
suchend nach rechts, stellt man don Kopf in die gerade Riohtung, so gelingt das
mit geringer Anstrengung, dann blickt er wieder auf den Rufenden, blickt gerade
aus und auch nach links hin und bringt die Augfn schon ganz nach links; die
Uhr von links genähert sieht er schon etwas weiter aussen von der Mittellinie;
bei massiger Belichtung und Geradestellung der Augen sind die Pupillen mittel¬
weit, die linke weiter, was bei Convergenz und starker Belichtung, wo die Pupillen
sich energisch zusammenziehen, verschwindet, bei mittlerer Belichtung und geringer
Convergenz bestehen bleibt. Parese des linken Armes. Hautreflexe so wie früher.
Sensibilität deutlich erkennbar, gewöhnlich aber stumpf.
2. /n. Kopf wird schon nahezu in der Mittellinie gehalten, bei Drehung des
Kopfes naoh links Widerstand. Sehfeld scheint noch nicht vollständig nach links
ausgeweitet; der linke Arm wird schlaff gehoben, jedoch nicht bis zur vollen
Höhe, das linke Bein kann nicht gehoben werden. Die Störung der Tiefen¬
localisation nicht mehr vorhanden und auch später nicht mehr nachweis¬
bar; die Reste des paralytischen Anfalles sohwinden allmählich.
Pat. ist dann später in der Klinik verstorben; die Section hat den typischen
Befund der Paralyse ergeben.
Unter Uebergehnng der übrigen Momente will ich nur auf die, hier als
Nacherscheinung eines apoplektiformen Anfalles eines Paralytikers constatirte
transitorische Störung der Tiefenlocalisation hinweisen; dieselbe zeigte sich hier,
wie auch sonst meist, neben einer homonymen lateralen Hemianopsie; man
könnte non zunächst daran denken, dass jene etwas mit der Hemianopsie zu
thun habe; aber wie schon früher an Fällen von Herdaffection, konnte ich auch
seither mich in zwei Fällen von Paralyse präcise davon überzeugen, dass die
Störung ein Plus ist und nicht von der Hemianopsie abhängt
Am zweiten Tage nach einem gemischten apoplekti-epileptiformen Anfalle
kam ich zu einem Paralytiker, der neben ausgesprochener Parese des linken
Digilized by LjOOQle
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Annes bei kaum angedeuteter des linken Beines, eine starke in der Mittellinie
abschneidende linksseitige, homonyme Hemianopsie aufwies, die schon bei gröbster
Prüfung nachgewiesen werden konnte. Dieser Kranke, der wohl noch etwas
benommen, aber doch schon über Aufforderung Einfaches ausführte, zeigte nun
keine Spur von Störung der Tiefenlocalisation, ergriff vielmehr die Uhr ganz
regelmässig und prompt, mochte dieselbe wie immer, näher oder entfernter,
gehalten werden. ,
Der zweite Fall betrifft einen Paralytiker meiner Klinik, den ich am
Morgen, nach einem, am Abend eingetretenen, paralytischen Anfalle sah; auch
dieser zeigte neben linksseitiger Hemiparese eine deutlich nachweisbare links¬
seitige homonyme Hemianopsie; von irgend welcher Störung der Tiefenlocalisation
war nichts zu sehen, vielmehr griff derselbe und zwar, entsprechend der Stumpf¬
heit seiner gesammten Reaction, langsam, aber doch direct und ohne die sehr
prägnante Erscheinung des Nachhintengreifens, nach dem Objecte, so wie es
nur in die gesehene Gesichtsfeldhälfte eintrat. In dem ersten der eben skizzirten
Fälle, ebenso wie in anderen, konnte ich mich ferner überzeugen, dass die
Störung der Tiefenlocalisation auch nichts mit der, nach paralytisohem Anfalle
vorhandenen, Bewusstseinsstörung zu thun hat, wofür ja auch das von Fällen
mit Herdaffection her Bekannte spricht; dass natürlich auch die psychische
Schwäche dabei von keinem Einflüsse ist, geht ohne Weiteres aus dem ganzen
Verlaufe hervor.
Im Anschlüsse an die klinische Mittheilung glaube ich noch einen weiteren
mit dem Thema im Zusammenhang stehenden Punkt berühren zu sollen; in
der Eingangs citirten Arbeit hatte ich gezeigt, dass die auf klinischem, bezw.
pathologisch-anatomischem Wege gewonnenen Thatsachen der menschlichen
Pathologie geeignet waren, die bis dahin unklaren Feststellungen des Thier¬
experimentes entscheidend aufzuklären; ich konnte an den Mittheilungen Munk’s
und Schäfeb’s über Affen, denen Excisionen des Parietallappens gemacht
worden, nach weisen, dass diese Thiere ganz dieselben Erscheinungen darboten,
wie die Kranken mit Scheitellapenläsionen, dass bei diesen Thieren eben eine
Störung der Tiefenlocalisation und nicht eine solche des eigentlichen Sehens
vorhanden ist. Seither sind nun zwei neue einschlägige Arbeiten erschienen,
auf die ich wegen ihrer vollen Uebereinstimmung mit dieser Auffassung, doch
etwas näher eingehen will.
Zuerst berichtet Jean Demoob 1 über Versuche an Hunden, denen die
Rögion pariöto-temporo-occipitale beiderseits (in der Detailbeschreibung heisst es
direct: Ablation des centres pariötaux) exstirpirt wurde; die Einzelangaben über
das Verhalten solcher Hunde entsprechen, bei ausdrücklicher Betonung des un¬
gestörten Sehens, etwa dem, was ich als Störung der Tiefenlocalisation bezeichnet;
in der Zusammenfassung sagt Demoob 2 von dem Hunde: „II n’a aucune
1 Les centres sensitivo-moteurs et les centres d’association chez le chien. Institut Solvay:
Travauz de laboratoire publ. p. P. Heger. Bruxelles 1899. II, 3.
* L. c. S. 32.
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— 848
notion de profondenr et de distance“. Nicht minder deutlich tritt die
Uebereinstimmung der Beobachtungen an Menschen mit denen operirter Thiere
in einer Mittheilung H. Munk’s 1 hervor, ja wie aus den sofort zu gebenden
Citaten erhellt, ist diese Uebereinstimmung eine bis ins Detail gehende. So
berichtet Munk von einem Affen, dem beiderseits die Binde des Gyrus angularis
eistirpirt worden, folgendes 1 : „Hielt ich vor dem AfFen ein Mohrrübenstückchen
zwischen meinen Fingern eingeklemmt, so fasste seine Hand, über das Stück
hinausgegangen, die meinige und schob sich an dieser rückwärts, bis
sie das Stück umgab. An dem Affen war also die Fähigkeit, mit den Finger¬
spitzen zu fassen, unversehrt; und wenn er von ihr nicht Gebrauch machte, so
war der Grund nur darin zu suchen, dass das Greifen mit ganzer Hand oder
Mund dort mehr zweckentsprechend war. Indem er, auoh so noch, oft nicht
traf, sondern zu weit oder zu kurz griff, kam die Störung zum Ausdruck, aus
welcher alle anderen Erscheinungen abzuleiten waren, die Störung, dass er
die Lage des Objectes in der Tiefe des Gesichtsfeldes nicht richtig
erkannte“; die letztere Beobachtung Munk’s erscheint mir nicht bloss ihrer
klinischen Uebereinstimmung, sondern vor Allem auch deshalb bemerkenswerth,
weil durch sie eine Stütze für die, von mir gegebene, Bezeichnung der Erscheinung
als Störung der Tiefenlocalisation gewonnen ist.
[Aus dem Laboratorium der Irrenanstalt Herzberge der Stadt Berlin
(Geh. Bath Moeli).]
2. Axencylinderfärbung.
[Vorläufige Mittheilung.]
Von Dr. L. Kaplan,
I. Assistenzarzt.
Eine elective Axencylinderfärbung wird erreicht durch folgendes Verfahren:
1. Beizung und Härtung in MüLLBn’scher Flüssigkeit (3 Monat und länger;
eventuell nach vorausgegangener kurzer Fixirung in Mülleb -Formol, sicherer
jedoch ohne dies);
2. Alkoholnachhärtung (etwa je 1 Tag in 80°/ o , 95%, absolutem Alkohol);
3. Einbettung in Celloidin oder Paraffin;
4. Färbung in 10%iger, frisch bereiteter, wässeriger Lösung von Anthracen-
eisengallustinte 9 3 Tage am besten im Brütofen bei 85° (jedoch geht es
' SitzungBber. der kgL preuse. Akad. d. Wisaensch. zu Berlin. Sitzung der phys.-
mafch. CL 14. December 1899.
* L. c. 8.14 des Sonderabdrnekes.
* Leonhardi’s chemische Fabriken in Dresden. Ueberall im Handel.
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344
auch kalt oder kalt nach bezw. mit vorübergehendem Erhitzen; längerer Aufent¬
halt in der Farbe schadet nicht) 1 ;
5. kurzes Auswaschen in Wasser;
6. Differenziren am besten in */ 4 —1 °/ 0 Kali hypermanganieum und Bleichen
in schwefeliger Säure in statu nascendi (also wie bei Pal ’s Markscheiden-
differenzirung; mehrfach hin- und zurückbringen);
7. kurzes Auswaschen in Wasser;
8. Entwässern (Alkohol 80%> 95 °/o> absol.);
9. Carbolxylol oder Cajeputöl (abtrocknen!);
10. Xylolcolophonium.*
Gefärbt wird anscheinend eine Substanz des Axencylinders, welche
nicht unmittelbar an der Zelle zu beginnen und sich nioht bis ganz
an das Ende der Faser zu erstrecken scheint
Die bisherigen, in Bezug auf Constanz, Schärfe und Haltbarkeit 9 günstigen
Resultate von zahlreichen Versuchsreihen, sowie die Einfachheit der Technik
dürften die vorläufige Mittheilung der Methode zweckmässig erscheinen lassen;
ausführliche Angaben über Methodik und Resultate werden in nächster Zeit
erfolgen.
[Aus dem Laboratorium des Herrn Prof. Mendel.]
3. Zur Histologie der Compressions-
veränderungen des Rückenmarks bei Wirbelgeschwülsten.
Von Dr. Max Bielsohowsky.
(Schluss.)
Ich komme nun zu Fall IL Hier bieten die Veränderungen des Quer¬
schnittes an der Compressionsstelle ein ganz anderes Bild. Der Zerfall des
Parenchyms in der weissen Substanz ist hier viel intensiver, der ganze Quer¬
schnitt ist mit Zerfallsproducten und Fettköriichenzellen übersät. Die Gefässe
sind an zahlreichen Stellen prall mit Leukocyten gefüllt, die vielfach die Wand
durchdrungen und das umgebende Gewebe infiltrirt haben. Es haben Gefäss-
neubildungen stattgefunden, und diese neugebildeten Gefässe sind zn Gonglomeraten,
wie sie auoh von Bbunb in einem Falle beschrieben worden sind, angeordnet.
Es haben zahlreiche Blutungen stattgefunden, welche besonders von den Capillaren
1 Die Stammlfaung ist verkorkt aufzubewahren, um die Bildung von gallussaurem
Eisenoxyduloxyd zu verhindern. Färbegef&sse luftdicht abscblieesen durch Befeuchten des
geschliffenen Bandes vor Auflegen der Deckscheibe. (Verdunstung, Oxydation!)
* Gefährlich ist sehr langer Aufenthalt in Alkohol und Celloidin, besonders als Celloidin-
block in Alkohol (in diesen Fällen erfolgt gelegentlich die Entfärbung der Axencylinder
gleichzeitig oder stellenweiB schon frfiher als die der Markscheiden).
' Bereits Aber */« Jahr.
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845
und kleinen Venen ihren Ausgang nehmen: mit einem Worte, der Querschnitt
zeigt hier das typische Bild der gelben Erweichung, wie sie als zweites Stadium
der acuten transversalen Myelitis in den Lehrbüchern geschildert wird. Besonders
bemerkenswerth ist dabei in diesem Falle die Divergenz zwischen dem hohen
Grad der Bückenmarksveränderungen und der geringen Grosse der comprimirenden
Neubildung; dieselbe präsentirte sich als eine kaum bohnengrosse, nur wenig in
den Wirbelcanal hineinragende Exostose. Bei diesem Verhalten musste sich
natürlich der Verdacht regen, ob überhaupt ein ursächlicher Zusammenhang
xwischen den Bückenmarksveränderungen und der Exostosenbildung am Wirbel¬
körper bestände, und ob es sich nicht vielleicht um eine zufällige Coincidenz
beider Prooeese handle. Diese Vermuthung wird aber durch zwei Umstände
sicher widerlegt. Erstens nämlich sind die Substanzveränderungen des Rücken¬
marks scharf auf das Niveau der Wirbelerkrankung localisirt, und die Pia ist
dabei vollkommen frei von jeglichen Veränderungen geblieben. Die zum Ueber-
fluss vorgenommene sorgfältige Durchforschung des erkrankten Gewebes nach
Mikroorganismen ergab ein negatives Resultat Zweitens spricht das Verhalten
bei der Operation des Rückenmarks mit Entschiedenheit dafür, dass das Organ
unter einer directen Druckwirkung gestanden hat, denn nach der Eröffnung
des Wirbelcanals drängte ach das Rückenmark etwas in die Wunde hinein,
und nach der Spaltung der Dura traten an der ursprünglich pulslosen Stelle
wieder Pulsationen auf. Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass hier
ein relativ geringer Druok zu den schweren histologischen Veränderungen
geführt hat Es ist bei ähnlichen Fällen die Ansicht ausgesprochen worden,
das die Toxine benachbarter Tumoren gelegentlich echte Entzündungen im
Rückenmark hervorrufen können. Von der Toxin Wirkung einer kleinen Exostose
wird natürlich nicht die Rede sein können. Ist man nun berechtigt, aus dem
geschilderten Verhalten des Querschnittes den Schluss zu ziehen, dass ein ge¬
ringer Druck primär zu entzündlichen Vorgängen im Rückenmark führen
kann? Eine derartige Schlussfolgerung wäre durchaus verfehlt, und zwar
aus folgenden Gründen: Erstens ist nach dem heutigen Stande unserer Kennt¬
nisse bei den solitären Querschnittserkranknngen eine sichere anatomische
Merentialdiagnose zwischen einfacher, durch mechanische Circulationsstörungen
bedingter Erweichung und entzündlicher Erweichung überhaupt nicht zu
«teilen. Die Lehre von der transversalen Myelitis ist zur Zeit besonders durch
die Arbeiten von Bbuhb in eine Umwälzung gerathen. Die BnuNs’sche An-
, Behauung, dass die als charakteristisch für die transversale Myelitis angegebenen
Merkmale eine specifische Bedeutung nicht haben, und dass abgesehen von
dem bisher selten geführten Nachweis von Entzündungserregern eine Unter¬
scheidung zwischen „Entzündung und einer andersartigen Desintegration“ nicht
zu stellen ist, bricht sich immer mehr Bahn. Zweitens zeigt die Durchsuchung
der in der Litteratur niedergelegten Befunde ähnlicher Art, dass histologische
Merkmale, welche nach den herrschenden Anschauungen pathognostisch für die
Entzündung sind, sich ganz entsprechend unserem Falle nur da finden, wo die
Zerstörung des Markes zu einem hohen Grade gediehen ist, während sie da, wo
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man die Anfangsstadien der Erkrankung vor sich hat, wie in unserem Falle I
und III, vermisst werden. Wenn man für Befunde, wie sie in unserem Falle II
vorliegen, überhaupt die Bezeichnung „Entzündung“ beibehält, so kann dies nur
im Sinne einer sogenannten reactiven Entzündung geschehen, wie sie auch von
Schmaus für einen Theil seiner Fälle angenommen worden ist. Es handelt sich
bei dieser reactiven Entzündung im Wesentlichen um den Ausdruck einer ge¬
steigerten Resorption des abgestorbenen Gewebes, und mit vollem Recht zieht
Schmaus als Vergleich diejenigen Veränderungen heran, welche in der Umgebung
von Infarcten in anderen Organen beobachtet werden.
Ein Befund, welcher in diesem zweiten Falle erhoben worden ist, bedarf
einer besonderen Hervorhebung. Es betrifft die in ihrem Verlauf ausführlich
geschilderten Nervenbündel, welche im Sulcus anterior und in der Adventitia der
centralen Gefasse an der Compressionsstelle, bezw. oberhalb und unterhalb derselben
gefunden wurden. Derartige Fasern wurden auch von Fickleb 1 in zwei Fällen
von Rückenmarkscompression bei Wirbeloaries, in denen das Rückenmark über
mehrere Segmente hin durch den Druck hochgradige Veränderungen erfahren hatte,
gefunden, und der Autor widmet ihnen eine eingehende Schilderung. Bezüglich
ihres Verlaufes und ihrer histologischen Beschaffenheit stimmen die Angaben
Fickleb’s mit den von mir erhobenen Befunden im Wesentlichen übe ran.
Fickleb betrachtet diese Fasern als neugebildete, regenerirte Nervenfasern, und
zwar hauptsächlich deshalb, weil sie an Orten hegen, an denen normaler Weise keine
Vorkommen. Er sieht in ihnen die anatomische Grundlage für die Heilung bei
der Compression des Rückenmarks. In seinen beiden Fällen nämlich hatten
die Jahre lang bestehenden Paraplegieen eine erhebliche Besserung erfahren. In
dem einen Falle ging dieselbe so weit, dass die Kranke mit Hülfe von Stöcken
Arbeiten in Haus und Feld verriohten konnte, und in diesem klinischen Verhalten
sieht der Verfasser eine wesentliche Stütze für seine Deutung des anatomischen
Bildes. Fickleb citirt einen von Saxeb beschriebenen Fall von Syringomyelie
des Halsmarkes, in welchem markhaltige Nervenfasern innerhalb der gliösen
Bezirke und zwar theils eingeschlossen in die Scheide der Gefässe, theils von
einer eigenen bindegewebigen Hülle umgeben, gefunden 1 wurden. Sie wandten
sich nach dem Sulcus anterior hin und traten in den dort gelegenen binde¬
gewebigen Piafortsatz ein. Die Lage dieser Fasern war also in dem Saxeb’-
sehen Falle eine ähnliche, wie in den Fällen von Fickleb und meinem Fall IL
Für seine Fälle nimmt Fickleb an, dass diese „regenerirten Fasern“ in der
Mehrzahl neugebildete Ausläufer der von ihrem Endziel abgeschnittenen Fasern
der Pyramidenseitenstränge sind, welche eine neue Verbindung zwischen sich
und den motorischen Ganglienzellen unterhalb der Compressionsstelle hergestellt
haben. Der sichere Zusammenhang mit der Pyramidenseitenstrangbahn ist von
Fickleb nicht erwiesen; seine Angaben darüber können vielmehr nur den Werth
einer Vermuthung beanspruchen. Bei der grossen Aehnlichkeit, welche meine
1 Fickleb, Studien zur Pathologie und pathol. Anat. der Rückenmarkscompression bei
Wirbelcaries. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. Bd. XVII.
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347
Bilder mit den von Fickleb beschriebenen haben, bin ich doch weit entfernt,
den Dingen dieselbe Deutung zu geben wie er, und zwar aus folgenden Gründen:
Erstens habe ich derartige Faserbündel, eingebettet in den pialen Fortsatz des
Sulcus anterior und in der Scheide der centralen Gefasse, schon lange Zeit,
bevor mir die FiCKLEB’sche Arbeit bekannt geworden war, in einem senilen
Rückenmark gefunden, in welchem ausser einer massigen Arteriosklerose
und der im Senium gewöhnlichen Verbreiterung der Gliabälkchen in der
wei8sen Substanz nichts Krankhaftes nachweisbar war. Von einer Querschnitts¬
läsion konnte in diesem Falle weder klinisch noch anatomisch die Rede sein,
vielmehr musste das Rückenmark, abgesehen von den bezeichnten im Senium
ganz gewöhnlichen Veränderungen, als normal gelten.
Wenn ich auoh nicht in der Lage bin, in diesem Falle die Verlaufsrichtung
der Fasern genau anzugeben, so zeigt ihr Vorhandensein an den bezeichnten
Stellen doch soviel, dass die Voraussetzung für die FiCKLEB’sche Deutung nicht
immer zutrifft Hier haben wir die Fasern an Orten, an denen gewöhnlich
keine gefunden werden, und doch zeigt das übrige Rückenmark niohts, was die
Annahme einer Regeneration auch nur im geringsten rechtfertigen würde, ganz
abgesehen davon, dass der Besitzer des Organs von Seiten des Nervensystems
krankhafte Erscheinungen nie geboten hatte. In diesem Falle sind wir genöthigt,
diese Fasern als ein atypisch verlaufendes, wahrscheinlich von der weissen Substanz
der Vorderstränge abgesprengtes Bündel aufzufassen, welches nur den Werth
einer anatomischen Curiosität besitzt
Dieselbe Deutung gebe ich diesem Befunde in meinem Falle II. Hier waren
trotz des Vorhandenseins sehr zahlreicher Bündel der fraglichen Art klinisch
nicht die geringsten Zeichen einer Besserung der durch die Querschnittsläsion
bedingten Ausfallserscheinungen zu bemerken. Ein Vergleich meiner Abbildung
mit denjenigen von Fickleb scheint sogar zu ergeben, dass die Zahl der
Faserbündel im Sulcus anterior an der Compressionsstelle in meinem Falle noch
grösser ist als in dem seinigen. Gegen die Deutung Fickleb’s sprechen mir
vor allen Dingen auch die negativen Resultate der experimentellen Untersuchung,
welche, wie Fickleb selbst hervorhebt, gelehrt haben, dass das Rückenmark zu
nennenswerthen Regenerationsprocessen seiner parenchymatösen Bestandteile
nicht befähigt ist. Es könnte der Ein wand erhoben werden, dass diejenigen
Forscher, welche nach Regenerationsprocessen gefahndet haben, eine falsche An¬
ordnung ihres Experimentes insofern vorgenommen haben, als sie das Rücken¬
mark total durchtrennten. Dadurch wird — so könnte man einwenden — die
Circulation an der Läsionsstelle so schwer verändert, dass auf eine bestimmte
Strecke jede Ernährung des Gewebes erlischt und damit ein Regenerationsvorgang
unmöglich wird; während bei der Rückenmarkscompression die Circulations-
bedingungen am Orte der Läsion noch ausreichen können, um einen Regenerations¬
vorgang in die Wege zu leiten. Für diese Annahme geben aber die experi¬
mentellen Arbeiten derjenigen Untersucher, welche das Rückenmark lediglich
comprimirten, auch keine Stütze, denn auch in diesen Fällen von künstlicher
Compression, wie sie den Arbeiten von Kahles, Rosenbach und Stchebbak,
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Kbonthal u. A. zu Grunde liegen, ist nichts beschrieben worden, was mit den
FiCKLEs’schen Befunden und den meinigen auch nur entfernt übereinstimmt.
Alle diese Gründe bringen mich za dem Schlüsse, dass diese atypisch verlaufenden
Bündel nicht ohne Weiteres deshalb, weil sie atypisch verlaufen, als regenerirte
betrachtet werden dürfen; obgleich für eine solche Deutung das klinische Ver¬
halten der FioKLEB’schen Fälle viel Verlockendes hat.
Ob es sich um ein abgesprengtes Bündel ans dem Pyramidenvorderstrang
oder um ein langes Commissurenbündel handelt, entzieht sich der Entscheidung.
Ich komme nun zu dem zweiten besonders bemerkenswerthen Nebenbefunde,
welchen der 3. Fall bietet. Er betrifft die Höhlenbildungen, welche sich vor¬
nehmlich oberhalb der Compressionsstelle fanden. Resümiren wir die Beschreibungen
der einzelnen Segmente, so ergiebt sich, dass ausser den Compressionsveränderungen
in diesem Falle ein an verschiedenen Stellen verschieden hoher Grad von Hydro-
myelus bestand. Der Centralcanal war überall erweitert, und die ihn umfassende
Substantia gelatinosa centralis zeigte überall hyperplastische Vorgänge, die in
einzelnen Höhen bereits vollkommen als centrale Gliose imponirten. So besonders
in der Höhe der stärksten Erweiterung oberhalb des Ortes der Compression und
in geringerem Grade in der Lendenanschwellung, wo zugleich eine starke Diver¬
tikelbildung des Centralcanals beobachtet wurde. An der Stelle der stärksten
Compression selbst war der Centralcanal obliterirt
In der Litteratur liegen eine grosse Reihe von Beobachtungen vor, in denen
Höhlenbildungen bei Rückenmarkscompression gefunden wurden. Die Durchsicht
dieser Fälle lehrt, dass hier zwei verschiedene Arten von Höhlenbildungen von
einander zu trennen sind. Zu der ersten gehören diejenigen Fälle, wo diese
Höhlen sich am Orte der Compression selbst oder in dessen unmittelbarer Nähe
fanden. Hier handelt es sich um den Schlusseffect von nekrotischen Pro¬
cessen, welche unter dem Einfluss der starken Circulationsveränderungen
oder durch Blutungen entstanden sind. Derartige Befunde wurden von
Dinkleb, Milleb u. A. erhoben. Auch Dbxlbb 1 , welcher eine durch Osteo¬
chondrosenbildung im Wirbelkörper bedingte Compressionsmyelitis beim Hunde
beschrieben hat, fand sie an den Orten der stärksten Erkrankung und widmet
ihnen eine ausführliche Beschreibung. Robbnbach und Stghebbak haben
an ihren operirten Thieren am Orte der Compression beträchtliche Höhlen in
der grauen Substanz gefunden, welche aus einem Gewebszerfall hervorgegangen
waren. Von dieser ersten Art von Fällen ist die zweite scharf zu trennen.
Hier handelt es sich um eine Combination der Druckveränderungen mit echter
Syringomyelie. Es lassen sich hier nun wieder zwei Unterabtheilungen fest¬
stellen. Zu der ersten gehören diejenigen Fälle, wo die Höhlen aus dem Zerfall
gliomatöser Neubildungen hervorgegangen sind (Alexandboff, Kbonthal,
Minob); zu der zweiten diejenigen, wo sich die Höhle im Wesentlichen als
eine starke Erweiterung des Centralcanals darstellt Für die erste Kategorie ist
1 Dbxlbb, Beiträge zur pathologischen Anat und zur Pathol. der chron. Compression*
myelitis des Hundes. Arbeiten aus dem Institut des Herrn Prof. Obbbsteibbb. 1895. H. i
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349
ein ursächlicher Zusammenhang beider Processe nicht erweisbar. Anders liegen
die Dinge bei der zweiten Kategorie, welcher wir den von mir beschriebenen
Fall III zurechnen dürfen, wenngleich hier in der Umgebung des stark erweiterten
Centralcanals Veränderungen stattgefunden haben, welche, wie schon bemerkt,
auf eine beginnende Gliose hindeuten. Für diese zweite Art kann man einen
gewissen Zusammenhang zwischen der Gompression und der Höhlenbildung
construiren. Erweiterungen des Centralcanals oberhalb der Compressionsstelle
sind nicht selten zur Beobachtung gelangt Schlbsingeb hat in seiner Mono¬
graphie über die Syringomyelie einen derartigen Fall beschrieben. Hier handelte
es sich um einen 53jähr. Mann, dem durch eine traumatische Luxation das
Rückenmark im unteren Brusttheil zerquetscht wurde. Der Tod erfolgte 3 Monate
nach dem Trauma. Im Rückenmark war der Centralcanal im Bereich der
Quetschung8steile selbst verschlossen; oberhalb der Compression fand sich eine
Erweiterung desselben, die fast über das ganze Brustmark verfolgt wurde. Im
oberen Brustmark verengerte er sich rasch, blieb aber als ganz schmaler Canal
mit buchtigen Rändern bis zum Halsmarke bestehen. Aus dem Schlesinger’-
scheo Protocoll geht zwar nicht mit Sicherheit hervor, ob er in directer Com-
munication mit dem 4. Ventrikel stand; ein solcher Zusammenhang aber
ist nach seiner Schilderung nicht unwahrscheinlich. Kahlbb und Schultze
haben ebenfalls eine solche Erweiterung des Centralcanals oberhalb der Compression
beobachtet, und schliesslich muss die schon citirte Arbeit von Dexleb auch hier
Erwähnung finden, der bei seinen Hunden in einem hohen Procentsatz dasselbe
Verhalten des Centralcanals constatirte. Kbonthal konnte eine Erweiterung des
Centralcanals durch experimentelle Compression erzeugen. Auf diese Arbeit
wird weiter unten näher eingegangen werden.
Auf Grund seiner Befunde und der in den citirten Arbeiten niedergelegten
Erfahrungen neigt Schlesinger zu der Annahme, dass hier möglicher Weise
ein gesetzmässiges Verhalten vorliegt. Er sagt selbst, dass er eine vollkommen
befriedigende Erklärung für dieses Verhalten nicht zu geben vermag: „Es bleibe
aber nichtsdestoweniger eine feststehende Thatsache, dass eine massige Erweiterung
des Centralcanals (Hydromyelie, welche durch Wucherung des Ependyms
zur Gliose führen kann) öfters durch eine chronische Compression des Rücken¬
marks bedingt sei, sich in der Regel aber nur oberhalb der comprimirten
Stelle finde.“ Kbonthal 1 gebührt das Verdienst, auf experimentellem Wege
den Versuch gemacht zu haben, eine Antwort auf diese vorliegende Frage zu
finden. Er vermuthete, dass möglicher Weise eine Behinderung des Flüssig¬
keitsstromes im Rückenmark eine Gliombildung bezw. Syringomyelie veranlassen
könne, und um diese Vermuthung experimentell zu stützen, comprimirte er
das Rückenmark eines Hundes durch ein steril gemachtes Korkstückchen,
welches er in den Wirbelraum zwischen Knochen und Dura hineinschob. Das
anatomische Resultat ist oben bereits erwähnt; er fand eine Erweiterung des
1 Kiohthal, Zar Pathologie der Höhlenbildong im Rückenmark. Nenrolog. Central¬
blatt. 1889.
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Centralcanals, die etwa doppelt so gross war, als bei normalen Thieren an den
entsprechenden Stellen. Die Schlüsse, welche Kbonthal ans diesem Experiment
für die Pathogenese der Syringomyelie, speciell der Gliomatose, zieht, gehen viel
zu weit und sind auch von anderer Seite (Hoffmann, Cassxbsb) abgelehnt
worden. Aber einen guten Kern enthalten seine Ausführungen doch; derselbe
liegt darin, dass er die beobachtete Erweiterung des Centralcanals auf eine Be¬
hinderung der in demselben strömenden Flüssigkeit zurückführte. Denn die
Voraussetzung der KaoNTHAL’schen Deduction, dass ein solcher Strom im Central¬
canal existirt, ist kaum zu bestreiten. Er selber citirt die Arbeit von Eichhobst
und Naunyk, welche bei experimentellen Querschnittsläsionen an neugeborenen
Kaninchen oberhalb der Querschnittsnarbe einen beträchtlichen Hydromyelus
vornehmlich in der Richtung des Sulcus longitudinalis posterior fanden; derselbe
stand stellenweise mit dem Centralcanal in einem directen Zusammenhang.
Wenn wir auch über die Strömungsverhältnisse im Centralcanal mit Ausnahme
der eben citirten Versuche wenig wissen, so erscheint dooh die Annahme be¬
rechtigt, dass da, wo derselbe eine deutliche Lichtung im postfötalen Leben
bewahrt, und da, wo er in continuirlichem Zusammenhänge mit dem Hohlraum
des 4. Ventrikels bleibt, eine wenn auch langsam sich bewegende und unter
geringem Druck stehende Flüssigkeit in ihm fliesst. Da unter diesen Voraus¬
setzungen die im Centralcanal strömende Flüssigkeit mit der Ventrikelflüssigkeit
dentisch ist, bezw. in continuirlichem Zusammenhänge mit ihr steht, so wird
man zu dem Schluss geleitet, dass der Strom von dem Ventrikelhohlraum aus¬
geht und in caudaler Richtung nach dem Filum terminale hinzieht: denn als
Quelle der Cereprospinalflüssigkeit sind die Chorioidealplexus der Ventrikel zu
betrachten. Wird nun das Rückenmark in den Fällen, wo die anatomischen
Verhältnisse die Annahme eines solchen Stromes rechtfertigen, comprimirt und
dadurch das Strombett verlegt, so wird proximalwärts von der Compressionsstelle
eine Erweiterung des Canals ein treten müssen. Der Haupteinwand gegen diese
Theorie liegt in der Thatsache, dass bei der sehr grossen Zahl genau beschriebener
Fälle von Rückenmarkscompression nur in einem kleinen Bruchtheil eine Er¬
weiterung des Centraloanals oberhalb der comprimirten Stelle gefunden worden
ist Aber dieser Einwand wird hinfällig, wenn man erwägt, wie selten die
schon oben erwähnten anatomischen Voraussetzungen beim erwachsenen Menschen
zutreffen: diese Voraussetzung besteht, um es kurz noch einmal zu sagen, darin,
dass der Centralcanal von der Compressionsstelle bis zu seiner Einmündung in
den Ventrikel sein Lumen beibehalten hat Dieses Peraistiren des Canals in seiner
ganzen Länge ist aber im späteren Leben ein relativ seltnes Ereigniss. Ziehen
sagt in seiner Anatomie des Rückenmarks, dass in höchstens etwa 20% aller
Fälle der Centralcanal mit blossem Auge oder mit der Lupe als ein durch das
ganze Rückenmark auf dünnen Schnitten zusammenhängender, offener Canal
verfolgt werden kann. Nach meinen Erfahrungen ist diese Zahl noch zu hoch
angegeben, wenigstens für das spätere Lebensalter. Nach dem vollendeten
3. Lebensdecennium ist ein continuirlicher offener Centralcanal unter normalen
Verhältnissen eine Seltenheit. In diesem anatomischen Verhalten liegt der
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Schlüssel za der Deutung der Tliatsache, dass am comprimirten Rückenmark
des Mensehen die Erweiterung meist vermisst wird; denn wenn kein Canal mehr
vorhanden ist, kann auch keine Flüssigkeit in ihm fiiessen und keine Stauung
derselben zu Stande kommen. Bei Thieren, speciell bei den häufig untersuchten
Hunden, obliteriit der Canal meist nicht; er bleibt in continuirlichem Zusammen¬
hänge mit dem Ventrikel, und deshalb wird bei der Compression des Rücken¬
marks sowohl experimentell durch Einführung von Fremdkörpern als durch
Tumoren die zu poetulirende Erweiterung des Centralcanals oberhalb der Com-
pressionsstelle viel häufiger gefunden.
Auch die bei Tumoren der hinteren Schädelgrube beobachteten Erweiterungen
des Centralcanals sind von Langhans 1 auf eine Störung der Strömungsverhältnisse
in demselben zurückgeführt worden. Langhans selbst hat mehrere Fälle be¬
schrieben, wo bei solchen Tumoren der Canal im Cervicalmark starke Er¬
weiterungen des Lumens erfahren hatte. Dieser Autor nimmt eine doppelte
Stromrichtung im Centralcanal an und glaubt, dass die in seinen Fällen beobachteten
Bilder auf eine Blutstauung zurückzuführen seien. Die Venen aus dem oberen
Dorsalmark und Cervicalmark sollen auf dem Wege durch die epiduralen Sinus
ihren Inhalt in die Sinus der Schädelhöhle ergiessen, speciell in diejenigen,
welche auf der oberen Fläche des Os basilare liegen. Bei Tumoren der hinteren
Schädelgrube, welche auf diesen Plexus stark drücken, soll in den betreffenden
Rückenmarksabschnitten ein Stauungsödem und dann secundär eine Er¬
weiterung des Centralcanals, gelegentlich mit Divertikelbildungen, erfolgen.
Bei dieser Deutung der Dinge sind aber die Voraussetzungen durch nichts
bewiesen. Die experimentellen Untersuchungen haben gelehrt, dass im Central¬
canal, wenn überhaupt, nur eine Strömung von oben nach unten anzunehmen
ist Ferner haben die epiduralen Blutbahnen ihren Hauptabflussweg nicht nach
der Schädelhöhle, sondern durch die entsprechenden Foramina intervertebralia.
Ein Druck auf die Sinus des Os basilare wird also kaum je im Cervicalmark
und im Dorsalmark ein erhebliches Stauungsödem hervorrufen können. Zur Deutung
der LANOHAjre’schen Befunde muss wohl ein anderer Weg eingeschlagen werden.
Ich glaube, dass für das Zustandekommen dieser Erweiterungen des Central¬
canals bei seinen und ähnlichen Fällen zwei Bedingungen erfüllt sein müssen.
Erstens muss der Centralcanal mit dem Ventrikel in einem offenen Zusammenhänge
stehen und sich eine Strecke weit in die proximalen Rückenmarksabschnitte hinein
offen erhalten haben. Zweitens ist eine starke Steigerung des Druckes der Ventrikel-
flüsBigkeät zu postuliren. Bei den Tumoren der hinteren Schädelgrube wird man sich
diese am zwanglosesten durch eine Behinderung des Abflusses der Cerebrospinal-
flüssigkeit aus dem 4. Ventrikel nach dem Arachnoidealraum hin erklären. Diese
Behinderung des Abflusses wird bei Tumoren leicht durch eine Verlegung der
Abflusswege, nämlich des Foramen Magendii und der Recessus laterales, bedingt
sein können, sei es dass der Tumor die eine oder andere Oeffnung direct durch-
1 Labghahb, Ueber Höhlenbildung im Rückenmark in Folge von Blntstanong. Virchow’s
Archiv. LXXXV.
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352
wächst, oder dass er dieselben indirect durch die in seinem Gefolge häufig
beobachteten Verdrängungserscheinungen verschliesst Treffen beide Voraus¬
setzungen zu, so wird die Ventrikelflüssigkeit durch den erhöhten Druck in den
Centralcanal hineingetrieben werden, und oberhalb der ersten festen Obliterations¬
stelle wird sich eine Erweiterung bilden. Da beide Voraussetzungen aber nur
selten zutreffen, so sind diese Erweiterungen bei Tumoren der hinteren Schädel¬
grube eine seltene Erscheinung. Wäre die LANGHANs’sehe Erklärung richtig,
so müsste die Höhlenbildung im Rüokenmark — wie auch Hoffmann einwendet
— immer bei Tumoren der hinteren Schädelgrube entstehen, was ja aber keines¬
wegs der Fall ist
Wenden wir uns unserem speciellen Falle zu, so glaube ich die anatomischen
Befunde in folgender Weise deuten zu sollen. Es bestand vor dem Einsetzen
der Ruckenmarkscompression durch die Carcinommetastase im Wirbel ein
congenitaler Hydromyelus mit centraler Gliose mässigen Grades. Durch
die Druckwirkung des Tumors wurde der Centralcanal an der Compressionsstelle
verlegt und durch die Verengerung des Strombettes dann eine Anstauung der
in ihm strömenden Flüssigkeit und damit eine Erweiterung desselben oberhalb
der Compressionsstelle herbeigeführt — In diesem Gebiete der stärksten Er¬
weiterung hat die Gliose durch starke Wucherung der Ependymzellen grössere
Fortschritte gemacht, als in den darüber und darunter liegenden Bezirken. Als
Grund dafür kann möglicher Weise die durch die Anstauung der Flüssigkeit
bedingte Unterernährung des Parenchyms in diesem Theile gelten.
Es bleibt noch übrig, auf die Entstehung der Spalträume einzugehen, die
sich im rechten Vorderhorn da fanden, wo der Centralcanal seine grösste Er¬
weiterung erreichte. Die Begrenzung derselben war eine unregelmässige, und
ihr Verlauf liess noch einen Zusammenhang mit der Verlaufsrichtung der
centralen Gefasse erkennen. Das Gewebe in ihrer Umgebung hatte ein stark
transparentes, rareficirtes Aussehen; die einzelnen Gewebselemente, besonders
die Gliafasern, waren auseinandergedrängt Die multipolaren Vorderhorazellen
erschienen hier gequollen und zeigten nach der NissL’schen Methode eine
vollkommene Chromatolyse. Diese Spalträume sind als secundär entstanden
zu betrachten. Sie haben dieselbe Bedeutung wie diejenigen, welche man
so häufig in typischen Fällen von spinaler Gliose in dem nicht gliöe ent¬
arteten Gewebe findet, und deren Zustandekommen in einer chronischen Unter¬
ernährung des Gewebes begründet ist Schlesinger bat die Entstehung dieser
secundären Spalträume in seiner Monographie eingehend erörtert Er betrachtet
sie als das Resultat circumscripter Gewebsnekrosen, welche unter dem Einfluss
primärer Gefässerkrankungen entstanden sind. Auch für unseren Fall wird man
diese Erklärung acceptiren können; denn thatsächlich fanden sich in dem Gebiet
der Spalträume ebenso wie in dem gliösen Ring um den Centralcanal Gefässe
mit stark verdickter und stellenweise hyalin entarteter Wandung. Neben der
Gefasserkrankung wird man aber möglicher Weise auch der Anstauung der
Flüssigkeit im Centralcanal selbst eine schädigende Wirkung auf die Ernährung
des Gewebes in diesem Gebiete auch noch insofern beimessen können, als ein
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353
von innen her sich geltend machender stärkerer Druck comprimirend auf die
kleineren dünnwandigen Gefässe der Nachbarschaft wirkte. Aehnliche Gewebs-
Teränderungen, nur in weit geringerem Grade, zeigte auch das linke Vorderhorn
in dieser Höhe. Auf beiden Seiten mögen diese Veränderungen erst ziemlich
kurze Zeit vor dem Tode entstanden sein. Dafür sprach ausser den auf eine
noch frische Erkrankung hindeutenden Veränderungen der motorischen Zellen
dieses Gebietes auch noch der Umstand, dass klinische Ausfallserscheinungen
nicht zur Ausbildung gelangt waren: Ton Atrophieen im Gebiet der Hand- und
Armmusculatur war noch nichts nachweisbar.
Ich bin am Schlüsse meiner Ausführungen angelangt, und es bleibt mir
nur die angenehme Pflicht zu erfüllen, den Herren Profit Mendel und Litten
meinen ergebenen Dank für die freundliche Ueberlassung des Materials aus¬
zusprechen.
n. Referate.
Anatomie.
1) Ueber daa angebliche Vorhandensein eines Be ticul ums in der quer¬
gestreiften Muskelfaser, von Dr. Motta-Coco (Catania). (Ziegler’s Bei¬
träge zur pathol. Anatomie. 1901. XXIX.)
Auf Grund verschiedenartiger Präparationsmethoden kommt Ver£ zu dem
Schluss, dass ein ßeticulum in dem Sinne, wie er besonders von van Gehuohten
vertreten wird, nicht ezistirt: das sog. Längsfilament desselben wird durch das
Vorhandensein der primitiven Fibrillen, durch ihren parallelen Verlauf in der
Faser und die Abwechselung der hellen und dunklen Zonen in jeder Fibrille vor¬
getäuscht, das Quernetz dadurch, dass das Sarkoplasma auf Querschnitten auf
ähnliche Weise angeordnet ist. Nach des Verf.’s Ansicht hat die Muskelfaser des
Frosches fibrillären Bau, die Fibrillen sind nicht Kunstproducte, hervorgebracht
durch Gerinnung des Muskelparenchyms um die Längsfilamente eines Reticulums,
sondern vielmehr natürliche, in der Faser präexistirende Theile.
H. Haenel (Dresden).
Experimentelle Physiologie.
2) Ueber die Automatic des sympathischen Systems nach am Auge an-
gestellten Beobachtungen, von Max LewandowBky. (Sitzungsbericht der
kgl preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin vom 13. December 1900.)
Unter Automatic versteht Verf. die Fähigkeit eines Organes, nur unter dem
Einflüsse des Blutes, ohne Vermittelung nervöser Apparate, thätig zu werden.
Von dieser Auffassung aus prüfte er die Wirkung der Steigerung des Blutreizes,
d. h. der künstlichen Dyspnoe, auf die glatte Musculatur des Auges und der
Orbita. Er sah, wenn er bei der curaresirten Katze die Athmung X J 4 —2 Minuten
uusetzte, die Pupille sich erweitern, die Lider sich öffnen, das Auge heraustreten
(M- orbitalis Mülleri), die Palpebra tertia sich nach dem medialen Winkel des
Auges zurückziehen. Trennte er durch SympathicuBdurchBchneidung unterhalb
des Ganglion supremum das erste — medullo-sympathische — Neuron vom zweiten
23
Digilized by UooQle
354
— ganglio-musculären —, so blieb dieser Erfolg der Dyspnoe vorerst aus; der
Blutreiz wirkt also beim intacten Tbiere fast ausschliesslich auf das Central¬
organ. — Dieser Zustand ist aber kein dauernder. Schon nach 24 Stunden tritt
die erwähnte Contraction der glatten Muskeln bei Dyspnoe wieder ein, ja sie wird
allmählich grösser als auf der unoperirten Seite. Exstirpirte Verf. nun noch du
Ganglion supremum, so zeigte die Contraction sich nicht von Neuem verändert;
durchschnitt er auf der einen Seite nur den Sympathicus, während er auf der
anderen das Ganglion supremum mit exstirpirte, so zeigte sich, dass auf der Seite,
wo das Ganglion noch erhalten war, die Contraction der Muskeln später und
schwächer eintrat als auf der anderen. — Es folgt aus diesen Versuchen einmal,
dass die nach Durchschneidung des Sympathicus sich herstellende automatische
Erregbarkeit eine durchaus periphere ist, zweitens, dass der Einfluss des Ganglions
auf die peripheren Apparate kein erregender contractionsauslösender, sondern im
Gegentheile ein ihre automatische Erregung abschwächender und hemmender ist
(Die Verhältnisse beim Menschen müssen doch noch etwas anders liegen; Bonst
müssten die oculo-pupillären Lähmungserscheinungen bei der Klumpke’schen
Lähmung — die dem ersten Versuche Verf.’s fast genau entspricht — schon nach
kurzer Zeit verschwinden, was nicht der Fall ist. Ref.) — Bewiesen ist jedenfalls
durch die Versuche, dass der — nach Ablauf der secundären Nervendegeneration —
„von allen nervösen Verbindungen losgelöste glatte Muskel durch den Blutreiz
erregbar, unter dem Einfluss des Blutreizes (automatisch) thätig sein kann“.
H. Haenel (Dresden).
3) Leqons de Physiologie experimentale, par R. Dubois et Ed. Couvreur.
(Paris, 1900.)
Das Buch, in Form von Vorlesungen geschrieben, stellt im Wesentlichen
einen auführlichen, detaillirten Leitfaden für das physiologische Prakticum dar.
Von diesem Gesichtspunkte aus sind die eingehenden technischen Anweisungen,
die Beschreibungen der Operationen und Experimente, sowie die zahlreichen, vor¬
trefflichen Abbildungen durchaus angebracht. Die nötbigen theoretischen Ein¬
leitungen und Ergänzungen zeichnen sich bei aller Kürze durch Klarheit und
Hervorhebung des Wesentlichen aus. — Die sieben ersten Vorlesungen beschäftigen
sich ausschliesslich mit den Vorbedingungen des Experiments, den verschiedenen
Registrirmethoden, der Fixirung und Anästhesimng der Thiere, der allgemeinen
Operationstechnik. Die Physiologie des Nervensystems und der Muskeln nimmt
weitere sieben Vorlesungen ein und enthält die grundlegenden Vorlesungsversuche,
daneben eine Reihe instructiver schematischer Zeichnungen zur Illustration der
Verhältnisse der Leitungsbahnen. Der Rest von 17 Vorlesungen behandelt die
Physiologie der Ernährung, des Blutes und der Athmung. — Das Buch wird
seiner ganzen Anlage nach nur einen verhältnissmässig beschränkten Leserkreis
haben; für diesen kann es aber, zumal meines Wissens ein entsprechendes Werk
in deutscher Sprache nicht existirt, von grossem Werthe sein.
H. Haenel (Dresden).
4) Experiments on the value of vascular and visoeral factors for the
genesis of emotion, by C. S. Sherrington. (Communication made to the
Royal Society. 1900. May.)
Der bekannte Verf. geht in seiner interessanten Arbeit über die Entstehung
der Gemüthsbewegungen von einer Anschauung aus, die in ziemlich übereinstim¬
mender Weise von drei Autoren, W. James, C. Lange und Sergi, vertreten
wird: nach diesen ist der psychologische Vorgang der Gemüthsbewegung oder des
iqitized bv
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355
Affects ein secundärer Process, der abhängt von nervösen, durch gewisse eigen¬
artige Beize ausgelösten Impulsen im Gefäss- und Eingeweidesystem des Körpers.
„Körperliche Veränderungen folgen direct auf die Empfindung des Reizes (der
auch in einer Erinnerung oder Association bestehen kann), und unsere Empfindung
dieser Veränderungen im Moment ihres Entstehens ist die Gemüthsbewegung.
Wenn wir versuchen, bei einer starken Gemüthsbewegung von allen Empfindungen
ihrer körperlichen Symptome abzusehen, so bleibt nichts übrig, ah ein kühler,
neutraler, intellectueller Vorgang; von einem ,Gemüthsstoffaus dem der Affect
bestünde, ist nichts zu finden“ (James). Ebenso ist für Lange und Sergi die
Grundlage des Auftretens von Gefühl und Gemüthsbewegung eine physiologische,
viscerale, organische und hat für den ersteren Autor ausschliesslich, für den letz¬
teren vorwiegend ihren Sitz im vasomotorischen System.
Verf. hat versucht, diese Sätze experimentell zu prüfen. Er wurde darauf
geführt durch eine zufällige Laboratoriumsbeobaohtung: Bei einem Hund, dem das
Rückenmark dicht hinter dem Ursprung des Phrenicus durchschnitten war, sollte
der Einfluss elektrischer Beizung auf den Blutdruck studirt werden. Er bemerkte
nun, wenn er zur Prüfung des Inducti onsapparats, noch bevor er mit dem Thiere
verbunden war, den Strom schloss, jedes Mal eine vorübergehende Blutdruck¬
steigerung, und es stellte sich heraus, dass dieselbe eine Folge des Gehörseindrucks
des rasselnden Unterbrechers auf das durch frühere elektrocutane Sensibilitäts¬
prüfungen etwas scheu gewordene Thier war. Es lag hier also ein Zeichen
einer Gemüthsbewegung (Angst) bei einem Thiere vor, das keine Empfindung
mehr für seine gesammte hintere Körperhälfte hatte (N. vagus? Bef.). — Auf
diese Beobachtung gestützt, durchschnitt Verf. bei einem sich durch lebhafte Aus-
drucksbewegungen auszeichnenden Hunde das Rückenmark zwischen dem 6. und
7. Hals8egmente und längere Zeit darauf auch in zwei Sitzungen beide Nervi vagi
s&mmt dem Stamme des Halssympathicus und Depressor. Das Thier überstand
alle diese Eingriffe gut; ausser einigen genauer beschriebenen Störungen der
Papillen, des Augenfacialis, der Stimme, der Respiration und des Herzschlags, die
das Wohlbefinden des Thieres nach Ueberwindung des Shoks nicht wesentlich
beeinträchtigten, bestand hinter einer über die Schulter und das Vorderbein ab¬
steigenden Linie völlige Anästhesie, in die der Digestionstractus, Herz und Lungen
und die untere Hälfte von Trachea und Speiseröhre als einbegriffen angenommen
werden musste. Dieser Hund zeigte nun auch für eingehende Beobachtung keinen
Ausfall auf dem Gebiete der Affecte: Bei der Annäherung einer Katze, eines Affen,
eines ihm missliebigen Fremden gab er nicht misszuverstehende Zeichen des
Aergers und Zorns zu erkennen, bei Annäherung seines Herrn oder Wärters, bei
Liebkosung oder Belobigung durch denselben Zeichen der Freude und Behaglich¬
keit, beim Drohen oder Schelten Zeichen der Furcht. Gestützt auf die Thatsache,
dass kein Hund Fleisch eines anderen Hundes frisst, reichte man ihm eines Tages
zur gewohnten Mahlzeit Hundefleisch. Es spiegelte sich in seinem Benehmen
deutlich der Widerstreit zwischen dem Hunger einerseits und dem Widerwillen
und Missvergnügen andererseits ab, bis zuletzt der Ekel siegte. — Die später
vorgenommene Section bestätigte die nach 229 Tagen noch vollkommene Trennung
des Rückenmarks und der Nerven an den öperirten Stellen. — Aehnliche Ver¬
suche an noch mehreren Hunden hatten dasselbe Ergebniss.
Verf. verwahrt sich zum Schluss dagegen, durch seine Versuche das Bestehen
der von den Autoren behaupteten Zusammenhänge zwischen Affecten und Organ¬
zuständen widerlegt zu haben; er möchte seine Beobachtungen nur unter dem
Gesichtspunkte betrachtet wissen, dass sie die Nothwendigkeit darlegen, jenen
Ellementen der Gemüthsbewegungen eine andere Bedeutung beizulegen, als es von
den genannten Forschern geschehen ist. H. Haenel (Dresden).
23*
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356
Pathologische Anatomie.
6) Fnrther observations on the struotural alterations in the oella of the
spinal oord following various lesions, by W. B. Warrington. (Journal
of Physiology. XXV. S. 462.)
Verf. berichtet in der vorliegenden Arbeit zunächst — frühere eigene Unter¬
suchungen ergänzend — über die Folgeerscheinungen, welche die Durchtrennung
hinterer Wurzeln an den Zellen der grauen Vorderhörner und der Clarke’-
sehen Säulen hervorrufen. — Die Versuche sind an Hunden ausgeführt und
brachten in der grossen Mehrzahl der Fälle das Ergebniss, dass vorwiegend die
Zellen der postero-lateralen Gruppe, aber auch eine Reihe anderer Gruppen nach
der geschilderten Operation degeneriren. — Ebenso zeigen auoh die Zellen der
Clarke'sehen Säulen zahlreiche degenerirte Exemplare.
In einer weiteren Serie von Experimenten wurden die Folgeerscheinungen
der Durchschneidung der vorderen Wurzeln untersucht. In Uebereinstimmung
mit vielen älteren Autoren wurde feetgestellt, dass diese Operation hauptsächlich
in den grossen Zellen der Vorderhörner, und zwar vorwiegend in zwei Gruppen
derselben, welche ganz lateral gelegen sind, Degeneration zur Folge hat
In einer dritten Serie von Versuchen studirte Verf. die Folgen partieller
Durohschneidung des Rüokenmarks, insbesondere der Kleinhirnseitenstränge. Er
bestätigte hier im Wesentlichen die früher bereits von Schäfer erhobenen Befunde.
W. Connstein (Berlin).
Pathologie des Nervensystems.
6) lieber die Verbreitung der Neurasthenie unter verschiedenen Be¬
völkerungsklassen. Nebst kürzeren symptomatischen Bemerkungen,
von Karl Petr6n, Docent an der Universität in Lund. (Deutsche Zeitschr.
f. Nervenheilk. 1900. XVII.)
In Uebereinstimmung mit der Ansicht besonders skandinavischer Aerzte, dass
Neurasthenie unter den niederen Ständen häufig sei, fand Verf. unter 285 Fällen
dieses Leidens 198 aus der körperlich arbeitenden Bevölkerung. Das Ueber-
wiegen des männlichen Geschlechts, wie es sich bei den höheren und mittleren
Ständen angehörenden Kranken findet, ist hier lange nicht so deutlich. Zu den
gleichen Resultaten kommt auch Prof. Holsti in Helsingfors. Im Gegensatz zu
den Verhältnissen bei den höheren Ständen sind bei den niederen die Franen
kaum weniger am Lebenskämpfe betheiligt als die Männer. Dies kann den ge¬
fundenen Unterschied erklären. Als unmittelbare Ursache der Neurasthenie fand
.sich am häufigsten das psychische Trauma. Unter den disponirenden Momenten
spielt naturgemäss das moderne Culturleben keine Rolle. Vielmehr kommt der
Verf. zu dem Schluss, dass eine Trias von Einflüssen bei der Neurasthenie der
Bauernbevölkerung die Disposition schaffe, nämlich Alkoholismus der früheren
Generationen, ungünstige hygienische Verhältnisse und schlechte Ernährung. Da
aber diese drei Schädlichkeiten im Abnehmen sind, so kann Verf. auch nicht
glauben, dass die Neurasthenie an Ausdehnung gewinne.
Zum Schluss werden zwei Krankengeschichten mitgetheilt, in welchen Fällei
sich das Leiden auf arteriosklerotischer Basis entwickelte. Bei darauf gerichtet«
Untersuchung wurde unter 16 Beobachtungen 4 Mal Hauthyperästhesie im Epi-
gastrium gefunden. E. Asch (Frankfurt a./M.).
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357
7) Zur Oasuistik hysterischer Behstörangen (Hysteria virilla), von Dr. Felix
Wettendorfer. (Wiener med, Woohensohr. 1900. Nr. 31.)
Fall 1. 19jähr. Schlosser; vor 6 Tagen Verletzung der linken Cornea durch
einen Eisensplitter. Nach Entfernung desselben linksseitige Amaurose. Keine
Entzündungserscheinungen. Nach ein paar Tagen Fingerzählen auf 2 m links
möglich; concentrische Einengung des Gesichtsfeldes für Weiss und Farben links,
überaus herabgesetzte Empfindlichkeit der linken Cornea. Unter Faradisation
stellte sich nach 14 Tagen die normale Sehschärfe wieder her.
Fall 2. 15jähriger Handlungsgehilfe; vor 8 Tagen nach dem Erwachen
Amaurose des rechten, hochgradige Herabsetzung der Sehschärfe des linken Auges.
Rechte Besserung in einigen Tagen, doch trat Doppeltsehen auf. Kopfschmerz,
Schwindel, kein Erbrechen. Einige Tage vor der Erkrankung Gemüthsersohütte-
rung. Analgesie der linken K5rperhälfte. Rechte Pupille etwas weiter. In der
äossersten Peripherie der oberen Blickhälfte gekreuzte Doppelbilder. Nach ein¬
maliger Faradisation schwanden diese, und es trat normaler Visus ein; Pupillen
gleich weit. Nach 6 Wochen Schmerzen bei Augenbewegungen und Kopfschmerzen,
gleic hnamig e Doppelbilder ohne Höhenunterschied in allen Blickrichtungen, rechts
herabgesetzter Visus. Die Symptome schwinden nach einer faradischen Sitzung.
J. Sorgo (Wien).
8) Transient real blindnesa in hysteria, by C. Harlan. (Journal of nervous
and mental disease. 1900. XXVII. S. 209.)
Verf. unterscheidet bei Hysterie 3 Arten von Blindheit: 1. eine rein simu-
lirte, 2. eine sogen, psychische, bei der die Hirnrinde die Fähigkeit der Perception
der aof der gesunden Retina entworfenen Bilder verloren hat, 3. eine vorüber¬
gehende absolute Blindheit, die ohne erkennbare Ursache einsetzt und verschwindet,
selbstverständlich auch keinerlei anatomische Veränderungen des Auges er¬
kennen lässt.
Letztere Form illustrirt er durch einen Fall, bei dem die verschiedensten
Prüfungen die Realität der Blindheit mit Sicherheit erkennen liessen.
Kühne (Allenberg).
8) A oase of monooular hysterioal amaurosis in a girl seventeen yeaza
of age, by C. A. Veasey. (Journal of nervous and mental disease. 1900.
XXVII. S. 444.)
Ein Fall von linksseitiger monoculärer Amaurose bei einem I7jähr. Mädchen
aof hysterischer Basis, welch’ letztere Verf. anzunehmen geneigt ist aus dem Fehlen
aller objectiven krankhaften Veränderungen in dem befallenen Auge, einer dort
vorhandenen partiellen Anästhesie der Cornea und Conjunctiva und einer Einengung
des Gesichtsfeldes links für roth und blau. Völlige Heilung in einigen Tagen
durch suggestive Therapie. Kühne (Allenberg).
10) Bin Fall von hysterischer Stummheit, jedenfalls hervorgerufen durch
Intoxioation, von Dr. Ernst Bloch in Nürnberg. (Münchener med.
Wochenschr. 1900. Nr. 28.)
Ein 15jähr. junger Mann, der hereditär nicht belastet ist, erkrankt während
der Arbeit unter den Erscheinungen eines hysterischen Anfalls, der sich haupt¬
sächlich durch Ohnmacht, krampfhafte Flexion der Arme, spastischen Gang, Ver¬
stärkung der Patellarreflexe und eine 5 tägige Stummheit charakterisirte. Da auch
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/
die anderen in dem gleichen Betrieb beschäftigten Arbeiter unter Kopfschmerz
and Brechreiz erkrankten and an dem betreffenden Tage aus dem amerikanischen
Füllofen CO-Gas aasgeströmt war, so nimmt Verf. an, dass der hysterische Anfall
durch Einathmen dieses Gasee veranlasst wurde, was er für um so wahrschein¬
licher hält, als der Arbeitsplatz des Pat. dem Ofen am nächsten war.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
11) Hysterischer Mutismus im Verlauf von Typhus abdominalis, von Paul
Gutmann, cand. med. Aus der Erb’sohen medicinischen Klinik in Heidel¬
berg. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVIII.)
Ein 7jähriges, nicht belastetes und früher stets gesundes Mädchen, wird im
Verlauf eines Typhus abdominalis vom Beginn der 3. Woche an von einer voll¬
kommenen Sprachlosigkeit befallen, die auch während der Entfieberung anhält.
Dabei ist die Intelligenz und das Verständniss für das gesprochene Wort gut
Der gleiche Zustand hält auch während eines Recidivs an. Am 58. Krankheits¬
tage stellt sich die Sprache — aber nur vorübergehend — wieder ein. Mit Be¬
ginn der 10. Woche tritt vollkommene Entfieberung ein, und die Patientin wird
wieder theilnahmsvoller. Am 67. Krankheitstage erhält sie auf suggestivem Wege
die Sprache wieder, welche von jetzt an in normaler Weise vorhanden ist. Zwei
Tage später wird sie geheilt entlassen. Irgendwelche hysterische Stigmata lieesen
sich nicht nachweisen._E. Asch (Frankfurt a/M.).
12) Zur Symptomatologie der hysterlsohen Taubheit, von Stabsarzt E. Barth
in Brieg. (Deutsche med. Wochenschr. 1900. Nr. 22.)
Ein lljährige8, hereditär nicht belastetes Mädchen wird nach einem Schreck
plötzlich taub, die Taubheit schwindet plötzlich nach 8 Tagen, um bald darauf
nach einem neuen Schreck wiederzukehren und nun Wochen lang anzuhalten.
Anatomische Veränderungen des Gehörorgans waren nicht nachweisbar, es bestand
Unfähigkeit der bewussten Perception für Geräusche, Töne, Worte und musika¬
lische Töne, jedoch fand die unbewusste akustische Perception statt: beim Ab¬
singen eines Liedes wurde die angegebene Tonart musikalisch richtig reproducirt
Auch konnte das Kind ohne Musikbegleitung eine längere Melodie musikalisch
richtig zum Ausdruck bringen. — „Das musikalische Gehör ist also — bis zu
einer gewissen Grenze — eine Unterabtheilung "des Gehörsinnes, und die Wahr¬
nehmungen und Reproductionen des musikalischen Gehörs können sich zu einem
wesentlichen Theile unterhalb der Bewusstseinsschwelle vollziehen.“
R. Pfeiffer.
18) Ueber einen Fall von hysterieoher Taubheit, von Fr. Schultze. Vor¬
trag, gehalten in der niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde
am 19. November 1900. (Deutsche med. Wochenschr. 1901. Nr. 3.)
Die hysterische Taubheit trat bei einem 14jährigen Knaben nach starkem
Schreck als erstes hysterisches Symptom auf, hielt 6 Wochen an und schwand
bei Isolirung und auf Suggestion rasch, wie sie gekommen war.
R. Pfeiffer.
14) Ueber hysterische Aphonie, von Dr. Max Opp, Volontärassistent an der
Gerhardt’schen Klinik in Berlin. (Münchener med. Wochenschr. 1900.
Nr. 21.)
Unter 28 Fällen hysterisoher Aphonie waren vier männliche Kranke. Ee
sind ausschliesslich die Glottisverengerer ergriffen; das Bewegungsvermögen der
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Stimmlippen fehlt nur bei einer bestimmten Bewegung der Phonation und bleibt
für einzelnen Fnnctionen der Stimmbildung erhalten (relative Paralyse der Adduc-
toren). In den allermeisten Fällen findet sich im Rachen und Kehlkopfeingang
eine Hypästhesie, während eohte Anästhesie nur seltener nachzuweisen ist. Stets
bleibt aber die reflectorisohe und elektrische Erregbarkeit der Kehlkopfmusculatur
erbalten. E. Asch (Frankfurt a/M.).
15) Vertigo auralia hysterioa. Zur Frage der Harn Veränderungen naoh
den Anfällen der grande hystörie , von Priv.-Doc. Dr. Rybalkin in
St. Petersburg. (Deutsohe Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVII.)
Ein junger Mann von 24 Jahren, der einer gesunden Familie entstammt,
aber in der frühen Jugend an Somnambulismus gelitten haben soll, ist mit
zweierlei Arten von Krampfanfällen behaftet, von welchen die leichtere Form in
Schwindel, linksseitigem Ohrensausen, Drehen des Kopfes und dann des ganzen
Körpers nach links besteht, wobei auch zuweilen mehrere Umdrehungen des
Körpere nach links um seine Verticalaxe Vorkommen. Bei dem schweren Typus
tritt nach den erwähnten Einleitungsstadien Verlust des Bewusstseins und die
epileptoide Phase des grossen hysterischen Anfalls ein, welche zuweilen in Clow¬
nismus übergeht. Ausserdem finden sioli eine linksseitige Hemiparese, fast völlige
Anästhesie der ganzen linken Körperhälfte und hysterische Stigmata. Eine genaue
Beobachtung im Krankenhause liess Epilepsie ausschliessen und brachte die Ge¬
wissheit des Bestehens einer grande hystörie. Die grossen Aniälle beginnen stets
mit der leichteren Form, welche als eine Art hysterischer Aura anzusehen ist
und sowohl experimentell als auch durch Gemüthsbewegungen hervorgerufen
werden kann.
Bei den vor und nach den Anfällen vorgenommenen Untersuchungen des
Harns fand sich, dass die erste Harnportion nach dem Anfall eine bedeutende
Herabsetzung des Gehaltes an fester Substanz, und besondere der Phosphorsäure,
sowie eine beträchtliche Verringerung ihres Verhältnisses zum Gesammtstickstoff
erkennen liess.
Verf. weist zum Schluss noch auf die Wichtigkeit derartiger Harnunter¬
suchungen hin, um gerade in forensischer Beziehung die Differentialdiagnose
zwischen Epilepsie und Hysterie genauer zu stellen. Ergeben sich aus den Ana¬
lysen solche Harnveränderungen, so ist anzunehmen, dass ein Anfall stattgefunden
bat, und dass er der Hysterie zuzurechnen ist.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
10) Two cases of general anaesthesia, by Ch. W. Burr. (University medical
Magaz. 1900. Juni.)
Die allgemeine Anästhesie scheint nach Verf. etwas ziemlich Seltenes bei der
Hysterie in den Vereinigten Staaten zu sein. Der erste von ihm berichtete Fall
ist eine solche Hysterie mit allgemeiner Anästhesie, weist jedoch sonst keine be¬
sondere bemerkenswerthen Züge auf.
Der genannte Fall betrifft einen 24jähr. Degenerirten. Ausser der totalen
Anästhesie und Analgesie — das Muskelgefühl war erhalten — bestand Astasie
und Abasie. Es bestanden ferner hysterische Anfälle schwerer Art.
Der zweite FaU, ein 28jähr. Mädchen, ist diagnostisch nicht klar. Im Alter
von 5 Jahren waren bei der Patientin Seh- und Gebstörungen und dann völlige
Blindheit eingetreten. Im weiteren Verlauf Kopfschmerz, Erbrechen und nach
9 Jahren Krampfanfälle mit nachfolgender rechtsseitiger Lähmung und Anästhesie
der rechten Seite. Bei der Untersuchung durch den Verf. war Patientin astatisch
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360
and abasisch, obschon sie die Beine in allen Richtungen bewegen konnte. Völlige
Anästhesie, auch Fehlen des Lagegefühls, Atrophia n. opt., Nystagmus und
Pupillenstarre. In der Discussion über diesen Fall hatte man, abgesehen von
einer complicirenden Hysterie, an eine Meningitis, Meningoencephalitis diffusa und
Thalamusaffection gedacht. Verf. selbst stellt keine bestimmte Diagnose und sagt
nur soviel bestimmt, dass die Anästhesie in diesem Falle keine hysterische sei.
Paul Schuster (Berlin).
17) Hömianesthdsie hystörique traitöe par la reaensibilisation progressive,
par Vial. (Archives de neurologie. 1900. S. 212.)
Verf. empfiehlt die von P. Sollier vorgeschriebene Behandlung der Hysterie,
die im Grunde eine mechanische ist und in dem ausführlich mitgetheilten Falle
verhältnissmässig leicht glüokte. Bezüglich des Näheren sei auf das Original
verwiesen. Adolf Passow (Meiningen).
18) Hysterisohe Krämpfe in Folge von Autointoxioation, von Dr. Cornelius
Horv&th. (Gyögyäszat. 1900. Nr. 12.)
Der Fall betrifft ein 13jähr. Mädchen, deren Sensorium etwas benommen
war. Seit 2 Tagen bestehen an beiden oberen Extremitäten eigentümliche co-
ordinirte klonische Krämpfe, die folgenden Verlauf zeigen: Erst Pronation, dann
Supination des Unterarmes, hierauf Kreuzung der Arme an der Brust und
schliesslich Streckung derselben im Ellbogengelenke. Danach kommt eine kurze
Pause, worauf das blitzartig schnell ablaufende Muskelspiel von Neuem beginnt
Nach genauer Untersuchung des Unterleibes war eine seit mehreren Tagen be¬
stehende Harn- und Stuhlverhaltung feststellbar. Nach erfolgter Ausleerung beider
Excrete erfolgte prompte Heilung. Schon aus dieser Thatsache erhellt es,
dass hier hysterische Krämpfe zugegen waren, welche höchstwahrscheinlich durch
die Resorption der in Folge der langen Harn- und Stuhl Vorhaltung entstandenen
giftigen Stoffwechselproducte, also in Folge von Autointoxioation ausgelöst wurden.
J. Honig (Budapest).
19) Ueber die Hautaffeotionen der Hysterischen und den atypischen
Zoster, von Priv.-Doc. Dr. Bettmann. Aus der medicinischen Klinik in
Heidelberg. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVIII.)
Verf. beobachtete in der Erb’schen Klinik mehrere sehr interessante Fälle
von hysterischer Hautgangrän, von welchen hauptsächlich zwei eine eingehendere
Besprechung verdienen.
I. 19jährige, früher gesunde Arbeiterin, Gravida, leidet an einer Reihe
hysterischer Sensationen. Einige Wochen nach der letzten Menstruation (Juni
1899) am ganzen Körper ein heftig juckender Ausschlag, der mit Bläschenbildung
begann und zeitweise heftig nässte. Jetzt ist nur die rechte Körperhälfte ergriffen,
der Ausschlag schneidet in der Mitte des Sternum ab, zieht oben von der Höhe
des Ansatzes der 2. Rippe über den Deltoideus, sinkt am Rücken ein wenig ab,
während die untere Grenze die rechte Thoraxhälfte in der Höhe der Mammilla
umzieht. Hinten reicht das Exanthem nicht bis zur Mittellinie, sondern endet
mit zackiger Grenze, die ziemlich parallel mit dem inneren Rand der Scapula
verläuft. Ausserdem ist der ganze rechte Ober- und Unterarm betheiligt, dagegen
sind Handrücken und Handfläche freigeblieben. Es handelt sich fast überall um
massig grosse, rundliche Plaques, die sich mit ziemlich scharfem Rand von der
Umgebung abheben, ferner um Bläschen und Papeln, namentlich an den Rändern
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361
der Flecke. Massige Dermographie. Weder innerhalb des ergriffenen Bezirks,
noch sonst an der Haut Sensibilitätsstörungen. Sehnenreflexe sehr lebhaft, Corneal-
reflexe beiderseits nicht vorhanden, Rachenanästesie, totales Fehlen der Geruchs-
empfindung. Bald darauf Geburt eines gesunden Kindes. Während des Wochen¬
bettes ging das Ekzem unter einfachem Salben verband vollständig zurück. 3 Wochen
post partum nur noch leichte Pigmentirungen. Dagegen findet sich jetzt eine
Störung der Sensibilität; der rechte Arm ist bis zur Grenze der früheren Haut-
affection vollkommen analgetisch, alle übrigen Empfindungsqualitäten sind herab¬
gesetzt An der Brust keine Sensibilitätsstörung. Die zosterähnliche Anordnung
des Ekzems, seine Beziehung zur Gravidität und die vicariirende Sensibilitäts¬
störung in Verbindung mit den anamnestisch erhobenen hysterischen Sensationen
und mit den erwähnten Stigmata sprechen für die Annahme einer hysterisohen
Hauterkrankung in dem Sinne, dass die Hysterie das Verbreitungsgebiet der
Dermatose vorgezeichnet hatte.
IL Bei einer 26jährigen Frau von scheuem, schüchternem Wesen besteht
leichter Exophthalmus links, Pupillendifferenz, einseitige Lidspaltenverengerung,
Erloschensein der Geruchsempfindung, Herabsetzung des Geschmacks, Dermographie,
und ausserdem seit dem 2. Monat der Schwangerschaft ein auf die rechte Körper¬
hälfte beschränkter Ausschlag von ekzemartigem Charakter mit zosterartiger An¬
ordnung. Aehnelt dieser Fall auoh dem obigen in mancher Beziehung, so be¬
stehen dooh Unterschiede, indem das Leiden hier nicht im Anschluss an eine
Gravidität auftrat und mit deren Ende gehoben war, sondern nur durch die
Schwangerschaft in seiner Intensität beeinflusst wurde. Es fanden sich eine Reihe
von Sensibilitätsstörungen, welche durch die ärmelartige Ausbreitung und das
zeitweilige Auftreten und Verschwinden als hysterische anzusehen waren, es be¬
standen daneben aber auch in einem umschriebenen Bezirk dauernde Gefühls¬
veränderungen, welche sicherlich bestimmten spinalen Nervengebieten entsprachen.
Und zwar betraf es zunächst ein von dem Plexus cervicalis und brachialis ver¬
sorgtes Hautgebiet.
Verf. nimmt an, dass es sich in diesem Falle um eine Affection der hinteren
Spinalwurzeln handelt, und lässt es unentschieden, ob die Hautaffection in directer
Folge jener Wurzelläsion eintrat oder sich erst secundär auf dem von sensiblen
und trophischen Störungen beeinflussten Boden entwickelte. Durch die Compli-
eation mit den zweifellos hysterisohen Erscheinungen gewinnt die Beobachtung
ausserdem ein erhöhtes Interesse. E. Asch (Frankfurt a/M.).
20) La mötamörle dans les trophonövroses, par E. Brissaud. (Nouv. Icon.
de la Salp. 1899. S. 69.)
Eine Reihe von Hauterkrankungen zeigt das Eigentümliche, dass sie in
einer ganz bestimmten segmentären Anordnung auf der Körperoberfläohe auftraten.
Dies ist besonders bei den sog. Trophoneurosen der Fall.
Je nachdem diese segmentäre oder metamere Anordnung mehr dem Verlauf
einzelner Wurzelgebiete folgt oder mehr bestimmten Höhen im Rückenmark ent¬
spricht, unterscheidet Verf. eine radiculäre Metamerie oder eine spinale Meta-
merie (auch Myelomerie genannt). Bei der ersteren, der Wurzelmetamerie, ist
das zagehörige periphere Nervengebiet parallel zur Axe des betreffenden Körper¬
teils angeordnet; bei der medullären oder spinalen Metamerie dagegen verlaufen
die Grenzen der peripheren Segmente senkrecht zur Axe des Körpers bezw. der
Extremität So giebt es eine allgemeine progressive Sklerodermie, die fast immer
an den Fingern ab Sklerodaktylie beginnt und sich von da symmetrisch central-
wärts ausbreitet, und eine disseminirte Sklerodermie, die bald hier, bald dort an
verschiedenen Körperstellen sich zeigen kann. Die erstere kann als Typus einer
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spinalen oder myelomeren Erkrankung angesehen werden, während die letztere als
Ausdruck einer Wurzelneurose gelten muss.
Aehnliches Verhalten zeigen auch andere Trophoneurosen, wie z. B. Lichen,
Urticaria, gewisse Formen von Ekzem (z. B. das Eczema rubrum), die Duhring’-
sche Dermatitis herpetiformis u. s. w., so dass schon aus der Art ihrer Ausbreitung
auf ihren nervösen Ursprung geschlossen werden kann. (Nur der Vitiligo macht
eine Ausnahme, obwohl derselbe zweifelsohne nervösen Ursprungs ist)
Nun giebt es aber noch eine Reihe anderer, meist angeborener Dermatosen,
die sich unabhängig vom trophischen Einflüsse des Rückenmarks entwickeln und
doch metamer oder myelomer angeordnet sind. So z. B. gewisse Naevi, die Xero¬
dermie pigmentosa, Missbildungen u. s. w., die zu einer Zeit des embryonalen
Wachsthums entstanden sind, wo das Centralnervensystem noch gar keine ana¬
tomischen und physiologischen Beziehungen zu den von der Erkrankung befallenen
Partieen der Haut hatte. Das erklärt der Verf. damit, dass die Körperoberfläche,
analog dem Rückenmark, von Anfang an in eine Anzahl von übereinandergelegenen
Abtheilungen eingetheilt ist, die er im Gegensatz zu den Myelomeren mit dem
Namen „Dermalomeren“ bezeichnet. Diese Dermatomeren entwickeln sich ganz
unabhängig vom Centralnervensystem und treten erst in späterer Zeit des intra¬
uterinen Lebens mit dem letzteren in Verbindung. Sie können daher primär
erkranken. Nur so ist es verständlich, warum nicht jede Erkrankung der Haut,
die metamer angeordnet ist, neuropathischen Ursprungs ist.
Facklam (Lübeck).
21) Hyperthermie nerveuae ohes la femme par Irritation dn syatöme ner-
venx utdrin, par G. Leven. (Revue de mädecine. 1900. S. 213.)
Verf. berichtet über drei von ihm beobachtete Fälle, welche das Vorkommen
einer „nervösen Hyperthermie“ im Verein mit Menstruationsstörungen und hyste¬
rischen pseudo-peritonitischen Symptomen (Hyperästhesie des Abdomens, Erbrechen,
Auftreibung des Leibes u. dergl.) darthun sollen. Die Reizung der Uterinnerven
soll die Ursache des nervösen Fiebers sein, eine Vermuthung, die Verf. noch durch
die Angaben zu stützen sucht, dass bei manchen Frauen durch Vaginalirrigationen
auffallende Schwankungen der Eigenwärme hervorgerufen werden sollen. — Ref.
hat schon wiederholt seine Zweifel über die Existenz eines hysterischen Fiebers
geäussert und ist auch durch die Lectüre der Arbeit des Verf.’s keineswegs anderer
Ansicht geworden. Die erste Kranke des Verf.’s hatte 7 Tage lang ein continuir-
liches Fieber zwischen 39 und 40 °, das dann lytisch abfiel. Da scheint mir doch
die Annahme irgend eines versteckten Entzündungsherdes viel wahrscheinlicher
zu sein, als die „Reizung der Uterinnerven und eine dadurch hervorgerufene ner¬
vöse Hyperthermie“! Strümpell (Erlangen).
22) Ein einwandsfreier Fall von hysteriaohem Fieber, von Dr. E. W ormser,
I. Assistenzarzt, und cand. med. Robert Bing, Unterassistent an der Frauen¬
klinik in Basel (Prof. Dr. Bumm). (Münchener med. Wochenschr. 1900.
Nr. 40 u. 41.)
Bei einem hereditär stark belasteten 24jähr. Mädchen, das in der Kindheit
Scarlatina überstanden und seitdem an Otorrhoe leidet, sind seit der Pubertät
deutliche Anzeichen einer sich rasch entwickelnden, mittelschweren Hysterie vor¬
handen. Eine acquirirte Gonorrhoe verschlimmerte die zahlreichen schweren
Störungen von Seiten des Nervensystems, so dass erst eine partielle und später
eine totale Ausschaltung der inneren Genitalorgane vorgenommen werden musste.
Während die Unterleibsbeschwerden dadurch günstig beeinflusst wurden, traten
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die Erscheinungen der Klimax praecox in Form von Hitzegefühl, Wallangen und
Neigung za Anfällen mit hochgradiger Excitation, Wein* und Schluchzkrämpfen
und zuletzt eines mit Fieber verbundenen hysterischen Krampfanfalls auf. Die
Temperaturerhöhung (88,8°) machte sich schon 10 Stunden vor Eintritt des
Krampfes geltend, 4 Stunden nach Beendigung der Attacke betrug die Körper¬
wärme 37,8° und 36 Stunden nach Beginn des Anfalls 39°. Da jede Erklärung
für ein somatisches Zustandekommen des Fiebers fehlt, dasselbe auch nicht in
Folge einer Entzündung der Operationsstümpfe oder gar der seit Jahren latenten
Otorrhoe hervorgerufen sein konnte und ferner nioht durch die erhöhte Muskel¬
arbeit bedingt war, nehmen die Verff. an, dass es sich um einen Fall von hyste¬
rischem Fieber gehandelt haben muss, wofür auch der ganze Verlauf und die
Form der Temperaturcurve zu sprechen scheint.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
23) Qlebt es ein hysterisches Fieber P von Dr. G. Kobler. (Wiener med.
Wochenschr. 1900. Nr. 26.)
Verfc theilt 2 Fälle mit, in denen das Vorhandensein von hysterischem Fieber
wohl als zweifellos anzunehmen ist.
L 21 jähriger Patient, mit Ulcus pedis in Behandlung. Plötzlicher Krampf¬
anfall mit allgemeinen Muskelzuckungen, schliesslich Opisthotonus, theilweise er¬
haltenem Bewusstsein, Temperaturanstieg bis 42°, Sohlingkrämpfen vor und nach
dem Anfalle. Wiederholung der Anfälle. Schliesslich wirkte die Drohung, dass
der Pat. sofort nach Auftreten des Anfalls in eine Wanne kalten Wassers gesteckt
werden sollte. Die Anfälle blieben aus.
IL 4jähriger Knabe; 14 Tage nach einem Darmkatarrh trat täglich 6 Uhr
Abends folgender Symptomencomplex auf: Aufschrei, Schmerz in der Ileocoecal-
gegend, ohne Steigerung desselben bei Druck, motorische Aphasie, Temperatur¬
steigerung auf 39,8—41,0°C. Behandlung, Sommeraufenthalt erfolglos. Nach
Transportirung in eine Wiener Klinik schwanden die Anfälle prompt unter der¬
selben Androhung wie im 1. Falle. J. Sorgo (Wien).
24) Un caa d’anorexie hysterique, par Georges Gasne. (Nouv. Icon, de
la Salp. 1900. XIII. S. 51.)
Die 16jähr., neuropathisch stark belastete Patientin, die von jeher schwäch¬
lich gewesen war, erkrankt während der Pflege ihrer schwer nervösen Mutter an
Ohnmachtsanfallen, Lähmung der Beine, Amaurose und Visionen. In die Salpetrige
überführt, verliert sie in wenigen Tagen alle Symptome, bo dass sie nach Verlauf
einer Woche entlassen werden kann. Bei einer Tanzerei stellen sich die Krisen
wieder ein, die aufhören, sobald sie dem Einfluss ihrer Mutter entzogen wird.
Auf dem Lande, wohin sie gebracht wird, verliert sich ihr Appetit. Nach Hause
zurückgekehrt und unzweckmässig mit Douchen behandelt, verschlimmert sich ihr
Zustand derart, dass sie Überhaupt keine Nahrung mehr zu sich nehmen kann
und bis zum Skelett abmagert. Sie kommt wieder in die Salpetrige — ganz
gegen ihren Willen — und verliert auch hier „wie durch einen Zauber“ in
wenigen Tagen ihre Beschwerden, so dass sie bei zweckmässiger Ernährung sehr
risch ihr altes Gewicht wieder erlangt. Ausser einigen unwesentlichen Symptomen
(Druekempfindlichkeit der Mammae, Verminderung des Pharynxreflexes, Urticaria
dolorosa) keine weiteren Stigmata.
Interessant ist, dass die Patientin volle Krankheitseinsicht hat und in einem
tot ihrer zweiten Aufnahme an den Arzt gerichteten Briefe die psychische Natur
ihres Leidens genau beschrieb.
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Zum Schluss berichtet Verf. kurz über einen ganz ähnlichen Fall. Hier war
eine ältere Schwester 2 Jahre früher an dem nämlichen, aber nicht diagnosticirten
Leiden gestorben. Auch hier war das Milieu die Ursache der Erkrankung. Auch
diese Patientin wurde schliesslioh geheilt, nachdem das Leiden richtig erkannt
worden war. Facklam (Lübeck).
25) Des troubles gastro-inteetinaox du nervosiame, par Dr. Dubois (Berne).
(Revue de m6decine. 1900. S. 552.)
Vortreffliche Darstellung der „nervösen“, d. h. psychogenen Dyspepsie, die
zwar dem Neurologen nichts Neues bringt, deren Lectüre aber manchem „Magen-
specialisten“ recht nützlich wäre. Interessant ist die historische Notiz, dass in
einem 1829 zu Paris erschienenen Buche: „Traitö sur les gastralgies et les
entäralgies ou maladies nerveuses de l’estomac et des intestins“ von J. B.
J. Barras bereits eine vollkommen richtige Beschreibung und Deutung der ner¬
vösen Dyspepsie enthalten ist Dies Buch zeichnet sich namentlich vorteilhaft
aus gegenüber der damals herrschenden Broussais’schen Irrlehre von der „chro¬
nischen Gastroenteritis“. Strümpell (Erlangen).
26) Deux oas de pseudo-appendioite hystdrlque, par E. Parier. (Annales
de m6decine et Chirurgie infantiles. 1900. IV. Nr. 24.)
Das grössere Interesse, welches in letzterer Zeit der Blinddarmentzündung
von Aerzten und Laien entgegengebracht wird, lenkt auch gelegentlich die Ge¬
danken halbwüchsiger, hysterischer Mädchen auf diese Krankheit und veranlasst
zu schwer diagnosticirbaren Nachahmungen des Leidens. Verf. bringt die Kranken¬
geschichten zweier solcher Fälle. Zu dem ersten, einem 12jähr. Mädchen, der
verzärtelten Tochter einer hysterischen Mutter, wurde Verf. eines Morgens plötzlich
geholt. Das Kind hatte unter lebhaften Bauchschmerzen oftmals erbrochen, klagte
über starke Empfindlichkeit der Ileocoecalgegend, war leicht febril, zeigte eine
belegte Zunge. Die Diagnose war nicht leicht; von den pro consilio beigeholten
Aerzten sprach sich der eine — ein Chirurg — für Paratyphlitis und für die
eventuelle Operation aus, der andere — ein erfahrener Paediater — verhielt sich
in punoto Diagnose sehr reservirt, bezüglich der Operation ablehnend. Das Kind
erholte sich rasch, doch gab es immer noch eine Schmerzhaftigkeit der Ileocoecal¬
gegend an. Die Frage des operativen Eingriffes bei der Appendicitis beherrschte
damals die Discussion in den ärztlichen Gesellschaften und damit auch in der
Familie der Erkrankten. Man entschloss sich nach längerer Ueberlegung doch
zur Operation und fand nicht die Spur einer vorhergegangenen Affection im
Bereiche des Blinddarms.
ln dem anderen Falle kam es nicht so weit. Die 14jährige Patientin,
Pensionärin in einem Kloster, erkrankte gleichfalls an Erbrechen und Bauch¬
schmerz, doch gab sie Anfangs eine Schmerzhaftigkeit der linken Seite an und
änderte ihre Aussage erst, als man sie darüber aufklärt, dass bei der von ihr
selbst vermutheten Appendicitis die Druckempfindlichkeit rechts zu sein pflege.
Auch sonst hatte das Kind deutliche hysterisohe Stigmata. Trotzdem fand sich
ein Chirurg, welcher die Diagnose Paratyphlitis machte und die Operation in den
lieblichsten Farben anpries. Die Patientin wäre wohl zu derselben bereit ge¬
wesen, doch widerriethen erfahrenere Aerzte entschieden, und das Kind bekam
statt dessen das Versprechen einiger Ferienmonate und wurde daraufhin gleich¬
falls rasch gesund. Recht unterhaltend und charakteristisch für die kleine
Hysterica ißt ein vom Verf. wörtlich wiedergegebenes Telephongespräoh, in welchem
die Patientin, die Stimme ihrer Mutter imitirend, Auskunft über die Kranke
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haben wollte und von dem thatsächlich getäuschten Arzte die überraschendsten
Wahrheiten zu hören bekam. Zappert (Wien).
27) Hdmorragies nevropathiques des Organes gönlto-urinaires, par U.
Lancereaux. (Gazette des höpitaux. 1900.)
Verf. hat zahlreiche Hämaturieen ohne organische Veränderungen gesehen und
führt dieselben auf vasomotorische Störungen bei neuropathischen Individuen zu*
rück. Diese nervösen Blutungen treten nach lebhaften Gemüthsbewegungen, nach
Erkältungen u. s. w. auf und sind häufiger bei Männern, besonders solchen von
höherem Alter; auch Personen, die an Hämorrhoidalblutungen leiden, zeigen eine
gewisse Prädisposition. Die Dauer der Blutung variirt von einigen Tagen bis
zu einigen Monaten. Die Blutungen treten intermittirend auf. Von günstigem
therapeutischen Effect während der Blutung erwies sich das Chinin sulfuricum
ein Mal täglich in der Dosis von 0,8—1,6 g. In der Zwischenzeit empfiehlt sich
eine hydriatische Behandlung zur Bekräftigung des Nervensystems. In gleicher
Weise dürfte auch manche Menorrhagieen der Pubertätszeit und des Klimakteriums
als „neuropathische“ aufzufassen sein. R. Hatschek (Wien).
28) Polyurie et pollakiurie hystdrique, par Abadie. (Archives de neurologie.
1900. S. 193.)
Krankengeschichte eines Falles von Hysterie, der wegen seiner starken Poly¬
urie bemerkenswerth ist und wegen seiner ausführlichen Beobachtung eine Be¬
reicherung der Litteratur bildet. Passow (Meiningen).
29) Zwei praktisch wichtige Fälle von Hysterie, von Ernst Fürst. Aus
dem Stadtlazareth am Olivaer Thor in Danzig (Sanitätsrath Freymuth).
(Deutsche med. Wochenschr. 1900. Nr. 14.)
L Oesophaguskrampf bei Einführung des Magenschlauches. Ein¬
klemmung der Sonde. Entfernung erst in tiefer Narkose möglich.
Bemerkenswerth ist die ThatBache, dass die Sonde erst in tiefer Narkose
entfernt werden konnte, nachdem längeres Warten und hohe Morphiumdosen
fruchtlos geblieben: die Dauer des Krampfes betrug über */a Stunde; die Sonden-
spitze zeigte sich in etwa 7 cm Ausdehnung umgestülpt.
Verf. knüpft an die Mittheilung die Mahnung, bei der Sondirung hysterischer
Personen stets vorher auf die Möglichkeit unerwarteter Zwischenfälle aufmerksam
zu machen.
II. Positiver Ausfall der Tuberculinreaction, vorgetäuscht durch
hysterisches Fieber.
Fall von schwerer traumatischer Neurose. Verdacht auf Lungenphthise;
nach 6 mg alten Koch’schen Tuberculins Temperatur 38,6°. — Pat. hatte das
Gefühl „als ob Eiterbläschen in der linken Brusthälfte platzten“, gleichzeitig
starke Schmerzen im Hinterkopf. — Controlinjection mit Aqua destillata bedingte
die gleichen Sensationen und 38,1 0 Temperatur. — Pseudoinjectionen (einfaches
Einstechen der Injectionsoanüle in die Rückenhaut ohne Einspritzung) ergaben
zunächst das gleiche Resultat, d. h. die abnormen Gefühle und Temperaturen von
37,8 und 37,6°. Später blieb die Temperatur normal. Die Messungen erfolgten
in der Achselhöhle und mehrfach zur Controle im After (unter ärztlicher Auf¬
sicht? Ref.).
Verf. diagnosticirt „hysterisches Fieber“ und leitet dasselbe her von abnormer
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Erregbarkeit der wärmeregulirenden Centren. Verf. hält es für durchaus erforder¬
lich, in jedem Falle einer positiven Tuberculinreaction den Control versuch mit
einer indifferenten Flüssigkeit anzustellen. R. Pfeiffer.
30) De l’hystörie m&le de l’enfanoe, par Bourneville et Boyer. (Progrfes
medical. 1900. Nr. 16.)
Eine neue Veröffentlichung eines weiteren Falles von männlicher Hysterie,
der mit Erfolg im „Institut mödico-pödagogique“ behandelt wurde. Ferner ist
die Arbeit interessant und werthvoll, weil am Schlüsse Verflf. die von ihnen ver¬
öffentlichten wichtigeren Fälle männlicher Hysterie mit Litteraturangaben aufzählen.
Adolf Passow (Meiningen).
31) Heber drei Fälle von „Hysteria magna“. Ein Beitrag sur Differential*
diagnoae zwischen Hysterie und Epilepsie, von Dr. Paul Steffens.
Aus dem Allgemeinen Krankenhause Hamburg-Eppendorf. (Archiv f. Psych.
u. Nervenkrankh. 1900. XXX.)
Verf. theilt zur Erläuterung der Thatsache, dass die Hysterie manchmal die
schwersten organischen Leiden Vortäuschen kann, folgende drei interessante
Fälle mit:
I. 16jähr. Mädchen, tuberculös belastet, früher an Lymphdrüsentuberculose
erkrankt. Wirbelsäule an zwei bestimmten Wirbeln schmerzempfindlich, abend¬
liche Temperatursteigerung, eine Lungenspitze suspect, allgemein neuropathischer
Eindruck. Diagnose: Caries der Wirbelsäule oder Spinalirritation. Später be¬
standen Kopfschmerz, Schwindelgefühl, Erbrechen, unsicherer, schwankender Gang.
Neuritis optica links, Fussklonus rechts. Diagnose: Tumor cerebri. In der Folge¬
zeit traten Anfälle auf, bei denen die Patientin zunächst erregt, verwirrt, kindisch
und gewaltthätig war, darauf tonische Extremitätenkrämpfe, endlich arc de cercle
und Grussbewegungen hatte, und nach denen Amnesie bestand. Das Gesichtsfeld
zeigte concentrische Einengung. Wechselnde Analgesie symmetrischer Körper¬
zonen, starke Herabsetzung der Schlundreflexe und Fehlen der Conjunctival- und
Fusssohlenreflexe sicherten die endgültige Diagnose der Hysterie. Psychotherapie
batte günstigsten Erfolg, die Neuritis optica entpuppte sich als zufälliger Neben¬
befund bei chlorotischem Mädchen.
II. Bei einem 12jähr. Mädchen waren nach einer Zahnextraction Anfälle
eingetreten, die in Zuckungen der rechten Körperhälfte ihr Wesen hatten; das
Bewusstsein war nicht immer geschwunden, die Dauer betrug 1 / a —1 Minute, nach
dem Anfall klagte die Kranke über Kopfweh. Ausserdem bestanden Anfälle von
Niedergeschlagenheit; während eines solchen führte das Mädchen einen schweren
Selbstmordversuch aus und behauptete Amnesie. Im 17. Jahre Aufnahme ins
Krankenhaus. Zunächst traten besonders psychische Krankheitssymptome hervor:
schnell wechselnde Stimmung, transitorische Verwirrtheitszustände schwereren
Grades mit Hallucinationen und Versündigungsideeen. Allmählich entstanden
zahlreiche hysterische Stigmata. In einer Anzahl von Krampfanfällen waren die
Pupillen erweitert und bei der Prüfung mit concentrirtem Licht vollkommen
starr; in diesen Attacken war das Bewusstsein aufgehoben, für die Zeit des
Anfalles war Amnesie zu constatiren. Abgesehen von Pupillenstarre und Be-
wusstseinsverlust glichen diese Anfälle genau anderen, über deren hysterischen
Charakter keinerlei Zweifel bestehen konnten; war doch ihre augenblickliche
Coupirung durch Schlagen mit einem nassen Tuch oder durch Ueborg-i essen mit
kaltem Wasser möglich. Trotz 2jähriger Krankenhausbehandlung wurde nur
Besserung erreicht.
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UI. Bei einer 24jähr. Arbeiterin endlich traten Hallucinationen und Ver-
folgungsideeen zunächst so stark hervor, dass eine einfache (nioht hysterische)
Psychose vorgetäuscht wurde. Weitere Beobachtung ergab, dass diese psychischen
Störungen anfallsweise auftraten, mit hysterischen Stigmata verbunden waren, die
nach dem Anfall schwanden, und dass vollkommene Amnesie für alles, was sich
im Anfall zugetragen hatte, bestand. In der Anfallszeit zeigte die Kranke Po ly*
dipsie und Polyurie, und zwar proportional der Stärke der psychischen Er¬
regung. Ein definitiver therapeutischer Erfolg wurde nicht erzielt.
Verf. ist der Meinung, dass das Wesen der Hysterie und der Epilepsie über¬
haupt nicht principiell untereinander verschieden ist, dass dieselbe Krankheits¬
ursache bei Hysterie wie Epilepsie nur in verschiedener Form und in verschiedener
Intensität und Nachhaltigkeit in die Erscheinung tritt. So versucht er die Un¬
zuverlässigkeit der „differentialdiagnostischen“ Symptome zwischen Hysterie und
Epilepsie, sowie den Umstand zu erklären, dass sich beide Krankheiten in ihren
Extremitäten berühren und in den einzelnen Anfällen einander übergehen können.-
Wer dagegen überlegt, wie ganz anders der Charakter der Hysterischen ist als
der der Epileptischen, wer die bedeutende Verschiedenheit der psychischen Sym¬
ptome der Anfälle würdigt und die relative Seltenheit der Fälle kennt, bei denen
die Differentdaldiagnose längere Zeit hindurch zweifelhaft bleibt, der wird sich
durch gelegentliche Combination beider Krankheiten oder durch den epileptoiden
Charakter einzelner hysterischer Anfälle nicht täuschen lassen und wird an der
grundsätzlichen Trennung beider Krankheitsbilder unentwegt fest¬
halt en. G. Ilberg (Sonnenstein).
32) Ueber typische, durch elektrischen Strom erzeugte, hysterische Hemi-
anfisthesie und Hemiparese, von Strauss. (Charit4- Annalen. 1900.
XXV.)
42jähr. Maschinist, der vor 2 Jahren durch Zufall von dem Strom einer
Dynamomaschine in einer Stärke von 240 Ampere bei 120 Volt Spannung an
der rechten Hand getroffen wurde, lag unmittelbar nach dem Unfall 2 1 /* Tage
lang bewusstlos im Krankenhaus. Nach einigen Wochen entlassen, klagt Pat.
noch über Schwäche in der rechten Seite, so dass er schwerere Arbeit nicht
leisten kann. 1 / 2 Jahr vor der Aufnahme in die Charit6, im Anschluss an eine
Aufregung, Anfall von Bewusstlosigkeit, in Folge dessen Pat. umfiel, ohne sich
eine Verletzung zuzuziehen. In der Folgezeit noch zwei gleiche Anfälle. Die
Untersuchung des Nervensystems ergiebt eine erhebliche Schwäche der rechten
Extremitäten und Anästhesie für Berührungen, Schmerz-, Wärme- und Kälte¬
empfindung, sowie Hypästhesie für Lage und Stellung der Glieder auf der ganzen
rechten Körperhälfte incl. Kopf. Gesichtsfeld normal. Reflexerregbarkeit rechts
herabgesetzt. Schon nach 2 Tagen spontane Besserung der Sensibilitätsstörungen,
die motorischen Störungen bessern sich unter suggestiver Behandlung sehr schnell,
nach 2 Monaten ist ein Unterschied in der Motilität beider Seiten nicht mehr
erkennbar, Sensibilitätsstörungen sind noch in geringem Grade vorhanden.
Martin Bloch (Berlin).
33) Nervenaffinität und Blitzschlag, von Reichl. (Prager med. Wochenschr.
1900. S. 459.)
Unter den Tagesneuigkeiten eines politischen Blattes fand sich u. A. ein
Bericht, dass eine Frau nach Blitzschlag an allen Gliedmaassen gelähmt blieb,
welche Erscheinungen, so oft ein Gewitter herrschte, und während der Dauer
desselben schwanden, so dass die Frau dann ihre Extremitäten frei bewegen
konnte.
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Zu dieser Mitteilung eine Erklärung zu liefern, sah sich Verf. bemüssigt,
welche — des Curiosums halber — hier angeführt sei. Durch den Blitz seien
die Nerven in einen Zustand versetzt worden, dass sie eine grosse Affinität zur
Elektricität erhalten haben. Durch die Entladung der Elektricität während des
Gewitters wird die elektrische Spannung der Luft auf das Minimum herabgedrüokt,
so dass die Kranke ihre Glieder gebrauchen kann, bis sich neuerdings Elektricität
in der Luft ansammelt. (Von Hysterie wird in dem ganzen Aufsatze überhaupt
nicht gesprochen.) Pilcz (Wien).
34) Nervenafflnitftt und Blitzschlag, von Reichl. (Prager med. Woohenschr.
1900. S. 595 u. 608.)
Verf. bringt im Anschlüsse an vorstehend referirte Mittheilung einige Litteratur-
berichte über Keraunoneuroseu. Für seinen Fall glaubt Verf. Hysterie aus-
schliessen zu dürfen („gegen die Annahme einer durch den Blitzschlag hervor¬
gebrachten traumatischen Hysterie nach Charcot spricht in unserem Falle das
Fehlen eines hysterogenen Punktes“ [?] (S. 608). Pilcz (Wien).
35) Beobachtungen bei Elektrioitfttsarbeitern. Vorläufige Mittheilung, von
Dr. S. Jelinek. (Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 51.)
An einer grossen Zahl von Arbeitern constatirte Verf. unter der Einwirkung
von Gleichströmen von 50—100 Volt Spannung beträchtliche Blutdrucksteigerung,
während Wechselströme von derselben Spannung den Blutdruck zunächst herab¬
drückten, bei gleichzeitiger Erhöhung der Pulsfrequenz.
Bei vielen jugendlichen Arbeitern, die bereits längere Zeit in Elektricitäts-
werken thätig waren, fiel Verf. ein deutlicher Arterienrigor auf.
Der Leitungswiderstand der Haut schwankte bei verschiedenen Personen in
sehr weiten Grenzen von 16,000 — 60,000 Ohm. Je geringer die Widerstands¬
ziffer, um so besser wurden starke Ströme vertragen.
Steigerung der Periost- und Sehnenreflexe, psychische Gereiztheit konnten
häufig beobachtet werden. J. Sorgo (Wien).
36) On the prognosis of hysteria; a oontribution to the question of fatal
hysteria, by Joseph Fränkel (New York). (Medical News. 1901. Jan.)
Verf. hält es für praktisch, vom Standpunkte der Prognose drei Formen der
Hysterie zu unterscheiden: solche mit vorwiegend psychischen, mit cerebrospinalen
und mit sympathischen Symptomen. Der letzten Gruppe, obwohl sie noch nicht
genauer bekannt und studirt sei, schreibt er die ungünstigste Prognose zu. Wenn
er die monosymptomatischen Hysterieen für ungünstiger hält als die polysympto¬
matischen, so theilt er damit die Ansicht wohl der meisten, auch deutschen Autoren. —
Eine Zusammenstellung einer Reihe bisher beschriebener Fälle von Hysterie mit
tödtlichem Ausgange führt zu dem Ergebniss, dass derselbe in einem Theile der
Fälle auf Complicationen (Verschlucken von Nadeln, Apomorphinvergiftung u. s. w.)
zurückzuführen war, bei anderen die Diagnose Hysterie nicht sicher war, bezw.
die Section fehlte. Die drei vom Verf. selbst angeführten Fälle können leider
auch nur in sehr beschränktem Sinne als eine Bereicherung der Casuistik an¬
gesehen werden: der erste, ein 42jähriges Mädchen, das Anorexie, Erbrechen,
hartnäckige Verstopfung und Abmagerung gezeigt hatte und „offenbar“ an Er¬
schöpfung starb, bot bei der Section hämorrhagische Erosionen im Magen, ver¬
streute Ulcerationen im Darme; die obigen Symptome als hysterische zu bezeichnen,
dürfte also kaum Veranlassung vorliegen. Die zweite Patientin, die „unfähig war r
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ohne Hilfe zu gehen und zu stehen“ (Befund bezüglich der Beine fehlt), Störungen
der SchweisssecretioD, Magen- und D&rmstörungen, Blasen- und Mastdarmtenesmus,
psychische Schwankungen dargeboten hatte, ausserdem ein haselnussgrosses Car-
cinom der Mamma, starb ausserhalb des Krankenhauses plötzlich unter den Zeichen
„acuter Darmlähmung“. Section wurde nicht vorgenommen. Bei dem dritten
Falle, der „unbestreitbare“ hysterische Symptome dargeboten hatte und mit den
Erscheinungen von „Pseudoileus“ starb, fand sich ein von einer Rippe ausgehender
kalter Abscess, der zu einer Infiltration des linken Grenzstranges des Sympathicns
geführt hat. — Verf. versteht sich zum Schluss zu der Bemerkung, dass „bisher
die Möglichkeit eines tödtlichen Ausganges bei echter uncomplicirter Hysterie
noch sehr zweifelhaft ist“, eine Ansicht, die man nur unterschreiben kann.
H. Haenel (Dresden).
37) Incontinence of urine in ohildren, by Francis Huber, M. D. (New
York). (Archives of Pediatrics. 1900. November).
Die Ursachen dieses lästigen, oft recidivirenden Leidens sind mannigfaltige.
Meist liegt demselben eine nervöse Beschaffenheit des Individuums zu Grunde;
doch ist es trotzdem nöthig, nach weiteren ätiologischen Momenten zu suchen.
Yerf. stellt die ihn bekannten Ursachen der Enuresis in einer Tabelle zusammen,
aus welcher einige Punkte angeführt sein mögen: Angeborene Abnormitäten der
Blase und der Urethra, organische Krankheiten von Gehirn und Rückenmark,
Epilepsie und andere functionelle Neurosen, Diabetes, Schwäche des Sphinkters
(oft nach schweren Krankheiten erworben), Reizungszustände der Blase durch
Entzündungen, Steine, chemische Veränderung des Harnes, Reizungszustände der
weiteren Harnwege (Niere), der Urethra, der Vagina oder des Penis (Phimosis),
Obstipation, Magenbeschwerden, Eingeweidewürmer, künstliche Diurese nach Alkohol,
Thee, Kaffee, Medikamenten, psychische Ursachen (Träume, Aufregung, Furcht vor
dem kalten oder dunklen Zimmer u. s. w.), Masturbation, Schlafen auf dem Rücken,
adenoide Vegetation im Nasenrachenraume u. s. f. Der Therapie ist nach dieser
Vielseitigkeit der Ursachen grosser Spielraum gelassen, doch sind die Erfolge
recht schwankend oder bleiben völlig aus bis zu meist in der Pubertätszeit auf¬
tretender Selbstheilung. Ausser den allgemein bekannten diätetischen Maassregeln
empfiehlt der Verf. namentlich Strychnin und Belladonna zum inneren Gebrauche;
mit Recht warnt der Autor vor schweren Strafen, Schelten, Verspotten derartig
Kranker, da dadurch das Uebel oft noch verschlechtert wird.
Zappert (Wien).
38) Nervöser Speichelfluss als eine selbständige Krankheitsform, von
W. v. Bechterew. (Obosrenije psichiatrii. 1900. Nr. 2.)
Verf. macht auf die bisher noch wenig bekannten und wenig beschriebenen
Störungen der Speichelabsonderung aufmerksam. Was die Hypersecretion des
Speichels speciell anlangt, so ist diese Erscheinung als ein Symptom bei ver¬
schiedenen Gehirnerkrankungen, z. B. bei Gehirntumoren, progressiver Demenz u. s. w.
bekannt. Eis giebt aber auch Fälle, in denen die Hypersecretion des Speichels
allein, ohne Verbindung mit anderen Erkrankungen, auftritt, und solche Fälle
müssen als selbständige Neurosen, als „nervöser Speichelfluss“ behandelt werden.
Verf. berichtet nun über einige Fälle, die er zu beobachten Gelegenheit hatte.
In einem Falle handelte es sich um einen 42jährigen, erblich nicht belasteten
Kranken, der sonst nichts Krankhaftes aufwies. Er acquirirte vor 20 Jahren
Syphilis und machte damals eine Quecksilberkur durch. Eine Zeit lang litt er
an Rheumatismus der rechten Hand. Zur Zeit der Untersuchung war ein massiger
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Schnupfen, der mit Nasenspälungen (Sodalöeung) behandelt wurde, und eben der
zu reichliche Speichelfluss das Einzige, was an ihm zu constatiren war. Verf.
verordnete ihm Atropin, hatte aber leider nicht die Möglichkeit, den eventuellen
Erfolg zu beobachten.
In einem zweiten Falle war es eine etwa 70jährige Pat, die schon früher,
während jeder Schwangerschaft, an vorübergehendem Speichelfluss gelitten hatte.
Vor ein paar Jahren stellte sich bei ihr ein Zittern der rechten Extremitäten
ein, das Aehnlichkeit mit Paralysis agitans hatte. Im Sommer 1898 brach sie
sich das Collum femoris dextri, wobei die Fractur lange nicht heilen wollte. Im
Herbst darauf trat dann plötzlich und scheinbar ganz ohne Veranlaasungsursache
starker Speichelfluss auf, der Morgens früh beginnt und die Kranke bis 3—4 Uhr
Nachts nicht schlafen lässt. Im Schlafe ist er geringer, doch ist jedes Mal beim
Aufwaohen Kissen, Hals und Wange der Pat. ganz nass. Sonst war nichts Patho¬
logisches, was eventuell mit dem Speichelflüsse in Verbindung zu bringen wäre,
nachzuweisen.
Im dritten Falle war es ein alter Jude, der an so reichlichem Speichelflüsse
litt, dass er im Laufe von 1—2 Stunden einen ganzen Teller vollspuckte. Auch
hier waren weder objeotive Veränderungen, noch sonst irgend welche anderen
Symptome nachzuweisen.
Einen Fall etwas anderer Art sah Verf. vor mehreren Jahren. Ein junger
Mann von 25 Jahren, aus einer neuropathischen Familie stammend, der aber
selbst vollkommen gesund war ausser dem in Rede stehenden Leiden, war alle
paar Wochen einmal einem etwa 1 / 8 Stunde dauernden Anfalle starken Speichel¬
flusses unterworfen. Die Menge des dabei ausgeschiedenen Speichels betrug ge¬
wöhnlich 1 / 1 — s / 4 Glas und mehr. Gewöhnlich war keine Veranlassungsursache
zu finden, manchmal aber kam der Anfall kurz vor dem Essen, so dass man
dann eventuell an psychische Wirkungen denken könnte.
Bei den ersten 3 Fällen vermuthet Verf. eine periphere Affection der mit
dem N. facialis verlaufenden Fasern der Chorda tympani, wobei er sich auf einige
von ihm beobachtete Fälle von verminderter Speichelsecretion, die mit Erkran¬
kungen des mittleren und inneren Ohres einhergingen, stützt. Beim letzten Falle
ist aber eher an eine abnorme Erregbarkeit des Speichelsecretionscentrums zu
denken. Wilh. Stieda.
30) A oase of negro lethargy, by Stephen Mackenzie. (Transactions of
the Pathological Society of London. 1900. LI. Part H.)
22jähriger Neger, vom unteren Congogebiete nach London gebracht, litt seit
2 Monaten an seiner jetzigen Krankheit. Seine Mutter, Schwester und viele seiner
Verwandten waren an der nämlichen Krankheit gestorben. Der Beginn des Leidens
zeigte sich bei dem jungen Neger in Form unstillbarer Diarrhöe. Dann kam ein
Gefühl von „Dösigkeit“ und Schwere im Kopfe. Nach einigen Monaten Hessen
die geistigen Fähigkeiten bedeutend nach, die motorische Kraft verringerte sich,
der Gang wurde unsicher, die Hände zitterten, es traten Fieber und Secessus inscii
auf. Pat. hatte Schmerzen beim Percutiren der Lebergegend, obschon die Leber
nicht vergrössert war. Der Allgemeineindruck bei der Aufnahme war nicht der
eines schwer Kranken. Es bestand grosse Schläfrigkeit, aber keine sonstige
nennenswerthe psychische Störung. Im Blute fand man, bei sonst negativem
Organbefunde, den Embryo von Filaria diurna und perstans.
Im Laufe der Beobachtung wurde der Kranke körperUch und geistig schwächer,
es trat Eiweiss im Urin auf, und unter Entwickelung eines Decubitus ging der
Pat. zu Grunde. Ein Mutterwurm wurde trotz genauen Nachforschens nirgends
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gefunden, im Herzblute und in dem Blute der Hirnblutleiter fand man jedoch
reichliche Mengen von Filariaembryonen. Ausserdem fand man in der Rücken-
musculatur noch Finnen von Taenia solium. Einen weiteren Cysticercus entdeckte
man unter dem linken Frontallappen des sonst normalen Gehirns.
Bei der mikroskopischen von Mott ausgeführten Untersuchung zeigte sich
eine chronische Meningoencephalitis. Die gleiche Veränderung war auch in zwei
anderen Fällen von afrikanischer Lethargie gefunden worden (vgl. das folgende
lieferst). Paul Schuster (Berlin).
40) AMoan lethargy or the sleeping siokness, by Patrick Manson and
Mott. (Traosactions of the Pathological Society of London. 1900. LI.
Part II.)
Die Negerlethargie kommt vorzugsweise an der westafrikanischen Küste vor.
Sie befallt einen grossen Theil der Einwohnerschaft und nistet sioh — einmal
ausgebrochen — sehr fest ein. Europäer werden nicht befallen. Die gewöhn¬
liche Dauer der Krankheit bis zum letalen Ende beträgt ein Jahr; jedoch kommen
auoh Fälle mit 2—3jähriger Dauer zur Beobachtung.
Die Initialsymptome sind Müdigkeit, Schlaffheit, Kopfschmerz, Verstopfung
oder Diarrhöe. In dem Stadium der ausgesprochenen Krankheit ist der Pat fast
immer im Schlafe oder anscheinend im Schlafe. Er antwortet auf Fragen zwar
klar, aber kurz, langsam und ungern. Manchmal tritt in diesem Stadium ein
Muskeltremor auf und ebenso oft Speichelfluss. Fast stets sind ein papulöser,
besonders auf der Stirn und Wange ausgeprägter Ausschlag, sowie eine allgemeine
Lymphdrusenschwellung vorhanden. Reflexe, Augengrund u. s. w. sind normal. In
dem Endstadium vertieft sich die Lethargie, und die Schwäche, sowie alle anderen
Zeichen nehmen zu. Der Tod erfolgt durch eine intercurrente Krankheit, De*
cubitus oder in einem epileptischen Anfall. Epileptische Anfälle, sowie maniaka-
liache Erregungszustände eröffnen nicht gar selten den ganzen Krankheitsprocess
überhaupt.
Die Resultate der Autopsieen stimmen bisher noch wenig mit einander überein.
Die geringe Meningitis (vgl. Mott) ist nicht constant. In dem Blute einiger
Fälle fand Verf. ebenso wie in dem Mackenzie’sohen Falle die Filaria perstans.
Andererseits kommt dieser Wurm aber auch bei Negern vor, welche nicht an
Lethargie erkrankt sind. Es muss also noch eine Additionsursache hinzukommen
für den Fall, dass der genannte Parasit wirklich etwas mit der Aetiologie des
Leidens zu schaffen hat. Die Verff. bringen dann noch zwei Fälle der genannten
Krankheit mit genauer histologischer Untersuchung.
In beiden Fällen fand sich eine leichte Trübung und Verdickung der weichen
Hirnhäute, aber sonst nichts makroskopisch Auffallendes. Mikroskopisch fanden
sich in beiden Fällen sehr ähnliche Verhältnisse: Ausgeprägte leptomeningitische
und encephalomyelitische Veränderungen. Besonders an der Hirnbasis und in der
Medulla oblongata waren starke Infiltrationen von mononucleären Leukocyten,
welche mit deutlicher Beziehung zu den Gefässen in die interstitiellen Zwischen¬
räume eindrangen. Die perivasculären Lymphräume waren erweitert und die
kleinen Gefasse mit Leukocyten angefüllt. Die Ganglienzellen der Hirnrinde
zeigten zum Theil nur die bekannten, durch das Fieber bedingten Veränderungen,
zum Theil aber zeigten sie auffallend normales Aussehen. In der Medulla waren
viele Ganglienzellen geschrumpft, andere zeigten ChromatolyBe. In einem der
Fälle bestand in dem Rückenmarke eine leichte Sklerose der Pyramidenbahnen.
Die Spinalganglien zeigten chronisch entzündliche Veränderungen. Die nahe
liegende Verrauthung, dass die Lethargie eine der progressiven Paralyse verwandte
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Krankheit ist, wird von Mott auf Grund des anatomischen Befundes (auffallend
geringe Veränderungen der nervösen Gebilde bei lange bestehender Meningitis)
als unwahrscheinlich von der Hand gewiesen. Paul Schuster (Berlin).
Psychiatrie.
41) Die Prognose der Geisteskrankheiten. Für praktische Aerzte und
Studirende, von Georg Ilberg. (Halle, 1901. Carl Marhold. 29 S. 8°.)
Verf. bespricht zunächst die Wichtigkeit der möglichst zeitig gestellten
Prognose, besonders in Be^ig auf Berufsangelegenheiten, auf Eheschliessung und
bei Fällen, in denen es sich um Wiederanstellung an verantwortliche Posten
handelt.
Darauf geht Verf. die wichtigsten Psychosen durch, um über deren Diagnostik
und besonders ihre Prognose klar und präcis zu referiren:
Manie — insofern günstige Prognose, als die Erkrankung fast stets abheilt.
Dauer schwankt zwischen Wochen und 2 Jahren.
Melancholie: a) im jugendlichen Alter heilbar, doch häufig Recidiv; b) im
Bückbildungsalter: heilt meist definitiv ab; c) im höheren Alter: sehr oft folgt
Schwachsinn. Stets Vorsicht wegen Selbstmordgefahr! Wichtig ist das Verhalten
des Körpergewichts.
Altersblödsinn — ungünstige Prognose, desgleichen bei
Dementia paralytica: a) demente Form. Dauer 2—3 Jahr; b) expansive
Form: zuweilen weitgehende, an geistige Gesnndheit nahe angrenzendeBemissionen.
Dauer kann 6, 8, 10 Jahre betragen; c) agitirte Form, seltener, verläuft schnell
tödtlich; d) depressive Form. Dauer 1—3 Jahre.
Die Prognose des Irreseins bei Hirntumoren, Hirnabscessen und syphi¬
litischen Herderkrankungen ist abhängig von dem Erfolg der Behandlung,
ebenso diejenige des myxödematösen Irreseins und des Cretinismus.
Alkoholpsychosen (auch polyneuritische Geistesstörung der Trinker) geben
im Allgemeinen eine sehr trübe Prognose. Bei Delirium tremens und dem
acuten hallucinatorischen Alkoholwahnsinn ist Rückfall stets zu befürchten.
Nur vollständige Abstinenz kann hier rettend wirken.
Auch bei Morphinismus und Cocainismus ist die Prognose wegen der
Rückfallsgefahr sehr ernst.
Bei Blei-, Quecksilber- und Schwefelkohlenstoffpsychosen ist die
Prognose, falls die betreffenden Schädlichkeiten noch rechtzeitig vermieden werden,
günstig.
Gelingt es, bei Collapsdelirium oder Amentia die Kranken während der
die Kräfte verbrauchenden Erregung am Leben zu erhalten, so pflegt die Heilung
schnell und definitiv einzutreten, nur ist bei Amentia die Neigung zu Rückfallen
zu beachten.
Bei Paranoia ist die Prognose im Allgemeinen absolut ungünstig, doch
kommen zuweilen viele Jahre lang anhaltende Besserungen vor.
Bei der Katatonie ist die Prognose nur mit grösster Reserve zu stellen;
eB kommen bei ihr Remissionen vor, welche an Gesundheit angrenzen und Jahre
lang dauern können. Schliesslich wird aber jeder Katatoniker mit Wahrscheinlich¬
keit doch dement.
Kranke mit Dementia praecox können sehr alt werden.
Kurt Mendel.
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III. Bibliographie.
Die paroxysmale Tachykardie (Anfälle von Heringen), von Dr. August
Hoffmann. (Wiesbaden, 1900. J. F. Bergmann.)
An der Hand einer zahlreichen, sorgfältig durchgearheiteten Casuistik (5 eigene
und 132 fremde Fälle) und eines umfassenden Litteraturmaterials (336 Nummern)
unterzieht Verf. den Symptomencomplex der paroxysmalen Tachykardie (Bouveret)
einer gründlichen Untersuchung und giebt eine ausführliche Monographie dieses
zu den Seltenheiten gehörigen Krankheitsbildes, reich an interessanten und
wichtigen Einzelheiten.
Der tachykardische Anfall ist charakterisirt durch plötzlichen Beginn, eine
enorm hohe Pulsfrequenz bei absolut regelmässigem Rhythmus (mit „embryonalem“
Charakter), das wenigstens bei leichteren Anfällen und im Anfang der grösseren
im Vergleich dazu wenig gestörte Allgemeinbefinden, das plötzliche Ende des
Anfalls. Dazu kommt noch eine Störung der Urinsecretion, sowie bei länger
dauernden und schweren Anfällen, meist nach öfterer Wiederholung, die Zeichen
der Ermüdung des Herzens und des gestörten Kreislaufs. Eine Herzerweiterung
ist nicht wesentlich, aber oft schon in kurzen Anfallen zu constatiren. Die An¬
falle können aus den mannigfachsten Ursachen auftreten, bei Herzkranken, wie
bei Herzgesunden; sie können anscheinend reflectorisoh hervorgerufen sich ein¬
stellen bei Menschen, welche an einer anderen organischen Krankheit leiden, aber
auch auf dem Boden chronischer Excesse sich ausbilden. Intoxicationen,
schwächende Momente, wie Infectionskrankheiten, allgemeine Erkrankungen,
Marasmus sind unter Umständen von Anfällen von Herzjagen begleitet. Bei
manchen Fällen war gar keine bestimmte Aetiologie nachzuweissen. Die paroxys¬
male Tachykardie ist daher nicht eine ätiologisch einheitliche eigentliche Krank¬
heit, sondern ein umschriebener Symptomencomplex, nach Analogie des epilepti¬
schen Anfalls, der auch mannigfache Ursachen haben kann. Verf. führt sie zurück
auf eine nervöse Affection, eine „Nevrose hulbaire ou bulbo-spinale“. Das häufige
Auftreten derselben hei Herzkranken ist vielleicht so zu erklären, dass von dem ge¬
schädigten Herzen stets Reizungen und reflectorische Erregungen zum Herz¬
bewegungscentrum gelangen und es dadurch besonders disponiren. Aehnlich dürfte
die fast regelmässig constatirte hohe Beweglichkeit des Herzens durch unausgesetzte
Reizung der sensiblen Nervenapparate des Herzens eine solche Disposition be¬
wirken. Der tachykardische Anfall ist nicht eine einfache Beschleunigung des
Rhythmus, sondern er ist als ein Tetanus des Herzens aufzufassen, der durch
Nerveneinfluss hervorgerufen ist.
Die Prognose des einzelnen Anfalls ist im Allgemeinen günstig; sie wird
ungünstig durch Eintritt von Herzschwäche, die auf myokarditische Veränderungen
zuriickzufÜhren ist. Disposition für W T iederkehr der Anfälle bleibt bestehen, doch
ist hei Herzgesunden Aussicht auf lange Erhaltung des LebenB trotz der Anfälle
vorhanden. Ist das Herz erkrankt, so ist die Prognose natürlich ernster.
Die Therapie, sowohl gegenüber dem einzelnen Anfall, als auch bezüglich
der Verhütung der Wiederkehr, hat sich im Wesentlichen nach der Aetiologie
des einzelnen Falles zu richten. E. Beyer (Neckargemünd).
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IV. Aus den Gesellschaften.
P gyohiatrisoher Verein zu Berlin.
Sitzung vom 16. März 1901.
Herr Moeli: Hysterie mit Kranken Vorstellungen.
Vortr. stellt 2 Männer vor:
I. einen 40jährigen, vor 12 Jahren durch schweren Fall verletzten Kranken.
Bei Gelegenheit gerichtlicher Untersuchung vor 10 Jahren wurde bereits Parese
der linken Seite, Tremor, Analgesie und Hypästhesie, sowie eine Verschlechterung
des Sehens links festgestellt. Die damalige Anstaltsbeobachtung und die genaue
Darstellung in dem Gutachten ergaben keine Abweichungen der Pupillen, welche
beide — auch die linke etwas weitere — gut reagirten. Jetzt von Neuem wegen
verschiedener Schwindeleien in Untersuchung gezogen, zeigte Pat. beiderseits eine
Aufhebung der Reaction auf Licht und Verengerung bei Convergenz. Die Unke
Pupille war dauernd viel weiter, als die rechte. Eine Aenderung im Augen¬
hintergrund war trotz mehrmonatlicher fortlaufender Beobachtung nicht festzustellen.
Dagegen fand sich erhebliche Hypermetropie links. Vom Auge und Ohr wurden,
sobald die Benutzung dieser Sinneswerkzeuge dem Pat. bekannt war, überhaupt
keiae Empfindung angegeben. Es wurde ein AnfaU von AngBt und leichter Ver¬
wirrtheit in der Anstalt beobachtet. Der Kranke war sehr ungleichmässig und
brachte eine Anzahl anscheinend von ihm ernsthaft gemeinter Ausreden über die
ihm zur Last gelegten Handlungen und mehrfach unrichtige Behauptungen über
Beine Vergangenheit vor. Die Prüfung mit dem Stereoskop und die unter beson¬
derer Vorsicht vorgenommene Beobachtung im Dunkelzimmer erwies, dass mit
dem linken Auge immerhin noch etwas gesehen werden musste. Der Telephon¬
versuch ergab für das Gehör, dass bei gleichzeitiger Stromgebung in den linken
Hörer die durch Einschaltung einer Wassersäule veränderliche Stromstärke auf
dem rechten Ohr, mit welchem immer das Spiel des Hammers gehört wurde,
verstärkt werden musste. Vortr. legt Gewicht darauf, dass bei telephonischem
Vorsprechen von Worten, bald rechts, bald links, bald beiderseits, eine gleich¬
zeitige Zuleitung zum linken Ohr wiederholt ein gewisses Zögern oder eine Un¬
sicherheit der Antworten, eine überraschend dazwischen geschobene Reizung nur
links zwar keine Antwort, aber zuweilen eine leichte mimische Bewegung, einige
Male auch spurweise Bewegungen der Hand hervorrief. Im Uebrigen waren die
Zeichen der Hysterie so hervortretend, dass die vorhandene erst später eingetretene
Lichtstarre und Zunahme der Mydriasis auf eine ausserdem noch vorhandene
Affection bezogen werden musste.
II. Etwa 62jährigen Mann, welcher in verwirrtem Zustande aufgefunden und
der Anstalt zugeführt wurde. Pat. kann weder Familiennamen, noch Alter, noch
Herkunft nennen, er meint, ausser dem von ihm angegebenen Vornamen müsse
er noch anders heissen. Jahr? 1896 oder 1918 . ., er sei vier Mal verheirathet
gewesen. Beruf? er müsse kein schlechtes Geschäft gehabt haben, da er reine
Hände habe. — 2X3? == 6, 2X2? = 5. Will nicht sehen können, fixirt aber
ein herabfallendes Geldstück. Spricht in unklarer Weise von Jesuiten und einer
Reise in der Wüste; hat am Hinterkopf eine zwei handtellergrosse analgetische
und hypästhetische Stelle. — 10 Tage unverändert. Es wird zunächst im Wachen
durch Vorlegen der Kleider, der P. E. gezeichneten Strümpfe u. s. w. ein Theil
des Namens und der Vorname in länger fortgesetzten Bemühungen und Ver¬
sprechen aufgefunden. Am 14. Tage wird durch schwache Hypnose Namen,
Stand, Beruf, Ereignisse der letzten Zeit u. s. w. erinnerlich. Giebt an, dass er
in bestimmter Strasse, wahrscheinlich durch Ausgleiten auf einem Obstreste, auf
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375
den Hinterkopf gefallen, vom Polizeirevier durch Droschke hergefahren sei u. s. w.
Die bald nachher entschwundene Erinnerung lässt sich in allen Einzelheiten
hypnotisch von Neuem hervorrufen.
Vortr. knüpft an die Demonstrationen folgende Ausführungen: Der nur bei
Hinlenkung der Aufmerksamkeit entstehende Ausfall von Sinneswahrnehmungen
und willkürlichen Bewegungen wird für eine grosse Zahl von Fällen der Hysterie
durch Autosuggestion nicht erklärlich. Weder ein bewusster Vorgang nach Art
der Hypochondrie, noch ein möglicher Weise eine Vorstellung überdauerndes
UnlustgefÜhl ist durchweg nachweisbar, wenn auch die Rückführung der krank¬
haften Gefühle „auf ein intellectuelles Substrat“ wahrscheinlich und der psycho¬
gene Charakter der Symptome sicher gestellt erscheint. Vortr. hält unter diesen
Umständen folgenden Zusammenhang für der Erwägung werth: Die Erwartung
eines Sinneseindruckes, die lebhafte Vorstellung einer Sinneswahrnehmung oder
willkürlichen Bewegung ist mit einer Erregung der bei der Wahrnehmung oder
Bewegung selbst betheiligten nervösen Organe verbunden, bezw. durch Bie bedingt.
Di es beweisen bestimmte Empfindungen und Bewegungen (Gedankenlesen, Aende-
rungen der Pupillen bei Vorstellungen). Ein Wegfall von Sinneswahrnehmungen
auf psychischem Wege kommt auch sonst unter bestimmten Verhältnissen vor
(wofür Vortr. Beispiele anführt), es ist ein wesentlicher Bestandteil der
„Uebung“. Auch die willkürliche Bewegung wird unter Umständen durch den
Gedanken daran beeinflusst. Bei besonderer Beschaffenheit oder Erschöpfbarkeit
der nervösen Organe, die zu durch physikalische Einwirkung oder Krankheit ge¬
schädigten Theilen gehören, könnte die Sinneswahrnehmung ausfallen, weil die
im zugehörigen Nervengebiete vorhandene Spannkraft bereits bei der Vorstellung
verzehrt oder doch in irgend welcher Weise gebunden wird. Vortr. verweist
noch darauf, dass ein plötzlich ohne jede merkliche Vorbereitung einbrechender
Reiz unter Umständen eine Reaction, wenn auch nicht eine Wahrnehmung gebe,
und bezieht sich namentlich auf die Untersuchung der Hörfähigkeit im ersten
Falle. Die Vorstellungsstörungen im zweiten Falle zeigen das charakte¬
ristische „Danebenantworten“, wobei zwar nicht die richtige Einzelvorstellung ins
Bewusstsein gehoben, aber doch der zur Frage gehörige generelle Vorstellungs¬
kreis erregt wird. Vortr. erwähnt die Uebereinstimmung mit dem Ganser’schen
Dämmerzustände, zugleich aber, dass auch der absichtlich falsch Antwortende,
weil er den erregten richtigen Vorstellungskreis nicht ganz los werden kann,
öfter einen ähnlichen Bescheid gebe.
Die Hypnose hat hier nur den traumatischen Ursprung, der schon aus dem
Charakter des Leidens vermuthet wurde, klargestellt und die weitere Behandlung
erleichtert. In wiefern Schlüsse auf den Ursprung der Anomalieen unter beson¬
deren Voraussetzungen gezogen werden können (0. Voigt), müssen weitere Be¬
obachtungen und Betrachtungen lehren.
Herr S. Kalischer: Ueber die Fürsorge für sohwach begabte Kinder.
Vortr. hatte bei der Untersuchung von 400 Schulkindern 79 körperlich
kranke, 15 mit ausgeprägten Nervenleiden behaftete und 18 schwach begabte
Kinder, also etwa 4°/ 0 der letzteren gefunden. Seine Erfahrungen hatte er in
einer Schrift über „Unterricht und Erziehung der schwach begabten Kinder“ ver¬
öffentlicht. Vortr. wurden dann weiter aus 10 Schulen nur diejenigen der untersten
3 Classen, welche 2 Jahre oder länger in den Classen zugebracht hatten, zur
Untersuchung gestellt, d. h. nur etwa 2,6 °/ 0 . Der Schule wurden bestimmte
Fragebogen übergeben, nach denen ein Urtheil über die psychischen Fähigkeiten
zu erlangen gesucht wurde. Vortr. unterschied 4 Arten geistigen Zurückbleibens,
schwache Begabung, Schwachsinn leichteren und stärkeren Grades und Idioten;
er fand 0,7 °/ 0 Schwachbegabte, 0,2 °/ 0 Schwachsinnige leichteren, 0,1 °/o stärkeren
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Grades und 0,08% Idioten und zwar 8 im Alter von 13 —14 Jahren. Es
wurden auffallende Störungen bei diesen schwach begabten Kindern gefunden,
wie Skrophulose, Drüsenschwellungen, Migräne, Schielen, Herzfehler, Wirbelsäule¬
verkrümmungen, Epilepsie, spastische Zustände, Syphilis u. a. Ein Kind, welches
nach einer Verletzung einen Zustand von acutem Stupor darbot, hatte trotzdem
die Schule weiter besucht, ein anderes litt an periodischen Erregungszuständen.
Die schwach begabten Kinder wiesen 76 % innere Krankheiten, 10% Krank¬
heiten des Nervensystems, 64% Nasen-, 36 % Sprachstörungen, ausserdem Herab¬
setzungen des Gehörs und der Sehschärfe. Vortr. wies darauf hin, wie viel Treppen
ein Kind steigen muss, das z. B. Morgens Semmel austragen muss, bevor es in
die Schule geht. Die Schwachsinnigen wurden zu derartigen Beschäftigungen
nicht herangezogen, weil sie sich nicht dazu eigneten. Von sittlich verwahrlosten
Schülern traf Vortr. 5 an, die wegen Diebstahls, Hehlerei, Vagabundirens vorbestraft
waren. Ein Schwachsinniger wurde von einem anderen, der stahl, als Hehler
benutzt. Einige waren tätowirt Sie waren dauernd im Unterrichte scheu, leicht
beleidigt, nichtswürdig, zänkisch, apathisch, boshaft u. s. w. Eines Hülfsunterrichts
bedürftig erwiesen sich 0,8 % der Knaben und 0,4 % der Mädchen, also 0,6 ü / 0 .
Die Zahl stimme mit derjenigen überein, die in anderen Staaten gefunden wurde.
Für Berlin würden bei einer Gesammtzahl von 200 000 Kindern also 1000 in
Frage kommen, die nur hemmend in der Schule wirken. Da die Eltern voll¬
kommen unfähig wären, denselben bei einfachem Herausnehmen aus der Schule
wegen mangelnder Befähigung etwas zu bieten, so verkämen sie gänzlich. In
anderen Orten, z. B. in Cöln, würden die Eltern in Strafe genommen, wenn sie
dem Wunsche des Lehrers oder Arztes zur Ueberweisung in eine Hülfeschule
bezw. Idiotenanstalt bei höherem Grade von Schwachsinn nicht folgen. Ebenso
wäre es in Anhalt und Schleswig-Holstein. Ein Nebenunterricht für die Schwach¬
begabten neben dem gewöhnlichen Unterricht, wie es in Braunschweig gehandhabt
würde, sei ganz verfehlt, da die Kinder noch mehr angestrengt würden, ohne
etwas zu erreichen. Die sog. Nebenklassen, welche mit anderen verbunden sind,
und von denen einige vorhanden sind, haben den Nachtheil, dass nicht genügend
ausgebildete Lehrkräfte dafür vorhanden sind, und dass es nur eine Klasse ist.
Die nahe Verbindung mit den städtischen Schulen erscheint Vortr. nicht zweck¬
mässig. Der Ehrgeiz würde durch den Wettstreit der schwach begabten Kinder
unter einander genügend geweckt. Vortr. rühmt die Schule für Schwachbegabte
in Charlottenburg, die aus mehreren Classen besteht und über direct vorgebildete
Lehrkräfte verfügt. Welche Kinder sollen in die Hülfsschulen aufgenommen
werden und welche in eine Anstalt? Der Vorschlag, diejenigen, die 2 Jahre in
der untersten Classe ohne Erfolg gesessen hätten, in dieselben zu schicken, sei
nicht zu billigen, da einem schwach begabten Kind in den 2 Jahren sehr ge¬
schadet werden könne. Es wäre zweckmässig, wenn die Schulärzte alle aufge¬
nommenen Kinder untersuchten und gleich feststellten, welche für die Aufnahme
in die Schule für Schwachbegabte geeignet sind, damit sie nicht erat ihren Muth
vollkommen einbüssen. Die Kinder sollten 1 Jahr in der Hülfeschule zur Be¬
obachtung bleiben, um zu zeigen, ob sie in eine besondere Bildungsanstalt
oder in eine Schule gehören. Das erste Jahr sollte also als Probejahr dienen.
Idiotische, Epileptische und moralisch Verkehrte müssen aus den Schulen ausge¬
schlossen werden.
Vortr. geht auf die Einrichtungen der Schulen ein. Es sollten 3—5 Klassen
sein, in welche die Schüler versetzt werden. Die Lehrer sollen aufrücken, damit
die Kinder dieselben Lehrer behielten. Ein Kind, welches für ein Fach, etwa
Rechnen, befähigter ist, müsste in der entsprechenden höheren Gasse an dem
betreffenden Unterricht theilnehmen können. 20 Stunden in der Woche wäre
das Höchste von Stundenzahl. Die Zahl der Kinder in einer Klasse müsste be-
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schränkt sein, in Berlin betragt sie 12. Für die Lehrer sei zweifellos eine besondere
Ausbildung nöthig, für Berlin geschieht dies in Dalldorf; eine halbe Stunde dürfte
nur unterrichtet werden; selbst dabei würde durch kleine Gesänge, Marsch Übungen
alle 10 Minuten eine Unterbrechung stattzufinden haben. Nach dem Unterricht
sollten die Kinder Zusammenkommen, wobei für Spiele gesorgt werden müsste.
Der Unterricht sollte sich auf Religion, Rechnen, Lesen, Schreiben, Heimathkunde
beschränken, ausserdem sollte besonders auf körperliche Entwickelung durch Turnen,
Freiübungen, Spiele u. dergl. Rücksicht zu nehmen sein. Vortr. berichtet sodann
über den Unterricht in Idstein und Dalldorf. Die Kinder sollten vom 7.—9. Jahre
aufgenommen werden und zweckmässig bis zum 15. in der Schule bleiben, damit
sie für das Leben vorbereitet würden durch besonderen Handfertigkeitsunterricht.
In einigen Schulen würde auch nach dem Austritt weiter gesorgt. In Sachsen
würde jedem Handwerksmeister eine bestimmte Summe bewilligt, wenn er einen
Schwachbegabten mit Geduld ausbildet. Vortr. schliesst mit dem Wunsche, dass
für die Kinder in den Hülfsschulen besondere Personalbogen geführt würden, die
später der Militärbehörde zur Verfügung ständen. Im Ganzen beständen in
Deutschland bis jetzt 90 Hülfsschulen. Die erste sei 1887 in Leipzig gegründet.
An der anschliessenden Discussion betheiligen sich Möller und Kalischer.
Jacobsohn (Berlin).
Wiener medioinisoher Club.
Sitzung vom 14. Februar 1900.
(Wiener raed. Presse. 1900. Nr. 9. S. 414.)
Herr Flesch stellt einen Fall von Steifigkeit der Wirbelsäule vor, einen
28 jäbr. Schuhmacher, bei dem sich seit 3 Jahren eine Unbeweglichkeit der Wirbel¬
säule entwickelt hat. beim Lendentheil anfangend und sich endlich bis zu dem
obersten Halswirbel hinauf erstreckend; der Kopf wurde vornübergebeugt gehalten,
die Hals- und Brustwirbelsäule boten bedeutende Kyphose dar; jedoch war die Fixation
nicht vollkommen, und Vortr. kam zur Ueberzeugung, dass es sich zum Theil um
Spasmus der Rückenmuskulatur handle. Ferner bestanden Parese und Schmerzen in
der rechten Unterextremität und Kreuzschmerzen. Vortr. erzielte durch points de feu
nach Benedikt eine bedeutende Besserung aller Erscheinungen; die pathologische
Verkrümmung der Wirbelsäule ging fast ganz zurück, nur zum Theil aber schwand
die Steifigkeit Vortr. bezeichnet endlich seinen Fall als meningitische Steifigkeit (?).
Herr H. Schlesinger macht darauf aufmerksam, dass es nach seiner Ansicht
auch eine Imitation des Symptomencomplexes der Bechterew’schen und
Marie’schen Form der Steifigkeit der Wirbelsäule durch Hysterie bezw. Muskel¬
steifigkeit in Folge Erkrankung derselben gebe. Er hat zwei derartige Fälle von
Spondylose rhizomdlique gesehen.
Sitzung vom 28. Febr. 1900.
(Wiener med. Presse. 1900. Nr. 12. S. 546.)
Herr Victor Hammerschlag demonstrirt drei von ihm durch Operation ge¬
heilte Fälle von otitisohen endokraniellen Complioationen . Der 1. Fall betrifft
ein 20jähriges Mädchen mit einer eitrig zerfallenen Thrombose des Sinus sigmoideus,
die im Gefolge einer chronischen Mittelohreiterung aufgetreten war und, ohne irgend¬
welche Symptome zu zeigen, zu einem schweren pyämischen Zustande geführt hatte.
Der 2. Fall betrifft ein 7jähr. Kind, bei dem in Folge einer chronischen Mittelohr¬
eiterung eine Pachymeningitis externa circumscripta der hinteren und mittleren
Schädelgrube mit ziemlich schweren, allgemeinen meningitischen Symptomen aufgetreten
war. Diese fanden ihre Erklärung in einer bedeutenden Vermehrung des Liquor
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cerebrospinalis, welche durch Spinalpunction feetgestellt wnrde. Operation. Als
3. Fall stellt Vortr. ein 13jähriges Mädchen vor, bei dem sich ebenfalls im Gefolge
einer chronischen Mittelohreiterung eine circumscripta Pachymeningitia der hinteren
Schädelgrube ausgebildet hatte; es zeigten sich Hauthyperästhesie, Strabismus diver-
gens, Erbrechen und Bewusstlosigkeit. Der operative Eingriff bestand in Freilegung
aller erkrankten Theile. Heilung.
Herr Theodor Fachs berichtet Ober einen Fall von Leberneuralgie. (Ist
ausführlich erschienen.)
Herr R. Kienböck stellt einen Fall von traumatlsoher Oonusläaion vor.
Eine 45jährige Frau hatte vor l s / 4 Jahren einen Sturz aus der Höhe des 1. Stockes
auf einen gepflasterten Hof erlitten. Sie war mit dem Qesäss aufgefallen, verlor das
Bewusstsein nicht, empfand aber sofort heftige Schmerzen im Kreuz (welche nicht in
die Beine ausstrablten) und war fast ganz paraplegisch. Im Spital dauerten die
Schmerzen in gleicher Heftigkeit an und steigerten sich bei Bewegungeni es wurde
ßetentio urinae et alvi beobachtet Die Arme blieben stets normal beweglich, es
trat kein Fieber auf. Im Verlaufe besserte sich der Zustand, die Kranke ging nach
Jahre ohne UnterstQtzung. Erst 2 Wochen nach dem Sturze traten vorübergehend
Schmerzen in den Waden und Steifigkeit in den Unterextremitäten auf. Katheterismus
mehr als 1 j t Jahr erforderlich, dann erst begann Pat spontan Harn zu lassen. Hart¬
näckige Obstipation. Die Blasen- und Mastdarmstörungen sind seitdem nicht ganz
geheilt. Cystitis besteht. Die Einführung des Katheters und Irrigators wurde stets
empfunden. Die Periode blieb durch 3 Monate nach dem Sturze aus und kehrte
dann wieder. Zuweilen treten Schmerzen in den Gesässbacken und Waden auf und
Kälteparästhesieen im Rectum.
Pupillen und Hirnnerven, ferner obere Körperhälfte vollkommen normal. Motilität
der Unterextremitäten normal, im Gange nichts Auffallendes. Im Bereiche der Gesäss¬
backen und ganzen Unterextremitäten Tremor. Kein Romberg’sches Symptom, Bauch¬
deckenreflexe nicht zu prüfen, Plantarreflexe fehlen; Sehnen- und Periostreflexe an
den 4 Extremitäten gesteigert, beiderseits Fussklonus. Tactile Hypästhesie sym¬
metrisch in folgenden Gebieten, und zwar an Intensität nach dem Centrum hin zu¬
nehmend: Gesässbacken, Anal furche und Hinterseite des Oberschenkels. Um den
Anus und auf dem angrenzenden Theile der Gesässbacken besteht Thermanästhesie
und Analgesie, an dem Perineum und an den grossen Labien nur Thermhypästhesie.
Rectum und Vagina beim Touchiren wenig empfindlich, Analreflexe vorhanden. Wenn
man entlang den Wirbeldornen abwärts streicht, findet man unterhalb des 1. Lenden¬
wirbels eine tiefe Stufe, die nicht druckempfindlich ist. Der Befund blieb während
der Beobachtung durch die letzten 6 Monate stationär.
Die Wahrscheinlichkeitsdiagnose lautet: Luxation (mit Fractur?) des 1. Lenden¬
wirbels nach hinten und consecutive Läsion des Conus terminalis. Wieweit es sich
dabei um Compression und um centrale Quetschung (bezw. centrale Hämato-
myelie) gehandelt habe, lässt sich nicht bestimmen.
Herr H. Schlesinger spricht über spinale Sohweisse und Sohweissbahnen.
Er bebt hervor, dass die Kenntnisse über Sohweissbahnen zumeist von Thierexperi¬
menten herstammen, und dass speciell über die Schweissbahnen beim Menschen nicht
allzuviel bekannt sei. Er hat zu diesem Studium Krankheiten herangezogen, welche
auf das Rückenmark beschränkt bleiben (traumatische Rückenmarksaffectionen, Hämato-
myelie, Syringomyelie, Tumoren). An solchen Fällen der Litteratur und eigenen
Beobachtungen hat Vortr. die Schweissstörungen untersucht und gefunden, t dass
sich dieselben als Hyperidrose oder Anidrose zuweilen über grössere Gebiete erstrecken;
solche Gebiete nennt er „spinale Schweissterritorien“, sie betreffen z. B. je
eine Gesichtshälfte, eine obere Extremität, eine obere Rumpfhälfte mit der zugehörigen
Hälfte des Nackens, Halses und der behaarten Kopfhaut und je eine untere Extremität
Die Grenzen der Schweissterritorien entsprechen im Grossen und Ganzen den spinalen
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Digiliz
379
SensibilitÄteterritorien, jedoch sind die ersteren grösser als die letzteren, als ob
Immer mehrere der letzteren zusammen ein Schweissterritorium bilden würden. Die
spinalen Sch Weissterritorien entsprechen wahrscheinlich der segmentalen Anordnung
der Schweissfasem im Rückenmark, also allem Anschein nach mehreren Schweias-
nervencentren der Medulla spinalis. Die Schweissfasem durchziehen die ganze Länge
des Rückenmarks, treten mit den motorischen Fasern ans der weissen in die graue
Substanz ein, schliessen sich aber im peripheren Verlaufe wahrscheinlich mehr an
die sensiblen Fasern an. Bei Läsion der weissen Substanz des Rückenmarks tritt
zumeist Schweissstörang der gleichnamigen Körperhälfte bis abwärts zu den Zehen
ein, bei Läsion der grauen Substanz aber beschränkt sich die Störung auf ein
Schweissterritorium.
Sitzung vom 14. März 1900.
(Wiener med. Presse. 1900. Nr. 13. S. 595. Nr. 14. S. 646.)
Herr L. Spitzer demonstrirt einen Fall von merourieller Polyneuritis, einen
Mann betreffend, der im December 1899 mit primärem syphilitischen Exanthem ins
Spital aufgenommen worden war. Nach 15 Quecksilbereinreibungen traten sehr heftige
Schmerzen in den Beinen bei Drnckempfindlichkeit der Nervenstämme auf; Herabsetzung
der motorischen Kraft und Ataxie, mehr in den unteren als oberen Extremitäten;
Steigerang der Sehnenreflexe, Romberg’sches Symptom; Pupillen und Sphinkteren
normal functionirend. Zugleich bestanden noch mercurielle Stomatitis und Salivation;
die gesammten Symptome gingen bei Anssetzen der Schmierkur zurück.
Herr Wilhelm Mager bespricht an der Hand von 7 anatomisch untersuchten
Fällen die histologischen Veränderungen des Bückenmarks bei acuter
Myelitis. (Ist bereits in d. Centralbl. 1900. Nr. 10 referirt)
Robert Kienböck (Wien).
V. Neurologische und psychiatrische Litteratur
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Debio, Hyoscin bei acuten Psychosen. Psychiatr. Wochenschr. Nr. 47. — Idiotie: KeHner,
Ueber Kopfmaasse der Idioten. Allgem. Zeitschr. t Psych. LVIH. Heft 1. — H. Nenraann.
Ein Fall von geheiltem Wasserkopf. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 8. — Kotschetkowa, Bei¬
träge zur pathologischen Anatomie und Mikrocephalie. Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh.
XXXIV. Heft 1. — 8. Jlbtrg, Centralnervensystem eines 6 tägigen syphilitischen Kindes
mit unentwickeltem Grosshirn u. s. w. Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XXXIV. Heftl.
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Przegl|d lekarski. Nr. 4 u. 5. — Laquer, Hülfsschulen für schwachbefahigte Kinder.
Wiesbaden. J. F. Bergmann. 64 S. — Beach, Sense of touch in feeblemtad children. Journ.
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precoce. Neapel. Tocco. 174 S. — Freiberg, Ein Fall chronischer Paranoia mit Ausgang in
Heilung. Allgem. Zeitschr. f. Psych. LVIII. Heft 1. — Säglas, Cas de ddlire de per-
secutions etc. Ann. mddico-psych. S. 81. — Ernst Meyer, Beitrag zur Kenntniss des inducirten
Irreseins und des Querulantenwahns. Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XXXIV. Heft 1.
— Cullerre, Deux nouveaux cas de folie gdmellaire. Arch. de neurol. Nr. 62. — Weygandt,
Ueber das manisch-depressive Irresein. Berliner klin. Wochenschr. Nr. 3 u. 4. — 8. H. Schelber,
Ein Fall von 7 Jahre dauerndem oirculären Irresein u. s. w. Archiv f. Psych. u. Nerven¬
krankh. XXXIV. Heft 1. — Progr. Paralyse: Percy Smith, Adult general paralysis with
congenital syphilis. Brit med. Journ. Nr. 2094. — Jahrmlrker, Beitrag zur Dementia para-
lvtica beim weiblichen Geschlecht. Allgem. Zeitschr. f. Psych. LVIII. Heft 1. — W. Frölich,
Ceber allgemeine progressive Paralyse der Irren vor Abschluss der körperlichen Entwickelung.
Inaug.-Dissert. Leipzig. — Marie, Deux cas de paral. gdndr. syphil. etc. Ann. mädico-psych.
S. 84. — Bride, Mental Symptoms of cerebral syphilis. Journ. of the Amer. med. Assoc. Nr. 5.
— Infections- und Intoxicationspsychosen: Blnswanger und Berger, Klinik und patho¬
logische Anatomie der postinfectiösen und Intoxicationspsychosen. Archiv f. Psych. u.Neurolog.
XXXIV. Heft 1. — Betti, Contributo allo studio della patogenesi del delirio nel corso delle
malattie infettive. Gazzetta degli ospedal. e delle clin. Nr. 15. — Pilcz, Myxödematöses
Irresein und Schilddrüsentherapie bei Psychosen. Jahrbücher f. Psych. u. Neurolog. XX
Heft 1. — Easterbrook, Organo-therapeutics in mental diseases. Medico-psycholog. Assoc. —
Zellitsch, Die geistigen Störungen in ihren Beziehungen zur Militärdienstunbrauchbar¬
keit. Würzburg. A. Stüber*s Verlag. — Oehlo, Hyoscin bei acuten Psychosen. Psychiatr.
Wochenschr. Nr. 47. — Forensische Psychiatrie: Axel, Kindesmord oder Selbsthülfe?
— Geisteskrankheit, Bewusslosigkeit, Ohnmacht der Mutter? Vierteilahrsschr. f. gerichtl.
Medicin. XXI. Heft 1. — Snell, Gutachten über den Geisteszustand des Tischlers Ernst H.
aus Linden. Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medioin. XXI. Heft 1. — BackenhBhler, Material
zu § 1569 BGB. Psychiatr. Wocnenschr. Nr. 45. — Bott, Ehescheidung wegen Geistes¬
krankheit. Friedreicn’s Blätter f. gerichtl. Medicin. Heft 1. — Marthen, Ehescheidung
wegen Geistesstörung. Aerztl. Sachverständigen-Zeitung. Nr. 1. — E. Rägl«, Aliänö ou
criminel? Journ. de medec. de Bordeaux. Nr. 7. — Sanna-Salaris, Una Centura di delin-
quenti sardi. Archiv, di psich. scienze pen. Nr. 1 u. 2. — de la Grasserie, Application et
aäeapplication de la peine. Arch. di psich. scienze pen. Nr. 1 u. 2. — 6. liberg, Die Pro¬
gnose der Geisteskrankheiten. Halle a/S. Carl Marhold. — Therapie der Psychosen:
H. Schliss, Leitfaden zum Unterricht für das Pflegepersonal an öffentlichen Irrenanstalten.
Wien u. Leipzig. F. Deuticke. — Schäfer, Einführung der Familienpflege in Westfalen.
Psychiatr. Wochenschr. Nr. 41. — Klinke, Ueber Familieupflege. Psychiatr. Wochenschr.
Nr. 43 u. 44. — P. Särieux, Les cliniques psychiatriques des universitös allemandes. Arch.
de neur. Januar. — Ludwig (Heppenheim): Die hessischen Provinzialsiechenanstalten und
die Geisteskranken. Allgem. Zeitschr. f. Psych. LVIH. Heft 1. — Kruse, Ruhrähnliche
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884
Erkrankungen in Irrenanstalten. Psychiatr. Wochenschr. Nr. 41. — Marie, Sur l'isolement
des tuberouleux dans les asyles d’amnes. Rev. de psych. Nr. 1.
VII. Therapie: Nartowtki, Elektrodiagnostyk i elektroterapia. Krakau. Jagiell.
375 S. — Jaenicke. Ueber die Wirkung der Thyreoidinpräparate bei einigen seltenen Krank¬
heitsfällen. Centralbl. f. innere Mqdicin. Nr. 2. — Allred Hirtch, Zur Kenntniss der Wir¬
kung des Morphins auf den Magen. Centralbl. f. innere Mediein. Nr. 2. — Max Fischer
(Illenau): Trionalgebrauch und rationelle Verwendung der Schlafmittel. Deutsche Praxis.
Nr. 3 u. 4. — Telegdi, Citrophen und Hedonal, Pester med.-chir. Presse. Nr. 8. — Stahr,
Ueber das Hedonal. Psychiatr. Wochenschr. Nr. 47. — Zajaczkowskl, Klinische und thera-
K eutische Beobachtungen über Hedonal, Resoldal und Hidragognia. Przegl$d lekarski.
’r. 3 u. 4. — D’Ormea. L’edonale come ipnotico negli alienati. Ferrara 1901. — Koilartts,
Ueber das Bromalin. Therapie der Gegenwart. Heft 3. — Fry, Brush massage. Journ.
of Nerv, and Ment. Dis. Nr. 1. — Sehnde, Versuche mit dem „elektrischen Vierzellen¬
bad“. Prager raed. Wochenschr. Nr. 3. — Buschan, Lichtbehandlung. Hygiea. Januar.
— Gilles de la Tourette, L’application de la mlthode dite de la dose süffisante an traite-
ment de quelques maladies du systöme nerveux. La semaine m4d. Nr. 5. — Eschle, Die
Arbeit als Heilfactor. Therapeut Monatshefte. Februar. — A. Erlenmeyer, Ueber die Be¬
deutung der Arbeit bei der Behandlung der Nervenkranken in Nervenheilanstalten. Berliner
klin. Wochenschr. Nr. 6. — v. Urbanschltsch, Ueber eine mechanische Behandlung gewisser
Schwindelformen. Wiener klin. Wochenschr. Nr. 7. — Wizel, Le traitement des alidnds
par le repos au lit. Ann. mödico-psych. Nr. 1. — Rdgnler, Die Electricität in der Welt¬
ausstellung zu Paris. Zeitschr. f. diätet. u. phys. Therapie. IV. Heft 8.
VI. Vermischtes.
Die Jahresversammlung des Vereins der deutschen Irrenftrste wird am
Montag, den 22. April und Dienstag, den 23. April in Berlin tagen, und zwar im Hörsaale
des neuen Gebäudes der psychiatrischen und Nervenklinik (Charitö). Die erste Sitzung be¬
ginnt am 22. April, Vormittags 9 Uhr, die zweite Nachmittags 1 Uhr, die dritte am 23. April,
Vormittags 9 Uhr.
Tagesordnung:
I. Begrtasung der Versammlung und geschäftliche Mittheilungen.
II. Referate: 1. Ueber den jetzigen Stand der familialen Pflege Geisteskranker. Ref.-.
Geh. Rath Prof. Dr. Moeli (Berlin-Lichtenberg). — 2. Ueber den heutigen Stand der patho¬
logischen Anatomie der sogenannten functioneilen Psychosen. Ref.: Priv.-Doc. Dr. Hcil-
bronner (Halle a/S.).
III. Vorträge: 1. Prof. Dr. Siemerling (Tübingen): Zur pathologischen Anatomie
der progressiven Paralyse. — 2. Priv.-Doc. Dr. E. Meyer (Tübingen): Zur Klinik der Puer¬
peralpsychosen. — 3. Oberarzt Dr. Näcke (Hubertusburg): Ueber sogenannte Degenerations-
Zeichen der wichtigsten inneren Organe bei Paralytikern und Geistesgesunden. — 4. Dr.
O. V ogt (Berlin): Hirnanatomische Mittheilung. — 5. Priv.-Doc. Dr. Bonhoeffer (Breslau):
Bemerkungen zur Pathogenese des Delirium tremens. — 6. Dr. Kaplan (Berlin-Lichtenberg):
Methoden zur Färbung des Nervensystems. — 7. Geh. Hofrath Prof. Dr. Baelz (Tokio):
Besessenheit und religiöse Ekstase nach Beobachtungen in Japan. — 8. Prof. Dr. Hoc he
(Strassburg): Zur Aetiologie des Myxödems. — 9. Prof. Dr. Sommer (Giessen): Ergebnisse
der dreidimensionalen Analyse von Bewegungsstörungen bei Nerven- und Geisteskran Ich eiten.
— 10. Med.-Rath Prof. Dr. Wern icke (Breslau): Ueber die Aufgaben des psychiatrischen
Unterrichts. — 11. Dr. Max Edel (Charlottenburg): Ueber Unfallpsychosen (mit Kranken¬
vorstellungen). — 12. Dr. Henneberg (Berlin): Ueber Spiritismus und Geisteskrankheiten.
— 13. Director Dr. Heb old und Dr. Br atz (Wnhlgarten): Die Rolle der Autointoxication
in der Epilepsie. — 14. Dr. Storch (Breslau): Ueber die Rindenveränderungen in einigen
Fällen atypischer Paralyse Lissaueris. — 15. Director Dr. Brosius (Sayn): Ueber Irren-
Hülfs-Vereine. — 16. Dr. Seiffer (Berlin): Ueber die spinale Sensibilitätsvertheilung. —
17. Dr. War da (Blankenburg i/Th.): Ueber die sogenannten psychischen Zwangszustände.
— 18. Prof. Dr. Pick (Prag): Demonstration.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 18.
Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzqbb & Wirrio in Leipzig.
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taube und schwerhörige Personen, welche nicht die Mittel besitzen, Bich die Ohrtrommeln
zu verschaffen, dieselben umsonst erhalten können. Briefe wolle man adressiren: No. 689.
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alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die PostanBtalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1901. 1. Mai. Nr. 9.
Inhalt I. Originalmittheilungen. 1. Ein klinischer Beitrag zur Lehre von der Hemi-
toni* apoplectica (Bechterew), von R. Pfeiffer. 2. Zur optisch-sensorischen Aphasie, von Dr.
■. Rosenfeld.
II. Referate. Anatomie. 1. üeber die Histogenese des peripheren Nervensystems bei
Salmo salar, von Harrlson. — Experimentelle Physiologie. 2. Physiologische Differen-
rinmg verschiedener Mechanismen des Rückenmarkes (physiologische Wirkung des Strychnins
und der Carbolsäure), von Baglioni. 3. Är solsting en verkan af ultravioletta strälor? af
Wller. — Pathologische Anatomie. 4. Een seldzoom geval van Polydactylie, af Salo-
nonson. — Pathologie des Nervensystems. 5. Ueber die Pathogenese der Eklampsie,
ran Stroganoff. 6. Rapporto tra accessi epilettici ed autointossicazione, per Roncoroni.
<■ Valeur de la tievre typhoide dans l’dtiologie de l'dpilepsie, par Dide. 8. Ein Beitrag znr
Aetiologie der Epilepsie, von Steiner. 9. La faim-valle epileptiaue, par F<r4. 10. A case
of hysterical aphonia in a grand mal epileptic, by Clark. 11. L'epilepsie larvee, par Ardin-
Oslteil. 12. Mioclonia ed epilessia, per Seppilli. 13. Ein Fall von epileptischem Wander¬
trieb. Gutachten, von Krau. 14. Beitrag zum Capitel „Epilepsie und Psychose“, von Weber.
15. Heilung eines Falles von epileptischem Irresein, von Rose. 16. Idiotie et epilepsie sym-
ptomatiques de sclerose tuböreuse ou hypertrophique, par Bourneville. 17. Vie sexuelle,
manage et descendance d’un dpileptique, par Bournoville et Poulard. 18. Mehrjährige Epi¬
lepsie und Idiotismus völlig geheilt nach einem Anfall schwerer Influenza, von Covios.
19. Ueber das Bromalin, von Kollarits. 20. Einiges über Epilepsiebebandlung, von Biro.
21. Zur Behandlung der Epilepsie mit Bromipin, von Lorenz. 22. Sur le traitemeut de
Epilepsie par la syiupathectomie, par Jaboulay et Lannois. 23. Case of Jacksonian epilepsy
treatea by Operation, by Marson. 24. A case of trauraatic epilepsy cured by Operation, by
ArnotL 25. Le traitement de l’epilepsie par la inethode de Flechsig, par 86gias et Heitz.
26. Die Behandlung der Epilepsie nach Toulouse und Richet, von HelmstSdt. 27. Epilepsie
et trepanation, par Boissier. 28. Casuistischer Beitrae zur Frage über die Zurechnungs-
Fähigkeit der Epileptiker, von von Rad. 29. Epileptische Aanvallen na bet gebruik van
Camphora monobromata, per Salomonson.
III. Aus den Gesellschalten. XIX. Congress für innere Medicin vom 16.—19. April 1901
zu Berlin. — Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins zu Hamburg.— XIII. internationaler
medicinischer Congress in Paris vom 2.-9. August 1900.
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386
I. Originalmittheilungen.
1. Ein klinischer Beitrag
zur Lehre von der Hemitonia apoplectica (Bechterew).
Von R. Pfeiffer.
In Bd. XV der Deutschen Zeitschrift für Nervenheilkunde (Heft 5 u. ü)
beschreibt Prof. v. Bechterew als „Hemitonia apoplectica“ eigenartige Motilitäts¬
störungen, welche im Gefolge von Apoplexieen zur Beobachtung gelaugten. Das
Leiden begann in den 3 Fällen des Autors vor dem 10. Lebensjahre ohne Pro¬
drome, unter dem Bilde der Apoplexie. In unmittelbarem Anschluss au deu
Insult oder häufiger, soweit so kleine Zahlen zu Schlüssen berechtigen, nach
erheblichem Rückgänge der Lähmungen bildeten sich hartnäckige tonische
Muskelkrämpfe heraus, die sich über die gesammte Körperhälfte erstreckten uu<\
die Gliedmassen besonders intensiv betheiligten. Die Krämpfe, im Wachzustände
dauernd vorhanden, verliessen die Kranken auch im Schlafe nicht völlig und
führten zu functioneller Hypertrophie in einzelnen, besonders afficirten Muskel¬
gruppen. Die Intensität der Muskelspannungen variirte: Ablenkung der Auf¬
merksamkeit und leichtes Streicheln bedingte Abnahme, steigernd wirkten da¬
gegen jede Anrede der Patienten, mechanische Reize, vor allem psychische
Erregungen. Unter ihrem Einfluss kam es zu entsprechenden Locomotionen der
Extremitäten, seltener erfolgte spontane Verlagerung der Gliedmassen, indem
unwillkürliche Impulse den Krampfzustand in diesen oder jenen Muskelgruppeu
prävaliren Hessen. Keine Athetose! Der tonische Krampf einer Körperhälfte
trat als Cardinalsymptom um so stärker in den Vordergrund des klinischen
Bildes, als jede nennenswerthe Parese fehlte, auch eigentlich secundäre, stationäre
Contracturen nicht nachweisbar waren. Bemerkenswerthe Einzelheiten bildeten
in Bechterew ’s Fällen sodann die Steigerung der mechanischen Erregbarkeit
und der Reflexe sowie die quantitativen Veränderungen der elektrischen Erreg¬
barkeit. Die in 2 Fällen vorhandene Atrophie des knöchernen Skelets der
Extremitäten erklärte sich zwanglos aus dem Eintritt der Hemiparese in der
Kindheit.
Der weiteren Darlegung der Bechterew ’sclien Ausführungen schicke ich
die Mittheilung eines einschlägigen, zahlreiche interessante Details aufweisendeu
Falles voraus.
Krankengeschichte.
Die 31jährige, aus gesunder Familie stammende Patientin erkrankte in ihrer
Kindheit leicht an Masern und Scharlach — genaue Daten sind nicht zu ge¬
winnen — war aber im Uebrigen gesund. Ira 17. Lebensjahre wurde während
eines Spazierganges an einem heissen Sommertage plötzlich ein Gefühl von Steifig¬
keit und Prickeln in der ganzen rechten Körperhälfte bemerkbar. Schwindel
fehlte, das Bewusstsein blieb erhalten, Patientin war im Stande, nach Hause zu
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387
gehen. Hier entwickelte eich rasch eine vollkommene Lähmung des rechten
Armes, eine Schwäche der rechten Unterextremität und Gesichtshälfte; Zuckungen
und Krämpfe fehlten; ob Hemianopsie vorhanden war, lässt sich nicht eruiren.
Die Symptome bildeten sich rasch zurück, in etwa 8 Tagen war das Befinden
normal, die Arbeitsfähigkeit hergestellt. — 3 Jahre später bestand 6 Wochen
hindurch das Gefühl von Steifigkeit und Schwäche in der rechten Körperhälfte,
Doppeltsehen — der Beschreibung nach Parese des rechten N. abduoens — sowie
rechtsseitige Hemianopsie. Die Patientin hütete das Bett; Allgemeinerscheinungen
fehlten, anscheinend auch Fieber. Unter allmählichem Abklingen der Symptome
erfolgte völlige Restitutio ad integrum.
Vor 6 Jahren setzte, 4 Monate nach der normalen Geburt des einzigen
Kindes, langsam ein erneuter Rückfall ein, und zwar Hemiopia doxtra und Steifig¬
keit in der rechten Körperhälfte, besonders ausgeprägt im rechten Arme. Dieses
Mal blieb die Rückbildung der Erscheinungen aus, dieselben erwiesen sich viel¬
mehr als dauernde Herdsymptome. Die Patientin lernte allmählich den Ausfall
ihrer rechten Gesichtsfeldhälften ignoriren. Die eigenartigen, näher zu be¬
schreibenden Muskelspannungen blieben zunächst unverändert bestehen, führten
aber nach etwa 3jähr. Dauer zu abnormen Stellungen der Finger an der rechten
Hand. Das Allgemeinbefinden blieb ungestört; zu keiner Zeit waren Hirndruck¬
erscheinungen merkbar, niemals Convulsionen, auch fehlten stets Andeutungen von
Aphasie, optischer Aphasie und Seelenblindheit.
Der Mann der Patientin starb an Larynxphthise; das Kind zeigt Spuren
überstandener Rachitis, ist aber im Uebrigen gesund.
Potus und Lues werden negirt.
Keine Aborte. Keine Bleiintoxicatior
Menses regelmässig.
Die Beschwerden bestehen in einem Gefühl abnormer Spannung in der ganzen
rechten Körperhälfte, vor Allem jedoch ist die Gebrauchsfähigkeit des rechten
Armes erheblich gestört.
Eine mehrmonatliche Beobachtung und häufig wiederholte, genaue Unter¬
suchung bestätigte das Vorhandensein von Sehstörungen und eigenartigen Muskel-
Spannungen.
Die rechte Gesichtshälfte erscheint, wie die beigefügte Photographie (Fig. 1) er¬
kennen lässt, starrer. Das Auge ist weniger hallunirt, die Nasolabialfalte etwas ver¬
strichen, die Mundhälfte scharf gespannt; eine abwärts verlaufende Falte umgrenzt
das rechte Kinn nach aussen. Die Spannung verräth sich auch der Palpation
und wird besonders deutlich, wenn man je einen Finger in den rechten und linken
Mundwinkel einführt und dieselben nach vorn zu ziehen versucht. Eine Parese
des rechten Facialis ist nicht nachweisbar. Die mimischen, willkürlichen und
unwillkürlichen, Bewegungen sind erhalten, in normalen Grenzen ausführbar, kleine
Differenzen zwanglos aus den abnormen Spannungsverhältnissen herzuleiten.
Längeres Sprechen sowie forcirte Bewegungen in häufiger Wiederholung
verändern nicht den einmal vorhandenen Spannungsgrad der Musculatur und be¬
dingen keine Zunahme des Spannungsgefühls.
Sehr prägnant markirt sich die Hypertonie der Muskeln am rechten Arm
und Schultergürtel.
Der M. sternocleidoraastoideus ist etwas gespannt, in seiner Verlaufsricbtung,
seinen Umrissen kenntlich, die Kopfhaltung dadurch unbeeinflusst. Der rechte
Schultergürtel erscheint in toto etwas herabgesunken, und zwar beträgt die
Niveaudifferenz zwischen beiden Brustwarzen, den akromialen Claviculaenden, den
unteren Scapulawinkeln je 2—3 cm. Die dauernde, mässige Contraction der oberen
Cucullarisportion verkürzt die obere Schlüsselbeingrube, die Anspannung der
Pect orales bedingt naturgemäss schärferes Hervortreten ihrer Contouren.
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Deutliches Zurückbleiben der rechten Thoraxhälfte bei der Athmung. Eine
Annäherung des Oberarms an den Brustkorb hat nicht statt, der mediale Schulter¬
blattrand läuft parallel und in gleichem Abstand von der Wirbelsäule, wie links.
Keine Skoliose.
Die Musculatur des rechten Ober- und Unterarmes erscheint unter gewöhn¬
lichen Verhältnissen — in ausgeruhtem Zustande — im Vergleich zur linken
Seite voluminöser, die Differenz beträgt 1—2 l / 2 cm. Die Muskelcontouren treten
nicht scharf hervor, doch erweist die Palpation das sichere Vorhandensein einer
abnormen Spannung und Consistenzzunabme.
Die gewöhnliche Stellung der Finger erhellt
aus Fig. 1. Der adducirte und im Inter-
phalangealgelenk gebeugte Daumen ruht auf
der Dorsalfläche des dritten Fingers und wird
vom Zeigefinger krampfhaft umschlossen. Die
drei letzten Finger sind stark flectirt, am
wenigsten der kleine, welcher mit seiner Grund¬
phalanx dorsalwärts vorspringt. Durch die
starke und dauernde Flexion im ersten Inter-
phalangealgelenk des kleinen Fingers ist die
Haut darüber etwas verdickt und geröthet. Die
Haut über dem Daumenballen erscheint abnorm
gefaltet; an der Volarfläche des Unterarmes
springt die Sehne des M. flexor carpi radialis
deutlich hervor.
Die Bewegungen im rechten Schulter- und
Ellenbogengelenk sind in normalen Grenzen
und mit guter Kraft ausführbar, eine Parese
ist nicht sicher angedeutet! Die Volarflexion
im Handgelenk erfolgt uneingeschränkt, die ent¬
gegengesetzte Bewegung wird durch die abnorme
Anspannung der Muskeln an der Volarfläche
ein wenig gehemmt. Die Beweglichkeit der
Finger hat erheblich gelitten. Zwar gelingt
,^' e des Armes ist au f f e8 t e r Unterlage vorübergehend die Inne-
geandert, um die Fmgerhaltungsicht- , . , 0 , ,, . . . , ,
bar zu machen; das Tieferstehen des halt ? n g einer normalen Stellung, meist jedoch
rechten Schultergürtels erscheint so persistirt eine geringe Dorsalflexion im ereten
undeutlicher. Interphalangealgelenk des 5. Fingere oder aber
es theilen sich die Finger, indem Daumen und
Zeigefinger radialwärts, die drei letzten nach der ulnaren Seite drängen. Bei
Spreizung in freier Luft geht der Daumen nach einwärts in die Hohlhand, der
Zeigefinger ist gerade gerichtet, der dritte und vierte im Metacarpoph&langeal-
gelenk 8tark flectirt, während im ersten Interphalangealgelenk des kleinen Fingers
eine extreme Dorsalflexion statthat (vgl. Fig. 2).
Der Händedruck ist schwach, doch wird diese Parese wohl in der Haupt¬
sache bedingt durch die für das Functionsoptimum ungünstige Stellung der Finger.
Dafür spricht einmal die Thatsache, dass Patientin mit dem Zeigefinger, dem
einzigen normal gerichteten, schwere Lasten zu tragen im Stande ist, ferner wird
der Händedruck erheblich kräftiger, wenn man die Hand der Kranken durch
Correctur der Fingerhaltung in eine günstige, d. h. normale Ausgangsstellung
bringt, was ohne Schwierigkeit gelingt.
Die passiven Bewegungen in den grossen Gelenken der rechten Oberextremität
sind in normalen Grenzen ausführbar, dabei jedoch erhöhte Widerstünde vor¬
handen. Die Differenz ist der Norm gegenüber gering, sobald es gelingt, die
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389
Aufmerksamkeit der Patientin abzulenken; im entgegengesetzten Falle steigen die
Widerstände an, bleiben jedoch leicht überwindbar.
Aeusserst charakteristisch ist das Verhalten bei der Arbeit! Jede längere
Zeit währende Innehaltung einer Stellung, jede forcirte oder öfters wiederholte
active Bewegung steigert das Spannungsgefühl und verändert die Configuration
des Armes. Versucht Patientin beispielsweise die Haltung der rechten Hand in
freier Luft zu corrigiren — eine anstrengende Aufgabe! —, so verhärten sich
unter dem palpirenden Finger die Armmuskeln zusehends, die Contouren der
Muskeln springen reliefartig hervor, das Frauenhaft-Weiche schwindet. Die am
Humerus inserirenden Brust- bezw. Rückenmuskeln verhärten sich ebenfalls und
drängen das Corset gewaltsam nach unten. Die Musculatur selbst fühlt sich
bretthart an, Patientin hat das Gefühl, „als ob Holzleisten eingespannt seien“.
Eine Bewegungsvorstellung (!) als solche genügt nicht zur Auslösung dieser
Muskelsteifung, ebenso wenig eine einfache, uncomplicirte Bewegung, deren Aus¬
führung keine Anstrengung erfordert. So kann Patientin den Arm abwechselnd
beugen und strecken, zunächst ohne jede Schwierigkeiten, bald aber nimmt die
Fig. 2. Fingerstellung beim Versuche der Extension in freier Luft;
der Daumen ist verdeckt. (Zeichnung nach Photographie.)
Steifigkeit zu, das Spannungsgefühl wächst, die Bewältigung der Aufgabe wird
schwerer und schwerer, Ermüdung tritt ein. Eine kurze Erholung genügt zur
Wiederherstellung der Function, dann beginnt das Spiel von Neuem, das Ruhe-
bedürfniss macht sich häufiger geltend, die Pausen werden länger.
Die Gebrauchsfähigkeit des Armes leidet naturgemäss sehr unter der fehler¬
haften Fingerstellung und den Spannungsparoxysmen der Musculatur. In dem
Colonialwaarengeschäft ihrer Mutter thätig, kann Patientin nur Bekannte oder
Kinder bedienen, die warten wollen bezw. können, muss aber bei etwas flotterem
Betriebe zurücktreten. Gröbere Arbeit verrichtet die Kranke nur mit der linken
Hand, um so bemerkenswerther ist also die Hypertrophie der Musculatur des
rechten Armes. Von feineren Arbeiten geht Häkeln am besten, zumal wenn
Patientin einen Papierknäuel oder Aehnliches in die Hand nimmt und so ein
krampfhaftes Umschliessen und Festhalten der Nadel hindert. Schreiben geht
unter ähnlichen Vorsichtsmaassregeln relativ gut von statten (vgl. Fig. 3), nament¬
lich mit Bleifeder, während das Eintauchen des Federhalters, das dadurch be¬
dingte An- und Absetzen Schwierigkeiten bereitet. Ihren früheren Beruf als
Schneiderin musste Frau K. aufgeben, fertigt allerdings noch ihre eigenen Kleider
an, wobei sie den rechten Aermel stets weiter zuschneidet.
Im Schlafe soll die Spannung fast völlig schwinden, die Fingerhaltung an¬
nähernd normal werden, allein eine Bewegung des Körpers genügt, um den
Daumen in seine Adductionsstellung zurückzuführen. Da diese Adduction genirt,
so sucht Patientin öfters durch Flexion des Zeigefingers den Daumen radialwärts
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zu drängen. Ein längeres Innehalten der natürlichen Hangstellung des Arnes
ruft lästige Spannung hervor, daher wird die Hand meist auf den vorderen oder
hinteren Rockansatz gestützt.
Die Sehnenreflexe am rechten Arme sind nicht gesteigert, die mechanische
Muskelerregbarkeit ist nicht erhöht. Keine spontanen, ruckweisen Lageverände¬
rungen, keine Chorea, keine Athetose.
Die elektrische Erregbarkeit ist für beide Stromesarten vorhanden; Erhöhung
oder Abnahme nicht zu constatiren; die Zuckungen sind prompt, ohne Besonder¬
heiten in Verlauf und Dauer.
Die Musculatur des» rechten Beines ist hypertrophisch — Differenz 1 */, bis
2 cm — und fühlt sich derber an. Die motorische Kraft ist erhalten, eine Parese
sicher nicht nachweisbar. Die passiven Bewegungen lassen sich in normalen
Grenzen aus führen, dabei sind mässig starke Widerstände vorhanden, zum Theil
auf mangelhafte Entspannung zurückzuführen. — Die eigenartige Beeinflussung
der Functionsfähigkeit durch Arbeit, wie sie für die Oberextremität eingehend
geschildert wurde, findet sich nur angedeutet. — Das Steifheits- und Spannungs¬
gefühl im' rechten Beine ist Morgens am Geringsten und nimmt nach dem Auf¬
stehen zu, doch kann Patientin Stunden lang stehen und weitere Touren auf dem
gebirgigen Terrain in der Umgebung Cassels mühelos ausführen. Mit dem rechten
Fusse tritt Frau K. etwas krampfhaft auf, da sie das Gefühl hat, als seien die
Sehnen zu kurz; der Tritt tönt lauter auf festem Boden und diese regelmässige
Folge eines dröhnenden und eines eben nur hörbaren Trittes verleiht dem Gange
etwas Charakteristisches. Schleifen soll erst nach ganz forcirten Anstrengungen
merkbar werden.
Die Patellarreflexe sind beiderseits gleich und von normaler Stärke, ebenso
die Achillessehnenphänomene; kein Klonus.
Beim Streichen der FuBSsohle mit dem Hammerstiele bezw. bei Nadelstichen
erfolgt rechts wie links eine Dorsalflexion des Fusses in toto mit Beugung im
Knie- und Hüftgelenk, rechts gelegentlich nur eine Aufwärtsbeugung der grossen
Zehe. Patientin giebt an, öfters das Andrängen der rechten grossen Zehe gegen
das Schuhleder zu fühlen; auch während der Untersuchung (nicht auf Reflexe!)
trat mehrfach die rechte grosse Zehe plötzlich krampfartig nach oben, die anderen
unter gleichzeitiger Abduction nach unten, während die Stellung des Fusses selbst
annähernd unverändert blieb. Keine weiteren unwillkürlichen Bewegungen.
Elektrische Erregbarkeit normal.
Die rechte Bauchmusculatur ist etwas stärker gespannt, der Baucbdecken-
reflex beiderseits nicht deutlich auszulösen.
Die Sensibilität der rechten (wie linken) Körperhälfte erweist sich bei wieder¬
holter sorgfältiger Prüfung in allen Qualitäten durchaus normal, insbesondere
ist auch der stereognostische Sinn erhalten.
Trophische, vasomotorische und secretorische Störungen fehlen.
Die Prüfung des oculären Apparates ergiebt das Vorhandensein interessanter
Veränderungen. Es besteht eine typische rechtsseitige Hemianopsie ohne hemi-
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opische Papillenstarre, ferner rechts eine deutliche Abblassung der temporalen
Papillenhälfte bei geringer Infiltration und Röthung des nasalen Abschnittes, links
eine noch als physiologisch anzusprechende, letzthin vielleicht etwas zunehmende
Abblassung des temporalen Segmentes.
Geringe Retraction beider Trommelfelle.
Die übrigen Himnerven sind normal (betreffs des Facialis siehe oben), ins¬
besondere besteht keine Trigeminusaffection.
Die epikritische Würdigung sondert zweckgemäss von den
Motilitätsstörungen die oculären Symptome.
Wie schwierig der Nachweis der hemiopischen Pupillenstarre ist, lehrt
u. a. die Thateache, dass ein anerkannt tüchtiger Augenarzt für das Vor¬
handensein der hemiopischen Reaction in dem mitgetheilten Falle mit Sicher¬
heit eintrat, während Herr Prof. Schmidt-Rimpler mit Sicherheit das Fehlen
des Symptomes constatirte. Eine detaillirte Darlegung der Untersuchungsmethoden
kann hier füglich unterbleiben: anerkannt ist in ophthalmologischen und neuro¬
logischen Kreisen, dass grösste Sorgfalt und Vorsicht erforderlich ist, selbst bei
ausgedehnter Erfahrung wiederholte Untersuchungen im Einzelfalle dringend
wünschenswerth sind. Ob diesem berechtigten Verlangen stets Folge gegeben
wurde, lässt sich aus den mitgetheilten Fällen nicht immer ersehen, dürfte aber
für einen Theil, namentlich der älteren Casuistik mit Recht anzuzweifeln sein.
So kommt es, dass über die Häufigkeit des WERNiCKE’schen Zeichens absolut
sichere Daten fehlen: das Vorhandensein desselben anzuzweifeln, heisst aber die
Skepsis zu weit treiben, und Silex dürfte auch mit seiner schroffen Ablehnung
isolirt dastehen. Ein totales Ausbleiben der Pupillenreaction bei Beleuchtung
der blinden Netzhauthälfte ist nach Schmidt-Rimpler extrem selten, da eine
Lichtdiffusion auf die sehenden Retinapartieen kaum zu vermeiden sein dürfte,
dagegen ist bei peripheren Störungen unzweifelhafte Verringerung der Reaction
nicht selten ein wandsfrei nachweisbar. Die Gefahr einer Verwechselung mit
dem „HAAB’schen Rindenreflex der Pupille“ ist gering, sofern man nur den
Einfluss der Aufmerksamkeit und anderer zur Pupillencontraction führender
Reize gebührend beobachtet. Nach dem jetzigen Stande des Wissens spricht
das Vorhandensein der hemiopischen Starre bei frischen Fällen für ein Intact-
sein der Pupillenfasern bis zu den Vierhügeln, doch differiren die Angaben der
Antoren in Einzelheiten, und man wird ein definitiv abschliessendes Urtheil von
weiteren Beobachtungen abhängig machen müssen. Dem Fehlen der hemio¬
pischen Pupillenstarre kommt, das dürfte meines Erachtens sicher sein, eine
l'Kaldiagnostische Bedeutung nicht zu: ich verweise hier besonders auf Uhthoff
und die jüngsten Ausführungen von Salomonson.
Die Augenhintergrundsveränderungen der rechten Seite sind nach Prof.
Schmidt-Rimpleb eventuell der Ausdruck einer allmählich absteigenden Degene¬
ration, fallen aber möglicher Weise noch in die physiologische Broite. Dass bei
langdauernden Hemianopsien Verfärbungen der Papille gelegentlich zur Be¬
obachtung gelangen, ist bekannt. Weitere Untersuchungen dürften in unserem
Falle um so eher angezeigt sein, als die Abblassung der linken temporalen
Papillenhälfte anscheinend, wie erwähnt, in letzter Zeit etwas zugenommen hat.
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892
Entwickelung und Prägung der Motilitätsstörungen entsprechen in den
Hauptzügen dem einleitend geschilderten Bilde der BECHTEREW’schen Hemitonia
apoplectica.
Exquisit ausgeprägt sind der tonische Krampf einer Körperhälfte, seine
Abhängigkeit von psychischen Erregungen und die functionelle Hypertrophie
der afficirten Muskelgruppen, andererseits tritt die Parese im klinischen Bilde
fast völlig zurück, es fehlen eigentliche Contracturen, die „klassische“ Stellung
der Gliedmassen. Somit ist Uebereinstimmung in den wesentlichsten Umrissen
gesichert und die vorhandenen Differenzen in der Detailprägung können an der
Gesammtauffassung nichts ändern. Dieses gilt auch für die eigenartigen, oben
in extenso geschilderten Bewegungsstörungen des rechten Armes bei Frau K. —
In den Originalfällen Bechtebew’s zeigt die Hemitonie zwar Intensitätsschwan¬
kungen, abhängig von äusseren Einflüssen erwähnter Art, bleibt jedoch — im
Wachzustände wenigstens — dauernd vorhanden und mühelos nachweisbar;
die einmal eingenommenen Stellungen der Gliedmaassen sind keine unabänder¬
liche mathematische Grösse, immerhin annähernd fixirt. So heisst es im ersten
Falle: „lm Zustande der gleichen (wie am Arme) tonischen Contraction be¬
finden sich die Muskeln des Oberschenkels, des Unterschenkels und des Fusses;
das Bein ist daher im Knie halb flectirt, der Fuss stark gestreckt, während die
Zehen stark gekrümmt sind. Ausserdem ist der laterale Fussrand empor ge¬
richtet und der Fuss selbst abducirt“, und im Fall II: „Der rechte Arm ist
dauernd emporgehoben, abducirt und nach vorne gerichtet, der Vorderarm
pronirt, die Hand zur Faust geballt, flectirt und abducirt, der Daumen gestreckt
und abducirt.“ Aehnliches Verhalten zeigen in unserem Falle die Muskeln der
rechten Gesichtshälfte, des Schultergürtels und der Hand: es resultiren dauernd
abnorme Stellungen. Nicht so bei der Musculatur des rechten Ober- und
Unterarmes!
Es besteht zwar der Palpation nach auch hier constant eine krankhaft ver¬
mehrte Spannung, im übrigen aber ist die Haltung annähernd frei, nur die
Arbeit lässt die Muskeln in der beschriebenen Weise erstarren. Bei Bechtebew’s
Kranken hat die Hemitonie annähernd den Höhepunkt erreicht, bei Frau K.
das Initialstadium zum Theil nur wenig überschritten: der Unterschied ist nicht
essentiell, nur quantitativ.
Interessant ist bei unserer Patientin der Gegensatz in der Functionsstörung
zur Asthenie, zur THOMSEN’schen Krankheit. Bei der EsB’schen Krankheit
(vergl. Schültze) erfolgt die erste Bewegung mehr oder minder exact, die
nächsten gradatim schwächer und kraftloser, rasch ein tretende Ermüdung
fordert Erholung; bei Thomsen: krampfhafte Bewegungen im Beginn, leichtere
Action bei der Wiederholung. — Es liegt mir ferne, aus der differenten Func¬
tionsstörung weitgehende Schlüsse ziehen zu wollen, schien mir aber nicht ohne
Interesse, darauf hinzuweisen.
Bemerkenswerth ist die fehlende Steigerung der Arm-, Knie- und Achilles¬
sehnenreflexe! Neueren Erfahrungen zufolge stellt ja die Erhöhung der Sehnen¬
reflexe kein unerlässliches Attribut der Muskelhypertonie dar, wie noch anlängst
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393
Stbümpkll in seinen verdienstreichen, zusammenfassenden Ausführungen über
das Verhalten der Haut- und Sehnenreflexe hervorhebt
Die Bedeutung des BABiNSKi’schen Zehenphänomens ist noch nicht end¬
gültig umgrenzt: es stets für den Ausdruck einer Pyramidenbahnläsion d. h.
also einer organischen Nervenerkrankung anzusehen, scheint mir nach dem
Umfange der vorliegenden Untersuchungen verfrüht Man darf nicht vergessen,
dass z. B. das Dogma von der Beweiskraft des Fussclonus wachsender Erfahrung
weichen musste, wenngleich sich noch immer merkwürdiger Weise diesbezügliche
Behauptungen durch einzelne Lehrbücher fortschleppen. Vor zu enger Fassung,
zu starrer Abgrenzung des Hysteriebegriffes sollten auch die Erfahrungen warnen
über die Pupillenstarre im hysterischen Anfalle, über hysterische Augenmuskel¬
lähmungen, Befunde, die wegzuleugnen bequem, aber kaum zulässig ist
Ein kleiner Excurs sei mir gestattet!
Nicht allzu selten begegnet man, auch in maassgebenden ärztlichen Kreisen,
der Anschauung, als seien die französischen Schilderungen der Hysterie gefärbt
und künstlich aufgebauscht. Dieser Vorwurf scheint mir ungerechtfertigt und
nicht zum wenigsten auf Unterschätzung des Einflusses zu beruhen, welchen
der Nationalcharakter auf die Prägung des klinischen Bildes der Hysterie aus¬
zuüben im Stande ist Nur unter diesem Gesichtspunkt kann ich es verstehen,
dass ich unter den polnischen Juden Fälle von schwerster Hysterie, welche der
Salpötriöre alle Ehre gemacht hätten, in einer Menge gesehen habe, wie sie mir
meine späteren Wirkungskreise in sehr verschiedenen Provinzen des Reiches
nicht annähernd zugeführt haben. Dass ich einer kritiklosen Verallgemeinerung
des Hysteriebegriffes nicht das Wort rede, bedarf wohl nicht der Versicherung,
ebenso wenig halte ich es aber für gerechtfertigt, zu starr an Schematen fest¬
zuhalten. Eine erschöpfende Definition des Begriffes „Hysterie“, eine ausreichende
Erklärung der Symptome steht aus, die weitere Forschung wird wohl noch
manche Ueberraschung bringen.
Das Fehlen von Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit kann kein
Interesse beanspruchen. In den Petersburger Fällen bestand auf der erkrankten
Seite eine gewisse Steigerung der faradischen Reaction und bei dem einen
Patienten eine Herabsetzung der galvanischen Erregbarkeit
Das Ausbleiben der Atrophie des knöchernen Skelets kann bei dem relativ
späten Eintritt des Leidens bei Frau K. nicht überraschen.
Die Entwickelung der Hemitonie weist in unserem Falle insofern Sonder¬
heiten auf, als drei Attaquen in grösseren Zwischenräumen einander folgten.
Der erste Anfall unter dem Bilde einer Apoplexie endete nach Kurzem mit
völliger Genesung, die zweite Verschlimmerung begann schleichend und klang
langgam ab, das letzte Aufflackern des Processes geschah gleichfalls allmählich
and führte zu dauernden Herdsymptomen. Die Parese erreichte stärkere Grade
nur bei dem ersten Anfall, während umgekehrt der abnorme Spannungszustand
der Musculatur sich erst im Verlaufe der letzten Krankheitsepoche ausbildete.
Ein ähnliches Verhalten sieht man übrigens auch bei anderen posthemiplegischen
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394
Störungen! So sind nach Monakow die athetotischen Bewegungen um so um¬
fangreicher und energischer, je geringfügiger die Hemiparese ist
Etwas ausführlichere Berücksichtigung verdient die Frage nach der Locali-
sat.ion. v. Bechterew verlegt bei dem Fehlen von Reizsymptomen der moto¬
rischen Rindenbezirke den Sitz der Affection bei der Hemitonie in die Gegend
der grossen Ganglien, bezw. in die Nachbarschaft des hinteren Kapselschenkels.
Hier können die geschlossen zusammenliegenden Pyramidenbahnen leicht durch
einen Krankheitsherd in einen Zustand mehr oder weniger andauernder patho¬
logischer Reizung versetzt werden. Das gleichzeitige Vorhandensein einer
Hemianopsie würde bei unserer Patientin eine ähnliche Loealisationsdiagnose
gestatten, zumal keine besonderen Charaktere der Halbblindheit zu anderen Er¬
wägungen nöthigen. Bereite oben ist dargethan, dass das Fehlen der hemi-
opischen Pupillenstarre keinen Werth für die Localisation beanspruchen kann.
Das DuFOüR’sche Zeichen — „der Tractushemianopiker sieht die fehlenden
Gesichtsfeldtheile schwarz und ist sich der bezüglichen Skotome bewusst“ — ist
nach Monakow unsicher, überdies von Frau K. keine bestimmte Auskunft zu
erlangen. Gesichtshallucinationen wurden zu keiner Krankheitszeit beobachtet.
Der anamnestisch erwähnten Augenmuskellähmung (Abducensparese?) kann ich
bei der Unsicherheit der Angaben einen localdiagnostischen Werth nicht bei¬
messen.
Ein Zusammenhang zwischen den posthemiplegischen Bewegungsstörungen und
dem Sehhügel ist durch die neueren Untersuchungen wahrscheinlich gemacht
worden. Die Details sind unsicher. Monakow lehnt die einfache mechanische
Reizung der Pyramidenfasern als genügende Ursache ab, denkt sich den Zu¬
sammenhang vielmehr so, dass die lieizquelle im Sehhügel und seiner Umgebung
liegt, dass aber zum Zustandekommen der Bewegungsstörungen die Miterregung
der motorischen Rinde und die Vermittelung der Pyramidenbahn erforderlich
sind. Diese Theorie lässt sich ungezwungen auch auf die Verhältnisse bei der
Hemitonia apoplectica an wenden.
Beachtung verdient in ätiologischer Hinsicht der Umstand, dass in den
Fällen Bechtebew’s das Leiden sich zweimal an eine fieberhafte Allgemein-
erkrankung von offenbar infectiösem Charakter anschloss. Bei Frau K. lieferte
die Anamnese keinen Anhaltspunkt zur Aufdeckung der ursächlichen Momente.
Woher die Hämorrhagie — um eine solche handelt es sich meiner Ansicht
nach auch bei unserer Patientin — stammte, blieb unklar. Anzeichen statt¬
gehabter Lues fehlten, und an den inneren Organen fanden sich keine Ver¬
änderungen, die für die Genese bemerkenswerth wären.
Die Therapie (Jodkali, galvanischer Strom) war leider nutzlos. Zur Correctur
der Hand-, bezw. Fingerstellung soll ein Versuch mit Apparaten gemacht
werden, wenn auch ein nennenswerther Erfolg kaum zu erwarten sein dürfte.
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Literatur.
1. v. Bbchtebsw, Hemitonia apoplectica. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XV.
2. Schmidt-Rimplbr, Die Erkrankungen des Auges im Zusammenhang mit anderen
Krankheiten. Nothnagbl’s Handbuch. XXI.
3. v. Monakow. Gehirnpathologie. Nothnaobl's Handbuch. IX.
4. v. Strümpell, Ueber das Verhalten der Haut- und Sehnenreflexe bei Nervenkranken.
Neurolog. Centralbl. 1899.
5. Fa. Schultzb und 0. Gibsk, Zur Lehre Ton der ERB’schen Krankheit (Myasthenia
pseudoparalytica, asthenische Bulbärparalyse). Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XVIII.
[Aus der psychiatrischen Klinik zu Strassburg (Prof. Fübstnee).]
2. Zur optisch-sensorischen Aphasie.
Von Dr. M. Bosenfeld,
I. Assistent der Klinik.
Es handelt sich um einen 23jährigen Bauernburschen, der am 1;/XII. 1900
die Poliklinik wegen Sprachstörung und Erblindung des linken Auges aufsuchte.
Die Anamnese ergiebt, dass Pat. vor 6 Wochen gelegentlich einer Schlägerei
einen schweren Schlag gegen die linke Schädelhälfte erhalten. Er war sofort
nach dem Trauma einige Stunden bewusstlos. Sprachstörung und Sehstörung
fielen sofort auf, als Pat. wieder ganz bei Besinnung war. Die Wunden heilten
in einigen Wochen vollständig.
Stat. praeB: Am Schädel findet sich links im Os parietale eine tiefe Knochen¬
depression. Dieselbe nimmt denjenigen Theil des Os parietale ein, der zwischen
Os occipitale und Os temporale gelegen ist; sie
ist fast kreisrund und hat einen Durchmesser
von 5—6 cm. Das Centrum dieser Delle ist
am tiefsten, etwa 1—2 cm, die Haut über der¬
selben normal und nicht druckempfindlich. Am
Stirnbein findet sich links eine ganz unbedeutende
Knocbenrinne (cf. Zeichnung [nach Haeckel
und Bardeleben]).
Nervensystem: Ganz geringe Facialis-
parese rechts; die rechte Hand bietet objectiv
keine Parese, doch klagt Pat., dass sie sehr
leicht ermüde.
Am linken Auge Netzhautablösung und
Choroidalrisse. Augenmuskeln normal, S = 0;
rechts Sehschärfe normal. Keine Hemianopsie.
Sonst keinerlei Störungen im Bereich der
peripheren Nerven.
Psyche: Pat. ist von Hause aus von nur mittelmässiger Intelligenz. Er
ist gegenwärtig vollkommen orientirt und benimmt sich völlig geordnet. Er
kommt allein in die Klinik zur bestimmten Zeit, Fährt wieder nach Hause u. s. w.
Stimmung gegenwärtig sehr labil. Pat. beklagt si ch darüber, dass er wegen seines
Sprechens für geisteskrank oder für einen Simulanten gehalten wird.
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396
Die Sprachstörung, die an vielfachen Untersuch an gstagen geprüft wurde,
lässt sich folgendermaassen zusammenstellen.
Pat. verfügt über einen recht bedeutenden Wortschatz. Nur hin und wieder
stockt er und lässt ein Wort aus. Diese Worte sind nur Hauptwörter, und zwar
speciell solche, die Concretes bedeuten. Jedoch fehlen keineswegs alle Concreta.
Beispiele: Pat. antwortet auf entsprechende Fragen, die ich aber nicht alle
citiren möchte, wie folgt:
„Ich wohne in Gütolsheim. ... Es wohnen dort ungefähr 200—300 Leute—
Es sind reiche und arme. ... Es giebt Ackerbau, Weizen, Klee, Korn, Wein....
Der Wein wächst am . . .“ (findet das Wort Stock nicht).
Frage: Was macht man im Frühjahr an den Weinstöcken? „Man hat zu
schneiden.“ Was? (Lange Pause.) Dann sagt er: „Holz; ich finde das Wort
nicht.“ Womit schneidet man es ab? Pat. findet das Wort für Scheere oder
Messer nicht, sondern macht nur mit der Hand eine entsprechende Bewegung.
Womit sind sie geschlagen worden? „Ich glaube mit einer . . .“ (findet das
Wort Laterne nicht, deutet aber auf eine neben ihm stehende Laterne).
Folgende Sätze spricht Pat. ganz fliessend: „Vielmals geht es besser, vielmals
schlechter. Ich schwitze viel, das Wasser läuft mir vom Kopf . . . Die Sache
kommt jetzt vor ... Es werden die Zeugen vernommen. Der Kerl ist verurtheilt
worden zu 3 Monaten.“
Pat. braucht im Laufe der Unterhaltung folgende Hauptworte: Platz, Dorf,
Ding, Schmiere, Hirn, Boden, Mutter, Doctor.
Beim Nachsprechen von Substantiven macht Pat. oftmals Fehler. Beispiele:
Fahnenstange: Fahne . . . Fahnenstein.
Tintenfass: Tantenf . . . Tintenfis.
Sonntag: Sonnstag.
Ohr: Uhr.
Beim spontanen Sprechen passiren derartige Fehler nur selten, da Pat. die
Wörter auslässt, die Lippen bewegt, als liege ihm das Wort sozusagen auf der
Zunge. Hierbei ist sehr bemerkenswerth, dass Pat. bei dem Versuch, das Wort
zu finden, namentlich aber beim Nachsprechen, das Wort zuerst vor sich hin
flüstert, Anfangs oft falsch, dann richtig, aber noch ganz leise, dann richtig
und laut.
Pat. hat beim Nachsprechen oftmals nicht die Einsioht, dass er die Worte
falsch nachgesprochen hat, namentlich bei etwas complicirten Worten. Dies geht
auch daraus hervor, dass Pat. absichtlich falsch gebildete und vorgesprochene
Worte nachspricht.
In wie weit eine sensorisch-akustische Aphasie bei dem Pat vorhanden war,
geht aus den citirten Beispielen schon hervor.
Sie beschränkt sich im Wesentlichen darauf, dass Pat. eine Anzahl Haupt¬
wörter nicht auffasst, sondern dieselben ohne Verständniss, eventuell falsch nach¬
spricht. Jedoch ist die Zahl dieser Wörter nicht gross (vgl. unten).
Die sensorisch-akustische Störung war in der ersten Zeit stärker ausgeprägt.
Sie bildete sich sichtlich zurück.
Seelenblindheit fehlte völlig.
Die sensorisch-optische Störung war nun das hervorstechendste Symptom.
Pat. findet für folgende Gegenstände, mit denen er im Uebrigen vollständig
richtig hantirt, nicht das Wort: Nadel, Sand, Streichholz, Seife, Messer, Uhr,
Portemonaie, Handtuch, Stuhl, Tuch, Löschblatt, Kugel, Kette, Glas, Stock, Laterne,
Scheere, Bett.
Richtig benennt Pat: Nase, Ohr, Zähne, Haare, Schnautzbart.
Folgende Einzelheiten sind noch besonders hervorzuheben:
1. Bei einzelnen der eben genannten Worte macht Pat. nach langer Pause
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den Versuch das Wort herauszubringeu. Hierbei macht er Fehler. Statt Nadel
sagt er Nat, statt Handtuch Haswell.
2. Pat. hantirt mit allen Gegenständen vollkommen richtig, ohne jedes Be¬
sinnen.
3. Nennt man das zu dem Gegenstand gehörige Wort, so bezeichnet Pat.
es sofort als das zugehörige, spricht es gleich nach. Einzelne Silben sind dabei
gelegentlich falsch.
Falsche Benennungen der oben aufgeführten Worte weist Pat. zurück.
4. Pat. braucht einzelne Worte, die er vorher nicht für den entsprechenden
Gegenstand hatte finden können, spontan in anderem Zusammenhänge. Z. B.
Uhr, Bett. Er sagt: „Die Sache ist um 11 Uhr passirt. Ich habe 8 Tage zu
Bett gelegen.“
5. Diese optisch-sensorische Störung wird nicht durch andere Sinnesorgane
corrigirt.
Beispiel: Pat. erhält eine Holzkugel mittlerer Grösse in die Hand gelegt,
ohne dass er sie vorher gesehen hat. Er findet das Wort nicht. Bei der Auf¬
forderung den Gegenstand zu gebrauchen, macht er eine Bewegung wie beim Kegeln.
Er lässt die Kugel rollen, schliesslich betrachtet er sie. Er findet das Wort
nicht.
Ist es ein Hut? „Nein.“ Ein Apfel? „Nein.“ Ein Kohlkopf? „Nein.“
Eine Kugel? „Ja.“
Ein anderes Mal findet er das Wort Kugel schon dann, als man ihm das
Wort Kegel vorspricht.
In derselben Weise verlief die Prüfung mit den anderen oben genannten
Gegenständen.
6. Pat. erhält bei geschlossenen Augen eine Kugel aus Holz und einen
Cylinder aus Metall in je eine Hand. Aufgefordert, die Gegenstände zu bezeichnen,
sagt er richtig, das ist Holz und das ist Eisen. Oeffnet Pat. nun die Augen, so
kann er die beiden Gegenstände ihrer Form nach, d. h. als kugeligen, bezw.
cylindrischen Gegenstand nicht benennen.
Versuch mit einer Nadel. Pat. betrachtet dieselbe, nimmt sie in die Hand,
rollt sie zwischen den Fingern. Er kann sie nicht benennen. Als er damit ge¬
stochen wird, ruft er: „Nate.“
7. Nimmt man die Prüfung oftmals mit denselben Gegenständen vor, bo
erlernt Pat. wieder die Fähigkeit, für dieselben das entsprechende Wort zu finden.
Die Worte für Uhr, Messer, Bürste, Nadel kann er nach einigen Wochen sofort
nennen, wenn er sie sieht.
Mittels des Geschmacksinnes findet Pat. (bei geschlossenen Augen) die Worte
Wein, Wasser, Essig, Salz. Das Wort Zucker findet er nicht sogleich. Er sagt
„es ist süss“; dann producirt er den Buchstaben Z . . ., endlich sagt er leise
„Zucker“.
Vollständige Alexie und Agraphie.
Nur seinen Namen malt Pat. auf das Papier. Die einzelnen Buchstaben, die
seinen Namen zusammensetzen, kann er nicht schreiben. Auch nicht nach Dictat.
Dictatschreiben, Spontanschreiben aufgehoben. Nur Zahlen kann Pat. nach Dictat
schreiben; am besten kann er es, wenn man die Reihenfolge der Zahlen einhält.
Legt man Pat. geschriebene oder gedruckte Schrift zum Copiren vor, so malt er
dieselbe ganz ohne Verständniss ab. Dafür spricht die Beobachtung, dass Pat.
unter deutschen Buchstaben auch griechische copirt und die Handschrift dessen,
der ihm die Worte vorschreibt, scheinbar imitirt.
Hält man Pat. ein Buch umgekehrt vor, so kehrt er es sofort um, ist aber
nicht im Stande auch nur ein Wort oder einen Buchstaben zu lesen (weder laut
noch leise).
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^// / ff ?S// #f9 f* 200
Nur Zahlen kann er lesen. Bei der Aussprache macht er Fehler.
Z. B. 1900: „einzelnhundert“; 26: „Bechsundzweisig“.
Farben unterscheidet Pat., doch benennt er sie falsch.
Beispiele; roth nennt er „braun“ — blau „schwarz“ — weiss „Papier
weise“ — grün „grau“ Nein gelb! Pat. spricht das Wort gelb nach. Ist das
gelb? „Ja.“ Nein, es ist grün! „Ja grün, nicht gelb.“
R6sum6 der apbasischen Störung: Keine motorische Aphasie; sensorisch-
akustische Störung nur angedeutet, namentlich unmittelbar nach dem Trauma;
sensorisch-optische Aphasie; sogenannte tactile Aphasie; keine Seelenblindheit;
keine Hemianopsie; Alexie, Agraphie.
Die fehlende Section des Falles 1 verbietet es natürlich, einen sicheren
Schluss auf die Localisation dieser Störung zu machen. Immerhin giebt uns
aber die grosse Knochendelle einen Anhaltspunkt dafür, wo wir die Hauptläsion
der Gehirnsubstanz anzunehmen haben. Unter dieser Voraussetzung muss die
Läsion den untersten Theil des Lobus parietaiis inferior, den hintersten Theil
der I. Temporalwindung einnehmen, nach oben bis zum Gyrus marginalis, nach
hinten unten bis zum Gyrus angularis sich ausdehnen. Dies die ungefähre
Localisation. Ob dieses die einzige Stelle des Gehirnes ist, die verletzt wurde,
ist immerhin fraglich, da Netzhautablösung und Chorioidalrinne dafür sprechen,
dass das Trauma auch an anderen Stellen mitgewirkt hat
Die Läsion des Gehirnes fällt also aller Wahrscheinlichkeit nach in jenes
Gebiet, in welches nach Natjnyn 40°/ 0 der sog. unbestimmten Aphasieen zu
localisiren sind. Naunyn 1 hob schon damals hervor, dass die Form der Aphasie,
1 Pat. erfreut sich, abgesehen von unangenehmen Sensationen im Kopfe, einer sehr
gnten Gesundheit und ist in seine Heimath zurückgekehrt.
1 Verhandlungen des Congresses für interne Medicin. 1887.
Google
899
irelche eintritt, wenn die Windung Webnicke’s oder die von Naunyn abge¬
grenzte Begion lädirt wird, die der sensorischen ist, in dem Sinne, wie Webnicke
es beschrieben hat Die eine Hauptform dieser sensorischen Aphasie ist die
akustische Form oder die Aphasie mit Worttaubheit; die andere ist die optische
Form der sensorischen Aphasie oder die Aphasie mit Wortblindheit
Freund 1 knüpfte an diese Arbeit Naunyn’s an und stellte seine bekannte
optische Aphasie auf. Die Zugehörigkeit meines Falles zu dieser Gruppe ist zu
erörtern.
Die Definition 2 der sog. optischen Aphasie ist bekanntlich die, dass die Kranken
trotz genügender Sehschärfe und Ordnung ihrer Gedanken Gegenstände des täg¬
lichen Lebens, die sie betrachten, zwar richtig erkennen, aber nicht benennen
können, dass ihnen dies aber gelingt, wenn sie andere Sinnesorgane zu Hülfe
nehmen, z. B. den Tastsinn. Ferner ist bei dieser Störung eine Art Paraphasie
beobachtet worden. Die Kranken nennen für die ihnen vorgehalteuen Gegen¬
stände falsche oder ähnliche Worte ohne sich dessen ganz bewusst zu sein, dass
sie etwas Falsches gesagt haben. Die optische Aphasie tritt selten oder nie
isolirt auf, sondern ist wie die Wortblindheit verknüpft mit Hemianopsie oder
tfemiamblyopie oder mit Seelenblindheit
In den acht FBEUND’schen 8 Fällen, auf welche sich die Charakterisirung
dieser Form gründet, wurde 5 Mal Seelenblindheit beobachtet; in einem Falle
trat dieselbe erst gegen das Ende hin zu den anderen Symptomen hinzu. In
fast allen Fällen war rechtsseitige Hemianopsie vorhanden. Die Lese- und
Schreibstörung war nicht in allen Fällen genügend beobachtet. In dem Falle I
(Freund) bestand corticale oder optische Alexie.
Die Sprachstörung war in allen Fällen in mehr oder weniger deutliche
Beziehung zu der Sehstörung zu bringen. „Sie machte sich nur im Finden
ron Hauptwörtern und beim Benennen vorgezeigter Gegenstände bemerkbar.“
Freund legt nun bei der Besprechung seines ersten Falles ganz besonderen
Werth darauf, dass Patient Gegenstände, die er bei optischer Prüfung nicht
benennen kann, sofort richtig bezeichnet, wenn er die Gegenstände betastet
£r bezeichnet dieses Symptom als einen Hauptunterstützungspunkt für die
Diagnosenstellung auf optische Aphasie. Es liegt dieser Ansicht Freund’s die
Anschauung Wernicke’s über die Beziehungen zwischen Begriff und Wort zu
Grunde, nach welcher der Begriff des Gegenstandes sich zusammensetzt aus
einer Anzahl Von Componenten, d. h. Erinnerungsbildern der verschiedenen Sinnes¬
gebiete. „Die Erregung jedes einzelnen Erinnerungsbildes theilt sich den anderen
ies Begriffes mit“ Der Wortbegriff kann von den verschiedenen Stellen dieser
Associationsstelle aus flott gemacht werden.
Freund fasst also seinen Fall so auf, dass die Begriffe, für die der Name
sich einstellen soll, hinsichtlich der optischen Bestandtheile mangelhaft ist Die
1 Archiv f. Psych. XX.
1 Citirt nach Monakow, Gehirnpathologie. 1897.
* Drei «lavon eigene Beobachtungen Fbbund’s.
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400
Folge davon ist, dass sich nicht die zutreffenden oder überhaupt keine Aus¬
drücke für die betreffenden Begriffe einstellen. Intact sind seiner Meinung nach
jedoch die in anderen Sinnesregionen deponirten Erinnerungsbilder, wie auch ihre
Associationsbahnen, so namentlich die zum Sprachcentrum.
In einem Cardinalsymptom stammt nun mein Fall vollkommen mit den
FnEüND’schen Fällen überein. Patient erkannte die Gegenstände vollkommen,
hantirte mit allen vollkommen richtig. Die Wörter für diese Concreta fand
er nicht.
Es fehlte in meinem Falle aber Seelenblindheit, Hemianopsie und ferner
die Fähigkeit, durch Zuhülfenahme anderer Sinnesorgane, wie z. B. des Tast¬
sinnes, die Wortklangbilder zu finden und zu produciren. Das Fehlen der Seelen¬
blindheit und der Hemianopsieen kann wohl dadurch erklärt werden, dass aller
Voraussicht nach der Occipitallappen nicht in hervorragendem Maasse von der
Läsion betroffen gewesen sein kann (cf. oben).
In den von Fbeünd citirten Fällen sassen die Läsionen zumeist im Occi¬
pitallappen. Nur im II. Falle Fbeund’s fand sich ein grosser Erweichungsherd
in beiden Schläfenlappen. In allen Fällen war die Zerstörung sehr ausgedehnt,
Rinde und Mark meist zusammen betroffen. Eine sehr ausgedehnte Zerstörung
in meinem Falle anzunehmen, ist nach dem Krankheitsverlauf und dem gegen¬
wärtigen Befunde am Schädel nicht angezeigt. Ganz abweichend vcn den Fällen
Fbeünd’s erscheint mein Fall nun dadurch, dass Patient die fehlenden akusti¬
schen Wortbilder für eine Anzahl concreter Gegenstände von keinem anderen
Sinnesorgane aus flott machen konnte. Nur wenn Patient das Wort hörte, er¬
kannte er es sofort, konnte es nachsprechen, für einige Zeit oder sogar dauernd
behalten. Bei einzelnen dieser concreten Dinge machte sich aber eine akustisch
sensorische Störung und eine besondere Art von Paraphasie bemerkbar, wie ich
das oben schon durch Beispiele gezeigt habe. Dass Patient die betreffenden
Worte oft mehrmals leise vor sich hin flüstert, ist wohl so zu erklären, dass
Patient durch Zuhülfenahme des Wortklangbildes 'die Richtigkeit des betreffenden
Wortbildes controliren will, was ihm aber nicht immer gelingt.
ln meinem Falle ist also die Störung nicht als reine optisohe Aphasie im
Sinne Fbeünd’s aufzufassen. Man muss annehmen, dass ausser den optischen
Componenten der genannten Begriffe auch die Bahnen, die andere Sinnesregionen
mit den Wortklangbildern verbinden, zerstört sind.
Stellt man sich nun aus den Krankengeschichten oben genannter Fälle die
Angaben darüber zusammen, welche Gegenstände durch Zuhülfenahme des Tast¬
sinnes erkannt wurden, so ergiebt sich ein bemerkenswerthes Resultat.
Im Falle Nr. I Fbeund’s heisst es: Gegenstände, die ihm bei geschlossenen
Augen in die Hände gegeben werden, bezeichnet er schnell und sofort richtig,
z. B. Pfropfen, Geldstücke, Metallstücke. Streichholzschachtel und Seife erkennt
er schon beim Betrachten allein.
Im Falle Bebnheim 1 erkennt Patient einen Schlüssel auch dann nicht,
1 Citirt nach Freund, L. c.
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401
wenn er ihn in die Hand nimmt. Im Falle Reinhardt 1 heisst es aber:
Taschenmesser, Schlüssel, Zündhölzchen nennt er alle drei Federhalter. „Von
diesen drei Objecten kann er auch mit Zohülfenahme des Tastsinnes (Hände)
weder den Namen noch den Gebrauch herausfinden.“
Eine Arzeneiflasche nennt er Stempel. Als er sie in die Hand nimmt,
sagt er „Glas“. Eine Cigarre erkennt er weder mit dem Gesioht, noch mit
Zohülfenahme des Tastsinnes. Erst als sie angezündet wird, sagt er „Cigarre“.
Einen wollenen Lappen nennt er zunächst Handschuh, als er ihn anfühlt, nennt
er ihn richtig. Einen Knäuel Wolle nennt er nach Betasten Baumwolle.
Bei zwei Paralytikern beschreibt Stengeb* Folgendes: „Die gesehenen
Gegenstände erzeugen keine Gemüthseindrücke wie beim Gesunden. Erst wenn
er sich vermittels des Gefühles über ihre Art und Beschaffenheit orientirt hat,
zeigt er die entsprechende Handlungsweise. Feuer, Wein, Nadel u. s. w. erkennt
er erst, wenn er die Gefühlssinne zur Hülfe nimmt“ „Einen Schuh, den Patient
verloren hat, ergreift er nicht, obwohl er vor ihm liegt; erst als er ihn mit den
Händen erfasst hat, erkannte er ihn und zog ihn an“ (das Wort Schuh hat der
Patient wohl nicht genannt).
In meinem Falle kannte Patient die oben aufgeführten zahlreichen Dinge
(cf. oben) auch mit Zuhülfenahme des Tastsinnes nicht Beim Berühren
einer Fensterscheibe sagt er Glas. Patient benennt Holz- und Metallstücke,
Wasser richtig. Die Uhr benennt Patient sofort, wenn er dieselbe ticken hört,
nicht bei Berührung. Die Worte Salz und Essig findet Patient sofort, wenn er
dieselben schmeckt Das Wort Zucker dagegen findet er nur mühsam.
Die in diesen Fällen angeführten concreten Begriffe, die durch Zuhülfenahme
des Tastsinnes benannt, bezw. nicht benannt werden konnten, erscheinen mir
nicht gleichwertig zu sein in Bezug auf die zu ihrer Identificirung nothwendigen
Empfindungsqualitäten. Die Identificirung eines Stückes Metall oder Glas, von
Pfropfen, Baumwolle, Wasser, Feuer u. s. w. durch die Geftthlssinne ist kein
Vorgang, welcher der Identificirung eines Messers, Schlüssels, Bürste, Zündhölzer
durch den Tastsinn gleichzusetzen ist. Bei jenen handelt es sich um einfache
Tastqualitäten; dieselben genügen vollständig zur Identificirung. Bei diesen muss
der Prüfende sich nooh durch Abtasten der Gegenstände ein Urtheil über die
Form, Ausdehnung u. s. w. bilden. Auf diesem Wege reproducirt er sich ge-
wiseer maa88 en das optische Erinnerungsbild des Gegenstandes und findet so das
Wortbild. Diese letztere Gruppe von Concreten tonnte der Patient in meinem
Falle nicht unter Zuhülfenahme des Tastsinnes benennen. Das gelang ihm bei
den Gegenständen der ersten Gruppe.
Dasselbe trifft für den Fall Reinhardt zu. Freund erwähnt bereits, dass
in diesem Falle nur ein Theil der Gegenstände durch den Tastsinn erkannt und
benannt werden konnte. Wenn Stenger seinen Versuch mit der Nadel so
anstellt, dass er den Patienten, der die Nadel nicht benennen konnte, wenn er
1 Archiv f. Psych. XVHL
* Archiv f. Pcych. XIII.
26
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402
sie sah oder anfühlte, stach und nun der Patient sofort das Wort Nadel rief,
so beweist der Versuch nur so viel, dass der stechende Schmerz das Wortbild
„Nadel“ flott machte, nioht aber, dass das Tastbild der Nadel das Wortklang¬
bild auslösche. Ebenso ist auch der Versuch mit dem Feuer aufzufassen. Mein
Kranker bekam eine Kugel aus Holz und einen Cylinder ans Metall in die
Hände gelegt Er sagte auch bei geschlossenen Augen: das ist Holz und das
ist Eisen. Die Worte Kugel und Cylinder findet er auf keinem Wege.
Im Falle Reinhardt betrachtet Patient eine Arzeneiflasche. Er kann sie
nioht benennen. Als er sie berührt, sagt er „Glas“. Messer, Schlüssel, Zünd¬
hölzer nennt er aber alle drei Feder; auoh nach Betasten.
Diese Beispiele sprechen doch dafür, dass bei reinen Fällen optisch-senso¬
rische Aphasie, auch eine sog. tactile Aphasie auftreten kann in dem Sinne,
dass alle diejenigen conoreten Begriffe, bei deren Identifioirung optische Erinne¬
rungsbilder die Hauptrolle spielen, bei deren Erlernung wohl schon das optische
Bild das Wesentliche war, mit Zuhülfenahme des Tastsinnes nicht benannt
werden können. Ob dies die Regel ist, kann man aus den oben angeführten
Fällen nicht bestimmt ableiten, weil die Angaben der Krankengeschichten über
diesen Punkt meist nicht detaillirt genug sind.
Jedenfalls muss man bei der Prüfung optisoh-sensorischer Aphasischer auf
ihren Tastsinn mehr darauf achten, ob zu der Identificirung der verschiedenen
Gegenstände durch die Tactilität einfache Qualitäten dieses Sinnes genügen,
oder ob mehr räumliche, bezw. optische Vorstellungen durch den Tastsinn in
Bewegung gesetzt werden müssen, um zu der Identificirung des Gegenstandes,
zum Finden des Wortbildes zu gelangen.
n. Referate.
Anatomie.
1) Ueber die Histogenese des peripheren Nervensystems bei Salmo salar,
von Dr. phil. Ross Granville Harrison. (Archiv f. mikroskop. Anatomie.
1901. LVII. S. 364.)
Eine sehr ausführliche und genaue, durch zahlreiche Figuren illustrirte
Arbeit, die im Bonner anatomischen Institut entstanden ist. Verf. hat sich der
in der Embryologie gebräuchlichen gewöhnlichen Färbungsmethoden bedient. Von
den zahlreichen Ergebnissen der Arbeit mögen hier nur die principiell wichtigsten,
nämlich diejenigen, die sich auf die Bildungsweise der Nervenfasern beziehen,
hervorgehoben werden. Bekanntlich spielt in Ap&thy’s Lehre die durchaus nur
hypothetisch aufgestellte Anschauung eine grosse Rolle, dass die Nervenfasern
aus der Verschmelzung von longitudinal an einander gereihten Zellen („Nerven¬
zellen“) hervorgehen. Verf. erklärt gleich am Anfänge seiner Arbeit, dass seine
Befunde dieser Hypothese nicht günstig sind, dass er sich vielmehr vollkommen
von der Richtigkeit der älteren, His'sehen Anschauung überzeugen konnte. „Alle
Befunde sprechen beim Lachsembryo für die Lehre, dass jede Nervenfaser von
einer einzigen Zelle auswächst. Nichts habe ich finden können, was die Zell-
y Google
403
kettentheorie unterstützt.“ Die motorisohen Wurzeln der Spinalnerven entstehen
in der Weise, dass die Fortsätze von Neuroblasten, die in der ventralen Hälfte
des Rückenmarks liegen, die äussere Grenzmembran durchbrechen und weiter
wachsen. Bald nach dem Erscheinen der Wurzelfasern gelangen die ersten
Mesenchymzellen in die Gegend der Austrittsstelle des Nerven und lagern sich
in dichter Anordnung den jungen Nervenfasern an. Durch dieses Bild sind Bal-
four, Dohm, Hoffmann u. A. verleitet worden, die motorischen Spinalnerven
aus zelligen Auswüchsen des Medullarrohres entstehen zu lassen. Das Irrthiim-
liche dieser Auffassung wird klar, wenn man weise, dass die motorischen Fasern
schon vorhanden sind, ehe überhaupt lose Zellen in der Gegend der Austritts-
Stelle anzutreffen sind. Ueberdies lässt sich durch die Verfolgung der successiven
Entwickelungsstufen nachweisen, dass jene Zellhaufen allmählich vom Ursegment
her gegen den Uedullarstrang heraufwachsen, nicht aber aus diesem hervorgehen.
— Erst längere Zeit, nachdem die motorischen Nerven entwickelt sind, scheinen
einzelne Zellen aus dem Rückenmarke an jedem Nerven entlang herauszuwachsen.
Diese Zellen lassen sich aber keineswegs für die Zellkettentheorie verwerthen,
sondern haben eine ganz andere Bedeutung: sie wandern bis an die sympathischen
Ganglien heran und gesellen sich deren Zellen als motorische Elemente zu. —
In principiell ähnlicher Weise geht die Bildung der Strangfasern vor sich. —
Die hinteren Wurzeln entstehen nicht im Rückenmarke, sondern sind Producte
der Spinalganglienzellen. Diese bleiben eine geraume Zeit undifferenzirt, dann
bilden sie sich in bipolare Zellen um. Der eine Fortsatz wächst gegen das
Rückenmark zu, durchbricht die äussere Grenzmembran und verliert sich im
Hinterstrang, der andere Fortsatz schreitet in seinem Wachsthum nach der Peri¬
pherie hin. Die Anschauung, dass die erste Anlage der hinteren Wurzel durch
eine Zellkette dargestellt wird, die die Ganglienanlage mit dem Marke verbindet,
ist unrichtig. Die Ganglienanlagen sind von dem Medullarrohre Anfangs voll¬
kommen abgetrennt. Erst nach dem Verlauf von Tagen entstehen die eigent¬
lichen Nervenwurzeln, die sich nicht als Zellketten, sondern als kernlose Fasern
prasentiren. — Somit bilden die Erfahrungen des Verf.’s, ebenso wie die kürzlich
veröffentlichten analogen Beobachtungen von Gurwitsch, nach jeder Richtung
hin eine glänzende Bestätigung der von His begründeten Anschauungen über die
Histiogenese der Nervenelemente, derjenigen Anschauungen, die zu den Grund¬
lagen der in letzter Zeit so vielfach angefeindeten Neuronenlehre gehören. Viel¬
leicht geben diese Befände doch manchem zu denken, der die Neuronenlehre schon
für abgethan hält. M. v. Lenliossek (Budapest).
Experimentelle Physiologie.
2) Physiologische Differenzirung verschiedener Mechanismen des Rücken¬
markes (physiologische Wirkung des Strychnins and der Carbolsäure),
von S. Baglioni. (Archiv f. Anat. u. Phys. 1900. Phys. Abth. Suppl.-Bd.
S. 193.)
Die meisten Versuche wurden an Fröschen und Meerschweinchen angestellt.
Die Carbolsäure wurde theils subcutan injicirt, theils direct auf das Rücken¬
mark applicirt (2 °/ 0 Lösung). Verf. schliesst aus seinen Versuchen, dass die
Carbolsäure in schwachen Lösungen die Erregbarkeit der Vorderhornzellen steigert
und dadurch die Bedingungen für klonische Zuckungen herstellt; das wirkliche
Auftreten der letzteren ist von cerebralen Impulsen abhängig. Die „sensiblen
Mechanismen der Hinterhörner“ werden nicht wahrnehmbar afficirt. Das Strychnin
soll amgekehrt nur die Erregbarkeit der sensiblen Mechanismen steigern, hingegen
selbst in stärksten Lösungen die Vorderhörner nicht nachweisbar afficiren. Die
26*
y Google
tetanischen Strychninkrämpfe entstehen daroh die Erregbarkeitssteigerung der
sensiblen Mechanismen. Sie werden primär ausgelöst durch einen beliebigen
kurzen Hautreiz und secundär lange Zeit unterhalten durch die bei der Con-
traction der Muskeln entstehende Beizung der sensiblen Nervenenden in Sehnen,
Gelenken u. s. w.
In einem Anhang sucht Verf. nachzuweisen, dass „fibrilläre Zuckungen“ durch
ungleichzeitige Beizung mehrerer, nicht direct zusammenhängender centraler oder
peripherer Elemente zu Stande kommen. Nach Zerstörung der Vorderhörner
lassen sie sich bei dem Frosch nicht mehr hervorrufen (Frosohversuche).
Th. Ziehen.
3) Ar solsting en verkan af ultraviolette str&lorP af Magnus Möller.
(Hygiea. 1900. XXII. S. 8.)
Bei Bestrahlung von Kaninchenohren mit ultravioletten Strahlen hatte Verf.
gefunden, dass nicht bloss an der direct bestrahlten, sondern auch an der gegen*
über liegen den Hautfläche Gewebsveränderungen auftraten. Um zu untersuchen, ob
diese Strahlen eine grössere Femwirkung haben und einen Einfluss auf die Ent¬
stehung des Sonnenstichs ausüben können, setzte Verf. Kaninchen und Meer¬
schweinchen der Einwirkung von chemischen Strahlen und Hitzestrahlen zugleich
oder von chemischen Strahlen allein aus. Es ergab sich bei diesen Versuchen,
dass bei gleichzeitiger Einwirkung von chemischen Strahlen und Wärmestrahlen
(50—*05°) mehr oder weniger intensive Störungen des centralen Nervensystems
bis zu plötzlichem Tod eintraten, während die centrale Störung ausblieb, wenn
die Bestrahlung nur mit ultravioletten Strahlen allein geschah, so dass diese
Strahlen keine grössere Tiefewirkung besitzen oder wenigstens in grösserer Tiefe
unter der Haut keine schädliche Wirkung entfalten. Bei der vermehrten Blut¬
füllung der Haut, die durch die ultravioletten Strahlen (stärker und schneller
aber durch die Wärmestrahlen) erzeugt wird, werden die ultravioletten Strahlen
durch den rothen Farbstoff des Blutes paralysirt und die tiefer liegenden Theile
gegen ihre Einwirkung geschützt; in derselben Weise wirkt auch die Trübung
und Hyperplasie (Parakeratose) der Epidermis, die Verf. bei seinen histologischen
Untersuchungen constant als Folge der Einwirkung der ultravioletten Strahlen
beobachtet hat, wie auch die durch sie hervorgerufene Pigmentation. Die
Störungen des centralen Nervensystems, die man als Sonnenstich bezeichnet,
können nach des Verf.’s Versuchen nicht durch die ultravioletten Strahlen hervor¬
gerufen werden, sondern sie sind wahrscheinlich durch die Wärmestrahlen bedingt.
Walter Berger (Leipzig).
Pathologische Anatomie.
4) Een seldzoom geval van Polydaotylle, af Prof. Wertheim Salomonson.
(Ned. Tijdschr. voor Geneesk. 1900. S. 650.)
Verf. berichtet einen in der Litteratur noch nicht beschriebenen Fall von
Polydaktylie, welcher in der Klinik in Amsterdam zur Beobachtung kam.
Bei Untersuchung mit X-Strahlen liess sich feststellen, dass die zwei Grund¬
phalangen des linken Daumens jeder eine eigene Diaphyse, dass sie aber eine
gemeinschaftliche Epiphyse besitzen. Diese ist viel breiter als eine normale und
zeigt sich wie eine ovale Scheibe mit einer Erhöhung in der Mitte. So werden
zwei Facetten geformt, von denen jede eine Diaphyse trägt. Auch die beiden
Diaphysen sind noch theilweise knorpelig verbunden. Verf. ist der Ansicht, dass
dieser Befund grosses theoretisches Interesse für die Fälle von Polydaktylie hat,
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in denen sich eine Phalanx scheinbar ganz unmotivirt in zwei Theile getheilt hat und
diese am unteren Ende durch Knochen verbunden Bind. Aus der Radiographie
lässt sich hier aber nichts ersehen, was auf eine Vereinigung aus zwei Hälften
hindeutet TenCate (Rotterdam).
Pathologie des Nervensystems.
5) Ueber die Pathogenese der Eklampsie, von Prof W. Stroganoff. Aus
dem kaiserl. klinischen Hebammen-Institut in St. Petersburg. (Zeitschr. f.
klin. Medicin. XXXIX. S. 503.)
Indem Verf. die einzelnen über die Ursaohe der Eklampsie aufgestellten
Theorieen kritisch und ausführlich bespricht, kommt er zu dem Sohlusse, dass
seiner Ansicht nach die Eklampsie eine acute Infectionskrankheit sei, welche
durch ein flüchtiges Contagium verursacht würde. Dieses Contagium soll ge¬
wöhnlich durch die Lungen in den Organismus der Frau eindringen. Der Krank-
heitekeim besässe nur schwache Virulenz und fände hei einigen Frauen am Ende
der Schwangerschaft, während des Geburtsaktes und in der ersten Zeit des Puer¬
periums günstige Bedingungen zu seiner Entwickelung. Das Contagium könne
auf den Fötus übergehen und in solchem Falle selbstverständlich Knaben und
Mädchen in gleicher Weise ergreifen. Der Krankheitskeim dieser Erkrankung
besasse grosse Widerstandsfähigkeit und behielte seine Virulenz in Kranken¬
häusern etwa 3 Wochen inne. Die Inoubationszeit wäre von verhältnissmässig
kurzer Dauer, gewöhnlich 3—20 Stunden.
Da die Eklampsie eine Infectionskrankheit vorstelle, deren Ansteckungs-
fahigkeit nioht anerkannt sei, käme sie vorherrschend in Geburtshäusern vor und
befiele in denselben gewöhnlich gesunde Frauen. Besonders dazu angelegt seien
die Erstgebärenden, die Doppelschwangeren und diejenigen mit kranken Nieren.
Die zunehmende Häufigkeit der Erkrankung sei die Folge der Dichtigkeit der
Bevölkerung und der UeberfÜllung der Krankenhäuser.
Jaoobsohn (Berlin).
6) Rapporto tra aooessi epilettioi ed autointossioazlone, per Prof. L. Ron-
coroni. (Archivio di Psichiatria. 1900. XXI.)
Die Hypothese der Autointoxication als Ursache der epileptischen Anfälle
hat neuerdings eine grosse Zahl experimenteller Arbeiten über die Giftigkeit des
Grins, Blutes, Darmsaftes und Schweisses gezeitigt, die ganz auffallend wider¬
sprechende Resultate geliefert und nebenbei eine ganz unberechenbar verschiedene
Widerstandsfähigkeit der Thiere auf bez. Einspritzungen ergeben haben. Verf.
arbeitete mit frischem, filtrirtem, nicht erhitztem Harn von saurer Reaction und
Temperatur des Versuchsthiers, der weder eingeengt, noch verdünnt wurde, um
eine Veränderung seiner chemischen und biologischen Eigenschaften zu vermeiden.
Auch von der Ferrannini’sehen Methode, das Quantum des zu injicirenden
Urins seiner Dichte entsprechend zu variiren, wurde kein Gebrauch gemacht, weil
specifisches Gewicht und Menge toxischer Stoffe in keinerlei constantem Verhältnis
stehen, vielmehr wurde bei jedem Versuch jedem Meerschweinchen die gleiche
Menge, nämlich 25 ccm, eingespritzt. Veneninfosion wurde als imgeeignet ver¬
worfen, weil die rapide Steigerung des Blutdruckes die Ergebnisse mancher
früheren Experimentatoren heillos gestört hat. Auch die Injection in die Peri¬
tonealhöhle hat ihre Fehlerquellen, einmal in der ungleichen Resorptionstähigkeit
derselben bei Individuen der gleichen Species und in verschiedenen Verdauungs¬
phasen und Anfüllungszuständen des Darmoanals, und zweitens in der Empfind-
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406
lichkeit des einzelnen Thieres. Deshalb wurde hauptsächlich die subcutane Ein¬
verleibung in Anwendung gebracht und zwecks Steigerung des resorptiven Effectes
an mehreren Körperstellen gleichzeitig vertheilt ausgeführt. Der Harn von
15 epileptischen Männern mit schwerer Krankheitsform wurde wenige Stunden
nach dem Anfall und bei manchen auch im Intervall aufgefangen und mit Rück¬
sicht auf die individuelle Reactionsvariante immer zwei Meerschweinchen zugleich
in der obigen Weise beigebracht. Bei negativem Ausfall des Versuches wurde
er manchmal, bei positiv toxischem Ergebniss immer und mindestens an zwei
Thieren wiederholt; für jeden Kranken kamen andere Thiere zur Verwendung, und
zu den jedes Mal gleichzeitigen Controlversuchen gaben 5 normale Menschen
den Urin her. Die Wirkungen subcutan einverleibten normalen Harns waren
immer nur leichte Depression, Schreckhaftigkeit, schwache Reaction auf Reize für
2—5 Stunden. Bei intraperitonealer Application desselben ergab sich bei 5 Ver¬
suchen Temperaturabfall und schwerere Abgeschlagenheit, die 4 Mal im Verlauf
von 4—12 Stunden wieder zur Ausgleichung gelangten und 1 Mal innerhalb
1 / l Stunde zum Tode führten. Derselbe Urin aber hatte bei einer zweiten Injection
in die Bauchhöhle eines Meerschweinchens Genesung nach 4 Stunden zur Folge.
Mithin ist, wenn in diesem Falle der Tod erfolgt, er nicht specifisoh die Folge
von einverleibtem Urin des Epileptischen. In vielen Fällen bleibt vielmehr das
Thier am Leben, wenn es Urin resorbirt hat, der aus der postepileptischen Phase
stammt. Ausserdem aber sind die Erscheinungen, welohe peritoneale und sub¬
cutane Injectionen hervorrufen, durchaus nicht qualitativ von denen, welche von
normalem Urin bewirkt werden, verschieden. Convulsionen kamen niemals vor.
Wenn derselbe Urin in einem Falle den Tod, in einem anderen nur flüchtige
Symptome zur Folge hat, bo ist klar, dass die Schwere der Phänomene nicht so
sehr auf der Toxicität des Harns, als auf einer individuellen Disposition des
Thieres beruht. Dieser Schluss wird zuweilen noch durch den Obductionsbefund
erhärtet, dass ein grosser Theil der injicirten Flüssigkeit unresorbirt ge¬
blieben ist.
Die Giftigkeit des Urins ist nur in wenigen Fällen wirklich vermehrt, speciell
bei einem Epileptischen, von dessen intraperitoneal einverleibtem Harn 3 Thiere
starben und eines sehr schwer afficirt wurde; meistens aber ist der Urin der
Epileptischen nicht giftiger als Gesunder und bedingt die Herkunft aus der poet¬
epileptischen bezw. intermediären Periode keine Unterschiede. Das gilt sowohl
für die intraperitoneale als subcutane Application. — Aber auch wo die Toxicität
nachweislich gesteigert ist, wird die Frage, ob sie als Ursache der Anfälle zu
denken ist, wenig Aussicht auf eine Lösung in positivem Sinne gewinnen, so
lange diö Beziehungen des toxischen Harns und Blutes zu den Anfällen noch so
discutabel und die Giftstoffe selbst noch nicht rein erhältlioh sind. Zur Zeit
lautet das Ergebniss: Die Autointoxicationen sind nur eine von den vielen inter-
minirenden Ursachen, welche, auf ein durch erbliche oder erworbene Schäden prä-
disponirtes Individuum einwirkend, das Auftreten von epileptischen Anfällen be¬
dingen. Schmidt (Freiburg i/SchL).
7) Valeur de la flövre typhoide dans l’ötiologie de l’öpilepsie, par M. Dide.
(Revue de mädecine. 1899. S. 150.)
Unter 120 Fällen von Epilepsie fanden sich sieben, bei denen ein voraus¬
gehender Abdominaltyphus von ursächlicher Bedeutung zu sein schien. In drei
dieser Fälle konnte der Typhus als alleinige Krankheitsursache angesehen werden,
in den vier anderen Fällen trat der Typhus nur als auslösendes Moment zu der
vorhandenen hereditären Veranlagung hinzu. Strümpell (Erlangen).
Die
Google
407
8) Bin Beitrag rar Aetiologie der Epilepsie, von cand. med. Gregor Steiner.
(Wiener med. Wochenschr. 1900. Nr. 11.)
Bei einem 39jähr. Patienten, der an Tabes, Insuffizienz und Stenose der
Mitralis, sowie an Lungentuberculose litt und vor Jahren eine luetische Affection
überatanden hatte, traten im Anschluss an eine kleine Morphindose epileptische
Anfälle auf, die sich während der nächsten Wochen wiederholten.
Verf. hält dafür, dass es sich um einen Fall von Syphilisepilepsie handele, ähnlich
den von Gros und Lancereaux mitgetheilten, ohne anderweitige Symptome
einer Lues cerebri. Dem Morphin allein scheinen die Anfälle nicht zuzurechnen
zu sein; auf Jodkali trat Besserung ein. J. Sorgo (Wien).
9) La faim-valle öpileptique, par Ch. F6r6. (Revue de mädecine. 1899.
S. 497.)
Mit dem Namen „faim-valle“ wird eine bei Pferden zuweilen anfallsweise
auftretende „Neurose“ bezeichnet, die sich kundgiebt durch einen plötzlich auf¬
tretenden ungemein starken „Heisshunger“. Die Thiere werden plötzlich unfähig,
weiter zu gehen, bleiben fast unbeweglich, bis sie etwas zu fressen bekommen,
wonach der Zustand alsbald verschwindet. Verwandte Erscheinungen sind beim
Menschen theils als „Bulimie“, theils als „Pica“ bezeichnet Letzteres Wort dient
insbesondere zur Bezeichnung eines krankhaften Appetits nach an sich ungenie߬
baren Dingen (Geophagie, Koprophagie u. dergl.). Bei Epileptikern kann der
Anfall in der Form einer plötzlichen Bulimie oder Pioa auftreten; daneben kommt
auch anhaltende abnorme Gefrässigkeit bei Epileptischen nicht selten vor. In
manchen Fällen ähnelt der epileptische Anfall der „faim-valle“ der Pferde. Verf.
theilt mehrere derartige Beispiele mit Die Anfälle von plötzlichem Heisshunger
können auch als Aura dem Krampfanfall vorhergehen.
Strümpell (Erlangen).
10) ▲ oase of hysterioal aphonla in a grand mal epileptio, by L. Pierce
Clark. (Journal of nervous and mental disease. 1900. XXVII. S. 561.)
Verf. hat bei einem 3ljähr. Manne, der seit 6 Jahren an typischen, theils
schweren, theils leichten epileptischen Anfallen leidet, im Anschlüsse an dieselben
Aphonie längerer oder kürzerer Dauer beobachtet. Aus der Thatsache, dass
energische Suggestion die Aphonie stets sofort zum Schwinden brachte, nimmt
Verf ihren hysterischen Charakter an, obwohl sonstige hysterische Stigmata fehlen.
Kühne (Allenberg).
11) L'öpilepsia larvöe, par Ardin-Delteil. (Progrfes mädical. 1900. Nr. 50
u. 52.)
Dieser sich über mehrere Nummern der Zeitschrift hinziehende Vortrag kann
wegen seines Umfanges leider nicht ausführlicher besprochen werden, obgleich er
es wegen seiner Sachlichkeit und Genauigkeit eigentlich verdiente; er sei darum
hiermit aufB wärmste empfohlen. Adolf Passow (Meiningen).
12) Mloolonia ed epilessia, per G. Seppilli. (Brescia, 1899.)
Verf. beschreibt im Anschluss an die Fälle von Myoklonie, combinirt mit
Epilepsie, welche Unverricht, Bresler, Krewer u. A. beobachtet haben, zwei
einschlägige Fälle und gelangt zu folgenden Resultaten:
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Die Myoklonie kann auftreten, wenn die epileptischen Attacken verschwinden,
oder sie kann der Epilepsie vorangehen.
Antiepileptische Behandlung beeinflusst auch die Myoklonie günstig.
Myoklonie und Epilepsie haben denselben nervösen Ursprung, und zwar ver¬
danken sie ihren Ursprung einer Beizung der motorischen Bindenzone, nicht, wie
dies Friedreich, Unverricht u. A. für die Myoklonie angenommen haben,
einer spinalen Beizung. H. Gessner (Nürnberg).
13) Ein Fall von epileptischem Wandertrieb. Gutachten, von Krau
(Schweidnitz). (Psychiatr. WochenBchr. 1900. Nr. 15.)
Nach der ausführlich mitgetheilten und lesenswerthen Krankengeschichte
handelt es sich um periodisch auftretende, plan- und ziellose Wanderungen,
Selbstmordversuche und falsche Selbstbezichtigungen mit einer vollständigen
Erinnerungsunfähigkeit. Diese erstreckte sich einmal auf einen Zeitraum von
23 Tagen. Auch hier wurde Epilepsie als Ursache des Leidens angenommen,
obwohl bis dahin kein klassischer epileptischer Anfall beobachtet worden war.
Verf. erklärte den Kranken in seinem Entmündigungsgutachten für geisteskrank
im Sinne des Gesetzes, da sich die Zustände der Bewusstlosigkeiten so gehäuft
hatten, dass sie den grössten Theil der letzten Jahre einnahmen, zumal der Kranke
auch in den anfallsfreien, kurzen Zwischenzeiten geistig nicht intact war. Später¬
hin, nach Erstattung des Gutachtens, traten echte epileptische Anfälle au£ so
dass die Diagnose völlig gesichert erscheint.
Ernst Schultze (Andernach).
14) Beitrag zum Capital „Epilepsie und Psychose“, von Dr. Eugen Weber
in Berlin/Norderney. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. 1901. XXXIV.)
Eine früher vollständig gesunde Dame bekam im 47. Jahre, zur Zeit der
eben begonnenen Menopause den ersten epileptischen Anfall. Seitdem kamen die
Anfälle monatlich bis halbjährlich ein Mal wieder, besonders Nachts. Im 61. Jahre
wurde die Kranke von mehrfachen und starken Gemüthsbewegungen betroffen,
vom 63.—66. Jahre machte sie eine, von der Epilepsie unabhängige, typische
Melancholie mit leichten Wahnideeen und Pracordialangst durch, die in voll¬
ständige Heilung ausging. Während der Melancholie traten Anfälle von petit mal
auf, die nach Abheilung derselben bis zum 68. Lebensjahre nicht wiederkehrten.
Verf. betrachtet diese Absenzen als die Folgen einer durch die Melancholie er¬
zeugten, toxämischen Ernährungsstörung des Gehirns; er glaubt, der geschwächten
Willenskraft der Kranken eine gewisse Bedeutung für das Entstehen der Absenzen
nicht absprechen zu dürfen. G. Ilberg (Sonnenstein).
15) Heilung eines Falles von epileptischem Irresein, von Prof. Edmund
Bose in Berlin (Krankenhaus Bethanien). Vortrag, gehalten in der freien
Vereinigung der Chirurgen Berlins am 12. März 1900. (Deutsche med.
Wochenschr. 1900. Nr. 42.)
Vater des Patienten gesund und nervös nicht belastet; die Mutter soll seit
ihrem 14. Lebensjahre Krämpfe haben, bei welchen sie plötzlich hinfällt, um sich
schlägt und öfters Schaum vor dem Munde hat. Der Pat., ein kräftiger Junge
mit gesunden inneren Organen, entwickelte sich anscheinend normal. Anfang
September 1898 lief er gegen ein Thürgerüst und verwundete sioh an der Stirn
oberhalb der linken Augenbraue. Keine Bewusstlosigkeit, keine Hirnsymptome;
glatte Wundheilung. Etwa 14 Tage später bemerkten die Eltern, dass der Knabe
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Gegenstände zu fixiren begann, dabei das Gleichgewicht verlor, rücklings hinten¬
überfiel and in bewusstlosem Zastande Zuckungen hatte. Diese sich häufig, an
einzelnen Tagen stündlich wiederhol enden Anfälle setzten am 1. October aus, Pat.
blickte ausdruckslos vor sich hin, sprach nioht, reagirte kaum auf Anrufen, war
unruhig und zu Zerstörung geneigt. Mitte October begannen die Anfälle wieder
und traten bisweilen 8 Mal am Tage auf. Seit Anfang November sprach der
Kranke nicht mehr, äusserte keine Empfindungen oder Wünsche. Appetit gut.
Kein Erbrechen.
Aufnahme in Bethanien (5. December 1898).
Pat. nimmt von seiner Umgebung keine Notiz, ist in steter Unruhe und
Bewegung, heisst, schlägt um sich, lässt Urin und Stuhl unter sich, schmiert. Es
gelingt nie, ein Wort aus seinem Munde zu hören und ihn zum Sprechen zu
veranlassen. An der Stirn eine lineare, 2 cm lange, nicht adhärente, nur massig
empfindliche Narbe. Augen- und Ohrenuntersuchung bei der steten Unruhe im¬
möglich; spätere Untersuchungen ergaben normalen Befund. Während einer
Masernerkrankung wurde die Unruhe geringer, die Anfälle seltener, dann aber
wurde der Zustand noch schlimmer denn vorher, so dass man mit Tüchern die
vier Gliedmaassen des Pat. am Bett festmachen musste. Druck auf die Narbe
löste keine Anfälle aus, dieselben kamen anscheinend spontan und waren sym¬
metrisch. Operation am 28. Januar 1899. Eröffnung der Schädelhöhle im Be¬
reiche der Narbe: am Knochen, an den Hirnhäuten, dem Hirn selbst völlig normaler
Befund! Kein Ausfluss von Hirnwasser. Der Zustand blieb annähernd unverändert,
der Knabe erschien an einzelnen Tagen wohl etwas ruhiger, verständiger, inter-
essirter, war aber an anderen aufgeregter denn je und zeigte die tollste Zer¬
störungswut}!. Die Krämpfe, nach des Verf.’s eigener Beobachtung exquisit epi¬
leptisch, variirten ebenfalls an Intensität und Frequenz. Entlassung Mitte März.
— Unerwartet erfolgte, nachdem am 7. April der letzte Krampfanfall stattgehabt,
allmählich völlige Heilung. Verf. konnte dieselbe in einer Controluntersuchung
{M&rz 1900) durchaus bestätigen. Auffällig ist, dass der Knabe für seine ganze
Krankheitszeit eine absolute Amnesie hat.
Verf. glaubt, dass eine „hypersthenische Epilepsie“ Vorgelegen hat und durch
Bildung eines Sicherheitsventils geheilt ist. Es ist nämlich eine Trepanöffnung
offen geblieben und so Platz geschaffen für die Raumzunahme, welche die mit
der Epilepsie verbundenen Schwellungszustände im Schädel bedingen. (? Ref.)
R. Pfeiffer.
16) Idiotie et epilepsie symptomatiques de soldrose tuböreuse ou hyper-
trophique, par Bourneville. (Archives de neurologie. 1900. Juli.)
Der 10. derartige Fall betrifft einen schwer belasteten Knaben; in der Familie
des Vaters mehrfache Erkrankungen an Gehirnleiden und vielfach Potus, ein Mal
Eirebe; in der Familie der Mutter Tuberculose und in einer Seitenlinie mehrfache
Fälle von Meningitis. In der Schwangerschaft kamen mehrere ernste und lang-
dauernde psychische Alterationen vor. Anscheinend gesund geboren, begannen im
3. Monate Convulsionen, die sich täglich wiederholten und zu Lähmungen der
Extremitäten führten.
Die Idiotie war eine complete, die Physiognomie ohne jeglichen Ausdruck,
kein Gehör auf Lärm, völlige Unmöglichkeit seine Aufmerksamkeit zu fixiren,
keine Sprache, kein Lachen noch Weinen; völlige Lähmung mit Contractur aller
4 Extremitäten, Beweglichkeit der Finger und Hände sehr beschränkt. In Bicetre
wurden die Anfälle des näheren beobachtet; auch eine ganze Reihe von Symptomen,
die auf chronische meningitische Läsionen schliessen Hessen.
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Das Kind starb schliesslich an Lungentubercnlose. Es fanden sich in beiden
Hemisphären eine grosse Anzahl sklerosirter Inseln.
4 Tafeln geben die genaue Abbildung der Hemisphären mit den sklerosirten
Herden. Adolf Passow (Meiningen).
17) Vie sexuelle, mariage et desoendanoe d’un öpileptique, par Bourne¬
ville et Poulard. (Progrös mödical. 1900. Nr. 38.)
Eine Bereicherung der seit Jahren von Bourneville theils allein, theils
mit anderen veröffentlichten Fälle; in dem vorliegenden tritt besonders der erb¬
liche nachtheilige Einfluss in Erscheinung, indem sämmtliche Nachkommen psychisch
afficirt sind. Adolf Passow (Meiningen).
18) Mehijfthrige Epilepsie und Idiotismus völlig geheilt naoh einem An¬
fall schwerer Influenza, von Dr. G. L. Coväos. (Allgem. Wiener med.
Zeitung. 1900. Nr. 34.)
Die Krankengeschichte bringt nicht mehr, als der Titel enthält. Die Anfalle
datiren seit dem 3., die Heilung erfolgte im 10. Lebensjahre.
Die Erklärung des Verf.’s geht dahin, dass es sich nicht um essentielle,
sondern um symptomatische Epilepsie gehandelt habe, wahrscheinlich in Folge
von Hydrocephalus, der unter dem Einflüsse der fieberhaften Erkrankung zur Re¬
sorption gelangt sei. J. Sorgo (Wien).
18) Heber das Bromalln, von Jenö Kollarits. (Therapie der Gegenwart.
1901. März.)
Verf. spricht sich mit Bestimmtheit gegen den Gebrauch des Bromalin,
speciell bei Epilepsie, aus. Dasselbe ist nicht ein das Bromkali übertreffendes
Mittel, zudem 20 Mal theurer als letzteres, da der Preis des Bromalin 10 Mal so
hoch als der einer gleichen Bromkalimenge, die doppelte Dosis Bromalin aber
erst gleichwirkend ist mit den übrigen Bromsalzen.
In der doppelten Dosis als Bromkali gegeben, vermochte das Bromalin das
Zustandekommen des Bromismus nicht zu verhindern.
Kurt MendeL
20) Einiges über Epilepsiebehandlung, von Dr. Max Biro. (Wiener klin.
Wochenschr. 1900. Nr. 34.)
Bei 33 Jahre hindurch beobachteten und mit Brom behandelten Fällen, war
in 30°/ 0 seit 3 Jahren kein Anfall mehr aufgetreten; 2 Fälle (6%) sind seit
5 Jahren anfallsfrei. In 9 Fällen Besserung der Anfälle und selteneres Auftreten
derselben und in 30°/ 0 Erfolglosigkeit der Behandlung.
Nach dem Flechsig’schen Verfahren, das ambulatorisch angewandt wurde,
wurdon in den Fällen 6—14 anfallsfreie Monate in 4 Fällen, geringere Zunahme
der Intervalle in einigen anderen beobachtet.
Von der Bechterew’schen Behandlung (Adonis vernalis, Brom, Codein) sah
Verf. nicht viel Gutes. J. Sorgo (Wien).
21) Zur Behandlung der Epilepsie mit Bromipin, von Dr. Wilhelm Lorenz.
(Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 44.)
Die Erfahrungen des Verf.’s beziehen sich auf 34 Patienten. Die tägliohe
Dosis betrug im Durchschnitte 10—20 g 10°/ o Bromipins, was 1,76—3,6 Natr.
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brom. entspricht. Bei 13 Kranken deutliche Verminderung der Anfälle, vorüber-
gebende Besserung bei 3 Frauen, Vermehrung der Anfälle bei einem Manne; bei
17 Kranken keine Aenderung gegenüber den früheren Behandlungsmethoden.
Das psychische Verhalten wurde günstig beeinflusst, ebenso jede in Folge
früherer Behandlung aufgetretene Bromakne. J. Sorgo (Wien).
22) Sur la traitement da l’öpilepsie par la aympatheotomie, par Jaboulay
et Lannois. (Revue de mödecine. 1899. Januar.)
Die Verff. verfügen über 16 eigene Beobachtungen von Sympathicusdurch-
scbneidung (einige Male verbunden mit der gleichzeitigen Dehnung eines Vagus)
bei Epileptischen. Nur in wenigen Fällen war der therapeutische Erfolg ein
günstiger, und in diesen wenigen Fällen handelte es sich stets um „Hystero-
Epilepsie“, so dass also psychisch-suggestive Wirkungen keineswegs auszuschliessen
sind. In allen Fällen reiner Epilepsie war gar kein günstiger oder sogar ein
ungünstiger Einfluss der Operation auf die Anfälle zu bemerken.
Strümpell (Erlangen).
23) Case of Jaoksonian epilepsy treated by Operation, by Herbert Marson.
(Brit. med. Journ. 1900. S. 1341.)
Ein lOjähr. Knabe, welcher vor 8 Jahren in Folge eines Falles auf die
rechte Schädelhälfte eine linksseitige Hemiparese acquirirt hatte, litt Beit 3 Monaten
an Jackson'scher Epilepsie der linken Körperhälfte. — Während der Krampf¬
anfalle trat Bewusstlosigkeit ein.
Bei der Untersuchung fand sich an einer der rechten motorischen Region
entsprechenden Schädelstelle eine leichte Depression. Trepanation. Das entfernte
Knochenstück war auf der unteren Seite rauh; es entleerten sich bei der Operation
and in den darauf folgenden Tagen aus einer dem Knochen adhärenten Cyste
grössere Mengen klarer, eiweissfreier Flüssigkeit. — Allmählich fortschreitende
Besserung. Die Hemiparese ist 3 Monate nach der Operation fast gänzlich ver¬
schwunden. E. Lehmann (Oeynhausen).
24) ▲ oase of traumatio epilepsy oured by Operation, by James Arnott.
(Brit. med. Journ. 1901. S. 18.)
Ein 27jähr. Maurer bekam 6 Monate nach einem Fall vom Oerüst auf den
Schädel epileptische Anfälle, die allmählich an Intensität Zunahmen. Als Pat.
2 Jahre später in bewusstlosem Zustand ins Krankenhaus eingeliefert wurde, hatte
er täglich 20—25 Anfälle und war auch in den Intervallen ohne klares Be¬
wusstsein.
Bei der Untersuchung fand sich auf dem linken Scheitelbein eine Depression
von l s / 4 engl. Zoll im Durchmesser; beim Druck auf dieselbe wurde sofort ein
Anfall ausgelöst. Es bestand ferner Parese des rechten Armes und Beines; Neu¬
ritis optica dextra. Heilung nach der Trepanation. Pat. war 12 Monate nach
der Operation völlig gesund. E. Lehmann (Oeynhausen).
26) Le tr&itement de l’öpilepsie par la möthode de Flechsig, par J. Söglas
et Heitz. (Archives de neurologie. 1900. August.)
Die Verff. verwandten mehrfach die von Flechsig angegebene Behandlung
von Epileptikern mittels Opiumextract und später Brom und kommen — wie ja
weh andere Autoren — zu dem Schlüsse, dass die Behandlungsweise nur für
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eine gewisse Anzahl von Fällen sich eigne; man muss die Kranken sehr genau
beobachten und auf seiner Hut sein, will man nicht schwere Complicationen erleben.
Adolf Passow (Meiningen).
26) Die Behandlung der Epilepsie nach Toulouse und Biohet, von Friedrich
Enke Helmstädt. (Psychiatr. Wochenschr. 1901. Nr. 3.)
Toulouse und Hiebet hatten unlängst bekanntlich vorgeschlagen, den
Epileptikern eine an Chloriden möglichst arme Nahrung zu geben: so werde der
Organismus der Kranken empfänglicher und empfindlicher für Bromate, und man
komme mit einer geringeren Dosis von Bromaten aus. Von dieser combinirten
Behandlung sahen sie so gute Erfolge, dass eine Nachprüfung ihrer Methode
geradezu herausgefordert wurde.
Verf. nahm nun jugendliche Kranke, denen er die kochsalzarme Nahrung in
der Form von Milchdiät gab; diese entsprach einer Kochsalzmenge von etwa 3,0g
pro Tag, während die gewöhnliche Anstaltskost oder Diät je 10—12 g enthält
Die Versuche erstreckten sich auf etwa 15 Wochen; davon entfielen die ersten
5 Wochen auf die gewöhnliche Anstaltskost und Bromdarreichung, die zweiten
5 Wochen auf Milchdiät und Verringerung der Brommenge, während der letzten
5 Wochen wurde mit der Nahrung (Anstaltskost, Diät, Milchdiät) und der Brom¬
quantität variirt. Hieraus ergaben sich verschiedene Gruppen von Versuchen.
Die Kochsalzentziehung hatte keinen schädlichen Einfluss auf das Körper¬
gewicht, auf Puls und Temperatur. Während der Behandlung nach Toulouse
und Hichet, also in der zweiten Periode, nahmen die Erscheinungen einer
etwaigen Bromvergiftung ab, was ungezwungen durch die Herabsetzung der Brom¬
einfuhr erklärt werden kann. Alle Versuche ergaben übereinstimmend das
Resultat, dass während der Behandlung nach Toulouse und Richet die Zahl der
Anfälle zunahm. Nach dieser Periode trat, ebenfalls im Gegensatz zu den Be¬
obachtungen der französischen Autoren, trotz einer vermehrten Kochsalzzufuhr
keine Vermehrung der Zahl der Anfälle ein. Die Entziehung des Kochsalzes bei
gleichzeitiger Herabsetzung der Bromdosis übt somit keinen günstigen Einfluss
aus. Dagegen ist, wie schon seit langem bekannt ist, eine diätetische Ernährungs¬
weise und Darreichung einer entsprechend hohen Bromgabe geeignet, die Anfälle
zu vermindern. Eben die strenge Regelung der Diät ist es, der Toulous-e und
Richet ihre günstigen Erfolge zu verdanken hatten.
Ernst Schultze (Andernach).
27) Epilepsie et tröpanation , par F. Boissier. (Archives de neurologie.
1900. August.)
Die Tochter eines schweren Potators, gesund bis zum 8. Lebensjahre, litt in
Folge einer schweren Verletzung mit 9 Jahren an sehr heftigen epileptiformen
Krämpfen, so dass man sich in ihrem 23. Jahre endlich zur Trepanation an
der Stelle der einstigen Verletzung entschloss. Die sämmtlichen Symptome
sistirten auf die Dauer von 3 Monaten; dann setzten die Anfälle mit erneuter
Heftigkeit ein; die Kranke starb im Status. Der Fall, speciell die Operations¬
geschichte und der Befund nach der Autopsie, sind ausführlich mitgetheilt.
Adolf Passow (Meiningen).
28) Casuistisoher Beitrag aur Frage über die Zurechnungsfähigkeit der
Epileptiker, von Dr. Carl von Rad. (Friedreich’s Blätter f. gerichtl.
Medicin u. Sanitätspolizei. 1900. LI.)
Eine 13jähr. Epileptica mit häufigen Krampfanfällen erstattete eine detaillirte
Strafanzeige gegen einen unbescholtenen, ihr unbekannten Herrn wegen exhibitio-
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nistischer Handlungen, an ihr selbst begangen. Das Gericht sprach den Be¬
treffenden wegen Grundlosigkeit der Anklage frei, da sich durch Zeugenaussagen
eine krankhafte Charakterveranlagung (pathologische Lügenhaftigkeit, Streitsucht,
IntelligenzschwSche) an dem Mädchen feststellen liess. Eine methodische Unter¬
suchung des Geisteszustandes von Seiten der Sachverständigen, zu denen Verf.
gehörte, fand leider nicht statt. Kalmus (Lübeck).
29) Epileptische Aanvallen na het gebraik van Camphora monobromata,
per Prof. Wertheim Salomonson. (Ned. Tijdschr. v. Geneesk. 1900.
S. 505.)
Verf. beschreibt 3 Fälle von Epilepsie, entstanden nach dem Gebrauch von
Camphora monobromata: in 2 Fällen höchstens 2 Stunden nach dem Gebrauch
von 0,5—1 g; in dem 3. Falle war schon während 5 Tagen täglich 3 Mal 0,5 g
gebraucht. Allein im 3. Falle ist an hereditäre Disposition (Vater Tabes) zu
denken. Verf. sieht darin aber noch keinen Grund zur Annahme von idiotischer
Epilepsie; keine der 3 Patienten batte in der Jugend Krämpfe gehabt.
Es besteht aber doch ein Unterschied mit der gewöhnlichen Form von Epilepsie,
weil alle 3 Patienten in Folge der vielen Petechien über einen ziemlich grossen
Theil der Haut wie tätowirt waren. An einzelnen Stellen waren dieselben scharf
abgegrenzt, z. B. am Halse.
Weiter bestand eine starke retrograde Amnesie für einige Stunden, die dem
Anfall vorausging.
Da nach starken vasomotorischen Störungen starke retrograde Amnesie auf-
tritt, so deutet es auch hier darauf hin, weil hier auch vasomotorische Störungen
gegenüber motorischen Symptomen stark in den Vordergrund treten.
Beim Durchsehen der Litteratur fand Verf. zwei Fälle von Rosenthal und
einige von Husemann, die sie symptomatisch in Zusammhang mit acutem
Kamphorismus bringen. Weiter giebt Verf. ein Referat über die Wirkung des
Kampfers nach Vogl.
Auf Grund seiner Beobachtungen glaubt Verf. von einem epileptischen Insult
als Vergiftungssymptom von Monobromkampher ohne die charakteristischen Sym¬
ptome von Kamphorismus, wie Rausch, Hallucinationen u. s. w., sprechen zu
dürfen. Es scheint aber ein selten auftretendes Symptom von Kamphervergiftung
zu sein; diese Meinung wird durch Angaben aus der Litteratur bestätigt. Dieses
dürfte aus dem Auseinanderfallen des Kamphersalzes zu erklären sein.
In Bezug auf die nicht sichere Wirkung des Monobromkamphers räth
Verf. darum zur Vorsicht; Verf. konnte als Wirkung das Auftreten von zu frühen
Pollutionen constatiren, ohne dass es deutlich ein Anaphrodisiacum war.
TenCate (Rotterdam).
in. Aus den Gesellschaften.
XIX. Oongress für innere Medioin vom 16.—19. April 1901
zu Berlin.
Herr von Leyden behandelt als I. Referent die aoute Myelitis, und zwar
vorwiegend vom Standpunkte des Klinikers. Er giebt zunächst einen historischen
Ueberblick über die Entwickelung der Lehre von den Rückenmarkslähmimgen, die
ihren eigentlichen Anfang erst in den 60 er Jahren des vorigen Jahrhunderts, und
zwar ausgehend von den damaligen Kenntnissen über die acute Querlähmung
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(Myelomalacie) genommen hat. Als Grundformen hat man nach dem jetzigen
Standpunkt unserer Kenntnisse die folgenden 3 Formen anzusehen: 1. Myelitis
transversa, 2. Myelitis disseminata, 3. Poliomyelitis acuta. Die Uebergänge, be¬
sonders zwischen den beiden ersten Formen, sind zahlreich, die Mannigfaltigkeit
der acuten Krankheitsformen eine sehr grosse, um so mehr als auch Uebergänge
von den eigentlichen Entzündungsprocessen zu den durch Blutungen bedingten
Erkrankungen (Hämatomyelie) bestehen. Auszuschliessen von der Betrachtung
sind die Erkrankungen des Rückenmarks in Folge von Kachexieen; schwieriger
zu entscheiden ist die Frage der Zugehörigkeit der Erkrankungen, die durch
mechanische Wirkung hervorgerufen werden (Compressionsmyelitis); zweifellos sei
auch der Druck ein Reiz, wenn auch kein entzündlicher. Klinisch ist die Unter¬
scheidung ausserordentlich schwer, zumal die Compression, bezw. ihre Ursache, oft
erst spät nachweisbar wird, ganz besonders bei innerhalb des Wirbelcanals
wirkenden Herden (Tumoren der Häute), deren differentielle Beurtheilung oft
nicht leicht ist. In ätiologischer Beziehung kommt besonders der Zusammenhang
mit den Infectionskrankheiten in Frage, da die acute Myelitis meist Nachkrankheit
acuter Infectionskrankheiten, nach Pierre Marie stets eine infectiöse Erkrankung,
ist. Oft handelt es sich um directe bakterielle Invasion; ob Toxine Myelitiden
hervorrufen können, ist nach dem Vortr. nicht sicher. Zu den Infectionskrankheiten,
in deren Gefolge Myelitis auftritt, gehören in erster Reihe Influenza, Typhus,
Anginen u. a. Eine weitere Aetiologie sind Gravidität und Puerperium. Zuweilen
führt auch das Trauma zu myelitischen Erkrankungen, auch solchen disseminirten
Charakters. Die chronischen Metallvergiftungen (Blei u. s. w.) treten als ätio¬
logisches Moment sehr zurüok, auch die Lähmungen nach CO-Vergiftungen sind
keine eigentlichen myelitischen. Psychische Einflüsse, wie Schreck u. a., sind
wohl nicht ernsthaft als Ursachen der Myelitis anzusehen. Chronische Infectionen,
wie Tuberculose, Syphilis, führen selten zur acuten Myelitis, wohl aber sind ein¬
zelne sichere Beobachtungen von Myelitis nach Gonorrhoe in der Litteratur vor¬
handen. Die Symptomatologie giebt dem Verf. wenig zu bemerken. Ueber den
Verlauf ist zu sagen, dass Initialsymptome nicht immer vorhanden sind; häufig
iBt ein Verlauf in Schüben im Beginn der Erkrankung. Verf. schildert dann die
Gefahren, die den Pat. in Folge von Decubitus, Syphilis u. 8. w. drohen, und
betont, dass die Prognose sich bessert mit zunehmender zeitlicher Entfernung von
den ersten stürmischen Krankheitssymptomen. Er verweist schliesslich auf die
durch unsere modernen therapeutischen Hülfsmittel doch im ganzen besseren Er¬
folge unserer Therapie und hebt hervor, dass es doch schon einige wenige geheilte
Fälle von acuter Myelitis giebt.
Herr Redlich (Wien) behandelt als II. Referent hauptsächlich die patho¬
logische Anatomie und allgemeine Pathologie der aeuten Myelitis. Nach der
Ausbreitung des Processes unterscheiden Leyden-Goldscheider eine trans¬
versale, eine diffuse und disseminirte Myelitis und endlich die Polio¬
myelitis. Diese Formen haben aber untereinander Uebergänge; einerseits die
Poliomyelitis zur disseminirten Myelitis, andererseits diese zur transversalen und
diffusen. Grössere Herde gehen stets mit Herabsetzung der Consistenz bis zur
wirklichen Erweichung einher, der theils Oedem, Hyperämie u. s. w., theils wirk¬
liche Nekrose des Gewebes entspricht.
Die acute Poliomyelitis zeigt in frisohen Stadien alle Charaktere eines Ent-
zündungsprocesses mit vorwiegend vasoulären Vorgängen, die hauptsächlich, aber
nicht ausschliesslich im Vorderhorn, entsprechend dem Territorium der Arteria
spinalis anterior und centralis, localisirt sind. Es ist aber die Möglichkeit zuzu¬
geben, dass in einzelnen Fällen von acuter Poliomyelitis im Sinne von Charcot
die Veränderungen auf acute Degenerationserscheinung der Ganglienzellen sich
beschränken.
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An die acute Poliomyelitis schliesst sich eng eine vorwiegend auf Herde der
grauen Substanz sich beschränkende Form der multiplen, disseminirten Myelitis,
wo gleichfalls vasculäre und Infiltrationsprocesse im Vordergründe stehen. Meist
handelt es sioh dabei auch um jüngere Individuen. In den anderen Fällen von
acuter Myelitis beherrschen zwei Arten histologischer Veränderungen das Bild;
einerseits acute Degenerationserscheinungen der nervösen Elemente, vor allem
Quellung der Nervenfasern und Axencylinder (Lückenfeld, blasenförmiger Zustand),
die isolirt, selbst in multiplen Herden sich finden können, oder in der Peripherie
anderweitiger Herde, z. B. mit Blutungen, Gefässveränderungen, Fettkörnchenzellen*
anhäufungen, Infiltration des Gewebes u. s. w. combinirt. In anderen Fällen
wieder finden sich mehr minder umfängliche Erweichungen mit Nekrose aller
Gewebsbestandtheile, höchstens dass die Gefässe Zurückbleiben. Diese nekrotischen
Herde entsprechen manchmal in ihrer Ausdehnung bestimmten Gefassterritorien;
durch Confluenz mehrerer Herde entstehen umfängliche Erweichungen.
Bei allen Formen der Myelitis können entzündliche Veränderungen auch der
Meningen vorhanden sein.
Vortr. erörtert dann die Schwierigkeiten der anatomischen Abgrenzung der
acuten Myelitis gegenüber anderweitigen spinalen Processen. Ein doctrinärer
anatomischer Standpunkt scheint hier nicht angezeigt, schon darum, weil eine
allgemein gültige Definition der Entzündung fehlt. Auch Mager’s Ansicht, der
in entzündlichen Veränderungen der Gefässe das charakteristische Merkmal
der acuten Myelitis sieht, ist undurchführbar, ebenso wie die Versuche einer Ab¬
grenzung der acuten Entzündung des Rückenmarks nach ätiologischen Momenten,
Infection und Intoxication im Sinne von Bruns. Nur ein vermittelnder Stand¬
punkt kann den Bedürfnissen der Klinik, wie den Forderungen der pathologischen
Anatomie gerecht werden. Ueber jeden Zweifel erhaben ist die entzündliche
Natur der*acuten Poliomyelitis und der ihr verwandten Formen der multiplen
Myelitis. Bei den anderen Formen wird eine entzündliche Genese festzuhalten
sein, wofern sie im Sinne von Virchow Folgen einer Irritation sind, Throm¬
bosen oder Embolieen nicht nachzuweisen sind, insbesondere wenn sich noch
anderweitige entzündliche Veränderungen, z. B. an den Gefässen, finden. Uebrigens
sind die Uebergänge zwischen acuter Degeneration des Parenchyms und acuter
Entzündung fliessende.
Vortr. bespricht sodann die Frage der Aetiologie der acuten Myelitis in
Bezug auf die pathologische Anatomie. In erster Linie ist die sogen, infectiöse
Myelitis zu nennen, die vorwiegend, aber nicht ausschliesslich den Formen mit
vasculären Entzündungsprocessen entspricht. Von grösster Wichtigkeit ist die
Frage der directen bakteriellen Genese der acuten Myelitis. Die Zahl der Fälle
mit positivem Bakteriennachweise im Rückenmark ist eine geringe; darunter
finden sich sowohl die specifischen Krankheitserreger, wie sogen, banale Infec-
tionen. Bei längerer Dauer der Krankheit können die Bakterien auch wieder
aus dem Rückenmarke verschwunden sein. Als Verbreitungswege der Bakterien
dienen die Blutgefässe, der Subarachnoidealraum und der Centralcanal. In der
Mehrzahl der Fälle dürfte es sich aber nicht um directe Bakterienwirkung, sondern
vielmehr um Toxinwirkung handeln. Jedoch stellt die Infeotion nicht die einzige
Ursache der acuten Myelitis dar, vielmehr dürften auch Erkältungen, Intoxicationen,
Traumen u. s. w. an sich im Stande sein, dieselbe zu erzeugen, wiewohl darüber
ein sicheres Urtheil noch nicht abzugeben ist. (Autoreferat.)
Herr A. Strümpell (Erlangen): Ueber Myelitis.
Als Entzündung des Rüokenmarks dürfen wir nur solche Erkrankungen des¬
selben bezeichnen, die durch eine äussere (exogene), örtlich auf das Gewebe
einwirkende Schädlichkeit hervorgerufen werden, und wobei sich neben der primären
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Schädigung des Gewebes auch die zur Abwehr der eingedrungenen Schädlichkeit
und zum Ausgleiche der eingetretenen Gewebsschädigung bestimmten reactiven
Vorgänge im Gewebe (vor Allem die Vorgänge am Gefässsystem, die Hyperämie,
die seröse und die zellige Exsudation) entwickeln. Der Nachweis der Entzündongs-
erreger stösst bei der Myelitis auf besondere Schwierigkeiten, da wir den Ent¬
zündungsherd meist weder direct untersuchen, noch nach aussen kommende
Kraukheitsproducte aus demselben zur Untersuchung erhalten können. Am ehesten
verspricht die Untersuchung der durch Lumbalpunction erhaltenen Cerebrospin&l-
flüssigkeit einigen Aufschluss zu geben. Vortr. hat bisher in 2 Fällen von
frischer acuter Myelitis dies Verfahren an wenden können. In dem einen Falle
handelte es sich um eine umschriebene acute myelitische Erweichung im unteren
Brustmark im Anschluss an ein P&naritium. Die Lumbalpunction ergab eine
durch Leukocyten getrübte Flüssigkeit, in der reichlich Staphylokokken vorhanden
waren. Es handelte sich in diesem Falle also aller Wahrscheinlichkeit nach um
eine umschriebene, direct bakteriogene Entzündung. In einem zweiten Falle
von acuter Myelitis war die durch Lumbalpunction erhaltene Flüssigkeit voll¬
kommen wasserklar, frei von Leukocyten und ganz steril. In diesem Falle han¬
delte es sich aber nioht um eine umschriebene Erweiohung, sondern um eine
acute disseminirte Myelitis, die mit einer Neuritis optica begonnen hatte.
Dieser Befund, ebenso aber auch andere Gründe, maohen es wahrscheinlich, dass
die disseminirte Myelitis, wenigstens in einem Theile der Fälle, nicht direct
bakteriogenen, sondern hämatogen-toxischen Ursprungs ist. Bei den meisten
derartigen toxischen Myelitiden macht sich schon eine gewisse elective Locali-
sation der Erkrankung in Bezug auf die einzelnen Fasersysteme bemerkbar. Es
giebt z. B. eine acute disseminirte Myelitis, die fast ganz auf die Hinterstränge
beschränkt ist. Vortr. beobachtete einen derartigen Fall im Anschluss an ein
Erysipel. Dieser elective Charakter tritt um so stärker hervor, je langsamer die
Intoxication einwirkt. So geht die disseminirte Myelitis in die sogen, combinirte
Strangerkrankung über. Je chronischer die Intoxication einwirkt, um so mehr
tritt auch die entzündliche Reaction des Gewebes in den Hintergrund. Aus der
Myelitis wird immer mehr und mehr die einfache Degeneration des nervösen Ge¬
webes mit secundärer Hyperplasie des Zwischengewebes. In diesem Sinne kann
man — natürlich den exogenen Ursprung der Erkrankung vorausgesetzt — von
chronischer Myelitis sprechen. Eine chronische, örtlich umschriebene Myelitis
ist dagegen noch nicht sicher beobachtet worden, ihr Vorkommen aus gewissen
Gründen auch von vornherein nicht sehr wahrscheinlich. Die multiple Sklerose
darf nach der Auffassung des Vortr. nicht zur chronischen Myelitis gerechnet
werden, da gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die multiple Sklerose rein
endogenen Ursprungs ist. (Autoreferat)
Herr Schultze (Bonn) macht auf die Betheiligung der Meningen bei der
acuten Poliomyelitis aufmerksam, ferner auf die Beziehungen zwischen Poliomyelitis,
Encephalitis u. s. w. zur Cerebrospinalmeningitis. In praktischer Beziehung betont
S. die Wichtigkeit der oft nicht immer leichten Constatirung des neuralgischen
Vorstadiums bei Tumoren der Bückenmarkshäute, sowie den Werth der Lumbal¬
punction, deren Gefahren S. bei Befolgung der von Quincke u. A. gegebenen
VorsichtsmaasBregeln und bei Anwendung des Krönig’schen Apparates für
gering hält.
Herr v. Kahl den (Freiburg i/Br.) betont, dass wir uns nicht mehr zu sehr
an die alte Lehre von der Entzündung binden sollen. Auch im Rückenmark, wie
auoh an anderen Organen, sind degenerative Veränderungen auch ohne Betheiligung
des Gefässapparates, bezw. seiner Wandungen, oft als Entzündungsvorgänge an¬
zusehen. Die Gefässveränderungen treten oft erst später auf. Eine grosse Bolle
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spielt im Rückenmark das entzündliche Oedem, während die kleinzellige Infil¬
tration oft fehlt. Die Verbreitung des entzündungserregenden Agens geschieht
theila auf dem Wege der GefXss- und Lymphbabnen, theils aber auch vom Central¬
canal aus, der häufig erweitert und in seiner Wandung durchbrochen ist. Die
Toxine wandern hier, dem Gesetz der Schwere folgend, häufig in die Rückenmarks-
Substanz. Auch für die Poliomyelitis steht E. auf dem Standpunkt, dass das
Primäre die Erkrankung des Parenchyms, insbesondere der Ganglienzellen, nicht
eine Alteration der Gefässe ist.
Herr Rothmann (Berlin) betont den Werth experimenteller Arbeiten für
die Erforschung des Wesens des myelitischen Processes und empfiehlt besonders
die Lamy’sche Methode der Injection von Lykopodiumkörnern, eventuell modificirt
durch Injection von Bakterienculturen. So hat R. bei Injection von Bac. pyo-
cyaneus weitgehende Degenerationen der gesammten Rückenmarkssubstanz erzielt.
Herr Goldscheider (Berlin) hält an der Ansicht fest, dass die Verbreitung
der Poliomyelitis vasculär vor sich gebt, insbesondere unter Berufung auf die
Arbeiten von Eadyi und Adamkiewicz. Ihm schliesst sich Herr Münzer
(Prag) an.
Herr Ritter (Berlin): Myelitis im kindlichen Lebensalter.
Ritt er’s Arbeiten zu Grunde liegt die Beobachtung von 6 Erkrankungen
an Myelitis diffusa, die sich im Anschluss bezw. im Verlauf von Infectionskrank-
heiten herausstellten: und zwar 1 Mal bei Scarlatina, 2 Mal bei Diphtherie (mit
Heilserum behandelt), 3 Mal bei Lues congenita. Die Syphilisfalle betrafen ein
3jähr. Kind und 2 Säuglinge im Alter von 5—6 Monaten. Genesung wurde
erzielt bei dem Scharlachkind und dem einen Diphtheriekind. Die Möglichkeit
der Obduction ergab sich bei dem einen, an intercurrirender Pneumonie verstorbenen
Diphtheriekind und den beiden Säuglingen, die an allgemeinem Marasmus zu
Grunde gegangen waren.
Von allgemeinem Interesse ist die Beobachtung der beiden letzten Krank¬
heitsfälle, da vorläufig in der Litteratur kein Analogon existirt. Beide Kinder
zeigten eine völlig zweifellose, schlaffe Lähmung der beiden oberen Extremitäten
mit einer merkwürdigen Vorwärtsdrehung beider Ellbogen. Die Diagnose war
auf syphilitische Neuritis peripherer Nerven gestellt. Die Sectionen ergaben
disseminirte entzündliche Herde im Cervicalmark.
Dem Verlauf der übrigen Erkrankungen ist der Zug gemeinsam, dass die
Myelitis erst zu einer Zeit manifest wird, wenn die Infection erloschen, wenn
Reconvaleecenz eingetreten ist.
Dem entspricht durchaus das Experiment. Es handelt sich unzweifelhaft um
Ptomain Wirkung. Nur abgeschwächte Culturen, die unter besonderen Vorsichts¬
maassnahmen ein verleibt wurden, konnten benutzt werden. Vor allem aber die
Stofiwechselproducte. Dabei war es nicht nöthig, erst embolische Zustände, wie
bei den Bakterienculturen zu schaffen, da die Giftwirkung auch so eintrat. Geradezu
klassisch sind die Ergebnisse beim Arbeiten mit filtrirten Diphtherieculturen oder
den im Körper gebildeten Toxinen, so dem bernsteinfarbigen Pleuraexsudat. Aber
auch Streptokokkengifte wurden mit gutem Erfolge benutzt. Nur bestehen hier
ganz zweifellose Unterschiede in der Verwerthbarkeit der verschiedenen Ketten¬
kokken. (Autoreferat.)
Martin Bloch (Berlin).
(Schloss folgt)
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418
Biologisohe Abtheilung des ärztlichen Vereins su Hamburg.
Sitzung Tom 12. März 1901.
Herr Simmonds: Ueber Meningitis tuberoulose bei Tuberouloee der
männliche n Genitalien.
Vortr. weist auf Grund seiner anatomischen Erfahrungen auf das aumer-
ordentlich häufige Zusammentreffen der beiden genannten Erkrankungen hin.
Unter den von ihm secirten, an Meningitis tubereulosa verstorbenen Männern
zeigte etwa die Hälfte derselben tuberculöse Veränderungen in Prostata und Samen-
blasen. Da dieses Verhältnis« erst nach der Pubertät nachweisbar ist, da Vortr.
ferner 2 Fälle erlebt hat, wo mit Genitaltuberoulose behaftete Männer rasch nach
der Verheirathung der tuberculösen Meningitis erlagen, vermuthet er, dass die
Congestion der Genitalien beim Coitus die Verschleppung der Keime verschulden
möchte. In Hinblick auf das häufige Zusammentreffen beider Krankheiten räth
er, bei zweifelhaften acuten Hirnerkrankungen stets Prostata und Samenblase zu
palpiren, da der Nachweis der Tuberculöse dann die Diagnose erleichtere.
(Autoreferat)
Sitzung vom 19. März 1901.
Herr Simmonds: Usber Hirnblutung bei verruoöeer Endocarditis.
Die Endocarditis verrucosa spielt häufiger, als von klinischer Seite voraus¬
gesetzt wird, eine Rolle in der Aetiologie der Apoplexie. Zum Beweis für diese
Ansicht ftihrt Vortr. 7 eigene Beobachtungen an, in welchen tödtliche intra-
cranielle Blutungen im Verlaufe recurrirender Endocarditis und bei Fehlen jeg¬
licher anderen Complication, speciell auch von Lues, Nephritis und Arteriosklerose,
zur Beobachtung kamen. 3 Mal handelte es sich um Männer von 30—40 Jahren,
die an mächtigen Hirnblutungen ohne nachweisbaren Ausgangspunkt starben,
2 Mal um junge Frauen, welche multiple Aneurysmen an der Hirnbasis hatten,
2 Mal um 11jährige Kinder, die an Hirnblutungen aus geplatzten erbsengrossen
Aneurysmen der Convexität des Grosshirns zu Grande gingen. In den beiden
letzten Fällen war auch anatomisch der Zusammenhang zwischen den Aneurysmen
und der Endocarditis zu verfolgen, da dieselben Kokken, welche auf dem Endo-
card nachweisbar waren, auch in den Aneurysmen und in grosser Zahl in der
angrenzenden thrombosirten Piaarterie aufgefundsn wurden. Es handelt siob also
in derartigen Fällen wohl meist um ruyk otisoh-embolische Aneurysmen, welche
das Zwischenglied zwischen Endooarditis und Apoplexie bilden. Die Aneurysmen
können oft lange symptomlos bleiben, und es kann dann der
zwischen dem abgelaufenen Herzleiden und der frischen Hirnblutung verwischt
werden. Derartige embolische Aneurysmen sind zuerst von Ponfick beschrieben
und auf meohanische Weise erklärt worden, während die richtige Deutung der¬
selben als Resultat einer mykotischen Erkrankung der Gefaaswand erst von
Eppinger stammt. (Autoreferat.)
Herr E. Fraenkel bemerkt, dass ihm in der Darstellung des Vortr. ein
Punkt unklar geblieben sei, und zwar in Betreff des ersten vom Vortr. beobach¬
teten Felles. Hier hat sich hinter dem durch einen Pfropf verstopften, suführenden
Arterienast ein Aneurysma entwickelt, und in dem geborstenen Sack hat Vortr.
nichts mehr von Gefässveränderungen und nichts, was auf eine vorangegangene
Embolie hinweist, gefunden. Fr. bittet den Vortr., sich hierüber zu äussern. In
zweien seiner Fälle hat Vortr. zwar Aneurysmen der Hirnarterien, aber keine
Embolie nachgewiesen, hier sei also der Zusammenhang zwischen Endocarditis
und Aneurysmabildung nicht sichergestellt. Die drei letzten Beobachtungen des
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410
Vortr. endlieh, bei denen aoeh Aneurysmen gefehlt hätten and trotzdem Hirn«
blutangen aafgetreten seien, gefahren za der Zahl derer, bei denen man Aber die
Ursachen der Hirnblutung vollkommen im Unklaren sei. Hier könne man also
von einem GaasalitfttBverhältniss zwischen Endocarditis und Hirnblutung ent recht
nicht sprechen. (Autoreferat.)
Herr Deutsohmann erwähnt, dass bei Endooarditis ophthalmoskopisch oft
das Bild der Retinitis septica beobachtet werde, nämlich in beiden Augen
Blutungen in der Netshaut, wozu auch wohl dann und wann weisse Degenerations¬
harde sich gesellten. Dagegen sei es ihm nicht bekannt, dass auch Aneurysmen
an den Netzhautgefassen auftreten, die, wie in den Fällen des Vortr., im Gehirn
das Mittelglied zwischen der Endocarditis und den Blutungen bildeten. Wären
solche Aneurysmen an den Netzhautgefässen vorhanden, so würden sie der oph¬
thalmoskopischen Untersuchung wohl nicht entgangen sein. Bei den V«Änderungen,
die wir am Auge wahmehmen, handele es sich pathologisch-anatomisch entweder
um einen negativen Befund an den Blutgefässen — dann müsste man mit Roth
annehmen, dass in Folge tonischer Veränderungen die Gefäaswand durchlässiger
werde —, oder aber es lägen Thrombenbildungen vor; letztere könnten dann so¬
wohl sogenannte marantische sein, als auch könne eine eitrige Thrombophlebitis
besteben, indem das inficirende Material, die Mikroben, direot in die Gef&esbahn
hinemgeechleppt würden. — Was die weissen Degenerationsherde anlange, so be¬
ständen sie meist ans sogenannten sklerotisohen oder varioösen Nervenfasern,
ganglienzellenartigen Anschwellungen der Nervenfasern mit scheinbaren Kernen.
D. fragt den Vortr., wie sich in seinen Fällen die Netzhaut verhalten habe, and
ob, auch im Gehirn dabei von ihm derartige sklerotische Nervenfasern neben den
Blutungen gefunden seien. (Autoreferat.)
Herr Nonne hebt hervor, dass Hirnblutungen bei specifiseh-syphilitischen
Gefäseveränderungen ausserordentlich selten sind, wie schon die älteren und auch
alle neueren Monographen über Syphilis des Nervensystems hervorgehoben haben.
Hirnblutungen bei Syphilitischen beruhen in der überwiegenden Mehrzahl auf
einer auf dem Boden der Syphilis entstandenen Arteriosklerose. N. selbst hat
niemals Gelegenheit gehabt, anatomisch Hirnblutungen bei Endooarditis verru¬
cosa zu sehen. Hingegen hat er in der Privatpr^xis zwei sich durchaus gleichende
Fälle beobachtet, welche junge Frauen von 24 bezw. 27 Jahren betrafen, bei
denen ein von einem in der Kindheit durchgemaehten Gelenkrheumatismus her¬
stammendes Vitium der Mitralis bestand, welches vollkommen oompensirt war und
nicht die geringsten subjectiven Beschwerden machte. Die Frauen hatten ohne
irgend welche besondere Beschwerden Graviditäten und Geburten durchgemacht.
Bei beiden entwickelte sich ohne eine nachweisbare physische und psyohisohe
Veranlassung während der Nacht das Bild einer acuten Hirnapoplexie, d. h. unter
laichten Insalterscheinungen, ohne Convulsionen, traft eine rechte- bezw. links¬
seitige Hemiparalyse auf, in dem einen-Falle mit leichter motorisoher Aphasie
verbunden^
In beiden Fällen war die Besserung im Laufe der nächsten Monate eine
sehr erhebliche, so dass zur Zeit nur noch unbedeutende motorische Störungen
rectiren. Die Fälle sind seit 6- bezw. 6 Jahren in Beobachtung, und irgend
wekfae neuen Symptome haben sich nicht gezeigt.
Wenn man nioht annehmen will, dass diese Fälle unter diejenigen, schon
dem älteren Antoren bek ann ten selten en Fälle zu rubrieiren sind, in denen eine
Ursac he für eine Hirnapoplexie nioht an finden ist, so muss man annehmen, dass
es sieh um eine localirirte Arteriosklerose handelt. Demi bekanntlich findet sich
mach eine, auf isofarte S trec ke n begrenzte Arteriosklerose nur eines Organs hie
und da schon bei jugendlichen Individuen, ohne irgend eine der bekannten
ursächlichen Momente. Besonders deutlich wurde diese Thztsaebe Herrn N. an
27 *
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420
dem Falle eines 35jährigen, nicht syphilitisch inficirten Alkoholabstinenten and
Nichtrauchers, welcher 2 Jahre hindurch an heftigen Rückenschmerzen litt, die
von verschiedenen Untersuchern verschieden gedeutet wurden, und bei dem die
objective Untersuchung niemals etwas Sicheres ergab. Er starb . acut unter den
Erscheinungen einer Blutung in die Bauchhöhle. Die Obduction zeigte eine auf
eine kurze Strecke der Bauchaorta begrenzte, sehr hochgradige Arteriosklerose,
welche zu einer circumscripten Aneurysmabildung mit Durchbruch geführt hatte.
N. hat seiner Zeit neben Rückenmarken bei Endocarditis ulcerosa auch
solche von Endocarditis verrucosa systematisch untersucht und hie und da Blutungen
in der vorderen grauen Substanz gefunden, wo auch die auf experimentellem
Wege von Rothmann, fioche, Marinesco u. A. erzeugten Blutungen vor¬
wiegend localisirt waren. In einigen Fällen fanden sich die Gefässwandungen
hyalin verändert, in anderen Fällen Hessen Färbungen mit Hämatoxylin und der
Weigert’schen Elasticamethode Veränderungen an den Gefässen nicht erkennen.
Dass es auch schwere Spinalapoplexieen giebt ohne eine kUnisch nach¬
weisbare Ursache, sowie die Thatsache, dass in einzelnen Fällen auch anatomische
Untersuchungen bei spontanen Rückeamarksapoplexieen eine Ursache nach keiner
Richtung erkennen Hessen, ist auch in den neueren Lehrbüchern der Rückenmarks¬
krankheiten zum Ausdruck gekommen.
N. möchte daher die vom Vortr. erhobenen Befunde jedenfalls nicht als die
gewöhnlichen bei Endocarditis verrucosa, sondern als seltene Ausnahmefälle be¬
trachten.
Herr Saenger fragt den Vortr. betreffs genauer klinischer Details der vor¬
getragenen FäUe, specieU danach, ob im 1. FaUe, der eine Apoplexie bei einem
Kinde mit Stauungspapille betraf, nicht ein Tumor cerebri vorhanden gewesen
wäre. In einem ähnHchen FaUe fand sich post mortem erst bei genauer dahin¬
zielender Untersuchung neben einer Hämorrhagie ein infiltrirendes GHom, welches
bei der Obduction vorher übersehen worden war. S. bespricht kurz die cere¬
bralen Kinderlähmungen und betont, wie schwer es sei, gegebenen Falles klinisch
eine embolische Erweichung von einer Apoplexie zu unterscheiden. Es sei sehr
anerkennenswerth, dass Vortr. die Aufmerksamkeit auf die Endocarditis verrucosa
als ätiologisches Moment von embolischen Aneurysmen gelenkt habe, welche ihrer¬
seits wiederum die Ursache der Hirnblutungen darsteUen. (Autoreferat.)
Herr Simmonds (Schlusswort) bestätigt die Angaben des Herrn Deutsch¬
mann, dass bei einem Theil der Retinalblutungen im Verlaufe der Endocarditis
keine Gefässveränderung mikroskopisch nachweisbar sei, während in anderen
FäUen sich die specifischen Bakterien in den verstopften Gefässen finden Hessen.
Ebenso verhalten sich auch die kleinen Hirnhämorrhagieen. Dass es bei der
ulcerösen Form der Endocarditis seltener zu Aneurysmenbildung komme, als bei
der verrucÖ8en, mag daran Hegen, dass bei letzterer Zahl und Virulenz der Bak¬
terien eine geringere sei, dass die Zerstörung der Gefässwand langsamer vor sich
gehe und so die Aneurysmenbildung ermöglicht werde, während bei der schwereren
Form der Endocarditis am Orte der EmboHe rasche Getässdeetruction und Ruptur
ohne das ZwischengHed der Aneurysmenbildung erfolge. Die von Herrn Deutsch¬
mann erwähnten Herde der Retina, die als Haufen sklerosirter Nervenfasern ge¬
deutet werden, bat er gelegentlich auch bei ulceröser Endocarditis geeehen, indess
aber auch bei anderen Erkrankungen, bei Tuberculose, Diabetes, Leukämie, und
er glaubt daher nicht, dass sie in directem Zusammenhang mit der Endocarditis
stehen. Diesen Herden analoge Veränderungen hat er im Centralnervensystem
nicht angetroffen. Die beiden von Herrn Nonne mitgetheilten, jüngere Frauen
betreffenden Beobachtungen sind vieUeicht so zu deuten, dass im Anschluss an
eine abgelaufene Endocarditis sioh Aneurysmen an Hirnarterien gebildet hatten,
welche, zumal da es sich ja nur um minimale Gebilde handeln konnte, Jahre lang
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latent geblieben waren. Nicht so selten treffe man solche Aneurysmen am Hirn
als zufälligen Nebenbefund bei Autopsieen. Dass die Arteriosklerose oft sehr
unregelmässig im Gefässsystem verbreitet ist, darin stimmt er Herrn Nonne zu,
und die Fälle sind gar nioht so selten, wo nur ein Organ, z. B. der Uterus oder
das Hirn, Sitz derselben ist Dann beschränkt sich aber die Sklerose nioht auf
ein Gefä88 dieses Organs. Der sichere Nachweis des Zusammenhanges zwischen
der Endocarditis und dem die Hirnblutung veranlassenden Aneurysma durch Auf¬
finden mykotischer Embolie in zwei seiner Fälle, das Antreffen von Aneurysmen
bei zwei anderen Individuen unter gleichen Verhältnissen, das Auftreten von
Hirnblutungen in drei weiteren, nur durch reourrirende Endocarditis complicirten
Fällen machen es doch wahrscheinlich, dass die Endooarditis in der Aetiologie
der Apoplexie häufiger eine Rolle spielt, als von klinischer Seite angenommen wird.
(Autoreferat)
Nonne (Hamburg).
Xm. internationaler medioinlioher Oongress ln Paria
vom 2.—0. August 1900.
Psychiatrische Seotion.
Herr Eorsakoff f (Moskau): Die Bettbehandlung bei acuten Geiste*»
krankheiten und ihr Einfluss auf die Organisation der Anstalten. (Dieses
sehr ausführliche Referat ist bei Masson u. Co. in Paris erschienen und wird den
Sectionsmitgliedern überreicht)
Herr SerbBki (Moskau) verliest einen Auszug aus demselben:
1. Man hat in der Frage der Bettbehandlung zweierlei zu unterscheiden,
nämlich die Bettbehandlung als eine besondere Art des inneren Anstaltsbetriebes
(systÄme de l’alitement) und die Bettbehandlung als therapeutisches Mittel.
2. Für die Bettbehandlung als besonderes System des inneren Anstaltsbetriebes
gelten die folgenden Grundsätze:
a) Die Anwendung der Bettruhe ist ein wesentliches Moment der Behandlung.
Bezüglich der Dauer und der Einzelheiten der Bettbehandlung ist von Tag zu
Tag nach individuellen Indicationen zu bestimmen.
b) Die Bettbehandlung darf nicht mit Anwendung von Zwang durohgefÜhrt
werden, sondern mittels moralischer Einwirkung und des suggestiven Einflusses
des Milieus.
o) Es ist eine besondere Ueberwachung, Pflege und Beobachtung der Kranken
nöthig.
Die Abschaffung der Zellen ist principiell keine Grundbedingung des Systems
der Bettbehandlung, trägt aber bei zur Vervollkommnung und zur Verallgemei¬
nerung des Systems. Andererseits ist die Einschränkung des Gebrauchs der Zellen
eine der ersten Wohlthaten der Bettbehandlung.
3. Die Bettbehandlung muss nicht nur in den Wachabtheilungen, sondern
in sämmtlichen Krankenabtheilungen angewendet werden.
4. Das Wesentliche des Systems ist die genaue Bestimmung der Stunden»
zahl, während deren der Kranke zu Bette bleiben soll, der Spaziergänge und der
Beschäftigung ausserhalb des Bettes. Die Bettruhe kann eine absolute sein,
längere oder kürzere Zeit oder nur ganz kurz dauern.
5. Die Kranken müssen sich aus eigenem Antrieb der Bettbehandlung unter»
ziehen. Dies wird erreioht durch entsprechende moralische (psychische) Beein¬
flussung von Seiten der Aerzte und des Pflegepersonals und durch eine besondere
Autosuggestion, deren Entstehen durch eine gut geregelte Vertheilung der Kranken
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gefördert wird. Das Festhalten im Bett durch Zwang gehört durchaus nicht su
den Eigentümlichkeiten der Bettbehandlong.
6- Die Bettbehandlung soll am besten in gemeinsamen 881 en für 4—16 Per¬
sonen stattfinden; man muss sie allerdings manchmal auch in Einzelzimmern «n-
wenden, doch kommt dies nur wenig in Betracht. In den kleinen Spitälern, be¬
sonders in solchen, wo keine gemeinsamen Säle zur Verfügung stehen, hat äm
„S ysteme d’alitement“ nur eine geringe Bedeutung; es kommt dagegen sehr nr
Geltung in Anstalten, in denen viele acut Kranke in gemeinsamen Sälen m*
sammen liegen.
7. Die hauptsächlichsten Vortheile der Bettbehandlong sind: eine bewert
Ordnung in der Anstalt, besonders wenn sie überfüllt ist; grössere Sicherheit für
die Kranken, deren Verpflegung leichter wird; regelrechte klinische Beobachtung
der Kranken; seltene Benutzung der Isolirzimmer. Das Einsperren in Zellen
kann gänzlich vermieden werden. Die Krankheiten mit Erregungszuständen
nehmen einen milderen Verlauf, die Sterblichkeit wird bei einigen schweren acuten
Psychosen in auffallendem Maasse verringert.
8. Bei Anwendung der Bettruhe braucht man nicht andere erprobte Be¬
handlungsweisen zu vernachlässigen, wie das „traitement moral“, das „no-restraint“,
die Beschäftigung der Kranken, das offene Thörsystem. Eine glückliche Com-
bination aller dieser Systeme ist sehr wohl möglich.
9. Der Quietismus (Inactivität), der sich unter dem Einflnse der Bettbehand-
hing manches Mal bei den Anstaltsärzten einstellt, ist nicht eine nothwendige Folge
des Systems, sondern ein Missbrauch.
10. Für jeden einzelnen Fall ist Tag für Tag genau die Indicatdon zu prüfen.
11. Vielfach wird, vom wissenschaftlichen Standpunkt aus, beim Stellen der
Indicatdon nicht richtig verfahren, weil die exacten Beobachtungen fehlen. Hier
ist nooh vieles aufzu klären, wie der Einfluss der Bettruhe und des Mangels au
Bewegung auf die Zusammensetzung des Blutes, auf die (Ausscheidung der im
Organismus entstandenen toxischen Stoffe, auf die psychischen Functionen, be¬
sonders auf die Energie der Willenskraft (aetive Apperoeption).
12. Die empirisch gewonnenen Indicationen und Gegenindieationen für die
Bettbehandlong sind abhängig von bestimmten einzelnen Symptomen.
13. Das wichtigste Symptom für die Indicatdon der Bettbehandlung ist der
Erregungszustand. Die Bettruhe ist ein sehr wirksames Beruhigungsmittel bei
Erregung nicht nur mit, sondern auch ohne motorische Unruhe.
14. Absolute, sehr lange dauernde Bettruhe ist im allgemeinen nicht em*
pfehlenswerth, zumal nioht bei apathischen, verschlafenen, anämischen Kranken.
15. Alle aonten Formen, besonders in den ersten Stadien, eignen sich — die
individuelle Indication vorausgesetzt — für die Bettbehandluug. Besonders in
nennen sind die Manie (in der Mehrzahl der Fälle), das Delirinm tremens, einige
Arten der acuten Verwirrtheit (Amentia, Dysnoia), die Melancholie. Bei Patienten
mit Verwirrtheit in Folge InJectionskrankheit und bei sehr erschöpften Individuen
ist die Indication der Bettruhe eine vitale. Einmal gelingt die Bettbehandlung
leioht, das andere Mal nur sehr schwierig. Der Erfolg ist unabhängig davon, ob
die Bettbehandlung leicht oder schwer war.
Bei ruhigen chronisoh Kranken ist die Bettbehandluug nicht anzuwenden.
Es wäre sehr wichtig, den Einfluss der nicht allzu streng gehandhabten Bett¬
behandlung auf die Psychosen jugendlicher Personen, die noch nicht unheilbar
geworden sind, zu untersuchen.
16. Die Bettbehandlong macht einige Aenderungen in den therapeutischen
Abtheilungen der Anstalten nöthig. Alle Säle mit Betten müssen so gebaut
werden, dass man sie gut überblicken kann. Man branoht dann auch keine
Zellenabtheilungen mehr.
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428
Herr Klemens Neisser (Leubus): Die Einführung der Bettbehandlung be¬
deutet den lotsten und definitiven Schritt in der Benrtheilong and Behandlung
der Irren als Kranker. In «nsweideotiger Weise wird durch dieselbe der Kranken¬
hauscharakter der Irrenanstalt auch äusserlich aufgeprägt, eine wirklich sach-
gemäese Krankenpflege gewährleistet and in der Therapie (namentlich der acuten
Psychosen) den physiologischen Gesichtspunkten Rechnung getragen.
Es empfiehlt sich, gesondert zu behandeln'die Bettbehandlung als therapeu¬
tische Einaelanordnnng und die Bettbehandlung als Anstaltsregime. Ueber letztere
möge zuerst gehandelt werden, da zwar das Regime sich aus der Geeammtheit
der Einseianordnungen zusammensetzt, die Bettbehandlung des Einzelnen aber in
der Durchführung von der Gestaltung des Anstaltsganzen im Wesentlichen ab¬
hängig ist.
A. Die Bettbehandlung als Anstaltsregime.
1. Das allgemeine Princip möchte ich dahin formuliren, dass alle Elemente,
deren Haltung und äusseres Benehmen ungeordnet, erregt oder überhaupt auffällig
ist, mögen sie melancholisch, maniakalisch, hallucinatorisch verwirrt, Paranoiker,
Epileptiker oder einfach Demente sein, am besten im Bett aufgehoben sind. Sie
mögen, wenn der Arzt es für angezeigt hält, zur Theiln&hme an Arbeit und Zer¬
streuungen, zum Gartenbesuch oder vielleicht zum Essen das Bett verlassen, aber
ihr stumpfes Umherhocken oder ihr ungeregeltes Durcheinanderwirbeln auf Corri-
doren und in den Aufenthaltsräumen ist unbedingt zu verpönen und durch die
Bettruhe zu ersetzen. (Gewisse Angriffe zwingen mich zu einer persönlichen An¬
merkung: Niemals habe ich die Meinung zu erwecken gesucht, als stamme die
therapeutische Anwendung der Bettruhe bei psychischen Erregungszuständen von
mir her. Im Gegentheil habe ich in meinen Publicationen mit Wärme diejenigen
gefeiert, welchen diese segensreiche Therapie zu verdanken ist Was ich aber
ausser der zu meiner Freude erfolgreichen Propaganda und abgesehen von ver¬
schiedenen Einzelheiten unbedingt für mich in Anspruch nehmen muss, das ist:
die Bettbehandlung als durchgreifendes Anstaltsregime aufgestellt und gezeigt zu
haben, dass dasselbe auch in Anstalten alten Stiles in vollstem Umfange und mit
einem Schlage durchführbar ist.)
2. Die Bettbehandlung beginnt unmittelbar nach der Aufnahme des Kranken
in die Anstalt, bezw. nach dem sich daran anschliessenden Bade. Da auf alle
Fälle für die genaue Untersuchung des Arztes bei der Visite der Kranke zu Bett
liegen muss, so bedarf es für diese erste Anordnung keiner besonderen therapeu«
tischen Indication. Mit anderen Worten: Die Bettbehandlung ist das zunächst
selbstverständliche Anstaltsregime, ihre Unterbrechung für Zeit oder ihre Auf¬
hebung im Einzelfall bedarf der besonderen Anordnung des Arztes.
3. Da durch die Bettbehandlung die nothwendige Aufsicht und Pflege er¬
leichtert, in vielen Fällen sogar erst ermöglicht wird, so kann ihre Anwendung
aus diesen curativen Gesichtspunkten und im Interesse des Ganzen auch bei
solchen Kranken geboten sein, wo eine directe therapeutische Einwirkung nicht
oder nioht mehr zu erhoffen ist.
B. Die Bettbehandlung als therapeutisches Verfahren.
1. Die Bettbehandlung ist kein specifisches Heilmittel für Psychosen, ebenso
wenig wie sie dies für fieberhafte oder andere consumirende Krankheiten ist.
Sie ist nur ein Hülfigmittel der Therapie, welche im Uebrigen völlig individuell
von Fall zu Fall zu gestalten ist. Dass die Bettbehandlung, diese einfachste,
nächst liegende und populärste Maasen ahme jedes Arztes, in ihrer Ausdehnung auf
Geisteskranke fast wie ein neues und eigenartiges System wirkt, was sie nioht
ist und ihrer ganzen Natur nach nicht sein kann, ist nur im Hinblick auf die
historische Entwickelung der Psychiatrie verständlich.
Google
424
2. Die Bettbeh&ndlung erfüllt nur eine einzige directe therapeutische In.
dication: eie erzeugt Gehimruhe. (Es ist Werth zu legen auf die physiologische
Fassung dieses Ausdruckes im Gegensatz zu den Versuchen psychischer Einwirkung!)
3. Sie ist also überall indicirt, wo es gilt, Beizsymptomen entgegen za
wirken, in erster Linie also bei allen Erkrankungsformen acuten Charakters.
4. Dem psychischen Zustande im Einzelnen ist dabei hauptsächlich durch
geeignete Unterbringung und GVuppirung der Kranken Rechnung zu tragen.
(Bettbehandlung in einem der gemeinsamen Krankensäle, Bettbehandlung im
Einzelzimmer, mit offener, mit geschlossener Thür, aber selbstverständlich bei
dauernder Wartung u. s. w.). Weitgehendste Individualisirung ist in allen diesen
Fragen dringendes Erforderniss.
5. Ist einerseits, so lange ein florider Krankheitsprocess besteht, die thera¬
peutische Hauptaufgabe physische Ruhe, Ruhe für das erkrankte Organ za
schaffen, so ist andererseits, sobald die acuten Erscheinungen zu schwinden be¬
ginnen und bei fehlender Heilungstendenz, die therapeutische Aufgabe: Erhaltung
und Belebung der Reste der psychischen Persönlichkeit durch adäquate Be¬
tätigung.
Die Schwierigkeit ist, den richtigen Zeitpunkt abzupassen; wird derselbe
versäumt, so bildet sioh leicht physisch und psychisch ungünstig wirkende Bett¬
sucht heraus, welche schwer zu bekämpfen ist.
Nicht selten empfiehlt es sich, noch während des acuten Stadiums Bettbehand¬
lung, Arbeit und Bewegung in frischer Luft zu combiniren, was in verschiedener
Weise geschehen kann. („Bettbeschäftigung“, Systeme mixte, Toulouse.)
Namentlich bei den Psychosenformen des Jugendalters darf die Bettbehand¬
lung nicht zu lange ausgedehnt werden.
C. Modificationen in der Organisation der Anstalten durch die
Bettbehandlung.
1. Die Bettbehandlung lässt sich ohne irgend erhebliche bauliche Modificationen
auch in alten Anstalten durchführen. Demonstration der Pläne von Leubus.
2. Gesonderte Zellenabtheilungen müssen endgültig verschwinden (ausser in
V erbrecherasy len).
3. Möglichst viele und in der Anlage im Einzelnen variirte, nicht grosse
Abtheilungen sind für Bettbehandlung wünschenswerth. Bei Durchschnittsverhält¬
nissen mittelgrosser gemischter Heil- und Pflegeanstalten dürfte für je 100 Kranke
etwa 2 bis 3 solcher Abtheilungen zu etwa 20 Kranken erforderlich sein. Jede
dieser Abtheilungen möge aus 3 bis 4. freundlich eingerichteten, verschieden
grossen Räumen für gemeinschaftlich Bettlägerige, einem gemeinsamen Aufenthalts¬
raum und 1 bis 2 Einzelzimmern bestehen. Die Räume sollen so angeordnet
sein, dass eine genügende Aufsicht durch wenige Wartepersonen (mindestens aber
müssen jederzeit zwei für jede Abtheilung anwesend sein) geleistet werden kann.
4. In jeder Abtheilung ist für möglichst reichliche Badegelegenheit zu
sorgen.
5. Mehr als 100 bis höchstens 200 Kranke sollten auf den einzelnen Arzt
— auch bei mässigem Wechsel des Bestandes — nicht gerechnet werden. Andern¬
falls ist die Bettbehandlung schwer durchführbar — aber auch jede andere Art
ärztlicher Behandlung.
6- Eine Vermehrung des Wartepersonals wird durch die Bettbehandlung
nur insofern bedingt, als kürzere Dienstzeit und somit reichlichere Ablösung ge¬
boten ist. Es ist klar, dass wirkliche Krankenpflege anstrengender ist, als die
Beaufsichtigung von in Zellen eingesperrten oder gar gefesselten Menschen.
7. Das Wartepersonal muss unbedingt dem Arzte unterstellt sein und durch
ihn seine Unterweisung empfangen.
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8. Bei Einführung der Bettbehandlung wird daroh Wegfall gesonderter
Schlafraume für eine Anzahl von Kranken Platz gespart.
9. Nach in der Anstalt Leubus gemachten Zusammenstellungen bedingt die
Bettbehandlung auch in wirthschaftlicher Hinsicht (Bekleidungstitel!) eine nicht
unerhebliche Ersparniss.
Herr Jules Morel (Mons): Die Bettbehandlung der Geisteskranken wurde
als etwas ganz Neues zuerst angegeben von Guislain im Jahre 1852 (während
Conolly 1854 die Abschaffung der Zwangsmittel verlangte).
1854 übersetzte H. Lähr die Schrift von Guislain und machte so seine
Lehre in Deutschland bekannt.
1860 empfahl Ludwig Meyer die Bettbehandlung bei acuten Psyohosen,
seine Anschauung wurde 1864 durch Falret bestätigt. Die Bettbehandlung fand
in den Ländern deutscher Zunge bald grosse Verbreitung (Brosius, Rabow,
Hergt, Pätz, Scholz, Wille, Kraepelin u. A.). 1878 führte Seiden
H. Talcott die Klinotherapie in der Irrenanstalt Middletown (Vereinigte
Staaten) ein. Belle und Lemoine empfahlen sie 1888. Im folgenden Jahre
brachte Neisser die Sache von Neuem in Bewegung. Seither wenden Magnan,
Joffroy, Briand, Toulouse, Särieux in den Pariser Anstalten die Bettruhe
an, Serieux hat durch zahlreiche vorzügliche Arbeiten zur Verbreitung dieser
Heilmethode beigetragen, von der er jenseitB des Rheines so glänzende Er¬
folge sah.
Die Bettbehandlung ist indicirt:
1. Bei motorischer Unruhe, manischer Erregung, acuten oder chronischen
Depressionszuständen (Manie, hallucinatorisches Irresein, Verwirrtheit, toxisches
Delirium, Melancholie, Stuporzustände, Demenz u. s. w.).
2. Wenn der Kranke leidet oder ein Schwäche- oder Erschöpfungszustand
einzutreten droht, bei Unreinliohkeit.
3. Bei allen Kranken mit körperlichen Leiden, bei blutarmen und schwachen
Personen.
Ferner ist die Bettbehandlung anzuwenden ohne speciellen therapeutischen
Zweck zur grösseren Sicherheit des Kranken und des Dienstes. Hierher gehören
die Fälle, bei denen eine beständige Ueberwachung nöthig ist, z. B. Kranke mit
Selbstbeschädigungs- und Selbstmordtrieb, mit Neigung zu Gewaltacten, Epilep¬
tische mit häufigen Anfällen, Kranke mit Nahrungsverweigerung und abnormen
Gewohnheiten, z. B. solche, die sich zu verstecken suchen, die in den Sälen und
Höfen herumliegen.
Bei der Mehrzahl der Kranken ist die Bettbehandlung ohne grosse Schwierig¬
keit durchführbar. Einige Ausnahmen (z. B. bei ängstlicher Melancholie, schreck¬
haften Hallucinationen) dürfen nicht entmuthigen. Bis der Kranke für die Bett¬
behandlung zugänglich ist, behilft man sich mit Behandlung im Einzelzimmer,
mit Medkiamenten, im Nothfalle auch mit der Zelle.
Alle frisch Aufgenommenen, ob acut oder chronisoh krank, gehören ins Bett.
Der Gedanke, im Bett liegen zu müssen, suggerirt den anderen Gedanken, that-
sächlich krank zu sein, und diese Idee wird gestützt durch die Pflege von Seiten
verständiger Wärter und durch die ärztliche Untersuchung.
Die Bettbehandlung ist nur durchführbar, wenn genug psychiatrisch vor¬
gebildete Aerzte, ein gut unterrichtetes Wartepersonal und geeignete Gebäude
vorhanden sind.
Um zweckmässig vorgebildete Aerzte zu bekommen, müssen an allen Univer¬
sitäten psychiatrische Kliniken geschaffen werden; wer Irrenarzt werden will, muss
sich ein besonderes Diplom erwerben; wer Anstaltsarzt werden will, muss eine
besondere Prüfung machen. Das Irrengesetz muss nähere Bestimmungen hierüber
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enthalten, vor allem muss ee fordern, dass Niemand ärztlicher Director oder Chef¬
arzt einer Anstalt werden kann, der nicht vorher eine bestimmte Anzahl von
Jahren Assistenzarzt gewesen ist.
Alle Aerzte, die diese Vorbedingungen erfüllt haben, sollen im Specialfach be¬
schäftigt werden; zunächst sollen ihnen die mit den Anstalten verbundenen Labo¬
ratorien zugänglich sein.
Alle Aerzte müssen in der Anstalt wohnen; in wichtigeren Abtheilungen
sollen besondere Wohnungen für Assistenzärzte vorhanden sein.
Auf 100 Kranke soll ein Arzt kommen, wenn die Anstalt keine Blödsinnigen
aufnimmt, thut sie dies aber, so kann ein Arzt auf 125 Kranke gerechnet werden.
Die Wärterfrage hat seit 25 Jahren bedeutende Fortschritte gemacht. In
den meisten nordischen Ländern, wo die ärztlichen Directoren das Recht haben,
die Wärter anzustellen und zu entlassen, giebt man den Wärtern eine besondere
Berufsbildung; in England und Holland werden Diplome verliehen, und die Direc¬
toren verlangen von ihren Wärtern, dass sie regelrecht sich vorbereiten und die
Prüfung machen, um das Diplom zu bekommen. Grossbritannien hat zur Zeit
mehrere tausend diplomirte Irrenpfleger, Holland hat deren schon 800.
Den diplomirten Irrenpflegern gebührt eine bevorzugte Stellung vor dem
gewöhnlichen Dienstpersonal. Man muss ihnen eine behagliohe Wohnung in der
Anstalt geben, bei Krankheit, Unfall für sie sorgen, eine Pensionskasse für sie
schaffen.
Die Bettbehandlung ermöglicht überall die Durchführung des no-reetraint
Der Arzt, der einmal eine Weile die Wohlthaten des no-restraint empfunden hat,
wird nicht mehr zu den Zwangsmitteln zurückkehren. Viele Pfleger, die ursprüng¬
lich gegen die Einführung des no-restraint sich auflehnten, worden schliesslich
so von den Vorzügen desselben überzeugt, dass sie vom alten Regime mit Zwangs¬
mitteln nichts mehr wissen wollten.
Die Anstalten müssen entsprechend eingerichtet werden, damit man die Bett¬
behandlung auch richtig durchführen kann. Kranke, wie Wärter, die ihre meiste
Zeit in der Anstalt sioh aufhalten, müssen es behaglich um sich haben. In jeder
Abtheilung sollen ein oder mehrere Badezimmer mit Lavabos sich befinden, Ab¬
tritte, eine Kleider- und eine Weisszeugkammer. Ein Putzzimmer, mehrere Einzel¬
zimmer, eine kleine Küche dürfen nicht fehlen. Die Abtheilung muss so eingetheilt
sein, dass der Wärter bequem alles übersehen kann. Sterbende sollen in ein be¬
sonderes Zimmer gelegt und Todte durch einen besonderen Ausgang weggebracht
werden.
Sehr wiohtig ist die richtige Vertheilung der Kranken in die verschiedenen
Abtheilungen. Die Ruhigen, Verständigen, Genesenden sollen fast unbeschränkte
Freiheit gemessen.
Schlussfolgerungen: Jeder frisch aufgenommene Kranke kommt zunächst auf
die Wachabtheilung, auf der dem Arzte behufs genauer Untersuchung alle Hülfs-
mittel (neue Apparate u. s. w.), die die Wissenschaft kennt, zur Verfügung stehen.
II. Zu Bett gelegt werden:
1. Alle acut oder chronisch Kranken im Erregungs- oder Depressionszustand.
2. Die Kranken mit allgemeiner Ernährungsstörung.
3. Die Kranken, die sich ungeordnet benehmen, wie Unreine, Nahrungs¬
verweigernde, Selbstmord- und Zerstörungssüchtige u. s. w.
4. Die Kranken mit schweren somatischen Leiden.
III. Um thatsächlich das Ziel der Bettbehandlung zu erreichen, ist nöthig:
1. dass die Anstalt genug Aerzte hat;
2. dass die Aerzte in der Anstalt wohnen und thatsächlich alle bei der Be¬
handlung der Kranken mitwirken;
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3. dass keine Zwangsmittel angewandt werden, ausser in seltenen Ansnahmef&llen;
4. dass die Aente Wlrtenmterricht ertheilen und ungeeignete Elemente aus
dem Wärtersiand entfernen;
5. dass die Wärter intelligente und sittlich unbescholtene Personen sind,
genügend beaahlt werden und nach einer bestimmten Reihe von Jahren eine
Pension zu erwarten haben;
6. dass die Gebäude allen billigen Anforderungen entsprechen und behaglich
eingerichtet sind.
Herr Doutrebente (Blods) hat die Anwendung der Bettbehandlung versucht,
soweit dies in einer grossen Anstalt mit nur swei Aerzten möglich ist Man muss
sehr vorsichtig in der Auswahl der Kranken sein. Die therapeutischen Erfolge
sind ausser bei Melancholie sehr zweifelhaft Bei progressiver Paralyse und De¬
mentia praecox wurden schlechte Resultate erzielt, hei frischer Manie waren sie besser.
Herr Neisser betont dagegen, dass bei s&mmtliehen Geisteskrankheiten die
Bettbehandlung als Heilmittel angewandt werden könne.
Herr Briand (ViUejuif) wendet die Bettbehandlung seit 4 Jahren an. Manche
Paralytiker eignen sich nicht dafür, weil sie sich ohne Zwang nicht im Bett
halten lassen.
Herr Tbc hi sch (Dorpat): Dank der Bettbehandlung sieht die Irrenanstalt
ja schöner aus, ganz wie ein anderes Krankenhaus, aber die Geisteskranken haben
wenig davon; die Dauer der Psychosen wird dadurch nioht abgekürzt.
Herr Magnan: Ich wollte eigentlich in der Discussion das Wort nicht er¬
greifen, weil ich Ihnen morgen bei Ihrem Besuch in St. Anne die Bettbehandlung
praktisch demonstriren werde. Indessen den Aeusserungen meines Vorredners
muss ich unbedingt und scharf widersprechen. Meine Beobachtungen haben mir
zweifellos bewiesen, dass die Geisteskranken sicher sehr viel von Bettbehandlung
haben. Die hochgradigste Manie wandelt unter ihrem Einflüsse sich um in eine
leichte Form der Manie. Die Heilung tritt rascher ein.
Herr Mairet und Herr Ardin-Delteil (Montpellier) haben die Einwirkung
der Bettbehandlung auf 90 kranke Frauen genauer studirt. Davon 36 alte Fälle
mit verschiedenen Formen von Psychosen; bei diesen wurde nicht der geringste
Erfolg erreicht. Weder der Verlauf der Krankheit, noch die Wahnideeen, noch
Erregung oder Depression wurden irgendwie beeinflusst. Die 55 frisohen Fälle
litten alle an Psyehosen, die für heilbar gelten (Manie, Melancholie, Irresein nach
Infeetümskrankheiten, Verwirrtheit, Verfolgungswahn; Alkoholpeychose aus¬
geschlossen). 11 Kranke (20%) genasen im Bett. Bei 36 Kranken musste die
Bettbehandlung aufgegeben werden, weil trotz zwei, drei und mehr Monate lang
angewandter Bettrahe kein Erfolg eintrat, oder weil körperliche und geistige
Storungen sich einstellten (Verlost des Appetits, Anämie, Gewichtsabnahme, heftige,
anhaltende Kopfschmerzen, Schwindel, Masturbation, Unreinliohkeit, Verschlimme¬
rung der Psychose selbst); von diesen 35 Kranken wurden schliesslich 13 geheilt.
Von den 9 übrig bleibenden Kranken starben 6, die anderen 3 liegen zur Zeit
noch zu Bett schon seit mehr als 2 Monaten, ohne dass bis jetzt ihr Zustand
sieh geändert hätte. Bei den gleichen Psychosen, wie die neuerdings mit Bett¬
ruhe behandelten, wurde 1896, 1897 und 1898 in 42, 44,6 und 33% der Fälle
Heilung erzielt. Damit verglichen sind die 20% Genesung durch Bettbehandlung
recht wenig; rechnet man die 13 Fälle dazu, bei denen die Genesung erst erfolgte,
nachdem die Kranken aufgestanden waren, so steigt die Procentzahl auf 43,6 —
die Heilungserfolge sind also die nämlichen bei der Bettbehandlung wie ohne sie.
Die allgemeine Anwendung der Bettbehandlung ist also nioht zu empfehlen. In
manchen Fällen (periodische Manie, Irresein nach Infectionskrankheiten) scheint
die Krankheitsdauer durch die Bettruhe etwas abgekürzt zu werden. Die Sterb¬
lichkeit wird durch die Bettbehandlung nicht vermindert.
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Herr Braesco (Jassy, Rumänien): Da repos aa lit dans le traitement
des psyohoses aiguös et aurtout dans la pellagre.
Vortr. hat in 2 1 / a Jahren bei 91 acut Pellagrakranken, die an Melancholie,
manischer Erregung oder Verwirrtheit litten, die Bettruhe angewandt; 80 wurden
geheilt, wenigstens von ihrem Anfall, 6 wurden dement, 5 starben an inter-
currenten Krankheiten oder an Kaohexie. Also sehr gute Erfolge.
Herr B6rillon (Paris): De la Suggestion hypnotique et de la psycho-
thdrapie dans le traitement de la morphlnomanie.
Die Behandlung zerfällt in 4 Perioden:
1. Vorbereitungsperiode.
2. Periode der allmählichen Entziehung.
3. Periode der völligen Entziehung.
4. Periode der Genesung.
Je methodischer die Behandlung, desto rascher kommt es zur Genesung. In
der Zeit der Reconvalesoenz sind hydrotherapeutische Maassnahmen von Werth.
Gleichzeitig müssen Suggestionen weitergegeben werden, die Ekel am Morphium
und Abscheu vor den Injectionen bewirken sollen. Es sohwinden die hysteri-
formen Symptome, bei den Frauen stellt sich die Menstruation wieder ein; ei
werden mit dieser Methode Heilungen bei ganz verzweifelten Fällen
erzielt.
Herr Pierre Parisot (Nancy): Des halluoinations visuelles oompldmen-
taires ohez les amputös.
Herr P. Hartenberg (Paris): Les form es pathologiques de la rougeur
ömotive.
Es sind drei Grade zu unterscheiden:
1. Es besteht eine erhöhte Reizbarkeit des vasomotorischen Centrums, deren
Intensität in keinerlei Verhältnis« zu den auslösenden Ursachen steht (Maladie
de la rougeur ou ereuthopathie).
2. Das Erröthen complicirt sioh mit Angstgefühlen. Es entwickelt sich ein
Angstzustand — 6reuthophobie —, der gekennzeichnet erscheint durch anfalls¬
weise auftretende Krisen.
3. Der Angstzustand ist chronisch geworden. Der Kranke vermag an niohta
anderes als an das Erröthen zu denken; es ist zur Ausbildung einer fixen Idee
gekommen, die Denken und Fühlen beherrscht (Zwangsvorstellung vom Er¬
röthen). Zur Aetiologie ist unter Anderem zu bemerken, dass es sioh meist um
degenerirte Individuen handelt.
Herr P. Hartenberg (Paris): Sur la növrose d’angolsse.
Vortr. bespricht die Anschauungen Freud’s (Wien) und hält es in Ueber-
einstimmung mit diesem für richtig und zweckmässig, die Angstneurose von der
Neurasthenie zu trennen. Die Angstneurose wird ausschliesslich durch Storungen
in den Gefässen und Organen erzeugt, die vom Sympathious innervirt werden.
Man könnte also auch von einer Neurose in Folge reizbarer Schwäche des Sym-
pathicus sprechen im Gegensatz zur klassischen Neurasthenie, die der Ausdruck
der reizbaren Schwäche des gesammten centralen (oerebrospinalen) Nervensystems
ist. In der Praxis findet man allerdings, wie eben Centralnervensystem und
Sympathious gleichzeitig angegriffen sein können, die Symptome der Neurasthenie
und der Angstneurose oft nebeneinander.
Herr M. Faure (Paris): Importenoe des lösions hdpatiques dans le«
oas de dölire au oours des maladies infeotleuses.
Herr Lad. Haskoveö (Prag): Beitrag zur Kenntnis« der Zwangs¬
vorstellungen.
Seit Morel (1866), Griesinger (1868) und Westphal (1877) ist über
das Wesen, Definition und nosographische Stellung der Zwangsvorstellungen viel
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▼erhandelt worden; doch harren manche Punkte noch ihrer Erledigung. Was
die Primordialität der intellectuellen oder affectiven Störungen anlangt, so sind
die Autoren in zwei Lager gespalten, da man die Phobieen und die eigentlichen
fixen Ideeen nicht scharf genug von einander gesondert hatte. Vortr. hat darauf¬
hin mehr als 100 Fälle studirt und darunter solche gefunden, bei denen die
intellectuellen Störungen deutlich die primären waren,. während bei der Mehrzahl
dies für die affectiven galt. Zu enteren gehören die fixen Ideeen Westphal’s,
Griesinger’s, Meschede’s, zu letzteren die grosse Gruppe der Phobieen (Morel’s
Dälire emotif, Freud’s Angstneurose u. s. w.). Man beobachtet zuweilen bei dem¬
selben Individuum, dass bald die intellectuellen, bald die affectiven Störungen die
primären sind. — Unter den Fällen giebt es eine grosse Zahl von Uebergängen,
und es lässt sich oft schwer bestimmen, ob es sich um eine Phobie oder eine
Zwangsvorstellung im eigentlichen Sinne handelt. Diese Uebergangsfälle sind
die Veranlassung, dass Pitres und R6gis die Phobieen unter die Zwangs¬
vorstellungen und umgekehrt eingereiht haben. Vortr. wendet sich gegen die
Auffassung dieser beiden Autoren, wonach die Zwangsvorstellung oft nichts weiter
ist als die veranschaulichte Phobie, und dass die emotiven Elemente bei jeder
Zwangsvorstellung das Primäre seien; auch glaubt er nicht, dass die Idee in dem
Zustande des Zwanges eine substituirte sei, welche durch irgend einen Mechanismus
die Stelle der ursprünglichen, stets auf das Geschlechtsleben des Individuums (wie
Freud, behauptet) gerichteten Idee einnehme. Pitres und Rägis nehmen bei
der Ereuthophobie an, dass die Gemüthsbewegung immer in erster Reihe stehe;
die Gemüthsbewegung wird für sie zu einem biologischen Vorgang, der aus einem
physischen Element (Gefassinnervationsstörungen) und einem secundären (Empfin¬
dung) zusammengesetzt sei. Diese Analyse lässt sich bei vielen Fällen anwendeD,
aber nicht bei allen. Es giebt Fälle, bei denen BelbBt in der Ereuthophobie die
Idee ein primäres Element darstellt. Was die Gemüthsbewegung anlangt, so
glaubt Vortr., dass neben den vasomotorischen Störungen es auch Anomalieen der
Innervation des Sympathicus sind, welche ein Element der Gemüthsbewegung aus¬
machen können. Nach Magnan steht der Sympathicus im Dienst der geistigen
Situation. Manchmal findet das Gegentheil statt. Vortr. glaubt, dass selbst die
allgemeine Ernährung auf die intellectuelle Sphäre einen Einfluss ausübt, und
dass man hier einen circulus vitiosus der wechselseitigen Wirkung vor sich hat.
Er führt dabei Beispiele an. — Vortr. neigt zur Annahme Griesinger’s, West¬
phal’s und Meschede’s in Bezug auf die Zwangsvorstellungen im eigentlichen
Sinne und glaubt, dass zwischen den Phobieen (emotive Sphäre) und den fixen
Ideeen (intellectuelle Sphäre) ein Unterschied besteht, wie zwischen diesen und
verschiedenen krankhaften Syndromen der motorischen, sensorischen und sensiblen
Sphäre. In Anbetracht der Einheitlichkeit des gesammten Nervensystems können
die krankhaften Syndrome zu gleicher Zeit in mehreren Sphären auftreten. In
der Kette dieser krankhaften Syndrome nimmt die Epilepsie einen besonderen
Platz ein. Griesinger war der erste, welcher den Zusammenhang zwischen den
epileptischen Krämpfen und den Anfällen von Zwangsvorstellungen erwähnt. Seit
dieser Zeit hat man davon Abstand genommen, darin eine Analogie zu erblicken.
Vortr. erinnert an die jüngsten Untersuchungen von S£glas über den BewuBstseins-
znstand bei Zwangsvorstellungen. Klarheit des Bewusstseins ist danach für den
Zwangsvorgang nicht absolut nothwendig. Vortr. berichtet hierauf über 2 Kranke
(einen Epileptiker und einen an typischen Zwangsvorstellungen Leidenden), bei
welchen man eine Art von Dissociation der Persönlichkeit beobaohten konnte.
Dieselbe paroxystische Dissociation wurde beobachtet bei einer an Augenmigräne
leidenden Person. Im Gegentheil, die Impulsionen vor oder nach dem epilep¬
tischen Anfall können bis zu einem gewissen Grade bewusst sein. Der Vortr.
theilt einen einschlägigen Fall mit. WaB die Aetiologie der Phobieen und
430
Zwangsvorstellungen anlangt, so glaubt Vortr., dass es nicht Zufall ist, dass ne
so oft in der Pubertät, in den kritischen Jahren der Frau, in der Menstruation,
Laktation, nach Onanie und anderen sexuellen Anomalieen and Excessen und nach
dem Abortus auftreten. ln allen diesen F&llen kann die Aenderung der all*
gemeinen Ernährung die Ursache der nervöeen Störungen sein. Es ist dies ein
sehr schwieriges, sehr wenig studirtes und doch sehr wichtiges Kapitel dar Neue*
pathologie. Neben den oben erwähnten Ursachen hat Vortr. bei der Aetiologie
der Zwangsvorstellungen eine Bolle spielen sehen: Erblichkeit, Gemfithsbewegong,
geistige Ueberanstrengung, Coffein- und Leuehtgsevergiftung, Dyspepsie, Ver¬
stopfung, Blutarmuth. — Die Phobieen und Zwangsvorstellungen traten nicht nur
bei den degenerirten, sondern auch bei den verhältnissmässig normalen Personen
unter den Einfluss verschiedener Ursachen auf Die Aetiologie und Pathogenese
der Phobieen und fixen Ideeen sind dieselben wie diejenigen der grossen Grupp«
der functioneilen Störungen des Nervensystems, die wir als Neurosen beseiehnen,
und auoh das klinisohe Bild jener bildet ein Glied in der Kette der Neurosen;
dieses Bild ist eines der mannigfaltigsten, und auf seinen Inhalt lässt sich un¬
möglich eine klinische Eintheilung aufbauen; und diese Varietäten werden sieb
Aber die Zahl der bis jetzt bekannten hinaus noch vermehren lassen. Aber
welche« auch dies klinische Bild der Phobieen und Zwangsvorstellungen sei, so
kann man sie doch folgendem» sason rangiran: 1. Fixe Ideeen im eigentlichen
Sinne (Griesinger, Westphal, Mesohede); man kann sie meist als habituelle
Symptome der Degeneration betrachten. Sie fahren in der Begel zu keiner
Psychose. Sie treten in verschiedenen Formen auf, sind chronisch, paroxystisch.
Die Störungen der intellectuellen Sphäre sind hier primär. 2. Verschiedene
vorübergehende und heilbare oder habituelle Zustände, die sich am häufigsten
unter dem Bilde von Phobieen, Zwangsvorstellungen und Uebergangsformen zeigen,
jedoch namentlich aocidentell bei Neuropathen unter dem Einfluss äusserer An¬
lässe auftraten, doch auch bei relativ Normalen unter denselben Bedingungen.
Sie bilden in Wirklichkeit eine Gruppe für sich, aber sie sind mit den neurasthe-
nischen Zuständen durch Uebergänge eng verbunden. 3. Symptomatische Zwangs¬
vorstellungen und Phobieen: a) gehörig zu Neurosen: Neurasthenie, Hysterie, Epi¬
lepsie, Basedow’sche Krankheit und Sympathiouserkrankungen; b) Intoxicationen.
4. Prodrome von Psychosen: Melancholie, Paranoia, allgemeine Paralyse. Bei
letzterer handelt es sich in solchen Fällen nicht etwa um Wahnideeen, sondern
um wirkliche Zwangsvorstellungen.
Herr Wladimir v. Tschiscb (Dorpat): Diu wirkliche Ursache der
progressiven Paralyse.
Vortr. stellte folgende Thesen auf:
1. Die wirkliche und einzige Ursache der progressiven Paralyse ist die nioht
genügend oder garnioht behandelte Syphilis. Sorgfältig gesammelte Beobachtungen
beweisen, dass sämmtliohe Paralytiker sich garnioht oder nicht ausreichend wegen
Syphilis behandeln Hessen.
2. Die Syphilitiker, welohe sich lange Zeit und sorgfältig behandeln Hessen,
sind von progressiver Paralyse nicht befallen worden.
3. Die pathologische Erblichkeit und die Degeneration spielen in der Aetio¬
logie der progressiven Paralyse keine Bolle.
4. Diejenigen Personen, welche sichtbare, physische und psychische Ent-
artungszeichen haben, werden nur sehr selten von der progressiven Paralyse oder
Gehirnsyphilis befallen.
5. Der Alkoholismus spielt bei der Aetiologie der progressiven Paralyse
keine Bolle.
An den Vortrag schliesst sich eine längere Debatte an. Den Anschauungen
des Vortr. wird vielfach widersprochen.
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431
Herr Joffroy and Herr Gombault (Paris): Progressive Paralyse bei
einem Kranken, der vorher 18 Jahre lang an Verfolgungswahn gelitten
hatte. Haut- und Bingewsldeanalgesie. ^formales Rückenmark.
Herr Lalanne (Bordeaux) hat einen Paralytiker beobachtet, der vorher
zwei Störungen auf degenerativer Basis durohgemaoht hatte. Zwischen den beiden
Krankheitsanfällen wurde Patient syphilitisch infioirt,
Herr L. Arnaud (Vauves): Ueber das Endstadium der progressiven
Paralyse und über den Tod der Paralytiker.
Bezüglich der Todesursache sind drei Gruppen zu unterscheiden, in die die
beobachteten 47 Fälle sich folgendermaassen vertheilen:
Tod nur in Folge von Marasmus: 2 Kranke;
Tod in Folge intercurrenter Krankheiten: 9 Kranke;
Tod in Folge von Gehirnsohlag (Ictus cdrdbral): 36 Kranke.
Daraus geht hervor, dass, entgegen der klassischen Lehre, der Gehirnsohlag
nicht eine Complication, sondern ein wesentliches Symptom der progressiven
Paralyse ist, der gewöhnliche Ausgang derselben.
Herr G. Lalanne (Bordeaux): Bpontanfraoturan bei der p r og r es s iven
Paralyse.
Herr Rdgis und Herr Lalanne (Bordeaux): Ueber den Traum als Ur¬
sache von Wahnvorstellungen bei Paralytikern.
Herr E. Koch empfiehlt das Dormiol als Schlafmittel. (Vergl. Neurolog.
Centralbl. 1999. Nr. 2.)
Herr Hughes (Saint-Louis, Ver. Staaten) demonstrirt eine in 37 transversale
Schnitte getheilte Gehirnhemisphäre aus Papiermächd, auf den Schnittflächen sind
photographirt die betreffenden Regionen dargestellt. Ferner zeigt er ein von ihm
eonstruirtes Aesthesiometer aus Platina. Beide Gegenstände haben den grossen
Nachtheil, dass sie sehr theuer sind.
Herr Maroo Treves (Turin): Uaber Veränderungen der Fingernägel
bei Geisteskranken.
Vortr. zeigt eine Reihe von Abdrücken von Fingernägeln von Geisteskranken
in einer halbweichen Masse.
Herr Mairet und Herr Ardin-Delteil (Montpellier): Traitement de la
masturbation par l’hyosoine.
Herr W. Toulouse (Villejuif): a) Statdstique des alidnds.
b) Examen et surveillaaoe des alidnds.
Herr Lucien Pioqud (Paris): Sur le rdle du Chirurgien dazu les asilee
d’alidnds.
Herr Roubinovitoh (Paris): Du rdflexe iddo-moteur de la pupille.
Herr Roubinovitoh und Herr Vlavianos (Paris): Contribution clinique
et anatomo-pathologique & l’etude de la oonfusion mentale. (Mit Projection
von histologischen Präparaten.)
Herr Maurice Faure (Paris): Sur la physionomie et la Progression
de oertaines ldsions oellulairee oortioales aooompagnant les aooidents
mentaux des maladies gdndrales.
Herr E. Blin (Vaucluse): Präsentation d’un nouveau cräniomdtre per-
mettant de ddterminer graphiquement chaoun des points de la oalotte
oränienne sur le vivant. (De oampylogramme cränien.)
Herr P. Schröder (Breslau); Ueber einige Entehrungen bei der Her¬
stellung grosser Oehimsohnitte.
Die Ausführungen des Vortr. beziehen sich speciell auf die Weigert’sche
Methode (Differenzirung nach Pal) und deren Verwendbarkeit für die Abgrenzung
und Verfolgung einzelner Faserbündel auf Schnittserien durch ganze Gehirn-
hemisphären.
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432
Treibt man, wie das gewöhnlich geübt wird, die Differenzirung nur so weit,
dass die graue Substanz entfärbt ist, und alle Fasermassen blauschwarz erscheinen,
so genügt das in den meisten Fällen für die Constatirung von secundären Dege¬
nerationen; um aber auch am normalen Gehirn die verschiedenen Systembestand -
theile von einander abgrenzen zu können, ist es unbedingt nothwendig, sehr viel
weiter zu differenziren, so weit, dass einzelne Theile der Markmasse nahezu oder
gänzlich entfärbt sind. Dann fällt auf, dass die verschiedenen Fasersysteme eine
sehr verschiedene Resistenz gegenüber der Differenzirungsflüssigkeit zeigen, indem
einzelne noch tiefdunkel sind, wenn andere hellblau oder schon grau erscheinen.
Wichtig ist dabei, dass dies Verhalten für jedes Bündel, für jeden System-
bestandtheil im Gehirn durchaus constant und charakteristisch ist; das ermöglicht
erst die Abgrenzung der einzelnen von einander.
Dazu kommt noch, dass eine Anzahl von Fasersystemen bei starker Differen-
zirung constant einen intensiv braunen oder gelben Farbenton annimmt, der be¬
sonders dann auffällt, wenn man die Schnitte mit einer dünnen Lösung von Lith.
carb. nachbehandelt und dadurch das Blau der übrigen Fasern noch leuchtender macht;
dahin gehören u. a. die Commiss. ant., der Fase, uncinatus, das Türck’sche Bändel.
Vortr. verweist auf den von Wernicke herausgegebenen Atlas des Gehirns,
speciell den soeben erschienenen zweiten Theil desselben (20 Horizontalschnitte
durch eine Grosshimhemisphäre), bei dem die weitgetriebene Differenzirang durch¬
geführt worden ist.
Die Ursache des verschiedenen Verhaltens der einzelnen Fasern ist zu suchen
in der Verschiedenheit der chemischen Beschaffenheit der Markscheiden, ferner
kommt in Betracht die Schnittrichtung (im Längsschnitt erscheinen alle Bündel
dunkler als im Querschnitt).
Auf diese Weise lassen sich z. B. auf Horizontalschnitten constant in der
inneren Kapsel 4 Bestandteile abgrenzen; die vordere Hälfte des hinteren Schenkels
ist stets sehr hell und leicht gelblich, dann folgt eine schmale dunkle Zone, darauf
eine schmale intensiv hraune, die ihre Fasern aus der 2. und 3. Temporalwindung
bezieht (Türck’sches Bündel), schliesslich wieder eine dunkelblaue mit Fasern
für den Thalamus.
Der Stabkranz des Schläfelappens lässt mindestens drei durch ihre Farbe
von einander unterschiedene Theile erkennen; ausser dem eben angeführten
Türck'sehen Bündel zum Hirnschenkelfuss einen tiefdunkelblauen, ans der ersten
Temporalwindung zum retrolenticulären Theil der inneren Kapsel und einen hellen
gelblichen zum Sehhügel.
Von der Balkenstrahlung zeichnen sich durch ihre intensive Färbung aus die
Fasern zum Occipitallappen, durch ihre sehr rasche Entfärbung die zum Schläfelappen.
Vortr. demonstrirt seine Angaben an einigen Präparaten und Tafeln aus dem
Wernicke’schen Gehirnatlas.
Hr.Mairet u. Hr. Ar di n - Del teil (Montpellier): Höröditä de fransformattan.
Die Vortr. kommen zu den Schlusssätzen:
1. Die Epilepsie verwandelt sich bei der Vererbung nicht in eine gewdhn-
liehe Geisteskrankheit.
2. Die Epilepsie vererbt sich in gleicher Weise (homogen) vom Ascendenten
auf den Descendenten, und wenn sich bei letzterem eine Geisteskrankheit zeigt,
so ist dies eine Folge lediglich der bei ihm bestehenden Epilepsie.
Dieselben Vortr. behandeln des Weiteren das Thema: Nooivitd de lliöreditÄ
pathologique. A. Friedländer (Frankfurt a/M.).
Dm Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 18.
Verlag von Vbit & Coup, in Leipzig. — Druck von Mman & Wime in Leipzig.
Kuranstalt DietenmUhle, Wiesbaden.
Das ganz« Jahr geöffnet. Geisteskranke Rusgescbl. Wasserkur. Dampfkastenbäder.
Wiesbadener Thermalbäder. Kiefernadelbäder. Kohlensäure Bäder. Sool- u. Moorbäder.
Elektrotherapie. Tranklin'sche Douche. Elektr. Bader. Elektr. Lichtbad. Massage und
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Inhalt. I. Originalmittheilungen. 1. Ueber die centralen Endigungen und Verbindungen
de* 7. und 8. Hirnnerven, von N. Wynibow. 2. Zar pathologischen Anatomie der Basedow*-
Kien Krankheit. Vorläufige Mittheilung, von Dr. Laurenz Kfdzior und Dr. Josef Zanietowskl.
3. Zur Frage nach dem Zusammenhänge von Träumen und WahnvorsteUungen, von Dr.
L D. Kazowsky.
II. Referate. Experimentelle Physiologie. 1. Zur Lehre von der Cerebrospinal-
flöangkeit, von Lewandowzky. 2. Experimenteller Beitrag zur Physiopathologie der Cauda
e^oina und des Conus medullaris, von Mingazzini und Panichi. S. Ueber den normalen Gross-
lenenreflex bei Kindern, von Passinl. 4. A study of the plantar-reflex in infancy, by Morse.
- Pathologische Anatomie. 5. Zur Kenntniss der Veränderungen am Centralnerven-
»ystem bei der Leukämie, von Bloch und Hirschfeld. 6. Vorlesungen über die pathologische
Anatomie des Rückenmarks. Unter Mitwirkung von Sack! herausgegeben von Schmaus. —
Pathologie des Nervensystems. 7. Ueber die sympathische Reaction bei einem Unfall-
frankeD, von Cramer. 8. Zur Technik der Patellarreflexprüfung, von Walbaum. 9. A palmar
ttüex, by Rennle. 10. Contribution to the study of the plantar reflex, based upon seven
imndred examinations made with special reference to the Babinski ühenomenon, by Waldon
ud Paul. 11. Jaw jerk and jaw clonns, by James. 12. Ueber das Fehlen des Achilles-
sehnenreflexee und seine diagnostische Bedeutung, von Strazburger. 13. Die Lehre von dem
Verhalten der Sehnenreflexe bei oompleter Rückenmarksquerläsion, von Brauer. 14. Die
Segmentdiagnose der Rückenmarkserkranknngen, von Bruns. 15. Klinische und pathologisch-
anatomische Untersuchungen über die uncomplicirten traumatischen Rückenmarkserkrankungen,
tou Hertmann. 16. Zar Kenntniss der mit schweren Anämieen verbundenen RückeDmArks-
afeetiouen, von Marburg. 17. Ueber Venenthromboeen im Rückenmarke, von Merewkina.
1$. Ueber transitorische Spinallähmungen, von Krewer. 19. Myelitis und Sehnervcnentzüdung,
yon Bielschowsky. 20. Ueber Myelitis suppurativa bei Bronchiektasie, von Chiari. 21. Ein
Pall von Heilung einer Myelitis, von Stanowski. 22. Casuistischer Beitrag zur Lehre von
den combinirten Systemerkrankungen, von SchOnborn. 23. Ein Beitrag znr Lehre von der
spastischen Spinalparalyse, von Ida Democh. 24. Fibrom des 7. Cervicalnerven mit Com-
prmion des Rückenmarks, von Zinn und Koch. 25. Ein Fall von Compression des Brachial-
plexus durch SenkuDgsabscess bei CarieB des 7. Hals- und 1. and 2. Brustwirbels. Ein
Beitrag zur Frage, ob die Schmidt-Lauterm&nn-Zawerthal’schen Einkerbungen am Nerven
vitale oder postmortale Einkerbnngen sind, von Engelken. 26. Ueber isolirte Erkrankung der
unteren Lumbal- und 1. Sacralwurzeln, von Gierilch. 27. Een geval van eenzydige verwonding
» b. ruggemerg, per Boehelman. 28. Zur Casuistik der Rückenmarksverletznng durch
Wirbelfractur, nebst Beschreibung eines Gehverbandes für Patienten mit Lähmung beider
unteren Extremitäten, von Lengnick. 29. Les d^viations laterales da rachis dans le mal de
Pott, par Cestan. 30. Ein Fall von Laminektomie, von Braun. 31. Ein Fall von Heilung
noer Paraplegie nach Resection von 4 Wirbelbögen and Auslöffelung eines tnbercalösen
Abscesses, von HOftmann. 32. Beitrag zur Lehre von der ankylosirenden Entzündung der
Wirbelsäule, von KOhn. 33. Ueber chronische ankyloeirende Entzündung der Wirbelsäule,
tod Hartmann. 34. Solle anchilosi della colonna vertebrale, per Catani. 35. Ueber chronisch
28
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434
ankyloeirende Entzündung der Wirbelsäule, von Dorendorf. — Therapie. 36. Erfahrungen
über die mednllare Cocainanalgesie, von Schwarz. 37. Le liquide cephalo-rachidien et les
injections intra-rachidiennes, d’apr&s la these de M. Sicard, par Decroly. 38. Ueber Anästhesie
nach snbarachnoidealer Cocaininjection in den Lnmbalsack des Rückenmarks, von Vulliet.
39. Un cas de r4section intra-durale des racines postdrienres, par Monod et Chipaalt.
Ili. Bibliographie. 1. Traitö des 4pilepsies, par Dr. Gilineau. 2. Epilepsie, traitement,
assistance et m6decine ldgale, par Paul Kovalevaky. 3. Recherches climques sur l'4pilepaie
ot sor Bon traitement, von Maurice de Fleury. 4. Pablications du progr&s medical. VoL XX.
Recherches cliniqnes et thdrapentiqnes sur l’dpilepsie, l’hystdrie et l’idiotie, par Boarnoville.
IV. Aus den Gesellschaften. Jahresversammlung des Vereins der deutschen Irrenärzte
in Berlin am 22. und 23. April 1901. — XIX. Congress für innere Medidn vom 16. bis
19. April 1901 zu Berlin. — Socidtd de neurologie de Paris. — Wissenschaftliche Versammlung
der Aerzte der St. Petersburger psychiatrischen und Nervenklinik.
V. Personalien.
I. Originalmittheilungen.
[Aus dem Laboratorium von Prof. W. v. Bechterew.]
1. Ueber die centralen
Endigungen und Verbindungen des 7. und 8. Hirnnerven. 1
Von N. Wyrubow.
Untersucht wurde der Hirnstamm in einem Fall von rechtsseitiger completer
peripherischer Lähmung beider Facialisäste in Folge eines cariösen Processes im
Schläfenbein. Die ersten Lähmungssymptome traten einen Monat vor dem Tode
des Patienten, der an Miliartuberculose der Lungen zu Grunde ging, auf. Der
Hirnstamm wurde nach Marohi untersucht; das den Eem des Abduoens und
den oberen Tbeil des Facialiskernes enthaltende Gebiet wurde nach Nissn gefärbt.
Fs ergab sich eine Degeneration im Facialis- und beiden Acustäcusästen.
Um unnützen Wiederholungen aus dem Wege zu gehen, sind diejenigen
Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung, welche unsere anatomischen Kennt-
vom 7. und 8. Himnerven vervollständigen, in gesperrter Schrift hervorgehoben.
I. Die intracerebralen Degenerationen bieten folgende Vertheilung:
1. Die Degeneration der Facialiswurzel kann auf der der Läsion ent¬
sprechenden Seite bis in den Kern verfolgt werden (Figg. 1 u. 2).
2. Eine Degeneration geringeren Grades findet sich in denjenigen Fasern,
die dem contralateralen Eem entstammen, sich unter dem Boden des 4. Ven¬
trikels kreuzen und sich zum Enie der der Läsionsseite entsprechenden Facialis¬
wurzel gesellen (Fig. 2).
3. Nis8l’s Färbung (Fig. 3 a und b) ergiebt in den Zellen des lädirten
Facialiskernes das Vorhandensein der sogen. NissL’schen und MABimsco'schen
1 Vortrag, gehalten in der wiss.-ärztl. Versammlung der Klinik für Nerven- u. Geistes¬
kranke in St. Petersburg am 27./I. 1900. Herr Dr. Biklsohowsky hatte die Freundlichkeit,
am wissenschaftlichen Abend der Prof. MsNDEL’sohen Poliklinik (4./X. 1900) die Präparate
zn demonstriren.
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435
secundären Veränderung. (Die Zellen der benachbarten motorischen Trigeminus-
und Abducenskeme zeigen keinerlei Veränderungen.)
4. Dieselben Veränderungen findet man in den Zellen der medialen Partieen
des contralateralen Facialiskemes.
5. Die secundäre Veränderung beschränkt sich nicht auf den erwähnten
Facialiskern, sondern ist auch in einem selbständigen, noch nicht beschrie¬
benen Kerne zu constatiren. Dieser Kern liegt im Niveau des Nucleus reti¬
cularis pontis und der proximalen Partieen des Facialiskemes, lateral und ventral
Tom Abducenskern und medial von der Facialiswurzel, dort, wo letztere den
Abducenskern von aussen umfassend, in einem dorsal- und lateralwärts convexen
Bogen das Gehirn verlässt Der erwähnte Kern besteht aus Zellen motorischen
Typus, die vollkommen denjenigen des classischen Facialiskemes entsprechen.
Die Zugehörigkeit dieses kleinen Kernes zum Facialis halte ich somit über jeden
Zweifel erhaben. Zum Unterschied vom längst bekannten Haupt- oder unteren
Kern des Facialis möchte ich diesen Kern als accessorischen oder oberen
Kern des Facialis bezeichnen (Fig. 3 a und b).
II. Im Gebiet des Acusticus lassen sich folgende Verbindungen nach weisen:
1. Unmittelbar nach ihrem Eintritt ins Gehirn begeben sich die Fasern
des Nervus cochlearis in den Nucleus ventralis, Tuberculum acusticum, umbiegen
lateral und dorsal das Corpus restiforme und entsenden Fäserchen in den
DEiTEBS’schen Kern und in die Radix descendens n. acustici; ein
Theil der Fasern begiebt sich ins Corpus trapezoides, wo sie sich bis zum Niveau
des unteren oder Hauptkernes des Facialis und der oberen Olive der ent¬
sprechenden Seite verfolgen lassen. Hier schlägt ein Theil der Fasern die lon¬
gitudinale Richtung ein, ein anderer überschreitet die Raphe und wird contra¬
lateral (Figg. 4 u. 1).
2. Die degenerirten Fasern des Vestibularis liegen (auf der Seite der Läsion)
medial vom Corpus restiforme, zwischen diesem und der Radix desoendens tri-
gemini, gelangen in den DEiTEBS’schen und ßECHTEBEw’schen Kern, dringen
von da aus in den Nucleus internus s. dorsalis acustici, erfahren hier zum Theil
eine Unterbrechung, zum Theil bilden sie aber ein geschlossenes Bündel,
das unter dem Boden des 4. Ventrikels die Raphe überschreitet
und in den contralateralen Nucleus internus s. dorsalis acustici,
dann aber zum grössten Theil in den BECHTEBEw’schen, nur zum
kleinen in den DEiTEBS’schen Kern gelangt (Fig. 2).
3. In den oberen Oliven ist die Zahl der degenerirten Fasern contralateral
zur Läsionsseite grösser als auf der letzteren selbst (Fig. 2).
4. In absteigender Richtung lassen sich degenerirte Acusticusfasera ver¬
folgen: in die Radix descendens acustici auf der der Läsion entsprechenden Seite
und in die Substantia reticularis, und die medialen Kerne der Bubdaoh’-
schen Stränge, beiderseitig in gleichem Maasse. Aus den erwähnten Kernen
begiebt sich ein Theil der Fasern in die Schläfenschioht, erfährt
eine Kreuzung und tritt in die unteren Oliven ein (Figg.4u.5). Im
Niveau der unteren Oliven, wie auch im unten zu beschreibenden Niveau, macht
28 *
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437
sich eine Degeneration der Fibraearcuatext. bemerkbar. Im Niveau der distalen
Enden der den Goni/schen nnd BuBDAOH’schen Strängen gehören¬
den Kerne grnppiren sich die degenerirten Fasern in der ganzen
übrig bleibenden Marksubstanz der Goni/schen Stränge und im
dorsomedialen Winkel der BüBDAOH’schen (auf beiden Seiten in gleicher
Zahl [Fig.6]).
5. In aufsteigender Richtung (Niveau der proximalsten Theile dee
Nach reticul. pontis [Fig. 7]) gehen die Fasern des N. acust eine Kreuzung ein
Fig. 9. Fig. 10.
and gruppiren sich zu zwei Bündeln von fast regelmässig runder Form, die
zom Bestand der lateralen, bezw. unteren Schleife gehören und lateral von der
Hauptschleife liegen. Die Degeneration ist bis zu einem gewissen Grade stärker
ausgeprägt auf der der Läsion entsprechenden Seite. Im proximalsten Ge¬
biet der hinteren Vierhügel, im Niveau des BECHTRBBw’schen Nucleus centralis
superior (Fig. 8), nimmt die Zahl der sich kreuzenden Fasern ab; ein Theil der
Fasern verläuft in der Hauptschleife, ohne bemerkenswerthen Unter¬
schied in der Zahl der den beiden Seiten entsprechenden Elemente zu bieten,
und bildet allmählich die laterale Schleife (gleich massenhaft beiderseits). Die
Fasern der letzteren steigen bis zu den Kernen der hinteren Vierhügel auf und
kreuzen sich zum Theil über dem Aquaeductus Sylvii. Etwas proximalwärts (im
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Niveau der Kerne der hinteren Vierhügel [Fig. 9]) kreuzt sich noch eine geringe
Zahl von Fasern, zwischen die Fasern des vorderen Kleinhimstieles eingestreut
(Bechterew’s Commissurenbündel, das die Vestibulariskeme unter einander
verbindet). Die Hauptschleife erscheint in dieser Höhe vollkommen frei von
Degenerationen; die degenerirten Fasern beschränken sich auf das Gebiet der
lateralen, bezw. unteren Schleife und die Kerne der hinteren Vierhügel (beider¬
seits gleichmässig).
6. Proximalwärts vom erwähnten (5.) Niveau der oberen Partieen des
Nucleus reticularis pontis findet man degenerirte Fasern im Fasciculus longi-
tudinalis posterior. Sie lassen sich ins Gebiet der vorderen Vierhügel und zwar
in den BEOHTEREw’schen accessorischen Kern des Oculomotorius
verfolgen. (Die degenerirten Fasern sind im Kerne der der Läsion ent¬
sprechenden Seite bedeutend zahlreicher [Fig. 10]).
Noch weiter proximalwärts liess sich in den verschiedenen Partieen der
Sehhügel keinerlei Degeneration nachweisen.
7. Die MoNAKOw’8chen Fibrae acusticae bieten keinerlei Degeneration, mit
anderen Worten — es besteht kein unmittelbarer Uebergang der radiculären
Acusticusfasem in die MoNAKOw’schen Fibrae acusticae.
[Aus der medicin. Klinik des Hrn. Hofrath Prof. Dr. Eduard von Kobozyäski
in Krakau.]
2. Zur pathologischen Anatomie der Basedowschen
Krankheit.
[Vorläufige Mittheilung.]
Von Dr. Laurenz Kodzior, and Dr. Josef Zanletowski,
I. Assistenten der med. Klinik. Nerrenarxt.
Die bisherigen pathologisch-anatomischen Untersuchungen über die Babe-
Dow’sche Krankheit haben über das Wesen derselben noch nicht völlige Klar¬
heit verschafft, und die inconstanten anatomischen Veränderungen machen es
begreiflich, dass man sich hier fast ausschliesslich auf unsicherem Boden von
Hypothesen bewegt.
Die Sympatbicu8theorie ist in Frankreich wieder aufgetaucht, und die Theo-
rieen, die das Centralnervensystem als Ausgangspunkt dieser Krankheit betrachten,
finden ihre Anhänger.
Insbesondere wird ein grösseres Interesse dem verlängerten Marke geschenkt
und zwar um so mehr, als es Filhhne, später Dunlafb und Biene ait gelungen
iat, durch Durchschneidung der Corpora restiformia bei Kaninchen die Symptome
der BASEDOw’schen Krankheit künstlich hervorzurufen.
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439
Wir wollen nun einen Fall anführen, welcher neben dem von Mendel 1
veröffentlichten die Beobachtung von Filbhne bestätigt. Derselbe betrifft nämlich
eine hochgradige Atrophie des linken Corpus restiforme bei der ßABBDOw’schen
Krankheit
Anna M., ein 18jähriges Mädchen, welches noch niemals menstruirt
hatte, bemerkte vor 4 Jahren eine Vergrösserung der Schilddrüse, wozu später
stark ausgesprochene psychische und musculäre Unruhe, Tremor der Hände,
Schwäche der Extremitäten, Exophthalmus, Herzklopfen, starke Neigung zu
Schweissen und Athembeschwerden hinzutraten. Dieses Leiden bewog die
Patientin, sich der ärztlichen Behandlung in der Krakauer chirurgischen Klinik
zu unterziehen, wo die BASEDOw’sche Krankheit constatirt und am 26. Mai 1899
„Resectio partis dextrae strumae ac ligatura art thyreoideae super, et infer. sin.“
ausgeführt worden ist Das Allgemeinbefinden hat sich nach der Operation ge¬
bessert; es ist nämlich die Pulsfrequenz von 120 auf 80 gefallen, Exophthalmus
ist kleiner geworden, und die Athembeschwerden haben nachgelassen. Dies war
jedoch nicht von langer Dauer. Anfangs 1900 verschlimmerte sich das Allgemein¬
befinden, die Athembeschwerden werden stärker und es traten fast jeden Monat
Leibschmerzen und epileptoide Anfalle auf, welche vor der Thyreodektomie nicht
vorhanden waren. Die Patientin, welche am 28. März 1900 in unsere Klinik
aufgenommen wurde, starb am 9. Juli 1900 an einer croupösen Lungen¬
entzündung.
Der Sectionsbefund ergab neben einer croupösen Pneumonie eine bedeutende
Hypertrophie der Thymusdrüse, eine Dilatation und Hypertrophie des Herzens,
Cystis ovarii dextri und Atresia oviducti sin. und ausserdem folgende Verände¬
rungen im Nervensystem:
Im Oehiro Anzeichen von frischen und älteren Blutungen im ganzen ver¬
längerten Marke, besonders in der Umgegend der linken Olive Gefasserweiterung.
Das linke Corpus restiforme ist viel kleiner als das rechte.
Makro- und mikroskopische Schnitte wurden nach der KADYj’schen Methode 2
behandelt Dieselbe besteht darin, dass die am Gefriermikrotom oder mit freier
Hand erhaltenen Schnitte in einer Lösung von Uranium aceticum und Kali
nitricum eingetaucht und dann mit einer Modifioation der Bloch ’sohen Lösung
von Carminium ammoniatum nach Kadyj gefärbt werden. Je nach der Con-
centration der Reaotionsflüssigkeiten und der Dauer der Färbung und Entfärbung
können verschiedene morphologische Bestandtheile mehr oder weniger deutlich
in den Vordergrund treten. Es ergab sich nun aus dem, nach der oben er¬
wähnten Methode vorgenommenen Verfahren, dass im ganzen Gross- und Klein¬
hirn, sowohl wie auch im Rückenmark, keine anormalen Veränderungen zu finden
waren, ausser den oben erwähnten frischen und älteren hämorrhagischen Herden,
von denen die letzteren sich durch charakteristische dunkle Färbung aus¬
zeichneten.
1 Sitzungsberichte der Neurologischen Gesellschaft 1895.
* Kadtj, Ueber Färbung des Centralnervensystems. Denkschrift der Lemberger Uni¬
versität zum 500jfthrigen Jubiläum der Krakauer Universität 1899. (Polnisoh.)
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440
Dagegen zeigte sich in den obersten Theilen der Medulla oblongata selbst
bei schwacher Yergrössemng sofort ein prägnantes Bild. Während nämlich die
Pyramidenbahnen und Oliven sich roth färbten, erschienen beide Corpora resti-
formia gelblich und das linke Corpus restiforme sogar wadisartig gefärbt; auch
war die Demarkationslinie derselben insofern abgegrenzt, als links nur ein kleines
Oval zu sehen war, während rechts eine wenigstens l 1 /, Mal so grosse Fläche
deutlich hervortrat. Bei stärkerer Yergrösserung sah man sehr deutlich Baphe,
Olivenkeme und Striae arcuatae als dunkelrothe Zeichnung auf hellrothem
Grunde, sowie auch die Faserstructur des rechten Corpus restiforme, während
im linken Corpus restiforme die Fasern so spärlich hervortraten, dass man meinen
könnte, die Schnitte wären in der Höhe des Calamus scriptorius geführt, wo die
Striokkörper, nach hinten oonvergirend, näher zusammentreten, und wo eine
starke Faserabnahme stattfindet. Auch scheinen die linke Kleinhirn seitenstrang¬
bahn und der linke Kern des X. Nerven kleiner als die rechtsseitigen zu sein.
Die mittlere und unterste Partie der Medulla oblongata zeigte auch eine
hochgradige linke Asymmetrie, jedoch ohne bedeutende Unterschiede im Faser¬
verlauf.
Aus dieser Darstellung ergiebt sich nun, dass die hauptsächlichsten Ver-
änderungen, die im linken Corpus restiforme zu finden waren, als eine Grund¬
lage der (BASEOow’schen) Krankheit in diesem Falle anzusehen sind.
3. Zur Frage nach dem
Zusammenhänge von Träumen und Wahnvorstellungen.
Von Dr. A. D. K&sowsky,
Director der KosTiNSKKN'schen Goa vernement-Irrenanstalt
Die hier berührte Frage nahm, wenn ich nicht irre, zur Zeit von Esquibol(I)
welcher zuerst auf die grosse Aehnlichkeit zwischen Träumen und Hallucinationen
hinwies, ihren Anfang; von den letzteren sagt Esquibol: „l’homme donne un
oorps aux produits de son entendement; il röve tout öveillö“; obwohl er von
einer Entstehung der Wahnvorstellungen auf dem Boden der Träume mit keinem
Worte redet, können wir doch angesichts des engen Zusammenhanges der ersteren
mit den Halluoinationen, nicht daran zweifeln, dass die Feststellung der Identität
zwischen Hallucinationen und Träumen den Eckstein bildete, auf welchem sich
das spätere Gebäude aufbauen liess. Dank der Bearbeitung dieses Abschnittes
der Psychiatrie durch so hervorragende Beobachter wie Mobbau [De Tours] (2),
Baillabgeb (8) und Mobbt (4) gewann die Frage vom Zusammenhänge der Träume
mit den Halluoinationen festen Boden, besonders seit der Arbeit Baillabgeb , 8(5),
welcher zuerst auf die grosse Bedeutung der Träume für die spätere Entwickelung
von Psychosen, sowie auf die Existenz eines intermediären Stadiums zwischen
vollem Schlafen und Wachen aufmerksam machte und den Einfluss desselben
auf die weitere Entwickelung der Hallucinationen hervorhob. Unter den neueren
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Arbeiten wären diejenigen von Simon (6) und schliesslich von Mabbo (7) und F&ufi(8)
su nennen. Mahbo theilt einige von ihm beobachtete Fälle mit, in welchen
hypnagogische Erscheinungen bei Vorhandensein anderer begünstigender Momente
das Delirium hervorriefen. Die Entstehung des Deliriums auf der Basis hypna-
gogischer Erscheinungen erklärt der genannte Autor dadurch, dass bei ge¬
schwächter Aufmerksamkeit die Bilder der Phantasie mit den Erscheinungen
des wirklichen Lebens verwechselt werden. FfenÄ hat die Träume der Epileptiker
ausführlich beschrieben, wobei er einen Zusammenhang derselben mit den An¬
fallen, nicht nur im Sinne der Aufeinanderfolge, sondern auch im Sinne des
gegenseitigen Ereetzens constatirte. Wir müssen daher nach meiner Ansicht
Ftafs das grosse Verdienst zuerkennen, zuerst die einander ähnlichen Träume
und Delirien des Kranken für Resultate einer und derselben Ursache erkannt
zu haben.
Nachdem ich nun in Kürze die Litteratur, mit welcher ich mich, soweit
es die Umstände gestatteten, bekannt gemacht habe, berührte, will ich zur
Beschreibung des beobachteten Falles schreiten, der nach meiner Ansicht eines
gewissen wissenschaftlichen Interesses nicht entbehrt.
Am 4. August 1898 wurde Wladimir J., 16 Jahre alt, welcher seinen Lehrer
J. ermordet hatte, zwecks Prüfung seiner geistigen Fähigkeiten in die KosTiNSKBN’sche
Anstalt anfgenommen.
Mittlerer Wuchs, mässiger Ernährungszustand. Starke Asymmetrie des Gesichts,
schwächere Innervirung der linken Seite, schwacher Strabismus, Nase etwas schief,
dicke, unregelmässig geformte Lippen, grosse Ohrmuscheln, verwachsene Ohrläppchen,
recht deutlich ausgesprochener DAnwiN'scher Bügel, sehr schwach ausgeprägter Tuber*
culum occipitale externum; Zähne unregelmässig gebaut, Gaumen hoch and breit,
untere Extremitäten stark behaart, Geschlechtsorgane welk, Scrotum schlaff. Sehnen-
reflexe stark erhöht, Hautreflexe schwach, Knochenreflexe sehr lebhaft, Störungen
der Sensibilität nicht bemerkbar. Schädel unregelmässig gebaut, grösster Längs*
durchmesser 19,6, grösster Querdurchmesser 16,5, horizontaler Umfang 54. Dolicho-
cephalns. Aus der Anamnese des Pat. ist Folgendes zu nennen: derselbe wurde
normal geboren und bot im ersten Kindesalter keine merklichen Abweichungen von
der Norm dar. Im zweiten Lebensjahre traten starke Anzeichen von Skrophulose
auf mit Eiterungen aus Augen und Ohren. Dieser Zustand hielt lange an, die Folge
davon war vollständige Entkräftung des Organismus nebst Unvermögen zu gehen.
Dank guter Pflege begann der Gesundheitszustand des Kindes sich zu bessern, und
dasselbe hat in späterer Zeit keine Krankheit mehr durchgemacht. Er lernte er¬
träglich, obwohl ihm das Lernen schwer fiel. Von 11 Jahren trat er in die Vor¬
bereitungsklasse des Gymnasiums ein, musste jedoch nach einem Jahre aus Mangel
an Fortschritten dasselbe verlassen. Dann kam er in die Stadtschule, wo er bis zur
Verübung des Verbrechens verblieb. Hier lernte er einigermassen befriedigend, ob¬
wohl er in einer Klasse 2 Jahre blieb. Im März hatte er einen schweren Scharlach
mit nachfolgender Nierenentzündung durchgemacht; nach vollständiger Genesung be¬
gann er wieder den Unterricht zu besuchen; 3 Wochen nach der Genesung verübte
er das Verbrechen. Nach den Angaben der Angehörigen (des Vaters) war Pat.
immer ein änsserst sonderliches Individuum gewesen, suchte stets die Einsamkeit auf,
war nicht mittheilsam, hielt sich stets fern von Brüdern und Schwestern. Diese
Eigentümlichkeit des Charakters kam schon in früher Kindheit zum Vorschein, und
bereits damals war Pat. nach Angabe des Vaters ihm ein Räthsel. Dessen ungeachtet
war Pat stets von weichem, einschmeichelndem Charakter und zeigte niemals ein
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bösartiges Verhalten gegen irgend Jemand ans seiner Umgebung. In den letzten
Jahren wurde J. besonders finster und schloss sich häufig allein in seinem Zimmer
ein; dabei las er gierig Romane, insbesondere solche von blutigem Inhalt Den
Kameraden gegenüber verhielt sich Pat. ebenso isolirt und trat nur Wenigen näher;
trotzdem genoss er ihre Sympathieen als stiller Mensch, der Niemandem etwas za
Leide that
Hinsichtlich erblicher Belastung liess sich constatiren, dass die Mutter des Pat
hysterisch war, finster, in sich selbst versunken, und sich stets, zumal in der letzten
Zeit, durch sonderliches Betragen auszeichnete. Der Grossvater mütterlicherseits galt
für einen Sonderling und ein Original; die Schwester ist nervös; der Bruder leidet
an Ohnmächten. Das Vorkommen von Geisteskrankheiten in aufsteigender Linie liess
sich nicht constatiren. An Syphilis hatten die Eltern nicht gelitten, ebenso wenig an
Alkoholismus. Das ist alles, was an anamnestischen Daten von den Eltern des Pat
erbracht werden konnte. Was nun ihn selbst betrifft, so erfahren wir durch mehr*
maliges Ausfragen, welches eine Simulation ausschliesst, über sein früheres Leben
Folgendes:
Pat. litt seit der frühen Kindheit unter jeder Art von Gesellschaft, strebte be¬
ständig nach Alleinsein, schloss sich an keinen der Kameraden an. Diese einsame
Lebensweise war in der späteren Lebensperiode bedingt durch ein unbewusstes orga¬
nisches Bedürfniss nach Einsamkeit. Als Pat. 12—13 Jahre alt war, stellte sich
ein unüberwindlicher Hang zur Onanie ein. Bis dahin hatte er von diesem Laster
nichts gewusst; Niemand hatte ihn dasselbe gelehrt; er begann sich damit zu be¬
fassen in Folge eines unüberwindlichen Dranges, verbunden mit gewissen unklaren
Empfindungen in der sexuellen Sphäre. Er onanirte viel, 2—3 Mal täglich. Zu
diesem Laster gesellte sich dann noch ein anderes. Von ca. 13 Jahren empfand
Pat. ein Bedürfniss nach alkoholischen Getränken; dieses Bedürfniss war so intensiv,
dass Pat. sein Frühstück verkaufte und für den Ertrag Branntwein erwarb. Jedesmal
wenn er 20—30 Kopeken zusammengespart hatte, kaufte er sich Branntwein nnd
irgend welche Näschereien, zog sich an einen einsamen Ort zurück und verzehrte
alles Gekaufte. In der Mehrzahl der Fälle trank er bis zur Trunkenheit nnd schlich
sich leise nach Hause, ohne von Jemandem bemerkt zu werden. Die geistige Arbeit
des Pat. ging ziemlich befriedigend von statten, nur in denjenigen Fächern, die Nach¬
denken und Aufmerksamkeit erfordern, machte er schlechte Fortschritte; dort dagegen
wo er sich auf ein mechanisches Behalten des Durchgenommenen beschränken konnte,
waren seine Fortschritte genügende. Im Mai 1897, zur Zeit der Examina, befand
sich Pat. in besonders deprimirtem Zustande; derselbe wurde noch gefördert einer¬
seits durch die schlechten Ergebnisse der Prüfungen, andererseits durch die Un¬
zufriedenheit des Vaters. Einmal kam ihm vollkommen unbewusst die Wahnidee, den
Lehrer J. zu ermorden, gegen welchen Pat. durchaus keine Feindseligkeiten haben
konnte, denn in J.’s Fach hatte er gute Zeugnisse und der Lehrer zeigte ihm gegen¬
über ein freundliches Verhalten. Auf die Frage, wie ihm dieser Gedanke gekommen
sei, antwortet Pat., er wisse es nicht. Bei eindringlicherem Befragen erwies sich, dass
Pat. in der Nacht vor dem ersten Auftreten dieser Idee, nach einer Reihe von
schlecht verbrachten Nächten, einen Traum gehabt hatte, in welchem der Lehrer J.
figurirte. Pat. träumte, dass er mit J. in Zank gerieth und ihn tödtete; der Traum
war so lebhaft, dass Pat. erschreckt erwachte. Nachdem dieser Gedanke einmal
entstanden war, suchte Pat. denselben auf folgende Art zu motiviren: da er in vielen
Fächern ungenügende Urtheile hatte, beschloss er, zum Lehrer J. zu gehen, mit der
Bitte, ihn vor den anderen Lehrern zu befürworten; J., der sich allzeit gegen ihn
wohlwollend gezeigt hatte, würde sich gewiss bereit finden lassen, seine Bitte zu
erfüllen, falls er sie ihm aber abschlagen sollte, dann beschloss Pat., ihn zu ermorden.
Mit diesem Gedanken trug sich Pat. einige Wochen. Denselben aufzngeben hätte
ihm um so leichter sein müssen, da die darauf folgenden Umstände ihm klar die
443
ganze Nutzlosigkeit der Verwendung J.’a, selbst wenn dieser sich dazu bereit erklären
sollte, zeigten. Zu dieser Zeit beginnt die Periode, wo Pat. sich durch die Lectöre
verschiedener französischer Romane hinreissen lässt; so sehr man aber auch den
Einfluss dieser Bücher auf die Psyche J.’s erkennen mag, immerhin haben wir keine
Beweise dafür, dass die in denselben vorkommenden Gedanken eng mit der mora¬
lischen Person des Pat. und seiner Weltanschauung verschmolzen. Dieso blutigen
Romane, über denen Pat. die schlaflosen Nächte verbrachte, bildeten eigentlich ein
ebensolches unentbehrliches Reizmittel für das nicht im Gleichgewichte befindliche
Seelenleben des Pat, wie der Alkohol. Das gründlichste Ausforschen, ob Pat. an
sich einen deutlichen Einfluss des Gelesenen bemerkt hätte, ob er nicht dafür ge¬
schwärmt habe, der Held dieses oder jenes Romans zu sein, ob er nicht in der Sphäre
der eingebildeten Scenen und Begebenheiten des Gelesenen gelebt hätte, führte zu
negativem Resultat. So verfloss das Leben des Pat bis zum Februar 1898; die
Beschäftigungen gingen ziemlich erfolgreich vor sich, doch begann in letzter Zeit die
Litteratur, in welcher J. unterrichtete, schlecht zu gehen. Das Verhältniss des
Letzteren zum Pat verschlimmerte sich mehr und mehr. Im März erkrankte J. am
Scharlach, erholte sich darauf vollständig und erschien 3 Wochen nach der Erkrankung
wieder in der Schule. J. änderte sein ungünstiges Verhalten gegen den Schüler
nicht; im Herzen des Letzteren häufte sich immer mehr Groll auf, und wieder er¬
stand in ihm die Idee, den Lehrer zu tödten. Am Tage vor der Katastrophe ent¬
nahm Pat einem Schranke ein scharfes Messer, da er beschlossen hatte, wie er selbst
sich ausdrücke: „J. anzustechen.“ An die Folgen dachte er nicht; sein einziges
Motiv war das Verlangen, sich an J. zu rächen und den ihm verhassten Menschen
zu bestrafen. Am Tage des Verbrechens sass Pat in der Klasse, das Messer in der
Tasche. Als er eine Frage, welche ihm J. stellte, nicht beantwortet hatte und von
diesem aufgefordert wurde, die Klasse zu verlassen, that er es. Nachdem er etwa
10 Minuten im Corridor gestanden, betritt er wieder das Klassenzimmer und bittet
J. um Verzeihung; er erhält eine Absage in heftiger Form und führt den Messer¬
stich aus. Weiterhin folgen verwirrte Aussagen, denn es wurde ihm „schwarz vor
den Augen“. Ob er das Messer selbst wieder herauszog, oder ob der Gemordete
znrückwich, dessen erinnert er sich nicht; ob das Messer blutbefleckt war oder nicht,
darüber vermag er auch keine klare Antwort zu geben. Deutliche Angaben erhält
man erst wieder über die Zeit, da er die Klasse verlassen hatte. Als er nach Hause
gekommen war, setzte er sich zum Mittagessen, welches er selbst verlangt hatte,
konnte jedoch nichts essen. Auf die Frage des Vaters, der mit der Polizei eintrat,
was er gethan habe, antwortete er: „Das hat er verdient, er soll nicht hochmüthig
Min.“ In’s Arrestlocal übergeführt, verhielt Pat. sich ruhig, fühlte keinerlei Gewissens¬
bisse, sondern im Gegentheil eine gewisse Genugthuung.
Das sind die Daten aus der Vergangenheit des Pat. Nachdem er in die
Anstalt behufs Prüfung aufgenommen worden war, war sein Betragen ein über¬
aus gleichmässiges. Beständig in sich vertieft, nicht mittheilsam, mürrisch,
isolirte er sich stets von den Uebrigen. Obschon unter den Kranken sich auch
intelligente Personen mit normaler Psyche befanden, also solche, an welche sich
J. mehr oder weniger hätte anschliessen können, lebte er doch, wie gesagt, im
höchsten Grade einsam. Das drückende Gefühl, welches jeder psychisch Ge¬
sunde beim Aufenthalt inmitten Geisteskranker empfindet, ist ihm unbekannt
In seine Gedanken versunken, grübelnd, lebt er gleichsam ausserhalb der ihn
umgebenden Verhältnisse. An Lectüre machte er sich erst dann, als man ihm
mehrmals Bücher angeboten hatte. Körperliche Arbeit fing er wohl an, doch
gab er dieselbe bald wieder auf, indem er es vorzog, in einem entfernten Winkel
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444
zu sitzen; in der letzten Zeit begann er, sich etwas in der Köche zu beschäftigen.
Dem Hospitalsregime unterwarf er sich leicht, irgend welche Aeusserungen von
Eigensinn oder Widerstreben waren nicht vorhanden. Seitens der physischen
Sphäre wurde nichts Besonderes bemerkt, die vegetativen Functionen sind normal,
der Schlaf genügend lang und ruhig. Weder Krämpfe noch nächtliche Enurese
wurden beobachtet, ebenso fehlten Bisse an der Zunge und Ekchymosen der
Sclera. Wie auch früher, fröbnte Pat ungeachtet der getroffenen Vorkehrungen
der Onanie. Stark ausgeprägt ist das Spiel der Vasomotoren: oftmals wird er
ohne merkliche Ursache roth. Seitens des Denkvermögens ist eine äusserst
langsamer Gang der Vorstellungen zu notiren, er spricht langsam, jeder Satz
ist sichtlich von einer angestrengten Gedankenarbeit begleitet; daneben ist eine
Verlangsamung des Perceptionsprocesses, sowie überaus langsame Verarbeitung
der Eindrücke zu bemerken. Alle Erscheinungen, welche dem Pat zum Be¬
wusstsein kommen, hinterlassen in demselben keine deutlichen Spuren, weshalb
auch die mit diesen Erscheinungen verbundenen Empfindungen vollkommen
unberührt bleiben. Man könnte glauben, dass die Isolirtheit des Pat. durch
jene innere psychische Arbeit verlangt werde, mit welcher jede Selbstanalyse
und jedes kritische Verhalten zu seiner Vergangenheit, sowie zu der zu erwartenden
Zukunft verknüpft ist. Doch zeigte die genaue Untersuchung, dass Pat. gegen
sich selbst vollkommene Theilnahmlosigkeit an den Tag legte und erst in der
letzten Zeit anfing, an dem Vollführten Kritik zu üben und sich mit seiner Zu¬
kunft zu befassen. Kennzeichen einer stabilen Geisteskrankheit wurden jedoch
während des ganzen Aufenthaltes des Pat. in der Anstalt nicht wahrgenommeu.
Weder Hallucinationen noch Illusionen waren zu constatiren; Wahnvorstellungen
konnten nicht festgestellt werden; offenbar verbarg Pat dieselben eifrigst Das
Gedächtniss ist befriedigend. Daneben lässt sich beim Pat. eine abgeschwächte
Kritik der Beurtheilung constatiren; die Bildung allgemeiner Begriffe und Ur-
theile geht regelrecht von Statten, doch kann man in der Sphäre der höheren
und complicirten logischen Operationen eine Insufficienz in gewissem Grade wohl
bemerken. Die Thatsache, dass J., wenn auch mit Mühe, dennoch gelernt hatte,
widerspricht diesem Gedanken nicht, da ja die Schulbeschäftigungen, besonders
in den unteren Klassen, im Grunde nur im Processe der Aufnahme einfacher
Thatsachen bestehen, welche auch dem mittelmässigsten Verstände leicht zu¬
gänglich sind, und die ganze psychische Arbeit, wenn man von der Mathematik
absieht, auf ein Aneignen und Behalten verschiedener Daten sich beschränkt.
Da wir nun wissen, dass das Gedächtniss des Pat einigermaassen befriedigend
ist, so kann es uns nicht Wunder nehmen, dass er die Arbeit in der Schule
soweit bewältigte, als dieselbe im Bereiche des einen Elements, des Gedächtnisses,
cooperirte. In denjenigen Fällen aber, wo ausserdem Nachdenken erforderlich
war, erwies sich Pat. nach eigenem Geständniss und den Angaben Anderer als
unzureichend und schwach. Wiederholte ausführliche Befragung des Pat liess
seine herabgesetzte Intelligenz erkennen. Ungeachtet des niedrigen Niveaus der
in den Stadtschulen gestellten Forderungen, zeigt er beim Gespräch ein unvoll¬
kommenes Versbändniss, Unklarheit und Mangel an Combination in den durch-
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445
genommenen Lehrfächern, indem er dieselben bloss rein mechanisch sich angeeignet
hat Ferner müssen wir die Entwickelung der moralischen Empfindungen des
Pat berücksichtigen. Schon aus der Analyse seiner geistigen Fähigkeiten könnten
wir schliessen, dass auch die moralische Seite derselben im Zustande einer ge¬
wissen Stumpfheit sich befinden müsse. Die zusammengesetzte psychisohe Arbeit,
welche das Gewissen bedingt, besteht nicht nur darin, dass man in bestimmter
Weise empfinden kann, sondern auch darin, dass man in seinen Handlungen
gewisse Eigenschaften von Recht und Gerechtigkeit zu erkennen im Stande ist;
deshalb ist es einleuchtend, dass zur vollen Entwickelung des moralischen Em¬
pfindens die Cooperation der Emotionsthätigkeit und der intellectuellen Fähig¬
keit nothwendig ist. Sobald die letztere unentwickelt ist, muss das moralische
Empfinden auf einer niederen Stufe stehen, d. h. in Gestalt einer unklaren, vom
Verstände eher instinctiv als vollkommen bewusst wahrgenommenen Empfindung.
Bei unserem Pat müssen wir unbedingt eine mangelhafte Fähigkeit, Schlechtes
von Gutem in ihren feineren Schattirungen klar zu unterscheiden, annehmen,
einen Mangel, der bedingt ist durch die uns bereits bekannte geschwächte
Fähigkeit des Urtheils und der Anlyse. Daneben beobachten wir, wenn auch
nicht absoluten Mangel, so doch eine gewisse Unentwickeltheit des moralischen
Empfindens.
Aus den angeführten Daten können wir nun folgende Schlüsse ziehen:
J. ist ein Individuum mit deutlichen Anzeichen der physischen Degeneration;
in aufsteigender Linie constatiren wir zwpr keine deutlich ausgesprochenen
Geisteskrankheiten, jedoch jedenfalls Individuen mit zerrüttetem Nervensystem,
welche auf der Grenze des pathologischen und des physiologischen Zustandes
stehen. Mit anderen Worten, es sind Daten vorhanden, welche von einer mehr
oder weniger schweren Belastung der Psyche des Pat. Zeugniss ablegen. Wenden
wir uns der Letzteren zu, so bemerken wir hier einerseits eine Reihe impulsiver
Handlungen aus dem Gebiete der Triebe: stark ausgeprägten Hang zur Onanie
und zum Alkohol, welcher bereits in früher Jugend zu Tage trat. Dass wir
es hier in der That mit einem Triebe impulsiven Charakters zu thun haben,
beweist die Unüberwindlichkeit desselben, d. h. die selbständige Entstehung
in der Tiefe der unbewussten Gemüthsthätigkeit ohne Betheiligung von Nach¬
ahmung oder fremder Suggestion. Im Gebiete der Vorstellungen bemerken wir
eine Verlangsamung des Ganges derselben, wenn wir auch keine beträchtliche
Abnahme ihrer Zahl constatiren können, und in dieser Hinsicht unterscheidet
unser Pat sich wenig vom gewöhnlichen Mittelmenschen. Die Verarbeitung
der äusseren Eindrücke ist beschränkt und geht hauptsächlich nur im Gebiete
derjenigen Erscheinungen vor sich, welche die geistige Thätigkeit unmittelbar
auslösen. Das Gedächtniss des Pat. ist vollkommen befriedigend. Was nun
die höheren geistigen Prozesse anbetrifft, so beobachten wir an unserem Kranken
eine Abschwächung der Aufmerksamkeit; bei jeder etwas grössere Anspannung
erfordernden Arbeit wird er daher bald müde. Wo eine passive Geistesarbeit
gefordert wird, wo der Gang derselben sich auf associative Apperception beschränkt,
erweist der Kranke sich als leistungsfähig. Sobald er aber genöthigt ist, in der
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446
Sphäre einer complicirteren geistigen Thätigkeit zu operiren, erweist er sich als
schwach und unfähig; daher ist die Thatsache verständlich, dass J. diejenigen
Lehrgegenstände, welche nur ein einfaches passives ßeproduciren durch Association
erfordern, gut bewältigte, jedoch in den mathematischen Fächern, für welche
diese geistigen Fähigkeiten allein nicht genügten, nicht folgen konnte. Mit
anderen Worten, wir bemerken an J. eine Abschwächung der activen Apperception.
Wa8 nun die emotive Sphäre betrifft, so können wir aus dem oben Geschilderten
einen richtigen Schluss ziehen. Die relative Armuth an Vorstellungen überhaupt
die Dürftigkeit der allgemeinen Vorstellungen, mit Vorherrschen der anmittelbaren
concreten Vorstellungen, das Vorherrschen der associativen Perception in der
geistigen Thätigkeit, die Schwäche der Processe höherer Geistesarbeit, alles das
sind Factoren, welche zur Genüge bewirken, dass im Seelenleben des Pat nur
diejenige Gruppe von Vorstellungen zum klaren Bewusstsein gelangen, welche
die Interessen seiner eigenen Person umfassen. „Es giebt ja gar keine andere
Gruppe, welche durch passive Apperoeption mit grösserer Häufigkeit und Inten¬
sität im inneren Blickpunkt gehoben würde, als gerade diese“, sagt Kr akpkijk (9);
auf diese Weise wird, wie der genannte Autor sehr riohtig ausführt, das Denken
egoistisch, und der Kreis der Interessen dreht sich hauptsächlich im Gebiete
der Fragen nach dem eigenen Wohlbefinden und der eigenen Zufriedenheit;
man erhält einen kleinen Vorrath an lebendigen Empfindungen der niedrigsten
egocentrischen Ordnung bei fast vollständiger Abwesenheit höherer ethischer
Empfindungen; es kann uns daher nicht wundern, dass bei einem derartigen
Zustande die Stimmung des Kranken, als die Aeusserung der Gesammtwirkung
aller vorhandenen Empfindungen, äusserst gleichmässig und ruhig war; das ist
aber, reden wir wieder mit den Worten Kraepelin’s „nicht jene Buhe, die
das stabile Gleichgewicht antagonistischer Strebungen bedeutet, sondern es ist
die unfruchtbare Ruhe der absoluten Apathie“. Die Armuth an Empfindungen
erzeugt Willensschwäche, denn der Willen ist „der Sohn der Empfindungen“,
sagt D. S. Mill; begreiflicher Weise sind die Willensmotive bei unserem Pat
angesichts aller oben beschriebenen Eigenthümlichkeiten seiner phsychischen
Functionen äusserst schwach, ausgenommen die Motive der unmittelbaren Be¬
friedigung, die einzig und fast ausschliesslich lebendigen. Das ist die Psyche
unseres Patienten. Hierzu muss ich nur bemerken, dass alle genannten Eigen¬
thümlichkeiten hier nicht scharf ausgeprägt sind, sondern in gewissem Maasse
eine Uebergangsstufe vom normalen Zustande zu den Erscheinungen psychischer
Schwäche bilden. Ohne das klinische Bild des Schwachsinnigen zu liefern, ist
J. ein Individuum, welches auf der Grenze steht, die das Irrenhaus von der
übrigen Welt trennt; von diesem Gesichtspunkte aus ist es uns verständlich,
dass J., der sich in geistiger Hinsicht unter dem Durchschnittsniveau befand,
dennoch im Stande war, die unbedeutenden Anforderungen, welche die unteren
Klassen unserer Schule stellen, zu befriedigen (vgl. übrigens Webnioke [10]).
Bei einem Individuum mit Anzeichen psychischer Schwäche trat demnach nach
einem lebhaften Traume eine Verfolgungswahnidee auf. Ihrem Charakter nach
bietet diese Wahnidee insofern einiges Interesse, als sie zur Zeit ihrer Entstehung
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nicht nur der ganzen logischen Combination von Vorstellungen nicht zuwider
lief, sondern im Gegentheil sofort mit der bewussten Thätigkeit des Kranken, der
sie nicht für etwas Zwangsartiges und Fremdes hielt, verschmolz. So hatte
diese absurde Idee zur ersten Zeit ihrer Entstehung vollkommen den Charakter
des Wahnes; erst später, als der Kranke die ganze Kraft seines Denkens auf¬
wandte, begann diese Idee allmählich den Charakter eines Wahnes zu verlieren
und in eine Zwangsvorstellung überzugehen, um darauf zu verschwinden. Eine
solche Entwickelung der Wahnvorstellungen bietet insofern einiges Interesse, als
hier gleichsam der umgekehrte Process stattfindet, verglichen mit dem gewöhnlich
Beobachteten. Halten wir an der Anschauung fest, welche von vielen Autoren,
wie z. B. von Kowalewsky (11) u. A. bezüglich der Paranoia rudimentaria
geäus8ert wird, so hätten wir zuerst die Entstehung einer Zwangsvorstellung mit
späterer Umwandlung derselben in eine Wahnvorstellung erwarten müssen,
gerade das Gegentheil zu dem, was bei uns beobachtet wurde. Eine solche
Thatsache zeigt uns nur, wie verschiedenartig die Entstehung der Wahnvor¬
stellungen sein kann. Wir müssen nun bei der Frage verweilen, ob Pat. wirklich
einen Traum gehabt hat, oder ob bei ihm nicht hypnagogische Erscheinungen
vorhanden waren. Ich glaube nicht, dass wir der zweiten Anschauung huldigen
können. Wenn wir berücksichtigen, dass die hypnagogischen Erscheinungen
nach Kandinsky(12) ihrem Charakter nach Pseudohalluoinationen sind, welche
der Objectivität entbehren, von unserem Bewusstsein nicht objectiv aufgenommen
werden und daher unserem Ich als vollkommen fremd und bar der gemüthlichen
Färbung, sowie der Receptivität ihrer Elemente erscheinen, — so werden wir
einsehen, dass der Zustand, den unser Pat beschreibt, keineswegs mit diesen
Bedingungen übereinstimmt und nur als Traum bezeichnet werden kann; der
Kranke giebt ganz genau an, wie er alle Einzelheiten des Traumes durchlebte,
wie er von demselben erschüttert war, mit einem Wort, wir haben vor uns eine
Gruppe von Bildern, welche vom Bewusstsein vollkommen objectiv aufgenommen
wurde.
(Schloss folgt)
n. Referate.
Experimentelle Physiologie.
1) Zur Lehre von der Cerebrospinalfliisaigkeit, von Dr. M. Lewandowsky.
Aus der speciell-physiologischen Abtheilung des physiologischen Instituts zu
Berlin. (Zeitschr. f. klin. Med. XL. S. 480.)
Verf. hat bei verschiedenen Thieren (Hund, Katze, Kaninohen, Hammel) nach
Eröffnung des Wirbelcanals giftige Substanzen (Strychnin, Natrium ferrocyanatum)
per injectionem in den Subduralraum eingespritzt und konnte erstens schon ganz
kurze Zeit nach der Einspritzung und zweitens mit sehr geringen Dosen Krämpfe
zunächst in den unteren Extremitäten, dann auch weiter im Rumpf, oberen Extre¬
mitäten, Kaumuskeln u. s. w. auslösen. Aehnlich, nur in anderer Reihenfolge traten
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448
die Krämpfe ein bei Einspritzung der gelösten Substanzen in den Subduralraum
des Gehirns. Wurde das Rückenmark mitsammt dem umliegenden Duralsacke
vorher unterbunden und dann unterhalb der Unterbindungsstelle in den Subdural*
raum eine der genannten Substanzen injicirt, so traten die Krämpfe nur local
(d. h. dem Rückenmarkstheil entsprechend) ein und verbreiteten sich nicht auf¬
wärts nach dem Gehirn zu. Controlversuche mit Einspritzung der giftigen Sub¬
stanzen in die Blutbahn ergaben nur Resultate bei bedeutender Vermehrung
der eingespritzten Substanz, oder die Resultate waren negativ, höchstens dass
die Thiere Allgemeinerscheinungen, wie erhöhte Erregbarkeit, Aenderungen der
Athmung u. s. w. zeigten. Schliesslich hatten auch Versuche mit Bestreichen
von peripheren Nerven mit diesen toxischen Substanzen kein positives Resultat
Verf. kommt daher zu dem Schluss, dass bei der Einspritzung in den Duralsack
diese Substanzen direct in das Centralorgan (und nicht auf dem Umwege durch
die Blutbahn) eindringen, und dass sie hier direct auf die Nervenzellen wirken.
Bezüglich der Einspritzungen zu therapeutischen Zwecken ist Verf. der Ansicht,
dass man das Cocain z. B. nur dann in besagter Weise appliciren soll, wenn
eine Schmerzstillung auf andere Weise nicht möglich sei, da es leicht einmal
passiren könne, dass das Cocain aufsteigend an das Athemcentrum kommen und
dieses lähmen könne. Schliesslich hat Verf. auch noch Untersuchungen bezüglich
der Natur der Cerebrospinalflüssigkeit angestellt und kommt zu dem Schlüsse,
„dass die Cerebrospinalflüssigkeit eine Lymphflüssigkeit ist. Sie ist nur zum
geringsten Theile Transsudat, als solches zwar modificirt durch die speciflschen
Eigenschaften der Gehirncapillaren. In der Hauptsache ist Bie als ein specifisches
Product des Gehirns aufzufassen und stellt so denjenigen Antheil der Lymphe
dar, der der Organthätigkeit seinen Ursprung verdankt.“
Jacobsohn (Berlin).
2) Experimenteller Beitrag but Physiopathologie der Cauda equina und
des Conus medullaris, von Mingazzini und Panichi. (Arch. ital. de
Biolog. XXXII. S. 182.)
Die Resultate von DurchschneidungBversuchen am unteren Rückenmarks*
abschnitt und an der Cauda equina bei Hunden werden mitgetheilt. Ein Ver¬
gleich der Resultate mit den aus der menschlichen Pathologie bekannten That-
sachen ergiebt im Wesentlichen eine Uebereinstimmung der Function dieser Theile
beim Menschen und Hunde, nur liegen beim Menschen die Centren für die
Sphinkteren der Blase und des Mastdarms getrennt im unteren und mittleren
Drittel des Conus, während sie beim Hunde gemeinsam im proximalen Drittel
aufgefunden wurden; im mittleren und diBtalen Abschnitt sind beim Hunde die
Centren für die Bewegung des Schwanzes localisirt.
Geelvink (Herzberge).
3) Ueber den normalen Grosssehenreflex bei Kindern, von Fritz Passini.
(Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 41.)
Verf. prüfte an dem Kindermateriale der Wiener allgemeinen Poliklinik das
Babinski’sche Phänomen und bestätigt die Angaben Babinski’s. Ohne Aus¬
nahmen fand er bei organischer Schädigung der Pyramidenbahn Extensionsreflexe.
Bei Meningitis tuberculosa wechselte der Befund wohl in Folge der gestörten
CirculationsverhältniBse.
Bei normal sich entwickelnden Kindern ist bereits im 4. Quartale des ersten
Lebensjahres der Flexionstypus der vorherrschende; sein Auftreten geht parallel
der allgemeinen Entwickelung. Im Wachsthum zurückgebliebene Säuglinge be¬
hielten die Extensionsbewegung länger. J. Sorgo (Wien).
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4) A study of the pUntar-reflex in infknoy, by John Lovett Morse (Boston).
(Pediatrics. 1901. 1. Januar.)
Yerf. hat an 254 nervengesunden Kindern unter 2 Jahren Studien über den
Plantarreflex angestellt, wobei er sich folgende Fragen vorlegte: Existirt der
Plantarreflex im frühen Bandesalter, welche Form besitzt er, und — im Falle des
Fehlens — in welchem Alter tritt er zuerst auf? Es zeigt sich nun, dass der
Plantarreflex ein constantes Verhalten im 1. Lebensjahre nicht besitzt. In einer
nicht geringen Anzahl von Fällen ist er überhaupt nicht zu erzielen, in anderen
tritt Streckung (besonders bei Kindern im 1. Jahre), in weiteren Beugung des
Fnsses (namentlich im 2. Lebensjahre) ein. Wenn also wohl die älteren Bonder
sich im Verhalten des Plantarreflexes den Erwachsenen nähern, so liegt doch
darin keine Gesetzmässigkeit, und der Zeitpunkt, wann der Plantarreflex dauernd
dieselbe Form annimmt, wie bei gesunden Erwachsenen, liegt jedenfalls jenseits
des 2. Lebensjahres. Unter allen Umständen lässt sich aus den vorliegenden Be¬
fanden erkennen, dass das Verhalten des Plantarreflexes bei Kindern unter dem
2. Lebensjahre für pathologische Fälle nicht verwerthbar ist.
Zappert (Wien).
Pathologische Anatomie.
5) Zur Kenntnis* der Veränderungen am Centralnervensystem bei der
Leukämie, von Dr. Ernst Bloch und Dr. Hans Hirschfeld. (Zeitschr.
f. klin. Medicin. XXXIX. S. 32.)
Die Verff. untersuchten bei einem sehr jungen, an Leukämie gestorbenen
Kinde das Centralnervensystem und fanden ausser einer diffusen Sklerose des
Gehirns und Rückenmarks acute myelitische Herde in der grauen Substanz des
Halsmarkes und neben denselben deutliche Anhäufungen von Rundzellen, welche
sie für echte leukämische Infiltration der Rückenmarkssubstanz halten.
Jacobsohn (Berlin).
8) Vorlesungen über die pathologische Anatomie des Rückenmarks. Unter
Mitwirkung von Dr. Sacki herausgegeben von Dr. Hans Schmaus. (Wies¬
baden, 1901. J. F. Bergmann. 689 S.)
In seinem Vorworte drückt Verf. die Aufgabe, welche er sich bei Abfertigung
»einer Arbeit gestellt hat, in folgenden Worten aus: „Die vorliegenden Vorlesungen
über pathologische Anatomie des Rückenmarks stellen einen Versuch dar, die
anatomischen Veränderungen dieses Organs in eingehenderer Weise darzustellen, als
e» bisher vom anatomischen Standpunkt aus geschehen ist. Sie sollen die Er¬
krankungen, soweit es nach dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntniss bei
entsprechendem Umfang des Buches möglich ist, von der anatomischen Seite her
beleuchten und zunächst eine Vorbereitung auf das klinische Studium der Rüoken-
markakrankheiten sein; vielleicht wird aber auch der Kliniker manchmal das
Bedürfnis« fühlen, da und dort zur anatomischen Betrachtungsweise zurückzu¬
kehren.“
Die Kapitel, welche Verf. in 21 Vorlesungen behandelt, sind folgende:
Secundäre Degenerationen, Normales und Pathologisches von der Nervenzelle,
Degeneration der Nervenfasern, Tabes dorsalis, Degeneration im motorischem System,
Circulation8störungen im Rückenmark, acute und chronische Myelitis, multiple
Sklerose, combinirte Strangerkrankungen, traumatische Rückenmarkserkrankungen,
Compressionsmyelitis, Tuberculose und Syphilis des Rückenmarks, angeborene
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Anomalien des Rückenmarks, Syringomyelie, Lepra, Tumoren des Rückenmarks
und seiner Häute.
Jedes einzelne dieser Kapitel ist in der von anderen Werken desselben Anton
her bekannten klaren und anregenden Form geschrieben, jede Weitschweifigkeit
vermieden, das häufiger Yorkommende ausführlicher, seltenere Befunde nur kurz
abgehandelt.
Ein Litteraturverzeichniss sowie ein alphabetisches Sachregister scblieesen
das Werk, dessen Lectüre dem pathologischen Anatom sowohl wie dem Kliniker
aufs Wärmste empfohlen werden kann. Kurt Mendel.
Pathologie des Nervensystems.
7) Ueber die sympathische Reaotion bei einem Unfhllkranken, von Cr am er.
Vortrag, gehalten in der medioinischen Gesellschaft in Göttingen am 6. Dec.
1900. (Deutsche medL Wochenschr. 1901. Nr. 2.)
Die sympathische Pupillenreaction ist kein sicheres Zeichen für das Vor¬
handensein eines wirklichen Schmerzes bei Unfallkranken, da sie nach den Unter¬
suchungen des Vortr. auf dem Vorstellungswege, man möchte sagen willkürlich
hervorgerufen werden kann. So genügte oft die Vorstellung eines schmerzhaften
Eindruckes zur Pupillenerweiterung, ebenso wirkte psychischer Schmerz, z. B.
Entgegennahme einer Todesnachricht. Vortr. fand die sympathische Reaction
auch in 2 Fällen von doppelseitiger Totalexcision des Halssympathicus
auf beiden Seiten, während Hirschl behauptet hatte, dass die Reaction bei
Degeneration des Halssympathious fehle. R. Pfeiffer.
8) Zur Technik der Patellarreflexprüfung , von Wal bäum (Harburg).
(Deutsche med. Wochenschr. 1900. Nr. 50.)
Man lässt das zu untersuchende Bein in leicht stumpfwinkliger Beugung auf
die Erde setzen, während der Patient nur auf dem Rande des Stuhles sitzt, oder
es muss bei Prüfung in Bettlage eine zweite Person, das Bein in der Kniekehle
von unten her in die Höhe heben und unterstützen. Man legt nun die halb¬
geschlossene eine Hand mit mässigem Druck auf das zu untersuchende Knie,
dass die Fingerkuppen auf dem Ligamentum patellare inferius aufliegen, während
Daumen und Kleinfingerballen auf dem oberen Kniescheibenrande liegen. Auf
den Rücken dieser Hand führt man jetzt einen kurzen leichten Schlag mit der
zur Faust geballten anderen Hand und wird bei erhaltenem Patellarreflexe augen¬
blicklich ein Vorspringen des Ligamentum patellare inferius, das ja die Fortsetzung
des Quadriceps bildet, unter den Fingern fühlen. R. Pfeiffer.
9) ▲ palmar reflex, by George E. Rennie. (Australasian medical Gazette.
1900. März.)
Bekanntlich gelingt es, durch Druck auf den Vorderarm in der Gregend de)
Os pisiforme nach aussen oder innen von demselben eine Contraction des M. pal •
maris brevis hervorzurufen, ebenso durch Druck auf den UInaris oberhalb de)
Handgelenks. Diese Erscheinung könnte als directe Reizung des N. ulnaris und
dadurch bewirkte Contraction des Muskels angesehen werden, wenn es nicht ge¬
länge, durch leichtes Streichen der Haut oberhalb des Hypothenar mit dem Finger
oder der Spitze einer Nadel die gleiche Contraction hervorzurufen. Verf. hst
diese Thatsache bei einer grösseren Anzahl von gesunden Menschen constatireu
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können. Er ist geneigt, den Vorgang als einen echten Reflex anzusehen, und fordert
zur Nachprüfung desselben an Gesunden und Kranken auf.
Martin Bloch (Berlin).
10) Contribution to the study of the plantar reflex, based upon seven
hundred examinations made wlth speolal referenoe to the Bablnski
phenomenon, by G. L. Waldon and W. E. Paul. (Journal of nerv, and
ment disease. 1900. Juni.)
Die an einer grossen Anzahl gesunder und kranker Individuen mit grosser
Sorgfalt ausgeführten Versuche der Verff. führten zu folgenden Schlüssen:
1. Bei gesunden Individuen kann der Plantarreflex in folgenden Formen
auftreten: a) als Flexion aller Zehen, b) Flexion einiger, gewöhnlich der äusseren
Zehen, c) Flexion aller Zehen der einen und einiger, gewöhnlich der äusseren,
des: anderen Seite, d) bei mindestens 10°/ o fehlen auf beiden Seiten Zehen¬
bewegungen, e) bei mindestens lO°/ 0 fehlen Reflexbewegungen auf der einen Seite,
während sie auf der anderen vorhanden sind, f) gelegentlich, bei empfindlichen
Individuen, erfolgen halbfreiwillige, undeutliche Bewegungen bald in der Form
der Beugung, bald in der der Streckung.
2. In früher Kindheit fehlen charakteristische und constante Reflex¬
bewegungen, sind solche nachweisbar, so sind es häufiger Extensions- als Flexions¬
bewegungen.
3. Der Babinski’sche Zehenreflex ist bei 70°/ 0 aller Fälle von Hemiplegieen
und Diplegieen nachweisbar, ebenso bei ungefähr dem gleichen Procentsatz aller
Erkrankungen, bei denen die Pyramidenbahnen afficirt sind.
4. Der Babinski’sche Reflex (deutliche, oonstante Streckung der grossen
Zehe mit oder ohne Streckung anderer Zehen) fehlt stets beim Gesunden; die
TJntersuchungsresultate der Verff. lassen sein Vorkommen bei irgendwelchen
functionellen oder irgendwelchen Nerven- oder anderen Krankheiten, bei denen
die Pyramidenbahnen nicht erkrankt sind, sehr zweifelhaft erscheinen.
6. Der Babinski’sche Reflex ist oft das früheste Zeichen einer Erkrankung
der Pyramidenbahn, d. h. er ist oft schon nachweisbar, bevor Steigerung des
Patellarreflexes oder Fussklonus nachweisbar sind; er ist oft auch dann nach¬
weisbar, wenn die Patellarreflexe oder Fussklonus (in Folge von Ankylosen, Con-
tracturen, Muskelatrophieen bei langdauernden Diplegieen oder bei combinirter
Systemerkrankung) nicht hervorzurufen sind. Der Reflex besitzt demnach hervor¬
ragenden diagnostischen Werth.
6. Der Babinski’sche Reflex kommt sehr Belten bei anderen Affectionen,
die nicht offensichtlich mit Erkrankung der Pyramidenbahnen einhergehen, vor
(Meningitis, Hydrocephalus, Alkoholintoxication, Urämie). Derlei Vorkommnisse
sind nicht im Stande, die diagnostische Bedeutung des Phänomens zu beeinträch¬
tigen; eher sollte sein Vorkommen in solchen Fällen zu der Vermuthung führen,
dass in der That auoh eine Affection der Pyramidenbahnen vorliegt, sei es durch
Oedem, sei es durch indirecte Druckschädigung hervorgerufen.
Martin Blooh (Berlin).
11) Jaw jerk and jaw olonua, by Alexander James. (Scotish med. and
surgic. Journal. 1900. October.)
Verf. hat mittels einer Methode, über die näheres im Original nachzulesen
ist, die Reactionszeit des Eintretens der verschiedenen Reflexe (Achillessehnen-,
Patellar- und Kieferreflexe) geprüft und dabei gefunden, dass die Reflexe um so
früher dem peripheren Reize folgend eintreten, je kleiner die Entfernung vom
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Ort des Reizes bis zum medullären Centrum ist; es tritt demnach der Kiefer-
vor dem Patellar- und dieser vor dem Acliillessehnenreflex auf; das Gleiche gilt
auch für die Fälle, in denen Reflexsteigerung nachzuweisen ist
Martin Bloch (Berlin).
12) Ueber das Fehlen des ▲ohillessehnenreflexes and seine diagnostische
Bedeutung, von Priv.-Doc. Dr. J. Strasburger, Assistent an der medicin.
Klinik in Bonn. (Deutsche Zeitsohr. f. Nervenheilk. 1900. XVIL)
Während Berger im Jahre 1879 in 20°/ o der Fälle und Eulenburg 1882
sogar in 81,45 °/ 0 den Achillessehnenreflex vermisste, ergab eine Untersuchung
Ziehen’s aus dem Jahre 1894 die Abwesenheit desselben in nur 5°/ 0 der Fälle
und nach Ausschaltung einiger zweifelhafter Resultate sogar nur in 0,3 °/ 0 . Zu
ähnlichen Ergebnissen gelangte Verf., welcher an der Hand des reichen Materials
der Bonner medioiniBchen Klinik nachweisen kann, dass dieser Reflex beim ganz
gesunden Menschen nur sehr selten fehlt. Es bedarf aber zur Auslösung desselben
grosser Geduld, Uebung und Geschicklichkeit.
Eis wurde ausserdem festgestellt, wie häufig dieser Reflex bei Ischiaskranken
und Tabikern fehlt Nur in 59°/ 0 der Ischiasfälle war derselbe normal, doch
scheint das Fehlen oder Abgeschwächtsein desselben auf die Prognose des Leidens
ohne Einfluss zu sein. Bei der Tabes sind meistens der Patellar* und Achilles¬
sehnenreflex frühzeitig erloschen, doch kann es auch Vorkommen, dass zunächst
nur der eine oder andere Reflex vermisst wird.
E. Asoh (Frankfurt a/M.). .
13) Die Lehre von dem Verhalten der Sehnenreflexe bei oompleter
Büokenmarksquerläsion , von Dr. Ludolph Brauer, Privatdocent und
Assistent an der medicinischen Klinik in Heidelberg. (Deutsche Zeitschr.
f. Nervenheilk. 1900. XVIII.)
Bei einem 19jährigen, tuberculös belasteten Mädchen, das an Knochenkaries
leidet und deshalb eine linksseitige Unterschenkelamputation überstand, bestehen
seit Januar 1899 am Unterleib und an den Beinen Sensibilitätsstorungen und
seit Kurzem Incontinentia urinae et alvi, sowie Decubitus am Kreuz- und Steiss-
bein. Ausserdem findet sich leichte Lordose der Brustwirbelsäule, sowie Prominenz
der Dornfortsätze des 12. Brust* und 1. und 2. Lendenwirbels. Von der 5. bis
6. Rippe an abwärts am Rumpf und an den Beinen völlige Anästhesie und
Analgesie. Muskeln des Bauches, Beckens und der Beine gelähmt, active Be¬
weglichkeit und Lagesinn erloschen.
Die zeitweise sogar gesteigerten Patellarreflexe werden noch 8 Tage vor
dem Exitus naohgewiesen; ausserdem besteht Fussklonus und lebhafte Reaction
des Achillessehnen- und Plantarreflexes am normalen Bein.
Bei der Autopsie fand sich, dass das Rückenmark im oberen Brusttheil fast
ganz durchtrennt war und nur durch eine kleine Brücke von Rückenmarkshäuten
und vielleicht auch durch einige nervöse Elemente zusammengehalten wurde. Bei
der mikroskopischen Untersuchung liess sich mit Bestimmtheit nachweisen, dass
an der genannten Stelle auch nicht die geringste Spur einer Verbindung vor¬
handen war. Die erst später bemerkten Wurzelsymptome und die gleichzeitig
damit aufgetretene aufsteigende Sensibilitätsstörung fallen sicherlich mit dem Er¬
griffenwerden der extrapialen Nerven wurzeln und einem Fortschreiten des mye-
litischen Processes zusammen.
In einem weiteren Falle, in welchem nach einer traumatischen Zerstörung
der RückenmarkssubBtanz Monate lang das klinische Bild absoluter Leitungs-
453
Unterbrechung bestanden hatte, kehrten nach Anwendung der Suspensionsbehandlung
die theilweise geschwundenen Reflexe wieder vollkommen zurück.
Beide Beobachtungen widerlegen die Annahme von dem Erloschensein der
Patellarreflexe bei hochsitzenden, completen Querläsionen des Rückenmarks. An*
geblich ist die Ursache dafür in dem Umstand zu suchen, dass die abgetrennten
Centren des Rückenmarks dem Einfluss höhergelegener Gehirnoentren entzogen
sind. In beiden Fällen konnte in Folge der Leitungsunterbrechung im Rücken*
mark eine Ueberleitung des Reizes vom Gehirn aus sicher ausgeschlossen werden.
Nach der Ansicht des Verl’s wirken Verletzungen der Wirbelsäule, Tumoren
des Wirbelcanals oder entzündliche Schwellungen des Rückenmarks als Reize,
welche eine Zunahme der Spinalflüssigkeit im Gefolge haben und dadurch eine
Drucksteigerung in dem von der Communication nach oben hin abgetrennten
Theil des Wirbelcanals nach sich ziehen. Mit Nachlassen des Druckes an der
Läsionsstelle würde der Ueberdruck in der Spinalflüssigkeit schwinden und damit
die Reflexbehinderung aufhören.
An der Hand dieser Hypothese werden nicht nur die beiden mitgetheilten
Fälle verständlicher, sondern es liesse sich auch das wechselnde Verhalten der
Reflexe bei Querläsionen des Rückenmarkes im Allgemeinen besser verstehen.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
14) Die 8egmentdiagnose der Rüokenmarkserkrankungen , von L. Bruns.
(Centralbl. f. die Grenzgeb. der Med. u. Chirurg. 1901. Nr. 5.)
Eine sehr klare und übersichtliche Darstellung der Lehre von der Segment*
diagnose. Von grossem Werthe sind die beigegebene, bekannte, nun modificirte
Tabelle von der Function der einzelnen Rückenmarkssegmente, sowie in den Text
eingestreute Bemerkungen über die Höhenlocalisation der Kerngebiete einzelner
Muskeln. Von diesen Bemerkungen möchte Ref. folgende herausgreifen: Die
Kerne der Flexores cruris dürften in der Nähe der Quadrioepskerne, aber segmentär
tiefer liegen (im 4. und 5. Lumbalsegment); ob sie aber segmentär über dem
Tibialis anticus und den Extensoren der Hüfte liegen oder darunter, ist derzeit
noch nicht entschieden. Das Gleiche gilt von den Auswärtsrollern der Hüfte,
deren Stellung im 5. Lumbalsegmente noch nicht sicher steht Eine kurz mit-
getheilte Beobachtung des Verf.’s, einen Kranken mit Spina bifida betreffend,
spricht für die segmentär tiefere Stellung der vom N. tibialis versorgten Muskeln
gegenüber den Muskeln des N. peroneus.
Für den Dilatator pupillae kommen nach Verf. ausser Fasern, welohe mit
der ersten Dorsalwurzel verlaufen, noch solche in Betracht, welche mit der
8. Cervicalwurzel austreten.
Interessant ist die Bemerkung vom Verf., dass man mit Rücksicht auf die
günstigen Resultate von Frühoperationen bei spinalen Geschwülsten in den Forde¬
rungen an die Sicherheit der Segmentdiagnose nicht zu streng sein dürfe. Auf
alle sicheren Zeichen warten, heisst den Erfolg der Operation aufs Spiel setzen,
die bei einiger Kühnheit eine ganz glückliche hätte sein können.
H. Schlesinger (Wien).
15) Klinische and pathologisch-anatomische Untersuchungen über die
unoomplioirten traumatischen Rüokenmarkserkrankungen, von F. Hart-
mann. (Jahrbücher f. Psych. u. Nervenkrankh. 1900. XIX. S. 380.)
Reiner Fall von Commotio spinalis. Sturz aus 2 m Höhe; kurze Bewusst¬
losigkeit. Untersuchung wenige Stunden darnach ergiebt: Sensorium frei, Hirn¬
nerven intact, spastische Parese aller 4 Extremitäten. Hyperästhesie im Bereiche
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des Occipit&lis major. Sensibilitätsverlust bis zur Höhe der Clavicula. Reteotio
urinae. Nach 2 Tagen Sensibilität normal, Beweglichkeit der Gliedmaassen bis
auf deutliche Paresen wiedergekehrt. Nach einem Monate nur mehr Druck-
empfindliohkeit des obersten Halswirbels und der Nervenaustrittssteilen daselbst
Später vollständige Restitutio ad integrum.
Verf. unterscheidet folgende Gruppen traumatischer Rüokenmarkserkrankungen:
1. Complicirte, d. h. mit bleibender Veränderung der Wirbelsäule einher¬
gehende Erkrankungen (Luxationen, Fracturen mit Quetschung und Zertrümmerung
der Medulla).
2. Uncomplioirte traumatische Rüokenmarksaffectionen. Darunter wieder
a) unmittelbar traumatische und b) vermittelt erst nach einem scheinbar freien
Intervalle (Poliomyelitis anterior chronica post trauma, multiple Herderkrankungen,
Gliom, Gliose, Syringomyelie u. s. w.).
Unter 2 a fasst Verf. jene Erkrankungen zusammen, die durch Trauma auf
die Wirbelsäule gleich oder sehr bald entstehen, und wobei eine bleibende Ver¬
änderung der Columna spinalis als unmittelbar traumatisch erzeugt nicht nach-
gewieeen werden kann. (Dabei weist Verf. auch auf die traumatisch bedingte
chronische Steifigkeit der Wirbelsäule hin.) Klinisch handelt es sich vorwiegend
um herd-, d. h. segmentförmige Erkrankungen der von der Gewaltwirkung meist
betroffenen Wirbelsegmente. Für die auffallende Thatsache, dass derartige Ver¬
letzungen meist den Sitz der Markläsion im Halsmarke aufweisen, giebt Verf.
folgenden hübschen Erklärungsversuch: Die Fallgeschwindigkeit des Kopfes und
die reflectorische Muskelzugwirkung im Sinne der Kopfbeugung geben eine Reeul-
tirende, die gleichsinnig der Längsaxe der Halswirbelsäule wirkt Beim Ueber¬
gange zur relativ starren Brustwirbelsäule findet eine Zerlegung statt in zwei
Componenten, deren eine durch die Compressibilität des Brustwirbelapparatee auf¬
gehoben wird, deren andere eine Verschiebung der letzten Cervioalwirbel nach
hinten zu bewirken traohtet (vgl. Zeichnung im Texte). Nun folgen einige sehr
genau mitgetheilte Krankheitsgeschichten.
I. Sturz auf den Rücken. Sofort Unterleibsschmerzen, rechtsseitige Paresen.
Incontinentia alvi. Allmähliche Besserung. Status nach 7 Jahren: Gibbus der
Brustwirbelsäule, leiohte spastische Parese der Beine. Sensibilität für alle Quali¬
täten bis zur Höhe des 8. Dorsaldornfortsatzes herabgesetzt. (Verf. erörtert die
Frage, ob die chronische Wirbelaffection nicht Folge der nervösen Erkrankung
sein könnte.)
II. Trauma durch Anfahren einer Deichselspitze. Sofort Lähmung der Beine;
allmähliche Besserung. Status 1 Jahr später: Kyphose im Bereiche des 12. Brust-
bis 3. Lendenwirbels; spastische Parese des rechten Beines; tactile Sensibilität an
der Aussenseite der rechten Unterschenkels herabgesetzt.
in. Fall auf das Gesäss. Unmittelbar darnach Lähmung des rechten,
weniger des linken BeineB. Retentio urinae. Später Parästhesieen. Besserung
der Motilität. Status 1 Jahr später: Sehnenreflex der unteren Extremitäten links
gesteigert, rechts klonisch. Leiohte PareBe des rechten Beines. Sensibilität an
der Innenseite des linken Beines abgestumpft.
IV. Am 6. Juli 1898 Sturz aus 10 m Höhe. Lähmung aller 4 Extremitäten,
Retentio urinae, lebhafte Schmerzen der unteren Halswirbel, sowohl auf Druck,
wie spontan. Nach Extension Besserung. Status vom 6. August 1898: Sehnen -
reflexe hochgradig gesteigert, deutliche Atrophie des linken Bioeps, der kleinen
HandmuBkeln rechts, weniger links. Lähmung des linken Armes mit Herab¬
setzung der Sensibilität. Parese vorwiegend der Beuger an den unteren Extremi¬
täten. Bauchdecken- und Cremasterreflex herabgesetzt.
V. Etwa 1 / 2 Jahr nach Sturz auf die linke Seite Atrophie und Parese der
455
Fingerbeuger, besonders linkerseits. Sehnenreflexe allseits gesteigert. Sensibilität
intaet; öfters Schmerzen im linken Arme.
VI. 4 Wochen nach einem Sturze folgender Status: Atrophie und starke
Parese des linken, geringere Parese des rechten Armes; daselbst Atrophie der
kleinen Handmuskeln. Abdominale Athmung. Lähmung der Recti abdominis und
der unteren Extremitäten. Patellarsehnenreflex eben noch auslösbar. Plantar¬
reflex sehr lebhaft. Vom 12. Brustwirbel an Sensibilitätsstörung schwerer Art,
nach abwärts zu totale Anästhesie. Retentio urinae. Incontinentia alvi. Während
des Katheterisirens öfters Erectionen. Später Atrophieen auch der Schultergürtel-
musculatur, totale Anästhesie vorn von einer 3 Finger über der Mammilla ge¬
legenen Querlinie an, hinten rechts von dem 3. Brust-, links vom 8. Halswirbel
an. Exitus am 15. August 1897. Makroskopisch am Rückenmarke nur weichere
Consistenz im unteren Cervicalmarke. Histologischer Befund: 6.—8. Cervical-
segment am meisten geschädigt, diffuse partielle Querschnitte er krankung daselbst,
zugleich Affection der Vorderhornzellen auch im Lendenmarke (!), ebenso der
Cervical- und Lumbarwurzeln. (Betreffs der ungemein sorgfältig beschriebenen
feineren histopathologischen Veränderungen muss auf die Originalarbeit verwiesen
werden.)
VII. Sturz am 11./VIII. 1898. Unmittelbar darnach Lähmung aller Glied-
maassen. Retentio urinae et alvi. Status einen Tag später: Schultergürtel-,
Bauch- und Beinmusculatur bretthart gespannt; fast reine auxiliäre Thoraxathmung.
Bewegungen nur am rechten Beine in minimaler Ausdehnung möglich, häufig
Priapismus. Sensibilität rechts bis zur 3., links bis zur 4. Rippe erloschen.
Exitus am 12. Tage. Sectionsergebniss: Partielle Querschnittserkrankung des
5. Halssegmentes. Von den histologischen Befunden seien hier nur als besonders
bemerkenswerth die Gefässveränderungen innerhalb des Herdes angeführt. Endo-
thelien der kleinsten Gefässe gequollen; Lumen verengt, oft vollkommen obliterirt.
An den grösseren Ge fassen sind die Schichten der Adventitia auseinander gedrängt
Kerne stark vermehrt, die in späteren Stadien eine retrograde Metamorphose ein¬
gehen zu jungem Keimgewebe; die periphersten Zellelemente wandern ins Gewebe
als active Elemente, erscheinen durch Wasseraufhahme gequollen. (Diese, sowie
andere histologische Einzelheiten sind durch 9 farbige Abbildungen auf einer
Tafel wiedergegeben.)
VIII. Nach Trauma atrophische Paresen der oberen Extremitäten (besonders
links), geringgradige Atrophie auch der unteren Gliedmaassen. Patellarsehnen¬
reflex erhalten. Schwere Läsionen im 5. Halssegmente, auffällig wenig Reactiv-
erscheinungen, mehr Zeichen der Nekrose, starke Lymphinfiltration, Höhlenbildung.
Hier wie bei Fall VI Veränderung der zelligen Elemente noch weit ab vom
Orte des eigentlichen Herdes.
Im zweiten Theile dieser überaus fleissigen und lehrreichen Arbeit fasst
Verf. alle seine histologischen Befunde zusammen und erörtert an der Hand der¬
selben, sowie unter sorgfältiger Berücksichtigung der einschlägigen Litteratur im
Einzelnen die traumatisch bedingten Veränderungen der einzelnen Elemente des
Rückenmarks. An den Meningen finden sich: Narbige Schrumpfung, Blutungen,
Meningitis adhaesiva (Schmaus).
Am Lymphapparate: Stauung, Infiltration, Höhlenbildung; als Folge¬
erscheinung lymphogene (primäre) Degenerationen.
An den Gefässen: Hämorrhagieen und Hyperämieen, Periarteriitis und
Arteriitis, Capillarobliteration mit folgenden ischämischen Degenerationen, Endo¬
thelwucherung, Quellung der Endothelien, Verwandlung der Adventitia ins Keim¬
gewebe.
An der Glia mässige Proliferation.
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456
An den nervösen Elementen: Primäre mechanische Zertrümmerung, Dege¬
nerationen primärer und secundärer Genese. Wurzel- und Zellenerkrankungen,
oft noch weit entfernt von der Stelle der Einwirkung der Gewalt.
Verf. theilt schliesslich kurz einen Fall mit, der der Erb'sehen Poliomyelitis
anterior chronica post trauma entspricht. Etwa */, Jahr nach einer Schuss¬
verletzung, bei welcher auch die Halswirbelsäule mitbetroffen worden war, Atrophie
und Parese der Schultergürtelmusculatur, der Muskeln der Arme und Hände. Die
Affection war symmetrisch, zeigte Progression. Neuritische und sensible Er¬
scheinungen fehlten vollständig.
Ein Litteraturverzeichniss von 53 Nummern ist der Arbeit beigegeben.
Pilcz (Wien).
16) Zur Kenntnias der mit sohweren Anämieen verbundenen Bftoken-
marksaffeotionen , von Dr. Otto Marburg. (Wiener klin. Wochenschr.
1900. Nr. 29.)
Der Fall betrifft einen 60 Jahre alten Schauspieler, der 1889 mit Ermüdung
des rechten, später auch des linken Beines erkrankte. 1899 lancinirende Schmerzen
beider Unterschenkel, ab und zu Oedeme derselben. Die Schmerzen schwanden,
dafür traten Parästhesieen der Hände auf. Sensibilität normal, die Reflexe
fehlten, keine Sphinkterenstörungen, Motilität frei, Fleischl 30°/ o , PoikilocytoBe,
Normoblasten, keine Leukocytose. Bei der Autopsie neben fettiger Degeneration
der parenchymatösen Organe Atrophie der Magenschleimhaut
An Marchi-Präparaten fand Verf. Veränderungen, deren Maximum im Hals¬
marke und im unteren Brustmarke gelegen war. Die einen Herde boten sich als
Lückenfelder von verschiedener Ausdehnung dar, durchsetzt von Fettkörnchen¬
zellen und Marchi-Schollen; und die anderen waren dichter gefügt, heller, fast
ohne Schollen; an Gieson-Präparaten Faserausfall im ersten, Gliawucherung im
zweiten Falle. Seoundäre Degenerationen der Hinterstränge. Vereinzelte Schollen¬
bildung in der Gegend der hinteren Wurzeln möchte Verf. als Verunreinigung
auffassen. An den Gefassen zeigte sich Verdickung der Media und Intima.
Kleinzellige Infiltration fand sich nirgends, was Verf. durch Ansicht Binz’ über
die Bedeutung des Sauerstoffes für die Emigration der Leukocyten erklärt. Bei
der Abnahme des Häraoglobingehaltes auf 30 °/ 0 sei das Fehlen einer kleinzelligen
Infiltration erklärlich und schliesse eine Entzündung nicht aus. Die Lage der
Herde um ein GefäBs, die Veränderung der Gefasse spreche für Myelitis.
J. Sorgo (Wien).
17) Ueber Venenthrombosen Im Rüokenmarke , von Marie Merewkina.
Aus der Kinderklinik in Zürich (Prof. Wyss). (Archiv f. Kinderheilkunde.
1900. Bd. XXIX.)
Die vorliegende Arbeit giebt die ausführliche Beschreibung eines Falles, über
welchen Wyss bereits auf dem Internistencongress im Jahre 1898 berichtet hat.
Aus der Krankengeschichte sei hervorgehoben, dass die 12 1 / s jähr. Patientin Mitte
October 1897 mit Hinken des rechten Beines erkrankte, im December plötzlich
eine Lähmung des rechten, dann des linken Beines, der Blase, des Mastdarms,
der Sensibilität an den unteren Extremitäten erlitt und sich etwa ein Jahr darauf
ganz ähnliche, plötzlich auftretende motorische und sensible Lähmungen der Arme
einstellten. Durch eine terminale Zwerchfelllähmung wurde das arme Kind, das
ausserdem viel unter heftigen Kopfschmerzen gelitten hatte, von seinem bedauerns-
werthen Zustand erlöst.
Die anatomische Untersuchung ergab eine hämorrhagische Myelitis und
457
Blutung im 4. Ventrikel. Ver£ hat das ganze Rückenmark in Serien (3000 Schnitte)
zerlegt und giebt eine detaillirte Beschreibung des Befundes. Ohne auf diese
Ein z elh eiten hier näher eingehen zu können, soll nur erwähnt werden, dass sich
im Rückenmark eine längliche gliomatöse Tumormasse von der Höhe des 3. bis
7. Brustnervenpaares vorfand, dass ausserdem Myelitis, Meningitis, massenhafte
Blutextravasate und — der Hauptpunkt der Untersuchungen des Verf.’s — aus¬
gedehnte Venenthrombosen aufzufinden waren. Verf. versucht, den anatomischen
Wegen dieser Venenverschlüsse nachzugehen, die primären Thrombosirungen zu
erkennen und das klinische Bild mit diesem Verhalten des Blutgefässsystems in
E i nkl ang zu bringen. Die erhaltenen Resultate sind nicht nur für die Deutung
des Kr an khe itsfalles, sondern auch für die Erkenntniss der normalen Venen-
vertheilung im Rückenmark von Interesse. Zappert (Wien).
18) Ueber transitorische Spinall&hmungen , von Dr. med. L. Krewer in
St. Petersburg. Aus dem Obuchow-Frauenhospital zu St. Petersburg. (Zeit-
schr. f. klin. Medicin. XXXIX. S. 93.)
In zwei vom Verf. berichteten Fällen entwickelte sich ziemlich plötzlioh
ohne Ursache eine Lähmung beider Beine mit Steigerung der Patellarreflexe, mit
schmerzlosen Zuckungen in den Beinen. Während die Sensibilität im ersten
Falle ebenfalls geschwunden war, sogar noch hoher hinaufreichte, als der Ausfall
der motorischen Function, erschien sie im zweiten Falle vollständig normal. Im
ersten Falle war ferner eine Retentio urinae, im zweiten Falle eine Incontinentia
vorhanden. Die geschilderten Störungen gingen nach kurzer Zeit vollständig
zurück. Als Rückenmarksveränderung nimmt Verf. in diesen Fällen eine Ver¬
stopfung einer kleineren Arterie oder Capillare an. Verf. sondert diese Fälle
aus der Gruppe der Myelitiden, von denen sie sich auoh in klinisoher Hinsicht
unterscheiden, aus und nennt sie „transitorische Spinalparalysen“. Der
Verf. hält derartige Fälle garnicht für so selten und glaubt, dass sich manche
derselben unter der Hysterie verbergen. Jacobsohn (Berlin).
19) Myelitis und Sehnervenentzündung, von Dr. Max Bielschowsky.
(Berlin, 1901. S. Karger. 92 S.)
Verf. ist in der seltenen, glücklichen Lage über 4 Fälle von Myelitis aus
Mendel’s Laboratorium zu berichten, in denen eine Mitbetheiligung des N. opticus
klinisch wie anatomisch nachweisbar war. Ueber den klinischen Verlauf der drei
ersten Fälle sind bereits von Schuster und K. Mendel in diesem Centralblatte
(1899, S. 1088—1093) Mittheilungen in ausführlicher Form gegeben worden, so
dass betreffs dieser hier nur über den anatomischen Befund berichtet wird.
Im ersten Falle (in obiger Mittheilung Fall II) lautet die makroskopische
anatomische Diagnose: Myelitis diffusa transversa spinalis. Mikroskopisch (2. Cervical-
segment) erscheint nur die Gegend der Vorderseitenstränge annähernd normal.
Quellung der Markscheiden, die den Farbstoff nur wenig annehmen. Starker
Faserausfall an der Basis der Vorderhörner und im Bereich der Commissuren.
Vorderhorazellen rundlich aufgetrieben, Kern verlagert, Dendriten meist nicht zu
erkennen. Nach Marchi rnt der ganze Querschnitt mit schwarzen Kugeln und
Schollen übersät, die Gefässlumina von einem breiten Wall von Fettkömchen-
zeUen, zuweilen in concentrischer Schichtung, umgeben. Die Gliakerae sind wenig
vermehrt, sehr zahlreiche Kemanhäufung in den Gefässwänden. Nach dem Dorsal¬
mark zu werden die Veränderungen stärker. In der Höhe des 7. Cervicalsegments
normale Nervenfasern überhaupt nicht mehr vorhanden. Im linken Seitenstrang
ein vollkommen erweichter Herd, um einzelne Gefässe Extravasate. Faserausfall
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in den Yorderwnrzeln. In der Höhe des 8. Cervical- und 1. Dorsalsegment im
lateralen Gebiet der Seitenstränge enorme Infiltration des Gewebes mit Lenko-
cyten längs der Gliabälkchen, dabei nirgendwo Umwandlung derselben in Fett¬
körnchenzellen zu constatiren. Nebenher zahlreiche Extravasate rother Blut¬
körperchen. Die stärksten Veränderungen zeigen das 2.—10. Dorsalsegment, und
zwar in gleicher Form wie die bisher geschilderten, nur finden sich hier überall
in der weissen Substanz ausgedehnte Blutungen; in der grauen Substanz nur ganz
vereinzelte hämorrhagische Herdchen. Media und Intima der Gefässe meist un¬
verändert, in der Adventitia Kernproliferation. Ueberall hochgradiger Markscheiden¬
zerfall, Axencylinder stellenweise stark verdickt. Vom 10. Dorsalsegment abwärts
allmähliche Abnahme der Veränderungen. Im Gebiete des 3. Lendensegmentes
nur noch Zeichen secundärer Degeneration. In der Medulla oblongata aufsteigende
Degeneration in den Hintersträngen, den Kleinhirnseitenstrangbahnen und dem
angrenzenden Anterolateralbündel. Gefässe noch Btark gefüllt. Die Degeneration
der Kleinhirnseitenstrangbahn ist bis in die Corpora restiformia bis zu ihrem
Eintritt in das Hemisphärenmark des Kleinhirns zu verfolgen.
Der orbitale Abschnitt des Opticus zeigt auf dem Querschnitt vollkommenen
Mangel an Nervenfasern; das Mark ist vollkommen zerfallen, die Septa stark
verbreitert in Folge enormer Vermehrung ihrer zeitigen Bestandtheile, die Gefässe
sind prall gefüllt und zeigen dieselben Veränderungen wie die des Rückenmarks.
Daneben starke Wucherung der Gliakerne. Diese Veränderungen setzen sich in
den intracraniellen Verlauf der Optici fort und erst 1—1,5 cm centralwärts vom
hinteren Kreuzungswinkel zeigen sich auf beiden Seiten wieder normale Fasern.
Von hier an nur noch Zeichen secundärer Degeneration bis zu dem Einstrahlen
des Tractus in die Corpora geniculata ext. Centralwärts normales Verhalten der
Sehbahnen.
Im zweiten Falle (Fall I bei Schuster-Mendel) handelt es sich um eine
Erkrankung des gesammten Rückenmarkes von dem untersten Sacral- bis zum
obersten Cervicaltheil, die sich durch streifenförmige oder eigentlich mehr
cylindrisch geformte Herde charakterisirt, die fast ausschliesslich dem Gebiete der
peripherischen Arterien, d. h. der weissen Substanz angehören. In der Axe der
Herde liegt stets ein Gefässstamm. Bisweilen verschmelzen die Herde miteinander.
Reichen die Herde, was gelegentlich vorkommt, in die graue Substanz, so sind
sie dort erheblich breiter und ausgedehnter, alB in der weissen. Primär erkrankt
sind die Nervenfasern, die Markscheiden stark gequollen, in vorgeschritteneren
Stadien zerfallen. Erweiterung der Gliamaschen („blasiger Zustand“ Leyden’s),
massenhafte Fettkörnchenzellen in den Gliamaschen und der Gefässadventitia. In
einigen Herden starke Ansammlung von Fettkörnchenzellen Proliferation der
Neurogliafasern. Vornehmlich im Dorsalmark ausserdem noch Erweichungsherde
parallel zur Längsaxe des Rückenmarks. In einzelnen Segmenten des unteren
Dorsal- und des Lendenmarks auch einige Herde im Gebiet der centralen Arterien,
also der grauen Substanz. Verf. hält auoh den hier erhobenen Befand trotz
mangelnder Gefässveränderungen für den anatomischen Ausdruck eines entzünd¬
lichen Processes. Oberhalb des 2. Cervicalsegmentes fanden sich nur noch Zeichen
secundärer Degeneration, nur die extramedullären Wurzelpaare der Oculomotorii,
Abducentes, Faciales und Trigemini zeigen starken Faserausfall. An den Optici
fand sich vollkommene Zerstörung der Nervenfasern von der Papille bis zum
Chiasma. Dabei sind die Septa enorm verbreitert, zahlreiche Fettkörnchenzellen
besonders in der Nähe der Gefässe. Die gliöse Stützsubstanz ist verdichtet, die
Kernvermehrung aber nur massig. Im Chiasma hat die Erkrankung genau den
perivasculären Charakter, den die Herde des Rückenmarks zeigen.
Im dritten Falle (derselbe bei Schuster-Mendel) handelt es sich um
eine continuirliche diffuse Erkrankung der weissen Substanz von ihren proxi-
459
meisten Abschnitten bis zum unteren Sacralmark. Befallen sind sämmtliche
Terrains der weissen Substanz, während eine Betheiligung der grauen Substanz
nur spurweise vorhanden ist. Die Localisation der Erkrankung ähnelt in einzelnen
Segmenten frappant der combinirten Systemerkrankung insofern, als vorzugsweise
lädirt diejenigen Systemabschnitte erscheinen, in denen Fasern von langem Ver*
laufe enthalten sind. Histologisch ist auch hier massenhafter Markscheidenzerfall,
Fettkörachenzellenanhäufungen, Verdickungen der Axencylinder, stellenweise Ver¬
lust der letzteren, dabei nur geringe Proliferation der Stützsubstanz nachweisbar.
Gefaaswandungen ohne Veränderungen, zahlreiche Fettkörnchenzellenanhäufungen
um die Gefässe herum oder in deren Adventitia eingelagert. In einzelnen stark
erkrankten Bezirken auch stärkere Wucherung der Zwischensubstanz. Nur an
einzelnen Vorderhorazellen Zeichen von Chromatolyse, nur im Niveau der stärksten
Veränderungen (4.—6. Dorsalsegment) erheblichere Veränderungen der Zellen und
der markhaltigen Fasern der grauen Substanz. Die Veränderungen der Axen-
cylinder ähneln hier oft denen, die Verf. mit Schuster in einem Fall von mul¬
tipler Sklerose beschrieben hat. Centralwärts von der Pyramidenkreuzung finden
sich secundäre Degenerationen bis zur Hälfte des GoH’schen und Burdach’schen
Kerns in den Hintersträngen, in den Kleinhirnseitenstrangbahnen bis in die
Corpora restiformia, während die Pyramidenbahnen bis zum Pons als degenerirt
nachweisbar sind. Die Veränderungen der Optici sind in diesem Fall geringer
als in den vorigen. Erkrankt erweist sich das Chiasma und die benachbarten
Theile der Nervi bezw. Tractus optici, in Form kleiner perivasculär gelagerter
Herde, die gegen die Nachbarschaft ziemlich scharf abgegrenzt sind.
Fall IV betraf einen 43jähr. Arbeiter, der im Jahre 1876 Lues gehabt hat
und sonst stets gesund war. Er erkrankte Ende April 1899 mit Parästhesieen
erst in den Beinen, dann in den Armen, Schwäche der Beine, Blasenstörungen
(Ischurie und Incontinenz), zuletzt auch Schwäche und Ungeschicklichkeit der
Arme. Die Untersuchung Ende Juli 1899 ergiebt auffallende Anämie, geringe
Parese des rechten Facialis und Hypoglossus, die Zungenmusculatur ist Bchlaff^
Parese der Arme, grober Tremor der Hände, der bei Intentionsbewegungen stärker
wird, mechanische und Reflexerregbarkeit an den oberen Extremitäten gesteigert;
keine Atrophieen; Beine flectirt, starke Muskelspasmen (geringere an den Armen).
Complete spastische Paraplegie. Starke Patellarreflexe, Fuss- und Patellarklonus.
Sensibilität an Armen und Beinen ohne gröbere Störungen; unterhalb der Mamillae
eine handbreite gürtelförmige hypästhetische Zone. Keine Drüsenschwellungen.
Hämoglobingehalt des Blutes 50°/ o . Mikroskopisch zeigt das Blut keine Ano-
malieen. Nie Fieber. Einige Wochen vor dem Tode Klagen über undeutliches
Sehen, ophthalmoskopischer Befund normal. Nach 7 Monate dauernder Krankheit
Somnolenz und Koma, in dem Pat. starb. Die Autopsie ergab ausgedehnte
Lungentuberculose, Anämie aller Organe. Die mikroskopische Untersuchung des
Rückenmarkes ergab weitgehendste Uebereinstimmung mit dem Befunde im vorigen
FalL Auch hier in den Gebieten vorgeschrittenster Erkrankung sklerosirende
Proceese, in den wenigen vorgeschrittenen Herden Vorwiegen des blasigen Zustandes.
Auch der Befund an den Optici gleicht völlig dem in Fall IH.
Auch dieser Fall nähert sich, wie der vorige, dem Bilde der combinirten
Systemerkrankung, über die Gründe, warum Verf. sie aber beide doch als diffuse
Myelitiden auffasst, ist näheres im Original nachzulesen.
Verf. fasst alle seine Fälle als durch Entzündungsprocesse bedingt auf; der
Tietzen’sehen Theorie von der mechanischen Entstehung myelitischer Herde
gegenüber verhält er sich ablehnend, andererseits hält er im Gegensatz zu Mager
nicht an dessen Postulat fest, entzündliche Veränderungen der Rückenmarkssubstanz
nur dann anzunehmen, wenn Gefässerkrankungen nachweisbar sind. Bezüglich
Fall II verweist Verf. noch auf die ausserordentliohe Aehnlichkeit einzelner älterer
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460
Herde mit der Histologie der Herde bei multipler Sklerose und ist geneigt auf
Grund seiner und ähnlicher Beobachtungen in der Litteratur, der Sehnerven¬
erkrankung hei multipler Sklerose eine Genese zuzuschreiben, wie sie im vor¬
liegenden Falle von disseminirter Myelitis angenommen werden muss.
Zum Schluss bespricht Verf. noch kurz die Aetiologie der disseminirten und
diffusen Myelitis, besonders mit Rücksicht auf die Bedeutung infectiöser Momente
und einzelne klinische Details seiner Fälle. Martin Bloch (Berlin).
20) üeber Myelitis suppurativa bei Bronohiektasie, von Chiari. (Zeitschr.
f. Heilk. 1900. S. 361.)
Rückenmarksabscesse überhaupt sind eine recht seltene Affection. Verf.
konnte 14 Fälle zusammenstellen, deren Aetiologie, Localisation, Dauer u. s. w.
in einer sorgfältig gearbeiteten Tabelle mitgetheilt sind. Aus den allgemeinen
Schlüssen, welche diese Fälle zulassen, sei hervorgehoben, dass die Dauer dee
Leidens gelegentlich auch Monate lang währen kann, so dass man von einer
Myelitis suppurativa acuta und chronica zu sprechen berechtigt ist Interessant
sind die ätiologischen Verhältnisse. Unter 11 nicht traumatisch bedingten Fällen
sind 3 metastatischen Ursprungs bei bestehender Bronohiektasie. (Die Fälle von
Eisenlohr, Hom6n und Nothnagel).
Verl bringt nun den genauen makroskopischen und histologischen Befand
eines eigenen Falles. Der Kranke, welcher moribund zur Aufnahme gekommen
war, soll etwa 5 Tage ante exitum acut erkrankt sein. Die inneren Meningen
waren basalwärts mit gelbgrünem Eiter infiltrirt; in der linken Kleinhirnheini-
Sphäre sass ein 1,5 cm im Durchmesser langer, kugeliger Abscess. Beim Abtrennen
der Medulla spinalis von der Oblongata floss dicker gelbgrüner Eiter aus dem
Rückenmarke heraus, dessen Meningen gleichfalls serös-eitrig infiltrirt waren. Im
Rückenmark fanden sich 3 Abscesshöhlen, und zwar 1) durch die Länge fast dee
ganzen Halsmarkes, die ventrale Hälfte des rechten Hinterstranges, in ihrer
grössten Ausdehnung aber auch den linken Hinterstrang und das rechte Hinter¬
horn einnehmend; 2) in der Höhe des 3. und 4. Brustsegmentes, die ventralen
Antheile der Hinterstränge und das Centrum oocupirend; 3) im untersten Doreal-
marke, rein central gelegen.
Culturen von dem Eiter ergaben den Diploooccus pneumoniae. Ausserdem
lagen bronchiektatische Veränderungen in der Lunge vor.
Die histologische Untersuchung ergab ausser den theils diffus im Eiter, theils
in den Blutgefässen eingeschlossenen Diplokokken noch Büschel feinster Fäden
(Gramm beständig!), welche in den Blutgefässen, manchmal auch in den peri-
vasculären Räumen eingelagert waren. Verf. hält diese Faserbüschel für eine
Streptothrixart, wahrscheinlich vom Genuss des Aktinomyces.
Anhangsweise berichtet Verf. über einen zweiten Fall von Bronohiektasie,
Meningitis purulenta und Gehirnabscess, bei welchem die bakteriologische Unter¬
suchung des Eiters sowohl der bronchiektatischen Cavemen wie des Gehirnabscesses
Kokken und dieselben Büschel feiner Fäden ergeben hatte, und er macht auf¬
merksam, bei Fällen metastatischer Gehirnabscesse nach Bronohiektasie speciell
auf das Vorkommen von Aktinomyces zu achten.
Zwei Tafeln mit 6 Abbildungen sind der Arbeit beigegeben.
Pilcz (Wien).
21) Bin Fall von Heilung einer Myelitis, von Dr. Stanowski. (Therapeut
Monatshefte. 1901. Januar.)
Bericht über einen Fall von Myelitis lumbalis incompleta (Paraparese der
Beine, links vorwiegend Seitenstrang-, rechts daneben Hinteretrangsymptome,
461
Storung von Blase und Mastdarm, Parästheeieen und Schmerzen). Unter gal¬
vanischer Behandlung verschwanden sämmtliche Erscheinungen im Verlauf von
4 Monaten. Verf. sieht in dem günstigen Ausgange in etwas sanguinischer Weise
die directe Folge der von ihm eingeleiteten Therapie.
Max Neumann (Karlsruhe).
22) Caraistisoher Beitrag zur Lehre von den oombinirten System¬
erkrankungen, von Dr. S. Schönborn, Assistenzarzt an der Erb’sohen
Klinik in Heidelberg. (Deutsohe Zeitschr. £ Nervenheilk. 1900. XVITL)
2 Brüder, welche einer nervös nicht belasteten Familie entstammen, deren
Eltern aber blutsverwandt sind, erkranken im Alter von 18 bez. 25 Jahren unter
den Erscheinungen von Unsicherheit beim Gehen und Parästheeieen der Beine.
Es bildet sich innerhalb kurzer Zeit eine ataktische Störung, zuerst der Beine
und später des ganzen Körpers aus, es tritt Skoliose, Romberg'sches Symptom,
Sprachstörung und in einem Falle auch spastischer Gang hinzu, die Reflexe sind
einmal gesteigert, das andere Mal schwach vorhanden. Dabei sind die psychischen
Functionen gut und von Seiten der Sinnesorgane sind, abgesehen von congenitaler
Ptosis (1 Fall) und Nystagmus, keine Veränderungen festzustellen.
Verf. nimmt an, dass es sich um eine primäre oombinirte Systemerkrankung
von familiärem Auftreten handelt, die zwar der Friedreioh'schen Ataxie in
vieler Beziehung ähnlich, aber doch nicht mit ihr identisch sein dürfte. Vielleicht
handelt es sich um ein Mittelglied zwischen ihr und der hereditären cerebellaren
Ataxie. E. Asch (Frankfurt a/M.).
23) Ein Beitrag zur Lehre von der spastischen Spinalparalyse, von Ida
Dem och, cand. med. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. 1900. XXXIII.)
Ein Schnapstrinker erkrankte im 42. Lebensjahre mit Parästhesieen und
Schmerzen in den Beinen, sowie allmählich zunehmender Schwäche und Steifigkeit
beim Gehen. In den folgenden Jahren wurden starke Herabsetzung der rohen
Kraft in den unteren Extremitäten, bedeutende Steigerung der Patellarsehnen-
und Achillessehnenreflexerregbarkeit, Fussklonus, starke Muskelrigidität bei Be¬
wegungen im Kniegelenk und spastisch-paretischer Gang constatirt. Nach und
nach nahmen diese Symptome zu und verschiedene andere Alkoholintoxications-
zeichen bildeten sioh aus. Der Kranke wurde immer schwachsinniger und be¬
nommener. Zuletzt ging er auf den Fussspitzen, die stark nach innen gekehrt
waren, mit adducirten, nach innen rotirten Oberschenkeln und gebeugten Knieen.
Die Hautreflexe waren lebhaft. Sensible Störungen fanden sich nicht. Im
57. Lebensjahre erfolgte der Tod an Tuberculose.
Im Rückenmark fand Verf. im oberen Brustmark und im Conus Obliteration
des Centralcanals. Zwischen diesen Stellen bestand Hydromyelus congenitus.
Vom mittleren Brustmark bis hinauf ins Halsmark zeigte sich eine leichte Dege¬
neration in den Goll 'sehen Strängen, wie sie Heilbronner als für Trinker
typisch erklärt. Die Pyramidenkreuzung war leicht aufgehellt, im Cervicalmark
und oberen Brustmark waren die Pyramidenseitenstränge leicht, im mittleren und
unteren Brustmark stark degenerirt und auch im Lendenmark fand sich ein
deutlicher Faserausfall in den Pyramidenseitensträngen. Die Pyramidenvorderstrang¬
bahn und die Kleinhirnseitenstrangbahn war normal.
Im Gehirn wurden Verwachsung der Dura mit den Schädelknochen, Trübung
der weichen Hirnhäute, Verschmälerung der Hirnwindungen, starker Faserausfall
in der Hirnrinde und mässige Faserarmuth in den Centralwindungen gefunden.
Der Lobulus paracentraliB enthielt normal viele Fasern. Die Pyramidenbahn
462
zeigte weder in der Brücke, noch in den Hirnschenkeln oder den inneren Kapseln
etwas Pathologisches. Die Pyramidenstrangbahnen waren also primär and autoch-
thon im Rückenmark unter dem Einfluss starken Alkoholmissbrauches bei con¬
genitaler Disposition des Rückenmarks erkrankt. G. IIherg (Sonnenstein)'
24) Fibrom de« 7. Oervioalnerven mit Oompreeaion des Rückenmarks, von
Zinn und Koch. (Charite-Annalen. XXV.)
31 jähr. Patientin, erblich nicht belastet, die 5 Mal geboren und 3 Mal
abortirt hat, fühlt im Juli 1897 Kribbeln in den Beinen und im rechten Arm,
sowie Schwäche im rechten Bein, Ende 1897 auoh im rechten Arm. Ende April
1898 wurde in Bethanien Ataxie und Hypästhesie der Arme, schlaffe Lähmung
des rechten Arms, spastische des rechten Beins, hochgradige Steigerung der
Patellarreflexe, doppelseitiger Fussklonus constatirt, Anfang Juni 1898 wird in
der reohten Fossa supraclavicularis neben den unteren Halswirbelquerfortsätsen
ein wallnus8groB8er, harter, schmerzhafter Tumor gefühlt; bei Druck auf denselben
bis in die rechte Hand ausstrahlende Schmerzen. August 1898 Pareee des linken
Beins, die bis zu völliger Lähmung Fortschritt, gleichzeitig Schwäche im linken
Arm. Pupillen normal. October 1898 völlige Lähmung beider Beine, Hypästhesie
derselben, doppelseitig Main en griffe, Incontinentia alvi et vesicae. Januar 1898
unfreiwillige Zuckungen in den Beinen.
Bei der Aufnahme in die Charite im März 1899 wird Folgendes constatirt:
Schwere Cystitis, Decubitus. Pupillen gleich, mittelweit, von prompter Reaction,
ebenso die übrigeD Hirnnerven ohne Störung. Partielle atrophische Lähmung der
Arme, besonders atrophisch beiderseits M. triceps, deltoides, die Interossei, Thenar
und Hypothenar. Auf den Streckseiten Hypästhesie, complete Entartungsreaction
im Triceps und Deltoides, partielle Entartungsreaction in den Interossei und den
Muskeln des Daumen- und Kleinfingerballens. Spastische Lähmung der Beine,
nur die Zehen des rechten Fusses können eine Spur bewegt werden. Starke
Spasmen, unfreiwillige Zuckungen und erhebliche Reflexsteigerung. Erhebliche
Sensibilitätsstörungen an den Beinen, r. > 4 ebenso am Bauch und an der Brust
bis zur 3. Rippe; Schwäche der Bauchmuskeln. Bei der Obduction fand sich der
rechte 7. Halsnerv bei seinem Austritt aus dem Duralsack in eine Geschwulst
von Fingerdicke verwandelt. Die Verdiokung setzte sich fast bis zum Plexus
brachial» hin fort; im Ganzen erscheint der Nerv als eine etwa 5 1 /,cm lange,
4 cm breite und 3 cm dioke Geschwulst, die sich auch in den Duralsack hinein
fortsetzt, zwischen vorderer und hinterer Wurzel des Nerven als polypöser Fort¬
satz sich in den Arachnoidalsack hineinschiebt und das Rückenmark comprimirt
und etwas nach links verschiebt Vordere und hintere Wurzel des 7. Halsnerven
platt und dünn. Die Wurzeln des rechten 7. Halsnerven gehen in der Geschwulst
auf, die hintere Wurzel des 8. Halsnerven wird von ihr comprimirt Die Com-
pression des Rückenmarks erstreckt sich auf etwa 2 cm, oberhalb und unterhalb
erscheint die Consistenz normal. Die genauere Untersuchung ergiebt, dass es
sich um ein reines Fibrom handelt, das sich im Inneren des 7. Halsnerven ent¬
wickelt hat und ihn bis zu einer die Continuität unterbrechenden Atrophie ge¬
bracht hat Verf. knüpft an die Mittheilung des interessanten und seltenen Falles
noch Auseinandersetzungen über das Fehlen oculo-pupillärer Symptome bei dem¬
selben, was wohl mit dem Intaotbleiben der vorderen 8. Cervioalwurzel und der
vorderen 1. Dorsalwurzel in Einklang steht. Ueber die Lage des Centrum cilio-
spinale selbst aber giebt auch sein Fall keine sichere Aufklärung, wenn er auch
melir zu Gunsten der Lage desselben im 1. Dorsalsegment (vielleicht noch theil-
weise des 8. Cervicalsegments) spricht. Martin Bloch (Berlin).
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26) Bin Fall von Compresaion des Braohialplexus daroh Senkangsabsoess
bei Garies des 7. Hals- and 1. and 2. Brustwirbels. Ein Beitrag sur
Frage, ob die Sohmidt-Laatermann-Zawerthal’sohen Einkerbungen am
Nerven vitale oder postmortale Einkerbungen sind, von Dr. H. G.
Engelken. (Ziegler’s Beiträge zur patholog. Anat. XXVIIL)
Aus einer Zusammenstellung der Litteratur über die sogen. Lautermann'-
sehen Einkerbungen vom Jahre 1837 an geht hervor, dass über die Frage, ob
dieselben vital oder postmortal enstanden sind, noch recht wenig Uebereinstimmung
herrscht. Wichtig zur Erklärung der Differenzen in den Ansichten hierüber war
die Angabe von Johannsson, dass beim Frosch der Befund nach den Jahres¬
zeiten wechselt, zur Begattungszeit am deutlichsten ist; dies liess an eine nutritive
Bedeutung denken; von anderer Seite wurden die „Einkerbungen“ als Stützgerüst,
als Kittsubstanz aufgefasst
Im vorliegenden Falle wurde das comprimirte Stück ober- und unterhalb
der comprimirten Stelle ohne jeglichen Druck oder Zerrung herauspräparirt, in
Formol und Formol-Müller gehärtet und mit Hämatoxylin-Eosin, sowie nach
Weigert mit starker Differenzirung gefärbt Es fand sich, dass die L.'sehen
Incisuren in dem peripher von der Compressionsstelle gelegenen Theil des Nerven
mit beiden Methoden sehr viel deutlicher sichtbar nnd stärker gefärbt waren als
am proximalen Theil; am letzteren entsprach der Befund dem in einem normalen
Controlpräparate. — Verf. zieht hieraus den einleuchtenden Schluss, dass man es
bei den Loschen Incisuren mit präexistenten Gebilden zu thun hat; weniger ein¬
leuchtend ist es, wenn er die Thatsache ihrer starken Schwärzung auch bei weit¬
getriebener Differenzirung der Weigert-Färbung als Beweis dafür anfuhrt, dass
dieselben Spalten im Mark darstellen, und daran weitere Schlüsse in Bezug auf
ihre Function als Ernährungsmechanismus des Nerven knüpft. Dass Gewebs-
lücken den Lackniederschlag fester halten sollen als die Marksubstanz, wäre
jedenfalls ungewöhnlich; anderseits imprägniren sich bekanntlich auch u. a. rothe
Blutkörperchen, Gliafasern, nekrotische Partieen fest mit dem Metalllack, warum
also nicht auch eine Kitt- oder Stützsubstanz? Die Auffassung der besprochenen
Gebilde in diesem letzteren Sinne erscheint durch den Befund des Verf.’s jeden¬
falls noch nicht umgestossen. H. Haenel (Dresden).
26) Ueber isolirte Erkrankung der unteren Lumbal- und 1. Saoralwurzeln,
von Dr. Gierlich, Nervenarzt in Wiesbaden. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven-
heilk. 1900. XVEI.)
Es werden 2 Fälle von isolirter Erkrankung der unteren Lumbal- und
1. Sacra!wurzeln mitgetheilt
Der erste betrifft einen 38jähr. Herrn, der vor 6 Jahren plötzlich unter
Anfangs unerträglichen Schmerzen erkrankte, welche sich von der rechten Hüfte
aus über das ganze rechte Bein erstreckten und Lähmungen sowie Atrophie ver¬
schiedener Muskelgruppen des rechten Beins im Gefolge hatten. Im Verlaufe
eines Jahres Hessen die Schmerzen nach, es bHeben aber anästhetische Stellen in
weiteren Grenzen mit geringen Uebergängen für Tast- und Temperatursinn und
engeren Grenzen mit grösseren Uebergängen für die Tastempfindung an den vor¬
deren und seitlichen Partieen des Ober- und Unterschenkels, sowie des Fussrückens
bestehen. In den vom N. cruralis und obturatorius versorgten Muskeln, sowie im
M. tibialis anterior, Extensor digit. comm. long. und Extensor hallucis longus
bestand reohts schwere Entartungsreaction und in den beiden Peronei Herab¬
setzung der elektrischen Erregbarkeit mit normaler Zuckung.
In der zweiten Beobachtung handelt es sich um einen 20jähr. Spengler,
welcher in Folge eines Sturzes auf Lendenwirbelsäule und Kreuz von sehr heftigen
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464
Schmerzen befallen wurde, welche sich von der rechten Seite des Kreuzes über
die Vorderfläche des Oberschenkels erstreckten und namentlich im Unterschenkel
und Fussrücken ungemein heftig waren. Nach 6 Wochen Nachlassen der Schmerzen
und Einsetzen einer Gefühlslähmung im rechten Bein, später Herabsetzung der
Tast-, Schmerz- und Temperaturempfindung am Unterschenkel von ähnlicher Um¬
grenzung wie im 1. Fall. Auch hier schwere Entartungsreaction im Tibialis anL,
ExtenBor digit. commun. long., Extensor hallucis long. und einfache Herabsetzung
der elektrischen Erregbarkeit in den Peronei.
Eß handelt sich bei dem ersten Patienten um eine Aflection der 1. Lumbal-
bis 1. Sacralwurzel und in dem zweiten Falle um eine Zerstörung der 4. und
5. Lenden-, sowie der 1. Sacralwurzel.
Aus den Beobachtungen erhellt, dass die Glutäalmuskeln, Kniebeuger und
Plantarflectoren aus dem 2.—6. Lumbalsegment nicht versorgt werden. Ferner
ergiebt sich, dass die Dorsalflectoren des Fusses (Mm. tibialis ant., Extensor
digit commun. long., Extensor hallucis long.) aus dem Lumbalmark und wahr¬
wahrscheinlich dem 5. Lumbalsegment innervirt werden, während der Extensor
digit commun. brevis mit einem tieferen Segment verbunden ist Empfindungs¬
eindrücke einzelner Hautzonen gelangen durch 3 Wurzeln zum Rückenmark, treten
aber in demselben nur mit dem der mittleren Wurzel zugehörigen Segment in
directe Verbindung. E. Asch (Frankfurt a/M.).
27) Een gev&l van eensydlge verwonding v. h. ruggemerg, per Doc. Dr.
W. A. Boehelman. (Ned. Tijdschr. v. Geneesk. 1900. Nr. 7.)
Verf. versucht die Localisation einer Rückenmarksaffection in Folge einer
Stichverwundung aus den Symptomen auf Grund der Segmentaltheorie: er verlegt
sie ins 5. Cervicalsegment
Ein 27jähriger Patient bekam einen Messerstich in den Nacken (rechts),
wurde dabei plötzlich gelähmt und war überall am Körper ohne Empfindung;
2 Tage lang Retentio urinae; liess den Stuhl 4 Tage lang ohne Empfindung unter
sich. Pat lag darauf 6 Wochen im Bett; ganz• allmählich kam die Bewegung
zurück, ausser im rechten Arm und reohten Bein, wo er bis jetzt noch nicht
ganz wieder hergestellt ist. Pat. will im rechten Bein, Rücken und zuweilen
im rechten Arm Schmerzen gehabt haben.
Der Stat. praes. 6 Wochen nach dem Unfall ergiebt eine 3 cm lange Narbe
1,5 cm unter dem Proc. mast, und 3,6 cm unter dem Meat. and. ext, 6,5 cm rechts
von der Medianlinie und schräg von oben hinten nach vorn unten parallel an
dem Sternocleidomast. Die Narbe liegt in der Höhe des 3. und 4. Halswirbels.
Es ist aber nicht bekannt, wie das Messer eingedrungen ist. Pupillen gleich weit,
prompt auf Licht und Accommodation reagirend. Rechts kann Pat. die Finger
nicht spreizen, am schwersten den kleinen und 4. Finger. Der M. add. poll.
etwas dünner. Rechte Hand schwächer. Auch Adduction und Abduction des
rechten Beines schwächer. Rechts leichter Fussklonus, beiderseits starke Achilles-
und Patellarsehnenreflexe. Plantarreflex rechts stark, links abwesend. Sonstige
Sehnenreflexe alle stark.
Tastgefühl überall ziemlich intact, ausgenommen auf dem linken Fussrücken;
ebenso an der rechten Hand von dem 3. Finger ab ulnarwärts etwas zunehmend.
Rechts Analgesie von der 6. Rippe an vorn und dem 4. Proc. dors. hinten,
ebenso leichte Hypalgesie an der linken oberen Extremität hinten, ulnarwärts
starker. Kältesinn von der 2. Rippe an vorn und dem 2. Proc. dors. hinten
gestört; auch die rechte obere Extremität ulnarwärts stärker afficirt.
Der Wärmesinn ist auch links von der 2. Rippe ab vorn, nach unten zu¬
nehmend, gestört, aber auch wieder an der rechten oberen Extremität ulnarwärts
stärker. Drucksinn ganz intact.
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Wir haben hier also die Brown-Söquard'sche Sensibilitätsstörung, die aber
dadurch einigermaassen von dem charakteristischen Bilde abweicht, dass niemals
Hyperästhesie der gelähmten Seite bestanden hat, ebenso auch keine vasomoto-
torischen Storungen und damit auftretende Temperaturerhöhung. Der Verlauf war
wie gewöhnlich günstig quoad vitam und quoad die motorischen Functionen:
aber die Sensibilität bleibt auch hier wie gewöhnlich sehr lange gestört.
TenCate (Rotterdam).
28) Zur Caauistik der BüokenmarksVerletzung durch Wirbelfraotur, nebst
Beeohreibung eines Oehverbandes für Patienten mit TAhmnng beider
unteren Extremitäten, von Dr. Hans Lengnick, Volontärassistent an der
chirurgischen Universitätsklinik in Königsberg (Prof. Freiherr v. Eiseisberg).
(Münchener med. Wochenschr. 1900. Nr. 12.)
Ein 26jähr. Zimmermann erlitt durch einen Sturz auf den Rücken von einer
Höhe von 14 m eine Verletzung der Wirbelsäule. Es stellte sich sofort nach dem
Unfall motorische und sensible Lähmung der Beine und Retentio urinae ein, die
nach 4 Wochen einer Incontinentia urinae et alvi wich. Ueber dem Os sacrum
und an dem linken Malleolus ext. ein handtellergrosser Decubitus. In der Höhe
des 11. und 12. Brust-, sowie 1. Lendenwirbels ist die Wirbelsäule in einem
stumpfen Winkel nach vorn geknickt und stehen die betreffenden Proc. spinosi,
besonders der des 12. Brustwirbels, vor. 9 Wochen nach dem Trauma Laminekto-
mie, wobei sich eine in schräger Richtung verlaufende, spaltformige Continuitäts-
trennung an der linken Bogenhälfte fand mit beweglichen Fragmenten und Com-
pression des Rückenmarks. Das ganze nach dem Wirbelcanal vorspringende Stück
des Bogens wurde vorsichtig entfernt, dabei fand sich die Dura an dem oberen
Rand des 12. Brustwirbels verdickt und leicht vertärbt und am Rückenmark
selbst eine gelbweisse, querverlaufende Narbe. Während die paraplegischen
Störungen bestehen blieben, besserten sich die Functionen von Blase und Mast-
darm. Die Heilung erlitt durch eine beim Baden eingetretene Verbrennung
zweier Zehen eine unliebsame Verzögerung. Zum Zwecke von kürzeren Geh¬
bewegungen und der Möglichkeit einer aufrechten Stellung wurde nach Art der
Thomas’schen Lagerungsschiene bez. des Bonnet’schen Tragkorbes ein besonderer
Apparat construirt, auf den der Kranke aufgewickelt wurde, und der sich dann,
gestützt auf ein Volkmann’sches Bänkchen, ganz leidlich auf ebenem Boden
fortbewegen konnte. & Asch (Frankfurt a/M,).
29) lies deviations laterales du raohls dann le mal de Pott, par Cestan.
(Travaux de neurologie ohirurgicale. 1899. Nr. 1 u. 2.)
Verf. äussert sich im Anschluss an drei beobachtete Fälle über die Dia¬
gnostik und den Mechanismus seitlicher Verkrümmungen der Wirbelsäule bei
Pott’scher Krankheit. Dieselben kommen sowohl durch Einsinken der Wirbel¬
körper wie durch Wirbelgleiten bei Zerstörung der Bänder zu Stande. Zu der
Verkrümmung gesellt sich eine Wirbeldrehung nur selten, das ist ein unterschied¬
liches Merkmal gegenüber der einfachen Skoliose. Ferner ist die Wirbelsäule
meistens entgegengesetzt gekrümmt wie bei Skoliose; die Verbiegungen sind ver¬
änderlich, schon bei Ruhelage ändern sie sich; ein besonders wichtiges Merkmal
ist das plötzliche Auftreten der Verbiegung, ein Congestionsabscess braucht nicht
immer vorhanden zu sein. * Adler (Berlin).
80
Digitiz
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466
30) Ein Fall von Laminektomie, von Brann. Vortrag, gehalten in der medi-
oinischen Gesellschaft in Göttingen am 5. Juli 1900. (Deutsche med.
Wochenschr. 1900. Nr. 36.)
Es handelt sich um ein 18jähr. Mädchen. Vor 2 Jahren hatte sich ein
Pott’scher Buckel gebildet, Weihnachten 1899 eine complete Lähmung der Beine
mit heftigen tonischen Krämpfen und Reflexsteigerung. — Extension der Wirbel¬
säule erfolglos. Am 2. Juni Entfernung des Proc. spinosi und hinteren Bögen
am 5.—7. Rückenwirbel. Im Canal und am Rückenmark nichts Abnormes sichtbar.
Schon wenige Tage nach der Operation wurden die Zehen beweglich, dann
besserten sich fortdauernd alle Bewegungen der Beine.
R. Pfeiffer.
31) Ein Fall von Heilung einer Paraplegie nach Reseotlon von 4 Wirbel*
bögen und Auslöffelung eines tuberoulösen Absoesses, von Höft mann.
Vortrag, gehalten im Verein für wissenschaftliche Heilkunde in Königs¬
berg i/Pr. am 6. Febr. 1900. (Deutsche med. Wochenschr. 1900. Nr. 32.)
DaB 9jähr. Mädchen war 6 Monate hindurch mit Corsetts erfolgreich behandelt
worden, als nach einem Falle totale Lähmung der Beine, sowie Parese der Blase
und des Mastdarms entstanden. Permanente Extension und Lagerung in Gyps-
corsetts erfolglos. Nach der Resection ging die Gefühlslähmung vom 3. Tage an
zurück, die Blasen- und Mastdarmlähmung verschwand in etwa 4 Wochen, nach
etwa 3 Monaten zeigte sich die erste active Bewegung der Zehen und nach etwa
einem halben Jahre konnte daB Kind bereits ohne Stock gehen.
R. Pfeiffer.
32) Beitrag zur Lehre von der ankylosirenden Entzündung der Wirbel¬
säule, von Dr. A. Kühn, Assistenzarzt an der medicinischen Klinik in
Rostock. (Münchener med. Wochenschr. 1900. Nr. 39.)
Es handelt sich um einen Fall von Arthritis deformans, welcher bei einem
in rheuroatisoher Beziehung hereditär belasteten Mädohen in dem für dies Leiden
ganz ungewöhnlichen Alter von 12 Jahren zur Beobachtung gelangte und durch
eine Reihe von rheumatischen Schädlichkeiten, sowie durch ausgesprochene Rachitis
begünstigt wird. In ziemlich kurzer Zeit gingen die Veränderungen auch auf die
Wirbelsäule Uber, so dass sich ein Krankheitsbild darbot, welches stark an den
Strümpell-Marie'sehen Symptomencomplex erinnerte. Jedoch waren die kleineren
Gelenke zwar noch beweglich und gebrauchsfähig, liessen aber schon die defor-
mirende Entzündung erkennen. In der Regel sollen dieselben aber bei der Spon¬
dylose rhizomelique verschont bleiben. Die Ankylose der Wirbelsäule war hin¬
gegen beinahe vollkommen vorhanden und die Halswirbelsäule war beinahe ganz
unbeweglich.
Von ganz besonderem Interesse ist das frühe Auftreten des Leidens — die
ersten Anzeichen lassen sich bis in das 8. Lebensjahr zurückverfolgen — und
das Befallenwerden eines Mädchens, während in der weitaus grossen Mehrzahl der
bis jetzt veröffentlichten Fälle männliche Individuen erkrankt waren.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
93) Ueber chronische ankyloslrende Entaündung der Wirbelsäule, von
F. Hartmann. (Jahrbücher t Psych. u. Nervenkrankh. 1900. XIX. S. 492.)
62jäbr., nicht belasteter Mann. In seinem 55. Jahre etwa, naeh mehrfachen
Traumen auf die Wirbelsäule und starken Erkältungen, erkrankt Pat. an „gich¬
tischen“ Schmerzen in den Hüften und im Kreuze.
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Digiliz
Bei der Aufnahme ergab aioh: Totale (auch in Narkose I nachweisbare) Ankylose
der im HalBtheile extrem lordotisohen, im Brust und Lendentheile kypkotisoben
Wirbelsäule. Linke Pupille sehr weit, träge, die rechte kaum wahrnehmbar
reagirend. Kopfnicker oontracturirt. Deutliche Atrophie der Naokenmusoulatur, ge¬
ringere der Cuoullares; die atrophischen Reste auffallend rigide; fibrilläre Zuckungen
der Schulter- und Anamuaculatur. Keine Entartungsreaction. Sehnenreflexe an
den oberen Gliedmassen gesteigert, an den unteren herabgesetzt; mechanische
Muskelerregbarkeit erhöht Motilität, besonders der unteren Extremitäten, ver¬
mindert In der Unterschenkelmusculatur ebenfalls fibrilläre Zuckungen. Hyper¬
ästhesie vom 6. bis zum 12. Brustsegmente am Rücken, Hyperalgesie entsprechend
dem 1. Lendenwirbel, ebenso in der Höhe des 5. Lumbal- und 1. S&cral wirbels,
und vorn rechts an der Bauchwand, links an Baueh- und Thoraxwand. Be¬
weglichkeit in beiden Schultergelenken eingeschränkt. Keine Schmerzhaftigkeit
oder Schwellung an oder um die Wirbelsäule.
Unter eingehender Berücksichtigung der einschlägigen Litteratur erörtert nun
Verf. zunächst die Aetiologie der Spondylose rhizomölique und kommt zu dem
Schlüsse, dass meist arthritische Veranlagung vorliegt, bei welcher entweder ohne
äussere Schädlichkeiten (vielleicht auf rein mechanischem Wege im Sinne der
Bäumler’soben Erklärung) oder nach aocidentellen Noxen (Erkältungsmoment,
Trauma) sioh die Krankheit entwickelt
Das Leiden ist jedenfalls keine senile Erkrankung (Kirohgässer publioirte
einen Fall von 16 Jahren).
Die Symptomatologie weiat eine grosse Uebereinatimmung der Fälle auf.
Verlauf and Symptome auch des vorliegenden Falles ganz typisch.
Die pathologische Anatomie der Wirbelsäuleveränderungen zeigt chronische
deetrvctive und productive Prooesse. Was die nervösen Erscheinungen anlangt,
sind die sensiblen Reiz- and Ausfallserscheinungen wohl auf Compression der
Wurzeln zarflckznführen, die trophischen Störungen aber und die eigenartige
Derbheit der atrophischen Muskeln lassen die Annahme zu, dass neben der neuro¬
genen Atrophie noch chronisch entzündliche Veränderungen der Musculatur con-
ourriren.
Differential diagnostisch kommt einmal das Pott’sohe Uebel in Betracht (dabei
aber frühzeitige Mitbetheilignng der Medulla). Gegenüber Gelenksneurosen mit
eventuellen Pseudoankylosen wird in zweifelhaften Fällen die Narkose Aufschluss
gaben. Verf. weist noch kurz auf Erkrankungen dar Wirbelsäule und deren
Gelenke hin, wie dies bei TabeB, Syringomyelie, Myositis n. s. w. beobachtet wird.
Eine der Arbeit beigegebene Abbildung zeigt die typische Körperhaltung
des Kranken. Eine pathologisob-anatomiscbe Untersuchung des Falles stellt Verf.
in Aassiebt (Jahrbücher f. Psych. u. Nervenkraakh. XX). Pilcz (Wien).
34) Bulle anohlloai della oolonna vertebrale, per Arnoldo Catani jnn.
(Policlinico. 1900. VDL)
Verf beschreibt in der vorliegenden Arbeit 10 Fälle von Ankylosen der
Wirbelsäule, von denen die ersten drei typische Fülle der Strümpell-Marie’*
sehen Form der Spondylose rbizomelique darstellen. Besonders Fall I ist als ein
ahzolnt reiner zu betrachten, wenn auch die Affection sich au zwei Gelegenheits¬
ursachen angeschlossen hat: das erste Mal Fall auf die Regio ocoipitalis, das
zweite Mal ungewöhnliche körperliche Strapazen unter Erhitzen und Schweiss.
Im Uebrigen jedoch die charakteristische Steifigkeit der Wirbelsäule, Ankylose
in den Schulter- und Hüftgelenken, allerdings auch Betheiligung des Kiefergelenks,
während die kleinen Gelenke alle frei und vor allem nirgends deformirende Processe
vorhanden waren.
Google
30 *
468
Fall II, in welchem anamnestisch Lues festgestellt ist, giebt Verf. Anlass
zur Differentialdiagnose zwischen syphilitischer Wirbelarthritis und Spondylose
rhizomelique. Als charakteristisch für Lues hält Verf. die Beschränkung auf einen
einzigen Punkt, das Vorhandensein von bestimmten Schmerzpunkten, ferner von
nervösen Störungen in Form ausstrahlender Schmerzen, objectiver Sensibilitäts¬
störungen, Atrophieen und die Besserung durch eine antiluetische Kur. Auch
Gonorrhöe schliesst er aus wegen des Fehlens der Deformation.
Fall III weicht insofern etwas von der Regel ab, als die Affection sich auf
die Halswirbelsäule und Kiefergelenke beschränkte; die Arthritis deformans, die
differentialdiagnostisch in Betracht käme, schliesst Verf. aus, weil Rückenmarks¬
symptome vollständig fehlen. In diesem Falle handelt es sich wohl um eine erst
beginnende Spondylose rhizomelique.
Fall IV ist ein Fall von Spondylose rhizomelique, in welchem jedoch Rheu¬
matismus vorhergegangen ist und noch in einzelnen Gelenken besteht; die kleinen
Gelenke sind verschont.
Fall V, VI, VII sind Fälle von Gelenkrheumatismus und Arthritis urica,
Fall VIII und IX Fälle von Malum Pottii, bei denen die Diagnose nur durch
Tuberculininjection gestellt werden konnte.
Fall X ist ein typischer Fall vom Bechterew’schen Typus (mit Kyphose
und nervösen Störungen).
Verf. schlägt vor, streng an der von Strümpell gegebenen Symptomatologie
festzuhalten, und weist die Auffassung zurück, dass es sich in allen Fällen einfach
um Arthritis deformans handle. Nur will er eine rheumatische Form in den
Fällen, wo Gelenkschwellungen und Gelenkröthungen vorausgingen oder zur Zeit
der Untersuchung in einzelnen Gelenken noch bestehen, von der nicht rheu¬
matischen Strümpell’schen Form unterschieden wissen.
In Bezug auf die Aetiologie der Spondylose rhizomelique räumt er dem
Trauma und der Lues eine gewisse Stellung ein.
Pathologisch-anatomisch dürfte es sich um eine fibröse Arthritis, nicht defor-
mirender Natur, mit schliesslichem Ausgang in Ossification der Ligamente handeln.
H. Gessner (Nürnberg).
36) lieber ohronisoh ankylosirende Entzündung der Wirbelsäule, von
Dorendorf. (Charite-Annalen. XXV.)
Mittheilung zweier Fälle von Spondylose rhizomelique, die das typische Bild
genannter Erkrankung darbieten. Interessant ist bei dem einen Fall eine auch
durch Untersuchung eines excidirten Muskelstückes constatirte, chronische, fibröse
Myositis im M. trapezius. Bei demselben Pat wurden durch Röntgen-Strahlen
Knochenspangen zwischen den Querfortsätzen des 3., 4. und 5. Halswirbels fest-
gestellt, also nach Virchow charakteristische Zeichen der Spondylitis deformans.
Auch Verf. neigt zu der Ansicht, dass die Mehrzahl der als chronische ankylo¬
sirende Entzündung der Wirbelsäule, Spondylose rhizomelique und Bechterew’-
sche Steifigkeit der Wirbelsäule beschriebenen Fälle pathologisch-anatomisch in
das Gebiet der Arthritis bezw. Spondylitis deformans gehören, und dass auch der
Umstand, dass die Affection bisweilen Tendenz zur Heilung zeigt und sich hier
und da auch mit anderen Affectionen combinirt, dafür spricht, dass es sich nicht
um eine selbständige Krankheitsform dabei handelt.
Martin Bloch (Berlin).
Digilized by GoOgjC
469
Therapie.
36) Erfahrungen über die medulläre Cocain analgesie , von Dr. Karl
Schwarz. (Wiener med. Wochenschr. 1900. Nr. 48.)
Verf. hat eine grössere Anzahl von Operationen an den unteren Extremitäten,
am Urogenitalapparate, sowie von Herniotomieen unter medullärer Cocainanalgesie
ausgefuhrt und lobt deren Brauchbarkeit. Bedrohliche Erscheinungen hat er nie
gesehen. Contraindicirt scheint sie ihm zu sein bei Kindern bis zu 15 Jahren
und bei ängstlichen, hysterischen Personen. J. Sorgo (Wien).
37) I«e liquide odphalo - raohldien et les injeotions Intra - raohidiennes,
d’apres la thöse de M. Sioard , par Decroly. (Policlinique. 1901. X.)
Der Arbeit liegen Thierexperimente von Sicard zu Grunde. Nach Voraus¬
schickung einiger Bemerkungen über die Physiologie und Pathologie des Liquor
cerebro spinalis werden die Vorzüge erörtert, welche die Injection in den Wirbel¬
canal vor der in die Schädelhöhle voraus hat. Sodann wird die Wirkung einiger
in den Spinalcanal eingebrachter Substanzen besprochen. Kochsalzlösung kann
Somnolenz, vorübergehende Parese der hinteren Extremitäten und, bei einer In¬
jection von 250—350 ccm, sogar den Tod zur Folge haben. Grössere Mengen
Luft fuhren den Tod unter epileptiformen Krämpfen herbei. Morphium in Dosen
von 0,005—0,008 per kg bewirkt Paraplegie und generalisirte Krämpfe. Bei
der intravenösen Application bedarf es einer 4 fachen und bei der subcutanen
einer 5 fachen Dosis, um die gleichen Erscheinungen hervorzurufen. Cocain in
Dosen von 0,005—0,01 per kg bewirkt nach 3—4 Minuten völlige Analgesie,
welche etwa 1—2 Stunden dauert und auf den Thorax, die oberen Extremitäten,
event. auch auf Mund und Sinnesorgane übergreift, ohne dass sonstige Störungen
vorhanden sind. Die gleiche Dosis ruft bei intracerebralen Injectionen schwere
Erscheinungen hervor (Krämpfe, Sphinkterenincontinenz, Hallucinationen). Jod¬
kali in Dosen von 0,1—0,2 per kg bewirkte starke Schmerzen, Paraplegie, dann
allgemeine Lähmung mit meningitischen Erscheinungen und schliesslich nach 24
bis 36 Stunden Tod. Die Versuche mit Bromkali sind noch nicht abgeschlossen.
Ausser den Experimenten mit chemischen Agentien hat Sicard auch noch
solche mit Bakterien angestellt. Pneumokokken, Milzbrand und Tetanusbacillen
führten in kurzer Zeit Tod herbei, Tuberkelbacillen, zwischen Periost und Dura
m&ter eingeführt, machten Infections- und Compressionserscheinungen. Die Ver¬
suche, die Sicard mit subarachnoidealen Injectionen zu therapeutischen Zwecken
beim Menschen gemacht hat, erstrecken sich auf die Anwendung von Cocain, von
Antitetanusserum, von Bromkali und Jodkali. Hiervon hat nur das Cocain Ver-
werthung für die Praxis finden können, bei den anderen Mitteln ist die Erfahrung
noch zu gering, um ein definitives Urtheil abgeben zu können.
H. Schnitzer (Kückenmühle-Stettin).
38) Ueber Anästhesie nach sabaraohnoide&ler Cooaininjeotion in den
Lumbalsaok des Büokenmarks, von Dr. H. Vulliet. (Therapeut. Monatsh.
1900. December.)
Verf. berichtet über die Resultate von 24 nach der genannten Methode an-
ästhesirten Kranken. Er fand, dass die gewünschte Wirkung: vollständige Anal¬
gesie aller, auch der tiefgelegenen Theile bei erhaltener Berührungsempfindung,
sicher eintrat an den Beinen bis zur Inguinalfalte und den Genitalien, häufig,
aber nicht sicher am Rumpf bis fetwa zur Höhe der Brustwarzen, unsicher und
> y Google
470
unvollständig an Kopf und Armen. Als Injectionsstelle war die Gegend des
4. Lendenwirbels gewählt. Nachfolgende Motilitätsstörungen an den Beinen wurden
nur ein Mal beobachtet, häufig traten als Nachwirkung Kopfschmerzen auf, be¬
unruhigende Symptome fehlten durchaus. Die Dauer der Anästhesie betrug l 1 /,
bis 3 Stunden, die Dosis betrug 6 mg bis 3 cg. Verf. empfiehlt die Methode für
die geeigneten Fälle. H. Haenel (Dresden).
39) Un oas de reeeotion intra-durale des raoinee postdrieuraa, par Monod
et Chipault. (Travaux de neurologie ohirurgicale. 1899. Januar u. Bull.
et mem. de la soci6t6 de chir. de Paris. XXIV. S. 288.)
Die Verff. berichten über die lange Leidensgeschichte eines 42jähr. Mannes,
welcher in Folge einer im Jahre 1884 erlittenen Schussverletzung des Handgelenks
an äusserst schwerer Armneuralgie litt. 1894 wurde von Nelaton das Hand¬
gelenk resecirt, worauf die Schmerzen noch Zunahmen, weshalb Ferraton den
Vorderarm amputirte. Auch hiernach keino Besserung. Die Neuritis nahm an
Intensität zu, die Schmerzen strahlten bis zum Halse aus; der Stumpf war öde-
matös, gerÖthet und äusserst schmerzhaft. D61orme erreichte durch forcirte
locale Compression in 8 Sitzungen ein Aufhören der Schmerzen, aber bereits nach
2 Monaten kehrte das Leiden in unverringerter Intensität wieder, und trophische
Störungen gesellten sich hinzu. Die von Neuem versuchte Compressionsbehandlung
brachte nur vorübergehende Erleichterung. D61orme resecirte alsdann ein 12
biß 15 cm langes Stück mit einem Neurom aus der Continuität des N. cnbitalis
ohne jeden Erfolg. Monod amputirte dann den Oberarm im unteren Drittel.
Nur vorübergehende Besserung. Nach 6 Monaten bestand wieder der alte Zustand.
Vanverts resecirte alle drei Nervenstämme in der Achselhöhle. Als auch diese
Operation erfolglos blieb, der Kranke die Zeichen der Hysterie bot und ohne
grosse Morphiumdosen nicht existiren konnte, führten die Verff. im Jahre 1897
die Totalresection der hinteren Wurzeln des Plexus cervico-brachialis in zwei
Sitzungen aus. In der ersten Sitzung wurde die Dura in der Höhe der unteren
Hals- und oberen Brustwirbel freigelegt. Naoh 3 Tagen wurde die Dura geöffnet
und die zwei erreichbaren hinteren Nervenwurzeln wurden resecirt, eine dritte
durchschnitten. Die Verff. nehmen an, dass sie den letzten Cervical- und die
zwei oberen Dorsalnerven resecirt, bezw. durchschnitten haben. Nach der Operation
blieb Pat. dauernd frei von Schmerzen, die Hemiparese, welche sich in Folge der
Operation zeigte, ging zurück, und der Stumpf blieb beweglich.
Adler (Berlin).
HL Bibliographie.
1) Traitd des äpilepsles, par Dr. Gälineau. (Paris, 1901. Bailliöre et File.
952 S.)
Das sehr umfangreiche Werk ist mit 223 Krankheitsgeschichten versehen,
von denen ein erheblioher Theil persönliche Beobachtungen des Verf.’s sind.
Die Auffassung der Epilepsie ergiebt sich am besten aus der Eintheilung.
Verf. unterscheidet essentielle oder idiopathische Epilepeieen, congestive und
anämische, arthritische und calculöse, herpetische, lymphatische, tuberculöee,
skrophulöse, oanoeröse, gastrische, vom Herzen, vom Uterus, von den Hoden aus¬
gehende u. s. w.
Die Therapie trägt diesen verschiedenen Ausgangspunkten Rechnung, bei der
essentiellen Epilepsie spielt das Brom, in Dosen von 5—6 g pro die bei der
Frau, von 8—10 g bei den Männern, die Hauptrolle; vorzuziehen ist das Brom-
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Digiliz
471
kttlium. Den Hauptwerth legt Verf. auf die Verbindung von 1 g Kalium bromat.
mit 0,5 mg Stibium arsenicoeum und 0,3 mg Pikrotoxin. Man beginne mit zwei
solchen Dosen und steige bis auf sechs pro Tag. Mit dieser Therapie hat Verf.
glänzende Resultate erreicht. M.
2) Epilepsie, traitement, amiatanoe et mddeoine ldgale, par Paul Kova-
levsky. (Paris, 1901. Vigot Fröres. 290 S.)
Verf. bespricht zuerst in kritischer Weise die verschiedenen gegen die Epi¬
lepsie empfohlenen Mittel (die ersten 107 Seiten). Seine eigene Methode besteht
im Wesentlichen in der Brombehandlung, welche er 2 Jahre lang fortsetzt; das
erste halbe Jahr giebt er 4 g Natr. bromat. pro Tag mit 0,2—0,3 g Natr. jodat.
in 2—3 Dosen, das zweite Halbjahr wird nur die halbe Dosis gegeben. Dann
eine 2—6 wöchentliche Pause, wonach im dritten Halbjahr nur Brom 0,3—0,6 g
pro die ohne Jod und im vierten Halbjahr allmählich aussetzend nur 0,3 g Brom
verordnet wird.
Werth legt Verf. auf den gleichzeitigen Gebrauch von kohlensäurehaltigen
Mineralwässern.
Im zweiten Kapitel beschäftigt sich Verf. eingehend mit der Anstaltsbehand-
lung der Epileptiker und beschreibt genauer die Anstalten in Deutschland (Bethel,
Wahlgarten) und Nordamerika, um sodann im dritten Kapitel die klinischen und
forensisohen Gesichtspunkte zu erörtern.
Verf. unterscheidet eine somatische und eine psychische Epilepsie, von denen
die erstere entweder grand mal oder petit mal ist, die letztere epilepsie simple
oder combinirte. Seine forensische Beurtheilung der Epileptiker wird allgemeine
Billigung finden.
Das Buch ist lebendig und anregend geschrieben. M.
3) Reoherohes oliniques sur l’öpilepsie et sur son traitement, von Maurice
de Fleury. (Paris, 1900. J. Rueff. 361 S.)
In der sehr fleissigen Arbeit legt Verf. an der Hand von 19 Beobachtungen
seine Ansichten über das Wesen der Epilepsie, sowie über die bei letzterer an¬
zuwendende Behandlungsweise nieder:
Die Epilepsie kann — nach den heutigen neurologischen Anschauungen —
nur als eine Erkrankung der corticalen grauen Substanz der Hirnhälften angesehen
werden, sei es, dass ee sich um eine anatomische Läsion, sei es um eine funotio-
nelle Störung des Himmantels handle.
In den meisten Fällen (etwa 4 / s ) ist der Ernährungszustand ein mangelhafter;
nur selten sieht man unter den Epileptikern Herculesnaturen, und auch dann ist
oft die Kraft nur eine scheinbare.
Bis zum Ausbruche des Anfalls steigt der Blutdruck progredient. Etwa
8 Mal in 10 Fällen steigt die dynamometrisohe Kraft in den Stunden, die dem
Anfall vorhergehen, um in der Zeit nach dem Anfalle wieder zu sinken. Die
Pulszahl ist völlig verschieden bei den einzelnen Epileptikern, bei manchen steigt
sie deutlich zur Zeit der Anfälle, bei anderen ist der Puls dauernd frequent,
unter dem Einfluss der Behandlung wird er oft langsamer. Vor dem Anfall
wächst meist die Zahl der Blutkörperchen, um nach demselben erheblich zu sinken.
Ueberhaupt besteht unter dem Einflüsse dör Reizung der Hirnrinde allgemeine
Erhöhung der Thätigkeit sämmtlicher Organe: das Herz schlägt stärker, der Blut¬
druck wird höher, das Blut concentrirter, die Gefässwände gespannter, die Menge
Hämoglobin grösser u. s. w. All dieses macht nach dem Anfalle einem allgemeinen
Sinken der Vitalität Platz: daher Abnahme des Blutdruckes, Hydrämie, Hypo-
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globulie u. b. w. Dieser präparoxysmale Reiz- und postepileptiBche Depressions-
zu8tand wird aber nicht nur bei den richtigen Krampfanfällen, sondern auch bei
den psychischen Aequivalenten beobachtet.
Aehnlich wie der Krampfanfall wirkt auch das Brom auf den Organismus.
Auch nach Brom erfolgt Depression, Darniederliegen aller Functionen.
Aus den Beobachtungen und Betrachtungen des Verf.’s ergiebt sich Folgendes
für die Therapie der Epilepsie:
1. muss man die Erregbarkeit der Hirnrinde zu mindern suchen. Man er¬
reicht dies durch Brom: und zwar entweder als Bromkalium oder als Er len -
meyer’sches Gemisoh oder als Strontium bromatum. Auch empfiehlt Verf. sehr
das Brom nach der „metatrophischen <( Methode von Richet und Toulouse. —
Zunächst genügt eine tägliche Dosis von 4—6 g, zuweilen sind jedoch Tagesdosen
von 8,10 und 12 g nothwendig. Mit der Bromtherapie sind zu verbinden Wasser¬
behandlung, Soolbäder, statische Douche, Massage und besonders Injectionen von
Salzlösungen, welche Verf. an mehreren Stellen seines Buches als ausgezeichnetes
Mittel rühmt. Das Brom soll zur Zeit der Mahlzeiten, 4 Mal am Tage, gegeben
werden. Bestehen nur Nachts Anfälle, so giebt man die ganze Dosis auf ein Mal
vor dem Schlafengehen oder gegen 12 Uhr im Schlafe. Zu empfehlen sind ferner
Verbindungen von Brom und Digitalis, sowie Brom und Adonis vernalis (Bech¬
terew);
2. wird man suchen, die „agents provocateurs“ des Anfalls möglichst ab¬
zuschwächen bezw. völlig zu entfernen. Fremdkörper, Eingeweidewürmer (welche
reflectorisch den Anfall auslösen), Narben, Ohraffectionen u. s. w. sind sorgfältig,
zum Theil event. chirurgisch, zu behandeln; vor allem ist hier aber das Augen¬
merk auf die gastro-intestinalen Störungen zu richten, und häufig wird man allein
durch strictes Verbot von Alkohol, durch strenge Milchdiät oder vegetarische
Kost, durch Magen- und Darmausspülungen ein Geringerwerden oder Aufhören
der Anfälle erreichen. Die den Digestionstractus schädigenden Substanzen auf
das Minimum reduciren, dem Magen und Darm den nöthigen Muskeltonus, sowie
genügende Drüsensecretion verschaffen, so sehr als möglich die Entfernung des
Darminhaltes und der Toxine begünstigen — das wird das Hauptstreben des
behandelnden Arztes sein. Wasser und Milch seien die einzigen Getränke. Ueber-
haupt sollen während der Mahlzeit Flüssigkeit nur wenig, während der Verdauung
gar nicht, alkalisohe und diuretisch wirkende Wässer aber dann gegeben werden,
wenn der Magen leer ist, um den Körper durchzuspülen. Salat, Kohl, Bohnen,
rohe Früohte sind zu meiden, Fleisch nur in geringer Menge zu reichen. Mässige
Muskelübung, leichte Purgantien, Milch, Mineralwässer, Thee, schweissfördernde
Mittel sind zwecks Elimination der Toxine aus dem Körper anzuwenden. Land¬
aufenthalt, regelmässige Lebensweise, frühes Schlafengehen, Orte in mittlerer Höhe,
Waldluft und Feldarbeit und dazu etwas geistige Arbeit bekommen allen Epilep¬
tikern vorzüglich.
Besonders erwähnt sei hier noch eine Beobachtung des Verf.’s von „petit
mal“ durch Brightismus, in welchem die Milchdiät besonders gute Dienste leistete,
und welche dazu auffordert, bei den Epileptikern stets den Urin zu untersuchen,
ferner 2 Fälle von sensorischer Epilepsie (1. Anfälle von Ohrensausen, welche
schliesslich in Krampfanfälle ausgingen; 2. periodisch auftretendes Ohrensausen,
dann Gehörshallucinationen; einer dieser Anfälle endete mit einem Krampf);
schliesslich beschreibt Verf. mehrere Fälle von periodisch auftretenden Wuth-
anfällen epileptischer Natur (im Gegensatz zu solchen auf degenerativer Basis)
und bespricht einige psychische Reiz- und Depressionserscheinungen, welche zu
dem epileptischen Anfalle in Beziehung stehen. Zumeist besteht vor dem Anfall
Excitation, nach demselben Depression.
Die Arbeit des Verf.’s bringt zwar nicht direct Neues, illustrirt aber Vieles
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— 473
an lehrreichen Beispielen, und zeigt in klarer Weise, wie wichtig es für den be¬
handelnden Arzt ist, die Ursache und das Wesen der epileptischen Anfälle in
jedem einzelnen Falle zu ergründen zu suchen, um hiernach eine rationelle und
individualisirende Behandlung anzuordnen. Ein besonderes Verdienst aber des
Verf.’s ist es, dass auch er die nahen Beziehungen zwisohen Digestionstractus und
epileptischem Anfall immer wieder hervorhebt und von neuem zeigt, wie überaus
werthvoll es ist, eine sorgfältige Behandlung dem Verdauungstractus bei Fällen
von Epilepsie zukommen zu lassen. Kurt Mendel.
4) Publioationa du progres medical. Vol. XX. Beoherohes oliniques et
therapeutiques »ur l’dpilepsie, l’hystdrie et l’idiotie, par Bourneville.
(Paris, 1900. Felix Alcan. 286 S.)
Im ersten Theile giebt Verf. einen Bericht über die im Jahre 1899
erfolgten Aufnahmen in der Anstalt Bicetre bei Paris, sowie in der Vall6e’-
schen Stiftung. An der Hand zahlreicher Abbildungen beschreibt Verf. die in
Bicetre für Idioten angewandten Apparate zur Erlernung des Gehens, zur Uebung
des Gesichtssinnes, der Handgeschicklichkeit, der Aufmerksamkeit, zur Erlernung
und Uebung der Sprache, des Lesens, des Zeichnens, der Schrift. Von der „grande
ecole“, in welcher die geistig-schwachen, aber körperlich-gesunden Kinder unter¬
richtet werden, wird die Art des Unterrichtes in Geographie, Gesang, Turnen,
sowie der Anschauungsunterricht des Näheren beschrieben.
Neu aufgenommen wurden in Bicetre ira Jahre 1899 83 Kinder, 28 starben,
79 wurden entlassen, von letzteren 28 ihrer Familie zu rück gegeben, und zwar
geheilt, gebessert oder auf speciellen Wunsch der Angehörigen.
Die Eintheilung der Kinder zu Bicetre in die drei Hauptgruppen ist dieselbe
geblieben wie früher (vgl. d. Centralbl. 1899. S. 600), ebenso hat sich die Ein¬
theilung der Kranken der Vall6e’schen Stiftung in die beiden Abtheilungen der
idiotischen Unreinen und der Reinen erhalten. In letzterem Institute wurden im
Jahre 1899 65 Kinder neu anfgenommen, 21 entlassen, 19 starben, am 1. Januar
1899 befanden sich 489 Patienten in der Stiftung.
Den Schluss des ersten Theiles des Buches bilden Berichte über die Organi¬
sation der Specialklassen für Minderbefähigte in Preussen und Belgien, sowie
Betrachtungen über die Pflege der Idioten in der Familie.
Der zweite Theil des Buches enthält casnistische Mittheilungen, betreffs derer
bezüglich Symptomatologie, anatomischer Pathologie und Therapie auf das Original
▼erwiesen sei. Kurt Mendel.
IV. Aus den Gesellschaften.
Jahresversammlung des Vereins der deutschen Irrenärzte in Berlin
am 22. und 23. April 1901.
Die diesjährige Jahresversammlung erhielt ein besonderes äusseres Gepräge
dadurch, dass sie zugleich die Einweihung des prächtigen neuen Hörsaales der
psychiatrischen Klinik darstellte, der als erstes Stück der .gross angelegten Neu¬
bauten der Charitä soeben fertig gestellt worden war. In der BegrüsBungsrede, mit
der Herr Geheimrath Jolly-Berlin, der Vorsitzende des Vereins, die Versammlung
am 22. April um 9 1 /* Uhr eröffnete, ging er, anknüpfend an dieses Ereigniss, in
kurzer Ansprache auf die Entwickelung der Psychiatrie im letzten Jahrhundert
und auf die Geschichte der Irrenabtheilung der königl. Charite im Besonderen ein.
Ihren Aufsohwung von einer Absonderungsabtheilung, in der die Geisteskranken
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mit den Prostituirten und den Sträflingen vereinigt waren, zu der psychiatrischen
Klinik von der heutigen Bedeutung verdankt sie besonders zwei Männern,
Griesinger und Westphal, deren Namen stets mit der Geschichte der Klinik
eng verknüpft sein werden, und deren Büsten zur dauernden Erinnerung im Hör¬
saale Aufstellung gefunden haben. — Die neuen Gebäude, deren Situationspl&n
und Eintheilung Vortr. an aufgehängten Plänen erläuterte, werden Baum für
150 Geistes- und 56 Nervenkranke bieten; die Gesammtzahl der im vergangenen
Jahre aufgenommenen Kranken betrug etwa 3000. — Den um die Entstehung
der neuen Bauten besonders verdienten Herren, Minist.-Director Althoff, Geheim¬
rath Naumann, Geh. Baurath Thür, Geh. Finanzrath Germer, stattete Vortr.
seinen Dank ab.
Von den zahlreich erschienenen Vertretern der Regierung, des Militärs und
der Universität begrüssten die Versammlung Unterstaatssecretär Weber im Auf¬
träge des preussischen Cultusministers, Unterstaatssecretär Bothe Namens der
Reichsverwaltungen und Generalarzt Sch aper als Vertreter der Charite.
Den Vorsitz in allen Sitzungen führte Geheimrath Jolly, zu Schriftführern
wurden die Herren Henneberg und Kaplan gewählt. Die Präsenzliste zählte
137 Theilnehmer.
I. Referat. Herr Moeli (Lichtenberg): Ueber den jetzigen Stand der
familialen Pflege Geisteskranker.
Von einer historischen Darstellung der ihm gestellten Frage glaubt Vortr.
nach den von Alt u. A. neuerdings gegebenen Berichten absehen zu dürfen;
er weist in der Beziehung auch auf den Namen Wahrendorf’s hin. — Nach
den äusseren Verhältnissen kann man drei Gruppen der familialen Pflege unter¬
scheiden :
1. solche, in denen die Behandlung ohne jede Anstalt, nur in den Familien
erfolgt;
2. solche, in denen die Familienpflege sich als wesentliche Behandlungsform
um eine kleine Centralanstalt gruppirt;
3. solche, bei denen die Familienpflege nur im Anschluss an eine grössere
Irrenanstalt eingeführt ist.
Von den Vorzügen, die die familiale Pflege vor der in der Anstalt hat, sind
zu nennen die Möglichkeit, dem Kranken eine grössere Mannigfaltigkeit und
Selbständigkeit der Bethätigung zu gewähren, seine individuellen Eigenthümlich-
keiten mehr zu berücksichtigen, die Wiedererlangung seiner Arbeitsfähigkeit mehr
zu fordern, ihm den Uebergang in die völlige Freiheit zu erleichtern. Diese
Punkte sind maassgebend für genesende Kranke; bei der anderen in Betracht
kommenden Gruppe, den geistig und wirthschaftlich ganz Schwachen, ist die
grössere Billigkeit der Verpflegung ausschlaggebend. Nicht geeignet für die
Familienpflege sind alle Erregten, körperlich Hinfälligen, Alkoholisten, Kranke
mit verbrecherischen Neigungen. — Die'erste Form ist in Schottland am ver¬
breitetsten, sie ist dort möglich wegen der eingeführten ärztlichen Ueberwachung von
Staatswegen. Die zweite Form ist diejenige, wie sie inGheel seit Langem eingeführt
ist; sie ist dort begünstigt durch die traditionelle Gewöhnung der Bevölkerung;
der erfolgreiche Versuch einer Nachbildung ist in der Provinz Sachsen gemacht.
Die dritte Form ist an verschiedenen Orten, unter Anderem auch an der Anstalt
Herzberge, eingeführt worden. Bedingung ist die Eignung oder mindestens Er-
ziehharkeit der Bevölkerung für die neuen, ihr gestellten Aufgaben. Aus mancherlei
Gründen wird eB in der Regel vorznziehen sein, die Kranken Berufspflegern und
nicht den eigenen Verwandten zu übergeben. Im Ganzen sind von Herzberge
aus 270 Kranke bisher in Familienpflege gegeben worden, in ganz Deutschland
im vorigen Sommer 671. Schwere Missstände haben sich seither nioht heraua-
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gestellt; etwa 36°/ 0 der Kranken kehrten zur Anstalt wieder zurück; 30°/ 0 sind
länger als 2 Jahre in einer Familie. Es empfiehlt sich nicht, mehr als 2 Pfleg¬
linge einer Familie anzuvertrauen. Aus Gründen der Verwaltung sind die in
Familienpflege überführten Kranken als aus der Anstalt entlassen geführt worden.—
Eine Schwierigkeit liegt immer darin, dass der Pfleger von der allmählichen
Besserung und schliesslichen Genesung seines Pfleglings eine Einbusse seines Ge¬
winnes zu erwarten hat und deshalb an der Förderung jenes oft wenig Interesse
haben wird; immerhin sind doch hier und da Erfolge erzielt worden, die in der
Anstalt wohl nicht erreicht worden wären. — Vortr. fasst seine Ergebnisse in
folgenden Schlusssätzen zusammen:
1. Die familiale Pflege Geisteskranker unter psychiatrischer Aufsicht kann
in mehrfacher Form ausgebildet werden;
2. Sie kann eine mehr dauernde Versorgung des Kranken oder einen Ueber-
gang zwischen Anstaltsbehandlung und voller Selbständigkeit darstellen.
3. Für einen Theil der fremder Hülfe — nicht nur zum Lebensunterhalte —
bedürftigen Kranken bietet sie Vorzüge vor der AnstaltBbehandlung in der ver¬
mehrten Anregung und der Erhaltung von für die Persönlichkeit wichtigen
psychischen Vorgängen unter genügendem Schutze vor Schädlichkeiten.
4. Sie kann in gewissem Umfange — je nach den örtlichen Verhältnissen —
an die Behandlung in Anstalten sich anschliessen und von der Anstalt aus ge¬
leitet werden. Bei eng begrenztem Aufnahmehezirk kann auch die Pflege in der
eigenen Familie in einzelnen Fällen eintreten.
5. In welchem Umfange eine Ansiedlung ausgewählter Kranker an bestimmten
Orten um eine Centrale als eine Form der Fürsorge'für Geisteskranke durchführ¬
bar ist, muss die weitere Erfahrung lehren.
6. Die familiale Pflege fordert zur Entwickelung ihrer Wirksamkeit pBychia-
trisohe Leitung.
7. Sie kann zur Beseitigung unrichtiger Vorstellungen über Geisteskrank¬
heiten beitragen und beim Unterrichte in der Psychiatrie herangezogen werden.
8. Soweit die familiale Pflege in organischem Zusammenhänge mit psychia¬
trisch geleiteten Anstalten erfolgt, ist eine anderweitige Aufsicht entbehrlich.
9. Für die umfangreichere Entwickelung einer von den Anstalten ganz los¬
gelösten Familienpflege fehlen zum Theil wesentliche Bedingungen, unter Anderem
eine behördliche Aufsicht durch fachmännisch gebildete Aerzte.
DiBcussion:
Herr Becher zeigt Photographieen von Erholungsstätten, wie sie das Rothe
Kreuz neuerdings bei Berlin für Tuberculöse zum Aufenthalt bei Tage gegründet
hat; er glaubt, daBs dieselben eventuell auch für Geisteskranke in ähnlicher Form
verwendbar wären.
Herr Knecht erwähnt, dass man auch in der Provinz Pommern, vorläufig
mit 8 Kranken, Versuche mit der Familienpflege gemacht hat, und zwar mit gutem
Erfolge.
Herr Meyer erwähnt dasselbe für Braunschweig (Königslutter). Anfangs
waren die Kranken bloss Nachts ausserhalb der Anstalt; jetzt sind 17 in voller
Pflege.
Herr Alt: Die von Becher demonstrirten Erholungshäuser sind das gerade
Gegentheil einer Familienpflege. Er betont das Heilprincip dieser Methode: sie
bildet die Brücke von der Anstalt in das öffentliche Leben. Er hat aus nicht¬
ärztlich geleiteten Anstalten wiederholt Kranke erhalten, die dort, mit allerhand
•Zwang und Beschränkung behandelt, sich als im hohen Grade geeignet für die
Familienpflege erwiesen. Trägt noch Jerichow nach.
Herr Moeli: Schlusswort.
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Herr Siemerling (Tübingen): Zur pathologischen Anatomie der pro¬
gressiven Paralyse.
Vortr. schildert zuerst eingehender einen Befund am Gehirn, der schon von
Anderen als etat cribl6 oder etat de gruyere beschrieben worden ist: die Bildung
glattrandiger, multipler Hohlräume oder Cysten in der gesammten Hirnsubstanz.
Bei den meisten war die Wand der Cysten direct die Nervensubstanz, bei anderen
konnte die Entstehung aus perivasculären Lymphräumen wahrscheinlich gemacht
werden. Vortr. hält die Bildungen für postmortal, durch die Wirkung gasbildender
Bakterien entstanden. — In einigen anderen Fällen war auffallend eine Bildung
von hyalinen Körpern um die Gefässscheiden in gewissen Hirnregionen. (Demon¬
stration von Präparaten.)
Discussion:
Herr Nissl hält die demonstrirten Cysten ebenfalls für postmortale Bil¬
dungen. Er erhielt bei faulenden Gehirnen wiederholt die gleichen Bilder; bei
Thieren kann indessen unter Umständen schon nach einigen Stunden diese Ver¬
änderung zu Stande kommen. — Bezüglich der zweiten Demonstration fragt N.
an, ob specifische Färbungen, der perivasculären hyalinen Gebilde vorgenommen
worden sind; wenn nicht, glaubt er an ihre eventuelle Entstehung aus verändertem
Marke.
Herr Pick: Es liegt offenbar das vor, was Pierre Marie etat de gruyere
genannt hat, und was P. auch für postmortal, durch den Bacillus aerogenes, ent¬
standen hält. Etwas anderes ist es mit gewissen Formen kleiner Cysten, die
unter Umständen pathologisch sein können.
Herr Storch hat ähnliche Cysten wie der Vortr. auch bei bestimmter Art
der Celloidin-Einbettung gesehen.
Herr Bernhardt erinnert an Fälle sogenannter Schaumorgane, bei denen
sicher Gasentwicklung durch aerogene Bakterien intra vitam zu Stande gekommen
ist, ja in einzelnen Fällen als Todesursache angesehen werden musste.
Herr Cramer weist auf das Vorkommen mikroskopisch kleiner Cysten hin,
bei denen die Differentialdiagnose zwischen Kunstproduct und pathologischem
Befunde manchmal sehr schwierig sein kann.
Herr Siemerling (Schlusswort): Eine specifische Beaction auf Hyalin giebt
es noch nicht: die angeBtellte Jodreaction war negativ. — Zur Entstehung der
auch von Prof. Baumgarten in Tübingen für postmortal gehaltenen Verände¬
rungen gehört offenbar noch eine bestimmte Prädisposition, sonst müsste man sie
viel häufiger finden, als dies der Fall ist.
Herr E. Meyer (Tübingen): Zur Klinik der Puerperalpsyohosen.
Unter 1104 geisteskranken Frauen der letzten 6 Jahre zu Tübingen befanden
sich 51 Puerperalpsychosen, also 4,5 °/ 0 (Schwangerschaftspsychosen nicht ein¬
gerechnet). Davon waren 33 Fälle eigentliche Puerperal-, 18 LactationspsychoBen.
Im Einzelnen waren davon 11 reine Melancholieen, die nicht als Phasen eines
manisch-depressiven Irreseins erschienen, 3 circulare Psychosen (manische Phase),
5 Paranoia, 9 acute Verwirrtheit, 14 Katatonieen, 2 Hebephrenieen, 2 epileptische
und 1 hysterische Psychose. Eine reine, isolirte Manie kam nicht zur Beobach¬
tung. Bemerken sw erth ist, wie in der Statistik Aschaffenburg’s, die grosse
Zahl von Katatonieen und Hebephrenieen, während das manisch-depressive Irre¬
sein nur wenige Fälle umfasst. Eine specifische puerperale Psychose giebt ea
demnach nicht. Aetiologisch waren je 5 Mal puerperale Infectioneu und Mastitis
vorhanden; in 29 Fällen bestand hereditäre Belastung. — Für die Fälle von
Katatonie galt, wie auch sonst beobachtet, lang anhaltender Stupor für prognostisch
ungünstig. — Für die Frage nach der eigentlichen Ursache der puerperalen
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Psychose ist auch in dieser Statistik kein neuer Anhaltspunkt zu finden; im All¬
gemeinen muss man wohl sagen, dass Geburt und Lactation bei prädisponirten
Individuen eine wichtige Gelegenheitsursaohe bilden.
Discussion:
Herr Fürstner: Bei der geringen Gesammtzahl der puerperalen Psychosen
in der Zusammenstellung des Vortr. spielen wohl territoriale Verhältnisse eine
Rolle. Gering ist ferner die Zahl seiner Fälle von hallucinatorischer Verwirrt¬
heit, einer Form, die F. für sehr häufig hält. Dagegen glaubt er, dass die Dia¬
gnose der Katatonie wohl oft zu schnell gestellt wird; übrigens schlieBse auch
dabei langer Stupor durchaus nicht immer eine schlechte Prognose ein.
Herr Hitzig: Ob bloss locale Verhältnisse bei der Häufigkeitsfrage im Spiele
sind, scheint ihm zweifelhaft; in Halle hat entschieden trotz anscheinend gleicher
äusserer Verhältnisse die Zahl der puerperalen Psychosen in der letzten Zeit ab-
genommen. H. Bieht darin in gewissem Sinne eine Parallele mit dem Wechsel,
der in dem klinischen Bilde der progressiven Paralyse vor sich gegangen ist
(Abnahme der „klassischen“ Paralyse, Zunahme der Fälle einfacher Verblödung);
die Ursachen für Beides scheinen noch völlig unklar.
Herr Aschaffenburg sieht eine Erklärung für die verhältnissmässig geringe
Zahl circulärer Psychosen im Materiale des Vortr. in der zum Theil ziemlich
kurzen Beobachtungsdauer und glaubt, dass, wenn die Fälle so, wie es in Heidel¬
berg geschehen ist, bis zu 9 Jahren und länger würden verfolgt werden können,
dann auch noch mehr der bisher unter anderem Namen laufenden Fälle dem
manisch-depressiven Irresein würden zugerechnet werden müssen.
Herr Knecht hält die Puerperalpsychosen in der grossen Mehrzahl für In-
fectionspsychosen; die Beobachtung Hitzig’s, die er aus eigener Erfahrung be¬
stätigen kann, erklärt er durch das Seltenerwerden des Puerperalfiebers in Folge
der Verbesserung des Hebammenwesens und der sanitären Verhältnisse überhaupt.
Herr Wern icke hält principiell die Eintheilung der Psychosen in kleine
Gruppen für wünschenswerth und vermeidet deshalb möglichst die Diagnose der
hallucinatorischen Verwirrtheit. Die periodische Melancholie ist seiner Ansicht
nach so selten, dass er selbst die vom Vortr. angegebene Zahl noch für hoch
halten muss. Dagegen ist nach seinen Erfahrungen die von ihm sogenannte hyper-
kinetische Motilitätspsychose häufig in Zusammenhang mit der puerperalen Er¬
krankung zu bringen; dieselbe zeichnet sich bei absolut guter Prognose durch
Neigung zu Recidiven und periodischem Auftreten aus, was vielleicht überhaupt
ein Merkmal der puerperalen Psychosen ist. Bezüglich der Katatoniefrage ver¬
tritt er den Standpunkt, dass die typische Kahlbaum’sche Psychose scharf zu
trennen ist von den katatonischen Symptomen, die bei allen möglichen anderen
Psychosen sich vorübergehend oder dauernd zeigen können. — Die Ansicht, dass
puerperale und Infectionspsyohosen identisch seien, kann er nicht unterschreiben.
Herr Schüller weist auf Fälle von EifersuchtBwahn im Puerperium hin,
die besonders auch von v. Krafft-Ebing beobachtet worden sind.
Herr Pick bestätigt Hitzig’s Bemerkung: es giebt auffällige Schwankungen
in der Häufigkeit, sodass man wohl annehmen muss, dass doch vielleicht der
puerperalen Infection eine grössere Bedeutung zukommt.
Herr Fürstner kann nach den Erfahrungen in Strassburg nicht bestätigen,
dass zwischen der Häufigkeit der Psychosen und der Reinlichkeit der Hebammen
ein Zusammenhang bestehe, andere Factoren seien dabei doch wohl wichtiger.
Er bittet Wernicke, doch nioht ohne Noth neue Formen und Nomenclaturen
zu erfinden, um die schon schwierige Verständigung unter den Psychiatern nicht
noch mehr zu erschweren. Bezüglich der Katatonie theilt er W.’s Standpunkt.
Herr Alt hat, seit er auch Geisteskranke in der Häuslichkeit sieht, gefunden,
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dass die puerperale Psychose thatsächlich häufiger, als es in den Anstalten der Fall
ist, erscheint. Trotzdem besteht auch hier eine Abnahme, was er sich so erklärt:
durch Unterernährung kommen Eigengifte im Körper zu Stande, was man auf
manchen Gebieten beobachten kann. Früher waren nun die Frauen im Puerperium
traditionell auf eine sehr reducirte Wöchnerinnenkost gesetzt; seit die Anschau¬
ungen sich in diesem Punkte geändert haben und die Wöchnerinnen rationell
genährt werden, haben sich die Psychosen im Wochenbett vermindert.
Herr Weygandt weist bezüglich der Diagnose der Melancholie darauf hin,
dass das Symptom der Hemmung oft sehr wenig ausgeprägt, und nur durch
manchmal nicht leicht ausführbare psychophysische Methoden nachzuweisen ist.
Er erwähnt ferner Fälle von manischem Stupor im Puerperium und betont die
prognostische Bedeutung eines Theiles der neueren psychiatrischen Nomenclatnr,
wie z. B. der Diagnose Katatonie.
Herr Schönfeld kann eine negative Bestätigung der Hitzig’schen Beob¬
achtung beibringen: bei ihm in Russland (Riga) haben die Puerperalpsychoaen
nicht abgenommen, offenbar, weil die sanitären Verhältnisse überhaupt dort nir¬
gends eine Besserung erfahren haben.
Herr Siemerling: Es giebt kein Symptom im Verlauf der puerperalen
Psychosen, das ohne Weiteres den Schluss auf die Prognose gestattete. S. fürchtet,
dass die Hoffnung Aschaffenburg’s, ein Theil seiner Diagnosen werde sich
später in circulare Psychosen verwandeln, nicht in Erfüllung gehen wird.
Herr Schüle charakterisirt seinen Standpunkt einmal als den von Wernicke
vertretenen: katatonische Symptome allein maohen noch keine Katatonie; und den
Fürstner’s: die alten, gesicherten Krankheitsbilder in unserer Lehre sind mög¬
lichst aufrecht zu erhalten.
Herr Aschaffenburg wendet sich gegen das Missverständniss, als ob
Kräpelin und seine Schule den wirklich gesicherten Besitzstand der psychia¬
trischen Wissenschaft Umstürzen wolle; es soll nur das Interesse an der klinischen
Symptomatologie wieder geweckt werden.
Herr Meyer: Schlusswort.
II. Sitzung. Nachmittags 1 / a 3 Uhr.
Herr Näcke (Hubertusburg): lieber die sogen. Degenerationsseiohen dar
wichtigsten inneren Organe bei Paralytikern und Geistesgesunden.
Vortr. erinnert zunächst an seine Arbeit über die äusseren Degenerations¬
zeichen bei Paralytikern, in der er zu dem Schlüsse gekommen war: Dieselben
sind X. zahlreicher als in der Norm; 2. ihre Verbreitung am Körper ist eine
grössere; 3. die hohen Grade derselben sind die häufigeren; die erbliche Be¬
lastung ist nahezu dieselbe wie bei anderen Psychosen. Er hat jetzt diese Unter¬
suchung auch auf innere Organe ausgedehnt, und speciell Leber, Lungen, Herz,
Milz, Nieren auf Hyperplasieen, Spaltbildungen, Gestaltsveränderungen u. a. unter¬
sucht Eine parallele Untersuchungsreihe bei Gesunden nach dem gleiohea Schema
wie bei den Paralytikern wurde von Prof. Nauwerck in Chemnitz ausgeführt; sie
erstreckte sich auf 108 Fälle, während Vortr. 104 Paralytiker untersuchte. Dabei
ergab sich, dass die Zahl der Degenerationszeichen bei den Paralytikern nur wenig
grösser war als bei den Normalen; dafür waren aber die einzelnen weiter ver¬
breitet und, was am wichtigsten ist, die selteneren Stigmata wesentlich zahl¬
reicher. Erblich belastet waren 39,4 °/ 0 , syphilitisch inficirt 39,6 °/ 0 . Die erblich
belasteten Paralytiker zeigten eine grössere Anzahl innerer Stigmata als die un¬
belasteten. Es zeigte sich also ein weitgehender Parallelismus zwischen inneren
und äusseren Degenerationszeichen, ein Resultat, das den früher gezogenen Schluss
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befestigt, dass das Gehirn des Paralytikers ein ab ovo invalides, minderwerthigee
ist. — Eine Fortsetzung sollen diese Studien in einer vergleichenden Untersuchung
der Gehirnoberfläche bei Paralytikern und Gesunden finden. (Ausführliche Ver¬
öffentlichung in der Zeitschrift für Psychiatrie.)
Herr Voigt (Berlin): Hirn anatomische Mittheilungen.
Vortr. hat in der Dicke der Marksoheiden ein neues Mittel zur systematischen
Untersuchung der Bahnen im Gehirn nutzbar gemacht. Vor einem Jahre schon
machte Schröder darauf aufmerksam, dass bei stärkerer Differenzirung der Schnitte
in dm* Kalihypermanganlösung bei der Palfärbung der Grad der Entfärbung der
einzelnen Gebiete ein constanter, von der Faserdicke abhängiger ist Vortr. hat
nun zuerst den Balken genauer untersucht und darin, auf Längs- wie Querschnitten,
4 Felder unterscheiden können. Bei Thieren konnte er feststellen, dass in be¬
stimmten Entwickelungsstadien markhaltige Stellen im Balken den früh markreifen
Gegenden des Cortex, speciell der motorischen und Sehregion, entsprachen. Das¬
selbe fand er bei Degenerationsherden in der Rinde, bei denen er verschiedentlich
ebenfalls Degeneration von Balkenfasern, entsprechend den früher gefundenen
Feldern, nachweisen konnte, im Gegensätze zu KattwinkeL — In der inneren
Kapsel konnte er dieselben Verhältnisse finden: es besteht ein sicherer Parallelismus
zwischen Markreifung und Faserkaliber in dem Sinne, dass die frühest markreifen
Partieen später die dunkelsten, dickfaserigsten sind. Dies Verhalten gestattet
Schlüsse zu ziehen auf die Topographie der Verbindungen zwischen Rinde und
innerer Kapsel. — Im sogen. Wernicke’schen Dreieck neben dem Corpus geni-
culat. laterale konnte diese Differenzirungsmethode ebenfalls 3 Felder von ver¬
schiedener Faserstärke unterscheiden, die verschiedenen Markreifestadien ent¬
sprechen. — Ferner verhalten sich auch die Marchi- Präparate in ihrem Aussehen
verschieden, je nach ihrer Markscheidendicke. — Unter den zahlreichen demon-
strirten Präparaten befinden sich auch solche, in denen absteigende Degeneration
zu Stande gekommen ist bei Zerstörung sogen. Associationsfelder nach Flechsig.
Die Untersuchungen beweisen jedenfalls, dass der Dicke der Fasern im Vereine
mit der Degenerationsmethode für das Studium der Gehirntopographie eine erheb¬
liche Bedeutung beizumessen ist.
Herr Bonhöffer (Breslau): Bemerkungen zur Pathogenese des Delirium
tremens.
Das Delirium tremens ist keine einfache Steigerung des chronischen Alko-
bolismus, sondern eine Ueberschwemmung mit noch anderen toxischen bezw.
Autointoxicationsstoffen, deren Natur noch nicht genauer bekannt ist — Von den
in der Beobachtungsabtheilung des Breslauer Gefängnisses beobachteten Delirien
waren 70°/ 0 mit anderen Erkrankungen complicirt, davon waren 48°/ 0 acute
Infectionen (20 % Pneumonieen), 11% gastrische Störungen, 7% Traumen,
23°/ 0 epileptische Anfälle; 8 % wurden auf schwere Excesse zurückgeführt Nächst
der Pneumonie sind von inneren Erkrankungen besonders acute Bronchitiden von
Bedeutung, also vor Allem Lungenkrankheiten. Die Rolle des Traumas ist sicher
häufig überschätzt worden; vielleicht ist es überhaupt von keiner wesentlichen
Bedeutung, besonders da ein grosser Teil der Verletzungen erst im schon be¬
ginnenden Delirium erworben zu werden pflegt. In den wenigen sicheren Fällen
ist vielleicht weniger das Trauma an sich, als das verletzte Organ (Lunge, Fett-
eaholie bei Knochenbruch) von Bedeutung. Der epileptische Anfall kann ebenso¬
wohl die Ursache wie ein Symptom des Delirs sein. Bezüglich der Frage des
Ahstwensdeliriaass stehen sich die Ansichten der Aerste noch sohroff gegenüber.
Sicher ist, dass auch sohwere Alkoholisten die plötzliohe Entziehung meist gut
vertragen, und dass der Verlauf des einmal ausgebrochenen Delirs der gleiche ist,
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ob Alkohol gereicht wird oder nicht. Vortr. glaubt indessen nicht an die völlige
Bedeutungslosigkeit der plötzlichen Alkoholentziehung. Er hat bisher im Gefängniss
83 ausgesprochene und ebenso viele abortive Delirien beobachtet. Von den
letzteren wiesen nur 15°/ 0 Complicationen auf, bei den anderen trat am 2. oder
з. Tage der Abstinenz das Delirium ohne andere erkennbare Ursache auf. Der
Verlauf dieser Fälle war im Ganzen harmloser und kürzer (2—3 anstatt 4 Tage)
wie gewöhnlich. Nur ein Todesfall kam vor. Die Gegenprobe wurde nicht ge¬
macht aus verständlichen Gründen. Dass der Tremor und die Ataxie dee Deliriums
durch Alkoholdarreichung günstig beeinflusst werden kann, wurde u. A. durch
Schriftproben bewiesen; eine Coupirung oder wesentliche Verlaufsänderung ist
dagegen nicht zu erzielen. Resultat: die plötzliche Abstinenz bei Trinkern kann
и. a., besonders bei geschwächtem Ernährungszustände, deliriumauslösend wirken.
Herr Kaplan (Herzberge): Methoden sur Färbung des Nervensystems.
I. Neurokeratinfärbung. Das Säurefuchsin ist mit Kalialkohol schon 1882
von Weigert mit unsicherem Resultate zur Markscheidenfärbung verwendet
worden. Bei Färbung von in Müller’scher Flüssigkeit gebeizten Celloidin- oder
Paraffinschnitten in 1 / 3 °/ 0 Säurefuchsin einen oder mehrere Tage im Brütofen,
mit nachfolgender Differenzirung in Kali hypermang. und schwefliger Säure in
statu nascendi ergiebt sich eine elective Markscheidenfärbung, welche, besonders
schön bei vorher in Formol-Müller (1:10) fixirten Präparaten, sich als eine
Färbung des Ewald-Kuhne’schen Neurokeratins herausstellt. Auch Block¬
färbung ist möglich, da es sich um eine echte Tinction, nicht um Impregnation
handelt. Vor langem Aufenthalt in Alkohol nach der Färbung warnt Vortr.
Die erhaltenen Bilder sind Aequivalentbilder der Wirklichkeit im Sinne Nissl's;
unter pathologischen Verhältnissen (Demonstration von durchschnittenen Nerven)
tritt an Stelle der grobbalkigen eine feinkörnige, unregelmässige Structur. Da
eine Färbung des pericellulären Golginetzes und des Joseph'sehen Axengerüstes
nicht stattfindet, kann Vortr. der Annahme ihrer Entdecker, dass es sich dabei um
Neurokeretingebilde handele, nicht zustimmen.
II. Axencylinderfärbung. Anwendung von wässriger Lösung von Anthracen-
Eisengallustinte (1:10) am besten auf Müllerpräparate, (s. Neurol. Centr. 1901
Nr. 8.) Wesentlich erscheint u. A. die Anwendbarkeit auch auf Pareffinschnitte.
Langer Aufenthalt in 80 °/ 0 Alkohol ist auch hier schädlich. Die Glia entfärbt
sich, auch bei mangelhafter Vorbehandlung, sehr früh, zuletzt vor dem Axen-
cylinder die Zwischentrichterkittsubstanz. Normaliter wird der Axencylinder allein
ungemein intensiv gefärbt, und zwar erst in einer gewissen Entfernung von der
Zelle und etwa da aufhörend, wo die Markscheide verschwindet. Die Axencylinder-
stützsubstanz, um die es sich offenbar handelt, muss also in dieser Strecke eine
besondere, andere Beschaffenheit haben als in dem der Ganglienzelle angrenzenden
Theile einerseits und dem periphersten, jenseits der markhaltigen Partie liegenden
Stücke andererseits. Der so gekennzeichnete Teil des Axoplasmas (Waldeyer)
entwickelt sich auch anscheinend der Hauptsache nach Hand in Hand mit der
Markscheide (Demonstration). Auch dies dürfte für die Annahme einiger Autoren
(Engelmann, Hertwig) sprechen, dass der Axencylinder das DifferenzirungB-
product einer Zellcolonie, nicht in toto ein Teil der Ganglienzelle ist.
Herr Bälz (Tokio): Ueber Emotionslähmong.
Vortr. versteht unter dieser Bezeichnung die vorübergehende Suspension der
gesammten höheren Gefühlsthätigkeit bei einem vorher und nachher absolut nor¬
malen Mensohen. Da hierüber nur subjective Angaben zu erlangen sind, sind
zuverlässige Selbstbeobachtungen von grossem Werthe, und Vortr. berichtet von
einem Erlebnisse dieser Art in Japan. Bei einem heftigen Erdbeben, denen
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gegenüber er für gewöhnlich tob grosser Kaltblütigkeit war, trat ganz plötzlich
bei ungestörter Erhaltung des Vorstellungsablaufes eine völlige emotive Ver¬
änderung bei ihm auf: ein absolutes Erlöschen aller Gefühlsthätigkeit, ein Auf¬
hören aller Empfindungen des Schrecks, der Sorge fiir sich oder seine Familie,
dee Mitleids fiir die zusammenstürzende Stadt oder der Angst vor dem herein¬
brechenden Unheile. Er war für die Zeit von 5—6 Secunden völlig kaltblütiger,
uninteressirter Zuschauer, wie bei einem physikalischen Experimente. Dabei be¬
stand die Empfindung einer Erleichterung oder Beschleunigung dee Gedanken¬
ablaufes, ähnlich wie es von Abgestürzten oder Ertrinkenden, die gerettet wurden,
geschildert worden ist. Nachdem diese „Lähmung“ vorbei war, war er sofort
wieder er selbst, eilte nach seinem Hause, half bei der Versorgung der Ver¬
letzten u. s. w. — Ein anderer Arzt berichtete ihm über entsprechende Erfahrungen
ebenfalls bei einem Erdbeben; bei Livingstone’s Reiseberichten stiess er auf
die Schilderung eines ganz ähnlichen Bewusstseinszustandes, als dieser einmal
Nachts von einem Löwen überfallen wurde. — Das plötzliche, momentane Still¬
stehen eines Theiles der psychischen Functionen könnte mit gewissen Formen
des petit mal in Parallele gestellt werden.
Disoussion:
Herr Wern icke: Der geschilderte Zustand erinnert an die Gemttthslage
eines Manischen; es tritt das ein, was ich Nivellirung der Vorstellungen genannt
habe, und was mit einer allgemeinen erhöhten Erregbarkeit der Associationsbahnen
einhergeht. Auch das Gefühl des erleichterten Vorstellungsablaufes stimmt damit
überein.
Herr Bälz: Schlusswort
Herr Hoohe (Strassburg): Zar Aetlologie des Myxödems.
Vortr. hat einen Fall beobachtet, wo die Erscheinungen des Myxödems sich
an eine schwere acute Leuchtgas-, d. h. CO-Vergiftung anschlossen. Nach dem
Erwachen aus einem 9 tägigen Koma blieb die Patientin lange Zeit schwerfällig,
auffallend theilnahmlos, nach einigen Monaten traten zu diesen charakteristischen
psychischen Störungen typische Hautveränderungen. Unter Jahre lang fortgesetzter
Thyreoidinbehandlung besserten sioh alle Symptome, um bei dem mehrmaligen
Versuch, die Kur auszusetzen, sich jedes Mal von Neuem wieder einzustellen. —
Die CO-Vergiftung hat offenbar die Fähigkeit, centrale Gefässveränderungen hervor¬
zurufen, führte auch unter Anderem zu Zuständen von Dementia acuta, Melan¬
cholie u. ä. Der geschilderte Zusammenhang ist bisher in dieser Form noch nicht
beschrieben worden, ist aber doch nioht ganz unbekannt; in Arbeiten früherer
Zeit, vor der Erkennung dee Myxödems als typische Krankheit, hat Vortr. Schil¬
derungen von Hautveränderungen nach CO-Vergiftung finden können, die jetzt
nachträglich ohne Zweifel als myxödematöser Natur anzusprechen sind.
HL Sitzung; am 22. April 1 / i 10 Uhr.
Mittheilungen geschäftlicher Art. Die statutengemäss ausscheidenden Vor¬
standsmitglieder Jolly und Hitzig werden durch Acclamation wieder gewählt.
II. Referat. Herr Heilbronner (Halle): Ueber den heutigen Stand der
pathologiflohen Anatomie der sogen, fanotionellen Psychosen.
Der Begriff der functionellen Psychose ist heute nur nooh ein conventioneller;
Nissl war der erste, der prodamirte, er müsse fallen, bei allen Geisteskrank¬
heiten müssten sich organische Veränderungen naohweisen lassen. — Von seiner
Untersuchung sohliesst Vortr. Paralyse, Lues cerebri, Alkoholismus, Epilepsie und
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Psychosen bei groben Herderkrankungen aus. Die Mehzahl der bisher unter¬
suchten Fälle sind acute Formen; ein anderer Weg war die Schlussfolgerung von
Befunden bei subacut vergifteten Thieren auf den Menschen. — Drei Fragen sind
zu stellen:
1. Welche Befunde sind erhoben worden?
2. In wie weit sind dieselben Ausdruck der Psychose?
3. In wie weit erlauben sie einen Schluss auf die Art der Psychose und ge¬
nügen zur Erklärung des Krankheitsbildes?
1. Hier wird nur die Rinde in Betracht gezogen. Dass die für normale Ver¬
hältnisse so wichtige Golgi* Methode beim Studium pathologischer Veränderungen
unbrauchbar ist, haben Verworn u. A. nachgewiesen. Wichtiger sind die Grund¬
sätze Nissl’s. Manche Differenzen in den Befunden sind wohl durch die ver¬
schiedenen Einbettungsmethoden, sowie durch die ungenügende Berücksichtigung
der cadaverösen Veränderungen, bezüglich deren sich Cortex- und Spinalzellen
sehr verschieden verhalten, zu erklären. — Die Frage nach Präformation der
Gebilde oder Kunstproducte fallt durch die Anschauung von der Zelläquivalent¬
form hier weg. — Die positiven Befunde kann man eintheilen in solche, die
keine qualitativen, sondern nur Intensitätsunterschiede in den gefundenen Ver¬
änderungen erkennen wollen (Meyer), solche, die primäre und secundäre Ver¬
änderungen, je nach Befallensein von Zellkörper oder Axon, unterscheiden wollen
(Marinesco u. A.), und zuletzt die fast unübersehbare Masse einzelner casuistischer
Mittheilungen, in die ein System zu bringen Vortr. nicht gelungen ist. Nissl
hat versucht, diese letzteren Befunde zu einzelnen Zellerkrankungsformen zu ordnen;
er hat bereits sieben derartige Formen beschrieben, dazu sechs verschiedene Arten
des Zelltodes. Unabsehbar werden die Schwierigkeiten, wenn man auch die kleinen,
nicht bloss die Pyramidenzellen berücksichtigen will. Je länger Vortr. selbst
untersuchte, um so grösser wurde die Zahl der Formen; nie fand er eine Er¬
krankungsart gleichmässig über das ganze Gehirn verbreitet. In dieser Hinsicht
war Alzheimer glücklicher, der neben gleichmässigen Veränderungstypen der
Ganglienzelle auch diesen parallel gehende Veränderungen der Glia, im Ganzen
vier bestimmte Formen, unterscheiden konnte. Etwas Aehnliches bezüglich der
Gliazellen konnte auch Nissl finden; ihm fiel ausserdem eine gewisse Aehnlich-
keit in dem Verhalten der letzteren mit Leukocyten auf. — Auf Veränderungen
der Nervenfasern ist, wohl mit Unrecht, bisher wenig Werth gelegt worden; dass die
Marchi-Methode hier manches leisten kann, ist neuerdings von Siemerling,
Starlinger, Bonhöffer betont worden.
2. Bei der Würdigung der Bedeutung dieser Befunde sind zu berücksichtigen
vor allem Einflüsse, die nicht der Psychose als solcher angehören, aber doch
die Zelle zu verändern im Stande sind: Ermüdung, Unterernährung, infectiöee
Verhältnisse u. a., vor Allem auoh die Agone, die den specifischen Charakter der
Psychose wohl stets für längere oder kürzere Zeit vor dem Tode verändert.
Nissl selbst hat es neuerdings ausgesprochen, dass keine der vielen beschriebenen
Zellveränderungen specifisch ist, dass nicht einmal für die Unterscheidung zwischen
Geistesgesundheit und -Krankheit die Grundlagen vorhanden sind. Die Verfolgung
der quantitativen Veränderungen erscheint ebenfalls nicht sehr vielversprechend. —
Befunde nach Marchi sind nur bei den schwersten, acutesten Fällen erhoben
worden, nie bisher bei chronischen, auch nicht bei durch die Agone allein hervor¬
gerufenen. An Stelle der anlänglichen allgemeinen Begeisterung nach den ersten
Arbeiten Nissl’s ist eine ziemliche Skepsis getreten.
3. Weil also noch nicht einmal der Unterschied zwischen gesund und krank
feststeht, ist an eine anatomische Diagnose der functioneilen Psychosen demnach
nicht zu denken; höchstens könnte man einige allgemeine Verlaufsfbrmen mit
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483
ihren Grundlagen aufzustellen versuchen (Alzheimer, Binswanger: bei leichten
Formen Veränderungen der färbbaren Substanz, bei schweren (Verblödung u. s. w.)
solche der unfärbbaren Substanz). Die Hoffnung auf das Auffinden specifischer
Veränderungen muss vorläufig aufgegeben werden. Auch die spärlichen Angaben
über bakteriologische Befunde specifischer Art (Bianchi und Picinino) haben
uns hierin nicht weiter gebracht. Die Einführung der Fibrillenlebre giebt eben*
falls für diese Frage keine Förderung an die Hand, sondern verdoppelt vorerst
bloss noch die Schwierigkeiten. — Was zunächst zu schaffen ist, ist eine all¬
gemeinverständliche Pathologie der Ganglienzelle wie der Glia; die Vorarbeiten
dazu sind am Menschen und nicht am Thiere zu machen. Weiter wird dabei
auf die ganze Rinde und nicht nur auf die einzelne Zelle Rücksicht zu nehmen
sein: die Verbreitung der Veränderungen auf die einzelnen Rindenterritorien.
Die Marchi*Methode, an grossen Schnitten angewandt, kann dabei trotz ihres
nicht specifischen Verhaltens vielleicht als ein wichtiger Wegweiser Dienste leisten.
Dann kann man in absehbarer Zukunft hoffen, einmal zu einer anatomischen
Unterscheidung acuter und chronischer, vielleicht auch heilbarer und unheilbarer
Psychosen zu gelangen.
Discussion:
Herr Nissl stimmt den Schlüssen des Ref. im Ganzen bei. Man kann nicht
skeptisch genug sein; die ersten Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Vielleicht
giebt das Verhalten der Marsohalko’Bchen Plasmazellen bei progressiver Para¬
lyse einen Hinweis, nach welcher Richtung sich später die Forschung zu bewegen
bat. Er steht auf dem Standpunkte, den einzelnen Fall mit möglichst vielen
Methoden zu untersuchen, um auf diese Weise zu einem Ausdrucke für Erkrankungs¬
formen der Gesammtrinde zu gelangen.
Herr E. Meyer begrüsst Nissl’s neuerlichen entgegenkommenden Standpunkt.
Herr Oppenheim stimmt ebenfalls den Ausführungen des Ref. voll zu, er¬
innert an seine Untersuchungen über die myasthenische Paralyse.
Herr Heilbronner (Schlusswort) hofft, dass durch Referat und Discussion
nutzloseUntersuchungen für später wenigstens einigermaassen verhindert worden sind.
Herr Sommer (Giessen): Ergebnisse der dreidimensionalen Analyse
von Bewegungsstörungen bei Nerven* und Geisteskranken.
Vortr. ist es neuerdings gelungen, wie die Bewegungen der Beine und der
Hand auch physiognomische Bewegungen des Gesichts, speciell der Stirnmukulatur,
mit seinen Methoden graphisch darzustellen; eine einfachere, aber immerhin nicht
bedeutungslose Methode ist die eines einfachen Abdruckes der Stirn direct auf
berusstes Papier. Vortr. demonstrirt dann an der Hand zahlreicher Curven
graphisch angenommene Bewegungen, besonders Zitterbewegungen, weist auf die
Möglichkeit hin, die verschiedenen Arten von Tremor differentialdiagnostisch
daraus zu erkennen, auf die CharacteriBtica der Paralysis agitans, auf die Mög¬
lichkeit der Erkennung larvirter Epilepsie: Einfluss geringer Alkoholdosen auf
das Auftreten oder die Vermehrung von Zitterbewegungen, der mit den gewöhn¬
lichen Mitteln nicht erkannt worden wäre. Er erwähnt einen Fall, in dem es
ihm möglich war, in einem forensischen Gutachten mit Hülfe der graphischen
Methode der Diagnose zu sichern. Ferner betont er die Unmöglichkeit, die ge¬
schilderten Erscheinungen zu simuliren: die feinsten, regelmässigen, auf den Curven
sichtbaren Oscillationen sind willkürlich nicht hervorzurufen.
Discussion:
Herr Fürstner verhält sich den gezeigten Resultaten gegenüber skeptisch;
eine Nachprüfung ist wegen der schwierig zu beschaffenden und zu handhabenden
31 *
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m
Apparate fest an möglich. Speciell will er aber vor der Verwerrthung dieZrfr noch
so wenig Allgemeingut gewordenen Methoden in criminellen Fällen zur Stellung
der Differentialdiagnose, sowie bei Cnfellkranken warnen. Die graphischen Me«
thoden, z. B. auch bei Herzkrankheiten, stehen doch noch anf zu schwachen Füssen.
Herr Bratz fragt bezüglich eines vom Vortr. diagttosticirten Dämmerzustandes
an, bei dem dieser klonische Erscheinnngen graphisch nachgewiesen hat; waren
diese nicht auch mit hlossem Auge za erkennen?
Herr Wernicke fragt ebenfalls, ob man die geschilderten Erscheinungen
nicht auch ohne Apparate feststellen könnte.
Herr Löwenthal hat früher ebenfalls Zitterbewegungen graphisch auf¬
genommen, es ist ihm aber dabei nicht gelungen, wie dem Vortr., durchgreifende
Unterschiede zwischen simulirtem und hjBterisohem oder organischem Tremor
nachzuweisen. Die Paralysis agitans ist nach L.’s Untersuchungen die einzige,
bei der constant ein Unterschied in dem Verhalten der einzelnen Muskelgruppen
zu Tage tritt, nämlich ein rhythmischer Nachlass in dem TonuB der Strecker
bei passivem Verhalten der Beuger.
HerrSchüle dehnt die Skepsis Fürstner’s vom forensischen auoh auf klinisches
Gebiet aus, indem er speciell auf die Melancholie eingeht und auf die Unterschiede
zwischen activer, passiver, stupider und katatonischer Manie. Er betont den
dauernden Werth der psychologisch-klinischen Untersuchungen, wie sie von jeher
geübt worden sind, die Aufstellung des psychischen Status; er fürchtet, dass Vortr.
mit seinen Curven schliesslich zu einer Psychologie ohne Seele kommen werde.
Herr Cramer fragt nach den Umständen bei einem neuerdings forensisch
praktisch und auch in Tageszeitungen bekannt gewordenen Falle.
Herr Sommer (Schlusswort) erklärt, dass die Veröffentlichung in den Tages¬
zeitungen ohne sein Wissen geschehen ist. Er verwahrt sich ferner gegen den
Vorwurf der Einseitigkeit seines Standpunktes und der Unterschätzung des psy¬
chischen Status: seine Methoden stellen eine Erweiterung der bisherigen Unter¬
suchungsmittel dar, keine Beschränkung; das Mikroskop hat in der Anatomie
doch die Untersuchung mit blosBem Auge auch nicht überflüssig gemacht. Häufig
sind seine Curven ihm erst das Signal gewesen, auf bestimmte andere, klinische
Eigentümlichkeiten sein besonderes Augenmerk zu richten. Er arbeitet fort¬
während an der Vereinfachung seiner Apparate, die dadurch auch bald billiger
und handlicher werden sollen.
Herr Storch (Breslau): Ueber die Bindenveründerungen in einigen
Fällen atypischer Paralyse Lissauer’s.
Lissauer hatte noch vor den Arbeiten Tuczek’s u. A. klinische und ana¬
tomische Befunde erhoben, die ihn zu der Ansicht brachten, dass die Paralyse in
gewissen Fällen eine atypische Verlaufsform nimmt, insofern als Localsymptome
von Seiten bestimmter Rindenregionen mit bekannter Function (Centralwindungen,
Occipitalgegend) gegenüber den typischen Allgemeinsymptomen überwiegen. Ver¬
schiedene anatomische Befunde, von denen Vortr. Präparate und Photographieen
demonstrirt, bestätigten ihm seine aus klinischer Betrachtung gezogenen Schlüsse.
Discussion:
Herr Wernicke hielt es nach Lissauer’s früh erfolgtem Tode für eine
Pflicht der Pietät, diese seine unvollendet gebliebene Habilitationsarbeit noch
nachträglich veröffentlichen zu lassen. Die Befunde sind um so bedeutsamer,
wenn man berücksichtigt, dass sie aus den Jahren vor 1890 stammen.
Herr M. Edel (Charlottenburg): Ueber Unfhllspsyohosen.
Unter den im Asyl für Gemüthskranke zu Charlottenburg aiufgenommenen
Patienten waren in den letzten Jahren etwa 2 1 /» °/o» bei denen ein Zusaanmen-
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485
hang der Erkrankung mit einem Trauma als vorliegend angenommen werden
musste. Nor wenige Fälle warqn darunter, bei denen auf nicht belastetem, durch¬
aus gesundem Boden die Psychose sich an den Unfall unmittelbar anschloss, die
meisten konnten als belastet erkannt werden, theils durch Heredität, theils durch
erworbene Schädlichkeiten, insbesondere Alkoholismus und Lues. In eine dritte
Gruppe gehören Fälle, bei denen ein bereits nervöses oder psychisch krankes
Individuum durch den Unfall eine Steigerung seines Leidens erlitt oder dessen
Verlauf beschleunigt wurde, auch ein Recidiv der früheren Psychose eingeleitet
wurde. Die Psychosen unterschieden Bich von den gleichartigen Psychosen bei
Personen, die keinen Unfall erlitten hatten, durch nichts als durch die Aetiologie;
einige entwickelten sich aus einer functionellen Neurose heraus; dann spielte unter
den Wahnvorstellungen der Unfall und seine Folgen wiederholt eine wesentliche
Solle. Bezüglich der beobachteten klinischen Formen handelte es sich mehrfach
um Paralyse, fermer Stupor in einem katatonischen Krankheitsbilde, Paranoia mit
hyetero-epileptischem Charakter, hallucinatorisches Delirium mit nachfolgender
Gedäohtnissschwäohe, verschiedene Formen des alkoholischen Irreseins. (Demon¬
stration von Kranken.)
Herr Henneberg (Berlin): Ueber Spiritismus und Geisteskrankheiten.
Degenerirte und Schwachsinnige werden leicht Anhänger des Spiritismus;
Irre nehmen spiritistische Auffassungen als Erklärung«-Wahnvorstellungen an.
Manchmal bildet die Beschäftigung mit dem Spiritismus unverkennbar ein ätio¬
logisches Moment. Vortr. schildert unter Demonstration von Apparaten einige
Proceduren des vulgären Spiritismus, wie Tisohrücken, Psychographieren, Trance- •
zustände u. a. Er unterscheidet zwei Gruppen von Krankheitsfällen:
1. Der Spiritismus bildet ein ätiologisches Moment, insofern er mit starken,
häufig wiederholten gemüthlichen Erregungen einhergeht; hierher zählen acute
hallucinatorische Erregungszustände, besonders bei Frauen, mit günstigem Ver¬
laufe, ferner der von Forel sogen, „autosnggerirte spiritistische Besessenheitswahn“
als typisches Krankheitsbild. Auch Zostände von Doppelbewusstsein, gespaltener
Persönlichkeit kommen bei ausgebildeten Medien häufig zur Beobachtung.
2. Die Beschäftigung mit dem Spiritismus ist das Symptom einer schon vor¬
handenen oder beginnenden Psychose (Paralyse, senile Demenz). Doch beweist
der Glaube an die spiritistischen Dogmen noch nicht ohne Weiteres eine psychische
Abnormität, wie das v. Bechterew behauptet hat. Für neuropathische Individuen
bedeutet indees die Beschäftigung mit dem Spiritismus entschieden oft eine Ge¬
fahr; die öffentliche Vorführung von Trancezuständen, die im Wesentlichen als
Autohypnosen aufzufassen Bind, sollte ebenso wie hypnotische Vorstellungen ver¬
boten sein.
Herr Bratz (Wuhlgarten): Die Bolle der Autoiatoxioation in der
Epilepsie.
Einem Hunde wurde der Gyrus cruciatus exstirpirt, die Restitution der Aus¬
fallserscheinungen abgewärtet, bis durch die Gehirnnarbe nur noch eine epilep¬
tische Prädisposition zurückgeblieben war. Dem Thiere wurden dann Körpersäfte,
Urin und Blut von Epileptikern aus der Anfallszeit injicirt. In vereinzelten
Fällen konnte man toxische Wirkungen beobachten. Nie wurden Krämpfe oder
gar Epilepsie gesehen, stets, wenn überhaupt, nur allgemeine Vergiftungsersohei-
nungen. Auch bei Wiederholung der Injection, von dem gleichen Individuum
bei Wiederkehr der gleichen Anfälle stammend, traten keine constanten Resultate
auf. Das Ergebniss der über 4 Jahre sich erstreckenden Versuche ist, dass die
Epilepsie als eine Autotoxicose nicht nachgewiesen ist. H. Haene.l (Dresden).
Google
486
XIX. Congress für innere Medioin vom 16.—10. April 1001
bu Berlin.
(Schloss.)
Herr Max Rothmann (Berlin): Experimentelle Läsionen der Medulle
oblongata.
Das Auffinden zahlreicher neuer, Gehirn und Rückenmark verbindender Faser¬
bahnen, so vor Allem des vom rothen Kern zur gekreuzten Seitenstrangbahn
ziehenden Monakow’schen Bündels hat die Frage nach der functioneilen Be¬
deutung der einzelnen Bahnen zu einer brennenden gemacht. Vortr. hat daher
Läsionen der einzelnen, zum Rückenmark absteigenden Bahnen möglichst isolirt
in der Medulla oblongata ausgeführt. Zunächst wurde beim Hunde die Pyramiden¬
bahn durch Stich von vorn aus in der Kreuzung zerstört und in Uebereinstimmung
mit den Voruntersuchern fast völliges Erhaltensein der Function der Extremitäten
und der elektrischen Reizbarkeit der Extremitätenregion der Hirnrinde festgestellt.
Dann wurde das Monakow’sche Bündel im Seitentheil der Medulla oblongata
diobt oberhalb der Pyramidenkreuzung durchschnitten und auch hier fast völlige
Restitution der Function constatirt. Dagegen führt Combination beider Läsionen
in der Medulla oblongata oder Ausschaltung beider Bahnen durch Durchschneidung
des Hinterseitenstranges im oberen Halsmark zu spastischen Erscheinungen in den
betreffenden Extremitäten und Aufhebung des über die Grosshimrinde gehenden
, Berührungsreflexes derselben; zugleich war die elektrische Reizung von der
Extremitätenregion aus nicht mehr möglich.
Können so beim Hund Pyramidenbahn und Monakow’sches Bündel in weit¬
gehendster Weise für einander eintreten, so war es von Wichtigkeit, diese Ver¬
suche beim Affen auszuführen. Zerstörung der Pyramidenkreuzung gelingt bei
letzterem leicht von hinten aus nach Eröffnung der Membrana obturatoria post
Auch beim Affen findet fast vollkommene Restitution der Function nach Zerstörung
der Pyamidenbahnen statt, so dass derselbe wieder völlig sicher springt, klettert
und mit den Händen greift.
Kommt so der Pyramidenbahn Bicher nicht die ihr bisher beschriebene Be¬
deutung zu, bo müssen weitere Versuche am Affen und vor Allem genaue Unter¬
suchungen einschlägiger Fälle beim Menschen die Frage beantworten, inwieweit
die Pyramidenbahn überhaupt mit der Leitung der motorischen Impulse in Be¬
ziehung steht.
Vortr. weist zum Schluss auf den Befund aufsteigend degenerirender Fasern
in der ganzen Pyramidenkreuzung hin, die von der grauen Substanz einer Seite
zum Vorderstrang und Vorderhorn der anderen binziehen. Durch diesen Befund
wird von Neuem gezeigt, dass an den meisten Stellen des Centralnervensystems
Fasern verschiedener Provenienz mit einander vermischt verlaufen.
(Autoreferat.)
Herr 0. Vogt (Berlin): Ueber centraliairtes hirnanatomisohes Arbeiten.
Vortr. kommt auf die von ihm bereits auf dem Pariser medicin. Congress
aufgestellte Forderung zurück, Stätten zu errichten, an denen ein grosses, sich
gegenseitig ergänzendes Material angehäuft und in systematischer und exacter
Weise bearbeitet wird. Unter Bezugnahme auf eine eingehende Demonstration
von Präparaten, Mikroskopen und Abbildungen sucht Vortr. dann speciell die
Nützlichkeit eines derartig centralisirten Arbeitens für die Hirnfaserlehre nach¬
zuweisen.
Die Hirnfaserlehre hat die systematische Aufgabe der Beschreibung der ver¬
schiedenen Faserverbindungen der einzelnen Abschnitte der grauen Substanz und
, y Google
Digiliz
487
gleichzeitig die topographische Beschreibung der Wege, welche diese Verbindungen
einschlagen.
Schnittserien durch das normale erwachsene Gehirn lassen bei Anwendung
der Weigert-Pal’schen Markscheidenfärbung besonders nach stärkerer Differen-
zirung eine grosse Reihe durch ihre Färbung unterschiedener Felder erkennen.
Dieee Felder, deren Farbendififerenz vor Allem eine Differenz in der Dicke der
Markscheiden zu Grunde liegt, bilden die natürliche Grundlage für die Topographie
der Hirnfaserang.
Aus der Lage einzelner dieser topographischen Felder lässt sich — aber nie
mit absoluter Sicherheit — auf die Natur der darin enthaltenen Fasern schliessen,
zumal wenn man noch die Dicke der Markscheiden berücksichtigt.
Dank einer weitgehenden Proportionalität zwischen Beginn der Markreifung
und dem späteren Markreichthum der verschiedenen topographischen Felder lässt
die Markreifungsmethode eine Reihe der topographischen Felder leichter und
präciser erkennen.
In vereinzelten Fällen kann man auoh — aber auch nur mit Wahrscheinlich¬
keit — Faserverbindungen feststellen, die das erwachsene Gehirn nicht er¬
kennen lässt
Die Degenerationsmethode deckt am sichersten Faserverbindungen auf. Sie
führt gleichzeitig zu einer nooh feineren Unterscheidung der topographischen
Felder. Aber sie bedarf selbst der Controle durch das Studium des normalen
Gehirns. Und dann setzt sie ein sehr umfangreiches Material voraus. Sie er¬
fordert daher schon an sich, aber besonders, wenn gleichzeitig auch uoch die
anderen Methoden angewandt werden sollen, ein centralisirtes Arbeiten.
(Autoreferat)
Herr Sommer (Giessen): Die Analyse von Bewegungsstörungen bei
Nerven- und Geisteskranken.
In der Entwickelung der neurologischen Diagnostik spielt die Feststellung
bestimmter motorischer Symptome eine grosse Rolle. Vortr. hat diese motorische
Richtung systematisch verfolgt
Die bei dem Congress ausgestellten Apparate beziehen sich auf zwei Probleme,
nämlich:
1. Analyse der Ausdrucksbewegungen,
2. Studium des cerebralen Einflusses auf den Ablauf von Reflexen.
Bei 1 sind nicht nur die Bewegungen in Betracht gezogen, welche als Aus¬
druck von psychischen Vorgängen zu Stande kommen, sondern alle motorischen
Aeusserungen, in denen sich bestimmte Zustände der Nervensubstanz verrathen.
Vortr. hat dabei das Princip der dreidimensionalen Analyse durchgeführt Den
Ausgangspunkt bildete der bei dem Congress für innere Medicin in Wiesbaden
1896 demonstrirte Apparat zur dreidimensionalen Analyse der Bewegungen an
den Fingern. Dieser hat sich, abgesehen von psychophysischen Zwecken zur
Differentialdiagnose der Zitterersoheinungen bei Hysterie, Epilepsie, Paralysis
agitans u. s. f. bewährt Daran schloss sich die im Einzelnen sehr abweichende
Construction eines Apparates zur Analyse der Bewegungen in den Beinen, der
besonders zur Untersuchung von ataktischen und klonischen Zuständen, ferner von
Ermüdungserscheinungen, kataleptischen Haltungen u. s. f. brauchbar ist. Die
Anwendung beider Apparate ist in dem Lehrbuch der psychopathologischen Unter¬
suchungsmethoden ausführlich dargestellt.
Vortr. ging dann dazu über, auch die physiognomischen Bewegungen in
objectiv graphischer Weise zu untersuchen. Wegen der Einfachheit der mecha¬
nischen Verhältnisse und im Hinblick auf die auffallenden Erscheinungen an der
Stiramusculatur, z. B. bei Chorea, Katatonie u. a., suchte Vortr. die Bewegungen
Digilized by Google
derselben mechanisch zu übertragen, nachdem er vorher durch eine Art Abdruck¬
verfahren den Einfluss dieser Bewegungen auf die Faltenbildung der Stirn studirt
hatte. Diesen Apparat demonstrirte Vortr. der Versammlung.
Der bei der ersten Construction gemachte Fehler bestand darin, dass die
Bewegungen des Kopfee mit übertragen wurden, ln der jetzigen Form ist dies
dadurch vermieden, dass die durch die Bewegungen der Stimmusculatur ausgeloste
Hebelbewegung durch Marey’sche Trommeln und Schlauche auf einen Schreib¬
hebelapparat weitergeleitet wird. Damit ist der Anfang einer graphischen
Physiognomik gegeben.
Die zweite Gruppe von Apparaten bezieht sich auf Studium der Reflexe und
des cerebralen Einflusses auf dieselben. Dabei ist principiell in Bezug auf Knie¬
phänomen und Pupillenreflex durchgeführt:
1. Messung des Reizes,
2. Messung der Wirkung,
3. Messung der zeitlichen Verhältnisse.
In Bezug auf den ersten Punkt bestimmt Vortr. bei dem Kniephänomen das
mechanische Moment aus Hammerlänge, Gewicht und Fallhöhe. Bei dem Pupillen¬
reflex hat Vortr. Vorrichtungen durch Abstufung von Gas-, Petroleum- und elek¬
trischem Licht getroffen.
Die Messung der Wirkung geschieht beim Kniephänomen mit Hülfe des
Apparates zur Analyse der Beinbewegungen, wodurch z. B. auch reflectorische
Adductorencontraoturen u. s. w. sichtbar werden; an der Pupille mittels eines
optisch-mathematischen Principe.
Die Messung der zeitlichen Verhältnisse ist durch eine complicirte Einrichtung
an dem Pupillenmessapparat ermöglicht. Die wesentliche Verbesserung an dem
Apparat zur Untersuchung der Kniephänomene besteht darin, dass die Momente
des Reizes und des Ausschlages unmittelbar elektromotorisch auf das Chronoskop
übertragen werden können, so dass sich die Reflexzeit unmittelbar ablesen lässt.
Diese UnterBuchungsmethode ist besonders für die Differentialdiagnose der ver¬
schiedenen Arten von Steigerung des KniephänomenB wichtig. Die Apparate
stellen im Zusammenhang einen Versuch dar, die feineren Bewegungsstörungen
bei Nerven- und Geisteskrankheiten zu differential-diagnostischen Zwecken zu
analysiren. Das damit umgrenzte Gebiet zeigt die engste Verbindung von ana¬
lytischer Psychologie mit klinisoher Medicin. (Autoreferat)
Herr v. Kahl den (Freiburg): Ueber die Ursachen der Poren oephalie.
Vortr. vertritt den Standpunkt, dass die Ursachen der Porencephalie in
einer grösseren Anzahl von Fällen nicht in entzündlichen Vorgängen zu suchen,
sondern auf mechanisch bedingte Störungen (Erschütterung u. s. w.) zurück¬
zuführen seien.
Mit dem Congress verbunden war eine medicinisch-diagnostische Ausstellung,
die auch dem Neurologen mannigfache Anregung brachte. Von den hier besonders
interessirenden Ausstellungsobjecten seien die höchste Bewunderung hervor¬
rufenden, von Siemerliqg ausgestellten Gehirnschnitte, deren grosse Zahl aus¬
nahmslos den höchst gestellten Ansprüchen in technischer Beziehung genügen
musste, ferner die mikroskopischen Präparate von Kalischer (vitale Methylenblau¬
färbung), Schnitte aus dem Mendel’schen Laboratorium, mikroskopische Präparate
von Rosin, Bethe (Darstellung der Fibrillen und des Golgi-Netzes), Mosse,
v. Strümpell, Benda (Gliafarbung, modificirte Marchi-Färbung), Mikrophoto¬
gramme von Rothmann und Pierre Marie, von letzterem auch Photogramme
interessanter Krankheitstypen, genannt.
Eine Geleitsschrift zu dieser Ausstellung: „Der Ausbau im diagnostischen
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489
Apparat der klinischen Medioin“ herausgegeben von Mendelsohn (Berlin) enthält
n. a. einen Aufsatz von Ros in über die Fortschritte auf dem Gebiete der histo¬
logischen Nervendiagnostik, von Bernhardt und Frankenhäuser über den
gegenwärtigen Standpunkt der Elektrodiagnostik, über die Lumbalpunction von
Krönig und eine Schilderung der Apparate, die als Hülfsmittel der Diagnostik
in der Psychopathologie dienen, von H. Liepmann, die sich vorwiegend mit den
von Sommer (Giessen) construirten und verwandten Apparaten beschäftigt.
Letztere drei Kapitel sind mit zahlreichen instructiven Zeichnungen versehen.
Martin Bloch (Berlin).
Sodötd de nenrologie de Paris.
Sitzung vom 10. Januar 1901.
Herr Leopold Lävi und Herr Follet: Ueber den Fussklonus beiLungen-
tuberculose. (Mit Krankenvorstellung.) Die Vortr. stellen eine 22jährige Brust¬
kranke vor, die von einer käsigen Bronchopneumonie behaftet ist und an der
rechten Lungenspitze eine Caverne trägt. Bei dieser Patientin fand man auf
beiden Seiten den Fussclonus sehr deutlich ausgesprochen. Abgesehen von einem
bestimmten Grade von Nervosität, einigen Zeichen von körperlicher Entartung
(Mikroophthalmie links, Anomalieen an den Ohrmuscheln), bietet die Kranke keine
anderweitigen Symptome von irgend welcher Erkrankung des Nervensystems. Die
monoculäre Diplopie und leichte Schwindelanfälle gastrischen Ursprungs, die die
Patientin manchmal hatte, genügen nicht, um sie für hysterisch zu erklären. Und
selbst wenn sie hysterisch wäre, würde man noch keine Erklärung damit für das
Vorhandensein von FuBsclonus haben, da wir heutzutage wissen, dass Fussclonus
bei reiner Hysterie nicht vorkommt. Unter 50 Tuberculösen haben die Vortr.
den Fussclonus 9 Mal beobachtet. Manchmal ist derselbe kaum angedeutet. Bei
manchen Kranken muss der Versuch öfters wiederholt werden, um das Zittern
dee Fasses hervortreten zu sehen. Oft muss man zum Jendrassik’schen Ver¬
fahren greifen, um den Fussclonus hervorzurufen. Bei den Patienten, bei welchen
der Fussclonus gefunden wurde, war derselbe immer beiderseitig. Alle Patienten,
4 Männer und 5 Frauen, waren im Alter zwischen 18 und 30 Jahren. Keiner
der Patienten hatte natürlich irgend ein organisches Nervenleiden, bei welchen
Fussclonus als constantes Symptom vorkommt. Drei von den Kranken hatten vor
Jahren Abdominaltyphus überstanden, und bekanntlich ist Fussclonus im Verlaufe
dieser Krankheit beobachtet worden. Einer der Kranken hat sich während
4 Monate dem Trünke von Absinth in übertriebener Weise ergeben (bis 8 Glas
jeden Tag!). Er bot auch alle Zeichen von Absinthvergiftung dar. Drei der
Kranken waren ausgesprochen nervös. In einem Falle handelte es sich um aus¬
gesprochene Hysterie mit convulsiven Anfällen. Alle waren tuberculös und hatten
Cavernen. Die Vortr. sind der Meinung, dass die verschiedenen Tuberkeltoxine
(Toxine des Koch’schen Bacillus, Toxine, die von dem Caverneninhalte seceinirt
werden) das Nervensystem bei prädiaponirten Kranken inficiren, die Pyramiden¬
bahnen des Rückenmarks reizen und lädiren und somit den Fussclonus hervor-
bringen können.
Herr F. Raymond und Herr R. Cestan: Drei Fälle von Lähmung der
BMOoiirten Bewegungen der Augen. Im Jahre 1883 hat Parinaud in den
Archives de nenrologie die Lähmungen der associirten Bewegungen der Augen
in 4 Kategorieen getheilt: 1. Lähmung der parallelen horizontalen Bewegungen;
2. Lähmung der parallelen verticalen Bewegungen; 3. Lähmung der Convergenz;
4. Lähmung der Divergenz. Die Vortr. theilen zunächst die Krankengeschichten
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zweier Kranken mit, bei welchen die horizontalen parallelen Bewegungen der
Augen gelähmt waren. Bei der Autopsie fand man einen Tuberkel im oberen
Theile der Brücke. Im ersten Falle handelte es sich um einen 40jährigen Mann,
der von einer linksseitigen motorischen und sensitiven Hemiplegie mit Betheiligung
des unteren Facialis behaftet war. Reflexe erhöht, aber kein Fussklonus. Hyp-
ästhesia der Haut mit Schwund des Muskel- und des stereognostisohen Sinnes.
Das Bab inski'sehe Phänomen nicht vorhanden. Athetose-ähnliche beständige Be¬
wegungen auf der gelähmten Seite mit einem bestimmten Grad von Ataxie in
den Willensbewegungen. Taumeln beim Gehen. An den Augen Paralyse der
Seitwärtsbewegungen der Augäpfel. Im Ruhezustände sahen die Augen normal
aus. Die Recti interni functionirten vollkommen bei Convergenz der Augen.
Dagegen konnte der Kranke beim Sehen nach rechts oder nach links nur unvoll¬
kommen seine Augen bewegen und war dabei gezwungen, den Kopf nach rechts
oder nach links zu drehen. Der Zustand blieb so ziemlich derselbe bis zum Tode,
der in Folge fortschreitender Lungentuberculose eintrat. Bei der Autopsie fand
man einen 4 cm langen und 3 cm breiten, eiförmigen, solitären Tuberkel im
oberen Theile der Varolsbrücke. Dieser Tuberkel liess die motorischen Kerne der
Augennerven unberührt, zerstörte dagegen theilweise die Schleife und die Fasern,
die von der Hirnrinde zum Abducens sich begeben, sowie die Fasern, welche die
Kerne des Oculomotorius und des Abducens unter einander verbinden sollen. Im
zweiten Falle handelte es sich um eine 28jährige Frau, die ebenfalls eine links¬
seitige motorische und sensitive Hemiplegie hatte. Lähmung der horizontalen
Bewegungen der Augen. Stauungspapille. Später gesellte sich Strabismus internus
im rechten Auge hinzu. Tod 9 Monate nach dem Auftreten der ersten Symptome.
Bei der Autopsie fand man einen Tuberkel im oberen Theile der Varolsbrücke.
Die ersten Symptome zeigten sich im Januar 1900 und bestanden in einer
schleichend sich entwickelnden, progressiven Hemiparese der linken Seite. Der
untere Facialis war in Mitleidenschaft gezogen. Im Februar klagte sie über
Doppeltsehen, welches ab und zu auftrat. Im März Aufnahme in die Salpetri&re.
Bei der Untersuchung fand man eine motorische und sensitive Hemiplegie mit
Parese des unteren Facialisgebietes. Störung des stereognostischen Sinnes links
mit leichter Ataxie der Bewegungen, ohne Zittern, ohne Athetose. Beim Schliessen
der Augen nimmt die Incoordination zu. Der Gang ist taumelnd mit Schwindel
und häufigem Hinfallen, besonders bei plötzlichem Umdrehen. Sehnen-, Knochen-
und Hautreflexe gesteigert, Fussklonus. Babinski-Reflex auf der linken Seite.
Auf der rechten Seite die Reflexe normal. An den Augen zunächst nur Paralyse
der Lateralbewegungen. Später gesellte sich doppelseitige Stauungspapille hinzu
(im Mai 1900). Im August vollständige Erblindung. Sprachstörung. Die Sprache
wird lallend, schwerfällig. Progressiv zunehmende Benommenheit. Lähmung des
rechten Abducens. Exitus im September bei immer mehr und mehr zunehmender
Benommenheit. Bei der Autopsie fand man die Varolsbrücke erweitert und ver¬
unstaltet durch eine grosse, central gelegene, käsige Masse, die bei der Unter¬
suchung sich als eine tuberculöse Geschwulst erwies. Die Geschwulst ist spindel¬
förmig. Der breiteste Theil derselben nimmt den oberen (vorderen) Theil der
Brücke ein und misst 25 mm im Diameter. Sie ist 4 mm weit entfernt von dem
vorderen (unteren) Rande der Brücke. Die vorderen Pyramidalfasern bleiben
somit verschont. Nach hinten (oben) ist die Geschwulst 1 mm weit entfernt vom
Boden des 4. Ventrikels. Serienschnitte zeigen, dass die Geschwulst rasch von
hinten nach vorn (von unten nach oben) abnimmt und den oberen (vorderen)
Rand der Brücke nicht erreicht. Die Ursprungsfasern und der Kern des Oculo¬
motorius sind somit intact. Nach hinten (unten) dagegen setzt sich die Ge¬
schwulst, immer schmäler und schmäler werdend, durch die ganze Varolsbrücke
hindurch fort, erreicht das verlängerte Mark und endet zwischen den Kernen des
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Goll’schen und Burdach’schen Stranges auf der rechten Seite. An seinem
Durchschnitt auf der Höhe der Eminentia teres misst die Geschwulst 10 mm im
Durchmesser und nimmt die rechte Hälfte der Brücke ein. Der Kern und die
Ursprungsfasern des rechten Abducens sind zerstört Der Facialiskern ist ver¬
schont Beide verlängerte hintere Bündel und das sensitive Bündel auf der
rechten Seite sind zerstört. Dieses progressive Abnehmen der Geschwulst von
oben nach unten (von vorn nach hinten) beweist, dass dieselbe ihren Ursprung
im oberen (vorderen) Theile der Brücke nahm und allmählich nach unten (hinten)
wuchs, was übrigens auch der klinischen Entwickelung der Symptome entspricht
Die Zerstörung des Abducenskernes hat somit spät nach dem Beginne der Krank¬
heit stattgefunden und muss bei der Erklärung der associirten Lähmung der
lateralen Augenbewegungen ausser Acht gelassen werden. Diese zwei Fälle be¬
weisen somit, dass associirte Lähmungen der lateralen Augenbewegungen auch bei
Intactheit der Kerne des 3. und 4. Nervenpaares auftreten, wenn nur die Nerven¬
fasern, die diese zwei Kerne verbinden, zerstört sind.
In dem dritten Falle handelt es sich um eine seltenere Form von associirten
Angenmuskellähmungen. 43jähriger Mann, der von einer linksseitigen sensitivo-
motorischen Hemiplegie behaftet ist Gleichzeitig sind die lateralen Bewegungen,
das Heben und die Convergenz der Augen gelähmt Der Kranke hatte keine
Syphilis gehabt und ist kein Trinker, hat nie schwere Krankheiten gehabt,
hereditär nicht belastet. Im Jahre 1889 schwere Gemüthsbewegung. 8 Tage
darauf wurde die Sprache schwerfällig. Gleichzeitig linksseitige Hemiparese. Die
Erscheinungen sind ohne Kopfschmerzen, ohne Erbrechen, ohne Schwindel auf¬
getreten. Die Störungen nehmen allmählich an Intensität zu, und bei den lateralen
Bewegungen der Augen tritt Doppeltsehen auf. Im Jahre 1896 hat sich der Zu¬
stand so weit verschlechtert, dass Patient die Arbeit aufgeben und in die Salpetrige
sich aufnehmen lassen muss. Seit dieser Zeit blieb der Zustand stationär. Im
November 1900 rechtsseitige und wiederholte Hämoptysis. Zur Zeit bestehen
linksseitige Hemiplegie und Augenmuskellähmungen. Die Hemiplegie erstreckt sich
auf Arm, Bein und unteren Facialis. Kein taumelnder Gang. Keine Romberg’sche
Erscheinung. Reflexe auf der linken Seite erhöht. Fussklonus und Babinski-
Reflexe auf der gelähmten Seite vorhanden. Leichtes Intentionszittern beim
Greifen mit der linken Hand. Die gelähmte Seite ist leicht hyperästhetisch, für
Tastsinn, Schmerz und Temperatur. Keine Muskelatrophieen, keine trophischen
Störungen, keine Sphinkterenstörungen. Bei der Untersuchung der Augen findet
man Folgendes: Kein beständiges Schielen, keine Ptosis. Augenhintergrund normal.
Die Pupillen auf beiden Seiten gleich, miotisch, reagiren normal auf Licht und
Accommodation. Die associirten lateralen Bewegungen der Augen sind gelähmt.
Gleichzeitig sind die associirten Bewegungen der Augen nach oben gelähmt.
Beim Versuche, nach oben zu sehen, constatirt man leichte nystagmusähnliche
Zuckungen in den Augen. Das Sehen nach unten ist ziemlich normal. Die
Convergenz ist nur leicht gestört. Der Kranke ist somit von dieser Form der
associirten Augenmuskellähmungen behaftet, die Parinaud zuerst beschrieben hat,
und von denen seitdem Sauvineau, Verrey, Teillais, Babinski Beispiele
geliefert haben. Es ist schwer anzunehmen, dass es sich in solchen Fällen um
nucleäre Störungen handelt. Die Vortr. sind eher geneigt anzunehmen, dass es
sich dabei um Störungen in den coordinatorischen Centren der Augenmuskel¬
bewegungen handelt, Centren, deren Sitz und Verrichtungen uns allerdings voll¬
ständig unbekannt sind. Bei Thieren kennen wir allerdings gewisse Rindencentren,
die zur Bewegung der Augäpfel dienen. Wir kennen auch Fasern, die diese
Rindencentra mit dem Oculomotoriuskern und mit den C. quadrigemina verbinden.
Die Autopsie allein kann uns den Schlüssel zur Erklärung der Symptome geben,
die die Kranken in diesen Fällen darbieten.
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m
Herr Touche (de Brevannes): Paohymenlngitis eervtealis hyper-
trophioa. Es handelt sich um einen 38jährigen stets gesunden Mann, der im
Februar 1899 Schmerzen im Nacken verspürte. Der Kopf wurde nach allen
Richtungen unbeweglich, und der Kranke bemerkte eine längliche Gesohwulst am
Nacken, die wie ein gespanntes Seil sich anfühlte und nach 14tägigem Gebrauche
von pointes de feu vollständig verschwand. Diese Geschwulst war höchst wahr¬
scheinlich nichts Anderes als eine Muskelcontractur. Die Bewegungen des Kopfes
wurden dabei wieder frei. 14 Tage später bemerkte der Kranke, dass alle Finger
der rechten Hand vollständig gelähmt waren. In einigen Tagen verbreitete sich
die Lähmung auf die ganze rechte Seite. Die Lähmung war eine schlaffe, ohne
Schmerzen und ohne objective Sensibilitätsstörungen. Das Gesicht war intaot,
sowie die linke Körperhälfte und die Sphinkteren. Im Mai 1900 (14 Monate
nach dem Beginne der Krankheit) wurde Folgendes constatirt: ausser doppel¬
seitiger Mi Os ie ist im Gesiohte nichts Anormales. Die Bewegungen des Halses
sind unbehindert. Keine Atrophie an der rechten Schulter und am Oberarme.
Die Bewegungen daselbst sind erhalten. Der Vorderarm ist stank pronirt
und in dieser Stellung ankylosirt, und alle Muskeln sind hier bedeutend
atrophisch. Die Streckung ist möglich, aber sehr behindert. Auch ist etwas
Beugung der Hand möglich. Die Hand stellt die charakteristische Deformation
der Affenhand dar. Vollständige Atrophie des Thenar und Hypothenar. Alle
Bewegungen der Finger sind aufgehoben. Die linke obere Extremität bietet
ausser einem bestimmten Grad von Muskelrigidität nichts Abnormes dar. Am
Körper merkt man einen gewissen Abstand des rechten Schulterblattes. Sonst
ist am Körper nichts Abnormes. Das linke Bein bietet ebenfalls keinerlei Ver¬
änderungen dar. Das rechte Bein ist dagegen abduoirt und nach aussen rotirt,
das Knie in stumpfem Winkel gebeugt. Es ist nicht möglich, selbst passiv diese
Stellung des Beines zu modificiren. Der Kranke kann den Fuss bewegen. Die
Bewegungen im Knie und in der Hüfte sind nur in der fixen abducirten Richtung
des Beines möglich und sehr erschwert. Keine Atrophie der Muskeln. Kein Fuss-
klonus. Patellarreflex erhöht. Der Kranke klagt über Schmerzen in der rechton
Hand und Vorderarm. Der Druck an die Brust- und Lendenwirbelsäule ruft
heftige Schmerzen hervor. Der Kranke kann nur auf die Hände gestützt sitzen.
Objectiv existirt allgemeine Hypästhesie an den Fingern, an der Hand und am
Vorderarme der rechten oberen Extremität. Seit 6 Monaten besteht Blaseaiaoan-
tinenz und Polyurie.. Hartnäckige Verstopfung. Ende August 1900 wurde die
rechtsseitige Lähmung vollständig. Patellarreflex ist immer etwas erhöht. Aohillea-
sehnenreflex ebenfalls erhöht. Plantarreflex sehr lebhaft. Babinski'scher Reflex
deutlich vorhanden. Die linke Körperhälfte ist nur etwas schwach, aber keine
Spur von Lähmungen. Auch auf dieser Seite ist der Patellarreflex und der Plantar¬
reflex erhöht. Der Babinski’sche Reflex ist ebenfalls vorhanden. Am 22. August
starb der Kranke. Bei der Obduction fand man Lungentuberoulose. Volumen-
vergrösserung des Cervicalmarks in Folge einer Verdickung der Dura mater.
Letztere ist mit dem Wirbelkanal nicht verwachsen. Dagegen ist dieselbe mit
den anderen Rückenmarkshäuten verwachsen. Auf der Höhe der Cervicalsohwellung
zeigen Schnitt«, dass die Dura mater mit der Rückenmarkssubstanz verwachsen
ist und die Nervenwurzeln comprimirt, besonders die vorderen.
Herr Touche (de Brövannes): Sensitive Form von Syringomyelie.
Spontane Schmerzen. Gleichzeitiges Bestehen von Paohymeningitla eer-
vioalis. (Mit Krankenvorstellung). Kranker 21 Jahre alt. Seit dem Alter ^ von
9 Jahren jeden Winter rheumatische Gelenkschmerzen. Vom 14. bis zum 20. Jahre
als Buchdruoker beschäftigt. Im Alter von 20 Jahren Sohwere in den Beinen
beim Gehen. Nach einem Aufenthalte an der See verschwand dieses Symptom.
Im August 1899 bemerkte der Kranke, dass er beim Schwimmen den rechten
Google
493
Arm nicht ausBtrecken kann. Ee kam ihm vor, wie wenn derselbe eingeschnürt
and längs des Körpers befestigt wäre. Gleichzeitig beständiges Gefühl von Brennen
in beiden Schultern und an der Brust, die Haut daselbst war roth und schuppte.
Im September desselben Jahres intermittirende schlaffe Lähmung der Schulter¬
muskeln nach einigen Minuten von Anstrengung bei der Arbeit. Er konnte dann
den Arm nicht bewegen. Die Bewegungen des Vorderarmes und der Hand waren
dabei vollständig frei. Zu dieser Zeit passirte es dem Kranken, sich die rechte
Hand zu verletzen, ohne dabei Schmerzen zu verspüren. Im November 1899
nahm die Impotenz des rechten Armes zu. Ameisenlaufen in der rechten Hand.
Bei Ermüdung nicht allein Lähmung der rechten Schulter, sondern auch Unmög¬
lichkeit, die offene Hand zu schliessen. Beim Elektrisiren Unempfindlichkeit des
Stromes an der rechten Schulter, am Arme und am Handteller. Im December 1899
Schmerzen in beiden Waden. Im Januar 1900 heftige Neuralgie in der linken
Hälfte dee Gesichts, mit Schwellung der Haut und vermehrter Schweissabsonderung
auf derselben Seite des Gesichts. Während der Schmerzkrisen hielt der Eiranke
das linke Auge geschlossen und hatte subjective Lichtempfindung, die er mit dem
eines elektrischen Lichtbogens vergleicht. Zur selben Zeit hatte der Kranke ge¬
schwollene Drüsen rechts in der Begio stemo-mastoidea, wodurch die Kopfrotation
erschwert war. Man applicirte damals dem Kranken pointes de feu auf der
rechten Schulter. Er spürte dabei keinen Schmerz, sondern nur die Berührung.
Im August 1900 constatirte man bedeutende Atrophie der Muskulatur der rechten
Schulter. Gleichzeitig starke Vergrösserung des Humeruskopfes auf derselben
Säte. Der Kranke kann alle Bewegungen, wenn auch nur in massiger Weise,
nrit dem rechten Arme ausftihren. Die linke obere Extremität bietet nichts Ab¬
normes. Sit Ausnahme einer bestimmten Schwellung der inneren Fläche der
linken Tibia, die bei Druck schmerzhaft ist, ist nichts Abnormes an den unteren
Extremitäten. Die Patellarreflexe fehlen. Plantarreflexe normal. Babinski’s
Reflex nicht vorhanden. Blase und Hastdarm normal. Syringomyelitische An¬
ästhesie an der rechten oberen Extremität und an der vorderen Fläche beider
unteren Extremitäten. Die Analgesie und die Thermoanästhesie wt complet in
der Schulterblattgegend. Am Vorderarme nnd an der Hand besteht nur eine
Herabsetzung der Schmerz- und Temperaturempfindung. Der stereognostisohe Sinn
der rechten Hand ist ebenfalls gestört. Der Kranke erkennt zwar die Form und
di« Consistenz der Gegenstände, kann aber z. B. Holz von Eisen nicht unter¬
scheiden. Der Kranke klagt über ein Gefühl von Schwere im Rücken und von
Beengung an den Seiten, aber nur im Sitzen. Im Liegen verschwinden diese
Empfiadnagan. Der Druck auf die Wirbelsäule ist empfindlich zwischen dem
8. und 12. Brustwirbel. Die oberen 6 rechten Rippen sind ebenfalls bei Druck
empfindlich, im Januar 1901 hat die Atrophie der rechten oberen Extremität
bedeutend abgenommen. Die Palpation der Muskeln, sowie die forcirte Contraction
derselben ist schmerzhaft. Die obere Extremität fangt an, ebenfalls der Sitz von
Schwäche nnd von Eingeschlafensein zu werden. Die syringomyeMtisohe Anästhesie
«■treckt sich jetzt auf die rechte Hälfte des Kopfes, des Halses und der Mund¬
höhle. An den unteren Extremitäten existirt dieselbe nicht mehr am Fnssrücken.
Dagegen ist die charakteristische Dissociation der Sensibilität jetzt auf der Hinter-
Säehe der Unterschenkel vorhanden;
Der Vortr. zieht folgende Schlüsse auB dieser Krankengeschichte:
1. Beginn der Krankheit mit Schmerzen wie bei Pachymeningitis eervicalis.
2. Alternative Verschlimmerung und Besserung der Muskelatrophie.
3. Syringomyelitische Dissociation 1 der Sensibilität mit Vorhandensein von
Arthropathieeit
Man ist afeo berechtigt, da« Vorhandensein einer Syringomyelie mit gleich¬
mütiger Pachymeningitis eervicalis anzunehmom
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494
Discussion:
Herr Babinski: Arthropathieen der Schalter sind bei Syringomyelie be¬
obachtet worden. Ich habe meinerseits einen solchen Fall in der Salpetriere im
Jahre 1887 gesehen. Ich glaube, dass man im Falle des Hrn. Touche Syringo¬
myelie annehmen kann.
Herr Joffray: Zu Gunsten dieser Diagnose spricht auch der Umstand, dass
der Kranke ungleiche Pupillen hat, was ein Beweis dafür ist, dass die Läsion in
den centralen Theilen des cervicodorsalen Marks ihren Sitz hat.
Herr Switalski (aus Lemberg): Läsionen im Büokenmarke bei Amputirten.
Vortr. hat das Rückenmark bei 5 Amputirten (4 Schenkelamputationen, 1 Am¬
putation des Beines unterhalb des Kniees) im Laboratorium des Hrn. Dr. P. Marie
in Bicetre untersucht. In allen 5 Fällen fand er Atrophie der correspondirenden
Hälfte des Rückenmarks. Die Atrophie erstreckt sich ebenso gut auf die weisse,
wie auf die graue Substanz. In 3 Fällen ist auf der 8eite der Amputation das
Rückenmark reducirt von den untersten Theilen desselben bis in das Lumbalmark
hinauf. In 2 Fällen erstreckt sich die Asymmetrie auch auf das Cervicalmark.
Gleichzeitig besteht Sklerose der Hinterstränge. In 3 Fällen erstreckte sich die
Sklerose längs des ganzen Rückenmarks, in 2 Fällen nur auf das Cervicalmark.
Während die Atrophie des Rückenmarks von unten nach oben abnimmt, nimmt
die Sklerose in derselben Richtung zu.
Discussion:
Herr P. Marie: Die Mittheilung des Hrn. Switalski beleuchtet zwei inter¬
essante Thatsachen: 1. Es existiren im Rückenmarke bei Amputirten secundäre
Degeneration und Sklerose. Diese Thatsache steht im Widerspruche mit der
allgemeinen Annahme, dass bei Amputirten nur einfache Atrophie im Rückenmarke
besteht, und wenn gleichzeitig Sklerose vorhanden ist, so ist dieselbe auf die
Rechnung einer anderen Affection zu schreiben. Persönlich war ich immer einer
anderen Meinung. Die Präparate des Hm. Switalski bestätigen meine Meinung.
Dieselben beweisen in unbestreitbarer Weise, dass im Rückenmarke von Amputirten
die Sklerose viel ausgesprochener ist auf der correspondirenden Hälfte, und weniger
deutlich auf der entgegengesetzten Hälfte des Rückenmarks. 2. ist die Thatsache
interessant, dass die Sklerose am meisten ausgesprochen ist in den höheren Theilen
des Rückenmarks. So ist in einem Falle von Schenkelamputation die Läsion am
intensivsten im Cervicalmarke.
Herr Pierre Marie und Herr Jean Ferrand: Zwei neue Fälle von
Atrophie der Corpora mammillaria in Verbindung mit Erweichung der
Bindenaehoentra. Die vorgezeigten Gehirne stammen aus der Klinik des Hm.
P. Marie. Zunächst ein Gehirn von einem 75jährigen Manne, der an Hemianopsie
und an leichter Hemiplegie litt Auf der inneren Fläche des Gehirns, auf der
Höhe des Occipitallappens der rechten Hemisphäre findet man eine ein Frankstück
grosse, röthlich verfärbte Stelle. Dieser Herd nimmt die Fissura calcarina ein,
theilweise den Gyrus lingualis und bedeokt fast den ganzen Cuneus. Auf
Flechsig'sehen Schnitten erkennt man an dieser Stelle eine hämorrhagische Er¬
weichung von 3 cm Länge und l 1 / a cm Breite, die durch die weisse Gehirasubstanz
geht und etwas in die graue Substanz, die nach hinten von der F. calcarina ge¬
legen ist, eindringt. Ausser diesem Herde findet man an diesem Gehirne noch
Folgendes: Betrachtet man die untere Fläche des Gehirns in der Gegend der
Himschenkel, so bemerkt man, dass die zwei Corpora mammillaria nicht von der
gleichen Grösse sind: das linke ist viel voluminöser als das rechte. Letzteres ist
kaum zu bemerken. Die Vortr. bringen die Erweichung des Cuneus mit der
Atrophie des rechten Corpus mammillare in Beziehung. Es ist nicht zum ersten
Male, dass diese Thatsache constatirt wird. Im Mai vorigen Jahres haben die
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Vortr. ein Gehirn mit Erweichung der corticalen Sehcentra und Atrophie des
Corpus mammillare demonstrirt. Es handelte sich damals um viel ausgedehntere
Erweichung als im heutigen Falle. Der Gyrus occipito-temporalis, G. lingual is,
ConeuB waren zerstört, und die Läsion erstreckte sich fast bis in die Nachbar¬
schaft des G. hippocampi. Herr Brissaud meinte deswegen auch, dass die Atrophie
des C. mammillare damals von der Erweichung der Fimbria abhängen konnte.
In dem heutigen Falle war die Fimbria wie auch die umliegenden Windungen
vollkommen intact. In der Litteratur ist nur ein Fall von Hemianopsie mit
Atrophie des C. mammillare bekannt, das ist der Fall von v. Monakow, citirt
in der Dissertation von Violet. Die Vortr. haben diese Atrophie noch in zwei
weiteren Fällen von Rindenerweichung beobachtet. In einem Falle handelte es
sich um Erweichung der corticalen Sehcentra, die eine vollständige Hemianopsie
zur Folge hatte. In einem zweiten Falle begann die Erweichung an der Gehirn¬
oberfläche, erstreckte sich tief in die Hemisphäre und erreichte die Ventrikelwand,
nachdem sie folglich die optischen Radialfasern zerstört hatte. Also mit dem
eben citirten Falle von v. Monakow sind jetzt 5 Fälle bekannt, in welchen man
gleichzeitig Atrophie der Corpora mammiUaria und Läsion der corticalen Seh¬
centra an trifft
Herr Paul Serieux und Herr Roger Mignot: Cortioale Taubheit mit
Paralexie und Gehörshalluoinationen in Folge von Echinokokken im Ge¬
hirn. Ein 75jäbriger Mann bekam vor 8 Jahren zum ersten Male einen epilep¬
tischen Anfall. Seit 2 Jahren wurden die Anfälle viel häufiger und hatten
psychische Störungen zur Folge, die 3—4 Tage dauerten. Am 30. November 1900
traten nach einem epileptischen Anfalle die folgenden Symptome auf: Totale
Taubheit, maniakalische Aufregung, Gesichts- und Gehörshalluoinationen. Der
Kranke hatte keine motorische Aphasie, keine Wortblindheit, keine Paraphasie.
Die Taubheit, die corticalen Ursprungs war, war begleitet von Paralexie, von
Fehlen des Verständnisses der gelesenen Worte und von Störungen der Schrift.
Die maniakalische Aufregung und die Hallucinationen Hessen bald nach. Allein
die Taubheit blieb bis zum Tode bestehen, der 3 Wochen nach dem letzten An¬
fälle erfolgte. Die Obduction ergab Echinokokken in beiden Gehirnhemisphären.
Es waren deren mehr als 20. In beiden Schläfenlappen allein waren 6 Hydotiden.
Sonst waren nirgends im Körper Echinokokken. Die Grösse der Cysten schwankte
zwischen der einer Erbse und einer Haselnuss. Etwa ein Viertel der Parasiten
war todt.
Discussion:
Herr Pierre Marie: Der mitgetheilte Fall ist höchst interessant. Die Frage
ist berechtigt, ob die psychischen Störungen einzig und allein von der Localisation
der Läsionen abhängen, oder ob dieselben nicht von den Toxinen der Echino¬
kokken, die auf das Gehirn einwirken konnten, verursacht wurden.
Herr Serieux: Was mir ganz klar schien, das war das Auftreten der
psychischen Störungen im Anschluss an den epileptischen Anfall. Dieselben waren
somit an den Anfall gebunden, wie dies auch sonst bei Epilepsie und bei
progressiver Paralyse der Fall ist. R. Hirsohberg (Paris).
Wissenschaftliche Versammlung der Aerate der St. Petersburger Klinik
für Nerven- und Geisteskranke.
Sitzung vom 13. Mai 1899.
Herr Dr. A. T. Lazurskij und Herr Dr. N. N. Schipow: Die Erinnerung
von gleichartigen aufeinanderfolgenden Gesiohtseindrüoken.
Bei Ausführung der Experimente bedienten sich die Vortr. folgender Versuchs-
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an Ordnung: die Versuchsperson sah durch eine verticale Spalte auf die roürende
Trommel, auf welcher zwei Reihen von Punkten auf einer horizontalen Linie in
solchen Abständen von einander auf ge tragen waren, dass bei Rotirung der Trommel
die einzelnen Punkte einer nach dem anderen vor den Augen der Versuchsperson in
Zeitabschnitten von 0,6 Secunden (in einer anderen Versuchsreihe von 1,2 Secunden)
passirten; es musste darauf bestimmt werden, oh die Reihen gleich seien oder nicht
Da das Gedächtniss (Reproduction) in diesen Versuchen eine grosse Rolle spielt, so
wurden auch andere Versuche ausgeffihrt — mit einer Reihe von Punkten, wobei
die Versuchsperson sich der ungefähren Zahl der Punkte, die vor seinen Angen
passirt war, erinnern musste. Die dritte Versuchsreihe endlich war der Klarlegung
der Frage gewidmet, welche Rolle in diesem Falle die Erinnerung der Zeit spielte,
statt der Reihen von Punkten wurden auf die Trommel bloss der erste und letzte
Punkt aufgetragen, so dass nicht mehr die Reihen gleichartiger Gesichtseindrücke,
sondern die Zeitabschnitte, die f&r das Passiren dieser Reihen nöthig sind, reproducirt
und verglichen wurden.
Auf Grund der ausgefQhrten Experimente sind die Vortr. zu folgenden Schlüssen
gelangt:
1. Bei der Reproduction einer Reihe von Punkten wird gewöhnlich eine geringere
Zahl angegeben, als in Wirklichkeit vorhanden ist, wobei der Unterschied mit der
Vergrösserung der Reihe wächst
2. Zeitabschnitte von 0,6 Secunden zwischen den einzelnen Punkten sind f&r
die Reproduction bequemer als solche von 1,2 Secunden.
3. Werden zwei Reihen von Punkten verglichen, so fällt die Zahl der richtigen
Antworten mit der Vergrösserung der Reihen, wobei zu bemerken ist, dass bei Vor¬
handensein in einer Reihe sogar von 12—14 Punkten die Zahl der richtigen Ant¬
worten nooh gleich 40,5 °/ 0 ist, d. h. der Umfang des Bewusstseins für Gesichts-
vorstellungen steht demjenigen f&r Gehörsvorstellungen ziemlich nahe.
4. In der Mehrzahl der Versuche konnten die Vortr. folgende bereits von
anderen Autoren beobachtete Erscheinung bestätigt finden, dass nämlich bei der
Reproduction von zwei aufeinanderfolgenden Eindrücken die Neigung besteht, den
vorhergehenden Eindruck im Vergleich zum nachfolgenden zu verringern, so dass,
wenn die erste Reihe wirklich kleiner war, die Zahl der richtigen Antworten eine
grössere war, als im entgegengesetzten Falle.
E. Giese (Sk Petersburg).
V. Personalien.
Unser sehr verehrter Mitarbeiter Herr Oberarzt Dr. Näcke wurde zum Medicinalrath
ernannt
Der o. ö. Prof, der Psychiatrie an der Universität zu Budapest, Herr Dr. Karl
Laufenauer, ist am 27. Apnl plötzlich gestorben.
Um Einsendung von Separatabdrficken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen f&r die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
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geben, als ob die heutigen Kulturvölker bereits den Gipfel und das Endziel der sittlichen
Entwickelung erreicht hätten. Als ob es jo erreicht würde! Man braucht bloß Probleme,
wie die rechtlichen Beziehungen der Völker und Staaten untor einander, oder dos Krieges im
Verhältnis zur ethischen Idee des ewigen Friedens, oder das Stroben nach einer gerechteren
Verteilung des Lebensgenusses, ins Auge zu fassen, um zu begreifen, daß Süthebland Rocht
bat, wenn er die Kultur der Gegenwart nur als erste und niedrigste Anfangsstufe echter Kultur
überhaupt bezeichnet. Auch in ethischer Beziehung ist jedes Zeitalter in Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft nur ein Übergang, d. h. ein Untergang zu einem neuen Aufgang.
Es wird eine Zeit kommen, zu deren Kultur die unsrige in demselben Verhältnis stehen wird,
wie die Unkultur der Wilden heute zu unserer Kultur steht, und von deren Kulturstufe der
dann lebende Mensch mit demselben Bedauern auf uns herahschauon wird, mit welchem wir
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1901. 1. Juni. Nr. 11.
Inhalt I. Originalmittheilungen. 1. Myoklonische Zuckungen bei progressiver Paralyse,
von J. S. Hermann. 2. Ueber den Scapula-Periostreflex, von Dr. Steinhaufen. 3. Zur Frage
nach dem Zusammenhänge von Träumen und Wahnvorstellungen, von Dr. A. D. Kazowsky.
(Schluss.)
II. Referate. Experimentelle Physiologie. 1. Asportazione dei canali semicircolari,
alterazioni consecutive nelle cellule dei nuclei bulbari e del cerveletto, per Deganello. 2. The
action of ether and Chloroform on the neurons of rabbils and dogs, by Wrlght. 3. Die funda¬
mentalen Eigenschaften deB Nerven unter der Einwirkung einiger Gifte, von Wedensky.
4. Ueber den Einfluss des Alkohols auf die Empfindlichkeit des thierischen Körpers für
Infectionsstoffe, von Laitinen. 5. Weitere Untersuchungen über Immunisirung gegen Morphium,
von Gloffredi. — Pathologie des Nervensystems. 6. Further observations on epidemic
arsenical peripheral neuritis, by Reynolds. 7. A fatal case of sulphonal poisoning, by Taylor
and Sailor. 8. Un oas d’empoisonnement par la strychnine par erreur de pharmacien, par
Terrieu. 9. Localisation des altörations ceröbrales produites par l’dther, par Stefanowska.
10. Sur le mode de formation des varicositös d&ns les prolongements des cellules nerveuses,
par Stefanowska. 11. Die Kohlenoxydvergiftnng in ihrer klinischen, hygienischen und gerichts¬
ärztlichen Bedeutung, von Sachs. 12. Die chronische Schwefelkohlenstoffvergiftung, von
Klonka. 13. Zur Lehre von der Schwefelkohlenstoffneuritis, von Koester. 14. Considerations
sur un cas grave de morphicocainoinanie, par Sollier. 15. Epidemic arsenical poisoning
amongat beer drinkers, by Raw, Barendt and Warrlngton. 16. Casuistischer Beitrag zur Frage
der erregenden Wirkung des Alkohols, von Gregor. 17. De l’alcoolisme congönital, par
Dolobel. 18. An epidemic of peripheral neuritis amongst beer drinkers in Manchester and
District, by Reynolds. 19. The face and pupil in alooholic neuritis, by Brunton. 20. Ein
Beitrag zur Polyneuritis alcoholica, von Halban. 21. Ueber den Einfluss des Alkohols auf
das psychische Leben, von Sikorsklj. 22. Un cas d’illusion visuelle d’origine ouirique chez
un alcoolique, par Granjux. 28. Ueber die vorübergehenden Zustande abnormen Bewusstseins
in Folge von Alkoholvergiftung und über deren forensische Bedeutung, von Moeli. 24. Die
Schädlichkeit mässigen Alkoholgenusses, von Matthli. 25. An unusual case of delirium tremens,
by Hendon. 26. Bidrag til Patogenesen af Delirium tremens, af Hertz. 27. Statistische Bei¬
träge zu den Beziehungen zwischen Trunksucht und Geistesstörung, von Hoppe. 28. The
relatdoo of alcoholism to suioide in England, with special reference to recent statistics, by
Sallivan. 29. Voraussetzungen und Grundsätze der modernen Trinkerbehandlung, von Colla.
30. Zur Abßtinenzfrage. Ein Vorwort zum AntialkoholistencongresBe, von Benedikt. -31. Ein
Fall wiederholter Brandlegung unter Einfluss des Alkohols, von Schloss. 32. Zwei Fälle
von wiederholten Brandstiftungen unter Einfluss des Alkohols, von Hoppe. 33. Alooolisme
et röforme sociale, par Lolseau. 34. Esquisse sur l’activitö de la commission pour l’ötude de
l'alcoolisme (1898—1900), par Dembo. 35. Traitement de l’alcoolisme, par Crivelli. 36. De
quelques traitemente de Tadcoolisme et de celui employö ä l’asile de Cery, par de Martines.
37. Sörum anti-alcoolique, par Broca, Sapeller et ThibauL 38. Ueber die Maassnahmen im
Kampf gegen den Alkonolismus, von Rychllriski. — Psychiatrie. 39. Ueber die Bettbehand¬
lung der Geisteskranken, von WizeL 40. Beitrag zur Kenntniss der Typhuspsychosen, von
Detters. 41. Ueber Hülfevereine für Geisteskranke, von Pelman.
32
Digilized
Google
498
III. Bibliographie. Ueber die Beziehungen der Psychologie zur Psychiatrie, von Prof.
Dr. Th. Ziehen.
IV. Aus den Gesellschaften. Berliner Qesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬
heiten. — VIII. internationaler Congress gegen den Alkoholismus am 9.—14. April 1901 in
Wien. — Wissenschaftliche Versammlung der Aerzte der St. Petersburger psychiatrischen
und Nervenklinik. — Wiener medicinischer Club.
V. Vermischtes. Aufforderung zu einer Sammelforschung Ober den Möni&re’schen Sym-
ptomencomplex. — Neue Zeitschrift in Holland. — V. internationaler Congress für criminelle
Anthropologie. — XXVI. Wanderversammlung der südwestdeutschen Neurologen und Irrenärzte.
I. Originalmittheilungen.
1. Myoklonische Zuckungen bei progressiver Paralyse.
Von J. S. Hermann,
dirigirendem Arzt der Colonie für Geisteskranke des Gouvernements Orel.
Convulsive Bewegungen werden bei progressiver Paralyse sehr häufig und
unter der verschiedensten Form angetroffen. Man beobachtet bei Paralytikern
sehr häufig Tremor der Extremitäten oder des ganzen Körpers, fibrilläre
Zuckungen der Zungen- und Gesichtsmuskeln, seltener Intentionstremor, der an
denjenigen erinnert, der bei multipler Sklerose beobachtet wird. Was aber die
epileptoiden und apoplectiformen Anfälle betrifft, so bilden sie bei der pro¬
gressiven Paralyse eine so häufige Erscheinung, dass sie zu der üblichen Sympto¬
matologie dieser Krankheit gerechnet werden. Diese Anfalle werden bisweilen
im Anfänge der Krankheit beobachtet, gleichsam als Vorboten derselben; viel
häufiger werden sie jedoch, namentlich die epileptiformen Anfälle, in den letzten
Stadien der progressiven Paralyse angetroffen. Die Anfalle folgen gewöhnlich
rasch aufeinander und können in den Status epilepticus übergehen, der
grös8tentheils zum Tode führt. In den Zwischenpausen zwischen den einzelnen
Anfällen werden bisweilen continuirliche Convulsionen an einer, bezw. an beiden
Extremitäten derselben Seite beobachtet, die sowohl die ganze Extremität, wie
auch nur einzelne Theile derselben ergreifen können. Nicht selten begegnet
man auch Anfallen, welche den Charakter der jACKSON’sohen Epilepsie tragen.
Hier sind die Convulsionen einseitig, anfallsweise auftretend und breiten sich
entsprechend der Localisation der Centren in der Hirnrinde aus. Vor kurzer
Zeit veröffentlichte Mübatow zwei Fälle von progressiver Paralyse mit con-
tinuirlichen Convulsionen, die bei dem einen Kranken nach einer Reihe von
epileptiformen Anfällen, bei dem anderen nach einigen apoplectiformen Insulten
aufgetreten waren. Die Convulsionen blieben auf die paralysirte Seite beschränkt,
wobei in den beiden Fällen der N. facialis und einige Halsmuskeln an dem
Krankheitsprocess betheiligt waren. Mübatow zählt die von ihm beobachteten
Convulsionen zu den anhaltenden Anfällen von corticalen Convulsionen, welche
denjenigen nahe stehen, die von Prof. Koschewnikow 1 geschildert sind. Von
1 Eoscbbwnikow, Epilepsia corticalis continua. Medioinskoe Obosrenie. 1894.
Bd. XLH. S. 97.
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499
den übrigen Formen der bei progressiver Paralyse vorkommenden anhaltenden Con-
vulsionen sind noch die choreatischen zu erwähnen, die von Prof. Mendel und
einigen anderen Autoren beschrieben sind. Auch sind bei progressiver Paralyse
Zwangsbewegungen beobachtet worden, welche an Athetose erinnern. K^mmt.kr.
hat eine besondere Form von andauernden Convulsionen beschrieben, welche
einzelne Muskeln afficiren. Diese Convulsionen sind kurz, rhythmisch, mit den
Pulsschlägen synchron und können in choreatische übergehen. Kemmleb be¬
obachtete diese motorische Störung bei Kranken, welche zu gleicher Zeit an
apoplectiformen oder epileptoiden Anfallen gelitten hatten.
Der von uns beobachtete und in Folgendem näher zu schildernde Fall ist
durch die Form der Convulsionen, welche myoklonischen Charakter hatten, wie
auch dadurch interessant, dass die Convulsionen weder mit epileptoiden, noch
mit apoplectiformen Anfällen combinirt waren.
Krankengeschichte.
Der 26jährige, ledige Patient, Koch von Beruf, wurde in der Irrenanstalt am
5. September 1898 mit vollständig ausgesprochenen Symptomen von progressiver
Paralyse aufgenommen. Die physikalische Untersuchung ergab, dass der Gang des
Patienten unsicher ist, dass er beim Schliessen der Angen schwankt (RoMBKBG’sches
Symptom), dass die Kniereflexe fehlen und die Pupillen auf Licht nicht reagiren.
Das Sprach vermögen des Kranken war dermaassen gestört, dass man ihn schwer ver¬
stehen konnte. Die Sprachstörung war sowohl durch mangelhafte Articulation, wie
auch durch leichte apbasische Störung bedingt. Das Silbenstolpem trat selbst beim
Sprechen der einfachsten Worte auf. Die Sprachstörung des Kranken äusserte sich
ausserdem noch durch Wiederholung oder Umstellung der einzelnen Silben in den
Worten. Das Gedächtnis» des Kranken hat stark gelitten, und zwar sowohl in Bezug
auf naheliegende, wie auch in Bezug auf weit zurückliegende Ereignisse. Auch die
mathematische Fähigkeit des Patienten hat stark gelitten: er machte grobe Fehler
selbst beim Addiren der kleinsten Zahlen. Die Demenz erwies sich als ziemlich
weit fortgeschritten: der Kranke verstand nicht, wo er sich befand, was ihn umgab;
auch ging ihm das Bewusstsein seiner eigenen Erkrankung ab. Seine Gemüths-
stimmung war heiter, er war mit dem Schicksal vollständig zufrieden, äusserte keine
Wünsche, beklagte sich nicht und brachte keine paralytischen Wahnideeen hervor.
Wie lange der Pat. vor der Aufnahme ins Krankenhaus krank und wie der Anfang
der Krankheit verlaufen war, ist nicht bekannt, weil über denselben keine anamnestischen
Thatsachen festgestellt werden konnten. An Syphilis erkrankt gewesen zu sein, gab
Pat zu. Im Krankenhause begann sowohl der körperliche, wie auch der geistige
Zustand des Kranken sich rasch zu verschlimmern; nach 2 Monaten entwickelte sich
bei ihm eine Parese der beiden unteren Extremitäten, so dass er nicht mehr zu
gehen vermochte, wenn er auch Hegend die Beine noch bewegen konnte. Auch
wurde der Patient unsauber. Die intellectuellen Fähigkeiten gingen gleichfalls be¬
deutend zurück: er verstand nicht mehr alle an ihn gerichteten Fragen, er schaute
siunlos umher, suchte immer um sich herum, machte sich stundenlang mit den Fingern
an seiner Bettdecke zu schaffen und führte verschiedene andere zwecklose Bewegungen
aus. Mit der Verschlimmerung der motorischen Fähigkeiten und der Zunahme der
Demenz ging auch die Zunahme der aphasischen Störung bei dem Kranken Hand
in Hand und ging schliesslich in vollständige motorische Aphasie über.
Die Sprachstörung hat sich bei dem Patienten nicht, wie dies nach apoplec-
tischem Insult der Fall zu sein pflegt, plötzlich, sondern successive entwickelt Sie
hatte ursprünglich remittirenden Charakter, d. h. es traten zwischen Anfällen von
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vollständiger aphasischer Störung Perioden auf, in denen der Kranke mehr oder minder
zu sprechen vermochte. Erst Ende October wurde die motorische Aphasie stabiL
Wenn man zu dem Patienten sprach, so verstand er es, sobald das Gespräch sich
um die einfachsten Gegenstände bewegte. Der Aufforderung des Arztes, den Mund
zu öffnen, die Zunge oder andere Körpertheile zu zeigen, kam der Kranke nach.
Mehr oder minder complicirte Fragen verstand er aber nicht und starrte den Fragenden
verwundert an. Selbst vermochte der Kranke auch nicht ein einziges Wort hervor¬
zubringen, trotzdem er sich anscheinend die grösste MQhe gab, zu sprechen. Worte
zu wiederholen, vermochte er auch nicht. Bei dem Kranken fiel eine spastische Con-
traction der Muskulatur auf, welche bei sämmtlichen activen und passiven Bewegungen
auftrat. Die Spasmen begannen an Intensität rapid zuzunehmen, namentlich in der
Musculatur des Rumpfes, so dass der Kranke den Eindruck eines mit Tetanie Be¬
hafteten machte. Die spastische Contraction der Muskeln war so stark, dass man
selbst unter Anwendung grosser Anstrengung den Kranken nicht hinsetzen konnte:
weder der Rumpf, noch die Extremitäten liessen sich beugen. Die Halsmuskeln
zeigten gleichfalls Spannung, jedoch in geringerem Grade. Sich umzudrehen, war der
Patient nicht im Stande. Dieser Rigiditätszustand dauerte Bber 6 Wochen, d. h. bis
zum Tode, ohne dass jemals eine Remission eingetreten war. 2 Tage vor dem Tode
stellte sich bei dem Patienten Trismus ein.
Die Zuckungen kamen bei dem Kranken etwas später zum Ausbruch, als die
spastischen Erscheinungen, und zwar zunächst an der rechten unteren Extremität
und dann an der oberen Extremität derselben Seite. Die Zuckungen traten zunächst
anfallsweise auf, so dass zwischen den Anfällen ziemlich lange freie Intervalle be¬
standen; bald aber worden die Zuckungen fast continuirlich. Ungefähr nach 3 Wochen
machten sich Zwangsbewegungen in den linken Extremitäten, und zwar zuerst in der
unteren und dann in der oberen Extremität bemerkbar. Bald traten die Zuckungen
in der gesammten willkürlichen Musculatur mit Ausnahme der Gesichtsmoskeln auf.
Die Zuckungen erstreckten sich auf einzelne Muskeln, viel seltener auf ganze physio¬
logisch zusammenwirkende Moskelgruppen. Die convulsiven Bewegungen zeichneten
sich durch ihre Schnelligkeit, Plötzlichkeit, sowie durch vollständige Unregelmässig¬
keit in Bezug auf Häufigkeit und Intensität der Zuckungen aus. An der oberen
Extremität wurden die spastischen Contractionen hauptsächlich in folgenden Muskeln
beobachtet: Biceps, Deltoideus, Flexor carpi ulnaris und Flexor digitorum communis;
an der unteren Extremität hauptsächlich im M. rectus femoris, in einzelnen Muskeln
des M. quadriceps, sowie der Adductoren der unteren Extremität und der Flectoren
des Fusses. In den Extensoren wurden Zuckungen selten wahrgenommen. Blieben
die Zuckungen auf einzelne Muskeln beschränkt, so kam es gewöhnlich zu keinem
motorischen Effect; wohl aber war ein solcher in ziemlich stark ausgesprochener
Form wahrzunehmen, wenn von der Zuckung ganze Moskelgruppen oder viele einzelne
Muskeln ergriffen wurden. An der oberen Extremität sah man unwillkürliche Be¬
wegungen in der Handwurzel, in einzelnen Fingern, besonders im Zeigefinger, seltener
im Oberarm und Vorderarm. An der unteren Extremität bestanden die Convnlsionen
in Flexion des Fusses, des Kniees, während bisweilen leichte Rotationsbewegung der
gesammten Extremität nach innen beobachtet wurde; dieselbe convulsive Bewegung
wurde häufig mehrere Male hintereinander wiederholt. Gewöhnlich traten die Zuckungen
gleichzeitig in den Muskeln der oberen und der unteren Extremität auf; es kam
jedoch vor, dass sie auf eine Extremität beschränkt blieben, während die andere
sich im Zustande absoluter Ruhe befand. Die Zuckungen wurden biswoilen an ein¬
zelnen Sehnen wahrgenommen. Im wachen Zustande hatte der Patient fast ununter¬
brochene Zuckangen in einzelnen Muskeln oder Muskelgruppen, wobei dieselben in
Bezog auf Intensität und Excursion ungleichmässig waren. Befand sich der Patient
im Zustande körperlicher und geistiger Ruhe, so waren die Zuckungen höchst gering
und worden bisweilen durch stärkere plötzliche Moskelcontractionen unterbrochen, die
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den Eindruck machten, als ob sie durch Wirkung des inductiven Stromes herbei-
geführt worden wären. Jede psychische Aufregung, durch welche Ursache sie auch
herbeigeführt sein mochte, durch Beobachtung bezw. durch Untersuchung des Kranken,
steigerte die Zuckungen ganz bedeutend. Während des Schlafes blieben die Zuckungen
aus. Beim Einschlafen, bezw. bei leisem Schlaf beobachtete man leichte Zuckungen
in einzelnen Muskeln, welche zu keinen Lageveränderungen des Körpers, bezw. ein¬
zelner Theile desselben führten; stellten sich stärkere convulsive Contractionen ein,
so erwachte der Kranke. Als die geschilderten Erscheinungen auch auf der linken
Seite zur Entwickelung kamen, konnte man am häufigsten Zuckungen in den
homonymen Muskeln beobachten; jedoch waren die Zuckungen weder synchron, noch
symmetrisch, noch zeigten sie irgend welche Gleichmässigkeit in Bezug auf Intensität:
bald traten die Zuckungen früher und stärker auf der rechten Seite, bald auf der
linken Seite auf. Bisweilen konnte man Convulsionen auch in Kreuzrichtung sehen,
so z. B. solche in den Muskeln des rechten Armes und des linken Beines, während
die übrigen Extremitäten vollständig ruhig waren. Am Halse wurden Zuckungen im
M. sterno-cleido-mastoideus beobachtet, und zwar hauptsächlich im sternalen Theile
desselben. Auch die Bauchmuskeln waren in Mitleidenschaft gezogen, wobei die
Zuckungen rechts stärker ausgesprochen waren als links, so dass der Nabel haupt¬
sächlich nach rechts gezogen wurde. Traten die Zuckungen gleichzeitig in verschie¬
denen Körpertheilen auf, was gewöhnlich bei starker psychischer Aufregung oder bei
bedeutenderer körperlicher Anstrengung, wie z. B. bei Lageveränderungen des Körpers,
der Fall war, so befand sich der ganze Körper in Bewegung: die unteren Extremi¬
täten wurden bald flectirt, bald extendirt, bald adducirt, wobei zur Zeit, zu der das
eine Bein z. B. flectirt wurde, das andere event. eine ganz andere Bewegung machte.
Dieselbe Erscheinung beobachtete man auch an den oberen Extremitäten. Die
Zuckungen steigerten sich selbst bei der leisesten Berührung des Kranken, ganz be¬
sonders aber bei Berührung der Fusssohle; bei letzterer Berührung wurde die Extre¬
mität im Augenblick flectirt, und es stellten sich starke Zuckungen in den einzelnen
Muskeln sowohl der berührten Extremität wie auch anderer Körpertheile ein.
Der Kranke magerte stark ab, es schwand fast das ganze Fettpolster, so dass
die Contouren der Muskeln deutlich hervortraten. Der Patient starb am 2. De-
cember 1898.
Die Section ergab folgende pathologisch-anatomische Veränderungen: Dura
mater stark gespannt in Folge von Hydrocephalus externus, diffuse Trübung der
weichen Hirnhäute, links stärker als rechts. Im Gebiete der centralen Windungen,
theilweise auch im Gebiete der Lobi parietales, wie auch oberhalb der Fossa Sylvii,
waren die weichen Hirnhäute verdickt und zeigten weissliche Trübung. Im oberen
Theile der vorderen centralen Windung befand sich rechts eine ziemlich grosse sub¬
arachnoidale Cyste mit Impression der Gehirnsubstanz an derselben Stelle, jedoch
ohne jegliche Erweichungserscheinungen. In der linken Hemisphäre befanden sich
mehrere solche Cysten, welche im obersten Theile der beiden centralen Windungen
nebeneinander localisirt waren, so dass diese Stelle den Eindruck einer flachen Aus¬
buchtung ohne Störung der Continuität der Hirnsubstanz machte. Die Windungen
waren verengt, die Solei mit Flüssigkeit gefüllt, die graue Bindensubstanz blasser,
deren 8chicht viel schmäler als in der Norm. Die Ventrikel waren erweitert und
mit Serum gefüllt, das Foramen Monroi stark erweitert. Der linke Herzventrikel
war bedeutend hypertrophirt, die Herzklappen normal. Sklerose der Aorta. Die
linke Niere erwies sich als bedeutend vergrössert, von der inneren Seite lag derselben
dicht oberhalb des Hilus renis eine durchsichtige Cyste von der Grösse eines Hühner¬
eies an. Beim Durchschneiden der Niere entleerte sich eine bedeutende Quantität
von Flüssigkeit, dio die Farbe des normalen Harnes hatte. In ihrer Gesammtheit
stellte die Niere einen Sack mit dünnen Wänden dar, an dem vom anatomischen Bau
nichts mehr wahrgenommen werden konnte. Die rechte Niere war etwas vergrössert
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and bot makroskopisch keine Abweichungen von der Norm dar. Die Milz war sehr
klein, sie maass ungefähr 1 / 8 der normalen Grösse. Die Harnblase war erweitert
Epikrise: Wir sehen also, dass sowohl die körperlichen und psychischen
Symptome, wie auch der Verlauf der Krankheit keine Zweifel darüber bestehen
lassen, dass der Kranke an progressiver Paralyse gelitten hat Die makro¬
skopische Untersuchung des Gehirns spricht auch dafür. Die Verdickung und
weissliche Trübung der weichen Hirnhäute, die Verengerung der Windungen, die
subarachnoidalen Cysten, die Atrophie der grauen Hirnsubstanz und der Hydro-
cephalus externus et internus ex vacuo liefern in ihrer Gesammtheit ein makro¬
skopisches Bild, welches das Gehirn bei Paralytikern gewöhnlich darbietet. In
dem mitgetheilten Falle nimmt unser Interesse jedoch nicht das Grundleiden
des Kranken in Anspruch, sondern die motorische Störung, die dasselbebe¬
gleitet hat Mit den bei progressiver Paralyse auftretenden und von Mendel,
Kkmmlbb, Mubatow und anderen Autoren beschriebenen anhaltenden Convul-
sionen hat diese motorische Störung, wie wir später sehen werden, wenig Aehn-
lichkeit.
Wir stehen also vor der Frage, welcher Art die bei unserem Patienten be¬
obachteten Zuckungen waren?
Mit den von Mubatow beschriebenen Convulsionen zeigt unser Fall auch
nicht die entfernteste Aehnlichkeit.
Die von Mubatow bei Paralytikern beobachteten anhaltenden Convulsionen
traten nach apoplectiformen oder epileptiformen Insulten auf, sie waren einseitig,
coordinirt, d. h. in ganzen Muskelgruppen auftretend, jedoch nicht willkürlich;
der N. facialis war an der Affection betheiligt. In dem von uns beobachteten
Falle trat während der ganzen Krankheitsdauer nicht ein einziger apoplecti-
former, bezw. epileptoider Anfall auf. Die Zuckungen wurden häufiger in ein¬
zelnen Muskeln als in Muskelgruppen beobachtet; sie waren zuerst einseitig
und wurden erst später beiderseitig; der N. facialis war nicht in Mitleiden¬
schaft gezogen. Etwas schwerer lassen sich die in unserem Falle beobachteten
Zuckungen von den von Prof. Mendel beschriebenen choreatischen Zuckungen
unterscheiden, und zwar hauptsächlich aus dem Grunde, weil die Extremitäten
in unserem Falle bisweilen unwillkürliche Bewegungen ausführten, die in hohem
Maasse an die choreatischen erinnerten. Auch wirkten Wille und psychische
Aufregung bei unserem Patienten auf die Zuckungen in derselben Weise, wie
es bei Chorea beobachtet wird. Bei aufmerksamerem Studium der bei unserem
Patienten beobachteten motorischen Störung kann man jedoch die Wahrnehmung
machen, dass dieselbe sich von der choreatischen scharf unterscheidet Die
Chorea zeichnet sich durch unregelmässige, unzweckmässige Bewegungen aus,
welche in verschiedenen Muskelgruppen auftreten, und zwar so, dass die ver¬
schiedenen Muskelacte in ihrer Gesammtwirkung den Charakter einer phy¬
siologischen Function tragen, nur mit dem Unterschiede, dass sie unwillkürlich,
zwangsweise auftreten. An den choreatischen Bewegungen nehmen auch die
Gesichtsmuskeln Antheil, was zu der bekannten Erscheinung der mimischen Ge¬
sichtsverzerrungen führt. Bei unserem Patienten traten die Zuckungen haupt-
Digilized
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sächlich in einzelnen Muskeln auf, welche an und für sich keine bestimmte phy¬
siologische Function ausüben, so z. B. im M. stemo-cleido-mastoideus oder in be¬
stimmten Theilen der Bauchmuskeln, oder in einzelnen Sehnen. Die Zuckungen
selbst waren blitzartig rasch, während die choreatischen viel langsamer sind.
Auch hinsichtlich der Aetiologie bieten die beiden Krankheitsformen insofern
eine Differenz, als Prof. Mendel die von ihm bei Paralytikern beobachteten
anhaltenden Convulsionen zu der postapoplectischen Chorea zählt, was in Bezug
auf unseren Fall nicht gesagt werden kann.
Die von Kf.mmlbb beschriebenen anhaltenden convulsiven Bewegungen
haben im Grossen und Ganzen mit den in unserem Falle beobachteten etwas
Gemeinsames, nämlich dass sie in einzelnen Muskeln und plötzlich auftraten.
Es bestehen jedoch zwischen diesen beiden Krankheitsformen mehrere scharf aus¬
gesprochene Unterscheidungsmerkmale. In den Fällen Kemmleb’s waren die
convulsiven Contractionen rhythmisch und mit den Pulsschlägen synchron, so dass
Kkmmt.kb sogar die Vermuthung äusserte, dass die Zuckungen in seinen Fällen
wahrscheinlich durch Reizung der Hirnrinde durch eine pulsirende Arterie be¬
dingt seien. In unserem Falle fehlte diese Erscheinung. Mit Athetose und
multipler Sklerose hat das in unserem Falle beobachtete Krankheitsbild so
wenig Gemeinsames, dass man eine dieser Erkrankungen bei unserem Patienten
kaum vermuthen dürfte. Gegen Tic gönöralisö spricht das Fehlen von
Zuckungen der Gesichtsmuskeln. Bei letzterer Affection treten Zuckungen in
ganzen Muskelgruppen auf, die stereotypisch sind und niemals die Gesichtsmus-
culatur verschonen.
Die bei der Section gefundene cystöse Degeneration der linken Niere lässt
die Vermuthung auf kommen, dass die in unserem Falle beobachteten Zuckungen
vielleicht urämischen Ursprunges waren. Jedoch passt unser Fall absolut nicht
zu dem Bilde einer acuten Urämie, weil die Convulsionen bei dieser letzteren
Affection einen epileptiformen Charakter haben und mit Verlust des Bewusst¬
seins und nachfolgendem komatösem Zustand einhergehen. Ausserdem kann die
acute Urämie nicht so lange anhalten: sie führt entweder mehr oder minder
rasch zum Tode, oder sie geht in Genesung über. Bei unserem Kranken hielten
die Zuckungen etwa 6 Wochen an, und in der ganzen Zeit kam es bei ihm weder
zu einem epileptoiden Anfalle, noch zu einfachem Verlust des Bewusstseins. Was
die chronische Urämie betrifft, so kann dieselbe zwar ziemlich lange dauern
und mit leichten Convulsionen einhergehen; sie zeigt aber stets auch andere
urämische Erscheinungen: Erbrechen, Veränderung des Pulses und der Ath-
mung u. s. w. Nichts Derartiges beobachteten wir bei unserem Patienten. Dagegen
sind das ziemlich lange Bestehen der Zuckungen nur auf einer Seite, deren
Weiterverbreitung entsprechend der Localisation der Centren der Extremitäten
in der Hirnrinde, das Fehlen von Zuckungen im Gesicht Erscheinungen, welche
gegen die Annahme einer motorischen Störung toxischen Charakters sprechen,
bei der eine strenge Localisation der Convulsionen und eine Bevorzugung eines
bestimmten Körpertheiles doch kaum erwartet werden kann. Leider wurde
der Harn des Patienten nicht untersucht, und zwar aus dem einfachen Grunde,
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weil derselbe während der ganzen Aufenthaltsdauer im Krankenhause weder
Oedeme, noch irgend welche anderen krankhaften Erscheinungen dargeboten
hatte, welche den Verdacht auf eine Nierenerkrankung hätten wachrufen können.
Nachdem wir alle oben erwähnten motorischen Störungen ausgeschlossen
haben, bleibt uns noch die Ueberlegung übrig, ob nicht die von uns bei unserem
Patienten beobachteten Zuckungen den myoklonischen nahestehen. Die zuerst
von Fbiedeeich unter dem Namen „Paramyoklonus multiplex“ beschriebene
und von Unterricht eingehend studirte Myoklonie bietet folgendes klinisches
Bild dar: die convulsiven Bewegungen treten bei dieser Neurose in der gesammten
willkürlichen Musculatur mit Ausnahme der Augenmuskeln auf; sie sind blitz¬
artig schnell und nicht coordinirt Fügt man noch hinzu, dass die Convulsionen
nicht symmetrisch sind, wenn sie auch in homonymen Muskeln beobachtet
werden, dass sie in Bezug auf Intensität und Zeitpunkt des Auftretens auf beiden
Seiten nicht gleichmässig sind, so ist der gesammte Symptomencomplex der
Myoklonie erschöpft. — Das klinische Bild der bei unserem Patienten beobach¬
teten Zuckungen ist nun dem der Myoklonie sehr ähnlich. Bei unserem Patienten
traten Zuckungen nicht nur in einzelnen Muskeln, sondern auch in einzelnen
Muskeltheilen und in vereinzelten Sehnen auf. Man konnte deutliche Con-
tractionen im M. sterao-cleido-mastoideus, im M. rectus abdominis, in einzelnen
Adductoren, sowie auch in Sehnen einzelner Finger und Zehen auftreten sehen.
Die Zuckungen selbst zeichneten sich durch Schnelligkeit und Plötzlichkeit aus;
selbst im Zustande der Ruhe des Kranken wurden die dabei auftretenden
schwachen Zuckungen zeitweise durch plötzliche, blitzartige Bewegungen unter¬
brochen. Bisweilen wurde eine ganze Reihe aufeinander folgender, stossartiger
Contraotionen eines bestimmten Muskels beobachtet Die schwachen Convulsionen
bewirkten, wie gesagt, keinen motorischen Effect; nur stärkere, sich gleichzeitig
auf viele Muskeln oder ganze Muskelgruppen erstreckende Zuckungen riefen an
der betr. Extremität, bezw. den Extremitäten einen motorischen Effect hervor,
wobei die Bewegungen sich durch Einförmigkeit und gewisse Consequenz aus¬
zeichneten, d. h. dieselbe Bewegung wurde mehrmals hintereinander ausgeführt
In letzterer Beziehung erinnern die bei unserem Patienten beobachteten Zuckungen
einigermaassen an den Tic gönöralisö und unterscheiden sich dagegen von den
choreatischen Convulsionen. In unserem Falle waren die Gesichtsmuskeln von
Convulsionen verschont, was die Affection derjenigen Form der Myoklonie nähert,
die von Fried reich beschrieben ist, während Unterricht und manche andere
Autoren bekanntlich annehmen, dass bei Myoklonie auch Zuckungen im Gesicht
auftreten können. Spastische Contractionen wurden bei unserem Patienten in
homonymen Muskeln beobachtet Diese waren jedoch weder synchron, noch
symmetrisch: während z. B. auf der einen Seite der M. quadriceps zuckte,
spielten sich zu gleicher Zeit convulsive Contractionen in den Adductoren ab.
Bisweilen traten beiderseitige Zuckungen in homonymen Muskeln auf, jedoch
auf der einen Seite mit gewisser Verspätung. Es kamen auch Zuckungen in
Kreuzrichtung, wie auch andere verschiedene Combinationen vor, die vollständig
aufzuzählen schwer fallen würde. Der Patient war nicht im Stande, die
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Zuckungen durch den Willen zu unterdrücken, während psychische Aufregung
steigernd auf dieselben wirkten. Diese Erscheinungen werden aber auch bei
anderen motorischen Neurosen angetroffen, und so sprechen für Myoklonie: die
Blitzartigkeit der Muskeloontractionen, die convulsiven Zuckungen in einzelnen
Muskeltheilen und Sehnen, sowie das Fehlen der Symmetrie und der Gleich¬
zeitigkeit der Muskeloontractionen. Allerdings lässt sich mit der Diagnose
„myoklonische Zuckungen“ das Fehlen der Kniereflexe schwer in Einklang
bringen, da nämlich sowohl in dem Falle Freedreioh’s, wie auch in denen
Unterricht’s die Kniereflexe gesteigert waren. Jedoch lässt sich dieses Ver¬
halten so deuten, dass die Grundkrankheit bei unserem Patienten die
progressive Paralyse war, bei der die Kniereflexe bekanntlich sehr oft fehlen,
während die myoklonischen Zuckungen als eine Gomplication des
Grundleidens betrachtet werden müssen. Uebrigens hat auch Sm-
testrini einen Fall von Myoklonie beschrieben, in dem die Kniereflexe ge¬
fehlt haben.
Es fragt sich nun, ob myoklonische Zuckungen auch früher in Verbindung
mit irgend einer anderen Krankheit beobachtet worden sind. Friedreich hat
den Paramyoklonus multiplex als selbständige Neurose beschrieben. Strümpell,
Möbius, Lemoine stellen die Selbständigkeit dieses Leidens in Abrede und
zählen dasselbe zur Hysterie oder Neurasthenie. Eine Anzahl von Fällen von
Myoklonie, welche von Ziehen, Seeligmüllee, Bechterew, Kowalewski und
anderen Autoren beschrieben worden sind, zählt Unterricht zu den hysterischen,
weil er bei ihnen zweifellose Zeichen von Hysterie fand. In den von Unter¬
richt, Homen, Seppilli und Kbewer beschriebenen Fällen handelte es sich
um myoklonische Convulsiouen, welche bei Epileptikern beobaohtet wurden, bei
denen die Epilepsie früher zur Entwickelung kam. Ziehen betont ausdrück¬
lich, dass die Myoklonie als einzelnes Symptom bei anderweitigen Erkrankungen
angetroffen wird. Aus dieser Zusammenstellung kann man also den Schluss
ziehen, dass myoklonische Convulsionen ebenso wie die sonstigen Formen der
Zwangsbewegungen, wie z. B. die choreatischen und athetoiden bei verschiedenen
Krankheiten und folglich auch bei der progressiven Paralyse als Complication
auftreten können.
Was die pathologisch-anatomischen Veränderungen bei Myoklonie
betrifft, so ist bis jetzt darüber noch nichts Positives bekannt: die pathologisch¬
anatomische Untersuchung hat vorläufig nur zu negativen Ergebnissen geführt.
Jedoch nimmt Friedreich an, dass das Centrum der Erkrankung bei Para¬
myoklonus in den Ganglienzellen der Vorderhörner zu suchen ist. Unter¬
richt stimmt mit Friedreich hinsichtlich des Paramyoklonus überein; bezüg¬
lich des Hemimyoklonu8 nimmt er jedoch an, dass die Ursache der Erkrankung
im Gehirn liege. Minkowski und Grawitz bringen sämmtliche Fälle von
Myoklonie mit Erkrankungen des Gehirns in Zusammenhang. Diese Ansicht
theilt auch Krkweb. Letzterer stellte eine Hypothese auf, welche das Auftreten
der myoklonischen Convulsionen bei Epileptikern erklären soll. Nach seiner
Meinung entsteht nämlich zunächst die Epilepsie, und zwar zu einer Zeit, in der
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die Alteration der Hirnrinde noch keine tiefgehende ist; beim Vordringen des
Krankheitsprocesses in die Tiefe und beim Ergriffenwerden der grossen Ganglien¬
zellen können dann myoklonische Convulsionen auftreten.
Bei unserem Patienten dürfte die Ursache der myoklonischen Zuckungen
am wahrscheinlichsten im Gehirn gelegen haben, und zwar sprechen wir diese
Vermuthung auf Grund folgender Thateachen aus: Erstens waren die Zuckungen
bei unserem Patienten zunächst einseitig und gingen erst nach einem ziemlich
langen Zeitraum auf die andere Seite über; es ist bekannt, dass bei sämmtlichen
einseitigen Affectionen, ganz gleich, ob sie paralytischen oder convulsiven Cha¬
rakters sind, das Centrum der Erkrankung im Gehirn localisirt ist; es liegt
somit kein Grund vor, für die Myoklonie etwas anderes anzunehmen. Zweitens
waren die myoklonischen Zuokungen bei unserem Patienten allmählich, der
Localisation der motorischen Centren in der Gehirnrinde entsprechend, entstanden;
man bemerkte zuerst Zuckungen in der rechten unteren Extremität, welohe
bald die rechte obere Extremität ergriffen hatten; in derselben Reihenordnung
waren die Zuckungen später auf der linken Seite entstanden. In der übrigen
willkürlichen Muskulatur waren die Zuokungen viel später und in viel schwächerem
Grade aufgetreten. Bemerkenswerth ist der Umstand, dass die subarachnoidalen
Cysten sich in der motorischen Sphäre der Hirnrinde befanden. Bechterew
hat bereits hervorgehoben, dass bei Paralytikern epileptiforme Anfalle mit sub¬
arachnoidalen Cysten in den centralen Windungen häufig zusammenfallen, sowie
auch darauf, dass diese Cysten bei gesteigerter Erregbarkeit der motorischen
Sphäre der Hirnrinde die directe Ursache von Convulsionen abgeben können.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei gewisser Degeneration der Hirnrinde die
subarachnoidalen Cysten die Ursache der myoklonischen Zuckungen gewesen sein
konnten.
Litteratur.
1. Dr. W. Muratow, Chronische Anfälle von cortioalen Convulsionen bei progressiver
Paralyse. Archiv pBychiatrii, newrologii i ssndebnej psyehopathologii. 1897.
2. Prof. Koschewnikow, Ueber eine besondere Form corticaler Epilepsie. Medicinskoe
obosrenie. 1894. Bd. XLII. S. 97.
8. Prof. Mendel, Die progressive Paralyse der Irren. 1880.
4. Dr. Kbmmlbb, Ueber Krampfanfälle mit rhythmischen, den Pols synchronen Zuckungen
bei progressiver Paralyse. Wsbnickb'b Arbeiten aus der psychiatrischen Klinik in Breslau.
5. Fbibdbbioh, Paramyoklonus multiplex. Virghow’b Archiv. Bd. LXXXVL
6. Prof. Unvsr&icht, Die Myoklonie.
7. Silvbstbini, Medicina oontemporanea. 1886.
8. Möbxds, Sohjodt’s Jahrbücher. 1891. II. 17. S. 147.
9. Lbhoinb, Paramyoklonus multiplex. Revue de Mädecine. 1898.
10. Ziehen, Ueber Myoklonus und Myoklonie. Archiv f. Psych. Bd. XIX.
11. Sbbliqmülleb, Deutsche med. Woohensohr. 1887. Nr. 52.
12. Prof. Bbohtbbbw, Paramyoklonus multiplex. Archiv f. Psych. Bd. XIX.
18. Prof. Kowalewbxl Paramyoklonus multiplex. Archiv peychiatrii i newrologii. 1887.
14. Hombn, Un cas de Paramyoklonus multiplex. Archives de neurologie. 1887.
15. Sbppilli, Un caso di miocloni famigliare associata all'epilepsia. Riv. sperim. di
Freniatr. 1895. F. II—III.
iqitized bv
Google
507
16. Dr. Kbeweb, Paramyoklonus multiplex Friedreiob. Oboerenie psychiatrii, newrologii
i experimentalnej psychologii. 1896.
17. Minkowski, Ueber einen Fall Ton Hemimyoklonus. Nauxyn’s Mittheilungen aus
der medioinischen Klinik zu Königsberg. 1888.
18. Grawitz, Deutsche med. Wochenschr. 1890. S. 401.
2. Ueber den Scapula-Periostreflex.
Von Dr. Stelnhausen,
Oberstabsarzt in Hannover.
In diesem Centralblatt 1900, Nr. 5, machte v. Bechterew auf einen vom
medialen Sohulterblattrande in seiner ganzen Ausdehnung, besonders vom An-
gulus inferior auszulösenden und hauptsächlich durch Contraction der Mm. infra-
spinatus und teres minor bedingten Reflex aufmerksam, der eine bedeutende
Constanz aufweise und daher in geeigneten pathologischen Fällen von Bedeutung
sein könne. Der abfälligen Kritik, die dann Haenel (ebenda Nr. 9) diesem
Reflex zu Theil werden liess, konnte v. Bechtebbw (ebenda Nr. 22) nicht in allen
Punkten begegnen. Ohne auf die diagnostische Bedeutung desselben für die
Neuropathologie der oberen Extremität eingehen zu wollen, möchte ich nach¬
stehend das Ergebniss einer Nachprüfung geben und damit eine von v. Bech¬
terew urgirte Lücke an dem Untersuchungsmaterial Haenel’s, welches aus
120 pathologischen Fällen unter Ausschluss von Nervenkrankheiten bestand,
ausfüllen. Meine Untersuchung erstreckt sich auf 300 gesunde Mannschaften
hiesiger Garnison 1 und ergab Folgendes:
1. Der Scapula-Periostreflex, wie er am richtigsten zu bezeichnen ist, wird
allein von der von Haenel bereits angegebenen Abzweigungsstelle der Spina
scapulae von dem medialen Rande derselben ausgelöst. Nur in Fällen erhöhter
Erregbarkeit erweitert sich die reflexogene Zone um 1—2 cm auf den dieser
Stelle benachbarten Anfangstheil der Spina. 8 Von allen anderen Stellen des
medialen Randes lässt sich kein Periostreflex auslösen, sondern es sind die dort
erregten Zuckungen ausschliesslich auf Reizung der Muskelsubstanz selbst zu
beziehen; dies gilt namentlich vom unteren Schulterblattwinkel.
2. Die typische Reflexzuckung erstreckt sich auf das hintere Bündel
des Deltamuskels und greift nur bei gesteigerter Erregbarkeit auch auf die
mittleren Partieen dieses Muskels hinüber, seltener auch auf den Biceps. Aus¬
breitung auf weitere Muskeln ist ganz inconstant. Nur bei stärkerer Zuckung
sieht man dementsprechend eine leichte Abduction und Aussenrotation des Ober¬
armes auftrete n.
1 Ueber die für die Auswahl absolut Gesunder maassgebenden Gesichtspunkte vergL
meine Arbeit: „Ueber die physiologische Grundlage der hysterischen Ovarie.“ Deutsche
Zeitschr. f. Nervenheilk. XIX. S. 369.
* Von der Spina ausgelöste Zuckungen im Deltoides sind bereits von Ebb und Schulz
beobachtet
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3. Diese Zuckung im Deltoides ist eine bei Gesunden absolut constante
Erscheinung. Der Stärkegrad schwankt allerdings in ziemlich weiten Grenzen:
in 76 °/ 0 fand sie sich in mittelstarkem Grade, in ll°/ 0 war sie als stärker zu
bezeichnen, in 13 °/ 0 trat eine schwache Contraction auf und in 6% war ei 116
solche erst mittelst eines besonderen Kunstgriffes zu erzielen, der darin besteht,
dass man den Bumpf des Untersuchten nach vorn beugen und die Arme schlaff
herabhängen lässt Bei dieser Stellung wird das hintere Deltoidesbündel be¬
sonders passiv gedehnt, und es gelingt dann beim Beklopfen der typischen Stelle
eine deutliche Zuckung zu Gesicht zu bringen, die bei aufrechter Haltung nicht
sicher oder nur mehr zufällig zu erregen ist In keinem Fall wurde so die
Zuckung ganz vermisst Offenbar ist die reflexogene Zone alsdann nur von
minimaler Ausdehnung, fast punktförmig und das Treffen dieses Punktes vom
Zufall abhängig. Die praktische Verwerthbarkeit würde damit immerhin eine
gewisse Einschränkung erfahren.
4. Dass es sich um einen echten Periostreflex handelt, geht daraus hervor,
dass das Beklopfen einer mehr lateralwärts, in der Richtung auf das zuckende
Bündel gelegenen Stelle stets negativ ausfallt, weshalb eine directe Muskel¬
reizung auszuschliessen ist Bekanntlich entspringen die am meisten rückwärts
gelegenen Deltabündel erst einige Centimeter lateralwärts von der reflexogenen
Stelle von der Spina scapulae.
5. In 12 °/ 0 fiel die Zuckung, auch bei wiederholter Untersuchung stets,
beiderseits ungleich stark aus und zwar in 9°/ 0 rechts, in 3 °/ 0 links stärker.
Ein Ueberspringen auf die andere Seite wurde bei Gesunden nicht beobachtet
6. Zur Erklärung der Gonstanz des Reflexes dürfte der Umstand besonders
heranzuziehen sein, dass gerade bei schwacher Erregbarkeit absolute Erschlaffung
der Musculatur Vorbedingung ist, und dass diese nirgends sonst an den Ex¬
tremitäten in dem Grade möglich ist wie an der Schulter.
3. Zur Frage nach dem
Zusammenhänge von Träumen und Wahnvorstellungen.
Von Dr. A. D. Kasowsky,
Director der Kostinske Nachen Gouvernement-Irrenanstalt
(Schluss.)
Nachdem ich nun die Krankengeschichte vorgestellt habe, will ich mir
vor allem erlauben, mich bei der Thatsache der Entstehung der Wahnvorstellung
unmittelbar nach einem Traume, in welchem die Person des Lehrers J. eine
Rolle spielte, aufzuhalten. Betrachten wir diejenigen Angaben über den Zu¬
sammenhang zwischen Träumen und Wahnvorstellungen, die uns zu Gebote
stehen, so müssen wir uns darüber wundern, dass erst in der letzten Zeit dieser
Zusammenhang in einigen psychologischen Erscheinungen die Aufmerksamkeit
der Forscher auf sich gelenkt hat und zu einer Frage geworden ist, an der
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die wissenschaftliche Kritik arbeitet. Hat doch die Volksweisheit schon seit
lange eine gewisse Abhängigkeit zwischen den Träumen und unserem wachen,
psychischem Leben festgestellt und sich in diesem Falle nicht nur nicht getäuscht,
sondern sogar die genauen wissenschaftlichen Schlüsse weit überholt. Dass wir
im Traume meistentheils Begebenheiten aus unserem Leben wieder durchleben,
doch sozusagen in ungeordneter und verstümmelter Form, das ist eine längst
bekannte und von Allen beobachtete Thatsache; dass verschiedene Träume,
welche beim Erwachen in irgend einer Weise unser Bewusstsein alteriren, einen
nicht unwichtigen Factor in unserer Gemüthsstimmung, sowie der leitenden
Geistestbätigkeit abgeben, das ist eine täglich in unserer Umgebung zu be¬
obachtende Thatsache. Natürlich sehen wir hier eine ganze Stufenleiter von
Uebergängen, bedingt durch die Individualität im Sinne dieser oder jener intellec-
tuellen Entwickelung. Ohne uns bei den historischen Sagen aufzuhalten, in denen
Träume oft den wichtigsten Antrieb zu historisch bedeutsamen Thatsachen lieferten,
will ich nur an die Bedeutung der Träume in vorhistorischen Zeiten erinnern,
jene fundamentale Bedeutung, welche Spencjeb veranlasste, die religiösen An¬
schauungen der Urvölker als mit ihren Träumen im Zusammenhänge stehend
hinzustellen. Wenn also die Träume in der Psychologie des Menschen eine so
grosse Rolle spielen, und zwar eine um so grössere, je niedriger das betreffende
Individuum hinsichtlich seiner geistigen Entwickelung steht, so wirft sich von
selbst die Frage auf, welche Rolle die Träume in den Geisteskrankheiten
spielen, und wieweit dieselben als Ingrediens in der Kette der krankhaften Er¬
scheinungen unserer geistigen Functionen auftraten. Die Lösung dieser Frage
wäre besonders interessant für die Beurtheilung der Wahnsinnspsychosen, deren
Bedeutung als initialer modificirter Blödsinn von vielen Forschern aufrecht er¬
halten wird, und welche von Allen als Krankheiten des invaliden Gehirnes
anerkannt werden. Dass Wahnvorstellungen plötzlich, gleichsam ohne Ursache
aufzutreten pflegen, ist längst schon bekannt, dass dieselben aber auf dem Boden
dieses oder jenes lebhaften Traumes ihren Ursprung nehmen, das ist, wie bereits
erwähnt, in der wissenschaftlichen Welt noch verhältnissmässig neu. Derartige
Untersuchungen sind, wie gesagt, von Mabbo und FfeBfi im Litteraturabschnitte
beschrieben worden. Wir müssen den Träumen eine überaus grosse Bedeutung
darin zuerkennen, dass sie die Wahnvorstellungen im Bewusstsein des Kranken
befestigen und ihnen ein grelleres Colorit und grössere Lebhaftigkeit verleihen.
Ich kann jedoch nicht zugeben, dass die Wahnvorstellungen stets secnndär nach
dem Auftreten von Träumen zu Stande kommen; ich glaube, dass schon die
grelle Färbung und die Lebendigkeit eines Traumes davon zeugt, dass sich
in unserem unbewussten Seelenleben bereits die zugehörigen Bilder von Er¬
innerungen, sowie die mit denselben verknüpften Empfindungen angehäuft haben.
Ob wir die Träume für Hallucinationen oder nach Wündt (13) für Illusionen
halten, welche auf der Basis kaum merklicher Gefühlseindrücke entstehen, in
jedem Falle findet der vor uns ausgesprochene Gedanke seine Bestätigung, und
wir müssten dann annehmen, dass die Träume nicht nur in Folge unbemerkbarer
Gefühlseindrücke an der Peripherie unseres Körpere entstehen, sondern eben-
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sowohl in Folge jener gleichsam antochthon sich einstellenden Beize unseres
Sensoriums, welches unserem geschwächten appercipirenden Ich die am leichtesten
aulsteigenden und daher am leichtesten hervorrufbaren Bilder zusendet Damit
aber diese Bilder bezw. Träume, zu einem Theile unseres Ich werden, in den
Kreis unseres Bewusstseins treten, dazu sind fernerhin, wie mir scheint, folgende
zwei Bedingungen erforderlich: 1. Lebhaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Traomes
und 2. Abschwächung der activen Apperception.
Bezüglich der ersten Bedingung muss erwähnt werden, dass, da ja die
Lebhaftigkeit und Dauerhaftigkeit der im Traume erscheinenden Bilder das
Resultat des jeweiligen Zustandes unseres Sensoriums ist, auoh der Charakter
des lebhaften und dauerhaften Traumes dem Zustande unserer psychischen Sphäre
vollkommen entsprechen muss. 1
Was nun die zweite Bedingung betrifft, so wird ihre Bedeutung durch die
Untersuchungen von Prof. Tschibh (14) dargethan, aus denen man schliessen
kann, dass eine Absohwächung der höheren Aeusserungen der psychischen
Thätigkeit in der Form activer Apperception auf Kosten der Associationsprocesse
— wenn auch die letzteren sich durch grosse Lebendigkeit und reiche Fülle
auszeichnen — als Hauptbedingung für die Entstehung des Wahnes anzu¬
sehen ist.
Ich glaube, wir müssen in den Fällen, wo eine Wahnidee nach dem Auf¬
treten eines entsprechenden Traumes zur Entwickelung gelangt, den letzteren als
den Ausdruck einer bereits bestehenden krankhaften Vorstellung ansehen, welche
noch unter den Geheimnissen der unbewussten Gemüthssphäre schlummert und
nun zunächst während der Herabsetzung des appercepirenden Ich im Traume
an die Oberfläche emportaucht, später aber auch im wachen Zustande. Dass
Träume und Wahnideeen mit einander eng Zusammenhängen, bloss Ausdrücke eines
und desselben psychischen Zustandes sind, darauf hat schon Ffcafi aufmerksam
gemacht und dafür kann auch ich eine eigene Beobachtung anführen. Es
handelt sich um den Patienten M., der sich gegenwärtig in der Anstalt befindet
und an Paranoia mit Verfolgungs- und Besessenseinsideeen und Uebergang in
das Anfangsstadium des Blödsinns leidet Pat erzählt ausführlich und gern
von seinem Wahne, der recht gut systematisirt ist Dabei ist es mir aufgefallen,
dass er oft nach gut in tiefem Schlafe verbrachter Nacht, am nächsten Morgen
äusserst ausführlich und klar über die näohtlichen Geschehnisse und die Ver¬
folgungen, welche seine Feinde gegen ihn unternommen hatten, berichtete; wie
wir auch über diese Erscheinung denken sollten, immerhin können wir nicht
leugnen, dass hier ein sichtlicher innerer Zusammenhang zwischen den Träumen
des Pat und seinen Wahnideeen besteht.
1 Ich gebrauche den Ausdruck „lebhafter und dauerhafter Traum“ deshalb beständig,
weil im Traum, hauptsächlich in Folge des Vorherrschene der passiven Apperception, nebenbei
eine Menge von Bildern entsteht, die den Traum in ein Kaleidoskop ungeordneter Bilder
verwandeln and nar dauernde und lebhafte Träume in ihrem Charakter den jeweiligen Zu¬
stand unserer unbewussten Gemüthssphäre erkennen lassen.
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Ich kann der Meinung nicht beipflichten, dass der Traum das Material
zum Aufbau der Wahnidee liefern könne; eine solche Möglichkeit will ich nur da
einräumen, wo eine bedeutende Schwäche der Apperceptionsfähigkeit vorhanden ist,
wo das Bewusstseinsfeld von einer Masse von Hallucinationen erfüllt ist, wo die
Grenzlinie zwischen dem wirklichen Leben und den Producten des Reizes der
psychosensoriellen Sphäre geschwunden ist, und wo zwischen die Träume
und die Wahrnehmungen reeller Eindrücke eine für den Kranken selbst nicht
wahrnehmbare Reihe von Uebergängen sich eingeschoben hat.
Ich glaube, dass wir für unseren Patienten, bei welchem, ungeachtet einer
gewissen Schwäche der apperceptiven Association, die psychischen Fähigkeiten
noch genug erhalten geblieben waren, um ihn in etlichen Erscheinungen des
inneren Lebens sich zurecht finden zu lassen, annehmen müssen, nicht der
Traum habe die Entstehung der Wahnidee ausgelöst, sondern die letztere sei
bloss das grelle Endresultat eines Reizes der psychosensoriellen Centren gewesen,
dessen Uebergangsstadium der Traum bildete. Um nicht leere Worte gemacht
zu haben, muss ich auf diese Erscheinung näher eingehen: schon einige Tage
vor dem Auftreten des Traumes und der Wahnidee fühlte sich der Kranke
nicht wie sonst; während er sich stets absonderte, fing er jetzt an, die Menschen
noch mehr zu meiden, doch gesellte sich dazu ein gewisses Gefühl von unklarem,
unbewusstem Misstrauen, von unbestimmter Furcht Der Schlaf war schlecht
und unruhig, obwohl er keine lebhaften Träume hatte. Endlich vor dem Auf¬
treten der Wahnidee hat der Kranke einen lebhaften Traum, welcher zur Ent¬
stehung der Wahnvorstellung führte; so sehr man sich auch bemühen wollte,
diese Erscheinung durch verschiedene psychische Processe zu erklären, die
Thatsachen sind doch zu auffällig, als dass man den Zusammenhang aller dieser
Dinge verkennen könnte. So entspricht also das Anfangsstadium noch demjenigen
Zustande der psychosensoriellen Sphäre, bei welchem eine deutlich ausgesprochene
Reaction auf das Bewusstsein des Kranken noch fehlt. Dies ist deijenige Zustand,
in welchem alle Elemente zur Bildung der Wahnidee virtuell bereits vorhanden
sind, dieselbe sich jedoch noch nicht herauskrystaUisirt hat, noch nicht in der
ganzen Deutlichkeit ihrer Umrisse auf der Bildfläche des klaren Bewusstseins
erschienen ist
Die Psyche des Kranken war demnach in diesem Moment, wenn mir dieser
Vergleich gestattet wird, wie eine gesättigte Lösung, in welcher nur ein Krystall
fehlte, damit um diesen herum der Process der Krystallisation beginnen könne.
Nun aber schläft der Kranke ein. Die Thätigkeit der subcorticalen Centren,
die sich im Reizzustande befinden, erreicht ihre grösste Intensität; Bilder werden
auf dem der Stimmung des Kranken entsprechenden Hintergründe erzeugt; die
ganze Summe jener unbestimmten negativen Eindrücke, welche in der Seele des
Kranken schlummerten, erwacht jetzt zu besonderer Lebhaftigkeit, nimmt
lebendige, sensorische Färbung an, concentrirt sich auf einer bestimmten Per¬
sönlichkeit, und der Krystall ist hineingefallen, der Krystallisationsprocess hat
begonnen. Der Kranke erwacht, und schon ist sein Bewusstsein von der fertigen
Wahnidee erfüllt. Nicht weniger interessant ist ferner der Umstand, dass die
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Wahnidee nach ein bis zwei Wochen schwand. Wir müssen annehmen, dass
eine derartige Thatsache einerseits im corrigirenden Einfluss des Kranken selbst,
welcher sich erst mehrere Tage nach dem Auftreten der Wahnidee einstellte,
andererseits aber im schnellen Schwinden der emotiven Färbung dieser Idee ihre
Erklärung findet. Es ist schwer eine solche Thatsache zu erklären, die ja dem,
was wir über die Wahnvorstellungen wissen, bei denen die emotive Thätigkeit
nicht nur nicht nachlässt, sondern im Gegentheil von Tag zu Tag intensiver
wird, einigermaassen widerspricht Wir müssen annehmen, dass wir im vor¬
liegenden Falle eine Erscheinung vor uns haben, die dem sog. Delire d’emblöe
der Degenerirten äusseret ähnlich sieht, doch in abortiver Form auftrat, so dass
die Wahnidee verhältnissmässig schnell erlosch aus Mangel an stabiler und
starker emotiver Reaction. Dieser Zustand hielt jedoch nicht lange an; die
Wahnidee, welche eine Zeit lang in die Tiefen des unbewussten Seelenlebens
untergetaucht war, glühte dort als Funken, um im geeigneten Moment zur
hellen Flamme aufzulodern; es waren äussere Lebensverhältnisse nöthig, um die
schlummernde Emotionsenergie zum Leben zurückzurufen, um den Wahn mit
einer lebhaft gefärbten Gefühlshülle zu umgeben und ihn in die verhängnissvolle
mörderische Gewalt zu verwandeln. Solche Verhältnisse Hessen nicht lange auf
sich warten. Der Schüler arbeitet schlecht, der Lehrer, der schon früher das
Object seines Wahnes war, stellt ihm ungenügende Censuren aus. Es wird
eine Reaction erhalten, welche der Action nicht entspricht; der Wahngedanke
erwacht zu neuer Kraft, jedoch nun schon in der Rüstung der emotiven Färbung
des Hasses, und der erkrankte Geist, nicht mehr im Zaume gehalten durch
innere Schranken, präparirt die Waffe zur Verletzung. Er verbirgt das Messer
unter dem Gewandte und geht in die Schule. Er wird aufgerufen, giebt eine
unbefriedigende Antwort, der Lehrer ertheilt ihm einen Verweis; da führt der
Kranke den Messerstich aus in der Absicht, die verhasste Person zu verwunden,
anstatt dessen aber tritt vollständige Unzurechnungsfähigkeit ein, die Hiebe
werden schonungslos ausgeführt, das Opfer geht zu Grunde. Der voriiegende
Fall bietet meiner Meinung nach ein Interesse nicht nur in psychiatrischer,
sondern auch in forensischer Hinsicht. Anfangs ist man unwillküriich erstaunt
über die Kleinüchkeit der Erscheinungen und Ursachen, um derentwillen das
Leben eines Menschen untergeht. In der That, der Schüler erhält eine un¬
befriedigende Note, und er ermordet in thierischer Weise den Urheber derselben.
Unwillküriich drängt sich uns der Gedanke auf, wir hätten eine moralische
Missgeburt, ein thierisches Wesen vor uns. Aber keineswegs. Es ist ein gut-
müthiger Jüngling, der bisher Niemandem etwas zu Leide gethan hat Betrachten
wir indessen den psychologischen Zustand desselben, so fällt es nicht schwer,
für die vorliegende Thatsache eine Erklärung zu geben; in den Fragen vom
Affeet müssen, wie mir scheint, die Aufklärungen über die Entstehung desselben
auf der Basis verschiedener psychischer Abnormitäten mit Wahnerscheinungen
schliesslich nicht wenig wissenschaftliche und praktische Schlüsse ermöglichen.
Da ich mich nicht bei der Frage vom Affeet eingehend aufhalten will, wieder¬
hole ich hier die Definition, welche demselben Prof. Kowalewsky(15) giebt^.
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— es ist dies das Aufhören der Thätigkeit im Gebiete der Vorstellungen, ein
Stillstand im Gange der Vorstellungen und ein Ausschalten dieses Gebietes aus
der Kette der Gemüthsthätigkeit Die letzte Vorstellung wird diejenige sein,
welche durch die Explosion der Leidenschaft hervorgerufen wurde...!! Bedenken
wir, dass dem Affect eine Vorbereitungsperiode vorausgeht, während welcher die
Gemüthsthätigkeit allmählich zu einem negativen Tonus herabgestimmt, der
Gedankenkreis verengert und die Zahl der Vorstellungen auf ein Minimum
reducirt wird, unter Vorherrschen einer einzigen domiuirenden, so werden wir
einsehen, dass diese Vorbereitungsperiode bei unserem Kranken schon vorhanden
war; sein ganzer Gedankenkreis war von der Wahnidee erfüllt, auf dem Gebiete
der Empfindungen herrschte ein negativer Tonus. Ziehen wir noch die äusseret
ausgeprägte vasomotorische Reizbarkeit in Betracht, die wir an unserem Kranken
beobachteten, so müssen wir annehmen, dass nach Melnbrt der negative Tonus
der Gemüthsthätigkeit eine intensive Anämie der ohnehin geschwächten Nerveu-
elemente hervorrief. Wäre in unserem Falle die Gemüthsthätigkeit des Kranken
in solchem Zustande gewesen, so hätten wir eine Reihe von Verwundungen
erhalten, welche dem Opfer ruhig, besonnen und überlegt beigebracht worden
wären. Doch war das labile Seelengleichgewicht leider durch ein hartes Wort
des Opfers gestört worden, und anstatt des Verbrechens eines Geisteskranken
erhalten wir noch ein Verbrechen im Zustande des Affects. Auf diese Weise
wird es uns verständlich, warum eine so geringfügige Ursache, wie ein heftiges
Wort, zu so schwerwiegenden Resultaten führte. Jene ganze innere Arbeit,
welche nöthig gewesen wäre, um die Gemüthsthätigkeit des Anderen zum Affect
vorzubereiten, war hier überflüssig, da die Psyche des Kranken bereits duroh
die vorher aufgetretenen krankhaften Processe zur Genüge hierzu vorbereitet war;
daher ist es begreiflich, dass zur Auslösung des Affects uur eine äusserst unbe¬
deutende und geringe Ursache erforderlich war. Das nachfolgende Betragen
des Kranken, welcher, nachdem er einen Menschen gemordet hatte, ruhig seinen
Ranzen nahm, nach Hause ging, sich an den Mittagstisch setzte u. s. w., zeigt,
dass hier eine Periode der Erschlaffung zur Beobachtung gelangte, welche sich
von derselben Periode nach einem beliebigen Affect in nichts unterschied.
Lltteratnr.
1. Esquibol, Maladies mentales. T. 1. S. 192.
2. Mobau (de Tours), Annalea m&lico-paychologiquea. 1855.
3. Baillabgeb, Annalea medico-psychologiques. 1845.
4. Mobbt, Der Schlaf und die Träume. (Russisch.)
5. Baillabgeb, L. c.
6. Simon, Le raonde des röves.
7. Mabbo, Cit nach Kowalbwsky’s Archiv. 1898. S. 140. (Russisch.)
8. F4b£, La raedecine moderne. 1897.
9. Kbabprlim, Archiv f. Paych. Bd. XIII. 8. 389.
10. Wbbniokb, Monatsachr. f. Psyoh. u. s. w. Bd. I u. II.
11. Kowalbwsky, Psychiatrie. Bd. II. (Russisch.)
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514
12. Kandinsxy, Ueber Pseudohallucinationen. (Russisch.)
18. Wuwdt, Physiolog. Psychologie. S. 915. (Russisch.)
14. Tschish, Archiv f. Psych. Bd. VII u. VIII. (Russisch.)
15. Kowalewsky, AUgem. Psychopathologie. S. 140. (Russisch.)
n. Referate.
Experimentelle Physiologie.
I) Asportazione dei oanall semioiroolari, alterasioni oonseoutive nelle
oellule dei nuolei bulbarl e dei oerveletto , per U. Deganello, Padova.
(Arch. per le Scienze med. XXIV.)
Verf. hat mit Hülfe der Nissl’schen Methode 8 Tauben untersucht, denen
die Bogengänge einseitig oder doppelseitig exstirpirt worden waren. Die Thiere
wurden 16—55 Tage am Lehen erhalten. Stets — auch nach einseitiger
Operation — fanden sich doppelseitige Veränderungen in den Zellen des Abdu-
censkernes. Ab und zu erwiesen sich auch die Purkinje’schen Zellen des
Kleinhirns verändert, und zwar gerade bei denjenigen Thieren, welche besonders
schwere Symptome gezeigt hatten (Zwangsstellungen und Zwangsbewegungen),
also in die sogen, zweite Periode eingetreten waren. Th. Ziehen.
2) The aotion of ether and ohloroform on the neurons of rabbits and
dogs, by Hamilton Wright. (Journal of Physiology. XXVI. S. 30.)
Verf. setzte Hunde und Kaninchen längere Zeit hindurch der Einwirkung
von Aether und Chloroform aus und untersuchte dann die Centralnervensysteme
speciell mit der Methylenblau- und Silbermethode. Nach beiden Methoden liess
sich constant — und zwar bei Kaninchen deutlicher als bei Hunden — eine durch
die Anaesthetica hervorgerufene Veränderung der Ganglienzellen sowohl des
Rückenmarks wie des Gehirns nachweisen. — Die Zellkörper zeigten vorwiegend
eine „Rarefication“ der Nissl’schen Körper, die Protoplasmafortsätze befanden
sich im sogen, „moniliformen“ Zustande. — Verf. sieht in diesen Veränderungen
weder den Effect der Abkühlung, noch das Resultat von Circulationsanomalieen,
sondern er erklärt dieselben als den Ausdruck einer chemischen Veränderung,
welche das Betäubungsmittel an den zelligen Elementen hervorruft, wahrscheinlich
dadurch, dass der Aether bezw. das Chloroform eine chemische Verbindung mit
gewissen Zellbestandtheilen (Nissl’s Körper?) eingeht.
W. Connstein (Berlin).
3) Die fundamentalen Eigensohaften des Nerven unter der Einwirkung
einiger Gifte, von Prof. E. Wedensky. (Archiv f. d. ges. Physiol. 1900.
LXXXII.)
Der Ausgangspunkt der Arbeit bildet der Versuch von Herzen, der unter
localer Chloralnarkose die Reizbarkeit der narkotisirten Strecke erloschen, die
Leitungsfähigkeit derselben aber, ebenso wie die Fähigkeit des Nerven, die nega¬
tive Schwankung zu geben, erhalten gefunden hatte. Verf. bediente sich zur
Prüfung des Actionsstroms des Telephons, das er von der Strecke zwischen dem
narkotisirten Stück und dem Muskel ableitete, und operirte ausser mit Chlor&l
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noch mit Cocain und Phenol. Ferner wandte er nicht nur minimale, sondern
auch starke und stärkste Reize an. Er kam dadurch zu dem Ergebniss, dass,
während der Muskel eine noch unveränderte Leitung anzuzeigen scheint, die
Leitungsfahigkeit des Nerven doch schon verändert ist, wie sich durch eine fort¬
schreitende Abnahme der negativen Schwankung am Galvanometer und durch eine
eigenthümliche Umwandlung im rhythmischen Charakter der tetanisirenden Er¬
regungen (im telephonischen Nerventon) zu erkennen giebt. Bei starken Reizen
oberhalb der narkotisirten Strecke zeigt dann auch der Muskel eine rasche Ab¬
nahme der Contractionen. Die Versuche wiesen dabei die interessante Erscheinung
auf, dass starke Erregungen von ihrer Fortpflanzung durch die narkotisirte Strecke
vollkommen ausgeschlossen sind oder nur eine Anfangszuckung erzeugen, dass da¬
gegen mässige Erregungen noch im Stande sind, diese Strecke zu passiren und
tetanische Contraction hervorzurufen; am spätesten wurde die Leitung schwacher
Reize aufgehoben. Die Reizbarkeit der narkotisirten Strecke fiel nur allmählich
ab, um zu der Zeit, wo sie für von oben zugeleitete Erregungen schon vollkommen
undurchdringlich war, noch immer einen ziemlich ansehnlichen Werth zu besitzen.
In Folge dieser und einiger früher beobachteter Thatsachen glaubt Verf. an¬
nehmen zu dürfen, dass der Nervenzustand unter dem Einflüsse der narkotisirenden
Stoffe kein passiver, sondern ein eigenthümlicher Erregungszustand ist. — Ferner
ergab sich, dass die locale Application der Nervengifte einen vollkommenen
Parallelismus zwischen den functionellen Eigenschaften deB Nerven und den Ver¬
änderungen seiner Actionsströme hervortreten liess, ein neuer Beweis, dass man
in den letzteren ein wirkliches Abbild seines thätigen Zustandes hat. — Schliess¬
lich wurde eine Restituirbarkeit des herauspräparirten Nerven nach und selbst
während der Einwirkung der Giftlösungen beobachtet, ähnlich wie bei Application
gasförmiger Substanzen, was dafür spricht, dass die chemische Natur des Nerven
bei der localen Narkose nicht sehr in Anspruch genommen wird; in demselben
Sinne ist die Thatsache zu verwerthen, dass die verschiedenen chemisch so diffe¬
renten Stoffe stets eine und dieselbe Reihe functioneller Veränderungen zu Tage
brachten. — Verf. erklärt den Widerspruch zwischen seinen und Herzen’s
Resultaten aus der weniger vollkommenen Versuchsanordnung des letzteren, legt
Werth auf das Arbeiten am auspräparirten Nerven, mit Lösungen statt der
krystallinischen Substanz, und die gleichzeitige Herstellung der Zeugnisse des
Muskels, Telephons und Galvanometers. Dann kann von einer Trennung der
Grundfunctionen des Nerven in Erregbarkeit und Leitungsfähigkeit nicht mehr
die Rede sein. H. Haenel (Dresden).
4) Heber den Einfluss des Alkohols auf die Empfindlichkeit des thierisohen
Körpers für Infectionsstoffe , von Taav. Laitinen (Helsingfors). (Acta
societati8 scientiarum fennicae. 1900. XXIX. Nr. 7.)
Die Arbeit hat insofern auch für den Irrenarzt grosses Interesse, als in
derselben eine Wirkung des Alkohols festgestellt wird, die seine Schädlichkeit in
unzweideutiger Weise beleuchtet. Die Thatsache, dass durch das Experiment das
Vorurtheil von der günstigen Wirkung des Alkohols bei Infectionskrankheiten
gründlich zerstört wird, muss uns auch warnen, die sonstigen guten Eigenschaften
des Alkohols als gesichert zu betrachten. Auf Anregung Fränkel’s untersuchte
der Verf. die Empfänglichkeit von Thieren für Milzbrandbacillen, Diphtherietoxin
und Tuberkelbacillen. Unter allen Umständen, selbst bei ganz kleinen Gaben,
zeigte sich eine deutliche, meist recht erhebliche Steigerung der Empfänglichkeit
des thierischen Organismus für die künstliche Infection. Diese Steigerung erklärt
sich vor allem durch die abnormen Zustände und pathologischen Veränderungen
in den verschiedensten Organen. Der Alkohol vermindert die Alkalescenz des
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BluteB und sehr wahrscheinlich auch die Zahl der weissen Blutkörperchen, hat
dagegen keinen Einfluss auf die Zahl der rothen und auf den Hämoglobingehalt.
Trächtige Thiere und deren Nachkommen werden sehr nachtheilig beeinflusst.
Die normale und krankhafte Körpertemperatur wird besonders durch grössere
Alkoholmengen momentan etwas herabgesetzt. Diese Herabsetzung dauert aber
nur eine kurze Zeit, weshalb ein Sinken der fieberhaften Temperatur durch Alkohol
nicht erreicht werden kann. Die momentane Herabsetzung der normalen Körper¬
temperatur kann für die Invasion der Infectionsstoffe günstig sein.
Das geBammte Material ist in übersichtlichen Tabellen der Arbeit heigegeben,
um jedem die Möglichkeit zu gewähren, sich selbst ein Urtheil über die Richtig¬
keit der Schlussfolgerungen zu bilden. Aschaffen bürg (Heidelberg).
5) Weitere Untersuchungen über Immunisirung gegen Morphium, von
Gioffredi. (Arch. ital. de Biologia. XXXI. S. 398.)
Verf. kommt zu folgenden Schlüssen:
Es lässt sich bei Hunden eine Gewöhnung an so hohe Morphiumdosen er¬
zielen, dass dieselbe einer ImmuniBirung gleichkommt. Das Serum dieser Hunde
hat antitoxische und immunisirende Eigenschaften auch für Thiere, die bo em¬
pfindlich gegen Morphium sind wie junge Katzen.
Die antitoxische Wirkung des Serums beruht nicht auf etwaigem Gehalt an
Dioxymorphin, da dieses, mit Morphium gleichzeitig verabfolgt, keine Abschwächung
der Morphiumwirkung herbeiführt. Das Morphium wird in Berührung mit dem
antitoxischen Serum weder physikalisch noch chemisch verändert; die Art der
antitoxischen Wirkungsweise des Serums kann daher nicht als eine chemische
aufgefasst werden. Geelvink (Herzberge).
Pathologie des Nervensystems.
6) Further observations on epidemio arsenioal peripheral neuritis, by
Ernest Septimus Reynolds. (Brit. med. Journ. 1900. 22. December.)
Verf. theilt seine weiteren Beobachtungen von „Arsenikneuritis“ nach Bier-
genuss mit und bespricht namentlich ausführlich die in diagnostischer Beziehung
als charakteristisch von ihm erwähnteu Hauterkrankungen, besonders auch die Ent¬
wickelung und den Verlauf der Pigmentbildung an den verschiedeuen Körper¬
teilen.
Sechs instructive Abbildungen sind der Abhandlung beigefügt.
E. Lehmann (Oeynhausen).
7) A fatal oase of sulphonal polsoning, by A. E. Taylor and J. Sailor.
(Contribution from the William Pepper laboratory of clinical medicine. 1900.
Philadelphia.)
Bericht über einen Fall von chronischer Sulfonalvergiftung bei einer 52jähr.
Frau, die seit Monaten regelmässig Abends 0,9 g Sulfoual genommen hatte. Das
Krankheitsbild war das gewöhnliche, abgesehen von einer 3 Tage vor dem Tode
einBetzenden, von unten nach oben aufschreitenden allgemeinen Lähmung mit Be¬
theiligung der Sphinkteren. Tod an Herzschwäche, naohdem Pat. die letzten Tage
fast ständig delirirt hatte. Im Harn war von Anfang an Hämatoporphyrin nach¬
weisbar, das auch spektroskopisch bestätigt wurde. Die Autopsie wies von
Seiten des Centralnervensystems keinerlei Abweichungen von der Norm nach, die
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eine Erklärung für das Zustandekommen der Lähmung geben könnten. Die peri¬
pherischen Nerven und die Musculatur sind nicht untersucht worden.
Martin Bloch (Berlin).
8) Un oas d’empoisonnement par la strychnine par erreur de pharmaoien,
par Terrieu. (Progres mödical. 1900. Nr. 37.)
Genaue Schilderung der psychischen Störungen im Anschluss an eine Strychnin¬
vergiftung, die langsam wieder schwanden, und interessante Beobachtungen gleicher
Fälle von anderen Autoren, welche sich an der Discussion betheiligt hatten.
Adolf Passow (Meiningen).
9) Iiooaliaation des altörations oöröbrales produites par l’öther, par
M icheline Stefanowska. (Travaux de laboratoire de l’Institut Solvay ä
Bruxelles. 1900. IQ. S. 25.)
Um zu eruiren, wie die Veränderungen im Gehirn ätherisirter Mäuse, denen
die Verfasserin schon bei ihren früheren Studien begegnet ist, entstehen, und ob
dieselben einer Wiederherstellung fähig sind, hat die Verfasserin experimentelle
Untersuchungen an einer Reihe von Mäusen angestellt. Sie hat ihre Versuchs-
thiere längere oder kürzere Zeit mehr oder weniger starken Aetherdünsten aus-
gesetzt, ihr Verhalten beobachtet, sie dann getödtet und darauf die ganzen Ge¬
hirne sorgfältig nach Golgi gefärbt und untersucht. Die Hauptveränderungen
zeigen sich in der Hirnrinde und betreffen alle nervösen Elemente. Die Zell¬
körper erscheinen oft geschwollen und ausgedehnt, ohne Ecken, und nehmen eine
mehr kugelige Gestalt an. Bei stärkeren Einwirkungen des Giftes werden auch
die Contouren undeutlich. Die auffallendsten Veränderungen zeigen aber die
Dendriten. Dieselben verlieren ihre birnförmigen Ansätze und bekommen statt
derselben kleine Perlen oder Granulationen, die ihnen ein rosenkranz-ähnliches
Aussehen geben. Dieser Zustand ist indess nur eine Zwischenstufe, in vor¬
geschrittenen Fällen vergrössem sich diese „Perlen“, und es kommt zu dicken
Anschwellungen — Varicositäten — im Verlauf der Protoplasmafortsätze. Auch
die Axencylinder und ihre Collateralen gehen ähnliche Veränderungen ein.
Auffallend ist, dass diese Veränderungen nicht diffus über die Hirnrinde
verbreitet sind, sondern sich nur auf eine kleine Anzahl von Herden beschränken.
Diese finden sich vornehmlich 1. im Lobus olfactorius, 2. im unteren Theil des
Lobus limbicus, 3. im Lobus temporalis und 4. in mehr oder weniger aus¬
gedehnter Weise zerstreut in verschiedenen Territorien des Hirnmantels, besonders
in der Molecularschichte der Rinde. Ausserdem gehen auch die grossen Ganglien
der Gehirnbasis mit Ausnahme des Nucleus caudatus und des äusseren Theiles
des Linsenkerns, sowie die Medulla oblongata ähnliche Veränderungen ein. Der
Aether übt also eine entschiedene elective Wirkung aus.
Bei den Versuchsobjecten, welche längere Zeit nach der Aetherisation am
Leben blieben und das Bewusstsein wiedererlangten, konnte die Verfasserin eine
Abnahme der Granulationen und Varicositäten constatiren, so dass sie zu dem
Schluss kommt, dass eine zwar langsame, aber deutliche Besserung der organischen
Veränderungen eintritt, je länger das Versuchsthier nach dem Experiment lebt
und sich erholen kann. Faoklam (Lübeck).
10) Sur le mode de formation des varioosites dans les prolongement«
des oelluleB nerveusea, par Michel ine Stefanowska. (Travaux de labo¬
ratoire de l’Institut Solvay ä Bruxelles. 1900. III. S. 83.)
In einer zweiten Arbeit desselben Heftes (s. vorhergehendes Referat) schildert
die Verfasserin die Entwickelungsstadien der von ihr experimentell an ätherisirten
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Mäusegehirnen erzeugten Veränderungen der Zellfortsätze: zuerst verschwinden
die Appendices piriformes. Eine zweite Phase zeigt das Auftreten von hellen und
dunklen Punkten im Verlauf der Dendriten, eine Dissociation von festen und
flüssigen Substanzen innerhalb der Fasern. In einer dritten Phase bedecken sich
die Nervenfortsätze mit ganz kleinen Granulationen, die bei schwacher Vergrösserung
wie feiner Staub aussehen. Das vierte .Stadium endlich wird durch das Auftreten
grösserer Perlen oder Varicositäten charakteriBirt, die erst bei stärkerer Einwirkung
des Aethers zur Entwickelung kommen. In der Regel sieht man in demselben
Gehirn alle 4 Stadien nebeneinander.
Wie vollzieht sich nun die Bildung dieser Varicositäten? Die Verfasserin
glaubt nicht, wie die anderen Autoren, an eine Contraction des Protoplasmas,
trotzdem die Verbindungen der einzelnen Perlen und Varicositäten sehr verdünnt
erscheinen, sie nimmt vielmehr an, dass es sich dabei um eine Verflüssigung
des Protoplasmas handelt. Die Perlen und Varicositäten sind als „Tropfen“ des
flüssigen Elementes des Nervenfaserprotoplasmas anzusehen, während die zwischen
ihnen liegenden, ihrer Flüssigkeit beraubten festen Bestandtheile des Faserproto-
plasmas als sehr feine, in ihrem Volumen stark verdünnte Fäserchen erscheinen.
Die Verfasserin sieht in diesem Dissociationsvorgang einen pathologischen Process,
der eine Folge von Ernährungsstörungen darstellt. Facklam (Lübeck).
11) Die Kohlenoxydvergiftung in ihrer klinischen, hygienischen und ge-
riohtsärstliohen Bedeutung, von Dr. med. Willy Sachs. (Braunschweig,
1900. F. Vieweg u. Sohn. 236 S.)
In dem einleitenden chemischen Theile werden das Kohlenoxyd, das Leucht¬
gas, das Wassergas und die Minengase ihrem Wesen nach besprochen, dann folgt
die Zeichnung des allgemeinen Symptomenbildes, die Aufführung der speciellen
Symptomatologie in acuten .und chronischen VergiftungBfällen, eine Darstellung
der pathologisch-anatomischen Befunde und Angaben über Diagnose und Prognose.
Theil III umfasst die toxikologisch-physiologischen Daten, die Wirkung von CO
auf die Organe, den Nachweis des Giftes im Blute und in der Luft und das Schicksal
des Kohlenoxyds im Körper.
Nach Aufzählung der Theorieen bespricht Verf. die Therapie, im hygienischen
Theile die Vergiftungen im Fabrikbetriebe und in Wohnräumen, die prophylak¬
tischen Maassnahmen, sowie anhangsweise die Minenkrankheit.
Abschnitt VII handelt von den forensischen Beziehungen, den Schluss bildet
ein Litteraturverzeichniss von 12 Seiten.
Bei der grossen praktischen Bedeutung der CO-Vergiftung muss man dem
Verf. für die Zusammenstellung des gegenwärtigen Standes unserer Kenntnisse
Dank wissen. Die Arbeit giebt einen brauchbaren Ueberblick über das Gesammt-
capitel und zeigt gleichzeitig die zahlreichen Lücken unseres WissenB.
R. Pfeiffer.
12) Die chronische Schwefelkohlenstoffvergiftung, von H. Kionka in Breslau.
(Zeitschr. f. prakt. Aerzte. 1899.)
Verf. hält sich in seiner kurzen Darstellung dieser an Bedeutung anscheinend
immer mehr gewinnenden gewerblichen Vergiftung eng an das Buch von Lauden-
heimer (Die Schwefelkohlenstoffvergiftung der Gummiarbeiter. Leipzig, 1899),
so dasB sich hier ein Eingehen auf dieselbe erübrigt, da über das letztere Werk
an anderer Stelle ausführlich beriohtet wird. H. Haenel (Dresden).
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13) Zar Lehre von der 8chwefelkohlenstoffheuritis , von Dr.. tned. Georg
Koester, Privatdocent und Assistent an der Nervenabtheilung der medicin.
Universitätspoliklinik zu Leipzig. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. 1900.
XXXIH.)
Zur Entscheidung der Frage, ob und auf welche Weise Schwefelkohlenstoff
Neuritis hervorrufen könne, setzte Verf. zunächst mit einer sinnreich erdachten
Vorrichtung die eine Pfote einiger Kaninchen 2 Wochen lang täglich mehrere
Stunden dampfförmigem Schwefelkohlenstoff aus, fand aber makroskopisch wie
mikroskopisch an Haut und Nervenstämmen nichts Abnormes. Die Annahme,
dass die Schwefelkohlenstoffdämpfe die Haut durchdrängen und irgendwie eine
im histologischen Bilde sich ausprägende Schädigung der peripheren Nerven
hervorrufen sollen, erhält also durch das Thierexperiment keine Stütze. Sodann
liess er Schwefelkohlenstoffdämpfe einathmen: unzweideutige neuritische Dege¬
nerationen konnten an den Nerven der durch Inhalation von Schwefelkohlenstoff
chronisch vergifteten Thiere nicht in so überwiegender Massenhaftigkeit nach¬
gewiesen werden, dass daraus der Beweis für die Existenz einer Nervenentzündung
geliefert werden könnte. Immerhin brachte das mit dem Blute an die Nerven¬
fasern gelangende Gift das ungewöhnliche Bild einer Ausschwitzung von fettig
entartetem Mark aus der structurell sonst intacten Markscheide in der Mehrzahl
der Fasern und einen streckenweisen Zerfall der Markscheide selbst in der Minder¬
zahl der Fasern hervor. Endlich tauchte Verf. die Kaninchenpfote in 4 Fällen
wiederholt bestimmte Zeit lang in flüssigen Schwefelkohlenstoff ein. Die Haut
gerieth an den betreffenden Stellen in Entzündung und Nekrose und wurde ge¬
fühllos. Makroskopisch sah man Verdickung der Haut bis ins Unterhautzellgewebe
und auffallende Schmalheit und Blässe der feinen Nervenstämme des Unterhaut¬
zellgewebes. Mikroskopisch fand sich in den Hautnerven und weiter aufsteigend
das Bild einer echten parenchymatösen Neuritis. Die Wirkung des Giftes
kann also nur duroh Imbibition der Haut mit dem Gifte erklärt werden; der
flüssige Schwefelkohlenstoff dringt durch die unzähligen Poren der Haut (Talg-
und SchweiBsdrüsen und Haarbalgmündungen) in die Haut ein, durchtränkt sie
bis zum subcutanen Gewebe und wirkt, wie Verf. am meisten anzunehmen geneigt
ist, specifisch auf die peripheren Nerven ein. Die Frage nach der Existenz
einer durch Contact mit dem flüssigen Schwefelkohlenstoff entstehenden Neuritis
ist somit durch das Thierexperiment glücklich gelöst worden.
G. IIberg (Sonnenstein).
14) Considörationa sur un caa grave de morphioooalnomanle , par Paul
Sollier. (Progres mödical. 1900. S. 289.)
Berichte und Vorschläge von Morphiumentziehungskur, die Verf. in mehreren,
selbst schweren Fällen mit besserem Erfolge angewandt hat, als die von Erlen-
meyer u. A. stammenden Behandlungsarten.
Adolf Passow (Goslar-Marienbad).
15) Epidemie arsenioal poiaoning amongat beer drinkers, by Nathan Raw,
Frank H. Barendt and W. B. Warrington. (Brit. med. Journ. 1901.
5. Januar.)
Die Verff. geben eine Uebersicht über 169 Fälle von Arsenikvergiftung,
welche sie bei Biertrinkern in Liverpool beobachtet haben. Sie besprechen ausser
den Hauterkrankungen die beobachteten Erkrankungen des Nervensystems (multiple
Neuritis). — Aus den ira Anfang der Erkrankung befindlichen und zur Be¬
obachtung gekommenen Fällen, bei denen es sich um sehr mässigen Bier- und
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520
Alkoholgenuss handelte und die Nervenerkrankungen daher sehr wahrscheinlich
nur der Arsenikvergiftung (in Folge Biergenusses) zuzuschreiben sind, stellen sie
als für Arsenikneuritis charakteristisch hin:
1. plötzliches Auftreten von Parästhesieen in Händen und Füssen;
2. heftige Schmerzen in der Fusssohle, besonders beim Auftreten, in der
Ferse und in den Ballen der grossen und kleinen Zehe;
3. Erscheinungen von Erythromelalgie an der Fusssohle;
4. keine ausgesprochene Abnahme der Sensibilität;
5. Fehlen von Ataxie und Paresen.
Intelligenzstörungen fehlten, auch bei den vorgeschrittenen Fällen. — Niemals
waren die Gehirn-, Intercostalnerven oder der N. phrenicus in Mitleidenschaft
gezogen. E. Lehmann (Oeynhausen).
16) Casuistisoher Beitrag zur Frage der erregenden Wirkung des Alkohols,
von Dr. Konrad Gregor. Aus der Breslauer Kinderklinik. (Jahrbuch f.
Kinderheilk. LII. [3. Folge. II.])
Die im Kindesalter beschriebenen Fälle von acuter Alkoholvergiftung, welche
Verf. in einer Tabelle zusammenstellt, unterscheiden sich dadurch von dem Krank¬
heitsbilde bei Erwachsenen, dass es zu keinem Excitationsstadium kommt, sondern
sofort ein komatöser Zustand eintritt, welcher entweder bis zum Tode bezw. der
Heilung andauert oder nach 9—11 ständiger Dauer von Krämpfen unterbrochen
wird. Nur in zweien (von 17 Fällen) war der Eintritt des Krampfstadiums nicht
so typisch. Die Bewusstseinsstörung wird durch die Convulsionen nicht auf¬
gehoben. Verf. ist nicht geneigt, diese Reizungszustände als directe Wirkung des
Alkohols anzusehen, sondern glaubt vielmehr, dass das charakteristische Symptom
dieser Intoxication im Kindesalter in einer narkoseähnlichen Bewusstlosigkeit und
Erschlaffung der Musculatur bestehe. Diese Erscheinungen bot auch der vom
Verf. beobachtete Fall, welcher durch die Art der Vergiftung — auf dem Wege
der Athmung — ganz besonderes Interesse beansprucht. Bei dem 6 Monate alten,
an Pneumonie und Pleuritis leidenden Kinde wurden nämlich zum Zwecke eines
therapeutischen Versuches 3 Mal täglich durch 3—6 Stunden Thoraxeinpackungen
mit 96°/ 0 Alkohol gemacht. Nach 2tägiger derartiger Behandlung, während
welcher sich das Kind relativ wohl befunden hatte, verfiel dasselbe in einen Zu¬
stand von Somnolenz, die erst am nächsten Morgen, da das Kind aus seinem
Schlafe nicht zu erwecken war, als krankhaft erkannt wurde. Nach 17 stündigem
Koma, während dessen sämmtliche Reflexe erloschen, die Pupillen jedoch gut
reagirend, die Herzthätigkeit und Athmung ziemlich regelmässig waren, stellte
sich Temperatursteigerung, dann Unruhe, vorübergehendes Grimmassiren und
Schielen ein; 3 Tage nach Eintritt der Vergiftung waren sämmtliche diesbezüg¬
lichen Erscheinungen geschwunden. Die Behandlung bestand zuerst in nassen Ein¬
packungen von Körpertemperatur, dann in Darreichung von Digitalis (0,5:150,
2stündlich) und schwarzem Kaffee. Zappert (Wien).
17) De l'alooolisme oongdnital, par Dr. Delobel (Noyan). (Annales de
mädecine et Chirurgie infantile. 1901. 15. April.)
Verf. beruft sich auf die Untersuchungen anderer Autoren, namentlich auf
Thierexperimente von Nicloux, um die Behauptung aufzustellen, dass die Kinder
trunksüchtiger Mütter bereits in utero mit Alkohol vergiftet sein können. Es sei
unter solchen Umständen nicht erstaunlich, wenn bereits Neugeborene unter Sym¬
ptomen erkranken, welche auf angeborene Alkoholschädigung zurückzuführen seien.
Verf. möchte folgende drei Beispiele hierher rechnen:
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L Eine 26jähr. schwere Branntweinsäuferin wird am normalen Schwanger¬
schaftsende von einem ausgetragenen Kinde entbunden, welches sie selber stillt.
Das Kind schläft wenig, ist unruhig und erkrankt am 28. Lebenstage an Con-
vulsionen, denen es binnen 2 Tagen erliegt. Die Mutter hatte seit der Entbindung
keinen Alkohol erhalten — wenigstens nach der Annahme ihrer Umgebung —,
so dass eine Alkoholvergiftung des Kindes durch die Muttermilch ausgeschlossen
erscheint.
II. Beide Eltern rabiate Säufer. Das Kind, wahrscheinlich im Rausche ge¬
zeugt, wird künstlich ernährt, ist hochgradig atrophisch, zeigt eine Sclerema
neonatorum und geht im Alter von 14 Tagen zu Grunde.
III. Die Eltern sind keine Trinker, sind aber beide in einer ParfÜmfabrik
beschäftigt, wo sie viel mit alkoholischen Substanzen zu thun haben; sie leiden
auch seit dieser Thätigkeit an häufigen Kopfschmerzen. Das Kind, welches schon
früher recht unruhig gewesen, erkrankt im Alter von 3 Wochen an Krämpfen
und stirbt nach 8 tägiger Krankheit
Verf. sieht selbst ein, dasB die Vererbung der Alkoholvergiftung in diesen
Fällen schwer beweisbar sei, und führt dieselben nur an, weil er nach den oben
erwähnten Versuchen von Nicloux von der Möglichkeit eines solchen Vorkommens
überzeugt ist.
Ref. möchte aber — selbst die Richtigkeit dieser Experimente angenommen
— die vorliegenden Fälle für ziemlich belanglos halten, da Convulsionen, Atrophie
doch zu allgemeine Todesursachen im frühen Kindesalter darstellen, um irgend
welche weitgehende Schlüsse daraus zu gestatten. Zappert (Wien).
18) An epidemio of peripheral neuritls amongat beer drinker« in Man¬
chester and Diatriot, by Ernest Septimus Reynolds. (Brit. med.
Journ. 1900. 24. November.)
Verf. beobachtete in Manchester und Umgebung das epidemische Auftreten
von multipler Neuritis. Alle davon befallenen Patienten waren dem Biergenuss
ergeben, jedoch viele nur in raässigem Grade (etwa 4 Glas täglich).
Innerhalb 3 Monate (bis Mitte November 1900) zeigten 1 / 4 der vom Verf.
poliklinisch behandelten Kranken und etwa 23 °/ 0 sämmtlicher im „Manchester
Workhouse Infirmary“ nntergebrachten Patienten Symptome von multipler Neuritis,
wie sie nach Alkoholmissbrauch beobachtet werden.
Von der gewöhnlichen Form der Alkoholneuritis unterschieden sich die
meisten Fälle jedoch durch das besonders starke Hervortreten von Schmerzen
(namentlich in den unteren Extremitäten), Bowie von vasomotorischen Störungen,
besonders aber durch die ausgedehnten Hautaffectionen.
Verf. beobachtete namentlich oft masern- oder scharlachähnliches, mit Juck¬
reiz verbundenes Erythem mit nachfolgender Absohuppung der Haut; ferner pem¬
phigusähnliche Eruptionen, bei 2 Patienten Herpes zoster. — Viele Kranke zeigten
Pigmentflecke von verschiedenster Grösse und Ausdehnung im Gesicht, am Rumpf
und an den Extremitäten. Einige Patienten hatten eine Hautfarbe wie Mulatten,
andere erinnerten an Morbus Addisonii.
Diese Hautaffectionen Hessen den Verdacht entstehen, dass die Ursache der
Erkrankung — Beri-Beri war auszuschliessen — nicht sowohl dem Alkohol, als
vielleicht einer Arsenikvergiftung zuzuschreiben sei. — Die Untersuchung ver¬
schiedener Proben von Bier, das in Manchester und Umgebung gebraut war, ergab
in der That die Anwesenheit von Arsenik in denselben. Letzteres dürfte aus
dem Schwefel stammen, welcher in der Hopfenindustrie gebraucht wird (vgl.
Referat 6). R. Lehmann (Oeynhausen).
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— 522
19) The fl&oe and pupil in alooholio neuritis, by Sir P. Lauder Brunton.
(ßrit. med. Journ. 1900. 1. December.)
Bei Neuritis alcoholica sah Verf. als erstes Symptom in einigen Fällen ein
ausdrucksloses, maskenartiges Gesicht. Die Lippen, Augenlider und die Stirn
waren zwar frei beweglich, dagegen erschien das übrige Gesicht (Nasolabialfalte)
starr und unbeweglich. Sodann erwähnt Verf. als charakteristisches Krankheits¬
symptom das Verhalten der Pupillen, die wohl auf Licht, aber auf Accommodation
nicht oder nur träge reagiren. E. Lehmann (Oeynhausen).
20) Bin Beitrag aur Polyneuritis alcoholica, von Halban. (Przeglad lekaraki.
1900. Nr. 17—19. [Polnisch.])
Verf. beschreibt 3 Fälle von Polyneuritis alcoholica, welche von ihm patho¬
logisch-anatomisch vermittelst der Marchi'sehen und Nissl’schen Methoden unter¬
sucht waren. Die Vorderhornzellen erwiesen sich in 2 Fällen deutlich verändert
Die Zellalterationen bestanden dabei wesentlich in Chromatolyse und in manchen
Stellen in excentrischer Stellung des Kerns. In einem Falle waren diese Zell¬
alterationen im Lumbalmark stärker ausgeprägt als im Halsmark, im andereb
Falle glichen sich diese Differenzen aus. Verf. meint, dass diese Vorderhorn¬
veränderungen in engem Zusammenhänge mit der Polyneuritis stehen. Was da¬
gegen die bei Alkoholneuritis stattfindenden Alterationen im übrigen Rückenmark
betrifft (Degenerationen der weissen Substanz), so spricht sich Verf. fiir die
Selbständigkeit derselben aus. In einem seiner Fälle hat er z. B. mit der
Weigert’schen und Marchi’schen Methode eine ausgeprägte Degeneration der
Goll’schen Stränge im Halsmark und im oberen mittleren Dorsal mark festgestellt,
bei normalen hinteren Wurzeln. In diesem Falle liesse sich die Topographie der
Degeneration (Goll’sche Stränge im Hals- und Dorsalmarke) mit der Alteration
der hinteren Wurzeln in keinen Einklang bringen. Wahrscheinlich fand
hier eine selbständige herdartige Erkrankung des Halsmarkes mit secundärer ab¬
steigender Degeneration der Hinterstränge statt. Allerdings giebt Verf. zu, dass
in einigen Fällen die Rückenmarksveränderungen, wenn auch von der Polyneuritis
unabhängig, doch als secundäre Degenerationen nach Erkrankung der hinteren
Wurzeln aufzufassen seien. Edward Flatau (Warschau).
21) Heber den Einfluss des Alkohols auf das psyohisohe Leben, von
Sikorskij. (Journal der Nerven- und psychiatr. Medicin. 1898. HI. Nr. 2.
[Russisch.])
Verf. bespricht zunächst den Einfluss des Alkohols auf den Denkprocess und
kommt auf Grund von Untersuchungen zahlreicher Photogramme zu dem Schluss,
dass die Contraction des Denkmuskels (M. orbitalis superior) dabei abgeschwächt
ist. Die Angenbraunen werden mehr bogenartig und rechts stets höher als links.
Ferner konnte Verf. den üblichen Einfluss des Alkohols auf die Gefählssphäre
nachweisen, indem das Gesicht bereits nach geringem Alkoholgenuss einen ge¬
meineren Ausdruck annimmt. Unter den Alkoholeinfluss treten im Gesicht ähn¬
liche Erscheinungen, wie es bei moralischer und psychischer Erschöpfung der Fall
ist. Diese Symptome bestehen in deutlicher Abschwächung 1. der beiden Mm. or¬
bitales (superior und inferior), 2. der vom unteren Facialisast innervirten Muscu-
latur. Diese Ermüdungserscheinungen treten früher ein, als in den Muskeln des
Rumpfes und der Extremitäten. Schliesslich ist noch zu bemerken, dass Alkohol
den Selbsterhaltungstrieb lähmt. Zahlreiche Untersuchungen zeigten, dass diejenigen
Arbeiter, welche sich am schlechtesten ernährt und am meisten getrunken haben.
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523
fast 4 Mal so oft erkrankten, als die übrigen Arbeiter. Die Alkoholiker bemerkten
während der Arbeit weder Kälte noch Nässe und erlagen deshalb oft verschieden¬
artigen Infectionskrankheiten. Edward Flatau (Warschau).
22) IJn oas d’illusion visuelle d’origine ouirique ohez un alooolique, par
M. Granjux. (Progres medical. 1900. S. 236.)
Verf. theilt einen Fall von Gesichts- und Gehörshallucinationen bei einem
schweren Alkoholisten mit, der, als Reservist eingezogen, im Dienste über von
ihm zu bewachende Gefangene allerlei Aussagen und Meldungen machte, so dass
er schliesslich selber bestraft wurde. Verf. wurde dann mit der Untersuchung
beauftragt und erkannte die Krankheitsursache.
Pas so w (Goslar-Marienbad).
23) Ueber die vorübergehenden Zustände abnormen Bewusstseins in Folge
von Alkoholvergiftung und über deren forensisohe Bedeutung, von
Moeli (Berlin). (Allgem. Zeitschr. f. Psych. LVII. S. 169.)
In der 1. Gruppe beschreibt Verf. Handlungen im Sinne eines schon lange
bestehenden Vorstellungskreises bei veränderter Bewusstseinslage. Im 1. Falle
macht ein seit Jahren herzkranker, an hypochondrischen und Verfolgungsideeen
leidender Kranker nach starken Trinkexcessen einen Mordversuch auf seine Frau,
in der Absicht, den vermeintlichen Liebhaber der Frau zu treffen. Verf. lehnt
trotz früherer vereinzelter Schwindelanfälle Epilepsie ab, erklärt ihn aber für
geisteskrank. Auch bei den weiteren Kranken ist bemerkenswert}!, dass früher
gefasste Vorstellungen in dem Zustande schwerer Bewusstseinstrübung die das
Handeln bestimmende Rolle spielen.
In der 2. Gruppe handelt es sich um Alkoholisten ohne alle Zeichen von
Epilepsie, die in geänderter Bewusstseinslage Handlungen ausführten, als deren
Motive in der Zeit kurz vor dem Eintritte der acuten Bewusstseinsänderung Vor¬
handene Vorstellungen nachweisbar sind. Verf. glaubt, diese Fälle von der Epi¬
lepsie abtrennen zu müssen, vor allem weil die Bewusstseinsstörung sich schneller
ausglich, als das bei Epilepsie der Fall zu sein pflege. Ref. steht persönlich auf
dem Standpunkte, dass der Umfang der Epilepsie und der epileptischen Zustände
ein weit grösserer ist, und würde deshalb die meisten dieser Fälle trotz des
Fehlens eigentlicher Krampfanfälle unbedenklich der Epilepsie zuweisen. Für die
forensische Deutung ist das gleichgültig, im klinischen Interesse wäre eine Einigung
über die Grundlage dieser und ähnlicher Fälle wohl nothwendig.
Aschaffenburg (Heidelberg).
24) Die Schädlichkeit mässigen Alkoholgenusses, von Oberstabsarzt Matthäi
(Danzig). (Leipzig, 1900. Chr. G. Tienken.)
Die kleine Schrift ist die Wiedergabe eines offenbar vor einem Laienpublikum
gehaltenen Vortrages. Sie enthält dementsprechend zuerst eine Darstellung des
Einflusses alkoholischer Getränke auf die verschiedenen Körperorgane. Die Be¬
rechnung, dass Jemand, der täglich 1 Liter Bier und eine halbe Flasche Wein
trinkt, vom 20.—50. Jahre eine Alkoholmenge zu sich nimmt, die 1500 Litern
Cognac oder 2250 Litern Korn entspricht, demonstrirt sehr hübsch, wie man sich
über die Bedeutung mässigen Alkoholgenusses täuscht. Als Unterstützung der
völligen Enthaltsamkeit empfiehlt der Verf. das Sportathmen. Er bezeichnet so
Tiefathmen mit geschlossenem Munde bis zur äussersten Grenze der Möglichkeit
mit anschliessendem Anhalten des Athmens auf etwa */ 4 Minute oder auf 4 -bis
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6 Schritt beim Gehen. Die Broschüre enthält auch eine sehr brauchbare Zusammen¬
stellung der Gegenbestrebungen gegen den Alkoholmissbrauch in den verschiedenen
Ländern. Aschaffenburg (Heidelberg).
26) An unusual case of delirium tremens, by Hendon. (New-Yorker Med.
Journal. 1897. LXVI. Nr. 26.)
In dem kurz mitgetheilten Falle riss sich ein delirirender Alkoholiker eigen¬
händig die Zunge heraus, zerrte an dem Stumpfe, wurde gewaltthätig gegen den
Arzt und starb dann plötzlich. Die Section ergab nur Gastritis und Congestion
der Pia mater. R. Pfeiffer.
26) Bidrag til Patogenesen af Delirium tremens, af Dr. Po ul Hertz. (Hosp.-
Tidende. 1898. VI. Nr. 8—10.)
Verf. hat seine Aufmerksamkeit auf das Verhalten der Nieren und des Harns
bei Delirium tremens gerichtet und zu diesem Behufe, nach Ausschluss aller mehr
oder weniger unbrauchbaren Fälle, 124 Fälle genau untersucht, in denen die Dia¬
gnose unzweifelhaft war. Von diesen waren 54 schwere Fälle mit und ohne
Eklampsie, die entweder noch im Prodromalstadium oder kurz nach dem Ausbruch
zur Aufnahme kamen. In 23 Fällen (9 ohne, 14 mit Eklampsie) fand sich
Albuminurie mit deutlichen Nierenersoheinungen. Die Albuminurie war in allen
Fällen, wo dies controlirt werden konnte, schon während des Prodromalstadiums
vorhanden: Die Functionsstörungen der Nieren schlossen sich genau an den Ver¬
lauf des Deliriums an, die Besserung dieses trat gleichzeitig mit einer unzweifel¬
haften Tendenz zur Ausgleichung der Harnabnormitäten ein; oft, aber nicht
immer, trat eine Harnkrise ein, die mit dem kritischen Schlaf zusammenfiel. In
Fällen, die lange genug beobachtet werden konnten, sah man kurze Zeit nach
dem Aufhören des Deliriums die Nierenfunction vollständig normal werden. Auch
von 12 ausgesprochenen Fällen von Delirium tremens, die im Prodromalstadium
aufgenommen wurden, war in 11 schon in diesem Albuminurie vorhanden, in
einem fehlte sie am letzten Tage des Prodromalstadiums und am 1. Tage des
Deliriumanfalls, obwohl sie früher im Prodromalstadium vorhanden war und die
Section eine bedeutende organische Nierenkrankheit ergab. Auch in 19 Fällen
von Delirium ohne Eklampsie, die nach dem Ausbruche aufgenommen worden, fand
sich Albuminurie in verschiedenem Grade. In allen beobachteten Fällen fand sich
unverkennbar, dass die Heftigkeit des Deliriums der Intensität der Harnabnormi¬
täten proportional ist. In 2 Fällen mit tödtlichem Ausgange ergab die Section acute
parenchymatöse oder diffuse Nephritis. Sichere Zeichen für die Annahme einer
vorher vorhandenen Nephritis fanden sich in der Regel nicht, nur in 3 Fällen
konnte ein chronisches Nierenleiden als Complication des Delirium tremens nach¬
gewiesen werden, und aus diesen 3 Fällen ging hervor, dass ein chronisches
Nierenleiden an sich nicht genügt, einen Deliriumanfall hervorzurufen, es muss
eine acute Exacerbation hinzukommen.
Aus den Untersuchungen des Verfi’s geht hervor, dass constant eine Nieren-
störung (acute Nephritis) bei Delirium tremens vorkommt, die das primäre Leiden
ist, während das Delirium das secundäre ist. Der parallele Verlauf beider Leiden
macht einen genetischen Zusammenhang zwischen ihnen sehr wahrscheinlich. Da
das Delirium ferner in mehrfachen Beziehungen Aehnlichkeit mit der Urämie
bietet, ist nach Verf. Grund vorhanden, anzunehmen, dass das Delirium tremens
eine acute Intoxicationspsychose in Folge von durch acute Nephritis bedingter*
Insufficienz der Nierenfunction ist. Die eigentümliche Form, die diese Psychose
einnimmt, beruht darauf, dass sie sich bei chronischem Alkoholismus entwickelt.
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Das Delirium tremens bei Pneumonie wird nach Verf. wahrscheinlich nicht duroh
Pneumotoxine, sondern durch ein stets dabei bestehendes Nierenleiden verursacht.
Walter Berger (Leipzig).
27) Statistlsohe Beiträge zu den Beziehungen zwischen Trunksucht und
Geistesstörung, von Hoppe (Allenberg). (Der Alkoholismus. S. 206.)
Verf. hat in seiner Statistik nicht nur die Trunksucht des Kranken selbst
berücksichtigt, sondern auch Nachforschungen über Alkoholismus in der nächsten
Blutsverwandtschaft angestellt. Dadurch kommt er zu sehr hohen Zahlen bezüglich
des Zusammenhanges zwischen Trunksucht und Geisteskrankheit: 1890—1899 be¬
rechnet er die Zahl der Trinker unter 1124 in Allenberg aufgenommenen Männern
auf 32,6 °/ 0 , darunter etwa % solcher, bei denen die Trunksucht die Ursache der
Erkrankung war. Bei 26,2°/ 0 der Trinker, bei 8,5°/ 0 der Aufnahmen, war in
der Ascendenz die gleiche Neigung festzustellen; unter den übrigen Geisteskranken
ebenfalls in 8,5 % der Aufgenommenen. Im Ganzen spielte Trunksucht eine Rolle
bei 44,1 °/ 0 der männlichen, ll,8°/ 0 der weiblichen Kranken. 22% der Trinker
waren Vagabunden oder Personen, die mit dem Strafgesetz in Conflict gerathen
waren. Aschaffenburg (Heidelberg).
28) The relation of alooholism to suicide in England, with special refe-
renoe to reoent statistios, by W. C. Sullivan, M. D. (Journal of Mental
Science. April 1900.)
An der Hand einschlägiger Statistiken und Tabellen, die sich meist über
Jahrzehnte erstrecken, begiebt sich Verf. mit scharfsinniger Erörterung und um¬
sichtiger Berücksichtigung aller möglichen Fehlerquellen an die Beantwortung der
Fragen, welchen Antheil der Alkoholismus an der Zunahme der Selbstmorde in
England hat, und welche Eigenschaften den Selbstmord der Trinker von dem aus
anderen Gründen unterscheiden. Die Vergleichungen und Folgerungen aus dem
reichhaltigen Material fuhren auf folgende Schlusssätze hinaus: Die neuerliche
Zunahme der Selbstmorde in England fällt mit einer beträchtlichen Vermehrung
abortiver Selbstmordversuche zusammen, deren Charaktere sich dem Typus des
Selbstmordes der Säufer nähern und klinisch bestätigen, dass der Alkohol die
Hauptrolle bei dem Tentamen suicidii spielt. Die wichtigste dieser Eigenschaften
— Vorkommen in früherem Alter — hat auch das jüngste Steigen des Selbst¬
mordes ausgezeichnet. Deshalb ist dieses letztere sehr wahrscheinlich in hohem
Grade auf den Einfluss des Alkoholismus zu beziehen; Mortalitätsstatistiken zeigen,
dass dieser gleichzeitig zugenommen hat.
Aus den Ergebnissen verschiedener Ueberlegungen lässt sich der Typus des
alkoholischen Selbstmordes als eine besondere Varietät aufstellen, in welcher die
aus der chronischen Alkoholintoxication folgenden allgemeinen Functionsstörungen
der Viscera die organischen Reize, welche das Gerüst der Persönlichkeit auf bauen,
derartig verändern, dass der daraus resultirende depressorische Gefühlston den
suicidalen Impuls auslöst, und zwar typisch besonders dann, wenn ein weiterer
Zuwachs von Vergiftung die Functionsschwelle des geschwächten Hirns nooh weiter
erniedrigt und entsprechend den Einfluss der organischen Reize in den Hirn¬
processen erhöht hat. Verglichen mit der Ueberlegung und Planmässigkeit in
anderen Fällen ist also der Selbstmord der Trinker impulsiver und steht in un¬
mittelbarerer Verkettung mit seinen Organverhältnissen.
Die Statistik giebt die socialen Consequenzen dieser speciellen klinischen
Verhältnisse ebenso bestimmt wieder. Sociale Factoren, welche andere Formen
des Selbstmordes beeinflussen, sind im Alkoholsuicidium verhältnissmässig belanglos
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526
oder variabler; daher wird sein Typus weniger als jene durch Eigentümlichkeiten
bestimmt, welche von ihren Einflüssen abhängen. Fördern solche Factoren gleich¬
zeitig den Abusus Spiritus (Einflüsse der Jahreszeiten), so sind ihre Wirkungen beim
alkoholischen Selbstmord dieselben wie beim gewöhnlichen (zunehmende Häufigkeit
vom Winter zum Sommer). Der sexuelle Einfluss ißt in beiden Formen nicht
wesentlich verschieden. Dahingegen verhalten sich die Einflüsse religiöser Culte
wesentlich different: Christliche Secten sind verhältnissmässig immun gegen nicht¬
alkoholischen, aber gewähren keinen Schutz gegen alkoholistischen Angriff aufs
eigene Leben. Endlich das Lebensalter. Für den gewöhnlichen Selbstmord
nehmen die Einflüsse, welche zum Suicid tendiren, mit den Jahren zu, so dass
ihr Maximum in die Periode der Involution fällt. Anders beim Trinker; die
visceralen Störungen, aus welchen der autodestructive Impuls entspringt, wirken
mit grösster Intensität auf das Affectleben in der Periode vollster Lebensthätig-
keit; von diesem früheren Lebensalter ab lässt der Einfluss des Alkohols immer
mehr nach und ist im vorgeschrittenen Alter kaum noch als Ursache für sich zu
bezeichnen.
Der impulsive alkoholistische Selbstmord ist als ein Phänomen des Indi¬
viduums durch Bewusstseinstrübung und Fehlen der Ueberlegung clyirakterisirt;
er kennzeichnet sich aber andererseits als sociale Erscheinung durch die relative
Unabhängigkeit von den gewöhnlichen Factoren des Selbstmordes, so zu sagen
durch eine Trübung der complexeren Thätigkeiten des Collectivbewusstseins.
Wahrscheinlich ist diese Verschiedenheit in beiden Verhältnissen keine absolute;
wie das Traumbewusstsein vom Wachbewusstsein unter verschiedenen Bedingungen
gradweise mehr oder weniger unabhängig wird, so ist zweifellos auch die Be¬
wegung der toxischen Selbstmorde in einer Gesellschaft von den Factoren, welche
die überlegteren socialen Handlungen incl. gewöhnlichen Selbstmord beeinflussen,
nicht ganz unabhängig; der Zustand des Collectivbewusstseins mag auf die Rich¬
tung des impulsiven Actes der Alkoholisten in gewissem Grade einwirken (wenn
beispielsweise das Ueberwiegen alkoholistischer Selbstmorde gegenüber den Morden
aus derselben Ursache dem gleichen Verhältnis zwischen Selbstmord und Mord
im Allgemeinen entspricht). Ihr verschiedener Grad und Charakter erklärt zum
Theil locale und periodische Schwankungen in der Beziehung zwischen Alkoholismus
und seinem suicidalen Ausdruck und in der Divergenz zwischen letzterem und
dem gewöhnlichen Suicidium. Doch reichen jedenfalls ihre Einflüsse niemals aus,
die Specialchäraktere des alkoholistischen Selbstmordes zu verwischen, welche sich
insgesammt auf Kräfte beziehen, welche im Alkoholismus ihre Quelle haben.
0. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
29) Voraussetzungen und Grundsätze der modernen Trinkerbehandlung,
von Colla. (Psychiatr. WochenBcbr. 1901. Nr. 48 u. 49.)
Maassgebend für die Grundlage der klinischen Bilder des Alkoholismus ist
der Begriff der Intoleranz. Intolerant ist jeder, der entweder auffallende acute
Vergiftungssymptome zeigt oder bei gewohnheitsmässigem Genüsse geistige und
körperliche Schädigung erfährt: hierbei ist besonders hervorzuheben die ethische
Einbusse, Schädigung des Herzens, Polydipsie und Polyurie. Das subjective
Moment der Intoleranz, die angeboren oder erworben sein kann sowie die ver¬
schiedensten Grade aufweist, entspricht der Prädisposition. Darauf legt Verf.
besonderes Gewicht, dass sich oft die Intoleranz zeigt, schon lange bevor das ganze
Krankheitsbild des chronischen Alkoholismus sich entwickelt hat; dieses Früh¬
symptom sei überhaupt viel häufiger als man denke.
Da man die Intoleranz nicht aus der Welt schaffen kann, so kann die Be¬
handlung nur in einer völligen und dauernden Entziehung des Alkohols bestehen;
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es giebt eben keine Massigkeit für Trinker. Bei der Entziehung, nach der auch
Verf. niemals ein Delirium hat auftreten sehen, sind warme Bäder und Trional
(bis zu 4,0 pro die) empfehlenswerth. Nachdrücklich und mit Recht verlangt
Verf. Specialanstalten für Trinker, in der alle Angestellten völlig abstinent sind.
Mit der Anstaltsbehandlung allein ist es nicht gethan. Der frühere Trinker muss
zu einem überzeugten Abstinenzler gemacht, mit anderen Worten, seine ganze
Persönlichkeit muss umgewandelt werden. Ernst Schnitze (Andernach).
80) Zur Abstinenrfrage. Ein Vorwort zum Antialkoholistencongresse, von Dr.
M. Benedikt. (Wiener med. Presse. 1901. Nr. 14.)
In energischer Weise wendet sich Verf. in seinem „Vorwort“ gegen den
doctrinären Antialkoholismus, gegen die Lehre von der radicalen Abstinenz, und
lasst die verschiedenen Typen der Verfechter dieser Idee der Reihe nach Revue
passiren. Zuerst die idealistischen Schwärmer, „altruistische Hypochonder, die für
die Menschheit alle Angst vor Gefahren ausstehen und alles meiden heissen, was
die Gesundheit gefährden könnte“. Es folgen die „Schrullenmenschen“, bei denen
der Antialkoholismus Monomanie, und die „Paradoxomanen“, bei denen er Gegen¬
stand sophistischer Dialektik ist. Weiterhin die Frauenrechtlerinnen, deren
Abstinenzlerthum Ausfluss der gerechten Entrüstung beim Anblick der familien¬
zerstörenden Wirkung des Alkoholmissbrauches ist, und denen Verf. das „Vorrecht
der Einseitigkeit“ einräumt. Am meisten ernst zu nehmen sind diejenigen An¬
hänger der Abstinenz, deren Stellungnahme sich aus den Erfahrungen am Secir-
tisch, im Irrenhause und im Gefängniss herleitet
Verf. erblickt im Alkoholismus kein ätiologisches Moment, sondern ein Sym¬
ptom und will die Axt nicht ans Trinken, sondern an die Ursachen des excessiven
Trinkens angelegt wissen. Diese Ursachen sieht er vor allem in socialen Miss-
ständen, mit deren Bekämpfung die sociale Bewegung „unvergleichlich mehr zur
Bekämpfung des Alkoholisraus beigetragen hat, als alle anderen Factoren“. Was
das „Gift“ Alkohol betrifft, so meint Verf.: „Wenn der Alkohol heute aus dem
Menschenleben verschwände, müsste und würde er allgemein wieder eingefiihrt
werden.“
In den actuellen Fragen der forensischen Psychiatrie des Alkoholismus und
der specifischen Behandlung und Pflege Trunksüchtiger sieht Verf. die Aufgaben
eines Antialkoholistencongresses, nicht in der uferlosen Principienfrage der Abstinenz.
Max Neumann (Karlsruhe).
31) Ein Fall wiederholter Brandlegung unter Einfluss des Alkohols, von
Dr. H. Schloss. (Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 32.)
Es handelte sieb um einen Menschen von mangelhafter Schulbildung und ver¬
nachlässigter Erziehung, dessen klare Angaben und dessen Verwendbarkeit bei
mancherlei Arbeiten einen pathologischen Schwachsinn ausschliessen Hessen. Im
Zustande der Nüchternheit harmlos und fleissig, zeigte sich bei ihm unter dem
Einflüsse des Alkohols die Neigung zur Brandlegung. Im angeheiterten Zustande
kam ihm immer der Gedanke in den Kopf, eine Scheune in Brand zu stecken,
„so dass er anzünden müsse“.
Nähere Einzelheiten des Falles mögen im Originale nachgelesen werden.
J. Sorgo ("Wien).
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32) Zwei Fftlle von wiederholten Brandstiftungen unter Einfluss des
Alkohols, von Hoppe (Allenberg). (Allgem. Zeitschr. f. Psych. LVII.
• S. 653.)
Der 1. Kranke war ein von Jugend auf hochgradig Schwachsinniger, Sohn
eines Trinkers, der selbst dem Trünke ergeben, vorübergehend auch hallucinirt
zu haben scheint. In nicht ganz 10 Wochen legte er 16 Mal Feuer an, 14 Mal
davon in einem Monate. Meist stand er bei den Brandstiftungen unter dem
Einfluss stärkerer Alkoholexcesse, während deren er sich auch verrietli. In einigen
Fällen konnte man vielleicht in Rachsucht das Motiv finden, meist aber fehlte
jeder Grund zu diesen Handlungen. Exculpirt.
Der andere Kranke war ein Quartalssäufer, der in seinen Anfallen bis zum
Trinken von Brennspiritus ging. Da die Anfälle nicht mit Angst und Unruhe
anfingen, bezeichnet Verf. dieselben als pseudodipsomanische. Ungefähr in diesem
Zustande angezündete Brände, denen einer das eigene Haus des Angeklagten be¬
traf und ihn pecuniär schädigte, mussten alle als unter den Schutz des § 51 zu
stellende Handlungen erklärt werden. Ausser Verfolg gesetzt.
Aschaffenburg (Heidelberg).
33) Alooolüune et r&orme sooiale, par Georges Loiseau. (Paris, 1900.
Bailli&re et Fils.)
Nach einer kurzen Einleitung, in der in schnellem Ueberblick die wichtigsten
Daten über die Schädlichkeit des Alkohols zusammengestellt sind, bespricht Verf.
die nothwendigen Gegenmaassregeln. Seitens des Staates kommen in Betracht:
Beseitigung des Rechtes zum Brennen von Hausschnaps, Erhöhung der Abgaben
auf Alkohol, besser noch progressive Besteuerung der alkoholischen Getränke,
Herabsetzung der (in Frankreich enorm hohen) Zölle auf Thee und Kaffee, wirk¬
liche Anwendung der bestehenden Gesetzgebung, Gleichstellung der Trink- und
Spielschulden, Berechtigung zur Anwendung der Localoption oder des Gothen¬
burger Systems. Bei dem wichtigen Einflüsse, den die Wirthe auf die Wahlen
haben, verspricht sich der Verf. keine sehr schnelle Besserung, zumal diese ohne
eine gründliche sociale Reform im Sinne der Umgestaltung der Volkssitteu nicht
von dauerndem Bestände sein würde. Dementsprechend erörtert er eingehend den
Unterricht über die Alkoholfrage in der Schule, die Maassregeln im Heere, von
denen neben der Abschaffung der Cantinen vor Allem deren Ersatz durch
Schaffung gemeinsamer Aufenthaltsräume mit Lese- und Spielzimmern empfehlens-
werth erscheint. Auch für die Marine müssten in den Häfen ähnliche Einrichtungen
getroffen werden, ebenso für die Fischer in Neuseeland und Island. Die Geistlich¬
keit und die Aerzte müssen aufklärend und belehrend in den Kampf gegen den
Alkoholismus eingreifen. Für die Arbeiterbevölkerung muss neben der rein er¬
ziehenden Thätigkeit durch Gründung von Temperenzgesellschaften, Volksheimen
Verbot des Gebrauchs alkoholischer Getränke in den Fabriken, auch eine Besserung
der häuslichen Verhältnisse angestrebt werden. Hier kann vor Allem durch die
Mitwirkung der Frauen (Haushaltungsschulen) viel erreicht werden.
Der Verf. steht durchaus nicht auf einem besonders radicalen Standpunkte;
er tritt zwar dem Vorurtheil entgegen, dass die schädliche Wirkung des Schnapses
von den Fuselölen und nicht nur von ihrem Alkoholgehalt abhinge, richtet aber
seine Vorschläge hauptsächlich gegen den Branntweinmissbrauch. Die Lesbarkeit
der 175 Seiten umfassenden Schrift ist durch die lebendige Darstellung entschieden
erfreulicher als der Tractatenstil mancher deutscher Antialkoholschriften.
Aschaffenburg (Heidelberg).
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529
34) Esquisse sur l’aotivitö de la Commission pour l’ötude de l'alooolisme
(1898—1900), par Dr. G. Dembo, S6cr6taire de la Commission. Avec une
preface du präsident de la commission. (St. Petersburg, 1900. P. P. So’ikine.)
Zwecks Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs in Russland hat sich in Peters¬
burg eine Commission gebildet, welche es sich zur Aufgabe machte, die Folgen
des Alkoholmissbrauchs nach den verschiedensten Richtungen hin im Gebiete des
russischen Reiches zu prüfen. Der vorliegende, über 100 Seiten starke Bericht
soll nun in grossen Zügen die Thätigkeit skizziren, welche diese Commission auf
sich genommen hat. Man suchte und fand in diesen Bestrebungen bei den wissen¬
schaftlichen, medicinischen und juristischen Gesellschaften, sowie auch bei den
Mässigkeitsvereinen Unterstützung. Die einzelnen einschlägigen Fragen wurden
dann in Untercommissionen behandelt und auf Grund der Verhandlungen be¬
stimmte Thesen aufgestellt.
Von der Bedeutung des Branntweinconsums in Russland möge man sich eine
Vorstellung machen, wenn man erfahrt, dass der Fiscus aus dem in Russland
bestehenden Branntweinmonopol einen Nutzen von 360 Millionen Rubel zieht.
Dabei soll nach einem Bericht die Qualität des Branntweins in Russland schauer¬
lich sein und der Consum in den letzten Jahren zumeist in Folge der Vermehrung
der Branntweinschänken zugenommen haben. Interessant ist die Angabe, dass
man in einem District nachweisen konnte, dass die Bevölkerung von den Ge-
sammtausgaben 32 °/ 0 auf Landesproducte, 7°/o auf Fleisch und 24 °/ 0 auf Brannt¬
wein verwandte. Eine andere Statistik weist nach, dass die Folgen des Alkohol¬
missbrauchs sich auf alle Stände der Bevölkerung erstreckt. Nach einer Be¬
rechnung der Alkoholisten in den Petersburger Krankenhäusern kommen auf
10 000 Einwohner 33 Kleinbürger, 25 Bauern und 11 Edelleute.
Die Commission will durch lebhafte Propaganda in Wort und That Besserung
in diesen Verhältnissen erstreben. Wir haben allen Grund, derselben hierzu den
besten Erfolg zu wünschen. Ascher (Berlin).
35) Traitement de l'alooolisme, par Crivelli. (Progrös medical. 1900.
Nr. 19.)
Bericht über die guten Erfolge bei Behandlung des Alkoholismus mit Injek¬
tionen von Serum, Bäder, Massage, absolute Bettruhe u.s.w. und Stychnininjectionen.
Adolf Passow (Goslar-Marienbad),
36) De quelques traitements de ralooollsme et de oelui employö & l’asile
de Cery, par Dr. Charles de Martines. (Revue medicale de la Suisse
romande. 1900. Nr. 3.)
Nach kritisoher Besprechung verschiedener Vorschläge, die zur Heilung der
Trunksucht gemacht wurden, kommt Verf. auf das Verfahren zu sprechen, das in
Cery angewendet wird. Auffallend ist, dass in allen Fällen von Alkoholismus und
besonders bei Deliranten nicht sofort mit Eintritt in die Anstalt der Entzug des
Alkohols ein plötzlicher ist, sondern je nach dem Kräftezustand des Kranken bis
über eine Woche hinaus noch Wein in kleineren Quantitäten gereicht wird. Nach
des Ref. Erfahrung überstehen in Folge des Alkoholismus sehr heruntergekommene
Individuen ihr Delirium häufig bei sofort eingeleiteter Abstinenz sehr gut, während
andere auch trotz des Znführens der gewohnten Reizmittel ihrem Leiden erliegen.
H. Wille (St. Pirminsborg)
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530
37) S4rum anti-alooolique, par Broca, Sapelier et Thibaut. (Progr&s
mädical. 1900. Nr. 21.)
Die Verff. theilen die Resultate mit bei 53 Fällen, welche 25°/ 0 Misserfolg,
16 °/ 0 Besserungen und 60 °/ 0 Genesungen aufweisen. Im Uebrigen sei auf das
Original hingewiesen. Adolf Passow (Goslar-Marienbad).
38) lieber die Maassnahmen im Kampf gegen den Alkoholismus, von
K. RychlilSski. (Nowing lekarski. 1900. Nr. 21. [Polnisch.])
Verf. bespricht sehr eingehend die Litteratur, welche sich mit der Trunk¬
sucht beschäftigt, und berücksichtigt die gesetzlichen Maassnahmen, welche man
in verschiedenen Ländern gegen den Gewohnheitsalkoholismus angewandt hat.
Mit anderen Psychiatern nimmt Yerf. an, dass man die Gewohnheitstrinker als
kranke Menschen auffassen soll, wobei die Krankheit selbst zum grossen Theil
geerbt wird. Bei den socialen Maassregeln gegen die Trunksucht soll man nicht
zu optimistisch vorgehen, denn den Charakter eines erwachsenen Menschen zu
ändern, ist eine schwere Aufgabe. Am rationellsten sind jedenfalls specielle An¬
stalten für den Alkoholisten, in welchen die letzteren lange Zeit in völliger
Abstinenz und entsprechender Umgebung verweilen müssen. Die Bestrafung der
Trinker in den Gefängnissen übt einen verderbenden Einfluss auf den Alkoholiker
aus. Am geeignetsten wäre die Bestrebung der Regierungen, die Alkoholproduction
zu verringern. Solange dies aber unmöglich ist, müsste die Regierung danach
Btreben, durch Bau von Specialanstalten dem Uebel abzuhelfen. Auch der ratio¬
nellen Erziehung der Jugend schreibt Yerf. eine grosse Rolle zu.
Edward Flatau (Warschau).
Psychiatrie.
39) Ueber die Bettbehandlung der Geisteskranken, von A. Wizel. (Medy-
cyna. 1901. Nr. 3—7. [Polnisch.])
Verf. giebt in seiner umfassenden Arbeit eine klare und kritische Darstellung
der heutzutage vorherrschenden „Bettbehandlung“ in den Irrenanstalten. Er selbst
ist der Meinung, dass in jeder Anstalt zwei Wachabtheilungen vorhanden sein
müssen, nämlich eine für ruhige und eine für unruhige Patienten. Ausserdem sei
es nothwendig, Isolationszimmer für einzelne besonders unruhige Kranke zu be¬
halten und in diesen Einzelzimmern den Patienten im Bett zu behandeln. In
dieser Weise hat Verf. die Bettbehandlung in der von ihm geleiteten Abtheilung
durchgeführt und sehr günstige Erfolge erzielt. Zwischen diesen Kranken befanden
sich auch solche mit sehr excessiven Handlungen; auch diese beruhigten sich aber
nach einiger Zeit. Von dem üblen Einfluss, welchen die Bettbehandlung auf
einige Erscheinungen ausüben soll (Obstipation, Sinken des Körpergewichts, Ona-
nismus u. a.), konnte sich Verf. entweder garnicht oder nur in sehr geringem
Maasse überzeugen. Das Körpergewicht wurde in der That in einigen Fällen
geringer, aber meistens betrug diese Abnahme nur 1 — l 1 /» kg ( nur i° einem Falle
über 4 kg). Im Grossen und Ganzen zählt Verf. die Bettbehandlung zu den wich¬
tigsten therapeutischen Errungenschaften. Edward Flatau (Warschau).
40) Beitrag zur Kenntniss der Typhuspsyohosen, von Dr. Deiters, Assistenz¬
arzt an der Provinzial-Irrenanstalt in Andernach. (Münchener med. Wochen¬
schrift. 1900. Nr. 47.)
Es handelt sich um 2 Fälle von Initialdelirien bei Typhus, von welchen zwei
Geschwister betroffen wurden. In dem ersten gingen dem Ausbruch der Psychose
531
2 Tage lang körperliche Krankheitserscheinungen mit Fieber voraus. Während
der Zeit der psychischen Störung war die Temperatur nur schwach erhöht,
mit Eintritt des stärkeren Fiebers war das eigentliche Delirium schon vorüber,
and es blieb nur noch Mattigkeit und Somnolenz zurück. Der Fall bot deshalb
ein besonderes Interesse, weil die psychischen Erscheinungen so charakteristisch
waren, dass aus ihnen allein in Verbindung mit dem Fieber eine Wahrscheinlich-
keitsdiagnose gestellt werden konnte, während die körperlichen Störungen allein,
ohne Hinzutreten der Psychose, den Verdacht einer typhösen Erkrankung nicht
erweckt hätten.
In dem zweiten Falle gingen die psychischen Störungen um mehr als drei
Wochen dem Ausbruch des Typhus voraus und charakterisirten sich als manische
Form des Initialdeliriums. Auch hier bildete sich mit Eintritt der höheren
Temperatur das eigentliche Delirium zurück. Eine bestimmte Diagnose Hess sich
indessen an der Hand der psychischen Störung allein nicht stellen. Durch erb¬
liche Belastung war in beiden Fällen eine sehr starke Prädisposition gegeben;
doch ist es immerhin bemerkenswert!!, dass trotzdem das Bild der Psychose ein
so verschiedenes war. Immerhin muss beim Auftreten acuter Psychosen, die mit
erhöhter Temperatur einhergehen, stets an Typhus gedacht werden.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
41) TJeber Hülfbvereine für Geisteskranke , von Prof. Dr. Pelman. (Irren¬
freund. 1900.)
Die Aufgaben der Hülfsvereine für Geisteskranke sind mannigfacher Art. In
erster Linie handelt es sich um Fürsorge und pecuniäre Unterstützung von ge¬
nesenen oder als gebessert entlassenen Geisteskranken, sowie von Familien, welche
durch die Geisteskrankheit eines Angehörigen in bedrängte Lage gerathen sind.
In gleicher Weise soll aber auch die werkthätige Hülfe des Vereins eintreten zur
Bekämpfung der gegen Geisteskranke und Irrenanstalten in weiten Kreisen be¬
stehenden Vorurtheile. Endlich wird er von grossem Nutzen sein, um für die
Anstalten geeignetes Pflegepersonal zu gewinnen.
Gleich den in verschiedenen Gegenden Deutschlands bereits bestehenden Hülfs-
vereinen strebt Verf. die Errichtung eines solohen auch für die Rheinprovinz an
und theilt die Satzungen mit, welche diesem zu Grunde gelegt werden sollen.
E. Beyer (Littenweiler).
III. Bibliographie.
Ueber die Beziehungen der Psychologie zur Psychiatrie, von Prof. Dr.
Th. Ziehen. (Jena, 1900. G. Fischer.)
Die alte speculative Psychologie hatte die alte Psychiatrie auf Irrwege ge¬
führt, so dass die neue Psychiatrie lieber auf die Kenntniss des normalen Seelen¬
lebens verzichtete, aus Furcht, wieder in den Bann der Metaphysik zu gerathen.
Heute kann es sich jedoch nur noch um die sogenannte physiologische oder
experimentelle Psychologie handeln, ohne welche eine wissenschaftliche Psychiatrie
nicht möglich ist.
Das Problem lautet kurz gesagt: Wie können wir die mannichfaltigen Krank-
heitssymptome des seelischen Lebens nach sicheren Untersuchungsmethoden klinisch
erforschen? Voran geht das experimentelle Studium der Empfindungen, nicht
nur der örtlichen Empfindungsstörungen, sondern der allgemeinen Veränderungen
des EmpfindungslebenB, die Bestimmung der Reizschwelle, die Prüfung des Zu¬
sammenhanges zwischen Reiz- und Empfindungsstärke, weiterhin die experimentelle
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Beobachtung der Hallucinationen und Illusionen durch willkürliches Hervorbringen
und Beeinflussen derselben.
Auf dem Gebiete der Vorstellungen handelt es sich bei jedem Kranken erstens
um eine Inventaraufnahme seines Vorstellungsschatzes und zweitens um die Prüfung
der Fähigkeit zum Neuerwerb von Vorstellungen, die Merkfahigkeit und die
Fähigkeit zur Bildung allgemeiner Vorstellungen. Es ist ferner festzustellen das
Verhalten der Aufmerksamkeit, des Wiedererkennens, des Vorstellungsablaufs
bezüglich seiner Geschwindigkeit, seines inhaltlichen Zusammenhangs, der Richtig¬
keit der gewöhnlichen, nicht wahnhaften Vorstellungsverknüpfungen. Noch in den
Anfängen liegt die experimentelle Untersuchung der Gefühle oder Gefühlstöne.
Endlich sind die Bewegungsäusserungen der krankhaften Empfindlings-, Vorstellungs¬
und Gefühlsveränderungen zu untersuchen, in erster Linie die Bestimmung der
Reactionszeit bei einfachen, Erkennungs- und Wahlreactionen. Aber auch die
complicirteren Handlungen sind einer methodischen Prüfung zugängig, ebenso wie
die mimischen Aeusserungen einer sorgfältigen experimentellen Analyse bedürfen.
In der Praxis werden natürlich diese Prüfungen nicht sämmtlich in jedem
Falle angewendet werden müssen. In irgendwie zweifelhaften und schwierigen
Fällen werden aber nur sie allein die Entscheidung geben können, und zweitens
eröffnen nur sie allein uns ein wirkliches Verständniss für das Wesen der Krank¬
heit und damit neue Wege zur Heilung. E. Beyer (Littenweiler).
IV. Aus den Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Psyohiatrie and Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 13. Mai 1901.
Herr Jolly: Demonstration.
Die vorgestellte Patientin befindet sich schon 5 Jahre in der Charite wegen
einer Erkrankung, welche ihren Sitz im Dorsalmark hat. Das Eigentümliche
des Falles liegt darin, dass die Symptomenfolge in zwei Schüben eingetreten ist,
und zwar in der Art, dass zuerst die eine Hälfte und dann die andere des
Rückenmarks afficirt wurde. Die Krankheit setzte acut mit Parästhesieen in der
Glutäalgegend ein, dann trat Schwäche in den unteren Extremitäten auf, die sich
in der rechten zu vollkommener Lähmung entwickelte, während in der linken
nur eine Parese bestand; ferner war mit der motorischen Lähmung rechts eine
sensible Lähmung der linken unteren Extremität verbunden. Ausserdem war der
Brown-S6quard’sche Symptomencomplex auch darin nachzuweisen, dass im
rechten Bein Hyperästhesie für Schmerz und Temperatur vorhanden war. Diese
Symptome hielten 2 Monate an und besserten sich unter einer Inunctionskur so,
dass Patientin wieder gehen konnte. Eines Tages bekam die Patientin im Bade
einen zweiten Anfall, der mit einem Ruck in den Beinen einsetzte und wieder
eine Schwäche derselben herbeiführte. Jetzt war aber das linke Bein total ge¬
lähmt, während das rechte nur Schwäche zeigte; gleichzeitig kehrte sich auch die
Sensibilitätsstörung um; das rechte Bein war nun anästhetisch, das linke wurde
hyperästhetisch. Ausserdem ergab die Untersuchung, dass der ganze Rumpf bia
zur Brustwarze anästhetisch war und darüber eine hyperäBthetische Zone constatirt
werden konnte. Vortr. demonstrirt die geschilderten Symptome an der vorgestellten
Kranken. In der ersten Zeit naoh der zweiten Attacke entwickelte sich eine starke
Beugecontractur der unteren Extremitäten und eine Extensorencontractur in den
grossen Zehen; diese Contracturen und die damit verbundenen Beschwerden wurden
auf chirurgischem Wege durch Tenotomieen beseitigt.
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Es hat sich also bei der Patientin eine, wie es die Franzosen nennen,
doppelseitige Halbseitenläsion in zwei zeitlich getrennten Attacken heraus¬
gebildet, deren Grundlage zweifellos eine syphilitische Meningomyelitis mit
secundären Erweichungen ist. Das Interessante des Falles besteht in dem
Ueberspringen des Symptomencomplexes der Halbseitenläsion von der einen zur
anderen Seite.
Herr Oppenheim erwähnt einen Fall seiner Beobachtung, der sich dem von
Herrn Jolly deraonstrirten anschliesst, sich aber darin von diesem unterscheidet,
dass es sich um eine alternirende Form der Brown-Sequard’schen Läh¬
mung handelt. Der Pat. kam zu 0. mit der Klage über Schwäche im rechten
Bein. Es fand sich eine spastische Parese des rechten Beines, aber auffälliger
Weise die Gefühlsstörung (Analgesie, Thermanästhesie) an demselben Bein. Bei
weiterer Nachforschung stellte sich heraus, dass er längere Zeit vorher an einer
Lähmung des linken Beines gelitten und dass sich gleichzeitig mit dieser eine
Anästhesie des rechten Beines entwickelt hatte. Während nun die Lähmung des
linken Beines sich im Wesentlichen zurückgebildet hatte, war die Gefühlsstörung
im rechten bestehen geblieben, und zu dieser hatte sich nun in einem neuen Anfall
die spastische Parese des rechten Beines gesellt.
Auch hier lag wahrscheinlich Lues zu Grunde.
Herrn Remak scheint von besonderem Interesse, dass in dem Jolly’schen
Falle nach der zweiten Erkrankung das früher hypästhetische Bein nun Hyper-
algesie zeigt, während in dem Oppenheim'sehen Falle vielmehr die Anästhesie
des neuerdings paretischen Beines auf die abgelaufene Brown-S6quard’sche
Läsion der anderen Seite hinwies. Dass traumatische Hemihämatomyelie wesent¬
lich nur mit Hypalgesie und Therraohypästhesie des gekreuzten Beines auBheilt,
hat beiläufig R. in 2 Fällen schon 1877 und 1879 beschrieben. Bei der Leb¬
haftigkeit der Hautreflexe und der Localisation des Jolly’schen Falles hätte die
Prüfung auf den Femoralreflex in Betracht kommen können.
Im Anschluss daran demonstrirt Herr Jolly interessante Abbildungen von
Geisteskranken, welche aus dem Jahre 1816 stammen, wo die Irrenabtheilung der
Charite unter der Leitung von Koch stand.
Herr Seiffer: Ueber die spinalen Sensibilitfttsverhältnisse.
Vortr. berichtet über die Versuche zu einem spinalen Sensibilitätsschema für
die Segmentdiagnose der Rückenmarkskrankheiten. Ein solches existirte bisher
nicht, die für die peripheren Nervenkrankheiten gebräuchlichen Schemata sind
für spinale Zwecke durchaus unbrauchbar. Es werden zunächst die bisherigen
Schemaversuche von Allen Starr, Thorburn, Head, Kocher und Wichmann
besprochen und ihre zum Theil sehr starken Differenzen in Bildern epidiaskopisch
vorgeführt. Sodann zeigt der Vortr. ein von ihm entworfenes spinales Sensi¬
bilitätsschema, welches auf Grund aller bisherigen Untersuchungen zusammen¬
gestellt und für die Eintragung von spinalen Sensibilitätsbefunden am Kranken¬
bett bestimmt ist. Dasselbe enthält alle nothwendigen Fixpunkte der Haut und
der Knochen, nach welchen die Eintragungen zu machen sind, sowie diejenigen
spinalen Grenzlinien, welche einigermaassen sicher festgestellt sind. Die Zahl
dieser Grenzlinien ist keine allzu grosse, um das Schema nicht zu überladen. So
enthält es:
1. die Scheitel-Ohr-Kinnlinie als Grenze zwischen Trigeminus- und Cervical-
gehiet,
2. die Halsrumpfgrenze, als Grenze zwischen C 4 und D 2,
3. die Intermammillarlinie, als Grenze zwischen D 4 und D 5,
4. die Xiphoidlinie, als Grenze zwischen D 6 und D 7,
5. die Nabellinie, als Niveau von D 10,
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6. die Rumpf-Beingrenze, als Grenze zwischen D12 und LI (bezw. S 3),
7. den Sacralkreis, als etwaige Grenze von S4(+S5) und S3,
8. die ventrale Axiallinie des Armes,
9. die dorsale Axiallinie des Armes,
10. die ventrale Axiallinie des Beines,
11. die dorsale Axiallinie des Beines.
Die Fixpunkte und die Grenzlinien des Schemas sind entsprechend markirt.
Letztere werden näher begründet und ihre Bedeutung als Grenzlinien zwischen
bestimmten Segmenten genauer besprochen. Das Schema hat sich dem Vortr. bei
klinischen Untersuchungen als zweckmässig erwiesen, sofern man nur von einem
Schema nicht mehr verlangt, als es leisten kann und will. Es wird demnächst
im Buchhandel (Hirschwald) erscheinen.
Herr Krause begrüsst das vom Vortr. entworfene Schema als eine wesent¬
liche Erleichterung für die Localdiagnose, besonders von Rückenmarksaffectionen.
K. selbst hat sich vorher in einzelnen Fällen (Rückenmarkstumoren), wo es für
therapeutische Zwecke darauf ankam, möglichst genau die Höhendiagnose zu
stellen, mit grosser Mühe aus den Arbeiten von Kocher, Thorburn, Head u. A.
eigene Schemata aufbauen müssen. Das von Seiffer demonstrirte Schema stimmt
mit seinen vollkommen überein; mit Hülfe der von ihm entworfenen ist er in den
letzten beiden Fällen so weit gekommen, dass er sich bei Stellung der Local¬
diagnose nur um einen Wirbel geirrt hat.
Herr Blaschko: Auch die Dermatologie hat ein grosses Interesse an einer
exacten Abgrenzung der spinalen Sensibilitätsbezirke, wie sie andererseits in der
Lage ist, die Kenntnisse von diesen Bezirken durch eigene Beobachtungen zu
fördern. B. hat als Berichterstatter für den demnächst in Breslau tagenden
Dermatologencongress die Frage der Hautnervenvertheilung in ihrer Bedeutung
für die Erkrankungen der Haut einer Durchsicht unterzogen und ist namentlich
auf Grund eines umfangreichen Materials von Herpes zoster-Fällen zu der Ansicht
gelangt, dass die Variabilität der einzelnen Zonen mit Bezug auf Form und
Höhenlage (Pre- und postfixture nach Sh er rington) eine sehr weitgehende ist,
und dass ferner die gegenseitige Ueberlagerung der Sensibilitätszonen wesentlich
grösser sei, als allgemein geglaubt wird. Head hatte diese Ueberlagerung früher
ganz geleugnet und daraufhin seine Lehre von dem medullären Sitz des Zoster
begründet; nachdem er jetzt selber diese Lehre so glänzend widerlegt, gebe er,
freilich in viel zu geringem Maasse, die Ueberlagerung zu. B. demonstrirt eine
Zahl von Abbildungen, welche zeigen, wie weit sich beim Zoster oft die Eruptionen
in benachbarte Spinalnervengebiete hinübererstrecken. Nun scheint aber die Natur
selbst in einzelnen Fällen die Grenzen der einzelnen Zonen in wunderbarer Weise
auf der Haut abzuzeichnen. Es giebt strichformige Hauterkrankungen (Naevi,
Jucken, Ekzeme, Psoriasis u. 8. w.), die halbseitig oder doppelseitig in lineären,
zosterartigen oder segmentalen Bändern angeordnet sind, in manchen Fällen mul¬
tipel — also metameral — auftreten. B. hat alle diese Fälle aus der Litteratur
gesammelt und für jede Körpergegend eine typische Linienanordnung festgestellt,
so dass schliesslich die ganze Körperoberfläche mit einem ganz charakteristischen
System segmentaler Linien überzogen scheint. Unter Vorzeigung zahlreicher Bilder
sowie dieses halbschematisch entworfenen Liniensystems erörtert B. die Frage, ob
diese Linien, welche in ihrem Verlauf eine überraschende Aehnlichkeit mit den
bekannten Segmentlinien, aber an gewissen Punkten auch ganz typische Ab¬
weichungen von denselben zeigen, thatsächlich identisch sind mit den spinalen
Sensibilitätsbezirken — mit anderen Worten, ob diese Hautaffectionen als der
Ausdruck einer spinalen oder Wurzelerkrankung aufzufassen seien. B. hält diese
Möglichkeit nicht für ausgeschlossen, hält aber folgende Erklärung für wahr¬
scheinlicher: Die Haut sei ebenso wie das Centralnervensystem metameral angelegt,
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535
und es könnten Entwickelungsstörungen während des Embryonallebens einzelne
dieser Metameren oder die Grenzlinien zwischen ihnen so treffen, dass entweder
direct eine Missbildung (Naevus) die Folge sei, oder dass an Ort und Stelle eine
gesteigerte Disposition zu Hautaffectionen resultire. Auffallend sei die Bevorzugung
der von Seiffer schon erwähnten Rumpf-Halsgrenze, und insbesondere der Axial¬
linien der Extremitäten, d. h. die Stellen, wo während des Embryonallebens
starke Verschiebungen und Verziehungen stattgefunden hätten. — Sollte es sich
heraussteilen, dass die B lasch ko’schen Linien thatsächlich die Grenzen spinaler
Innervationsbezirke repräsentiren, so würden in Zukunft die Neurologen ihre Be¬
funde auf eine etwaige Uebereinstimmung mit diesen Linien prüfen müssen.
Herr Schuster, der Gelegenheit hatte, den von Herrn Blaschko erwähnten
Fall zu untersuchen, erwähnt, dass dieser Fall ausser einer Abducensparese nichts
objectiv Nachweisbares von Seiten des Nervensystems darbot, dass es sich bei
ihm jedenfalls nicht um eine Spinalerkrankung gehandelt hat.
Herr Oppenheim richtet an den Vortr. die Frage, ob er nach seinen Er¬
fahrungen und Studien mit Brissaud einen Wurzeltypus und Segmenttypus der
Anästhesie unterscheidet oder nach Dejerine und dem Fragenden selbst der An¬
sicht ist, dass die Läsionen der hinteren Wurzeln eine Anästhesie von gleicher
Verbreitung erzeugen, wie die Affectionen der grauen Rückenmarkssubstanz.
HeiT Seiffer: Die Brissaud'sehe Theorie der transversalen Segmentation
des Rückenmarkes wird in ihrer Richtigkeit fast allgemein angezweifelt, konnte
auch für die Zwecke eines praktischen Schemas nicht in Frage kommen. Vortr.
Belbst hat keine Erfahrungen im Sinne dieser Theorie gemacht und aus der
Litteratur den Eindruck gewonnen, dass dieselbe absolut unbewiesen ist.
Herr Shoczynski (als Gast): Ueber einen ungewöhnlichen Fall von
multipler Sklerose. (Demonstration.)
Vortr. demonstrirt Präparate eines Falles von multipler Sklerose aus Rücken¬
mark, Medulla oblongata, Pons und Kleinhirn. Das Bemerkenswerthe des Falles,
welches an sämmtlichen vorgeführten Präparaten deutlich in die Augen sprang,
war, dass der Process einen aussergewöhnlichen Umfang angenommen hatte; so
war das Rückenmark auf allen Höhen fast in seinem gesammten Querschnitte
betroffen, ebenso zeigte der Hirnstamm nur kleine Stellen, die von dem Process
verschont geblieben waren. Im Kleinhirn war besonders die Hirnrinde betroffen,
während der weisse Markkern leidlich gut erhalten war.
Jacobsohn (Berlin).
VIII. internationaler Congress gegen den Alkoholiemus am 9.—14. April 1901
in Wien.
Dem Congress wurde von den verschiedenen Regierungen, besonders aber
von der österreichischen (die durch zwei Minister beim Empfang vertreten war),
lebhaftes Interesse entgegengebracht, so dass zu erwarten steht, dass derselbe für
die Trinkerfürsorge, speciell in Oesterreich, von Bedeutung sein wird.
Neben der etwas einseitigen Auffassung der Trunksucht in einzelnen Vor¬
trägen trat die kritische Würdigung derselben als psycho-pathologisches Symptom,
als Product wirthschaftlioher Factoren und endlich als Mode- und Zeitübel genügend
hervor.
Unter den Aerzten, die etwa die Hälfte aller Theilnehmer ausmachten, waren
besonders Nerven- und Irrenärzte zahlreich.
An der Eröffnungssitzung, am 9. April Vorm., in dem sehr grossen Saale
des Musikvereins, betheiligten sich mehr als 3000 Personen aus allen Schichten
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der Bevölkerung. Die Regierungen der meisten europäischen Culturstaaten (eigen¬
tümlicher Weise fehlte Deutschland) hatten Vertreter entsendet. Der Director
der Irrenanstalt von Ville-Evrard, Seine et Oise, Prof. Dr. M. Legrain, sprach
(im Namen der französischen Regierung) von der Wichtigkeit der öffentlichen
Meinung in der Frage des Alkoholismus, dass nicht nur die Kenntniss der Krank¬
heit, sondern auch die Liebe zum Kranken bei diesem Leiden von Bedeutung und
das Milieu vielfach die Ursache desselben sei. Der Ehrenpräsident, Unterrichts¬
minister Dr. von Hartei, sprach über die grosse sociale Bedeutung der Krank¬
heit, ebenso Ministerpräsident Dr. von Körber im Namen der österreichischen
Regierung. Dann folgten Ansprachen von Graf Skarzynski (Russland), Director
Dr. Richard (Paris), Prof. Almquist (Stockholm) u. a. m.
Durch einen Angriff Dr. Me inert’s (Dresden) auf den ärztlichen Stand wird
eine grosse Erregung hervorgerufen (Dr. Me inert nahm in der 2. Sitzung am
10. April seine Aeusserungen vollständig [vielleicht zu vollständig! Ref.] zurück).
Unter den etwa 80 (!) Vorträgen und Referaten mögen erwähnt werden:
Prof. Hans Meyer (Marburg) über die pharmakodynamische Wirkung des
Alkohols auf die menschlichen Organe, speciell das Gehirn, das Herz, die Leber,
die Niere, die Muskeln, Reflexe und Verdauung.
Dr. Wlassak (Wien) referirt zusammenfassend über die Kräpelin'sehen
psychophysischen Arbeiten, die Alkohol Wirkung auf das Gehirn betreffend, an der
Hand der bekannten Tabellen. Nachweisbar geschädigt wird schon durch relativ
sehr geringe Mengen die Fähigkeit zu addiren, auswendig zu lernen, zu asso-
ciiren. Die cumulative Wirkung des Alkohols bei täglichem Genuss lässt sich
gleichfalls psychophysisch nachweisen. Wissenschaftlich kann der als Trinker
bezeichnet werden, der trinkt, bevor die Wirkung eines früher genossenen Alkohol¬
quantums erloschen ist. Bei den Versuchen war noch sehr interessant die That-
sache, dass die Leistungen dem Bewusstsein der Versuchspersonen als viel grösser
erschienen, dass, die Wirklichkeit nach der optimistischen Seite zu, „verfälschende
Gefühle“ bei durchaus minderwerthigen Leistungen auftraten. Praktisch zeigen
Bich diese letzteren Verhältnisse in der Thatsache, dass grössere Alkoholgaben die
Gedanken an’s Ziel, an die Zukunft, zur Ausführung erleichtern, den Weg zu
denselben erschweren.
Prof. Weichselbaum (Wien) demonstrirt pathologisch-anatomische Präparate
von Säuferorganen.
Prof. Wagner von Jauregg (Wien), Director der I. psychiatrischen Klinik,
hält die rüeisten klinischen Erscheinungen des Alkoholismus nicht für directe
Giftwirkungen, sondern für die Wirkung eines durch fortwährenden Alkoholmiss¬
brauch hervorgerufenen Giftes, dem gegenüber Alkohol sich als Gegengift verhalte.
Praktisch ist Vortr. für die Einrichtung von Trinkerheilstätten. Er hält die
Darreichung geringerer Alkoholdosen beim Delirium tremens und anderen nervösen
Erscheinungen für indicirt.
Dieser letzteren Ansicht wird von Legrain (Paris), Bonne (Flottbeck),
Forel (Chigny), Woodhead (Cambridge), Eplinius (Hamburg) widersprochen,
von Prof. Pick (Prag) beigepflichtet. Anton (Graz) nimmt einen vermittelnden
Standpunkt ein.
Prof. Kassowitz (Wien) spricht über Alkoholismus im Kindesalter. Be¬
schreibung dreier Fälle von Delirium alcoholicum im Kindesalter, ausserdem
„abortive“ Fälle von eigentümlichem, manischem Verhalten, Convulsionen, Magen¬
störungen. Im Gegensatz zu Demme ist K. der Ansicht, dass längere Zeit hin¬
durch auch kleinere AlkoholdoBen bei Kindern unter allen Umständen nachtheilig
sind. Das kranke Kind soll keine Ausnahme bilden, zumal die aufgestellten In-
dicationen (der Tuberculose, Rachitis u. s. w.) meist chronische Krankheiten und
die leichteren Formen derselben zu häufig sind. Bei der allseitig anerkannten
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Schädlichkeit des Alkohols für das gesunde Kind und bei der allgemein üblichen
Form der Darreichung (in alkoholischen Getränken und nicht als receptirtes
Medicament) liegen hier die Gefahren des Missbrauches, zuletzt auch gegen den
Willen des Arztes, zu nahe. Bei Pneumonie und anderen Infectionskrankheiten
fand K. den Alkohol bei Kindern als durchaus contraindicirt.
Prof. Gruber (Wien) berichtet über Thierversuche im Wiener hygienischen
Institut, die sowohl für grössere als auch für kleinere Alkoholdosen (ebenso wie
die Versuche von Laitineus) den Nachweis erbringen, dass durch sie die Wider¬
standsfähigkeit gegen Infectionserreger herabgesetzt wird. Nach den Versuchen
von Köglein wirkte Alkohol auf Collapszustände günstig, verhinderte das Ent¬
stehen und beseitigte leichtere Grade derselben.
Prof. Forel (Chigny) tritt unter lebhaftem Beifall der Versammlung den
Laien in der Heilkunde entgegen, die durch vorzeitige Verallgemeinerungen,
Uebertreibungen und allgemeine Phrasen einer systematischen Bekämpfung der
Trunksucht eher im Wege als förderlich gewesen sind. Ausführlicher verbreitet
er sich über das Thema Alkohol und venerische Krankheiten. F. hat
(mit Hülfe des Vereins zur Abschaffung der staatlichen Prostitution) eine Enquete
veranstaltet, indem er durch ein Formular festzustellen versuchte, wieviel Fälle
von venerischer Infection unter dem Einfluss von Alkohol die Aerzte unter ihren
Patienten zu verzeichnen hätten. Es ergab sich, dass bei weitem die meisten
(ausserehelich) Inficirten unter dem Einfluss von Alkohol gestanden haben, und
zwar dass nicht bei schwerer Trunkenheit, sondern ganz besonders bei der An-
heiterung, dem ersten Grad der Intoxication, sexuelle Excesse und Unvorsichtig¬
keiten vorkamen.
Dr. Boissier (Paris) (Alcohol et paralysie generale) bestätigt nach seinen
Erfahrungen an etwa 1000 Paralytikern den von Forel angeführten Zusammen¬
hang, dass neben der unbedingt nothwendigen Lues die Entstehung der Paralyse
durch Alkohol zum mindesten begünstigt wird. Er und Forel weisen auf die
Thatsache hin, dass bei den alkoholabstinenten Muhamedanern in Tunis, wo viel
Lues vorkomme, keine Paralyse beobachtet werde. (Das muss nicht durch
Alkoholabstinenz bedingt sein, wie das Fehlen von Paralyse in anderen mit Lues
endemisch inficirten, nicht alkoholabstinenten Ländern beweist. Bef.)
Prof. Anton (Graz) bringt eine kritische Zusammenstellung der Arbeiten
über den Einfluss des Alkohols auf die Nachkommenschaft, sowie eine Reihe
eigener Beobachtungen über Defectbildung bei der Descendenz von Alkoholikern.
Dr. Bezola construirte aus einem sehr grossen Material Curven über die
Zahl der Steigerungen für normale Kinder und solche für schwachsinnige und
fand die Zeugung der letzteren (!) in Zeiten, in denen erfahrungsgemäss viel
Alkohol genommen wird (Feste, Fastnacht u. s. w.), häufiger.
Es folgten eine Reihe von sehr interessanten Vorträgen über die ,.socialen
Thatsachen des Alkoholismus“ von Staatsmännern, Professoren des Strafrechts,
Beamten u. s. w., unter denen die statistischen Angaben von Fräulein Dr. Das-
zynska-Golinska aus Galizien, die strafrechtliche Statistik von Dr. Löffler
(Wien), historische Daten von Dr. Hirschfeld (Berlin) besonderes Interesse
erregten. Ebenso interessant war die Darlegung der Erfahrungen von Aerzten
an Trinkerheilstätten und in Abstinenzvereinen [Frank (Münsterlingen), Forel
(Chigny), Legrain (Paris), Richard (Paris)].
Eine Discussion zwischen österreichischen Irrenärzten(Tilkowsky,v. Wagner)
und Juristen (Stooss, Fritsch, Löffler) gab einen Einblick in die offenbar in
vieler Hinsicht noch rückständigen Verhältnisse der Trinkerfürsorge in Oesterreich.
Lilienstein (Bad Nauheim).
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Wissenschaftliche Versammlung der Aerste der St. Petersburger Klinik
für Nerven- und Geisteskranke.
Sitzung vom 13. Mai 1899.
Herr Dr. J. T. Tolotschinow: Ueber die Veränderungen der Kerne des
Vierhügels, der Brüoke und des verlängerten Marks bei der progressiven
Paralyse der Irren.
Vortr. hat 15 Hirnstämme von progressiven Paralytikern nach den Methoden
von Nissl, Marchi, Golgi, Pal und Wolters-Kultschitzki untersucht und ist
dabei zu folgenden Resultaten gelangt:
1. Bei Anwendung der March i’schen Methode wurde eine Fettdegeneration in
den Ganglienzellen der Kerne des verlängerten Marks und der Brücke gefunden,
ausserdem eine einseitige Degeneration des Solitärbündels nnd der spinalen Trigeminus¬
wurzel.
2. Nach der Methode von Pal-Wolters-Kultschitzki wurde das Ver¬
schwinden von Nervenfasern in den Kernen der Nn. XII, X, VII, V und anderen
Gehirnnerven constatirt, eine Rarefication der Nervenfasern in den Solitärbündeln,
theilweise in der aufsteigenden und absteigenden Trigeminuswurzel.
3. Nach Golgi gelang es eine Färbung des inneren Kerns des N. acusticus,
des Facialiskerns und theilweise des Hypoglossuskerns zu erhalten; die Protoplasma¬
fortsätze erschienen stark geschlängelt, abgebrochen, verkürzt, zuweilen waren an
ihnen kleine Verdickungen zu bemerken; in dem Protoplasma, sowie in den Zell¬
fortsätzen unweit vom Zellleib werden Vacuolen angetroffen; um die Ganglienzellen
herum trifft man hin und wieder auf begleitende Neurogliazellen.
4. Nach der Nissl’schen Methode wurde ausser dem bereits von anderen
Autoren Gefundenen noch eine Pigment- und Fettdegeneration in den Kernen des
N. acusticus, in dem sensiblen Kerne des N. trigeminus und in dem Kerne des
N. trochlearis constatirt. Die quantitative Atrophie ist desto schärfer ausgeprägt,
je mehr bei Lebzeiten die bulbären Symptome hervortraten. Ausser der Pigment-
und Fettdegeneration, der Vacuolisation des Kernkörperchens, zuweilen auch des
Protoplasmaleibes der Nervenzelle fand Vortr. Rarefication und Zerfall des Chromatin¬
gerüstes in den Ganglienzellen. Die Zellen der Kerne der motorischen Nerven, die
einen stychochromen Bau aufweisen, charakterisiren sich gewöhnlich durch eine peri¬
pherische Chromatolyse, die Zellen der Kerne der Nn. X, XI und des sensiblen
Kerns des N. V weisen grösstentheils eine periuucleäre Chromatolyse auf, die Kerne
des N. VIII zeichnen sich durch einen gemischten Charakter der Chromatolyse aus.
Herr Prof. W. v. Bechterew: Die Suggestion als Faotor des Verbrechens.
(Anlässlich des definitiven Gerichtsurtheils im Falle R-wa.)
Hinsichtlich der Rolle der Suggestion in der Ausübung der Verbrechen existiren
bekanntlich zwei vollständig entgegengesetzte Meinungen. Während die Vertreter der
Schule von Nancy (Bernheim, Forel u. A.) annehmen, dass jeder Mensch unter
dem Einflüsse der Hypnose dieses oder jenes Verbrechen ausüben kann, lehrt die
Salpötriöre’sche Schule (Delbeuf, Tschisch, Bellin u. A.), dass einem gesunden
Menschen die Ausführung einer That nicht suggerirt werden kann, die mit seinen
Anschauungen, seiner Erziehung u. s. w. nicht im Einklänge steht; nach Ansicht der
Vertreter dieser Schule werden Verbrechen unter dem Einflüsse der Hypnose von
psychopathischen Personen begangen, die einen grösseren oder geringeren Grad von
Schwachsinn aufweisen, und daher wird bei Lösung der Frage hinsichtlich der
Zurechnungsfähigkeit solcher Personen beim gerichtlichen Verfahren ausser der Hyp¬
nose auch das Vorhandensein dieser oder jener psychischen Störung berücksichtigt
Nach Ansicht des Vortr. ist in der ersten Ausführung unzweifelhaft viel Ueber-
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treibung za finden, Unrecht haben aber auch diejenigen, die za sehr die Bedeutung
des Factums selbst ignoriren; als Beleg für seine Ansicht führt Vortr. Folgendes
an: 1. Zar Zeit ist die Hypnose noch za wenig jener Klasse zugänglich, die das
grösste Contingent von Verbrechern liefert. 2. Die suggerirte hypnotische Idee ist
der Zwangsidee anzarechnen, der eine anbezwingbare Tendenz zur Ausführung der¬
selben innewohnt, bei der sogar starke Charaktere nach einem Kampfe mit der
Anormalität der Zwangsidee mit dem Selbstmorde enden a. dergl. Daher glaubt
Vortr., dass zur Zeit bloss das entsprechende Material zu sammeln ist und die ein¬
zelnen Fälle kritisch zu beleuchten sind.
Herr Dr. E. N. Iwanow: Zur Frage hinsiohtlioh des Einflusses der
Hirnrinde und der suboortioalen Contra auf den Aot der Hervorrufung
der Stimme beim Thiere.
Auf Grund der experimentellen Untersuchungen von Ferrier, Duret, H.Krause,
Lemon und Horsley, W. v. Bechterew, Onodi, Klemperer u. A., sowie seiner
eigenen 38 Versuche, die ausschliesslich an Hunden ausgeführt waren, andererseits
die Resultate seiner eigenen experimentellen Untersuchungen mit den klinischen Be¬
obachtungen und den pathologisch-anatomischen Untersuchungen von Feville, Ger¬
hardt, Lewin, Luys, Söguin, Barlow, Delavan, Bossbach, Wallen berg u.A.
vergleichend, gelangt Vortr. zu folgenden Schlüssen:
1. Die Beizung mittels elektrischen Stromes eines begrenzten Gebietes im vor-
deren-äusseren Theile des Gyrus praecruciatus (praefrontalis nach Owen) dieser oder
jener Grusshimhemisphäre beim Hunde ruft eine Schliessung der Stimmbänder hervor,
d. h. einen Verschluss der Stimmritze, der begleitet ist von einer Offenbarung der
Stimme beim Thiere und einer grösseren Frequenz der Athmung mit Verzögerung in
der Exspirationsphase; daraus folgt, dass in diesem Gebiete das corticale Centrum
für die coordinirenden Bewegungen der Stimmbänder und des Respirationsapparates
gelegen ist, die für die Ausführung der Phonation nothwendig sind.
2. Die Thätigkeit dieses Centrums ist stets eine doppelseitige, d. h. die Beizung
des corticalen Stimmcentrums einer Hemisphäre bedingt die Annäherung des Stimm -
bandes zur medianen Linie der Stimmritze nicht nur auf der Seite der Beizung,
sondern auch die Annäherung des Stimmbandes auf der entgegengesetzten Seite.
3. Die Zerstörung des corticalen Stimmcentrums auf einer Seite beim Hunde
übt keinen bemerkbaren Einfluss auf die Bewegungen der Stimmbänder aus und auf
den Act der spontanen Offenbarung der Stimme.
4. Die beiderseitige Zerstörung der corticalen Stimmcentra beim Hunde führt
den Verlust der spontanen Phonation hervor, wobei aber die Fähigkeit, auf reflec-
torischem Wege die Stimme zu offenbaren, erhalten bleibt.
5. Auf Grund von experimentellen Untersuchungen und einiger Hinweise aus
dem Gebiete der Klinik und pathologischen Anatomie ist anzunehmen, dass die
corticalen Stimmcentra beim Menschen im unteren Theile der aufsteigenden Frontal¬
windung beider Hemisphären gelegen sind, sofort hinter dem Ende der 3. Frontal-
Windung in unmittelbarer Nähe vom Broca’schen Sprachcentrum.
6. Sowohl die mechanische, als auch die elektrische Beizung eines beliebigen
Theiles des Corporis caudati auf dieser oder der anderen Seite, wird weder von Be¬
wegungen der Stimmbänder, noch von Offenbarung der Stimme begleitet.
7. Die Reizung mittels elektrischen Stromes des äusseren-hinteren Theiles der
Sehhügel sowohl auf der Oberfläche, als auch in den tiefergelegenen Schichten wird
begleitet vom lauten Schreien, Bellen und grösserer Frequenz der Athmung mit
deutlich ausgeprägter Exspiration. Das hier gelegene Stimmcentrum wird aller
Wahrscheinlichkeit nach durch Eindrücke von Seiten der Gefühlsorgane in Beiz¬
zustand versetzt.
8. Ebensolche Beizung der hinteren Hälfte der Vierhügel ruft fast dieselben
Erscheinungen (Offenbarung der Stimme) hervor, das ist aller Wahrscheinlichkeit
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540
nach das reflectorische Stimmcentrum, das durch Gehöreindrücke in Erregung ver¬
setzt wird.
9. Für die Reizung des corticalen Stimmcentrums sind etwas stärkere elektrische
Ströme nothwendig, als zur Hervorrufung eines bestimmten Effects von den anderen
Centra der motorischen Region der Hirnrinde aus.
10. Die Zerstörung des corticalen Stimmcentrums bedingt eine absteigende Dege¬
neration der Fasern, die beim Knie der inneren Kapsel nach vorn vom Pyramiden«
bündel gelegen sind, weiter nach unten die innere Schleife und die Pyramiden
passiren, um endlich zu den Kernen des verlängerten Marks sowohl derselben als
auch der entgegengesetzten Seite zu gelangen; ausserdem wird eine Degeneration in
dem äusseren Kern des Sehhügels, im Stratum intermedium und in der Substantia
nigra auf der Seite der Zerstörung und endlich in der Formatio reticularis un¬
mittelbar bis zum motorischen Kerne des N. vagus dieser und jener Seite beobachtet.
Sitzung vom 23. September 1899.
Herr Dr. A. E. Bary: Demonstration eines Kranken mit stark aus¬
geprägter Muskelatrophie.
Herr Dr. T. T. Holzinger: Ein Fall von Lepra maoulo-anaesthetioa.
(Demonstration der Kranken.)
Die objective Untersuchung der Kranken, die angiebt bereits vor 8 Jahren die
ersten Symptome ihrer Krankheit bemerkt zu haben, ergiebt folgenden Befund: beider¬
seitige Parese der distalen Zweige des N. ulnaris, medianus und radialis, besonders
rechts. Parese des N. tibialis und peroneus und pied en griffe beiderseits, besonders
links; pes planus links. Atrophie der Muskeln der Hände und Füsse. Auf dem
Rücken, der Brust und den Extremitäten sind weisse Flecken zu sehen, die theils
pigmentirt, theils pigmentlos sind, und grösstentheils von einem dunkleren Rande
umgeben sind. Diesen Flecken entsprechend existirt eine inselförraige, unregelmässig
vertheilte, dissociirte Paralyse der Hautsensibilität, die der Vertheilung der Wurzel¬
zonen nicht entspricht. Die Nervenstämme sind auf Druck äusserst schmerzhaft
Schmerzhafte Arthropathie und langsam zuheilende Wunden auf den gefühllosen Haut-
partieen. Die Mehrzahl der Sehnenreflexe ist gesteigert, die distalen Sehnenreflexe
sind stark herabgesetzt Fehlen der Hautreflexe. Fibrilläre Zuckungen fehlen. Ver¬
dickungen der Nerven sind nicht vorhanden. Die Function der Beckenorgane iat
normal. Negatives Resultat der bakteriologischen Untersuchung des Schleims ans
der Nase und dem Nasenrachenraum, des Eiters und des Blutes. Die Diagnose der
leprösen, multiplen Neuritis in diesem Falle stützt sich auf Folgendes: 1. die charak¬
teristischen Hautflecken; 2. das Zusammenfallen dieser Flecken mit den gefühllosen
Hautpartieen und das Fehlen von Sensibilitätsstörungen auf den unveränderten Partieen
der Hautoberfläche; 3. die unregelmässige Vertheilung der Gefühllosigkeit. Zorn
Schluss berührte Vortr. die Frage hinsichtlich der Identität der Lepra, der Syringo¬
myelie und der Morvan’schen Krankheit (Zambaco-Pascha, Prus u. A.) und
schloss sich der Meinung an, dass das klinische Bild der Morvan’schen Krankheit
sowohl auf dem Boden der Lepra als auch der Syringomyelie sich entwickeln kann.
Dessenungeachtet ist die Aetiologie und pathologische Anatomie in diesen Fällen
verschieden.
Herr Dr. E. A. Giese und Horr Dr. A. T. Lazurskij: Die Athmung und
der Puls in der Hypnose.
Die Frage über das Verhalten der Athmung und des Pulses in der Hypnose
ist bis jetzt noch nicht genügend geklärt; die zahlreichen diesbezüglichen Unter¬
suchungen haben oft widersprechende Resultate geliefert. Es war ferner von Inter¬
esse, zu prüfen, ob es eine Aehnlichkeit giebt zwischen der Athmung und dem Pulse
541
in der Hypnose und während des gewöhnlichen Schlafes. Die Vortr. hatten die
Versuche an 9 Personen ausgefQhrt: bei 6 derselben konnte eine tiefe Hypnose er¬
zielt werden (mit Amnesie, suggerirtcn Sensibilitätsstörungen und GefQhlstäuschungen),
bei 3 Kranken trat eine Hypnose mittleren Grades ein (Katalepsie, snggerirte Para¬
lysen). Die Athmungs- und Pulscurven wurden vor der Hypnose, während derselben
und nach dem Erwachen aufgenommen. Es erwies sich, dass in der Mehrzahl der
Fälle von tiefer Hypnose die Athmung sich verlangsamt und tiefer wird; der hypno¬
tische Schlaf mittlerer Stärke aber ist gewöhnlich von einer frequenteren und ober¬
flächlicheren Athmung begleitet. Es kamen aber auch entgegengesetzte Fälle vor.
Bei jedjr Versuchsperson können in der Hypnose gewöhnlich dieselben Veränderungen
der Athmung beobachtet werden, die bei derselben während der früheren Versuche
aufgetreten waren. Die Veränderungen des Pulses zeichnen sich nicht durch solche
Regelmässigkeit aus, und oft tritt in der tiefen Hypnose eine grössere Pulsfrequenz
auf. Im Allgemeinen hängt die Qualität der Veränderungen sowohl der Athmung,
als auch des Pulses, in beträchtlichem Grade von den Besonderheiten jeder Versuchs¬
person ab. Es wurden ferner bei 2 gesunden Personen die Athmung und der Puls
während des gewöhnlichen Schlafes beobachtet: dieselben verlangsamten sich stets,
was im Einklang steht mit den Befunden aller früheren Autoren. Ausserdem be¬
obachteten die Vortr. bei 2 ihrer Hypnotiker die Veränderungen der Athmung während
des gewöhnlichen Schlafes. Es erwies sich, dass diese Veränderungen mit den¬
jenigen des hypnotischen Schlafes nicht identisch waren. Es ist daher der Schluss
gerechtfertigt, dass, entgegen der Annahme von Bern heim, die Hypnose im gewissen
Grade von dem gewöhnlichen Schlafe sich unterscheidet.
Herr Prof. W. v. Bechterew: Die Besessenheit und das gewaltsame
Schreien als Symptom der Hysterie.
Vortr. berichtet ausführlich über eine an Hysterie leidende Kranke, die seit dem
7. Januar 1895 nach einem Schreck, der durch den Tod ihres Vaters verursacht
war, abgesehen von einigen grösseren oder geringeren Buhepausen (von einigen Tagen
bis zu mehreren Wochen) fast ununterbrochen laut schreit. Das Schreien der Kranken,
das gewöhnlich ganz plötzlich auftritt und mehrere Stunden andauert, besteht im
monotonen Ausrufen des verlängerten Lautes aaa (das Phonogramm des Schreiens
wurde demonstrirt). Nach Ansicht des Vortr. stellt die Kranke eine Hysterische
dar, bei der als wichtigstes und als einziges Symptom der Erkrankung in der moto¬
rischen Sphäre das gewaltsame Schreien anftritt. Dieses Schreien ist vollständig den
Zwangshandlungen gleich, deren Ursache in der psychischen Sphäre liegt. Es ist
von Interesse, dass jedem Schreianfalle bei der Kranken zwangsweise eine Geruchs¬
empfindung vorhergeht — ein Tannengeruch (erinnerndes Zwangsbild).
Sitzung vom 28. October 1899.
Herr Dr. Ebermann demonstrirte einen 7jährlgen Knaben mit partiellem
Riesenwuchs des 2. und 3. Fingers der reohten Hand.
Herr Dr. T. T. Holzinger demonstrirte einen Fall von Caissonkrankheit.
Herr Dr. N. W. Krainsky: Das gewaltsame Sohreien, die Behexung und
die Besessenheit in Russland.
Anlässlich einer im Sommer 1899 im Gouvernement Smolensk ausgebrochenen
epidemischen Nervenkrankheit, die sich hauptsächlich durch Anfälle von Schreien
offenbarte, während welcher gewöhnlich ein Zustand von starker motorischer Erregung
auftrat, hat Vortr. Gelegenheit gehabt diese Krankheit genauer zu untersuchen. Auf
Grund seiner Beobachtungen nimmt Vortr. an, dass die Krankheit des anfallsweisen
Schreiens eher zur Kategorie der Zwangsideeen und Zustände zu beziehen ist, die
vielen psychischen Erkrankungen eigen sind, als zur Hysterie.
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542
In der darauffolgenden lebhaften Discussion äusserte sich Prof. W. v. Bech¬
terew in einer längeren Rede dahin, dass die Krankheit des anfallsweisen Schreiens
als eine Form der Hysterie anerkannt werden muss.
Sitzung vom 19. November 1899.
Herr Dr. P. A. Ostankow verlas den Bericht für das verflossene Jahr. Darauf
folgten die Reden von
Herrn Dr. A. W. Herwer: Ueber den gegenwärtigen Stand der Lehre
von der Physiologie der Hirnrinde; und von
Herrn Dr. A. T. Lazurskij: Ueber den Einfluss der Naturwissenschaften
auf die Entwickelung der Psychologie.
Sitzung vom 20. December 1899.
Herr 6. W. Reitz: Ueber den Einfluss des chronischen Alkoholismus
auf die Entwiokelung des Organismus.
Die Versuche bestanden einerseits darin, dass Alkohol in Hühnereier vor Beginn
des Brütens injicirt wurde und die gewonnenen Resultate mit den Controleiern ver¬
glichen wurden, andererseits wurden junge Hunde und Kaninchen täglich mit stets
wachsenden Alkoholdosen vergiftet, wobei die Tbiere 12—88 Tage unter Beobachtung
blieben. Die Injicirung von Alkohol rief oft Missbildungen hervor, verlangsamte die
Entwickelung des Embryo, war der rechtzeitigen Ausbrütung der Küchlein hinderlich
und erhöhte die Mortalität der Embryonen. Bei den alkoholisirten Thieren waren
die Schwankungen des Gewichtes bedeutender, als bei den Controlthieren, die all¬
gemeine und mittlere Tageszunahme des Gewichtes geringer, bei einigen alkoholisirten
Thieren war am letzten Tage das Körpergewicht geringer als am ersten Tage; das
Längenwachsthum des Körpers und die Entwickelung des Schädels und der Extre¬
mitäten waren bedeutend zurückgeblieben. Bei den Sectionen wurde gefunden, dass
in der grossen 'Mehrzahl der Fälle bei den alkoholisirten Thieren das Herz, die
Leber, die Nieren und die Milz weniger wogen als bei den Controlthieren; dasselbe
wurde auch beim Wiegen der Grosshirnhemisphären gefunden, besonders deren Frontal¬
theile; weniger oft traf das für die Kleinhirnhemisphären und die Hirnstämme zu;
bei allen alkoholisirten Thieren wurde Hyperämie der Hirnhäute und des Gehirns
constatirt, und viele derselben gingen an Lungenerkrankungen zu Grunde. Vortr.
beschreibt eine ganze Reihe von functionellen nervösen Störungen bei den alkoholi¬
sirten Thieren, wie Zittern, Unvermögen zu gehen, Apathie, schwache geistige Ent¬
wickelung, und betont die verminderte Widerstandskraft gegen Erkrankungen, be¬
sonders diejenigen der Lungen; die Mehrzahl der alkoholisirten Thiere ging an
letzteren Erkrankungen zu Grunde; die Controlthiere, die unter denselben Bedingungen
lebten, entwickelten sich gut und wurden beim Absterben der entsprechenden alkoholi¬
sirten Thiere getödtet.
Herr A. W. Herwer: Zur Lehre von den hemmenden Functionen der
Hirnrinde.
Vortr. durchschnitt den N. oculomotorius und trochlearis unter der Basis des
Grosshirns und reizte dann verschiedene Punkte an der Oberfläche der Hirnrinde
derjenigen Hemisphäre, auf welcher Seite die obengenannten Nerven durchschnitten
waren. Bei Reizung der Frontaltheile der Hirnrinde, wo die Centra für die Be¬
wegungen der Augen gelegen sind, trat eine Ablenkung beider Augen nach der der
Durchschneidung entgegengesetzten Seite auf, wobei das Auge auf Seite der Beizung
nach innen bewegt wurde, obgleich dessen N. oculomotorius und N. trochlearis durch¬
schnitten waren. Da die Verbindung dieses Auges mit dem Gehirn bloss durch den
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543
N. abdacens vermittelt wurde, so konnte die Ablenkung des Auges nach innen, nach
Ansicht des Vortr., bloss durch die Verminderung des Tonus des N. abdacens
bedingt sein. Vortr. zieht daraus den Schluss, dass die Hirnrinde auf die Nerven
und Muskeln nicht nur einen erregenden, sondern auch einen hemmenden Einfluss
ausüben kann.
Herr A. T. Lazurskij: Ueber pathologisoh-anatomisohe Veränderungen
der Hirnrinde beim senilen Schwachsinn.
Es wurden folgende mikroskopische Veränderungen gefunden: Verschmälerung
aller Schichten der Nervenzellen der Hirnrinde. Kareficirung der Fasern der Tan¬
gentialschicht, Verminderung der Zahl der Nervenzellen der Hirnrinde, Atrophie und
Pigment- und Fettdegeneration derselben, allgemeine Chromatolyse u. 8 . w.
E. Giess (St. Petersburg).
Wiener medioinisoher Club.
Sitzung vom 4. April 1900.
(Wiener med. Presse. 1900. Nr. 16. S. 740.)
Herr Erben erörtert bei der Demonstration eines Kranken die Diiferential-
diagnose der Ataxie. Der Pat. hatte als Kind schon einen Sprachfehler, konnte
in der Turnschule nicht geradeausgehen und zitterte. Lues, Alkohol- und Nicotin-
abusus waren nicht vorhanden. Seit 2 Jahren hat sich die Gangstörung bis zum
Taumeln verschlimmert; seit l / 2 Jahre treten Schwindelanfälle und Nacken-Hinter¬
hauptsschmerzen auf. — Nystagmus, normale Pupillen, Neuritis optica, näselnde und
gedehnte Sprechweise, Verschlucken; keine Lähmung, Atrophie oder fibrilläres Zucken
am Gaumen, Zunge und Lippen; Sehnenreflexe normal, Komberg’sches Symptom
kaum angedeutet; die motorische Kraft der Extremitäten normal, in den oberen
Extremitäten keine Ataxie. Nirgends Druckschmerzhaftigkeit. Bei dem ataktischen
Gang zeigt sich, dass nicht zugleich Parese und Spasmus besteht. Schmierkur
erfolglos. Die Diagnose, für welche sich Vortr. nach ausführlicher Erörterung der
Differentialdiagnose eutscheidet, ist Affection des Wurmes im Kleinhirn, und zwar
entsprechend der Constitution des Kranken wohl ein Solitärtuberkel.
Robert Kienböck (Wien).
V. Vermischtes.
In der Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nasen-, Ohren-,
Mund- und Halskrankheiten, Wiesbaden, 1901. Bd. V. H. 8 erschien eine Aufforderung
zu einer Sammelforsehung; über den Möniere’sohen Symptomenoomplex, von
Dr. G. Heer mann, Priv.-Doc. in Kiel, der wir Folgendes entnehmen:
Der Mönifere’sobe Symptomenoomplex setzt sich bekanntlich zusammen aus Gleich¬
gewichtsstörungen vom blossen Schwindelgefühl bis zum apoplektiformen Zusammenstürzen,
Uebelkeit und Erbrechen, Schwerhörigkeit bis zu vollständiger, bleibender Taubheit und be¬
fallt bis dabin Ohrgesunde oder schon Obrenkranke. Da eine genügende Erklärung für das
Wesen des Krankheitsbildes bis jetzt noch nicht gefunden werden konnte, wendet sich der
Verf. in erster Linie an die praktischen Aerzte und fordert sie anf, ihre Fälle za sammeln,
um zunächst einmal mit einer grösseren Casnistik umfangreichere klinische Erfahrungen zu
gewinnen. Der Verf. bittet die (Jollegen, entweder ihre Fälle selbst zu veröffentlichen oder
ihm als Material mitzutheilen, and empfiehlt für den letzteren Zweok ein Schema für die
Untersuchung und den Bericht, das er jedem Collegen, der sich dieserhalb an ihn wendet,
zur Ausfüllung znznsenden sich bereit erklärt.
Id Holland ist jetzt eine neue Zeitschrift unter dem Namen PetruB Camper erschienen.
Die Heraasgeber Winkler und Bolk stellen sich zam Ziel, alle anf nervenanatomischem
Gebiet in Holland erscheinende Arbeiten in einer Zeitschrift znBammenznfassen.
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544
Der V. internationale Congress für criminelle Anthropologie wird vom 9.
bis 14. September 1901 za Amsterdam stattfinden.
Die vorläufige Tagesordnung enthält folgende Gruppen principieller Fragen:
1. Anatomische und physiologische Eigenschaften der Verbrecher; descriptive 8tudien.
2. Criminelle Psychologie und Psychopathologie; Verbrecher und Geisteskranke; theore¬
tische Betrachtungen und praktische Maassregeln.
3. Criminelle Anthropologie in ihrer legalen und administrativen Anwendung; zu be¬
folgende Principien; prophylaktische Maassregeln; Schutzmaassregeln; Strafbarkeit.
4. Criminelle Sociologie; ökonomische Ursachen des Verbrechens; Criminalität und
Socialismus.
5. Criminelle Anthropologie und Ethnologie.
Generalsecretär ist Prof. Dr. Wertheim Salomonson (Amsterdam).
Die XXVL Wanderversammlung der südwestdeuteohen Neurologen und
Irrenärzte wird am 8. und 9. Juni in Baden-Baden im Blumensaale des Conversations-
hauses abgehalten werden.
Die erste Sitzung findet Sonnabend, den 8. Juni, Vormittags von 11—1 Uhr statt. Et¬
waige Demonstrationen von Kranken sollen in dieser Sitzung stattfinden.
In der zweiten Sitzung am gleichen Tage, Nachmittags von 2— 5 1 /, Uhr, wird das
Referat erstatten: Herr Prof. Hoffmann (Heidelberg): Ueber disseminirte Sklerose.
Daran sollen sich anschliessen die dazu gehörigen Vorträge, sowie die zur Discussion zu
machenden Bemerkungen.
Die dritte Sitzung findet Sonntag, den 9. Juni, Vormittags von 9—12 Uhr statt mit
Einschaltung oder Anschluss von Demonstrationen mikroskopischer oder sonstiger Präparate.
Auf die zweite Sitzung folgt Nachmittags 6 Uhr ein gemeinsames Essen im Restaurant
des Conversationshaases.
Bis jetzt sind folgende Vorträge angemeldet:
1. Prof. Dr. Hoche (Strassburg): Ueber die nach elektrischen Entladungen auftretenden
Neurosen. — 2. Prof. Dr. v. Strümpell (Erlangen): Ueber hereditäre spastische Spina'.-
paralyse. — 3. Dr. Friedmann (Mannheim): Ueber Myelitis nach Influenza und über
leichtere Formen der spastischen Spinalparalyse. — 4. Prof. Dr. Fürstner (Strassburg i;E.)-.
Ueber eine eigenthümliche Veränderung des Augenhintergrundes. — 5. Dr. von Oordt
(St. Blasien): Ueber intermittirendes Hinken. — 6. Prof. Dr. Dinkler (Aachen): Zur
Casuistik der multiplen Sklerose. — 7. Prof. Dr. Rumpf (Bonn): Ueber die chemische Ver¬
änderung des Muskels bei der Entartungsreaction. — 8. Dr. L. La quer (Frankfurt a<M.):
Ueber Myasthenie. — 9. Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Weigert (Frankfurt a/M.): Anatomischer
Beitrag zur Myasthenie. — 10. Priv.-Doc. Dr. Bet he (Strassburg i/E.): Ueber die Regene¬
ration peripherischer Nerven. — 11. Dr. Weil (Stuttgart): Tumor deB rechten Temporal¬
und Parietallappens. — 12. Dr. Achert (Bad-Nauheim): Erschütterung und Vibration im
Dienste der Therapie (mit Demonstration). — 13. Dr. Rosenfeld (Strassburg i/E.): Gliose
und Epilepsie. — 14. Dr. Neumann (Karlsruhe): Zur Aetiologie der Chorea minor. —
15. Priv.-Doc. Dr. Weygandt (Würzburg): Beitrag zur Diagnose der Neurasthenie. — 16. Dr.
Kohnstamm (Königstein): Zur Anatomie und Physiologie der Vaguskerne. — 17. Dr. Lauden-
heimer (Alsbach): Ueber den Chlor- und Brom-Salz-Stoffwechsel der Epileptiker. — 18. Geh.
Med.-Rath Prof. Dr. Bäumler (Freiburg i/B.)-. Hysterie und multiple Sklerose (mit Kranken¬
vorstellung). — 19. Dr. Paul Rauschbarg (Budapest): Demonstration eines eigenen Appa¬
rates zur Untersuchung der Auffassung, Association und deB Gedächtnisses. — 20. Geh. Rath
Prof. Dr. Baelz (Tokio): Klima, Erkältung und Rheumatismus und ihr Verhältniss zum
Nervensystem. — 21. Prof. Dr. Grützner (Tübingen): Mechanische Reizung von Nerv und
Muskel am lebenden Menschen.
VI. Berichtigung.
Auf S. 413 d. Centralbl., Zeile 14 v. o., muss es heissen „idiopathischer“ statt
„idiotischer“ Epilepsie. Am Schlüsse desselben Referates soll es heissen: „Veit konnte als
Wirkung nur ein geringeres Auftreten von unzeitigen Erectionen constatiren.“ Auf S. 460,
Zeile 13 v. u., soll es heissen „Genus" statt „Genuss“, auf S. 474, Zeile 3 v. u., statt „im
Ganzen“ „im letzten Berichtsjahre“.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Hendel
(unter Mithfllfe von Dr. Kurt Moudol)
Zwanzigster "Jahrgang.
Monatlich erseheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 84 Mark. Zn besehen durch
alle Buchhandlungen des In- and Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1901. 16. Juni. Nr. 12.
Inhalt I. Oriainalmlttheilungen. 1. Ueber das Helweg’sche Bändel, von Prof. H. Ober¬
steiner in Wien. 2. Bin Beitrag zur Lehre über den Verlauf der Geschmacksfasern, von Dr.
J. Kren. S. Erwiderung an Herrn Dr. R. Kienböck auf seine kritischen Bemerkungen be¬
züglich meiner Arbeit: „Zur Symptomatologie der trophischen Störungen bei Syringomyelie
(Osteom alade)", von Dr. 8. 8 . Ralbandoff. 4. Erwiderung zu den obenstenenden Bemerkungen,
von Dr. R. Kienböck.
IL Referate. A n atomie. 1. Atlas der topographischen Anatomie des Menschen, von
v. Barde leben und Haeckel. 2. Nuevas consideraciones acerca de los entrecrujamientos motores
del aparato de la visiön, per Marquez. — Experimentelle Physiologie. 3. Die oortioalen
Sehoentren, von Bernhelsier. 4. Physiologisch-anatomische und pathologisch-anatomische
Untersuchungen des Sehhügels, von Probst. — Pathologische Anatomie, b. Eine eigen¬
artige postmortale Cystenbildung im Centralnervensystem, von Hartmaim. — Pathologie
des Nervensystems. 6. Ueber arteriosklerotische Veränderungen des Gehirns und deren
Folgen, von Probst. 7. Une thöorie nou veile de la commotion cördbrale, par Rone all. 8. Ueber
cerebrale Blasenstörungen, von v. Czyhlarz und Marburg. 9. La niarche dans les maladies du
systöme nerveux (ä propos d’un article de M. Marineeco), par OUlos de la Tourotte.
10. Klinischer Beitmg zur Physiopathologie des Gehirns und Bemerkungen zu Thomas’ Ein¬
wendungen gegen die Theorie Luoiani’s, von Blanchl. 11. Caae of disordered cerebral oircu-
lation, by Borrowmau. 12. Ein Fall oerebraler sensibler und sensorieller Hemianästhesie und
Hemiplegie, von Hoffmann. 13. Präparate von punktförmigen multiplen Hirnblutungeu, von
Wobor. 14. Ueber Hirnblutung bei verrucöser Endokarditis, von Simmontfs. 15. Ueber Pons-
blutungen, von Cohn. 16. Ein Fall von Hemiplegie naoh Keuchhusten, von Hartmann. 17. Zur
Kenntniss der Circulationsverhältnisse in gelähmten Extremitäten, von Hecht und Langstein.
18 . A eaee of post-hemiplegic athetosis, by Brahmachari. 19. Ueber einen Fall von post-
hemiplegischem Intentionstremor, von Infeld. 20. Acute enoephalitis following influensa, by
Prickett and Batten. 21. Ein Fall von Encephalitis haemorrhagica nach Influenza, verlaufend
unter dem Bilde einer Apoplexia sanguinea, von 8tadelmann. 22. Zur Pathologie der nicht-
eitrigen Encephalitis. (Ueber 12 Fälle von Encephalitis dee Grosshirns bezw. des Kleinhirns;
darunter 2 Fälle mit anatomischer Untersuchung.) Von Nonne. 23. Een geval van acute
baemorrhagische poliencephalitds superior (typus Wernicke), door Wljnhofl en Scheiter. 24. Ein
Fall von chronischer Polioencephalitia superior, von Hudovernig. 25. Traitement möcano-
therapique des hömipleriques, par Kouindjy. 26. Ein Fall von ausgebreiteter Aktinomykose
mit Localisation im Gehirn, von Nicltln. 27. Beitrag zu den cerebralen Affectionen im Ver¬
laufe des Keuchhustens, von Hockenjos. — Psychiatrie. 28. Beitrag zur Kenntniss des
indueirten Irreseins und des Querulantenwahns, von Meyer. 29. La pratique de la mödecine
mentale, par Koraval. 30. Zur Klinik und pathologischen Anatomie der postinfectiösen und
Intoxicationspsychosen, von Binswanger und Berger. 31. Ein Fall von 7 Jahre lang andauerndem
circulären Irresein mit täglich alternirendem Typus bei einem mit Apoplexie behaftetem
Individuum, nebst Bemerkungen zur sog. „circulären Neurasthenie", von 8cheiber. 32. Sur
la folie gemellaire, par Soukhanoff. 33. Hördditö, par Chantemesse. 34. Note sur l’emploi de
l’dther diaeötique de la morpbine ou höroine en aliönation mentale, par Vialltn et Jaeqoin.
35
Digitized by Google
546
35. Hyoscine bij acute exaltatietoestanden, door Meijer. 36. Lea cliniqnea paycbiatriquea des
univeraitöa allemandea, par Sfrieux. 37. Die geiatigen Störungen in ihren Beziehungen zn
Militärdienstunbrauchbarkeit (bezw. Invalidität) und Zarechnungafähigkeit, von Zollitsch.
III. Aus den Gesellschaften. XXXI. Versammlung der Irrenärzte NiederaaohaenB und
Weetphalena am 4. Mai 1901 zu Hannover. — Socidtö de Neurologie de Paria.
I. Origmalmittheilungen.
[Aus dem neurologischen Institute an der Wiener Universität]
1. Ueber das Helweg’sche Bündel.
Von Prof. H. Obersteiner in Wien.
Obwohl ich erst vor Kurzem 1 diesem lange Zeit hindurch fast vergessenen
Faserbündel eine ausführlichere Darstellung gewidmet habe, sehe ich mich doch
veranlasst, abermals mit wenigen Worten darauf zurüokzukommen. In erster
Reihe bestimmt mich hierzu eine kurze Mittheilung Beohtebew’s in dieser
Zeitschrift 1 , ausserdem aber eine neuerliche Beobachtung von Degeneration in
diesem Gebiete. Ich stimme vollständig mit dem, was Bechterew in dieser
Arbeit über den fraglichen Faserzug aussagt, überein, trotzdem muss ich —
eigentümlicherweise — einige kleine Entgegnungen Vorbringen. Bechterew
betont ausdrücklich, dass auch er hier ein absteigendes System sehe, dessen
Ursprung aus den Olivenkemen ihm nunmehr zweifelhaft erscheint, sodass er
dafür die nichts präjudicirende Bezeichnung „Fasciculus periolivaris“ vorschlägt
Er stellt sich aber in Gegensatz zu mir — wie er meint —, indem er eine Be¬
ziehung des fraglichen Bündels zu der Pyramidenbahn leugnet — Denselben
Standpunkt vertrete ich aber auch: denn nachdem ich jene Gründe, welche zu
einer solchen irrigen Auffassung hinleiten könnten, angeführt habe, bringe ich
einige Gegengründe und komme zu dem Schlüsse, dass eine Beziehung des
HELWEö’schen Bündels zur Pyramidenbahn nur mit grosser Reserve auf¬
genommen werden dürfe, allerdings nicht mit grösserer, als dass es sich um
einen aufsteigenden, im Olivenkern endenden Faserzug handle — also wohl die
grösstmögliche Reserve, nachdem das Bündel sicher nicht aufsteigt und nicht
im Olivenkern endet.
Dass das von Spiller 3 als degenerirt gezeichnete Bündel mit dem Uel-
WEG’schen identisch sei, hält Bechterew mir gegenüber für nicht so ganz
sicher. Ich hingegen sagte, „wenn auch kein sicherer Beweis dafür vorliegt
so wäre es immerhin nicht ausgeschlossen, dass wir hier den ersten
1 Bemerkungen zur Hblweg’ sehen Dreikantenbahn. Arbeiten a. d. Geb. f. Anat u.
Phya. cL Centrainervenayatema. 1900. 7. Heft
* Ueber ein wenig bekanntes Faserayatem an der Peripherie deB anterolateraleo Ab¬
schnittes des Halamarkea. Neurolog. Centralbl. 1901. Nr. 5.
' Brain. XXII.
Digilizedby G00gle
547
sicheren Fall einer Degeneration der Dreikantenbahn... vor uns hätten.“ Also
aach hier besteht durchaus nicht die von Bechterew gesuchte Divergenz der
Meinungen, und ich freue mich, eine völlige Uebereiustimmung constatiren zu
können.
Ich kann demnach zur Beschreibung jenes Falles von absteigender Dege¬
neration in der ÜELWEQ’schen Bahn übergehen. Dabei will ich mich auf jene
wenigen Thatsaohen beschränken, die den in Rede stehenden Faserzug betreffen;
sowohl die Krankengeschichte als auch mancherlei andere anatomische Verhält¬
nisse, die sich bei der Durchsicht der Präparate ergaben, erwähne ich ab¬
sichtlich nicht
Es handelt sich um einen anscheinend nahezu kugelrunden Tumor von
etwa 3,5 cm Durchmesser, welcher den Boden der Rautengrube an der rechten
Seite stark hervorwölbte. Querschnitte erweisen, dass die Neubildung vollständig
auf die rechte Hälfte beschränkt bleibt, wohl aber die Raphe stark nach der
linken Seite hinüberdrängt. Seine grösste Ausdehnung erreicht der Tnmor
etwa dem oberen Drittel der Olive entsprechend, von hier aus reicht er in ab¬
nehmender Grösse entsprechend weit cerebral- nnd spinalwärts. Während er
in seinen mittleren Partieen scharf abgegrenzt erscheint, ist der Uebergang zum
normalen Nervengewebe in den cerebralen und spinalen Partieen unklar. Die
mikroskopische Untersuchung zeigte, dass es sich um ein Gliom handle, welches
in den beiden letztgenannten Gegenden derart in das Gewebe infiltrirt ist, dass
im ganzen Bereiche der Geschwulst sowohl die markhaltigen Nervenfaserzüge
als auch die relativ wenig veränderten Nervenzellen deutlich erkennbar sind. In
seiner Mitte ist das Gliomgewebe nekrosirt
Die rechte Olive wird in ihrem cerebralen Drittel von dem Tumor stark
comprimirt; das uervöse Gewebe dorsal von der Olive erscheint hier zum grossen
Theil von der Geschwulstmasse zerstört (Fig. 1). Spinalwärts rückt der Tumor
bald von der Olive ab, und mindestens der ganzen spinalen Hälfte der Olive
entsprechend finden wir nur mehr jene gliöse Infiltration, wodurch allerdings
der dorsale Antheil des Querschnittes der Medulla im Vergleich mit der gesunden
Seite anfänglich nahezu um die Hälfte angeschwollen erscheint Auffallend ist
die geringe Menge von Fasern, welche auf- oder absteigend degenerirt gefunden
wurden. Die WEiOBBT’sche Markscheidenfärbung ergab sehr unbefriedigende
Resultate, während bei Anwendung der MAEom’schen Methode auch nur un¬
bedeutende aufsteigende und etwas mehr absteigende Degenerationen gesehen
werden konnten. Hier kämen nur letztere in Betracht, und auch da kann
von denen im hinteren Längsbündel u. A. abgesehen werden; es genüge, auf
solche Fasern hinzuweisen, die man zur HELWEo’schen Bahn rechnen darf.
Bezüglich dieser letzteren dürfte es sich empfehlen, in der Beschreibung vom
Rückenmarke zu beginnen.
Bereits in den obersten Höhen des Dorsalmarkes bemerkt man aus der
Peripherie des Seitenstranges, lateral von den lateralsten vorderen Wurzelbündeln,
einzelne schwarze Körnchen. Rücken wir im Cervicalmarke weiter cerebral-
wärts vor, so nehmen diese Körnchen langsam an Zahl zu, um etwa in der
35*
Digilizedby GoOgle
548
Höhe des dritten Cervioalnerven (Fig. 2) ihre grösste Zahl za erreichen. Hier
nehmen sie ein dreieckiges Areal an der Seitenstrangperipherie, der typischen
Stelle für das HsLWEo’sche Bündel entsprechend, ein. Dorealwärts reichen von
hier ans zerstreute schwarze Körnchen bogenförmig in den Seitenstrang hinein,
durch eine Schichte gesunder Fasern von der Peripherie getrennt Nach meiner
Meinung ist es wahrscheinlich, dass auch diese letzterwähnten Seitenstrangfasern
dem Systeme der HELWse’schen Bahn zugereohnet werden dürfen, während
jene degensrirten Fasern, welche den Vorderstrang an seinem ventralen und
seinem medialen Rande umsäumen, selbstverständlich grösstentheils eine andere
Bedeutung haben.
Dieses degenerirte Dreieck behält nun auch in der Höhe der Pyramiden¬
kreuzung seine Gestalt und Lage bei, rückt aber mit der vollen Schleifen¬
kreuzung und dem Auftreten der ventralen Nebenolive von der Peripherie ab in
die Tiefe, an letztere heran; es lässt sich sogar das Eintreten einzelner Fasern
Fig. 1 .
in die Nebenolive nicht ausschliessen, doch sammelt sich die Hauptmasse der
Schollen an ihrer dorsalen Seite an, wo sie meist nicht quer, sondern in ver¬
schieden gerichteten, zerstreuten Längsschnitten getroffen werden. Die jetzt auf¬
tretende untere Spitze des Olivenkeraes ist anfänglich allseitig von diesen Fasern
umgeben, doch sondern sie sich später in eine dorsal von der Olive und eine
ventral davon gelegene Gruppe. Die weitere Verfolgung wird immer schwieriger.
Von den ventralen Fasern könnte man den Eindruck gewinnen, dass sie durch
den Hilus in den Markkem der Olive eintreten; es ist aber nicht recht erklär¬
lich, wieso aus der Olive degenerirte Fasern austreten sollten, da sie in diesen
Ebenen noch gar nicht geschädigt erscheint und weiter cerebralwärts die Marohi-
Färbung keine degenerirte Fasern in der Olive aufweist Ich bin daher der
Meinung, dass es sich um Fasern handelt welche aus höheren Ebenen stammend
durch den Hilus eintreten. Ich darf aber bemerken, dass namentlich bei
Weigebt- Färbung der Markkern der rechten Olive etwas heller erscheint als
der der anderen Seite. Die dorsal von der Olive gelegenen degenerirten Fasern
scheinen sich, obwohl sie sehr differente Verlaufsriohtung aufweisen, doch zum
3y Google
540
größten Theil dorsal wärts zu wenden und durch die dorsale Nebenolive in das
Gebiet des Tumors einzutreten.
Dort, wo die Olive am stärksten comprimirt ist (Fig. 1), finden sich in
dieser Gegend keine nach Mabohi degenerirten Fasern. Es sei auch bemerkt,
dass sich in der Umgebung des Tumors keinerlei ausgesprochene Reactions-
erecheinungen nachweisen Hessen.
Absichtlich habe ich die degenerirten Bündel ihrer Degenerations- resp.
Leitungsriohtung entgegen beschrieben, da die Darstellung dadurch wesentlich
erleichtert wurde. Wir haben also hier wieder eine absteigende Degeneration
im HsLWEG’schen Bündel vor uns, die bis zum Beginn des Dorsalmarks ver¬
folgt werden kann. Einen sicheren Aufschluss über den cerebralen Ursprung
vermag aber auch dieser Fall nicht zu liefern. Immerhin ist es mir am wahr¬
scheinlichsten geworden, dass wenigstens die meisten der degenerirten Fasern
ihre Läsion durch den Tumor in dem Gebiete dorsal von der Olive erlitten
haben. Degenerirte Fasern, welche, wie erwähnt, theils durch den Hilus in
die Olive eintreten, theils aber ihr dorsales Blatt durchsetzen, um in sie ein-
zndringen, dürften wohl am ehesten absteigenden Bahnen (centrale Hauben¬
bahn P) für die Olive angehören und nicht dem HsLWEG’schen Bündel zuzu¬
rechnen sein.
Zum Schlüsse möchte ich nochmals betonen, dass der in Bede stehende
Faserantheil mit grösserer oder geringerer Deutlichkeit in den meisten Rüoken-
marken zu erkennen ist. Man darf aber nicht vergessen, dass seine Gestalt am
Querschnitte häufig von der typischen Dreieckform abweicht, dass auoh seine
Lagerung mitunter eine wechselnde ist und endlich, dass seine zarten Fasern
oft nicht compact nebeneinander, sondern mehr zerstreut zwischen den anderen,
grösseren liegen.
[Aus der Klinik des Herrn Prof. Mkndrl.]
2. Ein Beitrag
zur Lehre über den Verlauf der Geschmacksfasern.
Von Dr. J. Krön,
Assistent an obiger Klinik.
Physiologen, Anatomen und Klini ker haben den centralen Verlauf der Ge»
s chmac ksfasern zu erforschen gesucht, ohne eine einmütbige Lösung dieser Frage
herbeizuführen. Die experimentelle Physiologie stösst hierbei auf eine Reihe
von Hindernissen, die znm Theil auf der Unzuverlässigkeit der subjectiven Em¬
pfindungen beruhen, znm Theil dadurch bedingt sind, dass selbst beträchtliche
Herabsetzungen des Geschmackvermögens bei Thieren auch der sorgfältigsten
Beobachtung entgehen können. Dazu kommen die technischen Schwierigkeiten,
mit denen die isolirten Durchtrennungen der eng aneinander liegenden Nerven
an der Schädelbasis verknüpft sind, welche selbst hervorragende Physiologen
y Google
550
(v.Vintschg au) veranlasst haben, die grössere Beweiskraft klinisch genau studirter
Fälle, eventuell pathologisch-anatomischer Untersuchungen anzuerkennen.
Ich erlaube mir daher einen Fall aus der Klinik des Herrn Prof. Mendel
mitzutheilen, der meiner Meinung wohl im Stande ist, einiges Licht auf den
Verlauf der Geschmacksfasern zu werfen.
Meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Prof. Mendel, spreche ich auch an
dieser Stelle meinen herzliohen Dank für die UeberlassuDg dieses Falles aus.
J. L., 35 Jahre alt, Schlächtermeister; ist hereditär nicht belastet. Als Kind
(1—2 Jahre) hat er eine schwere Krankheit durchgemacht, über die sich nichts
Genaues eruiren lässt. Er war 3 Jahre Soldat, hat viel getrunken, täglich 10 Ciga¬
retten geraucht. Lues wird negirt
Im Jahre 1889 hatte er Typhus, 1894 ein nervöses Magenleiden, 1897 Influenza.
Seit etwa einem Jahre klagte Pat. über heftiges Baissen im Kopfe, das bei schlechter
Witterung intensiver wurde. Die 8chmerzen nahmen die ganze rechte Schädelhälfte
ein, das Kauen wurde auf der rechten Seite fast unmöglich. Seit August 1899 be¬
merkt Pal eine zunehmende Vertiefung der rechten Schläfengegend. Während der
ganzen Zeit nie Krämpfe, nie Erbrechen. Seit 10 Tagen sind die Schmerzen un¬
erträglich und fast ununterbrochen, besonders heftig sind dieselben Nachts, so dass
er nicht schlafen kann. Pat. localisirt die Schmerzen in der rechten Stirnseite, von
wo sie nach unten bis zum Jochbein ziehen. Beim Liegen treten die Schmerzen
auch im Genick auf.
Pal ist ein mittelgrosser Mann von kräftiger Muskulatur und genügendem
Fettpolster. Die Farbe des Gesichts und der sichtbaren Schleimhäute ist normal.
Die Kopfform ist ohne Besonderheiten. Die Kopfbewegungen geschehen frei und
kräftig.
Das Beklopfen des Kopfes ist links etwas empfindlich. Keine periostitischen
Auftreibungen. Die rechte Temporalgrube erscheint stark eingesunken, der Finger
kommt überall auf den Knochen, ebenso ist die rechte Wange, besonders die Gegend
unterhalb des Jochbeins, eingefallen.
Hechts besteht complete Ptosis. Links unbedeutende Ptosis, das linke Auge
liegt sehr tief.
SämmÜiche vom Facialis versorgten Muskeln functioniren beiderseits normal. Die
linken Augenbrauen stehen in Folge geringer Contractur des linken Frontalis höher.
Das rechte Auge steht in Divergenzstellung, es ist vollkommen unbeweglich, die
rechte Pupille ist > 1. Das linke Auge ist frei beweglich.
Die rechte Pupille ist absolut starr auf Licht und Accommodation, sowie auf
Lichteinfall in das gesunde Auge.
Die Conjunctiva des rechten Auges ist stark injicirt, die Cornea ist klar. Augen¬
grund beiderseits normal Lidschlag beiderseits synergisch vorhanden.
Beim Oeffnen des Mundes bewegt sich der Kiefer nach rechts. Gaumen normal
beweglich.
Rachenreflex schwach. Zunge etwas belegt, gerade vorgestreckt Schlucken und
Sprache in Ordnung, kein Ohrensausen.
Die Untersuchung des Ohrbefundes, die ich der Güte des Herrn Prof. B. Ba-
eiwsKT verdanke, ergab folgendes Resultat:
Rechts Trommelfell getrübt, mit beginnender Verkalkung. Links dasselbe Bild.
Rechts Flj = 5 m. Links Fl 3 «= 5 m.
Kieferreflex normal. Beim Kieferschluss fühlt man in der rechten Temporal¬
grube nichts vom Muskel. Der rechte Masseter ist auch nur minimal beim Kauen
fühlbar. Faradisch und galvanisch sind diese Muskeln unerregbar.
b y Google
551
Während die Nadelspitze und der Nadelknopf auf dem Hinterkopf bis zn einer
an dem Ohransatze gebildeten Frontalebene gut erkannt wird, wird von da ab anf
dem Yorderkopfe, auf der ganzen rechten Qesichtsbälfte bis zum Jochbogen die
Nadelspitze nur als leise Berührung gefühlt; auch anf der rechten Nasenhälfte, anf
der rechten Oberlippe and auf dem Theil der rechten Backe, welcher zwischen unterem
Augenlid und Mundwinkel liegt, wird die Nadelspitze nur sehr dumpf gefühlt, da*
gegen wird auf der Haut des rechten Ohres, dem Theil der rechten Wangenhaut
unterhalb des Jocbbogens bis herab zum Halse die Nadelspitze gut erkannt, doch
etwas dumpfer, als auf der entsprechenden linken Seite. Pinselberührungen und
thermische Beize werden da nicht gefühlt, wo die Nadelspitze nicht richtig erkannt
wird. Auch die Conjunctiva, die Nasen*, Wangen* und Gaumenschleimhaut ist rechts
anästhetisch, die rechte Zungenschleimhaut ist hypästhetisch; der Skleral- und Corneal*
reflex fehlt
Der äussere Gehörgang ist beiderseits normal empfindlich.
Der Larynxbefund ist normal.
Links ist die Nasenathmung etwas freier als rechts.
Der Geruch ist rechts in geringem Grade herabgesetzt.
Die Geschmacksprüfung wurde zu wiederholten Malen in folgender Weise aus¬
geführt: ein mit Watte umwickelter Holzstab wurde in die Flüssigkeit getaucht und
auf die betreffende Zungenpartie gedrückt Pat musste auf einen ihm vorgehaltenen
Zettel zeigen, auf welchem neben den Bezeichnungen der Geschmacksqualitäten auch
„schwach, mittel, stark“ aufgescbrieben war. Nach jeder Prüfung wurde die Zunge
abgetrocknet, Pat spülte den Mund mit Wasser aus, der Holzstab wurde mit einem
anderen Stück Watte umwickelt und so die Prüfung fortgesetzt. Bei Prüfung der
hinteren Zungenpartie wurde der Kopf nach hinten übergebeugt Das Resultat der
Prüfung war folgendes:
Zangen¬
spitze
Zungenrand
vorderer hinter
Zungenrücken
| hint. Theil
(Gegend der
vorderes Pap. circum-
Drittel | vallatae)
Weicher
Gaumen
I Harter
Gaumen
Zackerlösung
beiderseits
erkannt
bd. nicht
beiderseits
erkannt
' bd. nicht
Salzlösung
„
„
„
„
»J
Chiniolösung
j r. salzig
1. erkannt
r. salzig
1. erkannt
beiders.
erkannt
»
”
»
”
Essiglösung
bd. erkannt,
doch links
früher und
intensiver 1
i als rechts
1. inten¬
siver
fJ
1»
Bei der galvanischen Reizung der Zungenspitzen hatte Pat. links die Empfindung
von Eisen, rechts von Grünspan.
Die Kraft der Arme und Beine ist vorzüglich. Kein tremor manuum, keine
Ataxie.
Kein Romberg. Beim Bücken und Wiederaufrichten kein Schwindelgefühl. Gang
in Ordnung.
Sensibilität am Körper normal.
Patellarreflexe lebhaft, Achillessehnen-, Fusssohlen- u. a. Hautreflexe normal;
innere Reflexe intact.
Lungengrenzen: rechts-vorn-unten am unteren Rand der 6. Rippe, hinten-unten
beiderseits am 11. Brustwirbel.
Digitized by Google
552
Athmungsgeräusche normal, dosgleichen Herzgrenzen. Töne leise, aber rein,
zweiter Aortenton klappend.
Puls regelmässig, mittelvoll, nicht beschleunigt.
Arterienwand (radialis) derb.
Leber und Milz nicht vergrössert
Keine nennenswertben Drüsenanschwellungen.
Keine Narbe am Penis.
Urin frei von Eiweiss und Zucker.
Pal wurde einer Inunctionskur (4,0 Hydrarg. ein. p. d.) unterzogen; er erhielt
im Ganzen 125,0 g. Schon in der zweitem Woche der Behandlung kehrten die
Augenbewegungen, soweit sie nicht vom Abdncens abhängen, allmählich wieder.
Die Sensibilität wurde, besonders im Gebiete des 3. Astes des Trigeminus, etwas
besser; die Geschmacksdifferenzen auf beiden Seiten verschwanden.
Bei der Entlassung des Pat aus der Klinik am 1./I11. 1900 wurde folgender
Befund erhoben:
Rechts geringe Ptosis, links ganz geringes Herabhängen des oberen Angenlides.
Rechtes Auge steht in Convergeuzstellung.
Die rechte Pupille ist eine Spur > L; rechte Pupille reagirt träge auf Licht,
linke prompt Die Conjunctivae des rechten Auges sind injicirt Die Bewegungen
des rechten Auges nach oben sind fast normal, nach innen kommt das rechte Auge
nicht ganz bis znm inneren Canthus, nach nnten sind die Bewegungen beiderseits
gleich, nach aussen sind kaum die minimalsten Bewegungen möglich.
Beim 0offnen des Mundes bewegt sich der Kiefer nach rechts. Die rechte
Temporalgrube und die rechte Wange unterhalb des Jochbogens sind deutlich flacher,
als links. Beim Kieferschloss fühlt man in der rechten Temporalgrabe fast nichts
vom Muskel, den rechten Masseter fühlt man beim Kanen blos minimal. Im Gebiete
des 1. und 2. Astes des 5. Nerven wird tiefes Einstechen der Nadelspitze bloss als
Berührung wahrgenommen, im 3. Aste ist das Einstechen der Nadel empfindlich,
wenn auch nicht so, wie rechts. Feine Pinselberührnngen werden im 1. und 2. Aste
des 5. Nerven nicht wahrgenommen, im 3. Aste des 5. Nerven wohl.
Skleral- und Coroealreflex ist beiderseits vorhanden.
Der Reflex der Nasenschi eimhaut ist r. < 1.
Die rechte Wangenschleimhant ist für Nadelstiche nur wenig empfindlich, die
rechte Zungenschleimhaut fühlt besser.
Beim Berühren der vorderen */, der Zunge mit kaltem und warmem Wasser
giebt Pal an, rechts „kalt und lauwarm“, links „sehr kalt und heiss“ gespürt zu
haben.
Bei weitem Oeffnen des Mundes ist zeitweise das RxnAK’sche Symptom —
Subluxation des Unterkiefers — vorhanden.
In der Nase hat Pal noch das Gefühl von Trockenheit.
Der Geruch ist rechts etwas herabgesetzt.
Der Geschmack ist beiderseits gleich.
Der Krankheitsherd hatte allem Anschein nach zuerst den motorischen
Ast des Quintus ergriffen, war dann auf die anderen Aeste des 5., 6., 4. und
8. Nerven übergegangen, wobei der sensible Theil des 3. Quintusastes am wenigsten
in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dieser Sitz bietet das typische Bild einer
Erkrankung der mittleren Sohädelgrube. Eine centrale Affection hätte innerhalb
der Brücke gelegen sein müssen. Bei Annahme einer solchen aber würde das Aus¬
bleiben von noch weiteren Ausfallssymptomen (Pyramidenbahn), das Beschränkt¬
bleiben der Störungen auf die obengenannten Nerven nur der einen Seite höchst
dby Google
553
auffallend sein. — Die einseitige Lähmung, besonders die des 5. Nerven (Gräfe), das
allmähliche Uebergreifen des Processes von einem Nerv auf den anderen, der
Charakter des Schmerzes und nicht zum Mindesten die günstige Beeinflussung
des Krankheitszustandes durch eine Hg-Kur spricht für einen local syphilitischen
Process. Hierbei mag es unentschieden bleiben, die genaue pathologisch¬
anatomische Natur der Erkrankung zu präcisiren. Die Häufigkeit derartiger
Fälle macht die Diagnose Meningitis basil&ris auch für unseren Fall sehr wahr¬
scheinlich.
Bevor ich auf den Fall näher eingehe, will ich den Stand der Frage über
den Geschinacksverlauf skizziren. Es ist unbestritten bewiesen, dass der N. lin-
gualis sensible und gustatorisohe Fasern führt Einzelne geschmacksführende
Fasern bleiben auch in ihm, der allergröeste Theil nimmt einen anderen Ver¬
lauf; diesen wollen wir verfolgen. Bellikgeri hat als erster Autor im Jahre
1818 die Beziehungen der Chorda zum Geschmack beschrieben und dabei dem
9. Nerven gänzlich die gustatorischen Eigenschaften abgesprochen. Bald darauf
haben Claudb-Bkbnabd, Lubsana u. A. auf Grund pathologischer Beobachtungen
nachgewiesen, dass die Chorda tympani Gesohmaoksfasern enthält. Prävost
hat nach Durohschneidung der Chorda in der Paukenhöhle die Nervenfasern in
den Endästen des N. lingualis degenerirt gesehen und damit einen weiteren
Beweis für das Vorhandensein der Geschmacksfasem in der Chorda geliefert
Duohbnnb hat vermittelst einer in den äusseren, mit Wasser gefüllten
Gehörgang eingeführten Elektrode deutlichen metallischen Geschmack auf den
vorderen ’/, der Zunge und zwar stets nur auf der gereizten Seite erzeugt.
Von Interesse sind die Angaben vieler Otiater, die bei Katarrhen der Pauken¬
höhle an dem geschmackspercipirenden Gebiete der erkrankten Seite sehr häufig
eine Verminderung der Geschmaoksintensität fanden. Blau gelang es, die
blossliegende Chorda direct durch Ausspritzen zu reizen und dadurch Geschmaoks-
sensationen auf der betreffenden Zungenhälfte hervorzurufen..
Schlüchting hat bei Erkrankung der Chorda tympani eine Geschmaoks-
lähmnng am vorderen Theil ('/ s —*/ 6 ) der Zunge in individuell verschiedener
Ausdehnung gefunden. Von Wolf ist behauptet worden, dam die Chorda das
vordere Drittel der Zunge mit Geschmaoksfasem versieht; dieser Ansicht trat
8ohulte entgegen, weloher annahm, dass in dem Falle von Wolf nicht sämmt-
liche Geschmacksfasern durchschnitten wurden, was bei der Lage der Chorda
leicht Vorkommen kann, und worauf auch die schnelle Restitution der Geschmacks-
fasera in diesem Falle hinweist
Durch die Chorda treten die Geschmacksfasern in den 7. Nerven über und
begleiten denselben nun centralwärts ein Stück weit im Canalis Fallopii Läsionen
des 7. Nerven innerhalb desselben bedingen daher eine duroh eine sehr zahl¬
reiche Casuistik genügend erwiesene Aufhebung des Geschmacks. Complidrter
gestalten sich die Verhältnisse etwas höher am Ganglion geniouli facialis, das
die Nn. petrosus superficialis major und minor aufhimmt Diese 3 am Ganglion
anzutreffenden Nerven sind von verschiedenen Forschern für den centralen
Verlauf der Geschmacksfasern in Anspruch genommen worden. — Durchaus
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554
hypothetisch ist die Ansicht von Schulte, wonach die centralen Fasern der
Chorda, von einer eigenen Nervenhülle umgeben, weder mit dem 5. noch
7. Nerven Zusammenhängen, allerdings neben letzterem verlaufen, und dem von
Sapolini entdeckten, in den Seitensträngen des 4. Ventrikels entspringenden
13. Himnerven entstammen. Weder klinische noch anatomische Erfahrungen
bestätigen diese Ansicht.
Nach Lussana und Duchenne mündet die Chorda in die Portio inter-
media Weisbergii des 7. Nerven. Den experimentellen Beweis für diese Anschauung
durch isolirte Durohschneidung des 7. Nerven in der Schädelhöhle hat Lussana
nicht erbracht. Diese Durohschneidung hat später Bernabd ausgeführt, der
aber keine Veränderung des Geschmackes nach der Operation naohweisen konnte.
Lussana kam zu seiner Ansicht auf Grand einiger Fälle (Stamm, Rombkeg,
Renzi, Vizioli), die aber der Kritik von Erb in seiner klassischen Arbeit über
periphere Facialislähmungen nicht Stand halten können und vielmehr zu Gunsten
der Anschauung sprechen, dass die centralen Geschmacksfasern im Quintus
verlaufen.
Ehb, Ziemssen und eine grosse Reihe anderer Autoren haben bei centralen
Lähmungen des 7. Nerven ohne Betheiligung des 5. Nerven niemals eine Herab¬
setzung des Geschmacks beobachten können. Waohsmuth hat in 12 Fällen
von Diplegia facialis, wobei es sich in 5 um centrale Ursachen, in 7 um Affec-
tionen der Schädelknochen (durch syphilitische und skrophulöse Prooeese) bandelte,
keine Alteration des Geschmacks gefunden. In einem Falle fand Wachsmuth
eine totale fettige Degeneration beider Facialisstämme, trotzdem war der Geschmack
gut erhalten. Volpian hat weder nach Durchschneidung des 7. Nerven, sowohl
bei seinem Eintritt in den Meatus anditorius internus, wo die Portio media
mitgetroffen wird, noch an seinem wahren Ursprung am Boden der Rautengrube,
eine Veränderung der nach 20 Tagen mikroskopisch untersuchten Chorda nach-
weisen können und dadurch auch die experimentelle Bestätigung dafür erbracht,
dass die Chordafasern nicht im 7. Nerven weiter laufen. In den Fällen aber,
wo der 7. und 5. Nerv mitangeschnitten waren, zeigte sich die Chorda immer
degenerirt. Bei Durchtrennung des 5. Nerven war das Resultat verschieden,
weil ein grosser oder kleiner Theil seiner Fasern unverletzt blieb und sehr
häufig der 7. Nerv unverhofft mitverletzt wurde. Ein Fall von Pbävobt
jedoch ist beweisend; hier war der ganze 5. Nerv bei unbeschädigtem 7. Nerven
durchschnitten und die Chorda vollständig degenerirt. — Nun existirt noch die
Annahme von Stich. Er fand, dass Schädlichkeiten, welche den 7. Nerven an
der Basis treffen, zur Lähmung des von ihm versorgten Muakelgebietes führen,
keinen Einfluss auf den Geschmack an irgend einer Zungenpartie haben, wohl
aber sah er Beeinträchtigung der Geschmacksperception bei Lähmungen des
7. Nerven, deren Ursachen sich im Verlaufe des FALLOPi’schen Canals auffinden
lies8en. Er nahm daher an, dass die Fasern der Chorda im 7. Nerven oentri-
fugal verlaufen und durch den Ramus communicans zum N. auriculotemporalis,
von diesem zum Ganglion oticum gelangen. Durch 3 weitere Beobachtungen,
wo nach operativer Durchsohneidung des 7. Nerven Geschmacksstörungen oon-
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555
statirt wurden (Yizioli, Lotzbeck, Schüler), hat die STiCH’sche Ansicht eine
scheinbare Stütze erhalten; doch muss wohl berücksichtigt werden, dass diesen Beob¬
achtungen eine ausserordentlich grosse Anzahl entgegensteht, wo keine Geschmacks¬
änderung bei Durchschneidung des peripheren 7. Nerven bestand und dass
secundäre Entzündungen von der Wunde her leicht am perineuralen Bindegewebe
1—2 mm ins Foramen stylomastoideum hinaufragen und die Chordafasern ver¬
letzen können. Dies würde zur Genüge den STiaH’schen Befund erklären.
Magendie hat bereits im Jahre 1824 in seiner ersten Arbeit mitgetheilt,
dass Durchschneidung beider Quintusstämme den Geschmack aufhebt, ohne
jedoch daraus den richtigen Schluss zu ziehen. Schiff kam auf Grund
experimenteller Untersuchungen zu der Ueberzeugung, dass intracranielle Durch¬
schneidung des 5. Nerven oder seiner beiden letzten Aeste den Geschmack auf
der gleichen Seite aufhebt. Auch bei der Exstirpation des Ganglion spheno-
palatinum oder Durchschneidung seiner Verbindung mit dem 7. Nerven einer¬
und 5. Nerven andererseits konnte Schiff die Aufhebung des Geschmacks
beobachten; er stellte daher die Behauptung auf, dass die Geschmacksfasern
vom Ganglion geniculi durch den N. petrosus superficialis major, N. vidianus
und Ganglion sphenopalatinum zum 2. Ast des 5. Nerven gelangen. 2 Jahre
nach Schiff gelang es PrSvobt und Rosenthal, in ihren Nachuntersuchungen
den Beweis zu erbringen, dass die Exstirpation des Ganglion sphenopalatinum
keine Verminderung des Geschmaokes auf der vorderen Zungenhälfte und
keine Degeneration der Chordafasern bedinge; auch naoh Durchschneidung des
N. vidianus liessen sich keine degenerativen Fasern der Chorda nachweisen.
Während nach Vulpian und PrSvost bei der Durchschneidung des 7. Nerven
an der Schädelbasis, bei welcher Operation auch die Portio intermedia durch¬
trennt wurde, die Fasern des 7. Nerven und fast alle des N. petrosus super¬
ficialis major sich verändert erwiesen, die der Chorda aber intact blieben, konnten
diese Autoren bei der Durchschneidung des Ganglion sphenopalatinum keine
Degeneration des N. petrosus superfioialis major finden. Diese Thatsache lässt
sich nur dadurch erklären, dass die Fasern des N. petrosus superficialis major
vom Ganglion geniculi ausgehen und dieses mit dem Ganglion sphenopalatinum
verbinden, nicht aber ist es umgekehrt möglich.
In seiner bereits oben citirten Arbeit kommt auch Erb zu der Ansicht,
dass die Geschmacksfasern schliesslich im 5. Nerv verlaufen. Zu Gunsten dieser
Anschauung wurde bald ein grosses Material geliefert Schon im Jahre 1876
hatte Bernhardt behauptet, dass, wenn die Chordafasern die Gesohmaoks-
empfindlichkeit der vorderen 2 Drittel der betreffenden Zungenhälfte beherrschen,
diese Fasern nur durch den Stamm des 5. Nerven ihr Centrum erreichen können.
Hirschberg erwähnt mehrere Fälle, wo bei Anästhesie des 5. Nerven Fehlen des
Geschmacks beobachtet werden konnte. In einigen von ihm erwähnten Fällen
war auch der anatomische Beweis vorhanden. Es bestand bei normalem 9. Nerven
Atrophie und gelbe Erweichung des 5. Nerven (Meyer), in einem anderen Falle
war vom 5. Nerven nur eine fadenförmige, fibröse Partie vorhanden.
Einen weiteren Beweis lieferten die Operationsbefunde von Krause, der in
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seinen Fällen nach Exstirpation des Ganglion Gasseri Aufhebung des Geschmacks*
Vermögens fand. Bei der grossen Anzahl positiver Befunde erscheint der Fall
von Krause, wo nach Exstirpation des Ganglion Gasseri nur ganz unbedeutende
Gesohmacksgtörungen waren und die anderen 3 Fälle von Mao Tiffany und
Thomas, die nach Exstirpation des Ganglion Gasseri keine Geschmacksstörung
fanden, nicht sehr ins Gewicht fallend, um so mehr, als ohne Autopsie keine
Garantie dafür vorliegt, dass nicht ein Theil des Ganglion Gasseri unverletzt
blieb. — Einen anatomisch klargelegten Fall beschrieb Wallhnbbbg: Bei einer
33jährigen Frau entwickelten sich neben einer linksseitigen Hyposmie links
Abducensparese, neuralgische Anfälle und Anästhesieen im Gebiete aller 5 Aeste,
am stärksten in der Schleimhaut der Zunge, der Mundhöhle und der Lippen,
geringe Parese der linken Kaumuskeln und eine Geschmacksstörung, die darin
bestand, dass, während auf der völlig anästhetischen Zungenspitze alle 4 Ge¬
schmacksqualitäten prompt unterschieden wurden, der Geschmack auf dem
Zungenruoken vollkommen erloschen war. Sectionsbefund: Dura und Pia über¬
säet von kleinen Knötchen, grössere Geschwülste an verschiedenen Stellen des
Gehirns, kleinere Knötchen am Abduoens, im Foramen condyL anti den
9. Nerven comprimirend; die Portio major des linken 5. Nerven ist etwa 1 / 2
nur nach dem Austritt aus der Brücke in eine blaugraue Masse verwandelt,
die Geschwulst reicht bis an das Ganglion Gasseri und zerstört die Nervenfasern
bis auf einen geringen Best am lateralen und medialen Rande, sowie an der
dorsalen Fläche. Portio minor des 5. und des 9. Nerven und Portio intermedia
Wissbergii sind völlig intaot. Dass die Zungenspitze noch geschmacksfahig war,
lässt sich vielleicht durch den noch erhaltenen Best von Nervenfasern erklären.
Sehen wir uns die Fälle an, die gegen die Annahme, dass der 5. Nerv die Ge*
sohmaoksfasern leitet, geltend gemacht wurden. Im Falle Rknzi-Lussana war im
Gebiete des 5. Nerven völlig Anästhesie, der Geschmack war erhalten für Zucker,
Kaffee, Citrone. Bei der Section wurde ein mehrere Zoll grosser schwärzlicher Tumor
in der linken Hemisphäre gefunden, der das Ganglion Gasseri und seine 3 Aeste
comprimirte; dieselben waren in einen Zustand völliger Erweichung gerathen.
Die mikroskopische Untersuchung fehlt Wenn schon die Yermuthung, dass in
diesem degenerirten Bündel nur die Geschmacksfasern nicht lädirt wären, etwas
gezwungen erscheint, so lässt das Erkennen dieser Beagentien im Hinblick auf
die Mitwirkung des Geruchs keine bindenden Schlüsse für den Geschmackssinn
ziehen. Ferner ist gegen die Lehre des 5. Nerven der Fall von Bruns angeführt
worden. Bruns erhob bei einem Pat. 3 Monate nach einem erlittenen schweren
Schädeltrauma folgenden Befund: links Lähmung des 4. und 6. Nerven, rechts
Parese des 6. Nerven, links totale Lähmung des 5. Nerven, rechts ist derselbe
intaot, links 7. Nerv normal, rechts in toto gelähmt, 9., 10. und 11. Nerv
in Ordnung. Trotz der völligen Lähmung des 5. Nerven war der Geschmack
links intaot, während er auf der rechten Seite ganz fehlte. In der Deutung
dieses Falles schliesse ich mich Ziehl an, der die linke Lähmung des 5. Nerven
als secundäre Erscheinung auffasst (sie ist nach dem Trauma vom Arzte nioht
gefunden worden), bedingt durch einen durch das Trauma hervorgerufenen
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chronisch entzündlichen Process (und bei solchen Prooessen Freibleiben einzelner
Fasern häufig). Die Lähmung des Geschmacks auf der rechten Seite erklärt
Zixhl durch eine Schädigung dee 5. Nerven im Foramen ovale oder dicht unter¬
halb desselben an der unteren Schädelfläche, wo die zum Ganglion oticum
ziehenden Geschmacksfasern den 5. Nerven schon verlassen haben. — Die Fälle
von totaler central bedingter Lähmung des 5. Nerven ohne Alteration des Ge¬
schmacks (Dana) beweisen nichts, da die Geschmacksfasern peripherwärts von
der Läsionsstelle abgebogen sein können.
Erb behauptete in seiner Arbeit, dass die Geschmacksfasern durch den
2. Quintusast, wie es Schiff angenommen hatte, zum Gehirn gelangen. Einen
Beweis dafür bieten aber die von ihm angeführten Fälle nicht In allen seinen
Fällen mit Aufhebung dee Geschmacks und peripherem Sitz der Quintus-
erkrankung war auch der 3. Ast des 5. Nerven betroffen. Direct gegen die
Ansicht, dass die Ghordafasem im 2. Ast des 5. Nerven verlaufen, spricht der
von Erb angeführte RoMBEBU’sche Fall. Bei einem Patienten, der im Gebiet
des 3. Astes des 5. Nerven vollkommen anästhetisch und dessen entsprechende
vordere Zungenhälfle des Geschmacks ganz beraubt war, wurde bei der Autopsie
der 3. Astes des 6. Nerven, soweit er sensibel ist, vollkommen erkrankt gefunden.
In diesem Sinne muss auch der AnAM’sche Fall gedeutet werden, den Lubsana
für seine Ansicht verwerthen wollte. Hier war eine Anästhesie im Gebiete des
5. Nerven vorhanden, der Geschmack auf der betreffenden Zungenhälfte bloss
verlangsamt Die Anästhesie war durch eine Neubildung hervorgerufen, die
vom Keilbein ausgegangen und nach der Schädelbasis sowohl, wie nach der
Gaumen- und Nasenrachenhöhle gewuchert war. In der Gegend des Abgangs
des 1. und 3. Astes Hess sich schon makroskopisch Substanz des 5. Nerven
erkennen, zahlreiche Fasern des 5. Nerven (1. und 3. Ast) waren deutlich er¬
halten, der Geschmaok in Folge dessen nur geringfügig alterirt
Die Fälle von Hbüsner und Salomonsohn, welche sich für die ScBiFF’sche
Ansicht ausspraohen, können nicht als beweiskräftig angesehen werden. Im
ersten Falle litt P., wie wir der Krankengeschichte entnehmen, an atypischen
Schmerzen fällen im Gebiete des 2. Astes und auch 3. Astes des 5. Nerven.
Wenn schon daduroh die Beweiskraft des Falles eingeschränkt wird, so verliert
derselbe sie durch den Umstand, dass P. viele Jahre Eiterausfluss aus dem
linken Ohre hatte, und dass auch zur Zeit der Untersuchung ein Paukenhöhlen¬
katarrh mit Anschwellung der linken Wange und Ohrgegend mit Einziehung
und Trübung des Trommelfells und Schwerhörigkeit bestand. Im zweiten Falle
bestand eine Herabsetzung der Sensibilität der betreffenden Zungenhälfte; es
fand also auch hier eine Betheiligung des 8. Astes des 5. Nerven statt.
Zibhl theilte im Jahre 1889 einen Fall von isolirter Lähmung des 3. Quintus-
astes mit völliger Aufhebung des Geschmacks mit und sprach zuerst die Ansicht
ans, dass die Geschmacksfasern duroh das Ganglion oticum, N. petroeus super-
ficialialis minor und Ganglion geniculi zur Chorda ziehen. Einige Jahre nach
der Veröffentlichung konnte Znum über einen zweiten Fall beriohten, in welchem
bei stark herabgesetzter Sensibilität ausschliesslich im Gebiete des 3. Astes des
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5. Nerven der rechten Seite völlige Lähmung der rechten Kaumuskeln und
hochgradige Herabsetzung bis Aufhebung der Geschmacksempfindung auf der
rechten vorderen Zungenhälfte bestand. Krause resecirte den 2. Ast des
5. Nerven an der Oeffnung des Canale rotundum und brachte dabei das Ganghon
sphenopalatinum jedenfalls völlig ausser Verbindung mit dem Ganglion geniculi,
wahrscheinlich wurde es sogar mitresecirt Der 1. und 3. Quintusast blieben
unversehrt und zeigten auch keine functionellen Störungen. Der Geschmack
blieb völlig normal. Mehrere Monate darauf wurde das Ganglion Gassen heraus¬
genommen, und jetzt war eine völlige Aufhebung des Geschmacks auf den
vorderen 2 Dritteln der entsprechenden Zunge zu constatiren. Einen ähnlichen
Beweis liefert Blüher durch Mitteilung eines Falles, in dem bei intracranieller
Durchschneidnng des 3. Astes des 5. Nerven eine Geschmacksaufhebung auf der
betreffenden Zungenhälfte zu constatiren war. Jaffa beschrieb einen Fall, wo
die Hautsensibilität auf der rechten Stirnhälfte, den Augenlidern und der rechten
Wange bis zu einer Linie herab, die dem Verlauf des Unterkiefers genau parallel
geht, total erloschen war. Der Geruch und Gesohmack waren völlig intact.
Schmidt führte in jüngster Zeit zur Bestätigung der ZiEHL’schen Ansicht
2 Fälle an. In dem einen Fall waren der 1. und 3. Quintusast frei, der 2. Ast
unvollständig gelähmt, ( der Gesohmack war nicht beeinträchtigt Dieser Fall
erscheint uns nicht genügend beweiskräftig, wohl aber kann der 2. Fall darauf
Anspruch erheben, hier waren der 1. und 2. Ast des 5. Nerven vollständig ge¬
lähmt, der 3. Ast des 5. Nerven nur in geringem Grade betroffen. Der Geschmack
war bis auf eine Verwechselung zwischen „sauer und salzig“ an der entsprechen¬
den Zungenhälfte normal.
Wenn wir nun uns wieder der Betrachtung unseres Falles zuwenden, so
finden wir, dass bei der Aufnahme des P. in die Klinik am 12. Januar 1900
eine Anästhesie im Gebiete des 1. und 2. Astes, eine geringe Hypästhesie im
Gebiete des dritten rechten Quintusastes bestand. Die Geschmacksstörung war
auf den vorderen zwei Dritteln der rechten Zunge dementsprechend gering.
„Sauer“ wurde als „salzig“ bezeichnet, „bitter“ nur später und weniger intensiv
als auf der anderen Seite empfunden, der Geschmack bei der elektrischen
Reizung auf beiden Seiten nicht ganz gleich. Im Laufe der Behandlung wurde
die Sensibilität im Gebiete des 3. Astes des Quintus wieder normaler, und damit
ging parallel ein Verschwinden auch der geringfügigen Geschmacksdifferenzen.
Bei der Entlassung des Pat. ist die Sensibilität im Gebiete des 1. und 2. Astes
des 5. Nerven noch hochgradig gestört, im Gebiete des 3. Astes ist sie fast
normal. Der Geschmack ist auf beiden Zungenhälften gleich. Dieser Befund
spricht mit der Deutlichkeit eines Experiments für den Verlauf der Geschmacks¬
fasern durch den 3. Ast des 5. Nerven. Die Einschränkung des Geschmack¬
feldes trat in unserem Falle, wie auch in einigen anderen, nicht gleichmässig
für sämmtliche 4 Geschmacksarten auf. Derartige Fälle legen den Gedanken
nahe, dass es Nervenfasergattungen mit verschiedener specifischen Energie giebt.
Vimtschgaü glaubt, sauer und süss, salzig und bitter schmeckende Fasern an¬
nehmen zu dürfen.
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In den zahlreichen Fällen von Störungen im Gebiet des 5. Nerven erstreckte
sich die vorhandene Ageusie nur auf den vorderen Theil der Zunge, die Versorgung
der hinteren Zungenpartie mit Geeohmacksfasern wird dem 9. Nerven zugeschrieben.
Vintschgaü, Hönigsschmied, nach ihnen Ranvdsb und Drasch, in jüngster
Zeit auch Sandmbyer und Rosknbbrg haben nach Durchschneidung des 9. Nerven
beim Kaninchen die Schmeckbecher in den umwallten und geblätterten Papillen
derselben Seite verschwinden gesehen, in den knopfförmigen Papillen des vorderen
Zangendrittels zahlreiche Becher gefunden. Auch die klinischen Beobachtungen
von Lehmann, Ziehl und Pape, wo bei directer Beschädigung des 9. und
Intactbleiben des 5. Nerven der hintere Theil der Zange des Geschmacks
beraubt war, beweisen die Richtigkeit dieser Annahme. Auffallend ist es, dass
Physiologen wie Hermann und Landois trotzdem daran festhalten, dass die
Geschmacksfasem ihren Weg nur vom 9. Nerven nehmen. Vom 9. Nerven
können die Gescbmacksfasern die Bahn zum vorderen Theil der Zange ein-
schlagen, die Carl auf Grund einer hypothetischen Selbstbeobachtung ver-
muthete. Vom Ganglion petrosum ziehen die Fasern durch den N. tympanicus
oder Jacobsonii zum Plexus tympanicus, von hier aus theils durch den N. petrosus
superficialis minor zum Ganglion oticum und somit zum Lingualis, theils und
zwar der kleinere Theil durch den R. conmmnicans c. plexu tympanioo zum
Ganglion geniculi und von hier durch den 7. Nerven und Chorda zum rechten
Lingualis. Kein überzeugendes Experiment oder klinischer Fall bestätigt diese
exclusive Anschauung. In jüngster Zeit hat Cabsiber es versucht, deu ersten
klinischen Beweis dafür anzuführen: Ein 48jähr. Arbeiter bot nach einem Sturz
auf den Kopf ohne Zeichen einer schweren Gehirnerschütterung oder Schädel-
fractur folgendes, zuerst 4 Wochen nach dem Unfall beobachtetes Kraukheits-
bild: Degenerative Atrophie der linken Zungenhälfte mit Entartungsreaction,
Lähmung der linken Gaumen-, Rachen- und Kehlkopfmuskulatur, degenerative
atrophische Lähmung des linken Sternocleidomastoideus und Cucullaris mit Ent¬
artungsreaction, völlige Aufhebung des Geschmackes auf der ganzen' linken
Zungenhälfte; Aufhebung bezw. Abschwächung der Sensibilität auf den hintersten
Theilen der Zunge und am weichen Gaumen, während im Uebrigen die Sensi¬
bilität and die Function der anderen Himnerven unbeschädigt war. Beim Pat.
bestand noch massig starke Arteriosklerose und Albuminurie. Zuerst verschwand
die Sensibilitätsstörung, daun Lähmungserscheinungen, zuletzt Geschmacks¬
störungen. Diagnose: Parese links 9., 10., 11., 12. Nn. Dieser Fall würde
einwandsfrei sein, wenn nicht eine Hypästhesie im Gebiete der Zunge und des
Gaumens bestände. Nach Erb und Bernhardt hat der 10. Nerv aber nichts
mit der Sensibilität der Zungenoberfläche und des Gaumens zu thun, wie es
Casbirer in seinem Falle vermuthet, es muss daher eine Betheiligung des
5. Nerven angenommen werden. Dass nur einzelne Fasern beschädigt werden,
darf bei der traumatischen Entstehung nicht Wunder nehmen. Aber wenn
auch der CASSiRER’sche Fall nicht Sensibilitätsstörungen im Bereiche des 5. Nerven
aeigte und wenn er als Beweis für die Nichtbetheiligung des 5. Nerven an der
Geschmacksversorgung angeführt werden könnte, so wäre bei der überaus grossen
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Anzahl von positiven Fällen, bei welchen eine Betheiligung des 5. Nerven am
Geschmack nachgewiesen ist, doch die Möglichkeit zozugeben, dass es sich nm
eine individuell seltene Eigenthümlichkeit gehandelt hat Eine solche bieten
auch die Fälle von Gowbrä, der den 5. Nerven die Geschmacksfasern auch für
den hinteren Theil der Zunge zuschreibt Auch Frankl - Hochwabt erwähnt
in seiner Monographie über den Geschmack einer mündlichen Mittheilung von
Dr. Beru, der bei einem Pat mit isolirter rechtsseitigen tototalen motorischen
und sensiblen 5. Nervenlähmung völlig normalen Geschmack fand. Erklärt
würden solche individuellen Verschiedenheiten, auf welche Oppenheim u. A. hin¬
wiesen, vielleicht durch die neuesten Untersuchungen von W allenberg, denen
auch Edinger in seinem neuesten Lehrbuche der Anatomie des Centralnerven¬
systems beipflichtet W allenberg glaubt gefunden zu haben, dass die Kern¬
säule des Tractus solitarius mit ihrem frontalsten Abschnitt auch die Geschmacks-
fasern des 5. Nerven aufnimmt und folglich die Geschmacksnervenendigung für
die aus verschiedenen Ganglien entstammenden Fasern bildet ln dem letzten
Falle müsste also eine individuelle überwiegende Betheiligung der 9. Nervenfasern
an der Bildung des solitären Bündels angenommen werden.
Bei der eminenten Wichtigkeit, die die Frage der Keratitis neuroparalytica
bietet, will ich es nicht unterlassen ihre Beziehung zu unserem Falle, wenn auch
nicht in den Bahmen dieser Abhandlung gehörend, kurz zu streifen. Pat wies
bei seiner Entlassung eine rechte Conjunctivitis und nur noch geringe Ptosis
rechts auf. Er erhielt die Weisung, einen Verband um das rechte Aoge zu
tragen und sich öfters zu zeigen. Da Pat. sich wohl fühlte, hatte er den Ver¬
band eines Tages abgenommen, und am nächsten Tage schon liess sich eine
geringe Erosion der Cornea feststellen, die bald zu einer Keratitis neuroparalytica
führte. Letztere heilte nach mehreren Wochen, während welcher Zeit Pat in
der Poliklinik des Herrn Prof. Hirschberg mit Atropineinträufelung behandelt
wurde und einen Occlusivverband tragen musste.
ScHiff hat auf Grund pathologischer Fälle und Experimente die Annahme,
dass die trophischen Fasern für die Cornea aus dem Ganglion Gasseri stammen,
als irrig bezeichnet, und auch in der neuesten Litteratur finden wir Fälle, welche
für Schiff und gegen die früher allgemeine Ansicht sprechen. So z. B. war
in einem Falle, wo neuroparalytische Ophthalmie bestanden hatte, der betreffende
5. Nerv durch eine centralwärts vom Ganglion Gasseri sitzende Geschwulst ab¬
geplattet und in einem mikroskopisch untersuchten Falle fand sich als Ursache
einer neuroparalytischen Keratitis ein Herd in der Brücke, welcher die aus¬
tretende 5. Nervenwurzel völlig zerstört hatte und eine EutArtung eines Theils
der Nervenfasern im 1. Ast verureacht hatte, während das Ganglion Gasseri
und die beiden anderen Aeste des 5. Nerven sich ganz unversehrt erwiesen.
Haa8e schliesst daraus, dass für eine Anzahl der im 1. Ast des 5. Nerven ver¬
laufenden Fasern das Ernährungscentrum in der Brücke gelegen sein müsse.
Hagel8tam glaubt, dass Verletzungen des 5. Nerven eine Herabsetzung
der natürlichen Widerstandskraft und dadurch vermehrte Vulnerabilität der
Gewebe bedingen. —
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Das auslöeende Moment für das Zustandekommen der Keratitis neuropara-
lytica können Verdunstung (Hippel jun.), Traumen (Senftlebn), Mikroorganismen
(Eberth-Balogh) bilden. Auoh in unserem Falle nehmen wir eine herab¬
gesetzte Widerstandsfähigkeit der Cornea an, für die zuerst die Ptosis einen
natürlichen Schutz schuf; als dieselbe verschwand und auch der Verband fort¬
gelassen wurde, kam die Keratitis zu Stande.
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass bei unserem Pat eine geringe
Herabsetzung des Geruchvermögens und der Secretion der Nasensohleimhaut
bestand, was auch Krause, Schmidt und Wallenbebg bei Erkrankungen des
5. Nerven beobachtet haben. Die Geruchsherabsetzung ist wohl durch die von
Maokndib experimentell gefundene Verbindung des 5. Nerven mit Aesten des
Olfactorius zu erklären.
Herrn Dr. Paul Schuster spreche ioh für die freundliche Unterstützung
meinen besten Dank aus.
Litteratur.
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Zibhl, VirchoVs Archiv. Bd. CXVII u. CXXX.
36
Digilized by L^OOQle
562
3. Erwiderung an Herrn Dr. R. Kienböck auf seine
kritischen Bemerkungen 1 * bezüglich meiner Arbeit: „Zur
Symptomatologie der trophischen Störungen bei Syringo¬
myelie (Osteomalacie)“.*
Von Dr. S. S. Nalbandoff,
Leiter der Abtheilung für chronische Kranke am Stadt-Krankenhaus in Odessa.
Vor Allem müssen wir auf einige Facta aus der Krankheitsgeschichte
unseres Patienten zurückkommen, auf welche unser sehr geehrter College
Dr. Kienböck nicht genügend sein Augenmerk gerichtet zu haben scheint
„Bei eingehender Untersuchung der Phalangenknochen,“ heisst es in der Krank¬
heitsgeschichte, „liess sich feststellen, dass sie etwas weicher anzufühleu und
bis zu einem gewissen Grade biegsam waren.“ 3 — „Zur Controlirung der über
den Zustand der Phalangenknochen des Daumens mittelst Radiographie erhal¬
tenen Aufschlüsse“, heisst es weiter, „wurde von Prof. Spishabny im Gebiete
des ersten Gliedes des genannten Fingers eine nahezu perforirende Punction
ausgeführt. Die Nadel drang unbehindert durch die Haut und da s unter¬
liegende Gewebe, stiess dann auf ein leichtes Hindemiss in der Knochensubstanz
des Gliedes, welches sich jedoch bei geringer Anstrengung Seitens des Operirendeu
ohne Mühe überwinden liess. So bohrte sich die Nadel immer tiefer in die
Knochensubstanz ein und drang schliesslich ohne erhebliches Hinderniss bis zur
Volarseite der Phalangen vor.“ 4
Ganz abgesehen vom radiographischen Befunde möchte ioh den geehrten
Herrn Collegen fragen, ob er jemals und in solchem Grade bei gewöhnlichen
Panaritien und Phlegmonen etwas Derartiges habe constatiren können. Gerade
die obengenannte Erscheinung bei unserem Patienten hat aber die besondere
Aufmerksamkeit unserer Collegen (Chirurgen) erregt, welche dieses Factum als
originelles und bisher nicht bekanntes ansahen. College Dr. Kienböck dagegen
ignorirt die erwähnten Daten aus der Krankheitsgeschichte vollkommen, obwohl
sie, unserer Meinung nach, das meiste Interesse verdienen: wenn sie wirklich
zu den gewöhnlichen und häufigen Erscheinungen gehörten, wären sie wohl von
den Chirurgen, welche fast täglich mit Panaritien und Phlegmonen zu thuu
haben, bemerkt worden.
Wir müssen deshalb darauf bestehen, dass die Entkalkung der
Knochenphalangen in unserem Falle eine absonderliche, in der
Litteratur bisher nicht erwähnte Erscheinung darstellt
Da wir der beobachteten Erscheinung eine unrichtige Deutung zu geben
1 Die Untersuchung der trophischen Störungen bei Tabes und Syringomyelie mit
Röntgen-Licht. Nebst kritischen Bemerkungen. Neurolog. Centralbl. 1901. Nr. 2.
* Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVII.
* Unsere Arbeit, S. 472 unten.
4 Unsere Arbeit, S. 481.
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fürchteten, waren wir geneigt, sie mit der beim Kranken aufgetretenen Phleg¬
mone des Fingers (mit Ostitis) in Zusammenhang zu bringen, welche bei ihm
jedoch nur etwa 3 Monate angedauert hatte (von Ende October 1898 bis zum
26. Januar 1899), und nicht 1 Jahr lang, wie Dr. Kienböck irrthömlich an-
nahm. Aber „das Studium der pathologischen Anatomie der chronischen ent¬
zündlichen Processe in den Knochen, sowie die Radiogramme dieser Processe,
welche uns von Dr. Sababchnikoff in liebenswürdigster Weise zur Verfügung
gestellt waren, gaben jedoch negatives Resultat“. 1 *
Unter Anderen müssen wir erwähnen, dass genannte Radiogramme Sa-
baschnikoff’s von mir in der Neuiopathologischen und Psychiatrischen Gesell¬
schaft in Moskau während meines Vortrages demonstrirt worden sind, weshalb
mir die Worte in der Abhandlung von Dr. Kienböck „aus einer mündlichen
Mittheilung Sabaschnikoff’s“ 3 unverständlich sind. Negatives Resultat im
Sinne eines Zusammenhanges zwischen dem Kalkschwund und der phlegmonösen
Entzündung ergab auch der Fall phlegmonöser Entzündung der Hand und des
Vorderarmes bei der Kranken, welche wir zu beobachten Gelegenheit hatten.
Die in diesem Falle wegen tiefgreifender Phlegmone amputirte Extremität wurde
pathologisch-anatomisch und radiographisch untersucht 3 Hier lagen alle Merk¬
male von „aus Panaritien hervorgegangenen Entzündungsprocessen“ 4 * * vor,
nämlich: die phlegmonöse Entzündung hielt etwa 8 Monate an, war von
Ostitis gefolgt, hatte zu Knochennekrose und gleichzeitiger Osteoporose geführt;
nichts destoweniger liess sich hier nichts dem Kalkschwunde aus dem Knochen
Aehnliche8 feststellen, wie es beim ersten Kranken in den Daumenphalangen¬
knochen als Begleiterscheinung der Syringomyelie aufgetreten war.
Unter solchen Umständen glaubten wir uns berechtigt, den
Gedanken an einen Zusammenhang zwischen Kalkschwund und
chronischer Phlegmone aufzugeben.
„Wenn zwischen dem Kalkschwund und dem vorhergegangenen Process
(Phlegmone) auch ein Zusammenhang bestanden hat, so war derselbe ein ent¬
fernter, reflectorischer“ 8 , bei welchem die Hauptrolle allem Anscheine nach dem
Grundleiden — Syringomyelie — zukommt.
Was unseren zweiten Fall — mit Phlegmone der Hand und des Vorder¬
armes — betrifft, so schreibt Dr. Kienböck demselben besondere Eigenschaften
zu, welche ihm keineswegs anhaften. In der That handelte es sich in diesem
Falle um „tiefgreifende, sequestrirende phlegmonöse Entzündung an der Hand,
insbesondere der Handwurzel“ *, auch ist es richtig, dass „dabei aber von einem
Schwunde der Kalksalze aus dem erkrankten Knochen nichts zu finden war 7 ,“
1 Unsere Arbeit, 8. 479 onten.
* Abhandlang von Dr. Kikhböok, S. 57 anten.
• Unsere Arbeit, S. 480.
4 Abhandlang von Dr. Kibhböck, 8. 58.
* Unsere Arbeit, S. 481.
• Abhandlang von Dr. Kibnböok, S. 57.
7 Ebenda.
36*
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— ^64 —
doch haben wir nirgends auch nur mit einem Worte davon erwähnt, dass „viel¬
mehr umfangreiche, missgestaltete Knochenwucherungen entstanden.“ 1 Der
letztere Einwand von Dr. Kihnböck soll hier nicht weiter erörtert werden, es
genügt darauf hinzuweisen, dass ja auch Kienböck’s Erklärung der abnormen
Knochenbrüchigkeit durch „abnorme Lagerung der Knochenbälkchen“ und
„Veränderungen der organischen Grundsubstanz“ nichts Anderes, als eine durch
nichts bewiesene Voraussetzung ist Die pathologisch-anatomischen Veränderungen
im Knochen, welche diesen Brüchen zu Grunde liegen, sind so zarter Natur,
dass alle unsere Untersuchungsmethoden nicht ausreichen, um über die nächsten
Ursachen derselben ein Urtheil zu gewinnen. In dieser Frage können, wie uns
scheint, gegenwärtig wohl nur mehr oder weniger glaubwürdige Hypothesen
vorgebracht werden.
4. Erwiderung zu den obenstehenden Bemerkungen.
Von Dr. R. Kienböck,
Hülfsarzt am Kaiser Franz Joseph-Ambulatorium in Wien
(Abtheilung: Docent Hermann Schlesinger).
Herrn Collegen Dr. Nalbandoff gegenüber erlaube ich mir nochmals mit
Nachdruck die Thatsache hervorzuheben, dass vorübergehender Kalkschwund
an einem entzündeten Knochen in Begleitung von schwerer phlegmonöser Ent¬
zündung mittelst des Durchleuchtungsverfahrens nicht selten nachgewiesen
werden kann und zwar bei anscheinend sonst gesunden Individuen. Diese That¬
sache veranlasste und berechtigte mich, Nalbandoff zu widersprechen, wenn
er die genannte Erscheinung bei Entzündungsprocessen — er beobachtete die¬
selbe an einem Finger bei Syringomyelie — auf Spinalerkrankung zurückführte,
womit er ein neues Symptom der Syringomyelie entdeckt haben wollte. Doch
ist der Irrthum leicht begreiflich, zumal das Röntgen-Verfahren erst in den
Kinderschuhen ist; die Mittheilung der Beobachtung war an sich gewiss werth-
voll. Nalbandoff dürfte nämlich darin Recht habeu, dass die Weichheit und
fast vollständige Durchleuchtbarkeit der Fingerknochen in seinem Falle nicht
etwa ausschliesslich durch eiterige Einschmelzung zu erklären sei, sondern zum
Theil durch eine blosse Entkalkung der Knochengrundsubstanz. Jedenfalls halte
ich diese Annahme in mehreren eigenen Fällen von Phlegmone der Hand für
berechtigt, die dem obigen sehr ähnlich waren, aber sonst gesunde Individuen
betrafen. Hier waren nämlich nicht nur die Phalangen, welche eiterige Ent¬
zündungsherde bargen, fast vollkommen erweicht und transparent, was sich
auf dem Radiogramm und bei der nachfolgenden Operation zeigte, sondern es
waren auf dem Bilde auch in den übrigen Knochen der vorübergehend in toto
entzündlich geschwollenen Hand (in den Spongiosen) transparente Stellen zu
1 Abhandlung von Dr. Kienböck, S. 57.
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565
sehen. 1 Der Endausgang war ebenfalls Heilung mit Neubildung von deformirten
Knochen im erkrankten Finger.
Eine Erklärung für diese, von Nalbaxdoff mit Recht hervorgehobene
merkwürdige Entkalkung — der Ausdruck Osteomalacie dürfte sich dafür nicht
empfehlen, eher die Bezeichnung „entzündliche Halisterese“ — kann heutzutage
nicht gegeben werden. Bisher nahm man meist in Fällen von Knochenerweichung
bei Osteomyelitis entzündliche Hyperämie als Ursache an, Nalbaxdoff recurrirte
wohl ohne Noth auf reflectorische Vorgänge.
Zum Thema der trophischen Knochenstörungen bei Tabes und Syringo¬
myelie zurückkehrend, versichere ich, dass ich bedauere, einem Autor wider¬
sprechen zu müssen, der auch neuerdings (Nalbaxdoff im Vereine mit Solo-
woff) eine interessante Mittheilung über die Anfangsstadien der syringomyelischen
Ärthropathieen im Röntgen-Bild erscheinen liess. Doch ist und bleibt es un¬
richtig, die pathogenetisch dunkle Entkalkung von Knochen in der Umgebung
von Entzündungsherden auf Syringomyelie zurückzuführen. Und wenn Nalbaxdoff
in seiner obigen Erwiderung schliesslich sagte: „die pathologisch-anatomischen
Veränderungen im Knochen, welche den Spontanfraoturen zu Grunde liegen,
sind so zarter Natur, dass alle unsere Untersuchungsmethoden nicht ausreichen,
um über die nächsten Ursachen derselben ein Urtheil zu gewinnen,“ meinte er,
wie ich selbst in meiner Arbeit, doch nur gewisse Fälle — denn bekanntlich
kann zur Zeit der Spontanfractur die Porosität des Knochens schon sehr be¬
deutend und an der amputirten Extremität oder post mortem durch alle Methoden
leicht nachweisbar sein — und Nalbaxdoff pflichtete mit seinen Worten nur
der von mir (auf Grund von Röntgen-Untersuohungen zuerst) ausgesprochenen
Bemerkung, dass sich bei Spontanfractur am Knochen keine weiteren Verände¬
rungen nachweisen lassen müssen, vollkommen bei.
II. Referate.
Anatomie.
1) Atlas der topographischen Anatomie des Menschen, von K. v. Barde-
leben und H. Haeckel. 2. völlig umgearbeitete und vermehrte Auflage.
Herausgegeben unter Mitwirkung von Dr. Fritz Frohse. Mit Beiträgen von
Prof. Dr. Th. Ziehen. (Jena, 1901. Gustav Fischer.)
Der bereits rühmlichst bekannte Atlas präsentirt sich in der vorliegenden
2. Auflage dank den Bemühungen Frohse’s geradezu als ein neues Werk. Die
Zahl der Abbildungen ist um 42 vermehrt worden, und von demjenigen der
1. Auflage sind 55 durch ganz neue, in vergrössertem Maassstabe gezeichnete
1 Derartige Beobachtungen dürfen nur an ausgezeichneten, brillanten Radiogrammen
angestellt werden, wenn man sich vor Täuschungen hüten will. Hier möchte ich auf meine
demnächst in der Wiener medicinischen Wochenschrift (Juni 1901) erscheinende Mittheilung
Aber entzündliche Halisterese im Röntgenbild aufmerksam machen.
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566
ersetzt worden. Das Format des Atlas ist dementsprechend ein wesentlich grösseres
geworden. Der grössere Theil der neuen Zeichnungen ist von Fr oh Be selbst
nach dessen eigenen Präparaten mit gewohnter Meisterhaftigkeit angefertigt
worden. Besonderes Gewicht wurde auf die Darstellung solcher Dinge gelegt,
welche, obwohl praktisch von der grössten Wichtigkeit, in den topographischen
Lehrbüchern und Atlanten in auffallender Weise vernachlässigt oder gar nicht
bildlich dargestellt sind. So betreffen die neuen hinzugekommenen Abbildungen
vorwiegend Gegenden, deren Erkrankungen in jüngster Zeit als Grenzgebiete der
inneren Medicin und Chirurgie im Vordergrund des Interesses stehen. An dieser
Stelle seien zum Beweise hierfür nur die 4 neuen Bilder der Gehirntopographie,
die zahlreichen die Otochirurgie betreffenden Bilder erwähnt. Für die bei der
Lumbalpunction, bei der Exstirpation des Ganglion Gasseri und der
Operation der Occipitalneuralgieen in Betracht kommenden Verhältnisse
wurde je eine Tafel beigegeben. Den erläuternden Text zur Gehirn- und Rücken¬
markstopographie hat Prof. Ziehen einer neuen Bearbeitung unterzogen.
Wir wünschen dem vortrefflichen Products deutscher Wissenschaft und Kunst
eine möglichst weite Verbreitung. Adler (Berlin).
2) Nuevas oonaideraoiones aoeroa de los entreoruj amientos moto res del
aparato de la Vision, per Prof. Manuel Marquez (Madrid). (Bovists
trimestral. microgräfica. Juni und September 1900.)
Verf. schildert in sehr ausführlicher Weise die Functionen der Augenmuskeln
und ihre Innervation, beschreibt den Verlauf der Nervenbahnen für die willkür¬
lichen und reflectorischen Augenbewegungen und weist besonders auf die Kreuzung
einzelner motorischer Nerven des Sehapparates hin. Die Arbeit enthält mehrere
Schemata, welche die Associationen der einzelnen Nervenbahnen veranschaulichen;
die complicirteren Vorgänge der reflectorischen Bewegungen werden durch Beispiele
verständlich gemacht.
Verf. geht von Untersuchungen an niederen Thieren aus, bei denen ein bino-
cularer Sehact nicht zu Stande kommt. Hier besteht das Chiasma nerv. opt. nur
aus gekreuzten Fasern. Der Weg, auf dem sich sensible Reize in motorische
Impulse umwandeln, ist das Chiasma und der Sehhügel, welcher direct mit dem
Kern des motorischen Nerven in Verbindung steht. Bei den Thieren mit höher
organisirtem Centralnervensystem ist noch eine centripetale Bahn nach der Hirn¬
rinde und eine centrifugale nach dem motorischen Endapparat eingeschaltet.
Beim Menschen, dessen Chiasma theils gekreuzte, theils ungekreuzte Fasern
enthält, unterscheidet man drei Neurone: ein corticales oder centrales, ein inter¬
mediäres und ein radiculäres oder peripherisches Neuron. Das Centrum für die
reflectorischen Augenbewegungen stellen die Corp. quadrig. anter., dasjenige für
die willkürlichen Augenbewegungen stellt die Hirnrinde dar. Verf. analysirt dann
die einzelnen Arten der Augenbewegungen. Er definirt als Convergenz jede Be¬
wegung, bei der die Sehaxen gleichzeitig nach einem beliebig gelegenen Objecte
hin gerichtet werden, als Divergenz bezeichnet er das Versagen der Convergenz.
Zweckmässig nennt er die seitlichen, die verticalen und die schrägen Augen¬
bewegungen, welche aus Combinationen der beiden cardinalen Bewegungsrichtungen
hervorgehen, unzweckmässig die Rotationsbewegungen um die anteroposteriore
Axe, die deshalb auch nicht ausgeführt werden. Weiterhin wird der Verlauf der
Fasern in den einzelnen motorischen Nerven des Auges und die Vertheilung der
Nervenkerne beschrieben. Der Abducens fuhrt nur directe, der Trochlearis nur
gekreuzte Fasern, der Oculomotorius besteht grösstentheils aus directen Fasern,
welche vom vorderen Theile des Kerns stammen, zum kleineren Theile aus ge¬
kreuzten, welche vom hinteren Theile des Kerns entspringen. Die Nervenkerae
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567
für die Muskeln der Adductorengruppe, d. h. für die Mm. rectus internus, rectus
superior und rectus inferior liegen auf der ihren Muskeln entsprechenden Seite,
diejenige für die antagonistische Gruppe der Abductoren sind so angeordnet, dass
die Kerne für die Mm. obliquus super, und obliquus inf. auf der entgegengesetzten
Seite gelegen sind. Der Kern für den M. rectus externus gehört zwar derselben
Seite an, jedoch geht der von ihm entspringende Nerv durch gekreuzten Verlauf
io die Bahn der Obliqui über.
Für die reflectorischen Augenbewegungen stellen die Corp. quadrigemina
anter. das Centrum dar; in ihnen findet eine Projection der beiden entsprechenden
Netzhauthälften statt. Für die reine Adduction liegt dieses Centrum auf derselben,
für die reine Abduction auf der gegenüberliegenden Seite, für die Elevations-
und Depressionsbewegungen auf beiden Seiten. Demgemäss besteht das Neuron
der Adductoren aus direoten, das der Abductoren aus gekreuzten und das Neuron
der Elevatoren und Depressoren aus gemischten Fasern.
Die Bahn für die willkürlichen Augenbewegungen verläuft von der Hirnrinde
nach dem entsprechenden vorderen Vierhügel und von dort nach der gegenüber*
liegenden Seite. Schnitzer (Stettin-Küokenmühle).
Experimentelle Physiologie.
3) Die oorticalen Sehcentren, von Prof. St Bernheim er. (Wiener klin.
Wochenschr. 1900. Nr. 42.)
Nach einer historischen Uebersicht über den gegenwärtigen Stand der Frage
nnd einer kritischen Beurtheilung der verschiedenen Hypothesen theilt Verf. seine
eigenen anatomischen und experimentellen Untersuchungen über die Sehnerven¬
strahlung und deren corticale Endigung mit
Verf. untersuchte Gehirne von Neugeborenen und 1—2 Jahre alten Kindern
an Frontal- und Horizontalschnitten nach Weigert und führte Exstirpations¬
versuche der Rinde des Hinterhauptlappens an Aßen aus mit nachfolgender Unter¬
suchung nach Marchi und Nissl: An Kindergehirnen lässt sich verfolgen, dass
die zarten Markfasern von der Gegend des hinteren und lateralen Thalamusendes
aus, beziehentlich von der Vierhügelgegend und dem Corp. genic. aus, zunäohst
dicht bei einander liegend, dann immer mehr divergirend gegen die Rinde des
Hinterhauptlappens ausstrahlen. Eis liess sich ferner feststellen, dass der grössere
Theil der Fasern den medial gelegenen Windungen des Hinterhauptlappens zu¬
strebt, und dass die hier endenden Fasern grösstentheils, wenn nicht ausschliesslich,
dem Corp. genic. entstammen, während in den lateral gelegenen Windungen des
Lob. ocoip. Fasern aus dem Pulvinar und dem vorderen Vierhügel enden, was
auch die Versuche an Affen bestätigten.
Zerstört man an Affen die Hinterhauptsrinde im Bereiche der anatomisch
festgestellten Sehsphäre bis zur Fossa parieto-occipitalis, dann degeneriren alle
grossen Ganglienzellen im Corp. genic., Pulvinar und vorderen Vierhügel.
Die Einbeziehung des Gyros angularis in den Bereich der Sehsphäre von
seiten einiger Autoren ist nach Verf.’s Untersuchungen imbegründet und nur zu
erklären durch gleichzeitige Lädirung der Sehstrahlungsfaserung bei Zerstörung
des Gyros angularis oder Functionsstörung derselben in Folge eintretender Embolieen
oder Thrombosen.
An Gehirnen älterer Kinder (1—2jähriger) findet man ausserdem kurze
Associationsfasern zwischen den Pyramidenzellen der Sehsphäre und jenen des
Gyros angularis, welche der Vermittlung bewusster synergischer Augenbewegungen
dienen, als deren Centrum der Gyros angularis beim Affen nach des Verf.’s
neuesten Versuchen aufzufassen ist, und lange, in die Windungen des Schläfe-
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568
lappens einstrahlende Associationsfasern für die mit dem Sehen coordinirten
Functionen der Hand, der Sprachorg&ne, des Raumsinnes u. s. w. (Fase. long. sup.
et inf.). Alle jene Symptome, welche wir als Seelenblindheit zusammenfassen,
seien nicht an die Zerstörung gewisser Theile des Sehcentrums, sondern an jene
der kurzen und langen Associationsfaserung gebunden. Diese Fasern liegen vor*
nehmlich im lateralen Grenzbezirke der Sehsphäre.
Ausgiebige Zerstörung des medialen Antheiles dieser Grenzbezirke ruft stets
nur reine Qemianopsieen ohne psychische Ausfallserscheinungen hervor.
Die Art der Einstrahlung der Maculafasern in das Corp. genic. in Form
nach allen Seiten divergirender Bündel und der divergirende Verlauf der Seh-
strahlungsfasern lassen eine centrale Endigung der Maculafasern an umschriebener
Stelle sowohl im Corp. genic., als in der Occipitalrinde ausschliessen. Ferner sind
die Ursprungszellen der Sehstrahlung im Corp. genic. ext. in grösserer Anzahl
vorhanden als die daselbst endigenden Sehnervenfasern. Jede Sehnervenfaser, also
auch jede Maculafaser, muss daher mit mehr als einer UrsprungBzelle der Seh¬
strahlenfaserung in Contact stehen, welcher meist mittelbar durch Schaltzellen
bewerkstelligt wird.
Diese anatomischen Ergebnisse bilden eine Begründung und Erweiterung der
Monakow’schen Hypothese, welcher Verf. unter Zugrundelegung seiner Forschungen
den folgenden Ausdruck giebt: Die anatomische Anlage im Corp. genic. (zum
mindesten des Affen und Menschen) ist eine derartig complicirte und zugleich
zweckmässige, dass Lichtimpulse, welohe durch Maculafasern zum äusseren Knie¬
höcker gelangen, auch dann noch ungeschwächt oder nur wenig geschwächt zur
Hirnrinde fortgeleitet werden können, wenn auch die gewöhnlichen Sehstrahlungs¬
fasern der Maoulaendbäumchen durch einen Krankheitsherd ganz oder theilweise
unterbrochen sind.
Die noch gesunden benachbarten Sehstrahlungsfasern können dann immer
noch, vermöge der überaus reich angelegten Contactverbindungen, im Kniehöcker
die Leitung für die ausser Function gesetzten Bahnen übernehmen. Danach wäre,
so lange überhaupt noch benachbarte Sehstrahlungsfasern vorhanden sind, eine
vollständige Vernichtung der Maculafunction ebenso undenkbar wie eine insel-
förmige Vertretung im Centrum.
Damit ist für die klinische Beobachtung das richtige Verständniss gewonnen.
In nahezu allen Fällen reiner Hemianopsie, bedingt durch Herde im Occipital-
lappen, war der Fixationspunkt beider Augen ganz oder fast ganz frei geblieben,
andererseits ist kein Fall bekannt, bei welchem ausschliesslich die der Macula
entsprechenden Gesichtsfeldtheile ausgefallen wären, was durch obige Theorie ver¬
ständlich wird. J. Sorgo (Wien).
4) Physiologisch - anatomische and pathologisch - anatomisohe Unter¬
suchungen des Sehhügels, von Dr. M. Probst, Vorstand des Laboratoriums
der Irrenanstalt zu Wien. (Archiv £. Psych. u. Nervenkrankh. 1900. XXXIII.)
Nach einer eingehenden Besprechung der über die Physiologie des Sehhügels
erschienenen Litteratur theilt Verf. Methode und Resultat seiner an Thieren an-
gestellten Experimente über die Function dieses Hirntheils mit. Hierauf giebt
er die Krankengeschichte einer an Dementia senilis leidenden 64jährigen Frau,
die etwa 14 Tage vor ihrem Tode eine Blutung in den linken Sehhügel erlitt,
ohne dass die innere Kapsel hierbei mit zerstört wurde oder eine Blutung in
den Ventrikel erfolgt wäre.
Die Frau war plötzlich zusammengestürzt, war dann benommen gewesen;
eine anfangs zunehmende rechtsseitige Hemiplegie hatte sich eingestellt. Dann
war die Benommenheit zurückgegangen, so dass es möglich war, eine rechtsseitige
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569
Hemi&nopie zu constatiren. Die vom reohten FacialiB versorgte Musculatur war ent
schlaff, dann tonisch gespannt. Die Musculatur des reohten Beines war
rigide. Die Sensibilität war rechts und links herabgesetzt. Die Sehnenreflexe
waren beideneits, ebenso wie die Hautreflexe, sehr gesteigert. Der Puls war
auf der rechten Seite an Carotis und Radialis bedeutend schwächer. Die
Pupillen reagirten. Nachdem die Frau von Neuem schwer benommen geworden
war und Nystagmus gezeigt hatte, starb sie an Pneumonie. — Die sorgfältige
Untersuchung des Gehirns ergab das Vorhandensein einer bedeutenden Blutung
im linken Sehhügel, die den ganzen Umfang desselben einnahm und nirgends
die Gitterschieht überschritt. Diese Läsion reichte dorsal bis zum dorsalen Rand
dm Sehhügels, ventral bis zur äusseren Markleiste, medial bis zur Medianlinie,
central bis zur Zona reticulata und bis zum Schweifkern. Alle Thalamuskerne
waren durch die Blutung zerstört, nur der lateral ventrale Kern und der hintere
Kern waren verschont geblieben. Auch der dorsale Theil des Tubercul. anter.
und beide Kniehöcker waren intact Mittelst der Marchi'sehen Methode waren
nun zahlreiche Degenerationen nachweisbar, und zwar zogen die degenerirten Stab¬
kranzfasern vom Sehhügel durch die äussere Marklamelle, traten von hier in den
ventralen Abschnitt der inneren Kapsel und durchquerten deren Fasern. In vorn
gelegenen Schnitten verliefen die degenerirten Fasern mehr lateralwärts, lagen
dem Linsenkern an und durchzogen dessen obere Marklamellen. In den vordersten
Schnitten fanden sich die degenerirten Fasern immer höher. Sie strahlten von
der inneren Kapsel zur Hirnrinde, nahmen in der Corona radiata den lateralen
Abschnitt ein und begaben sich zu verschiedenen Hirnwindungen des Stirn- und
Parietalhirns. Von den caudaleren Abschnitten des zerstörten Sehhügels zogen
degenerirte Fasern in die sog. Sehstrahlung, ins Stratum sagittale extemum und von
da in den Occipitallappen. Im Schläfenlappen wurden keine degenerirten Fasern
gefunden, da der innere Kniehöcker und der hintere Kern durch die Blutung
nicht lädirt waren. Ferner zogen degenerirte Fasern zum Mark des vorderen
Zweihügels und zum rothen Kern.
Die Degenerationen des Cingulum und der beiden Pyramidenbahnen (hier
vom Himstamm bis zum Rückenmark) erklärt Verf. durch senile Veränderungen.
Die rechtsseitige Hemiplegie ist seiner wohlbegründeten Ansicht nach durch
secundäres Oedem und Druck von Seiten der Blutung bedingt gewesen.
Als speciell durch die Zerstörung des Sehhügels veranlasst werden angesehen:
die Sensibilitätsstörung, die tonische Spannung im Facialisgebiet und in den
Muskeln der gelähmten Seite, der Nystagmus, die Herabsetzung des Pulses auf
der der Sehhügelläsion gegenüberliegenden Seite und die Hemianopie. Hinsicht¬
lich der letzteren ist beachtlich, dass der äussere Kniehöcker intact und nur das
Pulvinar durch die Blutung zerstört war.
Georg Ilberg (Sonnenstein).
Pathologische Anatomie.
5) Eine eigenartige postmortale Cystenbildung im Centralnervensystem, von
Dr. Fritz Hartmann. (Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 42.)
Das Präparat stammt von einem Patienten, der im August 1898 plötzlich
unter Ohnmacht an Sprachlähmung, linksseitiger Ptosis, rechtsseitiger Facialia-
parese und Somnolenz erkrankte. Es bestand ausserdem Starrheit und Miosis der
linken Pupille, Lähmung des linken Oculomotorius, Parese des rechten, sowie
beider Abducentes und Trochleares und des linken motorischen Trigeminus, moto¬
rische Paralyse und sensible Parese deB rechten Trigeminus. Sohlucklähmung,
spastische Parese der reohten oberen Extremität und Paralyse der unteren Extre«
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570
mitäten mit linksseitiger starker Reflexsteigerang; Parese der Bauchmuskeln, In¬
continentia urinae et alvi. Diagnose: Polioencephalitis superior (Wernicke) mit
wahrscheinlich auch encephalitischer Erkrankung des GTOeshirns. Unter Zunahme
der Somnolenz und der Lähmungserscheinungen Tod am 7. Krankheitstage. Das
Gehirn wurde in 100°/ 0 Formol conservirt und erst einen Monat später in
Frontalschnitte zerlegt.
Rigidität und Verdickung der Gehirnarterien, Verbreiterung der Sulci und
Verschmälerung der Gyri im Frontooccipitallappen.
Das Gehirn fand sich durchsetzt von glattwandigen, unregelmässig gewölbten,
stellenweise nur durch zarte Scheidewände getrennten Hohlräumen von 0,5 bis
2,6 cm Grösse. Der Inhalt ist eine klare, farblose Flüssigkeit, nur in einigen
Hohlräumen findet sich ein graubrauner Niederschlag. Die Längsrichtung der
bohnenförmigen Hohlräume fällt mit der Längsrichtung der Faserzüge zusammen.
Die Mehrzahl der Cysten sitzt in der Gegend der Centralwindungen, die ge¬
ringste Anzahl weist der Hirnstamm auf. Die Begrenzung der Cysten wird durch
das Nervengewebe selbst gebildet. An den Gefässen sind ausser den sklerotischen
Veränderungen kugelförmige, stark lichtbrechende, nicht färbbare Gebilde sichtbar,
welche die Gefässwände auseinanderdrängen. Zahlreiche mikroskopische Cysten.
Ausser einigen älteren Herden mit Wucherung von Gliagewebe keine recenten
histologischen Veränderungen, welche das Krankheitebild hätten erklären können.
Wichtig war der Befund von Bakterien (mit Kapsel versehener Kurzstäbchen) in
den grösseren und kleineren Gefässen und am Rande der Cysten, erstere oft voll¬
ständig erfüllend.
Es dürfte sich um eine durch die Blutbahn intra vitam eingebrachte Bak¬
terienart handeln, welche postmortal eine colossale Vermehrung erfahren und durch
Gasbildung die erwähnten cystischen Veränderungen hervorgerufen hatte.
J. Sorgo (Wien).
Pathologie des Nervensystems.
6) Ueber arteriosklerotische Veränderungen des Gehirns und deren Folgen,
von M. Probst. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XXXTV.)
Eine 50jähr. Potatrix zeigt hochgradige Arteriosklerose der Gefässe, wurde
vergesslich, zeitweise verwirrt und bot eine gedehnte Sprache dar. Dann: Un¬
wohlsein, Erbrechen, Benommenheit, sensorische Aphasie, Paraphasie, Agrapbie,
Alexie, Asymbolie, Apraxie, keine motorische Lähmung oder Sensibilitätsstörung.
Später Hemianopsie, völlige Hülf- und Rathlosigkeit, ein epileptiformer Anfall
und Exitus. Sectionsergebniss: Grössere Erweichung im linken Temporallappen,
ferner zahlreiche kleine Erweichungsherde in den Sehhügeln und beiden Hemi¬
sphären.
Auffallend war die Bewegungslosigkeit der Gesichtsmuskeln bei Affecten,
während willkürlich die Gesichtsmuskeln gut bewegt werden konnten; für diese
Erscheinung macht Verf. die Erweichungsherde im Sehbügel verantwortlich.
Auch die übrigen klinischen Erscheinungen sucht Verf. durch die gefundenen
anatomischen Läsionen zu erklären. Kurt Mendel.
7) Une theorie nouvelle de la oommotion oörebrale, par B. Roncali. (Trav.
de neurolog. chirurg. Paris, 1900.)
Nach einem historischen Ueberblick über die verschiedenen Theorieen der
Oommotio cerebri setzt Verf. die eigene auseinander. Diese erklärt die Er¬
scheinung aus der Unterbrechung und Aufhebung der verschiedenen nervösen
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571
Contacte, hervorgerufen durch die moleculare Umlagerung der feinsten nervösen
Elemente als directe Folge der Gewalteinwirkung. Bei sehr starken Einwirkungen
tritt dann plötzliches Absterben der Neurone durch Inanition und Intoxication
ein, bei schwächeren Einwirkungen iBt der Zellkörper der Neuronen an Volumen
vermindert, die Zellfortsätze sind eingezogen, die chromatische Substanz befindet
sich im Zustand der Diffusion, hierdurch wird eine Aufhebung der Nerven contacte
her beige fährt. Adler (Berlin).
8) Heber cerebrale Blasenatörungen, von v. Czyhlarz und Marburg. (Jahr¬
bücher f. Psych. u. Nervenkrankh. XX. S. 134.)
Ergebnisse der Experimentalforschung (Budge, Bechterew) legten den
Gedanken nahe, dass die Blasenthätigkeit auch beim Menschen von dem Gehirn
aus beeinflussbar ist. Obwohl bei verschiedenen Gehirnaffectionen Störungen der
Blasenfunctionen beschrieben wurden, fasste man dieselben stets so auf, als ob sie
nur durch die Trübung des Bewusstseins, die sich bei derartigen Affectionen so
häufig findet, bedingt wären, ferner, dass eine Mitbetheiligung des Rückenmarkes
nicht auszusohliessen sei.
Die Verff. definiren den Begriff „cerebrale Blasenstörung“ folgendermaassen:
Cerebrale Blasenstörungen sind alle jene, die im Verlaufe cerebraler Affectionen
auftreten, so lange dieselben ohne Trübung des Bewusstseins und der Psyche ein¬
hergehen, völlige Intactheit des übrigen nervös-musculös-drüsigen Blasenapparates
vorausgesetzt.
An der Hand der einschlägigen Casuistik und eigener Fälle (vide unten)
kommen die Verff. zu folgenden Resultaten:
Bei einseitigen Läsionen der psychomotorischen Zonen (wahrscheinlich in der
Gegend des Hüftcentrums [Obersteiner]) fand sich vorübergehend Retention.
In einigen Fällen von Streifenhügelläsion bestand Incontinenz; eine Mitbetheiligung
des Sehhügels konnte dabei ausgeschlossen werden. In einem Falle beiderseitiger
totaler Thalamuszerstörung war bei Verlust der Kniereflexe keine Blasenstörung
vorhanden.
Die Bahnen, welche diese Centren mit der Medulla verbinden, scheinen in
der Gegend der Pyramiden zu verlaufen. Damit dauernde Blasenstörungen auf¬
treten, müssen beide Pyramiden ziemlich vollständig zerstört sein. Anfangs be¬
steht Retention, später Incontinenz.
Eigene Fälle:
I. Linksseitige Parese des 7. und 12. Nerven, Stauungspapille, Kopfschmerzen,
Sencorium frei. Pat. konnte nur nach */ 4 — 1 / J ständiger Anstrengung uriniren.
Exitus unter Vaguserscheinungen. Obduction: Kopf des rechten Streifenhügels
stärker vorgewölbt, weniger der rechte Sehhügel; im rechten Linsenkem ein
Tumor, Kopf des linken Thalamus opticus und Corpus striatum leicht abgeplattet.
II. Plötzliche Hemiplegie bei erhaltenem Bewusstsein, auch mimische Gesichts-
musculatur derselben Seite gelähmt. Pat. hat Harndrang, kann aber den Urin
nicht halten. Die Incontinenz sohwand in 10 Tagen.
III. Der oben erwähnte Fall von beiderseitiger Thalamusaffection (Tuberkel)
mit Verlust der Patellarsehnenreflexe und ohne Blasenstörungen.
IV. Schwindel, Kopfschmerzen. Pat. muss beim Uriniren auffallend lange
pressen, später umgekehrt. Incontinenz. Parese der unteren Extremitäten. Leichte
Ataxie (rechts). Bei der Nekropsie fand sich ein Tumor im Pons, der nur die
Haubengegend freiliess.
V. Parese der unteren Gliedmaassen, Retentio urinae. Deutliche Ataxie.
Später Incontinenz (zugleich aber auch Verwirrtheit, Sinnestäuschungen). Tuberkel,
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572
den oberen Theil der Brücke und die Haube einnehmend. Beide Pyramiden
plattgedrückt.
Die histologische Untersuchung ergab in diesen Fällen, abgesehen von der
secundären Degeneration der Pyramidenbahnen, im Rückenmarke normale Ver¬
hältnisse. Pilcz (Wien).
9) La marohe dans los maladies du syztäme nerveux (a propos d’un
artiole de Marinezoo), par Gilles de la Tourette. (Nouy. Icon, de la
Salp. 1900. XIII. S. 293.)
Verf. polemisirt gegen Marinesco, der bei seinen Arbeiten über den Gang
bei Nervenkranken die Litteratur zu wenig berücksichtigt und speciell die Arbeiten
des Verf. übergangen habe. Er wahrt sich das Prioritätsrecht in diesen Fragen.
Facklam (Lübeck).
10) Klinischer Beitrag zur Physiopathologie des Gehirns und Bemerkungen
zu Thomas’ Einwendungen gegen die Theorie Luoiani’s, von Dr. Silvio
Bianchi. (Wiener allgem. med. Zeitung. 1900. Nr. 39ff.)
Fall I. 5jähr. Knabe. Seit 1 /. i Jahre Kopfschmerzen, besonders im Hinter¬
haupte, später nacheinander Erbrechen, Contraction des Kopfes nach hinten,
Neigung, nach hinten und rechts zu fallen, Schwäche der unteren Extremitäten.
Aufheben des rechten Beins unvollkommen.
Stat. praes.: Parese und Intentionstremor der rechten oberen Extremität,
leichte Parese der unteren Extremitäten; er kann nicht sitzen ohne hintenüber¬
zufallen, Gang nur mit Unterstützung möglich, bei gespreizten Beinen, das rechte
Bein macht grössere Bewegungen als das linke und schlägt stark mit der Ferse
auf. Der Körper stützt sich bei Gehversuchen vorwiegend auf das linke Bein.
Neigung, nach rechts zu fallen.
Stauungspapille, gute Intelligenz, normale Sensibilität, Patellarreflexe rechts
aufgehoben.
Unter den Erscheinungen eines zunehmenden Ventrikelhydrops (Krämpfe,
Schlafsucht, Zunahme des Schädelumfanges) Exitus nach 15 Monaten.
Autopsie: Verkäsung der rechten Kleinhirnhemisphäre. Wurm unversehrt,
einzelne Käsemassen im linken Scheitel- und Schläfelappen.
Fall II. lljähr. Mädchen; seit 2 1 / s Jahr Kopfschmerzen, später Erbrechen,
seit IV, Jahren Gehstörung, seit einem Monate Sehstörung.
Stat praes.: Geringer Intentionstremor der oberen und unteren Extremi¬
täten, cerebellare Ataxie, Gang mit gespreizten Beinen, wobei sie sich vorwiegend
auf das rechte stützt, Stauungspapille besonders rechts, Gehör rechts, Geruch
beiderseits herabgemindert, Steigerung der Patellarreflexe.
Autopsie: Myxogliom des oberen Wurms und in zwei Dritteln der linken
Hemisphäre. Es war eine Operation versucht worden (Entfernung des sich vor¬
wölbenden Hirntheiles mit dem Thermokauter), die aber rasch von allgemeinen
Lähmungserscheinungen gefolgt war und zum Tode führte.
Weiterhin polemisirt Verf. gegen Thomas’ Lehre, dass das Kleinhirn ein
Reflexcentrum zur Herstellung des Gleichgewichts sei, und vertheidigt Luciani’s
Lehre. J. Sorgo (Wien).
11) Caze of disordered cerebral oiroulation, by Philip Borrowman.
(Scotch med. and surgic. Journal. 4. Februar 1901.)
Ein 9jähr. Knabe hatte im Spiel mit anderen häufig und lange Kopfetehen
geübt, das letzte Mal angeblich l j.. Stunde ununterbrochen. Nach diesem Male
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kam er mit Kopfschmerzen nach Hause, brach den nächsten Morgen, war schläfrig
und schlief die nächsten 6 Woohen fast ununterbrochen Tag und Nacht. Er
nahm sehr wenig Nahrung zu sich, magerte ab, bot aber sonst keine auffälligen
Erscheinungen dar. Der nach dieser Zeit zugezogene Arzt konnte ausser einer
schwachen Herzaction ebenfalls keine Zeichen organischer Erkrankung naohweisen.
— Nachdem er kurze Zeit Digitalis in kleinen Dosen genommen hatte, besserte
er sich rasch und war nach 4 Wochen wieder völlig normal und munter. —
Verf. erörtert die Differentialdiagnose gegenüber tuberculöser Meningitis und
beruft sich zur Erklärung des Krankheitszustandes auf die Erfahrungen der Phy¬
siologie, nach denen anhaltende mechanische Congestion des Gehirns Somnolenz,
Schwindel und andere für Hirnanämie charakteristische Symptome hervorruft; ob
die Hirnanämie durch Verminderung des arteriellen oder Erhöhung des venösen
Blutdruckes veranlasst ist, ist in diesem Zusammenhänge gleichgültig.
H. Haenel (Dresden).
12) Bin Fall oerebraler sensibler und sensorieller Hemlanästhesie und
Hemiplegie, von Dr. A. Hoffmann, Oberarzt an der Klinik des Herrn
Prof. v. Mer in g in Halle. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVII.)
Ein 21 jähriger, bisher gesunder und aus nicht belasteter Familie stammender
Arbeiter wird plötzlich von einem Schlaganfall betroffen, in Folge dessen er eine
beträchtliche Parese der linksseitigen Extremitäten und eine Gefühlsbeeinträch¬
tigung auf der ganzen linken Seite erleidet. Ferner besteht links eine Gesichts-,
Gehörs- und Geruchsstörung nebst centralen Schmerzen in der ganzen linken
Körperhälfte. Während die letzteren sowie die paretischen Erscheinungen bald
wieder zurüokgehen, bleiben die anderen Störungen bestehen, und es gesellt sich
ausserdem noch eine Atrophie der linken Hand und eine rechtsseitige Ischias
hinzu. Nach 5 Jahren findet sich in der linken Körperhälfte eine vollständige
Anästhesie für tactile Beize, der Druck- und Baumsinn sind vollkommen, der
Ortssinn beinahe gänzlich geschwunden, der Temperatur-, Muskel- und stereo-
gnostische Sinn sind aufgehoben, während die Schmerzempfindung nur noch an
einzelnen Stellen des Gesichts und Beins erhalten ist. Ausserdem sind der Geruch
und Geschmack auf der linken Seite ganz geschwunden, während das Gehör- und
Sehvermögen auf dieser Seite stark beeinträchtigt ist. Auf dem rechten Auge
besteht eine vorübergehende Einengung des Gesichtsfeldes mit Abnahme der Seh¬
schärfe bei normalem ophthalmoskopischen Befund, ferner leichte Facialisparese
bei unwillkürlichen mimischen Bewegungen und eine Schwäche des Cucullaris
links, hochgradige Schwäche der linken Extremitäten, deutliche Atrophie der
linken Hand mit kleinen Zuckungen in einzelnen Muskeln und choreaartigen
Bewegungen der Finger. Temperatur und Feuchtigkeitsgehalt der linken Körper¬
hälfte niedriger als rechts.
Verf. nimmt an, dass es sich um eine Blutung in den hinteren Theil des
hinteren Schenkels der inneren Kapsel handelt, deren Natur unaufgeklärt bleibt,
da Lues nicht nachzuweisen und eine specifische Behandlung auch erfolglos war.
Die Beeinträchtigung der unwillkürlichen Bewegungen der linken Gesichtshälfte
ist als leichte Läsion des rechten Thalamus aufzufassen und vermuthlich durch
Fernwirkung des in der inneren Kapsel sitzenden Herdes bedingt. Das Vor¬
handensein centraler Schmerzen, welche während eines 5jährigen Zeitraumes be¬
standen, spricht ebenfalls für eine Thalamusafifection. Auch die Muslcelatrophie
ist als eine cerebrale anzusehen und wahrscheinlich durch Circulationsstörungen
im 3. Hauptast der Art. fosBae Sylvii und lenticulooptischen Gefässgebiet bedingt.
Der Fall bietet durch das Zusammentreffen der Hemiplegie und sensiblen
Hemianästhesie mit der Beeinträchtigung der gleichseitigen Specialsinne ein
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besonderes Interesse und beweist, dass das Charcot’sehe Krankheitsbild nicht
durch eine organische Läsion der im hinteren Theil der inneren Kapsel der ver¬
laufenden Sehnervenfasern, sondern als functioneller Schwächezustand aofzu-
fassen ist. E. Asch (Frankfurt a/M.)
13) Präparate von punktförmigen multiplen Hirnblutungen, von Weber.
Vortrag, gehalten in der medicinischen Gesellschaft in Göttingen. (Deutsche
med. Wochenschr. 1901. Nr. 8.)
Keine miliaren Aneurysmen. An den mittleren und kleineren Arterien und
Venen Verbreiterung und hyaline Entartung der Wandung, Verengerung oder
Obliteration des Lumens. Die Blutungen sind wahrscheinlich bedingt durch die
nachweisbare Auffaserung der Gefässwand; in den Lücken zwischen den einzelnen
Lamellen lagern rothe und weisse Blutkörper. Die hyaline Entartung beginnt
mit zelliger Wucherung der äusseren Schichten, später folgt hyaline Umwandlung
des gewucherten Gewebes. Die Lymphscheiden der erkrankten Gefässe sind er¬
weitert, durch die verbreiterte Gefässwand ausgefüllt: sie enthalten bei kleineren
Gefässen und Capillaren eiweisshaltiges Transsudat und zellige Elemente. Das
Hirngewebe um die Herde ist aufgelockert und zeigt Spinnenzellen. In den
älteren Herden findet man amorphes, extracellulär gelegenes Blutpigment, ferner
zahlreiche degenerirte Capillaren, welche an sich farblos, mit Salzsäure-Ferro-
cyankalium sich lebhaft blau färben. Diese Capillaren haben verdickte, starre
Wandungen und werden durch Hämatoxylin intensiv schwarz. Wahrscheinlich
handelt es sich um eine Imbibition mit einem eisenhaltigen Hämoglobinderivat
(Hämosiderin), jedenfalls liegt keine Kalkimprägnation vor. R. Pfeiffer.
14) Ueber Hirnblutung bei verruoöser Endokarditis, von M. Simmonds.
(Deutsche med. Wochenschr. 1901. Nr. 22.)
Verf. berichtet über 7 Fälle von Apoplexie bei verruköser Endokarditis, in
denen ein Zusammenhang zwischen beiden Vorgängen mit Sicherheit anzunehmen
war. In zwei dieser Fälle ergab die Section in den thrombosirten Gelassen
eine grosse Menge kleinerer und grösserer Kokkenhaufen, die sich mikroskopisch
als Staphylokokken erwiesen. Genau dieselben Mikroben fanden sich auch in
beiden Fällen in den endokarditischen Auflagerungen. Es war somit bakterien¬
haltiges Material von den Herzklappen in kleine Hirngefasse gelangt, hatte dort
die Gefässwand zerstört und die Aneurysmenbildung verursacht.
In den 5 anderen Fällen konnte zwar der Bakteriennachweis nicht erbracht
werden, doch musste trotzdem ein Zusammenhang zwischen Endokarditis und
Apoplexie angenommen werden, zumal anamnestische Daten und sonstige anato¬
mische Veränderungen fehlten, welche das Auftreten der Hirnblutung erklären
könnten, speciell waren Gefässerkrankung, Nierenstörungen, Lues, Alkoholismus
oder andere Intoxicationen nicht nachweisbar.
Die verrucöse Endocarditis spielt in der Aetiologie der Hirnblutungen häufiger
eine Rolle, als meist vorausgesetzt wird. Kurt MendeL
16) Uobor Ponsblutungen, von Martin Cohn (Kattowitz). (Archiv t Psych.
u. Nervenkrankh. XXXIV.)
Bei einem 40jährigen Mann, welcher das Krankheitsbild der chronischen
interstitiellen Nephrititis bot, trat ohne Bewusstseinsverlust plötzlich linksseitige
Extremitäten- und Hypoglossuslähmung ein mit dysarthrischer Sprache, aber ohne
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Befallensein dee Facialis and ohne erkennbare Schädigung anderer Hirnnerven¬
gebiete, so dass eine Blutung in der Medulla oblongata resp. im Hirnstamm
diagnosticirt wurde. 6 Tage nach dem Auftreten des Insults starb Patient. Die
Section ergab nur eine durch Blutung bedingte Schädigung der rechten und
eines kleinen Theiles der linken Pyramidenbahn im Pons, während Kern- und
Haubenregion gänzlich unversehrt gefunden wurden.
Besonders betont sei, dass niemals Krämpfe in den befallenen Gliedern be¬
obachtet worden waren.
Der Hypoglossus war mitbeteiligt, weil Beine cortico - nucleäre Bahn, im
Pons die medialsten Abschnitte der Pyramidenbahn einnehmend, durch die Blutung
beschädigt war, während der Facialis wegen Intactbleibens des Nucleargebietes
und der Austrittszone dieses Nerven völlig frei war.
Im Anschluss an diesen Fall berichtet Verf. über folgende Krankengeschichte:
bei einer 61jährigen, an Arteriosklerose leidenden Frau entwickelt sich all¬
mählich eine Schwäche des linken Facialis, dysarthrische Sprache, Steigerung de.
linken Patellarreflexes, Strabismus convergens. Klinische Diagnose: thrombotische
Gehirnerweichung. Die Autopsie ergab: Erweichungsherd in der vorderen Partie
der rechten inneren Kapsel, multiple kleine Blutungen in der lateralen unteren
Partie der linken Ponshälfte, Schrumpfung der ventralen Partie der rechten Brücken¬
hälfte (letzteres als Secundärerscheinung der rechtsseitigen Kapselerweiohung!).
Die erschwerte Sprache setzt Verf. dem zunehmenden geistigen Verfalle, resp.
corticalen Hirnveränderungen auf Rechnung.
Auf die Existenz der gefundenen multiplen Blutungen im Pons hatte kein
Krankheitssymptom hingewiesen, die krankhaften Erscheinungen waren im Uebrigen
durch den Herd in der vorderen Hälfte der inneren Kapsel erklärt.
Kurt Mendel.
16) Ein Fall von Hemiplegie naoh Keuohhusten, von Fritz Hartmann.
(Mittheil, des Vereins der Aerzte für Steiermark. 1901. Nr. 1.)
Verf. berichtet über einen Fall von Keuchhustenhemiplegie und ist geneigt,
als das pathologisch-anatomische Substrat der klinischen Erscheinungsformen eine
acute, nicht eitrige Encephalitis anzunehmen. Aetiologisch kommen toxische und
mechanische traumatische (durch Hustenstösse bedingte) Einflüsse in Betracht.
Ausser an eine Encephalitis wäre noch an eine event. stattgehabte meningeale
Hämorrhagie zu denken. Kurt Mendel.
17) Zur Keimtni88 der CiroulationsVerhältnisse in gelähmten Extremitäten,
von Dr. Adolf Hecht und Dr. Leo Langstein. (Allg. Wiener med.
Zeituug. 1900. Nr. 37.)
In 13 mit Gärtner’s Tonometer untersuchten Fällen fand sich der Blut¬
druck vom 6. Tage nach der Lähmung an in den gelähmten Extremitäten herab¬
gesetzt. J. Sorgo (Wien).
18) A oase of post-hemiplegic athetosia, by N. N. Brahmachari. (Brit.
med. Journ. 1900. S. 839.)
Ein 25jähr. Hindu hatte in Folge Ueberanstrengung beim Schwimmen eine
linksseitige Hemiplegie erlitten, von der Pat. fast völlig wiederhergestellt wurde.
— Kein Anhaltspunkt für Lues; jedoch hatten schon 1 Jahr lang Erscheinungen
von Epilepsia minor bestanden.
4 Wochen, nachdem Pat. das Hospital als „geheilt“ verlassen, wurde ersterer
durch unfreiwillige Beugung des linken Mittelfingers aus dem Schlaf geweckt.
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Derselbe Finger zeigte von dieser Zeit an athetose-ähnliche Bewegungen, die all*
mählich stärker wurden und sich auch den übrigen Fingern der linken Hand
mittheilten. — Bemerkenswerth ist, dass der Extensor und namentlich auch der
Flexor digit. longus an der Athetose theilnahmen, während Gowers der Ansicht
ist, dass letzterer Muskel niemals afficirt wird. — Ferner bietet der Fall insofern
Interesse, als in der afficirten Hand die Sensibilität nur unbedeutend herabgesetzt
war. Es bestand aber keine Heinianästhesie und keinerlei vasomotorische Ver¬
änderung. E. Lehmann (Oeynhausen).
19) lieber einen Fall von poathemiplegisohem Intentionstremor, von Dr.
Moriz Infeld. (Wiener klin. Woohenschr. 1900. Nr. 44.)
40jähr. Pfründner. Frühjahr 1889 rechtsseitige Hemiplegie, mit Betheiligung
des Facialis und der Zunge, nachdem 8 Tage vorher Kopfschmerzen und Erbrechen
vorausgegangen waren. Allmähliche Besserung. 2 Jahre später unwillkürliche
Bewegungen in den gelähmten Gliedern (Athetose), die im Frühjahr 1895 wieder
schwanden. Der Status praes. zu dieser Zeit ergab: Rechts Anosmie, Ageusie,
Facialisparese, Herabsetzung der Sensibilität der rechten Körperhälfte, mit Stö¬
rungen des Lagegefühls' und des stereognostischen Sinnes, spastische Parese der
rechtsseitigen Extremitäten mit Ataxie. Mai 1900 wurde wieder Athetose der
rechten oberen Extremitäten constatirt, mit deutlichem Intentionstremor derselben,
der auch an der rechten unteren Extremität bemerkbar ist.
3 Jahre vor Eintritt der ersten Krankheitserscheinungen hatte Pat. einen
Messerstich in die linke Scheitelgegend erhalten.
Die Symptome deuten auf eine Herdaffection, die möglicherweise mit dem
Trauma im Zusammenhänge und in Beziehung zum hinteren Ende der inneren
Kapsel steht.
Verf. geht auf die verschiedenen Hypothesen über die anatomische Grund¬
lage des Intentionszitterns näher ein. J. Sorgo (Wien).
20) Aoute enoephalitds following Influenza, by Dr. Prickett and Dr. Batten.
(Clinical Society of London. Brit. med. Journ. 19. Mai 1900. S. 1223.)
Ein 9jähr. Knabe erkrankte am 4. Tage nach einem leichten Influenzaanfall
(nur ein Tag Bettruhe) plötzlich an rechtsseitiger Hemiplegie und Aphasie bei
ungestörtem Bewusstsein. Bald darauf verfällt Pat. in tiefes Koma, in welchem
er (72 Stunden nach Beginn der Affection) stirbt — Die Autopsie ergab: Blasse
Gehirnoberfläche, Abflachung der Gehirnwindungen, starke Iiyection der subcorti-
calen Gefässe, besonders links. — Die mikroskopische Untersuchung ergab in der
subcorticalen Region zahlreiche kleine Blutextravasate und Thrombose der feinen
Gefässe.
Aehnliche Fälle sind von Strümpell bei Erwachsenen beschrieben worden.
E. Lehmann (Oeyhausen).
21) Bin Fall von Encephalitis haemorrhagioa naoh Influenza, verlaufend
unter dem Bilde einer Apoplexia sanguinea, von E. Stadelmann.
Aus dem städtischen Krankenhause am Urban in Berlin. (Deutsche Zeitschr.
f. Nervenheilk. 1900. XVIII.)
Bei einem 28jähr. Kaufmanne, der nicht luetisch inficirt war, traten influenza-
artige Erscheinungen auf, welche durch Nackensteifigkeit complicirt waren. Drei
Wochen später verschlimmerte Bich der Zustand, es kam Aussetzen des Pulses,
unregelmässige Athmung, Benommenheit und schlaffe Lähmung der Extremitäten
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hinzu, ausserdem bestand Papillendifferenz, refleetorische Papillenstarre, Erloschen¬
sein der Haut- und Sehnenreflexe, sowie der Schmerzempfindung. Dabei erhebliche
Temperatarsteigerang and fortgesetzt anregelmässiges Fieber. Urin ohne Eiweiss.
Abgesehen von einer anscheinend venösen Blatang an der linken Papille Augen¬
hintergrund normal. Eine mehrmals and an verschiedenen Stellen vorgenommene
Lumbalpunction lieferte zwar stark sanguinolente Flüssigkeit, welche aber von
Bakterien und Leukocjten frei war. 1 Monat nach Beginn der Erkrankung
Exitus. Die Diagnose schwankte zwischen einer Blutung und einer Meningitis
nach Influenza. Die Autopsie ergab eine chronische Meningitis und Arachnitis
spinalis, hämorrhagische Erweichungen der linken Hemisphäre und Durchbruch
der Blutung in die Seitenventrikel.
Das Leiden war offenbar im Anschluss an die Influenza aufgetreten und
unterschied sich von der gewöhnlichen Influenza-Encephalitis durch das Fehlen
multipler, feiner Blutungen, sowie durch das Vorhandensein grosserer Erweichungs¬
herde mit ihren beschriebenen Folgeerscheinungen.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
22) Zur Pathologie der niohteitrigen Encephalitis. (Ueber 12 Fälle von
Encephalitis des Qrosshims bezw. des Kleinhirns; darunter 2 Fälle
mit anatomischer Untersuchung.) Von Dr. Nonne, Oberarzt am Neuen
Allgemeinen Krankenhaus in Hamburg-Eppendorf. (Deutsche Zeitachr. f.
Nervenheilk. 1900. XVllL)
12 Fälle von nichteitriger Encephalitis werden eingehend mitgetheilt und
die Differentialdiagnose sorgfältig erwogen. Von diesen endeten zwei letal, und
konnte hier das Centralnervensystem anatomisch untersuoht werden. In dem
ersten Falle bestand das klinische Bild einer zum Tode führenden Grosshirn-
encephalitis. Die makroskopische und mikroskopische Untersuchung lieferte ein
vollkommen negatives Resultat. Die andere Beobachtung liess auf tuberculöee
Meningitis schlieesen, die möglicherweise mit einem tuberculösen Abscess verbunden
war. Eis fand sich eine tuberculöse Erkrankung der GefÜsse und ausserdem ein
grosser encephalitischer Herd in der Gegend der rechten vorderen und hinteren
Centralwindung, welcher in seiner grössten Ausdehnung bis zu 6 cm an das Mark¬
lager hinabreichte. Während bei der syphilitischen Meningoencephalitis derartige
ausgedehnte Erweichungen häufig beschrieben sind, ist eine secundäre Encephalitis
von so grosser Ausdehnung eine grosse Seltenheit
E. Asch (Frankfurt a/M.).
23) Een geval van acute haemorrhagizohe polienoephalitiz superior (typua
Wernioke), door J. A. Wijnhoff en J. C. Th. Scheffer. (Psychiatr. en
neuroL Bladen. 1900. S. 47.)
Eine 62 Jahre alte Frau, die seit langer Zeit dem Trünke stark ergeben
war, war 3 Monate vor der am 30. Juni 1899 erfolgten Aufnahme, angeblioh an
Influenza, erkrankt gewesen; etwas mehr als eine Woche vor der Aufnahme verlor
sie das Bewusstsein, wurde schlafsüchtig und konnte nicht mehr gehen; ein eigent¬
licher Insult war nicht festzustellen. Seit einem Jahre bestand Harnincontinenz.
Nach der Aufnahme schlief und delirirte Patientin abwechselnd, war nicht orien-
tirt und sprach mit Abwesenden. Beim Versuche, geradeaus zu sehen, konnten
die oberen Augenlider nicht weiter als bis zum oberen Rande der Pupille er¬
hoben werden, die Bewegungen der Augen waren nach allen Richtungen sehr
beschränkt und mit Nystagmus verbunden. Die Pupillen waren gleich, eng und
reagirten sehr schwach auf Licht. Ein Unterschied in der Innervation beider
Facialee war nicht festzusteilen, die Zunge wurde gerade herausgestreckt Nacken-
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Steifheit war nicht vorhanden. Beide Arme waren activ gut beweglioh, am linken
zeigte sich bei passiven Bewegungen geringe Contractur. Die Armreflexe waren
schwach, auf beiden Seiten gleich. Auch beide Beine wurden willkürlich bewegt,
bei passiven Bewegungen zeigte sich an beiden Contractur, links etwas deutlicher.
Die Kniereflexe waren auf beiden Seiten sehr schwach und fehlten zeitweise.
Beim Versuche zu stehen knickten die Kniee ein. Beim Aufrichten aus liegender
Stellung klagte Patientin über Rückenschmerz und hielt den Rücken ganz steif;
die Processus spinosi der Brustwirbel waren beim Beklopfen schmerzhaft. Ge¬
fühlsstörungen waren bei dem Zustande der Patientin nicht nachzuweisen. Am
3. Juli nahm die MiosiB zu, die Temperatur sank bedeutend, und Patientin starb
bei starker Erweiterung der Pupillen.
Bei der Section fand sich starke venöse Hyperämie in den Piagefässen und
an der Convexität auf beiden Seiten subpiales Oedem. Von aussen gesehen zeigten
weder das Gehirn noch das Rückenmark makroskopisch wahrnehmbare Verände¬
rungen. Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigten sich in Schnitten aus
dem Corpus quadrigem. ant. zahlreiche kleine Blutungen im centralen Höhlengrau
Bowie im Dach und im Boden des Aquaeductus Sylvii, in Form von Haufen rother
Blutkörperchen, Blutaustritten in der Nähe geborstener Gefasswände, stellenweise
Abhebung und Ausbuchtung der Adventitia durch eingedrungenee Blut. Die
Ganglienzellen zeigten beträchtliche Abweichungen, die hauptsächlich in abnormer
Lage oder Schrumpfung oder Fehlen der Kerne bestanden und in Verminderung
der Zahl der Nissl’sehen Körperchen. Die Neurogliakerne waren stark vermehrt,
und zahlreiche lymphoide Zellen kamen im Gewebe verstreut vor. Dieselben
pathologischen Abweichungen fanden sich im Boden des vierten Ventrikels. Im
Oculomotorius liess sich keine Nervenentartung erkennen, die Augenmuskeln er¬
schienen normal. Am Rückenmark fanden sich bei der mikroskopischen Unter¬
suchung keine Abweichungen mit Ausnahme von Wucherung der Ependymzellen
rund um den Centralcanal herum, die im Brustmarke und besonders im Lenden¬
marke so stark war, dass der Centralcanal ganz ausgefüllt war. Eine anatomische
Erklärung für die Hamincontinenz und für die Steifheit des Rückens wurde nicht
gefunden. Walter Berger (Leipzig).
24) Ein Fall von chronischer Folioenoephalitls Superior, von Carl Hudo-
vernig. (Pester med.-ohir. Presse. 17. Febr. 1901. Nr. 7.)
Bei einem 17 jährigen, erblich nicht belasteten Mädchen besteht linksseitige
Oculomotorius- und Facialislähmung. Erstere begann vor 6 Jahren mit der
Drehung des Augapfels nach aussen und mit fortschreitender Ptosis. Allmähliche
Zunahme der Erscheinungen, keine Remissionen. Schliesslich waren sämmtliche
vom link en Oculomotorius versorgten Muskeln (die inneren und äusseren) derart
afficirt, dass nur noch eine schwache Contraction des Levator palpebrae sup.
möglich war. Obliquus superior und Rectus externus blieben intact, letzterer in¬
folge Lähmung seines Antagonisten in Contractur.
Nach Ausschluss aller anderen Möglichkeiten betreffs des Sitzes der Läsion
gelangt Verf. zu der Annahme, daBB es sich um einen in den Nervenkernen sich
abspielenden Process handelt, und zwar um eine selbständige Erkrankung der
Zellen der Nervenkerne, Polioencephalitis super, chron.
Das einseitige Auftreten der Lähmungen verleiht dem Fall besonderes
Interesse, speciell aber auch der Umstand, dass trotz sechsjährigen Bestehens des
Leidens die Affection einseitig blieb.
Verf. glaubt, dass sich der seit Jahren bestehenden Polioencephalitis sup.
des linken Oculomotoriuskernes eine sklerotische Erkrankung des linken Facialis-
kernes angeschlossen hat, dass sich der pathologische Process allmählioh auch
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auf die Nervenkerne im verlängerten Marke fortsetzen dürfte und sich so eine
gewöhnliche Bulbärparalyse (u. z. diese doppelseitig) schliesslich entwickeln werde.
Kurt Mendel.
25) Traitement möoanotherapique des hemiplegiques , p&r Kouindjy.
(Arohives de neurologie. November 1900. Nr. 59.)
Nach einer kurzen geschichtlichen Einleitung bespricht Verf. die medioo-
mechanische Behandlung bei Hemiplegieen, die sich in Dreierlei theilt: a) die
methodische Massage, b) die Wiedererlernung der Bewegungen und c) die medico-
mechanische Behandlung. Dieser letzten widmet Verf. in seiner interessanten
Abhandlung seine specielle Aufmerksamkeit, behandelt die von den verschiedensten
Autoren angegebenen Apparate u. s. w. und spricht zum Schluss mit Recht den
Wunsch aus, auch für die weniger Bemittelten zur Behandlung, sowie für die
Studirenden zur Erlernung Anstalten mit derartigen Apparaten zu errichten.
Adolf Passow (Meiningen).
26) Bin Fall von aasgebreiteter Aktinomykose mit Loe&lisation im Gehirn,
von Prof. W. Nicitin in St. Petersburg. (Deutsche med. Wochenschr. 1900.)
Die Erkrankung begann December 1897 im Respirationsapparat und ging
dann auf die Haut und das Unterhautzellgewebe über. Im Januar 1899 Schwindel,
Bewusstlosigkeit, Krämpfe der rechten Körperhälfte: Patientin kam bald zu sich
und brach in Thränen aus, so dass es schwer war, sie zu beruhigen. Kein
Zungenbiss. Aehnliche und schwächere Anfälle, vorzugsweise auf der rechten
Seite, gefolgt von mehr oder minder langdauernder Aphasie, traten in der Folge¬
zeit noch häufiger auf, zumal vor, während und nach den Menses. Im September
1899 und März 1900 wiederum heftige Attacken; Klagen über Schwäche,
Schwindel, häufige Zuckungen in der rechten Gesichtshälfte und Krampf der
Kaumuskeln. Ende April 1900 heftige Kopfschmerzparoxysmen, in der linken
Stimhälfte localisirt; gleichzeitig Schwinden der Krampferscheinungen. Anfang
März Aphasie, Paralyse des rechten Facialis und rechten Armes, einige Tage
später des rechten Beines. Koma, Secessus involuntarii. Exitus.
Starke Blutfüllung der Gefässe an Pia und Arachnoidea, letztere stellen¬
weise um die Gefässe herum fibrös verdickt. In der Mitte der oonvexen Ober¬
fläche der linken Hemisphäre im hinteren Theil des Stirnlappens und im vorderen
Bereiche des Scheitellappens ist ein leicht prominenter, wallnussgrosser Herd
sichtbar; die Pia ist an demselben adhärent. Der Herd besteht aus festem
Gewebe von grauweisser Farbe und ist durchzogen von Fistelgängen mit dickem,
grünlichem Eiter. Nach unten und medialwärts von diesem Herde liegt in der
weissen Substanz des Scheitellappens ein wallnussgrosser, mit Eiter gefüllter
Abscess, der nicht mit dem Rindenherde communicirt. Der Eiter enthält zahl¬
reiche Aktinomycesdrusen. Die Umgebung des Herdes und Abscesses ist weich,
gelblich verfärbt und von punktförmigen Hämorrhagieen durchsetzt. Dilatation
der Gehirnventrikel, starke Blutüberfüllung der Plexus chorioidei. Die graue
Substanz des ganzen Gehirns ist leicht rosig verfärbt, die weisse enthält zahl¬
reiche rothe Punkte und Streifen. Kiefer und Mundhöhle frei. Eine Section
der anderen Organe war nicht gestattet.
Auch längerer Gebrauch von grossen Dosen Jodkali hindert nicht die Ver¬
breitung der Krankheit, wahrscheinlich aber die Ansammlung der Drusen in
begrenzten Theilen des Körpers. R. Pfeiffer.
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27) Beitrag «u den cerebralen Affectionen im Verlaufe des Keuchhustens,
von Dr. ErnBt Hockenjos (Basel). (Jahrbuch f. Kinderheilk. LI. 3. F. I.)
Nach eingehender Würdigung der in der Litteratur niedergelegten Er¬
fahrungen über Gehirnaffectionen hei Pertussis beschreibt Verf. folgende Eigen¬
beobachtung:
Ein 3jähriges, stark herabgekommenes Kind, fand wegen Spondylitis Auf¬
nahme im KinderspitaL Während dasselbe nach operativem Redressement im
Gypsbette lag, stellten sich Erscheinungen von Darmtuberculose, Decubitus-
geschwüren ein, zu denen noch ein im Spital acquirirter Keuchhusten mit häufigen
und schweren Anfallen hinzukam. Kurz nach einem solchen Anfalle trat eines
Tages plötzlich ein Erstickungsanfall auf; bei zunehmender Cyan ose wird der
Pat. im Verlaufe einer Viertelstunde völlig bewusstlos, gleichzeitig entwickelt
sich eine linksseitige Hemiparese mit Einschluss des Facialis. Die linke Pupille
reagirt kaum. Nach einer Stunde stellen sich klonische Zuckungen der gelähmten
Seite ein, welche bis zu dem etwa 2 Stunden später erfolgten Tode anhielten.
Die Autopsie ergab am Boden des 4. Ventrikels zwei hirsekorn- bis hanfkorn¬
grosse, frische Blutungen; ferner in der Rautengrube und im Pons spärlicbe
punktförmige Blutungen. Eine mikroskopische Hirnuntersuchung wurde nicht
gemacht.
Verf. kommt auf Grund seiner Beobachtung und der kritischen Sichtung
fremder Fälle zu dem Resultate, dass bei den mit Pertussis zusammenhängenden
Hirnaffectionen Circulationsstörungen und namentlich Hirnblutungen eine Haupt¬
rolle spielen. Die Annahme von Toxinwirkungen hält er nicht für bewiesen.
Dass die Blutgefässe bei einem starken Keuchhusten zerreissen können, sei bei
einem so sehr herabgekommenen, conBtitutionell kranken Kinde, wie ee der be¬
schriebene Pat. gewesen, nicht erstaunlich, da ja fettige Degeneration der Blut¬
gefässe im kindlichen Gehirn nach v. Recklinghausen nichts Aussergewöhn-
liches sei. Zappert (Wien).
Psychiatrie.
28) Beitrag zur Ke nntnis * de« induoirten Irreseins and des Qaeralanten-
wahna, von Dr. Ernst Meyer, Assistenzarzt und Privatdocent an der
psychiatrischen Klinik zu Tübingen. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh.
1901. XXXIV.)
Verfasser giebt zunächst die Krankengeschichte eines an Paranoia chronica
in Form des Querulantenwahnsinnes leidenden Ehepaares. Der Mann erkrankte
nach angeblich ungerechter Dienstentlassung. 12 Jahre nach letzterer heirathete
er eine luetisch inficirte Frau. Einige Jahre nach der Verheirathung überzeugt
sich die Frau von der Thatsächlichkeit der Beschwerden ihres Mannes, ihre ganze
Persönlichkeit wird umgewandelt, ihres Mannes Wahn wird ihr Wahn. Nach
des Verf. Meinung hat bei dieser Frau die Lues cerebri, die während der Be¬
obachtung in der Klinik zu charakteristischen Anfällen führte, die Widerstands¬
kraft des Gehirns herabgesetzt und den geeigneten Boden für die geistige Er¬
krankung geschaffen.
Sodann theilt Verf. einen zweiten, ebenfalls ein Ehepaar betreffenden Fall
von Paranoia querulatoria mit. Der Mann ist ein 1825 geborener Schneider, die
Frau ist 11 Jahre jünger. Beide waren früher schon Sonderlinge. Einige Jahre
nach der 1872 geschlossenen Ehe erkrankten Beide im Anschluss an Concors in
der gleichen Weise an systematischem Verfolgungs- und Grössenwahn, der seinem
wesentlichsten Inhalt nach bei Beiden identisch war. Die Frau hatte offenbar
die geistige Führung, der Mann war inducirt.
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681
Endlich wird von der Erkrankung zweier Brüder berichtet Der Eine er¬
krankte im Frühjahr 1896 mit Sinnestäuschungen, die besonders Nachts auftraten,
verarbeitete dieselben in wahnhafter Weise und erzählte von Advent 1896 ab
seinem in demselben Bett mit ihm schlafenden Bruder von seinen Wahrnehmungen.
Dieser bekam nun dieselben Hallucinationen, wenn jener Sinnestäuschungen hatte
und ihn darauf aufmerksam machte. Schlief der zweite allein oder wurde er
vom ersten Nachte nicht gestört, so bh'eb er stete von Sinnestäuschungen frei.
Die Steigerung der gemüthlichen Erregbarkeit und die ausserordentliche Beein-
flussbarkeit beweisen aber auoh bei ihm das Vorhandensein von geistigen Ab¬
normitäten, von krankhafter Störung der Geistesthätigkeit, welche voraussichtlich
nach längerer Trennung der Brüder schwinden wird.
In allen 3 Fällen machten Bich die Gleichartigkeit der Charaktere des in-
ducirenden und des inducirten Theiles und das innige Zusammenleben der Be¬
troffenen als begünstigende Factoren geltend. G. Ilberg (Sonnenstein).
29) La pratique de la mödeoine mentale, par P. Eeraval. (Paris, 1901.)
Das ziemlich umfangreiche (470 Seiten umfassende) Buch, wie schon der
Titel erkennen lässt, aus der Praxis für die Praxis bestimmt, bringt in Fragen
der klinischen Psychiatrie keinerlei wesentlich neuen Gesichtspunkte. Es zerfällt
in einen kürzeren allgemeinen und einen längeren speciellen Theil und trägt
durchweg den so vielen französischen Arbeiten eigenen Stempel des strengen
Schematismus, für ein dem Praktiker zugedachtes Lehrbuch an sich gewiss kein
Fehler. Doch wird bei diesem Streben nach reinlicher Scheidung den Uebergangs-
formen, den Grenzgebieten naturgemäße zu wenig Bechnung getragen, und es
kann ausserdem nioht vermieden werden, dass ungleichwerthige pathologische Er¬
scheinungen einander coordinirt, psychopathische Zustände als eigene Krankheits¬
bilder, als besondere „Folies“ beschrieben werden. Am augenfälligsten ist dies
in dem „La folie des phases de la vie“ überschriebenen Kapitel Verl stellt
6 Typen dieser Irreseinsform auf, die Kindheitspsychose (Hebephrenie), die Puber¬
tätspsychose, die Alterspsychose, die Menstruationspsychose, die Puerperalpsychose
und die klimakterische Psychose. Durch diese Art zu schematisiren werden einer¬
seits complexe Krankheitsbilder auseinandergerissen, andererseits heterologe
Symptomgruppen, nur weil sie auf dem gleichen Boden gewachsen sind, zu-
sammengeschweisst.
Verf. steht mit seiner systematischen Gliederung der Psychosen im Grossen
und Ganzen auf dem Standpunkt der älteren Schulpsychiatrie; der „Katatonie¬
frage“ wird nicht näher getreten. Max Nenmann (Karlsruhe).
30) Zur Klinik und pathologischen Anatomie der postinfeattösen und
Intoxicationspsyohosen, von Prof. 0. Binswanger und Dr. H. Berger.
Aus der psychiatrischen Klinik in Jena. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh.
1901. XXXIV.)
Die Verff. haben folgende 2 Fälle von Delirium acutum klinisch beobachtet
und anatomisch untersucht: I. 54jährige Frau, die nach Eintritt des Klimak¬
teriums öfter an Beklemmungen mit Angst und mehrere Wochen an Melancholie
gelitten hatte, erkrankte an Varicellen und einige Zeit später an einer Infeotions-
krankheit, wahrscheinlich Influenza, die eine Lungenerkrankung im Gefolge hatte.
8ie gerieth in rasch zunehmende Erregung und wurde 11 Tage nach Beginn der
Influenza in die psychiatr. Klinik gebracht. Anfangs bestand höchste motorische
Unruhe, Nahrungsverweigerung, Verworrenheit. Als sie eine Woche in der Klinik
582
war, berichtete sie von zahlreichen Sinnestäuschungen, namentlich Thierhallu-
cinationen. Sie machte stereotype Wischbewegungen, anhaltende Streich- und
Reibbewegungen. Dann kam es zu Mutacismus, taumelndem Gang und zu¬
nehmender Benommenheit; 12 Tage nach der Aufnahme erfolgte der Tod. Die
Section ergab: Weisse und graue Substanz dee Rückenmarks sanken auf Quer¬
schnitten deutlich ein, graue Substanz röthliohgrau; massige Erweiterung der
Ventrikel; leichte Graustreifung des hinteren Schenkels der inneren Kapsel;
Bronchopneumonie beider Unterlappen; parenchymatöse Struma, Erweiterung des
rechten Herzabschnittes, leichte Verdickung der Aorten- und Tricuspidalklappen,
Blässe des Herzmuskels, fettige Degeneration der Leber. — II. Bei einer 23 jähr.
Frau, die in ihren Mädchenjahren oft an Ohnmächten gelitten hatte, im 22. Jahre
einen schweren Partus durchgemacht hatte und seitdem durch Retroflexio uteri
Beschwerden empfand, war am 4. Januar 1899 eine Vesicofixatio uteri gemacht
worden, die glatt und fieborlos verlief. Während der ReconvaleBcenz Erkrankung
an fieberloser Influenza. Am 20. Januar plötzlich auffallend erregt; dann zeit¬
weilig verwirrt, zahlreiche Sinnestäuschungen. Am 24. Januar Aufnahme in die
psychiatrische Klinik. Erotisch. Leichte Parese des rechten Mundfacialis, De-
viiren der Zunge nach rechts. Die motorische Erregung nahm rasch zu, schlechte
Nahrungsaufnahme, Spuren von Eiweiss und Zucker im Urin. Am 28. Januar
verwirrt, unreinlich, leichte Ptosis des linken Auges; Strabismus divergens. Am
30. grobschlägige Zitterbewegungen im rechten Arm und linken Bein. Anfalls¬
weise tonischer Facialiskrampf links, starke motorische Unruhe, Kräfteverfall
Am 3. Februar 1 Minute lang anhaltender tonisoh-klonischer Krampfanfall. Unter
Fieber und Herzschwäche Abends Exitus letalis trotz sorgfältiger Behandlung.
Sectionsergebniss: Blassgraue Verfärbung der vordersten Theile der Goll’schen
Stränge; Dach des 4. Ventrikels fein granulirt, Obliteration des hintersten Endes
des Hinterhorns der Seitenventrikel, Anämie des Grosshirns, fettige Degeneration
der Leber, Milzinduration, Thromben in der linken Nierenvene und in beiden
Lungenarterien, Bronchopneumonie des rechten Unterlappens.
Mikroskopisch wurde mit den genauesten Methoden untersucht. Beide
Fälle zeigten eine ausgedehnte Zelldegeneration im Rückenmark und in der
Grosshirnrinde, acute Degeneration markhaltiger Nervenfasern, Emigration von
Leukocythen und Hyperämie. Die Gliakerne wie die Gefässkerne Hessen keine
activen Vorgänge erkennen. Die Bildung von Fettkörnchenzellen war im Gange.
Die Degenerationsvorgänge waren bei Fall II noch intensiver als bei Fall I. Ab¬
gesehen von belanglosen Differenzen war der Befund in beiden Centralnerven-
Systemen identisch. Die Verff. bezeichnen den pathologischen Befund als Ence-
phalomyelitis acuta. G. Ilberg (Sonnenstein).
31) Ein Fall von 7 Jahre lang andauerndem oiroul&ren Irresein mit
täglich alternirendem Typus bei einem mit Apoplexie behaftetem In¬
dividuum, nebst Bemerkungen zur sog. „oiroulären Neurasthenie* 4 ,
von Dr. S. H. Scheiber, Nervenarzt in Budapest. (Archiv f. Psych. u.
Nervenkrankh. 1901. XXXIV.)
Ein 57 jähriger Arzt bekam im 57. Lebensjahre eine Apoplexie mit nach¬
folgender Parese des rechten Beines, nach der sich sein Charakter und seine
Gemüthsstimmung änderten. Nach einer zweiten Apoplexie bildete sich Folie
alternante in mildester Form aus. Nach dem vierten Anfall, der eine Steigerung
der Psychose zur Folge hatte, blieb der Kranke auf der ganzen rechten Seite
gelähmt. An den melancholischen Tagen war die Athmung oberflächlich und
kurz, an den manischen Tagen athmete der Patient leicht und gut Im letzten
Jahr verschwanden die Unterschiede zwischen „guten“ und „schlechten“ Tagen
Di:
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immer mehr. Verf. erachtet die Gehirnapoplexie als die Gelegenheitsursache des
circularen Irreseins. G. Ilberg (Sonnenstein).
32) Bar 1& folie gömellaire, par Dr. Serge Soukhanoff. (Annales medico-
psychologiques. Sept./Oct 1900.)
Unter ziemlich genauer Berücksichtigung der vorhandenen Litteratur über
das Zwillingsirresein und die Folie a deux u. s. w. theilt Verf. einen theilweise
recht ausführlich beschriebenen Fall mit, auf den der fleissigen Arbeit wegen
hiermit hingewiesen sei. Adolf Passow (Meiningen).
33) Höröditd, par Pr. Chantemesse. (Progres medical. October 1900.
Nr. 40—42.)
Verf. bringt in möglichst gedrängter Kürze das Wichtigste, was anatomisch,
entwickelungsgeschichtlich, physiologisch und pathologisch über die Heredität be¬
kannt ist; — wegen seiner interessanten Mittheilungen und Ansichten, deren
manche zu Gegenäusserungen begründete Veranlassung geben, seien Interessenten
auf die Abhandlungen hingewiesen. Adolf Passow (Meiningen).
34) Note zur Femploi de l’ether diaoötique de la morphine ou hörolne
en aliönation mentale, par Vialion etJacquin. (Annales medico-psyoho-
logiques. Nov./Dec. 1900.)
Die VerfF. stellten eingehend Versuche mit Heroin an, welche recht günstige
Resultate ergaben, und schliessen sich den anderen Autoren an, die in Folge
günstiger Resultate warm für Heroin eintreten. Bezüglich der Dosen und der
speciell behandelten Fälle sei auf das Original hingewiesen.
Adolf Passow (Meiningen).
36) Hyoaoine bij acute exaltatletoestanden , door Dr. L. S. Meijer. (Psy-
chiatr. en neurol. Bladen. 1900. S. 22.)
In einem vom Verf. beobachteten Falle hatte eine Injection von 0,5 mg
Hyoscin bei einer an Amentia post partum leidenden 39 Jahre alten Frau
bleibenden Erfolg. Die Patientin war durch fortwährende maniakalische Exal¬
tation mit fast vollständiger Nahrungsverweigerung sehr heruntergekommen. Nach
der Injection schlief sie 9 1 /, Stunden, war nach dem Erwachen viel weniger un¬
ruhig und verwirrt, schlief von da an ohne Anwendung von Schlafmitteln, und
die Esslust kehrte zurück; das Körpergewicht nahm fortwährend zu.
Fast eben so günstig war die Wirkung einer subcutanen Injection von
0,8 mg Hyoscin bei einem an periodischer Manie leidenden Manne, der sich in
einem Zustande sehr starker maniakalischer Erregung befand; 5 Minuten nach der
Injection konnte Pat. in somnolentem Zustande zu Bett gebracht werden. Nach
ungefähr 6 ständigem Schlafe blieb der Kranke, da er die wohlthätige Einwirkung
der körperlichen Ruhe auf seinen Gemüthszustand fühlte, freiwillig im Bett und
wurde unter stärkender Behandlung binnen 14 Tagen gesund.
Das Hyoscin ist nach Verf. besonders für den Hausarzt von Werth, in
Fällen, wo es darauf ankommt, die UeberfÜhrung in eine Anstalt zu vermeiden.
Allerdings ist bei der heroischen Wirkung des Mittels Vorsicht geboten, auch
soll man es erst in Anwendung bringen, wenn schon andere Mittel ohne Erfolg
versucht worden sind; aber bei vorsichtiger Anwendung und richtiger Indications-
stellung ist es bei acuten Exaltationszuständen von unschätzbarem Werthe. Bei
Männern räth Verf., mit 0,8 mg zu beginnen, bei Weibern mit 0,6 mg salzsauren
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Hyoscins in subcutaner Injeotion; in der Regel muss man die Gaben wiederholen,
da gewöhnlich der Exaltationszustand wiederkehrt; man kann die Dosis dann
langsam steigern, über 1 mg in die Höhe zu gehen, hat Verf. aber nie nöthig
gehabt. Bei dieser Art der Anwendung hat er nie eine nachtheilige Wirkung
gesehen. Es scheinen indessen grosse individuelle Verschiedenheiten in Bezog
auf die Art und Weise, wie verschiedene Pat. auf das Mittel reagiren, zu be¬
stehen, und Verf. hält es nicht für unwahrscheinlich, dass darin die Erklärung
für die auseinander gehenden Ansichten über den Werth dieses Mittels zu suchen
sein dürfte. Contraindicirt ist es vornehmlich bei organischen Herzfehlern und
Krankheiten der Blutgefässe. Walter Berger (Leipzig).
36) Lea olinlques psyohiatrlquee des unlversltds allemandes, par Sörieux.
(Archives de neurologie. November 1900. Nr. 59 u. 60.)
Verf. fährt in seinen Schilderungen bezw. Berichten über die deutschen
psychiatrischen Kliniken fort, und zwar in Nummer 69 von Leipzig, Halle, Bonn,
Königsberg und Mönchen; speciell ist Halle ausführlichst beschrieben, an der
Hand von Zeichnungen der Grundriss erklärt und das Hitzig’sche Fenster be¬
rücksichtigt. In Nummer 60 referirt er Berlin, Greifswald, Kiel, Göttingen,
Tübingen, Rostock, Erlangen, Heidelberg, Marburg, Freiburg, Breslau und Strass¬
burg. Adolf Passow (Meiningen).
37) Die geistigen Störungen in ihren Bestehungen zu Mflitärdienat-
unbrauohbarkeit (bezw. Invalidität) und Zurechnungsfähigkeit, von
Generalarzt Dr. Zollitsch. (Würzburg 1901. 28 S.)
Ein Katechismus der Psychiatrie für Militärärzte.
Max Neumann (Karlsruhe).
UL Aus den Gesellschaften.
XXXVI. Versammlung der Irrenärzte Niedersaohsens und Weztphalens
am 4. Mai 1801 zu Hannover.
Vorsitzender: Herr Gerstenberg. Schriftführer: Herr Snell EL
Herr Stoeckle (Göttingen): Ueber HedonaL
Vortr. spricht kurz über die Versuche mit Hedonal, die bisher veröffentlicht
wurden. In 40 Fällen hat er selbst 30 Mal mit 2—4 g bei Erregungszuständen
Geisteskranker sedative Wirkung beobachtet; bei sehr erregten Kranken blieben
4 g ohne Wirkung, bezw. trat Ruhe nur für einige Stunden ein. In einem Falle
einer postpuerperalen Psychose, die vorher keinerlei Erscheinungen von Seiten
der Nieren bot, sah er auf 4 g des Mittels eine starke Nierenreizung ein treten.
Im Harne fand sich viel Eiweiss; im Sedimente viel rothe und weisse Blut¬
körperchen und verfettete Epithelien der Niere und des Nierenbeckens. Nach
5 Tagen war der Urin ei weissfrei; auf eine zweite Dosis von 4 g traten die¬
selben Erscheinungen auf. Nach einigen Tagen gingen dieselben zurück, auf
eine Dosis von 2 g ergab die Kochprobe eine schwache Trübung, die am folgenden
Tage auf 3 g stärker wurde. — Hedonal ist da zu vermeiden, wo eine leichte
Reizbarkeit der Nieren vorhanden ist.
Sanitätsrath Dr. Berkhahn (Braunschweig): Der Bezuoh einer H&sehizoh-
kneipe in Kairo.
Vortr. schildert: kurz das Leben und Treiben in einer ägyptiaohen Hasehisch-
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kneipe und macht dann noch einige Bemerkungen über die grosse Bedeutung,
die der Hasehischmissbrauch für die Entstehung von Geistesstörungen hat.
Herr Delbrück (Bremen) berichtet über den Stand des Anstaltsneubaues.
Nachdem im Mai vorigen Jahres 2 Millionen Mark bewilligt worden waren, sind
die Pläne unter Leitung eines eigens dazu angestellten Architekten weiter auB-
gearbeitet und der Bau im verflossenen Winter begonnen worden; man hofft die
ganze Anstalt 1903 beziehen zu können; zur Entlastung des sehr überfüllten
St. Jürgenasyls sollen schon jetzt die annähernd fertig gestellten Pflegerfarailien-
häuser interimistisch mit Kranken belegt werden. Vorgesehen sind Plätze für
300 Normalkranke und 22 Pensionaire. Die Anstalt liegt 9 km vom Centrum
der Stadt entfernt, wird im Pavillonsystem erbaut; die Centralbauten sind auf
eine Erweiterung bis auf 500 Plätze berechnet. Im Lageplan ist mit dem
System der Symmetrie völlig gebrochen; die sämmtlichen Häuser sollen von einer
Feuerstelle aus beheizt werden.
An den Bericht schloss sich eine Discussion über die geeignete Orientirung
der Pavillons und über Heizsystem, an der sich Herr Sne 11-Lüneburg und Herr
Hesse-Ilsen betheiligten.
Herr Snell (Lüneburg) beriohtet im Anschluss an die Mittheilungen Del-
brück’s über die Lüneburger Anstalt, insbesondere über das dort angewendete
System der Heizung und über die Vertheilung der einzelnen Krankenpavillons.
Herr Dr. Weber (Göttingen): I. lieber das Vorkommen von sogen.
MonsteivGUazeilen im Gehirn.
Vortr. demonstrirt Präparate and Zeichnungen aus der Umgebung hyalin
degenerirter Gefasse und Erweichungsherde im Gehirn. In diesem häufig etwas
auf gelockerten Hirngewebe sieht man schon bei der Hämatoxylinfärbung zahlreiche,
auffallend grosse, unregelmässige Zellen, welche mit Hämatoxylin eine graublaue
Färbung annehmen, stark granulirt sind und meistens randständig gelagerte Kerne
besitzen. Bei der Weigert’schen Gliafärbung färbt sich ihr Leib grau bis
graubraun; sie besitzen zahlreiche Ausläufer, welohe zum Theil directe Proto¬
plasmafortsätze des Leibes sind und dann dieselbe Farbe annehmen wie dieser. In
einiger Entfernung vom Zellleib nehmen sie jedoch häufig eine intensiv blaue
Farbe an wie die Weigert 'sehen Neurogliafasern. Diese blauen Fortsätze treten
als derbere Fasern oder aueh als pinselförmige Büsohel bis an die Wandungen
der hyalin degenerirten Gefasse heran. Manchmal begleitet die Blaulärbung die
Fasern bis an den Zellleib heran und geht von einem Ausläufer am Zellcontur
entlang auf die nächsten abgehenden Ausläufer über. Endlich sieht man auoh
bogenförmig geschwungene blaue Fasern den ganzen Zellleib durchziehen. Die
Kerne dieser Zellen sind gross, bläschenförmig mit wenig Chromatin und 3—5
Kernkörperchen versehen. Sie liegen excentrisch im Zellleib, häufig aber ganz
ausserhalb des Zellleibes und sind nicht selten doppelt. Die Grösse der Zellen
beträgt bis zu 30 ft.
Neben den beschriebenen Zellen zeigt die Weigert’sche Färbung zahlreiche
feinere und derbere Gliafasern radiär und concentrisch zu den hyalin erkrankten
Gefässen gelagert
Vortr. hält die geschilderten Zellen nach Aussehen, Lage und Farbereaotion
für Bildungen der Neuroglia als „ Monster gl iaz eilen“ und für identisch mit
den von Storch in Gliomen beschriebenen Gebilden; auch von Bonome und
Yamagiwa wurden sie in Gliomen gefunden. Aehnliche Zellen finden sioh auch
an der Grenze von Erweiohungsherden mittleren Alters.
Zur Erklärung dieser Befunde möchte sich Vortr. der Auffassung von Storch
anschliessen, dass sie ein erstes Stadium der Neubildung von Gliafasern darstellen.
Dass es sich in den geschilderten Fällen um Wuoherangsprocesse handelt, dürfte
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auch daraus hervorgehen, dass sehr häufig diese Monsterzellen mit einem doppelten
Kern versehen sind. Ferner findet man sie nur in der Umgebung von Er¬
weichungsherden, welche sich auch durch andere Characteristica (Myelinschollen,
Körnchenkugeln, Blutkörperchen) kennzeichnen.
Einen davon abweichenden Befund hat Vortr. erhalten bei der Unter¬
suchung der Hirnrinde eines völlig idiotischen Kindes, das anscheinend in
den ersten Lebensmonaten eine schwere Encephalitis durchgemacht hatte. Hier
finden sich neben spärlichen, aber wohl charakterisirten Ganglienzellen zahlreiche
oft 2 bis 8 Mal grössere rundliche Gebilde. Während die Ganglienzellen hei
der Weigert'sehen Färbung den bekannten bräunlichen Farbenton annehmen,
sind diese Zellen schwefelgelb, auffallend stark und gleichmässig gekörnt, ohne
jeden Protoplasmaausläufer. Der Kern sitzt ihnen meist wie eine Kappe auf und
ist umgeben von einer Anzahl tangential und radiär zu der Zelle verlaufenden
intensiv blau gefärbten Gliafasern.
Derartige Zellen sind von Bonome gleichfalls in Gliomen gefunden und als
Gliaelemente beschrieben worden. Vortr. schliesst sich dem an, wenn er auch die
grosse Aehnlichkeit mit Ganglienzellen nicht verkennt; vielleicht handelt es sich
um a priori mangelhaft differenzirte Elemente des Neuroepithels. Bei den vorhin
beschriebenen Monsterzellen schliesst sohon ihr Vorkommen im Marklager eine
Verwechselung mit Ganglienzellen aus. Bei den nicht herdförmigen Erkrankungen
der Hirnrinde, z. B. bei der Paralyse findet man die Weigert’schen Spinnen¬
zellen, bei denen der Zusammenhang zwischen Fasern und Zellleib nur ein schein¬
barer ist, daneben aber auch Spinnenzellen mit echten Ausläufern, ähnlioh wie
die hier beschriebenen, nur kleiner.
Es dürfte sich empfehlen, den ersteren von Weigert für die normale Glia
beschriebenen Typus als unechte Spinnenzellen zu bezeichnen. Das Vorkommen
der zweiten Art, der echten Spinnenzellen, spricht nach Vortr. dafür, dass auch
bei chronischen Erkrankungsprocessen, acutere Vorgänge, entweder entzündlicher
Natur oder frischer Gewebszerfall, stattgefunden hat.
IL Ueber 2 Fälle von isolirter schwerer aedäohtnissstörang bei
organischer Gehiraerkrankung.
In einem Falle handelt es sich um einen 38jähr. Mann mit frischen
luetischen Erscheinungen (Gummata und Geschwüre im Nasenrachenraum), der
plötzlich mit halbseitigen Lähmungserscheinungen, Sprachstörung und schwerer
Verwirrtheit erkrankt. Nach Inunctions- und Jodkalikur bessern sich die acuten
Erscheinungen, und es bleibt nur zurück eine auffällige Störung der Merkfähig¬
keit, dergestalt, dass Patient nicht im Stande ist, einfaohe concrete Wahr¬
nehmungen länger als 2—3 Minuten zu behalten, auch wenn er besonders auf¬
gefordert wird, sie zu merken. Die Folge ist eine grosse Unorientirtheit; Pat.
ist, obwohl sonst keinerlei Störung der Perception vorliegt, nicht im Stande an¬
zugeben, wo er sich befindet, glaubt bei jedem Wechsel seines Zimmers in einen
anderen Ort zu kommen; die Personen seiner Umgebung lernt er erst mit der
Zeit und nur einzelne kennen und behalten. Die Urtheilsfähigkeit ist erhalten,
soweit er dazu alte, schon früher erworbene Vorstellungen und augenblicklich
vorhandene Sinneseindrücke braucht.
Er kann z. B. aus dem Aussehen des Gartens richtig auf die Jahreszeit
schliessen. Sobald er mehr Erinnerungsbilder zu einer Schlussfolgerung nöthig
hat, wird sie fehlerhaft.
Einen Arzt, den er protocolliren sah, hält er für einen Assessor; auf die
Frage, was ein Assessor in einer Irrenanstalt thue, meint er: „da braucht man
Juristen wegen der Verwaltung/'
Im anderen Falle (ein 50jähr. Paralytiker mit Alkoholbasis) besteht eben-
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falls grosse Unorientirtheit, namentlich im Bezug auf das Ortsgedächtniss. Pat.
kann noch nach 8 wöchentlichem Aufenthalte auf derselben Station die Thüre zu
Beinern Zimmer, zum Lesezimmer u. s. w. nicht finden. Auch die Abschätzung
der Zeit ist vollständig unmöglich. Nach 6 Wochen giebt er noch an, 3—4 Tage
in der Anstalt zu sein. Concrete, vorgezeigte Gegenstände werden hier längere
Zeit gemerkt. Der ältere Erwerb (Daten aus seinem Leben, aus der Zeit¬
geschichte) werden, einzeln abgefragt, mangelhaft reproducirt, können jedoch
ziemlich vollständig wiedergegeben werden, sobald zie im zeitlichen Zusammen-
hang abgefragt werden, oder wenn man dem Kranken durch Angabe verwandter
Vorstellungen eine Hülfe giebt Z. B. reproducirt er sein Hochzeitsdatum richtig,
wenn man ihn gleichzeitig fragt, wie alt sein Kind sei. Er zählt eine Anzahl
deutscher Dichter au£ wenn ihm einer zuerst genannt wurde, während ihm ohne
diese Hülfe kein einziger einfallt.
Die beiden Fälle lassen eine Analyse des Gedächtnisses in seine einzelnen
Functionen: Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit, Reproductionsfähigkeit zu.
Im ersten Fall ist hauptsächlich die Merkfähigkeit, im zweiten Fall die
Aufmerksamkeit und Reproductionsfähigkeit gestört.
Zur Untersuchung des zweiten Falles wurde u. A. auch die von Rausch-
burg (Monatschr. f. Psych.) kürzlich angegebene Methode verwendet, die sich im
Allgemeinen bewährt, um vergleichbare Resultate zu erhalten. Nur scheint sie
an etwas geschwächte Individuen zu hoher Anforderungen zu seilen und nimmt
nicht genügend Bedacht auf die durch andere Sinnesorgane, als Gesicht und
Gehör, vermittelten Eindrücke. Bruns.
Sooiötö de Neurologie de Paris.
Sitzung vom 7. Februar 1901.
Herr Touche (de Brivannes): Beitrag zur Lehre von den Aphasieen
durch Läsion der Hemmungsoentra des Gehirns (Piok’sohe Aphasie).
Auf dem letzten Pariser Congress hat Herr Prof. Pick aus Prag eine
interessante Mittheilung gemacht, in der er die Hypothese über das Vorhanden¬
sein eines Hemmungscentrums zur Regulirung der Sprachfunction aufstellte.
Durch die Läsion eines solchen Centrums erklärt derselbe die Loggorrhöe, die
Paraphasie, die Echolalie u. s. w., mit einem Worte solche Sprachstörungen, die
bis jetzt schwer zu classificiren waren. Herr Touche hat zwei Autopsieen gemacht
von Aphasikern, die er in die Kategorie der Pick'sehen Form einreiht. Im
ersten Falle handelt es sich um eine rechtsseitige Hemiplegie mit Contractur.
Die Kranke war aphasisch und gleichzeitig blind. Im Jahre 1898 unvollständige
Worttaubheit. Mit Ausnahme des einzigen Wortes „ami“, welches die
Kranke in den verschiedensten Intonationen ausspricht, ist das spontane
Spreohen vollständig aufgehoben. Dagegen ist die Echosprache ausgezeichnet
conservirt. Die Kranke spricht alles rein nach, unter der Bedingung, dass man
sie nicht mehr als zwei oder drei Worte nachspreohen lässt. Auch kann Patientin
perfect singen, nämlich das Lied „la mere Michel“ und die „Marseillaise“. Man
braucht nur das erste Wort der „Marseillaise“ in ihrer Gegenwart auszusprechen,
so singt sie unwiderstehlich die ganze „Marseillaise“ vor. Man war gezwungen,
den anderen Kranken im Saal zu verbieten, die Worte der Marseillaise laut vor
der Kranken auszusprechen, weil sie sonst die Marseillaise 50 Mal am Tage
sang. Ebenso wiederholt sie regelmässig die Gebete „Notre Päre“ und „Je vous
salue“, wenn man ihr die ersten Worte dieser Gebete vorsagt. In Folge der
Blindheit ist das Lesen und Schreiben nicht zu untersuchen. Im Jahre 1899
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complete Worttaubheit. Spontane Sprache, Echosprache, Singen und Reeitiren
unverändert. Tod im Jahre 1901. Bei der Autopsie fand man Erweichung im
Bereiche der Arteria cerebralis posterior der rechten Hemisphäre. Vollständige
Zerstörung deB Cuneus, des Lobulus lingualis und der occipito- temporalen
Windung. Linke Hemisphäre: Sehr ausgesprochene Erweichung im Bereiche
der hinteren Hälfte der 2. Parietalwindung an der Stelle, wo dieselbe in den Gyrus
angularis und Gyrus supramarginalis zerfällt. Ausser diesem Haupterweichungs-
herd ist noch ein kleinerer oberflächlicher Herd am hinteren Rande des Oper-
culum zu bemerken. Ein dritter, ebenfalls sehr kleiner und oberflächlicher Herd
ist an der 1. Tefnp oral windung vorhanden, am oberen Rande der Furche, die die
1. Temporalwindung von der zweiten theilt, auf demselben Niveau, wie der andere
kleine Erweichungsherd. Ein vierter kleiner Erweichungsherd befindet sich am
Anfänge der 2. Frontalwindung; ein fünfter kleiner Herd an der vorderen
Centralwindung auf der Höhe der 2. Frontalwindung. An der inneren Fläche
der linken Hemisphäre, unmittelbar hinter dem Lohns paracentralis, ist die
1. Parietalwindung erweicht. Die untere Fläche dieser Hemisphäre ist intact
Es* sind somit multiple Erweichungsherde vorhanden. Nur ist zu bemerken, dass
die Sprachzone, mit Ausnahme eines unbedeutenden kleinen Herdes an der
1. Temporal windung, intact ist. Der einzige Punkt, wo die Erweichung tief
und ausgedehnt ist, ist die Gegend des Gyrus angularis und des Gyrus supra¬
marginalis.
Fall II. 84jährige Patientin war früher sehr intelligent und von einem
wunderbaren visuellen Gedächtniss. Seit 4 Jahren ist sie etwas schweigsamer
geworden. Seit 2 Jahren allgemeine Schwäche, ohne eigentliche Lähmungen.
Die Patientin ist gezwungen, das Bett zu hüten. Der Mann bemerkte, dass sie
in jeder Antwort die Ausdrücke der Frage gebrauchte, so z. B. auf die Frage:
„Hast du Schmerzen!“ antwortete: „Ich habe Schmerzen“ Bei der Unter¬
suchung constatirte man Folgendes: Senile Schwäche ohne Lähmungen. Wenn
man eine Frage an die Kranke richtet, so wiederholt sie dieselbe entweder voll¬
ständig, wenn die Frage kurz ist, oder nur die letzten Silben, wenn die Frage
eine längere ist. Auf die Frage: „Qa va bien?“, antwortet die Patientin „Qa
va bien“. Frage: „Ou avez-vous mal?“ Antwort: „vevoumal“. Während des
Sprechens starker Speichelfluss. Keine Worttaubheit vorhanden. Die Kranke
vollzieht alles, was ihr befohlen wird. Manchmal, wenn man insistirt, giebt die
Kranke nach einer Echoantwort noch eine kurze spontane Antwort. So auf die
Frage: „Oü souffrez-vous?“ antwortete sie zunächst „frävou“, dann setzt sie hinzu
„lä“ und deutet mit der Hand auf den Bauch. Wenn sie etwas fragen will,
gebraucht sie die Silbe „lä“ in den verschiedensten Intonationen, bald grollend,
bald flehend. Oft singt sie das bekannte Bänderliedchen: „Au clair de la lune“
statt der Worte aber ist es immer „1& lä“, das herauskommt. Die Kranke
hat manchmal Anfälle von Freude. Dann klatscht sie mit den Bänden und
wiederholt mehrmals „1&“ „1&“. Einige Tage vor dem Tode bemerkte man
Schwäche in den Nackenmuskeln, der Kopf fiel immer auf die Brust, die
Schenkel waren flectirt, und das Kinn berührte die Kniee. Obduction: Rechte
Hemisphäre vollständig normal. Linke Hemisphäre: Starke Erweichung des
Gyrus angularis und theilweise des 2. Gyrus temporalis. Der Gyrus supra¬
marginalis und die ganze Sprachzone waren vollständig intact Ein Erweichungs¬
herd befindet sich in der vorderen Central windung an der Stelle, wo die
2. Frontal windung beginnt.
Pick ist der Meinung, dass die Aphasie durch Läsion der Hemmungscentra
bestimmten impulsiven Bewegungen aequivalent ist Vortr. hat das Gehirn einer
Frau untersucht, die an impulsiven Bewegungen gelitten hat Es handelte sich
um eine 85 jährige Waschfrau ohne Sprachstörungen, ohne Lähmungen, die in Folge
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von Altersschwäche bettlägerig war. Den ganzen Tag führte diese Frau mit
Händen Bewegungen ans, die sie ihr ganzes Leben gewöhnt war, beim Waschen
auszuführen: sie bürstete fortwährend eine Compresse auf ihren Knieen. Bei der
Obduction fand man in der rechten Hemisphäre einen grossen Erweichungsherd,
welcher zwei Drittel des Gyrus angularis und theilweise die angrenzenden Occi-
pital* und 2. Temporalwindungen zerstört hatte. Die Läsion war somit sehr
ähnlich denjenigen, die wir in unseren Fällen der Pick’schen Aphasie constatirt
haben.
Herr Gilbert Ballet: Drei Fälle von cerebraler Oliomatose.
In dem 1. Falle handelt es sich um ein circumscriptes Gliom, welches auf
Kosten und in der Tiefe der linken 3. Stirnwindung sich entwickelt hatte. Der
Fuss der Windung war durch das Neoplasma nicht zerstört, sondern nach hinten
geschoben und plattgedrückt. Trotz dieser Läsion war keine Spur von Aphasie
vorhanden.
Der 2. Fall betraf eine diffuse GliomatoBe des rechten Stirnlappens und des
Gyrus fornicatus, in Folge eines Schädeltrauma. Klinisch war in diesem Falle
eine doppelseitige Oculomotoriuslähmung vorhanden, so dass man an eine Störung
in der Varolsbrücke denken konnte. In der Brückengegend fand man aber nur
eine, allerdings sehr ausgesprochene, Blutgefässerweiterung, dagegen keine weiteren
Veränderungen.
Im 3. Falle handelt es sich um einen 16 jährigen Jüngling, bei welchem seit
dem Alter von 12 Jahren epileptiforme Anfälle bestanden. In letzterer Zeit
Neuralgieen im linken Trigeminusgebiete, trophische Störung (Alopecia im tem¬
poralen Gebiete), Abducenslähmnng auf derselben Seite, leichte rechtsseitige
Facialislähmung, leichte intermittirende Parese der rechten Extremitäten und
kurz vor dem Tode stupuröser Zustand, Stauungspapille und epileptische Anfälle.
Bei der Autopsie fand man ein enormes Gliom, welches durcL einen Stiel an die
weisse Substanz des linken Frontallappens gebunden war, und dessen Masse, grösser
als ein Truthahnei, eine Vertiefung auf der äusseren Gehirnoberfläche gebildet
und die 3. Frontal windung, sowie beide Central Windungen auf ein ganz
dünnes Scheibchen reducirt hat. Das Fehlen von Aphasie, die kaum angedeuteten
Paresen am Gesichte und an der rechten Körperhälfte in diesem Falle beweisen,
wie gross die Widerstandsfähigkeit des Gehirns gegen Compressiouen ist, wenn
dieselben sich allmählich einstellen. Auch ein anderer Punkt ist in diesem Falle
hervorzuheben. In Folge einiger Zeichen von Lungentuberculose dachte man
daran, dass es sich bei diesem Kranken um eine tuberculöse Erkrankung des
Gehirns handeln könnte, und Herr Dupont machte dem Pat eine subcutane
Tuberculininjection. In Folge derselben trat wohl Fieber ein, allein die
cerebralen Symptome (Schwindel, Kopfschmerzen u. s. w.) wurden vollständig vermisst.
Das Resultat der Tuberculinprüfung war also: Gehirngeschwulst nicht tuberculöser
Natur bei einem an Lungentuberoulose Leidenden. Die Nekropsie bestätigte die
Richtigkeit dieser Diagnose.
Discussion.
Herr Babinski: Man ist berechtigt, die Frage zu stellen, ob in diesem
letzten Falle ein operativer Eingriff nicht ein mehr oder weniger befriedigendes
Resultat gegeben hätte. Allerdings mag es schwierig, wenn nicht unmöglich
gewesen sein, zu Lebzeiten den richtigen Sitz des Tumors zu bestimmen. Allein
die einfache\Trepanation hätte versucht werden können, um eine Verminderung
des Gehirndruokes zu erzielen, die manchmal das Schwinden der Kephalalgie und
der Stauungspapille zur Folge hat, wie dies bei einem meiner Kranken, den ich
hier vorstellen werde, der Fall war. Natürlich hätte man Trepanation auf der
der Hemiparese entgegengesetzten Seite gemacht, und bei der Entfernung einer
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etwas grösseren Knochenlamelle hätte man die Geschwulst entdeckt, deren
partielle Entfernung möglich war. Es ist anzunehmen, dass man, wenn nicht eine
Heilung, die wenig wahrscheinlich gewesen wäre, so doch eine bestimmte Besserung
erzielt hätte.
Herr Gilbert Ballet: Ich war früher Anhänger operativer Eingriffe in
ähnlichen Fällen. Die Praxis hat mich aber gelehrt, dass die endgültigen
Resultate den gehegten Hoffnungen weit nicht entsprachen. Wenn die unmittel¬
baren Resultate manchmal günstig sind, so ist es längst nicht dasselbe in den
späteren Folgen. Ohne Zweifel erzielt man in manchen Fällen dadurch eine
vorübergebende Besserung. Beobachtet man aber die Kranken während einer
etwas längeren Zeit, so sieht man bald, dass die Besserung nicht lange be¬
stehen bleibt. Unter diesen Umständen thut man, glaube ich, gut, mit grosser
Vorsicht sich zu einer Operation zu entschliessen, da dieselbe direct lebens¬
gefährlich sein kann. Ich zweifle, dass in meinem Falle die Operation irgend einen
praktischen Werth gehabt hätte.
Herr F. Raymond und Herr R. Cestan: Zwei Fälle von Polyneurltif
nach Blenorrhagie. (Diese Mittheilung wird in der Revue neurologique in
extenso erscheinen.)
Herr M. Switalski (aus Lemberg): Die pathologische Anatomie der
Hdrddo-ataxie oerebelleuae.
Vortr. hat im Laboratorium der Herren Pierre Marie das centrale Nerven¬
system in einem Falle von H6redo-ataxie cörebelleuse untersucht und Folgendes
constatirt:
Das Rückenmark, das verlängerte Mark, die Brüoke und das Kleinhirn sind
bedeutend verkleinert. Makroskopisch bietet das Gehirn nichts Abnormes dar.
Die Pia mater spinalis und des Kleinhirns sind verdickt
Die mikroskopische Untersuchung zeigt eine bedeutende Verringerung des
Rückenmarks in toto, wodurch dasselbe in der Richtung von vorne nach hinten
plattgedrückt erscheint. Die Durchmesser der Rückenmarksdurchschnittsfläche
sind folgende: Lumbalmark 9 nun und 4 1 / a mm; mittleres Brustmark 7 1 / # mm
und 4 mm; Halsschwellung 13 mm und 4 mm. In den Hintersträngen, in den
directen Kleinhirnsträngen, in dem Gowers’Bchen Bündel und sonst im antero-
lateralen Strange bis dicht in die Nachbarschaft der directen Pyramidalstränge
sind die markhaltigen Fasern degenerirt und das Bindegewebe bedeutend ver¬
mehrt Die Sklerose dieser Stränge ist jedoch keine complete, da viele myelin¬
haltige Fasern daselbst noch bestehen. Im Cervicalmark Bind die Goll’schen
Stränge degenerirt. In den Vorderhörnem und in den Clark’schen Säulen ist
die Zahl der Zellen bedeutend vermindert Die Clark’schen Säulen sind nur
schwer von der übrigen grauen Substanz zu unterscheiden. Im verlängerten
Marke constatirt man Entartung des Goll’schen Kernes und des directen Klein¬
hirnbündels. Im Uebrigen ist das verlängerte Mark klein, aber ohne grobe
Läsionen. In der Brücke findet man eine bedeutende Verminderung der Zahl
der Fasern im mittleren Kleinhirnpedunculus, besonders in den äusseren und
mittleren Schichten desselben. Die Ganglienzellen der Brücke stellen nichts
Abnormes dar.
Der Centralcanal des Rückenmarks ist weit und von Zellelementen erfüllt
Die untere Schicht des Ependyms im 4. Ventrikel und im Aquaeductus Sylvii
ist auffallend verdickt. Im Ventrikel selbst sowie im Lumen des Aquaeductus
Sylvii findet man eine grosse Zahl von weissen Zellen, die am Ependym haften.
Auf Durchschnitten durch die Kleinhirnhemisphären sieht man, dass die Zahl
der Windungen vermindert ist. Die Furchen sind tiefer und weiter als normal.
Zwischen der moleoulären und granulösen Schicht findet man eine Zone, die
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stellenweise 1 / J mm misst und ungefärbt bleibt. Diese Zone macht den
Eindruck, wie wenn die Bindesubstanz an diesen Stellen fehlte. Bei stärkerer
Vergrösserung kann man sehen, dass sie aus fibrillärem Gewebe besteht,
in welchem die Purkinje’schen Zellen eingebettet sind. Die Zahl und die
Structur dieser Zellen bietet nichts Abnormes. Die centrale weisse Substanz ist
im Volumen vermindert und lässt sich schlecht färben (Weigert, Weigert-
Pal), mit Ausnahme der Fasern, die um den ventralen Kern der hinteren Fläche
liegen. Das Corpus dentatum bietet nichts Abnormes.
Im rechten Opticus ist das perifasciculäre Bindegewebe proliferirt. Die
Nervenbündel selbst sind schmäler und rundlicher als normal. In den Nerven¬
wurzeln des Rückenmarks und in den peripheren Nerven ist die Zahl der dicken
Fasern bedeutend verringert, dagegen die der feinen bedeutend vermehrt. Viele
Fasern lassen sich durch Weigert nicht färben. Die Axenoylinder lassen sich
dagegen durch Carmin sehr hübsch färben. Die Blutgefässe des cerebrospinalen
Gebietes sind fein und die perivasculären Scheiden erweitert.
Herr D. An gl ade (d’Alenson) und Herr Ch. Uorel (de Toulouse): Ueber
eine neue Methode der Färbung de Neuroglia.
Diese Färbungsmethode soll schärfere Bilder geben und einfacher zu hand¬
haben sein, als die bis jetzt üblichen. Dieselbe besteht in Folgendem:
1. Härtung der Präparate in folgender Mischung: 3 Theile Fol’sche
Flüssigkeit, 1 Theil 7°/ 0 Sublimatlösung. Die Präparate bleiben in dieser
Flüssigkeit im Autodave bei einer Temperatur von 37° während 48 Stunden.
Auswaschung und Entwässerung in Alkohol nach üblicher Methode.
2. Einschliessung der Präparate in Aceton 24 Stunden; in Paraffin
3 Stunden.
3. Färbung: Die feinen Schichten werden in einer warmen saturirten,
wässerigen Lösung von Grüblers Victoriablau solange gehalten, bis Dämpfe ent¬
weichen. Dann Bespülung in Gram’scher Lösung. Ausserdem Entfärbung in
einer Mischung 1 Theil von Xylol, 2 Theilen Anilinöl.
4. Einschliessung in Canadabalsam oder noch besser in Bernsteinfiruiss.
Discussion.
Herr Pierre Marie: Herrn Switalski und mir ist es in der letzten Zeit
aufgefallen, dass bei der Weigert’schen Färbungsmethode des Myelins die
Neurogliafasern sich gleichzeitig färben und in schwarzer Farbe sehr deutlich
erscheinen. Schon mit blossem Auge kann man die Neuroglia an der graulichen
Farbe die Präparate erkennen.
Herr Poulard: Lähmung der assooiirten Augenbewegungen nach
unten. (Krankenvorstellung).
60 jährige Frau, die vor einem Monate einen apoplektischen Anfall gehabt
hat mit Verlust des Bewustseins während 6 Stunden.- Seit dieser Zeit klagt sie
über Doppeltsehen. Bei der Untersuchung kein Strabismus zu constatiren. Die
associirten Bewegungen der Augen nach oben und lateralwärts sind ganz normal.
Dagegen ist die Bewegung der Augen nach unten fast vollständig
aufgehoben. Auch die Convergenz ist bedeutend herabgesetzt. Die
Diplopie ist eine horizontale und gekreuzte. Dieselbe besteht in der rechten
Hälfte des Gesichtsfeldes und verschwindet in der linken Hälfte desselben. Die
Entfernung der zwei Bilder wird um so grösser, je mehr der Gegenstand nach
rechts rüokt. Folglich: Parese des Rectus internus des linken Auges.
Ausserdem constatirt man auch eine Diplopie in der verticalen Richtung mit
Auseinanderrücken der zwei Gegenstände, je mehr diese in die Höhe gehen.
Der oberste Gegenstand gehört dem linken Auge an. Bei verschiedenen Stellungen
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der Augen blieben die zwei Gegenstände immer parallel. Es ist also anzunehmen,
dass die Hebung des linken Auges eine ungenügende ist, ohne präcisiren zu
können, wer vom Rectus superior oder Obliquus superior am meisten dabei in
Mitleidenschaft gezogen ist Die Haltung der Kranken ist eine sehr cha¬
rakteristische: beim Gehen, besonders beim Treppensteigen oder Heruntergehen,
muss sie den Kopf stark nach vorne flectiren, gleichzeitig hält die Kranke den
Kopf etwas nach rechts rotirt, um offenbar das Doppeltsehen zu vermeiden. Die
Pupillen reagiren auf Licht normal. Die Sehschärfe ist eine gute auf beiden
Augen. Das Sehfeld ist normal. Accommodation schwach in Folge des Altere.
Die Kranke klagt über Steifigkeit der Beine beim Gehen. Die Patellarreflexe
sind gesteigert Kein Fussclonus vorhanden, noch Babinski-Reflexe. Im
Uebrigen gute Gesundheit, Urin normal.
Aehnliche Fälle sind noch wenig bekannt Paralyse des Augensinkens ist
von Schröder, von Priestley Smith und von Babinski beschrieben worden.
In den Fällen von Parinaud, Sauvineau und Tellais bestand gleichzeitig
Lähmung der Hebung und des Sinkens der Augen. In dem Falle des Vortr. be¬
steht Lähmung des Augensinkens und der Convergenz.
Herr Pecharmant: Der Brustkasten ln einem Falle von Syringomyelie.
Vertr. demonstrirt an einem Leichenpräparat die Deformation, die Pierre
Marie bei Syringomyelie unter dem Namen von „Thorax en bäteau“ beschrieben
hat. Diese Deformation boII eben so häufig Vorkommen wie die Skoliose, mit der
sie nicht unbedingt immer zusammentrifft In Bicetre (Klinik des Herrn Prof.
Pierre Marie) constatirte man dieselbe bei 4 Eiranken unter 11. Die Vertiefung
des oberen Theiles der Brust, die von einer Schulter zur anderen geht und nicht
höher als der obere Theil des Sternum ist, ist sehr deutlich am Skelett der
Brust zu sehen. Die erste Rippe erscheint breiter, die anderen Rippen sind eher
an Volumen reducirt. Der obere Theil des Sternum ist nach hinten gerückt
An der Verbindungsstelle des oberen Theiles des Sternum mit dem mittleren
Theile desselben befindet Bich eine nussgrosse Knochenerhöhung, die nach vorne
gerichtet ist und die untere Grenze der Brustdeformation bildet Von der
3. Rippe ab bis zu den besonders stark vorspringenden Schlüsselbeinen verläuft
die sich allmählich abflachende Vertiefung der Brust
Herr Bischofswerder: Intramedulläre Neurome in 2 Fällen von
Syringomyelie mit weioher Hand (main suooulente). (Diese Mittheilung
wird in extenso in der Revue neurologique erscheinen.)
Herr A. Thomas und Herr G. Hauser: Büokenmarkshöhlen und m*1bh»
Pottii. (Diese Mittheilung wird in extenso in der Revue neurologique erscheinen).
R. Hirschberg (Paris).
(Schluss folgt)
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Hendel,
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Inhalt. I. Originalmittheilungen. 1. Beiträge zur Lehre von der Erb’sohen Krankheit,
von Leop. Laquer und Carl Weigert in Frankfurt a/M. 2. Casuistischer Beitrag zur Lehre von
der Dystrophia musculorum progressiva, von Dr. Kurt Mendel. 3. Ererbte Mitbewegungen, von
Dr. Max Levy in Charlottenburg. 4. Zur Technik der Marchi-Methode, von Dr. Emil Raimann.
II. Referate. Anatomie. 1. Anleitung beim Studium des Baues der nervösen Central¬
organe im gesunden und kranken Zustande, von Obersteiner. 2. Disposicion terminal de las
fibras del nervio oochlear (con 7 grabados), per Ramon y Cajal. — Experimentelle
Physiologie. 3. Ermüdung und Erholung, von Varworn. 4. Ueber die Lage der für die
Innervation der Handbewegungen bestimmten Fasern in der Pyramidenbahn, von Hochs.
5. Beiträge zur Gehirnphysiologie der Schildkröte, von Bickel. 6. Ueber die Bedeutung der
centrifugalen Fasern in den oentripetalen Sinnesbahnen, von Radziwlttowicz. — Patho¬
logische Anatomie. 7. Zur Kenntniss der postmortalen Cysten- recte Blasenbildung im
Gehirn, von von Reusz. — Pathologie des Nervensystems. 8. Klinische und patho¬
logisch-anatomische Beiträge zur Diagnose und Therapie der- Gehirngeschwülste, von Mln-
gazzlni. 9, Glioma of brain, by Bramwell. 10. Report on a subdural blood cyst, by Barratt.
11. A contribution to the study of iron intiltration in the ganglion cells, by McCarthy.
12. A case of cyst of the brain: sudden death, by 8tevens. 13. Beitrag zur Symptomatologie
der Geschwülste des Mittelhirns und der Brüekenhaube, von van Oordt. 14. Hydrocöphalie
et tumeur congenitale de la glande pineale chez un nouveau-nö, par Joukovski. 15. Sur un
cas de tumeur du pödoncule cörebral droit, par Pitres. 16. A case of glioma of the pons:
haemorrhage and death, by Thompson. 17. Balle dans le corps calleux. Etat de mal 4pi-
leptique et bömiplögie tardive. Trepanation. Guörison, par Chipault. 18. A report of seven
operationB for brain tumors and cysts, by Hoppe. 19. Acute internal hydrooephalus, by Barr
and McCarthy. 20. Ein Fall von geheiltem Wasserkopf, von Neumann. — Psychiatrie.
21. Ueber das Tätowiren nach Untersuchungen bei Geisteskranken, von Gantor. 22. Fragen
aus dem Gebiete der Erblichkeit, von Kirchhoff. 23. Ueber die Vererbung endogener
Psychosen in Beziehung zur Classification, von Vorster. 24. Ueber das manisch-depressive
Irresein, von Weygandt. 25. Die Behandlung der Grenzzustände in foro nebst einigen Be¬
merkungen über die geminderte Zurechnungsfähigkeit, von Cramer. 26. Missbrauch einer
geisteskranken Frauensperson zum ausserehelichen Beischlafe, Fehlen der Scheide, Beischlafs-
fähigkeit, von Vanselow. 27. Siechthum. Gutachten, von Wickel. 28. Aliönö ou criminel?
par Rdgis. 29. Die forensische Bedeutung der Röntgenstrahlen, von Goldfeld. 30. Geistes¬
krankheit als Ehescheidungsgrund, von Burgl. 31. Gutachten über den Geisteszustand der
J. W. Hysterische Psychose mit eigenartigen Verwirrtheitszuständen, Störungen des Ge¬
dächtnisses, Wandertrieb^^Jeigung zum Fabuliren, von Siemerling. 32. Ueber die Bett¬
behandlung der acuten Psychosen und über die Veränderungen, welche ihre Einführung im
Anstaltsorganismus mit sich bringt, von Nelsser.
III. Aus den Gesellschaften. XXVI. Wanderversammlung der SUdwestdeutschen Neu¬
rologen und Irrenärzte zu Baden-Baden am 8. und 9. Juni 1901. — Berliner Gesellschaft
Tür Psychiatrie und Nervenkrankheiten. — Sociöte de Neurologie de Paris. (Schluss.)
IV. Neurologische und psychiatrische Litteratur, welche vom 1. März bis 1. Mai 1901
erschienen ist.
V. Vermischtes.
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594
L Originalmittheilungen.
1. Beiträge zur Lehre von der Erb’schen Krankheit. 1
Von Leop. Laquer und Carl Weigert in Frankfurt a/M.
1. Ueber die Erb’sche Krankheit (Myasthenia gravis).
Von Leop. Laquer in Frankfurt a/M.
Meine Herren! Auf der letzten festlichen Wanderversammlung hätten wir
auch die Grossjährigkeita-Erklärung der Myasthenia gravis feierlich begehen
können, von der Geh. Rath Ebb im Jahre 1878 hier die erste Schilderung
gegeben hat Sie wird darum von den meisten Autoren mit Recht „die ERB’sche
Krankheit“ genannt Nach § 5 des Bürgerlichen Gesetzbuches soll die Voll¬
jährigkeits-Erklärung aber nur dann erfolgen, wenn sie das Beste der Minder¬
jährigen befördert. Vielleicht kann das durch weitere Verhandlungen in unserer
Wanderversammlung erreicht werden, die schon so viele wichtige Fragen der
Nerven- und Irrenheilkunde ihrer Lösung entgegengeführt hat.
Sie wissen, dass es sich bei der EBB’schen Krankheit um Schwächeerscheinungen
in allen quergestreiften Muskeln, insbesondere in den von bulbären Kernen versorgten
Gruppen handelt, die sich in einer eigenartigen Erschöpfbarkeit äussern; anfäng¬
lich von normaler Kraft, versagen sie nach kürzerer oder längerer Thätigkeit —
mögen die Contractionen auf Beize des Willens, des oonstanten oder faradisohen
Stromes erfolgen. Es tritt eine Erschöpfung der Muskelkraft bezw. die myasthe¬
nische Reaction ein. — Diese Muskelersohöpfbarkeit (Myasthenie) ist in den
schweren Stadien der Krankheit von der Muskellähmung (Myoparese) nicht mehr
zu unterscheiden: Die EsB’sche Krankheit kann in Heilung ausgehen, zu langen
Remissionen bezw. Stillständen führen oder aber tödtlich enden, besonders wenn
die Herz- und Respirationsmusoulatur von der Myasthenie ergriffen ist Zwei
englische Autoren, Campbell und Bbamwxll, zählten im vorigen Sommer im
Brain in einer erschöpfenden Zusammenstellung bereits 59 einschlägige Beobach¬
tungen auf: Ich will darum auf den Litteraturnachweis verzichten und hier
neben den eben gewürdigten Verdiensten Ebb’s um die Myasthenie nur die von
Goldflam, Jolly, Stbümpell und Oppenheim erwähnen. Die Versuche der
Autoren, die Krankheit in pathologisch-anatomischer Beziehung mit der pro¬
gressiven Bulbärparalyse in Zusammenhang zu bringen, blieben vergeblich, da
alle Sectionsergebnisse völlig negative waren.
Auch die letzte bemerkenswerthe Arbeit von Dr. Giese und Prof. Schultze
aus dem XVIII. Bande der Deutschen Zeitschrift für Nervenheilkunde, in der
1 Nach zwei auf der XXVI. Wanderversammlung afidwestdeutscher Neurologen and
Irrenärzte zu Baden-Baden am 9. Juni 1901 gehaltenen Vorträgen.
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595
von einem Falle mit Obduction berichtet wird, beklagt immer noch den Mangel
an Befanden, die das ErankheitBbild erklären könnten — besonders „fehlt es
noch an Muskelbefunden in verschiedenen Stadien der Erkrankung: „Es bleibt,“
so erklären die VerfF., „kaum etwas Anderes übrig, als irgend eine Intoxication
anzunehmen, mag nun der giftige Stoff von aussen direct eingeführt oder im An¬
schluss an irgend welche Störungen im Organismus erzeugt werden.“
Hr. Geh. Rath Wkiqebt wird Ihnen non einen merkwürdigen anatomischen
Befund mittheilen; er hat ihn erhoben bei einem Manne, der zu Lebzeiten von
mir an Ebb 5 scher Krankheit behandelt worden war.
Gestatten Sie mir, dass ich einige kurze klinische Bemerkungen voraus-
sohicke:
Ich habe bereits über zwei Erkrankungen dieser Art in einem Volkmann’-
schen Hefte vom Jahre 1898 berichtet Oppenheim hat in seiner Monographie 1
nur den einen von diesen Fällen, der letal verlief, anerkannt, den anderen hat
er zu den zweifelhaften gerechnet Er that dies, weil ich in jener Arbeit an¬
genommen hatte, dass die im letztgenannten Falle vorhandene leichte Abmagerung
der myasthenischen Muskelgruppen der Arme auf ein Prodromalstadium der
Muskelatrophie hin weise. Dem Autor war es entgangen, dass ich später unter
Anderem auch an dieser Stelle von einer Heilung dieses Falles bezw. von einem
Stillstände aller Krankheitsvorgänge bis auf Andeutungen der myasthenischen
Reaction berichten konnte und von jener Yermuthung eines Uebergehens von
Myasthenie in Amyotrophie zurückkommen musste, da der Myastheniker, ein
Schreinergesell, wieder völlig arbeitsfähig geworden ist
Die neue Beobachtung von Ens^scher Krankheit betrifft einen 30jährigen
Schlos8ergehilfen, dessen Vater ein Trinker war, dessen Geschwister kränklich
sind; ein Bruder soll an Herzschwäche leiden. Er selbst war früher gesund,
nie luetisch inficirt, dem Missbrauch von Alkohol nioht ergeben.
In den Jahren 1896 und 1897 Utt Patient, der ein sehr intelligenter und
fleissiger Arbeiter war, zeitweilig an plötzlich auftretenden Schwindelanfallen, des
Nachts hier und da auch an heftigem nervösen Herzklopfen mit Beklemmungs¬
und Angstzuständen. Auoh wird seitens der Frau über einzelne wirkliche Ohn-
machtsanfalle, besonders nach längeren Spaziergängen kurz vor seiner Yer-
heirathung, die im Jahre 1898 erfolgte, berichtet
Als Ehemann sah Patient immer elend und blass aus, ging aber trotz des
durch Herzunruhe des Oefteren gestörten Schlafes regelmässig seiner Arbeit
nach. Geschlechtlicher Verkehr führte zur Erschöpfung; er klagte ferner über
Magendruck, über Kopf- und Rückenschmerzen, Verstopfung und Schwindel¬
empfindungen. Die Frau abortirte nach dreimonatlicher Schwangerschaft
Im Juni 1900 machten sich Schwierigkeiten beim Erheben der Arme be¬
merkbar; im Juli trat wieder eine bedrohliche Herzschwäche beim Spazieren¬
gehen rin; zu gleicher Zeit fiel eine Lähmung des rechten oberen Augenlides auf.
Diese Erscheinung führte ihn auf Veranlassung seines Kassenarztes Dr. Wey¬
bauch in die Behandlung des Frankfurter Augenarztes Dr. Cabl, nachdem ein
edby Google
1 Die myasthenische Paralyse. Berlin 1900. S. Karger.
88 *
596
jüngerer Neurologe Dr. Bebmann auf Grund der myasthenischen Reaction die
Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf Myasthenie gestellt hatte.
Ich sah den Kranken Ende August des vorigen Jahres im Consil mit den
erwähnten drei Collegen und fand eine Ptosis des rechten Auges, die beim
häufigen lebhaften Augenzwinkern zunahm und dann auch auf das linke Auge
überging, eine Pupillendifferenz, eine hochgradige Erschöpfbarkeit der Kau- und
Kehlkopfmuskeln: bei längerem Lesen ward er leicht heiser, beim Singen sang
er gleich zu tief. — Der rechtsseitige Gaumenbogen erschien enger als der
linke. Auch fand sich eine strumöse Anschwellung wesentlich im rechten Lappen
der Schilddrüse. Die Myasthenie trat besonders deutlich zu Tage bei der Action
der beiden Deltoidei, die nach mehrmaliger Contraction bald matter wurden,
nach weiteren und wiederholten Hebungen des Armes ihre Thätigkeit ein¬
stellten.
Während wir in der Dr.CABL’schen Klinik die eben geschilderten Erscheinungen
von Erschöpfung der bulbären und Extremitätenmuskeln, die sich, wie Patient
angab, am Abend in ihrer Ausdauer ganz beträchtlich verschlechterten und dann
fast paretisch erschienen, gemeinsam feststellten, trat ein schwerer Anfall von
Herzschwäche bei dem Patienten ein. Er war denen analog, über die seine
Umgebung uns schon berichtet hatte: Patient wurde todtenbleich und klagte
über Rauschen im Kopfe. Es kam zur tiefen Ohnmacht, Kühle der Extremitäten,
Sinken des Pulses von 72 auf 40. Die Pulswelle war klein, dünn und setzte
aus. Nach 5 Minuten erholte sich Patient wieder. Wir nahmen an, dass sowohl
die psychische Erregung, wie die musculäre Ueberanstrengung in den Armen
und ihre auch von anderen Autoren beschriebene reflectirende Rückwirkung auf
andere Körpermuskeln — hier auf den Herzmuskel — zur Herzschwäche (Herz¬
myasthenie) geführt hatte. Auf Grund dieses Ereignisses waren wir sehr vor¬
sichtig und sahen von weiteren Experimenten ab. Die Psyche, Sensibilität,
Ernährung der Musculatur, Blasen-, Mastdarmfunction, Lungen und Nieren
hatten wir frei gefunden. Auch Glykosurie fehlte.
Als wir uns einig waren über das Bestehen einer EnB’schen Krankheit,
und zwar in ihrer schwersten Form, wurde dem Patienten völlige Bettruhe bei
geeigneter Diät, Jodkali, später Arsenbehandlung anempfohlen. — Er führte diese
Maassnahmen auch 4 Monate mit einem gewissen Erfolge durch. Denn er
nahm dabei 12 Pfund zu. Acht Tage vor Weihnachten des vergangenen Jahres
ging er wieder zur Arbeit, da die Extremitäten ausdauernder und kräftiger ge¬
worden zu sein schienen. Er that leichte Handreichungen und führte zumeist
nur die Aufsicht über andere Arbeiter. Aber auch diese geringfügige Thätigkeit
musste er schon nach 4 Wochen einstellen, da Schwäche der Zungen- und
Schluckbewegungen sich geltend machten, beim Treppensteigen die Beine kaum
zu heben waren und ihm oft der Athem ausging.
Am 16. Januar dieses Jahres wurde er bettlägerig. Nacken und Rumpf¬
muskeln wurden paretisch. Er konnte sich nicht mehr aufrichten. Die Schluck¬
beschwerden steigerten sich in hohem Maasse. Er sprach näselnd. Linke Pupille
war > R. Der Puls war dünn und frequent. Mehrmals am Tage, zumeist bei
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597
Versuchen, sich im Bett aafznrichten oder umzuwenden, kam es zu bedrohlichen
Collapeerscheinungen.
Auf Druck waren die Muskeln nirgends schmerzhaft. Myasthenische Reaction.
Erschöpfung nach einigen faradischen und galvanischen, kurz hinter einander
folgenden Reizungen aber war sehr ausgesprochen. Steigerung der mechanischen
Erregbarkeit in den schlaff anzufühlenden Deltoideusmuskeln war sehr deutlich.
Es bestand colossale Myasthenie aller Arm- und Beinmuskeln. Ende Januar
brach Patient bei jedem Versuohe, zu stehen oder zu gehen, wegen kardialer
und looomotorischer Schwäche zusammen.
Anfang Februar kam es zu beschleunigter Athmung bei Anspannung aller
respiratorischen Hülfsmuskeln, zur Parese des Zwerchfells und der Intercostales;
die Exspiration wurde kraftlos. Ein zäher, trockener, festsitzender Schleim machte
dem Patienten namenlose Beschwerden. Die Oppression war bejammernswert!)!
Bei vollem Bewusstsein erlag der Kranke am 6. Februar 1901 diesen kläg¬
lichen Krankheitserscheinungen, die trotz 4jährigen Bestehens auf die motorische
Sphäre beschränkt geblieben worden waren, und gegen welche die ärztliche Kunst
sich als völlig machtlos erwiesen hatte.
Wir waren auf die Obduction sehr gespannt Als sie statthatte, waren wir
in keiner Hinsicht enttäuscht Unser Causalitätsbedürhiiss schien völlig be¬
friedigt, als Hr. Geh. Rath Weigkbt, den wir um besondere Berücksichtigung des
Muskelsystems gebeten hatten, das periphere und centrale Nervensystem zwar
völlig normal, an pathologischen Veränderungen aber eine reiche Ausbeute und
zwar das fand, was er Ihnen selber vortragen und demonstriren wird.
II. Pathologisch • anatomischer Beitrag zur Erb’schen Krankheit
(Myasthenia graris).
Von Carl Weigert in Frankfurt a/M.
Bei der Section des von Herrn Dr. Laqueb geschilderten Falles von
Myasthenia gravis fanden sich, abgesehen von einer Aspirationspneumonie, die
ja nur eine finale Bedeutung hat, alle Organe bis auf eins für das blosse
Auge in ganz normalem Zustande. Am Gehirn war die Pia mater etwas blut-
reioh, der Duralsack des Rückenmarks enthielt reichliche Flüssigkeit; das Rücken¬
mark selbst zeigte, namentlich in seinem Brust- und Lendentheil schon aus¬
gesprochene cadaveröse Erweichung, aber etwas Pathologisches fand sich für das
blosse Auge weder in ihm, noch im Gehirn, noch auch in den peripherisohen
Nerven. Das Gleiche gilt für die Muskeln. Hingegen fand sich im vorderen
Mediastinum, dem oberen Abschnitte des Herzbeutels dicht anliegend, also an
der Stelle der Thymusdrüse, eine 5 cm lange und breite, etwa 3 cm dicke, von
aussen röthlich erscheinende Masse. Sie hing zwar innig mit dem Herzbeutel
zusammen, die Innenfläche desselben war aber im Gegensatz zu ähnlichen
Fällen ganz glatt. Ebenso waren die benachbarten grossen Venen, speciell die
Vena cava superior in diesem Falle ganz frei Von der linken Lunge war ein
y Google
598
Zipfel an die tumorartige Masse festgewachsen. Die Obeifläche der Geschwulst,
wie wir das Gebilde vorläufig nennen wollen, war nur nach rechts hin böckrig,
sonst glatt Auf dem Durchschnitt war das Gewebe derselben theils dunkel,
theils hellroth, aber überall, namentlich in den hinteren Abschnitten, mit weissen
Knoten durchsetzt Die Consistenz war derb, nur nach links hin weich.
Bei der mikroskopischen Untersuchung der Geschwulst fanden sich dem
makroskopischen Anblick entsprechend reichliche freie Blutmassen, in die aber
theils grössere, theils kleinere Gewebsinseln eingesprengt waren. Diese letzteren
bestanden zum allergrössten Theile aus kleinen Zellen, welohe sehr wenig, im
Balsampräparate vielfach anscheinend gar kein Protoplasma hatten, und die einen
einzigen runden, chromatinreichen Kern besessen. Es sind das also lympbeide
Zellen, die auch in der normalen Thymus die Hauptmasse darstellen. Spär¬
licher waren protoplasmareiche, mit grossem, blassem Kern versehene, sogenannte
epithelioide Gebilde, die hier und da kleinere Zellen eingesohlossen hatten
(Makrophagen), wie man solche ebenfalls in der normalen Thymus an trifft
Endlich sah man auoh die bekannten, perlkugelartig geschichteten Zellmassen,
die sogenannten für die Thymusdrüse besonders charakteristischen Hassal ’schen
Körperdien.
Wenn auob, wie erwähnt, die grossen Venen von Tumormassen in diesem
Falle frei gefunden wurden, so war das doch für die kleinen mikroskopischen
Venen innerhalb des Tumors nicht zutreffend, wie sioh nach Färbung der
elastisohen Fasern mit Leichtigkeit erkennen liees. An mehreren solchen Ge-
fässen war die Wand partiell zerstört und von den Tumorzellen durchwachsen,
das Lumen bis auf einen geringen Blutrest von jenen Zellen ausgefüllt Merk¬
würdiger Weise fanden sich solche Zellen auch in einigen kleineren Arterien
reichlich vor.
Besonderes Interesse nahmen aber die mikroskopischen Befunde an den
makroskopisch ja normal erschienenen Muskeln in Anspruch. Wir hatten
Stücke vom Deltoideus und vom Zwerchfell eigentlich nur aus Gewissenhaftigkeit
und in der Erwartung mitgenommen, auoh in diesem Falle nur negativa Unter¬
suchungsresultate zu erhalten. Um so überraschender wirkten die ganz graben
Veränderungen, die sieb non doch zeigten, als ms mikroskopische Präparate
anfertigten. An vielen Stellen des Perimysium estermun und intern um, hier
und da in schmalen Zügen zwischen die Muskelfasern selbst eiadimgeBd, sah
man verbunden mit (mikroskopischen) freien Blutmassen reichliche ZeUanhäufungen,
die, um es kurz zu sagen, den in der Thymusgeschwulst geschilderten glichen.
Auch hier waren die kleinen lymphoiden Zellen diejenigen, welche die Haupt*
masse bildeten, während die grösseren epitbeloüen nur spärlich vorhanden warn».
Die HASSAL'schen Körperchen fehlten ganz. Ausnahmsweise sab man die Sellen
auch in Bäumen, die durch ihre Eudefchelbegrensung als Capillaren zu erkennen
waren. Im Bereiche der Zellmassen waren die Bindegewebe- und die elastisohen
Fasern vielfach rareficirt Die Muskelfasern selbst zeigten eine schöne Quer-
streifung, nur hier und da waren vereinzelte Faseratäcke, die in die eingelagerten
Zellmassen hineinragteo, ohne solche.
y Google
Viel geringfügiger waren ähnliche Zellanhäufongen am Herzen, speciell im
Perikard. Man musste suchen, um solche (von demselben Charakter wie in den
Körpermuskeln) anzutreffen. In den untersuchten Stücken des Phrenicus und
Vagus fand sich weder in noch am Nerven Entsprechendes.
Vom Centralnervensy stem wurde der oberste Theil des Halsmarks (der post¬
mortal noch nicht so verändert war, wie die unteren Theile des Rückenmarks),
die Medulla oblongata, Pons, Vierhügel und Stücke vom Grosshirn mit nega¬
tivem Erfolge untersucht Die Markscheidenfarbung gelang überall gut, die
Neurogliafärbung wenigstens am Halsmark und der Medulla oblongata genügend,
an den anderen Theilen dem Zustand der Stücke bei der Section entsprechend
nur massig gut Für die klassische Nissn-Methode war die Vorbehandlung
nicht geeignet gewesen. In der Pia mater der Medulla oblongata war hier und
da in den Maschen freies Blut zu sehen, aber ohne Zellanhäufungen. Vielleicht
ist dieses nur beim Zersohneiden der Stücke da hineingerathen.
Wie soll man nun die geschilderten Veränderungen auffassen? Dass die
abnorme Gewebsmasse im vorderen Mediastinum von der Thymus abstammt,
unterliegt bei der Lage und der mikroskopischen Structur derselben auch nicht
dem geringsten Zweifel. Man kann ferner auch wohl mit Bestimmtheit sagen,
dass diese Thymusveränderung ein Tumor ist, denn einmal ist (woran man ja
denken könnte) für einen durch Blutung vergrösserten persistenten Thymusrest
die Gewebsmasse auch nach Abzug der Blutungen doch zu massig, sodann aber
zeigt das Hineinwachsen der Zellen in die Blutgefässe nicht nur einen Tumor
überhaupt an, sondern sogar einen bösartigen. Unter diesen Umständen ge¬
winnen auch die Veränderungen in den Muskeln ein besonderes Interesse.
Bei diesen handelt es sich nämlich nicht um einfach „entzündliche“ Pro-
cesse. Gegen diese spricht der fast vollständige Mangel an polymorphkernigen
Leukocythen von echten Fibroblasten, und neuem Bindegewebe. Auch im Leben
war ja nichts vorhanden, was auf eine Muskelentzündung hingedeutet hätte. Hin¬
gegen hatten die Zellen ganz denselben Charakter, wie die in der Thymusgeschwulst;
sogar die Neigung zu Blutungen bestand ebenfalls. Dass die HASSAL’schen Körper¬
chen fehlten, ist nicht nur nicht zu verwundern, sondern einer allgemeinen
Regel bei bösartigen Thymustumoren entsprechend, die in ihren Metastasen nie¬
mals, nach meinen Erfahrungen wenigstens, HASBAL’sche Körperchen aufweisen.
Wir dürfen daher die Zellanhäufungen wohl als Muskelmetastasen
des (bösartigen) Thymustumors auffassen.
Da nur die genannten Muskeln und Theile des Nervensystems untersuoht
worden sind, so kann man nicht wissen, ob das Mikroskop nicht auch noch an
anderen Körpertheilen Metastasen aufgedeckt hätte, oder ob diese sich nur in
den Muskeln localisirt haben, wie gewisse Krebse sich unter Umständen meta¬
statisch nur in Knochen localisiren. Eine allgemeine Regel für bösartige Thymus¬
tumoren ist das übrigens nicht Die grossen Mediastinaltumoren, die meiner
Ansicht nach auoh von der Thymus ausgehen (vgl. die Heidelberger Dissertation
von Fritz Grahdhommr, die unter meiner Leitung gemaoht ist), sind ja auch
sehr bösartig. Sie greifen nicht nur auf den Herzbeutel, das Herz u. s. w. über,
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sondern durchwachsen sehr gern anch die grossen anliegenden Venen, nament¬
lich die Vena cava superior, die sie verengern oder ganz verschliessen. Ausser¬
dem geben sie auch zu Metastasen Veranlassung, die aber eben nicht die
Muskeln bevorzugen. Freilich unterscheiden sich diese grossen Thymustumoren
auch in ihrem mikroskopischen Bau von dem hier geschilderten Falle, und so
wäre immer noch die Möglichkeit vorhanden, dass gerade gewisse Thymus¬
tumoren in ihren Metastasen speciell die Muskeln befallen. Darüber müssen
weitere Untersuchungen entscheiden.
Dass so reichliche Anhäufungen fremder Zellen nicht ohne Einfluss auf die
Muskelfunction sein konnten, ist wohl anzunehmen gestattet In welcher Rich¬
tung und durch welche Momente aber diese Einflüsse stattgefunden haben
(biologisch-chemisch oder mechanisch-circulatorisch), ist ganz ungewiss. In jedem
Falle ist aber doch dieser erste positive Muskelbefund, der bei
einem von fachmännischer Seite diagnosticirten Falle von „Ebb’-
scher Krankheit“ erhöben wurde, von einem gewissen Interesse.
Auch die Combination der Myasthenia gravis mit einer Er¬
krankung der Thymusdrüse ist bemerkenswerth, zumal es sich hier
nicht um ein so ganz vereinzeltes Zusammentreffen einer Thymusgeschwulst
mit einer dunklen neuromusculären Erkrankung — um diesen ganz allgemein
gehaltenen Ausdruck zu brauchen — handelt So erwähnt Oppenheim in seiner
Monographie über die Myasthenia gravis auf S. 129 einen von ihm selbst be¬
obachteten, als „zweifelhaft“ bezeichneten Fall (Nr. 5), bei dem Hansemann ein
Lymphosarcoma glandulae thymicae post mortem fand. Ich selbst hatte ferner
einige Zeit, bevor der hier geschilderte Fall zur Obduction kam, Gelegenheit,
einen im Leben durchaus unklar gebliebenen Fall zu beobachten, der hierher
gehört Es handelte sioh um einen 35 jährigen Mann, bei dem, wie sich nach¬
träglich herausstellte, die Diagnose zwischen Hirntumor, Bulbärparalyse, vielleicht
sogar Myasthenia gravis geschwankt haben soll. Uns war von dem den Kranken
zuletzt behandelten Arzte die Diagnose „Bulbärparalyse“ mitgetheilt worden,
aber in der Medulla oblongata war auoh mikroskopisch nichts Pathologisches zu
finden. Hingegen zeigte sich hier ebenfalls ein Mediastinaltumor von ähnlicher
Beschaffenheit, wie in dem von Dr. Laqubb beobachteten Falle. Mit Rücksicht
auf den Befund in den Muskeln bei dem letzteren wurden dann noch nach¬
träglich in dem anderen Falle die zufällig am Sammlungspräparate daran¬
gebliebenen Muskeln (Rachen, vordere Halsmuskeln, Herz) mikroskopisch unter¬
sucht, aber es wurden keine Zellherde in ihnen gefunden. In dem Falle
Oppenheim (Nr. 5) sind Muskeln überhaupt nicht zur Untersuchung gelangt
Es ist übrigens auch denkbar, dass die Zellanhäufungen in den Muskeln
keine conditio sine qua non für das Zustandekommen von Bewegungsstörungen
bei Thymuserkrankungen darstellen, sondern dass hier wieder jene dunklen
intermediären Stoffwechselproducte eine Rolle spielen, die in neuerer Zeit so viel
von sich reden gemacht haben. Freilich hätten wir uns bei der Thymus diese
räthselhaften Einflüsse genau umgekehrt zu denken, wie etwa bei der Schild¬
drüse. Während bei dieser die Anwesenheit zum mindesten eines genügenden
UtWdty Google
601
Restes der Drüse für die normalen entsprechenden Functionen nothwendig ist,
wäre bei der Thymus gerade die Abwesenheit oder Geringfügigkeit des nor¬
malen Gewebes nach Abschluss des Wachsthums für die Gesundheit erforderlich.
Eine hypertrophische Thymus ist übrigens auch bei kleinen Kindern vom
UebeL Ob aber alle Thymustumoren diesen Ueberschuss von normalem Ge¬
webe enthalten, ist durchaus nicht sicher, und es muss weiteren Beobachtungen
Vorbehalten werden, hierüber ins Klare zu kommen.
In keinem Falle möchte ich, auch abgesehen von den erwähnten vielen
Unklarheiten, glauben, dass etwa jetzt schon das Räthsel der EnB’schen Krank¬
heit definitiv gelöst sei. Die anatomischen Veränderungen speciell der Muskeln
sind so grobe, dass es ganz undenkbar ist, dass diese von den vielen vortreff¬
lichen Untersuchern dieser Affection hätten übersehen werden können. Man
könnte daher eher noch daran denken, dass gerade nur eine bestimmte Gruppe
von Fällen aus diesem dunklen Gebiete mit unserem Falle übereinstimmte.
Vielleicht werden sich solche Fälle, wenn erst einmal die Aufmerksamkeit auf
sie gelenkt ist, noch öfter finden, so dass es möglioh sein wird, die Gruppe
genauer abzugrenzen und in ihrer Pathogenie besser zu würdigen, als es bei einer
so vereinzelten Beobachtung möglioh war.
[Aus der Klinik des Herrn Prof. Mendel.]
2. Casuistischer Beitrag
zur Lehre von der Dystrophia musculorum progressiva. 1
Von Dr. Kurt Mendel,
Assistenzarzt der Klinik.
Am 7. Mai d. J. wurden der Prof. MENDEL’schen Klinik 2 Brüder zu¬
geführt, von denen der ältere das Bild einer ausgesprochenen Dystrophia muscu¬
lorum progressiva bot, der jüngere dasselbe Leiden erst in seinem Beginne zeigte.
Anamne8tisch war betreffs dieses Brüderpaares Folgendes zu eruiren:
In der Familie ist ein Fall ähnlicher Krankheit nicht bekannt, Nerven- oder
Gemüthskrankheiten Bind in derselben nicht vorgekommen. Die Eltern sind völlig
gesund. Der ältere Bruder ist 18 Jahre alt, wurde ohne Kunsthülfe in Schädel¬
lage geboren, lernte zur Zeit laufen und sprechen und hat sich geistig völlig gut
entwickelt. Schon in seinem 4. Lebensjahre merkte die Mutter, dass er allmäh¬
lich an Körperkräften abnahm und schlechter zu gehen anfing. Seitdem schritt
das Leiden langsam bis zur jetzigen Höhe fort. Pat. bietet gegenwärtig das
typische Bild der progressiven Muskeldystrophie mit Facies myopathica, besonderer
Betheiligung des Biceps, Triceps, Infraspinatus, Pectoralis und der Oherschenkel-
muscnlatur, relativem Verschontbleiben der Vorderarmmuskeln, kleinen Hand¬
muskeln und der Unterschenkelmusculatur, mit „losen Schultern“, typischem
Emporklettern beim Aufstehen, starker Lordose der Lendenwirbel, deutlich
watschelndem Gange, Fehlen der Patellarreflexe; keine fibrillären Zuckungen; am
1 Nach einer Krankendemonstration in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und
Nervenkrankheiten am 10. Jani 1901.
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602
ganzen Körper, besonders aber an den unteren Extremitäten, starke Herabsetzung
der elektrischen Erregbarkeit; keine Entartungsreaction.
Der Bruder dieses Pat. ist 8 Jahre alt, wurde in Schulterlage mit Arm Vor¬
fall geboren und lernte mit l 1 / a Jahren laufen und sprechen.
Seit etwa 2 Jahren merkt die Mutter, dass auch dieser Sohn, der im Uebrigen
geistig stets sehr rege war, schlechter zu laufen begann und an Körperkräften
abnahm. An diesem Pat. ergiebt nun die objective Untersuchung zunächst nichts
Krankhaftes: der Gesichtsausdruok ist frisch und intelligent und zeigt keine Spur
von Facies myopathica, die Muskeln sind sämmtlich genügend entwickelt, nur
sind Biceps und Triceps etwas schlaff; die Bewegungen in sämmtlichen Körper¬
gelenken geschehen mit völlig genügender Kraft, alle Reflexe sind in normaler
Stärke auszulösen und auch die elektrische Untersuchung der einzelnen Muskeln
ergiebt keine deutliche Abweichung von der Norm. Hingegen ist der Gang
watschelnd und ganz besonders fällt als krankhafte Erscheinung das für die
Dystrophia muscularis typische Emporklettern aus der liegenden Stellung auf;
dieses Symptom hat in Fällen, in denen die Affection noch nicht vorgeschritten
ist und die übrigen Erscheinungen noch gar nicht oder nur ganz schwach aus¬
geprägt sind, entschieden einen grossen diagnostischen Werth; auch in diesem
Falle war es — nächst dem watschelnden Gange — das einzige auf die Dystrophie
hinweisende, deutlich objectiv nachweisbare Symptom. Immerbin war aber hier
die Diagnosenstellung durch den gleichzeitigen Anblick des älteren Bruders un-
gemein erleichtert.
Ein dritter in der Klinik im Mai 1901 aufgenommener Fall erweckt —
da derselbe vom Typus der Dystrophieen stark abweioht — bedeutend höheres
Interesse.
Es handelt sich um einen 16jährigen jungen Mann, in dessen Familie eine
ähnliche Krankheit nicht vorgekommen sein soll. Eine Schwester des Pat. starb
im Alter von 23 Jahren an Morbus Addisonii, Pat. selbst ist das dritte Kind
von Drillingen und kam ohne Kunsthülfe zur Welt. Die beiden anderen Drillinge
starben 4 Wochen nach der Geburt.
Im Alter von 6 Jahren machte Pat. Scharlach durch.
Schon in der Schule, als Pat. 9 Jahre alt war, wurde als auffällig bemerkt,
dass er beim Reckturnen die Hände wegen Schwäche am Daumen nicht derart
an die Reckstange anlegen konnte, dass der Daumen auf die eine, die 4 übrigen
Finger auf die andere Seite der Stange zu liegen kamen. Gleichzeitig war es
ihm auffällig, dass er beim Dauerlauf wegen Ermüdung in den Beinen mit den
übrigen Schülern nicht mitkam und nach kurzer Zeit austreteu musste. Ob die
Sohwäche sich zuerst an den Beinen und dann erst an den Händen gezeigt hat
oder umgekehrt, vermag Pat. nicht anzugeben.
Deutlicher wurde die Gangstörung aber erst vor 1 Jahr, es wurde ihm des
Oefteren gesagt, dass er watschelnd gehe. Einen Anlass für sein Leiden kann
er nicht angeben. Onanie zugegeben. Potus und Lues negirt.
Bei der Aufnahme in die Klinik klagte Pat. über Beschwerden beim Gehen,
leichte Ermüdbarkeit in den Beinen und Schwäche in beiden Händen. Im
Uebrigen habe er keinerlei Klagen, speciell auch nie Schmerzen in den Extremi¬
täten gehabt.
Status praesens: Für sein Alter grosser Mensch mit kräftigem Knochen¬
bau und genügendem Fettpolster. Gesichtsfarbe und sichtbaren Schleimhäute
blass. Gesichtszüge verschwommen, Unterlippe leicht gewulstet, schlaffer und matter
Gesichtsausdruck: ausgesprochene Facies myopathica; letztere ist übrigens schon
auf einer aus dem 10. Lebensjahre stammenden Photographie deutlich sichtbar.
Beiderseits besteht deutliche Ptosis, ein (Symptom, auf welches Pixb&e Mari«
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603
kürzlich aufmerksam machte 1 , weil dasselbe nicht dem gewöhnlichen Bilde des
myopathischen Gesichtsausdrucks entspricht, bei welchem — nach Dejxrine* —
die Augen weit geöffnet zu sein pflegen. Eine Schwäche der Kaumuskeln besteht
nicht Auch im Uebrigen bieten die Hirnnerven durchaus normale Verhältnisse,
nur sind beide AbducenteB etwas schwach. Die Augenuntersuchung ergiebt nor¬
malen Augenhintergrund und Normales Gesichtsfeld. Stirnrunzeln, Augensohliessen,
Pfeifen u. s. w. geht gut.
Betrachten wir zunächst die unteren Extremitäten, so ergiebt der objective
Befund Folgendes:
Gang deutlich watschelnd. Sämmtliche Gelenke frei, active und passive Be¬
wegungen gut möglich, grobe Kraft in Hüft- und Kniegelenken genügend, in den
Fussgelenken (besonders die Dorsalflexion des Fusses) ungenügend. Wadenraus-
culatur beiderseits auffallend voluminös, fühlt sich derb an, das Volumen der
Waden steht in starkem Widerspruch zu den Angaben des Patienten über
Schwäohe in den Beinen. Auch die Glutäalmusculatur ist sehr voluminös. Sensi¬
bilität völlig intact. Patellarreflex beiderseits schwach, Fusssohlenreflex lebhaft,
kein Babinski, Cremaster- und Bauchdeckenreflex normal.
Die elektrische Untersuchung an den unteren Extremitäten ergiebt:
Vom N.peroneus aus mit faradischem und galvanischem Strome deutliche Zuckung,
vom N. tibialis aus beiderseits bei stärkstem Strome nur schwache Wirkung sichtbar.
Elektrische Erregbarkeit stark herabgesetzt in folgenden Muskeln: Glutaei,
Quadriceps, Vas tue int. und ext, Tibialis anticus, Peroneus longus und brevis,
Gastrocnemius, Flexor hallucis longus. Auch bei Anwendung stärkster Ströme
sind nicht erregbar der Extensor digg, commun. longus, der Extensor hallucis
longus (letzterer ist allerdings rechterseits galvanisch zu erregen) und brevis,
sowie die Interossei. — Nirgends Entartungsreaction. Keine fibrillären Zuckungen.
Es besteht eine leichte Lordose in der Lendenwirbelgegend. Die inneren Organe
bieten keine Sonderheit. Urin frei von Eiweiss und Zucker.
Bis hierher ist der Fall also unschwer zu klassificiren, es würde sioh um
eine typische Dystrophia musculorum progressiva (type Landouzy-Dejerine)
handeln. Schwieriger wird aber die Diagnosenstellung, wenn man nunmehr die
oberen Extremitäten betrachtet. Hier ergiebt die Untersuchung an beiden Ober¬
und Vorderarmen durchaus normale Verhältnisse: die Musculatnr ist daselbst gut
entwickelt, fühlt sich normal an, die grobe Kraft in Sohulter- und Ellenbogen¬
gelenken ist eine durchaus gute; hingegen ist der Händedruck beiderseits, beson¬
ders rechts, sehr massig. Es besteht eine deutliche Atrophie der Musculatur des
Daumenballens, sowie der Spatia interossea, besonders rechterseits, ferner auch
eine Atrophie der Infraspinati, vornehmlich des rechten. Kleinfingerballen nioht
atrophisch. Die an einander gelegten Finger können gegen den Widerstand des
Pat. leicht gespreizt werden, ebenso sind sämmtliche Bewegungen des Daumens
nur mit ganz ungenügender Kraft möglich. Reflexe der oberen Extremitäten
beiderseits in normaler Stärke auslösbar. Keinerlei Sensibilitätsstörungen. Keine
fibrillären Zuckungen, auch nicht in den atrophischen Muskeln.
Die elektrische Untersuchung an den oberen Extremitäten ergiebt für die
Muskeln der Schulter, des Ober- und Vorderarms, sowie für den Kleinfingerballen
normale Verhältnisse, qpeciell sind auch beide Infraspinati faradisch und galva¬
nisch gut erregbar. Hingegen besteht in dem Adductor pollicis und Interosseus I
ausgesprochene Entartungsreaction (faradisch 0, galvanisch bei 5 MA. deutlich
1 P. Makis, Sur uoe forme de myopathie progressive primitive avec ptosis bilateral
et partieipation des muscles mastieateurs. Uev. neurol. 1901. Nr. 9.
* J. Dbjbkinb, Sdmiologie du systöme nerveux. Traitd de pathol. glndr. de Bouchard.
V. S. 569.
v Google
604
träge Zuckung, AnSZ > KaSZ). Die übrigen Interossei zeigen herabgesetzte
elektrische Erregbarkeit, doch blitzartige Zuckung. Der Abductor pollicis brevis
und Opponens sind weder faradiscb noch galvanisch mit stärksten Strömen er¬
regbar, im Flexor pollicis brevis sieht man bei Anwendung stärkster Ströme nur
eine ganz geringe bündelförmige, nicht ganz blitzartige Zuckung.
Zu der typischen Dystrophie im Gesicht und in den unteren Extremitäten
hat sich demnach hier eine degenerative Atrophie im beiderseitigen Daumen¬
ballen und im Interosseus I gesellt
Bezüglich der Erklärung dieses Falles vom pathologisch-anatomischen Stand¬
punkte aus sind folgende 8 Punkte zu erwägen:
1. kann man annehmen, dass es sich um einen, primär nur im Rücken¬
mark localisirten Process bandelt, dass also die Pseudohypertrophie rein secundär
entstanden ist und eine Trophoneuroee darstellt, bedingt durch eine primäre
Affection der trophischen Centren des Rückenmarks. Unter dieser Voraussetzung
würde es sich betreffe oberer und unterer Extremitäten in unserem Falle um
nur quantitativ verschiedene Rückenmarksläsionen handeln, indem die Pseudo¬
hypertrophie der Waden und der Glutaei das Resultat einer mikroskopisch mit
unseren Untersuchungsmethoden noch nicht nachweisbaren, funotionellen Störung
an den trophischen Centren in der Medulla darstellen würde, während der Atrophie
an den Handmuskeln anders geartete Verändernden der trophischen Centren
entsprechen würden, welche von Beginn an schwerer und anatomisch nachweis¬
bar wären. Diese von Ebb 1 verfochtene Annahme ist jedoch bisher eine noch
nicht bewiesene Hypothese geblieben, auch spricht das Befallensein der Gesichts-
musculatur gegen die Annahme eines primär rein myelopathischen Leidens.
Die zweite Möglichkeit ist die, dass es sich — entsprechend dem klinischen
Bilde — um die Combination zweier Proceese handelt, welche sich beide neben
einander und unabhängig von einander bei demselben Individuum eingestellt
haben und der Ausdruck eines fehlerhaften Entwiokelungsprooesses bei dem be¬
treffenden Kranken sind.* Man würde alsdann eine Combination eines primär
musculären Leidens (die Pseudohypertrophie der Muskeln bedingend) mit einem
spinalen bezw. spinal-neuritischen Processe annehmen, welch’ letzterer die Er¬
scheinungen an den oberen Extremitäten erklären würde. Diese Annahme ist
wohl möglich, hat jedoch immerhin etwas Gezwungenes an sich.
8. aber — und dies ist das Wahrscheinlichste — kann in unserem Falle
die Erkrankung auch als primär rein myopathisch aufgefasst werden, d. h.
wir würden, wenn der Kranke gegenwärtig zur Autopsie gelangte, nur in den
Muskeln Veränderungen finden, aber keine Läsionen an Rückenmark oder Nerven.
(Eventuelle, an den peripheren Nervenendigungen doch nachweisbare Verände¬
rungen, welche vielleicht die Entartungsreaction bedingt hätten, würden bei
dieser Annahme als secundär, in Folge der musculären Erkrankung entstanden,
zu deuten sein).
1 W. Ebb, Dystrophia musealaris progressiva. Sammlung klinischer Vorträge. Mai 1890
3 VgL Jbbdbassik, A belgyögyäszat kezi könyve. VI u. Kollabits, Deutsches Archiv
f. klin. Med. LXX. Heft 1 u. 2.
y Google
605
In der Litteratnr konnte ich nur einen Fall finden, welcher sich mit dem
hier beschriebenen fast völlig deckt, in welchem die 3 Symptome: Pseudohyper¬
trophie, atypische Localisation an den Handmuskeln und Entartungsreaction
vereint sind; es ist dies ein von Fbiedbich Schültze im Jahre 1886 publi-
drter Fall. 1 (Bei dem unserem Falle ähnelnden HEUBNEß’schen Kranken war
während des Lebens Pseudohypertrophie nicht nachweisbar, auch war die Ent¬
artungsreaction nicht deutlich sichtbar.*) In dem ScHui/rzE’schen Falle waren die
unteren Extremitäten pseudohypertrophisch, die Handmuskeln frühzeitig ergriffen,
ferner bestand Entartungsreaction im Deltoideus, am 1. und 4. Interosseus und
am Thenar. Die Autopsie ergab völlig normalen Befund an Rückenmark und
Nerven und nur Veränderungen an den Muskeln. Es erwies sich demnach
dieser Fall trotz Entartungsreaction und atypischer Localisation als reine Muskel¬
dystrophie. Uebrigens fanden auch Haushaltes 3 , Hhbtz 4 und Oppenheim-
Cas8ibeb 6 in ihren Fällen von Dystrophie Entartungsreaction, letztere auch
gleichzeitig — wie Schültze — die atypische Localisation an den kleinen
Handmuskeln. (In dem Oppenheim - C AssntEB’schen Falle war aber Pseudo¬
hypertrophie während des Lebens nicht vorhanden, vielmehr imponirte derselbe
intra vitam als progressive neurotische Muskelatrophie, während die Autopsie das
Bestehen einer rein myopathischen Erkrankung ergab.)
Somit spricht auch in unserem Falle weder die Entartungsreaction noch
das Befallensein der Handmuskeln direct gegen die Annahme einer primär rein
musculären Affection.
Eine sichere Entscheidung, ob es sich hier anatomisch um ein rein
myopathisches Leiden handelt oder um eine Combination von Myopathie mit
spinalen Veränderungen, ist vor der Hand nicht möglich. Jedenfalls zeigt der
Fall, wie sich klinisch das Bild der Dystrophia muscularis progressiva mit
demjenigen der spinalen Muskelatrophie vereinigen kann, und dass Uebergänge
zwischen beiden Leiden Vorkommen.
3. Ererbte Mitbewegungen. 0
Von Dr. Max Levy in Charlottenburg.
Das Studium der Mitbewegungen ist im Allgemeinen etwas vernachlässigt
worden, sehr mit Unrecht, wie mir scheint Lässt es doch manche Ausbeute
1 Fa. Sohultzk, üeber den mit Hypertrophie verbundenen progressiven Muskelschwund.
Wiesbaden 1886. J. F. Bergmann.
* Hbubhkb, Ein paradoxer Fall von infantiler progressiver Muskelatrophie. Festschr.
f. E. L. Wagner. 1887. Leipzig.
' Revue de möd. 1898. S. 445.
4 Semaine mddic. 1894. XIV. Nr. öS.
6 Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. X. 8. 143.
• Nach einer am 10. Juni 1901 in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nerven¬
krankheiten gegebenen Demonstration.
b y Google
606
ffir das Verständnis) physiologischer nnd pathologischer Erscheinungen erwarten.
Die Mittheilung der nachfolgenden Fälle erscheint mir deshalb wohl gerechtfertigt:
Reinhold K., 36 Jahre alt, Buchbinder. Pat. ist schwächlich gebaut, sehr
anämisch, fühlt sich aber, abgesehen von einem unbedeutenden Kehlkopfkatarrh,
vollkommen wohl. Auch früher hat er niemals eine ernstere Krankheit durch*
gemacht
Die Untersuchung der inneren Organe ergiebt normale Verhältnisse.
In Bezug auf Psyche und Intellect findet sich bei wiederholter Untersuchung
keinerlei Abnormität.
Die grobe Kraft der Muskeln beiderseits normal. Pat ist rechtshändig.
Alle gewollten Bewegungen erfolgen richtig coordinirt, nur wird jede Be¬
wegung der einen Hand von einer genau gleichzeitig eintretenden Mitbewegung
der anderen Hand begleitet. Wenn Pat. beispielsweise mit der einen Hand sich
den Rock zuknöpft, die Bewegung des Klavierspielens ausführt oder eine Faust
macht, so wird dieselbe Bewegung lächerlioh treu auoh von der anderen Hand
exeoutirt. Nur ist die Mitbewegung an Umfang und Kraft erheblich schwächer,
als die gewollte Bewegung. Je kräftiger und complicirter diese, um so stärker
die Mitbewegung.
Auch die Muskeln des Oberarms und der Schulter zeigen Mitbewegungen.
Sie sind indess wesentlich schwächer und lassen sich durch bewussten Willens-
impuls so weit unterdrücken, dass nur ein leichtes Zucken zu beobachten ist
Zwischen beiden Körperhälften besteht bezüglich der Mitbewegungen kein
Unterschied.
Die Prüfung des Facialisgebietee ergiebt, dass weder einseitiger Augenschluas,
noch auch einseitige Contraction der Mundmuskeln ausführbar ist.
Wendet Pat. den Blick nach der einen oder anderen Seite, so sieht man in
dem geöffneten Munde eine gleichseitige Mitbewegung der Zunge. Sie wird auf
die entsprechende Kante gestellt und im Oanzen auf diese Seite gezogen. Beim
Heben und Senken des Blickes ist die Mitbewegung der Zunge nicht deutlich.
In den Beinen und Füssen keine, in den Zehen nur schwache symmetrische
Mitbewegungen. Dagegen sieht man bei kräftigen Zehenbewegungen leichte Mit¬
bewegungen in den gleichseitigen Fingern.
Die Ausdrucksbewegungen sind nicht besonders lebhaft, nur reibt Pat. in
der Unterhaltung wie verlegen mit den Händen auf den Knieen herum und ist
nicht im Stande, diese Geste ganz zu unterdrücken.
Die elektrische Prüfung, von Herrn Dr. Schdstbk freundlichst ausgeführt,
ergab normale Verhältnisse. Die Reflexerregbarkeit und die Sensibilität ist normal.
Die Anamnese ergab Folgendes: Pat. hat seine Mitbewegungen von klein
auf. Sie erschwerten ihm wohl die Erlernung, aber kaum die Ausübung seines
Handwerks.
Sein Vater starb früh an einem Lungenleideu. Seine Mutter ist 81 Jahre
alt und von klein auf mit derselben Abnormität behaftet. Bei den Grosseltern
bestand sie angeblich nicht. Eine Schwester des Pat. und deren 6 Kinder sind
ganz gesund. Er selbst hat 2 Kinder, beide Knaben. Von diesen ist der eine
gesund, der andere zeigt die gleichen Mitbewegungen.
Ich fand Gelegenheit, seine Mutter wie auch seine Kinder zu untersuchen.
Der eine von beiden Knaben, 7 Jahre alt, offenbar nach der Mutter geartet, erwies
sich als gesund, dagegen zeigte sowohl der andere Sohn, 9 Jahre alt, mit den
Zügen des Vaters, als auch die Grossmutter das typische Krankheitsbild.
Die mit der linken Hand ausgeführte Schriftprobe ergab Folgendes: Der
Vater schreibt Adductivschrift, auf Aufforderung dagegen merkwürdig gewandt
Spiegelschrift. Der Sohn schreibt den Anfangsbuchstaben des Vornamens in
b y Google
- aor
Spiegelschrift, den Best des Vornamens in Addüctivschrifb und den Zunamen nach
langem Zögern wieder in Spiegelschrift.
Fassen wir die Ergebnisse unserer Untersuchungen zusammen, so ergiebt
sich ein Krankheitsbild, zusammengesetzt aus einer grossen Mannigfaltigkeit von
abnormen Bewegungen: besonders auffallend symmetrische Mitbewegungen,
weniger hervortretend gleichseitige Mitbewegungen, dazu als wichtiges Symptom
die Neigung und theilweise der Zwang, mit der linken Hand Spiegelschrift zu
schreiben. Das Ganze vererbt durch 3 Generationen.
In der Litteratur finden sich nur wenige ähnliche Fälle, ein Fall von
Thomeyeb 1 und zwei von Damsch.* In allen 3 Fällen ist nur von symmetrischen
Mitbewegnngen die Rede, doch lässt mich die Aehnlichkeit der Fälle annehmen,
dass auch die übrigen Erscheinungen meiner Fälle vorhanden, aber unbemerkt
geblieben waren. In einem der Fälle von Damsch wurde die anamnestische
Angabe erhoben, dass ein Bruder der Mutter dieselbe Abnormität aufweise.
Jedenfalls wird erst durch meine Fälle der exquisit erbliche Charakter der
Affection erwiesen.
Die Beurtheilung des Krankheitsbildes muss offenbar an physiologische
Analogieen anknüpfen. Je weiter wir in der Thierreihe hinabsteigen, um so
grösseren Umfang haben die Mitbewegungen. Dasselbe ist für die Entwickelung
des Einzelmenschen von der Geburt an der Fall. Der Säugling streckt der
Mutter nicht nur beide Arme, sondern auch beide Beine entgegen. Nur all¬
mählich lehrt ihn zunehmende Uebung, die einzelnen Glieder getrennt und in
verschiedenem Sinne zu gebrauchen. Diese Differenzirung betrifft indess die
einzelnen Muskelgruppen in ganz verschiedenem Maasse. Während z. B. die
Muskeln des Kehlkopfs und der Accommodation nur symmetrisch arbeiten, ge¬
lingt die funotionelle Trennung der beiden Gesiehtsbälften fast allen Menschen,
erreichen die einzelnen Extremitäten einen hohen Grad von Selbständigkeit.
Trotzdem lässt sich auch am Erwachsenen durch geeignete Versuchsanordnung
eine Neigung zu Mitbewegungen, symmetrischen sowohl, wie gleichseitigen, in
solchen Muskelgebieten nachweisen, die unter gewöhnlichen Verhältnissen davon
frei sind. Bezüglich der Mitbewegungen der Zunge bei Abductionsbewegungen
des Auges sei auf eine Mittheilung von Bkeb 8 verwiesen, der dieselbe Er¬
scheinung, wenn auch wohl in geringerer Stärke, an sich selbst beobachtete.
Es ist besonders zu betonen, weil ätiologisch wichtig, dass in meinen Fällen
keine Mitbewegung sich fand, die nicht auch normalerweise gefunden wird. Patho¬
logisch ist nur ihre Intensität und die Unfähigkeit des Pat., sie zu unterdrücken.
Von abnormer Querleitung im Verlaufe der Nervenfasern kann also keine Rede
sein. Wir müssen vielmehr annehmeu, dass es sich um eine Hemmungsbildung,
eine atavistische Erscheinung handelt, deren anatomische Ursache in der Ver¬
bindung zwischen Nervenzelle und Nervenfaser zu suchen ist Indess wird sich
1 THOimBB, Ref. in Vuohow’s Jahresberichten. 1887. II. S. 210.
1 Damsch, Zeitachr. f. klin. Medicin. 1891. XIX. Sappl. S. 170 fl'.
3 Bkkthold Bbbb, Wiener ined. Blätter. 1899. Nr. 1 u. 2.
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608
über den genaueren Modus, insbesondere über die Fasersysteme, welche die
Ueberleitung besorgen, gerade wegen der Vielfältigkeit der Möglichkeiten vor¬
läufig nichts sagen lassen. Ein abnormes Ueberströmen des Reizes von einer
Rückenmarkshälfte zur anderen ist schon deshalb ausgeschlossen, weil gekreuzte
Reflexe nicht gefunden werden. Für die Annahme eines Irradiationsvorganges
im Bereiche der Hirnrinde sprechen mit besonderem Nachdrucke die gleich¬
seitigen Mitbewegungen.
Ganz besonders bedeutungsvoll scheint mir das Ergebniss der Schriftproben
zu sein. Der Vater schrieb mit der linken Hand auf Aufforderung Spiegelschrift
mit ungewöhnlicher Leichtigkeit. Der Sohn konnte mit der linken Hand nur
Spiegelschrift schreiben. Das beweist, dass durch die rechtshändig eingeübte
Schreibbewegung neben dem Schreibcentrum der linken Hemisphäre auch das
der rechten abnorm gut entwickelt worden ist, so gut, dass selbst die in dem
optischen Erinnerungsbilde gegebene Controlle nicht mächtig genug ist, um den
Ablauf der Schreibbewegung in Spiegelschrift zu verhindern. Dem Vater da¬
gegen ermöglicht dies die reifere Intelligenz. Nach Analogie mit der bekannten
Erfahrung, dass linksseitiger Sitz des Sprachcentrums und Rechtshändigkeit
gesetzmässig zusammengehören, dürfen wir aus dieser Einzelheit schliessen, dass
in der That in meinen Fällen jede gewollte Bewegung durch Zusammenwirken
beider Hemisphären entsteht
Damit ist indess nur ein Theil der Erscheinungen unvollkommen erklärt
Für die Mehrzahl der Fragen, die meine Fälle bieten, muss die Zukunft die
Lösung bringen.
[Aus der k. k. L psychiatrischen Universitätsklinik des Herrn Prof. v. Wagner
in Wien.]
4. Zur Technik der Marchi-Methode. 1
Von Dr. Rmll Ralmann.
Um eine nach Marchi gefärbte Schnittserie zu erhalten, ging man bisher
immer so vor, dass man den betreffenden Theil des Centralnervensystems in
dünne Scheibchen schnitt, diese in MARom’sche Flüssigkeit legte, nach Ablauf
einer kürzeren oder längeren Zeit auswusch, mittels Celloidin übereinander
klebte und endlich den ganzen Block fortlaufend schnitt Stablinoer* stellte
so als erster eine lückenlose Serie dar. Trotz aller Verbesserung der technischen
Hülfsmittel ist es indessen nicht leicht, eine tadellose Serie zu erhalten. Macht
1 Vortrag, gehalten am 25. Jnni 1901 im Verein für Psychiatrie and Neurologie in
Wien.
* Jahresbericht der niederöeterreiohiBchen Landes-Irrenanstalten 1894/95, S. 24. —■
Jahrb. f. Psych. n. Neurol. XV. S. 10. — Zeitschr. f. wissenschaftl. Mikroskopie. XU.
S.295 u. XVI. S. 179.
Digilizedby G00gle
609
man die Scheibchen etwas dicker, dann ist es kaum zu vermeiden, dass die
Osmiumsäure ungleichmässig und mangelhaft eindringt; es bleiben helle Inseln,
innerhalb welcher eventuelle Degenerationen nicht auffindbar sind. Auf jeden
Fall werfen sich die Scheibchen, umsomehr, je dünner sie sind; damit wird ihr
Uebereinanderkleben immer schwieriger, die Säule baut sich ungleichmässig auf,
man erhält Celloidinbrücken in den einzelnen Schnitten. Auf Grund einiger der¬
artiger unliebsamer Erfahrungen mussten wir uns die Frage vorlegen, ob es
nicht möglich sei, wie bei den meisten anderen Färbemethoden zuerst die Schnitt¬
serie herzustellen und dann, vielleicht nur einen Theil derselben, nach Mabghi
zu behandeln. Herrn Prof, von Wagneb verdanke ich die Anregung zu diesem
Versuche, der ohne weiteres gelang.
Wir verfuhren folgendermaassen: Härtung in MüLLEB’scher Flüssigkeit bei
gewöhnlicher Temperatur. Im Falle eines 2 — 10°/ 0 Formolzusatzes zur Mülleb’-
schen Flüssigkeit erfolgt diese Härtung in kürzester Zeit Dann wird das
Präparat oberflächlich abgetrocknet, mit einer Wachs-Paraffinmischung umgossen.
Aus diesem Blocke, der nach dem Erkalten sofort schnittfähig ist, fertigen wir
die Serie an, wobei das Messer mit möglichst verdünntem Alkohol befeuchtet
wird. Die einzelnen Schnitte könnte man mit Closettpapier vom Messer ab¬
nehmen und auf diese Weise auseinanderhalten. Wir zogen es vor, 12 nume-
rirte kleine Glasdosen mit MüLLEB’scher Flüssigkeit zu füllen und die Schnitte
fortlaufend in diesen Dosen zu sammeln, so dass also Schnitt 1, 13, 25, 37 u.s.w.
in Dose Nr. 1 zu finden sind. Bei kleinen Thieren sind die Differenzen zwischen
diesen Höhen so deutlich, dass man über die Aufeinanderfolge der Schnitte nicht
im Zweifel sein kann. Es ist nun ebenso gut möglich, eine vollständige Serie
zu bearbeiten, als durch Auswahl einzelner Dosen beliebige Intervalle herzustellen.
Wir lassen in den gewählten Dosen MAnom-Flüssigkeit durch 3—6 Tage auf
die Schnitte einwirken; die Färbung erfolgt durchaus gleichmässig und voll¬
ständig, selbst bei geringen Mengen von Färbflüssigkeit Diese wird dann
durch Wasser ersetzt, dasselbe einige Male gewechselt, bis es vollständig farblos
bleibt Nun Entwässern der Schnitte in Alkohol, Aufhellen in Carbol-Xylol, Ein-
schliessen in Damarlack, Aufbewahren mit und ohne Deckglas. Die Präparate
sehen aus, wie wenn sie nach der bisher üblichen Weise, im Stück, mit Mabchi-
Flüssigkeit behandelt worden wären.
Bei der relativ geringen Zahl der Präparate, die wir nach dem eben be¬
schriebenen Verfahren herstellten, ist ein abschliessendes Urtheil natürlich noch
nicht möglich. Für den Fall, dass man an einem und demselben Stücke ver¬
schiedene Färbungsmethoden zur Anwendung bringen will, sowie für wichtige
Stellen, wo man eine lückenlose Schnittserie fordern muss, erlauben wir uns
aber schon jetzt diese kleine technische Vereinfachung der altbewährten Makohi-
Methode Interessenten zur Nachprüfung zu empfehlen.
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n. Referate.
Anatomie.
1) Anleitung beim Studium des Baues der nervösen Centralorgane im
gesunden und kranken Zustande, von Prof. Dr. Heinrich Obersteiner.
(4. vermehrte u. verbesserte AufL Leipzig und Wien. 1901. Franz Deuticke.)
Dass trotz des Vorhandenseins einer grossen Reihe ähnlicher Bücher (Edinger,
Kölliker, Bechterew, van Gehuchten u. A.) neuerlich eine Auflage von
Obersteiner’s Lehrbuch nothwendig wurde, zeugt einerseits für die Vortreff*
lichkeit des Buches, andererseits für die zunehmende Verbreitung des anatomischen
Studiums der nervösen Centralorgane unter den Aerzten und Studirenden. Die
vorliegende 4. Auflage ist wiederum wesentlich vermehrt (gegen die 1. Auflage
weist sie ein Plus von 280 Seiten und 70 Abbildungen auf). Während
die Tendenz und die Eintheilung des Buches die gleiche geblieben ist, überall
das didaktische Moment festgehalten ist, sind in jedem einzelnen Capitel alle jene
Neuerungen und Umgestaltungen zur Geltung gekommen, die sich bei objectiver
kritischer Prüfung durch die neueren Arbeiten als nothwendig erwiesen haben.
Von den neu hinzugekommenen Abbildungen sei insbesondere eine Serie von
Frontalschnitten des Grosshirns, von Markscheidenpräparaten der Medulla oblongata
und des Pons, eine Reihe von Nisslbildern der normalen und pathologischen
Ganglienzelle u. s. w. erwähnt. Die grösste Umgestaltung hat natürlich das
6. Capitel »Faserzüge und Bahnen“ erfahren, das eine vorzügliche Ueberaicht
unserer Kenntnisse über den Aufbau und Zusammenhang der einzelnen Theile
des Centralnervensystems giebt. Die hier eingeschalteten zahlreichen schematischen
Abbildungen haben die entsprechenden Correcturen erfahren. Referent muss es
sich versagen, Einzelheiten zu erwähnen, so interessant es auch wäre, auf die
Stellungnahme des Autors zu einzelnen strittigen Fragen einzugehen. Endlich
sei noch bemerkt, dass die praktische Verwendbarkeit des Buches durch einen
übersichtlichen Druck sehr gewonnen haben dürfte. Redlich (Wien).
2) Disposition terminal de las fibras del nervio ooohlear (oon 7 grabados),
per S. Ramön y Cajal. (Revista trimestral microgräfica. Juni und Sep¬
tember 1900.)
Einleitend bemerkt Verf., dass bei Secierschnitten durch das ventrale Ganglion
des N. acusticuB im Bulbus der Medulla oblongata je nach der Höhe der Schnitte
die grosse Verschiedenheit in den terminalen Verästelungen des N. cochlearis
auffallen muss. Die Einzelheiten in der Vertheilung und Gestaltung dieser Endi¬
gungen seien noch nicht genügend studirt. Es sind zwar mehrere Arbeiten über
diesen Gegenstand veröffentlicht, sie sind jedoch unvollständig und zum Theil
nicht ganz einwandsfrei. Verf. citirt die Arbeiten von Held, welcher zuerst die
nach ihm benannten Bulbi an den Endigungen des Cochlearis beschrieb, von
Kölliker, seine eigenen früheren Publicationen, die Arbeiten von S. Meyer und
Veratti, welch’ letzterer irrthümlicherweise die nervösen Endgeflechte für peri-
celluläre Membranen hielt.
In der vorliegenden Arbeit will Verf. die morphologische Structur der
Nervenendigungen des Cochlearis endgültig feststellen. Er benutzt bei seinen
Untersuchungen das ventrale Acusticusganglion von Katze und Hund und zwar
von solchen, die neugeboren oder erst wenige Tage alt sind. Als Färbemethoden
kommen zur Anwendung die Nissl’Bche Methode, besonders aber das doppelte
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611
Imprägnationsverfahren von Golgi. Am besten eignen sich Längsschnitte, weil
sie gleichzeitig das Kopf- und Schwanzende des Ganglion treffen.
Es wird zunächst darauf hingewiesen, dass die Wurzelfasern sich der Haupt¬
sache nach in rechten Winkeln, nur vereinzelt in spitzen und stumpfen Winkeln
gabeln. Die Gabelschenkel bilden je nach der Richtung, die sie einschlagen, einen
aufsteigenden und einen absteigenden Ast. Der Ramus ascendens beschreibt
häufig eine Curve und endigt in den Held’Bchen Bulbi, welche sich nur im mitt¬
leren und oberen Theile des Ganglion acusticum vorfinden. Man unterscheidet an
dem Ramus ascendenB lange Fasern, deren Bulbi gross, dick und arm an Aus¬
läufern sind, sowie kurze Fasern mit kleineren Bulbi, welche zur Bildung von
pericellulären Endbäumchen neigen. Ausserdem entsendet der Ramus ascendens
noch collaterale Fasern und zwar von seinem Anfangstheil die sogenannten Initial-
eollateralen, welche mit ihren freien Verästelungen um das Ganglion acusticum
einen Randplexus bilden, in dessen Maschen wahrscheinlich die Körnohenelemente
(s. später) liegen. Die Endcollateralen entspringen von einer Curve, die der
Ramus ascendens kurz vor seiner Endigung beschreibt. Sie verlaufen nach dem
oberen Theil des Ganglion und erzeugen ein reich verzweigtes Geflecht.
Die Rami descendentee zeichnen sich durch ihren Reichthum an eollateralen
Fasern aus, welche dichte, pericelluläre Geflechte bilden. Sie zeigen niemals die
Held’sehen Keulen und lassen sich nach ihrer Vertheilung in innere und äussere
Collaterale scheiden. Die enteren sind sehr zahlreich, von feinerer Structur und
finden sich im Schwanztheil des Ganglion, die letzteren sind dicker, spärlicher
und dringen in das Tub. acusticum, wo sie sich in Endbäumohen auflösen. Einige
der Rami descendentee gehen in den Schwanztheil des Ganglion, verlaufen nach
innen vom Tub. acust. und erstrecken sich bis zum hinteren Rande des Peduncul.
oerebelli inf., andere dringen in das untere Ende des Ganglion, wieder andere
beschreiben einen Bogen und endigen an der Peripherie des Ganglion.
Es folgen dann einige physiologische Bemerkungen über die Nervenendigungen.
Der Ramus ascendens, welcher für die centrale Acusticusbahn bestimmt ist, stellt
individuelle Verbindungen mit den oberen und mittleren Zellen des Ganglions
her, der Ramus descendens, welcher der reflectorischen Acusticusbahn angehört,
steht mit sehr zahlreichen Zellen sowohl des unteren Abschnitts und Schwanz-
theils, als auch des Tub. acusticum und der Oliven in Verbindung.
Was die zelligen Elemente des Ganglion anbetrifft, die Bich übrigens nach
der Golgi’sehen Methode weit besser darstellen lassen, als nach der NiBsl’schen,
so sind die Zellen der oberen zwei Drittel sphärisch oder bimförmig, theils mit
glatten, theils mit zackigen Rändern versehen. Letztere sehen rudimentären
Dendriten ähnlich. Viele dieser Zellen haben auch einen besonders starken Den¬
driten, der in einem dichten Büschel endigt. Die Zellen des unteren Drittels
sind dreieckig, spindel- oder sternförmig und besitzen glatte Ränder. Charakte¬
ristisch für diese Zellen sind die sehr langen und zahlreichen Protoplasmafortsätze,
welche in gefiederten Endbäumchen endigen. Zum Schluss werden noch die
Körachenelemente des Ganglion ventrale einer kurzen Betrachtung unterzogen.
Diese stellen nach des Verf.’s Ansicht mit Sicherheit rein nervöse Elemente, keine
Neuroglia dar, was schon daraus hervorgeht, dass sie sich nach der Ehrlich* -
schen Methode förhen, während die Neuroglia nicht gefärbt wird. An den
Methylenblaupräparaten sieht man, dasB sie zwei, drei und mehr Dendriten be¬
sitzen, welche sich verschiedentlich theilen. Da sich der Axencylinder nicht
färbt, lässt er sich auch nicht versetzen. In den Golgi-Präparaten färben sich
die Körnchen selten, doch gelang es einige Male, den Axencylinder zu färben.
Er erscheint zart, gebogen und verläuft in verschiedenen Richtungen, um viel¬
leicht zum Corp. trapez. zu gehen. Schnitzer (Stettin-Kückenmühle).
89 *
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Experimentelle Physiologie.
3) Ermüdung und Erholung, von Verworn. (Berliner klin. Wochenschrift.
1901. Nr. 5.)
Um die Ermüdungserscheinungen des Centralnervensystems im physiologischen
wie pathologischen Sinne zu studiren, hat Verf. folgende eigenartige Versuchs¬
anordnung getroffen. Das Versuchsthier — der Frosch — wird mit Strychnin
vergiftet. Das Strychnin macht die sensiblen Elemente der Hinterhörner so
empfindlich, dass der leiseste Beiz die maximalste Erregung in ihnen hervor¬
ruft und auf die motorischen Neurone der Vorderhörner fortpflanzt Dadurch ist
stets die Intensität der Erregung die gleiche. Die Ermüdung tritt sehr schnell
ein, der ganze Ablauf ihrer Entwickelung ist übersichtlich. Da das Strychnin
ausserhalb des Rückenmarks lähmend auf die motorischen Nervenendigungen im
Muskel ein wirkt, so könnte sich die Erregung der Rückenmarksneurone nicht
mehr auf den Muskel übertragen, und es würde somit der Index für den Ablauf
der Vorgänge in den Neuronen fehlen. Es muss deshalb die Extremität, deren
Gastrocnemius zur graphischen Verzeichnung der Bewegungen benutzt wird, durch
Unterbindung der Arterie der Giftwirkung entzogen werden.
Um die inneren Ursachen der Erregbarkeitsänderungen des Rückenmarks zu
ermitteln, ist es ferner erforderlich, die Bedingungen des Stoffwechsels in den
Neuronen willkürlich zu beherrschen. Verf. stellt zu diesem Zweck eine künst¬
liche Circulation im Blutgefasssystem her, die er nach Belieben unterbrechen und
in Thätigkeit setzen kann. Er verwendet statt Blut entgaste physiologische
Kochsalzlösung, um jeden Zusatz der durch den Stoffwechsel verloren gegangenen
vitalen Materie auszuschliessen.
Ist das Thier so präparirt, und lässt man die Circulation stagniren, so ruft
die leichteste Berührung der Haut maximale Dauercontraction im Gastrocnemius
hervor. Werden ständig dann neue Reize eingeführt, so wird der Reizerfolg
immer geringer; Anfangs vermögen Erholungspausen ihn wieder auf die frühere
Höhe zu heben; im Laufe des Versuches erlischt die Erregbarkeit jedoch voll¬
kommen, die Ermüdung ist total. Dieselbe ist hervorgerufen durch den Elin¬
fluss der Stoffwechselproducte, welohe bei der Thätigkeit der Neurone entstanden
sind und die lebendige Substanz vollständig lähmen. Werden diese Zersetzungs-
producte durch Einschaltung der Circulation wieder herausgespült, so kehrt die
erloschene Erregbarkeit zurück. Die Erholung hält jedoch nicht lange vor, bald
tritt von Neuem Lähmung ein, die durch keine Ausspülung mehr zu beseitigen
ist. Sie ist als die Folge eines Mangels an Ersatzmaterial zu betrachten, und
zwar handelt es sich um eine Erschöpfung des Sauerstoflvorraths der Neurone.
Wird statt der gasfreien Kochsalzlösung eine mit einem Sauerstoff geschüttelte
Kochsalzlösung durch die Gefässe gepumpt, so kehrt die Erregbarkeit sofort
zurück, ja die Erholung war eine vollkommene, aber nur für Stunden. Für die
dauernde Erhaltung der Erregbarkeit sind natürlich noch andere Stoffe nöthig
als 0. Verwendet man statt der ozonisirten Kochsalzlösung defibrinirtes Ochsen¬
blut, so sind die Frösche unbegrenzt lange erregbar zu halten. Aus diesem
Ablauf des Versuches ergiebt sich die Thatsache, dass die hei angestrengter
Thätigkeit der Neurone entstehende Unerregbarkeit aus zwei prinzipiell verschie¬
denen Ursachen entspringt, aus der lähmenden Wirkung der sich anhäufenden
Stoffwechselschlacken und aus dem Mangel an Ersatzstoffen für die Restitution
der lebendigen Substanz. Verf. hält es für zweckmässig, beide Momente auch
sprachlich scharf zu trennen und das erstere allein als Ermüdung im engeren
Sinne, das letztere als Erschöpfung zu bezeichnen. Dementsprechend kommt
die Erholung ebenfalls auf doppelte Weise zu Stande, einerseits durch Heraus¬
spülung der narkotisch wirkenden Stoffwechselproducte, andererseits durch Zufuhr
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von neuem Sauerstoff bezw. von organischem Material. Am Schluss des inter¬
essanten Vortrages, der der Leotüre empfohlen wird, zieht Verf. eine Parallele
zwischen den Erscheinungen, die der ermfldete Strychninfrosch darbietet, und der
Symptomenreihe, die ein hochgradiger Neurastheniker aufweist.
Bielschowsky (Breslau).
4) Ueber die Lage der für die Innervation der Handbewegungen be¬
stimmten Fasern in der Pyramidenbahn, von Professor Dr. Hoche in
Strassburg i/E. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVIIL)
Bei einer 54jährigen Frau konnte nach vorübergehenden Schwindelanfällen
eine isolirte Lähmung der linken Hand nebst Bindenkrämpfen im linken Vorder¬
armgebiet längere Zeit hindurch beobachtet werden. Eb wurde eine Neubildung
im Gebiete der rechten vorderen Centralwindung angenommen und deshalb tre-
panirt. Bei der Operation wurde an der gesuchten Stelle ein Spindelzellensarkom
entfernt, das von der Pia aus in das Gehirn gedrungen und dasselbe in mehr
als 1 1 / J cm Tiefe zerstört hatte. 12 Tage später erfolgte der Exitus.
Bei der anatomischen Untersuchung mit der Marchi-Methode zeigte es sich,
dass die functioneil so eng zusammengehörenden Fasern, wie die der Innervation
der Handbewegungen dienenden, vom Hirnschenkel abwärts in der Pyramidenbahn
an keiner Stelle eine gesonderte Lage einnebmen, sondern über das ganze Gebiet
der Pyramidenhahn zerstreut sind. Und zwar findet sich diese Erscheinung nicht
nur im Rückenmarke jenseits der Pyramidenkreuzung, sondern schon in den
höchsten Ebenen des Pons und auch im Hirnschenkelfuss.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
5) Beitrüge zur Gehirnphysiologie der Schildkröte, von A. Bickel. (Arch.
f. Anat. u. Physiol. 1901. Physiol. Abthlg. S. 52.)
Verf. hat an Emys europaea und Testudo graeca experimentirt. Er findet,
dass nach Abtragung des Vorderhims und ebenso nach Abtragung des Vorder-
und Zwischenhirns die spontanen Ortsbewegungen abnehmen, hingegen nach Ab¬
tragung des Mittelhirns wiederum eine Steigerung erfahren. Hinsichtlich der
Ausführung der Bewegungen an und für sich zeigt das vorderhirnlose Thier
keine nachweislichen Abweichungen von der Norm. Die zwischenhirnlose
Schildkröte zeigt eine ziemlich geringe Gleichgültigkeit gegen die Lage ihrer
Glieder im Raume und fängt meist später alB das grosshirnlose Thier zu schwimmen
an, wenn sie ins Wasser geworfen wird. Die mittelhirnlose Schildkröte zeigt
gesteigerten Bewegungsdrang und eine eigenartige Ataxie. Die normale Reihen¬
folge der Extremitätenbewegungen beim Kriechen und Schwimmen bleibt auch
nach Verlust des Mittelhirns erhalten. Nach Durchschneidungen an der Grenze
von Oblongata und Rückenmark beobachtet man nur noch vereinzelte spontane
Bewegungen. Spontane Locomotion kommt überhaupt nicht mehr vor. Die
Locomotion, welche auf beginnende, intensive elektrische Reizung des Hinterkörpers
manchmal noch eintritt, ist bei Erhaltung der normalen Reihenfolge der Glieder¬
bewegungen im höchsten Grade ataktisch. — Zwangsbewegungen treten nur nach
Verletzungen des Mittel-, Hinter- oder Nachhirns auf. — Elektrische Reizung der
Rinde löst keine Bewegungen aus. Auch Rindenepilepsie wurde niemals beob¬
achtet. Th. Ziehen.
0) lieber die Bedeutung der oentrifogalen Fasern in den oentripetalen
Sinnesbahnen, von Radziwittowicz. (Nowing lekarskie. Nr. 17—18.
[Polnisch.])
Verf. bespricht die centrifugalen Fasern, welche man in den sensorischen
(Gesicht, Geruch) und den sensiblen Bahnen festgestellt hat (Ramon, van Ge-
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huchten, Lenhoss6k). Verf. meint nun, dass die Bedeutung dieser Fasern
darin liegt, dass die Hirnrinde vermittelst dieser Fasern die Empfindlichkeit der
peripherischen Receptionsorgane der Sinne beeinflussen kann. Die gesteigerte
Thätigkeit der Hirnrinde kann die Empfindlichkeit der peripherischen Sinnes¬
organe vergrössern, die verminderte Thätigkeit kann diese Empfindlichkeit ver¬
ringern. Diese Thatsache leuchtet aus dem Einfluss, welchen die Aufmerksamkeit
auf die Receptionsfähigkeit der Sinnesorgane ausübt, hervor. In der Psychiatrie
spielen diese Fasern insofern eine Rolle, als die verminderte Thätigkeit der Hirn¬
rinde vermittelst der centrifugalen Fasern die Empfindlichkeit z. B. der Retina
vermindert und dadurch die Stellung des Individuums zur Aussenwelt in patho¬
logischem Sinne beeinflusst (Entstehung von Hallucinationen und Illusionen).
Edward Flatau (Warschau).
Pathologische Anatomie.
7) Zur Kenntniss der postmortalen Cysten- recte Blasenbildung im Gehirn,
von Friedrich von Reusz. (Pester med.-chir. Presse. XXXVII. Nr. 10.)
Verf. schildert eine eigenthümliche postmortale Erscheinung an dem Gehirn
eines Paralytikers, welches, in toto, in einer 10°/ 0 Formollösung conservirt nnd
nach etwa l 1 / 2 Monaten zerlegt wurde. Hierbei fand sich, dass die ganze Gehirn-
masse von ziemlich gleichmässig vertheilten, sphärischen Suhstanzlücken durchsetzt
war, die der Hauptsache nach in der Richtung des Faserverlaufes und der Gefasse
angeordnet waren. Verf. erklärt diese postmortalen Bildungen für Blasen, deren
Wandungen durch die Hirnsubstanz dargestellt werden. Diese Blasen verdanken
ihre Entstehung der Wirksamkeit von gasbildenden Bacillen, die sich an und in
den Gefässen, sowie an den Blasenwänden massenhaft vorfanden und die sich mit
Methylenblau färbten. Verf. zieht aus seinem Befunde folgende Schlüsse:
Die Blasenbildung in conservirten Gehirnen ist ein postmortaler Process,
hervorgerufen durch die Wirkung gasbildender Bakterien. Der Process hängt
in keiner Weise mit irgend welchen pathologischen Vorgängen intra vitam zu¬
sammen, vielmehr scheinen die Bakterien überall da ihre Wirkung zu entfalten,
wo die Härtungsflüssigkeit nicht genügend tief in die Substanz eingedrungen ist
Für die Thatsache, dass es in manchen Fällen zur Blasenbildung kommt,
in anderen wieder nicht, will Verf. keine Erklärung abgeben. Er führt aus,
dass man in den betreffenden Fällen an eine zufällige Anwesenheit solcher gas¬
bildenden Bakterien im Gehirne denken könnte.
H. Schnitzer (Kückenmühle-Stettin).
Pathologie des Nervensystems.
8) Klinische und pathologisch-anatomische Beiträge zur Diagnose und
Therapie der Gehlmgeechwülste, von Dr. G. Mingazzini in Rom.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XIX.)
Von den 8 mitgetheilten Krankengeschichten behandelt die erste einen Fall
von Echinococcus des linken Hinterhauptlappens. Die Symptome in vivo sprachen
mehr für einen Kleinhirntumor. Subjective Hemianopsie fehlte, die Gesichtsfeld-
aufnahme war durch gehäufte apoplektiforme Anfälle unmöglich. Es fanden sich
ferner neben Schwindelanfallen und Schwäche der Patellarrefiexe vor Allem früh¬
zeitige, beiderseitige, ausgeprägte Stauungspapille, ausserordentlich heftige, anfäng¬
lich periodisch wiederkehrende Kopfschmerzen, linksseitiges Ohrensausen. Hervor¬
zuheben ist der beinahe plötzliche Tod des Patienten; kurz vorher war die
Lumbalpunction gemacht worden. Verf. bespricht im Anschluss daran die Gefahr
dieses Eingriffes bei Gehirntumoren, besonders bei Geschwülsten des Hinterhaupt-
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lappens, Kleinhirns und verlängerten Markes. In einem zweiten Falle ergab die
Section einen Solitärtuberkel des Vorderhornes des rechten Seitenventrikels und
des rechten Corpus Striatum, während klinisch keine Anhaltspunkte für einen
Hirntumor vorhanden waren, das Krankheitsbild vielmehr der cerebralen Kinder¬
lähmung entsprach. So fehlten u. A. Stauungspapille, Schwindel, Kopfschmerzen,
die allmähliche Zunahme der Symptome. Es handelte sich im Wesentlichen um
eine linksseitige, spastische Hemiparese unter Mitbetheiligung deB rechten Beines,
um epileptiforme Anfälle vom Typus der genuinen Epilepsie, die vom 4. Lebens¬
jahre an sioh 30 Jahre lang abspielten, um eine deutliche Herabsetzung des
Intellects. In der Jugend war ausserdem eine rechtsseitige, eitrige Mittelohr¬
entzündung und eine Panophthalmie des rechten Auges spontan aufgetreten. Ein
3. Fall zeigte bei einer 78jährigen Frau Combination von im Leben diagnosti-
cirter cerebraler Arteriosklerose und Nierenschrumpfung mit einem Sarkom des
medialen und vorderen Theiles der präfrontalen Lappen. Der Hirntumor war
der Diagnose entgangen; der ophthalmoskopische Befund fehlte. Die Symptome
bestanden in epileptischen Anfällen und ausgesprochener Demenz; Kopfschmerzen
und Erbrechen traten in den Hintergrund. Eine Veränderung des Charakters
war nicht besonders ausgesprochen.
Der nun folgende 4. Fall stellt eine Art Uebergang von der Pseudosklerose
zur diffusen Hirnsklerose dar. Es fanden sich nur geringe mikroskopische Ver¬
änderungen der Hirnrinde (partieller Schwund der Granglienzellen, Gliawucherung),
andererseits auch Degeneration der Pyramidenseitenstrangbahnen (secundäre De¬
generation), des Seitenstrangbündels und des Gowers’schen Bündels. Im Leben
zeigte die 30jährige Pat. Symptome, welche theils der Pseudosklerose, theils
der diffusen Sklerose entsprachen, resp. beiden Krankheiten gemeinsam sind. So
fanden sich epileptisohe Anfälle, starke Demenz, Hemianästhesie und vollständige
linksseitige schlaffe Hemiplegie mit Betheiligung des oberen Facialis und des
Kectus extemus, Koth- und Harnverlust, skandirende Sprache, Dysphagie, Zwangs¬
lachen und Weinkrämpfe, Intentionstremor, Eruption von Akne und Comedonen,
vor Allem aber als nicht unter die Symptome der typischen PBeudosklerose fallend:
beiderseitige OpticuBatrophie mit Amaurose. Der Fall wurde hier mit angeführt,
weil er dem Verf. Gelegenheit gab, die Differentialdiagnose von Tumor cerebri,
wie auch von multipler Sklerose und Dementia paralytica zu besprechen.
Ein weiterer Fall von Tumor des linken Stirnlappens zeichnete sich vor
Allem dadurch aus, dass motorische Aphasie fehlte, obwohl die Pars opercularis
in Mitleidenschaft gezogen war. Nur einiges Stolpern beim Anfängen der Worte wurde
bemerkt. Der Verf. bespricht nun die verschiedenen Ansichten der Autoren über
dieses vicariirende Eintreten der rechten Himhemisphäre und hält selbst das
Postulat aufrecht, „dass die Sprachfunction, welche in den ersten Lebensjahren
beiden Broca’sehen Windungen gemeinsam ist, nach und nach dem rechten
Gehirn entzogen wird, um sich in der linken Hirnhälfte zu concentriren, so dass
die rechte Pars opercularis nach und nach ihre functionelle Verbindung (nicht
die anatomische) mit dem linken Wortklangcentrum verliert und nur in functio-
neller Synergie mit der linken Broca’schen Windung bleibt und so auf das
Niveau des anatomischen Sprachoentrums herabgedrückt wird“. Die allmähliche
Ausschaltung des linken Centrums ist die Vorbedingung für das Wiederfunctio-
niren jener Associationsneurone. Im Hinblick auf diese Hypothese bespricht Verf.
eine Reihe von Phänomenen der motorischen Aphasie, wie sie in der Casuistik
niedergelegt sind, und giebt ein Schema der motorischen Sprachfunction, das eine
Modification des von Pitres aufgestellten Schemas enthält. Bezüglich des Ver¬
haltens der Pupillen bei Stimlappentumoren kommt Verf. zu dem Schlüsse, dass
die Pupillen auf beiden Seiten zugleich oder einseitig, und zwar sowohl rechts
als links, verengt sein können.
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616
Der Inhalt der 6. Krankengeschichte ist im Wesentlichen folgender: Der
61jährige Patient zog sich, ohne vorher irgend welche Symptome von Gehirn*
geschwnlst gezeigt zu haben, in Folge Ausgleitens von der Treppe eine Verletzung
in der rechten Scheitelgegend zu. Nach Verlauf von 2 Monaten entwickelte sich
das typische Bild der Jackson’schen Epilepsie. Die objective Untersuchung
ergab ferner linksseitige Hemiparese und Hemiparästheeie, eine fühlbare und auf
Percussion schmerzhafte Einsenkung im rechten Scheitelbein, sowie das Fehlen
sämmtlicher Allgemeinsymptome eines Tumor cerebri; nur der Patellarreflex war
links schwächer als rechts. Eine Trepanation wurde ohne Ergebniss ausgefuhrt.
Bei der Section fand sich ein Tumor der rechten Insel und des Corpus Striatum.
Verf. verbreitet sich im Anschluss daran ausführlich über die Schwierigkeit, ein
bestimmtes Urtheil über die Art des causalen Zusammenhanges von Trauma und
Tumor abzugeben.
In den beiden folgenden |Fällen handelte es sich um Tumoren der moto¬
rischen Zone, im 7. Falle um den unteren Theil der Präcentralwindung und im
8. um den oberen Abschnitt der Centralwindungen. Beide Fälle wurden mit
gutem Erfolge operirt. In dem einen war die Radiographie, aber ohne Erfolg,
gemacht worden. Trotzdem räth Verf., in Fällen von Hirntumoren auf dieses
Hülfsmittel nicht zu verzichten. Die Percussion des Schädels ergab in beiden
Fällen Schmerzhaftigkeit und Dumpfheit des Tones an der Stelle der Geschwulst.
Beide Beobachtungen geben dem Verf. Anlass, sich über die Sensibilitätsstörungen
bei Geschwülsten der Centralwindungen eingehend zu verbreiten. Für Beides,
für das Vorkommen wie für das Fehlen von solchen Störungen, erbringen diese
. Beobachtungen Beispiele, da im Falle 7 eine ausgeprägte, sensitive Epilepsie
vorhanden war, während sich im 8. Falle so gut wie keine Sensibilitätsstörungen
fanden. Vor Allem zeigte sich aber im 7. Falle eine deutliche Beeinträchtigung
des stereognostischen sowie deB Druck* und Lagesinnee der rechten Hand. Die
verschiedenen Ansichten über das Wesen dieser Störung (Flechsig, Wer*
nicke) werden kritisch beleuchtet und jener Meinung der Vorzug gegeben,
welche den stereognostischen Sinn nicht als eine einfache Function der Tast¬
empfindung hinstellt, sondern für ihn ein besonderes appercipirendee Centrum in
Anspruch nimmt. E. Asch (Frankfurt a/M.).
0) Glioma of braln, by Bramwell. (Brit. med. Journ. 22. December 1900.
S. 1783.)
Verf. demonstrirte in der Edinburger medicin.-chirurg. Gesellschaft ein Gliom
der rechten motorischen Region. — Die Geschwulst stammte von einem 24jähr.
Matrosen, hei dem wegen linksseitiger Jackson’scher Epilepsie die Diagnose
ein es Glioms gestellt war. — Bei der seiner Zeit vorgenommenen Trepanation
fand man keinen Tumor. — Pat. behielt die Anfälle und wurde s / 4 Jahr nach
der Operation wieder ins Krankenhaus aufgenommen. Pat. klagte erst seit einem
Monat über Kopfschmerzen und Erbrechen; auch jetzt erst bestand beiderseits
Neuritis optica. Der Tod erfolgte in einem Krampfanfall einige Tage nach der
Aufnahme; bei der Section fand sich der vorgezeigte Tumor.
Verf. bespricht noch einen ähnlichen Fall (54jähr. Mann), bei dem ebenfalls
keine Kopfschmerzen, Erbrechen oder Neuritis optica vor der Trepanation be¬
standen hatten, und bei dem das Gliom auch erst später bei der Section unmittelbar
unterhalb der durch die Operation freigelegten Gehirnoberfläche gefunden wurde.
Interessant ist, dass, obwohl die durch die Trepanation freigelegte Gehirn¬
oberfläche normal aussah, man in beiden Fällen durch faradische Reizung der
Gehirnrinde keine Muskelcontraction hervorrufen konnte.
E. Lehmann (Oeynhausen).
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10) Report an & subdural blood oy«t, by W. Barratt. (Brain. Autumn.
1900.)
Bei einem 57jähr. Manne, der an Dementia und einer langsam entstandenen
Parese mit Rigidität der linken Seite litt, bei dem nach dem Sectionsbefunde
auch Neuritis optica bestanden haben musste, aber weder Kopfschmerz, noch Er*
brechen beobachtet war, fand sich nach dem Tode ausser Atrophie des Gehirns
ein umschriebenes Hämatom der Dura über dem rechten Scheitel. Die rechte
Hemisphäre war abgeplattet, im Rückenmark war die linke Seitenstrangpyramide
degenerirt. Diese Degeneration und die linksseitige Lähmung war wohl auf das
Hämatom zurückzuführen. L. BrunB.
11) ▲ oontribation to the study of iron Infiltration in tbe ganglion oells,
by J. McCarthy. (Contribution from the William Pepper Laboratory of
Clinical Medicine. Philadelphia 1900.)
Bei einer 63jähr. Kranken, die an einer alten linksseitigen Hemiplegie litt
und plötzlich unter epileptiformen Anfallen, die vorwiegend die linke Seite be¬
trafen, in wenigen Stunden zu Grunde ging, fand sich bei der Autopsie ein
Endotheliom der Dura über dem rechten Stirnlappen nach hinten bis zur moto¬
rischen Region reichend. Bei der Untersuchung des Gehirns fand Verf. in der
Nachbarschaft des Tumors erhebliche Verdickung der Gefässwände, besonders der
Media. Die Ganglienzellen der von diesen Gefässen versorgten Rindenpartieen
zeigten die Veränderungen, die als Eiseninfiltration zuerst von Weber (Monats¬
schrift £ Psych. u. Neurol. 1898) beschrieben worden sind. Ueber die Methoden
der mikrochemischen Identification dieser Erscheinung ist Näheres im Original
nachzulesen. Verf. betrachtet die Erscheinung als den Ausdruck eines veränderten
Chemismus der Zellen, der durch die Erkrankung des dazugehörigen Gefässapparates
bedingt ist. Martin Bloch (Berlin).
12) A oase of oyst of the brain: sudden death, by W. Mitchell Stevens.
(Brit. med. Journ. 19. Januar 1900. S. 147.)
Mittheilung eines Falles von Acephalocystensack im Gehirn bei einem 18jähr.
Mädchen. Letzteres hatte seit 6 Monaten an Krankheitssymptomen gelitten, welche
auf Gehirntumor deuteten, und war plötzlich gestorben, als es in der Poliklinik
wartete, um wegen Abnahme der Sehkraft ärztlichen Rath zu holen. Bei der
Autopsie fand man in der weissen Substanz der linken Grosshirnhemisphäre eine
ovale, dünnwandige Cyste (3 8 / 4 ’ 2 engl. Zoll). Der Inhalt bestand aus heller
farbloser Flüssigkeit ohne sonstige Bestandteile und zeigte die charakteristischen
Eigenschaften von Echinococcusflüssigkeit. — Die Gehirnsubstanz um die Cyste
herum war anämisch, nicht verhärtet; die Gehirnventrikel normal.
An amnestisch war nachträglich festzustellen, dass Patientin an heftigen Kopf¬
schmerzen, blitzartigen Schmerzen der rechten Körperhälfte, Ohnmacht und
Schwindelgefiihl gelitten. — Später traten Convulsionen in den Extremitäten, Ab¬
nahme der Sehkraft auf dem linken Auge und völliges Erblinden desselben hinzu,
während das rechte Auge erst 2 Monate vor dem Tode afficirt wurde.
Der plötzliche Tod ist vielleicht dadurch zu erklären, dass die Patientin,
welche mehrere Wochen zu Bett gelegen, an dem Todestage eine längere Reise
hatte machen müssen, wodurch eine Veränderung des Druckes der Cyste auf die
benachbarten Blutgefässe bewirkt wurde.
Verf. betont die Seltenheit von Hydatidencysten im Gehirn (auf 100 im
Guy’s Hospital beobachtete Gehirntumoren nur ein Mal eine solche Cyste), welch
letztere meist bei Patienten zwisohen 15 und 25 Jahren beobachtet wurden.
E. Lehmann (Oeynhausen).
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13) Beitrag zur Symptomatologie der Geschwülste des Mittelhirni and
der Brüokenhaabe, von Dr. M. van Oordt in St. Blasien. (Deutache
Zeitschr. £ Nervenheilk. XVLU. 1900.)
Bei einem 8 1 /,jähr. Kinde besteht seit 6 Wochen leichte Schwäohe in der
Musculatur der linken Gesichtshälfte, beiderseitige Ptosis, unsicherer, schwankender
Gang, Unsicherheit der linken Hand und langsame, eintönige Sprache. Eine
Störung der Intelligenz wurde nicht bemerkt Bei der Untersuchung ergiebt sich
Folgendes: Rechtsseitiger Stirnschmerz, Störung des Gleichgewichts, Schwanken
hauptsächlich nach links, Bradyphasie, Ataxie, Steigerung der Sehnenreflexe,
Pupillendifferenz, Nystagmus nach oben, beiderseitige Ptosis, Parese des rechten
H. rectus sup. und ext., des rechten und linken M. rectus int, des rechten
M. rectus in£, linksseitige Faoialisparese vornehmlich der unteren Aeste, Hypalgeeie
im linken Trigeminus, Abweichen der Zungenspitze nach rechts, Ataxie, Intentions-
tremor und athetoide Bewegungen in den oberen und unteren Extremitäten be¬
sonders links, linksseitigen Fussklonus und ausserdem progressive Glykosurie. Bei
der Section fand sich an der Grenze der linken Kleinhimhemisphäre eine haselnuss¬
grosse Geschwulst, die der Brücke leicht aufliegt und die linke Trigeminuswurzel
theilweise einschliesst Die anatomische Untersuchung ergab, dass der Tumor in
der rechten Haube zwischen den Obersteiner’schen Frontalebenen r—k lag und
sich etwa von der Mitte des vorderen Vierhügels bis zur Höhe des Facialiskerns
erstreckte. Hierdurch sind vollkommen zerstört: die rechte centrale Haubenbahn,
das rechte hintere Längsbündel, das ganze rechte Haubenfeld, der rechte laterale
Schleifenkem, der rechte hintere Vierhügel; ausserdem sind hochgradig lädirt: ein
grosser Theil des rechten vorderen Vierhügels, der rechten medialen und lateralep
Schleife, ein grosser Theil des Oculomotoriuskerns, ein kleinerer Theil des rechten
Trigeminuskerns und der Substantia gelatinosa der Trochleariskreuzung, ausserdem
in geringerem Maasse der rechte Deiters’sche Kern. Der linke hintere Vier¬
hügel ist theilweise zerstört und die linke Haube mehr oder weniger oomprimirt
Secundär degenerirt sind die rechte centrale Haubenbahn peripherwärts, der rechte
Bindearm in centraler Richtung und die rechte mediale Sohleife für eine kurze
Strecke. Die Pyramidenbahnen zeigten sich normal.
Von Wichtigkeit für die Diagnose war in diesem Falle das Vorhandensein
der Glykosurie; und diese Beobachtung erbringt einen neuen Beweis, dass bei An¬
wesenheit von Zucker und bei Rücksichtnahme auf die vorhandenen Local¬
erscheinungen der Sitz des Tumors am 4. Ventrikel oder in dessen nächster Um¬
gebung zu suchen ist. E. Asch (Frankfurt a/M.).
14) Hydrooöphalie et tumeur congenitale de la glande pinöale ohe* un
nouveau-nö, par Dr. Joukovski. (Revue mensuelle des maladieB de l’en-
fance. XIX. Mai 1901.)
Geschwülste der Zirbeldrüse, die auch bei Erwachsenen recht selten sind,
gehören im Kindeealter zu den äussersten Raritäten. Der vorliegende Fall ver¬
dient um so eher Beachtung, als in demselben der Tumor ein angeborener ge¬
wesen. Das Band kam rechtzeitig zur Welt, machte einen kurzdauernden asphyk-
tischen Zustand durch. Der Schädel war äusserlich normal, die Nähte offen, aber
nicht weit klaffend. Hingegen waren die Pupillen ungleich gross, starr, es bestand
geringer Strabismus convergens, beiderseitige Ptosis. Die Extremitäten waren
auffallend rigid, wurden wenig bewegt, ausgesprochene Lähmungen waren jedoch
nicht vorhanden. Das Kind schrie nicht, nahm nioht die Brust, lag Stunden lang
in einem lethargischen Zustand dahin; die Temperatur sank bis auf 30,2 0 (Rectum).
Am 6. Tage erfogte der Tod.
Die Autopsie deckte hochgradige Gehirnveränderungen auf. Die Grosshirn¬
hemisphären fehlten vollständig und waren durch wasserhaltige Blasen ersetzt, an
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619
Stelle der Zirbeldrüse zeigte sieh ein etwa mandelgrosser, cystischer Tumor. Der
Hirnstamm, die Oblongata, das Kleinhirn, sowie die Hirnnerven waren — bis auf
den atrophischen Opticus — normal. Die mikroskopische Untersuchung der Ge¬
schwulst ergab eine Hyperplasie der gewöhnlichen Drüsenbestandtheile.
Verf. widmet der Symptomatologie, namentlich aber der Pathologie des vor¬
liegenden Falles eine eingehende Besprechung. Von den Eirankheitszeichen seien
vornehmlich die Augenstörnngen auf die Geschwulst zurückzuführen; die anderen
Erscheinungen entsprechen vermuthlich dem Hydrocephalus. Bei der Entstehung
des letzteren dürften im vorliegenden Falle mechanische, keine entzündlichen
Momente eine Rolle gespielt haben. Der Tumor bewirkte eine Compression der
Vena Galeni, die verkümmerte, und bedingte dadurch eine Störung in der Absorption
der normalerweise secernirten Ventrikelflüssigkeit. Zu dieser Druckatrophie der
Gehirnsubstanz kam noch eine Wachsthumsatrophie hinzu, da die Gefässversorgug
gestört war.
Den Schluss der Arbeit bilden einige physiologische Betrachtungen, die durch
die mehrtägige Beobachtung des Kindes möglioh waren. Zapp er t (Wien).
15) Sur un oas de tumeur da pödonoule cerebral droit, par Pitres.
(Journal de medecine de Bordeaux. 1901. Nr. 2.)
Klinische Vorlesung über einen Fall von Tumor des rechten Hirnschenkels
bei einer 35jähr. Frau, die früher gesund, niemals syphilitisch inficirt war und
zwei Hai geboren hatte. Ende 1898, nach einer Misshandlung durch ihren Mann,
heftige Kopfschmerzen, die anfangs intermittirend auftraten, im Laufe des folgenden
Jahres andauernd vorhanden waren. Einige Wochen vor der Aufnahme Abnahme
der Sehkraft, Schwäche der linken Gesichtshälfte und des linken Armes. Die
Untersuchung (17. März 1900) ergab doppelseitige Stauungspapille, Mydriasis
rechts, Lähmung des rechten M. rectus superior, Parese des linken unteren Facialis
und des linken Armes. Die Diagnose „Tumor des rechten Hirnschenkels“ wurde
durch die Autopsie der am 26. April plötzlich komatÖB gewordenen und am
nächsten Tage verstorbenen Patientin bestätigt. Es fand sich ein kleinapfelgrosses
Gliom an der Austrittsstelle des rechten Hirnschenkels von weicher Consistenz,
das sich bis in die Sehstrahlung und nach aussen bis in die Spitze des Schläfen¬
lappens fortsetzte. Die Consistenz der gesammten rechten Hemisphäre war weicher
als die der linken; keine Blutungen, keine Zeichen von Meningitis. Mitergriffen
waren der rechte Tractus opticus und die rechte Hälfte des Chiasma, der rechte
Oculomotorius lag an der unteren, inneren Fläche des Tumors und war abgeplattet,
schien aber makroskopisch nicht degenerirt. Martin Bloch (Berlin).
16) A oase of glioma of the pons: haemorrhage and death, by William
H. Thompson. (Brit. med. Journ. 9. Februar 1901. S. 342.)
Ein von gesunden Eltern abstammendes 8jähr. Mädchen, welches, abgesehen
von Hornhautgeschwüren auf beiden Augen, keinerlei Krankheitserscheinungen
zeigte, wurde plötzlich von so heftigen Kopfschmerzen befallen, dass es zur Auf¬
nahme ins Bradforder Krankenhaus geschickt wurde. — Bei der Aufrahme fand
man: Temperaturerhöhung, langsamer Puls (60), Pupillen etwas weit, gleich,
reagirend; Kniereflexe gesteigert, kein Fussklonus, keinerlei Störung der Sensi¬
bilität oder Motilität Demnächst Erbrechen. — 4 Tage nach der Aufrahme trat
wesentliche Besserung ein, der jedoch eine plötzliche Verschlimmerung folgte:
heftigster Kopfschmerz, Steifigkeit der linken Extremitäten, Bewusstlosigkeit, Tod.
Die Section ergab am hinteren Theil des Pons, mehr in der rechten Hälfte
gelegen, ein wallnussgrosses Gliom; innerhalb desselben Hämorrhagieen. — Auch
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in den umliegenden Geweben kleine Blutungen. Im 4. Ventrikel Blut — Neuritis
optica, die wegen der Cornealgeschwüre früher nicht zu constatiren war.
Die so acut auftretenden Krankheitserscheinungen sind nach Ansicht dee
Verf.’s auf die stattgehabten Blutungen zurückzuführen. Auch die plötzliche
Verschlimmerung nach der Besserung des Kindes beruht auf erneuten Hämor-
rhagieen. — Verf. stellt als möglich hin, dass die Hornhautgeschwüre im Zusammen¬
hang mit dem Gliom stehen und dann als trophische anzusehen seien.
E. Lehmann (Oeynhausen).
17) Balle dana le oorpa oalleux. Etat de mal öplleptique et hömiplögto
tardive. Trepanation. Guöriaon, par Chipault (Travaux de neurolog.
Chirurgie. 1900. Nr. 1.)
Verf. berichtet über einen russischen Ingenier, weloher sich zwei Revolver-
kugeln in den Mund geschossen hatte. Zwei aufgenommene Radiogramme zeigten,
dass die eine Kugel im Keilbeinkörper, die andere oberhalb deB Corpus callosum
auf halbem Wege zwischen Nasenwurzeln und Protuberantia occipitalis externa
sass. Nach anfänglich sehr geringen Symptomen hatte der Pat. plötzlich .am
66. Tage nach der Verletzung einen epileptischen Anfall nebst Temperatur¬
erhöhung bekommen. 3 Tage darauf wurde ihm von Prof. Bäcker in London
unter allen Cautelen die Kugel oberhalb des Corpus callosum nach temporarer
Resection des Knochens entfernt. Anfänglich complete Lähmung der linken Seite
mit Ausnahme des Gesichts nach dem Eingriff, am 31. Tage kann Pat. wieder
gehen, die Besserung hielt in den nächsten Monaten an. Plötzlich nach 6 Monaten
wird Patient von ausserordentlich heftigen epileptischen Anfällen heimgesucht,
deren Anzahl sich von 60 auf 100 steigerte. Beim Eintritt in die K l ini k des
Verf.’s fast vollkommene Lähmung, stark herabgesetzte Sensibilität an den Extre¬
mitäten; erhöhte Temperatur, Anfälle fast alle 20 Minuten und starke Somnolenz
in der Zwischenzeit, Erbrechen, alles in allem ein höohst bedenklicher Zustand.
Nachdem Verf. sich bei Bark er telegraphisch informirt hatte, stellte er die
Diagnose auf Adhäsionsbildung in der OperationBnarbe oder auf Meningitis, er-
Öfihete darauf den Schädel an der alten Stelle und durchtrennte nach Freilegung
des Gehirns mit grosser Mühe die bestehenden Adhäsionen. In kürzester Zeit
erholte sich der Kranke, die Lähmung besserte sich zusehends, 21 Stunden nach
dem Eingriff hatte er keinen einzigen Anfall mehr. Am 17. Tage, wo Verf. den
Kranken vorstellte, war von dem geeammten Krankheitsbild nur noch etwas
Schwäche der unteren Extremitäten übrig, indessen konnte der Kranke ohne Hülfe
gehen. Der Erfolg des Eingriffes bestätigte die Diagnose vollkommen und erwies
sich älB ausserordentlich wirksam. Verf. vertritt, wie Kocher, den Stand¬
punkt, dass bei Trepanationen wegen Epilepsie die Reimplantation des Knochen¬
lappens die Entstehung des Recidivs begünstigt und empfiehlt daher, auf knöchernen
Verschluss der Wunde zu verzichten. Adler (Berlin).
18) ▲ report of seven Operation« for brain tumors and oysta, by Herrn.
H. Hoppe, M. D. (Journal of the American Med. Association. Februar. 1901.)
Die 7 Fälle von operirten Hirntumoren, deren ausführliche Krankengeschichten
gegeben werden, sind in Kürze folgende:
I. 32jähriger Mann; Jackson'sehe Epilepsie (linker Arm und Bein) seit
3 Jahren, öfters in allgemeine Convulsionen übergehend. Kopfschmerz, Schwindel.
Augenhintergrund rechts normal, links mit Zeichen beginnender Stauung. Ope¬
ration ergiebt hühnereigrossen, leicht ausschälbaren Tumor über dem rechten
Arm- und Beincentrum. Abgangsort wahrscheinlich Pia (Angabe über anatomische
Natur des Tumors fehlt). Glatte Heilung. 7 Jahre post operat. ist Pat. noch
am Leben, hat zeitweise epileptische Insulte und ist hemiparetisch.
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II. 18 jähriger Mann. Im Anschluss an Trauma capitis Kopfschmerz,
Schwindel und Erbreohen, sowie Hemianopsie. Später völlige Erblindung. Am
linken Hinterhaupt Auftreten einer elastischen wallnussgrossen Geschwulst, die
sich — unter Steigerung der Drucksymptome — in die Schädelhöhle eindrücken
lässt Stauungspapille mit beginnendem Uebergang in Atrophie. Operation
(’ 1 / 2 Jahr nach dem Trauma) ergiebt ein nussgrosses Gliom in einer 3:2 Zoll
grossen, mit Flüssigkeit gefällten Höhle über dem linken Occipitallappen. Glatte
Heilung, Wiederherstellung des Sehvermögens bis zur Arbeitsfähigkeit. Pat. ist
7 Jahre post operat. noch am Leben.
LH. 22jähriger Mann. Mit 7 Jahren Trauma capitis, seither epileptische
Anfalle, in letzter Zeit gehäuft und mit Verwirrtheitszuständen verbunden. Augen-
hintergrund normal. Trepanation ergiebt eine Art von venösem Sinus in der
Diploe über dem rechten Beincentrum, Usurirung der Lamina interna und herniöse
Vorwölbung des Gehirns durch ein Loch der Dura. Glatte Heilung. Nahezu
1 / 8 Jahr keine Anfälle mehr, darauf Wiederkehr derselben und Tod während
eines Anfalls, l 1 /, Jahre post operat.
IV. 10jähriger Junge. Allmählich zunehmende linksseitige spastische Hemi¬
parese. Apathie; Stauungspapille. Trepanation über dem rechten Armcentrum
ergiebt normalen Befund, ebenso Incision in die Rinde. Tod kurz nach der
Operation. Autopsie ergiebt subcorticalen Solitärtuberkel von Hühnereigrösse.
V. 46jähriger Mann. Trauma capitis (DepreBsionsfractur über der linken
Temporalregion). Sensorische Aphasie, allmählich zunehmende Kopfschmerzen und
Intelligenzabnahme. Augenhintergrund normal. Operation, 5 Monate nach dem
Trauma, ergiebt unter der Spitze der Depression eine kleinwallnussgrosse Cyste.
Rasche Besserung des psychischen Zustandes, langsames Zurüokgehen ' der Aphasie.
Pat. ist 4 Jahre post operat. noch am Leben.
VI. 32jähriger Mann. Seit 7 Jahren Rindenanfälle und nachfolgende
Schwäche in der linken Körperhälfte, Kopfweh, Schwindel, Apathie. Langsame
Verschlimmerung. 1898 ergiebt die Untersuchung Lähmung der linken Seite,
spastische Erscheinungen in beiden Beinen, Stauungspapille. Operation negativ,
bald darauf Tod. Autopsie ergiebt ein GlioBarcom im rechten Parietallappen.
VII. 23jähriger Mann. Seit 1 Jahr epileptisch, stürzt in einem Anfall
eine Treppe herunter auf den Hinterkopf. Wird komatös aufgenommen, zeigt
spastische Lähmung der linken Seite lind allgemeine Convulsionen. Operation auf
Annahme eines subduralen Hämatoms hin. Ein solches findet sich auch. 2 Tage
post operat. Exitus, Autopsie ergiebt multiple Hämorrhagieen und hämorrhagische
Cysten in beiden Hemisphären.
Verf. ist ein überzeugter Anhänger der operativen Behandlung der Hirn¬
tumoren und warnt davor, sich durch ungünstige Resultate zu früh entmuthigen
zu lassen, indem er als Analogie die operative Carcinombehandlung anführt. Am
Schlüsse seiner Veröffentlichung giebt er einen kurzen Ueberblick über die Indi-
cationen. Entgegen der Ansicht Oppenheim’s glaubt Verf, dass auch Gummata
unter Umständen operativ anzugreifen seien. Max Neumann (Karlsruhe).
10) Aoate internal hydrooephalus, by Ch. W. Burr and D. J. Mc. Carthy.
(Journal of Exper. Medic. October 1900.)
Mann von 33 Jahren, der acut mit Fieber, Bradykardie, Nackenmuskelstarre,
Kopfschmerzen, Stupor und Hallucinationen erkrankte. Nach 3 Wochen, während
welchen die Symptome schwankten, Besserung, doch blieben psychische Veränderun¬
gen zurück, die an Paralysis progressiva erinnerten. Nach 1 Monat Rückkehr des
Fiebers und der meningitischen Symptome, dann eine nochmalige kurze Inter¬
mission und in einem zweiten Rückfall Tod. — Die Papillen waren normal
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622
geblieben. Die Anfangs fehlenden Kniereflexe kehrten einige Zeit vor dem Tode
wieder. Das Hörvermögen hatte bis zu fast völliger Taubheit abgenommen. —
Die Autopsie und mikroskopische Untersuchung ergab nur einen massigen Hydro-
cephalus internus, Wucherung des Ependyms und der subependymalen Glia, peri-
vasouläre Infiltration der subependymalen Schichten, und alte und frische ent¬
zündliche Veränderungen im Plexus chorioideus. Beide Nn. acustici zeigten sich
nach March i degenerirt. Ein Befund, der den Wechsel der Patellarreflexe hätte
erklären können, liess sich nicht erheben; das Bückenmark war ödematös, aber
sonst normal. — Zur Entscheidung der Frage, ob die entzündlichen Veränderungen
des Ependyms u. s. w. von dem Hydrocephalus herrührten oder umgekehrt, stellten
Verff. einige Thierversuche an: Sie injicirten Katzen Nehennierenextract, Tuber-
culin, Salzsäure- und Carbolsäurelösungen und sterilisirten Urin in die Ventrikel
und fanden dann dem beschriebenen Falle ähnliche Veränderungen der Ventrikel¬
wandungen und des Ependyms, die als entzündlicher Natur angesprochen werden
mussten. Eine Vermehrung der Cerebrospinalflüssigkeit war mit dieser artificiellen,
nicht eitrigen Entzündung nicht vorhanden. Die Verff. ziehen daraus den Schluss,
dass in Fällen wie der ihrige der Hydrocephalus das Primäre und die Ependym¬
und Plexusveränderungen das Secundäre sind. H. Hänel (Dresden).
20) Ein Fall von geheiltem Wasserkopf, von H. Neumann (Berlin). Vor¬
trag, gehalten im Verein für innere Medicin in Berlin am 5. November 1900.
(Deutsche med. Wochenschr. 1901. Nr. 3.)
5 Monate altes Kind E. Dr. Die Mutter desselben hatte früher schon eine
todtfaule Frucht geboren und war Anfang 1899 an syphilitischen Plaques be¬
handelt worden. Das Kind E. kam in Steisslage zur Welt und hatte im 2. und
3. Monat einen schuppenden Ausschlag an Händen und Füssen, der anscheinend
antiluetisch behandelt wurde. Seit 3 Wochen auffallende Vergrösserung des
Kopfes; keine Krämpfe.
Gut entwickeltes und genährtes Kind mit bräunlicher Gesichtsfarbe, geringem
Rosenkranz, Leber- und Milztumor. Das Kind sitzt allein, hält den Kopf gut,
sieht und hört. Kopfumfang 46,5—47 cm, Umfang der vorderen Fontanelle
(Entfernung der gegenüberliegenden Seiten) 6,5 X 6,5 cm. Die Pfeil-, Stirn- und
Kranznaht klaffen, die angrenzenden Knochenwände sind weich. Erweiterte Venen
auf dem Kopfe, typisch hydrocephalischer Blick. Weissliche Trübung der Nets¬
haut in grosser Ausdehnung, Gefässe eng, beiderseits papillengrosser, kirschrother
Fleck. Es wurde Jodkali verabfolgt und zwar in 9 Monaten zusammen 75 g,
ferner wurden noch vom 17. Mai bis 3. Juli 1900 42 g Unguentum bydrargyri
cinereum cum resorbino parati (lg täglich) verschmiert. Die Heilung wurde
durch eine dazwischentretende Rhachitis etwas verzögert, schliesslich jedoch voll¬
kommen. Zur Zeit der Demonstration läuft das 16 Monate alte Kind behende
an den Stühlen herum, hat 8 Schneide-, 4 Back- und 2 Eckzähne, ist geistig
sehr rege. Die Augenhintergrundsveränderungen gingen ebenfalls zurück, es
restirten zahlreiche, helle, nicht pigmentirte Herdchen bei normaler Papille.
Die syphilitische Natur des Wasserkopfes und die ungewöhnlich frühzeitige
Behandlung erklären den schönen Erfolg in dem mitgetheilten Falle.
R. Pfeiffer.
Psychiatrie.
21) Ueber das Tätowiren nach Untersuchungen bei Geisteskranken, von
Rudolf Ganter (Hoerdt). (Allg. Zeitschr. f. Psych. LVIH. S. 79.)
Unter 240 Kranken der Irrenanstalt Münster i/W. fanden sich 24 =* 10%
Tätowirte, vorwiegend bei Schwachsinnigen. Die Tätowirungen zeigten weder in
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623
ihrer Art noch in ihrem Sitze irgend welche Besonderheiten; lascive fehlten ganz.
Alu Material wurde vorwiegend pnlverisirte Holz- und Steinkohle, seltener Zinnober
und Tusche benutzt. Die Sohmerzhaftigkeit war gering, nur drei klagten über
Schmerzen. Der Grund zum Tätowiren liegt hauptsächlich in der Nachahmung;
alle Versuche, darin ein Zeichen der Degeneration oder des Atavismus zu suchen,
lehnt der Verf. unter Berücksichtigung der Erfahrungen an Wilden, Gefangenen,
den wechselnden Anschauungen nach Art und Zeit entschieden ab. Die kurze
Arbeit orientirt über die Tätowirungsfrage ausgezeichnet.
Aschaffenburg (Heidelberg).
22) Fragen aus dem Gebiete der Erblichkeit, von Kirchhoff (Neustadt).
(Allg. Zeitschr. f. Psych. LVI. S. 871.)
Der Verf. setzt den Unterschied zwischen Ahnentafel und Stammbaum aus
einander; die Ahnentafel ist vollständiger und lässt eine genaue Uebersicht der
Blutmischung erkennen, während der Stammbaum eine Auswahl und eine Be¬
schränkung auf eine bestimmte Familiengruppe ermöglicht; er umfasst daher
meistens mehr die Träger des Familiennamens und bevorzugt so die männliche
Ascendenz. Die Besprechung des Einflusses der Geschlechter, der Thatsache einer
Disposition zu geistigen Erkrankungen und des Begriffes der Inzucht führt Verf.
zu dem Schlüsse, dass der Einfluss der Erblichkeit oft überschätzt werde.
Aschaffenburg (Heidelberg).
23) Ueber die Vererbung endogener Psychosen in Beziehung zur Classi¬
fication, von Vorster (Stephansfeld). (Monatsschr. f. Psych. u. Neurologie.
XI. S. 161.)
Die Frage nach der Gleichartigkeit der Vererbung von Psychosen steht im
engsten Zusammenhänge mit der Frage der Classification. Nur bei einer Zu¬
sammenfassung grosser Krankheitsgruppen kann entschieden werden, ob — trotz
der Mannigfaltigkeit der äusserlich in Erscheinung tretenden Bilder — eine directe
gleichartige Uebertragung stattfindet. Das alte Material der Stephansfelder Irren¬
anstalt hat dem Verf die Möglichkeit gegeben, eine Anzahl von Familien genauer
zu untersuchen. Die Erkrankung der Ascendenten war 9 Mal manisch-depressives
Irresein, 8 Mal Dementia praecox und 6 Mal eine Rüokbildungspsychose. Bei
der 1. Gruppe war die Erkrankung 7 Mal eine gleichartige; die Dementia praecox
zeigte sich bei allen erkrankenden Descendenten wieder, wenn auch oft mit mehr
katatonischen oder paranoiden Erscheinungen. Ganz anders bei den senil De¬
menten. Bei fünfen erkrankten die Descendenten an Dementia praecox, in der
6. Familie war die Erkrankung Idiotie. Die gleichartige Vererbungstendenz ver-
riethen auch unter 29 Geschwistergruppen 22 mit Dementia praecox, 4 mit
manisch-depressivem Irresein. Verf macht auf die Wichtigkeit aufmerksam, die
bei diagnostischen Schwierigkeiten solche Beobachtungen gewinnen, mehr noch
auf die Bedeutung für alle classificatorischen Bestrebungen; sie zeigen uns das
Gesetzmässige gegenüber der Fülle der Einzelsymptome.
Aschaffenburg (Heidelberg).
24) Ueber das manisoh-depressive Irresein, von Weygandt. (Berliner klin.
Wochenschr. 1901. Nr. 4 u. 5.)
Zusammenstellung der Symptomatologie der Manie und der Depression in
ihren reinen, circulären und Mischformen. Der manische Stupor, die agitirte
Depression, die unproductive Manie werden besprochen. Die Differentialdiagnose
aller manisch-depressiven Krankheitsbilder gegenüber den Zuständen der Katatonie,
Paranoia, Paralyse wird besonders hervorgehoben, und es wird auf die so ver¬
schiedene Prognose hingewiesen. Bielschowsky (Breslau).
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624
26) Die Behandlung der Grenxzoat&nde ln foro nebst einigen Bemerkungen
über die geminderte Znreohnungsfihigkeit, von Prof. Cramer. (Berliner
klin. Wochenschr. 1900. Nr. 47 u. 48.)
Seelenstörungen, welche anf pathologischer Grundlage temporar auftreten,
ohne dass sich für gewöhnlich eine krankhafte Störung der Geistesthätigkeit im
Sinne des § 51 hei den betreffenden Individuen nachweisen lasst, machen bei der
forensischen Begutachtung besondere Schwierigkeiten. Nach dieser Richtung
kommen vorzugsweise Fälle in Betracht, bei denen eine epileptische, hysterische,
degenerative, eine traumatische oder neurasthenische Basis vorhanden ist, oder hei
denen angeborener Schwachsinn, senile Zustände, chronischer Alkoholismus sich
nachweisen lassen. Das Vorhandensein einer solchen pathologischen Grundlage
genügt jedoch nicht, um dem betreffenden Individuum den Schutz des § 51 zu
sichern, es muss der Beweis erbracht sein, dass zur Zeit, als das Delict be¬
gangen wurde, ohne Zweifel eine Seelenstörung vorhanden war. Als auslösende
Momente kommen hei solch diBponirten Individuen in Betracht: Starke Affecte,
Abusus alcohol., sexuelle Erregung, bei Weibern die Menstruation, die Schwanger¬
schaft und das Klimakterium. Bei den tieferen Kenntnissen, die über die Grenz¬
zustände in den letzten Jahren durch die Arbeiten von Ganser, Fürstner,
Wollenberg u. A. m. erworben worden sind, und bei dem Bestreben, jeden Fall
einer gesonderten Würdigung und individuellen Betrachtung zu unterwerfen, wird
die Zahl der Fälle, denen nach dem Wortlaut deB Gesetzbuches in Folge des
NichtvorhandenseinB einer geminderten Zurechnungsfähigkeit ein Unrecht geschieht,
nicht sehr gross sein. Immerhin giebt es Fälle, in denen die gesetzlichen Be¬
stimmungen im Stich lassen und ein anderer Ausgang, als wie ihn das Gesetz
fordert, wünsch enswerth wäre. Für diese Fälle bringt Verf. die Ausdehnung der
bedingten Begnadigung und Strafaussetzung auf Erwachsene in Vorschlag.
Bielschowsky (Breslau).
26) Missbrauch einer geisteskranken Frauensperson zum ausaerehelichen
Beischlafe, Fehlen der Scheide, Beischlaffef&higkeit, von Dr. K. Van-
selow. (Friedreich’s Blätter f. ger. Med. u. Sanitätspolizei. LI. 1900.)
Eine 34jähr. Idiotin von kretinistischem Wuchs mit vollständigem Defect
der Scheide war zum Beischlaf missbraucht worden. Der Angeschuldigte wurde
auf Begutachtung des Verf.’s ausser Verfolgung gesetzt, da in Uebereinstimmung
mit der herrschenden gerichtsärztlichen Auffassung die Beischlafsfahigkeit wegen
Fehlens der Scheide als ausgeschlossen betrachtet wurde.
Kalmus (Lübeck).
27) Sieohthum. Gutachten, von Dr. C. Wickel. (Friedreich’s Blätter f. ger.
Med. u. Sanitätspolizei. LI. 1900.)
Nach einer blutigen Hiebverletzung am Kopfe entwickelte sich bei einem,
vorher gesunden, 58j ähr. Manne eine schwere Psycho-Neurose mit völliger Erwerbs¬
unfähigkeit. Die vom Gericht gestellte Frage, ob Verfall in Siechthum vorliege,
wird bejaht. Das Gericht erkennt, früheren Entscheidungen entsprechend, in
gleichem Sinne. Kalmus (Lübeck).
28) Allönö ou oriminelP par E. R6gis. (Journal de mädecine de Bordeaux.
1901. Nr. 7.)
Verf. unterzieht folgenden gerichtlich-psychiatrischen Fall einer Kritik:
Ein Alkoholist, der im Anschluss an ein acutes Delir einen Mordversuch
begangen hatte, war auf Grund des Gutachtens zweier Aerzte, die ihn für
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unzurechnungsfähig im Momente der That, zur Zeit der Untersuchung jedoch für
geheilt erklärt hatten, in Freiheit gesetzt worden; kurze Zeit darauf beging er
in einem erneuten Anfall drei schwere Körperverletzungen und wurde jetzt erst,
auf Grund eines zweiten Gutachtens, in einer Irrenanstalt untergebracht. Verf.
vertritt nun in seiner Kritik die Ansicht, dass ein Alkoholist noch nicht als ge¬
heilt bezeichnet werden könne, wenn er zu deliriren aufgehört habe, sondern
dass er so lange als krank zu gelten habe, als er auch nur noch die geringsten
körperlichen oder psychischen Zeichen chronischer Alkoholintoxication zeige.
Verf. weist bezüglich der paroxysmellen und der dauernden alkoholistischen Sym¬
ptome auf die Analogie mit der Epilepsie hin, ohne übrigens, was sehr nahe
gelegen hätte, das Vorkommen richtiger Alkoholepilepsie zu erwähnen.
Weder vom klinischen, noch vom forensischen Standpunkte aus werden irgend
welche neue Gesichtspunkte vorgebracht. Max Neumann (Karlsruhe).
29) Die forensische Bedeutung der Böntgenstrahlen, von Johann Gold¬
feld. (Archiv f. Kriminal-Anthropologie u. Kriminalistik. 1901. VI.)
Verf. tritt sehr warm für den seinerzeit von Levinsohn (Berlin) gemachten
Vorschlag ein, die Röntgenphotographie bei der Bertillonage zu verwenden. So
würden alle Fehlerquellen vermieden, die durch die Bertillonage begangen werden
müssen, und eine Identification werde durch die präciseren und zuverlässigeren
Maasse unzweifelhaft erleichtert. Ernst Schultze (Andernach).
SO) Geisteskrankheit als Ehesoheidungsgrund , von Dr. G. Bur gl. (Fried-
reich’s Blätter f. ger. Med. u. Sanitätspolizei. LI. 1900.)
In der vorliegenden kleinen Arbeit wird § 1569 des Bürgerlichen Gesetz¬
buches vom theoretisch-psychiatrischen Standpunkte aus erläutert. Die verschie¬
denen Formen der Geisteskrankheiten werden auf ihre Beziehungen zur gesetz¬
lichen Ehescheidung geprüft. Die geistige Gemeinschaft zwischen den Eheleuten
wird als aufgehoben betrachtet: 1. bei hochgradiger Geistesschwäche, 2. bei
chronischer Geisteskrankheit, 3. bei Verlust der Fähigkeit, sich in irgend einer
Weise verständlich zu machen. Zur letzten Gruppe würden Fälle von totaler
Aphasie oder von Taubstummheit gehören. Epilepsie würde nur bei fortgeschrittener
Verblödung, Hysterie nur bei ausgesprochener hysterischer Psychose einen Grund
zur Ehescheidung abgeben; dagegen sollte nach Ansicht des Verf.’s das sogen,
moralische Irresein auf degenerativer Grundlage unter allen Umständen zur Ehe¬
trennung berechtigen. Kalmus (Lübeck).
31) Gutachten über den Geisteszustand der J. W. Hysterische Psychose
mit eigenartigen Verwirrtheitszuständen, Störungen des Gedächtnisses,
Wandertrieb, Neigung zum Fabuliren, von Prof. Dr. E. Siemerling
(Tübingen). (Friedreich’s Blätter f. ger. Med. u. Sanitätspolizei. LI. 1900.)
Eine 32jähr. Person führt seit ihrem 19. Lebensjahr ein Verbrecherleben;
vorausgegangen ist ein Trauma der Hand und schwere acute Gehirnkrankheit.
28 Fälle von kleineren Diebstählen, Unterschlagungen und ähnliche Vergehen
gegen das Eigenthum sind den Gerichten bekannt geworden; sie ist mehrmals mit
Gefangniss bestraft, meist wegen Unzurechnungsfähigkeit ausser Verfolgung gesetzt.
Seit der gleichen Zeit bestehen Krampfanfälle. 6 ausführliche Vorgutachten sind
erstattet, in denen theils auf Epilepsie, theils auf Hysterie mit oder ohne gleich¬
zeitig bestehendem Schwachsinn erkannt wird. Verf. analysirt den Zustand in
klarer Beweisführung als zweifellose Geisteskrankheit vorwiegend hysterischen
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Charakters. An körperlichen Störungen liegen vor: Asymmetrie der Gesichts-
hälften, Lidspaltendifferenz, concentrische Einengung des Gesichtsfeldes, Hypästhe-
sieen, Analgesieen, vasomotorisches Nachröthen, krampfartige Zustände in der
Gesichtsmusoulatur (Grimassiren, tonischer Orbiculariskrampf). Die Anfälle waren
ausgesprochen hysterischer Art. Es gelingt der Nachweis, dass mit den Zeiten
gehäufter Anfälle die Mehrzahl der verbrecherischen Handlungen zusammenfallt
Die Anfalle gehen mit einer Steigerung der psychischen Erkrankung einher, alt
deren Hauptsymptome Stimmungsanomalieen, weitgehende Gedächtnisadefecte und
Erinnerungsfälschungen, Hang zu Lügen und Uebertreibungen, Neigung zu trieb-
artigen Handlungen neben geistiger Schwäche zu nennen sind, so dass die Be¬
dingungen des § 51 erfüllt sind. Kalmus (Lübeck).
32) Ueber die Bettbehandlung der aouten Psychosen und über die Ver¬
änderungen, welche ihre Einführung im Anstaltsorganismus mit sich
bringt, von Clemens Neisser. Vortrag, gehalten auf dem 13. internst
med. Congress in Paris. (Verlag von Seitz und Schauer. München, 1900.)
Der vorliegende Vortrag enthält neben den vom Congress her bekannten
Ausführungen (s. Neurol. Centralbl. 1901. S. 423) unter manohen interessanten
Details auch eine Kritik der nach dem Vortrage zu Tage getretenen gegnerischen
Ansichten, welcher Umstand einen Hinweis auf die Arbeit und ein kurzes wieder¬
holtes Eingehen auf dieselbe rechtfertigt.
Der Verf. dehnt die Bettbehandlung aus auf alle Anstaltskranken,
die chronisch Kranken ebenso wie die acuten. Unter diesen Fällen aber
muss jedes Mal der Arzt speciell entscheiden und der Individualität Rechnung
tragend bestimmen, welche Fälle der Bettbehandlung überhaupt, welche einer
längeren oder kürzeren zu unterwerfen sind.
In den allerersten Tagen dürfte es sich allerdings um permanente Bettruhe
für jeden Kranken handeln, wodurch eine genaue Untersuchung und Beobachtung
ganz wesentlich erleichtert wird, abgesehen davon, dass der Krankenhauscharakter
in wohlthuender Weise betont wird. Aufs Neue empfiehlt Neisser gegenüber
Briand und Pölas auch bei gewissen Paranoikern die Bettbehandlung. Mit
Recht weist der Verf. darauf hin, dass im Princip und in der Praxis die Frage
der Bettbehandlung und Ueberwachung, Abtheilung für Bettbehandlung und
Wachabtheilung getrennt zu behandeln sei. Es wäre unserer modernen
Individualisirung im höchsten Grade abträglich, wenn wir von vornherein der
Ansicht huldigen wollten, Kranke, die Bettruhe benöthigen, und solche, die Ueber¬
wachung brauchen, kommen in dieselbe Abtheilung für Bettbehandlung. Nicht
jeder Kranke, der Bettbehandlung nöthig hat, bedarf auch nächtlioher Ueber¬
wachung. Und nicht nur solche Kranke, die überwacht werden müssen, gehören
ins Bett, denn in letzterem Falle würden die Grenzen für die segensreiche Bett¬
behandlung viel zu eng gesteckt.
Was die therapeutische Seite der Bettbehandlung angeht, so soll sie
nie und nimmer als ein specifisches Heilmittel für Psychosen, sondern nur als
ein Hülfsmittel der ganzen übrigen Therapie angesehen werden. In¬
sofern sie aber einer wichtigen Indication gerecht wird dadurch, dass die Gehirn-
ruhe erzeugt, ist sie schon auch im Princip allen acuten Zuständen gegen¬
über zunächst am Platze. Dass sie es aber auch chronischen Zu-
Btänden gegenüber ist, beweisen im Gegensatz zu Pölas die sehr schönen
Erfolge bei den Paralytikern. Dass Paralytiker zur Zeit ihrer Erregungen mit
beetem Erfolge im Bette erhalten werden können, dass die Zahl und Schwere
ihrer Anfälle durch die Bettruhe wesentlich beeinflusst wird, das wird dem Verf
wohl von seinen meisten Collegen zugegeben werden.
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Bei Besprechung der Bettbehandlung von maniakalischen Kranken, die sich
ihrer Mehrzahl nach sehr leicht an das Bett gewöhnen, kommt Verf. auch auf
die Frage der Isolirung. Auf die aus reicher Erfahrung geschöpfte scharfe
Indicationsstellung können wir leider nicht eingehen, doch möchten wir ganz
speciell darauf hinweisen, wie im Besonderen auch auf die wichtigen Ausführungen,
die sich auf den Zeitpunkt der Aufhebung der Bettbehandlung beziehen.
Da die Geldfragen in unseren Anstalten eine sehr grosse Bolle spielen, so
wollen wir zum Schlüsse die Aufstellung des Verf.*8 wiedergeben, aus der hervor¬
geht, dass das Bettregime von heute billiger ist als das früher geübte.
Ohne Bettbehandlung: Mit Bettbehandlung:
An Bekleidung . . 51,46 Mk. gegenüber 40,61 Mk.
„ Arzneikosten . . 28,30 „ „ 18,55 „
>» Bereinigung . . 12,— „ „ 7,93 „
(Verwendet sind die Titel aus 7 aufeinanderfolgenden Jahren ohne und
7 Jahren mit durchgeführter Bettbehandlung in Leubus pro Kopf und Jahr.)
A. Friedländer (Frankfurt a/M.).
HL Aus den Gesellschaften.
XXVL Wanderversammlung der Südwestdeutsohen Neurologen und Irren¬
ärzte zu Baden-Baden am 8. and 9. Juni 1901.
Erste Sitzung vom 8. Juni Vormittags 11 x / 4 Uhr im Conversationshause zu
Baden-Baden. Eröffnung durch den ersten Geschäftsführer Medicinalrath Prof
Dr. Tue zeck (Marburg).
Zum Vorsitzenden für die erste Sitzung wird Hofrath Prof. Dr. Fuerstner
(Strassburg) erwählt
Schriftführer: Dr. Leop. Laquer (Frankfurt a/M.), Prof. Dr. A. Hoche
(Strassburg).
Anwesend 93 Theilnehmer.
Nach Erledigung geschäftlicher Angelegenheiten und nach Verlesung vieler
Entschuldigungsschreiben werden folgende Vorträge gehalten:
Herr Geheimrath Prof. Dr. Bäu ml er (Freiburg) stellt einen Fall von trau¬
matischer Erkrankung des Nervensystems vor. Es handelt sich um eine
Quetschung des Rückens bei einem Landarbeiter, in Folge deren sich Anfangs
Bpastisch-paretische Erscheinungen in beiden Beinen mit Hypästhesie entwickelten.
Später trat eine Hemianästhesie mit Nystagmus auf, sodass die Diagnose zwischen
traumatischer Hysterie und disseminirter Sklerose in Frage steht.
Herr Prof Dr. Hoche (Strassburg): Ueber die nach elektrischen Ent¬
ladungen auftretenden Neurosen.
Der Vortr. beriohtet über drei eigene Beobachtungen, von denen eine durch
Blitz (Telegraphenapparat), zwei durch den 500 Volt betragenden Strom der
Oberleitung der Trambahn zu Stande gekommen waren.
An der Hand dieser Fälle und der in der Litteratur verstreuten Beobach¬
tungen giebt er eine kurze Darstellung der nervösen Folgezustände nach elek¬
trischen Unglücksfällen. Neben manchmal nachweisbaren groben organischen
Veränderungen finden sich functionelle Neurosen, die gewöhnlich als „Hysterie
nach Trauma“ gedeutet und ursächlich auf den Schreck und die sich daran
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anschliessenden Vorstellungen zurückgeführt werden. Diese gewiss oft zutreffende
Annahme darf indessen nicht verallgemeinert werden; eine Schreckwirkung findet
gerade bei den schwersten, sofort Bewusstlosigkeit herbeiführenden elektrischen
Unglücksfällen gar nicht statt.
Man darf die Besonderheit der traumatischen Einwirkung beim elektrischen
Verunglücken nicht übersehen, die darin besteht, dass ein schon physiologisch
wirksames Agens in oft colossaler Stärke das Centralnervensystem selbst passirt,
ein Agens, welches wohl geeignet ist, durch directe Beeinflussung der nervösen
Substanz auch länger dauernde Functionsstörungen hervorzurufen, ohne dass dabei
die sogenannte „psychogene“ Wirkung eine Rolle spielte.
Alle diese Fälle summarisch der Hysterie zuzuweisen, ist freilich bequem,
verführt aber leicht dazu, die durchaus nothwendige und voraussichtlich lohnende
Analyse der Einzelheiten zu unterlassen.
Dass übrigens neben functioneilen auch geringe und leicht zu übersehende
organische Veränderungen Vorkommen, lehrt die Untersuchung des sichtbaren
Theiles des Nervensystemes: des Augenhintergrundes bei manchen Fällen elektrisch
entstandener Sehstörungen.
Herr Prof. Dr. A. v. Strümpell (Erlangen): Ueber hereditäre spastische
Spinalparalyse.
Vortr. hat hei einem Kranken mit reiner spastischer Spinalparalyse,
den er fast 15 Jahre lang in der Erlanger Klinik beobachtet hat, die Section
gemacht und alB Ursache der Erkrankung eine unzweifelhaft primäre Degene¬
ration der Pyramiden-Seitenstranghahn nachgewiesen. Diese Diagnoee
war schon zu Lebzeiten des Patienten gestellt worden.
Der Fall betraf einen zuerst im März 1886 aufgenommenen, damals 6ljähr.
Tagelöhner Polster (vgl. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1893. IV. S. 173flg.).
Die ersten sicheren Anfänge des Leidens gehen bis aufs Jahr 1866 zurück. Sehr
langsam und allmählich entwickelte sich eine immer mehr und mehr zunehmende
spastische Starre der Beine. Anfangs konnte Pat. dabei noch ziemlich gut gehen
(spastische Pseudoparalyse“), später nur noch mit Hülfe eines Stockes, schliess¬
lich nur mit zwei Stöcken. Die Muskeln der Beine zeigten enorme Hypertonie.
Stärkste Adductorencontractur, so dass jedes Bein nur mühsam am andern vorbei
geschoben werden konnte. Die Beine konnten nur mit grösster Mühe gebeugt,
die Füsse passiv überhaupt nur wenig bewegt werden. Lebhaft gesteigerte Sehnen¬
reflexe. Keine Spur von fibrillären Zuckungen oder Muskelatrophie. Bis zuletzt
völlig normale Entleerung von Mastdarm und Blase. Sensibilität lange Jahre
hindurch ganz normal. Nur zuletzt unbedeutende Störungen der Sensibilität an
den Unterschenkeln, besonders Störungen der Temperaturempfindung.
Allmählich entwickelten sich Arteriosklerose und Störungen der Herzthätig-
keit. Pat. starb plötzlich am 4. März 1901 in Folge von Sklerose der Coronar-
arterien und Herzhypertrophie. Die mikroskopische Untersuchung des
Rückenmarkes ergab eine vollkommen typische, mittelstarke Degeneration der
Pyramidenhahnen, am stärksten im Lendenmark und unteren Brustmark, nach
oben abnehmend und in der Gegend der Pyramiden aufhörend. Gehirn (innere
Kapsel, Hirnschenkel, Brücke) gesund. Die Goll’sehen Stränge zeigten im Hals-
mark eine geringe Degeneration ihres vorderen Abschnittes, die aber schon im
mittleren Brustmark wieder verschwand. Die Kleinhirnseitenstrangbahn war,
wenn überhaupt, nur ganz unbedeutend afficirt. Die Gangbenzellen der Vorder¬
hörner waren vollständig normal.
Diese Beobachtung schliesst sich eng an die früheren Mittheilungen Str.’s
über die beiden Brüder Gaum an (Archiv f. Psych. XVH. S. 218). Auch im
Falle Polster war mit grösster Wahrscheinlichkeit ein hereditär-familiäres
y Google
629
Auftreten der spastischen Spinalparalyse vorhanden. Der Grossvater, der Vater,
zwei Onkel und ein Bruder des Pat. sollen denselben steifen Gang gehabt und
zum Theil schliesslich gelähmt gewesen sein. Sie waren zur Zeit der Beobachtung
des Pat. alle bereits gestorben.
Durch diese Beobachtung ist das Vorkommen einer primären Pyramidenbahn*
degeneration als anatomische Grundlage einer unter dem Bilde der reinen spasti*
sehen SpinalparalyBe (Erb) verlaufenden Krankheit vollkommen sichergestellt
Freilich scheinen schliesslich meist auch in den Goll’sehen Strängen und auch
in den Kleinhirnseitensträngen geringe Veränderungen aufzutreten, die aber klinisch
keine wesentliche Bedeutung haben. Interessant ist das familiäre Auftreten der
Krankheit, die somit zur Gruppe der hereditären Systemerkrankungen
gehört. Klinisch charakteristisch ist der ungemein langsame, aber doch stetig
fortschreitende Verlauf des Leidens. Die Arme bleiben frei. Bis zuletzt über¬
wiegen die Spasmen (Hypertonie) über die eigentliche Lähmung. Anatomisch
bemerkenswerth ist, dass die primäre Degeneration der Neurone stets an den
nucleodistalen Enden beginnt und gewöhnlich nur bis zu einem gewissen Punkt
fortschreitet.
Ausser dieser Form kommt noch eine andere Form der primären Degeneration
der Pyramidenbahn vor, die meist in etwas vorgerückterem Alter auftritt, rascher
verläuft und die gesammte Pyramidenbahn betrifft. Hierbei tritt spastisohe Starre
der Arme, Beine und des Rumpfes auf. Schliesslich kommt es auch zu geringer
Atrophie der Muskeln. Diese Form geht also in die amyotrophisohe Lateral¬
sklerose über. Vortr. sah mehrere derartige Fälle, von denen bisher zwei auch
anatomisch untersucht werden konnten.
Endlich giebt es auch eine infantile Form der spastischen Spinal-
paralyse, die zuweilen, obgleich nicht immer, auch familiär auftritt. Eine
primäre Degeneration der Pyramidenhahn ist in diesen Fällen noch nicht nach¬
gewiesen, aber wahrscheinlich auch vorhanden.
Dr. L. Laquer (Frankfurt a/M.).
(Fortsetzung folgt)
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie and Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 10. Juni 1901.
Herr K. Mendel: Krankenvorstellung (Dystrophia musoulorum pro¬
gressiva). (Vgl. Originalmittheilung 2 in dieser Nummer, S. 601.)
Discussion:
Herr Remak hat in einem vorgeschrittenen Falle von juveniler Dystrophia
muscularis eines 26jähr. Landwirthes mit enormer Hypertrophie der Waden (Um¬
fang 46 cm) an den atrophischen Oberschenkelmuskeln (Rectus femoris, Vastus,
Semimembranosus) und am Biceps brachii eine auffällige Verschiedenheit der
Consistenz der einzelnen Abschnitte desselben Muskels bemerkt, indem zwischen
derberen weiche eingesunkene zu fühlen waren. Erstere markirten sich sowohl bei
willkürlicher Contraction als hei faradischer directer oder indirecter Reizung
knollen- oder buckelförmig. Diese knollenförmige Contraction ist als für Dystrophie
charakteristisch schon von Erb beschrieben, aber neuerdings nicht besonders be¬
achtet worden. In Bezug auf die Differentialdiagnose der Anfangsstadien der
infantilen Dystrophie möchte R. nach seiner Erfahrung vor einer Verwechslung
mit Rachitis warnen. Bei einem 4 l /,jähr., im Januar 1897 aufgenommenen Mädchen
wurde auf Grund des stark watschelnden Ganges, des charakteristischen Aufstehens
aus der platten Rückenlage und der exquisit „losen Schultern“ die Diagnose auf
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Dystrophie gestellt, zumal die elektromusculäre Erregbarkeit der übrigen schlaffen
Muskeln herabgesetzt schien. Schmerzen in den Kniegelenken waren voraus¬
gegangen und Rachitis nach den leichten Verdickungen der Epiphyse nebenher
anzunehmen. Auffälligerweise gingen nun unter galvanischer Behandlung alle
genannten functionellen Storungen bis Februar 1899 ganz zurück. Vor wenigen
Wochen kam das im Wachsthum zurückgebliebene Mädchen mit sehr erheblichem
doppelseitigem Genu valgum wieder.
Herr Bernhardt fragt, ob die Atrophieen an den kleinen Handmuskeln
später eingetreten sind, als die Pseudoatrophieen. Wenn dem so wäre, dass die
Affection der kleinen Handmuskeln sich erst später entwickelt hat, möchte B. auf
eine schon aufgestellte Hypothese hinweisen, die zur Erklärung der doppelartigen
Atrophie hier eventuell herangezogen werden könnte. Es sei nämlich bekannt,
dass, wenn ein Kind, welches an Bpinaler Kinderlähmung gelitten hat, sich später
einer starken körperlichen Anstrengung anssetzt, sich dann bei ihm ein Sym-
ptomenbild einstellt, welches man als myelopathische Atrophie bezeichnet.
Herr Jolly fragt an, wie es sich mit den fibrillären Zuckungen in den
atrophischen Handmuskeln verhält. Es würde das von Interesse sein, weil man
in den hypertrophischen keine solche Zuckungen findet, in solchen combinirten
Fällen sie aber antreffen kann. J. glaubt, dass es sioh wahrscheinlich nicht um
eine vom Rückenmark ausgehende Atrophie handelt, sondern dass in einem Th eil
der Muskeln eine Pseudohypertrophie besteht, während es in anderen Muskeln
durch andere hinzugetretene Störungen zu wirklicher Atrophie gekommen ist
Wenn man die Muskeln genauer untersucht in Bezug auf das feinere Verhalten
der Nervenfasern, so ergiebt sich, dass man neben gesunden auch degenerirte findet
Herr K. Mendel (Schlusswort): Allerdings wurde auch in diesem Falle, und
zwar in den Glutaei die von Herrn Remak beobachtete knollige Contractur nach¬
gewiesen. In der Litteratur konnte M. ausser dem von ihm erwähnten Schnitze’-
sehen Falle (1886) keinen zweiten finden, in welchem die drei im vorgeetellten Falle
wichtigen Symptome (Pseudohypertrophie an den unteren Extremitäten, Atrophie
an den kleinen Handmuskeln und Entartungsreaction) in dieser Combination nach¬
weisbar waren. — Fibrilläre Zuckungen bestanden in keinem der Muskeln. Auch
wenn man — wie Herr Geh. Rath Jolly — eine Combination von rein muscu-
lärem mit einem neuritischen Leiden an der Peripherie annimmt — was nicht
unwahrscheinlich —, so wäre doch das Primäre die Muskelveränderung, das
Leiden also als primär rein myopathisch anzusehen.
Herr Levy: Mitbewegungen nach willkürlichen Bewegungen in zwei
Fällen (bei Vater und Sohn). Demonstration. (Vgl. Originalmittheilung 3 in
dieser Nummer, S. 605.)
DiscusBion:
Herr M. Roth mann: Die vorgestellten Fälle haben ein ganz besonderes
Interesse, indem sie das Vorkommen der pathologisch unter den verschiedensten
Umständen, vor Allem bei Hemiplegieen, beobachteten Mitbewegungen unter sonst
normalen Verhältnissen zeigen. Was die Frage betrifft, wodurch diese Mit¬
bewegungen zu Stande kommen, so ist hier für die häufigste Form der gleich¬
artigen Mitbewegungen in der entsprechenden Extremität der anderen Seite der
Nachweis einer Leitung von der Extremitätenregion einer Seite zu den gleich¬
seitigen Extremitäten von Bedeutung. Diese Bewegung der gleichseitigen Extre¬
mitäten ist bei niederen Säugern, z. B. dem Kaninchen, bei ziemlich denselben
Stromstärken des faradischen Apparates zu erzielen, wie die gekreuzte Reizung;
bei höheren Thieren dagegen, beim Hunde und beim Affen, erfordert sie weit
stärkere Reize und ist oft erst dann deutlich zu beobachten, wenn die der ge¬
kreuzten Reizübertragung dienenden Bahnen (Pyramidenbahn, Monakow’sches
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Bündel) durchschnitten sind. Dass für diese gleichseitige Leitung eigene Bahnen
vorhanden sind, und es sich nicht etwa um Rückkreuzung im Rückenmark handelt,
haben die Versuche von Wertheimer und Lepage klar bewiesen. Bei patho¬
logischen Zuständen, bei denen die Leitung auf den zur anderen Körperhälfte
ziehenden Bahnen verlegt oder doch erschwert ist, reichen die nur erforderlichen
stärkeren Reize zur Miterregung der auf der gleichen Seite herabziehenden Bahnen
ans, und so kommt es zur Mitbewegung der Glieder der nicht gelähmten Körper-
hälfte. Wenn in den hier vorgeetellten Fällen diese Mitbewegungen, und zwar
in familiärer Ausbreitung, normal Vorkommen, so können hier die gleichseitigen
Bahnen besonders stark entwickelt sein, wie dies ja bei den niederen Thieren
immer der Fall ist, oder erhöhte Erregbarkeit besitzen. Ob allerdings für die
Erklärung der Mitbewegung die Betrachtung der Rindenerregbarkeit ausreicht,
ob hier nicht den grossen Ganglien eine selbständige Bedeutung zukommt, wie
dieselben sie bei Athetose und ähnlichen Zuständen zweifellos besitzen, darüber
lässt sich bei unseren geringen Kenntnissen von der physiologischen Bedeutung
dieser Gebiete nichts sicheres aussagen. Was - die vom Herrn Vortr. demonstrirte
Mitbewegung der Zunge bei ausgiebigen Augenbewegungen betrifft, so möchte R.
darauf hinweisen, dass eine umgekehrte Mitbewegung nämlich die Hebung des
angeborene Ptosis zeigenden oberen Augenlides bei Oefinen des Mundes von R.
beobachtet werden konnte bei einem Manne, den Herr Bernhardt bereits vor
vielen Jahren in dieser Gesellschaft demonstrirt hat, und der dieses Phänomen
auch heute noch besitzt, ln diesem Falle besteht offenbar eine abnorme Ver¬
bindung des Oculomotoriuskerns mit dem 3. Trigeminusaste.
Herr Treitel: Vortr. erwähnte unter anderem, dass Pat. beim Sprechen
etwas stocke und dabei mit den Fingern Bewegungen mache. Das erinnert an
das Stottern mit seinen Mitbewegungen, wo der Reiz zum Sprechen auch noch
weitere Muskelgruppen innervirt.
HerrLiepmann findet die vom Pat. ausgeführte Spiegelschrift kalligraphischer
geschrieben, als die richtige.
Herr Schuster meint, dass der Umstand, dass Pat. auch Mitbewegungen an
der gleichen Körperseite zeige, gegen die Annahme des Herrn Rothmann
spreche; die Uebertragung geschehe wahrscheinlich von Rinde zu Rinde entweder
der gleichen oder der gegenüberliegenden Hemisphäre.
Herr Remak glaubt die Mitbewegungen des vorgestellten Falles als Symptom
eines gewissen Infantilismus ansprechen zu sollen und richtet deshalb an den
Vortr. die Frage, ob das Ingenium normal entwickelt ist. Da anzunehmen ist,
dass das Kind zuerst beide Hemisphären innervirt und erst allmählich die
Willensimpulse auf eine zu isoliren lernt, so ist es nicht wahrscheinlich, dass die
von Rothmann besprochene Innervation gekreuzter und ungekreuzter Bahnen von
einer Hemisphäre aus hier überhaupt in Betracht kommt. Man muss sich viel¬
mehr vorstellen, dass die symmetrischen Mitbewegungen durch beiderseitige cor-
ticale Impulse zu Stande kommen. Auch die gleichseitigen Mitbewegungen dürften
aber auf einer Irradiation der Willensimpulse in der Hirnrinde beruhen. Remak
erinnert daran, dass er typische gleichseitige Mitbewegungen der rechten Ober¬
extremität in einem Falle von Aphasie auch beim Herausstrecken der Zunge in
dieser Gesellschaft 1896 demonstrirt hat in derselben Reihenfolge, in welcher die
Lagerung der Centren in der vorderen Centralwindung angenommen wird (dieses
Central«. 1897. S. 53).
Herr M. Rothmann: Seine Ausführungen bezogen sich natürlich nur auf
die gleichartigen Bewegungen der entsprechenden Glieder der anderen Körper¬
hälfte, die ja in den vorgestellten Fällen bei Weitem überwiegen, während die
Mitbewegungen der anderen Extremität derselben Körper hälfte nur angedeutet
sind. Für letztere genügt es wo«, eine etwas gesteigerte Erregbarkeit der
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Centren in der Hirnrinde überhaupt anzunehmen, die das Ueberspringen stärkerer
Beize von der Beinregion auf die Armregion gestatten, wie wir es ja auch bei
der etwas gesteigerten Reizung der Extremitätenregion bei den Thieren beobachten
können. Was die ganze Frage betrifft, so möchte R. hier betonen, dass es uns
an Faserbahnen im Gehirn zur Leitung der verschiedenen Reizübertragungen nicht
fehlt; im Gegentheil — wir besitzen so viele derartige Bahnen, dass wir eine
Erklärung immer constatiren können, die dadurch freilich nicht immer an Werth
gewinnt.
Herr Levy bemerkt, dass Pat. Jahre lang die Stelle eines Werkfiihrers in
einer Fabrik ausfüllt, wozu wohl ein normales Maass von Intelligenz erforder¬
lich sei.
Herr Cassirer: Ein Fall von Little’soher Krankheit (Demonstration).
6jähr. Kind, drei gesunde Geschwister, zur rechten Zeit geboren, aber es
war eine Steissgeburt, und das Kind kam tief asphyktisch, so dass energische
Wiederbelebungsversuche nöthig waren. Kann von vornherein schlecht schlucken,
konnte niemals den Kopf halten. Lernte erst mit 4 Jahren ein wenig laufen;
um dieselbe Zeit die ersten unvollkommenen Sprechversuche. Jetzt völlige Un¬
fähigkeit den Kopf zu halten, der bald nach vorn, bald nach hinten übersinkt;
die gleiche Schwäche in der Rumpfmusculatur; das Kind sitzt völlig in sich zu*
sammengesunken. Spastische Parese beider Arme und Beine, erhöhte Sehnen¬
phänomene, Babinski’scher Reflex, an den Armen choreatisch-athetotische Hit¬
bewegungen. Gang sehr unbeholfen, die Fussspitzen kleben am Boden, die Beine
überkreuzen sich. Besonders beachtenswerth sind spastische Paresen im Gebiet
der bulbären motorischen Nerven: das Kauen erfolgt sehr mühsam, der Bissen
kann mit den Lippen nur unvollkommen festgehalten werden; häufiges Verschlucken.
Sprache aphonisch, flüsternd, bulbär. Erhöhung des Masseterphänomens. Zwischen
den Kau-Schluckbewegungen tiefe inspiratorische Athemzüge, deutlich spastischen
Charakters, besonders deutlich im Affect. Keine erhebliche Intelligenzschwäche,
keine Krämpfe. Es handelt sich um einen Fall der zuerst von Oppenheim ge¬
nauer beschriebenen infantilen cerebralen Glossopharyngolabialparalvse, eine
spastische Diplegie, mit spastisch-paretisohen Erscheinungen im Gebiete der bul¬
bären Nerven.
Herr Treitel: Ueber Agoraphobie und verwandte Zustände bei Er¬
krankung des Ohres.
Anknüpfend an einige Veröffentlichungen besonders von französischer Seite
bespricht Vortr. die Frage des Zusammenhangs der Agoraphobie mit Erkrankungen
des Ohres, bei denen Schwindelerscheinungen vorhanden sind. Die Möglichkeit
ist theoretisch zuzugeben, es wurden zwei einschlägige Fälle mitgetheilt. Aber
Vortr. betont, dass bei der Häufigkeit von Schwindelanfällen bei Ohrerkrankungen
noch eine gewisse erworbene oder ererbte nervÖBe Disposition hinzukommen muss,
damit es zu einer Agoraphobie kommt. In einem Falle hat der Vortr. im An¬
schluss an einen Schwindelanfall eine Desorientirtheit über den einzuschlagenden
Nachhauseweg in Erfahrung gebracht. Andererseits können im Anschluss an Ohr¬
erkrankungen Schwindelerscheinungen auf hysterischer Basis auftreten. Vortr. be¬
richtet von zwei derartigen Fällen, und weist auch auf die Hörstörungen hin,
welche dem objectiven Befunde nicht entsprechen.
Discussion:
Herr Liepmann vermisst bei dem angeführten Pat. das klassische Bild der
Agoraphobie; ebenso scheint ihm die vom Vortr. erwähnte Patientin doch nicht
an tiefer Gedächtnissschwäche zu leiden, wenn sie den Weg nicht nach Hause
finden kann.
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Herr Treitel sprach von der Deeorientirtheit als einer tiefen Gedächtnis¬
störung; das ist natürlich nicht im Sinne der Psychiater gemeint. T. wollte
überhaupt nur darauf hinweisen, dass derartige Zustände vom Ohre ans bei vor¬
handener Disposition hervorgerufen werden können. Jacobsohn (Berlin).
Sociötd de Neurologie de Paria.
Sitzung vom 7. Februar 1901.
(Schluss.)
Herr Sch erb (d’Alger): Pheriphere Zeichen einer organischen Läsion
bei der Paralysis agitans.
Es handelt sich um einen 45 jährigen Mann, der schon seit 11 Jahren an
Paralysis agitans leidet. Vor 8 Jahren hat die Steifigkeit und das Zittern auf
eine Behandlung mit Solanin und Natrium boratum bedeutend nachgelassen,
so dass der Kranke wieder seinen Beruf (Tischler) hat auihehmen können. Vor
5 Jahren bekam er plötzlich Nachts einen apoplektiformen Anfall, welcher von
heftigen Kopfschmerzen begleitet war. Darauf tritt wieder starke Steifigkeit des
Körpers und heftiges Zittern ein. Nach 5, 6 Schritten fällt der Kranke
nach der rechten Seite. Retropulsion bestand damals nicht. Bei der Unter¬
suchung constatirte man, dass die Reflexe auf der rechten Seite mehr gesteigert
sind. Fus8clonus nur rechts vorhanden, Bowie die Bab inski-Reflexe. Die
Steifigkeit und das Zittern sind ebenfalls auf der rechten Seite mehr ausge¬
sprochen. Die rechte Hand ist viel schwächer (Dynamometer 11 kg) als die linke
(Dynamometer 32 kg). Gleichzeitig besteht allgemeine Arteriosklerose. Geräusch
am Ostium aortae, bruit de galop. Spec. Gewicht des Harnes 1009, Quantum
2500 g. Von der chemischen Zusammensetzung des Urins, sowie der mikros¬
kopischen des Sediments spricht der Vortr. nicht. Er stellt die Hypothese auf,
dass die gesteigerten Reflexe, die Steifigkeit und das Zittern von einer Blutung
in der Gegend des Locus niger und einer daraus folgenden Reizung der Pyramiden¬
bahnen abhängen können.
Herr Scher b (d’Alger): Traumatische Radial isparalyse ohne Be¬
theiligung des M. radialis longus, des M. radialls brevls und der
Mm. aupinatores. (Diese Mittheilung wird in extenso in der Revue neurologique
erscheinen).
Herr Boinet (de Marseille): Dauernde Atrophie der Mm. infraspinatus,
teres minor, trapesius, serratua anticus (der rechten Seite) bei einem
früheren Syphilitiker in Folge einer Apendioitia mit nachfolgender Darm-
infeotion und Phlebitis femoralis.
Eine frühere Syphilis, die ungenügend behandelt wurde und anscheinend
geheilt ist, kann bei Gelegenheit einer intercurrenten Infectionskrankheit im
Centralnervensystem wieder ausbrechen. So hat man Myelitis in Folge einer
Grippe bei früher syphilitisch Gewesenen auftreten sehen. Vortr. theilt einen
Fall mit, in welchem nach einer acuten Darminfection dauernde Atrophie eines
grossen Theils der Schultermuskeln rechts aufgetreten ist.
Eis handelt sich um einen 40 jährigen Mann, der immer kräftig und gesund
war. Im Jahre 1886 Syphilis, die nur kurze Zeit leicht durch Pillen behandelt
wurde. Im October 1900 Anfall von Apendicitis, die nach 14 Tagen verschwand.
Dann traten auf ein Mal schwere Infectionserscheinungen auf: wiederholter
Schüttelfrost, starkes Fieber, profuse Schweisse, stark belegte Zunge. Diese
Erscheinungen wurden als stercoraemische aufgefasst. In Folge dieser Darminfection
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634
traten heftige Schmerzen in beiden Schaltern, sowie in den oberen Extremitäten
auf, die bei Druck und Bewegungen noch heftiger wurden. In der rechten waren
die Schmerzen heftiger und hartnäckiger als in der linken. 10 Tage später neuer
Anfall von Frost und Fieber und Ausbildung einer Phlebitis in der rechten Vena
femoralis mit Phlegmasia alba dolens im rechten Bein. Die Schmerzen in den
oberen Extremitäten waren Anfang December verschwunden, und die Phlegmasia
alba dolens verschwand auch nach einem normalen Verlauf. Die Bewegungen der
linken oberen Extremität sind wieder so ziemlich normal, nur blieb an der unteren
äusseren Fläche des Vorderarmes eine 15 cm lange, 6 cm breite anästhetische
Stelle bestehen. Die Muskeln der rechten Schulter waren stark atrophisch,
und der Kranke konnte diese Schulter kaum bewegen. Die elektrische Unter¬
suchung ergab folgendes: Faradischer Strom: Leichte Ueberreizbarkeit der
Mm. supraspinati. Die Erregbarkeit der Infraspinati ist bedeutend herabgesetzt
Leichte Herabsetzung der faradischen Erregbarkeit der Mm. pectorales und des
Trapezius. Der Serratus anticus ist faradisch nicht erregbar. Galvanischer
Strom: Modification der elektrischen Reaction nach Erb’scher Formel in allen
von der Atrophie betroffenen Muskeln, mit Ausnahme des M. serratus anticus.
Ohne gewichtige Gründe anzugeben, hält Vortr. die Nervensymptome für
syphilitischen Ursprungs, nur weil der Patient vor Jahren Syphilis gehabt hat
Was die Localisation der Läsion an betrifft, so spricht er sich gegen eine peri¬
phere infectiöse Neuritis aus, trotz der heftigen und lange andauernden Schmerzen
am Anfänge des Leidens. Vortr. hält das Leiden für eine specifische Myelitis,
die anfangs diffus war und später sich nur auf manche sensible Zonen des Rücken¬
marks und auf die graue Substanz der Vorderhörner concentrirt hat. Die Lähmung
und Atrophie der Schultermuskeln erklärt er also durch einen Process analog
dem, wie es bei der Poliomyelitis anterior acuta der Fall ist.
R. Hirschberg (Paris).
IV. Neurologische und psychiatrische Litteratur
vom 1. März bis 1. Mai 1901.
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Nr. 13. — di Luzenberger, L’elettricitä statica in medicin«. Gioin. inter. science med.
XXIII. — Lloyd, Spinal surgery. Journ. of Amer. med. Assoc. Nr. 15. — Williams, Besec-
tion of the cervical sympathetic. Medic. News. Nr. 14. — Winternitz, Hydro- und Photo¬
therapie. Deutsche Medicinal-Zeitung. Nr. 26. — Zabludowski, Die neue Massage-Anstalt
der Universität Berlin. Berliner klin. Wochenschr. Nr. 15. — Hermann Weber, 8anatorien
auf Inseln und am Meeresufer. Zeitschr. f. diät u. physik. Therapie. V. Heft 1. — De-
dichen, Heil- und Pflegeanstalten in den scandinaviscnen Ländern. Berlin. Georg Reimer.
102 Seiten.
V. Vermischtes.
Die VULL Sitzung des nordostdeutschen psychiatrischen Vereins findet am
Montag, den 8. Juli 1901, Mittags 12 Uhr in der Provinzial-Irrenanstalt Treptow a. Rega statt.
Tagesordnung:
1. Colla (Finkenwalde): Der Alkoholismus und seine Behandlung. — 2. Horstmauu
(Treptow): Zur Geistesstörung bei Polyneuritis. — 3. Siemens (Lauen bürg): Ueber Inhalt
und Form der zu druckenden Anstalts-Jahresberichte. — 4. Mercklin (Treptow): Kurze
Erläuterungen zum Bauplan der Irrenanstalt Treptow und Bemerkungen zur zellenloeeo
Behandlung. — Besichtigung der Anstalt
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
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1901. 16. Juli. Nr. li.
Inhalt I. Originalmittheilungen. 1. Ueber die psychischen Schluckstörungen (Dys-
phagia psychica), von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St. Petersburg. 2. Das antoro-mediale
Bündel im Seitenstrange des Rückenmarks, von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St Petersburg.
3. Ueber den hypogastrischen Reflex, von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St Petersburg. 4. Ein
Beitrag zur gegenseitigen Beeinflussung der Geisteskranken (Fall von „musikalischer Infection“),
von Oberarzt Medicinalrath Dr. P. Nicke in Hubertusburg. 5. Ein Fall von angeborenem
partiellen Haarmangel in Beziehung zur Haarempfindlichkeit, von Dr. V. P. Ossipow.
II. Referate. Anatomie. 1. Eine eleotive Färbung des Axencylindere, bezw. isolirte
Tinction eines seiner Bestandtheile, von StrKhuber. 2. Anleitung zur Gehirnpräparation, von
Strasser. 3. Weitere Untersuchungen über die Glia von Helix, von Smidt. 4. Le pieghe
laterali dei solchi vestibolari della bocca. Cenno riassunt di Favaro con aggiunte di Lom-
broso e Treves e Olivetti. — Experimentelle Physiologie. 5. La sensibilita nei fan-
ciulli in rapporto al sesso ed all’ etä, pel di Mattel. 6. On dilatation of the pupil from
Stimulation of the cortex cerebri, by Parsons. — Pathologische Anatomie. 7. Ueber
die Veränderungen im Rückenmark nach Resection einiger Bpinaler Nerven der vorderen
Extremität, von v. Knape. — Pathologie des Nervensystems. 8. Origine della devia-
zione oculo-cefalica e della rigidita muscolare precoce nelle malattie cerebrali, per Murri.
9. Over reflexen contractuur en spasmen, per de Buck. 10. Ueber den Einfluss der Hirn-
hemisphären auf die Rückenmarksretiexe, von Sadkowski. 11. Ueber die Anomalieen der
Reflexe, speciell der Patellarreflexe und die sie begleitenden Sensationen bei Neurosen, von
Szuman. 12. Ueber den diagnostischen Werth des Babinski’Bchen Phänomens, von Tumpowskl.
13. Beitrag zur Bedeutung des Babinski’schen Phänomens, von Chodiko. 14. Zur Casuistik
der 8yringomyelie, von Grassl. 15. Ein neues Symptom bei Syringomyelie (thorax en bäteau),
von Galdbaum. 16. Ueber die Syringomyelie auf syphilitischer Basis, von Olejnik. 17. Sopra
due casi di siringomielia, per Cesarlo-Demei. 18. Ueber einen Fall von multiplen Rückenmarks¬
gliomen, Meningitis und Hydrooepbalus, von Heubnsr. 19. Ueber einen Fall von Brown-
Slquard’scher Lähmung in Folge von Rückenmarksgliom, von Hennebsrg. 20. Ueber einen
schweren spinalen Symptomencomplex, bedingt durch eine aneurysma-serpentinumartige
Veränderung eines Theiles der Rückenmarksgefässe. Nebst Bemerkungen über diffase Aneu¬
rysmen, von Brasch. 21. Lea kystes hydatiques ä determination medullaire, par Scherb.
22. Angiolipom des Wirbelcanals mit Compression des Rückenmarks, von Liebscher. 23. Les
artbropathies trophiques consdcutives aux affections chirurgicales de la moölle: traumatismes,
mal de Pott, tumeurs, par Chipault. 24. Ueber einen Fall von intramedullärem ascendirenden
Sarkom, sowie 8 Fälle von Zerstörung des HalsmarkB. Weitere Beiträge zur Lehre vom
Verhalten der Sehnenreflexe bei hoher Querläsion deB Rückenmarks, von Nonne. 25. Ueber
eine eigenthümliche Form familiärer Erkrankung des CentralnervensyBtems, von Deskin.
26. Ueber familiäre amaurotische Idiotie, von Falkenhelm. 27. A case of family periodic para-
lyais, by Putnam. — Psychiatrie. 28. Observations on the condition of the blood in the
inaane, based on one hundred examinations, by Mackie. 29. La dämenoe paranoide, par
Slfllas. 30. Sur les ph6nornfcnes dits hallucinations psychiques, par Sägias.
III. Bibliographie. Neuritis und Polyneuritis, von Prof. E. Remak und Dr. E. Flatau.
IV. Aus den Gesellschaften. XXVI. WanderverBammlung der Südwestdeutschen Neu¬
rologen und Irrenärzte zu Baden-Baden am 8. und 9. Juni 1901. (Fortsetzung.) — IX. Ver¬
sammlung der polnischen Aerzte und Naturforscher in Krakau vom 20.—25. Juli 1900. —
Gesellschaft der Neuropathologen und Irrenärzte zu Moskau.
> y Google
41
642
I. Originalmittheilungen.
1. Ueber die psychischen Schluckstörungen
(Dysphagia psychica).
Von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St Petersburg.
Seit meinen ersten Beobachtungen über psychische Schluckstörangen ist
ein Zeitraum von mehr als 10—12 Jahren verflossen. Alles in Allem habe ich
bis hierher nicht viel mehr als 10 Fälle dieses merkwürdigen Leidens sammeln
können, welches demnach keine sehr grosse Häufigkeit aufweist, in praktischer
Hinsicht aber jedenfalls volle Beachtung verdient In einer neuerlichen Arbeit
über amyotaktische Dysphagie beschreibt Rossolimo 1 8 Fälle von Schluck¬
störung, welche weder in Zusammenhang stand mit organischen Affectionen des
Rachens und der Nahrungswege, noch mit Krampfzuständen des Oesophagus,
wie dies bei Hysterie der Fall ist, noch auch mit irgend welchen anatomischen
Affectionen des Nervensystemes, sondern die bedingt war durch functioneile
Störungen höherer Nervencentren. Er betrachtet den Zustand als einen
den sonstigen Störungen der automatischen und erlernten Bewegungen und
der zusammengesetzten Reflexe analogen Symptomencomplex, ohne letzteren
einer Krankheitsform sui generis gleichwertig zu setzen, und theilt die von ihm
geschilderten Fälle von amyotaktischer Dysphagie je nachdem, inwieweit das
eine oder das andere Moment bei der Entstehung und bei dem Zutagetreten
der Schluckstörung überwiegend in den Vordergrund tritt, in folgende 3 Haupt-
typen ein: 1. Dysphagia amyotactica motoria, beruhend auf schwachem Ver¬
lauf des Schlussactes, 2. Dysphagia amyotactica sensoria, bedingt durch sensible
Störungen, und 3. Dysphagia amyotactica psychica, bei welcher das psychische
Element eines specifischen Angstzustandes oder einer Zwangsidee vorwaltet
Ohne auf die Frage nach den durch Schwäche des Schluckactes oder
sensible Veränderungen im Gebiete der Nahrungswege bedingten Schlack¬
störungen näher einzugehen, möchte ich hier nur die psychischen Störungen
der Schluckfunction erörtern, welchen meiner Ansicht nach gegenüber allen
übrigen Schluckstörungen eine ganz bestimmte Sonderstellung anzuweisen ist
Meinen Beobachtungen zu Folge giebt es eigentümliche krankhafte Angst-
zustände, welche sich äussem in der Furcht vor dem Schlucken oder eigentlich
vor dem Sichverschlucken. Gleich allen übrigen krankhaften Angstformen
kann auch die Schluckangst sich äussem als Angstzustand, welcher ohne
Vermittelung irgend einer deutlich ausgesprochenen Idee jedes Mal in die Er¬
scheinung tritt, sobald es sich darum handelt, etwas herunterzuschlucken, wäh-
1 G. J. Rossolimo, Ueber Dysphagia amyotactica. Neurolog. CentralbL 1901. Nr. 4,
5 und 6. — S. auch die Protok. der Moskauer Gesellsch. der Neuropath. u. Psych. 1890.
iy Google
643
read in anderen Fällen dieser Angst die Zwangsidee, an. dem Bissen ersticken
zu können, vorhergeht und dann erst die von Beklemmung und Herzklopfen
begleitete Empfindung der Schluckunsicherheit sich einstellt. Einer von den
Kranken, den ich 1889 beobachtete, ein im 40. Lebensjahre stehender, erblich
schwer belasteter hochgradiger Neurastheniker, der an Anfallen von Herzklopfen
und Schwermüthigkeit litt, hatte von Zeit zu Zeit die Zwangsvorstellung, sich ver¬
schlucken zu können, in Folge dessen bei ihm der Schluckact so unvollständig
vor sich ging, dass schon ganz kleine Stückchen fester Nahrung mit Mühe,
hingegen flüssige Speisen ohne Hinderniss verschluckt wurden. Derartige Zu¬
stände, gewöhnlich verbunden mit Steigerung des Herzklopfens und der Schwer¬
müthigkeit, traten bei dem Kranken nur ab und zu auf, am häufigsten des
Morgens. Zu anderen Zeiten fühlte der Kranke sich besser, und dann schwand
sowohl die Idee, sich verschlucken zu können, als auch die Schluckstörung
selbst Unter solchen Schwankungen zog sich das Leiden durch mehrere
Monate und wurde endlich durch die eingeschlagene Therapie (Bäder, Brom mit
Codein) in einem Grade beeinflusst, dass die Schluckbeschwerden sich in der
Folgezeit nicht wiederholten.
Zu bemerken ist, dass auch hier die Angst, nicht regelrecht schlucken zu
können, in den Vordergrund der Erscheinung tritt; jedoch war diese Angst im
vorliegenden Falle begleitet von einer Zwangsidee, welche bis zu einem gewissen
Grade den Affectzustand unterstützte. Oefter dagegen handelt es sich nicht um
bestimmte Zwangsideeen, sondern einzig und allein um eine unwillkürliche
Angst vor dem Schlucken. Eine meiner Kranken, die an dieser Form psy¬
chischer Schluckstörung leidet, beschreibt ihren Krankheitszustand in folgenden
Worten: „Als ich durch die Zeitung von Ihren Suggestionsversuchen an Nerven¬
kranken hörte, ward ich von neuer Hoffnung belebt, denn ich selbst bin meiner
Ansicht nach solcher Behandlung schon lange bedürftig. Seit 5 Jahren leide
ich an nervösen Spasmen und bin hochgradig erschöpft, da ich aus Angst, an
dem Bissen zu ersticken, nicht mehr zu essen wage. Unter dem Drucke dieser
Angst lebe ich nun schon 5 Jahre ausschliesslich von flüssiger Nahrung, bin
entkräftet und vermag meinen Willen nicht zu zwingen, d. h. ich entschliesse
mich nicht, bei festen Speisen die Schluckmuskeln zu bewegen. Dies ist die
eigentliche Ursache meiner Leiden. Mein Beruf als Lehrerin des Gesanges an
einem Musikinstitute nöthigt mich zu beständiger Thätigkeit Ich verberge
mein Uebel sorgfältig vor Allen, um nicht in den Ruf der Geisteskrankheit zu
kommen und meinen Erwerb zu verlieren. Wollen Sie meine kühne Bitte ge¬
duldig aufnehmen, die Bitte einer Ertrinkenden, die sich an einen Strohhalm
klammert.“ Es handelt sich also in diesem Falle um ein hartnäckiges Leiden,
welches, durch mehrere Jahre anhaltend, in Folge gänzlicher Unmöglichkeit
fester Nahrungsaufnahme schliesslich zu hochgradiger Erschöpfung des Organis¬
mus geführt hat; verursacht ist der Zustand durch eine der Kranken selbst
anerklärliche Angst, welche jedes Mal im Augenblicke der Nahrungsaufnahme
sich einstellt
Indessen tritt jene Behinderung des Schluckens, von welcher hier die Rede
41*
Google
644
ist, nicht immer nur beim Durchtritte fester Speisen ein. In anderen Fällen
werden, worauf auch Rossolemo aufmerksam macht, flüssige Speisen ebenso
sohwer verschluckt wie feste; ja manchmal ist es gerade flüssige Nahrung,
welche beim Schlucken die grössten Hindernisse hervorruft
Mit Bezug auf die Pathogenese des Leidens ist zu bemerken, dass es sich
in meinen sämmtlichen Fällen um Individuen handelt, die eine mehr oder
weniger deutlich ausgesprochene erbliche Belastung aufweisen. Nicht selten
treten gleichzeitig auch andere Erscheinungen von Seiten des Nervensystemes
zu Tage, insbesondere solche mit den Charakteren der Hysterie oder Neurasthenie.
In einzelnen Fällen allerdings bildete die Schluckbehinderung fast das einzige
Symptom des ganzen Krankheitszustandes.
Das Leiden selbst entwickelt sich nicht selten im Anschlüsse au irgend
ein Vorkommniss beim Schlucken, etwa an Verschlucken oder ganz zufälliges
Steckenbleiben eines Bissens, wie solches beispielsweise bei eiliger Nahrungsaufnahme
Vorkommen mag. Ein solches Ereigniss wirkt dann in der Regel wie ein psy¬
chischer Shock und giebt den ersten Anstoss zur Entwickelung des späteren
Krankheitszustandes; nunmehr ist der Schluckact Gegenstand beständiger Sorge
bei dem Kranken; späterhin stellt sich bei jeder Schluckbewegung ein Angst¬
zustand ein, und dies führt schliesslich zu einer wirklichen Störung der Schlnck-
thätigkeit, ungeachtet weder am Rachen, noch in der Speiseröhre irgendwelche
organische Veränderungen vorliegen und Lähmungserscheinungen der Schluck-
musculatur nicht vorhanden sind.
In jenen Fällen, wo die Schluckbeschwerden als Ausdruck eines allgemeinen
nervösen Zustandes sich darstellen, können sie je nach dem Verhalten dieses
letzteren bald zurücktreten, bald eine Steigerung erfahren und somit so lange
recidivirend auftreten, bis sie ganz verschwinden. Wo der Zustand jedoch mehr »
als selbständiger Symptomencomplex sich darbietet, da ist er in der Regel durch
grosse Hartnäckigkeit und Beständigkeit ausgezeichnet, ein Moment, auf welches
auch Ros8olimo aufmerksam macht In solchen hartnäckigen Fällen besteht
manchmal sogar Undurchlässigkeit der Nahrungswege für die Sonde, jedoch kann
hier in differentiell-diagnostischer Hinsicht die Thatsache von Bedeutung sein,
dass das Hinderniss für die Sonde ganz im Beginne des Oesophagus auftritt,
also in einer Gegend, die schon der unmittelbaren Untersuchung leicht zugäng¬
lich ist. Es versteht sich von selbst, dass zu Zeiten, wo die Dysphagia psy-
chica schwindet oder nachlässt, die Sondeneinführung ungehindert vor sich geht
Zu erwähnen ist schliesslich, dass in meinen Fällen gegenüber psychischen
Schluckbeschwerden sich als am meisten wirksam erwiesen hypnotische Be¬
handlung, örtliche Faradisation sowie gemischte Behandlung mit Brom, Herz¬
mitteln und Codein, welche von mir gegen Epilepsie und andere mit Krampf¬
erscheinungen und Rerzpalpitation einhergehende Neurosen in Vorschlag gebracht
worden ist.
Digilized by UooQle
645
2. Das antero-mediale Bündel im Seitenstrange des
Rückenmarks.
Von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St. Petersbarg.
Bekanntlich hat zuerst P. Flechsig, gestützt auf Untersuchungen der Ent¬
wickelung 1 , den zu der grauen Substanz gehörigen Theil der weissen Bücken¬
markssäulen als seitliche Grenzschicht der grauen Substanz beschrieben. Er
konnte nämlich feststellen, dass auf frühen Entwickelungsstufen, z. B. bei 25 cm
Fötenlänge, jener Theil des Seitenstranges, welcher nach Ausschluss der Pyra¬
midenseitenstrang- und Kleinhimbahn übrig bleibt, und welchen Flechsig als
Seitenstrangrest bezeichnet, nach der Zeit der Faserentwiokelung in 2 Abschnitte
zerfällt, von denen der eine markhaltige Fasern einsohliesst, während der andere
um die betreffende Zeit noch aus marklosen Fasern sich zusammensetzt Letz¬
teres Gebiet findet sich im Halsmarke bis zur Höhe des IL Cervioalnerven,
lateral von dem Vorderhom, erreicht nach vorne hin die Gegend der vorderen
Zellgruppe, geht hinten in das Feld der Pyramidenseitenstrangbahn über und
grenzt lateral an das Markfeld der gemischten Zone. Von der 3. Cervicalwurzel
abwärts rückt die Grenzschicht allmählich nach hinten und lagert sich in dem
Winkel zwischen Vorder- und Hiuterhom, sodass sie in der Halsanschwellung
ganz und gar der hinteren Hälfte des Seitenstranges angehört
In dem Brustmarke rückt das fragliche Gebiet zu Folge der Darstellungen
von P. Flechsig wiederum nach vorne und umgiebt hier als dünner Saum den
Lateralrand des Vorderhornes. In der Lendenanschwellung findet sich eine
marklose Zone nur im hinteren Theile des Seitenstranges. Zu erwähnen ist
ausserdem, dass bei 28 cm Fötenlänge das marklose Gebiet bereits eine geringere
Ausdehnung besitzt als bei Früchten von 25 cm Länge.
Es ist mir nun unterdessen gelungen, im Seitenstrange auf Grundlage der
Markbildung ein besonderes mediales Bündel zur Darstellung zu bringen, welches
zwischen der Pyramidenseitenstangbahn und dem Bückenmarksgrau seine Lage
hat und zum Theil in den hinteren Abschnitt der Grenzschicht von Flechsig
sich hineinerstreckt
Dieser Befund legte die Annahme nahe, dass der vordere Theil der Grenz¬
schicht ein selbständiges Fasersystem in sich beherberge, eine Vermuthung, die
ich bereits in der ersten russischen Auflage meiner „Leitungsbahnen“ im Jahre
1893 zum Ausdruck gebracht habe.
Ich sprach mich daselbst mit Bezug auf das an der lateralen Grenze des
Vorderhornes gelegene Fasersystem wie folgt aus: „Im oberen Theile des Hals¬
markes entfernt sich das Grundbündel von der Peripherie der grauen Substanz
des Vorderhornes, so dass hier zwischen den Fasern des Grundbündels und der
äusseren Oberfläche des Seiten- und Vorderhornes ein freier Baum zurückbleibt,
Digilized by GoO^lC
1 P. Flechsig, Die Leitangsbahnen. Leipzig 1879.
646
welcher Ton den Elementen eines sich später ummarkenden Bündels 1
ausgefüllt wird.“ Das gleiche Fasersystem betrifft auch eine weitere daselbst
vorhandene Notiz: „Das fragliche Bündel bildet vielleicht die centrale Fort¬
setzung des medialen Seitenstrangbündels, wiewohl es möglich ist, dass hier
ein ganz besonderes Faserbündel vorliegt.“
Ich habe also schon im Jahre 1893 auf das Vorkommen eines besonderen
Fasersystemes am lateralen Rande des Vorderhornes hingewiesen, welches ver¬
schieden ist von dem von mir beschriebenen medialen Seitenstrangbündel des
Rückenmarkes, das im hinteren Theile der Grenzschicht von P. Flechsig an
der lateralen Seite des Hinterhorn es seine Lage bat und sich ventralwärts bis
zu dem Winkel zwischen Seiten- und Hinterhorn und darüber hinaus bis zum
dorsalen Theile des Seitenhornes erstreckt 2
Der fragliche Theil der weissen Substanz des Rückenmarkes, welcher mit
Hilfe der Entwickelungsmethode nur in den oberen Theilen des Rückenmarkes,
vor Allem im Halsmarke, leicht darstellbar ist, erscheint in Wirklichkeit als
ein Faserzug sui generis, der zu gewissen Zellen der grauen Vorderhöraer in
nächster Beziehung steht Bewiesen wird letztere Thatsache durch den Um¬
stand, dass bei Zelldegeneration im Vorderhorne, wie dies in einem von Bbucb
beschriebenen Fall von amyotrophischer Lateralsklerose 3 zutraf, und wie ich auf
Grund eigener Präparate auch feststellen konnte, der fragliche Faserzug in De¬
generation übergeht. Er giebt sich deutlich als besonderes System zu erkennen,
welches zu den Nervenzellen des Vorderhornes der oberen Rückenmarksabschnitte
in nächsten Beziehungen steht Am meisten zutreffend erscheint mir für dieses
System die Bezeichnung antero-medialer Seitenstrangbündel zum Unter¬
schiede von dem von mir früher beschriebenen medialen Seitenstrangbündel,
welches nunmehr als postero-mediales Seitenstrangbündel des Rückenmarkes
sich darstellen würde.
Mit Bezug auf das abwärtige Ende des in Rede stehenden Fasersystemes
bin ich leider noch nicht in der Lage, ganz bestimmte Befunde namhaft machen
zu können. Da dieses System an Präparaten, wo es noch marklos erscheint,
mit dem vorderen medialen Rande der Pyramidenseitenstrangbahn zusammen-
fliesst, auf älteren Entwickelungsstufen hingegen seine Fasern gleich denjenigen
des Faserbündels bereits markbekleidet sind, so scheint eine Trennung desselben
von den umgebenden Markbestandtheilen mit Hilfe der Entwickelungsmethode
nicht durchführbar. Indessen handelt es sich hier offenbar um einen Faserzug,
welcher sich nicht bis zu den unteren Abschnitten des Rückenmarks erstreckt
Die untere Grenze des Bündels wird in Fällen von secundärer Degeneration
desselben sich genauer ermitteln lassen.
1 Vgl. meine Leitangsbahnen im Gehirn und Rückenmark“.
* Vgl. meinen Artikel: „Ueber ein besonderes mediales Bündel der Seitenstränge.“
Neurolog. Centralbl. 1898. S. 680.
8 Bbüce, Revue neurolog. 1896. Nr. 23.
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3. Ueber den hypogastrischen Reflex.
Von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St. Petersburg.
Unter den reflectorischen Contractionen im Gebiete der Bauchmusculatur
sind bisher zwei Reflexe — der abdominale und der epigastrische — unterschieden
worden. Nach Gowebs 1 steht der abdominale Reflex in Abhängigkeit von
einer Contraction der Bauchmuskeln, die durch mechanische Reizung der Haut
abwärts vom Rippenrande ausgelöst werden kann und dem Rückenmarksniveau
im Gebiete des 8. —12. Brustnerven entspricht. Der epigastrische Reflex, sich
äussernd in Einziehung des gleichseitigen Epigastriums in Folge von Contraction
der allerobersten Fasern des Rectus abdominis, entsteht durch Reizung der seit¬
lichen Brustwand im Gebiete des 6., 5., bisweilen auch des 4. Intercostalraumes
und nimmt seinen Ausgangspunkt vom Rückenmark in Höbe des 4., 6. oder
7. Brustnervenpaares.
In der Folge berücksichtigte man vorzugsweise den abdominalen Reflex trotz
der geringeren Constanz desselben im Verhältnisse zu dem epigastrischen. „Ob¬
wohl Reflexe von jeder beliebigen Stelle des Körpers auslösbar sind", schreibt
beispielsweise Oppenheim in seinem bekannten Handbuch, „so haben nichts¬
destoweniger für die Diagnostik besondere Bedeutung erlangt 1. der Fusssohlen-
reflex, 2. der Bauchreflex und 3. der Cremasterreflex.“ Was den Bauch¬
reflex betrifft, so geschieht nach einer Angabe des gleichen Handbuches die
Prüfung desselben in der Weise, dass man mit der Hand oder einem stumpfen
Gegenstände schnell über die Haut des Bauches oder des Hypochondriums
streicht; es erfolgt hierbei Einziehung des Abdomens durch Contraction der
Bauchmuskeln. Eine ganz ähnliche Bestimmung haben auch andere Forscher
von diesem Reflexe, und beispielsweise heisst es bei Zlataboff in seiner 1900
erschienenen Dissertation: „Ce röflexe est caractörisö par la contraction muscu-
laire de la paroi abdominale, ä la suite d’une excitation superficielle de cette paroi. 2
Zu einem auf der 24. Wanderversammlung der südwestdeutschen Neu¬
rologen und Irrenärzte gehaltenen Vortrage äusserte sich Prof. v. Stbümpell
in dem Sinne 3 , dass die reflexogenen Gebiete, also jene Hautbezirke, von denen
Reflexe ausgelöst werden, bei gewissen Zuständen mehr oder weniger an Umfang
zunehmen. „Für den gewöhnlichen Beugungsreflex des Fusses erstreckt sich
das reflexogene Gebiet verschieden weit nach oben, manchmal nur bis zur Knie¬
gegend, öfters bis zur Leiste, häufig aber auch noch weiter aufwärts. Das re¬
flexogene Hautgebiet für den Bauchreflex reicht oft bis zum Oberschenkel, das-
1 Gowbbs, Diagnostik der Erkrankungen des Rückenmarks.
* A. Zlataboff, Valeur sdmiologique de quelques r&iexes cutanöa et muqueux. 1900.
Vergl. auch E. Qanadlt, Contribution a l’dtude de quelques reflexes dans l’hdmiplegie d’origine
organique. Thöse de Paris 1898.
* A. Stbümpell, Ueber das Verhalten der Haut- und Sehnenreflexe bei Nervenkranken
XXIV. Wanderversammlung der südwestdeutschen Neurologen und Irrenärzte zu Baden-Baden
am 3. und 4. Juni 1899. Neurolog. Central bl. 1899. S. 617.
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648
jenige für den Cremasterreflex häufig bis zur Fusssohle hinab.“ Unter normalen
Verhältnissen ist dagegen eine derartige Ausbreitung der reflexogenen Haut-
gebiete anscheinend nicht vorhanden, wenigstens wenn man von jenem Falle
übermässiger Steigerung der Reflexe absieht, die als Ausdruck einer allgemeinen
hysterischen oder neurasthenischen Neurose sich darstellen.
Meine eigenen Beobachtungen führen mich zu dem Sohlusse, dass in pa¬
thologischen Fällen neben dem abdominalen stets auch der epigastrische Reflex
zu untersuchen ist, da es Fälle giebt, wo jener fehlt, während dieser sehr leicht
auslösbar erscheint und daher beispielsweise bei Hemiplegieen bezüglich seiner
Intensität auf beiden Seiten geprüft werden kann. Jedoch hat man ausserdem
einen weiteren Reflex in der Bauchgegend zu berücksichtigen, der den Be¬
obachtern bisher ganz entgangen ist. Dieser Reflex ist leicht durch mechanische
Reizung der Haut an der inneren Fläche des Oberschenkels nahe der Leiste
(z. B. durch schnelles Hinstreichen mit dem Stiele des Peroussionshammen
unter der Inguinalfalte) auszulösen, und äussert sich durch deutliches Ein¬
sinken der Regio suprainguinalis in Folge von Contraction der Muskeln der
unteren Bauchgegend.
Dieser hypogastrische Reflex entspricht höchstwahrscheinlich einer Con¬
traction des unteren Abschnittes des M. obliquus abdominis. Das Niveau seiner
Uebertragung muss unmittelbar abwärts von dem Bauchreflexe liegen und ent¬
spricht dem unteren Abschnitte des Brustmarkes. Er kann daher, je nach der
Höhe der Rückenmarksaffection erhalten bleiben, während gleichzeitig der Bauch¬
reflex erloschen erscheint und umgekehrt. Doch schon unter normalen Ver¬
hältnissen ist dieser Reflex, wie es mir scheint, durch etwas grössere Constam
ausgezeichnet, als der gastrische Reflex. Da er bei cerebralen Affectionen das
gleiche Verhalten aufweist, wie der Bauchreflex, indem beide in solchen Fällen
auf der Seite der Hemiplegie grösstentheils herabgesetzt erscheinen, so ergiebt
sich die Nothwendigkeit, ausser dem abdominalen oder Bauchreflexe • in jedem
einzelnen Falle auch den von mir beschriebenen hypogastrischen Reflex einer
Prüfung zu unterwerfen.
4. Ein Beitrag zur gegenseitigen Beeinflussung
der Geisteskranken (Fall von „musikalischer Infection“).
Von Oberarzt Medizinalrath Dr. P. Näoke in Hubertusbarg.
Fälle von „psychischer Infection“ in Form von Folie ä deux, ä trois u. s. w.
gehören schon zu den Seltenheiten. 1 Das sind aber Fälle, die in der Familie
entstanden waren, nicht in der Anstalt selbst Dass in letzterer ein Kranker
1 Einen geradezu klassischen hierhergehörigen Fall habe ioh in der Allgemeinen Zeit¬
schrift f. Psych. etc., Bd. L, in den „Raritäten aus der Irrenanstalt“ veröffentlicht. Dort
findet sich auch ein ebenso klassisches Beispiel von Zwangsirresein mit Disonssion, welches
leider von Thokskn in seiner Arbeit über den Gegenstand ganz fibersehen worden ist.
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seine Wahnideeen dem anderen geradezu einpflanzt, dass diese dessen Eigenthum
und zum Kerne weiterer Ausstrahlungen von Wahnideeen werden, könnte wohl
einmal Vorkommen 1 , ist aber sicher unendlich selten.
Ich selbst habe bei meiner langjährigen Erfahrung nie einen solchen Fall
beobachtet, ebenso wenig, nach mündlicher Mittheilung im Sommer 1900, die
mir befreundeten grossen Praktiker und Gelehrten, wie Ffiafi (Paris), Toulouse
(Paris), Möbel (Mons), Lkntz (Tournai) und van Deventeb (Meerenberg).
Nur in rudimentärer Weise sah einmal Möbel eine Kranke mit Zweifelsucht,
welche in der Reconvalescenz sich befand, die Verfolgungs- und Wahnideeen
einer mit ihr wohnenden Verrückten aufnehmen, 3 Monate lang festhalten, sogar
nach erfolgter Trennung, sie aber schliesslich doch aufgeben, van Deventeb
kannte einen Paranoiker, der einem Anderen mittheilte, er habe etwas Bestimmtes
gethan. Das glaubte auch Jener und hielt daran fest In diesen 2 Fällen
könnte also von einer „Gedankeninfeotion“ wohl die Rede sein, doch bildete sie
keinen Kern zur weiteren Wahnbildung.
Dies erscheint zunächst um so wunderbarer, als ja in vielen Zimmern mit
Verrückten zusammen primär oder seoundär Verblödete und Schwachsinnige
sich befinden, auf alle Fälle aber aktive und passive Naturen, die ja zur Ueber-
tragung und Aufnahme einer Wahnidee fast unumgänglich nöthig erscheinen.
Denn ein gleichgültig hingeworfenes Wort oder ein Satz wird schwerlich Wurzel
lassen, wohl aber, wenn es oft wiederholt und gemüthlich stark betont, ein¬
dringlich erläutert und begründet wird. Gerade Eigenschaften, die namentlich
bei manchen Verrückten zutreffen. Wie kommt es nun, dass trotzdem so un¬
endlich selten eine „psychische Infeotion“ in Anstalten stattfindet, noch viel
seltener aber eine solche — wenn sie überhaupt je einmal Vorkommen sollte —,
die einen aktiven Kern zur weiteren Entwickelung im zweiten Individuum hinter¬
lässt? Am nächstliegenden sieht man hier den Grund davon wohl darin, dass
meist jeder Kranke mit sich selbst beschäftigt ist, auf die Anderen nur wenig
und oberflächlich achtet, vor Allem aber ihm gewöhnlich von früher her nicht
gemüthlich nahe steht und folglich keine gemeinsamen Interessen mit ihm hatte.
Alles Dinge, die bei der Folie ä deux u. s. w. in Familien, bei Eheleuten*,
1 Es ist nicht leicht, mit Sicherheit diesen Ursprung nachznweisen. Daher ist bei
allen mitgetheilten Fällen grosse Kritik nöthig. Dasselbe gilt znm Theil übrigens auch von
der Folie ä deux u. s. f. Bubzio (s. später) erwähnt einen Verrückten, der bei seiner zweiten
Aufnahme in die Anstalt „so soggestionabel“ war, dass er leicht die Delirien anderer Mit¬
kranken aufnahm, von einem Megalomanen z. B. die, dass er Stellvertreter Christi auf Erden
■ei, doch nur für ganz kurze Zeit. Es war ein „contagio psichico momentaneo“. Es wäre
wohl der Untersuchung werth, zu forschen, ob etwaige Transformationen von Wahnideeen
auf diesem Wege häufig sind; ich glaube ee nicht.
1 Gerade bei Eheleuten kommen Fälle von Folie ä deux nicht so selten vor, doch wohl
nur unter obigen Bedingungen. Hierbei scheint die Zeit der Menses besonders günstig für
die Frau zur Aufnahme irriger Vorstellungen zu sein, wie schon a priori einleuchtet. Einzig
•teht aber gewiss der Fall da, den Buuzio (Pazzia a due; mntuo tentato suicidio per
iffetto. Annali di freniatria etc. 1899. S. 805) beschrieb. Ein Mann war seit etwa einem
Jahre an „Melancholie" mit Verfolgungs-, Sünden- und mystischem Wahne erkrankt. Seine
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Geschwistern, Kindern und Eltern, eintreffen. Sodann sind der Paranoiker, die
offen und eindringlich Jedem, der es hören will oder nicht, ihre Wahnideeea
wiederholt und mit dem nöthigen Affect Vorbringen, doch nur relativ Wenige.
Endlich ist das Zusammenleben der Kranken doch kein so inniges, wie in der
Familie. Die Kranken wissen sehr wohl, zum grossen Theil wenigstens, was für
verkehrte Ideeen ihr Nachbar hat Das afficirt sie aber wenig, und sie lachen
nur darüber und glauben ihnen gewöhnlich nicht. Auch sind sie meist im I^aofe
der Zeit egoistischer geworden, moralisch stumpfer, um noch tieferen Antheil am
Denken und Treiben des Anderen zu nehmen. 1
Besonders bei Schwachsinnigen und Paralytikern können freilich an psychische
Infection erinnernde Symptome hie und da einmal auftreten. So beobachtete
ich z. B. im März 1900 einen Paralytiker mit ganz besonderen Grössenideeen,
die er, wie er sagte, von einem Mitkranken gehört und geglaubt hatte. Diese
waren aber, ebenso wie oberflächlich „angeflogen“, auch sehr bald verschwunden
Frau erschrak darüber so, dass sie wiederholt hysterische Anfälle bekam and dann
gleichfalls Verfolgungswahn und mystischen Wahn aufwies. Beide hatten Hallu-
cinationen und Angstzustände, und in einem solchen schlug die Frau ihrem geliebten
Gatten vor, ihr Töchterchen und sich gegenseitig zu tödten, was angenommen wurde. Sie
zerfleischten sich gegenseitig fürohterlich mit Messer und Scheere, wurden aber getrennt und
ins Irrenhaus gebracht. Beide waren „entartet“ und „hysterisch“. Das Interessante liegt
hier, abgesehen von der furchtbaren That, darin, dass der inficirte Theil, die Frau, den
Selbstmord vorschlug, während dieB sonst vom anderen Theile ausgeht. — Relativ häufig
scheint eine psychische Infection in Familien von Quärulanten stattzufinden. Ich selbst
kenne zwei hierhergehörige Fälle. In dem einen hatten die stupiden Söhne die Ideeen ihres
Vaters sich zu eigen gemacht und verfochten sie, wenn auch nicht in sehr energischer Weise.
In dem anderen Falle hatte der Quärulant seine geistesschwache Frau so verdreht gemacht,
dass sie nicht bloss Alles für wahr hielt, was ihr Mann sagte, sondern in Briefen, Postkarten
und Eingaben Beamte und Behörden ebenso gröblich beleidigte, wie es der Mann früher
gethan hatte. In diesen Fällen scheint aber die übernommene Idee nicht die Kraft zur
weiteren Ausbildung zu besitzen; sie wirkt daher selten energisch. Es fehlen auch Sinnes¬
täuschungen. Diese Fälle hätte man also mit Mabandon de Montybl (s. de Boeck, De la
contagion de la folie. Bulletin de la Sociötö de mödecine mentale de Belgique. 1893.
S. 416) als „Folie impoBÖe“ zu bezeichnen, im Gegensätze zur „Folie communiquöe“. „C’est
plutot de la credulitö ezeessive que de l’alienation mentale“ sagt de Boeck von der enteren.
Auch die nicht seltenen Fälle von DoppelBelbstmord bei Gatten oder Liebespaaren beruhen
auf Suggestion, d. b. Einpflanzung gewisser Ideeen, die hier gerade durch die starke Gefähls-
betonung so gefährlich werden können. Dabei braucht kein Irrsinn zu bestehen. Aehnliches
geschieht ja auch bei der Suggestion von Einzelpersonen oder Massen. In den obigen patho¬
logischen und den letzterwähnten mehr minder normalen Verhältnissen ist der psychologische
Vorgang im Grunde derselbe, und das Urphänomen der Suggestion beruht schliesslich in der
allgemeinen Tendenz zur Nachahmung, wie es Toulouse (Les causes de la folie. Paris 1896)
sehr richtig sagt.
1 Wenn in äusserst seltenen Fällen (s. de Boeck, I. c.) Wärter oder gar Aerzte in
Anstalten angeblich durch den Contact mit den Kranken geisteskrank werden, so liegt die
Sache anders. Zunächst sind es wohl stets prädisponirte, erblich belastete Personen, die
dann allerdings unter Umständen, besonders durch den Eindruck des Verkehrs mit den
Kranken, einen psychischen Shock erfahren und erkranken können. Fälle von Folie ä deux
dürften kaum beobachtet sein und könnten höchstens nur bei schwaohbeanlagten Indivi¬
duen verkommen.
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und durch originäre ersetzt Es ist dies also nur ein höherer Grad jener Leicht-
gläubigkeit, die gerade bei Paralytikern so häufig zu sehen ist, wie mir gegen¬
über auch Lentz betonte.
Viel häufiger sind dagegen „Bewegungsinfectionen“ durch reine Nachahmung,
besonders seitens Schwachsinniger und Katatoniker. 1 So sah ich z. B. einen
Katatoniker hinter einem Kranken im gleichen Schritte wie er fortwährend im
Garten herlaufen. Toulouse erzählte mir von einem Epileptiker, der sich heftig
rieb, und welcher darin sehr bald von seinen Stubengenossen copirt wurde.
Immerhin sind auch das nur seltene Ergebnisse.
Dagegen steht folgender Fall von „musikalischer Infection“ wohl
einzig da. Mir ist wenigstens kein ähnlicher aus der Litteratur bekannt, und
weder oben genannte Herren, noch Prof. Mendel konnten dafür eigene oder
fremde Beispiele anführen. Es verlohnt sich daher gewiss, näher darauf ein¬
zugehen.
I. F., 1865 geboren, seit 1879 in Anstalten, von Geburt an schwachsinnig.
Schwester des Vaters war blödsinnig; Mutter starb schwindsüchtig. Bergarbeiters
Sohn. Keine Zahnkrämpfe gehabt. Fast mit 2 Jahren gehen gelernt. Nur
Masern gehabt. Mit 11 Jahren zuerst epileptische Krämpfe mit Aura, aller 6—
8—10 Wochen. Kam in der Schule nicht fort. Unrein, wusch sich nicht, zog
sich nicht aus. Hochgradiger Denkmangel. Nicht anstellig, fast ohne alle Schul¬
kenntnisse. Nur einige technische Fertigkeiten. Zerstreut. Spricht fliessend,
stösst nur bisweilen mit der Zunge an. Faul, heimtückisch, schmutzig, liederlich.
Schlug bisweilen. Seit Jahren zeigt er eine Art periodischer Katatonie. Bald
steht er tage-, wochenlang starr und stumm da, lässt die Nase laufen u. s. w.,
dann taut er plötzlich auf, wird erst mobil, ohne zu sprechen; später schwatzhaft,
hypomanisch, neckisch, singt, brummt, macht allerlei Schabernack, Gesten und
rhythmische Bewegungen, lacht viel, ist oft widerspenstig, arbeitet aber längere
Zeit mit. Seit etwa 1890 keine Epilepsie mehr. MittelgrosB, gut genährt, kräftig.
Stirn relativ hoch, schräg; grosse, vorspringende Nase. Kopf eher etwas klein.
Stirn ganz querdurchfurcht, wie auch das Gesicht starke Runzeln aufweist. Starke
Glatze. Ohren flügelartig, besonders links, ganz verkrüppelt, etwas abstehend.
Leichte Apophysis lemurinica; schlechte Zähne. Liess sich nicht näher unter-
1 MiNOAzznn and Packlli (Studio clinico sulle psicosi neuralgiche [in Bensu lato];
Rivista speriment. di freniatria etc. 1899. XXV) berichten von einigen Kranken, die durch
permanent heftige Kopfschmerzen geistig erkrankten (psicosi da cefalalgia permanente), dass
sie eine „kindliche Neigung, die Handlung anderer Kranken nachznahmen“, zeigten. Der
erfahrene Solxjbb (Der Idiot und der Imbecille. Deutsch von Brib. Hamburg u. Leipzig
1891) sah nur sehr selten durch Nachahmung bei Imbecillen Echolalie und Echokinesie ent¬
stehen. Kürzlich beobachtete ich folgenden interessanten Fall: Ein Paranoiker macht täglich
Hunderte von tiefen Rumpfbengungen — „Bückungen“ nennt er sie — und andere Drehungen
des Körpers oder des Kopfes, um die ihn verfolgenden „Puppen“ zu vertreiben. 2 Idioten,
von denen einer nicht reden kann, welche auf demselben Corridore weilen, machen seit
einiger Zeit diese Rumpfbewegungen nach, wenn auch nur selten und wenig wiederholt.
Obiger Paranoiker schrieb am 20. April 1901 Folgendes: „...Ich lieferte seit Januar d. J.
ein Stück Arbeit, welches über alle Begriffe hinausgeht Ich machte 22514 Tiefbeugungen,
234000 Kehrbückungen; dies ist vielleicht die Hälfte von meiner Arbeit, konnte nicht alles
aufBchreiben, weil es schwer zu berechnen war...“ Die Zahlen sind ihm zu glauben, da er
stets die „Bückungen“ zählte und notirte.
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— 652 —
suchen. An der linken Hand Oligodactylia ulnaris; an beiden Händen Krümmungen
des 2. Fingers ulnarwärts.
II. D., Bauernsohn, geboren 1877, ree. 1895. Keine erbliche Belastung.
Zahnte leicht, lief mit einem Jahre, lernte aber nicht reden, ausser einigen Worten,
trotzdem er aufmerksam war und Gedächtniss zeigte. Sorgfältig erzogen. Hatte
nur Masern. Wahrscheinlich im Anschluss daran allmählich hochgradige Schwer¬
hörigkeit, doch war 1884 das Gehör noch gut und die Sprachorgane ohne
organische Fehler. Mit 7 Jahren in eine Anstalt für Blödsinnige. Ward aber
bald nach Haus genommen. Konnte leichte Arbeiten verrichten, fasste relativ
leicht, war gutmüthig, heiter, harmlos, liebte Musik, sprach aber nicht mehr. In
der letzten Zeit ward er unrein, machte unsittliche Attentate, exhibitionnirte,
zeigte Neigung zum Fortlaufen. Deshalb in die hiesige Anstalt aufgenommen.
Nässte hier Anfangs öfter, war unstät, zur Arbeit selten zu gebrauchen, zerriss
öfter die Sachen, nahm Kirschen von den Bäumen weg und schien für nichts
Interesse zu haben, als für Essen, Trinken und Bauchen. Nahm Cigarren Anderen
aus dem Munde oder aus den Taschen. Ganz apathisch, harmlos, spricht nie,
scheint keine Frage zu verstehen, dreht sich aber um, wenn er laut gerufen wird.
Trotz blöden Aussehens blickt er doch aufmerksam um sich herum. Riesiger,
knochiger, musculöser Mensch, von blödem, apathischem Wesen. Starker Torus
occipitalis, angewachsene Ohren, Torus palatinus, hoher, schmaler, asymmetrischer
harter Gaumen. Leichte Apophysis lemurinica schlechte Zähne.
Nr. L (F.) Nr. II. ( D .) Nr. IIL (D.)
'TJP'
Der Kranke F. hielt sich mit Vorliebe auf dem Corridore auf, in der Nähe
der Medieinstube, wo Verf. dieser Zeilen arbeitete. Anfang März 1899 nun fing
er an, in belästigender Weise ein und dieselbe Melodie (eigentlich Akkordfolge)
mit oder ohne Text vor sich leise oder laut zu summen oder zu singen. Ver¬
trieb man ihn von seinem Platze, so kam er immer wieder zurück und sagte,
er thue es nur, weil er wisse, dass die Anderen sich darüber ärgerten. Da das
Gesummse nicht aufhörte und den Doctor am Arbeiten störte, ward er am
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Diai
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7. März 1899 in die obere Etage versetzt. Als nun der Arzt am 13. Jan. 1900
wieder einmal vor seiner Arbeitsstube die alte Melodie summen hörte, glaubte er,
es sei F. gewesen. Es zeigte sich jedoch, dass es dieses Mal D. war, der genau
die Melodie des F. copirt hatte. Weitere Nachforschungen ergaben, dass er
bereits im October 1899 diese Melodie zu brummen angefangen hatte.
Wir sehen also einen agitirten Schwachsinnigen F., früher mit Epilepsie
behaftet, eine Akkordfolge endlos hersingen — ob er sie erfunden oder irgendwo
direct oder indirect entlehnt hatte, liess sich nicht feststellen — und mit der¬
selben einen anderen, schwerhörigen, sprachlosen, stumpfen Schwachsinnigen
höheren Grades D. damit so „inficiren“, dass dieser dieselbe Melodie längere
Zeit hindurch in derselben oder in wenig modificirter Weise oft wiederholte.
Interessant ist es nun aber, der bezeichneten Akkordfolge in ihren Haupt-
Y&riationen nachzugehen.
Die Melodie, welche F. von Anfang an und immer am Häufigsten summte,
„nudelte“, war die Nr. I in den Notenbeispielen. Es geschah dies stets in
gleicher Tonhöhe (mit zwei Ausnahmen), in gleichem Takte, in tiefen Tönen,
leise oder bisweilen laut hergebrummt, bisweilen klar gesungen. Es geschah
bei geschlossenem oder halbgeöffnetem Munde, indem Patient an die Wand sich
anlehnte oder rhythmisch von einem Beine auf das andere sich bewegte und
dabei zugleich oft sich die Ohren zuhielt Oder er hob den Gossendeckel an
das linke Ohr, schlug daran mit den Fingern der rechten Hand und begleitete
so sein Gebrumme. Statt des obigen Deckels ergriff er wohl auch sonst einen
tönenden Gegenstand. Sang er, leise oder laut, so legte er zuweilen Silben
unter, z. B. ma, ma, oder Worte, z. B. der Mann, der Mann. Er variirte aber
viel und gern seine Melodie, sang zwischendurch auch ganz richtig Volkslieder,
z. B. Wir winden dir den Jungfernkranz u. s. w.
Der zweite Schwachsinnige, D., sang mit Vorliebe Nr. II, variirte auch
relativ häufig; z. B. Nr. 1H, IV. Man sieht, dass Alles nur von Nr. I abstammt
D. summt oder singt in tiefer Lage die Melodie mit offenem oder geschlossenem
Munde, doch ohne Worte oder Silben. Er hält sich gleichfalls sehr oft die
Ohren zu und schüttelt rhythmisch mit dem Kopf (von F. abgesehen?) oder
bewegt im 8itzen den Oberkörper rhythmisoh auf und ab. Im Ganzen summt
er die Melodie seltener als F., in viel grösseren Pausen, doch stets in gleicher
Tonlage und Rhythmik wie F. Er variirt auch seltener und monotoner. Einmal
gab er die Melodie abgekürzt (Nr. IX), wiederholte sie einige Male, um dann
sofort Variationen folgen zu lassen.
Unendlich reicher und rhythmischer sind die Abwandlungen der Melodie
durch F. (Nr. V, VI, VIII, X, XI). Die Melodie Nr. VI sang er leise auf die
Worte: der Mann, der Mann u. s. w.; Nr. VIH auf die Worte: der Rathhaus¬
thurm, der Rathhausthurm u. s. w. Nr. VII stellt ein Fragment vor, und zwar
den zweiten Theil von Nr. I, das er einmal oft hintereinander hören liess. Be¬
sonders bei F. spielen Verdoppelungen, Verdreifachungen u. s. f. einzelner Noten,
namentlich der beiden ersten, eine grosse Rolle (Nr. VI, VIII, X), wobei jedoch
die Taktlänge und Zeit unverändert bleiben. Es sind dies Ausfüllsel, die man
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auch sonst in Volksliedern oft genug hört Bisweilen bildet aber auch der Drei¬
klang ganz oder theilweise eine fortlaufende Stufenreihe von Noten. Sehr merk¬
würdig sind gewisse Arten von Umkehrungen (Nr. XI). Man sieht, der Drei¬
klang hat es ihm entschieden angetban. Immer behielt er dieselbe Tonart bei,
ausser bei zwei Gelegenheiten (eine davon z. B. Nr. XI). Auch wechselte er oft
hintereinander mit den Variationen und sang zwischendurch einmal ein Volks¬
lied. Jetzt summt er nur noch selten. Nr. XI ward am 28. Februar 1901
notirt. D. hat seit Monaten nichts von sich hören lassen.
Dies der Gang in kurzem Umriss. Wie die geistige Regsamkeit bei F.
eine viel grössere ist, als bei D., so zeigt sich dies auch, wie wir sahen, in seiner
Melodik, die er mannigfach handhabt. Er hat wahrscheinlich sogar die an¬
genehme Akkordfolge Nr. I erfunden. Nichts oder nur wenig Originäres dagegen
leistet D. Er klebt ängstlich am Vorbilde, variirt seltener und monotoner, auch
seltener hintereinander. Er ist der geistig Trägere. Das einzige Originelle von
ihm war nur die Zurückführung der Stammakkorde Nr. I in eine Art von Ur¬
form, Nr. IX. Auch legt er nie Silben oder Worte unter, wie F., und seine
begleitenden Gesten sind ärmer und seltener als bei F. Zu Volksliedern erhebt
er sich nie.
Es steht wohl ausser allem Zweifel, dass D. die Melodie von F. hat, der
sehr lange im Nebenzimmer wohnte, den er also oft genug, auch auf dem ge¬
meinsamen Korridore, hören konnte. Denn dass er die gleiche Akkordfolge in
der gleichen Tonhöhe und in derselben Rhythmik von selbst erfunden haben
sollte, ist ziemlich sicher auszuschliessen. Dazu liegt die Sache zu complicirt
Eine dritte Möglichkeit endlich, nämlich eine gemeinsame Quelle der Melodie
für beide Schwachsinnige, liess sich absolut nicht nach weisen, ist daher sehr
unwahrscheinlich.
Gerade weil F. Stunden lang dieselbe Melodie leise oder laut, und zwar in
tiefen Tönen, mit meist sehr bezeichnten Mitgesten, hereummte oder sang, be¬
wirkte es, dass die Melodie endlich sich bei dem schwerhörigen, aber früher
Musik liebenden D. allmählich einschlich und festhaftete. Die tiefen Töne sind
hier bedeutungsvoll, und die gleichzeitige Unterstützung des Auges durch die
markanten rhythmischen Körperbewegungen des F., die D. sogar vielleicht naoh-
zuahmen suchte. Interessant ist aber weiter die Latenz von etwa l / t Jahr, ehe
D. die Melodie des F. copirte. Jedenfalls ging das „Einschleichen“ nur ganz
allmählich vor sich. Sie haftete aber auch weniger fest — was gleichfalls für
eine „Infection“ spricht —; Patient summte sie seltener, in längeren Pausen,
und scheint sie jetzt sogar ganz aufgegeben zu haben. Es wäre dies also ein
Fall, den man der „Folie imposöe“ an die Seite stellen könnte, die ja viel ober¬
flächlicher ist, als die eigentliche „Folie communiquöe“. Will man den Melodieen-
kern (Nr. I) mit einer fixen Idee analogisiren, so würde die weitere Verarbeitung
der Letzteren eine reichere Ausgestaltung des Ereteren bedeuten, was man bei
einem so Schwachsinnigen, wie F., nicht verlangen kann. Hat er doch schon
mit den Nr. V, VI, VHI, XI sein Möglichstes geleistet. Die Melodie bei beiden
Kranken ist aber nicht einer fixen Idee ganz gleichwertig, da noch ein zweites
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Moment Zutritt, d&s Zwangsmässige, wodurch die Melodie Stunden lang zu
Tode gehetzt ward, also etwa dem Verbigeriren der Katatoniker vergleichbar,
oder dem Zwangärresein.
Gerade an obigem Fall lassen sich ungezwungen noch eine Reihe inter¬
essanter musikpsychologischer Betrachtungen anknüpfen. Ich will sie aber,
noch durch viele weitere Beobachtungen an Gesunden und Geisteskranken ver¬
mehrt, s. Z. an anderem Orte veröffentlichen. Nur die Frage will ich hier kurz
aufwerfen, warum denn die verschiedenen Variationen in der Melodie bei den
beschriebenen Imbeoillen eintraten. Ich glaube, wir haben darin eine Betätigung
des natürlichen Spieltriebes bei embryonaler Phantasie zu sehen, der auf höheren
Stufen der geistigen Entwickelung zur Vertiefung und thematischen Verarbeitung
einer Melodie u. s. f. führt
5. Ein Fall von angeborenem partiellen
Haarmangel in Beziehung zur Haarempfindlichkeit.
Von Dr. V. P. Osaipow.
In Anbetracht der Neuheit der Frage nach der Haarempfindlichkeit
der Haut darf ein jeder klinische Fall, der auch nur einige Seiten dieser Frage
zu klären vermag, das grösste Interesse beanspruchen. Aus diesem Grunde
führe ich hier eine Beobachtung an, welche ich während eines Aufenthaltes in
Heidelberg im Sommersemester 1899 in Gemeinschaft mit Hrn. College P. Rosen¬
stein zu machen Gelegenheit hatte. Zur Untersuchung diente uns ein Patient
aus der Ambulanz der Heidelberger Klinik. Der Patient, ein 38jähr. Friseur,
leidet an angeborenem partiellen Haarmangel. Der Fall bietet ohne Zweifel
Interesse vom dermatologischen Standpunkte aus. Diese Seite der Frage gehört
Herrn Dr. Bettmann an, dem wir an dieser Stelle unseren Dank für die
liebenswürdige Ueberlassung des Falles zum Zwecke der Prüfung auf die Haar¬
empfindlichkeit ausspreche.
In den Arbeiten von Prof. Bechtebew 1 und der DDr. Ossipow und
Noibzew8ki 2 wird auf Grund der Prüfung an Gesunden und an klinischem
Materiale der Beweis dafür erbracht, dass die Haarempfindlichkeit eine Art der
Rautsensibilität sni generis ist. Verhält sich dies in Wirklichkeit so, dann muss
in Folge von Atrophie oder mangelhafter Entwickelung der im Bereich der
Haarbälge gelegenen Nervenendigungen ausschliesslich die Haarempfindlich¬
keit beeinträchtigt werden, dagegen müssen die übrigen Qualitäten der Haut¬
sensibilität durchaus intact bleiben. Einen derartigen, zum reinen Experiment
geeigneten Fall, bot uns die Natur selbst in der Person des vorher erwähnten
Krank en.
1 Prof. W. v. Bbchtbbbw, Obosrönijö Psychiatrii. 1898. Nr. 10. (Russisch.) — Nek¬
rolog. Centralbl. 1899. Nr. 22.
* V. 08bipow u. K. Noiszewski, Obosr4nij6 Psychiatrii. 1898. Nr. 10 u. 11. (Russisch.)
— Neurolog. Centralbl. 1899. Nr. 12.
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656
An dem behaarten Theile der Kopfhaut hatte Pat. zir Zeit der ersten
Untersuchung im Ganzen 6 gut entwickelte Haare. Ansser diesen Haaren bot
Pat. nicht einmal Andeutungen von Wollhaar, wie es so häufig die Haut Kahl¬
köpfiger bedeckt. Wollhaar wurde beobachtet über den Ohren, an der hinteren
Seite des Halses und im Gesicht, beginnend von der gewöhnlichen Grenze des
Haarwuchses.
Nach einigen Tagen, zur Zeit der zweiten Untersuchung, war ein Haar
ausgefallen, so dass 5 Haare übrig geblieben waren, die folgendermaassen an¬
geordnet waren: rechts ein Haar in der der Coronarnaht entsprechenden Gegend,
ein zweites 5 cm nach hinten von dem zweiten Haar, ein drittes 5—6 cm nach
hinten von dem zweiten Haar; linkerseits 2 Haare, das eine in der Naken-, das
andere in der Scheitelgegend. Ausserdem fehlten die Haare vollständig in dem
oberen Theile der Achselhöhlen, an Unterschenkeln und Waden.
Ein von der Norm abweichendes Verhalten der Haarempfindlichkeit
wurde nur am Kopf beobachtet, und zwar wurde die Berührung des rechter-
seits in der Gegend der Coronarnaht befindlichen Haares von dem Patienten
vorzüglich empfunden und localisirt; die übrigen 2 Haare, welche sich nach
hinten von dem ersten befanden, waren völlig empfindungslos; Berührung des
Haares links in der Nackengegend wurde äusserst deutlich wahrgenommen, da¬
gegen wurde Berührung des Haares in der Scheitelgegend von dem Patienten
kaum wahrgenommen. An allen übrigen behaarten Stellen der Haut bot die
Haarempfindlichkeit keinerlei bemerkliche Abnormitäten dar.
An den haarlosen Hautstellen waren die Schmerzempfindlichkeit und
Temperaturempfindlichkeit gut ausgeprägt. Hierbei vermochte ich nicht zu
constatiren, dass bei Pat. an den übrigen, behaarten Hautstellen Schmerz- und
Temperaturempfindlichkeit besser ausgebildet gewesen wären.
Bei der Prüfung der tactilen Sensibilität ergab sich, dass der Kranke mit
Deutlichkeit zarte Berührungen wahmahm auch an den haarfreien Bezirken der
Haut, d. h. an dem Kopf, an der Vorderseite des Halses, an der oberen Hälfte
des Schultergürtels und an den Unterschenkeln. Zum Beweise hierfür führe ich
die von mir mit Hülfe des SiEWEKiNG’schen Aesthesiometers ermittelten Zahlen
an: in querer Richtung, 2cm nach vorn von der Coronarnaht, 43mm; in querer
Richtung zur Pfeilnaht 31mm; in der Scheitelgegend 34 mm; in der rechten
Schläfen- und Scheitelgegend 40 mm; entsprechend dem Verlaufe der Pfeilnaht
60 mm; in der Höhe des 5. Halswirbels 41mm (hier fanden sich keine Haare).
Nur an den Unterschenkeln ergab die Prüfung mittels des Zirkels grössere
Zahlen, und zwar 75 mm in der Richtung der Längsachse der Unterschenkel.
Es versteht sich von selbst, dass Fälle, welche dem hier angeführten gleichen,
ein wichtiger Beweis für die Selbständigkeit der Haarempfindlichkeit sind: ich
nehme an (das Exstirpiren von Hautstückchen des Pat. zum Zwecke der mikro¬
skopischen Untersuchung war nicht möglich), dass die um die Haare gelegenen
Nervenendigungen, welche die Reizung der Haare wahrnehmen, bei angeborenem
Haarmangel fehlen, nicht entwickelt oder atrophirt sind. Aus dem völlig be¬
friedigenden Erhaltensein der übrigen Qualitäten der Hautsensibilität muss man
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657
den Schluss ziehen, dass das Vorhandensein der die Reizung der Haare wahr-
nehmenden Nervenendigungen für die Aeusserung der übrigen Qualitäten der
Hautsensibilität keine wesentliche Bedeutung hat. Was die Herabsetzung der
tactilen Sensibilität bis zu einem gewissen Grade an den Unterschenkeln an¬
betrifft, so kann ich diesem Umstande keine besondere Bedeutung für die hier
erörterte Frage zuerkennen, da ja in Folge dieser oder jener Bedingungen die
tactile Sensibilität eine Herabsetzung oder mangelhafte Ausbildung erfahren
konnte, sei es unabhängig von der Haarempfindlichkeit oder in Folge von ähn¬
lichen Abnormitäten in der Entwickelung des Organismus. Wichtig ist nur,
dass bei angeborenem Haarmangel die tactile Sensibilität keineswegs herabgesetzt
zu sein braucht, wie dies aus der Untersuchung des Kopfes und der Rückseite
des Halses des Pat. hervorgeht.
n. Referate.
Anatomie.
1) Eine elective Färbung des Axencylinders, beaw. isolirte Tinotion eines
seiner Bestandtheile, von Strähuber. (Centralbl. f. allgem. Pathologie u.
patholog. Anatomie. 1901. S. 422.)
1. Fixirung (in beliebiger Flüssigkeit mit Ausnahme von Alkohol).
2. Beizung (5 Tage) in folgender Lösung: Doppeltchromsaures Kali 5 Theile,
Chromalaun 2 Theile, Wasser 100 Theile.
3. Alkohol, Celloidineinbettung.
4. Färbung der Schnitte etwa 12 Stunden in concentrirter wässeriger
Anilinblaulösung.
5. Differenzirung nach Pal oder in Wasser, dem einige Tropfen unter¬
chlorigsaures Natron beigesetzt sind.
6. Wasser. — 96°/ 0 Alkohol.
7. Carbolxylol, Canadabalsam.
Zwischen 3 und 4 kann eventuell eine Färbung mit Weigert’schem Häma-
toxylin oder, der besseren Contrastfärbung wegen, mit concentrirter alkoholischer
Eosinlösung auf 24 Stunden (ohne nachherige Differenzirung) vorgenommen werden.
Die Differenzirung erfolgt erst zusammen mit der Axencylinderfärbung.
Bezüglich dieser Methode sagt Verf., dass sie nicht die Fibrillen im Axen-
cylinder färbt; sie dürfte weniger dem Normalhistologen, als besonders dem
pathologischen Anatomen zu statten kommen. Es war häufig möglich, Verände¬
rungen am Axencylinder zu beobachten, wo die Markscheide noch intact erschien,
und umgekehrt. Pilcz (Wien).
2) Anleitung lur Gehirnpräparation, von Dr. H. Strasser. (Jena, 1901.
G. Fischer.)
Das vorliegende Büchlein soll dem Studirenden ein Wegweiser bei der
Präparation des GeliirnB sein. Der Stoff ist in 5 Uebungen eingetheilt, in welchen
alles zur Anschauung gebracht wird, was der makroskopischen Präparation zu-
42
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658
gänglich ist. Die Darstellung ist kurz und dabei leicht fasslich; man darf an-
nehmen, dass diese Anleitung ihren Zweck erfüllen wird.
Max Bielschowsky (Berlin).
8) Weitere Untersuchungen über die Glia von Helix, von Dr. H. Smidt.
(Anatomischer Anzeiger für die gesammte Wissenschaft!. Anatomie. XIX.
Nr. 11. 1901.)
In einer früheren Arbeit über die Darstellung der Begleit* und Gliazellen
im Nervensystem von Helix (Weinbergschnecke) war der Verf. zu folgenden
Resultaten gelangt:
1. Die einzelne Zelle besteht aus einem langgestreckten schmalen Leib, von
dessen beiden Längsseiten sehr zahlreiche gleichmässige Fortsätze entspringen.
2. Bei guten Färbungen findet sich in diesen Zellen ein vollständiges
Fibrillensystem.
3. Kerne waren in den Zellen nicht nachweisbar.
4. Die Länge der Zellen ist eine so beträchtliche, dass man selten in einem
Sohnitte eine vollständige findet.
Ausser dem genannten intracellulären Fibrillensystem hat der Verf. neuer*
dings nackte Fibrillen von äusserster Zartheit bei einer Anordnung in Längs¬
zügen durch die Golgi-Imprägnation dargestellt. Er glaubt, dass die Fibrillen
innerhalb der Zellen in einem Scheiden- oder Röhrensystem verlaufen. Der Kern
der Gliazellen bleibt von ihnen frei. Aehnliche Verhältnisse bieten die Zellen
der Stützsubstanz bei den Hirudineen. Max Bielschowsky (Berlin).
4) Le pieghe lateral! de! solch! veetibolari della booca. Cenno riassunt di
Giuseppe Favaro con aggiunte di C. Lombroso e Dr. Treves e Dr.
Olivetti. (Archivio di psichiatria, Science pen. ed antr. crim. XXII. 1901.)
Favaro macht auf eine den Sulcus vestibularis oris inferior (und superior)
überbrückende Schleimhautfalte aufmerksam, welche im Alveolarzwischenraum der
Schneide- und Eckzähne angeheftet ist und sichtbar wird, wenn man die be¬
treffende Lippe mit leichtem Zug nach unten bezw. oben etwas abhebt Sie
wurde 1881 von Ehlers entdeckt und seither besonders von Favaro bei einer
Anzahl auch solcher Säugethiergruppen, wo Eck-, Schneide- und selbst Prämolar¬
zähne nicht Vorkommen, in letzterem Fall entsprechend dislocirt, aber constant
vorgefunden. Die Duplicatur ist hoch und steil, wo das alveolare Intervall schmal,
dagegen breit und flacb, wo dasselbe gross ist. Bei Thieren mit Backentaschen
stellt sie die vordere Wand der letzteren dar. Die untere Falte ist bei den
Säugern allgemein weit constanter als die obere und wird bei Menschen in deut¬
licher Ausbildung bei 6°/ 0 , in Andeutung bei 15°/ 0 angetroffen. — Lombroso,
welcher in Gemeinschaft mit Treves und Olivetti diese Untersuchung auf ein
Material von 100 männlichen und 122 weiblichen Geisteskranken anwandte, fand
„gut entwickelte“ Falten in 9°/ 0 desselben, wobei der Hauptantheil daran auf die
Epileptischen mit 36°/ 0 Männern und 25°/ 0 Frauen entfiel. Unter 130 (104 männ¬
lichen, 26 weiblichen) Verbrechern wurde das Vorkommen der Vestibularfalte bei
36 °/ 0 notirt. Weil dieser Procentsatz (36 für Männer, 23 für Frauen) so auf¬
fällig dem für die Epileptischen berechneten gleicht, trägt Lombroso, trotz der
kleinen absoluten Zahlen für letztere (von 43 Epileptischen 16!), kein Bedenken,
diese Analogie als neues Beweismittel für den Typus des geborenen Verbrechers
in Anspruch zu nehmen. Schmidt (Freiburg i/SchL).
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659
Experimentelle Physiologie.
5) La sensibilitA nei fanciullt in rapporto al seeso ed all* eta, pel Dr.
Emil io di Matte i. (Archivio di psichiatria, science pen. ed antr. crim.
xxn. 1901.)
Um die noch wenig gekannten Verhältnisse der Empfindungen bei Kindern
in ihren Modalitäten nach Alters-, Geschlechts- und Basseunterschieden zu studiren,
standen Verf. die Insassen eines chirurgischen Kinderspitals und eines israelitischen
"Waisenhauses zur Verfügung. Die 160 Kinder wurden der Uebersicht wegen in
zwei Gruppen zu 4—8 bezw. 8—12 Jahren getheilt, in denen die beiden Ge¬
schlechter annähernd gleiche Unterabtheilungen einnahmen. Die zahlreichen
Schwierigkeiten, welche die Prüfungen in Gruppe I durchkreuzen, glaubt Verf.
im Wesentlichen überwunden zu haben (?). Für die Untersuchung des Tastsinns
diente als Werkzeug Sieveking’s Aesthesiometer; die Empfindlichkeit des Ge¬
ruchs sollte mittels 10 mehr weniger concentrirter Lösungen von Nelkenessenz
und die Feinheit des Geschmacks mit Hülfe je 9 verschiedener Lösungen von
Chin. sulf., Saccharin und Kochsalz ausgemittelt werden; die Kinder (auch die
kleinen!) sollten nun nicht nur ein Urtheil über zwei quantitativ verschiedene
Sinneeempfindungen abgeben (indem bei den beiden letzteren Prüfungen die
Reihenfolge von den schwächeren zu den stärkeren Concentrationen inne gehalten
wurde), sondern auch nach der Intensität einer grösseren Anzahl benachbarter
Sinnesempfindungen mit den Fläschchen eine progressive Reihe hersteilen. —
Wurden die (unter so erschwerten Umständen) gewonnenen Resultate an den
Pfleglingen des Kinderspitals und an den Insassen des jüdischen Waisenhauses
auseinandergehalten, so lautete das Ergebniss der Ermittelungen:
1. Die Mädchen sind verhältnissmässig empfindlicher für Tast- und Riech¬
reize, sowie für süss schmeckende Substanzen als die Knaben. Salzige Stoffe
werden von ihnen ebenso und bittere Stoffe verhältnissmässig weniger empfunden
als von Knaben.
2. Die jüdischen Mädchen stellen einen grösseren Procentsatz empfindlicher
Individuen als die jüdischen Knaben für den Tastsinn und das Gemeingefühl,
einen geringeren dagegen für die Schmerzempfindungen.
3. Die Kinder von 4—8 Jahren sind für Tast-, Riechreize und süss schmeckende
Stoffe im Vergleich mit älteren (8—12jährigen) Kindern weniger empfindlich,
für das Salzige verhältnissmässig gleich empfindlich und für Bitterstoffe empfäng¬
licher als diese.
4. Die Mädchen von 8 — 12 Jahren stellen ein grösseres Contingent von
Individuen für die feine Empfindung von Tast- und bitteren Schmeckreizen als
kleinere (4—8jährige) Kinder, ähnlich verhält es sich mit ihnen salzigen Stoffen
gegenüber, und für das Süsse sind sie weniger empfindlich.
5. Die jüngeren (4—8jährigen) Kinder jüdischer Rasse sind im Gebiete des
Gemeingefühls verhältnissmässig empfindlicher als ältere Kinder derselben Rasse;
ungefähr gleich verhält sich bei beiden der Tastsinn, und im Vergleich mit
letzteren ist die Schmerzempfindlichkeit bei ersteren schwächer entwickelt.
6. Die jüdischen Mädchen von 4—8 Jahren sind im Gemeingefühl ver¬
hältnissmässig empfindlicher alB die älteren, dagegen stehen sie in Bezug auf den
Tastsinn mit ihnen ziemlich gleich und werden in Hinsicht auf die Schmerz¬
empfindlichkeit von letzteren übertroffen.
Das Hauptergebnis der Arbeit fasst sich in folgenden Sätzen zusammen:
a) Mädchen sind im Allgemeinen empfindlicher als Knaben.
b) Bei den Kindern vervollkommnet sich die Sensibilität mit zunehmendem
Alter noch wesentlich. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
42 *
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660
6) On dilatation of the pupil from Stimulation of the oortex cerebri, by
J. Herbert Parsons. (Journal of Physiology. XXVI. S. 366.)
Erweiterung der Pupille lässt Bich durch Beizung aller derjenigen Rinden-
partieen auslösen, welche Beziehungen zu der Innervation der Augenmuskeln
haben, speciell also von dem frontalen und dem occipitalen Augenmuskel¬
centrum aus.
Meist ist die Dilatation der Pupille mit den übrigen sonst bei Sympathicns-
reizung beobachteten Symptomen verbunden; während aber die letzteren nach
Durchschneidung des Halssympathicus sofort verschwinden, bleibt die cortical
ausgelöste Pupillendilatation auch nach der Durchschneidung des Halssympathicos
— allerdings in verringertem Maasse — bestehen. — Ebenso wenig wird die
corticale Pupillendilatation durch Section des Trigeminus oder durch Durch¬
schneidung des Corpus callosum beeinträchtigt, dagegen hebt die Durchschneidung
des Oculomotorius das Symptom sofort auf. Verf. glaubt daher die Erscheinung
als eine centrale Hemmung des Oculomotorius-Tonus ansprechen zu sollen.
W. Connstein (Berlin).
Pathologische Anatomie.
7) Ueber die Veränderungen im Btiokenmark naoh Besection einiger
spinaler Nerven der vorderen Extremität, von Ernst v. Enape. (Zieg-
ler’s Beiträge zur patholog. Anatomie. XXIX.)
Die Arbeit gründet sich auf 13 am Hunde ausgefuhrte Versuche, bei denen
das Rückenmark, zum Theil nach einem Zeitraum von über 4 Jahren, einer
ausserordentlich exacten Untersuchung unterworfen worden ist. Ein erstes all¬
gemeines Resultat ist, dass bei Resection peripherer Nerven das Hinterhorn am
meisten, darnach der Zwischentheil, am wenigsten das Vorderhorn reducirt wird.
Im Vorderhom betrifft die Alteration erstens das direct lädirte motorische Neuron,
wahrscheinlich auch die Pyramidenvorder- und Pyramidenseitenstränge durch
Uebergang auf das Neuron zweiter Ordnung, zweitens die Reflexcollateralen der
sensiblen Wurzeln, hauptsächlich wohl in Folge der directen Läsion des spino-
cutanen Neurons. Im Hinterhorne und Hinterstrange sind folgende Theile be¬
troffen: 1. Bahnen erster Ordnung: die Lissauer’sche Randzone, die mittlere
Abtheilung der Hinterwurzelfasern, der Hinterstrang, die Reflexcollateralen und
die Collateralen der hinteren Commissur. 2. Bahnen zweiter Ordnung: ein Theil
der zur hinteren Commissur gehenden Fasern, ein Theil der feinen, longitudinalen
Fasern im Hinterhorne und endogene Fasern im Hinterstrange. Im Zwischen¬
theil sind durchziehende Reflexcollateralen und wahrscheinlich durchziehende
Fasern der Pyramidenseitenstränge lädirt. Bezüglich des bisher wenig beachteten
Seitenhorns hat sich ergeben, dass die Zellen desselben niemals alterirt gefunden
werden, dass die gefundenen Form Veränderungen hauptsächlich von der Atrophie
des Zwischentheils und Vorderhorns abhängen, sowie, dass die reducirten Fasern
wahrscheinlich Strangzellenfasern vom Vorder- oder Hinterhorn sind. — Ueber
die Lage der motorischen „Kerne“ — besser „Ursprungsgruppen“, da die ana¬
tomisch und physiologisch scharfe Begrenzung, wie sie bei einigen Cerebralnerven
vorhanden ist, hier vermisst wird — hat sich ergeben, dass der Ulnaris- und
MedianuBkern vom 7. Cervical- bis 1. Dorsalsegment, der Radialiskern vom
6. Cervical- bis 1. Dorsalsegment gelegen ist. (Die Resultate entsprechender
Arbeiten bezüglich der unteren Extremität werden in der Deutschen Zeitschrift
für Nervenheilkunde veröffentlicht werden.) Weiter zeigte sich hierbei, dass die
verschiedenen Gruppen der Vorderwurzelzellen wahrscheinlich verschiedene Function
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661
haben, indem die Flexorengruppen an der Extremität hauptsächlich in den
lateralen Theilen, die Extensoren mehr in der Mitte des Horns sich finden lassen.
Die sogen, ventro-mediale Zellgruppe wird nicht allein für die Rückenmusculatur
in Anspruch genommen. Der Grund der Alterationen der Vorder wurzelzellen wird
auf Grund specieller Versuche nicht in dem Ausfall eines Reizes der Reflex-
collateralen (Marinesco), sondern in dem gestörten trophischen Zusammenhänge
der verschiedenen Theile des lädirten Neurons gefunden. — Qualitativ bestanden
die Veränderungen in einfachem Schwund der nervösen Elemente (bei den Ganglien¬
zellen Chromatolyse), alle Spuren eines entzündlichen, reactiven oder degenerativen
Processes wurden vermisst, sobald die Resectionen vorsichtig und ohne Zerrung
ausgeführt wurden. H. Haenel (Dresden).
Pathologie des Nervensystems.
% 8) Origine della deviazione oculo-cefalica e della rigidita musoolare pre-
oooe nelle malattie cerebral!, per Prof. A. Murri, Director der medicin.
Klinik in Bologna. (Riv. crit. di clin. med. 1900. Nr. 46—49.)
Der Verf. beweist zuerst mit feiner Kritik der Merkmale der klinischen Er¬
scheinungen, dass in der apoplektischen Form der conjugirten Seitwärtsablenkung
der Augen und des Kopfes es sich nicht einfach um den physiologischen Tonus
der Muskeln unter der Innervation der gesunden Hemisphäre, wie die gewöhn¬
liche Theorie annimmt, sondern um eine active Thatsache, um eine krankhafte
Contraction handelt, die man leicht in dem Sternocleidomastoideus erkennt, wie
es übrigens schon Prövost bekannt war. Die Anwesenheit von paralytischen
Erscheinungen und auch die Bewusstlosigkeit schliesst die Erregung an deren
Centren nicht aus, während es falsch ist, mit Landouzy anzunehmen, dass, wenn
die Gesichts- und Gliedermuskeln gelähmt sind, auch die der Augen und des
Kopfes in demselben Zustande sein müssen und vice versa.
Deshalb ist nach dem Verf. die conjugirte Deviation der Augen und des
Kopfes immer eine irritative Erscheinung: zuweilen einer klonischen Contraction
mit Ursprung (allem Anschein nach) aus Erregung der Roland’schen Zone, zu¬
weilen einer tonischen, welche letztere vom Kleinhirn durch einen indirecten
Mechanismus abhängen würde.
Auf Grund der experimentellen Eingriffe auf das Kleinhirn, seiner regu-
lirenden Function auf den Muskeltonus und seiner vielfachen Beziehungen zu
dem Grosshirn und den Brücke- und Oblongatacentren kommt der geniale Bolog¬
neser Kliniker zu der Auffassung, dass in solchen Fällen in Folge einer Störung
einer Grosshimhemisphäre ein irritativer Zustand, besonders der gegenseitigen
Kleinhirnhemisphäre, hervorgebracht wird, welcher zugleich die conjugirte Deviation
der Augen und des Kopfes und die Frühcontraotur des Schlaganfalles erklären
würde. Dabei ist die Deviation erheblich, dauerhaft, fast oder völlig unabhängig
vom Willen, sowie die Zwangsvorstellungen bei den am Kleinhirn operirten
Thieren, und der Kranke wendet Augen und Kopf von den hemiplegischen
Gliedern weg und dem Herde zu. Sehr oft ist auch eine Erhöhung des Tonus
anderer Muskeln unter dem Einflüsse desselben Kleinhirntheiles mit vorhanden.
Das iBt die gewöhnlichste Genese bei dem Schlaganfalle (apoplektische conjugirte
Deviation).
Dagegen pflegen die Deviationen von cerebralem Ursprünge weniger stark,
temporär, nicht ganz unveränderlich durch den Willen zu sein. Andererseits ist
die erregende Wirkung kräftiger, und die Deviation zeigt sich mit tonisch¬
klonischen Krämpfen (epileptiforme conjugirte Deviation).
Der Verf. berichtet über 10 lehrreiche Fälle, alle mit nekroskopischem Be-
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662
fände, bei 9 derselben handelt es sieb um Grosshirngefässerkrankungen. Bei
diesen Kranken wurden vielleicht alle möglichen Einzelheiten, welche die conju-
girte Deviation zeigen kann, beobachtet. Während nun alle die Eigentümlich¬
keiten des Phänomens in schönem Einklänge mit der Ansicht des Verf.’s stehen,
lassen sie die Roux'sehe Theorie und die wohlbekannte der Ausfallserscheinung
ganz unerklärt.
Von den anderen wichtigen Lehren, die der Verf. aus diesen so genau
studirten Fällen zieht, will ich noch einige Punkte hervorheben:
Ein cerebraler Process kann ebenso tonische wie tonisch-klonische Erregung
entweder der einzelnen Roland'sehen Zone der Hemisphäre, wo der Herd sitzt,
oder beider oder allein der gegenseitigen Hemisphäre hervorrufen. Diese letzte
Eigenthiimlichkeit scheint lediglich zu den schwersten Störungen zu gehören.
Die krankhaften Processe, welche die epileptiforme conjugirte Deviation er¬
zeugen, pflegen ihren Sitz entweder in der Roland'sehen Zone oder in der Pre-
roland'sehen zu haben; im ersten Falle sind paretische Erscheinungen vorhanden,
im zweiten können tonische und besonders klonische Erscheinungen der Nacken-,'
Rumpf-, PhonationB-, Kau- und Zungenmuskel auftreten. Der diagnostische Werth
dieser Phänomene nimmt zu, wenn die Glieder an der Epilepsie der obengenannten
Muskeln nicht theilnehmen.
Die Prevost’sche Lehre, dass der Kranke bei dem Schl&ganfalle seinen Herd
ansieht, steht noch fest, während die Landouzy’sche Regel, dass der Kranke bei
der Epilepsie auf die gesunde Hemisphäre blickt, nicht immer haltbar ist.
Die hervorragende Rolle, die man der Veränderung des Gyrus angularis,
ebenso für die Entstehung der apoplektischen (Wernicke) wie der epileptischen
conjugirten Deviation (Landouzy), zugeschrieben hat, ist von den klinischen und
anatomischen Thatsachen nicht unterstützt. Vannini.
9) Over reflezen oontraotuur en spasmen , per de Buck. (Med. Weekbl v.
Neur. Nederl. 1901. Nr. 40.)
Verf. weist darauf hin, dass Muskeltonus, Sehnen- und Hautreflexe als ab¬
sonderliche, wenn auch genau zusammenhängende Sachen anzusehen sind: so sehen
wir im ersten Stadium der Hemiplegie eine Vermehrung der Sehnenreflexe, aber
vollständige Muskelatonie; später kommt aber erst eine Muskelhypertonie oder
Contractur hinzu; die Pathogenese beider Processe hat aber nichts mit einander
zu thun. Auch findet man bei Hemiplegie meistens Verminderung oder Schwinden
der Hautreflexe (dieses ist gerade bei Tabes spasmodicus sehr deutlich). Diese
Thatsachen sind am besten von v. Gehuchten erklärt. Sehnen- und Hautreflexe
sind nicht ausschliesslich medulläre Erscheinungen. Da die Hautreflexe bei Läsionen
der Pyramidenbahnen schwinden, kann man annehmen, dass sie unter dem Einfluss
der Gehirnrinde stehen. Aus vielen Gründen meint v. Gehuchten weiter, dass
die Sebnenreflexe unter dem Einfluss des Mesencephalon und wohl des Nucleus
ruber stehen. TenCate (Rotterdam).
10) Ueber den Einfluss der Hirnhemisphären auf die Rüokenmarksreflexe,
von Sadkowski. (Kronika lekarska. 1901. Nr. 22. [Polnisch.])
Verf. hat bei Fröschen Versuche über die Reflexerregbarkeit des strychnini-
sirten Rückenmarks vor und nach Durchschneidung des letzteren angestellt (also
vor und nach Abtrennung desselben vom Gehirn) und kam dabei zu folgenden
Schlussfolgerungen: Um den Strychnineffect beim Frosch hervorzurufen, muss man
nach Abtragung der Himhemisphären grössere Strychnindosis anwenden, als bei
normalen Verhältnissen. Die Hirnhemisphären üben zweifellos einen hemmenden
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663
Einfluss auf die Rückenmarksreflexe aus, was durch Experimente des Verf.’s be¬
stätigt sein soll. Edward Flatau (Warschau).
11) Ueber die Anomalieen der Reflexe, speciell der Fatellarreflexe and
die sie begleitenden Sensationen bei Neurosen, von S zu man. (Przeglad
lekarski. 1901. Nr. 9—12. [Polnisch.])
Verf. beschäftigt sich mit den Anomalieen der Reflexe, speciell der Patellar-
reflexe, und den sie begleitenden Sensationen bei verschiedenen Neurosen und
kommt dabei zu folgenden Schlussfolgerungen:
1. Die quantitativen und qualitativen Veränderungen der Reflexe bei Neu¬
rosen scheinen von gesteigerter oder verminderter Erregbarkeit sowohl des Reflex¬
bogens, wie auch der Bahnen und Centren des Centralnervensystems abhängig zu
sein, welche mit diesen Reflexbogen in Verbindung stehen (bahnende und hemmende
Einflüsse). Ferner spielt hier der psychophysische ZuBtand eine Rolle (psychisches
Gleichgewicht, gereizter oder depressiver Zustand).
2. Die Erschütterung, welche durch das Anklopfen der Patellarsehne zu
Stande kommt, wird nicht nur auf die Sehnen, Nerven, Knochen u. s. w. beschränkt,
sondern pflanzt sich weiter zum Gehirn (Bewusstsein) fort und verursacht im
letzteren gewisse psychische Zustände (Stimmungen).
3. Dieser letztere Zustand manifestirte sich durch einen gewissen Gesichts¬
ausdruck, welcher jedoch weder qualitativ noch quantitativ den psychischen
Stimmungen entsprach. Edward Flatau (Warschau).
12) Ueber den diagnostischen Werth des Babinski’sohen Phänomens, von
A. Tumpowski. (Medycyna. 1901. Nr. 23. [Polnisch.])
Verf. hat bei Gesunden und Nervenkranken (auch bei anderen nicht nervösen
Krankheiten) das Babinski’sche Phänomen geprüft und fand Folgendes: Bei
functionellen Nervenkrankheiten (Neurasthenie, Hysterie, Basedow’sche Krankheit,
Chorea) findet meistens der normale Plantarreflex statt. Bei zwei hysterischen
Frauen konnte dagegen das Babinski’sche Phänomen nachgewiesen werden. Von
14 Hemiplegikern konnte bei 10 das Babinski’sche Symptom festgestellt werden
(bei einem normaler Plantarreflex, bei einem Plantarreflex der 1. Zehe und Dorsal¬
flexion der übrigen Zehen auf der hemiplegischen Seite, bei zweien kein Reflex).
Bei 6 weiteren Fällen (Myelitis, Tabes, Neuritis, Sklerosis multiplex) fand stets
Plantarflexion statt. Verf. meint, dass das Babinski’sche Phänomen keinen con-
stauten diagnostischen Werth besitzt, wie es der Entdecker desselben haben will.
Edward Flatau (Warschau).
13) Beitrag zur Bedeutung des Babinski’sohen Phänomens, von Chodfko.
(Gazeta lekarska. 1901. Nr. 43 u. 44. [Polnisch.])
Verf. hat über 1000 Fälle von gesunden und kranken Individuen in Bezug
auf das Babinski’sche Phänomen untersucht und kam dabei zu folgenden Schluss¬
folgerungen :
1. Verschiedene Forscher, welche das Babinski’sche Phänomen bei Gesunden
und Kranken geprüft haben, sind der Meinung, dass dieses Phänomen als patho¬
logisch zu betrachten ist. Manche Autoren meinen aber, dass das Phänomen
nicht nur bei der Läsion der Pyramidenbahn, sondern auch bei Hysterie und bei
ganz gesunden Menschen zu constatiren wäre.
2. Diese letztere Meinung Bei durch ungenaue Prüfungsmethode und Be¬
obachtung bedingt.
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664
3. Eine sehr genaue Prüfung des Babinski’schen Phänomens bei etwa
1000 Individuen ohne Läsion der Pyramidenbahn hat gezeigt, dass dieses Phä¬
nomen bei solchen Individuen niemals zu Stande kommt.
4. Das Phänomen tritt sehr häufig bei Läsionen der Pyramidenbahnen ein
(so z. B. in 78 °/ 0 der Fälle von Hemiplegie).
5. Auf Grund dieser Beobachtungen kommt Verf. zum Schluss, dass man
das Babinski’sche Phänomen wohl als pathognomonisch bezeichnen kann.
Edward Flatau (Warschau).
14) Zur Casuistik der Syringomyelie, von Dr. Grassl, k. Bezirksarzt in
Viechtach. (Friedreich’s Blätter f. ger. Med. u. Sanitätspolizei. 1901.)
Fall I betrifft einen Mann nicht genannten Alters, der über Schmerzen im
linken Auge klagt, angeblich nach Erkältung. Erster Befund: „Lähmung des
unteren Facialis, Hypoglossusparese mit centralem Sitz, Ptosis und Miosis sym-
pathica linkerseits.“ Später Geschmack links „fast aufgehoben“, rechts „verlang¬
samt“; in der linken Gesichtshälfte herabgesetzte Temperaturempfindung, „Anal¬
gesie“ neben Hyperästhesie gegen die „leichtesten“ faradischen Ströme, gute Tast¬
empfindung, Neuralgie des linken SupraorbitaÜB. Sehr bald werden auch leise
Berührungen nicht mehr empfunden; die totale Empfindungslähmung schreitet im
Verlauf der nächsten Monate über Arm, Rumpf und Bein nach abwärts fort,
streng halbseitig, horizontal scharf abgesetzt, einen schmalen Gürtel vor sich her¬
schiebend, „in dem zwar Analgesie und Temperaturanästhesie bestand, aber auch
Tastempfindung, wenn auch mehr oder weniger herabgesetzt, vorhanden war“.
Daneben, ebenfalls nur links, Ataxie und fortschreitende Muskelschwäche mit
Atrophie besonders am Schultergürtel. Nie Entartungsreaction. 2 Jahre später
erhebliche Besserung: alle motorische LähmungBerscheinungen sind geschwunden,
nur Zungenabweichung nach links, und „der linke Arm kann activ nur zur
Schulterhöhe gehoben werden“. Dagegen „Haut der ganzen linken Körperhälfte
ist unempfindlich“.
Dies Krankheitsbild soll eine Syringomyelie darstellen! Verf. verzichtet auf
eigene Begründung der verblüffenden Diagnose, aber beruft sich statt dessen auf
die Autorität eines Generalarztes, den er als „anerkannten Specialisten“ dem ge¬
neigten Leser vorstellt. Eine Krankheit ohne partielle Empfindungslähmung, ohne
die charakteristischen Handdifformitäten, ohne elektrische Veränderungen, ohne
Ernährungsstörungen, streng halbseitig, mit neuralgischen Schmerzen, mit Beginn
im Facialis, vor allem aber mit völliger Rückbildung der motorischen Defecte —
kann nach Ansicht des Ref. alles andere eher als eine Syringomyelie sein. Wahr¬
scheinlich hat es sich um Hysterie gehandelt, vielleicht mit Neuritiden complicirt
Bei dem II. Falle scheint überhaupt keine nervöse Störung, sondern eine
ulceröse Haut- oder Knochenaffection der Nagelglieder beider Hände vorzuliegen.
Der mitgetheilte Status ist belanglos. Von allgemeinerem Interesse ist nur das
Eine, dass Verf. eine „Atrophie der Sublingualdrüsen“ als bekanntes syphilitisches
Zeichen voraussetzt; gemeint sind jedenfalls die Zungenbalgdrüsen.
Kalmus (Lübeck).
16) Ein neues Symptom bei Syringomyelie (thorax en bäteau), von Gold¬
baum. (Gazeta lekarska. 1901. Nr. 13. [Polnisch.])
Verf. beschreibt das Symptom der kabnartigen Thoraxform (thorax en häteau),
welche er auf der Abtheilung von Pierre Marie in Paris bei Syringomyelie
beobachtet hat. Die vordere Wand des Thorax war dabei übermässig eingesunken.
Die Arme sind dabei nach vorn und oben gehoben, so dass der Kopf wie ein-
665
gesunken und versteckt erscheint. Der obere Theil des Thorax incl. Manubrium
sterni ist nach hinten geneigt und eingesunken. Es entsteht dadurch eine kahn¬
ähnliche Vertiefung, welche quer von einem Oberarmgelenk zum anderen verläuft
und die Strecke von Manubrium stemi bis zur 4.—5. Rippe einnimmt. Die Tiefe
der Einsenkimg bleibt in verschiedenen Thoraxabschnitten nicht dieselbe; so fand
Verf., dass in einem Falle das Maximum der Einsenkung 3 cm weit nach links
von der Medianlinie, bei einem anderen 9 cm nach rechts von der letzteren ge¬
legen war. Die grösste Einsenkung lag dabei in sagittaler Richtung meistens
3 cm unterhalb des Manubrium sterni. Die Tiefe der Einsenkung betrug in ver¬
schiedenen Fällen von 1,6—5,5 cm. Verf. meint, dass dieses Symptom weder
durch Skoliose, noch durch Muskelatrophie verursacht wird, sondern ein selb¬
ständiges syringomyelitisches Phänomen darstellt und zu trophischen Störungen
dieser Krankheit gerechnet sein muss. Dieses Symptom wurde, wie Verf. angiebt,
ansser von Marie, noch von Astiö (Le thorax en bäteau de la Syringomyelie.
These. Paris 1897) und von Kattwinkel (Deutsches Archiv f. klin. Med. 1899)
beschrieben. Der Arbeit des Verf.’s sind zwei instructive Bilder beigegeben.
Edward Flatau (Warschau).
10) Ueber die Syringomyelie auf syphilitischer Basis, von Olejnik.
(Przegl^d lekarski. 1901. Nr. 27. [Polnisch.])
Verf. schildert folgenden Fall von Syringomyelie auf luetischer Basis. Der
Fall betraf eine 44jähr. Prostituirte, bei welcher vor 8 Jahren eine Schwäche in
den zwei letzten Fingern der rechten Hand aufgetreten ist Allmähliche Ent¬
wickelung der Parese in beiden oberen Extremitäten mit Atrophie. In der letzten
Zeit Parästhesieen in den oberen Extremitäten. Kopfschmerzen. Vor 18 Jahren
Geschwür an den Genitalien (Lues?). Status praesens: Pupillen verengt,
reagiren weder auf Licht, noch auf Accommodation. Atrophie der kleinen Hand¬
muskeln und der Extensoren der Hand. DisBOciirte Sensibilitätslähmung in den
oberen Extremitäten. Gesteigerte Sehnenreflexe. Anfälle von Jackson'scher
Epilepsie (rechte Hand, rechter Vorderarm, Arm und Gesicht). Verf. schreibt
einige Symptome (Kopfschmerz, Jackson’sche Epilepsie, Pupillenstörungen) der
Lues zu, andere dagegen der Syringomyelie. Edward Flatau (Warschau).
17) Sopra due oasi di airmgomielia, per A. Cesario-Derael. (Arch. per le
scienze med. XXIV.)
Aus der mikroskopischen Untersuchung des ersten Falles, welchen Verf. zum
„type Morvan“ rechnet, ist die ausführliche Beschreibung der Knochenveränderungen
hervoi-znheben. Dieselben waren sehr mannichfaltig: neben Resorptionsprocessen,
welche den physiologischen des Seniums gleichen, fanden sich active Appositions¬
vorgänge und Neubildung eines osteoiden Gewebes (ohne Verkalkung), ferner
Metaplasie von Bindegewebe und Knorpel. Eine regelmässige Vertheilung dieser
einzelnen Veränderungen war nicht zu erkennen, und gerade dies betrachtet Verf.
als charakteristisch. Dabei ist in Betracht zu ziehen, dass Pat. im 71. Lebens¬
jahr stand. — Der zweite Fall ist wegen der Complication von Syringomyelie
mit einem Adenom der Hypophysis bemerkenswert!). Die Knochenveränderungen
waren nicht diejenigen der Akromegalie, sondern entsprachen denjenigen der
Syringomyelie. Verf. betrachtet die Syringomyelie und die Adenombildung der
HypophysiB als pathogenetisch gleichwerthig. Th. Ziehen.
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666
18) Ueber einen Fall von multiplen Büekenmarkagliomen, Meningitis and
Hydrooephalus, von Prof. Heubner. (Verhandlungen der Gesellschaft für
Kinderheilkunde zu Aachen 1900, Wiesbaden 1901, J. F. Bergmann.)
Die Krankheitssymptome, welche bei dem bisher gesunden, 6jähr. Mädchen
zu beobachten gewesen waren, zeigten folgende Anordnung: Zuerst, kurze Zeit
nach einem Sturz auf den Arm, Krämpfe, welche in tonischer Starre der oberen
Extremitäten mit zeitweiligem Uebergreifen auf Nacken- und Halsmusculatur be¬
standen, dann Kopfschmerz, Erbrechen, Nackenstarre, zunehmende Trübung des
Bewusstseins, endlich eine rasch progrediente Sehschwäche in Folge von Opticua-
atrophie. Alle diese Symptome lassen sich durch einen allmählich gewachsenen,
deutlichen Hydrocephalus erklären. Ausserdem bestanden aber auch eine schlaffe
Lähmung der Beine und des Rumpfes, eine Schmerzhaftigkeit in den Ober¬
schenkeln, die in abnormer Zwangslage sich befanden, endlich fehlten die Patellar-
reflexe. Die Autopsie ergab neben dem erwarteten Hydrocephalus ausgebreitete
Trübungen und Verdickungen der Hirn- und Rückenmarkshäute, sowie multiple
(6) Gliome im Bereiche des Dorsalmarks und eine durch das ganze Rückenmark
sich hinziehende Sklerose der Hinterstränge.
Wie ist nun dieser complicirte anatomische Befund zu deuten und mit den
klinischen Symptomen in Einklang zu bringen? Verf. hält die Gliombildung im
Rückenmark für die primäre Erkrankung. Die daran sich schlieesende spinale
Meningitis sei cerebralwärts weitergekrochen, habe zu chronischer Entzündung und
zu consecutivem Hydrocephalus geführt. Nun entsprach allerdings der klinische
Verlauf scheinbar nicht dieser Auffassung, da ja die cerebralen Erscheinungen
früher zum Ausdruck gekommen waren, als die spinalen. Doch waren die initialen
Krämpfe derart, dass der Rückenmarksursprung nicht unwahrscheinlich ist, der
Zeitpunkt des Lähmungseintrittes der Beine ist nicht genügend bekannt, der
älteste, im 2. Dorsalsegment sitzende Tumor aber zu klein, um die Paresen allein
zu erklären; wahrscheinlich sind dieselben erst nach Vermehrung der Gliome
entstanden. Verf. hält es daher für wahrscheinlich, dass die Krämpfe das Ein¬
setzen primärer Rückenmarkserkrankung bedeuten, dass die cerebralen Symptome
den Ausdruck des secundär entwickelten Hydrocephalus darstellen, und dass endlich
die Extremitäten- und Rumpfschwäcbe von der Weiterentwickelung der Gliome
im Rückenmark herrühre. Eine eigene Erklärung erfordert die Sklerosirung der
Hinterstränge. Im Anschluss an ähnliche Befunde in der Litteratur („Pseudo¬
tabes“ von Oppenheim) hält Verf. diese Veränderung nicht für eine Secundär-
degeneration, sondern für eine der Gliombildung analoge Gliose der Hinterstrange.
Zappert (Wien).
19) TJeber einen Fall von Brown -Söquard’soher Lähmung in Folge von
Rüokenmarksgliom, von Dr. R. Henneberg, Assistent der Klinik. Aus
der psychiatr. und Nervenklinik der königl. Charite. (Archiv f. Psych. u.
Nervenkrankh. XXXIII. 1900.)
Ein 24jähr. Arbeiter erkrankte plötzlich mit allmählich zunehmender Läh¬
mung des linken Armes und des linken Beines, Behinderung der Bewegungen des
Kopfes, stechenden Schmerzen in der rechten Hälfte des Kopfes, Priapismus und
Erschwerung des Urinlassens. Etwa 4 Wochen nach Beginn der Erkrankung, der
eine starke körperliche Anstrengung vorausgegangen war, kam er in die Charite.
Hier wurden constatirt: Nystagmus, Verengerung der linken Lidspalte und Pupille,
Nichtschwitzen der linken Körperhälfte, Lähmung des linken M. cucullaris und
Levator scapulae, Schwäche des Zwerchfelles, Lähmung des linken Armes
und Beines, geringe Herabsetzung der faradischen Erregbarkeit links, galvanisch
träge Zuckungen im linken Cucullaris, Steigerung der linken Sehnenreflexe. Be-
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667
treffs der Sensibilität ergaben sich starke Herabsetzung der Schmerz- und
Temperaturempfindung an der ganzen rechten Körperseite mit Aus¬
nahme der Gegend um Auge, Nase und Mund und an der linken Seite von der
2. Rippe aufwärts mit Ausnahme derselben Gegend um Auge, Nase und Mund.
Die Berührungsempfindung war an der linken Halsseite herab bis zur 2. Rippe
abgeschwächt. 10 Tage nach der Aufnahme trat in Folge von Bronchopneumonie
der Tod ein.
Bei der Section zeigte das mittlere und obere Cervicalmark eine erhebliche
Volumenzunahme. Die Rückenmarkshäute waren so stark gespannt, dass das
Cervicalmark das Aussehen einer festgestopften Wurst gewann. Auf Querschnitten
dnrch das obere mittlere Cervicalmark quoll die RückenmarkssubBtanz stark hervor
und schien aus einem gleichmässig grauweissen Brei zu bestehen; erst im unteren
Cervicalmark Hess sich eine Differenzirung zwischen weisser und grauer Substanz
wahrnehmen. Die mikroskopische Untersuchung ergab das Vorhandensein einer
sehr zellenreichen Neubildung der Glia, die sich ganz vorwiegend im
linken Seitenstrang entwickelt hatte, im 6. Cervicalsegment als diffuse Infil¬
tration begann, im 3. ihre stärkste Entwickelung erlangt hatte, hier fast den
ganzen Seitenstrang einnahm, während Vorder- und Hinterstrang fast intact waren
und in der Höhe des distalen Olivenrandes als sehr diffuse Infiltration aufhörte.
Die graue Substanz war namentlich im 4. und 3. Cervicalsegment in Mitleiden¬
schaft gezogen, weiter proximal auch die Substantia gelatinosa Rolandi und die
spinale Quintuswurzel links. In der Glianeubildung fanden sich zahlreiche riesen¬
zellenartige Bildungen, während faserige Elemente sehr zurücktraten. Verf. be¬
zeichnet die Neubildung als medulläres Gliom oder Glioma sarcomatodes.
Auf die Erklärung der klinischen Symptome aus dem anatomischen Befund
wird mit grosser Genauigkeit eingegangen. Die rechtsseitige Störung der Schmerz-
und Temperaturempfindung ist durch die Läsion des linken Seitenstrangs bedingt.
Links bestand im Gebiete des 4. und 3. Cervicalsegments eine Herabsetzung
sämmtlicher Qualitäten der Hautsensibilität, die durch die nachgewiesene Affection
der linken Wurzeln und des Hinterhorns hervorgerufen wurde. Die Sensibilitäts¬
störung im Bereich des Trigeminus wird auf das Ergriffensein der linken spinalen
Trigeminuswurzel bezogen. Im Einklang mit der Lähmung des linken Cucullaris,
die mit Entartungsreaction einherging, stehen erhebliche Veränderungen an den
Ganglienzellen des linken Vorderhoms im 2., 3. und 4. Cervicalsegment. Das
Versagen des Zwerchfells stimmt mit der Erkrankung des 4. Cervicalsegments,
aus dem die Hauptwurzel des Phrenicus hervorgeht. Die beobachteten Sympathicus-
gymptome sind auf Unterbrechung eines Faserzugs im Seitenstrang zurückzuführen
und sprechen dafür, dass eine ciliospinale Bahn im gleichseitigen Seitenstrang
verläuft. Halbseitige Aufhebung der Schweisssecretion endlich ist schon mehrfach
in Verbindung mit oculopupillären Symptomen bei Rückenmarksaffectionen con-
statirt worden. Georg Ilberg (Sonnenstein).
20) Ueber einen schweren spinalen Symptomenoomplez, bedingt daroh
eine anearysma-serpentinamartige Veränderung eines Theiles der
Rückenmarksgefässe. Nebst Bemerkungen über diffuse Aneurysmen,
von Dr. Felix Brasoh. (Berliner klin. Wochenschr. 1900. Nr. 52 u. 53.)
Ein 61jähr. Schneider, früher stets gesund, litt seit 2 Jahren an immer mehr
zunehmender Schwäche der Beine. Seit kurzer Zeit kann Pat. den Urin nicht
mehr halten; permanente Schmerzen in den Glutäen, blitzartige Schmerzen in den
Beinen; Gehen unmöglich. Der Status ergiebt, dass die Beine nicht gehoben und
nicht gestreckt und nur sehr wenig gebeugt werden können. Elektrische Erregbar¬
keit normal. Arme zeigen normale, grobe Kraft, aber leichte Unsicherheit bei
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668
Augen8chluss. Incontinentia urinae et flatuum, nicht alvi. Patellarreflexe fehlen
ganz. Sensibilität am Oberkörper ungestört, an den Oberschenkeln herabgesetzt,
an den Unterschenkeln fast vollkommen aufgehoben. Lageveränderungen rufen
Collaps hervor. Nach 10 tägiger Beobachtung im Augusta-Hospital tritt der
Exitus ein.
Die makroskopische Betrachtung des Rückenmarks zeigt, dass auf der Rück¬
seite in der Höhe des 5. Dorsalsegments ein stricknadeldickes Gefass durch die
Dura tritt. Von dieser Stelle verlaufen mächtige Gefässschlingen, den Hinter-
strängen anliegend, bis zum 1. Lumbalsegment, ein schwacher Ast sogar bis zum
Filum hinab. Auf der Vorderseite läuft schon vom 2. Dorsalsegment ein ge¬
schlängeltes, erweitertes Gefass bis nach dem 3. Lumbalsegment. Diese Gefäss-
anomalie hat auch die von den Hauptstämmen ausgehenden Rückenmarksgefitsse
ergriffen und so die Rückenmarksubstanz in ausgedehntem Maasse in Mitleiden¬
schaft gezogen; die Veränderungen im Rückenmark selbst sind in der Hauptsache
chronischer degenerativer Natur und auf die Hinter- und Seitenstränge, so¬
wie auf die Vorderhörner des unteren Dorsalmarks und des Lendenmarks be¬
schränkt. Blutungen und entzündliche Processe jüngsten Datums finden sich im
unteren Lendenmark. Von secundären Veränderungen ist die aufsteigende Dege¬
neration im Goll’schen Strang sehr deutlich, die absteigende in den Pyramiden¬
strängen nur angedeutet. Bielschowsky (Breslau).
21) Les kystes hydatiques ä dötermination medullaire, parScherb. (Travaux
de neurolog. chirurg. II und III. Paris, 1900.)
Im Anschluss an einen selbstbeobachteten Fall und mehrere analoge Fälle
aus der Litteratur kommt Verf. zu dem Schlüsse, dass Echinokokken auf medul¬
lärem Boden charakteristischer Krankheitssymptome entbehren und sich meistens
der Diagnose entziehen. An einen Tumor wird man zuerst denken in Folge der
Drucksymptome, die solche Cysten hervorrufen. Gelegentlich wird man durch
Probepunction oder Palpation die Cyste als solche diagnosticiren können, wenn
ein Theil derselben ausserhalb des Wirbelcanals liegt und der Betastung zu¬
gänglich ist. Adler (Berlin).
22) Angiolipom des Wirbeloanals mit CompresBion des Büokemnarks,
von Liebscher. (Prager med. Wochenschr. 1901. S. 189.)
56jähr. Frau; Krankheitsbeginn vor 4 1 / 2 Jahren mit Gürtelgefühl und Par-
ästhesieen in den Beinen, zunehmender Unsicherheit beim Gehen; später Zuckungen
und reissende Schmerzen in den unteren Extremitäten, unwillkürlicher Abgang
von Harn und Stuhl.
Der Status nervosus ergab u. A.: Wirbelsäule in der Kreuz- und Lenden¬
gegend stark druckempfindlich. Die unteren Gliedmaassen gelähmt, in Beuge¬
stellung. Kniesehnen reflex rechts gesteigert, links erloschen. Anästhesie der
Beine (Berührung, Schmerz; zwischen Wärme und Kälte kann indessen entschieden
werden). Leichte Ataxie der oberen Extremitäten.
Die Kranke starb an Cystitis und Sepsis (von Decubitusherden her aus¬
gehend).
Es fand sich zwischen Dura und Vorderfläche der Wirbelbögen des 6. bis
8. Dorsalwirbels ein 7 cm langer, in der Mitte 2 cm dicker Tumor, der das
Rückenmark derart comprimirte, dass dessen grösster sagittaler Durchmesser an
der CompresBionsstelle nur 3 mm betrug (während es daselbst in frontaler Richtung
14 mm maass).
Makroskopisch graue Verfärbung der Pyramidenseitenstränge unterhalb, der
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Goll’schen Stränge oberhalb der Compreesionsstelle. An dieser selbst in der
weissen Substanz nirgends Zerfallsbilder („ ... es machte der Befund an der Com-
pressionsstelle den Eindruck einer ganz allmählich zu Stande gekommenen reinen
Atrophie.“ Verf. spricht indessen auch von einer „Degeneration“ in den Pyra-
midensträngen und Goll’schen Strängen). Der Tumor war ein Angiolipom.
Am Schlüsse betont Verf. noch einmal die „Compressionsatrophie“ des Rücken¬
marks, „die weniger als Degeneration, denn als einfache Atrophie sich präsentirte“.
(Ref., der in zwei seiner Arbeiten [Jahrbücher f. Psych. XVII. S. 221 u.
xvm. S. 341 ] scharf zwischen Atrophie und Degeneration unterscheidet, wünschte
nur eine detaillirtere Schilderung der histologischen Details im vorliegenden Falle,
namentlich bezüglich der Pyramidenseitenstränge und Goll’schen Stränge, die
Verf. als degenerirt bezeichnet, während an der Compressionsstelle einfache Atrophie
Vorgelegen haben sollte.) Pilcz (Wien).
23) Lea arthropathie8 trophiquea oonsöoutives aux affeotlona ohirurgioales
de la mobile: traumatismes, mal de Pott, tumeurB, par Chipault.
(Travaux de neurolog. chirurg. I. 1900.)
Verf. hat theils an eigenen Beobachtungen, theils aus der Litteratur Fälle
von trophischen Gelenkerkrankungen als Folgen von Affectionen des Rückenmarks
studirt. Die Affectionen des Rückenmarks, um die es sich handelte, waren theils
traumatisch wie Messerstiche und Fracturen, theils Pott'sehe Krankheit, theils
Neoplasmen der Wirbelsäule. Anatomisch-pathologisch handelte es sich um Er¬
güsse inB Gelenk, hauptsächlich ins Kniegelenk, theil fibrinös, theils hämorrhagisch,
letzteres häufiger, gelegentlich konnten mit Röntgenstrahlen Veränderungen der
Knochen, auch Verknöcherung der Ligamente festgestellt werden, mitunter sind
die Knorpel erodirt, auch die Weichtheile über dem Gelenk können in Mitleiden¬
schaft gezogen sein, im ganzen ist die Affection trophischer Art. Complicationen
werden dargestellt durch Luxationen oder Subluxationen, sowie durch osteo-
articuläre Läsionen. Für die Differentialdiagnose kommen einfach traumatische
Arthritis, sowie rheumatische Arthritis in Betracht, ferner auch bystero-trauma-
tische Störungen. Einzelne Formen erinnern stark an die tabischen Arthro-
pathieen, selbst einen gewöhnlichen Hallux valgus können sie Vortäuschen; die
Formen, bei denen es sich um Pott’sche Krankheit oder Neoplasmen als Ursache
handelt, werden natürlich der Diagnose weniger Schwierigkeit bereiten. Je nach
der Ursache ist auch die Prognose, sowie die Therapie eine sehr verschiedene: im
Allgemeinen werden einer chirurgischen Therapie nur diejenigen Formen zugänglich
sein, bei denen die causale Affection des Rückenmarks eine Gewährleistung für
theilweise oder vollkommene Heilung giebt. Adler (Berlin).
24) Ueber einen Fall von intramedullärem asoendirenden Sarkom, sowie
3 Fälle von Zerstörung des Halsmarks. Weitere Beiträge zur Lehre
vom Verhalten der Sehnenreflexe bei hoher Querläsion des Rücken¬
marks , von Dr. Nonne, Oberarzt am Neuen allgemeinen Krankenhaus
Hamburg-Eppendorf. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XXXIII. 1900.)
Von ganz besonderem Interesse ist der vom Verf. beobachtete und mikro¬
skopisch untersuchte Fall von primärem, centralem, reinem Sarkom im oberen
Rückenmark. Es handelt sich um ein löjähr. Mädchen, das mit allmählich zu¬
nehmender Schwäche der Beine erkrankte. Bald konnte es nicht mehr stehen,
dann kam es zur vollständigen Bewegungslosigkeit der Beine. Wenige Wochen
nach Beginn des Leidens stellten sich auch Parese der oberen und Sensibilitäts¬
störungen in den unteren Extremitäten bis zur Höhe der 7. Rippe ein. Die
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670
Bewegungsstörungen in den Armen nahmen dann zu, es kam zu Atrophieen und
Herabsetzung der faradischen und galvanischen Erregbarkeit an Händen und
unteren Extremitäten. Die Patellarsehnenreflexe schwanden; ebenso die Bauch-
und Plantarreflexe. Dann kam es zu Sensibilitätsstörungen im Badialis- und
Ulnari8gebiet für alle Qualitäten, zu Schwinden der Triceps- und Vorderarmreflexe.
Nachdem längere Zeit Erbrechen und Kopfschmerzen die Patientin geplagt hatten,
stellten sich zum Schluss noch einseitige Parese des Facialis, doppelseitige Paresen
des Masseters und des Abducens, Schluckbeschwerden sowie Neuritis optica ein.
Epileptiforme Anfälle führten nach 6 1 /* Monate langer Krankheitsdauer den Tod
herbei.
Das Sarkom hatte eine starke Spannung der Dura im Halstheil des Rücken*
marks bewirkt. Die Dura war vom 2. Halswirbel bis zur 10. Dorsalwurzel mit
der Pia verwachsen. An Vorder- und Hinterseite des Rückenmarks lagerten
stecknadelkopfgrosse weisse Knötchen, die sich als Sarkome der Meningen ent¬
puppten. Querschnitte in der Mitte des Halsmarks zeigten eine doppelte, Quer¬
schnitte in der Höhe der 6. Brustwurzel sogar eine dreifache Vergrösserung des
sagittalen wie des frontalen Durchmessers. Der Tumor war auf den Rückenmarks-
querschnitten zu erkennen von unterhalb der Pyramidenkreuzung bis oberhalb der
unteren Dorsalwurzeln. Er lag im Centrum des Rückenmarks, war nach aussen
deutlich abzugrenzen, hatte an den Hauptstellen seines Sitzes die gesammte
Rückenmarkssubstanz vernichtet, zeigte im untersten Halsmark bezw. obersten
Dorsalmark eine ovale Höhle, war von mässiger Derbheit und stellte sich als
Rund- und Spindelzellensarkom dar. In der Medulla oblongata fand sich keine
Metastase. Die Ventrikel waren erweitert. G. Ilberg (Sonnenstein).
25) Ueber eine eigenthümliohe Form familiärer Erkrankung des Central-
nervensystems, von Aron Deskin. (Inaug.-Dissert. Berlin, 1900.)
Verf. beschreibt 2 Patienten (Brüder) aus der Jolly’schen Klinik, welche
im Alter von 5—6 Jahren mit Schielen, progredienter, bis zur Erblindung führender
Opticusatrophie, Schwäche der Beine, Unfähigkeit der Locomotion, epileptischen
Anfällen und zunehmender geistiger Verblödung nebst Sprachstörung erkrankt
waren. Der eine der beiden Patienten starb im Alter von 16 Jahren, der andere
lebt noch und steht jetzt in seinem 12. Jahr. Die Section zeigte bei dem einen
der Kranken geringe piale Trübung an der Himbasis, Schmalheit der Stirn¬
windungen und allgemeine Atrophie des GehirnB. Granulirtes und getrübtes
Ependym, jedoch nichts Besonderes am Gehirn. Im Rückenmark fand sich (Dr.
Br atz) eine Degeneration der Pyramidenseitenstränge.
Verf. geht die Reihe der von Hi gier zusammengestellten Gruppen von
familiären Erkrankungen des Nervensystems durch und kommt zu der Ueberzeugung,
dass die von ihm beschriebenen Fälle mit keiner der bekannten Gruppen identisch
sind. Da vielmehr bei den beiden Patienten ein gewisser Verdacht auf hereditäre
Lues vorliegt, so neigt Verf. der Auffassung zu, dass es sich in seinen Fällen um
eine (paralytische?) Erkrankung familiärer Art auf syphilitischer Basis gehandelt
habe. Paul Schuster (Berlin).
20) lieber familiäre amaurotische Idiotie, von Prof. Dr. Falkenheim (Königs¬
berg). Aus den Verhandlungen der 17. Versammlung der Gesellschaft für
Kinderheilkunde in Aachen 1900. (Wiesbaden, 1901. J. F. Bergmann.)
Seit der ersten Beschreibung der familiären amaurotischen Idiotie durch
Sachs im Jahre 1898 sind bereits so zahlreiche, gut beobachtete Beispiele dieser
Krankheit mitgetheilt worden, dass dieselbe zu dem festen Besitzstand der
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671
SäuglingBneurologie gerechnet werden kann. Die Krankheit befällt die Kinder
meist schon in den ersten Lehensmonaten, äussert Bich in einem psychischen Defect,
der rasch zu absoluter Idiotie sich steigert, in einer Schwäche, später Lähmung
der Extremitäten mit oder ohne Veränderung der Reflexe, sowie in einer höchst
auffallenden Alteration des Augenhintergrundes, welche sich in einer Veränderung
der Macula lutea sowie in Opticusatrophie kundgiebt; meist gehen die Störungen
im Bereiche der Macula lutea jener in der Papille voraus. Das Leiden endet
stets unter zunehmendem Marasmus in 1—1 1 / 2 Jahren tödtlich. Gewöhnlich sind
mehrere Kinder einer Familie betroffen. Das Hauptcontingent stellen jüdische
Kinder, und unter diesen — nach Sachs — namentlich Abkömmlinge russischer
und polnischer jüdischer Familien; doch ist das Leiden auch bei Nichtjuden be¬
schrieben worden (u. A. eine in der Discussion zu diesem Vortrag erwähnte Be¬
obachtung de Bruyn’s aus Amsterdam).
Verf.’s Fälle stellen typische Beispiele der Krankheit dar; es handelt sich
um Geschwister, Kinder einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie mit Bluts-
verwandschaft der Eltern (Geschwisterkinder) und neuropathischer Familien¬
belastung. Das eine Kind erkrankte im Alter von etwa 4 Monaten und starb
20 Monate alt. Das zweite zeigte einen ähnlichen Stillstand seiner Entwickelung
im 5. Monat und bietet jetzt (im Alter von 11 Monaten) ein schweres fort¬
geschrittenes Krankheitsbild. Eine Autopsie ist in beiden Fällen nicht möglich.
Dadurch sind die beiden Beobachtungen für die Frage nach der Natur des Leidens
nicht verwertbbar. Hierin liegt der strittige Punkt bei der familiären amauro¬
tischen Idiotie. Es sind wohl einige Fälle obducirt und hierbei die Befunde
hochgradiger degenerativer, nicht entzündlicher Veränderungen an den Zellen und
Fasern des Gehirns erhoben worden, doch fragt es sich, ob diesen Alterationen
die Bedeutung einer angeborenen oder erworbenen Anomalie zukommt. Sachs
und damit die meisten anderen Autoren neigen der Meinung zu, dass der Krank-
heitsprocesB post partum das ausgebildete Centralnervensystem befalle, doch ist —
wie dies auch Heubner in der Discussion zu F.’s Vortrag erwähnt — die An¬
nahme einer partiellen Agenesie nicht im Widerspruch mit den erst in den ersten
Lebensmonaten sich manifestirenden Krankheitssymptomen.
Der Vortrag bezweckt, in seinen Ausführungen keine neuen Gesichtspunkte
zu bringen, sondern nur seine engeren pädiatrischen Standesgenossen mit der
seltenen Krankheit vertraut zu machen. Durch einen glücklichen Zufall ist er in
der Lage, einige Tage nach seinem Vortrag einen neuen, durch Vermittelung Dr.
Rey’s (Aachen) aufgefundenen Fall dieser Krankheit (jüdisches Kind von
16 Monaten, Krankheitsbeginn mit 5 Monaten) zu demonstriren.
Zappert (Wien).
27) A oase of family periodic paralysis, by James Putnam, M. D., Professor
of diseases of the nervous System, Boston. (American Journal of the Medical
Sciences. Februar 1900.)
Verf. reiht den von Taylor, Mitchell und anderen Autoren beschriebenen
Fällen von hereditärer periodischer Lähmung einen weiteren interessanten Fall
an. 24jähr., musculöser, gesund aussehender Mann leidet seit seinem 14. Lebens¬
jahr in Zwischenräumen von 1 — 7 Monaten an Anfällen, die fast immer am
Sonntag oder Montag auftreten und durch folgende Erscheinungen charakterisirt
sind: Pat. geht bei vollkommenem Wohlbefinden zu Bett und kann beim Erwachen
am nächsten Morgen kein Glied rühren. In schwereren Anfällen functioniren nur
Augen- und Mundmuskeln; in leichteren besteht das Gefühl ausserordentlicher
Schwere in den Gliedern bei Versuchen, sie zu bewegen. Leichte Anfälle können
sich zu schwereren ausbilden, wenn Pat. es versucht, sich trotz seiner Beschwerden
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fortzuschleppen. Die Sensibilität in allen ihren Qualitäten intact. Aussehen dabei
fast bleich, grosses Müdigkeitsgefühl; Urinmenge sehr gering; nur einmal in
24 Stunden Drang zu uriniren. Nach dem Essen öfter Brechen; es wird immer
nur wenig Nahrung genommen, da ein Mehr leicht Verschlechterung des Befindens
bewirkte. — Was die Reihenfolge, in der die Lähmungen auftraten, anbetrifft,
so werden zunächst die Dorsalflectoren des Fusses betroffen. Schon vor seinem
14. Jahre bemerkte Pat. manchmal beim Springen im Turnunterricht eine auf¬
fällige Schwäche dieser Muskeln. Dann Schwierigkeit vom Stuhl aufzustehen,
Beine im Knie zu strecken. In diesem Stadium kann er noch gehen, wenn er
seine Knie steif hält, kann aber nicht aufstehen, wenn er hingefallen. Dabei eine
Art Beklemmung bezw. Schwierigkeit tief zu athmen. Die Lähmungen kommen
meist Nachts und verschwinden wieder in der Nachtzeit. Verf. sah nur einen
Anfall, der gerade im Schwinden war. Pat. konnte damals schon Finger, Hände,
Kopf, Kinnbacken bewegen, schwierig Zehen, Fiisse, Unterarme und Unterschenkel,
gar nicht Schulter- und Hüftmuskeln. Also die proximalen Muskeln sind schwerer
befallen wie die distalen, im Gegensatz zur multiplen Neuritis. Die elektrische
Erregbarkeit entsprach dem Grade der Lähmung; keine Reaction im Biceps, ira
Quadriceps bei stärksten Strömen, prompte in den Interossei. Knie-, Abdominal¬
und Plantarreflexe fehlten, obgleich Stiche in den Fuss unangenehm empfunden
wurden. — Bei einer elektrischen Untersuchung zwischen zwei Anfällen überall
normale Reaction; Kniereflex vorhanden, aber schwächer als beim Gesunden.
Als prädisponirende Ursache schuldigte Pat besonders zu reichliche Nahrungs¬
aufnahme. oder auch zu spät eingenommene Abendmahlzeiten an. Der Umstand,
dass die Anfälle häufig Montags kamen, erklärte er damit, dass er Sonntags ge¬
wöhnlich zu Haus war und mehr als wie gewöhnlich ass. — Dieselbe Tendenz
dieser Krankheit, an einem bestimmten Tage aufzutreten, ist in Mitchell’s und
in einem Falle von Goldflam beobachtet worden. Im Gegensatz zu den schon
beschriebenen Fällen konnte Verf. hier keine Belastung oder Familienanlage nach-
weisen. Als Vorboten zeigte sich hier gewöhnlich eine gewisse Reizbarkeit, in
anderen Fällen leichte Schwäche im Quadriceps 1—2 Tage vorher. Die Anfälle
dauerten wenige Stunden bis 2 oder 3 Tage; mehrere Tage bis 1 Woche lang
fällt noch eine gewisse Muskelschwäche auf. Schweiss, Juckgefühl wie bei anderen
nicht beobachtet, ebenso wenig Lymphocytose (Taylor).
Verf. kritisirt in Anknüpfung an diesen Fall und an die Thatsache, dass
Mitchell vergebens nach einer toxischen Substanz im Harn eines solchen Kranken
forscht, die moderne Richtung, überall ein specifisches Gift für Krankbeits-
erscheinungen verantwortlich zu machen. Das Hesse sich dann ebenso von Er¬
scheinungen behaupten, die noch in die Breite der Gesundheit fielen. Ein Mensch
mit Neigung zu Migräne müsse doch nicht materiell, d. h. chemisch verschieden
sein von einem anderen mit Appetit zur Essenszeit oder mit Schläfrigkeit am
Abend. So auffallend die klinischen Züge manches krankhaften Zustandes zuweilen
sind, so könnten doch die chemischen Differenzen zwischen ihnen und dem nor¬
malen Zustande höchst geringfügig sein. Ueberhaupt wäre es manchmal viel
fruchtbarer, Abnormitäten nicht gloich als Krankheit, sondern äls modificirte Zu¬
stände der Gesundheit anzusprechen. — Verf. glaubt dem Probleme dieser perio¬
dischen Lähmungen näher zu kommen, wenn er seinen Fall im Lichte der neuer¬
dings von Oddi und Meitzer über das Moment der Hemmung veröffentlichten
Arbeiten betrachtet. Es würde zu weit führen, die interessanten Darlegungen des
Verf.’s hier auch nur kurz zu skizziren. Es muss daher auf das Original ver¬
wiesen werden. Zum Schluss werden noch kurz die Berührungspunkte der be¬
schriebenen Krankheit mit den Myotonieen angegeben.
Meitzer (Grosshennersdorf).
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673
Psychiatrie.
28) Observations on the condition of the blood in the inaane, baaed on
one hundred examinations, by F. Percival Mackie. (Journal of Mental
Science. Januar 1901.)
Von 100 somatisch gesunden männlichen Repräsentanten einzelner Psychose¬
typen wurden Blutproben der Untersuchung mittels Go wer s’ Hämoglobinometer
und Hämocytometer und gleichzeitig der mikroskopischen Prüfung nach Präparation
mit Formalinalkohol und Methylenblau bezw. Eosin unterzogen, woraus sich
Folgendes ergab:
1. Allgemeine Paralyse. Der durchschnittliche Hämoglobingehalt aller
16 Fälle betrug 87,46%. Die rothen Blutkörperchen erreichten nur in einem
Falle die normale Zahl, waren dagegen 10 Mal mit 4—5, 4 Mal mit 3—4,
1 Mal mit 2% Millionen und im Gesammtmittel mit 4,182,000 auf dem Cubik-
millimeter vertreten. In 6 Fällen bestand pathologische Leukocytose, 2 Mal Hypo-
leukocytose, in allen übrigen Fällen blieb die Zahl der weissen Blutzellen in der
physiologischen Breite (5—10,000 per Kubikmillimeter); ihr Gesammtdurchschnitt
betrug 10,562. Der einzige im Frühstadium und in manischer Phase befindliche
Kranke zeigte ausgesprochene Leukocytose. In einem Falle stieg in Folge eines
apyretisch-hemiplegischeu Anfalls die Zahl der Leukocyten von 9000 vor, auf
20,000 (6 Stunden) nach dem Insult, unter vorwiegender Betheiligung der multi-
nuclearen Zellform. Im übrigen waren die 4 Leukocytenformen annähernd in dem
von Monoton Copeland angegebenen Verhältniss auch hier vertreten.
2. Epilepsie. Bei 40 Untersuchten betrug das Mittel der rothen Blut¬
körperchen in toto 4 1 /, Millionen; 8 Mal kamen mehr als 5 Millionen, 7 Mal
3—4 Millionen und 1 Mal nur 2 1 /, Millionen auf die Raumeinheit. Dieselbe ent¬
hielt in 25 Fällen mehr als 10,000 Leukocyten; eine bestimmte Beziehung zur
Zahl der Anfälle war nicht zu entdecken. Ueberhaupt wechselte die Zusammen¬
setzung des Blutes nach Anfällen und Status von Fall zu Fall deutlich, aber ohne
jede Regel. Die Hämoglobinprobe ergab durchschnittlich 89,47%, 13 Mal
100% und darüber, 10 Mal 90—100%, 13 Mal 80—90% und 4 Mal weniger
als 60 %. Das Verhältniss der rothen Blutkörperchen zum Hämoglobin war ein
sehr conBtantes, nämlich in 36 Fällen 1:0,8—1,1. Die Procentzahlen der Leuko¬
cytenformen bleiben im Allgemeinen in normalen Grenzen, nur war das Gesammt¬
mittel der eosinophilen Zellen etwas (auf 3,05%) erhöht und ihre Verhältniss-
ziffern in den einzelnen Fällen auffallend inconstant.
3. Melancholie. Der Hämoglobingehalt machte 100% und mehr in 8,
und weniger als 80% in 4 von 20 Fällen aus. Der individuelle Reichthum an
rothen Blutkörperchen (i. e. das Verhältniss ihrer Zahl zum Hämoglobingehalt)
sank nie unter ein Minimum von 0,9 und stieg 15 Mal über 1,0. Beide Er¬
gebnisse stehen den Angaben Stule’s diametral gegenüber. Die Zahl der rothen
Blutkörperchen belief sich im Mittel auf 4% und nur 2 Mal auf weniger als
4 Millionen; von Leukocyten wurden durchschnittlich 9890 gezählt, und in keinem
Falle blieb der Betrag wesentlich hinter dieser Zahl zurück. Die einzelnen Zell¬
formen waren in normalem Verhältniss vorhanden, das nur in einigen Fällen von
den Lymphocyten überschritten wurde.
4. Manie. Die Blutprüfungen an 13 Individuen ergaben zusammen, dass
die Zahl der rothen Blutkörperchen in jedem einzelnen Fall 4 Millionen überstieg
und im Durchschnitt aller Fälle 4,470,000 betrug. Von Leukocyten kamen im
Mittel 9000 und 6 Mal mehr als 10,000 auf den Kubikmillimeter. Zunahme der¬
selben wurde einmal in heftiger Tobsucht, ein anderes Mal dagegen im Intervall
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674 —
beobachtet. Der Hämoglobingehalt und der individuelle Zellreichthum waren an¬
nähernd normal, ersterer im Mittel 92 °/ 0 und letzterer 1,04 betragend. Das
Verhältniss der Leukocytenformen unter einander bewegte eich in normalen
Grenzen, doch war der Durchschnittsbetrag eosinophiler Zellen zu Lasten einzelner
Fälle (mit 3,38 °/ 0 ) höher als bei anderen Psychosen. Excessive Masturbation in
einzelnen Fällen liess (Macphail’s Befunden entgegen) einen Einfluss auf die
Zusammensetzung des Blutes nicht erkennen.
Die übrigen 14 Fälle sind irreguläre Typen oder gemischte Erankheitsbilder
und haben nur ein casuistisches Interesse. So ergab ein Fall acuter Puerperal¬
psychose gegen die von Bevan Levis gefundene Regel, dass Hämoglobingehalt
und individueller Zellreichthum normal waren, stimmte aber wieder darin mit
ihr überein, dass Leukocytose fehlte. In der manischen Phase periodischer Manie
fand sich die Zahl der rothen Blutkörperchen und der Hämoglobingehalt bei zwei
Individuen vermindert und bestand keine Leukocytose, wohingegen letztere bei
einem 3. Kranken in ziemlich beträchtlichem Grade ausgesprochen war.
Im ganzen ergiebt die Betrachtung der erhaltenen Durchschnittswerthe nur
eine geringfügige Abweichung von dem normalen Verhältniss der Blutbestand -
theile, die ebenso wenig in die Pathologie der betreffenden Psychosen mehr Licht
zu bringen und dem Behandlungsregime Winke zu ertheilen in der Lage sein
wird, als sie für Prognose oder Diagnose von irgend welchem Werth sein kann,
da ihr jedenfalls selbst nur die Bedeutung eines secundären Phänomens zugesprochen
werden darf. Schmidt (Freiburg i/SchL).
29) La dömenoe paranoide, par S6glas. (Annales mödico-psyohologiques.
September/October 1900.)
Unter Mittheilung eines Falles von Dementia paranoides geht Verf. des
Näheren auf die Frage Paranoia, Dementia paranoides oder Dementia praecox
u. s. w. ein und berücksichtigt gebührend die Kraepelin’schen Ansichten und
Schlussfolgerungen. Leider vermag Referent nicht ausführlicher auf die Abhand¬
lung einzugehen und weist darum hiermit auf jene hin.
Adolf Passow (Meiningen).
30) Sur les phönomönes dits halluoinations psyohiques, par Seglas.
(Archives de Neurologie. 1900. Nr. 59.)
Verf. theilt die wesentlichsten Hauptpunkte seines auf dem Psychologen-
congress 1900 gehaltenen Vortrages mit; wem die Verhandlungen nicht zugängig
sind, findet in dieser kurzen Mittheilung das Wichtigste — es sei darum gern
darauf hingewiesen. Adolf Passow (Meiningen).
111. Bibliographie.
Neuritis und Polyneuritis, von Prof. E. Remak und Dr. E. Flat au. (Specielle
Pathologie u. Therapie, herausgegeben von H. Nothnagel. Bd. XI. 3. Theil,
3. u. 4. Abthlg. 714 S. Mit 18 Abbildungen, davon 15 in Farbendruck.
Wien 1899 u. 1900. Alfred Holder.)
In der deutschen Litteratur der letzten Jahre fehlt eine monographische Be¬
arbeitung dieser wichtigen und interessanten Capitel der Neurologie, und auch die
Monographieen, welche in fremden Sprachen erschienen sind (Ross, Dejerine-
Klumpke, Babinski, Pal), datiren soweit zurück, dass eine eingehende Dar¬
stellung der Neuritis und Polyneuritis sehr goboten erschien.
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Dm Werk E. Remak’s und E. Flatau’s ißt als ein vorzügliches zu be¬
zeichnen und den besten neurologischen Monographieen anzureihen. Der Stoff
ist erschöpfend und kritisch verarbeitet dargestellt. Die übersichtliche Anordnung
und die fliessende Spraohe machen die Lectüre des Buches sehr angenehm. Das
Referat kann selbstverständlich nicht erschöpfend sein, sondern soll sich nur auf
einige wichtigere Punkte beschränken.
Einer historischen Einleitung folgt ein von E. Flatau bearbeiteter anato¬
mischer und pathologisch-anatomischer Theil. In demselben werden zunächst die
normalen anatomischen und entwickelungsgeschichtlichen Verhältnisse der peri¬
pheren Nervenfasern, dann die Frage der Degeneration und Regeneration derselben
ziemlich eingehend dargestellt.
Die Autoren stimmen Strümpell bei, dM8 bei multipler Neuritis eine
principielle Scheidung in degenerative und entzündliche Vorgänge nicht noth-
wendig und oft auch nicht durchführbar sei. — Nur bei der eitrigen und tuber-
culösen Form (und vielleicht bei der Hundswuth) ist anzunehmen, dass die Ent¬
zündung entlang der Nerven gegen das Rückenmark zu fortkriechen kann.
Den pathologisch-anatomischen Befunden bei localisirter Neuritis werden die
bei der toxischen, infectiösen, kachektisch-dyskrMischen Form angereiht. (Zu der
letzteren Gruppe werden auch die Neuritiden bei Tabes dorsalis und bei Gefäss-
erkrankungen gerechnet.)
Den Schluss des anatomischen Theils, wie auch der meisten der späteren
Capitel bilden sehr ausführliche Litteraturangaben.
Im klinischen Theile werden erst die allgemeinen Symptome der Neuritis
erörtert. Für die neuritische Natur einer Druckschmerzhaftigkeit im Plexus kann
der Umstand sprechen, dass bestimmte Lagen oder Stellungen nicht ertragen
werden (z. B. Drehung des Halses, Rückwärtsstrecken des Nackens). Eine Druck¬
empfindlichkeit der Nerven wurde von R. auch bei secundären Nervendegenerationen
nach Poliomyelitis beobachtet. — Nach R.’s Erfahrungen neigen gerade Fälle
von IschiM auf wahrscheinlich neuritischer Basis zu langdauernden motorischen
Reizerscheinungen. Im Allgemeinen aber sind bei Neuritis nach Eintritt der
degenerativen Lähmung Zuckungen kaum je bemerkbar.
Auf Grund eingehender Erwägungen scheint es zulässig, eine leichteste Form
der Neuritis mit schnell vorübergehender Lähmung anzunehmen; es lässt sich
aus dieser Annahme der sehr rasche Rückgang der Lähmungen einzelner Muskeln
in Fällen von acuter rheumatischer oder von infectiöser Polyneuritis erklären.
Entgegen den interessanten Befunden von Frankl-Hochwart, hat R. unter
200 Fällen peripherer Facialislähmung nur ganz ausnahmsweise eine deutliche
Sen8ibilität8störung nachweisen können. — Die Intensität der Sensibilitätsstörung
bei Neuritis wird vielleicht auch etwM durch die ätiologischen Momente beeinflusst.
So fand Autor, dMS unter seinen Fällen gerade bei einigen Formen von professio¬
neller Mononeuritis die Sensibilitätsstörung besonders erheblich und ausgedehnt
war. — Die Verspätung der Schmerzempfindung auf Grund einer fortgeleiteten
oder idiopathischen Mononeuritis scheint noch nicht beschrieben zu sein; zu ihrem
Zustandekommen sind immer besondere Bedingungen (Durchschneidung, schwere
Leitungshemmung mehrerer Nervenstämme, ausgiebige Degeneration peripherer
Nerven) nothwendig.
Das sogenannte „Glutäalphänomen“ (rhythmische Zuckungen der Glutäal-
muskeln bei Druck auf die Gesässmuskeln des auf dem Bauche liegenden Patienten)
hat R. nur in 5°/ 0 der Fälle von IschiM (unter 660 Kranken) beobachtet. —
Einen Fall von ichthyotischer Hautveränderung bei Neuritis des N. medianus theilt
Autor kurz mit. — Die zu einer neuritischen Facialisparalyse gelegentlich nach¬
träglich hinzutretende Zostereruption pflegt viel weniger ausgedehnt zu sein, als
eine ihr vorangehende. So sah R. zwei Mal bei rheumatischer Gesichtslähmung
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7 Tage nach ihrem Beginne circumscripten Herpes zoster nur des Ohrläppchens
auftreten.
Nach Sichtung der einschlägigen Litteratur findet Verf., dass das Mal per-
forant du pied zwar ein neuritisches Symptom sein kann, aber trotzdem nur
ausnahmsweise Symptom einer Mononeuritis des Ischiadicus und noch seltener
einer Polyneuritis ist Ganz ähnlich verhält es sich mit dem acuten Decubitus.
Derselbe kann vielleicht ein neuritisches Symptom sein, ist aber nicht ein Sym¬
ptom der klinischen Polyneuritis. — Die von Gabler beschriebene Sehnen¬
schwellung über den Metakarpalknochen, welche bei Heilung der Neuritis in der
Kegel zurückgeht, wurde von R. in einem Falle mit Ausgang in dauernde Be¬
weglichkeitsbeschränkung beobachtet
Bezüglich der Dupuytren’schen Fingercontractur nimmt Autor an, dass
leichter gelegentlich dieselben ätiologisohen Momente Ulnarisneuritis und Dupuy-
tren’sche Contractur veranlassten, als dass letztere eine Folge der ersteren sei.
In der Aetiologie der Polyneuritis ist ohne äussere Verwundung Trauma als
veranlassende Krankheitsursache wohl auszuschliessen. Ueberanstrengung ist als
ätiologisches Moment von grosser Dignität anzuerkennen, ebenso die Erkältung,
ohne dass letztere stets nur die Gelegenheitsursache sein muss. Die periphere
Localisation der neuritischen Processe bei Dyskrasieen mag öfters durch die Um¬
spülung der Nerven mit toxämischem Blute und Säften bedingt sein; es können
aber auch die Arteriosklerose und Autointoxication zur Hervorbringung dyskrasischer
Neuritis Zusammenwirken.
R. hat unter 15,000 Kranken 652 Fälle mit Neuritis beobachtet, dabei aber
660 Fälle von Ischias wegen der Unsicherheit der Abgrenzung ihrer neuritischen
Form nicht mitgerechnet. Es dürften also etwa 5°/ 0 seiner Kranken Neuritis
gehabt haben.
Das ätiologische Eintheilungsprincip wird in folgender Anordnung durch¬
geführt: A. Die Neuritis aus örtlicher Veranlassung: 1. Die traumatische Neu¬
ritis, 2. die fortgeleitete Neuritis, 3. die professionelle Neuritis. B. Die Neuritis
und Polyneuritis aus inneren Ursachen: 1. Die spontane (infectiöse und rheu¬
matische) amyotrophische Polyneuritis, 2. die neuri tische Form der L an dry 'sehen
Paralyse, 3. die Neurotabes peripherica und die acute polyneuritische Ataxie,
4. die Neuritis und Polyneuritis bei und nach Infectionskrankheiten, 5. die dys-
krasische Neuritis und Polyneuritis, 6. die toxische Neuritis und Polyneuritis.
Bei dieser Eintheilung bleibt die neuri tische Form der progressiven Muskel¬
atrophie unberücksichtigt.
Bei Calluslähm ungen der Nerven hat man keinen Grund, die Neurolysis allzu
früh anzuempfehlen; man soll sie aber, wenn sich keine Spur von Motilität ein¬
gestellt hat, nicht über die Frist von 4 Monaten verschieben. Man soll weiter
bei Callusneuritis dann von einer Operation Abstand nehmen, wenn die sehr
atrophischen Handmuskeln schon einigermaassen ihre Motilität wiedergewonnen
haben.
R. spricht sich für die Existenz einer Neuritis migrans nach Nervenverletzungen
unter voller Würdigung der gegen diese Annahme zu verwertenden Momente aus.
Die sensible Form der Neuritis ascendens ist häufiger als die amyotrophische.
Mittheilung eines eigenen Falles. Eine Gelenkaffection kann einer aus derselben
Aetiologie entstandenen Neuritis gleichsam den Platz in der Umgebung des Ge¬
lenkes anweisen. Es können aber auch Gelenkaffectionen und Neuritis als gleich¬
wertig von derselben Aetiologie abhängig gemacht werden.
R. teilt die spontane (infectiöse) Polyneuritis ein in: amyotrophische Plexus¬
neuritis der Erwachsenen, amyotrophische Plexusneuritis des Kindesalters, die
disseminirte amyotrophische Polyneuritis, die symmetrische amyotrophische Poly¬
neuritis.
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Für die von R. neu aufgestellte Form der amyotrophischen Plexusneuritis
dee Eindesalters liegen bisher keine Obductionsbefunde vor; die Fälle wurden
bisher zur spinalen Kinderlähmung gerechnet. Es handelt sich um Fälle mit
„Oberarmtypus“ der Lähmung und günstigem Verlaufe. Die Differentialdiagnose
dieser Affection gegenüber einer circumscripten Poliomyelitis wird erst durch den
Verlauf gestellt werden können.
Die schon früher vom Autor mit Nachdruck betonte klinische Sonderstellung
einer disseminirten Polyneuritis (Mononeuritis multiplex) wird durch Mittheilung
klinischer Beobachtungen gestützt, und diese Form wird von der amyotrophischen
Polyneuritis schärfer abgegrenzt.
Das Kniephänomen scheint sich bei Polyneuritis anders zu verhalten als bei
Mononeuritis im Cruralisgebiete. Es kann trotz nachweisbarer Parese und Ent-
artungsreaction der Muskeln fortbestehen.
Auf die vielen interessanten und treffenden Bemerkungen bei Besprechung
der einzelnen Polyneuritisformen kann hier, um den Umfang des Referates nicht
allzu sehr zu vergrössern, nicht eingegangen werden.
Eine grössere Zahl gut ausgeführter, colorirter Tafeln ist dem hervorragenden
Werke beigegeben, welches zu den gelungensten des Nothnagel'sehen Hand¬
buches gehört Hermann Schlesinger (Wien).
IV. Aus den Gesellschaften.
XXVI. Wanderveraammlung der Südwestdeutsohen Neurologen und Irren¬
ärzte zu Baden-Baden am 8. und 0. Juni 1001.
(Fortsetzung der I. Sitzung.)
Herr Prof. Dr. Fürstner (Strassburg i/E.): Ueber einen eigenthüznliohen
Augenspiegelbefund.
Vortr. erinnert zunächst an eine von ihm vor 20 Jahren gemachte Publication,
welche eine37jähr. Frau betraf, die einen eigentümlichen Augenspiegelbefund bot. Bei
völlig klarer Retina war vom Augenhintergrund beiderseits ein völlig scharfes Bild zu
gewinnen, Arterien und Venen hoben sich besonders plastisch ab, erschienen nach vorn
verschoben, Arterien und Venen waren von der Papille an bis fast an die Peripherie hoch¬
gradigst verbreitert und korkenzieherförmig geschlängelt, die Arterien sahen dunkler
als normal aus, Hessen keine Pulsation erkennen; die Papille war völlig normal;
es bestand keinerlei Niveaudifferenz zwischen ihr und Retina, in letzterer keine
Strichelung. Der Befund blieb constant der gleiche, es kam vermutlich nicht zur
Bildung von Blutungen. Im Uebrigen bot die Kranke gewisse Störungen seitens
des Gefässsystemes, Nasenblutungen, ausgedehnte Varicen, ein systolisches Geräusch
im ersten Aortenton, der zweite war metallisch klingend. Anderweitige Symptome
wiesen darauf hin, dass zwei Hirnherde wahrscheinlich embolisch zu Stande ge¬
kommen waren. Lues liesB sich anamnestisch nicht sicher nachweisen. Die bei
Lebzeiten gestellte Diagnose, dass eine ausgedehnte Gefasserkrankung bestände,
wurde durch die Obduction bestätigt, die Art. renales, die Art. mesenterica superior
(hier war das Lumen auf einen schmalen Schlitz durch eine Einlagerung reducirt),
wie Gefässe der Hirnbasis, der Rinde, sodann die Art. ophthalmica, die Ciliar- und
Retinalgefä8se waren betroffen. Zum grösseren Theile war die Wucherung zwischen
Fenestrata und Media localisirt, andere Male war die Muscularis und Adventitia
in wechselndem Grade betheiligt. An den Augen speciell zeigte die Ophthalmica
beträchtliche Endarteriitis, bei den Retinal- und Ciliargeiässen waren im Uebrigen
die Media und Adventitia von Rundzellen durchsetzt. Es bestand weder eine
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typische Endarteriitis Heubners, ebensowenig eine Arteriitis obliterans Fried¬
länder s. Die dunklere Färbung der Arterien glaubte Vortr. durch Füllung der
die Wucherung durchziehenden Capillaren erklären zu können. Die beiden Hirn-
herde erwiesen sich als embolischen Ursprungs.
Trotz zahlreicher ophthalmoskopischer Untersuchungen konnte Vortr. erst vor
Kurzem einen völlig analogen Befund festeteilen. Ein 56jähriger Mann wurde
bewusstlos in die Klinik gebracht, eine frische Bisswunde wies auf einen un¬
mittelbar vorangegangenen Unfall hin. Allmähliche Aufhellung des Bewusstseins,
Anarthrie, optische Aphasie, rechtsseitige Hemiopie, rechtsseitige spastische Parese,
zur Zeit besteht nur noch ein intellectueller Defect, die Hemiopie, und angedeutet
die Parese rechte. Der Puls links kleiner als rechts. Von Anfang an Hessen sich
beiderseits constatiren hochgradige Schlängelung und Erweiterung der Arterien
und Venen an der Papille, die völlig normal war bis fast an die Peripherie.
Die Arterien sahen dunkler als gewöhnlich aus. Während des Verlaufes Hessen
sich keinerlei Veränderungen der Papille conBtatiren, ebensowenig kam ee zo
Blutungen. Unter Berücksichtigung des ersten Falles glaubt Vortr. auch im
zweiten eine Arteriitis mit Betheiligung der Augengefässe annehmen zu dürfen.
Er erörtert den histologischen Charakter derselben, schliesst Arteriosklerose und
ebenso Lues aus und berichtet über einschlägige Publicationen. Levin vergleicht
zwar den Befund, wie Vortr. es schon in seiner ersten PubHcation that, mit einem
von dunklen Locken umgebenen Gorgonenhaupt, ohne die Arbeit im Uebrigen
ebenso wie die anderen Ophthalmologen zu berücksichtigen. Ein Zusammentreffen
mit Hypermetropie ist nicht constant, beiderseits nicht direct von einander ab¬
hängig.
Vortr. stellt dann folgende Gruppen auf: Betheiligung der Arterien und
Venen beiderseits; dieselbe Veränderung nur an einem Bulbus. Drittens die
weitaus grössere Gruppe, wo nur die Venen participiren, hier werden häufig
Ciroulationsstörungen anderer Art von Einfluss sein.
Eine weitere wichtige Gruppe würde dann eventuell durch die Fälle des Vortr.
gebildet werden, wo Arterien und Venen beiderseits betheiligt sind, wo aber thatsäch-
lich eine Erkrankung der Gefässwände vorliegt, der Einfluss derselben auf die
Gestaltung des Augenbefundes, die Aetiologie der Veränderung muss weiter studirt
werden.
Zweite Sitzung vom 8. Juni, Nachmittags 2*/ 4 Uhr; Vorsitzender Herr Prof,
von Strümpell.
Es beginnt die Sitzung mit dem erschöpfenden Referat von Prof. Dr. J. Hoff-
mann (Heidelberg):
Die multiple Sklerose des Centralnervensystems.
Vortr. legte den Ausführungen in seinem Referate 100 auf der Heidelberger
medicinischen Klinik gemachte Beobachtungen und 3 pathologisch - anatomische
Untersuchungen zu Grunde. Die multiple Sklerose kommt am häufigsten zwischen
dem 18. und 35. Lebensjahr vor; auf- und abwärts von diesem Alter nehmen die
Erkrankungen an multipler Sklerose ab, sind am seltensten im ersten Jahrzehnt
und nach dem 60. Lebensjahre. Am meisten tritt sie bei Arbeitern auf.
Die hohe Zahl von Erkrankten, die früher mit Metallgiften zu thun hatten,
erklärt sich bei einzelnen Autoren durch die Provenienz ihrer Klientel aus ent¬
sprechenden Fabrikcentren: Unter 100 Fällen des Referenten waren 37 Land¬
arbeiter (17 Weiber, 20 Männer), die anderen zumeist Handwerker, 1 Anstreicher,
der früher die Zeichen einer Metall Vergiftung geboten hatte.
In Ueberein8timmung mit anderen Autoren: Erb, Charcot, Vulpian,
Strümpell, Schultze, bezeichnet Vortr. die Ursachen der multiplen Sklerose als
dunkele. Viele Forscher legen auf das ätiologische Moment der acuten
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Infectionskrankheiten, namentlich Ileotyphus einen besonderen Werth. Vortr.
giebt nur für eine kleine Zahl von multiplen Sklerosefällen (5°/ 0 ) einen solchen
causalen Zusammenhang zu. — Vortr. möchte nur diejenigen Fälle von multipler
Sklerose als metainfectiöse anseben, deren Beginn mit Bestimmtheit in die ersten 2,
höchstens 3 Monate nach beendeter Fieberkrankheit fällt. Bei den Kranken des
Vortr. war 3 Mal Influenza, 1 Mal Ileotyphus, 1 Mal Erysipel vorausgegangen.
Von Bedeutung für die Entstehung der Krankheit schienen dem Vortr. schwere
Traumen zu Bein bezw. Herabfallen aus beträchtlicher Höhe (13 traumatische
Fälle). In der Hälfte aller Fälle konnte weder vom Vortr. noch von den anderen
Beobachtern ein ätiologisches Moment festgeatellt werden: Man kam so zu der
Auffassung, dass die disseminirte Sklerose endogener Natur sei, d. h. eine con¬
genitale, abnorme Veranlagung des Centralnervensystems als die Hauptsache, die
verschiedenen ätiologischen Momente z. B. Erkältung, Trauma, Infectionskrank-
heiten als die agents provocateurs anzusehen seien. Strümpell spricht von fleck¬
weise abnorm reichlich angelegter Glia, Ziegler von ungleichmässiger Vertheilung
der Nerv- und Stützsubstanz, Fürstner von einer Disposition zu früh eintreten¬
der Invalidität des Nervensystems.
Die Variabilität der Symptomatologie der Herdsklerose („c’est une affection
polymorphe par excellence“ C har cot) erklärt Vortr. durch die absolute Regel¬
losigkeit in dem örtlichen und zeitlichen Auftreten der einzelnen sklerotischen
Herde und die dadurch bedingten functionellen Ausfälle im gesammten cerebrospi-
nalen System. — Unter den psychischen Störungen hebt Vortr. die Euphorie, un-
motivirtes, albernes Lachen und Weinen, — andrerseits melancholische Zustände,
Sinnestäuschungen und Wahnvorstellungen hervor, berichtet von Complication mit
Dementia paralytica, Hysterieen, von epileptoiden Anfällen, der bekannten skan-
direnden Sprachstörung und deren Modificationen. — Cerebrale Paresen: Bulbär-
erscheinungen (Herzklopfen, Erbrechen, Crises gastriques, „Zittern der Stimmbänder
mit Umschlagen der Stimme“, Polyurie, Zittern und Atrophie der Zunge u. a. m.)
werden erwähnt. Häufig sind Schwindelanfälle mit und ohne Doppeltsehen, als
Frühsymptom nicht selten Kopfschmerzen.
Mit Vorliebe sind Sehnerv und Augenmuskeln betheiligt. Gesichtsfeldein-
schränkungen, centrale Skotome, Farbensinnstörungen, mit und ohne Atrophia n.
optici (Abblassung der temporalen Hälften). Dann compl. Neuritis optica oder
Stauungspapille mit Blutungen (Bruns); 50°/ o der multiplen Sklerosefälle zeigt
diese Störungen.
Retrobulbäre Neuritis kann Jahre lang dem Ausbruch, dem eigentlichen Bilde
der disseminirten Sklerose vorausgehen (Hoffmann 10—12°/ 0 , Bruns 30°/ 0 ). Der
Nystagmus (horizontalis, verticalis, rotatorius, oscillatorius oder fixatorius), ist ein
sehr wichtiges, dem Intentionszittern an die Seite zu stellendes Symptom.
Pupillendifferenzen sind weniger häufig. Von den Sinnesstörungen bemerkte
Vortr. häufig Ohrensausen, ein Mal mit galvanischer Hyperästhesie der Acustici.
Von den spinalen Symptomen sind die Mehrzahl spastische oder spastisch-
ataktische Lähmungen mit gesteigerten Sehnenreflexen, mit und ohne MuBkel-
spannungen, seltener mit Muskelatropbie; bald sind sie halbseitig, bald doppel¬
seitig, bald nur auf eine, bald auf mehrere Extremitäten in der verschiedentlichen
Anordnung vertheilt. Der Gang erscheint spastisch, spastisch-pareti6ch, spastisch-
ataktisch, schwankend-cerebellar, nie stampfend-tabisch.
In 75 °/ 0 der Beobachtungen des Vortr. war ein Tremor nachweisbar, der
als Intentionstremor aufgefasst wurde, weil er nie in der Ruhe bemerklich
ist, sondern nur beim Greifen, beim Zielen nach einem Gegenstand auftritt. (In
der Secunde 5—7 Oscillationen nach P. Marie). Vortr. neigt nicht der Ansicht
einzelner Autoren zu, den Intentionstremor der multiplen Sklerose als Ataxie
aufzufassen.
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Von den Sensibilitätsstörungen sind am häufigsten: Parästhesieen, auch
Hyperästhesieen, selten reissende und lanoinirende Schmerzen. Sie können
temporär-(fliichtig) und dauernde, partielle, dissociirte sein, bald auf das Ende
einer Extremität sioh beschränken oder auch das ganze Glied ergreifen u. s. w.
Die Sehnenreflexe sind in den motorisch ergriffenen Bezirken zumeist erhöbt
Das Verhalten der Hautreflexe scheint nach Vortr. ein Behr schwankendes zu sein.
Häufig kommen Harndrang, Dysurie, Tenesmus, Harnträufeln vor, schwerere
Sphinkterenlähmungen, Incontinentia alvi et urinae sind viel seltener, ebenso
Decubitus. Potenz und Conception leiden unter der multiplen Sklerose kaum,
Schwangerschaften verschlimmern aber das bestehende Leiden.
Von ganz besonderer Bedeutung ist der eigenartige Verlauf der multiplen
Sklerose, die bald ganz rasch, fast acut apoplektiform, bald in Schüben schleichend,
zur Entwickelung kommt. Lange Remissionen täuschen Heilung vor: Manche
Neuritis retrobulbaris ist der Vorläufer von multipler Sklerose, die erst nach
Jahren deutlich wird. (Atrophia nervi optici auf hysterischer Basis?) Amblyopie,
Skotom, Farbensinnstörung ohne Augenspiegelbefund kann auf einen weit von der
Papill. n. optici entfernt sitzenden sklerotischen Herd hindeuten.
Reflectorische Pupillenstarre event. mit Miosis gehört nicht zur multiplen
Sklerose, deutet mehr auf Tabes dorsalis oder multiple syphilitische Geföss-
erkrankung hin. Die Prognose quoad sanationem ist ungünstig, dagegen ist die
Besserungsfahigkeit auch schlimmer Functionsstörungen wegen der Häufigkeit der
Remissionen in prognostischer Beziehung zu beachten.
Neben prophylaktischer und diätetischer Maassregeln stellt in der Behandlung
der multiplen Sklerose Vortr. die physikalischen Heilmittel, besonders milde Hydro¬
therapie und Elektrotherapie obenan, daneben Chinin, Jodkali, Arg. nitr., Phosphor,
Ferrum, Strychnin, Ergotin u. s. w. Nauheim, Wildbad, Baden-Baden brachten
wohl Besserungen, aber auch zeitweilige Verschlimmerungen. Inunctionskuren
wirken nach den Erfahrungen des Vortr. nicht günstig.
Der Umstand, dass während der verschiedenen Behandlungsmethoden und Ver¬
abreichung der genannten Arzneimittel bald Verschlimmerung, bald Besserung beob¬
achtet wird, lässt den Schluss zu, dass sie der Krankheit gegenüber indifferent sind.
Zur pathologischen Anatomie der Herdsklerose bemerkt Vortr., dass kein Ab¬
schnitt des Centralnervensystems von sklerotischen Herden verschont bleibt, aber nicht
alle gleich häufig ergriffen werden, wie die bevorzugten Regionen in der Hirnrinde. —
Sie wechseln in Bezug auf ihre Ausdehnung zwischen der Grösse eines Stecknadel¬
kopfes und darunter bis zu der einer Erbse oder Haselnuss. — Die Zahl der
Herde steigt von 1 /, Dutzend bis zu Hundert Bald sitzen sie ausschliesslich im
Rückenmark oder vorwiegend im Pons oder mehr im Grosshirn. Gewöhnlich sind
sie über das ganze Centralnervensystem verstreut. Vortr. beschreibt im Einzelnen
ihre Farbe je nach ihrem Alter (grau, rosa-grau, weiss-gallertig).
Mikroskopisch wurde in den Herden, die sich gegen das normale Gewebe
bald schon absetzen, meist aber allmähliche Uebergänge zeigen, festgestellt:
1. Veränderungen am Gefässsystem, 2. an der Neuroglia, 3. an den
eigentlichen nervösen Elementen, die Vortr. genau schildert Sind die
Autoren auch darüber einig, dass diese Veränderungen thatsäohlich in verschie¬
denem Grade ausgesprochen an den in Betracht kommenden Gewebsbestandtheilen
nebeneinander existiren, so weichen sie in der Deutung darüber (Pathogenese),
von welchem Theile der Process ursprünglich ausgehe, weit von einander ab und
sprechen die entgegengesetztesten Ansichten darüber aus.
Unter Abwägung aller pathologischen Details und Würdigung aller Autoren,
die Beiträge zur Mikroskopie der disseminirten Sklerose geliefert haben, machte
Vortr. zum Schlüsse erhebliche Einwände gegen eine zu exclusive Auffassung in
Bezug auf die Pathogenese der multiplen Sklerose.
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681
Mit der Hypothese der congeoitalen Hyperplasie der Glia und der
Auffassung der Krankheit als einer primären Gliose verträgt sich schwer das
yerhältnissmässig so seltene Vorkommen des Leidens in der Kindheit, ferner der
Umstand, dass die Herde nicht mit Vorliebe dort sich etabliren, wo schon nor¬
maler Weise reichlichere Glia vorkommt. Recht schwer ist auch die Erkrankung
in Schüben und das fleokweise Erkranken der überall vorhandenen Glia zu erklären,
ebenso die Entzündung des Sehnerven und die Stauungspapille. — Auch gegen
die Annahme einer primären Erkrankung der nervösen Elemente erhebt Vortr.
schwere Bedenken, denn die Krankheitsherde binden sich nicht an anatomische
und physiologische Leitungsbahnen und Centren. Auch bleiben gerade Axen-
cylinder und Ganglienzelle — das wirklich Nervöse der Neurone — intact. Man
müsste an circumscripte Giftwirkungen denken, die nur die Markscheide treffen.
Gegen eine chronische, primäre, interstitielle Gliaentzündung oder Gliawucherung
lässt sich einwenden, dass Bindegewebe mit secundär wuchert und der Proliferation
der Glia nach Weigert stets eine Parenchymsobädigung vorausgehen soll, sowie
dass Gefäss- und Markscheidenveränderung nachgewiesen wurde, wo von einer
Gliavermehrung noch nichts zu bemerken war.
In ähnlicher Weise sei gegen die primäre Gefässerkrankung zu be¬
merken, dass diese Veränderungen bei der multiplen Sklerose recht häufig vermisst
würden, während Gliose und Neuron in ihrer Structur alterirt waren, ähnlich auch
bei primärer Parenchymerkrankung Vorkommen. Wenig wahrscheinlich sei auch
die Wirkung eines im Blute kreisenden Giftes. — Vortr. betont schliesslich die
grossen Schwierigkeiten, welche sich der einheitlichen Auffassung des anatomischen
Processes, und besonders der Pathogenese entgegenstellen.
Von welchen der drei das Centralnervensystem zusammensetzenden Gewebe
der Krankheitsprocess ursprünglich ausgeht, ist nach Ansicht des Vortr. bis jetzt
nicht ausgemacht. Ob eine elective Axencylinderfärbung eine Entscheidung
bringen wird, muss die Zukunft lehren. Das Dunkel, das über die Krankheit
Bchwebt, sei noch nicht gelichtet. Das wesentliche die Läsion Bestimmende
könne nach Vortr. nicht einmal annähernd vermuthet werden. (Der Vortrag er¬
scheint ausführlich in der Deutschen Zeitschrift für Nervenheilkunde.)
An der Discussion betheiligen sich die Herren Erb, Fürstner, Edinger,
Bäumler, Becker, Lilienstein, Fauser, Gerhardt, Weigert.
Dr. L. Laquer (Frankfurt a/M.).
(Fortsetzung folgt.)
IX. Versammlung der polnischen Aerzte und Naturforscher in Krakau
vom 20.—26. Juli 1900.
In der Section für Neurologie und Psychiatrie wurden zwei zusammenfassende
Referate vorgetragen, nämlich 1. über acute entzündliche Processe im Gehirn
(E. Flatau) und 2. über die Epilepsie (L. Bregman). Ausser diesen Referaten
wurden zahlreiche Vorträge sowohl in der neurologischen, wie auch in den übrigen
Sectionen gehalten.
Herr E. Flatau: Ueber acute entzündliche Processe im Gehirn.
In der letzten Zeit unterscheidet man hauptsächlich zwei Formen von nicht¬
eitriger Gehirnentzündung: 1. diePolioencephalitisacutahaemorrhagica(Wernicke'-
scher Typus) und 2. Encephalitis acuta haemorrhagica (Strümpell-Leichten-
stern’scher Typus). Bei dem ersten Typus spielen die Intoxicationen (speciell
AlkoholiBmus) die wesentlichste ätiologische Rolle, bei dem zweiten die Infectionen
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(speciell Influenza). Bei Polioencephalitis acuta haemorrhagica lassen sich folgende
Abtheilungen absondern: a) Polioencephalitis superior' (Entzündung des 3. Ven¬
trikels, des Aquaeductus Sylvii bis zum Kern des N. abducentis), b) Polioence¬
phalitis inferior (Entzündung der grauen Substanz des Hirnstammes vom Kern
des N. abducentis bis zur Pyramidenkreuzung), c) Polioencephalitis superior et
inferior, d) Polioencephalomyelitis (Entzündungen der grauen Substanz des Hirn¬
stammes und des Rückenmarks). Die Hauptmerkmale des Wernicke’schen
Typus bestehen darin, dass die Krankheit in foudroyanter Weise meistens bei
Alkoholikern entsteht und hauptsächlich 3 Symptome zeigt: Somnolenz, Ophthalmo-
plegia externa und abgeschwächtes Orientirungsvermögen. Bei Polioencephalitis
inferior treten rapide Hirnstammerscheinungen auf. Bei Polioencephalomyelitis
erstreckt sich der ProceBS in absteigender Richtung von Augenmuskelläbmungen
auf die Musculatur des Rumpfes und der Extremitäten. Was die Encephalitis
acuta haemorrhagica betrifft, so pflegt dieselbe bei jungen, bisher gesunden Indi¬
viduen meistens nach Influenza zu entstehen. Die Localsymptome entwickeln sich
langsam und allmählich. Was die pathologisch-anatomischen Veränderungen bei
den acuten Hirnentzündungen betrifft, so bestehen sie hauptsächlich darin, dass
in der grauen Substanz (aber auch in der weissen) zahlreichere kleinere Blutungen
entstehen, welche auf dem Durchschnitte flohstichähnlich aussehen. Die mikro¬
skopische Untersuchung ergiebt starke Füllung der Gefasse, Blutungen, seröse
Durchtränkung, kleinzellige Infiltration, mitunter Körnchenzellen. Häufig keine
Veränderungen der Nervenelemente. Das Gesammtbild des Processes ist am besten
durch die Friedmann’sche „Encephalitis irritativa“ zu bezeichnen. Die weisse
Substanz ist meistens mitbetheiligt. Das vorwiegende Befallensein der grauen
Substanz sei vorwiegend durch die anatomische Vertheilung der Hirngefässe be¬
dingt. Vortr. weist der Prädisposition des Nervensystems bei manchen Individuen
eine grosse Rolle zu.
Herr L. Bregman: lieber die Epilepsie.
Vortr. spricht folgende Sätze aus: 1. Während des epileptischen Anfalls be¬
schränkt sich der Process nicht auf irgend ein streng localisirtes Gebiet dee
Nervensystems, sondern umfasst fast das gesammte Centralnervensystem, in welchem
überall Ausladung der Nervenenergie stattfindet; 2. diese Ausladungen können
analog den physiologischen Functionen hemmender oder erregender Natur sein;
3. den Ausgangspunkt dieser Ausladung bildet des Weiteren die Hirnrinde (Aura);
4. auch in weiterer Entwickelung des Anfalls spielt die Hirnrinde die Hauptrolle,
aber auch die subcorticalen Centren beeinflussen deutlich den Anfall; 5. die cor-
ticale Epilepsie nimmt eine besondere Stellung ein (langsamere Verbreitung in
der Richtung der Topographie der Rindencentren und geringere Mitbetheiligung
der subcorticalen Centren). Zur Aetiologie der Epilepsie bemerkt Vortr., dass
hierbei 4 Momente von wesentlicher Bedeutung sind: 1. die angeborene Störung
der Rindenerregbarkeit, 2. unmittelbare Schädlichkeiten (Trauma, Herderkrankungen,
Intoxication, Infectionen), 3. mittelbare Ursachen (Reflexepilepsie), 4. Stoffwechsel¬
störungen. Zum Schluss besprach Verf. eingehend die Alkohol- und Syphilis¬
epilepsie. Zur Epilepsia tarda bemerkt Vortr., dass hierbei die Arteriosklerose
von grosser ätiologischer Bedeutung ist.
Herr K. Wistocki: Zur Symptomatologie und Therapie der Epilepsie.
Vortr. ist der Meinung, dass zwischen der völlig entwickelten, der partiellen
und der versteckten Epilepsie kein qualitativer, sondern nur ein quantitativer
Unterschied besteht. Der Bewusstseinsverlust sei für die Epilepsie nicht patho-
gnomonisch, da derselbe nicht immer den Anfall begleitet. Die Möglichkeit des
Erhaltenbleibens sowohl des Bewusstseins, wie auch des Gedächtnisses in den
psychischen Aequivalenten sei von grosser ärztlicher und gerichtlicher Bedeutung.
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683
Die Stoffwechselveränderungen stellen nicht das Resultat der Anfälle dar, sondern
bilden die wesentlichste Ursache derselben. Was die Therapie der Epilepsie an¬
betrifft, so ist Vortr. der Meinung, dass chirurgische Eingriffe weder jetzt, noch
wahrscheinlich in der Zukunft von günstigem Erfolg gekrönt sein werden. Die
Organotherapie blieb bis jetzt ebenfalls erfolglos. Am besten wirken die Brom¬
präparate. In der Hydrotherapie erblickt Vortr. ein gutes therapeutisches Hülfs-
mittel. Die Milchtherapie per se ipsum oder aber in Combination mit Brom sei
als eine der besten Maassnahmen im Kampfe gegen die Epilepsie anzusehen.
Herr M. Biro: Ueber die Therapie der Epilepsie.
Vortr. bespricht in seinem Referat die Erfahrungen, die er in fast 200 Fällen
von Epilepsie gesammelt hat. Um den Einfluss der Therapie festzustellen, müsse
man zunächst über gewisse Regeln bei Beurtheilung dieses Einflusses verfügen.
Obgleich die Anfälle in jedem Falle der Epilepsie auf den ersten Blick unregel¬
mässig verlaufen, so lässt sich doch eine gewisse Periodicität derselben feststellen.
In 96°/ 0 seiner Fälle hat Verf. ziemlich regelmässige freie Intervalle
feststellen können. In den übrigen Fällen wurden die freien Intervalle mit
der Zeit entweder kürzer oder länger. Was nun die Therapie selbst anbetrifft,
so meint Vortr. mit anderen Autoren, dass die Brompräparate zu den besten
Mitteln gehören. Von 33 Fällen, in welcher eine systematische Brombehandlung
durchgeführt wurde, trat in 10 Fällen Heilung ein (also iu 30°/ 0 )- Die Flechsig’sche
Behandlungsweise gab in 4 Fällen, in welchen die Brombehandlung allein erfolglos
blieb, sehr gute Resultate.
Herr J. Fajersztajn: Polioenoephalitls, sogen. Bulbärparalyse ohne
anatomischen Befund und Myasthenie.
Vortr. beriohtet über folgende 6 Fälle: In 4 Fällen handelt es sich um
typische Myasthenie; in einem derselben erfolgte Exitus letalis. Mikroskopische
Untersuchung ergab Degeneration der Wurzelfasern der Nn. oculomotorius,
abducens und hypoglossus (Marchi’sche Methode). Die übrigen Hirn- und
Rückenmarksnerven waren normal. Ferner wurden in der grauen Substanz Gefäss-
hyperämie nebst kleinen Blutextravasaten nachgewiesen. Im 6. Falle entwickelten
sich nach dem Vorstadium eines acuten Magenkatarrhs Lähmungen im Bereiche
der Himstamm- und Rückenmarksnerven mit Kerntypus, jedoch ohne asthenische
Symptome. Im weiteren Verlauf Convulsionen. Tod. Mikroskopische Untersuchung
negativ. Im 6. Fall Kernlähmungen im Gebiet des Hirnstammes und des Rücken¬
marks ohne asthenische Erscheinungen. Genesung. Auf Grund einer eingehenden
Litteraturübersicht kam Vortr. zu folgender Classificirung der toxischen Kem-
lähmungen: 1. Polioencephalitis superior (et inferior) haemorrhagica, 2. Intoxi-
cationes sub forma Polioencephalomyelitidis, 3. Pseudopolioencephalitis (Oppen¬
heim): a) Intoxicationen mit unbekannten Giften (Patrick, Marinesco,
Charcot-Marinesco, Oppenheim, Fajersztajn), b) Ptomainvergiftungen
(Allantismus und Bolutismus, Ptomatropismus), 4. Myastheniegruppe: a) Myasthenie
s. str., b) Vertige paralysant (Serlier), c) Kubisagari (endemische japanische
Krankheit). — Obgleich die histologischen Veränderungen, besonders in der dritten
Gruppe, noch sehr ungenau und unbestimmt ausfallen, so meint Vortr. doch, dass
sowohl in ätiologischer, wie auch klinischer und pathologisch-anatomischer Hin¬
sicht die drei Gruppen grosse Analogieen zeigen. Die klinischen Besonderheiten
einer oder der anderen Gruppe seien von der Specificität der Gifte abhängig. In
differentialdiagnostischer Hinsicht wären folgende Momente von Bedeutung: 1. die
allgemeinen Hirnerscheinungen (Somnolenz, Delirien, Nackenstarre, Neuritis optica)
deuten auf die schwere Polioencephalitisform (hämorrhagische), obgleich in manchen
Fällen das Fehlen dieser Symptome nicht absolut gegen diese Krankheit spricht;
2. Remissionen, Schwankungen und Flüchtigkeit einiger Lähmungserscheinungen
684
treten hauptsächlich bei Myasthenie auf, obgleich sie ebenfalls bei anderen
toxischen Polioencephalitiden (ohne tiefere histologische Störungen) auftreten
können; 3. die Erscheinungen einer sehr deutlichen Muskelerschöpfbarkeit sprechen
stets für die Myasthenie; 4. das Vorhandensein der Muskelatrophie spricht nicht
gegen die Myasthenie.
Nach diesen Vorträgen, welche die Hirnentzündungen und die Epilepsie be¬
sprachen, folgten nachstehende Vorträge:
Herr S. Bucelski: Zur Aetlologie der Paralyse bei Männern.
Vortr. kam auf Grund von 234 Fällen von Paralyse, die er bei Männern
diagnosticirt hat, zu folgenden Schlussfolgerungen: Als ätiologische Momente waren
vorhanden: hauptsächlich Lues (58,1 °/ 0 ), hereditäre Belastung (41,8°/ 0 ) und
moralische Erschütterung (41,2 °/ 0 ). Viel seltener spielten dabei Alkoholismus,
sexuelle Excesse u. a. eine Rolle. Meistentheils trifft man in der Anamnese eine
Combination von mehreren Momenten. Vortr. spricht sich gegen die Theorie der
ausschliesslichen luetischen Grundlage der Paralyse aus und citirt einen sehr
wichtigen Fall, in welchem ein Paralytiker im Remissionsstadium Lues
acquirirte.
Herr E. Stroiewski: Ueber die Tabeetherapie.
Vortr. bespricht eingehend die Frenkel’sche Methode (Uebungen in liegender,
sitzender, stehender Lage, Gangübungen), bei welcher er gute Resultate gesehen
hat. Die Franken nützen das übrig gebliebene Gefühl besser aus; mitunter lässt
sich eine Besserung des Muskel- und Gelenkgefühls constatiren. Die Frenkel’sche
Methode kann man in jedem Stadium der Tabes mit Erfolg anwenden.
Herr Chodfko: Ueber das Babinski’ohe Phänomen.
Vortr. ist auf Grund eines grossen Beobachtungsmaterials zu der Ueberzeugung
gekommen, dass das Babinski ’sche Phänomen pathognomonisch für die Erkrankung
der Pyramidenbahnen sei. Man trifft dasselbe weder bei gesunden, noch bei
kranken Individuen mit intacten Pyramidenbahnen.
Herr W. Miklaszewski: Ueber die altemirende Papillendifferenz.
Vortr. ist auf Grund von 21 Fällen zu der Ueberzeugung gekommen, dass
dieses Pupillenphänomen durch functionelle Abschwächung oder Reizung der
Reflexkette des N. sympathicus bedingt sei und an und für sich keineswegs
organische Nervenstörung bedeutet. Das Symptom konnte nämlich vom Vortr.
auch bei Gesunden constatirt werden. Bei den Nervenkrankheiten fand Vortr.
dasselbe sowohl bei functionellen, wie auch bei organischen Störungen. Die
Intensität des Symptoms scheint von dem Gesundheitszustand imabhängig zu sein:
bei manchen gesunden Individuen waren die Schwankungen nicht geringer als in
einem Falle von multipler Sklerose. Häufig lässt sich bei altemirender Pupillen-
ungleichkeit eine einseitige Miosis oder Mydriasis feststellen. Die Theorie, welche
auf einer Störung im Gebiete des Sympathicus beruht, schien dem Vortr. am zu¬
treffendsten, und zwar aus dem Grunde, weil er u. a. häufig die Mydriasis auf
derjenigen Seite fand, auf welcher die Krankheit begann (Neuralgie, Pleu¬
ritis u. 8. w.).
Herr Prus: a) Ueber die Xiooalisation der moto rischen centren in der
Hirnrinde, b) über die postpyramidalen motorischen Bahnen.
Vortr. giebt folgendes R6sum6 seiner experimentellen Arbeiten: 1. Die Rinde
des Kleinhirns ist mit elektrischem Strom erregbar. 2. Diese Erregbarkeit docu-
mentirt sich durch tonische und klonische Zuckungen der homolateralen Seite.
3. Bei der Erregbarkeit der Kleinhirnrinde spielt die Richtung des Stromes die
Hauptrolle; bei querer Elektrodenstellung kommt es zu einer Muskelzuckung nur
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in dem Falle, wenn die Kathode nach aussen von der Anode gelegen ist. Bei
der Stellung der Elektroden in die Längsrichtung des Körpers traten Muskel-
Zuckungen bei absteigender Stromesrichtung auf. Bei Beizung in der Mittellinie
des Vermis kommt es zu beiderseitigen Muskelzuckungen. 4. Bei Querreizung
(zur Längsaxe des Körpers) kommt es zu tonischen, bei Längsreizungen zu klo¬
nischen Zuckungen. 5. In der Vermis cerebelli liegen motorische Centren für
die Musculatur des Kopfes, der Augen und des Nackens. In den vorderen Theilen
der Kleinhirnhemisphären liegen die Centren für die vorderen Pfoten, in den
hinteren Abschnitten der Hemisphären findet man Centren für die hinteren Pfoten.
6. Die Abhängigkeit des Beizungsresultates von der Bichtung des Stromes glaubt
Vortr. damit erklären zu dürfen, dass die Purkinje’schen Zellen, deren Dendriten
Bich in einer bestimmten Fläche ausbreiten, vor allem auf den in dieser Ebene
wirkenden Strom reagiren. Zur Frage der postpyramidalen motorischen
Bahnen bemerkt Vortr., dass ausser den bekannten cortico-medullären Bahnen
es noch andere (postpyramidale) Bahnen giebt, welche ebenfalls motorische Function
tragen. Diese Bahnen sollen imTegmentum bezw. in der Substantia nigra verlaufen.
Sie kreuzen sich in der Gegend, welche zwischen dem distalen und proximalen
Abschnitt des 4. Ventrikels liegt, und enden dann im Bückenmark. Diese post¬
pyramidalen Bahnen sollen nicht nur bei den Beflexvorgängen (in der Hirnrinde),
sondern auch hei willkürlichen, complicirteren Bewegungen thätig sein.
Herr KFlatau und A. LeSniowski: Ueber die Reflexe bei traumatischer
Rüokenmarkslftsion.
Die Vortr. weisen auf das grosse Interesse, mit welchem man den Zustand
der Patellarreflexe bei hoher Rückenmarksläsion verfolgt, und berichtet über einen
eigenen, klinisch und pathologisch-anatomisch beobachteten Fall. Es handelt sich um
eine Frau, welche mit dem Kopf gegen eine Wand stürzte und gleich danach para-
plegisch wurde. Vollständiges Bild einer Querschnittsmyelitis im unteren Hals-
mark, wobei die Lähmung der Beine vom Beginn der Erkrankung bis zum Tode
stets schlaff geblieben ist und die Patellarreflexe während der ganzen Zeit fehlten.
Die anatomische Untersuchung ergab Zerquetschung des Bückenmarks an der
Läsionsstelle und mit der Marchi-Methode nachweisbare deutliche auf- und ab¬
steigende Degeneration. Die Vortr. besprechen dann den Antagonismus zwischen
den Sehnen- und Hautreflexen bei Läsionen des Centralnervensystems und die
Bedeutung der grossen Reflexempfindlichkeit bei Bückenmarksläsionen (Auftreten
von Bemak’schen, Babinski’schen u. a. Reflexen).
Herr J. Sklodowski: Ein Fall von Brown-Söquard'scher Lähmung mit
dimoolirter Sensibilitätsstörung.
Vortr. berichtet über einen Fall von Brown-Sequard’scher Lähmung,
welche wahrscheinlich durch eine Gefässverstopfung oder Blutung bedingt war.
Die Lähmung betraf die rechten Extremitäten, auf der linken Seite liess sich da¬
gegen dissociirte Sensibilitätslähmung (Analgesie und Temperatursinnstörung, bei
erhaltenem Tastsinn) nachweisen. Allmähliche Besserung bis auf Fussklonus und
Steigerung des Patellarreflexes (beides auf der rechten Seite).
Herr L. Bregman: Ueber Kleinhirntumoren.
Die Diagnose der Cerebellartumoren beruht auf der Nachweisung 1. der
Herdsymptome (Ataxie, Schwindel, homolaterale Hemiparese, Unfähigkeit, die Augen
nach der homolateralen Seite zu drehen), 2. Druckerscheinungen seitens der
Medulla oblongata und der Hirnnerven, 3. rasche Entwickelung der allgemeinen
Drucksymptome. Das homolaterale Befallensein der Körpermusculatur und der
Augen, welches früher als Druckerscheinung aufgefasst worden war, gehört wahr¬
scheinlich zu Herdsymptomen. Zu den wichtigen Merkmalen gehört ferner die
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Nackensteifigkeit, besonders wenn die letztere anfallsweise auftritt Vortr. be¬
richtet über drei eigene Fälle und warnt vor dem operativen Eingriff bei Klein¬
hirntumoren, da die bisherigen Erfahrungen ungünstig ausfielen.
Herr Zanietowski: I. lieber die äussere und innere Elektrlsirung dei
Magens.
Die experimentellen und klinischen Arbeiten des Vortr. führten ihn zu dem
Schluss, dass deutliche Magencontractionen, sowohl bei innerer wie auch bei com-
binirter Elektrisirung, sicherlich zu Stande kommen. Der Widerstand der Magen¬
wände sei kein besonders grosser. Der elektrische Strom übt einen gewissen
Einfluss auf den Chemismus des Magens.
II. Ueber Voltaisation im Liohte der neueren Forschungen (s. Wiener'
klin. Rundschau).
III. Ueber die neuramöbimetrisohen und oondensatorisohen Unter¬
suchungen bei Tetanie, Myotonie und Myasthenie. (Ebenda.)
Herr M. Nartowski: Ueber den Einfluss der Diphtherietoxine auf die
Nervenzellen und Aber die Degeneration der letzteren nach Anwendung
des Antitoxinserums.
Vortr. hat den Einfluss der Diphtherietoxine auf die Nervenzellen und die
Restitution der letzteren nach Anwendung des Antitoxinserums mittels der Nissl'-
schen Methode studirt und kam dabei zu folgenden Schlussfolgerungen (0,3 ccm
des DiphtheriegifteB war im Stande das Kaninchen während 36—48 Stunden zu
tödten): Nach Anwendung der tödtlicben Dosis konnten deutliche Zellveränderungen
(Vorderhornzellen) bereits nach einigen Stunden conBtatirt werden, und zwar in
Form vom Zerfall der Nissl’schen Zellkörperchen, zahlreichen Vacuolen, ver¬
waschenen Centren des Kerns. Wenn das Thier überlebt, so treten nach einigen
Tagen ausser diesen Zellalterationen noch andere ein (Schwund sowohl der Proto¬
plasmafortsätze, wie auch der Kemmembran und des Kernkörperchens). Die
zweite Versuchsreihe (Anwendung des Antitoxinserums 9 Stunden nach vorheriger
Vergiftung) zeigte die völlige Restitutionsfähigkeit der Vorderhornzellen unter
dem Einfluss des Antitoxins.
Herr M. Biro: Ueber die einseitige Storung des Achillessehnenreflexes
bei Tabes und Ischias.
Bereits in seiner früheren Arbeit (1897) sprach Vortr. die Vermuthung aus,
dass bei Tabes einseitiges Fehlen des Achillesreflexes möglich sei. In dieser
Arbeit beweist Vortr., dass man im Beginn der Tabes dorsalis oft einseitiges
Fehlen des eben bezeichneten Reflexes nachweisen kann. Ferner zeigt Vortr,
dass ein Parallelismus zwischen der Entwickelung der Ischias einerseits und der
einseitigen Störung des Achillessehnenreflexes andererseits besteht: In vielen
Fällen von Ischias war dieser Reflex auf der kranken Seite gestört, um im
weiteren Krankheitsverlauf (wo die Intensität der Krankheit grösser war) völlig
zu schwinden. Während der Besserung und Heilung der Ischias trat der Reflex
allmählich wieder auf. Da das Fehlen des Sehnenreflexes bei peripherischen
Nervenerkrankungen auf tiefere anatomische Alterationen hinweist als der Schmerz,
so meint Vortr., dass die Störung des Achillessehnenreflexes bei Ischias auf ent¬
zündliche Natur in diesem Nerven hindeutet.
Herr Beck: Ueber die elektrischen Erscheinungen im Bückenmark.
Vortr. hat am Rückenmark von Fröschen und Warmblütern experimentirt
und kam dabei zu folgenden Schlüssen: Die elektromotorische Kraft des Ruhe¬
stromes eines durchschnittenen Froschrückenmarks beträgt etwa 0,015 Volt. Der
Widerstand des Rückenmarks war geringer als deijenige eines peripheren Nerven
von demselben Umfang. Dies wird durch den geringeren Widerstand der grauen
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Substanz bedingt. Bei Reizung des N. ischiadicus entsteht im Rückenmark
meistens negative Schwankung, viel seltener positive (als Ausdruck der elektrischen
Alterationen, welche in den freigelegten Rückenmarkscentren entstehen). Die bei
Warmblütern gewonnenen Resultate waren denjenigen bei Fröschen ähnlich.
Herr Cybulski: TJeber die Abhängigkeit der elektromotorischen Kraft
der peripheren Nerven von verschiedenen Momenten.
Vortr. beschäftigt sich eingehend mit dem Studium des Ruhestromes im
durchschnittenen Nerven und fand, dass die elektromotorische Kraft, bei Verbindung
der queren Durchschnittsfläche des Nerven mit der Längsfläche des letzteren,
schwächer wird, und zwar geschieht dies nicht' nur, wenn der Nerv dem Orga¬
nismus entnommen ist und auf Elektroden ruht, Bondern auch in dem Falle, wo
der durchschnittene Nerv seinen Zusammenhang mit dem Körper nicht verloren
hat. Bei Fröschen, welche man am Eis hält, wird der Querschnitt des Nerven
3—4 Tage nach der Operation nicht nur kein negativer, sondern derselbe wird
sogar positiv. Diese und andere Tbatsachen sprechen dafür, dass in der Längs¬
fläche der Nerven (Axenoylinder) eine ständige Bewegung der positiven Zonen
nach aussen, der negativen nach innen besteht, so dass ein frisch angelegter
Durchschnitt des Axencylinders negativ zu der Oberfläche sein muss und diese
Zonenbewegung die Quelle der elektromotorischen Kraft bildet.
Herr Kadyi: Ueber die Färbung der grauen Substanz mittelst der
Beizung mit Metall Balzen.
Vortr. kam auf Grund von zahlreichen Experimenten zum Schluss, dass man
nach vorheriger Formalinhärtung erst dann gute Carminfärbung erhält, wenn die
Präparate vorher mit Metallsalzen gebeizt werden. Am geeignetsten erwiesen sich
Cuprum aceticum, Uranium aceticum und Plumbum aceticum. Die in Formol
gehärteten Präparate wurden mit dem Gefriermikrotom geschnitten (also ohne
Celloidineinbettung) und die Schnitte mit einem dieser Metalle gebeizt und dann
in eine Lösung von carminsaurem Natron (aus der Breslauer Apotheke von
Bloch) gebracht. Die graue Substanz färbt sich dabei intensiver als die weisse,
dann aber nimmt die weisse Substanz eine ebenso intensive Färbung an wie die
graue. Bei weiterem Verweilen in Carmin fängt die graue Substanz wiederum
an abzublassen, und dieselbe Erscheinung tritt dann auch an der weissen Substanz
auf, so dass ein Moment eintreten kann, wo das ganze Präparat fast farblos wird.
Durch verschiedene Combinationen (Dicke der Schnitte, Intensität der Carmin-
lösung, Beizung u. a.) lassen sich verschiedene Färbungen der Präparate erzielen.
Vortr. empfiehlt folgende Methoden: 1. eine Methode, bei welcher aus¬
schliesslich die graue Substanz gefärbt wird, während die weisse
völlig ungefärbt bleibt. Dies wird dadurch erreicht, dass die 0,1 mm dicken
(und noch dickeren) Schnitte (aus Formolstücken) zunächst in Wasser abgespült
werden und dann in eine Lösung aus 1 °/ 0 Uranium aceticum und l °/ 0 Acidum
aceticum kommen. In dieser Füssigkeit verbleiben die Schnitte, je nach ihrer
Dicke, einige Stunden bis einige Tage und werden dann mit 0,2 —0,5 °/ 0 carmin¬
saurem Natron oder ammoniakalem Carmin gefärbt. Bereits nach einigen Zehntel
Secunden tritt deutliche Verfärbung der grauen Substanz ein, wogegen die weisse
Substanz ungefärbt bleibt. 2. Die Neurogliafärbung erhält man, indem die
Schnitte von der Beizung in Uranium aceticum auf einige Zeit in eine Lösung
von Kalium nitricum gebracht werden. 3. Eine intensive Färbung der
weissen Substanz bei fast völligem Intactbleiben der grauen erhielt
Vortr. in den Fällen, wo die Schnitte vor ihrer Beizung in Cuprum aceticum
einige Zeit in einer Lösung von Kalium nitricum verblieben. 4. Eine exclusive
Färbung der Axencylinder erhielt Vortr., indem die Schnitte zunächst sehr
intensiv gefärbt waren und bei Entfärbung nur die Axencylinder die Farbe be¬
hielten. Dies lässt sich dadurch erreichen, dass a) die Rückenmarksstücke in
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neutraler oder alkalischer Formollösung erhärtet sein müssen (100,0 Aqua destillata,
2,0 Natrium bicarbonicum und 5,0 Formol) und b) die l°/ 0 Lösung des Cuprum
aceticum, welche der Beizung dient, keine freie Essigsäure enthalten soll. Die
in dieser letzteren Lösung gebeizten Schnitte werden in 2 °/ 0 Kalium nitricum
abgespült, dann intensiv in der oben angegebenen Färbeflüssigkeit tingirt und in
einer Lösung differenzirt, welche auf 100,0 Aqua destillata 1,0 carminsaures
Natrium und 2,0 Kalium nitricum enthält. Nachdem die graue und zum Theil
auch die weisse Substanz blässer geworden sind, werden die Schnitte in 2 °/ 0
Kalium nitricum abgespült und (nachdem keine Färbewolken mehr abgehen) in
Alkohol absolutum, Chloroform und Canadabalsam gebracht. (Bef. giebt eine
ausführliche Mittheilung dieser Kadyi'sehen Methode, weil die Präparate, die er
selbst gesehen hat, sich durch prachtvolle Färbung und Differenzirung der grauen
Substanz von der weissen, besonders bei makroskopischer Betrachtung, auszeichneten.)
Edward Flatau (Warschau).
Gesellschaft der Neuropathologen und Irrenärzte zu Moskau.
Sitzung vom 21. Januar 1900.
Herr L. S. Minor: Spätoontraoturen im Gebiete der Nn. facialis und
hypoglossus bei organischer Hemiplegie (mit Demonstration einer Kranken).
Organische Spätcontracturen im Gesicht werden, mit wenigen Ausnahmen,
von allen Autoren anerkannt. Hinsichtlich der Zunge wird von fast Allen über¬
haupt keine Erwähnung gethan, und nur bei Pasquier und Marie findet sich
ein directer Hinweis auf die Möglichkeit einer Spätcontractur der Zunge. — Die
Kranke des Vortr. — eine Frau von 32 Jahren mit zweifelloser Syphilis in der
Anamnese — erkrankte im Anschluss an ein puerperales Fieber an schwerer
rechtsseitiger Hemiplegie mit fast völliger motorischer und sensorischer Aphasie
und der üblichen Paralyse des Gesichtsnerven (Mund nach links verzogen) und
des N. hypoglossus (Zunge weicht nach rechts ab). Nach Einleitung einer
Quecksilberkur trat im allgemeinen Befinden der Kranken, im Bewusstsein, wie
auch im Verständniss für Worte und in der Paralyse des Beines (die Kranke
fing an zu gehen) eine weitgehende Besserung ein. Aber gleichzeitig damit be¬
gann eine sich allmählich einstellende Contractur des Armes und des Beines, und
2 Jahre nach Eintritt der Hemiplegie stellten sich im paralysirten Gebiete des
N. facialis und des N. hypoglossus Zeichen von Spasmus ein; als stabile Er¬
scheinung besteht dieser Spasmus 1 Jahr in ausgesprochenem Grade. Schon im
Ruhezustand ist das Gesicht des Kranken etwas nach rechts verzogen; beim
Versuch zu sprechen und zu lächeln tritt das Uebergewicht in der rechten Seite
sehr stark hervor. Die Zunge liegt in der Mundhöhle gerade, beim Hervorstrecken
aber weicht sie stark nach links ab. Vortr. ist der Ansicht, dass die Zunge,
wenn man die Möglichkeit einer secundären Contractur in derselben zugiebt, immer
nach der gesunden Seite abweichen muss (Spasmus m. genioglossi) und nicht nach
der paralysirten Seite, wie das einige Autoren anzunehmen scheinen. Der ge¬
gebene Fall stellt ein grosses theoretisches Interesse dar bezüglich der verschiedenen
ausgesprochenen Ansichten in Hinsicht der Entwickelung secundärer Contracturen.
Der Vortrag regte eine äusserst lebhafte Discussion an, an der sich die
Herren W. A. Muratoff, A. A. Korniloff, G. J. Rossolimo, W. B. Serbsky,.
W. W. Weydenhammer, W. W T . Murawjeff, N. Th. Schatoloff und Prof.
W. C. Roth betheiligten. A. Bernstein. G. Rossolimo.
Um Einsendung von Separatabdrficken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 18.
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alle Buchhandlungen dep In- uqd Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
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1901 , _; _ _i. Angüßt . Nr, IC
Inhalt. I. Oriainalgilttheiluqgen. J. Ueber fuqctionelle Herabsetzung der Hörfähigkeit,
von Dr. L. Treltel. 0 . Brfnhrungei aber den Babiaski 'sehen Behex, von Dr. August Hon-
taraar. 3. Daher di# BfldwgW)gW dw Erscheine™ pn4 die Bßdeptuqg der yftrjcopit|t der
Pro toplas mpfortsätze der motorischen Zellen der Hirnrindp. Vorläufige Äfjttheilung, von Dr.
I. Jwaneff.
II. Referate. Anatomie. 1. Nwvq über» in Ae pi» of tho ipiu*l cord, by fiirciup
»nd Spiller, 2, A preliipinftry ßPffimuBjcatiop pf p, ptady of thp brainp of two dip^gjfui^bed
physicians, father and sou, by Spltzka. 8. ExpenmenteQa bidrag tiü kännedomen om tibialis
— oeh peroneus — kifaaxsM lokäliöfttion i ryggmärgep, af Knaps, i. Bidrag tili kännedomen
oxp lpkalifAtieoen inqra 9$alo!P9|i9r»S*kl.rpaD pos mäpnipkftn, af Ah||trflijj. — Experimentelle
Physiologie. 5. Voor en tegen de neuronenleer, door Sano. 6. A fnrther maairy ihtb the
•upposed existenoe of oerebrai vaso-motor nerves, by Hill ppd Miaftaod. ?. Weitere Mite
theilung zur Groaphirnlocaliaatjon bei deq Vögeln, von Kalischer. 8. The pption of ether
iuid ohloreform on the cerebral and spinal neurons of dogs, by tVrlgbt. — Pathologische
Anatomie. 9. Upber die pngeborpqe Verapp^ung beider f&spe ppd dpr rechteg Haqg,
von TuippowiHi- IQ. Zw rqthologie der Nervenzelle, vyn Cifglinskf. 11. UeW dap Lipo-
ohrem der Nervenzellen, von Rosin and v. Fengvsssy. 19. Ueber das Lipochroin der Ganglien-
JteUen, von RothSMum- — Pathologie des Neryppsystpips. 18- Tropfet tfophiqnee
ossenx ct articnlaires ehez an homme atieint d’gtrophie mnscalaire pjyeloppthique, pär
£tiesne. 14. Beitrag zur Lehre von der progressiven MuBkelatrophie, von Mau. 18. Polio¬
myelitis APfcripf acata adultorum, by PfM*. Iß, pltiaphe Stqdiafl ^ber Poliomyelitis-
I. Ueber gehäuftes Auftreten and GelegenheiUqrsacben dej Poliomyelitis, vop Zappert.
17. Epidemie paralysis in ohildren, by Cbapln. 18. A caae of ämyetrOphio lateral sclerosis
in which dcgsperatiop vu taped Um oprebrjd syrte* tl&f mqwlep, by $pil|ar.
19. Coptribpto allo stndio apll atrofia muscolare crqnica (acleroBi laterale amiotrofica), pel
Pardo. 20. Two casee of maseular dystrophy with necropsy, by Spüler.
III. Aus dpn SaseUschaften. XXVI. Wandet vermmmlang der Sfidvestdaateohen Neu¬
rologen und Irrenärzte zu Baden-Baden am 8. und 9. Juni 1901. — Bpyligpy ffiffi P flo ftaffc ffij-
Psychiatrie und Nervenkrankheiten. — Soeiötd de neurologie de Pans.
IV. Kanal schiss, 73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Hamburg
am 22.-28. September 1991, - Wwsemp&afÜiche W’wx^ryersaHjipJnpg jdey Vereins f&r
Psychiatne und Neurologie in Wien am 11. und 12. October 1901.
Ir PrwntÜPimtäUMW,
1. ILeber fneetioHfille HarabsrtbzBDg dep Hörfähigkeit.
Von Dr. L. Trjeitel.
Dm öaÄH» aeetigohMr StMuwwgw uö4 m »Um» Auäneri iwwkt*t auf
di» Hör^higitflit kmn mg« gütlich m prafctaahep Dato bßoteota*. Ist
44
Digitized
Google
690
jemand intensiv mit einem Gedanken oder einer Arbeit beschäftigt, so hat er
kein Ohr für das, was andere mit ihm reden. Unterhält man sich aufmerksam
mit einer Person, so versteht man in der Hegel nicht, was dritte Personen
dazwischen sprechen. Am besten kann man diese Beobachtung an Kindern
machen, wenn sie eifrig mit ihrem Spiel beschäftigt sind; man wird mit Unrecht
manche Unterlassung von Wünsohen auf schlechten Willen zurückfuhren, wo
diese überhaupt nicht vernommen wurden, weil die Aufmerksamkeit vollkommen
auf das Spiel gelenkt war.
Um so mehr muss das der Fall sein bei Kindern, welche aus irgend einem
Grunde eine wirkliche Verminderung der Hörfähigkeit bereits haben. Ihre
Schwerhörigkeit wird bisweilen grösser erscheinen, als sie bei objectiver Prüfung
ist, weil Kinder besonders leicht geneigt sind, auf Eindrücke, welche sie nicht
deutlich vernehmen, gänzlich zu verzichten, von ihnen zu abstrahiren. E rmah nt
man solche Kinder bei der Hörprüfung, doch ja recht aufzupassen, so erzielt
man bisweilen die doppelte und dreifache Hörweite wie bei der ersten Prüfung.
Diese Beobachtung hatte ich mehrfach zu machen Gelegenheit, unter anderem
bei einem Knaben von 10 Jahren. Obgleich derselbe auf einem Ohre ganz
normale Hörweite hatte, auf dem anderen eine Herabsetzung auf 0,5—1,5 m
mit Schwankungen in den Prüfungsresultaten, kam es nach der Angabe dee
Vaters zu Hause auffallend häufig vor, dass er Aufforderungen nicht nachkam,
obgleich er ein ganz folgsamer Sohn ist. Der Knabe machte bisweilen einen
ganz verträumten Eindruck.
Diese Unaufmerksamkeit oder vielmehr ungenügende Aufmerksamkeit ist
bei vielen ganz begabten Kindern Schuld, dass sie die einzelnen Laute der
Sprache nicht scharf genug erfassen und sie daher in der Wiedergabe entstellen
d. h. stammeln, worauf ich(l) schon an anderer Stelle hingewiesen habe. Noch
mehr ist diese Beobachtung an schwachsinnigen Kindern zu machen, bei denen
noch höhere Grade der Unaufmerksamkeit trotz guten Gehörs Vorkommen. Ist
nun noch die Hörfähigkeit gar herabgesetzt, so kann es zu sehr verspäteter Er¬
lernung der Sprache, zur Hörstummheit kommen, worauf Alt (2) besonders auf¬
merksam gemacht hat Er fand in Taubstummenanstalten einige solche Kinder,
deren Gehör nicht so weit herabgesetzt war, dass es zur Erlernung der Sprache
nicht ausgereicht hätte.
Eine Differenz der subjectiven Hörfahigkeit mit der objectiv festgestellten
Hörweite ist aber auch bei Erwachsenen trotz vorhandener Aufmerksamkeit nicht
selten zu oonstatiren. Schon bei einem einfachen Tubar- oder Mittelohrkatarrh
wirkt das Verlegtsein des Ohres und gleichzeitig das Ohrensausen so deprimirend
und verwirrend auf den Patienten ein, dass er die Unterhaltung viel schlechter
versteht, als man nach der Hörprüfung erwarten möchte. Man ist nicht selten
nach Anhörung der Klagen überrascht, bei einem Tubarkatarrh eine ganz normale
Hörweite für Flüstersprache zu finden. Noch ausgesprochener sind diese Er¬
scheinungen, welche sich in Schwankungen des Gehörs kundgeben, bei chronischen
Erkrankungen des Ohres mit grösserer Herabsetzung des Gehörs, wo die Stimmung,
der ganze Seelenzustand grossen Einfluss auf die Stärke der Hörfähigkeit hat
Digilized by GoO^lC
691
Auf die physiologischen Schwankungen im Laufe eines Tages bei Normal¬
hörenden, die Uhbantschitsch (3) nachgewiesen hat, sei nur nebenbei hingewiesen.
Aber dass die Witterung bedeutende Schwankungen in der Hörfähigkeit Ohr-
kranker hervorzurufen vermag, wird jeder bestätigen, der mit Schwerhörigen zu
schaffen hat.
Am schwierigsten zu erkennen und zu beurtheilen sind jedoch diejenigen
Herabsetzungen der Hörfahigkeit, welche die Hysterie verursacht, und das um
so mehr, als in der Regel die hysterische Beeinträchtigung des Gehörs an eine
objective Veränderung im Gehörgang anknüpft. Eine Definition zu geben, was
eine hysterische Hörstörung sei, ist wohl noch niemand gelungen; sehr geist¬
reich umschreibt Flatau (4) in seiner Monographie die Hysterie als eine in
ihrem Wesen unbekannte centrale Betriebsstörung ohne Materialschaden. Man
wird sich daher begnügen müssen herauszufinden, durch welche Symptome sich
eine hysterische Herabsetzung der Function, in diesem Falle des Gehörs, von
anderen reellen Formen unterscheidet
Es geht nicht an, jede functionelle Herabsetzung eines Sinnes, welche über
die durch den Befund erwartete Höhe hinausgeht, ohne weiteres als hysterisch
zu bezeichnen. Es giebt, wie oben ausgeführt wird, eine ganze Anzahl Momente,
welche die Hörfähigkeit mehr beeinträchtigen, als man nach dem objectiven
Befunde erwartet Es fragt sich daher, wann dieses Plus der Herabsetzung des
Gehörs auf Hysterie zu beziehen sei. Geadenigo (5) hat sich besonders be¬
müht, diejenigen Gesichtspunkte zu fixiren, von denen aus man eine Hörstörung
als hysterisch anzusehen hat. Er wäre ja denkbar, dass einfaohe Klänge und
Geräusche der Prüfung mit der Sprache vorzuziehen sein, weil ihr Veretändniss
keine Denkthätigkeit erfordert Auf Grand einiger Beobachtungen machte er
den Schluss, dass die akustische Hypästhesie (die hysterische Herabsetzung des
Gehöre) charakterisirt wird durch eine gleichmässig über die musikalische Ton¬
leiter vertheilte Abschwächung der Wahrnehmung der Töne. Wenn diese An¬
nahme auch zutreffen sollte, so steht ihrer practischen Bedeutung der Umstand
entgegen, dass die hysterische Störung in der Regel an wirkliche Veränderungen
anknüpft, bei denen die Stimmgabelprüfungen an sich Abweichungen von der
Norm geben. Ausserdem stimmen die Angaben der Autoren insofern nicht
überein, als einige ein besseres Gehör für tiefe, andere für hohe Töne gefunden
haben. Noch weniger zuverlässig dürfte der Massstab sein, den Geadenigo der
Prüfung mit der Uhr im Verhältniss zum leisen Sprachgehör beilegt Er giebt
an, die Hörweite für die Uhr mit starkem Schlag bei der Mehrzahl der Be¬
obachtungen grösser gefunden zu haben, als für die Flüsteretdmme, wenn die
letztere nioht mehr als 5 m betrug. Man wird erstlich bei solchen Hörweiten
selten auf die Vermuthung einer Hysterie kommen; so weit ich selbst diesen
Vergleich zwischen Uhr und Flüsterepraohe anzustellen Gelegenheit hatte, konnte
ich das umgekehrte Verhältniss gegenüber der Norm nicht finden. Ebenso¬
wenigdürfte der constante Strom mit einiger Sicherheit zur Erkennung hysterischer
Hörstörung zu verwerthen sein, wie Geadenigo vorechlägt, da die Resultate schon
unter normalen Verhältnissen zu unsicher sind.
44*
Digitizedby G00g[e
692
Man wird sich daher zar Beurtheilung der hysterischen Natur einer Hör¬
störung mehr an allgemeine, die Hysterie kennzeichnende Erscheinungen halten
müssen. Aufmerksam wird man in der Kegel auf dieselbe werden durch auf¬
fallende spontane Schwankungen im Qehör von grösserem Umfange. Man wird
alsdann nach den bekannten Stigmaten der Hysterie fahnden; insbesondere
ob auch in anderen Organen hysterische Störungen vorhanden oder früher vor¬
gekommen sind. Aber diese Angaben können fehlen, und in Folge dessen hat
man naoh anderen objeetiven Merkmalen gesucht Ein solches glaubte man in
der Anästhesie der Ohrmuschel gefunden zu haben. Aber die Erfahrungen ver¬
schiedener Beobachter, insbesondere von Liohtwitz (6) lehren, dass die Hemian-
ästheaie weder in allen Fällen noch stets auf der Seite der herabgesetzten
Function zu finden ist Jedenfalls hat die Sensibilität des Trommelfells mit
der Hörfahigkeit nichts zu thun, wie ich bereits bei der Untersuchung des
Gehörs der Tabiker feststellen konnte.
Selbst der therapeutische Effect, der so häufig als Adjuvans der Diagnose
dient, lässt hei der Entscheidung, oh Hysterie oder nicht, häufig im Stich, da
auch die Sondirung der Tube (Uebantsohitsoh) und die Lufteinblasung suggestiv
wirken kann. Eine Täuschung erfuhr ich vor einigen Jahren bezüglich der
Hörbesserung bei einer älteren Frau, der ich auf Empfehlung von Vulptob
Thyreoidtabletten verabreichte, um auf ihre „Sklerose“ einzuwirken. Eines Tages
war das Gehör von ca. 80—40 cm für Flüsterepreehe auf 3 m erhöht Die
weitere Beobachtung lehrte, dass öfter grössere Schwankungen bei ihr zu
constatiren waren, auch wenn sie keine Tabletten erhielt
Wie es in praxi doch gelingt, den hysterischen Charakter einer Hörstörung
zu erkennen, ohne dass es möglich, einzelne Symptome als sicheres diagnostisches
Mittel festxustellen, mögen die beiden folgenden Fälle zeigen, welche gleichzeitig
zwei verschiedene Formen demonstriren, unter denen die Hysterie das Gehör
herabsetzen kann: der erste betraf eine Frau, die jetzt dem Climacterium sich
nähert Vor 7 Jahren consultirte sie mich bereits wegen Saasens und Schwer¬
hörigkeit auf dem rechten Ohre. Das Gehör war wenig herabgesetzt, das Trommel¬
fell ein wenig eingwogen, eine Luftdonche besserte beides. Einige Jahre darauf
Buchte mich Patientin wieder auf, nachdem sie inzwischen viel Kummer gehabt hatte;
die ohnedies schwächliche Frau war noch anämischer als früher. Sie erzählte,
dass sie nervöse Magenstönmgen habe, ja dass sie einige Monate linksseitig ge¬
lähmt gewesen sei. Seit einiger Zeit quäle sie sehr das Ohrensausen auf dem
rechten Ohre. Die Kranke gab von selbst an, dass es vor dem Eintritt der
Menses seine Höhe erreiche, um dann in den ersten Tagen nach demselben
zu verschwinden. Die Untersuchung der Ohren im Marx 1898 ergab links ein
normales Trommelfell und normale Hörweite für Flüsterspiaobe, rechte dagegen
auf 10 um herabgesetzt; der Tronunelfollbefund war derselbe wie vor Jahren.
Die Tonprüfiing wurde mit den Stimmgabeln c' und fis"" vorgenommen, Rnrcnz
war positiv aber verkürzt, sowohl für Knochen wie für Luftleitung, fis"' wurde
bet gewöhnlichem Anschlag nicht gehört, während sie das linke Ohr normal lange
vernahm. Weder Luftdouche noch Katheter hatten einen Erfolg, eine geringe
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Besserung trat nach dem Faradisiren ein. Nach Ablauf der Menstruation stellte
sich auf meinen Wunsch die Kranke wieder vor, und ich war überrascht, ein
normales Gehör für Flüstersprache zu finden. Dieses Spiel wiederholte sich
mehrere Male und blieb eine Zeit lang nach einem längeren Sommeraufenthalte
aus. Erst kurz vor der Niederschrift dieser Zeilen erschien Patientin in voller
Verzweiflung wieder mit der Angabe, dass sie nun seit einigen Tagen auf beiden
Ohren nicht höre und ganz benommen im Kopfe sei, von Schwindelgefühl wurde
auf Behagen nichts erwähnt, dagegen klagte sie über Stiebe in der linken
Schläfe. In der That verstand die Kranke meine Fragen über meinen Arbeits¬
tisch hinweg nicht und kam mir näher, um mich zu verstehen. Die Hörprüfung
ergab auf dem rechten Ohre Flüsterspiaohe in der Nahe des Ohres und auf den
linken auf kaum einen halben Meter. Nach PoLirzBn’scham Verfahren, mit
dar suggerirenden Bemerkung, dass sie auf dem linken Ohr bestimmt sofort
besser hören würde, besserte sich nur das Gehör für laute, aber nicht leite Sprache.
Die Stimmgabeln o' und fis"" werden links fast unverkürzt* rechts etwas ver¬
kürzt gehört, während m früher während des Anfalles rechts bei normalem
Anschlag nicht gehört wurden. Als Patientin nach etwa 10 Tagen wiederkam,
war das Gehör vollkommen wieder hergestellt und das Sausen verschwunden.
Nachzutragen wäre noch, dass im vergangenen Jahre ohne Zusammenhang mit
der Hörstörung Schwindelanfaüe, aber nicht mit Mjski£kb 'schein Charakter
einige Male Patientin befielen. Ferner ist noch zu erwähnen, dass eine
wiederholte Prüfung mit Nadelstichen keine Anästhesie, insbesondere nicht
an den Ohrmnscbtta ergeben bat. Patientin war begreifliche]' Weise über
dm Zustand sehr aufgeregt, insbesondere fürchtete sie, dass etwas im Gehirn
krank sein könne, aber sie zeigte iu ihrem Benehmen keine Abweichung ton
der Norm.
Ganz anders ist das Bild im zweiten Falle. Derselbe betrifft ein junges,
für sein Alter ungewöhnlich entwickeltes Mädchen von 14 Jahren, das bereits
menstruirt ist Vor 8 Jahren führten mir die Uten dasselbe wegen eines
Ohrschmerzes zn, der von einem Collegen auf einen Furunkel bezogen wurde.
Ich fand keinerlei objectiven Befund für den Schmerz weder am Ohre, noch
im Halse, noch au den Zähnen. Als ich denselben in Folge dessen für nervös
erklärte, berichteten die filtern von einem anderen narvöeen Schmerz, den
Patientin seit längerer Zeit habe, und zwar an einem Fasse. Sie hatte sich vor
einem Jahne ein Hühnerauge schneiden lassen und hat seitdem, ohne dass wn
ärztlicher Seite etwas zu finden war, auf den geringsten Druck so intensive
Schmerzen, dass sie besonderes Schuhwerk tragen muss. Die weitere Unter¬
suchung des Ohres ergab, dass das Trommelfell normal war, das Gehör für
Flüsterspraohe etwa auf 1,5 m herabgesetzt Der Schmerz verlor sich durch
Massage innerhalb 8 Tagen.
Nach «etwa einem Jahre erschienen die filtern wieder mit der Tochter mit
der Angabe, dass sie seit einigen Tagen auf beiden Ohren so schwer höre, dam
mau sich mit ihr nicht verständigen könnte, und zwar war dieser Zustand
ziemlich plötzlich über Nacht eingetreten. Auf Befragen erzählten die filtern.
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dass das Mädchen eine grosse seelische Erregung durchgemacht hätte in Folge
einer unmotivirten üblen Nachrede in der Schule.
Das Mädchen macht einen theilnahmlosen, apathischen Eindruck und
antwortet nur bisweilen auf Fragen, die im Gonversationston an sie gerichtet
werden; die Entfernung schwankt von einem Meter bis ganz nahe am Ohr.
Ebenso spricht sie auf die gleiche Entfernung nur Flüstereprache nach, aber
nicht jedes Mal. Therapeutische Massnahmen haben keinen Effect, weder ein¬
fache Luftdouche, noch Katheter, noch Faradisiren. Die Sensibilität der Ohr¬
muschel und des Gehörgangs ist nicht gestört Die Prüfung mit den Stimm¬
gabeln c und fis"" ergab eine gleichmässige Herabsetzung für Knochen- und
Luftleitung. Das Ticken der Uhr wurde auf dem linken Ohr weder am Knochen
noch durch die Luft gehört, auf dem rechten Ohre nur am Knochen. Schwindel¬
erscheinungen waren nicht vorhanden, auch der Gang war sicher, über Ohren¬
sausen hatte Patientin nicht zu klagen.
Die Behandlung bestand in der Folge nur im Fernhalten von Schädlichkeiten,
Entfernung aus der Schule, Aufenthalt im Freien, blander Diät und Vermeidung
anstrengender Lectüre. Als Patientin nach 8 Tagen sich wieder vorstellte, hatte
sich das Gehör noch verschlechtert, sie reagirte noch weniger auf Fragen, selbst
in der Nähe des Ohres.
Da die Eltern sehr um die Zukunft besorgt waren, oonsultirte ich mit
Herrn Prof. Oppenheim, der die Diagnose bestätigte und die Patientin weiter
beobachtete. Mit seiner freundlichen Erlaubniss seien folgende Angaben nach
seinem Journal hier erwähnt, soweit sie zur Charakterisirung des Falles noth-
wendig sind. Eines Tages war, während sie Clavier spielte, das Gehör wieder¬
gekehrt, um aber nach wenigen Tagen wieder zu verschwinden. Dazu gesellten
sich dieses Mal aphasische Störungen, die einen amnestischen Charakter
tragen. So konnte sie auf Befragen die Benennung der Gegenstände nicht
finden; auf Dictat schreibt sie nur nach, wenn jedes Wort einzeln vorgesprochen
wird; beim Versuche zu zählen kommt sie nur bis 2, ebenso bei dem Versuche,
Zahlen zu schreiben.
Vorübergehend trat auf einige Wochen eine Heilung ein, die dann der
alten Störung wieder wich. Dieses Mal wurde auch eine Hemianästheeie con-
statirt, welche bei den vorhergehenden Untersuchungen nicht zu finden war.
Sonst war weder in den Augenbewegungen noch in ihrem physischen Verhalten
etwas Pathologisches zu verzeichnen. Sie ging auf Anrathen von Herrn Prof.
Oppenheim zu Verwandten nach auswärts, wo sich Gehör und Sprache wieder¬
fanden.
Aehnliche Fälle haben Kbakaueb (7), Mendel (8) und Baiith (9) ver¬
öffentlicht, mehrere weist namentlich die Litteratur der Franzosen auf. Besonders
lehrreich ist der von Mendel veröffentlichte Fall, der einen an Hysteroepilepsie
leidenden Mann von 51 Jahren betraf. Im Anschluss an einen Anfall wurde
er taubstumm und blieb es 14 Tage lang, aber nur täglich für einige Stunden.
Pat. hatte auf dem rechten Ohre Zeichen einer abgelaufenen Mittelohreiterung,
und links einen chronischen Mittelohrkatarrh. Er wurde nur vorübergehend
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durch Hypnose von seiner Taubheit befreit Der jüngst von Babth (9) veröffentlichte
Fall ähnelt am meisten dem hier berichteten, insofern die Sprachlosigkeit sich
erst der Taubheit anschloss. Diese zeigte eine gewisse Eigenart, insofern, als
bei vollkommenem Ausfall der Luft und Knochenleitung für hohe und tiefe
Töne und für Geräusche sie auf musikalische Anregungen (Clavier, Lied) reagirte.
Auch in diesem Fall schwand die Störung und kehrte ebenso leicht bei dem
geringsten Anlass wieder.
Das Veretändnisss dieser Form hysterischer Hörstörung, welche jeder Hör¬
prüfung sich entzieht und den Gesetzen derselben spottet, wird wesentlich er¬
leichtert durch Experimente, welche man an hypnotisirten, besonders hysterischen
Personen anstellen kann. Derartige Versuche sind mehrfach sohon gemacht
worden, besonders von französischen und italienischen Autoren, welche reichliche»
Gelegenheit haben, hysterische Hörstörungen zu beobachten, als wir. Die freundliche
Einladung eines Collegen, der das Hypnotisiren zum Berufe sich ausersehen hat,
benutzte ich einmal zu einem derartigen Experiment Einer in Hypnose ver¬
setzten Dame suggerirte ich, dass sie auf dem rechten Ohre taub sein würde.
Als sie das linke Ohr auf meine Aufforderung fest verschlossen hatte, stellte ich
an sie verschiedene Fragen, von denen sie keine beantwortete, auch sprach sie
kein vorgesprochenes Wort nach. Nun widerspricht dieses Verhalten demjenigen
wirklich einseitig tauber Personen; die Erfahrung lehrt, dass, wenn ein Ohr noch
ganz intact ist oder auch nur massige Hörweite noch besitzt, laute Sprache noch
verstanden wird. Behauptet der Geprüfte in einem solchen Falle gar nichts zu
hören, dann ist er ein Simulant So hätte auch die hypnotisirte Dame mit zu¬
gehaltenem linken Ohre die lauten Fragen hören und beantworten müssen, und
ihrem Verhalten bei der Prüfung widersprach schliesslich, dass sie der Aufforderung,
die linke Hand vom Ohre zu entfernen, prompt nachkam. Dieser Versuch er¬
innert an die Entlarvung von Gestellungspflichtigen, welche sich taub stellen,
und auf den Befehl „abtreten“ sofort hinausgehen. Nebenbei sei noch erwähnt,
dass die Dame auch das Phänomen darbot, dass sie auf Suggestion des sie be¬
handelnden Collegen nur auf seine Stimme reagirte, nur seine Fragen beantwortete
und seinen Aufforderungen nachkam, während die anwesenden Collegen vergeblich
mit ihr sprachen.
Gbadenigo hat mit Stimmgabeln unter solchen Umständen das Ton¬
gehör bei einseitig suggerirter Taubheit geprüft und gelangte auch zu Resultaten,
die der Erfahrung stracks zuwiderlaufen. Trotz einseitiger Taubheit wurde beim
WEBEn’schen Versuche die auf die Mitte des Schädels gesetzte Stimmgabel nicht
nach der hörenden Seite verlegt. Eine auf den Warzenfortsatz der angeblich
tauben Seite gesetzte schwingende Stimmgabel wurde gar nicht gehört, obgleich
die Erfahrung lehrt, dass selbst bei vollkommener einseitiger Taubheit, die Stimm¬
gabel vom gesunden Ohre wahrgenommen wird.
Diese Experimente lehren, dass auf Suggestion bei völlig intaotem Schall-
leitungs- und Schallempfindungsapparate Hörstörungen eintreten können, welche
so vollkommen manchen bei hysterischen Personen vorkommenden gleichen, dass
es erlaubt ist, dieselben Ursachen für beide anzunehmen. Es kann nicht zweifel-
zedby Google
- m -
haft sfeiti-, dass atiöh bei der hysterischen Taubheit durch deh intaktfeh Schall«-
leifcungsap parat det Schall deM Labyrinthe uhd von diesem dura Gehirn über«-
rtiittelt wird, dass mit Uhdereü Worten der phyakUlfeBie Thtel dös ÖörettB
ungestört vor sich geht NUf düngt et nicht ins Bewusstsein, Wbü dieses in
seihet Th&tigkeik efschÄBt öder dUrbh irgend Weiohe EfoflMSe gehemmt ist.
Die gesamhlte geistige uhd seeBSbhe Thätigkeit des Gbhifts ist in solchen Fallen
verlangsamt oder unthätig, wie schon das interesselos hächläsBige Aenaaete
verf&th-, dai aü das MelanchWisCher erinnert. Eine gewisse Unlust wirkt wie
ein Hemmschuh Auf die geistige Tätigkeit Dass Äfe Oedhchöiiis huf diese
weise leiden kann-, also huch ®& Verknüpfung von wertbüd und Laut» das
lebten die FMle Von hysterischer Aphasie, Soweit hie ai&hfestäscher Nattir sind)
WB der rheinige. in höhten Uftde wibd bei dl WeSÜ ftfiehgekehfteöia Vor allem
die Aufmerksamkeit leide»-, Ähnlich, Wie eben Ädseinandfergeset^ unter normalen
VfefhMtnöisen; So kann das physisch Ferdpirte unverstanden verhauen, in
gleicher Wette spricht GnADfehi&o von edier BesCMAnihng deS öeWusstSBÄSi
Die AutfasSüü'g macht es begreiflich, da&s die Prüfung mit Stimmgabel ü
in solchen Fallen faöchstehB den Werth hat, dass Sie durch gani ungewöhnliche
ftÖBültäte aUf die Üniüläüglichkeit der Prüfung aufmerksam macht. Trott
erhaltener SensihÜftät, bei det die Schwingungen der Stimmgabel Wenigstens
einige Secünden am fcopf gefühlt werden müssen, wird jedes Gehör m einigen
hätten verneint. Man Wird hlöo in diesen Fällen Won einer Betbeiljgtmg dos
LäbyrintheS absöhen müssen, dib mäh früher auf einen Torpor derselben glaubte
zufückftihreh zu können. Ein solcher käme nur hei allgemeiner fiautänästbeöe
und Herabsetzung der Fmp&ndlfchkeit anderer Sinnesorgane in Frage. Aber
nicht Selten üfirdet Sich die Haufc&nästhesre einseitig, die fierabSeUung des
Gehörs aber doppelseitig, SttSserdem eetfgt das VefttilüdniflB mancher Redend
aTthn und Fragen davon, döSs die FuttCtM des Labyrinthes nicht ausgeöCfet
sein kann.
Biese Möglichkeit ist indessen bei der mehr peripheren Form der Hysterie,
zu der der erste Fall zu rechnen ist, nicht ganz äuszüschliessen. Allerdings
ist die Annahme einer Brucksteigerüng im Labyrinth eme ganz Unbegründete.
Denn erstlich sind keine so starken objectiven Veränderungen vorhanden, welche
eftfC bedeutende Steigerung des Druckes VeririSaSfthen könnten, zWÖteftb aber ist
eine solche, So tähgS die Agüaedhkte nicht VÖTfegt Sbd, 'gar nicht möglich,
Wie ftEfcotb trefend hatobge Wiesen hat Dagegen lässt det periodische ÄUsammeTr-
häUg der ÄtoÄ-ung inft der Menstruation an Vasomotorische Störungen im
Labyrinth dtnkCn, wie solche bttch äus andern Ursachen beobachtet Werden.
ÖCi dem blassen ÄUBseheb der Fatiehtih Und dem Ä'fflüi fcU deta Untertefbs 1
organen wäre m solchen Fällen eme Anämie ammnehinen. Vaiwmotorische
Störungen am Ohre in Verbindung mit defr Menstruation s&td nicht Selten, ja
es Soll begfcfiWgte Fälle Von '0mt*W i faag geben {GAXUi^iWo). Für dfts Be¬
gehen der vasomotorischen Störung Spricht tföCfe das Sause», das $m VoHCr-
gtWude des SyttptomenbiWes Während BCtChea bei dm* rein psychischen
Form zu fehlen pflegt Es W»C denkbar, dass das lausen erat Verimassung
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6Ö7
zu der hysterischen Höretörung giebt Sonst wäre es unverständlich, warum die
Hörstörung in dem ersten Me erst einseitig auftrat. Diese Form der hysterischen
Hörstörung unterscheidet sich Vott der rein psychischen auch durch ihren Verlauf,
durch das allmähliche Abklingen der Erscheinungen, während erstere in der
Regel plötzlich verschwinden; äbef beide knüpfen an Veränderungen Im Ohre an.
Es wäre angebracht, die Bezeichnung psychische Taubheit für die geschilderte
Form der hysterischen zu reserviren, um Missverständnisse zu vermeiden. Anstatt
dessen gebrauchen einige Forscher diese Bezeichnung auch für Störungen in der
Fetceptiön, die ganz anderer Natur sind. Was Helles (10) und mit ihm
Ü&BASrrstmrrsca (11) als psychische Taubheit bezeichneten, war das mangelnde
Combihatiohfcvermögeh idiotischer bder imbeciller Kinder, wenngleich bei diesen
auch die Unaufmerksamkeit, also eine gewisse psychische Taubheit an dem
Mangel der Anffassung mit Schuld ist Näheres Über diese „Hörstummheit*
habe ich an anderer Stelle ausgeführt
Hei dem physischen Charakter dieser Hörstörung und bei ihrer Aehnlichkeit
ttift der in der Hypnose suggerirten wäre zu erwarten, dass sie durch Suggestion
leicht zu beseitigen wäre. Dem ist aber nicht so; man hat mit der Suggestion
nur sehr Vorübergehende Erfolge erzielt. Häufig waren es gelegentliche Schall-
einwirkungett, in meinem Falle das Clavtar, welche die Wiederkehr des Gehörs
inscenirfen. Bei reflectotisfch Von andern Funkten entstandenen Formen hysterischer
Taubheit und Schwerhörigkeit ist natürlich die Beseitigung des fteizpunktes
nothwendig. Sonst ist eine Entfernung aus der gewohnten Umgebung sehr zu
empfehlen.
L i te ra t u r»
i. TUäVu» WrMfiHm der SpratfmttWefcgen. Berfia 1ÖS4.
g. Altv psyehmehe Taubheit Monatmehr. I Ohrenk. Ife98.
8. Ubbahts mutsch, Lehrbuch der Ohrenbeük.
4. -Flataü, Die Hysterie in ihren Beziehungen zu den oberen Luftwegen und zum
Ohre. Bbxqkhb Samml. Halle 1899.
5. enxnairwro, Debet die Bdanifcatatio'Wjn der Hysterie hm Gehörorgane. Haüö's
Sattml. l8Vä.
6. Lichtwit, citirt bei OuADBinoo.
7. Kjlakaukb, Heilung eines Falles hysterischer Taubheit durch Hypnose. Bef. im
Archiv L Ohrenk. XXVII.
8. 'MnrtofL, Ein Fall Von Taubstummheit bei •einem Hysteroepileptiker. Neurolög.
CtMftfelbl. 4887.
1 . 8urh. Zer Symptomatologie der AystarisehMi Taubheit. Deuteehe med. Woche*-
■ehr. 1900. Nr. 22.
10. Hbllkb, Verhandlungen der Wiener N aturforsoher- V er Sammlung 1894.
11. Urbaktschitsch, Üeber Hörübungen bei Taubstummen. 1894.
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[Aus dem städtischen Armen- und Siechenhause zu Frankfurt a/M. (Oberarzt:
Dr. August Knoblauch.)]
2. Erfahrungen über den Babinflki’schen Reflex.
Von Dr. August Homburger,
Assistenzarzt
In neuester Zeit erst hat das von Babinbki beschriebene Phänomen der
reflectorischen Dorsalflexion der grossen Zehe auf Heizung der Fusssohle als
Zeichen einer Erkrankung der Pyramidenbahn das Interesse einer grösseren
Anzahl von Beobachtern erregt, aber es ist bis jetzt noch nicht als gleiohwerthig
mit anderen Reflexvorgängen anerkannt und der neurologischen Untersuchungs¬
methodik angegliedert werden.
Ehe wir in die Besprechung unserer Erfahrungen über das Vorkommen
dieses Reflexes eintreten, ist ein Wort Aber die Methodik zu sagen; es hat sich
nämlich herausgestellt, dass weder die Art des Reizes, noch die Stelle seiner
Application für die Auslösung des Reflexes gleichgültig ist. Wir wenden des¬
halb regelmässig eine Reihe feinerer und gröberer Reize an: Streichen mit der
Fingerkuppe, mit dem Nagel, dem Stiel des Percussionshammers, mit dem
stumpfen und dem spitzen Ende einer Nadel und schliesslich den Nadelstich;
denn der Grad der Hautempfindlichkeit spielt ja eine erhebliche Rolle für das
Zustandekommen eines jeden von der Haut her ausgelösten Reflexes. Man muss
nun systematisch die Fusssohle absuchen, um die Stelle zu finden, von der aus
der Reflex bewirkt wird. Man verfahrt am Besten so, dass man am inneren
und am äusseren Fnssrande entlang streicht, dann von der Ferse aus in der
Richtung der einzelnen Metatarsalinterstitien and schliesslich von dem Aussen-
rand der Ferse nach der grossen und von dem Innenrand desselben nach der
kleinen Zehe. Es giebt thatsächlich Fälle, in denen nur von einer dieser Linien
aus das Phänomen zu Stande kommt, aber auch solche, bei denen die Reizung
jeder beliebigen Stelle sein Auftreten auslöst; am häufigsten aber lässt es sich
vom inneren Fussrand aus erzielen, und das Streichen mit dem Stiel des Hammers
ist das durchschnittliche Reizmaass.
Bei der Mehrzahl der normalen Menschen erfolgt bei einer richtigen
Dosirung des Reizes auf die Fusssohle eine Plantarflexion der Zehen, die nicht
von einem fluchtartigen Zurückziehen des Fusses oder der ganzen Extremität
begleitet ist Die isolirte Dorsalflexion der grossen Zehe ist der B abinski’ sehe
Reflex. Das Material, an dem wir sein Vorkommen prüften, bestand aus einer
grossen Anzahl nervengesunder Individuen, aus einer Reihe „functioneil“ Nerven-
bezw. Geisteskranker und aus den näher zu besprechenden Fällen von organischen
Erkrankungen des Gentrainervensystems. Zunächst sei constatirt, dass bei keinem
einzigen Gesunden oder Neurastheniker, noch in den Fällen von Hysterie und
genuiner Epilepsie, ebenso wenig bei Tabischen der Reflex hervorzurufen war.
Die häufigste unter den organischen Erkrankungen im Bereiche des Tractua
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oortico-spinalis war natürlich die poetapoplektisohe Lähmung. Die 20 Fälle
dieser Art scheiden sich in zwei Gruppen: in solche, bei denen ein einmaliger
Insult auftrat, und in solche, welche die Folgezustände einer grossen Reihe von
Anfällen aufwiesen. Bei 10 von den 13 Fällen der ersten Gruppe war das
Ergebniss ein Positives; sie zeigten alle bis auf einen nach einmaligem Anfall
die typische spastische* Hemiplegie mit Contracturen; der eine Patient aber wies
nur eine ganz leichte Parese auf, ohne Spasmen, fast nur von ihm selbst be¬
merkt; er hatte schon am 10. Tage nach dem Anfall, als er in unsere Be¬
obachtung kam, und seither oonstant den BAnmsKi’schen Reflex. Von den
3 Fällen, bei denen er fehlt, reiht sich einer dem eben besprochenen als Gegen¬
stück an: nach dem Insult rechtsseitige Hemiplegie mit motorischer Aphasie,
jetzt Rückbildung aller Symptome, keine Differenz in den beiderseitigen Reflexen,
kein BABiNSKi’scher Reflex; bei dem einen der noch restirenden besteht eine
Monoplegie des Beines, bei dem anderen eine typische rechtsseitige Hemiplegie
mit Spuren aphasiscber Störung. Die zweite Gruppe weist ausschliesslich Fälle
auf mit Lähmungserscheinungen auf beiden Körperhälften mit Inoontinenz und
Intelligenzabnahme bis zur Verblödung; nur bei einem dieser Kranken ist der
Reflex nachweisbar.
Die postembolisohe Hemiplegie war mit zwei positiven Fällen, die cerebrale
Kinderlähmung mit zwei positiven und einem negativen Falle vertreten.
Wir kommen von den secundären Degenerationen der Pyramiden nach
Cerebralaffectionen zu Erkrankungen mit spinalem Sitze.
3 Fälle von Compressionsmyelitis zeigen den BABiNSKi’schen Reflex: einer
von ihnen mit einseitigem Fussklonus zunächst auf dieser Seite, jetzt auch auf
der anderen, auf der noch kein Fussklonus zu erzielen ist; ein zweiter, bei dem
nur die Kniephänomene gesteigert sind, hat ihn beiderseits, und ebenso der
dritte, bei dem beiderseitiger Fussklonus und Blasenlähmung besteht. Bei einer
Patientin, die schon seit vielen Jahren ohne jegliche Compressionsersoheinungen
an Malum Potii leidet, fehlt auch der BaBiNSKi’sche Reflex. Ebenso fehlt er
in einem Fall von spontan reponirter Wirbelluxation, welche eine dauernde
erhebliche Steigerung der Kniephänomene hinterliess ohne sonstige Zeichen einer
Spinalaffection. Auch fehlt er bei einem Kranken mit traumatischer Hämato-
myelie, bei dem die Patellarreflexe erloschen sind und Incontinentia vesicae
besteht
Als primäre spinale Erkrankung im Bereiche der Pyramidenbahn hat die
spastische Spinalparalyse in erster Reihe zu stehen; sie ist durch 5 Glieder
einer Familie vertreten, von denen bei 3 der Reflex beiderseits vorhanden ist;
bei dem 4. ist er wegen Extensionscontractur der grossen Zehen nicht zu prüfen,
und bei dem 5., nur einmal untersuchten, war sein Vorhandensein zweifelhaft.
Die amyotrophische Lateralsklerose figurirt mit einem Falle; das BABmsKi’sohe
Phänomen kann dieser deshalb nicht aufweisen, weil eine complete degenerative
Extensorenlähmung besteht
Ein positiver Fall von spastischer Paraparese des Greisenalters schliesst
die Reihe.
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Von cerebroepin&ien Erkrankungen traten uns 3 Falle von Lues, 5 von
progressiver Paralyse und 9 von multipler Sklerose entgegen.
Nur bei einem der Luetischen, der jetzt das Bild der Meningitis neben
einer Hemiplegie darbietet, besteht auf dieser Seite der Reflex; bei den zwei
anderen, die auch sonst eine organische Erkrankung der Pyramidenbahn nicht
erkennen lassen, fehlt derselbe. Die Fälle von progressiver Paralyse, die, sät
wir auf das BABtnsKi’sche Phänomen achteten, zur Obduction kamen, waren
klinisch and anatomisch tabische Formen, bä denen der Reflex fehlte; ein noch
lebender Paralytiker hat ihn beiderseits bei erloschenen Patellarreflexen.
Wir kommen schliesslich zu derjenigen cerebrospinalen Erkrankung, die
wegen ihrer herdförmigen Localisation die mannigfachsten klinischen Bilder
hervorzubringen vermag, zur multiplen Sklerose. Wir verfügen über 9, hinsichtüch
unseres Reflexes positive Fälle, bei denen die Diagnose jetzt sicher ist Fünf
von vornherein typische Fälle mit Nystagmus, Intentionstremor und skandirender
Sprache hatten auch den ßABENSKi’schen Reflex auf der Säte, auf welcher
auch sonstige Zeichen äner spastischen Parese bestehen, aber theilweise auch
auf der anderen, zu äner Zeit als solche Zeichen hier noch nicht bestanden,
welche vielmehr erst nach und nach auftraten. Aber auch als allererstes Sym¬
ptom der multiplen Sklerose stellte sich der Reflex dn, und erst später trat das
eine oder andere typische Krankhdtszdchen auf. Besonders interessant waren
zwd Kranke, die uns lange als hysterisch imponirten, bis zum Auftreten des
BABiNSKi’schen Reflexes. Ueber diese wird an anderer Stelle eingehender zu
berichten sein; hieT sei nur bemerkt, dass der dne derselben klinisch nicht ein
einziges die Diagnose sicherndes Symptom zdgte, während die Markscheiden- und
OlialaTbung dne ganz ausserordentlich grosse Anzahl von Herden in allen Faser¬
systemen aufwies; der andere Fall ist jetzt wenigstens klinisch durch das Auf¬
treten von Fussklonus und das von Erb neuerdings hervorgehobene Fehlen der
Bauchreflexe sichergestellt. Doch thdlt der BABiNSKi’sche Reflex, wie sich an
einem im Uebrigen typischen Falle zdgte, die Eigenart des wechselnden Auf¬
tretens und Verschwindens mit anderen Symptomen bei dieser Krankheit
Bei allen anderen Erkrankungen war er, einmal aufgetreten, auch dauernd
nachweisbar.
So stellte sich das Ergebmss unserer Beobachtungen zahlenmassig folgender-
maassen dar: der BABmsKi’sche Reflex war in 36 von 47 Fällen oder in 76,8%
organischer Eitoankungen des Tractus cortaco-spmalis vorhanden.
Ehe wir nun zur Besprechung der negativen Fälle übergehen, muss erwähnt
werden, dass es Fälle giebt, in denen der Reflex nicht ausgelöst werden kann;
diese Unmöglichkeit liegt, abgesehen von der völligen Anästhesie der Fasssohle,
dann vor, wenn eine dauernde Extendonscontractur der grossen Zehe besteht
Wir »öchtesi ab« die Frage anfwerfon, ob nicht diese Ontraetur der reflec-
toriscben isolirtea DorsaiÄexkm gleichwertig za erachten ist, indem die durah
ständige Fusssohlenreizung beim Gehen and Stehen immer und immer wieder
ansgelöste Reflexstellung zu dem Dauerzustand der Contractar geführt hat
Dieser letztere fand sich nur bei alten Hemiplegieen und dem schon erwähnten
Dit
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701
Falle von Spinalparalyse. (Auch auf eine andere Abart des Zehenreflezee sei
hingewiesen, nämlich auf die Streckung der Zehen ohne Dorsalflexion mit
Spreizung; ob dieser Varietät eine besondere Bedeutung zukommt, steht dahin.)
Die Fälle mit negativem Ausfall betreffen, wie wir sahen, eine cerebrale
Kinderlähmung und 9 Individuen mit Apoplexieen, darunter 6 mit wiederholten
Anfällen. Das völlige Verschwinden aller Lähmungserscheinungen bei einem der
drei ersten lässt es fast sicher erscheinen, dass die Pyramidenbahn selbst über¬
haupt nicht lädirt war, sondern dass nur Nachbarschaftssymptome Vorlagen.
Sehr auffallend ist das Fehlen des Reflexes bei den von gehäuften SchlaganfiUlen
Heimgesuchten; es mag Zufall sein, dass sie alle mehr weniger stark dement
sind, und dass bei'allen die Arme theils völlig frei, theils nur leicht paretisch
sind; aber immerhin möge man bei weiteren Prüfungen darauf achten.
Hier liegt vielleicht der Angriffspunkt für die Erklärung des Reflex-
mechanismus, der uns noch gänzlioh unbekannt ist und wohl die anatomische
Untersuchung der Pyramidenbahn in solchen Fällen besonders wichtig erscheinen
lässt Denn die Theorie von der Analogie der noch fehlenden Pyramidenfunotion
des Neugeborenen mit der durch Degeneration zu Verlost gegangenen ist nicht
befriedigend. Untersuchungen an Neugeborenen und Kindern in den ersten
Lebensmonaten, zu denen uns die Herren Dr. Rödigbb (Kindersieohenhaus) und
Dr. Cuno (Dr. Cmsr’sohes Kinderhospital und Entbindungsanstalt) die Insassen
ihrer Anstalten in liebenswürdigster Weise überliessen, ergaben nur in ganz
vereinzelten Fällen die isolirte Dorsalflexion der grossen Zehe; gewöhnlich reagirt
der Säugling selbst auf die zartesten Reize mit einer brüsken fluchtartigen
Zurückziehung des Fasse», aber ein regulärer Zehenreflex ist nicht zu erkennen.
Der andere Grund, der gegen diese Analogie spricht, ist, dass sie, weiter aus-
geführt, auch den nie Vorgefundenen Fuasklonus als ein nicht ungewöhnliches
Phänomen beim Kinde postulirt
Wir ziehen aus unseren Erfahrungen den Schluss, dass das Vorhandensein
des BABinsKi’schen Reflexes eine organische Läsion der Pyramidenbahn beweist,
sein Fehlen eine solche nicht ausschiiesst.
[Aus dem histologischen Laboratorium des Herrn Prof. A. Kolo soff (Warschau).]
3. Ueber die Bedingungen des Erscheinens
und die Bedentnng der Varioosität der Protoplasmafortsätze
der motorischen Zellen der Hirnrinde. 1
[Vorläufige Mittheilung.]
Von Dr. J. SvrmnofL
Vor etwa 10 Jahren veröffentlichte Wiedebsheim eine Arbeit, die das
1 MHgetheflt in der biologischen Gesellschaft der Warschauer Universität am 8. No¬
vember 1900.
Google
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Vermögen activer Bewegungen an Elementen des Centralnervensystems der
Leptodora hyalina zu beweisen versuchte.
Die Entdeckung dieser, jedoch leider bisher nicht genügend geprüften That-
sache (vgl. die Arbeiten Samassa's) gab sodann Anlass zur Veröffentlichung
einer Reihe hypothetischer Anschauungen, die die verschiedensten vitalischen
und psychischen Erscheinungen durch die Activität der Nervenelemente zu er¬
klären versuchten.
Zu solchen Hypothesen müssen die Theorieen von Rabl - Rückhabdt,
Tanzi, LEpene, M. Düval , S. Such an off, Prof. Sto hebbar u. A. zugerechnet
werden.
Besonderen Glanz jedoch und sozusagen wissenschaftliche Basis erhielt diese
Lehre in Folge der Arbeiten, die aus dem Laboratorium des Hrn. Prof. Hjbokb
von dessen Schülern Demoob, Stefanowska, Quebton u. A. geliefert wurden.
Die genannten Forscher wendeten sich zur experimentellen Bearbeitung dieser
Frage, indem sie nach der GoLGi’schen Methode die Hirnrinde verschiedener
höherer Thiere studirten, wobei sie ihre Aufmerksamkeit besonderen Abnormitäten
im Bau der Protoplasmafortsätze, die statt ihrer gleichartigen Contouren und
domartigen Ausläufer ungleichmässig und varicös wurden, zuwendeten. Schliess¬
lich nach manchen Schwankungen — so z. B. schrieb M. Düval zuerst dem
Axency linder die Hauptrolle im Amöboismus zu — kamen die Führer dieser
Lehre, Hbgeb und Duval, zu folgenden Schlüssen: Die Nervenelemente,
besonders aber die Protoplasmafortsätze, sind in ihrem physiologischen Zu¬
stande bewegungsfähig. Im wachen Zustande sind diese Fortsätze bei
erwachsenen Thieren mit doraartigen Ausläufern versehen und bieten normale
Bedingungen zum Contact dar. Unter dem Einfluss von verschiedenen Ver¬
anlassungen aber — Reizung, Uebermüdung, Gifte — gerathen diese Fort¬
sätze, dank der Plasticität oder des Amöboismus, in Verkürzung, verlieren
ihre Dorne, werden varicös und führen somit zur Störung des Contacts,
Ruhe oder Schlaf, also Functionsunterbreohung hervorrufend.
Die bedeutende Wichtigkeit der genannten Entdeckungen lenkte natürlich
die Aufmerksamkeit anderer Forscher auf sich, von denen einige auf Grund ihrer
Nachforschungen die obigen Ergebnisse bestätigten; so Havet, Nabbutt, während
andere deren Einzelheiten anders deuteten, z. B. Lugabo, manche schliesslich
dieselben ganz verneinten, so Suchanoff, der in der Varicosität einen patho¬
logischen, von Degeneration der Nervenzellen abhängigen Process anerkannte.
In Anbetracht solcher so bedeutenden Controversen wurde von mir eine
Reihe von Controlversuchen ausgeführt, deren ausführliche Beschreibung sammt
der detaillirten und kritischen Litteraturangabe in einer besonderen Arbeit er¬
scheinen wird.
Hier sollen nur in kurzen Zügen die Ergebnisse unserer Schlussfolgerungen
überliefert werden.
Es wurden von uns über 80 Versuche an verschiedenen Wirbelthieren an-
geetellt (Katzen [überwiegend], Hunden, Kaninchen und Igeln), deren Hirnrinde
sodann nach der schnellen GoLGi’schen Methode bearbeitet wurde.
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703
Die erste Versuchsreihe (gegen 50) wurde derart ausgeführt, dass der
Zustand der Hirnrinde bei diametral entgegengesetzten Bedingungen
erlangt werden sollte, also im Zustand äusserer Aufregung, Reizung und
umgekehrt Depression, Narkose.
Zu ersterem Zwecke (25 Versuche) wurden reizende, krampferregende
Substanzen gebraucht, wie: Cinchonin, Cooaln, — dann wurde unmittelbar durch
Trepanationsöffnung Reizung mit dem Inductionsstrom ausgeführt, wobei allge¬
meine Zuckungen zur Erscheinung traten, während deren die Thiere momentan
getödtet wurden. Sodann wurde der galvanische Strom im Querdurchmesser
durch doppelte Trepanationsöffnungen durchgeführt. Endlich, um den physio¬
logischen Bedingungen noch näher zu sein, wurde langdauemde schmerzliche
Reizung (mit dem faradisohen Pinsel 1—2 Stunden) angewandt
Als Depression verursachende Einwirkung (20 Versuche) benutzten wir:
Vergiftung mit Alkohol, Chloralhydrat, Chloroform, Morphium u. s. w. — wobei
volles Ausbleiben der Reflexe und Verschwinden der Erregbarkeit der Hirnrinde
sich herausstellte —, was auch in einer Reihe von Versuchen durch Prüfung
der Erregbarkeit der Hirnrinde mittels des Inductionsstromes durch Trepanations¬
öffnung vor und während des Versuches bestätigt wurde.
Sodann wurde eine Beobachtung über Winterschlaf angestellt.
Die Versuchsthiere wurden durch Decapitation oder Durchschnitt der
grossen Gefässe getödtet; das Hirn wurde sogleich dem noch warmen Thiere
entnommen und dessen kleine Schnitte nach der schnellen GoLGi’schen Methode
behandelt
Aus den nach erwähnter Methode vollführten Versuchen war es unmöglich,
irgend eine Gesetzmässigkeit festzustellen, nach der die Veränderungen
in den Protoplasmafortsätzen sich einfinden. So waren die Erscheinungen der
Varicosität bei gleichartigen Versuchen ein Mal vorhanden, das andere Mal aber
nicht zu finden; dann waren die mikroskopischen Bilder derselben Art, trotz
dem diametral entgegengesetzten Charakter der Versuche.
Mit einem Worte, man konnte die gefundenen Veränderungen in keinerlei
Parallele mit diesen oder jenen Functionsäusserungen der Hirnzellen stellen, wie
es die Schule Hboeb’s u. A. beweisen wollte.
Die irrthümliche Auffassung aller dieser Forscher hing theilweise von der
geringen Anzahl der von ihnen vollführten Versuche ab, was bei der äussersten
Unbeständigkeit und Zufälligkeit der gefundenen Veränderungen zu trügerischen
Schlüssen leicht führen konnte, andererseits ist die Natur dieser Veränderungen
so geartet, dass sie von Jedermann leicht zu Gunsten seiner theoretischen An¬
schauungen gedeutet werden kann.
In Anbetracht dieser Unbestimmtheit der von uns erzielten Ergebnisse ge-
riethen wir in Zweifel: ob etwa die Ursache dessen nicht in der von
uns angewandten Methodik, also allererst in der Fixation zu
suchen sei?
In der That besteht die härtende Flüssigkeit Golgi’s aus Substanzen mit
verschiedener Diffusionsfähigkeit, sodann dringt dieselbe in die Tiefe der zu
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704
härtenden Gewebe Anfangs in sehr schwacher und langsam wachsender Con-
centration, wobei an letzter Stelle die Osmiumsäure kommt, die allein pur be¬
fähigt ist, die entsprechenden Elemente an fairen, ohne dieselben zu ver*
unstalten.
Auf diesen Gedanken brachten uns auch mikroskopische Bilder, auf denen
die Varicoeität augenscheinlich als Kunstproduct sehr oft beobachtet wird an
Stellen der Verbindung der Windungen, also dort, wo Gefässe upd Häute das
Eindringen von Flüssigkeit bedeutend erschweren.
Sodann beobachtet man Varicoeität hauptsächlich an Stellen nicht gelungener
Imprägnation, besonder« auoh an der Peripherie, wo einerseits der schädliche
Einfluss verschiedener Nebenwirkungen, wie Luftwirkung, mechanische Insulte u-aw-,
möglich ist, andererseits die Fortsätze feiner, schwächer, von leicht veränderlicher
Structur sind, besonders die sogenannten dornartigen Ausläufer.
Zur Klärung genannter Vermuthupgen stellten wir eine Seihe von Ver¬
suchen (gegen 10) an mit prüfender Einlage auf 1V, Stunden und länger bis
zu 3 Tagen in X l / B — 3 °/ 0 Lösungen des Kali bichromjci oder Mflnmm’scher
Flüssigkeit, wobei an demnächst mit der schnellen Gouei’scheu Methode be¬
handelten Präparaten deutliche Erscheinungen von Varicoeität, be-
sondersan der ganzen Peripherie, mit Spindel*, kugelförmiger Veränderung
der Fortsätze, selbst der basilaren, und nicht selten mit Pefiguiatio» des
Zellkörpers selbst beobachtet wurden-
In Anbetracht dessen, um einerseits Vorwürfen vorzubeugen, dass unser»
gewöhnliche Härtung nicht im Stande sei, die Objecte genügend zu fuhren,
andererseits im Begriff die Elemente momentan in bestimmter Phase von Er¬
regung oder Depression fairen zu können und damit die Entgegnung zu beben,
die gegebenen Veränderungen wären derart mobil, dass sie unserer Beobachtung
entgehen, indem sie sich nach dem Tode ansgleiohen, schritten wir zur Fiwtion
sozusagen in vivo.
Zu diesem Zwecke wurde hei den Verauchstbißww die Art- carotis comm-
blossgelegt, in dieselbe eine Cauüle momentan gesetzt und eine Injection von
V« °/o Osmiumsäure oder gewöhnlicher Gone*'scher Flüssigkeit vollzogen. Di«
Thiere gingen dabei rapid zu Grunde, und die entsprechende Hemisphäre er*
schien durch die in sie aingedrupgene Fttationsflüssigfceit dunkel gefärbt. Solche
Versuche wurde« etwa 15 angestellt. Von diesen waren 4 NermaHfcier», 8 durch
Chloralhjdrat narkotisirt und 2 in ehfemeiue« Zucktngen, die darob Feradieatiop
der entgegengesetzten Hemisphäre durch Trepwmticpsöfoung benorgerufeg
waren. — In den übrigen Fällen, um den FMhi as -der Härtungwnittel au er¬
klären, wurde Kali bichromicum in 1%, 1 U Q lo und Vioo°/o LfeöW* und
Osmiumsäure in 7 W und Vip°/o eingesjnitzt, sodann, wenn das Thier ip Er¬
regung kam, wurde V« 0 / «Oßmiumsänre iujinirt, di» momentan das Thier tödteud
dessen Gehirn fairte.
Die Ergebnisse auoh dieser Versuche gaben keinen bestimmt«» Aufaohlues
über die Veränderlichkeit der Pictoplaenm&rttjttze unter dem Einfluss dieses
oder jenes, durch den Versuch hervorgerufencn ZusMce. Sodann bewies die
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705
Studium dieser Präparate, dass auch hier das Erscheinen der Varicosität
in vielen Fällen von Erscheinungen eines unregelmässigen, ungleichmässigen
Eindringens der Injectionsflüssigkeit bedingt wurde — z. B. fanden sich Präparate
mit von Blutkörperchen vollgepfropften Capillaren und kleinen Blutgefässen —,
dann konnte man mittels der Lupe neben dunklen imprägnirten auch helle
Punkte, in die fast nichts von der Flüssigkeit eingedrungen, bemerken u. s. w.
Um deshalb eine noch bessere Injection zu erzielen, wurde eine Versuchsreihe
unternommen, in der dem durch Aderlass getödteten Thier zuerst das Blut durch
Injection physiologischer Lösung von NaCl ausgewaschen und sodann die gewöhn¬
liche GoLGi’sche Lösung injicirt wurde.
Je gelungener dabei die Injection ward, desto geringer war, ja
es war selbst gar keine, Varicosität an den Präparaten zu sehen.
Es wurde also klar, dass als eine der Hauptursachen der Varicosität
das langsame und ungleichmässige Eindringen der Fixations¬
flüssigkeit anzusehen sei, wodurch ein gewisser nicht geringer Zeitraum
gebraucht wird, je nach den Diffusionsbedingungen des entsprechenden
Bezirks, die von anatomischen und anderen Eigenthümlichkeiten
desselben, ja sogar von der Thierspecies abzuhängen scheinen; so erscheint
die Varicosität öfter bei der Katze, als beim Hunde u. s. w. 1 Dadurch
können in den nicht fixirten Elementen des gewissen Bezirks in Folge
der Maceration durch schwache Lösungen Veränderungen destructiver
Natur eintreten, die bei der nachfolgenden Imprägnation mit Silber das Bild
der Varicosität abgeben.
Bestätigung dieser Gedanken fanden wir in folgenden Versuchen: Wir
secirten durch Aderlass getödtete Normalthiere (Katzen) nicht sogleich nach dem
Tode, sondern nach 1—3—5 Stunden. In der That zeigte es sich, dass diese
Verschiebung der Autopsie bei den Thieren solche Leichenveränderungen hervor¬
rief, die sich in einer bedeutenden, stark ausgebreiteten Varicosität äusserten.
Alles Obige zusammenfassend, kommen wir zu folgenden Schlüssen:
1. Die Protoplasmafortsätze ganz entwickelter Pyramidenzellen bei normalen
Verhältnissen zeigen an mit schneller GoLGi’scher Methode bearbeiteten Schnitten
ziemlich gleiche Contouren und sind reichlich mit dornartigen Anhängen ver¬
sehen.
2. Diese dornartigen Anhänge müssen als integraler Bestandtheil der
Protoplasmafortsätze dieser Nervenzellen betrachtet werden. Dies wird bestätigt
durch deren Färbung mit Methylenblau nach der von Prof. Kolosoff modi-
ficirten Methode.
3. Das Verschwinden dieser Anhänge, wie auch das Erscheinen der Vari¬
cosität an den Fortsätzen muss zu den schweren destructiven Veränderungen
der letzteren gezählt werden.
1 Dann ist es längst bekannt, dass manche Bezirke der Hirnrinde, z. B. des Ammons-
horns, unter anderem eine bessere Imprägnation als andere Rindenbezirke darstellen, dass
bei manchen Thieren besser diese, bei anderen andere Hirnbezirke sich imprägniren, dass
Hirne kleiner nnd dazu junger Thiere überhaupt besser imprägnirt werden u. s. w.
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4. Auf Grund dessen können diese Veränderungen keinesfalls in Parallele
mit den Functionsäusserungen der Nervenzellen gestellt werden.
5. Das Hervortreten dieser Veränderungen bei Bearbeitung mit der schnellen
'GoLöi’schen Methode kann schon dank der Methode erfolgen, wobei mit den
härtenden und imprägnirenden Flüssigkeiten Factoren einwirken, die bei manchen
nicht immer bemerkbaren Bedingungen (z. B. langsames, in ungleicher Concen-
tration und ungleichmässiges Eindringen des Fixators u. s. w.) auch bei normalen
Verhältnissen genannte Veränderungen abgeben können.
6. Dieselben Veränderungen erscheinen sehr leicht bei Leichenzersetzung,
was bei manchen Thieren sehr schnell erfolgt, z. B. in den ersten 3 Stunden
nach dem Tode.
7. Höchstwahrscheinlich können diese Veränderungen auch bei Lebzeiten
eintreten unter dem Einfluss acuter und chronischer destruotiver Processe.
8. Jedoch verringert sich sehr die Bedeutung dieser Veränderungen im
Sinne ihrer bei Lebzeiten pathologisch-anatomischen Deutung, da im gegebenen
Falle es recht schwer ist, deren ätiologische Provenienz sicherzustellen (unregel¬
mässiges Eindringen des Fixators, Leichenveränderung, pathologisch-anatomische
Ursachen?).
9. Deshalb muss die Brauchbarkeit der schnellen GoLGi’schen Methode
zum Schätzen der pathologisch-anatomischen Veränderungen als gering geschätzt
werden, und die nach dieser Methode bisher publicirten Beobachtungen müssen
strenger Kritik unterworfen werden.
10. Die Arbeiten der Forscher aber, die obige destructive Veränderungen
dem Amöboismus der Nervenzellen zuschrieben, müssen als völlig irrthümliche
betraobtet werden.
11. Daraus folgt, dass die von manchen Forschern anerkannte Theorie des
Amöboismus in die Beihe von Hypothesen, die jeder sicherer experimenteller
Basis entbehren, gesetzt werden muss.
Schliesslich bringe ich meine tiefste Danksagung den hochgeehrten Professoren
A. E. Stcheebak, der mir dieses Thema vorschlug, und A. A. Kolosoff, unter
dessen Leitung diese Arbeit vollführt wurde.
Diese Arbeit war bereits beendet, als die Untersuchungen von R. Weil
und R. Fbank uns, und zwar nur nach dem Referat, bekannt wurden; diese
Forscher kamen zu ähnlichen Ergebnissen wie wir und betrachten die Varicosität
der Fortsätze als Artefact der GoLQi’schen Methode.
Litteratur.
1. Wibdbrshbim, Anatomischer Anzeiger. 1890. V.
2. Samassa, Ebenda. 1891. VI.
3. Rabl-Rückh ard, Neurolog. Central bl. 1890. S. 199.
4. M. Duval, Revue scientifique. 1898. Nr. 11.
5. L4pine, Revue de mddecine. 1894. S. 727.
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707
6. Takzi, Rivista sperim. di freniatria. 1898. XIX.
7. A. Stohbbbak, Oboxrenje psycbyatrii. 1899. 8. 881.
8. Nabbut, Ebenda. 1899. S. 667. 1900. S. 878.
9. Luoabo, Ri vista di patologia nervosa e mentale. 1898. S. 337.
10. Demoob, Travaux de laboratoire de l’inatitat Solvay. 1896. I. 1898. II.
11. Qübbtok, Ebenda. 1898. II.
12. Sthpakowbki, Ebenda. 1897. L 1900. III.
18. Havet, Le cellnle. 1898. XVI.
14. Weil and Fbakk, Areh. of Neurolog and Psyoh. 1899. II.
15. S. Shoukanoff, Sur l’ätat variqaeax des den diätes corticales. Arohives de neuro-
logie. April 1900. S. 273.
n. Referate.
Anatomie.
1) Nerve übers ln the pia of the spinal cord, by F. X. Dercum and
G. Spiller. (Proc. of the pathol. Soc. of Philadelphia. Mai 1901.)
Verff. fanden markhaltige Nervenfasern in der Pia des Sacral-, Lumbal- und
untersten Dorsalmarkes, vorwiegend in der Gegend der Hinterstränge, bei einem
sonst gesunden Rückenmark. An einzelnen Stellen konnten sie den Eintritt der¬
selben in die Hinterstränge direct verfolgen. Da es sich in ihrem Falle nicht
um einen Ersatz für zerstörte Fasern handeln konnte — wie einige ähnliche
Befunde früher aufgefasst worden sind —, stellen sie die Hypothese auf, dass
vielleicht schon normaliter von den hinteren Wurzeln sich einzelne Fasern ab-
zweigen und eine Strecke weit in der Pia verlaufen, dass dieselben aber für ge¬
wöhnlich marklos sind und nur als gelegentliche Variation, ähnlich wie bei den
Opticusfasern in der Retina, markhaltig und dadurch nachweisbar werden.
H. Haenel (Dresden).
2) A preliminary oommunioation of a study of the brains of two distin-
guiahed physioians, fbther and son, by A. E. Spitzka. (Philadelphia
med. Journal. April 1901.)
Die Einzelbeschreibung eignet sich nicht für ein kurzes Referat. Bemerkens¬
werth ist, dass in der „Physiognomie“ der beiden Gehirne — sie stammen von
den beiden Aerzten Seguin — unzweifelhafte gemeinsame Züge sich auffinden
liessen, und zwar waren dieselben zum grössten Theile halbseitig entwickelt: Die
linke Insel zeigte eine erheblich stärkere Entwickelung nicht nur im Vergleich
zu gewöhnlichen Gehirnen, sondern auch zur rechten Seite; ihre vordersten
Windungen liegen, indem sie das — ebenfalls wohl entwickelte — Operculum
nach hinten gedrängt haben, frei zu Tage; die Fossa Sylvii ist an dieser Stelle
nur 7 mm tief anstatt 15 mm (auf der rechten Seite). Dieses Zutageliegen
der Inselwindungen, bisher meist als Degenerationszeichen bei Idioten gefunden
und dann durch Atrophie der Opercularwindungen bedingt, ist hier als Zeichen
höherer Entwickelung aufzufassen. Es giebt im Verein mit einem auffallend
horizontalen Verlauf der Fossa Sylvii, einem besonders breiten subfrontalen Gyrus
und noch einigen anderen Eigentümlichkeiten beiden Gehirnen ihre charak¬
teristische, individuelle Bildung. H. Haenel (Dresden).
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45 *
708
3) Experimente 11a bldrag tili kftnnedomen om tibialis — ooh peroneus —
k&rnornas lokalisation i ryggmärgen , af Ernst V. Knape. (Finska
läkaresällsk. handl. 1900. XLII. S. 488.)
Unter Anwendung der Nissl’sehen Methode hat Verf. die Localisation der
motorischen Kerne für den Tibialis und Peroneus untersucht und ist nach seiner
vorläufigen Mittheilung zu folgenden Resultaten gelangt. Der Kern für den
Tibialis hat seinen Anfang im oberen Theile des 4. Lumbalsegments und erstreckt
sich herab bis zur Mitte deB 1. Sacralsegments. Auf der Höhe des 6. Lumbal*
Segmentes erreicht er seine grösste Mächtigkeit, nach oben nimmt er rasch ab,
nach unten zu wird er dagegen langsam schwächer. Was die Localisation
im Querschnitt betrifft, ist es auffallend, dass die Chromatolyse sich nur in den
antero-lateralen und postero-lateralen Gruppen da zeigt, wo diese deutlich begrenzt
sind. Wo die antero-lateralen und die antero-medianen Gruppen ventral zu einem
spitzen vorderen Horn zusammenschmelzen, ist eine solche Localisation natürlich
nur für die postero-laterale Gruppe möglich.
Der Kern für den Peroneus beginnt in der Mitte des 5. Lumbalsegments
und erstreckt sich bis zum oberen Theile des 2. Sacralsegments. Seine grösste
Entwickelung erreicht er im 6. und 7. Lumbalsegmente und nimmt nach oben
wie nach unten rasch an Mächtigkeit ab. Während der Tibialiskem sich nur
auf die lateralen Gruppen beschränkt, scheint der Peroneuskern auch auf die
antero-mediane im 7. und auf die centrale im 6. und 7. Lumbalsegmente über¬
zugehen.
In einem Falle, in dem zur Controle der Ischiadicus resecirt worden war,
musste man erwarten, dass der Befund sich mit dem combinirten Befund bei
Resectionen des Tibialis und des Peroneus deckte; so war es auch in der Haupt¬
sache, aber die antero-mediane Gruppe schien Zellen mit Chromatolyse im 5., 6.
und 7. Lumbalsegmente zu zeigen. Diese Abweichung kann vielleicht durch indi¬
viduelle Variationen zu erklären sein, die in solchen Fällen immer in Rechnung
gezogen werden müssen.
Mit voller Sicherheit die Localisation zu bestimmen, ist mit der Nissl’schen
Methode allein allerdings schwierig; eine Controle seiner Befunde mittels Fällen,
in denen die secundär auftretende Degeneration sich seit längerer Zeit hat ent¬
wickeln können, hält Verf. für erforderlich. Walter Berger (Leipzig).
4) Bidrag tili k&nnedomen om lokalisationen inom ooulomotoriuskärnan
hos människan, af Gustaf Ahlström. (Nord. med. ark. 1900. N. F. XI.
Nr. 16.)
An dem Gehirn eines 64 Jahre alten Mannes, dessen linkes Auge eine Reihe
von Jahren vor dem Tode enucleirt worden war, während das rechte normal war,
stellte Verf. seine Untersuchungen an. Rechts und links von der Mittellinie sah
man den lateralen Hauptkern alB eine compacte Zellmasse, durchzogen von Mark¬
fasern, die theils von dem Kerne der anderen Seite kamen, theils von seinen
eigenen Zellen ausgingen. An keiner Seite konnten irgend welche Zeichen von
degenerativen Veränderungen wahrgenommen werden, weder in den Ganglien¬
zellen , noch in den Markfasern. Zwischen den vorderen Hälften der beiden
Hauptkerne sah man auf jeder Seite von der Mittellinie den kleinzelligen paarigen
Mediankern hervortreten. Während die Zellen des rechten Kerns vollkommen
normal waren, waren sämmtliche Zellen in dem Kerne der linken Seite deutlich
degenerirt. Bei der Untersuchung der von diesen Kernen ausgehenden Mark¬
fasern fand man die dem linken Kerne angehörenden vollständig atrophisch,
während die Fasern des rechten Kerns normal waren. Unter diesen paarigen
kleinzelligen Mediankernen sah man in der Mittellinie den unpaarigen gross-
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709
kernigen Mediankern; über möglicher Weise darin vorkommende degenerative
Veränderung kann aber Verf. wegen Mangelhaftigkeit des entsprechenden Prä¬
parates nichts Bestimmtes angeben. Dorsolateral vom proximalen Theile des
Hauptkerns zeigte sich Dorksche witsch’s oberer lateraler Kern mit vollständig
normalem Aussehen; da aber eine anatomische Verbindung zwischen diesem Kerne
und dem Oculomotorius nicht nachgewiesen werden kann, dürfte er nicht als ein
zugehöriger Kern aufzufassen sein.
Degenerative Veränderungen fanden sich also nur im linken kleinzelligen
Mediankern und in den von diesem ausgehenden Markfasern. Da das exstirpirte
Auge das linke war, glaubt Verf. folgende Schlusssätze aus seinen Untersuchungen
ziehen zu können, die Bernheim’s durch Experimente an Thieren gewonnener
Auffassung als Stütze dienen, dass der kleinzellige Mediankern ein wirklicher
Oculomotoriu8kern ist und dass er Nervenfasern aussendet, die mit Bestimmtheit
die innere glatte Musculatur des Auges auf der gleichen Seite innerviren.
Walter Berger (Leipzig).
Experimentelle Physiologie.
6) Voor en tegen de neuronenleer, door Dr. Sano. (Handel, van het derde
Vlaamsch natuur- en genesk. Congres. S. 119.)
Verf. fasst seine Anschauungen in folgenden Sätzen zusammen. Begriff und
Benennung „Neuron“ sollen beibehalten werden, weil sie für die Vereinfachung
und Erklärung der anatomischen, physiologischen und vor Allem der pathologischen
Erscheinungen eine unentbehrliche Bolle spielen. Nur die Bedeutung soll mehr
ausgedehnt werden. Die Neuronologie ist jedoch nur ein Theil der Neurologie. —
Der Begriff Energide, hier also Neuroenergide, ist ebenfalls von Bedeutung; in
der Entwickelungslehre und Biologie ist dieser Begriff unentbehrlich. Theile der
Energide sind die protoplasmatischen Körnchen und ihre Zellflüssigkeit, die
Plasmosphäre, die Centrosphäre und das Centrosom, die Kerne und ihre Theile. —
Als alloplasmatische Zellerzeuger sind zu betrachten das Pigment, die Nissl’schen
Körperchen, die Fibrillen mit ihrer Scheide. — Nachdem sich das Thier auf
ontogenetischem oder philogenetischem Wege entwickelt, verliert die Energide
von ihrer ursprünglichen Bedeutung. Die alloplasmatischen Erzeuger nehmen zu
an Ausdehnung, Anzahl, Verschiedenheit und Functionsvermögen; die einzelnen
Bestandtheile des Thieres werden so von einander abhängig, und ihr Zusammen¬
hang wird so complioirt und gegenseitig in einander greifend, dass die Zellen
als selbständige Organismen verschwinden und aus dem Aggregat ein einziger
Organismus wird. Walter Berger (Leipzig).
6) A further inquiry into the supposed exlatenoe of cerebral vaao-motor
nerves, by Leonhard Hill und J. J. R. Macleod. (Journal of PhyBiology.
XXVI. S. 394.)
Dass in den Capillaren des Gehirns Nerven verlaufen, ist durch histologische
Untersuchungen sichergestellt, ob dieselben aber als echte Vasoconstrictoren an¬
zusehen sind, ist bisher noch nicht erwiesen. — Die Verff. bestreiten es, dass
diesen Nerven derartige Functionen zukommen, wenigstens war der physiologische
Nachweis für die Existenz von Gehirnvasomotoren bisher nicht zu erbringen. —
Insbesondere die Thatsache, dass sich das Volumen des Gehirns den Einflüssen
der Asphyxie und des Nebennierenextractes gegenüber ganz anders verhält als
andere Organe (z. B. ein in den Plethysmographen eingeschlossenes Vorderbein),
lässt die Verff. an der Existenz von cerebralen Vasomotoren zweifeln.
W. Connstein (Berlin).
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710
7) Weitere Mittheilung zur Groashirnlocalisation bei den Vögeln, von
Dr. Otto Kalischer, Berlin. (Sitzungsberichte der kgl. preuss. Akademie
der Wissenschaften zu Berlin. Gesammtsitzung vom 11. April 1901.)
Die Arbeit ist eine weitere Fortsetzung der Untersuchung, welche Verf. am
GrosBhirn der Papageien angestellt hat, und über welche in dieser Zeitschrift (1900.
Nr. 22. S. 1066) referirt worden ist. Die Hauptergebnisse der vorliegenden Arbeit
fasst der Verf. etwa in folgender Weise zusammen. Am Grosshim der Vögel
sind verschiedene von einander abgrenzbare motorische Rindenfelder vorhanden.
In der vorderen Partie des Grosshirns lassen sich eine Extremitätenregion und
eine Kieferzungenregion als zwei vollständig distincte Gebiete unterscheiden. Die
Extremitätenregion hat ihren Platz stets ganz medial zunächst der Fissura longi-
tudinalis, während die Kieferzungenregion die lateralwärts gelegene Partie des
vordersten Theiles des Grosshirns einnimmt. Die von den beiden Regionen aus¬
gehenden motorischen Bewegungen verlassen das Grosshirn auf zwei verschiedenen
Wegen. Die von dem Extremitätenbezirk ausgehenden Nervenfasern verlaufen in
der medialen Scheidewand als Tractus septo-mesencephalicus. Diejenigen Fasern
aber, welche aus der Kieferzungenregion entspringen, verlaufen mitten durch das
Stammganglion, um schliesslich wie der Tractus septo-mesencephalicus zum Tha¬
lamus opticus zu gelangen. Der Verf. weist schliesslioh auf die Unterschiede in
der Function des Grosshirns bezw. der motorischen Rindenfelder bei verschie¬
denen Vogelklassen hin; es finden sich da ganz ähnliche Differenzen, wie zwischen
höheren und niederen Säugern. Beim Papageien, der die höherstehende Vogel¬
klasse repräsentirt, sind durch die elektrische Reizung Fass- und Zehenbewegungen
auf der mit. der Reizstelle gleichseitigen Körperhälfte viel schwerer zu erzielen,
als bei den niedriger stehenden Tauben und Hühnern. Eine analoge Differenz
besteht zwischen Hunden und Kaninchen. Eine weitere Analogie lassen auch die
Exstirpationsversuche am Grosshirn hervortreten. Die niederen Vogelarten reagiren
ebenso wie die niederen Säuger nach Entfernung grosser motorischer Rindenbezirke
mit nur sehr unerheblichen Motilitätsstörungen, während bei den Papageien, wie
bei den höheren Säugern, die Entfernung schon kleiner Theile der Hirnrinde
genügt, um deutliche motorische und sensible Ausfallserscheinungen herbeizufuhren.
Max Bielschowsky (Berlin).
8) The aotion of ether and Chloroform on the cerebral and spinal neu-
rona of dogs, by Hamilton Wright. (Journal of Physiology. XXVI.
S. 362.)
In einer früheren Arbeit hatte der Verf. den Nachweis erbracht, dass die
Anwendung von Aether oder Chloroform bei Kaninchen sehr erhebliche anatomische
Veränderungen in den Ganglienzellen hervorruft. — Bei der Wiederholung seiner
Versuche an Hnnden hatte Verf. bisher zweifelhafte oder wenigstens undeutlichere
Resultate erhalten.
In der vorliegenden Arbeit berichtet nun Verf. über neue Versuche aus dem¬
selben Gebiet, welche er an Hunden vorgenommen und insofern abgeändert hat,
als er das Narcoticum viel längere Zeit hindurch (8—9 Stunden) einwirken liess.
Wurden nach dieser Zeit die Versuchsthiere getödtet, so zeigten sich mit aller
Deutlichkeit die Veränderungen in den Ganglienzellen, insbesondere in deren
chromatophiler Substanz, aber auch in den Fortsätzen.
Werden die Thiere nach Aussetzen der Narkose am Leben erhalten und erst
nach etwa 48 Stunden getödtet, so zeigen sich die Ganglienzellen wieder völlig
normal: die durch die Narkose gesetzten Veränderungen sind also nur transitorischer
Natur. W. Connstein (Berlin).
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711
Pathologische Anatomie.
9) Ueber di« angeboren« Verunstaltung beider Füsse und der rechten
Hand, von Tumpowski. (Czasopismo lekarskie. 1901. Nr. 8. [Polnisch.])
Verf. berichtet über die angeborene Verunstaltung beider Füsse und der
rechten Hand. Der Fall betraf einen 9 jähr. Knaben, bei welchem von l 1 / 2 Lebens¬
jahren an epileptische Krämpfe auftraten. Intelligenz wenig entwickelt. Spricht
nur einige Worte. Rechte obere Extremität dicker als linke, ausserdem ist die
erste verkürzt und in sämmtlichen Gelenken gebeugt, besonders aber im Hand¬
gelenk, in welchem die Hand einen rechten Winkel mit dem Vorderarm bildet
(keine activen Bewegungen). Beide Füsse in Equinovarusstellung. Patellarreflex
gesteigert. Sensibilität erhalten. In der Anamnese ist die sehr schwere Geburt
hervorzuheben. Verf. nimmt an, dass es sich um eine organische Krankheit der
linken Hirnhemisphäre (motorische Gegend) handelt (Encephalitis foetalis oder
angeborene Porencephalie). Edward Flatau (Warschau).
10) Zur Pathologie der Nervenzelle, von A. Ci^glinski. (Gazeta lekanka.
1901. Nr. 1—5. [Polnisch.])
Verf. hat in 24 Fällen (Typhus abdominalis, Tuberculosis, Erysipelas, Septi-
caemia, Pyaemia, Tabes, Tetanie, Diabetes, Combustio, Gangraena pedum, Neph¬
ritis) die Nervenzellen mittels der Nissl’schen Methode untersucht, wobei er sich
zur Härtung der Lenhoss6k'sehen Sublimatlösung bezw. Sublimat- mit Pikrin-
säurelösung bediente. Verf. bespricht eingehend die bisher erlangten Resultate
im Gebiete der normalen Structur und der pathologischen Alteration der Nerven¬
zellen und berichtet über seine eigenen Untersuchungen. So fand Verf. in einem
Falle von Verbrennung und in einem von Tuberculose diejenigen Vorderhom-
zellenveränderungen, welche man bei Amputation und Verletzung der peripherisohen
Nerven findet. Im Falle von Verbrennung könnte die dabei stattgefundene Läsion
der sensiblen Nerven secundär zur Alteration der Vorderhornzellen geführt haben.
Im Falle von Tuberculose könnte man an Degeneration der peripherischen ge¬
mischten Nerven denken. Es ist aber auch möglich, dass die Erkrankung der
Vorderhornzellen bei Tuberculose primärer (toxischer) Natur sei im Sinne der
experimentellen Arbeiten mit Tuberkelinfection, welche Hammer an Thieren an¬
gestellt hat. Ferner fand Verf. in den Spinalganglienzellen eines Diabetikers
vergrösserte Nissl’sche Zellkörperchen und glasiges Aussehen der Zwischensubstanz
(diese letztere ebenfalls bei THiberculose in Vorderhornzellen). Es sei möglich,
dass man es dabei mit einer ödematösen Schwellung der Nervenzellen zu thun
hat Eine zweite erwähnenswerthe Zellalteration wäre die Vacuolenbildung im
Zellinnern. Verf. geht kritisch vor und verweist auf die Möglichkeit einer arte-
ficiellen Vacuolenentstehung hin, meint aber in 2 Fällen sichere Alteration in Form
von Vacuolen constatirt zu haben, nämlich in Vorderhornzellen eines Falles von
schwerer Tuberculose und in Spinalganglienzellen eines Falles von Diabetes. Es
ist möglich, dass die Vacuolen durch Schwellung des Zellprotoplasmas und das
dadurch entstehende Auseinanderreissen der normalen Spalten bedingt werden.
Verf. fand ferner in den Vorderhornzellen junger, an Typhus verstorbener Indi¬
viduen sehr grosse Anhäufungen von gelbem Pigment. (Die Nissl’schen Zell¬
körperchen waren dabei trotz hoher Temperatur 39—40° normal.) Verf. meint,
dass man dieser übergrossen Pigmentansammlung eine pathologische Rolle zu¬
schreiben muss. Edward Flatau (Warschau).
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712
11) Ueber das Lipoohrom der Nervenzellen, von Dr. Boain und Dr. B.
v. Fengvesay. (Virchow’s Archiv. CLXII.)
Verff. bestätigen durch eine neue Färbungsmethode mit Sudanroth die von
Ros in bereits früher gefundene Thatsache, dass die Nervenzelle der erwachsenen
Menschen eine zu den Lipochromen zu rechnende fettartige Substanz enthält,
welche in Form meist dicht gelagerter, gelblich gefärbter Kömohen einen nicht
unbeträchtlichen Theil des ganzen Zellleibes einnimmt. Bemerkenswerth ist, dass,
wie Ros in schon früher mitgetheilt hat, weder der Neugeborene, noch irgend
eins der untersuchten kleinen und grossen Thiere in den Nervenzellen eine solche
Substanz besitzen. Dieselbe entwickelt sich vielmehr beim Menschen allmählich
in der Kindheit und ist erst nach dem Pubertätsalter vollkommen ausgebildet.
Durch verschiedene mikroskopische Methoden stellten die Verff. unzweifelhaft fest,
dass es sich lediglich um eine Fettsubstanz handelt.
Lilienfeld (Gr. Lichterfelde).
12) Ueber das Lipoohrom der Ganglienzellen, von Priv.-Doc. Dr. M. Roth-
mann. (Deutsche med. Wochenschr. 1901. Nr. 11.)
Es erschien auffallend, dass das beim erwachsenen Menschen, besonders aber
beim Greise, in grosser Menge hauptsächlich in den Vorderhornzellen auftretende
Lipochrom der Ganglienzellen bei Thieren nicht gefunden wurde. Es mochte dies
an der relativ kürzeren Lebensdauer der Thiere dem Menschen gegenüber liegen
und es war denkbar, dass sich bei Thieren in höherem Lebensalter das Lipochrom
in den Ganglienzellen in grösserer Menge vorfindet.
Verf. untersuchte nun das Lendenmark zweier wegen Altersschwäche getödteter
Pferde, die beide sicher über 15 Jahre alt waren, und fand in der That das
betreffende Zellpigment in ziemlich reichlicher Menge (etwa derjenigen bei einem
20jähr. Menschen entsprechend). Gleichfalls fand Verf. in einzelnen Vorderhorn¬
ganglienzellen eines alten Hundes zahlreiches Lipochrom, während allerdings auch
zahlreiche Vorderhornzellen völlig frei von diesen Granula waren. Die Menge
des Lipochroras entsprach etwa derjenigen eines 12jähr. Menschen.
Man wird demnach in entsprechend hohem Alter bei allen Säugethieren (und
, nicht nur beim Menschen) das Lipochrom auffinden; „das Auftreten und die An¬
häufung des Lipochroms in den Vorderhornzellen geht aber nicht dem relativen
Alter der Säugethiere, entsprechend ihrer kürzeren oder längeren Lebensdauer,
parallel, sondern erreicht in den absolut gleichen Altersstufen der verschiedenen
Thierspecies annähernd gleiche Ausdehnung“. Kurt Mendel.
Pathologie des Nervensystems.
13) Troubles trophiques osseux et artioulaires ohes un homme atteint
d'atrophie musoulaire myölopathique, par G. fitienne. (Revue de
m6decine. Juli 1899. S. 552.)
Bei einem Patienten mit weit vorgeschrittener spinaler progressiver Muskel¬
atrophie („type Duchenne-Aran“) bestand gleichzeitig eine sehr bedeutende
Arthropathie des rechten Schultergelenks mit serösem Erguss und reich¬
licher Bildung von Osteophyten. Pat. starb an ausgedehnter Decubitusbildung.
Die Section (mikroskopischer Befund!) bestätigte die gestellte Diagnose.
Strümpell (Erlangen).
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713
14) Beitrag zur Lehre von der progressiven Muskelatrophie, von Dr.
F. Klau. (Wiener med. Wochenschr. 1900. Nr. 44.)
Eine Knabe von 7 Jahren erkrankte plötzlich unter Fieber an schmerzhafter
Schwellung des linken Knie- und Sprunggelenkes. Nach 3 Wochen Genesung.
Kurz nachher Nachschleifen des linken Fusses, Abmagerung der Unterschenkel-
und Fuflsmusculatur des linken Beines. 2 1 /, Jahr später Equinovarusstellung,
Atrophie und Parese der kleinen Zehenbeuger und der gesammten Unterschenkel-
musculatur. Atrophie des unteren Drittels des Oberschenkels und Dorsalcontractur
der Zehen im Grundgelenke links. Patellarreflexe zuerst beiderseits bis zum
Klonus gesteigert, dann links schwächer als rechts. Erst Fussklonus beiderseits,
dann Schwinden desselben. Normale Sensibilität, Schmerzen im linken Ober¬
schenkel. Elektrische Erregbarkeit herabgesetzt.
Verf. sucht darzuthun, dass sich der Fall in keinen der typischen Krank¬
heitsbilder des peripheren und centralen Nervensystems einreihen lässt. Die Zeit
des Beginnes der Atrophie und der progressive Charakter spricht gegen eine
Atrophie articulären Ursprungs. J. Sorgo (Wien).
16) Poliomyelitis anterior aouta adultorum, by Herman H. Hoppe, H. D.
(Journal of the American Medical Association. 13. Januar 1900.)
Beschreibung zweier Fälle dieser seltenen Krankheit. In beiden Fällen waren
die Lähmungserscheinungen sehr ausgedehnt, indem sie die Musculatur des Halses
und sämmtliche 4 Extremitäten betrafen. Die Störungen waren streng auf das
motorische Gebiet beschränkt, Entartungsreaction trat früh und in grossem Um¬
fange auf. Der Verlauf war in beiden Fällen ein günstiger, nach 3 bezw.
4 Monaten konnten die Kranken als nahezu geheilt entlassen werden. Eine
eigentliche Ursache liess sich beide Male nicht feststellen, als disponireudes
Moment bestand im ersten Falle Uebermüdung, im zweiten erschöpfender
Durchfall.
Verf. fasst die acute Poliomyelitis als primäre infectiöse Erkrankung der
Vorderhornsubstanz auf und will die secundär, im Anschluss an Masern, Scharlach,
Typhus und Gonorrhoe auftretenden Poliomyelitiden genetisch davon getrennt
und der herdförmigen oder disseminirten Myelitis zugerechnet wissen (? Ref.).
Differentialdiagnostisch macht in den beiden Fällen lediglich die Landry’sche
Paralyse Schwierigkeit, und die Möglichkeit der Trennung beider Krankheitsbilder
in Fällen von Lähmung aller Extremitäten sieht Verf. nur im Verhalten der
Sensibilität, die bei der Poliomyelitis anterior nie, bei der Lan dry'sehen Paralyse
meist gestört ist. Max Neumann (Karlsruhe).
16) Klinisohe Studien über Poliomyelitis. 1. Ueber gehäuftes Auftreten
und. Gelegenheitsursaohen der Poliomyelitis, von J. Zapp er t. (Jahrb.
f. Kinderheilk. LIII.)
Verf. bespricht in dieser Publication zuerst die auffallende Häufung der
Poliomyelitisfälle im I. Kinderkrankeninstitute in Wien während des Jahres 1898,
so dass geradezu von einem epidemischen Auftreten der Krankheit gesprochen
werden konnte. Zum Vergleiche mit den Ziffern dieses Jahres und zum Zwecke
der Nachforschung nach ätiologischen Momenten wurden 208 Fälle herangezogeu,
welche in den letzten 12 Jahren zur Beobachtung gelangten. An demselben In¬
stitute gelangten in den Jahren 1886—1897 jährlich 3—18 Fälle von Polio¬
myelitis zur Beobachtung, und zwar überwiegend häufig in den Sommermonaten,
im Ganzen 76 Fälle aus der zweiten Jahreshälfte, gegen 36 aus der ersten. Im
Digilized by GoO^IC
714
Jahre 1898 wurden im ersten Semester 6, im zweiten 37 Fälle beobachtet, im
ganzen darauffolgenden Jahre wieder nur 0 Fälle. Das rapide Ansteigen der
Zahl erfolgte in den Monaten Juli, August und September. Die Fälle stammten
aus verschiedenen Theilen der Stadt.
Auffallend war das häufige Auftreten von gleichzeitigen Lähmungen an der
oberen und unteren Extremität. Die Paralysen der Schulter erwiesen sich als
recht hartnäckig; die Hand- und Fingermuskeln waren von den Lähmungen nur
selten betroffen. Weitere klinische Beobachtungen werden von Neurath publicirt
werden.
Eine directe Beziehung zu anderen Krankheiten war zur Zeit der Epidemie
nicht zu constatiren.
Bei der eingehenden Erörterung der ätiologischen Verhältnisse gelangt Vortr.
zu einigen wichtigen Schlüssen: Nach Ausscheidung der anfechtbaren Fälle hat
er 5 Mal eine spinale Lähmung im directen Anschlüsse an Infectionskrankheiten
beobachtet: 2 Mal waren Masorn, 1 Mal Scharlach, 2 Mal Diphtherie unmittelbar
vorangegangen, und deshalb möchte Verf. an der Möglichkeit eines directen Zu¬
sammenhanges zwischen den acuten Infectionskrankheiten nnd der Poliomyelitis
festhalten. Es könnte durch die Infeotionskrankheit die Virulenz eines uns der¬
zeit noch unbekannten specifischen Erregers gesteigert oder ein klinisch gleich¬
artiges Bild durch verschiedene Noxen hervorgerufen werden. Wahrscheinlich hat
man in der spinalen Kinderlähmung ein nicht auf einheitlich ätiologischer Basis
beruhendes Leiden zu erblicken.
Für die ätiologische Bedeutung der Dentition, von psychischen Ursachen nnd
Heredität könnte Verf. keinen Anhaltspunkt gewinnen, Erkältnngsursachen kann
Verf. nicht aus eigener Ueberzeugung zugeben. Trauma kann wahrscheinlich eine
Rückenmarksentzündung nach Art der Poliomyelitis auslösen. Die bedeutsamste
Gelegenheitsursache der Poliomyelitis scheint aber, wie früher erwähnt, in voraus¬
gegangenen Infectionskrankheiten, bezw. toxischen Einflüssen zu bestehen; jedoch
ist die Zahl der ohne irgend welche uns zugängliche Gelegenheitsmomente ent¬
stehenden Poliomyelitisfalle ausserordentlich über jene Minderheit überwiegend,
bei welcher eine Infectionskrankheit einen erregenden Factor abgegeben haben
dürfte. H. Schlesinger (Wien).
17) Epidemio paralysis in ohildren, by Henry D wight Chapin, M. D.
(New York). (Archives of Pediatrics. November 1900.)
Der infectiöse Charakter der Poliomyelitis ist durch den klinischen Verlauf,
sowie durch mehrfach beschriebene Epidemieen höchst wahrscheinlich gemacht;
doch bestehen auch andere Ursachen für diese Krankheit, wie Erkältung, Trauma.
Dass jedoch für Epidemieen ein infectiöses Agens anzunehmen sei, dafür spricht
u. a. auch die Verschiedenartigkeit der Krankheitslocalisation in Zeiten von Epi¬
demieen, wie dies z. B. aus einer interessanten (in der deutschen Litteratur wenig
bekannten, Ref.) Beobachtungsreihe von W. Pasteur (Clinic. Society’sTransactions.
XXX. 1897) ersichtlich ist. Eine kleine vom Verf. in Soughkeepsie (bei
New York) beobachtete Epidemie zeichnete sich durch das Vorhandensein starker
Schmerzen in den Extremitäten aus. Einer dieser Fälle heilte ohne irgend eine
dauernde Lähmung wieder ans. Verf. hält die Möglichkeit, dass es sioh in dieser
Epidemie um ein Zusammentreffen von Poliomyelitis und Neuritis gehandelt habe,
für recht wahrscheinlich; in manchem Falle dürfte nur eine Affection des Rücken¬
marks, in anderen eine Erkrankung der peripheren Nerven, in noch anderen eine
Combination beider Zustände vorhanden gewesen sein.
Recht interessant sind bakterielle Untersuchungen, die Verf. in 2 Fällen an¬
stellen liess. In einem war das Blnt Object der mikroskopischen Durchforschung.
y Google
715
Es zeigten sich in den Präparaten spärliche Diplokokken, die jedoch der Unter
eucher (Dr. H. T. Brooks) für zufällige Befunde zu halten geneigt ist. In einem
anderen letal endigenden Falle wurde das Rückenmark histologisch durchsucht.
Nebst den charakteristischen Veränderungen der frischen Poliomyelitis fanden sich
im Vorderhorn — nicht aber in der Peripherie oder in den Meningen — Diplo¬
kokken, welche derjenigen im Blute deB eben erwähnten Falles glichen. Der
Untersucher spricht sich zwar bezüglich der ätiologischen Bedeutung dieser Mikro¬
organismen sehr reservirt aus, erkennt aber mit Recht die Wichtigkeit des Be¬
fundes an.
Griffith erwähnt im Anschluss an diesen Vortrag (American Pediatric
Society. Washington, Mai 1900) einer selbst gemachten Beobachtung von gleich¬
seitiger poliomyelitischer Erkrankung zweier Geschwister.
Zappert (Wien).
18) A case of amyotrophic lateral solerosls in which degeneration was
traced from the cerebral cortex to the musoles, by William G. Spiller.
(Contributions from the William Pepper Laboratory of Clinical Medicine.
Philadelphia, 1900.)
55jähr. Pat., erblich belastet, der Syphilis durchgemacht, lange Jahre hin¬
durch viel getrunken und stark geraucht hat, erkrankte Ende 1897 mit zunehmender
Schwierigkeit beim Sprechen, Speichelfluss und Schwäche in Armen und Beinen.
Februar 1898 Aufnahme in das Krankenhaus, bei der folgender Befund erhoben
wird: Mydriasis links, linke Pupille starr auf Licht und Accommodation, geringe
Schwäche im linken Orbicularis oculi, fibrilläre Zuckungen der Zunge, langsame
undeutliche Sprache, Atrophie des Deltoidei des Biceps beiderseits, der Vorder-
armmusculatur. Händedruck r. < 1., spastischer Gang, starke Patellarreflexe, Fuss-
klonus beiderseits, Atrophie der Glutäalmusculatur. Im weiteren Verlaufe wurde
geringe Atrophie der linken Pectoralis major, doppelseitige Neuroretinitis fest¬
gestellt, die Parese und Atrophie nahm zu, die Sprache wurde zusehends schlechter.
Es trat ferner Parese der Kopfstrecker auf, das Schlingen wurde mehr und mehr
erschwert, die Spasmen der Beine machen das Gehen allmählich fast unmöglich.
Au der Musculatur, besonders des Schultergürtels, ausgebreitete fibrilläre Zuckungen,
auch an den kleinen Haodmuskeln markirte sich die Atrophie mehr und mehr.
Tod an Bronchopneumonie im November 1898. Schon makroskopisch zeigte sich
nach der Härtung eine Degeneration beider Pyramidenseitenstrangbahnen, sowie
der rechten Pyramidenvorderstrangbahn, ferner eine auffallende Verschmälerung
beider aufsteigenden Parietal Windungen, besonders der rechten. Die mikroskopische
Untersuchung ergab Veränderungen am N. ulnaris, an den vorderen Wurzeln,
ferner im Sacral- und Lendenmark eine Erkrankung der Pyramidenbahnen, dege-
nerirte Fasern in der vorderen Commissur, sowie Veränderungen in der rechten
Pyramidenvorderstrangbahn. Die intramedullären vorderen Wurzelfasern zeigten
gleichfalls mit Marchi'scher Färbung eine Anzahl schwarzer Schollen. Die
Vorderhornzellen im Lumbalmark, wenn auch an Zahl nicht verringert, weisen
deutliche Veränderungen auf; alle diese Veränderungen sind nach oben bis zur
Pyramidenkreuzung nachweisbar und nehmen nach oben an Intensität zu, so
besonders auch die Erkrankung der vorderen Wurzeln und der Vorderhornzellen.
Es erwiesen sich ferner als erkrankt der Hypoglossuskem und die intramedullär
verlaufenden Fasern des Hypoglossus, ferner der Nucleus ambiguus, das hintere
Längsbündel, die Fasern des Corpus callosum, die Fasern der motorischen Region
des Cortex; die corticalen Ganglienzellen, insbesondere die grossen Zellen des
Lobulu* paracentralis zeigten ungewöhnlich starke Pigmentanhäufung. Auch im
Pons, im HirnBchenkel und der inneren Kapsel Hessen sich nach Marchi deut-
Digiti;
Google
716
liehe Degenerationen der motorischen Bahnen nachweisen. An der Musculatur
fanden sich Veränderungen, die distalwärts starker ausgeprägt waren als proxi¬
malwärts; dieselben bestanden in Atrophie der Muskelfasern mit theilweisem Ver¬
lust der Querstreifung, Vermehrung des interstitiellen Binde- und Fettgewebes.
Die intramusoulären Nervenfasern und die Muskelspindeln schienen normal. Die
Kehlkopfmusculatur war normal, während die Zungenmusculatur erhebliche Ver¬
änderungen aufräes. Verf. betont, dass sein Fall erst der 10. in der gesammten
Litteratur ist, in dem die Veränderungen der motorischen Bahn sich bis in die
Hirnrinde verfolgen Hessen. An der Diagnose des Falles kann kaum ein Zweifel
obwalten, trotzdem er nicht als ganz rein betrachtet werden kann; Verf. unter¬
lässt es, eine Erklärung der bei der amyotrophiseben Lateralsklerose ungewöhn¬
lichen Erscheinungen von Seiten der einen Pupille und des Augenhintergrundes
zu versuchen. Martin Bloch (Berlin).
19) Contributo allo Studio dell’ atrofla muscolare oronioa (solerosi laterale
amiotrofloa), pel Dr. G. Pardo. (Policlinico. VII. 1900.)
Mittheilung eines eigenartigen Falles von amyotrophischer Lateralsklerose.
Beginn der Erkrankung bei einem 60jähr. Weintrinker, der 15 Jahre vorher einen
acuten Gelenkrheumatismus durchgemacht hatte und sonst gesund war, plötzlich mit
einem Schwindelanfall, worauf nach 2—3 Tagen sich zunehmende Schwäche und
Atrophie vom rechten Arm aus über die Extremitäten verbreitete, Klauenhand,
Pes varoequinns, Atrophie der Zunge, Sprachstörung, Reflexsteigerung, Herab¬
setzung der elektrischen Erregbarkeit sich geltend machte und nach 9 Monaten
rapide fortschreitende Bulbärlähmung zum Exitus führte. Die Muskeln waren im
Zustande des Schwundes und der fettigen Entartung. Die Vorderhörner des
Cervicalmarks zeigten leichte, die des Lumbalmarks schwere Zellveränderungen
und auf diesen Abschnitt beschränkte Entartung der ungekreuzten Pyramidenbahn.
Im Uebrigen fand sich noch diffuse Sklerose der vorderen Spinalarterien und der
Art. sulo. ant. — Der Fall zeichnet sich durch den Mangel jeglicher pathologischer
Veränderung an den Nervenwurzeln aus und schliesst sich in dieser Hinsicht
an die betreffende Casuistik Dreschfeld’s, Oppenheira’s und Kronthal’s als
5. Fall an. Die directen Neurone lassen nur im Bereich des Zellkörpers Ver¬
änderungen erkennen; nur einzelne der im Lumbalmark endigenden corticospinalen
Neurone sind in ihren distalsten Abschnitten von der Degeneration befallen. Ob¬
wohl das Fehlen von Zellveränderungen in den übrigen Neuronantheilen nicht
mit Sicherheit behauptet werden kann, glaubt Verf. doch soviel deutlich zu
erkennen, dass der degenerative Process nur das distale Ende des Neurons be¬
fallen und dass die Degeneration in den Pyramidenfasern eine aufsteigende Ten¬
denz hat, und ist der Meinung, dass Mingazzini’s Behauptung, dass sich der
primäre Krankheitsprocess in den Vorderhornzellen abspiele und die übrigen Ver¬
änderungen Folgeerscheinungen seien, öfter zutreffe, als bis jetzt angenommen werde.
Schmidt (Freiburg i/Schl.).
20) Two oases of musoular dystrophy with neoropsy , by William G.
Spill er. (Contributions from the WilUam Pepper Laboratory of Clinical
Medicine. Philadelphia, 1900.)
Der erste der beiden behandelten Fälle hat zunächst ein nicht geringes
historisches Interesse, da er zuerst, als Pat. 9 Jahre alt war, von Duchenne in
seiner „ßlectrisation localis6e“ mitgetheilt, dann im Alter von 28 Jahren im
Jahre 1886 von Landouzy und Dejerine in der Revue de Mödecine (S. 993)
ausführlich beschrieben und schliesslich im Jahre 1892 ad exitum gekommen ist.
Das pathologische Material wurde Verf. von Dejerine zur Verfügung gestellt.
Da es sich um einen in der Litteratur hinreichend bekannten Fall von familiärer
by Google
717
Dystrophia musculorum progressiva — Typus facio-scapulo-humeralis — handelt,
so darf Ref. sich darauf beschränken, den anatomischen Befund hier kurz wieder¬
zugeben. Die Section des extrem abgemagerten Pat. zeigte leichte Flexion*-
contractur der Arme und enorme der Beine. Die Untersuchung der Muskeln
ergab völligen Schwund der Pectorales majores, dementsprechende Deformität der
Thoraxwand, fast völligen Schwund der Bauchmuskeln, am Kopfe Fehlen des
Frontalis, Occipitalis, Corrugator supercilii, Orbicularis palpebrarum, der Zygo-
matici und des Risorius. Auch die übrigen Gesichtsmuskeln sind ganz oder fast
ganz geschwunden und nur in Spuren noch nachzuweisen. Buccinator und Kau*
muskeln sind erhalten, ebenso die Augenmuskeln. Sternocleidomastoidei völlig
atrophisch, dagegen sind die vom Sternum und vom Kinn zum Zungenbein
ziehenden Muskeln, ebenso der Omohyoideus, Styloglossus u. s. w. normal, des¬
gleichen die Kehlkopf-, Schlund- und Zungenmusculatur. Atrophie der Spinal¬
portion des rechten Cucullaris. Die Prävertebralmusculatur, sowie die Splenii u.s.w.
normal. Atrophie der Erectores trunci, des Serratus, Subclavius, Supra- und Infra-
spinatus, der Rhomboidei, der Deltoides, Biceps, Triceps, Brachialis internus, am
Vorderarm der Extensoren und Supinatoren. Handmusculatur normal bis auf
Atrophie der linken Lumbricales. An den Beinen ist der Psoas erhalten, der
Uiacus internus, Sartorius, der Quadriceps zum grössten Theil, sowie die Adduc-
toren und die Beuger atrophirt, Glutaeus magnus und medius desgleichen. Auch
an den Unterschenkeln Atrophie fast aller Muskeln, mit Ausnahme der Peronei
und des Triceps surae. An den Füssen nur Atrophie des rechten Extensor digi-
torum brevis. Atrophie des Diaphragma. Die mikroskopische Untersuchung des
Centralnervensystems, wie der peripherischen Nerven ergab normale Verhältnisse,
die Untersuchung der Musculatur hochgradige einfache Atrophie mit reicher Fett-
und Bindegewebswucherung ohne Vacuolenbildung und fettige Entartung. Gut
erhalten sind innerhalb der entarteten Muskeln die Muskelspindeln, an denen so¬
wohl der nervöse wie der musculäre Antheil normales Verhalten zeigen.
Fall II stammt ebenfalls von Dejerine’s Abtheilung aus dem Bicetre und
ist bisher noch nicht publicirt. Es handelt sich um einen im 8. Lebensjahr er¬
krankten Pat. mit Dystrophie ohne Betheiligung der Gesichtsmusculatur, in dessen
Familie ähnliche Erkrankungen nicht vorgekommen sind. Die Affection begann
an den unteren Extremitäten unter dem Bilde der Pseudohypertrophie und stieg
allmählich nach oben unter Betheiligung der Rumpfmusculatur. Von den Extre¬
mitäten konnten schliesslich nur noch geringe Bewegungen von Seiten der kleinen
Hand- und Fussmuskeln ausgelöst werden. Pat. starb im 20. Lebensjahre. Die
vom Verf. ausgeführte mikroskopische Untersuchung ergab ein normales Verhalten
des ge8ammten Nervensystems, an der Musculatur den gleichen Befund, wie im
ersten Fall.
Eine ausführliche Schlussbetrachtung ist der Kritik des jetzigen Standpunktes
der Lehre von den Muskelatrophieen gewidmet. Martin Bloch (Berlin).
III. Aus den Gesellschaften.
XXVI. Wanderversammluug der Südwestdeutsohen Neurologen und Irren¬
ärzte zu Baden-Baden am 8. und 9. Juni 1901.
(Fortsetzung.)
Herr Dr. Paul Ranschburg (Budapest) demonstrirt einen von ihm con-
8truirten Apparat zur Untersuchung der Auffassung der Association und
des Gedächtnisses und theilt eine grosse Zahlenreihe mit, die er bei Gesunden
Digilized by GoO^IC
718
und Kranken mit Hülfe der elektrisch betriebenen Vorrichtung bereits ge¬
wonnen hat
In der Discussion äussert 6ich Dr. W. Weygandt.
Herr Dr. M. Friedmann (Mannheim): Ueber Myelitis nach Tnfliimiza,
Die mässige Vermehrung der Casuistik, welche uns die modernen Influenza-
epidemieen gebracht haben, führte deshalb in der Hauptsache nur nach zwei
Seiten hin zu einer Erweiterung unserer Kenntnisse der acuten Myelitis: erstlich
lernte man eine relativ grössere Zahl heilbarer acuter Myelitiden kennen. Dabei
zeigten sich diese günstigen Verlaufsformen von differenter Art, entweder nämlich
fand sich die Rückkehr zur Genesung primär und fast sofort nach dem Höhe¬
stadium der Lähmungen ein oder nach einem etwa 6—9 monatlichen unver¬
änderten Fortbestehen der Lähmungen, nur vereinzelt sah man Spätheilungen
nach 2—3 Jahren. Zweitens ist der Influenzamyelitis eigenthümlich der ebenfalls
relativ grosse Procentsatz der herdförmig begrenzten Myelitiden, welche durchweg
unter dem Bilde der spastischen Spinalparalyse aufgetreten sind und welche zu¬
meist günstig verliefen, sofern nicht multipel folgende Herde sich ausbildeten.
Dieser letzteren Kategorie gehören auoh die drei eigenen Beobachtangen des
Vortr. an.
Im ersten Falle, bei einer öOjähr. Dame, war 2 Wochen nach einer Influenza
eine Halbseitenlähmung aufgetreten, rechts Lähmung und Anästhesie bis zur
Weiche, nebst stark erhöhten Sehnen- und Hautreflexen, links Anästhesie ebenfalls
bis zur Weiche. Blase und Mastdarm frei. Druckschmerz in der Lendenwirbelsäule.
Nach 6—8 Wochen bedeutende Besserung; dann offenbar neuer Herd im Dorsal¬
mark, Gürtelschmerz, motorische Lähmung auch des linken Beins, Verschlimmerung
des rechten, während die Gesichtsstörungen inzwischen völlig geschwunden waren.
Die Patientin starb ungeheilt nach l l / a Jahren.
Im zweiten Falle, bei einem 27jähr. Kaufmann, bildete sich am 7. Tage de’*
Influenza eine spastische Lähmung beider Beine aus, welche nur 8—14 Tage von
Blasenstörung und Gefühlsabstumpfung begleitet war und binnen zweier Wochen
rasch ihren Höhepunkt mit fast absoluter Lähmung der unteren Extremitäten
erreichte. Gleich darnach folgte eine beträchtliche und stetig zunehmende
Besserung, so dass der Pat. bereits nach 3 Monaten wieder seinen Beruf versehen
und nach 6 Monaten mehrstündige Märsche unternehmen konnte, hei starkem
Nachlass der Reflexsteigerung. Nach dieser scheinbar völligen Heilung trat aber
wieder eine allmähliche massige Verschlimmerung ein, namentlich ein Naohlass
der Ausdauer im Gehen, so dass bei Anfangs normaler Kraft der Beine nach
1 / > —1 Stunde jeweils dieselben ihren Dienst versagten. Eis trat auch retrobulbäre
Neuritis (centrales Skotom!) auf, welche zwei Mal wieder verschwand und das
dritte Mal stabil blieb. — Hier war der Herd im mittleren Dorsalmark anzu¬
nehmen.
Im dritten Falle, bei einem 42jähr. kräftigen Beamten, gestaltete sich der
Verlauf sehr kurz und günstig; am 13. Tage der Influenza plötzlich Urinretention,
welche nach einer Woche beseitigt war; ein Tag nach dem Eintritt derselben
fand sich ein höchstgradiger Schütteltremor aller 4 Extremitäten und Anfangs
sogar auch des Kopfes bei allen willkürlichen Bewegungen ein, verbunden mit
starker Steigerung der Sehnen- und Hautreflexe und mit auf den 6. Dorsalwirbel
begrenzter Spinalempfindlichkeit. Keine spontanen Schmerzen, keine Rücken¬
steifheit, keine Gehirnsymptome, jedoch grösste Schlaffheit der Extremitätenmuskeln
ohne Volumenabnahme derselben. Nach 14 Tagen kann der Pat. gehen und sogar
etwas schreiben, die Reflexsteigerung ist beinahe vorüber. Der Fall ist ausgezeichnet
duroh den kurzen Verlauf und durch den von Reflexsteigerung begleiteten heftigen
Schütteltremor, welcher an Stelle der gewöhnlichen motorischen Lähmung und
verwandt mit der acuten Ataxie nach Diphtherie aufgetreten war.
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In allen 3 Fällen wurde also ein sehr acutes Eintreten der MuskeHäbmung
oder des Tremors beobachtet, sofort von Reflexsteigerung begleitet und baldigem
Schwinden begleitender Blasen- oder Gefühlsstörung; die Wendung zur Besserung
folgte hier auf der Stelle nach der vollkommenen Ausbildung der Lähmung, doch
gestaltete sich der fernere Verlauf in jedem Falle verschieden; im ersten zeigt
sich Verschlimmerung und Unheilbarkeit mit dem Auftauchen eines zweiten neuen
Herdes; im zweiten folgt der scheinbar völligen Genesung ein chronischer Zustand
einer eigenartigen Gehschwäche mit Reflexsteigerung und grosser Recidivneigung
bei interourrenten Erkältungsaffectionen; im dritten ist die Heilung eine rasche
und vollkommene.
Anatomisch muss eine Veränderung innerhalb eines Herdes (Oedem der
Nervenfaser) und der Pyramidenbahnen vorliegen, welche sich rasch in 1 bis
2 Tagen zu beträchtlicher Intensität entwickelt, sich dann noch etwas steigert,
aber darauf zu einem grossen Theile oder völlig der RQokbildung fähig ist.
Herr Dr. van Oordt (St Blasien): Ueber intermlttirendes Hinken.
1. Fall: Typische Claudicatio intermittens mit Pulslosigkeit aller Bein¬
arterien. Die bisher in der Aetiologie der Krankheit bekannten Gifte wie Alkohol,
Lues und Nicotin lassen im Stich, dagegen zeigt der Kranke von Jugend auf ein
reizbares Gefässsystem und ist intolerant gegen Gefässgifte wie Coffein und Digi¬
talis. Als direct die Erkrankung auslösendes Moment kommt vielleicht ein
sohlechtsitzendes, die Beingefässe comprimirendes Schenkelbruchband in Betracht.
Im 2. Fall compliciren ausgedehnte Varicen der Unterschenkel das im
Uebrigen typische Krankheitsbild, bei dem die Pulslosigkeit der Beinarterien in
den Popliteen beginnt. Auch hier sind weder Lues noch Alkohol oder beträcht¬
licher Nicotinabusus noch Erkältungsschädlichkeiten ätiologisch anzuschuldigen,
hingegen leiden der Kranke und seine Nachkommen an Venektasieen seit frühen
Lebensjahren.
Beide Fälle lassen demnach eine angiopathische Diathese erkennen, die unter
Umständen bei Einwirkung selbst verhältnissmässig geringfügiger Anlässe (Bruch¬
band, das die Gefasse comprimirt, massiger chronischer Tabaksgenuss) zum
Obliteriren der Beingefässe und damit zum intermittirenden Hinken führen kann.
Bei Mitbetheiligung des Venensystems kann vorsichtige centripetale Bindenwicklung
mit Erfolg therapeutisch verwendet werden neben der bekannten von Erb vor¬
geschlagenen Therapie: Jod, Strophantus, Galvanisiren und warme Bäder der
Unterextremitäten und Verminderung der vasomotorisch reizenden Mittel.
Die dritte Sitzung fand Sonntag, am 9. Juni, Vorm. 9*/ 4 Uhr statt.
Vorsitzender: Herr Geh. Rath Prof. Dr. Weigert (Frankfurt a/M.).
Herr Prof. Dr. Rumpf (Bonn): Ueber ohemisohe Aenderungen des
Muskels bei der Entartungsreaotion.
Vortr. hat im Anschluss an einen geeigneten Fall die Frage zu beantworten
gesucht, welche Vorgänge chemischer Natur in dem Muskel neben den patho¬
logisch-anatomischen Veränderungen bei der Entartungsreaotion einhergehen.
Es handelte sich um einen 37jähr. Mann aus gesunder Familie, der seit
Jahren täglich 3—4 Liter Wein neben wenig Bier und einigem Schnaps vertilgt
hatte. Derselbe erkrankte Anfang August 1900 ganz plötzlich beim Klavierspielen
mit Lähmung der Finger, welcher eine solche der Beine folgte. Am 13. August
wurde er in das Krankenhaus aufgenommen.
Hier wurde neben einer geringen Affection des linken Oberlappens eine
völlige Lähmung der Finger und Vorderarmmuskeln, eine Parese in den Ober-
Diqitized
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720
armen und Schaltern, ferner eine völlige Lähmung der Nn. peronei und tibiales
und eine Parese im Cruralisgebiet und den Knie- und Höftbeugern constatirt.
Die ergriffenen Muskeln zeigten Entartungsreaction; die völlig gelähmten
Muskeln waren faradisch unerregbar, in den paretischen war die Mittelform der
Entartungsrection vorhanden.
Bei diesem Pat. entwickelte sich vom 5. September an eine tuberculöse
Meningitis, welche am 20. September den Tod herbeiführte.
Die Obduction bestätigte die Diagnose, das Kückenmark war intact, die
Nn. radialis, ulnaris, peroneus, popliteus wurden eingehend untersucht und zeigten
das Bild einer Perineuritis.
Die chemische Untersuchung der erkrankten Muskeln wurde vom Vortr. in
Gemeinschaft mit seinem Assistenten 0. Schümm durchgefuhrt Zum Vergleich
mit gesunder Musculatur Hessen sich die Untersuchungsergebnisse von v. Hoesslin
und besonders Katz heranziehen.
Als Resultat betrachtet der Vortr. Folgendes:
1. Der Fettgehalt der entarteten Muskeln war in hohem Maasse vermehrt.
2. Die Untersuchung dieses Fettes ergab einen Befund, welcher dem von
Lebedoff untersuchten Darmfett am nächsten stand. Es dürfte also anzunehmen
sein, dass das Fett einer Einlagerung in die entartete Musculatur und nicht einer
fettigen Degeneration des Muskels seine Entstehung verdankt.
3. Bringt man den hohen Fettgehalt in Abzug, so zeigt der entartete
Muskel eine beträchtliche Verminderung der Trockensubstanz und eine starke
Vermehrung des Wassergehaltes.
4. Gleichzeitig steigt der Chloruatriumgehalt an, während der Gehalt an
Kalium der Trockensubstanz entsprechend sich vermindert zeigt.
6. Der Eisengehalt der frischen Substanz ist entschieden stärker herabgesetzt,
als eB der Verminderung der Trockensubstanz entspricht, während der Gehalt an
Calcium verhältnissmässig hoch, an Magnesium entsprechend vermindert ist.
Herr Dr. L. Laquer (Frankfurt a/M.): Ueber Myasthenie. — Herr Geh.
Med.-Rath Prof. Dr. Weigert: Anatomischer Beitrag zur Myasthenie. (Beide
Vorträge Bind als Originalmittheilungen in Nr. 13 dieses Centralbl. abgedruckt.)
Herr Docent Dr. Bethe (Strassburg): Ueber die Regeneration periphe¬
rischer Nerven.
Im Laufe der 90 er Jahre des verflossenen Jahrhunderts hatte sich die
Neuronenlebre dahin entwickelt, dass sie Folgendes behauptete: 1. Ein Neuron
ist die anatomische Einheit von Ganglienzelle, Protoplasmafortsätzen und Axen-
cyünderfortsatz nebst Endverzweigung. Die einzelnen Neurone stehen nur durch
Contiguität miteinander und ihren eventuellen peripherischen Endorganen in Ver¬
bindung. 2. Jedes Neuron ist eine functionelle Einheit.' 3. Jedes Neuron ist
eine pathologische Einheit, d. h. bei Verletzung des Neurons greifen die patho¬
logischen Veränderungen nicht über die Grenzen des Neurons herüber, und eine
eventuelle Wiederherstellung kann nur von dem hirntragenden Theil, der Ganglien¬
zelle der alten Autoren, ausgehen. Das Neuron ist eine entwicklungsgeschicht-
liche Einheit; es geht mit allen seinen Theilen aus einer einzigen Embryonalzelle,
einem Neuroblasten, hervor und stellt auch im actuellen Zustand nur eine einzige
Zelle dar.
Der erste Punkt ist durch die Untersuchungen von Ap&thy als falsch er¬
wiesen; zwischen den einzelnen Neuronen bestehen directe Verbindungen auf dem
"Wege der Primitivfibrillen (Neurofibrillen). Die functionelle Einheit des
Neurons muss bestritten werden, nachdem Vortr. bei Carcinus mammae gezeigt
hat, dass das Nervensystem auch ohne Ganglienzellen seine Functionen auszuüben
im Stande sei. Da die Function des Neurons nicht sistirt, wenn man ihm den
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der Masse nach grössten Theil, den Zellkörper, fortgenommen hat, so ist es eine
fonctionelle Einheit nicht. Im Uebrigen geht die Unrichtigkeit von der Annahme
einer functionellen Einheit im Neuron auoh ohne Weiteres aus der Betrachtung
dee Fibrillen verlauft in einer Wirbelthierganglienzelle hervor, wenn man die be¬
rechtigte Annahme macht, dass die Fibrillen das Leitende sind. — Wie steht
es nun mit der pathologischen Seite der Neuronenlehre? Nissl hat schon
an dem Beispiel der motorischen Bahn gezeigt, dass die Erfahrungen der Patho¬
logie doch keine ganz sichere Stütze für die Neuronentheorie abgeben. Weitere
Einwände ergeben sich aus der längst bekannten Thatsache, dass verschiedene
sicher nicht zum verletzten Neuron gehörige Endorgane von dem pathologischen
Process nach Durchschneidung des zugehörigen Nerven ergriffen werden. Das
sind ausser den Muskeln und Drüsen vor Allem die „Schmeckbecher“ der Papillae
circumvallatae und foliatae. Bei Muskeln und Drüsen folgt die Degeneration
nicht prompt auf die Durohschneidung; es bleibt einem dort auch immer der
Ausweg, die Degeneration als eine Inactivitätsatrophie hinzustellen. Beides erklärt
sich bei den Schmeckbechern anders. Nach den Resultaten von Vintschgau
und Hörnigschmied (die mehrfach bestätigt sind) sind die Schmeckbecher beim
Eaninohen 2—3 Wochen nach Durchschneidung des Glossopharyngeus vollständig
von der Bildfiäche verschwunden, und Veränderungen der Zellen lassen sich schon
erheblich früher constatiren. Dass es sich hier um Inactivitätsatrophie handelt,
wird schwerlich Jemand behaupten wollen, da die Schmeokbecher ihre Reize
nach wie vor behalten. Da es sich nun nach den übereinstimmenden Resultaten
mehrerer Untersucher in den Sohmeckbechern um Zellen handelt, an denen die
Nervenfasern durch Anlagerung enden, so sehen wir hier deutlich, dass der
pathologische Process durchaus nicht an der Grenze des Neurons
Halt macht Wenn wir in den Centralorganen ein Uebergreifen des patho¬
logischen Processes auf ungeschädigte Neurone nicht nachweisen können, so
möchte Vortr. es nach derartigen Befunden an der Peripherie doch nioht für aus¬
geschlossen halten, dass dies nur in der Unvollkommenheit unserer Methoden einen
Grund hat
Vortr. hat aber jetzt andere, sehr viel gewichtigere Gründe gegen die Be¬
weiskraft der pathologischen Veränderungen anzuführen: Nach der Neuronenlehre
soll ein Axenoylinder (Nervenfaser) der Degeneration anheimfallen, wenn er von
seiner Ganglienzelle getrennt wird, und er soll sich nur durch Anwachsen von
dieser Ganglienzelle aus regeneriren können. Die Ganglienzelle soll das „enutritorische
Centrum“ des ganzen Neurons sein. Soweit des Vortr. auf diesen Punkt gerichteten
Versuche reichen, ist der erste Theil des Satzes für die peripheren Nerven allerdings
richtig. Wo und wie man auch einen Nerven unterbricht, ob bei jungen oder alten
Thieren, immer fällt das periphere Ende der Degeneration anheim. Der zweite
Theil des Satzes ist aber falsch. Sohon von verschiedenen Autoren ist in den
letzten Jahren angegeben worden, dass die Kerne und das Protoplasma der Sch wann'-
sehen Scheiden wesentlich bei der Generation des peripheren Nerven betheiligt seien,
dass reine Axencylinder nicht vom centralen Ende auswüchsen, sondern sich unter
dessen Einfluss* aus dem gewucherten Protoplasma der S oh wann’sehen Scheide
herausdifferenziren. Vortr. hat nun nicht wie diese Autoren einfaohe Durch¬
schneidungen ausgeführt, sondern durch geeignete Maassnahmen die Verheilung
des centralen und peripheren Stumpfes verhindert und dann den ganz sich allein
überlasaenen^peripheren Stumpf der Untersuchung unterworfen. Bei erwachsenen
Hunden und Kaninchen wuchert nach Vollendung der Degeneration und voll¬
ständigem Verschwinden des Axencylinders das Protoplasma der Sch wann’sohen
Scheiden. An dem so entstehenden continuirlichen Protoplasmaband differenzirt
sich innerhalb 6 — 9 Monaten ein axialer Strang und eine periphere Scheide
heraus. Im axialen Strang sind keine Primitivfibrillen nachzuweisen; die Scheide
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enthält kein Myelin; Leitungsfahigkeit fehlt. Jedenfalls verändert sich also das
Endbild der Degeneration so, dass der Nerv dem normalen wieder ähnlicher
wird; es zeigt sich eine partielle Regeneration. — Anders ist es bei jungen
Thieren, bei denen ja, wie bekannt, die Regenerationskraft aller Gewebe erheblich
viel starker ist als bei Erwachsenen. Hier kann — bei verhinderter Zusammen¬
heilung! — die Regeneration eine vollständige werden. Vortr. verfugt vor¬
läufig über 6 Fälle, 4 von jungen Hunden, 1 von Kaninchen. In den drei
besten Fällen war die Regeneration nicht nnr eine anatomische, sondern auch
eine physiologische; d. h. Vortr. war im Stande, durch schwache Inductionsreize,
welche noch lange nicht genügten, um die Muskeln direct zu reizen, ausgiebige
Contractionen der Waden- und Fussmusculatur vom peripheren Stumpf des Ischi-
adicus aus auszulösen. (Der Ischiadicus wurde wegen des Mangels an anatomisch¬
feststellbaren Anastomosen zu den Operationen gewählt.) Bewegungen der gleichen
Muskeln waren vom centralen Ende des Nerven, das in einer Entfernung von
4—6 cm stumpf endete, nicht auszulösen. Der regenerirte Stumpf bildete also
gewissermaassen mit den zu ihm gehörigen Muskeln ein Wesen für sich; dem
Gesammtorganismus kam die Regeneration des peripheren Stumpfes in keiner
Weise zu Gute. Makroskopisch sichtbare Verbindungen zwischen dem centralen
und peripheren Stumpf zeigten sich nicht. Die genaue Untersuchung des peri¬
pheren Stumpfes, der mit dem umgebenden Bindegewebe herausgenommen wurde,
zeigte, dass der Nerv central wärt» stumpf endete. In den so ohne Einfluss
des Centrums regenerirten Nervenstümpfen fanden sich neben einer grösseren
oder geringeren Zahl markloser Fasern andere, die alle den Charakter einer normalen
Nervenfaser besassen: Schwann’sche Scheide, Markscheide und Axencylinder mit
deutlichen Primitivfibrillen.
Aus diesen Versuchen geht mit Sicherheit hervor, dass die Fasern der
peripheren Nerven sich unter günstigen Bedingungen unabhängig von ihren
Ursprungszellen regeneriren können, dass ihnen eine bisher unerkannte Selbständig¬
keit zukommt, welche der Lehre von der trophischen Function von der Ganglien¬
zelle widerspricht.
In ein noch zweifelhafteres Licht wird diese Lehre durch folgenden Versuch
gerückt:
Durchschneidet man einen solchen Nerven, der sich aus sich
selber (also ohne Betheiligung der Ursprungszellen) regenerirt hat
und der in keiner Verbindung mit dem Rückenmark steht, zum
zweiten Mal, so degenerirt nur das periphere Ende, während das
centrale Ende (welches centralwärts stumpf zwischen den Muskeln endet) er¬
halten bleibt. Hieraus ergiebt sich, dass es bei der Durchschneidung
eines normalen Nerven nicht, wie man bisher bestimmt behaupten
durfte, die Abtrennung von einem in der Ganglienzelle gelegenen
trophischen Centrum ist, was den peripheren Stumpf zur Degene¬
ration bringt, und dass es nicht die Verbindung mit eben diesem
trophischen Centrum ist, was den centralen Stumpf vor der Degene¬
ration bewahrt, sondern dass wir es hier mit uns bisher unbekannten
und unverständlichen Unterschieden zwischen dem relativen Ver¬
hältnis von distal und proximal zu thun haben.
Danach können also auch die pathologischen Verhältnisse nicht mehr als
Stütze der Neuronentheorie in Anspruch genommen werden.
Wenn es auch Fälle giebt, in denen die Regeneration eines Gewebes nicht
in derselben Weise erfolgt, in der es bei der normalen Entwickelung entstand,
so ist dies vorläufig doch nur als Ausnahme zu betrachten. Es muss daher die
augenblicklich herrschende Ansicht der Entwickelung der peripheren Nerven einer
erneuten Prüfung unterworfen werden, nachdem Vortr. erkannt, dass die Regeneration
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der Nerven sich nicht im Sinne dieser Ansicht verhält. Bekanntliqh basirt die
Meinung, dass sich die motorischen und sensiblen Nervenfasern als sehr lange
Fortsätze der Vorderhornzellen einerseits und der Spinalganglienzellen andererseits
entwickeln und nicht, wie andere meinten, multicellulären Ursprungs sind, in der
Hauptsache auf den Arbeiten von His. Wer diese Arbeiten mehrmals prüft, wird
sich dem nicht verschliessen können, dass sie einen Beweis für die angeführte
Anschauung in keiner Weise erbringen. Um sie zu beweisen, wäre es nöthig zu
zeigen, dass auf dem ganzen Wege von der Granglienzelle bis an die Peripherie
nirgends eine andere Zelle in genetische Beziehungen zur werdenden Nervenfaser
tritt, dass z. B. auch die Neurofibrillen des späteren Axencylinders vom Neuro-
blasten aus entstehen. Dies ist nicht geschehen, und dieser Nachweis muss
bei unseren heutigen Mitteln als ein Ding der Unmöglichkeit bezeichnet
werden. Dagegen ist eine einzige Thatsache, welche zeigt, dass noch andere
Zellen an irgend einem Ort der Nervenbahn zu ihre Entwickelung beitragen,
geeignet, die ganze Hypothese umzustossen. Ferner ist zu berücksichtigen,
dass schon lange der Nissl’schen Ansicht widersprechende Untersuchungen von
Balfour, Beard, Kupfer u. A. Vorlagen. Wenn diese mindestens gleich¬
wertigen Untersuchungen nicht im Stande waren, der allgemeinen Annahme
der His'sehen Hypothese entgegenzuwirken, so liegt dies wohl einerseits an der
beschriebenen Zurückhaltung, mit der diese Autoren auftraten, andererseits daran,
dass die Hauptvertreter der His'sehen Ansicht nie diese Ansicht und die
ihr zu Grunde liegenden Befände einer genaueren Prüfung unterwarfen. Wer die
His’schen Abbildungen betrachtet, auch die, welche direct nach dem Präparat
entworfen sind, wird nicht leugnen können, dass es sich nur um Schemata handelt.
Und selbst aus diesen Schemata leuchtet die Hypothese durchaus nicht hervor.
Die Sichtbarkeit von peripherwärtsgerichteten Ausläufern an den Neuroblasten
und der Mangel an Zellen in den ersten Nervenanlagen sind His’ Hauptstütz¬
punkte. Für den ersten Punkt fehlen die Zwischenstadien zwischen Neuroblasten
mit kurzen und langen Ausläufern, dem zweiten Punkt widerspricht seine eigene
Abbildung (Archiv f. Anat. u. Phys. Anat. Abthlg. 1883. Taf. V, Fig. 3), auf
welcher man deutliche Zellen in der Nervenanlage sieht
Auch die schöne Arbeit von Harrison, welche Lenhossek mit einer
Warnung, nur ja die Neuronentheorie nicht aufzugeben, vor Kurzem im Neuro¬
logischen Centralblatt referirt hat, beweist nichts. Hier findet sich neben Neuro¬
blasten, deren Ausläufer das Rückenmark noch gar nicht oder kaum verlassen
hat, nur einer, dessen Fortsatz etwa bis zur Mitte des Myotoms zu verfolgen ist.
Ueber die späteren Stadien und die Verhältnisse ausserhalb des Rückenmarks
findet sich gar nichts. Auch die Angabe von Hur witsch, dass die Nerven zu
einer gewissen Zeit keine Zellen enthielten, beweist nichts, da er nicht gezeigt hat,
dass dies von Anfang an so ist, und da, wie wir nachher sehen werden, that-
sächlich in der späteren Entwickelung nie derartige Bilder Vorkommen können.
Vortr. hat nun an dem bequemsten Object, dem Hühnchen, folgende mit der
His’schen Hypothese gar nicht barmonirende Verhältnisse constatiren können:
1. Zu einer Zeit, wo noch keine Nervenfasern das Rückenmark verlassen
haben (2 Tage und 12—16 Stunden), ist die Localität, an der später die Fasern
auftreten, gekennzeichnet durch Zellreihen, welche vom Rückenmark bis zum
Myotom und noch weiter zu verfolgen sind. Die erste Anlage der Nerven
besteht also aus Zellen, wie dies auch von Balfour, Dohm und Beard
bei den Haien und von Kupfer für Petromyzon gefunden ist. Schon dieser Zellen¬
stamm ist für die vorliegende Frage ziemlich gleichgültig.
2. Wenn die ersten vom Rückenmark austretenden Fasern zur Beobachtung
kommen, findet man auch immer schon am Myotom primitive Nervenfasern. Die
Zahl der Fasern ist entweder am Rückenmark und am Myotom gleich gross, oder
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man findet an der Peripherie mehr als am Austritt aus dem Rückenmark. Dies
ist leicht zu übereehen, so lange es sich nur um wenige Fasern in einer Wurzel
handelt (2—15 Fasern). (Mitte und Ende des dritten Tages.) Dieser Befund
spricht dagegen, dass die primitiven Nervenfasern vom Rückenmark
aus wachsen, und deutet darauf hin, dass Bie auf der ganzen Linie
ungefähr gleichzeitig entstehen. Die mit der Golgi’schen Methode er¬
zeugten Bilder tragen einmal alle Fehler der Methode an sich, sind aber haupt¬
sächlich deshalb werthlos, weil „Wachsthumskeulen“ erst zu einer Zeit in der
Nähe des Rückenmarks beobachtet werden, wo schon längst Fasern ganz~'nahe
an der Peripherie mit anderen Methoden sichtbar sind.
3. Mit derselben Deutlichkeit, mit der man Ausläufer der Neuroblasten aus
den motorischen Wurzeln heraustreten sieht, bemerkt man die centralen Ausläufer
derjenigen bipolaren Zellen der primären Nervenanlage, welche nicht in der Nähe
des Rückenmarks liegen, in das Rückenmark weit hineinstrahlen. (Auf Stadien
von 2 Tagen 16 Stunden bis zu Stadien von 5 Tagen.) Aus solchen Bildern
könnte man ebenso gut folgern, dass die peripheren „Nervenzellen“
die Nervenfasern bis zur Ganglienzelle heran bilden, wie das Um¬
gekehrte. Nicht selten kann man einen directen Uebergang des Ausläufers eines
Neuroblasten in den einer piimären „Nervenzelle“ constatiren.
4. Schon auf früheren Stadien sieht man innerhalb der langgestreckten
primären Nervenzellen primitive Nervenfasern und zwar häufig mehrere, besonders
in Stadien von Anfang und Mitte des 4. TageB. Andere liegen ausserhalb, aber
dicht an den Zellen, so dass es den Anschein hat, als ob die geschilderten Nerven¬
fasern aus dem engeren Zellenstamm herausgeschoben würden. Dies setzt aller¬
dings voraus, dass die Grenze der Zelle dort liegt, wo wir kein Protoplasma
mehr färben können. Vortr. scheint dies unwahrscheinlich, und er glaubt, dass
auch noch diese Fasern in dem diffusen Zellplasma liegen, das nun nicht mehr
die genügende Dichtigkeit hat, um färbbar zu sein. Jedenfalls sprechen
diese Bilder dafür, dass die primitiven Nervenfasern vom Centrum
bis zur Peripherie innerhalb einer ganzen Reihe mit einander ver¬
bundenen Zellen entstehen.
5. Die Nervenzellen vermehren sich nur aus sich heraus durch
Karyokinese. Eine Einwanderung von Zellen findet, so weit Vortr. sieht, nicht
statt. Diese Zellvermehrung ist bis zum Ende des 5. Tages nicht sehr stark,
und da die Zellen die Axencylinder hauptsächlich auf der nach der Mitte der
Nervenanlage zugekehrten Seite ausscheiden, so kommen am 5. Tage Nerven-
strecken vor, welche in der Mitte zellfrei sind. Die Bildungszellen liegen rings
herum. Die Vermehrung der Zellen durch Karyokinese wird vom 5. Tage an
sehr viel stärker. Dabei werden dann die Beziehungen der Kerne* zu den Fasern
wieder augenfälligere, bis schliesslich am 7.— 9. Tage alle primitiven Nervenfasern
mit Kernen reichlich besetzt sind. In diesen fängt die Differenzirung der primi¬
tiven Fasern an. D. h.: der wichtigste Theil des Axencylinders, die Neuro¬
fibrillen, entsteht erst nach der Besetzung der ganzen FaBer mit
Kernen.
Nach diesen Befunden ist die His’sche Hypothese nicht nur sehr
unwahrscheinlich geworden, sondern sogar die multicelluläre Ent¬
stehung des Axencylinders, wie sie von Balfour, Dohm, Board, Kupfer
und Anderen aufgestellt wurde, als durchaus begründet zu bezeichnen.
Vortr. ist zweifelhaft, ob man auch noch mit diesen Befunden versuchen wird,
die Neuronentheorie aufrecht zu erhalten. Thm scheint, dass es nur dadurch
möglich sein wird, dass man seine pathologischen und entwickelungs-geechicht-
lichen Daten anzweifelt.
Für mich ist die Neuronentheorie, schliesst Vortr., als Cellulartheorie ab-
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gethan, und ich muss anfangen, mich nach einer neuen gedanklichen Verbindung
der Thatsachen umzusehen. Vorläufig wird man mit den Thatsachen nicht in
Confiict kommen, warum man das ganze Nervensystem sich aufgebaut denkt aus
einer grossen Anzahl von Zellsocietäten, die unter einander durch die Neuro¬
fibrillen in einem functionellen Zusammenhang stehen. Solch eine Zellsocietät
mag man ein Neuron nennen, wenn ihr morphologischer (aber nicht trophischer
und functioneller) Mittelpunkt eine Ganglienzelle ist. Solche Societäten können
aus vielen und wenigen Zellen bestehen. Daneben wird es auch noch andere
Zellsocietäten geben, die dieses morphologischen Centrums entbehren, die intra¬
centralen Fasern, deren Existenz für mich ebenso sicher ist wie für Nissl.
Andere Zellsocietäten (Muskeln, Drüsen, Beceptionszellen u. s. w.) stehen fhit den
nervösen Societäten in innigerem, functionellem und trophischem Zusammenhang,
einem Zusammenhang, der eben darin begründet ist, dass das ganze Thier ein
Organismus ist, aber nicht die Zellen, welche es zusammensetzen.
Herr Dr. Max Weil (Stuttgart): Tumor des rechten Temporal- und
Parietallappens.
Ein 42jähr. Schlosser erkrankte plötzlich am 2. Februar d. J. an Schwindel,
Schmerzen auf der rechten Seite des Kopfes und Erbrechen; einige Stunden später
fiel auf, dass der Pat. bei Bewegungen mit dem linken Arm sehr ungeschickt war und
nicht mehr gut stehen konnte. Die Untersuchung am 5. Februar ergab: leichte Somno¬
lenz, Nackensteifigkeit, percutorische Empfindlichkeit des Schädels
rechts, am stärksten in der Gegend des Parietalhöckers, Deviation con-
jugee der Augen nach rechts, Parese des mittleren und unteren Astes des
linken Facialis, hochgradige Ataxie der linksseitigen Extremitäten mit
totalem Verlust des Muskel- und stereognostischen Sinnes; die grobe Kraft war
rechts und links gleich gut, ebenso zeigten die Reflexe links gegenüber rechts
keine Differenzen. Nach einigen Tagen stellte sich eine linksseitige Parese ein,
die sich allmählich steigerte, ferner linksseitige homonyme, bilaterale Hemianopsie,
beginnende Stauungspapille, Pulsverlangsamung, Brechreiz. Die Diagnose wurde
auf Tumor des rechten Parietallappens gestellt. Der Vortr. hebt die differential-
diagnostischen Momente hervor. Am 15. Februar wurde durch Prof. Dr. Zeller
Stuttgart, über dem rechten Parietallappen trepanirt Bei der Operation fand
sich eine subcorticale Cyste, die mit weissem Blut gefüllt war, welches entleert
wurde. Der Verlauf war in den ersten Wochen sehr gut. Die Somnolenz ver¬
schwand, die Deviation conjugöe, die linksseitige Parese ging zurück, und auch
die Ataxie, welche an den linksseitigen Extremitäten sich wieder zeigte, besserte
sich. Am Ende der 4. Woche trat jedoch eine Infection der Wunde ein, welcher
der Pat. nach kurzer Zeit erlag.
Bei der Section fand sich eine Cyste von der Grösse eines kleinen Hühner¬
eies, die im Mark des rechten unteren Parietalläppchens lag und sich noch in
das Mark des Temporallappens hinein erstreckte. — Der Vortr. geht dann auf
die Symptomatologie der Affectionen des rechten Parietallappens ein und weist
darauf hin, dass Beine Beobachtung die Auffassung bestätige, nach welcher im
Parietallappen Centren für die Coordination der Bewegungen der Extremitäten
der gekreuzten Seite und für die Bewegungen der Augen nach der entgegen¬
gesetzten Seite sich befinden. Die Ataxie ohne Störung der groben Kraft,
wie sie auch dieser Fall im Beginne der Erkrankung darbot, ist zweifellos ein
Localsymptom des Parietallappens. — Am Schlüsse bespricht der Vortr. die
Schwierigkeiten der Diagnose der Tumoren des Parietallappens, besonders des
rechten, die wesentlich davon herrühren, dass wahrscheinlich kleinere Tumoren,
wohl in Folge des vicariirenden Eintretens der benachbarten Partieen, gar keine
Localsymptome zu machen brauchen und grössere Tumoren durch Läsion der
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motorischen Centren bezw. Bahnen das diagnostisch wichtigste Localsymptom,
die Ataxie ohne Störung der groben Kraft, verwischen.
Herr Geh. Rath Dr. Baelz bespricht seine japanischen Erfahrungen über
Klima, Erkältung und Bheumatiamus und ihr Verhftltnias lum Nervensystem.
Herr Dr. M. Rosenfeld (Strassburg i/E.): Gliose und Epilepsie.
Vortr. berichtet über 3 Fälle von lobulärer Gliose, die klinisch mehr oder
weniger unter dem Bilde der Epilepsie verlaufen waren.
Der Fall I betraf einen 10 jährigen Knaben, der 5 Jahre lang an epileptischen
Anfallen ohne Herdsymptome und ohne Tumorsymptome litt. Die Intelligenz,
die vor der Erkrankung keine wesentliche Storung zeigte, hatte im Laufe der
5 Jahre erheblich gelitten. Die Section ergab ein diffuses Gliom beider Occipital-
lappen, deren nervöse Elemente mehr oder weniger zerstört waren.
Der Fall II betraf eine 42jährige Frau, die 1 Jahr lang an allgemeinen
Hirndrucksymptomen mit epileptischen Anfällen ohne Herdsymptome litt. Die
Patientin starb nach einjähriger Krankheitsdauer in einer Periode gehäufter An¬
fälle. Die Section ergab eine Gliose mässigen Grades beider Frontallappen und
der vorderen Centralwindungen. Die Configuration der Windungen war noch
völlig erhalten; die Abgrenzung der Rinde vom Mark noch überall deutlich. Auf
Frontalsohnitten Erweiterung der Marklager. Die Substanz ist auffallend weiss
und steif, die Consistenz derber als normal.
Der Fall III kam im Alter von 54 Jahren zur Section. Der Pat. hatte die
letzten 14 Jahre an epileptischen Anfällen gelitten, nachdem er vorher körperlich
und geistig vollkommen normal gewesen war. Die Anfälle traten in Abständen
von 1—3 Monaten auf und bestanden in tiefen plötzlichen Bewusstlosigkeiten
mit klonischen Zuckungen, namentlich in dem rechten Arm. Kurz vor dem
Exitus wurde constatirt: Zunehmende Gedächtnisschwäche, aphasische Störungen,
Parese des rechten Armes und Beines. Pat. starb an den Folgen der von ihm
gewünschten Trepanation.
Die Section ergab eine diffuse Gliose der rechten Central Windungen und der
tiefer liegenden Marklager, welche zu einer erheblichen Volumzunahme der linken
Hemisphäre geführt hatte. Die Configuration der Windungen waren noch voll¬
ständig erhalten. Rinde und Mark nur an einer Stelle in der vorderen Central¬
windung nicht abzugrenzen.
Die erkrankten Partieen unterscheiden sich von der normalen Gehirnsubstanz
nur durch eine festere Consistenz, nicht aber durch ihre Färbung. Eine Ab¬
grenzung gegen die normalen Partieen ist ganz unmöglich.
Die mikroskopische Untersuchung der Fälle II und HI nach der Weigert’-
schen Methode ergab, dass die Volumzunahme der erkrankten Gehirnpartieen
durch die äusserst faserreiche, aber kernarme Glia bedingt war. Die Erkrankung
der Neuroglia hat in der Rinde begonnen. Dort sind die Tangentialfasern mehr
oder weniger geschädigt; die in die Rinde einstrahlenden Fasern sind durch die
dazwischen lagernde Stria etwas auseinander gedrängt, jedoch ist die Anordnung
der Fasern im Allgemeinen noch erhalten. An Ganglienzellen und Gefässen keine
wesentlichen Veränderungen. —
Das Besondere der 3 Fälle ist Folgendes: Erstens, die Fälle II und III
betrafen in so spätem Alter vorher körperlich und geistig vollwerthige Personen,
so dass eine congenitale Erkrankung nicht angenommen werden kann. Zweitens,
von den zwei Geschwistern des 10 jährigen Pat. leidet eine Schwester seit Jahren
an Epilepsie, ein Bruder, der 20 Jahre alt und geistig normal ist, an einer be¬
ginnenden, langsam sich entwickelnden Hemiplegie rechts, Sprachstörung, Kopf¬
schmerzen. Dieselbe hat sich etwa 10 Jahre nach einem schweren Kopftrauma
links, welche an sich keine Ausfallserscheinungen zurückgelassen hatte, entwickelt.
3d bv
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Im Juni 1901 erster epileptischer Anfall mit Zungenbiss und nachfolgenden
leichten psychischen Störungen ohne besondere Herdsymptome und ohne Hirndruck.
An eine Erkrankung der Glia auch in diesem Falle zu denken, liegt nahe. Da
die epileptischen Anfälle in den 3 oben genannten Fällen während des ganzen
Krankheitsverlaufes das hervorstechendste Symptom waren, fragt es sich, ob
die Ursache davon nicht in der besonderen Beschaffenheit dieser Gliose zu
suchen ist.
Die Fälle müssen jedenfalls von der gewöhnlich als organisch bedingten
Epilepsie abgetrennt werden.
Herr Dr. Neumann (Karlsruhe): Zar Aetiologie der Chorea mlnor.
Der Zusammenhang zwischen Chorea minor und den sogenannten rheumatischen
Infectionen hat schon lange den Gedanken nahe gelegt, dass in der Chorea minor
nicht eine functioneile Neurose unbekannter Provenienz, sondern eine acute In-
fectionskrankheit zu erblicken sei. Von 185 Choreafällen, die während der letzten
10 Jahre in der Strassburger neurologischen Poliklinik zur Beobachtung kamen,
waren nach Maassgabe der Anamnese 46 = 24 l /, °/ 0 infectiösen Ursprungs. Bei
zunehmender Genauigkeit der anamnestischen Erhebungen stieg der Procentsatz der
nachweislich infectiös bedingten Choreafälle jedoch erheblich, so im Jahre 1900
auf 43 1 / 8 °/o- — Die Vertheilung der Choreafälle auf die verschiedenen Jahre und
Jahreszeiten war eine höchst ungleiche, es verhielt sich z. B. die Choreafrequenz
der Jahre 1892 und 1893 wie 1:3. Durchgehend war die höchste Frequenz in
den Frühjahrsmonaten, die geringste im Spätherbst, so entfielen auf den Monat
Mai im ganzen 29 Fälle, auf den Monat October nur 4 in 10 Jahren!
Die Curve der Choreamorbidität trägt denselben Charakter wie die fiir den
acuten Gelenkrheumatismus. Ausser nach diesem, der am häufigsten den Anlass
zu Erkrankung an Chorea gab, trat letztere noch auf nach Scharlach, Masern,
Diphtherie und Influenza, vereinzelt nach Mumps, Angina, Endo- und Perikarditis,
Nephritis.
Das Auftreten eines Herzklappenfehlers wies bei einer ganzen Reihe von
Fällen, die anamnestisch nicht zu den infectiös bedingten gehörten, nachträglich
dennoch auf einen infeotiösen Ursprung hin. Besonders gilt dies auch für einen
Theil der durch psychischen Shock durch Schreck ausgelösten Erkrankungen.
Andere Fälle dieser Kategorie, sowie die durch psychische Infection, durch
Suggestion entstandenen sind von der „wahren“ Chorea abzutrennen und der
Hysterie zuzurechnen.
Nach der Ansicht des Vortr. ist man zur Zeit nicht genöthigt, neben der
infectiös-toxischen Form der Chorea und der als Chorea in die Erscheinung
tretenden Hysterie noch eine dritte, rein neurotische Form anzunehmen. Die
gegen die Infectionstheorie sprechenden Gründe hält Vortr. nicht für stichhaltig.
Bezüglich des häufigen Auftretens halbseitiger Chorea wird an das elective Auf¬
treten gewisser toxischer Lähmungen erinnert (Bleilähmung, postdiphtherische
Lähmung). Das Vorwiegen des weiblichen Geschlechts unter den Choreakranken
erklärt sich genügend aus dem Gesichtspunkte der Prädisposition und duroh die
Existenz einer als Chorea in die Erscheinung tretenden Hysterie.
Vortr. fasst seine Ansioht über die Entstehung der Chorea dahin zusammen:
Die Chorea minor ist in letzter Linie als Folge einer Toxinwirkung aufzu¬
fassen.
Ausser dieser spielt bei der Entstehung der Chorea eine individuelle Prä¬
disposition mit, bestehend in einer constitutionellen oder temporären Minder-
werthigkeit des Organismus, speciell des CentralnervensyBtems.
Ausser der wahren, infectiös-toxischen Chorea giebt es noch eine Art Pseudo¬
chorea, die der Hysterie zuzurechnen ist.
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Herr Dr. W. Weygandt (Würzburg): Beitrag rar Diagnose der Neur¬
asthenie.
Während seit Board die meisten Autoren den Nachdruck auf die Erschöpfung
als ätiologischen Factor der Neurasthenie legten, wurde doch schon früh, so von
Jolly, die Neurasthenie auch in Beziehung zu constitutioneilen Leiden, wie der
Hypochondrie, gesetzt. Neuerdings wird nachdrücklich yon Eräpelin und von
Schaffer die endogene, constitutionelle Neurasthenie von der exogenen, auf Er¬
schöpfung beruhenden getrennt. In praxi freilich treffen wir doch oft Fälle, hei
denen beide ätiologischen Factoren eine Bolle spielen; man kann sich die Be¬
ziehungen so vorstellen, dass eben constitutioneil minderwerthige Individuen, wie
gegen andere Gifte, z. B. Alkohol, so auch gegenüber den der Erschöpfung zu
Grunde liegenden Stoffwechseländerungen, intolerant sind. Möbius hat die Sym¬
ptome der chronischen Erschöpfung von denen der acuten Ermüdung abzuleiten
gesucht. Es ist Vortr. gelungen, auch auf experimental-psychologischem Wege
nachzuweisen, dass die Arbeitskurve des Erschöpfungsn'eurasthenikers in ihrem
Verlauf der Kurve bei acuter Ermüdung entspricht, indem bei continuirlicher
Arbeit der Gipfel der Leistung zu Beginn liegt, worauf die Arbeitsfähigkeit immer
mehr sinkt, während bei Normalen die Kurve zunächst geraume Zeit in Folge
der die Ermüdung überwiegenden Uebung ansteigt. Frühere Versuohe von Gross
und Röder hatten gezeigt, dass es unmöglich ist, derartige Kurven zu simuliren.
Vortr. demonstrirt eine Reihe von Kurven bei Neurasthenie, dann von Reconvales-
centen, bei denen die Leistung sich bessert, von geheilten Neurasthenikern, die
eine der Norm entsprechende Kurve liefern, ferner die Arbeitskurve von con-
stitutionell Neurasthenischen, bei der auffallende, jähe Schwankungen der Leistungs¬
fähigkeit zu bemerken sind. Zu beachten ist Kenntniss der im Ganzen einfachen
Methodik, ferner der Einzelfactoren, die die Normalarbeitskurve bedingen, und
etwaiger störender Momente. Vor Allem für Nervenanstalten dürfte sich diese
Methode empfehlen, die uns sinnenfällige, zahlenmässige Resultate liefert auf einem
Gebiet, auf dem wir bisher fast ausschliesslich auf subjeotive Symptome angewiesen
waren.
(Schloss folgt)
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 8. Juli 1901.
Herr Liepmann demonstrirt vor der Tagesordnung einen Kranken M., der,
als er vor 9 Wochen nach Dalldorf kam, ein eigentümliches Bild schwersten
Blödsinns bot: er sprach und verstand nicht, kreischte wie ein Papagei, stiees
häufig den Kuckuksruf aus, küsste und war sehr gefrässig, ass wiederholt das
Erbrochene wieder auf, kratzte Arzt und Kranke, gebärdete sich im Uebrigen wie
ein Thier. Vortr. hielt dies Bild nur bei angeborenem Blödsinn für möglich; um
so erstaunter war er, als die später eingelaufenen Acten ergaben, dass der Kranke
erst im Januar im Gefängniss, wo er eine 3jähr. Strafe wegen Körperverletzung
zu verbüssen hatte, geisteekrank geworden war und dass er 18 Vorstrafen, meist
wegen Körperverletzung, Widerstand u. s. w. erlitten hat.
Nach 6 Wochen brachte der Kranke selbst Klärung. Er liess plötzlich seinen
bisherigen Habitus fallen und erklärte mit grosser Genugtuung, dass er Alles
simulirt habe, auf Zureden Mitgefangener, weil Beine Strafe zu hart sei. Wenn
man ihn ins Gefängniss zurückbringe, würde er sofort wieder den „wilden Mann“
spielen. M. war im Folgenden jederzeit bereit, zur Belustigung der Station, die
alte Rolle wieder zu spielen.
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729
Dass M. in Dalldorf simulirt hat, dürfte ausser Zweifel sein. Die nähere
Untersuchung ergab nun aber, dass es sich nicht um die Simulation eines Ge*
sunden, sondern eines Kranken handelte. M. zeigt nämlich deutliche Zeichen von
Geistesschwäche und deutet frühere Erlebnisse wahnhaft im Sinne der Beein¬
trächtigung, hat also paranoische Züge. Er ist Alkoholist, kann wenig Spirituosen
vertragen und litt früher an Krämpfen.
Seine Simulation entsprang pathologischen Motiven, ihre Form zeigte Schwach¬
sinn und das Fehlen einer Beihe normaler Hemmungen.
Dass auch im Gefängniss, wie M. angiebt, alle Symptome simulirt waren,
dürfte zu bezweifeln sein. Es ist wahrscheinlich, dass ihm Stimmen die Simulation
aufgegeben haben, und dass sein dortiges Verhalten eine Verquickung von Echtem
und Vorgetäuschtem darbot.
Vortr. findet das Interesse des Falles darin, dass das Bild, welches der Kranke
in Dalldorf zeigte, einerseits ein Kunstproduct darstellt, dass es andererseits das
Kunstproduct eines Geisteskranken ist: eine Illustration zu dem Satze, dass Nach¬
weis der Simulation noch nicht den Nachweis geistiger Gesundheit bedeutet. Der
Kranke zeigte sich auf Wunsch des Vortr. der Versammlung erst in der früher
gespielten Bolle, dann in seinem wirklichen jetzigen Charakter.
Discussion:
Herr Baer kennt den vorgestellten Patienten aus der Strafanstalt. Ein
Bild, wie das eben gesehene, hätte der Kranke in der Anstalt nioht dargeboten.
Er hatte Perioden, wo er tagelang still war und auch die Nahrung verweigerte,
wo es auch gefährlich war, an ihn heranzutreten. Sein Benehmen war derart,
dass man auf Bestehen von Hallucinationen schliessen musste. Auf die Thier-
stimmen, welche er nachahmt, wurde kein Gewicht gelegt in Anbetracht dessen,
dass er früher Musikant war.
Herr Jolly meint, dass Patient bei seinem zweiten Auftreten, bei welcher
er die Bolle des Simulanten abgelegt hatte, ganz charakteristische Züge von
Paranoia darbot. Auf dem Boden der Paranoia hätte sich bei ihm wahrscheinlich
der Schwachsinn entwickelt.
Herr Liepmann hebt hervor, dass er mit seinen Ausführungen sich durch¬
aus nioht im Gegensatz zu dem Arzt des Gefängnisses setzen wollte, denn dass
M. mit Recht als geisteskrank erklärt sei, darüber könne kein Zweifel herrschen.
Dem verbreitetsten Gebrauch des Wortes Paranoia folgend, könne man M. einen
schwachsinnigen Paranoiker nennen, mit Accent auf schwachsinnig.
Herr B. Cassirer: Absoees der Medulla oblongata.
Abscesse der Medulla oblongata (und dee Pons) gehören zu den grössten
Seltenheiten; in der Litteratur sind nur 6 Fälle bekannt, die von Meynert,
Eisenlohr (zwei), Lorenz und Dogliotti mitgetheilt sind. Folgender Fall
wurde im Charlottenburger Krankenhaus (Prof. Grawitz) beobachtet: 39jähriger
Mann, aufgenommen am 24./I. Seit 8./I. unregelmässiges Fieber, seit 22./I.
Klagen über Parästhesieen im linken Arm und Bein, am 24./I. Doppeltsehen. —
Satus praesens: Freies Sensorium, leichte rechtsseitige Abducensparese, Facialis frei.
Linksseitige Hypästhesie vom Scheitel bis zur Sohle, Temperatur- und Schmerz¬
sinn sind am meisten afficirt. Subjective Empfindungen von Kribbeln und Kälte
linkerseits; keine Motilitätsstörung. Temperaturen bis 41,6°. Innere Organe ohne
Befund. Am 25./I. leichte Neuritis optica, am 26./I. hat die Abducensparese zu¬
genommen, Eintritt einer Facialislähmung, am 28./I. Keratitis dextra, am 29./I.
früh Exitus. Bei der Section Eiterungen in der Leber, in der Lunge und im
Stamm des Gehirns. Auf dem Durchschnitt durch die Trigeminuskernregion fand
sich in der Haube rechts ein über kirschkemgrosser Eiterherd, mit grünlich¬
gelblichem, dickem, nicht stinkendem Eiter gefüllt. Die mikroskopische Unter-
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suchung ergab fast völliges Fehlen secundärer Degenerationen bei der Marchi-
Methode, und in dem ventralen Theil der rechten 5. Wurzel geringfügige Dege¬
neration. Der Abscess war also nur einige Tage alt; er begann in der Höhe
des Facialiskerns, wo er an der lateralen Ecke des Ventrikels lag, dehnte
sich dann medial- und dorsalwärts stark aus, zerstörte völlig den austretenden
Facialisschenkel, den Abducenskern, zum Theil auch die Abducensfasern, ferner in
höheren Ebenen das ganze rechtsseitige Quintusursprungsgebiet, einen grossen Theil
der Substantia reticularis tegmenti, das Corp. trapezoides; noch weiter cerebral -
wärts wurde die Schleife zerstört; schliesslich endigt er oberhalb der Trochlearis-
kreuzung zwischen den Fasern der Brücke, ohne irgendwo die Pyramidenbahnen
zu afficiren. Länge des Herdes etwa 3 */j cd 1 » grösste Ausdehnung auf dem Quer¬
schnitt 1,5 cm im Quadrat (röhrenförmiger Abscess). Histologisch ist nachweisbar,
dass an vielen Stellen normales und krankes Gewebe nur durch eine schmale
Schicht acuten Markzerfalls und an anderen Stellen auch reactiver Bindegewebs¬
wucherung getrennt sind, während in anderen Partieen deutliche Zeichen rother
Erweichung vorliegen, jedenfalls geht die Abscedirung des Gewebes nicht erst auf
dem Umwege der rothen Erweichung vor sich.
Dnicussion:
Herr Grawitz erwähnt, dass man intra vitam sich keine Erklärung für das
Entstehen des Abscess es geben konnte. Pat. hatte einen Hautausschlag und be¬
kam plötzlich hohes Fieber, an welches sich die übrigen von C. geschilderten
Krankheitssymptome anschlossen. Bei der Autopsie fanden sich, abgesehen von
einer kleinen Eiterung in der Lunge, multiple Abscesse der Leber, welche keine
Symptome hervorgerufen hatten. Im Processus vermiformis fand Bich ausserdem
eine Fischgräte, die schon abscedirt war. Pat. hatte also eine Perityphlitis durch¬
gemacht, und von diesem Herde sind dann die secundären Abscesse in den ge¬
nannten Organen und im Gehirn entstanden.
Herr M. Rothmann: Das Monakow’sohe Bündel beim Affen.
Nachdem die Arbeiten der letzten Jahre gezeigt haben, in wie weitgehender
Weise beim Hunde das Monakow’sohe Bündel in functioneller Hinsicht die
Pyramidenbahn zu ersetzen vermag, rnt es von Bedeutung, den Verlauf und die
Leistungsfähigkeit dieser Bahn beim Affen kennen zu lernen, dessen motorische
Function nach Ausschaltung beider Pyramidenbahnen nach den neuesten Versuchen
des Vortr. gleichfalls eine weit grössere ist, als man vermuthen konnte. Held
stellte die Existenz dieser Bahn beim Menschen an Föten fest, und Russell sah
dieselbe beim Affen nach Seitenstrangsläsion in der Medulla oblongata. Vortr.
konnte nun diese Bahn bei einem Macaeus cynomolgua nach Durchschneidung des
rechten Hinterseitenstranges in der Höhe der Schleifen- und oberen Pyramiden¬
kreuzung in ihrem ganzen Verlauf durch das Rückenmark verfolgen. Der Affe
zeigte vorübergehende Parese der rechtsseitigen Extremitäten; die Reizung der
Extremitätenregionen der Hirnrinde, 3 Wochen nach der Operation, ergab nor¬
male Verhältnisse. Die mikroskopische Untersuchung an Marchi-Präparaten
zeigte eine von dem Hinterseitenstrang der Medulla oblongata ungekreuzt in das
Rückenmark ziehende Bahn, die in wechselnder Form, bald als wagerecht ver¬
laufender Streifen, bald in Halbmondform ventral von der beim Affen mächtig
entwickelten Pyramidenseitenstrangbahn im Seitenstrang bis herab in die tiefsten
Abschnitte des Sacralmarks mit nach abwärts stetig abnehmender Intensität zu
verfolgen ist Im Hals- und Lendenmark gehen von dieser, dem Monakow’schen
Bündel des Hundes offenbar entsprechenden Bahn feine im Längsschnitt getroffene
degenerirte Fäserchen zum Seitenhorn der grauen Substanz.
Da das Monakow’sche Bündel beim Affen um Vieles kleiner ist, als beim
Hunde, so wird man auch für den Menschen demselben keine grosse Ausdehnung
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zuschreiben dürfen. Ferner ist bemerkenBwerth, dass dasselbe mit der Hauptmasse
nicht im Areal der Pyramidenseitenstrangbahn liegt, daher für die Erklärung der
stärkeren Degeneration des letzteren nach Rückenmarksherden nicht herangezogen
werden kann.
Nach der Läsion im Hinterseitenstrang der Medulla oblongata, die zugleich
das Hinterhorn mit der aufsteigenden Trigeminuswurzel betroffen hatte, waren
ausser dem Monakow’schen Bündel absteigend eine FaBergruppe im Vorder¬
seitenstrang, die aufsteigende Trigeminuswurzel und ein feines Degenerationsbündel
im Tractus septomarginalis beider Hinterstränge von dem unpaaren Schwanzkern
bis in das Sacralmark degenerirt, aufsteigend die Kleinhirnseitenstrangbahn und
einzelne Fasern des Gowers’schen Stranges.
Eine Untersuchung der Ganglienzellen der rothen Kerne an Nissl-Präparaten
in der Höhe der Oculomotoriuskerne und noch höher herauf ergab völlig normale
Verhältnisse, so dass über den centralen Ursprung des Monako w’schen Bündels
beim Affen nichts Bestimmtes ausgesagt werden kann.
Herr Juliusburger: Zur Lehre von den Zwangsvorstellungspsyohosen.
Vortr. berichtet über einige Fälle von Psychosen aus Zwangsvorstellungen.
In dem einen Falle traten die Zwangsvorstellungen ziemlich acut auf, und es ent¬
wickelte sich aus ihnen einige Zeit später eine Psychose, die Vortr. als nahe¬
stehend der Gruppe der Angstpsychosen im Sinne Wernicke’s bezeichnet. Die
Psychose kam zur vollständigen Heilung; nach ihrem Abklingen bestanden noch
vereinzelte Zwangsvorstellungen, für die Krankheitseinsicht vorhanden war, während
diese bei Beginn der Erkrankung den Zwangsvorstellungen gegenüber fehlte. —
Auch im 2. Falle traten acut Vorstellungen und motorische Reactionen auf, die
Vortr. als Uebergangsform von Zwangsvorstellungen zu den von Wernicke ge¬
kennzeichneten autochthonen Ideeen und deren Analogon auf motorischem Gebiete,
den pseudospontanen Handlungen und Bewegungen, anBieht. In der Folge ent¬
wickelte sich ein chronisch paranoischer Zustand, dessen Entstehungsmodus noch
heute — nach Jahren — klar ersichtlich ist. Bei Beginn der Erkrankung be¬
steht den fremdartigen Vorstellungen und Handlungen gegenüber eine Krankheits¬
einsicht, die dann bald verloren geht. — In dem 3. Falle handelt es sich um
eine recidivirende depressive Autopsychose, die jedes Mal durch eine plötzlich und
geradezu apoplektiform auftretende Idee secundär ausgelöst wird, der die Er¬
innerung an ein affectvolles Erl ebniss zu Grunde liegt. Vorübergehende Krank¬
heitseinsicht der Idee gegenüber. Keine Beziehungswahnvorstellung. Uebergang
von Zwangsvorstellung zur überwerthigen Idee im Sinne Wernicke’s. — Endlich
weist der Vortr. auf das Vorkommen von Beziehungswahnvorstellungen und
Phonemen bei Zwangsvorstellungen hin; in dem einen Falle trat im Anschluss
an eine plötzlich auftauchende BeziehungBwahnvorstellung im Sinne der den Kranken
beherrschenden Idee und dadurch hervorgerufene Erregung eine abortive acute
Hallucinose auf, die in Genesung überging. — Es können also unmittelbar aus
Zwangsvorstellungen Psychosen verschiedenen Charakters mannigfaltig sich ab¬
spielender Entwickelung wechselnden Ausgangs hervorgehen. Ferner werden zwei
wichtige Bestandtheile der Westphal’schen Definition der Zwangsvorstellungen
fallengelassen. Die Krankheitseinsicht kann nicht als Kriterium der Zwangs¬
vorstellungen gelten, und gerade der abnorme und fremdartige Charakter der
Zwangsvorstellungen kann, zumal bei fehlender Krankheitseinsicht, für das Geistes¬
leben des Betroffenen verhängnissvoll werden.
Schliesslich haben die Fälle den Beweis gebracht, dass zwischen Zwangs¬
vorstellungen, überwerthigen Ideeen und autochthonen Ideeen in der That Ueber-
gänge existiren, worauf bereits Wernicke hingewiesen hat. Die SejunctionB-
hypothese Wernicke’s giebt auch den Schlüssel zum Verständniss dieser That*
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Sache, insofern sie die drei erwähnten Eategorieen von Vorstellungen als Erscheinungen
gestörter Bewusstseinsthätigkeit, als Reizsymptome auffassen lässt. Nach Wernicke
handelt es sich bei Zwangsvorstellungen — and wohl auch bei der überwerthigen
Ideeen, wie hinzugefügt werden darf — um einen Reizvorgang bei erhaltener Con-
tinuität, das andere Kal, bei den autochthonen Ideeen, um einen solchen bei
partiell gelöster Continuität. Es liegt auf der Hand, dass je nach der Extensität
des zu Grunde liegenden Processes die drei Eategorieen von Vorstellungen scharf
von einander getrennt oder in Uebergangsformen auftreten werden.
Auf Antrag des Herrn Prof. Mendel wird die Discussion über diesen Vor¬
trag auf die nächste Sitzung versohoben. Jacobsohn (Berlin).
Sooiätö de nearologie de Paris.
Sitzung vom 7. Februar 1901.
(Schluss.)
Herr J. Babinski: I. Hemiaeynergie und halbseitiges Zittern in Folge
einer Läsion im Kleinhirn und in der Varolsbrüoke.
Am 9. November 1899 hat Vortr. in dieser Gesellschaft eine eigenthümliche
Motilitätsstörung mitgetheilt, die er als Eleinhirnasynergie bezeichnete.
Jetzt berichtet er folgenden Fall: 64jähriger Mann erkrankte im Alter von
40 Jahren an acuter Pneumonie; im Alter von 52 Jahren bemerkte er, dass
das rechte Bein ohne jeglichen Grund schlecht functionirte, dass der rechte Arm
bei den Bewegungen zitterte, und dass sein Gesicht schief geworden ist. All¬
mählich nehmen diese Störungen zu, und der Eranke wird arbeitsunfähig. Im
Mai 1900 acute Pneumonie, wegen welcher er sich in das Hospital aufnehmen
lässt. Die Pneumonie heilt in 3 Wochen, dagegen nehmen die Störungen des
Nervensystems immer mehr und mehr zu. Bei der Untersuchung im Januar 1901
constatirt Vortr. Folgendes: Auf der linken Eörperhälfte scheinen alle Be¬
wegungen normal zu sein. Rechts oomplette Facialisparalyse mit Entartung»-
reaction. Wenn der Eranke stark den Mund aufsperrt, so bemerkt man am
Halse eine starke Contraction des Platysma myoides auf der linken Seite
(Platysmazeichen). Die grobe Muskelkraft ist kaum vermindert an beiden Ex¬
tremitäten der rechten Seite. Es sind weder Muskelcontracturen noch Hypotonie
vorhanden. Jedoch ist das Functioniren der rechten Extremitäten stark behindert
Die rechte obere Extremität ist von einem heftigen Zittern behaftet, welches in
alternativen Beuge- und Streckbewegungen des Vorderarmes und in Pronation
und Supination der Hand besteht. Wenn der Eranke ein Glas an den Mund
bringt, so wird die erste Hälfte der Bewegung ziemlich regelmässig ausgeführt.
Je näher der Eranke aber mit dem Glas an den Mund kommt, desto heftiger
werden die Zitterbewegungen. Ueberhaupt zittert der Eranke mehr bei Aus¬
führung von intendirten Bewegungen, als wenn der Arm in Ruhe ist. Die Schrift
ist absolut unleserlich. Dagegen besteht keine Spur von Ataxie in den Be¬
wegungen der Extremität. Rechte untere Extremität im Sitzen unter¬
sucht: Die einfachen Bewegungen in allen Segmenten sind frei und normal.
Die coraplicirten Bewegungen sind dagegen erschwert. So kann der Eranke in
correcter Weise mit der Fussspitze einen Punkt berühren, der auf der Höhe von
einigen Centimetern sich befindet. Aber nachdem er diese Bewegung gemacht
hat, führt er, um den Fuss wieder auf den Boden zu bringen, eine Reihe ganz
unlogischer und unzweckmässiger Bewegungen aus. So flectirt er zunächst den
Unterschenkel, streckt in einem zweiten Tempo den Oberschenkel und lässt
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erat dann den Fuss auf den Boden fallen. Vortr. erblickt darin ein Fehlen
synergischer zweckentsprechender Muskelcontractionen. Im Liegen nnterBncht:
Die obere Extremität zittert nur bei Ausführung intendirter Bewegungen. Ver¬
sucht der Kranke sich aufzusetzen, indem er die Arme auf der Brust gekreuzt
hält, so führt der Körper dabei eine Rotationsbewegung um die Längsaxe nach
links aus, und der rechte Fuss kommt dabei etwas in die Höhe. Die Beuge¬
bewegungen des linken Beines werden normal ausgeführt. Das rechte Bein führt
im Sitzen die Bewegung des Streckens in ganz unzweckmässiger Weise aus.
Untersuchung im Stehen: Zittern der oberen rechten Extremität. Das rechte
Bein ist stärker abducirt als das linke. Gleichgewicht normal. Kein Rom*
berg’sches Phänomen. Das Gehen ist erschwert. Der Kranke stützt sich auf
einen Stock und kommt nur langsam vorwärts. Die Beine sind dabei gespreizt,
besonders das rechte. Die Bewegungen der linken unteren Extremität sind
normal. Das rechte Bein wird nachgeschleppt, als wenn ob im Knie steif wäre,
was absolut nicht der Fall ist, wie die Untersuchung der activen und passiven
Segmentbewegungen beweist. Die Hautsensibilität ist am ganzen Körper normal,
mit Ausnahme der Hornhaut, der Conjunctiva und der Augenlider am rechten
Auge. Die Muskelsensibilität ist normal. Die Sehnenreflexe sind gleich lebhaft
auf beiden Seiten. Kein Fussklonus vorhanden. Plantar-, Cremaster- und Bauch¬
reflexe normal. Am rechten Auge besteht eine neuroparalytische Keratitis.
Rechts Abducensparese. Leichter Nystagmus. Der Geruch ist rechts geschwächt.
Das Gehör ist auf dem rechten Ohr aufgehoben, ohne objectiv nachweisbare Ver¬
änderungen am Gehörorgan. Keine Spur von psychischen Störungen. Urogenital-
syBtem normal. An den Lungen beginnende Tuberculose.
Dieser Kranke ist offenbar von einem organischen Nervenleiden behaftet,
dessen Sitz in der Gegend des verlängerten Markes und der Varolsbrücke zu
suchen ist Der Ursprung des 5., 6., 7. und 8. Nerven ist tief lädirt, daher die
neuroparalytische Keratitis, die Lähmung des Abducens, die Facialisparalyse mit
Entartungsreaction und die Aufhebung des Gehörs. Was die Natur des Leidens
anbetrifft, so handelt es sich höchst wahrscheinlich entweder um eine Entzündung
oder um eine Gefässerkrankung, da die Cardinalsymptome eines Gehirntumors
fehlen. Auffallend ist es aber, dass die motorischen Störungen an den Ex¬
tremitäten bei dem Kranken auf derselben (rechten) Seite gelegen sind, wie die
Störungen an den Gehirnnerven, was im Widerspruche steht mit dem, was die
Erfahrung von den Brückenläsionen lehrt. Dieser Widerspruch ist aber nur ein
scheinbarer, da es sich bei dem Kranken nicht um eine Paralyse an den be¬
treffenden Extremitäten handelt; auch sind keine Zeichen einer Störung des ent¬
sprechenden Pyramidalstranges vorhanden. Vortr. ist der Meinung, dass die
Motilitätsstörung an den Extremitäten, besonders an der rechten unteren, als eine
Störung der Association oder Synergie der Bewegungen zu betrachten ist, die
mit der Incoordination bei der Ataxie nicht zu verwechseln ist. Er schlägt
darum für diese Störung den Namen von Hemiasynergie vor. Hemi- weil
es sich bei diesem Kranken um eine halbseitige Störung handelt. Die Ursache
dieser Asynergie ist in einer Erkrankung der Fasern der Pedunculi cerebelli ad
medullam oblongatam zu suchen. Einen Beleg für seine Hypothese findet Vortr.
in den Experimenten von Herrn ThomaB (Le cervelet. These de Paris. 1897.)
II. Behandlung der Basedow’sohen Krankheit mit Natrium sali-
oylioum.
Vortr. hat mehrere Fälle von Morbus Basedowii mit salicylsaurem Natron
behandelt und ähnlich wie Dr. Chibret (Clermont-Ferraud) sehr günstige
Resultate erzielt. Namentlich bei 3 seiner Kranken war das Resultat besonders
bemerkenswert!!. In einem Falle handelte es sich um eine 28jährige Frau, bei
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welcher das Leiden in der Mitte des Jahres 1898 begonnen hatte und ziemlich
rasch sich verschlimmerte. Im Februar 1899 constatirte man einen ziemlich er¬
heblichen pulsirenden Kropf, sehr ausgesprochene doppelseitige Exophthalmie,
Zittern der oberen Extremitäten. 140 Pulsschläge i. d. M. Starke Abmagerung
und Abnahme der Kräfte. Diese Kranke nahm während mehrerer Monate mit
kurzen Unterbrechungen 3 — 4 g Natr. salicyl. pro Tag. Im October desselben
Jahres war ihr Zustand bedeutend verändert: 80 Pulsschläge i. d. M. Keine Spur
von Kropf, kein Zittern der Hände mehr. Die Exophthalmie bedeutend weniger
ausgesprochen. Das Körpergewicht hat um mehrere Pfund zugenommen, und die
Kranke fühlt sich entsprechend kräftiger. Am Ende des Jahres 1900 war keine
Spur mehr von Glotzaugen vorhanden, auch keine Tachykardie und kein Kropf.
Die zweite Kranke ist eine 41jährige Frau. Beginn im April 1898. Die
Symptome nehmen progressiv zu bis November 1899. Zu dieser Zeit wurde
constatirt: Doppelseitige Exophthalmie, Tachykardie (Puls 120, 130 i. d. M.).
Leichtes Zittern der oberen Extremitäten. Es war kein Kropf vorhanden. Die
Kranke bekam 3 g von N. salicyl. pro Tag. Nach einem Monat war die Tachy¬
kardie fast vollständig verschwunden. Im Januar 1901 war die Exophthalmie
links vollständig verschwunden, rechts bedeutend verringert, kein Zittern der
Hände mehr. Puls zwischen 80 und 90 i. d. M. Im dritten Fall war die Diagnose
zweifelhaft, da von der Trilogie der Symptome nur der pulsirende Kropf vor¬
handen war. Die Krankheit bestand seit einem Jahre, als der Pat N. salicyl.
zu nehmen begann (3 g pro Tag). In weniger als einem Monat verschwand der
Kropf fast vollständig.
III. Stauungspapille, geheilt durch Sohftdeltrepanation (mit Kranken¬
vorstellung).
Es wird eine 29 jährige Frau vorgestellt, die im Juli 1898 von einem Zwei¬
rad stürzte und auf den Hinterkopf fiel. Einen Monat nach diesem Unfall fing
sie an, über Kopfschmerzen zu klagen, die an Intensität immer mehr und mehr
Zunahmen und seit 18 Monaten so heftig geworden sind, dass die Kranke fast
vollständig schlaflos ist. Nur während einiger Tage, unmittelbar nach dem
monatlichen Unwohlsein, war die Kranke von Schmerzen frei. Ausserdem litt
sie an täglichem Erbrechen. Vor einem Jahre wurde von einem Augenarzt
eine Neuritis optica mit Netzhautblutungen constatirt, jedoch ohne eine Ab¬
nahme in der Sehschärfe. Seit 6 Monaten wurde aber auch die Sehkraft ge¬
ringer, und seit einem Monat hat die Sehschärfe besonders stark abgenommen.
Intensive Quecksilberbehandlung, während eines Jahres fortgesetzt, blieb ohne
Resultat.
Vortr. sah zum ersten Mal die Kranke am 7. Januar dieses Jahres. Sie
klagte über fortwährende unerträgliche Schmerzen in der Gegend der Stirn, des
Hinterkopfes und in der linken Scheitelgegend, dass sie jeden Tag Erbrechen hat,
und dass sie zu Allem bereit ist, um von diesen Schmerzen befreit zu werden.
Bei der Untersuchung wurde doppelseitige, sehr ausgesprochene Stauungspapille
constatirt. Sehschärfe links */ 4 , rechts */ 3 (Pr. Parinaud). Sonst keine ob-
jcctiven Zeichen einer organischen Erkrankung des Nervensystems. An den Brust-
und Bauchorganen nichts Abnormes. Urin eiweiss- und zuckerfrei. Eis handelt
sich sicher in diesem Falle um eine organische Krankheit in der Schädelhöhle,
aber weder ist ein Tumor, noch eine Meningitis mit Hydrocephalie mit Sicherheit
zu diagnosticiren. Die Kranke war bereit, sich einer Trepanation zu unterwerfen;
dieselbe wurde von Herrn Gesset am 14. Januar an der linken Parietalgegend
ausgefiihrt Es wurde bei der Operation nichts Abnormes am Gehirn constatirt
Ara 10. Tag danach konnte die Kranke aufstehen. Seit der Operation sind die
Kopfschmerzen und das Erbrechen vollständig verschwunden. Bei der Untersuchung
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des Augenhintergrundes am 30. Januar findet man keine Spur mehr von Stauungs¬
papille. Die Papillen erscheinen blass, und die Sehschärfe ist nur 1 / 6 .
Vortr. theilt noch kurz die Geschichte einer anderen Kranken mit, die eben¬
falls von einem organischen Leiden der Schädelhöhle behaftet war. Diese Kranke
hatte ebenfalls Kopfschmerzen, Gehörsschwäche, auf beiden Augen blasse Papillen
mit Gefässatrophie, ohne Herabsetzung der Sehschärfe. Ausserdem bestand von
Zeit zu Zeit ein Ausfluss aus dem linken Nasenloch von cerebrospinaler Flüssig¬
keit. Die Kopfschmerzen nahmen immer zu, wenn dieser Ausfluss stockte, sie
nahmen ab und verschwanden selbst, sobald der Ausfluss sich wieder einstellte.
Wahrscheinlich hat man in diesem Falle die Leichtigkeit der Augenstörungen
diesem Abflüsse der Cerebrospinalflüssigkeit, wodurch das Gehirn entlastet wurde,
zuzuschreiben.
Vortr. betont noch die Thatsache, dass bei seiner trepanirten Kranken die
Kopfschmerzen unmittelbar nach dem monatlichen Unwohlsein nachliessen. Die
Wirkung der Menses war in diesem Falle eine ähnliche, wie der Aderlass bei
der Urämie, deren Symptome bei der cerebralen Form ja den Symptomen von
Gehirntumoren analog sind. Somit könnte die jetzt etwas verjährte Theorie, noch
welcher bei der Urämie Gehirnödem besteht, doch etwas Wahres haben.
Vortr. schlägt deswegen vor, bei der cerebralen Form von Urämie regel¬
mässig die Lumbalpunction vorzunehmen.
Discussion:
Herr Ernest Dupre fragt, ob Herr Babinski bei seiner Kranken, bevor er
sich zu einer so ernsten Operation wie der Trepanation entschloss, nicht daran
gedacht habe, eine Lumbalpunction vorzunehmen. Er habe einen Fall beobachtet,
der ähnliche Symptome darbot, wie die Kranke von Babinski. Nach einer
lumbalen Punction, bei welcher die cerebrospinale Flüssigkeit förmlich heraus¬
spritzte, verspürte der Kranke eine vorübergehende Erleichterung. Diese Punction
ist somit immer indicirt, wenn man einen erhöhten Druck der cerebrospinalen
Flüssigkeit annehmen darf.
Herr Babinski erwidert, dass bei seiner Kranken die Augenstörung sich
so rasch verschlimmert habe, dass er eine directe Intervention am Schädel als
wirksamer betrachtet hätte. R. Hirschberg (Paris).
IV. Vermisohtes.
Für die 73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Ham¬
burg vom 22.-28. September 1901 sind folgende den Neurologen und Psychiater
interessirende Vorträge angemeldet:
Abtheilnng für Anatomie, Histologie, Embryologie and Physiologie:
Griesbach (Mühlhansen-Basel): Ein nenes Nervenfärbemittcl. — v. Kölliker (Wflrz-
bnrg): Demonstration von Präparaten über die Mednlla oblongata von Omithorhynchen and
Echidna.
Abtheilnng für allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie:
Chiari (Prag): Uober gliomatöse Entartung des Tractos and Balbas olfactorias bei
Glioma cerebri. — Ponfiok (Breslau): Sclerosis cerebri.
Abtheilnng für innere Medioin, Pharmakologie, Balneologie and Hydrotherapie, Geschichte
der Medioin:
Bonne (Flottbeck): Suggeetionsbehandlnng in der täglichen Praxis, besonders bei
Alkoholisten. — Brieger (Berlin): Die hydrotherapeutische Behandlung in der Privatpraxis
des Arztes. — Eulenburg (Berlin): Gehirnerkrankungen nach elektrischem Trauma. —
v. Poehl (St. Petersburg): Die Nervenüberreizung als Ursache von Autointoxicationen. —
Stintzing (Jena): Ueber Neuritis. — Gerster (Braunfclsb/Wetzlar): Die Rolle der Hysterie
im Hexenwesen. — Schimmelbnsch (Hochdahl): Grundirrthum in v. Krafft-Ebing’s
Psychopathia sexualis historisch und philologisch betrachtet
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Abtbeilang für Chirurgie:
Lex er (Berlin): Zur Operation des Ganglion Gassen. — Schede (Bonn): Rückenmarks-
tumoren und ihre chirurgische Behandlung.
Abtheilung für Kinderheilkunde:
Ganghofner (Prag): Zur Diagnose der Tetanie im ersten Kindesalter. — Gutsmann
(Berlin): Die diätetische Behandlung nervöser Sprachstörung im Kindesalter.
Abtheilung für Neurologie und Psychiatrie:
Asobaffenburg (Halle a/S.): Berufsgeheimnis (§ 300 Str.G.B.) und Psychiatrie. —
Becker (Baden-Baden): Eine neue/elective Axencylinderfärbung. — Binswanger (Jena):
Zur Pathologie und pathologischen Anatomie der Tabo-Paralyse. — Boettiger (Hamburg):
Die Maladie des tics impulsifs. — Bonhöfer (Breslau): Zur prognostischen Bedeutung der
sogenannten katatonischen Symptome. — Bruns (Hannover): Chorea electrica. — Buch-
bolz (Hamburg): Geistesstörungen bei Arteriosklerose. — Dinkler (Aachen): Ein Pall von
Schädeltrauma mit nachfolgender Verblödung. — Embden (Hamburg): Zur Kenntnis der
Metallvergiftungen. — Friedlaender (Frankfurt a/M.): Aphasie und Demenz. — Hitzig
(Halle a/S.): Hirnphysiologisehes. — Hoffmann (Düsseldorf): Epilepsie und Myoklonie. —
Jolly (Berlin): Die Indicationen des künstlichen Abortus bei der Behandlung-von Neurosen
und Psychosen. — Le pp mann (Berlin): Die Criminalität der Unfallverletzten. — Lilien-
stein (Bad Nauheim): Demonstration eines Apparates zur physikalischen Diagnostik innerer
Organe. — Muskens (Haag, Holland): Untersuchungen über segmentale Gefüblsstörungen
an Tabetikern und Epileptikern (Demonstration mit Projectionslaterne). — Nonne (Ham¬
burg): Klinische und anatomische Beiträge zur diffusen Carcinomatose der Pia des Central -
nervensystems. — Putzer (Bad Königsbrunn bei Königstein): Diätetisch-physikalische Be¬
handlung der Magen-Darmatonie. — Ra ecke (Tübingen): Zur Lehre von der Hypochondrie.
— Saenger (Hamburg): Neurologische Erfahrungen auf dem Gebiete der Rückenmarks- und
Hirnchirurgie. — Schuster (Aachen): Behandlung allgemeiner Kinderconvulsionen.
Abtheilung für Augenheilkunde:
Liebrecht (Hamburg): Arteriosklerose und Sehnerv.
Abtheilung für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten:
Friedrich (Kiel): Nystagmus bei Ohrenkrankheiten. — Jansen (Berlin): Operative
Eingriffe am Ohr und Schwindel. — Ostmann (Marburg): Die BetheiligUDg des N. facialis
beim Lauschen. — Panse (Dresden): Schwindel.
Abtheilung für Dermatologie und Syphilidologie:
Galewsky (Dresden): Beiträge zur Therapie der Sklerodermie.
Abtheilung für Militär-Sanitätswesen:
Dü ms (Leipzig): Epileptische Dämmerzustände in der Armee.
Abtheilung für gerichtliche Medioin:
Saenger (Hamburg): Conträre Sexualemptindung. — Stubenrath (Würzburg): Ver¬
gangenheit und Zukunft der gerichtlichen Medicin in Deutschland. — Stumpf (Würzburg):
Der pathologische Rausch in strafrechtlicher Hinsicht.
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1901. 16. August Nr. 16.
Inhalt. I. OriginalmlttheilMgen. 1. Zur Frage der Regeneration des Rückenmarks,
von Dr. med. Alfred Fickler. 2. Recidivirende Faoialislähmung bei Migräne, von Priv.-Doc.
6. J. Rossolimo in Moskau.
II. Referate. Anatomie. 1. Reoherches sur l’anatomie ohirurgieale du gangüon de
Gasser, par Camlniil. 2. I. Neue Untersuchungen über die Innerration der Blase. Q. Ueber
die Innervation der Blase nnd der männlichen Harnröhre, von v. Zelssl. — Experimentelle
Physiologie. 8. Sülle modificazioni acute delle cellule nervöse per azione di sostanze
convulsivanti e narcotizzanti, pel Camla. 4. Snll’ atropinizzazione del occhio snccedaneo
modificazioni nelle cellule del ganglio ciliare. Ricerche del Stefan!. — Pathologie des
Nervensystems. 5. A case o? pseudo-hypertrophic mnscular paralysis, by Rose. 6 . Dritter
Beitrag zur Lehre von der hereditären progressiven spinalen MuBkelatrophie im Kindesalter,
von Holtmann. 7. Miopatia progressiva e insnfficienza mentale, per Sante de Sanctls. 8. Dne
casi di amiotrofla, pel Guglietmo de Pastrovitch. 9. Ein Fall von angeborenem Brustmnskel-
defect, von Klapp. 10. Ueber seltenere Knochendeformitäten nach spinaler Kinderlähmung,
von Neurath. 11. Ueber Migräne, von Spitzer. 12. Zur Pathologie und Theorie der Migräne,
von Sülle. 13. The snrgical treatment of migraine, by Whltehead. 14. Migräne nnd Wärme-
bildung, von Stekel. 15. Ocnlar headache, by Hinshelwood. 16. Endothelioma of the Gasserian
ganglion, by Dercum, Keen and Spiller. 17. Pathologie report on two of the Gasserian
ganglia removed by Dr. Cnsbing, by Spiller. 18. Notes of two cases of excision of the
Gasserian ganglion for epileptiform neuralgia, by Reuton. 19. Peripheral resection of fifth
nerve, by Keen and Spiller. 20. Fall af trigeminusnenralgi, behanaladt medels exstirpation
af ganglion Gasseri, j ernte beskrifning af det exstirperade gangliet, af Perman och Holmgren.
21. Seiatiqne chromqne gudrie par nne piquüre de vip&re, par Pommerol. 22. Ueber Skoliose
bei Ischias, von Seiffer. 23. Ueber das gekreuzte iBchiasphänomen, von Fajersztajn. 24. Me-
ralgia paraesthetdea, ein Plattfnsssymptom, von Pal. 25. Skdlalgie p&resthösiqne sur un
membre atteint de paralyaie infantile aneienne, par SoUier. 26. Pseudo-mdralgies radiculaires,
par Chipault. 27. Les mdications therapeutiques dans la mdtatarsalgie, par Pdraire et Mally.
28. Snr un cas de nlvralgie du testicule, traitd par r&ection des nerfr du cordon, par
ChlpaulL 29. Ueber objeotiv nachweisbare Sensibilitätsstörungen am Rumpfe bei Aneurysma
aortae, von Frick. — Psychiatrie. 30. Het optreden van hallucinaties en waanideöen bij
zwakzimigen, door van Doventer Sz. en Benders. 31. Een geval van simnlatie van krank-
zinnigheid, door Tellefen en Sni)d«rs. 32. Godsdienstwaanzin, door Ruysch. 33. Om tempe-
raturen ved psyebopatiske tilstande og dens diagnostiske betydning, af Holm. 34. Ueber
intermittirenae psychopathische Znstände, von Dufeois. 35. L’edonale come ipnotico negli
alienati, pel d'Ormea.
III. BlbHographie. 1. Handbuch der Militärkrankheiten. Dritter Band, von Dr. Fr.
A. DDms, Oberstabsarzt I. Klasse. 2. Aide-memoire de nenrologie, par Paul Lefert.
IV. Aus den Gesellschaften. XXVI. Wanderversammlnng der Südwestdeutschen Neu¬
rologen und Irrenärzte zu Baden-Baden am 8. und 9. Juni 1901. — Aerztlicher Verein zu
Hamburg.
V. Mittheilung an den Herausgeber. — Erwiderung auf dieselbe.
VI. Neurologische und psychiatrische Litteratur vom 1. Mai bis. 1. Juli 1901.
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738
I. Originalmittheilungen.
1. Zur Frage der Regeneration des Rückenmarks.
Von Dr. med. Alfred Flotter.
Bielschowsky hat in diesem Centralblatte 1 einen Fall von Compression
des Rückenmarks beschrieben, bei welchem er in der Pia des Sole, ant an dem
Orte der Compression Nervenfaserbündel fand, die oberhalb der Compressions-
stelle mit den Gefässen aus der Gegend der vorderen Commissur in den Pial-
fortsatz übertreten und unterhalb der Compressionsstelle in der gleichen Weise
in das Rückenmark zurückkehren. Bielschowsky glaubt diese Fasern für ein
abgesprengtes Bündel der Pyramidenvorderstränge oder ein langes Commissuren¬
bündel halten zu müssen und setzt sich in Gegensatz zu mir, der ich in der
Deutschen Zeitschrift für Nervenheilkunde 2 2 Fälle von Compression des Rüoken-
marks mit ähnlichem Befunde beschrieben und die fraglichen Fasern als neu¬
gebildete, und zwar meist wohl von den Pyramidenseitensträngen ausgehende
Fasern gedeutet hatte. Gegen meine Auffassung führt Bielschowsky an:
1. Der Zusammenhang mit den Pyramidenseitensträngen sei nur eine Ver-
muthung von mir.
2. Er habe in dem pialen Fortsatz des Sulc. ant bei einem Rückenmark,
welches nur die gewöhnlichen senilen Veränderungen bot, ebenfalls Nervenfasern
gefunden.
3. Klinisch seien in seinem Falle nicht die geringsten Zeichen von Besserung
constatirt worden, obwohl die Menge der in Rede stehenden Fasern, nach den
Abbildungen zu scliliessen, in seinem Falle noch grösser sei als in dem meinigen.
4. Die experimentellen Untersuchungen hätten nichts ergeben, was für meine
Deutung spräche.
Bevor ich auf diese Einwände entgegne, will ich Folgendes vorausschicken:
Ich habe mich nachträglich genauer über Ursprung und Ende der frag¬
lichen Fasern zu unterrichten gesucht und zu diesem Zwecke viele Hunderte
von Serienschnitten aus verschiedenen Höhen des Rückenmarks von Fall I meiner
oitirten Arbeit angefertigt Der Ursprung der Fasern ist allem Anschein nach
kein einheitlicher. Ein Theil — und zwar sind dies hauptsächlich die am
höchsten über die Compressionsstelle hinausreichenden Fasern — wird zuerst
sichtbar in der Peripherie der grauen Substanz, da, wo sie an die Seitenstränge
bezw. Vorderseitenstrangreste angrenzt In die Seitenstränge selbst sind sie
nicht verfolgbar, da sie, sobald sie von der Wand der Capillaren sich entfernen,
ihre ScHWANN’sche Scheide verlieren und dann sich nicht mehr von den anderen
Fasern des Rückenmarks unterscheiden. Ein anderer Theil der Fasern tritt
1 1901, Nr. 5-8.
1 Bd. XVI.
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739
zuerst auf an den Capillaren und kleineren Gefässen in der Basis der Hinter¬
hörner und der Gegend zwischen Hinter- und Vorderhömern; ein dritter an den
Centralvenen bezw. den näohstliegenden grösseren Gefässen. Mehrere Fasern
habe ich in dem Gebiete der CLABKE’schen Säulen an die dortigen Capillaren
treten sehen.
Bei ihrem Zuge nach abwärts erreichen nioht alle diese Fasern die Com¬
pressionsstelle; ein Theil endet in der Pia des Sulo. ant., ein anderer zieht zu
den Gefässen der Pia an der vorderen Peripherie des Bückenmarks und tritt
theilweise zu den vorderen Wurzeln, theilweise endet er frei in der Pia.
Unterhalb der Compressionsstelle zieht die grosse Mehrzahl der Fasern mit
den Gefässen in die Vorderhömer hinein. Ein Theil dringt aber in die Basis
der Hinterhörner ein und verbreitet sich in denselben. Die meisten dieser Fasern
gehen in das Fasergewirr der grauen Substanz über, worin man ihren weiteren
Verlauf nicht mehr mit Sicherheit verfolgen kann. Ein Theil hingegen verlässt
die Capillaren nicht, sondern endet mit relativ mächtigen Anschwellungen, die
aus einem Gewirr von Nervenfasern bestehen, jede Faser mit einer Schwann’-
schen Scheide umgeben. Es bildet also ein Theil dieser Nervenfasern an ihrem
Ende echte Neurome. Ein Uebertreten von Nervenfasern aus diesen Neuromen
in die graue Substanz ist nicht zu constatiren.
Biklsohow8ky’8 erster Einwurf gegen meine Auffassung, dass es sich bei
diesen Fasern um eine Regeneration von Theilen des Rückenmarks handle, war
also, ich hätte den Zusammenhang der Fasern mit den Pyramidensträngen nicht
erwiesen, meine Angaben hätten nur den Werth einer Vermuthung. Eine Ver-
muthung war dies allerdings nur; sie gründete sich aber auf den Ort des ersten
Auftretens der Fasern in der Nähe der Pyramidenseitenstränge und ihre Endigung
in den Vorderhörnern unterhalb der Compressionsstelle. Falls diese Fasern also
überhaupt eine Function ausüben — und dies scheint Bielschowsky doch auch
anzunehmen, da er sie als atypisch verlaufende Bündel auffasst —, so war es
das Nächstliegende anzunehmen, dass sie eine Verbindung zwischen den Orten
ihres ersten Auftretens und ihrem Ende hersteilen. So hielt ich die Vermuthung,
dass es sich um eine Verbindung der Pyramidenseitenstränge mit den Ganglien¬
zellen der Vorderhörner handle, für die wahrscheinlichste, zumal mir das klinische
Bild sehr für diese Deutung zu sprechen schien.
Beelschowsky’s Vermuthung geht dahin, dass es sich um ein abgesprengtes
Bündel der Pyramidenvorderstränge oder um ein langes Commissurenbündel
handle. Er führt für diese Vermuthung keine weiteren Gründe an; sie scheint
sich auf Ort des ersten Auftretens und Endigung der Fasern zu stützen.
Der ersten Deutung widerspricht der Anfang der Fasern, sowohl in Biel-
sohowsky’s wie ganz besonders in meinen beiden Fällen, ganz abgesehen davon,
dass ich keinen Grund sehe, weshalb ein einfach abgesprengtes Bündel der
Pyramidenvorderstränge Nervenfasern erhalten soll, die im Bau peripherischen
Nervenfasern völlig gleichen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Fasern
eines abgesprengten Pyramidenvorderstrangbündels aus der vorderen Commissur
— dem wahrscheinlichen Ursprungsorte der Fasern im Falle Bielschowsky’s —
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740
oder aus dem mittleren Theile der grauen Substanz bis an die seitliche Peri¬
pherie derselben kommen sollen, und ebenso wenig, dass ein abgesprengtes
Bündel in einzelnen Fasern, auf viele Segmente vertheilt, an der Adventitia der
(Masse das Rückenmark verlassen sollte.
Ein solches Bündel würde doch wohl eben abgesprengt sein, d. h. .in dichten
Zügen in gleicher Höhe direct von den Pyramidenvordersträngen in den Sulc. ant
übertreten. Dies geschieht in keinem der 3 Fälle auch nur an einer Stelle.
Die als zweite Möglichkeit offen gelassene Deutung, es handele sich um ein
„langes Commissurenbündel“, scheint Bielsohowsky darauf zu gründen, dass
die Fasern „anscheinend aus der vorderen Commissur“ heraustreten und wieder
in deren Nähe endigen. Meiner Ansicht nach bedarf es für eine derartige
Deutung einer genaueren Erläuterung und Begründung.
Auf meine oben mitgetheilten neueren Befunde hin über den Verlauf der
Fasern möchte ich meine frühere Auffassung, dass wir in ihnen Ausläufer der
Pyramidenseitenstränge vor uns haben, modificiren. Den eigentlichen Ursprung
der Fasern und ihr Ende vermag ich zwar nicht anzugeben; sie werden erst
unterscheidbar, wenn sie an die (Masse treten, bezw. sie verlassen und damit
eine ScHWANN’sche Scheide erhalten. Vorher und nachher versohwinden sie in
dem Faseigewirr des Rückenmarks. Immerhin ist bei dem Bestreben der Fasern,
an den Gefassen zu wachsen, und bei dem reichlichen Vorhandensein der Gefasse
in der grauen Substanz anzunehmen, dass Ursprung und Ende nicht allzu fern
liegt von dem Auftreten an den Gefassen, bezw. dem Verlassen derselben. Da¬
von ausgehend nehme ich an, dass die Fasern, welche hart an der Peripherie
der grauen Substanz gegen die Seitenstränge hin auftreten, Verbindungs¬
bahnen zwischen den Seitensträngen und der grauen Substanz
unterhalb der Compressionsstelle darstellen. In dieser Annahme bestärkt
mich die Länge der Fasern, sowie der Umstand, dass das Gefasssystem der
grauen von dem der weissen Substanz getrennt ist, also auch die Fasern nicht
bis in die Seitenstränge hinein verfolgbar sein können. Der andere grössere Theil der
Fasern entspringt und endet in dem ganzen mittleren Gebiet der grauen Sub¬
stanz; er verbindet also allem Anschein nach Gebiete der grauen Substanz ober¬
halb und unterhalb der Compressionsstelle, d. h. wir haben in ihnen Bahnen
vor uns, welche der Association zwischen Theilen des Rückenmarks
oberhalb und unterhalb der Compressionsstelle dienen.
Die drei anderen Einwürfe Biblsohowsky’s beschäftigen sich mit der Frage,
ob die in Rede stehenden Fasern als abnorm verlaufende, also schon vor der
Compression vorhanden gewesene, oder als neugebildete Fasern aufzufassen seien.
Der zweite Einwand ist der am wenigsten stichhaltige. Das Vorkommen
von Nervenfasern in der Pia des Sulc. ant ist doch kein Grund dagegen, dass
an demselben Orte nicht auch neugebildete Nervenfasern auftreten können. Ich
habe bei meiner Begründung auch nicht das Vorkommen von Nervenfasern im
Sulc. ant, sondern ihren ganzen Verlauf im Auge gehabt Möglich, dass es
sich, wie Biblschowsky vermuthet, in dem von ihm gesehenen Präparat um
ein abgesprengtes Bündel der Pyramidenvorderstränge gehandelt hat; eine Dis-
ilizedby G00gle
741
cus8ion darüber sowohl wie ein Vergleich mit den von mir gefundenen Fasern
aber ist völlig ausgeschlossen, so lange über den Verlauf der Fasern nichts be¬
kannt ist
Der dritte Einwand, das Fehlen jeglicher klinischen Symptome einer Besserung
beim Falle BieIjSChowsky’s, findet wohl in Folgendem seine Erklärung: Biel-
bchowbky fand die Fasern nur über 4—5 Segmente verbreitet (3.—7. Brust¬
segment); er konnte sie im Rückenmark nur wenig über die vordere Commissur
hinaus verfolgen, nie jedenfalls bis in die Peripherie der grauen Substanz. In
meinem Fall I fanden sich die Fasern auf einem bedeutend längeren Abschnitt
des Rückenmarks (4. Brust- bis 1. Lendensegment), und zwar traten gerade die
obersten Fasern nur vereinzelt und zuerst an der seitlichen Peripherie der grauen
Substanz äuf. Viele Segmente nach ihrem ersten Auftreten finden sich nur
relativ wenig Fasern in der Pia des Sulc. ant, erst in den letzten Segmenten
vor der Compressionsstelle werden sie zahlreicher und beginnen hier in der
Mehrzahl in der Mitte der grauen Substanz. In den ersten Fasern haben wir
also lange Bahnen vor uns, deren Ausdehnung und erstes Auftreten, wie oben
dargethan, die Vermuthung nahelegt, dass sie Ausläufer der Seitenstränge, und
hier wieder besonders der Pyramidenseitenstränge darstellen, während die Fasern,
welche näher der Compressionsstelle ihren Ursprung haben, der Association inner¬
halb des Rückenmarks gedient haben mögen. Im Falle Bielschowbkt’s finden
wir aber nur kurze Bahnen, die der zweiten meiner beiden Gruppen entsprechen.
Wenn also meine Auffassung, dass es sich um regenerirte Fasern handelt, riohtig
ist, so sind im BiBLSCHOWSKY’sohen Falle nur Associationsbahnen
für die Rückenmarksabschnitte um die Compressionsstelle neugebildet worden,
während die Verbindung der Ganglienzellen unterhalb der Compressionsstelle
mit dem centralen Neuron dauernd unterbrochen geblieben ist und deshalb auch
keine Symptome von Besserung klinisch beobachtet worden sind.
Hinsichtlich der Zahl der Fasern möchte ich nur darauf hinweisen, dass
meine Abbildung einen Querschnitt darstellt, der zwei Segmente oberhalb der
Compressionsstelle entnommen sind; mir kam es nur darauf an, das Vorhanden¬
sein der Fasern zu demonstriren. Innerhalb der Compressionsstelle sind in
meinem Fall I die Fasern bedeutend zahlreicher, als in dem von Bielsohowsky.
Endlich der vierte Einwand: Die experimentellen Untersuchungen haben
nichts ergeben, was für eine nennenswerthe Regenerationsfähigkeit des Rücken¬
marks spricht
Die Regenerationsfähigkeit des Rückenmarks ist bis jetzt nur mittels Durch¬
trennung desselben untersucht worden. Biklsohowsky weist selbst die Ver¬
suche zurück, indem er meint, man könne gegen diese Versuche einwenden, dass
durch die Durchtrennung „auf eine bestimmte Strecke jede Ernährung des Ge¬
webes erlischt und damit ein Regenerationsvorgang unmöglich werde“. Doch
nicht darauf kommt es meiner Ansicht nach an — wo könnten die Er¬
nährungsverhältnisse besser sein als in einer heilenden Wunde —, sondern, wie
ich schon in meiner citirten Arbeit darzuthun versucht habe, auf die Erhaltung
des dem Rückenmark eigenthümlichen Gefässsystems. Sowohl die Resultate
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Stboebe’s, der nach Durchsohneidung des Rückenmarks ein Einwachsen von
neugebildeten Nervenfasern in die Narbe vielfach längs der Gefässe fand, wie
die Untersuchungen an peripherischen Nerven deuten daraufhin, dass sioh neu-
bildende Nervenfasern mit Vorliebe Gefässe aufsuchen, um an ihnen weiter zu
wachsen. Sind die Gefässe des Rückenmarks erhalten, so finden neusproesende
Nervenfasern im Sulc. ant Gefässe, welche im Ganzen in der LängsrichtuDg
des Rückenmarks verlaufen, und so eine vorgezeichnete, keinen Widerstand
bietende Bahn, auf welcher sie zu tiefer oder höher gelegenen Rückenmarka-
absohnitten gelangen können. Diese Bahn wird aber bei den Durchtrennungs¬
versuchen zerstört, und deshalb haben, glaube ich, die bisherigen Untersuchungen
über die Regenerationsfähigkeit des Rückenmarks ein im Wesentlichen negatives
Resultat ergeben. Die Compressionsversuche von Kahles, Kbonthal u. A. t die
Biel8Chowbky erwähnt, sind hier nicht heranzuziehen, da die Versuche dieser
Autoren nicht daraufhin angelegt waren, Regenerationsvorgänge im Rückenmark
zu erzeugen.
Ich habe versucht, experimentell Bedingungen zu schaffen, unter denen ich
glaubte, regeneratorische Vorgänge im Rückenmark erwarten zu dürfen; ich will
über diese Versuche kurz berichten.
Ich habe bei Katzen den Wirbelcanal in der Gegend des unteren Brust¬
marks eröffnet und in denselben 1 cm lange, 3 mm dicke, entsprechend der
Form des Rückenmarks in der Längsrichtung ausgehölte Celluloidstückchen ein¬
geschoben. Von 12 Katzen gingen 7 an directen oder indirecten Folgen der
Operation zu Grunde. Bei den übrigen 5 habe ich das Celluloidstück nach
3—4 Woohen wieder entfernt. Sie waren sämmtlioh theils sofort, theils ein oder
wenige Tage nach der Operation an den hinteren Extremitäten völlig gelähmt
Nachdem das Celluloidstück wieder entfernt war, besserte sich die Motilität zu¬
nächst rasch, so dass die Katzen nach einigen Tagen sich wieder mühsam mit
Hülfe der Hinterbeine fortbewegen konnten. Von der zweiten Woche an, nach
der Entfernung des Celluloids, ging die Besserung langsamer, zum Theil sehr
langsam vorwärts. Leider brach dann unter den Versuchsthieren die Raute aus,
so dass ich sie vorzeitig tödten musste. Dies geschah bei den einzelnen Thieren
3 Wochen bis 7 Monate nach Entfernung der comprimirenden Gegenstände.
Von den letzten beiden Thieren konnte das eine 5 Monate nach der zweiten
Operation die Hinterbeine in allen Gelenken aotiv bewegen, doch zeigten sich
beträchtliche Spasmen in denselben, das letzte lief ziemlich mühelos im Zimmer
umher.
Mikroskopisch konnte ich bei keiner Katze einen Befund erheben, der an
die beim Menschen beobachteten Fasern erinnert hätte. Dagegen fanden sich
bei der zuletzt getödteten Katze hauptsächlich in den Seitensträngen, aber auch
anderwärts Bilder, wie ich sie in meiner Arbeit über Rückenmarksoompression
Fig. 10 u. 11 gezeichnet und beschrieben und als neugebildete Markscheiden
um erhalten gebliebene Axencylinder gedeutet habe; da ich dem dort Gesagten
nichts Neues hinzufügen bann, will ich hier nicht weiter darauf eingehen. Ob
bei den Katzen genügend Nervenfasern erhalten geblieben waren, um eine
Googl<
743
spätere völlige Wiederherstellung der Function des Rückenmarks zu ermöglichen,
oder ob bei längerem Leben und völliger Gesundheit der Thiere sich noch
Nervenfasern neugebildet hätten, ist an der Hand des vorliegenden Materials
nicht zu entscheiden. Zu einer Wiederholung der Versuche habe ich noch keine
Zeit gefunden.
Eine Bestätigung meiner Anschauung ist also experimentell noch nicht
erbracht worden; doch betrachte ich die Ergebnisse Stboebe’s, dass die
Nervenfasern des Rückenmarks überhaupt fähig sind, neue Sprossen
auszusenden, und diese Sprossen vielfach den Bau peripherischer
Nervenfasern zeigen, als eine wesentliche Stütze meiner Ansicht.
Zur weiteren Begründung meiner Auffassung, dass die in Rede
stehenden Nervenfasern neugebildete und nicht abnorm verlaufende, schon vor
Eintritt der Compression vorhanden gewesene Nervenfasern darstellen, möchte
ich ausser den in'meiner Arbeit angeführten Punkten noch Folgendes hervor¬
heben:
In allen 3 Fällen, den beiden von mir, wie in dem von Beelschowsky
beschriebenen, findet sioh die grösste Zahl der Fasern an dem Orte, wo die
stärkste Compression eingewirkt hat; hier haben alle Fasern das Bereich des
Rückenmarks verlassen, während sie ober- und unterhalb dieser Stelle in das
Rückenmark eintreten bezw. es verlassen. Wären diese Fasern schon vor Ein¬
tritt der Compression vorhanden gewesen, so wäre es doch mehr als sonderbar,
dass die Compression jedes Mal gerade an dem Orte stattgehabt hätte, wo sich
die stärkste Entwickelung der Fasern fand. Aus diesem Grunde, und bevor
nicht ein Fall bekannt ist, wo sich Fasern von dem gleichen Verlauf in einem
normalen Rückenmark finden, muss ich daran festhalten, dass diese Fasern
mit der Compression in ursächlichem Zusammenhang stehen, dass
ihre Existenz an das Vorausgehen einer Läsion des Rückenmarks
geknüpft ist.
Für neugebildete Fasern und nicht für Bündel atypischer Lagerung sprechen
ferner besondere Eigenthümlichkeiten, welche die Fasern in ihrem Ver¬
lauf bei genauerem Zusehen gezeigt haben. Zunächst würde jedenfalls, wie
schon oben angedeutet, ein atypisch verlaufendes Bündel in dichten Zügen vom
Rückenmark wegziehen und nicht in einzelnen Fasern, die aus ganz verschiedenen
Abschnitten der grauen Substanz kommen, auf viele Segmente vertheilt das
Rückenmark verlassen.
Sodann finden wir, wie bereits erwähnt, auf dem Wege durch den Sulcus
anterior eine grosse Zahl von Fasern, die theils in der Pia des Sulcus endigen,
theils in die Pia der Peripherie übertreten und dort ebenfalls, ohne irgend ein
Ziel zu erreichen, verschwinden. Es finden sich also einestheils Fasern, denen
entweder die Kraft zum Weiterwachsen gefehlt hat oder die noch im Wachsen
begriffen waren, andemtheils solche, die von der im Sulcus längs verlaufenden
Gefässbahn abgewichen sind, sioh gleichsam verirrt haben, wenn man als Ziel
der Fasern den Rückenmarksabschnitt unterhalb der Compression annimmt
Und dies muss man, falls man nicht den Fasern jede Function von vornherein
Digilized by
Google
744
absprechen will. Ein derartiges vorzeitiges Endigen and Abirren von einzelnen
Fasern würde schwerlich bei einem vorgebildeten Bündel Vorkommen; dies
spricht ebenfalls dafür, dass wir es mit vereinzelt wachsenden Fasern, von denen
sioh jede ihren Weg suchen muss, zu thun haben.
Endlich das Ende der Fasern! Auch hier noch finden wir, dass ein Theil
von ihnen sein Ziel verfehlt. Sie gelangen zwar glücklich ins Rückenmark und
in die graue Substanz desselben, verlassen hier aber aus nicht ersichtlichem
Grunde die Gefasse, an denen sie immer hingezogen sind, nicht, sondern knäueln
sich gleichsam in den perivasculären Lymphraum auf und bilden, wie oben erwähnt,
kleine Geschwülstchen, die sich als echte Neurome charakterisiren. Dieser
Befund erinnert wohl an die Fibroneurome nach Amputationen, wird sich aber
kaum bei einem anormal gelagerten Nervenfaserbündel zeigen.
Nochmals kurz resümirend geht also meine Auffassung dahin, dass die
von mir in 2 Fällen von Compression des Rückennfarks gefundenen
abnorm gelegenen Nervenfasern regenerirte Fasern darstellen, und
zwar einmal solche, die die Verbindung zwischen den Ganglien¬
zellen in den der Gompressionsstelle benachbarten Rückenmarks¬
segmenten wieder hersteilen, also der Association innerhalb des
Rückenmarks dienen, sodann solche, die als Ausläufer centraler
Neurone die Verbindung mit den peripherischen Neuronen zu er¬
neuern suohen. In dem Biklsohowsky 'sehen Falle dürfte ebenfalls die An¬
nahme die grösste Wahrscheinlichkeit besitzen, dass es sich um neugebildete
Nervenfasern handelt, und zwar dürfte hier nur die erste der beiden genannten
Gruppen zur Ausbildung gelangt sein. Die Bedingungen zum Zustandekommen
einer Regeneration betrachte ich auch in seinem Falle als gegeben; die Krank¬
heitsdauer — 2 V 2 Jahre — ist eine verh<nissmässig lange, und die oomprimi-
rende Exostose scheint, soviel aus dem mitgetheilten mikroskopischen Bild zu
schliessen ist, in der letzten Zeit keine Vergrösserung mehr erfahren zu haben.
2. Recidivirende Facialislähmung bei Migräne.
Von Priv.-Doc. G. J. Bossolimo in Moskau.
Unter den Erkrankungen des Nervensystems findet man keine geringe An¬
zahl von solchen Formen, welche darauf hinweisen, dass manche Prooesse zu
Recidiven geneigt sind; dahin gehören einige psychische Störungen, die Migräne,
recidivirende Lähmung des N. oculomotorius und eine ebensolche Lähmung des
7. Hirnnervenpaares. Da, wo eine äussere Ursache nicht nachweisbar ist, wo In-
fection, sowie (ohronische) Intoxication ausgeschlossen ist, wo die periodischen
Schwankungen des Nervensystems in Folge des menstruellen Prooesses keine
hervorragende Rolle spielen, bleibt die ätiologische Seite des reddivirenden oder
periodischen Leidens für uns einstweilen unklar. Dem Verständniss zugänglicher
ist die Neigung zu Recidiven bei einer solchen Form, wie es die Migräne ist.
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bei welcher der nicht selten za const&tirende Zusammenhang mit der Menstruation
eine Stutze dafür abgeben kann, den ganzen Symptomencomplex durch die von
den Perioden der Eireifung abhängigen Schwankungen im Zustande des Nerven¬
systems zu erklären. Und da gleichzeitig mit der die menstruelle Periode be¬
gleitenden Migräne ebenso periodisch noch viele andere Störungen des Nerven¬
systems von Seiten der vasomotorischen und cerebralen Sphäre zur Beobachtung
gelangen, so muss man zugeben, dass während dieser Phasen physiologischer,
periodischer Schwankungen in der Lebensthätigkeit des Organismus auch noch
viele andere Abschnitte des Nervensystems und nicht nur die Vasomotoren, der
N. trigeminus u. dergl., Veränderungen erleiden können.
Als Beweis dafür kann eine vor relativ kurzer Zeit festgestellte Erkrankungs¬
form eines motorischen Nerven dienen — nämlich eine reoidivirende Lähmung
des N. oculomotorius, zu deren Erklärung es die meisten Autoren für möglich
erachten, die Coincidenz dieser Lähmungsform mit Anfällen von Migräne zu
verwerthen, wobei sie die pathologischen Componenten der letzteren der Lähmung
selbst zu Grunde legen.
Wenn sich nun auch die Möglichkeit ergiebt, für die fatale Neigung der
Lähmung des 3. Paares zu Recidiven eine mehr oder weniger abgeschlossene
Erklärung zu finden, so kann man nicht dasselbe sagen von der ganz ähnlichen
Lähmung eines anderen motorischen Nerven: des N. facialis; so verständlich
der Prooe88 ist, wenn in Folge von zufälligen Ursachen — Rheuma, Infection
u. dergl. — eine gewöhnliche, ebenso zufällig entstandene periphere Paralyse
des N. facialis sich einfach wiederholt, so schwierig bleibt die Erklärung des
Processes für solche seltene Fälle, welche auf das Bestehen von Ursachen, die
im Organismus des Kranken selbst verborgen sind, hinweisen. Darum ist jede
einschlägige Beobachtang, welche über die Pathogenese des Leidens etwas Licht
zu verbreiten vermag, von grosser Bedeutung, und wenn wir einen solchen Fall
aus unserer Klinik mittheilen, so glauben wir damit nicht sowohl die Casuistik
bereichern, als zur Aufklärung über die Natur des Processes beisteuern zu
können.
Es handelt sioh am eine intelligente Frau von 28 Jahren, Mutter zweier
Kinder; die Mutter der Patientin hat ihr ganzes Leben lang an schweren Migräne¬
anfällen gelitten, die meistens mit Erbrechen verbanden waren. Von den Brüdern
der Kranken ist einer an „Gehirnentzündung“ gestorben, die übrigen waren
Alkoholiker. — Sowohl bei der Mutter der Eiranken, als auch bei der Tochter
der Letzteren sind während des Schlafes die Augenlider nicht vollkommen ge¬
schlossen. Zur Zeit lebt die Kranke mit ihrem Manne zusammen, ohne besondere
Beschäftigung; ihr Leben ist ein in moralischer Beziehung unruhiges; häufige
Bekümmernisse. Vom 18. bis zum 22. Lebensjahre, d. h. bis zu ihrer Ver-
heirathung, hat sie sich viel mit Geistesarbeit beschäftigt, dabei aber im Anfänge
dieser Lebensperiode, im Laufe eines Winters, mit spirituösen Getränken Miss¬
brauch getrieben.
An Erkrankungen, die der gegenwärtigen vorangegangen waren, Hessen sioh
folgende ermitteln:
Im 3. Jahre eine Entzündung der Kehle (deren Natur nicht näher festgestellt
werden konnte).
Mit 9 Jahren Rachendiphtherie.
740
Im 15. Lebensjahre ein Geschwür (Furunkel?) in den Wandungen des linken
ausseren Gehörganges, welches von Schwellung der umgebenden Gesichtstheile und
Abstehen der Ohrmuschel begleitet war; nach operativer Eröffnung des Geschwürs
schwand alles spurlos.
Im 16. Jahre fingen bei der Kranken, gleichzeitig mit dem Eintritt der
Pubertät, Anfälle von Kopfschmerzen an, welche immer vor der Regel und gegen
Ende derselben an Heftigkeit Zunahmen, unter gleichzeitigem Auftreten einer
niedergeschlagenen Stimmung, Zerstreutheit und Apathie; anfänglich concentrirte
sich der Schmerz am häufigsten hinter dem Processus mastoideus und trat öfter
auf der linken Kopfhälfte auf.
Vom 15.—18. Jahre des Oefteren dumpfe, bohrende Schmerzen in den Extre¬
mitäten, zumeist in den unteren.
Im 18. Jahre Influenza.
Im 19. Jahre traten die Kopfschmerzen häufiger und heftiger auf. — Für
Lues sind keine Anhaltspunkte.
Die gegenwärtige Erkrankung begann im März 1892: eine Woche lang litt
die Kranke an einem ihrer gewöhnlichen, nur dieses Mal besonders heftigen,
Migräneanfälle; der Schmerz war hinter dem linken Ohr localisirt und strahlte
in den Oberkiefer aus, wobei zeitweilig ein metallischer Geechmack in der Zunge,
starkes Sausen im linken Ohr und ein Knacken daselbst empfunden wurde; nach
Ablauf dieser Woche zeigte sich plötzlich vollkommene Lähmung aller Aeste des
linken N. facialis, die Schmerzen schwanden nach 2—3 Tagen. Nach 5 Monaten
war unter entsprechender Behandlung (As., Fe., Elektrisirung) die Lähmung ver¬
gangen; der behandelnde Arzt schrieb die Krankheit einer Erkältung zu, jedoch
waren keinerlei Symptome irgend welcher Infectionskrankheit weder vorangegangen,
noch als Begleiterscheinungen aufgetreten. l 1 / a Jahre darauf heirathete die Kranke
und machte bald danach eine fieberhafte Erkrankung durch, welche 3 Wochen
anhielt und mit Temperaturerhöhung bis 40°C. verbunden war; die Patientin
wohnte in dieser Zeit in einer Malariagegend. 11 Monate nach ihrer Ver¬
heiratung erste Gehurt, an welche sich eine 1 5 / a Monate dauernde Entzündung
der Adnexe anschloss, worauf die Kranke noch 9 Monate an Malaria lahorirte.
In dieser Zeit, d. h. etwa 3 Monate nach ihrer Niederkunft, geschah ee, dass die
Kranke einmal im Waggon am offenen Fenster schlief, worauf einer ihrer ge¬
wohnten Anfälle von Kopfschmerzen mit rechtsseitiger Localisation (hinter dem
rechten Ohr und im rechten Oberkiefer) eintrat, mit allen Begleiterscheinungen,
wie sie für den ersten Anfall der Facialislähmung beschrieben wurden, und
gleicherweise mit einer vollständigen Lähmung des rechten N. facialis endigte;
in diesem Falle zog sich die Krankheit auch gegen 5 Monate hin.
Im 26. Lebensjahre zweite Geburt, mit Blutungen complicirt 6 Monate
später, nach den gewohnten Prodromalerscheinungen, wiederum Lähmung desselben,
schon längst restituirten, rechten Gesichtsnerven, welche von etwas kürzerer
Dauer war. Während dieses, bereits dritten, Recidivs, das sich unter unseren
Augen abspielte, sowie auch vor demselben waren keinerlei Andeutungen weder
auf Rheuma, noch auf Infection vorhanden.
Schliesslich trat im August 1900, abermals ohne irgend welche Andeutungen
einer äusseren Ursache, nach einem eben solchen starken Anfalle von Migräne
auf der entsprechenden Seite, wiederum Lähmung des Gesichtsnerven ein, aber
dieses Mal wieder des linken, <L h. desjenigen, welcher hei dem ersten Anfall
afficirt gewesen war. Mit diesem Leiden trat die Kranke in unsere Klinik ein
und lag daselbst vom 10. bis zum 29. November 1900.
Stat. praes.: Hochgewachsene Frau, von schwächlicher Constitution, mit
blassen Hautdecken, stark abgemagert. In ihrem schmalen Gesicht treten die
Jocbbögen scharf hervor; die Ohrmuscheln sind unregelmässig geformt Einige
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Zähne cariös. Die Zunge ist mit zahlreichen Furchen bedeckt. Reste von Para-
metritis. Die übrigen inneren Organe normal. Der Urin hat ein specifisches
Gewicht von 1,005, Eiweiss und Zucker nicht vorhanden. Körpertemperatur
normal.
Auf der linken Gesichtshälfte Lähmung aller willkürlichen Bewegungen; bei
der Spannung des linken M. orbicularis palpebrarum schliesst sich die Augen*
spalte nur halbwegs; der M. platysma myoides ist unbeweglich.
Auf der rechten Seite Unbeweglichkeit des M. frontalis; schlaffe und träge
Beweglichkeit (bei willkürlichen Bewegungen) aller übrigen Muskeln aus dem
Erregungsbezirk des N. facialis; bei Versuchen, die Muskeln im Gebiete der
oberen Zweige zu spannen, tritt eine hypertonischen Charakter zeigende, sym¬
pathische Contraction der übrigen Gesichtsmuskeln ein.
Die elektrische Erregbarkeit der Muskeln der rechten Gesichtshälfte ist so¬
wohl für den faradischen, als auch für den galvanischen Strom herabgesetzt; Ent-
artungsreaction nicht vorhanden. Auf der linken Seite ist die quantitative Ver¬
ringerung noch grösser, wobei in den Wangenmuskeln durch übertragene fara-
dische Ströme gar keine Contraction ausgelöst wird; Entartungsreaction erweist
sich hier auch nicht. Im Uebrigen ist die motorische Sphäre vollkommen
normal.
Seitens der Sensibilität muss ausser den subjectiven Klagen über zeitweilige
Schmerzen im Rücken und in den Extremitäten und ausserdem allgemeinen
dumpfen Kopfschmerz mit Irradiation nach verschiedenen Theilen des Gesichts
und temporärer Druckempfindlichkeit an den Austrittsstellen der Zweige der
Trigeminus- und der Occipitalnerven, unbedingt nochmals die Hauptklage der
Kranken erwähnt werden, nämlioh die Silage über sehr häufige, mit wechselnder
Intensität auftretende Anfälle von Migräne, welche sich häufiger auf der linken
Seite, bald hinter den Warzenfortsätzen, bald an der einen oder der anderen
Schläfe, localisirt; zuweilen kommt dabei Nebligkeit vor, zum Erbrechen kommt
es fast niemals. Die Irradiation in die verschiedenen Zweige des Trigeminus
stellte eine gewohnte Erscheinung dar. Alle Anfälle waren in ihrem Verlaufe
einander ähnlich, sowie auch denjenigen, welche den Lähmungen vorhergingen.
Seit dem Frühjahr des Jahres 1900 wiederholte sich die Hemikranie öfter, und
ihre Attacken wurden stärker, wobei in denjenigen Fällen, wo sie sich in der
Schläfe localisirte, Nasenbluten an der entsprechenden Seite vorkam. Die Haut¬
sensibilität erweist sich ein wenig herabgesetzt auf einen runden Fleck in der
Kegion der linken Schläfe, ausserdem je in einem Flecke, der die untere Hälfte
beider Wangen einnimmt, weder in dem einen, noch in dem anderen Falle findet
sich eine Coincidenz mit dem bestimmten Territorium eines der Zweige der Trige¬
mini (hysterische Anästhesie?). Der Schlundreflex fehlt.
Das Gehör ist beiderseits gleich und sowohl durch die Luft, wie durch die
Knochen geleitet normal. Das Gehörorgan ist vollkommen normal (Dr. E. M.
Stbpanow).
Der Geschmack für Süsses, Saures und Salziges ist auf beiden Seiten,
namentlich an der linken Zungenhälfte, herabgesetzt. An der Zungenwurzel wird
der Geschmack beiderseits gleichmässig deutlich empfunden.
Der Geruchssinn ist rechts schärfer. Das Gesichtsfeld ist normal, ebenso
wie auch die Sehschärfe und die Farbenempfindung. Es sind vielerlei vaso¬
motorische Erscheinungen vorhanden bis zu vorübergehenden Oedemen des Ge¬
sichts und der Unterextremitäten und eine Menge psychischer Aeusserungen
hysterischer Natur.
Das wäre in Kürze die Beschreibung des Falles, weloher auf den ersten
Blick nicht mehr als ein casuistisches Interesse zu bieten scheint Die Fälle
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748
von Recidiven einer peripheren Lähmung des Gesichtsnerven sind gar nicht so
besonders selten, sie bilden 6—7°/ 0 aller Fälle einer solchen Lähmung, und es
sind genug Lanzen gebrochen worden zur Entscheidung der Frage, ob die Neigung
zu Recidiven von einer Unregelmässigkeit seitens des Foramen stylomastoideum
abhängt oder von einer durch die erste Lähmung bewirkten Abnahme der Wider¬
standskraft des Nerven oder von beiden Ursachen zugleich. Was bei unserer
Kranken interessant erscheint und uns veranlasst, den Fall miteutheilen, ist, dass
1. jede der 4 Mal eingetretenen Lähmungen, welche Seite sie auoh befielen, immer
nach einer Reihe von subjectiven Störungen der Sensibilität in einem dem Ohre
der betreffenden Seite zunächstliegenden Bezirke auftrat; 2. dass diese prodro¬
malen Schmerzen eine, nur stärker hervortretende Copie derjenigen Kopfschmerzen
daretellen, welche bei der Kranken schon viele Jahre lang bestanden hatten und
oft auf denselben Stehen erschienen waren und daher nicht nur solchen Schmerzen
zugezählt werden können, wie sie als Vorläufer vieler usueller Fälle von Lähmung
des N. facialis beobachtet werden; 3. dass im Verlaufe derjenigen Migränefälle,
die sich durch Localisation in den Schläfen kennzeiohneten, Nasenblutungen auf
der entsprechenden Seite auftraten; 4. dass, wenn auch einer der 4 Rückfälle
im Verlaufe einer Malariainfection auftrat, das 1., 3. und 4. Mal von einer In-
fection nicht die Rede sein konnte; 5. dass eine gewisse functionelle Schwäche
der Gesichtsnerven bei der Kranken schon von Natur vorhanden war, indem
sowohl ihre Mutter wie ihre Tochter während des Schlafes einen schwachen
Verschluss der Lider aufwiesen. Alle diese Erwägungen, welche uns bestimmen,
unserer Beobachtung eine besondere Bedeutung beizulegen, berechtigen uns zu¬
gleich zu einigen Bedenken darüber, ob die Aetiologie des Frocesses auch wirk¬
lich den allgemein angenommenen Anschauungen über denselben entspreche.
Es ist jedenfalls auffallend, dass unsere Kranke fast von Kindheit auf an hart¬
näckiger hereditärer Hemikranie leidet; dass die Hemikranie bei ihr auf beiden
Seiten und häufig hinter den Ohren localisirt ist; dass die Kranke neben vielen
verschiedenen vasomotorischen Störungen auch noch solche, augenscheinlich die
Migräne begleitende Störungen aufweist, welche sich sogar in Nasenblutungen
äussern; dass schliesslich bei unserer Kranken die Gesichtsnerven, vielleicht
deren periphere Neurone in toto, einen angeborenen Locus minoris resisteutiae
daretellen.
Was die Neuralgieen der Gesichtszweige des N. trigeminus während eines
Anfalls von Migräne betrifft, so werden solche Neuralgieen, namentlich bei
anämischen und hysterischen Personen, nicht selten beobachtet, aber ob sie eine
Ixradiationserscheinung daretellen oder als Resultat desselben Reizes, welcher
auch auf die Schleimhautzweige wirkt, auftreten, ist für jeden einzelnen Fall
schwer mit Bestimmtheit festzustellen, da beide Annahmen den gleichen Grad
der Möglichkeit haben.
Im Jahre 1894 hat Hatschek 1 aus der Klinik von Nothnagel einen Fall
von recidivirender Lähmung des N. facialis beschrieben, welcher nach der Meinung
Digilizedby G00gle
1 Wiener med. Presse. 1894. Nr. 4.
749
des Verfassers ungemein an eine recidivirende Oculomotoriuslähmung erinnert,
die in den meisten Fällen hemikranischen Ursprungs ist. Wie aus den klassischen
Beschreibungen bekannt ist, entwickeln sich die Anfalle von recidivirender Läh¬
mung des N. oculomotorius genau unter denselben Erscheinungen seitens der
Empfindungssphäre und in derselben Reihenfolge der Erscheinungen wie in
unserer Beobachtung. Und warum sollte man auch nicht die Möglichkeit einer
reoidivirenden Lähmung des Gesichtsnerven auf der Basis von Hemikranie zu¬
geben, wenn solches für das 8. Paar möglich ist, und wenn, wie in unserem
Falle, so viele Facta vorhanden sind, welche für den Zusammenhang der Läh¬
mung mit einem der starken, von vielen vasomotorischen Störungen begleiteten
Anfälle von Migräne sprechen und zugleich bestimmte Anzeichen für eine andere
unmittelbare gewöhnliche Ursache vollkommen fehlen? Ob’ bei unserer Kranken
die Recidive durch eine Circulationsstörung im Gehirnstamme (Möbius) oder in
der Paukenhöhle hervorgerufen werden, wagen wir nicht mit Bestimmtheit zu
entscheiden; dazu wären besondere objective Daten erforderlich, jedoch würde,
auf Grund einiger bei unserer Kranken beobachteten Symptome, die zweite An¬
nahme wahrscheinlicher erscheinen. Auch die gewöhnliche periphere Lähmung
des Gesichtsnerven weist nicht immer eine klare Aetiologie auf, indem nicht
selten ihrem Auftreten im Verlaufe mehrerer Tage Schmerzen am Ohre und
subjective Gehörstörungen vorausgehen, d. h. solche Störungen, welche an das
Prodromalstadium der reoidivirenden Oculomotoriuslähmung und unserer recidi-
virenden Facialislähmung erinnern. Diese Analogie wird vielleicht mit der Zeit
zu einer vollständigen Erforschung der Aetiologie von einigen Fällen peripherer
Gesichtsnervenlähmung beitragen.
EL Referate.
Anatomie.
1) Reoherohea aur l’anatomie ohirurgtoale du ganglion de Gasser, par
Rocco Caminiti. (Paris, 1900.)
Die Arbeit enthält in 5 Kapiteln eine sehr eingehende Darstellung des
Ganglion Gasseri and seiner Umgebung. Sie soll allen Bedürfnissen der Chirurgen
Rechnung tragen, der operative Eingriffe am Trigeminus vornehmen will. Das
Ganglion Gasseri selbst wird nach seiner Lage, Form, Farbe, Consistenz, seinem
Gewicht und seinen Abmessungen genau beschrieben, der feinere Bau wird mit
Hülfe der üblichen Färbemethoden untersucht. Verf. giebt auch eine längere
Schilderung von der Topographie der Organe in der Umgebung des Ganglions
und berücksichtigt dabei etwaige Anomalieen. Die Maassangaben bilden das
Durchschnittsergebnis von Untersuchungen an 52 Leichen.
4 Tafeln in Farbendruck sind der fleissigen Arbeit beigegeben.
H. Schnitzer (Stettin-Kückenmühle).
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760
2) I. Neue Untersuchungen über die Innervation der Blase. II. Ueber
die Innervation der Blase und der männlichen Harnröhre, von Prof.
Dr. M. v. Zeissl. (Wiener med. Wochenschr. 1901. Nr. 10 u. 25.)
Das Ergebniss der zahlreichen Versuche, deren Versuchsanordnung im Originale
nachgelesen werden muss, besteht zunächst darin, dass entgegen Behfisch Durch¬
trennung der Nn. hypogastrici bei gefüllter Blase kein Ausfliessen von Blasen¬
inhalt zur Folge hat und den Effect der Erigensreizung nicht hindert. Es kann
vom Erigens aus Detrusorzusammenziehung und Sphinktererechlaffung hervorgerufen
werden, und letztere läuft nicht in den Bahnen der Hypogastrici ab.
Erigensreizung bewirkt Contraction der Längsmusculatur der Harnröhre,
Reizung der Hypogastrici Contraction der Ringmusculatur. Reizung der Erigentee
bewirkt auch Erschlaffung der Ringmusculatur. J. Sorgo (Wien).
Experimentelle Physiologie.
3) Sülle modifloaxioni acute delle oellule nervöse per azione dl sostanze
oonvulsivanti e narootlszanti, del Dr. M. Camia. (Rivista di Patologia
nervosa e mentale. Januar 1901.)
Verf. stellte zwei Versuchsreihen acut vergifteter Thiere her, welche die
symptomatischen Contraste des convulsiven und des narkotischen Effectes möglichst
rein darbieten sollten. Als Experimentalthiere wurden 24 Hunde, 8 Kaninchen
und 3 Meerschweinchen, als Krampferreger bezw. Narcotica Coffein in 2, Cocain
in 4, Kampber in 2, Absinth in 9, Chinin in 2, Pikrotoxin in 7, Strychnin in 2,
Chloral und Chloroform in je 2 und Aether in 3 Fällen angewendet. Um eine
möglichst lange Dauer der Krampfperiode zu erzielen, wurden unter Berücksich¬
tigung der individuellen Reaction die geeignetsten Thiere zunächst Injectionen
kleiner nichttoxischer Dosen des betreffenden OifteB unterworfen und dieselben
jeweils nach Maassgabe der Symptome gesteigert. Bei der Application der Nar¬
cotica dagegen war die Absicht maassgebend, gleich acuteste Vergiftung zu erzielen
und zu unterhalten. Die Section fand fast immer unmittelbar nach dem Tode
statt; das Nervensystem wurde mit gesättigter Sublimat-Pikrinsäurelösong fixirt,
in Paraffin gebettet und die Schnitte mit Toluidin bezw. Hämatoxylin-Delafield
gefärbt.
Die erzielten Zell Veränderungen Hessen sich in 3 Typen sondern: 1. Zerfall
und Schwund der chromatischen Schollen, diffus-blasse Färbung des Protoplasmas
und zuweilen des Kerns war besonders massenhaft in den Riesenzellen, grossen
Pyramiden- und Vorderhornzellen einer Anzahl Hunde verbreitet und fand sich
auch sonst bei fast allen, sowohl den nach Convulsionen, als auch den nach
Narkose verendeten Thieren vor. 2. Kugelige Schwellung des Protoplasmas durch
Auftreten einer farblosen Flüssigkeit, welche die Maschen ausdehnt und stellen¬
weise einreisst, wurde (an Delafield-Präparaten) in den kleinen nnd mittleren
Rindenpyramiden fast aller Thiere (ausgenommen u. a. alle Meerschweinchen) ver¬
breitet angetroffen. Die in einigen Fällen von demselben Process befallenen
grossen Pyramiden, Hinterhornzellen und Schaltzellen der vorgelagerten Gegend
erschienen mehr schwammig und weniger kugelrund; es handelte sich im letzten
Falle immer um Thiere, welche gar keine oder nur wenige Krämpfe überet&nden
hatten; dieser Zustand ist daher (mit Demoor und Tedeschi und im Gegensatz
zu Pick) wohl als ein transitorisches, restitutives Phänomen aufzufassen, nnd
möglicherweise spielen dabei gewisse osmotische Bedingungen, welche der ver¬
änderte Functions- und Ernährungszustand erst schafft, eine ursächHche Rolle;
das gleichzeitige Auftreten eines hellen Hofes um benachbarte NenrogHakerne
jby Google
751
scheint ebenfalls für eine vorausgegangene Aenderung des Imbibitionszustandes zu
sprechen. 3. Rundliche Auftreibung und Rarefication der chromatischen Schollen
unter Erhaltung ihrer Masse und Färbkraft fand sich ausschliesslich bei 7 von
8 Kaninchen an den Zellen der Vorderhörner und motorischen Kerne und be-
deutet offenbar nur eine leichte Affection. — Schwund oder Veränderungen an
Umfang und Länge der Dendriten wurden nirgends beobachtet.
Alle 3 Alterationstypen gehören zu den leichten und wahrscheinlich repa¬
rablen Affectionen. Die beiden ersten kommen bei narkotisirten und convulsiven
Thieren in gleicher Weise vor und variiren von Fall zu Fall nur gradweise, aber
nicht nach Massgabe der Schwere, Häufigkeit und Dauer oder des (klassischen,
epileptischen, strychniformen) Charakters der Convulsionen. Auch die Verände¬
rungen der 3. Gruppe bei Kaninchen stehen in keinem Verhältniss zur Dauer
der Krämpfe. Die verschiedenen Theile des Nervensystems sind (bei allen bis auf
3 Thiere) regelmässig immer im gleichen Grade vom Krankheitsprocess befallen;
das gilt auch von den motorisohen Rinden- und Spinalzellen unter dem Einfluss
convulsivanter Substanzen mit vorwiegend corticalem (epileptiformem) oder spinalem
(strychniformem) symptomatischen Effect. Die Zellveränderungen aller 3 Typen
stehen weder zur Menge des Giftes noch zur Dauer der Vergiftung in irgend
einem bestimmten Verhältniss. Da trotz der Divergenz der toxischen Substanzen
und ihres sowohl directen als symptomatischen Effectes auf die Nervenzelle die
Veränderungen, welche an deren Protoplasma vor sich gehen, nach den eigenen
Darstellungen und denen der Mehrzahl der Autoren ausserordentlich einförmige
und leichte sind, so folgert Verf., dass der Selbstschutz der gefährdeten Nerven¬
zelle nicht in ihren leicht gestörten Bewegungsfunctionen, sondern in der weit
constanteren Ernährungsfunction zu suchen sein müsse, und schliesst sich damit
den Ansichten von Marinesco an, welche durch die Ergebnisse der Ermüdungs¬
versuche von Guerrini und Hodge, Heger und Joteyko bereits eine ander¬
weitige zwingende Bestätigung gefunden haben.
Schmidt (Freiburg i/Schl.).
4) Süll’ atropinliaagione del ooohio suooedaneo modifloazioni nelle oellule
del gangllo ciliare. Ricerche del Dr. U. Stefani. (Presentat al R. Istit.
Venet. di Scienze, Lett. ed Arte. 30. December 1900.)
Um die differentielle pathologische Bedeutung einer möglichst rein functio-
neilen Störung für die morphologische Reaction der Nervenzelle gegenüber der¬
jenigen anatomischer Leitungsuntorbrechung zu ermitteln, vergleicht Verf. die
Veränderungen, welche nach mehr- bis 70tägiger maximaler Atropinisirung des
Auges in den Zellen des Ciliarganglions von Hund und Katze zu beobachten sind,
mit den daselbst nach Iridektomie aufgetretenen Folgezuständen. Das Neuron,
mit welchem sich vorliegende Arbeit beschäftigt, hat sein Centrum im Ganglion
ciliare, seine Axencylinderverästelung im M. ciliaris und Sphincter iridis (Apo-
lant, Marina, Bach). Im Vordringen vom Bulbus und Opticus aus nach hinten
wurde das betreffende Ganglion möglichst mit seinen hinteren Wurzeln frei-
präparirt und zwecks Orientirung in Verbindung mit Nerven- und Muskelstückchen
und dem gegenüberliegenden Controlganglion in Sublimat Heidenhain fixirt,
durch Jodalkohol und die Alkoholserie gezogen, in Paraffin gebettet und die
Schnitte mit Thionin oder Toluidinblau gefärbt. Die Ganglien iridektomirter
Thiere wurden ebenso behandelt
Die Ciliarganglien, welche den atropinisirten Augen entsprachen, Hessen
ohromolytische Vorgänge durchaus vermissen. Einzelne Zellen, welche
eine Diffusion des Farbstoffes erkennen Hessen, waren nicht häufiger als in nor¬
malen Präparaten. Eine constante Erscheinung aber war in Fällen, wo eine
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752
längere, 20—40 tägige Dauer der Atropinwirkung stattgefunden hatte, eine gewisse
abgeschwächte Affinität für die Färbesubstanz. Die Zellen zeigten durchgehende
eine oft schon ohne Messung auffallende Vergrosserung des Protop l asmas, nicht
aber anscheinend des Kerns, und jene tief colorirten, dunkeln, geschrumpften
Ganglienzellen, welche in der Randzone des normalen Ciliarganglions von Katze
und Hund so gewöhnlich sind, waren wesentlich vermindert oder fehlten ganz.
Schliesslich glaubte Verf. etwas häufiger und deutlicher als am Controlpräpar&t
Zellen mit chromatinfreier perinucleärer Protoplasmazone zu sehen. Auch Marchi-
Präparate ergaben für diese Ganglien in allen Fällen die Abwesenheit retrograder
Degenerationsprocesse. — Dagegen waren in den iridektomirten Augen ent¬
sprechenden Ciliarganglien sehr zahlreiche Zellen von schweren Veränderungen be¬
troffen, wie gänzliche oder (beim Hnnde) eine celluläre oder perinucleäre Rand¬
zone freilassende Auflösung der chromatischen Substanz, colloide Quellung des
Protoplasmas, Wandständigkeit, Hernienbildung oder Schwund des Kerns.
Im Zusammenhalt des einschlägigen complicirten Thatsachenmaterials mit
seinen eigenen Ergebnissen glaubt Verf. soviel abstrahiren zu dürfen, dass solche
Verhältnisse, welche den Efflux von Reizen aus der Nervenzelle aufheben, eine
chromolytische Reaction in derselben nicht zur Folge haben, dafür aber andere,
langsamer verlaufende und leichtere Modificationen auslösen, über deren Be¬
deutung erst weitere Untersuchungen belehren müssen.
Schmidt (Freiburg i/Schl.).
Pathologie des Nervensystems.
6) A caae of ps6udo-bypertrophlo muscular paralysla, by George Rose.
(Scot. med. and surgic. Journal. Februar 1901.)
Bericht über einen Fall infantiler Dystrophie, der weder klinisch noch be¬
züglich der Veränderungen an excidirten Muskelstückchen Besonderheiten darbietet
H. Haenel (Dresden).
6) Dritter Beitrag zur Lehre vom der hereditären progressiven spinalen
Muskelatrophie im Kindesalter, von Prof. Dr. J. Hoffmann in Heidel¬
berg. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XVIII. 1900.)
Den beiden früheren Beobachtungen des Verf.’s wird eine weitere beigefügt,
und zwar handelt es sich um ein Kind von l 1 / 4 Jahren, dessen Grossvater väter¬
licherseits an Gehirnerweichung gestorben ist, während andere und besonders
Nervenkrankheiten in der Familie nicht bemerkt wurden. Beide Eltern und ein
3jähriges Kind derselben sind gesund. Vom 7. Lebensmonat an wurden die
Beinchen geschont und seit 2—3 Monaten magerten dieselben ab und zeigten
zunehmende Lähmung. Seit einigen Wochen sind auch die Oberarme ergriffen
und fällt der Kopf nach vorn und nach der Seite. Es besteht eine ziemlich
diffuse, mehr oder weniger vollständige schlaffe Lähmung und Atrophie vom Kopf
abwärts, und zwar der Rumpf- und Extremitätenmuskeln. Die dem Stamm näher
liegenden Muskelgruppen sind stärker betroffen als die mehr distal befindlichen.
In den kleinen Hand-, sowie in den Vorderarmmuskeln werden fibrilläre Zuckungen
beobachtet. Die Sehnenreflexe fehlen am ganzen Körper. In den Muskeln der
oberen und unteren Extremitäten ist typische Entartungsreaction nachweisbar.
Die Sensibilität erscheint imgestört.
Im Anschluss an diese neue Beobachtung, der noch eine weitere, von Haus¬
halter mitgetheilte, kurz angereiht wird, giebt Verf. den Sectionsbericht des
einen von ihm früher ausführlich beschriebenen Falles. Der Exitus erfolgte im
Anschluss an eine recidivirende Bronchopneumonie. Es fand sich Degeneration
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und Schwund der multipolaren Ganglienzellen der Vorderhörner vom Conus ter-
minalis bis zur Medulla oblongata, Degeneration der intra- und extramedullären
vorderen Wurzeln des Rückenmarks, der peripheren, nicht sensiblen Nerven, der
intramusculären Nervenstämmchen, also Degeneration des ganzen peripheren
motorischen Neurons. Ausserdem war in den Extremitäten- und Rumpfmuskeln
Atrophie bis zu völligem Faserschwund, fettige Degeneration der Muskelfasern
(Lipomatosis interstitialis) nachweisbar. Hypervoluminöse Muskelfasern mit
Vacuolen waren in geringer Zahl vorhanden; die Muskelspindeln blieben nicht
verschont. E. Asch (Frankfurt a/M.).
7) Miopatia progressiva e insuffloienza mentale, per Dr. Santo de Sanctis.
(Rivista di Neuropatologia e Psichiatria. 1900.)
Die Grenzen zwischen den myopathischen und myelopathisohen Atrophieen
verwischen sich immer mehr und haben zur Zeit vielfach nur noch das Ansehen
von Hülfsconstructionen für den klinischen Gebrauch. Andererseits aber scheint
auch ihr Verhältnis zu gleichzeitigen cerebralen Krankheitsprocessen erneuter
Revision zu bedürfen. Die Combination der Duchenne’schen Pseudohypertrophie
der Muskeln mit Intelligenzschwäche und Entartung hatte schon die erste Arbeit
von Da Conte und Gioia 1836 hervorgehoben. Aber obwohl auch noch 1879
von Möbius auf die erblioh-degenerativen Einflüsse und 1884 von F6re auf die
Häufigkeit geistiger Schwäche bei dieser Krankheit aufmerksam gemacht wurde,
und Vizioli 1887 unter den 50 Fällen der Litteratur 18 Mal Entartung und
ebenso oft Demenz feststellte, so wurde doch bis in die Gegenwart (Gowers,
Oppenheim u. A.) das Auftreten geistiger Veränderungen zumeist nur als Com-
plication betrachtet.
Verf. stellt einen lOjähr., erblich (syphilitisch?) belasteten Knaben vor, bei
dem die Pseudohypertrophia musc. sclerotica im Alter von 5 Jahren begann, mit
6 Jahren nach einem Typho'id bedeutende Verschlimmerung erfuhr und zugleich -
eine ausgesprochene intellectuelle und moralische Demenz auftrat, während das ,
Kind vorher sicheren Zeugnissen zu Folge ganz intelligent gewesen war. Der
Verlauf der Krankheit war unter specifischer Behandlung nicht progressiv,
vielmehr wurde durch 4monatliche Kur beträchtliche Besserung erzielt. Der
Fall unterscheidet sich von den bisher beschriebenen Fällen mit geistigem Defect
durch den zwingend erbrachten Nachweis, dass die geistige Schwäche erworben,
und zwar gleichzeitig mit den Störungen im Muskelgebiet erworben ist, dass
mithin hier ein Parallelismus zwischen den beiden Symptomenreihen obwaltet,
welcher nur in Abhängigkeit von einer gemeinsamen Schädigung der musculo-
spinalen und corticocerebralen Antheile des Nervensystems gedacht werden kann.
Die Krankheit spielte hier auch nicht wie sonst die Rolle eines Familienleidens,
sondern trat singulär auf. Obwohl gleichzeitig Hemiparese (anscheinend vom
trophischen Zustand der Musculatur unabhängig) bestand, vertheidigt Verf. Beinen
klassificistischen Standpunkt und polemisirt bei dieser Gelegenheit ein wenig gegen
eine, seiner Ansicht nach in Deutschland übliche, unvorteilhafte Erweiterung des
Gebietes der cerebralen Kinderlähmung. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
8) Due oasi di amiotrofla, pel Dr. Guglielmo de Pastrovitch. (Rivista
sperimentale di Freniatria. XXVI. 1900.)
Es handelt sich um 2 Fälle von Muskeldystrophie bei jugendlichen Brüdern,
auf welche wegen der eigenartigen Symptomenmischung die gebräuchliche Classi¬
fication nicht anwendbar ist, und welche der im Entstehen begriffenen Auffassung,
dass alle Formen progressiver Muskelatrophie nur Varietäten eines einheitlichen
Processes aus gemeinsamer Ursache seien, welcher nach individuellen Bedingungen
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nur verschiedene klinisohe und anatomische Erscheinungen annimmt, neue« Material
beisteuern. Will man nur drei Hauptformen sogenannter primärer Muskelatrophie
unterscheiden, so würden gegenwärtige Fälle mit der Tendenz ihres Krankheits-
processes, an den Extremitäten peripherwärts fortzuschreiten, mit der grossen
Ausbreitung der Atrophie, mit der hochgradigen Pseudohypertrophie der Wad«»,
den leichten Knie- und Ellenbogenoontracturen u. s. w. klinisch der juvenilen
Form Erb’s am nächsten kommen. Was sie aber wesentlich davon unterscheidet,
ist die frühzeitig hochgradige Verbreitung des Schwundes auf sonst verschonte
oder hypertrophirende Muskelgebiete (Deltoides, Supra- und Infraspinatus, Tricepe)
und eine gewisse Betheiligung der mimischen Musculatur an der Erkrankung.
Die Stirn ist auffallend „elfenbein“-glatt und kann nicht gerunzelt werden; die
Senkung der oberen Augenlider geschieht mit wenig Energie und zitternd, aber
vollständig; in einem Falle ist die elektrische Erregbarkeit des N. frontalis und
orbicularis herabgesetzt. Obwohl damit der hohe Grad einer „Facies myopathica“
Duchenne’s freilich noch nicht erreicht ist, streift das Krankheitsbild hiermit
doch nahe genug an den infantilen Typus von Duohenne-Landouzy. Beide
Fälle zeigen eine beträchtliche Verdickung der Zunge, daneben der eine noch an
einem Antithenar und einem M. interosseus deutliche Zeichen spinaler Muskel¬
atrophie; letzterer Muskel giebt partielle Entartungsreaction. — Beide Brüder
zeichnen sich ausserdem durch beträchtlichen Schädel um fang bei vorspringender
Schuppe und Scheitelpartieen aus; dieser Befund wird seit Vizioli häufiger
hervorgehoben. Ebenfalls nicht ohne Vorgang ist die (congenital-constitutionelle)
Deformität des Thorax in einem und die starke Entwickelung der Fusswurzel-
knochen in beiden Fällen, welcher indessen hier der Regel entgegen nicht eben¬
falls eine Hyperplasie an der Hand entspricht. Hervorzuheben ist auch, dass
innerhalb 3 Monaten (mit Faradomassage) erhebliche Besserung erzielt wurde.
Sohraidt (Freiburg i/Schl.).
9) Bin Fall von angeborenem Brustmuskeldefeot, von Klapp. Vortrag,
gehalten im medicin. Verein zu Greifswald am 5. Januar 1901. (Deutsche
med. Wochenschr. 1901. Nr. 10.)
Es besteht eine Abplattung der linken Brustseite, eine grosse Aehnlichkeit
mit einem Pectus carinatum; ferner die zuerst von Stintzing betonte Verände¬
rung der Integumente. Die Haut ist straff gespannt, die Brustwarze um 2 cm in
die Höhe gezogen, das Fettpolster fehlt, die nach vorn nicht begrenzte Achsel¬
höhle weist keine Behaarung auf. Es fehlen der sternocostale Theil dee Pecto-
ralis major, der Pectoralis minor; atrophisch ist der Serratus anticus major. Der
linke Oberarm ist um 1 cm verlängert, die linke Schulter steht hoch, sehr aus¬
geprägt ist die Skoliose der Wirbelsäule, und zwar besteht sie in einer hohen,
im oberen Dorsaltheil sitzenden linksconvexen und einer im unteren Brustthail
der Wirbelsäule sitzenden rechtsconvexen Krümmung. Der Mann ist vollkommen
arbeitsfähig, nur die Senkung des Oberarmee unter die Horizontale hat gelitten.
Die hohe Schulter und die Skoliose erklären sich aus der fehlenden statistischen
Function der Pectorales. R. Pfeiffer.
10) lieber seltenere Knoobendeformit&ten nach spinaler Kinderlähmung,
von Dr. Rudolf Neurath. (Wiener med. Presse. 1901. Nr. 4.)
Fall I. 2jähr. Knabe; seit dem 6. Monate wurde eine Lähmung und Ver¬
längerung des linken Beines bemerkt. Floride Rhachitis, schlaffe Lähmung dee
linken Beines mit atrophischer Musculatur, dieses um 2 om länger als das andere.
Links Aufhebung der Reflexe. Normale Sensibilität. Crura vara. Im Röntgen¬
bilde fiel zunächst die Längendifferenz der Diaphysen der unteren Extremitäten-
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755
knochen auf. Knochen der gesunden Extremität stärker gekrümmt Typische
rbachitische Knochenveränderungen an den Epiphysen der gesunden Seite, was
mit der Thatsache in Einklang steht, dass stärker in Anspruch genommene
Skeletttheile intensiver an Rhachitis erkranken. Die vorliegende Beobachtung
spricht für einen wachstumshemmenden Einfluss der Rhachitis auf dos Längen*
wachsthum der Knochen und erklärt die grössere Länge des gelähmten Beines.
Fall II. 4 Jahre alter Kuabe. Seit dem 6. Monate atrophische Lähmung
der rechten oberen Extremität. Subluxationsstellung der rechten Hand und dorso*
convexe Krümmung der Vorderarroknochen. Keine Zeichen der Rhachitis. Die
Missbildung erklärt Verf. durch die schlechtere Blutversorgung der den gelähmten
Muskelzügen entsprechenden Volarseite. J. Sorgo (Wien),
11) Ueber Migräne, von Dr. Alex. Spitzer (Wien). (Jena, 1901. G. Fischer.
119 S.)
Eine neue Theorie der Migräne. — Eine jegliche Hypothese ist nach deB
Yerf.’s unbestreitbarem Ausspruch wissenschaftlich berechtigt, wenn sie möglich
und durch Deduction der zu erklärenden Erscheinungen begründet ist; die empi¬
rische Bestätigung ist, wenn diese Begründung fehlt, von untergeordnetem Werthe,
nur ein Surrogat dieser letzteren. Von diesem Gesichtspunkte aus hat die Arbeit
des Verf.’s jedenfalls in vollem Maasse wissenschaftliche Existenzberechtigung. —
Der erste Theil enthält eine eingeltende und durch logische Schärfe ausgezeichnete
Kritik der bisher aufgestellten Migrünetheorieen: Verf. fasst dieselben in 4 Haupt¬
gruppen zusammen: der vasomotorischen, der Toxin-, der Reflex- und der cen¬
tralen Theorie. Er weist von jeder einzelnen nach, dass sie das eigenthümliche
Wesen der Krankheit, das Auftreten in Anfällen, den Verlauf des einzelnen An-,
falls, die gesetzmässigc, constante Folge der einzelnen Symptome: visuelle Aura,
Schmerzen, Brechen, langsames Ansteigen und rasches Abklingen des Anfalls,
nachfolgende relative Immunität, zu „erklären“ nicht im Stande ist. — Bezüglich
des Sitzes der Hauptsymptome kommt er, in Uehereinstimmung mit der Mehrzahl
der Autoren, zu dem Schlüsse, dass die Aura in die Hirnrinde, die Schmerzen in
die Dura zu verlegen sind. — Die im zweiten Theil ausgearbeitete Theorie des
Verf.’s lautet dahin, dass er als das pathologisch - anatomische Substrat der
Migräneconstitution eine absolute oder relative Stenose des Foraraen Monroi au-
nimmt. Tritt nun in Folge einer der vielfachen Gelegenheitsursachen des Anfalls
eine nctive oder passive Hyperämie des Gehirns ein, nn der der Plexus chorioideus
theilnimmt, so wird der geschwellte Plexus das Monroi'sehe Loch verlegen und
zu einer Stauung der Ventrikelflüssigkeit, weiterhin zu einer Erweiterung des
Ventrikels, einer Ausdehnung der gesummten Hemisphäre (Rindenreizung-Aura)
und zu einem Anpressen derselben an die Schädelkapsel (Durareizung-Sohmerz)
fuhren. Ein dergestalt verlaufender Anfall trägt auch die Bedingungen zu seiner
Beendigung in sich: mit steigendem intraventriculären Drucke wird schliesslich,
da ein weiteres Ausweichen der Gehirnmasse nicht mehr möglich ist, ein Stück
des Plexus durch das Foramen durchgepresst, das Kammerwasser stürzt nach, „die
Incarceration ist gelöst“. Des Weiteren wird jetzt die relative Immunität, die
erfahrungBgemäss jeder Anfall für einige Zeit zurücklässt, verständlich: bis das
geschwellte und in den 3. Ventrikel ausgetretene Plexusstück wieder abgeschwollen
und an seine normale Stelle zurückgekehrt ist, liegen die Abflussverhältnisse für
das Kammerwasser — wegen des geringeren Volumens des zurückgebliebenen
Plexusstückes und der Ueberdehnung des Foramens — günstig, und die sonst im
ausgeführten Sinne wirksamen Schädlichkeiten finden nicht mehr den alten An¬
griffspunkt. Je stärker die Verlagerung war, um so längerer Zeit wird es bis
zur Wiederherstellung der alten Verhältnisse bedürfen: erfahrungsgemäss stehen
auch die anfallsfreien Intervalle im directen Verhältniss zur Schwere des einzelnen
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Anfalls. Ferner kann die im späteren Lebensalter in der Regel eintretende
spontane Heilung als eine Summationswirkung der Anfalle angesehen werden:
durch die häufigen Dehnungen wird das Loch schliesslich so erweitert, dass es
dauernd den freien Abfluss der Ventrikelflüssigkeit gestattet. — Noch bezüglich
mancher anderer Punkte, auch auf den Grenzgebieten (epileptische, paralytische
Anfälle, periodische Oculomotoriuslähmung, Verschlimmerung der Schmerzen durch
äussere Reize und Bewegungen u. s. w.), erweist sich die Hypothese als sehr
fruchtbar. — Als ein Prüfstein des Werth es einer Hypothese kann die grössere
oder geringere Zahl der nöthigen Hülfshypothesen angesehen werden; Verf. bedarf
in seinen Ausführungen nur einer, und auch diese ist nach Ansicht des Ref. ent¬
behrlich. Zur Erklärung des Flimmerskotoms und der Parästhesieen, „disconti-
nuirlicher“ Erregungsvorgänge, glaubt er eines ebenfalls discontinuirlichen Reizes
zu bedürfen, und nimmt deshalb pathologische Verwachsungen zwischen Pia und
Rinde und im Subarachnoidealraum an, die bei der Entfaltung dee Gehirns ge¬
zerrt oder zerrissen werden, bezw. wechselnde kleine locale Circulationsstörungen
setzen. In dem Kribbeln bei Druck auf einen peripheren Nerven, dem Flimmern
bei Druck auf den Bulbus, den motorischen Rindenkrämpfen bei Hirntumor u. a.
haben wir indessen genug Beispiele dafür, dass auch normaliter ein continuirlicher
Reiz mit einer discontinuirlichen Erregung beantwortet werden kann. — Ein
einziger Umstand bleibt in der ganzen Theorie Gegenstand des Zweifels: das ist
die erste, den Anfall auslösende Plexushyperämie. Es ist ein wenig unverständ¬
lich, dass die so verschiedenartigen als Gelegenheitsursache angegebenen — und
zum Theil erwiesenen — Schädlichkeiten sämmtlich diese eine Wirkung ge¬
meinsam haben sollten. Für eine Reihe derselben (Refractionsanomalieen, Nasen¬
polypen, Verdauungsstörungen, Leberkrankheiten u. s. w.) ist der Zusammenhang
dafür um bo leichter vorstellbar. — Jedenfalls lässt sich soviel sagen, dass von
sämmtlichen bisher aufgestellten Migränetheorieen diejenige des Verf.’s wohl die
einfachste, einleuchtendste und zur Erklärung der ganzen, so unfassbar erscheinenden
Krankheit geeignetste ist; man vergisst über ihrer Einfachheit fast, dass sie dazu
in hohem Grade geistreich ist H. Haenel (Dresden).
12) Zur Pathologie und Theorie der Migräne, von Dr. M. Sihle. (Wiener
klin. Woohenschr. 1901. Nr. 13.)
Verf. theilt seine eigene Krankengeschichte mit: 10 genaue Beschreibungen
einzelner Migräneanfalle, in deren jedem als Aura Flimmerskotom auftrat, 7 Mal
rechts, 3 Mal links. Danach der Schmerzanfall auf der gegenüberliegenden Kopf¬
hälfte. Nach Verf. wird in der Pathogenese der Migräne dem Schmerz zu viel,
den Herderscheinungen, Skotom, Parästhesieen, Sprachstörungen zu wenig Auf¬
merksamkeit geschenkt Letztere sind der eigentliche Ausdruck der bemikranischen
Veränderung der Hirnrinde. Solche Herde können über die ganze Rinde zerstreut
sein; wenn sie an Stellen liegen, wie im Frontalhirn, so können Herderschei¬
nungen fehlen, und der Kopfschmerz stellt das einzige Symptom dar. Dieser
kann nicht cortical erklärt werden, da er immer auf der den Herderscheinungen
gegenüberliegenden Kopfhälfte liegt. Verf. fasst ihn als pialen Kopfschmerz auf
Er stellt sich auf den Standpunkt der Autointoxicationstheorie. Besteht eine
hemikranische Veränderung der Hirnrinde, so können auf dem Boden einer Anämie,
einer Tuberculose, einer harnsauren Diathese, einer Magen-Darmerkrankung ent¬
standene Toxine in den betreffenden Ganglienzellengruppen ihre Wirkung ent¬
falten. So entstehen die Herderscbeinungen. Die Ausscheidung der Gifte durch
die Pia erklärt den Kopfschmerz, die bogenförmige Ausbreitung des Flimmer¬
skotoms spricht dagegen, dass es einem Spasmus der Gefasse seinen Ursprung
verdanke. Es lässt sich nur durch eine Alteration der Ganglienzellen durch
toxische Momente erklären, die von einem Punkte aus über einen gewissen Theil
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der Hirnrinde sich ansbreitet. Da die Herde im Gehirn an verschiedenen Stellen
liegen können, also auch dort, wo vasomotorische Centren liegen, können auch
Gefässkrampf oder Gefasslähmung den Anfall begleiten oder ihm als Aura voraus¬
gehen. J. Sorgo (Wien).
13) The surgioal treatment of migraine, by Walter Whitehead. (Brit.
med. Journ. 9. Februar 1901.)
Verf. hat seit 25 Jahren veraltete und schwere Fälle von Migräne mittels
eines in der Nackengegend angebrachten Haarseils mit vorzüglichem Erfolge be¬
handelt.
In dem zuletzt behandelten Falle, der auch gleichzeitig Veranlassung zur
Veröffentlichung gab, handelte es sioh um eine Dame, welohe in den letzten
6 Jahren kaum einige Wochen ohne so heftige Schmerzattacken war, dass sie
12—24 Stunden völlig darniederlag. Nach Anlegung des Haarseite ist Patientin
seit Monaten schmerzfrei.
Die Operationsmethode wird genauer beschrieben.
E. Lehmann (Oeynhausen).
14) Migräne and Wärmebildung, von Dr. Wilhelm Stekel. (Wiener med.
Wochensohr. 1900. Nr. 32—84.)
Verf. beobachtete, dass Migränekranke häufig subnormale Achselhöhlentempe¬
raturen bei normaler Mastdarmtemperatur aufweisen. Auf Antipyretica (Anti-
pyrin) trat Steigerung der Achselhöhlentemperatur auf das Normale ein. Dieser
Befund steht in Uebereinstimmung mit physiologischen, vom Verf. zum Theil
wiederholten Untersuchungen über die temperatursteigernde Wirkung der sogen.
Antipyretica. Die gute Wirkung, welche die letzteren bei Migräne oft ausüben,
sowie die des ebenfalls temperaturerhöhend wirkenden Coffein, erklärt Verf.,
unter Zugrundelegung seiner Auffassung, die Migräne sei die Folge einer Auto-
intoxication, dadurch, dass durch die höhere Temperatur der Stoffwechsel eine
Steigerung erfahre, die giftigen Products des Stoffwechsels daduroh zerstört würden.
Erhöhte Wärmebildung mit gesteigerter Wärmeabgabe lässt sich auch duroh
gesteigerte Körperbewegung (rasches Gehen, Badfahren), hydrotherapeutische
Proceduren erzielen, und der Effect bei Migräne sei ein eclatanter, besonders bei
Anwendung derselben vor Auftreten des Anfalles.
Verhinderung der Wärmeabgabe ohne Steigerung der Wärmebildung (heisse
Bäder) steigern den Anfall. J. Sorgo (Wien).
16) Oonlar headaohe, by James Hinshelwood. (Glasgow med. Journ.
November 1900.)
Verf. bespricht in ausführlicher Form die verschiedenen Affectionen des Seh¬
organs, die Kopfschmerzen hervorrufen. In erster Linie sind es leichte Refractions-
anomalieen, besonders Astigmatismus, die, nicht diagnosticirt und duroh passende
Gläser corrigirt, Jahre lang quälende Erscheinungen hervorrufen, die selbst nach
geringen Anstrengungen des Sehorgans zu Tage treten, ferner chronisches Glaukom,
musculäre Asthenopie besonders bei chlorotischen Individuen, Accommodations-
parese, Ueberanstrengung des Ciliarmuskels.
Verf. bespricht ausführlich die Symptomatologie und betont den Werth einer
sorgfältigen specialistischen Untersuchung in allen Fällen, bei denen der Verdacht
eines ocularen Ursprungs habitueller Kopfschmerzen besteht.
Martin Bloch (Berlin).
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10) Endothelioma of the Oaaserian ganglion, by F. X.Dercum, W. W. Keen
and Wm. G. Spiller. (Joarn. of the American Med. Assoc. 28. April 1900.)
Der Fall ist interessant durch seine grosse Seltenheit. Bei einem 32jähr.
Manne entwickelte sich eine olivengrosse Lymphdrüsengeschwulst an der linken
Halsseite, die lange unverändert blieb. Nach 6 / 4 Jahren rasches Anwachsen der
Geschwulst auf Hühnereigrösse. Gleichzeitig Einsetzen von heftigen Schmerzen in
der linken Schläfen* und Scheitelgegend, Rückgang des Körpergewichts und
grosse Reizbarkeit. Einige kleinere Drüsenknoten aus der Nachbarschaft der
grossen Geschwulst werden excidirt, die mikroskopische Untersuchung ergiebt
Endotheliom. Wegen zunehmender Schmerzen in der linken Kopfseite, die non
deutlich den Charakter einer Trigeminusneuralgie tragen, wird der N. infra-
orbitalis resecirt. Erfolg nur vorübergehend, bald wieder unerträgliche Schmerzen
im ganzen Trigeminusgebiet, das gleichzeitig für tactile Reize hyp&sthetisch ist
Pat. ist zeitweise soranolent; Augenhintergrund normal. Es wird nun die Dia¬
gnose: Neubildung (Endotheliom) im Ganglion Gasseri gestellt und daraufhin nach
der Methode von Hartley-Krause operativ vorgegangen. An der Stelle des
Ganglions findet sich eine derbe Geschwulst, von der Boviel entfernt wird, als
sich ohne Eröffnung der Dura erreichen lässt Die Heilung verläuft glatt, die
Schmerzen bestehen jedoch unvermindert fort, und Pat. verfällt in einen deliriösen
Zustand. Einen Monat nach der ersten Operation wird eine zweite vorgenommen,
diesmal unter breiter Eröffnung der Dura. Der Tumor wird hart am Sinus
cavernosus abgetragen, die Spitze der Felsenbeinpyramide abgemeisselt An der
Innenfläche der Dura finden sich miliare Knötchen, von denen einige zwecks ge¬
nauerer Untersuchung entfernt werden. Auch diesmal ein ziemlich rasch ver¬
laufendes Delir, glatte chirurgische Heilung und — Fortbestehen der Schmerzen.
Al« merkwürdigster Befund ergiebt sich deutlich erhaltene, wenn auch herab¬
gesetzte Sensibilität auf der operirten Seite trotz völliger Entfernung des Ganglion
Gasseri. Dercum zieht daraus den Schluss auf Vorhandensein sensibler Fasern
im Facialis. Die histologische Untersuchung der exstirpirten Geschwulst ergiebt,
dass es sich um Endotheliom handelt, das den grössten Theil des Ganglion
Gasseri durchwuchert und dessen nervöse Substanz zur Degeneration gebracht
hat. Die Zellen des Tumors sind säulenförmig angeordnet, an Stelle vieler früherer
Ganglienzellen finden sich kleine concentrisch geschichtete Zellnester, wahrschein¬
lich das Product einer Wucherung der Ganglienzellenkapseln. Die Knötchen an
der Innenfläche der Dura erweisen sich histologisch als miliare Endotbeliome.
Max Neumann (Karlsruhe).
17) Pathologlo report on two of the Gasserian ganglia removed by Dr.
Cushing, by Wm. G. Spiller. (Journ. of the American Medical Assoc.
5. Mai 1900.)
Verf. berichtet über die anatomischen Verhältnisse in zwei wegen Trigeminus¬
neuralgie operativ entfernten Gasser'sehen Ganglien. Beide Male fanden sich
in den drei peripheren Portionen die Anzeichen vorwiegend frischer Degeneration,
AxencylinderBchwellung, Schwellung und scholliger Zerfall von Markscheiden. Im
Ganglion selbst fand sich im ersten Falle ein Theil der durchziehenden Nerven¬
fasern ebenfalls im Zustande frischer Degeneration, während sich die Ganglien¬
zellen als normal erwiesen, desgleichen die Blutgefässe. Im zweiten Falle fanden
sich neben normalen Ganglienzellen auch solche im Zustande der Schrumpfung.
Die sensible Wurzel zeigte im ersten Falle ähnliche degenerative Proc«89e wie
die peripherischen Portionen, dooh in geringerem Maasse; im zweiten Falle war
Bie normal. Verf. schliesst aus seinen Befunden, dass der Tic douloureux weder
die Folge primärer Ganglienzellenerkrankung noch vasculären Ursprungs ist.
Ferner nimmt er an, dass die Prognose für definitive Heilung der Neuralgie
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durch die Operation nur dann günstig ist, wenn sich die sensible Wurzel als
gesund erweist. Max Neumann (Karlsruhe).
18) Notes of two cases of exoision of the Qasserian gangllon for epilep-
tiform neuralgia, by J. Crawford Reuton. (Brit. med. Journ. 17. No¬
vember 1900.)
Mittheilung von 2 Fällen schwerer Neuralgie des Trigeminus, bei denen die
Excision des Ganglion Gasseri nach der Krause’scben Methode Heilung brachte.
Im 1. Falle litt ein 67jähriger Patient seit 7 Jahren an heftiger Neuralgie
des linken N. trigeminus. Oft batte Patient 30 Schmerzattacken in der Stunde,
die mit Krämpfen im linken Arm und im Bereich der linksseitigen Gesicbts-
znuskeln verbunden waren. Pat., der hochgradiger Morphinist geworden, war
2 Jahr nach der Operation völlig frei von Schmerz und dem Morphium entwöhnt.
Im 2. Falle handelte es sich um eine seit 5 Jahren bestehende Neuralgie
des rechten N. alveolaris inferior. Letzterer war ohne Erfolg resecirt worden.
Die Krause'sehe Operation brachte Heilung, die bei der Veröffentlichung über
1 Jahr oonstant geblieben war. E. Lehmann (Oeynhausen).
19) Peripheral rosootlon of flfth nerve, by Dr. Keen and Dr. Spiller.
(Journ. of the American Med. Assoc. 28. April 1900.)
Die Verff. berichten über 3 Fälle von peripherer Trigeminusresection wegen
Gesichtsneuralgie, ein Mal im Bereich des 1. und 2., zwei Mal im Bereich des
2. und 3. Astes. Ueber den klinischen TTieil berichtet Dr. Keen. Die Operation
führte in allen 3 Fällen zu erheblicher Besserung; nach längerem Aussetzen des
Leidens recidivirten die Schmerzen, jedoch in höchst milder Weise, und alle drei
Patienten waren mit dem Ergebnis der Operation so zufrieden, dass sie sich zu
einer Wiederholung derselben, wenn nöthig, sofort bereit erklärten. Das Recidiv
trat einmal im Anschluss an einen Influenzaanfall, einmal im Anschluss an
psychische Alteration au£ In zwei der Fälle ging der Operation ein Heilversuch
mit compacten Strychnindosen voraus. In einem Falle, in dem früher schon
einmal eine Resection stattgefunden hatte, zeigte sich der Nerv in höchst voll¬
kommener Weise regenerirt. Verf. zieht die periphere Resection vorläufig noch
der Exstirpation des Ganglion Gasseri vor, da die Mortalität bei dieser letzteren
Operation noch zu gross ist.
Ueber die anatomischen Verhältnisse der resecirten Nerven berichtet Dr.
Spiller. Im ersten Falle bestand weitgehender scholliger Zerfall des Myelins,
Rundzelleninfiltration um die kleinen GefäsBe, Wandverdickung an einzelnen
Stellen der grösseren Gefüsse. Im zweiten Falle bestand als wesentlicher Befund
die Gefässveränderung (Wandverdickung, Proliferation der Intima), während die
Nervenfasern kaum alterirt waren. Der dritte Fall ergab wieder stärkere Ver¬
änderung der nervösen Substanz, Schwellung der Markscheiden und Axencylinder,
daneben nur geringfügige Gefässerkrankung.
Max Neumann (Karlsruhe).
20) Fall af trlgeminusneuralgi, behandladt medela exstirpatlon af gangllon
Gasseri, j ernte beskrifhing af det exstirperade gangliet, af E. S. Perm an
och E. Holmgren. (Hygiea. LXII. 1900. S. 80.)
Ein 66 Jahre alter Mann hatte im Jahre 1882, nach starker Kälteein Wirkung
wahrend des Schlafes, sofort beim Erwachen intensiven reissenden Schmerz in der
linken Kopfhälfte bekommen. Am 24. April 1883 war wegen Neuralgie des
Supra- xu>d Infraorbitalis die Resection des N. frontal» mit Dehnung ausgefuhrt
worden. Am 7. Mai 1883 wurde die Reeeetion des N. infraorbitalis mit Aua-
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brennung des Canals gemacht, worauf dauernde Besserung folgte. Im Frühjahr
1888 kehrte der Schmerz in seiner vollen Stärke wieder, wurde aber gelinder
nach Anwendung von Massage an der linken Seite des Halses, am oberen Theil
des Sympathicus, Elektricität und Anwendung von antineuralgischen Mitteln, aber
nur vorübergehend und unvollständig. Am 31. August 1889 wurde der N. infra-
orhitalis nach Resection des Oberkiefers so viel als möglich nach hinten resecirt,
am 26. September der N. frontalis nach Enucleation des linken Auges. Auch
danach folgte keine vollständige Genesung, doch war der Zustand des Pat. jahre¬
lang leidlich, obwohl er nicht immer ganz frei von Schmerz war. Im Jahre 1899
wurde der Schmerz wieder stärker und steigerte sich wieder zu grosser Heftig¬
keit; er bestand hauptsächlich im Gebiete des 1. und 2. Trigeminusastes, besonders
in der linken Orbita und in der linken Hälfte der Stirn. Am 3. November 1899
führte Per man die Exstirpation des linken Ganglion Gasseri nach der Methode
von Krause und Hartley aus, wobei intracraniale Theile der vom Ganglion aus¬
gehenden Nervenzweige mit resecirt wurden. Dabei wurde beim Ablösen des
Knochenlappens die Dura mater lädirt; es floss Cerebrospinalflüssigkeit ab, doch
ohne weitere Nachtheile. Sprachstörungen, die in den nächsten Tagen nach der
Operation auftraten, beruhten deutlich auf dem Druck der von Cerebrospinal-
flüBsigkeit durchtränkten Tampons auf das Gehirn. Der Schmerz liess nach dieser
Operation nach, und Pat. war noch am 27. März 1900 frei davon.
Bei der Untersuchung des exstirpirten Ganglion Gasseri fand Holmgren in
den Nervenzellen Veränderungen, die ganz den bei Experimenten nach elektrischer
Reizung entstandenen entsprachen, erweiterte Saftcanäle und diffuse Durchtränkung
des Zellkörpers mit einer besonders feinkörnigen Tigroidsubstanz und Ueberfnllung
des Kerns mit acidophilen Körnern. Die Ursache dieser Veränderungen ist nach
Verf. in der Reizung zu suchen, die die wiederholten Resectionen verschiedener
peripherischer Trigeminuszweige bedingt hatten.
Walter Berger (Leipzig).
21) Soiatlque ohronique guerie par une plquüre de vipöre, par M. P o m m e ro 1.
(Gazette des höpitaux. 1900.)
Ein 45jähr. Mann, der seit 6 Jahren an heftiger linksseitiger Ischias litt
und sich nur hinkend fortbewegen konnte, wurde von einer Schlange in die
Gegend des linken Malleolus externus gebissen. Es kam zu intensiven Allgemein¬
erscheinungen, Ohnmacht, Uebelkeit, Herzschwäche u. s. w., die nach einigen Tagen
schwanden, und zu starker localer Schwellung. Die Ischias war und blieb seit
dem Tage des Bisses verschwunden. R. Hatschek (Wien).
22) Ueb«r Skoliose bei Isohias, von W. Seiffer. (Charite-Annalen. XXV.
1900.)
I. 25jähr. Arbeiter fällt Ende Februar 1900 mit der linken Hüfte auf eine
Karre, unmittelbar danach Schmerzen daselbst, wegen derer er am 6. März die
Charite aufsucht. Pat. klagt bei der Aufnahme über die typischen Beschwerden
einer linksseitigen Ischias. Bei der Inspection fällt sofort starke rechtsconvexe
Skoliose der unteren Brust- und Lendenwirbelsäule mit compensatorischer links¬
convexer Skoliose der oberen Brustwirbelsäule auf; dabei wird die linke Schulter
höher gehalten. Beim Liegen verschwindet die Skoliose, beim Gehen dagegen
besteht sie weiter. Die Skoliose kann für einige Momente unter Anstrengung
und Schmerzen spontan corrigirt werden. Im übrigen normaler Befund. Inter¬
essant war nun, dass Pat. häufig seine Skoliose willkürlich wechselte, so dass sie
der ursprünglichen entgegengesetzt war. Pat. gab an, durch diesen Wechsel, den
er in der Weise vornahm, dass er beide Hände in die Kniee stützte und so den
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Rnmpf und die Körperlast auf die andere Seite hinüberwältze, Erleichterung von
der durch die einseitige Haltung hervorgerufenen Ermüdung und Schmerzen zu
bekommen.
II. 24jähr. Arbeiter erleidet December 1898 einen Unfall, bei dem er mit
der linken Hüfte gegen eine Karre anstiess. Im Anschluss daran langdauernde
heftige Schmerzen in der linken Hüfte und dem linken Bein, wegen der er im
Juni 1899 in die Charite aufgenommen wird. Bei der Untersuchung fällt eine
ziemlich starke rechtsconvexe Skoliose der Brustwirbelsäule, weniger der Lenden¬
wirbelsäule, auf, die beim Gehen noch stärker hervortritt, beim Liegen und bei
der Suspension aber ausgeglichen wird. Sonst, abgesehen von den typischen
iBchiassymptomen, normaler Befund. Nach langwieriger, zunächst erfolgloser Be¬
handlung erhebliche Besserung durch elektrische Lichtbäder.
Martin Bloch (Berlin).
23) Ueber das gekreuzte Isohiasph&nomen, von Dr. J. Fajersztajn. (Wiener
klin. Wochenschr. 1901. Nr. 2.)
In einer nicht geringen Anzahl von Ischiasfällen, in 60,9 °/ 0 , besonders in
schweren Fällen, sah Yerf. das Ischiasphänomen (Schmerz im Ischiadicus bei Ele¬
vation des im Knie gestreckten Beines) im kranken Beine auch bei Erhebung des
gesunden Beines, wenn sich dieses in Streckstellung befand, auftreten. Ab und
zu war nur das gekreuzte Ischiaspbänomen vorhanden, das homolaterale fehlte.
Bei Besserung des Leidens schwand das gekreuzte Phänomen meist früher als
das homolaterale. Leichenexperimente belehrten Verf., dass es sich auch beim
gekreuzten Phänomen nur um Zugwirkung auf den kranken Ischiadicus handle,
indem durch Dehnung des gesunden Nerven der Duralsack herübergezogen und
bo eine Zerrung der Wurzeln der anderen Seite ausgelöst werde.
J. Sorgo (Wien).
24) Meralgia paraesthetioa, ein PlattfusBsymptom, von Prof. J. Pal. (Wiener
med. Wochenschr. 1901. Nr. 14.)
Die Beobachtungen des Verf.’s beziehen sich auf 6 Fälle. Bei allen stellten
sich die ersten Erscheinungen des Plattfusses und der Meralgia während der
Körpergewichtszunahme oder auf der Höhe derselben ein. Charakteristisch ist
besonders ein einen Arzt betreffender Fall: Links schwere Meralgie, ausgeprägte
Plattfassstellung, rechts geringe Meralgie, beginnende Plattfussstellung.
Plattfusseinlagen wirkten günstig auf die Meralgie.
J. Sorgo (Wien).
25) Skdlalgie paresthdsique sur un membre atteint de paralyBie infantile
anoienne, par Paul Sollier. (Trav. de neurolog. Chirurg. 1900.)
Verf. beschreibt einen Fall, in welchem ein Patient von 53 Jahren mit in¬
fantiler Lähmung der rechten unteren Extremität, der mit 19 Jahren Syphilis
acquirirt hatte, plötzlich neuralgische, äusserst heftige Schmerzen im Bein, be¬
sonders an der Aussenseite, bekam, verbunden mit Anschwellung des Fusses. Im
Verlaufe des Leidens wurde Pat Morphinist. Schmerz auf Druck bestand nicht,
dagegen ausgesprochene Anästhesie in dem ganzen postero-externen Theil des
Beines. Durch Resection des N. popliteus externus vermochte Chipault den
Kranken innerhalb von’4 Monaten völlig zu heilen. Die mikroskopische Unter¬
suchung des resecirten Nervenstückes ergab degenerative Veränderungen theils
älteren, theils neueren Ursprungs, eine Ursache des Leidens Hess sich mit Sicher¬
heit nicht feststellen. Adler (Berlin).
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26) P»©udo-m6ralgieo radioul aireo , par A. Chipaalt (Trav. de neurolog.
Chirurg. 1900.)
Verf. erörtert in diesem Aufsatz genau den Unterschied zwischen M&ralgie
paresthesique durch Läsion des N. femoro-cutaneus und zwischen Pßeudom^ralgie
durch Läsion der 1., 2. und 3. Lenden wurzeln, wo es sich entweder um Wirbel¬
traumen oder um Tabes handelt In solchen Fällen wird natürlich durch Reeection
des N. femoro-cutaneus nicht geholfen werden, sondern man wird das Orundübel
bekämpfen müssen. Adler (Berlin).
27) Lea indioations therapeutiques dans la mötatarsalgie, par S. Peraire
et F. Mal ly. (Trav. de neurolog. Chirurg. 1900.)
Die Verff. empfehlen für leichtere Fälle von Metatarsalgie orthopädische
Maassnahmen, insbesondere passendes Schuhwerk, bei schwereren dagegen die
Resection des Metatarsalkopfes. In diesen Fällen sind mit Röntgenstrahlen Sub¬
luxationen des Knochens und mikroskopisch Structurveränderungen nachgewiesen
worden, so dass es sich hier wohl meist um deformirende osteoarthritische Pro-
cesse handelt. Adler (Berlin).
28) Sur un oaa de növralgie du teaticule, traitd par rdaeotion des nerfa
du oordon, par Chipault (Trav. de neurolog. chirurg. 1900.)
Verf. hat bei einem 25jähr. jungen Manne mit jahrelanger, äusserst heftiger
Neuralgie im linken Hoden, deren Ursache sich nicht feststellen liess, nachdem
er Hoden und Epididymis intact gefunden, eine Resection der Nerven des Samen-
Stranges vorgenommen und damit im Laufe von 3 Monaten fast völlige Heilung
erzielt. Er empfiehlt diese Methode in Fällen von Neuralgieen, wo der Hoden
selber intact geblieben ißt, während bei geschrumpftem Hoden die Castration das
einfachere Verfahren darstellt und bei bestehenden Cysten oder kleinen fibrösen
Tumoren deren Entfernung geboten ist. Adler (Berlin).
29) Ueber objeotiv nachweisbare Senaibilitfttaatörungen am Rumpfe bei
Aneurysma aortae, von Dr. H. Fr ick. (Wiener klin. Wochenschr. 1901.
Nr. 25.)
Bei einem 47jähr. Pat. mit Aneurysma der Brustaorta, der seit einiger Zeit
an linksseitigen Intercoetalneuralgieen gelitten hatte, bestand linkerseits eine etwa
2 , / 2 cm breite, von der vorderen Axillarlinie bis zur Mittellinie reichende, diese
häufig etwas überschreitende Zone dissociirter Empfindungslähmung, von wechseln¬
dem Charakter. Bald handelte es sich um verspätete oder fehlende Schmerz-
erapfindung bei erhaltenem Tast* und Temperatursinn, bald um tactile Anästhesieen
mit erhaltenem Schmerzsinn. Auch die räumliche Ausdehnung der Empfindungs¬
störung wechselte.
Den Wechsel der Intensität und räumlichen Ansdehnung der Empfindnngs-
störung hält Verf. für charakteristisch für das Aneurysma und erklärt ihn durch
den Wechsel des Druckes auf die Interoostalnerven. J. Sorgo (Wien).
Psychiatrie.
30) Hot optreden van halluoinaties en waanide&en bij zwakaimlgen, door
J. van Deventer Sx. en A. M. Benders. (Psychiatr. en neurol. Bladen.
1900. & 214.)
Schwachsinn bildet ein fruchtbares Feld für die Entwickelung mehrerer
Psychosen; in Meerenberg zeigte sich dies im Jahre 1899 in 19°/ 0 der Fälle.
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Die verschiedensten Formen von psychischen Abweichungen können sich auf diesem
Boden entwickeln, namentlich Hallucinationen und Wahnideeen treten vielfältig
auf. Von dem Grade des Schwachsinns und dem Umstande, ob die Hallucinationen
mehr oder weniger in den Vordergrund treten, hängt es ab, ob ein Wahnsystem
entsteht oder die Wahnideeen ohne besondere Verbindung auf sich selbst bestehen
bleiben. Die Verff. theilen 6 Fälle mit, von denen die ersten 4 besonders ihstructiv
sind, weil die Patienten bei ihrer Aufnahme nur die Erscheinungen der Imbecillität
oder Idiotie darboten und die weiteren Erscheinungen erst Bpäter auftraten.
Im 1. Falle traten einige Male Gehörshallucinationen auf, die einen momen¬
tanen Einfluss auf den Kranken geltend machten und weiter nicht verarbeitet
wurden; Pat. erinnerte sich kaum an ihr Auftreten.
Im 2. Falle war der Eindruck, den die Hallucinationen zu Stande brachten,
ein stärkerer, aber auch hier kamen sie in der Folge nicht zur bleibenden Aus¬
bildung.
Im 8. Falle dagegeu entwickelte sich ein System von Wahnideeen, dos sich
insofern von denen der Wahnsinnigen unterschied, als die Personen, auf die es
sich bezog, fortwährend anderen Platz machten unter dem Einfluss der Umgebung,
in der sich der Kranke befand. Ganz in Uebereinstimmung mit dem beschränkten
iatellectuellen Gesichtskreise des Kranken war auch sein Wahnideeensystem sehr
wenig oomplicirt.
Im 4. Falle hatte Bich nach einem anschuldigen Worte, das zu dem Pat.
gesagt worden war, das Bild eines Verfolgungswahnes mit heftigen Erscheinungen
entwickelt, daa aber später nach der Einwirkung von imperativen Hallucinationen
in den Hintergrund trat, um dem Bilde des Grössenwahns Platz zu machen. Im
weiteren Verlaufe traten noch oft Hallucinationen auf, ohne dass Pat darauf stark
reagirte. Vor allem trat in diesem Falle der Mangel an Kritik stark in den
Vordergrund.
Im 5. Falle trat zur Pubertätszeit im Anschluss an ein psychisches Trauma
ein nicht deutlich begrenztes und nicht scharf zu definirendes System von Wahn¬
ideeen, Verfolgungswahn mit Andeutung von Grössen wahn, auf, wobei der schwach¬
sinnige Charakter sehr in die Augen fiel.
Im 6. Fallo nahm der Schwachsinn im Alter von 26 Jahren bedeutend zu,
besonders als interourrente epileptiforme Anfälle aufgetreten waren. Anf diesem
Boden traten zu wiederholten Malen Hallucinationen aufj die, wie im 1. Falle,
nur eine momentane Einwirkung auf den Pat. ausübten.
Walter Berger (Leipzig).
31) Een geval van simulatie van krankainnigheid, door A. 0. H. Tellegen
eu Th. J. H. Snijders. (Psychiatr. en neurol. Bladen. 1900. S. 117.)
Bei einem wegen Diebstahls eingezogenen Soldaten, der vorher geistig voll¬
ständig gesund gewesen war, traten plötzlich ohne Vorboten Zeichen von Melan¬
cholie auf. Simulation wurde von den behandelnden Aerzten ausgeschlossen, weil
der Complex von Krankheitserscheinungen, worauf sich die Diagnose gründete
(schneller Puls, Pupillenstarre, leichte Cyanose, Obstipation), nicht simulirt werden
könne. Es bestand aber angeblich ein Erinnerungsdefect, und dieser erweckte,
als nicht zum Krankheitsbilde der Melancholie gehörig, Verdacht. Degenerations¬
erscheinungen waren nicht vorhanden, auch konnte man durch Fragen den Ein¬
druck gewinnen, als ob sioh Pat. sehr wohl an Dinge erinnere, die in die Zeit
des angeblichen Erinnerungsdefects fielen. Ferner musste das rasche Auftreten
der fertigen Krankheit, ohne Vorboten, auffallen. Schneller Puls bestand aller¬
dings, aber ohne jede Körperstörung. Erweiterung und Starre der Pupillen be¬
stände» nur, wenn Verstopftmg vorhanden war, wenn diese durch ein Abführmittel
beseitigt war, reagirten die Pupillen wieder. Die Cyanose war zu gering, um
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Bedeutung zu haben, und konnte möglicherweise dadurch veranlasst sein, dass
Pat. die Stuhlentleerung anhielt. Eine Zeit lang sollte Nahrungsverweigerung
bestanden haben, sie wurde aber nicht durchgeführt, auch Schlaflosigkeit, die
Pat. simulirt hatte, hielt nicht an. Die Verff. kommen zu dem Schluss, dasB
wegen der Incongruenz der Erscheinungen und wegen des Fehlens eines be¬
stimmten Krankheitsbildes Simulation anzunehmen sei.
Walter Berger (Leipzig).
32) Oodsdienstwaansin, door Dr. Ruysch. (Psychiatr. en neurol. Bladen.
1900. S. 87.)
Durch das Auftreten und Predigen eines ekstatischen Schwärmers, J-, der,
erblich schwer belastet, nach einem Typhus das geistige Gleichgewicht verloren
zu haben schien und sich berufen glaubte, als Apostel aufzutreten, hatte sich in
dem gastfreien Hause eines jungen, angesehenen und gut situirten Bauern, 1L,
eine kleine Gemeinde von religiösen Schwärmern zusammengefunden. M-, ein
junger, thatkräftignr Mann mit stark erhöhtem Selbstgefühl, der vor wenigen
Tagen an Influenza mit Fieber, Kopfschmerz und Mattigkeit gelitten hatte und
dadurch zu psychischen Störungen disponirt sein mochte, wurde zum Mittelpunkt
der Bewegung, seine Genossen schrieben ihm allmählich eine übernatürliche Macht
zu und glaubten, dass er zu grossen Dingen berufen und im Stande sei, Kranke
zu heilen und aus Besessenen Teufel auszutreiben. Er selbst glaubte das und
hielt sich für den Messias. In einer Nacht, in der M. aus einem hysterischen
jungen Mädchen den Teufel austreiben wollte, verweigerte sein Knecht, der „mit
dem Rummel nichts zu thun“ haben wollte, die von ihm verlangte Beihülfe; M.
mordete den Knecht, in den nach seiner Meinung der aus dem Mädchen aus¬
getriebene Teufel gefahren war, und misshandelte die Leiche mit Tritten, Schlägen
und Stössen. Ueber die näheren Umstände bei dem Morde war wenig Zuver¬
lässiges zu erfahren, Einblasen von Luft durch eine Röhre scheint eine Bolle
dabei gespielt zu haben. Die dabei Anwesenden erklärten alle, dass der Tod
des Knechtes durch ein Strafgericht Gottes herbeigeführt worden sei. M. erklärte
später selbst, dass der Knecht zusammengesunken sei, ehe er ihm etwas gethan
habe; dass er ihn ergriff, auf das Bett legte, „ihm Luft einblies“, könne ihn doch
nicht getödtet haben, der Knecht müsse durch ein Wunder gestorben sein. Nach
dem Morde wurde M. von seinen Anhängern unter Absingen von Psalmen in ein
benachbartes Dorf geführt, wo seine Mutter wohnte, die ebenfalls von der hohen
Mission ihres Sohnes überzeugt war. — Durch energisches Eingreifen wurde dem
Unfug ein Ende gemacht. Die Hauptanstifter der Bewegungen wurden sofort
verhaftet, die weniger gefährlichen Theilnehmer unter Aufsicht gestellt. Als die
Hauptpersonen entfernt waren, schien sich der Zustand der Anderen rasch zu
bessern; der Glaube an M. als Messias und an seine wunderthätige Kraft ver¬
schwand mit seiner Entfernung, und J. wurde als Schwärmer erkannt, als sein
suggestiver Einfluss aufhörte. M., der Anfangs tobsüchtig war, besserte sich all¬
mählich und kam später auch zur Krankheitseinsicht und bereute seine That.
J., der nach dem von M. verübten Morde eines seiner Kinder zu opfern versuchte,
aber daran gehindert wurde, war in der Irrenanstalt lange Zeit in ex<irtem
Zustande, wurde aber später ruhiger und gab seine Wahnideeen zum Theil auf.
Walter Berger (Leipzig).
33) Om temperaturen ved psyohopatiske tilstande og dens diagnostiake
betydning, af Harald Holm. (Norsk Mag. f. Lägevidensk. XV. 1900.)
Verf. hat an 16 hysterischen Geisteskranken 1226 vergleichende Messungen
der Temperatur in der Achselhöhle und im Rectum ausgeführt und den Unter-
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schied zwischen beiden Temperaturen bei 249 Messungen (ungefähr 20°/ 0 ) abnorm
klein (—0,2° oder weniger) gefunden; bei 247 Messungen war er abnorm gross
(1,2—2,7°). Ein abnorm kleiner Unterschied zwischen der Temperatur in der
Achselhöhle und im Rectum kann also nicht, wie Hallager annahm, als ein
Stigma der Hysterie betrachtet werden; er kommt auch bei anderen Geistes¬
kranken vor, bei 4099 Messungen, die Verf. anstellte, 604 Mal (ungefähr 12°/ 0 ).
Verf. hält deshalb diesen abnorm kleinen Unterschied für ein psychopathisches
Symptom, das aber am häufigsten bei Hysterie vorkommt. Das Charakteristische
an der Temperatur bei Hysterischen ist nach des Verf.’s Messungen, dass der
Unterschied zwischen der Temperatur in der Achselhöhle und im Rectum starke
Schwankungen zeigt, als ein Ausdruck für die vasomotorische Labilität. Bei
einer Hysterischen fanden sich starke Schwankungen bei alle 2 Stunden wieder¬
holten Messungen, ja Belbst im Verlaufe einer einzigen Stunde, in der 5 Messungen
angestellt wurden.
Bei 110 Geisteskranken (sämmtliche Krankheitsformen mit Ausnahme der
uncomplicirten Imbecillität repräsentirend) hat Verf. 5325 Messungen (Morgen-
und Abendtemperatur) im Rectum und 6341 in der Achselhöhle ausgeführt.
Dabei hat sich in der Rectumtemperatur 1635 Mal (etwa 30 °/ 0 ), in der Achsel¬
höhlentemperatur 2107 Mal (etwa 33 °/ 0 der Messungen) Typus inverBUs gefunden,
also ungefähr jeden 3.—4. Tag. Bei den verschiedenen Formen von Geistes¬
störung kommt der Typus inversus in verschiedener Häufigkeit vor, am häufigsten
bei Hysterie, 38°/ 0 (im Rectum gemessen) und 33°/ 0 (in der Achselhöhle), am
seltensten bei der Paralyse (19 und 22 °/ 0 ). Er kommt nur ausnahmsweise bei
uncomplicirter Imbecillität vor, sehr selten oder gar nicht bei normalen gesunden
Individuen.
Gleiche Höhe der Morgen- und Abendtemperatur oder höhere Morgentempe¬
ratur als Abendtemperatur kommt nicht in gleicher Häufigkeit bei allen Geistes¬
kranken vor, sondern bei einigen seltener, bei anderen häufiger. Nur in einer
Curve (von 298) fand sich dieses Symptom nicht, an den 5 anderen Curven von
demselben Kranken, der an Katatonie litt, fand es sich bei 73 Messungen im
Rectum 14 Mal, bei 95 Messungen in der Achselhöhle 21 Mal (20—22°/ 0 ). Bei
manchen Individuen ist das Symptom so häufig und so ausgesprochen, dass die
durchschnittliche Morgentemperatur der durchschnittlichen Abendtemperatur gleich
oder auch höher als diese ist.
Das pathologische Verhalten der Körpertemperatur scheint nach Verf. nicht
constant von dem Vorhandensein der verschiedenen Krankheitssymptome (Schlaf¬
losigkeit, Hallucinationen, Veränderungen des Körpergewichts u. s. w.) abhängig
zu sein, auch mit einer abnorm niedrigen Differenz zwischen der Temperatur im
Rectum und der in der Achselhöhle (geringem Unterschiede zwischen der centralen
und der peripherischen Temperatur) scheint es nicht in sicherem Zusammenhänge
zu stehen. Wenn die Patienten in die Reconvalescenz treten, nimmt der Typus
inversus an Häufigkeit ab, wenn vollständige Heilung eingetreten ist, verschwindet
auch dieses Symptom. Bei unzweifelhaft periodischen Geistesstörungen wird sich
auch der Typus inversus sicher in Intervallen nachweisen lassen.
Ein pathologisches Verhalten zwischen der peripherischen und der centralen
Temperatur ist nach Verf. das charakteristische Kennzeichen des Verhaltens der
Temperatur bei Geistesstörungen, die wichtigste Eigentümlichkeit ist aber nach
Verf.’s Auffassung der Typus inversus. Dieses Symptom ist nach Verf.’s Unter¬
suchungen so häufig und so leicht und sicher objectiv nachweisbar, dass es in
forensischen Fällen als diagnostisches Hülfsmittel von Werth sein kann.
Walter Berger (Leipzig).
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34) Ueber intermittirende peyohopathisehe Zustände, von Dr. Duboia
(Correspondenzblatt für Soli weiser Aerzte. 1901. Nr. 9.)
Verf. berichtet über 2 Falle (ein Herr und eine Dame), bei denen das Leiden
im 45. Jahre begann und sich unter dem Bilde einer circularen Psychose ab-
upielte, bei der die deutlicheren depressiven Stadien mit der Regelmässigkeit einer
Febris intermittens tertiana einsetzen. Yerf. ist der Meinung, dass eine in ge¬
wissen Theilen des Gehirns localisirte Arteriosklerose feinerer Gefiisse die Sym¬
ptome erklären könnte. „Die Gefässerkrankung könnte locale Circulationsstörungen
hervorrufen, wodurch der Chemismus der Zellen zerstört würde; es fände somit
eine ganz locale Intoxication statt, welche den Anfall hervorrufen würde. Nach
und nach würden sich die Zellen von den schädlichen Stoffen frei machen, bis
eine neue Anhäufung stattfindet.“ H. Wille (St Pirminsberg).
36) L’edonale oome ipnotico negli alienati, pel Dr. Antonio d’Ormea.
(Bollettino del Manicomio di Ferrara. 1901.)
Verf. hat das Hedonal der Firma Bayer u. Co. in seinen Einflüssen auf
Temperatur, Puls und Athmung und in seinem hypnotischen Effect an 47 Geistes¬
kranken verschiedener Krankheitsform und Lebensstufe in 24 bezw. 105 Beobach¬
tungen studirt. Der ersten räumlich isolirten Gruppe stillruhender Kranker
verabreichte er 1—1,5—2 und 3 g des Mittels in Pulverform bezw. Punsch und
fand durch stündlicho Messungen, dass die Temperatur von lg aufwärts um
wenige Zehntelgrade zu sinken pflegte; das Maximum betrug 0,8° und wurde nur
bei einem einzigen Individuum nach Einverleibung von 3 g beobachtet. Minimale
Temperatursteigerung war selten. Der Puls blieb auch bei einer Dosis von 3 g
regulär und rhythmisch, erfuhr aber fast immer eine von 2—10 Schlägen pro
Minute variirende Verlangsamung, die meist sehr bald, zuweilen aber erst in der
2. Stunde nach einer unwesentlichen Beschleunigung auftrat. Letztere blieb nur
einmal constant und erreichte in 2 Fällen ein Plus von 10 Schlägen. Die Ath¬
mung erfuhr nur insofern zuweilen eine Aenderung, als sie öfters um einen ge¬
ringfügigen Betrag langsamer, seltener eine Spur frequenter wurde. Die genannten
und die allgemeinen sedativen Wirkungen waren bei Verwendung einer dünnen
wässrig-alkoholischen Lösung der Droge beträchtlicher als bei der Application des
Pulvers. Sonstige Nebenerscheinungen fehlten; die Rückkehr zur Norm vollzog
sich in der 3. Stunde und war in der 4. meist beendet
Zwecks Feststellung der hypnotischen Wirkung wurde einer Auswahl
agrypnischer Kranker nach umsichtiger Ausschaltung sonstiger sedativer oder
störender Einflüsse das Mittel zunächst als Pulver gereicht. In Grammdosis
pflegte es nur bei einfacher oder leicht agitirter Schlaflosigkeit von Nutzen zu
sein; l’/j g aber brachten auch in Fällen schwerer Unruhe und hartnäckiger
Agrypnie mehrstündigen Schlaf. Das Maximum der Schlafdauer im Durchschnitt
mit ö 1 /* Stunden ist sowohl mit 1,5 als auch mit 2 g erzielbar. Leider war eine
rasche Gewöhnung an das Mittel zu constatiren, welcher die Wirkung nach mehr¬
tägigem Gebrauch abschwächte. Die nach einer 10 tägigen Pause fortgesetzten
Versuche mit einer Hedonalsolution ergaben durchweg günstigere Resultate.
Auch grössere Dosen von 2,5—3 g wurden ohne üble Neben- und Nachwirkungen
gut vertragen; der Effect war der Menge proportional und am durchgreifendsten
auch hier nach mehrtägiger Unterbrechung. Der Schlaf war ruhig und leicht
gleich dem natürlichen, die Kranken erwachten leicht und erfrischt, und auch das
Wiedereinschlafen nach zufälliger Störung in der Nacht vollzog sich ohne Schwierig¬
keit. Hedonal kann wegen seiner Zuverlässigkeit und absoluten Ungiftig¬
keit als eine Bereicherung unseres Arzneischatzes willkommen geheissen werden.
Schmidt (Freiburg i/Schl.).
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III. Bibliographie.
1) Handbuch der Militftrkrankheiten, von Dr. Fr. A. Dü ms, Oberstabsarzt
L Classe. Dritter Band. Die Krankheiten der Sinnesorgane und
des Nervensystems einschliesslich der Militärpsychosen, bearbeitet
unter Mitwirkung von Prof. Dr. Ostmann (Marburg) und Oberstabsarzt
Dr. Roth (Hamburg). (Leipzig, 1900. Arthur Georgi. 662 S.)
Der vorliegende III. Band bildet den Schlussband des Handbuchs der
Militärkrankheiten, dessen I. und II. Band (Chirurgische und innere Krank*
heiten) in den letzten Jahren bereits erschienen sind. Eine Berechtigung, die
Militärkrankheiten als Specialdisciplin zu behandeln, ergiebt sich lediglich aus
praktischen Gesichtspunkten. Es gilt eben, die Erfahrungen, welche sich aus
der Anwendung der allgemeinen ärztlichen Kenntnisse auf die durch die Eigen-
thümlichkeiten des Militärdienstes bedingten besonderen Verhältnisse ergeben
haben, zum Gemeingut der Sanitätsoffiziere werden zu lassen. Muss doch der
Militärarzt einer Reihe von Aufgaben gerecht werden können, welche der gewöhn¬
lichen ärztlichen Thätigkeit ferner liegen, bezw. über dieselbe hinausgehen. So
wird z. B. bei den functionellen Neurosen, wie bei den Psychosen die Sachver-
ständigenthätigkeit des Militärarztes sehr oft in einer ganz bestimmten Richtung
in Anspruch genommen, und bei der Geringfügigkeit des objectiven Befundes
hängt die Sicherheit der Beurtheilung in solchen Fällen meist davon ab, dass
man auch die anscheinend unbedeutendsten Erscheinungen zu würdigen versteht
und dabei das wissenschaftlich Erwiesene von dem nur Möglichen zu unter¬
scheiden welss.
Die Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit, mit welcher Verf. im Verein mit
den berufensten Mitarbeitern die durch die eigenartige Stellung des Sanitäts¬
offiziers bedingten besonderen Aufgaben dargestellt hat, verdienen ebenso rück-
haltslose Anerkennung, wie die vortreffliche Ausstattung des Werkes.
Adler (Berlin).
2) Aide-memoire de neurologio , par Paul Lefert. (Paris, 1900. J.-B.
Bailiiere et fils. 274 S.)
Dieses kleine Vademecum soll dem Studierenden und praktischen Arzte sowohl
vor dem Examen, wie am Krankenbette alles in der Neurologie Wissenswerthe
vorführen; es behandelt ausführlicher die häufigeren Krankheiten, oberflächlicher
die Belten anzutreffenden und richtet sein besonderes Augenmerk auf die Sympto¬
matologie und Diagnostik; die pathologische Anatomie und die Therapie werden
nur kurz behandelt. Kurt Mendel.
IV. Aus den Gesellschaften.
XXVI. Wanderversammlung der Südwestdeutsehen Neurologen und Irren¬
ärzte zu Baden-Baden am 8. und 9. Juni 1901.
(Sohlass.)
Herr O. Kohnstamm (Königstein i/Th.): Zur Anatomie und Physiologie
der Vaguskerne.
Eigene Untersuchungen an Hund und Kaninchen (Vagusdurchschneidung am
Halse — Niss 1’sehe Methode; Durchsohneidung central vom Ganglion jugulare
inferius — Marchi’sche Methode, Studium normaler Präparate) und kritisohe
Sichtung der Litteratur ergeben ein ziemlich widerspruchsfreies Bild der Anatomie
des Vagusgebietes. Charakteristisch für die hier liegenden Schwierigkeiten ist
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das Verhältniss des Glossopharyugeus zum dorsalen Vaguskern. Wahrend die Be¬
trachtung normaler Präparate und die älteren Autoren aus letzterem 9. Nerven¬
wurzeln hervorgehen lassen, fand van Gehuchten nach peripherischer Durch-
schueidung des 9. Nerven keine Degeneration in demselben. Der "Widerspruch
löst sich so, dass die betreffenden frontalen Wurzeln nicht in den 9. Nerven,
sondern in den 10. Nerven übergehen. Wenn umgekehrt das Solitärbündel
nach Roller nur aus Glossopharyngeusfasern besteht, während wir zweifellos
viele Vagusfasern in dasselbe verfolgen, so erklärt sich das so, dass die betreffen¬
den Vagusfasern im 9. Nervengebiet, d. h. als 9. Nervenwurzeln ins Gehirn ein-
treten. Daher ergiebt sich aus anatomischen Gründen dieselbe Nothwendigkeit,
von der die Ex ne r’sehe Schule im Verfolg physiologischer Reizungs- und
Durchschneidungsversuche geleitet wird, nämlich die Wurzeln, unbekümmert
um ihren peripherischen Verlauf, einzutheilen in obere (9. Nerven), mittlere
(10. Nerven) und untere (11. Nervus accessorius vagi) Wurzeln. Dement¬
sprechend unterscheide ich an der Oblongata ein 9. Nerven-, ein 10. und ein
1*1. Nervengebiet, als Theile des grossen Vagusgebietes. — Wenn der 10. Nerv
central vom Ganglion jugul. inf. und 10. Nerven durchschnitten wird, so entarten
die in diesem Ganglion entspringenden Wurzeln, während diejenigen Vagusfasern
intact bleiben, die im oberen 10. Ganglion, in dem 9. Ganglion, im Ganglion Gassen
und geniculi ihren Ursprung haben. Doch haben letztere offenbar denselben
Verlauf. Es finden sich alsdann hauptsächlich degenerirt Fasern stärkeren Kalibers,
die im 9. Nervengebiet eintreten. Weiter caudalwärts trifft man nun vereinzelte
Fasern meist zarteren Kalibers, die. in der Regel central am Solitärbündel vorbei¬
ziehen tlieils zum dorsalen Kern, in dem sie sich in einige Körnchen auflÖBen, theils
tun den Hypoglossuskern (lateral und dann ventral von diesem) herum bis nahe
an die Mittellinie.
Dorsolateral von der ausgedehnten grauen Scheibe, die von einigen Autoren
als Glossopharyngeuskern bezeichnet wird und die den frontalsten Theil des Kernes
des Solitärbündels darstellt, biegen sich die degenerirten Fasern um und bilden
das Solitärbündel. Erst etwas weiter caudal — in unseren Präparaten — liegt
dem Solitärbündel medialwärts ein ausgedehntes graues Feld an, das von zahlreichen
Körnchenreihen in netzförmiger Anordnung durchzogen wird. Wir haben hier
zweifellos die Collateralen und Endverzweigungen des Solitärbündels vor uns, die
Zellen einschliessen, welche die Maschen des Netzes ausfüllen. Das ist der Kern
des Solitärbündels, in dessen frontaleren Theil Neurone endigen, die in unseren
Versuchen unbeschädigt blieben. Medial und ventral grenzt an den Kern des
Solitärbündels der dorsale Kern, der Bich auf Weigert’s Präparaten durch die
dunkle Färbung seiner Zellen (Chromophilie im Sinne Flesch’s) deutlich abhebt
Dorsaler Kern und Solitärbündelkern zusammen bilden den Hauptbestandteil des
„Vagusfeldes“, das sich makroskopisch als Ala cinerea präsentirt. — Caudal vom
Calamus scriptorius liegt der Solitärbündelkern dem Solitärbündel nicht mehr dicht
an. Er liegt dorso-lateral vom dorsalen Kern, aber ziemlich weit medial vom
Solitärbündel, von dem aus Körnchenreihen zu ihm hinziehen. Das Solitärbündel
liegt hier an der Basis des Hinterhornes zwischen diesem und dem Nucl. cuneatus
extern. Es lässt sich degenerativ bis in den caudalsten Theil der Pyramiden¬
kreuzung verfolgen. Der caudalste Antheil des Solitärbündelkerns liegt ziemlich
weit dorsalwärts von der dorsalen Commissur des Centralkanals, der die caudalBten
Zellen des dorsalen Kerns dicht anliegen. — In der Gegend caudal vom Cal&m.
script. sieht man an Weigert-Präparaten vom Solitärbündel aus Markfasern die
Mittellinie über den Centralkanal weg überschreiten. Diesen Fasern sind auf
Marchi-Präparaten einige Körnchen eingestreut, die es wahrscheinlich machen,
dass einige Elemente des Solitärbündels die Mittellinie überschreiten. Diese Fasern
mit der dazu gehörigen grauen Substanz bilden den Nucl. commissuralis
Ramön y Cajal’s, in dem nach diesem berühmten Forscher der grösste Theil des
i:
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Solitärbündels enden soll. Unsere Präparate lehren, dass dies ein Irrthmn ist,
indem das Solitärbiindel allmählich auf seinem Wege sich erschöpft, und dass
höchstens ein minimaler Theil in jenem Kern endigt. Vielleicht sind es Axone
des Solitärbündelkerns, die hier endigen, was sich mit Cajal’s Zeichnungen
wohl vereinigen Hesse. Der Nucl. commissuralis erscheint alsdann als die Ver-
schmelzungsstrecke des beiderseitigen SoHtärbündelkerns, nicht als ein selbständiges
Gebilde.
Es ist anzunehmen, dass die übrigen Theile des Solitärbündels principiell die¬
selben Wege ein schlagen, also die Neurone aus dem Ganglion jugulare vagi superius,
den Glossopharyngeusganglien, Ganglion geniculi und Gasseri. Der Trigeminus-
antheil des SoHtärbündels bildet im 9. Nervengebiet die Verbindung zwischen spinaler
6. Nervenwurzel und Solitärbündel. Weiter caudalwärts verschwindet er allmählich.
Was die degenerirten Fasern zum dorsalen Kern anlangt, so erklärt sie neuer¬
dings van Gebuchten centrifugal und als ein Product retrograder Degeneration.
Ich halte diese Hypothese bei der Constanz der Erscheinung für unzulässig und
finde keinen Widerspruch darin, dass centripetale Fasern in einem Ursprungskern
centrifugaler Fasern (s. u.) endigen. Solches Verhalten ist uns von den Reflex-
collateralen des Rückenmarkes vertraut. Ebenso fassen wir die Fasern auf, die
den Hypoglossuskern umschlingen (s. o.) und vielleicht mit den Zellen derselben
in Verbindung treten (vergl. Kölliker). Vielleicht endigen sie auch am
Roller’schen Hypoglossuskern oder an dem grosszelligen Kern, der frontalwärts
an die Stelle des 12. Nervenkernes tritt. Diese Elemente verlaufen zusammen
mit einer Gruppe innerer Bogenfasern, so dass an normalen Präparaten der wohl
trügerische Anschein entsteht, dass sie die Mittellinie überschreiten und zum
Vorderstrangkern (und Respiratorius, MislawBky) verlaufen (v. Bechterew).
Nach Durchschneidung des Vagus oder Accessorius („möglichst hoch oben nach
dem Austritt aus demForamen jugulare“ Bunzl-Federn) tritt neben gleichseitiger
Nissl-Degeneration des Nucleus ambiguus und 11. N. Tigrolyse des dorsalen
Kerns ein, die schon wenige Tage nach der Operation nachzuweisen ist Dieselbe
reicht bis in die caudale Region der Pyramidenkreuznng, wo der dorsale Kern
dicht lateral von der dorsalen Commissur des Centralkanals mit wenigen Zellen
gelegen ist Frontalwärts ist nach Durchschneidung des 10. Nerven die Degeneration
bis in das 9. Nervengebiet zu verfolgen. Sie ist daselbst nach Bunzl-Federn
noch so vollständig, dass gar keine etwa zum N. 10 gehörige intacte Zellen übrig
sind. Das entspricht dem Befund van Gehuchten’s, der nach peripherer Durch-
schneidung des 10. Nerven Degeneration des dorsalen Kerns vermisste (s. o.). —
Hingegen entsendet der dorsale Kern in seinem frontalen Theil nach Dewal’s
klaren Zeichnungen Fasern zum N. intermedius Wrisbergii. Dieselben können
unmögUch identisch sein, wie Kölliker behauptet, mit denjenigen Elementen
des Solitärbündels, die nach His aus dem Ganglion geniculi horvorgehen, sondern
sie gehören zum dorsalen Kern. Ebenso wie der N. intermedius theils im Solitär¬
bündel, theils im dorsalen Kern endigt, dürfte auch der Vagusantheil des Trige¬
minus ausser mit dem SoUtärbündel mit dem dorsalen Kern in Verbindung treten,
was sich mit den betreffenden normalen Präparaten wohl vereinigen lässt) aber
des degenerativen Nachweises noch bedarf. — Grab owe r hat nachgewiesen, dass
der (eigentHche!) N. ambiguus beim Mensohen weiter frontalwärts anfängt, als der
Nucl. nervi accessorii auf hört. Auch Bunzl-Federn findet fast gar keine Be¬
ziehungen des N. accessorius zum Nucl. ambiguus. Hingegen reichen vereinzelte
Vaguszellen motorischer Structur — nach unseren Degenerationspräparaten —
bis in das Accessoriusgebiet (Pyramidenkreuzung!) hinein.
Die nach Vagusdurchschneidung unverändert bleibenden Zellen des Nucleus
ambiguus gehören dem N. 10 an (van Gehuchten).
Als Beweis für die Eigenschaften des dorsalen Kerns als Ursprungskerns
centrifugaler Fasern können folgende Gesichtspunkte gelten:
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1. er degenerirt nach Art motorischer Kerne wenige Tage nach Vagus¬
durchschneidung;
2. van Gehuchten hat Axone seiner Zellen direct in die Vaguswurzeln
verfolgt;
3. endigt die Masse der centripetalen Fasern im Solitärbündelkern, die
Golgi-Beobachtungen, nach denen Nervenendigungen von der Art der sensiblen
im dorsalen Kern stattfinden (Kolliker), erklären sich durch die Auffassung
der betreffenden Elemente als Analoga der „Reflexcollateralen“ (s. o.).
Wir gelangen alsdann zu folgender anatomischer Uebersicht:
1. Der dorsale Vaguskern entsendet Fasern zum N. accessorius (im Snlcns
lat. poster. austretend, Bunzl-Federn), vagus, intermedius (facialis), trige-
minus (?).
2. Der Nucl. nervi accessorii sendet seine Fasern zu dem M. trapezius und
sterno-cleido-mastoideus.
3. Der Nucl. ambiguus sendet seine Fasern zur quergestreiften Schlund- und
Kehlkopfmusculatur (via N. 9 und 10).
4. Die centripetalen Fasern des gesammten Vagusgebietes, die in die Bahnen
des N. 6, des N. intermedius (7), der Nn. 9, 10 und 11 verlaufen, endigen im
Wesentlichen via Solitärbündel im Solitärbündelkern. Derselbe ist der eigent¬
liche und einzige sensible Vaguskern.
Da die vom Vagus abhängige quergestreifte Musculatur von anderen Kern«)
aus besorgt wird, bleibt für den dorsalen Kern nur übrig, dass er sympathischen
Innervationen (glatte Musculatur, Herz, Secretion) dient. Hierfür spricht ferner
1. die besondere Zellform,
2. die weitgehende Degeneration nach Durohschneidung peripher vom Ab¬
gang des N. recurrens (Bunzl-Federn),
3. der Ursprung des N. intermedius (facialis, chorda, Speicheldrüsen) aus ihm,
4. die Degeneration nach Zerstörung des Ganglion stellatum, bezw. der in
dasselbe eintretenden Vagusfasern (Onuf und Collins).
Unter diesen Umständen erscheint es zweckmässig, den dorsalen Keim als
Nucleus syrapathicuB medullae oblongatae zu bezeichnen. Wahrscheinlich
setzt er sich in die sympathischen Zellen des Bückenmarks fort.
In guter Uebereinstimmung mit unserem Befund, dass die im unteren Jugular-
ganglion wurzelnden Neurone im 9. Nervengebiet eintreten, stehen die physio¬
logischen Ergebnisse der Wiener Schule (Kreidl, Beer, Grossmann u. A.) und
Cadman’s, nach denen die Hering-Breuer’schen centripetalen Athmungsfasero
und diejenigen, die centripetal auf Herz und Ciroulation wirken, in den frontales
Wurzeln verlaufen. Das Ganglion jugul. inf. enthält die Ursprungszellen der
Her in g-Bresser’schen Fasern, da der centrale Vagusstumpf wenige Tage nach
seiner Abtrennung von demselben sich respiratorisoh unerregbar erweist (Gad
und Joseph).
Die im N. depressorius des Kaninchens verlaufenden 10. Nervenfasern,
deren .centripetale Reizung Herabsetzung des Blutdruckes und der Herzfrequenz
ergiebt, stammen ebenfalls aus dem Gangl. jugul. inf., denn sie degeneriren nicht,
wenn sie nach Durchschneidung des N. 9 an der Schädelbasis und des N. 10
central vom Gangl. jug. inf. nur noch mit diesem Ganglion Zusammenhängen.
Der Ramus pharyngeus vagi, der beim Kaninchen central vom Gangl. jug. inf
in den 10. Nerv mündet, gehört jedenfalls in seipem sensiblen Antheil zum System
des oberen 10. Nervenganglions.
Wallenberg hat es wahrscheinlich gemacht, dass der 5. Nervenantheil dee
Solitärbündels der Geschmackswahrnehmung dient. Diese Fasern, ebenso wie die
aus Chorda tympani und Nervus 9 stammenden Elemente scheinen im 9. Nerven¬
gebiet zu endigen, da wo der Solitärbündelkern in Form einer gelatinösen Scheibe
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— 7 71 —
besondere reich entwickelt ist (9. Nervenkern älterer Autoren). Dieser Theil des
Solitärbündelkernes wäre darnach die primäre Endstätte der Geschmacksfasem.
Ob die ihn durchziehenden Bogenfasern aus ihm oder aus dem dreieckigen
8. Nervenkern stammen, ist nach Weigert-Präparaten nicht zu entscheiden.
Die centrifugalen Fasern für die Schlundmusculatur und den Oesophagus
stammen aus 9. Nervenwurzeln, für den Kehlkopf aus 10. Nerven wurzeln (degenera-
tive nnd physiologische Methode).
Die centrifugalen herzhemmenden Fasern kommen nach Spenoer, Vas und
Breiol aus dem mittleren (10.) Nervenbündel, nach Cadman entsprechend den
alten Schiff-Heidenhain’sehen Angaben über den Acoessoriusureprung dieser
Elemente aus dem unteren (11.) Nervenbündel, jedenfalls aber nicht aus dem
AccesBoriuskern, sondern aus dem dorsalen Kern.
Wenn unsere Anschauung richtig ist, dass der doreale Kern der sympathische
Kern der Oblongata ist, so werden aus ihm auch die seoretoriachen Magenfasera
entspringen, auf deren Bedeutung Pawlow’s klassische Untersuchungen ein helles
Licht geworfen haben. Die tabische Degeneration des Solitärbündels
bei gastrischen Krisen (Oppenheim) entspricht vollkommen der
Hinterwurzeldegeneration mit lanoinirenden Schmerzen. Ebenso wie
die Magenseoretion wird jedenfalls die ganz analogen physiologischen Gesetzen
folgende Speichelsecretion von dem Reflex bogen des dorsalen Kernes des Solitär¬
bündels beherrscht. Da ebenso, wie vom Vago-glosso-pharyngeus auch sensible
Elemente des Trigeminus und der Chorda tympani in das Solitärbündel eingehen,
so lassen sich die verschiedenen und variablen Wege der Geschmacksinnervation
nach derselben Endstätte verfolgen. — Der centrifugale Schenkel des Reflex¬
bogens für die Submaxillardrüse stellt sich so dar: Dorsaler Kern, Portio inter-
media, N. 7., Chorda tympani, N. lingualis (vergl. Köster); für die Parotis-
secretion: Dorsaler Kern, N. 9, N. tympanicus, N. petros. superfic. minor, Ganglion
oticum, N. auriculo-temporalis; für die Thränensecretion (vergl. Köster): Dorsaler
Kern, Portio intermedia, N. 7, Ganglion geniculi, N. petros. superfic. maior,
Ganglion spheno-palatinum, N. suheutaneus malae, N. laryngeus. — Solitärbündel,
Solitärbündelkern, dorsaler Vaguskern dienen der reflectorischen Versorgung der
Abkömmlinge des embryonalen Schlunddarmes.
Von den eigentlichen Vaguscentren zu trennen sind die von mir sogenannten
Coordinationskerne der Formatio reticularis (Monatsschrift f. Psych. u. Neurologie,
1900), die Nuclei reticulares, die sich durch motorischen Typus und Nissl-
Degeneration (Tigrolyse) nach Abtrennung vom Rückenmark auszeichnen. Sie
können in einen Nucl. reticularis cervicalis, med. oblongatae und pontis
eingetheilt werden, wobei sich innerhalb der Oblongata ein Nucleus reti¬
cularis raphes einerseits von den Nucl. reticulares laterales und andererseits
von den andere gebauten Nucl. ventralis raphes und parvicellularis raphes ab¬
hebt. Der Nucl. reticularis v. Bechterew’s gehört nicht zum System der Reti-
culariskerne, die innerhalb der Brücke nur als N. reticularis pontis jedereeits
inmitten der Haube vertreten sind.
Als Abgangsstelle der bulbo-spinalen Athmungsfasern müssen nach meinen
früheren Darlegungen diejenigen Zellen des Nucl. reticularis lateralis angesehen
werden, die caudal vom 7. Nervenkern gelegen sind. Die Experimente von Gad-
Heymans und Arnheim, sowie die Golgi-Befunde Kölliker’s lassen erwarten,
dass von denselben Zellen auch Fasern znm 7. Nervenkern aufsteigen. Wahr¬
scheinlich sind zwischen Solitärbündelkern und den eben beschriebenen Zellen
weitere zellige Stationen eingeschaltet; jedenfalls ziehen nach den Zeichnungen
Cajal’s Axone des Solitärbündelkernes nach der Formatio reticularis.
Das vasomotorische Centrum liegt nach den Untersuchungen der Ludwig’sehen
Schule im Ganzen etwas frontalwärts vom Athmungscentrum und gehört jeden¬
falls auch dem Nucl. reticularis lateralis an. (Das Rein hold'sehe Centrum im
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772
Bodengrau des 4. Ventrikels ist vielleicht eine höhere Instanz, vergl. die Kritik
CaBsirer’s.) Die spinalen Axone verlaufen im Seitenstrang (Dittmar, Lang-
ley) und sind durch Strangzellen unterbrochen, die auch als selbständige Centren
functioniren können. Die depressoriscben Vagusfasern setzen den Blutdruck
herab, indem sie auf den dorsalen Kern (Herzhemmung!) und das vaso¬
motorische Centrum (Vasodilatation 1) auf dem Wege Solitärbündel-Solitärbündel-
, dorsaler Kern . ,
kern <Nucl.retic.lat. emwlrkc,K
Wenn wir bedenken, welche ungeheure Fläche entsprechend den Derivaten
des embryonalen Schlunddarmes dem Vagus die sensible Versorgung dankt, so
fallt es auf, um wie viel weniger Fasern das Solitärbündel fahrt, als die spinale
5. Nervenwurzel, der Leiter der Sensibilität für Gesicht und Kopf. Vielleicht
relativ noch weniger Zellen enthält der Solitärbündelkern im Vergleich zu der
Zellmasse des sensiblen Trigeminus. Dies Verhältniss kann nur die Bedeutung
haben, dass der 6. Nerv der looalisirten Wahrnehmung des 10. Nerven, aber
hauptsächlich der Auslösung von Reflexen dient und zur genaueren Localisation
unfähig ist. So werden Vagusreizungen verschiedener Herkunft aus Lunge, Speise¬
röhre, Leber, Gehörgang an einen Ort der Wahl, den Kehlkopfeingang, als Husten¬
reiz verlegt, — zu welchem Empfindungsoomplex übrigens die refl ec torisch aus¬
gelösten Muskelspannungen eine beträchtliche Componente beitragen. — Diese
Irradiationen sind theils durch die Verschmelzung peripherischer Fibrillen zu
Nervenfasern bedingt, theils wohl auch durch Irradiation innerhalb des Solitär¬
bündelkerns. Letzteres schliesst Vortr. daraus, dass sich mit Vagusreizungen vom
Magen aus so leicht Sohwindelempfindung verbindet, die auf Miterregung des be¬
nachbarten dreieckigen 8. Nervenkerns (N. vestibularis) beruhen musä, ebenso wie
zu primärer Vestibulariserregung VaguBsymptome, wie Uebelkeit und Erbrechen,
hinzutreten. — Auch im Falle des Solitärbflndels bewährt sich, was Vortr. früher
aus dem Vergleich der Zellzahl von Phrenicus- und Augenmuskelkernen geschlossen
hat, dass die Zahl der nervösen Elemente weniger von der quantitativen G röss e ,
als von der Differenzirung der Aufgabe abhängt
Herr Laudenheimer (Alsbach): Ueber den Chlor- und Bromsalntoff-
weohsel der Epileptiker.
Vortr. fasst die Ergebnisse seiner Stoffwechseluntersuchungen in folgenden
Thesen zusammen:
I. Bromsalz, speciell Bromnatrium in medicamentisohen Dosen, wird ans
einem bis dahin bromfreien Organismus zunächst nicht in der Menge ausgeech indes,
in der es aufgenommen wurde. Es wird längere Zeit, mindestens einige Wochen
lang, der grössere Theil des zuge führten Salzes im Körper aufgeepeichert. Erst
nach Bildung eines Bromdepots von individuell verschiedener Höhe (bis 52 g)
setzen sich Ein- und Ausfuhr in's Gleichgewicht — Unter abnormen Stoffweohsel-
verhältnissen (Polyurie) kann ausnahmsweise späterhin die Ausfuhr die Einfuhr
übersteigen, so dass es trotz reichlicher Bromdarreiohung nicht zur Bildung eines
grösseren Bromvorrathes kommt
H. Das aufgespeioherte Bromnatrium verbleibt zum grössten Theil in dem
Dienst der Lymphflüssigkeit.
III. Es ist anzunehmen, dass die therapeutische, wenigstens die antiepilep¬
tische Wirksamkeit des Broms, mehr von der Höhe des Bromdepots als von der
Höhe des täglich neu angeführten Salzes abhängt Es kann sich je nach Indi¬
vidualität des Kranken bei geringer Zufuhr ein hohes Bromdepot ansammeln und
umgekehrt. Hierdurch erklärt es sich zum Theil, dass die Bromdosen, die zur
Unterdrückung der epileptischen Anfälle nöthig sind, individuell so ausser¬
ordentlich schwanken.
IV. Bromnatrium wirkt im Beginn der Kur oft beschleunigend anf den
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Flüssigkeitsstoffwecbsel, wobei auch etwas NaCl vom Körper verloren geht. Doch
tritt nach wenigen Tagen ein Ausgleich ein, so dass entweder dauerndes Stoff-
wechselgleichgewicht eintritt (Fälle, in denen Bromnatrium gut vertragen wird),
oder ee allmählich unter Gewichtszunahme zu einer Flüssigkeitsstauung kommt,
wobei dann neben allen übrigen Harnbestandtheilen auch Brom in
grösserer Menge retinirt wird. Es kommt dann schliesslich zu Bromvergiftungs¬
erscheinungen, deren primäre Ursache in einer durch Bromsalz bedingten In-
Bufficienz der Nieren und Herzthätigkeit zu suohen sein dürfte.
V. Bei Individuen, deren Körperflüssigkeit vor Bromgebrauch besonders
arm an Chloriden ist (Anämische, Kachektisohel), besteht eine specifische Neigung
zu übermässiger Bromretention, wobei gleichzeitig CI aus dem Körper vertrieben
wird. Hier kommt es relativ früh und bei kleinen Dosen zum Bromismus
(FrQhform!).
VI. Durch Zuführung grosser Mengen NaCl kann die Bromausfuhr bedeutend
vermehrt und dadurch das Bromdepot verringert werden.
VIL Bei dieser Austreibung von Brom durch Chlor scheint es sich um eine
Substitution des Bromnatriumsalzmolecüls durch NaCl in gewissen Verbindungen
der Körperflüssigkeit zu handeln; denn wenn das Brom nicht in Form des Metall¬
salzes, sondern in organischer Verbindung (Bromipin) im Körper sich Aufhält,
wird es durch NaCl-Zufuhr nicht alterirt.
VIIL Bei Darreichung von Bromipin findet eine bedeutend stärkere Brom-
aufspeichorung im Körper statt als durch Bromsalz. Dennoch ist der thera¬
peutische Effect wesentlich geringer, wenn man chemisch äquivalente Mengen des
Bromipin mit Bromnatrium vergleicht.
IX. In der Darreichung grosser Kochsalzdosen (bis 20 g pro die), besitzen
wir ein rationelles und wirksames Mittel zur Bekämpfung der auf Chlorarmuth
beruhenden Frühform des Bromismus. Auch präventiv ist bei anämischen Per¬
sonen die Zufügung von Kochsalz neben Bromsalz zu empfehlen.
Für die durch Nieren- bezw. Herzinsuffioienz bedingte Spätform des Bromis¬
mus sind Diuretica, insbesondere Digitalis, wirksam.
X. Von den Chloriden abgesehen, scheint der chronische Bromgebrauch die
übrigen Stoffwechselcomponenten nicht gesetzmässig zu beeinflussen. In manchen
Fällen kommt es während der Kur zu Eiweissansatz. — Einige Male schien die
Ausscheidung der P a 0 6 (im Verhältniss zum P-Gehalt der Nahrung) in den ersten
Tagen des Bromgebrauches vermindert, und zwar traf dies zeitlich zusammen mit
einer relativen Zunahme der NaCl-Ausscheidung. Dieses Verhalten steht in
einem vielleicht bedeutungsvollen Antagonismus zu dem Verhalten des Stoff¬
wechsels an den Tagen naoh Anfällen, in denen die relative CI-Ausscheidung
deutlich vermindert, dagegen die P a O fi -Ausscheidung vermehrt war, ohne dass
dabei der N-Stoffwechsel gleichsinnige Schwankungen aufwies.
Nachdem wiederum Baden-Baden als Ort der nächsten Wanderversamm¬
lung bestimmt und die Herren Kraepelin und Franz Fischer zu Geschäfts¬
führern erwählt worden sind, wird die Versammlung am Sonntag, den 9. Juni,
12-/. Uhr Mittags, geschlossen. Dr L Laqner (Frlmkfurt a/M .).
▲erztlloher Verein zu Hamburg.
Sitzung vom 2. Juli 1901.
Herr Sin eil: Geistig zurückgebliebene Kinder und ihre Behandlung.
Vortr. theilt die schwachsinnigen Kinder aus praktischen Gründen in 1. Idioten,
2. geistig Zurückgebliebene. Idiotie ist eine auf verschiedenen Ursachen be¬
ruhende angeborene oder in frühester Jugend erworbene chronische Gehirn-
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erkrankung, charakterisirt durch Störungen der intellectuellen, sensitiven und
motorischen Fähigkeiten, welche die Erwerbung einiger Kenntnisse gestattet, die
selbständige Bildung von Begriffen und Allgemein Vorstellungen ausschliesst. Die
geistig Zurückgebliebenen haben oft grosse Aehnlichkeit mit Idioten, sind aber
fähig, logisch zu denken, zu urtheilen und aus erkannten Gründen zu bandeln.
Die Idiotie in Grade zu theilen, ist zwecklos, es genügt die Scheidung in idiotisch
Blödsinnige und bildungsfähige Idioten; zu letzteren gehören die Imbecillen,
welche nicht Idioten leichteren Grades sind, sondern sich durch unstetes, unver¬
trägliches Wesen, Bosheit, Hang zu Dieberei und Unarten jeder Art hervorthun.
Die Bestimmung des Grades der BildungBfähigkeit geschieht auf Grund
systematischer Prüfung der Sinnesorgane, wobei Farbensinn und Muskelgefühl be¬
sonders berücksichtigt werden müssen, und der Aufmerksamkeit. Die Differential¬
diagnose, oh Idiot oder geistig Zurückgebliebener, ist nur auf Grund psychischer
Analyse möglich. Degenerationszeichen und sonstige körperliche Veränderungen
haben nur sehr bedingte Beweiskraft.
Die Behandlung der bildungsfähigen Idioten und der geistig Zurück¬
gebliebenen geschieht am besten in der Familie, wenn genügende Ueberwachung,
körperliche Pflege, ruhige und consequente Behandlung und in jeder Beziehung
gutes Vorbild garantirt sind.
Im Speciellen werden die Kinder in täglichen Consultationen von 1—2 stän¬
diger Dauer ausgebildet, und zwar zunächst Coordinationsbewegungen einfacherer
Art, wie Sitzen, Stehen, Gehen, Zeigen, Greifen, geübt, worauf man zu complicirteren
Uebungen: Bauen mit Klötzen, Legen, Nachstechen und Ausnähen von Figuren,
Flechten, Schreiben und Zeichnen übergeht. Die Wichtigkeit der Ausbildung des
motorischen Gebietes in Bezug auf die Entwickelung des Sprachcentrums ist be¬
kannt. Ein regulärer Sprechunterricht ist fast immer nöthig, auf reichhaltigen An¬
schauungsunterricht ist grösster Werth zu legen, Anregung des häufig mangelhaftes
Gehörs nicht zu versäumen. Chorea, Epilepsie, Myxödem und Lues sind ent¬
sprechend zu behandeln. Mit der planmässigen Erziehung der Kinder ist früh m
beginnen: mit 3, spätestens 5 Jahren, denn es gilt, sie in der Mehrzahl der
Fälle erst für die Aufnahme in eine Schule fähig zu machen, und zwar kommt
zunächst meist die Hülfsschule für geistig zurückgebliebene Kinder in Betracht,
während die begabteren geistig Zurückgebliebenen gleich in die Volksschule ge¬
schickt werden können. — Ueber Untersuchung, Behandlung und Fortschritte der
Kinder Bind Protokolle zu führen, die bei Gerichtsverhandlungen und bei Militär-
ein8tellung wichtig werden können. — Bei Frauen, welche bereits schwachsinnige
Kinder geboren haben, empfiehlt es sich, bei erneuter Schwangerschaft das von
Sanitätsrath Dr. Berkhau angegebene Verfahren anzuwenden, welches die Lebens¬
weise der Frau genau regelt, durch gleichzeitig gegebene Arzneimittel eine völlige
Umbildung des Körpers der Frau bezweckt und das werdende Kind günstig be¬
einflusst. (Autoreferat.)
Herr Buch holz hält in Uebereinstimmung mit dem Vortr. es für sehr
richtig, dass die Diagnose der Entwickelungshemmungen so frühe wie möglich
gestellt wird. Es ist dies nicht nur von grossem Werth bei jenen Kindern, die
an einer leichten, in den allerersten Lebensjahren noch nicht zu diagnosticirenden
geistigen Schwäche leiden, sondern auch bei den schweren Formen der Idiotie,
da auch bei diesen unter geeigneter frühzeitiger Behandlung eine recht erhebliche
Besserung erzielt wird. Die vielfachen Versuche, die Entwickelungshemmung«:
zu classificiren, haben bisher zu befriedigenden Resultaten nicht geführt, da sie
einen einheitlichen Index für den Grad der Entwickelungshemmung nicht be¬
sitzen und bei der Art der Störungen auch garnicht besitzen können. Wir kennen
Entwicklungshemmungen auf psychischem Gebiete, die eine so geringe Intensität
besitzen, dass sie von der mangelhaften, aber noch in die Breite des Normalen
fallenden Begabung kaum zu unterscheiden sind, sondern ohne scharfe Grenze in
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dieselben übergehen. Von diesen Schwachbegabten, minderwertigen Individuen
leitet eine Stufenleiter in fliessenden Uebergangen herab bis zu den nur noch ein
vegetatives Dasein führenden Idioten. Aus praktischen Gründen ist man dazu
gelangt, unter dem Begriff der Idiotie diese schwersten Formen der Entwickelungs¬
störung zusammenzufasBen und die leichteren Grade als Imbecillität zu bezeichnen.
Bei der Bewerthung der einzelnen zu dieser grossen, von der Natur stiefmütter¬
lich behandelten Gruppe von Individuen und bei der Beurtheilung, in wie weit
bei ihnen noch bessernd einzugreifen sei, kommt aber nicht nur die Stärke des
intellectuellen Defectes, sondern auch noch eine Reihe anderer, bei den einzelnen
Individuen sehr verschiedener Eigenschaften in Frage, die Fähigkeit sich geistig
zu concentriren, Stimmungsschwankungen, pathologische Neigungen, Widerstand-
losigkeit gegenüber Affecten, Stärke der Triebe und dergl. mehr. — Alle diese
Einflüsse, welche ja auch nur ein Ausdruck für die ungünstige Veranlagung sind,
werden eben den Werth des einzelnen Menschen, seine Fähigkeit sich selbst zu
leiten, in hervorragendem Maasse beeinflussen, sie sind es ja gerade, welche der¬
artig Minderbegabte so oft zu antisocialen Menschen machen. Sie waren es
gerade, die Sollier, worauf der Herr Vortr. hingewiesen hat, veranlassten, in
ihnen neben dem intellectuellen Defect ein Charakteristicum für den Imbecillen
zu suchen, eine Anschauung, der wir uns als zu enge nicht anschliessen können.
Auf jeden Fall müssen wir daran festhalten, und hierin befinde ich mich im
Gegensätze zu der von dem Vortr. geäusserten Ansicht, dass wir eine Schwäche,
die sich nur auf dem ethischen Gebiete geltend macht, als krankhaft nicht an¬
erkennen, dass es eine Moral insanity in diesem Sinne nicht giebt. Von einem
pathologischen Zustande können wir nur sprechen, wenn neben dem Defecte auf
moralischem Gebiete sich auch ein Manko auf intellectuellem Gebiete nachweisen
lässt. Bei diesem Nachweise werden wir uns allerdings aller Hülfsmittel zur
Prüfung intellectueller Fähigkeiten bedienen müssen und nicht etwa nur die
Leistungen des Gedächtnisses in Rücksicht ziehen dürfen. In Bezug auf die
Bildungsfahigkeit wird man sich vor Allem klar machen müssen, was man darunter
verstehen will. In dem Sinne bildungsfähig, dass das minderentwickelte Kind zu
einem dem normal Angelegten vollständig gleichwerthigen Menschen heranreift,
dürfte wohl keines dieser auch nur in nennenswerthem Grade minder beanlagten
Individuen sein; höchstens könnten hier noch die Schwachbegabten, sich für die
Schule für Schwachbegabte Sohüler eignenden Kinder in Frage kommen. Wenn
aber auch dieses Ziel nicht erreicht wird, so ist doch ein grosser Theil dieser
minderbegabten Kinder und Imbecillen bei geeigneter Behandlung soweit zu
erziehen, dass sie sich selbst durchs Leben bringen und, wenn auch in bescheidener
Lebensstellung, für sich selbst sorgen können. Viele der Imbecillen werden freilich
durch ihre antisocialen Eigenschaften Schiffbruch leiden und auch erwachsen nicht
ohne Aufsicht, oft sogar nicht ohne Anstaltsaufsicht bleiben können. Besserungs¬
fähig sind aber auch viele der in erheblicherem Grade idiotischen Kinder, denn
es ist allerdings schon ein wesentlicher Fortschritt, wenn diese unreinlichen Kinder,
die sich nicht selbst waschen und ankleiden und nicht allein eBBen können, soweit
gebracht werden, dass sie diese ersten Erfordernisse des Lebens beherrschen und
schliesslich, wenn auch nur mechanisch, sich irgend eine Handfertigkeit erringen.
— Wieviel man hierin erreichen kann, zeigen wohleingerichtete Institute,' so ganz
besonders die Abtheilung von Bourneville im Bicetre, die ganz ausserordent¬
liche Erfolge erzielt hat. Bei allen diesen schweren Formen und auch bei vielen
der leichteren dürfte übrigens, was ich im Gegensätze zu dem Vortr. bemerken
möchte, eine geeignete Anstaltsbehandlung günstigere Resultate als die Familien¬
pflege erzielen, zumal ja die Familienangehörigen dieser Kinder, schon weil sich
bei ihnen oft genug eine nervöse Constitution oder Schlimmeres vorfindet, meist
sehr wenig für eine derartige ganz bedeutende Anforderungen stellende Erziehung
geeignet sind.
3y Google
776
Auf den so ausserordentlichen Werth der Hiilfsschulen ist bereits hingewiesen
worden, erwähnen möchte ich nur die allerdings ja schon genügend bekannte
Thatsache, dass auch die gewöhnlichen Schulen durch die Einrichtung der Hülfs-
schulen sehr viel gewonnen haben, da sie in dieser Weise von einem sie in ihren
Bemühungen hemmenden Ballast befreit sind.
Auf weitere Details, speciell auf die Frage der pathologischen Anatomie, der
differentiellen Diagnostik, der speciellen Behandlung u. 8. w. einzugehen, musB
ich mir in Rücksicht auf die mir zugewiesene Zeit versagen. (Autoreferat.)
Herr Embden: Hier sind heute wesentlich nosologische und pädagogische
Gesichtspunkte zur Sprache gekommen. Aber die geistreichste Classification hälft
den Idioten nicht und die Pädagogik tritt erst in Function, wo die Therapie
resignirt. — Um zu heilen, so weit es irgend möglich ist, sollte man bei der
Untersuchung eines kindlichen Idioten bezw. Schwachsinnigen sich zuerst immer
2 Fragen vorlegen: Handelt es sich vielleicht tun Myxödem und ist Lues nach*
zuweisen? Wird eine dieser Fragen bejaht, so hat man bestimmte Anhaltspunkte
für eine eventuell sehr wirksame Therapie. — Auf dem Gebiete der in der That
sehr segensreichen Hülfsschulen für Schwachbegabte hat Hamburg einen Theil
seiner Pflichten den geistig Minderwerthigen gegenüber erfüllt. Aber der Um¬
kreis der staatlichen Pflichten auf diesem Gebiet umfasst auch die erwachsenen,
social unmöglichen Individuen, und es ist zu fordern, dass der Staat eine Idioten¬
anstalt selbst errichtet und unter die verantwortliche Leitung eines Arztes stelle,
statt, wie jetzt, seine Idioten einer unter geistlicher Obhut stehenden Privatanstalt
zuzuweisen. (Autoreferat.)
Herr Saenger: Der Vortr. hat dem Ausspruche Pelman’s, dass die heilende
Thätigkeit des Arztes auf diesem Gebiete keinen Boden finde, durch seine Aus¬
führung eine wirksame Stütze verliehen; denn seine Behandlung der geistig
zurückgebliebenen Kinder ist eine rein pädagogische. Er hat, wie der Vorredner
schon bemerkte, die rein ärztliohen therapeutischen Maassnahmen nicht berührt
Gerade in dieser ärztlichen Versammlung kann aber nicht genug hervorgehoben
werden, wie nothwendig jeder Fall von Idiotie nach allgemein mediciniachen
Grundsätzen untersucht werden muss. Gar nicht so selten findet man dann, speciell
bei einer genauen Untersuchung des Auges, Anzeichen der hereditären Syphilis,
wodurch die zunächst einzuschlagende specifische Behandlung bestimmt ist. Ferner
erinnert S. an den von ihm hier im Verein vor einigen Jahren demonstrirfcen
Fall von myxödematÖ8em Idiotismus, welcher lange Zeit als nur pädagogisch so
behandelnde Idiotie angesehen worden war und bei dem eine Schilddrüsen¬
behandlung, die jetzt noch fortgesetzt wird, einen ausserordentlichen Erfolg
erzielte.
Endlich wird von manchen Autoren auch auf die Rhaohitis als ätiologisch»
Moment für gewisse Fälle geistiger Zurückgebliebenheit hingewiesen.
Ferner möchte S. auf die ärztlich so bedeutsamen weiteren ätiologisdien
Factoren der Idiotie eingehen, da der Vortr. dieselben nicht berührt hat, obwohl
in der Kenntniss derselben gewissermaassen ein prophylaktischer Factor dieser
trostlosen Erkrankung liegt. Es ist das in erster Linie die Erblichkeit. Heiratben
zwischen Blutsverwandten oder mit Geisteskrankheiten belasteten Persönlichkeiten
energisch zu widerrathen, ist Sache des Hausarztes. Ein weiterer wichtiger Factor
ist der Alkoholismus der Erzeuger. Die auch wissenschaftlich discutirte Frage
der deletären Folgen der Trunkenheit beim Zeugungsaote glaubt S. auf Grund
seiner poliklinischen Erfahrungen in positivem Sinne beantworten zu müssen.
Was die vom Vortr. berührte Schwangerschaftshygiene betrifft, so ist auch be¬
sonders auf Erkrankungen der Mutter (Lues und Tuberculose) zu achten.
(Autoreferat.)
Herr Marr ergreift die Gelegenheit, um über die HülÜBSchulen für schwach-
befähigte Kinder zu referiren. Dieselben sind weder Idiotenanstalten noch Nach-
gilized by GOO^ lc
777
hülfecursen gleicfazusetzen, sondern sind Schulen mit eigenartigem Unterricht und
selbständigen Bildungszielen für soche Schüler, die in den Normalschulen nicht
fortkommen können. Zur Zeit sind in Hamburg 6 solche Schulen mit 27 Klassen
und etwa 500 Schülern eingerichtet. Das entspricht bei einer Gesammtzahl von
etwa 80 000 Schulkindern einem Procentsatz von ®/ ö °/ 0 , derselbe Procentsatz, der
auch in anderen Grossstädten gefunden ist. Dem Geschlechte nach findet sich
ein geringer Ueberschuss der Knaben über die Mädchen.
Die Auswahl der Schüler für diese Schulen geschieht durch den Schulleiter,
im Einvernehmen mit dem Schulinspector nach 2jährigem erfolglosen Besuch einer
Volksschule oder auf Antrag des Schulleiters auch schon in der Zwischenzeit nach
einer Untersuchung durch den Vertrauensarzt der Oberschulbehörde. In den
meisten Fällen sträuben sich die Eltern der betreffenden Kinder nicht gegen die
Ueberweisung derselben an die Hülfsschulen; wenn sie aber opponiren, so müssen
die Kinder zu ihrem Schaden in der Normalschule bleiben.
Nach dem langen erfolglosen Besuch der Volksschule lässt sich leicht ent¬
scheiden, dass das Kind nicht normalbefähigt ist; schwieriger ist die Beurtheilnng,
ob das Kind überhaupt bildungsfähig ist: das Kind wird deshalb geprüft 1. auf
Sprachvermögen (bis zu 70°/ 0 Sprachfehler finden sich im ersten Jahrgang der
Hülfsschulen), 2. auf Farbensinn, der meist schwach entwickelt ist, 3. auf Zahlen¬
sinn (die meisten Schwachbefähigten können absolut nicht rechnen) und 4. auf
Formensinn, der durch Figuren! egen mittels Holzstäbchen geprüft wird. Wo die
Fähigkeit, einfachste Figuren zu legen, nicht vorhanden ist, ist meist die Bildungs-
fahigkeit gleich Null.
In zweifelhaften Fällen werden die Kinder aufgenommen und nach einer
Probezeit von 2 Jahren eventuell der Idiotenanstalt überwiesen. Epileptiker, die
sich häufig unter den Schwachbefähigten finden, will Laquer ganz aus den Hülfs-
schulen entfernen; in Hamburg werden sie aufgenommen, wenn sie nicht durch
gehäufte Anfälle den Unterricht stören.
Auch die sogenannten abnormen Charaktere, sofern sie ausserdem schwach¬
sinnig sind, finden Aufnahme, weil sie in dem kleineren Kreis von Schülern
erheblich besser zu beeinflussen sind, und weil ausserdem das Lehrerpersonal der
Hülfssohulen mehr heilpädagogisch vorbereitet ist und mit grösserer Geduld und
Einsioht gerade diesen Schülern gegenübersteht.
Es sammelt sich natürlich in den Hülfsschulen eine erhebliche Anzahl von
körperlichen und geistigen Anomalieen: besonders viele Schädeldeformitäten, Läh¬
mungen, Strabismus, Zuckungen, besondere Gangarten, verschobene Zahnbildungen,
Nasen-Bachenvegetationen, auf deren Entdeckung und Entfernung besondere die
Lehrer grossen Werth legen. Ferner die geistigen Anomalieen der Aprosexie, der
Gedächtnisschwäche, der Nichtmerkfähigkeit und auch periodische Schwankungen
in der Aufnahmefähigkeit und zeitweilig völliges Verschwinden des Gedächtnisses
für das schon Gelernte. Helferioh giebt an, solche Fälle besondere bei Ab¬
kömmlingen von Säufern beobachtet zu haben. Für ärztliche Behandlung ist
nicht der Ort, wohl aber für Sammlung statistischen Materials über die Ursachen
nnd Qualitäten des Schwachsinns.
Ueber die Erfolge der Hül&schulen ist nur Gutes zu berichten. Nach einer
Statistik von Görke sind 72°/ 0 der Schüler der Hülfsschulen nach ihrem Abgang
selbständig erwerbsfähig geworden und ausserdem noch 19 °/ 0 theilweise erwerbs¬
fähig. Das will sehr viel bedeuten, wenn man sich überlegt, dass ohne die Hülfs-
schulen diese Schüler in den Normalsohulen zurückgeblieben wären und dort
vernachlässigt, herumgestosBen und verbittert wären, ohne etwas zu lernen: die
Eltern wissen mit diesen Kindern nichts anzufangen und prügeln sie sogar wegen
ihrer Misserfolge in der Schule. Ohne besondere Ausbildung werden sie unver¬
besserliche Vagabunden und Gewohnheitsverbrecher. In den Hülfsschulen wird
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778
&ub ihnen herauB geholt, was ihrem besonderen, eigenartigen Auffassungsvermögen
sich eingeprägt liat.
Von grösster Wichtigkeit ist es, diese Schwachsinnigen vom Militär fernzu-
halten, wo sie in andauernde Conflicte mit der Disciplin kommen, weil sie diese
nicht verstehen und nicht selten zu Selbstmördern und Fahnenflüchtigen werden.
Die einstmulige Zugehörigkeit zur Uülfsschule genügt bei der Stellung zum Militär,
um sie von jeder Dienstleistung zu befreien. Ferner verleiht diesen Schwächlingen
der Nachweis der Ausbildung in einer Hülfsschule auch bei den häufigen Con-
flicten mit dem Strafgesetzbuch einen gewissen Schutz. Von vornherein verlieren
ihre Delictu den Charakter des vollen Schuldverständnisses, und die Sünder erreichen
damit eine mildere Beurtheilung und bessere Fürsorge. Aus diesen Gründen
erscheint es nothwendig, alle Schwachbefähigten schon in den Schuljahren aun die
richtige Adresse zu Schicken und sie den Hülfsschulen zu überweisen, und dazn
sollten auch die Aerzte als berufendste Rathgeber der Eltern die Hand bieten.
(Autoreferat.)
_ Nonne (Hamburg).
V. Mittheilung an den Herausgeber.
Herr v. Bechterew schreibt in Nr. 14 dieses Centralblattes (1901. S. 647)
über den hypogastrischen Reflex unter Anderem Folgendes: „Jedoch hat man
ausserdem einen weiteren Reflex in der Bauchgegend zu berücksichtigen, der den
Beobachtern bisher ganz entgangen ist. 1 Dieser Reflex ist leicht durch
mechanische Reizung der Haut an der inneren Fläche des Oberschenkels nahe der
Leiste (z. B. durch schnelles Hinstreichen mit dem Stiele des Percussionshammers
unter der Inguinalfalte) auszulösen und äussert sich durch deutliches Einsinken
der Regio suprainguinalis in Folge von Contraction der Muskeln der unteren
Bauchgegend. — Dieser hypogastrisohe Reflex u. s. w. u. s. w.“ Dies die
wörtliche Wiedergabe Bechterew’s! Im Bd. H der Deutschen Zeitschrift für
Nervenheilkunde, welche Herrn v. B. zu ihren Mitarbeitern zählt, steht 1892 in
einer Mittheilung „über die Localisation und das klinische Verhalten der Bauch¬
reflexe“ (S. 348) Folgendes: „Das anatomische und klinische Resultat der vor¬
stehenden Mittheilung ist Folgendes:
1. Bei Gesunden sind bei geeigneter Untersuchung (Reizapplication im Epi¬
gas trium, Mesogastrium und Hypogastrium, eventuell Leistengegend des Ober¬
schenkels) auf jeder Seite des Abdomens mehrere, gewöhnlich drei gesonderte
Reflexzuckungen: der obere, mittlere und untere Bauchreflex auazulösen.“ (Man
vergl. u. a. noch S. 330 u. 343.)
Später hat Geigel (Deutsche medio. Woohenschr. 1892. Nr. 8) demselben
Gegenstand eine kurze Mittheilung gewidmet.
Es ist also nicht „den Beobachtern“, wie Herr v. Bechterew schreibt, dies
Verhalten der Bauchreflexe entgangen, sondern nur Herrn v. Bechterew selbst.
Aachen, am 23. Juli 1901. Prof . ^ Dinkler .
Erwiderung auf vorstehende Mittheilung.
Inwiefern der von mir beschriebene hypogastrische Reflex mit dem unteren
Bauchreflex H. Din kl er's identificirbar sei, soll hier vor der Hand nicht näher
erörtert werden. Ich kann jedoch nicht umhin, meinem Bedauern darüber Aus¬
druck zu geben, dass die betreffenden Mittheilungen von Geigel und Dinkler !
1 Im Original nicht gesperrt gedruckt.
1 In obiger Mittheilung Dihklbb’b heisst es, der Aufsatz von Geigel Bei später er¬
schienen als die Arbeit des Erstgenannten („Später hat Geigel — Deutsche med. Wochenachr.
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Digiliz
779
mir unbekannt geblieben sind, was ich mir nur durch den Umstand zu erklären
vermag, dass weder in den referirenden neurologischen Fachblättern, wie Neuro¬
logisches Centralblatt, Centralblatt für Nervenheilkunde, noch in einer Edition
vom Range der Realenoyklopädie, nooh auoh in den grossen Handbüchern über
Nervenkrankheiten (Oowers, Oppenheim u. A.) auf jene Mittheilungeu irgendwo
ein Hinweis zu finden ist. Sogar in dem neuerlich erschienenen Werke von
Dejerine 1 ist bei Beschreibung des Bauchreflexes die Beobachtung Dinkler’s
mit keiner Silbe erwähnt. Ich meine nun, bei dem ungeheuren Umfange, zu
welchem in letzterer Zeit die medicinisohe, und speoiell auch die neurologischo
Litteratur angewachsen ist, Bei es immer möglich, dass einmal ganz unwillkürlich
in der Litteratar etwas übersehen wird. 2 Entsprechende Hinweise von Seiten des
einen oder anderen Autors erscheinen deshalb im Allgemeinen als sehr wünschens¬
werte Bei alledem aber wird man jenen Ton, welchen der letzte Passus in
dem Schreiben H. Dinkler’s durchblicken lässt, kaum als passend und einer
ruhigen Beurtheilung wissenschaftlicher Thatsachen entsprechend anerkennen dürfen.
W. Bechterew.
VI. Neurologische und psychiatrische Litteratur
vom 1. Mai bis 1. Juli 1901.
I. Anatomie. Obersteiner, Studium des Baues der nervösen Central organe.
4. Aufl. Leipzig u. Wien. F. Douticke. 680 S. — Waldeyer, Topographie des Ge¬
hirns. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 26 u. 27. — Strasser, Gehirnuräparation. Jena.
Gustav Fischer. 38 S. — Straehuber, Elective Färbung des Axencylinaers. Central bl.
f. allg. Path. u. path. Anat. Nr. 10. — Ryctilinski-Lapinski, Färbungstechnik der Nerven¬
fasern. Przegl^d lekarski. Nr. 21. — P. Schröder, Zur Tapetumfrage. Monatsschr.
f. Psvch. n. Neur. Heft 5. — Bernhelmer, Lage des Sphinctercentrums. Graefe’s Archiv
f. Ophthalmol. LII. Heft 2. — Wyrubow, Centrale Endigungen und Verbindungen des
7. und 8. Hirnnerven. Neurolog. Centralbl. Nr. 10. — i. Krön, Verlauf der Geschmacks¬
fasern. Neurolog. Centralbl. Nr. 12. — Partion et Goldstein, Origine reelle du nerf circon-
flexe. Revue neurol. Nr. 10. — Athanasia, Structure et origine du nerf däpresseur. Journ.
de l’anat. Nr. 8. — v. Zeissl, Innervation der Blase und Harnröhre. Wiener med. Wochen¬
schr. Nr. 25. — Dercum and Splllar, Nerve fibere in the pia of the spinal cord. Proceed.
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Centralbl. Nr. 12.
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Nr. 2111 u. 2112. — Nagel, Farbensinn der Thierq. Wiesbaden. J. F. Bergmann. 32 8.
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XXXIX. Heft 1. — Wiglesworth, Bilateral porencephaly. Brain. XXIV. Nr. 93.
1892. Nr. 8 — demselben Gegenstand eine kurze Mittheilung gewidmet“)- In Wirklichkeit
ind.u erschien Gcigel’s Abhandlung in der am 25. Februar 1892 auBgegebenen Nr. 8 der
Deutschen med. Wochenschr., der Aufsatz Dinkler’s in Heft IV der Deutschen Zeitschrift
f. Nervenheilk., ausgegeben am 27. Mai 1892.
1 Sömiologie du syst, nerveux. Paris. 1900. S. 1178.
* In Dinkler’s Artikel selbst findet die Mitteilung von Geigel ebenfalls mit keinem
Worte Erwähnung.
iy Google
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Professor Dr. E. Mendel
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Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
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1901.
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Nr. 17.
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und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten.
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Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithülfe von Or. Kurt Mendel)
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Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
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1901. 1. September. Nr. 17.
Inhalt 1. Originalmittheilungen. 1. Associirter Nystagmus, von Dr. Erwin Stransky
in Wien. 2. Ueber mtermittirendes Hinken, von Dr. M. van Ocrdt in St. Blasien. 9. Der
Supraorbitalreflex. Ein neuer Reflex im Gebiet des 5. und 7. Nervenpaares, von Dr. Daniel
McCarthy.
II. Referate. Anatomie. 1. Die Medulla oblongata und die Vierbügelgegend von
Omithorhynchns und Echidna, von Koaliiker. — Experimentelle Physiologie. 2. Der
Farbensinn der Thiere, von Naael. 3. Sulla legge ai Waller, pel Lugaro. 4. Remarks on
the results of degeneration of the upper thoracic white rami communicantes chiefly in relation
to oommissnral fibres in the sympathetie syslem, by Langley. 5. On axon-reflexes in tbe
preganglionic fibres of the sympathetie system, by Langley. 6. On the regeneration of the
preganglionic fibres of the sympathetie system, by Langley. 7. Ueber die Verrichtungen
des Kleinhirns, von Lewandowsky. — Pathologische Anatomie. 8. Renaut’s bodies in
a case of vesicnlobullons dermatitis and gangrene, by Spiller. — Pathologie des Nerven¬
systems. 9. Ueber Ataxie, von Lenaz. 10. Degenerazione cerebellare da intossicaziooe
enterogena, per Murri. 11. Daily cerebral vomiting of aix months’ duration due to & co-
lnmnar-celled adenoraa of the cerebellura involving the fourth ventricle, by Steven. 12. Ueber
die Beziehungen deB Kleinhirns zur multiplen Sklerose, von Adler. 13. Ein Beitrag zu der
Lehre von den Kleinhirncysten, von SchlUe. 14. Un eas de tumeur du cervelet, par Glorieux.
15. Ueber cerebrale Pseudobulbärparalyse. Eine Monographie nebst 150 casuistischen Bei¬
trägen, von Urstein. 18. Zur Lehre von der Erb’schen Krankheit (Myasthenia pseudoparalytica,
asthenisch© Bulbärparalyse), von Glese and Schultz«. 17. Contributiom la stadial paraliziei
pseudo-bulbare, von Goldstern. 18. Un cas de paralysie bulbaire snpörieure chroniaae, par
Hudovernig. 19. Myasthenia gravis. Bramwell. 20. Klinische Beiträge zur Diagnostik acuter'
Herderkrankungen des verlängerten Marks und der Brücke, von Wallenberg. 21. Ein Fall
▼on vasomotorischer Neurose, zugleich als Beitrag zur Kenntniss der nervösen Störungen
im Klimakterium, tob Zingerle. 22. Ueber den Ursprung des Halsaympatbicns im Rücken¬
mark, von Laplnsky. 23. Paralysis of the cervical sympathetie, by Stewart. 24. Case of
hypertrophic oeteopathy of hands and foot following amputation at the hip joint for sarooma,
by Cottorill. 25. Alopecia areata: a clinical and experimental study, by Walker and Marshaü-
Rockwetk 26. Ueber Erytbromelie (Piek), von KlingmOller. 27. Ueber einen typischen Fall
von spontaner symmetrischer Gangrän, von Werner. 28. Raynaud’sche Krankheit, von Naunyn.
29. Haematomyelie und doppelseitige Plexuserkrankung, von FBrstner. 30. Sur une sdrie de
39 cas de Chirurgie du syinpathique cervical, par Chlpault. 31. La Chirurgie du sympatbique
abdominal et Bacrö, par Jaboulay. — Psychiatrie. 32. Ueber die klinischen Formen der
Geföngnisspsychosen, von Rldhi. 38. Zur Frage der sogenannten Menstrualpeychosen. Ein
Beitrag zur Lehre der physiologischen Wellenbewegungen beim Weibe, von Heaar. 34. La
folie et Ie gänie chez Christophe Colomb, par Lombroso. 35. Quelques considerations sur
l’dtat morbide repr&entö da ns Hamlet, par Bettencourt-Ferrefra.
lU. Bibliographie. 1. Lehrbuch der Balneotherapie, von Qtax. 2. Jahresbericht dev
Unfallheilkunde, gerichtlichen Medicin nnd öffentlichen Gesundheitspflege für die ärztliche
Sachverständigenthätigkeit, von Placzek. 3. Die periodischen Geistesstörungen. Eine klinische
Studie von Pflsz.
IV. Au» den Gesellschaften. Gesellschaft der Aerzte in Wien. — Verhandlungen der
rassischen Gesellschaft für experimentelle Psychologie zu St. Petersburg. — Gesellschaft der
Neuropathologwn nod Irrenärzte zn Moskau.
- 50
Digilized by LjOoqic
786
L Originalmittheilungen.
1. Associirter Nystagmus. 1
Von Dr. Erwin Stranaky in Wien.
Im Folgenden will ich eine eigenartige, meines Wissens bisher noch nicht
bekannte Form von Nystagmus beschreiben, die ich an der Hand des Materials
der beiden medicinischen Abtheilungen des K. u. K. Garnisonsspitals No. 2 in
Wien zu beobachten Gelegenheit hatte. Ich habe rund 100 Mann auf diese
Erscheinung hin geprüft, und in insgesammt 4 Fällen ist die Prüfung positiv
ausgefallen. Ich habe die angenehme Pflicht, Herrn Stabsarzt Dooenten Dr.
R. v. Töply, sowie Herrn Regimentsarzt Dr. Lochbihler für die Erlaubniss
zur Vornahme der Untersuchung der Patienten an beiden genannten Abtheilungen.
Herrn Stabsarzt Dr. Otto für die Controle der oculistischen und Aufnahme der
otologischen Befunde meinen ergebenen Dank auszusprechen.
Oeffnet man bei sonst keinerlei Störungen des optischen, di-
optrischen oder Augenmuskelapparates darbietenden, mit keinerlei
organischen Nervenerkrankungen behafteten, vor Allem von sonst¬
wie in Erscheinung tretendem Nystagmus freien Individuen mit
den Fingern vorsichtig die Lidspalte ad maximum und lässt die¬
selben nun versuchen, das Auge gegen diesen dergestalt gesetzten
Widerstand langsam zu schliessen, so tritt in einigen Fällen
parallel mit den im Oberlide sichtbaren krampfhaften Contractionen
des Orbicularis palpebrae behufs Ueberwindung des durch den die
Lidspalte geöffnet haltenden Fingers gesetzten Hemmnisses ein
deutliches, schnellschlägiges Oscilliren des Bulbus in horizontaler
oder in schräger Richtung in Erscheinung.
Werden die Anstrengungen, das Auge zu schliessen, so stark, dass der
Widerstand theilweise oder ganz überwunden wird, so hört der Nystagmus meist
auf, namentlich dann, wenn das Auge nach innen und oben abweicht, wenngleich
er auch in dieser Stellung des Bulbus bisweilen noch sichtbar ist
Manchmal sieht man ihn auch schon beim blossen Emporziehen oder Empor¬
halten des Oberlides, indem dieser Umstand allein ja hinreicht, um den Schliess-
muskel desselben reflectorisch zu frustranen, tonisch-clonischen Contractionen
anzuregen. Fehlerquellen, vor denen man sich zu hüten hat, sind einmal das
so oft vorhandene Einstellungszittern des Bulbus, weswegen man sich vorher zu
vergewissern hat, ob dasselbe nicht bei natürlicher Liddistanz auftritt, und wes¬
wegen man eine Probe meist in der Fixationsstellung der Bulbi nach vorne ver¬
nimmt und auf die Prüfung in seitlicher Fixation nicht viel Gewicht legt, und
ferner die leichte Verschieblichkeit der Conjunctiva bulbi, durch welche namentlich
1 Nach einem im Wiener medicinischen Club am 5. Dec. 1900 gehaltenen Vortrage.
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787
dann, wenn der Bulbus nach oben rotirt steht, das conjunctivale Gefässnetz
sioh über dem episkleralen so rasch hin und her verschiebt, dass dadurch oft ein
continuirliches Zittern des ganzen Auges vorgetäuscht wird; auch dieser Umstand
trägt das Seinige dazu bei, ein positives Resultat nur bei Vornahme des
Versuches in der Convergenzstellung beider Bulbi nach vorne ver-
werthbar erscheinen zu lassen.
loh konnte die Erscheinung zuerst bei einem Falle studiren, der sie in so
exquisiter Ausprägung darbot, dass er mich zur Ausdehnung meiner dies¬
bezüglichen Untersuchungen über ein grösseres Material bewog. Ich will darum
das Wesentlichste aus der Krankengeschichte dieses Falles, den ich auoh im
„Wiener medicinischen Club“ am 5. December 1900 vorgestellt habe, hier mit¬
theilen.
Der Ulane Jenko Kfil, 21 Jahre alt, aus Skopowska in Galizien, vom
8. Ulanen-Regiment, in Civil Feldarbeiter, ist am 10. October 1900 der IV. Ab¬
theilung des Garnisonsspitals Nr. 2 „in Beobachtung“ übergeben worden. Den
diensthabenden Aerzten gegenüber klagte er in seiner Muttersprache — ruthenisch
— über Schmerzen in der linken Bauchhälfte. In den ersten Tagen seines Spitals-
aufenthaltes lag er stets in somnolentem Zustande, mit schmerzhaft verzogenem
Gesichte, mit an den Leib gezogenen Beinen im Bette, stöhnte fortwährend; auf
stärkere Anrufe reagirte er meist in der Weise, dass er mit der Hand auf die
linke Bauchseite zeigte; bei Druck auf dieselbe verzog er das Gesicht noch
schmerzhafter und sagte in seiner Muttersprache, das thue sehr weh. Da eine
directe Verständigung mit dem Manne, der des Deutschen nicht mächtig war,
nicht ins Werk gesetzt werden konnte, musste vor der Hand auf anamnestische
Daten verzichtet werden. Status praesens: Mittelgrosser, schwächlicher, schlecht
genährter Mann; innere Organe gesund. Foetor ex ore, stark nach Aceton riechend.
Grosser, rhachitisch configurirter Sohädel, auf Druck und Percussion nicht empfindlich.
Pupillen ziemlich weit, gleich, prompte Lichtreaction. Nystagmus beim Empor¬
heben der Oberlider beider Augen mit den Fingern, nicht aber in
der Ruhestellung oder beim Blick nach den Seiten, nach oben und
unten, oder schräg nach aufwärts und abwärts. Pat. folgt, mit Hülfe der
nöthigen Mimik hierzu veranlasst, dem Finger mit dem Auge, die Excursionen
der Bulbi geschehen unbehindert, in vollem Ausmaasse. Facialis innervirt in
allen Aesten, auch bei mimischen Bewegungen. Zunge wird gerade vorgeBtreckt,
stark graugelb belegt, zitternd. Kopfbewegungen activ und passiv frei, keine
Nackenstarre. Kniereflexe mittelstark. Kein Klonus, keine spastischen Er¬
scheinungen, keinerlei elective Atrophie, keine Zuckungen in der Muskulatur
wahrzunehmen. Hautreflexe überall vorhanden. Prüfung auf Sensibilität und
Coordination erscheint bei der durch FremdBprachigkeit complicirten Schwer¬
besinnlichkeit des Pat. vor der Hand illusorisch: auch ist er jetzt nicht zu bewegen,
das Lager zu verlassen, beim Versuch, ihn gewaltsam aus demselben zu entfernen
und ihn aufstehen zu lassen, beginnt er zu wimmern und zu wehklagen, weshalb
vorläufig davon Abstand genommen wird. — Athmung frequent und oberflächlich,
mehr costal als abdominal, doch nicht auxiliär, objectiv bis auf diffuse trockene
Bronchitis über beiden Lungen nichts Pathologisches im Respirationstractus nach¬
zuweisen. Herzbefund ergiebt reine, etwas leise Töne, keine Verbreiterung der
Herzdämpfung, Spitzenstoss kaum tastbar 1 Querfinger einwärts von der linken
Mammillar linieim 5. Intercostalraum. Auffallende Bradykardie: 42—45 Puls¬
schläge, Puls klein, wenig gespannt, Arteria radialis gerade, ihre Wandung nicht
verdickt.
50*
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788
Der Urinbeftuftd ergiebt weder Erweise, noch Zucker, noch Aceton. Der
Stuhlgang regelmässig, täglich 1 —2 Kal, die Stühle fest; Pat. verlässt das Bett
und geht auf den Leibstuhl. — Der ophthalmoskopische Befund ergiebt normalen
Augenhintergrund. — Pat. absolut fieberfrei.
Der Zustand hält in dieser Form eine Woche an. Pat. hat guten Appetit,
die bisherige Kost — er erhielt Anfangs bloas flüssige Diät — ist ihm scheinbar
zu wenig, denn er giebt seiner Umgebung durch Zeichen zu verstehen, dass er
mehr essen wolle; er erhält auch Fleischkost und verträgt sie gut.
Wenige Tage nach seiner Ankunft konnte er schon veranlasst werden, das
Bett zu verlassen. Er geht wohl etwas unsicher, doch zeigt der Gang keine
irgendwie ausgesprochenere oder charakteristische Störung.
Nach einer Woche stand er schon spontan auf, zog sich seine Montur an,
ging im Zimmer umher, versuchte sich auch mit seiner Umgebung zu verständigen,
doch war dies natürlich nicht möglich. Die Bradykardie hielt zunächst noch au.
Wenige Tage darauf wurde er mit Hülfe eines der ruthenischen Sprache
kundigen Feldwebels, der als Dolmetsch fungirte, einer eingehenden Untersuchung
unterzogen. 6s ergab sich dabei Folgendes: Pat. war in seinem Heimathsort im
Frühling 1900 von einem Baum gestürzt und auf die linke Bauchseite aufgefallen.
Bewusstlosigkeit, Erbrechen u. dergl fehlten damals. Seit dieser Zeit hat er be¬
ständig Schmerzen im linken Mesogastrium, die sich beim Druck und bei schwerer
Arbeit ins Unerträgliche steigern, so dass er selbst für Secunden das Bewusstsein
verliert, angeblich „Krämpfe“ bekommt, über deren nähere Beschaffenheit der
wenig intelligente Pak keine Auskunft zu geben vermag. Auf dem Transport
von Galizien zum Regiment nach Wien habe er einen solchen „Anfall“ erlitten,
da auf der Eisenbahnfahrt die Schmerzen sehr exacerbirt haben sollen. Er wurde
direct vom Bahnhof ins Spital gebracht, über seinen damaligen Zustand s. oben.
An Kopfschmerz, Erbrechen, Schwindel, Abnahme des Sehvermögens, Lähmungen
habe er nioht gelitten, er sei nur seither im Allgemeinen matt.
Die Untersuchung des Abdomens ergiebt allenthalben tympanitischen Schall,
auoh entsprechend der schmerzhaften Stelle, keine Resistenz daselbst zu palpiren.
Die Wirbelsäule in ihren unteren Partieen diffus druckempfindlich, nicht difform,
an den Rippen keine Schmerzpunkte oder Unebenheiten. Blasen- oder Mastdarm-
Störungen sind weder vorhanden, noch jemals in Erscheinung getreten. Die
chirurgische Untersuchung ergiebt keine Anhaltspunkte für coxitische oder psoitische
Prooesse.
Die Sensibilitätsuntersuchung ergiebt Schmerzhyperästhesie auf der linken,
taetile HypästheBie für feinere Berührungen auf der rechten Körperhälfte. Eine
Prüfung des Verhaltens der correlativen Empfindlichkeitsschwankung erschien
wegen der geringen Intelligenz des Pat. unthunlich. Keine ataktischen Erschei¬
nungen; Romberg ’sches Phänomen negativ. Kein Intentionstremor. Nur Zittern
der Lider beim Augenschluss. Es besteht bisweilen monoculäre Diplopie
und Polyopie bei ruhigstehendem Bulbus. Augenmuskeldefecte ausser dem Be¬
schriebenen nicht zu eruiren.
Die perimetrisohe Untersuchung des Gesichtsfeldes ergiebt für beide Angen
mäasige concentrische Einschränkung für Weise, Blau, Roth und Grün. Visus
beiderseits 8 / fl . Keine Refraotionsanomalie. Fundus normal. — Hörschärfe:
aocentuirte Flüstersprache beiderseits auf 30 m verstanden. Perception für hohe
Töne (c ! ) im Allgemeinen nicht herabgesetzt. Weber 'scher Versuch nicht ver-
werthbar; beim Rlnkb’ sehen Versuch überwiegt beiderseits die Luftleitung.
Seitens des Aensticus somit keinerlei Störungen. Oioskopisch rechts Andeutung
einer hinteren Falte, links Hammerfortsatz fast wagrecht gestellt.
Im Lanfe der Spitalsbehandlung hat sich die Pulszahl gehoben, doch ist sie
noch immer subnormal. Später, gegen Ende October, hat er meist 60—70 Pulse.
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789
Es besteht grosse Labilität der Frequenz des Herzschlages, sie ändert sich be¬
deutend unter den Einflüssen der Athmung wie der Körperhaltung (beim Vorbeugen
von 70 auf 54 Schläge herabgehend). Es besteht Dermographie. MANXKOPF’sches
Zeichen (Pulsbeschleunigung bei Druok auf die schmerzhafte Stelle) positiv; dabei
tritt auch deutlich Pupillenerweiterung ein (v. Bbghtxbbw).
Pat. ist im Allgemeinen schwächlich, von geringer Muskelkraft. Sein Zustand
hat sich bis jetzt (Anfang Deoemberj bis auf Nachlassen der Sohmerzen — auf
spirituöse Einreibungen und psychische Beeinflussung — nicht wesentlich geändert.
Wir fassten denselben als traumatisohe Neurose auf.
Der zweite Patient, bei dem die Untersuchung auf unser Phänomen positiv
ausfiel, ist der 22jährige Infanterist Franz Güttenberger aus Stetten (Nieder¬
österreich), vom 84. Infanterie-Regiment; von Beruf Kutsoher. Derselbe ist seit
dem 6. November auf der L Abtheilung mit linksseitiger Spitzenafiection in Be¬
handlung. Die Untersuchung des Nervenstatus ergiebt: Tremor der ausgestreckten
Hände, etwas gesteigerte Patellarreflexe, Zittern der Oberlider bei Augen¬
schi uss, tactile und Schmerzhypästhesie auf der ganzen rechten Körperhälfte,
Herabsetzung des rechtsseitigen Corneal- und Rachenreflexes. Beim unbehin¬
derten Blick geradeaus oder nach den Seiten keine Spur von Nystag¬
mus; hingegen sofort auffallendes Bulbuszittern in schräger und
horizontaler Richtung, wenn man die Lider mit den Fingern ausein¬
ander spreizt und nun befiehlt, die Lidspalte zu schliessen. Keine
sonstigen Augenmuskelstörungen. Augenhintergrund normal, rechts die
physiologische Excavation ziemlich tief. Visus beiderseits •/,. Keine Refraotions-
anomalie. Gesichtsfeld beiderseits beträchtlich concentrisoh eingeschränkt. Auditus
links 80 m, rechts 25 m bei aocentuirter Flüstersprache. Trommelfell rechts
normal, links der Hammerfortsatz etwas verkürzt und wagrecht gestellt; Wkbbr
nach links, Rinne beiderseits positiv. Luftleitung rechts verkürzt, auch für hohe
Töne. Pat. giebt an, er habe manchmal Schwindelanfälle mit Ohrensausen, Schwer¬
hörigkeit und Brechneigung. Ist jedoch gegenwärtig vollkommen anfallsfrei, zeigt
auch keine Andeutung von cerebellar- oder sonstwie ataktischer oder überhaupt
irgend einer Gleichgewichtsstörung, sei es bei offenen, sei ee bei geschlossenen Augen.
Der dritte Patient, bei dem die gewaltsame Behinderung des Augen¬
schlusses Nystagmus hervorrief, warderderzeitbereitsentla8sene23jähr.Ersata-
reservist Dominik Lanzel vom 1. Landwehr-Infanterieregiment, aus Wien; von Beruf
Lackirer. Die Anamnese ergiebt seit 4 Jahren in mehrmonatlichen Intervallen auf¬
tretende typische, epileptische Anfälle; Bewusstlosigkeit, Zusammenstürzen, Krämpfe
klonischen Charakters, Incontinenz; Zungenbiss nicht erinnerlich; im Spitale wurde
innerhalb einer 6 wöchentlichen Beobachtungsfrist kein Anfall constatirt. Von objeotiven
Symptomen bloss reizbares Wesen, Tremor der Hände, Zittern der Oberlider
beim Herabsinken; sonst keinerlei Motilitäts- oder Sensibilitätsstörung. Augen¬
muskelapparat intact. Eine Untersuchung des Augenhintergrundes und des
Refractionszustandes konnte leider wegen Zeitmangels bei diesem Falle nicht vor¬
genommen werden, doch lag auch hier nicht der geringste anamnestische oder
objective Anhaltspunkt zur Annahme einer solchen vor. Keine akustische Störung.
— Innere Organe gesund.
Der vierte Patient endlich, bei dem ich associirten Nystagmus beobachtete,
ist der 21 jähr. Unterkanonier August Eckhardt vom 2. Corps-Artillerie-Regiment,
der mit Tuberculosis pulmonum seit dem 19. October auf der I. Abtheilung in
Behandlung steht; von Beruf Buchbinder. Auch hier nichts als neurasthenische
Beschwerden seitens des Nervensystems, als Tremor der Hände, lebhaftere Knie¬
reflexe, Zittern der sich herabsenkenden Oberlider.
Die ophthalmoskopische Untersuchung ergiebt normalen Fundus beiderseits,
Google
790
Visus auf beiden Augen 8 / # . Hässige concentrische Einschränkung dee Gesichts¬
feldes wie im ersten Falle. Otoskopisch und akustisch normaler Befund.
Ich will hier nicht anerwähnt lassen, dass ich das Phänomen, obschon weniger
deutlich, auoh noch in einigen anderen Fällen beobachten konnte. Da jedoch
die Gelegenheit zu einer eingehenderen Untersuchung all dieser Personen mangelt,
muss ich es mir versagen, sie hier als beweiskräftige Paradigmata aufzuführen.
Es erhebt sich nun die Frage, wie wir den associirten Nystagmus deuten
sollen, und ob wir ihn nicht in eine Classe mit in der Litteratur bereits beschrie¬
benen Erscheinungen einreihen dürfen.
Galassi — nach Mingazzini, Wkstphal, Piltz, Antal und Kibchnkb
haben bezüglich des Verhaltens der Pupille gleichfalls eine Abhängigkeit der¬
selben vom Contractionszustande des Orbicularis palp. superior gefunden, und
zwar hat namentlich Piltz darauf hingewiesen, dass diese „Orbicularispupillen-
reaction“ auch bei Gesunden vorkomme: verhinderte er gewaltsam den Schluss
der Lidspalte, so trat Verengerung der Pupille ein, auch consensuelle. Eine
zweite, schon Wundt bekannte, von ihm als physiologisch geschilderte Erscheinung
ist die Verengerung der Pupille bei kräftigem Verschluss. Piltz hat dasselbe
allerdings bei Paralytikern und Katatonikern häufiger als bei normalen Indivi¬
duen gefunden. Da Mendel schon früher nach seinen Befunden bei Thieren
ein gemeinschaftliches Kemgebiet für die Augenmuskelnerven und den Augen-
facialis angenommen hat, so ist Piltz geneigt, den Vorgang nach Art der
Accommodationsreaction für einen centralen, nucleären anzusehen. Er denkt an
einen Antagonismus der Lidreaction mit der Lichtreaction und erklärt es sich
daraus, dass das Phänomen gerade bei reflectorischer Pupillenstarre besonders
häufig und ausgiebig wahrzunehmen sei Bebnhaedt spricht von einer Fort¬
leitung des das Auge sohliessenden Willensimpulses auf niedere Centra, also auch
auf das der Pupillenbewegung. Westphal glaubt die functionelle Association
der Augenmuskeln hierfür verantwortlich machen zu sollen; so beschreibt schon
Wundt das Rotiren des Bulbus nach innen und oben bei Augenschluss als
eine gewöhnliche Erscheinung. Fuchs hat die Mitbewegungen des Oberlides bei
Bul busbewegungen in Fällen von Augenmuskellähmungen besonders eingehend
untersucht. Seiner Ansicht nach greift der Innervationsreiz bei vorhandener
nucleärer Atrophie auf benachbarte Theilkerne über, woraus sich die Association
von Muskeln ergiebt, die unter normalen Verhältnissen nicht associirt functioniren.
Ausserdem liegen über diesen Gegenstand noch andere Beobachtungen und
Arbeiten vor, so von Bernhardt, Fbibdenwald, Brixa, v. Söldeb, Pflügeb,
Sydney Philipps, Haas u. A. Fuchs konnte rhythmische, associirte Be¬
wegungen des Oberlides und der Pupille beobachten. Jessop endlich beschreibt
Vergesellschaftung von Nystagmus und Hippus bei centralen Erkrankungen; die
letztgenannte Arbeit war mir leider nicht im Original zugänglich.
In all diesen Beobachtungen handelt es sich lediglich darum, dass Be¬
wegungen, die als solche schon de norma in Erscheinung treten und die keinerlei
pathologisches Stigma an sich tragen, sich mit anderen entweder normaler Weise
vergesellschaften, oder aber dass, um einen Ausdruck Eunn’s zu gebrauchen,
dby Google
791
eine Dissociation von Bewegungen ein tritt: solche, die physiologischer Weise
synergistisch in Erscheinung treten, lösen ihren functionellen Verband, und an
Stelle dieser normalen functionellen Einheiten treten neue, durch die jeweiligen
pathologischen Verhältnisse bedingte. Was aber den hier beschriebenen asso-
ciirten Nystagmus vor den anderen hier erwähnten und bisher beobachteten
Associationsbewegungen auszeichnet, das ist der Umstand, dass es sich hier nicht
nur um eine bloss abnorme Verbindung zweier an sich nicht abnormer Be¬
wegungsformen handelt, sondern dass die eine der beiden associirten Bewegungen,
der Nystagmus, ein an sich pathologisches Bewegungselement dar¬
stellt, und dass dieses Bewegungselement mit einer sicherlich noch als physio¬
logisch zu bezeichnenden Bewegungsform, wie es die theils reflectorisohen, theils
intendirten Contractionen des Orbioularis behufs Ueberwindung des die Lidspalte
geöffnet haltenden Widerstandes sind, sich zu associiren vermag.
Dass Nystagmus — bei intactem Sehapparat — nicht durchaus für ein
anatomisches Leiden spricht, ist schon früher aus einigen Beobachtungen bekannt
geworden. Ich erwähne hier nur die von Kunn und von Sabbaz^s bei Hysterie.
Oppenheim erwähnt Nystagmus bei traumatischer Neurose. Feeund hat schon
vorher einen noch später in Betracht zu ziehenden Fall publicirt, den er als
Forme fruste von BABEDOw’scher Krankheit auffasste, und in dem gleichfalls
Nystagmus ein hervorstechendes Symptom bildete. Aus diesen Beobachtungen,
die zwar nur wenige, aber doch genaue sind, erhellt zur Genüge, dass es auch
bei intactem optischen Apparat und ohne centripetal — sei es von Körperbewegungen,
sei es vom Labyrinth — ausgehendes Erregungsmoment central bedingte functio-
nelle Störungen giebt, die sich auch in Nystagmus manifestiren können.
Wir wollen nun einen anderen Punkt ins Auge fassen. Jeapfkeson be¬
richtet, dass der Versuch, die Ausschaltung der beim Nystagmus der Kohlen¬
arbeiter öfters zu beobachtenden schüttelnden Kopfbewegungen zu forciren, ge¬
wöhnlich einen Paroxysmus von Nystagmus auslöst. SabrazEs sah, dass der
Nystagmus in seinem Falle durch Lidschluss sogleich coupirt wurde; beim
Nystagmus der Kohlenarbeiter ist das nicht der Fall. Sabraz&s erwähnt
übrigens, dass in seinem Falle auch starkes Zittern des Oberlides bestand; er
spricht von einem „Nystagmus des Lides“. Dieser Ausdruck findet sich auch
in einer späteren Arbeit von Raudnitz. Der letztgenannte Autor fand, dass
der auf der Höhe der Anfalle von Spasmus nutans regelmässig einsetzende
Nystagmus durch gewollte oder erzwungene Sistirung der Kopfbewegungen pro-
vocirt wird; auch Lidnystagmus tritt dann oft in Erscheinung, was der Autor
auch in von Anderen gemachtenBeobachtungen erwähnt fand. Raudnitz sah mehrere
Fälle von Spasmus nutans, in denen gewaltsames Oeffnen eines Auges
diagonalen Nystagmus erzeugte, ohne Betheiligung des verschlossenen
Auges; dabei auch Nystagmus des Oberlides. In Fbeünd’s Falle bestand
neben dem Bulbuszittem auch Blepharospasmus.
Diese letzten Beobachtungen leiten mich zur Besprechung meiner Auf¬
fassung des von mir beobachteten associirten Nystagmus hinüber.
Ich muss mich vor Allem gegen die Auffassung des Vorganges als eines
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792
„reflectorischen“ wenden. Ein nervöser Vorgang ohne nachweisbare cen-
tripetale Componente ist kein Reflex, ebenso wenig wie ein solcher ohne moto¬
rische Componente, woran ioh im Verein mit Ten Cate schon an anderer Stelle
erinnert habe. Es scheint im Grunde genommen überflüsrig, das besondere zu
betonen, so selbstverständlich klingt das eigentlich. Aber trotz dieser Selbst¬
verständlichkeit wird die Bezeichnung „Reflex“ gemeinhin ganz unbeanstandet
auf Erscheinungen angewendet, die mit ihm nichts als eine ganz oberflächliche
äusserliche Aehnlichkeit gemein haben. Ich erinnere nur an die zuerst von
Head näher beschriebene Hyperästhesie gewisser Hautregionen bei Erkrankungen
innerer Organe, die von ihm schlechthin als Reflexempfindung bezeichnet wird.
Mitempfindungen sind doch ebenso wenig Reflexempfindungen, wie Mitbewegungec
Reflexbewegungen sind. Auch Kibchneb spricht von einem „Lidreflex“ der
Pupillen. Bei der Reflexbewegung überträgt sich der Innervationsreiz vom
centripetalen auf das centrifugale Neuron, bei der Mitempfindung von einem
oentripetalen, bei der Mitbewegung von einem centrifiigalen auf ein anderes
gleichartiges. Der Missbrauch, der nicht bloss mit dem Worte, sondern auch
mit dem Begriffe „Reflex“ getrieben wird, hat nicht wenig dazu beigetxageo,
denselben in einen gewissen Misscredit zu bringen; sind wir doch heute, wenn
jemand einen Vorgang als „reflectorisch“ bezeichnet, stets geneigt, diese Be¬
zeichnung als einen Verlegenheitsausdruck letzter Güte anzusehen; das ist
sicherlich nicht im Sinne Mamhall Hall’s, der den modernen Begriff „Reflex“
sehuf. Auch die Ausdrücke „Lidreaction“ oder „Orbicularispupillenreaction“
welohe Piltz eingeführt hat, erscheinen mir zu wenig scharf, besondere da er
sie mit der Iichtreaction, die doch ein echter Reflex ist, vergleicht Zwar reden
wir ja auch von einer Accommodationsreaction, weit entfernt» dieselbe als Reflex¬
vorgang anzusehen; aber auch der Terminus „Reaction“ gehört zu jenen Sammel¬
begriffen von der Sorte: Factor, Moment, Element u. dergL, welche durch ihren
Mangel an Präciaion der Phantasie reichen Spielraum gewähren, und der zudem
ohnehin meist mit dem Begriffe „Reflex“ in einen Topf geworfen wird.
Ein weiterer specieller Grund, der mich zur Zurückweisung einer Auf¬
fassung des associirten Nystagmus als Reflexbewegung nöthigt, ist die Thateache
des reflectorisohen Nystagmus, der vom Labyrinth ausgelöst werden kann.
Kreidl und später Bbuok haben nachgewiesen, dass bei Taubstummen der
zuerst von v. Gbaeve beobachtete Nystagmus beim Rotieren um die Körperaxe
in 52,4 °/ 0 der Fälle ausbleibt Nun sind nach Mygind bei Taubstummen in
etwa 54% der Sectionen Abnormitäten der Bogengänge nachzuweisen, ein Um¬
stand, der ihm letztere mit Mach und Breites als die Organe des statischen
Sinnes bezeichnen Hess, eine von Bbuck allerdings als zu weitgehend be¬
zeichnet« Anschauung. Um eine solche vestibuläre Ursache kann es sich in
meinen Fällen nicht handeln, da höchstens bei dem einen Falle (Güttenberger)
überhaupt ein Anhaltspunkt zu einer derartigen Annahme gegeben gewesen wäre,
die aber wegen des derzeit vollständig anfallsfreien Befindens des Patienten gänzlich
ungerechtfertigt wäre. Warum sollte dann auch der Nystagmus gerade nur beim
behinderten Lidschluss in Erscheinung treten?
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793
Auch die Annahme, als ob ein Fingerdreck auf den Bulbus ein centripetal
aaslösendes Moment dnratellen könnte, wird hm fällig, da 1. das Emporhalten
des oberen Lides ohne jeden Druck auf dei Bulbus zu bewerkstelligen ist,
2 . aber gerade stärkerer Dreck auf den Bulbus diesen in seinen Zitterbewegungen
anvtirt. Auch ein weiterer Umstand, das consensaelle Auftreten von
Buibts- und Lidnystagmus auf der Gegenseite, widerlegt diese An¬
nahme.
Um congenitale Anomalie« kann es sich hier ebenso wenig handeln wie
um periphere, organisch bedingte Ursachen, da ja der Augenbefund stets negativ
war und auch von subjectiven Störung« keinem der Untersuchten irgend etwas
bekannt war; wunderten sieh doch die Meisten, das sie überhaupt ophthalmo-
logisch untersucht werden, „denn sie wären auf den Augen gesund, es fehle
ihnen wo anders". Auch war keiner desselben in seinem Ctvilberufe Bergarbeiter
oder Seemann, sondern sie gehörten sämmtlieh bürgerlichen oder bäuerlichen
Thätigkeitezweigen au.
Einen Fingerzeig für die Deutung der Erscheinung giebt — abgesehen
davon, dass alle 4 Fälle neuropathische Symptome verschiedener Dignität auf¬
wiesen — der Umstand, dass jedes Mal Zittern der Oberlider bei Augen¬
sehl U88 bestand. Geringeren Werth schon möchte ich dem Umstande bei¬
legen, dass wenigstens in dreien der Fälle auch „LidpupiDenreaction" im 8inne
von Piltz, Kxbchmib u. A. bestand. Baählmamn bringt den Nystagmus mit
dem Tremor der übrigen Museul stör in Analogie. Nach Wilbrand sind die
Bedingungen zum Auftreten des Nystagmus dann gegeben, „wenn die Thätig-
kedt der willkürlichen motorischen Augencentren der Grosshirnrinde gegenüber
der reflektorischen motorischen Thätigkeit des Mittel- und Kleinhirns beein¬
trächtigt ist; die centrifugale Leitungsbalm vom Mittel- and Kleinhirn zn der
Augenmuscnlatur aber unversehrt erhalten ist" Die Auffassung Graefe’s
über den — congenitalen — Nystagmus geht dahin, dass das Groeshirn, weil
es vom Bulbus nur minderwerthige Eindrücke erhält, darum auch minderwerthig
innervirt, und zwar die niederen Centra der Angenbewegung, die non ihrerseits
durch diese subnormale Erregung Veränderungen erleiden, deren functioneller
Ausdruck diese dem Willen entzogenen tremorartigen Bewegungen sind.
Wenn wir nun den associirton Nystagmus unter dem Gesichtswinkel dieser
verschiedenen Anschauungen betrachten, so vermögen wir unschwer zu sagen,
dass er weder vom Wilbeakd ’schen noch vom Graefb ’schen Standpunkte
aus rabricirt werden kann; er würde da eine Erscheinung sui genehs bilden,
und es wäre nothwendig, den symptomatologischen Begriff des Nystagmus aus-
einandarzoreiseen, d. h. diese Form überhaupt nicht mehr als Nystagmus zu
bezeichnen. Nach der Rabhlmann ’schen Anschauungsweise hingegen, welche den
Nystagmus gleichsam als Tremor der Augenmusculatnr ansieht, ist der associirte
Nystagmus vollkommen verständlich, er erscheint als eine tremorartige
Mitbewegung von Muskeln, die schon unter physiologischen Ver¬
hältnissen vielfach Synergisten sind und nun auch in ihren patho¬
logischen Bewegungsformen ihren Synergismus bewahren; wie ja
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gerade der durch forcirte Bewegungsanstrengungen erzeugte, als Tremor bezech-
nete tonisch-klonische Krampf grosse Tendenz zur Fortpflanzung auf functionell
gleichwerthige Muskeln zeigt. Aber gerade so wie „Tremor“ nur eine Bezeich¬
nung für ein Symptom ist, welches die verschiedensten Ursachen haben kann,
ist auch der Nystagmus genetisch keine einheitliche Erscheinung. Ist es doch
gar nicht so lange her, dass Kunn das EinsteUungszittern aus dem Begriffe
desselben ausschied. Den Nystagmus bei Refractionsanomalieen oder Netzhaut-
erkrankungen, den wir mit Graefe als durch den Wegfall der durch centripetale
Innervationen den Willenscentren gegebenen Directiven bedingte Coordination-
störung ansehen dürfen: den Nystagmus bei verschiedenen Nervenerkrankungen,
vorzüglich den bei multipler Sklerose, den wir mit dem Intentionstremor der
übrigen Muskeln bei dieser Erkrankung vergleichen können, da er wie dieser
mehr grobschlägig ist und hauptsächlich bei intendirten Bewegungen hervortritt:
und den associirten Nystagmus, der bei zwar neurotischen, aber durchaus nicht
organisch neuropathischen, augengesunden und sowohl in Ruhelage als bei extremen
Seitenstellungen der Bulbus von Nystagmus freien Personen bloss beim behin¬
derten Lidschluss synchron mit dem tremorartigen Blepharoklonus auftritt:
diese drei Formen können wir wohl, als symptomatisch nahezu gleichartig, auch
als gleichnamig bestehen lassen, müssen aber darauf verziohten, ihnen eine ein¬
heitliche Ursache zu supponiren.
Auf die Aehnlichkeit meiner Beobachtungen mit einzelnen Angaben bä
Jeaffbeson und Randnitz sei hier nochmals verwiesen.
Das Zustandekommen dieser Mitbewegung, welche ich als associirten Nystag¬
mus bezeichne, muss man sich, solange die Befunde Mendkl’s für den Menschen
noch der Bestätigung harren, als auf dem Wege durch den Fasciculus longitu-
dinalis posterior verlaufende Ausstrahlung des Innervationsreizes vom Kern gebiet
des Augenfacialis, aus dem sich derselbe wegen der Hemmung peripherwärts
nicht Bahn brechen kann, auf jenes des Oculomotorins denken. Die Befunde
von FriedENWALD, welcher Association von Augenbewegungen mit dem Pterygoideus
beschrieb, sind ja ähnlich zu erklären.
Abgesehen von ihrem physiologischen und pathologischen Interesse könnte
den von mir erhobenen Befunden auch eine klinische Seite abgewonnen werden.
Nicht als ob ich dieselben etwa als irgendwie pathognomonisch für Neurosen
anzusehen geneigt wäre: aber trotz der vereinzelt beschriebenen Fälle von
Nystagmus bei functioneilen Nervenerkrankungen gilt echtes Bulbuszittem mit
Recht immer noch als ein schwerwiegendes Symptom, welches in dubio für die
Annahme einer organischen Läsion geneigt macht, besonders wo die Möglichkeit
eines Nebeneinanderbestehens eines functioneilen mit einem anatomischen Leiden
ins Auge zu fassen ist: gerade hier kommt die Häufigkeit der Combination von
multipler Sklerose mit Hysterie sehr in Betracht. Bedenkt man nun, dass die
Augenuntersuchung, namentlich träger oder unintelligenter Patienten, nicht selten
bei künstlich auseinandergespreizten Augenlidern vorgenommen wird, und dass
dabei gewöhnlich der Orbicularis palpebrae intendirt oder reflectorisch in Action
tritt, so wird man es begreiflich finden, dass man vorher die Möglichkeit des
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Bestehens von associixtem Nystagmus auszuschliessen haben wird, ehe man einen
bei einem solchen Individuum etwa constatirten Nystagmus als anatomisch be¬
dingt auffassen wird. _
Litteratnr.
1. Mingazzini, Neurolog. Centralbl. 1899. Nr. 11.
2. Wkstphal, Ebenda. 1899. Nr. 4.
3. Piltz, Ebenda. 1899. Nr. 6 u. 11. 1900. Nr. 18.
4. Antal, Ebenda. 1900. Nr. 4.
5. Kirchner, Münchener med. Wochensohr. 1900.
6. Wtodt, Phyeiol. Psychologie. 4. Aufl. 1893.
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8. Bernhardt, Berliner klin. Wochenschr. 1898 u. Neurolog. Centralbl. 1894.
9. Fuchs, Deutschmann's Beiträge zur Augenheilk. II.
10. Frirdknwald, Johns Hopk. Hosp. Bulletin. 1896.
11. Brixa, cit. nach Neurolog. Centralbl. 1897. Nr. 12.
12. v. Söldrb, Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 8.
13. Pflüger, XX. Ophthalmolog.-Congr. zu Heidelberg.
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15. Haas, Der Militärarzt. 1900. Nr. 21.
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19. Oppbhhbih, Lehrb. d. Nervenkrankb. 1898.
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22. y. Bbchtbbbw, Neurolog. Centralbl. 1900. Nr. 5.
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28. Myqind, Archiv t Ohrenheilk. XXX.
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30. Wilbrand, Elin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1879.
31. Orabpb-Sabhibch, Handbuch.
2. Ueber intermittirendes Hinken.
Von Dr. U. van Oordt in St. Blasien.
Ueber den pathologischen Vorgang beim intermittirenden Hinken besteht
im grossen Ganzen wohl kein Zweifel mehr; er ist eine intermittirende, bis zur
Fanctionsaufhebung gehende Functionsherabsetzung bestimmter Muskelgruppen
oder sogar der Musculatur ganzer Extremitäten, die aber hier in erster Linie
nicht an bestimmte Nervengebiete, sondern an Gefassgebiete gebunden ist und
von einer ebenfalls intermittirenden Herabsetzung oder gar Aufhebung, jedenfalls
von einer erheblichen Veränderung der Blutversorgung in den betreffenden
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Körpertheilen abhängt Diese Störung der Blutversorgung tritt, wie Erb 1 ge¬
zeigt hat, in den weitaus meisten Fällen als eine arterielle in den Vordergrand
und ist durch den Nachweis unwegsamer oder kaum wegsamer Arterien bei¬
des daraus resultirenden Fehlens der betreffenden Pulse sichergestellt, so dass
wir mit diesem Nachweise eines der bedeutsamsten anatomischen Symptome der
Erkrankung vor uns haben. Sie kann aber auch arteriell und venös and auch
rein venös sein.
Doch genügt jedenfalls das Vorhandensein der GefSsserkrankung allein nicht
zum Auslösen des Symptomencomplexes. Ich brauche da nur auf den Fall hinzu¬
weisen, wo schon die grossen Beingefasse keinen so kräftigen Blutstrom mehr er¬
kennen lassen, dass er uns im Pols bemerkbar wird, und wo trotzdem kein inter-
mittirendes Hinken rintritt Da muss man doch annehmen, das ein, wenn auch
ganz geringes Maass von Blut schon im Stande ist, das Hinken zu verhüten, wenn
nicht ein dasselbe begünstigender Factor oder deren sogar mehrere hinzutreten. Die
von Ebb a gemachten Deduotionen gipfeln darin, das noch ein funotkmelles Moment
besteht, und sie weisen der wechselnden physiologischen Function der Gefäss-
wandung einen hervorragenden Antheil an dem Zustandekommen des Symptomen-
compleies zu. Es muss also, abgesehen von den bleibenden pathologischen
Veränderungen der Gefasswand, noch der Fall eintreten, dass die Gefässwand
von abnormen Reizen getroffen, sich bis zur Unwegsamkeit zusammenzieht oder
dass sie selbst in abnormer Weise reizbar ist, und dass dann schon physiologische
oder geringere pathologische Reize diese Wirkung haben.
Ich möchte für die letzte Ansicht zwei Krankengeschichten sprechen lassen,
die mir die functionelle Schwäche oder reizbare Schwäche oder, um nichts zu
präjudiciren, die functionelle Minderwerthigkrit ihres Gefässsystems anzudeuten
scheinen.
Herr S., 63jähr. Privatmann, leidet seit etwas über 10 Jahren daran, dass
er immer weniger und weniger ausdauernd gehen kann; in der letzten Zeit tritt
sogar schon nach längstens einer Viertelstunde Gehens der Zustand des Lahm¬
werdens unter starkem Müdigkeitsgeftihl ein. Manchmal entstehen Kr&mpfschmerwn
in den Waden. Ueber Parästhesieen hat er wenig zu klagen; er verspürt manch¬
mal Brennen in den Beinen, die dabei aber kalt werden sollen. Schon nach
einigen Minuten der Ruhe sind die Erscheinungen in den Beinen verschwunden,
und er geht so gut wie vorher. Seitdem er die Diagnose seiner Erkrankung
kennt, geht er auch nicht bis zur völligen Ermüdung. Im Liegen und Sitzen
fühlt sich der Mann vollständig wohl.
Die Beine des im Uebrigen gut ernährten Kranken sind schwächer und
magerer, als man sie im Verhältniss erwartet. Mässig stark hervortretende
Varicen sieht man an den Fussrücken und den Anssenseiten der Unterschenkel
Die Haut zeigt, was Temperatur und Farbe anbelangt, nichts Abnormes; auch
nach einem Spaziergang, kurz vor dem erwarteten Anfall, lässt sich in dieser
Beziehung nichts Besonderes constatiren. Die Varicen sind vielleicht etwas mehr
geschwellt, aber sicher nicht erheblich. Die zu erwartenden Veränderungen am
1 Erb, Ueber intermittirendes Hinken und andere nervöse Störungen u. s. w. Deutsche
Zeitschr. f. Nervenheilk. XIII. 1898.
* L. c.
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Gefässsystem fanden sich auch hier. Nicht nur war der Pule der Aae. tibiales
anteriores und posteriores bei öfters wiederholten Untersuchungen nicht anzutreffen,
sondern er fehlte auch in den beiden Poplitaeae und Femorales. Im Laufe der
Behandlung glaubte ich das eine oder andere Mal die Femorales am Ligamentum
Poupartii zu fahlen, mit Sicherheit aber nicht. An den Schläfen- und Arm¬
arterien waren keine arteriosklerotischen Veränderungen zu entdecken, und der
Herzbefund war normal. Auch am Nervensystem fand sich nichts Krankhaftes,
insbesondere waren Reflexe und Sensibilität der unteren Extremitäten in Ordnung.
Somit ein typischer Fall von intermittirendem Hinken oder der Dysbasia inter-
mittens angiosclerotica Ebb.
Interessant sind noch die anamnestischen Angaben: Er ist nicht hereditär
belastet, hatte keine Lues, excedirte weder in Alkohol noch im Tabaksgenusa,
obgleich er ein regelmässiger mittlerer Raucher war, und hat sich weder Erkältungen
noch Strapazen ausgesetzt. Dagegen musste er als Knabe und junger Bursche
viel stehen und bekam damals schon nach längerem Stehen Brennen in den
Fflssen, hatte damals schon öfters Eingeschlafensein der Hände; schon sehr früh
war ihm aufgefallen, dass er regelmässig nach einem mehrere Tage fortgesetzten
Kaffeegenuss Pelzigsein und Eingeschlafensein in den Extremitäten, besonders auch
in den Vorderarmen und in den Händen bekam; er mied deshalb dieses Genuss-
mittel. Den schädlichen Einfluss eines anderen GefasBgiftes konnte ich jetzt con-
statiren. Patient sollte die Strophantustinctur — ich glaube wegen gastrischer
Störungen — aussetzen und bekam versuchsweise Digitalis in kleinen Gaben zu
5 ctg zwei Mal am Tage. Schon nach wenigen Tagen kam er mit Klagen über
Krampfschmerzen in den Beinen seit dem Digitalisgebrauch, der natürlich sofort
sistirt wurde. Dasjenige Moment aber, das bei diesem anscheinend doch recht
reizbaren Gefässsystem allmählich zu pathologischen Veränderungen der Beinarterien
führte, finden wir vielleicht in dem einige Jahre vor dem Auftreten der Erkrankung
angelegten Bruchbande, welches gelegentlich meiner Untersuchungen wenigstens
die Gegend, wo die A. femoralis unter dem PouPAHT’schen Bande hervortritt,
.beiderseits fest comprimirte.
Ein zweiter, weniger prägnanter Fall betraf einen 69jähr. russischen General.
Heredität bestand nicht, und luetische Infection wurde weder zugegeben, noch
auch deren Residuen bei der körperlichen Untersuchung aufgefunden. Per Herr
rauchte jetzt noch 20 halbe Cigaretten täglich, früher vielleicht durchschnittlich
etwas mehr. Er lebt mässig und giebt auch für frühere Zeiten keinen Abusus
von Spirituosen zu. Seit sehr vielen Jahren schon leidet er an Varicen beider
Unterschenkel. Ebenfalls schon seit mehreren Jahren, aber jedenfalls lange nach
dem ersten Auftreten der Varicen, bekommt er beim Gehen und vorwiegend beim
Steigen nach einiger Zeit Krampfschmerz und starke Müdigkeit in den Unter¬
schenkeln. Beim Sitzen oder in horizontaler Lage der Beine vergehen die Er¬
scheinungen rasch wieder, um eben so bald wieder aufzutreten, wenn er weitergeht.
Morgens sind die Beschwerden am schlimmsten, sie verringern sich im Laufe des
Tages und steigern sich Abends wieder. Jetzt kann er noch zur Noth 2 Stunden
mit Pausen gehen, dann werden die Schmerzen zu heftig. Selbst längeres Reiten
strengt ihn auch jetzt noch nicht an. In letzter Zeit stellt sich bei rascherem
Gehen manchmal ein wenig Herzklopfen ein. Die Untersuchung weist ein geringes
Altersemphysem nach; es besteht etwas Herzstolpem bei percutorisch normalen
Grenzen und eine mässig entwickelte Arteriosklerose am Kopf und an den Ober¬
extremitäten. Dagegen sind die Pulse der beiden Femoralarterien nur sehr
schwach palpabel, und schon in den beiden Poplitaeae, ebenso in den Tibiales
anteriores und posteriores ist kein Puls mehr fühlbar, trotzdem man die harten
Gelasse palpiren kann. Auch im Laufe der mehrwöchentlichen Behandlung konnte
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798
niemals Pulsation in den genannten Ge fassen nachgewiesen werden. Ausgedehnte
Netze von kleinen, weniger von grossen Hautvenen und Venenknoten bedecken
die Haut der Unterschenkel und Füsse, und um die Knöchel befindet sich ein
geringes Oedem. Die Beine, besonders aber die Unterschenkel, sind exceasiv
mager und die Haut spröde und trocken. Seitens des Nervensystems keine
Abnormität; so sind die Reflexe und die Sensibilität normal und die grobe Kraft
der Beine dem geringen Volumen der Musculatur durchaus entsprechend. Gal¬
vanische Fussbäder nach Ebb rötheten die Haut, brachten aber keine Besserung zu
Wege. Die dem Patienten wohlthuendste Behandlung bestand in vorsichtiger
centripetaler Bindenwicklung der Unterextremitäten am Abend in horizontaler,
nicht aber erhöhter Lagerung der Beine; es wurden dadurch die auch Nachts
manchmal auftretenden Schmerzen beseitigt oder gebessert.
Hat schon die Untersuchung der eben beschriebenen Fälle die markanten
Gefässveränderungen erbracht, die fast ausnahmslos die Basis für den Sym-
ptomenoomplex abgeben, so will es mir scheinen, als ob wir hier auch in die
Aetiologie dieser Gefäßerkrankung einen Einblick bekommen. Von den ver¬
schiedenen Schädlichkeiten allgemeiner Art, als deren vornehmste Ebb das Nicotin
anzunehmen geneigt ist, danach auch Lues und Erkältungsschädlichkeiten, spielst
die beiden letztgenannten Factoren hier keine Rolle. Der Tabaksgenuss hielt
sich bei Beiden auch in den Grenzen, die von sehr vielen Rauchern ohne irgend
welchen Schaden überschritten werden. Dagegen müssen wir wohl für beide Kranke
eine Art angiopathischer Diathese annehmen. Im ersten Falle haben wir
die schon in der Jugend sich documentirende Intoleranz gegen Coffein, weicher
sich der sofort ungünstig ausfallende Versuch mit sogar kleinen Digitalisgaben
anreiht, der damit zugleich die von Ebb aus theoretischen Gründen gegebene
Warnung vor den mit Gefasswirkung ausgestatteten Herztonicis rechtfertigt. Im
anderen Falle sehen wir einen schon seit langer Zeit ohne besondere Ursache
an Venenerkrankung der Beine leidenden Mann. Dazu kommt noch, dass der¬
selbe einen auch schon an Varicen erkrankten, noch jugendlichen Sohn hat
und dass er eine sonst gesunde jugendliche Tochter wahrscheinlich aus ähnlicher
Ursache, jedenfalls durch plötzliche innere Verblutung, verloren hat Eine
familiäre, auch erbliche Gefässerkrankung manifestirt sich dadurch.
Eine gewisse Minderwertigkeit des Gefäßsystems liegt also in der Con¬
stitution beider Individuen, die in Folge dessen den verschiedenen Schädigungen,
die im Leben das Gef&sssystem besonders der unteren Eitremitäten treffen können,
nicht gewachsen waren. Zu diesen Schädigungen kann im ersten Falle wohl
die Compression durch Bruchband und in beiden Fällen selbst der mäßige,
aber doch chronische Tabaksgenuss gerechnet werden, während wieder andere,
wie grobe Erkältungsschädlichkeiten, nicht vorausgegangen waren. Immerhin
sind wir da auf reine Vermuthungen angewiesen. Aber es wird mir wahr¬
scheinlich, dass eine abnorme vasomotorische Reizbarkeit ebenso, wie sie zm
Auslösung des einzelnen Anfalles verlangt wird, wohl auch für die Arteriei-
erkrankung selbst wenigstens in den Fällen verantwortlich zu machen sei, wv
sie schon seit Langem vor dem Auftreten derselben nachgewiesen werden kann. Is
demselben Sinne sind vielleicht auch die Gefässveränderungen bei der Erythrw-
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799
melalgie und der symmetrischen Gangrän, die von Dehio 1 und Fbänkel 2 be¬
schrieben wurden, zu deuten. Die schon von anderen Autoren 3 geäusserte An¬
sicht einer Gefässdisposition, die sich auf der Thatsache aufbaut, dass die an
und für sich seltene Erkrankung z. B. bei Brüdern, in Familien, vorwiegend in
slawischen Gegenden, bei Personen mit Entartungsmerkmalen vorkommt, erhält
also durch die Eigentümlichkeit der eben besprochenen Fälle eine weitere
Stütze.
Eine kurze Betrachtung verdient angesichts des zweiten Falles noch die
Betheiligung des Venensystems.
Ebb macht Ischämie und Stase für die sensiblen Symptome im Allgemeinen
verantwortlich. Hanseb 4 hat später für die Rolle, welche die venöse Stase be¬
sonders bei den sensiblen Reizeracheinungen spielt, interessante Belege erbracht,
und gerade in einzelnen von Ebb und späteren Autoren angeführten Fällen,
wo nächtliche und spontane Schmerzen neben dem Hinken auftreten, finden sich
ausser der Arterienerkrankung die Zeichen erheblicher venöser Stasen. In unserem
Fall hat Bindeneinwickelung in horizontaler Beinlage, die also auf die Arterien¬
erkrankung Rücksicht nimmt, allein durch Begünstigung des venösen Rückflusses
eine heilsame Einwirkung auf Schmerzen und Parästhesieen gehabt Hingegen
war die Einwickelung der hochgelagerten Beine dem Kranken qualvoll, an¬
scheinend doch, weil durch Befolgung dieses Rathes, die bei Kranken mit Unter-
schenkelvaricen gute Erfolge aufweist, der Nutzen einer Beseitigung der venösen
Stase durch die mangelhaftere Blutveraorgung in Folge der schon veränderten
Arterien wieder compensirt wird. Ich meine also, man müsse der venösen Stase
in der Behandlung einzelner Symptome, wie der Schmerzen u. s. w., mehr Be¬
achtung schenken, umsomehr als frühere Erklärungsversuche: isohämische Nerven¬
degeneration, Gefassschmerz sich als ungenügend erwiesen haben. Und ich halte
dafür, es sei da, wo man Stase sieht oder vermuthet, neben den Mitteln zur
Erweiterung der Gefässe und Erhöhung des Blutdruckes auch die Binde zur
Erleichterung des venösen Abflusses in vorsichtige Anwendung zu ziehen.
Ich möchte die Epikrise der beiden Fälle noch einmal kurz zusammen¬
fassen: Intermittirende8 Hinken mit ausgesprochener Gefassobliteration an den
unteren Extremitäten oder die Dysbasia intermittens angiosolerotica. Als ihr
prädisponirendes Moment sehe ich die constitutioneile Gefassschwäche an; die
directen Ursachen lassen sich vermuthen in localen mechanischen (Bruchband)
oder in allgemeinen Schädlichkeiten, die zum Theil toxischer Natur sind (Nicotin,
Coffein). Neben der Arterienerkrankung kann Venenerkrankung complicirend
hinzutreten und ihrerseits durch Stauung speciell Schmerzen, aber auch andere
1 Dbhio, Ueber symmetrische Gangrän der Extremitäten. Deutsche Zeitschr. f. Nerven-
heilk. IV. 1898.
* Franks l, Ueber neurotische Angiosklerose. Wiener klin. Wochenschr. 1896.
9 Oppbnhrim, Ueber intermittirendes Hinken. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk.
XVH. 1900. — Goldflak, Intermittirendes Hinken. Neurolog. Centralbl 1901. Nr. 5.
4 Hansbb, Angioneurose und Neurangiose. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XVIII.
1900.
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800
sensible Erscheinungen hervorrufen. In diesem Falle kann vorsichtiges Banda-
giren in Horizontallage versucht werden. Zu vermeiden sind in der Therapie
vasomotorische Reizmittel Im Uebrigen habe ich der bekannten von Rbb ftm-
dirten Therapie nichts hinzuzufügen.
[Aus der Nerven-Poliklinik des Hm. Prof. Spilleb in Philadelphia.]
3. Der Supraorbitalreflex.
Ein neuer Reflex im Gebiet des 5. und 7. Nervenpaares.
Von Dr. Daniel J. Mo Carthy,
Associate in the William Pepper Laberatorr, Univeraity of Pennsylvania,
Philadelphia, Pa., Ü. S. A.
Während einer systematischen Untersuchung der Reflexe des Körpers wurde
folgender neue Reflex gefunden. Wenn man mit dem Percussionshammer auf
den Supraorbitalnerv anklopft, wird ein fibrilläres Zittern des M. orbicnlaris
palpebrarum beobachtet. Die Augen müssen dabei offen gehalten werden und
im Ruhezustände sein. Dieses fibrilläre Zucken wird kein Schliessen der Augen
zur Folge haben, höchstens ein Annähern der Augenlider.
Wenn die Reflexe erhöht sind, kann man durch Anklopfen auf den Nerven
in irgend einem Theile seines Verlaufs — selbst bis zum Vertex — dasselbe
Resultat erzielen. Zuweilen wird Zuckung in beiden Mm . orbiculares Vorkommen,
wenn man nur auf einer Seite anklopft. Bei normalen Personen kann man nur
durch Anklopfen bis an die Haargrenze Zuckung verursachen. Bei verminderten
Reflexen kann man nur durch Anklopfen auf den Austrittspunkt des Nerven
den Reflex erhalten.
Der Reflexbogen besteht aus dem supraorbitalen Ast des 5. Nerven, dem
5. Nerven selbst, dem Facialis und dessen Ast zum M. orbicularis palpebrarum.
Der Reflex wurde bei Untersuchung von 100 normalen Personen beobachtet.
Erloschen war derselbe auf der linken Seite in einem Falle von Gehirnsyphilic. 1
In diesem Falle war der 5. Nerv auf der linken Seite vollkommen gelähmt
während der 7. Nerv nicht angegriffen war. Auf der rechten Seite bestand eine
vollkommene Oculomotoriuslähmung, obwohl der Supraorbitalreflex normal war.
In einem geheilten Falle von Tic doulourenx rheumatischen Ursprungs war
dieser Reflex auf der erkrankten Seite aufgehoben.
Bei Facialislähmung ist der Reflex constant erloschen.
Unter 25 Fällen von Tabes 2 war der Reflex vorhanden, aber in 28 fallen
vermindert, und nur in 2 Fällen vollkommen erloschen.
Nach Durchschneidung des Supraorbitalnerven in einem Falle von Supra¬
orbitalneuralgie konnte der Reflex nicht mehr ausgelöst werden.
1 C. A. Veasby, Philadelphia Med. Joorn. Juli 1901.
* Abtheilung für Nervenkranke von Dr. Bcbb, Philadelphia Spital.
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801
Zum Schlosse möchte der Verfasser dieses kurzen Berichtes darauf auf¬
merksam machen, dass die vorgehend erwähnten Untersuchungen eine Correlation
der Functionen der zwei orbitalen Abtheilungen des 5. und 7. Nerven zu con-
statiren scheinen.
Es ist vielleicht von Wichtigkeit, festzustellen, dass durch direote mechanische
Reizung eines sensorischen Nerven eine motorische Rückwirkung erzeugt werden
kann, d. h. ein reiner Nervenreflex.
In dieser vorläufigen Mittheilung beschränke ich mich auf die Beschreibung
der Reflexe selbst und der Bedingungen, unter denen er ausgelöst werden kann;
ich behalte mir für eine künftige Mittheilung die Bestimmung der latenten
Periode und die Beziehungen dieses spedellen Reflexes zur Reflexauslösung im
Allgemeinen vor.
IL Referate.
Anatomie.
1) Die Medulla oblongata und die Vierhügelgegend von Ornithorhynohus
und Eohidna, von A. Koelliker. (Leipzig, 1901. W. Engelmann.)
Die Untersuchungen des Verf.’s basiren auf den vollkommenen Schnittserien
der betreffenden Gehimtheile von je einem Exemplare von Omithorhynchus und
Echidna. Zuerst giebt der Autor an der Hand zahlreicher vortrefflich repro-
ducirter Zeichnungen ein Uebersichtsbild aus den verschiedenen Höhen der ge¬
nannten HirnabBchnitte; an zweiter Stelle werden dann die Hirnnerven mit ihren
Kernen und die verschiedenen Fasersysteme im Zusammenhänge geschildert. Das
dritte Hauptoapitel enthält eine Zusammenstellung der Ergebnisse, welche sämmtlich
von grösster Bedeutung für die vergleichende Anatomie sind. Gegenüber den
anderen Säugern werden für das Mittel- und Hinterhirn der Monotremen folgende
Momente als charakteristisch hervorgehoben:
1. Die frühe Eröffnung des Rückenmarkscanales (d. h. der 4. Ventrikel
reicht viel weiter distalwärts als bei anderen Säugern).
2. Die seitliche Lage des Nucleus hypoglossi, welcher nicht unmittelbar an
der Raphe, sondern lateralwärts von derselben gelegen ist, so dass der Nerv vom
Kerne aus medio-ventralwärts im Bogen verläuft.
3. Das Vorkommen eines besonderen dorsalen Facialiskerns. (Diese Beobach¬
tung beansprucht deswegen ein besonderes Interesse, weil in jüngster Zeit auch
beim Menschen ein dorsaler Facialiskern beschrieben worden ist.)
4. Die starke Entwickelung des Trigeminus und das Austreten desselben am
proximalen Rande der Brücke.
5. Die geringe Entwickelung der Pyramiden und das Fehlen derselben in
der Brücke.
6. Die grosse Entwiokelung von Kreuzungen im Pons und der Uebergang
der gekreuzten Ponsfasern in die Basaltheile des Mittelhirns und in das
Zwischenhirn.
7. Der Mangel von grauer Substanz in den Seitentheilen der Brücke und
das Vorkommen eines besonderen freien Endes derselben, des Brückenschnabels.
8. Der Verlauf des N. cochleae ventral vom Pedunculus cerebelli, statt an
der Aussenseite desselben. Max Bielschowsky (Berlin).
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Digilized by
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802
Experimentelle Physiologie.
2) Der Farbensinn der Thiere, von W. A. Nagel. (Wiesbaden, 1901.
J. F. Bergmann.)
In diesem in der natorforschenden Gesellschaft zu Freiburg i/B. gehaltenen
Vortrag theilt Verf. einige Experimente mit, die dazu dienen Bollten, die durch
zahlreiche Beobachtungen in der Natur (Schutz- und Warnungsfarben, Mimicry-
Farben) gegebenen Anhaitspunkte für die Annahme einer weiteren Verbreitung
eines Farbenunterscheidungsvermögens im Thierreiche auch durch den experimen¬
tellen Nachweis zu sichern, und zwar 1. festzustellen, ob Farbenunterscheidnngs-
vermögen vorhanden ist, und 2. die Natur des etwa vorhandenen Farbensinns,
namentlich seine Beziehungen zum Farbensinn des Menschen, zu ergründen. Die
interessante Anordnung der Versuche, die Verf. am herausgenommenen Froschauge
vorgenommen hat, und die als das Mittel zur quantitativen Untersuchung da
Erregung die Actionsströme der Netzhaut benutzten, muss im Original nachgelesen
werden. Die Versuche des Verf.’s ergaben Resultate, die zu dem Schlüsse be¬
rechtigen, dass auch beim Frosche die Verschiedenheiten der elektrischen Reaction
der Netzhaut in verschiedenen Adaptionszuständen auf wechselnder Betheiligung
von Stäbchen und Zapfen an dem Zustandekommen der Reaction beruhen, sowie
dass die Stäbchen und Zapfen der Froschnetzhaut hinsichtlich ihrer Empfindlich¬
keit gegen die verschiedenen Bpectralen Lichter sich gleich oder doch sehr ähnlich
verhalten, wie die entsprechenden Elemente des menschlichen Auges. Darüber,
ob das Froschauge Farbenunterscheidungsvermögen besitzt, ob also der Frosch
Farbensinn besitzt, haben die Versuche des Verf.’s Auskunft nicht ertheilen können.
Schlüsse nach dieser Richtung hin können nur aus dem Benehmen und der
Reaction des lebenden Thieres auf wechselnde Reize gezogen werden.
Martin Bloch (Berlin).
3) Sulla legge dl Waller, pel Dr. E. Lugaro. (Rivista di Patologia nervo»
e mentale. Mai 1901.)
Verf. wendet sich gegen die zuerst von Durante 1895 und seither wieder¬
holt mit mehr oder weniger Präoision formulirten Einschränkungen des Waller'-
schen Gesetzes in einer theoretischen Erörterung, welche ausführt, dass die be¬
haupteten Ausnahmen des Gesetzes in seiner positiven Fassung, wonach die
vom Einfluss ihres trophischen Centrums dauernd abgeschnittenen Nervenfasern
degeneriren, zu der grossen Kategorie der primären Faserdegenerationen ge¬
hören, bei welchen sicher directe Schädigungen auf die Faser selbst ein wirken
und der trophische Einfluss der Zelle zugleich möglicherweise vermindert, doch
jedenfalls nicht ganz aufgehoben ist. Die hypothetischen Abweichungen von dem
Wall er'sehen Gesetz in negativer Fassung, worin es besagt, dass die mit den
Ursprungszellen noch in Verbindung gebliebenen Faserstümpfe nicht degeneriren,
fallen entweder in den Bereich dieses Gesetzes und bestätigen es: das gilt für
die sogen, traumatische Degeneration und für die dem Tode der Ursprungszellen
in Folge von Durchtrennung der Axencylinder nachfolgenden Entartungen isolirter
Fasern; oder sie sind als Ausdruck fortschreitender Veränderungen der in ihrer
Totalität verstümmelten Neurone aufzufassen: dies trifft für die spät auftretenden
und langsam fortschreitenden Veränderungen der Neurone zu, welche trotz der
Regenerationstendenz der verstümmelten Partie nicht bis zur Wiederaufnahme der
normalen Beziehungen gelangt Bind; oder endlich betreffen sie Erscheinungen,
welche mit dem Walle rischen Gesetz nichts zu schaffen haben, weil sie nicht
traumatisch bedingt sind: dieses letztere ist der Fall bei allen aufeteigend«:
Digilized by GoO^lC
808
Neuritiden, in welchen es sich nm interstitielle Processe handelt, und bei den
sogen, retrograden übertragenen Degenerationen Dnrante’s, welche eigentliche
primäre Degenerationen toxischen Ursprungs sind.
Schmidt (Freiburg i/Schl.).
4) Bemarka on the results of degeneration of the upper thoracic white
rami oommunloantea ohiefly in relation to oommissoral Übree in the
eympathetio System, by J. N. Langley. (Journal of Physiology. 1900.
XXV. S. 468.)
Verf. stützt in der vorliegenden Arbeit den schon früher wiederholt von ihm
vertretenen Standpunkt, dass die Zellen der verschiedenen sympathischen Ganglien
unter sich keine Verbindungen haben, durch neue histologische und physiologische
Thatsachen. Unter den letzteren erscheint das folgende Experiment am
sohlagendsten:
Wenn man die zum Ganglion stellatum ziehenden weissen Rami communi-
cantes durchtrennt und so lange wartet, bis deren periphere Enden degenerirt
sind, so ruft die Reizung des Halssympathicus keinerlei charakteristische Sym¬
ptome (Pupillendilatation u. s. w.) mehr hervor.
Hieraus ergiebt sioh mit Evidenz, dass weder die Zellen des Ganglion
stellatum noch des Ganglion cervicale inferius Fasern zu dem oberen Halsganglion
bezw. zum Kopfe senden. W. Connstein (Berlin).
6) On axon-reflexea in the preganglionio flbree of the sympathetio System,
by J. N. Langley. (Journal of Physiology. 1900. XXV. S. 365.)
An dem Grenzstrang des Sympathicus kann man in der ganzen Länge durch
Reizung die von dem Verf. so genannten pilomotorisohen Reflexe hervorrufen.
Während sich aber in dem Lendentheil das Reflexcentrum in dem oder den ober¬
halb der Reizungsstelle belegenen Ganglion befindet, constatirt man im Brusttheil
des Sympathicus das umgekehrte Verhalten. — Trennt man den Sympathicus
vollkommen vom Rückenmark, so bleiben die erwähnten Reflexe trotzdem bestehen:
ein Beweis dafür, dass weder das Rückenmark, noch die Spinalganglien bei dem
Zustandekommen dieser Reflexe von Bedeutung sind. — Nicotin dagegen unter¬
drückt, sowohl bei intravenöser Ipjection wie bei localer Application auf die
betreffenden sympathischen Ganglien, das Zustandekommen jener Reflexe. —
Durch zwei Serien operativer Eingriffe versuchte Verf. die Bahn jener Reflexe
festzustellen. — Zunächst durchschneidet er die zwischen den einzelnen Ganglien
bestehenden Verbindungsfasern: trotzdem bleiben die Reflexe in vollem Umfange
erhalten. — In einer zweiten Versuchsreihe durohschneidet er die Wurzeln der¬
jenigen Spinalnerven, welche mit centrifugalen Fasern mit dem Sympathicus Zu¬
sammenhängen: der Erfolg ist, nach eingetretener Degeneration der Nervenstümpfe,
ein Erlöschen der pilomotorischen Reflexe. — Hiernach bezeichnet Verf. die er¬
wähnten pilomotorischen Reflexe als „Pseudoreflexe“ oder als „präganglionäre
Axenreflexe“. — Aehnliche Erscheinungen lassen sich auch an den glatten Muskel¬
fasern der Gefässe, insbesondere der äusseren Genitalien und an anderen Gebilden
wahrnehmen, welohe vom Sympathicus mit centrifugalen Fasern versorgt werden.
Die betreffenden vom Rückenmark zum Sympathicus ziehenden Nervenfasern
(präganglionäre Fasern) theilen sich in mehrere Aeste und endigen in den Zellen
eines oder mehrerer sympathischer Ganglien. — Die Reizung einer solchen
Nervenfaser führt also zur Erregung der mit der betreffenden Faser in Ver¬
bindung stehenden Zellen und löst so den „präganglionären Axenreflex“ aus.
W. Connstein (Berlin).
51*
jby Google
804
6) On the regeneratlon of the pregangllonio flbres ln the sympaihetfc
System, by J. N. Langley. (Journal of Physiology. 1900. XXV. S. 417.)
23 Monate nach Exstirpation des Ganglion cervicale supremum hatte der
Halssympathicus seine Functionsfähigkeit noch nicht wieder erlangt. Dies scheint
darauf hinzuweisen, dass die präganglionären Fasern nicht im Stande sind, mit
den peripherischen Geweben direct, d. h. ohne Dazwisohentreten einer Ganglien¬
zelle, in Verbindung zu treten. — Die di recte Reizung der Sclera auf der ope-
rirten Seite bewirkte keine Dilatation der Pupille, was darauf hinweist, dass alle
pupillenerweiternden Fasern durch das Ganglion cervicale supremum verlaufen,
und dass oberhalb dieses Ganglions keine weiteren Zellrelais eingeschaltet sind.
— Nach Durchschneidung des Lendentheils des Sympathicus sieht man die Leit¬
fähigkeit nach etwa 48 Tagen sich wieder einstellen. Die neuen Fasern haben
deutlich die Tendenz, die normalen Verbindungen mit den ihnen zugehörigen
Ganglien bezw. Zellen wieder einzugehen, doch sieht man auch hie und da abnorme
Verbindungen sich entwickeln. W. Connstein (Berlin).
7) Ueber die Verrichtungen des Kleinhirns, von M. Lewandowsky.
(Centralbl. f. Physiologie. XV. Nr. 8.)
1. Kleinhimresectionen haben in allen Fällen Störungen der Coordination
zur Folge. Diese Störungen zeigen sich in einem Verluste der Fähigkeit, die
Bewegungen abzustufen, Stärke, Schnelligkeit und Reihenfolge der einzelnen oder
synergisch verbundenen Muskelcontractionen zu regeln, während die gröberen
Muskelsynergieen intact sind.
2. Die Coordinationsstörungen sind zu erklären durch Störungen des Muskel-
sinne. Es lassen sich Störungen des Bewegungs- und Lagesinns objectiv nach-
weisen.
Die Bewegungsanomalieen, welche bei Hunden und Affen durch den Ausfall
des Kleinhirns oder von Theilen desselben hervorgerufen wurden, sind denen
gleich, welche das Krankheitsbild der Tabes dorsalis beim Menschen zeigt.
Kurt MendeL
Pathologische Anatomie.
8) Benaut’a bodiea in a oase of vesiculobullous dermatitis and gangrene,
by William G. Spiller. (University med. Magazine. November 1900.)
ln einem anderwärts beschriebenen Falle von vesiculobullöser Dermatitis mit
Gangrän fand Verf. bei der Untersuchung des linken Plexus brachialis jene eigen-
thümlichen, zuerst von Ren aut 1881 beschriebenen und nach ihm benannt«
Gebilde. Sie fanden sich hier in ziemlich grosser Anzahl in einem der Nerven-
stämme des genannten Plexus. Sie bestehen aus zarten welligen Bindegewebe¬
zügen, die auf Querschnitten concentrisch angeordnet sind, und enthalten spärlich?
ovale Kerne, ebenfalls in concentrischer Anordnung. Nerven oder Gefasee lieaser
sich in den — spindelförmig beschaffenen — Körperchen nicht nachweisen. Dü
von Langhans als „ein- und mehrkammerige Blasenzellen“ beschriebenen sped-
fischen Zellgebilde konnten auch in diesem Falle nachgewiesen werden.
Die Bedeutung der Renaut’schen Körperchen ist bis jetzt noch nicht auf¬
geklärt, und es ist zweifelhaft, ob man es in ihnen mit physiologischen oder
pathologischen Gebilden zu thun hat. Die Prädileotionsstelle für ihr Vorkommen
scheint der Plexus braohialis zu sein. Max Neu mann (Karlsruhe).
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Digiliz
805
Pathologie des Nervensystems.
0) lieber Ataxia, von Dr. L. Lenaz in Wien. (Deutsche Zeitsohr. f. Nerven*
heilk. 1901. XIX.)
In seiner Arbeit beschäftigt sich Verf. hauptsächlich mit dem Wesen der
Coordinationsstörung, wie sie bei der Ataxie aufzutreten pflegt. Als Resultat der
Untersuchungen ergiebt sich, dass nach seiner Ansicht zur Ausführung von Be¬
wegungen das Grosshirn- und das Kleinhirnsystem in Betracht kommen. Das
erstere mit den motorischen Pyramidenfasern, welche die Muskeln willkürlich
innerviren, und den sensiblen Bahnen, welche uns über die Lage der Glieder vor
und nach den Bewegungen unterrichten. Das zweite (Kleinhirnsystem) beeinflusst
die unbewussten, jedoch unentbehrlichen Synergieen. Erkrankt das Grosshirnsystem,
so treten im Allgemeinen Lähmungen auf, während bei Affectionen des Kleinhirns
Asthenie und besonders Ataxie zur Beobachtung gelangen.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
IO) Degenerazione oerebellare da intossioazione enterogena, per Prof. A.
Murri, Director der raedicin. Klinik in Bologna. (Rivista critica di clinica
medica. 1900. Nr. 34 u. 36.)
Der Verf. berichtet über eine 59jähr., früher gesunde Frau, welche vom
August 1898 bis zum Tode, wenn auch mit Unterbrechung, an Durchfällen litt.
Im Februar 1899 erschienen Schwindelanfälle, zuweilen auch mit Bewusstlosigkeit,
Doppeltsehen, Zwangsbewegungen nach der linken Seite. Die Stimme wurde
schwach, monoton, die Aussprache langsam; manchmal Dyspnoe und Parästhesie
an den Gliedern.
Als die Patientin im Mai 1899 in die Klinik aufgenommen wurde, bemerkte
man Abmagerung, der Leib war etwas aufgetrieben und schmerzhaft. Erhebliche
Indicanurie. Die Gesichtsrausculatur war sehr schwach, die Action für Convergenz
ganz aufgehoben, die Zunge wurde zitternd und schwierig vorgestreckt. — Es
war Astasie mit Neigung nach der linken Seite zu fallen vorhanden. Patientin
konnte nur unterstützt mit kurzen und unsicheren Schritten gehen. Schwach
waren die Bewegungen der Glieder, die, wenn sie emporgehoben wurden, zitterten.
Die Bauchreflexe aufgehoben, die Patellarreflexe gesteigert; Hinweis auf den Fuss-
klonus. Die Pupillen waren gleich, reagirten auf Accommodation, Licht- und
Hautreize. Farbensinn, Sehschärfe, Gesichtsfeld und Augenhintergrund wie alle
anderen Sinne und Empfindungsqualitäten normal. Hinsichtlich des Bewusstseins
und der Psyche wurde besonders eine Beeinträchtigung des Gedächtnisses bemerkt.
Dieser objective Zustand veränderte sich sehr wenig; indessen erschien Er¬
brechen, die Durchfälle und der Schwindel mit schwerer Dyspnoe, aber ohne Be¬
wusstlosigkeit, dauerten an. Nicht mehr Diplopie, niemals Kopfschmerz. Die
Temperatur blieb immer normal, der Puls hatte durchschnittlich 75 Schläge, und
zuweilen zählte man 36 Athemzüge. Am 25. Mai traten choreatische Bewegungen
an den Fingern und sehr leichter Nystagmus auf. 3 Tage später erfolgte unter
Delirien der Tod.
Der nekroskopische Befund zeigte die Schleimhaut des Dünn- und Dickdarms
etwas atrophisch und die Follikel geschwollen.
Am Rückenmark waren einige Axencylinder geschwollen, mit unregelmässigen
Contouren und körnigem Aussehen. Die Zellen der grauen Substanz zeigten hier
und da die verschiedenen Stufen der Chromatolysis. Zeichen der Chromatolysis
fand man auch in den Kernen der Brücke, Oblongata, Oliven, Höhlengrau des
Aquaeductus und Grosshirnrinde. Die Elemente der rothen Kerne und der Ge¬
hirnschenkel hatten normale Beschaffenheit.
Digilized by LjOoqic
806
Im Kleinhirn fiel eine beträchtliche Zahlabnahme der Purkinje’sohen Zellen
auf; dabei waren Chroraatolysis, celluläre Entartung, blasse amorphe Anhäufungen
vorhanden. Die Gefässe, die Zona molecularis und granulosa waren dagegen
normal. Einige Axencylinder zeigten sich körnig, geschwollen und mit unregel¬
mässigen Contouren. In den Dachkemen war nicht Zahlabnahme der Elemente,
Bondern pigmentäre Degeneration vorhanden; in den Deiters’schen Kernen nur
Zeichen der Chromatolysis. Die Hirnnerven zeigten, abgesehen von den Kernen,
keine Veränderung.
Der Verf. beweist in deutlicher Weise den Zusammenhang der Erscheinungen
mit den Veränderungen der nervösen Elemente und führt diese letzteren auf das
Darmleiden zurück, das Bich 6 Monate lang besonders durch Durohfalle anzeigte
und die Atrophie der Darmschleimhaut hervorrief. Dabei betont er ausdrücklich
die Nothwendigkeit, mit dem Gebrauch der Bezeichnung „functioneile Erschei¬
nungen“ vorsichtig umzugehen.
Dieser wichtige Fall, der so sorgfältig auch mikroskopisch untersucht wurde,
belehrt uns, dass es 1. eine primäre Degeneration des Kleinhirns (d. h. Verände¬
rung der Zellen ohne Antheil der anderen Bestandteile des Gewebes) giebt, und
dass 2. diese Degeneration aus enterogener Intoxication besteht oder bestehen kann.
VanninL
11) Daily oerebral vomiting of six months* duratlon due to a oolumnar-
oellod adenoma of the oerebellum involving the fourth ventriole, by
John Lindsay Steven. (Glasgow med. Journ. Juni 1901.)
9jähr. Knabe fiel im Mai 1900 und zog sich eine Wunde über dem rechtes
Scheitelbein zu, die nach etwa 6 Wochen verheilt war. Kurze Zeit nach dem
Fall trat Erbrechen auf, das sich häufig wiederholte, aber von der Nahrungs¬
aufnahme unabhängig war. Mütte August fing Pat. an abzumagern. Am 24. Sep¬
tember Aufnahme in das Krankenhaus. Ungefähr 4 Wochen vorher Schmerzen
im Genick, selten Kopfschmerzen.
Die Untersuchung ergab: Schmerzhaftigkeit des oberen Theiles der Hals¬
wirbelsäule, Sprache bisweilen etwas häsitirend, Täches c6r6bralee, doppelseitige
Stauungspapille, sonst keine Störungen von Seiten der Augen; Motilität, Sensibilität
und Reflexe in Ordnung, nur über der rechten Brusthälfte eine hyperästhetische
Zone, Puls nicht verlangsamt, Respiration oft tief, seufzend, gelegentlichCheyne-
Stokes’sches Athmen. Das auffallendste Symptom war das häufige, schmerzlose
Erbrechen grosser Mengen bräunlich - gefärbter wässeriger Flüssigkeit, das ohne
jede Nausea eintrat. Während der letzten Wochen Secessus inscii urinae et alvi.
Keine Nackensteifigkeit. Die anatomische Untersuchung ergab ein Cylinderzellen-
adenom, das beide Kleinhirnhälften, besonders die linke, einnahm und auf der
4. Ventrikel Übergriff, von dessen Ependym es wahrscheinlich ausgegangen war.
Martin Bloch (Berlin).
12) Ueber die Beziehungen des Kleinhirne zur multiplen Skleroee, vor
Adler (Breslau). (Deutsche med. Wochenschr. 1901. Nr. 8.)
Experimentelle Erfahrungen und klinische Beobachtungen, zumal an Fällen
von Kleinhirnatrophie, legen die Vermuthung nahe, dass das Symptomenbilc
der multiplen Sklerose in seinen wesentlichsten Bestandteilen dem
Ausfall der Kleinhirnthätigkeit (Läsion der absteigenden Kleinhirnbahnen
in der Medulla oblongata?) seinen Ursprung verdankt. Intentionstremor,
Nystagmus und Skandiren würden sich bei der Annahme, dass das Kleinhirn an:
den Reflextonus einen hemmenden Einfluss auszuüben vermag, leicht erkläret,
indem der vom Kleinhirn nicht regulirte Reflextonus die Bewegungen erschwert
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807
bezw. verhindert. Die bei multipler Sklerose fast stets vorhandene Steigerung
der Sehnenreflexe und Hypertonie der Musculatur erklärt sich aus dem Fortfall
der Reflexhemmung. R. Pfeiffer.
13) Ein Beitrag an der Lehre von den Klelnhiraoysten, von Priv.-Doc. Dr.
A. Schüle in Freiburg i/Br. Aus dem evang. Diakonissenhaus in Frei¬
burg i/Br. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVIII.)
Ein 89jähr. Küfer, Potator, erlitt durch einen Sturz aus einer Höhe von
2 1 /, m eine Commotio cerebri, war kurze Zeit bewusstlos, klagte über sehr heftige
Kopfschmerzen und erbrach mehrmals. Ausserdem traten Schwindelanfälle auf,
und das Oedächtniss nahm merklich ab. Ophthalmoskopisch bestand eine Papillitis
n. optici mit nicht stark ausgesprochener venöser Hyperämie, ln den oberen
Extremitäten Ataxie mässigen Grades; beim Gehen Neigung zum Fallen nach
rechts. 2 Monate nach dem Trauma trat plötzlich der Exitus ein. Bei der
Autopsie fand sich im Wurm eine Cyste von 4,5 cm Länge und etwa 3,5 cm Quer¬
durchmesser, ausgefüllt von einer fibrinhaltigen Flüssigkeit mit eingelagerten
rothen Blutkörperchen. EchinokokkenBeolices waren nicht nachzuweisen. Ausser¬
dem enthielt die Cystenwand einen etwa erbsengrossen Tumor, der sich als gefäss-
reiches Spindelzellensaroom erwies.
Offenbar hatte sich in diesem Falle die Cyste in einem congenital präformirten
Hohlraum entwickelt und war im Anschluss an das Trauma in der Wand des¬
selben das kleine Sarcom entstanden, welches die Absonderung des fibrinreichen,
leicht hämorrhagischen Exsudats in das innere der Cyste bewirkte.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
14) Un oas de tumeur du oervelet, par Dr. Glorieux. (Policlinique. 1901.
Nr. 10.)
Ein 6jähr. Knabe, hereditär nicht belastet, leidet seit etwa l'/j Jahren an
nervösen Störungen, die sich in Kopfschmerzen und leichter Ermüdbarkeit beim
Gehen äussern. Seit 5 Monaten ist das Stehen unmöglich, die unteren Extremi¬
täten, besonders die linke, zeigen Muskelzuckungen. Incontinentia urinae. Kopf
und Rumpf werden zuweilen nach links gedreht. Seit längerer Zeit besteht
morgens schleimiges Erbrechen. Aus dem Ende 1900 aufgenommenen Status ist
hervorzuheben: Stirnkopfschmerz. In Rückenlage tritt Schwindel auf, der in
Seitenlage wieder schwindet. Stauungspapille, links stärker als rechts, Neuritis
optica. Keine Sehstörungen. Im Liegen werden alle Bewegungen ausgeführt,
doch sind bei complicirteren Bewegungen Coordinationsstörungen vorhanden. In¬
tentionszittern beider Arme. Ausgesprochene cerebellare Ataxie. Keine Intelligenz-
defecte, keine Sprachstörung. Patellarreflexe gesteigert. Achillessehnenreflex links
leichter auszulösen als reohts, Bab inski'scher Zehenreflex beiderseits sehr deutlich.
Plantarreflex erloschen, die übrigen Hautreflexe erhalten. Fussklonus links. An
den unteren Extremitäten Hypotonie der Muskeln, die linke Wade ist leicht
atrophisch, die linke Glutäalfalte steht tiefer als die rechte. Der allgemeine Er¬
nährungszustand ist vorzüglich. Ungefahr 1 / t Jahr später war die Stauungspapille
zurückgegangen, dagegen trat complete Atrophie der Optici ein, das Kind
erblindete in kurzer Zeit vollständig. Die Sprache wurde etwas langsamer, Gehen
und Stehen unmöglich. Die Bewegungen schwerfällig, links in höherem Grade
als rechts, doch keinerlei Lähmungserscheinungen. Das Erbrechen bat aufgehört,
die übrigen Erscheinungen sind dieselben geblieben, der Allgemeinzustand ist
sehr gut.
Verf. stellt auf Grund der beschriebenen Symptome die Diagnose auf Tumor
des Kleinhirns. Ueber den Sitz und die Natur des Tumors vermag er mit
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Sicherheit nichts anzugeben. Was die therapeutische Seite des Falles betrifft, so
ist die Lumbalpunction vorgenommen worden, doch wurde keine Spur von
Besserung erzielt, auch Jodkali hatte keinen Erfolg.
H. Schnitzer (Stettin-Kückenmühle).
15) Uebor cerebrale Pseudobulbärparalyse. Eine Monographie nebst 150
casuistischen Beiträgen, von Moritz Urstein. (Inaug.-Dißsert Berlin, 1900.)
Die Dissertation ist eine ungemein gründliche Sammelarbeit, welche die um¬
fangreiche Litteratur in wohl erschöpfender Weise berücksichtigt. (Es liegen ihr
216 Arbeiten aus der Zeit von 1837—1898 als Material zu Grunde.) Einleitend
wird der Begriff der Pseudobulbärparalyse historisch entwickelt, wobei Verf. von
den ersten Darstellungen der (wahren) Bulbärparalyse, durch Duchenne und
Trousseau, ausgeht. Die Lehre von der Existenz einer Pseudobulbärparalyse
(Paralysie labio-glosso-laryng6e d’origine cßräbrale) wurde zuerst von Joffroy
ausgesprochen, ohne dass dieser Autor jedoch durch eigene Erfahrung seine Lehre
zu stützen im Stande war. Dies gelang bald darauf Jolly, der bei einem
klinisch als progressive Bulbärparalyse verlaufenden Falle diffuse Sklerose im
Grosshim bei völliger Integrität von Pons und Medulla fand. Entgegen der in¬
zwischen zu allgemeiner Anerkennung gelangten Annahme von der Existenz einer
rein cerebral bedingten Pseudobulbärparalyse kamen Oppenheim und Siemer-
ling auf Grund exactester, an Serienschnitten vorgenommener Untersuchungen zur
Ueberzeugung, dass der grösste Theil der als rein cerebral aufgefassten Pseudo¬
bulbärparalysen thatsächlich als cerebrobulbäre Mischformen zu gelten habe, dass
sich bei genauer mikroskopischer Durchforschung von Pons und Medulla in diesen
meist miliare apoplektische oder thrombotische Erweichungsherde nachweisen
Hessen. Dieser Ansicht tritt nun Verf., gestützt auf sein umfangreiches statistisches
Material, entgegen, indem er nachweist, dass thatsächlich eine grosse Reihe rein
cerebraler Pseudobulbärparalysen mit vollkommen normalem Befand an Pons
und Medulla beschrieben worden sind, und vertritt die Ansicht, „dass die lacu-
nären Veränderungen im Bulbus unmöglich den Werth haben können, wie er
ihnen von Oppenheim und Siemerling beigelegt wird, schon aus dem Grunde,
weil sie für das Zustandekommen der Kernsymptome nioht verantwortlich gemacht
werden können“. Für diese Behauptung bleibt Verf. freilich vorläufig den Be¬
weis schuldig, behält sich denselben jedoch für eine demnächst erscheinende Ab¬
handlung vor.
In einem den grösseren Theil der Dissertation umfassenden Abschnitt stellt
Verf. 145 in der Litteratur vorhandene Fälle von Pseudobulbärparalyse zusammen
und schickt dieser Casuistik die Mittheilung 5 eigener Beobachtungen — durch¬
weg Fälle, die noch nicht zur Section gekommen sind — voraus.
Die verschiedenen in Betracht kommenden Formen sind:
1. Rein cerebrale Bulbärparalyse,
2. rein pontine Pseudobulbärparalyse,
3. rein cerebellare Pseudobulbärparalyse,
4. cerebro-pontine Pseudobulbärparalyse,
5. Mischformen (Bulbärparalysen mit guprabulbären Veränderungen).
Im dritten Theil seiner Arbeit giebt Verf. eine detaillirte klinische Dar¬
stellung der Pseudobulbärparalyse. Die Krankheit beginnt meist apoplektiform,
verläuft nur sehr selten ganz ohne Insulte. Erstes Symptom pflegt eine — aus¬
schliesslich dysarthrische — Sprachstörung zu sein. Aphasie wird nicht be¬
obachtet. Damit verbindet sich Behinderung des Kauens und Schluckens, nicht
selten auch der Phonation als Ausdruck einer totalen oder partiellen Stimmband¬
lähmung. In der Regel treten auch Lähmungsersoheinungen im Bereich der
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Extremitäten auf, sie fehlten nur in l0°/ o der angeführten Fälle. Es kommen
alle Arten von Mono-, Hemi- und Paraplegie vor. Die auftretenden Facialis-
paralysen pflegen rein psychomotorisch zu sein. Häufig sind Augenmuskel-
Störungen. Spastische Erscheinungen mit entsprechender Reflexsteigerung können
sich einstellen, Entartungsreaction fehlt Btets. Die Sensibilität bleibt dauernd
normal. Oft findet sich erhöhte Salivation, theils als paralytisches, theils als
(cerebrales) Reizsymptom. Affectionen der Psyche, sowohl auf affectivem wie auf
intellectuellem Gebiet, sind nicht selten; nicht auf gemiithliche Schwankungen zu
beziehen sind die Lach- und Weinanfalle, vielmehr handelt es sich dabei um
Zwangsbewegungen.
Die Prognose ist quoad sanationem completam ungünstig, quoad vitam etwas
günstiger als die der wahren Bulbärparalyse.
Bezüglich des anatomischen Befundes ist dem Obengesagten hinzuzufügen,
dass die Pseudobulbärparalyse nur selten rein corticalen Ursprungs iBt.
Der zusammenhängenden Darstellung der Symptomatologie folgt in einzelnen
Abschnitten die genauere Analysirung der verschiedenen Symptome.
In einem kurzen Abschnitte wird die infantile Pseudobulbärparalyse
berührt.
Schliesslich verweist Verf. bezüglich der anatomischen und physiologischen
Verhältnisse wie bezüglich der Differentialdiagnose auf seine schon erwähnte Ab¬
handlung. Max Neumann (Karlsruhe).
16) Zur Lehre von der Erb’sohen Krankheit (Myasthenia pseudoparalytioa,
asthenische Bulbärparalyse), von Dr. 0. Giese und Prof. Fr. Schultze
in Bonn. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVIII.)
Bei einer 24jähr., nicht belasteten und bisher gesunden Frau entwickelte
sich im Anschluss an einen Katarrh des Respirationstractus in regelloser Folge
eine Anzahl motorischer Ausfallserscheinungen. Betroffen waren die verschiedensten
Nervengebiete (äussere Augenmuskeln, Zunge, Facialis, Kehlkopf, Kau-, Schling-
und Athemmuskeln, obere Extremitäten und Beine (Iliopsoas). Die Intensität
der einzelnen Lähmungen schwankte beträchtlich, und während der 5 monatlichen
Eirankheitsdauer machte sich eine Neigung zu Remissionen und Verschlimmerungen
bemerkbar. Auch liess sich manchmal in einzelnen Muskelgruppen eine mehr
oder minder charakteristische Ermüdbarkeit nachweisen. Die myasthenische
Reaction fehlte indessen während des ganzen Krankheitsverlaufs; gegen Ende der
Beobachtung konnte im rechten Levator palpebrae leichte Entartungsreaction
nachgewiesen werden. Der Exitus erfolgte nach einem Anfall hochgradiger
Athemnoth, welche sich im Anschluss an eine sehr starke seelische Erregung ein¬
gestellt hatte.
Die mikroskopische Untersuchung des Gehirnstammes hatte, abgesehen von
einer ganz leichten Chromatolyse der Nissl-Körper, ein vollkommen negatives
Resultat. Da die Autopsie erst 30 Stunden post mortem vorgenommen wurde,
so ist höchst wahrscheinlich auch die geringe Chromatolyse eine Folge der un¬
vollkommenen Vorbehandlung.
Auch in den Kernen und Nerven Stämmen des Facialis und Hypoglossus waren
keine Veränderungen nachweisbar.
Zum Schluss schlägt Verf. vor, dem neuen Leiden mit den vielen und den
langen Namen den Titel Erb’sche Krankheit zu Theil werden zu lassen, und wird
hierzu wohl zum Theil durch den festlichen Anlass bestimmt, zu dessen Feier
diese Arbeit veröffentlicht wurde. Im Allgemeinen ist aber das eigene Wort
Schultze’s nur zu billigen, dass eine stärkere Vermehrung der Personalnomen-
olatur in der Neuropathologie nicht wünschenswerth erscheint.
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In Bezug auf die Entstehung des Leidens geben die Verff. da- Ansicht
Raum, dass es sich dabei um eine Intoxication handelt, lassen es aber unentschieden,
ob der giftige Stoff yon aussen eingeftlhrt ist oder sich im A n schluss an irgend
welche Störungen im Organismus selbst bildet. Auch bleibt es noch weiter un¬
klar, ob die Muskeln direct geschädigt werden und nicht in erster Linie die
Nerrensubstanz. E. Asch (Frankfurt a/M.).
17) Contributioni la stadial paraliziei pseado-bulbare, von M. Goldstein.
(Bukarest, 1901. 77 S.)
Verf. schildert den von Magnus im Jahre 1837 in Müller’s Archiv be¬
schriebenen Symptomencomplex auf Grund von 13 neuen, theilweise von ihm selbst
abgefassten Krankengeschichten. Nachdem er in der Einleitung die Geschichte
deB Leidens und darauf die Symptomatologie, die klinischen Formen, den Verlauf,
die Prognose und die Aetiologie (Arteriosklerose, Syphilis, Herzkrankheiten), die
Differentialdiagnose, die pathologische Anatomie, die pathologische Physiologie und
Pathogenese, und schliesslich die Behandlung (naoh Tzanecek, Injection von
physiologischer Kochsalzlösung) geschildert hat und die Krankengeschichten wieder¬
gegeben sind, werden die Resultate in folgende Schlusssätze zusammengefasst:
1. Die Pseudobulbärparalyse bildet einen Symptomencomplex, der durch
paralytische Erscheinungen seitens der Schluck-, Kau- und Sprachorgane gekenn¬
zeichnet ist; die Lähmungen finden sich also im Bereich des Gesichts, der Zunge,
des Velum, des Pharynx, des Larynx und der motorischen Muskeln des Unter¬
kiefers. Ausserdem werden bei diesen Kranken anfallsweise auftretende Lach-
und Weinkrämpfe beobachtet.
2. Das Leiden unterscheidet sich von der von Duchenne beschriebenen
Paralyse durch seinen plötzlichen Beginn, durch das Fehlen der ausgesprochenen,
früh auftretenden Muskelatrophieen, der fibrillären Contracturen und der Ent-
artungsreaction der ergriffenen Muskeln.
3. Die Lähmung ist auf das Vorhandensein von hämorrhagischen oder Er¬
weichungsherden zurückzufiihren, die die den ergriffenen Organen entsprechenden
motorischen Rindencentren zerstören oder deren corticobulbäre Projectionsfasern
unterbrechen. Indem aber diese Centren eine bilaterale Wirkung ausüben, kommt
es vor, dass die einen die anderen vertreten; es müssen also die Centren in
beiden Hirnhemisphären zerstört sein, damit eine wirkliche Lähmung dieser
Organe zu Stande kommen kann.
4. Ist die Läsion auf die Rinde beschränkt, so ist der unterste Theil der
aufsteigenden frontalen Windung, die Uebergangsfalte zwischen dieser und der
dritten frontalen Windung, sowie das Roland’sche Operculum zerstört; in dec
Fällen von Pseudobulbärparalyse ist diese Region der Sitz der Centren der ge¬
lähmten Organe.
6. Die von diesen Centren ausgehenden Nervenfasern umkreisen den vorderen
und oberen Rand des äusseren Segments des Nucleus lentif. oder sie passiren den¬
selben, und besetzen, indem sie bis in die innere Kapsel gelangen, dessen vordere*
Segment. Vor der Hand ist der Verlauf dieser Fasern im Pednnculua und in
der Protuberanz noch unbestimmt. Die Zerstörung der Projectionsfasern, unab¬
hängig an welcher Stelle ihres Verlaufs, hat den pseudobulbären Symptomencomplex
zur Folge.
6. Die Läsion ist nur selten cortical; für gewöhnlich zerstört sie das äussere
Segment des Nucleus lentif. Die Häufigkeit dieser Läsion erklärt sich durch die
Disposition der äusseren Artt. striat., die dieses Segment des Nucleus lentif. um¬
kreisen und in dasselbe eindringen, um so zur Capsula interna zu gelangen.
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7. Die Läsion des Nuoleus lentif. veranlasst ausser den paralytischen Sym¬
ptomen (die durch die Zerstörung der Projectionsfasern der Rindencentren, die
neben und durch diesen Kern passiren, hervorgerufen sind) auch noch die Er¬
scheinungen des Lach- und Weinkrampfes, die aber nicht auftreten, wenn die
Läsion sich nicht auch auf die Nucl. striat. erstreckt Daraus ist also zu
folgern, dass die Alteration des Nucleus lentif. den klinisch completesten Sym-
ptomenoomplex der Pseudobulbärparalyse hervorruft
8. Das krankhafte Lachen und Weinen ist wahrscheinlich durch Störungen
der Hirncirculation veranlasst; die Läsion der Nucl. striat, die aller Wahr¬
scheinlichkeit nach vasomotorische Hirncentren darstellen, haben diese Störungen
zur Folge.
9. Die bis jetzt angesammelten pathologisch-anatomischen Daten reichen
nicht hin, um das Vorhandensein eines von einer einseitigen Läsion producirten
pseudobulbären Symptomencomplexes anzunehmen.
Haisa (Bukarest).
18) Un oas de paralysie bulbaire supörieure ohronique, par Charles
Hudovernig. (Nouv. Icon, de la Salp. XIII. 1900. S. 473.)
Bei einem erblich nicht belasteten jungen Mädchen entwickelte sich seit dem
11. Lebensjahre innerhalb 6 Jahren allmählich eine complete linksseitige Oculo¬
motoriuslähmung, zu der sich schliesslich eine linksseitige Facialisparese hinzu¬
gesellte, deren Beginn jedoch nicht genau festzustellen war, da sie erst in der Klinik
entdeckt wurde. Weitere Symptome fehlen vollständig. Im ergriffenen Facialis-
gebiet keine Entartungsreaction.
Verf. glaubt, dass es sich hier nur um eine Kernlähmung handeln kann, um
eine Polioencephalitis superior chronica. Interessant und bisher nicht beschrieben
ist das Beschränktbleiben auf die eine Seite und das Fehlen jeglicher Compli-
cation bei der langen Dauer des chronisch-progressiven Leidens.
Facklam (Lübeck).
18) Myasthenia gravis, by Edwin Bramwell. (Scot raed. and surg. Journ.
Mai 1901.)
Verf., der Gelegenheit hatte, 9 Fälle dieser Krankheit zu beobachten, giebt
ausführlich die Krankengeschichte eines derselben wieder und knüpft daran eine
Auseinandersetzung über Symptomatologie, Pathologie und Therapie, die nichts
wesentlich Neues bietet. Er betont die diagnostische Wichtigkeit der „myasthe¬
nischen Reaction“ des Muskels — die allerdings fehlen kann — und die Noth-
wendigkeit weitgehender Schonung der Kranken (Differentialdiagnose gegen
Hysterie!). Die Bezeichnung: asthenische oder Pseudobulbärparalyse für die
Affection hält er für ungeeignet, weil die Betheiligung der Extremitäten und
Rumpfmusculatur zur Regel gehöre. — Der Ausgang war in fast der Hälfte der
— auch aus der Litteratur — gesammelten Fälle tödtlich, meist plötzlich durch
einen Anfall von Dyspnoe. H. Haenel (Dresden).
20) Klinische Beiträge zur Diagnostik acuter Herderkrankungen des ver¬
längerten Marks und der Brücke , von Dr. Adolf Wallenberg in
Danzig. (Deutsche Zeitschr. £ Nervenheilk. XIX. 1901.)
An der Hand von vier sehr ausführlich beobachteten Fällen begründet Verf.
seine Ansicht über Sitz und Ursache der jeweiligen Herderkrankung.
I. ÖÖjähr. Frau, starke Arteriosklerose, nach einem apoplektiformen Insult
ohne Bewusstseinstrübung Schluckbeschwerden, Schwindel, Sensibilitätsstörungen
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in der rechten Gesichtshälfte und am linken Bein, und zwar hauptsächlich des
Schmerz- und Kältegefühls, Abechwächong des rechten Cornealreflexes, Lähmung
des rechten Stimmbandes, Anfangs Abschwächung, später Verstärkung des rechten
Patellarreflexes.
Es wird eine Thrombose der Art. cerebell. int post, dextra angenommen
und die rechtsseitige Stimmbandlähmung zur Bestimmung des Höhensitzee ver¬
wert h et: rechte Hälfte der Oblongata in der Höhe des Nucleus ambiguus.
II. 61 jähr., abgesehen von einer mit 16 Jahren erworbenen Phthisis bulbi
dextri, früher gesunder Mann. Nach schwerer körperlicher Anstrengung Schwäche
und Kribbeln im linken Bein, nach 1 / a Tag Schwindelanfall, Schlinglähmung,
dysarthrische Sprachstörung, Herabsetzung der Sensibilität in der rechten Gesichte-
und linken Körperhälfte ausser Kopf, Parese des linken Beins und Neigung, hach rechts
zu fallen. Bei einer 8 Jahre später vorgenommenen Untersuchung bestehen noch
folgende Störungen: Hypalgesie und Thermhypästhesie im ganzen Trigeminusgebiet
einschliesslich Mund-Zungenschleimhaut, hauptsächlich in der Gegend der rechten
Schläfe, des rechten Auges und am Nasenrücken, am geringsten am Kieferwinkel,
Ohr und Kinn. Totale Schlinglähmung, rechtsseitige Stimmbandparalyse, atro¬
phische Lähmung des rechten Arme und linken Beins mit Contracturen aller
Gelenke, Störung der faradischen Erregbarkeit hauptsächlich an den langen
Flexoren und Extensoren der Finger, Fehlen und Abschwächung des linken Bauch-,
Cremaster- und Plantarreflexes, Hypalgesie und Thermhypästhesie in der ganzen
linken Körperhälfte ausser Kopf, Hyperalgesie des linken Beins, Neigung, nach
links zu fallen.
Verf. nimmt in erster Linie eine wandständige Thrombose der Art. verte-
bralis dextra neben der Abgangsstelle der Art. cerebelli inf. post, an, wodurch
die Blutversorgung der lateralen rechten Pyramidentheile erschwert wurde, während
in Folge Freibleibens der Art. spinalis ant. mediale Th eile der Pyramide intaet
sind: Parese mit Parästhesieen des linken Beins. Dann totaler Verschluss der
Art. vertebralis, in Folge davon Verhinderung der Blutzufuhr zur Art» cerebelli
inf. post, dextra: totale Schlinglähmung, Ausdehnung der Erweichung in trans¬
versaler und sagittaler Richtung, Mitbetheiligung lateraler Pyramidentheile candai
von der Austrittsstelle (linksseitige Beinlähmung ohne dauernde rechte Hypogloesu»-
paralyse). Im Anschluss daran partieller Ausgleich der Circulationsstörung be¬
sonders im Bereich der Pyramide, Fortsetzung der Thrombose in caud&ler Rich¬
tung auf frontale Abschnitte der Pyramidenkreuzung (gekreuzte Arm- und un-
gekreuzte Beinfasern).
III. 48jähr., vor 20 Jahren luetisch inficirter Mann, abgelaufene Otitis medii
sinistra mit Perforationsnarbe des Trommelfells. Vor 2 Jahren Schwindelanfall
mit Neigung, nach links zu fallen, Abducensparese links, Nystagmus horizontal»
beim Blick nach links, leichter Nystagmus rotatorius beim Sehen nach rechts,
Schwerhörigkeit links mit Verkürzung der Knochenleitung, Fehlen der Patellar-,
Cremaster- und Bauchreflexe, Ataxie der linken Extremitäten.
Wahrscheinlich handelt es sich in diesem Falle, der durch die luetische In-
fection und die überstandene Otitis media sinistra complicirt ist, um eine acute
Läsion des Corpus restiforme sinistrum an der Eintrittsstelle des Acusticus.
IV. 70jähr. Mann, in Folge von traumatischer Kniegelenksaffection lang¬
jährige Schwäche im linken Bein, starke Arteriosklerose. Vor 4 Jahren apoplek-
tischer Insult (Jucken in der Nase, Sausen im rechten Ohr, schwere Sprache,
rechtsseitige Facialisparalyse, Schwindel), Keratitis rechts mit Hornhauttrübung.
In den folgenden Jahren progressive Herabsetzung der Sehschärfe links, Nystagmus
rotatorius, undeutliche Papillengrenzen ohne Neuritis optica. Jetzt finden sich
noch die folgenden Störungen: Herabsetzung der Sensibilität in beiden Trigemini
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Parese der Kaumuskeln rechts, in Folge davon Verschiebung des Unterkiefers,
der Zunge und des Kehlkopfs, totale Lähmung des rechten Abducens und ganzen
rechten Facialis mit Entartungsreaction der von ihm innervirten Muskeln, partielle
Labyrinthtaubheit rechts, Hypästhesie für Schmerz-, weniger für Temperatur¬
empfindung an der linken Hals-, Brust- und Schultergegend, geringe Steigerung
der Sehnenreflexe am linken Bein und des linken Radiusreflexes.
Verf. nimmt eine Blutung in die rechte Briiokenhälfte zwischen dem sensiblen
Quintuskern, Trapezkörper und Abducenswurzel an, die wahrscheinlich aus dem
in dorsomedialer und frontaler Richtung zur Haube dringenden Ast der Art.
radicularis facialis, einem Ast der Art. cerebellaris inf. ant., erfolgt sein dürfte.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
21) Ein Fall von vasomotorischer Neurose, zugleich als Beitrag zur
Kenntniss der nervösen Störungen Im Klimakterium, von Zingerle.
(Jahrbücher f. Psych. u. Nervenkrankh. XIX. 1900. S. 842.)
46jähr., nicht belastete Frau, seit 20 Jahren an ausstrahlenden Schmerzen
mit vorübergehender Schwäche in beiden Armen leidend; manchmal Ohnmachts¬
anfälle, Gesichtsneuralgieen, Migräne. Besserung aller dieser Erscheinungen mit
Eintritt der Menopause. Winter 1896 diffuse Schwellung beider Hände mit
leichten Schmerzen und Abstumpfung der Empfindung; im folgenden Sommer be¬
deutende Besserung. Seit Winter 1897 Anfälle folgender Art: Zuerst heftiger
Angiospasmus, dann folgt der entgegengesetzte Zustand, die Finger werden heisB,
geröthet, schwellen an, starke Schweissabsonderung. Dieser Vorgang wiederholt
sich öfters im Laufe eines Tages, Abends meist nicht vorhanden. Die objective
Untersuchung ergab im Bereiche des Circulationsapparates und des Status nervosus
nichts Krankhaftes, wohl aber konnte der oben angegebene Wechsel im Verhalten
der Vasomotoren constatirt werden; keine eigentlichen trophischen Störungen;
Zehen, Nase, Ohren frei; keinerlei sensible Reizerscheinungen (!). Es liegt eine
reine vasomotorische Neurose vor, gekennzeichnet durch eine eigenthümliche
Periodicität der Symptome und die ausschliessliche Localisation an den Fingern.
Dieser Zustand hat gewisse Aehnlichkeit mit der Akroparästhesie und der Erythro-
melalgie, ist aber von beiden Affectionen zu trennen. (Vor Allem fehlen sensible
Reizerscheinungen.) Aetiologisch könnte die neuropathische Constitution und das
Klimakterium herangezogen werden. Pilcz (Wien).
22) Ueber den Ursprung des Halssympathious im Rückenmark, von Dr.
M. Lapinsky, Privatdocent in Kiew, und Dr. R. Cassirer, Assistent am
Laboratorium von Prof. H. Oppenheim in Berlin. (Deutsche Zeitschr. f.
Nervenheilk. XIX. 1901.)
Um den Ursprung des Sympathicus im Rückenmark nachzuweisen, durch¬
schnitten die Verff. bei Kaninchen das oberste und unterste Halsganglion, tödteten
die Thiere nach 2—3 Wochen und untersuchten das Rückenmark sowohl mit der
Marchi-, als auch mit der Nissl-Methode. Es Hessen sich sowohl an den
Zellen als an den Fasern der entsprechenden Rückenmarkstheile auch nicht die
geringsten pathologischen Veränderungen nachweisen. Es stehen diese negativen
Resultate mit den positiven einiger anderer Forscher (Trouchkofsky, Onuf
und Collins, Huet, Biedl) in Widerspruch, und demnach ist diese Frage noch
als eine offene anzusehen. E. Asch (Frankfurt a/M.).
28) Paralysis of the oervioal sympathetio, by Purves Stewart. (Brit. med.
Journ. 1901. Nr. 8.)
Verf. hat auf einem von Süd-Afrika heimkehrenden Hospitalschiff folgenden
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Fall beobachtet: 30jähr. Mann war vor 2 x / a Monaten, auf dem Bauche liegend,
von der Kugel eines Mausergewehrs im Nacken getroffen worden; die Kugel drang
etwa 2 1 / a Zoll unterhalb des linken Warzenfortsatzes ein und kam in der rechten
hinteren Axillarlinie im 7. Intercostalraum heraus. Die Kugel musste so die
Vorderseite der Wirbelsäule passirt haben. Unmittelbar nach der Verletzung
Lähmung des rechten Armes, ausserdem 3 Tage anhaltende Hämoptyse und
Schlingbeschwerden. Allmähliche Wiederkehr der Motilität im rechten Arm, vorher
stechende Schmerzen an der Ulnarseite des Handgelenks. Zuerst kehrten die
Fiugerbewegungen wieder, dann die des Vorder- und Oberarms. Zur Zeit der
Untersuchung keine Parästhesieen. Die Sehkraft des rechten Auges ist seit der
Verletzung etwas beeinträchtigt. Die Untersuchung ergab geringe Parese de«
rechten Armes, besonders schwach ist die Opposition des Daumens. Leichte Hjp-
ästhesie an der Innenseite des rechten Armes bis zur Mittellinie auf der Vorder¬
seite, auf der Dorsalseite bis zum Radialrande reichend, an der Hand den kleines
und die ulnare Hälfte des 4. Fingers einnehmend. Rechte Lidspalte enger als
die linke, rechte Pupille erheblich enger als die linke. Deutlicher Enophthalmoe
rechts. Völlige Anhidrosis der Hälfte des Gesichts, des Kopfes und Nacken*,
sowie der ganzen rechten oberen Extremität. Im Thorax erstreckt sich die An¬
hidrosis vorn bis zur 3. Rippe, hinten bis zur Höhe des Dornfortsatzes des
3. Brustwirbels. Bei schmerzhaften Hautreizen der rechten Nackenhalite tritt
keine Erweiterung der rechten Pupille ein (Fehlen des cilio-spinalen Reflexes!
Trotz der Einschränkung der Opposition keine Atrophie des Thenar.
Martin Bloch (Berlin).
24) Case of hypertrophlo oateopathy of hands and foot following ampm-
tation at the hip joint for sarooma, by J. M. CotterilL (Scot. med.
and surgic. Journ. Januar 1901.)
19jähr. Pat., im October wegen periostalen Sarcoms in der Mitte des Ober¬
schenkels amputirt, 12 Monate später Recidiv des Stumpfes, in Folge dessen
Exarticulation im Hüftgelenk; in der Reconvalescenz Symptome, die auf Metastasen
in der Lunge hin weisen. Gleichzeitig wurde allmählich zunehmende Verdickung
und vermehrtes Längenwachsthum der beiden Hände und des linken Fusaes be¬
obachtet, die gleichzeitig Knochen und Weichtheile betrafen und den Verände¬
rungen bei der Akromegalie ausserordentlich ähnlioh waren. Betheiligung des
Kinns u. s. w. war nicht zu constatiren. Die grobe Kraft der Extremitäten wurde
geringer, es machte sich gleichzeitig eine gewisse Steifigkeit derselben bemerkbar.
Reflexe und Sensibilität ohne Störungen, keine Symptome von Seiten der Auges
oder der Schilddrüse. Die Untersuchung mittelst Röntgenstrahlen ergab, dass die
Neubildung von Knochengewebe die Diaphysen der Metacarpal- und Phalangeal-
knochen betraf, die Epiphysen waren frei. Pat. starb etwa 2 Jahre nach der
ersten Operation. Martin Bloch (Berlin).
25) Alopecia areata: a clinioal and experimental study, by Walker and
Marshall-Rockwell. (Scot. med. and surgic. Journ. Juli 1901.)
Die Verff. haben 63 Fälle von Alopecia areata genau in Bezug auf ihre
ätiologischen Beziehungen untersucht. Als wichtigstes Ergebniss sei hervorgehobea.
dass in 18 von den 63 Fällen die Möglichkeit einer contagiösen Uebertragunz
nachgewiesen wurde; sichere nervöse Einflüsse konnten die Verff. nicht constatiren.
Bezüglich ihrer bakteriologischen Untersuchungsergebnisse, die sichere Resultate
nicht ergeben haben, sei auf das Original verwiesen.
Martin Bloch (Berlin).
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26) Ueber Brythromelle (Piok), von Dr. V. Klingmüller. (Festschrift zu
Ehren von Moritz Kaposi. Wien, 1901. W. Braumüller.)
Mittheilung zweier Fälle der von Pick im Jahre 1894 zuerst beschriebenen,
vornehmlich die Streckseiten der Extremitäten, besonders Hand- und Fussriicken
einnehmenden Erkrankung, die Piok so bezeichnet und für eine vasomotorische
Neurose centralen Ursprungs hält. Die Beobachtungen des Verf.’s stammen aus
der Nei bs er'sehen Klinik; Verf. schliesst sich der Pick’schen Deutung der Er¬
krankungsform nicht an, hält dieselbe vielmehr für eigenartige Gefässerkrankung
mit Pigmentverschiebung und secundärer Hautatrophie.
Martin Bloch (Berlin).
27) Ueber einen typischen Fall von spontaner symmetrischer Gangrän,
von A. Werner. (Dissertation. Jena, 1900.)
Der Fall ist ebenso wie ein bereits 1895 in einer Dissertation von P. Müller
beschriebener der anfallsweisen recidivirenden Form zuzurechnen. Eine Häufung
und Steigerung der Anfälle konnte mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die Cora-
plication mit Gravidität und eitrigen Tumoren der Uterusadnexe zurückgeführt
werden. Das Krankheitsbild war im Uebrigen das typische. Eine leichte Anämie
und „Neigung zur Hysterie“ kommen als prädisponirende Momente in Betracht.
Th. Ziehen.
28) Baynaud’sohe Krankheit, von Naunyn. Demonstration im unterelsässischen
Aerzteverein zu Strassburg am 2. März 1901. (Deutsche med. Wochenschr.
1901. Nr. 14.)
23j ähr. Pat. leidet seit dem 15. Jahre an den Symptomen ausgesprochener
Cyanose und „Asphyxie locale“. Die Hände sind besonders stark betroffen, weniger
die Füsse. Am Rumpfe bestehen flammige Verfärbungen, welche, unterhalb des
Rippenbogens, diesem zunächst parallel laufen und dann etwas nach unten ab¬
schwenkend zu beiden Seiten des Nabels sich ausbreiten. Aehnliche flammige
Figuren ziehen an der Seitenwand des Thorax in die Achselhöhle hinauf und
finden sich ferner unter den Schulterblättern. Zur warmen Zeit kaum bemerkbar,
treten die Verfärbungen bei Abkühlung sofort auf, die Finger werden taub, die
Arbeit erschwert. Sonst hat der Kranke keine Beschwerden, auch fehlen Sen¬
sibilitätsreflex und trophische Störungen, abnorme Pigmentirungen, Anzeichen von
Sklerodermie. — Keine Lues, keine erbliche Anlage.
Verf. sah in Strassburg 14 ähnliche Fälle, die alle, sofern sie lange genug
beobachtet werden konnten, in Sklerodermie übergingen. Neben der skiero¬
dermischen Form muss man die eigentliche eohte Raynaud’sche Krankheit
unterscheiden, Uebergänge sind nicht ausgeschlossen. R. Pfeiffer.
20) Haematomyelie und doppelseitige Plexuserkrankung, von Fürstner.
Vortrag, gehalten im unterelsässischen Aerzteverein zu Strassburg am 2. März
1901. (Deutsohe med. Wochenschr. 1901. Nr. 14.)
I. Nach einleitenden Bemerkungen über Haematomyelie demonstrirt Verf. ein
öjähr. Mädchen, das am 11. September 1900 überfahren wurde. Mehrstündige
Bewusstlosigkeit, Verletzung der Weichtheile unterhalb des linken Unterkiefers,
Fractur der linken Clavicula und linken 1. Rippe, grosses Hämatom im Bereiche
des Pectoralis und Halses links. — Lähmung der Arme und Beine. Die Be¬
obachtung bei der Aufnahme (12. November) ergab im Wesentlichen Parese und
erhebliche Atrophie der Handmusculatur, namentlich links, bei ganz unbedeutender
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Sensibilitätsstörung (Topographie? Bel). Steigerung der Patellarreflexe, vorüber¬
gehendes Zurücksinken des linken Bulbus; keine Schmerzen. Vortr. hält die Dia-
gnose „Hämatomyelie“ für sicher und zeigt einen Fall von spinaler Muskelatrophie
mit chronischer Ausbildung fast des gleichen Symptomenbildes.
II. R., 33jäbriger Zuschneider, hatte früher einmal ein Ulcus ohne Seoundir-
erscheinungen. In seinem Berufe musste er 3 Jahre hindurch täglich 10 1 / 2 Stunden
mit einer schlecht schneidenden, 850 g schweren Scheere einen 8 fach übereinander
gelegten Zanellastoff durchschneiden. Seit Februar 1898 heftige Schmerzen in
der rechten Schulter und im Oberarm, zumal bei Beginn der Arbeit, Parästhesieee
bis in die Finger hinein. Der rechte Arm wurde immer kraftloser, gleichzeitig
steigerten sich die Schmerzen. Nach einer Anstrengung der linken Schulter-
musculatur — Pat. half einen eisernen Ofen transportiren — zunehmende Schmerzen
im Rücken, der linken Schulter und dem linken Oberarm, Parästhesieen in di<
Finger hinein, Schwäche, schliesslich völlige Erwerbsunfähigkeit. Aufnahme an
23. August 1898. Rechts Lähmung und hochgradige Atrophie des Deltoideos,
Supra-, Infraspinatus, Pectoralis, Biceps, Brachialis internus, Supinator longoa
Subscapularis, leichtes Betroffensein des Latissimus dorsL Vorderarm und Hand
normal. Hypästhesie im äusseren und über dem mittleren Theil des Deltoidea.
Links gleiche Vertheilung, aber geringere Intensität der Parese und Atrophie,
starke Druckempfindlichkeit des Erb'sehen Punktes, keine Sensibilitätsstörusg.
Elektrisch zum Theil Fehlen der Reaction, quantitativ Herabsetzung, an einzelner
Muskeln Entartungsreaction. — Quecksilberkuren nutzlos; keine objectiven An¬
zeichen von Lues. Vortr. nimmt eine doppelseitige Plexuserkrankung an, bedingt
durch fortgesetzte Ueberanstrengung, möglicherweise begünstigt durch vorauf¬
gegangene Lues. — Das Leiden wurde nicht als Unfall angesehen, vielmehr ab
Gewerbekrankheit. — Der Kranke ist total erwerbsunfähig, irgendwelche Ent¬
schädigung konnte bisher nicht für ihn erlangt werden. R. Pfeiffer.
30) Sur une serie de 39 oas de Chirurgie du sympathique oervical , par
A. Chipault. (Travaux de neurologie chirurgicale. 1901. Nr. 1.)
Man kann die chirurgischen Eingriffe an den Cervicalganglien des Sympathien
eintheilen in 1. Durchschneidung des Sympathicus zwischen dem oberen usc
mittleren oder mittleren und unteren Ganglion; 2. Resection des Sympathicus.
und zwar partielle Resection an einem der drei Ganglien, oder totale Reeectioc
an allen zugleich; 3. Eingriffe ohne Durchschneidung oder Resection; solche sind:
Dehnung deB Nerven, Zerstörung des oberen Cervicalganglion. Wie die Dorefe-
schneidung des Nerven nur eine geringere Operation ist, so hat sie naturgemäß
auch nur einen geringeren therapeutischen Werth. Die Resection des Ganglio»
supremum übt ihre Wirkungen auf das Auge, das Gesicht und das Gehirn, die da
Ganglion medium vorzüglich auf die Hals- und Nackengegend, die totale Reeeetüu
vereinigt mit diesen Wirkungen noch jene auf das Kleinhirn und das Herr.
Verf. berichtet dann eingehend über die von ihm angewandte Technik der Durcb-
Bchneidung (Sympathicotomie) und Resection (Sympathicektomie) des Nerven usc
theilt im Anschluss hieran eingehend 39 von ihm nach diesen Methoden behandelte
Fälle mit (22 Fälle von Epilepsie, 3 von Basedow’scher Krankheit, 7 voi
Glaukom, 3 von Gesichtsneuralgie, 1 von Migraine ophtalmique (1), 1 von Torti-
collis spasmodique, 1 von Excitation maniaque(l), 1 von Hemiatxophia facialis)
Adler (Berlin).
31) La Chirurgie du sympathique abdominal et saord, par Jaboulaj
(Travaux de neurologie chirurgicale. 1900. Nr. 1.)
Verf. berichtet zusammenfassend über verschiedene Fälle, in welchen er da
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al>dominalen und sacralen Theil des Sympathien* zwecks Zerreissung der Aeste
freilegte. Hauptsächlich waren es Neuralgieen der Beckenorgane, die ihn zu der¬
artigen Eingriffen veranlagten, ausserdem Menstruationsstörungen, sowie Gelenk¬
schmerzen mit Schwellungen in den Gelenken der unteren Extremität Er hat
von diesen Eingriffen mitunter bedeutenden Erfolg gesehen, zum Theil in ganz
verzweifelten Fällen, wo man wegen unerträglicher Schmerzen im Kniegelenk
schon zur Resection schreiten wollte. Die Methode besteht in parasacralem Ein¬
schnitt und Abhebung des Rectum von seiner Unterlage. Bei diesem Abheben
werden eine Menge Zweige des Plexus hypogastricus durchrissen. Da Zweige des
Plexus auch zum Isohiadicus gehen, empfiehlt Verf. das Verfahren auch bei Neu¬
ritiden imbestimmter Ursache, bei tabischer Neuritis, bei Schmerzen in der Nähe
von Fracturen und Amputationsstümpfen. Verf. berichtet dann über das elek¬
trische Verhalten des freigelegten Plexus. Jedenfalls verdiene das Verfahren genau
so berücksichtigt zu werden, wie die Trigeminusresection bei Gesichtsneuralgie.
Adler (Berlin).
Psychiatrie.
32) Ueber die klinischen Formen der Qefingnisapsychosen, von Ernst
Rüdin (Heidelberg). (Allg. Zeitschr. f. Psych. LVIII. S. 447.)
Die wechselnde Stellung, die Seitens der verschiedenen Autoren dem Bestehen
einer Gefängnisspsychose gegenüber eingenommen wird, hat den Verf. veranlasst,
die Krankengeschichten von 94 Gefangenen, darunter 10 Frauen, alle in der
Heidelberger Klinik beobachtet, genauer zu studiren. 50 Fälle rechnet der Verf.
zur Katatonie und unterscheidet dabei drei Typen. Die erste ist die Vaganten¬
gruppe, 31 Fälle, allmähliche Verblödung; nach vorheriger tadelloser Führung
Landstreicherthum. Meist bringt ein acuter, katatonischer Nachschub die Kranken
erst in die Irrenanstalt. Bei 11 Fällen handelt es sich um Gewohnheitsverbrecher;
ob die verbrecherische Vergangenheit bereits auf die Erkrankung zurückgefiihrt
werden muss, ist nicht nachzuweisen. Meist in der Haft acuter katatonischer
Erregungszustand. Der dritte Typus umfasst katatonische Erregungszustände bei
Gelegenheitsverbrechern, die, vorher nicht nachweislich krank, in der Haft acut
oder subacut erkranken (8 Fälle).
9 Fälle bilden die Alkoholikergruppe; davon sind 6 in der Haft an Delirium
tremens erkrankt, 3 litten an chronischem Alkoholwahn nach Delirium tremens.
8 Mal handelte es sich um Epilepsie, 3 Mal um Hysterie; 1 Mal um Imbe-
cillität, 1 Mal um chronische Paranoia bei Epilepsie im Sinne von Buch*
holz, 3 Mal endlich um chronische Systematisirte Paranoia. In 17 °/ 0 der Fälle
war eine genaue Diagnose nicht möglich, theils mangels der nothwendigen anam¬
nestischen oder katamnestischen Daten, theils wegen der Kürze der Beobachtung.
Bei allen seinen Fällen, sagt der Verf., war festzustellen (das gilt auch für die
diagnostisch nicht klaren), dass sie entweder ihren Beginn schon vor der Haft
nahmen oder bedeutend länger dauern, als der schädigende Einfluss der Haft
reichen kann, und dass sie in Beginn, Verlauf und Ausgang Krankheitsprocesse
darstellen, die unabhängig von der Haft auch im freien Leben vorzukommen pflegen.
Wenn der Verf. das Bestehen einer Gefängnisspsychose sui generis auch
vorläufig ablehnt, mindestens für eine offene Frage hält, so konnte er doch con-
statiren, dass jede im Gefängniss vorkommende Psychose vorübergehend den als
Gefängnisspsychose geschilderten Symptomencomplex (Hallucinationen, Verfolgungs¬
wahn, Angstzustände, Verstimmung, Reizbarkeit) aufweisen kann. Dieser Zustand
trat sowohl in Einzelhaft (18 Mal), als auch, dann aber nach zahlreichen Wochen,
in Collectivhaft (10 Mal) auf. Aschaffenburg (Heidelberg).
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33) Zur Frage der sogenannten Menstrualpsyehosen. Ein Beitrag sur I
Lehre der physiologischen Wellenbewegungen beim Weibe, von
August Hegar (Illenau). (Allg. Zeitschr. f. Psych. LVIIL S. 357.)
Der Verf. setzte seine Untersuchungen über die Bedeutung der Menstruation
für den Ablauf von Psychosen weiter fort, indem er eine Anzahl von Erkrankungs¬
fallen mit stark wechselndem Verhalten in Beziehung zu dem Menstruations-
vorgange brachte. Bei den dargestellten Krankheitsbildern laufen die Schwankungen
jeweils mit der Menstrualepoche ab, vielfach so, dass der Umschlag gerade mit
der Blutung zusammenfallt oder in annähernd gleichem Abstand in das Inter-
men8truum fallt. Diese Periodicität fand sich auch bei 3 Kranken vor Eintritt
der Pubertät und blieb auch bei 2 Kranken nach dem Eintritt unveränderr,
während die dritte nach Auftreten der Menses ruhig wurde. Verf. schliesst aus
seinen Untersuchungen: Je gesunder das Individuum, desto gleichmässiger, un¬
bewusster verläuft der periodische Wechsel, desto ruhiger das An- und Abschwellen
der Welle; je neuropathischer, desto peinlicher und störender werden die Ver- .
änderungen empfunden; die Geistesstörung schliesslich bringt mit ihrem jähen
Umschlag, dem brüsken Abheben der beiden Phasen, die Welle pathologisch
schroff zum Ausdruck. Aschaffenburg (Heidelberg).
34) La folie et le genie chez Christophe Colomb, par Prof. Cesare Lom-
broso. (Revue de psychologie. Mai u. Juni 1900.)
An der Hand eines grossen geschichtlichen Quellenmaterials sucht Verf. in
längeren Ausführungen nachzuweisen, dass die Entdeckung Amerikas seitens des
Columbus nicht die That eines zielbewussten Genies, sondern die eines Paranoikers
war, dem seine geistige Verfassung insofern zu Statten kam, als sie ihn über die
Schwierigkeiten seines Unternehmens vollständig täuschte und ihm zugleich eine
Willenskraft verlieh, wie sie selten bei gewöhnlichen Menschen gefunden wird. —
Columbus war insofern erblich belastet, als sein Vater ein unruhiger, streitsüchtiger
Mensch war, der im Herumziehen einen wenig Boliden Handel trieb. In anthro¬
pologischer Hinsicht interessirt, dass Columbus, nach den angeblich treuestes
Bildern von ihm und nach Beschreibungen zu urtheilen, eine Menge Degenerations-
Zeichen bot: Frühzeitige Kahlköpfigkeit, fliehende Stirn, Bartlosigkeit, starke
Kinnladen, vorspringende Jochbogen und Augenbrauen, Adlernase, rothes Haar.
Die Graphologen vermissen in seiner Schrift gänzlich die Andeutung eines starken
Willens; überall undeutliche Endbuchstaben, kein kräftig und gerade geführter
Strich; Schrift ganz unregelmässig, voller Contraste, mit einer Unmasse von
Parenthesen, Häkchen, Unterstreichungen, Reimungen. In einem Siegel, das er
von Ende 1494 an führte, und welches wegen seiner eigenthümlichen Buchstaben-
Zusammenstellung zu vielen wenig befriedigenden Deutungen Anlass gegeben hat,
findet Verf. die Neigung des Paranoikers zu Symbolismus, die besonders hervor¬
tritt, wenn es sich um die wahnhafte Erklärung des eigenen Namens handelt
Columbus hat in seiner Jugend in den damaligen Schulen nicht mehr wie der
Durchschnitt seiner Zeitgenossen gelernt; er verrieth keinen genialen Zug; erst
im Alter von 31 Jahren fing er an, sich mit der Lectüre einiger weniger wissen¬
schaftlicher Werke zu beschäftigen. Seine Anmerkungen im Marco Polo verrathen
nach Form und Inhalt eine grosse Naivität und Ignoranz. Letztere kommt
überall in seinen Urtheilen und schriftlichen Auslassungen zum Ausdruck. So
glaubt er, die Entfernung zwischen dem Cap Vert und dem nach seiner Meinung
äussersten Orient betrüge nur wenige Stunden. „Et voilä l’erreur qui fut U
premiere, peut-etre l’unique cause de sa gloire!“ Er erkannte weder nach der
ersten, noch nach der zweiten Reise, dass er neue Ländergebiete entdeckt habe,
sondern blieb dabei, dass er nur einen neuen Weg nach Indien gefunden hätte.
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Cuba betrachtete er trotz der .Uraschiffung, trotz der Berichte der Eingeborenen
als Continent, während er später an der Mündung des grossen Orinocostromes an
einer Insel gelandet zu sein glaubte. Eigentümliche Vorstellungen hatte er von
der Gestalt der Erde, die nicht rund wäre, sondern konisch, mit dem Paradies
an der Spitze, oder wie eine Birne, die mit dem Stielende dem Himmel am
nächsten sei. Humboldt bemerkte, es müssten ihm mathematische Kenntnisse
vollständig gefehlt haben, dafür aber eine seltsame Einbildungskraft zu eigen ge¬
wesen sein. In dem Briefe an die katholischen Könige versicherte er, dass die
entdeckten Länder schon den Alten bekannt gewesen wären. Sein Buch der
Weissagungen, verfasst im Jahre 1501, ist Alles in Allem ein Buch, wie es nur
Geisteskranke schreiben. Es finden sich da massenhafte Citate aus der Bibel; er
vergleicht sein Leben mit dem Christi, er hält sich für den Auserwählten Gottes,
bestimmt, seinen Namen und Ruhm an die Enden der Welt zu tragen (Christoph;
Christo-foro; Christum ferens) und die Schätze wiederzufinden, die David dem
Salomon hinterlassen und im Innern von Veragua verborgen habe. Mit Hülfe
dieser Goldschätze wollte er das heilige Grab wieder erobern, den Tempel in
Jerusalem wieder aufbauen. Er sammelte aus der Bibel alle vermeintlichen An¬
spielungen auf seine Entdeckungen, die er, wie er wiederholt bekennt, nicht
Kenntnissen und wissenschaftlichen Forschungen verdankt, sondern einzig allein
der Inspiration durch den heiligen Geist. Also Alles religiös-paranoische Grössen-
wahnideeen; und diese Paranoia zeitigt unter der grausamen Behandlung bei der
Rückkehr von der letzten Reise einen acuten Anfall von Geisteskrankheit mit
Hallucinationen und Visionen. Zu den wirklich vorhandenen schmerzvollen Bildern
gesellen sich schöne heitere; er tritt mit Gott in Verbindung. Als er gefesselt
in Cadix angekommen war, schrieb er: Das ist unser Herr, der mich zum Boten
des neuen Himmels und der neuen Erde gemacht hat, zuerst verkündet durch
Esau, dann durch den heiligen Johannes, und mir zeigte er, wo ich sie finden
müsse.
Zur weiteren Charakteristik des Columbus führt Verf. noch seinen Hang zum
Renommiren an. Seine freche und dreiste Art zu lügen wurde nachgerade sprich¬
wörtlich in Portugal; glaubte man ihm doch bei seiner ersten Rückkehr von
Amerika nichts von Allem, was er erzählte. Auf Johann II. machte er den Ein¬
druck eines grosssprecherischen Schwätzers. Bekannt ist seine Grausamkeit gegen
die Eingeborenen. Seine Impulsivität zeigte sich in der Behandlung eines an¬
gesehenen Mannes, den er, weil er gegen die Schmach der Sklaverei, die Columbus
eingeführt hatte, opponirte, vor vielen Leuten zu Boden warf und mit Füssen trat.
Zum Schluss wird ausgeführt, dass Columbus nicht ein Genie war, das seine
Zeit geistig überragte und ihr voraus war, sondern ein Kind seiner Zeit und als
solches die Ideeen und Neigungen derselben theilte, bez. dank seiner krankhaften
geistigen Veranlagung phantastisch verarbeitete. Wie heute der Paranoiker seinem
Milieu den Ursprung zu seinen Wahnideeen entnimmt (Elektricität, Magnetismus
— Wahn der elektrischen Beeinflussung u. s. w.), so entlehnte ColumbuB damals
seiner Umgebung den Gedanken nach Entdeckungsfahrten, entlehnte er auch das
Project des Florentiners ToBcanelli, einen westlichen Weg nach Indien zu finden,
und war erfüllt von dem Gedanken, das heilige Grab wieder zu erobern. Genial
war höchstens seine Willenskraft zu nennen, mit der er seinen Plan durchsetzte.
Das hohe Maass derselben verdankte er indessen nur dem krankhaften Glauben
an seine göttliche Bestimmung; dieser liess ihn auch die vielen Bedenken, die
normale, überlegende Männer und Kosmographen seiner Zeit von dem Projecte
Toscanelli’s abschreckten, bei Seite setzen und sich in ein so schwach fundirtes
Abenteuer stürzen. Meitzer (Grosshennersdorf).
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36) Quelques considörations sur l’ätat morbide reprfeentö dann Hamlet,
par J. Bettencourt-Ferreira de l’Acadämie royale des Sciences de Lis-
bonne. (Revue de psychologie. April 1900.)
Verf.’s Auflassung kennzeichnet sich in folgenden, nur auszugsweise wieder¬
gegebenen Ausführungen: Von allen älteren und neueren Dichtern hat Shakespeare
am meisten die Erscheinungsweisen de« Irrsinns zu dramatischen Effecten zu be¬
nutzen verstanden. Seine Darstellungen interessiren besonders deswegen, weil er
selbst dort, wo er übertreibt, der Natur am nächsten bleibt Eine durchaus
lebenswahre, mit rein menschlichen Eigenschaften ausgestattete Gestalt ist auch
die des halb sagenhaften, halb geschichtlichen Prinzen Hamlet. Der Seelenzustand
Hamlet’s — man mag ihn nun als krank oder nicht krank auffassen — ist jeden¬
falls keine Ausgeburt dichterischer Phantasie, sondern eine Thatsache wissen¬
schaftlicher Beobachtung, die bis in die feinsten Details ausgeführt ist mit einer
Kunst, die an die von L. da Vinci erinnert Man konnte bisher diesen Seelen¬
zustand nicht einem bestimmten Typus zuordnen, weil Hamlet’s Charakter in den
verschiedensten Phasen des Dramas die verschiedensten Eigenschaften zeigt; bald
ist er heiter, lustig, bald düster, melancholisch, gewöhnlich wenig energisch, dann
einmal impulsiv furchtlos; aus zweifelnder Angst fällt er in positive Entschlossen¬
heit; er urtheilt vernünftig, denkt logisch und versenkt sich zur selben Zeit in
den tiefsten Weltschmerz. Die reinste Frauen-, die edelste Kindesliebe und
loyalste Freundschaftsgesinnung wechseln bei ihm ab mit Misstrauen, Haas, Ver¬
achtung. In dieser Sphinx giebt es Alles, und Jeder wird etwas ihm selbst
Eigenes, ihm Sympathisches darin finden, — und deswegen ist sie so wahr, so
menschlich. Er trägt in rieh Neurosen und Psychosen; die Behauptung ab«-,
dass er an einer bestimmten leide, lässt sioh nicht aufrecht erhalten, nicht nur
weil dio Simulation mehr als zur Hälfte in das Extravagante, das eigentliche
Charakteristicum seiner Persönlichkeit, eintritt, sondern auch deshalb, weil man
unmöglich auch nur eine gewisse Ordnung der Symptome entdecken kann. —
Einige Autoren halten die dramatische Gestalt Hamlet’s für einen hysterischen
Hallucinanten, andere für einen impulsiven Degenerirten, wieder andere für einen
Neurastheniker, die meisten für einen Wahnsinnigen.
Jede dieser Meinungen hat etwas für sich, insofern sich jede auf eine be¬
stimmte Phase der dramatischen Handlung stützt. Nimmt man aber AUes in
Allem, so kommt nicht eine bestimmte Krankheit, kein präcises pathologisches
Bild heraus. — Das, was unvernünftig an Hamlet ist, ist simulirt; sein Schwanken
ist berechtigt; sein Zweifel wissenschaftlich, sein Schmerz begründet; seine Ironie
wohl angebracht, sein Pessimismus philosophisch. Das ist die Summe der Aus¬
legung seines Vorstellens und Handelns. Also niohts von Irrsinn, sondern mehr
ein Streben nach einer besseren Welt, Verachtung der Verderbtheit der Menschen,
der Wunsch nach Rache, entsprungen einer übernatürlichen Enthüllung, und die
Nothwendigkeit beständiger Vertheidigung gegen seine Umgebung. Seine trübe
Stimmung ist excessiv, bleibt aber doch immerhin noch begründet durch den Tod
des Vaters, die schnelle Wiederverheirathung der Mutter mit dem Brudermörder
und der Verlust der Thronfolge. Das dürfte im Stande sein, einen ganz ver¬
nünftigen Geist aus dem gewohnten Gleis zu bringen.
Wäre nicht diese übernatürliche Erscheinung des väterlichen Sohattens da,
so würde man bei Hamlet nur schöne Gefühlsregungen und richtige Vorstellungen
und höchstens ein gesteigertes Affectleben entdecken. Diese Erscheinung ist aber
gar nichts dem Hamlet Eigenes; auch seine Genossen und die Schildwache sehen
dieselbe. Denkt man nun nicht an eine Massenhallucination, die der Dichter,
falls er von solcher Kenntniss gehabt, geschickt zu benutzen verstanden hätte, so
bleibt es das Natürlichste, hier das conventionelle Gespenst anzunehmen, wie es
in vielen Dramen Shakespeare’s und der alten Dramatiker auftritt, dazu bestimmt,
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gewisse Vorgänge der Geschichte zu erklären. Nimmt man diese Erscheinung,
die also nur ein Theatertric ist und auch im Drama immer nur wie eine Theater-
erscheinung auftritt, und nicht wie eine Hallucination oder Illusion, verursacht
durch die beständige schmerzvolle Gedankenrichtung, so bleibt nichts von dem
behaupteten Wahnsinn Hamlet’s übrig.
Was ist also der wahre Seelenzustand des dänischen Prinzen? Nicht ein
Normalzustand, den er hinter dem simulirten Irrsinn verbirgt; Hamlet ist schon,
bevor ihm die Ermordung seines Vaters kund wird, ein Träumer, ernst-düster
mit Neigung zu Misanthropie. Erst nach einer Phase seelischer Zerrüttung in
Folge der mannigfachen gemüthlichen Erregungen vertraut er sich dem Irrsinn,
wie einem Schlupfloch an, um von da aus besser seine Umgebung beobachten zu
können, ohne selbst beobachtet zu werden. Hamlet hatte vom Vater nur gute
Eigenschaften geerbt, von der Mutter, die Shakespeare als passive, Willensschwäche
Person schildert, den Mangel an Thatenkraft. Obgleich er gebieterisch die Pflicht
fühlt, seinen Vater zu rächen, obgleich er sich selbst von Gefahren umdroht sieht,
vermag er nicht seinen Arm zur That zu erheben und beklagt sich selbst bitter
über seine Schwäche. Ein Zeichen dieser Schwäche ist auch seine Simulation;
man begegnet ihr bei Allen, die nicht den Muth haben, eine durch die Umstände
gebotene Handlung auszuführen; ebenso wie der Aberglaube ein Erbtheil schwacher
Geister ist. — Die Instabilitä mentale ist das psychologische Kennzeichen Hamlet’s.
Das ist aber keine besondere Krankheit, sondern nur eine Eigenschaft, die Be¬
ziehungen zu der Gruppe Hysterie und Neurasthenie haben kann. Für den Arzt
ist diese Instabilit6 ein extraphysiologisches, aber im Grunde kein pathologisches
Intermedium zwischen Gesundheit und Krankheit; eine Basis, auf der sich nicht
selten Geisteskrankheit entwickelt.
Nach Verf.’s Meinung hat der Dichter den Einfluss heftiger Seelenerregungen
und Gemüthswunden auf die Entstehung von Geisteskrankheiten betonen wollen
und gleichzeitig in meisterhafter Weise die verschiedenen Reactionsweisen zweier
Individuen auf dieselbe Schädlichkeit geschildert. Während Hamlet in Folge des
Todes seines Vaters und dank seiner psychologischen Eigenart sich in den ge¬
kennzeichneten Bahnen immer an den Grenzen geistiger Krankheit vorwärts be¬
wegt bez. zum tragischen Schluss geleitet wird, geht der liebliche Mädchen¬
charakter Ophelias in Folge derselben Trübsal (Tod des Polonius) im ausgebildeten
Irrsinn unter. Meitzer (Grosshennersdorf).
in. Bibliographie.
1) Ijehrbuoh der Balneotherapie, von Prof. Dr. J. Glax. Zweiter Band:
Specielle Balneotherapie. (Stuttgart, 1900. Ferd. Enke. 622 S.)
Mit dem Erscheinen des zweiten, die specielle Balneotherapie behandelnden Bandes,
liegt das stattliche Werk von Glax nunmehr vollendet vor. Zum ersten Male
finden wir hier die umfangreiche Materie in einer Form bearbeitet, welche ohne
Zweifel dem Bedürfnisse des Arztes weit mehr entsprechen dürfte, als diejenige,
in welcher bisher die Heilquellenlehre behandelt zu werden pflegte. Während
die meisten Lehrbüoher sich bisher mehr oder weniger einseitig mit der Wirkung
der Mineralwässer beschäftigen, finden wir in dem vorliegenden W T erke Balneo¬
therapie, Hydro- und Klimatotherapie, Terrainkuren, kurzum alle diejenigen Factoren,
welche bei der Beurtheilung des Heilwerthes einer Badekur in Frage kommen,
gleichmässig bearbeitet unter Zugrundelegung der Forschungsergebnisse der Physik
und Chemie, der Physiologie und der Experimentalpathologie. Es entspricht
ferner der Auffassung des Begriffes der Balneotherapie durchaus folgerichtig,
wenn Verf. sich auch mit jenen acuten Krankheiten beschäftigt, deren hydriatische
Behandlung heute beinahe allgemein als die beste anerkannt ist. Wir finden in
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dem neu erschienenen speciellen Theil die baineotherapeutische Klinik der In-
fections- und Stoffwechselkrankheiten, der Vergiftungen, der Erkrankungen der.
Athmungs-, Kreislaufs- und Verdauungsorgane, der Gehirn-, Nerven-, und Geiste*
krankheiten, der Erkrankungen des Bewegungsapparates, der Haut- und venerischen
Krankheiten, sowie der Erkrankungen der Harnwege in 12 grossen Kapiteln nach
streng wissenschaftlichen Gesichtspunkten in mustergültiger Weise bearbeitet. Oh
der 2. Theil des Buches („Balneotherapie“), welcher nach Art eines Bäder-
almanachs eine ausführliche alphabetische Zusammenstellung der Kurorte, ihrer
Frequenz, Kurmittel, Aerzte, der Reise Verbindungen, der Hotels u. s. w. giebt.
unbedingt in ein Lehrbuch der Balneotherapie gehört, kann um so mehr be¬
zweifelt werden, als an derartigen Zusammenstellungen bisher kein Mangel bestand
und das Buch hierdurch unnöthiger Weise vertheuert wird. Adler (Berlin).
2) Jahresbericht der Unfallheilkunde, gerichtlichen Medicin und öffent¬
lichen Gesundheitspflege für die ärztliche Sachverständigenth&tigkeit,
von Placzek. (Leipzig, 1901. Georg Thieme. 707 S.)
Während früher die Sachverständigenthätigkeit des Arztes und somit auch
die des Neurologen und Psychiaters im Grossen und Ganzen sich auf die Er¬
ledigung von Fragen aus dem Strafrecht und dem bürgerlichen Recht beschränkte,
ist die Sachlage eine andere geworden seit dem Erlasse der drei grossen socialen
Gesetze. Nicht nur dass damit die Zahl der zu lösenden Fragen grösser, ihre
Art mannigfacher geworden ist, es wird auoh der behandelnde Arzt öfter als
Sachverständiger gehört, besonders mit Rücksicht auf die durch § 69 Absatz 3
geschaffene Neuerung in der Unfallversicherung.
Es erscheint durchaus begreiflich, dass in den letzten Zeiten Zeitschriften
gegründet sind, deren Programm gerade die Lösung solcher besonders gestalteter
Fragen ist; und wenn heute ein Jahresbericht erscheint, welcher als Sammelstelle
für alle einschlägigen, in den verschiedensten Büohern, Archiven und Zeitschriften
verstreuten Arbeiten eines bestimmten Zeitabschnittes dienen soll, so braucht die
Berechtigung eines solchen neuen Unternehmens nicht weiter bewiesen zu werden.
Das erscheint um so überflüssiger, als der Herausgeber Placzek ist, der wohl
den meisten Lesern dieses Centralblattes durch seine erschöpfende und anziehende
Behandlung des Berufsgeheimnisses bekannt ist, und als es Placzek gelungen
ist, für die verschiedenen in Betracht kommenden Fächer solche Referenten zu
gewinnen, welche in den von ihnen besprochenen Gebieten litterarisch mit Erfolg
thätig geweseu sind.
Einen besonderen Vorzug des Berichtes erblickt Ref. darin, dass als Bericht¬
erstatter auch Juristen herangezogen sind; die von ihnen behandelten Kapitel
(Arzt und Arbeiterversicherung. Der Einfluss des neuen Unfallversicherungsgesetzes
auf die Entschädigungsansprüche und das Verfahren) sind klar und fleissig ge¬
schrieben und für den praktischen Gebrauch bestens zu empfehlen.
Es widerspricht dem Charakter des vorliegenden Buches, auf Einzelheiten
näher einzugehen. Nur das sei hier hervorgehoben, dass die Referenten fast
durchweg sich nicht damit begnügen, die einzelnen Arbeiten der Reihe nach
kritisch zu besprechen, sondern bemüht sind, zwischen ihnen einen inneren Zu¬
sammenhang herzustellen, um so eine anhaltende und anregende Lectüre zu
ermöglichen. Diese Form der Darstellung verdient um so mehr Anerkennung,
als der Bericht über das verflossene Jahr überaus prompt (April 1901) erschienen
ist, was bei der Zahl von etwa 30 Mitarbeitern sicherlich keine kleine Arbeit
gewesen sein mag.
Naturgemäss werden uns die Partieen aus dem Gebiete der Neurologie und
Psychiatrie am meisten interessiren. Doch auch an anderen Stellen sind Arbeiten
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besprochen, die uns sicherlich sehr angehen, wie z. B. die Arbeit von Lomer
über die Beurtheilung des Schmerzes in der Gynäkologie mit besonderer Berück¬
sichtigung der Hysterie (S. 305), die Beobachtung einer eigenthümlichen Lähmung
nach Quecksilbervergiftung (S. 487). die Mittheilung einer Strychninvergiftung
eines Kindes durch zwei Esslöffel des bekannten Fellows Compound Syrup of
Hypophosphites (S. 489).
Schliesslich verdient noch hervorgehoben zu werden, dass der Herausgeber
bestrebt ist, mit seinem Jahresbericht eine internationale Sammelstelle zu schaffen.
So werden wir über die Unfallheilkunde in Holland unterrichtet, ebenso auch
über die in Italien, in welch letzterem der Begriff „Unfall“ im gesetzlichen
Sinne weiter aufgefasst wird als bei uns (S. 329). Ebenso ist die Uebersicht über
die kriminalanthropologische Litteratur in Italien sehr anziehend; aus ihr mögen
hier die Arbeiten von Ferri (Sociologia criminale), von Marro (La pubertä),
von Boca (Ueber Tätowirungen bei den Verbrechern im Vergleich mit denen
bei dem mexikanischen Soldaten), sowie die von Florian und Cavaglieri (Ueber
Vagabunden) erwähnt sein.
Kurz und gut, der vorliegende Jahresbericht verdient zum Studium, zur
Orientirung über einzelne actuelle Fragen und zum praktischen Gebrauch bestens
empfohlen zu werden. Dem Herausgeber wird es an Erfolg nicht fehlen, wenn
er den bisher innegehaltenen Principien treu bleibt. Doch möohte Bef. für die
folgenden Berichte zwei Wünsche äussern: einmal dürften die einzelnen Arbeiten
genauer oitirt werden, so dass sie jeder ohne Mühe auffinden kann; und dann
verdienen die wörtlich mitgetheilten Verordnungen und Gesetzesbestimmungen
durch Anwendung besonderer Typen kenntlich gemacht zu werden.
Ernst Schultze (Andernach).
3) Die periodischen Geistesstörungen. Eine klinische Studie von Dr. Alexander
Pilcz. (Jena, 1901. G. Fischer. 210 S.)
An klinischen Studien, wie uns eine der Verf. in dem vorliegenden Buche
vorlegt, ist die Psychiatrie nicht allzu reich. Speciell haben die periodischen
Geistesstörungen seit der Bearbeitung von Kirn im Jahre 1878 eine zusammen¬
fassende Darstellung nicht erfahren.
Nach einem geschichtlichen Ueberblick bespricht der Verf. das circuläre
Irresein, die periodische Manie, die periodische Melancholie, die periodische
Amentia, die periodische Paranoia, das periodische Irresein in Form krankhafter
Triebe („periodische Monomanieen“), die periodisch-deliranten Verworrenheits¬
zustände, die secundär ausgelösten periodischen Psychosen, sodann die somatischen
Befunde beim periodischen Irresein, den Einfluss intercurrenter körperlicher
Krankheiten, die Combination von periodischem Irresein mit anderen Psychosen
und Neurosen und schliesslich die pathologische Anatomie. Ein Litteratur-
verzeichniss mit 724 Nummern beschliesst das Buch. 29 eigene Beobachtungen
und eine Reihe selbständiger Untersuchungen, speciell der somatischen Symptome,
sind an den verschiedenen Stellen eingeschaltet.
Die treffliche Schilderung der einzelnen Krankheitsbilder, unter denen ich
ganz besonders die des circulären Irreseins hervorheben möchte, die kritische
Sichtung der Litteratur, die nüchterne Beobachtung der klinischen Thatsachen
und die Fernhaltung aller Speculation zeichnen das Buch aus, das jedenfalls
die Anregung zu weiterer klinischer Arbeit auf dem noch vielfach dunklen Ge¬
biete geben wird.
Auf Einzelheiten hier einzugehen, erscheint bei dem reichen Inhalt des
Buches, das ja in der Hand jedes Psychiaters sein muss, unmöglich. Nur die
eine Bemerkung möchte ich mir gestatten, dass nämlioh die Behauptung, die
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Hypomanie sei nie eine einfache acute Psychose, sondern komme nur bei den
periodischen Seelenstörungen vor (S. 44), mit dieser Apodicticität kaum aufrecht
zu halten ist. Gerade der erste Fall, mit dem der Referent den Ausdruck Hypo¬
manie in die moderne Psychiatrie eingeführt hat, war eine Hypomanie, welche
isolirt im Leben des Erkrankten bestanden hat. Von der Krankheit geheilt, hat
er noch 20 Jahre ohne jede Geistesstörung gelebt.
Ausstattung und Druck entsprechen den bekannten Leistungen der Verlags¬
buchhandlung. M.
IV. Aus den Gesellschaften.
Gesellschaft der Aerste in Wien.
Sitzung vom 3. November 1899.
(Wiener klin. Wochenschr. 1899. S. 1139.) 1
Herr H. Schlesinger demonstrirt einen Fall von angeborenem PectoraMs-
und Rippendefeot, Lungenhernie und Hoohstand der einen Scapula. (Ist
in der Wiener klin. Wochenschr. 1900. Nr. 2 ausführlich publicirt.)
Sitzung vom 10. November 1899.
(Wiener klin. Wochenschr. 1899. S. 1163.)
Herr Josef Schnabl stellt einen 33jähr. Bauer mit Tabes vor; derselbe
hat vor 9 Jahren ein Ulcus am Praeputium acquirirt, seit 6 Jahren lancinirend«
Schmerzen und seit 4 Jahren Arthropathie der Fusswurzeln. — Verlust der
Patellar- und Achillessehnenreflexe und des Hodendruckschmerzes. Hypalgesie und
verlangsamte Schmerzleitung an den Fusssohlen; aber normale Pupillenreaction,
keine Ataxie, kein Romberg'sches Symptom und keine Blasen-Mastdarmstörungen.
Vortr. betont, dass hier die Gelenkserkrankung sehr früh aufgetreten sei, und
zwar bei normalem Muskelsinn, dessen Störung wiederholt in anderen Fallen für
die Entstehung der Arthropathie verantwortlich gemacht worden ist. Vortr.
schliesst übrigens in seinem Falle die Diagnose einer Syringomyelie nicht aus.
Sitzung vom 17. November 1899.
(Wiener klin. Wochenschr. 1899. S. 1190.)
Herr Max Sternberg demonstrirt ebenfalls einen Fall von neuropathisoher
Gelenks- und Knoohenerkrankung, bei welchem die Wahrscheinlichkeitsdiagnose
Tabes lautet. Es handelt sich um einen 49jähr. Mann, dessen Anamnese des
Verdacht einer vor 24 Jahren erworbenen Lues erweckt. Vor 10 Jahren Beginn
lnncinirender Schmerzen und seit 3% Jahren Arthropathieen beider Kniegelenk«,
wodurch der Kranke Genua valga bekam. Die rechte Pupille ist eng und
reactionslos, die linke Nasolabialfalte weniger ausgeprägt; es fehlen sämmtliche
Sehnenreflexe; an den Unterschenkeln ist die Empfindung für Wärme und Kälte
sehr herabgesetzt; die Oberschenkelmuskeln sind sehr abgemagert und schlaff; kein
Romberg’sches Phänomen; Lageempfindung überall sehr gut. Der Vortr. möchte
die übliche Bezeichnung „tabische Arthropathie“ durch „tabische Osteoarthropathie 4 '
ersetzt wissen.
Herr M. Benedikt spricht über die Ursaohen der Tabes dorsalis, für
welche er die Bezeichnung „Keilstrangschwund“ gebraucht. Aus den langen Aus¬
einandersetzungen sei des Vortr. Ueberzeugung hervorgehoben, dass für Tabes und
Paralyse die Lues sowie andere Schädlichkeiten nur insofern ätiologisch is
Betracht kommen, als sie unmittelbar die krankhaften Reizwirkungen erzeugen oder
die Reizbeantwortungsiabigkeit von Seite des Organismus ändern, wobei aber stet*
angeborene Anlage zu Grunde liege. „Tabicus ut paralyticus non fit, sed nas-
citur.“ In 100 hintereinander zur Beobachtung des Vortr. gekommenen Fälle*
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jener Affectionen waren 53 frei von Syphilis, bei 13 war die Vorgeschichte un¬
bestimmt, und nur in 34 Fällen war sicher Lues vorausgegangen.
Sitzung vom 1. December 1899.
(Wiener klin. Wochenschr. 1899. S. 1242.)
Herr H. Schlesinger demonstrirt 2 Fälle von Steifigkeit der Wirbel¬
säule. Der 1. Fall betrifft einen 48jähr. Mann, der nach Prodromalerscheinungen,
welche vor 15 Jahren aufgetreten waren, vor 8 Jahren eine Anfangs sehr schmerz¬
hafte Fixirung der Halswirbelsäule acquirirte. Allmähliche Ausdehnung der
Steifigkeit der Wirbelsäule, seit einigen Monaten heftige Schmerzen in den Ge¬
lenken der oberen und unteren Extremitäten, Schmerzen beim Kauen, Erschwerung
der Sprache. — Die Wirbelsäule ist nun steif wie ein Stock, der Kopf nach
vorn geneigt fixirt, das ganze Rumpfskelett ankylosirt; respiratorischer Stillstand
des Thorax, geringe Atrophie der Schultergürtelmusculatur, heftiges Gürtelgefiihl
und ausstrahlende Schmerzen in den Extremitäten. Knarren in den Schulter-,
Ellbogen-, Hüft- und Kniegelenken; der Mund kann nicht soweit geöffnet werden,
wie in der Norm. — Der Fall ist nach dem Vortr. dem Symptomencomplexe der
„Spondylose rhizomälique“ anzureihen; interessant ist die Mitbetheiligung kleiner
(der Finger-) Gelenke.
Im 2. Falle war ein Trauma vor 15 Jahren vorangegangen, unmittelbar
nachher ging Pat. gebückt. Allmählich entwickelte sich Steifigkeit der Wirbel¬
säule. — Die Gelenke sind vollkommen frei, die obere Brustwirbelsäule ist
kyphotisch gekrümmt, ausserdem die ganze Wirbelsäule skoliotisch. Auch hier
ist das Rumpfskelett ankylosirt; die Schultergürtelmusculatur ein wenig atrophisch.
— Der Fall entspricht der Bechterew’schen Steifigkeit der Wirbelsäule, da die
übrigen Gelenke des Körpers nicht ergriffen sind. — Der Vortr. hebt endlich
hervor, dass der Symptomencomplex der Spondylose rhizomälique sich bei ver¬
schiedenen Gelenkserkrankungen (gonorrhoischen, deformirenden, chronisch-rheuma¬
tischen) vorfinde, dem zu Folge auch nicht als selbständige Krankheit angesprochen
werden dürfe. Anatomisch besteht, wie Vortr. an den Präparaten des Wiener
pathologischen Museums festgestellt hat, kein wesentlicher Unterschied der ana¬
tomischen Veränderungen der Wirbelsäule bei den beiden Haupttypen der Steifig¬
keit derselben. (Demonstration von Abbildungen solcher anatomischen Präparate
und Beschreibung derselben; ausführliche Mittheilung ist in den Mittheilungen
aus den Grenzgebieten, Bd. V, erfolgt)
In der Discussion macht Herr Schwarz darauf aufmerksam, dass bei dem
vor längerer Zeit auch von ihm behandelten zweiten Kranken eine heftige Occipital-
neuralgie mit Druckpunkten bestanden habe, und bringt dieselbe mit Veränderungen
der Intervertebralcanäle in Zusammenhang.
Herr J. Habart liefert oasuistisohe Beiträge zur operativen Gehira-
und Büokenmarks-Chirargie. Ein Unterofficier erlitt vor 14 Monaten durch
einen Sturz vom 3. Stock einen Bruch der drei letzten Dorsalwirbel mit voll¬
ständiger Lähmung der Beine, des Mastdarms und der Blase. Eine nun vor¬
genommene Trepanation ergab, dass der Duralsack an der entsprechenden Stelle
aufgetrieben war, und dass keine Verengerung des Wirbelcanals bestand, wie es
ein äuBserlich sichtbarer kyphoskoliotischer Gibbus über der unteren Dorsalwirbel¬
säule hatte vermuthen lassen. Eingedrückte, von Wirbelbögen stammende Knochen¬
splitter wurden von der Dura entfernt, eine Eröffnung des Duralsackes aber nicht
vorgenommen. Der Erfolg des Eingriffs war ausgezeichnet: die Lähmung der
Unterextremitäten besserte sich ein wenig, die Lähmung des Mastdarms ging sogar
fast ganz zurück — die Sensibilität des Mastdarms blieb allerdings dauernd ver¬
loren —, und der Harn konnte bald durch 2 Stunden zurückgehalten werden.
Der Defect des Wirbelcamils wurde durch eine Celluloidplatte geschlossen.
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Sitzung vom 9. Februar 1900.
(Wiener klin. Wochenschr. 1900. S. 169.)
Herr H. Schlesinger demonstrirt 2 Fälle von Syringomyelie mit seltenen
Symptomen.
1. Fall. Ein 40jähriger Schneider leidet Beit längerer Zeit an heftigen
Schmerzen in der rechten Oberextremität. Die Untersuchung des wohlgebauter
Mannes ergiebt ausser choreaartigen Spontanbewegungen der Finger der rechten
Hand überraschend grosse Sensibilitätsdefecte; dieselben betreffen die Schmerz-
und Temperaturempfindung an der ganzen rechten Oberextremität, an der rechtet
oberen Rumpfhälfte bis zum Rippenbogen, an der rechten Seite des Halses und
Nackens, des behaarten Kopfes und an umfangreichen Abschnitten der rechtet
Gesichtshälfte. Frei sind von Sensibilitätsstörungen die Bezirke, welche median
von folgender Linie liegen: Dieselbe verläuft mit einem nach aussen convexen
Bogen vom Mundwinkel zum äusseren Augenwinkel, dann entlang dem oberen
Lidrande bis etwa zur Mitte der Lidspalte, biegt dann nach oben zu um und
geht in einem Bogen bis zur Mittellinie etwa in der Mitte der Stirn. Es wird
also durch diese Linie die äussere und innere Hälfte des oberen Augenlides und
Augenbrauenbogens getrennt. — Weiterhin findet sich eine Arthropathie d«
rechten Schultergelenks und beginnende Erkrankung der Musculatur des Schulter¬
gürtels; die Patellarsehnenreflexe sind gesteigert; sonstige Anomalieen des moto¬
rischen Apparates fehlen vollkommen. Der Vortr. hebt an diesem Falle hervor,
dass er das seltene Vorkommniss einer Syringomyelie mit fast rein sensiblen Er¬
scheinungen darstellt, und dass die Sensibilitätsstörung im Gesichte segmentaler
Natur sei, bedingt durch die Läsion der distal gelegenen Theile der spinalen
Trigeminuswurzel.
2. Fall. 59jähriger Möbelpacker; Beginn der Erkrankung vor 11 Jahren
mit Schwäche in allen Extremitäten. Niemals sensible Reizerscheinungen: wohl
aber fibrilläre Zuckungen am ganzen Körper, stellenweise Entartungsreaction, in
einzelnen Muskeln myotonische Reaction, die Sehnenreflexe an den unteren Extre¬
mitäten gesteigert, leichte Blasenstörungen; es bestehen ferner erhebliche Sensi-
bilitätsanomalieen, namentlich Thermanästhesie an den Vorderarmen; der grösst«
Theil der Körpermusculatur ist atrophisch; besonders interessant ist das Vor¬
handensein von höchstgradiger Atrophie der Mm. temporales, Dupuytren’scher
Sehnencontractur an der linken Hand und Erscheinungen von Bulbärlähmung —
anfallsweise auftretende Schling- und Gaumenmuskellähmung — als Frühsymptom.
Sitzung vom 2. März 1900.
(Wiener klin. Wochenschr. 1900. S. 246.)
Herr Emil Schwarz demonstrirt einen Fall von hysterisoher Arthralgie,
welche durch eigenthümliche Crepitationsgeräusche ein organisches Gelenksleiden
vortäuscht. Bei der 22jähr. Patientin bestehen seit 6 Jahren hysterische Anfälle.
Vor 4 Monaten verspürte sie plötzlich im rechten Kniegelenk einen stechenden
Schmerz, und fortan war das Gehen unmöglich geworden. Der vor einigen Wochen
erhobene Befund lautete: vollkommene Fixirung des rechten Kniegelenks in Streck-
contractur, ebenso auch im rechten Sprunggelenke. Complete Anästhesie der
rechten Unterextremität in Strumpfform. Hypästhesie der gesammten rechter
Körperhälfte, Fehlen des Schlund- und Cornealreflexes. — Nach hypnotischer
Suggestion wurde das Kniegelenk wieder beweglich, so dass Patientin, wenn auch
mühsam, wieder gehen kann. Bei activer und passiver Bewegung des rechten
Kniegelenks, besonders aber bei Eintritt vollkommener Streckung, wird ein lautet
Knacken hörbar. (Die Röntgenuntersuchung ergab einen normalen Befund; daher
schon ein organisches Leiden unwahrscheinlich.) Bei sehr rasch ausge führten
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827
passiven Bewegungen bleibt das Geräusch aus. Vortr. kommt zur Ueberzeugung,
dass Patientin dasselbe spontan erzeugt: sie spannt bei der Streckung des Ge
lenkes die Antagonisten energisch an und erschlafft sie dann plötzlich, so dass
nnn der Unterschenkel in die vollkommene Strecksteilung einschnappt. Diese
üble Gewohnheit („diathdse de contracture“) bestand schon l l / t Jahr vor Auf¬
treten der Schmerzen und dürfte im Wege des psychischen Reflexes die Arthralgie
hervorgerufen haben.
Herr Max Herz hält hierauf seinen Vortrag über heilgymnastische Be¬
handlung von Erkrankungen des Centralnervensystems. (Ist ausführlich
erschienen.)
Sitzung vom 16. März 1900.
(Wiener klin. Wochenschr. 1900. S. 283.)
Herr Alex. Pilcz spricht über Ergebnisse von Blutdruckmessungen bei
Geisteskranken. (Siehe Originalien der Wiener klin. Wochenschr.)
Sitzung vom 30. März 1900.
(Wiener klin. Wochenschr. 1900. S. 333.)
Herr Moriz Benedikt demonstrirt einen Fall von Tabes mit seltenem
Verlaufe. Trotz einer im Jahre 1873 aufgetretenen prodromalen Sehnervenatrophie
entwickelte sich — bei elektrischer und hydrotherapeutischer Behandlung — das
Leiden weiter, eine in der 40jähr. Praxis des Vortr. einzig dastehende Beobach¬
tung. Im Jahre 1889 erreichte die Ataxie der Beine einen so hohen Grad, dass
der Kranke weder stehen noch gehen konnte. Vortr. führte damals die blutige
Dehnung beider Iachiadici aus; im Verlaufe eines Halbjahres kehrte allmählich
die Geh- und Stehfähigkeit zurück, und die heftigen Schmerzanfalle wurden immer
seltener, kürzer und schwächer. Die Gehfähigkeit hat sich durch die letzten
11 Jahre erhalten.
Darauf hält B. einen Vortr. über die Therapie der Tabes. Vortr. betont
zuerst die Wichtigkeit der Betrachtung jedes Leidens vom „klinisch bio-mecha¬
nischen Standpunkte“ und geht dann auf die verschiedenen therapeutischen Maass¬
nahmen näher ein, die er anwendet, besonders auf die blutige Dehnung der
Ischiadici, welche Vortr. zu verbreiten gesucht hat, und auf die Setzung von
pointa de feu. Die mit Syphilis zusammenhängenden Fälle seien benigne und
jeder richtigen Therapie äusserst zugänglich.
R. Kienböck (Wien).
Verhandlungen der russischen Gesellschaft für experimentelle Psychologie
zu St. Petersburg.
Sitzung vom 7. November 1900.'
Herr Dr. Lazurski: Ueber den Einfluss der in der Hypnose suggerlrten
Emotionen auf Puls und Athmung.
Vortr. berichtet über seine Untersuchungen des Pulses und der Athmung bei
Hypnotisirten, in denen er verschiedene Emotionen (Freude, Zorn, Furcht und
Trauer) durch Suggestion dementsprechender Vorstellungen hervorrief. Im Laufe
einer Sitzung wurden meistens nacheinander mehrere Suggestionen eingegeben, mit
Ruhepausen dazwischen. Im ganzen wurden 10 Personen untersucht, jeder 3 bis
4, einer sogar 6 Mal (an verschiedenen Tagen). Es ergab sich dabei Folgendes:
die grössten Veränderungen traten ein bei Furcht- und Zornaffecten, sodann bei
Trauervorstellungen, die geringsten während der Freude. Die Veränderungen be¬
standen in einer mehr oder weniger starken Beschleunigung des Pulses, sowie
einigen inconstanten qualitativen Veränderungen desselben. Die Athmung wurde
iby Google
828
während der Freude stark beschleunigt und oberflächlich, bei den anderen Emo¬
tionen sehr unregelmässig, bald sehr tief, bald oberflächlich. Bei blosser Vor¬
stellung der betreffenden Emotionen im Wachzustände waren keine Veränderungen
zu constatiren, deswegen kann man diese Erscheinungen als ein sicheres Anzeichen
tiefer Hypnose betrachten.
In der Discussion, an der sich Dr. Ignatiew, Dr. Bosenbach, Prot
Welitschko, Prof. Faminzin, Dr. Fischer und Prof. v. Bechterew betheiligten,
wies Letzterer auf die gerichtlich-mediciniscbe Bedeutung der objectiven Unter
snchung der Hypnotisirten hin, erwähnte seine mehrfach publicirten Arbeiten auf
diesem Gebiet und fügte noch einige eigene Beobachtungen über den Einfluss der
8uggerirten Emotionen auf die Mimik und den Pupillenreflex hinzu. Danach rufet
suggerirte Geruchs- und Geschmacksempfindungen u. 8. w., sowie die Stimmungs¬
lage, in der sich der Hypnotisirte befindet, unzweideutige mimische Bewegungen
hervor. Suggerirte optische Wahrnehmungen verursachen den entsprechenden
Accommodationsreflex der Pupille, suggerirte Schmerzemfindung Erweiterung der
Pupille, während hingegen bei suggerirter Anästhesie auch die stärksten Nadel¬
stiche keinen Pupillenreflex bewirken.
Herr Dr. Borischpolski: Die geistige Welt der Taubstummen.
Nach einer kurzen historischen Uebersicht über die Litteratur verfocht Vortr. di-*
Ansicht, dass es falsch sei, Taubstumme mit Idioten auf eine Stufe zu stellen, wi-?
es viele früheren Autoren gethan haben, denn obgleich es ja natürlich nicht zn
leugnen ist, dass unsere geistige Entwickelung auf Grund unserer Sinneswahr¬
nehmungen sich aufbaut, trennt doch das Fehlen eines oder des anderen Sin na
den Menschen noch nicht von jeglichem Verkehr mit der Aussenwelt und beraub:
ihn nicht der Möglichkeit, sich nicht nur eminente, sondern auch abstracte Vor¬
stellungen anzueignen, sogar so complicirte, wie die Vorstellungen von Recht uni
Unrecht, Tugend und Verbrechen, Religion und Nächstenliebe u. s. w. Es tritt
in so einem Falle gleichsam eine vicariirende Hyperfunction der anderen Sinne ein.
die bei entsprechender Erziehung sogar zwei Sinne ersetzen kann, wie der Fall
der Hellen Adams Keller zeigt, die, trotzdem sie taub und blind war. mit
20 Jahren das Horward College absolvirte und ins Radcliffe College eintret«
konnte. Zum Beweise führte Vortr. ferner eine ganze Reihe von Taubstummen
an, die sich als Schriftsteller, Lehrer und Künstler einen gewissen Namen errang«:
haben, wie Kruse, Klerck, Massieu, Hadermass, Möller und Arnoldi.
An der Discussion nahmen Theil Dr. Jürmann, Ignatiew, Stepanow uwi
Fischer. Prof. v. Bechterew wies darauf hin, dass Taubheit in den meiste:
Fällen auf einer peripherischen Affection des Nervensystems beruht, dass absolute
Taubheit verhältnissmässig selten vorkommt, häufiger aber Taubheit für gewiw
Töne oder für das Sprachregister. Was die compeusatorische Hyperfunction an-
betrifft, so ist sie bisher schwer zu erklären, und es wäre wünschenBwerth, das
diese Frage sowie auch ähnliche, z. B. in betreff der Synopsie und der Möglich¬
keit, Farben durch das Tastgefühl wahrzunehmen, recht bald einer genauen Be¬
arbeitung unterworfen würden.
Sitzung vom 5. December 1900.
Herr Dr. Ignatjew: Die Bedeutung des Unbewussten für die bewusst«
Thätigkeit des Menschen.
Vortr. theilt die seelische Thätigkeit des Menschen in zwei Sphären: in di«
bewusste und in die unbewusste und charakterisirt erstere durch die electire Art
und Weise der Associationsbewegung, die einen grundlegenden Unterschied
zwischen der Logik des Unbewussten und der Logik des Bewussten bewirkt
Nach einer Gegenüberstellung beider Sphären der seelischen Thätigkeit kosur'-
Vortr. zu folgenden Resultaten:
829
1. Die Energie der unbewussten Thätigkeit ist zum wenigsten von geringerer
Erschöpfbarkeit als die Energie der bewussten.
2. Die beiden Sphären unterscheiden sich von einander durch ihr Verhalten
zu Sinnesreizen.
3. Die unbewusste Sphäre, die bedeutend umfangreicher ist, beeinflusst be¬
ständig und in bedeutendem Maasse die Bewusstseinsacte und deren Charakter.
Andererseits beherrscht das Bewusstsein bis zu einem gewissen Grade die un¬
bewusste Sphäre.
4. Beide Sphären ergänzen sich gegenseitig, wodurch der normale Charakter
der Seelenthätigkeit zu Stande kommt.
5. Obgleich die Entwickelung des Bewusstseins auch eine Entwickelung der
unbewussten Sphäre nach sich zieht, so wird doch durch Stärkung des Bewusst¬
seins auf dem Wege regelmässiger Verstandesübung das Uebergewicht des Un¬
bewussten und die Möglichkeit einer Störung des Gleichgewichts im Geisteszustand
des Menschen verringert, ja aufgehoben. Die regelmässige Verstandesübung muss,
wenn möglich, vom frühesten Kindesalter beginnen und in Abhängigkeit von der
physischen Gesundheit des Kindes vorwärts schreiten.
Als bestes Material zur Untersuchung der psychischen Thätigkeit des Menschen
empfiehlt Vortr. die Analyse der handelnden Personen aus den besten Litteratur-
erzeugnissen, sowie ein Studium der psychischen Eigentümlichkeiten, die bei der
Entwickelung der Gesellschaft, der Völker und bei der Evolution des menschlichen
Gedankens beobachtet werden.
In der Discussion, an der sich Dr. Fischer, Dr. Noischewski, Dr.
Schtscheglow und Prof. v. Bechterew betheiligten, bestritt Dr. Schtscheglow
die Annahme, dass die unbewusste Sphäre eigenen, besonderen, logischen Gesetzen
unterworfen sei, und wies darauf hin, dass solche Fragen am besten auf experi¬
mentellem Wege zu lösen seien.
Herr Prof. v. Bechterew führt einige Beweise für die Existenz einer un¬
bewussten Thätigkeit des Menschen an, sprach die Ansicht aus, dass es ausser
den unbewussten psychischen Acten noch eine mechanische Cerebration geben
müsse, zu der z. B. die Synthese der Sinneswahrnehmungen zu rechnen sei, die
im individuellen Leben nie im Bereiche des Bewusstseins des Menschen vor sich
gehe, und erwähnte in Kürze die beiden Theorieen zur Erklärung der Erinnerungs¬
vorstellungen: die Theorie der physiologischen Spuren und die Wundt’sche
Theorie der Bahnungen und des damit zusammenhängenden verminderten Wider¬
standes. Als ferneren Unterschied zwischen dem Bewussten und Unbewussten
stellt B. die Begriffe des persönlichen Ich-Bewusstseins und eines allgemeinen,
körperlichen Bewusstseins auf, wobei in der unbewussten Sphäre nur das letztere
vorhanden ist. Was die Logik des Unbewussten anbetrifft, so schliesst sich B.
der Meinung Schtscheglow’s an, dass wir keinen Grund haben, sie als ver¬
schieden von der Logik der bewussten Sphäre anzunehmen.
Herr Dr. Lazurski: Die augenbliokliehen Strömungen in der experi¬
mentellen Psychologie und ihre Entwickelung.
Ein geschichtlicher Ueberblick nebst Gegenüberstellung der verschiedenen
experimentell-psychologischen Schulen in Deutschland, Frankreich und Amerika.
Au der Discussion nahmen Dr. Gribojedow, Dr. Ignatjew, Dr. Noi¬
schewski, Dr. Maljarewski jun. und Prof. v. Bechterew Theil.
Sitzung vom 16. Januar 1901.
Herr Dr. Portugalow: Ueber psychologisch-anthropologische Unter¬
suchung der Verbrecher.
Einer kurzen historischen Uebersicht folgt eine Darstellung des Verbrechens
als biopathologische Erscheinung, wobei Vortr. die Ansicht aufstellte, dass der
Digilized by CjOO^Ic
830
gegenwärtige Verbrechertypus hauptsächlich aus socialen Ursachen heraus entstanden
sei, denn in Zeiten der alleinigen Herrschaft des biologischen Factors, der in der
Entwickelungsgeschichte dem social-ökonomischen zeitlich vorausgeht, müsse die
sogenannte „verbrecherische Varietät“ dank der natürlichen Zuchtwahl anssterbec.
Die Untersuchung des Verbrechens als sociale Erscheinung geschehe am besten
nach der zuerst von Hegel eingeführten dialectischen Methode, mit Hülfe derer
man wissenschaftlich - die Relativität des Begriffes Verbrechen nachweisen könne.
Für die Psychiater haben ein besonderes Interesse die aus inneren organischen
Impulsen heraus entstandenen Verbrechen. Die äusseren Motive und Bedingungen
bekommen ein actuelles Interesse erst dann, wenn sie dank ihrer Intensität und
Dauer die Persönlichkeit zur Entartung bringen.
Bei der physischen Untersuchung der Verbrecher sei besonderes Gewicht anf
die Untersuchung des Blutgefässsystems und auf die Degenerationszeichen zu legen.
Die Untersuchung überhaupt müsse nach einem ebenso vollständigen Plan geführt
werden, wie jede Untersuchung eines somatischen oder psychischen Kranken. Di»
psychologische Untersuchung erfordert ein Studium des Temperamentes in Ver¬
bindung mit dem Studium des Milieus, sowie eine volle Analyse der seelischer.
Thätigkeit auf intellectuellem, emotionellem und Willensgebiet.
Es folgte eine sehr rege Discussion, an der sich Dr. Fischer, Dr. Lt-
zurski, Dr. Schtscheglow, Dr. Ostankow, Dr. Wilh. Stieda, stud. m«L
Agadschanjanz, Dr. Maljarewski und Prof. v. Bechterew betheiligten, und
in der dem Vortr. u. a. in einigen Fragen Voreingenommenheit vorgeworfen und
darauf hingewiesen wurde, dass wir fürs Erste auf diesem Gebiet nur untersuchen
und beobachten müssten, ohne vorschnelle Hypothesen aufzustellen, die den Gang
der Untersuchung ungünstig beeinflussen könnten. Ferner bemerkte Prof. v. Bech¬
terew, dass es nicht richtig sei, bei der körperlichen Untersuchung sein Haupt¬
augenmerk auf das Blutgefässsystem zu riohten mit Vernachlässigung des Uebrigec.
da sämmtliche Organe des Körpers auf die psychische Thätigkeit einen gewissen
Einfluss ausüben könnten.
Festsitzung am 10jährigen Stiftungstage der russischen Gesellschaft
für experimentelle Psychologie am 27. Februar 1901.
Herr Dr. Fischer verlas einen Bericht über die Thätigkeit der Gesell¬
schaft im ersten Deoennium: 1891—1901.
Die Gesellschaft bildete sich vor 10 Jahren behufs Erforschung telepathischer
und mediumistischer Erscheinungen unter Vorsitz des bekannten Prof, der Zoologie
Wagner an der St. Petersburger Universität. Vortr. berichtet über die Methoden
der Untersuchung, die in der Gesellschaft üblich waren, und gab eine Uebersicht
über die Arbeiten der Gesellschaft. Zu irgend welchen positiven Resultaten sei
sie nicht gekommen, auch seien die Arbeiten der Gesellschaft bis auf einen Bericht
über odistische Ausstrahlungen nirgends gedruckt worden.
Herr Dr. Pussep, der Secretär der Gesellschaft, verlas darauf einen Jahres*
berioht pro 1900.
Im Laufe dieses Jahres habe die Gesellschaft einen vollkommenen Umforurangs-
process durchgemacht, sowohl nach der äusseren Seite hin, als auch was ihre
Zwecke und Ziele anlangt. Nachdem im Anfang des Jahres Prof. Wagner, der
10 Jahre hindurch das Präsidium inne gehabt hatte, dieses Amt niederlegte,
forderte die Gesellschaft Prof. v. Beohterew auf, ihr beizutreten und wählte ihn
einstimmig zu ihrem Präses. Dank seinen Bestrebungen wurde die Thätigkeit
der Gesellschaft auf eine rein wissenschaftliche Basis gestellt und als ihre Aufgabe
die Erforschung der normalen und pathologischen experimentellen Psychologie mri
Neurologie in Aussicht genommen. Während vor dieser Reformation die Gesell¬
schaft nur 28 Mitglieder, und zwar zum grossen Theil Nichtärzte, zählte, wuchs
3y Google
831
iin Berichtsjahre die Mitgliederzahl auf 89, wobei die Neuein tretenden beinahe
ausschliesslich Aerzte und Naturforscher waren. Ferner wurde als Vereinslocal
die psychiatrische Klinik der kaiserl. Militär-Medicinisohen Akademie erwählt.
Im Laufe des Berichtsjahres fanden 4 administrative und 2 wissenschaftliche Ver¬
sammlungen statt, in welch letzteren 4 wissenschaftliche Berichte vorgetragen
wurden. Zum Schlüsse sprach Vortr. die Hoffnung aus, dass die so reformirte
Gesellschaft, zu der jetzt mehrere hervorragende Vertreter der Psychiatrie und
Physiologie gehörten, eine recht productive und erfolgreiche Thätigkeit entfalten
möchte.
Darauf folgten zwei Festreden: „Ueber die anatomischen Grundlagen der
psychischen Thfttigkeit des Menschen“ von Dr. Gribojedow und „Ueber
die neue Sichtung in der Psychologie“ vom Priv.-Doc. der St. Petersburger
Universität Losski. Wilh. Stieda (St. Petersburg).
Gesellschaft der Neuropathologen und Irrenärzte zu Moskau.
Sitzung vom 21. Januar 1900.
Herr S. A. Suchanoff: Zur Frage über Psychosen bei Zwillingen.
Fälle psychischer Störung bei Zwillingen finden sich verhältnissmässig wenig
in der Litteratur (23 Fälle nach Marro). Vortr. theilt die beschriebenen Be¬
obachtungen in Kürze mit; der grösste Theil dieser Fälle betrifft Zwillings -
schwestern; im Falle von Keep aber bestand die psychische Störung bei Bruder
und Schwester. Von verschiedenen Beobachtern sind mannigfaltige Formen
psychischer Störungen bei Zwillingen beschrieben worden (maniakalische Verwirrt¬
heit, Manie, Melancholie, primäre Verrücktheit, angeborener Schwachsinn mit Ver¬
folgungswahn, circuläres Irresein und andere Formen). Der Anfang der Krankheit
fiel häufig bei beiden Zwillingen zusammen, zuweilen aber erkrankten sie zu ver¬
schiedenen Zeiten. In einigen Fällen entwickelte sich die psychische Störung
bei beiden Zwillingen in selbständiger Weise, in anderen Fällen konnte man aber
nur von inducirter Psychose sprechen. Ende 1899 wurden in der Moskauer
psychiatrischen Klinik zwei Zwillinge von 33 Jahren untergebracht. Die Brüder
zeigten, besonders in der Kindheit, grosse Aehnlichkeit, lernten gemeinschaftlich
und beendeten zu gleicher Zeit ihre Ausbildung. Sie waren Beide gut gebildete,
belesene, junge Leute, aber an Beiden konnten schon seit Langem einige Eigen¬
tümlichkeiten bemerkt werden. Bei dem Einen bestand vor 8 Jahren eine kurz¬
dauernde Attacke psychischer Störung, und in den letzten 6 Jahren entwickelte
sich allmählich eine Schwäche seiner geistigen Fähigkeiten. Der andere Bruder
verhielt sich während dieser Zeit zur Krankheit seines Bruders ganz eigentümlich,
als ob er sie nicht verstände; seit 3 Jahren fingen auch bei ihm an scharf aus¬
gesprochene Zeichen von psychischer Störung mit bedeutender Abnahme seiner
geistigen Fähigkeiten sich zu zeigen. In der zweiten Hälfte des Jahres 1897 be¬
schäftigten sich beide Brüder schon nicht mehr und sind in einer psychiatrischen
Anstalt internirt. Beide zeigen ein ähnliches Krankheitsbild: bei Beiden besteht,
bei Erhaltensein des Bewusstseins und des Gedächtnisses, Abnahme der geistigen
Fähigkeiten, mangelhaftes Verständnis für die Umgebung, Verständnislosigkeit
für ihre Krankheit und Klagen über verschiedene körperliche Beschwerden. Der
Eine ist in der Ernährung heruntergekommen mit Tuberculose des Hodens, der
Andere ist körperlich gut erhalten; bei dem Einen sind die Schädelmaasse etwas
grösser ai bei dem Anderen, doch ist bei dem Letzteren die geistige Fähigkeit
besser erhalten als heim Ersteren. In den letzten Jahren ist ihr Zustand offenbar
der gleiche geblieben. Die Krankheit entwickelte sich bei Beiden selbständig;
bei Beiden besteht Dementia praecox, so dass von einer inducirten Psychose nicht
die Rede sein kann. — An der Discussion betheiligten sich die Herren A. A.To-
'iqitized by
y Google
832
k&rsky, L.S.Minor, W. W. Murawjeff, W. A. Mouratoff, A. A. Korniloff.
G. J. RosboI imo und Prof. W. K. Roth.
Herr S. S. Nalbandoff: Zar Frage über die Verkrümmung der Wirbel*
säole bei Syringomyelie. *
Eine Bäuerin, 40 Jahre alt, welche 6 Monate in der Nervenkliuik beobachtet
wurde, bot das typische Bild der Syringomyelie: dissociirte Sensibilitätsstörungen
in Form einer Jacke, Brandwunden und Geschwüre in der Anamnese, Schwäche
in den Händen, Atrophie der Knochen, Steigerung der Patellarreflexe. Gleich¬
zeitig bestanden Arthropathieen in den beiden Schultergelenken und eine stark
ausgesprochene Kyphoskoliose; diese Erscheinungen entwickelten sich und fahren
fort zu progressirpn im Laufe der letzten 10—12 Jahre bei voller Abwesenheit
von Schmerzen. Die Kranke starb unter bulbären Erscheinungen. Bei der Section
wurde eine Höhle längs der ganzen Ausdehnung des Hab- und Brusttheils des
Rückenmarks bis zu den 11.—12. Segmenten gefunden. Im Schultergelenk eine
deformirende Entzündung im Gelenk und den Knochen. Die Hals- und Brust¬
wirbelbögen gaben in Folge ihrer Weichheit leicht dem Meissei nach. Die ver¬
bogene Wirbelsäule stellte einen scharf ausgesprochenen kyphoskoliotischen Bogen
vor, dessen stärkste Krümmung in der Höhe des 4.—6. BruBtwirbeb sich befand.
Angefangen vom 2. Brustwirbel, an Stellen, welche der Anheftung der Rippen
köpfchen an die Zwischen wirbelscheiben entsprechen, sieht man links neugebildete
feste Knochenmassen in Form von Stalaktiten; einige hängen frei über den Rippen¬
köpfchen, andere dagegen sind theils mit dem Wirbelkörper in Form von Brückdien
verlöthet, theils bilden sie mit diesen und den Rippenköpfchen eine allgemeine
Knochenmasse. Dieses makroskopische Bild deutete unzweifelhaft auf eine Spon¬
dylitis deformans (Ziegler) hin, und auch die mikroskopische Untersuchung be¬
stätigte dieses. Bei der chemischen Untersuchung wurde Vermehrung organischer
Substanzen gefunden, dagegen war die Quantität des Fettgehaltes vermindert
Die mikroskopische Untersuchung einer ganzen Reihe von Muskeln sowohl der
linken ab auch der rechten Seite zeigte in ihnen Erscheinungen einer neuritische»
Amyotrophie. Bis jetzt bt eine osteotrophische Verkrümmung der Wirbelsäule
bei Syringomyelie für strittig angesehen worden; der Fall des Vortr. beweist
seine Existenz und widerspricht der Theorie der Muskelverkrümmung (W. K. Roth).
Die Verkrümmung fing an sich in verhältnissmässig jungen Jahren (30. Jahr) so
entwickeln, wurde von Schmerzen nicht begleitet, beschränkte sich auf die oberen
und unteren Theile der Wirbelsäule und hat die Form der Kyphoskoliose au
genommen. Alles das ist der typischen Spondylitis deformans nicht eigentümlich
und hängt, aller Wahrscheinlichkeit nach, von der Grundkrankheit ab. — Vortr.
demonstrirte die Wirbelsäule, die Gelenke, mikroskopbche Präparate der Muskel»
und Knochen, Radiographieen und Zeichnungen.
DbcuBsion:
Herr Prof. W. K. Roth bemerkt, dass die Skoliose arthropathischen Ursprungs
sein kann. Jedoch bleibt die Entgegnung, welche R. gegen arthropathischen Ur¬
sprung geltend machte, zu Recht bestehen, und zwar: Die Arthropathieen bei
Syringomyelieen sind nicht häufig, während die Skoliose viel öfter beobachtet wird.
Herr A. A. Korniloff weist darauf hin, dass für Skoliose und Syringomyelie
eine gemeinschaftliche Ursache angenommen werden kann.
An der Discussion betheiligten sich noch die Herren L. S. Minor und
G. J. Pribytkoff. A. Bernstein. G. Rossolimo.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
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Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Zwanzigster
(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel)
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Jahrgang.
Monatlich erscheinen
alle liuchhandlungeo
zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark,
des In- und Auslandes, die Postanstalten des
sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.
Zu beziehen durch
Deutschen Reichs,
1901.
16. September.
Nr. 18.
'^Leipzig,
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Das ganze Jahr hindurch geöffnet. §
_Prospekte durch den dirigirenden Arzt und Besitzer Dr. med. Bauke.
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Leitende Aerzte: Dr. Determann und Dr. van Oordt (Hausarzt)
vorher mehrjähr. Assistent von Geheimruh
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Das ganze Jahr geöffnet.
OCT 11 1901
Neurologisches Centralblatt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel)
Zwanzigster " Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1901. 16. September.__Nr. 18.
Inhalt. I. Originalmlttheilungen. 1. Eine Variation im Verlaufe der Pyramidenbahn,
von Dr. Ernst StrSussler. 2. Pathohistologische Untersuchung des Centralnervensystems in
einem Palle von Sachs 'scher familiärer amaurotischer Idiotie, von Dr. Ernst Frey. 3. Weiteres
zur Klinik der Tay-Saohs 'sehen familiären paralytisch-amaurotischen Idiotie, von H. Higier
in Warschau.
II. Referate. Anatomie. I. Lc flbrille nervöse ultralerminali nelle terminazioni ner¬
vöse di senso e la teoria del neurone, pel Rutflni. 2. Contribuzioce allo studio delle vie
E iramidali nell’ uoino. Ricerche del Ugolottl. — Experimentelle Physiologie. 3. Eine
istorische Studie über die Entdeckung des Magbndib • BELL’schen Lehrsatzes, von Bickel.
4. Ueber elektrische Reizung des N. octavus und seiner Endorgane beim Frosch, von Koffler.
5. Oven de invloed van het zenuwstelke op de ademhaling, van Beyerman. — Pathologische
Anatomie. 6. Un caso di porencefalia, per Deganello. 7. Two cases of arrested develop¬
ment of the nervous system in children, by Batten. 8 . Die pathologische Anatomie der
Idiotie. Zusammenfassendes Referat von Schlitte. 9. Beiträge zur pathologischen Anatomie
der Mikrogyrie und der Mikrocephalie, von Lydia Kotschetkowa. 10. A caso of bilateral por-
encephaly, by Wigiesworth. — Pathologie des Nervensystems. 11. Zur pathologischen
Anatomie der cerebralen Kinderlähmung, von Blschoff. 12. Ein Fall von infantiler Cerebral¬
lähmung mit complicirter Oculomotoriuslähmung, von Klssling. 13. Ueber die bei den
cerebralen Kinderlähmungen zu beobachtenden Wachsthumsstörungen, von Koenlg. 14. H4mi-
plegie ceröbrale infantile congönitale avec pseudoporencöphalie etc., par Weilt et Gallavardin.
15. Cerebroplegia infantile con sintomi di paralisi agitante, per Camia. 16. Contributo alla
conoscenza delle sclerosi cerebrali infantili, per Santa de Sanctis. 17. On enuresis and
„irritable bladder" in children, by Bierhoff. 18. Ueber infantile familiäre spastische Spinal¬
paralyse, von v. Krafft-Ebing. 19. Un cas d’affection familialo ä symptömes cöröbro-spinaux.
Etüde clinique et anatomo-patholo^ique, par M>i« Pesker. 20. Un cas d’affection familiale ä
symptömes cöröbro-spinaux; diplegie spaBmodique infantile et idiotie chez deux fröres;
atrophie du cervelet, par Bourneville et Crouzon. 21. Une Observation de trophoedöme
ebronique höreditaire, par Lannois. 22. Ueber eine neue Form hereditären Nervenleidens
(Schwachsinn mit Zittern und Sprachstörung), von Giese. 23. Etüde sur trois cas de maladie
nerveuse familiale mal döfinie a alleres de paraplögie spasmodique transitoire, par Lenoble.
— Psychiatrie. 24. Ueber familiäre amaurotische Idiotie, von Faikenhelm. 25. A case of
amaurotic family idiocy, by Patrick. 26. A case of amaurotic family idiocy, by Kuh. 27. In¬
fantile amaurotic family idiocy, report of a case and ita autopsy, by Clairbonne. 28. Ueber
Degeneration und degenerirte Geschlechter in Schweden. 1. Klinische Studien und Erfahrungen
hinsichtlich der familiären Myoklonie und damit verwandter Krankheiten, von Lundborg.
29. Special classes for mentaUy defective school children, by Cannlng. 80. Jets over de
aetiologie en de pathogenese van sommige defecten der groote hersenen, naar aanleiding van
een geval van onvolkomen porencephalie, door Schotter. 31. Ueber Kopfmaasse der Idioten,
von Kellner. 32. Abnorme Charaktere, von Koch. 83. Ueber den angeborenen und früh
erworbenen Schwachsinn. Für Aerzte und Lehrer dargestellt von Berkhan. 34. Ueber die
Diagnose der Imbecillität im frühen Kindesalter, von Thiemich. 35. On pupillary anomalies
in paralysed and non-paralysed idiot children, and their relation to hereditary syphilis, by
König. 36. Die Sprachstörungen geistig zurückgebliebener Kinder, von Liebmann. 37. Vor¬
lesungen über Sprachstörungen. 5. Heft: Uebungstafeln für Stammler, sowie für hörstumme
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834
undeeistig zurückgebliebene Kinder, von Llebmann. 38. Ueber moral insanity, von ScWa.
89. Die moral insanity beruht auf einem excessiv sanguinischen Temperament, von Tili«|.
40. Die Verblödungspsychosen in der cantonalen Züricher Pflegeanstalt Rheinau, von Bertsektofw.
III. Aus den Gesellschaften. Sociöte de neurologie de Paris. — Gesellschaft der Nearo-
Pathologen nnd Irrenärzte zu Moskau. — .Medicinische Gesellschaft in Warschau.
IV. Vermischtes. XI. Congress der italienischen psychiatrischen Gesellschaft.
I. Originalmittheilungen.
[Aus der I. psychiatrischen Universitätsklinik des Hrn. Prof. v. Wagner in Wien.]
1. Eine Variation im Verlaufe der Pyramidenbahn.
Von Dr. Ernst Sträussler,
k. u. k. Regimentsarzt, zugetheilt der Klinik.
In diesem Centralbl., 1897, 8.993 veröffentlichte Hoche eine Beobachtung t«
ungewöhnlichem Verlaufe der Pyramidenbahn; aus der Litteratur lässt sich dieser:
Falle kein ähnlicher an die Seite stellen, so dass man berechtigt ist, den Be¬
fand als einen seltenen zu betrachten.
Von diesem Gesichtspunkte aus scheint uns nachstehende Beobachtung,
welche der von Hoche publicirten sehr nahe steht, der Erwähnung werth.
Das Präparat stammt von einem 66jährigen Hanne, welcher 58 Tage ntd
einer Apoplexie, die von einer linksseitigen Hemiplegie gefolgt war, starb;
Lähmungserscheinungen hatten zu dieser Zeit bereits die Tendenz zum fiüct-
gange gezeigt.
Die Section ergab kein makroskopisch sichtbares anatomisches Substrat il
der Substanz des nervösen Centralorgans für die Lähmungen; in der rechte
Arteria fossae Sylvii fand sich aber ein polypenartiger, organisirter Thrombu.
welcher im Lumen des Gefässes noch einen schmalen Weg frei liess. Es scheu;
also, dass die durch die Thrombose hervorgerufene Circulationsstörung, derei
Folgen in der Gehirnsubstanz bei der Section makroskopisch nicht mehr nach¬
weisbar waren, die Ursache für die Lähmungserscheiuungen abgab; leider war
die mikroskopische Untersuchung der Grusshirnhemisphären aus äusseren Gründe
nicht möglich.
Wir beschäftigen uns hier nur mit der mittels der MAßCHi-Methode nacü-
gewiesenen Degeneration der Pyramidenbahn, welche bezüglich ihrer Ausbreitcr.'
im Rückenmark auffallende Abweichungen vom gewöhnlichen Bilde der Pyra-
midendegeneration darbietet.
Wir verfolgten die Degeneration durch den Hirnschenkel, Pons und d»
Medulla oblongata und fanden, dass sie sich hier an die Grenzen der Pyramide':
hält, welche der lädirten Seite entsprechen.
Die Abweichung von der Norm beginnt im unteren Theile der Kreom'
mit einer Andeutung der von Hoche (1. c) als „gekreuzte Vorderstrangbabir
beschriebenen Faserbündel am inneren Rande des entgegengesetzten Vorderhonit>
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die hier sichtbaren Degenerationsschollen sind in unserem Falle spärlich und
verlieren sich noch im Bereiche der Cervicalanschwellung, etwa im 6. Cervical-
segment; die Fasern liegen ausserhalb des Feldes für die Pyramidenvorderstrang-
bahn (Fig. 1).
Die der Seite der Läsion entsprechende Pyramidenvorderstrangbahn rückt nach
der Kreuzung der Pyramidenbahn von der Peripherie ab, im unteren Cervical-
Fig. 1. Höhe der 5. Cervicalwnrzel.
mark erscheinen aber wieder einzelne Fasern gegen die Pia hin, im Dorsalmark
reicht sie sogar in einem ununterbrochenen Zuge bis an die ventrale Rücken¬
marksperipherie und wendet sich hier noch hakenförmig nach der Seite (Fig. 2);
nach unten ist sie noch deutlich im oberen Lumbalmark, aber auch noch im
Sacralmark durch einzelne Schollen markirt
In der gleichnamigen Pyramidenseitenstrangbahn zeigen sich bis ins obere
Lumbalmark zerstreute Degenerationsschollen, welche im Dorsaltheile verhältniss-
mässig am zahlreichsten sind.
Fig. 2. Höhe der 12. Dorsalwurzel. Fig. 3. Höhe der 2. Lumbalwnrzel.
Die grösste Beachtung verdient die Ausbreitung der Degeneration im ge¬
kreuzten Seitenstrange (Fig. 1, 2, 3).
Im Bereiche der Kreuzung hält dieser nach vorne hin noch die normalen
Grenzen ein, doch reicht er seitlich mit einer grossen Anzahl von Bündeln bis
an die Peripherie und nimmt so das Feld der Kleinhirnseitenstrangbahn zum
Theile für sich in Anspruch.
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In der Cervicalanschwellung geht vom Pyramidenseitenstrangfelde die Dege¬
neration in ununterbrochenem Zuge nach vorne und seitlich in den Bereich da
GowEBs’schen Bändels und nimmt diesen zum grössten Theile ein. Auch in die
seitliche Grenzschicht und in die gemischte Seitenstrangzone reichen versprengte
Faserbündel, so dass das Seitenhom von Degenerationsschollen umgeben ist; die
Kleinhirnseitenstrangbahn bleibt hier in einer schmalen Zone ziemlich rein er¬
halten.
Im Dorsalmark schliesst sich die Pyramidenbahn an die Hinterhörner eng
an, reicht nach vorne bis über das Seitenhorn, so dass die seitliche Grenzschicht
gar nicht differenzirt erscheint. Die Degeneration im Bereiche des GowEBs’schen
Bündels nimmt an Extensität nach unten stark ab, erschöpft sich aber erst im
Lendenmark vollends.
[Aus dem gehirn-anatomischen Laboratorium des Herrn Prof. Dr. Karl Schaffes
im hauptstädtischen Siechenhause „Elisabeth“ zu Budapest.]
2. Pathohistologische Untersuchung des Central¬
nervensystems in einem Falle von Sachs’scher familiärer
amaurotischer Idiotie.
Von Dr. Ernst Prey.
Die nach Sachs benannte familiäre amaurotische Idiotie gehört zu den
weniger bekannten Krankheitsformen der Nervenpathologie. Der klinische Theil
dieser Krankheit ist durch Sachs, den New Yorker Nervenarzt, genau beschrieben
worden, so dass diese Krankheitsform als solche eine ganz geschlossene klinische
Einheit bildet.
Nicht so klar ist in der SACHs’schen Krankheitsform die Pathohistologie
beschrieben. Der Grund hierfür ist der, dass die vorgenommenen Fälle nicht
genügend histologisch aufgearbeitet wurden, was zur Folge hat, dass die Histo-
pathogenese noch lange nicht festgestellt ist
Daher scheint es mir begründet, die Resultate meiner histologischen Unter¬
suchungen, welche ich an einem Falle der SACHs’schen Idiotie vorgenommen habe,
zu veröffentlichen und zur Feststellung der Pathohistogenese einigermaassen bei¬
zutragen. Ich bemerke, dass der Krankheitsverlauf durch Dr. Julius Gbosz, den
leitenden Oberarzt der Abtheilung für innere Krankheiten des Adöle Brody-
Spitales, der das Gehirn und Rückenmark nach dem Eintritte des Exitus dem
gehirnanatomischen Laboratorium des Elisabeth-Siechenhauses zur Verarbeitung
überliess, beobachtet wurde. Die histologische Aufarbeitung des Auges wurde
durch Primarius Dr. Mohr ausgeführt.
Den ersten Fall beschrieb Wahren Tay in den 80er Jahren. Seitdem
sind Beschreibungen von über 30 Fällen geliefert worden, aber nur in einigen
derselben wurde das centrale Nervensystem untersucht In zwei Fällen, die
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837
Sachs einer Untersuchung unterzog, waren die Fissuren sehr stark ausgebildet
und zeigten in ihrem Ablaufe so viele Eigenthümlichkeiten, wie wir dies bei den
auf einer niederen Stufe der Ausbildung befindlichen Gehirnen zu finden pflegen.
Der Sulcus centralis und die Fissura Sylvii laufen ineinander, die Insula liegt
frei. Die grössten Veränderungen zeigten die Pyramidenzellen der Rinde; Sachs
fand wenig Pyramidenzellen, welche nur von beiläufig normaler Structur waren.
Die meisten waren in formlose Massen umgewandelt, das Protoplasma war voll¬
ständig degenerirt, die Zellkerne und Kernkörperchen waren zum Theil verändert
und erstere oft an der Seitenwand des Zellkörpers zu sehen; an den meisten
Zellen war keine Structor mehr zu finden. Die tangentialen Fasern fehlten.
In dem Stabkranze ist ein grosser Markausfall zu bemerken. Die Blutgefässe sind
ganz normal und eine Entzündung ist überhaupt nicht vorhanden. Die basalen
Ganglien, Chiasma, Brücke und das verlängerte Mark sind nicht verändert.
Im Rückenmarke zeigen die Seitenstränge, speciell die Pyramiden, grossen Mark¬
ausfall. Kingdon fand in den Zellen der Rinde dieselben Veränderungen wie
Sachs, sowie die Vermehrung der ÜEiTERs’schen Zellen. Das Rückenmark
zeigt eine bis zum 3. Wirbel sich herabziehende Degeneration. Bei der mit
Rüssel gemeinsam gemachten Untersuchung fand er eine grosse Degeneration
der Stabkranzfasern, sowie der Pyramidenbahnen bis hinab zum untersten Theile
des Rückenmarkes, ebenso im Trigeminusbündel und im oberen Kleinhirn.
Petebson hat auch eine Veränderung der Rindenzellen gefunden, welche am
stärksten im Occipitalhirn in der Gegend der Fissura calcarina, im Frontalhirn
und in der motorischen Zone zu constatiren war.
Das klinische Bild war in sämmtlichen beschriebenen Fällen das gleiche,
mit welchem ich mich jetzt nicht eingehender befassen will. Jedoch muss
ich das charakteristische Symptom aller Fälle beschreiben. Dieses besteht in
dem Befunde des Augenhintergrundes. Dort tritt nämlich in der Gegend der
Macula lutea ein weichselrother Fleck, von einem weissen Hofe umgeben, auf,
wozu später noch Opticusatrophie hinzukommt. Dieser Befund im Augenhinter-
grunde wurde in jedem der verzeichneten Fälle wahrgenommen. Das ständigste
Symptom des Nervensystems ist Idiotie, spastische oder schlaffe Lähmung der
Extremitäten mit gesteigerten oder verminderten Reflexen.
In dem von mir bearbeiteten Falle ist zwar das klinische Bild ganz gleich
dem der übrigen, aber das pathohistologische Bild zeigt eine viel grössere und
umfangreichere Veränderung.
Jetzt können wir auf die Beschreibung unseres Falles übergehen:
Gustav ZuckermauD, der l 1 / 3 jähr. Sohn einer Tagelöhnerin, jüdischer Con-
fession, wurde am 26. Mai 1898 in das Ad61e Br6dy-Kinderspital aufgenommen.
Er soll in der Eihaut geboren worden sein. Die Geburt verlief ordnungsgemäss.
Zähne bekam er mit 11 Monaten; er konnte weder sprechen noch gehen. Seine
jetzige Krankheit begann vor 6 Monaten, damals konnte er noch sitzen und mit
eigenen Händen essen. Seitdem magert er fortwährend ab und benimmt sich
idiotisch. Seine Mutter hat er nie erkannt. Seit 3 Tagen sind sein Gesicht und
seine Augen geschwollen.
Status praesens: Schwaches, schlecht genährtes Kind, dessen Knochen-
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System die Symptome der Khachitis zeigt. Die sichtbaren Schleimhäute sind
mittelmässig blutreich. Der Kopf ist von hinten nach vorn herunter gedruckt,
so dass die Stirn sehr niedrig ist. Kopfumfang 45 cm, fronto - occipitaler Durch¬
messer 16 cm, bitemporaler 11 cm, biparietaler 13 cm, Stirnhöhe 3 cm. Der Längs¬
durchmesser des rechten Ohres 3,6 cm, der Breitendurchmesser 2,53 cm. Die Länge
des linken Ohres 3,25 cm, die Breite 2,25 cm.
Beide Pupillen sind mittel weit, träge Lichtreaction. Das Kind sucht das
Licht. Die Stelle der Macula lutea nimmt im Augenhintergrunde ein blan-
weisser Fleck in der Grösse von l 1 / 2 Papillen ein, welcher mit undeutlichen
Grenzen in den normalen Augenhintergrund übergeht, und dessen Mittelpunkt ein
weichselrother Fleck von x / 6 Grösse einer Papille bildet. Die Papillen zeigen
weder in ihren Grenzen, noch in ihrem Aussehen eine bemerkenswerthe \er-
Fig. 1. Halsanschwellung. WKiQEBT’scheFärbung. Degeneration
der Seitenstränge mit Ausnahme der Cerebellarbahn, sowie leichte
Aufhellung des GoLi/scheu Strangs. Lichtung im Vorderhornnetz.
änderung, nur ihre Farbe scheint etwas heller zu sein, und ihre Gefässe sind
etwas verengt.
Das Schlucken ist ausserordentlich erschwert; die genommene Nahrung kommt
durch den Mund und nicht durch die Nase zurück. Profuse Speichelbildung.
Bei ruhigem Liegen hält das Kind seine oberen Extremitäten im Hand- und Ellen¬
bogengelenke flectirt. Die Extremitäten können von der Flexion nur nach Be¬
kämpfung eines gewissen Widerstandes in die normale Lage gebracht werden.
Die unteren Extremitäten hält es ganz gestreckt. Die Füsse zeigen Equinus-
stellung. Das Einbiegen der Gelenke kann auch nur nach Bekämpfung eines
Widerstandes geschehen. Der Spasmus ist in den beiden unteren Extremitäten
gleich, an der oberen rechten Extremität etwas stärker, als an der linken
Manchmal verschwindet der Spasmus für kurze Zeit ganz. Das Sitzen ist un¬
möglich. Bei einem Versuch senkt sich der Kopf auf die Brust, und auch der
Rumpf krümmt sich. Die sämmtlichen Reflexe sind ausserordentlich gesteigert.
Unter dem Einflüsse von Geräuschen schreckt das Kind gewöhnlich zusammen.
Kein Fieber. Schwacher Appetit. Stuhlverstopfung.
Das Schlingverraögen bessert sich nach einigen Tagen. Im Juli tritt Fieber
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auf. Zu gleicher Zeit zeigt sich deutlich Opisthotonus. Strabismus convergens.
Am 14. Juli Eklampsie. Nach einigen Anfällen Exitus.
Section am 15. Juli durch Prof. Prkisz:
Die frontale und parietale Rinde eines mittelgrossen Gehirns, hauptsächlich
aber das ganze Kleinhirn, sowie die an den Balken grenzenden Theile des Centrum
semiovale sind sehr harter Consistenz, fast knorpelig. Einzelne harte, umschriebene
Herde sind nirgends zu finden. Das Rückenmark soheint von etwas härterer
Consistenz zu sein. Die weisse Substanz der Hinterstränge im unteren Dorsal¬
marke ist etwas grau und durchschiramernd. In den übrigen Organen ausser
Anämie keine Veränderung.
Gehirn und Rückenmark 1 wurde in MüLLER’scher Flüssigkeit gehärtet und
zum Theil mit Mabchi’s, zum Theil mit Weigert- Woltebs’ Methode untersucht.
Fig. 2. Lumbalansckwellung. WEiUKRT’sche Färbung. Degeneration des
Seitenstranges. Bcinerkenswerth ist der Mangel jenes Fosernetzes, welches die
antero- und postero-latcrale Zcllgruppe des Vorderhorns umgiebt.
NiSßL-Färbung konnte ich leider nicht machen. Au den Weigert 'sehen Bildern
war Folgendes zu sehen:
Auffallend ist die entlang des ganzen Rückenmarkes auftretende Degeneration
der Seitenstränge, und zwar die der seitlichen Pyramiden, der GowBRs’schen Stränge
und der seitlichen Grenzschichten. Die Kleinhirnseitenstrangbahn und die Vorder¬
stränge sind normal (Fig. 1). Die Degeneration der Hinterstränge, speciell des
GoLii'schen Stranges, beginnt im unteren Dorsalmark, welche Veränderung auch
im Halsmark sichtbar ist, die man bis zu den GoLL’schen Kernen in der Oblon-
gata verfolgen kann. Auch die graue Substanz des Rückenmarks zeigt Verände¬
rungen. Speciell im Halsmark ist das fast vollständige Fehlen des Netzes an den
Vorderhörnern (Fig. 1) deutlich zu bemerken. Nur hie und da sind einige varicöse
1 Die Präparate vorliegenden Falles wurden am 25. Februar 1899 der psychiatrischen
ßection des königl. Aerztevercins in Budapest demoustrirt.
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Markscheiden zu sehen. Die Veränderungen der Vorderhörner im Lumboaacral-
mark (Fig. 2) sind schon inselartig; hier dehnen sioh die Veränderungen bereits
auf die mediale, laterale und centrale Zellgruppe aus. Die Clarke 'sehen Säulen
(Fig. 3) meist unverändert. Die Pyramiden der Oblongata sind fast ganz marklos.
In der Formatio reticularis grisea ist kleiner Markmangel, während in der For-
matio alba derselbe ziemlich gross ist. Das Corpus restiforme, sowie der aus¬
tretende Hypoglossus sind unverändert. Die Veränderung der Brücke ist im
ventralen Abschnitte derselben zu sehen, und zwar in jenem Theile, der sein
Faserwerk vom Kleinhirn bekommt. Die transversalen Fasern sind rareficirt; in
den Pyramiden ist grosser Markausfall zu constatiren. Der austretende Trigeminus
und der dorsale Abschnitt der Brücke zeigen keine Veränderungen. Das mediale
und laterale Drittel des Pedunculus sind ganz marklos, das mittlere hat dort, wo
Fig. 3. Unteres Dorsalmark. Weiqbrt 'sehe Färbung. Degeneration
der Seitenstränge. Normoie CnasKE'sche Säulen.
sich die Pyramiden fasern befinden, auch eine Veränderung erlitten, denn die Zahl
der mit Markscheiden versehenen Fasern ist geringer, und der ganze Theil in
grau (Fig. 4). Die SoKMMERiNG’sche Substanz zeigt normale Entwickelung: die
Kreuzung der Bindegarne und der austretende Oculomotorius sind normal. Jener
Theil des Thalamus, welcher in Verbindung steht mit den aus der Rinde kommenden
Fasern, also der mediale Theil des Thalamus, ist fast ganz marklos, während
jener Theil, dessen Fasersystem aus centripetalen Fasern besteht, in genügender
Menge mit Markscheiden versehene Fasern enthält.
Die Schleife und der Oculomotorius sind normal. Beide rothen Kerne sind
markig. Die innere und äussere Kapsel sind nur angedeutet und marklos. Der
mediale und laterale Theil des Pes pedunculi sind arm an Mark. Die entschieden
degenerirten Tractusfasern zeigen mit WEiGERT-Hämatoxylin fahle Färbung. In
der Rinde ist grosser Markmangel. Am auffallendsten ist dies in der frontales
Rinde, welche fast ganz marklos ist, weniger in der occipitalen Rinde, und
zwischen diesen beiden steht die Rindensubstanz des Gyrus centralis anterior und
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Fig. 4. Eine Partie aus dem Hirnschenkel. WEiGBBT’sche Färbung.
Bemerkenswerth ist der Faseransfall in der medialen Hälfte des Pedunculus.
An den MABCHi-Präparaten sind folgende Veränderungen zu bemerken: Im
Rückenmark typische descendirende Degeneration der Pyramiden; die Seitenstränge
enthalten hier viel Myelinschollen. Viel kleiner ist ihre Zahl in den GowEBs’schen
Strängen und in der Kleinhirnbahn. Im Halsmark zeigen auch die Hinterstränge
Entartung. Die graue Substanz des Rückenmarks, überhaupt die Vorderhörner,
enthalten auch viel Myelinschollen. In der Oblongata enthalten die Pyramiden
und die Formatio reticularis sehr viel Myelinschollen. Während der austretende
Hypoglossus keine Veränderung zeigt, trifft in der Brücke die Entartung haupt¬
sächlich die Pyramiden und die transversalen Brücken fasern, in geringerem Maasse
die Schleife und die Bindearme. Die innere Kapsel zeigt in jener Gegend die
grössten Veränderungen, wo die Hirnschenkel sich zu entwickeln beginnen, indem
hier schon in genügender Menge Myelinschollen und Körnchenzellen zu sehen
Bind. Thalamus und Linsenkern sind nicht verändert: ebenso unverändert ist die
vordere Commissur und der Balken. Die grössten Veränderungen zeigen die
verschiedenen Rindenbezirke. Hier sind die Gefässe mit Myelinschollen gefüllt;
posterior. Die snpraradiären Fasern sind in sehr geringer Zahl vorhanden,
während die tangentialen Fasern in allen Schichten fehlen.
An nach van Gieöon und mit Hämatomyelineosin gefärbten Präparaten sind
die grossen Veränderungen der Pyramidenzellen ersichtlich. Der Gestalt nach
sind es formlose rundliche Gebilde, an welchen die typische Pyramidenform nicht
einmal angedeutet ist. Von einer Entzündung ist nicht die geringste Spur zu
entdecken. Die Gliakerne sind etwas vermehrt Die Blutgefässe sind ziemlich
gut entwickelt.
Als auffallenden Umstand müssen wir erwähnen, dass die Grosshirnhemisphären
nicht die geringste morphologische Veränderung zeigen. Die Furchen und Win¬
dungen zeigen normale Configuration. Die Grösse des Gehirns ist dem Alter des
verstorbenen Kindes entsprechend.
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842
sehr viel Myelinschollen liegen perivasculär. Die grösste Veränderung zeigt
die motorische und occipitale Rinde, in geringerem Maasse die frontale und
temporale. Die Pyramidenzellen sind in hohem Maasse degenerirt. Der Nucletn
dentatus des Kleinhirns, sowie dessen weisse Substanz enthalten sehr viel Myelin-
Schollen, welche verhältnissmässig die grössten sind. Geringer ist die Verände¬
rung in den Kleinhirnwindungen. Tractus opticus und Chiasma zeigen entschiedene
Degeneration, während der Opticus ganz gesund erscheint.
Leider habe ich, wie schon erwähnt, Nissl-F ärbung nicht gemacht. Aber
es ist wahrscheinlich, dass ich sowohl in den Rindenzellen sowie in den Ganglien¬
zellen des Rückenmarks grosse Veränderungen gefunden hätte.
In einem anderen Falle der familiären Idiotie, der gegenwärtig im Labo¬
ratorium untersucht wird, wo die Veränderungen fast ganz übereinstimmen mit
dem beschriebenen Falle, ist auf den NissL-Bildern eine hochgradige Degeneration
der Nervenzellen mit Vacuolenbildung zu erkennen.
Wir ersehen also, dass die Veränderungen sehr ausgebreitet sind, sowohl
im Gehirn, als auoh im Rückenmark abweichend von den durch Sachs unter¬
suchten Fällen, welcher weder in den basalen Ganglien, noch in der Brücke
Veränderungen fand.
Sachs hält die im Gehirn sich zeigenden Veränderungen für eine Agenesis
corticalis, mit der er die im Rückenmark sich zeigenden Veränderungen in Ver¬
bindung bringt Er stützt seine Ansicht noch damit, dass die äussere Con-
figuration des Gehirns mit dem Gehirn der Idioten übereinstimmt
Wir können diese Annahme von Sachs nicht bestätigen, da, wie wir später
sehen werden, diese Veränderungen als Degenerationen post partum anzunehmen
sind, und als keine Entwickelungsanomalieen. Der Ansicht Freüd’s, dass
die SACHs’sche Idiotie eine cerebrale Diplegie sei, widersprechen die typischen
Veränderungen des Augenhintergruudes, sowie der histologische Befund des
Gehirns und Rückenmarks.
Und nun gehen wir zu deu Folgerungen über, welche wir aus dem specielien
Falle ableiten können, und die schon Prof. Schaffeb in einer Sitzung der
königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest am 5. Februar 1899 entwickelt hat.
Vor Allem möchte er als auf eine fundamentale Erscheinung darauf hin-
weisen, dass das ganze centrale Nervensystem, aber hauptsächlich die grösseren
Hemisphären, keine makroskopisch-morphologische Veränderung zeigen. Schon
allein aus diesem Umstaude folgt, dass in diesem Falle angeborene Entwickelungs¬
fehler nicht vorliegen. Alle Zeichen weisen eher darauf hin, dass wir ein normal
entwickeltes Gehirn vor uns haben, welches ausschliesslich in extrauterinalem
Zustande durch eineu degenerativen Process angegriffen wurde. Dieser Process
breitet sich über das ganze centrale Nervensystem aus, hauptsächlich aber über
die Rinde der Hemisphären, dessen Krankheit als secundäre Veränderung das
Fehlen der Fasern im Mittelhirn, Brücke, Kleinhirn, Oblongata und Rückenmark
verursachte. Dieser Process verbreitet sich über die vorderen Eömer des
Rückenmarks und zum Schlüsse über die hinteren Wurzeln des Rückenmarks,
dem die in den Hintersträngen sich zeigende typische ascendirende Degeneration
entspricht
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843
Und so steheu wir nun einem ausgedehnten Entartungsprocesse gegenüber,
den Schaffer mit der amyotrophischen Lateralsklerose verglich. Das anato¬
mische Substrat der Letzteren entspricht gänzlich der Pathohistologie des vor¬
liegenden Falles. Der Unterschied ist nur der, dass letzterer ein degenerativer
Process des Säuglingsalters, ersterer ein solcher des Erwachsenen ist. .
Litteratur.
Warben Tav, Transactions of the Ophthalinological Society of the United Kingdom. 1884.
Goldzibber, Orvosi Hetilap. 1885. S. 202.
Kingdon, Transactions of the Oplithalmological Society of the United Kingdom. XIL
Kingdon and Rossel, Infantile cerebral degeneration with syminetrical changes of the
macula. Lancet 1897.
Higier, Zur Klinik der familiären Opticusaffection. Deutsche Zeitschr. für Nerven-
heilk. X.
Sacds, Die amaurotische familiäre Idiotie. Deutsche med. Wochenschr. 1898.
Derselbe, Familiäre amaurotische Idiotie. Encyklop. Jahrbücher der ges. Heilk. VIII.
Petebson, Case of amaurotic family idiooy with autopsy. Journal of Nerv, and
Ment. Dis. 1898.
Fbeud, Zur Kenntnißs der cerebralen Diplegieen des Kindesalters.
Mohr, A Sachs fdle idiotia amaurotica familiaris. Orvosi Hetilap. 1899.
3. Weiteres zur Klinik der
Tay-Sacks’schen familiären paralytisch-amaurotischen Idiotie.
Von H. Higier in Warschau.
In einigen Abhandlungen 1 aus den letzten Jahren hatte ich Gelegenheit,
wiederholt dem interessanten Thema der selteneren familiären und heredi¬
tären Nervenkrankheiten näher zu treten. In einer derselben, die vielleicht
nicht ganz zutreffend „Zur Klinik der familiären Opticusaffectionen“ betitelt
wurde, suchte ich an klinischen Beispielen vier deutlich von einander differirende
nosologische Gruppen zu unterscheiden, deren eine diejenige umfangreiche Kate¬
gorie von Opticusatrophieen umfasste, welche gelegentlich als erste Erscheinung
einer schweren heredo-familiären Erkrankung des centralen oder peripheren
Nervensystems auftreten. Hier Hessen sich erwähnen die H6r6do-ataxie cere-
belleuse, die familiären spastischen Spinalparalysen, manche Muskelatrophieen
und -Dystrophieen, die chronische familiäre Chorea, Athetose und sonstige cere¬
brale Diplegieen, kurzum der spinale, cerebrale und cerebrospinale Typus, vom
anatomischen Gesichtspunkte, der spastische, ataktische und amyotrophische, vom
klinischen Standpunkte betrachtet.
1 H. Higier, Ueber die seltenen Formen der hereditären und familiären Hirn- und
Rückenmarkskrankheiten. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. IX. 1896. S. 1—70. — Zur
Klinik der familiären Opticusaffectionen. Ebenda. XI. 1897. S. 489—505. — Beitrag zur
Klinik der genuinen nnd concomitirenden Sehnervenentzündnngen. Neurolog. Centralbl.
1898. Nr. 9.
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844
Aus der grossen und relativ wenig studirten Gruppe der cerebralen Kinder¬
lähmungen dürfte zweifelsohne derjenigen Form eine besondere Stellung ein¬
geräumt werden, die manche Augenärzte mit Waben Tay an der Spitze toi
Jahren als „familiäre symmetrische Affection der Macula lutea“ und
der New-Yorker Neurologe Sachs, unabhängig von denselben, vor Kurzem ab
„amaurotic family idiocy“ beschrieb. Die TAY-SACHs’sche Krankheit
unterscheidet sich von den sonstigen infantilen Hirnlähmungen vor Allem da¬
durch, dass bei derselben neben der Opticusatrophie eine äusserst charakteristische
Affection des gelben Fleckes beider Augen oonstant sich nachweissen lässt, die
sonst weder bei irgend welcher Augenkrankheit, noch bei Hirnleiden zur Beob¬
achtung gelangt. Zwar tritt sie in manchen Ausnahmefallen in den Hinter¬
grund, indem sie der Atrophie des Nerven nachfolgt — und so war es auch
in dem von mir als familiäre Opticusaffection beschriebenen Falle —, allein in
der überwiegenden Mehrzahl der vorliegenden Beobachtungen beherrscht es so
sehr das Krankheitsbild, dass manche Ophthalmologen, die die ersten eigentüm¬
lichen Veränderungen des Augenhintergrundes zu sehen bekamen, in ihrer Be¬
schreibung das sonstige Verhalten des Nervensystems beinahe ganz ignorirten
oder wenig berücksichtigten.
Auf eine eingehende Schilderung des äusserst charakteristischen Krankheits¬
verlaufes verzichte ich, indem ich auf meine letztgenannte Abhandlung x , wo die
afficirte Familienmitglieder erwähnt werden, verweise und von späteren Arbeit«
besonders die zusammenfassenden Darstellungen von Sachs 8 , Mohr* um
Falkenheim 4 zur Orientirung empfehle. Soviel sei nur gesagt, dass der
allmähliche Beginn des Leidens nach einer mehrmonatlichen normalen Ent¬
wickelungsperiode und das Verhalten der Kinder — speciell die Apathie
das progressive Aufhören der spontanen Bewegungen, die Unmöglich^:,
den Rücken gerade und den Kopf aufrecht zu halten, die Hyperacusis — s*
durchaus charakteristisch sind, dass man die Fälle, sofern man einen der¬
selben gesehen, ohne Weiteres wieder erkennt, den eigentümlichen Befund aa
Augenhintergrunde mit grosser Sicherheit voraussagt und den familiären Charakt- :
der Krankheit beim ersten Familienmitgliede voraussieht. Ein sehr geübte,
klinisch gut geschulter Augenarzt, dem ich unlängst ein betreffendes Kind bebcs
ophthalmoskopischer Untersuchung zuschickte, war geradezu erstaunt, als ich ihm
beim ersten Ansehen des Kindes in einer Familie, wo sämmtliche Antecedentw |
fehlten, das Leiden als familiär bezeichnet« und seiner Aufmerksamkeit besonders
die Maculae luteae empfahl, diejenigen Stellen der Netzhaut, die im frübei
Kindesalter fast nie symmetrisch und in so eigentümlicher Weise affidrt r.
sein pflegen. Ebenso imponirend und leider auch deprimirend wirkt es auf dir
1 H. Hioier, Ii. c. S. 500—505.
3 B. Sachs, Die amaurotische familiäre Idiotie. Deutsche med. Wochenschr. 1898. Nr.
3 M. Mohr, Die SACHs'sche amaurotische familiäre Idiotie. Archiv f. Augenh£l
kuude. XLI.
4 Falkenheim, Ueber familiäre amaurotische Idiotie. Verhandlungen der 72. Vena*»
lung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte 1900.
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845
Eltern, wenn man sie über analoge, in der Regel letal verlaufene Krank¬
heitsfälle in derselben Familie interpellirt, bezw. solche bei kaum merkbaren
klinischen Erscheinungen mit reinem Gewissen voraussagt. Die verhängniss-
volle Krankheit greift sich unter den gesund geborenen Kindern ihre Opfer
ohne bestimmte Regel heraus, gleich die ersten der Reihe nach befallend oder
dazwischen das eine oder das andere Kind überspringend oder gegen Schluss
der Generationsreihe einsetzend. Der weitere Verlauf ist ebenfalls mit absoluter
Sicherheit vorauszusehen: Idiotie, Marasmus und letaler Ausgang am Schlüsse
des 2. oder im Laufe des 3. Lebensjahres.
Dass neben der genuinen Opticusatrophie, die hier und da vermisst werden
soll, das Verhalten des gelben Fleckes das Hauptcharakteristicum darstellt, wird
von sämmtlichen Autoren zugegeben, und noch heute besitzt ihre volle Gültig¬
keit die erste Beschreibung Waben Tay’s: „In beiden Augen war in der
Gegend des gelben Fleckes ein auffälliger, ziemlich begrenzter, grosser weisser
Fleck, mehr oder weniger rund, der im Centrum einen brauurotheu, ziemlich
runden Punkt zeigte, der stark mit dem weissen Fleck, der ihn umgab, con-
trastirte. Dieser mittlere Punkt sah durchaus nicht wie eine Blutung aus, noch
wie eine Folge von Pigment, sondern es schien wie eine Lücke in dem weissen
Flecken, durch welche man gesundes Gewebe sah. Thatsächlich ist das Bild
mit jenem zu vergleichen, welches wir bei Embolia art. centr. retinae zu sehen
gewöhnt sind.“
Bei uns zu Lande, wo das semitische Element etwa x /e ^ er Gesammt-
bevölkerung ausmacht, scheint die familiäre amaurotische Idiotie ein relativ
seltenes Leiden zu sein. Diese Thatsache dürfte desto auffallender sein, da
nach den mir zur Verfügung stehenden Krankengeschichten amerikanischer
Autoren, die mehr als eine Hälfte der Fälle beschrieben haben, es sich beinahe
ausschliesslich um jüdische, von Polen, Litthauen und Südrussland zugereiste
Familien gehandelt hat.
Zur Zeit meiner ersten Publication waren in der medicinischen Litteratur
10 Familien notirt, jetzt liegen genaue Berichte über 24 vor. Von meinen 2
neuen Familien sei Folgendes angeführt:
Fall L X. X., l’/j Jahre alt, kam in meine Poliklinik im Mai 1901.
Stammt aus einer israelitischen, in guten Verhältnissen lebenden Kaufmannsfamilie.
Die Eltern sind gesunde, kräftige Leute, 36 bezw. 35 Jahre alt, nicht blutsverwandt.
Kein Alkoholismus, keine Lues. Von 8 älteren Kindern ist eins an Lungen¬
entzündung, eins an Hydrocephalus gestorben. Die 6 lebenden Kinder leiden
sämmtlicb an einer Sprachstörung (Sigmatismus), hier und da mit Stottern ver¬
bunden. Hereditäre nervöse oder psychopathische Belastung fehlt.
Das kranke Kind, das keine Antecedentien in der Familie aufzuweisen hat,
kam nach ungestörter Schwangerschaft durch normale Geburt gut zur Welt, nicht
asphyktisch. Die ersten 5—6 Monate entwickelte es sich bei der Mutterbrust ganz
gut, ohne etwas Abnormes aufzuweisen. E« konnte mit 4 Monaten gut sitzen, mit
6 Monaten einigermaassen stehen, hob den Kopf ganz normal, sah und erkannte die
Mutter, lachte, wenn man mit ihm spielte. Der erste Zahn brach im 7. Monate
durch. Die Entwöhnung fand am 14. Monate statt.
Mit 6 Monaten trat ein deutlicher Stillstand und dann ein Rückgang in der
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846
physischen und psychischen Entwickelung des Kindes ein, angeblich nach den
kräftigenden Salzbädern, die von einem Arzte nach durchgemachtem Keuchhusten
verordnet wurden. Es spielte immer weniger, lernte nicht mehr nach Gegenständen
greifen, wurde theilnahmlos, weinte nur beim Aushungern, die spontanen Be¬
wegungen hörten allmählich auf, das Kind wurde immer schlaffer und konnte sich
wegen Schwäche des Rückens nicht mehr aufrecht halten. Schwere fieberhafte
Infectionskrankheiten seien nicht vorausgegangen.
Bei der Untersuchung zeigt sich das Kind seinem Alter entsprechend phy¬
sisch gut entwickelt und in günstigem Ernährungszustand. 78 cm lang, Kopf¬
umfang 48cm, Brustumfang 46,5 cm, keine Zeichen von Rbachitis. 6 gut. und
normal ausgebildete Zähne. Das Kind vermag weder zu stehen, noch ohne Stütze
zu sitzen, noch auch den Kopf gerade zu halten. Es liegt in den Armen der
Mutter wie eine bewegungslose, apathische Masse.
Die Musculatur ist ungemein schwach, nicht welk, reagirt ebenso wie die
Nerven normal auf galvanische und faradische Ströme. Spontan bewegt es die
Extremitäten nur ausnahmsweise, mag es von Fliegen beunruhigt werden oder
vom Arzte bei der Untersuchung berührt oder mit einer Nadel gestochen werden.
Man kann es ruhig, ohne etwas zu befürchten, am Fenster liegen lassen, trotzdem es
im ersten halben Lebensjahre durch seinen lebhaften Bewegungsdrang ab und zu
aus der Wiege herauszufallen drohte. Contracturen fehlen. Die Sensibilität
scheint erhalten zu sein. Das Verhalten der Hautreflexe ist normal, das der
Sehnenreflexe ist nicht constant. Bei der ersten Untersuchung fielen eine eigen¬
tümliche Summation des Kniereflexes und Verspätung um etwa 3 Secunden auf,
gelegentlich auch ein gehäuftes Zucken des zweiten Unterschenkels (gekreuzter
Reflex). Bei der zweiten Inspection fehlten die von mehreren Aerzten controlirten
Phänomene. Babinski’s Zehenreflex ist an beiden Seiten sehr gut ausgesprochen.
Das Gehör ist ausserordentlich gesteigert, das Kind erschrickt und zuckt zu¬
sammen bei plötzlichem, auch leisem Geräusch. Der Geschmack ist erhalten: es
liebt saure, nicht gesalzene Speisen, trinkt nie ungesüssten, ungern kalten Thee,
Hungergefühl erhalten. Lacht öfters, weint selten und leise.
Pat. hat nie an Convulsionen gelitten. Nach der elektro-diagnostischen Unter¬
suchung, speciell der Gesichtsrausculatur, weinte das Kind mehrere Stunden und
bekam am nächsten Tag — post hoc oder propter hoc? — Krämpfe, die mit
kurzen Intervallen mehrere Tage anhielten und von profusem Erbrechen be¬
gleitet waren.
Es ist in keiner Weise zum Fixiren eines Gegenstandes zu bringen, die Augen
starren meist mit divergenten Axen ins Weite. Die Beweglichkeit der Augäpfel
zeigt nach keiner Seite eine Beschränkung. Die Pupillen sind von normaler Weite,
aber träger Reaction. Am Augenhiutergrunde, dessen erste Untersuchung ich
der Liebenswürdigkeit des Ophthalmologen Dr. Muttermilch verdanke, erhielt
ich beim Kinde, das ich mehrere Male in einem Zwischenräume von über einem
Vierteljahre sah, jedes Mal genau denselben Befund: Sehnervenscheibe ab¬
geblasst, mit einem deutlichen Stich ins Gelbe, wobei besonders die maculare
Hälfte des Nervenquerschnittes entfärbt ist (Atrophia nn. opticorum). Die
Maculae luteae sind in ein intensives Blaugrau gekleidet, wobei die Färbung so
ausgesprochen ist, dass die sich beim Ophthalraoskopiren constant einstellende
Macula die atropinisirten Pupillen bläulichweiss erscheinen lässt. Die metallisch
glänzende Stelle des gelben Fleckes beträgt etwa 2 Papillendurchmesser. In der
Mitte des Fleckes ist die kir.-ehrothe Fovea centralis zu sehen, die sich in ein
dunkler gefärbtes Centrum und einen etwas weniger tingirten concentrischen Ring
differenziren lässt. Der übrige Augenhintergniud ist normal, ebenso wie die Form
und Spannung der Augen. Der genannte Befund gilt in gleichem Maasse für
beide Augen.
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847
Sehen wir von dem etwas eigentümlichen Verhalten der Sehnenreflexe
und von dem Zehenphänomen, das nach Babjnski auf Läsion der Pyramiden¬
bahn hinvreist, ab, so handelt es sich hier um einen ganz typischen, bei einem
einzigen unter 8 Geschwistern vorkommeuden Fall von TAY-SACHs’scher familiärer
paralytisch-amaurotisoher Idiotie ohne Familiarität.
Die vielfach discutirte Frage, ob man berechtigt sei, einen Symptomen-
complex, der klinisch einer bestimmten heredofamiliären Krankheitsgruppe ent¬
spricht, aus dem einfachen Grunde aus der betreffenden nosologischen Rubrik
auszuschliessen, dass man weder in der Ascendenz, noch in derselben Generation
ein identisches Leiden oder eine analoge Neuropathie nachweisen kann, ist schon
längst mit Recht in negativem Sinne entschieden worden. Die Heredität und
Familiarität spielen unzweifelhaft eine hervorragende Rolle, können und dürfen
jedoch nie au und für sich als differentiell-diagnostisches Zeichen zwischen
zwei sonst identischen Krankheitsbildern dienen. Kennen wir doch typische Fälle
von hereditärer FniEDREiCH’scher Ataxie ohne Heredität und von progressiver
familiärer Muskeldystrophie ohne Familiarität!
Dass die amaurotische Idiotie, wie in unserem Falle, gelegentlich gegen
Schluss der Generationsreihe einsetzt, beweisen die zwei Familien vou Koplik,
wo nur die letzten Kinder befallen wurden, in der einen Familie das 5., in der
anderen das 9.
Fall II. Z. Z., 12 monatliches, israelitisches Mädchen. Die Grosseltern sind
blutsverwandt (Geschwisterkinder). Beachtenswerte Altersdifferenz ist bei den
Eltern nicht zu eruiren. Ein Bruder der Ehefrau ist paranoisch, ein zweiter
leidet an progressiver Paralyse. Von den 5 älteren Geschwistern der jungen
Patientin sind zwei (1 und 3) an einem ähnlichen Leiden erkrankt gewesen,
wobei der eine Bruder im 3. Lebensjahre an Marasmus, der zweite im 15. Monate
an intercurrentem Brechdurchfall starb. Beide Kinder sollen am Lebensende
blind und blöde gewesen sein. Geburt des Kindes normal. Mutterbrust. Gegen¬
wärtige Krankheit begann im 7. Monate, zu welcher Zeit es noch sitzen und
aus eigener Hand essen konnte. Seit einigen Monaten magert es fortwährend
ab, zeigt ein blödes Verhalten, fixirt keine Gegenstände, erkennt die Mutter
nicht.
Schwach entwickeltes Kind. Keine Rhachitis, keine Zeichen von Syphilis.
Schädel von hinten nach vorn abgeflacht. Stirn ziemlich niedrig. Starke Sali-
vation. Mund und Rachen rein. Bei ruhiger Lage sind die Beine völlig ge¬
streckt, die Füs8e zeigen die Stellung des Pes equinus. Die oberen Extremitäten
sind im Hand- und Ellbogengelenk schwach gebeugt und an den Rumpf gezogen.
Durch Ueberwindung eines gewissen Widerstandes können die Glieder in normale
Stellung gebracht werden. Für Momente hört der beiderseits in gleichem Maasse
ausgesprochene Spasmus spontan auf. Kopf nach vorwärts auf die Brust geneigt,
Rumpf stark gebeugt. Sümmtliche Reflexe schwach gesteigert. Kein Clonus
pedis. Ausgesprochene Hyperacusis. Erkennt die vorgehaltene Flasche nicht
mehr als solche, nach der es früher zu fassen pflegte. Kalte Getränke verab¬
scheut es. Obstipation. Zustand fieberfrei. Pupillen erweitert, träge Licht-
reaction, das Kind scheint einigermaassen die Lichtquelle zu erkennen. Kein
Nystagmus, keine Augenmuskellähmung. Die wichtigsten Nerven und Muskeln
zeigen bei elektrischer Untersuchung keine nennenswerthe Abweichung von
der Norm.
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848
Ich verordnete der Patientin Salzbäder und rieth der Mutter, vorbeugongs-
weise die eventuell nachfolgenden Kinder nicht mit ihrer eigenen Brost zu
nähren und bei den Neugeborenen männlichen Geschlechts die rituelle Circom-
cision zu unterlassen bezw. auf das dritte Lebensjahr zu verschieben. Zur zweiten
Untersuchung, bei der eine ophthalmologische Inspection vorgenommen werden
sollte, zeigte sich die durch die infauste Prognose beunruhigte Mutter mit dem
Kinde nicht mehr. Wie ich unlängst erfahren habe, ist das Kind nach
8 Monaten an allgemeiner Schwäche zu Grunde gegangen.
Trotzdem in diesem Falle die Untersuchung des Augenhintergrundes fehlt
und wir über das Verhalten des Nerven und gelben Fleckes unorientirt sind,
glaube ich ohne Weiteres die Diagnose: „Familiäre paralytisch-amaurotisd*
Idiotie* 4 stellen zu dürfen. Waren doch thatsächlich die Familiarität, Paralysen.
Amaurose und Idiotie ganz präcis ausgesprochen. Der Beginn des Leidens am
Anfänge der zweiten Jahreshälfte — nach vorausgegangener normaler Ent¬
wickelung — mit fortschreitender Muskelschwäche und Verfall der geistige!
Fähigkeiten, der Abschluss der Krankheit im Laufe des 2. Lebensjahres, die
Blutsverwandtschaft und psychopathische Belastung dürften ebenfalls für unsere
Vermutbung sprechen.
Um noch a posteriori die Diagnose sicher zu stellen, wendete ich mich
unlängst — nach dem Verlauf einiger Jahre — brieflich an die Eltern mk
der Bitte, mir manche Auskünfte über die letzten Lebensmonate des unglück¬
lichen Kindes und eventuell über neue analoge Krankheiten in der Familie
mitzutheilen. Die Mutter brachte mir zur Untersuchung einen jungen, gut ent¬
wickelten Knaben, bei dem ich folgende personelle Anamnese und Status morb;
erheben konnte.
Fall III. U. U., 13V 8 Monate alt, nächstfolgender Bruder der oben be¬
schriebenen Patientin. Wurde zur gehörigen Zeit in Steisslage ohne Asphyxie
geboren. Die rituelle Circumcision wurde unterlassen, Stillung mittelst der Mutter¬
brust verboten. Das Kind entwickelte sich bis zum 8. Lebensmonate — vqe
leiohten Masern abgesehen — ganz normal. Vermochte ganz gut ohne Stütze
zu sitzen und zu stehen, auch den Kopf gerade zu halten, griff nach Gegenständen,
die ihm in die Hand gegeben wurden, lernte das Spielzeug halten und es aus der
einen Hand in die andere nehmen. Im 7. Monat bekam es den ersten Zahn. An¬
geblich ohne äussere Veranlassung begann es im 8. Monate immer schwächer und
theilnahmslos gegen die Umgebung zu werden. Die ängstlich beobachtenden Eltern
wollen schon etwas früher ein Sistiren der geistigen Entwickelung bemerkt haben
Der Rückgang fand in langsamem, aber stetigem Tempo statt, so dass die durch da*
Unglück mit den vorhergehenden Kindern argwöhnisch gemachte Matter sehr
früh die richtige verhängnisvolle Diagnose stellen konnte.
Das ziemlich gut entwickejte Kind liegt bewegungslos. Weint selten, ab
und zu lacht es ohne besondere Ursache auf. Der Kopf ist von normaler Grösst,
gut geformt, die Fontanellen noch nicht völlig geschlossen, geringer Rosenkranz.
2 Zähne im Unterkiefer, Gesichtsfarbe blass, blöder und nichtssagender Gesichts¬
ausdruck. Innere Organe sind nicht nachweisbar krank. Der Knabe liegt kraft¬
los in den Armen der Amme, die Glieder können kaum bewegt werden, der Kopf
sinkt ohne jede Willensintention von der einen Seite auf die andere, in der
Rückenrausculatur ist keine Kraft vorhanden. Eigentliche Contracturen be¬
stehen nicht.
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849
Er fasst nur schwach und langsam die in die Hand geschobenen Gegen¬
stände, ohne auf dieselben zu achten oder nach denselben zu greifen. Wird das
Kind aufgehoben, so fällt der Kopf auf die Brust herab, und die Arme hängen
beiderseits herunter. Auf Stechen mit einer Nadel werden die Arme langsam
und ohne Schmerzensäusserung angezogen, gelegentlich fehlen die trägen Abwehr¬
bewegungen. Es macht fortwährend Saugbewegungen und thut seinen Hunger
durch Weinen kund. Reflexe normal. Krämpfe werden nicht beobachtet. Der
Patient fahrt auch bei leisem Anrufen zusammen, ohne jedoch seinen Kopf nach
dem Geräusche hinzuwenden.
Blick leer. Pupillen reagiren auf Lichtschein. Fixation abwesend. Horizon¬
taler Nystagmus. Die Beweglichkeit der Bulbi zeigt nach keiner Seite Beschrän¬
kung. Die brechenden Medien klar. Papillen blass — im Zustande einer sich
entwickelnden primären Atrophie. Die Gegend der Macula lutea stellt einen
ziemlich begrenzten, weissen, ovalen Fleck dar mit einem bräunlichrothen kreis¬
runden Punkte in der Mitte. Das Bild erinnert sehr an daB bei Embolie der
centralen Netzhautarterie und ist an beiden Augen ganz identisch. Die Retina-
gefasse Bind sonst im Kaliber, wie in Färbung intact.
Auch hier finden wir das typische Bild von Tat-Sachs ausgesprochen,
wobei, wie in dem ersten Falle, neben der charakteristischen Maculaläsion Atrophie
der Sehnerven vorliegt
Differentiell-diagnostische Schwierigkeiten dürften sich kaum irgendwo
einBtellen. Die einzige Krankheitsform, die etwa in Betracht kommen könnte,
ist diejenige ziemlich seltene cerebrale Diplegie, die familiär vorkommt nnd
mit Atrophie der Optici verläuft In meiner diesbezüglichen Familie, die
ich zu beschreiben Gelegenheit hatte 1 , wurden die 4 Schwestern nach einem
ziemlich grossen Latenzstadium (von 7—12 Jahren) vom Leiden ergriffen,
erreichten ein viel vorgeschritteneres Alter (von 17—24 Jahren) und wiesen
mir Sehnervenschwund, aber keine symmetrische Degeneration der Macula
auf. Ich setzte seiner Zeit eine congenitale Minderwerthigkeit des Centralorgans
als nothwendige Vorbedingung für ein derartiges familiäres Auftreten der cerebralen
Diplegie unter den gewöhnlichen Eiistenzverhältnissen voraus und vermuthe
luoh Hemmungsbildungen als anatomischen Aasdruck für die mangelhafte Ver¬
anlagung und die geringe Widerstandsfähigkeit des Centralnervensystems der
nit der paralytisch-amaurotischen Idiotie behafteten Kinder.
Unverständlich bleiben jedenfalls bei der einen wie der anderen Krankheits¬
gruppe die Thatsaohen, weshalb sich die Patienten die ersten Monate bezw.
fahre von sonstigen Kindern mit gesunden Gehirnen in nichts unterscheiden, und
voduroh die später sich erstellenden Degenerationsprocesse im centralen Nerven-
ipparate hervorgerufen werden.
Nach den vorliegenden spärlichen pathologisch-anatomischen Daten
— acht Sectionsbefunde mit vier Angenuntersuchungen — handelt es sich
ei der TAY-SACHs’schen Form um einen degenerativen, nicht entzündlichen
’rooesa, der im Laufe des ersten Lebensjahres das normal ausgebildete bezw.
langelhaft angelegte Centralnervensystem befällt Sowohl die Ganglienzellen
54
Digit
Google
1 L. 4.
850
der Grosshimrinde, insbesondere die grossen Pyramidenzellen, als die tangentialen
and radiären Fasern zeigen sämmtliche Stofen des progredienten Zerfalls auf
Absteigende Degeneration der Pyramidenbahn lässt sich im Bereiche der inneren
Kapsel, des Hirnschenkels, Brücke, Oblongata and Rückenmarkes verfolgen.
Seltener ist Affection der absteigenden Trigeminuswurzel, der Schleife, des
obersten Abschnittes der GoLL’schen Stränge und der motorischen Vorderhörner
gefunden worden.
An der Retina sind auffallend: Atrophie vieler Sehnervenfasern, leichtes
Oedem der Ganglienzellenschioht, Verdickung des äusseren Moleculärlagera und
der HENLE’schen Faserschicht im Gebiete des gelben Fleckes. Mohb betrachtet
eine in der Fovea centralis der äusseren Körnerschicht anliegende körnige Substanz
als Zerfallsproduct des aufgeweichten Pigmentepithels und der Aussenglieder der
Stäbchen und Zapfen.
Dass man in pathogenetischer Hinsicht nicht viel dadurch gewinnt, dass
man die Erkrankung der Ganglienzellen in der Macula derjenigen der Ganglien¬
zellen der Grosshirnrinde coordinirt auffasst, liegt «auf der Hand. Unverständ¬
lich bleibt es, weshalb die coordinirten Ganglienzellen sonstiger Sinneeapparate
nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Nicht minder gekünstelt ist das Zurück¬
führen des Oedems der Macula auf angioneurotisohe Einflüsse vom Halsmark
her (Mohb) aus dem einfachen Grunde, dass in dieser Region, wo die vaso¬
motorischen Centren gehäuft liegen, pathologische Befunde im Bereiche der
Pyramidenbahn gefunden werden. Es dürfte doch bei der Richtigkeit dies«
Hypothese die symmetrische Degeneration der Macula ein sehr häufiger Befand
bei der Syringomyelie, cervicaler Spondylitis, hypertrophischer Pachymeningitis
und amyotrophischer Lateralsklerose sein.
Zur Lösung der Frage des Oedems der Macula, das von mehreren Be¬
obachtern angezweifelt und als postmortales Phänomen aufgefasst wird, wäre
eine Revision des histologischen Verhaltens des gelben Fleckes sowohl bei
jüngeren als älteren Kindern vorzunehmen. Weiterhin wären behufs Feststellung
der Zeit des Auftretens der eigentümlichen Opticus- und Maculaerecheinungen
in Familien, wo die TAY-SACHs’sche Krankheit einmal vorkam, sämmtliche
nachfolgende Kinder in regelmässigen Intervallen einer genauen ophthalmolo-
gischen Inspection zu unterwerfen. Nur in dieser Weise würde sich die Frage
der symmetrischen Degeneration des gelben Fleckes endgültig lösen, dieses
Nachbleibseis der embryonalen Netzhautfissur, das nur 2 mm breit und im
Centrum nur 0,1 mm dick ist, das beim Embryo und Neugeborenen fehlt, beim
Erwachsenen die Stelle schärfsten Sehens repräsentirt, die normaliter neben der
Zapfenreihe nur einen feinen Rest der granulirten reticulären Schicht besitzt
Sollte sich tatsächlich heraussteilen, was manche Kliniker behaupten, dass
diese, wahrscheinlich endogene, heredo-familiäre Erkrankung zur Erblindung
führt, bevor noch irgend welche Abweichungen von der Norm im Opticus wahr¬
zunehmen sind, so müsste man die Amaurose und vielleicht auch die Degeneration
der Macula als Folgen des diffusen degeneratiren Processes im Gehirn auffassen.
Vergleichende Untersuchungen an normalen Gehirnen von Neugeborenen
Diqiti;
id by G00^I(
851
und 1—2 Jahre alten Kindern, speciell der intracerebralen Strahlung, der
corticalen Endigung und des peripheren Verlaufes der Sehnerven dürften noch
am meisten Aufschluss über die erwähnten Fragen geben. Von manchen
Autoren, neuerdings von Bebnheimeb, ist es jedenfalls sichergestellt, dass
bei Zerstörung an Affen der Hinterhauptsrinde im Bereiche der anatomisch
festgestellten Sehsphäre alle grosse Ganglienzellen im Kniehöcker, Pulvinar
und vorderen Vierhügel degeneriren. Andererseits lassen nach demselben
Forscher die Art der Einstrahlung der Maculafasern in den Kniehöcker in
Form nach allen Seiten divergirender Bündel und der divergirende Verlauf
der Seh8trahlung8fasem eine centrale Endigung der Maculafasern an um¬
schriebener Stelle sowohl im Kniehöcker als in der Occipitalrinde mit Be¬
stimmtheit ausschliessen. Es läge dann die Vermuthung nahe, dass, falls die
Maculaläsion in unseren Fällen von der Hirndegeneration abhängig sein sollte,
letztere sehr ausgiebig und symmetrisch sein müsse — was bei entzündlichen
und Herderkrankungen nie der Fall ist, — um solches charakteristische Bild
am Augenhintergrunde zu liefern.
Ein nicht weniger interessantes Räthsel scheint auf dem ätiologischen
Gebiete vorzuliegen: das auffallende Bevorzugtwerden von Sprösslingen jüdischer
Familien. „Selbst wenn aber auch unter den befallenen 24 Familien 1 1 oder
2 nicht jüdische wären, schliesst mit Hecht Falkenheim, dürfte die so
ausserordentlich zu Jage tretende Prävalenz der jüdischen Familien nicht
mehr als ein Spiel eines, wenn auch noch so grossen Zufalls angesehen werden
können. Ein auch nur annähernd electives Verhalten ist für keine andere
der familiären Erkrankungen des Nervensystems bekannt An die Lösung des
Räthsels heranzugehen, wäre zur Zeit vergebliche Mühe.“
Ich persönlich begegne zufälliger Weise einem ähnlichen Räthsel das zweite
Mal, insofern ich unter 23 Fällen einer dem Gros der Aerzte relativ wenig bekannten
(Gefässnerven-) Krankheit 8 (Myasthenia paroxysmalis angiosclerotica, Claudication
intermittente) 22 Mal dieselbe bei Juden aus den polnischen und litthauischen
Provinzen antraf, — eine höchst beachtenswerte Thatsache, die von anderer
glaubwürdiger Seite (Goldflam) vollauf bestätigt wird.
Am Schlüsse dieser kurzen Notiz sei noch ein Wort über die Nomenclatur
des Leidens gesagt. Ich betitelte es „Tay-Sachs ’sche familiäre paralytisch-
amaurotische Idiotie“, um einerseits beiden Entdeckern in gleichem Maasse ge¬
recht zu werden und es andererseits von sonstigen häufigen amaurotischen
Idiotieen — nach Encephalitis, seröser Meningitis, cerebraler Diplegie, Traumen,
schweren Geburten u. s. w. — zu unterscheiden, die sich selten durch Fami¬
liarität, ausnahmsweise durch complete Paralysen und niemals durch Macula¬
degenerationen auszeichnen. Der klinische Name dürfte, so lange genauere
anatomisch-pathologische Daten fehlen, den sonstigen vorgeschlagenen („infantile
Cerebraldegeneration“) Bezeichnungen wohl vorgezogen werden.
1 Meine 2 neuen Familien mitgerechnet, wären es 26.
' H. Higikh, Myasthenia paroxysmalis angiosclerotica (intermittirendes Hinken). Deutsche
Zeitachr. f. Nervenheilk. XIX 1901. S. 438—496.
- 64*
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852
H. Referate.
Anatomie.
1) Le flbrllle nervöse ultraterminali nelle terminazioni nervöse di mbso
e la teoria del neurone, pel Dr. Angelo Ruffini. (Rivista di Patologii
nervosa e mentale. Februar 1901.)
Diese „vorläufige Notiz“ schildert die bei starker Vergrösserung an gelungenes
Goldpräparaten einzelner Meissner'schen Körperchen der menschlichen Finger¬
beere vom Verf. gefundenen Verhältnisse folgendermaassen: Eine wechselnde Zahl
feiner nackter Nervenfäden bildet unter vielfacher und wiederholter Theilung ir
der Oberfläche dieses Organs eine grad- und feinmaschige Netzhaube, welch;
mit dem Spiralknäuel der Markfasern direct anastomosirt. In den Meissner-
sehen Körperchen verlaufen beide Arten von Fasern meist zu einem Bündel ver¬
einigt. An verschiedenen Stellen am Scheitel, an der Basis oder an den Seite;
desselben aber treten, in ihrem Zusammenhang nach rückwärts bisher noch n*
aufgeklärt, marklose, vom Verf. ultraterminale genannte Fibrillen wieder us
und ziehen, in unregelmässigen Entfernungen mit Varicositäten besetzt, emaet
oder selten in Bündelchen zusammen, in der Richtung auf das Stratum nervöse
subpapillare hin. Nur in einem Präparat war das Schicksal eines solche
Fäserchens direct mit dem Auge verfolgbar. Dasselbe entsprang aus einer Sek:
des Körperchens, trat geschlängelt ins Stratum subpapillare ein und ging conti-
nuirlich in die blassen Fibrillen des hier ausgebreiteten.marklosen Faseroetxa
über. Andere Präparate stellen auBser Zweifel, dass aus dem theilweise stark
losen Nervennetz der Gefässpapillen viele marklose Fasern zum subpapilkra
Nervenlager zurückkehren und eine continuirliche Verbindung zwischen beider
Fasernetzen hersteilen. — Verf. statuirt einerseits die Aehnlichkeit seine
„Haubennetzes“ mit dem „Fadenapparat“ (Timofeew) und dem „Plexus“ (G. Sah
der Pacini’schen Körperchen und nimmt andererseits die vollständige morpho¬
logische Analogie des Retioulum (Sala) der Grandry’schen Körperchen mit da
ultraterminalen Fibrillen des marklosen Subpapillarnetzes als gegeben an. Di-
wesentlichen Unterschiede, dass Timofeew’s Fadenapparat markhaltig ist nnt
mit der centralen Nervenfaser keine Anastomose eingeht, und dass für das Bä
culum Sala’s diese beiden Verhältnisse zur Zeit noch unentschieden sind, erkür
Verf. nur für „morphologische Modalitäten“ und stellt im Sinne Apäthy’s da
allgemeinen Satz auf, dass die bisher sogenannten sensiblen Nervenendigung?:
auch bei den Vertebraten nicht das wirkliche und eigentliche Ende der Nervei¬
fasern darstellen, sondern dass jenseits derselben marklose Fasern von verschiedene
Anordnung, „deren letzte Verhältnisse wir noch nicht kennen“, ein geschlossene;
System von Anastomosen herstellen, an welchem — gemäss der weiterhin ver
getragenen „Theorie vom nervösen Kreislauf“ und einiger, von St&meni ge¬
fundener Thatsachen — auch das sympathische Nervengeflecht wesentlich betheilif
sei. Ein Angriff auf die Neurontheorie, den die Ueberschrift verspricht, erfolg
im Artikel nicht. Schmidt (Freiburg i/SchL).
2) Contribuaione allo Studio delle vie piramidali nell* uomo. Ricerche <k
Dr. Ferdinando Ugolotti. (Rivista sperimentale di Freniatria. 19ÖL
XXVII.)
Verf. kommt nach einer kritischen Sichtung der einschlägigen experimentell
Erfahrungen zu dem Ergebniss, dass die Fragen, ob die auf Verletzung ear
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853
motorischen Hemisphärenbahn folgende absteigende Degeneration in beiden Pyra¬
midensträngen constant eintrete, und welche anatomischen Verhältnisse diesen
Erscheinungen als Substrat dienen, noch nicht befriedigend beantwortet sind, und
gelangt mittels der Bearbeitung von 20 frischen Fällen von Erweichung, Hämor-
rhagie oder Tumor in Hirnrinde bezw. Capsula interna nach der Weigert-
Pa Cschen, der Ammoniak-Carmin- und vorwiegend der Marc hi-Alg er i-Methode
zu folgenden Schlüssen: Beim Menschen hat die einseitige Verletzung der moto¬
rischen Hirnbahn fast constant die Entartung in beiden motorischen Seitensträngen
des Rückenmarks zur Folge. Diese kommt dadurch zu Stande, dass ein Faser
bfindel wechselnden Umfangs von der verletzten motorischen Gegend in einem
oberhalb der Hirnsohenkel, und wahrscheinlich im Balken gelegenen Punkte
aus auf die gegenüberliegende Seite tritt und, zur Decussation gelangt, sich mit
der gesunden Pyramide auf die ursprüngliche Seite zurückbegiebt und homolateral
weiter verläuft. Das zuerst von Pitres supponirte und später von Dejerine
und Thomas beim Menschen gefundene directe Bündel ist eine Ausnahme.
Das Vorkommen einer Intermedullarkreuzung kann man nicht absolut aus-
schliessen, jedoch betheiligen sich daran gewiss nur sehr wenige Fasern. Die
gleichseitigen Fasern nehmen vom Halsmark abwärts an Zahl ab, nur einzelne
erreichen das Sacralmark. Der degenerative Process ist an dem gleichseitigen
Bündel immer weniger intensiv und umschrieben als auf der entgegengesetzten
Seite. Sehr häufig finden sich in den verschiedenen Regionen des Bulbus und
des Rückenmarks, besonders im Halstheil, eine Anzahl von degenerirten Fasern
über die ganze Schnittfläche, jedoch mit einer gewissen Vorliebe für die Hinter¬
stränge, verbreitet. Das fast constante Vorkommen eines Bündels entarteter Fasern
im Hirnschenkel der gesunden Seite fordert zu neuen Beobachtungen über die
noch wenig bekannte Structur der grossen Commissuren heraus. Auf diesem
Wege kann jede Hemisphäre eine directe Beziehung zu ihrer Körperhälfte unter¬
halten und kommen wahrscheinlich die Bewegungsstörungen in den gesunden
Gliedern Hemiplegischer zum Austrag. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
Experimentelle Physiologie.
3) Eine historische Studie über die Entdeckung des Magendie-Bell’sohen
Lehrsatzes, von A. Bickel. (Pflüger’s Archiv. LXXXIV.)
Verf. kommt zu ähnlichen Ergebnissen bezüglich der Entdeckung des sogen.
Bell’schen Gesetzes wie Eckhard. Bell kam im Jahre 1811 zu dem Schluss:
die vorderen Rückenmarksnervenwurzeln sind gemischt, motorisch und sensorisch,
den hinteren aber stehen allgemeine vitale Functionen zu. Magendie, der
Bell’s Arbeit nicht kannte — sie war nicht im Buchhandel erschienen —, fand
1822, dass die Vorderwurzeln vorwiegend motorisch, die Hinterwurzeln vorwiegend
sensibel sind. Danach ist nicht zweifelhaft, dass Magendie das grössere Ver¬
dienst zukommt, und dass wir das Gesetz über die Functionen der Spinalwurzeln
als „Magendie-Bell’sches Gesetz“ bezeichnen sollten. TL Ziehen.
4) Ueber elektrische Reizung des N. ootavus und seiner Endorgane beim
Frosch, von 0. Koffler. (Pflüger’s Archiv. LXXXIII.)
Verf. betrachtet durch die Versuche von Breuer, Ewald und Jensen als
erwiesen, dass bei der Taube der sogen, galvanische Schwindel als eine Reaction
des Endorgans des Acusticus oder des Nervenstammes selbst zu betrachten ist.
Er selbst hat die entgegenstehenden Angaben Strehl’s bei dem Frosch nach¬
geprüft. Er fand — in Uebereinstimmung mit Strehl —, dass der doppelseitig
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labyrinthlose Frosoh ebenfalls wie der normale Frosch Dauer* und Schliessung*-
reaction zeigt (Drehung nach der Anodenseite u. s. w.). Der einseitig labyrinth-
lose Frosch zeigt manchmal sogar stärkere Reaction, wenn die Anode an dec
noch vorhandenen Labyrinth sitzt. Nur bei zwei Thieren, welche erst längere
Zeit nach der doppelseitigen Labyrinthentfernung gereizt wurden, war die Reactios
sehr schwach (sowie man dies bei labyrinthlosen Tauben schon bald nach der
Operation beobachtet).
Bei directer Reizung des Labyrinths ergab sich eine nach der Anode ge¬
richtete Kopfwendung und eine Augendrehung nach der nicht gereizten Seite
(letztere unabhängig von der Pol Wirkung). Bei dem labyrinthlosen Frosch erhid:
Verf. die Kopfbewegung auch, eine Augenbewegung aber nur dann, wenn eine
bestimmte Stelle der Knochenwand berührt wurde (vielleicht directe Reizung da
Nervensta mmes).
Bei directer Reizung der beiden Octavusäste • selbst erhielt Verf. eine Kopf¬
bewegung nach der gereizten Seite hin, und zwar bei einem Thier bei Reimte
des vorderen Astes allein, sonst nur bei gleichzeitiger Reizung beider Aeste. Dk
Kathode ist wirksamer als die Anode. Die Augenbewegung erfolgt ähnlich wie
bei Labyrinthreizung.
Jedenfalls ist Verf. der Nachweis der directen elektrischen Reizbarkeit da
Octavusstammes des Frosohes geglückt. Th. Ziehen.
5) Oven de invloed van het zenuwstelke op de ademhaling, van Beyermu
(Dissert. Amsterdam, 1900.)
Diese Dissertation, entstanden unter Winkler’s Leitung, beleuchtet des
Einfluss des Nervensystems auf die Athmung. Verf.’s Arbeit, welche den Eindruck
der peinlichsten Genauigkeit macht, ist aus zwei Gründen interessant: 1. sei
Grund der Schlüsse, zu welchen Verf. gelangt, 2. auf Grund der Untersuchungs-
methode. Die letztere beruht auf einer verbesserten Operationsmethode, wobei
weniger Blutverlust auftritt und auch beide Hemisphären zugleich zu untersuchen
sind: in dieser Weise sind bei Versuchsthieren in vivo Schnitte durch das Gehin
zu machen und danach zu reizen. Es gelang Verf. so, Hemisphären, Stamm ganglier
Cerebellum, Corpora quadrigemina und Pons wegzunehmen und die Thiere alleil
mit der Medulla oblongata ruhig weiter athmen und auf bestimmte Reize reagira
zu lassen. Musste der N. trigeminus oder N. opticus gereizt werden, dann macht;
Verf. erst die beschriebene Operation und präparirte danach die Nerven in der
schon geöffneten Augenhöhle los. Gereizt wurde mit dem faradischen Strom. Dir
Bewegungen der Brust wurden mit dem Marey'sehen Pneumograph registrin
Die Schlüsse des Verf.’s sind in folgender Weise zusammenzufassen:
Conform mit Spencer haben wir vier absonderliche Einflüsse auf die Ath¬
mung zu vindiciren:
1. Einen Inspirationstonus; dieser ist hervorzurufen durch Reizung eiixs
Gehirngebietes, welches Verf. als Feld 15—16 andeutet: die Fasern, welche vtc
da aus centrifugal verlaufen, folgen der Capsula interna mit der Pyramidenbak;
sie sind bis in die Pyramiden zu verfolgen. Centripetal ist dieses Centrum u. i
durch Reizung des 5. Nerven in Bewegung zu setzen.
2. Eine Acceleration des Rhythmus der Respiration ist bei Reimt;
des 11.—12. Rindenfeldes hervorzurufen; die daraus entstehenden Fasern vereiniget
sich vor dem Kopfe des Nucl. caudat. zu einer geschlossenen Bahn, welche dure:
die Capsula interna zieht; weiter war diese nicht zu verfolgen. Centripetal is
auch dieses Centrum von dem N. trigeminus aus zu reizen.
Das Wegnehmen der unter 1 und 2 besprochenen Rindentheile verringert
den Einfluss der Reizung der beiden Nn. trigemini auf die Athmung, und dieser
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Einfluss wird noch kleiner, wenn man die Stammganglien wegnimmt, aber er ver¬
schwindet nicht. Auch bleibt er noch bestehen bei Wegnahme einer der Corpora
quadrigemina, aber nicht mehr, wenn beide weg sind; es bleibt dann aber wohl
noch die tonusgebende Wirkung des 5. Nerven bestehen.
3. Eine verlangsamende Wirkung der Athmung tritt auf bei Reizung
von zwei Stellen in der Capsula interna, und zwar von der accelerirenden Bahn
aus und hinten gegen das Ammonshorn. Centripetal tritt solch ein Einfluss auf
bei Reizung der Fila olfactoria. Aber hierbei tritt meistens auf
4. Stillstehen der Exspiration.
Verf. kann nichts weiter mittheilen über die Art dieser centripetalen Fort¬
pflanzung, nur dürfte das Ammonshorn hierbei vielleicht eine Rolle spielen.
Die beigefügten 33 Figuren tragen sehr zur Verdeutlichung der Ansichten
des Verf.’s bei. TenCate (Rotterdam).
Pathologische Anatomie.
6) TJn oaao di porenoofalia , per U. Deganello. (Riv. di Patolog. nerv, e
ment 1900. Nr. 5.)
Bei einem Hunde, der wahrend des Lebens gröbere Storungen nicht dar¬
geboten hatte, wurde bei der Section an Stelle der linken Hemisphäre eine grosse
porencephalische Cyste gefunden, die an ihrer medialen Seite von einer 1 mm
dicken Lage von Nervensubstanz und von einer gleich dünnen Schicht hinten
und unten begrenzt war. Sonst bildet überall die Dura die Wand des Sackes,
jedoch war in der Gegend der Kreuzfurche ebenfalls noch ein kleines dreieckiges
Stück Hirnrinde erhalten. Das linke Pyramidenbündel fehlte fast vollständig im
Pedunculus cerebri, der Brücke und dem Bulbus. Ebenso bestand in allen diesen
Theilen starke Aplasie des sensiblen Bündels. Rechtsseitige Aplasie der Kerne
der Goll’schen und Burdach’schen Stränge. Atrophie des linken vorderen
Vierhügels und des rechten Sehnerven. Hingegen fehlten jedwede degenerativen
Processe.
Aus dem letzteren Verhalten schliesst Verf., dass es sich um eine angeborene
Porencephalie gehandelt habe, welche in der ersten Zeit des intrauterinen Lebens
zur Entwickelung gekommen war. Valentin.
7) Two oases of arrested development of the nervous System in ohildren,
by F. Batten. (Brain. Summer 1900.)
Im 1. Falle handelte es sich um eine angehaltene Entwickelung der linken
Grosshimhemisphäre bei einem 6 monatlichen Kinde und entsprechende Atrophie
der Pyramiden und Schleife. Das Grosshirn entsprach ungefähr dem eines 8 monat¬
lichen Fötus. Im Rückenmark fand sich nur eine sehr massige Veringerung der
weissen Fasern im Gebiete der rechten Seiten- und Vorderstrangspyramide. Des¬
halb hatte auch keine Hemiplegie bestanden; die rechte Pyramide hatte beide
Rückenmarkshälften versorgt. In vivo bestanden Krämpfe mit Beginn auf der linken
Seite und spastische Starre beider Beine.
Im 2. Falle handelte es sich um eine Encephalocele occipitalis. Das Loch
im Schädel sass direct unter dem Tentorium cerebelli; in die Cyste erstreckten
sich die Meningen und ein kleiner Theil des Kleinhirns. Der Cystenstiel enthielt
zwei Canäle; einer führte in den 4. Ventrikel, einer in den Aquaeductus Sylvii.
Der Wurm des Kleinhirns fehlte; die Hemisphären waren ganz getrennt und
atrophisch. Das Grosshirn zeigte keine Abnormitäten. Im Rückenmark bestand
Hydromyelie. Bruns.
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8) Die pathologische Anatomie der Idiotie, Zuaammenfassendes Referat tob
Dr. E. Schütte. (CentralbL f. allg. Patholog. tu pathol. Anat 1900. XL)
Das vorliegende Sammelreferat erstreckt sich auf die Ergebnisse von 339
einschlägigen Arbeiten, die in einem nach den Autoren alphabetisch geordneten
Litteraturverzeichniss zusammengestellt sind. Verf. unterscheidet die Idiotieformen
in solche, die durch Bildungshemmungen des Gehirns und in solche, die durch
directe pathologische Processe entstanden sind. Diese Scheidung ist jedoch nicht
streng aufrecht zu erhalten, was sich z. B. bei der Porencephalie zeigt, die sowohl
eine Bildungshemmung wie auch eine secundäre Defectbildung sein kann. Verf.
bespricht der Reihe nach: Mikrocephalie und Mikroencephalie, amaurotische Idiotie,
Balkendefect, Porencephalie, Mikrogyrie, Atrophie und Sklerose, Idiotie als Folge
von Meningitis und Syphilis, und schliesslich Hydrooephalus. Dabei handelt es
sich nicht um lauter coordinirte Formen, sondern es können die einen Theil- oder
Folgeerscheinungen der anderen Bein.
Die Arbeit ist ausschliesslich Referat, sie beschränkt sich an die Aneinander¬
reihung gefundener Thatsachen und geäusserter Ansichten, und es wird nicht
versucht, aus dem vorliegenden Material ein zusammenfassendes Ergebniss für die
Idiotiefrage abzuleiten. Max Neumann (Karlsruhe).
9) Beiträge zur pathologischen Anatomie der Mikrogyrie and der Mikro-
oeph&lie, vonLydiaKotschetkowa. Aus dem hirnanatomischen Universitäts¬
laboratorium in Zürich (Prof. v. Monakow). (Inaug.-Dissert. Zürich, 1901.)
Das erste Gehirn, das die Verf. untersuchte, stammte von einer 20jährigen
Idiotin, die eine linksseitige, inoomplete Hemiplegie mit Contractur verbunden
aufwies. Es zeigte hochgradige Mikrogyrie der rechten Grosshirnhemisphäre und
Hemiatrophie und Mikrogyrie der gekreuzten Kleinhirnhemisphäre. Eine diffuse
Gliawucherung bestand sowohl an den betroffenen Windungen als auch in deren
Umgebung. Die Verf. fasst diese Veränderungen, welche mit bestimmten Arterien¬
bezirken mehr minder zusammenfallen, als Resultat von CirculationBstörungen der
betreffenden Arterien auf. Durch diesen Process ist die Verkleinerung der
Windungen bedingt. Es erleiden aber auch entferntere Windungen consecutive
W aohsthumshemmungen.
Von dieser auf enoephalitischen Processen beruhenden Form ist die echte
Mikrogyrie verschieden, die in gleicher Weise wie die echte Makrogyrie auf pri¬
märer, abnormer Entwickelung beruht.
Zur primären Mikrogyrie gehört der 2. Fall. Hier handelt ee sich um ein
6VJähriges mikrocephalisches, idiotisches Mädchen, das bald nach der Geburt an
häufigen epileptischen Anfällen litt und vom 2. Lebensjahre an die Symptome einer
spastischen Paraplegie darbot. Im 3. Lebensjahre wurde an dem Kinde eine
Kraniektomie vorgenommen, ohne ein anderes Resultat, als dass die spastische
Lähmung vorübergehend in eine schlaffe verwandelt wurde und die epileptischen
Anfälle für einige Zeit aufhörten.
Im hinteren Theile der zweiten linken Frontalwindung fand sich eine
trichterförmige, mit seröser Flüssigkeit gefüllte Höhle, deren Boden und Wände
von mikrogyrischen Windungen gebildet wurden. Das ganze Gehirn war sehr
klein; die linke Hemisphäre auffallend kleiner als die rechte und ausgesprochen
mikrogyrisch.
Die mikroskopische Untersuchung ergab die Abwesenheit jegliches encepha-
litischen Processes, ferner Anhäufungen von grauer Substanz im Marklager
(Heterotopieen), die die Verf. der Entwickelungshemmung gemäss als nicht diffe-
renzirtes embryologisches Material auffasst. H. Marcus (Wien).
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10) A oaae of bilateral porenoephaly, by Wiglesworth. (Brain. 1901.)
Verf.’s Pat. war beim Tode 24 Jahre alt; es handelte sich um einen Idioten
mit rechtsseitiger cerebraler Lähmung; früher hatten auch Krämpfe bestanden.
Es fand sioh eine doppelseitige Porencepalie; links wurde dieselbe nur von Pia
bedeckt, communicirte mit dem Hinterhorn und betraf das obere Ende beider
Central Windungen, die obere Parietal- und äussere Occipitalwindung, den ganzen
Gyrus angularis und supramarginalis, hintere Partieen der Insel und hintere
Theile der ersten beiden Temporallappen. Rechts betraf die Höhlung den Occipital-
und die Temporosphenoidallappen; die Wände waren hier aber dicker und be¬
standen auch aus Hirnsubstanz. Bruns.
Pathologie des Nervensystems,
11) Zur pathologischen Anatomie der cerebralen Kinderlähmung , von
E, Bischoff. (Jahrb. f. Psych. XX. S. 102.)
Linksseitige Lähmung, plötzlich im 5. Lebensjahre entstanden. Später
an Intensität allmählich zunehmende Zuckungen links, welche sich bald in allge¬
meine epileptische Krämpfe umwandelten. 3 / 4 Jahr vor dem Tode war der hoch¬
gradig schwachsinnige Kranke links an Hand und Fuss vollständig gelähmt, an
den grossen Extremitätenmuskeln paretisch und anästhetisch. Atrophie der links¬
seitigen Gliedmaassen; Epilepsie. Tod im 50. Lebensjahre.
Pseudoporencephalie im rechten Stirn- und Parietallappen ohne herdförmige
Erkrankung der rechten Hemisphäre. Vorwiegend atrophirt sind die beiden
oberen Stirnwindungen, die vordere Centralwindung und die Insel, theilweise auch
die hintere Centralwindung und der Scheitellappen. Hochgradiger Hydrocephalus
des rechten Seitenventrikels, fast vollständiger Schwund des dorsalen Balkentheils.
Der rechte Sehhügel ist in eine Cyste verwandelt. Secundäre Verkleinerung des
rechten Hirnschenkels und der linken Kleinhirnhemisphäre.
Krankheitsverlauf, makroskopischer und histologischer, an Serienschnitten
durch das ganze Gehirn studirter Befund (bezüglich welches letzteren auf die
Originalarbeit verwiesen werden muss) fuhren zu folgender Annahme: Eine an¬
geborene Gehirnerkrankung lässt sich mit Sicherheit ausschliessen, ebenso ein
local isirter Krankheitsprocess an der Hemisphäre. Wahrscheinlich führte primär
eine Blutung oder Erweichung im rechten Sehhügel zur Bildung einer Cyste,
welche die Communication zwischen Seiten* und 3. Ventrikel verlegte. Die daraus
folgende Stauung, vielleicht auch Ependymitis, verursachte die Erweiterung des
Seitenventrikels und die Atrophie der weniger geschützten Hirnwindungen an der
Convexität. Die Balkenatrophie ist die Folge sowohl der Compression durch den
Hydrocephalus und die Cyste, als auch der Atrophie grosser Rindenbezirke.
Da in diesem Falle trotz Balkenatrophie die linke Hemisphäre keine gröberen
Veränderungen zeigte, sprioht dies gegen die hypothetische Annahme Richter’s,
dass Balkenschwund zu Porencephalie führe.
Die Beschaffenheit der Umgebung des Hinter- und Unterhorns beider Hemi¬
sphären bestätigt die Annahme der meisten Autoren, dass das Tapetum neben
Balkenfasern auch solche aus dem frontooccipitalen Bündel enthält. Ein differen-
zirtes frontotemporales, in das Unterhorntapetum übergehendes Bündel, sowie einen
Zusammenhang des Cingulums mit dem frontooccipitalen Bündel kannte Verf.
nicht wahrnehmen. Dagegen scheint das Tapetum ausser den obengenannten noch
andere Associationsbahnen, deren Endpunkte noch unbekannt sind, zu enthalten.
Der Befund am Zwischen- und Mittelhirn steht in Uebereinstimmung mit
den Monakow’schen Angaben. Linsenkern, Corpus subthalamioum und Substantia
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nigra waren nicht nachweisbar verändert und stehen daher sicher nicht in enger
Beziehung zum Stirn- und Scheitelhirn.
Der sehr fleissigen Arbeit sind 4 Tafeln mit 14 Figuren beigegeben.
Pilcz (Wien).
12) Ein Fall von infantiler Cerebrall&hmung mit oomplioirter Oculo¬
motoriuslähmung, von Dr. E. Eissling. Aus der Nervenabtheilung des
Herrn Prof. v. Krafft-Ebing in Wien. (Münchener med. Wochenschr.
1900. Nr. 26.)
Bei einem jetzt 17jähr. Mädchen traten im 3. Lebensjahre choreatische Be¬
wegungen in der linken oberen und unteren Extremität auf, welchen sich spät«
Unbeweglichkeit des rechten Bulbus, rechtsseitige totale und linksseitige partielle
Ptosis, sowie linksseitige Hemiplegie hinzugesellten. Ein Jahr später wurde
rechtsseitige totale Oculomotoriuslähmung, fragliche Trochlearislähmung rechts und
Ausfall jeder Pupillenreaction beider Augen festgestellt. Es blieb eine geistige
Minderwerthigkeit und langsam zunehmende Gehstorung zurück. Jetzt besteht
rechts Ptosis und Aussenstellung des rechten Bulbus, minimale Hebung und aus¬
fallende Senkung des linken Bulbus, beiderseits Nystagmus; linke Pupille längs-
oval, rechte Pupille maximal erweitert, beide Pupillen starr auf Licht und Ent¬
fernung. Linker Facialis paretiBch, Zunge weicht nach links ab, linke obere und
untere Extremität im Wachsthum zurückgeblieben, linker Fuss adducirt, in der
Musculatur der linken oberen und unteren Extremität choreatische Bewegungen,
Sensibilität, Blase und Mastdarm intact. Während in dem Krankheitsbild apha-
tische und epileptische Symptome fehlen, bilden die choreatischen und hemi-
plegischen Störungen die bemerkenswertheste Erscheinung; Verf. glaubt, dass
eine der von Freud näher abgegrenzten Formen von infantiler Cerebrallähmung
vorliegt. E. Asch (Frankfurt a/M.).
13) lieber die bei den cerebralen Kinderlähmungen zu beobachtenden
Waohsthumsstörungen, von Medicinal-Assesor Dr. W. Koenig. (Deutsche
Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XIX.)
Zunächst werden die auf „Hypoplasie“ bezüglichen Notizen aus 27 Kranken¬
geschichten nebst mehreren Sectionsbefunden mitgetheilt. Die Wachsthums¬
störungen können in Form mehr oder weniger vollständiger Hemihypoplasie (ein
Mal mit Einschluss dee Velum palatinum) auftreten oder auf kleine, circumscripte
Gebiete beschränkt bleiben; die Störung bezieht sich auf das Längen- oder Dicken¬
wachsthum oder auf Beides zugleich. Ein Vergleich mit der in der Litteratur
niedergelegten Symptomatologie ergiebt keine hervorragenden Abweichungen. Be¬
sonders zu erwähnen ist die Beobachtung von Buphthalmus auf der nicht gelähmten
Seite. Während aus der Casuistik hervorgeht, dass Hypoplasieen hauptsächlich
bei Hemiplegieen bezw. Uebergangsfallen zu den Diplegieen Vorkommen, ist es
andererseits zweifelhaft, ob die bei Diplegie (aber auch bei Hemiplegie) beobachtete
Totalhypoplasie einer doppelseitigen Hemihypoplasie gleichzusetzen ist.
Verf. ist in der Lage, 5 Fällen einseitiger Hypoplasie und 14 Fällen cere¬
braler Kinderlähmung ohne solche die anatomischen Befunde gegenüberzustellen.
Von den letzten Fällen waren die meisten Diplegieen; es hat sich bei ihnen
gezeigt, dass hier grobe, doppelseitige Erkrankungen der motorischen Zone viel
seltener sind, als einseitige bei den Hemiplegieen. Im Uebrigen fasst Verf. die
aus dem anatomischen Studium sich ergebenden Resultate selbst folgendermaaseen
zus amm en:
Hypoplasie kann vorhanden sein bei mikroskopisch nicht verändertem Rücken¬
mark, sowie bei makroskopisch intactem Gehirn. Sie kann fehlen bei Erkrankung
Diqili;
by
Googl<
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der ganzen hinteren Centralwindung. Einer Hemihypoplasie des Körpers kann
eine Verkleinerung der gegenüberliegenden Hemisphäre entsprechen. Und zwar
kann eine Verkleinerung einer Hirnhemisphäre bestehen, ohne dass die ganze
gegenüberliegende Körperhälfte hypoplastisch ist, während umgekehrt bei nicht
ganz vollständiger Hemihypoplasie eine Verkleinerung der gegenüberliegenden
Hemisphäre nicht vorhanden zu sein braucht
E. Asch (Frankfurt a/M.).
14) Hömlplögie oöröbrale infantile oongönitale aveo pseudoporenoöphalie
eto., par E. Weill et Gallavardin. (Archives de mödecine des enfants.
1901. IV. Nr. 3.)
Als wahre Porenoephalie bezeichnen die Verff, im Anschluss an dies¬
bezügliche Auffassungen anderer Autoren, jenen angeborenen Zustand des Gehirns,
bei welchem an einer Gehirnhälfte eine tiefe trichterförmige Einsenkung sich be¬
findet, deren Grund durch einen „Porus“ mit einem Seitenventrikel communicirt,
und deren Wandungen von Hirnsubstanz gebildet ist, welche eine nach dem Grunde
des Defectes strebende Windungsrichtung aufweist. Dieser als echten Missbildung
aufzufassenden Veränderung steht die Pseudoporencephalie gegenüber, bei
welcher der Defect als Residuum eines fötalen pathologischen Processes aufzufassen
ist, eine Communication mit dem Ventrikel fehlt und die Höhle von Membranen
ausgekleidet wird, unter denen die Windungen ihre gewöhnliche Richtung be¬
sitzen. Beide Formen führen klinisch meist zu Hemiplegie, die psychischen
Ausfallssymptome sind bei dem ersteren Typus gewöhnlich grösser als bei dem
zweiten. Die Pseudoporencephalie kann auch nach der Geburt erworben sein.
Einen hierher gehörigen Fall hatten die Verff. Gelegenheit, vor und nach dem
Tode zu beobachten.
Klinisch bot das zur Zeit der Untersuchung 13jährige Mädchen eine aus¬
gesprochene rechtsseitige spastische Extremitätenlähmung mit Zurückbleiben des
Knochen- und Muskelwachsthums dieser Seite. Die Lähmung wurde bereits im
2. Monate — ohne vorangegangene auffallende Gehirnkrankheit oder Convulsionen
— bemerkt, dürfte also wohl angeboren sein. Sonst war das Kind körperlich
und geistig gesund bis auf einen schweren Herzfehler, dem es auch plötzlich erlag.
Die Autopsie deckte einen linksseitigen Hirndefect von der Beschaffenheit der
oben beschriebenen Pseudoporencephalie auf, die linke Hemisphäre war bedeutend
kleiner als die rechte (250 g gegenüber 400 g). Ausserdem bestand eine Atrophie
der Stammganglien und des Pedunculus der linken Seite, sowie eine Asymmetrie
des Rückenmarks, welche durch eine Sklerose des einen Pyramidenseitenstranges
und eine Agenesie des Pyramidenvorderstranges bedingt war. Auch die moto¬
rischen Rückenmarkszellen waren rechts — namentlich im Cervioalmark — spär¬
licher und kleiner als auf der anderen Seite. Die sonstige mikroskopische Unter¬
suchung des Centralnervensystems ergab keine wesentlichen Unregelmässigkeiten.
Einen namhaften Theil der Arbeit bilden kritische Litteraturbetrachtungen,
bei denen auch die deutschen Autoren in gebührender Weise berücksichtigt sind.
Zappert (Wien).
16) Cerebroplegia infantile oon aintomi di paralisi agitante, per Dr.
M. Camia. (Rivista di Patologia nerv, e ment. October 1900.)
Klinisch-casuistische Mittheilung eines abgelaufenen Falles von cerebraler
Kinderlähmung, von deren Symptomen nur noch Entwickelungshemmung, Bab inski ’-
sch es Zeichen und Parkinson’s Symptomencomplex vorhanden sind. Es folgt
eine Aufzählung derjenigen cerebralen Läsionen, bei welchen Schüttellähmung als
Symptom vorkommt (Hemiplegieen, Tumoren, multiple Sklerose), und der Unter-
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860
suchungeergebnisse über die anatomische Ursache dieses Zeichens, soweit die
Litteratur darüber Aufschluss giebt. Die Ergebnisse der Zusammenstellung und
Vergleichung sind folgende:
1. Die Fälle von Paralysis agitans bei Kindern unter 11 Jahren sind nichts
anderes als cerebrale Kinderlähmungen.
2. Die motorischen Zeichen der Paralysis agitans beruhen wahrscheinlich
ausschliesslich auf einer Läsion der Pyramidenbahn in irgend einem Punkte ihres
cerebrospinalen Verlaufs incl. der motorischen Rindenzellen.
3. Die eigentliche Parkinson’sche Krankheit ist durch eine Veränderung
charakterisirt, deren Localisation am Ursprung oder längs des Verlaufs der Pyra¬
midenbahn zu suchen und deren Natur noch grösstentheils unbekannt ist.
Schmidt (Freiburg i/Schl.).
16) Contributo alla conosoenxa delle solerosi oerebrall Inf an tili, per Santo
de Sanctis. (Bollettino della R. Accademia medica di Roma. 1900. XXVL)
Verf. theilt in der vorliegenden Arbeit das Resultat der mikroskopischen
Untersuchung eines Himmantels mit, welcher einem Fall von Anencephalia hydro-
cephalica (Cruveilhier) entstammt. Es handelt sich um ein in der körperlichen
Entwickelung sehr zurückgebliebenes Kind, welches mit 2 Monaten an Marasmus
starb. Die Grosshirnhemisphären waren reducirt auf eine Dicke von 1—2,5 mm;
am dicksten waren die Frontaltheile, am dünnsten die Occipitaltheile. Mikro¬
skopisch wurde über beide Hemisphären verbreitete Sklerose gefunden, daneben
disseminirte Herde von symmetrischer Anordnung; die Zellen der Neuroglia waren
an gewissen Stellen stark vermehrt, an anderen Stellen vorzugsweise die Neuroglia-
fasern. Diese Thatsache erklärt Verf. durch das verschiedene Alter der Processe.
Er schlägt für seinen Befund den Namen: diffuse Sklerose mit miliaren
sklerotischen Herden, vor. Der ganze Process ist nicht als entzündlicher
aufzufassen; das Primäre ist eine Entwickelungshemmung der nervösen Elemente,
das Secundäre die gliöse Wucherung. H. Gessner (Nürnberg).
17) On enuresls and „irritable blad der“ in ohildren, by Frederic Bier¬
hoff, M. D. (Berlin). Festschrift in honor of Abraham Jacobi (New-York).
(Knickerbocker Prees. 1900.)
Die Enuresis unterscheidet sich von der „reizbaren Blase“ dadurch, dass bei
ersterer der Urin ohne Wissen des Pat. abgeht, bei letzterer wohl ein Harndrang
gespürt wird, dem Pat. jedoch in Folge der Heftigkeit desselben meist nicht genug
Zeit bleibt, um einen Ort zum Harnlassen aufzusuchen. Bei der Schwierigkeit,
cystoskopische Untersuchungen an Kindern anzustellen, sind die Angaben über
die Ursachen beider Formen von Incontinenz ausserordentlich wechselnd. Die
Grösse der Meinungsdifferenzen ist durch die reine NeurosenauffasBung einzelner
Autoren und die Annahme einer Blasenerkrankung von Seiten Anderer gekenn¬
zeichnet. Verf. neigt sich auf Grund von Beobachtungen bei Erwachsenen zur
Vermuthung von localen Störungen im Bereiche der harn ausführen den Organe.
Normalerweise bedarf es zur Harnentleerung der genügenden Blasenfullung, welche
bei Säuglingen, Schwachsinnigen hinreicht, um den Sphincter zu erschlaffen, und
eines Willensimpulses, um trotz des gefühlten Harndranges die Oeffnung des
Sphincters noch eine gewünschte Zeit hintanzuhalten. Bei einer erkrankten Blasen-
schleimhaut genügt ein kleinerer Reiz, bezw. eine geringere Blasenfullung, um den
Reflex zum Harnlassen auszulösen. Manche, als Ursachen der Enuresis angegebenen
Zustände wirken entweder durch Begünstigung einer Blasenhyperämie (z. B. Er¬
krankungen der Beokenorgane, Masturbation) oder sie erschweren die Beherrschung
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861
des krankhaft gehäuften oder gesteigerten Entleerungsreflexes (Nervosität, Störungen
des Schlafes u. s. w.).
In differential diagnostischer Beziehung muss auf centrale Sphinkterlähmung,
auf Epilepsie geachtet werden. Ebenso müssen alle Ursachen, welche Blasen«
hyperämie erzeugen können, berücksichtigt werden, da deren Erkennung das
therapeutische Handeln beeinflusst; namentlich darf eine Erkrankung des Urogenital-
tractes bezw. eine pathologische Beschaffenheit des Harns dem untersuchenden
Arzte nicht entgehon. Therapeutisch ist vornehmlich Alles zu beseitigen, was
eine locale Blasenhyperämie zur Folge haben könnte. In Consequenz seiner ätio¬
logischen Auffassung glaubt Verf., dass Blasen- bezw. Urethraspülungen in einer
grossen Anzahl von Fällen zur Anwendung kommen sollten. Verdauungsstörungen,
Onanie müssen ebenso beachtet werden, wie solche Krankheiten, welche die Ruhe
des Schlafes beeinflussen (Anomalieen der Athmungs organe, Wucherungen der
Nasen- und Rachenmandeln, Hautausschläge u. s. w.).
Ueber die elektrische Behandlung hat Verf. keine Erfahrungen; ebenso scheint
er die vielfach empfohlenen Sedativa und Nervina nicht sonderlich zu schätzen.
Wenn möglich, ist eine cystoskopische Untersuchung vorzunehmen, bezw. eine
Localbehandlung einzuleiten. Beschränkung der Flüssigkeitszufuhr am Abend,
Hochlagerung des Gesässes sind jedenfalls empfehlenswert}).
Zappert (Wien).
18) Ueber infantile familiäre spastische Spinalparalyse, von Prof. R. v.
Krafft-Ebing. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVIL)
Es handelt sich um drei aus einer gesunden, nicht belasteten Familie stammende
Geschwister, die normal zur Welt gekommen sind, und bei denen keine cere¬
bralen Störungen bemerkbar waren. 2 Brüder starben in jugendlichem Alter an
Infectionskrankheiten, während ein Bruder und eine Schwester ganz gesund sind.
In 2 Fällen trat das Leiden schon in den ersten Lebensmonaten au£ während es
sich 1 Hai nach Diphtheritis entwickelte. Es bestehen die Zeichen einer spastischen
Spinalparalyse (Contracturen und Spasmen in den unteren Extremitäten, erhöhte
Reflexe) und in 2 Fällen geistige Minderwertigkeit, Strabismus und Sprach¬
störung. •
Verf. nimmt als Ursache des Leidens eine langsam fortschreitende Degeneration
in den spinalen Abschnitten der Pyramidenbahnen an, die wahrscheinlich von
Geburt an gegen Toxine und functionelle Inanspruchnahme weniger widerständig
waren. Es bleibt dahingestellt, ob dieselben in Folge von Entwickelungshemmungen
in den höheren Abschnitten oder gar in den corticalen Centren schwächer ver¬
anlagt waren, wenn sich auch dann das Freibleiben der Arme und das Betroffen-
sein der unteren Extremitäten weniger leicht erklären liesse. Für chronischen
Hydrocephalus waren keine Anzeichen vorhanden.
Eine weitere Beobachtung, die kurz angereiht wird, betrifft einen 37jähr.
Mann, dessen Vater und Onkel sowie 2 Geschwister von dem gleichen Leiden
befallen waren, und in dessen Familie 3 Generationen hindurch Heirathen unter
Blutsverwandten stattgefunden hatten. E. Asch (Frankfurt a/M.).
19) Un cas d'affeotion familiale & symptömes odröbro-spinaux. Etüde
clinique et anatomo-pathologique, par M lle Pesker. Travail du laboratoire
de M. le Dr. Pierre Marie. (Paris, 1900. Steinheil. 73 S.)
Es handelt sich um eine acut einsetzende familiäre Erkrankung mit cerebro¬
spinalen Symptomen. Klinisch besteht eine Paraplegie mit geringen spastischen
Symptomen, welche auch ganz fehlen können, eine eigenartige, auf Entwickelungs-
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hemmung beruhende Deformation der unteren Extremitäten, Intentionstremor und
Ataxie der oberen Giiedmaassen, sowie tiefer intellectueller Verfall. Diesem Sym-
ptomenbilde entspricht anatomisoh eine sehr ausgesprochene Hypoplasie des ge-
sammten cerebrospinalen Systems mit Bevorzugung der weiBsen Substanz ohne
Anzeichen von Sklerose, ferner zeigt das Bückenmark eine symmetrische Läsion
der directen Kleinhirnbahn, zum Theil des Hinterstrangs, sowie Betheiligung der
Clarke’schen Säulen. Die weisse Substanz des Hirns erscheint auf Schnitten in
sehr prägnanter Weise in verschieden gefärbte Faserbündel aufgelöst
Vorstehender Krankheitstypus zeigt viele Berührungspunkte mit dem von
Pelizaeus als multiple Sklerose beschriebenen Bilde (Archiv f. Psych. 1885).
_ E. Pfeiffer (Cassel).
20) Un ose d’affeotion familiale 4 symptömes oerobro-spinaux; diplegis
spasmodique infantile et idiotie ohez deux fröres; atrophie da cer-
velet, par Bourneville et Crouzon. (Progrös medical. 1901. Nr. 17.)
Ein weiterer Beitrag zu den von Bourneville und seinen Schülern seil
Jahren gesammelten Fällen mit Sectionsbefund; der Arbeit sind wie stets Ab¬
bildungen der Grösse und des Wachsthums der Kranken in verschiedenen Stadien,
auch des kranken Gehirns, beigefugt. Adolf Passow (Meiningen).
21) Une Observation de trophoedöme ohronique hördditaire, par M.Lannoii.
(Nouv. Icon, de la Salpetriöre. 1900. XIII. S. 631.)
Verf. bezieht sich mit seinen Beobachtungen auf die von H. Meige unter
der obigen Bezeichnung im XIL Band der Iconographie veröffentlichten Fälle
Er bringt die Krankengeschichten von 2 Schwestern und ihrer Mutter.
I. 38jähr. Frau. Vater epileptisch, Mutter bekam nach ihrer ersten Ent¬
bindung ein schmerzloses Oedem des linken Unterschenkels, welches bestehen blieb.
Pat. wurde als lOjähr. Kind vorübergehend von einem Oedem beider Füsae be¬
fallen; mit 18 Jahren nach einer gewöhnlichen Bronchitis entwickelte sich plötzlich
ein Oedem des ganzen rechten Beins, welches bestehen blieb; mit 24 Jahren, nach
ihrer ersten Entbindung, wurde auch das linke Bein von einem chronischen Oedem
befallen. Wurde seitdem apathischer und leidet an geringer Gedächtnissschwäcbe.
Im Uebrigen gesund, macht intelligenten Eindruck. Schilddrüsenbehandlnng blieb
erfolglos. Gegen Ende des Jahres entstand oberhalb des Kniees eine kleine
Fistel, aus welcher sich eine beträchtliche Menge farbloser Flüssigkeit entleerte.
H. 65jähr. Frau, Mutter der Vorigen (s. o.), hat seit ihrer ersten Entbindung
ein Oedem des linken Unterschenkels und Fussrückens, ist aber sonst gesund.
HI. 21jähr. Mädchen, Schwester von I, bekam mit 19 Jahren Scharlach
und einige Monate später ein Oedem beider Unterschenkel, ist sonst gesund.
IV. Von den 6 Geschwistern dieser beiden Patienten zeigt keines eine ähn¬
liche Affection, wohl aber das eine 3jähr. Kind (Mädchen) eines Bruders, welche
ebenfalls ein deutliches Oedem beider Fübsc aufweist und dabei nicht gehen kam.
Bei diesen Fällen ist der erbliche Charakter des Leidens durch 3 Generationen
zu verfolgen. Es ist bemerkenswerth, dass auch hier die Affection nur weiblich;
Familienmitglieder befällt. Das Auftreten des Oedems hängt bei diesen Fällen
nicht mit der Pubertät zusammen, sondern es wird, nachdem es sich zunächst
vorübergehend gezeigt hat, erst nach einer Krankheit oder Gravidität stationär.
Wenn man mit Meige annimmt, dass das Trophödem eine Entwickelungs¬
störung des Gefässsystems ist, muss man wenigstens weiter zurüokgreifen und di?
Ursache in einer angeborenen abnormen Disposition der trophischen Centren suchet.
_ Faoklam (Suderode).
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22) Ueber eine neue Form hereditären .Nervenleidens (Schwachsinn mit
Zittern und Sprachstörung), von Dr. 0. Giese, Volontärarzt der medi-
cinischen Klinik in Bonn. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVIL)
Bei zwei erblich nicht belasteten Geschwistern, die schon in der Jugend
Intelligenzdefecte erkennen Hessen, entwickelte sich im Pubertätsalter ein Krank*
heitsbild, das sich aus den folgenden, allmählich in stärkerer Intensität auftretenden
Erscheinungen zusammensetzt: Deutlicher Schwachsinn, langsame, monotone, un-
deutHche Sprache mit nasalem Beiklang, Tremor der Hände und einzelner Gesichts*
muskeln, Unsicherheit und Schwanken beim Gehen, Erhöhung sämmtHcher Reflexe,
sowie in dem länger dauernden Falle Rigidität der Muskeln und Peroneusschwäche.
Die Krankheit ist zwar progressiv, entwickelte sich aber nur sehr langsam und
besteht in dem einen Fall seit 16, in dem anderen seit 9 Jahren.
Bei beiden Beobachtungen ist die Psyche deutlich gestört. Die motorischen
Störungen sind nicht als Ausfallserscheinungen, sondern als abnorme Reizzustände
aufzufassen. Die Sprachstörung maoht sich in einer gewissen Ermüdung der
Sprech- und Athemmuskeln geltend und erinnert an das Verhalten bei der
myasthenischen Paralyse. Der Tremor der Hände ist nicht ganz rhythmisch,
schnellschlägig und besteht zeitweise auch schon in der Ruhe. Das Zittern der
Gesichtsmuskeln ähnelt am meisten dem bei der Dementia paralytica vorkommen¬
den. Nystagmus und Strabismus wurden nicht beobachtet. Sensibilitätsstörungen
waren nicht vorhanden.
Wenn auch der Symptomencomplex mit mehreren bekannten Krankheits¬
bildern grosse Aehnlichkeit hat (Friedreich’sche Krankheit, cerebrale Diplegieen,
Pseudosklerose, multiple Sklerose, progressive Paralyse u. s. w.), so glaubt der
Verf. doch eine selbständige Form eines hereditären Nervenleidens annehmen zu
dürfen. E. Asch (Frankfurt a/M.).
23) £tude sur trois oaa de mal adle nerveuse familiale mal döflnie 4
allures de paraplögie spasmodlque transitoire, par Lenoble (Brest).
(Archives de neurologie. März 1901.)
Genaue Schilderung dreier Krankheitsfälle mit Krankengeschichte und Heran¬
ziehung ähnlicher Fälle; es sei hiermit auf die Arbeit hingewiesen.
Adolf Passow (Meiningen).
Psychiatrie.
24) Ueber familiäre amaurotische Idiotie, von Falkenheim. Vortrag, ge¬
halten im Verein für Wissenschaft! Heilkunde in Königsberg i/Pr. (Deutsche
med. Wochenschr. 1901. Nr. 22.)
Eltern des Pat. nicht blutsverwandt, gesund. 6 Kinder. Das älteste, ein
1892 nach normaler Schwangerschaft geborenes Mädohen, soll an derselben Krank¬
heit gelitten haben wie der jüngste Knabe. Es war von Beginn an sehr schläfrig,
bewegte Hände und Füsse wenig, zog dieselben auf Stechen zurück, ohne aber
hinzusehen; es lernte nicht sitzen und laufen, nicht greifen, konnte die Gegen¬
stände auch nicht zum Munde führen. Die Zunge wurde viel ausserhalb des
Hundes gehalten. Kein Nystagmus. Tod im 21. Lebensmonat. Die 4 nächsten
Kinder, Mädchen, darunter Zwillinge, sind gesund. Januar 1900 wurde der jetzt
kranke Knabe in kurz dauernder Entbindung, in Folge einer Nabelschnur-
umschHngung ganz leicht asphyktisoh, aber sonst gesund geboren, in den ersten
8 Monaten von der Mutter genährt, später von einer Amme. Das Kind ent¬
wickelte sich im ersten Vierteljahre durchaus normal, hatte aber Nystagmus hori-
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Eont&Iiß, der Anfangs schneller, darauf langsamer wurde und mit dem 7. Monat
aufhörte. Im 4. Monat fiel auf, dass der Kopf nicht mehr so gut gehalten wurde,
das Sehvermögen abnahm, einige Wochen später griff das Kind weniger gut und
fest. Befund (20. November 1900): Der leicht rhachitische Knabe liegt schlaS
in den Armen der Amme; der Kopf fällt nach vom über, die Extremitäten werden ’|
selten und mit massiger Kraft bewegt. Keine Zwangsstellungen, jedoch eine i]
gewisse Rigidität bei brüsken Bewegungen. Sehnenreflexe gesteigert, besonder!
an den Unterextremitäten. Sensibilität anscheinend erhalten, die Reaction erfolgt 1
jedoch langsamer und matt. Pupillen reagiren. Kein Nystagmus. Der Knabe
folgt noch etwas mit den Augen. Die Maculagegend wird von einem liegenden
Oval von intensiv weisser Farbe mit einem Stich ins Blaugraue eingenommen,
etwas grösser als die Papille, auch im senkrechten Durohmesser. Aeussere Grenze j
nicht scharf. Im Centrum, der Fovea entsprechend, ein dunkelrother Fleck.
Papillen normal. Das Kind kann greifen, lässt aber bald los, achtet auf Schall¬
eindrücke noch etwas und fährt bei plötzlich einsetzenden Geräuschen zusammen,
ohne sich aber bei Andauern derselben weiter um sie zu kümmern. Der Knabe
lacht oft, hat die Zunge viel ausserhalb des Mundes und bringt öfters schnarchende
Geräusche hervor. — Geschmack intact. Adenoide Vegetationen. Innere Organe
normal, Schilddrüse anscheinend vorhanden.
In der Familie der Mutter sollen ungewöhnlich viel ähnliche Erkrankung«
vorgekommen sein.
Ueber den weiteren Verlauf des Falles ist nichts bekannt.
R. Pfeiffer.
26) A oase of aznaurotio famlly idiocy, by Hugh Patrick. (Journal af
Nervous and Mental Disease. 1900. XXVII. S. 265.)
Beschreibung eines Falles von familiärer amaurotischer Idiotie bei einen
9 Monate alten Knaben, dessen Tod nach 13 monatlicher Dauer der Erkrankung
unter meningitischen Symptomen eintrat. Das einzige in diesem Falle von dec
früher beschriebenen Abweichende ist die Thatsache, dass das Kind von nicht
jüdischen Eltern stammte, sonst entsprechen die Symptome völlig denen von
Sachs bezw. von anderen Autoren berichteten Fällen. Kühne (Allenberg).
26) A oase of amaurotio family idiooy, by Sydney Kuh. (Journal of Ner¬
vous and Mental Disease. 1900. XXVII. S. 268.)
Ein weiterer Fall von familiärer amaurotischer Idiotie, der sich jedoch von
den gewöhnlichen durch die auffallende Häufigkeit epileptischer Krämpfe und das
Bestehen eines Hydrocephalus unterscheidet. Die Diagnose wurde erst völlig
sicher gestellt durch den Befund des Augenhintergrundes, der die typischen Ver¬
änderungen an der Macula lutea aufwies.
Verf. kann der Anschauung von Sachs nioht beitreten, dass die Erkrankung S
durch ein Stehenbleiben in der Entwickelung des Nervensystems bedingt sei, 1
nimmt vielmehr destructive Veränderungen in den schon entwickelten nervös« I
Gebilden an. Kühne (Allenberg). 3
27) Infantile amaurotio family idiooy, report of a oase and its autopsy,
by J. Herbert Clairbonne j., M. D. (New-York). (Pediatrics. 1900.
X. Nr. 1.)
Verf. möchte folgenden Fall unter die oben genannte Diagnose einreiheo:
Ein 11 monatliches Mädchen, das bis zum 9. Monat gesund gewesen, erkrankt
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865
rasch an einer completen Oculomotoriuslähmung zuerst am linken, dann am rechten
Auge. Die beiden Optici waren intact, doch stellte sich im weiteren Krankheits¬
verlauf eine auffallende Weissfärbung der Maculagegend ein. Das Bänd verlor
allmählich die Herrschaft über seine Glieder, konnte nicht aufrecht sitzen, den
Kopf nicht heben; die Intelligenz hatte seit Beginn des Leidens stark abgenommen.
Bei der Obduction (nach 4 monatlicher Krankheit) fand sich ein nussgrosser
Tuberkel in der Vierhügelgegend.
Einen zweiten Fall citirt Verf. kure nach Aufzeichnungen Dr. Pooley’s.
Der übrige Theil des Aufsatzes beschäftigt sich eingehend mit der Patho¬
logie, Symptomatologie und Nomenclatur der amaurotischen familiären Idiotie
(Sachs). Warum Verf. seinen Fall von Hirntumor gerade dieser Krankheits¬
gruppe zuweisen will, ist dem Bef. nicht verständlich.
Von Interesse ist ein dieser Arbeit angefügtes „Postscriptum“. In diesem
wird nämlich auf histologische Untersuchungen hingewiesen, die Dr. W. Hirsch
bei einem Falle von amaurotischer familiärer Idiotie angestellt hat. Dieser Autor
fand ausgebreitete Ganglienzellenveränderungen im Centralnervensystem und in
der Retina, sowie spinale Degenerationen. Im Gegensatz zu Sachs, der eine
Entwickelungshemmung dem Leiden zu Grunde legt, ist Hirsch geneigt, an einen
degenerativen Process zu denken, wofür auch der rapide Verlauf bei den vorher
ganz gesunden Kindern sprechen würde. Zappert (Wien).
28) Ueber Degeneration und degenerirte Geschlechter in Schweden.
I. Klinisohe Studien und Erfahrungen hinsichtlich der familiären
Myoklonle und damit verwandter Krankheiten, von Hermann Lund¬
borg. (Inaug.-Dissert. Stockholm 1901.)
Verf. hat Gelegenheit gehabt, in dem Kirchspiel M., das den südlichsten
Theil von Blekinge umfasst und auf dem sog. Listerland nahe Sölveshorg liegt,
die Familiengeschichte eines weitverbreiteten, etwa aus 2000 Personen umfassenden
Geschlechtes bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zu verfolgen und die an Ort
und Stelle den Geistlichen, Aerzten, Lehrern u. s. w. wohlbekannte Degeneration
derselben auch an dem Vorhandensein einer Anzahl schwerer Neurosen feststellen
zu können. Besonders war es eine Anzahl von Fällen von familiärer Myoklonie
— im Ganzen 18 —, die Verf. zum grössten Theil selbst untersuchen und längere
Zeit hindurch beobachten konnte, die die Veranlassung und die Grundlage zu
seiner Arbeit lieferten. An der Hand dieser Fälle, die Verf. ausführlich beschreibt,
und deren Abstammung und Verlauf durch eine Anzahl beigegebener Geschiohts-
tafeln, Tabellen und Curven erläutert wird, giebt Verf. eine Schilderung der in
Bede stehenden Krankheit, ihres Verlaufes und der verschiedenen Stadien der¬
selben. Er verweist des Weiteren auf die Verwandtschaft des Krankheitsbildes
mit der Tetanie, Katatonie und Paralysis agitans sowie der Basedow’ sehen
Krankheit und dem Myxoedem. Er hält die gesammte Gruppe dieser Affectionen
für Autointoxicationskrankheiten, möglicher Weise ausgehend von der Thyreoidea.
In jüngster Zeit hat Verf. auoh Gelegenheit gehabt, zwei der seiner Zeit von
Unverricht beschriebenen Fälle von familiärer Myoklonie neu zu untersuchen.
Der klinisohe Theil der 130 Seiten umfassenden Arbeiten bietet eine grosse Fülle
interessanter Beobachtungen, die im Original nachgelesen zu werden verdienen.
Martin Bloch (Berlin).
29) Speoial olaases for mentally defeotive sohool ohildren, by Walter
Canning, M. D. (Charities Review. August 1900.)
Verf. sieht in dem bisherigen Mangel an Fürsorge für die Schwachsinnigen
und der Ausbreitung dieser Degenerirten in den Vereinigten Staaten eine nationale
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Gefahr, der in jeder Weise eatgegemgearbeitet werden müsse. Zu diesem Zwecks
wünscht er, dass möglichst ausgiebige Studien Über das frühe Kzndeealter ge¬
macht werden, welche dem Arzt und Pädagogen eine zeitige Diagnose da
Schwachsinns ermöglichen. Für die aus den Beihen der normalen Kinder am¬
gemusterten Schwachsinnigen denkt er sich neue Einrichtungen ähnlich den
Kindergarten nützlich. Nach seiner Ansicht wird in dar Kindesgarteaerztehnsg
jetzt insofern gefehlt, als man zu viel Werth anf die Ausbildung das Geists
und auf Anfertigung feinerer Handarbeiten, läge. Viel rartheilhafter wäre eine voll¬
ständigere Ausbildung der gesammtea Körpermnsculatur. Motor trmrnipg soll
das Hauptprincip der Erziehung sein. (Unter diesem Ausdruck versteht Verl
offenbar nicht nur Turnen, Spiele, Spazierengehen und Gymnastik im weitestes
Sinne, sondern auch die zum Anschauungsunterricht gehörigen Bewegungen, slz
da sind das „Sichselbstbedienen“, An- und Ausziehen, Besorgungen u. 8. w. Bel]
Eine möglichst ausgiebige körperliche Ausbildung fördere nicht nor normale
Kinder, bei denen er ebenso wie Mosso die eigentliche Schulbildung auf später»
Jahre als das 5. und 6. Lebensjahr verschoben haben will, sondern ganz beeee- 1
ders geistig zurückgebliebene, denen diese Art der Erziehung vielfach überhaupt
erst zum richtigen Gebrauch ihrer Sinnesorgane verheile. Wozu ent warten mit
der Erziehung des schwachsinnigen Kindes, bis es T Jahre geworden ist, das in
bis zu dem Zeitpunkt, in dem es gewöhnlich aus der Primärschule in die Specxai-
schule aufgenommen wird? Es wäre vielmehr zu wünschen, dass die vom Haus¬
arzt als schwachsinnig erkannten Kinder schon vor dem Kindergartensdter, also
vor dem 4. Jahre, ein angemessenes motor and sensorial training erhielten und
zwar in einem dem Kindergarten ähnlichen Institut Denn dieses müsse für die
normalen Kinder reservirt bleiben. Weiter will Verf. alle grösseren Schalen mit
Specialclassen (d. i. Hiilfsclassen, die es offenbar in Amerika entweder gar nicht
oder nur ganz vereinzelt giebt) verbunden haben und rühmt bei dieser Gelegen¬
heit die Einrichtungen in Deutschland, wo solche seit 1863 (1868! Ref.) und
jetzt fast in jeder Stadt von 30 000 Einwohnern, aber auch in vielen kleineres
bestünden. Er rechnet, dass auf 100 Schulkinder von über 7 Jahren ein schwach¬
sinniges käme, das besonderen Unterrichtes bedürfe. (In Deutschland rechnet
man durchschnittlich 1:200; Bef.) In diesen Hülfisclassen müssten mehr körper¬
liche als geistige Uebnngen getrieben, vor Allem mit dem Lesen nnd Schreibe!
bis zum 10.—11. Jahre gewartet werden. Vor Allem seien geeignete Lehrer
nöthig, wenn diese Hülfsschulen Nutzen bringen sollten. Sie müssten, abgesehen
von einer besonderen psychischen Eignung zu dem Specialfheb, Erfahrung über
die Kindergartenerziehung und die Elementarschulen haben und dann am bestes
einen zweijährigen Curaus an einer Sohwachsinnigenanstalt bezw. -schul« dureb-
gemacht haben, während dessen sie bei Fertbezug eines massigen Gehaltes Ge¬
legenheit hätten, alle Abtheilungen kennen zu lernen. Also Schulen für Schwaeb-
sinnigenlehrer, wie es solche für Blinden- nnd Taubstumm enl ehr er gäbe. (Di?
praktischen Vorschläge des Verf.’s bezüglich des letzten Punktee haben leider
erst in Ungarn eine Verwirklichung gefunden. In Deutschland giebt es zur Zeh
keine organisirten Vorbereitungsourae, weder für Schwachsinnigen- noch für J
Blinden- und Taubstommenlehrer; Bef.) Meitzer (Groeshennersdorf). 1
30) Jets over de aetiologie en de pathogeneee van sommige defeoten der
groote hersenen, naar aanleiding van een geval van onvolkomea
porenoephalie, door J. C. TL Scheffar. (Psychiatr. en nenroL Bladea
1900. S. 37.)
Der Fall betraf eine 66 Jahre alte, an Imbeoillitift leidende Kranke, die an
14. Juni 1898 in der Irrenanstalt zu Utrecht an Pneumonie gestorben ist. Dieerb&A
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nicht belastet« Kranke war mit einer Lähmung des linken Armes geboren worden,
die man allgemein einem Falle zuschrieb, den die Mntter der Kranken während
der Schwangerschaft erlitten hatte. Sie war schwachsinnig, und ihre geistige
Entwickelung stand auf einer sehr niedrigen Stufe. Nachdem die Kranke lange
Jahre ruhig hin vegetirt hatte, begann sie über Kopfschmerz zu klagen, wurde
unruhig und tobsüchtig und musste am 21. September 1886 in die Irrenanstalt
aufgenommen werden, wo sie sich Anfangs vollständig passiv verhielt, aber weinte
und schrie und aa sie gerichtete Fragen nicht beantwortete. Bald stellten sich
Anfälle von Unruhe ein, in denen Angstzustände und trübe Stimmung mit ein¬
ander 8bwechselten; danach wurde die Kranke allmählich wieder ruhiger, stumpf¬
sinnig und träumerisch. Ihr Verlangen ging nicht viel weiter als auf die
Erhaltung ihres LebenB. Dieser Zustand wurde von Zeit zu Zeit durch unmoti-
virte reizbare Stimmungen und Anfälle von Congestion unterbrochen.
Der Kopf der Kranken war klein und zeigte einen echten dolichocephalen
Typus. Der linke Arm war durchweg atrophisch und bot das Bild einer spasti¬
schen Monoplegie.
Bei der Section fand sich deutliche Asymmetrie des Gehirns, dessen rechte
Hälfte in allen Richtungen bedeutend kleiner als die linke war und kleine und
mehrfach veränderte Windungen zeigte, nur der Lobus temporalis machte davon
eine Ausnahme und besonders der Gyrus temporalis medius, der nach innen in
seinem Wachsthum' gestört sich mehr nach der Aussenseite zu entwickelt zu
haben schien. Auch an der linken Hemisphäre fanden sich Veränderungen in
der Form und Anordnung der Windungen, aber in viel geringerem Maasse als rechte.
Im Verlaufe der rechten Fossa Sylvii fand sich ein bedeutender Defect, der zum
grössten Theile von einer mit Flüssigkeit gefüllten Cyste ausgefullt war; diese
hatte die Form eines nach aussen ausgebreiteten Fächers, dessen vorderes Ende
in der erweiterten Fossa Sylvii endete, während das hintere im Parietallappen
lag. Die AuBsenwand der Cyste lag nur zu einem kleinen Theile frei an der
Oberfläche, jedoch überall unter dem Niveau der Hemisphäre. Die basalen
Ganglien waren nicht in den Defect einbegriffen, obwohl sie deutlich im Wachs¬
thum zurückgeblieben waren. Der sehr erweiterte Seitenventrikel war hydropisch:
von ihm war die Cyste durch eine ziemlich dicke Wand von weissen Markstrahlen
getrennt. Das Corpus callosum war abnorm dünn.
Die gefundenen Veränderungen waren deutlich secundärer Natur, nur der
Defect war als primär zu betrachten. Die gefundene Cyste entsprach ganz einem
vom 2. und 3. Zweig der Arteria fossae Sylvii versorgten Hirngebiet, und deshalb
nimmt Verf. an, dass der Verlust an Himsubstanz durch Embolie der Arteria
foesae Sylvii und darauf folgende Erweichung verursacht war, und zwar musste
der Embolus sich peripherisch von den Seitenzweigen, die die centralen Ganglien
mit Blut versorgen, festgesetzt haben, weil diese nicht mit betroffen waren. Ob
der Fall, den die Mutter der Patientin während der Schwangerschaft erlitten
hatte, die Veranlassung zu der Embolie war, die wegen der angeborenen Lähmung
als intrauterin entstanden zu betrachten ist, lässt sich natürlich nicht mit Sicher¬
heit annehmen, aber die Möglichkeit einer derartigen ätiologischen Beziehung
lässt sich nicht ganz von der Hand weisen. Der einseitige Hydrops ventriculi
war nach Verf. ex vacuo entstanden in Folge von Resorption des Inhaltes des
Erweichungsherdes. Die abnorme Dünnheit des Corpus callosum beruht auf Weg¬
fall eines grossen Theiles der Fasern, aus denen diese Commissur aufgebaut ist
Walter Berger (Leipzig).
55*
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31) Ueber Kopftnaasse der Idioten, von Kellner, Hamburg-Eppecdori
(Allg. Zeitschr. für Psych. LVHI. S. 61.)
Der Verf. hat an 220 Idioten (122 männliohen und 98 weiblichen) der
Hamburger Idioten- und Epileptikeranstalt in Alsterdorf genaue Kopfmesranga
vorgenommen. Alle Kranke waren über 25 Jahre alt, also war eine Veränderung de
Maasse nicht mehr zu erwarten. Gemessen wurden die Rieger’sche Horizontale,
die obere Horizontale, der Längsumfang, die Stirn-, Scheitel-, Hinterhaupt- und
Joch wurzelbogen, die Höhe (mittelst eines Bleistabes), grösste Länge und Breit«
des Schädels. Unter den 122 Männern waren 44, deren sämmtliche Kopfmass
innerhalb der physiologischen Breite waren. Die Ueberschreitung der Horizontal-
durchschnittsgrösse fand sich besonders bei Epilepsie und Lähmungen; die Mikro-
cephalen überragten in der Regel die Mikrocephalen. Die Abweichungen, für
sämmtliche 220 Untersuchte berechnet, betrugen bei der Rieger’schen Horizon¬
talen 20°/ o , der Höhe 41°/ 0 , des Längsbogens 20°/ 0 , des Stirnbogens 15*,.
des Scheitelbogens 33°/o» des Jochbogens 22 °/ 0 , der grössten Länge 14°/ # , der
grössten Breite 13 °/ 0 . Die Kopf höhe geistig normaler Menschen betrug durch-
schnittlich 10,8 cm; hinter der unteren Grenze von 10,3 bei Männern, 10 be
Frauen blieben 37 °/ 0 zurück; dazu kam noch nicht selten auch eine flache Stb.
die den Schädelraum noch mehr verkürzen muss. Bei Epileptikern fand ach
dabei auch noch in 32 °/ 0 eine Verkürzung des Scheitelbogens.
Aschaffenburg (Heidelberg).
32) Abnorme Charaktere, von Director a. D. Dr. Koch. (Grenzfragen da-
Nerven- und Seelenlebens. Wiesbaden 1900. J. F. Bergmann.)
Verf. beabsichtigt, dem Leser einen orientirenden Einblick in ein Kapite
seiner Lehre von den psychopathischen Minderwertigkeiten thun zu lassen. Da
Umstand, dass er sich auch an nicht psychologisch Gebildete wendet, rechtfertigt
die etwas weit ausholenden Definitionen des ersten Theils der Arbeit über de
Charakter im Allgemeinen, die ihn mehr oder weniger bestimmenden Factoren toi
über das, was er in der vorliegenden Abhandlung unter abnormem Charakter
verstanden wissen will. Es sind dies die von Geburt an pathologisch bedingte
oder beeinflussten Charaktere, insoweit sie dem Grenz- bezw. Zwischengebis
zwischen geistiger Gesundheit und Krankheit angehören. Der nicht specialistisch;
Arzt und der Laie werden vom Autor auf die hervorstechendsten Symptome, aci
das Widerspruchsvolle, Sprunghafte, Periodische, Zwangsartige mancher Erschei¬
nungen im Seelenleben dieser durchaus nicht immer intellectuell und sittlich ge¬
schädigten, sondern oft sogar sittlich hochstehenden und geistig bedeutende
Charaktere aufmerksam gemacht. Beachtlich für den Psychopathen selbst, fr
seine Umgebung und den, der ihn zu behandeln hat, sind folgende Sätze:
giebt pathologische Menschen, die trotz pathologischer Erschwernisse an ihr®
inneren Menschen ausdauernd arbeiten und arbeiten lassen, die in Ueberwindns
menschlicher Schwächen mehr leisten wie Gesunde.“ „Auch dann, wenn er (ds
abnorme Charakter im Sinne des Verf.’s) unter dem Einfluss seiner Krankheit vc*
einzelnen schlimmen Antrieben heimgesucht wird oder mit schlimmen Will®'
richtungen behaftet, vielleicht auch in seiner Widerstandskraft beeinträchtigt iä
ist er doch von seiner Krankheit nicht so überwältigt, dass ihm der Kampf geg 0
jene unmöglich wäre.“ „W T enn anders der abnorme Charakter ein pathologisch*
d. h. ein durch Nervenleiden beeinflusster ist, so kann auch von einer Behandln*
Heilung oder wenigstens Besserung die Rede sein.“ »Die im Laufe des Lei* 2
rein erworbenen Charakterveränderungen lassen sich grösstentheils ausgleicha
oder doch wenigstens in ihren Aeusserungen ganz erheblich eindämmen. D*
meisten angeborenen Charakterveränderungen sind zwar nicht völlig zu beheb«-
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aber man vermag ihnen doch oft den schwersten Stachel zu nehmen.“ „Eine
ganz besondere Hülfe kann ihnen vielfach aus religiösen Motiven erwachsen, wo sie
ihre Stätte haben.“
Der Fachmann wird bei der Lectüre dieses von idealer und humanster Ge¬
sinnung durchwehten Schriftchens dem Verf. nur dankbar sein für die mannig¬
fachen Aufklärungen, die dem gebildeten Laien, besonders aber dem Richter,
Pädagogen und Theologen über die missverstandene Lehre von den psychopathischen
Minderwerthigkeiten hier zu Theil werden. Im Uebrigen sei auf das Original
und besonders auf den Schluss der Abhandlung verwiesen, in dem die Wichtig¬
keit und Nothwendigkeit der Mithülfe der Pädagogik auf einem Theil dieses thera¬
peutischen Gebietes betont und gefordert wird, dass der sachverständige Arzt bis
zu einem gewissen Grad pädagogisch denken und wirken lernt, wie der Pädagoge
medicinisch. Meitzer (Grosshennersdorf).
33) Ueber den angeborenen und früh erworbenen Schwachsinn. Für
Aerzte und Lehrer dargestellt von Dr. 0. Berkhan, Sanitätsrath in Braun¬
schweig. (Braunschweig, 1899. Vieweg u. Sohn. 64 S.)
Diese kleine Schrift beansprucht nicht eine vollständige Darstellung von dem
in der Ueberschrift genannten grossen Capitel der Psychopathologie zu gebeD,
sondern will nur dem Arzte, Lehrer und auch dem Juristen eine Uebersicht über
das zum Verständniss der hauptsächlichsten psychischen Störungen des Kindesalters
Nothwendigste geben. Doch dürften auch den Neurologen und Psychiater manche
Behandlungs- und Beobachtungsresultate des Verf.’s interessiren. So giebt er
Fingerzeige für die Diagnose des Schwachsinns schon in den ersten Lebensjahren
bezw. -tagen; er beobachtete, dasB solche Kinder entweder sehr wenig oder sehr
viel schreien, dass Ausdrucksbewegungen wie Greifen, Lächeln sich bei ihnen wie
bei normalen Kindern viel später zeigen, dass sich ihre Aufmerksamkeit nicht
durch Vorhalten von Gegenständen erregen lässt, dagegen eine gewisse Apathie
vorhanden ist, ganz zu schweigen von dem verspäteten Sprechen- und Laufen¬
lernen, von dem lange anhaltenden Stammeln, Bettnässen, Speicheln, Kopfwackeln
und den oft wiederkehrenden epileptiformen Anfallen. Bei der Behandlung des
acuten Anfalls der cerebralen Kinderlähmung rühmt er am meisten Eisblase auf
Kopf und Chloroformeinathmungen, eventuell Chloralhydratklystiere. Nicht erwähnt
werden die oft doch wohl sehr nützlichen Bäder und ableitenden Mittel. Was
die Beseitigung der nachbleibenden Lähmungen anbetrifft, so haben die Nicola-
donischen Sehnenüberpflanzungen, verbunden eventuell mit der Sehnenverkürzung,
sehr gute Resultate erzielt. Bei Kindern, die nach dem Befallenwerden von der
cerebralen Kinderlähmung frei von Schwachsinn blieben, aber nachträglich an
Epilepsie erkrankten, trat Besserung und Heilung ein, welch letztere er annahm,
wenn 5 Jahre kein Anfall nachzuweisen war, unter Gebrauch folgender Maass¬
nahmen: früh kalte Abwaschung mit Seewasser (1 Esslöffel Seesalz auf 1 Liter
Wasser), bei Blutarmen, Schwächlichen lau; Verbot aller erregenden Getränke
und Gewürze; reichlicher Genuss von Milch; halb- bis zweijährige Darreichung
von 1 g Kal. bromat. -f- 0,01 Extr. Belladonn. in steigender Dosis. — Das
X. Capitel ist betitelt „Versuche einer Verhütung des Schwach- und Blödsinns“.
Verf. redet hier einer vollständig umgeänderten Lebens- und Ernährungsweise der
wieder gravid Gewordenen das Wort, nachdem er vielfach beobachtet hat, dass
Frauen, die häufig trotz grösster Vorsicht in ihrer bisherigen Lebensweise Fehl¬
geburten durchgemacht hatten, ebenso häufig schwachsinnigen oder zu Epilepsie
und Kinderlähmung neigenden Kindern das Leben gegeben hatten. Er schreibt
solchen folgenden Speisezettel auf: Früh und Nachmittags eine Tasse Malz-
chocolade, zum Frühstück ein Ei abwechselnd mit Gallerte von Kalbs- oder
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Hammelbeinen bereitet; Mittags Mehlspeise and gebratenes Fleisch oder Fisch:
Abends Milch und kalte Fleischspeise; Mittags 8 Tage lang täglich eins Messe-
spitze Ferr. carbon. sacchar. oder Fern citr. efferv., dann 8 Tage täglich ein Usl
ein Kinderlöffel Aqua calcis und so abwechselnd bis zum letzten Honst der
Schwangerschaft; als Getränk abwechselnd wochenweise Lagerbier und Betfawao:
2 Mal spazieren gehen, nach Tisch ruhen, zur Zeit der Menses und in den letzten
Monaten der Gravidität sexuelle Abstinenz; gute Hygiene der Räumlichkeiten. -
Verf. betont ausdrücklich, dass die Mehrzahl der schwachbefähigten Kinde je¬
den unteren Schichten des Volkes stammen, und möchte obige Vorschriften tut
in diesen durchgeführt haben, wie er es nach einer Anzahl der mitgegebene
Krankengeschichten auch gethan hat. Leider erfordert aber nur deren annähernd
Durchführung schon einen Wohlstand, wie man ihn nur in der Mindenshl der
mittleren Volksschichten vorfinden wird. Bei einigen der aufgeführten Kranken¬
geschichten hat man den Eindruck, als ob da die Lues eine Rolle mitgespirk
habe; besonders Nr. EH, nach der Patientin zuerst 4 Aborte hatte, dann eia
Kind gebar, das 4 Wochen alt an Magen-Darmkatarrh und epileptiformen Ai-
fällen starb, darnach ein weiteres, das 11 Jahre alt an Hirnlähmung stark
trotzdem die Frau in dieser 5. und 6. Schwangerschaft in der angegebenen Weise
behandelt war; ein 7. Kind starb jung an epileptiformen Anfällen, erst daa t.
blieb leben; Pat selbst erkrankte 4 Jahre nach der letzten Niederkunft an Demenu
paralytica und starb in der Irrenanstalt, ohne dass sich allerdings Anhaltspunkt
für das Bestehen von Lues ergeben hätten. Ref. kann diesen Fall nicht äh Be¬
leg für den Erfolg der vom Verf. vorgeschlagenen Therapie ansehen und glaub,
dass man mit einer zeitigen Jodkalikur vielleicht mehr erzielt hätte. Ref. möchte
dem Verf. auch nicht beistimmen, wenn dieser räth, der Gravida täglich Alcobolia
zu reichen; wieviel er ungefähr geben will, ist nicht gesagt.
Capitel VII und VIII behandeln die Geschichte der Entstehung der Hülfe-
schule für schwachsinnige Kinder zu Braunsohweig und die Grundsätze, mc
denen Hülfsschulen einzurichten sind. Die reichen Erfahrungen des Verth tti
diesem Gebiete werden hoffentlich bei der Neugründung solcher Schulen nick
unbeachtet bleiben; ebenso sein Rath, dass jede Hülfeschule einen sachverständige
ärztlichen, womöglich psychiatrisch vorgebildeten Berather erhalte.
Im letzten Capitel werden dem gerichtlichen Sachverständigen für foKnösck
Fälle Fingerzeige gegeben, wie er dem Richter am besten den Nachweis des be¬
stehenden Schwachsinns erbringt. Zugleich macht Verf. auf die Wichtigkeit tc:
Listen und Führungsbtiehern in den Hülfsschulen aufmerksam; auf Grund di«
könne oft noch nachträglich der von Jugend auf schwachsinnige Thäter excolpk
werden. Mit Vorth eil würden die Listen der in den Hülfsschulen Unterrichtes
auch den Militärbehörden übersendet, damit die stellungspflichtigen Schwach¬
sinnigen womöglich gleich ausgemustert würden; denn ein grosser Theil r«
Soldatenmisshandlungen wäre auf die Einstellung schwachsinniger Leute, von dere
mangelhafter Befähigung die militärischen Vorgesetzten nicht unterrichtet wäre-
zurückzuführen.
Es wäre zu wünschen, dass das kleine flott und klar geschriebene Schriftd»
das durchweht ist vom Geiste echter Menschenliebe, recht viel gelesen würde
Meitzer (Grosshenneredortl
34) Ueber die Diagnose der Imbeoillität im frühen Kindesalter, «•
Martin Thiemicb. Aus der Universitäts * Kinderklinik in Breslau (Pn> :
• Czerny). Vortrag, gehalten in der Schlesischen Gesellschaft für vatnüi-
dische Cultur in Breslau. (Deutsche med. Wochenschr. 1900. Nr. 2.)
Da körperliche Erkrankungen bei Kindern weitgehende Störungen der p»?
chischen Functionen im Gefolge haben können, so ist bei Sohwerkrankea durch
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Besserung des Allgemeinbefinden erst ei» Grundlage Ar eine objective Beur-
th ethmg au schaffen. Bei erreichter oder von vornherein gegebener normaler
körperlicher Beschaffenheit kann Ar Feststellung der Imbecillität die Prüfung der
Schmerzempfindung, des Geschmackssinnes und der Aufmerksamkeit dienen. Das
völlige Fehlen der Letzteren kennzeichnet die Idiotie als schwersten geistigen
Defect, eine kaum zu fesselnde und abnorm flüchtige Aufmerksamkeit eignet den
agilen Imbecillen, den prognostisch günstigeren Fällen. Geschmacksstörungen
können auch durch den körperlichen Entwickelungszustand (Rhachitis u. & w.) allein
bedingt sein. Nur bei Imbecillen kommt eine allgemeine andauernde Anal¬
gesie vor.
Verzögerte Erlernung der Sauberkeit, noch im 2. Lebensjahre vorhandener
Speichelfluss, eventuell auch das Zähneknirschen können den Verdacht auf Imbe¬
ciliität lenken, reichen aber an sich zur Diagnose nicht aus. R. Pfeiffer.
36) On pupillary anomaliet im paralysed aad non-p&r&lysed Idiot children,
and their relation to hereditary syphüis, by Dr. W. J. König (Dalldorf).
(Journal of Mental Scienoe. Juli 1900.)
In Uebereinstimmnng mit den spärlichen Veröffentlichungen von Pupiilar-
anomalieen bei Kindern ist es Verfi nur in 13 Fällen aus einer Zahl von Hunderten
gelungen, Functionsstörungen der Pupillen zu finden. Davon scheiden noch zwei,
die ganz exceptionelle Verhältnisse bieten, ans, und es bleiben für die Beant¬
wortung der gestellten Frage also 11 idiotische Kinder (8 Knaben, 3 Mädchen)
übrig, von denen 9 an cerebraler Kinderlähmung und 2 an uncomplicirter Idiotie
litten, 8 vor Ablauf des ersten Lebensjahres und 3 im 3. bezw. 8. und 9. Jahre
schwachsinnig wurden und 10 irgend einmal Krämpfe hatten. Paralytische Sprach¬
störung war niemals, Steigerung der Kniereflexe mehr oder weniger in allen
Fällen vorhanden.
Die Pupillaranomalieen haben in einem Falle (ein äusserst seltenes Vorkomm-
niss) monocularen, in den übrigen 10 einen binocularen Typus. In jenem Falle
besteht einseitige Lichtstarre und Trägheit des Accornmodationsreflexes. Bei den
10 anderen Kindern ist in 8 Fällen doppelseitige Liohtstarre und unter ihnen
4 Mal doppelseitige Aufhebung des Convergenz- und Aocommodationsreflexes vor¬
handen. Normaler Convergenzreflex ist aber nur 1 Mal vertreten. In 3 Fällen
fiel die Convergenz- und Accommodationsbewegung der Pupille aus, und 1 Mal fehlten
alle Reflex« bis auf einseitigen Convergenzreflex. — Mithin bestand in 6 Fällen
dopp«lseitige Störung aller Reflexe, und jedenfalls ist gegenüber der pro¬
gressiven Paralyse die grosse Häufigkeit des gleichzeitigen Fehlens
aller Reflexe ganz auffällig.
Die Anamnese ergiebt, dass hereditäre Syphilis nur in einem von 11 Fällen
mit Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen war, aber 4 Mid bestimmt und 6 Mal sehr
wahrscheinlich Vorgelegen hat; meist mag es sich dabei nur um einen prädispo-
airenden Factor gehandelt haben, und nur 2 Mal ist die Lues sicher zugleich das
ätiologische Moment gewesen. Pupillen starre bei kindlichem Schwachsinn ist also
mit vereinzelten Ausnahmen immer ein Zeichen hereditärer Syphilis.
Von 6 obduoirten Fällen zeigten 5 makroskopisch das Bild der fortge¬
schrittenen allgemeinen Paralyse und nur einer war als cerebrale Lues anzusprechen.
Klinisch haben wir hier 3 Gruppen: 1. nicht gelähmte Idioten, 2. Idioten mit
cerebraler Kinderlähmung, 3. juvenile Paralyse (2 Formen). Anomalieen der
Pnpillenbewegung kommen in allen 3 Gruppen vor; in der Regel bei Nr. 3, aus¬
nahmsweise bei Nr. 2 und noch seltener in Nr. 1 der obigen Gruppen.
0. Schmidt (Freiburg i/SchL).
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36) Die Sprachstörungen geistig zurückgebliebener Kinder, von A. Lieb¬
mann. (Sammlung von Abhandlungen aus dem Gebiete der pädagogischen
PsychoL u. Phyriol. 1901. IV. Heft 3.)
Verf. bespricht an der Hand von 7 Fällen die Pathogenese und Therapie der
primären und secundären Sprachstörungen geistig zurückgebliebener Bänder. Es
werden der Reihe nach Stummheit, Agrammatismus, Stammeln, Stottern und Polters
ihren klinischen Kennzeichen nach abgehandelt und unter ausführlicher Mittheilung
der Symptome der einzelnen Fälle der therapeutische Modus procedendi, der in
jedem Falle ein besonderer sein muss, ausführlich mitgetheilt Das Studium der
einzelnen Fälle wird Jedem, der mit der Behandlung einschlägiger Patienten be¬
traut ist, werthvolle Hinweise geben. Martin Bloch (Berlin).
37) Vorlesungen über Sprachstörungen. 5. Heft: Uebungs tafeln für Stammler,
sowie für hörstumme und geistig zurückgebliebene Kinder, von Dr.
Albert Liebmann. (Berlin, 1900. 0. Coblentz.)
Die vorliegenden Uebungstafeln sollen rein praktischen Zwecken dienen und
sind die Ergänzung zu den voraufgegangenen theoretischen Vorlesungen. Die
Silbenübungen sind auf das Allernothwendigste beschränkt. Verf. pflegt sehr bald
zu den Wortübungen überzugehen, auch wenn die Patienten noch nicht die Kon-
sonanten mit allen Vocalen zu verbinden vermögen. Es sind daher ausführliche
Tafeln für diese verschiedenen Uebungen zusammengestellt und mit entsprechendes
Anweisungen versehen.
Bei geistig zurückgebliebenen Kindern müssen die Uebungen von Demonstra¬
tionen in natura und in effigie begleitet, Körpertheile nicht nur an den Kindern
selbst, sondern auch an anderen Personen gezeigt werden. Diesem Zwecke dienen
besondere Tabellen. Es folgen Uebungen mit zusammengesetzten Verbalformen,
die vielen Patienten ausserordentliche Schwierigkeiten machen, weiterhin solche
mit Farben- und Zahlenbezeichnungen, endlich die Uebungen mit Sätzen, wobei
ebenfalls möglichst beim Sprechen der Inhalt jedes Wortes demonstrirt werden
soll. Zum Schlüsse giebt Verf. seine Methoden, nach denen der Spracharzt geistig
zurückgebliebenen Kindern auch die ersten Anfangsgründe im Lesen, Rechnen und
Schreiben beibringen soll. E. Beyer (Littenweiler).
38) Ueber moral insanity, von Hans Schulze. (Inaug.-Dissert Berlin, 1901).
Verf unterwirft in der vorliegenden Arbeit den viel umstrittenen Krankheits¬
begriff der moral insanity historisch-kritischen Betrachtungen, analysirt an der
Hand eines Falles die einzelnen Erscheinungen des Krankheitsbildes und giebt
dann eine Definition in folgenden Worten: „In der Unfähigkeit, durch plastische
Ueberlegungen, d. h. durch Combination der äusseren Umstände mit dem in nnseran
Gehirn aufgespeicherten Schatze von Erinnerungen und Erfahrungen die automa¬
tisch-egoistischen Willensinstincte altruistisch zu modificiren, liegt unseres Erachtens
das eigentliche Kriterium der moral insanity.“ Der Fall an sich bietet nichts Ausser-
gewöhnliches. Ein erblich belasteter Mensch, von Hause aus ein Thunichtgut, litt
in seiner Jugend an epileptischen Krämpfen und zeigte späterhin Ex<ations-
zustände, Bewusstseinsstörungen, Sinnestäuschungen, Schwindelanfälle und auffallende
Anomalieen des Charakters. Er war von grosser Reizbarkeit, lügnerisch und
prahlsüchtig, äusserte in seiner ganzen Denk- und Handlungsweise den krassestes
Egoismus und kam schliesslich in Folge von verschiedenen Betrügereien mit den
Gerichten in Conflict Bei dieser Gelegenheit wurde dann sein krankhafter Geistes¬
zustand festgestellt
Die Arbeit stellt gewiss eine dankenswerthe Bereicherung der Litteratur dar,
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die Auaf&hrangen sind aber in manchen Punkten anfechtbar. So kann Ref. dem
Verf. nicht bestimmen, wenn er sagt (S. 8): „Die beispielsweise beobachteten epi¬
leptischen und hysterischen Züge dürfen nur als concomitirende Erscheinungen
der eigentlichen moral insanity aufgefasst werden.“ Wenn mit Sicherheit epilep¬
tische Erscheinungen, z. B. Krampfanfälle, Dämmerzustände oder Aequivalente
nachgewiesen sind, so ist nach des Ref. Ansicht die Epilepsie das Grundleiden,
alle anderen Erscheinungen lassen sich zwanglos aus dieser erklären. Von diesem
Gesichtspunkte aus würde auch der geschilderte Fall nicht so recht in das Krank¬
heitsbild der moral insanity hineinpassen, da die Störungen epileptischer Natur
doch eine sehr wesentliche Rolle in den Krankheitsäusserungen einnehmenn. Auch
hätte Ref. ein stärkeres Hervorheben der immerhin auffallenden intellectuellen
Defecte gewünscht. H. Schnitzer (Stettin-Kückenmühle).
89) Die moral insanity beruht auf einem exoessiv sanguinischen Tempo- ^
rament, von Tiling (Rothenberg-Riga). (Allg. Zeitschr. f. Psych. LVIL
S. 205).
Verf. vertritt die Ansicht, dass die Psychiatrie nicht einseitig nur die in¬
tellectuellen Fähigkeiten zum Object des Studiums machen sollte, sondern sich auch
mit Affecten und Leidenschaften beschäftigen müsse: leider versagen auf diesem
Gebiete vorläufig noch alle vom Verf. geforderten und gewiss wünschenswerthen
Laboratoriumsversuche. Der beschriebene Fall ist „zusammengesetzt aus un¬
moralischen Leidenschaften“. Aschaffenburg (Heidelberg).
40) Die Verblödungspsyohosen in der cantonalen Zürioher Pflegeanstalt
Rheinau, von H. Bertschinger. (Allg. Zeitschr. f. Psych. LVIH. S. 269).
Der Verf. hat nach Ausscheidung aller rein manisch-depressiven Fälle, von
Paranoia und Involutionsmelancholieen aus der Gruppe der erworbenen einfachen,
primären und secundären Störungen (der schweizer Zählkarten) 344 Kranke
(136 Männer, 208 Frauen) übrig behalten, die er sämmtlich der Dementia praecox
zurechnet. Nicht berücksichtigt wurden schon vorher imbecille Patienten.
Von den 344 Kranken waren 74,3°/ 0 erblich belastet; 110 Mal bestanden
vor Ausbruch der Erkrankung Charakteranomalieen, 23 Mal Hyperreligiosität,
7 Mal sexuelle Abnormitäten. Als Ursachen wurden angeführt (bisher oft mit
Unrecht) 28 Mal Alkoholismus, 21 Mal unglückliche Liebe, 20 Mal eheliches Zer-
würfniss, 13 Mal Onanie, 5 Mal versuchte oder ausgeführte Vergewaltigung, 18 Mal
Wochenbett, 9 Mal Gehirnentzündung, 7 Mal Nervenfieber, 6 Mal Chlorose, 4 Mal
Dysmenorrhöe, 4 Mal Chorea, je 3 Mal Scharlach und Masern, je 1 Mal Pocken,
Influenza, Lues, Bleivergiftung und Sonnenstich.
Das Erkrankungsalter, durch Curven illustrirt, zeigte für die Männer das
Maximum zwischen 21. und 25. Lebensjahr, während bei den Frauen die Jahre
21—35 fast gleich stark betheiligt waren und ausserdem noch die klimakterischen
Jahre sich besonders bemerkbar machten.
Der Verfasser theilt die Fälle, dem Krankheitsverlauf einerseits, dem End¬
zustand andererseits folgend, in 3 Gruppen, die natürlich fliessende Uebergänge
zeigen. Zur erworbenen einfachen Demenz gehörten 27 Männer und 10 Frauen.
Unter ihnen sind auffallend viel Criminelle. 19 Kranke standen über und 3 unter
dem Durchschnittsmittel der Intelligenz. Das Ueberwiegen der Männer hält der
Verf. für ein nur scheinbares; die einfache Demenz führt bei Frauen seltener zur
Versorgung als bei Männern, bei denen oft noch der Alkoholismus (11 Mal) hinzu¬
kommt. Der Verlauf war meist ausgeprochen chronisch. Fünf ziemlich acut ver¬
laufene Fälle zeigten den hebephrenischen Charakter der Verblödung besonders
deutlich. 24 Kranke dieser Gruppe zeigten einen hysteriformen Charakter.
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Die 2. Gruppe der „katatonischen Verblödung“ umfasst 207 Fälle (71 Minner,
136 Frauen). Nur selten zeigte sich der von Kahlbaum beschriebene Stadien-
■wechseL Nur 15 Kranke waren schlechte Schäler gewesen, 56 gute bis sehr gute.
Die Curve des Erkraokungsalters zeigte bei den Frauen eine besonders starke Be¬
theiligung der Jahre 16—35. Bei einer Reihe von Kranken nimmt der Verfasser
an, dass zu einer schon lange bestehenden einfachen Verblödung in späteren Jahren
ein acuter, zu katatonischer Demenz führender Krankheitsschub hinzugekomma
sei. Der Beginn war sehr verschieden; bald ein mehr manischer, bald ein mehr
depressiver, oft auch geradezu circularer Typus, dem sich nach ein oder mehreren
Remissionen, oft auch unmittelbar die Verblödung anschloss. Während des Ueber
ganges zur Verblödung treten regelmässig acute, katatonische Erscheinungen aal
Specifisoh-katatonische Symptome in wechselnder Stärke bleiben fast immer be¬
stehen, besonders häufig Negativismus, Mutacismus, Sprachverwirrtheit. Die Ver¬
blödung ist meist recht bedeutend.
Der „paranoiden Verblödung“ gehören 38 Männer, 62 Frauen an; bei da
Frauen macht sich das Klimakterium besonders durch Zunahme der Erkrankungs¬
fälle bemerkbar. Der Verf. unterscheidet 3 Untergruppen; in der ersten Gruppe
sind katatonische Symptome recht zahlreich, es bildet sich ein massiger bis tiefer
geistiger Schwächezustand heraus mit erhaltenen Sinnestäuschungen und Wahn-
ideeen bei in der Regel ziemlich geordnetem äusseren Benehmen; die Verblödung
ist meist weniger hochgradig. Sie ist am geringsten bei der 3. Gruppe; Sinnes¬
täuschungen und Wahnideeen, nicht so verworren wie bei der 2. Untergruppe, nicht
systematisirt und leichter der Veränderung zugänglich wie bei der wahren Paranoia.
Je acuter der Beginn ist, je mehr sich der reinen Manie und Melancholie
nähernd, um so eher ist eine Remission zu erwarten. Die tiefsten Grade dm- Ver¬
blödung erreichen oft die Fälle mit mehreren intercurrenten Heilungen.
Aschaffenburg (Heidelberg).
m. Aus den Gesellschaften.
Sociötd de neuroiogie de Paris.
Sitzung vom 7. März 1901.
Herr C. Oddo und Herr Olmer: Totale Augenmuabsllähainng uad an¬
steigende Lähmung in eisern Falle von tuberoulöser Meningitis.
Am 11. November 1900 wurde in das Höpital de la conoeption in Marseiile
die 34jährige Patientin in einem Zustande grosser Hinfälligkeit gebracht. Die
Kranke antwortete mit Mühe und nur in einzelnen Silben auf die gesteütca
Fragen; doch erfuhr man von ihr, dass sie verheirathet und stets gesund ge¬
wesen sei, dass sie vier gesunde Kinder habe und auch ihr Manu vollständig
gesund sei; dass ferner das Leiden vor 2 Wochen mit Kopfschmerzen, die
immer heftiger wurden, begonnen hat. Schon damals hatte die Umgebung der
Patientin bemerkt, dass das reohte Augenlid herunterhing. Die Kranke liegt
zusammengekauert in ihrem Bett. Die Bauchwand ist bei Berührung schmerz¬
haft nnd vorgewölbt durch die kollosal ausgedehnte Blase, aus der man mh
Hülfe des Katheters 2 X / S Liter Urin entfernt Der Harn enthält übcigess
weder Eiweiss noch Zucker. Mit den Beinen kann die Kranke nur beschränkte
Bewegungen ansführen. Die Patellarreflexe sind verschwunden, ebenso der plantare
Hautreflex. Dagegen ist der Babinski-Reflex vorhanden. Kein Fussklonv.
Vollständige Ptosis am rechten Auge. Beim Aufheben der Augenlider wird
oonstatirt, dass das rechte Auge total unbeweglich ist. Die Pupille ist auf diw
Seite stark erweitert und reagirt kaum auf Licht und Aocommodatioa. Am linfac
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Auge nichts Abnormes. Die Untersuchung der Sensibilität ist durch den schlum¬
mernden Zustand der Patientin erschwert. £s schien allgemeine Hyperästhesie der
Haut (gegen Berührung und Schmerz) und Abnahme der Empfindung, besonders
an den unteren Extremitäten, für Wärme und Kälte zu bestehen. Nackenstarre.
Muldenförmig ausgehöhlter Bauch. Hartnäckige Verstopfung. Das Körnig’sche
Symptom ist wenig ausgesprochen. An den oberen Extremitäten nichts Abnormes.
Puls über 100, Temperatur zwischen 37,5 und 38,5°. Die Athmung ist normal.
Am 13. November wird eine lumbosacrale Punotion vorgenommen, bei-welcher
einige Cubikcentimeter klarer Flüssigkeit entleert werden. Die Untersuchung dieser
Flüssigkeit ergiebt keine Tuberkelbacillen. Am 14. November erstreckt sich die
L ä hm ung auch auf die oberen Extremitäten. Der komatöse Zustand greift mehr
und mehr um sich. Jetzt sind auch die Bewegungen des linken Auges erschwert.
Die linke Pupille ist stark erweitert und lichtstarr. Der Puls ist rasch, aber
regelmässig; die Athmung beschleunigt, aber normal. Tod an demselben Tage
(14. November) ohne weitere Symptome.
Autopsie: An der Convexität des Gehirns ist nichts Abnormes wahrzunehmen.
Dagegen findet man an der Gehimbaais ein dickes, ausgedehntes Exsudat, welches
hauptsächlich die Gegend der Hirnschenkel, des Chiasma ausfüllt und theilweise
längs der Hirnnerven verläuft; besonders sind die Stämme des 3., 4. und 6. Nerven-
paares stark vom Exsudat bedeckt Bei der mikroskopischen Untersuchung sieht
man, dass dieses hauptsächlich aus einer fibrinösen Masse besteht, in deren
Maschen sich junge und mononucleäre Zellen in grosser Zahl befinden. Diese Zellen,
bald von runder, bald von elliptischer Form, sind meistens längs der Blutgefässe
vorhanden. Mit Ausnahme einer mehr oder weniger ausgesprochenen Infiltration
von embryonalen Zellen in den bindegewebigen Maschen der betreffenden Nerven-
stämme ist an der Nervensubstanz des Gehirns nichts Abnormes wahrzunehmen.
Am Bückenmark sind die Meningen weniger betroffen, alB am Gehirn, dagegen
ist die Substanz selbst des Rückenmarks stark lädirt Die Vortr. constatirten
eine wahre Leptomyelitis, über die sie Näheres später in einer speciellen Ab¬
handlung veröffentlichen werden. An den Lungen, in der Leber und der Milz
disseminirte Miliartuberculose. — Die totale Augenmuskellähmung ist durch eine
Compression der Augennerven dureb das voluminöse Exsndat zu erklären. Das
Eigentümliche in diesem Falle war die schlaffe aufsteigende Lähmung der Extre¬
mitäten. Gewöhnlich sind die Lähmungen bei Meningitis spinalis tuberculosa
spasmodischer Natur. Die Vortr. glanben auch, dass kaum ein zweiter Fall von
aufsteigender Lähmung bei tuberculöser Meningitis in der Litteratur bekannt ist.
Herr Ferrand: Ein neuer Fall von Akromegalie mit Autopsie.
Die Kranke ist in der Klinik des Hrn. Pierre Marie in Bicetre gestorben.
Die Krankengeschichte dieser Patientin ist in der Dissertation des Hrn. Stat6,
„Ueber die schmerzhaften Formen von Akromegalie“, veröffentlicht. Patientin litt
in ihrer Kindheit an Krämpfen; die Akromegalie begann kurze Zeit nach einem
Starz auf den Kopf von einer Höhe von 7 m. Im Jahre 1895 diagnostioirte
Pierre Marie bei der Kranken Akromegalie und Zuckerharnruhr. Sie klagte
damals über heftige Kopfschmerzen, die auf eine 1 monatliche Behandlung mit
Hypophysisdrüse vollständig verschwanden. Neben einer vollständig aasge¬
sprochenen Akromegalie litt die Patientin an Zuckerharnruhr, Albuminurie und
Lungentuberculose. Der Tod erfolgte am 20. Januar 1901 im Alter von 33 Jahren.
Mit Ausnahme einer Hypophysisgeschwulst findet sich am Gehirn nichts Ab¬
normes. Die Geschwulst ist etwa taubeneigross; nach hinten grenzt sie an die
Varolsbrücke, nach vorn comprimirt sie das Chiasma n. optici, welches comprimirt
und atrophisch aussieht. Die Patientin litt übrigens an einer rechten lateralen
homonymen Hemianopsie. Lateralwärts berührt die Geschwulst die temporo-
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876
occipitalen Gehirnlappen. In Folge ihrer Grösse konnte sie nicht in einem
Stück herausgenommen werden. Nach unten adhärirt die Geschwulst an des
Knochen und füllt, nachdem sie die Dura mater durchbrochen hatte, die game
Sella turcica aus. Die Geschwulst erstreckt sich ausserdem in die mittler*
Schädelgrube, schliesst das Ganglion Gasseri ein und erstreckt sich bis an du
Foramen rotundum und an die Fissura sphenoidalis. Die mikroskopische Unter¬
suchung der Geschwulst zeigt, dass dieselbe aus drüsigem Gewebe besteht und
als Adenom aufzufassen ist. Von den übrigen Drüsen des Körpere, die York,
genau untersucht hat, ist die Schilddrüse allein in allen ihren Beetandtheilei
gleichmässig hypertrophisch; sie wiegt 100 g und zeigt eine Anzahl von ge¬
schlossenen Follikeln, die stark erweitert und von einander durch stark verdickte
fibröse und sklerosirte Stränge getheilt sind. Vortr. suchte vergeblich bei seine
Patientin die Thymusdrüse. Herz, Leber, Nieren, Milz sind an Volumen bedeutend
vergrössert. Die Kranke litt an einer Herz- und Nierenkrankheit
Discussion:
Herr Henry Meige fragt Hrn. Pierre Marie, ob der Sturz auf den Kopf
der Kranken in irgend einem ätiologischen Zusammenhang mit der sich später
entwickelnden Akromegalie steht.
Herr Pierre Marie erwidert, er habe nie Gelegenheit gehabt, zu beobachten
dass ein Trauma von irgend welchem Einfluss auf die Entwickelung von Akro¬
megalie gewesen wäre.
Herr Ch. Achard: Intraspinale Einspritzung von Cocain bei Behand¬
lung einiger schmerzhafter Affectionen.
Die Arbeiten der Chirurgen über Anästhesie nach dem Verfahren toc
Bier und die Methode von Pitres, den Sitz einer Neuralgie (algesiogere
Heizungen) mit Hülfe von Cocaineinspritzungen zu bestimmen, veranlasst^ die
Versuche mit Cocainbehandlung bei einigen schmerzhaften Krankheiten. Vortr.
hat verschiedene Male Gelegenheit gehabt, diese Behandlung anzuwenden. In
3 Fällen von Isohias waren die Resultate sehr günstig. Im L Falle handelte
es sich um einen 19jähr. Mann, der seit 2 Monaten an Ischias mit beträchtlichen
Hinken und leichter Muskelatrophie litt Aeussere Mittel und namentlich Chlor-
methyle blieben ohne Erfolg. Nach drei Einspritzungen von 1—2 ctg Cocain in
den Wirbeloanal verschwanden die Schmerzen. Man constatirte nach der Ein¬
spritzung, dass sich zunächst die tactile Anästhesie und dann erst die Analgesie
einstellte. Während 2—3 Tage nach der 1. Einspritzung die Empfindlichkeit d«
N. ischiadicus auf Druck vollständig aufgehoben war, war dagegen die Hautsensibiliti
wieder vollständig normal. Im Fall II bestand die Ischias seit 6 Monaten bei
einem 50jähr. Manne. Nach einer intraspinalen Einspritzung von 2 ctg Cocain
verschwanden die Schmerzen für 3 Tage. In Fall III handelte es sich um eine«
37jähr. Mann, der an einer symptomatischen Ischias in Folge eines Malum Pottä
in der Sacralgegend litt. Eine Einspritzung von zunächst 1 / a ctg Cocain hatte
keinen Erfolg, dagegen wurden die Schmerzen nach zwei neuen Einspritzunga
von */ 2 ctg Cocain dauernd gelinder. Auch in 2 Fällen von Tabes bei Frsoa
wurde ein günstiges Resultat erzielt. In einem Falle handelte es sich um eist
heftige gastrointestinale Krise mit Erbrechen und Diarrhöe. Nach einer Inj echot
hörten die Schmerzen auf. Bei der zweiten Kranken waren auch häufige Mag»
sohmerzen, begleitet von Erbrechen und heftigen Schmerzen in den Beinen, vor¬
handen. Nach einer Einspritzung verspürte die Patientin eine grosse Erleichtern?
Dieser Behandlung wurde noch ein Mann unterworfen, der an Herpes «stet
cruralis litt. Nach einer Cocaineinspritzung liessen die Schmerzen bedeutend nach
und der Kranke konnte wieder gehen. Der Ausschlag aber nahm an dem der
Einspritzung folgenden Tage bedeutend zu und erlosch erst allmählich. In einst
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877
Falle von Bleikolik brachte die Einspritzung nur sehr kurz dauernde Erleichterung.
Dagegen traten in diesem Falle verschiedene Intozicationserscheinungen (Schwindel,
Erbrechen, Fieber) auf. Die in diesem Falle angewandte Dosis von 3 ctg war
etwas zu hoch.
Die Behandlung nach dieser Methode ist natürlich eine rein symptomatische,
trotzdem sind die erzielten Resultate nicht von der Hand zu weisen. Da die
Einspritzung nur vom Arzt ausgeführt werden kann, so fallt auch die Gefahr
einer Coca'inomanie weg. R. Hirsohberg (Paris).
(Schloss folgt.)
Gesellschaft der Neuropathologen and Irrenftrzte za Moskau.
Sitzung vom 11. Februar 1900.
Herr S. J. Popoff: Zur Lehre von den Anfangsstadien der multiplen
Neuritis.
Vortr. bringt die Krankengeschichten von 4 Kranken, von denen 3 Alkoho¬
liker waren, der 4. Kranke (Maler) hatte in seiner Vergangenheit mehrfach Blei¬
koliken zu verzeichnen. Die Krankheiten, welche diese Kranken veranlassten, ins
Krankenhaus einzutreten, waren: Intermittirende (als deren Folge acut einsetzende
Ataxie der Extremitäten) Gehimhämorrhagie, Thrombose der Art. fossae Sylvii
und traumatische Paralyse des Plexus brachialis. Obgleich die Kranken kein
einziges der gewöhnlichen klinischen Zeichen einer multiplen Neuritis aufwiesen,
ergab die elektrische Untersuchung bedeutende Abweichungen in der elektrischen
Erregbarkeit in Form von qualitativer Herabsetzung derselben oder in Form von
Entartungsreaction. So war bei dem Kranken, welcher an traumatischer Paralyse
des rechten Armplexus litt, der linke Arm allem Anschein nach in jeder Beziehung
gesund; die elektrische Untersuchung aber zeigte im N. ulnaris, in den Flexoren
der Hand und den kleinen Handmuskeln entweder vollkommenes Fehlen der
galvanischen Erregbarkeit oder träge Zuckungen der Muskeln (bei An = Ka).
Dasselbe war auch bei den anderen Kranken der Fall. Der Erkennung früher Stadien
einer Neuritis im Allgemeinen eine grosse Bedeutung beilegend, legt Vortr. ein
besonderes Gewicht auf die professionellen Neuritiden (Blei, Arsenik), bei denen
eine frühzeitige Erkennung mit Hülfe der elektrischen Untersuchung es möglich
macht, rechtzeitig den Arbeiter von den schädlichen Einwirkungen fern zu halten
und so die Entwickelung der Krankheit zu coupiren.
Discussion:
Herr A. A. Korniloff bemerkt, dass die vom Vortr. erwähnten Abweichungen
der elektrischen Erregbarkeit auch bei ganz gesunden Personen Vorkommen können.
Herr Prof. W. C. Roth zweifelt an der diagnostischen Bedeutung dieses
Zeichens: irgend eine Veranlassung ist erforderlich, um die Aufmerksamkeit darauf
za lenken. Den Bleilähmungen geht durchaus nicht immer eine Kolik voraus;
was aber die Arsenik- und Alkohollähmungen anbetrifft, so sind ihre frühesten
Erscheinungen Störungen der Sensibilität; andererseits besteht bei Alkoholparalysen
selbst im Stadium der Ataxie selten Entartungsreaction.
Herr W. W. Weydenhammer und Herr P. P. Bruchansky: Zur Frage
über das Delirium aoutum.
Die Vortr. berichten über zwei Beobachtungen aus dem Alexejew’schen
Kr ankenh ause:
L Mann von 33 Jahren, mit psychopathischer Belastung, kein Trinker, machte
vor 12 Jahren eine Eirankheit der Geschlechtsorgane durch. Seine Krankheit
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878
entwickelte eich plötzlich am 25. Mai 1899; bis dahin konnte an ihm mir eine
gewisse Reizbarkeit beobachtet werden. Es stellten sich ein: Schlaflosigkeit,
Nahrungsverweigerung, Zerstreutheit, Verwirrtheit, massenhafte Gehörs- und Gesichte-
hallucinationen und motorische Unruhe. Beim Eintritt ins Krankenhaus am
4. Juni: Temperatur 37,8, frequenter Puls, lebhafte Pupillenreaction, Fehlen der
Kniereflexe, tiefe Bewusstseinstrübung, unzusammenhängende, ununterbrochene
Rede, motorische Unruhe, Nahrungsverweigerung, Schlaflosigkeit. Im weiteren
Verlauf: Schwankungen der Temperatur zwischen 37,2—39,5°, frequenter Pnls
(100—120Schläge), zunehmende Abmagerung, schwerer Allgemeinzustand, Nahrungs¬
verweigerung, Schlaflosigkeit, tiefe Bewusstseinstrübung, motorische Unruhe. Nack
8 tägigem Aufenthalte im Krankenhause Exitus letalis.
II. Bauer von 32 Jahren, von Geburt an stumpfsinnig, mit geringer Be¬
lastung. Nach einer Influenza stellten sich frequenter Puls, Herzklopfen, Alp¬
drücken des Nachts und Hallucinationen ein. Darauf entwickelten sich Bewusst¬
seinstrübung, Erregtheit, völlige Nahrungsverweigerung und Schlaflosigkeit. Bei
der Aufnahme am 11. September 1899: Schwerer Allgemeinzustand, Temperatur
36—38,1°, Puls 100, Pupillendifferenz bei lebhafter Reaction, Reflexe erhalten.
Während des 5 tägigen Aufenthaltes im Krankenhause schwankte die Temperatur
zwischen 36—38,1°; der Puls erreichte 120, wurde unregelmässig, kanm fühlbar;
tiefe Bewusstseinsstörung, Schlaflosigkeit, Nahrungsverweigerung, motorische Un¬
ruhe, letztere schwächer als im ersten Falle. Am 6. Tage trat der Tod ein, bei
Erscheinungen allgemeiner Erschöpfung und Herzschwäche. Bei der Section wurde
in beiden Fällen gefunden: Schädelknochen und Dura mater ohne Veränderung,
Pia mater stark hyperämisch, leicht ödematös, mit zerstreuten kleinen Blutungen.
Hirnrinde leicht geschwollen, stark hyperämisch, unterscheidet sich scharf von der
darunter liegenden weissen Substanz. Bei der mikroskopischen Untersuchung
acute hämorrhagische Entzündung der Hirnrinde mit wenig ausgesprochenen ent¬
zündlichen Erscheinungen in der Pia mater. Der Unterschied zwischen dem 1.
und 2. Falle liegt hauptsächlich im Verhalten der Gefässe: Im 1. Falle in der
Intima und Adventitia der kleinen Gefässe Kernwucherung mit Erscheinungen der
Degeneration in der Intima und starke Infiltration in der Peripherie der Gefässe.
Im 2. Falle hauptsächlich Erscheinungen der Degeneration der Intima und Ai-
ventitia der kleinen Gefässe, die Infiltration dagegen nur schwach ausgeprägt
Erkrankt war fast ausschliesslich die Hirnrinde und nur in geringem Grade die
angrenzende weisse Substanz. Diese Fälle stützen die von Weydenhammer und
Semidaloff schon früher ausgesprochene Vermuthung, dass die Grundlage d«
Delirium acutum eine acute Rindenmeningoencephalitis darstellt; desshalb muss
man es auch als eine Unterart der Strümpell’schen Encephalitis, als eine Polio¬
encephalitis acuta haemorrhagica corticalis betrachten.
• Discussion:
Herr W. A. Muratoff: Man kann annehmen, dass psychische Störungen
beim Delirium acutum eher durch parenchymatöse, als durch hämorrhagisch?
Störungen bedingt werden.
Herr W. P. Serbsky: So lange für das Delirium acutum eine besondere
Ursache — Existenz eines bestimmten Krankheitserregers — nicht bewiese*
worden ist, so lange werden alle zu ihm gerechneten Fälle Zweifel erregen, ob
wir es nicht mit einer äusserst stürmisch verlaufenden acuten Ursache zu thun hab«.
Es betheiligten sich ausserdem noch an der Discussion die Herren N. P. Pa*
stowsky und Prof. W. C. Roth.
Herr P. A. Preobrashensky: Zur Frage über die Entstokvugg w*
Ho Wen im Büokenmark.
Auf pathologisch-anatomischer Untersuchung von 14 Fällen (9 Fäll« v®
by
GoogI<
87 »
Syringomyelie, 3 Fälle von Bluterguss ins Rückenmark und 2 Fälle von Ent-
wickelungsanomaiieen [Hydrocephalus eongenitus und Anencephalus) kommt Yortr.
zu folgenden Schlüssen: 1. Die Höhlen im Rückenmark können äusserst verschie¬
denen Ursprungs sein. 2. Die häufigste Art der Höhlen ist diejenige, welche
wir als gliomatöse Syringomyelie, Gliomatose, Gliose u. s. w. bezeichnen. 3. Hur
der gliomatösen Syringomyelie entspricht ein bestimmtes Krankheitsbild (Triade
von Hoff mann). Höhlen anderen Ursprungs können nicht latent verlaufen und
werden von durchaus anderen Symptomen begleitet. Desshalb muss die glio¬
matose Syringomyelie sowohl klinisch, als auch pathologisch-anatomisch aus allen
anderen Syringomyelieen ausgeschieden werden. 4. Die gliomatöse (oder die
eigentliehe) Syringomyelie stellt eine Entartungskrankheit dar und entwickelt sich
auf dem Boden von Unregelmässigkeiten oder Abweichungen in der Entwickelung
des Centralcanals. Die Veränderungen!, welche dieser Krankheit zu Grunde liegen,
kann man, allem Anscheine nach, folgendermaassen darstellen: Gleichzeitig mit
einer chronischen Entzündung im Gebiete des Centralcanals findet eine Erweiterung
desselben in Folge Ansammlung cerebrospinaler Flüssigkeit statt; in diesem
Stadium behält die Höhle das Aussehen des Centralcanals bei. Im weiteren Ver¬
lauf wird die Höhle, in Folge fortgesetzter Ansammlung von Flüssigkeit, ganz
enorm, aber das an vielen Stellen erhaltene Epithel weist unzweifelhaft darauf
hin, dass wir es in diesem Falle mit einem äusserst erweiterten Centralcanal zu
thun haben. Die dabei entstehenden Veränderungen könnte man als Hydromyelia
chronica progressiva oder Ependymitis cum hydromyelia chronica progressiva be¬
nennen, die Bezeichnung Syringomyelie aber für Höhlen anderen Ursprungs reser-
viren. 6. Wirkliche Syringomyelie ohne Unregelmässigkeiten und Betheiligung
des Centralcanals muss als Mythe angesehen werden. In seinen Fällen hat Vortr.
nirgends Zerfall und Resorption der Gliomatose und eine auf diesem Wege selb¬
ständige Bildung von Höhlen gesehen und kann in Folge dessen in dieser Be¬
ziehung sich den Anschauungen Weigert’s nicht anschliessen. 7. Die landläufige
Vorstellung, als ob die Höhle fast immer hinter dem Centralcanal zu liegen
kommt, ist nicht für alle Fälle zutreffend, da man für den Centralcanal den blinden
Sack annehmen kann, welcher vor der Höhle liegt und sich mit ihr vereinigt;
in solchen Fällen stellt die Höhle selbst den Centralcanal dar. 8. Die Behauptung
einiger Autoren, dass der Centralcanal zuweilen vollkommen intact sein kann und
keinen Antheil an der Bildung der Höhle hat, lässt sich nur durch die geringe
Anzahl von Schnitten oder untersuchten Gehirnparti een erklären. Vortr. ißt davon
überzeugt, dass in fast allen Fällen wirklicher Syringomyelie Epithel an den
Höhlenwänden nachzuweisen ist (möglicherweise an sehr beschränktem Ort); man
muss die Schnitte so lange fortsetzen, bis das Epithel sich zeigt. 9. Blutungen
ins Rückenmark sind niemals im Stande, eine typische Syringomyelie hervorzurufen;
nach denselben können Narben, Cysten, Erweichungen u. s. w. erhalten werden.
10. Ebenso ist die Entstehung einer wirklichen Syringomyelie durch aufsteigende
Entzündung in den Nerven unmöglich. II. Der Einfluss des Traumas auf ihre
Entstehung ist mehr als zweifelhaft. 12. Die Syringomyelie hat mit der Lepra
nichts gemein. Das sind zwei ganz verschiedene Krankheiten. 13. Die nächste
Ursache der wirklichen Syringomyelie ist unbekannt; vielleicht ist es die here¬
ditäre Syphilis, vielleicht bestehen aber noch andere Bedingungen, die zur Ent¬
artung veranlagen.
Discussion:
Herr L. S. Minor bemerkt, dass die Schlussfolgerungen des Vortr. zur Lehre
der Syringomyelie nichts Neues beitragen.
Herr G. J. Rossolimo lenkt die Aufmerksamkeit auf das seltene Auftreten
der Syringomyelie bei der gebildeten Classe, während gerade bei derselben Ent-
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artong mit angeborenen Bildungsanomalieen häufig vorkommt. Ans dem Volk»
sind dieser Krankheit hauptsächlich Bewohner kalter Gegenden unterworfen. Ei
existiren also irgendwelche Bedingungen, deren Erforschung, abgesehen von an¬
geborenen Bildungsanomalieen, unbedingt nothwendig erscheint.
Herr W. A. Muratoff: Bei Ableugnung traumatischer Entstehung von Höhlea
lassen sioh viele Facta, so z. B. Bildung von Hämatoidinkrystallen u. d. m. nick
erklären.
Herr Prof. W. C. Roth bemerkt dem Vortr., dass viele russische Arbeit«
von ihm ausser Acht gelassen sind. In der ersten Arbeit von R. sind Fälle mit
anatomisch fliessenden Uebergängen, mit und ohne Bildung von Höhlen, zusammen-
gestellt Was für Beziehungen zur Höhle haben Veränderungen der spinal«
Trigeminuswurzel und anderer Stellen im verlängerten Mark? In einigen Fällen
lässt sich der ganze Process auf eine Neurogliawucherung, hauptsächlich in der
hinteren grauen Substanz, ohne eine Spur von Höhlenbildung zurückfuhren; folg-
lieh kann von Hydromyelie auch nicht die Rede sein; aber auch da, wo sich ein?
Höhle bildet, fängt der Process mit einer Gliose an. Es existiren alle mögliches
Uebergänge von Gliose oder Gliomatose ohne Höhle bis zu scharf ausgesprochen«
Syringomyelie. Andererseits kann das Bestehen einer Höhle bei Hydromyelie
sich klinisch durch nichts äussern, während dem typischen Bilde einer gliomatose
Syringomyelie eine ganz bestimmte Ursache zu Grunde liegt: die Gliawucherung
einerlei, ob mit oder ohne Höhlenbildung.
A. Bernstein. W. Murawieff
Medicinisohe Gesellschaft in Warschau.
Sitzung vom 31. Januar 1900.
Herr Rychlifiski demonstrirt einen atypischen Fall von Dementia pm*
lytioa. Der Fall betraf einen 40jährigen Mann, welcher in das Krankenhaui ir
ganz verworrenem Zustande aufgenommen wurde. Am nächsten Tage kam er r.
sich und erzählte, dass er vor kurzer Zeit plötzlich Steifigkeit in der rechten Körptr-
hälfte verspürte, gleichzeitig aphatisch wurde und das Bewusstsein verlor. Die«
Erscheinungen traten zurück, es zeigten sich aber von Zeit zu Zeit Anfälle toi
Verworrenheit, welchen prodromale Kopfschmerzen vorangingen. Während ein«
dieser Anfälle hat Vortr. Krämpfe in den rechten Extremitäten beobachtet. Statw
praesens zeigte unregelmässige Pupillen, deren Reaction erhalten blieb, und eim
gewisse Dysarthrie; sonst war das Nervensystem ungestört. Der specifischen Kur
folgte Besserung der Erscheinungen. Flat au (Warschau).
IV. Vermischtes.
In Amoona findet am 3. October d. J. der XL Congress der italienisch«
psychiatrischen Gesellschaft statt. Zu demselben sind folgende Vorträge angemdfe
1. Seppilli und Tambroni: Fortschritte der Psychiatrie, Neuropathologie und da
AnstaltBwesens. — 2. Sante de Sanctis: Classification der Psychosen. — 3. Biaucki:
Aetiologie und Symptomatologie der progressiven Paralyse. — 4. Agostini: Die prakhsäa
Lehren der Psychiatrie an die Pädagogen. — 6. Sante de Santis und Colueei: M*
die Erziehung der Minderwertigen und Dementen. — 6. Tamburini, Maasarageb *
Verhinderung der Deberfällnng der Anstalten and die Irrenfürsorge in den Provinzen.
Um Einsendung von Sep&ratabdr&cken an den Heraasgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prot Dr. E.Mendel.
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 18.
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Turnsaal. Kledieo-meehanische und kompensatious-Apparate.
Besichtigung durch die Herreu Kollegen erbeten.
Näheres durch den Prospekt.
Dr. Samuel. Dig,iizedb y G(fiFßfeon Feilitzsch.
OCT tPOl
Neurologisches Centralblatt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben vou
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithülfe von Or. Kurt Mendel)
Zwanzigster ra B * rUn ' Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch
alle Buchhandlungen des In* und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1901. 1. October. Nr. 19.
Inhalt. I. Originalmittheilungen. I. Ueber Kothbrechen bei Hysterie, von Dr. med.
L. E. Bregman. 2. Stichverletzung des dritten linken Dorsalnerven am Ganglion spinale,
von Adolf Wallenberg in Danzig. 3. Ueber einen Pall von Brückenverletzung bei intactem
Schädel, von Dr. med. Stanislaus Orlowski.
II. Referate. Anatomie. 1. Sul rivestimento delle cellule nervöse, pel Vincenzi.
2. Metbods of rendering Golgi-sublimate preparations permanent by platinum Substitution,
by Robertson and Macdonald. — Experimentelle Physiologie. 8. The position of the
respiratory and cardio-inhibitory fibres in the rootlete of the IX., X. and XI. cranial nerves,
by Cadman. 4. On reflex cardiac inhibition, by Brodle and Russell. 5. Ueber den Einfluss
der starken Hautreize auf das Rückenmark, von Switalski. — Pathologische Anatomie.
6. Experimentelle Beiträge zur Pathologie des Rückenmarks, von Hoche. 7. Zwei Fälle von
Ganglioneurom, von Beneke. — Pathologie des Nervensystems. 8. Ueber chronische
ankylosirende Entzündung der Wirbelsäule, von Bender. 9. Beitrag snr Lehre von der
chronisch ankylosirenden Entzündung der Wirbelsäule, von Blaser. 10. Spondylitis deformans,
von Kudrjaschoff. 11. Qnelques remarques sur l’ostdomyälite vertebrale ä propos d’un fait
nouveau, par Chipault. 12. La scoliose rachitique infantile et son traitement, par Chlpault.
13. Snr un nouveau procddö de laminectomie temporaire et son matöriel instrumental, par
Roncall. 14. Un cas de gibbositd avec parapldgie traitd avec sncc&s par les ligatures apo-
physaires, par ChlpaulL 15. Paraplegie Pottique de l'adulte et du vieillard, par Touche.
16. Ein Beitrag znr Casnistik der sogen. Kümmell’schen Krankheit, von de Ahna. 17. Zur
CasuiBtik der sogen. Compressionsmvelitis, von Spitz. 18. Rückenmarksverändernngen bei
Compression durch einen Tumor in der Höhe der obersten Segmente, von Biese. 19. Un cas
de dermo-neuro-fibromatose compliquee de phdnom&nes spinanx et de ddformation considdrable
de la colonne vertdbrale, par Haushalter. 20. Nature et traitement de la mydlite aignö, par
Marinesco. 21. Un cas de syndröme de Brown-Söqnard, par Franpols. 22. Lösions trauma-
tiques dans le domaine de l’öpicöne medullaire, par Minor. 23. Ueber Magenektasie bei
Rückenmarksläsion, von Kausch. 24. Ein Fall von einseitiger Ophthalmoplegia interna trau¬
matischen Ursprungs, von Tumpowski. 25. Ueber einen Fall von traumatischer Spätapoplexie,
von Kolben. 26. Ein Fall von Spätapoplexie nach Trauma, von Bruns. 27. Contusion et
csompression cöröbrale ä la suite d‘une fracture du cräne avec large enfoncement. Trepanation
et ponction lombaire döcompressives. Gudrison, par Mauclaire. 28. Lesion cdrebrale par
contrecoup, par de Buck et van der Linden. 29. Sülle degenerazioni ascendenti, specialmente
del fascio ai Gowers, in nn caso di compressione del midollo. Rioerca del Amabilino.
30. Klinische und pathologisch-anatomische Untersuchungen über die uncomplicirten, trau¬
matischen Rückenmarkserkrankungen, von Hartmann. 31. Ueber traumatische Schädigungen
des M. cucullaris und ihre Diagnose, von Tilmann. 82. Beitrag znr Erklärung der trauma¬
tischen Lumbago, von Natvig. 33. Zur Lehre vom Hitzschlag, von Herford. 34. Ueber Er¬
krankung des Gehirns nach Trauma, von Koeppen. 35. Ueber Unfallspsycbosen, von Edel.
36. Ueber die nach Schädeltrauma eintretenden psychischen Störungen, von Rathmann.
37. Zwei Fälle von Hysterie bei einem Manne nach Trauma, von Kissinger. 38. Ueber die
nervösen Folgezustände bei Eisenbahnanfällen, von Saenger. 39. Ueber einen Fall von
;raumatischer Hysterie, von Wiek. 40. Ueber das Vorkommen der alimentären Glykosurie
>ei Nervenerkrankungen nach Unfällen, von Neumann. 41. Die Vortänschungsmöglichkeit
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einseitiger Ptoda, von Ptaczek. 42. Ueber Simulation von Nerreneymptomen, von Erbat.
43. Zar Unfall verzieh erang in der Praxis, von Hanf.
III. Aus den fiesellschaften. Socidtä de neorologie de Paris. — Gesellschaft der Netr»-
pathologen and Irreninte za Moskau. — Medicinische Gesellschaft in Warschau.
I. Originalmitthellungen.
[Aus dem israelitischen Spital in Warschau (Abtheilung für Nervenkranke:
Dr. Bheoman).]
1. Ueber Kothbrechen bei Hysterie.
Von Dr. med. L. E. Bregman,
Primararzt.
Die grosse Häufigkeit gastrointestinaler Störungen bei Hysterie macht es
verständlich, dass Erkrankungen der Abdominalorgane und ganz besonders des
Intestinaltractus mit grosser Vorliebe von ihr, der „grande simulatrice“, sünulir;
werden. Es werden nicht selten Fälle beobachtet, die dem Bilde des rundet
Magengeschwürs (mit Blutbrechen) ähnlich sind, in anderen wurde eine Neu¬
bildung vorgetäuscht oder eine Appendicitis, oder eine Bauchfellentzündung, oder
das schrecklichste aller Leiden, das Miserere — der Verschluss des Darmrohres
mit dem ominösesten Symptom: dem Kothbrechen. Diese letzteren Fälle
möchte ich in diesem kleinen Aufsatze näher ins Auge fassen und eine hierher¬
gehörige (übrigens noch durch andere Symptome complicirte) Beobachtung mit¬
theilen.
In der Litteratur wird darüber wenig berichtet, vielleicht weniger noch sh
der Seltenheit dieser Vorkommnisse entsprechen dürfte: es liegt dies möglicher¬
weise auch daran, dass in vielen derartigen Fällen diagnostische Irrthümer be¬
gangen wurden, welche im Allgemeinen nicht gern veröffentlicht werden. Das
wenige, was ich zusammenzustellen vermochte, ist Folgendes:
Coubot beschreibt eine Kranke, die seit einem Monat keinen Stuhlgang
hatte; seit einer Woche bestand Kothbrechen. Schmerzen, Auftreibung und
Schmerzhaftigkeit des Leibes wie bei Peritonitis. C. fand zahlreiche Stigmata;
der weitere Verlauf bestätigte die Diagnose einer Pseudoperitonitis.
Hoobweg berichtet über ein 26jähriges Mädchen, welches seit 6 Jahren
an Kothbrechen leidet; in der Anamnese hysterische Anfälle, Paraplegie, objectiv:
Stupor, Sensibilitätsstörungen, Ovarialschmerz, gesteigerte Reflexe, Anurie.
Bbibtowe beschreibt einen Fall von Pseudoperitonitis mit 8 Recidiven.
S ander bringt 2 Fälle: I. 23jähr. Mann mit den Erscheinungen einer
Appendicitis und Darmstenose. Zweimalige Laparotomie. Hysterische Anfalle
und Stigmata. II. 24jähr. schwere Hysterioa, welche wegen vorausgesetzter
Perityphlitis und Peritonitis 4 Mal in einem Jahre laparotomirt wurde.
Tbebyeb’ Patientin wurde früher 8 Mal und von ihm seihet zum 3. Mal
, y Google
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wegen Stuhlverhaltuug und Kotbbrechen operirt. Er fand normale Verhältnisse.
Alle Symptome schwanden in einer Isolirzelle. Patientin hatte Temperaturen
bis 50 °C.
Steaüss’ Kranker, ein 29jähriger Schuhmacher, wurde gleichfalls wegen
„chronischen Ileus“, Darmstenose, Kothbrechen mehrmals operirt Alle Sym*
ptome schwanden nach einem typischen hysterischen Anfalle. Astasie-Abasie.
Beginn des Leidens nach einem Trauma.
Schloffeb berichtet über 3 Fälle: I. (Fall von Dr. Slajmeb.) 26jähr. barm¬
herzige Schwester, seit vielen Jahren Anämie, allgemeine — hysterische — und
Magen-Darmbeschwerden. 1893 wegen Kothbrechen operirt; es fand sich eine
20- 25 cm lange contrahirte Dünndarmschlinge. Später Nephrorrhaphie wegen
beweglicher Niere. Mehrmalige Wiederholung der früheren Erscheinungen. —
II. 28j ähr. Hysterica. Früher Bluthusten, Blutharn, Magensymptome, die den
Verdacht auf Ulcus aufkommen liessen. 1898 schwere peritonitische Symptome,
Erbrechen geformter Kothballen. Die Operation ergab streckenweise Contraction
des Dünndarms, nirgends Erweiterung desselben (wie im 1. Falle über der
Strictur). Stuhlgang erst am 5. Tage nach der Operation, Schwinden aller
Symptome. — III. (Fall von Prof. Wölfleb.) 31 jähr. Frau, früher Peritonitis¬
symptome, Anurie. 1888 operirt wegen Symptomen chronischen Darm Verschlusses
incl. Kothbrechen. Ergebniss der Operation negativ, aber die beunruhigenden
Erscheinungen schwanden. Stuhlträgheit blieb. An der Stelle der Operations¬
narbe bildete sich eine Darmfistel, die trotz operativer Hülfe immer wieder auf¬
brach und die sie bis jetzt behalten hat. Der Stuhl wird regelmässig durch
den Kunstafter entleert.
Im Falle Leubb’s konnte längs des Darms vom Coecum bis zum S. Ro-
manum ein harter Strang durchgefühlt werden, der Autor diagnostioirte Ileus
8pasticus. Patientin wurde geheilt.
Einen Fall mit Section verdanken wir Voisin: man fand eine rein spasmo¬
dische Verengerung des Darms.
Eine Sonderstellung nimmt die Beobachtung von Bobenstein ein, wo das
Kothbrechen anfallsweise und zugleich mit anderen schweren Nervensymptomen
— Krämpfe, Bewusstseinsverlust, Trismus u. s. w. — auftrat: Verf. deutet den
Fall als Tetanie mit Darmspasmus.
Anfallsweises Kothbreohen beobachtete ferner Chebohevsky.
Mein Fall ist in Kürze folgender:
E. M., 23jähr. Dienstmädchen, wurde am 3. November 1899 auf die chirur¬
gische Abtheilung des Collegen Solowejczyk aufgenommen. Die Symptome Waren
die eines schweren Abdominalleidens. Abdomen aufgetrieben, Schmerzen, Erbrechen,
seit 10 Tagen angeblich kein Stuhlgang, keine Winde. In der Narkose schwand
jedoch die Auftreibung des Bauches, die Palpation der Bauohhöhle zeigte niohts
Abnormes. Patientin wurde alsdann behufs näherer Beobachtung auf meine
Nervenabtheilung überführt.
Patientin erzählt, ihre Krankheit habe vor etwa einem Jahre nach einem
Falle auf der Strasse begonnen. Bald darauf Blutspucken, später traten die Darm-
jymptome hinzu. Einige Monate wurde sie in Lodz mit HEOAB’schen Lavements
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und Magenausspülungen behandelt, spontan hatte sie damals keinen Stuhlgug.
Aus I^odz fuhr sie nach Hause, es ging ihr Anfangs besser, bald trat aber wieda
Verschlimmerung ein, die sie bewog, in Warschau Hülfe zu suchen.
Ausser den Magen-Darmstörungen, von welchen sogleich ausführlich die Red?
sein wird, klagt Patientin über Kopfschmerzen, allgemeine Schwäche, Schmerze,
im Rücken, allerlei Sensationen. Objectiv findet sich: Verminderte Reflexe do
Conjunctiva, des Rachens, Steigerung der Sehnenreflexe, mehrere Schmerzpunktt
keine objectiven Sensibilitätsstörungen, keine Geaiehtsfeldeinschränkung.
Während der etwa 6 monatlichen Beobachtungszeit hatte Patientin mehr«?
Anfälle mit unvollständigem Bewusstseinsverluste und convulsiven Erscheinungre.
Einmal trat nach einem Zwist mit einer Nachbarin Aphonie auf, die 2 Tage las;
währte. Ferner zeigte sich Patientin ausserordentlich capriciös, egoistisch, be¬
unruhigte das ganze Personal, war mit allem unzufrieden, duldete nicht den
mindesten Widerspruch, befahl Allen u. s. w.
Was nun die Bauchsymptome betrifft, so wurde Folgendes festgestellt: Ad
treibung des Bauches in wechselndem Grade, gewöhnlich ziemlich bedeutend; bti
Abwendung der Aufmerksamkeit gelingt es, die Organe gut zu palpiren. Die
Auftreibung ist ziemlich gleichmässig, einzelne, aufgeblähte Darmschlingen nicht
bemerkbar, desgleichen sind keine irgend welche contrahirte Stränge durchzuföhkt
Schall tympanitisch, in den Seitentheilen gedämpft. Schmerzen im Bauch
anhaltend, aber nicht genau localisirt, am häufigsten um den Nabel. Schroen-
haftigkeit bei Palpation des Abdomens gleichfalls von unbestimmter, wechselnder
Localisation.
Kein spontaner Stuhlgang, auch nicht bei Anwendung verschiedener Abtuk
mittel — Ricinusöl, Senna, Rheum, Aloe — und einfacher Klysmen. Hegas’«!*
Darmeingiessungen (bis zu mehreren Litern) hatten verschiedenen Effect: einnui
wurde nur leicht verfärbtes Wasser entleert, ein anderes Mal fanden sich darir
kleine Kothpartikelchen, oder auch grössere Kothklumpen.
Erbrechen war das gewöhnlichste und zugleich hervorstechendste Symptoir
und zwar gewöhnliches Erbrechen der genossenen Speisen, unmittelbar nach dec
Essen, ferner Blut* und Kothbrechen. Das Blutbrechen trat verhältnissmisi’
seltener auf, das Blut hatte eine ziemlich helle Farbe, war theilweise geroDDa
meist in geringer Quantität (einige Löffel). Viel häufiger war das Kothbreclwi
fehlte aber gleichfalls nicht selten einige Tage oder sogar Wochen lang: dt-
Erbrochene hatte die charakteristische Farbe und faecalen Geruch, meist fauder
sich darin grössere und kleinere Kothpartikel, von Stecknadelkopfgrösse bis n
wahren Kothklumpen. Simulation konnte bei der strengen Spitalbeobachtung der
Kranken ausgeschlossen werden, mehrere Male war ich beim Erbrechen zugegen
Der Allgemeinzustand der Patientin war überaus wechselnd: manchiu.
besserte er sich so weit, dass die Patientin herumging, den Saal aufräumen halt
ein anderes Mal verschlimmerte er sich plötzlich, und Patientin machte den Ein¬
druck einer Schwerkranken, bei der die Diagnose Hysterie kaum annehmbt'
schien: diese Exacerbationen traten nicht selten in Folge einer Streitigkeit, ei#
Kränkung auf, ein anderes Mal liess sich dafür keine Ursache aufdecken.
Mitte Februar 1900 kam eine neue Complication hinzu, nämlich Prolaps* 1
recti und Darmblutungen. Möglicherweise trug dazu bei, dass Patientin
einer ihr bevorstehenden Bauchoperation hörte und bemüht war, durch stärk««
Drängen eine Entleerung zu erzielen, was ihr auch einmal kurz vor dem Prolip
gelungen ist (freilich in minimaler Menge). Der Prolaps hatte eine Länge
7—8 cm, Beine Schleimhaut war dunkelrothblau, glatt, nicht beschädigt P*
1 Dass Simulation möglich ist, beweisen die Fälle von Mikulicz und Betaut.
dby Google
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Blutungen aus dem Darm waren sehr copiös, das Blut flüssig, von dunkler Farbe.
Starke Tenesmen brachten den Prolaps sehr bald nach seiner Reposition immer
wieder zum Vorschein. In wenigen Tagen wurde die Patientin dadurch sehr ab*
geschwächt, ihr Aussehen verschlimmerte sich, der Puls war schwach, über 100,
der Appetit lag danieder. Suppositoria von Opium, Morphium, Belladonna, Cocain,
Tannin blieben ohne Erfolg. Bei der Kauterisation des Rectums in der Narkose
kam der Prolaps trotz der Wirkung der Bauchpresse nicht zum Vorschein, mit
dem Finger wurde aus dem Rectum ein Kothklumpen befördert. Nach der
Kauterisation besserte sich der Allgemeinzustand bedeutend, Patientin erbrach
weniger, hatte besseren Appetit und einige spontane Stuhlentleerungen. Indess
der Prolaps blieb unverändert, desgleichen die Tenesmen und die Darmblutungen,
letztere freilich in geringerem Maasse. Eine erneute Kauterisation circa anum
hatte keinen Erfolg. Ich entschloss mich daher, da das Fortdauern dieser Er¬
scheinungen auch die im Uebrigen erzielte Besserung rückgängig zu machen
drohte und ein spontanes Schwinden derselben unwahrscheinlich schien, zur Ent¬
fernung des Prolapses auf operativem Wege. Die Operation wurde extraperitoneal
vom Collegen Solowejczyx, Primärarzt der chirurgischen Abtheilung, ausgeführt.
Das Resultat war glänzend: es trat bald eine bedeutende Besserung in jedweder
Beziehung ein; Patientin ass, erbrach nicht, hatte alle paar Tage Stuhlgang (mit
und ohne Ricinusöl), nur zeigten sich kurz vor dem Verlassen des Hospitals in
höherem Grade Störungen in der Harnabsonderung (Dysuria, Anuria), welche auch
früher schon bei ihr bemerkt wurden. 1
Wenn wir min zur Beurtheilung dieses Falles übergehen, so wird wohl
Niemand darüber im Zweifel sein, dass hier Hysterie vorliegt. Die Stigmata,
die Aphonie, die Anfalle, der Charakter imd das ganze Wesen der Kranken be¬
weisen unzweifelhaft, dass sie eine Hysterien ist. Mancherlei spricht nun zu
Gunsten der Annahme, dass auch die anderen schweren Storungen, welche bei
ihr beobachtet worden, hysterischen Ursprungs waren: Zuerst die Mannigfaltig¬
keit derselben (Blutbrechen, Kothbrechen, blutige Stuhlgänge, Prolapsus recti,
Dysurie, Amenorrhoea), die eine einheitliche Deutung kaum zulässt, ferner die
1 Patientin verblieb im Spital bis Mai 1900. Kuize Zeit darauf kam sie wieder und
klagte nun vor Allem über Harnbeschworden: häufigen Harndrang, Schmerzen beim Harn¬
lassen u. s. w. Ich verordnet« Suppositoria aus Cocain, Sitzbäder, Umschläge. Dann sah
ich sie nicht mehr bis Herbst 1900. Sie hatte den Sommer ziemlioh gut verbracht (io
Ciecbocinek), in der letzten Zeit soll sie wieder krank geworden 6ein, auch habe sich wieder
einmal Kothbrechen gezeigt Im Begriffe abzureiseD, bat ich Herrn Collegen Solowejczyk
die Patientin wieder aufzunehmen. Ende October 1900 fand ich die Patientin in einem sehr
bedrohlichen Zustande: hochgradigste Anämie, grosse Schwäche, Patientin kann sich nicht
einmal im Bett aufrichten, Herzaction schwach. Der Prolaps hat Bich wiedergebildet, seiue
Oberfläche versohwärt. Starke Darmblutungen. Die Stuhlgänge sind spontan, aber ver¬
bunden mit Sohmerzen, Tenesmen und Schleimabgang. Kothbrechen war nur einmal im
Beginne, später nicht mehr, auch nicht Blutbrechen. Der Bauch war nicht schmerzhaft,
nicht anfgetrieben. Angesichts des bedrohlichen Allgemeinzustandes konnte sich College
Solawbjczyk zu einem operativen Eingriffe (mit Narkose) nicht entsehliessen; er suchte
vorderhand durch Tannineingiessungen, Fe., ein allgemein tonisirendes Verfahren, die Kräfte
der Patientin zu heben, und dies ist ihm auch zum Theil gelungen. Patientin ist gegenwärtig
Doch im Spital, die Blutverluste wurden geringer, das Aussehen besserte sich, Patientin kann
schon sitzen, kann aber ohne Unterstützung weder gehen noch stehen, klagt übrigens noch
über Schwäche und Kopfschmerzen, der Prolaps besteht nach wie vor.
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Unbeständigkeit der Symptome, and zwar solcher, die, jedes einzeln genommen,
als die schwersten and das Leben bedrohenden aufgefasst za werden pflegen,
die Beeinflussung duroh psychische Momente and schliesslich die so erheblich«
Besserung nach Eingriffen, die gegen die Hauptsymptome gar nicht einmal ge¬
richtet waren.
Wenn aber nach dem Allem die Möglichkeit zugegeben werden muss, dass
es sich um hysterische Symptome handelt, so müssen wir uns doch die Frag«
vorlegen, wie es möglich ist, dass solche Erscheinungen durch Hysterie bedingt
seien, und zu allererst, wie das Kothbrechen, das die Scene beherrschte, und
das wir deshalb im Titel dieser Abhandlung genannt haben, auf dem Boden da
Neurose entstanden sein kann?
In Verbindung mit dem Ausbleiben des Stuhl- und Windabganges gilt
uns das Kothbrechen als Beweis einer Occlusio, eines Darmverechlusses. Unser?
Patientin hatte keine Stuhlgänge, es konnte aber mit Hülfe der HEOAB’schen
Eingiessungen Koth herausbefördert werden; immerhin gelang das nicht immer
und, wie es scheint, am wenigsten dann, wenn das Kothbrechen am stärksten
war (obgleich dies Verhaltnias nicht ganz constant war). Wir haben daher wohi
einigen Grund anzunehmen, dass auch bei unserer Patientin — zeitweilig
wenigstens — Hindernisse für das regelmässige Weiterschieben des Inhaltes des
Darmtractus entstehen mussten oder sogar das Darmlumen mehr oder weniger
vollständig versperrten 1 : ob dies aber durch vorübergehende spastische Contrao-
tionen der Darm wand, die direct wie ein mechanisches Hinderniss wirkten, be¬
dingt wurde, oder in Folge einer Atonie bezw. Lähmung der Darmmuscnlatur
und nachfolgender Kothstauung, das zu entscheiden, war in diesem Falle nicht
möglich. Die objective Untersuchung des Abdomens lieferte dafür keine Anhalts¬
punkte: dasselbe zeigte sich ziemlich gleichmässig aufgetrieben, ohne dass irgend¬
welche aufgeblähte oder contrahirte Darmschlingen besonders hervortraten. Des¬
gleichen konnten wir aus dem Erbrochenen keine Rückschlüsse auf einen bestimmten
Sitz des Hindernisses machen, denn einmal stellte dasselbe bloss eine leicht
verfärbte, faoulente Flüssigkeit vor, ein anderes Mal enthielt es kleinere oder
grössere Koththeile: möglicherweise looalisirte sich der Process jeweilig in ver¬
schiedenen Theilen des Darmtractus, einmal im Dünn-, ein anderes Mal in
Dickdarm. Die Kranke behufs Feststellung des thatsächlichen Verhaltens ein»
Operation zu unterziehen, war natürlich bei unserer festen Ueberzeugung voc
der hysterischen Natur der Symptome nicht gestattet.
Beachtenswerth ist allenfalls in solchen Fällen die grosse Leichtigkeit im
Auftreten von Symptomen, die zu den ominösesten gerechnet zu werden pflegen.
Es darf angenommen werden, dass hier relativ unbedeutende Veränderungen
1 Eine organische Strictor ist nach den Symptomen and dem Verlauf ausgcscbkase*
An ein Neoplasma ist bei dem jungen Alter, guten Ernährungszustand, gutartigen Verba/
gar nicht zu denken; fflr eine Narbenstrictur liegt, abgesehen von dem schwankenden Ver¬
lauf, kein Anhaltspunkt vor (Geechwflr nach Typhus, Dysenterie, Tuberculose, eingeklemmter
Bruch, Trsnma — dasjenige, von welchem Patientin erzählt —, Fall anf der Strasse, vu
wohl za unbedeutend).
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genügen, um auf Grund der neuropathischen Disposition und gesteigerten Reflex¬
erregbarkeit die schwersten functioneilen Störungen auszulösen.
Was jedoch das uns in erster Linie interessirende Kothbrechen betrifft, so
soll noch eine Möglichkeit, nämlich eine besondere Befähigung zu antiperistaltischen
Bewegungen, in Betracht gezogen werden. Das Vorkommen derartiger Bewegungen
wurde bekanntlich von Nothnagel, Gbützweb u. A. behauptet und hat neuer¬
dings in den ingeniösen Experimenten von Kibstein und Mühsam 1 eine Stütze
gefunden. Die Beobachtungen, welche in den Fällen von Hoobweg, Bbiqubt,
Tbbeyes angestellt wurden, können wohl kaum auf eine andere Weise eine Er¬
klärung finden; erstere injicirten ins Rectum Bismuth und Amylumlösungen und
konnten sie kurz darauf im Erbrochenen naehweisen, B biquet beobachtete das
Gleiche, und zwar schon 12 Minuten nach der Injection, ebenso Tbebyes: ohne
eine besondere antiperistaltische Bewegung blieben diese Thatsachen durchaus
unverständlich.
Zum Schlüsse noch einige Worte über das Blutbrechen. Ein Ulcus konnte
angesichts des Verlaufes ausgeschlossen werden. Die begleitenden Darmblutungen,
sowie anamnestisch die Hämoptoe (?) liessen an Hämophilie oder eine constitutio-
nelle, zu Blutungen disponirende Erkrankung denken, aber für Beides fehlen
irgendwelche Anhaltspunkte: eine Extraction von 7 Zähnen verlief ungestört,
der Harn war normal, das Zahnfleisch unverändert, die Gefässe weich u. s. w.
Wir stehen hier vor einem Räthsel, das kaum zu lösen möglich ist Mathieu
und Malian denken, dass das Blut aus der Mundhöhle stammt, Nachts von
der Kranken verschluckt und des Morgens erbrochen wird. Eine ähnliche An¬
nahme wird von Stbümpell für die Hämoptoe gemacht, das Blut stamme von
der Schleimhaut des Mundes und des Raohens, die durch das dauernde Räuspern
direct mechanisch gereizt werden. Wiewohl diese Erklärungen für manche
Fälle ganz plausibel erscheinen mögen, so dünken sie uns wenig befriedigend
in einem Falle wie der unserige mit so verschiedenartigen und schweren Er¬
scheinungen seitens des Darmtraetus. Wir können, glaube ich, ohne die An¬
nahme eines besonderen, pathologischen Zustandes der Schleimhaut nicht aus-
feommen, dank welcher dieselbe auf relativ schwache Reize in dieser besonderen
gewaltigen Weise reagirt Und das Gleiche gilt auch von den Darmblutungen:
die Oberfläche des Prolaps war glatt, nicht beschädigt, Geschwüre oberhalb des¬
selben sind nicht wahrscheinlich, es darf also auch hier auf eine ungewöhnliche
Reaction der Schleimhaut recurrirt werden.
Litteratur.
Bbiqubt, eit nach Gowbbs, Handbuch der Nervenkrankheiten. III. 1892.
Bbistowb, Brit. med. Journ. 1890. Nr. 22.
1 Kibstein hat Thieren ein Stück des Darmrohres aasgeschnitten und in entgegen¬
gesetzter Richtung eingenäht. Mühsam hat den Versuch erweitert und fast den gesammten
Dünndarm in derselben Weise behandelt. Beide überzeugten sich davon, dass in dem so
umgedrehten Darmstück der Darminhalt in normaler Weise, also wohl nur unter Mithülfe
antiperistaltischer Contractionen der Darmwand, vorrüoken konnte.
Digilizedby G00gle
888
Bbyant, Med. Record. 1892. S. 726.
C 008 OT, Ball, de la Society de mdd. mentale de Relgjqne. 1892.
Chxbchxvsky, Revue de med. 1883.
Gbütznbk. Deutsche med. Woebenschr. 1894.
Hoohwbo, Nederland Weekblad. 1896.
Mathibu und Mali an, Gazette des höpitaux. 1896.
Misuucx, Deutsche med. Wochenschr. 1895.
Mühsam. Mittheil, aus d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. 1900. VI.
Lbubb, Befer, im Neurolog. Centralbl. 1899.
Nothnaqbl, Beiträge zur Physiologie und Pathologie des Darmes. 1884.
Rbndu, Gazette des höpitauz. 1897.
Rosbnbtbin, Berliner klin. Wochensehr. 1882.
Sandes, Neurolog. Centralbl. 1900.
Sklodowski, Mittheil, aus d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. 1899.
Schloffbb, Beitrige zur klin. Chirurgie. 1899. XXIV.
Sthümpbll, Monatsschr. f. Unfallheilk. 1897.
Tkbbvbs, Deutsche med. Wochensohr. 1898.
2. Stichverletzung
des dritten linken Dorsalnerven am Ganglion spinale. 1
Von Adolf Wallenberg in Danzig.
Die Lehre von den Beziehungen der einzelnen spinalen Segmente und
Wurzeln zu bestimmten motorischen und sensiblen Gebieten des Körpers hat in
den letzten Jahren eine ungeahnte Ausbildung erlangt. Neben der rein anato¬
mischen und physiologischen Bedeutung hat dieser Fortschritt auch eine günstige
Rückwirkung auf die Entwickelung der localen Diagnostik gehabt und giebt uns
ein Mittel an die Hand, pathologische Processe schon in solchen Stadien zu
erkennen, in denen eine Heilung noch möglich ist (ich erinnere nur an die zu¬
nehmende Zahl glücklich operirter Tumoren des Rückenmarks und seiner Häute).
Aus diesem Grunde halte ich die Mittheilung eines Falles von isolirter
Stichverletzung eines einzelnen Thoracalnerven bei seinem Austritt aus dein
Wirbelcanal nicht für überflüssig, da sie einen kleinen Beitrag zur Kenntnis
der peripheren Projection spinaler Wurzeln bildet
Der 31 Jahre alte Schutzmann S. erhielt in Ohra, einem Vororte von Danzig,
am 22. Februar 1901 während der Verhaftung eines Ruhestörers 'von dessen
Genossen drei Messerstiche in den Rücken. Nachdem ihm an Ort and Stelle
ein Nothverband angelegt war, fuhr er mit der elektrischen Bahn nach Hause
und liess mich wegen starker Blutung und „Beklemmungsanfalls“ rufen. Ich
fand eine wenig blutende, etwa 1 cm lange Risswunde mit stark gequetschten
Rändern, von oben nach unten laufend, auf dem lateralsten Theile der linken
Spina scapulae (Fig. 1 c), die bis auf den nahe der Oberfläche liegenden Knochen
reichte, eine zweite stark blutende, ebenfalls senkrechte Wunde von etwa 2 cm
1 Nach einem am 7. März 1901 im Danziger ärztlichen Vereine gehaltenen Vortrage.
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Länge mit scharf geschnittenen Rändern am Innenrande der Spina scapulae
(Fig. 1 b ), eine dritte endlich in der Verlängerung der Verbindungslinie der
beiden ersten, 2,8 cm von dem Dorsalfortsatze des zweiten Brustwirbels, mit dem
untersten Ende noch unter denselben reichend. An diesem unteren Abschnitte
zweigte sich in stumpfem Winkel ein schräge nach aussen und unten ziehender
Querspalt von 3—4 mm Länge von der stark hellroth blutenden Hauptwunde
ab (Fig. 1 a). In Folge der Verletzung des Deltoideus durch den Stich c, des
Trapezius nnd Suprascapnlaris durch den Stich b und des Rbomboideus + Trapezius
durch den Stich a war der linke Arm in seinen Bewegungen sehr stark beein¬
trächtigt und konnte erst, wie ich vorweg nehmen will, nach mehreren Wochen
wieder so gut gehoben werden wie der reohte. Der Trapezius war längere Zeit
hindurch in der Umgebung der Wunde b verdickt. Die linke Scapula stand
Fig. 1.
etwas weiter von der Wirbelsäule ab als die rechte (Fig. 1). Auch eine geringe
Sensibilitätsstörung auf dem Rücken, deren Ausdehnung aus Fig. 1 ersichtlich
ist, und auf die ich später noch zurückkomme, wird wohl theilweise wenigstens
mit der Wunde b Zusammenhängen.
Während die Folgen der beiden äusseren Stiche so klar zu Tage liegen,
dass ich nicht weiter darauf einzugehen brauche (die Blutung aus der Wunde b
musste ich durch zwei Nähte stillen), ist es schwieriger, zu bestimmen, wie tief
die innere Stichwunde (a), die ich ebenfalls der starken Blutung wegen mit
zwei Nähten vereinigte, eingedruugen war, welche Theile sie verletzt hatte.
Schon die Form der Wunde mit der schrägen Zacke am unteren Pole (Fig. 1«)
sprach dafür, dass das Messer nicht an der 3. Rippe halt gemacht, sondern in
der Richtung von oben hinten nach unten vorn in den 3. Intercostalraum, nahe
bei dem Processus transversus des 3. Brustwirbels eingedrungen war. Eine
spätere Röntgen -Aufnahme im Diakonissenhause zu Danzig bestätigte diese
Vermuthung (Fig. 2). Man sieht, dass die (mit Stanniol bedeckte) Narbe ober-
890
halb der 3. Rippe beginnt (Einstichstelle) and bis zam 3. Intercostalraum auf
dem Processus transversus des 3. Dorsalwirbels hinabreicht (Aasstichstelle). Der
3. Interoostalraam ist nun an dieser Stelle deutlioh verschmälert gegenüber dem
rechten, weil die untere Randpartie des Processus transversus des 3. Brustwirbels
nach .unten dislocirt, der ganze Querfortsatz dadurch verbreitert erscheint. Wir
werden kaum fehl gehen, wenn wir diese Veränderung mit einer Fractur oder
Quetschung des unteren Querfortsatzrandes in Verbindung bringen und daraus
den Schluss ziehen, dass die Spitze des Messers hier wirklioh bis in den 3. luter¬
transversalraum eingedrungen ist. Die zweite Frage war die, ob der Stich die
Lunge getroffen hatte. Ausser einer Abeohwächung des Athemgeräusches üb»
dem linken Oberlappen war durch Inspection, Percussion und Auscultation kein
Fig.2.
Zeichen nachweisbar, welches auf eine Lungen wunde, auf eine Eröffnung da
Pleura, auf Hämatothorax, Pneumothorax oder Hautemphysem hindeuten konnte.
Die Untersuchung musste um so sorgfältiger in dieser Richtung ausgefüW
werden, als die heftige Dyspnoö, welche der Patient bei meiner Ankunft zeigte,
mit Wahrscheinlichkeit an eine Lungenverletzung oder Pleuraeröffnung denken
liess. In der ersten Nacht warf der Pat Blut in Form kirschgrosser, dunkd-
rother, rundlicher Klumpen aus, die Temperatur stieg am nächsten Tage bis
38,5°C., sank dann in den nächsten Tagen bis zur Norm herab, stieg aber am
4. Tage wieder bis auf 39,0 0 an. Seitdem blieb sie normal. Der Auswarf ent¬
hielt in den ersten Tagen neben geringen Blutspuren noch Eiter, und im Ster
fand ich neben anderen Bacillen- und Kokkenarten auch einen Kapselbacillus,
der grosse Aehnlichkeit mit dem Friedender ’schen Pneumoniebaoillas be&&
Locale Erscheinungen waren, abgesehen von der vorübergehenden Abschwächang
des Athemgeräusches, auf der linken Lunge weder am 1. Tage, noch in der
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891
Folgezeit za coastatirea. Trotzdem bin ich auf Grand der beschriebenen Sym¬
ptome geneigt, nicht eine Stichverletzung, wohl aber eine Quetschung des Lungen¬
gewebes im linken Oberlappen nahe am Qaerfortsatze dee 3. Brustwirbels mit
nachfolgender reactiver Entzündung (lobuläre Pneumonie um die gequetschte
Stelle herum?) anzunehmen. Auffallend war, wie ich bereits erwähnte, eine
heftige Dyspnoe, die Empfindung, als stände das Herz still, ein in die Herz¬
gegend verlegtes intensives Angstgefühl Zu diesen subjectiven Erscheinungen,
mit denen der Mangel an objectiven Symptomen von Seiten der Lunge merk¬
würdig contrastirte, die auch in dem Blutverlust keine genügende Erklärung
fanden — denn der Puls war regelmässig, die Palswelle kräftig und voll, die An¬
ämie eine mässige —, gesellte sich nun eine andere, nicht minder auffallende: Ich
fand eine erhebliche Verlangsamung der Pulsfrequenz, die Pulszahl sank in der
nächsten Zeit wiederholt bis auf 42 pro Minute (ira Liegen!), selbst bei einer
Temperatur von 38,5. Nur einmal, als ich in der Achselhöhle 39,0 maass,
schnellte die Frequenz auf 96 in die Höhe. Als der Patient nach l 1 /, Wochen
aufstehen konnte, war die Zahl der Pulse im Stehen grösser als im Liegen,
wie es bekanntlich die Regel ist, und betrug Anfangs 5.6, später bis 72 im
Stehen, 42 bezw. 56 im Liegen. Es handelt sich nun darum, zu entscheiden,
ob diese Bradykardie schon vor der Verletzung vorhanden war und lediglich als
Zeichen einer Sklerose der Coronararterien angesehen werden durfte, oder ob sie
mit dem Trauma zusammenhing. Ich halte einen derartigen Zusammenhang
aus dem Grunde für nicht unwahrscheinlich, weil die Pulsfrequenz, allerdings
ganz allmählich und im Verlaufe von 2 Monaten, normal wurde und beispiels¬
weise am 29. April im Stehen 72—76, im Liegen 64—68 betrug. Eiue durch
Coronararteriensklerose oder andere Ursachen schon von früher her bedingte
Bradykardie hätte auch nach Beendigung der Wundheilung in gleicher Weise
persistiren müssen. Wie lässt sich nun eine Abhängigkeit der Dyspnoe, der
Herzensangst und der Pulsverlangsamung von der Stichverletzung construiren?
Bekanntlich geben die Thoracalnerven, vom zweiten abwärts, unmittelbar peripher
vom Ganglion spinale, Aeste zum Sympathicus ab, die nach Unterbrechung oder
Durchquerung der Ganglien des Grenzstranges zu den Plexus und Ganglien der
Brust- und Baucheingeweide gelangen. Nach J. Ktri 1 tritt der 2. Dorsalnerv
mit dem Plexus pulmonalis in Verbindung, der 3. mit dem Plexus pulmonalis
und aorticus, der 4. nur mit dem Plexus aorticus, ausserdem bestehen mehr
indirecte Verbindungen des 2. und 3. Dorsalnerven mit dem Plexus cardiacus,
des 4. mit dem Plexus coeliacus. Die zum Plexus aorticus und cardiacus gehenden
Zweige können vielleicht als Analoga der bei verschiedenen Säugerarten be¬
schriebenen Nn. accelerantes angesehen werden, deren Reizung bekanntlich eine
die Vagus-Bradykardie überdauernde Pulsbeschleunigung zur Folge hat. Mög¬
licherweise ist es in diesem Falle in Folge einer Verletzung der Visceraläste des
3. Dorsalnerven zum Uebergewicht der Vagusreizung, d. h. der Pulsverlangsamung,
1 Schema des Zusammenhanges der Rücken marksBegmente mit den spinalen und
sympathischen Nerven, 1893; diagnostische Ausstellung auf dem XIX. Congress für innere
Medicin vom 16.—19. April 1901 in Berlin.
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über die beschleunigende Acceleranswirkung gekommen. Die auffallende Dyspntf
lässt sich am ehesten auf eine Durchschneidung der Aeste zum Plexus pulmo-
nalis zurückführen. Ich brauohe wohl nicht erst darauf hinzuweisen, dass für
die Sympathicusphysiologie des Menschen und damit auch für die nähere Be¬
gründung der eben entwickelten Ansicht der reale Hintergrund noch geschaffen
werden muss.
Erst die Prüfung der Hautsensibilität erlaubt es mir, mit Sicherheit eine
schwere Verletzung, wahrscheinlich vollständige Durohtrennung des 3. Dorsa!-
uerveu anzunehmen. Es stellte sioh'sohon in den ersten Tagen nach der Ver¬
letzung heraus, dass eine Hypästheeie für Berührungs-, Schmerz- und Temperator-
empfindung an drei verschiedenen Stellen
bestand: Am geringsten war der Ausfall
an Empfindlichkeit in der Umgebung
der mittleren Wunde (Fig. 1 b). Die
annähernd ovale Zone erstreckte sich An¬
fangs von der inneren bis zur äusseren
Wunde längs der Spina scapulae, nach
oben und unten etwas übergreifend, be-
Fig. 3.
Fig. 4.
schränkte sich aber allmählich auf das in Eig. 1 angedeutete Areal, um schliesslich
ganz zu verschwinden. Es ist wahrscheinlich, dass eine directe Verletzung von
Dorsaläaten der obersten beiden Thoracalnerven durch die Wunde b bei der
Entstellung dieses hypästhetischen Feldes mitgewirkt hat, denn die obere Grenze
des Dorsalgebietes des 3. Thoracalnerven pflegt nicht über die Spina scapulae
hinauf zu reichen. Nach Head beschränkt sich das Rückenhautgebiet des
3. Thoracalnerven auf die Mitte der Scapula gerade unterhalb der Schultergräte.
Etwas grösser und dauernder war die Störung der Sensibilität an der Vorder¬
fläche des Thorax. In der ersten Zeit nach dem Trauma wurde das hjpästhe-
tisohe Feld oben vom Unterrand der 2. Rippe, unten von dem der 4. Bippe.
medial vom linken Sternalraude begrenzt, auf das Sternum selbst noch ein wenig
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893
hinüberreichend; es setzte sich lateralwärts in einem spitz zulaufenden Winkel
längs des Pectoralis major bis zur Achselhöhle fort Später verkleinerte sich das
Gebiet und nahm allmählich die in Fig. 3 u. 4 beschriebene Form an (Grenzen:
oberer Rand der 3. Rippe, unterer Rand der 4. Rippe, linker Stemalrand, linke
Mamilla). Die grösste Intensität der Störung concentrirte sich bald nach dem
Trauma über dem Knorpel der 3. Rippe. Ein Vergleich mit der HEAü’schen
Tabelle lehrt, dass die untere Grenze in das Gebiet des 4. und 5. Thoracal-
nerven hineinragt, während das Areal der grössten Intensität mit dem des 3.
bei Head zusammenfallt. Andererseits steht die Ausdehnung der hypästhetischen
Zone in unserem Falle in Uebereinstimmuug mit der Schilderung bei Wichmann 1 :
— „die Haut über dem Trapezius und Pectoralis major versorgen, bis zur
Brustdrüse gehen und die Sternalhaut in der Gegend der 3.—4. Rippe versorgen.“
Das dritte hypästhetische Feld, weit stärker und nachhaltiger in allen
Seusibilitätskategorieen beeinträchtigt wie die beiden eben beschriebenen, erstreckt
sich au der Innenfläche des linken Oberarmes von der Achselhöhle bis etwa
9 cm oberhalb des Condylus internus humeri in einer Breite von 5—6 cm, einer
Länge von etwa 15 cm (Fig. 4). Eine von der Hiutergrenze der Achselhaare
zum Condylus internus gezogene Linie theilt das Feld annähernd in eine vordere
und eine hintere Hälfte. Die Lage und Ausdehnung dieses Gebietes entspricht
nun so auffallend dem Armbezirke des 3. Thoracalnerven in der HEAD’schen
Tabelle (vielleicht reicht es in unserem Falle um 1 j t cm weiter nach hinten und
um V, cm weniger nach vorne), dass ich mich für berechtigt halte, lediglich aus
diesem Symptom eine schwere Verletzung des 3. Dorsalnerven durch den Stich a
zu diagnosticiren. Die Angaben über die Betheiligung des 3. Dorsaluerveu an
der Hautinnervation des Oberarms schwanken sehr. 1 Unsere Beobachtung spricht
dafür, dass die Darstellungen von Gegenbaub und Hbad am ehesten das
richtige Verhältniss wiedergeben.
Im Bereiche der hypästhetischen Zonen traten übrigens bald nach dem
Trauma neuralgische Anfälle auf, die auch im Mai 1901 noch nicht verschwun¬
den sind. Ob eine Parese der dritten linken Interoostalmuskeln bestanden
hat oder noch besteht, Hess sich nicht feststelleu. Die Pupillen blieben während
der ganzen Zeit in Weite und Reaction vollkommen normal.
Rösumö: Eine Stichverletzung des linken 3. Dorsalnerven beim Austritt
aus der Wirbelsäule, also nahe am Ganglion spinale, hat mit Sicherheit einen
Sensibilitätaausfall im Bereiche der Haut 1. zwischen Sternum und linker
Mamilla mit grösster Intensität längs des 3. Rippenkuorpels (geringe Hypästhesie),
2. läugs der Innenfläche des linken Oberarms von der Achselhöhle bis 9 cm
oberhalb des Condylus internus humeri (starke Hypästhesie) zur Folge gehabt.
Eine Hypästhesie längs der linken Spina scapulae kann auch durch Neben¬
verletzungen mit bedingt sein. Ob die Durchsohneiduug der Sympathicusäste
des 3. Dorsalnerven (zum Plexus aorticus, pulmonalis, indirect auch zum Plexus
1 Die Röokenmarkanerven and ihre Segmentbezüge. S. 217.
* Vgl. Wichmann, a. a. O. 8.217.
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S94
cardiacu8) mit der in unserem Falle beobachteten anfänglichen Dyspnoe, „Herzens¬
angst“ und der längere Zeit andauernden Pulsverlangsamung in Verbindung j
steht, lässt sich zwar nicht sicher entscheiden; ich möchte aber die Möglichkeit
ja Wahrscheinlichkeit eines derartigen Zusammenhanges nicht von der Hand
weisen.
3. Heber einen Fall von Brückenverletznng bei intactem
Schädel.
Von Dr. med. Stanislaus Orlowski,
Arzt des Warschauer evangelischen Krankenhauses.
Die Herderkrankungen des Centralnervensystems sind für einen Kliniker
immer von gewissem Interesse — sie pflegen gewöhnlich irgend welche Thai¬
sache im Gebiete der Localisationslehre zu bestätigen. Noch anziehender stelle:
sich die Fälle von unmittelbaren Verletzungen des Centralnervensystems vor, di
sie unter günstigen Bedingungen ein höchst reines, fast wie experimentell zi
erzeugendes Krankheitsbild hervorrufen können.
Von diesem Standpunkte aus scheint mir folgende Beobachtung, abgesehet
von ihrer casuistischen Seltenheit, auch in theoretischem Sinne beachtenswert!;
zu sein.
M. G., 21jähr. Mechaniker, wurde am 14. April 1901 ins Warschauer evan¬
gelische Krankenhaus auf die chirurgische Abtheilung aufgenommen.
Etwa eine Stunde vorher ward Patient während einer Schlägerei auf der
Strasse verwundet worden. Als er, stark gebeugt, hinter einem Fiaker sich n
verbergen suchte, ward er mit einem Messer in die Nackengegend gestocht*
worden; er fühlte, dass die Beine schwankten und stürzte zu Boden; später
hat er das Bewusstsein verloren.
Bei der Aufnahme klagt Patient über heftigen Kopfschmerz in der Hinter-
hauptsgegend; leichte Benommenheit; Puls voll und verlangsamt (66 in derMinuteL
Am Nacken, auf der Höhe des Ohrläppchens, etwa 3 cm nach rechts von de:
Mediallinie, ist eine tiefe Stichwunde vorhanden; die Wunde, etwa 1,5 cm lu£-
geht in einer schrägen Richtung von oben und von aussen nach nnten und c*d
innen. Auf die Wunde wurde eine Naht gelegt
Eine Untersuchung des Nervensystems wurde an den nächsten Tagen unter¬
nommen und ergab Folgendes:
Rechtsseitige Facialislähmung im Gebiete der oberen und unteren A«t#
des Nerven: die Falten auf der rechten Gesichtsbälfte sind verstrichen, der Meb-
stark nach links verzogen; Patient kann weder die Stirn runzeln, noch des Aaf
schliessen; der Gaumenbogen steht rechts tiefer als links, und die Uvula wo¬
nach links ab. Die elektrische Erregbarkeit des rechten N. facialis iat für 1*
beiden Ströme erloschen; bei faradischer Reizung der vom rechten Facialis ver¬
sorgten Muskeln bleiben die Zuckungen aus; ein starker galvanischer Strom f&kr
in den Mm. zygomatici, M. levator anguli oris schwache und träge Zuckunf*
herbei (die Wirkung der Anode ist überwiegend).
Die Zunge scheint schief zu stehen, doch ist es nur eine Täuschung: ziebs
wir den rechten Mundwinkel auf seine normale Stellung herab, so kommt 1
Zunge gerade hervor.
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Leichte Parese des rechten Abdncens: geringer Strabismus convergens;
Beweglichkeitsbeschränkung nach aussen; Doppeltsehen.
Bei den Bewegungen der Bulbi erheblicher Nystagmus, vorwiegend in der
horizontalen Richtung, von Zeit zu Zeit auch Rotationsnystagmus.
Pupillen beiderseits von gleicher Weite; ihre Reflexbewegungen bei Beleuch¬
tung und Accommodation erhalten.
Kaumusculatur beiderseits normal. Schmerz- und Temperaturempfindung auf
der rechten Gesichtshälfte erheblich abgestumpft; besonders prägnant ist diese
Gefühlsstörung im Gebiete des 1. Trigeminusastes vorhanden; am rechten Auge
Anästhesie der Horn- und Bindehaut, Fehlen des Lidreflexes.
Starke Herabsetzung des Gehörs rechts; von dieser Seite percipirt Patient
weder Stimme noch Ticken einer an die Ohrmuschel angelegten Uhr. Stimm¬
gabeltöne vernimmt er auch rechts, und zwar die hohen Töne besser als die
tiefen, doch bei weitem nicht so deutlich wie links. Knochenleitung rechts herab¬
gesetzt, aber nicht so beträchtlich wie die Luftleitung.
Der Kranke kann weder stehen, noch sitzen; beim Versuch sich aufzurichten,
stürzt er nach rechts. Die Bewegungen der linken Extremitäten sind von nor¬
maler Ausdehnung, doch ist ihre motorische Kraft erheblich herabgesetzt. Die
Bewegungen der rechten Extremitäten sind, bei erhaltener Kraft, ungeschickt, in
gewissem Maasse schlecht coordinirt. Lässt man den Patienten die Nasenspitze
mit dem Zeigefinger anrühren, so thut er es ganz regelmässig mit der linken
Hand, mit der rechten dagegen geräth er gewöhnlich in die Wange; auch kann
er nicht mit dem Bein oder dem Arm einen Kreis beschreiben; beim Essen
bedient er Bich der linken Hand. Doch werden, sobald die Hand eine Unterlage
bat, z. B. wenn sie auf dem Tische liegt, ihre Bewegungen ganz sicher und
coordinirt; schreiben thut Patient rechts gut.
Anästhesie der linken Hälfte des Rumpfes und der linken Extremitäten; am
beträchtlichsten ist das Schmerzgefühl, weniger die Temperatur- und am wenigsten
die Berührung8empfindung gestört. Der Kraftsinn bietet in den linken, sowie in
den rechten Extremitäten keine Störungen dar.
Die Sehnenreflexe ein wenig herabgesetzt, besonders das Kniephänomen rechts.
Die Hautreflexe normal.
12 Stunden dauerte eine Urinretention, später wurde die Blasenfunction
regelmässig.
Verlauf: Patient blieb einen Honat im Krankenhause. Die Wunde heilte
rasch per primam, so dass etwa nach einer Woche der Kranke, mit einer kleinen
trockenen Narbe, auf die innere Abtheilung transportirt werden konnte. Die
Störungen des Nervensystems Hessen auch wesentlich nach.
Am 30. April, alB der Kranke in einer Sitzung der Warschauer medicinischen
Gesellschaft demonstrirt wurde, konnte er schon allein stehen nnd bei Unterstützung
einige Schritte machen. Doch war es offenbar, wie schwer es dem Patienten war,
das Gleichgewicht zu halten: heftig zog es ihn nach rechts, und von dieser
Seite musste er stark unterstützt werden. Die motorische Kraft der linken Extre¬
mitäten stellte sich wieder ein, die Hemianästhesie wurde auch geringer, doch
blieb sie noch ganz nachweisbar. Die Sehnenreflexe bezw. das Kniephänomen
wurde gesteigert. Die Abducensparese ging vollständig zurück, die Facialis-
lähmung blieb wenig verändert. Auf dem rechten Auge entstand eine starke Con¬
junctivitis, die Haut der Orbitalgegend wurde ödematös.
Im Laufe der folgenden 2 Wochen besserte sich allmählich der Gang des
Patienten, die Bewegungen der rechten Extremitäten wurden regelmässiger, so
dass Patient sich beim Es8en auch der rechten Hand bedienen konnte. Die
Störungen im Gebiete der Hirnnerven blieben dauerhaft. Trotz aller Mittel
schritt die Ophthalmie unaufhaltsam vor, bald erschien eine eitrige Keratitis; die
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— 896 -
Hornhaut wird so trübe, dass der Kranke mit dem afficirten Auge nichts n
sehen vermag.
Die eben geschilderte Krankengeschichte kann folgender Art resnmirt werden
Nach einem Messerstich in die rechte Seite der Nackengegend entstand
1. rechts eine multiple Hirnnervenlähmung (Trigeminus, Abdocens,
Facialis und Acusticus), 2. links eine vorübergehende Hemiparese uk
eine dauernde Hemianästhesie.
Wir haben es also mit einer alternirenden Lähmung des unteren Typs
(Paralysis altemans inferior) zu thun, die auch unter dem Namen des Millaäi-
GoßLEB’schen Syndroms bekannt ist Ganz natürlich denkt man bei so enjem
klinischen Bilde gleich an den Pons Varolii, da eine in dem erwähnten Ab¬
schnitte des Centralnervensystems localisirte Läsion eben diesen Symptomer-
complex hervorruft
Doch stellt sich die directe Verwundung dieses auf der Schädelbasis ver¬
borgenen Organs als ein so ungewöhnlicher Zufall vor, dass die Richtig!»
solcher Diagnose etwas zweifelhaft scheinen darf.
Um solch eine Verletzung bei intactem Schädel hervorzurufen, war eine Zu
sammenwirkung vieler Bedingungen nothwendig. Im Moment des Unfalls hi«
Patient den Kopf stark nach vorn und nach links gebeugt Das lange un>i
schmale Messer durchbohrte die Muskelscbicht und das hintere Verstopfnngs-
band (Membrana obturatoria posterior), dicht an dem Seitenrande des Form«
occipitale magnum drang es in die Schädelhöhle hinein und richtete sich nadt
vorne. Die Schneide des Messers musste parallel der Oberfläche der Med oll»
oblongata sein, da letztere fast auf ihrer ganzen Länge uuverletzt blieb.
In diesem Theile der Gehirnbasis sind auf einem engen Baume die Stamm»
der 5., 6., 7. und 8. Hirnnerven gruppirt; möglich scheint es, dass sie selbst
mit dem Messer verwundet wären und diese Verletzung eine Lähmung n
ihrem Gebiete hervorgerufen habe, doch ist solche Vermuthung unzulänglich
um das ganze Krankheitsbild zu erklären.
Die Gegend ist reich an Blutgefässen (Aeste der Arteria basilaris, wofci
auch die grossen Blutleiter: Sinus cavernosus, Sinus petrosi); die Compressias
der ventralen Theile der Brücke in Folge einer traumatischen Blutung wir«
im Stande, die vorübergehende linksseitige Hemiparese zu verursachen. Doct
bleibt dann ganz dunkel die Aetiologie der dauernden linksseitigen Heai-
anästhesie; es ist ja kaum wahrscheinlich, dass in Folge des Druckes die ea-
tralen Theile der Brücke (die Schleife) mehr lädirt wären, als die nahe d«
Oberfläche liegenden Pyramidenfasern.
Viel mehr plausibel ist es, eine traumatische rechtsseitige Brückenläsos
anzunehmen, welche die Gegend der Schleife und die Kerne der gelähmt«
Himnerven beschädigt hat; ein gewisser Theil der Hirnsubstanz kann natüri«
auch durch eine intracerebrale Blutung zerstört gewesen sein.
Am stärksten wurde der Facialiskern getroffen. Die Abducensparese
so leicht und transitorisch, dass es sich vielleicht nur um eine Compressn'ü
des Kernes (in Folge einer Blutung) handelte. Nicht so gering war die Läsuc
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des sensiblen Trigeminuskerns; der ganz unbeschädigte motorische Kern dieses
Nerven verweist auf die obere Grenze des Herdes.
Gehörsstörungen sind bei Brückenerbrankung verhältnissmässig häufig. Doch
hat das Kerngebiet des Acusticus eine viel zu grosse Ausdehnung, als dass
eine circumscripte Brückenläsion totale Taubheit erzeugen könnte. Bei unserem
Patienten war das Gehör rechts tief beeinträchtigt, doch erfolgte später eine
relative Besserung.
Aber im Gebiete des 8. Himnerven waren auch andere Störungen vor¬
handen. Von den zwei Wurzeln, die den eben genannten Nervenstamm bilden,
ist nur der N. cochleae der eigentliche Hörnerv, dagegen leitet der N. vesti-
buli, der in den Bogengängen endigt, Eindrücke, die die Erhaltung des Körper¬
gleichgewichtes beeinflussen (statischer Nerv, Brettes, Spameb). Diese
Function war bei unserem Kranken im hohen Grade beeinträchtigt: gleich nach
dem Unfall vermag er sich gar nicht aufrecht zu halten, später, nach einer
Besserung, war doch die Sturzneigung nach rechts sehr manifest.
Ob man diese Störung als Folge der Himläsion (Verletzung des Bech¬
terew ’schen Kernes — Nucleus vestibuli, vielleicht aber auch des rechten Crus
cerebelli ad pontem) annehmen darf, ist schwer zu entscheiden; eine traumatische
Affection des Acusticusstammes (d. h. sowohl des Cochlear- als auch des Vesti¬
bül aru er ven) ist ebenfalls möglich.
Nystagmus wurde bei Brückenerkrankungen nur selten beobachtet; in unserem
Falle kann dieses Symptom auch von der Störung im Gebiete des N. vestibuli
abhängig sein: experimentell ist nachgewiesen, dass die Reizung der Bogengänge
(N. vestibuli) einen heftigen Nystagmus hervorzurufen pflegt (Cyon, Bechterew).
Alle die oben geschilderten Krankheitserscheinungen verknüpfen sich har¬
monisch um das klinische Bild einer Brückenläsion; nur ein Symptom lässt
sich in diesen Rahmen nicht einschieben, nämlich die Coordinationsstörung in
den rechten Extremitäten; die Pathogenese dieser Erscheinung ist bei einer
Affection der rechten Brückenhälfte recht dunkel. Doch ist es anzumerken,
dass bei Unterstützung* der Extremitäten ihre Bewegungen fast ganz geordnet
und coordinirt wurden; vielleicht ist die Vermuthung möglich, dass der ein¬
seitige Ausfall der Bogengängefunction auch hier eine gewisse Rolle aus-
geübt habe.
Diese im theoretischen Sinne höchst interessante Verletzung stellte sich für
den Kranken zu einem recht dramatischen Unfall. Abgesehen von den schweren
unmittelbaren Störungen des Nervensystems, hat er noch die Nacherscheinungen
zu fürchten. In die erste Reihe soll die sogenannte neuroparalytische
Ophthalmie gestellt werden. Die Zusammenwirkung der Facialis- und
Trigeminuslähmung (Unmöglichkeit, das Auge zu schliessen, Fehlen des Lid¬
reflexes, Anästhesie der Horn- und Bindehaut, endlich Ausfall des trophischen
Einflusses der Trigeminusfasern) erzeugt für das afficirte Auge eine drohende
Gefahr. Trotz aller Schutz- und Heilmittel ist der Verlust dieses Organes
kaum zu vermeiden.
57
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n. Referate.
Anatomie.
1) Sul rivestimento delle oellule nervöse, pel Prof. Livio Vincenzi. (Am
tomißcher Anzeiger. 1901. XIX. Nr. 5 u. 6.)
In der Oblongata des Fötus und Neugeborenen (von Hund, Meerschweincht®.
Kaninchen, Katze) fand Verf. durch Zufall bei Anwendung des raschen Schwän-
Verfahrens an sehr vielen grossen und mittleren Ganglienzellen eine Zellmembrü
die immer in derselben Weise aus polygonalen, an den Rändern mit einander
verkitteten Plättchen mosaikförmig zusammengesetzt war. Diese Structur war ii
der Gegend des Zellenleibes sehr deutlich und setzte sich auf die Protoplaan»-
fortsätze meist mit weniger deutlicher Zeichnung in Gestalt leerer röthlieiar
Schläuche fort. Verf. glaubt sich an stellenweise isolirten Schüppchen und t
den Lageverhältnissen einzelner zerrissener Kapseln davon überzeugt zu habri
dass es sich hier um eine echte Membran und nicht um ein blosses Maschenwen
handelt. Eine gleichinässige Schattirung hebt die Membran von dem blass-:
Zellkörper ab, und die Linien, in welchen die polygonalen Schüppchen zusammri
hängen, liegen mit ihr in gleichem Niveau. Da dieselbe schwarze Reaction aif:
die Blutcapillaren differenzirt, so hatte Verf. im Ventralkern des Acusticus id.
im Trapezkörper wiederholt Gelegenheit, zu sehen, dass die Membranen raL
reicher Zellen stellenweise mittels eines breiten Fortsatzes an die Capillaren
geheftet waren. Dieser kurzen Mittheilung sind 4 Figuren beigegeben, weki 1 -
die geschilderten Verhältnisse anschaulich machen.
Schmidt (Freiburg i/SchLi
2) Methods of rendering Golgi - sublimste preparations permanent by
platinum Substitution, by W. Ford Robertson and James H. Uä
donald. (Journ. of Nerv, and Ment. Dis. April 1901.)
1. Dr. Robertson’s Methode, auf deren Leistungen für die Differenzirt-
des Stützgewebes der nervösen Substanz in diesem Centralbl. bereits einmal h:i-
gewiesen worden ist, besteht in einer Modification der Golgi-Cox'sehen Subliin
imprägnation. Die Schnitte werden auf 15 Minuten in ejne gesättigte und filtrir-
Lösung von Lithiumcarbonat gebracht, kurz gewässert und für 1—2 Tagr :
ein Gemisch frisch zubereiteter 1 °/ 0 Kaliumplatinchlorid- und frischer 10°/ 0 Citrot->
säurelösung (in destillirtem Wasser) im Dunkeln aufgehoben. Nachdem sie dar».
1—2 Stunden lang in mindestens zwei Mal gewechseltem Wasser ausgewa^ise
sind, kommen sie auf 5 Minuten in gleiche Theile von gesättigt-wässeriger Jv
mit 1% Jodkalilösung und von Wasser, werden wieder gewaschen, 5 Miar:
in eine mit 2—3 Tropfen starker Ammoniaklösung beschickte Schüssel V**-'
gebracht, gut gewässert, in Alkohol getrocknet, mit Benzol aufgehellt und s
Benzolbalsam unter ein dünnes Deckgläschen gebracht.
2. Dr. Macdonald’s Methode ist ähnlich, nur umständlicher. Die
Cox imprägnirten Schnitte kommen ebenfalls in die Platinsalzlösung und «
Lösung von Natronhyposulfit und Kochsalz, werden mit dünner Salzsäure gefc*' - i
und nochmals mit Lösung II, darauf mit dünnem Jodspirituß u. s. w. behack-'!
M. verlangt für jede Manipulation destillirtes Wasser und schliesst Metallinstnur-rr
ganz aus.
Beide Methoden erzielen gründliche Schwärzung und grosse Haltbarkeit r-
gestatten die Anwendung von Deckgläschen, Oeliramersion und stärkster W
grösBerung. Schmidt (Freiburg i/Sehj
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Experimentelle Physiologie.
3) The Position of the respiratory and oardio-inhibitory flbres in the
rootlets of the IX., X. and XI. cranial nerv es , by A. W. Cadman.
(Journal of Physiology. XXVI. S. 42.)
Die gemeinsamen Wurzeln deB 9., 10. und 11. Hirnnerven treten bekanntlich
in drei Gruppen gesondert aus der Medulla oblongata heraus, welche als obere,
mittlere und untere unterschieden werden. Jede dieser Gruppen besteht ihrerseits
wieder aus einer grösseren Anzahl Bündeln.
Verf. suchte nun festzustellen, in welcher der drei Gruppen die Athmungs-
fasern und die Herzhemmungsfasern des N. vagus verlaufen. Seine Versuche (bei
der Katze) führen ihn zu folgenden Schlüssen:
Die centripetalen Respirationsfasern verlaufen in den unteren Bündeln der
oberen Gruppe.
Die centrifugalen Herzhemmungsfasern verlaufen in den unteren Bündeln der
untersten Gruppe.
Diejenigen Vagusfasern, welche bei Reizung des centralen Stumpfs Herz¬
hemmungen hervorrufen, verlaufen in den unteren Bündeln der oberen Gruppe,
sind also mit den pulmonalen Fasern des Vagus identisch.
W. Connstein (Berlin).
4) On reflex cardiac Inhibition, by T. G. Brodie and A. E. Russell. (Journal
of Physiology. XXVI. S. 92.)
Nicht nur bei Reizung des peripheren Nervenstumpfs, sondern auch bei
Reizung des centralen Vagusstumpfs tritt bekanntlich Herzhemmung ein. Die¬
jenigen Fasern, welche diesen Reflex vermitteln, sind die pulmonalen Vagusäste.
— Es besteht somit ein sehr inniger Zusammenhang zwischen den Respirations¬
fasern des Vagus und dem Herzhemmungscentrum (auch mit dem vasomotorischen
Centrum). — Deshalb kann man denn auch reflectorische Herzhemmung durch
Reizung der Nasenschleimhaut, der Kehlkopf- und Trachealschleimhaut, der Nerven,
welche von diesen Schleimhäuten centripetal ziehen, und der pulmonalen Vagus¬
äste hervorrufen. Die Reizung der letzteren geschieht am leichtesten durch Ein-
athmung reizender Gase durch eine Trachealcanüle. W. Connstein (Berlin).
5) Ueber den Einfluss der starken Hautreize auf das Rückenmark, von
Switalski. (Przegl^d lekarski. 1900. Nr. 8. [Polnisch.])
Verf. hat den Einfluss starker Hautreize auf das Rückenmark auf experimen¬
tellem Wege studirt. Zu diesem Zwecke wurde die hintere Pfote einige Stunden
bis einige Tage gereizt (faradischer Strom, chemische Reize, Anbrennung der
Pfote) und dann das Rückenmark (Lumbalmark) mit der Marchi’schen und
Nissl’schen Methode studirt. Nur bei 2 Kaninchen (von 13) Hessen sich gewisse
Alterationen in den Vorderhornzellen in Form von Chromatolyse nachweisen (im
homolateralen Vorderhorn des Lumbalmarks). Bei diesen 2 Kaninchen wurden
die Pfoten 3 Stunden lang mit Inductionsstrom gereizt. Bei den übrigen Thieren
war das Rückenmark normal. Den Einfluss des Inductionsstroms auf das Rücken¬
mark erklärt Verf. durch die Mitbetheiligung der motorischen Nerven, welche den
Reiz nach dem Rückenmark leiten und daselbst die entsprechenden Vorderhorn¬
zellen verändern. Edward Flatau (Warschau).
57 *
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000
Pathologische Anatomie.
6) Experimentelle Beiträge vor Pathologie des Bückenmarks, von A. Hock
(Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. 1899. XXXII. S. 209 u. 97ß.)
Verf. studirte die Veränderungen im Rückenmarke nach aseptischer Emboli*
sowie diejenigen nach arterieller Einführung von pathogenen Mikroorganismen
Für die erste Reihe der Versuche, d. h. zur Erzeugung isolirter Embolieen ver¬
wandte Verf. Lycopodiumkörner, Pollen von Typha japonica, Kamaladnm
Maizennstärke, Emulsion von Ricinusöl und atmosphärische Luft, als Suspensions-
fiüssigkeit für die körperlichen Elemente diente sterilisirte physiologische Kocbnli-
lösung. Als Färbemethoden wurden die Doppelfärbung mit Hämatoxylineosin m
van Gieson angewandt. Versuchsthiere waren Hunde.
Stets wird die graue Substanz in erster Linie und mehr als die weisse durch
das Hineindringen des embolischen Materials geschädigt. Die Reaction der
Arterien Wandungen auf den eingedrungenen Embolus war je nach dem verwendeten
Materiale eine verschiedene, den grössten Reiz übte die Kamsdadruse, den geringit«
die Lycopodiumkörner aus. Effect der Reizung ist Verdickung und kleinzellige
Infiltration der Gefässwand.
Der durch die arterielle Embolie von der Ernährung abgeschnittene Gewek
theil verfällt rasch der Nekrose. Bei kleinsten embolischen Herden stellt sic:
wieder Restitutio ad integrum ein. Sind aber in grösserer Anzahl benachbart*
Gefässe verstopft und kann sich ein collateraler Kreislauf nicht entwickeln, so
treten grosse Nekrosen ohne capilläre Stase und ohne Hämorrhagieen auf. Bei
Verstopfung grösserer arterieller Zweige, aber bei Erhaltung der Möglicher
eines capillaren Collateralkreislaufes entwickelt sich der eigentliche hämorrbagi«!*
Infarct mit Ausgang in Höhlenbildung. Am Rande dieser Höhlungen fiel Vert
an seinen Präparaten die „Torpidität“ des Gliagewebes auf. Die Fettkörnehe«
tragenden Zellen im Rückenmark können von Leukocyten, Bindegewebszellen od*:
Gliazellen abstammen, die eigentlichen echten, typischen, grossen Körnchen»!]«
sind aber bindegewebiger Abstammung. — Auffallend war in klinischer Hinntbt
dass 6 Hunde bei Freibleiben des Dorsalmarks nach der lumbalen Injeebe
spastische, und nicht schlaffe, Paraplegie zeigten.
Zur Erzeugung von bakterieller acuter Myelitis verwandte Verf. Fraenktl 1
Pneumococcus, Staphylococcus pyogenes aureus und Bacterium coli commune nute
Zusatz von Embolie erzeugenden Elementen (Lycopodiumkörner, Maisstärke
[Lamy’sche Methode]. Nur so konnte er die „acute infectiöse Myelitis“ bemr-
bringen. Dia Versuche ergaben, dass beim Hunde der Centralcan&l als lin?
leitende Lymphbahn eine grosse Rolle spielt, jedenfalls eine bedeutendere als b®
erwachsenen Menschen, bei dem der Centralcanal meist vielfach verlegt ist ®-
ein weniger beträchtliches Lumen besitzt als beim Kind und beim Hunde. W*
mag es auch kommen, dass die Poliomyelitis anterior acuta mit Vorliebe Kiifc
der ersten Lebensjahre befallt, welche ja in ihrem offenen Centralcanal ««*
relativ grossen centralen Lymphweg besitzen, der die eigenthümliohe Localis»» 2
der Erkrankung in den Vorderhörnern und die rasche Verbreitung der Et"
zündungserreger herbeizuführen im Stande ist.
Trotz schwerster entzündlicher Veränderungen im Innern des Mark i« e
in keinem Falle zu einer diffusen Meningitis gekommen. An den meisten SteE-^
finden sich sowohl entzündliche Processe als auch Erweichungsvorgänge wh*
einander. Kurt Mendel
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7) Zwei Fälle von Ganglioneurom, von Prof. R. Beneke. (Ziegler’s Bei¬
träge zur patholog. Anatomie. XXX.)
Im ersten der beiden Fälle hatte der kindskopfgrosse Tumor, im kleinen
Becken gelegen, ein erhebliches Geburtshinderniss abgegeben. Die mikroskopische
Untersuchung ergab, dass der Aufbau der gesamraten Neubildung auf eine über¬
mässige Production von Ganglienzellen mit Ausläufern nebst den dazugehörigen
Scheiden zurückgefuhrt werden musste. Die verschiedenen Möglichkeiten der
Auffassung — als Riesenwuchsbildung, Neurom, das sich zufällig in einem Ganglion
entwickelt hatte, uud echter, „blastomatöser“ Tumor der Ganglienzellen — wurden
im Sinne der letzteren Deutung entschieden.
Der zweite Fall, ein retroperitonealer, mannskopfgrosser Tumor bei einem
lOjähr. Mädchen, war besonders dadurch bemerkenswerth, dass er, in der Haupt¬
masse ein gutartiges Ganglioneurom — ähnlich dem ersten Falle —, an verschie¬
denen Stellen durch zunehmende blastomatöse Erkrankung der Ganglienzellen
Charaktere einer richtigen malignen Neubildung aufwies. Metastasen in benach¬
barten Lymphdrüsen bestätigten diesen Charakter.
In beiden Fällen wurde der Sympathicus als Ausgangspunkt der Neubildung
wahrscheinlich gemacht. — Die Betrachtungen, die Verf. an die beiden Fälle
anschliesst, sind mehr von allgemein-pathologischem, als neurologischem Interesse.
Auffallend ist, dass bei der grossen Seltenheit hierhergehöriger Beobachtungen der
vom Ref. beschriebene Fall (Archiv f. Psych. XXX.) nicht erwähnt wird.
H. Haenel (Dresden).
Pathologie des Nervensystems.
8) Ueber chronische ankylosirende Entzündung der Wirbelsäule, von Dr.
Otto Bender, Assistenzarzt der Universitäts-Poliklinik für orthopädische
Chirurgie in Leipzig. (Münchener med. Wochenschr. 1901. Nr. 11.)
Bei einer 24jährigen, hereditär nicht belasteten Schneiderin, welche Beit
9 Jahren in gebückter Stellung arbeitet, traten vor 4 Jahren zuerst Kreuz¬
schmerzen beim Aufetehen und Bücken ein, und ganz allmählich bildete sich eine
vom Lendentheil ausgehende und von unten nach oben fortschreitende Steifigkeit
der Wirbelsäule aus. Vor 2 Jahren wurden zuerst Schmerzen im Nacken und
Schwellung der Halswirbelgegend bemerkt. Jetzt besteht eine totale Ankylose
der Wirbelsäule, deren Halstheil in leichter Kyphose, deren Brustpartie in Streck¬
stellung fixirt ist, während die normale Lendenlordose fast ganz fehlt. Die ganze
Wirbelsäule ist starr wie ein elastischer Stab. Die Rücken- und Schulterblatt¬
muskeln sind derb und in Folge der bestehenden Inactivität atrophisch. Von
einer Progredienz der Symptome ist nicht mehr die Rede. Trotzdem und trotz
fehlender Nervenwurzelsymptome ähnelt der Fall am meisten dem von v. Bech¬
terew aufgestellten Typus. Wahrscheinlich ist hier der Bandapparat haupt¬
sächlich verändert, und zwar verknöchert. Offenbar bewirkte die einseitige und
andauernde Inanspruchnahme der Wirbelsäule durch den Beruf zusammen mit
anämischen Veränderungen die Ernährungsstörungen an der Wirbelsäule.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
9) Beitrag zur Lehre von der chronisch ankylosirenden Entzündung der
Wirbelsäule, von F. Glaser. (Mittheilungen aus den Grenzgeb. der Medicin
u. Chirurgie. VIIL)
Verf. berichtet über drei am städtischen Krankenhause am Urban beobachtete
Fälle von „Spondylose rhizom&ique“; der eine derselben iBt zur Section gekommen.
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Letztere ergab: 1. Knöcherne Ankylose der Gelenke zwischen den Proceesos
articulares, sowie derjenigen zwischen Rippen und Wirbeln, 2. Verknöcherungen
des Bandapparates, 3. sog. supracartilaginäre Exostosen.
Der Process ist demnach derjenige einer ankylosirenden Spondylitis ossificwu
gewesen, welohe sich von einer gewöhnlichen Arthritis deformans wohl unterscheidet
und wegen der Eigenartigkeit des Krankheitsbildes einen besonderen Namec
verdient Kurt MendeL
10) Spondylitis deformans, von A. Kudrjaschoff. (Zeitschr. f. orthopid.
Chirurgie. EX.)
Verf. berichtet über einen Fall von Spondylose rhizomölique und beeohreibt
sechs von dieser Krankheit stammende Präparate. Er ist der Meinung, dass du
Leiden sich nicht von der Arthritis deformans unterscheidet.
Kurt MendeL
11) Quelques remarques sur l'ostäomyälite vertdbrale 4 propos d*un faü
nouveau, par A. Chipault. (Trav. de neurolog. chirurg. 1900.)
An mehreren eigenen Fällen, sowie an verschiedenen der Litteratur hat
Verf. die Osteomyelitis vertebralis studirt, er spricht ausführlich über den klini¬
schen Krankheitsverlauf und die Pathologie. Als Therapie hält er den chirur¬
gischen Eingriff zur Aufsuchung und Entfernung des Krankheitsherdes für dringend
geboten. Adler (Berlin).
12) La soollo8e raohltdque infantile et son traitement, par A. Chipault
(Trav. de neurol. chirurg. 1900. Nr. 2 u. 3.)
Verl empfiehlt zur Behandlung der rhachitischen Skoliose die Methode da
Redressements der Wirbelsäule mit Detorsion und Deflexion, Immobilisinmg
dieser Stellung durch Gipskorsett, Vervollkommnung des Verfahrens durch manuelle
Modellirung des Thorax. Da die Knoohen weich und die Weichtheile schlaf
sind, so ist die Anwendung von Chloroform immer überflüssig. Mit diesem Ver¬
fahren hat Verf. innerhalb von 6 Monaten gute Resultate erzielt.
Adler (Berlin).
13) Bur un nouveau prooödd de lamineotomie temporaire et son msteriel
instrumental, par Dr. B. Roncali. (Trav. de neurolog. chirurg. 1900.
Nr. 2 u. 3.)
Verf. giebt ein neues Verfahren zur osteoplastischen Eröffnung der Wirbel¬
säule an, das sich an ältere Methoden von Ollier, Urban und C&vicchic
anlehnt. Dasselbe besteht aus 5 Acten: Incision der Weichtheile und Freilegosf
des Knochens, Section des Knochens, seitliche Rückbiegung und Aufhebung d«
Knochenperiostmuskellappens, Untersuchung des Wirbelcanals und Eröffnung der
Dura mater, Reconstitution der Theile. Er hat diese Operation an der Iieich?
mittels eines eigens construirten Instrumentariums 4 Mal ausgeführt und empfiehl:
dieselbe zur Nachahmung. Bei starken Blutungen der Weichtheile räth er a:
Tamponade und zweizeitigen Operation, worauf er die guten Erfolge Chipaulft
zurückführt. Adler (Berlin).
14) Un oas de gibbositd aveo parapldgie traitd aveo suooös par les ligt-
tures apophysaires, par A. Chipault. (Trav. de neurolog. chirurg. 1900
Nr. 1.)
Verf. hat bei einem Kinde mit einem Gibbus der Halswirbelsäule, P&raplqn?
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der unteren Extremitäten und Incontinenz des Urins in Narkose bei hängendem
Kopf den Gibbus redressirt durch Zug und Druck in horizontaler Richtung,
Ligatur von 6 Wirbeldornen mit Silberdraht, Anlegung eines Gipskorsetts mit
Kinnstütze. Schon am nächsten Tage war die Paraplegie verschwunden. Die
Behandlung wurde 18 Monate fortgesetzt, in unregelmässigen Zwischenräumen
5 Mal die Gipsstütze gewechselt, wodurch der Gibbus fast zu völligem Schwinden
gebracht wurde. Adler (Berlin).
15) Parapldgle Pottique de l'adnlte et da vieillard , par Touche. (Trav.
de neurolog. chirurg. 1901. Nr. 1.)
Verf. berichtet über 20 von ihm selbst beobachtete Fälle, bei denen para¬
lytische Zustände die Folge von tuberculösen Affectionen der Wirbelsäule waren.
Das Resultat dieser Beobachtungen ist dahin zusammenzufassen: Die Pott’sche
Paraplegie tritt am häufigsten einmal im Alter zwischen 30 und 40, dann zwischen
60 und 70 Jahren auf. Was den Einfluss des Geschlechts anbetrifft, so ist das
Leiden etwa 3 Mal so häufig bei Männern wie bei Frauen, entsprechend dem
ähnlichen Verhältniss bei Lungentuberculose. Diese grössere Frequenz soll auf
den grösseren Alkoholmissbrauch bei Männern zurückzuführen sein. In 5 Fällen
war eine Pleuritis vorhergegangen, in 5 anderen bestand hereditäre Tuberculose.
Bei 11 Patienten war neben der Paraplegie ein Gibbus vorhanden, bei 6 Abscess,
bei 2 Abscess und Gibbus. Die Krankheit begann häufig mit Sensibilitäts- und
Motilitätsstörungen. In etwa 7 Fällen war Blasenlähmung, Hararetention und
Incontinentia ani zu verzeichnen. Bei den Männern bestand ausnahmslos, so lange
die Paraplegie anhielt, absolute Impotentia coeundi, die aber mit dem Wieder¬
eintritt der allgemeinen Sensibilität verschwand. In der Hälfte der Fälle ist die
Paraplegie zurückgegangen, nur in einem einzigen Falle (acute Myelitis) ist der
Tod direct dem Malum Pottii zuzuschreiben, die anderen Todesfälle sind auf
Lungentuberculose oder Harnretention zurückzuführen. Von den am Leben Ge¬
bliebenen sind nur zwei nicht geheilt, die übrigen vollkommen. — Alle Para-
plegieen nach Malum Pottii sind auf Pachymeningitis oder Myelitis zurückzuführen.
Zum Schluss noch wenige Worte über die Behandlung: Bei kalten Abscessen wird
man sich damit begnügen, sie zu punctiren, wenn sie drohen, fistulös zu werden;
die Beweglichkeit in den Gelenken ist durch Massage zu unterhalten; bei Harn¬
retentionen katheterisire man mit absolut aseptischen Instrumenten; aber vor
allen Dingen wird man die Lungentuberculose behandeln, ohne welche die Pott’sche
Paraplegie oft spontan heilt Adler (Berlin).
16) Ein Beitrag zur Oaaulstik der sogen. Kümmeirsohen Krankheit, von
Friedrich de Ahna. (Inaug.-Dissert. Berlin, 1901.)
Verf. führt 5 Fälle von Kümmell’scher Krankheit (Spondylitis trauma¬
tica) an:
I. 59jähr. Maurergeselle, bei welchem sich mehrere Monate nach erlittener
Verletzung (Fall von einem 3 m hohen Gerüst auf das Gesäss) ein schmerzhafter
Gibbus eiDstellte. Verf. hält die Annahme einer Compressionsfractur für am
meisten gerechtfertigt. Das Röntgenbild brachte keinen Vortheil zur Feststellung
anatomischer Einzelheiten oder zur Sicherung der Diagnose.
II. Bei einem 35jährigen Coaksarbeiter bildete sich Monate lang nach dem
Unfall (Fall auf das rechte Knie, während er beim Anheben eines schweren
Kastens beschäftigt war und der Körper sich in stark nach rückwärts gebeugter
Stellung befand) ein Gibbus am 10. Brustwirbeldornfortsatz aus mit damit in
Zusammenhang stehenden nervösen Störungen.
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III. 9 Monate nach dem Trauma (der &6jährige Stallmann wurde durch eni
Pferd an die Stallwand gedrückt) entwickelte sich in diesem Falle ein Gibbtn
des 1. und 2. Lendenwirbels unter starker Verschlimmerung des Befindens, speciell
des Gehens. Stillstand des Krankheitsprocesses durch Stützapparat.
In Fall IV und V hat sich in Folge einer schleichenden Entzündung der
Wirbelsäule im Anschluss an ein Trauma eine Lordose ausgebildet, während bei
der typischen Eümmell’schen Krankheit eine Kyphose besteht.
Verf. weist auf die Wichtigkeit hin, die verschiedenen Formen der Küm me Ir¬
schen Krankheit zu kennen, um nicht dem Irrthum zu verfallen, den Patient«
als Simulanten oder als Uebertreiber anzusehen. Kurt HendeL
17) Zur Casuistik der sogen. Oompressionsmyelltis, von Dr. Richard Spitz.
(Wiener med. Wochenschr. 1901. Nr. 17.)
Ein 35jähr. Schneider erkrankte anscheinend spontan unter Schmerzen in
Nacken, wozu sich ausstrahlende Schmerzen im linken Arm gesellten. Schmerzes
zur Zeit höchst unbedeutend und nur bei längerer Beugehaltung des Kopfes.
Allmählich einsetzende, seit 7 Jahren bestehende Schwäche im linken, seit einem
Jahre im reohten Arm. Gang, Mictio intaot. Lues negirt. Objectiv: Ab¬
magerung, Kyphose der Halswirbelsäule, Atrophie des linken Biceps, Tricepe,
beider Mm. serrati, Lat. dorsi, Cucullares (mittlere und untere Portion), geringere
in beiden Pectorales, Deltoidei (besonders links), den Extensoren des Vorderarm»,
dem rechten Biceps. Keine main en griffe; Handmuskeln intact, untere Extre¬
mitäten frei, Sehnenreflexe bis auf linken Supinatorreflex vorhanden, lebhaft,
Sensibilität intact, beiderseitige Spitzeninfiltration. Die Radioskopie zeigt eine
Einknickung der Halswirbelsäule entsprechend einer Destruction des 4. Wirbel¬
körpers. Vom Rachen aus ein vorspringender Wirbelkörper (der 3.) zu fühlen.
Auffallend ist die Differenz in der Betheiligung der motorischen und sensiblen
Sphäre. Die Diagnose käsige Spondilitis war nach den mitgetheilten Symptomen
mit Sicherheit zu stellen. J. Sorgo (Wien).
18) BüokenmarkBveränderungen bei Oompreasion durah einen Tumor io
der Höhe der obersten Segmente, von Giese, ehemaligem Volontären*
an der medicinischen Klinik in Bonn. (Deutsohe Zeitsohr. f. Nerven heilt
1901. XIX.)
Es handelt sich um einen von Fr. Schultze schon früher beschriebenen
Fall, in welchem eine extramedulläre Geschwulst des Cervicalmarks (Fibrom) ge¬
funden wurde. Wie die nachträglich erfolgte anatomische Untersuchung ergab,
wurden der unterste Theil des vorliegenden Marks und die oberen Cervical-
segmente ungefähr bis zur unteren Grenze des 3. comprimirt. Es fanden sieb
die verschiedenen Stadien der Druckveränderungen von leichter Degeneration der
Nervenfasern bis zum Bilde der Rückenmarksnarbe, während eine eigentliche Er¬
weichung nicht vorhanden war. Ausserdem Hessen sich secundäre Degenerationen
in den absteigenden Bahnen der Hinterstränge nachweisen.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
10) XJti cas de dermo - neuro - flbromatose oompliquöe de phönomäoes
spinaux et de döformation oonsiddrable de la oolonne vertebrale, per
P. Haushalter (Nancy). (Nouv. Icon, de la Salp. 1900. XIII. S. 639.)
I4jähr. Knabe, keine erbliche Belastung. Beginn des Leidens vor 2 Jahren
mit Schwäche im Rücken und Lähmung der Beine. Keine Schmerzet), keine
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Intelligenzstörungen. Die damalige Untersuchung ergab: Enorme Verkrümmung
der Wirbelsäule nach rechts und aussen, die in Rückenlage verschwindet.
Spastische Lähmung beider Beine. Obere Extremitäten etwas schwerfällig, aber
frei beweglich. Patellarreflex gesteigert, beiderseits Fussklonus. Leichte Atrophie
der Wadenmuskeln. Strabismus internus des linken Auges. Rechts Herabsetzung
der Sehschärfe in Folge leichter Neuritis optica. Herabsetzung der Tast- und
Schmerzempfindung im Bereich der Beine und des Abdomens. Am rechten Unter¬
schenkel ist die Tastempfindung sogar erloschen. Temperatursinn am linken
Unterschenkel herabgesetzt, am rechten erloschen. Zeitweise Incontinenz. Die
Diagnose lautete auf eine seltene Form der Syringomyelie (forme fruste), war
aber mit Sicherheit nicht zu stellen.
Bei einer Untersuchung 2 Jahre später war die Deformation des Thorax
weiter vorgeschritten, die Sensibilitätsstörungen weniger auffallend, dagegen zeigt
der Kranke jetzt erhebliche Veränderungen an der Haut, nämlich 1) 15 kleine
weiche Fibrome, mit einigen harten Haaren bewachsen, über den ganzen Körper
zerstreut; 2) 2 dunkle Warzen; 3) 3 kleine weiche gestielte Tumoren; 4) 4 harte
unter der Haut bewegliche Knoten, und 5) etwa 20 pigmentirte Flecken.
Nach diesem Befunde wurde die Diagnose auf Recklinghausen’sche Krank¬
heit gestellt. Die Krankheit scheint angeboren zu sein, da zwei kleine Fibrome
an der Stirn schon im 1. Lebensjahr von den Eltern beobachtet wurden. Das
Leiden blieb bis zum 12. Lebensjahr latent; in diesem Alter erschienen die ersten
medullären Symptome, welche auf eine fibromatöse Erkrankung im Rückenmark
zurückzuführen sind. Facklam (Suderode).
20) Nature et traitement de la myölite alguö, par G. Marinesco. (Nouv.
Icon, de la Salp. 1900. XIII. S. 561.)
An der Hand einer Reihe klinischer Beobachtungen und experimenteller Ver¬
suche an Thieren entwickelt Verf. ausführlich seine Erfahrungen über die Ursachen
der acuten Myelitis. Er nimmt an, dass durch Trauma, Erkältung oder andere
Schädlichkeiten ein Locus minoris resistentiae im Rückenmark geschaffen wird,
welcher geeignet ist, nach infeotiösen Erkrankungen der Haut (Variola, Pana-
ritium), der Schleimhäute (Typhus, Dysenterie, Blennorrhöen, Pneumonie, Influenza
u. s. w.) oder auf der Bahn der peripheren Nerven (z. B. Hundswuth) die Ent¬
stehung einer acuten Myelitis zu begünstigen.
Nachdem der Entzühdungsprocess erloschen ist, geht die hämorrhagische Er¬
weichung des Rückenmarks allmählich in Sklerose über. Bemerkenswerth ist,
dass in Verbindung mit der Myelitis meist eine mehr oder weniger ausgeprägte
Meningitis nachweisbar ist. Verf. schliesst daraus, dass die Krankheitserreger
meist durch die Flüssigkeit des Arachnoidalraumes in das Rückenmark gelangen.
Werden sie durch die Blutgefässe dorthin geführt, so steht die Form der Polio¬
myelitis mehr im Vordergrund.
Die histologische Untersuchung lässt an dem Process im Rückenmark folgende
3 Grade erkennen: 1. eine Erkrankung der Gefässe, welche eine diffuse oder
noduläre Infiltration bedingt, 2. ein Stadium der progressiven Erkrankung der
Neurogliazellen (Anschwellung, Vergrösserung des Zellkerns, Theilung und rasche
Vermehrung der Zellen) und 3. ein degeneratives Stadium der Zellen von der
einfachen Chromatolyse bis zur vollständigen Achromatose.
Der Grad dieser verschiedenen Processe wird bedingt 1. durch die Natur
der Krankheitserreger (die eine Bacillenart ist toxischer als die andere), 2. durch
den Giftigkeitsgrad des Krankheitserregers und 3. durch die grössere oder ge¬
ringere Widerstandskraft des Patienten.
Die Behandlung der infectiösen Myelitis kann nur eine symptomatische sein,
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Verf. hat mit Marmore k’schem Serum ebenso wenig Erfolg gehabt als mr.
Methylenblau. Schmerzlindernd wirkt eine Cocaineinspritzung in den Arachnoid&l-
raum. Facklam (Suderode).
21) Un oas de syndröme de Brown-Söquard, par Dr. Emile Francois.
(Policlinique. 1901. Nr. 11.)
Es handelt sich um einen Kranken, dessen Vorgeschichte insofern bemerken;-
werth ist, als er innerhalb eines Jahres alle drei Stadien der Lues durchgemack
hat. Jetzt, etwa 3 / i Jahr nach Beginn der ersten syphilitischen Erscheinungen
steht er im tertiären Stadium. Er ist 27 Jahre alt, von gut entwickelte:
Intelligenz, ohne Störungen im Gebiete der Gehimnerven. Das linke Bein ist
paretisch und leicht ataktisch, es wird nachgeschleppt. Es zeigt ferner eine ge¬
ringe Atrophie; die Circumferenz der Wade differirt um 1 cm gegenüber de:
rechten. Die Sensibilität ist erhalten, es besteht Hyperästhesie. Das rechte Bds
ist bezüglich seiner Ernährung und Motilität völlig intact, allein es ißt un¬
empfindlich gegen Schmerz und Hitze, die tactile und musculäre Sensibilität sowie
Druckgefühl sind erhalten. Die Empfindungslosigkeit erstreckt sich auch auf da
rechten Testikel und die rechte Hälfte des Membrum virile. Die Hautreflexe sind
gut erhalten. Deutlicher Babinski'scher Reflex. Patellarreflexe gesteigert, be¬
sonders links. Die Potenz ist erloschen. Incontinentia alvi et urinae. Verf.
nimmt Compression der linken Rückeumarkshälfte durch einen Tumor an, der
eine Gummibildung darstellt und in der Höhe des 1. Lumbalnerven seine:
Sitz hat. H. Schnitzer (Stettin-Kückenmühle).
22) Lösions traumatiques dans le domaine de l’öpicöne mödullaire, p&r
L. Minor. (Section für Neurologie auf dem 13. internationalen Congres
zu Paris.)
Verf. bringt eine Reihe eigener Beobachtungen, welche beweisen, dass Fälle
mit einer Rückenmarksverletzung gerade oberhalb des Conus, also in einer Höhe,
welche der 2. und 1. Sacralwurzel entspricht und nach oben hin noch die
5. Lumbalwurzel in sich begreift, ein constantes und typisches Bild liefenu
Zur Erleichterung der Verständigung über derartige Fälle führt Verf. den Ter¬
minus „Epiconus“ ein. In allen derartigen Fällen ist die Blasen- und Mastdsnc-
function nicht gestört, und auch die Kniesehnenreflexe sind erhalten. Das charak¬
teristische positive Symptom der Epiconuserkrankung ist dagegen eine Lähmimi
des ischiadischen Geflechtes.
Fall I. 32jähr. Mann, Sturz aus 2m Höhe, sofortige Lähmung des linker
Beines, die auch auf das rechte Bein übergeht. Intensive Schmerzen in dn
Beinen und im Kreuzbein, Erhaltensein des Knie- und Blasenreflexes. Complev
atrophische Lähmung im Gebiete der beiden Ischiadici.
Fall II. 46jähr. Mann. Nach starker Anstrengung beim Heben Lähmung
der Beine mit lebhaften Schmerzen im Rücken und in den gelähmten Beinec.
Nachdem anfängliche Nachbarsymptome sich zurückgebildet hatten, bestand naefc
14 Tagen nur noch Steppergang mit Lähmung des N. peroneus und Sensibilitäts-
störungen besonders in den peripheren Theilen.
Fall III. 35jähr. Schneider, Sturz aus der 3. Etage, Vorragen des 12. Brat¬
wirbels, Lähmung beider Peronei, Schwäche der Beuger des Oberschenkels, dii*>-
ciirte Sensibilitätsstörungen an den Beinen, Steigerung der Kniereflexe.
Fall IV. 18jähr. Mensch, Fall von einer Anhöhe. Eis entwickelte sich ia
Verlaufe von einigen Tagen eine völlige Lähmung der Beine, Schmerzen in dea-
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selben und im Kreuz. Degenerative Atrophie der Unterschenkel mit Storungen
der Wärmeempfindung, Steigerung der Kniesehnenreflexe. Die Peroneuslähmung
bestand noch beim Verlassen des Krankenhauses.
Fall V. 19jähr. Mann, Sturz aus 12 m Höhe, völlige Lähmung beider Beine
mit Erhaltung der Kniereflexe. Die Lähmungen gingen zurück mit Ausnahme
derjenigen des Sacralgebietes. Atrophische Lähmung der beiden Peronei. Sphink-
teren intact. Paul Schuster (Berlin).
23) Ueber Magenektasie bei Büokenmarksläsion, von Kausch. (Mittheilungen
aus den Grenzgebieten der Medicin und Chirurgie. 1901. VII. Heft 4 u. 5.)
Mittheilung zweier eigenartiger Obductionsbefunde am Magendarmcanal bei
Querschnittsläsion. Es handelt sich um acut bezw. subacut entstandene enorme
[Ektasie des Magens und der oberen Partie des Duodenums, im 2. Falle fast des
ganzen Duodenums. Verf. hält den Befund am Duodenum für secundär und ist
der Ansicht, dass zur Entstehung der Magendilatation mehrere Ursachen Zusammen¬
wirken: Das Rückenmarksleiden, die chronische Obstipation, die Leere der Därme,
die Rückenlage, mangelhafte Bauchpresse und Marasmus.
Martin Bloch (Berlin).
24) Ein Fall von einseitiger Ophthalmoplegie interna traumatischen Ur¬
sprungs, von Tumpowski. (Czasopismo lekarskie. 1901. Nr. 7. [Polnisch.])
Verf. berichtet über einen Fall von einseitiger Ophthalmoplegia interna trau¬
matischen Ursprungs. Der Fall betraf ein 11 jähriges Mädchen, welches von der
Treppe herunterfiel, einige Stunden lang bewusstlos lag und dabei erbrach.
Schmerzen in der linken Kopfhälfte, Apathie. Status: Rechte Lidspalte verengt.
Leichte Ptosis dextra. Rechts maximale Mydriasis, linke Pupille normal. Rechts
Licht- und Accommodationsstarre. Augenbewegungen beiderseits völlig normal.
Cornealreflex beiderseits erhalten. Sonst keinerlei nervöse Störungen, weder im
Bereiche des Kopfes, noch in den Extremitäten. Puls 80. Ophthalmoskopischer
Befund normal. In den ersten 2 Tagen Diplopie, welche alsdann geschwunden
war. Auch schwand bald die rechte Ptosis, so dass nur die Pupillenerscheinung
stationär blieb. Der Fall stellt somit eine Lähmung auf traumatischer Basis des
M. sphinoter iridis, M. ciliaris und vorübergehende Lähmung des M. levator pal-
pebrae superioris dar. Die Lähmung selbst sei wahrscheinlich als Ophthalmo¬
plegia nuclearis aufzufassen (Blutung in der Gegend der Oculomotoriuscentren).
Flatau (Warschau).
26) Ueber einen Fall von traumatischer Spätapoplexie, von Dr. Siegfried
Kolben. (Wiener med. Wochenschr. 1901. Nr. 25.)
Mehrere Wochen nach einem Trauma, welches zu einer queren, die Scheitel¬
beine durchsetzenden Fractur geführt hatte, Eintritt der Apoplexie. Mächtiger
Bluterguss in der rechten Hemisphäre. J. Sorgo (Wien).
26) Ein Fall von Spätapoplexie naoh Trauma, von Otto Bruns. (Deutsche
med. Wochenschr. 1901. Nr. 37.)
41jähr. Schlosser, der kein Potator war (war Syphilis vorhanden? Ref.),
erlitt einen Unfall dadurch, dass er von einem Maschinenteil an den Kopf ge-
stossen wurde. Kein Bewusstseinsverlust; der Verletzte arbeitete weiter, klagte
aber seitdem viel über Kopfschmerzen und soll ruhiger geworden sein. 4 Tage
nach dem Trauma musste er 6—8 Mal nacheinander niesen; im Anschluss daran
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Schwindelgefühl, Uebelkeit, Erbrechen, Bewusstlosigkeit. Am nächsten Tage Erti
Die Section ergab: Keine Haut* oder WeichtheilVerletzung am Schädel Gua
und Periost der Schädelknochen ohne Sonderheit. Haemorrhagia cerebri ex
rysmate rupto (rechte Seitenventrikel). Bronchopneumonia dextra. Letztere &-«
Verf. als secundär durch Aspiration von Speichel entstanden an.
Verf. erklärt den Vorgang auf folgende Weise:
Die auf den Schädel ausgeübte Gewalteinwirkung erzeugt in den gegöito*
liegenden Hirntheilen eine Quetschung, die zur Erweichung fährt. Letztere kt
bei den dortigen Gefassen eine Entlastung von dem Seitendrucke zur Folge, äs
normalerweise von der festen Uirnsubstanz ausgeübt wird. Hierdurch erhält«
Innendruck, d. h. der Blutdruck, das Uebergewicht, das Gefäss erfahrt eine Dei¬
nung und Verdünnung der Wand. Ausserdem wird wohl der durch die Quetsdrcu
erzeugte degenerative Process direct auf die Gefasswand selbst übergehen und br
Verfettung erzeugen. Das starke Niesen figurirt alB auslosendes Moment für -1*
Platzen des Aneurysmas. Kurt Mendel
27) Contuaion et oompression cörebrale & la suite d’une fraoture du cria 1
aveo large enfonoement. Trepanation et ponotion lombaire decca
press!ves. Guörison, par Dr. Mauclaire. (Bulletins de la Societe«
Pädiatrie de Paris. 1901. Nr. 6.)
Ein 15jähr. Inder stürzte auf die linke Parietotemporalgegend, woselbst ejs
offene blutende Wunde und eine Schädeldepression zurückblieb. Es bestand*:
Nasenbluten, Koma, Schlaffheit der Extremitäten (rechts mehr als links), Ver¬
langsamung und Unregelmässigkeit des Pulses, seufzende, langsame AthmuK
endlich im Gesioht beginnende, allgemeine Convulsionen. Eine Trepanation u
der verletzten Stelle förderte Knochensplitter und reichliche Blutcoagula zu Tut
Das Gehirn selbst zeigte sich contusionirt; die Dura wurde wieder vernäht, ca
Wände geschlossen. Die Besserung nach der Operation war keine auffällige, da
Temperatur stieg bis 40,2°. Einige Tage nach der Trepanation wurde eir-
Lumbalpunction ausgeführt, bei welcher 20 ccm Flüssigkeit entleert wurden. En |
3 Tage nach derselben trat allmähliche Besserung ein, und nach etwa 10 Tage
war Pat. geheilt.
Verf. hält es für möglich, dass die Lumbalpunction den günstigen Ausgu:
herbeigeführt habe. Vom chirurgischen Standpunkt sei der Fall wohl nicht t- !
erledigt anzusehen, da ein grosser Knochendefect im Schädel bestehe.
Zappert (Wien)
28) Läsion oäräbrale par oontrecoup, par de Buck et van der Linder
(Annales de la Sociäte beige de Neurologie. 31. März 1900.)
Ein 36jähr. Potator kam in der Trunkenheit zu Falle. Bewusstseinsverinsb
Der Arzt constatirte am anderen Tage die Zeichen einer Basisfractur. Der Ver¬
letzte zeigte im Krankenhaus Genicksteifigkeit, ein acutes maniakalischee Delirius
und Beschleunigung der Athmung und des Pulses. 12 Tage nach dem Traust
starb der Verletzte. Unmittelbar nach dem Tode — noch ehe die Section vor-
genommen war — entnahmen die Autoren zwecks histologischer Untersuchs*
mittels Trepanation ein Stück Hirnrinde.
Die Autopsie zeigte Blutungen an der Basis der Stirnlappen (Contrecoop'
einen Bruch der Hinterhauptsschuppe ohne Dislocation und ohne Betheiligung <kr
Sinus, jedoch keine Blutung in die Ventrikel. Die Untersuchung der sofort nad
dem Tode entnommenen Hirnpartikel ergab deutliche Veränderungen in der
grossen Pyramidenzellen. Die gefundenen mikroskopischen Veränderungen sind
nach den Verff. diejenigen der Hirncommotion und Hirncontusion.
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900
Pie Verff. glauben, dass ähnliche Veränderungen sich in vielen Fällen von
Hirntraumatismus (Neurosen?) finden. Paul Schuster (Berlin).
20) Solle degeneraztoni aacendenti, speoialmente del fasoio di Gowers, in
an oaso di oompresslone del midollo. Ricerca del Dr. R. Amabilino.
(Rivista di Patologia nervosa e mentale. Deceraber 1900.)
Eine durch Schussfractur des 12. Wirbelkörpers bei einem jungen Manne
erzeugte Compressionsmyelitis, welche 40 Tage nach dem Unfall zum Tode führte,
liess bei Marchi-Färbung in aufsteigender Richtung folgende bemerkenswerthe
Einzelheiten erkennen: Im Halsmark geht das Degenerationsgebiet vom G oll'sehen
Strang aus auch auf die hintere Commissurzone über, weiter oben sich von der
Peripherie her verschmälernd. Wahrscheinlich ist also die Annahme von Deje-
rine richtig, dass diese Gegend vorzugsweise exogene Fasern enthält. — Das
Growers’sche Bündel zieht vom Corpus restiforme aus dorsal von der unteren
Olive und vor den Wurzeln des Vagus und Accessorius ohne Unterbrechung
(welche v. Bechterew annimmt) oder auch nur Verminderung der Fasern am
seitlichen Rande des Bulbus entlang, zusammen mit den Fasern yon der Brücke
und vom Trapezkörper, dessen äussere er im sagittalen Verlauf kreuzt und theil-
weise überbrückt, vor und ausserhalb der oberen Olive, hinter der aufsteigenden
Trigeminuswurzel und der Facialiswurzel vorbei, geht zum Tbeil in die laterale
Schleife auf und befindet sich mit ihr am Rande der Haube auf der Aussenseite
des Bindearms. Weiterhin schlägt es einen Theil seiner Fasern von aussen
über den letzteren herauf und gelangt durch das vordere Marksegel zum oberen
Wurm. Fasern, welche nach van Gehuchten’s Angabe das Kleinhirn durch
den mittleren Hirnstiel erreichen, wurden nicht angetroffen. Ein deutlicher
Antbeil des Gowers’schen Bündels hält indessen seine Richtung nach
vorn im Mittelhirn bei und gelangt mit der Schleife zum ventralen und
äusseren Rande des hinteren Vierhügelkerns, zieht unter dem vorderen Vierhügel¬
kern (an welchen es vielleicht einige Fasern abgiebt) entlang und konnte in
nächster Nähe des 3. Ventrikels ventrolateralwärts bis unter den inneren Knie¬
höcker verfolgt werden, von wo aus es sich im hinteren Theil des ventralen
Thalamuskerns endlich verlor.
Ein derartig weites centrales Vordringen des Gowers’schen Bündels
ist bisher nur in annähernder Weise von Mott und in übereinstimmender Dar¬
stellung beim Menschen nur von Sölder und Quensel (von Kohnstamm auch
beim Kaninchen) beschrieben worden. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
30) Klinische und pathologisch-anatomische Untersuchungen über die
unoomplioirten, traumatischen Rüokenmarkserkrankungen, von Dr.
Fritz Hartmann. (Jahrbücher f. Psych. XIX.)
Verf. bringt in seiner sehr eingehenden Arbeit 8 eigene Fälle von trauma¬
tischen Rückenmarkserkrankungen ohne Wirbelerkrankungen. Er unterscheidet
Fälle dieser Art als uncomplicirte von complicirten, in welchen neben der Rücken-
markserkrankung noch eine unmittelbare Wirbelsäulenerkrankung besteht. Die
oncomplicirten Fälle theilt er wieder ein in unmittelbare, bei welchen die Rücken¬
markserkrankung sofort im Anschluss an das Trauma entsteht, und in mittelbare,
eine Gruppe, zu welcher die Poliomyelitis anterior chronica (Erb), die Sklerose u.s.w.
gehören. Er erkennt das Bild der Commotio spinalis an und bringt einen Fall
unter dieser Diagnose. Von Wichtigkeit ist, dass auch Verf. die Möglichkeit des
Entstehens disseminirter Herde nach Trauma für wahrscheinlich hält. Für die
so häufige Localisation der Herde im Halsmark bei Traumen der ganzen Wirbel-
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säule giebt Verf. eine plausible mechanische Erklärung. Seine 8 Falle briar
Verf. mit genauer Krankengeschichte und nachheriger Epikrise. Ein Theil ds
Fälle ist mikroskopisch untersucht. Das Resultat der anatomischen Untersucht;
ist ein ausgiebiges. Das Wichtigste derselben sind die Tbatsachen, dass weitgehend
Veränderungen im nervösen Gewebe nach Traumen im Rückenmark entstehe,
ohne dass Blutungen vorhanden sind. Ferner sind die Zellen- und Wme',
erkrankungen, welche man nach Verletzungen findet, nicht in demselben V«
hältniss wie das Mark von dem Orte der Einwirkung der Gewalt abhänr-:
Selbst weit ab von der Stelle der stärksten Veränderungen kommen zerstran.-
Herde, Wurzeldegeneration und Zellveränderungen vor. Wegen der Erkläre
der sogenannten Randdegenerationen, sowie wegen mancher anderen histologisches
Einzelheit ist das Original einzusehen. Paul Schuster (Berlin).
31) Ueber traumatische Schädigungen des M. ououllaris und ihre Dia¬
gnose, von Prof. Dr. Tilmann in Greifswald. (Monatsschr. f. UnfaUheiü
1900. Nr. 5.)
Nach Darlegung der Functionen der einzelnen Abschnitte des Kappenmnshj
im Anschluss an Duchenne bespricht der Verf. 3 Fälle, in welchen es sich ox
eine Schädigung der adductorischen Portion des M. cucullaris durch directe Gewalt
und zwar durch Quetschung beim Fall auf die Treppe und das Straasenpflaft-'
und durch Zerrung bei plötzlicher stärkerer Belastung des erhobenen Ate«
handelte. Die objectiven Symptome bestanden in Behinderung des Armes be
seitlicher Erhebung, in geringem Hochstand und in vergrössertem Abstand c.-?
Schulterblattes von der Mittellinie, sowie in Abstehen des medialen Schulterblatt-
randes beim Erheben des Armes. Subjectiv bestand Schwäche im Arm, nur wen::
Schmerzen. Der Verlauf war ein sehr langwieriger. Zwei weitere Fälle d=
Verf.’s betreffen Schädigung der respiratorischen und elevatorischen Portion d*-
M. cucullaris in Folge Hufschlags und in Folge Zugs beim Tragen einer Last k
hängendem Arm. Die objectiven Symptome waren: Tiefstand der Schulter, Drebm.
derselben um die sagittale Axe, keine Behinderung der Armbewegung. Subjecte
bestanden in dem Arm ausstrahlende Schmerzen (Zerrung am Plexus brachiali.-
Leider giebt der Verf. nur sehr spärliche Notizen über die elektrische Unter
Buchung. Paul Schuster (Berlin)
32) Beitrag zur Erklärung der traumatischen Lumbago, von Reinhari
Natvig (Christiania). (Monatsschr. f. orthopäd. Chirurgie u. physik. Heil¬
methode. 1901. Nr. 2.)
Verf. bringt einige Krankengeschichten von traumatischer Lumbago, c
welchen es gelang, anatomische Veränderungen zu finden. Die ersten 3 FäL
betreffen junge Leute, bei welchen sich nach körperlichen Anstrengungen (Riix-
kampf und Aehnl.) unmittelbar nach jener Anstrengung oder auch erst spSi-’
Schmerzen im Rücken und Verkrümmungen der Wirbelsäule einstellten. In alle
3 Fällen bestanden lebhafte Schmerzen bei Inanspruchnahme der Rückenmuscolats?
Es wurde ein querverlaufender Riss bezw. Narbe im M. erector trunci gefuncn.
Der 4. Fall betrifft einen Seemann, welcher an Lumbago erkrankt war, nachdem
er lVa Jahr Ballast über Bord geworfen hatte. Die Untersuchung deckte k
ihm grössere, knotige, narbige Massen in der linken Gesässseite auf. In einer
Falle von Lumbago, im Anschluss an schweres Heben entstanden, handelte -
sich um einen Bruch des Querfortsatzes eines Lendenwirbels. Verf. macht darr-
aufmerksam, dass derartige Patienten oft als Simulanten hingestellt werden. Ae
der Litteratur erwähnt Verf. besonders einen Fall von Schanz und stellt miete
die berechtigte Forderung auf, in jedem Falle statt der SammeldiagnoBe Lnmbar
möglichst eine specialisirte Diagnose zu stellen. Paul Schuster (Berlin)
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33) Zur Lehre vom Hitssohlag, von Max Herford. Aus der I. inneren Ab¬
theilung des städt. Krankenhauses am Urban in Berlin (Prof. A. Frankel).
Vortrag, gehalten im Verein für innere Medicin in Berlin am 5. Nov. 1900.
(Deutsche med. Wochenschr. 1900. Nr. 52.)
In einem letal endenden Falle von Hitzschlag mit starken Darmblutungen
fanden sich post mortem reichliche Blutungen im Endokard, Magendarmcanal und
in der Leber, sowie starke Hyperämie sämmtlicher Organe. Zwei weitere klinisch
beobachtete Fälle waren besonders ausgezeichnet durch das Vorhandensein allge¬
meiner Ataxie und eine auf Coordinationsinsufficienz beruhende aphatische Störung.
Die letztere äusserte sich bei Beobachtung, Erregung und bei Bemühungen, mög¬
lichst correct zu sprechen, ferner, wenn die Kranken weniger aufmerksam waren.
Die Stellung der Mundhöhle veränderte sich unwillkürlich, die Laute klangen
bald dunkler, bald heller, Einschaltungen wurden gemacht, ja die Patienten konnten
Anfangs nicht die einfachste Silbe Vorbringen, ohne einen kurzen Vorschlag oder
mehrere Nachtactsilben anzuhängen, die meist gar keine lautliche Aehnlichkeit
mit der eigentlich gemeinten Silbe hatten und diese fast unverständlich machten.
Bei mehrsilbigen Worten kamen die ersten Silben, abgesehen von Vortacten, oft
noch richtig heraus, die letzten verloren sich in einem Wirbel oder wurden durch
unarticulirte Laute ersetzt. Gleichzeitig hatten lebhafte Mitbewegungen des Kopfes
und der Gesichtsmusculatur statt. Neben der falschen Accentuation, dem Stolpern
und Durchgehen der Sprachmuskeln war ein Verschleifen und Verschlürfen nicht
zusammenhängender Worte und Silben merkbar. Sprach- und Schriftverständniss
erhalten. Die Schrift war etwas zitterig, das Lesen durch falsche Accentuation
und Monotonie gestört. In dem einen Falle mit leichterer Prägung des Krank¬
heitsbildes gingen die Störungen relativ rasch zurück, bei dem zweiten änderte
sich das Bild nur wenig, so dass die Prognose quoad restitutionem hier mindestens
zweifelhaft ist
Verf. ist geneigt, die allgemeine Ataxie und die Sprachstörung auf kleine
Blutungen in der Medulla oblongata zurückzuführen. Gestützt auf die Arbeit von
Silbermann, nimmt Verf. an, dass auch in seinen Fällen von Hitzschlag eine
durch Ueberhitzung des Körpers bewirkte Blutveränderung, Thrombose und mul¬
tiple kleine Blutungen Vorlagen, und erinnert an die acuten Ataxieen nach
Infectionskrankheiten und gewissen Intoxicationen. R. Pfeiffer.
34) Ueber Erkrankung des Gehirns nach Trauma, von Dr. M. Koeppen,
a. o. Professor, I. Assistent der psychiatr. Klinik. (Archiv f. Psychiatrie u.
Nervenkrankh. 1901. XXXIII.)
Verf. theilt 8 Krankengeschichten mit hirnanatomischem Untersuchungsresultat
von Neurosen nach Kopfverletzungen mit. Die klinischen Symptome bestanden
in geistiger Schwäche (leichter Ermüdbarkeit, Verlangsamung des Denkvermögens,
Unvermögen Eindrücke festzuhalten), in Reizbarkeit und in einer grossen Zahl
von unangenehmen Sensationen, namentlich Kopfschmerzen und Schwindelgefühl.
Die Demenz erreichte nicht den hohen Grad wie bei der typischen Paralyse,
namentlich fehlten der Ausfall früherer Erinnerungsbilder und die gänzliche Ab¬
nahme des Gefühls für Anstand und Reinlichkeit. Die Pupillen reagirten nur
träge, der Patellarreflex war niemals aufgehoben.
Kleine Verletzungen an der Basis der Stirnlappen, der Spitze der Schläfen¬
lappen und am Hinterhauptslappen sind nach des Verf.’s Untersuchungen häufig
bei Gewalteinwirkungen auf den Schädel, auch ohne Verletzung des letzteren.
Es führen derartige Blutungen zu Encephalitis und später zu Narben. Das aus¬
getretene Blut kann gänzlich resorbirt werden, es braucht dies aber nicht der
Fall zu sein. Bei Verletzungen der Hirnbasis finden sich meningitisartige Sym-
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ptome. Oft traten erst sehr spät nach dem Trauma schwere Gehirne rBcbeinungen
(Koma mit Zuckungen) auf; es scheint dann von den Vernarbungen an basalen |
Ripdentheilen ein plötzlicher Reiz auszugeben, der auf dem Wege einer cireu-
latorischen Störung Allgemeinerscheinungen hervorruft Unmittelbar nach den
Trauma können klinische Symptome fehlen, obwohl sich später schwere materiell-
Subetanzveränderungen vor finden; die psychische Degeneration wie die plötzliche
Hirnreizung können sich nach Kopfverletzungen, die zunächst keine erheblichen
Erscheinungen und namentlich keine Bewusstseinsstörung zur Folge batten, ent¬
wickeln. Auch nach Fall auf Fiisse, Kniee oder Gesäss kann das Gehirn verletzt
werden. — Die Wichtigkeit dieser Untersuchungen für die Beurtheilung von Un¬
fällen ist einleuchtend. Georg Ilberg (Sonnenstein).
35) Ueber UnfallspsyohoBen, von Max Edel. (Psychiatr. Wochensclir. 1901.
Nr. 15—17.)
Casuistische Mittheilung einer Reihe von im Original nachzulesenden Fällen
von Unfallpsychosen, die nach Verf. etwa 2 l /,°/ 0 seiner Aufnahmen ansmachen.
Der Unfall führte entweder eine Verschlimmerung des schon bestehend«)
psychischen oder nervösen Leidens herbei oder veranlasste erst deren Ausbruch.
Dann handelte es sich vorwiegend um belastete Individuen, die durch Heredität
oder durch erworbene Schädlichkeiten (Alkobolismus, Lues u. s. w.) oder durch
Beides disponirt waren. Es finden sich alle möglichen Formen von Psychosen, die
sich von den nicht traumatisch bedingten nicht zu unterscheiden brauchen. Oft
findet sich zwischen Unfall und Psychose das Zwischenstadium einer fnnctionellen
Neurose, bei deren Vorhandensein Gemöthserregungen, die bei der Feststellung
der Entschädigung fast unvermeidlich, doppelt schädlich sind. Das Ueberwiegen
einer depressiven, melancholischen, hypochondrischen Verstimmung lässt das häufige
Vorkommen von Lebensüberdruss und Selbstmordversuchen nicht auffällig erscheinen.
Relativ oft finden sich Dämmerzustände, abgesehen von den bekannten Schwindel-,
hysterischen, epileptischen, paralytischen und alkoholischen Krampf- oder apo-
plektiformen Anfällen. In den Wahnvorstellungen spielt vielfach der Unfall mit
seinen Folgen eine Rolle. Chronische Psychosen führen oft zu einem geistigen
Verfall. Vorübergehende Störungen haben eine Neigung zur Periodicitat.
Ernst Schultze (Andernach).
36) Ueber die nach Schädeltrauma eintretenden psychischen Störungen,
von Dr. Rathmann, Mühlheim a/Rh. (Vierteljahrsschr. f. gerichtL Med.
1901.)
Aus den Krankengeschichten der Rheinischen Provinzial-Irrenanstalt zu Bonn
hat Verf. 51 Fälle von Geistesstörung nach Kopfverletzung, die während der
Jahre 1890—1899 dort beobachtet wurden, gesammelt Er giebt von jedem
Falle einen kurzen Abriss und fasst die Ergebnisse seiner Untersuchung dahin
zusammen, dass er ebenso wie v. Krafft-Ebing secundäre und primäre trauma¬
tische Psychosen unterscheidet. Auch die Zahlen der ungeheilten, gebesserten und
geheilten Fälle entsprechen den von früheren Beobachtern gefundenen; es zeigt
sich, dass die primär im unmittelbaren Anschluss an die Verletzung auftretend«)
Geistesstörungen bessere Prognose bieten, als die später ausbrechenden. Bei
erblich belasteten Kranken scheint die Aussicht auf Heilung grösser zu sein, ah
bei nicht belasteten. Verf. nimmt als Grund hierfür an, dass bei den Belastetes
schon leichtere Verletzungen genügen, um den Ausbruch einer Psychose herbei¬
zuführen, während bei ganz rüstigen Individuen die krankmachende Ursache be¬
reits viel stärker sein und daher auch schwerere Folgen haben müsse. In einzelnes
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Fallen, besonders bei zwei, die er in Mühlheim sah, und die er etwas genauer
beschreibt, glaubt Yerf. die Entstehung von Hirngeschwülsten (z. B. Gliosarkom)
auf Kopfverletzung zurückführen zu müssen, wobei er Bich auf Virchow, Pon-
fick und Volkmann beruft. Stegmann (Dresden).
37) Zwei Fülle von Hysterie bei einem Manne naoh Trauma, von Dr.
Kissinger. (Monatsschr. f. Unfallheilk. 1900. Nr. 9.)
Der 1. Fall betrifft einen 50jähr. Mann, bei dem sich nach einer allgemeinen
Erschütterung des Körpers und Schulterquetschung rechts ein eigentümlicher
Zitterzustand der rechten Hand, welcher an die Schüttellähmung erinnerte, aus¬
gebildet hatte. Ausserdem bestanden aber auch deutliche hysterische Stigmata:
Hemianästhesie mit Einschluss der Sinnesorgane rechts, zeitweise Stimmlosig¬
keit n. s. w.
Der 2. Fall betrifft einen 25jähr. Mann, welcher 4 m hoch von der Leiter
gefallen war und dabei eine elektrische Lichtleitung berührt hatte. Am 3. Tage
naoh der Verletzung traten Krampfanfälle auf mit brettharter Contraction der
gesammten Körpermusculatnr und absoluter Bewusstlosigkeit. Die Pupillen waren
erweitert und reagirten träge. Im weiteren Verlauf wurden die Anfälle seltener,
während sioh Sensibilitätsstörungen ausbildeten. Paul Schuster (Berlin).
38) Ueber die nervösen Folgezustände bei Eisenbahnunfällen, von Alfred
Saenger. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurolog. 1901. X.)
Verf. hat schon 1896 hervorgehoben, dass die Unfallgesetzgebung viel Schuld
an dem Zustandekommen der Neurosen trifft (mehr noch an der ungünstigen
Gestaltung ihrer Prognose. Ref.), und dass es vor Allem wichtig sei, 1. die
nervösen Störungen bei Arbeitern zu studiren, die nie einen Unfall erlitten haben,
und 2. die Unfälle von Arbeitern zu vergleichen mit denen der besitzenden Klasse.
Verf. hatte Gelegenheit, nach einem im Jahre 1897 zu Eschede, sowie einem im
Jahre 1899 auf dem Klosterthorbahnhof zu Hamburg stattgehabten Eisenbahn¬
anfall die betreffenden Verletzten längere Zeit zu beobachten, und reiht hieran
kurze Bemerkungen über Fälle nach anderen Elisenbahnunfällen, sowie einen Fall,
in welchem sich bei einem Weichensteller ohne Unfall nur durch Angst eine
schwere Neurasthenie entwickelte, und einen anderen, bei dem nur der schwere
Dienst als Bremser die Neurose verursachte.
In keinem der vom Verf beobachteten 36 Fälle zeigte Bich das typische
Bild der Oppen heim'sehen „traumatischen Neurose“, letzterer Name ist demnach
zu verwerfen.
Ferner ergiebt sich, dass die nervösen Folgezustände von schweren Eisenbahn-
Unfällen prognostisch nicht so infaust Bind, wie das früher angenommen wurde;
so ist keiner der 13 bei Eschede Verunglückten arbeitsunfähig geworden. Bei
den Bahnangestellten gestaltete sich die Hysterie viel schwerer als bei den Privat¬
personen. Schuld hieran trifft der angestrengte Dienst, der verminderte Schlaf,
die Verantwortlichkeit, Furcht vor Disciplinarstrafen, hereditäre Belastung, Alkohol-
und Nicotinabusus, schlechte Ernährung, frühere Syphilis, Furcht vor Entlassung
mit ungenügender Rente oder vor Pensionirung, — alles Momente, welche das
Auftreten einer Nervenkrankheit bei den Bahnangestellten begünstigen und die
Prognose trüben. Kurt Mendel.
39) Ueber einen Fall von traumatisoher Hysterie ( von Dr. L. Wiek.
(Wiener med. Wocbenschr. 1901. Nr. 5 u. 6.)
Der Fall betrifft einen 28jähr. Mann mit hereditärer Belastung. Erlitt
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4 Mal innerhalb von 4 Jahren Hufschläge, das 1. Mal aufs Schienbein, das 2. Mil
mit Rippenbruch, das 3. Mal mit Bewusstseinsstörung. Fast 1 Jahr nach dm
letzten Unfälle folgender Status: Rechter Fuss beim Gehen etwas steifer; Visu
rechts 8 / # , links 8 / 10 , nicht verbesserlich; Gesichtsfeld normal. Ophthalmoskopie
unmöglich, weil dabei tonischer Krampf der rechten Körperhälfte auftritt Hör¬
schärfe rechts etwas herabgesetzt mit rascher Ermüdung. Geruch und Geechm&d
rechts stark herabgesetzt, ebenso die Sensibilität für alle Empfindungsqualitäten
Motorische Kraft rechts vermindert. Mechanische Uebererregbarkeit der Muskel
Neigung zu Krämpfen, welche durch Beklopfen der Muskeln, durch Prüfung de«
Trousseau’schen Phänomens, durch Heben schwerer Lasten ausgelöst werden
Facialisphänomen positiv.
Verf. erörtert die Bedeutung solcher Fälle vom militärischen Standpunkte
aus und meint, man solle in allen Fällen vorausgegangener Traumen Sensibilitä&
prüfungen vornehmen. J. Sorgo (Wien).
40) Ueber das Vorkommen der alimentären Qlykosarie bei Nerven¬
erkrankungen nach Unfällen, von Neu mann. (Monatsschr. f. Unfsl-
heilk. 1900. Nr. 8.)
Nach der von Naunyn, Strauss u. A. ausgebildeten Methodik untersocktt
Verf. 28 Fälle von Neurasthenie, 8 Fälle von Hysterie, sowie noch 10 Fälle to
verschiedenen anderen traumatischen Nervenleiden auf alimentäre GlykoGurli
Der Versuch fiel in 12 Fällen positiv aus, und zwar 4 Mal bei der Hysteri-;
8 Mal bei der Neurasthenie. Das sind 34,6 °/ 0 . In 4 weiteren Fällen bestiad
die sogen, transitorische Disposition. Alkoholisten wurden aus der Versuchirai';
ausgeschaltet oder erst am Schluss ihres Krankenaufenthaltes untersucht. D&bd
zeigte sich das merkwürdige Verhalten, dass einmal bei einem Alkoholisten mb
anfänglichem negativen Verhalten am Ende des Krankenhausaufenthaltes Zucks
im Urin auftrat. Der von Noorden und Hirscbfeld angenommenen Bedeutau
der Ueberernährung für den positiven Ausfall der Probe spricht Verf. die Be¬
rechtigung ab, schon aus dem Grunde, weil bei den Traumatikern Ueberernihrm;
im Krankenhaus nicht vorkäme. Ein Verhältniss zwischen der Schwere der Er¬
krankung und dem Ausfall der Probe wurde nicht gefunden. Nicht traumatisch
Fälle untersuchte Verf. nicht systematisch. Paul Schuster (Berlin).
41) Die Vortäuschungsmögliohkeit einseitiger Ptoais, von Piaczek. (Aent¬
liehe Sachverständigen-Zeitung. 1900. Nr. 21.)
Es gilt allgemein als unmöglich, den M. levator palp. super, willkürlich eis-
seitig zur Erschlaffung zu bringen. Beim Versuch, eine solohe einseitige Erschlaffm
willkürlich vorzunehmen, tritt bei den meisten Menschen eine Innervation ca
Schliessmuskels, des Orbic. oculi, und zwar auf beiden Seiten, ein. Diese is
aber leicht zu erkennen, und aus diesem Grunde ist im Allgemeinen der VersoA
eine Ptosis zu simuliren, leicht festzustellen. Die allgemeine diesbezügliche An¬
sicht wird auch von Sänger und Wilbrandt getheilt. Verf. theilt nun eine:
Fall, welcher einen 30jährigen Collegen betrifft, mit, dem es dennoch möglic:
war, den Lidheber einseitig zur Erschlaffung zu bringen, ohne dass dabei an äfz.
anderen Auge oder dessen Lidern das Geringste wahrzunehmen war. Bei diewc
Collegen versagte demgemäss auch das von Wilbrandt und Sänger angegeben
Entlarvungsverfahren, welches darin besteht, dass man den auf Simulation Ver¬
dächtigen — nach vorherigem Schluss beider Augen — die Blickebene heben list
Es konnte in dem Falle des Verf.’s das willkürlich schlaff geschlossene Ae£
unverändert in seiner Lage bleiben, während das vorher geschlossene andere Auf*
unter Hebung der Blickebene gehoben wurde. Paul Schuster (Berlin).
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42) Ueber Simulation von Nervensymptomen, vonDoc. Dr. S.Erben. (Wiener
med. Presse. 1901. Nr. 25.)
Uebersicht über diejenigen Nervensymptome, welche am häufigsten simulirfc
werden (Lähmung, Zittern, Schmerzen, EmpfindungsBtörungen, Romberg’sches
Symptom, Reflexsteigerung, Schwindel) und Anhaltspunkte für die Aufdeckung der
Simulation. J. Sorgo (Wien).
43) Zur Unfallversicherung in der Praxis, von Georg Haag. (Monatsschr.
f. Unfallheilk. 1900. Nr. 6.)
Verf. bringt zuerst den Fall eines Maurers mit vorübergehender hysterischer
Psychose, welche in unmittelbarem Anschluss an eine Muskelzerrung entstanden
war, nachdem der Kranke sich der ihn nach seinem Glauben schädigenden medico-
mechanischen Behandlung durch die Flucht entzogen hatte. Bewusste Simulation
wurde von allen Gutachtern geleugnet und dem Verletzten schliesslich 25% der
Rente durch das Schiedsgericht zugesprochen.
Ein weiterer Fall exemplificirt sodann nochmals den wiederholt ausgesprochenen
Grundsatz, dass für die Abschätzung der Arbeitsbeschränkung in der Regel das
ärztliche Gutachten maassgebend sein müsse. Paul Schuster (Berlin).
III. Aus den Gesellschaften.
Socidtd de neurologie de Paris.
Sitzung vom 7. März 1901.
(Schluss.)
Herr Paul Londe: Ein Fall von doppelseitiger Athetose mit Chorea.
(Krankenvorstellung.)
Die 50jähr. Patientin stammt aus der Klinik des Herrn Profi Brissaud.
Seit ihrer Kindheit ist sie mit unwillkürlichen allgemeinen Bewegungen behaftet.
Die choreatischen Bewegungen erstrecken sich so ziemlich auf den ganzen Körper,
dagegen ist die Athetose mehr in der linken Hand ausgesprochen. Im Ruhezustand
hat das Gesicht einen Ausdruck von schlechter Laune; die Lippen stehen vor,
die Mundwinkel sind heruntergezogen und die Augenbrauen einander genähert.
Bei jedweden Bewegungen nehmen die choreatischen und athetotischen Zuckungen
im ganzen Körper zu. Selbst im Gesicht bemerkt man hierbei eine Reihe
von Bewegungen, die durchaus nicht den Gedanken der Patientin entsprechen.
Das Sprechen fallt schwer. Das Articuliren ist eigentlich nicht mangelhaft,
nur scheint die Kranke beim Sprechen grosse Anstrengungen zu machen,
wodurch die Aussprache unregelmässig erscheint; die Intonation ist jedoch eine
correcte. An den oberen Extremitäten sind die unwillkürlichen Bewegungen in
den Händen und Fingern ausgesprochener; besonders fallen Beugungen und
Streckungen der linken Hand auf. Der linke Fuss ist mit Rotationsbewegungen
nach innen behaftet. Beim Gehen beugt die Patientin etwas die Kniee, welche
einander genähert sind; die Füsse frottiren gegen einander. Die Patientin
tänzelt beim Gehen und macht kleine Schritte. Die Muskelkraft ist etwas
7-ermindert, besonders links. Die linke Hand ist kleiner als die rechte. Thenar
ind Hypothenar sind etwas abgeflacht; die elektrische Erregbarkeit ist daselbst
lerabgesetzt. Die Reflexe sind auf beiden Seiten erhöht. Kein Fussklonus.
Bei passiven Bewegungen spürt man einen bestimmten Grad von Steifigkeit,
»esonders links. Zu bemerken ist, dass trotz der Contractionen bei intendirten
Bewegungen die Patientin nicht nur ohne fremde Hülfe essen und trinken, Bondern
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auch nähen kann. Kein Intentionszittern. Geringe Ungleichheit der Pupffla.
Der psychische Zustand ist vollkommen normal. Gedächtniss, Urtheil und Auf¬
merksamkeit bieten nichts Abnormes. Sensibilität und Sinnesorgane normal Sil
Ausnahme der Atrophie an der linken Hand keine trophischen Störungen. &
besteht ein leichter Grad von lumbodorsaler Skoliose, deren Convexität nach links
gerichtet ist. Difformität am Sternum: stark vorspringender Winkel zwischen
dem 1. und 2. Gliede.
Die Patientin soll Mb zum 6. Monat ihres Lebens gesund gewesen sein
nach der Pockenimpfung bekam sie Fieber, welches etwa 3 Monate gedauert
haben soll. In Folge desselben wurden Arme und Beine unbeweglich. Dieser
Zustand dauerte bis zum Alter von 3 Jahren. Sie soll nie an Krämpfen ge¬
litten haben. Mit 4 Jahren fing sie an zu gehen, und seit dieser Zeit bestanden
die unwillkürlichen Bewegungen an den Händen, den Schultern und am Gesiebt.
Im Alter von 5 Jahren Lungenentzündung, die 6 Wochen dauerte. Nach dieser
Krankheit war sie während 14 Tagen unfähig zu gehen. Bis zum Alter ros
15 Jahren blieb die Patientin schwächlich und klein, zwischen dem 15. nal
16. Jahre ist sie rasch gewachsen. Menstruation in ganz normaler Weise in
Alter von 16 Jahren. Patientin hat 4 Schwangerschaften durchgemacht, nieauii
abortirt, die erste im Alter von 25 Jahren. Während derselben waren die ra-
willkürlichen Bewegungen viel weniger ausgesprochen. Das 1. Kind (da
Mädchen) starb im Alter von 2 Monaten. Es war blind zur Welt gekommen uad
konnte weder Arme noch Beine bewegen. Die während der Schwangerschaft ein¬
getretene Besserung dauerte bis zum Alter von 28 Jahren. In diesem Alter mite
Schwangerschaft, während welcher Verschlimmerung der unwillkürlichen Bewegung
eintrat. Es kam ein Junge zur Welt, der jetzt 23 Jahre alt und augenblicklich
Soldat ist. Dritte Schwangerschaft im Alter von 30 Jahren. Patientin gebar eu
Mädchen, das auch nie mit den Armen und Beinen Bewegungen gemacht haben soll
Dieses Kind starb im Alter von 6 Monaten an einer Gastritis. Zwischen den
30. und 32. Jahre war der Zustand der Kranken bedeutend gebessert. Dm
4. Schwangerschaft, während welcher der Zustand sich wieder verschlimmerte. Der
Junge, welcher geboren wurde, starb im Alter von 10 Jahren an einer Bronchitt
nach Keuchhusten. Die Patientin war nie von ihren unwillkürlichen Bewegung«
vollständig frei. Nur ist zu bemerken, dass während ihrer 1. und 3. Schwanger¬
schaft (Kinder weibliohen Geschlechts) der Zustand der Kranken, was die will¬
kürlichen Bewegungen anbetrifft, bedeutend besser war. Während der 2. und
4. Schwangerschaft (Junge) hat sich eine solche Besserung nicht gezeigt Here¬
ditär ist hervorzuheben, dass der Vater der Patientin Potator und die Mutte
nervös war; eine Base väterlicherseits soll von derselben Krankheit behaftet ge¬
wesen sein, wie unsere Patientin. Ihre Geschwister (es waren deren 11) hab«
fast alle an Krämpfen gelitten und sind meistens jung gestorben, es lebt nur
noch eine Schwester.
Es handelt sich somit bei dieser Patientin um eine doppelseitige Atbeto«
und Chorea, die auf der linken Seite überwiegend ist. Dieser Fall gehört
in die 4. Gruppe der cerebralen Diplegieen von Freud. Das charakteriztücb«
Gehen, die Spasmen, das frühe Auftreten des Leidens, das sind alles Zeichen rra
doppelseitiger Athetose. Andererseits sind die choreaartigen Bewegungen bei ds
Patientin unverkennbar duroh ihre Plötzlichkeit und grosse Amplitude.
Discussion:
Herr Pierre Marie: Die demonstrirte Patientin leidet entschieden an doft*--
seitiger Athetose. Haltung und Mimik sind ganz charakteristisch. Trotz des
Anscheine, und wie es bei dieser Krankheit die Hegel ist, ist die Intelligenz i*
dieser Kranken intact. Diese Thatsache ist diagnostisch von grosser Bedeute*
917
Herr Dejerine oitirt in Uebereinstimmong mit den Aeusserungen von Pierre
Marie den Fall eines begabten und bekannten Schriftstellers, der an doppelseitiger
AthetoBe leidet.
Herr Raymond: Die Intactheit der Intelligenz ist ein wiohtiges Element
bei der Differentialdiagnose zwischen dieser Krankheit und der chronischen Chorea.
Herr Oberthür: Caroinommetastasen im peripheren Nervensystem.
(Demonstration anatomischer Präparate.)
3 Fälle mit Autopsie, davon zwei auch histologisch untersucht. 1m 1. Falle
handelte es sich um eine Wurzelparalyse am Plexus brachialis mit Miosis und
Verengerung der Lidspalte auf der rechten Seite, als Metastase eines Uterus-
carcinoms. Die Nervenstämme sind comprimirt und theilweise entartet. Das
Rückenmark selbst ist kaum in Mitleidenschaft gezogen. Die 2. Kranke hatte
alle Anzeichen einer vorgeschrittenen Lungentuberculose, begleitet von einer sehr
schmerzhaften Polyneuritis mit totaler Paraplegie. Bei der Obduction fand man
ein primitives Carcinom in der linken Lunge und allgemeine Carcinose in allen
Organen, hauptsächlich in den Muskeln der Glieder, in Form von sehr kleinen
Knötchen. Muskelatrophie und Atrophie der Nervenorgane in den Muskeln und
in der Haut. Der 3. Fall war ein Magenkrebs mit Verbreitung auf die Lungen
nnd einer Carcinomembolie im Felsenbein, welche eine periphere Facialislähmung
durch CompresBion zur Folge hatte. Vortr. betont die Thatsache, dass bei Carcinom-
kachexie neben toxischer Neuritis auch neuromusculäre Carcinommetastasen peri¬
phere Neuritis hervorbringen können.
Herr Touche (Brevannes): Kleinhirnblutung; Rüokenmarksentartung.
(Demonstration anatomischer Präparate.)
Zufälliger Befund bei der Autopsie einer alten Frau, die an Rheumatismus
gelitten hat. 1 Monat vor dem Tode hatte sie an Erbrechen gelitten. Man fand
im Kleinhirn einen hämorrhagischen Herd, der etwa 1 Monat alt sein konnte.
Dieser Herd hatte die Grösse eines kleinen Hühnereies und sass im Centrum der
linken Hemisphäre. Der äussere Theil des Corpus dentatum war zerstört. Sonst
im Gehirn makroskopisch nichts Abnormes. Nach Marchi’scher Methode wurde
Folgendes gefunden:
1. Schnitt auf der Höhe des oberen Drittels des Pons, a) Sehr
ausgesprochene Entartung des P. cerebelli sup. links mit Uebergreifen auf den
rechten Pedunculus. b) Starke Entartung des mittleren P. cerebelli links sammt
allen transversalen Fasern des Pons weit über die Medianlinie hinaus, c) Ent¬
artung des linken Fasciculus longitudinalis posterior, d) Einige Granulationen
im linken Pyramidalstrang; eine weit grössere Menge dieser Granulationen im
rechten Pyramidalstrang.
2. Schnitt im mittleren Drittel des Pons. Granulationszellen und
Entartung in der transversalen Wurzel des Trigeminus und im Stamme dieses
Nerven. In den Pyramidensträngen und im Ped. cerebelli dieselben Veränderungen
wie oben. Granulationszellen in der weissen Substanz des Flocculus.
3. Schnitt durch das verlängerte Mark auf der Höhe des mitt¬
leren Theiles der Oliven, a) Viele Granulationszellen in der rechten Pyra¬
mide, viel weniger in der linken, b) Die Oliven, sowie die in dieselben ein¬
dringenden Fasern scheinen intact zu sein, c) Die äusseren bogenförmigen Fasern
sind intact d) Granulationszellen längs der Mittellinie des verlängerten Markes
nach hinten von den Oliven, e) Die Corp. restiformia sind sehr wenig berührt.
Die aufsteigenden Wurzeln des Trigeminus enthalten einige Granulationszellen.
4. Sohnitt auf der Höhe der motorischen Kreuzung. Kreuzung des
degenerirten Stranges. Die Vorderstränge enthalten Granulationszellen. Auf
beiden Seiten ist die directe Kleinhirnseitenstrangbahn intact Die aufs teigenden
ülizedby G00gle
918
Wurzeln dös Trigeminus sind degenerirt, besonders rechts. Die Substantia ge!*,
tinosa ist intact. Der F. cuneiformis und der F. gracilis sind von Granulation«
erfüllt, besonders rechts.
5. Schnitt durch das Cervicalmark. a) Hinteretränge. Im vorder®
Drittel derselben sehr viel Granulationszellen, weniger im mittleren und gani un¬
bedeutend im äusseren Drittel, b) Seitenstränge. Im linken Pyramidenstnnge
massenhafte Granulationen, weniger im rechten, c) Vorderstränge. Granulation«
am Bande der medianen Furche auf beiden Seiten, besondere rechts.
6. Schnitt durch das Dorsalmark. In den Hintereträngen hie und d*
kaum noch einige Granulationen. In den Seitensträngen dieselben Veränderung«
wie vorher. Die Ränder der vorderen medianen Furche sind von Granulation®
ausgefüllt, besonders rechts.
7. Schnitt durch das Lumbalmark. Man sieht nur noch die Entartung
der gekreuzten Pyramidenbahnen. Die Vorder- und Hinterstränge sind vollkomma
intact.
Vortr. zieht aus diesem Befunde folgende Schlüsse:
1. Eine centrale Blutung im Kleinhirn hat eine Entartung des oberen nnc
mittleren Ped. cerebelli, des F. longitudinalis posterior und des Trigeminus, auf
der Seite, wo Bich die Blutung befindet, zur Folge.
2. Der Pyramidenstrang der entgegengesetzten Seite ist bedeutend degenerirt
der gleichnamigen weniger. In Folge der Kreuzung liegt der degenerirt« Pp
midenstrang im Rückenmark auf derselben Seite wie die Blutung im Kleinhirn
Aus diesem Befunde geht hervor, dass, wenn das Kleinhirn absteigende Fasen
nach dem Rückenmark aussendet, diese Fasern in den Pyramidensträngen verlauf«,
da diese Stränge nur im Lumbalmark degenerirt waren.
Herr An gl ade (Alengon): Ueber eine neue Färbungsmethode da
Neuroglia.
Nachtrag zu einer Mittheilung, welche in der vorigen Sitzung gemacht wurde.
Ehe das Präparat in Canadabalsam eingeschlossen wird, muss es nochmti
in absolutem Alkohol ausgewaschen werden. Eine verdünnte Lösung von Ery¬
throsin wird dann zum Alkohol zugesetzt und das Präparat nur kurze Zeit darin
gelassen. Der Alkohol hat das Victoriablau imberührt gelassen. Alles, was keine
Neuroglia ist, besondere das Bindegewebe, die Nervenzellen und die Axencylinder.
sind durch das Erythrosin roth gefärbt. Durch die Controlle der Doppelfarbmr
gewinnt die Methode des Vortr. an Klarheit und Präcision.
Herr Nogues und Herr Sirol (Toulouse): Ein Fall von assooiirter LÜ-
mnng der Mm. reoti sup. hysterischer Natur. (Die Mittheilung wird in ex¬
tenso in der Revue neurologique erscheinen.)
Herr Felix Allard und Herr Ren6 Monod: Paralytischer EHumpft»
einen Friedreich 'sehen Fuss vortäusohend. (Krankenvoretellung.)
Der vorgeführte Kranke ist mit einer Deformation beider Füsse behaftet, &
an die Form des Fusses bei der Fried re ich’schen Krankheit erinnert: starte
Wölbung der Sohle, Verkürzung in der Richtung von vom nach hinten, Defor¬
mation der Zehen u. s. w. Der Kranke ist ein 28jähr. Mann, der bis zu sein«
18. Jahr immer gesund war und hereditär nicht belastet ist. Er ist kein Trinke
und hat nie eine Geschlechtskrankheit gehabt. Ueberhaupt leugnet er jeden ge¬
schlechtlichen Verkehr, was auch mit seinem infantilen, schwächlichen Auseka
übereinstimmt. Die Krankheit begann vor 10 Jahren ganz schleichend nff
Schmerzen im rechten Bein. Die Schmerzen lassen nach, aber der Fuss fangt u
sich zu deformiren. Kurz darauf wird auch der linke Fuss in Mitleidensebfi
gezogen; seitdem nahm die Verbildung langsam fortschreitend zu. Seit einem
by Google
919
soll der Zustand stationär geblieben sein. Die Untersuchung ergiebt: Die Ober¬
schenkel von normalem Volumen, die Unterschenkel dagegen stark abgemagert.
An den Füssen ist die plantare Wölbung stark ausgesprochen, die Zehen sind
klauenhaft (en griffe), die grosse Zehe in Extension, die anderen in Flexion.
Ausgesprochene Varoequinus-Stellung. Die Sehnen des Tibialis anticus und des
Gastrocnemius sind gespannt und als Vorsprung unter der Haut sichtbar. Die
Deformation ist rechts ausgesprochener als links. An den oberen Extremitäten
und im Gesicht nichts Abnormes. Leichte Skoliose im lumbalen Theile des
Rückgrates. Keine Sensibilitäts-, Augen- und Sphinkterenstörungen. Intelligenz
normal, Patellarreflexe erhöht. Der B ah inski- Reflex ist nicht auszulösen.
Barfuss kann der Kranke gar nicht gehen, dagegen ganz leicht, wenn er seine
gewöhnlichen Stiefeln anhat, nur wackelt er dabei von rechts nach links. Pat.
taumelt nie und hat nie Schwindel. In den übrigen Organen ist nichts Be¬
sonderes hervorzuheben. Die elektrische Untersuchung der Muskeln ergab Fol¬
gendes: Die elektrische Contractilität ist in den Gastrocnemii und Tibiales
antici gesteigert, aufgehoben ist sie in den Mm. peronei, den Flexoren und in
den Mm. interossei. Der N. tibialis und N. popliteus internus reagiren weder auf
faradischen noch auf galvanischen Strom. Die Reaction des N. popliteus externus
ist normal. Die Lähmung der Zehenreflexe, der gesteigerte Tonus der Gastro¬
cnemii und des Tibialis anticus giebt uns Aufschluss über die Deformation der
Füsse. Vortr. glaubt, dass es sich in diesem Falle um eine Poliomyelitis anterior
von unbekannter Ursache gehandelt hat, die die jetzt vorhandenen Lähmungen
zur Folge hatte. Er glaubt, dass gleichzeitig auch eine Reizung der Seitenstränge
stattfand, und diese Reizung soll den spastischen Zustand der Muskeln und die
gesteigerten Sehnenreflexe erklären.
Discussion:
Herr Pierre Marie bat vor 10 Jahren gemeinschaftlich mit Charcot eine
junge Russin behandelt, welche ähnliche Deformationen darbot, ebenfalls mit Ab¬
magerung der Unterschenkel. Man nahm bei diesem Mädchen nicht eine Erkran¬
kung des Nervensystems an, sondern eine Gelenk- oder Sehnenaflection, die die
Chirurgen unter dem Namen „orteils en marteau“ beschreiben. Das Mädchen
wurde operirt (Resection der Metatarsalköpfe); der Fuss bekam daduroh eine
bessere Form, und die Patientin konnte wieder gehen.
Herr Bab inski meint, dass die elektrische Entartungsreaction entschieden
gegen reflectorischen Ursprung der Amyotrophie spricht.
Herr Felix Allard: Die Thatsache, dass einige Muskeln bei unserem Pat.
auf die stärksten galvanischen und faradischen Ströme nicht reagiren, spricht
dafür, dass es sich um eine Rückenmarkskrankheit handeln muss. A. glaubt
nicht, dass eine Gelenkafiection den Schwund einer Gruppe von Muskeln und
gleichzeitig eine Steigerung des Tonus einer anderen Muskelgruppe zur Folge
haben kann.
Herr E. Brissaud und Herr R. Monod: Progressive Paralyse von un¬
gewöhnlichem Verlauf. (Kranken Vorstellung.)
38jähr. Kellner liess sich im December v. J. in das Hötel-Dieu wegen Magen¬
schmerzen und Schwindel aufnehmen. Bei den Antworten des Pat fiel auf, dass
ihm das Sprechen schwer fällt: langsame, skandirende, stolpernde Sprache. Der
Vater des Kranken ist an Tuberculose, die Mutter an einer unbekannten Krank¬
heit gestorben. Abdominaltyphus im Alter von 12 Jahren. Tripper im 18. Jahre.
Pat. leugnet, jemals einen Schanker gehabt zu haben, giebt aber zeitweilige Ex-
cesse in Baccho zu. Er war 4 Jahre Soldat und ist bis zu seiner Verheirathung, die
vor 6 Jahren stattgefunden hat, stets gesund gewesen. Pat. hat keine Kinder;
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920
seine Frau hat nie abortirt. Kurz nach seiner Verheirathung fing er an m
kränkeln, und seit 5 Jahren hat er jede Arbeit aufgegeben. Der Anfan g der
Krankheit bestand in Kopfschmerz, Schlaflosigkeit und Schwindel. Kurz darauf
trat, während des Aufenthalts im Hospital St. Antoine, ein apoplektiformer Anfall
ein, der nur 6 Minuten anhielt. Nach diesem Anfall war er während einiger Zeit
auf der rechten Seite hemiparetisch und aphasisch. Seit dieser Zeit behielt Pst.
auch die jetzt noch bestehende Sprachstörung. Nach den Aussagen seiner Fra*
soll übrigens schon vor dem Anfall die Sprache etwas schwerfällig gewesen sein.
In psychischer Beziehung ist zu bemerken, dass das Gedächtniss abgenonuna
hat, obwohl Pat. seine Krankengeschichte ganz correct erzählen kann. Km
Delirium, dagegen Charakterveränderung. Pat. war früher von sanftem Charakter
und ist jetzt leicht aufgeregt, selbst manchmal heftig und geräth wegen Kleinig¬
keiten in Zorn. Eine Zeit lang bestand Pupillendifferenz, die aber wieder ver¬
schwunden ist. Bei der Untersuchung findet sich an den Augen, sowie im Auges-
hintergrund nichts Abnormes. Die Reflexe sind gesteigert. Kein Gliederzitten.
Keine Incoordination. Die Schrift ist zitternd und verursacht Mühe. Die Zunge
zittert nicht. Sprache und Articuliren sind schwerfällig. Bei der Ausspr&ck
schwieriger Worte stolpert die Zunge.
Die Spärlichkeit der Symptome erschwert es ; eine genaue Diagnose zu fonnn-
liren. Multiple Sklerose ist auszuschliessen, da keine Spur von Intentionsritten
und Nystagmus vorhanden ist. Man hätte auch in Folge des apoplektifora«
Anfalls an eine isolirte Läsion des Hypoglossuskerns denken können, dazu fehlt«
aber jedwede Veränderung an der Zunge. Was die Diagnose von progressiver
Paralyse bestärkt, ist die Untersuchung der cerebrospinalen Flüssigkeit. Dieselbe
ist ganz klar und enthält eine grosse Zahl von Lymphocyten. Bekanntlich iß
Lymphocytose in der cerebrospinalen Flüssigkeit jedes Mal vorhanden, wem
chronische oder subacute Meningitis nachzuweisen ist.
Discussion:
Herr Joffroy: Trotz der allgemeinen Ansicht der Psychiater bin ich der
Meinung, dass die Diagnose der progressiven Paralyse oft sehr schwer iät
Namentlich können in manchen Fällen von chronischer, nicht adhäsiver Menin¬
gitis, wie bei Alkohol- und Bleivergiftungen, manchmal auch bei Syphilis, dk
klinischen Symptome in einer solchen Weise die progressive Paralyse Vortäuschen,
dass die Autopsie allein erst die richtige Diagnose entscheiden kann. Ich werde
mir deshalb nicht erlauben, bei dem vorgestellten Pat. eine sichere Diagnose zn
stellen. Ich will nur meine Gründe angeben, warum ich die Diagnose von pro¬
gressiver Paralyse als zweifelhaft ansehe. Es ist wahr, dass die PupiUenreactk»
am Anfang der progressiven Paralyse normal sein kann; es ist aber schwierig
das nach einer 6jähr. Dauer der Krankheit vorauszusetzen. Ich habe eben die
Pupillen des Pat. geprüft und finde Grösse, Form und Reaction derselben voll¬
kommen normal. Andererseits gebe ich zu, dass die Sprachstörung beim P«.
eher für progressive Paralyse, als für alkoholische Demenz spricht.
Herr Brissaud antwortet, dass er mehrmals bei diesem Pat. Pupillen-
Ungleichheit constatirt habe. Es ist aber bekannt, dass bei progressiver Paralyse
die Pupillendifferenz intermittirend sein kann. Das Hauptinteresse dieser Kranken-
Vorstellung lag übrigens in der Sprachstörung, die, wie Herr Joffroy auch n-
giebt, für progressive Paralyse spricht.
Herr Babinski benutzt die Gelegenheit, um bekannt zu geben, dass er
gemeinschaftlich mit Herrn Nageotte seit einiger Zeit Studien über die cerebro¬
spinale Flüssigkeit anstellt, und dass er bis jetzt die interessanten Resultate der
Herren Monod, Widal und Sicard über denselben Gegenstand bestätigen kann.
Bei Patienten, die gar keine objectiven Symptome einer organischen Erkrankung
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921
des Centralnervensystems darboten, waren die Lymphocyten auch sehr spärlich.
Dagegen fand man bei Tabes, sowie bei progressiver Paralyse immer die Zahl
der Lymphocyten bedeutend vermehrt. Bei einem Patienten, der nur eine Pupillen¬
starre als einziges objectivee Symptom darbot, ergab die Untersuchung der cerebro¬
spinalen Flüssigkeit ein positives Resultat.
Herr Felix Allard: Die Wirkung des elektrischen Stromes auf die
Muskeln und auf die Haut naoh intraarachnoidealer Injeotion von Cocain
behufö Anästhesie zu chirurgischen Zwecken.
Vortr. hat an Kranken der chirurgischen Klinik des Herrn Tuffier, welchen
man nach der Methode von Bier in den Wirbelcanal zwischen dem 4. und
5. Lendenwirbel 1—2 ctg Cocainlösung eingespritzt hatte, die elektromusouläre
und elektrocutane Empfindlichkeit untersucht. Die Kranken wurden zunächst vor
der Einspritzung und dann x / 4 —1 Stunde nach derselben untersucht. Von
10 Patienten fand er bei 9 in Folge der Einspritzung eine mehr oder weniger
stark ausgesprochene Steigerung der faradischen und galvanischen Erregbarkeit
der Nerven und Muskeln. In 2 Fällen war die Erregbarkeit eine so starke, dass
bei schwachen Stromstärken tetanische Contraction auftrat. Diese Erscheinung
ist dadurch zu erklären, dass kleine Dosen von Cocain auf die Zellen der Vorder¬
säulen irritirend wirken. Was die elektrocutane Empfindlichkeit anbetrifft, so hat
Vortr. constatirt, dass während der absoluten Analgesie die Kranken den fara¬
dischen sowie galvanischen Strom in schmerzhafter Weise empfanden. Der fara-
dische PinBel verursachte fast eben so starke Schmerzen wie die Cocainisation.
Dasselbe ergab auch der galvanische Strom. Negativer Pol mit einer Platte von
2 cm Durchmesser bei einer Stromstärke von 20 M.-A. verursachte heftiges Brennen.
Diese Ergebnisse scheinen im Widerspruch mit den Resultaten von Corning zu
stehen. Vortr. erklärt diesen Widerspruch dadurch, dass Corning bei seinen
Versuchen sich viel stärkerer Dosen (4 ctg) bediente.
R. Hirschberg (Paris).
Gesellschaft der Neuropathologen und Irrenärote zu Moskau.
Sitzung vom 25. Februar 1900.
Herr W. C. Roth: Demonstration von Kranken mit Ophthalmoplegie.
Vortr. demonstrirte 5 Kranke, welche an Paralyse der Augenmuskeln mit
verschiedener Localisation litten. I. Polioencephalomyelitis subacuta post polio-
myelitidem acutam adultorum bei einem Maschinisten von 26 Jahren. Beim
Kranken entwickeln sich allmählich im Laufe von 1 1 / a Jahren poliorayelitische
Erscheinungen im oberen Abschnitte des Rückenmarks und eine Erkrankung der
Kerne der motorischen Wurzeln mit einer der progressiven bulbären Paralyse
nicht eigentümlichen Localisation. Die Facialis- und besonders die Hypoglossus-
kerne sind fast intact, ebenso wie der N. accessorius. Dagegen sind die Kerne
der motorischen Augennerven in bedeutendem Grade ergriffen, mit Ausnahme der
inneren Augenmuskeln und des Levator palpebrae. Die Ophthalmoplegie trägt
unzweifelhaft den Charakter einer Kernläsion, wobei die Kerne in gleichem Grade
ergriffen und alle Muskeln äusserst schwach erscheinen. Rasche Bewegungen des
Augapfels sind ganz unmöglich. Die Excursionsweite der Bewegungen ist be¬
sonders nach links eingeschränkt. Die Bewegungen gelingen besser, wenn der
Kranke einen an seinen Augen sich vorbeibewegenden Gegenstand fixirt, und sie
werden noch besser, bei gleichzeitiger Bewegung des Kopfes auf die entgegen¬
gesetzte Seite, dann wird ihre Excursionsweite beinahe eine normale. Die Seit¬
wärtsbewegungen sind viel besser als die Convergenzbewegungen. Auf diese Weise
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922
rufen Willensimpulse hier gar keine Mnekelcontractionen hervor, und pricise ai
rasche Reflexe vom Opticus (Blick nach der einen oder der anderen Richte)
sind unmöglich. Bei langsamer Bewegung des fixirten Gegenstandes folgen
die Augen, aber in beschränktem Maasse. Die volle Excursionsweite endlich wird
erreicht bei entgegengesetzter Bewegung des Kopfes, wahrscheinlich in Folg
Erleichterung der mechanischen Arbeit für die Augenmuskeln.
H Syphilitische acute Ophthalmoplegie mit dem klinischen Charakter par-
enchymatöser Systemerkrankung. Phänomen: Galassi-Westphal. Bei ma
50 Jahre alten Kranken besteht Paralyse beider Mm. recti superior. und P«w
der Mm. recti inferior.; einige Bewegungen nach oben und unten werden nur <ford
die Mm. obliqui ausgeführt. Pupillen stark erweitert, die rechte ist etwa* «cg
R eaction auf Licht fehlt, auf Convergenz kaum wahrnehmbar. Bei Augenschhä
oder bei Anspannung des Orbicularis palpebrae überhaupt erfolgt eine deute
Contraction; beim Oeffnen der Augen erweitern sich die Pupillen rasch, gleich»
unter dem Einfluss des Lichtes, wobei dieses paradoxe Phänomen Behr deutln
ausgesprochen ist. Infection mit Lues im 18. Jahre, nach 9 Jahren epileptische
Anfall. 1883 wird Erweiterung der linken Pupille constatirt. Im August 18ä
Schwindel, allgemeine Schwäche, Diplopie, und am 1. Tage leichte rechtseito
Hemiparese mit undeutlicher Sprache. Zu derselben Zeit entwickelten sich »cd
die Störungen im Gebiete der Augenmuskeln; ausserdem bestand noch einig:
Minuten Paralyse des linken N. abducens. Die Pupillenerscheinungen hiha
offenbar nicht ihren Ursprung im Kern. Der Kern des Sphinkters ist intact, a
haben nur einige zu ihm ziehende reflectorische Fasern gelitten. Die Störung ii
den Bewegungen nach oben und unten kann man sowohl durch eine Eeruliui
erklären, als auch durch eine Läsion der Fasern in der Nähe der entsprecheoüs
Kerne. Von Interesse ist, dass die Läsion — offenbar der Gefasse — in m
Anfällen mit einem Zwischenraum von 15 Jahren eine vollkommen symmetrische,
elective Störung nur einiger weniger Elemente gesetzt hat, welche nur für primi*
degenerative Processe gewöhnlich ist.
III. Pseudobulbärparalyse. Diplegie des Gesichts und oortico-nucleäre Oph¬
thalmoplegie. Musikant von 63 Jahren ist willkürlich die Augen zu schliesw
nicht im Stande, aber das Blinzeln und der LidschluBS bei Annäherung ein«
Gegenstandes sind erhalten. Willkürliche Augenbewegungen auf Kommando -
nach rechts, links, oben und unten — sind für gewöhnlich nicht ausführbar; <k
Kranken gelingt es auch nicht, auf Befehl nach einem seitlich oder oben K
befindenden, ihm bekannten Gegenstände — Thür, Lampe — zu sehen. Zuveils
aber unabhängig von seinem Willen werden beide Augen ganz plötzlich seitlich
abgelenkt. Wenn aber der Kranke einen Gegenstand fixirt und ihn verfolgt, *
führen die Augen recht umfangreiche Excursionen nach allen Richtungen 12
Ganz normal wird die Excursionsweite nur dann, wenn bei Fixation eines Gcg*
Standes der Kopf nach der entgegengesetzten Seite bewegt wird. Obgleich ii
Thätigkeit der Mm. recti interni bei Seitwärtsbewegungen eine genügende ft
gelingt Convergenz nicht. Hier sind vorwiegend die Bewegungen des Befla
mechanismus erhalten; je willkürlicher die Bewegungen, um so mehr sind sie f
hemmt und ganz unmöglich, wenn ihre Richtung durch den Gedanken beetaa
wird oder durch die Vorstellung, wo sich der Gegenstand befindet, nach veki*
die Augen zu lenken sind.
IV. Pseudobulbärparalyse. Ophthalmoplegia dissociata ideo-motoria. &
einem Geistlichen von 54 Jahren setzte sich das Krankheitsbild zusammo »2
mehreren schlagähnlichen Anfällen mit Verletzung von Rindengebieten oder in &
Nähe der inneren Kapsel. Darauf entwickelte sich ein Erweichungsherd in #
anderen Hemisphäre, und so entstand in der gewöhnlichen Weise das Bild «•
pseudobulbären Paralyse. Die Augenbewegungen sind, wenn der Kranke mit da
Digilizedby G00gle
92S
Augen einem Gegenstände folgt, vollkommen erhalten, willkürliche Bewegungen
auf Befehl dagegen — nach rechts, linkB, oben, unten — sind nicht möglich.
Wenn der Kranke jedoch sich einen Gegenstand vorstellt, auf welchen er hin-
sehen will, z. B. auf die an der Loge hängende Lampe oder einen seitwärts
stehenden Menschen, so gelingt die Bewegung. Hier besteht eine anatomische
Unterbrechung, so zu sagen im Gebiete der ideo-motorischen Bahn, während die
Bahn, längs welcher der Willensimpuls von den optischen Vorstellungen zu den
Kernen der motorischen Augennerven geleitet wird, erhalten ist. Es ist möglich,
dass letztere Bahn von den unteren Parietal- und benachbarten Windungen ihren
Anfang nimmt. Bei dem Eiranken besteht eine Verletzung im Gebiete von Bahnen,
welche vom Stirnhim und den angrenzenden Partieen (unterer Theil der vorderen
centralen Windungen, vordere Abschnitte der inneren Kapsel) führen und deren
symmetrische Erkrankung das Bild der bulbären Paralyse erzeugt.
V. Psychische Ophthalmoplegie hysterischen Ursprungs. Bei einem Mädchen
von 18 Jahren Schielen in Folge von Contractur des linken Rectus internus; die
Contractur nimmt bei Schluss des anderen Auges ab. Vollkommene Unbeweglich¬
keit der Augäpfel bei Aufforderung nach rechts, links, oben oder unten zu sehen.
Statt dem Gegenstände zu folgen, fuhren die Augen kleine unregelmässige Be¬
wegungen nach allen Seiten aus, nicht mehr als 1—2 Minuten. Die Kranke
kann lesen und künstliche Blumen arbeiten; dabei tritt keine Diplopie auf, und
man kann sich überzeugen, dass die Augen convergirt werden, d. h. dass der
M. rectus internus sich contrabirt. Bei der Kranken besteht eine Reihe anderer
hysterischer Erscheinungen (Paraplegie, Anästhesie, Krämpfe im Oesophagus u. s. w.).
Hier ist die Ophthalmoplegie eine rein psychische.
Herr W. A. Muratoff: Zar Lehre über epileptisohes Irresein.
Vortr. theilt die Krankengeschichte eines Kranken mit, bei welchem er epi¬
leptische primäre Venücktheit (Paranoia) sensu strictiore annimmt. Der Kranke,
37 Jahre alt, mit hereditärer Veranlagung, trieb Abusus in Alkohol und hatte
von Kindheit an kleine epileptische Anfalle. Im Jahre 1891 im Verlaufe einiger
Tage protrahirtes psychisches Aequivalent mit Grössen- und Verfolgungsideeen
und religiösem und geschlechtlichem Delir. Darauf lucides Intervall mit erhaltener
Erinnerung für das Delir. Im anfallsfreien Zustande zeigt der Kranke epilep¬
tischen Charakter. Nach einigen Wochen wiederum Anfalle und Grössen wahn
mit religiöser und geschlechtlicher Färbung. Im Laufe des ersten Beobachtungs¬
jahres im Preohrashensky-Krankenhause wurden wiederholte Exacerbationen des
Delirs notirt, wobei dasselbe sich weiter entwickelte. Die Wahnideeen systemati-
sirten sich und wurden mehr manifest; sie Hessen sich auch in den luciden Inter¬
vallen durchblicken. Im weiteren Verlaufe festigen sie sich immer mehr und
mehr, indem sie während der Exacerbationen bedeutend acuter auftreten. Der
Kranke selbst findet sich in seinem Delir einigermaassen zurecht. Als Ursprung
einer Wahnidee dient immer irgend eine innere Empfindung, welche von einer
Veränderung des Selbstgefühls und zuweilen auch von Hallucinationen begleitet
wird. Zu Ende seines Aufenthaltes im Hospital schwindet das kritische Verhalten,
welches früher noch vorhanden war, dem Delir gegenüber. 1896 wird er ins
Alexjeew’sche Krankenhaus übergeführt. Bei der Untersuchung des Kranken
durch den Vortr. im anfallsfreien Zustande werden dauernde Grössenideeen con-
statirt, wobei der Kranke Bich des ganzen Inhaltes des vorangegangenen Delirs
erinnert, auch inclusive der Zeit der Exacerbationen. Seine Gedanken stellen
nur die weitere Entwickelung des im epileptischen Aequivalent Durchlebten dar,
wobei verhältnissmässig zum Früheren die Grössenideeen prävaliren, die Ver¬
folgungsideeen zurückgetreten sind; deutliche Zeichen von Schwachsinn. Vortr.
betrachtet diesen Fall als epileptische Verrücktheit in Form einer Paranoia epi-
Digitized by GoO^lC
924
leptica chronica. Eine Unterscheidung von Verrücktheit, durch Epilepsie bk.
plicirt, sieht Vortr. im episodischen Auftreten des Delirs, in seiner Entwickele,»
aus dem epileptischen Aequivalept und in seinem Anwachsen entsprechend fe
epileptischen Anfallen. Die progressive Entwickelung des Delirs und seine Sy?-
matisirung Bchliesst die Form der protrahirten Aequivalente aus. Das priiis
Auftreten des Delirs und das imveränderte Selbstgefühl und ebenso die progrwr-
Entwickelung sprechen gegen periodische oder circuläre Formen.
Discussion:
Herr N. P. PoBtowsky, welcher Gelegenheit hatte, den Kranken zu beobacht
weist darauf hin, dass in der Krankheit desselben der Abusus spirituoeercs
eine wesentliche Bedeutung bat, der auf dem Boden schwerer erblicher Belyta;
auch hauptsächlich die rasche Abnahme der geistigen Thätigkeit — den Schwici-
sinn — veranlasst hat; dieses Letztere aber trug dazu bei, dass der Krankes
Hospital von den anderen an primärer Verrücktheit Leidenden Verfolgnngaika
annehmen konnte.
Herr W. W. Weydenhammer, welcher den Kranken ebenfalls beobachte*
erkennt eine strenge Uebereinstimmung der Zunahme des Delirs mit den Anfii>
nicht an. Das Eirankheitsbild muss noch vervollständigt werden dadurch, aä
der Kranke ein Raisonneur ist und an Hallucinationen, darunter auch Gebctv
hallucinationen, gelitten hat.
Herr A. A. Tokarsky meint, dass der beschriebene Fall weder als eb he-
sonderer Typus angesehen werden kann, noch eine besondere Benennung Terdiat
Genau dasselbe Krankheitsbild könne auch ohne einen einzigen epileptischen Ab¬
fall erhalten werden; andererseits drückt die Epilepsie nicht nur ihren Stempe;
auf Psychosen, sondern auch auf die ganze Thätigkeit der Eiranken auf
Herr W. P. Serbsky giebt in diesem Falle ein unzweifelhaftes epileptisch«
Irresein zu, glaubt aber, dass es vollkommen in den schon festgestellten Bakus
protrahirten epileptischen Irreseins hineinpasst; eine neue Bezeichnung Pantaa
epileptica ist aus diesem Grunde nicht nur überflüssig, sondern auch im Stadt
zu Missverständnissen zu führen, als ob nicht von einem reinen epileptuebe.
Irresein die Rede sei, sondern von einer gemischten Form — Verrücktheit
welche sich auf dem Boden einer Epilepsie entwickelt hätte.
Herr J. A. Suchanoff und A. N. Bernstein sprechen sich ebenfalls für da
Vorzug der Bezeichnung „epileptisches Irresein“ aus; Bernstein’s Meinung aas
wäre protrahirtes epileptisches Irresein in einzelne Formen zu zerlegen eba*
fehlerhaft, wie den verschiedenen Typen der progressiven Paralyse besondere
Zeichnungen zu geben. N. Versiloff. G. Rossolimo.
Medioinisohe Gesellschaft in Warsohau.
Sitzung vom 6. Februar 1900.
Herr Dydyüski hält einen Vortrag über die Landry'ache Paralj»
Vortr. hat genau die ganze einschlägige Litteratur durchgesehen, «s
2 eigne Fälle eingehend studirt und kommt nun zu dem Schluss, das ®
Landry’sche Paralyse eine peripherische Nervenkrankheit darstellt. Dm*
weisen hin: 1. die schlaffe Lähmung, welche fast immer vom Fehlen der Sebsa-
reflexe begleitet wird und oft gestörte Nerven- und Muskelerregbarkeit tt&
2. häufige Schmerzen und Parästhesieen und Schmerzhaftigkeit der Nervenstäc»
selbst. Die bulbären Erscheinungen bei Landry’scher Paralyse seien ebenf^
peripherer Natur. Vortr. meint aber, dass ausser den peripheren Nernn
Google
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925
das centrale Organ mehr oder weniger erkranken kann (dafür spricht das Er¬
baltensein der Reflexe in manchen Fällen, ferner BlaBenstörung u. s. w.). Das
Ergriffensein des Centralnervensystems sei aber niemals ein prädominirendes und
berechtigt auch keineswegs zur Aufstellung einer speciellen centralen Form dieser
Krankheit. Was die Pathogenese der Krankheit betrifft, so besteht dieselbe in
einer Intoxication, welche durch verschiedene infectiöse Virus bedingt sein kann.
Den aufsteigenden Charakter der Lähmung glaubt Vortr. damit erklären zu können,
dass der Process die peripheren Nerven mit einer gewissen Auswahl betrifft, d. h.
je wichtiger der Nerv in fnnctioneller Beziehung ist, desto resistenter ist er. Die
Nerven der unteren Extremitäten seien am schwächsten, deshalb am ehesten be¬
troffen, die des Kopfes am wichtigsten (am meisten resistent), deshalb am spätesten
ergriffen. Vortr. sieht die Bestätigung dieser Hypothese im Ergriffensein der
Körpertheile nach Curareeinspritzung bei Thieren, bei welchen man dabei einen
ähnlichen Modus beobachtet. Zum Schluss bespricht Vortr. die Therapie der
Krankheit; er warnt vor Anwendung der Bäder und empfiehlt Ergotin.
Herr Brodowski meint, dass man biB jetzt noch nicht berechtigt ist, die
Alterationen, welche man bei Lan dry'scher Paralyse in peripheren Nerven ge¬
funden hat, als entzündlich zu bezeichnen. Die Degeneration allein berechtige
ms nicht dazu.
Herr Winiavski berichtet über 3 Fälle von Landry’scher Lähmung. Im
L. Fall erfolgte der Tod bereits nach 6 Tagen. Der 44jährige Arbeiter klagte
vährend zwei Wochen über Schmerzen im rechten Bein und im Kreuz. Dann
plötzliche schlaffe Lähmung sämmtlicher Extremitäten. Am dritten Tage Schluck-
Beschwerden, Lähmung des Gaumens, des unteren linken Facialis. Am gehärteten
Rückenmark makroskopisch keine Alterationen. Im 2. Fall handelte es sich um
sinen 55jähr. Hausknecht, welcher 2 Tage lang Schmerzen im Kreuz, in den Lenden
ind Halswirbeln verspürte. Dann plötzliche aufsteigende, schlaffe Lähmung
ämmtlicher Extremitäten und des Rumpfes. Schluck-, Sprach-, Athmungs-
»eschwerden. Abschwächung des Schmerz- und Temperaturgefühls von den Fingern
>is zum Ellenbogen und von den Zehen bis zum Kniegelenk. Allmähliche Besserung
Pat. verblieb ständig in ritzender Stellung!), wobei Parästherieen und Schmerzen
n den Extremitäten vorhanden waren. Elektrische Reaction ungestört. Keine
luskelatrophieen (12 wöchentliche Beobachtungszeit). Im 3. Fall entstand die
chlaffe Lähmung sämmtlicher Extremitäten bei einem 67jährigen Bäcker ohne
limstammerscheinungen. Nach einigen Tagen Besserung. Es sei hervorgehoben,
lass in sämmtlichen 3 Fällen Lungenentzündung vorhanden war.
Herr Ci^gliöski spricht sich gegen die Hypothese des Vortr. aus, welcher
leint, dass die Reihenfolge im Befallenwerden einzelner Müskelgruppen von der
i'unctionswichtigkeit der letzteren abhängen sollte. Dagegen sprechen die Löh¬
nungen und auch die übrigen Krankheitssymptome, welche bei anderen Intoxicationen
les Organismus aufzutreten pflegen (Bleilähmungen u. a.) und welche zeigen,
lass hierbei ganz verschiedene Momente eine Rolle spielen.
Herr Br eg man betont, dass manche Symptome für den centralen Ursprung
er Landry'sehen Paralyse sprechen, so z. B. die grössere LähmungsintenBität der
istalen Abschnitte der befallenen Glieder, ferner die Blasenlähmung, die psychischen
Störungen. In einem von ihm beobachteten Fall gelang es aus dem Liquor
erebro-spinalis den Staphylococcus aureus zu züchten. Der Hypothese des Vortr.
teilt Br. diejenige von Edinger als die viel wahrscheinlichere gegenüber.
Herr Biro bemerkt, dass in dem von ihm beobachteten Fall keine Druck-
mpfindlichkeit der Nerven zu constatiren war.
Sitzung vom 6. März 1900.
Herr Bregman demonstrirt einen Fall von Syringomyelie. Der Fall be-
Digilized by LjOOQie
92ö
traf einen 36jährigen Mann, bei welchem man Folgendes constatiren konnte:
Parese der rechten oberen Extremität mit Atrophie derselben (hauptsächlich in
der Hand, weniger des Vorderarms und des Arms); Betheiligung der Muaculatnr
des Schultergflrtels. Die Parese ist eine schlaffe, der Tricepsreflex fehlt. Fibrilläre
Zuckungen. Lähmung der rechten unteren Extremität mit spastisch-paretischem
Gang. Patellarreflex beiderseits erhöht. Fussklonus. Sensibilitätsstörung (Disso-
ciation) am stärksten in der rechten oberen Extremität, ausserdem am Hopfe und
oberen Bumpfabschnitte. Völlige Anästhesie (auoh für tactile Empfindung) in
einer breiten Zone von der Mitte der Scapula bis zu den letzten Rippen. Zahl¬
reiche Verbrennungsnarben auf der rechten oberen Extremität, auf welcher ferner
Cyanose und Kälte zu beobachten ist. Skoliose. Retentio urinae incompleta
Verengung der rechten Pupille und der rechten Lidspalte. Vortr. localisirt den
Process hauptsächlich in der rechten Hälfte des Halsmarks. Es ist von Interesse,
dass der Kranke lange Zeit hindurch schwere Lasten auf der rechten Schulter
getragen hat.
Herr Stankiewicz zeigte ein S’/jmonatliches Kind, bei welchem er 2 Wochen
nach der Geburt eine mit dem Rückenmark oommunicirende Cyste (Meningocele)
ausgeschnitten hat. Es war Spina bifida vorhanden, und die Cyste ging aus dem
zweiten Lumbalwirbel heraus. Prima intentio nach der Operation. Vor einigen
Wochen plötzliche allgemeine Schwäche und deutliches Auftreten von Hydro-
cephalus.
Sitzung vom 20. März 1900.
Herr Bregman demonstrirt das Präparat von Kleinhirntumor, welcher an
Leben richtig localisirt war. Der Fall betraf einen 6jährigen Knaben, in dessen
Familie mehrfach Krämpfe vorkamen. Er begann erst im dritten Lebensjahre zu
sprechen. Vor 6 Monaten Kopfschmerzen, Erbrechen. Die Kopfschmerzen traten
in heftigen Anfällen auf. Nach einem dieser Anfalle Amaurose. — Status praesens:
völlige Amaurose beiderseits; Pupillen erweitert, reagiren schwach. Stauungs¬
papille. ParetiBch-ataktisch-cerebellarer Gang. Die Kraft der Beine ohne deut¬
liche Störung, keine Ataxie daselbst. Patellarreflex erhöht. Fussklonus. Obere
Extremitäten ungestört. Sensibilität überall normal. Leichte Zuckungen in der
rechten Gesichtshälfte; verminderte Beweglichkeit der Augen nach recht«, Un¬
beweglichkeit der Zunge nach rechts. Es wurde die Diagnose Kleinhirntumor in
der rechten Hälfte gestellt. Die Section ergab Tuberculum solitäre in der rechten
Kleinhirnhemisphäre.
Sitzung von 3. April 1900.
Herr St. Kopczyüski demonstrirt 2 Fälle mit fortschreitender Muakel-
atrophie. Der 1. Fall betraf einen 16jährigen Knaben, bei welchem vor 8 Jahren
Schwäche des rechten Arms entstand. In den letzten Jahren Schwäche und
Atrophie der oberen Extremitäten. Status praesens: Schwäche und Atrophie in dm
Schultergelenken und oberen Extremitäten beiderseits (Mm. oucullares, rhomboidal,
Bupra- et infraspinati, pectorales, latissimi dorsi, subscapulares, teretes, deltoidei, bi dp,
tricip., flexores et extensores manus, thenar., hypothenar.). Ausserdem Schwäche
und Atrophie der Rumpfmusculatur. In den unteren Extremitäten geringe Schwäche
des Oberschenkels, grössere des Unterschenkels. Pseudohypertrophie der Waden.
FaoieB myopathica. Keine fibrilläre Zuckungen. Sehnenreflex in der linken oberen
Extremität vorhanden, sie fehlen dagegen in der rechten. Patellarreflex abge¬
schwächt. Sensibilität normal. Quantitative Herabsetzung der elektrischen Erreg¬
barkeit ohne Entartungsreaction. Vortr. meint, dass es sioh um Dystrophie handelt.
Im 2. Falle handelte es sich um einen 16jährigen Knaben mit folgendem
Status: Das Stehen ist erschwert, Gang entenartig. Pes varo-equinus beiderseits
und Krallenfuss. Bewegungen des Fusses und der Zehen abgeechwächt. Beugung
Digilized by
Googl<
927
•
und Streckung des Unterschenkels rechts etwas schwächer als links. Keine fibril¬
lären Zuckungen. Contractur der Achillessehne. Deutliche Atrophie der Fuss-
strecker, weniger deutliche der Unterschenkelstrecker. Quantitative Verminderung
der elektrischen Erregbarkeit der Peroneusgruppe, ohne Entartungsreaction. Haut¬
reflexe an den Beinen erhalten. Patellarreflexe fehlen. Nervenstämme nicht
druckempfindlich. Vortr. diagnosticirt in diesem Falle den Peronealtypus der
progressiven Muskelatrophie, welche ausserdem bei dem Knaben mit psychischen,
zum Th eil hysterischen Erscheinungen complicirt war.
Herr Borsuk stellte einen Kranken vor, bei welchem vor 4 Jahren nach
einem Kopftrauma typische Jackson’sohe Epilepsie entstand. Es wurde da¬
mals eine Trepanation ausgefiihrt, wobei sich unter der Dura (in der Gegend der
Rolando’sehen Furche) ein AbsceBB vorfand. Die Wunde heilte gut, und es
verblieb nach der Operation nur Pareee der rechten oberen Extremität. Gegen¬
wärtig ist der betreffende Arbeiter ganz gesund. Die Kraft der rechten oberen
Extremität ist ganz gut erhalten, nur sind die Muskeln der rechten Hand schwach
und abgemagert. Keine Krämpfe.
Herr Bregman zeigt einen Kleinhirntumor (Tuberculum solitäre), welcher
in der linken Hemisphäre liegt und auf die Mittellinie übergeht, dabei sowohl die
dorsale wie die ventrale Oberfläche erreicht. Das Präparat stammt von einem
61jährigen Manne, welcher einige Wochen vor dem Tode über Kopfschmerzen
und Schwindel klagte. Kein Erbrechen. Puls 50—60. Stauungspapille. Psy¬
chischer Torpor. Spastisch-cerebellarer Gang. Linke Hand schwächer als die
rechte. In sämmtlichen Extremitäten spastischer Zustand. Plantarreflex gesteigert.
Im weiteren Verlaufe wurde der Torpor noch grösser, Pat. verblieb im Bett, es
zeigte sich linksseitige Hemiparese mit Betheiligung des Facialis. Die Diagnose
schwankte zwischen Tumor lobi frontalis und cerebelli.
Herr Przewoski demonstrirt ein Präparat von Dermoidaltumor im Ge¬
hirn. Das Präparat stammt von einem 42jährigen Manne, bei welchem 4 Monate
vor dem Tode Kopfschmerzen, Schwindel, Stauungspapille und ein gewisser Torpor
vorhanden waren. Zuletzt Schmerzen und Pulsverlangsamung. Keine deutlichen
localen Symptome. Die Section ergab einen Tumor, welcher unterhalb des
hinteren Abschnitts des Corpus callosum und oberhalb der Corpora quadrigemina
an der Stelle lag, wo sich der Plexus chorioideus befindet Der Tumor drückte
hauptsächlich die Thalami, die Corpora quadrigemina und den hinteren Abschnitt
des Corpus callosum. Der Tumor besteht aus einem Sack mit dünnen Wänden
und ist von einer grützähnlichen Masse erfüllt, welche stellenweise weisslich er¬
scheint und perlmutterartigen Glanz zeigt Ausserdem erblickt man in der Masse
Blondhaare. Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass die Wand des Sackes
aus Bindegewebe besteht und inwendig mit Epithelzellen bedeckt ist. Die tiefen
Epithelzellen sind rundlich und cylindrisch, die oberflächlichen flach und horn-
artig. Diese letzteren bilden hornartige Blättchen mit Perlmutterglanz. (Zwischen
den Blättchen liegen Cholestearinkrystalle.) Die Blondhaare zeigten dieselbe
Structur, wie die Haare aus den dermoidalen Eiercysten. Vortr. rechnet somit
den Tumor zu den Dermoiden ektodermalen Ursprungs.
Vortr. zeigt ferner ein sehr interessantes Präparat von einem zweiten Falle,
nämlich die sog. Perlgesohwulat (Margaritoma). Der Tumor stammt von einem
50jährigen Manne und lag an der Himbasis. Der Tumor bestand aus mehreren
kleinen und runden, knopfartigen Erhöhungen, deren Form und Farbe an die
Perlen erinnert. Die Geschwulst lag in der Pia mater und erstreckte sich entlang
der rechten Hälfte des Pons und der Medulla oblongata. Mikroskopische
Untersuchung ergab, dass die einzelnen Perlen einen bindegewebigen Sack zeigten,
welcher inwendig mit mehrschichtigem Epithel bedeckt war, wobei die oberfläch-
v Google
928
liehen Schichten homartig verändert waren. Den Inhalt des Sackes bildete stet*
eine weissliche, brüchige, glänzende Masse, welche aas horn artigen Epithelzell er
und Cholestearinkrystallen bestand. Keine Haare. Der Hirnstamm war nur wenig
erdrückt
Sitzung vom 1. Mai 1900.
Herr Przewoski bespricht einen Fall von XTeuroflbroma znollaacum mul¬
tiplex cutis, peritonei, pleurae et pericardii. Der Fall betraf einen 36jährigen
Mann, bei welchem die Neurofibrome seit seiner Kindheit an der Haut sichtbar
waren und allmählich wuchsen, ohne dem Pat grössere Schmerzen verursacht za
haben. Am zahlreichsten waren die Tumoren am Kücken, wo ihr Umfang tob
der GrösBe einer Hirse bis zu derjenigen eines Kinderkopfes schwankte. Die Ge¬
schwülste waren rund, weich, warzen- oder polypenartig. Zahlreiche Geechwüktf
bedeckten den Kopf; eine viel geringere Zahl kleiner Knötchen befand sich an
Gesicht. An den Extremitäten war die Zahl der Geschwülste geringer als an
Rumpf. Die Section ergab ferner zahlreiche Geschwülste am Peritoneum uni
weniger zahlreiche an Pericardium und Pleura. Auch fand man kleinere Knöt¬
chen an einigen peripheren Nerven. Das Centralnervensystem war dagegen tc:
ihnen frei. Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass die Geschwulst meiste*
theils richtige Neurofibromata darstellten. An den meisten liess sich ein ein¬
tretender und ein austretender Nerv feststellen. Die Nervenfasern lagen oft in da
Mitte der Geschwulst, nicht selten aber fand man sie an der Peripherie. In da
grossen Geschwülsten liessen sich die Nervenfasern nicht feststellen (vielleicht
atrophirten dieselben oder waren zu verstreut). Ueber den Hautgeschwälzte
fand man stets eine starke Pigmentirung der Haut.
Sitzung vom 15. Mai 1900.
Herr Bregman demonstrirt einen 9jährigen Knaben mit der Diagnose Kiste-
hiratumor. Seit einem Jahr Kopfschmerzen und Erbrechen. Der Gang wie bei
einem Betrunkenen. Vor 4 Monaten Amaurose und Zunahme des Kopfumfanges. —
Status praesens: Kopfumfang 56*/, cm. Opistothonus. Contractur der Beine nc
spastische Erscheinungen an den oberen Extremitäten. Parese der rechten oberes
Extremität. Atrophia e neuritide optica. Träge Pupillenreactdon. Parese da
rechten Facialis. Fussklonus. Steigerung der Plantarreflexe. Torpor oerebri.
Wahrscheinlich liegt der Tumor in der rechten Kleinhirnhemisphäre.
Ferner stellt Vortr. einen 38jährigen Pat. mit linksseitiger Hemiparese
nach Kohlendunstvergiftung vor. Gleich nach der Vergiftung merkte Pat,
dass er nicht im Stande war, Beugungen mit den linken Extremitäten ausxufohres.
Allmähliche Besserung mit dem Status der gewöhnlichen capsulären Hemiplegie
(wahrscheinlich Hirnerweichung in Folge der Thrombose eines Zweiges der Art
fossae Sylvii). Fl ata u (Warschau).
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebetsa.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
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Dr. Carl Hudovernig. 3. Die spinalen motorischen Localisationen und aie Theorie der Meta-
merieen, von Dr. C. Parhon und Dr. M. Goldstein. 4. Zur Kenntniss der Lagerung der
motorischen Hirnnerven im Hirnschenkelfuss, von Priv.-Doc. Dr. G. Blkeles.
II. Referate. Anatomie. 1. Observations of the minute struoture of the cortex of
the brain as revealed by the methylene blue and peroxide of hydrogene methode of staining
the tissue direct on its removal from the body, by Turner. 2. Descending mesencephalic
tracts in oat, monkey and man; Monakow’s bündle; the dorsal longitudinal bündle; the
ventral longitudinal bündle; the pontospinal tracts, lateral and ventral; the vestibulospinal
tract; tho central tegmental tract (ceretrale Haubenbahn); descending fibres of the fillet, by
Collier and Buzzard. 3. Is an „Isthmus rhombencephali“ why not an „Isthmus prosencephali“?
by Stroud. — Physiologie. 3. Zur Lehre von der Blutcirculation in der Schädelhöhle
des Menschen. Habilitationsschrift von Berger. — Experimentelle Physiologie. 5. Ueber
Vereinigung des N. facialis mit dem N. accessorius durch die Nervenpfropfung (Greffe ner-
veuse), von Manasse. 6 . Klinischer und experimenteller Beitrag zur Lehre von der Lähmung
des N. facialis, zugleich ein Beitrag zur Physiologie des Geschmackes, der Schweiss-, Speichel¬
und Thränenabsonderung, von KSster. — Pathologische Anatomie. 7. The condition
of the medullated fibres of the cortex cerebri in twenty five cases of insanity, by Goodall
and Maclulich. 8 . On the changes in the nervous System in a case of oldstanding amputation,
by Barrett. 9. Action des substances microbiennes sur les nerfs periphöriques, par Dopter
et Laftorgue. — Pathologie des Nervensystems. 10. Keratitis neuroparalytica, von
Stuiriskl. 11. Beitrag zur Symptomatologie der Facialislähmungen, von Bernhardt. 12. Ein
Fall mit frischer, rechtsseitiger, rheumatischer Facialislähmnng und Erloschensein des Ge-
schmaokes auf der ganzen rechten Zungenhälfte, von Frohmann. 13. Beitrag zur Laryngeus-
Buperior-Lähmung, von Dorendorf. 14. The tender point in pressure-paralysis of peripneral
nerves, by Browning. 16. Paralysie intermittente douloureuse des bras, par Massaut. 16. Ein
Fall von Erb’soher Lähmung des Plexus brachialia, von Paltaki. 17. Section of the posterior
spinal roots for the relief of pain in a case of neuritis of the brachial plexus; cessation of
pain in the afFected area; later developpment of Brown-Sequards paralysis as a result of
laminectomie; unusual distribution of root anaesthesia; later partial return of sensibility, by
Prince. 18. Lähmung des N. peroneus durch puerperales Trauma, von Donath. 19. Ueber
Peroneuslähmung in Folge schwerer Geburt, von Nadler. 20. Ueber perineuritische Erkrankungen
des Plexus saeralis und deren Behandlung, von Guttenberg. 21. Case of acute ascending
paralysis due influenza, by James and Fleming. 22. Polynevrites au declin d’une coqueluche,
par Guinon. 23. Ein Beitrag zur Kenntniss der mercuriellen Polyneuritis acuta, von Spitzer.
24. Röflexions cliniques concernant quelques cas de polynevrite, par Glorieux. 25. Sülle alte-
razioni oculari nella pellagra, pel Bletti. 26. Ricercne sul potere riproduttivo e sul eredi-
tarietä nella pellagra sperimentale, del Coni. 27. Histologische und bakteriologische Unter¬
suchungen über einen Fall von Lepra tuberoso-anaesthetica mit besonderer Berücksichtigung
des Nervensystems, von Uhlenhuth und Westphal. 28. Gangröne neuritique des pieds. Elon¬
gation deB tibiaux, puis du saph&ne externe par le proeödd de Chipault. Guörison, par
Acevedo. 29. Ein Fail von Raynaud’scher Krankheit, von Kroner. 30. Raynaud's disease in
59
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930
the insaoc, by Courtney. Sl. Case of erytbromelalgia, by Carlslaw. 32. Erytbromelalgie,
tod Kahane. 33. The relatioo between trigemin&l neoralgks and migraine, by PatnaaL
34. Zur Therapie der Ischias, von Eulenburg. 35. Zur Begutachtung der erwerbsbeeinträch¬
tigenden Folgen von Ischias, Ton Ehret. 36. Multiple tuniors of the sciatic nerve, by Roberts.
— Psychiatrie. 39. Ueber Wabnideeen im VCikerleben, von Friedmann.
III. Bibliographie. 1. Tratte de thärapeutique des maladies mentales et nenreeses.
Hygiene et prophylaxie, par Garnier et Cololian. 2. Psychosen in ätiologischem Zusammenhang
mit Influenza, von Klemm. 3. Die Tasomotorisch-trophischen Neurosen. Eine Monographie
von Cassirer.
IV. Aus den Gesellschaften. I XX III- Versammlung deutscher Naturforscher and Aerzte
in Hamburg vom 22.-28. September 1901.
V. Neurologische und psychiatrische Utteratur vom l.Juli bis l. September 1901.
VI. Vermischtes. VII. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neurologen zu Jena
— Zum 13. October 1901.
I. Originalmittheilungen.
• 1. Ueber Reflexe im Antlitz- und Kopfgebiete. 1
Von Prof. Dr. W. v. Beohterew in St. Petersburg.
Allgemein bekannt ist die hervorragende Bedeutsamkeit, welche die Reflexe
heutzutage iu der Diagnostik der Nervenkrankheiten gewonnen haben, und man
darf wohl annehmen, dass bei wachsender Erkenn tniss der Reflexbahnen and
ihres pathologischen Verhaltens die Untersuchung der Reflexe in Zukunft noch
mehr an Umfang gewinnen werde. Die Forschung hat daher nach Möglichkeit
alle in einem bestimmten Körpergebiete verbreiteten Reflexe ohne Rücksicht auf
die grössere oder geringere Beständigkeit derselben genau zu eruiren, denn es
können bestimmte, unter normalen Verhältnissen inconstante Reflexe besondere
Bedeutung erlangen in pathologischen Fällen, wo sie erhöht oder aof beiden
Seiten des Körpers ungleichmässig gefunden werden, aber auch in jenen Fällen,
wo sie trotz allgemeiner Steigerung der Reflexerregbarkeit, die ja auch zu einer
Erhöhung der weniger constanten Reflexe führen müsste, zurücktreten oder fehlen.
Ich habe nun im Hinblick hierauf in einem Vortrage, den ich am
22. Februar 1901 in der Gesellschaft der Aerzte unserer Klinik für Nerven-
und Geisteskrankheiten hielt, nach eingehender Erörterung der Reflexe der unteren
und oberen Extremitäten die Reflexe des Antlitzes und Kopfes genauer dar¬
gestellt. Unter den Reflexen dieser letztgenannten Regionen legte ich unter
anderem Nachdruck auf den von mir so genannten Augenreflex, welcher
hervorgerufen wird durch Beklopfen des ganzen fronto-temporalen Theiles des
Schädels und des Jochbogens und sich äussert in mehr oder weniger aus"
gesprochener Contraction des M. orbicularis ocuü und hierdurch bedingtem
grösstentheils geringen Zusammenrücken der Augenlider. Dieser Reflex konnte,
wie ich in jenem Vortrage hervorhob, bei der Mehrzahl der untersuchten
1 Vortrag, gehalten in der wissenschaftlichen Versammlung der Aerzte der St. Peters¬
burger Klinik für Nerven- und Geisteskrankheiten am 22. Februar 1901.
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Individuen nachgewiesen werden, erschien aber manchmal in so geringem Grade
ausgeprägt, dass er nur in einem leisen Emporrücken des unteren Augenlides
zum Ausdrucke gelangte. Um den Einfluss der optischen Wahrnehmung des
percutirenden Instrumentes auszuschalten, kann man den Reflex bei frei, d. h.
ohne besondere Anspannung geschlossenen Lidern untersuchen. Wie meine
hierauf bezüglichen Beobachtungen ergaben, erscheint der Reflex häufig doppel¬
seitig, auf der Seite der Percussion jedoch immer merklich lebhafter als auf
der entgegengesetzten. Der ihm entsprechende Reflexbogen verläuft offenbar von
dem Trigeminus und dem sensorischen Trigeminuskern zu dem Kern des oberen
Facialisastes beider Seiten, hat also seine centrale Bahn im Bereiche der Haube.
Hieraus ergiebt sich die grosse Bedeutung dieses Reflexes bei Affectionen im
Hirnstamm und den weiter aufwärts gelegenen Gehimregionen, sofern natürlich
dabei eine Affeotion peripherer Trigeminus* und Eacialisäste ausgeschlossen
werden kann. Letzteres konnte ich an dem Kranken unserer Klinik nicht einmal
den Aerzten derselben demonstriren. 1
Während meines oben erwähnten Vortrages habe ich meine Ausführungen
über diesen Reflex unter anderem auch durch Demonstrationen näher erläutert.
Später, in Nr. 17 dieses Centralbl., 1901, fand ich eine Mittheilung von
Dr. J. McCarthy, betitelt: „Der Supraorbitalreflex. Ein neuer Reflex im Gebiete
des 5. und 7. Nervenpaares“, welche offenbar ebenfalls den von mir betrachteten
Reflex im Auge hatte, zumal letzterer auch von dem bei McCarthy angegebenen
Gebiete aus hervorgerufen werden kann. Zwischen meiner Beschreibung und
derjenigen McCarthy’s besteht nur der Unterschied, dass Letzterer seinen Reflex
in Zusammenhang bringt mit Reizung des Stammes des N. supraorbitalis, denn
er ruft denselben hervor durch Beklopfen des Supraorbitalnerven bei offen ge¬
haltenen Augen, wobei der Reflex angeblich in einer fibrillären Contractiou des
M. orbicularis besteht, die nicht zu Lidschluss, sondern höchstens zu Aneinander¬
rücken der Augenlider Veranlassung giebt. Auch bemerkt der Verf., dass
manchmal der Reflex an beiden Orbicularmuskeln auftritt, wenngleich nur die
eine Seite percutirt wird.
Ich konnte dagegen nachweisen, dass der Reflex, den ich in meinem vorhin
erwähnten Vortrage darzustellen und zu demonstriren Gelegenheit hatte, nicht
als fibrilläre, sondern als gewöhnliche Contraction des M. orbicularis in die Er¬
scheinung tritt und ferner, dass er auslösbar ist nicht bloss durch Percussion im
Verästelungsgebiete des Supraorbitalnerveu, sondern auch von der ganzen Regio
fronto-temporalis, ja vom Jochbogen aus hervorgerufen werden kann, wo Ver¬
ästelungen des genannten Nerven nicht Vorkommen. Bei solcher Sachlage glaube
ich, dass der betrachtete Reflex nicht eigentlich ein Reflex des Stammes des
N. supraorbitalis sei, sondern einen gewöhnlichen periostalen Reflex darstelle.
Der Name „Supraorbitalreflex“ erscheint mir daher nicht ganz zutreffend.
Ein weiterer im Gebiete des Antlitzes auftretender Reflex könnte als Jugal-
1 Bei der peripheren FacialisparalyBe beobachtete ich zuweilen diesen Reflex bei Be¬
klopfen der affleirten Seite nur anf der gekremten, also gesunden 8eite.
5ä*
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reflex bezeichnet werden, da derselbe durch Beklopfen des Jochbeins mit dem
Percussionshammer sich hervorrufen lasst und als Rückwärts- und Aufwärts-
bewegung des Mundwinkels zum Ausdruck kommt. Dieser Reflex ist gegenübe
dem vorerwähnten durch erheblich geringere Constanz ausgezeichnet* doch kau;
auch er, insbesondere bei gesteigerter Reflexerregbarkeit, eine gewisse diagnostisch
Bedeutung gewinnen. Sein Reflexbogen verläuft von dem 2. Aste des Tnge-
minus und dessen sensiblem Kern zu dem motorischen Kerne des untern
Facialisastes und dieser Reflex erscheint deshalb, gleich dem vorigen, merklich
gesteigert bei Affectionen, welche höher als die erwähnten Hirngebiete liegen.
Als 3. Reflex im Antlitze, welcher diagnostische Bedeutung beansprucht
erscheint der Mandibularreflex. Derselbe tritt auf, wenn bei halbgeöffnetes
Munde das Kinn oder der seitliche Theil des Unterkiefers nach vorn von der
In8ertioDS8telle des Masseter mit dem Percussionshammer in der Richtung tm
oben nach unten so beklopft wird, dass eine plötzliche Abwärtsbewegung des
Unterkiefers sich einstellt Bei stark gesteigerter Reflexerregbarkeit kann dieser
Reflex sogar durch Beklopfen des Jochbeins hervorgerufen werden. Er änaen
sich durch Aufwärtsrücken des Unterkiefers. In pathologischen Fällen ist be¬
kanntlich schon oft das sogen. Unterkieferphänomen beschrieben worden, sieh
äussernd in klonischem Erzittern des Unterkiefers und in geeigneten Fällen
leicht auslösbar, wenn man durch das Plessimeter oder einen anderen Gegen¬
stand hindurch mit dem Percussionshammer die Zähne des Unterkiefers beklopft.
Aber ungeachtet der hierüber vorliegenden Untersuchungen hat der eigentlich
Mandibularreflex, dessen Bogen von dem unteren Aste des Trigeminus dordi
dessen sensiblen Kern zu dem motorischen Trigeminuskern verläuft, in (kr
Diagnostik der Cerebralerkrankungen bisher nicht die ihm gebührende Wert¬
schätzung gefunden, wiewohl seine Prüfung in gewissen Fällen unbedingt vcl
W ichtigkeit erscheint Letzteres gilt besonders mit Bezug auf bestimmte fillr
von Pseudobulbärparalyse, wo der Mandibularreflex in der Regel erhöht &
Auch bei progressiver Paralyse der Irren habe ich den Reflex zuweilen gesteigert
gefunden. Ferner kann man, wie ich mich überzeugt habe, bei einseitigen
Cerebral affectionen durch Beklopfen des Seitentheiles des Unterkiefers ein Ueber-
wiegen des Mandibularreflexes auf der der erkrankten Hemisphäre entgegen¬
gesetzten Seite eruiren. Eine ganz specielle Bedeutung bat natürlich die Prüfung
dieses Reflexes bei peripheren und centralen Affectionen des N. trigeminus.
Unter den Schleimhautreflexen ist ausser dem Conjunctival- und PhaiyngoJ-
reflex, von denen letzterer besonders oft bei Hysterie geprüft wird, die ater
jedenfalls auch bei organischen Affectionen des centralen Nervensysteme« dia¬
gnostische Bedeutung beanspruchen dürfen, der Beachtung werth ein Reflex
den ich als Nasal reflex bezeichnen möchte. Dieser Reflex tritt leicht auf tei
mechanischer Irritation der Schleimhaut, der tiefer gelegenen Abschnitte der
Nasenhöhle und äussert sich in Schrumpfung der Nase und Contraction der
gleichseitigen Wange. Es handelt sich in diesem Falle um Reflexübertragun?
vom zweiten Aste des Trigeminus durch den sensiblen Kern des letzteren za
dem Kerne des Facialis. Dem zu Folge geht dieser Reflex, der vorzugsweise
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einseitig auftritt, verloren in allen Fällen, wo der Trigeminus oder Facialis
afficirt ist oder wo das Durchtrittsgebiet des Reflexes im verlängerten Marke
oder in der Varolsbrücke Erkrankungen aufweist Dagegen habe ich lebhafte
Steigerung des Nasalreflexes in einzelnen Fällen von Neuralgie des N. trige-
minu8 nachweisen können.
Wir haben also im Gebiete des Antlitzes und Kopfes eine ganze Reihe
von Reflexen, deren Verhalten bei der Diagnose von Erkrankungen des Gehirnes
und der Gehirnnerven in Rücksicht zu ziehen ist. Es sind dies in absteigender
Reihenfolge 1. der Conjunctivalreflex, 2. der Augenreflex, 3. der Jugalreflex,
4. der Nasalreflex, 5. der Mandibularreflex und b. der Pharyngealreflex. Ausser¬
dem können am Kopfe noch einige besondere Reflexe der Sinneswerkzeuge
unterschieden werden, unter welchen jedoch nur der Pupillarreflex eine grössere
praktische Bedeutung gewonnen hat.
[Universitätsklinik für Geistes- und Nervenkrankheiten in Budapest (Director:
Prof. Dr. E. Mobavcsik).]
2. Zur Frage des Supraorbitalreflexes.
Von Dr. Carl Hudovernig,
Assistent der Klinik.
In diesem Centralbl., 1901, S. 800 beschreibt D. J. McCarthy unter dem
Titel: „Der Supraorbitalreflex. Ein neuer Reflex im Gebiete des 5. und 7. Nerven-
paares“ ein Phänomen, welches bei Beklopfen des Supraorbitalnerven entsteht
und sich in einem fibrillären Zittern des M. orbicularis palpebrarum äussert.
McCarthy erklärt diese Erscheinung für einen reinen Reflex, dessen centripetaler
Bogenantheil aus dem entsprechenden Trigeminustheile, und dessen centrifugaler
Theil aus dem Gesichtsnerven besteht.
Bereits vor einem Jahre bemerkte ich diese Erscheinung, machte jedoch
keine Publication hiervon, sondern beschränkte mich nur auf mündliche Mit-
theilung an Fachgenossen; bei fortgesetzten Untersuchungen fand ich bald, dass
dieser Vorgang überhaupt kein Reflex sei. Nicht das Streben, McCarthy’s
Priorität anzuzweifeln, bewog mich zu diesen und den nachfolgenden Bemerkungen,
sondern die genannte Publication, und möchte ich nur meine entgegengesetzten
Erfahrungen hier kurz zusammenfassen.
Nach dieser Richtung prüfte ich beiläufig 1000 Personen, Gesunde, Geistes-
uiid Nervenkranke, und fand in allen Fällen, dass die leichte Contractiou oder
das fibrilläre Zittern des M. orbicularis palpebrarum bei Beklopfen
des M. frontalis überhaupt auftrete. An welcher Stelle man auch immer
den M. frontalis beklopfen mag, stets wird das erwähnte Zittern ausgelöst;
natürlicherweise geschieht dies auch dann, wenn der M. frontalis gerade über
dem Verlaufe des N. supraorbitalis beklopft wird. Das Beklopfen des einen
M. frontalis löst beinahe in allen Fällen ein beiderseitiges Zittern aus.
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In Fällen von Faoialislähmung, wenn solche total war, kann das Zitten
auf der gelähmten Seite nicht ausgelöst werden; bei Facialisparese jedoch ent¬
steht beiderseits Zittern, auf der gelähmten Seite schwächer, mag nun der ge¬
sunde oder der kranke M. frontalis beklopft werden. Bei Facialisparese komm:
mitunter folgendes Verhalten vor: Ein Beklopfen des gesunden M. frontalis ver¬
ursacht das gewöhnliche Zittern im M. orbicularis palpebrarum derselben Seit-
und nur ein schwaches des paretischen Orbicularmuskels; letzteres kann be
stärkerer Parese auch ganz fehlen. Beklopft man den Frontalmnskel der par*
tischen Seite, so entsteht auf derselben Seite schwaches oder gar kein Zittert¬
auf der gesunden Seite jedoch meist normales Zittern.
Dies sind die einzigen Fälle, in welchen ein einseitiges Auftreten des m
McCabthy geschilderten Phänomens nachweisbar war. Das Erscheinen d*
Phänomens überhaupt, sowie dessen Verhalten bei Faoialislähmung oder Parese
beweist unzweifelhaft die Rolle des Gesichtsnerven bei der Erscheinung.
Anders steht es mit der Rolle des Trigeminus. Jn Fällen von SupraorbCA-
neuralgie war das fibrilläre Zittern stets beiderseits vorhanden; geschah ds
Beklopfen gerade über dem Supraorbitalnerven, so war dies von lebhaften
Schmerz des Patienten begleitet In mehreren geheilten Fällen war das Ver¬
halten stets normal.
Entscheidend erscheint mir für die Frage, ob dem N. supraorbitalis ekc
Rolle zukommt, d. h. ob es sich beim MoCABTHY’schen Phänomen um ein«
Reflex handelt, das Verhalten bei unterbrochener Leitung im Trigeminus. Du*
war der Fall bei einer Dame, bei welcher wegen hartnäckiger Trigeminus¬
neuralgie Herr Prof. J. Dollingbb eine Exstirpation des rechten Ganglk*
Gasseri vornahm. (Vorher wurde bei dieser Dame im Laufe einiger Jata
successive die Durchschneidung und später Resection der peripheren Trigeminus-
äste vorgenommen.) Das von McCabthy geschilderte Phänomen is:
auch bei dieser Dame auf beiden Seiten in der geschilderten Weist
leicht auslösbar. (Zu bemerken ist, dass in diesem Falle völlige Heilung
der Neuralgie, sowie Anästhesie und Analgesie der rechten Gesichtshälfte be¬
steht!)
In Folge des Umstandes, dass das fibrilläre Zittern im M. orbicularis pal¬
pebrarum durch Beklopfen des M. frontalis in seiner ganzen Ausdehnung erhältfc
ist, däss dasselbe nur bei Facialislähmung fehlte, und hauptsächlich, weil e
nach Exstirpation des Ganglion Gasseri unverändert vorhanden ist: kann da¬
von McCabthy geschilderte Phänomen nicht als ein reiner Befiel
betrachtet werden; das fibrilläre Zittern im M. orbicularis palpebrarum £
vielmehr nur eine Weiterverbreitung der mechanischen Muskei-
reizung auf einen benachbarten und von demselben Nerv innervirten Musi-,
wie ja ähnliches Verhalten an anderen Körperstellen auch zu beobachten ist
Ein übriges, pathognomisch verwendbares Verhalten dieses Phänomens
bei Nerven- oder Geisteskrankheiten nicht feststellbar.
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»35
[Aus dem Laboratorium der Klinik für Nervenkrankheiten in Bukarest
(Prof. Dr. Gr. Mabinesoo).] %
3. Die spinalen motorischen Localisationen und die Theorie
der Metamerieen.
Von Dr. C. Farhon und Dr. M. Goldstein.
Die so interessante Frage der spinalen Localisation hat in letzter Zeit
einen Meinungsaustausch veranlasst, der von grösstem Interesse ist Bekannt*
lieh hat Bbis8aud(1), gestützt auf die Sensibilitäts- und trophischen Störungen,
die bei der Syringomyelie, der Gürtelrose und in manchen Hautkrankheiten
Vorkommen, behauptet, dass im Rückenmark besondere nervöse Centreu für die
verschiedenen Segmente des Körpers vorhanden seien. Namentlich was die Ex¬
tremitäten betrifft, so soll jedes Segment, Hand, Vorderarm, Arm, Fuss, Unter¬
schenkel, Oberschenkel, ein besonderes Centrum haben, sowohl für die sensible
wie für die motorische Innervation. Was nun die motorischen Localisationen
betrifft, so citirt Bhibsadd, um seine Ansichten zu stützen, die von van Ge¬
buchten (2) angestellten Untersuchungen, der in 2 Fällen von Unterschenkel¬
amputation in der Sacralregion in zwei Zellgruppen Distanzreaction nachweisen
konnte. Nach Bbissaud sollen in der Cervicalregion z. B. drei übereinander
gelagerte Kerne vorhanden sein, die, von innen nach aussen beginnend, den
betreffenden Extremitätstheilen, Arm, Vorderarm, Hand angehören sollen. Diese
Kerne sollen im Rückenmark Säulen entsprechen, von denen jede nicht einem
bestimmten Nerven, sondern, wie bereits bemerkt wurde, einem Extremitäts¬
segment entspricht Diese Säulen sollen in verschiedenen Höhen verschiedenen
Nerven tributpflichtig sein. So soll z. B. die mit dem Vorderarm in Verbindung
stehende Zellgruppe in ihrem oberen Theil dem Radialiskem, im mittleren
Theil dem Medianuskern und im unteren Theil dem Ulnariskern tributpflichtig
sein. Der Ausgangspunkt dieses Nerven soll im Rückenmark übereinander ge¬
lagert sein.. Seine Ansicht bringt Bbissaud in einem Schema zum Ausdruck,
das sehr klar das zur Darstellung bringt, was der Autor behaupten wollte; die
Theorie der nervösen und segmentären Localisationen wäre demnach überein¬
stimmend genug. Allein die Ideeen Bkissaud’s, wenn sie auch noch so scharf¬
sinnig sind, haben leider den Fehler, nicht genügend mit den Thatsachen über¬
einzustimmen, wie wir dies im Verlaufe dieser Arbeit nachweisen werden.
van Gebuchten (3) seinerseits, gestützt auf seine oben citirten 2 Fälle
und vielleicht auch von den ßBissAun’schen Gedanken beeinflusst, behauptet
ebenfalls, dass die spinalen Localisationen segmentär wären. Dieser Autor
nimmt es für möglich an, dass das Centrum eines bestimmten Segmentes sich
in secundäre Zellgruppen theile, die mit verschiedenen Muskelgruppen, die die
gleiche physiologische Function haben, in Verbindung treten. Für den Augen¬
blick aber scheint ihm eine Tbatsache gewonnen, und zwar, dass „die Zellen
des Vorderhorne8, des cervicodorsalen und des lumbosacralen Markes, die mit
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den Muskeln der Extremitäten in Verbindung sind, in natürlicher Weise rc
voneinander deutlich getrennten Zellsäulen gruppirt sind, und dass jede dieaer
Säulen den Stammkbrn sämmtlicher Fasern darstellt, die für ein betreffend*
Extremitätssegment bestimmt sind, wobei von dem physiologischen Werth
dieser Muskeln, sowie von den peripherischen Nerven, die dies*
Verbindungen zwischen Rückenmark und Muskel hersteilen, ab¬
gesehen wird.“
Zur Begründung dieser Theorie citirt van Gehuchten die Beobachtung*,
die Hammond in 2 Fällen von progressiver Muskelatrophie gemacht hat Auch
glaubt er, dass von den von Mabine8co(4), Pabhon und Popbscü unter¬
nommenen Untersuchungen über den wirklichen Ursprung verschiedener Spina.-
nerven ersichtlich ist, dass im Rückenmark die motorisohen Looalis&tkmen nicht
nervöser Natur wären. In einer übrigens recht wichtigen Arbeit Co6Tensoux , (5.
in welcher er sich gegen die Annahme einer sensiblen Metamerie ausspncfct
scheint er leicht geneigt zu sein, die motorische segmentäre Localisation anzc-
nehmen. Dieser Autor sowohl wie van Gbhuohten glauben, dass die von einm
von uns gemeinsam mit Popesou veröffentlichte Arbeit über den wirkliches
Ursprung des N. ischiadicus mit dieser Theorie übereinstimme, ja dieselbe sog»
stützen würde. Wir werden weiterhin sehen, dass dem so nicht ist Die» j
beiden Autoren würden nach unserer Ueberzeugung ihre Meinung geändert
haben, wenn schon unsere späteren Untersuchungen über den wirklichen Ur¬
sprung des N. cruralis, des N. obturatorius u. s. w. bekannt gewesen wären:
besonders wird wohl diese Arbeit dazu beitragen, diese ihre Meinung zu ändern
Schon a priori müssen wir bemerken, dass unserer Ansicht nach die Theorit
Brissaud’s und van Gbhuchten’s nicht der Wirklichkeit entspricht denn wir
sehen die Gründe nioht, warum nicht die Rückenmarksnerven ihre Centn*
haben sollen, wenn dies bei den Hirnnerven der Fall ist, indem ja beide Art**
von Nerven eine gleiche Function auszuüben haben. Ausserdem scheint es uns.
dass die Function verschiedener Muskelgruppen lange nioht so leicht und priet-
von statten ginge, wenn die spinale Localisation bloss segmentär wäre und nicht
nervös und functioneil. Die Verfechter der Theorie der Metamerieen soUr
eine Analogie zwischen der Constitution des Rückenmarks und des Nerven¬
systems niederer Thiere heretellen. Allein, wenn die vergleichende Anatom:-
uns auch verhilft, viele Fragen zu lösen, glauben wir, dass in dieser Angelegen¬
heit nicht viel von derselben zu erwarten ist Von der einfachen Ganglienkettr
der mit metamerischer Anlage versehenen Thiere bis zum Centralnervensystea
der höheren Thiere ist ein gar zu grosser Abstand vorhanden.
Wir glauben, dass es unter solchen Umständen am rathsamsten ist, vorerst
die Thatsachen festzustellen und erst dann zu deuten; die Schlussfolgerung«
werden sich dann von selbst ergeben.
Zu diesem Zwecke haben wir eine Reihe von Versuchen angestellt, tob
denen wir annehmen, dass sie geeignet sind, in diese Angelegenheit einig*
Licht zu bringen. Wir haben bei Hunden sowohl an den vorderen wie aa.'fc
an den hinteren Extremitäten die verschiedenen Segmente exartioulirt, ari
937
nachdem die Thiere zwischen 14—19 Tagen am Leben blieben, ist das Rücken¬
mark der entsprechenden Region in Seriensohnitten untersucht worden. Wir
werden in aller Kürze über die erzielten Resultate berichten. Vorerst wollen
wir aber in wenigen Worten die Topographie der Zellgruppen dieser Regionen
schildern, was zum Verständniss der folgenden Deutungen durchaus erforderlich
ist. Wir beginnen mit der Cervioalregion: Im 6. Cervicalsegment können mit
Leichtigkeit 6 Zellgruppen unterschieden werden und zwar eine antero-interne,
eine antero-exteme, eine vordere oder mediane, zwischen den beiden vorher¬
gehenden, an der Vorderseite des Homes gelegene Gruppe, eine hintere Gruppe,
eine andere, zwischen der hinteren und antero-externen gelegene Gruppe, die
wir intermediär nennen wollen und schliesslich eine centrale Gruppe, die den
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Fig. 1. Schnitt aas dem unteren Drittel des 7. Cervicalsegments. Exarticulation
der vorderen Extremität. Die am meisten nach hinten gelegene, hier aas bloss
zwei Zellen bestehende Gruppe entspricht den vorderen Muskeln des Vorderarms,
die gleich ihm vor ihr gelegene Gruppe dem M. triceps brachii.
Platz des Vorderhorns einnimmt, wie schon aus dem Namen ersichtlich. Diese
Disposition ist nicht absolut; in manchen Schnitten ist hier und da je eine oder
zwei Zellen zu bemerken, die bald der einen, bald der anderen Zellgruppe ähn¬
lich sind und es so zu Stande bringen, dass die Gruppenbilder variiren. Unter¬
sucht man aber eine Schnittserie, so bemerkt man, dass die geschilderte An¬
ordnung sich im Allgemeinen aufrecht erhält. Im oberen Theile des 7. Segments
bewahren die Zellgruppen die fast gleiche Verkeilung, allein je tiefer wir
steigen, desto mehr nähert sich die centrale Gruppe an den vorderen Rand des
Hornes und wird demgemäss beinahe nach vorne gelagert (Fig. 1), die antero-
externe Gruppe bleibt unverändert, die intermediäre Gruppe ist nur im unteren
Theil dieses Segments vorhanden, woselbst, nachdem rückwärts der hinteren
Gruppe eine neue Zellgruppe in Erscheinung tritt, diese, d. h. die vorher die
hintere war, von selbst intermediär wird. Im 8. Cervicalsegment unter¬
scheiden wir 5 Zellgruppen, die wir folgendermaassen benennen können,
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indem auf ihre Lage Bezug genommen wird: antero-intern, antero-media
antero-extern, intermediär and posterior (Figg. 2 u. 3). Je mehr wir cil>
Fig. 2. Schnitt aas dein unteren Drittel des 8. Cervicalsegments. EzarticaUtioo
des Vorderarms. Von den 4 Gruppen, die reagirt haben, welche alle zusammen
die grosse hintere Gruppe darstellen, entspricht die hinterste der Hand, die drei
vorderen dem Vorderarm; von diesen entspricht die am meisten nach aussen ge¬
legene den hinteren Muskeln des Vorderarms, während die übrigen beiden, nach
innen gelegenen den Vordermnskeln dieses Segments entsprechen.
dem untered Theile des Segments nähern, um so deutlicher zerfallt du
letzte Gruppe in secundäre Gruppen, wobei die eine Gruppe ganz und pr
Fig. 3. Schnitt aus dem untersten Theil des 8. Cervicalsegments. Exarticulation
der Hand. Die hintere secundäre Gruppe, die reagirt hat, entspricht der Haii
ausserhalb des hinteren und äusseren Winkels des Hornes zu liegen konn
Nahe an demselben und etwas nach vorne ist eine zweite secundäre Grupp
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vorhanden; eine dritte befindet sich mehr nach innen und nach hinten von der
zweiten; zwischen diesen beiden und etwas mehr nach vorn befindet sich eine
vierte Seoundärgruppe. Im oberen Theile des ersten Dorsalsegments werden
die Gruppen anterior, antero-extern und intermediär immer geringer, um zuletzt
ganz zu verschwinden, während die Gruppe, die früher antero-intem war, bloss
anterior wird, was in Folge des in dieser Höhe stattgehabten Wechsels in der
Morphologie des Hornes begründet ist. Die hintere Gruppe, die demgemäss
postero-lateral wird, ist gleichfalls verringert, so dass auoh sie im unteren Theile
dieses Segments vorhanden zu sein aufhört Allein in der Höhe des ersten
Dorsalsegments erscheint eine andere Gruppe, die von kleineren Zellen gebildet
Fig. 4. Schnitt aas dem unteren Theil des 8. Lendensegments. Die antero-externe
Gruppe — Kern des N. cruralis — entspricht in dieser Höhe dem Oberschenkel.
ist, und deren Structur sich von der der gewöhnlichen motorischen Zellen
unterscheidet Dieser Kern gruppirt sich anfänglich nach vorne, rückwärts der
postero-Jateralen Gruppe, die er sozusagen umgreift, während er weiter unten,
wo die postero-laterale Gruppe vorhanden zu sein auf hört, an die Stelle der
letzteren tritt. Dieser aus kleinen Zellen gebildete Kern soll naoh Jacob¬
sohn (6) das sympathische cilio-spinale Centrum darstellen — eine Ansicht, die
recht wahrscheinlich ist
Wir wollen uns jetzt darüber klar werden, wie die verschiedenen Glieder¬
segmente unter sich diese Zellgruppen vertheilen. Nach der Exartioulation der
Hand finden wir Zellen, die reagirt haben etwa an dem oberen Theile des
8. Cervical8egment8. Diese Zellen bilden die von den 4 secundären Gruppen
am meisten nach innen und nach hinten gelegene Gruppe und die, wie wir
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oben gesehen haben, zusammen die grosse hintere Gruppe bilden. Diese Gruppt,
die anfänglich nur aus wenigen Zellen besteht, wird, je weiter wir nach uuten
steigen, immer grösser (Fig. 3). Es ist bemerkenswerth, dass in manche
Schnitten, namentlich in der Richtung des unteren Theiles des Segmente,
dieser Kern seinerseits wieder in 2 Gruppen getheilt ist. Diese Thatsache ver¬
dient unsere ganze Aufmerksamkeit, indem die Möglichkeit vorhanden ist, da*
sie vielleicht mit der Localisation irgend welcher Handmuskeln mit verschiedener
Function in Verbindung ist. Im 1. Dorsalsegment ist die Hand mittelst
der postero-lateralen Gruppe reprasentirt, die in dieser Höhe als eine Fort¬
setzung der Gruppe erscheint, von der wir bisher gesprochen haben. Wenn wir
Fig. 5. Schnitt aas dem oberen Theil des 4. Lendensegments. In dieser Höhe
entspricht die hintere Gruppe dem Unterschenkel; von den beiden, vor ihr gelegenen,
die beide dem Oberschenkel entsprechen, innervirt die centralgelegene Groppe den
M. biceps fern., während die intermediäre den M. semitendinosas and M. semi-
membranosos innervirt.
also unsere Erfahrungen zusammenfassen, so ergiebt sich, dass das motorisch?
Centrum der eigentlichen Hand durch die secundäre, postero-
interne Gruppe des 8. Cervicalsegments und durch die postero-
laterale Gruppe des 1. Dorsalsegments dargestellt wird.
Wir wollen nun die Localisation des Vorderarmes in Betracht ziehen.
Dieses Gliedsegment ist bei mehreren Thieren exarticulirt worden, worauf dx
Thiere noch 17 Tage am Leben blieben. Die entsprechende Cervicalregion ist
dann in Serienschnitte zerlegt worden, und wir fanden, dass der Unterarm bereit*
im 7. Cervicalsegment reprasentirt ist. In diesem Segment bilden die Zello
die reagirt haben, eine am meisten nach hinten vom Home gelagerte Groppe-
die, wie wir gesehen haben, nur im untersten Theile dieses Segmentes repräseo-
941
tixt ist. Es ist dies die uns bereits bekannte Gruppe, die sich zu den anderen
vier, antero-intern, antero-median, antero-extern und posterior hinzufügt, die
jetzt eine intermediäre Gruppe wird, während diese dann eine wirkliche hintere
bildet Neuere, noch unveröffentlichte Forschungen beweisen, dass diese Gruppe
mit den Muskeln der vorderen Region des Vorderarmes in Verbindung ist.
Die Localisation des Vorderarmes ist äusserst charakteristisch im 8. Cervical-
segment (Fig. 2). Hier ist der Vorderarm durch die übrigen drei secundären
Gruppen repräsentirt, die von der hinteren Gruppe Zurückbleiben; die am meisten
nach hinten und innen gelegene secundäre Gruppe, die, wie wir gesehen haben,
dazu bestimmt ist, die Handmuskeln zu innerviren. Aus den bereits erwähnten
Fig. 6. Schnitt aus dem unteren Thoil des 4. Lendensegments. Die zwei hinteren
Gruppen entsprechen dem Unterschenkel, und zwar die äussere dem N. peron.
comm., während die innere, in ßeaction befindliche, dem N. tibialis entspricht.
Untersuchungen ist ersichtlich, dass die von diesen 8 Gruppen am meisten
nach aussen gelegene Gruppe mit den Muskeln der hinteren Region des
Vorderarmes in Verbindung ist, während die anderen beiden Gruppen mit
den Muskeln der vorderen Region dieses Segmentes in Verbindung sind. Im
oberen Theile des 8. Segments ist nach der Exstirpation der Muskeln der
hinteren Region des Vorderarmes auf manchem Sohnitt eine aus 4—6 Zellen
bestehende, gleich vor den beiden secundären, für die Innervation der vorderen
Muskeln dieser Region bestimmten Gruppen gelegene Gruppe vorhanden, die
gleichzeitig mit den Zellen der postero-extemen Secundärgruppe reagiren; wie
jene, gehören also auch diese zur Innervation der hinteren Muskel des Vorder¬
armes. Im 1. Dorsalsegment werden die den Vorderarm innervirenden Gruppen
verringert und schwinden schliesslich ganz.
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Um mit dem Vorderglied zu schliessen, untersuchten wir noch die Ver¬
änderungen, die sich in Folge der scapulo-humeralen Exarticulation im Rücken¬
mark entwickelt haben. Die Distanzreaotion erschien in diesem Falle in da
unteren Hälfte des 6. Cervicalsegmentes, indem es die am meisten nach hinten
gelegene Gruppe einnahm. In einigen Schnitten zerfallt auch die hintere Gruppe
in zwei seoundäre Unterabtheilungen, eine postero-externe und eine poetero-inteme,
die etwas mehr nach hinten als die erste gelegen ist. Ausserdem fanden wir
noch eine geringe Zahl kranker Zellen in der centralen und in der intermediären
Gruppe. Allein diese Zellen gehören, wie wir sehen werden, den Mm. pectoralis
major und deltoideus. Die in diesen Gruppen zu beobachtende Reaction ist
Fig. 7. Schnitt ans dem untersten Theil des 5. Lendensegments. Die hintere, in
Distanzreaction befindliche Gruppe entspricht dem Fasse.
dadurch zu erklären, dass die Exarticulation des Armes nothwendiger Weise
auch eine Verletzung dieser beiden Muskeln, die ja bekanntlich mit einem Kopf
am Os humeri inseriren, zu Stande kommen musste.
Im 7. Segment sind die Läsionen in der hinteren Gruppe gelegen (Fig. 1). Weiter
unten, dort wo in Folge des Erscheinens einer neuen, noch mehr nach hinten
gelegenen Gruppe, die erstere intermediär wird, finden sich die Veränderungen
auch in dieser neuen Gruppe. Allein, wie wir gesehen haben, ist diese letztere
mit den Muskeln des Vorderarmes und zwar mit jenen der vorderen Region
dieses Segmentes in Verbindung. Was nun die hintere — später intermediär
werdende — Gruppe betrifft, stellt dieselbe das Innervationscentrum des
M. triceps brachii dar. Wir machen noch auf das schwankende Vorhanden¬
sein alterirter Zellen in der antero-externen Gruppe aufmerksam (Fig. 1). Im
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943
8. Cervicalsegment finden wir ausser in den Zellgruppen, die der Hand und
dem Vorderarm angehören, auch noch Keactionen in den Zellen der inter¬
mediären Gruppe, die in dieser Höhe eine Fortsetzung des Kernes des
M. triceps brachii ist, sowie auch eine schwankende Anzahl von Zellen —
manchmal sogar recht zahlreich — in der antero-externen Gruppe. Desgleichen
sind auch einige Zellen der antero-medianen Gruppe in Reaction befunden
worden. Was aber das 1. Dorsalsegment betrifft, so trägt dasselbe nichts zur
motorischen Innervation des Armes bei.
Indem wir nun zur unteren Extremität übergehen, werdeü wir auch hier
zuerst die Topographie der Zellgruppen in den verschiedenen Segmenten, die
der Innervation dieser Extremitäten entsprechen, feststellen. An dem mittleren
Theile des 3. Lendensegments können 4 Gruppen unterschieden werden: eine
antero-inteme, eine vordere — beide wenig umfangreich — eine centrale, sich
in manchen Schnitten in die vordere fortsetzende und schliesslich eine äussere
Gruppe (Fig.4). Diese Verkeilung wird auch in der oberen Hälfte des 4. Lenden¬
segments aufrecht erhalten, aber es sind einige Modificationen zu erwähnen, so
z. B. wird die vordere Gruppe antero-extern, so dass die bis jetzt äussere Gruppe
nun zur hinteren wird (Fig. 5). An der unteren Hälfte dieses Segments erscheint eine
noch mehr nach hinten gelegene Gruppe, so dass in dieser Höhe 5 Zellgruppen
unterschieden werden können: antero-intern, antero-extern, intermediär, central
und posterior (Fig.6). In manchen Schnitten zerfällt die antero-externe Gruppe in
zwei secundäre Gruppen. Ebenso kann in einigen Schnitten zwischen der centralen
und der intermediären Gruppe eine 3. Gruppe unterschieden werden. Wir aber
wollen besonders darauf aufmerksam machen, dass nur in manchen Schnitten,
die einer bestimmten Höhe entsprechen, die hintere Gruppe allein dasteht,
während in Wirklichkeit an der Hinterseite des Hornes 2 Zellgruppen, eine .
postero-externe und eine postero-interne vorhanden sind (Fig. 6). Die erstere be¬
ginnt etwas mehr nach oben und endigt ebenfalls etwas höher als die zweite.
Wir werden sehen, dass diese Erscheinung nicht bedeutungslos ist
Weiter unten, an der unteren Hälfte des 5. Segments, schwindet die cen¬
trale Gruppe und neben der intermediären erscheint eine andere Gruppe, die
aus Zellen besteht, die etwas kleiner als die gewöhnlich motorischen, ihnen
aber sehr ähnlich sind. Bald schwindet auch die intermediäre Gruppe, die
antero-externe Gruppe besteht fort, ist aber verringert; nur die hintere Gruppe
verharrt weiter in voller Entwickelung (Fig. 7). Diese hintere Gruppe, die in
dieser Höhe allein dasteht, scheint eine Fortsetzung der postero-intemen Gruppe
zu sein, von der wir oben sprachen. Die postero-externe Gruppe schwindet
etwa an der Hälfte des 5. Segments. Schliesslich schwindet auch die hintere
Gruppe und zwar an der oberen Hälfte des 6. Segments.
Die Exarticulation des Fusses selbst hat Veränderungen etwa in der Mitte
des 5. Lendensegments des Rückenmarkes zur Folge. Hier bilden die kranken
Zellen eine besondere Gruppe, die am meisten hinten am Horne gelegen ist,
rückwärts von der hinteren Gruppe. Es ist dies eine kleine Gruppe, die nur
in wenigen Schnitten angetroffen wird, und die unserer Ansicht nach der Gruppe
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entspricht, die von van Gebuchten beim Menschen als secnndäre hintere Gruppe
beschrieben wurde und die diesem Autor zur Folge der motorischen Innervation
des Fusses vorsteht Indem aber, je weiter wir nach unten steigen, die Topo¬
graphie der Gegend sich um so mehr verändert, wird diese kleine secnndäre
hintere Gruppe grösser und tritt gleichzeitig an die Stelle der hinteren Haupt¬
gruppe, die nun verschwindet (Fig. 7). Diese Gruppe der Fussmuskeln setzt sich
bis etwa zur Hälfte des 6. Segmentes fort, wo sie endigt
(Schloss folgt)
[Aus dem patholog.-anatom. Institut des Hm. Prof Obbzut in Lemberg.]
4. Zur Kenntniss der
Lagerung der motorischen Hirnnerven im Hirnsehenkelfm
Von Priv.-Doc. Dr. G. Bikeles.
Gewährt schon der Befund isolirter Bahndegenerationen im Pes peduneuli
immer ein gewisses Interesse, so dürfte dies umsomehr von vorliegendem Palle
gelten. Es ist nämlich in neuerer Zeit von einem bekannten Forscher auf Grund
von Befunden in zwei Fällen von frischer Hemiplegie gegen die gangbare Locali-
sation der motorischen Himnervenbahnen im Pes peduneuli Einspruch erhoben
worden. Nach letzterer Ansicht sollte das Feld für die motorischen Himnerven¬
bahnen sich nicht, wie man früher annahm, medial, sondern lateral von da
eigentlichen Pyramidenbahn befinden. In einem früheren Aufsatze 1 konnte ich
gegen diese Annahme nur Vorbringen, dass in einem Falle von oberflächlicher
Erweichung des Gesammtgebietes einer Arteria fossae Sylvii lateral von der eigent¬
lichen Pyramidenbahn, d. i. im äusseren Drittel des Pes, keine solche auf die
Bahn motorischer Hirnnerven zu beziehende Degeneration aufzufinden war. Vor¬
liegender Fall zeigt nun aber in evidentester Weise, dass die ältere Annahme
die richtige ist.
Das Hirn stammt von einem 41jährigen Manne, der an einer chronischen
Endocarditis mit Insufficienz der Bicuspidalklappen litt
In klinischer Beziehung konnte ich über die intra vitam bestandenen Sym¬
ptome nicht viel erfahren. Sicher ist nur, dass motorisch-aphasische Erscheinungen
zuerst sich einstellten, denen sich darauf eine rechtsseitige Hemiparese hinin-
gesellt haben soll.
Sieht man aber auch vom klinischen Bilde ganz ab, so bleibt noch immer
der anatomische Befund an und für sich klar und unzweideutig.
In der linken Grosshirnhemisphäre fanden sich nämlich Erweichungsherde,
die den ganzen Gyrns frontalis inferior, dann den untersten, über ein Drittel
betragenden Abschnitt des Gyrus centralis anterior (vgl. Fig. 1) einnahmen, und
ausserdem sass ein kleiner Erweichungsherd im Gyrus parietalis inferior. Alle
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1 Neurolog. Centralbl. 1901. Nr. 7.
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diese Herde sitzen oberflächlich und reichen meist nur wenige Millimeter in die
Tiefe. Der Erweichungsherd am linken Gyrus frontalis inferior ist etwas älteren
Datums, der dagegen des Gyrus centralis anterior und der kleine Herd am
Gyrus parietalis inferior sind recenten Ursprunges. In der Tiefe der Hemisphäre
sind keine anderweitigen Herde nachweisbar.
Auf dem Querschnitte duroh den Pes pedunculi zeigen Mabchi- Präparate
eine sehr deutliche absteigende Degeneration. Theilt man den Himschenkelfuss
in 5 Theile, so befindet sich die Degeneration im zweiten medialen Fünftel
(Ygl. Fig. 2), also auch medial von der eigentlichen Pyramidenbahn.
Letztere ist von jedweder Degeneration frei, und im Rückenmark, selbst im
obersten Halsmark ist keine Spur von schwarzen Schollen bei MABCHi-Färbung
aufzufinden. Vergleicht man die Lage des Degenerafcionsfeldes im Pes pedunculi
medial
Fig. 2. N.R. = Nucleus ruber,
S.N = Subetantia nigra.
mit dem für die Einteilung des Hirnschenkels gegebenen Schema Obebsteineb’s *,
so braucht es bei der Intactheit der eigentlichen Pyramidenbahn keines weiteren
Beweises, dass die Degeneration in unserem Falle nur auf die motorischen Hirn¬
nerven (speciell Hypoglossus und Facialis) zu beziehen ist. Aber gerade bezüglich
des Hirnschenkels variiren die Angaben der Autoren. Bechtebew 2 überlässt
der frontalen Brückenbahn ein viel beträchtlicheres Areal, in welches unser Dege¬
nerationsgebiet noch hineinreicht. Weiter hält es Bechtebew 3 für möglioh,
dass die frontale Brückenbahn noch Zuzüge von den Centralwindungen erhalten
könnte. Angesichts dessen könnte man vielleicht versucht sein, die vorliegende Dege¬
neration auf die frontale Brückenbahn und nicht auf die motorischen Hirnnerven
zu beziehen. Dagegen spricht aber auf’s entschiedendste der Degenerations¬
befund im unteren Abschnitt des Pons und in der Oblongata. Während nämlich
die frontale Brückenbahn in den vorderen Abschnitten des Pons auf hört 4 , findet
‘ Nervöse Centralorgane. 1896. 8. 336.
* Leitangebahnen. 1899.
» L. c. 8. 640.
4 Bbchtubw, 1. o. 8. 305.
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man in unserem Falle im untersten Ponsabsehnitt und in der Oblongaü
schwarze, über den ganzen Querschnitt der linken Pyramidenbahn zerstreut*
Schollen, welche unterhalb des Facialiskems zwar an Zahl verringert, jedoch
deutlich zum Vorschein kommen.
Aus dem Obigen folgt also, dass wir es mit einer Degeneration der
motorischen Hirnnerven zu thun haben, und dass dieselben, übers»-
stimmend mit der älteren Lehre, im Hirnschenkel medial von der eigent¬
lichen Pyramidenbahn liegen.
IL Heferate.
Anatomie.
1) Observations of the minute struoture of the oortex of the brain u re-
vealed by the methylene blue and peroxide of hydrogene methode of
staining the tisaue direct on its removal from the body, by J. Turner
(Brain. H. 1901.)
Die von dem Verf. benutzte Färbemethode muss in ihren Einzelheiten i*
Original nachgelesen werden. Er fand mit ihr in der Grosshirarinde blassgefarbfc
Pyramidenzellen und dunkelgefärbte kleinere, deren Dendriten unter sich und ob
die Pyramidenzellen ein dichtes Netzwerk bilden; im Kleinhirn blassgef&rbte
Purkinje-Zellen und dunkelgefärbte kleinere, die hier ebenfalls um diese and
unter sich ein Netzwerk bilden. Da diese blassen Pyramidenzellen motorischer
Natur sind, so fasst er die dunkelgefärbten in der Gtosb- und Kleinhirnrinde ah
sensorische auf. Im Grosshirn überwiegen sehr die motorischen blassen, im Klein¬
hirn die sensorischen dunklen Zellen; vielleicht hat das eine Bedeutung für dir
Verschiedenheit der Function im Gross- und Kleinhirn. Brnns.
2) Desoending mesenoephalio traota in oat, monkey and man; Monakow's
bündle; the dorsal longitudinal bündle; the ventral longitudinal bündle;
the pontoapinal tracts, lateral and ventral; the veatibulospinal traet;
the central tegmental traot (cerebrale Haubenbahn); desoending fibne
of the flllet, hy Collier and Buzzard. (Brain. II. 1901.)
Die Verff. haben an experimentell verletzten Katzen und Affen und ho
Tumoren und Abscessen des Mittelhirns beim Menschen besonders genaue Unter¬
suchungen über Ursprung und Verlauf der obengenannten das Mittelhirn mit des
Rückenmark verbindenden Bahnen angestellt. Im wesentlichen stimmen ihre An¬
gaben, die im Original studirt werden müssen, überein mit dem bisher Bekanntes:
es handelt sich nur um kleine Abweichungen. Von grossem physiologisch-klinische
Interesse ist ihre Behauptung, dass es sich hei diesen Bahnen um eine zweit#
vom Mittelhirn ausgehende motorische Verbindung handelt; diese Bahnen sind ub
so mehr ausgebildet, je weniger die Pyramideuhahu es ist. Hunde und Kat»
sind nie ganz gelähmt bei Zerstörung der Pyramidenbahnen; auch heim Mensch«
ruft eine Läsion dieser Bahn unterhalb des Thalamus keine volle Lähmung hervor.
Es ist wahrscheinlich, dass diese Bahnen es auch sind, durch die bei Läsion dff
Pyramidenbahnen die tiefen Reflexe erhalten bleiben; werden auch sie zerstört
wie bei completten transversalen Läsionen, so schwinden diese Reflexe. Bei das
947
combinirten Systemerkrankungen in Folge von Eachexieen sind die Reflexe noch
erhöht, wenn schon Pyramidenbahnen and Hinterstränge erkrankt sind; sie
schwinden erst zuletzt, wenn die Mittelhirn-Röckenmarksbahnen, die hier am
letzten ergriffen werden, auch zerstört sind. Diese Annahmen würden im wesent¬
lichen die Hypothese Bastian’s über das Fehlen der Sehnenreflexe bei totalen
Querläsionen des Markes stützen. Die Arbeit ist reich illustrirk
Bruns.
3) Is an „Isthmus rhombencephali“ why not an „Isthmus prosenoephali“P
by Dr. B. B. Stroud, Cornell, University (abstract). (Proceed. of the Assoc.
of American Anat. 1899.)
Das Gebiet der Bindearme bei jungen Embryonen der Wirbelthiere nennt
His als besonderen Antheil der Rautengrube „Isthmus rhombencephali“. Der
Autor beweist, dass es entwickelungsgeschichtlich als „Isthmus prosencephali“ zu
bezeichnen ist. H. Marcus (Wien).
Physiologie.
4)' Zur Lehre von der Blutoiroulation ln der Sohftdelhöhle des Menschen.
Habilitationsschrift von Hans Berger. (Jena 1901.)
Der ausserordentlich fleissigen Arbeit geht eine umfassende historische Ein¬
leitung voraus. Die zahlreichen Experimente wurden theils an Thieren, theils
an einem Patienten angestellt, dem wegen eines vermutheten Hirntumors ein
grösseres Stück Schädelknochen über dem hinteren Theile des Lobus parietalis
entfernt worden war. Die pulsatorischen, respiratorischen und vasomotorischen
Schwankungen wurden jede gesonderter Beobachtung unterworfen; bezüglich der
letzteren konnte die Annahme eigener Gefässnerven des Gehirns befestigt werden.
Weiter wurde der Einfluss der Körper- und Kopfstellungen und der Muskel¬
bewegungen auf die Hirnvolumenskurve und schliesslich in grösserem Umfange
die Einwirkung von Arzneimitteln auf die Gehirncirculation studirt. Als Haupt¬
ergebnisse der Arbeit können die folgenden angesehen werden:
Der Einfluss der Respiration auf die Gehirncirculation ist ein bedeutender,
der Stoffwechsel der Centralorgane muss durch dieselbe stark befördert werden.
Von den untersuchten Arzneimitteln hatten einzelne recht unerwartete Wirkungen:
Chloroform, das nach den gewöhnlichen klinischen Anschauungen die Circulation
in der Scbädelhöhle herabsetzen sollte, bedingt Volumszunahme des Gehirns und
Erweiterung seiner Blutgefässe. Coca'in, trotz seiner stark excitirenden Wirkung
auf das Gehirn, bedingt Abnahme der Pulsationshöhe desselben, obwohl die gleich¬
zeitige Temperaturmessung anzeigt, dass lebhafte chemisohe Umsetzungen unter
dem Einfluss dieses Mittels im Centralnervensystem statthaben. Einem gesteigerten
Umsatz an chemischer Spannkraft geht also keineswegs immer eine gesteigerte
Blutzufuhr parallel, wie man das häufig bei psychischen Erkrankungen anzunehmen
geneigt ist. Mittel, die den allgemeinen Blutdruck steigern, befördern zum Theil
damit auch den Blutkreislauf im Gehirn, am meisten unter den geprüften Mitteln
das Digitoxin. Ergotin zeigte keine merkliche Einwirkung auf die Gohirncircu-
lation. Amylnitrit erweiterte mit den übrigen Gefässen des Kopfes auch die
intracraniellen, mit Ausnahme der Retinalgefasse (Pick). Morphin bedingte eine
Abnahme der Blutzufuhr zum Gehirn und einen verlangsamten Blutabfluss; ähn¬
lich wirkt in dieser Hinsicht Hyoscin, bei dem die Form der Pulswellen ausser¬
dem auf eine Contraction der Gehiragefässe schliesseu liess. Es wird sich daraus
die Mahnung ergeben, bei mangelhafter Ernährung der Hirnrinde, wie wir sie
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für eise Reihe von Psychosen wohl an nehmen müssen, vorsichtig mit diese«
letzteren Mittel zu sein.
Im Ganzen geht aus den Untersuchungen wohl das eine zweifellos hervor,
dass die Wirkung der zum Theil sehr energisch auf das Centralnervensystem eis¬
wirkenden Arzneimittel nicht in einer primären Alteration der Hirncirculatkn
bedingt ist, sondern dass dieselben durch einen directen Elinfluss auf die Nerveo-
substanz selbst ihre Wirkung entfalten. Ein künstlich durch Medicamente erzielter
Schlaf kann sowohl mit einer relativen Anämie wie Hyperämie des Gehirns ein¬
hergehen, und ebenso sehen wir Erregungszustände mit Anämie wie Hyperämie
des Centralorgans vergesellschaftet. Aus dem Zustande des Gefasssystema können
wir also keinen Schluss auf die jeweiligen Zustände, in denen sich die specifiacben
Ellemente des Centralnervensystems befinden, ziehen. H. Haenel (Dresden).
Experimentelle Physiologie.
6) Ueber Vereinigung des N. feoialis mit dem TU. aooeesoriua durch die
Nervenpftropfung (Greife nerveuae), von Dr. P. Man aase. (Archiv f. klia.
Chir. 1900. LXII.)
Verf. hat nach einer Methode Leti&vant’s an Hunden operirt, indem er
das periphere Elnde des dicht unter dem Foramen stylo-mastoid. durch trennten
N. VII. seitlich an den frei präparirten, unverletzten N. XI. annähte, wobei er
etwa */ 4 der Dicke des letzteren in die Naht mit fasste. Anfrischung desselben
vermied er in Rücksicht auf die Beobachtungen aufsteigender nnd centraler
Degeneration nach Durchtrennung auch motorischer Nerven. In klinischer Hin¬
sicht zeigten die Experimente kein ganz befriedigendes Ergebniss, indem nur bei zwei
von fünf mit Erfolg operirten Thieren der Lidreflex, und nur bei drei willkürlich?
Bewegungen im Gesicht wiederkehrten. Immerhin ging die Atrophie der Ge¬
sichtem usculatur völlig zurück, die Verziehung von Nase und Mund verschwand
die durch Herabbängen der Unterlippe weit geöffnete Mundspalte schloss mck
allmählich wieder, die Reflexzuckung des Gesichts beim Anblasen kehrte zurück
Besser war das Resultat bezüglich der elektrischen Erregbarkeit, indem bei alles
Thieren von etwa der zweiten Hälfte des 4. Monats ab die vorher vollständig
erloschene Erregbarkeit wiederkehrte, und zwar sowohl die faradische Erregbar¬
keit der Musculatur, als auch die indirecte galvanische: an der frei präparirtes
Nahtstelle konnten sowohl von der centralwärts gelegenen Strecke des Accessorist-
stammes, als auch von der Nahtstelle selbst und zum Theil auch von dem peripher
gelegenen Stamme des Accessorius aus Zuckungen im ganzen Facialisgebiete er¬
zielt werden. In einem Falle, wo eine secundäre Vereinigung des Faci&liastamare
mit seinem peripheren Stumpfe trotz der weiten Entfernung zu Stande gekommen
war, traten jene Zuckungen auch nach Durchschneidung dieser neuen Verbindung
auf. Mikroskopische Untersuchungen der Nahtstellen zeigten den directen Ueber-
gang von Nervenfasern aus dem einen in den anderen Nerven und das Fehka
anderweitiger Verbindungen und machten so die Resultate zu einwandsfreiea
Die unvollkommene Wiederherstellung der Willkürbewegungen schiebt Verf. aaf
die Kürze der Beobachtungsdauer: bei Menschen wurde Heilung noch Jahre nach
der Nervennaht beobachtet; die Hunde des Verf.’s wurden nach 10—14 Monat«
getödtet, hatten aber bis dahin fortschreitende Besserung gezeigt, so dass Verf
hofft, bei dem letzten, hei dem die Beobachtung noch fortgesetzt wird, auch ein
functionell gutes Resultat zu erzielen. H. Haenel (Dresden).
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0) Klinischer und experimenteller Beitrag nur Lehre von der Lähmung
des Nervus facialis, zugleich ein Beitrag zur Physiologie des Ge¬
schmackes, der Bohweiss-, Bpeiohel- und Thränenabsonderung, von Dr.
Georg Köster. Aus der medioiuischen Universitätspoliklinik zu Leipzig.
(Archiv f. klin. Medicin. LXVIII. S. 343 u. 505.)
Verf. referirt zuerst die Krankengeschichten von 41 von ihm in den letzten
zwei Jahren beobachteten peripherischen Facialislähmungen, in welchen der Facialis
an den verschiedensten Stellen seines Verlaufs betroffen war. Auf Grund einer
kritischen Sichtung der in diesen Fällen »ufgetretenen Symptome ergeben sich
folgende verschiedene Localisationen der peripherischen Facialislähmung. 1. Zur
Erkennung des ganz peripheren Sitzes unterhalb des Foramen stylomastoideum
und bis zum Abgänge der Chorda hinauf dient das Fohlen aller übrigen Aus¬
fallserscheinungen ausser der constanten und bei jedem Sitz der Facialislähmung
möglichen SchweisBstörung und die alleinige Anwesenheit der motorischen Läh¬
mung. 2. Sitzt die Continuitätsunterbrechung irgendwo oberhalb des Chorda¬
abganges entweder im letzten absteigenden oder dem über die Paukenhöhle
hinwegziehentfen Abschnitt des Fallopischen Canales, so wird ausser motorischer
und Schweissetörung stets eine solche des Geschmackes und öfters auch der
Speichelabsonderung vorhanden sein. 3. Trifft die Läsion die Gegend des Knie¬
ganglions, so kommt zu den unter 2. genannten Erscheinungen noch die Alteration
der Thränenabsonderung als constantes und eine auf Läsion des Acusticus be¬
ruhende Gehörsstörung als nicht ganz constantes Symptom hinzu. 4. Liegt die
Leitungsunterbrechung oberhalb des Knieganglions bis zum Eintritt des Facialis
in das Gehirn, so sind die unter 2. und 3. aufgeführten Ausfallserscheinungen
vorhanden mit Ausnahme des Geschmacks Verlustes. 5. Wenn ein Herd den
Facialiskern und dessen nächste Umgebung beschädigt hat, so werden sich die¬
selben Symptome nachweisen lassen wie bei 4. und es wird die Diagnose in diesem
Falle nur aus anderen Anzeichen (homo* oder contralateraler Extremitätenlähmung,
Zwangslachen oder -weinen u. s. w.) gestellt werden können. 6. Läsionen des
Facialiskernes allein, wenn es sich um einen angeborenen Defect des Facialis-
kerns handelt, haben aussor der motorischen Lähmung nur noch eine Störung
der Schweisssecretion zur Folge.
Der zweite experimentelle Theil der Arbeit führte zu folgenden Ergebnissen:
Der N. subcutaneus malae, welcher in seiner Endausbreitung keine anatomische
Verbindung mit dem N. lacrymalis eingeht, hat bei Hund, Katze und Affen nichts
mit der Thränenabsonderung zu thuu. Die Chorda tympani enthält sensible Fasern,
hat aber mit der Thränenabsonderung nichts zu thun, ebenso ist der gauze Facialis
bei Macneus rhesor, Hund und Katze, bei der Thränenabsonderung direct vollkommen
unbetheiligt. Dagegen wird die bereits durch die klinisch-pathologische Beobach¬
tung gewonnene Ueberzeugung, dass die secretorischen Fasern der Submaxillar-
und Sublingualdrüsen im Stamme deB Facialis heruntertreten, durch das Thier¬
experiment zur völligen Gewissheit. Die Zerstörung des N. facialis am
Knieganglion bewirkte niemals eine secundäre Degeneration im N. lacrymalis.
Jacobsohn (Berlin).
Pathologische Anatomie.
7) The condition of the medullated flbres of the oortex cerebri in twenty
flve oases of insanity, by E. Goodall and Peers Maclulich. (Brain.
IV. 1900.)
Die Verff. haben in 17 von 25 untersuchten Fällen verschiedenster Geistes¬
störungen ausgedehnten Markfaserschwund der Rinde gefunden. In 6 dieser
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Fälle war er ausserordentlich stark; und zwar in einem Falle hallucinatorischen
Irreseins, 2 Fällen von Paralyse, 2 Fällen von acuter Manie und einem Falle puer¬
peralen Irreseins. Die Dauer der Eirankheit in diesen 6 Fällen schwankte zwischen
4 Monaten und 6 Jahren. In den übrigen 8 Fällen war der Faserschwund be¬
trächtlich, aber mehr local, bis massig. Die Frontallappen zeigten stärksten Faeer-
schwund in 9 Fällen, in 4 anderen war er hier so stark wie an den sonst am
schwersten erkrankten Stellen. An zweiter Stelle folgten die Schläfen lappen, die
Centralwindungen waren in 8 Fällen am wenigsten afficirt, nur in einem am
stärksten. Auch die Occipitallappen sind nicht frei von Degeneration, was Tnczek
zuerst behauptet hatte. Was die einzelnen Arten der Markfasem anbetrifft —
die Verff. fassen alle parallel zur Rinde verlaufenden Fasern als crossed fibres
zusammen, also die tangentialen, die supra- und die intraradiären, dazu kommen
dann noch die Radiärfasern —, so sind meist die tangentialen und supraradiären
Fasern stark und gleichmässig erkrankt; die intraradiären weniger; oft die supra-
radiären mehr als die tangentialen. Die Radiärfasern waren in 11 Fällen weniger
wie die crossed fibres erkrankt; in 3 Fällen nur local, aber ebenso stark wie die
letzteren. Mehr afficirt wie die crossed fibres waren sie nie. Von den Radiärfasern
sind die terminalen Enden immer am stärksten erkrankt. In 13 Fallen fand sich
eine starke Zunahme der Vascularisation, eine geringere noch in 4 anderen; am
stärksten findet sie sich in den Fällen von Paralyse. Der Faserschwund ist,
wenigstens was die Tangential- und Supraradiärfasern anbetrifft, in den Solei
ebenso stark als in den anliegenden Gyri; die Intraradiärfasern sind hier weniger
betroffen. Bruns.
8) On the ohanges in the nervous System in a oase of oldstanding Am¬
putation, by Barrett. (Brain. II. 1901.)
Die Resultate der von verschiedenen Autoren nach alten Amputationen der
Arme und Beine vorgenommenen Untersuchungen spec. des Rückenmarks variiren
im Einzelnen noch sehr. Verf. hat einen Fall untersucht, bei dem der rechte
Arm in der Mitte des Oberarms 42 Jahre vor dem mit 61 Jahren erfolgten Tode
operirt war. Es fand sich eine Atrophie der ganzen rechten HalsanBchwellung,
aber auch des oberen Cervicalmarks rechts. Graue und weisse Substanz waren
betheiligt, nach oben noch über das 4. Cervicalsegment; nach unten aber nicht über
das 2. Dorsalsegment. Degeneration fand sich in den Hintersträngen, aber auch
in beiden Pyramidenbahnen bis in die Brücke; eine Verminderung der Vorder¬
hornganglienzellen nur in der Höhe' der direct betheiligten Segmente. Hintere
und vordere Wurzeln, sowie die Spinalganglien waren auch deutlich erkrankt
Der Fall ist complicirt, da senile Hemiatrophie und eine corticale Erweichung im
linken Hinterhauptslappen besteht. Bruns.
0) Aotion des substanoes microbiennes sur les nerfs pdripheriques, par
M. Dopter et Lafforgue. (Arch. de m6d. expör. Juli 1901.)
Die Verff. experimentirten an Meerschweinchen, denen sie sterilisirte Kulturen
verschiedener Mikrobenarten und Filtrate von solchen in die Nähe des N. ischia-
dicus injicirten. Die Affinität der einzelnen Toxine zu der Nerven Substanz zeigte
sich als verschieden stark; am stärksten wirkte auffallenderweise das Tuberculin;
die klinischen Symptome waren fast durchgängig sehr geringe. Ausgesprochen
waren die mikroskopischen Veränderungen, und zwar bei den verschiedenen Giften
qualitativ völlig einander gleich. — Im Einzelnen ergab sich, dass die Toxine
durch Dialyse in das Innere der Nervenfaser eindringen, und zwar zuerst an ihrem
auch sonst empfindlichsten Punkte, der Ran vier'sehen Einschnürung. Von dort
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aus üben sie einen nekrotisirenden Einfluss auf das Myelin aus, indem sie dasselbe
zur Gerinnung, Tropfenbildung und schliesslich zum Verschwinden bringen. Der
Axencylinder bleibt in der Mehrzahl der Fälle unverändert in der ebenfalls
intacten Schwann’schen Scheide liegen, nur manchmal zeigt er sich versohmächtigt
und schlecht färbbar. Später fallen auch die Kerne der Zerstörung anheim, und
zuletzt kommt es in seltenen, intensiven Fällen zu einer echten Waller’schen
Degeneration. Im Allgemeinen halten sich die Veränderungen des Marks streng
an die durch die Ranvier’schen Schnürringe gegebenen Segmente. Auch rege¬
nerative Vorgänge, Bildung neuer Segmente und Kerne konnte vereinzelt beobachtet
werden. Die ganze Affection kann unter der Bezeichnung: „segmentäre periaxiale
Nekrose“ gehen. Das Ergebniss der Versuohe ist der Beweis, dass die peripheren
Neuritiden infectiösen Ursprungs auf die in den Gefässen circulirenden Bakterien¬
gifte zurückzu führen sind. H. Haenel (Dresden).
Pathologie des Nervensystems.
10) Keratitis neuroparalytioa, von Stasiüski. (Nowinij lekarski. 1901.
Nr. 5. [Polnisch.])
Verf. berichtet über folgenden Fall von Keratitis neuroparalytica: Der Pat.
klagte über vermehrte Thränensecretion und schlechteres Sehvermögen auf dem
linken Auge seit der Zeit, wo er sich 2 Zähne links ziehen liess. Die Unter¬
suchung ergab zunächst keine Veränderung der Cornea, nur leichte Hyperämie
sowohl der episkleralen, wie auch der Retinagefässe. Nach einer Woche fand
man ausser der vorher vorhandenen Schwellung und Schmerzhaftigkeit der linken
Gesichtshälfte (entsprechend den ausgerissenen Zähnen) noch kaum merkbare Läsion
der linken Cornea. Die Corneaverletzung wurde von Tag zu Tag grösser und
nach 2 Wochen war bereits mehr als die Hälfte der Cornea ulcerirt und um die
Cornea entstand ein Wall von gewucherter episkleraler Substanz. Im weiteren
Verlauf bildete sich Eiter in der vorderen Kammer. Nach Kali-Jod trat Besserung
ein (Vernarbung der Corneaulceration). Verf. bringt die Erkrankung mit Läsion
des N. trigeminus in Zusammenhang. Edward Flatau (Warschau).
11) Beitrag zur Symptomatologie der Facialialähmungen , von M. Bern¬
hardt. (Berliner klin. Wochenschr. 1900. Nr. 46 u. 47.)
In vereinzelten Fällen von centraler oder peripherer FacialiBlähmung kommen
bei elektrischer Reizung der einen Zuckungen auf der gegenüberliegenden, nicht
direct gereizten Seite vor. Diese Erscheinung findet sich bei den durch Pons¬
läsionen bedingten Facialislähmungen häufiger als bei den peripherischen; zur
Differentialdiagnose auf centralen oder peripheren Sitz der Erkrankung ist das
Symptom jedoch nicht zu verwerthen. Wie diese Zuckungen zu Stande kommen,
ist für die grössere Zahl der einschlägigen Beobachtungen nicht aufklärbar.
Leicht zu verstehen ist die Erscheinung bei denjenigen Fällen, welche mit voll¬
kommener Entartungsreaction und einer erhöhten galvanischen Erregbarkeit der
gelähmten Musculatur einhergehen. Hier sind es Stromschleifen, welche, von der
direct gereizten gesunden Seite auf die kranke hinüber gehend, die träge Zuckung
derselben neben der kurzen blitzartigen der gesunden Seite in Erscheinung treten
lassen. In seltenen Fällen, bei denen Entartungsreaction vollkommen fehlt, aber
eine abnorm gesteigerte Erregbarkeit der gelähmten Muskeln vorhanden ist, muss
man gleichfalls Stromschleifen zur Erklärung des Phänomens herbeiziehen. Weiter
giebt es Fälle von Gesichtslähmung, welche, seit frühester Jugend bestehend,
wahrscheinlich angeboren sind, und bei denen es zu einer Contraotion besonders
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der nahe der Mittellinie gelegenen Muskeln des Kinns und der Unterlippe W
Beizung der gesunden Seite kommt, weil von der gesunden Seite her gesasd ge¬
bliebene Muskelbündel nach der kranken Seite hinüberziehen. Endlich konn«
Fälle von Gesichtslähmung vor, welche auch angeboren oder in frühster Jogeac
entstanden sind und die Eigentümlichkeit zeigen, dass bei Beizung der gemnda
Seite mit so schwachen Strömen, dass dieselben auf dieser Seite noch gar keüe
Contraction hervorrufen, Zuckungen auf der kranken ausgelöst werden, auch dam
wenn eine herabgesetzte Erregbarkeit auf der kranken Seite besteht. Diese auf-
falleude Erscheinung hat Oppenheim durch eine Collateralinnervation, die fr
der Mittellinie benachbarten Gesichtsmuskeln vom Facialis der gesunden Seit*
her versorgt, zu erklären versucht. Verf. kann dieser Erklärung nicht beipflicht«
und polemisirt gegen Oppenheim und Mohr, welch letzterer der Oppenheia'-
sehen Ansicht beigetreten war. Bielsohowsky (Bredas).
12) Ein Fall mit frisoher, rechtsseitiger, rheumatischer Faota li s l ä h mnag I
und Erlosohensein des Oesohmaokes auf der ganzen rechten Zunge* I
hälfte, von Frohmann. Vortrag, gehalten im Verein für wissensohaftlidx I
Heilkunde in Königsberg i/Pr. am 25. März 1901. (Deutsche med. Woche* 1
sehr. 1901. Nr. 18.) 1
Der Verlauf der Geschmacksfasern ist individuell Yersohieden; sie verlauf«
hei der Patientin sämmtlich durch die Chorda tympani. Dafür spricht auch, das
bei reflectorischer Beizung der Speicheldrüsen von der Nase her die SpeicW-
secretion nur aus der linken Caruncula sublingualis erfolgt (in 14 Tagen erfolgte
völlige Heilung). Ein analoger Fall ist von Bruns mitgetheilt.
R. Pfsiffer.
13) Beitrag zur Laryngeus-superior-Lähmung, von Dorendorf. (Berliner
kl in. Wochenschr. 1901. Nr. 11.)
Lähmungen des Crico-thyreoideus sind selten. Verf. hat 2 Fälle gesehen, ein
20jälir. Fräulein, das seit seinem 5. Jahre nach Diphtherie heiser geworden, nod
eine öljähr. Frau, die seit 6 Wochen ohne nachweisbare Ursache über eine rank
Stimme klagt.
Der Befund am Kehlkopf ist hei beiden Kranken fast derselbe.
Das kranke Stimmband steht im Buhezustand weiter von der Medianlinie ab
als das gesunde. Bei der Inspiration entfernen sich beide gleich weit von der
Mittellinie, bei der Phonation treten beide in die Mittellinie, das kranke Stinm-
band lässt dabei eine geringe Excavation des freien Bandes erkennen. Du
hintere Tlieil dieses Stimmbandes steht höher als der entsprechende Theil da
anderen. Der Aryknorpel der kranken Seite kreuzt bei der Phonation den der
gesunden. Auf der kranken Seite fehlt das BerührungsgefÜhl an der Epiglotti*.
dem Larynx, dem weichen Gaumen und dem Sinus pyriformis. Legt man fr
beiden Zeigefinger neben dem Lig. conicum auf die rechte und linke Hilft*
des oberen Bingknorpelraudes und lässt phoniren, so fühlt der auf der gesunden
Bingknorpelhälfte ruhende Fiuger eine deutliche Annäherung des Bing- gegen d«
Schildknorpel, wogegen diese Bewegung auf der anderen Hälfte nioht bemerkt
wird. Bielsohowsky (Breslau).
14) The tender point in pressure-paralysis of peripheral nerves, br
William Browning. (Kansas City Medical Index-Lancet Juni 1901.)
Verf. macht wiederholt auf die bei fast allen Fällen von Dmoklähmupg n
constatirende circumscripta Schmerzhaftigkeit des afficirten Nerven aufmerksam
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die der Stelle entspricht, an der der schädigende Druck stattgefunden hat. Diese
Druckschmerzhaftigkeit ist je nach der Schwere des Falles kürzere oder längere
Zeit nachweisbar. Bei 10 Fällen von Radialisdrucklähmung war sio 3'/ 2 bis
9 Tage lang nachweisbar, hei einer Ulnarislähmung 6 und einer Medianuslähmung
12 Tage, während sie bei 2 Radialislähmungen von 11 bezw. 14 Tagen und
anderen von noch längerem Bestände nicht mehr constatirt werden konnte. Verf.
legt dem Vorhandensein derselben grosse syraptomatologische Bedeutung bei, da
sie nicht nur diagnostisch von Werth ist, sondern auch wichtige therapeutische
Fingerzeige giebt. Martin Bloch (Berlin).
16) Paralysie Intermittente douloureuse des bras, pur J. Mas saut. (Annales
de la sociöte m6d.-chirurg. d’Anvers. März/April 1901.)
Höchst interessante Mittheilung eines Falles von intermittirender schmerz¬
hafter Lähmung der oberen Extremitäten, analog der Claudieation intermittente.
Es handelt sich um eine 24jähr. Frau, deren Mutter 8 Totgeburten durchgemacht
und mehrfach an Ausschlägen gelitten hat; zwei gesunde Geschwister; Patientin
war stets zart und blutarm, hat einmal abortirt und hat ein gesundes 3jähriges
Kind. Keine Lues, kein Alkoholismus. Patientin hat nie angestrengt zu arbeiten
gehabt, war nie Durchnässungen oder Erkältungen ausgesetzt. Seit 4 Monaten
tritt anfallsweise bei Arbeiten, die irgend erheblichere Muskelanstrengung erfordern,
nach wenigen Minuten Müdigkeitsgefühl und heftiger Schmerz in den Armen, dann
sehr Bchnell völlige Unfähigkeit die Arme zu bewegen ein. Nach einigen Minuton
Verschwinden aller Erscheinungen, nur bleiben die Arme schwächer und druck¬
schmerzhaft und nach einiger Zeit wiederholt sich der gesammte Symptoinen-
complex. Die Schmerzen nehmen den Biceps, die Radialgruppe der Vorderarm¬
muskeln und bisweilen auch die Vorderseite des Unterarms ein. Die Symptome
treten in der Kälte schneller auf und betheiligen gleichzeitig und symmetrisch
beide Arme, den rechten eher und stärker als den linken. Feinere, stärkere
Anstrengung nicht erfordernde Bewegungen, wie Nähen u. s. w., rufen die Sym¬
ptome nicht hervor, ln der Ruhe empfindet Patientin häufig Parästhesieen,
Ameisenlaufen u. s. w., von den Fingerspitzen die Arme hinaufkriechend. Patientin
ist gegen Kälte sehr empfindlich; taucht sie die Hände in kaltes Wasser, so
werden sie stark roth und schmerzhaft, dann auffallend blass. Cyanose oder
Frostbeulen Bind nie aufgetreten.
Die Untersuchung ergiebt bei der zarten, aber sonst gesunden Patientin auf¬
fallend blasse Haut der Arme, keine Cyanose, keinerlei trophische Störungen,
ausserhalb der Anfälle Motilität und Sensibilität völlig intact, Sehnenreflexe und
xtecEanische Muskelerregbarkeit lebhaft, Nervenstämme nicht schmerzhaft, elek¬
trische Erregbarkeit durohweg normal, galvanische Reizung der Haut hinterlässt
für längere Zeit Hautröthung; an beiden Armen ist nirgendwo ein Arterien¬
puls zu fühlen. Die Untersuchung des gesammten übrigen Gelasssystems und
les Herzens ergiebt durchweg normales Verhalten, insbesondere ist der Puls an
ler A. dorsalis pedis beiderseits in normaler Stärke fühlbar. Nirgendwo Zeichen
ron Arteriosklerose, Harn frei von Eiweiss und Zucker. Während der Anfälle,
lie Verf. leicht hervorrufen und beobachten konnte, waren der Biceps und die
/orderarmmuskeln druckschmerzhaft und erschienen härter und leicht contracturirt.
)urch Galvanisation und Massage wurde eine geringe Besserung der subjectiven
Beschwerden erzielt. Verf. Bieht mit Recht in seinem Falle ein Analogon zu der
•isher nur an den unteren Extremitäten beobachteten „Claudieation intermittente“
Martin Bloch (Berlin).
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10) Ein Fall von Erb’soher Lähmung des Plexus braohialis, von Pafiski.
(Czasopismo lekarski. 1901. Nr. 10. [Polnisch.])
Verf. berichtet über folgenden Fall von Erb’scher Lähmung: Der Fall be¬
traf eine Frau, welche mit einem scharfen Instrument in der Gegend der link«
Halsseite schwer verletzt wurde. Gleich danach war Patientin nicht im Stande
den linken Arm zu heben, nach auswärts zu drehen, dem Vorderarm zu beugen
und die Hand zu supiniren. Ausserdem Sensihilitätsstörung an der äusseren
Fläche des Oberarms. Im weiteren Verlaufe Atrophie mit EntartungBreaction in
den gelähmten Mm. deltoideus, bicepe, braohialis intern, und supinator longus.
Der weitere Verlauf dieses Falles bestätigte die Ansicht Bernhardte, dass
die Beugung des Vorderarms nicht nur vom Mm. biceps, braohialis internus
und brachioradialis ausgeführt wird, sondern auch — hülfsweise — von den¬
jenigen Muskeln, deren Befestigungspunkte einerseits oberhalb des Ellenbogens,
andererseits am Vorderarm bezw. an der Hand liegen.
Edward Flatau (Warschau).
17) Seotion of the posterior spinal roots for the relief of pain in a oase
of neuritis of the brachial plexns; oessation of pain in the affected
area; later developpment of Brown-Sequards paralysis as a reeult
of lamineotomie; unusual distribution of root anaesthesia; later par¬
tial return of sensibility, by Morton Prince. (Brain. I. 1901.)
Bei Verf.’s Patientin hat sich nach einer Verletzung des linken Armes eine
Plexuslähmung eingestellt; diese betraf zuerst den unteren und oberen Theil voll¬
ständig; nur die kleinen Muskeln der Hand und die Pronatoren waren intact;
später kamen auoh schwache Hand- und Fingerbeugungen und -Streckungen wieder.
Dabei absolute Anästhesie links über dem Deltoideus und an der Aussenseite des
Armes hinten und vorn bis zum Ellenbogen; ferner Herabsetzung der Schmerz-
und Berührungsempfindlichkeit an der Radialseite des Unterarmes und über Daumen
und Zeigefinger, wobei Tast- und Schmerzanästhesie sioh nicht ganz deckten.
Heftige Schmerzen bestanden im Daumen, Zeigefinger und Radialseite des Mittel¬
fingers und etwas geringere an der Radialseite des Handgelenks und von da bis
zum Ellenbogen in der radialen Hälfte der Volarseite des Unterarms. Da es sich
sicher um radiculäre Schmerzen handelt und diese im Gebiet der 6. Cervical-
wurzel sassen, beschloss Verf. diese 6., und mit Rücksicht auf die Anastomosirung
auch die 5. und 7. hintere Cervicalwurzel zu durchsohneiden. Dies geschah
und die Schmerzen in den erwähnten Fingern verschwanden für die
Dauer. Dagegen stellte sich einige Zeit hinterher wohl in Folge von Operations-
Verletzung eine Brq,wn-S6quard’sche Lähmung ein: Schwäche des linken Beines
mit erhöhten Reflexen und positivem Babinski und Anästhesie des rechten Beines
bis zur Leistenbeuge; diese Lähmung besserte sich später, aber nie vollständig.
Der linke Arm blieb gelähmt; die Hand- und Fingerbewegungen wurden nach der
Operation wieder Beblechter; einige Zeit nach der Operation bestanden heftige
Nackenschmerzen und später Schmerzen im linken Schultergelenk wohl alB Folge
der Lähmung des linken Armes.
Die Anästhesie nach Durchschneidung der 5., 6. und 7. hinteren Halswurxel
war in ihrer Ausbreitung in diesem Falle von höchstem Interesse und stimmte
wenig mit dem überein, was man nach den genauesten Schematen über die
Hautgebiete dieser Wurzeln hätte erwarten 'müssen. Nach dem Schema von
Allen Starr hätte man Anästhesie erwarten müssen im Daumen, Zeigefinger,
Mittelfinger und radialen Hälfte des Ringfingers dorsal und volar; in den ent¬
sprechenden Partieen der Hand und des Ober- und Unterarmes dorsal und volar;
nur an der Peripherie konnten diese Zonen auch durch „Overlapping“ von Seiten
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der 4. und 8. Cervicalwurzel eingeengt sein. Dagegen bestand hier nach der
Operation totale Anästhesie nur am ganzen Daumen mit dem Ballen, auf dem
ganzen Rücken der Hand und an einem radialen Streifen des Unter- und Ober¬
armes, der höchstens ein Drittel der volaren Fläche einnahm. Die herabgesetzte
Empfindung an Zeige- und Mittelfinger war geblieben; nur war am Rücken des
Zeigefingers die Analgesie total, aber es bestand keine Anästhesie; auch war die
dorsale Seite aller Grundphalangen im Gefühle herabgesetzt. Besonders bemerkens-
werth war, dass die Volarseite vom Mittel- und Zeigefinger nicht anästhetisch war,
dagegen war wieder die ulnare Hälfte des Dorsums des Unterarmes herabgesezt
empfindlich (aber schon vor der Operation). Verf. schliesst aus diesem Befunde,
dass in diesem Falle die 5. Wurzel den anästhetischen Streifen an der Radialseite
von Ober- und Unterarm innervirt habe; die 6. Wurzel nur den Daumen und
Daumenballen und vielleicht den Rücken des Zeigefingers; die 7. Wurzel versorgte
mehr wie gewöhnlich vom Rücken der Hand; ihr Gebiet in der Vola manus und
am Ober- und Unterarm war aber nicht zu entdecken. Was die Geringfügigkeit
der Anästhesie in der Handfläche anbetrifft, so nimmt hier Verf. an, dass entweder
der N. ulnaris von der 8. cervicalen und 1. dorsalen Wurzel stammend hier ein
grösseres Gebiet als gewöhnlich einnähme, oder dass die zum Medianus gelangenden
Fasern aus der 8. Cervicalis hier ausgiebiger vorhanden gewesen seien als in der
Norm. Die letztere Anahme macht Verf. auoh, um das Nichteintreten der An¬
ästhesie in den Enden der ersten drei Finger zu erklären, die ja vom Medianus
innervirt werden. Also das wäre die Annahme weitgehender individueller
Schwankungen in der radiculären Innervation der einzelnen Markgebiete. Diese
kommen jedenfalls vor. Doch würde der Fall gerade so gut für die vom Ref.
vertretene Ansicht sprechen, dass die Anastomosirung der einzelnen Wurzeln nicht
nur über 3, sondern über 5 Segmente geht. Dafür spricht besonders auch der
Umstand, dass später die Grenzen der Anästhesie sowohl an der Schulter, wo sie
jehon vor der Operation bestand, wie am Daumen und Rücken der Hand sich
-loch mehr einengten. Uebrigens ist der Fall, gerade weil vor der Operation
schon Anästhesieen bestanden, für die Erklärung schwierig; es könnte gerade in
?olge der früher schon vorhandenen Nervenverletzungen schon zu dieser Zeit weiter-
behende Vertretungen als normal eingetreten sein. Bruns,
L8) Lähmung des N. peroneus duroh puerperales Trauma, von Doc. Dr.
Donath. (Pester med.-chir. Presse. 1900. Nr. 50.)
Bei einer 30jährigen Primipara traten nach einer in Narcose ausgeführten
Sangenextraction heftige Schmerzen im rechten Bein, weniger starke im linken
Sein auf. Das rechte Bein war 3 Wochen später fast gänzlich gelähmt. Die
Jntersuchung ergab vollständige Entartungsreaction im Gebiete des rechten
> eroneus, das rechte Bein war abgemagert, die Aussenfläche des Unterschenkels
nd der Fussrücken hypästhetisch, N. ischiadicus und N. peroneus auf Druck
shmerzhaft. die Beweglichkeit des Sprunggelenkes aufgehoben. Es wurde eine
alvanische Behandlung eingeleitet, und nach etwa einem Jahre konnte Schwinden
er Entartungsreaction festgestellt werden. Die Bewegungsfähigkeit ist zurück-
ekehrt, nur dass die Dorsalflexion des Fusses und der Zehen noch nicht aus-
e führt werden kann. Das Betroffensein des Peroneus erklärt Verf. aus den
natomischen Verhältnissen. H. Schnitzer (Stettin-Kückenmühle).
9) lieber Peroneuslähmung ln Folge schwerer Geburt, von Dr. Nadler.
(Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1901. Nr. 18.)
Peroneuslähmungen nach Geburt sind relativ selten. Ihre Aetiologie kann
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eine verschiedene sein. Einmal ist die Affection eine Tbeilerscheinang eiaer
multiplen Neuritis; ferner kann sie Folge von entzündlichen Vorgängen im Beck«
sein, wobei die Entzündung auch auf die Nerven des Plexus sacralis übergreift
Eine 3. Kategorie Bind Drucklähmungen, und diese Lähmungen, bedingt durdi
don kindlichen Schädel oder geburtshülfliche Instrumente, treffen eigentümlicher
weise fast ausschliesslich den N. peroneus, was nach Hünermann und Hart¬
mann durch die anatomischen Verhältnisse bedingt ist. Der N. peroneus wird
nämlich hauptsächlich aus Fasern des 4. und 6. N. lumbalis gebildet, welch'
beide vereinigt als sog. Truncus lumbosacralis über die scharfe Linea in nominal»
herunterziehen und dann in den Plexus ischiadicus einmünden. Die anderes
Theile des N. ischiadicus beziehen ihre Fasern aus dem Sacralnerv, dm* auf dea
M. pyriformis gebettet und so vor Druck gesohüzt ist. Eine Quetschung dst
Trunous lumbosacralis kommt nun hauptsächlich beim allgemein gleinhmi—ig
verengten Becken vor. Auch der Fall des Verf.’s betrifft diese Beckenform. Es
betrifft eine 25jähr. Erstgebährende, die mit Beginn der Wehen heftige Schmerzen
im rechten Bein an der Aussenseite des Ober- und Unterschenkels bis in d«
Fuss ausstrahlend bekam. Die Qeburt musste mit der Zange beendet werden.
Nun Aufhören der Schmerzen, doch bestanden die Erscheinungen einer beträcht¬
lichen Lähmung der sensiblen und motorischen Fasern des N. peron. dextr. Keine
EntartnngBreaction. Behandlung mit Massage, Elektricität und Bädern; völlige
Heilung nach 4 Wochen. H. Wille (St. Pirminsberg).
20) Ueber porineuritlsohe Erkrankungen de« Plexus aacr&lis und deren
Behandlung, von Dr. A. Guttenberg in Würzburg. (Münchener med.
Wochenschr. 1901. Nr. 7.)
ln fünf mitgetheilten Fällen fanden sich an den Kreuzbeinnerven Schwellungen
und rosenkranzartige Verdickungen von weicher oder zäher Consistenz, der«
Abtastung intensive and den spontanen Parästhesieen vollkommen ähnlich*
Schmerzen hervorrief. Die Symptome wechselten je nach ein- oder doppelseitigem
Sitz der Erkrankung oder nachdem ein oder mehrere Aeste der Kreuzbeinnerves
betroffen waren. Die Prognose erscheint günstig und die Therapie besteht vor¬
nehmlich in Massage, welche in der Position der Kranken ausgeführt werden soll,
in welcher die afficirten Kreuzbeinnerven am leichtesten zu palpiren sind. Im
Anschluss daran soll man einige Hyperflexionen der unteren Extremität im Hüft¬
gelenk vornehmen. In denjenigen Fällen, welche auf Thrombose verdächtig sind,
muss man die digitale Massage durch lauwarme Einläufe in das Rectum ersetz«.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
21) Case of acute aacending paralysia due Influenza, by Alexander Jamac
and R. A. Fleming. (Scottisch med. and Surgical Journal. August 1900.)
In einem innerhalb von 14 Tagen tödtlicb verlaufenen Fall von Landry’-
scher Paralyse nach Influenza, der Symptomatologisch durchaus typisch vertief,
fanden die Verff. am Centralnervensystem starke Hyperämie besonders in dso
grauen Vorderhörnern des Rückenmarks, ebenso in der Kernregion der Medalls
oblongata, dabei zahlreiche kleinste Hämorrhagieen und Rnndzellenanhäufung in
der grauen Substanz. Die Zellen der Vorderhörner und der Hirnnervenkerse
Hessen Veränderungen erkennen, von denen die Verff. nicht sicher sind, ob «
sich nicht um Kunstproducte handelte. Die peripherischen Nerven wurden nicht
untersucht, die Wurzeln schienen normal zu sein. Eine bakteriologische Unter¬
suchung scheint nicht stattgefunden zu haben. Martin Bloch (Berlin).
*6T
SS) Polynövritea au döolin d’une ooqueluohe, par M. L. Guinon. (Revue
mensuelle des maladies de l’enfance. Juli 1901.)
Das im Ablaufe eines Keuchhustens befindliche 5jährige Mädchen bot aus¬
gedehnte Lähmungen dar. Die willkürliche Bewegung der Beine war geschwunden,
-ebenso fehlt die Möglichkeit, sich aufrecht zu halten, den Kopf zu erheben. Selbst
die Muskeln des Bauches, sowie die Intercostalmuskeln schienen in ihrer Function
gestört. Besser, wenn auch stark herabgesetzt, war die Bewegungsfähigkeit der
Arme. Die Patellarreflexe fehlten. Die Plantarreflexe waren herabgesetzt. Ausser¬
dem bestand Obstipation, Incontinentia urinae. Bei Druck auf die Musculatur
der Beine, sowie bei forcirter Beugung ausserte das Kind Schmerz. Die Hirn-
nervenfunction, sowie die geistige Beschaffenheit waren ungestört.
Die Krankheit nahm trotz Complication mit einem Scharlach einen günstigen
Verlauf; in bedeutend gebessertem Zustande konnte das Kind entlassen werden.
Auf Grund dieses Symptomencomplexes, sowie der herabgesetzten, aber nicht
verminderten elektrischen Erregbarkeit hält Verf. die Diagnose einer Polyneuritis
fttr berechtigt. Zappert (Wien).
23) Eia Battrag zur Kenatnisa der merouriellen Polyneurttis acuta, von
Dr. Ludwig Spitzer, Afisistenxarat am Allgemeinen Krankenhaus (Prof.
Lang) in Wien. (Deutsche Zeitachr. f. Nervenheilk. 1901. XIX.)
Ein 28jähr. Pferdewärter acquirirte vor 6 Jahren eine syphilitische Infection
und stürzte im Jahre 1897 mit einem Pferde, ohne wesentliche Störungen davon¬
zutragen. Vor etwa einem Jahre bestanden Drackempfindlichkeit des unteren
Theils der Halswirbelsäule, Doppelsehen, Gaumensegellähmung und Schluck¬
beschwerden. Bei der Aufnahme Hessen sich eine Anzahl frischer syphilitischer
Erscheinungen (maculopApulöses Syphilid, erodirte Sklerosen nnd beiderseitige
Scleradenitis inguinaliß) nackweisen. Nach ziemlich kurzer Quecksilberbehandlung
(22 Elinreibungen mit Ung. einer. 13 g) stellten sich Intoxicationserscheinnngen
ein, denen sich nach einer weiteren Inunctionskur sehr heftige Schmerzen in
beiden unteren Extremitäten hinzngesellten. Im Bereiche der Hirnnerven bestanden
ausser einer leichten Facialisparese rechts keine Störungen. An den unteren
Extremitäten waren die grossen Nervenstämme, sowie die ganze Musculatur ausser¬
ordentlich druckempfindlich, Patellarreflexe deutlich erhöht, beiderseits Fussklonus,
ausserdem starke Ataxie der Beine und solche leichten GradeB in den Armen.
Romberg’sches Symptom vorhanden. Sensorium stets frei, Blase und Mastdarm
von normaler Function. Mit dem Aussetzen der Quecksilberbehandlung ging die
Schmerzhaftigkeit zurück, der Gang besserte sich allmählich wieder, während das
syphilitische Exanthem am ganzen Körper fortbestand und neue Eruptionen hinzu¬
kamen.
Es konnte sich in diesem Falle nur um eine syphilo-toxische oder eine mercu-
rielle Neuritis handeln. Da die Störungen beim Aussetzen des Quecksilbers
zurückgingen, während frische luetische Manifestationen fortbestanden, lässt sich
mit grosser Wahrscheinlichkeit eine acute raercurielle Polyneuritis annehmen.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
24) Röflexions olinlques conoernant quelques oaz de polyndvrite, pur
M. Glorieux. (Policlinique. 1. Juli 1901.)
Der Aufsatz berichtet erstens über einen Fall postdiphtherischer motorischer
Polyneuritis der Augen und sämmtlicher Extremitäten bei einem Erwachsenen
(45jähr. Mann), mit erhaltener elektrischer Erregbarkeit, ohne trophische oder
äensiküitätsstöruBgen. Der zweite Fall, bei einem S^jj&hr. Kinde (Koma, dann
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Paresen sämmtlicher Muskeln), wird als Influenza-Neuritis mit Betheiligung da
CentralnervenByBtems aufgefasst H. Haenel (Dresden).
25) Solle alterasioni oculari nella pellagra, pel Dr. Ami leere Bietti.
(Rivista sperimentale di Freniatria. 1901. XXVII.)
Unter 120 Pellagrösen der Irrenanstalten von Reggio-Emilia und Berga*»
war in 98 Füllen die ophthalmoskopisohe Untersuchung möglich. Bei 68 w
der Augenhintergrund normal. Bei den 30 anderen Kranken fand man Anämie
oder Hyperämie der Papillen. In keinem Falle wurde Hemeralopie oder Retinitis
pigmentosa constatirt, nur einmal, der Anamnese nach, accidentelle Opticusatrophie.
Die Sehschärfe war auf 76 von 130 Augen normal, bei 27 auf */ s u. s. w. herunter
bis auf */ 7 in 5 Fällen herabgesetzt Die Verminderung derselben war immer
durch Cornea- oder Linsentrübung, Anastigmatismus oder Altersveränderung be¬
dingt. Sectionsbefunde ergaben in einigen Fällen mit dem Zustand der Papillen
correspondirende Hyperämie der Meningen. Die mikroskopische Untersuchung
von 20 Augen liess keine Veränderungen der tiefen Membranen und des Opticns.
und nur zuweilen Veränderungen am Cornea und Conjunctiva erkennen. Diese
mit den Ergebnissen Denti’s und anderer Psychiater, die sich auf 230 Fälle
belaufen, übereinstimmenden Befunde beweisen, dass die Retinaveränderungen, wie
sie bei Pellagra in Büchern beschrieben werden, nur ausnahmsweise und accideoteQ
Vorkommen. Dagegen sind die häufigen Afiectionen von Cornea und Conjunctir»
möglicherweise pellagrÖBer Natur. Schmidt (Freiburg i/SchL).
20) Rioerohe sul potere riproduttivo e 8ul ereditarieti nella pellagra
sperimentale, del Dr. Carlo Ceni. (Rivista sperimentale di Freniatria.
1901. XXVII.)
Im Verfolg seiner Experimentalstudien über die Einflüsse der Pellagra auf
die Zeugungsproducte berichtet Verf. in vorliegender Arbeit über eine neue Ver¬
suchsreihe an mit verdorbenem Mais gefütterten Hühnern, der die Aufgabe zufiel,
den directen Einfluss der pellagrösen Erkrankung auf die Zeugungsfunction und
ihre Elemente klarzustellen und vielleicht einen Beitrag zur Frage nach dem
Mechanismus der neuropathischen Erblichkeit zu liefern. Die gleichzeitige Serie von
119 Controleiern ergab 88,12 °/ 0 normal entwickelter Embryonen, wogegen aber aas
den 224 Eiern, welche in den Monaten April-September 1900 den zwei kranken
Hühnerfamilien entstammten, nur 29,92 °/ 0 normale Hühnchen sich entwickelten.
Zugleich steigerte sich mit der Reproductionskraft der schädliche Einfluss des
Futters auf die Entwickelung der Keime progressiv, so dass es in den beiden
letzten Monaten überhaupt nicht mehr gelang, einen normal wachsenden Keim so
erhalten. Hervorzuheben iBt, dass die allgemeine Intoxication der Stammhühner
im April und Mai culminirte und Ende August bereits trotz des gleichen
Fütterungsr6gimes als abgelaufen gelten konnte, also weder mit dem späten Nach¬
lass der Zeugungskraft, noch mit der Degeneration der Keime in einem directen
causalen Verhältniss stand.
Verf. kommt zu folgenden Ergebnissen und Schlüssen:
Der Einfluss des verdorbenen Maisfutters auf die Zeugungsorgane besteht in
einer deutlichen Absohwächung des Proliferationsvermögens sowohl im Sinne einer
Abkürzung der Generationsphase, als auch im Sinne einer Verringerung der Zahl
der Zeugungsproducte. Derselbe Einfluss drückt dem Ovulum und dem Spermatozoon
Veränderungen auf, die sich nach deren Vereinigung in einer abnormen Ent¬
wickelung des befruchteten Eies manifestiren und ihrer Natur und ihrem Grade
nach am männlichen und weiblichen Keime verschieden sein müssen. Die abnorme
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Entwickelung der Frucht seilt sich zuerst als ein mehr oder weniger deutlicher
und früher Erschöpfungszustand ihrer Lebensfähigkeit dar. Letzterer äussert sich
dann in einer allgemeinen Verzögerung der typischen Embryonalentwickelung oder
auch im vorzeitigen Tode der regulär entwickelten Frucht. Später, in den
schwereren Fällen, tritt von vornherein ein partieller Tod des befruchteten Keims
auf, so dass es nur bis zur Bildung eines Blastoderms und gar nicht zur Anlage
eines Embryo kommt. In anderen Fällen ist die Vitalität des Keims so voll¬
ständig erschöpft, dass der Tod die ersten Furchungsprocesse des Blastoderms
ereilt. Die eigentlichen Missbildungen waren im Allgemeinen leicht und selten
und beschränkten sich nahezu ganz auf partielle und zuweilen totale Entwiokelungs-
hemmungen der primitiven vorderen Hirnbläschen. Als wirklich ererbte Krank¬
heitserscheinungen, welche ihrerseits die Ursache secundärer Missbildungen werden
können, sind gewisse Blutextravasate zu betrachten, welche sowohl bei miss¬
gebildeten als auch bei normalen Embryonen am Kopfpohl und speciell in den
primitiven Hirnbläschen häufig zur Beobachtung kamen. — Der Grad aller dieser
Abweichungen von der typischen Fruchtentwickelung steht in keiner Beziehung
zu der Schwere der Vergiftungserscheinungen bei den Erzeugern, dagegen aber
in directem Verhältniss zu der jährlich absteigenden Proliferationsphase bei den¬
selben. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
27) Histologisohe und bakteriologische Untersuchungen über einen Fall
von Lepra tuberoso-anaesthetioa mit besonderer Berücksichtigung des
Nervensystems, von Uhlenhuth und Westphal. (Klinisches Jahrb. 1901.)
Es handelt sich um einen 43jähr. Oberlazarethgehilfen, der, im holländischen
Colonialdienst viel mit Leprakranken beschäftigt, Anfang der 90er Jahre die
ersten Anzeichen der Krankheit bot, in Gestalt von Fleckung und nachfolgender
Verdickung der Haut. Später ParästheBieen und Abnahme des Gefühlsvermögens.
In der Zeit von 1896—1898 bot Pat. folgenden, wesentlich sich gleichbleibenden
Befund: Starke Hautverdickung im Gesicht (Facies leonina) und an den Extre¬
mitäten, dunkelblau- bis braunrothe Färbung der veränderten Hautpartieen.
Chronische hypertrophische Rhinitis, flache Ulceration am Septum. Knotige Ver¬
dickung der Epiglottis, Röthung der Kehlkopfschleimhaut. Von Seiten des Nerven¬
systems Aufhebung der Tastempfindung an den unteren Extremitäten, starke
Herabsetzung der Teioperaturempfindung am ganzen Körper, völlige Aufhebung
der Schmerzempfindung mit Ausnahme weniger kleiner Bezirke. Vereinzelte
trophische Störungen. Sub finem vitae starke Nephritis, Tod in Folge von Ge¬
sichtserysipel. Die Section ergab ausser den äusserlich sichtbaren Veränderungen
chronische parenchymatöse Nephritis und Hyperplasie der Milz. Am centralen
und peripheren Nervensystem keine sichtbaren Veränderungen.
Die histologische Untersuchung erstreckte sich auf alle Organe des Körpers
und hatte einerseits die Natur der pathologisch-anatomischen Veränderungen,
andererseits die Verbreitung der Leprabacillen im Organismus im Auge. Es ergab
sich dabei, dass Bacillen in fast allen untersuchten Organen nachweisbar waren,
und auch der grösste Theil der Organe histologische Veränderungen zeigte, doch
ergab sich für Bacillengehalt und Gewerbsveränderung kein proportionales Ver¬
hältniss. So erwies sich z. B. die Niere bei nur geringem Bacillengehalt stark
verändert, während andererseits Ganglienzellen Träger von Bacillen waren, ohne
dadurch im Uebrigen in ihrer normalen Structur beeinträchtigt zu sein. Eine
besonders markante Erscheinung war das Fehlen von Bacillen in nahezu allen
Epithelien (Epidermis, Drüsen, Mundschleimhaut u. a. m.), während die subepi¬
thelialen Schichten einen enormen Bacillenreichthum aufwiesen. Den Hauptaus¬
scheidungsort für die Bacillen erblicken die Verff. im Nasenschleim und im Aus-
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warf, und glauben in ihrem Falle den Sitz des Prim&raffects der Erkrankung h
der Nasenschleimhaut suchen zu dürfen. Sie sch Hessen sich damit der tob
Sticker und Koch vertretenen Ansicht an. Des Weiteren weisen die Befunde
der Verff. darauf hin, dass die Verbreitung der Baoillen im Körper sowohl in da
Blut- wie in den Lymphbahnen vor sich geht.
Was nun die Verhältnisse des Nervensystems im Speciellen in vorliegenden
Falle betrifft, so fand sich in den peripheren Nerven starke Verdickung dee Peri¬
neuriums und Wucherung des Endoneuriums, damit einhergehend mehr oder
minder ausgeprägte Degeneration der Nervenfasern. Am intensivsten sind die
Veränderungen in den Hautnerven. Vagus und Sympathicus erwiesen sich ak
unverändert. Bacillen fanden sich allenthalben in den interstitiellen Wucherung»,
stellenweise schienen solche auch in den Nervenfasern selbst zu sitzen. —- Im
Rückenmark fanden sich keine histologischen Veränderungen specifischer Natur,
hingegen enthielten die — unveränderten — Vorderhornzellen reichlich Bacillen.
(Die Anordnung der Bacillen in den Zellen ruft das von Adamkiewioz gegebene
Bild vom „intracellulären Kreislauf“ der Ganglienzellen wach. Ref.) — In des
Spinalganglien fand sich starke Entwickelung dee interstitiellen Gewebes, in ein¬
zelnen Ganglienzellen boten die Kerne Veränderungen (Vacuolenbildung). Bacillen
fanden sich reiohlich in den Ganglienzellen angehäuft. — Das Gehirn zeigte sieh
in allen untersuchten Partieen normal; Bacillen konnten in einzelnen Purkinje'-
sehen Zellen nachgewiesen werden. Es ergab sich also bezüglich des Nerven¬
systems als Gesammtresultat: „Schwere interstitielle Neuritis und Perineuritis in
den peripherischen Nerven, Veränderungen an einer Anzahl von Spin&lganglien-
zellen, bei Intactheit des centralen Nervensystems.“ In einem längeren Abschnitte
gehen die Verff. noch auf die Ergebnisse anderer Autoren bezügUch der Lepra
des Nervensystems ein, ausserdem streifon sie kurz die Frage nach der Vererbung
der Lepra, wobei sie zu dem Resultat kommen, dass die Erkrankung an Lepra
nicht die Folge einer ererbten Anlage, sondern einer directen Ansteckung voa
Mensch zu Mensch ist. Max Neumann (Karlsruhe).
28) Gangräne neurltique des pieds. Elongation des tibiaux, puls du se>
phene externe par le prooedö de Ohipault. Guörlson, par Ottero
Acevedo. (Travaux de neurol. chirurg. 1900. Bd. II u. III.)
Verf. berichtet über eine Fussgangrän auf nervöser Basis, bei der durch
Elongation des N. tibialis und des Saphenus externus Heilung erzielt wurde, so
dass der Kranke an Stöcken gehen kann. Die Ursache der Neuritis blieb unauf¬
geklärt, die Frage, ob die Heilung lediglich auf Elongation der Nerven zurück¬
zuführen ist, ebenfalls. Adler (Berlin).
29) Ein Fall von Raynaud’scher Krankheit, von Krön er. Vortrag, gehalten
im Verein f. innere Med. in Berlin am 16. October 1899. (Deutsche med.
Wochenschr. 1899. Nr. 44.)
Die 52jährige Dame machte vor 18 Jahren eine Zellgewebsentzündung am linken
Unterschenkel, 4 Jahre später eine schwere Peritonitis, vor 9 Jahren eine Nieren¬
entzündung durch. Es restirte eine Albuminurie, im Juni d. J. erfolgte eine nene
nephritische Attacke, zeitweise sind Spuren von Eiweisa im Urin enthalten. Anfang
August erkrankte Pat. in 8alzschlirf mit Atemnoth, Beklemmungen, starkem Husten
und grosser Schwäche. Es zeigten sich an der Nasenspitze, den Wangen, da
Fingern der rechten Hand rothe Flecken, bald worden die 2. and 3. Phalangen
sämmtlicher Zehen und der Finger mit Ausnahme der Damnen verfärbt, nnd zwar
blau, dann dunkler, schliesslich gangränartig. Sehr heftige Schmerzen folgten. Nach
8—10 Tageu verlor sich die Färbung und es wurde eine Abschuppung bemerkbar
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Die Wiederherstellung an den Händen war langsamer, drei kleine Stellen zeigen
jetzt noch die gangränartige Färbnng. Vor 4 Wochen erneuter, aber leichterer
Aufall, die Finger wurden unter lebhaften Schmerzen asphyktisch, nach 4—5 Tagen
normale Färbung, später Abschuppung in grösseren und kleinen Fetzen. Kein
Fieber. Schwaches systolisches Geräusch am Herzen. — Die noch bestehende Nei¬
gung zur Verfärbung lässt den Process noch nicht als abgeschlossen erscheinen.
_ E. Pfeiffer (Cassel).
30) Raynaud’s disease in the insane, by J. E. Courtney. (Journal of ner-
vous and mental disease. 1900. Vol. XXVII.)
Kurze Beschreibung eines Falles von Eaynaud’soher Krankheit, in dem
beide Fiisse und die linke Hand bei einer 60jährigen senil dementen Frau in
verschieden hohem Grade befallen waren.
Verf. betont die relative Häufigkeit des Vorkommens der Raynaud’schen
Krankheit bei Geisteskranken, speciell weiblichen senilen und secundär dementen.
Als Therapie empfiehlt er allgemeine roborirende Behandlung und Schutz der
befallenen Stellen vor äusseren Schädlichkeiten. Kühne (Allenberg).
31) Case of Erythromelalgla, by Dr. James Carlslaw. (Glasgow Medical
Journal. 1898. December.)
Bei einem 24 jährigen Weibe, die sich wegen anämischer und gastrischer Be¬
schwerden im Krankenhaus befindet, kommt Erythromelalgie zur Beobachtung. Aus
der Vorgeschichte ist nur zu bemerken, dass im 13. Lebensjahre rheumatische Er¬
scheinungen bestanden haben sollen. Pat. klagt Ober Schmerzen in den Beinen.
Es findet sich eine schmerzhafte Anschwellung besonders zwischen Knieen and
Knöcheln. Auf Fingerdruck bleiben keine Gruben in den geschwollenen Partieen.
Die Haut ist schwer abzuheben. Brennendes GefQhl in den betroffenen Gliedern,
nimmt in horizontaler Lage derselben ab. Dasselbe GefQhl von Brennen besteht auch
in den Händen und den Vorderarmen. Böthung der Haut daselbst. Die Haut und
das U nterhautzellgowebe merklich verdickt. Die Oberflächentemperator erscheint der
aufgelegten Hand des Beobachters erhöht.
Keine hysterischen Stigmata, keine Zeichen einer Läsion des Centralnervensystems.
Das Besondere des Falles sieht Verf. in der Localisation zwischen Knie und
Knöchel, in dem Befallensein der Arme und in der derben Verdickung des Gewebes.
Moritz Fürst (Hamburg).
32) Erythromelalgie, von Max Kahane. (Centralbl. f. d. Grenzgebiete der Me-
dicin und Chirurgie. 1900. Nr. 5, 7, 8.)
Sehr eingehende Darstellung der ganzen Lehre von der Erythromelalgie unter
Berücksichtigung der gesammten Litteratur. Als entscheidend fQr die Zugehörigkeit
zam Krankheitsbilde betrachtet Verf. mit Weir Mitchell den congestiven Charakter
der Böthung, den neuralgischen Charakter des Schmerzes und das paroxystisohe Auf¬
treten beider Symptome an den distalen Tbeilen der Extremitäten; eine Beihe von
Fällen, welche diesen Erfordernissen nicht entsprechen, sind von den reinen Fällen
als nicht zur Erkrankung gehörig abznsondern. Die Frage, ob es eine innere Ery¬
thromelalgie (Hoden, Mamma, Gehirn, Sehnervenpapille) giebt, ist noch nicht
spruchreif.
Klinisch gehört die Erythromelalgie zur Gruppe der Akropathieen und dQrfte
auf eine bald functioneile, bald anatomische Störung im Verhältnisse zwischen Nerven-
und Blutgef&sssystem zurückzuführen sein.
Verf. spricht sich gegen die Ansicht der meisten Autoren aus, welche zusammen-
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fassend Ober Erythromelalgie berichtet haben nnd zn dem Schlosse gelangten, das
die Erythromelalgie kein Morbns sni generis sei. Nach Verf. ist die Erythromelalgie
ein Krankheitsbild, das in einer Reihe von Fällen selbständig nnd bei anderen Fällen
als Begleiterscheinung anderer Erkrankungen auftrilt.
Hermann Schlesinger (Wien).
33) The relation between trigemlnal neoralgias and migraine, by James
J. Patnam, M. D. (Journal of nervous and mental disease. 1900. Vol. XIVll.
S. 129.)
Verf. hebt auch in diesem Aufsatz, ebenso wie schon früher, die nahen Be¬
ziehungen zwischen Migräne und Trigeminusneuralgieen, speciell des ersten Astes,
hervor. Er behauptet, dass nicht selten Neuralgia ophthalmica in Familien heimiscb
ist, die zu Migräne neigen, ferner, dass eine Migräne der Jugend im späteren Alter
in eine Neuralgia ophthalmica sich verwandeln kann, schliesslich, dass, wenn auch
selten, die Neuralgieen des ersten, ja auch der anderen Aeste des Trigeminus einen
deutlichen migräneartigen Charakter tragen können. Für letztere Erscheinung führt
er einen Fall an, bei dem eine ophthalraische Neuralgie typischer Form von tem¬
porärer Hemianopsie und anderen Migränesymptomen begleitet war.
_ Kühne (Allenberg).
34) Zur Therapie der Ischias, von A. Eulenburg. (Therapie der Gegenwart
1899. October.)
Aus dem Schatz seiner reichen Erfahrung heraus bespricht Verf. die Behandlung
dieser „das Leben zwar nicht unmittelbar bedrohenden, aber durch Schmerz und
Erschöpfung oft genug zur Qual machenden Erkrankung“. Nach Ansicht des Verf.'s
zeitigt hier ein mit Wissen und Können verbundenes zielbewusstes Handeln Erfolge,
wie sie auf dem Boden der Nervenkrankheiten nicht allzu häufig erwachsen. „Freilich
— es sei dem Ref. gestattet, folgende gerade heutzutage nur allzu berechtigten Aus¬
führungen des Verf.’s wörtlich wiederzugeben — gehört dazu neben manchen anderen
eine bei vielen leider bedenklich ins Wanken gerathene Unabhängigkeit und Selb¬
ständigkeit den landläufigen Strömungen und wechselnden Tagesmeinungen gegenüber:
man darf nicht heute für Salicyl, Antifebrin, Phenacetin, Pyramidon und alle mög¬
lichen unaussprechlichen -ine und -one, morgen für Suggestion, übermorgen „nur für
Natur“, d. h. für Wasser, Licht und sonstige physikalisch-diätetische Heilkunde
schwärmen, immer aber im Nachtrab jeder therapeutischen Mode kritik- und gedankenlos
in den Tag hinein leben.“ Von dieser Kritik- und Gedankenlosigkeit halten sich
die Ausführungen des Verf.’s in nachahmonswerthester Weise fern. Er bespricht zu¬
nächst die Causaltherapie bei localen mechanischen Schädlichkeiten (Druck durch
Geschwülste, Varicositäten der Beckenvenen) in Bezug auf chirurgische Intervention,
Blutentziehungen, Abführkuren u. s. w., sowie die Allgemeinbehandlung bei constitutio¬
neilen und toxischen Erkrankungen und wendet sich dann zur symptomatischen bezw.
Localbehandlung. Er betont den Werth der Ruhe und der Art der Lagerung des
Kranken die Anwendung von Wärmeapplicationen und bespricht alsdann die Technik
der Carbolsäure- und Osmiumsäureipjectionen. Antipyrininjectionen verwirft er jetzt
vollkommen. Weiter werden Technik der Elektrotherapie und der Massage incl.
unblutige Dehnung, sowie Balneotherapie besprochen; der blutigen Nervendehnung
gegenüber verhält sich Verf. ablehnend. Verf. hebt zum Schluss hervor, dass man
in seiner Uebersicht vielleicht vieles vermissen werde. Indessen „man braucht das
alles nicht und entbehrt es auch nicht. Es geht auch so! Mit vielen kommt man
aus, mit wenigem hält man Haus.“
Die Originallectüre des kleinen Aufsatzes wird jedem Leser einen Literarischen
Genuss bereiten. Martin Bloch (Berlin).
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38) Zur Begutachtung der erwerbabeeintr&ohtjgenden Folgen von Isohias,
von Dr. Ehret. (Monatsschr. f. Unfallheilk. 1900. Nr. 2.)
Der Yerf. geht davon aus, dass die Beobaohtung der Ischias kranken beim
Gehen und Stehen, beim Liegen, beim Bücken u. a. w. genügende Anhaltspunkte
liefert zur Beurtheilung der Arbeitsfähigkeit. Er bespricht zuerst das Sitzen und
macht dabei darauf aufmerksam, dass jene Kranken auf dem vorderen Bande des
Stuhles sitzen, dass sie das Bein möglichst weit von sich strecken und den Winkel
zwischen Oberschenkel und Bumpf möglichst stumpf lassen. Durch kyphotische
Biegung der Wirbelsäule wird dann der Oberkörper nach vorn gebraoht. Setzt
man die Ischiaskranken auf eine Tischplatte oder auf den Erdboden, so sitzen sie
sozusagen auf dem Kreuzbein, der Oberschenkel ist möglichst dicht auf die Tisch¬
platte aufgedrüokt, das Knie ist ganz gestreckt. Auch das Aufstehen aus sitzender
Stellung zeigt Besonderheiten. Während der normale Mensch beim Aufstehen
vom Stuhl den Körper zuerst nach vorn neigt, rückt der Ischiaskranke so weit
wie möglich nach dem vorderen Band des Stuhles, stellt die Füsse möglichst weit
zurück und richtet sich erst dann ganz gerade auf, ohne an der Stellung des
Oberkörpers viel zu ändern. Beim Aufstehen vom Erdboden tritt die charakte¬
ristische Stellung ein, über welche Minor vor einigen Jahren berichtet hat (sog.
Vorder- und Hinterpose). Beim Bücken stellt der an Ischias Leidende das kranke
Bein möglichst weit nach rückwärts, die Beugung erfolgt nur im gesunden Bein,
welch letzteres auch die ganze Körperlast trägt. Soll der Patient mit geschlossenen
Füssen gerade stehen, so rollt er nicht das kranke, nach aussen gedrehte Bein
nach innen, sondern umgekehrt, er rollt das gesunde Bein nach innen und bringt
dann durch eine Beckendrehung beide Fussspitzen nach vorn. Ausser dem Tiefer¬
stehen der Glutäalfalte auf der kranken Seite bei Ischias hat Verf. auch eine
Schiefstellung der Interglutäalfalte beobachtet. Alle die angegebenen Eigentüm¬
lichkeiten beim Gehen, Stehen, Bücken u. s. w. der Ischiaskranken beruhen auf
dem Bestreben des Kranken, jedes Mal die Stellung einzunehmen, welche die ^ug-
und Druckverhältnisse für den erkrankten Nerv am günstigsten gestaltet.
Paul Schuster (Berlin).
38) Multiple tumors of the soiatio nerve, byJohn B. Boberts, M. D.
(Proceedings of the Pathological Society of Philadelphia. 1901. IV. Nr. 6.)
Vor 14 Jahren waren bei dem beobachteten Patienten drei erbsengrosse
Tumoren des linken Beins, nahe dem Knie, entfernt worden; einige Jahre nachher
bemerkte er im Poplitealraum, entsprechend der Mittellinie, einen sich vergrössernden,
bei Berührung schmerzhaften Knoten. Der continuirliche Schmerz strahlte central
und peripher aus und hinderte den Pat. an der Arbeit und zeitweise am Gehen.
Es bestand Schwäche des Beins und Taubheit des Fusses, ferner erhöhte Wärme
und Perspiration.
Bei der Operation zeigte Bich der N. ischiadicus, sowie der Popliteus externus
und internus förmlich eingehüllt von zahlreichen, verschieden grossen Tumoren,
von denen 36 unter möglichster Schonung des Nerven entfernt wurden. Es blieb
nur eine unmerkliche Schwäche des linken Beines nach der Operation zurück.
Elektrische und Sensibilitätsprüfungen waren nicht vorgenommen worden. Die
Tumoren erwiesen sich als Fibrome. H. Marous (Wien).
Psychiatrie.
41) Ueber Wahnideenn im Völkerleben, von Dr. M. Friedmann. (Grenz¬
fragen des Nerven- u. Seelenlebens. 1901. VI u. VH.)
Die Aufgabe des vorliegenden Werkes ist, eine zusammenfasBende Darstellung
und psychologische Erläuterung jener kulturhistorischen Erscheinungen zu geben,
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die man gemeinhin als „Wahnideeen, als Wahngebilde im Völkerleben“ zu be¬
zeichnen pflegt Der Fortschritt, der in der Deutung der hierhergehörenden Vor¬
stellungen als Geisteskrankheit, als Wahnsinn gegeben ist, gegenüber der früheren
Auffassung als Manifestationen übernatürlicher Wunderwirkung, ist ein ungemein
segensreicher gewesen. Diese Deutung hält jedoch vor der heutigen psychologischen
Analyse nicht mehr oder doch nur mit grossen Einschränkungen Stand. Wesent¬
liche Eigentümlichkeiten der hier in Betracht kommenden „Wahnsinns“-Formen
lassen diese als etwas von den Geisteskrankheiten sensu stricto Differentes er¬
scheinen. Dies gilt vor allem für die ausgesprochene Neigung dieser Erscheinungen
zu epidemischer Ausbreitung, wie sie sich vorzüglich bei deren Prototyp, dem
religiösen „Besessenheitswahn“, der Daemonomanie, geltend macht. Dem wider¬
spricht nicht, dass sich unter der Unzahl der Dämonomanischen hier und da
einmal ein wirklich Geisteskranker findet Jedenfalls falsch ist es aber, aus den
einzelnen Aeusserungsformen Krankheitsbilder sui generis construiren zu wollen.
Alle jene absonderlichen Strömungen im Völkerleben, wie sie von ältester
Zeit bis auf den heutigen Tag auf religiösem, politischem, wirthschaftlichem, ja
selbst wissenschaftlichem Gebiete Massenbewegungen von grösserer oder geringerer
In- und Extensität hervorrufen, finden ihre Erklärung in einem psychologischen
Moment, der Suggestion. Die „SuggeBtibilität“ der menschlichen Psyche ist
der gemeinsame Quell, aus dem die mannigfaltigen, in ihrer Manifestation oft
höchst grotesken Erscheinungen entspringen, die man Wahnideeen im Völkerleben
nennt. Die Fähigkeit, Massenbewegungen gedachter Art hervorzubringen, ist im
Wesen der Suggestion, speciell der hypnotischen Suggestion, selbst begründet
Die sensorische und neuromusculäre Uebererregbarkeit, die den mittleren und
höheren Graden der Hypnose eigen ist, disponirt sehr erheblich zur Entstehung
cardinaler Symptome jener Volksepidemieen, zur Entstehung von Sinnestäuschungen,
von krampfartigen und automatischen Bewegungserscheinungen. Es charakterisirt
sich hiermit die Hypnose (Ekstase) als künstlich erzeugte Hysterie. Ein weiteres
unterstützendes Moment ist die rasche und „imperatorische“ Wirkung jeder
Suggestion im Zustande der Hypnose, und schliesslich ist von wesentlicher Be¬
deutung die Möglichkeit, dass die hysterische Suggestibilität, die Fähigkeit zur
Hypnose durch Trainirung wachgerufen und gesteigert werden kann.
Einen noch wichtigeren Factor in der Entstehungsgeschichte der geistigen
Pandemieen als die Hypnose lernen wir in der Waohsuggestion kennen, die
Überhaupt in der Gesohichte dee menschlichen Geistes eine hervorragend grosse
Rolle spielt. „Nicht nur die . . . fanatischen Geistesströmungen, die eigentlichen
Wahngebilde der Völker, beruhen auf der gewöhnlichen Wachsuggestion, sondern
alle Ideale, der ganze religiöse Glaube und selbst ein bedeutender Bestandtheil
des wissenschaftlichen Denkens sind ihr entsprungen.“ Der Suggestionsbegriff hat
gelehrt, „wie man einfach durch Erregen starker Vorstellungen das Denken der
Menschen beherrschen und ihm absichtlich und künstlich einen bestimmten Inhalt
aufdrängen kann, und zweitens dass die Vorstellung an sich und allein eine selb¬
ständige geistige Maoht bedeutendster Art ist.“ Dieser Satz enthält mit den
wichtigsten Gedanken der ganzen Abhandlung. — Auf die Wirkung suggestiver
Vorstellungen hat deren logischer und idealer Gehalt nur sehr geringen Einfluss,
die suggestive Vorstellung entsteht vielmehr ohne Reflexion und erregt direct
das, was man subjective Ueberzeugung nennt. Zur Entstehung einer subjectiven
Ueberzeugung ist nur nöthig, dass die Idee, die den Gegenstand derselben bilden
soll, der allgemeinen Denkgewohnheit der Person entspricht, dass contrastirende
Vorstellungen fehlen, und dass weitere Erfahrungen der Person in der ursprüng¬
lichen Vorstellung eine Analogie finden. Zum Wesen der suggestiven Vorstellung
gehört ausser dem schon Gesagten noch, dass sie lebhaft sinnlicher Natur ist, ohne
weiteres auf andere übertragen werden kann und einen starken Impuls zur
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Activität erzeugt. Durch die letztgenannte Eigenschaft unterscheidet sich die
Suggestiyassociation von der PrimärasBociation. Beide sind die ohne logische
Reflexion entstandenen Urtheile.
Die völkerpsychologische Gestaltung der Suggestividee analysirt Verf. im
weiteren Verfolge des allgemeinen Theils seiner Abhandlung am Beispiele des
religiösen Denkens. Dieses basirt auf der „primitiven Suggestivassociation der
Eigenbeziehung“. Verf. entwickelt im Einzelnen das Zustandekommen und Wirk¬
samwerden dieser Association und kommt zum Schlüsse: „Jeder starke Eindruck
bewirkt direct ohne Reflexion und ohne Motiv bestimmte für den Menschen
zwingende Ideeenassociationen, besonders die der Eigenbeziehung, und er veranlasst
ebenso direct den starken Impuls zu einer thätigen Reaction darauf, deren Wir¬
kungsart ebenfalls nicht überlegt wird.“ Die AeusBerungsweise dieser „thätigen
Reaction“ besteht einmal in bestimmten Handlungen (auf religiösem Gebiete in
dem, was man Cult nennt), und dann in der Neigung zur Uebertragung der ge¬
bildeten Suggestividee auf Andere durch das gesprochene Wort, in dem Drang
zur verbalen Suggestion, zur Propaganda.
Nach dieser Erläuterung der Genese und psychologischen Natur der Suggestiv¬
idee führt Verf. im Haupttheil seiner Abhandlung die beiden grossen Gruppen
von Wahnideeen im Völkerleben vor: 1. Die Wahnideeen im Völkerleben auf
einfach suggestiver Grundlage, 2. die Wahnideeen und perversen Massenbewegungen
von hypnotischen und ekstatischen Zuständen begleitet Es wird hier eine un-
gemein reiche Fülle von Material geboten, dessen Vorführung im Einzelnen nicht
Aufgabe eines Referates sein kann. Das Gebiet, auf dem die Wahnideeen sich
entwickeln und zur Wirksamkeit kommen, ist in der ersten Gruppe vorwiegend,
in der zweiten wohl ausschliesslich das religiöse. Von den geistigen Epidemieen
der ersten Gruppe seien erwähnt: Die sog. Pai-Marire-Religion auf Neuseeland;
der Hexenwahn des abendländischen Mittelalters; aus der moderneren Zeit der
Mahdismus, die Bewegung der Heilsarmee, die extremen religiösen Secten wie die
Skopzen, die Assasinen u. a.; alles pathologische geistige Bewegungen auf reli¬
giösem Gebiete. Ausserdem begegnet man in dieser Gruppe auch solchen auf
wirthschaftlichem Gebiete (Tulpenmanie in Holland), auf politischem Gebiete
(Radioalismus, Anarchismus). An der Hand dieser Beispiele erläutert Verf. das,
was er im allgemeinen Theil zusammenhängend ausgeführt, dass nämlich die Idee
als solche, und nicht deren logische Begründung „werbende Kraft“ besitzt, sofern
sie nur im Stande ist, in den Massen plastisch änschaulioh zu werden, und über-
zeugungsvoll, imponirend und plastisch anschaulich vor den Massen zum Ausdruck
gebracht wird.
Die Entstehung von hypnotischen und ekstatischen Zuständen als Begleit¬
erscheinungen geistiger Epidemieen ist nicht aus der Natur der Suggestividee zu
erklären, beruht vielmehr auf einer Schwäche, einer Insufflcienz des psychischen
Organs, auf das die Suggestividee einwirkt. Während die rüstige Volksseele auf
suggestiv wirkende Vorstellungen mit einem starken Drang zur Activität reagirt,
wird bei „nervenschwachen und weiblichen Naturen eine eigenartig überreizte
Steigerung der erregten Vorstellung selbst bewirkt, zugleich mit einer Hemmung
der sonstigen geistigen Thätigkeit“, das Individuum fühlt sich der Vorstellung
gegenüber passiv. „Auch hier drängt die suggestive Vorstellung zur Action,
aber diese ist mehr als impulsiv, sie ist automatisch.“ So erklärt Verf. uis
Ekstase. Die geistigen Massenbewegungen, bei denen ekstatische und hypnotische
Zustände zur Entwickelung kommen, spielen sich, wie schon gesagt, ausschliesslich auf
religiösem Gebiete ab. Als Beispiele werden angeführt die Besessenheitsepidemieen,
iie Lykanthropie, die St. Medardus-Epidemie, die Trembleurs des Cevennes u. a.
— Die Hypnose, die Ekstase ist ein sehr wesentlicher Faotor in der Psychologie
les religiösen Glaubens, indem sie die Hauptquelle des Wunderglaubens ist.
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Im Vorstehenden sind nur die wesentlichsten Punkte der höchst geistvollen
und ungemein vielseitigen Abhandlung skizzirt. Der Grundgedanke derselben ist,
noch einmal kurz zusammengefasst, folgender: Geistige Massenbewegungen entstehen
auf suggestivem Wege, und zwar in den weitaus häufigsten Fällen als „Wach¬
suggestion“, in weloher der ursprüngliche und sozusagen normale Beactionsmodus
auf mächtig gewordene, plastische Vorstellungen zu erblicken ist, während sich in
der Hypnose nur die besondere Beactionsweise einer minderwerthigen, hyper-
sensiblen Psyche auf suggestiv wirkende Vorstellungen dara teilt. Suggeetibilität
wird in allererster Linie bedingt durch plastisches Denken. Dem Aflect
kommt nur eine unterstützende Bolle zu. „Die Vortellung an sich und
allein ist eine selbständige geistige Macht bedeutendster Art.“
Max Neumann (Karlsruhe).
UL Bibliographie.
1) Traite de thdrapeutique de« malad!es mentale« et nerveusee. Hygiene
et prophylaxle, par Paul Garnier et Paul Cololian. (Paris, 1901.
Bailliöre et Fils. S. 486.)
Das vorliegende Buch giebt nicht nur das, was es im Titel verspricht,
sondern auch eine Gesohichte der Geisteskrankheiten und ebenso auch die histo¬
rische Entwickelung der verschiedenen, speciell bei Geisteskranken angewen¬
deten Mittel des non-restreint, der open-door-Behandlung, der Colonisation, der
Familienbehandlung und präcisirt genau die Indicationen. Es folgt sodann die
Besprechung der Asyle für verbrecherische Geisteskranke, für Alkoholiker, für
epileptisch und hysterisch Kranke, für Idioten, für Demente, der HülfiBvereine für
geheilte Geisteskranke u. s. w. Nach einer Erörterung der verschiedenen chemischen
Mittel, der Hydrotherapie, der Elektricität u. s. w. folgt dann die specielle Therapie
der Psychosen und Neurosen und endlioh im Schlusscapitel eine Besprechung der
Ursachen und der Prophylaxe der Geistes- und Nervenkrankheiten.
Diese kurze Inhaltsangabe mag genügen, unsere Special coli egen auf das Buch
aufmerksam zu machen, das, mit reicher Kenntniss der Litteratur und einer auf
eigener Erfahrung beruhenden kritischen Sichtung der Thatsachen geschrieben,
einem wirklichen praktischen Bedürfnisse entspricht. M.
2) Psychosen in ätiologischem Zusammenhang mit Influenza, von Franz
Klemm. (Marburg 1901.)
Nach eingehender Litteraturangabe berichtet Verf. über 23 Fälle von Psy¬
chosen nach Influenza aus der Tuczek’schen Klinik.
Dieselben traten in der Form der Amentia, von Depressionszuständen, meist
hypochondrischen oder senilen Charakters, von Delirium acutum, hysterischen
Seelenstörungeu auf. In manchen Fällen gab die Influenza nur scheinbar die
Ursache der Psychose ab, welche, sicher schon vorhanden gewesen, durch die
Influenza nur gesteigert bezw. im Ablauf beschleunigt worden war (progressive
Paralyse, Paranoia).
Mit Becht wendet sich Verf. gegen den Ausdruok: „Pseudoinfluenzapßychosen“
wie „Influenzapsychosen“. Die Influenzapsyohosen haben durchaus nichts Charak¬
teristisches. M.
3) Die vasomotorisch - trophisohen Neurosen. Eine Monographie von Dr.
Biohard Cassirer. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. H. Oppenheim.
(Berlin, 1901. S. Karger. 609 S.)
In dieser überaus fleissigen und gehaltvollen Arbeit bespricht Verf. in
6 Capiteln unter Verwendung seiner zahlreichen Beobachtungen an der Oppen-
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he im'sehen Poliklinik folgende Krankheitsbilder, nachdem er im 1. Capitel einige
anf die vasomotorischen nnd trophischen Verhältnisse bezügliche anatomisch*
physiologische Erwägungen vorauBgeschickt hat: die Akroparästhesieen, dieErythro-
melalgie, Raynaud’sche Krankheit, Sklerodermie, das acute umschriebene Oedem
und die multiple neurotische Hautgangrän.
Verf. zeigt, welch enge Beziehungen zwischen diesen einzelnen Krankheits¬
bildern bestehen, dass für sie alle als Sitz der Erkrankung hauptsächlich der
Vasomotorenapparat bezeichnet werden muss, und dass bei ihnen schwere organische
Veränderungen, entsprechend den durchaus negativen Resultaten der pathologischen
Anatomie, nicht vorliegen können.
Zuweilen sind die erwähnten Krankheitsbilder nur Theilerscheinungen einer
anderen Grundkrankheit (besonders der Syringomyelie), doch hält Verf. ein idio¬
pathisches Auftreten der betreffenden Zustände, d. h. das Auftreten derselben
als selbständige Krankheitsbilder, für sichergestellt. Die Unterscheidung dieser
symptomatischen und idiopathischen Erscheinungsgruppen von einander ist bisweilen
schwierig, ja sogar nicht immer durchführbar.
Eine Anzahl gemeinschaftlicher Merkmale rechtfertigt nach Verf.'s Ansicht
die Zusammenfassung der erwähnten Krankheitsbilder zu einer Gruppe von
Krankheiten. Besonders die Art der Symptome (vasomotorische, sensible, secre-
torische und trophische Störungen), ihre Localisation, vorzüglich an den gipfelnden
Theilen des Körpers, deren Bevorzung dadurch zu erklären ist, dass gerade auf
die Gefässe der Akra Reiz- und Lähmungszustände im Vasomotorenapparat am
stärksten einwirken und auch sonst diese Theile unter ungünstigen Circulations-
bedingungen stehen, ferner aber der Verlauf der einzelnen Krankheitsbilder (lang
dauernd, doch mit Intermissionen einhergehend und meist nicht progredient) ver¬
leihen denselben einen eigentümlichen Charakterzug und ketten sie zu einer
Krankheitsgruppe zusammen. Die engen Beziehungen zwischen den einzelnen be¬
sprochenen Krankheitsbildern werden ferner dargetban durch die gemeinsame
Aetiologie (häufigeres Erkranken der Frauen, thermische Schädlichkeiten, Infections-
krankheiten, neuropathische Belastung) und durch das Vorkommen von Uebergangs-
formen, welche die Grenzen zwischen den einzelnen Leiden stark verwischen, und
für welche Verf. auch eigene Beispiele anführt.
Ein sehr ausführliches Litteraturverzeichniss schliesst das lesenswerte Werk,
welches den heutigen Stand unserer Kenntnisse über die vasomotorisch-trophischen
Neurosen wiedergiebt und somit gleichzeitig zeigt, wie viel in diesem Capitel noch
der Aufklärung und Erforschung harrt. Kurt Mendel.
IV. Aus den Gesellschaften.
LXXIII. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerste ln Hamburg
vom 22.—28. September 1801.
Abtheilung für Neurologie und Psychiatrie.
I. Sitzung am 24. September, Nachmittags 8 Uhr.
Herr Binswanger (Jena): Zur Pathologie und pathologischen Anatomie
der Taboparalyse.
Vortr. weist auf die klassische Arbeit Charcot’s über Tabes und Paralyse
hin, in der die Taboparalyse zuerst eine vollendete Darstellung gefunden hat.
Wenn auch der Begriff nicht scharf umschrieben werden kann, so heben sich
doch gewisse Formen der Paralyse unter den anderen hervor, und zwar ganz be¬
sonders durch das frühzeitige Auftreten des ethischen Defeots. Erregungen
sind anfangs selten, treten erst später hervor. Paralytische Anfälle sind bei
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dieser Gruppe selten. Vortr. verbreitet sich dann Aber die thatsächlichen and
von den Autoren angegebenen Unterschiede in dem anatomischen Befund. Die
beiden Krankheiten können combinirt in allen ihren Formen Vorkommen.
Die Taboparalyse muss 1. vom ätiologisch-klinischen, 2. vom kliniseh-eym-
ptomatologischen, und endlich 3. vom pathologisch-anatomischen Standpunkt ata
betrachtet werden.
Was die Aetdologie anlangt, so spielt in allen Disoussionen die Syphilis eine
grosse Rolle. In neuerer Zeit hat Edinger neue fruchtbringende Gedanken be¬
züglich des Einflusses der Function bezw. Ueberfunction auf die Entstehung der
Krankheit entwickelt.
Bezüglich der Symptomatologie stellt sich Vortr. in Gegensatz zu Schaffer.
Vortr. will die bei der Paralyse auftretenden tabes&hnlichen Symptome nicht mit
Tabes identificiren. Es genügt nicht, dass ein Paralytiker den Lichtreflex der
Pupillen oder die Patellarreflexe verliert, wenn man ihn als Tabiker bezeichnen
will. Zur Tabes gehören noch eine ganze Reihe von Symptomen.
Auch bezüglich der pathologischen Anatomie zieht Vortr. schärfere Grenzen;
u. a. fehlen Zellveränderungen bei der Tabes fast vollständig.
Charcot unterschied: Tabes zur Paralyse hinzutretend, Paralyse mit Hinter¬
strangerkrankung, Paralyse zur Tabes hinzutretend.
Unter den beobachteten Fällen von Taboparalyse hebt Vortr. einige Typen
hervor: Eine Paralyse, zu der sehr spät tabische Erscheinungen hinzutraten. Ein
Tabiker bekam sehr acut nach einem paralytischen Anfall die psychischen Er¬
scheinungen der Paralyse u. s. w. Vortr. würdigt noch speciell die Schwierigkeit
der Differentialdiagnose zwischen Taboparalyse und postsyphilitischer Demenz.
Discussion:
Herr Ziehen (Utrecht) beschreibt einen Fall seiner Beobachtung, bei dem
sich im Anschluss an einen paralytischen Anfall eine reine Tabes entwickelte.
Erst nach vielen Jahren trat Paralyse auf. Z. weist ausserdem auf die — in
Deutschland offenbar weniger beobachtete — hemiplegische Tabes der Franzosen hin.
Herr Edinger (Frankfurt a/M.) berichtet ebenfalls über einen Fall analog
dem von Ziehen beschriebenen, in dem sich erat sehr lange Zeit nach einem
paralytischen Anfall eine Paralyse entwickelte.
Herr Sa enger (Hamburg) führt mehrere Fälle an, die längst als Tabo-
paralytiker erkannt wurden, aber noch jetzt sehr leistungsfähig sind, ein anderer
(Arzt) war trotz differenter Pupillen lange sehr leistungsfähig und anscheinend
gesund geblieben, bis ganz plötzlich die Paralyse ausbrach.
Herr Thomsen (Bonn) protestirt dagegen, Anfalle au und für sich als
paralytisch zu bezeichnen. „Paralytischer Anfall“ ist kein umgrenzter Begriff
Aus einem einzigen Anhill kann man keine Paralyse diagnosticiren. Es giebt
kein Merkmal, den Krampfanfall bei Paralyse von denjenigen anderer Krankheiten
zu unterscheiden. Auch hier müsse das klinische Gesammtbild und nicht das
Momentbild ins Auge gefasst werden.
Herr Teuscher (Dresden-Weisser Hirsch) berichtet über 4 Fälle von Para¬
lyse, bei denen lange Zeit starke Remissionen bestanden.
Herr Leppmann (Berlin) macht auf die häufigen Formen von Taboparalysen
mit circulärem Verlauf aufmerksam; dieselben zeigen gewöhnlich keine Sprachstörung.
Herr Bruns (Hannover) fragt Ziehen nach den Unterscheidungsmerkmalen
zwischen metasyphilitischen Erscheinungen und den sogenannten tabischen und
paralytischen, die Ziehen anführte.
Herr Ziehen (Utrecht) findet sehr wohl typische Symptome des paralytischen
Anfalls, auch die Umgrenzung der metasyphilitischen Lähmungen falle durchaus
nicht schwer.
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Herr Binswanger (Schlusswort) ist mit Bruns einverstanden, kein Sym¬
ptom als specifisch tabisch und keine als paralytisch zu bezeichnen. In den Fällen
von Teuscher sieht er Combinationen von Tabes mit postsyphilitischer Demenz.
Herr Becker (Baden-Baden): Eine neue Axenoylinderftrbung.
Die nicht im wahren Sinne electiven Färbemethoden (z. B. Golgi, Ehrlich)
sind für die anatomischen Auffassungen gefährlich. Eine wirklich elective
Methode muss die bekannten Weigert’schen Forderungen erfüllen. In erster
Linie wurden Stücke des Centralnervensystems untersucht. Vorbehandlung mit
Formol und Chromsäure (chromsaure Salze verhindern die Reaction), Einbetten und
Schneiden wie gewöhnlich. Färbung entweder direct mit Hämatein oder nach
secundärer Beizung mitPhosphormolybdän- und Phosphorwolframsäure mit basischen
Farbstoffen (Neutralroth u. s. w.). Differenzirung mit Chromsäure oder einer
Modification der P a 1 'sehen Methode. — Demonstration von Präparaten, die mit
dieser und einer früheren, an Gefrierschnitten geübten, Methode gefärbt waren.
Bei letzterer wurden die Formolpräparate mit Phosphormolybdän- und Phosphor-
wolframsäure-Hämatozylinlack gefärbt. (Ausführliche Publication a. a. 0.)
Herr L. Bruns (Hannover): TJeber Chorea electrica.
Die Mittheilungen des Vortr. beziehen sich ausschliesslich auf die Formen
der sogen. Chorea electrica, wie sie Henoch und Bergeron beschrieben haben.
Die Dubini’sche Chorea electrica, die eine ganz andere Pathogenese hat, lässt
er ganz bei Seite. Er erörtert zunächst an der Hand der Darstellung von
Henoch und Bergeron das Krankheitsbild; es handelt sich um Zuckungen
blitzartigen und brüsken Charakters, die aussehen, als wären sie durch einen
elektrischen Schlag hervorgerufen — daher Chorea electrica — und die im all¬
gemeinen den Nacken, die Schultern und Oberarme betreffen. Die Patienten sind
ausschliesslich Kinder von 7—16 Jahren, können im Uebrigen ganz gesund sein.
Die Ausführungen des Vortr. sollen nun beweisen, dass auch bei Beschränkung
auf die Henoch-Bergeron’sche Form der Chorea electrica diese Krankheits¬
fälle sich pathogenetisch noch in drei verschiedene Gruppen theilen lassen, eine
Chorea electrica s. s., eine hysterische Form und eine solche mit epileptischer
Grundlage. Für jede dieser Formen wird ein typisches Beispiel vorgeführt. Die
Chorea electrica s. s. steht den verschiedenen Formen der Tics besonders nahe,
es ist vielleicht aber gut gethan, ihr noch eine besondere Stellung zu geben
wegen der Eigenart der Localisation der Zuckungen und ihres Vorkommens aus¬
schliesslich im Kindesalter.
Bei der hysterischen Form können die Stigmata der Hysterie ganz fehlen,
dann ist die Unterscheidung von der Chorea electrica s. s. zunächst unmöglich. In
dem Falle des Vortr. war Gefühllosigkeit des Rachens vorhanden. Die epilep¬
tische Form ist meistens daran zu erkennen, dass neben den Chorea electrica-
ähnlichen Zuckungen typische epileptische Anfälle Vorkommen, dass meist auch
allmählich der Verstand der Kinder leidet, und dass man manchmal vielleicht
auch bei den kleinen Anfällen Bewusstseinspausen wird constatiren können. Die
der Chorea electrica-ähnlichen Zuckungen sind hier dann entweder rudimentäre
Anfälle oder intercurrente Muskelzucknngen, wie sie alB Epilepsia contiijua, Con¬
tinua partialis, choreica von Kojewnikow, Bechterew, Nagl, Bresler u. A.
beschrieben sind.
Die Unterscheidung der einzelnen Formen ist besonders wichtig für die
Prognose und Behandlung. Die hysterische Form bietet eine sehr günstige
Heilungsaussicht, die Chorea electrica s. s. eine schlechte; da man beide oft von
vornherein nicht unterscheiden kann, ist es in diesen Fällen richtig, zunächst die
Behandlungsmethoden der Hysterie, wenn irgend möglich, in einem Krankenhause
einzuleiten. Hier kommt vor allem die „zweckbewusste Vernachlässigung“ in
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Betracht; die Heilung oder Nichtheilnng wird dann oft erst entscheiden, ob der
Fall zur Hysterie gehört oder Chorea electrica s. s. ist. Die epileptische Abart
der Chorea electrica ist leicht zu erkennen und die Behandlung ist die der
Epilepsie. (Autoreferat.)
Dr. Lilienstein (Bad-Nauheim).
(Fortsetzung folgt.)
V. Neurologische und psychiatrische Litteratur
vom 1. Juli bis 1. September 1801.
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chrflder, Irrenärztliche Aufgaben der Zukunft. Ebenda. Nr. 21.
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Arndt, Bromocoll. Fortschritte der Medicin. Nr. 20. — Loewy, Yohimbin-SpiegeL Therapie
der Gegenwart. Nr. 7. — Starnberg, Hedonal. Inaug.-Dissert Halle. — Patten», EdonaL
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Geneesmethoden. Weekbl. van het Nederlandsch Tidschr. Nr. 6. — L LOweofeM, Luft¬
kuren für Nervöse und Nervenkranke. München. Seitz u. Schauer. — Dstoraann, Höhen¬
klima im Winter. Volkmann’s Samml. Nr. 308. — Eitelberg, Psychische Beeinflussung
bei Behandlung Ohrkranker. Wiener med. Presse. Nr. 29.
VI. Vermischtes.
Tagesordnung der VII. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neu¬
rologen su Jena am Sonntag, den 20. October. I. Sitzung: 9 Uhr Vormittags, in der
Ohrenklinik. (Projectionsapparat.) II. Sitzung: 1 Uhr Nachmittags, in der psychiatrischen
Klinik. Festmahl: 4 l / s Uhr Nachmittags im Hötel zum schwarzen Bären.
1. Hitzig (Halle): Aufklärung einiger Streitpunkte in der Localisationslehre. — 2. Köster
(Leipzig): Ueber den Ursprung des N. depressor. — 3. Voigt (Göttingen): Ueber Neuro¬
fibrillen. — 4. Ilberg (Sonnenstein): Ueber das Centralnervensystem eines 2tägigen Hon*
cepbalcn. — Weber (Göttingen): Hyaline Gefassdegeneration als Ursache miliarer Hirn¬
blutungen. — 6. Asohaffenburg (Halle): Berufsgeheimnis (§ 300Str.G.B.) und Psychiatrie.
— 7. Siefert (Halle): Ueber das Carcinora der weichen Häute des Centralnervensyrtems.
— 8. Schäfer (Blankenhain): Das Verhalten der Cerebrospinalflüssigkeit bei psychisch
Kranken. — 9. Möbius (Leipzig): Serumbehandlung der Basedow’schen Krankheit —
10. Saenger (Hamburg): Ueber freiwilliges Hinken. — 11. Windscheid (Leipzig): Die
durch Arteriosklerose bedingten Nervenleiden. — 12. Warda (Blankenburg): Ueoer die so¬
genannten psychischen Zwangszustände. — 18. Binswanger (Jena): Spiritismus aad
Geistesstörung. — 14. Strohmayer (Jena): Ueber die Bedeutung der Indmdualstatiräk h
der Erblichkeitsfrage. — 15. Stier (Jena): Ueber Geisteskrankheiten und ihre Behandlung
beim Militär. — 16. Berger (Jena): Zur Casuistik der Hirntumoren. — 17. Mainzer (Jena):
Einfluss geistiger Arbeit auf den Harn-Stoffwechsel.
Zum 13. October 190L
Der 12. October war in der Reichshauptstadt ein Festtag, wie ihn in ähnlicher Webe
die Wissenschaft und spcciell die medicinische Wissenschaft wohl kaum noch gesehen kalt
War der Tag dem 80. Geburtstage Rudolf Virchow’s geweiht, so hat doch wähl
keinem Theilnehiner der Feier das Gefühl gefehlt, dass es gleichzeitig ein Tag des Ruhmes
der ärztlichen Wissenschaft war.
In den Mittagsstunden sprach Virchow in dem Hörsaal des neuen pathologisches
Institutes in 1 ‘/j ständigem Vortrag über die geschichtliche Entwickelung der Mediem mit
jener körperlichen and geistigen Frische, welche seine Schüler, die vor beinahe einem halbes
Jahrhundert in den Räumen der Charitö zu seinen Füssen Baasen, schon damals bewundert
haben. Am Abend bis in die Morgenstunde des näohsten Tages brachten die Reichs- uad
Staatsbehörden, die städtischen Behörden, die gelehrten Gesellschaften der gesammten d*i-
lisirten Welt daroh eine endlose Reihe von Deputationen ihre Glückwünsche dar.
Wenn der Rector der Berliner Universität dabei betonte, dass die letztere besonder!
berechtigt sei, Virchow als den Ihrigen zu nennen, so nennen mit nicht geringerem Reeht
und mit eben solchem Stolze die Aerzte des Erdballs Virohow als ihnen zugehörig.
Was er für die Discipliu der Medicin, welcher diese Zeitschrift gewidmet ist, geleistet
hat und leistet, das wissen wir Alle; wir haben es bei Gelegenheit seines 70. Geburtstages
anzudeuten versnobt.
Heute soll nur der herzlichste Wunsch hier einen Ausdruck finden, dass Virchow s
Sonne noch ungezählte Jahre am Firmament der Wissenschaft leuchten möge, dass er seinen
Schülern noch recht oft Gelegenheit bieten möge, ihm ihre unbegrenzte Dankbarkeit zum
Ausdruck bringen zu können, dass er fortlebe zum Segen der Wissenschaft, znm Heile der
gesammten Menschheit. _
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29.
Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobb & Wime in Leipzig.
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190t 1. November. Nr. 2t
Inhalt I. Originalmltthellungen. 1. Reflezcpilepsie bei spastischer Oesophagusstenose,
von Dr. med. L. E. Bregman, Primärarzt in Warschau. 2. Zur Conservirung von Faser¬
färbungen, von Dr. Erwin Stransky. 3. Die spinalen motorischen Localisationen und die
Theorie der Metamerieen, von C. Partion und Dr. M. Goldstein. (Schluss.)
II. Referate. Anatomie. 1. Sulla presenza di sottili fibrille tra le maglie del reticolo
periferico nella cellula nervosa. Ricerche del Oonaggio. 2. A prelimin&ry communication with
projection drawing, illustrating the topography of the paracoels (lateral ventricles) in their
relations to the surface of the cerebrum and the cranium, by Spitzka. 3. Ganglienzellen in
der Schlundmusculatur von Pulmonaten, von Schmidt. 4. Das Ganglion oiliare, von Onedi.
— Experimentelle Physiologie. 5. Die elektrische Erregbarkeit der Nerven und
Muskeln unter Cnrarewirkung, von Donath und Lukics. 6 . Observations on the course of
the optic flbres in a ease of unilateral optie atrophy, by Warrington and Outton. 7. Cryo-
skopie du liquide cdphalorachidien, par Achard, Loeper et Laubry. 8 . Experimental leBions
of the corpora quadrigemina in monxeys, by Fernei and Turner. 9. Klinische waarnemingen
van Btoornissen der nuidsensibiliteit, waarky in meer of mindere mate de nitbreiding van
wortelzones is te herkennen, door Coenen. — Pathologische Anatomie. 10. Ein Beitrag
znr Lehre von der pathologisch-anatomischen Grundlage der Huntington’schen Chorea, von
Kattwinkel. — Pathologie des Nervensystems. 11. Ueber den klinischen Verlauf und
die pathologisch-anatomischen Veränderungen eines schweren durch Hemiplegie, bulbäre uud
psychische Störungen ausgezeichneten Falles von Basedow’scher Krankheit, von Dlnkier.
12. Syndröme de Basedow post-typhoidique, par Benoit. 13. Om Forholdet mellem morbus
Basedowii og Myxödem, af Ulrich. 14. Ün cas de goitre exophthalmique chez un gar 9 on de
4 ans V* avec la triade symptomatique typique: exopthalmus, goitre, tachyoardie, par Variot
et Roy. 15. Klinische Voordraehten. II. Tetanie, af Nolen. 16. Ueber Tetanie und myo-
tonische Störungen bei dieser Erkrankung, von v. Voss. 17. Ueber die manifeste und larvirte
Tetanie bei Kindern, von Kraushar. 18. Ein Fall von Tetanie, von Grudzinski. 19. Mit¬
theilung über einen Fall von Tetanie nach Intoxication, von Dämmer. 20. Zur Lehre vom
Schichtstar (als Folge der Tetanie), von Kirchhof. 21. Znr Aetiologie der Chorea minor, von
Frölich. 22. Ueber die Beziehung der Chorea zum RhemnatismuB, von Geldblum. 23. Rheu¬
matismus, Herzkrankheit and Chorea, von Habel. 2*. Etüde des reflexes tendinenx dans la
chorde de Sydenham, par Oddo. 25. Cboräe de Sydenham avec souffle trds intense prddo-
minant dans la rdgion de la pointe dn coenr et s’irradiant jusque dans l’aisselle, sans tronbles
fonctionels et sans Hypertrophie da coenr. Bruit-extracardiaqae ae Potain, par Variot. 26. Chorea
infectiva (Sydenhams Chorea) og dens Behandling, af Gram. 27. Ueber einen Fall von
Peroneuslähmung nach Gelenkrbenmatismas and Chorea minor, von Jolly. 28. Ueber 3 Fälle
von degenerativer (Huntington’scher) Chorea, von Eliassow. 29. Ein Fall von Bewegungs-
ceurose in Form von Tics convulsifs, von Kopczyriski. 30. Tics convulsifs gendralisds (Choree
electrique de Bergeron-Henocb, electrolepeie de Tonrdeur ou nevrose convolsive rythmde de
Gaerlin) traitds et gudris par la gymnastiqQe respiratoire, par Pitres. 31. Myokymia, or
persistent mnscnlar guivering, by Willlamson. 32. Ueber einen Fall von Unverricht’scher
Myoklonie, von Bilhrer. 83. Del paramioclono molteplice, per Murrl. 34. De la mdralgie
paresthdsique et de Bon traitement chirnrgical, par Brisard. 85. Le traitement des nevralgies
et ndvrites, par Plicque.
62
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978
III. Bibliographie. 1. Handbuch der gerichtlichen Psychiatrie. Unter Mitwirkung rci
Prof. Dr. Asohaffenburg, Privatdooent Dr. E. Schnitze, Prof. Dr. Wollenbere berua
gegeben Ton Prot Dr. A. Hoch«. 2. Wirthscbaftliohe Zeitfragen auf dem Gebiete der Ina
rarsorge, von Max Fischer, Oberarzt in Illenau (Baden). 3. Text-book of pathology in relatk-i
to mental diaeaaes, by W. Ford Robertson.
IV. Aus den Gesellschaften. LXXIII. Versammlung deutscher Naturforscher and Am*
in Hamburg vom 22.-28. September 1901.
V. Vermischtes. XXXII. Versammlung der südwestdeutschen Irrenärzte.
I. Originalmittheilungen.
1. Reflexepilepsie bei spastischer Oesophagusstenose. 1
Von Dr. med. L. E. Bregman,
Primärarzt in Warschau.
M. H.l Das Leiden, welches Ihnen heute vorgeführt werden soll, darf wt
doppeltem Grunde Ihr Interesse beanspruchen. Vor Allem gehört die spastixfe
Stenose des Oesophagus bezw. der Kardia in der Form, die ich Ihnen zeiget
werde, zu den Seltenheiten und ist eine Krankheit, die noch wenig erforscht
und noch nicht aufgeklärt wurde. A. Schmidt konnte in einer Ende 18%
erschienenen Arbeit nicht mehr als 24 Fälle sammeln. Rosenheim, Rumpe.
Netter, Rkitzenstken, Dauber, Flaum und Pbchkranc haben sich spät«
mit dem Leiden beschäftigt und die Casuistik vermehrt
Viel ungewöhnlicher und bisher, so viel mir bekannt, nicht beschriebet ist
die Complication dieses Leidens mit Epilepsie, die allem Anschein nach sh
Reflexepilepsie aufgefasst werden muss. Unter den vielen und verschieden«
Organen, deren Erkrankungen mit der Epilepsie in genetischen Zusammenbau
gebracht wurden*, konnte ich die Speiseröhre und speciell den spastischen Ver¬
schluss derselben nirgends erwähnt finden. Der Fall, um den es sieb handelt,
ist kurz folgender:
W. K., 26 Jahre alt, stammt von gesunden, noch lebenden Eltern.
seinen Geschwistern war eine Schwester (die ältere) physisch und geistig xoräei
geblieben und starb im 19. Jahre, die anderen drei sind gesund, Pat ist «r
Reihe nach der dritte. Von geistigen oder nervösen Erkrankungen in sein«
Familie ist ihm sonst Nichts bekannt.
1 Vortrag, gehalten in der Warschauer ärztlichen Gesellschaft am 5. Februar 1901
1 Fast alle Organe sind hier vertreten: Magen, Darm, Lungen, Pleura, Herz, Eid¬
liche und weibliche Geschlechtsorgane, Kehlkopf, Ohr, Nase, Nasen-Rachenraom, Auge, Zäto-
und sogar Hirn- und Rückenmarkshäute, sowie das Rückenmark selbst Der Zusammenl»'
ist freilich in vielen Fällen ein illusorischer, es handelt sich nicht selten um eine mfitöp
Combination oder höchstens um eine Beeinflussung der aus anderen Gründen entstand«:-»
Epilepsie, event. den Anlass znm Ausbruch der Krankheit Andererseits muss in
Fällen ein cauBales Verhältniss zugegeben werden, welches begründet wird durch l. ^
Entstehen und den Verlauf der Anfälle, welche ihren Zusammenhang mit dem betreffet^
Leiden offen kundgeben; 2. Mangel anderer Ursachen für die Epilepsie; 3. Verschwinde:*’
letzteren nach Anfhören der angeschnldigten Krankheit.
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979
Pat. war bis zum 10. Lebensjahre, bis auf eine im frühen Kindesalter durch¬
gemachte Augenentzündung, vollkommen gesund. Vom 10. Jahre begann sein
gegenwärtiges Leiden: im Beginne schwach ausgeprägt, wird es mit jedem Jahre
schlimmer. Irgend eine Ursache für seine Krankheit kennt er nicht. Das Haupt¬
symptom ist, dass das Essen „innen“ stehen bleibt und nicht in den Magen durch
kann. Es gilt dies sowohl für flüssige, wie für feste Nahrung: sie bleibt in der
Speiseröhre stecken und kann mit Leichtigkeit vom Pat. wieder herausgenommen
werden — er braucht sich deshalb nur nach vorn vorzubeugen und höchstens
etwas zu drücken. Bei grösserer Anstrengung kann er gewöhnlich das Hinderniss
überwinden, wenn er mehrere Male nacheinander Btark in- und exspirirt, dabei
starke Schluckbewegungen macht und sich die Brust Beitlich zusammendrückt;
das Gesicht wird ihm roth und überläuft mit Sohweiss. Trotz grösster An¬
strengung bleiben aber manchmal seine Bemühungen erfolglos, so z. B. hatte er
vor kurzem während 8 Tagen nichts durchbringen können, er bekam starken
Durst, wurde sehr schwach, sein Harn wurde spärlich, intensiv roth. Offenbar
unterliegt das Hinderniss, seine Intensität betreffend, grossen Schwanklingen.
Gelingt es übrigens auch dem Pat., die Nahrung in den Magen durchzudrücken,
so geschieht das niemals auf ein Mal: die erste, manchmal die zweite und auch
die dritte Portion wird unverändert zurückgegeben. Am leichtesten kann er
feste Nahrung durchbringen, wenn er viel kaltes Wasser nachtrinkt: im Beginne
genügte '/ 3 —1 Glas, jetzt braucht er viel mehr. Warme Getränke erfüllen den
Zweck nicht, sie werden zurückgegeben: Pat. geniesst sie trotzdem, des Geschmackes
halber. Flüssige Nahrung allein geht ebenso wenig durch wie feste: will er
Thee trinken, so muss er auch Brod dazu nehmen.
Einige Male und vor längerer Zeit soll bei der Wiedergabe der Speisen
sich Blut — in Spuren oder ganz kleiner Quantität — gezeigt haben.
In den letzten 6—7 Jahren traten während deB EssenB Anfälle auf, die den
Pat. in höchstem Grade beunruhigten: der Körper, Hände, Füsse werden wie ab¬
gestorben, er empfindet wie „ein Zittern“ im Inneren, es wird ihm dunkel vor
den Augen, und er fallt bewusstlos nieder. Einige Male verletzte er sich dabei
erheblich. Einmal kam er zu mir mit verbranntem Gesicht und einer Beule auf
der Stirn — er war auf einen heissen Ofen gefallen. Wie ihm seine Angehörigen
sagten, sollen Krämpfe im Anfalle nicht vorgekommen sein. Der Anfall währt
kurz, kaum einige Secunden. Nach dem Anfalle manchmal Kopfschmerzen, sonst
Nichts.
Die Anfälle treten nur auf, wenn Pat. seine Nahrung durch die Stenose
durchpressst, und am häufigsten dann, wenn diese am schwersten zu passiren ist.
Unter anderen Umständen ist nie ein Anfall vorgekommen, auch nicht bei Ein¬
führung der Magensonde.
Im Beginne waren die Anfälle selten: einmal im Monat, später wurden sie
immer häufiger, im letzten Jahre täglich oder mehrere Male täglich. Gewöhnlich
merkt Pat. das Herannahen des Anfalles und setzt oder legt sich. Manchmal
hat der Anfall eine geringere Intensität und beschränkt sich auf die genannten
Aurasymptome.
Trotz der so erschwerten Ernährungsverhältnisse fühlt sich Pat. im All¬
gemeinen wohl und ist nicht wesentlich abgemagert. Seit etwa 6—7 Jahren steht
er im Dienste einer sehr belebten Eisenbahn und hat eine sehr verantwortliche
Function als Signalisator der Züge.
Pat. klagt manchmal über ein „Ziehen, Saugen“ in der Magengegend. Nicht
Belten hat er grossen Durst, leicht zu erklären durch die besonders erschwerte
Flüssigkeitsaufnahme. Gelingt es ihm endlich, Flüssigkeit durchzudrücken, so
darf er nicht aufhören zu trinken: sowie er aufhört, schliesst sich der Magen
wieder.
62*
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980
Sehr lästig ist die Secretansammlung in der Speiseröhre. Dies findet auch
unabhängig vom Essen und in solcher Quantität statt, dass Pat jede paar Stunden
die Flüssigkeit zurückgeben muss. Er thut dies mit grösster Leichtigkeit, sich
etwas vorbeugend, ohne Brechbewegungen. Beim Sprechen läuft ihm häufig das
Secret über. Abends muss er, will er ruhig schlafen, sich bemühen, das ganze
angesammelte Quantum heraus zu befördern. Nicht selten wird er dadurch vom
Schlafe erweckt. Fast immer wird sein Kissen nass. Das Secret ist weissgelblich,
trübe, zähflüssig und enthält meist Speisebeimengungen.
Vom Beginne seines Leidens an unterzog sich Pat. ärztlicher Behandlung,
erfolglos. Ein Arzt empfahl ihm den Mund gewaltsam zu schliessen und so die
Wiedergabe der Speisen zu verhindern: einige Monate übte Pat. dies Verfahren,
schliesslich wurde er dessen müde: „die Brust wollte ihm platzen“, der Erfolg
blieb natürlich aus. Lange Zeit hat er sich selbst die Sonde eingeführt, später
wollte sie nicht mehr durch. Seit einem Jahre hat er es wieder erlernt und
führt täglich durch die Sonde Suppe und andere Nahrungsmittel ein, die er sonst
nicht verschlucken kann.
Ich sah dem Pat. zum ersten Male am 30. October 1899 und beobachtete
ihn bis Januar 1900. Vor einigen Wochen kam er wieder, ohne irgend eine
wesentliche Aenderuug seines Zustandes.
Pat. ist von übermittlerem Wüchse, kräftigem Bau und mässigem Ernährungs¬
zustände, der allenfalls viel besser ist, als man nach dem langwierigen Leiden
erwarten durfte. Seine inneren Organe sind gesund. Die Untersuchung des
Nervensystems ergiebt ein durchaus negatives Resultat, insbesondere keine An¬
haltspunkte für Hysterie oder Neurasthenie.
Der in die Speiseröhre eingeführten Sonde begegnet ein Hinderniss in etwa
47 cm Entfernung von den Schneidezähnen. Das Hinderniss kann einmal leichter,
das andere Mal schwieriger überwunden werden, am leichtesten mit Unterstützung
seitens des Pat. selbst, indem er dabei dasselbe Manöver ausführt wie beim Durch-
pressen der Nahrung, indem er sich stark aufbläst und dann unter Gebrauch der
Bauchpresse sich zusammendrückt und dies unter gleichzeitigen starken Schluck-
und Würgbewegungeu viele Male nacheinander wiederholt. Die Einführung der
Sonde ist nicht schmerzhaft, kein einziges Mal zeigte sich dabei Blut oder irgend
ein Gewebe.
Wenn wir die Sonde in die Speiseröhre einführen und das Hinderniss nicht
passiren, so können wir durch dieselbe ein grösseres Quantum "Wasser eingieesen
und beim Senken des Trichters wieder herausbekommen, Anfangs mit Beimengung
von Speiseresten und Secret, später ganz rein. Wir bestimmten auf diese Art,
dass die Speiseröhre etwa 400 ccm Wasser fassen kann; bei grösserem Quantum
empfindet Pat. starken Druck in der Brust und kann die Zurückgabe desselben
— theils durch die Sonde, theils daneben — nicht verhindern.
Bei der ersten Einführung der Sonde in die Speiseröhre findet sich darin
immer mehr oder weniger zähes, schleimiges, weissgelbliches Secret von neu¬
traler Reaction, welches keine freie Salzsäure-, wohl aber meist deutliche Milch-
säurereaction giebt. Ein ähnliches Aussehen hat das vom Pat. spontan entleerte
Secret, worin häufig auch Speisereste zu finden sind; einmal bemerkten wir deut¬
lichen Schwefelwasserstoff.
Führen wir nach Ausspülung der Speiseröhre auf die angegebene Weise die
Sonde weiter in den Magen ein, so überzeugen wir uns, dass der Inhalt desselben
von demjenigen der Speiseröhre gänzlich verschieden und hermetisch abgeschlossen
ist. Aus der Speiseröhre kam reines Wasser, im Magen findet sich unveränderter
Kaffee (1 Stunde nach dem Frühstück). Der Mageninhalt reagirt sauer, enthält
freie HCl, keine Milchsäure.
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Das bekannte Experiment Rumpels 1 mit den zwei Sonden ergiebt desgleichen
ein positives Resultat und bestätigt den vollständigen Abschluss des Magens.
Zu erwähnen wäre noch, dass Pat. selbst bei Herausnahme der Sonde aus
dem Magen die Empfindung hat, als ob „sich da was schliesse“. Schliesslich
scheint auch in diesem Falle, wie in einigen ähnlichen, die Bewegbarkeit der
Kardia in entgegengesetzter Richtung — vom Magen aus — eingeschränkt zu
sein: der Kranke erbrach nie, trotzdem er es mehrmals versuchte, namentlich
wenn er gezwungen war, viel Wasser nachzutrinken (s. oben), und deshalb eine
starke Fülle im Magen empfand.
Nach alledem haben wir sicher einen Verschluss des untersten Endes der
Speiseröhre vor uns, den wir als functionell und nicht organisch bedingt auf¬
fassen aus folgenden Gründen:
1. lange Dauer des Leidens bei verhältnissmässig gutem Ernährungszustand,
2. Passirbarkeit der Stenose auch mit dicksten Sonden,
3. Fehlen in der Anamnese irgend welcher Gründe für eine organische
Stenose.
Ueber der Stenose befindet sich ein erweiterter Raum, der etwa 400 ccm
Wasser fassen kann, dessen Wandung chronischen Katarrh zeigt und der nichts
Anderes ist, als die secundär erweiterte Speiseröhre.
Ein Divertikel könnten wir ausschliessen,
1. nachdem es uns gelungen ist, die Sonde auch bei Füllung des Sackes
mit Nahrung in den Magen einzuführen — der Divertikelsack würde in solchem
Falle die Speiseröhre zusammendrücken und den Versuch vereiteln;
2. auf Grund des Experimentes mit zwei Sonden, deren eine bis auf eine
grössere Entfernung vom Ende mehrmals gefenstert ist: führt man letztere in
den Magen ein, die zweite in den Sack und giesst in diese Wasser, so gelangt
dieses in den Magen; bei einem Divertikel wäre das unmöglich, da beide Sonden
von einander getrennt liegen. Von der Erweiterung der Speiseröhre überzeugen
uns schliesslich die Röntgendiagramme, die ich Ihnen hier vorzeige. Auf dem
ersten sehen Sie die erweiterte Speiseröhre, mit 6°/ 0 Bismuthsuspension gefüllt,
sich nach unten zuspitzend, auf dem anderen in der Speiseröhre zwei mit Schrot
gefüllte Sonden, deren eine beim Versuch, sie in den Magen einzuführen, sich
zweifach geknickt hatte: das untere Ende beider Sonden ist deutlich zu sehen,
entsprechend dem spitzen Ende der Speiseröhre.
Wie entstand dieser functioneile, krampfartige Verschluss der Speiseröhre?
Welche sind seine Gründe? Auf diese Fragen giebt unser Fall ebenso wenig
eine Antwort, wie andere ähnliche, schon früher beschriebene. 2 Wir wissen
1 Eine Sonde wird in die Speiseröhre, die andere in den Magen eingeführt: die in die
eratere eingegossene Flüssigkeit gelangt nicht in den Magen, kommt beim Senken des
Trichters durch dieselbe Sonde wieder zurück — offenbar weil die Kardia sich um die ein-
geführte Sonde spastisch zusammenzog und Nichts durchläast.
* In einigen Fällen folgte der Spasmus einem plötzlichen Schreck oder grosser Kränkung
Ferner wurden als Ursachen angeführt: sitzende Lebensweise, Ueberbürdung, viel kaltes
Wassertrinken, Trauma, Beginn der Menstruation, Anämie, Influenza, Rachenentzündung u.s.w.
Gbo8lik beobachtete spastische Oesophagusstenose bei Harninfection — nach Behandlung
der Blase mit Argentum nitricum ist erstere geschwunden.
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bloss, dass das Leiden im Eindesalter aafgetreten ist, ganz spontan, ohne irgend
welche vorangehende Kranheit oder Beschädigung (Trauma, Vergiftung u. s. w.).
und dass es allmählich sich verschlimmert, so dass eine regelmässige Ernährung
sich für den Kranken immer schwieriger gestaltet Wir fanden ferner bei
unserem Kranken nicht einmal Symptome einer Hysterie oder Neurasthenie, die
den Boden für die Entwickelung des Spasmus liefern könnten; und für eine
neuropatbische Disposition haben wir bloss ein vereinzeltes Factum — eine
Schwester ist physisch und geistig zurückgeblieben.
Der spastische Verschluss der Speiseröhre führte allmählich zu einer secun-
dären Erweiterung derselben mit chronischem Katarrh ihrer Wandung, welche
das Leiden noch qualvoller machten. Viel ernster aber noch ist die zweite
Complication, auf die ich schon Eingangs Ihre Aufmerksamkeit gelenkt habe:
das sind die Anfälle von Bewusstlosigkeit. Nach der Beschreibung, die Pat
davon giebt, dem Auftreten der Anfalle, dem ganzen Benehmen des Kranken,
ist wohl an ihrer epileptischen Natur nicht zu zweifeln. Der Verlust der Be¬
wusstlosigkeit und der Erinnerung ist vollständig, die Dauer des Anfalles kurz,
der Beginn plötzlich oder nach vorangehender, nicht minder kurzer Aura. Trott
mehrmonatlicher Beobachtung des Patienten und fast täglicher (während einiger
Wochen) Sondeneinführung ist es mir leider nicht gelungen, einen Anfall zu
Gesicht zu bekommen, es spricht dies aber schon einigermaassen gegen Hysterie,
wo bekanntlich alle Anfälle sehr gern dem Arzte zur Schau getragen werden.
Andererseits habe ich mioh, wie schon erwähnt, von den vom Patienten im
Anfalle erlittenen Verletzungen persönlich überzeugen können, ein Umstand, der
bei der Differentialdiagnoee schwer ins Gewicht fällt Ich wiederhole übrigens
noch einmal, dass für Hysterie irgend welche Anzeichen fehlten.
Indem wir so an der epileptischen Natur der Anfalle festhalten, erübrigt
es uns noch zu erörtern, warum wir sie als Beflexepilepsie, entstanden durch
chronischen Reiz seitens der verengten Speiseröhre bezw. Kardia, auffassen.
1. Die Anfälle treten bloss während des Essens auf, wenn Patient seine
Nahrung durch die verengte Stelle hindurohpresste; sie waren am schwersten,
wenn auch das Hinderniss am schwierigsten überwunden werden konnte.
2. Die Anfälle haben sich erst nach vieljährigem Bestehen der localen
Krankheit hinzugesellt, als letztere bereits sehr wohl durch ihre dauernde
periphere Reizwirkung Veränderungen der Erregbarkeit der Centra herbeigeführt
haben konnte.
3. Es fehlte sowohl in der Vergangenheit des Patienten als in seiner gegen¬
wärtigen Lebensweise irgend ein anderes ätiologisches Moment (Lues, Alkoholismus,
Trauma, Infectionskrankheiten u. s. w.).
Aus den angeführten Gründen glaube ich, dass, wiewohl man vorsichtig
sein muss bei der Annahme einer Reflexepilepsie, in dem vorgeführten Falle
eine derartige Beziehung der Anfälle zum Leiden der Speiseröhre nicht abzuweisen
ist. Es wäre mir freilich sehr angenehm, wenn ich Ihnen zugleich an dieser
Stelle den schlagendsten Beweis für die reflectorische Natur der Epilepsie liefern
könnte, entsprechend der bekannten Fonnel: „Cessante causa cessat effectaa“
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Indess angesichts des ganzen bisherigen Verlaufes, der Erfahrung anderer Autoren,
der Machtlosigkeit unserer internen Therapie, des Risicos und des zweifelhaften
Nutzens eines chirurgischen Eingriffes, 1 kann die Prognose quoad valetudinem
completam keineswegs günstig ausfallen. Ausser den bisherigen Mitteln (reguläre
Sondeneinführung, Ausspülung der Speiseröhre, Nervina, Tonica) halte ich noch
eine systematische und längere Zeit durobgeführte Ernährung per rectum für
angezeigt und habe aus diesem Gründe, da solches in den häuslichen Verhält¬
nissen des Patienten schwerlich durchzuführen wäre, ihm Aufnahme ins Kranken¬
haus empfohlen. 3 In Anbetracht der Anfalle ist allenfalls eine energische und
systematische Bromkur angebracht
[Aus der K. K. I. psyohiatr. Universitätsklinik in Wien (Prof. Dr. J. v. Wagneb).]
2. Zur Conservirung von Faserfärbungen. 3
Von Dr. Erwin Stransky.
Die folgenden Zeilen seien einigen technischen Bemerkungen gewidmet,
denen Erfahrungen zu Grunde liegen, die ich, mit einer Arbeit über die sogen,
„periaxiale Neuritis“ (Gombault) beschäftigt, im Laufe des verflossenen Sommers
zu sammeln Gelegenheit batte. Es handelte sich um Zupfpräparate von Meer¬
schweinchennerven, welche theils mit Osmiumsäure, theils nach Mabchi gefärbt
wurden, worauf ‘die Nachfärbung mit Saffranin — zum Studium der Verhältnisse
des Axencylindera und der Gebilde in der Schwann ’schen Scheide — erfolgte.
Die Präparate wurden anfänglich in Glycerin gezupft und aufbewahrt und boten
zunächst recht instruotive Bilder.
Bald jedoch erlitt die Freude an diesen letzteren eine erhebliche Einbusse
dadurch, dass das Glycerin den rothen Farbstoff sehr rasch auszog, so dass
schon nach wenigen Tagen die früher distinct sich abhebenden Grenzen der
einzelnen Struoturelemente nunmehr ganz verwaschen und undeutlich zu Tage
traten; recht bald war die früher so schöne Rothfärbung völlig verblasst und so
die Möglichkeit, die grossen Vorzüge des Glycerins als Zupfflüssigkeit auch
weiterhin benützen zu können, illusorisch gemacht Versuche, das Glycerin
durch Zusätze, duroh reichliches Vermischen mit Wasser u. ähnl. minder ge¬
fährlich zu machen, verliefen ganz resultatlos.
1 Dauere liess seinem Patienten die Gastrotomie nach Witzbl ausführen und führte
ihm Nahrung durch das Magenrohr zu. Aber der Magen vertrug das Bohr schlecht, es
musste zur Rectalernährung übergegangen werden, die aber auch nach 8 Tagen verlassen
werden musste. Schliesslich blieb Allee, trotz leichter subjectiver Besserung, beim Alten.
Rumpbl schlägt eine Radicaloperation vor; Exstirpation der Kardia.
* Anmerkung bei der Correotur: Auch diese Behandlung wurde nachträglich im
hiesigen evangelischen Spital auf der inneren Abtheilung des Herrn Collegen Kdchorzewbki
durchgeföhrt, ist aber erfolglos geblieben.
• Die Präparate wurden bei der diesjährigen Wanderversammlung des Vereins für
Psychiatrie und Neurologie in Wien am 12. und 13. October 1901 demonstrirt.
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Endlich gelang es mir, im Paraffinöl (Synon.: Paraffinnm liquid am)
ein Medium zu finden, welches sämmtliche Vorzüge des Glycerins besitzt, ohne
jedoch den ungeheuren Nachtheil desselben, wie er oben geschildert wurde, an
sich zu tragen. Paraffinöl ist eine wasserhelle, durchsichtige, geruchlose, bei
unseren Temperaturen vollkommen flüssige und an der Luft weder trocknende,
noch flüchtige, ölige Substanz, specifisoh leichter als Wasser, absolut keimfrei,
seiner chemischen Constitution nach zur Gruppe der Grenzkohlenwasaerstoffe
(Formel: C n H Sn + a ) gehörig. Gleich dem Glyoerin durchtränkt Paraffinöl die
Präparate in kurzer Zeit vollkommen und verleiht ihnen dabei eine noch grössere
Geschmeidigkeit und leichtere Isolirbarkeit als jenes. Und, was die Hauptsache
ist: Der Farbenton der Präparate zeigt selbst nach Wochen und Monaten auch
nicht die mindeste Veränderung.
Da sich Paraffinöl zum Unterschiede von Glycerin mit Wasser nicht mengt,
müssen die Präparate — Nervenstämmohen in der Dicke von */ 4 — l /* mm —
aus der Safiraninlösung (2 Saffr., 200 Aqua dest, 20 Alcoh. absol.) nach vor¬
herigem Abspülen mit Wasser durch kurze Zeit — etliche Minuten — in abso¬
lutem Alkohol entwässert werden, wobei gleichzeitig der überschüssige Farbstoff
abgeht; längeres Verweilen in Alkohol schien mir die Schönheit des Farbentons
zu beeinträchtigen; hierauf Aufhellen in reinem Xylol — Carbolxylol zieht etwas
Farbe aus! — und aus diesem, mit dem sich Paraffinöl in jedem Verhältnisse
mischt, directes Uebertragen in das letztere, in welchem die Präparate entweder
sogleich oder nach beliebig langem Verweilen darin zerzupft werden können.
Nicht ohne Vortheil setzt man dem Paraffinöl am Objectträger noch 1—2 Tropfen
Xylol zu; in dieser Mischung werden dann die Stämmchen zerzupft und unter
Deckglas aufbewahrt.
Irgend eine Beeinträchtigung der Grundfarbungen (Osmiumsäure und
Mabohi) oder arteficielle Veränderung der Structuren durch das Paraffinöl bezw.
die Vorbehandlung konnte ich nicht wahrnehmen.
Ueber das Verhalten des Paraffinöls gegenüber anderen Färbungen in
Präparaten besitze ich derzeit noch keine Erfahrungen. Doch konnte ich mich
bei Prüfung am Objectträger bezüglich einer ganzen Reihe der gebräuchlichen
Tinctionsmittel (Carmin, Eosin, Saffianin, Magentaroth, Fuchsin, Orange, Anilin¬
blau, Methylgrün) davon überzeugen, dass feste Farbstoffpartikel, mit einem
Tropfen Glycerin verrieben, sich darin lösen, während sie in Paraffinöl nicht
gelöst, sondern bloss mehr oder minder fein aufgeschwemmt werden.
Da das Paraffinöl meines Wissens in der histologischen Technik im oben
beschriebenen Sinne bisher keine Anwendung gefunden hat, erscheint es mir in
Anbetracht all der hervorgehobenen Umstände nicht unangebracht, durch die
vorstehende Mittheilung die Aufmerksamkeit der neurologischen Kreise auf das¬
selbe zu lenken.
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[Aus dem Laboratorium der Klinik für Nervenkrankheiten in Bukarest
(Prof. Dr. G. Mabinesoo).]
3. Die spinalen motorischen Localisationen und die Theorie
der Metamerieen.
Von Br. O. Parhon und Dr. M. Goldstein.
(Schlüße.)
Der motorisohen Innervation des Unterschenkels entsprechen im Rückenmark
die beiden hinteren Gruppen, die postero-inteme und die postero-externe. Die
in Folge der Exarticulation des Unterschenkels bei Hunden sich einstellenden
Läsionen sind von unserem Meister Hrn. Prof. Mabinesoo in einer Arbeit über
Reparationserscheinungen der Nervenzelle kurz skizzirt worden (7).
Einer von uns hat in einer gemeinsam mit Herrn Popesou (8) veröffent¬
lichten Arbeit darauf hingewiesen, dass die beiden hinteren Gruppen den End¬
verzweigungen des N. isohiadicus entsprechen und zwar die postero-interne dem
Nervus tibialis und die postero-externe Gruppe dem N. peroneus communis.
Gleichzeitig ist in dieser Arbeit gezeigt worden, dass diese Gruppen sich in
Folge der Exarticulation des Unterschenkels in Reaotion befinden, ohne dass
angegeben worden wäre, welcher Theil dem Unterschenkel und welcher dem
Fuss entspräche. Jetzt können wir es aussprechen, dass die Zellgruppen, die
den Unterschenkel innerviren, etwa in der Mitte des 4. Lendensegments be¬
ginnen und sich bis über die Mitte des 5. Lendensegments fortsetzen. In der
Mitte dieses letzteren Segments, dort, wo der Kern des Fusses beginnt, befindet
sich das Unterschenkelcentrum, gerade vor diesem gelagert Wir sahen, dass
die postero-externe Gruppe dem N. peroneus communis entspricht, während die
postero-interne Gruppe im N. tibialis ihren Ausdruck findet (Fig. 6). Neuere
von uns unternommene Untersuchungen haben dies auch bei Kaninchen fest-
steilen lassen. Wir haben eine neue Bestätigung dieser Thatsache liefern
können, indem nach der Exstirpation der Muskeln der hinteren Unterschenkel¬
gegend sich Läsionen nur in der postero-internen Gruppe fanden, während sich
umgekehrt die Läsionen auf die postero-externe Gruppe beschränkten, wenn die
Muskeln der antero-externen Region des Unterschenkels exstirpirt wurden.
Nach der Exarticulation des Oberschenkels beginnen die Markläsioneu
etwa im mittleren Theile des 3. Lendensegments. Hier finden wir in Reaction
die äussere Gruppe, die, wie wir bereits wissen, den Kern des N. femoralis
repräsentirt (Fig. 4), sowie die Zellen der centralen Gruppe, die dem Kern des
N. obturatorius entsprechen. Weiter unten, wo eine Disposition von 5 oder
6 Gruppen gefunden wird, zeigen die Zellen der centralen und der inter¬
mediären Gruppe die Charaktere der Secundärläsionen (Fig. 5 u. 6); diese beiden
Gruppen entsprechen hier also der Innervation des Oberschenkels. Frühere
Untersuchungen, die einer von uns zusammen mit Herrn Popbscu(9) gemacht
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hat, haben, wie bekannt, darauf hingewiesen, dass diese beiden Gruppen, die
zum grossen Kern des N. ischiadicus gehören, dazu bestimmt sind, die Muskeln
der hinteren Oberschenkelgegend zu innereren. Die Veränderungen sind in der
ganzen Ausdehnung dieser Gruppen vorhanden.
Wir wollen nun sehen, inwiefern unsere Untersuchungen mit den von Brissaup
und van Gehuchten und Nfcms geäusserten Ideeen übereinstimmen. Wir
wollen gleich Anfangs betonen, dass mit einiger Präcision im Rückenmark ein
Extremitätssegment localisirt werden könne, so dass in diesem Sinne von einer
segmentären Localisation gesprochen werden kann. Hieraus folgt aber nicht,
dass die von Bbissaud, namentlich aber vou van Gehuchtbn vertretene An¬
sicht von der motorischen Localisation auch wirklich richtig wäre. Dieser
letztere Autor spricht dies sehr bestimmt aus; er sagt — und wir wollen ihn
hier recht treu citiren — „dass jede der Zellgruppen der Halsanschwellung, in
Verbindung mit der oberen Extremität und des Lendenkreuzmarkes, in Ver¬
bindung mit der unteren Extremität, der Innervation sämmtlicher Muskeln eines
Extremitätssegments vorstehe, unabhängig von der Anzahl dieser Muskeln, von
deren physiologischer Function und von dem peripherischen, innerhalb derselben
endigenden Nerven.“ Diese Theorie scheint den Thatsachen zu entsprechen,
insofern von der Localisation der Muskeln der Hand und des Fusses die Rede
ist. Thatsächlich sehen wir, dass wirklich eine besondere Gruppe für die Muskeln
dieser Segmente vorhanden ist Allein auch hier müssen wir uns einige Be¬
schränkungen auferlegen. Bei einigen Thieren ist an der Dorsalseite der Hand
stets ein Muskel vorhanden, der dem M. ext. digit brevis entspricht Diesen
Muskel findet man manchmal auch beim Menschen. Es ist äusserst wahr¬
scheinlich, dass das Centrum dieses Muskels mit jenem der Muskeln der hin¬
teren Region des Vorderarmes gemeinsam ist Allein die Zahl der Zellen, die
diesem Muskel entsprechen, wird wohl sehr gering sein, und in Anbetracht
dessen, dass die Intensität der Läsionen wenig bedeutend ist, wenn die Ampu¬
tation der Hand gemacht wird, da die Durchschneidung des Nerven vom
Rückenmark weit entfernt stattfindet und indem die amputirte Portion des
Aiencylindere klein ist — geschieht es, dass diese Zellen unbeachtet bleiben.
Wir hoffen, dass spätere Untersuchungen uns eine definitive Lösung dieser
Frage geben werden. Auch glauben wir, dass der M. extensor digitorum brevis
von der postero-externen Gruppe innervirt wird, die dem N. peroneus communis
entspricht Thatsächlich konnten wir nach Resection dieses Nerven keine
Läsionen in jener Gruppe nacbweisen, die wir nach der Amputation des Fusses
alterirt fanden, was entschieden hätte geschehen müssen, wenn der M. extensor
digit brev., der vom N. peron. comm. versorgt wird, seine Innervationszellen an
derselben Stelle hätte, wo die Zellen der anderen Fussmuskeln gelagert sind.
Wir glauben in Folge dessen, dass die beiden beschriebenen Gruppen nur den
Muskeln der Regio palmaris und plantaris entsprechen. Andererseits sahen wir,
dass, was den Vorderarm betrifft, besondere Zellgruppen für die Muskeln der
Vorder- und der Hinterregion vorhanden sind. Es könnte eingewendet werden,
dass diese Gruppen nur Unterabtheilungen einer grossen hinteren Gruppe
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'wären. Dann aber wäre unserer Meinung nach auch das Centrum der Hand¬
muskeln (die Regio palmaris) eine ähnliche Unterabtheilung, und in Folge dessen
wäre auch für die Hand keine segmentäre Localisation vorhanden. Wie ersicht¬
lich, würde diese Einwendung nicht die Theorie von der sbgmentären Locali¬
sation stützen. Andererseits haben die Gruppen, von denen wir gesprochen
haben, ihre eigene, deutlich genug ausgesprochene Individualität, um noch als
abhängige Gruppen betrachtet zu werden. Dasselbe kann von den beiden
Gruppen behauptet werden (poetero-intern und postero-eitem), die die Muskeln
der hinteren und vorderen äusseren Region des Unterschenkels versorgen; wir
meinen, dass die postero-externe Gruppe auch der M. extens. digit b re vis ver¬
sorgt Für den Arm haben wir ebenfalls gesehen, dass eine schwankende Zahl
kranker Zellen in der antero-extemen Gruppe vorhanden ist. Was aber die
Innervation des Oberschenkels anbetrifft, so ist eine Discussion überhaupt nicht
mehr zulässig; es sind 2 Zellgruppen vorhanden, die in ihrem oberen Theile das
Ursprungscentrum des N. femoralis und des N. obturatorius repräsentiren,
während der untere Theil* d. h. dort, wo diese beiden Gruppen, die centrale und
intermediäre Gruppe heissen, die eretere das Innervationscentrum des M. biceps
femoris ist, wogegen die andere die des M. semitendinosus und semimembranosus
darstellt.
Es ist hieraus also ersichtlich, dass die segmentäre Localisation heute nicht
mehr aufrecht erhalten werden kann, indem unzweifelhafte Thatsachen gegen
diese Theorie plädiren, die von van Gehüohten sehr gut in dem Satze „die
motorische medulläre Localisation ist weder nervös noch musculär,
sie ist segmentär“ zusammengefasst worden ist Diese Theorie, glauben wir,
wird in das Gebiet der Geschichte der spinalen Localisationen übergehen. Wenn
nun also die spinale motorische Localisation nicht segmentär ist, so wollen wir
doch nachsehen, ob sie nicht etwa nervös oder musculär ist Herr Prof. Ma-
binesco(4) ist in seinen Untersuchungen über die Localisation des wirklichen
Ursprungs der Nerven der vorderen Extremität zum Schlüsse gelangt, dass die
motorischen Nerven einen Hauptkern und andere accessorische Kerne haben.
Die von einem von uns mit Herrn Popescu unternommenen Untersuchungen
über den wirklichen Ursprung der Nn. ischiadicus, femoralis und obturatorius
gestatteten es, mit genügender Sicherheit die mit diesen Nerven in Verbindung
stehenden Zellgruppen zu localisiren. Namentlich haben der Nervus femoralis
und obturatorius jeder eine besondere Zellgruppe, wenn auch in vielen Stellen
an diesen Gruppen secundäre Unterabtheilungen beobachtet werden können.
Wir selbst (10) fanden kürzlich, dass der N. axillaris seinen wirklichen Ursprung
in der seitlichsten (intermediären) Gruppe des 6. Gervicalsegments habe, indem
er in der unteren Hälfte des 5. Segments beginnt. Aus diesen Forschungen
wäre mit einiger Reserve zu folgern, dass die spinale motorische Localisation
nervöser Natur sei. Neben dieser Theorie könnte jene von Sano(11) so warm
vertheidigte gestellt werden. Diesem Autor zu Folge wären die motorischen
spinalen Localisationen musculärer Natur, d. h. jeder Muskel würde einer be¬
stimmten Zellgruppe des Rückenmarks entsprechen. Diese Theorie ist zweifellos
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sehr bestechend und erklärt jedenfalls viel besser die Physiologie der verschie¬
denen Bewegungen. In seiner citirten Arbeit versucht Saho einige Schemata
dieser Localisationen zu geben, die aber grösstentheils einer Durchsicht und
Correctur bedürfen. Sicherlich sind präcise musculäre Localisationen vorhanden-,
so haben Samo (12), Kohnstamm (13) und Marinbsoo 14) den Phrenicaakern
localisirt. Wir selbst (15) haben nach der Resection des M. pectoral. major bei
Hunden eine Reaction der Zellen der Centralgruppe nachweisen können, die
sich im ganzen ö. Cervicalsegment und im oberen Theile des 7. Cervicalsegments
ausdehnte. Wir hatten ebenfalls Gelegenheit, die Läsionen im menschlichem
Rückenmark zu studiren, in einem Falle, wo in Folge eines Krebses der Vorder¬
seite des Thorax, der sich auch auf die beiden Mm. pectoral. ausdehnte, diese
beiden Muskeln exstirpirt wurden. Hier fand sich die Reaction in der Centnd-
Fig. 8. Schnitt atu dem mittleren Theil des 6. Cerricalsegments des Menschen.
Exstirpation der Pectoralmuskeln wegen eines Krebses. Die centrale, antero-mediane
and antero-externe Gruppe «eigen Distanzreaction.
gruppe, beginnend nahe der oberen Hälfte des 5. Segments und sich bis in
den unteren Theil des 6. Segment fortsetzend. Von diesem Gesichtspunkte aus
ist dieser Fall mit der bei Hunden gefundenen I<ocalisation, sowie der von
Sano diesem Muskel zugeschriebenen übereinstimmend. Allein ausser in der
Centralgruppe fand sich die Reaotion auch in den Zellen der vorderen oder
medianen Gruppe, sowie auch in der antero-extemen Gruppe (Fig. 8). In
dieser letzteren schienen die Läsionen etwas weiter nach unten anzufangen,
etwa im mittleren Theile des 5. Segments. In diesen beiden Gruppen verharren
diese Veränderungen bis zur oberen Hälfte des 7. Segments. Hieraus folgt,
dass auch beim Menschen die Centralgruppe mit der Innervation des M. pec¬
toral. major in Verbindung sein müsse. Von den beiden anderen Groppen,
anterior und antero-extern, muss die eine für den M. pectoral. minor, die
andere wahrscheinlich für den aufsteigenden Ast des M. pectoral. major be¬
stimmt sein. Wir bemerken, dass in einem früheren Falle, in welchem (beim
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Menschen) bloss die Resection des M. pector. major gemacht worden war, eben¬
falls in Folge eines Krebses, bei der von einem von uns mit Herrn Savu (16)
angestellten Untersuchung eines Fragmentes des 6. Cervicalsegments, dort, wo
die Centralgruppe nicht mehr repräsentirt ist, Läsionen der beiden Gruppen,
antero-extern und anterior, gefunden worden sind. Das Vorhandensein dieser
Läsionen in 2 Fällen, in welchen die Pectoralmuskeln exstirpirt wurden — die
einzigen bis nun veröffentlichten Fälle —, ist durchaus beachtenswerth. In
diesem 2. Falle war der M. pectoral. minor conservirt und schien makroskopisch
intact, allein er konnte wohl histologisch verändert sein.
Das Vorhandensein von 3 alterirten Gruppen für zwei exstirpirte oder er¬
krankte Muskeln würde mit der Theorie von der muscul&ren Looalisation nicht
ganz übereinstimmen.
Nach der Exstirpation des M. complexus major, die bei mehreren Hunden
vollzogen wurde, fanden sich Alterationen in einer kleinen Gruppe des 1., 2. und
3. Segments, nahe der Vorderseite des Hornes, geradezu rückwärts von einer
anderen Gruppe, die wir als vordere bezeichnen, da die alterirte Gruppe inter¬
mediär ist zwischen dieser und den anderen, in dieser Höhe befindlichen
Gruppen. Diese Thatsache würde bis zu einem gewissen Punkte für die
musculären Localisationen sprechen. Aber nicht in allen Schnitten ist die
Individualität der Gruppe gut präcisirt; an manchen Stellen sind Läsionen auch
in einigen Zellen der vorderen Gruppe vorhanden.
Aus dem bereits Geschilderten ersehen wir, dass die Zellgruppen, die im
Rückenmark unterschieden werden, nicht immer ein und dasselbe darstellen;
das eine Mal repräsentiren sie das Innervationscentrum eines Muskels, eines
Extremitätssegments — der oben citirte Fall —, so für das Centrum der Hand
bei den Thieren, wo kein Muskel an der Dorsalseite dieses Segments vorhanden
ist; das andere Mal repräsentiren sie das Centrum eines Nerven oder eines
seiner Aeste; recht oft das Centrum eines isolirten Muskels oder mehrerer
Muskeln mit gemeinsamer Function. Es ist bis jetzt unserer Ansicht nach der
Augenblick noch nicht eingetreten, um das den motorischen spinalen Locali¬
sationen vorstehende Gesetz statuiren zu können. Keine der ausgedrückten
Theorieen will uns genügend scheinen. Am meisten mit den Thatsachen über¬
einstimmend ist die Ansicht, dass diese Localisationen mit den Functionen der
Muskeln in Verbindung sind; die motorischen spinalen Localisationen wären also
functioneller Natur.
Bevor wir schliessen, möchten wir noch einige Worte sagen über die
spinalen vasomotorischen und trophischen Localisationen der Extremitäten. Cuboio
behauptet bei Thieren, denen er das Periost entfernt hatte und durch Acidum
chlorhydricum die Gefasse der hinteren Extremitäten zerstörte, im Lendenmark
in der Nähe des Ependymcanals eine gut umschriebene Zellgruppe gefunden
zu haben, die secundäre Läsionen aufwies. Wenn dem so ist, so glaubten wir,
dass eine Amputation einer derartigen Zerstörung des Knochens gleichkäme oder
dieselbe übertreffen würde, so dass auch in diesen Fällen Läsionen gefunden werden
müssten. Unsere bisherigen Forschungen haben vor der Hand nur negative
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Resultate geliefert, wir glauben also, dass in dieser Richtung noch neuere lang¬
wierige und zahlreiche Untersuchungen nöthig sind, um siohere und präeiae
Begriffe zu erzielen.
Was die sensiblen spinalen Localisationen anbetrifft, so können wir keiner
der ausgedrückten Ansichten beistimmen. Die bisher zu Tage gefördert«
Thatsachen sind nicht immer übereinstimmend. Es können diesen Theorie«
viele Einwendungen gemacht werden, so dass neue, mittelst neuer Methode»
angestellte Versuche nöthig sind, um auch in diese Frage Licht zu bringen.
Doch diese Methode soll erst gefunden werden.
Zu unserem Bedauern konnten wir die von unserem Meister Herrn Prof
Marene8Cjo gemachten überaus wichtigen Localisationen nicht erwähnen, da
unsere Correcturen vor dem Erscheinen der MAiiiNBaco’schen Arbeit in Nr. 12
der Revue Neurologique gemacht worden sind.
Litteratur.
1. Bei88add, Le 90 ns cliniquea snr les maladiea da syst&me aerveaz. 1899. — Brissaud
und Lbrbboulbt, Progrös mddical. 1900. 7. Juli; vgl. Referat in Revue neurologique.
1900. Nr. 14.
2. vak Gbhuohtbn und db Book, La chromatolyse dans lee oornes antdrieurea de la
mobile aprea la ddsarticulation de la jambe etc. Journal de Neurologie. 1898 and Contri-
bation ä l’dtude des looalisationa des noyauz moteura dans la mobile lombo-aacree. Revue
neurologique. 1898.
8 . tan Gbhuohtbn und N4us, La looalisation motrioe mddullaire eet une localisaöon
aegmentaire. Journal der neurologie. 1899. Nr. 16.
4. G. Marinbsoo, Contribution a l'dtude des localisations des noyauz moteura dans la
moßlle dpini&re. Revue neurologique. 1898.
5. G. Conbtknbodz, ßtude sur la mdtamdrie du systdme nerveuz et les localisatiou
mdtameriquea. Thdse de Paris. 1900.
6 . L. Jacobsohn, Zeitsohr. f. klin. Mddicin. 1899. XXXVIL
7. G. Mabinbsoo, Les phdnomdnea de rdparation dans les centrea nerveuz apräa la
Bection des nerfs pdriphdriquea. Preaae mddicale. 1899. 19. ApriL
8. P abhon und Popbsoo, Sur l'origine reelle du nerf aoiatique. Roumanie mddicale.
1899, Nr. 2.
9. Parhon und Popbsoo, Recherches sur la localisation spinale des noyauz du membre
poetdrieur. Roumanie mddicale. 1899. Nr. 8 und Sur l'origine reelle de l’obturatear.
Ebenda. 1900. Nr. 1 u. 2.
10. Pabhon und Goldstbik, Origina reala a nervvlui ciroonflez. Romania medicala.
1900. Nr. 22.
11. F. Sano, Lea localisations des fonctiona motricea dans la modle dpinibre. 1898.
12. F. Sano, Nucleua diaphragmae. Journal mddical de Bruzelles. 1898. 20. October.
18. Kohnstamm, Zur Anatomie und Physiologie des Phrenicuskerns. Fortschritte der
Medicin. 1898.
14. G. Marinbsoo, De l'origine reelle du nerf phrdnique. Semaine mddicale. 1898.
S. 510.
15. Pabhon and Goldstbin, Cercetari asupra localisatiunei spinale a muschilor pecto-
rali la om ai la cäine. Romania medicala. 1900. Nr. 17 u. 18.
16. Pabhon und Savu, Lesiuni secundare in mdduva apinarei in urma resectiunei ma-
relni pectoral. Incercari de localisare. Romania medicala. 1900. 15. Juni.
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II. Referate.
Anatomie.
1) Sulla presenza di sottili flbrille tra le maglie del retioolo periferioo
nella oellula nervosa, ßicerche del Dr. A. Donaggio. (Rivista speri-
mentale di Freniatria. 1901. XXVII.)
Verf., welcher 1898 und 1899 Studien über den peripheren Theil des Reti-
culum der Nervenzelle und dessen Beziehungen zum umliegenden Gewebe ver¬
öffentlicht hat, erweitert eie hier durch die Mittheilung, dass bei Einwirkung von
Ammoniak-Molybdat auf das vorher gefärbte Gewebe dieses periphere Reticulum
an den Vorderhornzellen und zuweilen (weniger deutlich) an den grossen Rinden¬
pyramiden des Hundes zwischen seinen Maschen eingeschlossen noch ein fibrilläres
Gitterwerk erkennen lässt. Von jedem Faden seiner Maschen geht ein (bis
mehrere) Fädchen gegen die Mitte der Masche hin ab und verschmilzt, nicht
immer centrisch, mit den anderen Fäserchen derselben Masche entweder direct
oder unter Bildung eines unregelmässigen Ringes im Centrum der Masche. In
letzterem Falle sind die Knotenpunkte der Fibrillen oft verdickt und fliessen zu¬
weilen zu einer den Annulus centralis ausfüllenden Scholle zusammen. Nur selten
entspringt nur aus einem einzigen Faden einer Masche ein etwas dickeres Fädchen
und endet in der Mitte derselben mit einer Anschwellung. Die genannten Ver¬
hältnisse sind auch in den Protoplasmafortsätzen anzutreffen. Wieweit diese
Fibrillen mit den von Golgi, Auerbach, Bethe beschriebenen identisch sind,
lässt sich zur Zeit noch nicht bestimmen; noch weniger lässt sich jetzt schon
ihre Herkunft (Vassale, Paladino) entscheiden. Die ganze Angelegenheit be¬
findet Bich noch in unstäter Fluctuation. Schmidt (Freiburg i/Schl.).
2) A preliminary communioation with projeotion drawing, illuatrating the
topography of the paraooels (lateral ventriolee) in ther relations to the
surfaoe of the oerebrum and the oranium, by Edward A. Spitzka.
(New York Medical Journal. Februar 1901.)
Trotz der Wichtigkeit, welche die Kenntniss von der Topographie und topo¬
graphischen Projection der Hirnventrikel für den Chirurgen, neuerdings insbesondere
bei der Therapie des Tetanus, beanspruchen, konnte Verf. brauchbare Abbildungen
in der Litteratur nicht vorfinden. Seine diesbezüglichen Untersuchungen stellte
er vorderhand bloss an zwei Köpfen älterer Männer an.
Die Ventrikelcontouren wurden auf verschiedene Theile des Schädels projicirt
und ihre Stellung durch fixe Linien bestimmt.
Dabei zeigten sich bereits bei diesen beiden Fällen beträchtliche topographische
Differenzen.
Für chirurgische Zwecke empfiehlt der Verf. immerhin das Eindringen in
das sogenannte „Trigonum“, den unteren Theil des Mittelhorns, da dieses das
geräumigste ist und die verhältnissmässig stabilste Lage aufweist.
Die Topographie der Ventrikel hängt insbesondere auch vom Alter ab,
worüber Verf. Untersuchungen in Aussicht stellt. Die Methodik seiner Messungen
ist auf den zahlreichen der Arbeit beigegebenen Abbildungen veranschaulicht.
H. Marcus (Wien).
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»92
3) Gangliensellen in der Schlondmusoulatur von Pulmonalen, von Dr.
H. Schmidt. (Archiv f. mikroskop. Anatomie. 1901. LVIL)
Den vom Verf. mittels der Golgi’schen Methode in der Schlundmusculatur von
Pulmonaten gefundenen mono- bis multipolaren Zellen, bezüglich deren genaueren Be¬
schreibung und Topographie auf die Arbeit verwiesen werden muss, und die bezüglich
ihrer Gestalt und Grösse sowie ihrer Nerven Verbindungen mit den von anderen
Autoren beschriebenen Zellen im Herzmuskel von Avertebraten übereinstimmen, mas
wie diesen die Function einer automatischen Regulirung der Bewegung des Organa
in dem sie liegen, zugesprochen werden. Die Musculator, in der sie liegen, be¬
wirkt die Bewegung der Reibmembran. Erfordert die Mundhöhle mit ihren com-
plicirten Bewegungen auch centrale Verbindungen, so nimmt Verf. doch die
Möglichkeit an, dass die einfache Bewegung der Reibmembran auf den tactiles
Reiz der eingeführten Nahrung hin durch die gefundenen Ganglienzellen ausgelöet
werden könne. H. Marcus (Wien).
4) Das Ganglion ciliare, von A. Önodi. (Anatom. Anzeiger. 1901. XIX.
Nr. 6 u. 6.)
Ueber die Frage, ob das Ganglion ciliare spinal oder sympathisch sei oder ein
dem Trigeminus angehöriges Ganglion bilde, stellte Verf. vorwiegend an Selachiera
Untersuchungen an. Er konnte nachweisen, dass es sowohl durch Aeste mit dem
Trigeminus in Verbindung steht, andererseits einen Nervenplexus für den grossen
Gefässstamm nach rückwärts sendet, den Verf. für die erste makroskopische Form
des Kopfsympathicus bei’ den Selachiern und daher bei den Vertebraten hält
Verf. schliesst aus Beinen Untersuchungen, dass sowohl die übrigen grosseren
Ganglien am Rumpfe bei den Selachiern sympathischer Natur wären, als auch das
Ganglion ciliare und mehrere andere von ihm im Gebiete der grossen Aeste des
Trigeminus isolirte. H. Marens (Wien).
Experimentelle Physiologie.
5) Die elektrische Erregbarkeit der Nerven und Muskeln unter Curare-
wirkung, von Universitätsdocent Dr. Julius Donath und Dr. Hugo Lu-
käes. Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Budapest. (Zeit-
schr. f. klin. Medicin. XLI. S. 441.)
Anlass zu obigen Versuchen gab die klinische Beobachtung eines Falles von
sogen, periodischer Lähmung, bei welcher, wie auch in den anderen beschriebenen
Fällen, ein völliges Erlöschen, bezw. starke Herabsetzung der faradischen und
galvanischen Nerven- und Muskelerregbarkeit einherging. Die Autoren, welche
mit Goldflam der Ansicht waren, in der Curarevergiftung ein Paradigma für
diesen Lähraungszustand zu haben, konnten sich jedoch durch Experimente an
curarisirten Hunden überzeugen, dass bei diesen die faradische und die galvanische
Erregbarkeit der Nerven und Muskeln auch bei vollkommener Lähmung der Thiere
vermittels des Giftes weder eine qualitative noch quantitative Veränderung zeigt
Jaoobsohn (Berlin).
6) ObMrvations on the oourse of the optio Übree in a oase of unilateral
optio atrophy, by Warrington and Dutton. (Brain. 1900. IV.)
Die Verff. konnten die optischen Bahnen in einem Falle untersuchen, bei
dem 2 Monate vor dem Tode das rechte Auge enucle'irt war. Ihr Fall bestätigte
die partielle Kreuzung der Sehnervenfasern; die Lage der gekreuzten und un-
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gekreuzten Fasern in dem Tractus war so, wie sie von anderen Autoren beschrieben.
Genaueres muss im Original nachgelesen werden. Im sonst ganz degenerirten
N. opticus fanden sich einige feine normale Fasern, die wohl centrifugaler Natur
sind. Der rechte Oculomotoriuskem war normal. Bruns.
7) Cryoakopie du liquide odpbaloraobidien, par Achard, Loeper et Laubry.
(Arch. de möd. exp£r. Juli 1901.)
Die Verff. haben in erster Linie Gefrierpunktsbestimmungen der Cerebro¬
spinalflüssigkeit gemacht mit folgenden Ergebnissen: Der normale Gefrierpunkt
liegt bei —0,50 bis —0,56°. Bei chronischen organischen Krankheiten des Central-
nervensyBtems bleibt er im Allgemeinen unverändert; bei chronischen functionellen
Erkrankungen ist er häufig erniedrigt (—0,56 bis —0,69°), d. h. die moleculare
Concentration erhöht. Bei acuter wie bei tuberculöser Meningitis wurden ziemlich
erhebliche Schwankungen beobachtet, ohne dass sich ein durchgreifender Unter¬
schied zwischen beiden Formen hätte ausfindig machen lassen. — Ein Vergleich
zwischen Blutserum und Cerebrospinalflüssigkeit ergab fast durchgängig, dass
letztere hypotonisch im Vergleich zum Serum war. — Die Dichtigkeit (1002—
1009) ging im Allgemeinen der Gefrierpunkserniedrigung parallel. — Reducirende
Substanzen wurden unter 58 Fällen nur 6 Mal vermisst; bei einem Diabetiker
(Pankreascarcinom) war der Zuckergehalt der Cerebrospinalflüssigkeit sogar höher
als der des Urins. Bei einem Urämischen wurde Harnstoff in geringer Menge
nachgewiesen, einige Male auch Spuren von Eiweiss. — Von dem Körper ein¬
verleibten Salzlösungen traten solche, die dem normalen Serum fremd waren (Jod¬
kalium u. a.), nicht in die Cerebrospinalflüssigkeit über, physiologische Chlorid¬
lösungen werden dagegen aufgenommen und waren sogar im Stande, sich bis zu
einem gewissen Grade darin aufzusammeln. H. Haenel (Dresden).
8) Experimental lesions of the oorpora quadrigemina in monkeys, by
Fernei and Turner. (Brain. 1901. I.)
Die Verff. haben bei einer grossen Anzahl von Affen sorgfältig nur die
eigentlichen Vierhügelganglien abgetragen. Um das sorgfältig zu machen, haben
sie erst — ausgenommen in einem Falle — den linken Occipitallappen entfernt.
Die Resultate sind folgende: Unmittelbar nach der Operation sind die Pupillen
meist ad maximum verengt und in den meisten Fällen standen die Bulbi nach
links gerichtet. Beide Symptome verschwinden schnell und nachher besteht dann
keine Spur einer Augenmuskellähmung mehr; auch reagiren die Pupillen auf
Licht, soweit sich das bei Affen feststellen lässt. Die Kniereflexe fehlten in einem
Falle andauernd (weshalb?); sonst waren sie immer vorhanden; die grobe Kraft
war gut. Unsicherheit des Ganges und der Bewegungen fand sich nie beit reinen
Operationen; beides und besonders eine'Art Intentionstremor der Arme fand sich,
wenn das Kleinhirn oder der obere Kleinhirnschenkel mitverletzt waren. Rechte
Hemianopsie bestand in allen Fällen, wo der linke Occipitallappen exstirpirt war;
weitergehende Sehstörungen fanden sich nur bei Mitläsionen des Pulvinar und der
Sehstrahlungen; in diesen Fällen fand sich auch meist gekreuzte Hemianästhesie
durch Mitverletzung der hinteren Theile der inneren Kapsel. Hörversuche ergaben
wenig sichere Resultate; doch scheinen bei reinen Vierhügel Verletzungen und Frei¬
bleiben des Corpus geniculatum internum das Hören ungestört zu sein. Die
Stimme war nicht gestört.
Heim Affen und wohl auch beim Menschen ruft also die Zerstörung der
eigentlichen Vierhügelganglien kaum einen bleibenden Effect hervor. Für das
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Hören and Sehen haben sie jedenfalls nur eine sehr untergeordnete Bedeutung. Bei
niederen Thieren mit weniger entwickelten Grosshirnen scheint das anders zu sein.
Bruns.
0) Klinische waarnexningen van stoornissen der huidsenaibillteit, waarky
in meer of mindere mate de uitbreiding van worte lzonee ia te her*
kennen, door L. Coenen. (Psych. en neurol. Bladen. 1901. Nr. 3.)
Aus einer Anzahl von beobachteten Fällen, deren Verf. 10 beschreibt, geht
hervor, dass es klinisch nicht möglich ist, ein genaues Schema zu geben von
Hautgebieten, wie sie von jeder hinteren Wurzel versorgt werden. Dieses ist
allein möglich, wenn der Pat. kurz nach der Läsion stirbt und dann eine genan«
Autopsie möglich ist und in der Weise mit dem Bestehen von „Overlapse“ Rech¬
nung zu halten ist.
Wohl lernt die klinische Beobachtung den Lauf der Axenlinien kennen,
aber diese stimmen nur selten mit dem idealen Platz in der Anatomie überein.
Dieses ist aber auch nicht zu erwarten wegen der vielen Fehlerquellen, wie u. a.:
1. individuelle Variationen, wobei die Axenlinien nicht gerade in den Mittel¬
linien liegen;
2. die „crossed Overlapse“ neben den Axenlinien und wohl am stärksten wo
Felder aneinander grenzen, die aus dicht nebeneinander gelegenen Wurzeln stammen;
3. die selten vorkommenden Läsionen von einer Wurzel.
Alle bis jetzt gegebenen Schemata hält Verf. darum noch für unzu¬
verlässig. Für jedes Wurzelfeld muss erst die Ober- und Untergrenze fest¬
gestellt werden und weiter die individuelle Variation von den Grenzen seiner
antero-postero und gekreuzten Bedeckung, und dieses ist nur zu erreichen, wenn
man festhält an dem Princip, dass die Grenze von einem analgetiscli-anästhe¬
tischen Gebiet stets die Grenze ist von dem folgenden Wurzelfeld, das nicht
lädirt ist und niemals die Grenze von dem lädirten Feld selbst
Hierauf ist in den klinischen Schemata nicht geachtet und darum sind sie
nicht mehr genügend.
Verf. endet mit der Beschreibung einer Methode, die vielleicht in der Zu¬
kunft noch einige Resultate liefern könnte, um die Grenzlinien zu bestimmen.
Er gebraucht dazu einen farado-elektrischen Schmerzreiz, welcher 3 Secunden
dauert, und wobei zu sehen ist, wieviel Voltspannung der Strom in der secundären
Spinde bei einem bestimmten Abstand von der primären besitzt
Während eines Monats wurde jeden Tag bestimmt, bei welcher Grösse von
Stromspannung in der Secunde die Versuchsperson Schmerz an einer Stelle des
Unterarms, wo ein unauswlschbarea Drahtnetz mit Maschen von 10 ccm Oberfläche
gezeichnet war, empfand.
In einer Reihe von Häkchen war die Reizgrenze stets niedriger als an
anderen Stellen und man konnte hier an das Bestehen einer Axenlinie denken.
Wie Verf. bemerkt, sind hier aber noch yiele Experimente nöthig. Nur zu loben
scheint mir eine bestimmte Methode, um auch Schmerzreize mehr objectiv zn
machen, wie die Frey'sehe Methode die Tastempfindung ganz objectiv macht, was
Stransky und Ref. nachgewiesen haben. TenCate (Rotterdam).
Pathologische Anatomie.
10) Ein Beitrag snr Lehre von der pathologisoh-anatomisohen Grundlage
der Huntington’aohen Chorea, von Dr. Kattwinkel. (Archiv fl klin.
Medicin. LXVIL S. 23.)
In einem Falle von Huntington’scher Chorea fand Verf. bei Untersuchung
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des Centralnervensystems schon makroskopisch eine geringe Atrophie der Hirn¬
rinde. Die Gyri waren etwas verkleinert und die Sulci erweitert. Mikroskopisch
fand sich Degeneration und Schwund der Supratangentialfaserschicht und der
Radiärfasern, und zwar vornehmlich im Gebiete der Centralwindungen. Ferner
fand sich eine Infiltration von Kernen bezw. Rundzellen im Gebiete der grossen
Pyramidenzellen und in der Schicht der polymorphen Zellen. Diese Zellen liegen
in erweiterten pericellulären Lymphräumen und umgeben in verschieden grosser
Zahl oft bis zu acht eine einzige Ganglienzelle, die durch dieselbe comprimirt zu
werden scheint. Drittens konnte eine Verdickung der Adventitia der Gefässe
durch Bindegewebsstränge, welche concentrisch das Lumen der Gefässe umgeben,
constatirt werden. Jacobsobn (Berlin).
Pathologie des Nervensystems.
11) Ueber den klinischen Verlauf und die pathologisch-anatomischen
Veränderungen eines schweren duroh Hemiplegie, bulb&re und
psychische Störungen ausgezeichneten Falles von Basedow’soher
Krankheit, von Prof. Dr. Dinkler, Oberarzt. Aus der inneren Abtheilung
des Luisenhospitals zu Aachen. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. 1901.
XXXIII.)
Die 37jähr. Patientin erkrankte 1893 an Erbreohen, das in kürzeren oder
längeren Intervallen 2 Jahre lang anhielt. Im 39. Jahre machte sie eine Supra¬
orbitalneuralgie und im 40. Jahre eine schwere Sepsis im Anschluss an eine
kleine Fingerwunde durch; im 41. Lebensjahr entwickelten sich bei ihr die Sym¬
ptome eines mittelschweren Basedow, der nach kurz andauernder Besserung nach
einem Landaufenthalt 1897 sehr ernsten Charakter annahm. October 1897 ge¬
sellten sich zu dem Krankheitsbilde Reizerscheinungen von Seiten der motorischen
Rindenfelder, die ziemlich schnell in Ausfallserscheinungen übergingen und eine
schlaffe Lähmung der linken oberen und unteren Extremität herbeiführten. Hierzu
kamen bald bulbäre Symptome und Aenderungen der Psyche, die sich im Auf¬
treten von Hallucinationen und Versündigungsideeen äusserten. Unter Zunahme
aller Erscheinungen erfolgte am l./II. 1898 der Tod.
Die Section ergab: Struma bilateralis parenchymatosa; Thymus persistens;
Exophthalmus; Dilatation und Hypertrophie beider Herzen; Mitralinsufficienz;
parenchymatöse Trübung der Nieren; Blutung in Magen und Darm; Hydrocephalus
internus.
Mikroskopisch fand sich: 1. an der Schilddrüse die für Basedow charak¬
teristischen strumö8en Veränderungen. Die Thymus persistens erwies sich als
eine Thyreoidea accessoria;
2. an Niere und Leber parenchymatöse Degenerationen;
3. am M. biceps Atrophie der MuBkelfibrillen;
4. im Gehirn ausgedehnte Degenerationen der Ganglienzellen und Glia¬
wucherung, ferner von der rechten Centralwindung ausgehend eine absteigende
Degeneration der Pyramidenbahn bis ins Lendenmark hinein; in der Medulla
Degenerationserscheinungen an den Kernen und intramedullären Wurzelfasern des
5., 7., 8., 9., 10., 12. Hirnnerven, der Fasern der Kleinhirnseitenstrangbahn,
G o wers’schen Bahn, Corpora restiformia, Fibrae arcuatae externae und Schleifen¬
bahn. In der Medulla spinalis fanden sich ausserdem in den Vorderhörnem und
austretenden Wurzelfasern Degenerationen.
Aehnliche Fälle wie der vorliegende sind klinisch schon beschrieben, über
anatomische Untersuchungen aber, ausgenommen eines Falles mit negativem Erfolg,
wurde bisher nichts berichtet. Verf. sucht die Ursache der Basedowschen
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Krankheit, wie Möbius, in einer Intoxication des Gesammtorganismus durch die
primär erkrankte Schilddrüse, und glaubt mit Reinbach, dass ebenso wie die
strumös entartete Thyreoidea auch eine hyperplastische Thymus deletär auf des
Organismus wirke. Verf. legt seiner Ansicht folgenden zweiten Fall von Basedow
zu Grunde:
Ein 23jährige8 Mädchen erkrankte im März 1898 unter den Erscheinungen
des Basedow; allmählich, ohne nervÖBe Störungen, trat Verschlimmerung ein, so
dass am 24./VII. die Strumektomie gemacht wurde, ln derselben Nacht jedoch
erfolgte der Exitus. Bei der Autopsie fand sich eine in der Grösse zwei fötalen
Lungen im 6.—7. Monat entsprechende Thymus persistens, die der Hand da
Operateure jedoch nicht zugänglich gewesen war. Die Trachea war s&belscheides-
förmig zusammengedrückt Embolieen, die den Tod herbeigeführt haben konnten,
fanden sich nicht.
Durch eine Reihe anschaulicher Photographieen veranschaulicht der Verf in
Bilde die geschilderten Veränderungen an Thymus, Thyreoidea, Musculatur, Niere
und Gehirn. H. Meyer (Sonnenstein).
12) Byndrdme de Basedow post - typholdique , par Benoit (Archiven de
neurologie. October 1900.)
Ausführliche Schilderung eines Falles von Basedowerkrankung im Anschluss
an einen schweren Typhus. Der fleissigen Abhandlung sind noch therapeutische
Daten beigefügt nebst Hinweisen auf andere beobachtete Fälle, die im Allgemeines
nur selten vorkamen. Passow (Meiningen).
13) Om Forholdet mellem morbus Basedowii og Myxödem, af Dr. Chr.
Ulrich. (Nord. med. ark. 1900. Nr. 9.)
Von 43 wegen Struma poliklinisch behandelten Kranken boten drei eine
Reihe von Symptomen dar. von denen einige dem Krankheitsbilde der Basedow
Bchen Krankheit, andere dem des Myxödems angehören.
Im 1. Falle, der ein 15 Jahre altes Dienstmädchen betraf, waren die an
Basedowsche Krankheit erinnernden Symptome: Tachykardie, Tremor, wahr¬
scheinlich auch Chorea; die dem Myxödem angehörenden: Imbecillität, Hant-
abschälung, Mangel des Schweisses und Sprachstörung; zu beiden Symptomen¬
gruppen gehörten epileptiforme Anfälle und die Struma.
Im 2. Falle handelte es sich bei einem 45 Jahre alten Handelsmanne ur¬
sprünglich um Morbus Basedowii, es bestanden Tachykardie, Struma, Abmagerung,
Unruhe, Nasenpolypen. Ungefähr 3 Jahre später traten Symptome auf, von denen
einige (Haarausfall, Myelitis) nicht zur ursprünglichen Krankheit gehörten, andere
(Oedem, Ekchymosen, Hautabschälung und Atrophie der Schilddrüse) dem Krank¬
heitsbilde des Myxödems angehörten.
Im 3. Falle war bei einem 19 Jahre alten Dienstmädchen das Vorhanden¬
sein von Myxödem unverkennbar, theils wegen des kretinenhaften Aussehens, mit
Haarmangel, und wegen des blassen, geschwollenen Gesichts, theils wegen des
langsamen Wesens der Patientin und der schleppenden Sprache, auch eine an¬
scheinende Atrophie der Schilddrüse konnte darauf hindeuten. Von Basedow-
Symptomen waren vorhanden: Exophthalmus, die Symptome von Graefe, Möbius
und Stellwag, Tachykardie, Tremor und sporadischer Schweiss. Ueber die
Entstehung einer vorhandenen Insufficienz des Aortenostium liess sich nichts
Sicheres nachweisen.
Ein 4. Fall, den Verf. ausserdem noch mittheilt, betraf eine 36 Jahre alte
Kranke, bei der nach Anwendung von Thyreoidin wegen Myxödems rasche Besse-
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rang dieser Krankheit folgte, aber Symptome der Basedowschen Krankheit
auftraten.
Auf Grund dieser und ähnlicher Fälle, die allerdings selten sind, nimmt
Verf. an, dass nicht nur Symptome dieser beiden Krankheiten neben einander
bestehen können, sondern dass auch die für die eine Krankheit charakteristischen
Symptome bei der anderen Vorkommen können. Die Veränderungen der Schild¬
drüse sind nach Verf. bei beiden Krankheiten nicht entgegengesetzter Art, sondern
eher in der Art mit einander verwandt, dass die bei Myxödem vorkommenden
als aus denen bei der Basedow’sehen Krankheit hervorgegangen zu betrachten
sind. Ein gewisser Gegensatz zwischen beiden Krankheitsbildem besteht aller¬
dings scheinbar, aber bei genauer Betrachtung handelt es sich nach Verf. hierbei
eher um Gradverschiedenheiten. Walter Berger (Leipzig).
14) Un oa8 de goitre exophthalmique ohes un garoon de 4 ans Vs aveo
la triade symptomatlque typique: exopthalmus, goitre, taohyoardie,
par Dr. Varcot et Pierre Roy. (Bulletins de la Sociätä de Pädiatrie de
Paris. Juni 1901. Nr. 6.)
Ausser durch die Jugend des Pat (4*/* Jahr) war der Fall nooh durch eine
hochgradige Anämie mit Milztumor auffallend; Keuchhusten war den Basedow’-
sehen Symptomen vorangegangen. Einen Zusammenhang dieser Zustände mit dem
Basedow halten die Verff. nicht für ausgeschlossen, umsomehr, als von den ge¬
wöhnlich angenommenen Veranlassungen dieser Krankheit: Ueberanstrengung,
Kummer, hier nicht die Rede sein kann. Zappert (Wien).
15) Klinische Voordraohten. n. Tetanie, af Nolen. (Leiden 1901. Verlag
von van Doesburgh.)
Verf. bespricht in diesem Buche die Tetanie und tetanoiden Zustände. Diese
klar geschriebene Monographie ist — da in Leiden die Tetanie ziemlich selten
vorkommt — mehr aus theoretischen Gründen interessant. Verf. sieht in der
Tetanie einen Symptomencomplex, der als eigenthümlicher pathologischer Zustand
des Nervensystems anzusehen ist und in Zusammenhang steht mit den ver¬
schiedensten Zuständen, wie Strumektomie, Magen- und Darmkrankheiten, Rliachitis,
Gravidität u. s. w. Die Ursache ist also nicht in einem specifischen Agens zu
suchen, denn jede Theorie, welche die Ursache in einem bestimmten Gift sucht,
ist nach Verf.’s Ansicht schon von vornherein unwahrscheinlich. Alle genannten
Einflüsse üben einen schlechten Einfluss auf den Ernährungszustand und natürlich
am meisten auf den des Nervensystems aus; dieses kommt dadurch in einen ver¬
änderten Reizzustand. Es ist aber auch möglich, dass nur ein Theil des ganzen
Nervensystems aus irgend einem Grunde vorgezogen wird, wie das periphere
Nervensystem das Rückenmark, der Cortex cerebri u. s. w. So erklärt sich auch
der Zusammenhang von Tetanie mit Laryngospasmus, mit Eklampsie und selbst
mit Epilepsie und auch das Zusammenvorkommen einzelner dieser Zustände, wo¬
bei die Tetanie selbst zurücktreten kann. So sieht man zuweilen Tetanie com-
binirt mit Laryngospasmus und Eklampsie, und auch z. B., dass bei Epilepsie
manchmal tetanische Erscheinungen auftreten u. s. w. So wird das Krankheits¬
bild bestimmt durch den Theil deB Nervensystems, welcher am meisten geschädigt
ist. Darauf bespricht Verf. einen Zusammenhang, welcher besteht zwischen der so
exquisit chronischen Epilepsie und der meist vorübergehenden Tetanie: es braucht
zwischen beiden kein essentieller Unterschied in der Art der pathologischen Ab¬
weichung zu bestehen. Nur muss man bei Epilepsie annehmen, dass irgend
ein bis jetzt unbekanntes Gift im Körper geformt wird, das den Reizzustand
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der corticalen Ganglien fortwährend unterhält oder stete wieder auftreten liest
Auch ist es nicht nöthig, dafür ein und denselben Stoff als Ursache anzunehmen.
Schliesslich ist es möglich, dass die stete wieder auftretende physiologisch-patho¬
logische Aenderung der Nervenzellen zuletzt stationär bleiben wird. Dass Brom bei
Epilepsie besser wirkt als bei Tetanie u. s. w. kann man dadurch erklären, dass
es eine mehr elective Wirkung auf die Ganglienzellen als auf das Bückenmark
u. s. w. ausübt.
Sehr interessant ist weiter noch eine neue Auffassung von Laryngospasmss,
den Verf. in viel innigeren Connex zur Epilepsie gebracht sehen will, mit totaler
Aenderung der älteren Ansichten. Therapeutisch bringt das sehr lesenswerthe
Buch nichts Neues. TenCate (Rotterdam).
16) lieber Tetanie und myotonisohe Störungen bei dieser Erkrankung.
von Dr. G. v. Voss in St. Petersburg. (Monatsschr. f. Psych. u. Neuro log.
1901. vm.)
Verf. giebt eine statistische Uebersicht - über 49 Fälle von Tetanie, welche
innerhalb 16 Jahren in der Nervenabtheilung des Dr. Rybalkin am Marien¬
hospital in St. Petersburg zur Beobachtung kamen, und schliesst daran die ein¬
gehendere Mittheilung von fünf selbst beobachteten Fällen.
Im 1. Falle handelte es sich um einen erblich belasteten Kranken, bei dem
sich Amfälle schwerster Tetanie mit psychischen Störungen (Desorientirtheit, moto¬
rische Unruhe, Hallucinationen) combinirten. Der Kranke starb am einer im
Krankenhaus acquirirten croupösen Pneumonie. Bei der Seotion fand sich eine
Pachymeningitis haemorrhagica externa.
Der 2. Fall soll als Beispiel dafür dienen, welche Bedeutung der Bl ei Vergiftung
für die Aetiologie der Tetanie zukommt. Ein 17 Jahre alter Malerlehrling, der
4 Jahre lang viel mit bleihaltigen Farben zu thun hatte und Zeichen der Blei¬
vergiftung (Bleisaum am Zahnfleisch) darbietet, erkrankt innerhalb eines Jahres
zwei Mal an Tetanie.
Im 3.—6. Falle handelte es sich um verschiedenartige Combination der Tetanie
mit myotonischen Störungen. Der 4. Fall, bei welchem die myotonischen Sym¬
ptome im Vordergrund stehen, und nur das bestehende Facialisphänomen auf die
„latente“ Tetanie hinweist, ist noch dadurch bemerkenswerth, dass bei Besserung
des zu Grunde liegenden Leidens (einer chronischen 'Gastroenteritis) auch die
myotonischen Symptome nachliessen.
Verf. ist der Ueberzeugung, dass die Tetanie keine Neurose, sondern eine
Infectionskrankheit ist, und führt zur Begründung seiner Annahme namentlich
auch den häufig nachweisbaren Zusammenhang der Krankheit mit Verdauungs¬
störungen an.
Die Resultate seiner Untersuchung fasst Verf. sohliesslich in folgenden Sätzen
zusammen:
1. Das von Frankl-Hochwart geschilderte periodische Auftreten der
Tetanie zu bestimmten Jahreszeiten und in bestimmten Jahren bestätigt sich
auch in St. Petersburg.
2. Das Schuster- und auch Schneiderhandwerk bedingt hier am Ort
keine Prädisposition für die Tetanie, hingegen scheinen besonders oft Metall¬
arbeiter und unter diesen wieder solche zu erkranken, welche mit Blei zu
thun haben (Malerhandwerk!).
3. Das Zusammentreffen der Tetanie mit Infeotionskrankheiten ist bei
uns anscheinend Sache des Zufalls; ein ätiologisoher Zusammenhang liess sich nie
nachweisen.
4. In einigen Fällen scheinen acute Infeotionskrankheiten (Angina, Erysipel)
heilend auf die Tetanie zu wirken.
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6. Im Verlaufe der Tetanie kommen myotonische Störungen nicht allzu
selten vor.
6. Diese myotonischen Symptome sind ihrer klinischen Stellung nach
nichts anderes als eine Modification der Tetaniekrämpfe.
Theodor Ranniger (Sonnenstein).
17) Ueber die manifeste und larvirte Tetanie bei Kindern, von M. Eraushar.
(Medycyna. 1900. Nr. 26 u. 27. [Polnisch.])
Verf. bespricht eingehend die manifeste und larvirte Tetanie bei Kindern.
Er meint, dass die Heredität bei der Aetiologie dieser Krankheit keine wesent¬
liche Rolle spielt, wahrscheinlich tragen dabei ungünstige äussere Verhältnisse die
Schuld für die Entstehung der Tetanie (feuchte Wohnung u. a.). Auch begünstigt
das Klima die Entstehung der Krankheit. In Warschau liess sich von 8000
poliklinisch behandelten Kindern (im Kinderspital) die Tetanie in 42 Fällen (also
6°/oo) constatiren, dabei trat die Krankheit 9 Mal in manifester Form, dagegen
33 Mal in larvirter auf. Die grösste Anzahl der F älle fiel auf März, April und Mai
(nämlich 80% der Gesammtzahl). Verf. giebt dann das klinische Bild der Tetanie
bei Kindern, wobei er auf die Wichtigkeit des prodromalen Laryngospasmus hin¬
weist. Auch spielt das Trousseau’sche und Erb’sche Phänomen eine wichtige
Rolle bei der frühzeitigen Festsellung der (larvirten) Tetanie. Weniger oonstant
sei das Chvostek’sche Phänomen. Flatau (Warschau).
18) Ein Fall von Tetanie, von Grudzinski. (Medycyna. 1900. Nr. 46.
[Polnisch.])
Verf. berichtet über einen Fall von Tetanie bei einem 20jähr. Fabrikarbeiter,
welcher mehrmals an Halsentzündung mit Fieber erkrankte. In der letzten Zeit
traten 2—3 Mol in der Woche Anfälle der Tetanie im 5. Finger beider Hände
auf. Gleichzeitig Verdauungsstörungen (Appetitlosigkeit und Diarrhoe). Bald
darauf merkte Pat. eine gewisse Steifigkeit in der Musculatur der Hände und
Füb 86, welche ihn bei der Arbeit störte. Nach einigen Wochen verbreiteten sich
die Anfälle auf sämmtliche Finger, ferner auf Vorderarm und Beine. Mehrmals
traten Spasmen in den Kiefermuskeln und in den Muskeln der Lider ein, so dass
Pat. einige Minuten mit geöffnetem Munde oder geöffneten Augen dastand.
Status: Puls 72, Temperatur normal. Dermographie. Nach einigen Secunden
stets klonische Zuckung des M. levator alae nasi sin. Chvostek’sches Phänomen.
Leichte Spannung der Extremitätenmusculatur (besonders am Vorderarm und
Unterschenkel). Trousseau’sches Phänomen (an oberen und unteren Extremi¬
täten). Sensibilität und Reflexe normal. Polyurie. Gürtelschmerzen in der Bauch¬
gegend und Kopfschmerzen. Flatau (Warschau).
19) Mittheilung über einen Fall von Tetanie nach Intoxioation, von Dr.
F. Dämmer, Assistent der medicinischen Universitätspoliklinik in Jena.
(Münchener med. Wochenschr. 1900. Nr. 46.)
Ebne 35jähr. Frau, welche vor 14 Jahren sohon einmal eine Bandwurmkur
mit Extr. filicis mar. durchgemacht, bekam wegen Nachweises von Taenia medio-
canellata 8 g des gleichen Mittels, worauf der Bandwurm nebst dem Kopf inner¬
halb 1% Stunden abging. Bald darauf trat ein Krampfanfall mit Kribbeln in
den Oberarmen ein, das sich bald auf die Hände, sowie die unteren Extremitäten
fortsetzte. Im Anschlüsse daran Bewusstlosigkeit von wenigen Secunden Dauer.
Nach dem Erwachen waren die oberen und unteren Extremitäten steif, die Hände
bläulich-roth verfärbt und kalt. Ferner bestanden Parästhesieen in den im Ellen-
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bogengelenk leicht gebeugten und steifen Armen, sowie in den rigiden unterer
Extremitäten. Das Trousseau’sche sowie das Chvostek’sche Phänomen lies
sich leicht nachweisen. In den nächsten Tagen blieben nur noch die allgemeine
Schwäche und die Parästhesieen bestehen, nach 3 Wochen trat Heilung ein. Eine
MagenafFection bestand nicht
Verf. nimmt an, dass die Aniälle in Folge einer Vergiftung mit Extractun
filicis zu Stande kamen und finden sich ja auch in der Litteratur eine ganze
Anzahl solcher Mittheilungen, nur sind die tetanischen Symptome meist weniger
eingehend beschrieben. E. Asch (Frankfurt a/M.).
20) Zar liehre vom Bohiohtstar (als Folge der Tetanie), von Joseph Kirch¬
hof. (Inaug.-Dissert Bonn 1901.)
Verf. hat auf Veranlassung von Peters (Bonn) eine Serie von 80 Fällen
von ausgeprägtester Rhachitis auf das Vorkommen von Schichtstar hin untersucht
und nur in einem Falle eine ätiologisch dunkle unscheinbare Trübung des vorderen
Pols auffinden können. In sämmtlichen Fällen konnte Tetanie mit grösster
Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Verf. kommt daher zu dem Schlüsse,
dass nicht die Rhachitis mit der Entwickelung des Schichtstares in ursächliches
Zusammenhänge steht, sondern hierfür höchstens insoweit in Betracht kommt, als
sie für das Auftreten von Tetanie eine Prädisposition schafft und die letztere als
solche als Ursache der Schichtstarentwickelung anzusehen ist.
Martin Blooh (Berlin).
21) Zur Aetiologie der Chorea minor, von Dr. Theodor Frölich (Kinder¬
klinik Christiania). (Jahrbuch f. Kinderheilk. 1900. LIV.)
Fast so alt als die Kenntniss der Sy den ham'sehen Chorea ist der Streit
über die Aetiologie derselben; die seither immer wieder in den Vordergrund ge¬
rückte pathogenetische Bedeutung des Gelenkrheumatismus datirt von Germais
See aus dem Jahre 1850. Dass die Erledigung dieser Frage in dem halben
Jahrhundert nicht viel weiter gerückt ist, wird aus der vom Verf. in den Haupt¬
punkten wiedergegebenen Litteratur ersichtlich; neuestens ist erst wieder Krafft-
Ebing für die Annahme einer neurotischen Form der Krankheit aufgetreten.
Das eigene Material des Verf.’s betrifft nur 47 Fälle, doch sind dieselben
nach verschiedenen Gesichtspunkten gut beobachtet. Dieselben sind in 4 Gruppen
getheilt: 1. Patienten mit sicher diagnosticirtem Rheumatismus acutus vor oder
während der Chorea (13 Fälle), 2. Patienten mit vorausgegangenem Fieber, Hab¬
schmerzen, Erythema nodosum, Gelenkschmerzen (16 Fälle), 3. Patienten mit
Chorea direct nach einer Infectionskrankheit (4 Fälle), 4. Patienten ohne rheu¬
matische infectiöse Antecedentien (12 Fälle). Die genaue kritische Sichtung dieser
Fälle ergiebt in 80,85 °/ 0 sicher vorausgegangene Infectionen. Auch unter jenen
Fällen, welche keine Infectionskrankheit in der Anamnese aufweisen, finden sieh
solche mit nicht angeborenen Herzfehlern, die also jedenfalls auf Grund irgend
einer acuten unbeachteten Allgemeinerkrankung entstanden sind.
Das Ueberwiegen des weiblichen Geschlechtes bei den Chore&kranken
ist in den Zahlen des Verf.’s viel stärker als in sonstigen Statistiken; es hängt
dies nach Meinung des Autors damit zusammen, dass Mädchen gewöhnlich schwerer
von der Krankheit heimgesucht werden, daher eher Spitalspatienten werden. Ueb«
die Bedeutung der Heredität äussert sich Verf. recht ablehnend; gelegentlich
fand sich übrigens eine Häufung von Chorea in einer Familie. Noch weniger
kann sich Verf. für den ätiologischen Werth der psychischen Ursachen aos-
sprechen, da nur ganz vereinzelt Schreck in den Anamnesen seiner Fälle vermerkt
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ist Verf. ist auf Grund dieser Untersuchungen ein entschiedener Anhänger der
Infectionsätiologie der Chorea. Zappert (Wien).
22) Ueber die Bestehung der Chorea zum Rheumatismus, von N. Gold¬
blum. (Medycyna. 1901. Nr. 1 v. 2. [Polnisch.])
Verf. bespricht die heutzutage herrschenden Hypothesen über die Beziehungen
zwischen Chorea und Rheumatismus und kommt dabei zu folgenden Schlössen:
1. Es giebt keine sicheren Beweise für die infectiose Natur der Chorea; 2. als
Ursache der letzteren sei die Gleichgewichtsstörung der nervösen Centra aufzu¬
fassen; 3. diese Gleichgewichtsstörung wird hauptsächlich bei Kindern neuro-
pathischer und rheumatischer Eltern beobachtet; sie kann aber auch erworben
werden (Rheumatismus, infectiöse Krankheiten, Störungen in Blutcirculation u. a.);
4. in entsprechenden Fällen kann die Chorea entweder duroh psychische oder
reflectorische Momente (z. B. Gravidität) bedingt werden.
Flatau (Warschau).
23) Rheumatismus, Henkrankheit und Chorea, von Dr. Habel in Troppau.
Nach einem im Verein Troppauer Aerzte gehaltenen Vortrage. (Deutsche
med. Wochenschr. 1901. Nr. 17.)
Es handelt sich um ein 13jähr. Mädchen, welches nach einer Halsentzündung
an einem Rheumatismusrückfall mit Herzerkrankung litt und in acutester Weise
von Chorea minor befallen wurde. Die Zuckungen waren nach 24 Stunden stark
ausgebildet, alle Muskeln waren ergriffen, die Psyche betheiligt. Die Anfälle
nahmen an Heftigkeit zu und am 2. Tage nach dem Beginn wurden die Er¬
scheinungen „fast lebensgefährlich“; sie nahmen dann in den nächsten 3 Tagen
rasch ab und verschwanden in einer weiteren Woche. R. Pfeiffer.
24) £tude dos rdflexes tendineux dans la ohorde de Bydenham, par
M. Oddo. (Gazette des höpitaux. 1900.)
Verf. betont zunächst, dass bei manchen Choreatischen die Reflexprüfung
dadurch erschwert sei, dass dabei choreatische Bewegungen verschiedener Art
eintreten, die den Reflex oder einen paradoxen Reflex vortäuschen können. Nur
in 14 von 147 Fällen waren die Patellarreflexe beiderseits normal. In 28 Fällen
war der Reflex einseitig normal, während der Reflex der anderen Seite theils
fehlte (16 Mal), theils erhöht war (12 Mal). In allen diesen Fällen handelte es
sich um Hemichorea oder um Ueberwiegen der einen Körperhälfte; die normalen
Reflexe entsprachen der weniger befallenen Körperhälfte. In 100 Fällen waren
die Reflexe abgeschwächt oder fehlten; in einigen Fällen war Steigerung der
Reflexe vorausgegangen. 6 Mal war der Reflex der einen Seite dabei erloschen,
der der anderen vermindert. In diesen Fällen war stets die Chorea jener Körper¬
hälfte stärker, deren Reflexe erloschen waren. 23 Mal bestand doppelseitige
Steigerung der Reflexe, 3 Mal Steigerung der einen Seite bei Erloschensein der
anderen. Das Babinski’sche Phänomen fehlte. Das Verhalten der Achilles¬
sehnenreflexe war meist ein dem Patellarreflex Gleiches, doch kamen Fälle vor,
in denen der Achillessehnenreflex ziemlich normal war, während der Patellarreflex
fehlte oder sich gesteigert erwies. Bei hypotonischen Choreatischen fand Verf.
mitunter Steigerung, gewöhnlich aber Abschwächung der Patellarreflexe. Die bei
Erregung des Reflexes mitunter entstehenden abnormen Beuguugs- und Adductions-
bewegungen bezieht Verf. auf eine gewisse „Diffusion“ der Erregung im Rücken¬
mark. Er schliesst aus dem verschiedenartigen Verhalten der Reflexe, dass bei
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der Chorea die gesammten motorischen Systeme (Medulla, Cerebrum, Cerebellnm)
mit verschiedener Prädominanz betheiligt seien. R. Hatschet (Wien).
26) Chorta de Sydenham aveo aouffle tröe intense prödominant d&ns la
rdgton de la pointe du ooeur et s'irradiant jusque dans l’aiaselle,
sans troubles fonottonelB et saus hypertrophle du cceur. Brult-extra-
eardlaque de Potaln, par M. G. Variot. (Bulletins de la Societe de
Pädiatrie. 1901. Nr. 1.)
Aus der mitgetheilten Krankengeschichte (13'/jjähr. Mädchen), sowie aus der
DiBcussion, an der sich erfahrene Kinderärzte (Guinon, Netter, Sevestre) be¬
theiligten, geht hervor, dass bei Chorea extracardiale Geräusche nicht gerade
selten sind und meist nach längerer Zeit verschwinden. Zappert (Wien).
26) Chorea infeotiva (Sydenhams Chorea) og dens Behandllng , af Chr.
Gram. (Hospitalstidende. 1900. Nr. 3 u. 4.)
Die echte (Sydenham’scbe) Chorea ist nach den Erfahrungen des Ver£’s
eine Infectionskrankheit, die in der Regel (vielleicht stets) von Endocarditis be¬
gleitet ist, und die Prognose ist nach Verf., sowohl quoad vitam, als auch beson¬
ders quoad valetudinem completam hei Weitem nicht so gut, als in den Hand¬
büchern und Lehrbüchern allgemein angegeben wird. Von 26 Fällen, die Verf
mittheilt, betrafen 23 Kinder, von denen 16 unmittelbar vorher eine Infections¬
krankheit (Angina, fieberhaften Rheumatismus, Scharlach, Otitis media oder
Gonorrhoe) gehabt hatten. Bei 9 konnte eine vorausgegangene Infection nicht
mit Sicherheit nachgewiesen werden. In */ 3 der Fälle stellte sich Endocarditis
ein, die sich ausser durch leichte Herzsymptome durch leichte Temperatursteigerung
zu erkennen gab. Walter Berger (Leipzig).
27) Ueber einen Fall von Peroneuslähmung nach Gelenkrheumatismus und
Chorea minor, von F. Jolly. (Charitä-Annalen. 1900. XXV.)
16jähr. Knabe hat zum eraten Male vor 3 Jahren einen mit Herzerscheinungen
complicirten Gelenkrheumatismus gehabt; mehrere leichte Recidive. Schweres
Recidiv im Januar 1900 mit Betheiligung aller Gelenke; Anfang März Chorea
von ausserordentlicher Intensität, Sprache völlig aufgehoben, Tag und Nacht an¬
dauernde Iactation, zahlreiche Bisswunden und Suggillationen. Vereiterung einer
Bisswunde am Zeigefinger mit consecutiver Phlegmone der Hand und des Vorder¬
armes, der mehrfach Abscesse an den verschiedensten Körperstellen folgten. Anfang
Juli Entlassung. Anfang October ergab die Untersuchung des seit der Entlassung
noch immer besonders mit dem rechten Bein äusseret ungeschickt gehenden Pat
die Zeichen einer rechtsseitigen Peroneuslähmung. Es sind sämmtliche Muskeln
des Peroneusgebietes gelähmt, die Muskeln sind druckschmerzhaft, faradische Er¬
regbarkeit direct und indirect auch für stärkste Ströme erloschen, galvanische für
sehr starke Ströme (16—20 M.-A.) noch erhalten, aber sehr unvollkommen und
träge. Hypästhesie auf dem Fussrücken, ungefähr entsprechend dem Gebiet des
N. peroneus superficialis.
Verf. ist der Ansicht, dass in diesem Falle wohl mehrere Momente als ätio¬
logische Factoren der Neuritis concurrirt haben, die Gelenkschwellungen und die
periarticulären Hautveränderungen, die mechanischen Insulte, die durch die Chorea
bedingt waren, der durch die Grundkrankheit bedingte und durch die Eiter-
infection noch mehr beeinträchtigte schlechte Ernährungszustand und zuletzt, aber
dieses sicher nicht allein, das infectiöse Agens des acuten Gelenkrheumatismus.
Martin Bloch (Berlin).
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28) Ueber 3 Fftlle von d ©generativer (Huntington 'scher) Chorea, von
W. Eliaßsow. (Festsohrift zur Feier des 60. Geburtstages von Max Jaff6
am 25. Juli 1901.)
Verf. beriohtet über 3 Fälle von Huntington’scher Chorea (zwei mit Sections-
bericht). Von diesen betreffen zwei ein Schwesternpaar aus einer Choreafamilie,
in welcher sich die Krankheit durch 4 Generationen in gleichartiger Form ver¬
erbte. Bei der dritten Patientin hatte Mutter und zwei Schwestern an Chorea
gelitten.
Gelenkrheumatismus und Herzaffection fehlte in jedem der 3 Fälle. Das
Alter der Patientinnen betrug 23, bezw. 30 und 34 Jahre hei Beginn des Leidens.
Gewollte Bewegungen verminderten die Zuckungen, die psychischen Störungen
betrafen hauptsächlich den Intellect, nahmen stetig zu und führten zur völligen
Demenz.
Die Obduction ergab in den beiden secirten Fällen: Atrophie des Stirnhirns,
Hydrops meningeus, Hydrocephalus internus. Die Herzklappen waren intact.
Verf. hält mit Wollenberg die Huntington’sche und die Sydenham’sche
Chorea für zwei grundverschiedene Krankheiten. Kurt Mendel.
29) Ein Fall von Bewegungsneurose In Form von Tios oonvulslft, von
S. KopczyAski. (Gazeta lekarska. 1900. Nr. 34 u. 35. [Polnisch.])
Verf. beschreibt folgenden Fall von Tics convulsifs: Der 34jähr. Arbeiter
musste die Arbeit einstellen, wegen krankhaften Zusammenziehens in den' Händen
und Füssen, welches den Pat. seit 7 Jahren plagte. Seit dieser Zeit war auch
eine Sprachänderung wahrgenommen. Status: Klonische Zuckungen hauptsächlich
in linker oberer und rechter unterer Extremität, wobei die Zuckungen einzelne
Muskeln oder ganze Muskelgruppen betreffen. Die Zuckungen tragen nicht den
Charakter der zielbewussten Handlungen. Die Zuckungen treten rasch nach¬
einander auf und zeigen den blitzartigen Charakter. Von Zeit zu Zeit finden sich
ähnliche Zuckungen in den Athmungsmuskeln ein, ferner in den Mm. cremasteres,
in den Gesichtsmuskeln (besonders im Gebiete deB unteren Facialis). Die Sprache
des Pat. ist insofern eigenthümlich, als er in höchst monotoner Weise fast sämmt-
liche Worte und ganze Satzstücke mehrfach wiederholt und dabei einzelne Worte
und Satzstücke flüsternd ausspricht, andere dagegen mit normaler Stimme hervor¬
bringt; mitunter tritt in der Mitte eines Satzes eine Pause von 6—40 Secunden
ein. Während des Schlafes vollständige Ruhe. Intelligenz erhalten, keine hyste¬
rischen Stigmata. Keine Zwangsvorstellungen. Verf. bespricht die Differential¬
diagnose und meint, dass der Fall am ehesten den „grands tics convulsifs“ zuzu¬
rechnen sei (eine Krankheit, welche man von der Maladie des tics unterscheiden
soll). Fla tau (Warschau).
80) Tios oonvulaift» gönöraliaäs (Choröe öleotrique de Bergeron -Henooh,
Eleetrolepsie de Tourdeur ou növrose oonvulsive rythmde de Guerlin)
traitds et guöris per la gymnastique respiratoire, par Prof. A. Pitres.
Bericht über einen Fall von „Tics convulsifs genöralises“, der nach lljähr.
Bestehen durch systematische Athemübungen innerhalb eines Jahres zur Heilung
gebracht wurde.
Der zur Zeit des Beginns der Behandlung 20jähr. Pat. ist erblioh nicht
belastet; er selbst hatte vor seinem 7. Lebensjahre vorübergehend an epileptiformen
Anfällen gelitten. Im 9. Lebensjahre setzten, im Anschluss an einen heftigen
Schreck, Muskelzuckungen in der oberen Körperhälfte, verbunden mit unwillkür¬
lichem kurzem Schreien oder Grunzen, ein. Nach einem Jahre bessert« sich der
Zustand auf innere Medication unbekannter Natur, doch trat keine völlige Heilung
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ein. Die Besserang hielt an bis zum 17. Jahre, worauf wieder eine fortschreitende
Verschlimmerung eintrat. Bei Beginn der Behandlung (Januar 1900) bot Pat.
keinerlei körperliche Anomalieen, von hysterischen Stigmen lediglich eise massige
concentrische Gesichtsfeldeinengung. Es traten in wechselnder Frequenz, 1 bk
20 Mal in der Minute, blitzartige convulsivische Zuckungen in der Musculatur
des Kopfes, des Rumpfes und der Extremitäten auf, begleitet vom Ausstossen nn-
articulirter Laute. Völlige Ruhe während des Schlafes, Steigerung der Zufalle,
wenn Pat. beobachtet wurde, Abschwächung bei horizontaler Lage und bei lautem
Sprechen oder Singen. Druck auf die hysterogenen Zonen ist ohne Einfluss auf
die Zuckungen. Essen, Schreiben, Arbeiten (als Bauernknecht) möglich, aber
erschwert. Als unangenehmste Krankheitsfolge macht sich beim Pat. die Angst
geltend, lächerlich zu erscheinen. Er ist dadurch vollständig menschenscheu ge¬
worden.
Nach zwei erfolglosen hypnotischen Versuchen wurde Pat. einer systematischen
Behandlung mit Atmungsgymnastik unterzogen, indem er 3 Mal tägliah 10 Min.
hindurch, in aufrechter Haltung mit dem Röcken an eine Wand gelehnt, sehr
langsam und tief athmen musste, wobei die Athembewegungen mit leichtem Heben
bezw. Senken der Arme verbunden wurden. Diese Uebungen wurden consequent
11 Monate lang, theilB im Spital, theils zu Hause, durchgeführt, und zwar als
einzige Behandlung. Schon nach kurzer Zeit trat Besserung und schliesslich
völlige Heilung ein; zur Zeit der Veröffentlichung des Falles war Pat. gänzlich
frei von Zuckungen und verhielt sich bereits längere Zeit hindurch social voll¬
kommen normal.
Der Fall ist sehr instructiv, die Krankengeschichte bringt erfreulicherweise
nur Wesentliches. Was die Benennung des Krankheitsbildes betrifft, so handelt
es sioh augenscheinlich um den auch bei uns als Maladie des tics convulmfe (oder
impulsifs) bezeichneten Zustand, deckt sich aber nicht mit dem von verschiedenen
Autoren (Dubini, Bergeron, Henoch) als „Chorea electrica“ beschriebenen
Krankheitsbild. Max Neumann (Karlsruhe).
31) Myokymia, or persistent musoular guiverlng, by R. T. Williamson.
(Brit. med. Joum. 15. December 1900.)
Mittheilung eines Falles von hochgradigem Muskelwogen (Schnitze) bei
einem 21jähr. Manne. Pat., welcher in seiner Kindheit Lähmung des linkeB
Beines erlitten (wahrscheinlich Poliomyelitis anterior acuta), später im linken
Oberschenkel nach einem Unfall amputirt werden musste, erkrankte mit 19 Jahres
an Muskelzittern des rechten Beines. Allmählich steigerte sich diese Muskel¬
unruhe (Muskelwogen) und ergriff auch die Muskeln der Arme, des Rumpfes, des
Gesichts und der Zunge. — Oft zeigten nur einige oder mehrere Mnskelbündel
fibrilläre Contractionen; dann aber zog sich plötzlich der ganze Muskel zusammen.
Am deutlichsten war das Muskelwogen an den Muskeln des Oberschenkel*
und der Waden zu sehen. W T aren die Erscheinungen in letzterer besonders stark,
so zeigte der Fuss Flexionsbewegungen. Selbst beim Liegen des Pat. im Bett
zeigte das ganze rechte Bein zitternde (leicht schüttelnde) Bewegungen.
Die Muskeln der Arme, der Schultern waren ebenfalls, wenn auch nicht in so
hohem Maasse, ergriffen; die Handmuskeln sind auch leicht afficirt.
Brust- und Bauchmuskeln zeigten nur gelegentlich, die Muskeln des Halses,
des Gesichts und der Zunge häufiger fibrilläre Zuckungen. Augenmuskeln nicht
afficirt. — Kniereflexe lebhaft; leichte Herzpalpitationen. Sonst nichts Abnormes
zu constatiren.
Verf. konnte in der Litteratur nur 8 Fälle von Myokymie beschrieben finden.
Sämmtliche Fälle betrafen Männer. E. Lehmann (Oeynhausen).
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32) Uöber einen Pall von Unverrioht’soher Myoklonie, von Dr. Bührer.
(Correspondenzblatt f. Schweizer Aerzte. 1901. Nr. 7.)
Verf. beschreibt einen typischen Fall von Myoklonie, der allein dadurch von
dem Un verricht'sehen Krankheitsbilde ab weicht, dass sich hier auch die äusseren
Augenmuskeln an den Zuckungen betheiligen. H. Wille (St. Pirminsberg).
33) Del paramioelono molteplioe, per Prof. Augusto Murxi, Vorstand der
medicinischen Klinik in Bologna. (Rivista critica di clinica medica. 1900.
Nr. 23—25.)
In einer tiefdurchdachten Arbeit behandelt Verf. das Wesen und den ana¬
tomischen Sitz des Paramyoclonus multiplex. Die in Rede stehende Arbeit bildet
gewissermaassen die weitere Fortsetzung seiner grundlegenden Arbeit: „Policlonie
e coree“ (Ref. im Neurolog. Centralbl. 1900. Nr. 3), in welcher Verf. der erste
war, auf Grund von zwei diesbezüglichen Sectionen den anatomischen Sitz des
Polyklonus zu bestimmen.
Was stellt der Paramyoclonus multiplex dar? fragt Verf.
Während für den Einen die Hysterie die Grundlage für den Myoklonus ab-
giebt, so dürfen nach der Ansicht des Anderen die Myokloni der Hysterie nicht
als Paramyoclonus angesehen werden. Für den Einen charakterisirt sich der
Paramyoclonus durch schnelle, schütte! förmige Contractionen, wie der Tic, während
nach Ansioht der Anderen eine Contraction mit motorischem Effect keinen Para¬
myoclonus ausmacht. Eine Reihe von Autoren Endet keine Veranlassung, die
Fälle von Unverricht von dem Falle Friedreich’s zu trennen; Andere hin¬
gegen geben einen solchen Zusammenhang nicht zu, und während manche Autoren
an die Existenz des Paramyoclonus als einer Krankheit für sich nicht glauben,
bringen wieder andere den Paramyoclonus, den Tic und die elektrische Chorea
unter ein und dasselbe Kapitel. Eine dritte Reihe von Autoren meint, dass der
Myoclonus nur in seltenen Fällen eine unabhängige Krankheit darstellt.
Woher diese Verschiedenheiten der Ansichten?
Um nun die Frage zu beantworten, was der Paramyoclonus darstellt, müsse
zunächst festgestellt werden, wo die Störung, welche den Paramyoclonus erzeugt,
ihren Sitz habe. Diese Frage war bisher auf Grund von anatomischen Forschungen
nicht beantwortet worden. Es ist zwar eine diesbezügliche Untersuchung von
Prof. Schultze bekannt; dieser Fall jedoch konnte nicht den gewünschten Auf¬
schluss geben, da die Exploration des Cadavers keine LäBion nachweisen konnte.
Erst im vorigen Jahre veröffentlichte Verf. zwei Beobachtungen (Policlonie e
coree. Policlinico. 1899), nach welchen bei zwei Individuen, welche während des
Lebens die Erscheinungen der Polyklonie dargeboten hatten, Gehirnläsionen, und
zwar speciell Läsionen in der Rindensubstanz, aufgefunden werden konnten. Diese
Läsionen boten durchaus nicht die anatomischen Charactero des Paramyo¬
clonus. Es ist jedoch leicht verständlich, dass bei dem Umstande, dass der Para¬
myoclonus so selten lethal verläuft, ja dass die von dieser Krankheit ergriffenen
Patienten sogar ein hohes Alter erreichen oder vollständig genesen, das Auffinden
schwerer Gehirnveränderungen ein äusserst seltenes Vorkommniss sein müsse. Der
Werth der in Rede stehenden Beobachtungen liegt jedoch in der Thatsache, die
uns zeigt, dass ein krankhafter Process in der Rolando'schen Zone einen
Paramyoclonus hervorrufen kann.
In der letzten Zeit hatte Verf. Gelegenheit einen dritten diesbezüglichen
Fall zu seciren, dessen Beobachtung sogar noch wichtiger erscheint, als in den
zwei ersten Fällen, insofern der Kranke während des Lebens die typischsten
Erscheinungen des Paramyoclonus dargeboten hatte, und zwar ohne die Coexistenz
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der anderen nervösen Störungen, welohe bei den beiden ersten Kranken an be¬
obachten waren.
Nach Mittheilung des Falles, ausführlichem Sectionsbericht und einer sehr
gründlichen und geistreichen Kritik des anatomischen Befundes gelangt Verf. zu
folgenden Schlussfolgerungen:
Der Paramyoclonus stellt ein Phänomen dar, dessen Ursprung in
der Rolando’sohen Zone zu suohen ist Wenn die Rolando’sche Zone
nicht verändert ist, so kann auch ihre Function keine Veränderung
erleiden. Wenn es somit Fälle von Myoklonie giebt, bei welchen
gar keine sichtbare (Veränderung in jenen Theilen des Gehirns za
finden ist, so muss daraus gefolgert werden, dass eine unsichtbare
Veränderung vorhanden sei. Der Paramyoclonus stellt somit hin¬
sichtlich seines anatomischen Sitzes eine einzige Entität dar, wäh¬
rend er sich seiner Natur nach in mannigfacher Art darstellen kann.
Der Paramyoclonus weist immer auf ein Ergriffensein der Rolando-
sehen Zone hin; es giebt jedoch mannigfache Processe, welche das
gemeinschaftliche Attribut besitzen, den klonogenen Zustand be¬
wirken zu können. Lebovici (Karlsbad).
34) De la möralgie paresthösique et de son traitement ohirurgioal, par
Brisard. (Travaux de neurol. chirurg. 1900. Nr. 1.)
Als „Möralgie paresthösique“ bezeichnet Verf. eine Neuralgie des N. femoro-
cutaneus, charakterisirt durch Parästhesie, Anästhesie und Schmerz in der das
anatomischen Verlauf der Nerven entsprechenden Gegend, die er in mehreren
Fällen beobachtet hat. Der Schmerz ist nicht constant, sondern intennittirend.
Die Ursachen sind theils äussere, theils constitutionelle, wie Syphilis und chronischer
Alkoholismus. Die anatomischen Läsionen meist solche des Peri- und Paraneuriums.
Die Behandlung ist entweder die gewöhnliche der Neuralgieen oder die Reeection
des Nerven, wie sie von Chipault und Manclair in 3 Fällen ausgeführt wurde
mit dem Resultat, dass, so lange die Kranken zu Bett lagen, die Schmerzen auf¬
hörten, dann bei neuen Geh- und Arbeitsversuchen, ein neuer Anfall auftrat,
worauf im Verlauf von 2 Monaten die Symptome gänzlich schwanden. Bei
Neuralgieen, die duroh Compression des Nerven bedingt sind, wird man natürlich
das comprimirende Hinderniss beseitigen. Adler (Berlin).
35) Le traitement des nevralgies et ndvrites, par Dr. H. F. Plicque. (Paris,
1901. Bailliöre et Fils.)
ln der Form eines Compendiums von 96 Seiten (aus der Sammlung: „actualifas
mödicales“) giebt Verf. eine übersichtliche und ziemlich vollständige Zusammen¬
fassung des gegenwärtigen Standes der im Titel genannten Therapie. Die Art
und Weise, wie er seinen Stoff eintheilt, ist sehr geeignet, in das Heer von Be¬
handlungsmethoden, die im Laufe der Zeit für Neuralgieen angegeben worden sind,
Ordnung und System zu bringen. — Das erste Kapitel bietet einen Ueberblick über
die durch die Aetiologie gegebenen therapeutischen Indicationen: Syphilis, Malaria,
Anämie, Neurosen, Diabetes, Gicht, verschiedene chronische Intoxicationen. Et
folgen die allgemeinen symptomatischen Indicationen; ausführlich ist die Behand¬
lung des Schmerzes besprochen: äussere Mittel, wie Hautreize, Aethylchlorid,
Elektricität, Massage; innere Mittel: Opium, Morphium, Aconit, Belladonna, Gel-
semium, Antipyrin u. s. w.; von Thermen sind ausschliesslich französische berück¬
sichtigt.* Ein kurzer Abschnitt ist auch der Behandlung der Schlaflosigkeit ge¬
widmet. — Den grössten Raum nimmt natürlich die Besprechung der Neuralgieen
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im TrigeminuB und in den unteren Extremitäten ein. Bei Gelegenheit der Exstir¬
pation des Ganglion Gasseri sei erwähnt, dass Verf. die nachträglichen Gefahren
dieser Operation für das Auge doch wohl zu hoch anschlägt. — Mit der Be¬
sprechung der Neuralgieen der anderen Neryengebiete und der „chirurgischen
Neuritiden“ (nach Amputation, Trauma, ascendirende Neuritis) schliesst das
Werkchen, das dem Nervenärzte in mancher Beziehung von Werth sein kann.
Der geringe Preis (1,50 Fr.) und die bei französischen Verlegern gewohnte ge¬
schmackvolle Ausstattung können nur zur Empfehlung beitragen.
H. Haenel (Dresden).
HL Bibliographie.
1) Handbuch der gerichtlichen Fsyohiatrie. Unter Mitwirkung von Prof.
Dr. Aschaffenburg, Privatdocent Dr. E. Schnitze, Prof. Dr. Wollenberg
herausgegeben von Prof Dr. A. Ho che. (Berlin, 1901. August Hirschwald.)
Die Jahrhundertwende hat auch auf dem Gebiete der medicinischen Litteratur
eine Reihe von festlich gestimmten Aeusserungen: Säcularartikel, gezeitigt. Ihre
Zahl ward um so grösser, je länger die Feier Bich hinzog. Unentschieden blieb
ja, ob der 1. Januar 1900 oder der 1. Januar 1901 den Eingang des 20. Jahr¬
hunderts bedeutete; für die Säcularschriftsteller war das ein grosser Vortheil; sie
konnten sich ein Jahr lang in Dithyramben über den Aufschwung ihrer Dis-
ciplinen ergehen.
Mit viel grösserer Berechtigung als viele dieser Jahrhundertwerke hätte das
Hoche’sche Handbuch der gerichtlichen Psychiatrie sich auf den 1. Januar 1900
berufen können, auf jenen dies judicii, mit dem für Deutschland das Wort: „Ein
Volk — ein Reich — ein Recht!“ zu Ehren kam. Einheitlich für das deutsche
Reich waren längst das Strafgesetz (1871), der Strafprocess und die Gerichts¬
verfassung (1877). Als endlich auch das Bürgerliche Gesetzbuch allen deutschen
Bürgern nach langem Harren gegeben wurde (1900), war der Boden für eine
umfassende Bearbeitung der forensischen Psychiatrie geebnet, und es schien die
Zeit für ein Handbuch gekommen, welches die gesammte Mitwirkung der Aerzte
an der öffentlichen Rechtspflege zum Gegenstände haben sollte. — Es sind junge
Psychiater, die das Werk unternommen haben; sie brachten darum für die Auf¬
gabe, welche ihnen zufiel, etwas mit, was heutzutage immer seltener wird, obwohl
es zur Wesenheit des medicinischen Schriftstellers gehören sollte: Sie hatten
Zeit! Man merkt das nicht bloss an der Dicke des Buches, das sie geschrieben
haben, sondern auch an ihrer Gründlichkeit und an dem die Feile verrathenden
Styl, der in den meisten Capiteln vorherrscht. — Einzelne Fragen sind mit einer
erschöpfenden Genauigkeit, sowie mit einem klaren und doch die Breite und Länge
vermeidenden prägnanten Ausdruck dargestellt, die uns mustergültig erscheinen.
Man möchte ganze Seiten des Handbuches abdrucken, um den Aerzten zu zeigen,
dass es auch in einem schwer zu behandelnden Fache unserer Wissenschaft, auf
viel umstrittenen Gebieten, — hier in heiklen psychologisch-psychiatrischen und
juridischen Fragen wie: „Freie Willensbestimmung“, „Ehescheidung wegen Geistes¬
krankheit“, „Der normale Mensch vor Gericht“, „Grenzzustände zwischen Krank¬
heit und Gesundheit bei sexuellen Vergehen“, „Epileptische Dämmerzustände“
xl. A. m. — immer noch medicinische Autoren giebt, deren Reichthum an Wissen
und Können sich nicht in langen umschreibenden Redewendungen ausdrückt und
nicht unbedingt und fest an — Unklarheit und Unverständlichkeit gebunden ist.
Es war schon ein sehr dankenswerthes Beginnen des umsichtigen ühef-
redacteurs Prof. Hoche, die rechtlichen und die klinischen Grundlagen der
gerichtlichen Psychiatrie getrennt behandeln zu lassen und so das ganze Material
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in zwei Haapttheile za sondern. So hat sich aach die litterarische Eigenart der
einzelnen Autoren in den ihnen überlassenen Thematen am beeten ausgeprägt,
und man empfindet beim Lesen die wiederholte Behandlung einzelner weniger
Streitfragen, z. B. die des moralischen Irreseins, kaum als störend. — Der kritisch
und reformatorisch angelegte Aschaffenburg setzt in „Strafrecht und Straf-
process“ gleich mit einer kurzen, aber sehr treffenden Kritik der Lombroso’schen
Lehre vom „delinquente nato“ ein, macht sich aber die gemässigte Auffassung
Ferri’s: dass das Verbrechen eine Erscheinung von zugleich biologischem, phy¬
sischem und socialem Ursprung sei, zu eigen, aus der für ihn die Nothwendigkeit
der Abänderung des heutigen — Strafsystems in ein System der der einzelnes
Verbrecherindividualität anzupassenden — Vorbeugung und Abwehr ergiebt
Durchdrungen von naturwissenschaftlicher Erkenntniss auf der einen, von der
Anerkennung des von der Rechtsanschauung des Volkes getragenen und dem
Richter heiligen geschriebenen Gesetzes auf der anderen Seite, will Aschaffen¬
burg die Willensfreiheit dahin verstanden wissen, dass sie die Fähigkeit bedeute,
die Motive eines Durchschnittsmenschen unserer Zeit und unserer Umgebung mit
normaler Stärke auf unseren Charakter und auf unsere Individualität wirken zu lassen.
Er identificirt demgemäss den Ausdruck „Freie Willensbestimmung“, wie er in
dem bekannten § öl des Strafgesetzbuches gegeben ist — ihre AusschlieaBung
macht den Menschen ja unzurechnungsfähig — mit „normaler Bestimmbar¬
keit durch normale Motive". Aschaffenburg theilt also den Standpunkt
Mendel’s nicht, der da meint, die freie Willensbestimmung sei kein mediei-
nischer Begriff, und der Arzt als Sachverständiger sei nicht in der Lage, über
Bestehen oder Ausschluss derselben Auskunft zu geben.
Die Begeisterung Aschaffenburg’s für die vollkommene Alkoholabstinenz
kommt in seinen Ausführungen über die alkoholische Bewusstseinsstörung
zum Ausdruck, er hofft, dass der Staat durch Bau öffentlicher Trinkerheilanstalten
und durch andere Verwaltungsmaassregeln statt oder nach der Strafe eine Wiederkehr
gleicher oder ähnlicher Verbrechen wenigstens bei einer Gruppe von rückfälligen
Alkoholisten verhindern werde: Die Einrede der Bewusstseinsstörung durch Hypnose
als Strafausschliessungsgrund räth Aschaffenburg seitens der Richter in Anbe¬
tracht der Unwahrscheinlichkeit einer kriminellen hypnotischen Suggestion bei fehlen¬
der „eigener krimineller Geneigtheit“ nioht mit allzu grossem Ernste zu behandeln.
Die Annahme eines sog. „moralischen Schwachsinns" verwirft Aschaffen-
burg unter sehr schlagender wissenschaftlicher Beweisführung und im Hinblick
auf eine Reichsgerichts-Entscheidung. An der Art des heutigen Strafvollzuges übt
Aschaffen bürg eine scharfe Kritik: die Nutzlosigkeit der gesetzlichen Strafen bei
vielen psychopathisch veranlagten Rechtsbrechern: Excentrischen, sexuell Perversen,
an Zwangsvorstellungen Leidenden, Schwachsinnigen, Degenerirten, Epileptischen,
Hysterischen, ueurasthenisch Reizbaren, bei Alkoholisten, Morphinisten u. s. w.
weist nach Aschaffenburg’s Anschauung auf die Unzulänglichkeit des § 51 in
seiner bisherigen Form bin. Aschaffenburg macht folgenden Abänderungsvor¬
schlag, der auch den Fällen von geminderter Zurechnungsfähigkeit, die
das deutsche Strafgesetzbuch nicht kennt, gerecht zu werden versucht: „Befand
sich der Tbäter zur Zeit der Begehung der strafbaren Handlung in einem
Zustande krankhafter Störung der Geistesthätigkeit, 60 treten nachfolgende Be¬
stimmungen in Kraft: a) Bei ausgesprochener Geisteskrankheit, erheblicher Trübung
des Bewusstseins oder hochgradiger Geistesschwäche ist der Thäter nicht strafbar;
der Tbäter wird statt dessen „versorgt", b) War der Grad der krankhaften
Störung der Geistesthätigkeit oder die Geistesschwäche nur gering, so tritt an
die Stelle der Straflosigkeit eine Versorgung des Thäters in einer zweck¬
entsprechenden Anstalt. Ueber die Nothwendigkeit, Art und Dauer dieser Ver¬
sorgung entscheidet sowohl im Falle a) als b) der Richter nach Anhörung der
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Verwaltungsbehörden und Erhebung eines ärztlichen Gutachtens. Eine durch
Aenderung des Zustandes nothwendige Aufhebung der beschlossenen Maassregeln
erfolgt ebenfalls durch Entscheidung des Richters nach Anhörung der Verwaltung
und nach ärztlichem Gutachten.“
Aschaffenburg gesteht zu, dass die Fassung noch umständlich, glaubt
aber, dass sie trotzdem als Grundlage für weitere Discussionen geeignet erscheine.
In der mit sehr interessanten statistischen Daten über die in erschreckender
Zunahme begriffenen Vergehen jugendlicher Verbrecher belegten Darstellung der
Strafunmündigkeit ist es leider versäumt worden, auf das am 1. April 1901
in Wirkung getretene Preussische Fürsorge-Erziehungs-Gesetz hinzu¬
weisen, das bereits am 3. Juli 1900 erlassen worden ist und wohl für die auf
Grund des § 1566 des B.G.B. durch Landesgesetz zu regelnde allgemeine Zwangs¬
erziehung verwahrloster Bänder des deutschen Reiches vorbildlich werden dürfte.
Aschaffenburg wünscht strenge reichsgesetzlioh-erzieherische MaasBnahmen zur
Verhütung der Verwahrlosung jugendlicher Personen, die in England in Form
der „InduBtrial-Schools“ so ausserordentlich günstig auf die Minderung des jugend¬
lichen Verbrecherthums gewirkt haben, hat aber das erwähnte, auch für den
gerichtlichen Psychiater wichtige preussische Gesetz mit seinen einschneidenden,
auch ärztlich beachtenswerthen Bestimmungen leider übersehen. — Die Behand¬
lung des § 58 des Str.G.B. über die Zurechnungsfähigkeit der Taubstummen
ist etwas kurz ausgefallen und stützt sich zum Theil auf eine längst überholte
Fachliteratur, nämlich W'alther’s Geschichte des Taubstummenwesens (1882!)
und auf Anschauungen über Taubstummenlehrer und über ihren Unterricht, die
den gegenwärtigen Verhältnissen im allgemeinen nicht mehr entsprechen. Die
nächste Auflage wird diesem Mangel, z. B. auf Grund der vortrefflichen Bezold’-
schen Arbeiten, gewiss abhelfen; dafür könnte die umfangreiche Zusammenstellung
der Bestimmungen über die Zurechnungsfähigkeit in den Strafgesetzbüchern
Europas vielleicht wegfallen, so viel Fleiss und Arbeit sie auch verrätl).
Es würde zu weit führen, all das auch nur im Auszug zu erwähnen, was
Aschaffenburg in Bezug auf Siechthum und Geisteskrankheit nach schweren
Körperverletzungen (§ 224), Verantwortlichkeit und Berufsgeheimniss des
Irrenarztes, in Bezug auf die Vernehmung von Geisteskranken als Zeugen
und auf die Sachverständigen-Thätigkeit mit eigenen, zum Theil originellen
Ideeen kritisch beleuchtet: „Zur Feststellung einer Psychose genügt oft eine Minute,
zum Nachweis aber, dass Jemand nicht geisteskrank sei, reichen oft Wochen ge¬
nauester Beobachtung nicht aus.“ — Es ist hier wie in allen folgenden Abschnitten
des Handbuches sehr erfreulich, dass die in Betracht kommenden psychiatrisch wich¬
tigen Gesetzesparagraphen ohne Ausnahme auffällig fett gedruckt im Wortlaut
wiedergegeben und am Schlüsse des Buches in einem Sachregister noch einmal über¬
sichtlich zusammengestellt sind. Dem Gutachter werden dadurch Anschaffung neuer
Bücher — die bekanntlich bei der preuss. Steuerveranlagung nicht „abzugs¬
fähig“ sind —, auch Zeit und Mühe erspart bleiben. Dass diese von vielen
— nicht von allen — Richtern gering geschätzt werden, ist eine offenkundige,
aber traurige Thatsache, der auch Aschaffenburg mit einer lobenswerthen
Deutlichkeit und Schärfe an verschiedenen Stellen Ausdruck giebt. Wenn er
gleich vielen psychiatrischen Leidensgefährten über die Geringfügigkeit
der Sachverständigen-Gebühren („höchster Satz“ = 33 Mark!) Klage führt,
so gereicht ihm vielleicht zum Tröste, dass dieselben nach einem eben in Be¬
arbeitung befindlichen Gesetzentwurf bald auf das Doppelte und Dreifache erhöht
werden sollen. Das ist für den geplagten Psychiater um so nothwendiger, da er
unaufhörlich privaten und öffentlichen Angriffen ausgesetzt ist, und der nicht
immer einen so idealen Standpunkt einznnehmen gewillt ist wie Aschaffenburg,
welcher das lesenawerthe Capitel von den Gewissensconflicten des Irrenarztes, der
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über die Verheirathung von Geisteskranken, z. B. bei beginnender progressiver
Paralyse, befragt, gegen den Berufsgeheimniss-Paragraphen 800 sich vergehen
würde, wenn er — spricht, gegen alle möglichen socialen und moralischen Pflichten
verstossen würde, wenn er — schweigt, mit den Worten schliesst: „Ich man
gestehen, dass ich für meine Person mich lieber der Gefahr aussetzen würde,
wegen Verletzung des Berufsgeheimnisses bestraft zu werden, als mit verschränkten
Armen dem Unheil zuzusehen.“
Ernst Schultze (Bonn) hat die ganze civilrechtliche Psychiatrie, wie sie
das neue Bürgerliche Gesetzbuch verlangt, einer umfassenden Bearbeitung
unterzogen und sich mit juridischer Kennerschaft in alle die erforderlichen
grundlegenden Rechtsfragen vertieft. Diese Arbeit ist um so höher zu bewerthen,
als kaum ein Jahr seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches vergangen ist
und eine psychiatrische Casuistik noch gar nicht vorliegt, namentlich über
die neuen forensischen Gesichtspunkte, z. B.: Ob Geisteskrankheit oder Geistes¬
schwäche vorhanden? — Was man unter dem Ehescheidungsgrunde: Aufhebung
der geistigen Gemeinschaft zwischen Ehegatten, von denen der Eine geisteskrank
ist, zu verstehen habe? So ist denn in den „Juristischen Vorbemerkungen“
über „Geschäftsiähigkeit“, in der „Entstehungsgeschichte“ dieses Begriffes (Vor¬
arbeiten und Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch), in der Gegenüberstellung von
Reichs- und Landrecht, in dem Berichte über die Arbeiten der I. und II. Com¬
mission für das Bürgerliche Gesetzbuch ein vollständiges „Juristisches Colleg"
entstanden, welches einem Extraordinarius des Civilrechts alle Ehre machen würde.
Schultze begründet die Ausführlichkeit seiner Darstellung mit den Gepflogen¬
heiten des Mediciners, „der nun einmal in seinem Denken auf naturwissenschaft¬
lichem Boden steht“ und dem die Ermittelung der geistigen und körperlichen
Entwickelung einer Persönlichkeit und der Einflüsse ihrer Umgebung in erster
Reihe steht. — Der Arzt wird gewiss gern dem Verf auf seinen schwierigen
Wegen zur Erforschung der Entstehung der Gesetzesvorschriften über Geschäfts¬
fähigkeit und Entmündigung folgen, wenn er — Ferien hat. Aber der beschäf¬
tigte, durch die Alltäglichkeit bedrängte Gutachter und Praktiker würde Schultze
für manche Kürzungen gerade auf diesem Gebiete sehr dankbar sein. Wie schnell
und wie gründlich man als Psychiater nach dem Dichterwort: „Eis erben sich
Gesetz und Recht wie eine ewige Krankheit fort“ — das alte biedere Landrecht
vergessen hat, merkt man an den jetzt fast komisch wirkenden Schilderungen der
lang ersehnten Beseitigung der landrechtlichen, zur Entmündigung führenden
klinischen Begriffe: „Wahnsinn und Blödsinn“. Schultze schreibt S. 185 wört¬
lich: „In der That war es ja auch so, dass der Wahnsinn im klinischen Sinne
dem Blödsinn im landrechtlichen Sinne gleichkam, und dass umgekehrt der Wahn¬
sinn des Juristen dem Blödsinn des Mediciners entsprach.“ Der Einfluss von
vorübergehenden Psychosen, von Bewusstseinsstörungen und von Trunkenheit auf die
Gültigkeit von Willenserklärungen, der retrograden Amnesie mit ihren merk¬
würdigen klinisch-ätiologischen Momenten ist in sehr sorgfältiger Art behandelt
mit wiederholter Berufung auf verschiedene werthvolle Reichsgerichts-Entschei¬
dungen: Eine der wichtigsten ist wohl diejenige zu nennen, welche einen Frank¬
furter Rechtsfall betraf; das Reichsgericht entschied, dass, wenn das Eingehen
einer Wechselverbindlichkeit bei dem vollen Bewusstsein ihrer Tragweite auf eine
Anomalie in den geschlechtlichen Trieben zurückzuführen sei, von einer
Verantwortlichkeit nicht die Rede sein könne. Dem Vorderrichter, der
nur Störungen des Vorstellungslebens als Ursache für Unzurechnungsfähigkeit zu¬
gestand, wurde aufgegeben, „das ganze Geistesleben, die Vergangenheit, die Frage
nach einer körperlichen Krankheit u. dergl. einer Erörterung zu unterziehen, um
mit Sicherheit zu entscheiden, ob Erregungen des Gemüthes oder krank¬
hafte Triebe die freien W T illensbestimmungen ausgeschlossen haben“.
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1011
Haben wir oben einige juridische Längen in den Ausführungen Schultze’s
feststellen und deren Beseitigung wünschen müssen, so hat uns andererseits die
ebenfalls sehr ausführliche Bearbeitung der Entmündigung wegen Geistes¬
krankheit und Geistesschwäche und wegen Trunksucht, die des Entmün¬
digungsverfahrens, der Einsetzung von vorläufiger Vormundschaft und Pflegschaft
in allen ihren Einzelheiten: „Welcher Geistesgestörte vermag seine Angelegen¬
heiten noch zu besorgen?“ — „Wann ist eine Verständigung mit dem Kranken
noch möglich?“ u. a. m. wohlthuend berührt. Sie wird zweifellos ein Wegweiser
für viele Richter und Aerzte auf diesem neu erschlossenen Gebiete der Rechts¬
pflege sein. Das Gleiche gilt von den Betrachtungen über die Frage der Ehe¬
fähigkeit: Geisteskrankheit und Geistesschwäche vor und nach geschlossener
Ehe? Von grossem allgemeinen Interesse erschien uns die Besprechung des
§ 1333: Anfechtung der Ehe wegen Irrthum oder Täuschung, besonders in Bezug
auf Fälle, wo sich die Täuschung auf erbliche Belastung bezieht. Das Reichs¬
gericht hat die Frage, ob erbliche Belastung mit der Anlage zur Geisteskrankheit
als Ehemchtigkeitsgrund genüge, direct verneint. Schnitze erwägt ärztlicher¬
seits die Wichtigkeit der seelischen und körperlichen Degenerationszeichen für
diese Frage, die allgemeinen wissenschaftlichen Anschauungen über den vielfach
sehr bestrittenen Einfluss der Belastung, die Widersprüche der Autoren: „L’expli-
cation complete des faits d’h6r6dit6 est hors de la portee de la Science actuelle“
(Geoffroy St. Hilaire), endlich die seltene Befolgung des ärztlichen Rathes
bei der geplanten Eheschliessung mit Belasteten u. s. w. Lenel’s und Kreuser’s
bekannte Vorträge über die juridische bezw. psychiatrische Seite der Ehescheidung
werden genau besprochen, ebenso wie die einzelnen Geistesstörungen, die dabei
in Betracht kommen. Auch die Testirfähigkeit nicht entmündigter Geistes¬
kranker erfährt eine sorgfältige Würdigung; der Dementia senilis ist in Anbetracht
der grossen Häufigkeit von Testamentsanfechtungen bei Altersschwäche der Erb¬
lasser vielleicht ein zu kurzer Raum gegönnt. Endlich bildet auch die eingehende
Würdigung der Haftpflicht von Anstaltsärzten für Schäden, die durch un¬
beaufsichtigte oder zu früh entlassene Irre hervorgerufen werden, einen krönenden,
von ernsten Standesinteressen durchwehten Abschluss der ersten Hälfte des Hoche’-
schen Handbuches.
Waren im ersten Theile von den Autoren des Handbuches mehr die Kritiker,
die Reformatoren, die juridischen Zergliederer der psychiatrisch wichtigen Straf-
und Civilparagraphen unserer heutigen Gesetzgebung zu Worte gekommen, so
treten im zweiten Theile die Ppychopathologen in ihre Rechte. — jene psychiatri¬
schen Kliniker mit ihren reichen Anstaltserfahrungen über psychische Anoraalieen,
die das Handeln beeinflussen und den Träger wie das Recht verstossen lassen.
Hoche selbst geht aber dabei von der Besprechung bestimmter normaler
Eigenthümlichkeiten des menschlichen Seelenlebens aus, welche bei der
praktischen Handhabung der Rechtspflege erfahrungsgemäss nicht immer die Berück¬
sichtigung finden, die ihnen zukommt. — Es ist hier, soviel wir wissen, zum ersten Male
in der gerichtlichen Medicin von Ho che der Versuch gemacht worden, jene nach Alter
und Individualität verschiedenen Eigenthümlichkeiten des menschlichen Seelenlebens
zu beschreiben, die in der gerichtlichen Praxis täglich zu beobachten sind und nicht
übersehen werden sollten. Es sind das auffällige persönliche Eigenschaften, die weder
als abnorm noch als Grenzzustände gelten dürfen, sondern als gesetzmässige Er¬
scheinungen aufgefasst werden müssten, die noch in der physiologischen bezw.
psychologischen Breite liegen. So ist ein Capitel: „Der normale Mensch vor
Gericht“ entstanden, welches eine grosse Fülle neuer Gesichtspunkte enthält,
ganz besonders über die Werthung von Geständnissen und Zeugenaussagen, über
ihre Protokollirung durch den Richter, der gewöhnlich den objectiven Thatbestand
festzustellen sucht, ohne sich um das Subjective, um die psychische Valenz: um
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Beschränktheit, Beeinflussbark eit, Gedächtnissschwäche des vernommenen Indivi¬
duums zu kümmern. Ho che bespricht in diesem Sinne die kindlichen Cbarakter-
züge, die Verschiedenheiten in der geistigen Verfassung beider Geschlechter (Ein¬
fluss der Menstruation auf das Gemuth), Fälschung der Wahrnehmungen dum
Affecte, die Hemmung der Aussagen durch Angst und Befangenheit (Erröthen
nervöser Personen ist kein Schuldbekenntnis!) u. a. m. Ho che verlangt eint
Unterweisung des Richters in den Lehren der Psychologie und Psychiatrie,
damit er die individuellen Verschiedenheiten des Gedächtnisses (acustisches, opti¬
sches, technisches Gedächtnis), die Abnahme der Merkfahigkeit im Altar, die
Aufmerksamkeit und Zerstreutheit zur Zeit der Beobachtung, die Erinnerung»-
fälschungen, die phantastische Verschmelzung von Erlebtem oder Gelesenen
(Zeitungslectüre!) u. a. m. besser zu würdigen und so bei Vernehmung von
Angeklagten und Zeugen die normalen Fehlerquellen von selber aa»-
zuschalten in den Stand gesetzt werde.
Es it erst jüngst wieder in dem bekannten Prooess zu Gumbinnen die
mangelhafte Reproductionstreue vieler Zeugen, ihr befangenes Auftreten, ihr
fehlerhafter, unzureichender mündlicher Ausdruck, der so oft ein „Hineinexam;-
niren durch den Richter“ nöthig macht und die Bestimmtheit der Aussage
verwischt, auch die Spracharmuth der vernommenen Leute aus dem Volke
zum Gegenstand der öffentlichen Erörterung gemacht worden. All diese Dinge
gehören ebenfalls in das von Hoc he angeschnittene und mit beweisen der Schärfe
durchgeführte Thema von den individuellen Verschiedenheiten der geistigen Ver¬
fassung und Functionen, welohe ohne Mitwirkung krankhafter Einflüsse des
normalen Menschen vor Gericht wesentlich verändert erscheinen lassen. Einer
gleich eigenartigen und klärenden Darstellung begegnen wir in der Erörterung
der Bedeutung nervös-erblicher Einflüsse und ihrer Erkennbarkeit in foro. Hocbe
hebt wiederholt hervor, dass die „Entartung“ mit ihren physischen und psychischen
Merkmalen sorgfältig zu prüfen sei, ehe sie vor Gericht verwendet werde, und dass
die Erblichkeit im psychiatrischen Sinne nur eine der Ursachen der Entartung
darstellt (Die Tuberculose und Lues der Erzeuger ist mindestens ebenso wichtig!
D. Ref.). Eine allgemeine Symptomenlehre, in der Sinnestäuschungen und Wahnidee«.
Gedächtnisstörungen und Merkfahigkeit, die krankhafte Lüge (Pseudologia phan-
tastica, intellectuelle Mängel pathologischer Schwindler), Anomalieen in der Ge¬
fühlssphäre, pathologische Affecte, die Störungen des Bewusstseins (abnorme Zu¬
stände bei Schmerzen, bei der Geburt!) und des Willens untergebracht sind,
verräth den denkenden Beobachter und den durch die Kürze seines rhetorischen,
stets das Wesentliche treffenden Ausdrucks, praktisch und didaktisch gleich ge¬
schulten akademischen Lehrer.
Die Bedeutung der sinnlichen Triebe für die gerichtliche Praxis ist m
den letzten beiden Jahrzehnten eine ständige Rubrik unserer Zeitungen und ei
Anziehungsmittel für all unsere Buchhandlungs-Schaufenster geworden. Hoch«
hat auf diesem Gebiete schon manch kräftig Wörtlein gegen die „sexuallitterarisebe
Fluthwelle“ gesprochen. Wie man alles forensisch Nöthige über die Sexual-
paragraphen des Strafgesetzbuchs sagen und doch dem Reizhunger sensations¬
lüsterner junger und alter Jünglinge „die Casuistik für Feinschmecker in venere"
trotzdem vorenthalten kann, zeigen uns seine umfangreichen, aber nüchterner,
auf jeder Zeile correcten Beweisführungen für und gegen die Vertheidiger der
abnormen und strafbaren „Geschlechtsmenschen“. Psychische Schwäche, moralische:
und inducirtes Irresein, somatische Störungen, Stigmata, Grenzzustände, Simulaiio»
und Dissimulation von Irresein, belegt mit sehr guten Beispielen aus der Praxis,
leiten zu Rathschlägen über, welche Hoche für die Form der psychiatrisch«
Gutachten, für die Festigkeit vor dem Gericht, für die stylistische Sorgfalt fei
Abfassung schriftlicher Aeusserungen, Entkräftung etwa zu erwartender Eis-
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•wände auf Grund eigener Erfahrungen zu geben in der Lage ist. — Wenn
H oche von dem psychiatrischen Sachverständigen eine gute rhetorische Ver¬
tretung seiner Ansicht bei der mündlichen Verhandlung verlangt, die auf Richter
und Geschworene wirken soll, so stimmen wir ihm bei: „Klarheit der Dar¬
stellung, knappe Kürze und logischer Aufbau sind auch hierbei Factoren,
die dazu beitragen, den Hörer zu überzeugen, und das muss die bewusste Auf¬
gabe jedes Sachverständigen sein, der seiner Sache sicher ist.“ — Die drei ge¬
nannten Eigenschaften, die Hoohe in seinem Schlusswort bei Anderen für nütz¬
lich hält, — sie sind es auch, die sein Werk über die allgemeinen klinischen
Grundlagen der forensischen Psychiatrie in reicher Fülle uns bietet.
Eine gut ausgewählte forensisch-psychiatrische Casuistik ist im letzten Ab¬
schnitte des Handbuches in Form einer speoiellen gerichtlichen Psycho¬
pathologie wiedergegeben. Es sind da die einfach functioneilen Seelenstörungen
(Manie, Melancholie, periodische und Gefängniss-Psychosen, acutes hallucinatorisches
Irresein, Paranoiaformen u. 8. w.), sowie die organisch bedingten Geistesstörungen
(progressive Paralyse, senile Demenz, Hirnlues) zu finden, die aus der Feder
Hoche’s stammen, während der Rest: die Seelenstörungen bei chronischen Ver¬
giftungen (Alkoholismus, pathologische Rauschzustände u. s. w.), Epilepsie, Neur¬
asthenie, Hysterie, die Entwickelungshemmungen (Schwachsinn, Idiotie) und endlich
die Verblödungsprocesse (Dementia praecox), Wollenberg verblieben. Der letzt¬
genannte, auch durch seine forensisch-psychiatrischen Arbeiten bekannte Autor
reiht sich in seinen relativ kurzen Beiträgen zum Handbuch in würdiger Weise
seinen Mitarbeitern an. Er hat mit der gleichen Genauigkeit wie sie die Litte-
ratur berücksichtigt und viele treffliche, grösstentheils von ihm selber beobachtete
oder begutachtete Paradigmata zu den einzelnen Krankheitsformen gegeben. Er
hat dabei immer wieder hervorgehoben, dass nicht die psychiatrische Beurtheilung
einzelner Symptome und Symptomengruppen und wechselnder Zustandsbilder, sondern
die Betrachtung der gesammten körperlichen und geistigen Persönlich¬
keit des vor Gericht erscheinenden Menschen, die Erforschung seiner Heredität,
die Schäden, die auf seinen jugendlichen Organismus einwirkten, die Art seines
socialen und häuslichen Milieus und endlich seines Entwickelungsganges und seiner
Lebensziele den Irrenarzt in jedem forensischen Falle zu leiten haben.
Nach den Worten der Anerkennung, die sich auf den gesammten Inhalt des
vorliegenden Ho che'sehen Handbuches bezogen haben, würden die übliohen Ver¬
beugungen vor der Verlagsbuchhandlung, der, wie gewöhnlich, die gute Ausstattung
zu danken ist, wenig zu bedeuten haben. Deutsche Handbücher der Medicin haben
aber oft das Eigenthümlicbe, dass sie wegen ihrer Schwere und wegen ihres Umfanges
nicht gut transportabel sind. Die Ausländer erleichtern durch gesohioktere
Anordnungen dem Leser den Büchergebrauch. Ja von Amerika geht eine tech¬
nische Strömung aus, die sich auf eine wesentliche Verdünnung des guten Druck¬
papiers erstreckt; sie ist mit Freuden zu begrüssen in Rücksicht auf Raum und
Bequemlichkeit bei schriftstellerischen Arbeiten. Dann wird in nicht zu ferner
Zukunft auch das umfassende, gut disponirte und einheitlich durchgefÜhrte Hoche’-
sche Handbuch der gerichtlichen Psychiatrie bei einem sehr bald zu erwartenden
Neudruck dünner und handlicher oder in zwei Bände zerlegt erscheinen.
Dr. Leop. Laquer (Frankfurt a/M.).
2) Wirthschaftliohe Zeitfragen auf dem Gebiete der Irrenfürsorge, von
Max Fischer, Oberarzt in Illenau (Baden). (München, 1901. Seitz u.
Schauer. 41 S.)
Verf. führt zunächst aus, dass die Fürsorge für Geisteskranke schwierigere
und variablere Aufgaben stellt als diejenige für körperlich Kranke, speciell be-
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misst sich auch die Dauer der Fürsorge im Allgemeinen nach viel grösseren Zeit¬
räumen. Deshalb wird die Sorge für- den Geisteskranken nicht der Familie des¬
selben allein überlassen, sondern ist von jeher als Aufgabe der öffentlichen Organe
des Staates und der Gemeinde angesehen worden.
Zu dieser Aufgabe gehört besonders die Beschaffung der Verpflegungskosten
für die Kranken in der Anstalt, die Unterstützung entlassener Kranker und die¬
jenige der in Mitleidenschaft gezogenen Familien der Kranken. Die Sorge für
die Geisteskranken darf nicht mit ihrer Entlassung aus der Anstalt aufhören,
sondern muss gerade nach derselben noch längere Zeit andauern, schon um Rück¬
fälle in die Krankheit zu verhüten. Die allgemeinen Interessen des Internirten
werden am Besten dadurch gewahrt, dass von Staatewegen aus der Familie, dem
weiteren Bekanntenkreise oder dem Heimathsorte ein Pfleger aufgestellt wird, der,
so lange ein Schutz der Person nothwendig, deren Interessen wahrzunehmen hätte.
Besonders berücksichtigungswerth sind bei der Frage der Irrenfürsorge die
Interessen der gesicherten, kleinen Existenzen, welche ja den beeten Theil der
Bürgerschaft ausmachen und deren Erhaltung in socialer Hinsicht von grösster
Wichtigkeit erscheint. Ihnen müsste ganz besonders ihre Sorge für erkrankte
Mitglieder in humaner Weise und unter möglichster Erhaltung ihrer Unabhängig¬
keit erleichtert werden.
Zu einer zweckmässigen Organisation des Unterstützungswesens sind noth¬
wendig: 1. reichliche Geldmittel, welche theils aus Staatszuschüssen, theils ans
wohlthätigen Stiftungen, theils aus dem Verdienste der in den Irrenanstalten
arbeitenden Patienten beschafft werden müssten, und 2. ein staatlich organisirter
Verein für Irrenfürsorge als Centralbehörde. Vielleicht könnte nach Verf.’s Mei¬
nung das Institut der Invalidenversicherung bei der Ausübung der Fürsorge und
Unterstützung der Kranken und ihrer Familie herangezogen werden. An diese
schon bestehende segensreiohe Institution könnte sich dann die Organisation des
Unterstützungswesens für Geisteskranke anlehnen.
Die in den Anstalten Arbeit leistenden Kranken müssten eine Entlohnung
in Geld nach den ortsüblichen Lohnverhältnissen erhalten, der wirkliche Arbeits¬
verdienst eines jeden Patienten in folgender Weise verwendet werden: 1 ' 4 des¬
selben fällt dem Anstaltsfonds (für Vergnügen, Ausflüge u. s. w.) zu, ein zweites
Viertel der Kasse des „Vereins für Irrenpflege“, und '/s dem Kranken selbst,
welcher über diese Ersparnisse dann die Verfügung hat, allerdings muss die end¬
gültige Entscheidung über die Verwendung des Geldes dem Director bezw. be¬
handelnden Arzte in Anbetracht des Geisteszustandes des Patienten anheimgegeben
werden.
Diese Entlohnung der arbeitenden Geisteskranken übt entschieden eiuen sehr
günstigen Einfluss auf die Patienten selbst aus, regt sie zu weiterer Arbeit an und
ist von nicht zu unterschätzendem psychotherapeutischem W T erthe, ferner erhält
dadurch die Anstalt Mittel zur Bestreitung allgemeiner Veranstaltungen, die als
Aufmunterungsfactoren ein wichtiges Heilmittel darstellen, und schliesslich bekommt
durch die Entlohnung der „Verein für Irrenfürsorge“ einen willkommenen, regel¬
mässigen Zuschuss, den er zur Unterstützung der Familien der Internirten und
derjenigen der entlassenen Geisteskranken verwenden kann.
Verf. giebt in seiner interessanten Abhandlung ein anschauliches Bild, in
welcher Weise die Fürsorge für die Geisteskranken in wirthschaftlicher Beziehung
zu fördern sei. Zur Verwirklichung seiner Vorschläge sind allerdings sehr reich¬
liche Mittel nothwendig, aber diese Ausgaben würden sicherlich dem ganzen
Staatswesen zu Gute kommen. Verf. fordert mit Recht für die Geisteskranken
Fürsorge- und Wohlfahrtsbestrebungen in verhältnissmässig gleicher Ausdehnung
wie für Unfall- und Lungenkranke, denn auch bei den psychisch Erkrankten
handelt es sich um im Kampf ums Dasein gefährdete und gescheiterte Existenzen.
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1015
Die gegenwärtig bestehenden Einrichtungen entsprechen aber keineswegs den An¬
forderungen, welche man im Interesse der Kranken, sowie in demjenigen der
Allgemeinheit an eine zweckmässige Unterstützungsform stellen muss.
Kurt Mendel.
3) Text-book of pathology in relation to mental diseases, by W. Ford
Robertson. (Edinburgh 1900. William F. Clay. 380 S.)
Der rühmlichst bekannte Verf. giebt uns in dem vorliegenden Werke eine
pathologische Anatomie der Geisteskrankheiten mit der Ausführlichkeit und Gründ¬
lichkeit, wie sie zusammengefasst bisher noch nirgends existirt. Die Krankheiten
der Schädelknochen, der Hirnhäute, der Hirngefässe, die krankhafte Beschaffenheit
der Neuroglia wie der Nervenzellen, des Gehirns in seinem Ganzen und in seinen
Theilen werden nacheinander abgehandelt und am Schluss die Pathologie einzelner
Psychosen, der acuten Geisteskrankheit, der progressiven Paralyse u. s. w. in knappen
Zügen erörtert. Verf. nimmt für die Entstehung der Paralyse einen toxischen
Stoff an, dessen Natur noch dunkel, der aber in vielen Fällen das Resultat vor¬
ausgegangener Syphilis ist. Jener Stoff ruft eine irritative und degenerative
Veränderung in den Gefässen, besonders auch in den Capilloren des Cortex hervor.
Secundär degeneriren dann die benachbarten Neurone. Diese können auch direct
durch die Toxine ergriffen werden. Die Neuroglia reagirt entweder durch Atrophie
oder durch Hypertrophie. Ein grosser Thoil der pathologisch-anatomischen That-
sachen wird auf Grund der eigenen Untersuchungen des Verf.’s mit ausgezeichneten
Abbildungen (29 Tafeln) und unter kritischer eingehender Berücksichtigung der
gesammten Litteratur besprochen. — Wir empfehlen das Werk unseren Special-
collegen auf das Angelegentlichste. M.
IV. Aus den Gesellschaften.
TiXXIU. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerste ln Hamburg
vom 22.—28. September 1001.
(Fortsetzung.)
II. Sitzung, am 24. September, Vormittags.
Abtheilung für Psychiatrie und Neurologie.
Discussion zum Vortrage des Herrn Becker (Baden): *
Herr Kaplan (Berlin) erinnert an seine Demonstration im Verein der deut¬
schen Irrenärzte in Berlin. K.'s Methode ergiebt dieselben Resultate wie die von
Becker beschriebene. Es handelt Bich um eine elective Färbung des Axencylinders
der markhaltigen Nervenfaser. Die Zelle und der Axencylinderfortsatz bleibt
ungefärbt. Wo die Markscheide verschwindet, hört die Färbung des Axencylinder-
fortsatzes auf.
Herr Kaes (Hamburg) zeigt Präparate, bei denen die Markscheidenfärbung
weiter reicht als bei den nach Weigert’scher Methode gefärbten.
Herr Becker erkennt die Ausführungen Kaplan’s an, glaubt, dass die
Färbung mit der perifibrillären Substanz Zusammenhänge.
Herr Higier (Warschau): Tay-Saohs’sohe familiäre paralytlsoh-amauro-
tisohe Idiotie. (Vergl. Neurolog. Centralbl. 1901. Nr. 18.)
Discussion:
Herr Säen ge r (Hamburg) fragt nach pathologisch-anatomischen Unter¬
suchungen der Fälle. Von "Wichtigkeit erscheint S. bei Opticusatrophieen das
3y Google
1016
Verhalten des Foramen opt. und der Durchtrittastelle des Opticus durch die Sclera.
Einen Fall der beschriebenen Art hat S. in langjähriger Praxis nicht gesehen.
Herr Schuster (Aachen): Zur Behandlung der Kinderoonvulsionen.
Vortr. knüpft an die Verhandlungen in München 1899 über Einderconvulsionen
an, wo die Nichtberücksichtigung hereditärer Krankheitsanlagen als Ursache vod
Eclampsia neonatorum bemängelt worden war. Die Eclampsia neonatorum ist
sowohl wegen directer Lebensgefahr, als wie der daraus entspringenden schweren
späteren Nervenkrankheiten für den Neurologen von grossem Interesse. Vortr.
erwähnt zwei Fälle aus diesem Jahre von 6 Wochen alten, bis dahin normal er¬
schienenen Kindern, die nun an Eklampsie erkrankten. Die Eltern beider Kinder
waren früher an Syphilis erkrankt; beide Mütter hatten während der Schwanger¬
schaft eine Mercurbehandlung gebraucht. Das eine Kind starb nach 2 1 / 2 monat¬
licher Krankheit trotz mercurieller, Brom- und Badebehandlung. Das andere hatte
schon vergebens Mercur in Bädern und Pulver- und Salbenform, Brom gebraucht,
als Vortr. zu dem 5 Eisenbahnstunden entfernten Kinde citirt wurde. Tonisch¬
klonische Krämpfe besonders einer Seite, rechtsseitiger Strabismus convergens,
eingesunkene Fontanelle, Temp. 37—37,6. Sehr seltene und geringe Nahrungs¬
aufnahme, starre Pupillen. Vortr. verordnete Bäder je nach der Körpertemperatur,
39—87° und umgekehrt. Dann aber rieth er dringend mit Rücksicht auf die
Erhaltung der Nahrungszufuhr und auf die vorgeschrittenen Lnesaymptome
subcutane Injection von 10°/ 0 Jodipininjection an; davon wurden in 9 Tag«)
14 gemacht; das Kind, das sozusagen aufgegeben war, gesundete, blieb bis Ende
Juli gesund, erkrankte dann wieder an leichten Zuckungen.
Vortr. kommt zu folgenden Schlüssen:
Die Eclampsia neonatorum ist nicht so sehr selten Folge von hereditärer
Uebertragung seitens syphilitischer Eltern; in solchen Fällen sind neben der
mercuriellen Behandlung die subcutane Einführung von 10—15 g 10°/ 0 Jodi-
pins eine beacbtenswerthe Bereicherung in der Therapie. Die specifische Behand¬
lung darf mit der Heilung der Krämpfe nicht gänzlich aufgegeben werden.
Discussion;
Herr Flat au (Berlin) fragt, ob nicht vielleicht beim Geburtsverlauf Ver¬
hältnisse Vorgelegen hätten, die die Krämpfe erklärten.
Herr Kaes (Hamburg) schlägt vor, Jodipin und ähnliche Medicamente mehr
durch die SchlundBonde, als durch Einspritzungen zu geben. Bei der subcutanea
Application seien Abscesse unvermeidlich, dagegen gewöhnten sich Kranke und
Angehörige nach kurzer Zeit an die Sonde.
Herr Schuster: Bei der Geburt der Kinder lagen normale Verhältnisse
vor. Thatsächlich seien Injectionen mit Rücksioht auf die Abscesse nicht immer
zweckmässig.
Herr Hoffmann (Düsseldorf): Epilepsie und Myoolonie.
Längst war dem Vortr. ein Zusammenhang dieser beiden Krankheiten wahr¬
scheinlich. Durch die Beobachtung eines Falles und eine statistische Zusammen¬
stellung wurden ihm die Beziehungen noch näher gerückt: Ein Officier merkte
allmählich zunehmende Zuckungen in einem Arm. Dieselben hatten anfänglich
keinen Bewegungseffect. Später trat Bewegung des Arms bei den Anfallen auf.
Niemals eine Spur von BewustseinBverlust. Nach einer Anstrengung im Manöver
starke Verschlimmerung. Brom (5 g pro die) brachte Besserung, schliesslich
Heilung (jetzt seit mehreren Jahren anhaltend).
Weitere sechs entsprechende Fälle: darunter einige, die einen Uebergang zur
Epilepsie darstellen.
Unter 53 Epileptikern hatten 18 myoklonische Erscheinungen. Eigenthüm-
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lieber Weise war nie Brom gegeben worden, sondern Morphium, Duboisin u. s. w.
Brom wirkte in den Fällen, die Vortr. sah, prompt.
Nach Vortr. gehört die Myoklonie einfach zur genuinen Epilepsie. Wahr¬
scheinlich gehe die Myoklonie in der Regel der Epilepsie voraus, wenn auch nicht
mit Sicherheit nächtliche epileptische Anfälle auszuschliessen seien.
Dass es sich um spinale Reizungen handelt, ist wegen der engen räumlichen
Verhältnisse des Rückenmarks nicht wahrscheinlich. Im Gegensatz zu [Jnver¬
richt scheint nach Vortr. eine Reizung der Hirnrinde vorzuliegen.
Die Zuckungen treten häufig Morgens und überhaupt nach dem Schlaf auf.
Die Prognose der Muskelkrämpfe erscheint besser als die der Epilepsie.
Herr A. Friedländer (Frankfurt a/M.): Aphasie und Demenz.
Zwei Männer (ein Kutscher und ein Kellner) erkrankten im 26. bezw.
40. Lebensjahre apoplektisch. Lues wahrscheinlich.
Der Kutscher stürzte plötzlich ohne äussere Ursache vom Bock. Dem Kellner
sank, als er zufällig Modell stand, sein rechter Arm plötzlich herab.
Sogleich darauf bei Beiden psychische Veränderungen, neben den körper¬
lichen Störungen Benommenheit, totale rechtsseitige Hemiplegie, Incontinenz,
Aphasie.
Beide Kranke erscheinen bei flüchtiger Beobachtung stumm, theilnahraslos,
fast apathisch.
Der eine geht umher (hemiplegisch). Nähert man sich ihm, so grinst er,
bewegt wohl auch etwas den Kopf, streckt die linke Hand hin.
Der andere sitzt oder liegt meist, schläft viel bei Tage, zeigt in keiner Weise
spontan Interesse an der Umgebung. Beide nehmen zeitweise ein Bilderbuch oder
dergl. in die Hand, machen aber im Uebrigen den Eindruck von Verblödeten, von
apathisch Dementen. Das Bild ändert sich sofort, wenn man sich mit ihnen be¬
schäftigt. — Vortr. untersuchte:
1 . Ob und welche Demenz vorhanden sei,
2. ob Demenz durch Hirndefect,
3. ob die Aphasie nicht höhere Grade der Demenz vortäuscht,
4. ob Zurechnungs- und Dispositionsfahigkeit vorhanden sei.
Der erste Fall bietet totale motorische Aphasie, Agraphie, Alexie und Arnimie.
Er zeigt das bekannte Zwangslachen, die unmotivirte explosive Heiterkeit. Gegen¬
stände und Einrichtungen des Zimmers, Geld u. s. w. erkennt und verwerthet Pat.
richtig. Der anscheinend völlig stumpfe Pat. kennt auf Befragen die Bilder, die
er einmal gesehen hat, alle wieder. Der Pat. ist fast farbenblind. Das Rechnen
ist erschwert. Addition und Subtraction der Zahlen bis 12 mangelhaft.
Beim zweiten Falle handelt es sich um partielle motorische Aphasie, stärkere
Agraphie, faBt totale Alexie. Lähmungen und Schreibfähigkeit besserten sich
unter der angewandten Therapie. (Vortr. demonstrirt die Fortschritte an Schrift¬
proben des Pat.) Ebenso besserte sich durch Lautübungen die Sprache.
Bei beiden Kranken täuschte die Aphasie einen höheren Grad von Intelligenz-
defect vor. Der eine ist „circumscript dement“ (Meynert), der andere geistes¬
schwach. Beide sind unzurechnungsfähig, der eine auch dispositionsunfähig.
Wenn auch der Grad der motorischen Aphasie für den Grad der Intelligenz¬
störung maassgebend ist, so ist Vortr. doch der Ansicht, dass der eine Kranke
deshalb bildungsunfähiger und dementer sei, als der andere, weil er stärker
aphasisch ist. Vortr. empfiehlt neben der Uebungstherapie der Lähmungen eine
„pädagogische Behandlung“ der Aphasie und Agraphie.
Herr Lilienstein (Bad Nauheim): lieber Apparate zur Diagnostik innerer
Organe.
Eine wiederholte experimentelle kritische Nachprüfung der von Bazzi und
Digilized by LaOOQie
1018
Bianchi angegebenen Methode mittels Phonendoskops und Frictionen den Umfang
innerer Organe zu bestimmen, erschien nöthig, nachdem dieselbe in neuerer Zeit
wiederholt warm empfohlen worden war.
Jaworski, Litten, Grote, Egger, von Basch und Schwalbe änsserten
sich mehr oder minder ablehnend über diese Methode, während Pzibram,
Senator, Aufrecht, Smith, Hornung u.A. sie theils der Nachprüfung für würdig
hielten, theils begeistert empfahlen, und zwar speciell zum Nachweis von angeblichen
starken Herzdilatationen bei gewissen nervösen Zuständen (Melancholie,
Neurasthenie u. s. w.). Bei den angestellten Versuchen wurde statt der einfachen
Ohransätze des Phonendoskops die Gabel des Camman-WeisB’schen binauralen
Stethoskops gebraucht und als weniger belästigend für den äusseren Gehörgang
erprobt. Offenbar handelt es sich bei der Frictionsmethode um Resonnanz-
erscheinungen, die durch den streichenden Finger oder Pinsel in dem Hohlraum
des Phonendoskops erzeugt werden. Sie ist, was die Schallerzeugung und Schall¬
leitungsverhältnisse anlangt, auf eine Stufe zu stellen mit der von Zülzer und
Ritter beschriebenen Transonnanz, nur wird hier die Haut allein oder höchstens
noch das subcutane Gewebe betroffen, während dort alle Schichten der Brustwand
betroffen sind. Für die Lage und den Umfang innerer Organe liefert die
Phonendoskop-Frictionsmethode keinen Anhaltspunkt. Auch die Modificirung des
Finger- und Piuseigeräusches und dessen Ersatz durch Stimmgabeln von verschie¬
dener Höhe lieferte keine brauchbaren Ergebnisse. Bei den Versuchen hierüber
wurde u. A. eine Percutirmaschine angewandt, die eine elastische Verbindung
von Plessimeter und Hammer darstellt und die sich ganz brauchbar, sowohl für
die Hand allein, als auch für den Betrieb mittels einer Maschine eignete.
Discussion:
Herr Smith (Marbach) verweist auf seine früheren Untersuchungen, demon-
strirt Aufzeichnungen von Befunden, die mit dem Moritz’schen Verfahren der
Röntgenaufnahmen controllirt sind.
Herr Maas (z. Zt. London) demonstrirt Präparate vom Centralnerven¬
system von Hunden, denen die Sobilddrüsengefftsse unterbunden waren.
Vortr. weist auf das der Operation folgende Krankheitsbild hin, besonders Tremor
der Rumpfmuskeln, Rigidität der Extremitäten, gesteigertes Sehnenphänomen,
Analgesie gegen Nadelstiche.
Nach Besprechung der Technik (Querschnitte, Längsschnitte nach Behandlung
mit Marchi’scher Lösung, Färbung nach Weigert zur Controle) werden Präpa¬
rate gezeigt, welche Degeneration der Markscheiden in den Hintersträngen neben
leichteren Veränderungen der Seiten- und Vorderstränge erkennen lassen, ferner
Degeneration im ganzen cerebralen Verlauf des N. acusticus, im Corpus trapezoides,
Striae acusticae und Pyramiden, deren Degeneration Bich von der Brücke bis in
die Centralwinduugen erstreckte. (Genauere Mittheilung in der Berliner klm.
Wochenschr. 1901. Nr. 32.)
Discussion:
Herr Nonne (Hamburg) sieht in den von Herrn Maas aufgestellten Rücken-
markspräparaten dieselben Bilder, die er an nach Marchi behandelten Rücken¬
marken bei acuten Infectionen (Wundsepsis, Endocarditis ulcerosa, Miliartubercu-
lose) und bei Diphtherie und bei Beri-Beri an Marchi-Rückenmarkspräparaten
gesehen hat.
N. glaubt, dass die von Maas am Rückenmark demonBtrirten Marchi-
Degenerationen nur den Ausdruck darstellen für eine trophische Schädigung des
Nervensystems, die durch die Stoffwechselstörung erzeugt ist, welche der Eingriff
in die Thyreoidea herbeigeführt hat.
Eine charakteristische thyreogene Veränderung kann N. in den demonstrirten
Marchi• Rückenmarkspräparaten nicht erkennen.
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1019
Herr Muskens (Haag-Holland): Ueber segmentale Gefühls Störungen an
Tabikern und Epileptikern (mit Demonstrationen).
Hinweis auf die Arbeiten von Türk, sowie die späteren von J. Ross,
Sherrington, Bolk und Head. Ein genaues Schema der segmentalen Wurzel¬
felder für den Menschen fehlt noch. Vortr. demonstrirt mit dem Projections-
apparat zur Einleitung einige der bekannten Sherrington’schen Affen, sowie
auch einige der vom Vortr. operirten Hunde mit Durchschneidung einzelner Hinter¬
wurzeln, welche den Beweis liefern, dass das Uebergreifen der Wurzolfelder für
den Tastsinn von grösserer Bedeutung ist als für den Schmerzsinn. Des Weiteren
wurden einige Fälle gezeigt als Beispiel, in welcher Weise er an der Hand der
analgetischen und hypalgetischen Zonen der Rückenmarkskranken Material sammelte
zur Nachprüfung der bis jetzt für den Menschen gegebenen Schemata. Unter
Hinweis auf die Untersuchungen von Hitzig, Laehr u. A. zeigte er die photo¬
graphisch festgelegten Gefühlsstörungen bei verschiedenen Tabetikern und demon-
strirte daran, wie am Rumpfe, sowie an den Extremitäten die Ausbreitung der
Gefühlsstörung nach segmentalen Zonen erfolgt, sowie auch die qualitative Auf¬
einanderfolge dieser Störungen an Fällen, welche an verschiedenen Stadien dieser
Krankheit untersuoht wurden. Die nachzuprüfenden Probleme betreffen die ge¬
nauere Kenntniss und den Grad des Uebergreifens der verschiedenen Zonen, den
Unterschied in dem Uebergreifen der Felder für verschiedene Gefühlsqualitäten
und die Feststellung von prae- und postfixirten Typen. Dabei ist von praktisch
grosser Wichtigkeit die Prae- und Postfixion der nervösen Centralapparate, irgend,
wie z. B. am Skelett, diagnosticiren zu lernen.
In erster Linie scheint ein solches Unternehmen geboten für die genaue
Localisation von localen Rückenmarkskrankheiten (Tumoren des Markes, seiner
Hüllen und der Wirbelsäule, tuberc. Caries), mit Hinsicht auf die in neuerer Zeit
mehr in den Vordergrund getretene Chirurgie des Rückenmarks (V. Horsley,
Bruns, E. Krause) und eventuell auch für die genauere Localisation an der
Hem isphärenoberfiäche.
In zweiter Linie hat aber die genaue Abgrenzung der Gefühlsstörungen auch
Bedeutung bei solchen Krankheiten, wo wir sie vorläufig nur für genaueres patho¬
logisches und physiologisches Verständnis, sowie für die Diagnose benutzen können.
In den demonstrirten Fällen der Tabetiker, sowie auch der Epileptiker, wurde
das Schmerzgefühl berücksichtigt, wobei für die Epilepsie der Nachdruck gelegt
wurde auf die Frequenz von analgetischen bezw. hypalgetischen Zonen auf dem
Thorax und der ulnaren Seite der oberen Extremitäten, d. h. in den Zonen,
welche dem oberen dorsalen Hautsegmente entsprechen.
Während den segmentalen Schmerzgefüblsstörungeu der Erfahrung nach ein
grosser Werth zukommt für die Frühdiagnostik der Tabes (worauf Hitzig schon
seit längerer Zeit hingewiesen hat) sowie auch für die anderen Segraental-
krankheiten des Rückenmarks, hat sich herausgestellt, dass in bestimmten Fällen
genuiner Epilepsie die hypalgetischen Zonen bedeutenden Schwankungen unter¬
worfen sind, sowohl während des freien Intervalles, sowie auch namentlich zur
Zeit der grossen motorischen Entladungen. In einzelnen Fällen konnte auf Grund
der Zunahme jener Gefühlsstörungen die herannahende Entladung mit gewisser
Sicherheit vorausgesagt werden, eine Thatsache, aus welcher hervorzugehen scheint,
dass neben dem wissenschaftlichen Werth solcher Untersuchungen eine praktische
Bedeutung denselben nicht abgeht. Während der Entladung selbst existirt die
vollständigste Gefühlsstumpfheit. Bald nach der Entladung, falls dieselbe ver¬
einzelt auftritt, pflegt das Schmerzgefühl schneller oder langsamer zurückzukehren,
in der Regel zuletzt an der Körperhälfte, deren gekreuzte Hemisphäre sich zuerst
und am vollständigsten entlud.
Die Richtigkeit der Schroeder van der Kolk’schen Bezeichnung „Ent-
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1020
ladung“ für den epileptischen Anfall erhellt aus dem Umstand, dass kürzere
oder längere Zeit nach der Entladung oder nach einer Reihe von Entladungen,
statt Analgesie oder Hypalgesie eine ausgeprägte HyperalgeBie vorherrscht In
den demonstrirten Photograp hi een sowohl der Tabetiker als Epileptiker fallt es
auf, dass die oberen dorsalen Hautsegmente sehr regelmässig in den betroffenen
analgetischen bezw. hypalgetischen Zonen einbegriffen sind. Es ist mit Rücksieli:
darauf von Interesse, dass auch bei einer Anzahl von gesunden Personen diejenigen
Hautsegmente durch geringere Gefiihlsschärfe für Schmerz gekennzeichnet sind,
welche die Richtungslinie der oberen Extremitäten an der distalen Seite begrenzen.
In der Richtungslinie selbst — wo auf einem schmalen Feld zwei oder mehr in:
Rückenmark weit von einander entfernte Segmente einander begrenzen, bes*.
Übereinandergreifen — scheint in der Regel eine gewisse Hyperalgeeie physio¬
logisch zu sein. Andererseits ist es von Interesse, zn bemerken, dass beim Epi¬
leptiker im Koma gewisse Stellen der Haut ihre Schmerzempfindlichkeit mit
grosser Tenacität beibehalten; z. B. ein kleines Feld, das zum Theil der Ver¬
breitung des 2. Trigeminusastes entspricht, ebenso der Danmenballen und ein Thel
der Planta pedis. Es ist merkwürdig, dass in anderen Fällen von sehr completcr
Analgesie des Körpers oder einer Körperhälfte durch organische Ursachen die«
Stellen ebenfalls dieses eigenthümliche Verhalten aufweisen.
Es fällt nach diesen Beobachtungen auf das mehrgenannte Biernacki’sck
Symptom ein neues Licht, während die von Fournier zur Zeit hervorgehobeo*
Amalgesie im Seoundärstadium der Syphilis jetzt zur genaueren Nachprüfung ani-
fordert. (Autoreferat.)
Discussion:
Herr Edinger (Frankfurt a/M.) findet die eben als radiculär geschildert»
Ausfälle wichtig für die Erkenntniss des Wesens der Epilepsie. Bisher wurdea
nur die cerebral-motorischen Symptome beobachtet. Indem Bich die spinales
Ausfallsbilder addiren, vervollständigt sich das ganze Bild der Epilepsie wesentlich.
Edinger findet keinen Grund zur Annahme, dass die segmentalen Störungen tot;
Grosshirn ausgehen, vielmehr beweisen dieselben, dass es einen (dauernden) spi¬
nalen epileptischen ZuBtand giebt, der zu und abnimmt, wie aus den hübscher
Tabellen ersichtlich ist»
Herr Muskens hält an seiner Ansicht von der cerebralen Entstehung der
segmentalen Gliederung fest, besonders mit Rücksicht auf einen erwähnten Fall
von Hemiatrophie mit epileptischen Anfallen auf der atrophischen Seite. M. feni
die Schwankungen der anästhetischen Zonen so plötzlich, dass er plötzlich ein-
treteude tonische Zustände der Gefässe anzunehmen geneigt ist. Schon vor dcc
Krain sky'sehen Untersuchungen erschien es ihm wahrscheinlich, dass es sich nm
toxische Zustände handele.
Herr Wilbrand (Hamburg): Ueber Perineuritis und Neuritis inter-
stitialis peripherica bei Tabes und Pseudotabes luetioa.
Eine ophthalmoskopisch sichtbare Neuritis oder neuritische Atrophie spricht
gegen eine reine Tabes, eine genuine Atrophie ist für Tabes das Charakteristische.
Ein hinter der Papille gelegener neuritisch-luetischer Herd kann aber durch eie«
descendirende Atrophie ophthalmoskopisch eine genuine Atrophie vortäuschec.
Die Prüfung des Gesichtsfelds kann in diesem Falle die Diagnose erleichtern.
Das centrale Scotom z. B. ist, abgesehen von den Fällen von multipler Sklave
(Uebergang von Neuritis zur genuinen Atrophie), der Ausdruck für eine Neuritis
des papillomaculären Bündels im Sehnerven. Umschriebene centrale Scotcme
sprechen daher für Lues. Für reine Tabes spricht concentrische Einschränkung
des Gesichtsfeldes entweder gleichmässig für Weiss mit sehr viel stärkerer Ein¬
schränkung für Farben oder concentrische allgemeine Einschränkung mit sectojrn-
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1021
förmigen und feldweisem Verlust der Farbenerapfindung bei Herabsetzung der
centralen Sehschärfe.
Zu den beschriebenen Formen der Sehnervenatrophie demonBtrirt Vortr. Ge¬
sichtsfelder und Opticusquerschnitte von Fällen, die Vortr. mit Saenger zusammen
beobachtet hat.
Der neuritische Procees im Opticus Bohreitet theils von der ganzen Circum-
ferenz der Pialscheide aus, theils von einem Segment her nach innen fort. Bei
cerebrospin&len Erkrankungen, bei basaler gummöser Meningitis kommen ähnliche
Erscheinungen vor. (Vortr. demonstrirt die entsprechenden anatomischen Prä¬
parate.)
Da bei rein tabischer Atrophie vor Inunctionskuren gewarnt wird, ist die
Erkenntniss der neuritischen Atrophie von grösster Wichtigkeit.
Discussion: Saenger, Bruns, Kann.
Gemeinschaftliche Sitzung mit Abtheilung für Hals-, Nasen-
und Ohrenkrankheiten.
Herr Panse (Dresden): Ueber den Schwindel.
Der Schwindel stellt eine Täuschung über unser Verhältnis zum Baum dar.
Dieses Verhältnis wird uns meist unbewusst übermittelt 1. durch die Augen,
2. durch die kinästhetischen Gefühle, 3. den Vestibularapparat.
Bei den Augen liefert die Accommodation, die Convergenz der Bulbi, die
Augenbewegung und die dazu nöthigen Innervationsimpulse die Vorstellung.
Reize, die zur Erweiterung oder Verengerung der Pupillen führen, Lähmungen
der Augenmuskeln, reflectorische Augenzuckungen fälschen die Gesichtseindrücke
und rühren zu Augenschwindel, wenn nicht die anderen Sinne den Eindruck ver¬
bessern. Die Innervation dieser Bahn: Opticus (Pupillarfasern), Vierhügel, Oculo-
motorius, hinteres Längsbündel, Abducens, Trochlearis.
Für die Gefühle der Haut, der Muskeln (der Eingeweide) wurde ein Zu¬
sammenhang mit dem Gleichgewicht constatirt: Mach brachte durch Luftdruck¬
veränderungen an den Fusssohlen dos Gefühl der Bodenschwankungen, durch
schnell ausfliessende, an der Schulter angebrachte Wassergefässe das Gefühl hervor,
als strecke sich der Körper. Die Nervenbahnen hierfür sind: sensible Nerven,
hintere Wurzel, Hinterstränge, deren Kerne, von diesen einestheils sensible
Schleifenbahn zur Grosshirnrinde, andererseits im hinteren Kleinhirnschenkel Fasern
zum Kleinhirn. Die Kleinhirnseitenstrangbahn geht durch den unteren Kleinhirn¬
schenkel zum vorderen Theile der Binde des Vermis sup. Ferner dient ein Theil
der Fibrae cerebello-olivares und der aufsteigende Fasciculus antero-lateralis cere-
bellopetal dem Gleichgewicht. Cerebellofugal sind 1. im hinteren Schenkel:
vorderes Bandbündel, hinteres Längsbündel, intermediäres Seitenstrangbündel, ein
Theil der Fibrae cerebello-olivares, 2. im spinalen Bündel des mittleren Schenkels:
Fasern zu den Brückenganglien, Pyramidenbahnen, 3. im vorderen Schenkel:
Fasern zum Oculomotoriuskern.
Der Vestibularis wird erregt durch veränderten Druck der Otolithen auf
die Haarzellen des Utriculus und Sacculus bei Bewegungen, durch Abbiegen der
Hörhaare der Ampullen bei Drehungen. Vestibularisreize (auch vom Gehörgang
und Pauke ausgehend) erregen Schwindel, als sichtbare Zeichen Taumeln und
Nystagmus, da der Vestibularis keinen eigenen absteigenden Beflexbogen besitzt
und nur die beiden anderen Bahnen beeinflusst.
Die Verbindungen des Vestibularis verlaufen vom vorderen Kern zur oberen
Olive, Abducens, hinteres Längsbündel, Trochlearis, Oculomotorius. Vom Deiters’-
schen Kern führen Fasern zu den Seitenstranggrundbündeln, vom Oculomotorius¬
kern zum Vorderstranggrundbündel. Vom Nucleus Bechterew gehen Fasern zum
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1022
Nucleus globosuß und zur Rinde, vom Nucleus anterior zur oberen Olive und
Nucleus tegmenti und von da zur Rinde. So sind alle drei Sinnesbabnen mr
dem Kleinhirn verbunden. Dieses verbindet die ihm zufliessenden Eindrücke:
einer subcorticalen Vorstellung von unserem Verhältniss znm Raum.
Thiere, denen man das Grosshirn weggenommen hat, Epileptiker körne,
gehen und stehen, andererseits kann bei ruhendem Grosshirn — im SehUf -
Schwindel auftreten (? Ref.). Das Grosshirn ist also zur Erhaltung des Gleich
gewichte nicht erforderlich. Dagegen wird das Kleinhirn als Centrum des GlekL-
gewichts schon durch die zu ihm führenden Verbindungsbahnen der drei Laf-
sinne anatomisch erwiesen. Dem Grosshirn werden auf dem Wege der vordcs
KleiuhirnBtiele zum rothen Kern — Parietalwindungen — fertige Vorstellnuj''.
vom Kleinhirn übermittelt und ihm durch den Fasciculus cerebralis des mittlere
Schenkels ein Einfluss auf das Kleinhirn ermöglicht. Ausserdem können die i:
der Schleife und centralen Haubenbahn zu den sensitiv-motorischen Gegend?:
verlaufenden Empfindungen das Grosshirn unterrichten, welches seinerseits dnrri
bewusste Bewegungen (Pyramidenbahn) das Kleinhirn bis zu einem gewissen Grni
ersetzen kann.
Eine Schädigung der Schleifenbahnen wird bei der Nachbarschaft der Pjts-
midenbahnen zugleich zu motorischen Störungen führen. Eine Schädigung der
sensitiv-motorischen Gegenden von der Ausdehnung, dass durch sie Täuschung?:
über Lagevorstellungen entstehen, wird auch zu allgemeinen Hirnsymptosm
besonders zu Bewusstseinsstörungen führen.
Falsche Eindrücke, die auf einer der drei Nervenbahnen dem Kleinhirn n-
fliessen, schaffen eine falsche Vorstellung, wenn sie so Btark sind, dass sie nid:
von den zwei anderen verbessert werden, und dieser Vorstellung entspreche:!
wird der Körper gestellt, die Augen gerichtet. Uncoordinirt ataktisch sind hierk
die Bewegungen nicht. Kreidt’s Krebse, deren eiserne Otolithen mit de
Magneten angezogen wurden, schwammen, dem Druck der Otolithen entspreche«
schief, aber völlig coordinirt. Erst dann, wenn die schiefe Lage vom Groadun:
als falsch erkannt und zu verbessern gesucht wird, entsteht das Schwanken de:
Trunkenen, die sogen. Kleinhirnataxie.
Reize, die zu schwach sind, um zu Schwindel oder dessen objectiven Zeicbet
Taumeln und Nystagmus, zu führen, können gesteigert werden:
1. auf derselben Bahn: Drehen bei leichtem Vestibularschwindel, äoserstr
Blickrichtung bei Augenschwindel, Stehen auf einem Bein bei kinästhetiscfc®
Schwindel;
2. durch Hinzufügen eines Reizes auf einer anderen Bahn: z. B. bei Vest.~
bularschwindel: Aufrichten, Stehen mit geschlossenen Füssen, äusserete Blick¬
richtung;
3. durch Ausschalten der verbessernden anderen Bahnen, z. B. Augensehltü
bei Tabes oder Vestibularschwindel.
Hiernach ist die Diagnose durch Versuche möglich: Wird eine Bahn ob*
Vermehrung des Schwindels ausgeschaltet, so ist sie nutzlos, gelähmt. Wird
Schwindel darnach gebessert, so ist sie der Sitz des Leidens. Wird er stärk?:,
so ist sie zum Ersatz nothwendig.
Im Uebrigen müssen zur Diagnose berücksichtigt werden: beim Rückenmark
Reflexe und Coordination; beim Auge: Doppelbilder; beim Ohr: Taubheit, Geräusch
Gemeinsame Sitzung m i t A b t h e i 1 u n g für Gynäkologie
und Geburtshülfe.
Herr Jolly (Berlin): Die Indicationen des künstlichen Abortes bei d«
Behandlung von Neurosen und Psychosen.
Bei der Wichtigkeit und Schwierigkeit des in Frage stehenden Themas
Digitiz«
dbyG00gl<
1023
Vortr. die Festlegung von bestimmten Nonnen für wichtig, wenn auch bei jedem
Falle von Neuem individuell entschieden werden musB.
Als Neurose, die die Aufstellung der Indioation zur Einleitung einer Früh¬
geburt rechtfertigt, nennt Vortr. zunächst die Chorea gravidarum, ferner die
Eclampsie.
Bei diesen Krankheiten kommt es in erster Linie auf die Schwere der Er¬
krankung, bedrohliche Erscheinungen, begleitende Umstände u. s. w. an (z. B.
starke Erregungszustände mit Selbstverletzungen [Furunculosis, Sepsis]). Mit
Sicherheit werden die Krankheitsprocesse der Eclampsie durch den Abort günstig
beeinflusst. Die Epilepsie giebt kaum jemals die Indication für den Eingriff ab;
schon eher das Auftreten sehr schwerer Anfälle von Hysteroepilepsie, ebenso un¬
stillbares Erbrechen mit daran anschliessender Inanition. Die Melancholie und
depressive Zustände heilen gewöhnlich nach Beendigung der Schwangerschaft,
desgleichen leichte katatonische Zustände. Doch liegt bei den Krankheiten der
letzteren Art die Gefahr, dass sie sich zu chronischen Psychosen entwickeln, nahe.
Vortr. führt Fälle seiner Beobachtung an, z. B. denjenigen einer Dame in
den 40 er Jahren, die durch Sorgen wegen der späten Schwangerschaft eine starke
Ernährungsstörung und eine leichte Psychose davontrug. Es trat spontan Abort
auf. Darnach heilte die Psychose bald.
In einem zweiten Falle erkrankte eine russische Dame, durch die Schwanger¬
schaft stark erregt, an Hallucinationen, die ebenfalls nach Beendigung der
Schwangerschaft heilten. Sehr häufig sind auch Angstzustände und die Furcht,
die Schwangerschaft könne nicht überstanden werden.
Bei der Aufstellung der Indication des künstlichen Abortes ist zu berück¬
sichtigen: 1. die Höhe der melancholischen Depression. (Wenn z. B. wegen
Selbstmordgefahr die Ueberführung in eine geschlossene Anstalt nöthig erscheint,
wo ja der Selbstmord auch nicht mit Sicherheit verhindert werden kann.) 2. Die
Rücksicht auf die Frucht muss fortfallen, weil hierfür gesetzliche Grundlagen
fehlen. Ausserdem ist die Gefahr der hereditären Belastung nicht so gross.
Es empfiehlt sich in jedem Falle, wo die Indication vorliegt, einen oder
mehrere Collegen zur Consultation zuzuziehen.
Discussion:
Herr Martin (Greifswald) hält die hereditäre Belastung der Frucht doch
für ein in die WagBchale fallendes Gewicht und möchte die Indieation aus diesem
Grunde im Ganzen häufiger gestellt sehen. Auch die Zeit der Schwangerschaft
sei von Bedeutung. Am Ende derselben komme mau seltener zu dem Eingriff
als beim Beginn. Natürlich liefere eine zu häufige Aufstellung der Indication
den gewerbsmässigen Verbrechern Waffen in die Hand. Die Hyperemesis gravi¬
darum sei meist durch Aenaerung der Diät u. s. w. erfolgreich zu bekämpfen.
Herr Zweifel (Leipzig) hat die Chorea häufig ohne künstlichen Abort günstig
verlaufen sehen, da aber die Chorea 25°/ 0 Sterblichkeit aufweist, so bildet sie
doch häufig eine Indication. Die vielen Klagen der Kranken dürfen nicht maass¬
gebend sein, man muss vielmehr die Indication auf die schwersten Psychosen be¬
schränken.
Herr Loh mann: Auch verschiedene Schwangerschaften bei einer und der¬
selben Patientin verlaufen sehr verschieden, wie L. in einem (veröffentlichten)
Falle dargethan hat.
Herr Krön (Berlin): Beobachtung einer Psychose bei einer Frau, die nach
einem Abort im 3. Monate der Gravidität heilte. Bei einer späteren Gravidität
trat wieder eine schwere Melancholie auf, die durch Einleitung des künstlichen
Abortes beseitigt wurde.
Herr Binswanger (Jena) hält die Epilepsie doch in einer Reihe von Fällen
für eine Indication zu dem Eingriff. Bei Melancholieen dagegen halte er eine
Digilizedby G00gle
1024
klinische Behandlung für angezeigt; da diese gerade in solchen Fällen eine gute
Prognose gebe.
Herr Flat an (Berlin) empfiehlt suggestive Therapie bei depressiven Zuständen
in der Schwangerschaft, fragt, ob nicht leicht — speciell bei ansserehelich ge¬
schwängerten — Depression und selbst Psychose simulirt sein könnten.
Herr Löwenthal (Braunschweig) giebt auf Grund eines beobachteten Falle«
zu bedenken, ob der Eingriff bei Hystero-epilepsie nicht mehr schadet als nutzt;
auch wenn die epileptischen Anfälle weniger werden, ln dem beobachteten Falle
trat im Anschluss an den Abort eine schwere hysterische Psychose auf.
Herr Ziehen (Utrecht) empfiehlt Chloralamid in Verbindung mit physio¬
logischer NaCl-Lösung bei Chorea gravid, subcutan. — Z. stimmt ebenso wie
Dinkler (Aachen) Binswanger in Betreff der klinischen Behandlung von
Depressionszuständen während der Gravidität zu.
Herr Jolly (Schlusswort): Wenn bei Epilepsie günstige Erfolge gesehen
worden seien, so bleibe fraglich, ob es sich nicht um Eclampsie gehandelt habe.
J. giebt die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen physiologischer Depression
und psychopathischer Melancholie zu. Die Fälle, in denen man die Indication
aufstellt, müssen Ausnahmen bleiben, da thatsächlich das Gros derselben heilt
Eine Simulation bei unehelich geschwängerten hält J. gleichfalls für möglich.
Die Fälle, von denen Vortr. berichtete, waren alle verheirathet
Dr. Lilienstein (Bad-Nauheim).
(Fortsetzung folgt.)
V. Vermischtes.
Die XXXTI. Versammlung der südwestdeutsohen Irrenärzte wird am L
und 3. November in Karlsruhe im Hotel Germania abgehalten werden.
Die erste Sitzung findet Samstag, den 2. November, Nachmittags 2*,'* Uhr statt, die
zweite Sonntag, den 3. November, Vormittags 9 Uhr.
Auf die erste Sitzung folgt Nachmittags 6 Uhr ein gemeinschaftliches Eissen im H6td
Germania.
Tagesordnung:
I. Referate. 1. Director Dr. Kreuser (Schussenricd): Der Werth der phannaceutiacbea
Beruhigungsmittel. 2. Privatdoccnt Dr. Gaupp (Heidelberg): Die Dipsomanie. (Das ente
Referat wird in der ersten, das zweite in der zweiten Sitzung erstattet werden.)
II. Vorträge. 1. Prof. Kraepelin (Heidelberg): Ueber die Wachabtheilung der Heü«b
berger Irrenklinik. — 2. Medicinalrath Dr. Haardt (Emmendingen): Die neuen Aufhalm-
und Ueberwachungsabtbeilungen der Heil- und Pflegeanstalt bei Emmendingen. — 3. Dr.
Nenmann (Karlsruhe): Volksbeilstätten für Nervenkranke. — 4. Dr. Friedmann (Marn¬
heim): Ueber Zwangsvorstellungen und fize ldeeen. — 5. Prof. Nissl (Heidelberg): Hyste¬
rische Symptome bei einfachen SeelenBtörungen. — 6. Director Dr. Frank (Münsteiiingee):
Strafrechtspflege nnd Psychiatrie. — 7. Dr. Alzheimer (Frankfurt a/M.): Ueber atypisch«
Paralysen. — 8. Dr. Weygandt (Würzburg): Eine psychische Epidemie. — 9. Dr. Sander
(Frankfurt a/M.): Zur Behandlung der acuten Erregungszustände. — 10. Dr. Bartel«
(Strassburg): Ueber endophlebitische Wucherungen im Centralnervensystem und seinen Hiate.
11. Dr. Arndt (Heidelberg): Zur Geschichte der Katatonie.
Die Geschäftsführer sind: Vorst er (Stephans feld), Haardt (Einmendingee).
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zn richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29.
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alle Buchhandlungen des ln- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs,
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^16. November.
1901.
Nr. 22.
Leipzig,
Verlag von Veit & Comp.
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Prospekte durch den dirigirende» Arzt und Besitzer Di*. mo<l. Baul«».
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Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel)
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alle Buchhandlungen des In* und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1901. 16. November. Nr. 22.
Inhalt I. Originalmittheilungen. 1. Ueber ein Teratom der Hypophyse bei einem
Kaninchen, von Dr. Alexander Margullds. 2. Ueber den Ursprung des N. depressor. Vorläufige
MittheiluDg. Von Priv.-Doc. Dr. Georg Kötter in Leipzig.
II. Referate. Anatomie. 1. Weitere Untersuchungen über die Veränderungen der
Nervenzellen in verschiedenem Alter. II. Die Veränderungen der Nervenzellen in verschie¬
denem Alter, von MOhlmann. — Experimentelle Physiologie. 2. Zur sensorischen
Ataxie, von Jacob und Bickel. — Pathologische Anatomie. 8. Contributo all’ anatomia
patologica della tabe dorsale, per Maragliano. 4. Ataxie locomotrice mädullaire cbez un
cheval, par Hendrlckx et Lltnaux. Degänärescences secondaires descendantes des cordons
postärieures de la moölle äpiniäre chez un oheval, par Litnaux. 5. On disease in tbe nervous
System of horses (hereditary ataxiaP), by Watson. 6. Läsion primitive du tabes, par Nageotte.
— Pathologie des Nervensystems. 7. Die Tabes dorsalis. Erweiterte Sonderausgabe
aus der Real-Encyklopädie der gesammten Heilkunde, 3. Aufi., von v. Leyden. 8. Zur Aetio*
logie und pathologischen Anatomie der Tabes dorsalis, von Dinkler. 9. Ueber die Beziehungen
der Syphilis zur Tabeä und zur Paralysis progressiva, von Bemann. 10. Beitrag zur Tabes-
SyphiliBfrage, von Nose. 11. Ueber die Beziehungen zwischen Diabetes mellitus und Tabes
dorsalis, von Croner. 12. The pathogenesis of Tabes and allied oonditions of the cord, by
Watson. 18. Ueber den gegenwärtigen Stand der Pathogenese und Therapie der Tabes, von
Jacobsohn. 14. Zur Trigeminuserkrankung als Initialsymptom der Tabes, von v. Fragstein.
15. Die dentalen Symptome des Diabetes mellitus und der Tabes dorsalis, von Kronfeld.
16. Ueber Störungen des Achillessehnenreflexes bei Tabes und Ischias, von Blro. 17. Ueber
die Looalisation der tactilen Hautanästhesie Tabetischer, von Grebner. 18. Beitrag zur
Kenntniss der „Allochirie w , von Determann. 19. Une complication du tabes non encore
signaläe, par Sabrazds et Fauquet. 20. Ueber Athetose als Complication von Tabes dorsalis,
von Arnsperger. 21. Zur Symptomatologie der Tabes dorsalis im präataktischem Stadium
und über den Einfluss der Opticusatrophie auf den Qang der Krankheit, von Förster.
22. Laryngeale Störungen bei den Erkrankungen des centralen Nervensystems, mit besonderer
Berücksichtigung laryngealer Störungen bei Tabes dorsalis, von Sendziak. 23. Ett fall af
tabeB dorsalis raed larynxsymptom, af Nordauist. 24. Sensorielle Krisen bei Tabes dorsalis,
von Umber. 25. Zur Kenntniss der Clitoriskrisen, von Köster. 26. A cose of neuritis of
posterior roots: preataxic stoge of tabes dorsalis? by Ransom. 27. Les troubles de la marche
dans l’ataxie locomotrice progressive ätudies ä l’aide du cinämatographe, par Marlnesco.
28. Tabes trophique. Arthropathies. Radiographie, par Duprt et Devaux. 29. Un cas rare
d’osteo-arthropathie, par Gasne. 30. Les ostäo-arthropathies vertäbrales dans le tabes, par
Abadie. 31. Zur Corsettbehandlung der Tabes dorsalis, von Bade. 32. Ueber die Behandlung
der Ataxia bei Tabes, von Strözewski. 33. Beitrag zur Behandlung der tabischcn Ataxie,
von Strözewski. 34. Ueber die Behandlung der Tabes mit der Frenkel’schen Methode, von
Parfski. 35. Deux cas de mal perforant traitäs par la mäthode de Chipnult, par Navarro.
36. De la guärison däfinitive des maux perforants plantaires par la methode de Chipault,
par Pöraire. 87. Ein Fall von spiual-cerebellarer Ataxie im Kindesalter, von Paravicinl.
38. Einige Mittheilungen über die Friedreich’sche Krankheit, von Blro. 39. Deuz autopeiea
65
Digilized by Google
1026
de maladie de Friedreich, par Philippe et OberthOr. 40. Friedreich’B paralysis, by Greiolis
and Purvis.
III. Aus den Gesellschaften. LXXIII. Veraammlung deutscher Naturforscher und Amte
in Hambarg vom 22.-28. September 1901. — V1L Veraammlung mitteldeutscher Pcychiaur
und Neurologen am 20. October 1901 in Jena. — Medicinische Gesellschaft in Warschau.
IV. Berichtigung.
I. Originalmittheilungen.
[Ans der k. k. deutschen psychiatr. Universitätsklinik des Herrn Prof. A. Pici
in Prag.]
1. Ueber ein Teratom der Hypophyse bei einem Kaninchen. 1
Von Dr. Alexander Marguliös,
I. Assistent der Klinik.
Ich will mich im Folgenden nur auf eine kurze Darstellung des vorliegenden
Falles beschränken, da ich die eingehendere Publication an anderer Stelle er¬
scheinen lassen will, zumal die darin beabsichtigte breitere Ausführung der
einschlägigen entwickelungsgeschichtlichen Momente geringeres Interesse für den
Neurologen bietet
Das Teratom wurde zufällig in unserem Laboratorium vor einigen Jahren
an dem Gehirne eines Kaninchens gefunden. Es hatte im Leben keine auf¬
fallenden Symptome gemacht, übrigens auch, wie die nachträgliche mikrosko¬
pische Untersuchung erwies, keine tiefer greifenden Veränderungen im Gehirne
des Thieres gesetzt; auch alle übrigen Körperorgane erwiesen sich, wie ich gleich
vorweg bemerken will, bei der Section als gesund und voll entwickelt
Bei der Himsection fand sich an der Hirnbasis ein etwas über erbsen¬
grosses, mit wasserheller Flüssigkeit gefülltes Bläschen, das caudalwärts an das
Infundibulum befestigt war, frontalwärts sich zwischen die Hirnsubstanz hinein¬
drängte. Die Geschwulst wurde nicht weiter untersucht, sondern das Gehirn
in MüLLEB’sche Flüssigkeit eingelegt und sodann in fortlaufende Serienschnitte
in frontaler Richtung zerlegt, die nach den verschiedenen Methoden gefärbt
wurden. Bei der Durchsicht fand sich nun an keinem Schnitte normales Hypo*
physeiigewebe — die bekannten, theilweise zu Drüsenschläuchen angeordneten
Epithelzellen und die weiten, zartwandigen Gefässe —, sondern an seiner Stelle
direct an das Infundibulum befestigt und dann, wie bereits erwähnt, weiter
frontalwärts reichend, eine Cyste, die ihrerseits wieder vielfache Ausbuchtungen
und Verzweigungen zeigte, so dass die Geschwulst an den einzelnen Frontal¬
schnitten aus mehreren Cysten zu bestehen schien.
Bei der genaueren Untersuchung ergab sich nun folgender sehr inter¬
essanter Befund:
1 Nach einem in der Wandervereammlnng des Vereins für Psychiatrie und Neurologe
in Wien gehaltenen Vortrage.
Digitized by Google
1027
Zunächst sieht man am hintersten Ende der Geschwulst (s. Fig. 1), d. i. an
einem Schnitte, der, von oben zur Hirnbasis etwas schief frontalwärts abfallend,
Fig. l.
durch den Thalamus opticus des Thieres führt, direct durch einen schmalen
Zug faserigen Bindegewebes mit dem Boden des Tuber cinereum verbunden,
eine etwa V 2 cm breite, 2 mm lange Cyste (c), deren Inhalt theilweise Schleim,
Fig. 2.
theilweise körnige, ungeformte Massen bilden; die Wand der Cyste ist aus¬
gekleidet mit cylindrischem Epithel von wechselnder Höhe, das stellenweise
deutlich Flimmerhaare zeigt (Fig. 2 C. f. E.). In der Umgebung der Cyste sehen
65*
Diciiti.
dby Google
1028
wir, wie schon erwähnt, Bindegewebe and in die Wand vereinzelt glatte Muskel¬
fasern (Fig. 2 GL M.) sowie Drüsen mit hohem blassen Epithel und centralem
Lumen (Fig. 2 Dr. L.) eingestreut; der histologische Bau dieser Cyste zeigt
demnach weitgehende Uebereinstimmung mit dem der Trachea. An weiter
frontalwärts gelegenen Schnitten nimmt die beschriebene Cyste an Umfang zu,
ausserdem aber hat sich eine neue Cyste abgezweigt, die ein sehr bemerkens¬
wert!) es histologisches Bild zeigt (Fig. 2 Pt/l.). Ihre Wand ist mit cylindrischem
Epithel von Zellen mit blassem Protoplasma und basalem Kern ausgekleidet und
bildet zahlreiche Furchen und Krypten, die ihrerseits mit Drüsen (Fig. 2 Dr.)
in Verbindung stehen. Diese Drüsen haben ein Epithel cubischer Zellen, dunkles
Protoplasma und einen grossen, basalen Kern, sowie sehr lange Ausführungs¬
gänge, die in die Krypten der Schleimhaut einmünden. Das ist das histologische
Bild des Pylorustheiles des Magens; derselbe Bau der Schleimhaut, dieselbe
Form der Drüsen. Ausserdem sieht man noch in dieser Höhe (Fig. 2 GL M.
und Qu. M.) zwischen beiden Cysten Bindegewebe und darin eingestreut glatte
und quergestreifte Musculatur im Längs- und Querschnitt
An einem weiteren Schnitte sehen wir, dass sich wieder eine neue Cyste
abgezweigt hat, die aber im Gegensätze zu den früheren mit geschichtetem
Pflasterepithel ausgekleidet ist und in deren Hohlraum sich nicht Schleim,
sondern abgestossene, zum Theil verhornte Epithelien finden (Fig. 3 gesch. Ep.)\
auch dieser Bau zeigt vielfache Uebereinstimmung mit dem Bau der Schleim¬
haut des Oesophagus. Ferner zeigt sich, dass sich an der Cyste, die früher in
ihrem Bau so sehr dem Pylorustheil des Magens glich, eine hochbedeutsame
Structurveränderung vollzogen hat; die Wand ist weniger gefaltet das oylindrische
Epithel etwas niedriger (Fig. 3 Fu.) } die tubulösen Drüsen aber, mit denen
die einzelnen Buchten in Verbindung stehen, haben einen ganz anderen Bau
(Fig. 3 Dr.)] sie bestehen aus zweierlei Zellen, kleinen, hellen mit grossem Kern
Digilized by CjOO^ Ic
1029
und dunklen, grossen. Die Differenz in der Structur dieser beiden Zellarten
tritt ganz besonders schön an Präparaten zu Tage, die mit Weigebt’s Häma-
toxylinlack behandelt worden sind, und wer nur ein Mal Gelegenheit hatte, derart
gefärbte Schnitte des Fundustheiles des Magens zu sehen, dem wird beim
ersten Blick die Uebereinstimmung mit unserem Bilde klar werden; der gleiche Bau
des Epithels der Schleimhaut, der doppelte Bau der Drösenzellen, die kleinen,
hellen Grundzellen und die dunkel pigmentirten (chromaffinen) Belegzellen.
Die Geschwulst rückt nun frontalwärts immer weiter zwischen die Hirn¬
substanz hinein. Immer wieder sieht man Cysten, die den geschilderten Bau
zeigen, theilweise mit Schleim, theilweise mit abgestossenen Epithelien angefüllt
Ausserdem zeigen sich an weiter nach vorn gelegenen Schnitten Haufen serös-
mucinöser Drüsen vom Charakter der Speicheldrüsen (Fig. 4 SDr.), ferner einige
Lagen hyaliner Knorpel (Fig. 4 Kn.), sowie eine grössere Zahl längs- und quer¬
getroffener Muskelfasern mit deutlicher, schöner Querstreifung.
In dieser Weise bleibt die Geschwulst weiter immer gleich — nur die
einzelnen Cysten wechseln an Form und Grösse — und endet schliesslich am
frontalen Hirnende mit drei kleinen Cysten.
Fassen wir nochmals kurz die Resultate der Untersuchung zusammen, so
sehen wir, dass es sich um eine Geschwulst handelt, die aus einer Cyste mit
mehrfachen Ausbuchtungen besteht, die zunächst mit ihrem caudalen Ende an
das Tuber cinereum angeheftet war, dann weiter unter dem Chiasma und zwischen
den Na optici lag, die durch sie wohl etwas auseinandergedrängt, aber in ihrer
Structur nicht verändert wurden. Wir sahen ferner bei genauerer mikrosko¬
pischer Untersuchung, dass die einzelnen Ausbuchtungen der Cyste mit ver¬
schiedenartigem Epithel ausgekleidet \taren, das weitgehende Uebereinstimmung
mit dem der Trachea, des Oesophagus, des Pylorus- und Fundostheils des Magens
aufwies, ausserdem sahen wir in dem Bindegewebe, das zwischen den einzelnen
Ausbuchtungen der Cyste lag, Drüsen, glatte und quergestreifte Musculatur, sowie
hyalinen Knorpel eingebettet Die eigenartige Bildung der einzelnen, die Ge¬
schwulst constituirenden Gewebsbestandtheile rechtfertigt wohl ihre Auffassung
als Teratom; aber so merkwürdig auch der Befund schon in rein morphologischer
Beziehung ist, so gewinnt er doch erst eine weitere Bedeutung, wenn wir ver¬
suchen, ihn mit Rücksicht auf seine Entstehung zu deuten. Es könnte sich,
wie bei allen Teratomen, um zweierlei gehandelt haben; einmal um eine Inclusio
foetus in foeto, und zwar könnte man sich die Geschwulst zunächst in dem Sinne
entstanden denken, wie es Ahlfeld 1 beschreibt Zwei Foetusse sind Kopf an
Kopf dicht beieinander auf einer Keimscheibe gelegen, von denen einer im
Wachsthum zurückgeblieben und durch die Mundbucht an die Hirnbasis des
anderen gelangt ist, wo er zur theilweisen Weiterentwickelung gelangte. Gegen
diese Auffassung spricht aber einerseits schon der morphologische Bau der ein¬
zelnen Cysten, deren Charakter ganz zweifellos darauf hinweist, dass sie nur dem
inneren Keimblatte ihre Entstehung verdanken können, während doch in
1 Ahlfbld, Archiv f. Gynäk. 1875. VII.
Digilized by GOO^ [C
1030
der Regel bei Inclusionen der Parasit vorwiegend Producte des Ektoderms, vor
Allem Charaktere der äusseren Haut zeigt, andererseits der Umstand, dass sch
nirgends auch nur eine Andeutung vom normalen Bau der Hypophyse findet,
deren erste Anlage beim Antositen doch wenigstens theilweise hätte zur Ent¬
wickelung kommen müssen. Es ist daher naheliegend, und ich glaube auch für
unseren Fall zutreffend, an die zweite Möglichkeit zu denken, dass die Störungen
in der Anlage eines einzigen Embryos eingesetzt haben. Ein Blick auf die
Verhältnisse bei der normalen Entwickelung der Hypophyse wird uns am Besten
darüber Aufschluss geben können. Die Hypophyse der Säugethiere entwickelt
sich, wie wir seit den grundlegenden, vielfach bestätigten Untersuchungen von
Mihahovics 1 wissen, aus einer Ausstülpung des buocalen Blattes des Ektoderms,
der sogen. Rathke 'sehen Tasche [H in Fig. 5); diese Tasche bildet sich un¬
mittelbar vor der Stelle, wo das Ektoderm mit
der vorderen Wand des Ektoderms des Vorder¬
darms in Berührung tritt und dadurch die Rachen¬
haut bilden hälft Die RATHKic’sche Tasche rückt
dann weiter nach oben gegen das Medullarrohr
zu und tritt mit einem Divertikel des Bodens des
Zwischenhirns, der Anlage des Infundibulums in
Verbindung, erweitert sich später oben zu einer
Blase, aus der die Anlage des Vorderlappens der
Hypophyse hervorgeht. Nun ist aber diese Form
der Entwickelung durchaus nicht die einzige in
der Wirbelthierreihe. In seiner grossen Mono¬
graphie hat v. Küpffer* den Versuch unter¬
nommen, nachzuweisen, dass unter dem Namen
Himanhang drei verschiedene Organe inbe¬
griffen sind. 1. Eine epidermoidale Drüse, die ans der RATHKE’schen Tasche
hervorgeht, der Vorderlappen der Säugethiere, 2. die Infundibolardröse, die aas
dem Boden des 3. Ventrikels, dem Tuber cinerenm, sich bildet, und 3. eine
entodermale Drüse, die hinter der ßachenhaut aus der sogen. SsressBi/schen
Tasche {8 in Fig. 5), einer Ausstülpung der dorsalen Wand des Entoderms des
Vorderdarms, sich entwickelt Verschiedene Combinationen dieser Formen kommen
bei den einzelnen Wirbelthieren vor; beim Frosch z. B. sind alle drei vorhanden,
ebenso ursprünglich nach v. Küpffkr bei den Säugethieren, doch bildet sich hier
die entodermale Drüse wieder zurück. Diese wichtigen Befunde, die beweisen
sollen, dass auch bei den Säugethieren wenigstens vorübergehend das Entoderm
in Verbindung mit der Hypophysenanlage tritt, haben übrigens auch später in
einer kurzen Mittheilung Nussbaüm’s 8 Bestätigung gefunden.
Nussbaum beschreibt bei Hundeembryonen von 9 mm Länge eine Falte, deren
vordere Wand vom Ektoderm der Hypophysenausstülpung, deren hintere Wand
Digitized by GoO^lC
1 Entwickelungsgeschichte des Gehirns. 1877.
1 Die Deutung des Hirnanhangs. Mttuchen, 1894.
* Anatomischer Anzeiger. 1896.
1031
vom Entoderm der SEESBEL’schen Tasche gebildet wird, and deren Boden aller
Wahrscheinlichkeit nach nichts anderes als der Rest des dorsalen Theiles der
bereits durchbrochenen Rachenhaut ist. Bei grösseren Embryonen von 14 mm
Länge beobachtete Nussbaum ferner, dass die SEEssBL’sche Tasche weiter nach
oben wächst; ihr unterer, noch mit einem Lumen versehener Theil ist mit dem
Epithel der Mundrachenhöhle verbunden, während das obere, zu einem solchen
Epithelstrang umgewandelte Ende der Hypophysenblase anliegt. Dieser obere
Theil zerfällt dann in 2—3 Zellgruppen, von denen die oberste sich innig mit
der hinteren und unteren Wand der blasenartigen Erweiterung der Hypophyse
verbindet, während die unteren allmählich verschwinden. Nussbaum betont die
phylogenetische Bedeutung seines Befundes, da die geschilderten embryonalen
Verhältnisse sehr an die definitiven anderer Wirbelthiere erinnern nnd es Hesse
sich auch bei unserem Falle wohl denken, dass diesmal die SEEssEL’sche Tasche
auch in ihrem oberen Theile ihr Lumen beibehalten hat und weiter sprosste,
wodurch die normalen, ektodermalen Anlagen nicht zur Entwickelung gelangten;
andererseits Hegt aber auch die Möglichkeit offen, dass es überhaupt nicht oder
nur unvollständig zur Bildung der Rathke 'sehen Tasche gekommen war und
zur Anlage der Hypophyse nur das Entoderm des Vorderdarmes verwendet wurde,
da wir nirgends auch nur eine Andeutung normalen Hypophysengewebes nach-
weisen konnten. Das lässt sich nun allerdings bei fertig vorliegenden Verhält¬
nissen nicht mit Sicherheit entscheiden, gewiss aber ist, dass die Störungen, die
die Bildung des Teratoms veranlasst haben, in einer sehr frühen embryonalen
Periode eingesetzt haben müssen. Interessant ist zweifellos der Umstand, dass
der wohl relativ sehr kleine Theil des Entoderms, der zur Bildung des Teratoms
verwendet wurde, sich ganz im Sinne des ganzen Vorderdarmes entwickelte, d. h.
Gewebstheile producirte, die die gleiche histologische Structur, wie der Magen,
Oesophagus, Trachea und Speicheldrüsen des erwachsenen Thieres zeigen; inter¬
essant und in hohem Grade bedeutsam für das Verständnis einer Correlation
zwischen den einzelnen Keimblättern ist auch die Differenzirung des Mesoderms.
Denn während dieses in der normalen Hypophyse nur Blutgefässe und das be¬
gleitende Bindegewebe üefert, hat es sich hier ganz im Sinne des den Vorder¬
darm begleitenden Mesoderms differencirt, d. h. Bindegewebe, glatte und quer¬
gestreifte MusGulatur, sowie Knorpel geliefert, ln dieser Richtung scheint mir
auch die Bedeutung unseres Falles zu liegen, sowie die Berechtigung ihn genauer
zu untersuchen, zumal in unseren Tagen, wo der jüngste Zweig embryologischer
Forschung, die Entwickelungsmeohanik, in verhältnissmässig so kurzer Zeit be-
wundemswerthe Resultate gezeitigt, hat; denn hier hat unter irgendwelchen
pathologischen Verhältnissen gleichsam die Natur selbst mit grösster Feinheit
und Präcision ein Experiment vollbracht, das die Hand auch dgs geschicktesten
Experimentators niemals nachzuahmen im Stande wäre.
Digitized
Google
1032
2. Ueber den Ursprung des N. depressor. 1
[Vorläufige Mittheilung.]
Von Priv.-Doc. Dr. Georg Köster in Leipzig.
M. H.! Im Jahre 1866 lernten wir durch Cyon und Ludwig die über¬
raschende Thatsache kennen, dass die Beizung eines vom Vagus hoch oben att
ablösenden und nach dem Herzen verlaufenden Nervenastes eine Absenkung de
Blutdruckes im ganzen Kreislauf bewirkt Es stand diese Beobachtung m
Gegensatz zu der bisher gemachten Erfahrung, dass durch Beizung gemischt»
bezw. sensibler Nerven eine Erhöhung des Blutdruckes verursacht wird. Ia
mehr als 40 Fällen fanden Cyon und Ludwig, dass der von ihnen als Depressor
cordis bezeichnet« Nerv mit einer Wurzel vom N. laryngeus superior, mit eioer
anderen vom N. vagus entspringe, dass er dicht neben der Carotis nach abwirt!
ziehe, sich in der Brusthöhle mit anderen aus dem Ganglion stellatum herrar-
tretenden Nerven eine Verbindung eingehe, um schliesslich „zwischen der Art
aosta und der Art pulmonalis sich in Aestchen aufzulösen, die sich in den
festen Bindegewebe der Verfolgung mit dem blossen Auge entziehen.“ „Eine
mikroskopische Durchforschung des weiteren Verlaufes“, so fugen sie hm
„überlassen wir der Zukunft“
In der That wissen wir bisher über den Ursprung des Depressor mit Sicher¬
heit nicht mehr als seine Entdecker bereits feststellen konnten. Man ist in
Allgemeinen der Ansicht, dass der Depressor der sensible Nerv des Herzmuskel*
sei und als soloher Reflexe vom Herzen auf die Gefässe vermittle, wobei er dr
Thätigkeit des vasomotorischen Centrums in der Medulla oblongata berabsehi
Diese Auffassung des Depressor als Herznerv erfuhr in den letzten Jahren an?
Stütze durch die Untersuchungen Kazem-Beck’s und Smyrnow’s. Erstem
glaubte den Depressor makroskopisch bis auf die Oberfläche des Herzen« ver¬
folgen zu können, letzterer konnte nach Durchschneidung des Depressor und
Vagus bei je einem Kaninchen und einer Katze keine Färbung der endocardialen
sensibeln Nervenendigungen bei Anwendung der vitalen Methylenblamnjecto
Anden. Er zog daraus den Schluss, dass der Depressor im Endocard entspringt
Ich kann bei der Kürze der zu Gebote stehenden Zeit hier nicht näher d
die Untersuchungen der genannten Autoren eingehen und begnüge mich
der Feststellung, dass durch ihre Befunde die Frage nach dem Ursprung des
Depressor keineswegs als gelöst angesehen werden konnte. Ich habe daher it
Gemeinschaft mit Hm. Priv.-Doc. Dr. Abmin Tschermak und mit gütiger Erlaubnis
des Herrn Geh. Rath Hering im physiologischen Institut zu Leipzig eine Reih?
von Untersuchungen angestellt, durch die nach unserer Ueberzeugung ds
Ursprung des Depressor gefunden worden ist
1 Vortrag, gehalten auf der am 20. October 1901 in Jena atattgefundenen V1L Ver¬
sammlung mitteldeutscher Psychiater und Neurologen.
Digitized by {jOoq le
1033
Wenn ich es im Folgenden unternehme, Ihnen die wichtigsten Resultate
unserer experimentellen und anatomischen Untersuchungen zu unterbreiten, so
leitet mich dabei der Gedanke, dass dem internen Mediciner und nicht zuletzt
dem Neuropathologen jede anatomische oder physiologische Thatsache, die zur
Aufklärung der noch ziemlich dunkeln Herzinnervation beiträgt und uns viel¬
leicht das Yerständniss gewisser nervöser Herzkrankheiten erleichtert, willkommen
sein wird.
Dass wir wie Cyon und Ludwig uns des Kaninchens als Versuchsobject
bedienten, hat seine Ursache lediglich in dem gerade bei diesem Thiere vor¬
handenen freien Verlauf der depressorischen Nervenfasern und dürfte der
Uebertragung der principiell bedeutungsvollen Resultate auf den Menschen nicht
hinderlich sein.
Die von uns beobachteten Verlaufsanomalieen des Depressor möchte ich hier
übergehen und Ihnen nur die makroskopische Endaufzweigung und die hierbei
stets vorhandene Vereinigung mit Sympathicusfasem unseres Nerven an dem
herumgereichten Photogramm veranschaulichen. Sehr viele feine Nerven-
fädchen sind bei der Präparation abgerissen, doch wird es Ihnen an den noch
zahlreichen stehengebliebenen Verzweigungen auffallen, dass sie fast alle sich in
die Gegend der grossen Herzgefässe einsenken, einige jedoch schon in den
Truncus anonymus und die Aorta sublavia sinistra. Dies Verhalten haben wir
constant beobachten können.
Wenn der vom N. vagus sich abzweigende Depressor wirklich ein sensibler
Nerv ist, so lag die Vermuthung nahe, dass er vielleicht aus dem Ganglion
jugulare des Vagus, also aus bipolaren Zellen entspringe, deren einer Axen-
cylinder aufwärts nach der Medulla oblongata, der andere in dem als N. de-
pressor bezeichnten Vagusaste abwärts verlaufe. Um dies zu beweisen, wurden
von uns an 50 Thieren die verschiedenartigsten Operationen vorgenommen, auf
deren zum Theil nicht ganz einfache Technik ich hier nicht eingehen kann.
Durchschnitten wir den Depressor, der als isolirter Stamm nach seiner Ab¬
zweigung vom N. vagus ausschliesslich aus markhaltigen Fasern besteht, unter¬
halb des Ganglion jugulare, so degenerirte der peripher von der Durchschnei¬
dungsstelle (nach dem Herzen zu) gelegene Theil nach dem Waller’ sehen
Gesetz abwärts. In jedem Falle war der ganze Querschnitt entartet, d. h. es
befanden sich zwisohen den degenerirten keine normalen Fasern. Im Gegensatz
zum peripheren blieb der centrale (nach dem Ganglion zu gelegene) Abschnitt
des Depressor völlig intact. Das Nervenmaterial wurde nach Ö—10 Tagen
entnommen und stets in x / 4 °/ 0 Osmiumsäüre oder in Marchilösung gefärbt.
Wurde, der Vagus oberhalb des Ganglion jugulare durchtrennt, so fanden
sich die motorischen Fasern des Vagus und N. laryngeus superior zwar entartet,
der Depressor jedoch nach 8 Tagen völlig normal. Ebenso verhielt sich auch
der sensible Antheil des N. laryngeus superior. Die Vaguswurzel oberhalb des
Schnittes war dagegen im ganzen Querschnitt entartet bis auf die motorischen
Fasergruppen. Durch die Degeneration des distalen Depressorabschnittes bei
Durchschneidung unterhalb des Ganglion jugulare einerseits und durch das
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Intactbleiben des ganzen vom Vagus sich abzweigenden Depressors bei Durch -
schneidung oberhalb des Ganglions andererseits war der Ursprung des Depressors
aus dem Ganglion jogulare bewiesen. Ebenso waren unsere Durchscheidungs¬
versuche beweisend für den Ursprung des sensiblen Antheiles des Vagus und
N. laryngeus superior aus dem Ganglion jugulare.
Dass das Ganglion jugulare in der Tbat ein vollkommenes Analogon zu den
gewöhnlichen sensiblen Spinalganglien ist, geht aus dem verschiedenen Verhalten
der centralwärts und peripherwärts aus dem Ganglion herausziehenden Axen-
cylinder hervor. Es ist bekannt, dass bei Durchschneidung eines sensibeln
spinalen Nerven abwärts vom Spinalganglion keine Degeneration der hinteren
Wurzel beobachtet wird, während umgekehrt nach Durchschneidung der hinteren
Wurzel allerdings verzögerte degenerative Veränderungen in dem vom Spinal¬
ganglion abwärts verlaufenden Nerven schliesslich einzutreten pflegen. Dem
entsprechend zeigte sich nach Durchtrennung des Depressor, des Laryngeus
superior und vagus unterhalb des Ganglion jugulare in der Vaguswurzel selbst
nach 14 Tagen keine Spur von Degeneration, während nach Durchschneidung
oberhalb des Ganglion jugulare nach 14 Tagen im Depressor und im sensibeln
Antheil des Laryngeus superior und Vagus leichte varicöse und spindelige Auf¬
treibungen der Nervenfasern als Ausdruck geringfügiger degenerativer Verände¬
rungen nachweisbar waren. Die typische WALLEa’sche Degeneration mit schwarz
gefärbten Markballen u. s. w. liess sich jedoch nicht beobachten. Auch die
Nervenzellen des Ganglion jugulare zeigten nach Durchschneidung der Vagus¬
wurzel ein anderes degeneratives Verhalten als nach Resection der vom Ganglion
peripherwärts herabziehenden Nerven. Ein näheres Eingehen auf die hierbei
beobachteten degenerativen Vorgänge in den Zellen kann ich mir hier um so
eher versagen, als ich die aus dem Studium dieser Frage gewonnenen Resultate
seiner Zeit anderen Ortes ausführlich mittheilen werde. Hatten wir so die Ge¬
wissheit erlangt, dass das Ganglion jugulare als Ursprungsstätte des Depressor,
sowie des sensibeln Vagus und Laryngeus superior zu betrachten sei, so musste
noch festgestellt werden, ob sich etwa für jeden der genannten Nerven im
Ganglion jugulare eine bestimmte, genau abzugrenzende Zellgruppe nach weiten
liess. Dies gelang mit der NissL-HELD’schen Färbemethode nach vorheriger
Fixirung des frisch entnommenen Materials in van GEHUCHTEN’scher Flüssig¬
keit sehr gut. Sie werden sich auf den herumgereichten, nach unseren Präpa¬
raten gefertigten Zeichnungen mühelos davon überzeugen können. Nach
Durchschneidung des N. depressor unterhalb des Ganglion jugulare zeigte sich
7—9 Tage post operationem im oberen, nach der Medulla zu gelegenen Pol
des Ganglions eine Gruppe degenerirter Zellen mit randständigem, geblähtem
Kern und völliger Chromatolyse. Diese Gruppe zog sich allmählich verjüngend
stets an dem mehr geradlinig verlaufenden Rande des Ganglions verschieden
weit herunter, zuweilen bis zu dem unteren Pol des Ganglions, wo sich noch
eine kleine Zahl degenerirter Zellen vorfinden konnte. Die übrige geschlossene
Masse der Zellen im Ganglion jugulare war völlig normal geblieben. Durch
Serienschnitte gelang es uns festzustellen, dass nicht bei allen untersuchten
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GaDglien der ganze obere Pol von degenerirten Zellen erfüllt war, sondern dass
bei einer gewissen kleineren Zahl von Fällen zwischen degenerirten auch normale
Zellen lagen. Immerhin gelaDg in einer ganzen Reihe von Schnitten auch bei
diesen Ganglien der Nachweis einer in sich geschlossenen degenerirten Zellgruppe.
Umgekehrt blieb nach Durchschneidung des Vagus und Laryngeus superior
unterhalb des Ganglion jugulare, also bei völligem Intactsein des Depressor-
Neurons die bei der vorigen Versuohsanordnung ausgefallene Zellgruppe im oberen
Pol des Ganglions normal, während alle übrigen Zellen degenerirt waren. Auch
hier zeigten sich in einer gewissen Zahl von Fällen im oberen Pol des Ganglions
degenerirte Zellen, die sich theils mit den normal gebliebenen vermengten, theils
als geschlossene Gruppe auftraten. Der normale Zellcomplex zog sich stets ein
verschieden langes Stück an der weniger ausgebauohten Seite des Ganglions
nach unten. Erwähnt muss noch werden, dass sich einzelne versprengte, normal
gebliebene Zellen mehr nach dem Inneren des Ganglions zu naohweisen liessen.
Erweiterte man die Versuchsanordnung, indem man ausser dem Vagus und
Laryngeus superior unterhalb des Ganglions noch den Vagus oberhalb des
Ganglions durchschnitt, so trat rasch eine Verödung des ganzen Nervenknotens
ein mit Ausnahme der zum Depressor gehörigen, eben erwähnten Zellgruppe.
Da zugleich mit der Vaguswurzel der centralwärts ziehende Axencylinder der
Depressorzellen durchschnitten war, so mussten naturgemäss die zugehörigen
Zellen des Depressor auf diesen Eingriff reagiren und gewisse, verschieden weit
gehende degenerative Veränderungen aufweisen. Aber sogar nach 3—4—6 Wochen
blieb noch immer eine gewisse Zahl von mehr oder weniger normalen Zellen
nachweisbar, während das übrige Ganglion längst verödet war. Die Zahl der
übriggebliebenen Zellen, z. B. 3 Wochen nach der Operation, betrug in mehreren
Fällen 150—290, was der Zahl der im Depressorquerschnitt vereinigten Nerven¬
fasern ungefähr entspricht
Gelang es noch den auf den N. laryngeus superior entfallenden Zellcomplex
zu localisiren, so musste der Rest der Ganglienzellen dem sensibeln Vagus an¬
gehören. Nach Durchschneidung des Laryngeus superior unterhalb des Gangüon
jugulare und distalwärts von dem zuweilen aus ihm sich abzweigenden Depressor
degenerirt entweder im oberen oder im unteren Pol des Ganglion jugulare eine
Zellgruppe, die sich allmählich verschmälernd am weniger convexen Rande des
Ganglions herab- bezw. hinaufzieht, mitunter bis zum entgegengesetzten Pol.
Wir wissen jetzt, warum in gewissen Fällen bei Degeneration der Depressor-
Zellgruppe im oberen Pol eine nicht geringe Zahl von Zellen normal blieb. Es
war dies der dem sensibeln Laryngeus zugehörige Complex. Dementsprechend
finden wir nach Durchschneidung des Laryngeus superior in den Fällen, in
denen die Laryngeusgruppe im oberen Pol des Ganglions liegt, neben den
degenerirten Laryngeuszellen noch normale, dem Depressor zugehörige Zellen.
Wenn wir den Depressor und Vagus unterhalb des Ganglions durchschnitten,
so dass das sensible Neuron des Laryngeus superior intact blieb, So zeigte sich
im oberen oder gewöhnlich im unteren Pol des Ganglion jugulare eine nach
unten, bezw. nach oben sich zuspitzende am flach convexen Rand des Ganglions
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sich hinziehende Gruppe normaler Zellen, während der auf den Depressor und
Vagus entfallende Theil des Ganglions degenerirte Zellen aufwies. Durch
alle diese vielfach wiederholten Versuche wird bewiesen, dass wir
in dem Ganglion jugulare des Vagus ein peripher gelegenes, sen¬
sibles Centralorgan besitzen, in das sich der Depressor und der
sensible Vagus und Laryngeus superior theilen. Und zwar erfolgt
Theilung, wie aus den herumgereichten Bildern und den schematischen Zeich¬
nungen ersichtlich ist, derart, dass der Depressor und der sensible Laryngeu.-
superior entweder zusammen einen Pol einnehmen und dann immer den oberen
oder dass die Zellen des Laryngeus superior den unteren Pol des Ganglions ab
Ursprungsstätte haben. Die übrig bleibende, weit grössere Masse der Ganglien¬
zellen ist der Geburtsort des sensibeln Vagus.
Um die Endigung des zum Herzen herabziehenden Depressors festzustelleu.
genügt nach unserer Meinung die grob anatomische Präparation, wie sie tob
Roeveb, Bernhabdt, Kazbm-Beck u. A. ausgeführt ist, nicht Die vielfachen
Anastomosen des Depressors mit Sympathicusfasem erschweren die Feststellung
seiner Endinsertionen für die makroskopische Präparation ungemein und geben,
wie wir uns selbst überzeugt haben, zu den verschiedensten Irrthümern Anlass.
Man kann makroskopisch mit den eben genannten Autoren feststellen, dass ski
feine Endzweige zur Aorta begeben, aber ob ein Uebergang des Depressors auf
die Herzoberfläohe stattfindet, ist durch die Präparation nicht einwandsfrei za
entscheiden.
Nur die Anwendung einer zuverlässigen Degenerationsmethode und dk
mikroskopische Untersuchung sind hier nutzbringend zu verwenden.
Es wurden daher 5—7 Tage nach Durchschneidung des Depressor unte-
halb des Ganglion jugulare bei 30 Thieren die Herzen mit den grossen Gefässen
entnommen und nach vorheriger MaROHi-Färbung und Paraffineinbettang ia
Serien geschnitten.
Hierbei konnte nun sehr schön beobaohtet werden, wie der allmählich sich
mehr und mehr verzweigende degenerirte Depressor von beiden Seiten nach der
Aorta zustrebte. In der Nähe des Ursprunges des Truncus anonymus und der
Aorta subclavia sinistra endeten die sich immer feiner auflösenden Nervenfasern
in der Aorta, die von einem Kranz oder Netz feinster Nervenfadchen umsponnen
wird. Sie erkennen auf den Abbildungen deutlich die in der Adventitia liegenden
degenerirten Quer- und Längsschnitte und Sie sehen, wie an zahlreichen Stellen
die Nervenfasern von der Adventitia nach der Media streben und an einigen
Stellen in die Media der Aorta eindringen.
Durch die Dicke der Media hindurch bis zur Intima lassen sich die Nerven-
ästchen nicht weiter verfolgen. Nach abwärts vom Aortenbogen sind die degene¬
rirten Endverzweigungen des Depressor noch eine Strecke nachweisbar und hören
spätestens an der Gefässwurzel auf. In das Herz selbst hinab konnte der
Depressor bei keinem Versuchsthier verfolgt werden. Die Ansicht, dass der
Depressor nach Verlust des Markes sich als markloser Nerv in das Herz hinon-
senke oder auf der Herzoberfläche hinziehe und sich daher der Beobachtung ba
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Anwendung der MABcm-Methode entziehe, halte ich nicht für wahrscheinlich.
Denn alle sensibeln Nerven verästeln sich erst kurz vor ihrer Endigung in so
zahlreiche kleine Aeste wie der Depressor es thut. Gerade die gürtelförmige
Umschliessung der Aorta mit fernsten Nervenästchen spricht dafür, dass hier
der Depressor sein Ziel erreicht hat Ferner verlieren die sensibeln Nerven ihr
Mark erst unmittelbar vor der Endinsertion, was beim Depressor zutriflt, dessen
feinste, noch markhaltige Fasern sich bis in die Media erstrecken, wo sie offen¬
bar marklos geworden, sich nicht weiter bis zur Intima verfolgen lassen.
Die Vermuthung, dass sich die in der Media der Aorta marklos gewordenen
Depressorendfasern zur Intima hinziehen, musste noch erheblich an Wahrschein¬
lichkeit gewinnen, wenn es gelang, durch einen der anschlagenden Blutwelle
adäquaten Reiz von der Innenwand der Aorta aus eine Erregung des Depressor
nachzuweisen. Hierzu wurden dem Versuchsthiere die beiden Carotiden unter¬
bunden, die Nn. vagi und die Depressoren unterhalb der Jugularganglien
durchschnitten, das Herz freigelegt, an der Wurzel der grossen Gefässe abge¬
bunden und abgeschnitten. Dann wurde in die Aorta descendens eine Canüle
eingebunden und nachdem der auf eine lange Strecke frei präparirte Depressor
der einen Seite von Oberfläche und Querschnitt abgeleitet worden war, wurde
auf Körpertemperatur erwärmte 0,6 °/ 0 Kochsalzlösung rhythmisch von der Aorta
descendens in den sich unter dem Druck dehnenden Aortenbogen hinaufgespritzt
Hierbei liess sich an dem im Stromkreis eingeschalteten Galvanometer ein deut¬
licher Rückgang des Nervenstromes im Depressor bis zu 6 mm nach weisen,
z. B. von 79 auf 73. Diese negative Schwankung konnte, allmählich schwächer
werdend, noch etwa 1 Stunde nach dem Tode des Thieres bei jeder Injection
von SalzlösuDg in die Aorta von Neuem erzielt werden. Die Schilderung der
speciellen Versuchsanordnung und die genaue Wiedergabe der Resultate muss
ich mir hier versagen, möchte aber erwähnen, dass Fehler in der Versuchs¬
anordnung sich nicht nachweisen Hessen, und dass mechanische Einwirkungen
wie Zerren am Aortenbulbus in Bezug auf den Nervenstrom des Depressor ganz
wirkungslos Wieben. Wenn wir auch unsere, an vier verschiedenen Thieren
derart angestellten Experimente noch nicht als abgeschlossen betrachten, so
sprechen die bisherigen, bereits mit einer an Gewissheit streifenden Wahrschein¬
lichkeit dafür, dass von der Intima der Aorta aus eine nervöse Erregung im
Depressor fortgeleitet wird. Hier weisen uns also die histologische
Untersuchung und das Experiment gemeinschaftlich auf die Aorta
als Endziel des Depressor hin.
Nichts dagegen zwingt uns zu der Annahme, dass der Depressor auf das
Herz übergehe und etwa nach Smirnow’s Ansicht im Endocard oder nach
Kazem-Beok auf der Herzoberfläche ende. Erstens giebt Smibnow selbst zu,
dass seine 2 Versuche ihm nicht den begründeten Schluss auf eine Endigung
des Depressor im Endocard erlaubten und zweitens kommen die von Kazem-
Beck u. a. auf der Herzoberfläche und von Smibnow im Herzen gefundenen
sensibeln Nerven sehr wohl vom Vagus selbst direct dem Herzen zugeführt
werden. Der von Smibnow beobachtete Ausfall der endocardialen Nervenend-
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fasern ist vielleicht die Folge der von ihm mit dem Depressor zugleich ans¬
geführten Vagusdurchschneidung, wenn anders nicht zufällig bei der von ihm
angewandten vitalen Methylenblauinjection die Färbung der endothelialen Nerven¬
fasern unterblieben ist Ueberhaupt ist die vitale Methylenblauinjection, so vi*
die Dinge jetzt liegen, keine zuverlässige pathologisch-histologisch verwendbare
Färbemethode und muss als solche bei der Beurtheilung der mit ihr gewon¬
nenen Resultate mit gebührender Vorsicht bewerthet werden.
Fassen wir unsere Resultate noch einmal kurz zusammen, so ergiebt sich:
Der N. depressor entspringt aus dem oberen Pol des Ganglion
jugulare, das auch den sensiblen Portionen des N. vagus und
N. laryngeus superior zum Ursprung dient, und er endet mit seinem
peripheren Ende in der Aorta. Er ist also nicht der sensible oder
Reflexnerv des Herzmuskels, sondern er ist der sensible Nerv
der Aorta.
Wenn wir versuchen, uns seine Thätigkeit vorzustellen, so besteht dieselbe
wahrscheinlich darin: Bei Ueberdruck im linken Ventrikel bewirkt die heftig an
die innere Aortenwand geworfene Blutwelle unter gleichzeitiger Dehnung der
Aortenwand eine von der Intima ausgehende Reizung des Depressor, die ihrer¬
seits reflectorisch die Thätigkeit des vasomotorischen Centrums herabsetzt. Unter
allgemeiner Gefasserweiterung sinkt der Druck im Gefässsystem ab und da;
Herz hat leichtere Arbeit, um so mehr, als wir bereits durch Cyon und Ludwig
wissen, dass auch die Zahl der Herzschläge gleichzeitig vermindert wird.
II. Referate.
Anatomie.
1) I. Weitere Untersuchungen über die Veränderungen der Nervenzellen
in verschiedenem Alter. (Archiv für mikroskop. Anatomie u. Entwickelungs-
geschichte. 1901. LVIII.) — II. Die Veränderungen der Nervenzellen
ln verschiedenem Alter, von Dr. med. M. Mühlmann (Odessa). (Anatom.
Anzeiger. 1901.)
Der Verf. hat das Fettpigment in den Nervenzellen zum Gegenstände ein¬
gehender Untersuchungen gemacht, und dabei gefunden, dass beim Menschen tob
den ersten Lebensjahren an regelmässig in den Ganglienzellen pigmentirte Fett¬
körnchen auftreten, die zuerst zerstreut, dann sich allmählich anhäufend, da
Protoplasma der Zelle besetzen und bereits im zweiten Lebensdecennium ein«
festen Platz im Zellraum einnehmen. Mit dem Alter häuft sich das Fettpignx®:
im Centralnervensystem an, immer mehr Zellen nnd immer mehr Platz in de
Zellen ergreifend, so dass bei Greisen die meisten Zellen mit den Körnchen voll¬
gestopft sind und oft nur ein kleiner Protoplasmaraum in der Zelle davon fre
bleibt. Während die Erscheinung bisher als ein physiologischer oder besser j
nicht pathologischer Vorgang betrachtet wurde, spricht sie der Verf. als den |
Ausdruck einer regressiven Metamorphose des Zellprotoplasmas an und bezeichn« I
dementsprechend den ganzen Process als Fettpigmentmetamorphose. Ueber d*
biologische Bedeutung des Fettpigmentes äussert sich der Verf. in folgender
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Weise: dank der hochgradigen compensatorischen Fähigkeit des Protoplasmas
der Nervenzellen übt der degenerative Vorgang der Pigmentbildung, welcher sich
von den ersten Lebensjahren an in denselben beobachten lässt, keinen schädlichen
Einfluss auf die Verrichtungen des Organismus aus. In dem Maasse aber als die
Zahl der Fettkörnchen sich in den Nervenzellen vermehrt und die Zahl der be¬
troffenen Zellen vergrössert wird, vermindert sich die Masse des activen Proto¬
plasmas und im Zusammenhänge damit seine compensatorische Fähigkeit, so dass
schliesslich die pathologische Seite die Oberhand gewinnt und in der Function
des Organismus die Defecte hervortreten, die das höhere Alter charakterisiren.
Der Btetig fortschreitende Degenerationsprocess in den Zellen vermindert die
functioneilen Fähigkeiten des Organismus in immer höherem Grade, und wenn die
Läsion in die wichtigen Lebenscentra, in die Medulla oblongata, stärker eingreift,
kommt das Leben zu Ende.
Beim Meerschweinchen konnte der Verf. dieselbe Thatsache wie beim Menschen
constatiren, dass nämlich die Zahl der Fettkörnchen in den Zellen ebenso wie die
Zahl der ergriffenen Zellen sich mit zunehmendem Alter vermehren.
Max Bielschowsky (Berlin).
Experimentelle Physiologie.
2) Zur sensorischen Ataxie, von P. Jacob und A. Bickel. Vortrag, gehalten
in der physiologischen Gesellschaft zu Berlin am 9. Februar 1900. (Archiv
f. Anat. u. Phys. 1900. Phys. Abth. S. 369.)
Die Verff. schnitten Hunden die sensiblen Nerven für die Hinterbeine intra¬
dural durch. Die darauf eintretenden Störungen in der Bewegungsart der in¬
sensibel gemachten Extremitäten sind nur auf den Ausfall der Function der hin¬
teren Wurzeln zurückzuführen, denn motorische Nerven wurden bei dieser
Operationsmethode nicht geschädigt. Die in der ersten Zeit nach der Durch¬
schneidung der sensiblen Nerven vorhandenen Störungen bilden sich bald in hohem
Maasse zurück; exstirpirt man dann aber einem solchen Hunde beide Labyrinthe,
so bricht ein Theil der verschwundenen Symptome wieder von Neuem vor, um
nicht mehr ausgeglichen zu werden. Die Vortr. wollen nun in gleicher Weise
untersuchen, inwieweit andere Organe (Auge, Hirnrinde, Thalamus u. s. w.)
ebenso wie die Labyrinthe bei der Compensation der nach Durchschneidung der
sensiblen Nerven aufgetretenen Bewegungsstörungen betheiligt sind und erhoffen
so eine genauere Kenntniss über den ganzen nervösen Bewegungsmechanismus zu
gewinnen.
Ein Affe, welchem auch die sensiblen Nerven für beide Hinterextremitäten
durchschnitten waren, zeigte beim Klettern eine eigenthümliche Bewegungsstörung:
er umklammerte mit den Händen das Gitter, während die Beine immer die
Kletterbewegung in der Luft mit ausführten; wegen Fehlens der sensiblen Nerven
war er eben über den Erfolg der Bewegungen seiner Beine nicht mehr orientirt,
war vielmehr offenbar der Meinung, dass er sich mit den Füssen am Gitter fest-
halte. Erst wenn er sah, dass er beim Lockerlassen der Hände herunterzufallen
drohte, merkte er die Unzulänglichkeit der Hülfe, die ihm die insensiblen Beine
beim Klettern gewährten.
Ferner wurd^ einem Hunde das linke Hinterbein total anästhetisch, am
rechten Bein aber nur der Unterschenkel und der Fuss gefühllos gemacht. Trotz¬
dem also auch rechts alle beim Gehen den Erdboden berührenden Theile un¬
empfindlich waren, zeigten sich rechts unverhältnissmässig viel geringere Geh¬
störungen als am anderen Beine, an welchem ausserdem der Oberschenkel nebst
Hüft- und Kniegelenk insensibel gemacht worden war. Dieser Versuch spricht
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für die Leyden-Goldscbeider’sche Anschauung, dass nicht so sehr eine mangel¬
hafte Tastempfindung, als vielmehr eine Schädigung der Gelenksensibilit&t die
Ursache der Ataxie abgiebt. Kurt MendeL
Pathologische Anatomie.
3) Contribato all’ anatomia patologica della tabe dorsale, per F. Mars-
gliano. (Rivista critica di clinica medica. II. S. 504.)
In 3 Fällen fortgeschrittener Tabes, von denen die eine bereits seit 23 Jahren,
die zweite seit 10, die dritte seit 25 Jahren bestand, hatte Verf. Gelegenheit, die
Spinalganglien zu untersuchen. Er wandte die Methode Nissl-Lenhossek an.
Das Resultat fiel negativ aus, d. h. er konnte keine Veränderungen weder der
Zellen selbst, noch ihrer Kapseln finden. Bei mangelhafter Fixation konnte er
die von anderen Autoren als pathognomonisch beschriebene Verkleinerung und De-
formirung der Zellen, Wucherung der Kapseln und Vermehrung des Pigmentes
bestätigen. In nach der Marchi-Methode untersuchten Ganglien konnten die
DegenerationsprocesBe der hinteren Wurzeln nicht bis nach den Zellen hin ver¬
folgt werden. Der negative anatomische Befund ergiebt noch keinen Anhalts¬
punkt für eine auch functioneile Integrität Merzhacher (Strassburg i/E.).
4) Ataxie locomotrice mödullaire chez un oheval, par Hendrickx et
Lienaux. (Annales de m6d. v6t6rinaires. 1900. S. 8.) — Dögenörescencea
secondaires desoendantes des cordons poaterieures de la moölle
epiniöre obes an oheval, par Lienaux. (Ebenda. S. 71.)
Die Beobachtung von Lienaux und Hendrickx erstreckt sich auf die
Symptomatologie und pathologische Anatomie eines Falles von spinaler chro¬
nischer Herderkrankung, dessen histologische Untersuchung von Li&naux
in einer gesonderten Mittheilung publicirt wurde. Der Fall ist klinisch ziemlich
genau beobachtet und deeshalb beachtenswerth. Der Sectionsbefund hat, soweit
er fiir die Existenz der Tabes bei Thieren herangezogen werden sollte, keine
Beweiskraft.
Statu8: Ein 8jähr. Wallach zeigte Gangstorungen, die vom Besitzer als
auf Spath bezogen wurden, und bei der klinischen Untersuchung auch vage Sen¬
sibilitätsstörungen der Haut. Nach einer gewissen Zeit zögerte man nicht länger,
die Existenz einer Myelitis anzunehmen. Die Analogie mit der Ataxia locomotrix
deB Menschen erschien ziemlich vollständig (!). Im Laufe einiger Monate unregel¬
mässige Remissionen und Exacerbationen, Muskelatrophieen an der Croup, später
— ein genauer Zeitraum ist nicht angegeben — Tödtung des Thieres.
Section: Makroskopisch eine bräunliche Verfärbung der Hinterstrang-
partieen des Cervicalsegmentes der Medulla spinalis; am Querschnitte typische
Keilform der entarteten Dorsalstränge, die von einem im 7. Cervicalsegmente ge¬
legenen Herde ausgehen. Der Herd ist charakterisirt durch eine sklerotische
Veränderung im Gebiete der Keilstränge; zwei weitere Herde sitzen im 1. Dorsal¬
segmente. Sie sind unregelmässig, klein und enthalten in ihrem Bereiche keine
Nervenfasern.
Das von Lienaux durchgeführte Examen ergab ausser der Keilstrang¬
degeneration in aufsteigender Richtung auch eine absteigende Degeneration, die
Verf. der kommaförmigen Schultze’schen Degeneration gleichsetzt. Es ist nur
schade, dass die Bilder jener Befunde, die hinsichtlich ihrer letzten Eigentümlich-
keit beim Pferde zum ersten Male erhoben wurden, ganz unklar ausgefallen sind,
so dass sie für den Text durchaus keine Stütze bilden. Dexler (Prag).
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5) On disease in the nervous System of horses (hereditary ataxiaP), by
Chalmers Watson. (Veterin. Journal. Juni 1901.)
Verf. fand bei einem 18 monatlichen, gutgenährten Pferde deutliche Zeichen
von Ataxie der Hinterbeine, sowie undeutliche Blasenstörungen; die Ataxie fiel
sowohl beim Stehen wie bei activen Bewegungen in die Augen. — Die mikro¬
skopische Untersuchung des Rückenmarks zeigte zweierlei Art von Läsionen: ein¬
mal herdförmige in Form von Erweichungen und Hämorrhagieen in der grauen
und weissen Substanz, besonders in den Hinterhörnern und Hintersträngen. Die¬
selben hingen offenbar von Gefässalterationen (fibrösen Verdickungen der Gefass-
wände) ab. Zweitens bestanden „systematische“ Degenerationen, besonders in den
Nervenfasern der Peripherie des Rückenmarks; graduell waren diese in den ver¬
schiedenen Höhen verschieden, bald in den vorderen, bald in den seitlichen und
hinteren Regionen ausgesprochener. Die grösste Intensität dieser Veränderungen
fiel in die Ebenen, in denen auch die Gefässerkrankung am stärksten war. (Mit
den Befunden bei hereditärer Ataxie des Menschen haben diese Befunde nach
den beigegebenen Photographieen nichts Gemeinsames. Ref.)
H. Haenel (Dresden).
6) Läsion primitive da t&bes« par M. Nageotte. (Progräs mädical. 1900.
S. 234.)
Verf. fand bei einem Falle von Gehirntumor frische beginnende tabische
Veränderungen der hinteren Wurzeln zumal im Cervicaltheile, und untersuchte die
Präparate naoh Marchi. Die Befunde können hier nicht ausführlich mit-
getheilt werden und sei auf die Mittheilung hiermit hingewiesen.
Passow (Goslar-Marienbad).
Pathologie des Nervensystems.
7) Die Tabes dorsalis. Erweiterte Sonderausgabe aus der Real-Encyklopädie
der gesammten Heilkunde, 3. Aufl., von E. v. Leyden. (Berlin-Wien, 1901.
Urban u. Schwarzenberg. 140 S.)
Man wird es dem Verf. allgemein Dank wissen, dass er sich entschlossen hat,
seine Bearbeitung der Tabes für die 3. Aufl. der Eulenburg’schen Encyklopädie
einem grösseren ärztlichen Leserkreise in einer erweiterten Sonderausgabe zu¬
gänglich zu machen. Hat er doch seit mehr denn 30 Jahren gerade auf diesem
Gebiete unermüdlich gearbeitet und einen Schatz von Erfahrungen gesammelt,
deren Resultate von Niemandem, der in der Frage der Tabes nach irgend einer
Richtung hin arbeiten will, ohne Schaden für den Erfolg Beiner Arbeiten ver¬
nachlässigt werden dürften. Der erste Theil der Arbeit (46 Seiten) giebt den
in nur unwesentlichen Einzelheiten geänderten Abdruck des Artikels „Tabes“ aus
der 2. Aufl. der Encyklopädie wieder. In den Nachträgen (1889 — 1900) werden
die neuesten Errungenschaften auf dem Gebiete der pathologischen Anatomie der
Tabes, die Deutung des pathologischen Befundes unter weitgehendster Berücksich¬
tigung unserer jetzigen Kenntnisse von dem anatomischen Aufbau der Hinter-
stränge und unter Verwerthung der durch die Neurontheorie jetzt allgemein zur
Geltung gelangten physiologischen Anschauungen besprochen; Verf. verbreitet sich
dann ausführlich über das Wesen und die Pathogenese der „sensorischen Ataxie“,
wobei er sich zu einem wesentlichen Theile auf die experimentellen Arbeiten
Bickel’s bezieht. Einen verhältnissmässig geringen Raum nehmen die Bemer¬
kungen über die Erweiterung unserer Kenntnisse auf dem Gebiete der Sympto¬
matologie ein; in der Frage der Aetiologie nimmt Verf. bekanntlich noch wie
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früher einen Erb u. A. gegenüber absolut gegensätzlichen Standpunkt ein, zo
dessen Stütze er hier Virchow’s bekannte Ausführungen fast wörtlich wieder-
giebt. Den weitaus grössten Raum der Arbeit beanspruchen v. Leyden’s Aus¬
führungen über die Therapie. Es werden zuerst die verschiedenen von Alters
her geübten Formen der allgemeinen und symptomatologischen Therapie besprochen;
in breiter Ausführlichkeit wird schliesslich die compensatorische Uebungstherapie
in ihren Methoden und mit den dazu verwandten Apparaten, wie sie durch
v. Leyden und seine Schüler im Laufe der letzten 10 Jahre auf der I. medicin.
Klinik zur Ausbildung gelangt ist, geschildert. Verf. vergisst dabei auch nicht
auf eine Reihe von Contraindicatiouen hinzuweisen, wie Opticusatrophie, erhebliche
Ernährungsstörungen, schwere neurasthenische Zustände, schwere gastrische Krisen
u. a. Verf. bevorzugt bekanntlich, wenn er auch die Uebung ohne Apparate
nicht vernachlässigt, die Uebung an Apparaten. Letztere werden zum Theil durch
Abbildungen veranschaulicht, ihre specielle Methodik ausführlich auseinandergesetzt;
als Ergänzung sind die Auseinandersetzungen über die methodischen Steh- und
Gehübungen, zu deren Durchführung bisweilen Schienen- bezw. Corsettapparate
dienlich sind, anzusehen. Schliesslich werden auch noch Anweisungen für die
Uebungsbehandlung bei Ataxie der oberen Extremitäten gegeben. Den Schloss
der Arbeit bilden acht ausführlich mitgetheilte Krankengeschichten, die die Erfolge
der Uebungstherapie veranschaulichen, und ein Litteraturverzeichniss.
Martin Bloch (Berlin).
8) Zur Aetiologie und pathologischen Anatomie der Tabes dorsalis, von
Prof. Dr. Dinkler in Aachen. (Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilk. 1900.
XVIII.)
In 93 °/ 0 seiner Fälle von Tabes gelang es dem Verf. eine vorausgegangene
syphilitische Infection nachzuweisen. In 3 Fällen, welche zur Autopsie und ana¬
tomischen Untersuchung kamen, fanden sich ausser den charakteristischen Ver¬
änderungen auch solche an der Dura, Pia und Arachnoidea. Es handelte sich
dabei um eine Infiltration der Häute mit Rundzellen von diffuser und herd¬
förmiger Anordnung, sowie um gleiche Veränderungen und entzündliche Ver¬
dickungen an den Gefasswandungen. Und zwar sind Arterien, Venen und Capil-
laren in gleicher Weise betroffen. Im Allgemeinen war die dorsale Hälfte der
Pia und Arachnoidea stärker afficirt, als die ventrale. Nur in einem Falle von
syphilitischer Meningitis war es möglich die gleichen Verhältnisse nachzuweisen,
die hier nur weniger intensiv ausgebildet waren. Offenbar dürfte in Zukunft bei
der Tabes häufiger eine Erkrankung der Meningen gefunden werden, als man bis
jetzt anzunehmen pflegt. E. Asch (Frankfurt a/M.).
9) Ueber die Beziehungen der Syphilis zur Tabes und zur Paralysis
progressiva, von Dr. Mark Bermann. (Wiener med. Wochenschr. 1900.
Nr. 33.)
Verf. macht aufmerksam, dass er von 1895—1899 in einem von Syphilis
durchseuchten Bezirke Bosniens unter 12865 ambulanten und 2162 Spit&lkranken,
worunter sich 464 an tertiärer Syphilis Leidende befanden, nicht ein einziges
Mal Tabes oder progressive Paralyse gesehen habe, was dafür spräche, dass die
Syphilis nicht allein für die erwähnten beiden Krankheiten verantwortlich zo
machen sei. J. Sorgo (Wien).
10) Beitrag zur Tabes-Syphilisfrage, von Dr. S. Nose. (Mittheilungen der
modicin. Facultät der kaiserl.-japanischen Universität in Tokio. 1900.)
Die wichtige Frage, ob ein ätiologisches Abhängigkeitsverhältniss zwischen
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Tabes dorsalis und Syphilis besteht, hat bereits eine grosse Zahl von Statistiken
von Seiten der europäischen Kliniker veranlasst. Der Verf. sucht dieser Frage
an der Hand eines grösseren japanischen Materials näher zu kommen. Er hat
96 Fälle von Tabes dorsalis gesammelt, davon 83 Männer und 13 Frauen, und
kam dabei zu folgenden Zahlen:
I. Fälle mit vorausgegangener syphilitischer Infection:
a) mit sicherer syphilitischer Infection . . . 46 Fälle « 47,9 °/ 0 \ 5330 /
b) mit wahrscheinlicher syphilitischer Infection 10 „ = 10,4 °/ 0 / ' '°‘
II. Fälle ohne nachweisbare syphilitische Infection:
a) ohne Tripper . . 24 Fälle = 25,0 °/ 0 \ fi0 /
b) mit Tripper . . 15 „ = 16,6 °/ 0 j ’ '°'
Von jedem einzelnen dieser Fälle giebt der Verf. eine kurze Kranken¬
geschichte mit Status. Vergleicht man diese Zahlen mit den Durchschnitts¬
zahlen, welche sich aus den Statistiken der europäischen Autoren ergeben, so er-
giebt sich, dass eine erhebliche Differenz zwischen dem japanischen und dem
europäischen Material nach dieser Richtung nicht besteht.
Max Bielsohowsky (Berlin).
11) Ueber die Beziehungen zwischen Diabetes mellitus und Tabes dor¬
salis, von Dr. Wilhelm Croner. Aus der königl. Universitäts-Poliklinik
zu Berlin. (Zeitschr. f. klin. Medicin. XLI. S. 60.)
In vorliegender Arbeit wird ausführlich über 3 Fälle von Tabes dorsalis
mit Diabetes mellitus berichtet:
Fall I. öljähr. Uhrmacher, seit 11 Jahren zuckerkrank, Miosis, Pupillen¬
starre, Westphal’sches Phänomen, mässiges Schwanken bei Augenschluss, keine
Motilitäts- und Sensibilitätsstörungen, auch keine Parästhesieen. Incontinentia
urinae (zeitweise) et Retentio urinae. Mal perforant unter der Fusssohle. Zucker¬
gehalt lV 2 °/ 0 -
Fall II. 68 jähr. Arbeiter, früher Lues und rheumatische Schmerzen. Be¬
fund: Atactischer Gang, Westphal’sches Zeichen, Rbomberg’sches Phänomen,
enge Pupillen, Pupillenstarre. Zuckergehalt 2,4 °/ 0 .
Fall III. 49jähr. Privatwächter, früher nierenleidend. Gefühllosigkeit in
den Beinen, stampfender, atactischer Gang, Unsicherheit beim Gehen. Giirtel-
gefühl, Herabsetzung der Sensibilität an den unteren Extremitäten. Fehlen der
Patellarreflexe; Romberg’sches Phänomen. Erloschensein der Libido sexualis;
Retentio urinae. Zuckergehalt des Urins schwankt zwischen 2,8—5,0°/ 0 .
Jacobsohn (Berlin).
12) The pathogeneais of Tabes and allied oonditions of the oord, by
Chalmer Watson. (Brit. med. Journal. 1901. Juni.)
Verf. unternimmt es in diesem Aufsatz, die vasculäre Theorie der Tabes und
verwandter Hinterstrangserkrankungen (bei Hirntumoren, F riedreich’soher
Ataxie u. s. w.) zu stützen. Er geht aus von einem Fall von Ataxie bei einem
Pferde, bei dem im Rückenmark Gefässveränderungen und zahlreiche kleine nekro¬
tische und Erweichungsherde gefunden worden waren. Bei Versuchen, die er
dann bei Pferden mit eigenartig veränderter Fütterung unternahm, sah er mehrere
ebenfalls mit atactischen Symptomen erkranken. Darauf suchte Verf. auch bei Fällen
von Tabes beim Menschen nach Gefässveränderungen und fand solche in Form
von Wandverdickungen, hyalinen Umwandlungen, Erweiterung der perivasculären
Lymphräume und hier und da Obliteration der feinsten Lumina in verschiedenen
Theilen des Querschnitts, in Hinter-, Seiten- und Vordersträngen, auch in der
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grauen Substanz. Diese sollen vorwiegend in Fällen frischer Tabes zu finden
sein (wobei es zweifelhaft erscheinen kann, ob man solche von 24, 27 und
33 Monaten Dauer noch zu den „frischen“ rechnen soll, wie es Verf. thut). Verl
weist bei Gelegenheit dieser nichts weniger als systematischen Gefassveräner¬
rungen darauf hin, dass in vielen Fällen von Tabes eine genaue Untersuchung
auch in anderen Theilen als den Hintersträngen Faserausfall erkennen lässt, sowie,
dass man bei genauem Suchen auch hier und da Stellen atrophischer Erweichung
finden kann. — Als Parallele zu seinen Fiitterungsversuchen, auf Grund deren
er eine vom Intestinaltractus ausgehende Vergiftung oder Disposition zu Vergif¬
tungen als primäre Ursache der Tabes aufstellt, führt er einen Fall eines 54jähr.
Seemannes an, der, nachdem er ein Jahr lang an hartnäckigen Durchfällen und
Erbrechen gelitten hatte, an Tabes erkrankte und im Laufe derselben gastrisch?
Krisen bekam, in deren Folge Verstopfung und blutige, theils übelriechende
Stühle auftraten. Verf. versucht dann weiter auf Grund dieser Doppeltheorie
gewisse psychische, nicht-paralytische Symptome bei Tabes zu erklären, sowie
einen Standpunkt der Syphilistheorie gegenüber zu gewinnen. Die weniger bei¬
gebrachten Thatsachen scheinen Ref. kaum wichtig genug, um auf ihnen eine
neue Theorie der Tabes zu begründen; und auch wenn sie fester gestützt wäre,
würde sie in der Form, wie sie Verf. vorträgt,, kaum geeignet sein, zur Klärung
der vielen zweifelhaften Punkte in der Tabesfrage beizutragen.
H. Haenel (Dresden).
13) lieber den gegenwärtigen Stand der FathogeneBe und Therapie der
Tabes, von Privatdocent Dr. L. Jacobsohn. (Berliner Klinik. 1901
Heft 162.)
Verf. bespricht im ersten Theil seines Aufsatzes die verschiedenen Theorie«
über die Pathogenese der Tabes, um schliesslich unter Verwerfung der Benedict •
sehen „geistreichen Hypothese“ von der „mangelhaften Anlage der Hinterstränge*
zu einem vermittelnden Standpunkte zu gelangen zwischen den Anhängern der
Syphilistheorie und ihren Gegnern, insofern als er mit Edinger der lang dauern¬
den Ueberfunction des sensiblen Systems eine gewisse Rolle zuertheilt, wenn auch
mehr secundärer Natur, während primär ein chronisch wirkendes Gift, das d«
Nervensystem angreift und eine besondere Affinität zu dem sensiblen System be¬
sitzt, als Ursache der Erkrankung anzusehen sei. Hiermit meint Verf. doch wohl
ein durch die syphilitische Infection in dem durch die letztere geschwächten
Organismus in irgend einer Weise zur Entwickelung gebrachtes Gift, wenngleich
er sich manchen schwerwiegenden Einwürfen gegen die Bedeutung der Lues ab
ätiologischen Moments der Tabes, insbesondere der Bedeutung der bekanntes
Virchow’schen Ausführungen nicht verschliesst.
Im zweiten Theil seines Aufsatzes bespricht Verf. unsere Kenntnisse der
pathologischen Anatomie der Hinterstrangsdegeneration, die in Uebeinstimmunf
mit v. Leyden von ihm als eine rein parenchymatöse Erkrankung des peripherisches
sensiblen Neurons angesehen wird, eine Erkrankung, die nicht immer an einer
bestimmten Stelle des Neurons einsetzt, sondern manchmal die peripheren sensibles
Nerven, oft die hinteren Wurzeln, selten die Spinalganglien zuerst ergreift. Schliess¬
lich bespricht Verf. die Therapie. Er warnt vor antisyphilitischen Kuren be:
ausgesprochener echter Tabes, empfiehlt warm das Einhalten auch längerer körper¬
licher Ruhe; oft wirkt selbst mehrwöchige Bettruhe sehr günstig, natürlich ix
Verbindung mit guter Pflege event. wannen Bädern. Was die Uebungstherap?
betrifft, so hält Verf. Apparate für entbehrlich; er glaubt überhaupt, dass d*
Leistungen der compensatorischen Uebungstherapie überschätzt worden sind onc
hält ihre Anwendung nur in den Fällen für angezeigt, in denen der pathologisch?
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1046
ProceBS zu einem relativen Stillstand gekommen ist. Den Grund dafür sieht er
in den auf der sensiblen Bahn sich fortwährend abspielenden Reizerscheinungen,
die ihrerseits unwillkürliche motorische Refleximpulse hervorrufen, die die ge¬
wollten oder ungewollten natürlichen Bewegungen gleichsam als Interferenz¬
erscheinungen stören und durch methodische Uebungen nimmermehr beseitigt, im
Gegentheil, da letztere den Reizzustand der sensiblen Fasern zu steigern geeignet
sind, eventuell noch vermehrt werden können. Martin Bloch (Berlin).
14) Zur Trigeminuaerkrankung als Initialsymptom der Tabes, von v. Frag¬
stein (Wiesbaden). (Deutsche med. Wochenschr. 1901. Nr. 12.)
Bei einem vor 13 Jahren luetisch inficirten Manne trat eine Trigeminus¬
neuralgie sämmtlicher Aeste auf; nach 1V 2 jährigem Bestehen derselben eine fast
totale Lähmung im gesammten sensiblen Gebiete des Trigeminus mit Erhaltenseiu
der Geschmacksempfindung. Fast gleichzeitig machten sich lancinirende Schmerzen
in den Beinen bemerkbar und es entwickelte sich allmählich eine typische Tabes.
— Verf. fasst beide Processe: die Neuralgie und die Tabes als einheitlich auf,
als Folgen der syphilitischen Infeotion, und nimmt an, dass die Läsion den Rern
oder die aufsteigende Wurzel, bezw. beide Stellen getroffen hat.
R. Pfeiffer.
15) Die dentalen Symptome deB Diabetes mellitus und der Tabes dor-
salis, von Dr. Robert Kronfeld. (Wiener med. Wochenschr. 1901.
Nr. 25 u. 26.)
Verf. bespricht das oft frühzeitige Ausfallen und Cariöswerden der Zähne,
bei vollkommener Schmerzlosigkeit derselben, im Gefolge der Tabes.
J. Sorgo (Wien).
16) Ueber Störungen des Aohillessehnenreflexes bei Tabes und Ischias,
von Dr. Max Biro. Aus der Poliklinik des Dr. Goldflam in Warschau.
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XIX.)
An der Hand einer grösseren Anzahl einschlägiger Fälle konnte Verf. nach-
weisen, dass bei Erkrankungen des Ischiadicus der Achillessehnenreflex sehr häufig
an der ergriffenen Extremität nicht auslösbar ist, während er am gesunden Bein
niemals fehlt. Mit wiederkehrender Genesung kommt auch der erloschene Reflex
allmählich wieder. Es resultirt daraus, dass es sich bei den Affectionen des
Ischiadicus nicht um ein neuralgisches Leiden handelt, sondern dass es entzünd¬
liche Erscheinungen sind, welche die Symptome hervorrufen. Auch bei der Tabes
fehlt im Beginn des Leidens nicht so selten der eine Achillessehnenreflex, um bei
weiterem Fortschreiten des Processes auch auf der anderen Seite zu verschwinden.
E. As oh (Frankfurt a/M.).
17) Ueber die Localisation der tactilen Hautan&sthesie Tabetisoher, von
Dr. F. Gr ebner. (Wiener med. Presse. 1900. Nr. 42 u. 43.)
Verf. prüfte an 52 Fällen von Tabes die Vertheilung der Sensibilitäts-
8 törungen. 51 Mal fand er im präataktischen Stadium herabgesetzte Sensibilität
am Oberkörper. Regelmässig liess sich in den frühesten Stadien im Bereich der
3. Dorsalwurzel, und zwar dicht über der Brustwarze, in der Mamillarlinie ein
hypästhetischer Fleck nachweisen, dem ein analoger am Rücken zwischen hinterer
Axillar- und Medianlinie entsprach. Diese Zone breitet sich allmählich nach
unten und auch nach oben hin ans. Hierauf konnte Verf. die Ausbreitung an
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einigen Fällen bis in das Gebiet des 7. und 6. Cervicalnerven verfolgen. Ni#
aber fand er eine Herabsetzung in der oberen äusseren Schultergegend, am Ha!»
oder auf der oberen Brustregion oberhalb der 3. Rippe, also nie im Bereiche der
oberen Cervicalnerven.
Die obere Körperhälfte weist im Beginn der Erkrankung viel häufiger eii-
ausgebreitete Anästhesie als die untere und in letzterer ist es hauptsächlich de
1. Sacralis (in allen Fällen des Verf.’s, einen ausgenommen), der den Ausgang
punkt der Anästhesie abgiebt, welche von hier nach oben und unten den Wurzel-
gebieten entsprechend fortschreitet, mitunter aber den 2. Sacralis überspringen
kann. Verf. bestätigt auch, dass selbst in Fällen hochgradigster Anästhesie die
Sensibilität an der Grenze der von den Dorsalnerven nach unten und den Saeral-
nerven nach oben fortschreitenden Störung, also im Bereiche des 11. uad
12. Dorsal- und 1. Lumbalnerven, nicht ganz erloschen sei.
J. Sorgo (Wien).
18) Beitrag zur Kenntniss der „Alloohirie“, von Dr. Determann io
St. Blasien. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVIIL)
In einem Falle vorgeschrittener Tabes mit hohem Sitz bestand ausser anderes,
häufig vorkommenden Anomalieen der Sensibilität die eigentümliche Störung,
dass ein Schmerzreiz neben der Tast- nnd verlangsamten Schmerzempfindung der
gleichen Seite eine weniger verlangsamte Schmerzempfindung der entgegengesetzten
Körperhälfte von anderem Charakter hervorruft. Und zwar fand sich die Hit¬
empfindung an der symmetrischen Stelle der anderen Seite, dehnte sich aber
über einen viel grösseren Bezirk aus, als es an der direct gereizten Extremität
der Fall war.
Diese Erscheinung der Allochirie wurde bei einer grösseren Zahl von Er¬
krankungen des Rückenmarks und ausserdem bei der Hysterie und Meniere'scb«
Krankheit beschrieben. In diesem Falle handelte es sich um eine Empfindung«-
und Reflexallochirie, die in Zusammenhang mit dem hohen Sitz des Leidens auf
die Hand beschränkt blieb. Merkwürdig war die Beantwortung des Stiches durch
drei, zeitlich, räumlich und qualitativ voneinander verschiedene Empfindung»,
ferner die Umformung der stichartigen Schmerzempfindung in eine brennend#,
contralateral gelegene, sowie das zeitliche und räumliche An- und AbschweUf*
der allochiriBchen Empfindung.
Verf. lässt es unentschieden, ob beim Zustandekommen dieser Erscheinung»
nur spinale Veränderungen vorliegen, oder ob nicht auch in solchen Fällen für
das Gehirn abnorme Uebertragungen des Reizes möglich sind.
E. Asch (Frankfurt a/MA
10) Une oomplioation du tabes non enoore sign aide, par Sab rares et
Fauquet. (Nouv. Iconogr. de la Salp. 1900. XIII. S. 253.)
Enthält die Krankengeschichte einer 54jähr., an Tabes leidenden Frau, bei
welcher sich während der Extraction eines Zahnes eine complete Fractur der
Alveolarfortsätze beider Oberkieferknochen eingestellt hatte, die fast als Spontao-
fractur anzusehen war, da die Gewalt beim Ansätze der Zange sehr gering war.
Facklam (Lübeck!
20) Ueber Athetose als Oomplioation von Tabes dorsalis, von Dr. Arus-
perger, Volontärarzt an der medicin. Klinik in Heidelberg. (Deutsch#
Zeitschr. f. Nervenheilk. 1900. XVIII.)
In 2 Fällen typischer Tabes bestanden ausserdem wurmformig-kriecbezuk
langsame, continuirliohe Streckungen und Beugungen der Finger mit Spreizung
Google
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1047
und Zusammenziehen in SchreibBtellung, sowie athetotische Bewegungen der Beine,
welche im Schlafe aufhörten. Ausserdem fand sich in der einen Beobachtung das
selten nachzuweisende Symptom der intermittirenden Pupillenstarre.
Verf. glaubt, dass die anatomische Grundlage der die Tabes complicirenden
Athetose in Gehirnveränderungen besteht, die neben der Affection des Rücken¬
marks einhergehen. E. Asch (Frankfurt a/M.).
21) Zur Symptomatologie der Tabes dorsalls im prftataktlschen Stadium
und über den Einfluss der Optiousatrophie auf den Gang der Krank¬
heit, von Dr. Otfrid Förster in Breslau. (Monatsschr. f. Psychiatrie u.
Neurologie. VIII.)
Verf. stellt 27 Fälle von Tabes dorsalis im präataktischen Stadium zusammen,
welche er unter Prof. Dejerine an der Salpetrige zu Paris beobachtet hat,
um an der Hand derselben eine Untersuchung über die Frühsymptome der Tabes
nach ihrer Art und Häufigkeit anzustellen.
Die Krankheitsdauer der beobachteten Fälle schwankt zwischen 7 Wochen
und 23 Jahren, ein Beweis dafür, wie verschieden lange die Krankheit in der
präataktischen Periode verharren kann.
Das allererste Symptom, mit dem die Krankheit einsetzt, sind meist lanci-
nirende Schmerzen (13 Mal), sodann gastrische Krisen (5 Mal), Blasenstörungen
(3 Mal), Opticusatrophie (2 Mal), Augenmuskelstörungen (3 Mal).
Ueberhaupt beobachtet wurden: lancinirende Schmerzen 24, Parästhesieen 13,
Gürtelgefühl 7, Ulnarissensation 7, Magenkrisen 11, Larynxkrisen 6, Blasen¬
störungen 17, Diplopie 5, reflectorische' Pupillenstarre 24, Miosis, bezw. My-
driasis 18, Ungleichheit der Pupillen 9, Lähmung oder Trägheit des Sphinkter
Iridis 4, Anomalieen der Augenbewegung 21, Hypotonie an Arm und Bein 7,
Steigerung der mechanischen Muskelerregbarkeit 18, Sensibilitätsstörungen der
Haut 24, Gelenksensibilitätsstörungen 12, Fehlen des Patellarreflexes 16, des
Achillesreflexes 15 und des Tricepsreflexes 18 Mal.
Blasenstörungen, die bei vorgeschrittener Tabes kaum jemals fehlen, sind
auch im präataktischen Stadium relativ häufig und verdienen für die Früh¬
diagnostik des Leidens besondere Beachtung; am häufigsten ist Incontinenz, seltener
Detrusorschwäche, Tenesmus oder Blasenkrisen. Dass die Pupillenstarre am
häufigsten mit Miosis verbunden ist, kann Verf. nicht bestätigen; er fand ebenso
oft Mydriasis oder normal weite Pupillen. Wenn ausgesprochene Hypotonie
(Frenkel) auch nur 7 Mal beobachtet wurde, so war doch eine gewisse Ver¬
minderung des Widerstandes bei passiven Bewegungen in der Mehrzahl der Fälle
vorhanden. Ein sehr häufiges und augenfälliges Symptom war die Steigerung der
directen mechanischen Muskelerregbarkeit; zwischen dieser und dem Verhalten
der Sehnenreflexe besteht ein gewisser Gegensatz, indem die erstere um so leb¬
hafter ist, je mehr die letzteren geschädigt sind. Bei Prüfung der Sehnenreflexe
ist auf dieses Verhältnis besonders zu achten, weil durch dasselbe leicht das
Fehlen des Sehnenreflexes verdeckt werden kann. Das Westphal’sche Zeichen
fand Verf. bei Weitem nicht so häufig, als er erwartet hatte; es bestand auf
beiden Seiten 15 Mal, auf einer Seite 1 Mal. In 3 Fällen war der Patellarreflex
auf einer Seite nur schwach vorhanden, in einem Falle beiderseits gesteigert, in
7 Fällen ganz normal.
Eingehend beschäftigt sich Verf. mit den Sensibilitätsstörungen, die zu den
constantesten und frühesten Symptomen der Tabes gehören. Es handelt sich
dabei nicht um grobe Anästhesieen, sondern um oft nur feine taktile Hypästhesieen
oder um Anästhesieen für leichte Berührung. Die Form der Störung wechselt
nicht unerheblich von einfachen Flecken oder schmalen Streifen meist in der Um-
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gebung der Brustwarzen und an nahezu gleich hohen Stellen am Bücken bis rar
vollständig den Thorax ringförmig umziehenden Gürtelzone. Die Form halt rieh
im Wesentlichen an die Versorgungsgebiete der hinteren Dorsalwurzeln und nicht
der peripheren Nerven. Im Bereiche der tiefen Sensibilität (Haut- und Muskel-
Sensibilität, Gefühl für passive Bewegungen der Glieder) fanden sich nur (in
9 Fällen) feine Störungen in den Fingern und zwar fast immer im Kleinfinger
oder diesem und dem Goldfinger, eine Localisation, welche für Tabes geradezu
charakteristisch ist und auch im ataktischen Stadium zunächst fort besteht, während
erst beim weiteren Fortschritt sich auch die übrigen Finger und die grossen Ge¬
lenke betheiligen.
Dass bisher den lancinirenden Schmerzen, der refiectorischen PupillensUm
und dem Westphal’schen Zeiohen als Kardinalsymptomen der Tabes ein Vorzug
vor den übrigen Symptomen eingeräumt wurde, vermag Verf. nach seinen Erfah¬
rungen nicht als berechtigt anzuerkennen. Vor Allem müsste maD, wenn man
sich allein nach der relativen Häufigkeit richten wollte, das Westphal'schc
Symptom durch die Sensibilitätsstorungen am Rumpfe ersetzen.
Verf. weist auf den auffälligen Umstand hin, dass die Symptome, welche du
Krankheitsbild zusammensetzen, räumlich sehr weit getrennten Abschnitten des
Nervensystems (von der Medulla oblongata biB zum Conus terminalis) zuzuBchreihe®
sind, und bezeichnet diesen „multiloculären“ Charakter der Tabes als für die
Diagnose besonders wichtig.
Der zweite Theil der Arbeit beschäftigt sich mit dem Einfluss der Opticos*
atrophie auf dem Verlauf der Krankheit. Bei den vom Verf. beobachteten
13 Fällen mit Opticusatrophie bestand die Krankheit schon durchschnittlich
9 1 /, Jahre, während bei den 14 anderen die mittlere Krankheitsdauer 4 1 /, Jahre
beträgt. Einzelne Kranke der ersten Kategorie haben ihre Tabes seit 23, 19,
16 Jahren, lassen aber seit ihrer Erblindung nicht den geringsten Fortsehritt
der Krankheit erkennen. Das heisst mit anderen Worten, Fälle mit Opticus¬
atrophie verharren viel länger in der präataktischen Periode. Damit stimmt and)
die Beobachtung überein, dass fast alle Symptome relativ seltener (nicht „häufiger,
wie versehentlich im Original steht) bei den Fällen mit, als bei denen ohne Blind¬
heit vertreten sind. Es findet sogar mit der sich entwickelnden Opticusatrophie
ein Rückgang von vorher bestehenden Symptomen statt. Fast sämmtliche von
Verf. beobachteten Kranken gaben bestimmt an, dass Hand in Hand mit der Ab¬
nahme ihrer Sehkraft auch eine Verminderung der lancinirenden Schmerzen ein-
herging. Auch andere subjective Symptome, Parästhesieen, Krisen, Blasenstörungej
erfuhren bisweilen parallel mit der Zunahme der Opticusatrophie eine erheblich-
Besserung. Von objectiven Symptomen kann namentlich die Ataxie, welche über¬
haupt seltener in den Fällen mit Opticusatrophie zu beobachten ist, nach Ent-
Wickelung einer solchen wieder völlig verschwinden, wie Verf. selbst in zwei«
seiner Fälle beobachtete.
Jedenfalls wird bei gleichzeitiger Degeneration des Sehnerven die Krankte:!
nicht selten aufgehalten, ja in gewissem Sinne sogar gebessert. Opticusatropb-
und Ataxie scheinen geradezu in einem gewissen Gegensätze zu stehen. Uek
den tieferen Grund dieser gegensätzlichen Beziehung hat man freilich noch nicb
die geringste Vorstellung. Theodor Ranniger (Sonnenstein).
22) Laryngeale Störungen bei den Erkrankungen des oentralen Nerven¬
systems, mit besonderer Berücksichtigung laryngealer Storungen t»
Tabes dorsalis, von Dr. Johann Sendziak. (Klin. Vorträge aus der.
Gebiete der Otologie u. Pharyngo-Rhinologie. IV. Heft 3.)
Die Einleitung vorliegender Arbeit behandelt kurz den gegenwärtigen SU
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1049
unseres Wissens von der Anatomie und Physiologie der Innervation des Kehl¬
kopfes. Verf. bespricht dann die Kehlkopfsymptome bei den verschiedenen Er¬
krankungen des Centralnervensystems, stets unter eingehender Berücksichtigung
der Litteratur, gleichzeitig aber eine grössere Zahl von eigenen Einzelbeobachtungen
erwähnend; so hat er unter 31 Fällen von Hemiplegie 4 Fälle von Posticus-
lähmung, die immer einseitig, drei Mal ihren Sitz auf der der hemiplegiBchen
Seite entgegengesetzten Larynxhälfte, ein Mal nur auf der gleichseitigen hatten;
bei 16 Fällen von Hirnlues fand Verf. zwei Mal Kehlkopfmuskellähmungen; bei
10 Hirntumoren sah er zwei Mal Posticuslähmung. Von anderen Erfahrungen
des Verf.’s seien noch erwähnt seine Beobachtungen bei multipler Sklerose; unter
9 Fällen konnte er nur zwei Mal normale Verhältnisse constatiren, in 3 Fällen
sah er Lähmungen, bei 4 Kranken Zittern der Stimmlippen; letzteres Symptom
hat Verf. auch zwei Mal bei Paralysis agitans beobachtet. Bezüglich anderer
interessanter Beobachtungen (bei amyotrophischer Lateralsklerose, Syringomyelie,
multipler Neuritis u. a.) muss auf das Original verwiesen werden.
Im zweiten Theil seiner Arbeit geht Verf. genauer auf die Geschichte der
faryngealen Störungen bei Tabes ein; seine eigenen Untersuchungen betreffen
22 Fälle von Tabes, die laryngoskopisch untersucht wurden, von denen er in der
Hälfte der Fälle Störungen fand, und zwar 9 Mal Lähmungen und 2 Mal Ataxie
der Stimmbänder; es handelte sich 2 Mal um Recurrenslähmung (1 Mal mit
Aortenaneurysma complicirt), 2 Mal um doppelseitige Posticuslähmung, 2 Mal um
einseitige Posticuslähmung, und 3 Mal um Parese eines M. crico-arytaenoideus
posticus. Zwei Patienten des Verf.’s hatten Larynxkrisen gehabt.
Martin Bloch (Berlin).
23) Ett feil af tabes dorsalis med larynxsymptom, af Karl Nordquist.
(Hygiea. 1900. LXII. S. 646.)
Eine 55 Jahre alte Frau hatte im Alter von 32 Jahren Stickhustenanfalle
bekommen, die seit etwa 10 Jahren immer häufiger und heftiger geworden waren.
Sie kehrten schliesslich täglich mehrere Male wieder, wurden durch jeden auf den
Kehlkopf wirkenden Beiz ausgelöst und konnten auch durch Druck auf den
N. laryngeus superior erzeugt werden. Sie begannen mit Erstickungsgefühl und
krankhaftem Constrictionsgefühl im Kehlkopf, darauf folgten kurze explosive
Exflpirationsstösse und danach langgezogene Inspirationen, die bei schweren An¬
fällen von starkem Pfeifen begleitet waren. Die laryngoskopische Untersuchung
ergab die Erscheinungen der Posticuslähmung. Bei genauerer Untersuchung
fanden sich fast alle klassischen Tabessymptome. Es handelte sich also um
Larynxkrisen, die ungewöhnlich lange dem Ausbruche der Tabes vorausgegangen
waren; erst im Laufe des Jahres vor der Untersuchung hatte die Kranke bemerkt,
dass sie im Dunkeln sohwer gehen konnte, Schmerzen in den Beinen hatte sie
seit einem halben Jahre bemerkt, die übrigen vorhandenen Symptome waren ihr
vor der Untersuchung gar nicht bewusst geworden.
Walter Berger (Leipzig).
24) Sensorielle Krisen bei Tabes dorsalis, von Dr. F. U mb er (Berlin). Aus
der medioin. Klinik in Strassburg i/E. (Zeitschr. f. klin. Med. XXXIX.
S. 480.)
In einem etwas atypischen Falle von Tabes dorsalis, in welchem seit etwa
15 Jahren regelmässig wiederkehrende Crises gastriques bestanden, traten stets
im Anschluss an diese Krisen andere von Seiten des Geruches und Geschmackes
auf. Es stellte sich bei dem Pat. ein Schwellungsgefühl im Halse und im Schlunde
ein, darauf ein Gefühl des Dickwerdens der submaxillaren Speicheldrüsen mit
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profuser Secretion, an welcher sich ein Aufsteigen scheusalicher GeruchB- und
Geschmacksempfindungen anschloss. Diese abscheulichen Sensationen traten regel¬
mässig am 6. Tage der Crises gastriques, und zwar Abends beim Einschlafen ein.
Auch im Erwachen dauerten diese abnormen Sensationen an, bis sich Pat auf¬
gesetzt und durch Umherblicken überzeugt hat, dass er sich nicht in der scheu»
liehen Umgebung, sondern in seinem Bette befindet. Diese Zustande wiederholten
sich mehrere Male in der Nacht immer in der gleichen Weise. Die Sensationen
beschränkten sich anfangs nur auf die Geruchssphäre, gingen dann am letztet
oder vorletzten Tage der Krise auch auf die Geechmackssphäre über. Pat. roch
und schmeckte sonst alles in normaler Weise, auch stand der Befund an seiner
Nase nicht in ursächlichem Zusammenhänge mit diesen Sensationen.
Jacobsohn (Berlin).
25) Zur Kenntnlas der Clitoriskriaen , von Privatdocent Dr. Georg Köster
in Leipzig. Aus der medicin. Universitätapoliklinik in Leipzig. (Münchener
med. Wochenschr. 1901. Nr. 5.)
In einem Falle von typischer Tabes, der eine 49jähr. Frau betrifft, treten
seit etwa 10 Jahren in 4 wöchentlichen Intervallen, und zwar hauptsächlich um
die Zeit der Menstruation und in den Abendstunden, wenn die Kranke wachend
oder im Halbschlaf zu Bett liegt, Zustände geschlechtlicher Erregung auf. Es
kommt dabei zu wollüstigen Empfindungen in der Scheide, zu erotischem Spasmus
und zur Secretion von Uterin- oder Vaginalschleim. Nachher setzen lebhafte
Schmerzen in der Vagina und Unterleib mit Ausstrahlen nach der Rückengegend
ein, die mehrere Stunden anhalten, und welchen an den folgenden Tagen ein
Gefühl der Mattigkeit und Schwäche folgt. Häufig werden die schon vorhandenen
lancinirenden Schmerzen durch diese Krisen ungünstig beeinflusst.
Diese Clitoriskriaen bilden ein Analogon zu den Magenkrisen einerseits und
andererseits zu den erhöhten Reizzuständen der männlichen Tabiker, wie sie in
Form häufiger Erectionen, Pollutionen, Priapismus und erhöhter Libido auf-
treten und dem Symptom des PotenzverluBtes vorauseilen.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
20) A oase of neuritis of posterior roots: preet&xio stage of tabes dor-
salisP by W. Ransom. (Brit. med. Journ. 1900. 24. November.)
Ein 44jähr. Patient, welcher Lues anamnestisch leugnete (die Frau des Pat.
hatte 5 Aborte durchgemacht), litt seit einem Jahre an Attacken von heftigen
bohrenden Schmerzen im linken Hypochondrium, später auch in der linken Hälfte
der Regio epigastr. — Die Schmerzen nahmen an Intensität zu, so dass Pat.
zeitweilig Selbstmordgedanken hatte. — Das rechte Kniephänomen fehlte, links
war dasselbe vorhanden. — Die Pupillen waren eng, reagirten auf Acoommodatiot,
nicht aber auf Lichteinfall. — Kein Romberg’sches Zeichen, Gang normal,
Sphinkteren intact. Sensibilität im Allgemeinen völlig normal. Nur in der
linken Hälfte der Regio epigastr. fand sich dort, wo über die lancinirenden
Schmerzen geklagt wurde, eine etwa markstückgrosse ausgesprochene anästhetische
Stelle; zuweilen fand sich auch eine solche an der entsprechenden Stelle im Rücken
im Bereich des linken 8. Dorsalnerven.
Hinsichtlich der Diagnose hatte man anfänglich an die Möglichkeit eines
bestehenden Tumor medullae spinalis gedacht, später jedoch das Bestehen einer
Tabes incipiens oder progressiven Paralyse ins Auge gefasst. — Energische Hg-
und Jodkalibehandlung hatte keinen Nutzen. Die Schmerzen blieben an derselben
Stelle und wurden unerträglich.
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Als Palliativmittel entschloss man sich zur Eröffnung des Spinalsackes und
legte die Medulla spinalis in der Höhe der 6.— 8. Dorsalnerven frei. Man fand
nichts Abnormes. Nur die linke 8. hintere Wurzel erschien dicker als die
übrigen. Beiderseits wurden Stücke von der 7. und 8. hinteren Wurzel excidirt
und behufs näherer Untersuchung in Osmiumsäure golegt. — Die mikroskopische
Untersuchung ergab ausgesprochene Degeneration der hinteren Wurzel des linken
8 . Dorsalnerven.
Pat. starb an SepsiB. Das Rückenmark zeigte „vielleicht“ im Lurabaltheil
leichte Sklerose der hinteren Stränge, sonst keine charakteristischen Veränderungen.
Es handelt sich im vorliegenden Falle um Tabes incipiens mit ganz be¬
schränkten anatomischen Veränderungen. E. Lehmann (Oeynhausen).
27) Les troubles de la marohe dans l’ataxie looomotrioe progressive
ötudiäs & l’aide du oinämatographe, par Prof. Marinesco. (Semaine
mödicale. Paris, 1901. Nr. 15.)
Verf. hatte Gelegenheit, an 14 Fällen von Tabes dorsalis die Erscheinungen
dieser Krankheit in allen ihren Stadien zu beobachten. Er machte hierbei die
tabische Ataxie zum Gegenstand besonders genauer Forschungen und bediente
sich zu der Analyse der Gehstörungen des Kinematographen. Die vorliegende
Arbeit enthält die Resultate seiner Untersuchungen. Vorausgeschickt wird eine
kurze Litteraturübersicht. Verf. unterscheidet 3 Gruppen von Kranken: solche
mit einer leichten Form der Ataxie, bei denen die Gehstörungen zwar deutlich
erkennbar, aber nicht sehr ausgesprochen sind, solche mit vorgeschrittener Ataxie
und solche mit weit vorgeschrittener Ataxie. Er zerlegt den Schritt in seine
einzelnen Phasen und erläutert an instructiven Kinematogrammen die für jede
Phase bestehenden Abweichungen. Während sich für die ersten beiden Gruppen
die CoordinationBstörungen noch bis zu einem gewissen Grade systematisiren lassen,
fällt bei der dritten Gruppe die ausserordentliche Unregelmässigkeit der Be¬
wegungen auf. Es wird hervorgehoben, dass die wirkliche Länge des Schrittes
sich nicht mit der scheinbaren Schrittlänge deckt, sondern hinter derselben zurück¬
bleibt. Verf. nennt diesen Unterschied retrograde Bewegung und weist an der
Hand einer kleinen Tabelle darauf hin, dass sich für die Grösse dieser Bewegung
eine Gesetzmässigkeit nicht finden lasse. Sodann hat Verf. in seinen Fällen von
tabischer Ataxie als ein sehr charakteristisches Symptom eine Hypotonie der
Beugemusculatur an den unteren Extremitäten gefiinden. Diese Hypotonie ist
stets mit einer mehr oder weniger erheblichen Kraftabnahme der Muskeln ver¬
bunden. Den Schluss der Arbeit bilden längere Ausführungen über die Ursache
der Ataxie. Es werden hier alle jene bekannten Theorieen entwickelt, welche
zur Erklärung der ataktisohen Erscheinungen aufgestellt worden sind, von denen
aber keine als unanfechtbar gelten kann. Verf. fügt nun den vorhandenen auch
die seinige hinzu, welche darin gipfelt, dass die Ataxie regelmässig durch eine
Hypotonie gewisser Muskelgruppen, der Beugemuskeln der unteren Extremitäten,
hervorgerufen wird. Die Hypotonie wiederum entsteht, wenn der degenerative
Process der Tabes bis zu einem bestimmten Grade der Ausbildung gelangt ist
und resultirt aus pathologischen Veränderungen, die nicht nur im Rückenmark,
sondern auch ira Grosshirn und Kleinhirn ihren Sitz haben. Demgemäss ist die
Ataxie nicht nur spinalen, sondern auch cerebralen und cerebellaren Ursprungs.
H. Sohnitzer (Stettin-Kückenmühle).
28) Tabes trophique. Arthropathica. Radiographie, par E. Dupr6 et
A. Devaux. (Nouv. Icon, de la Salp. 1900. XIII. S. 498.)
In einem Falle von tabisoher Arthropathie beider Kniegelenke ist es den
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Verff. mit Hülfe der Radiographie gelungen, nachzuweisen, dass an diesen Ver¬
änderungen nioht die knöchernen Theile der das Gelenk bildenden Organe, sondern
hauptsächlich die periarticulären Gewebe (Sehnen, Ligamente, Synovialkapsel, ein-
gelagerte Knochenstückchen u. s. w.) betheiligt sind.
Es handelte sich um einen 54jährigen Mann, der schon seit 20 Jahren an
Tabes, aber erst seit 3 Jahren an einer Arthropathie beider Kniegelenke b'ti
Facklam (Lübeck).
29) Un oas rare d’ostöo-arthropathie , par Georges Gasne. (Nouv. Icon,
de la Salp. 1900. XIII. S. 404.)
20jähriger, erblich nicht belasteter Mann fühlte seit 3 Jahren eine all¬
mählich zunehmende Schwäche im rechten Arm, bald darauf schwoll die recht«
Hand ohne alle äussere Ursache an, und 14 Monate später hatte die Anschwellung
sich über den ganzen Arm bis zur Schulter ausgedehnt, um dann langsam wieder
zurückzugehen. Schmerzen und Sensibilitätsstörungen fehlten vollständig, dagegen
stellten sich zugleich mit dem Rückgang des Oedems Motilitätsstörungen ein.
Schliesslich zeigten sich sogar trophische Störungen: die Finger wurden kleiner,
die Handwurzelknochen schrumpften (Röntgenbild!) und es bildete sich eine un¬
vollständige Ankylose des Ellenbogengelenkes heraus, während die Musculatur de«
ganzen Armes atrophirte.
Da andere Symptome, die auf ein organisches Allgemeinleiden hindeuten,
vollständig fehlten, auch keine Tabes oder ein anderes bekanntes Rückenmarks¬
leiden sich diagnosticiren liess, so lässt Verf. die Diagnose offen, hält es aber
nicht für ausgeschlossen, dass die bestehende Erkrankung des rechten Armes der
Vorläufer einer anderen Affection sei. Facklam (Lübeck).
30) Los ostöo-arthropathies vertebrales dann le tabes, par Jean Abadie.
(Nouv. Icon, de la Salp, 1900. XIII. S. 116.)
In einer 92 Seiten starken Monographie giebt Verf. zunächst einen histo¬
rischen Ueberblick über die im Jahre 1884 zuerst von Kroenig beschriebenen
tabi8chen Arthropathieen der Wirbelsäule, und theilt im Anschluss daran die
14 bisher beobachteten Fälle mit, von denen 6 bereits von anderen Autoren früher
veröffentlicht sind. Diese sowie 8 eigene, zum Theil von Prof. Pitres beobach¬
tete Fälle werden ausführlich beschrieben und durch zahlreiche Abbildung«
erläutert. In einem folgenden Capitel bespricht Verf. eingehend die Sympto¬
matologie, pathologische Anatomie, Aetiologie und Pathogenese und zum Schloss
kurz die Prognose, Diagnose und Therapie dieser tabischen Wirbelsäulenerkrankung
Facklam (Lübeck).
31) Zur Gorsettbehandlung der Tabes dorsalls, von Dr. Peter Bade ir
Hannover. (Münchener med. Wochenschr. 1901. Nr. 3.)
Verf. hat ein neues Corsett qonstruirt, welcher die Mängel des Hessing'-
sehen Modells (Druck durch die Armkrücken und Hüftbügel und Aufhebung jeder
Rumpfbewegung) angeblich vermeidet. Es handelt sich um eine Combination dtt
Ledercorsetts mit einer Leibbinde, welche genau nach Maass angefertigt sea
muss. Zwei breite Gummieinlagen ermöglichen ein bequemes Ausdehnen da
Bauches, der Rückentheil ist durch ein Scharnier beweglich, das genau in der
Drehungsaxe der Lendenwirbclsäule liegen muss. An den Seiten sind die beide?
Corsetttheile durch Spiralfedern verbunden, deren Kraft ausdosirt werden miL*
Um einen Druck der Achselhöhle zu verhindern, ist die Stelle, an welcher <fe
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Arm aufliegt, mit einem Gummischlauch gepolstert, der mit Luft aufgebläht wird.
Die vordere Partie des Bruststückes ist zum Schnüren eingerichtet und in der
Höhe der Brustwarze gross perforirt. E. Asch (Frankfurt a/M.).
32) Ueber die Behandlung der Ataxie bei Tabes, von Strözewski. (Ga-
zeta lekarska. 1900. Nr. 39. [Polnisch.])
Verf. berichtet über seine Erfahrungen, die er bei Anwendung der Frenkel’-
schen Methode bei Tabes gesammelt hat. Die Ataxie besserte sich bei dieser
Heilmethode sicherlich. Ausserdem konnte Verf. eine gewisse Besserung der Sen¬
sibilität constatiren (hauptsächlich der cutanen, sonst aber auch des Muskelgefühls
und der Gelenksensibilität). Verf. meint, ferner, dass der Erfolg dieser Behandlung
ein langdauernder sei. Die Behandlung selbst muss aber systematisch und lange
Zeit hindurch durchgeführt werden. Edward Flatau (Warschau).
33) Beitrag zur Behandlung der tabiaohen Ataxie, von K. Strözewski.
(Medycyna. 1900. Nr. 10. [Polnisch.])
Verf. berichtet über grosse Heilerfolge, die er bei 4 Tabikern nach Anwen¬
dung der Frenkel’schen Methode constatiren konnte. In einem dieser Fälle er¬
krankte der Pat. vor 14 Jahren an Tabes dorsalis. Trotz grosser Abmagerung,
sehr ausgesprochener Ataxie und übriger Krankheitssymptome besserte sich sowohl
die Ataxie, wie der allgemeine Zustand nach 6 monatlicher Frenkel’scher Be¬
handlung. Im 2. Falle (Tabes seit 2 Jahren), in welchem die Ataxie nicht be¬
sonders stark ausgeprägt war, schwand dieselbe völlig nach mehrmonatlicher
Compensationsbehandlung. Dasselbe im 3. Falle. Im 4. Falle Tabes seit 14 Jahren.
Ataxie. Der Kranke kann ohne Unterstützung nicht gehen. Nach 5 monatlicher
Frenkel’scher Behandlung geht er ohne fremde Hülfe.
Edward Flatau (Warschau).
34) Ueber die Behandlung der Tabes mit der Frenkel’Bchen Methode, von
Pafiski. (Czasopismo lekarski. 1901. Nr. 12. [Polnisch.])
Verf. hebt mit Recht hervor, dass man bei vielen Nervenkrankheiten danach
streben soll, die einzelnen Krankheitserscheinungen zu beseitigen, wenn auch die
Krankheit selbst unheilbar ist. Dies betrifft vor Allem das sehr peinliche Sym¬
ptom bei Tabes dorsalis, nämlich die Ataxie. Verf. empfiehlt, die Frenkel’sche
Methode zur Beseitigung der Ataxie, sowohl der unteren, als auch der oberen
Extremitäten, da die Resultate, welche man dabei erzielt, befriedigend ausfallen.
Edward Flatau (Warschau).
36) Deux cas de mal perforant traites par la methode de Chipault, par
A. Navarro. (Travaux de neurologie chirurgicale. 1901. I.)
Im 1. Falle handelt es sich um einen Alkoholiker, welcher seit 6 Jahren
sehr schmerzhafte Stellen an dem 5. Metatarsophalangealgelenke hat. Vor
2 Jahren brach er sich den rechten Unterschenkel, der schlecht consolodirt ist.
Seitdem ist die schmerzhafte Stelle am rechten Fuss ulcerirt. Pat. geht damit
herum, bis sich ein grosser Abscess an dieser Stelle entwickelt hat, dann begiebt
er sich zu Verf. Hier wird Folgendes festgestellt: Das 5. Metatarsoplialangeal-
gelenk liegt offen da, die Knochen sind cariös. Ausgesprochene Anästhesie des
Kusses in der Gegend des N. tibialis gegen Schmerz, Hitze und Kälte; Volumens¬
zunahme des ganzen rechten Fusses; die Beweglichkeit in den Gelenken der 2.,
3. und 4. Zehe ist stark herabgesetzt und nur passiv unter starken Schmerzen
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möglich. Behandlung: Antiseptische Bäder. — Dehnung des N. tib. ant. and poet
unter localer Cacai'nanästhesie. Nach 12 Tagen waren die Ulcerationen geschlo«en
und der Kranke konnte gut marschieren, der rechte Fass war auf sein frühe«*,
normales Maass zurückgekehrt.
Fall 2. Das Malum perforanB des Fasses hatte vor 7 Jahren in Folge
einer Wundinfection am Fusse begonnen. Seitdem mehrere Abscesse, welche b-
cidirt worden waren. Als Pat. zu Verf. kommt, hatte er eine Ulceration un
2. Metatarsophalangealgelenk, 3 cm gross, Knochen cariös, Gelenk bloss, ausgedehnte
Lymphangitis. Behandlung: Dehnung des N. tib. ant. unter Cocainanästhesie; ab¬
solute Heilung nach 19 Tagen. Adler (Berlin).
30) De la gudrlaon definitive des mauz perforants plantairee par la me-
thode de Chlpault, par Peraire. (Travaux de neurologie chirurgicale.
1901. Nr. 1.)
Verf. berichtet über 2 Fälle, in denen er ein Mal perforant der Fusasohle,
das durch andere therapeutische Maassnahmen nur vorübergehend zur Heilung
gebracht worden war, durch Dehnung des N. plantaris internus bezw. externus
und Curettage des Geschwürs zur dauernden Heilung gebracht 2 Jahre poet op.
konnte sich Verf. noch von der Dauer des Heilerfolges überzeugen.
Adler (Berlin).
37) Bin Fall von spinal-cerebellarer Ataxie im Kindeealter, von Dr. Para-
vicini. (Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1901. Nr. 10.)
Verf. berichtet über eine Beobachtung aus der Erb’schen Klinik, die bei
einem 9jähr. Mädchen einen Symptomencomplex ergab, der theils für dieFried-
reich’sche Ataxie, theils für die H6r6do-ataxie Pierre Marie’s charakteristisch
ist, demnach klinisch als eine Mischform beider, eine sogen, cerebello-spinale Form
aufzufassen ist Dem Bilde der Friedreich’schen Ataxie entspricht das Alter,
der langsame Verlauf, die aufsteigende Ataxie, die Sprachstörung und der Nystag¬
mus, das Fehlen der Patellarreflexe, die Intactheit der Hautreflexe, der Sensi¬
bilität, des MuskelBinnes und der höheren Sinnesnerven; es mangelt jedoch da*
familiäre Auftreten und unter den Symptomen der Friedreich’sche Fuss. Die
Pupillenstarre, die Augenmuskellähmung, die cerebellare Ataxie, der Mangel an
Deformitäten der Wirbelsäule und Füsse gehören ins Marie'sehe Syndrom; jedoch
machen das Fehlen der Opticusatrophie und der Patellarreflexe, sowie das jugend¬
liche Alter der Patientin eine Einreihung des Falles unter diejenige der Häredo-
ataxie c6r6belleuse unmöglich. W. Wille (St. Pirminsberg).
38) Einige Mittheilungen über die Friedreioh’sohe Krankheit, von Dr. Mas
Biro. Aus der Poliklinik von Dr. Goldflam in Warschau. (Deutsche
Zeitschr. f. Nervenheilk. 1901. XIX.)
An der Hand von fünf sorgfältig beobachteten Fällen Friedreich'scher
Krankheit erörtert Verf. den heutigen Standpunkt der Aetiologie, Symptomatologie
und Prognose dieses Leidens. Abgesehen von einer Complication mit epileptischen
Anfällen, Muskelatrophie und Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit in
einem Falle bringt die Arbeit nichts Bemerkenswerth es.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
30) Deuz autopsle8 de maladie de Friedreioh, par CI. Philippe et
J. Oberthür. (Revue neurol. 1901. Nr. 20.)
Verff. berichten über 2 Fälle Friedreich’scher Krankheit mit Autopsie.
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Vom klinischen Standpunkte aus ist zu erwähnen, dass in beiden Fällen hereditäre
Belastung fehlte. Hingegen übten in dem einen Fall Syphilis, im anderen mul¬
tiple Drüsenaffectionen und langdauernde gastro-intestinale Störungen sichtlichen
Einfluss auf das Entstehen des Leidens aus. Bei beiden plötzlicher Exitus, der
eine bot kurz vor dem Tode ausgesprochene Arythmie des Herzschlags und
Dyspnoe dar, bei diesem ergab die Autopsie eine starke Neurogliawucherung am
Boden des 4. Ventrikels, auf den Kern des Vagus übergehend. Im Uebrigen bot
in den Fällen der Verff. der SectionBbefund, über welchen Näheres im Original
nachzulesen, folgendes Erwähnenswerthe:
Ausser der Kleinhimseitenstrangbahn, dem Gowers’schen Bündel und den
Rintersträngen (welch’ letztere in ähnlicher Weise wie bei Tabes afficirt waren),
waren noch degenerirt, und zwar in erheblichem Grade, die beiden Pyramiden-
bahnen mit dem Türck’schen Bündel. Im Vergleich zur Erkrankung der Hinter¬
stränge erschien diejenige der Seitenstränge jüngeren Datums und weniger vor¬
geschritten, so dass die Annahme gerechtfertigt erscheint, dass die Friedreich'sehe
Krankheit ihren Anfang in den Hintersträngen nimmt, um dann erst (in ver¬
schiedener Intensität je nach dem einzelnen Falle) auf die Seitenstränge überzu¬
gehen. Die Verschiedenheit in der Symptomatologie der einzelnen Fälle von
Friedreich’scher Krankheit könnte ihre Erklärung finden in dem mehr oder
weniger starken Befallensein der Seitenstränge und im Besonderen des Pyramiden¬
seitenstranges.
Erwähnenswerth sind ferner die starken Veränderungen in der grauen Sub¬
stanz, speciell in den Vorderhornzellen und denen der Clarke’schen Säule.
Besonders die Neuroglia, doch auch Bindegewebe und Gefasse nehmen an
dem krankhaften Process theil, welcher im ganzen ein durchaus anderes Bild
gowährt als derjenige in einem tabischen Rückenmarke. Kurt Mendel.
40) Friedreioh’s paralysis, by GreenlesB and Purvis. (Brain. 1901. I.)
Die Verff. haben zwei Geschwister beobachtet, bei denen sie die Diagnose
Friedreich’sche Ataxie gestellt haben. Die Schwester konnten sie nur ganz
ungenügend beobachten, waren aber in der Lage das Nervensystem pathologisch¬
anatomisch zu untersuchen. Bei dem 17 Jahre alten Bruder hatte die Krankheit
mit Unsicherheit im Gange eingesetzt, bei der Beobachtung bestand schon Läh¬
mung der Beine; die Sprache war schwer gestört; die Finger zeigten athetoide
Bewegungen; es fand sich Verkrümmung der Wirbelsäule, Difformität der Füsse
im Sprunggelenke, Nystagmus, Schluckstörungen, Blasenstörungen, Fehlen der
Patellarreflexe und Gefühlsstörungen an den Beinen. Ausserdem war der Knabe
schwachsinnig. Die anatomische Untersuchung des Rückenmarks der Schwester
zeigte Degeneration in den Hintersträngen, in den Kleinhirnseitenstrangbahnen
und in den Gowers’schen Bahnen. Die Krankheit war im 9. bezw. 12. Jahre
nach Scharlach eingetreten. Bruns.
UL Aus den Gesellschaften.
IiXXTII. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerste in Hamburg
vom 22.—28. September 1901.
(Schluss.)
Abtheilung für innere Medicin.
Herr von Poehl (St. Petersburg): Die Nervenreizungen als Ursache von
▲utointoxioationen.
Auf Grund von klinischer Beobachtung und Experimenten kommt Vortr. zu
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dem Resultat, dass die maunigfaltigsten Uebermüdungen, wie geistige, geschlecht¬
liche, so auch körperliche, übereinstimmend in allen Fällen nachstehende Ab¬
weichungen von der Norm des Stoffumsatzes geben.
1. Die Alkalescenz der Gewebssäfte werde herabgesetzt.
2. Die Energie der Oxydationsprocesse werde herabgesetzt, haupt¬
sächlich diejenige der Gewebsathmung. Bei Uebermüdungen rufe die sich ao-
saramelnde Milchsäure locale oder allgemeine Säureintoxicationen hervor, weicht
die mannigfaltigsten Krankheitsbilder veranlassen.
3. Bei Reizungen des Nervengewebes werde die Milchsäure nicht, wie man
es meist glaube, nur vom alkalischen Blut neutralisirt, sondern zerstört und ver¬
brannt, wie es die vergleichenden Blutalkalescenzbestimmungen von Löwy und
Richter mit dem die Gewebsathmung fördernden Sperminum-Poehl (in Deutsch¬
land mehr bekannt als empfohlen! Ref.) mit Alkalien erwiesen haben. Bei
Einführung von Sperminum-Poehl war die Blutalkalescenz auf die Dauer erhöht,
während die Alkalien diesen Effect nicht gaben.
4. Die osmotischen Spannungen der Gewebssäfte werden herabgesetzt (V).
was eine Beeinträchtigung der Herzthätigkeit zur Folge habe.
5. Die Strömungsgeschwindigkeit des Harncanälcheninhalts nimmt wesentlich
ab, was auf Nierenstauung hinweist (!?).
6. Das elektrische Leitungsvermögen der Gewebssäfte wird herabgesetzt
Alle obenerwähnten Stoffumsatzabweichungen beweisen, dass wir e« ha
Uebermüdung mit Autointoxicationen in Folge herabgesetzter GewebsathmuE*
bezw. Blutalkalescenz zu thuu haben.
Dies erklärt (?), dass trotz der Gleichartigkeit der physiologisch-chemisch«
Alterationen die Uebermüdungserkrankungen (Neurasthenie, verschiedene Nerv«-
leiden, Diathesen u. s. w.) so mannigfaltig sind. Andererseits finden wir darin
eine Erklärung dafür, dass alle diese verschiedenen Erkrankungen durch ei»
und dieselbe therapeutische Methode günstig beeinflusst werden (? Ref), sobald die¬
selbe die herabgesetzte Gewebsathmung zur Norm bringt. Dazu gehören di'?
Sauerstofftherapie, frische Luft, Spermintherapie (!), alkalische Mineralwässer, Gym¬
nastik, Bäder u. s. w., welche direct oder indirect die Oxydationsvorgänge ic
Organismus, gleichzeitig die Alkalescenz der Gewebssäfte steigern und dadurd
die schädigenden Momente der Uebermüdung eliminiren. (Nach Autoreferat.)
Herr Bonne (Klein-Flottbeck): Suggestionsbehandlung in der täglich er
Praxis bei Alkoholisten.
Suggestion ist nach dem Vortr. der Reiz, der das Gehirn bei eingeengU-
Bewusstsein trifft. Eingeengtes Bewusstsein kann
1. durch Jugend oder Senilität bedingt sein,
2. als eine Art Decadenzerscheinung angeboren sein,
3. erworben sein durch Krankheiten, Erschöpfung, nach Excessen u. s. v
4. künstlich hervorgerufen werden,
a) durch somatische Reize (Schmerzen),
b) durch Narcotica,
c) durch psychische Reize.
Hiernach richtet sich nach dem Vortr. Technik und Indication. Zu hypr;
tisiren wäre nur nöthig bei den Patienten mit „Zerstreutheit“. Bei ohne:'
eingeengtem Bewusstsein ist es nicht nötliig eine Schlafsuggestion vorbetd^
einzuführen. In den hypnotischen Schlaf soll man keine Patienten zwing--
Vortr. sah sehr gute Erfolge der Suggestionsbehandlung bei Alkoholisten. Do¬
ranten. Das eingeengte Bewusstsein und die Steigerung des Selbstgefühls br
wirksam bekämpft werden durch die Suggestion, dass der Patient als Werkst
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1057
zur Errettung von Schicksalsgenossen berufen sei. Vortr. verweist auf die in der
Litteratur (Forel und Löwenfeld) niedergelegten Erfahrungen und sieht in der
allgemein eingeführten Suggestionsbehandlung geradezu angewandte Ethik.
Herr Eulen bürg (Berlin): Ueber Gehirnerkrankungen im Anschluss
an elektrisches Trauma.
Die Zahl der durch Elektricität verursachten Unglücks fälle wuchs mit der
Zahl der Hochspannungsanlagen, speciell mit denjenigen der Oberleitung elek¬
trischer Strassenbahnen in den riesig anwachsenden Grossstädten. Eine Spannung
von 500 Volt ist durchaus nicht, wie von elektrotechnischer Seite angenommen
wird, ungefährlich. Es kommt nicht nur auf die Spannung, sondern auch auf
die im Körper vorhandene absolute Stromstärke (Function von elektromotorischer
Kraft und Widerstand), ferner auf den Stromweg, die Stromdichte in den zumeist
betroffenen lebenswichtigen Organen, auf die den Widerstand rasch modifioirende
Dauer der Einwirkung an. Ausserdem spielt, wie es scheint, die sehr ungleiche
(und z. B. bei Alkoholisten erhöhte) individuelle Empfänglichkeit eine Rolle. Verf.
erörtert nun speciell die Entwickelung chronisch verlaufender, progressiver
Gehirnerkrankungen im Anschluss an elektrisches Trauma, die verhältnissmässig
selten zu sein scheinen und bedeutendes klinisches und forensisches Interesse haben.
Bei einem vom Vortr. in gerichtlichem Auftrag untersuchten 48jährigen,
zuvor gesunden Manne entwickelten sich nach den Initialsymptomen (Niedersttirzen,
vorübergehende Bewusstlosigkeit, Taumel, Kopfschmerz u. s. w.) wenige Stunden
nach der Verletzung die Erscheinungen corticaler Epilepsie von der linken Gross¬
hirnrinde ausgehend, Lähmung erst der rechten, später in geringerem Maasse
auch der linken Körperhälfte. Dazu trat vollständige Erblindung auf dem linken,
sehr herabgesetztes Sehvermögen auf dem rechten Auge, Beeinträchtigung von
Geruch und Geschmack. Allmählich kam es, während die Lähmung persistirte,
zu fast völliger Aufhebung sämmtlicher Sinnesfunctionen (auch Gefühlsverlust an
der linken Kopf- und Halsseite und auf der rechten Körperhälfte) in Verbindung
mit örtlichen und allgemeinen schweren Krampferscheinungen (Schüttelkrämpfe,
diffuse Reflexkrämpfe); dabei eine bis zur völligen Verblödung fortschreitende
peyohische Schwäche, stumpfsinniges Dahinvegetiren mit nur vereinzelten flüchtigen,
stärkeren Excitationsphasen. Bei einem anderen, 68jährigen, Manne im Anschluss
an ähnliches Trauma epileptische Anfälle mit anderen cerebralen Erscheinungen,
allmähliche Verschlimmerung, ln einem dritten (nicht selbst beobachteten) Falle
Sehnervenschwund erst auf einem, dann auch auf dem anderen Auge mit partieller
Oculomotoriuslähmung.
Abtheilung für Hautkrankheiten.
Herr Bonne (Klein-Flottbeck): Die klinische Bedeutung des Ekzems.
Das Eczema seborrhoicum ist ein infectiöser Hautcatarrh. Derselbe pflanzt
lieh auf die Schleimhäute fort. Aus dieser Auffassung ergeben sich Beeinflussungen
les Nervensystems durch die „ekzematöse Constitution“ (?). Vortr. verweist auf
ein Buch über das Eczema seb. (München, 1900. Reinhardt). Vor Allem betont
7ortr. die nach den neuesten Anschauungen über die Entstehung des Ekzems
urch das Toxin der Staphylokokken um so grössere Wahrscheinlichkeit, dass
ewisse nervöse Erscheinungen bei Ekzematösen, besonders in der Kinderpraxis,
ie wir sonst als Skrophulöse zu bezeichnen, uns gewöhnt haben, auf Resorption
ieses Toxins von der Nasenschleimhaut aus auf die Meningen zu erklären seien,
erner erklärt Vortr. gewisse Asthmaformen, die bei dieser Constitution vor-
ommen, nicht als vom Vagus, sondern vom Sympathicus ausgehend, und beruft
ch vor Allem auf die auch von anderen Autoren beobachtete günstige Wirkung
jr Hypnose auf manche Asthmaformen. (?)
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Abtheilung für gerichtliche Medicin.
Herr Saenger (Hamburg): Zur Psychopathologie sexualia.
Vortr. bringt casuistische Beiträge zur Stütze der Garnier’schen Ansicht,
dass man es bei den pervers sexuellen Aeusserungen mit occasionell erworbenen
Dingen zu thun habe, die manchmal in Form von impulsiven Handlungen (Zwangs¬
handlungen) auftreten können.
Ja sogar die Homosexualität tritt gelegentlich und episodisch bei sonst (!? Bef.)
normal Veranlagten in die Erscheinung.
Der Masochismus in Form der passiven Flagellation kommt hier in Hamburg
ganz besonders häufig in den Bordellen vor. Uebrigens handelt es sich um ab¬
gelebte Wüstlinge, die in abnormer Weise sich zu erregen suchen.
Schliesslich bespricht Vortr. einen Fall aus seiner forensischen Thätigkeit,
bei dem es sich um active Flagellation gehandelt hat. In diesem psychologisch
merkwürdigen Falle übte der Thater eine wahrscheinlich sexuell perverse Hand¬
lung ohne Bewusstsein der Sexualität derselben aus.
Vortr. hebt hervor, dass man nicht in den Fehler verfallen soll, jede uner¬
klärliche grausame Handlung als Sadismus zu bezeichnen, da es sich oft bei den
degenerirten Neuropathen lediglich um Antriebe zu Grausamkeit event. zum Ver¬
brechen handelt, ohne jeglichen sexuellen Untergrund.
Forensisch muss man den durch die Terminologie verursachten Schematismus
vermeiden und jeden Fall individuell beurtheilen. Der Nachweis einer Psychose
stellt den Thäter unter den Schutz des § 51.
Starke erbliche Belastung, schwächende Momente bei einem Degenerirten ver¬
mögen die Widerstandsfähigkeit gegen krankhafte Impulse herabzusetzen und zu
Delicten zu führen. Solohe Individuen müssten in ärztlich geleitete Anstalten
zwangsweise ohne Ehrverlust verbracht werden, um dort so lange zu bleiben, bis
ihre Widerstandskraft den sexuellen Antrieben gegenüber dauerhaft erhöht ist
(eventuell mit Hülfe der Suggestionsbehandlung von Schrenck-Notzing).
Bei der allerseits zugestandenen, bedauerlichen Zunahme der Delicte auf
sexuellem Gebiet, die trotz Bestrafung sich meistens wiederholen, erscheint es
nothwendig, dass der Staat Anstalten errichtet, die eine Zwischenstelle zwischen
Gefängniss und Irrenanstalt einnehmen. (Autoreferat.)
Abtheilung für Kinderheilkunde.
Herr Heubner (Berlin): Ueber Chorea.
Abgesehen von der hysterischen Form findet Vortr. bei der genuinen Chorea
fast stets ein Zusammenhang mit Rheumatismus. Unter 27 Fällen von Rheuma¬
tismus hatten zwei schon Chorea überstanden. Unter 77 Choreatischen hatten
27 kurz vor Ausbruch der Chorea Rheumatismus. Chorea tritt häufig in rheuma¬
tischen Familien auf, zeigt wie der Rheumatismus Neigung zu Recidiven und
Exanthemen. Bei beiden ist Endocarditis häufig. Vortr. richtet nach dieser
Theorie auch die Behandlung (Bettruhe, schweisstreibende Mittel neben Arsen) ein.
Discussion:
Herr Soltmann (Leipzig) hält die Chorea für eine psychonomische Neurose,
die nicht nur durch Infectionskrankheiten (wie Rheumatismus), sondern ebenso
gut durch andere Gehirnläsionen und reflectorisch erzeugt werden könne (Chores
idiopathica, reflectoria, symptomatica),
Abtheilung für pathologische Anatomie.
Herr Chiari (Prag): Gliomatöse Entartung des Tractus und Bulbus
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Die
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olfeotorius bei Gliome oerebri. (Der Vortr. erschien in der Deutschen med.
Wochenschr.)
Die Gliome entstehen durch directe Umwandlung der Glia, so dass gewöhn¬
lich die Geschwülste gegen ihre Umgebung nicht scharf abgegrenzt sind und häufig
die Form des Gehirntheils äusserlich erhalten bleibt.
Gliome des Bulbus und Tractus olfactorius sind bisher nicht beschrieben.
Der beobachtete Fall betraf einen 52jähr. Förster, der Alkoholiker war und
Beit mehreren Jahren an epileptiformen Anfällen litt. Allmähliche Demenz.
Träge Pupillenreaction. Zittern der Zunge und Hände. Patellarreflexe schwach.
Gang ataktisch. 4., 6., 7. Nerv normal functionirend. Tod im Sopor nach einem
epileptiformen Anfälle. Bei der Section: Windungen abgeplattet. Gyrus rechts,
Substantia perforat. ant. und Uncus protuberirten höckerig und hart rechts. Auch
Gyrus orbitalis und Gyrus tempor. infim. rechts verbreitert und höckerig. Tuber
cinereum und rechte Seite des Chiasma stärker vorgewölbt. Tractus und Bulbus
olfactorius rechts 4 Mal so dick wie links, dabei hart und höckerig.
Querschnitte zeigten, dass das Gliom, die ganze mediale, basale Partie des
rechten Stirnlappens und rechten Schläfenlappens betroffen hatte, ln der Geschwulst
bis taubengrosse Cystenbildungen. Neben van Gieson’scher und Weigert'scher
(unvollkommener) Färbung eine neue (!) eigene. Ueberall Gliafasern gegenüber
Gliazellen vermehrt. Es ist anzunehmen, dass die Geschwulst nicht von der Sub¬
stantia perfor. ant.'in den Bulbus und Tractus olfactorius hineingewachsen, sondern
durch locale Umwandlung der Glia dieser Gebilde entstanden ist.
Im Anschluss an die Versammlung hielt der Verein abstln. Aerzte dee
deutschen Sprachgebietes seine Jahressitzung ab.
Vorsitz: Herr Delbrück (Bremen).
Herr Nonne (Hamburg) lädt zur Besichtigung der Trinkerheilstätte „Waldes¬
ruh“ in Beinbeck ein. Dieselbe ist aus den Mitteln einer gemeinnützigen Ge¬
sellschaft hervorgegangen, hat 26 (32) Betten und einen Verpflegsatz von 600,
1200 und 1800 Mark pro Jahr. In den 3 l / 2 Jahren des Bestehens hat sich das
Princip bewährt, einem Laien — Mitglied des Guttemplerordens — die Beauf¬
sichtigung und Erziehung der Patienten zu übertragen. Die ärztliche Aufsicht
führt Dr. Nonne. Auf die auch nach der Entlassung dauernde Abstinenz von
alkoholischen Getränken wird besonderer Werth gelegt.
Herr Bolte (Bremen): Die medioixiiaohe Alkohollitteratur des lotsten
Jahres.'
Experimentelle Untersuchungen wurden in Wien und Halle gemacht. Lai¬
tinen wies an Thieren nach, dass Milzbrandinfection und Vergiftung mit Diph¬
therietoxin bei Alkoholdarreichung schwerer überstanden wird, und zwar sowohl
bei kleinen (0,5 com pro Kilogramm Körpergewicht) als bei grossen Gaben, sowohl
nach Gewöhnung der Thiere an Alkohol als ohne dieselbe.
Denselben Beweis erbrachte Kögl er für den Friedländer'sehen Pneumonie¬
bacillus. Hiermit ist die Binz'sehe Lehre, wonach der Alkohol ein inneres Anti-
septioum sei, widerlegt.
Bezzola wies nach, dass um Neujahr, Fasching und Weinlese verhältniss-
mässig viele schwachsinnige Kinder (Rauschkinder?) gezeugt werden. Aehnliches
behaupten Sullivan (Children of the inebriate) und Laitinen. Letzterer be¬
züglich der Nachkommenschaft seiner alkoholisirten Thiere. Bemerkenswerth seien
ferner die Untersuchungen von Kassowitz (Wien) und eine zusammenfassende
Darstellung von Delbrück im Weyl'schen Handbuch der Hygiene. (Ausführ¬
liche Publication in Schmidt’s Jahrb. f. d. ges. Med.)
67*
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1060
Herr Delbrück (Bremen): Referat über Trinkerheilanstalten.
Vortr. berichtet über die über dieses Thema geführten Verhandlungen in
Dresden (September 1900), in Wien (April d. J.) und im Berliner peychiatr.
Verein (Juni d. J.). Besonders bei diesen letzteren Verhandlungen habe sicfc
eine grosse Divergenz der Meinungen gezeigt Vortr. stellt die nachstehender
(von der Versammlung am Schluss mit geringen Aenderungen gebilligten) Thesen
zur Discussion:
L Die eigentlichen Trinkerheilstätten können zur Zeit nur offene Anstalten
sein. Sie gestatten unter Umständen einen gesetzlichen Zwang zum Aufenthalt,
vertragen sich aber nicht mit dem physikalischen Zwang geschlossener Tbüren.
II. Der Irrenanstalten kann man in absehbarer Zeit in der Trinkerbehandlung
nicht entbehren. Hierher gehören alle Fälle mit eigentlicher alkoholischer Psycho«,
dann die pathologischen Charaktere aller Art, welche aus irgend einem Grunde
unter Bewachung sein müssen, schliesslich, so lange sie renitent sind, die Ein¬
sichtslosen, welche in einer Trinkerheilanstalt nicht bleiben wollen.
Ha. Es ist deshalb Pflicht der Irrenanstalten, sich allmählich so einzurichten,
dass die nothwendige Abstinenzsuggestion auch auf ihren Abtheilungen herrscht
Es empfiehlt sich, Beziehungen der chronischen Alkoholisten zu Abstinenzvereinen
(blaues Kreuz, Guttempler, Internat. Alkoholgegnerbund) anzubahnen und zu unter¬
halten.
II b. Für die Zukunft ist neben den offenen Trinkerheilanstalten und des
geschlossenen Irrenanstalten die Errichtung geschlossener Trinkerverwahranstalten
im Auge zu behalten, die vielleicht mit den, gleichfalls erst postulirten, Anstalten
für moralische Idioten verbunden werden können.
HI. Neben der Unterbringung der Alkoholiker in offenen und geschlossenes
Anstalten wird auch eine solohe in abstinenten Familien in manchen Fällen
gute Dienste leisten. Doch ist diese Frage streng zu trennen von der jetzt viel
erörterten „Familienpflege“ in psychiatrischem Sinne.
An der Discussion betheiligten sich die Herren Bonne, Smith, Aschaffen-
bnrg, Lilienstein, Reit, Kantorowitz.
Dr. Lilienstein (Bad-Nauheim).
VTL Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neurologen
am 20. Ootober 1001 in Jena.
Herr Hitzig (Halle): Aufklärung einiger Streitpunkte In der I«ooali-
sationalehre.
1. Der Vortr. demonstrirt an einer Anzahl von Projectionsbildern das Anf-
treten von Blutungen und Erweichungen im Inneren der Hemisphäre, namentlich
auch im Fusse des Stabkranzes nach Operationen an der Convexität bei Hundes.
Es liegt auf der Hand, dass derartige Fernwirkungen solche Bedingungen in das
Versuch einführen, welche mit der Function der oberflächlich angegriffenen Stelle
nicht das Mindeste zu thun zu haben brauchen. Sitzt der Erweiohungsherd, wie
in dem einen der angeführten Versuche, an der Basis der verletzten Windung,
so mag er anders geartete Erscheinungen, als die oberflächliche Verletzung,
vielleicht nicht veranlassen. Sitzt er aber, wie bei anderen Versuchen, im Fmse
des Stabkranzes oder in der inneren Kapsel, oder zieht er andere Windungen in
Mitleidenschaft, so sind seine Folgen einfach nicht zu berechnen.
2. Die zweite Mittheilung bezieht sich ganz speciell auf die Repräsentation
der einzelnen Bewegungen in der Hirnrinde. Abweichend von den Ansichten des
Vortr. war vornehmlich durch Bianchi behauptet worden, von einer ausschlie®-
lichen Beziehung der elektrischen Reizpunkte dieser Zone zu bestimmten Mmka)-
Google
1061
gruppen könne keine Rede Bein. Die centralen Elemente für die Innervation
eines bestimmten motorischen Organs seien vielmehr über die ganze motorische
Zone zerstreut und fanden sich nur in wenigen Punkten dichter zusammengelagert,
derart, dass sie auf diese Weise die erregbare Zone zusammensetzen. Aber die¬
jenigen Muskeln, welche von hier aus erregt werden können, seien nicht nur hier,
sondern auch in dem ganzen Rest der motorischen Zone repräsentirt. Die Ent¬
scheidung in dieser Sache schien nur durch solche Operationen möglich, welche
ohne Verletzung der Nachbarschaft entweder die Rinde oder die Markstrahlung
der einzelnen Nachbarwindungen des Gyrus sigmoides ausschalteten. In 24 zu
diesem Zwecke zusammengestellten Versuchen, die vornehmlich durch Unterschnei¬
dung einer oder mehrerer Windungen ausgeführt wurden, erhielt der Vortr. nun
in 11 Fällen ein negatives und in 13 Fallen ein positives Resultat, d. h. bei den
enteren traten die bekannten Erscheinungen an den Extremitäten nicht, bei den
letzteren traten de in die Erscheinung. Bei 8 von den 13 mit positivem Resultat
verlaufenden Fällen erklärte sich dieses durch solche Erweichungsherde, wie sie
in der ersten Mittheilung beschrieben worden sind. In zwei anderen Fällen waren
Nebenverletzungen benachbarter Markstrahlungen nachweisbar, so dass nur 3 Fälle
übrig bleiben, die durch den Obductionsbefund (ein Frontalschnitt durch die
Operationsstelle) nicht oder nicht ganz aufgeklärt worden sind.
Entscheidend ist, dass in fast der Hälfte der Fälle einzelne oder mehrere
Windungen von ihrem Zusammenhänge mit dem grossen Marklager ausgeschlossen
werden konnten, ohne dass die bekannten Störungen an den contralateralen Extre¬
mitäten auftraten. Der Vortr. kann also seine Lehre innerhalb der ihr von ihm
gegebenen Beschränkung durch die Versuche von Bianchi u. A. zunächst noch
nicht als erschüttert ansehen. Die Wichtigkeit der in der ersten von diesen
beiden Mittheilungen angeführten Thatsachen für die Beurtheilung dieser und
ähnlicher Fragen springt von seihst ins Auge.
An der Discussion betheiligten sich die Herren Tschermak (Halle) und
Hitzig (Halles-
Herr Ko est er (Leipzig): Ueber den Ursprung des N. depressor. (VergL
Originalmittheilung 2 in dieser Nummer.)
An der Discussion betheiligten sich die Herren Tsohermak (Halle) und
Koester (Leipzig).
Herr Vogt (Göttingen): Ueber Neurofibrillen.
Vortr. theilt Untersuchungen über den fibrillären Bau der Nervenzellen und
Nervenfasern mit, die er unter Anwendung und Vergleichung verschiedener Me¬
thoden (vor allen der Bethe’schen, dann besonders der Methylenblau- und der
Holmgren’schen Eisenhämatoxylinfärbung) angestellt hat. Als Objecte haben
ihm dabei die Nervenzellen der Retina verschiedener Säugethiere gedient. Es
hat sich ein deutlicher fibrillärer Bau der Ganglienzellen sowohl als ihrer Fort¬
sätze ergeben, mit continuirlichem Durchlaufen der Fibrillen aus den Fortsätzen
durch den Zellleib und Weiterziehen in anderen Fortsätzen. In den Protoplasma¬
fortsätzen scheinen dieselben weniger gedrängt zu liegen als im Axencylinder-
fortsatz, aus ersteren strahlen sie in den Zellleib mehr bündelförmig ein, die aus
letzterem kommenden fahren, im Zellleib angekommen, pinselförmig auseinander.
Zuweilen durchziehen die Fibrillen den Zellleib nur ganz peripher, auch sind in
den Protoplasmafortsätzen Fibrillen beobachtet, welche von der Peripherie kommend
gar nicht den Zellleib erreichen, sondern an der Stelle einer Verzweigung dieser
Fortsätze umbiegen und im anderen Ast wieder peripher ziehen. Besonders an
den sogenannten doppel-„T“-förmigen Verzweigungen ist deutlich diese Menge von
Möglichkeiten zu Überblicken, welche der Reizleitung zur Verfügung steht. Be¬
züglich des FibriUenrerlaufs in den Zellen hat sich eine Art mit mehr schlankem,
Digilized by LjOoqic
1062
bündelformigem Verlauf und eine zweite mit netzartigem constatiren lassen. Zn
einer gitterartigen Verbindung der Fibrillen scheint ee dabei nicht zu kommen.
Ein Hof von Protoplasma um den Kern bleibt stets von Fibrillen frei. Fibrillen
von gestrecktem Verlauf sind besonders an den „horizontalen Zellen“ schön zur
Darstellung gelangt (Bethe'sche Methode).
Anastomosen zwischen den Nervenzellen des Ganglion nervi optici sind bei
Methylenblaubehandlung an den feineren Ausläufern hervorgetreten. Die Anasto¬
mosen an den horizontalen Zellen waren von zweierlei Art Erstens breite
Protoplasmabrücken, zweitens Verbindung, bezw. continuirliches Uebertreten fein«
Primitivfibrillen.
Ein perioelluläres Nervennetz wurde als feiner maschenförmiger Uebenrag an
den grossen Zellen der Nervenganglienschioht der Retina beobachtet. Die Fasern
dieses Netzes zeigten einen Zusammenhang mit den intracellulären Fibrillen.
Herantretende Nervenfasern gehen in dieses Netz über. Schliesslich wird ein
diffuses Netz feinster Fäserchen, wahrscheinlich nervöser Natur, beschrieben, in
dem sich die Endausbreitungen von Nervenfasern verlieren. Ueber den genaueren
Aufbau und die Natur desselben fehlen noch sichere Gesichtspunkte.
Alle beschriebenen Verhältnisse wurden durch Projection von Diapositiven
erläutert.
Vortr. kommt zu dem Schlüsse, dass die anatomische Thatsache der Fibrillen
und ihre Continuität ausser Frage steht Wenn auch der Begriff des Neurons
an individueller Bedeutung verliert und die Rolle, welche die Ganglienzelle für
den Nervenprocess spielt, uns in einem gänzlich anderen Lichte erscheinen muss,
so müssen doch erst weitere Untersuchungen, besonders biologischer Art uns
lehren, wie weit wir im Stande sind, den Begriff des Neurons im Sinne der
Golgi-Lehre zu entbehren und die Ganglienzelle ihrer Bedeutung für das nervöse
Leben zu entkleiden.
An der Discussion betheiligten sich die Herren H. Embden (Hamburg) und
Vogt (Göttingen).
Herr G. Ilberg (Sonnenstein): Dm Central nervonzystem eines Hemi-
oephalos.
Vortr. demonstrirt 11 Diapositive von Rückenmark, Nachhim bezw. Hinterhirn
eines l 1 /, Tage alten Hemicephalus, bei welchem zu Lebzeiten Pupillenstarre so¬
wie dyspnoische Athmung constatirt und bei der Section starke Vergrössarung
der Schilddrüse nebst bedeutender Verkleinerung der Nebenniere gefunden worden
waren. Die Nebennieren waren 7 mm lang, 14 mm breit und 3 mm dick!
Im Rückenmark waren die vorderen wie die hinteren Wurzeln markhaltig.
Pyramidenseitenstrang marklos. Pyramidenvorderstrang im Halsmark ebenso.
EÜeinhirnseitenstrangbahn vom unteren Brustmark an vorhanden, doch wesentlich
kleiner als normal. Gowers’sches Bündel im oberen Brust- und im Halsmark.
markschwaoh. Markschwach waren im Halsmark ferner die äusserste Randzone
der im ganzen Rückenmark sonst sehr markreiohen Hinterstränge, sowie das
Schultze’sche Komma.
Die noch ins Nachhirn hinaufreichenden Theile der Gowers'schen Bündel
wie der Go 11'sehen Stränge waren wenig markhaltig. Pyramidenkreuzung kaum
angedeutet Schleife markhaltig, aber klein. Kleinhirnseitenstränge wachsen im
Naohhirn. Pyramiden und Oliven fehlen fast vollständig. 12., 11., 10. und
9. Himnerv vorhanden. Centralcanal findet sich in der Gegend, wo der 4. Ven¬
trikel liegen sollte, nur in geringem Grade und nur für eine kleine Strecke er¬
weitert, um sich nach oben bald wieder zu sohliessen.
Im Hinterhirn fehlen Brücke, Brückenarm, Pyramidenbündel und Klein¬
hirn. Trapezfasern und Raphe vorhanden. Corpora restiformia,_au£steigende Trige-
Google
1068
minus wurzeln, Facialiskern, — Kernschenkel, — aufsteigende Schenkel und — aus¬
tretende Wurzeln, Abducenswurzeln wie gekreuzte Trigeminusfasern markhaltig.
Auf der einen Seite ist der Acusticus mit seinen Wurzeln nur sehr schwach, auf
der anderen Seite ist er besser entwickelt, auf der letzteren Seite findet sich ein
Markfasern enthaltender hinterer Vierhügel. Schleife auch im Hinterhirn unver¬
kennbar, doch sehr klein. Hinteres Längsbündel bis zum Abducenskern vorhanden.
Die obersten markhaltigen Abschnitte des verkümmerten Hinterhirns sind die
Corpora restiformia, welche naoh Bildung einer Schlinge ventralwärts nach aussen
treten und hier nach Aufsplitterung ihres Markes in eine kernhaltige Kappe
endigen. Statt Zwischenhirn und Grosshirn hüllen die Hirnhäute eine durch
Blutungen und Cysten zerklüftete marklose Masse ein. Sämmtliche Theile des
vorhandenen Centralnervensystems sind hyperämisch und enthalten kleinere oder
grössere Hämorrhagieen.
An der Discussion Betheiligten sich die Herren Binswanger (Jena) und
Ilberg (Sonnenstein).
Herr Weber (Göttingen): Hyaline Gefässerkrankong als Ursache mul¬
tipler miliarer Hirnblutung.
Es können multiple spontane Hirnblutungen zu Stande kommen bei schweren
Gefässerkrankungen ohne Bildung von Miliaraneurysmen. Eine solche Gefäss-
erkrankung ist, wie in einem Falle gezeigt wird, die hyaline Entartung der Hirn-
gefässe. Im vorliegenden Falle handelt es sich um die Form der hyalinen Ent¬
artung, die von Alzheimer als hyaline Sklerose bezeichnet wurde, sie entsteht
durch Degeneration der vorher gewucherten Gefässwandzellen, vielleicht unter
Mitwirkung von Blutsubstanzen, tritt diffus an den Gefässen mittleren und kleinsten
Kalibers auf und verursacht keine Vergrösserung der einzelnen Hirntheile. Die
hyaline Substanz ist widerstandsfähig gegen Säuren und Alkalien, giebt keine
Amyloid- und keine Fibrinreaction, färbt sich mit Hämatoxylin diffus violett, mit
Pikrocarmin gelb, nach van Gieson leuchtend roth. Der Process führt im wei¬
teren Verlauf zu einer Auffaserung der erkrankten Gefasswand, wodurch die
Blutungen zu Stande kommen, andererseits kann eine völlige Obliteration einzelner
Gefässe erfolgen.
Die hyalin degenerirten Gefässwände nehmen Bestandteile des Blutfarb¬
stoffes auf, und zwar einmal einen eisenfreien, der ihnen eine gelbe bis braune
Färbung verleiht, ferner einen eisenhaltigen, aber an sich farblosen Bestandteil
des Hämoglobins. Im letzteren Falle geben sie mit Hämatoxylin eine schwarze,
mit Ferrocyankalium-Salzsäure eine intensiv blaue charakteristische Färbung. In
der Umgebung der hyalin entarteten Gefässwände ist das Hirngewebe häufig auf¬
gelockert und enthält zahlreiche frisch entstandene Monstergliazellen. Die be¬
schriebene Entartung der Hirngefasse findet sich selten bei reinen progressiven
Paralysen, häufiger bei Fällen von chronischem Alkohol ismus oder durch Potatorium
complicirter seniler Demenz.
Klinisoh ist der Fall einzureihen in die von Binswanger und Alzheimer
beschriebene Gruppe der arteriosklerotischen Demenz.
An der Discussion beteiligten sich die Herren Binswanger (Jena) und
Weber (Göttingen):
Herr Siefert (Halle): Ueber das Caroinom der weichen Häute des
Centralnervensystems.
Vortr. beriohtet über 4 Fälle von multipler Carcinomatose des Centralnerven-
systems, die den gleichen anatomischen Verlaufstypus zeigten. Es handelte sich
stets um Durchbruch mehr oder weniger zahlreicher secundärer Hirnmetastasen,
Propagation des Carcinoma auf dem Wege der Meningen bezw. der pericerebralen
Google
1064
und perispinalen Bäume und tertiäre Zerstörung der Peripherie der Hirnrücken-
marksubetanz durch die in den Meningen deponirten Tumorelemente. In einem
Falle zeigten die Meningen bei gleichzeitigem Zurücktreten der carcinomatöeen
Elemente das Bild einer ziemlich schweren Entzündung (Meningitis carcinomatoea).
Die geschilderten Veränderungen entzogen sich zum weitaus grössten Theil einer
sicheren makroskopischen Erkenntniss.
Vortr. betont zum Sohluss, dass ein Theil der Fälle von multipler Carein Ost¬
ern ziemlich eigenartiges und der Diagnose intra vitam zugängliches klinisch«
Bild darbietet, das er in kurzen Umrissen skiszirt.
Es folgen Demonstrationen mittels Projectionsapparats.
An der Discussion betheiligten sich die Herren Saenger (Hamburg) und
Siefert (Halle).
Herr P. J. Möbius (Leipzig): Ueber Berumbehandlung der Baaedow'schen
Krankheit.
Seit wir wissen, dass die Basedow’sche Eirankheit eine Vergiftung ist durch
Stoffe, die in der Schilddrüse entstanden sind, muss die Behandlung darauf aus¬
gehen, diese Stoffe unschädlich zu machen. Man kann den mechanischen oder den
chemischen Weg einschlagen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass durch Wegschneiden
eines Theiles der Drüse Besserung oder Heilung erreicht werden kann. Es ergiebt
sich daraus, dass es sich nicht um Fermente handelt, sondern um Stoffe, die
proportionirt ihrer Menge wirken. Als chemische Mittel können entweder Stoffe
von bekannter Verbindung oder die geheimnissvollen Eiweissstoffe des lebenden
Körpere gewählt werden. So hat man Thymus, Ovarium und anderes bei Base¬
dow’scher Krankheit versucht. Im Jahre 1899 wurde ein neuer Weg ein-
geschlagen. Ein Schüler Leyden’s, Burghardt, verwandte Myxödemblut und
Lantz in Bern liess die Kranken die Milch von schilddrüsenlosen Ziegen trinken.
Lantz nahm an, es möchten im schilddrüsenlosen Körper Stoffe entstehen, die
das Basedow’sohe Gift binden oder neutralisiren. Der Vortr. hat damals an
Lantz geschrieben und ihn aufgefordert, die Antithyreoidinmilch zu versenden.
Das liess sich nicht machen, aber Lantz schickte dem Vortr. den im Vacunm
getrockneten und pulverisirten Kropf eines Kretins. Als der Vortr. diesee Kropf¬
pulver einer Baaedow’schen Kranken messerspitzenweise in der Suppe gab, wurde
der Basedow-Kropf deutlich kleiner und weicher. Dieser Versuch gab dem
Vortr. etwas Vertrauen zur Sache. Nach verschiedenen erfolglosen Bestrebungen
gelang ob ihm, Merck in Darmstadt zur Herstellung eines Antithyreoidin, des
Serum von schilddrüsenlosen Hammeln, zu veranlassen. Die subcutane Injection
bewährte sich nicht, aber zu je 6 g in Wein gegeben, bewirkte das Serum Ver¬
kleinerung des Basedow'sehen Kropfes. Der Vortr. hat bis jetzt 3 Patientinnen
behandelt. Bei der ersten nahm der Halsumfhng um 2,5 cm ab (von 38,5 auf
36). Wurde die Behandlung unterbrochen, so blieb der Hals im Gleichen; wurde
sie wieder aufgenommen, so schritt die Verkleinerung der Drüse fort. Aehnlich
war der Erfolg bei der zweiten Kranken (38—35,5 cm Halsumfang). Auffallend
war in beiden Fällen das Weiohwerden der Drüse. Die dritte Kranke hatte
einen alten Cystenkropf und nur nach oben von der Cyste war ein weiches Adenom
entstanden. Die Messung war hier nicht brauchbar, aber die Besserung des Be¬
findens (Abnahme der Pulszahl, des ZitternB u. s. w.) war in diesem Falle sehr
deutlich. Nebenwirkungen waren nie wahrzunehmen. Der Vortr. glaubt, dass
noch weitere Versuche nöthig seien. Vielleicht ist daB Fleisch ebenso wirksam
wie das Serum; man könnte dann Fleischpulver hersteilen und grössere Mengen
geben. Sollte es sich zeigen, dass durch Kochen der wirksame Stoff nicht zerstört
wird, so könnte man einfach die Basedowschen Kranken das Fleisch schild-
drüsenloaer Thiere zu Mittag essen lassen.
Google
1065
Ad der Disoussion betheiligten sich die Herren Saenger (Hamburg), Möbius
(Leipzig) und Matthes (Jena).
Herr Aschaffenburg (Halle): Berufsgeheimniss (§ 300 StrGB) und
Psyohiatrie.
Der § 300 StrGB bedroht Aerzte, die unbefugt Privatgeheimnisse, die ihnen
Kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes anvertraut sind, offenbaren, mit Geld¬
strafe bis zu 1500 Mark oder mit GefUngniss bis zu 3 Monaten. Die Verfolgung
tritt nur auf Antrag ein.
Bei den schwankenden Auffassungen der Juristen über die Begriffe „anver-
trauen“ und „Privatgeheimniss“ thut der Arzt gut, alles, was er in unmittelbarem
Zusammenhang mit der Ausführung seines Berufes enährt und wahrnimmt, als
anvertrautes Privatgeheimniss zu betrachten. Jede Mittheilung, auch an eine
einzelne Person, gilt als Offenbarung. Unbefugt ist streng genommen jede Mit¬
theilung an Andere mit Ausnahme der durch § 139 StrGB vorgeschriebenen An¬
zeige in Fällen, in denen ein schweres Verbrechen verhütet werden kann.
Die Straf- und Civilprooessordnung berechtigen den Arzt und Sachverständigen
zur Verweigerung des Zeugnisses über Dinge, die unter das Berufsgeheimnis
fallen. Demgegenüber bilden landesgesetzliche Bestimmungen, die zur Anzeige
von geschehenen Verbrechen zwingen, einen unlösbaren Widerspruch. Noch mehr
widerspricht jener hohen Auffassung von dem Berufsgeheimnis das Verfahren bei
der Aufnahme von Geisteskranken in Irrenanstalten; alle möglichen Behörden
werden von der geschehenen Aufnahme benachrichtigt. Uns könnte ja, schon zur
Beseitigung des Vorurtheils gegen die Irrenanstalten, die Veröffentlichung nur
erwünscht sein; sie it auch nicht strafbar; „unbefugt“ im Sinne des § 300 stellt
aber die verschiedene Auffassung gegenüber dem Rechte der Zeugnissverweigerung
und dem § 300 in ein sonderbares Licht.
Besonders schwierig ist das Verhalten des Arztes bei Auskunftsertheilungen
über Kranke. Neugier wird man abweisen müssen. Dagegen vertritt Vortr. den
Standpunkt, wenn es sich um die Verhütung einer Heirath handelt, falls die
anderen Mittel, besonders die Verweisung an die Familie des Kranken erfolglos
bleiben, lieber gegen den § 300 bewusst zu verstoBsen, als das Unheil einer solchen
Ehe zuzugeben.
Nach Ansicht von Placzek und anderen Autoren ist die Begutachtung von
Verstorbenen bei sonderbaren Testamenten nicht zulässig, da der Todte uns nicht
von der Verpflichtung zum Schweigen entbinden kann. Auch hier empfiehlt
Vortr. die Begutachtung nicht abzulehnen, wenn auch mehr um ein Unrecht zu
verhüten, als aus rechtlichen Gründen.
Die klinische Demonstration von Kranken ist ohne ihre oder ihrer An¬
gehörigen Erlaubniss gesetzlich unzulässig, doch wird man im Allgemeinen diese
Erlaubniss als gegeben voraussetzen dürfen; gegen den ausdrücklich ausgesprochenen
Willen aber wäre die Besprechung vor den Studenten strafbar. Ebenso ist die
Veröffentlichung von Krankengeschichten mit Namen oder mit den Kranken
kenntlich machenden Angaben unerlaubt. Endlich äussert Vortr. noch seine Be¬
denken gegen die vielfach den Lehrbüchern der Psychiatrie beigegebenen Bilder,
soweit nicht die Erlaubniss zur Publication gegeben worden ist. Solange dem
Geisteskranken in den Augen des Publicums noch ein Makel anhaftet, werden
wir dem durch grösste Vorsicht Rechnung tragen müssen.
Besser als der § 300, der so widerspruchsvoll und unklar im Rechte be¬
handelt wird, und der praktisch grosse Schwierigkeiten machen kann, schützt die
Kranken unser Verantwortlichkeitsgefühl für ihr Wohl und Wehe.
An der Discussion betheiligten sich die Herren Hitzig (Halle) und Aschaffen*
bürg (Halle).
Google
1066
Herr Schäfer (Blankenhain): Ueber das Verhalten der Cerebroapinal-
flQssigkeit bei gewissen Geisteskranken.
Vortr. berichtet nach einem kurzen Hinweis auf die klinisch-diagnostische
Bedeutung der Lumbalpunction und auf das physiologische Verhalten der Cerebro¬
spinalflüssigkeit Folgendes:
1. Bei der Dementia paralytica ist fast ausnahmslos Drucksteigerung des
Liquor cerebrospinalis vorhanden. Der gefundene durchschnittliche Druckwerth
betrug 182 mm, in genau zwei Drittel aller Punctionen schwankte er zwischen
160 und 380.
2. Bei Dementia post apoplexiam, epileptica, secundaria, Bowie beim an¬
geborenen Schwachsinn sind die Druckwerthe in der überwiegenden Mehrzahl der
Fälle pathologisch und betragen im Durchschnitt 172—220 mm.
3. Der Eiweissgehalt, der von Nawratzki für den normalen Liquor des
Kalbes 0,221°/ oo angegeben, von anderen Untersuchern beim Menschen in der
Menge von 0,2—0,6 °/ 00 als physiologisch angesehen wird, schwankte bei Dementi»
paralytica in den einzelnen Fällen zwischen 0,76 und 3,5 °/ 00 und war im Durch¬
schnitt 1,23°l w . Nawratzki constatirte bei Paralytikern gleichfalls Erhöhung,
im Mittel 0,89°/oo und ist geneigt, diese auf den bei seinen Kranken zufällig
vorhandenen, durch entzündliche Vorgänge in den Lungen oder im Darmtracbs
verursachten Fieberprocess ursächlich zurückzuführen. Vortr. hat regelmässig
messen lassen, seine Kranken waren fieberfrei. Er nimmt an, dass die bei der
Punction erkannte Drucksteigerung und Liquorvermehrung der klinische Ausdruck
ist sowohl eines Hydrops ex vacuo in Folge der durch den Krankheitsprocees d«
Dementia paralytica verursachten Atrophieen der nervösen Bestandtheile, wie ein«
entzündlichen Hydrops in Folge entzündlicher Betheiligung der Leptomeninx, dsra
aber die Eiweissvermehrung allein in den theilnehmenden Entzündungsprocessea
der Meningen, auch wenn sie chronischer Art sind, ihre Ursache hat, da du
entzündliche Exsudat in der Schädel-Rückgrathöhle bekanntlich sich durch relativ
hohen Eiweissgebalt auszeichnet. Vortr. sieht also die Eiweisserhöhung bei De¬
mentia paralytica als eine mit dem organischen Hirn-Rückenmarksleiden ursächlich
zusammenhängende Erscheinung an.
4. Bei dem secundären, epileptischen, postapokleptischen und angeboren«
Schwachsinn wurde im Durchschnitt ein Eiweissgehalt von 0,25— 0,5 °/ 00 gefunden,
nur in ganz vereinzelten Fällen etwas höher: 0,76 und l 0 /^. Im Ganzen ist
hier der Eiweissgehalt also der physiologische. Auch bei diesen Schwachsüras-
formen war pathologische Druckhöhe und Liquorvermehrung constatirt worden.
Bei diesen handelte es sich nur um Hydrocephalus ex vacuo, bedingt bei der
secundären Verblödung durch Hirnatrophie, bei der angeborenen durch angeborene
Entwickelungshemmung des Gehirns, während er nur ganz ausnahmsweise so;'
entzündliche Veränderungen zurückzuführen ist. Dadurch dass also hier der ent¬
zündliche Factor in den Meningen in Wegfall kommt, ist es zu erklären, dsa
der Eiweissgehalt des vermehrten Liquor gegenüber dem Befund bei Dementi»
paralytica im Ganzen der normale ist.
5. In einer Anzahl von Fällen wurde der Liquor auf seinen Stickstoffgeioh
naoh Kjeldahl untersucht, auf 1000 ccm Liquor verrechnet, wurden Stickstc£
mengen von 0,02802—0,224 g gefunden, welche Eiweissmengen von 0,155—1.4 j
entsprechen: Ausser an Eiweiss scheint Stickstoff an andere organische Körper
nicht gebunden zu sein, nach Enteiweissung Hessen sich durch Kjeldahl be¬
stimmbare Stickstoffmengen nicht mehr nach weisen.
An der Discussion betheiligten sich die Herren Binswanger (Jena) ■K
Schäfer (Blankenhain).
iiti
Google
1067
Herr Saenger (Hamburg): Ueber das intermittirende Hinken.
Vortr. theilt 3 Fälle von Claudication intermittente (Charcot) mit, bei denen
durch Röntgenphotographieen deutliche Ealkablagerungen in den Gefässen der
unteren Extremitäten nachgewiesen werden konnten. Stellenweise war aus der
ringförmigen Anordnung der verkalkten Stellen ersichtlich, dass es sich in diesen
Fällen nicht um eine Arteriosklerose, sondern um eine richtige Arterienverkalkung
handelte. Vortr. bespricht eingehend den bis jetzt nicht genügend beachteten
Unterschied zwischen diesen beiden Erkrankungen.
Bei der Arteriosklerose handelt es sich um eine Erkrankung der Intima,
bei der Arterienverkalkung um eine Erkrankung der Media der Gefasse. Während
bei letzterer die Verkalkung frühzeitig auftritt, ist bei ersterer dieselbe erst der
Endausgang des arteriosklerotischen Processes.
Das wesentlich häufigere Befallensein des männlichen Geschlechts vom inter-
mittirenden Hinken, das Lebensalter (60—60 Jahre) spricht sehr dafür, dass in
den meisten Fällen Arterienverkalkung vorliegt. Arteriosklerose kommt in Ham¬
burg namentlich bei Arbeitern viel früher vor.
Aetiologisch fand Vortr. in seinen Fällen das Moment der Ueberanstrengung
der Beine im Beruf sehr hervortretend und spricht sich gegen die Brissaud’sche
und neuerdings von Oppenheim vertretene Ansioht von einem Zusammenhang
des intermittirenden Hinkens mit der neuropathi sehen Diathese aus.
Vortr. glaubt, dass der Schmerz in ähnlicher Weise zu Stande kommt, wie
bei der durch Verkalkung der Kranzarterien bedingten Angina peotoris.
Durch weitere genaue anatomische Untersuchungen und präcise Röntgen¬
aufnahmen muss festgestellt werden, bei welcher Localisation des verkalkenden
Processes der Symptomencomplex des intermittirenden Hinkens zu Stande kommt.
Dass derselbe auch durch eine arteriosklerotische oder syphilitische Intimaerkran¬
kung verursacht werden kann, ist selbstverständlich und in solchen Fällen ist die
Therapie (Jod u. s. w.) wirksam.
Die auf Arterienverkalkung beruhende Claudioation intermittente ist, wie
Charcot sohon hervorgehoben hat, nicht besserungsfähig und führt meist schliess¬
lich zu Gangrän.
Zur Differentialdiagnose zwischen Arteriosklerose ohne Kalkablagerung und
Arterienverkalkung empfiehlt Vortr. nachdrücklichst die Röntgenaufnahme der
erkrankten Arterien, die heutzutage vorzügliche Bilder liefert. Vortr. demonstrirt
die Röntgenplatten seiner Fälle.
An der Discussion betheiligten sich die Herren Windscheid (Leipzig),
Rehm (Blankenburg a/H.), Günz (Erfurt) und Saenger (Hamburg).
Herr Heinrich Embden (Hamburg): Ueber die chronische Mangan¬
vergiftung der Braunsteinmüller.
Coup er hat im Jahre 1837 Beobachtungen von eigenthümlichen Lähmungs¬
erscheinungen bei Arbeitern in Braunsteinmühlen veröffentlicht und in seiner Ar¬
beit ausgesprochen, dass „das Mangansuperoxyd ein Gift für den Menschen sei,
welches, wenn es langsam dem Organismus zugeführt wird, wie Quecksilber und
Bley wirkt, und die Functionen der Nerven schwächt.“ Diese Thatsache ist bisher
niemals bestätigt worden.
Embden hat in einer Hamburger Braunsteinmühle 3 Fälle, in einer thürin¬
gischen Mühle einen Fall von Braunsteinmüllerkrankheit gefunden, aus denen sich
in der That ergiebt, dass der chronische Manganismus dem chronischen Saturnis-
mus, dem chronischen Mercurialismus und der chronischen Arsenvergiftung als
eine zu charakteristischen nervösen Erscheinungen führende Metall Vergiftung an
die Seite zu setzen ist. — Unter Demonstration von zwei Kranken wird das
eigenartige Krankheitsbild geschildert. Dies entwickelt sioh bei den Braunstein-
Digitiz
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1068
möllern nach mehreren Monaten der Beschäftigung in der von feinstem Braun-
Steinstaub erfüllten Atmosphäre ihrer Mühlen. Nachdem eine Zeit lang Oedenft
an den unteren Extremitäten beobachtet worden sind, bilden sich die nervösen
Störungen im Verlauf einiger Wochen bis zur vollen Höhe aus. Zuerst tritt
Schwäche im Kreuz und in den Beinen auf, Neigung bei oomplicirteren Bewegungen
zu taumeln und rückwärts zu laufen; dann werden auch die Arme mehr oder
weniger schwer ergriffen, Sprach- und Stimmstörungen machen sich geltend. —
Das voll entwickelte Krankheitsbild ist wie folgt zu skizziren: Bei gutem körper¬
lichen Allgemeinbefinden sind die Kranken zu jeder schwereren Arbeit unfähig.
— Es bestehen Paresen in verschiedenen Gebieten der Musculatur, vor Allem
an den unteren Extremitäten. Keine eigentlichen Atrophieen. Keine Entartnnga-
reaction. Erhebliche Spannungen, die bei wiederholten activen und passiven
Bewegungen gewöhnlich zunehmen. Auch in der Greeichtsmusculatur vermehrter
Tonus, maskenartiger Ausdruck. Unfähigkeit zu pfeifen. — Der Gang ist
mehr oder weniger schwer gestört, unsicher, besonders bei Wendungen und bei
gleichzeitigen Verrichtungen mit den Armen. Beim Treppenabwärtssteigen machen
sich die von Schritt zu Schritt zunehmenden Spannungen dadurch besonder*
geltend, dass nach etlichen Stufen der Kranke gezwungen ist, mit gestreckten
Knieen zwei oder drei Stufen auf einmal zu nehmen. Bei verwickelten Verrich¬
tungen tritt Retropulsion ein, ebenso beim Versuch, spontan rückwärts sa
gehen. Augenschluss ist ohne Einfluss, Romberg'sches Symptom besteht nicht
Die Sehnenreflexe sind lebhaft. In einem Falle besteht Babinski’s Zehen¬
phänomen. Sonst keine Anomalieen der Hautreflexe. Bei etwas gespannter körper¬
licher Haltung tritt ein grobschlägiger Tremor des Rumpfes, der Extremi¬
täten, des Kopfes auf. Kein eigentlicher Intentionstremor, keine Ataxie. Dagegen
tritt bei solchen Verrichtungen der oberen Extremitäten, welche gleichseitig ge¬
naue Coordination und einen gewissen Kraftaufwand (Druck) erfordern, ein starker
„Actionstremor“ sehr störend in die Erscheinung. Er ist zu beobachten beim
Zündholzanstreichen, Stiefelputzen, Kämmen, Butterbrodstreichen n. s. w. Schwer
gestört ist das Schreiben; dabei ebenfalls Tremor, sowie — durch die im Laufe
der Action zunehmende Spannung der betheiligten Muskeln bedingt — ein con-
tinuirliches Kleinerwerden der Buohstaben, bis nach einigen Worten oder Zeilen
völlige Unmöglichkeit des Schreibens ein tritt Die Störung in der Beherrschung
der Musculatur tritt bei denjenigen Kranken, deren obere Extremitäten überhaupt
schwerer gestört sind, auch in der Unmöglichkeit zu Tage, einen Gegenstand im
Schwünge von sich zu werfen. — Die Stimme ist leise, wie schon Couper
beobachtet hat, unsicher und monoton. Die Articulation ist undeutlich,
„bulbär“; kein eigentliches Silbenstolpern. Dagegen ist bei einem Kranken, der
früher durchaus normal gesprochen hat, neben und gleichzeitig mit den übrigen
Erscheinungen sehr starkes Stottern zur Entwickelung gekommen (Psellismus
manganalis analog dem Psellismus mercurialis). Die Augenmuskeln sind intact,
nur giebt der eine Kranke an, zu Beginn seiner Erkrankung Ptoeis gehabt zu haben.
Pupillenreactionen, Augenhintergrund und Gesichtsfeld normal. Ebenso die übrigen
Sinnesfunctionen. Kein Nystagmus. Die Sensibilität ist ungestört, ee bestehen,
besonders zu Beginn der Erkrankung, leichte Parästhesieen und Schmerzen im
Kreuz und in den Oberschenkeln. Die psychischen Functionen sind völlig intact
Dagegen zeigen alle vier von Embden beobachteten Fälle ausgesprochen das
Symptom des Zwangslachens. Dies, in Verbindung mit dem starren maskeo-
artigen Gesichtsausdruck, lässt bei flüchtiger Betrachtung der Kranken fälsch¬
lich an psychische Alteration denken. — Die Sphinkteren functioniren bis auf
etwas imperiösen Harndrang ungestört, Potenz und Libido erhalten.
Nach dieser Schilderung des Symptomenoomplexes wird eine Abhängigkeit
von der Mangansuperoxyd-Staubiahalation näher begründet und die Resorption
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1060
des Braunsteins bei dieeen Arbeitern durch den Nachweis des Mangans im Urin
erhärtet. — Ein besonderes Interesse bilden die Beziehungen des Krankheitsbildes
beim chronischen Manganismus zu einigen Neurosen und zu Nervenkrankheiten
mit theils unbekannter, theil bekannter anatomischer Grundlage, zu den übrigen
Metallvergiftungen, vor Allem aber zur multiplen Sklerose. Das Bild des chro¬
nischen Manganismus lässt ebenfalls an multiple Veränderungen im Gehirn und
Rückenmark denken, ist aber von der multiplen Sklerose wohl zu unterscheiden.
Indessen sind zahlreiche Berührungspunkte vorhanden, besonders interessant im
Hinblick auf Oppenheim’s, von anderer Seite allerdings nicht bestätigte, Be¬
obachtungen der Häufigkeit einer toxisohen Vergangenheit bei Kranken mit
Sclerosis multiplex.
Die Therapie muss natürlich vor Allem in der Entfernung der Kranken aus
ihrer Beschäftigung mit Braunstein besteben. Die Prognose ist nach Couper’s
Beobachtung einer Heilung noch nach 6 Jahren vielleicht nicht ungünstig. —
Prophylaktisch ist möglichst staubfreies Arbeiten der Manganmühlen zu fordern,
sowie die Entfernung jedes Arbeiters aus dem Betriebe, sobald er die leisesten
Gesundheitsstörungen aufweist. Diese Forderung ist auch unter Wahrung der
Rücksioht auf die Industrie praktisch durchführbar, weil ein nicht geringer Theil
der Menschen gegen den Braunstein sehr tolerant zu sein scheint und auch bei
Jahre langer Beschäftigung in intensiv arbeitenden Braunsteinmühlen nioht er¬
krankt.
An der Discussion betheiligte sich Herr Binswanger (Jena).
Herr Windscheid (Leipzig): Ueber die durch Arteriosklerose bedingten
N ervenkrankheiten.
Vortr. kann bei der Kürze der Zeit nur auf eine einzige der in Rede
stehenden Krankheiten eingehen und möchte nur das klinisohe Bild der Arterio-
sclerosis cerebri etwas näher umgrenzen.
Wann dürfen wir diese Diagnose stellen?
Im Leben fehlt klinisch jeder greifbare Nachweis, dass die GehirngefÜSBe
sklerosirt sind Wir sind gewöhnt, die Körperarterien, vor Allem die der Arme, zu
untersuchen und bezeichnen dieselben ab sklerosirt, wenn wir sie abnorm geschlängelt,
sehr hart und siohtbar pulsirend nachweben können. Mitunter finden sich auch
deutliche Knötohen an ihnen, welche auf eine Kalkablagerung in der Intima be¬
zogen werden müssen.
Einen Rückschluss auf das Verhalten der Gehimarterien dürfen wir aus
diesem Zustande der Extremitätenarterien nicht ohne weiteres machen. Die Er¬
fahrungen der pathologbchen Anatomen zeigen, dass oft bei sehr weichen Gehirn¬
arterien sich die schwersten Sklerosirungen der Extremitätenarterien finden und
umgekehrt.
Vortr. glaubt aber, dass man die Diagnose der Arteriosclerosb cerebri bei
vorhandener Sclerosirung der Extremitätenarterien doch machen darf, wenn ein
bestimmter, auf das Gehirn zu beziehender Symptomencomplex vorhanden ist.
Dieser Symptomencomplex stellt sich zunächst anders dar bei Leuten, die nur
gebtig, und bei Leuten, die nur körperlich arbeiten. Bei den geistig arbeitenden
Leuten entsteht durch die Arteriosclerosb cerebri ein Zustand, den man am
Besten mit dem Ausdrucke der geistigen Sterilität bezeichnet: es handelt sich
nicht direct um eine Abnahme der geistigen Fähigkeiten, sondern um eine ver¬
minderte Möglichkeit zu concipiren. Der Künstler vermag keine neuen Gedanken
mehr zu fassen, der Gelehrte arbeitet wohl in dem von ihm aufgeführten Baue
weiter, aber ein neues Stockwerk kann er nicht mehr aufsetzen u. s. w. Diese
Erscheinungen werden selten Gegenstand directer ärztlicher Beobachtung. Zum
Arzte kommen die Betreffenden ent dann, wenn eine andere Reihe von Enchei-
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1070
nungen hinzu tritt, vor Allem leichte Ermüdbarkeit, dann aber auch die Symptome,
welche sich als Zeichen der Arterioeclerosis cerebri auch bei der körperlich
arbeitenden Klasse finden: der Kopfschmerz, der Schwindel und die Gedächtnis¬
schwäche. Der Kopfschmerz sitzt immer auf der Stirn und wird als sogenannt«
Druckgefühl empfunden, er ist dauernd, tritt auf, wenn die Kranken morgens auf¬
stehen und geht mit ihnen wieder ins Bett. Er findet sich stärker in Folge tob
Lageveränderungen und nimmt bei sehr tiefer Kopflage immer zu. Der Schwindei
tritt entweder spontan ein oder er findet sich beim Blick nach oben und nach
unten. Die Gedächtnisschwäche spielt auch bei Leuten aus der Arbeiterklasse
eine gewisse Rolle, auch sie empfinden diese Erscheinung oft sehr störend in
ihrem Berufe. Endlich sei noch erwähnt eine oft sehr mit früheren Gewohnheiten
contrastirende Intoleranz gegen Alkohol.
Wie können wir uns diese Erscheinung anatomisch erklären? Ee muss an¬
genommen werden, dass es sich um Circulationsstörungen in Folge der Arterio¬
sklerose handelt. Nur sind wir noch sehr schlecht darüber unterrichtet, in welchen
Theilen des Gehirns diese Arteriosklerose ihren Sitz hat oder ob es sich um eine
allgemeine, das ganze Gehirn treffende Schädigung handelt. Das wesentliche, die
Erscheinungen hervorrufende Moment, wird wohl in letzter Linie die Veränderung
des Blutdruckes sein. Leider wissen wir aber über den normalen Blutdruck im
Gehirn so wenig, dass wir auch die Veränderungen desselben nicht nachweisec
können. Die Diagnose der Arteriosclerosis cerebri ist also immer nur eine mit
Reserve zu stellende. Und doch muss man ihre Erscheinungen genau kennen,
um nicht den Zustand, wie dies sehr oft geschieht, einfach mit Neurasthenie zu
bezeichnen.
Schlieeslich streift Vortr. noch die Beziehungen der Arterioscleroeis cerebri
zum Schädeltrauma. Wenn man junge Leute, die ein Schädeltrauma erlitten
haben und in Folge dessen die bekannten allgemein nervösen Erscheinungen
zeigen, untersucht, ist man immer erstaunt, wie viel darunter eine ausgesprochene
Arteriosklerosis ihrer Extremitätenarterien haben. Der Grund hierfür liegt sicher
in der angestrengten körperlichen Arbeit, an welohe die betreffenden von früh
auf gewöhnt sind, vielleicht auch an der Combination mit Lues und Alkohol
Die betreffenden haben aber Jahre lang mit ihrer Arteriosklerose schwer gearbeitet,
ohne dass sie jemals die geringsten Beschwerden von Seiten des Gehirns gehabt
haben, die eigentlich gerade bei schwerer körperlicher Arbeit mit Vorliebe auf¬
zutreten pflegen. Es muss also offenbar gewisse Regulirungsvorrichtungen geben,
welche eine Zeit lang den Schädigungen der mangelhaften Versorgung des Ge¬
hirns mit Blut entgegenarbeiten. Bei einigen derartigem Patienten findet sich
eine Hypertrophie des linken Ventrikels als ein Compensationszeichen, bei vielen
aber nicht, so dass diese Erscheinung nicht als einzige Möglichkeit einer Regu¬
lirung aufgefasst werden darf. Was es aber noch für weitere Vorrichtungen
dafür giebt, wissen wir noch nicht. Jedenfalls aber haben diese Regulirungs¬
vorrichtungen ihre Grenzen, wo sie aufhören zu functioniren. Diese Grenze ist
entweder eine rein physiologische in Folge des höheren Alters, oder aber sie wird
plötzlich gesetzt, und zwar durch ein Schädeltrauma.
Was in dem Momente vor sich geht, in dem ein schweres Trauma dem
Schädel trifft, wissen wir nioht. Alles, was wir aus Sectionen oder aus experi¬
mentellen Befunden kennen, die Blutungen, die Erweichungen, die Degenerationen
von Nervenfasern, sind doch Erscheinungen viel späterer Zeit und secundärer
Natur. Es kann aber wohl angenommen werden, dass die primären Zeichen sich
an der Circulation abspielen, und dass hier plötzlich schwere Störungen gesetzt
werden. Diese summiren sich nun zu den bereits vorhanden gewesenen, durch
den arteriosklerotischen Zustand der Gefasse bedingten hinzu und nun treten mit
einem Male die Erscheinungen der bisher latent gebliebenen Arteriosclerosis oerebri auf
1071
Es liegt Vortr. fern, die Ersoheinungen der Unfallhysterie auf einen arterio¬
sklerotischen Zustand der Gehirngefässe zurückführen zu wollen, aber er glaubt
doch, dass man bei der Beurtheilung von Unfallsnervenkranken dem Zustande der
Geflsse grosse Aufmerksamkeit schenken muss.
An der Discussion betheiligten sich die Herren Köster (Leipzig), Bins-
wanger (Jena), Saenger (Hamburg) und Windscheid (Leipzig).
Nach Autoreferaten zusammengestellt von Dr. G. Ilberg (Sonnenstein).
Medioiniaohe Gesellschaft in Warschau.
Sitzung vom 29. Mai 1900.
Herr Neugebauer zeigt ein 22jähriges Mädchen, bei welcher er Meningo-
eele saoralis anterior diagnosticirte. Die Patientin klagt über Obstipation
(Stuhlgang nur 1 Mal auf 3—4 Wochen). Die gynäkologische Untersuchung er¬
gab einen Tumor, welcher von dem Os sacrum nach dem kleinen Becken wuchs.
Ausserdem 2 Oeffnungen in der Vagina, Uterus didelphys. Vortr. stellte per
exclusionem die Diagnose Meningocele saoralis anterior. Es wurde ausserdem das
Fehlen des Os coccygis und des unteren Abschnitts des Os sacrum festgestellt.
Die Punction bestätigte die Diagnose, welche am Lebenden zum ersten Male ge¬
stellt worden ist.
Herr St. Kopczyüski stellt einen 10jährigen Knaben mit Hemiathetose
nach cerebraler Kinderlähmung vor. Diese letztere fand im zweiten Lebensjahre
statt. Die linksseitigen hemiathetotischen Bewegungen sind sehr deutlich aus¬
geprägt, die Lähmungserscheinungen dagegen sehr gering.
Sitzung vom 5. Juni 1900.
Herr Biro demonstrirt ein 26jähriges Mädchen mit Sklerodermie. Ein
Bruder der Patientin leidet an Lähmung beider Beine. Seit einem Jahre merkt
Patientin erschwerte Beweglichkeit in den Fingern und Oedem der Hände. Nach
einer Woche Bchwand das Oedem, die Hände begannen aber hart und schwer be¬
weglich zu werden. — Status praesens: Die Hände sind hart; die Finger be¬
ginnen bereits dünn zu werden. Die Haut der Hände (und des unteren Vorder¬
armabschnitts) ist hart, ohne Runzeln, glänzend. Bräunliche Flecken im Gesicht,
besonders um die Lippen. Reste der Ulcerationen am 4. linken und 3. und 4.
rechten Finger. Keine Nagelveränderungen. Gewisse Hyperästhesie in den be¬
troffenen Handpartieen. Der elektrische Widerstand bei 3 M.-A = 3000 Ohms.
Sonst keinerlei Veränderungen.
Herr Skowroüski stellt einen Kranken vor mit Neuritis nach Kohlen-
diwstvergiftung. Der Kranke wurde in das Krankenhaus 20 Stunden nach dem
Vorfall gebracht und zeigte Schwellung der rechten Körperhälfte, Schmerzen und
JBlutextravasat. Die Lähmung der unteren Extremitäten ging vorüber, es blieb
dagegen Oedem und Paralyse der rechten oberen Extremität. Sie zeigt einen
Zustand wie bei Elephantiasis. Schlaffe Lähmung, Reflexe fehlen. Entartungs-
reaction in allen Muskeln. Schmerzhafte passive Bewegungen. Tastempfindung
erhalten. Nach langdauernder Massage allmähliche Besserung.
Sitzung vom 26. Juni 1900.
Herr Biro demonstrirt einen 20jähr. Tischler, dessen Krankheit am meisten
an Tetanus erinnert. Vor 19 Tagen erwachte Pat. mit dem Gefühl der er-
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1072
1
schwerten Bewegungen sowohl der Gesichtemuskeln, als auch der Musculaiar der
oberen und unteren Extremitäten. Am schwierigsten fallen die ersten Bewegung«
aus, die weiteren werden allmählich leichter ausgeführt. Vor 2 Wochen W T unde ac
der Hand. Status praesens: Den Mund öffnet Pat. ungenügend. Geeichtsausdrudt
stets etwas lächelnd. Sprache ungestört. Pfeifen, Lichtausblasen schwach. Pupillen-
reaction und Augenbewegungen normal. Schlucken normal. Beweglichkeit der
Glieder erschwert. Die Muskeln der Extremitäten und des Rumpfes angespannt
Bewegungen überall langsam und machen den Eindruck, als ob Pat stets eine®
Widerstand beseitigen müsse. Trousseau’sches und Chvostek’sches Phänomen
fehlen. Mechanische Muskelerregbarkeit nicht gesteigert. Sehnenreflexe an des
oberen Extremitäten normal. Patellarreflex etwas gesteigert. Andeutung von Fus-
klonus. Hautreflexe normal. Elektrische Reaction normal. Nur am Levator
menti zuerst tonischer Krampf bei elektrischer Reizung, dann normal. Urin eiweiss¬
frei . Das klinische Bild entspricht am meisten dem Tetanus, obgleich einige Er*
Boheinungen an die Thomsen’sche Krankheit erinnern. Es ist aber möglich, dass
es Uebergangsfälle zwischen beiden giebt.
Herr Luxenburg stellt einen Fall von Myxödem im jugendlichen Alter
vor. Er betraf ein 19jähr. Mädchen, dessen Körpergewicht 111 Pfund und deeno
Körperhöhe 134 cm betrug. Gesicht gedunsen, besonders die Oberlider. Pupillen etwas
erweitert mit gut erhaltener Reaction. Zunge normal. Beim Heben der Clavicolae
wie gepolsterte Hauterhöhungen. Unterschenkel fast cylindrisch, ödematös; eben¬
falls die Füsse. Behaarung überall normal. Unregelmässige cyanotische Flecken
an den Oberschenkeln. Obere Extremitäten nicht geschwollen. Sensibilität und Reflexe
ungestört Trockenheit im Munde, Durstgefühl, Drücken im Halse, leichte Ermüd¬
barkeit. Intelligenz zeigte geringe Abschwächung. Die Krankheit begann vor
6 Jahren mit vorhergehenden psychischen Symptomen, mit Selbstmordgedanken;
später begann das Oedem am Gesicht und später an den Beinen. Der Vater 4«
Patientin und sie selbst leiden an Migräne.
Edward Flatau (Warschau).
IV. Berichtigung.
AufS. 1017 in Nr. 21 d. Centralbl. muss es in Zeile 8 v. n. heissen: „Wenn auch im
Grad der motorischen Aphasie für den Grad der Intelligensstörnng nieht maasngefeend Hk*
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebet«».
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
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Herauagegeben Ton
Professor Dr. E. Mendel
(unter Mithülfe von Dr. Kurt Mendel)
Zwanzigster B * ün ‘ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen BeichB, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
190t 1. December. Nr. 23.
Inhalt. I. Originalmittheilungen. 1. Ueber einen Fall von doppelseitigem, symmetrisch
gelegenem Erweichungsherd im Stirnhirn und Neuritis optica, von Dr. Zacher. 2. Die Ent¬
stehung der Tabes. Summarische Mittheilung von Coloman Pindy. 8. Ueber Hirnsymptome
bei Carcinomatose, von Dr. Alfred Saenger.
II. Referate. Anatomie. 1. The brain of Acipenser, by Johnston. — Experimen¬
telle Physiologie. 2. Ueber Gesohmacks- und Geruchacentren in der Hirnrinde, von
Gorschkow. — Pathologische Anatomie. 3. On parenchymatous systemic degeneratdons-
mainly in the central nervous System, bv Meyer. 4. On disease of the nervous System in
horees, by Watson. — Pathologie des Nervensystems. 5. Kurze historische Darstellung
der Lehre von Sprachstörungen und ihre gegenwärtigen Ziele, von Ottuszewikl. 6. De l’apbasie
motrioe (ötude anatomo-clinique et pbysiologique), par Bernheim. 7. Case of total aphasia
and right hemiplegia in a patient, who haa previously lost his left arm by accident, by
Henderson. 8. Aphasie, von Westphal. 9. Senile Hirnatrophie als Grundlage von Herd¬
erscheinungen, von Pick. 10. Zur Kenntniss der Beziehungen zwischen Schwerhörigkeit und
Worttaubheit, von Käst. 11. Ueber einen Pall von hysterischer sensorischer Aphasie (Sprach-
taubheit) bei einem Kinde, von Mann. 12. L’öcriture de Löonard de Vinci. Contribution ä
l’dtude de l'ecriture en miroir, par Ballet. 13. Stereoagnosis and allied conditions, by Burr.
14. The clinical value of astereognosis and its bearing upon cerebral localization, by Waiton
and Paal. 15. Contributioni la sludiul turburarilor vazomotorii in emiplegie, per Parhon.
16. Ueber transitorische Beeinflussung des Kniephänomens durch cerebrale Affectionen, von
Pick. — Psychiatrie. 17. Hereditaire belasting en progressieve Paralyse, door Schottens.
18. Bijdrage tot de kennis van de aetiologie der domentia paralytica, door Elzevier Dom. 19. Ueber
die Aetiologie der progressiven Paralyse, von Eisath. 20. L’alcoolismo come causa della
paralisi generale. Nota clinica de Seppilli. 21. Paralisi generale conseoutiva a trauma al
:apo, de! Lui. 22. De la raretö et des cauBes de la paralysie gdnörale Jans le canton de
Fribourg, par Remy. 23. Note sur la paralysie genörale ä l’asile de Saint-Alban (Lozbre),
>ar Charon. 24. A contribution to the morbid anatomy and the pathology of general para-
ysis of the insane, by Orr and Cowen. 25. Beobachtungen über die progressive Paralyse
vährend der letzten 4 Jahrzehnte, von Behr. 26. Beitrag zur Kenntniss der Erkrankungen
les Bückenmarks bei der progressiven Paralyse, von Just. 27. Ophthalmoplegia interior als
'rühsymptom der progressiven Paralyse, nebst Bemerkungen zur Frühdiagnose der Tabes
rnd Paralyse, von Donath. 28. Zur Frühdiagnose und Therapie der progressiven Paralyse,
on Spengler. 29. Ueber eine neuartige Form von Paramnesie, von Pick. 30. Ein zweiter
leitrag zur gekreuzten Deviation der Augen und des Kopfes, von Bresler. 31. Un cas de
aralysie generale survenue pendant une syphilis secondaire, par Serrigny. 32. Recherches
ir le reflexe plantaire dans la paralysie gendrale, par Ardin-Deiteil et Rouvi&re. 33. Beitrag
ar Dementia paralytica beim weiblichen Geschlecht, von Jahrmärkor. 34. Cerebrasthenia
letica oder Paralysis incipiens? von Pändy. 35. Ueber allgemeine progressive Paralyse der
Ten vor Abschluss der körnerlichen Entwickelung, von Frölich. 36. Een geval van infan-
ele progressieve paralyse, door Holst.
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III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenbuk-
heiten am 11. November 1901. — XXXII. Jahresversammlung aer südwestdentsehen Ims-
ärzte in Karlsruhe am 2. und 8. November 1901. — Medicinische Gesellschaft in Wanehu
— Wissenschaftliche Versammlung der Aerzte der St. Petersburger Klinik für Nerven- ml
Geisteskranke.
IV. Mittheilung an den Herausgeber.
V. Neurologische und psychiatrische Litteratur vom 1. September bis 1. November 1901.
I. Originalmittheilungen.
1. Ueber einen Fall von
doppelseitigem, symmetrisch gelegenem Erweichungsherd im
Stirnhirn und Neuritis optica. 1
Von Dr. Zacher,
dirig. Arzt an der Dr. v. Ehhknwall 'sehen Kuranstalt
für Nerven- und Gemöthskranke zu Ahrweiler.
M. H.! Der Fall, über den ich Ihnen heute Mittheilung machen möchte,
verdient nach verschiedener Richtung hin ein grösseres Interesse; einmal des¬
halb, weil es sich um das immerhin seltene Vorkommen eines doppelseitigen,
ganz symmetrisch gelegenen Erweichungsherdes handelt, der sich beiderseits am
die vorderen Stirnpartieen des Gehirns beschränkte, und zweitens deshalb, weil
der Fall durch eine beiderseitige Opticuserkrankung complicirt war, welche die
Diagnose zu Lebzeiten wesentlich erschwerte.
Der Fall betrifft einen 54jährigen Herrn aus Berlin, der abgesehen tob
leichtem Emphysem stets gesund gewesen sein soll. Im Jahre 1899 wurde bei
ihm ein leichter Grad von Diabetes constatirt, der auf geeignete Behandlung UM
verschwand. Im folgenden Jahre kehrte er vom Besuche der Pariser Ausstellnng
wo er sich sehr angestrengt und sehr üppig gelebt hatte, ermüdet und etai
nervös zurück; zugleich ergab sich, dass er wieder einen Zuckergehalt von 2°. (
hatte. Sein Hausarzt schickte ihn deshalb gegen Ende Juni nach Neuenahr r®
Kur, wohin er nach Regelung seiner geschäftlichen Verhältnisse allein abreirte
Auch in Neuenahr bot er in den ersten 4 Tagen seines Aufenthaltes sbeolot
nichts’ 17 Auffallendes in seinem Benehmen dar. Am 5. Tage blieb er auf sdnec
Zimmer und antwortete dem Zimmermädchen, das sich nach ihm umsah, mu
solle ihn in Ruhe lassen, er habe Kopfweh. In den folgenden Tagen blieb er
gleichfalls im Bette liegen, nahm keine Nahrung zu sich, liess zugehende Briefe,
Depeschen u. s. w. unberührt liegen, kümmerte sich um gar nichts und zeigte a<£
allen Anfragen und Aufforderungen gegenüber gereizt und mürrisch. „Man »lk
ihn '* in Ruhe lassen, sich aus dem Zimmer hinausscheeren u. s. w.“ Am 6. Jdi
reiste dann seine Frau, beunruhigt darüber, dass sie gar keine Nachricht von
ihrem Manne erhielt, nach Neuenahr und fand dort denselben in einem vollständig
verwahrlosten Zustande vor. Körperlich stark reducirt, befand er sich geistig
zumeist in einem schläfrigen, stark apathisohen Zustande, gab confuse, verwirrt*
Antworten und wusste über das, was mit ihm vorgegangen, keine rechte Am-
1 Nach einem im psychiatrischen Verein der Rh ein lande gehaltenen Vortrag.
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kunft zu geben. Dabei reagirte er auf nichts, was in seiner Umgebung vor sich
ging, vernachlässigte sich selbst in jeder Weise und war zeitweise selbst un¬
reinlich. Dazwischen war er stundenweise geistig etwas frischer und klarer, er¬
kannte dann seine Frau, fragte und unterhielt sioh über häusliche und geschäft¬
liche Verhältnisse, zeigte aber auffallender Weise absolut kein Verständniss für
Situation, seinen Zustand, sowie keine rechte Erinnerung an die Vorgänge der
letzten Tage. Ein herbeigeholter Arzt äusserte im Hinblick auf den Zuckergehalt
und geringe Spuren von Aceton, welche sich im Mai nachweisen Hessen, den
Verdacht, dass es sich um ein Coma diabetioum handeln könne, doch musste
diese Diagnose nach einigen Tagen fallen gelassen werden. Während der soeben
geschilderte Zustand bei dem Kranken andauerte, beobachtete die Frau desselben
nach etwa 8 Tagen, dass ihr Mann in seiner Nähe befindliche Gegenstände gar
nicht zu bemerken schien. Während er von sioh selbst aus gar nicht davon ge¬
sprochen hatte, gab er auf Befragen an, dass ihm Alles so „dämmerig“ vorkäme.
Eine vom Arzte vorgenommene Untersuchung ergab dann, dass der Kranke vor¬
gehaltene Finger kaum mehr erkennen konnte und erneute Untersuchung nach
einigen Tagen, dass das Sehvermögen mittlerweile ganz erloschen war. Bemerkens-
werther Weise hatte auoh hierüber der Kranke aus sich heraus kein Wort ge-
äussert. Die genaue Untersuchung durch einen Augenarzt erwies sich bei dem
abweisenden und leicht erregbaren Kranken etwas schwierig und wurde nur con-
statirt, dass die Papille beiderseits prominent war und dass beiderseits sich zahl¬
reiche grössere und kleinere Blutungen in der Papille und in der Nähe derselben
befanden. Eine Lähmung der Extremitäten war nach Angabe der Frau nicht
vorhanden gewesen, da der Kranke seine Arme stets gut (bewegen) benutzen
und auch in der Ruhelage seine Beine bewegen konnte. Dagegen sei der Kranke
auf die Füsse gestellt stets eingeknickt und habe sich nur mit Unterstützung
aufrecht halten können. Ausserdem habe derselbe den Kopf, wenn er nicht unter¬
stützt gewesen wäre, stets nach hinten fallen lassen. In den ersten Tagen nach
ihrer Ankunft habe ferner der Kranke eine Sprachstörung gezeigt sowie öfter
Schluckbeschwerden gehabt; desgleichen habe er Alles unter sich gehen lassen.
Da sich die Verpflegung des Kranken in Neuenahr immer schwieriger ge¬
staltete, wurde er am 3. August in unsere Anstalt verbracht. Dort ergab die
nähere Untersuchung Folgendes: Grosser, kräftig gebauter Mann mit gut ent¬
wickelter Musculatur und ziemlich reichlichem Fettpolster. Beide Pupillen hoch¬
gradig erweitert, gleich weit, starr; der linke Abducens paretisch; Zunge weicht
beim Vorstrecken ein wenig nach links ab. Sprache, Schlucken ohne Störung;
Motilität der oberen Extremitäten frei, kräftig und präcise; an den unteren
Extremitäten in der horizontalen Lage gleichfalls ohne Störung. Auf die Füsse
gestellt vermag der Kranke nur mit Unterstützung zu gehen, was hauptsächlich
dadurch bedingt ist, dass derselbe seinen Oberkörper nicht aufrecht halten kann,
sondern mit demselben immer einknickt. Aus dem gleichen Grunde erweist sich
auch aufreohtea Sitzen nur mit Mühe und vorübergehend mögUch; des Weiteren
wird es dem Kranken schwer, seinen Kopf aufrecht zu halten und sinkt derselbe
ununterstützt bald nach hinten über. SensibiHtät und Muskelsinn intact. Patellar-
reflexe beiderseits nioht auszulösen; Kremaster- und Bauchreflexe normal. Es be¬
steht vollständige Blindheit und anscheinend auch Anosmie und Agensie, dooh
war letzteres bei der Unaufmerksamkeit des Patienten nicht mit Sicherheit fest¬
zustellen. Hörfähigkeit anscheinend normal; Percussion des Kopfes nirgends
schmerzhaft. An den inneren Organen lässt sich nichts Abnormes nachweisen.
Herz nicht wesentlich verbreitert, Töne rein. Beide Arteriae temporales stark
geschlängelt und rigide; Puls weich, regelmässig, 82 Schläge. Urin leicht getrübt
und leicht alkalisch, enthält eine Spur von Eiweiss, ergab aber keine deutliche
Reaction auf Zucker. Psychisch war der Kranke leicht benommen und auffallend
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theilnahmlos. Bei der Untersuchung gab er zumeist prompte Antworten, dock
bedurfte es öfter energischen Zuredens, da er sonst unaufmerksam und zerstreut
war. Auf mehrfaches Befragen gab er an, keine Kopf- oder sonstige Sehnten«
zu haben, auch machte er nicht den Eindruck, als ob er irgend welche lebhaft?
Beschwerden habe. Ueber seine Person, seine Familienverhältnisse gab er richtige
Auskunft, fragte aber nicht mit einem Worte, wohin man ihn gebracht hat*,
was mit ihm denn eigentlich los sei u. s. w. Längere Unterredung war indes
unmöglich, da der Kranke geistig auffallend rasch ermüdete. In den folgenden
Tagen war das Verhalten des Kranken ein recht wechselndes. Stunden- und
Tageweise war er auffallend schläfrig, so dass er über der Unterhaltung, übe
dem Essen einschlief und derart fest schlief, dass man ihn nur mit Mühe auf-
rütteln konnte. An anderen Tagen war er zwar wach, zeigte sich aber auffallend
apathisch und indolent; so dass Nichts sein Interesse erwecken konnte; dabei war
er an diesen Tagen zumeist mürrischer, gereizter Stimmung, so dass man Nicht
mit ihm anfangen konnte. Dazwischen kamen dann Tage, an denen er zugäng¬
licher war, mit sich reden liess, freundlicher, selbst vergnügter Stimmung zu «in
schien und an denen er auf Fragen in zusammenhängender, klarer Rede über sein
Vorleben, seine Erlebnisse in Paris u. s. w. erzählte. Indessen auch an dies«
Tagen fiel es auf, dass der Kranke aus sich selbst heraus kaum ein Wort sprüh
für Nichts Interesse zeigte, für die Vorgänge in seiner Umgebung keine Theil-
nähme hatte und dass er vor Allem nie mit einem Worte auf seinen Zustand
seine Lage u. s. w. zu sprechen kam. Ganz allmählich trat nun eine wesentlich?
Besserung in dem Zustande des Kranken ein. Die Schläfrigkeit und Schlafsucht
verlor sich ganz, die Reizbarkeit, das mürrische Wesen verschwanden und der
Kranke wurde allmählich dauernd psychisch vollkommen klar und frei. Er er¬
kannte seine Umgebung ganz genau an der Stimme, unterhielt sich mit sein«
Frau des Oefteren über geschäftliche Angelegenheiten, wobei er naoh Angabe der
Frau ganz richtige Auskünfte gab und verständige Dispositionen traf. Sein Ge
dächtniss erwies sich bis zum Anfang Juli als vollständig intact; er 'beantwortete
nicht nur Fragen über Verhältnisse, Personen u. s. w. seiner Jugend, später«!
Lebenszeit ganz richtig, sondern wusste auch ganz gut anzugeben, wann er in
Neuenahr angekommen, wo er abgestiegen war, was er in den ersten Tagen sein«
dortigen Aufenthaltes dort gethan hatte. Dagegen war seine Erinnerung für alle
Vorgänge nach dem 4. bezw. 5. Juli bis in die letzten Tage hinein mehr oder
weniger vollständig ausgelöscht. Daneben war es ihm auch nicht möglich, neu?
Eindrücke längere Zeit in sich festzuhalten, so dass er von einem Tag mm
anderen sich auf Nichts besinnen konnte. Im Zusammenhänge damit erwies sich
auch sein Zeit- und Ortsbewusstsein hochgradig gestört, so dass er über Datum.
Tageszeiten nie unterrichtet war. Trotzdem der Kranke nunmehr geistig voll¬
ständig klar war, ganz verständig sprach u. s. w. blieben der ausgesprochen?
Mangel an geistiger Initiative und Regsamkeit, sowie die gemüthliche Stampf-
heit und Reactionslosigkeit bei ihm bestehen. Patient sprach für gewöhnlich
aus sich heraus nie ein Wort, ’äusserte nie einen Wunsch oder ein Verlangen.
fragte nie nach seiner Frau, wenn dieselbe verreist war und äusserte auch nie
eine freudige Erregung, wenn sie wiederkam; desgleichen sprach er auch nie eii
Wort über seinen Zustand, stellte nie eine Frage über die Natur seines Leidens,
ob er wieder besser würde u. s. w. Sein ganzes Verhalten machte den Eindruck,
als wenn ihm sein krankhafter Zustand gar nicht zum Bewusstsein käme; dafür
scheint auch eine Bemerkung zu sprechen, die er eines Tages seinem Dien«
gegenüber machte, nämlich „er möge doch Licht anmachen, da er nichts sehen
könne“. Zugleich mit der grösseren Aufhellung des Bewusstseins, mit dem Besser-
werden des Allgemeinbefindens hatte sich bei dem Patienten eine merkwürdig?
Aenderung seiner Stimmung eingestellt, die zu seinem sonstigon Verhalten, °
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seinem traurigen Zustande in auffallendem Contraste stand. Während er früher
sehr mürrisch, rasch gereizt und meist abweisend war, Hess er jetzt vorwiegend
eine eher heitere Stimmung erkennen. So liebte er es, besonders den Aerzten
gegenüber auf Fragen im Berliner Schusterjungenstyl allerhand scherzhafte, witzig
sein sollende Bemerkungen zu machen, sich selbst zu ironisiren, bekannte Bonmots
anzubringen, Wortspiele zu machen u. s. w., was bei seinem hülflosen Zustande
einen eigenartigen Eindruck machte. Er selbst lachte indessen nie über seine
Spä8se, wie ich überhaupt Patienten während seiner Krankheit weder lachen noch
weinen gesehen habe. Stellte man einmal etwas mehr Fragen an ihn, oder
dauerte etwa eine Untersuchung etwas länger, so schlug vorübergehend die
Stimmung um und konnte er dann abweisend und heftig werden. Zuweilen
wurde der Kranke recht redselig und confabulirte er dann in soherzhafter Weise
die buntesten Dinge durcheinander, so dass es manchmal den Anschein hatte, als
delirire er; doch konnte er im nächsten Augenblick aus diesem Zustande heraus
durch richtige Antworten überraschen. Mit der Besserung des psychischen Ver¬
haltens trat auch eine wesentliche Besserung des Allgemeinbefindens ein; der
Kranke erholte sich, bekam ein besseres, frischeres Aussehen, die Muskelschwäche
des Rumpfes trat zurück und etwa vom 16. September ab konnte der Kranke
sich ganz allein aufrichten und ohne jegliche Unterstützung einige Schritte gehen.
Im Bereiche der Augenmusculatur war die linke Abducensparese zurückgegangen,
dafür hatte sich später eine Parese des rechten Abducens und des rechten Obliquus
infer. eingestellt. Diese Störungen waren jedoch nicht constant, sondern wechselten
sowohl in der Intensität derart, dass sie Tageweise verschwanden als auch darin,
dass Tageweise auch wieder am linken Auge geringe Abweichungen des Bulbus
nachweisbar waren. Die Pupillen blieben in der Ruhe gleichmässig weit und
starr; dagegen Hess sich beobachten, dass dieselben eine merkbare Verengerung
erlitten, sowie die Aufmerksamkeit des Kranken vorübergehend in stärkerem
Grade erregt wurde. Vom 30. September stellte sich unter Auftreten einer leioht
eitrigen Conjunctivitis eine Verschlimmerung des Zustandes bei dem Kranken ein;
er wurde wieder schläfriger, apathischer, fing an zu phantasiren, Hess Alles unter
sich gehen, doch war er vorübergehend noch aufzuwecken. In der Nacht vom
3. zum 4. October trat dann ziemlich plötzlich eine erhebliche Verschlimmerung
ein; der herbeigerufene Arzt fand den Patienten mit stark geröthetem Gesicht
vollständig bewusstlos vor; derselbe vollführte noch einige Bewegungen mit den
Beinen, griff öfters nach dem Kopfe hin, erwies sich aber sonst vollständig
empfindungs- und reactionslos; Corneareflexe beiderseits erloschen. Linke Pupille
war ad maximum erweitert, während die rechte sehr eng war; beide Bulbi waren
unbeweglich, der linke Bulbus geradeaus sehend, der rechte nach innen und oben
stehend. Athmung sehr beschleunigt, Puls 120 Schläge. Gegen 12 Uhr Mittags
trat dann unter den Zeichen der Herzlähmung der Tod ein, nachdem die vorhin
beschriebenen eigenartigen Zustände an den Augen bis dahin unverändert ge¬
blieben waren.
Die Section, die leider erst nach 30 Stunden gemacht werden konnte und
sich auf die Schädelhöhle beschränken musste, ergab Folgendes: Schädeldach
stark blutreich; Sinus longitud. leer: Dura mater längs dem Sinus longitud. und
ganz besonders über dem linken Paracentralläppchen mit der Pia verwachsen.
Pia mater zart, ziemlich stark hyperämisch, überall abziehbar mit Ausnahme
zweier Stellen an der Convexität in der Nähe der Kuppe beider Stirnlappen. In
der Gegend des Fusses der beiden ersten Stirnwindungen rechts befindet sich in
der Pia bezw. zwischen Pia und Rinde eine frische Blutung in der Grösse eines
Zweimarkstückes. Von den Gefässen an der Basis zeigen sich die linken Arteria
carot. intern, hochgradig, die rechte weniger stark atheromatös entartet; Arteria
basilaris und Arteria fossae Sylvii lassen dagegen nur relativ geringe Verände-
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rungen erkennen. Bei der Weichheit des Gehirns musste man darauf verzichten,
die kleineren Arterien, speciell die Arter. cerebri ant. genauer zu untersuchen.
Die Nervenstämme erwiesen sich an der Basis vollständig intact, speciell liessen
auch das Chiasma und die beiden Tractus opt. nichts Abnormes erkennen. Beim
Versuche, die adhärente Pia abzulösen, reiset links entsprechend der Umbiegungs¬
stelle der II. Stirnwindung die Rinde ein und tritt dabei ein Erweichungsherd
zu Tage, der anscheinend die ganze vordere Stirnpartie umfasst. Rechts läse*,
sich die Pia mit Vorsicht noch eben ablösen, doch erkennt man dabei, dass mci
die rechte Seite des Stirnhirns erweioht sein muss. Eine genaue Feststellung
der Grösse dieser Erweichungsherde wird bis nach der Erhärtung verschoben.
Die Seitenventrikel sind nioht erweitert; Ependym zart; dieselben Verhältnis
im IV. Ventrikel. Die Gehirnmasse rückwärts vom Stirnhirn schon sehr weich
und zerfliesslich, lässt grossen Blutreichthum erkennen.
Pons und Medulla zeigen weder aussen noch bei Querschnitten irgend welche
auffällige Veränderungen. Nach der Erhärtung in MüLLKE’scher Flüssigkeit lies«
sich der Umfang der beiden Erweichungsherde genauer feststellen und ergab sich
dabei Folgendes. Im linken Stirnhirn zeigte der Herd eine Ausdehnung, die von
der Spitze des Stimhirns dorsalwärts bis zur Gegend des Balkenkniees reichte
letzteres aber intact liess. In dieser Längsausdehnung hatte der Herd den
grösseren Theil des Marklagers zerstört, dagegen die Rinde fast durchweg mehr
oder weniger frei gelassen, mit Ausnahme einer etwa markgrossen Partie, welche
die zweite Stirnwindung an ihrer Umbiegungsstelle, sowie die anliegenden Theile
der III. Stirnwindung umfasste. Hier war auch die Rinde ganz in den Er¬
weichungsherd einbezogen. Auf Frontalschnitten erscheinen die zwei äusseren
Drittel des Marklagers am stärksten betroffen, während das innere Drittel weniger
gelitten hatte. Balkenknie sowie der vordere Theil des Linsenkems waren frei
geblieben. Rechts war die Grosse des Herdes, was die Ausdehnung desselben
von vorne nach hinten betraf, ungefähr dieselbe, dagegen die Zerstörung de« Mark¬
lagers eine weniger ausgedehnte und intensive. Speciell erschien auch die Rinde
wiederum mit Ausnahme der Kuppe der I. und II. Stirnwindung wenig verändert
Ausser diesen beiden Herden liess sich am gehärteten Gehirne mit Einschluss
des Pons und der Medulla oblongata kein weiterer Herd mehr nschweigen. Eise
mikroskopische Untersuchung konnte aus äusseren Gründen nicht gemacht werden,
dagegen liess sich am gehärteten Präparate gut feststellen, dass in beiden Herden,
speciell jedoch im linken, neben älteren Veränderungen solche frischeren Datums,
vor Allem zahlreiche Blutungen vorhanden waren.
Die genauere Untersuchung der Augen hatte in freundlicher Weise Professor
Peters (Bonn) übernommen, der bei dem Kranken auch zu Lebzeiten eine Au gta-
untersuchung vorgenommen hatte. Ein mir darüber zur Verfügung gestellter
Bericht lautet: Auf beiden Augen fand sich ziemlich gleichmässig angeordnet ic
der Netzhaut eine grosse Anzahl von Blutungen von kleinerer und grosserer Aus¬
dehnung in der Nähe der Gefässstämme. Dabei war die Papille beiderseits leicht
prominent, die Grenzen derselben undeutlioh, die Farbe röthlich. Die Venen frei
von Thrombosirung und starker Wandverdickung. Als begünstigend für das Ent¬
stehen der Netzhautblutungen kommen Wandverdickungen der Centralarterien det
Opticus und der Netzhautgefässe in Betracht. Der retrobulbäre Sehnerventheil
ist ampullenformig aufgetrieben, der Zwischenscheidenraum vergrössert und di«
prominente Papille lässt eine leichtzeilige Infiltration erkennen. Es handelt sich
demnach um eine durch Blutungen complicirte Neuritis optica.
Sehe ich vorerst einmal von dem Befunde an den Augen ab, ao haben wir
es bei unserem Patienten mit einem Falle von doppelseitigem Erweichung*
herde im Stirnhirn zu thun, der in beiden Hemisphären genau auf die vordere
Druck von
>n Ü
1079
Hälfte beschränkt war und der weniger die Rinde als die weisse Substanz inner¬
halb des Bereiches zerstört hatte. Da das ganze übrige Gehirn mit Einschluss
von Pons und Medulla keinerlei gröbere Veränderungen zeigte, so stellt unser
Fall gleichsam ein von der Natur angestelltes Experiment der Ausschaltung
beider vorderen Stirnhälften dar und erscheint somit sehr geeignet einen Beitrag
zur Lösung der Frage nach der Funktionsleistung des Stirnhirus zu liefern, um
so mehr als unser Patient nach Auftreten des Schlaganfalles noch eine Reihe
von Wochen am Leben blieb und somit alle durch den Anfall gesetzten Fern¬
and Nebenwirkungen in Wegfall kamen. Sehen wir uns nun von diesem Gesichts¬
punkte unseren Fall näher an, so lehrt er, dass Erkrankung bezw. Zerstörung
der vorderen Stirnhälften keinerlei motorische, sensible und Sprachstörungen her¬
vorruft und dass anscheinend überhaupt keinerlei somatische Störungen damit ver¬
bunden sind. Die im Anfänge der Erkrankungen vorhandenen Sprachstörungen und
Schluckbeschwerden waren auf Fernwirkung zurückzuführen und verschwanden in
Folge dessen bald. Die Augenmuskelstörungen waren gleichfalls zu wechselnd
und im weiteren Verlaufe der Krankheit zu geringfügig, als dass man sie mit
der Herderkrankung direct in Verbindung bringen könnte. Desgleichen trat
auch die in den ersten Wochen deutlich ausgesprochene Schwäche der Rumpf¬
und Nackenmusculatur vollständig zurück. Letztere Erscheinung verdient im
Hinblick auf die hauptsächlich von Bbüns 1 vertretene Ansicht, dass das Centrum
für die Rumpf- und Nackenmusculatur in den hinteren und medialen Stirn-
partieen liege, ganz besonders hervorgehoben zu werden, da darin eine Be¬
stätigung der BnüNs’schen Ansicht zu liegen scheint. Wenn wir sehen, dass
bei unserem Patienten im Gefolge des Erweichungsherdes keinerlei motorischen
Störungen in den Extremitäten auftraten, dass dagegen mit dem Anfalle sich
eine Schwäche der Stammmusculatur einstellte, die sich später wieder verlor, so
lässt sich dies zwanglos nur durch die Annahme erklären, dass das Centrum
für die Stammmusculatur dem Entweichungsherde näher liegen muss als das¬
jenige für die Extremitäten, eine Annahme, die sich mit der von Bbüns decken
würde. Während wir demnach das Fehlen jeglicher somatischen Störung im
Sinne einer Ausfallserscheinung in unserem Falle constatiren konnten, liessen
sich eine Reihe von psychischen Krankheitsersoheinungen als dauernde nach-
weisen, so dass wir berechtigt sind, dieselben direct mit den durch die beiden
Herde gesetzten Veränderungen in Verbindung zu bringen. Versuche ich nun
diese Störungen einmal des Näheren zu analysiren, so finden wir vor allem
eine ausgesprochene Störung der Merkfahigkeit und eine dadurch bedingte hoch¬
gradige Vergesslichkeit. Wir sahen, dass unser Patient, der bis dahin geistig
vollständig normal war, der insbesondere stets ein sehr gutes Gedächtniss hatte,
nach dem Anfalle nichts mehr behalten, sich von einer Stunde auf die andere
auf nichts mehr besinnen konnte, trotzdem er wohl im Stande war alles, was
in seiner Umgebung vor sich ging, zu percipiren, richtig zu erfassen und auch
richtig zu beurtheilen. Er erkannte seine Frau, den Arzt, seinen Diener u. s. w.
Digilized by GoO^IC
1 Bbüns, Die Geschwülste des Nervensystems.
1080
richtig an den Stimmen, gab auf Fragen sachgemässen Bescheid, wusste aber
nie recht anzugeben, welcher von seinen Angehörigen ihn zuletzt besucht, wac
er mit ihm besprochen hatte, was man tags zuvor mit ihm gemacht hatte u. s. w.
Dagegen war sein Gedächtniss für die Vergangenheit, für früher Erlebtes an¬
scheinend ganz intact geblieben. Er wusste genau über sein früheres Leben
Bescheid zu geben, erinnerte sich genau der Erlebnisse auf seiner Reise nach
Paris, die er kurz vor seiner Erkrankung gemacht hatte, kannte den Namen
des Wirthes, bei dem er in Neuenahr sich eingemiethet hatte, wusste, was er
in den ersten Tagen seines Neuenahrer Aufenthaltes gethan hatte. Im Zu¬
sammenhang mit dieser Störung der Merkfahigkeit schien unser Kranker auch
kein rechtes Zeitbewusstsein mehr zu haben; er hatte keine rechte Idee von der
zeitlichen Folge der Vorgänge, wusste nicht anzugeben, ob er zu Mittag gegessen
oder nicht, ob der letzte Besuch seiner Frau, des Arztes schon lange her sei
oder nicht u. s. w.
Eine weitere, sehr wesentliche und auffällige Störung machte sich bei dem
Patienten bemerkbar in dem Mangel jeglicher Reaktion auf äussere Vorgänge,
so wie auf Veränderungen, die seine Persönlichkeit bezw. seinen Körper betrafen.
Der Kranke erschien von allem, was um ihn vorging, von allem, was mit ihm
vorging, vollständig unberührt, fragte nie mit einem Worte, was ihm denn fehle,
warum er in eine andere Umgebung versetzt worden sei, warum seine Frau
und seine Kinder von Berlin herübergekommen wären, ihn zeitweilig wieder
verliessen, wunderte sich in keinerlei Weise darüber, als ein ihm fremder Arzt,
ein Augenarzt, unerwartet kam und ihn gründlich untersuchte, äusserte kan
Wort des Erstaunens oder Bedauerns, wenn er zufällig einmal das Bett ver¬
unreinigte u. 8. w. Ganz besonders auffallend war es jedoch, dass der Kranke
nie ein Wort über seine Erblindung sprach; weder hatte er eine Bemerkung
gemacht, als die Sehstörung eintrat, noch äusserte er später, als er geistig voll¬
kommen klar erschien, ein Wort über sein schweres Leiden, auch dann nicht,
als er durch die directen Untersuchungen genötigt wurde, Auskunft über seine
Sehfähigkeit zu geben. Desgleichen liess er nie eine Spur einer gemüthlieben
Erregung sehen, wenn eine derartige Untersuchung stattfand oder die Rede auf
sein Leiden kam. Das ganze Verhalten des Kranken machte am ehesten den
Eindruck, als ob ihm sein Leiden, sein trauriger Zustand, gar nicht mehr zum
Bewusstsein käme. Charakteristisch für diese Auffassung erscheint mir die Be¬
merkung des Kranken, welche er eines Tages seinem Diener gegenüber ganz
spontan machte, nämlich: „er solle doch Licht anzünden, es sei ja ganz
dunkel“. Diese Bemerkung, sowie das ganze Verhalten des Kranken scheinen
mir dafür zu sprechen, dass derselbe zwar noch Eindrücke wahrnahm, dass
ihm aber offenbar das Verständniss für das, was er empfand, fehlte. Leider
war es bei dem Zustande des Kranken, der geistig rasch ermüdete und
dessen Aufmerksamkeit nie auf längere Zeit zu erwecken war, unmöglich des
Näheren zu untersuchen, worin denn im Grunde diese schwere Störung bestand.
Am ehesten hatte man noch den Eindruck als ob es sich bei dem Patienten
um eine schwere und ausgedehnte associative Störung handelte insofern, als sich
Goos
1081
bei demselben mit gewissen Empfindungen und Sinneseindrücken entweder gar
keine oder nur ein Teil der gewohnten Vorstellungen verknüpften und demnach
auch diese Empfindungen, diese Wahrnehmungen keinen Eindruck mehr auf ihn
machten. Diese Auffassung würde nicht nur den auffallenden Mangel jeglicher
gemüthlichen Reaktion bei dem Patienten erklären, sondern auch jene Erschei¬
nung, dass der Kranke keinerlei Spur von Initiative, von geistiger Regsamkeit
zeigte. Wie dem immerhin sein möge, jedenfalls handelte es sich bei unserem
Patienten nicht um einen Zustand, den man gewöhnlich mit Apathie oder
Indolenz zu bezeichnen pflegt, da derselbe ja auf Fragen und Anrede zumeist
prompt und richtig Antwort gab, seiner heiteren Stimmung entsprechend mit
Vorliebe scherzhafte Bemerkungen machte u. s. w.
In mancher Beziehung erinnerte unser Patient an Zustände, wie man sie
bei vorangeschrittener Paralyse oder bei gewissen Formen von seniler Demenz
und chronischem Alkoholismus sieht, insofern, als man dort auch diese Erschei¬
nungen hochgradigster, gemüthlicher Stumpfheit, grosser Vergesslichkeit und
vor allem auch diese psychische Anästhesie ihrem Leiden oder schweren körper¬
lichen Schäden gegenüber betrachtet. Dagegen unterschied sich unser Kranker
ganz wesentlich von allen diesen Fällen dadurch, dass er anspruchsfahig war,
ein anscheinend intactes Gedächtniss für früher Erlebtes und Erlerntes hatte,
über geschäftliche und persönliche Verhältnisse prompte und richtige Auskunft
gab und nach Angabe seiner Frau auch noch sachgemäße Bestimmungen traf.
Eine weitere Störung, die ich schon vorher kurz erwähnte, machte sich bei
unserem Patienten nach der Richtung hin bemerkbar, dass er auffallend schnell
geistig ermüdete; schon nach relativ kurzer Zeit wurde der Kranke, der bis
dahin ganz richtige Bemerkungen und Angaben gemacht hatte, unaufmerksam,
zerstreut und sichtlich müde, so dass man die Unterhaltung abbrechen musste.
Oft wurde er dann nach einer solchen Unterhaltung schläfrig und verfiel dann
auch gelegentlich in längeren Schlaf. Schliesslich bot unser Patient noch eine
Erscheinung dar, die auch von anderen Autoren speciell bei Stimhirnerkrankungen
mehrfach beschrieben worden ist, nämlich eine auffällig humoristisch gefärbte
Stimmung, eine Neigung zu allerhand witzig sein sollenden Bemerkungen und
Aeu8serungen, die stark an den Berliner Schusterjungen erinnerten. Diese Er¬
scheinung war bei unserem Patienten recht ausgesprochen, musste aber auch
sofort auffallen, da sie zu dem hülflosen Zustande des Patienten einen höchst
merkwürdigen Contrast bildete. Bekanntlich war es Jastbowitz , 1 der zuerst
auf eine eigenartige, humoristische Stimmung bei gewissen Hirnkranken und
zwar speziell bei Fällen von Stirnhirntumoren hinwies und die Analogie dieser
Erscheinung mit ähnlichen Zuständen bei Paralytikern, senil Dementen u. s. w.
hervorhob. Verschiedene andere Autoren, vor allem Oppenheim 2 und Bbuns
haben nun diese Beobachtung von Jastbowitz bestätigen können und sind
gleichfalls zur Ansicht gekommen, dass diesem Symptom der „Witzelsucht“, wie
1 Jastbowitz, Beiträge zur Localisation im Gehirn. Leipzig 1888.
* Oppenheim, Zur Pathologie der Grosshirngeschwülste. Archiv f. Psych. XXL
by
Googl<
es Oppenheim bezeichnet, eine gewisse localdiagnostische Bedeutung zukomme,
insofern, als es für Erkrankungen des Stirnhims chrakteristisch sei. Da es ach
nun in allen Fällen dieser Autoren um Tumoren des Stirnhirns handelte, ab>
um Fälle, welche zu sicheren localdiagnostischen Schlüssen weniger geeignet
sind, so gewinnt unser Fall anscheinend auch insofern eine grosse Bedeutung,
als er dieses Symptom der „Witzelsuoht“ auch bei doppelseitigem Erweichung«-
herde, der ausschliesslich auf die vorderen Stirnpartieen beschränkt war, dar¬
bot. Denn es gewinnt durch unsere Beobachtung jene Annahme, dass diesem
Symptome eine für Stimhimerkrankungen charakteristische, locald iagnostische
Bedeutung habe, anscheinend entschieden an Werth. Ich sage anscheinend,
weil ja immerhin die Möglichkeit vorliegt, dass dieses Symptom nur bei solcher
Patienten in die Erscheinung tritt, die auch in gesunden Tagen diese Neigung
zum „Witzeln“ zeigten und bei denen dieses Symptom trotz der Traurigkeit
ihrer Lage nur deshalb sich einstellt, weil diese Patienten in Folge ihres Hira-
bezw. Stämhirnleidens die Beurteilungsfahigkeit ihres Zustandes bezw. das Gefühl
dafür verloren haben. Ich erwähne dies deshalb, weil es sich bei den meisten
der bisher bekannt gewordenen Fälle um Berliner handelt, welche bekanntlich
häufig die Neigung zu derartigen Witzeleien zeigen und weil unser Patient, wie
die Nachfrage ergab, thatsächlich auch in seinen gesunden Tagen gern im
Berliner Jargon seine witzig sein sollenden Bemerkungen machte. Es würde
somit diesem Symptom der Witzelsucht in etwas anderem Sinne eine gewia*
diagnostische Bedeutung zukommen, als dies die bisherigen Autoren an nahmen.
Indessen erst weitere Beobachtungen, bei denen das eben erwähnte Moment
Beachtung findet, werden entscheiden können, ob diesem Symptom thatsächlich
die Bedeutung zukommt, welche ihm Oppenheim, Beüns u.s. w. zuschreiben wollen.
Auffallender Weise fehlten bei unserem Patienten, wenn ich von dem Mangel
an gemüthlicher Reaction absehe, jegliche Charakterveränderungen nach der un¬
angenehmen Richtung hin, wie sie speciell in den letzten Jahren von Wklbch-
Leonobe, Oppenheim u. s. w. bei Läsionen des Stirnhims mitgeteilt sind.
Unser Kranker war ja wohl in der ersten Zeit seiner Erkrankung leicht gereizt,
abweisend, verlor rasch seine Geduld, zeigte sich aber später durchweg harmlos
und gutmüthig.
Eine kurze Besprechung verdient schliesslich noch der Befund an den
Augen. Nach der anatomischen Untersuchung handelte es sich um eine aus¬
gesprochene Neuritis optica, die durch zahlreiche Blutungen in die Papille und
die Retina complicirt war, wenigstens sprachen die zellige Infiltration und die
Gefassverdickung bei der kurzen Dauer der Affeotion gegen die Annahme einer
gewöhnlichen, durch Blutungen complicirten Stauungspapille. Mag man in¬
dessen das eine oder das andere annehmen, in jedem Falle erscheint ee bei dem
heutigen Stande unseres Wissens unmöglich einen direkten Zusammenhang dieser
Neuritis optica mit den Erweichungsherden nachzuweisen, da eine absteigende
Neuritis optica nach dem Befunde ausgeschlossen ist und für eine Infectzon
jeder Anhalt fehlt. Da andererseits nachweisbar auch kein ätiologisches Moment
für die Annahme einer genuinen Neuritis optica vorliegt, so müssen wir uns mit
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1083
der Constatirung der Thatsaohe begnügen, dass in unserem Falle neben den
Erweichungsherden eine doppelseitige durch Blutungen complioirte Neuritis optica
bestand.
Dieses Nebeneinanderbestehen der Erblindung resp. des Augenbefundes
einerseits, welcher anfänglich als eine immerhin mögliche Stauungspapille ge¬
deutet wurde, und der oben näher geschilderten Himerscheinungen andererseits
bereiteten eine Zeitlang bei Stellung einer bestimmten Diagnose nicht geringe
Schwierigkeiten. In der ersten Zeit der Erkrankung lag der Verdacht auf einen
Hirntumor sehr nahe, doch musste diese Annahme im weiteren Verlaufe fallen
gelassen werden. Später liessen die Hirnerscheinungen und ihr Verlauf nur
noch die Annahme eines Erweichungsherdes übrig, der aller Wahrscheinlichkeit
nach im Vorderhirn sitzen musste, doch liess sich damit der Augenbefund direct
nicht in Einklang bringen. Es blieb in Folge dessen nichts übrig als zwei von¬
einander unabhängige Erkrankungen des Hirns und der Augen anzunehmen,
für welche in der atheromatösen Gefasserkrankung resp. Thrombosirung der
Gefasse die gleiche Ursache vorläge. Die zahlreichen, eigenartig angeordneten
Blutungen in und in der Umgebung der prominenten Papille liessen nach
Annahme des Ophthalmologen den Verdacht zu, dass es sich um das seltene
Vorkommnis8 einer doppelseitigen Thrombose der Venae ophthalmicae handeln
könne. Wie die Section ergab, war dies nicht der Fall, sondern es handelte
sich, wie wir sahen, um eine Neuritis optica, die allerdings durch die vor¬
handenen reichlichen Blutungen in die Papille und Betina den diagnostischen
Irrtum veranlasst«. Soweit mir die Litteratur zu Gebote stand, habe ich keinen
analogen Fall darin auffinden können. Es reiht sich demnach unser Fall an
die übrigen, in der Litteratur niedergelegten Fälle von Erkrankung des Gehirns
resp. Rückenmarkes an, welche mit einer Neuritis optica complicirt waren und
bei denen für das Auftreten dieser Neuritis optica eine plausible Ursache, sei
es nun eine infectiöse oder eine andere, nicht nachgewiesen werden konnte.
2. Die Entstehung der Tabes. 1
Summarische Mittheilung von Dr. Coloman Pändy,
Primararzt in Gyula (Ungarn).
Seit 9 Jahren beschäftigt sich Verfasser mit Untersuchungen über die Ent¬
stehung der tabischen Rückenmarkssklerose. Im Jahre 1892, als Schüler von
Prof. Laufenaueb an der Universitätsklinik für Geistes- und Nervenkrank¬
heiten, fand Verfasser in seinen experimentalen Studien bei zwei längere Zeit
mit Nicotin vergifteten Kaninchen eine eigentümliche Degeneration der Hinter¬
stränge des Rückenmarks.* Dieselbe Degeneration beschrieb Minich in dem¬
selben Jahre unter dem Titel: „Hydropische Degeneration des menschlichen
Rückenmarkes.“ Die bei den nicotinisirten Kaninchen gefundene Veränderung
1 Vorgelesen am 17. Joni 1901 in der III. Abtbeilong der ungarischen Akademie der
Wissenschaften daroh Univ.-Prof. Dr. Kabl Kätli, correep. Mitglied der Akademie.
* Ung. Arch. f. Med. 1898.
1084
schien — mit besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass Stbümpkll
eine Nicotintabes ähnlich der luetischen Hinterstrangsklerose beschrieben hatte
— auch weiteren Studiums werth. Aus diesem Grunde hat Verfasser mit der
wohlwollenden Unterstützung des Hm. Prof. K£tli auf der II. med. Klinik seine
Untersuchungen fortgesetzt und zwar hat er, um sich in um so weiteren Gesichts¬
kreisen orientiren zu können, Kaninchen nicht nur mit Nicotin, sondern aoefa
mit Branntwein, Cocain und Ergotin vergiftet, ja sogar nach dem Muster der
aus der menschlichen Pathologie bekannten cumulativen Aetiologie combinirte
Vergiftungen mit gleichzeitiger Darreichung von Nicotin + Branntwein, Nicotin +
Cocain, Nicotin + Ergotin u. s. w. bewerkstelligt. Er hat das Nervensystem von
28 Versuchsthieren mit sämmtlichen anwendbaren Methoden untersucht und,
obwohl er sein Studium bis jetzt nicht beendet hat, aus den Versuchen soviel
ersehen, dass eine Degeneration der Rückenmarkshinterstränge in diesen Fällen
nicht vorgekommen ist. Weshalb das in den ersten 2 Fällen geschehen ist, in
den letzteren Fällen aber nicht, vermochte er aus diesen Versuchen nicht zu
bestimmen; indessen ist jedenfalls damit zu rechnen, dass die Degeneration der
Rückenmarkshinteretränge bei jedweder Vergiftung selten ist, — auf je 1000
chronische Vergiftungen mit Alkohol und Blei entfällt nur ein paar Mal eine
Degeneration der Hinterstränge, unter 1000 Luetischen finden sich nur einige,
bei denen Tabes entstanden ist; und selbst Stbümpbll hat nur bei zwei Tabaks¬
arbeitern das klinische Bild der Nicotintabes gesehen.
Verfasser hat sich nach diesen erfolglosen Versuchen bemüht, dem Ver-
ständniss der Tabes auf andere Weise näher zu treten. Er untersuchte die
Rückenmarkshinterstränge in Fällen, wo allgemeine Ursachen die Ernährung
des menschlichen Rückenmarks stören, so in erster Linie Veränderung der
Blutgefässe bei der universellen Arteriosklerose, andere Circulationskrankheiten,
ferner Diabetes, Pneumonie, Lungenschwindsucht — Ebenso wie diese im Ganzen
15 Fälle hat Verfasser noch einen Fall peripherer Neurotabes 1 , einen Fall vom
Meningomyelitis luetica, welcher im Bilde einer Tabes acutissima verlief, und
einen Fall von Tabes mit carcinomatöser Metastase oombinirt, mit allen den
üblichen Methoden untersucht. (Alle diese Fälle wurden auf der II. med. Klinik
gesammelt)
Diese Untersuchungen haben die bisher noch nicht beschriebene Thit
sache constatirt, dass bei der allgemeinen Arteriosklerose unabhängig von
dem Senium eine der tabischen entsprechend localisirte Degeneration der
Hinterstränge entsteht Verfasser hat erwiesen, dass diese Degeneration keine
directe Folge der Endoarteriitis ist, sondern in Folge der gestörten Blut- und
Lymphcirculation und überhaupt in Folge der krankhaften Ernährung de6
Rückenmarks entsteht. Dieselbe Degeneration kommt nämlich an derselben
Stelle mit demselben makro- und mikroskopischen Bilde bei Insufficienz der
Valvula bicuspidalis und bei anderen Stoffwechselstörungen auch ohne Arterio¬
sklerose vor (Leukämie, Nephritis, Diabetes, Tuberoulose).
1 Neuritis multiplex und Ataxie. Klinisch-therap. Wochensohr. 1900. Nr. 42—44.
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1085
Aus der Untersuchung der Arteriosklerose ist ferner ersichtlioh, dass eben,
weil bei maximaler Arteriosklerose nur hydropische Degeneration sich entwickelt
und andererseits auch bei den schwersten Fällen von Tabes die Degeneration
der Qefässe unbedeutend ist, die Tabes nicht in Folge der Erkrankung der
Hinterstranggefasse entsteht. Ebenso kann die Theorie von Redlich-Ober¬
st ein er nicht angenommen werden, weil bei der Arteriosklerose nicht nur die
Gefasswände proliferiren, sondern auch das Bindegewebe, und dennoch sich
keine Tabes bildet.
Verfasser weist nach, dass die hydropische Degeneration nicht nur auf ein
und demselben Orte localisirt ist, wie die Tabes, sondern dass zwisohen diesen
zwei Degenerationen Uebergänge zu finden sind. Dies wurde am klarsten er¬
sichtlich bei einem 64jähr., an Phthisis pulmonum verstorbenen Individuum.
Ohne Zweifel erweisen diese Studien, welche auch viele Daten der Litteratur
unterstützen, dass die Hinterstränge des Rückenmarks gegen jede Stoffwechsel-
Veränderung — sei diese durch Pellagra, Ergotin, Blei, Branntwein, Lues, Diabetes,
Vitium cordis, oder durch welch immer andere Ursache hervorgerufen — in
der Gegend der Bandelettes externes oder in der Zona intermedialis am empfind¬
lichsten sind; die einmal begonnene Veränderung verbreitet sich immer von hier
aus weiter auf die zusammenhängenden und benachbarten Fasern.
Diese Studien des Verfassers ergänzen jene, welche er in je einem einzelnen
Falle der peripherischen Pseudotabes, der Meningomyelitis syphilitica und der
mit Carcinom complicirten Tabes unternahm. Von besonderer Wichtigkeit sind
die in den zwei ersteren Fällen gefundenen Resultate. Es hat sich nämlich
ergeben, dass neben einer schweren Degeneration der peripherischen Nerven und
der hinteren Wurzeln in den Hintersträngen des Rückenmarks jede entsprechende
Degeneration fehlen kann. Aehnliche Fälle sind auch von Prbysz, Fübstnbe
mitgetheilt worden, und so weist Verfasser nach, dass nicht nur die bis jetzt
immer betonte Incongruenz besteht, dass nämlich die Hinterstränge beim Intact-
sein der hinteren Wurzeln degeneriren, sondern dass auch bei der Degene¬
ration der hinteren Wurzeln die Hinterstränge des Rückenmarks un¬
verändert bleiben können. Und somit haben wir für dieKenntniss der Patho¬
logie der Tabes einen wichtigen Schlüssel erworben, indem wir bekennen müssen,
dass die Hinterstränge des Rückenmarks unabhängig von den hinteren
Wurzeln erkranken können. Die insbesondere durch Martf. betonte In¬
congruenz bei der Tabes kann man auch anders nicht verstehen. Unsere
sämmtlichen auf die Hinterstränge des Rückenmarks sich beziehenden Kenntnisse
erfordern, dass nicht die Erkrankung der hinteren Wurzeln die Tabes
verursacht, sondern umgekehrt, die Erkrankung der Hinterstränge
greift auf die Wurzeln über. Auf diese Möglichkeit hat schon Raymond
hingewiesen.
Eben diesen Satz beweist auch der zweite Fall des Verfassers, wo im Bilde
einer Tabes acutissima eine Meningitis luetica entwickelt war. In dem sacralen
und lumbalen Rückenmarke sind die hinteren Wurzeln und die Hinterstränge
völlig gesund, im oberen Lumbalmarke in der Gegend der Bandelettes externes
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1086
beginnt eine mit der Tabes vollkommen gleich localisirte Entartung, welche gegen
oben immer mehr zunehmend den ganzen Querschnitt der Hintersträoge
vernichtet. Die Degeneration macht keinen Unterschied zwischen exogenen and
endogenen Fasern, nur der ausserordentlich langsame Verlauf der Tabes (im
Gegensatz zu diesem in 2 Jahren abgelaufenen Falle der Tabes acutissima) kann
zu der Annahme fuhren, dass die Degeneration die zu exogenen, endogenen,
functionell oder embryologisch differenten, doch hypothetischen Systemen an¬
gehörenden Fasern auswählt.
Weder die Theorieen von Flechsig, weder die von Tbepinsky, noch die
von Edingeb können die Tabes erklären, da sie nur auf einer verschwindend
kleinen Zahl von Fällen beruhen. Die Untersuchungen des Verfassers hingegen
beweisen, dass die Tabes eine auf dem CHARCOT-PiEBBET’schen Felde der
Hinterstränge des Rückenmarks (Zone intermödiaire, Bandelettes externes)
beginnende endogene, pseudosystematisohe Erkrankung ist, welche
allem Anscheine nach im Wege einer chronischen luetischen Vergiftung der
Hinterstränge entsteht Das erwähnte Feld ist ohne Ausnahme bei sämmtlichen
Stoffwechselveränderungen der empfindlichste Theil der Hinterstränge, deshalb
entstehen die hydropischen, pellagrösen und andere Degenerationen primo loco
hier und von hier schreiten sie auch bei der Tabes auf die nächst verbundenen
anderen Theile des Hinterstrangs und auch auf die hintere Wurzel über. Die
Erkrankung des CHABCOT-PiEBBET’schen Feldes ist die conditio
sine qua non der Tabes, und dies macht nicht nur die sämmtlichen anato¬
mischen Veränderungen, sondern auch das klinische Bild vollkommen verständlich.
3. Heber Hirnsymptome bei Carcinomatose. 1
Von Dr. Alfred Saenger.
Im Jahre 1888 veröffentlichten Oppenheim 2 und Bettelheim 8 Fälle von
Carcinomatose, deren scharf umschriebene Hirnsymptome keine Erklärung
durch die Seotion fand. Oppenheim deutete den negativen Befund dahin,
dass es sich um eine auf dem Boden des Carcinoms entstandene toxische
Herderkrankung des Gehirns gehandelt habe und zwar ohne anatomische Ver¬
änderung. Die Wahrnehmung, dass die toxischen Producte ihren Einfluss nur
an gewissen Theilen des Nervensystems entfalten, habe nach Oppknhkim’s An¬
schauung nichts Befremdendes mehr. Für die durch Gifte entstandenen Erkran¬
kungen des Rückenmarks und des peripheren Nervensystems sei diese Thatsacbe
bekannt und würde durch neuere Beobachtungen immer mehr gestützt
1 Vortrag, gehalten im biologischen Verein zu Hamburg am 9. Januar 1900.
* Ueber Hirnsymptome bei Carcinomatose ohne nachweisbare Veränderungen im
Gehirn. Charitd-Annalen. 18. Jahrgang.
* Caroinoma pylori mit Gehimerscheinungen verlaufend. Wien. med. Blätter. 1901.
Nr. 4. S. 98.
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1087
Nach meiner Meinung dürfte diese Ansicht Oppenheim’s, deren hypothetische
Natur er selbst übrigens ausdrücklich anerkennt, immer mehr an Wahrschein¬
lichkeit verlieren, je ausgedehnter und genauer die mikroskopische Durchforschung
des Gehirns und seiner Häute angestellt wird.
Dies möge der folgende Fall beweisen:
Eine 46jährige Frau, der vor Jahresfrist eine Mamma amputirt worden war,
erkrankte mit Kopfschmerz, Doppeltsehen und Abnahme des Gehörs bis zu völliger
Taubheit. Kurze Zeit bevor die Patientin untersucht wurde, soll häufig Erbrechen
aufgetreten sein.
Die Untersuchung ergab eine rechtsseitige periphere Facialis- und Abducens-
lähmung. Beiderseits bestand völlige Taubheit mit subjectiven Geräuschen im
rechten Ohr. Das Sensorium war klar; der ophthalmoskopische Befund normal.
Keine Lähmungen an den Extremitäten.
Keine Coordinationsstörungen in der horizontalen Lage. Dagegen war das
Gehen und Stehen sehr unsicher; stampfend und nur mit Unterstützung möglich.
Sowie Patientin auf die Füsse kam, klagte sie über lebhaften Schwindel. Im
Bett hatte sie kein SchwindelgefUhl.
Die Sensibilität war intact.
Die Patellarreflexe waren beiderseits schwer auszulösen.
An der Brust fand sich an Stelle der Mamma eine schmale, unempfindliche
Narbe. In der Haut der Umgebung kleine Geschwulstknoten.
Die Axillar-, Cervical- und Inguinaldrüsen waren derb.
Im Abdomen befanden sich zahlreiche oberflächliche und tiefergelegene be¬
wegliche und unbewegliche harte Knoten.
Patientin hatte öfter Erbrechen, verfiel innerhalb 3 Wochen rapide und
starb plötzlich.
Die Section ergab zahlreiche kleine, weisse, markige Tumoren in der Um¬
gebung der Brustnarbe, ferner einen Knoten im Pericard. Im Peritoneum zahl¬
reiche^ verschieden grosse Knoten. Ebenso Knoten auf der Leber; ein Knötchen
in der Niere.
Die Dura war mässig gespannt. Die Sinus mit frischen Gerinnseln gefüllt.
Die Pia der Convexität war leicht zerreisslich, getrübt und etwas verdickt. Die
Trübung war durch feine, dichtstehende, gelbgraue Punkte und Streifen längs
der Gefässe bedingt. An der Hirnbasis war die Pia über dem Pons ebenfalls ge¬
trübt. In beiden Fossae Sylvii verdichtete sich die Trübung um die Gefässe
herum.
Es""fand sich nirgends eine Herderkrankung. Die Hirnnerven wurden frisch
zerzupft/ Hessen keine Zeichen von Degeneration wahrnehmen.
Die Pia der Convexität zeigte sich dagegen dicht infiltrirt von ziemlich
grossen, r theils runden, theils oblongen und geschwänzten Zellen mit grossem Kern,
die an zahlreichen Stellen dichtere Anhäufungen bildeten. An anderen Stellen
waren kleine Flächen der Pia noch frei und zeigten nur Aggloraerate von Krebs¬
zellen.
An einzelnen Stellen lagen dichte Zellenanhäufungen in der Umgebung von
grösseren und kleineren Gefässen. Die Gefässe selbst waren mit rothen Blut¬
körperchen gefüllt Die Pia der Basis an der Austrittsstelle des Abducens,
Facialis, Acusticus und Glossopharyngeus zeigte nur spärliche, aber unzweifelhafte
Infiltration von Krebszellen.
Meines Erachtens ist dieser Befand von grosser Bedeutung, da er zeigt,
dass eine mikroskopische Untersuchung noch Metastasen des
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1088
Krebses da nachweisen lässt, wo man nach dem makroskopischen
Befund dieselben nicht erwartet hätte. Eine derartige mikroskopische
Metastasenbildung im Hirn oder den Häuten dürfte gewiss einer Reihe von
Fällen zu Grunde liegen, die man bisher als anatomisch unverändert ax-
gesehen hat. Denn ich muss, wie schon vorher gesagt, gestehen, dass mir
die Oppen HEm’sche Annahme von einer toxischen Herderkrankung des Gross-
hirns recht zweifelhaft erscheint. Ich neige mich vielmehr der Ansicht vta
Senatob 1 zu, der hervorhebt, „dass bei den event. auftretenden dyscrasischen
Zuständen eine grössere Mannigfaltigkeit um deswillen nioht wahrscheinlich sei,
weil hier gewöhnlioh zuerst und am meisten das Nervensystem, insbesondere
das Gehirn auf die abnorme Blutmischung reagire und selbstverständlich nicht
durch sog. Herderscheinungen, sondern in mehr diffuser Weise, da ja alle Par-
tieen des Gehirns mehr oder weniger unter der abnormen Blutmischung za
leiden hätten. Es werden also die Cerebralerscheinungen, welche jedes Gehirn-
leiden begleiten können, in solchen Fällen immer wiederzufinden sein, höchstem
dem Grade nach verschieden, also: Schmerzen, Benommenheit des Kopfes,
Apathie, Schläfrigkeit, Koma, Schwindel, Ohrensausen, Uebelkeit
und Erbrechen.“ Senator stellt also bei den Selbstinfectionen durch abnorme
Zersetzungsvorgänge, im Verlauf z. B. des Magenkrebses, das Vorkommen von
Herdsymptomen in Abrede.
Ich habe 112 Carcinomkrankengeschichten aus dem Allgemeinen Kranken¬
hause zu Hamburg St Georg durchgesehen und fand in keinem Falle aus¬
geprägte cerebrale Herderscheinungen.
In 9 Fällen notirte ich folgende nervöse Symptome:
1. In einem Falle von Magencarcinom bei einem äusserst anämischen, ab¬
gemagerten, sehr schwachen Manne, war hochgradige Apathie, die sich bis zur
Benommenheit steigerte, notirt. Die GehirnBection war negativ.
2. Bei einem Magencarcinom bei einer 46jähr. Frau war ein unerträgliches.
Jahre lang anhaltendes, nervöses Hautjucken hervorgetreten.
3. In einem Falle von Magencarcinom bei einem 52jähr. Manne war der
Gang unsicher. Die Patellarreflexe waren schwer auszulösen. Es fanden sich
zahlreiche Metastasen in der Leber, die Hirn- und Rückenmarkssection hatte kein
positives Resultat.
4. Bei einer 63jähr. Frau mit Magenkrebs und zahlreichen Lebermetastasen
wurde ein komatöser Zustand beobachtet, ohne dass im Gehirn sich etwas ge¬
funden hatte.
6. Herabsetzung des einen Patellarreflexes fand sich bei einem 49jährigen
Arbeiter mit Magenkrebs. Die Section ergab ein Carcinom des Fundus, Metastasen
in der Leber und im 12. Brust-, sowie im 3. Lendenwirbel. Ferner Metastase
im Manubr. sterni, sowie im linken Femur.
6. In einem anderen Falle von Magenkrebs fand sich bei einem 72jähriges
Manne ebenfalls Fehlen der Patellarreflexe notirt Es war leider das Rückenmark
nicht untersucht worden. Das Hirn war frei.
7. Undeutliche Patellarreflexe, sowie träge Pupillarreaction fand sich bei
einem 56jähr. Tischler mit Magenkrebs. Pat. wurde gebessert entlassen.
1 Sbnatob, Zeitschr. f. klin. Medic. VII. S. 2S5.
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1089
8. Bei einem 44jähr. Arbeiter mit Pyloruskrebs and Carcinose des Peritoneum
ist notirt, dass Pat. über eine Schwäche in beiden Extremitäten und pelziges
Gefühl an den Fusssohlen und Kriebeln in beiden Extremitäten klagte. Der Gang
war unsicher, schlürfend. Die Sensibilität soll an einigen Punkten herabgesetzt
gewesen sein. Die faradische und galvanische Erregbarkeit der Muskeln direct
und indirect waren normal. Die Patellarreflexe waren prompt.
Von der Hirn* und Kückenmarksseotion und den Nerven steht leider nichts
in dem Protocoll.
9. Interessant ist der folgende Fall, bei welchem ein Befund im Gehirn
erhoben werden konnte.
Ein 62jähr. Laternenanzünder hatte seit 1 / a Jahr Magenbeschwerden, hie
und da Erbrechen und war stark abgemagert. 4 Tage vor seiner Aufnahme ins
Krankenhaus hatte er heftiges kaffeesatzartiges Erbrechen.
Die Untersuchung des heruntergekommenen, äusserst schwachen Mannes ergab
das Vorhandensein eines Tumors in der Magengegend. Patient machte einen
dementen Eindruck, gab auf Fragen nur zögernd oft falsche Antworten; verstand
manches gar nicht und war nicht genau über Ort und Zeit orientirt.
Die Pupillen waren mittelweit; die linke zeigte keine, die rechte eine träge
Lichtreaction. Auf Accommodation angeblich prompte Reaction.
Die Patellarreflexe waren undeutlich, Fusssohlen*, Bauch- und Cremasterreflexe
nicht auszulösen. Der Gang war unsicher, die Füsse wurden schleppend naoh-
gezogen.
Bei der Section fanden sich in den Ventrikeln im Gebiet der grossen Ganglien
oberflächliche Blutungen. Die Gehirnwindungen waren schmal. Das Gehirn war
sehr blutreich und weich. Die Pia war ödematös.
Krebsmetastasen fanden sich nicht im Gehirn. Es war ein Pyloruscarcinom
vorhanden mit Metastasen im Dickdarm, Mesenterium und in der Bauchwand¬
serosa.
Es sei mir gestattet, hier noch eines Falles von acuter allgemeiner Carcinose
mit Hirnsymptomen zu gedenken, dessen Präparate ich am 17. Juni 1889 im
ärztlichen Verein zu Hambarg demonstrirt habe.
Es handelte Bich um einen 35jähr. Arbeiter, der mit Doppeltsehen in Folge
einer rechtsseitigen Ahducensparese erkrankt war. Dann nahm das Sehvermögen
des rechten Auges bis zur totalen Erblindung ab. Die Cervioal- und Inguinal-
lymphdrüsen waren vergrössert und infiltrirt. Das Venennetz in der Haut über
dem unteren Theil des Sternums war auffallend geschlängelt und erweitert.
Nach einander traten sodann durch Metastasen bedingte Anschwellungen in
der Rückenmusculatur, rechtsseitiger Hals- und Vorderarmmusculatur auf. Ebenso
unter der Kopfhaut und an den Uebergangsstellen der Rippen in die Knorpel.
Am 15. Tage seines Krankenhausaufenthaltes (23. Krankheitstag) starb
Patient nach dreitägigem hohen Fieber und heftigem Delirium.
Die Section ergab einen kinderfaustgrossen, aus Carcinomknoten bestehenden,
höckerigen Tumor im vorderen Mediastinum, welcher mit der Vena anonyma
sinistra so verwachsen war, dass die Krebamassen frei in das Lumen derselben
hineinragten. Miliarcarcinose der Pleuren und der Leber. Metastatische Krebs-
knoten im Pericard, Oesophagus, Magen und Darm; ferner in den vorher
erwähnten Körperstellen. Besonderes Interesse verdient die Carcinose der Dura
mater, welche durch zahlreiche, flache, markige Krebsmassen mit der Innenfläche
der Calotte verwachsen war. Die Soheiden des N. opticus waren ampullenartig
erweitert.
Die mikroskopische Untersuchung des Auges ergab eine Neuroretinitis mit
beginnender Infiltration der Chorioidea.
6 »
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Die Schädelb&Bis zeigte auf der rechten Hälfte des Clivus leichte Prominenz,
rosige Färbung der Dura, unter welcher der Knochen durch eine röthlich-weisw
Hasse erweicht war. Die Nn. abducentes waren abgeplattet
Einen sehr interessanten Fall beobachtete ich im vorigen Jahr in der Poli¬
klinik, welcher am Ende des Jahres zur Seotion kam:
Eis handelte sich um eine 59jährige Frau P., die am 22. Juli 1898 mit der
Angabe zu uns kam, dass sie seit l J 4 Jahr nicht recht sehen könne. Sie hatte
viel Kopfschmerz mit Schwindet 7 — 8 Mal soll sie plötzlich umgefisllen sein.
Sie hatte niemals Erbrechen, nie Krämpfe; keine Lähmungserscheinungen und
keine Sprachstörungen. Hereditär liegt keine Belastung vor. Luee und Potatorimn
waren auszuschli essen.
Die erste Untersuchung am 22. Juli 1897 ergab eine homonyme linksseitige
Hemianopsie. Bei dem W ilbb and' sehen Prismen versuch trat eine secundäre Be¬
wegung ein. Sehschärfe rechts 6 / ]g , links °/ M . Ophthalmoskopisch normader Befund.
Die Untersuchung des übrigen Nervensystems ergab ein negatives Resultat.
Am 28. September stellte sich die Patientin wieder vor mit der Angabe,
dass sie volle 14 Tage Röthung des rechten Beins und Fieber mit Erbrechen
habe. Vor 4 Wochen hatte sie eine linksseitige Lähmung acquirirt. Die Unter¬
suchung ergab eine linksseitige Hemiparese mit Betheiligung des linken Mond-
facialis.
Das Vorstellungs-, Lage- und stereognostische Gefühl der linken Hand war
gestört. Eine Hemianästhesie bestand nicht.
Geruoh, Geschmack, Augenbewegungen waren frei.
Die Section ergab ein Carcinom der linken Lunge mit Metastasen auf der
Pleura, in der Milz und im Gehirn, und zwar fand sich im rechten Hinterhaupts¬
lappen ein grau-weisser, erweichter Tumor; eine kleine haselnusagroBse Metastase
fand sich im linken Hinterhauptslappen. Ein 3. Tumor fand sich im Parietallappen.
Jedenfalls waren die klinischen Erscheinungen durch den objectiven patho¬
logischen Befund hinreichend erklärt.
Im vergangenen Jahre sah ich auf der Anatomie unseres Krankenhauses
8 Fälle von Hirnmetastasen nach Oesophaguskrebs.
In dem 1. Falle hatte die Metastase ihren Sitz im linken Hinterhaupts¬
lappen. Klinisch war bei dem 48jähr. Manne eine hochgradige Demenz auf-
gefallen, so dass er schwer genau zu untersuchen war. Gegen Ende hatte sich
eine rechtsseitige Hemiparese mit Hemianästhesie eingestellt.
Im 2. Falle sass ein Krebsknoten in der Central Windung. Es war
eine in der Intensität wechselnde spastische Parese des Armes und Beines mit
leichten aphatischen Störungen notirt worden. Schliesslich hatten die Spasmen
nachgelassen. Pat. war völlig dement geworden.
Im 3. Falle endlich handelte es sich um eine Krebsmetastase im Kleinhirn.
Klinisch waren das Fehlen der Patellarreflexe, die engen reactionslosen Pupillen
und ausgedehnte Sensibilitätsstörungen an beiden Unterschenkeln bemerkenswert!),
so dass auf der betreffenden Abtheilung die Diagnose auf Tabee gestellt
worden war.
Was die makroskopischen Geschwulstmetastasen betrifft, so sei
vorausgeschickt, dass primäre Carcinome im Gehirn sehr selten Vorkommen.
Nach Zieqleb handelt es sich in solchen Fällen um Cylinderepithel-Carcinome,
die in den Seiten Ventrikeln Vorkommen, und die aus dessen Epithel entstehen.
Diese Geschwülste bleiben meist auf den Seitenventrikel beschränkt. Sehr selten
kommt ein primäres Carcinom aus versprengten Epithelzellen vor.
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1091
Das secundäre Carcinom tritt meistens multipel in Knotenform auf. Sowohl
von den Schädelknochen, wie von den Gehirnhäuten kann es ausgehen. Meistens
aber entsteht es in der Gehirnsubstanz selbst; wie in den Fällen, welche demon-
strirt worden sind. In dem zu zweit mitgetheilten Falle handelt es sich um
flache metastatische Duracaroinome.
Das Carcinom infiltrirt die Himsubstanz nicht, verdrängt dieselbe auch
nicht, sondern wirkt direct destruirend auf sie ein. Wie in dem einen Falle
haben die Knoten meist eine grosse Neigung zum Zerfall und zeichnen sich
durch scharfe Abgrenzung von der Umgebung aus.
Eine besondere Prädilectionsstelle im Gehirn für die metastatisohen
Carcinome habe ich auf Grund meiner bisherigen Beobachtungen nicht eruiren
können.
Ebenso wenig habe ich feststellen können, ob die Metastasenbildung von
der histologischen Beschaffenheit des primären Krebses abhängig sei.
Dagegen scheint die Oertliohkeit in gewisser Beziehung zur Neigung zur
Metastasenbildung zu stehen. So machen die Magen-, Mamma-, Oesophagus-
und Lungenkrebse bei Weitem am häufigsten Metastasen, die vor Allem in
der Leber, den Knochen, den Lungen und im Hirn ihren Sitz haben.
Was das Hirn wiederum allein betrifft, so scheinen nach meiner Erfahrung
ganz besonders der Oesophagus-, Lungen- und der Mediastinalkrebs be¬
vorzugt zu sein, demselben Geschwulstelemente auf der Blutbahn zuzuführen,
und zwar geschieht dies meist dadurch, dass, wie in unserem vorher mitgetheilten
Falle, das Carcinom in ein grösseres Blutgefäss durchbricht. Hierdurch wird zu
massenhafter embolischer Verschleppung entwicklungsfähiger Elemente Ver¬
anlassung gegeben, und es tritt das klinische Bild der acuten miliaren Car-
cinose in die Erscheinung. Eine Krankheit, die unter Fiebererscheinungen
und Hirnsymptomen meist in der kurzen Zeit von wenigen Woohen zum
Tode führt
Fasse ich meine Beobachtungen zusammen, so lassen sich die Hirnsymptome
bei Carcinomatose folgendermaassen gruppiren:
Dieselben sind
1. allgemeiner Natur und äussern sich in Koma, Apathie oder Demenz.
Hier fehlen anatomische Veränderungen, die Störungen sind wahrscheinlich
toxisch bedingt;
2. specieller Natur (sog. Herdsymptome),
a) ohne makroskopischen Befund. Hier handelt es sich wahrscheinlich
meist um mikroskopische Krebsmetastasen in die Hirnhaut bezw. in die Him¬
substanz, oder um Veränderungen, die mit unseren jetzigen Untersuchungs¬
methoden noch nicht eruirt werden können.
b) mit makroskopischem Befund:
a) Gesohwulstmetastasen von verschiedener Grösse,
ß) Erweichungen oder Blutungen ohne Metastasenbildung.
Natürlich können sich die Symptome allgemeiner Natur mit solchen speoieller
Natur combiniren.
69*
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1092
II. Referate.
Anatomie.
1) The bnrin of Aoipenser, by J. B. Johns ton. (Jena, 1901. Gustav Fischer.)
Verf. hat daa Gehirn dee Störes an der Hand der Golgi’schen Methode
eingehend durchforscht und dadurch einen werthvollen Beitrag zur vergleichenden
Anatomie des Wirbelthiergehirns geliefert. Die zahlreichen Ergebnisse seiner
Arbeit sind in einem kurzen Referate nicht wiederzugeben, weil zu ihrem Ver¬
ständnis« die ausführliche Darstellung des Faserverlaufes erforderlich wäre. Einige
Punkte verdienen aber besondere Hervorhebung: Erstens geht das Cerebellum bei
diesem Thiere nachweislich aus dem centralen acustisehen Endapparate hervor;
Nach der Auffassung des Verf.’s steht die Entwickelung des Kleinhirns in einen
oonstanten directen proportionalen Verhältnis zur Beweglichkeit der betreffenden
Thierart; dagegen bestehen keine directen Beziehungen zwischen der Entwickelung
dieses Hirntheiles und der Entwiokelung der Gliedmaassen. — Das Tectum opticum,
welohes den vorderen Vierhttgeln der höheren Wirbel thiere entspricht, ist als ein
primäres Sehoentrum und als ein secundäres Centrum für Hautempfindung und
das Gehör zu betrachten. — Die Ganglia haben ul ae zeigen im Wesentlichen die¬
selbe Structur und ähnliche Verbindungen wie bei anderen Vertebraten. In der
Entwickelungsgeschichte der Vertebraten scheint sich in der Function dieser
Ganglien eine Aenderung vollzogen zu haben. Bei den primitiven Vertebraten
stehen dieselben in Beziehung zu dem Parietalauge und der Olfactoriusfaserung.
Bei den höheren Vertebraten jedoch, bei welchen das Parietalauge ebenso wie
der Riechapparat verkümmert sind, besteht möglicherweise eine indirecte Beziehung
zu den optischen Centren. Max Bielschowsky (Berlin).
Experimentelle Physiologie.
2) Ueber Geschmacks- und Geruchs centren in der Hirnrinde, von Dr.
Gorschkow. (Inaug.-Dissert. St. Petersburg, 1901. [Russisch.])
Eine experimentelle Untersuchung aus dem Laboratorium v. Bechterew’«.
Verf. stellte über 40 Versuche an Hunden an, um die Localisation der Rinden-
centren für Geschmack und Geruch zu ermitteln. Zur Untersuchung des Ge¬
schmackes benutzte er Lösungen von Zucker, Citronensäure, Salz und Chinin ver¬
schiedener Concentration, indem er nach dem Verhalten der Versuchsthiere bei
Bestreichung der Zunge mit diesen Lösungen über Verlust bezw. Herabsetzung
des Geschmackssinnes urtheilte. Zur Untersuchung des Geruchssinnes wurden in
der Nähe der Schnauze Fleisch, Jodoform, Asa foetida und andere Riechstoffe
gehalten, und die Distanz, bei welcher die Hunde darauf reagirten, diente ak
Maassstab zur Feststellung einer Herabsetzung der Geruchsfähigkeit; behufs ein¬
seitiger Untersuchung wurde das Nasenloch tamponirt. Bei der Prüfung wurden
die Augen der Hunde verbunden. Verf fand, dass Verlust dee Geschmackssinnes
nur hei Zerstörung der Hirnrinde in einem beschränkten Gebiet auftritt, und
zwar localisirt er dieses Centrum im vorderen unteren Theil der 3. und 4. Ur-
windung (Gyrus sylviacus anterior, Gyrus ectosylvius anterior und Gyrus eompo-
situfl anterior). Bei Exstirpation anderer Rindengebiete liess sich keine Störung
des Geschmackes constatiren. Bei vollständiger Zerstörung des bezeichnet«
Rindengebietes stellt sich an der oontralateralen Zungenhälfte völliger Verlort
des Gesohmackes und an der gleichseitigen Herabsetzung desselben ein. B«
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partieller Exstirpation beobachtete Verf. Verlust der Geschmacksfahigkeit für
einzelne Qualitäten (süss, sauer, salzig, bitter) und Conservirung derselben für
die anderen, und er schliesst daraus, dass das bezeichnete Rindengebiet eigentlich
vier Centren für die vier verschiedenen Geechmacksqualitäten enthält. Seiner
Meinung nach liegt in der Rinde der genannten Windungen eine „Geschmacks-
skala“, in welcher die Centren für bitter, sauer, salzig und süss in der Richtung
von vorn nach hinten folgen. In einer Reihe seiner Versuche, 'u denen die Ge*
schmackscentren der Hirnrinde an beiden Hemisphären oder einerseits zerstört
waren, untersuchte Verf. das Gehirn der operirton Thiere nach Marchi, um die
Bahnen der secundären Degeneration festzustellen, und die dahei hervortretenden
mikroskopischen Bilder führen zu der Annahme, dass die centripetale Leitung
von den Kernen des Trigeminus und Glossopbaryngeus zum Geschmackscentrum
durch die Formatio reticularis und die Schleifenschicht, die centrifugale — duroh
die Pyramidenfasern und mediale Schleife vermittelt wird.
Was die LocaliBation des Geruchsinnes anbetrifft, so fand Verf., dass der¬
selbe mit Beständigkeit nach Zerstörung des Lobus pyriformis bei Hunden aus¬
fällt Bei Exstirpation dieses Rindengebietes an einer Hemisphäre geht die Ge¬
ruchsfähigkeit an der nämlichen Seite ganz verloren, während sie an der ent¬
gegengesetzten nur abgeschwächt wird. In zwei Versuchen mit einseitiger Zerstörung
des Lobus pyriformis verfolgte Verf. die seoundäre Degeneration und glaubt daraus
schliessen zu dürfen, dass die centripetale Leitung vom Bulbus olfactorius durch
die Fasern des Fornix verläuft.
Im Anschluss an seine experimentellen Untersuchungen bringt Verf. eine
Zusammenstellung der Casuistik, die auf die Localisation des Geschmacks- und
Geruchscentrums im menschlichen Gehirn Bezug hat, und neigt auf Grund der¬
selben zur Annahme, dass ersteres im Gebiet des Operculum, letzteres im Gyrus
hippocampi liegt. P. Rosenbach (St. Petersburg).
Pathologische Anatomie.
3) On parenchymatous systomio degenerations mainly in the central
nervoos System, by A. Meyer. (Brain. I. 1901.)
Verf. hat in 8 von 200 darauf untersuchten Fällen doppelseitige Verände¬
rungen in der Axonreaction, speciell der Beetzzellen, aber auch einiger anderer
Zelltypen gefunden (unter Axonreaction versteht man die Zellveränderungen, die
nach experimenteller Durchschneidung der Axencylinder eintritt); dabei fand sich
auch Markzerfall in den correspondirenden Faserbahnen; es fehlten Zunahme der
Glia, Infiltration der Gefässwand, wie sie bei Paralyse Vorkommen. In 3 Fällen
zeigte eine ausgedehnte Untersuchung des ganzen Nervensystems, dass eine solche
Erkrankung sich über weite, aber ganz symmetrische Nervengebiete verbreitete.
Man könnte den Befund kurz als centrale parenchymatöse Neuritis bezeichnen.
Von den einzelnen Krankheitsfällen kamen vor Allem Endstadien depressiver
Psychosen in Betraoht; so klimakterische, alkoholisch-senile und alkoholisch -
phthisisobe Formen; andere kachektisohe Zustände, Idiotismus und vielleicht auch
Paralyse. Klinisch bestanden im Anfang nur psychische Symptome; später kam
es zu Erschwerungen deB Ganges, der coordinirten Bewegungen, manchmal auch
zu krampfhaften Erscheinungen in den Gliedern. Oft bestand Fieber und Durch¬
fall und im Endstadium die Erscheinungen eines langhingezogenen Delirium
tremens. Bruns.
4) On disease of the nervoos System in horaes, by Chalmers Watson.
(Veterinary Journal. 1901. März.)
Bei der verbältnissmässig ungenauen Kenntniss der Erkrankungen des Central-
dby Google
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nervensystems beim Pferde sind die beiden Fälle von chronischen Erkrankung«
des Rückenmarks, die Verf. anführt, von einem gewissen Interesse. In dem ersten
Falle handelt es sich um ein Pferd, bei welchem Muskelatrophie der hinteres
Extremitäten, abnorme Beweglichkeit im Sacroiliacal* und den sehr stark ver¬
dickten Kniegelenken, bei welchem auch Flüssigkeitsergüsse festzustellen waren,
ferner Schwäche und Ataxie bestanden.
>
Bei der Obduction wurden chronische arthritische Processe an den mächtig
verdickten Kniegelenken gefunden. Das Rückenmark war in der Lombalregix
erweicht, dorsal warte eingesunken, auf der Schnittfläche verwaschen. Mikroskop iset
fand sich eine sehr ausgesprochene hyaline fibröse Gefassveränderung. Im Lumbal-
marke zeigte sich vorwiegend in den hinteren Partieen, doch auch lateral usd
vorn hauptsächlich an der Peripherie Nervenfaserschwund, keine wesentliche Glia¬
wucherung. Im Dorsalmark erwiesen sich vorwiegend die Hinterstränge und die
dem Austritte der hinteren Wurxeln entsprechenden Partieen der weissen Snb
stanz verändert; ferner war dort eine mässige Gliawucherung und eine wenig ans¬
gesprochene Zellveränderung in den Vorderhörnern vorhanden. Im Cerviealmarke
fand sich eine grosse centrale Höhle, die von gewucherter Glia begrenzt war.
sowie auch hier aufsteigende Degeneration. Diese Veränderungen der nervöses
Substanz sieht der Verf. als secundäre an, bedingt durch die primäre Gefass-
veränderungen.
Im zweiten Falle fehlten die Gelenksveränderungen, dagegen bestand ein
Symptomencomplex wie bei der Friedreich’schen Ataxie. Die mikroskopisch«
Untersuchung ist noch nicht beendet Als ätiologisches Moment für die Läsion
des Markes, die Verf. klinisch annimmt, führt Verf. unzweckmässige Nahrung an
(Anämie, Autointoxication).
Zum Schlüsse hebt Verf. hervor, wie selten bei Gangstörungen der Pferde
auf ein centrales Uebel gefahndet wird, dass jedoch im Hinblick auf den Um¬
stand, dass für derartige Fälle Autointoxicationen eine grosse Rolle spielen, die
richtige Diagnose für eine rationelle Therapie von grosser Bedeutung ist
H. Marcus (Wien).
Pathologie des Nervensystems.
6) Kurze historische Darstellung der Lehre von Sprachstörungen und
ihre gegenwärtigen Ziele, von Ottuszewski. (Medycyna. 1900. Nr. 43
u. 44. [Polnisch.])
Verf. bespricht die historische Entwickelung der Lehre von den Sprach¬
störungen und nimmt in der letzteren drei Epochen an: in der ersten Epoche
beschränkt man sich auf die Thatsache, dass die Sprachstörungen im Gehirn und
den Articulationsorganen stattfinden (Galen); in der zweiten Epoche (seit Mer-
curialis) erweitern sich die Kenntnisse und man berücksichtigt das Stottern und
die fehlerhafte Aussprache; in der dritten (Kussmaul’schen) Epoche werden
eingehend die Aphasieen und auch das Stottern studirt. Gegenwärtig beschäftigt
man sich hauptsächlich mit der Behandlung des Stotterns und der näselnden
Sprache. Verf. bespricht kurz seine, bereits früher publicirten Ansichten asf
Grund von 1405 Fällen. Es sei besonders die Ansicht des Verf. hervorgehoben,
nach welcher in der überwiegenden Mehrzahl der Sprachstörungen die psychische
Degeneration in ätiologischer Hinsicht die erste Rolle spielt.
Edward Flat au (Warschau).
bvGooQle
1095
6) De l'aphasie motrioe (ötude anatomo-olinique et physlologique), par
Fernand Bernheim. (Paris, 1901. Carr6 et C. Naud. 374 S.)
Wieder eine hervorragende Arbeit aus der Klinik und dem Laboratorium
Dejerine, ausgezeichnet durch eine Fülle klinisch und pathologisch-anatomisch
sorgfältig untersuchten Materials. Duroh kritische Sichtung des bisher in der
Litteratur niedergelegten Materials — hervorgelioben sei die ausserordentlich voll¬
ständige Berücksichtigung auch der deutschen und englischen Litteratur — ge¬
winnt die Arbeit den Charakter einer für auf dem gleichen Gebiet arbeitende
Forscher unentbehrlichen Monographie. Bef. muss sich im Wesentlichen auf eine
Inhaltsangabe des Werkes beschränken. Die beiden ersten Kapitel behandeln die
allgemeine Psychophysiologie der Sprache und die Geschichte der Sprachstörungen.
Das dritte Kapitel behandelt auf fast 100 Seiten die Methode des klinischen
Studiums der verschiedenen Formen der motorischen Aphasie, die Symptomatologie
bis in die feinsten Details (dabei werden auch die Störungen des musikalischen
Ausdrucksvermögens, sowie die Frage der Agraphie eingehend behandelt, wobei
Verf., entsprechend der Stellung Dejerine’s, in dieser Frage das Vorhandensein
eines besonderen Schreibcentrums negirt), ferner die besonderen Varianten der
transcorticalen und der amnestischen, deren ersterer gegenüber Verf. sich völlig
ablehnend verhält, die inBulären Aphasieen und die motorischen Sprachstörungen
bei Linkshändern und bei der sog. Pseudobulbärparalyse. Das vierte Kapitel ist
der Localisation der corticalen motorischen Aphasie gewidmet, während im fünften
die normale und pathologische Anatomie der motorischen Sprachregion abgehandelt
wird, unter Berücksichtigung nicht nur der makroskopischen, sondern auch der
mikroskopischen Verhältnisse. Das sechste, den grössten Umfang des Werkes
einnehmende Kapitel bringt die eigenen Beobachtungen des Verf.; sie umfassen
fünf klinisch und anatomisch untersuchte Fälle und 23 nur klinisch beobachtete
(der letzte davon, gleichsam als Vergleichsobject angeführte, einen Fall von
hysterischer Aphasie betreffend) Fälle. Die anatomisch auf Serienschnitten nach
Weigert-Pal untersuchten Fälle werden durch beigegebene Tafeln, die die ge¬
fundenen Veränderungen illustriren, erläutert Eine Wiedergabe der Kranken¬
geschichten hezw. der pathologisch-anatomischen Befunde gestattet der dem Ref.
zur Verfügung stehende Baum selbstverständlich nicht, er muss sich mit einem
Hinweise darauf begnügen. In seinen Schlussfolgerungen weist Verf. auf die Be¬
deutung wiederholter sorglältigster Untersuchung jedes einzelnen Falles von
motorischer Aphasie hin, hebt die Unterschiede zwischen der corticalen motorischen
und der subcorticalen sog. reinen motorischen Aphasie hervor und betont, dass
diesen beiden Formen auch die in der klinischen Bezeichnung betonten anato¬
mischen Unterschiede in der Localisation zu Grunde liegen, ohne aber zu ver¬
hehlen, dass auch bei der subcorticalen motorischen Aphasie völlige Intactheit der
Kinde bisher noch nicht nachgewiesen sei und die Unterschiede mehr quantitativen
Charakter tragen. Was die Localisation der corticalen motorischen Aphasie be¬
trifft, so dürfte eine eingehendere mikroskopische Untersuchung von Serienschnitten
ergeben, dass dieselbe nicht nur dem Fusse der 3. Stirnwindung angehört, sondern
auch auf den Fuss der 2. Stirnwindung und die vorderen InBelwindungen über¬
greift. Das Studium der Degenerationen der Associations- und Projectionsfaser-
Systeme wird das Kapitel der pathologischen Anatomie der motorischen Aphasie
bereichern, ebenso wie voraussichtlich das Studium der Fasersysteme des Corpus
callosum uns präcisere Vorstellungen über die Frage complementärer Bahnen
zwischen den beiden Hemisphären zu verschaffen im Stande sein wird.
Martin Bloch (Berlin).
edby Google
1096
7) Case of total aphaaia and right hemiplegia in a patient, who had
previoualy lost his left arm by aooident, by John Henderson. (Glasgow
med. Journ. 1900. December.)
44jähr. Patient, der in Folge eines Unfalls vor 6 Jahren seinen linken Am
eingebüsst hat, früher im Wesentlichen gesund war, aber seit 2 Jahren ziemlieb
stark trinkt, erkrankte am 9. Juni unter den Symptomen completer motorischer
Aphasie. Bei der Aufnahme in das Hospital wird 2 Tage später folgender Statut
erhoben: Geringe Parese des rechten unteren Facialis, totale rechtsseitige Hemi¬
plegie, Patellarreflex r. > 1., rechts Patellarklonus und Babinski, Cremaster- und
Bauchreflexe rechts fehlend. Wortverständniss erhalten, Leeeverständnias an¬
scheinend völlig aufgehoben, vollkommene motorische Aphasie, Gehör intact,
Augengrund desgleichen, im Harn Spuren von Albumen. Im Laufe der drei¬
monatlichen Beobachtung traten Contracturen in der paretischen Seite au£ die
Sprachstörung änderte sich nicht. Martin Bloch (Berlin).
8) Aphasie, von WestphaL Vortrag, gehalten in dem medicinisohen Verein
in Greifswald am 2. März 1901. (Deutsche med. Wochenschr. 1901. Nr. 16.)
Fall I. Patient leidet an periodisch auftretenden Zuständen manischer
Verwirrtheit. In dem jetzigen 7. Anfall besteht primäre Incohärenz der Vor¬
stellungen und exquisite amnestische Aphasie. Verl glaubt, gröbere anatomische
Läsionen ausschliessen zu können und erinnert an die Fälle von Heilbronner
(Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. XXX).
Im 2. Falle liegt totale (motorische und sensorische) Aphasie vor, wahr¬
scheinlich bedingt durch multiple Herdbildung, ohne rechtsseitige Lähmungs¬
erscheinungen. Aehnliche Beobachtungen sind mitgetheilt u. a. von Oppenheim
und Byron BramwelL R. Pfeiffer.
0) Senile Hirnatrophie als Grundlage von Herdersoheinungen, von Prof.
A. Pick. (Wiener klin. Wochenschr. 1901. Nr. 17.)
Patientin, 59 Jahre alt, einer Pneumonie erliegend, bot eine auffallende apha-
Bische Störung dar, in schwerer Paraphasie und Einbusse des Verständnisses der
zu ihr gesprochenen Sätze bestehend. Das Gehirn im Allgemeinen atrophisch,
besonders aber in der linken Hemisphäre, und hier wieder besonders im Oper-
culum, im Gyrus angularis, temp. super, und front inf. und in den Windungen der
Insula Reilii, eine Beobachtung, die die Bedeutung der senilen Atrophie für
das Entstehen von Herderscheinungen beweist Meist beeinträchtigt die gleich¬
zeitig an vielen Orten auftretende Atrophie das Hervortreten einzelner Symptome.
J. Sorgo (Wien).
10; Zur Kenntnis« der Beziehungen zwischen Schwerhörigkeit und Wort¬
taubheit, von Prof. Dr. A. East in Breslau. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven-
heilk. 1900. XVIIL)
Ein 34j ähr., früher gesunder Mann überstand im Verlaufe eines Jahres zw«
Pneumonieen, und schloss sich an die letzte Erkrankung (Frühjahr 1892) Ge-
dächtnissschwäche und Unsicherheit beim Gehen an. Später stellten sich Kopf-
und Rückenschmerzen, Herbst 1893 rechtsseitige Schwerhörigkeit mit consecutiver,
völliger Taubheit und bald darauf auch vollkommene Taubheit auf dem linkes
Ohr an. Innerhalb der nächsten Jahre trat Besserung der Gehstörung und der
Taubheit ein.
Bei der Untersuchung ergiebt sich ein normales Verhalten sämmtlicher Hiro-
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nerven, ausgenommen des Gehörs. Es findet sich eine Störung des Sprach¬
verständnisses und eine deutliche Herabsetzung der „allgemeinen“ Hörfähigkeit,
ausserdem eine wesentliche Beeinträchtigung in Bezug auf das Unterscheidungs¬
vermögen der Klangfarbe. Bei der Prüfung mit der ununterbrochenen Tonreihe
Bezold's ist das Verhalten des linken Ohres normal, während rechts vollkommene
Tonlücken vorhanden sind. Geräusche massigen Grades werden sehr präcis per-
cipirt. Statt der einzelnen Worte wird aber oft nur ein verworrenes Geräusch
gehört. Das Vermögen zu singen, ist nicht beeinträchtigt. Hingegen werden
ganz bekannte Melodien nicht erkannt. Die Sprache ist flüssig und gewandt.
Im Verlauf von 6 Jahren bleiben die Störungen des Gehörs, des Sprach¬
verständnisses und musikalischen Auffassungsvermögens im Grossen und Ganzen
bestehen und hingen in ihrer Intensität nur von der jeweiligen psychischen Ver¬
fassung ab. In der letzten Zeit tritt häufiger ein subjectivee Schwindelgefühl und
Unsicherheit beim Geben, vornehmlich im Dunkeln, auf; der Gang ist breitbeinig,
unsicher und schwankend. Augenhintergrund und Gesichtssinn ungestört. Nie¬
mals Erbrechen. Verf. nimmt an, dass es sich in diesem interessanten Falle um
einen meningitischen Process der Gehirnoberfläche mit vornehmlicher Betheiligung
der Schläfenlappen handelt Ausserdem dürfte die Affection auf das Labyrinth
im Felsenbein übergegriffen haben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass im rechten
Acusticus bez. Labyrinth und im linken Schläfenlappen nur noch Reste des
Leidens bestehen. Aus dem ganzen Verhalten des Kranken in Bezug auf die
Wahrnehmung von Tönen und Melodieen ergiebt sich, dass ausser der rechtsseitigen
Labyrintherkrankung noch eine centrale Affection vorhanden ist, deren Sitz im
linken Schläfenlappen zu suchen sein dürfte.
E. Asch (Frankfurt a/M.).
11) Ueber einen Fall von hysterischer sensorischer Aphasie (Sprach*
taubheit) bei einem Kinde, von Mann. (Berliner klin. Wochenschr.
1901. Nr. 5.)
Verf. tbeilt den Fall eines 7jährigen Mädchens mit, welcher das Bild einer
Sprachtaubheit oder sensorischen Aphasie verbunden mit einer geringen Paraphasie
auf hysterischer Basis darbot. Nach mehrfachen, vergeblichen therapeutischen
Versuchen gelang es in einer strengen Isolirkur, bei der neben kalten Douchen
und Elektrisation consequent Sprachübungen vorgenommen wurden, allerdings erst
nach dem Verlaufe von etwa 2 1 / a Monat, das Kind dauernd und vollständig zu
heilen. Bielschowsky (Breslau).
12) L'öoriture de Leonard de Vinoi. Contributlon 4 l’ötude de l’öoriture
en miroir, par M. Gilbert Ballet (Nouv. Icon, de la Salp. 1900. S. 597.)
Es ist bekannt, dass Leonardo da Vinci seine sämmtlichen Werke in Spiegel¬
schrift geschrieben hat. Verf. untersuchte die Gründe, die ihn dazu veranlasst
haben, und stellt fest, dass L. ein Linkshänder war.
Nun ist aber Spiegelschrift die natürliche Schrift der linken Hand; denn
die Schrift ist, der Körperaxe entsprechend, centrifugal oder centripetal und
diejenige der linken Hand ist die Umkehrung von derjenigen der rechten Hand.
Instinctiv sohreiben alle Linkshänder Spiegelschrift. Die Gründe, warum man sie
trotzdem nur selten antrifft, sind in der Erziehung und in Nützlichkeitsrücksichten
zu suchen. Lochti hat unter 100 normalen Kindern 16 gefunden, welche
Spiegelschrift mit der linken Hand schrieben, unter 100 Taubstummen 27, unter
100 Geisteskranken 30 und unter 100 Idioten 50. Das beweist, dass haupt¬
sächlich die Reflexion die Kinder abhalten wird, eine Schrift zu schreiben, die
nicht allgemein gebräuchlich ist. Facklam (Suderode).
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13) Sterooagnosis and allied oonditions, by Ch. W. Barr. (American Jom.
of med. Sciences. 1901. März.)
Stereoagnosie kann bedingt sein 1. durch einen Defect in den rein sensiblen
Functionen, 2. durch einen Verlust der öefiihlserinnerungsbilder, 3. durch eine
Störung des psychischen Vorganges, der die verschiedenen Gefühlseindrücke, dk
von einem Object ausgehen, zu einem Begriff gruppirt. Man thut vielleicht gm,
diese drei verschiedenen Störungen, die bloss das gleiche klinische Bild gemeinste)
haben, nicht mit dem gleichen Namen zu bezeichnen. — Verf. hält daran fest,
dass es Stereoagnosie ohne jede sensible Störung geben kann. Eine Abstufung
im Werthe der Gefühlsqualitäten für die Erkennung der Objecte hält er nicht
für angebracht, da sich die Bedeutung jeder derselben nach dem jeweiligen Object
richtet (der Temperatursinn kann unter Umständen wichtiger sein als der Lage¬
sinn u. 8. w.). — In den 4 Fällen, über die Verf. berichtet, waren jedes Mal
einige, wenn auch leichte, periphere Gefühlsstörungen nachweisbar, Verf. hält die¬
selben aber zum Theil fiir zu gering, um die Stereoagnosie zu erklären. Eia
5. Fall war dadurch bemerkenswerth, dass trotz fast vollständiger Anästhesie für
alle Qualitäten keine Stereoagnosie auftrat (keine Hysterie!).
Verf. schliesst mit folgenden Sätzen:
Die Fähigkeit, Objecte durch das Tasten zu erkennen, ist gebunden an die
Integrität der zuleitenden Nerven, des sensorischen Rindenfeldes und des „pereep-
tiven“ Rindenfeldes.
Nicht in Betracht kommt hierbei die Unfähigkeit, Objecte zu erkennen in
Folge Erkrankungen der peripheren Nerven oder der sensiblen Bahnen im Rücken¬
mark, Medulla und Pons.
Im LobuB parietalis liegt ein besonderes Rindenfeld, in dem die Gefühls¬
eindrücke zu Gefählserinnerungsbildern zusammengefasst werden; es ist das „per-
ceptive“ Gefühlsfeld nicht identisch, wenn auch zum Theil zusammenfallend mit
dem sensorischen Felde.
Der Name Stereoagnosie wird am besten reservirt für Gefühlsstörungen dieser
beschriebenen Art, die durch Erkrankungen des Gehirns, d. h. des corticalen sen¬
sorischen Feldes selbst oder der zugehörigen Fasern, bedingt sind.
Tactile Amnesie in Folge Affection des perceptiven Gefühlsfeldes ist nicht
selten mit Seelenblindheit verbunden.
Die Stereoagnosie nach cerebraler Kinderlähmung ist oft dadurch bedingt,
dass tactile Erinnerungsbilder überhaupt nicht erworben worden sind.
H. Haenel (Dresden).
14) The olinioal value of astereognosls and its bearing upon cerebral
looalization, by G. L. Wal ton and E. Paul. (Journ. of Nerv, and Ment
Dis. 1901. April.)
Verff. geben die Krankengeschichten einer Anzahl Fälle, die das genannte
Symptom darboten, und zum Theil zur Operation gelangten. Sie knüpfen daran
Betrachtungen über die Elemente dieser Störung: sie setzt sich zusammen am
Störungen des Berührungs-, Temperatur-, Schmerz-, Lage-, Localisations-, Druck-
und Raumgefühls. Einigen unter diesen kommt eine grössere Bedeutung zu ala
den anderen; Verff. räumen dem Raum- und Localisationssinn den ersten Plati
ein, in zweiter Linie stehe der Lagesinn, dann der Drucksinn, zuletzt Temperatur-.
Schmerz- und Berührungssinn. Für die drei letzteren nehmen Verff. eine aus¬
gedehnte cerebrale Vertretung an. Die Ansicht, dass es keine cerebrale Anästhesie
ohne motorische Schwäche gebe, ist nicht aufrecht zu erhalten. — In Parallele
zu den Verhältnissen bei der Sprachfunctiön kommen Verff. zu der Theorie, dass
verschieden zu bewerthende Centren der Sensibilität existiren: Das erste, niederste,
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das die einfachen Eindrücke der Berührung, Temperatur und des Schmerzes auf¬
nimmt, in der Gegend des Lobus parietalis und Gyrus fomicatus; ein zweites,
höher im Rang und weiter nach vom gelegen, repräsentire das associative Ge-
dachtniss, das zur Beurtheilung des gefühlten Objects befähigt; drittens existire
eins, das die Reize von den verschiedenen Gruppen der zweiten Ordnung und
auch aus anderen Quellen aufhimmt und als kinästhetisches Centrum die Willkür¬
bewegungen leitet. In letzterem soll der streognostische Sinne seine höchste Ent¬
wickelung erlangen; es würde am nächsten dem bekannten sogen, motorischen
Centrnm zu suchen sein. Die anatomische Thatsache, dass die Fasern für den
Muskelsinn einen gesonderten Verlauf im Gehirn nehmen und im Gyrus post-
centralis endigen, würde mit dieser Theorie nicht unvereinbar sein. — Prüfungen
an einer grösseren Zahl sogen, reiner motorischer Hemiplegieen haben den Verff.
gezeigt, dass bei einem grossen Prooentsatz derselben ( 1 / 8 oder mehr) Astereo-
gnosie nachweisbar war (andere hatten in frischen Fällen mehr als die Hälfte
gefunden). — Für die Localisation kann als vorläufige Regel gelten, dass reine
motorische Hemiplegie ohne jegliche sensible Symptome für eine Kapselläsion
sprechen wird, dass man in den seltenen Fällen reiner Astereognosie dagegen
einen Punkt in den Centralwindungen, der Höhe des motorischen Centmms der
betreffenden Extremität entsprechend, wird aufsuchen müssen. Meist werden
andere begleitende Herdsymptome die Diagnose noch erleichtern.
H. Haenel (Dresden).
15) Contributioni la studiul turburarilor vazomotorii in emiplegie, per
C. Parhon. (Bukarest, 1900. 66 S.)
Nach eingehender Besprechung des Themas gelangt Verf. zu folgenden
Schlüssen:
Vasomotorische Störungen sind im Verlaufe der Hemiplegie ziemlich häufig
anzutreffen; dieselben sind paralytischer Natur und lassen sich erklären durch die
Läsion eines oder mehrerer in der Rindensubstanz des Hirns oder in den Kernen
des Corpus striat. gelegenen Centren. Die Läsion der aus dem Rindencentrum
verlaufenden Fasern hat ähnliche Folgen wie eine Alteration des Centrums selbst.
Eine Zerstörung des Vordersegmentes der aus Fasern bestehenden, die Kerne des
Corpus striatum unter einander verbindenden Capsula interna kann ebenfalls von
vasomotorischen Störungen gefolgt sein. Sowohl experimentelle Physiologie wie
normale oder pathologische Psychophysiologie plädiren für das Vorhandensein von
Rindencentren; die anatomisch-klinische Methode ihrerseits plädirt für das Vor¬
handensein von Fasern, die die Rinde mit den weiter nach unten gelegenen vaso¬
motorischen Kernen verbinden, darunter nach dem Nucl. caud. und nach dem
Nucl. lentif. Wahrscheinlich ist, dass das vasomotorische Bündel die Caps. int.
vor dem eigentlichen motorischen passirt. Weiteren Untersuchungen bleibt es
überlassen, deutlicher den Verlauf dieses vasomotorischen Bündels zu präcisiren.
Erst dann wird man in der Lage sein, zu beurtheilen, welche Rolle diesem Bündel
und welche den Kernen des Corpus striatum in Anbetracht der verschiedenen,
bei Hemiplegie vorkommenden vasomotorischen Störungen zukommen.
Härsu (Bukarest).
16) Ueber transitorische Beeinflussung des Knieph&nomens durch oere-
brale Affeotionen, von Prof. A. Pick. (Wiener klin. Wochenschr. 1901.
Nr. 7.)
Verf. theilt 4 Fälle mit, in welchen es auf traumatischem Wege zu cerebralen
Störungen gekommen war (Hufschlag ins Gesicht, Erfasstwerden von einer Loco-
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motive, Stich Verletzung am Scheitelbeine, Schuss in den Mund). In allen Falles
war es zum Verlust des Kniephänomens gekommen; in drei mit dem Leben davos
gekommenen Fällen stellte sich das Phänomen nach 5 Tagen bezw. 10 Tages
und 3 Wochen wieder ein. Da keine Anhaltspunkte für eine spinale Läsion Vor¬
lagen, erklärt Verf. das Schwinden des Phänomens als Shokwirkung.
J. Sorgo (Wien).
Psychiatrie.
17) Hereditaire belaating en progressive Paralyse, door J. Schölten».
(Psychiatr. en neurol. Bladen. 1900. S. 52.)
Verf. hat Nachrichten über die Kinder einer Anzahl an Paralyse Gestorbener
gesammelt und ein verwendbares Material von 23 Paralytikern mit 137 Kindern
erlangt. Von diesen 137 Kindern starben im 1. Lebensjahre 26 (18,9 °/ 0 , wäh¬
rend in Nordholland die Sterblichkeit der Kinder im 1. Lebensjahre im Allge¬
meinen 13,6% beträgt), nervöse Störungen (Krämpfe, die so oft der erste Aus¬
druck einer psychopathischen Constitution sind, Nervosität, Zurückbleiben in der
Entwickelung, grobe Charakteranomalieen) kamen bei 36 (26,2 °/ 0 ) vor.
Da die Paralyse ohne Zweifel eine Eirankheit ist, bei der das ganze Nerven¬
system durch und durch krank ist, lässt sich wohl annehmen, dass sie auch einen
verderblichen Einfluss auf das Keimplasma ausüben kann, so dass die aus Con-
ceptionen bei schon bestehender Paralyse hervorgegangenen Kinder dadurch nach¬
theilig beeinflusst werden können. In den 23 vom Verf. gesammelten Fällen
waren 6 Kinder, die geboren wurden, als bei dem einen der Eltern die Paralyse
schon deutlich vorhanden war; von diesen 6 Kindern starb eins im Alter von
4 Wochen an Krämpfen, vier sind Behr nervös (eins von ihnen auch eigenthümlich
in seinem Wesen) und eins hat sehr geringe Anlagen.
Wenn man annimmt, dass Syphilis eine grosse Bedeutung für die Entstehung
der Paralyse hat, und dass diese meist 10 Jahre nach der Erwerbung der Syphilis
sich entwickelt, muss man nach Verf. auch annehmen, dass der Patient in diesen
10 Jahren nicht vollständig gesund ist, sondern an einer langsam und unbemerkt
fortschreitenden Krankheit leidet, deren Endstadium sich als Dementia paralytica
offenbart. Von 49 Kindern, die weniger als 10 Jahre vor dem deutlichen Ab¬
bruche der Paralyse beider Eltern geboren worden waren, war bei 24 (48,9 %)
das Gehirn auf irgend eine Weise afficirt, während von 88 Kindern, die 10 Jahre
oder mehr vor dem deutlichen Ausbruche der Paralyse geboren waren, nur 12
(13,6°/ 0 ) an nervösen Störungen litten.
Dementia paralytica nach Apoplexie hält Verf. nicht für erblich belastend,
weil hier die Psychose nur secundär und vom Sitze und von der Ausbreitung
der Blutung abhängig ist oder von der schlechten Ernährung des Gehirns durch
das kranke Gefässsystem. Walter Berger (Leipzig).
18) Bijdrage tot de kennte van de aetiologie der dementia paralytica,
door N. F. Elzevier Dom. (Psychiatr. en neurol. Bladen. 1900. S. 135.)
Im Buitengasthuis zu Amsterdam wurden in den Jahren 1872—1892 im
Ganzen 279 an Dementia paralytica Leidende beobachtet (235 Männer, 44 Weiber).
Die meisten Aufnahmen fanden im Alter von 21—50 Jahren statt (163 Männer,
28 Weiber), unter 25 Jahren alt war bei der Aufnahme nur 1 Mann, über
65 Jahre alt waren 3 Männer, 1 Weib. Verheirathet waren von den Männern
180 (79°/ 0 ), von den Weibern 22 (50%), unverheirathet 35 Männer (15
11 Weiber (25°/ 0 ), verwittwet 9 Männer (3,5°/ 0 ), 10 Weiber (22,73%)» S*
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schieden 10 Männer (4%), 1 Weib (2,27 °/ 0 ). Von 11 yerheiratheten Weibern
waren 8 Prostituirte und 2 lebten im Concubinat.
Absolute Sterilität in der Ehe fand sich nur bei 26 von den 199 vor*
heiratheten oder verheirathet gewesenen Männern (13 °/ 0 ). Von den Kindern der
Kranken waren bei der Aufnahme dieser noch am Leben 439, gestorben 241.
Bei 8 Frauen bestand absolute Sterilität in der Ehe oder im Concubinate, 6 Frauen
hatten zusammen 18 Mal abortirt und 3 zusammen 6'todte Kinder geboren; die
Zahl der gestorbenen Kinder betrug bei der Aufnahme der Mütter (Abortus und
Todtgeborene nicht mitgerechnet) 32, die der noch lebenden 39.
Bei 35 von den 235 paralytischen Männern konnte vorhergegangene Syphilis
angenommen werden, bei 4 Weibern war sie wahrscheinlich. In den späteren
Jahrgängen stieg die Häufigkeit der vorhergegangenen Syphilis (im Jahre 1891
auf 8 von 32 Pat.), vielleicht in Folge der grösseren Aufmerksamkeit darauf.
Viele von den Pat. hatten ein vielbewegtes Leben hinter sich, waren lange auf
See gefahren, hatten mehr als 10 Jahre im Heer oder in der Marine in den
Colonieen gedient, so dass bei ihnen vermehrte Gelegenheit zur Infection ange¬
nommen werden konnte. Die Zeit, die zwischen der meist im jugendlichen Alter
erworbenen Infection mit Syphilis und dem Auftreten der Paralyse verlief, war
meist lang (2—5 Jahre 6 Mal, 6—10 Jahre 11 Mal, 11—15 Jahre 13 Mal, 16—
20, 21—28 und mehr als 30 Jahre je 1 Mal). Von den weiblichen Patienten
waren 5 sicher, 3 höchst wahrscheinlich syphilitisch infioirt gewesen, ausserdem
waren 8 Patienten, bei denen syphilitische Infeotion wenigstens höchst wahr¬
scheinlich anzunehmen ist.
Nur in 2 Fällen war auBser Syphilis kein anderes ursächliches Moment zu
finden. In 30 Fällen bestand erbliche Belastung, in 18 Fällen Alkoholmissbrauch,
in 11 Fällen waren psychische Ursachen vorhergegangen, in 10 Fällen Excesse
in venere.
Von den 235 Männern waren 79 (33,6 °/ 0 ) notorische Trinker, aber auch
ausser diesen mag wohl noch mancher Alkohol gemissbraucht haben; unter den
Getränken spielte der Jenever die Hauptrolle; bei 56 von diesen Pat. (70,8°/ 0 )
bestand erbliche Belastung (bei 11 Alkoholmissbrauch bei den Eltern), bei 16
Syphilis, bei 6 waren Kopfverletzungen vorausgegangen, nur bei 5 war ausser
dem Alkoholmissbrauch kein anderes ursächliches Moment aufzufinden. In einigen
Fällen waren deutlich psychische Symptome von chronischem Alkoholismus der
Paralyse vorausgegangen. In Bezug auf die anatomischen Veränderungen war
nichts Besonderes bei den Alkoholikern nachzuweisen. Unter den Weibern waren
9 dem Trunk ergeben.
Kopfverletzungen waren bei 24 Männern der Paralyse vorausgegangen;
ausserdem war noch in einigen Fällen Kopfverletzung als Ursache angegeben,
aber die Paralyse hatte zweifellos schon vor der Verletzung bestanden. In 12
von diesen Fällen war erbliche Belastung vorhanden, in 5 Alkoholmissbrauch, in
7 hatten psychische Ursachen, in einem Falle Hitze mitgewirkt; in 4 Fällen war
keine weitere Ursache zu finden. In 8 Fällen hatte die Verletzung vor sehr
langer Zeit (12—29 Jahre) stattgefunden und hatte keine directen Folgen gehabt,
in 8 Fällen hatte sich die Paralyse allmählich aus directen Folgen der Kopf¬
verletzung entwickelt, in 8 direct an die Kopfverletzung angeschlossen. In 7 Fällen
war die Form der Geistesstörung maniakalisch, in 16 war sie primäre Demenz.
In einem Falle bestand Mikromanie. Bei 2 Frauen war Kopfverletzung ange¬
geben, bei der einen war keine andere Ursache aufgefunden, die andere war eine
Prostituirte und Säuferin.
Bei 2 Kranken trat die Paralyse im Anschluss an Insolation auf; 10 waren
durch ihren Beruf starker Wärmestrahlung ausgesetzt gewesen, meist waren da¬
bei noch andere ätiologische Momente naohgewiesen, nur bei 2 nioht.
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In 51 Fällen waren psychische Einwirkungen als veranlassende Ursache za
betrachten, meist hatte diese Einwirkung lange Zeit stattgefunden, nor selten
handelte es sich um plötzliche Einwirkungen, wie Schreck. Sorgen, Kummer,
Kränkungen, unglückliche Verhältnisse waren häufig, geistige Ueberanstrengung
trat in den Hintergrund, da die Pat meist dem Handwerkerstande angehörten.
Erbliche Belastung war dabei oft vorhanden. Unter den Weibern wurde bei 10
die Erkrankung psychischen Einflüssen zugesohrieben.
Ezcesse in venere wurden häufig zugegeben.
Erbliche* Belastung als prädisponirendes Moment war bei 223 Männern und
bei 17 Weibern vorhanden; am häufigsten fand sich Geistesstörung in den
Familien, aber hauptsächlich in den Seitenlinien der Verwandtschaft; ebenso ver¬
hielt es sich mit der Epilepsie, während Apoplexie am häufigsten bei den Aseen-
denten vorkam und Alkoholismus die aufsteigende und die Seitenlinien gleich
häufig traf.
Die geistigen Anlagen waren in den meisten Fällen als gewöhnlich beoeichnet,
bei geringen geistigen Anlagen kommen meist noch andere ursächliche Momente
in Frage. Das Temperament war überwiegend cholerisch, sehien aber keinen
grossen Einfluss auf die Form der Paralyse zu haben, während bei der dementen
Form phlegmatisches Temperament fiberwiegend vorkam.
Walter Berger (Leipzig).
10) Ueber die Aetiologie der progressiven PsralyBe, von Georg Eisath
(Hall). (Allg. Zeitschr. f. Psych. LVHI. S. 390.)
In 11 Jahren wurden in der Landesanstalt für Deutschtirol sowie in der
psychiatr. Klinik in Innsbruck 155 Fälle von progressiver Paralyse, 116 Männer,
29 Frauen, aufgenommen. Sicher luetisch waren von denjenigen, über die genaue
anamnestische Nachrichten zu bekommen waren, 27°/ 0 , zweifelhaft luetisch 34 °[ v
sicher nicht luetisch 39 °/ 0 . Allerdings wurden alle die Fälle, in denen Lues
zwar sehr wahrscheinlich, aber nicht ganz sicher war, den zweifelhaften zugewieeen.
Bei den nicht paralytischen Kranken, die im Alter von 30—64 Jahren auf¬
genommen wurden, war Syphilis sicher nur bei 1,3 °/ 0 , zweifelhaft bei 1,8 °j (l .
Es kann danach der Zusammenhang zwischen Lues und Paralyse nicht bezweifelt
werden. Mehrfach wurde Paralyse bei Ehepaaren, Geschwistern, Vater und Sohn
beobachtet. Die meisten Kranken im Verhältniss zur Bevölkerung kamen aus
Innsbruck und Umgebung, dann kam Landeck, dann die, mit Ausnahme von
Bozen und Meran, ausschliesslich ländlichen Bezirke. Das Ueberwiegen der Um¬
gebung von Innsbruck hängt nach ähnlichen eigenen Erfahrungen sicher zum Theil
damit zusammen, dass die Verbringung in die Anstalten leichter möglich ist, als
aus den ferneren Gegenden. Trauma wurde öfters als Ursache bezeichnet, meist
mit anderen Ursachen zusammen. In Deutschtirol wurde bei 36,5 °/ 0 der Alko¬
holismus mit als ursächliches Moment angegeben; 5 Mal geistige Ueberanstrengung,
6 Mal psychische Erregung, die Verf. für sehr fragwürdig hält. Nur in 33 \
bestand erbliche Belastung. Die Berufe waren so betheiligt, dass wenn die landes-
wirtschaftliche Bevölkerung mit 1 bezeichnet wurde, auf Industrie 6, auf die in
öffentlichen Dienste und beim Militär Angestellten 10 und auf die im Handel
und Verkehr Beschäftigten 20 Krankheitsfälle kommen. Besonders stark im
Verhältniss zu ihrer geringen Zahl erkrankten Hausirer. Kein Priester, keine
Prostituirte kam zur Aufnahme. Aschaffenburg (Heidelberg).
20) L’alooolismo oome causa della paralisi generale. Nota clinica de Dr.
G. Seppilli. (Annali di Nevrologia. 1901. XIX. Fase. 2.)
Verf. leugnet die Pseudoparalyse, im Speciellen die alkoholistische Pseudo-
Dia
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paralyse, die sich von der progressiven Paralyse durch ihre Heilbarkeit, bezw.
ihre Remissionen, den diffusen Tremor, häufige Sensibilitätastörungen, Vor wiegen
des depressiven Zustandes und der Hallucinationen unterscheiden soll. Er giebt
zwar zu, dass der Alkohol ismus einen psychischen Zustand bedingen kann, der
einen derartigen Symptomenoomplex zeigt, hält ihn aber für grundverschieden von
der echten Paralyse. In 6 Jahren hat er 102 Paralysen beobachtet, 78 bei
Männern, 24 bei Frauen, wovon 16 (i. e. 15 °/ 0 ; 13 Männer, 3 Frauen) als ein¬
zige Aetiologie den Alkoholismus darboten. Das Alter der Erkrankung schwankte
zwischen 35 und 55 Jahren. Weder der klinische Verlauf (alle Fälle endeten
nach 2 — 5 Jahren tötlich) noch der pathologisch - anatomische Befund Hessen
eine Unterscheidung von der progressiven Paralyse zu.
H. Gessner (Nürnberg).
21) Parallel generale oonaeoutlva a trauma al oapo, del Dr. A. Lui. (Mani-
comio provinciale di Brescia diretto del Prof. G. Seppilli.) (Bollettino del
Manicomio di Ferrara. XXVIII. 1900. Fase. 3.)
Verf. beschreibt in der vorüegenden Arbeit einen Fall von progressiver
Paralyse (demente Form), die sich unmittelbar im Anschluss an einen sohweren
Fall auf die Stirnbeingegend (combinirt mit einem psychischen Shok) entwickelte
und nach 3 Jahren zum Tode führte. In der Anamnese fehlt jedes weitere
ätiologische Moment; die Eltern waren blutsverwandt, aber gesund. — Die Autopsie
ergab: Schwund der Diploe, schweres Schädeldach; an der Verletzungsstelle
Atrophie der Tabula interna (durchscheinend); Verdickung und Verwachsung von
Dura und Pia mater, Anheftung an den Knochen. Consistenz der Frontal Windungen
erhöht; Delle in der Rinde, die sich verdünnt erweist. Gehimsubstanz anämisch,
Oedem. Mikroskopisch: nach Golgi und Pal Varicositäten der Nervenfasern,
Gontourdeformitäten und Fragmentationen der Zellen, NeurogUa stark vermehrt. —
Blutgefässe verdickt, perivasculäre Lymphräume erweitert. Rückenmark wurde
nicht untersucht.
Verf. betrachtet naoh kurzer kritischer Beleuchtung und Besprechung der
Litteratur seinen Fall als einen ein wandsfreien traumatisch entstandenen Fall von
progressiver Paralyse und bekämpft die Anschauung der Autoren, die in der
Anamnese die Lues verlangen. H. Gessner (Nürnberg).
22) De la raretd et des oauses de la paralysie gönerale dans le eanton
de Fribourg, par Remy. (Revue m6d. de la Suisse Romande. 1901.
20. Juni.)
Die Mittheilungen des Verf.’s haben, wenn auch auf ein sehr geringes Material
— 12 Fälle in den letzten 5 Jahren — sich stützend, vielleicht gerade deshalb
ein nicht geringes Interesse. Fast alle Kranken waren entweder Ausländer oder
hatten längere Zeit im Auslande, besonders in Frankreich gelebt. Das Verhältniss
der Paralytiker zu den anderen Psychosen der Anstalt Marsens, aus der Verf.’s
Material stammt, beträgt kaum l°/ 0 . Sichere Lues war nur bei 2 Pai nach¬
weisbar, Verdacht bestand bei zwei weiteren Fällen. Die Kranken der Anstalt
entstammen zwei Kantonen, in denen vorwiegend Ackerbau treibende Bevölkerung
ihren Wohnsitz hat, die anspruchslosen und einfachen Lebensgewohnheiten ergeben
ist und keine erregenden Existenzkämpfe durchzuführen hat. Lues ist sehr selten,
verbreiteter dagegen der Alkoholismus. Verf. schUesst hieraus, dass letzterer
allein jedenfalls nicht, wie manche französische Autoren wollen, eine wesentUohe
Rolle in der Aetiologie der Paralyse spielt. Ebenso verhält es sich seiner An¬
sicht nach mit der Lues. Das wesentlichste Agens ist für ihn geistige Ueber-
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1104
Anstrengung, Sorgen im Kampf ums Dasein, je höher die Civilisation, desto
grösser die Gefahr der Paralyse für den Einzelnen, besonders natürlich für Syphi¬
litiker, Alkoholisten und Neuropathen. Martin Bloch (Berlin).
23) Nota sur la paralysie gönörale 4 l’aaile de Saint-Alban (Losöre), par
Ren6 Charon. (Annalee mödico-psychologiques. 1901. März/April.)
Mittheilung des immerhin interessanten Factums, dass in obiger Anstalt die
Paralyse eine seltene Erkrankung geblieben ist, obgleich in den letzten Jahr¬
zehnten Industrie und Syphilis sich sehr erheblich ausbreiteten. Bis 1886 waren
unter 190 Kranken nur 2, seitdem unter 255 nur 4 an Paralyse erkrankt, welche
alle lange ausserhalb in anderen Provinzen gewesen waren; 3 hatten Syphilis
gehabt Adolf Pas so w (Meiningen).
24) A oontribution to the morbid anatomy and the pathology of general
paralysie of the insane, by Dr. D. Orr und Dr. T. P. Cowen. (Joum.
of Mental Science. 1900. October.)
In 23 der allgemeinen progressiven Paralyse zugehörigen Fällen von ver¬
schiedenem klinischem Typus wurden die nervösen Antheile der Hirnrinde und des
Marklagers, sowie gewisse Systeme der cerebralen und spinalen Projection nach
Heidenhain'scher Fixirung mikroskopisch untersucht und folgende Ergebnisse
gewonnen:
1. Corticomotorische Nervenzellen (die Schnitte mit Toluidin naeh
Held und Methylviolett nach Robertson gefärbt): Die frühesten Verände¬
rungen können nur an den grossen Pyramiden genauer studirt werden. Zuerst
verlieren die chromophilen Elemente ihren regelmässigen Umriss, wobei loe-
bröckelnde Theilchen zwischen die Nissl’schen Körper gerathen, und zerfallen
in feine Partikel, welche sich manchmal um den Kern, aber öfter an der Basis
oder Wand der Zelle ansammeln. Bei fortschreitender Chromatolysds wird
die perinucleare Zone in den Process hineingezogen oder letzterer bleibt seg¬
mentär beschränkt. Das Degenerationsfeld wird von feingranulärem Pigment und
kleinen chromophilen Schollen besetzt. Weiterhin breitet sich der Zerfall auf
die Protoplasmafortsätze und zuletzt auf den Polfortsatz aus; Zellfortsätze schwinden,
der Zellumriss wird undeutlich, das verringerte, leicht granulirte Protoplasma ver¬
schwindet schliesslich ganz, und der blasse Kern mit seinem undeutlich oder un¬
sichtbar gewordenen Kernkörperchen liegt frei. — Die kleinen Pyramidenxellen
sind viel früher afßcirt und daher überall bereits in einem fortgeschrittenen
Stadium der Entartung; gewöhnlich präsentirt sich eine kleine Menge Cystoplasma
mit einem von wenigen ohromophilen Schollchen umgebenen Kern. Die Fortsätze
fehlen, und an der Zellwand sind Pigmentmassen abgelagert. Manchmal ist zn
erkennen, dass der Process perinuclear begonnen hat. Der weitere Verlauf wie oben.
Da störende postmortale Einflüsse auf die Zellen sorgfältig vermieden wurden,
so hat man nur in einzelnen obiger Fälle die Einflüsse prämortaler Temperatur-
Steigerung abzuziehen, um die paralytische Veränderung rein vor sich zu sehen.
Die letztere ist von den experimentell verursachten, acut toxämischen und anä¬
mischen Processen dadurch unterschieden, dass in diesen Verhältnissen die Chro-
matolyse gewöhnlich an der Zellperipherie beginnt und rapid die ganze
Zelle betheiligt; von der secundären Chromatolyse nach Durchtrennung der
Nerven, die auch an der Zellbasis einsetzt (Marinesco), andererseits durch die
grössere Chronicität seines eigenen Verlaufs und die mit der Chromatolyse
zunehmende Pigmentbildung. Dagegen ist der paralytische Vorgang am
Zellleibe qualitativ nicht verschieden von den Involutionsvorgängen
der Rindenzelle im Alter oder in chronischen Geisteskrankheiten: die chronische
1105
Ernährungsstörung bewirkt fiberall die gleiche chemische Umwandlung der chro-
mophilen Elemente im sogenannten Pigment.
Im Kern beginnt erst in einem späten Stadium der Zerfall des Netzwerks
in feinste Körnchen; das seines Aufhängegewebes beraubte Kernkörperchen wird
blass und sinkt an die Peripherie, schrumpft später und setzt sich an der Kern¬
membran fest. Im Endstadium, wo man nur noch den freien Kern sieht, ist
seine Membran sehr blass und innen nur mit wenigen Körnchen besetzt; vom
Nucleolus fehlt jede Spur. Der basophile Antheil des letzteren scheint früher als
der acidophile die Färbbarkeit zu verlieren. — Eine Absorption todter Zellen ist
nirgends angedeutet, vielmehr erscheint die Proliferation der Stütz* und Saft¬
elemente durchaus als secundär.
2. Markfasern der motorischen Grosshirnfelder (Färbung nach Weigert,
Heller-Robertson und einer eigenen Osmiummethode). Tangentialfasern
(Marchi'sche Behandlung) in Fällen a) ohne Anfälle: Bei 8 peracuten Fällen
war 4 Mal vollständige und 3 Mal beträchlliehe Atrophie. Im 8. Fall, der im
paralytischen Anfangsstadium zu Grunde ging, waren die Tangentialfasern fast
intact; 2 chronische Fälle zeigten fast und ganz complette Atrophie, b) mit
Anfällen: Von 13 waren 9 mit completter, 2 mit sehr fortgeschrittener und
2 mit überwiegender Atrophie. — In frühen Stadien degeneriren und schwinden
die feinsten Fasern zuerst, und zwar ziemlich herdweise, so dass die Continuität
hier für eine grosse Zahl zugleich unterbrochen erscheint. — Jedenfalls ist die
Nervenzellenentartung nicht bloss constanter, sondern auch älter und stets fort¬
geschrittener. — Die übrigen ganz feinen Fasern der grauen Substanz und die
gröberen, nach der weissen Substanz ziehenden Fasern verschwinden, letztere etwas
später, ebenmässig mit dem Verlust der Tangentialfasern.
3. NeurogliaVeränderungen sind weder constant noch universell verbreitet,
fehlten in 2 acuten und einem chronischen Falle ganz und waren in mehreren
acuten und chronischen Fällen unerheblich. Die Hypertrophie wurde in der
innersten Rindenschicht, der tiefsten Nervenzellenschicht und in der weissen Sub¬
stanz angetroffen und entsprach dem Grade der Faserdegeneration.
4. Hirnnerven im intracranialen Abschnitt (modificirte Marchi-Methode):
Deutliche Degeneration war immer vorhanden, am 3., 5. und 10. Nerven am
intensivsten, am 4., 6. und 7. am geringsten. An vielen Markscheiden entlang
sind, wie bei der primären toxischen Degeneration Vassale's, schwarze Fleckchen
aufgereiht, welche aber sehr selten in die (bei secundärer Degeneration so ge¬
wöhnlichen) grossen schwarzen Tröpfchen veränderten Myelins zusammenfliessen,
sondern blässere, verdünnte, schliesslich für Marchi’sche Färbung refraetäre
Scheidenpartieen zwischen sich lassen. — Die Axencylinder erwiesen sich nach
van Gieson’s Methode intact. Die meisten Ganglienzellen der Nerven¬
kerne waren gesund, vielleicht etwas unregelmässig Umrissen und zur Hyper-
pigmentirung neigend. Nur wenige aber zeigten einen mässigen Grad chronischer
Chromatolysis mit Pigmentzunahme nach obigem Typus. Gerlach’sche homogene
Schwellung und einfache Atrophie war sehr selten und konnte auf hyperpyretische
Einflösse bezogen werden.
5. Rückenmark (in 12 Fällen nicht-tabiBcher Paralyse mittels Toluidin,
Del afield’s Hämatoxylin und Hei denhain’s Eisenhämatoxylin untersucht). Die
Veränderungen an den Vorderhornzellen gleichen denjenigen an den grossen
Rindenpyramiden, und ihre Ausbreitung entspricht den Verhältnissen bei den
Nervenkernen. Bei den Ganglienzellen der Clarke’schen Säulen bringt die
Delafield’sche Färbung die normale charakteristische Wandständigkeit der
Zellkerne und die periphere Anordnung des chromatischen Elements überall zur
Ansicht, einzelne Zellen zeigen nur etwas Ueberpigmentirung.
6. Die Pyramidenstränge sind der Sitz der charakteristisch para-
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1106
lytischen Veränderung im Rückenmark. In allen 12 Fällen sind gekreuzte
und ungekreuzte Fasern zugleich davon betroffen; eine Verschiedenheit besteht
nur nach Grad und Vertheilung, je nachdem sub vita convulsive Anfälle
vorgekommen sind oder nicht; in ersteren Fällen ist die Erkrankung constant
schwerer auf der Seite der Convulsionen, in letzteren beiderseits ziemlich gleich
und überhaupt weniger schwer als dort; dort handelt es sich um eine Massai¬
degeneration der Nervenfasern, wie man sie ähnlich bei der hemiplegischen
Secundärdegeneration sieht, hier dagegen sind die krankhaft veränderten Fasen
nur schwarz gefleckt und mit vielen ganz gesunden Fasern durchsetzt Verlauf
und Vertheilung der Degeneration im gesammten cortico-pyramidalen System ent¬
spricht den Ergebnissen Starlinger’s. Der Befund an 2 typischen Fällen lässt
keinen Zweifel, dass die Verlaufsrichtung der Entartung absteigend ist, und dass
die Zerstörung der Rindenpyramiden vorausgeht.
7. In den Hintersträngen fanden sich in denselben Fällen stets Verände¬
rungen. Zwischen gesunde Fasern sind kranke diffus eingestreut und zeigen keine
Vorliebe für eine besondere Bahn. Die endogenen Fasern sind ebensowohl afficirt
wie die exogenen und bald diese oder jene mehr. Die Intensität der Entartung
variirt in verschiedenen oft nahe benachbarten Höhen beträchtlich. Meist sind
es diffus unbestimmte Veränderungen, und nur in einer kleinen Zahl der
Fälle zeigen diese die Neigung, ein definitives Arrangement einzugehen, das je¬
doch von dem tabischen grundverschieden ist. In einem Frühfall war im Cer
vicalmark eine links überwiegende, die grössere innere Hälfte der Keilstränge
ganz ausfüllende Degeneration, die in einer Curve zu den Wurzelfasern lief und
mit der von Sibelius beschriebenen Degeneration identisch war.
8. Die hinteren Wurzelganglien zeigen, wenn man für die normale Histo¬
logie die Darstellung Lugaro’s (1900) acceptirt, verhältnissmässig wenig Ver¬
änderungen; die Hehrzahl dieser besteht in Ueberpigmentirung, in einigen aber
nimmt man eine Chromatolysis verschiedenen Grades wahr, indem die Körnchen
an gewissen Theilen, gewöhnlich den Randpartieen der Zellen zu verschwinden
beginnen, wodurch diese letzteren entweder diffus gefärbt oder mit Pigment er¬
füllt erscheinen.
9. In den hinteren Wurzeln sind (mit Marchi’scher Färbung) immer
Degenerationsvorgänge nachweisbar, die nach Umfang und Intensität in den ver¬
schiedenen Rückenmarksabschnitten wechseln. Sie haben in geringerem Grade
denselben fleckigen Charakter wie bei den Hirnnerven und stehen zu den Ver¬
änderungen in den Wurzelganglien und Hintersträngen nicht in Beziehung.
In der Pathologie der Paralyse scheint es sich also (bei dazu prädispo-
nirten Individuen) um eine primäre Affection der Rindenzellen, die fast an*
schliesslich auf das motorische Feld beschränkt ist, zu handeln. Die aus diesem
Entartungsprocess entstehenden toxischen Substanzen scheinen dann die Nerrm-
fasern in der ganzen Ausdehnung des Nervensystems primär zu verändern, denn
nur auf diese Weise lassen sich die Degenerationen in den Himnerven und
hinteren Wurzeln entstanden denken, und wahrscheinlich sind die diffus kt-
streuten Läsionen in den Hintersträngen auf dieselben Schädigungen zurnckm-
fuhren. Schmidt (Freiburg i/SchL)
26) Beobachtungen über die progressive Paralyse während der letzt«
vier Jahrzehnte, von Dr. H. Behr (Hildesheim). (Allgem. Zeitschr. t Psyeh
u. psychisch-gerichtliche Medioin. LVII.)
Verf. arbeitete das Material der Provinzialanstalt zu Hildesheim aas den
Jahren 1858—1899 (575 männliche und 108 weibliche Paralytiker) durch, na
festzustellen, ob die Paralyse in diesen 4 Jahrzehnten ihre Form geändert tot
Er kam hierbei zu folgenden Resultaten:
1107
a) bei Männnern: Abnahme der agitirten und der typischen Paralyse, Zu¬
nahme der dementen Form, häufigeres Auftreten von Remissionen, grössere Häufig¬
keit der paralytischen Anfälle. — In letzterem Punkte ist Verf. entgegengesetzter
Ansicht als Eraepelin, welcher eine Abnahme der Anfälle beobachtet haben
will, während Mendel der Ansicht ist, dass in Bezug auf die Frequenz der An¬
fälle ein Wechsel nicht eingetreten ist. — Durchschnittsalter der Paralytiker
(36 — 60 Jahre) und mittlere Dauer der Paralyse (2 */ 2 Jahre) haben keine
Aenderung erfahren.
b) bei Frauen: Aenderung des klinischen BildeB — im Gegensatz zur männ¬
lichen Paralyse — in keiner Weise zu constatiren. Erhebliche Remissionen sind
seltener, Anfälle hingegen etwas häufiger bei Frauen als bei Männern. Durch¬
schnittsalter der weiblichen Paralytiker (35—50 Jahre) und mittlere Dauer der
Paralyse (2 Jahre 8 Monate) zeigen keine wesentlichen Aenderungen gegenüber
früheren Verhältnissen.
Verf. meint, dass der Grund der Veränderung des klinischen Bildes der
Paralyse zu suchen sei in der verbesserten Diagnostik, der besseren Behandlung
und früheren Ueberführung des Kranken in eine Anstalt, dass dies jedoch den
Unterschied zwischen jetzt und einst nicht hinreichend erkläre. Vielmehr sei es
wahrscheinlich, dass die Paralyse an sich eine andere Form angenommen hat.
Kurt Mendel.
26) Beitrag zur Kenntniss der Erkrankungen des Rückenmarks bei der
progressiven Paralyse, von Walter Just. (Inaug.-Diss. Würzburg 1901.)
Aus der Krankengeschichte des untersuchten Falles ist hervorzuheben, dass
der Pat. an häufigen paralytischen Anfällen litt, die für längere Zeit eine links
stärker als rechts ausgeprägt« Extremitätenlähmung zurückliessen. Die anatomische
Untersuchung ergab keinen Herd im Gehirn, dagegen im Rückenmark eine De¬
generation in den Hinter- und Seitensträngen. Die Veränderungen in den Hinter¬
strängen stimmten im Allgemeinen mit denen der Tabes überein, doch waren
beachtenswerter Weise die Wurzeleintrittszonen und die Lis sauer'sehen Rand¬
zonen intact (intra vitam waren die Patellarreflexe erhalten bezw. gesteigert).
Die Ausbreitung der Hinterstrangsdegeneration auf das Halsmark verwertet Verf.
im Sinne der spinalen Localisation der reflectorischen Pupillenstarre. Die Seiten¬
strangveränderungen griffen über das Gebiet der Pyramidenbahnen auf das der
Kleinhirnseitenstrangbahnen über, waren auf der linken Seite erheblich stärker
ausgesprochen als rechts, hatten ihr Maximum in der Höhe des 8. Dorsalsegments
und verloren sich nach oben hin in der Brücke. Die Pyramidenvorderstrang¬
bahnen waren normal. Der Befund sprach also mit grosser Sicherheit gegen die
Annahme einer secundären absteigenden Degeneration, und für das Vorliegen
einer primären oder doch relativ selbständigen Affection des Rückenmarks. Ver£
führt deshalb auch die Hemiplegie auf diese spinale Erkrankung zurück, wie er
überhaupt in seinem Fall eine Stütze für die Neisser’sche Ansohauung von den
gelegentlichen nicht-cerebralen (cerebellaren, bulbären, spinalen) paralytischen An¬
fällen sieht. Jedenfalls beweist der Fall, dass auch bei relativ langer Dauer der
halbseitigen Lähmung nicht nothwendig ein Hirnherd vorhanden sein muss. —
Erwähnenswerth ist ferner noch, dass Verf. in seinem Fall eine Degeneration des
Bechterew’schen Olivenbündels (Helweg’s dreikantiger Bahn) gefunden hat.
H. Haenel (Dresden).
27) Ophthalmoplegie interior als Frühsymptom der progressiven Para¬
lyse, nebst Bemerkungen zur Frühdiagnose der Tabes und Paralyse,
von Dr. Julius Donath. (Wiener med. Wochenschr. 1901. Nr. 15.)
Bei einem luetisch nicht inficirten Manne trat zuerst an dem einen Auge
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Lähmung des Sphincter iridis und unmittelbar darauf jene des M. oiliaris ein;
hierauf dasselbe am anderen Auge. Verschwinden der Lähmungen nach mehr¬
monatlicher Dauer in der Reihenfolge ihres Auftretens. 5 Jahre später beider¬
seitige reflectorische Pupillenstarre, nach weiteren 5 Jahren die ersten psychischen
Störungen, welche die progressive Paralyse diagnosticiren Hessen und nach 1 / 2 Jahr
zum Tode führten.
Verf. macht des Weiteren auf die diagnostische Bedeutung unregelmässiger
Pupillenränder für Tabes und Paralyse aufmerksam, weil dies eine Innervations¬
störung der Irismuskeln verräth. J. Sorgo (Wien).
28) Zur Frühdiagnose und Therapie der progressiven Paralyse, von Dr.
Carl Spengler. (Davos 1901.)
„Da die progressive Paralyse als unheilbar gilt, und es mir gelungen ist,
zwei Kranke mit progressiver Paralyse mittels antisyphilitischer und Schilddrüsen-,
Thymus- bezw. Gehirnbehandlung von ihrem Leiden zu befreien, möge es mir
gestattet sein, die Behandlungsmethode mitzutheilen.“ Nach dieser Einleitung
bespricht Verf. zunächst einige Initialsymptome, welche ihm bei seinen Patienten
besonders auffielen und zum Theil bisher garnicht berücksichtigt worden sind.
Als charakteristisch findet er beim Paralytiker eine unverständliche Unschlüssig¬
keit und Reservirtheit, weil der Kranke bestrebt ist, die bei sich wahrgenommene
Gedächtnissabnahme vor seiner Umgebung zu verbergen. Als Compensation dieser
erzwungenen Reserve macht sich dann oft ein ebenso unverständliches explosives
Auftreten des Kranken bemerkUch. Als weitere wichtige Zeichen werden hervor¬
gehoben ethische Defecte, krankhafte Empfindlichkeit und das Gefühl der Zurück¬
setzung. Als Beispiel hierfür führt Verf. Shakespeare’s Hamlet als einen Fall be¬
ginnender Paralyse an. Bei den Schriftstörungen nennt er als auffällig das
WeglasBen von Endbuchstaben und Endsilben als Folge der Zerstreutheit, und das
Verstellen von Buchstaben, weil die Kranken durch ihren Gedächtnissdefect nicht
mehr wissen, wie das Wort geschrieben wird. Charakteristisch ist ihm endlich
die vom Paralytiker frühzeitig und sehr unangenehm bemerkte Herabsetzung der
Hauttemperatur, besonders der unteren Körperhälfte.
Die Paralyse ist selbst kein unmittelbares, sondern ein mittelbares syphi¬
litisches Leiden, wahrscheinlich hervorgerufen durch eine Schädigung der Schild¬
drüse durch Syphilisgift, welches — von der Schilddrüse abgefangen und trans-
formirt, d. h. thyreoidirt, an den Kreislauf zurückgegeben — als paralyBirendes
Gift zur Wirkung gelangt. Die Therapie hat deshalb ins Auge zu fassen: 1. Er¬
satz der ausgefallenen Schilddrüsenfunction durch künstUche Drüsenzufuhr, fern»
Heilung der latenten Syphilis durch Quecksilber, Beseitigung der allgemein toxi¬
schen Erscheinungen der Paralyse. 2. Heilung der Metasyphilis durch dieselben
Maassnahmen. 3. Bekämpfung des Hypothyreoidismus, wenn die Schädigung der
Schilddrüse schon irreparable Dimensionen angenommen hatte.
Die Einzelheiten des Heilverfahrens mit dem Mercolint-Schurz Blaschko's
und den Organpräparaten (Aiolin, Thymus und Gehirn) müssen im Original nach¬
gelesen werden. Die beiden mitgetheilten Fälle sind nicht nur bezüglich der
„Heilung“, sondern auch hinsichtlich der Diagnose anfechtbar, namentlich der
zweite, eine Paralyse auf hereditär-syphilitischer Basis bei einem 18jähr. Manne.
E. Beyer (Littenweiler).
29) Ueber eine neuartige Form von Paramnesie, von A. Pick. (Jahrbücher
f. Psych. u. Neur. XX. S. 1.)
Das Wesen der Störung besteht darin, dass der davon betroffene Kranke
das Continuum eines einmaligen Erlebnisses in seiner Erinnerung als ein doppeltes
y Google
1109
oder mehrfaches aufbewahrt, während bei den bekannten Paramnesieen die Em¬
pfindung vorliegt, eine eben sich vollziehende Situation schon einmal durchlebt
zu haben.
Der der Arbeit zu Grunde liegende Fall betrifft einen 48jähr. Paralytiker.
Aus der ungemein sorgfältig geführten und ausführlich mitgetheilten Krank¬
heitsgeschichte ergiebt sich als das interessanteste Symptom bei dem Kranken
eine ganz eigenartige Gedächtnisstörung. Abgesehen von allerlei gewöhnlichen
ErinnerungBfalschungen zeigt sich, dass dem Kranken eine continuirliche Reihe
von Erlebnissen in der Erinnerung in ein Mehrfaches zerfällt, dessen einzelne
ziemlich gut in der Erinnerung haftende Theile dem Kranken selbst dann als
eine Wiederholung des ersten derselben imponiren.
Die ersten Andeutungen davon Hessen sich erkennen, als Pat. gelegentlich
eines Besuches bei seinem Schwager meinte, dass ihm Alles „so bekannt“ vorkäme,
d. h. der Kranke, der in gesunden Tagen die Häuslichkeit seines Schwagers ge¬
wiss immer für identisch gehalten hätte, hat jetzt nicht mehr die Empfindung des
vollständigen Zusammenfallens der dieselbe umfassenden Erinnerungsbilder mit dem
frischen Sinneseindrucke; noch einen Schritt weiter und es fällt die Identität der
Beiden ganz auseinander, der einer bestimmten Häuslichkeit entsprechende Com-
plex von Erinnerungsbildern und der neue Eindruck derselben decken sich nicht
mehr, sie sind für den Kranken zwei geworden. So behauptet Pat., er habe in
demselben Orte zwei Brüder des gleichen Namen, des gleichen Berufes mit der
gleichen Zahl von Kindern, die die gleichen Namen trügen; er erkennt gelegent¬
lich eines Ausganges seine Wohnung nicht und erzählt ganz erstaunt, dass an
allen möglichen fremden Thüren sein Name zu sehen sei, er spricht mit Pick
und erzählt von zwei anderen Proff. Pick, die er consultirt habe u. s. w. Das
Continuum seines Aufenthaltes auf der Klinik zerfällt dem Pat. in eine Zweiheit
von verschiedenen Anstalten, als deren eine ihm, wie aus seinen Angaben hervor¬
ging, ersichtlich die Wachabtheilung, als deren zweite die sogen, ruhige Abtheilung
imponirte. Die Continuität an dem Wesentlichen seiner Erlebnisse ist dem
Kranken nicht zum Bewusstsein gekommen, der Einfluss äusserer, für die Be-
urtheilung des Zusammenhanges der Erlebnisse wenig belangreicher Einzelheiten
wird ein überragender, mit Wernicke: Das Bewusstsein der KörperUcbkeit und
der Persönlichkeit ist ungestört, die Störung verläuft im Bewusstsein der Aussen-
welt Pilcz (Wien).
30) Ein zweiter Beitrag zur gekreuzten Deviation der Augen und des
Kopfes, von J. Bresler. (Psychiatr. Wochenschr. 1901. Nr. 10.)
Verf. sah bei einer paralytischen Frau Anfälle mit nystagmusartigem Zucken
der Augen nach links und gleichseitiger Drehung des Kopfes; in den Pausen
zwischen den Anfällen trat ein beständiger Nystagmus nach rechts auf, während
der Kopf leicht nach rechts gewandt war. In den späteren Anfällen aber zeigte
sich Verdrehung des Kopfes nach rechts und starke horizontale Zuckungen der
Augen nach links. An Stelle der coniugirten Deviation war somit eine gekreuzte
getreten.
Da beim Sehen nach rechts refiexmässig der Kopf ebenfalls nach rechts ge¬
dreht wird, da es einer besonderen willkürHchen Anstrengung bedarf nach der
einen Seite zu sehen und nach der anderen den Kopf zu drehen, so kommt man
mit der Annahme einer Herderkrankung nioht aus, um die letzterwähnten Anfälle
zu erklären. Hypothetisch muss man vielmehr voraussetzen Ausschaltung des
normalen Reflexcentrums der ooniugirten Deviation, sowie Reizung des Centrums
für Seitwärtsbewegung der Augen in der einen Hemisphäre und Reizung des
Centrums für Kopfbewegungen in der anderen Hemisphäre. Noch schwieriger ist
Digilizedby G00gle
1110
da* Zustandekommen des Nystagmus in der anfallsfreien Zeit zu erklären. Die
Section gab auch keine Aufklärung für die gekreuzte Deviation.
Ernst Schultze (Andernach).
31) Un oas de paralysie gdndrale aurvenue pendant une ayphilia aecon-
dalre, par Ren6 Serrigny (Marsens-Schweiz). (Annales mädico-psycbo-
logiques. Nov./Dec. 1900.)
Aeusserst rapid verlaufender Fall, der mit Jackson’schen epileptischen In*
sulten und apoplectiformen Erscheinungen einherging.
Passow (Meiningen).
82) Beoherohea aur le' reflexe plantaire dana la paralysie gdndrale, par
Ardin-Delteil et Rouviäre. (Archivea de neurologie. December 1900.)
Ein weiterer Beitrag zu der bereits über genug ventilirten Frage; leider
bezieht sioh die Untersuchung auf Kranke, ohne dass man den doch nicht gar so
lange mehr bevorstehenden Exitus abwartete, um die so nöthigen anatomischen
Befunde auch zu besitzen. Passow (Meiningen).
33) Beitrag zur Dementia paralytioa beim weiblichen Geschlecht, von
Jahrmärker (Marburg). (Allg. Zeitschr. f. Psych. LVIIL S. 1.)
Von 1877—1897 wurden in der Marburger Klinik 64 paralytische Frauen
behandelt, im Verhältniss zu den Männern 1:7. Die Zahl der Erkrankungen
nahm im letzten Jahrzehnt zu. Vorwiegend entstammten die Erkrankten den
niederen Volksschichten. Aetiologisch waren Noth und Sorgen, in dem dritten
Theil — abgesehen von verdächtigen Fällen — sicher Lues von Bedeutung, selten
dagegen hereditäre Belastung. Die Kranken waren meist zwischen 40 und 50 Jahren
bei der Aufnahme, durchschnittlich 43 Jahre und 6 Monate. Den Einfluss des
Klimakteriums hält der Verf. für geringfügig; Potus war 6 Mal erwähnt worden.
In den meisten Fällen ftberwog die geistige Schwäche; die vorkommenden Er¬
regungszustände erreichen meist nicht die Höhe wie bei Männern. Eine Abnahme
der Zahl der paralytischen Anfalle wurde ebenso wenig feetgestellt, wie eine ge¬
ringere Ausbildung der makroskopischen anatomischen Veränderung. Die Er¬
krankungsdauer betrug durchschnittlich 2 Jahre und 6 Monate. Bemerkenswerth
sind zwei ausführlich wiedergegebene Fälle, in denen Anfangs der somatische und
psychische Befund mit grosser Wahrscheinlichkeit auf Paralyse schliessen liess,
nunmehr aber der bei grosser Verblödung eingetretene Stillstand seit 10 bezw.
16 Jahren die Diagnose zweifelhaft macht. Aschaffenburg (Heidelberg).
34) Cerebrasthenia luetioa oder Paralysis inoipiensP von P&ndy. (Psych.
Wochenschr. 1901. Nr. 52.)
Eine bestimmte Entscheidung, ob die mit sicherer Lues associirte Cerebrasthenie
eine beginnende Paralyse ist, ist im Einzelfalle nicht zu treffen, zumal da nach
Verf. träge Reaction der Pupillen, verengte Pupillen, verschiedenes Verhalten der
Pupillarreaction auf beiden Augen, sowie Facialisparese auch bei Neurasthenikern
Vorkommen kann. Verf. erörtert auch das Verhältniss von Paralyse zur Lues;
ohne Lues giebt es keine Paralyse; ebenso ist Verf, auch überzeugt, dass die
Lues allein dazu genügt, Paralyse oder Tabes zu produciren.
Ernst Schultze (Andernach).
1111
36) Ueber allgemeine progressive Paralyse der Irren vor Abschluss der
körperlichen Entwickelung, von W. Frölich. (Inaug.-Dißs. Leipzig 1901.)
Die Dissertation lehnt sich eng an die 1895 erschienene Arbeit von Alz¬
heimer über „Die Frühform der allgemeinen progressiven Paralyse“ an. Die
38 Fälle enthaltenden Tabellen dieses Autors werden unter Beibehaltung des
Alzheimer’schen Schemas auf 83 erweitert, die Casuistik wird um 2 vom Verf.
beobachtete Fälle bereichert.
I. Bergarbeiter H., geboren 1877. Vater an Paralyse gestorben. Pat. selbst
körperlich zurückgeblieben, geistig gut entwickelt. Mit 19 Jahren Kopftrauma,
schon vorher längere Zeit Kopfschmerzen. Im Anschluss an das Trauma psychische
Depression, Abnahme des Gedächtnisses und „Zerstörungssucht“; nach l'/ 2 Jahren
Schlaganfall, kurz darauf Aufnahme in die Irrenanstalt Untergöltsch. Infantiler
Habitus. Tremor in Zunge und Mundmusculatur; paralytische Sprachstörung,
leicht atactische Bewegungen, gesteigerte Patellarreflexe, Romberg’sches Phä¬
nomen. Labile Stimmung; Aufmerksamkeit, Gedächtniss, Urtheilskraft hochgradig
defect. Im Verlauf eines Jahres zunehmende Demenz und Marasmus, wiederholt
paralytische Anfälle, Tod ein Jahr nach der Aufnahme und nach mindestens
2 1 /2jäbriger Krankheitsdauer. Die Section ergab makroskopisch den bei Paralyse
gewöhnlichen Befund.
II. Fabrikarbeiter B., geboren 1877. Vater 30jährig an Paralyse, 6 Ge¬
schwister klein an Krämpfen gestorben. Pat. selbst litt im 3. Lebensjahr vor¬
übergehend an Krämpfen, blieb in der geistigen Entwickelung deutlich zurück.
Im 18. Lebensjahr wiederholt Anfälle von Parese und Zittern des rechten Arms,
ein Jahr später dasselbe links, gleichzeitig Verschlechterung der Sprache und Ab¬
nahme der Intelligenz. Zwei Jahre nach dem ersten Anfalle Aufnahme des nun¬
mehr stark dementen und unreinen Pat. in die Anstalt. Bei der Aufnahme
Kachexie, Contracturen, Decubitus. Differenz und träge Reaction der Pupillen,
Sprachstörung, Schlingbeschwerden, Steigerung der Patellarreflexe. Psychisch
deprimirt, stumpf. Nach einer etwa 1 / 2 jähr. Remission rasches Fortschreiten der
Erkrankung, keine weiteren Anfälle, Tod ein Jahr nach der Aufnahme und nach
mindestens 3 1 / z jähr. Krankheitsdauer. Bei der Section makroskopisch gewöhn¬
licher Paralysebefund.
Verf. kommt auf Grund seines erweiterten statistischen Materials im Grossen
und Ganzen genau zu denselben Ergebnissen wie Alzheimer; die zwei Punkte,
in denen er von diesem Autor abweicht, formulirt er dahin:
1. „Wenn man von Lues hereditaria und von denjenigen Formen erblicher
Belastung absieht, die mit grösster Wahrscheinlichkeit auf Lues zurückgefiihrt
werden können, so ist die hereditäre Belastung jugendlicher Paralytiker nicht
grösser als die Erwachsener.“
2. „Das männliche Geschlecht ist wahrscheinlich auch an der Frühform der
Paralyse stärker betheiligt als das weibliche; das numerische Verhältnis würde
nach der Statistik etwa das von 4:3 sein.“ Max Neumann (Karlsruhe).
36) Een geval van infiantiele progressive paralyse, door J. P. L. Holst
(Psychiatr. en neurol. Bladen. 1900. S. 100.)
Ein 12 Jahre alter Knabe hatte 2 Wochen nach seiner Geburt ein seiner
Natur nach nicht bekanntes Exanthem gehabt und war danach in der Entwickelung
zarückgeblieben, lernte spät gehen und konnte im Alter von 6 Jahren nicht so
gut gehen wie normale Kinder von demselben Alter, er fiel leicht um, wenn er
gestossen wurde. Hände und Füsse waren häufig cyanotisch. In der Schule
leimte er gut. Einige Zeit nach einem Schlage auf den Kopf bekam Pat. Anfälle
1112
von Bewusstlosigkeit, nach denen er verwirrt war. Nach einem heftigen der¬
artigen Anfalle wurde Pat. in einem Krankenhause behandelt Von da an wurden
psychische Störungen beobachtet und die Geisteskräfte nahmen fortschreitend ab.
Bei der Aufnahme am 10. Februar 1899 machte Pat den Eindruck sehr geringer
psychischer Fähigkeiten. Er verstand nicht, was zu ihm gesagt wurde, führte
von ihm verlangte Bewegungen nicht aus, sein Wortschatz umfasste nur wenige
Worte. Das Gesicht glich dem eines alten Mannes, die Gesichtazüge waren un¬
symmetrisch, die Gesichtsfalten waren auf der rechten Seite tiefer als auf der
linken, beim Sprechen wurde der rechte Mundwinkel in die Höhe gezogen, in
der Ruhe zeigte die rechte Gesichtshälfte convulsivische Bewegungen; die rechte
Augenspalte war enger als die linke. Die Pupillen waren gleich und reagirten
träg auf Licht Der Gang war breitspurig, steif, von der geraden Richtung ab¬
weichend. Die Beine waren etwas rigid, Knie- und Achillessehnenreflexe waren
gesteigert Pat. war unreinlich, Harn und Koth gingen unfreiwillig ab. Beim
Essen musste dem Pat. geholfen werden. Die Nahrungsaufnahme liess nichts zu
wünschen übrig, trotzdem nahm aber das Körpergewicht ab. Krämpfe traten in
der Anstalt nicht auf. Ende Juni wurde Lähmung der linken Glieder bemerkt,
Pat konnte weder gehen, noch stehen; die Lähmung des linken Armes nahm
allmählich wieder ab. Ein Geschwür am linken Fusse, das sich Anfang Mai ge¬
bildet hatte, heilte nicht Alle Berührung erregte Schmerzensäusserungen. Später
war die linke Pupille grösser als die rechte, es bestand reflectorische Pupillen-
starre bei Lichteinfall. Am 24. October trat der Tod ein.
Bei der Section fand man die Dura mater mit dem stellenweise verdickten
und der Diploe entbehrenden Schädeldecke verwachsen, etwas verdickt, die Pia
mater stark verdickt, zeigte chronische Leptomeningitis, sie war stellenweise mit
der Hirnmasse verlöthet. Die Hirnwindungen waren klein, die Sulci weit, Ano¬
malien im Verlauf waren, ausser Vermehrung der secundären Windungen vor dem
Parietallappen, nicht vorhanden. Beide Nn. optici waren zu dünn, der linke
Tractus opticus verlief geschlängelt. Die Seitenventrikel waren erweitert und
enthielten viel Flüssigkeit. Beiderseits am Nucleus caudatus, am Thalamus, am
Ganglion habenulae, wie auch am Boden des 4. Ventrikels fanden sich Granu¬
lationen, die Oberfläche der Corpora quadrigemina zeigte geringere Unebenheiten.
Die Plexus chorioidei waren stark entwickelt.
Die Rinde war überall bedeutend dünner als normal. Die erste Lage der
Rinde war schmal und zeigte Vermehrung der Kerne, die übrigen Lagen waren
nicht von einander zu unterscheiden; die Zellen lagen nicht mehr in Reihen.
Ueberall sah man kleine Gefasse in abnorm grosser Anzahl, stellenweise waren
die perivasculären Räume stärker mit dunkel gefärbten Elementen gefallt; die
untere Lage der kleinen Pyramidenzellen zeigte viele Kerne; die Ganglienzellen
waren in ungleichmässiger Vertheilung an Zahl stark vermindert. Die weisse
Substanz der Windungen war schmal, mit vielen Kernen; die Gefasse zeigten
hyaline Verdickung der Wandungen. Die Kerne der kleinen Pyramidenzellen
waren geschwollen, die der grossen Pyramidenzellen waren ai\ Zahl vermindert
und stark degenerirt, auch hier waren die Zellkerne, wo sie noch vorhanden
waren, geschwollen wie in den kleinen Pyramidenzellen. Die Pyramidenzellen
waren von grossen perivasculären Räumen umgeben, die von feinen Protoplasma¬
brücken durchzogen waren, die zu den Zellkörpern zu gehören und übrig ge¬
bliebene Reste von geschwundenen Zellen zu sein schienen. Die meisten Zellen
waren verkleinert, die Spindelzellen ziemlich viel. Die Neuroglia war stark in
Wucherung begriffen. Mit Ausnahme einer dicken Schicht direct unter der Pia
waren in der ganzen Rinde die Kerne stark vermehrt, besonders in den tiefen
Theilen der kleinen Pyramidenschicht, Neurogliakerne sah man nur einzelne. Da?
Endothel der stark vermehrten kleinen Gefasse und Capillaren war vielfach ge-
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Digiliz
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schwunden, hyalin. Die Capillaren der grauen Substanz waren gerunzelt, mit
wechselndem Caliber des Lumens, verdicktem Endothel. Die extra- und intra-
vasculären Räume zeigten viele Kerne. Auch im Kleinhirn wie im Rückenmark
fanden sich Zellenveränderungen. Im Rückenmark waren die Hinterstränge in*
tact, der linke Pyramidenseitenstrang zeigte in seinem äusseren Theile Degeneration.
Walter Berger (Leipzig).
HL Aus den Gesellschaften.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 11. November 1901.
Herr F. Krause: Heber einen Fall schwerer Trigeminusneuralgie mit
Narbenepilepsie; Erfolg duroh Exstirpation des Ganglion GasserL
Der 48jährige Kranke ist erblich insofern belastet, als seine Grossmutter im
Irrenhause gestorben ist, hat aber früher nie nervöse Störungen gehabt. Ostern 1897
erlitt er eine Verletzung am linken Supraorbitalrand, und im Anschluss hieran
entwickelte sich eine schwere Trigeminusneuralgie auf derselben Seite. 1898
wurde anderwärts der Infraorbitalis, 1899 der 2. Ast'an der Schädelbasis nach
Lücke-Krönlein, 1900 der 3. Ast resecirt, ohne dass Heilung eintrat. Die
zweite Operation hatte nach einigen Wochen Krampfanfälle mit Verlust des Be¬
wusstseins im Gefolge; die Krämpfe traten zuweilen Tage lang hinter einander
täglich zu mehreren auf, zuweilen nach 14tägiger Pause. Die fortbestehende
Neuralgie und die hinzugetretene Reflexepilepsie machten den Manu vollständig
erwerbsunfähig und brachten ihn im Jahre 1901 zum Selbstmordversuch.
Am 13. September 1901 Aufnahme ins Augusta-Hospital. Die linksseitige
Neuralgie betraf alle 3 Aeste, eigentliche Anfalle mit schmerzfreien Pausen waren
nicht vorhanden, die Schmerzen hielten vielmehr lange Zeit bis zu mehreren
Tagen an und exacerbirten zuweilen zu unerträglicher Heftigkeit; in den letzten
Wochen bestanden sie ununterbrochen. Wiederholt wurden Krampfanfälle folgenden
Charakters auch von ärztlicher Seite beobachtet: Der Kranke lag bewusstlos im
Bett auf dem Rücken, die Pupillen waren mittelweit, reagirten nicht auf inten¬
siven Lichtreiz; die Hände waren zu Fäusten geballt, die Beine, zunächst krampf¬
haft gespannt in Streckstellung, führten dann klonische Zuckungen aus; der Körper
war von profusem Schweiss bedeckt. Nach Beendigung des etwa 3 Minuten
dauernden Anfalles reagirte der Kranke weder auf Anrufen noch auf tiefe Nadel¬
stiche; dagegen wurde die bisher keuchend-stertoröse Athmung freier. Durch
Druck auf die Narbe am Joohbogen (Folge der 2. Operation) liess sich sowohl
ein neuer Anfall auslösen, als auch während der Abnahme der klonischen Krämpfe
deren Heftigkeit sofort steigern. Nach dem Anfall bestand Bewusstlosigkeit,
Schlafsucht und Verwirrtheit. Da die Krämpfe ferner ohne seelische Erregungen ein¬
setzten und die Zuckungen keine Spur von Willkür wahrnehmen Hessen, handelte
es sich um epileptische.
Die Excision der sehr tiefen, mit Jochbogen und Oberkiefer verwachsenen,
bis in die Fossa sphenomaxillaris reichenden Narbe wäre nicht allein sehr schwierig,
sondern auch nutzlos gewesen, da sie wiederum ausgedehnte, dem Periost und
Knochen adhärente Narben erzeugt hätte. Dagegen war durch Exstirpation des
GangHon Gasseri und des Trigeminusstammes eine sichere Leitungsunterbrechung
von jener Operationsnarbe her nach dem Centralorgan zu erzielen, und, wenn die
Hirnrinde selbst noch nicht dauernd gelitten hatte, konnte die GangHonexstir-
pation zur Heilung führen. Umsomehr war diese Operation berechtigt, als auoh
eine günstige Einwirkung auf die Trigeminusneuralgie zu erwarten war, obwohl
Digitizeö by GoOqIc
1114
letztere nicht die typische Form darstellte. Am 7. October wurde die Operation
au8gefiihrt. Nach Einleitung der Chloroformnarkose trat beim Seifen der Joch¬
bogennarbe ein Krampfanfall von obigem Charakter ein und hörte erat mit zu¬
nehmender Betäubung auf; dieser Anfall war bis zum heutigen Tage der letzte.
Nach 8 Tagen stand der Kranke auf, 10 Tage später war die Vernarbung be¬
endet. Die Trigeminusneuralgie ist verschwunden, der Kranke ist heiterer Stimmung,
während er vorher äusserst reizbar und unglücklich gewesen. Selbst starker Druck
auf die Jochbogennarbe löst keinen Anfall mehr aus. Von Heilung darf nach so
kurzer Zeit (5 Wochen) nicht gesprochen werden; da der Kranke aber in seine
weit entfernte Heimath reisen muss, wird er vorgestellt. Zudem kann man von
wirklicher Heilung erst nach vielen Jahren reden. In letzterer Beziehung er¬
örtert Vortr. seine Ansicht an einem anderen Fall von operativ behandelter
Epilepsie.
Ein jetzt fast 24 Jahre altes Mädchen hatte im Alter von 2 Jahren eine
schwere Gehirnentzündung überstanden. Im 4. Lebensjahre traten Krampfe au£
die in der linken Gesichtshälfte, im linken Arm oder Bein begannen und von
stunden- ja tagelanger Bewusstlosigkeit gefolgt waren. Es entwickelte sich voll¬
kommene Idiotie. Bei der Aufnahme ins Altonaer Krankenhaus 1893 war der
linke Arm atrophisch, die Bewegungen der linken Hand atactisch, die rechte
Kopfhälfte auf Beklopfen schmerzhaft, keine Stauungspapille, keine Hemianopsie.
Die Kranke erweckte den Eindruck einer Blödsinnigen. Die Krampfanfalle wurden
längere Zeit beobachtet, sie begannen mit Zuckungen im linken Vorderarm und
in der linken Hand, setzten sich auf den linken Oberarm, das linke Bein, zuletzt
auf den ganzen Körper fort und hinterliessen vollkommene Bewusstlosigkeit. Am
16. November 1893 wurde ein grosser Wagner’scher Lappen auf der rechten
Kopfseite gebildet, das Centrum für den Arm durch elektrische Beizung
bestimmt, unter diesem durch Punction eine Cyste festgestellt und deren
fast wasserklarer Inhalt entleert. Drainage der encephalitischen Cyste bis
zum 27. October 1893. Während des ungestörten Wundverlaufes noch sieben
Amälle, 19. December geheilt entlassen. Nach nochmaligem Rückfall vom Januar
1894 ab rasche geistige Besserung. Das Mädchen ist seitdem wieder unterrichtet
worden, hat (jetzt fast 8 Jahre) keinen Anfall mehr gehabt, beschäftigt sich in
normaler Weise mit dem Haushalte, besucht Vergnügungen und liest viel; sie
macht den Eindruck einer mittelbegabten, aber geistig normalen Person.
Die linke Hand ist wesentlich kräftiger geworden, die atactischen Bewegungen
sind verschwunden. Diese Kranke hat Vortr. erst im Jahre 1900 vor seiner
Uebersiedelung nach Berlin im Hamburger Aerzte-Verein vorgestellt und, da seit
der Operation damals 67, Jahre verstrichen waren, als geheilt bezeichnet. Die
Heilung besteht auch heute noch fort. (Autoreferat.)
Herr Jastrowitz richtet an den Vortr. die Frage, wie die Narbe, von
der aus es vor der Operation gelang, epileptische Amälle auszulösen, sich jetzt
gegen Druck verhält.
Herrn Remak ist die Entstellung des Kranken aufgefallen, die durch
Fehlen der Querfalten der linken Stirnhälfte bedingt und zweifellos durch eins
Durchschneidung der oberen Aeste des Facialis hervorgerufen ist R. fragt den
Vortr., ob diese Durchschneidung eine nothwendige Folge der Operation ist.
Herr Krause bemerkt, dass Druck auf die Narbe jetzt keinerlei An¬
falle mehr hervorruft. Was die Durchschneidung des Facialis angeht, so
ist sie nicht eine Folge der von ihm angegebenen Operationsmethode; die
Parese der Stirnmusculatur bei dem Kranken ist eine Folge der zweiten
anderwärts an dem Pat. vorgenommenen Operation und ist eine kaum zu ver¬
meidende Folge der Krön lein -Lücke’schen Schnittführung. Letztere Operation
ist nach des Vortr. Ansicht übrigens technisch nicht leichter als die Exstirpation
Druck von
& Willis
GooqI
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des Ganglion Gasseri; zudem ziehe sie oft, so auch bei dem vorgestellten Pat., eine
narbige Kieferklemme nach sich, die bei Wiederkehr der Trigeminusneuralgie
naturgemäss noch erheblich nachtheiliger sei, als sonst.
Herr J. Krön: Ein Pall von Arsenikl&hmung. (Krankenvorstellung aus
der Mendel’schen Klinik.) (Wird ausführlich in diesem Centralblatt erscheinen.)
Herr Toby Cohn demonstrirt 2 Fälle aus der Mendel’schen Poliklinik:
1. Dystrophia musoulorum progressiva oder spinal-neurotische Muskel¬
atrophie. (Wird ausführlich in diesem Centralblatt erscheinen.)
2. Bei einer 34jähr., wahrscheinlich früher syphilitisch inficirten Frau mit
einem schweren Mitralfehler sind innerhalb von 4 Jahren mehrere „Schlag“-Anfalle
aufgetreten, deren jeder einen Fortschritt in der Krankheit gebracht hat: Es be¬
steht jetzt rechts Hemiplegie mit Finger- und Zehenathetose, links spastische
Parese, bulbärer Symptomencomplez (Salivation, Schluckstörung, bulbäre Sprache),
ausserdem Aphasie, theils motorischer, theils sensorischer Art. (Autoreferat.)
Die Discussion Aber die Demonstrationen wird vertagt.
DiscuBBion über den Vortrag des Herrn Juliusburger: Zur Lehre von den
Zwangsvorstellungspsyohosen (vgl. d. Centralbl. 1901. S. 731).
Herr Mendel stimmt Herrn Juliusburger darin bei, dass es Fälle giebt,
in denen Zwangsvorstellungen zu Psychosen führen können, glaubt auch, dass es
Uebergänge von Zwangsvorstellungen zu Wahnvorstellungen giebt, M. glaubt aber
nicht, dass es Zwangsvorstellungen giebt, wenigstens nicht solche, die dem ent¬
sprechen, was man in der Psychiatrie bisher darunter verstanden hat, bei denen
Krankheitseinsicht nicht besteht oder solche, die mit Gehörshallucinationen ein¬
hergehen. Bekanntlich rührt die erste classische Schilderung jener Zustände, in
denen Zwangsvorstellungen die Hauptrolle spielen, von Griesinger her, v. Krafft-
Ebing hat dieselben im Jahre 1867 mit dem Namen „Zwangsvorstellungen“ be¬
legt und Westphal im Jahre 1877 eine zusammenfassende Schilderung jener
Zustände gegeben. Unter „Zwangsvorstellungen“ hat man eine bestimmte Krank¬
heitsform verstanden. (Griesinger nennt sie „einen wenig bekannten psycho¬
pathischen Zustand“.) Neuerdings macht sich das Bestreben bemerkbar, die patho¬
genetischen Beziehungen dieser Zustände zu verschieben, insofern manche Psychiater
mit dem Namen Zwangsvorstellungen Symptome belegen, die bei den verschiedenen
Krankheitsformen Vorkommen. Die Erweiterung dieser symptomatologischen Be¬
griffe hält M. nicht für richtig und für geeignet, zu Verwirrung zu führen. Es
ist nach M.’s Ansicht nicht statthaft, bei irgend welchen Psychosen vorkommende
Wahnideen oder dergleichen, nur weil sie mit dem, was man gemeinhin Zwangs¬
vorstellungen sensu strictiori nennt, äussere Aehnlichkeit, das Hervordrängen, das
Zwangartige haben, mit dem gleichen Namen zu belegen. Schliesslich ist jede Wahn¬
vorstellung eine Zwangsvorstellung. Es handelt sich ferner dabei in der Regel
um Vorstellungen, welche auf dem Boden irgend einer Neurose oder Neuro-
psychose erwachsen, deren Genese sich auch meist bei sorgfältigem Examen der
Pat. erweisen lässt. Sehr oft sind es hypochondrische Zustände, die als Ursache
der betreffenden Vorstellungen anzusehen sind, und gerade so, wie eB falsch wäre,
von einem Tabiker, der Schmerzen im Gebiete des Ischiadicus bat, zu behaupten,
er litte an Ischias, oder von einem Paranoiker oder Paralytiker, welcher an hy¬
pochondrischen Wahnvorstellungen leidet, er litte an Hypochondrie, so scheint es
M. nicht statthaft, zu sagen, ein Hypochonder, ein Paranoiker u. s. w., welcher
an besonders sich vordrängenden krankhaften Vorstellungen leidet, er litte an
Zwangsvorstellungen, so lange dieser Begriff als eine bestimmte Krankheitsform
festgebalten werden muss. M. fasst unter Zwangsvorstellungen Störungen der
normalen Association zusammen, die primär entstehen, bei denen volle Intelligenz
Digilizedby G00gle
1116
und Krankbeitseinsicht vorhanden sind, bei denen Hallncinationen stets fehles.
M. unterscheidet drei klinisch zu trennende Formen derselben:
1. Solche, wo sich plötzlich eine bestimmte Vorstellung in das normale
Denken hineinschiebt. (Beispiel: Ein Rechtsanwalt aus M.’s Praxis muss bei dem
Eintritt seiner Clienten oder sonst eines Menschen stets an das Aussehen der
nackten Füsse derselben denken.)
2. Solche mit zwangsweisem Denken im Contrast. Hierher gehört ein Theil
der Fälle von „Zweifelsucht“.
3. Solche mit zwangsweisem Denken in der Ideenfolge von Ursache und
Wirkung. Hierher gehören die ersten Fälle Griesinger’s.
Bei dem augenblicklichen Stand der Dinge wird nach M.’s Ansicht eine
Verständigung nicht leicht sein, sie ist aber jedenfalls anzustreben nach der
Richtung hin, dass man als Zwangsvorstellungen gemäss der historischen Ent¬
wickelung des Begriffes nur jene näher geschilderten Erscheinungsformen be¬
zeichnet. Verallgemeinert man die Bezeichnung, wendet man sie auf ein ge¬
legentlich unter den verschiedensten Bedingungen auftretendes Symptom an, so
schafft man nach M.’s Ueberzeugung Verwirrung.
Herr Jolly steht ganz auf dem Standpunkte des Vorredners und theilt
seine Forderung, den Begriff nicht zu weit auszudehnen. Auch J. hält die Kraak-
heitseinsicht der Pat. und das Fehlen von Hallucinationen für nothwendig. Eine
Rubrik vermisst er unter den von Mendel aufgestellten Formen, und zwar die
mit Impulsen verbundene (Beispiel: Vorstellung, beim Passiren einer Brücke von
derselben hinunterspringen zu müssen). Rechnet man die Gruppe hierzu, so hat
man für sie emotionelle Ursachen als bedeutungsvoll anzusehen. Diese Fälle hat
indes Westphal im Gegensatz zu v. Krafft-Ebing nicht zu den Zwangsvor¬
stellungen gerechnet. J. hält es für nothwendig und richtig, die beiden Formen,
die mit emotionellen und die mit associativen Störungen aus einander zu halten
und erstere symptomatologisoh auch als Zwangsvorstellungen anzusehen.
Herr Mendel sieht in den mit Impulsen verbundenen zwangsweise auf¬
tretenden Vorstellungen nicht eine gesonderte Gruppe, sondern nur eine graduelle
Steigerung. Meist indes entspringen „Brückenangst“ und ähnliche Phobieen nach
M.’s Erfahrungen hypochondrischen Vorstellungen, was sich auch bei einigermaasses
intelligenten Personen feststellen lässt. M. scheidet daher diese Gruppe aus den
Zwangsvorstellungen im Westphal'sehen Sinne aus.
Herr Jolly würde es für das Richtige halten, die Westphal'sehe Form
mit einem besonderen Namen (dem Sinne nach etwa der Bezeichnung „Zwangt-
vorstellungskrankheit“ entsprechend) zu belegen, im Uebrigen aber die Bezeichnung
„Zwangsvorstellungen“ nur symptomatologisoh zu fassen und anzuwenden.
Herr Mendel könnte sich mit dem Vorschläge Jolly’s einverstanden er¬
klären, da dadurch seine Forderung, ein Symptom nicht mit der Krankheit n
vermischen, wie es jetzt geschieht, erfüllt wird. Westphal bezeichnet« die
Zwangsvorstellungskrankheit mit abortiver Verrücktheit, M. selbst hat sie in
Uebereinstimmung mit Morselli als Paranoia rudimentaria in seiner Psychiatrie
beschrieben.
Herr Leppmann ist auf Grund subjectiver Erfahrungen zu der Ueberzeugung
gekommen, dass Zwangsvorstellungen häufig auf dem Boden körperlicher oder
psychischer Uebermüdung als Folgen von UnlustgefÜhlen entstehen, und zwar
spielen dann, auch bei ganz Gesunden, illusionistische Vorstellungen eine wesent¬
liche Rolle. In der Praxis handelt es sich meist um Steigerung neurastheniseber
ZuBtände. L. hat sich bemüht, feetzustellen, ob bei seinen Pat. neurasthenisebe
Vorstadien nachzuweisen waren und ferner, ob die betreffenden Vorstellungen erst
nach dem Einwirken einer gewissen Summe von Reizen, z. B. zu gewissen Tages-
ioogle.
* WSUIR
1117
Zeiten eintreten. Nach L.’s Ansicht würden dahingehende Untersuchungen das
Verständniss der betreffenden Zustande wesentlich erleichtern. Für unbedingt er¬
forderlich hält auch L. absolute Krankheitseinsicht.
Herr Juliusburger (Schlusswort) glaubt, dass seine Fälle den Beweis liefern,
dass absolute Krankheitseinsicht ebenso wie das Fehlen von Sinnestäuschungen
nicht erforderlich sind für die Auffassung manoher krankhafter Vorstellungen als
Zwangsvorstellungen. J.’s Ansicht nach ist die symptomatologische Auffassung
Wer nicke’s nicht geeignet, Verwirrung zu schaffen. Martin Bloch (Berlin).
XXX n. Jahres Versammlung der süd westdeutschen Irrenärzte in Karlsruhe
am 2. und 3. November 1901.
Herr Vorster (Stephansfeld) eröffnet die Versammlung und gedenkt des
verstorbenen Herrn Gessler (Emmendingen), dessen Andenken die Versammlung
durch Erheben von den Sitzen ehrt.
Den Vorsitz übernimmt dann Herr Ludwig (Heppenheim). Alsdann er¬
stattet Herr Kreuser (Schussenried) das übernommene Referat: Uober den Werth
der medioamentÖ8en Beruhigungsmittel bei Behandlung von Geisteskranken.
Nach einem kurzen Ueberblick über die Entwicklungsstufen einer psychia¬
trischen Behandlung der psychischen Erregungszustände versucht Vortr. aus einer
Analogie mit den Ergebnissen des physiologischen Experiments über die Er¬
müdungserscheinungen Anhaltspunkte dafür abzuleiten, dass und in wie weit
ein ärztliches Eingreifen bei denselben zweckmässig und nothwendig sei. Von
den hierzu geeigneten Mitteln werden neben der Beachtung allgemeiner psychia¬
trischer Grundsätze als specielle Mittel in erster Linie die Bettruhe und die
hydrotherapeutischen Proceduren genannt; sodann aber ausgeführt, dass neben
denselben nooh andere Mittel nur erwünscht sein können und dass Medicamente
unverkennbaren Nutzen bringen können, während sich deren Gefahren bei ge¬
nügender Erfahrung, Vorsicht und Individualisirung vermeiden lassen. Von den
in diesem Sinne verwendbaren Medicaraenten werden der Alkohol, die Brom¬
präparate, die Opiate, Chloralhydrat, Amylenhydrat (Dormiol), Paraldehyd, Hedonal,
Sulfonal und Trional, sowie das Hyoscin (Scopolamin) einer kurzen Besprechung
hinsichtlich ihrer wesentlichsten Indicationen und Contraindicationen unterzogen.
Herr Haardt (Emmendingen) berichtet: Ueber die neuen Anfhahme-
und Ueberwaohungsabtheilungen der Heil- und Pflegeanstalt bei Emmen¬
dingen.
Vortr. hebt die practische Bedeutung der Wachabtheilungen für die moderne
Irrenpflege hervor. Die Frage derselben wird immer wieder actuell bei Anstalts¬
neubauten und Veränderungen älterer Anstalten. Vortr. demonstrirt dann die
Pläne der Emmendinger Anstalt, die bereits 1896 entworfen und jetzt ausgeführt
worden sind.
In der jetzt 1 / a bezw. 1jährigen Dauer des Betriebes haben sich die neuen
Abtheilungen gut bewährt.
Bei der Bauausführung sind in erster Linie ärztliche Gesichtspunkte maass¬
gebend gewesen. Durch die Fürsorge des badischen Ministerium des Innern bezw.
dessen Medicinalreferenten war die Leitung der Bauten in die Hände des Arztes
gelegt und der Architect kam in verständiger Weise den Intentionen des¬
selben nach.
Mit grossem Interesse wurde der Vortrag des Herrn Neu mann (Karlsruhe):
Ueber Volksheilstätten für Nervenkranke entgegengenommen.
Den Anlass zu einer erneuten Besprechung des schon öfter erörterten Themas
itize’dby G00gle
1118
gab eine Umfrage des badischen Ministeriums an verschiedene Stadtverwaltungen
des Ministeriums des Grossherzogthums, wie es nach -den Verhältnissen des Lande*
mit dem Bedürfnisse nach einer für Minderbemittelte und Unbemittelte bestimmten
Nervenheilstätte bestellt sei. — Die Forderung von Volksheilstätten für Nerven¬
kranke, bereits vor zehn Jahren von Ben da angeregt, hat seitdem nicht auf¬
gehört, aus der Mitte der Fachkreise immer wiederzukehren, doch steht das,
was praktisch erreicht worden ist, hinter dem Angestrebten noch sehr bedeutend
zurück.
Von den in der Sache in Betracht kommenden Einzelfragen ist von
vornherein die Bedürfnissfrage erledigt Diese kann nach der allgemeine®
Erfahrung nur im bejahenden Sinne beantwortet werden. Statistisches Material
darüber liefern frühere Publicationen zur Genüge. Bezüglich der zur Aufnahme
genügenden Krankheitsformen wird eine Einigung schwerer zu erzielen sein. Nach
der Ansicht des Vortr. sollen Geisteskranke und schwere Epileptiker von der
Aufnahme ausgeschlossen sein, desgleichen solche organisch Erkrankte, die völlig
und dauernd fremder Hülfe und Wartung bedürftig sind. Bezüglich leichter
Fälle von Epilepsie und der leichteren Depressionszustände, sowie der nicht völlig
hilflosen organisch-nervös Erkrankten ist es am rathsamsten, dem jeweiligen Er¬
messen des Anstaltsleiters einigen Spielraum zu lassen. — Den Hauptbestand
werden die nervös Erschöpften, die Neurastheniker und Hysterischen bilden. Be¬
sonderer Werth wird daraufgelegt, dass auch die Anämischen und Chlorotischec
eine Stätte in den Anstalten finden. — Hinsichtlich der Geschlechter besteht
die Nothwendigkeit von Nervenheilstätten für das weibliche Geschlecht zum
mindesten in gleichem, wenn nicht noch höherem Maasse als für das männliche.
Die Errichtung geschlechtlich getrennter Anstalten ist aus verschiedenen Gründen
wünschenswert^ wird aber vielleicht am Kostenpunkt scheitern. — Was die
event. Angliederung der zu errichtenden Anstalten an schon bestehende Ein¬
richtungen betrifft, ist der Anschluss an die städtischen Krankenhäuser, die
Universitätskliniken und die Irrenanstalten für unzweckmässig, hingegen die Ver¬
bindung mit einzelnen der vorhandenen ländlichen Beconvalescentenhäuser durch¬
aus rationell und durchführbar. — Der wichtigste Punkt in der ganzen Heil¬
stättenbewegung ist natürlich die Deckungsfrage, ln Betracht kommen Staat,
Gemeinden, KrankenversicherangBanstalten (Kassen, Invaliditätsversicherungen,
Berufsgenossenschaften) und endlich Vereinigungen von Privatpersonen. Während
der Staat und die genannten öffentlichen Verbände sich der Unbemittelten,
d. h. wohl im Grossen und Ganzen der gesetzlich Versicherungspflichtigen anzu¬
nehmen haben werden, muss für den mindervermögenden Mittelstand in erster
Linie die private Wohlthätigkeit bezw. das private Unternehmen eintreten. Anf
die Nothwendigkeit von Mittelstandssanatorien wird ganz besonders hingewiesen.
— Zum Schlüsse macht er den Vorschlag, die Versammlung möge, nach dem
Beispiele des rheinländischen psychiatrischen Vereins, aus ihrer Mitte eine Com¬
mission mit der Aufgabe betrauen, die Heilstättenbewegung im geographischen
Bereiche der Versammlung zu fordern. (Autoreferat.)
DiscuBsion:
Herr Ludwig (Heppenheim) berichtet über den Erfolg, den der Hessische
„Hilfsverein“ in dieser Frage zu verzeichnen hat: In Lindenfels (Odenwald) wird
aus den Mitteln dieses Vereins ein Sanatorium errichtet. Zunächst stehen 9000 Mk.
zur Verfügung. Die Kranken der Invalidenversicherung werden dorthin überwiesen.
— Was die Erfolge solcher Sanatorien anlangt, so haben sich thatsächlich die
günstigsten Resultate hoi den Kranken gezeigt, wenn auch in Dresden bei ein»’
Versammlung der Vorstände der Invalidenversicherungsverbände die Ansicht
geäussert worden sei, dass bei chronisch Nervösen kein Mittel dauernd helfe. —
1119 *-
Der Nachweis, dass thatsächlich gute Erfolge erzielt werden können, muss
durch Privatwohlthätigkeit geführt werden, dann werde sich der Staat auch der
Sache annehmen. Die Krankenkassen und Armenverbände dürfen nicht mit
herangezogen werden, da die Anstalten für Kranke aus dem Mittelstand, die einen
niedrigen Verpflegungssatz zahlen können, bestimmt sind. L. ist für Trennung
der Geschleohter in den Anstalten. Die Kranken richten das Gesuch an die
praktischen Aerzte, die die Aufnahme befürworten. Dadurch wird der erwünschte
Contact der prakt. Aerzte mit der Anstalt hergestellt.
Herr Friedmann (Mannheim) weist auf das grosse Bedürfnis nach solchen
Anstalten hin. ln der Praxis wisse man häufig nicht, was man mit den Nervösen
anfangen soll. Man helfe sich damit, dass man den Leuten räth, zu Verwandten
auf's Land zu gehen u. dergl. Hier müsse eine systematische Hülfe geschaffen
werden und zwar iBt F. für Anschluss an bestehende Organisationen (Kranken¬
hassen und Berufsgenossenschaften). Die Mannheimer Krankenkassen haben
Genesungshäuser (für blutarme Mädchen und nervöse Männer) errichtet. Das
Mobilmachen der Privatwohlthätigkeit sei in Deutschland sehr schwer, viel
schwerer jedenfalls als in Amerika. Die Scheidung möchte F. in der Weise
vorgenommen haben, dass der Staat für die Unbemittelten, die Privatwohlthätig¬
keit für den Mittelstand sorgt. F. bittet formell zu beschliessen, dass die Ver¬
sammlung die Anregung der badischen Begierung begrüsst.
Herr Alzheimer (Frankfurt a./M.): Die Stadt Frankfurt hat die Errichtung
von zwei Häusern (von je 70 Betten und einen Verpflegsatz von etwa 2,50 Mk.
pro Tag) beschlossen. Dieselben werden im Taunus errichtet, durch ein Thal von
einer landwirtschaftlichen Kolonie chronisch Geisteskranker und Epileptiker ge¬
trennt.
Herr Smith (Marbach): Die Anfrage der Regierung gehe von einer Anregung
aus, die S. mit dem Medicinalreferenten des badischen Ministeriums ins Werk
gesetzt habe. Es habe sich ursprünglich um Alkoholkranke gehandelt. S. habe
den Namen Nervenheilstätte nur vorgeschlagen, um das Odium der Alkoholisten
von denselben ferazuhalten.
Herr Wildermuth (Stuttgart) hat die vom Vortr. erwähnten Schwierig¬
keiten nicht nur in der Privatpraxis sondern auch als Leiter eines Kranken¬
hauses empfunden. Hält es für humaner, auch für körperlich Nervöse in ent¬
sprechender Weise zu sorgen, dagegen Geisteskranke und die Alkoholisten aus-
zuschliessen. Eine Trennung der Geschlechter will W. durchaus durchgeführt wissen.
Herr Fischer (Pforzheim) betont entgegen den Ausführungen von Smith,
dass die Anfrage des Ministeriums die Folge der Absicht gewesen sei, eine neue
Abtheilung in einer Anstalt in Baden für „Grenzfälle“ zu errichten. Die
Alkoholisten sollten in einer anderen Anstalt untergebracht werden.
Herr Fürstner (Strassburg): Eine Verbindung der Nervenheilanstalten mit
den Irrenanstalten oder gar den Trinkerheilanstalten sei energisch zu widerraten.
Ein Säufer sei kein Nervenkranker in dem gewöhnlichen Sinn. F. schlägt vor,
eine Commission für diese Frage zu ernennen und im nächsten Jahr dieselbe
eingehender zu behandeln. In den Nervenheilstätten sollten organisch Nerven¬
kranke (z. B. Tabiker) nicht ausgeschlossen werden. Dagegen müsse man die
durch Staatshülfe und die durch freie Wohlthätigkeit Verpflegten trennen.
Herr Gau pp (Heidelberg): In Schlesien haben die Genesungshäuser denLandes-
versicberungsanstalten als Nervenheilanstalten gute Dienste gethan. Die Kranken
wurden von G. darauf hin untersucht, ob sie gute Aussichten für die Heilung
bieten und nur dann zur Aufnahme empfohlen.
Herr Wildermut (Stuttgart): Die traumatischen Neurosen müssten unter allen
Umständen ferngehalten werden, weil sie den Ruin der Anstalten bedeuten würden.
Herr Fürstner fragt, wohin die Kranken der letzteren Art kommen sollten.
dv Google
1120
Herr Neumann (Schlusswort): Der Wortlaut und die Art der Anfrage war
derart, dass es sich offenbar um reine Nervenheilanstalten handelte, die nicht u
Irrenanstalten sondern an die städtischen Krankenhäuser angegliedert werden
sollen.
Das Thema wird auf der nächstjährigen Versammlung ein¬
gehend erörtert werden.
Herr Bartels (Strassburg): Ueber endophlebitische Wucherungen im
Centralnervensystem und seinen Häuten.
Vortr. demonstrirt mikroskopische Präparate und Zeichnungen von solchen.
Es handelte sich um, bisher in der patholog. Anatomie des Centralnervensystemä
wie anderer Organe nicht bekannte, endophlebitische Wucherungen. Klinisch bot
der Fall bei einer 33jährigen Frau (Anamnese ohne Belang) Convulsionen in
allen Extremitäten mit nachfolgenden Paresen: Starke Bewusstseinstrübungen,
unter freien Intervallen 3 1 /* Monate andauernd. Exitus unter dreitägigen Convul¬
sionen nach fast einmonatlicher Pause. Dabei Erbrechen, Kopfschmerz, Stau¬
ungspapille. Die Section ergab makroskopisch punktirte Hämorrhagien in
beiden inneren Kapseln und Stnramganglien, sowie in der Binde des linken
Schläfen- und Occipitallnppens. Das Bückenmark und seine Häute durchaus
normal. Mikroskopisch: Diffuse kleinzellige Infiltration des Gehirns, Bückenmarks
und ihrer Häute. Die Blutungen sind capillarer Natur. Die Arterien zeigten
meist Periarteriitis, während Muscularis und Intima stets intact waren, dagegen
weisen die Venen neben Periphlebitis und Phlebitis eine im ganzen Central¬
nervensystem verbreitete Endophlebitis epitheloider Natur auf.
Die Endophlebitis tritt theils in der Form kleiner Buckel auf, etwa von der
halben Grösse eines Nierenglomerulus, theils mehr gleichmässig die Intima ver¬
dickend. Sie findet sich an mittleren und kleinsten Venen, die zum Theil keine
Elastica besitzen. Eine dritte Form zeigt durchaus den Typus der Heubner'schen
Endarteriitis. Die buckelförmige Intimawucherung herrscht vor. Streckenweise
verschmelzen mehrere solcher Buckel. Das Lumen der Gefässe ist verengt, ja
verschlossen. Niemals findet sich, selbst wenn nur ein capillärer Spalt frei¬
geblieben ist, Thrombose. Der Ausgangsort der Wucherung ist zweifelhaft. Die
Zellen sind endothelialer Natur. Im Anfangsstadium sind nicht deutlich Zell¬
leiber abzugrenzen. Später bilden sich Protoplasmaklumpen mit mehreren Kernen,
in einzelnen Wucherungen liegen deutliche Kiesenzellen. In einem noch späteren
Stadium ordnen sich die Kerne wahrscheinlich concentrisch, die Zellleiber nehmen
Spindelform an, theils durch Ausläufer verbunden, ein reticuläres Netzwerk
bildend. In einigen Präparaten sieht man, wie neben den Zellen neugebildete
Fasern liegen, vielleicht ein elastisches Gewebe bildend. Aus der circumscripten
Buckelform scheint hervorzugehen, dass die Vasa vasorum den Beiz an das
Endothel bringen. Die Aetiologie ist nicht mit Sicherheit festzustellen, da die
Anamnese und der übrige Sectionsbefund keine Anhaltspunkte ergeben.
Vortr. nimmt Syphilis als wahrscheinlich an, an der Hand der Fälle in der
Litteratur, bei denen die übrigen Erscheinungen im Centralnervensystem ähnliche
waren. Eine grosszellige Endophlebitis ohne jegliche Endarteriitis beobachtete
Bieder constant im ersten Stadium des syphilitischen Primäraffects. Diese
Beobachtung unterstützt die Annahme, dass Lues als ätiologischer Factor vorliegt
(Autoreferat)
Herr Director Frank-Münsterlingen (Schweiz): Ueber Strafreehtspflag*
und Psychiatrie.
Wer als Psychiater Gelegenheit hat Strafprocesse zu verfolgen, sei es als
Experte, sei es durch die Lectüre der Gerichtsverhandlungen in den verschiedenes
Staaten, soweit sie in den Zeitungen berichtet werden, dem muss immer and
Google
\ von
1121
immer wieder aoffaHen, wie die menschliche Gesellschaft durch die herrschende
Rechtsprechung gefährdet wird in Folge der Unkenntniss der Richter in psycho¬
logischen und psychiatrischen Dingen im Allgemeinen. Aufgabe aller Psychiater
muss es sein, gegen die bisher übliche Stellungnahme der Strafrechtspflege zur Psy¬
chiatrie zu protestiren, um die Gesetzgeber, die aus derselben Schule, wie die Juristen
stammen, zu veranlassen, endlich einmal diesen dringenden Fragen näher zu treten.
Jeder Untersuchungsrichter, jeder Staatsanwalt hat bei jedem Angeklagten
die Diagnose auf geistige Gesundheit oder Krankheit zu stellen, da das Gesetz
die Verurtheilung eines Geisteskranken ausschliesst. So wenig es aber dem Richter
einfallen wird, auf Grund seiner eignen Untersuchung zu entscheiden, ob ein
Ijebensmittel gefälscht ist oder nicht, so wenig sollte er sich erst recht bei Be-
urtheilung des Geisteszustandes eines Menschen mit seinem eigenen Gutachten
begnügen. Er hat Recht zu sprechen: das Material dazu aber hat er sich von
Fachmännern geben zu lassen, soweit es sich eben dem Bereich seiner Kennt¬
nisse entzieht Doch bei Beurtheilung der geistigen Gesundheit eines Angeklagten
genügt es dem Richter, dass weder ihm, noch dem Staatsanwalt, noch dem Ge¬
fangenenwärter etwas Verdächtiges am Angeklagten aufgefallen ist.
Das dem heutigen Stande der psychologischen und psychiatrischen Wissen¬
schaft nicht entsprechende Vorgehen der Geriohte muss vor allem das Gewissen
der Psychiater, der Sachverständigen in diesen Dingen, beunruhigen; das Gewissen
derer, die sich der Wichtigkeit der Sache nicht bewusst sind, da ihnen die dazu
nöthigen Kenntnisse abgehen, kann nicht beunruhigt werden! Welche unver¬
schuldete Unkenntniss, welche selbst zurechtgelegten, aus eigenem Fonds ge¬
schöpften psychologischen Folgerungen, die jeder naturwissenschaftlichen Be¬
trachtungsweise Hohn sprechen, decken nicht die Gerichtsverhandlungen, die
Motivirung der Strafanträge seitens der Staatsanwälte auf! Es ist nicht im ge¬
ringsten an der Objectivität, an dem Streben der Richter nach Wahrheit und
Gerechtigkeit zu zweifeln, der Weg aber, der sie zur Wahrheit und Gerechtig¬
keit führen soll, bedarf sehr der Kritik. Nicht einmal die Vorschrift, die in
Deutschland existirt, besteht in allen Staaten, dass jedem Antrag seitens der Ver¬
teidigung auf Beobachtung des Geisteszustandes des Angeklagten stattgegeben
werden muss, es liegt vielmehr im vollkommen freien Ermessen des Gerichtes,
eine derartige Beobachtung für gut zu befinden oder nicht.
Wenn nun wirklich das Gericht die Untersuchung und Begutachtung be-
schliesst, so überträgt es diese meist den Gerichtsärzten, die nach dem Studium
der Akten, und zwei, drei oder vielleicht auch etwas häufigeren Beobachtungen
des Angeklagten im Gefängniss ihr Gutachten abgeben. Die Gerichtsärzte aber
haben im Durchschnitt keine weitere psychiatrische Ausbildung genossen, als sie
jeder andere Arzt im Staatsexamen nach weisen muss . 1 Sie sind daher nicht für
competent zu erachten. Es ist dies ein Uebelstand, der sich besonders bemerkbar
macht, wenn ein Obergutachten von einem Fachmann abgegeben wird und dieser
zu einem anderen Resultate kommt, als der Gerichtsarzt. Dann spielen sich im
Geriohtssaal die Discussionen ab, die in der Regel den Staatsanwälten im Plaidoyer
den Stoff zu den schönsten dialectischen psychologischen und psychiatrischen
Redewendungen geben, die ihren Eindruck auf die Geschworenen nie versagen.
Bei einer chemischen Expertise ist das Gutachten maassgebend für den Richter,
wenn ihm auch gesetzlich das Recht der freien Würdigung zusteht. Ganz anders
bei einem psychiatrischen Gutachten. Auch wenn dies von einem Fachmann ab¬
gegeben ist, der es obendrein beschwören muss, so glaubt sich der Richter doch
unter Umständen einfach darüber hinwegsetzen zu dürfen. Weil er einen Dumm-
1 In Deutschland (Preussen) ist durch das Physicatsezamen meist immerhin eine
gewisse Vorbildung garantirt. L.
71
Digitized by Google
1122
köpf von einem intelligenten Menschen unterscheiden kann, hält er sich für einen
perfecten Psychologen und Psychiater, obwohl wissenschaftliche Psychologie und
Psychiatrie ihm ein Buch mit sieben Siegeln ist. Und das nennt man moderne
Rechtspflege! Verlangt der Richter ein Obergutachten über ein von einem Fach¬
mann ausgestelltes Gutachten, so verlangt er dies häufig von einer Sanitätsbehörde
oder einer Faoultät, in der gar kein oder ein einziger Psychiater Sitz and Stimme
hat! Gegen eine solche Rechtspflege müssen die Psychiater Protest erheben und
sie können es im Interesse von Wahrheit und Recht auf Grund der von ihr ver¬
tretenen Wissenschaft nicht laut genug thun.
Beim Studium von Prooessacten fällt ferner der Mangel jeder naturwissen¬
schaftlichen und individualisirenden Methode auf. Die ganze Untersuchung ist
nur darauf gerichtet, den Thatbestand des Verbrechens festzustellen, vollkommen
ausser Aoht lässt sie, wie der Angeklagte zum Verbrechen kam, welches seine
Gehirnanlage war, wie sie sich entwickelt hat und welchen äusseren Einflüssen
sie unterlag. Und ist der Verbrecher verurtheilt, so hat die Schablone des
Strafvollzuges das Wort Wie der Geisteszustand des Verbrechers während des
Strafvollzuges sich verhält, das ist einerlei, der Verbrecher hat nur zwei Pflichten:
zu arbeiten und zu schweigen. Von individualisirender Behandlung keine Spur.
Er wird entlassen, wenn seine Strafzeit vorüber ist, sein Zustand intereesirt nicht,
er begeht wieder ein Verbrechen — die Formalitäten beginnen von neuem and
das kann 30 bis 40 Mal und noch öfter so gehen, im Namen des Souverahu
und des Rechtes immer nach der Schablone! Die Juristen müssen genöthigt
werden, sich mit den Errungenschaften der naturwissenschaftlichen und psychi¬
atrischen Forschung vertraut zu machen, aber nicht nur im Interesse von Wahr¬
heit und Recht. Bei richtigem durch wahre Wissenschaftlichkeit dictirtem ge¬
meinsamem Streben ist auch ein gemeinsames Arbeitsfeld zu bebauen. Die
Criminalogie, die berufen ist, die furchtbarste Erscheinung menschlichen Lebens,
das Verbrechen, auf wissenschaftlicher Basis zu bekämpfen, zerfallt in die Crimi-
nalbiologie, die bisher mehr ein Zweig psychiatrischer Forschung war und in die
Criminalsociologie, die der juristischen Forschung Vorbehalten bleiben wird.
Wie viel Güter an Leben, Gesundheit und Besitz hätte der Staat schon
schützen können, wenn es den Richtern möglich wäre, die geisteskranken Ver¬
brecher zu erkennen und nach den Forderungen der psychiatrischen Wissenschaft
zu behandeln! Sie können sie nicht erkennen, es fehlen ihnen die
nöthigen Kenntnisse dazu.
An den Psychiatern aber ist es, bestimmte Forderungen aufzustellen und
mit aller Energie für deren Geltendmachung zu arbeiten. Dadurch erst erlangt
die psychiatrischen Wissenschaft die Stellung im Rechtsleben der Völker, die si«
in deren eigenstem Interesse erheischt.
Postulate:
1. Wir müssen verlangen, dass bei der Ausbildung der Juristen die Psycho¬
logie und Psychiatrie so weit berücksichtigt werden, dass sie als Richter befähigt
sind, den Verbrecher wissenschaftlich zu verstehen und fachmännische Gutachten
zu würdigen. Es Bollten hierzu die Anstaltsdirectoren, besonders natürlich die
Universitätsprofessoren praktische Curse ertheilen, wie das durch Prof. Kraepelis
in Heidelberg und Prof, von Speyer in Bern (und an den meisten deutsches
Universitäten. Ref.) schon geschieht
2. Der Staat hat die Pflicht, da er nur Verbrechen, die in zurechnungs¬
fähigem Zustand begangen werden, ahndet, den Strafprooees nur mit den Garantien
sich vollziehen zu lassen, die mit Sicherheit einen Strafvollzug an Unzurechnungs¬
fähigen ausschliessen: dies ist nur dadurch möglich, dass den Untersuchungsbehördes
die nöthige Zahl wirklicher und erfahrener psychiatrischer Fachmänner beigegebeu
wird. — Wie es Pflicht des Staates ist, alle erlaubten Mittel anzuwenden, um
D
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1123
den Verbrecher in seine Gewalt zu bekommen, so muss es auch seine Pflicht sein,
kein Mittel ausser Acht zu lassen, um nur den Verbrecher zu verurtheilen, der
in zurechnungsfähigem Zustand gehandelt hat.
3. Die Feststellung der Zurechnungsfähigkeit kann nur Aufgabe des Psy¬
chiaters , niemals des Richters sein. Es ist unzulässig, dass diese Aufgabe
Aerzten überwiesen wird, die nicht eine genügende specielle Ausbildung durch
mehrjährige Thätigkeit an einer staatlichen Irrenanstalt genossen haben.
4. Die Untersuchung auf den Geisteszustand eines Angeklagten kann nur in
fachmännisch geleiteten Anstalten oder in entsprechenden Abtheilungen eines
Untersuchungsgefängnisses vorgenommen werden.
6. Die fachmännischen Gutachten unterliegen nioht der freien Würdigung
der Richter insoweit, als bei der Versetzung in Anklagezustand nach fachmännischem
Beweis Unzurechnungsfähigkeit vorliegt.
6. Die Richter können ein Gutachten ablehnen, müssen aber eine Ober¬
expertise einholen. Mit der Oberexpertise können nur Fachmänner eventuell mit
Beiziehung von Juristen betraut werden.
7. Die Frage der Unzurechnungsfähigkeit wie die der verminderten Zu¬
rechnungsfähigkeit kann nicht dem Wahrspruch der Geschworenen überwiesen werden.
8. Jedem Anträge auf Untersuchung des Geisteszustandes eines Angeklagten
ist ohne Weiteres stattzugeben. (Autoreferat).
(Fortsetzung folgt.)
Lilienstein (Bad-Nauheim).
Medioinisohe Gesellschaft in Warschau.
Sitzung vom 4. September 1900.
Fräulein Downarowicz stellt einen ungewöhnlichen Fall von Hemiparese
auf arteriosklerotischer Basis bei einem 61jährigen Manne vor. Die Krankheit begann
vor 2 1 /, Jahren mit Parästhesieen in der linken Körperhälfte und dann Parese der
oberen und unteren linken Extremität. Der Gang war spastisch-paretisch. Die
Sehnenreflexe links und Patellarreflex reohts gesteigert. Kopfherven normal. Sen¬
sibilität war ungestört. Gedächtnisschwäche, sonst Intelligenz erhalten. Von Zeit
zu Zeit traten Kopfschmerzen und Kopfschwindel ein. Arteriosklerose. Lues
negatur. Nach einigen Monaten Parese des linken unteren Facialis. Dann traten
aber eigentümliche Coordinationsstörungen ein. Der Kranke war im Stande, im
Bette sämmtliche Bewegungen ziemlich richtig auszuführen, der Gang wurde aber
sehr erschwert. Der Kranke besinnt Bich lange, ehe er den ersten Schritt macht;
dann rutscht er plötzlioh eine ziemlich weite Streoke nach vorwärts, wobei die
Schritte unregelmässig erscheinen; dann bleibt er wiederum stehen u. s. w. Gleich¬
zeitig wurde Demenz sichtbar. Vortr. meint, dass es sich in diesem Falle zuerst
um eine Thrombose mit Himrindenerweichung gehandelt hat, welche zur Hemi¬
parese führte. Die weitere Coordinationsstörung und Demenz sei durch das Ueber-
greifen des Processes auf die vermeintlichen Coordinationscentren verursacht.
(Das Entstehen eines zweiten Erweichungsherdes im Kleinhirn stellt Vortr. mit
Recht in Abrede.)
Der 2. Fall betraf einen 50jähr. Mann, bei welchem nach einem apoplek-
tischen Insult linksseitige Hemiparese mit ohoreatlsohen Bewegungen ln der
rechten oberen Extremität entstand. Die linke obere Extremität war stark
betroffen, viel weniger war die linke untere Extremität betheiligt. Die choreatischen
Bewegungen, welche in der rechten oberen Extremität auftraten, waren den
choreatischen posthemiplegischen Bewegungen ähnlich. Dieses Symptom hat ge¬
wisse Analogie mit der Schwäche, welche auch sonst bei Hemiplegie die nicht
betroffene Körperhälfte befällt.
71 *
Digilizedby G00g[e
1124
Sitzung vom 18. September 1900.
Herr Biro demonstrirt eine 35jähr. Frau, welche an Syringomyelie leidet
— Status praesens: Peripherische Lähmung des linken Facialis. Linke Pupille
enger als die rechte, beide reagiren auf Licht normal. Augenbewegungen frei.
Näselnde Sprache. Die Zunge weicht nach links ab. Linke Hälfte der Zunge
atrophisch, zeigt fibrilläre Zuckungen. Sensibilität am Gesicht ungestört. Cadaver-
stellung der linken Chorda vocalis und geringe Beweglichkeit der rechten. Deut¬
liche Atrophieen der Mm. sternocleidomastoidei. Die oberen Extremitäten können
nur bis zur Horizontallinie gehoben werden. Keine Atrophieen in den letzteren.
Dissociirte Sensibilitätsstörung in der linken Schultergegend. Elektrische Erregbar¬
keit in Gesichtsmuskeln und Nerven ergiebt träge Zuckungen. Patellarreflex erhöht
rechts Fussklonus. Vortr. meint, dass entweder Tumor oder Syringomyelie daa
klinische Bild verursachen könnten, neigt aber der Ansicht zu, dass im vorliegenden
Falle eine Syringomyelie des verlängerten Markes vorhanden sei.
Herr Guranowski stellt einen 42jähr. Beamten vor, welcher an rechts¬
seitiger Trigeminusneuralgie sämmtlicher Aaste leidet. Die Ursache der Neu¬
ralgie lag in Erkrankung eines Zahnes. Nur Morphiumeinspritzung linderten die
Schmerzen. Entfernung des Zahnes blieb erfolglos. Die genaue klinische Unter¬
suchung ergab aber Abstumpfung des Gehörs rechts nebst Röthung des rechten
Tympanum. Nach Incision des letzteren floss etwas Eiter heraus, und bald darauf
schwanden die Schmerzen. Nach einem Jahre kehrten die Schmerzen zurück. Es
wurde zum zweiten Male dieselbe Operation ausgeführt (kein Eiter), und zwar
mit demselben Heilerfolg. Vortr. weist darauf hin, dass in vorliegendem Falle
eine verhältnissmässig geringe Entzündung des Tympanum sehr heftige Trigeminus¬
neuralgie hervorgerufen hat.
Sitzung vom 2. October 1900.
Herr St. Kopczydski demonstrirt einen Fall von Friedreioh’soher Krank¬
heit bei einem 25jähr. Fräulein, welches vor 8 Jahren an Zittern des Körpers,
Gangstörung, Kopfsohwindel, Sprachstörung erkrankte. Seit einem Jahre Störungen
beim Uriniren. — Status praesens: Gang tabetisch-cerebellar, Patellarreflex,
Achilles- und Tricepsreflexe fehlen, skandirende Sprache, keine Sensibilitätsstörungen,
Nystagmus, Hyperextension der grossen Zehen. Bei dem Mädchen waren ausser¬
dem hysterische Erscheinungen vorhanden.
Sitzung vom 30. October 1900.
Herr Biernacki stellt eine 32jähr. Näherin vor, welche an Migräne erkrankte
und aus diesem Grunde Brompräparate (Kalium, Natrium und Ammonium) erhielt
Am 7. Tage zeigten sich dunkelrothe Papulae auf dem Rücken, den oberen Extre¬
mitäten, an der Brust und den Oberschenkeln. Einzelne Papeln erweiterten sich,
erreichten die Grösse eines 10 Pfennigstückes und zeigten an ihrer Spitze Eiter¬
ansammlungen. Die Pusteln platzten dann und zeigten einen stark granulirendes
Boden, so dass die Pusteln denjenigen nach Vaccination ähnelten. Vortr. betont
das sehr frühzeitige Auftreten dieser schweren Eruptio bromosa.
Herr Biro hält einen Vortr. über die Friedreioh’aohe Krankhaft. Auf
Grund der Litteraturübersicht und fünf eigener Beobachtungen hebt Vortr. die
Erblichkeit dieser Krankheit besonders hervor. Häufiger tritt dabei die Erblich¬
keit mütterlicherseits auf. Die Ataxie kommt bei der Krankheit oft vor in Zusammen¬
hang mit dem Romberg’sohen Phänomen, dabei werden oft zuerst die oberen
Extremitäten betroffen. In zwei seiner Fälle hat Vortr. epileptische Krämpfe, in
einem Muskelatrophie beobachtet.
1125
Sitzung vom 20. November 1900.
Herr St. Eopczydski stellt einen Fall von Brown-Säquard’soher Läh¬
mung vor. Der Fall betraf einen 24jähr. Arbeiter, welcher einen Messerstich
zwischen den Schultern erhielt. Am ersten Tage Retentio urinae et alvi. —
Status nach 10 Tagen: Wunde links von der Mittellinie zwischen 2. und
3. Dorsalwirbel. Lähmung des linken Beins, Patellarreflex gesteigert, Fussklonus
daselbst. Bauchmusculatur links abgeschwächt. Am linken Fuss Störung des
Muskelsinns. Am reohten Bein Analgesie, Thermoanästhesie und verminderte
Tastempfindung (bis zur Nabelhöhe).
Herr Malewski hielt einen Vortrag über die Basedow’sohe Krankheit
auf Grund von 51 Beobachtungen. Meistens brach die Krankheit zwischen dem
35. und 40. Lebensjahre aus. Einige Kranke bemerkten oft, dass das Dickwerden
des Körpers das erste Zeichen der Krankheit war. In ätiologischer Hinsicht ver¬
merkt Vortr. die Heredität und den Schreck. Zu den frühen Eirankheitssymptomen
rechnet Vortr. Schwellungen und Amenorrhoen.
In der Discussion bemerkte Herr Pawinski, dass die Krankheit 3 Lebens¬
perioden bevorzugt, nämlich zwischen 20—26 und 35—42 Jahren und dann die
ersten Klimakteriumeg ahre. Ein gewisser Zusammenhang zwischen dem Klimak¬
terium und der Basedow’schen Krankheit lässt die Vermuthung zu, dass die
letztere vielleicht mit dem Zustande der Genitalien in Beziehung steht.
Herr Ci^gliöski spricht dem frühzeitigen Auftreten der Diarrhöe eine
grosse Rolle zu. Zur Therapie der Basedow’schen Krankheit bemerkt er, dass
man Hydrotherapie, Klimatotherapie und Galvanisation hauptsächlich benutzen
soll. HydropathiBche Proceduren sind oft von gutem Erfolg, man soll dabei genau
auf das Körpergewicht aohten. Die Benutzung des Leiter’schen Apparates auf
die Herzgegend ist ebenfalls empfehlenswerth. Was das Klima betrifft, so sei
das Gebirgsklima bevorzugt. (C. bemerkt ferner, dass er die sympathischen
Ganglien bei Basedow’scher Krankheit mit der Nissl'sehen Methode untersucht
hat. Das Resultat war ein negatives.)
Herr Rychliöski empfiehlt energische Hydrotherapie bei der Basedow’¬
schen Krankheit. Er will in einem Falle eclatanten Erfolg nach Anwendung der
Hypodermoklismen mit Natrium phosphoricum gesehen haben.
Herr Biernaoki sieht in der Basedow’schen Krankheit nur eine Modi-
fication der Hysteroneurasthenie. Die Krankheit selbst sei unheilbar.
Herr Nussbaum meint, dass die Schwangerschaft oft die Symptome der
Basedow’schen Krankheit lindert, wie es übrigens auch bei vielen Neurosen der
Fall ist.
Herr Bregman empfiehlt ausser Galvanisation auch Faradisation der Struma.
Herr Biro meint, dass die Schwellungen bei Basedow'scher Krankheit
keineswegs hysterischer Natur wären, sondern als Folge der Discompensation des
Herzens aufgefasst werden müssen.
Sitzung vom 4. December 1900.
Herr M^czkowski demonstrirt einen 30jähr. Mann mit Hämatomyelie
des Conus medullaris. — Status praesens: Pat. liegt in bewusstlosem Zustande.
Opisthotonus, fractura utriusque cruris. Hervorwölbung und Schmerzhaftigkeit der
3.—4. Lumbalwirbel. Nach einigen Tagen Retentio urinae et incontinentia alvi,
Anästhesie des Peronealgebietes und der benachbarten Glutäalgegend, der hinteren
Oberschenkelfläche, des Scrotum und Penis. Unterer Bauchreflex, Plantar-,
Achilles- und Analreflexe fehlen, dagegen oberer Bauchreflex, Cremaster- und
Patellarreflexe erhalten. Fehlende Erection. Nach 10 Tagen Decubitus, welcher
Diqilized b'
Google
1126
im weiteren Verlauf schwand. Während der 3 1 / 2 Monate nach der Erkrankung
erfolgte wesentliche Besserung der Erscheinungen seitens der Blase und des Mast*
darms, ebenfalls besserte sich der Sensibilitätsaustand. Die Bewegungen in den
Beinen waren stets ungestört — Status nach l 1 /, Jahren war folgender:
Keine Betentio urinae et alvi, Pat. fühlte aber weder das Urinlassen noch den
Stuhlgang. Erection schwach. Hypästhesie in den oben bezeichneten Gegenden
(Schmerzgefühl und Temperatursinn mehr gestört als das Tastgefühl). Der Zu¬
stand der Reflexe blieb unverändert Fla tau (Warschau).
Wissenschaftliche Versammlung der Aerste der St Petersburger Klinik
für Nerven- und Geisteskranke.
Sitzung vom 20. Deoember 1899.
Herr N. A. Wyrubow demonstrirt ein Präparat einer multiplen Bmbolie
des Grosshirns, die durch ein kleinrundzelliges Sarcom im oberen Theile der
rechten Lunge bedingt war.
Herr N. und J. Aspissow: Zur Frage über die Looalisation der oor-
tioalen Centra des N. facialis und über die centralen Leitungafheern des
oberen Zweiges desselben.
Die Versuche wurden an Hunden ausgeführt Eis wurden gefunden: 2 Centn
für die Bewegungen des Ohres auf der entgegengesetzten Seite: das eine un¬
mittelbar nach vorn vom Sulcus cruciatus, das andere im mittleren Abschnitte
der 3. Windung; 2 Centra für die Bewegungen der Muskeln der Wange und
des Mundwinkels, eines derselben im vordersten Abschnitte der 2. Windung, das
andere nach vorn von der Fossa Sylvii; 4 Centra für den Augenverschluss im
mittleren Theile der 2. und 3. Windung. Bei Reizung eines corticalen Centrunu
für den Augenverechluss trat der Effect auf beiden Seiten ein (auf Seite der
Reizung war der Augenverschluss bedeutend schwächer). Nach der Exstirpation
des Centrums war die Function der Mm. orbicularis oculi, frontalis und corrugator
supercilii fast gar nicht gestört. Beim Studium der secundären Degeneration
konnten beweisende Unterschiede bei der Exstirpation verschiedener oorticalra
Centra für den oberen Facialis nicht gefunden werden. Die Degeneration war
von der Hirnrinde aus zu verfolgen in der inneren Kapsel, im Hirnschenkel, in
der homolateralen Pyramidenbahn, in der inneren Sohleife (in geringerer Zahl)
und in der contralateralen Pyramidenbahn (kaum bemerkbar). Von Interesse ist,
dass auf dem Niveau der vollen Elntwickelung des Facialiskems zu sehen ist, wie
in der Schleifenschicht einige degenerirte Fasern in der Richtung von der Pyra¬
mide aus zum entgegengesetzten Facialiskerne ziehen, die Raphe kreuzend. Daraas
kann der Schluss gezogen werden, dass die Fasern des oberen Zweiges des Facialis
aus der entgegengesetzten Pyramide in den allgemeinen Kern des Facialis ein¬
treten. Die degenerirten Fasern in der inneren Schleife müssen als sensible auf-
gefasst werden.
Sitzung vom 27. Januar 1900.
Herr Narbut: Ueber den Zustand der Dendriten in der Groeshim-
rinde während des natürlichen Schlafes.
Vortr. hatte bei zwei jungen Hunden, die vorher trepanirt worden varee,
während des natürlichen Schlafes ein Partikelchen des Grosshirns in der GegeBd
des Sulcus cruciatus excidirt; die Controlversuche wurden an Hunden desselbea
Wurfes ausgeführt, aber im wachenden Zustande. t)ie excidirten Himstücb
wurden nach Golgi untersucht.
1127
Vortr. ist zu folgenden Resultaten gelangt: 1. Im Wachzustände sind die
Dendriten der Zellen in der Grosshirnrinde mit rosenkranzartigen Gebilden reichlich
besetzt. 2. Beim Eintritt des Schlafes erscheinen an den Dendriten varicöse Ver¬
dickungen; je tiefer der Schlaf, desto stärker ist diese Varicosität ausgebildet,
da, wie Vortr. annimmt, unter dem Einflüsse von ohemischen Veränderungen
(Ansammlung von Wechselstoffen) die Protoplasmaausläufer sich zusammenziehen,
gleichsam in sich gehen, dabei das geringste (kugelförmige) Volumen annehmend.
3. Die glatten Dendriten sind als Uebergangsstufen vom ersten Zustande zum
zweiten aufzufassen. 4. Die groben varicösen Verdickungen an den Dendriten
(die unter dem Einflüsse von narkotischen Mitteln und anderen Giftstoffen ent¬
stehen) entsprechen dem pathologischen Zustande derselben (degenerative Atrophie).
Herr N. A. Wyrubow: Zur Frage über die centralen Endigungen und
Verbindungen der 7. und 8. Hirn nervenpaare.
Zur Untersuchung gelangte der Hirnstamm in einem Falle einer vollständigen
peripherischen Paralyse beider Zweige des rechten N. VII in Folge eines cariösen
Processes im Schläfenbein; die ersten Symptome der Facialisparalyse erschienen
einen Monat vor dem Tode des Kranken, der durch eine miliare Tuberculose der
Lungen herbeigeföhrt wurde. Der Hirnstamm wurde nach Marchi behandelt;
der Abschnitt, in dem der Kern des N. abducens und der obere Theil des Facialis-
kerns enthalten war, wurde nach Nissl gefärbt; degenerirt erschienen der N. VH
und beide Zweige des N. VIIL Die Vertheilung der Degenerationen war fol¬
gende: I. 1. Die Degeneration in der Wurzel des N. VH auf Seite der Läsion kann
bis zum Kern verfolgt werden. 2. Im geringeren Grade sind die Fasern dege¬
nerirt, die vom Kern der entgegengesetzten Seite kommen, sich unter dem Boden
des 4. Ventrikels kreuzen und zu dem Knie der Facialiswurzel auf der lädirten
Seite hinzutreten. 3. Nach der Nissl’schen Methode wurde im Facialiskern auf
Seite der Läsion in den Nervenzellen die Erscheinungen des sogen, secundären
Processes (nach Marin esco) gefunden. 4. Im entgegengesetzten Facialiskerne
waren von demselben Processe die Zellen des inneren Abschnittes befallen, d. h.
die gekreuzten Facialiswurzeln entspringen aus den Zellen des inneren Abschnittes
des entgegengesetzten FacialiBkernes. 5. Das Befallensein der Nervenzellen vom
secundären Processe wurde auch in einem besonderen bis jetzt noch nioht be*-
Bchriebenen Kerne gefunden; dieser Kern liegt auf der Höhe des Nucleus reti¬
cularis und der oberen Abschnitte des N. VII nach aussen und vorn vom Kefh
des N. VI und nach innen von der Facialiswurzel, an der Stelle, wo die letztere
nach Umbiegung nach aussen vom Abducenskerne einen Bogen bildet, desseh
Convexität nach hinten und aussen gerichtet ist. Dieser Kern besteht aus Zellen
von motorischem Typus (derselbe tritt auch auf der entgegengesetzten Seite
deutlich hervor), die denen des grossen Kernes des N. VII vollkommen gleichen.
Vortr. glaubt, dass dieser kleine Kern dem N. VII gehört. Zum Unterschiede
von dem seit langer Zeit bekannten Facialiskerne schlägt Vortr. vor, den neii-
gefundenen Kern den oberen oder accessorischen Facialiskern du nennten,
den ersteren aber den unteren oder Hauptkern. Diese Benennung‘löst aber
beim Fehlen von diesbezüglichen Facta noch keineswegs die Frage yon der Zu¬
gehörigkeit dieses oberen Kernes zum Frontalzweige des N. VII; dieselbe, w.eifit
bloss auf die topographischen Beziehungen beider Kerne hin. — II. In dem Ge¬
biete des N. acusticuB wurden folgende Verbindungen festgestellt: 1. Sofort nach
Eintritt ins Gehirn gehen die Fasern des N. cochlearis (auf Seite der Läsihö) 4h
den Nucleus ventralis, Tuberculum acusticum hinein, biegen um OorjWreS^i-
forme von aussen und hinten herum und schicken Fäsercheö in 1 deh Dteiters^-
schen Kern und die absteigende Acusticuswurzel hinein; cih''Theil der Faäern
geht in der Richtung zum Corpus trapezoides, in welchem dieselben bis zur Höhe
1128
des unteren oder Hanptkernes des N. VII und der oberen Olive verfolgt werden
können, wo ein Tbeil der Fasern eine longitudinale Richtung annehmen, der
andere Theil aber über die Raphe hinweg auf die andere Seite hinübertritt
2. Die Fasern des N. vestibularis verlaufen (bloss auf Seite der Läsion) nach
innen vom Corpus restiforme, zwischen demselben und der absteigenden Trigeminus¬
wurzel, und ziehen in die Kerne von Deiters und Bechterew herein, dringen
dann in den Nucleus internus s. dorsalis n. VIII hinein, werden theil weise in
demselben unterbrochen, theilweise gehen sie unter dem Boden des 4. Ventrikels
über die Raphe hinweg in den Nucleus internus s. dorsalis n. VIII der entgegen¬
gesetzten Seite und dringen dann hauptsächlich in den Bechterew’schen Kern
ein, theilweise aber auch in den Deiters’schen Kern. 3. In den oberen Oliven
sind die degenorirten Fasern zahlreicher auf der der Läsion entgegengesetzten
Seite. 4. In absteigender Richtung lassen sich die Degenerationen verfolgen in
die absteigende Acusticuswurzel auf Seite der Läsion, in die reticuläre Substanz,
bis zu den' inneren Kernen der Burdach’schen Stränge beiderseits in gleicher
Intensität; aus den genannten Kernen geht ein Theil der Fasern in die Schleifen¬
schicht, kreuzt sich und dringt in die unteren Oliven herein; auf dieser letzteren
Höhe, ebenso wie auf der soeben zu beschreibenden, sieht man degenerirte Fasern
in den Fibrae arcuatae extemae. Auf der Höhe des unteren Endes der Kerne
der Goll’schen und Burdach’scben Stränge gruppiren sich die degenerirteo
Fasern in der weissen Substanz des ganzen übrigen Gebietes der Goll’schen
Stränge und in dem hinteren medianen Winkel der Burdach’schen Stränge,
gleichmässig auf beiden Seiten. 5. In aufsteigender Richtung (Höhe der obersten
Abschnitte des Nucleus reticularis) erleiden die Fasern der N. VIII eine Kreuzung
und gruppiren sich in zwei fast regelmässig runde Bündel der lateralen bezw.
unteren Schleife; die Degeneration ist auf der Seite der Läsion etwas stärker
ausgeprägt. In der Gegend des Beginns des hinteren Zweihügels auf der Höbe
des oberen mittleren Kerns von Bechterew wird die Zahl der sich kreuzenden
Fasern geringer, ein Theil der Fasern passirt die Hauptschleife ohne merklichen
Unterschied in der Zahl der Fasern auf beiden Seiten und sammelt sich allmählich
in den lateralen Schleifen (die gleioh auf beiden Seiten sind), deren Fasern zu
den Kernen des hinteren Zweihügels aufsteigen und theilweise eine Kreuzung über
dem Aquaeductus Sylvii erleiden. Auf dem höhergelegenen Niveau (Kern des
hinteren Zweihügels) begehen weniger zahlreiche Fasern noch eine Kreuzung
zwischen den Fasern des vorderen Kleinhimschenkels, während die Hauptschleife
von Degenerationen ganz frei ist; die degenerirten Fasern beschränken sich auf
das Gebiet der lateralen bezw. unteren Schleife und auf die Kerne des hinteren
Zweihügels (gleichmässig auf beiden Seiten). 6. Auf dem obenbezexchneten (5.)
Niveau der oberen Abschnitte des Nucleus reticularis treten degenerirte Fasern
in den Fasciculus longitudinalis posterior herein und können bis in das Gebiet
des vorderen Zweihügels in den dorsalen accessorischen Kern des N. III von
Bechterew verfolgt werden. 7. In den Striae acusticae von Monakow wurden
nirgends Degenerationen gefunden, d. h. die Wurzelfasern treten nicht unmittelbar
in die Monakow’schen Bündel ein.
Herr S. A. Triwus: Ueber den Einfluss der farbigen Beleuchtung auf
den Puls.
Die Versuche wurden an gesunden Personen in dem farbigen Zimmer der
Klinik angestellt und dauerten je 2 Stunden. Die Pulscurven wurden am Anfänge
des Experimentes und am Ende desselben aufgenommen. In der Mehrzahl der
Fälle rief die farbige Beleuchtung eine Verlangsamung des Pulses und eine Ver¬
minderung der Amplitudeschwankungen hervor, am meisten hemmt die violette
Beleuchtung, am wenigsten die rothe, die übrigen Farben sind in der Reihenfolge
1129
des Spectrums vertheilt, ausser der gelben Farbe, die sich als indifferent erwies,
wahrscheinlich deshalb, weil die gelben Gläser fast alle übrigen Strahlen hindurch¬
lassen. Vortr. nimmt an, dass, da jeder farbige Strahl im Einzelnen bloss ein
Theil der allgemeinen Strahlenflutb darstellt, die für den physiologischen Nerven-
tonus nothwendig ist, die farbige Beleuchtung als eigenthümliches, wenn man sich
so ausdrücken kann, Liohthungern betrachtet werden muss.
Herr Prof. W. v. Bechterew demonstrirte das Gehirn eines Kranken, der an
einer Geschwulst im oberen Theile der Medulla oblong&ta und des unteren
▲bsohnittes der Varol’sohen Brüoke zu Grunde gegangen war. Da im vor¬
liegenden Falle die Sensibilität intact war, während die Schleifenschicht vom
Krankheitsprocesse ergriffen war, so ist damit die Ansicht widerlegt, wonach die
Leitungsfasern für die Hautsensibilität in der Schleifenschicht gelegen sind.
Sitzung vom 24. Februar 1900.
Herr J. P. Solucha: Ueber die Durchlässigkeit der Haut für das
Volta’sohe Bogenlioht.
Verf. verfügte über einen Apparat mit einem Voltabogen, dessen Licht bei
einer Intensität der elektrischen Energie von 10—12 Ampere und einer elektro¬
motorischen Kraft von 50—55 Volt erglühte. Mittels dieses Apparates wurden
Versuche angestellt, um zu bestimmen, in welche Tiefe beim lebenden Organismus
das elektrische Licht aus diesem Apparate eindringt. Im Apparat war die Röhre
mit den Sammellinsen so eingestellt, dass ein concentrisches Licht gewonnen
wurde mit etwas auseinandergehenden Strahlen. Es wurde dann ein photo¬
graphisches Brom-Gelatinhäutchen genommen und Stückchen davon in gläserne
Höhrchen eingelassen, die an einem Ende verlöthet wurden. Das Einlegen der
Häutchen in die Röhren fand in der Dunkelkammer statt, woselbst diese Röhren
am offenen Ende hermetisch verkittet wurden. Darauf wurden den Hunden an
den seitlichen Rumpftheilen und an den Oberschenkeln die Haare abrasirt, auf
den abrasirten Stellen Schnitte gemacht, und seitwärts von den Schnitten sub-
cutane Taschen, die länger waren als die angefertigten Röhren. Auf die Ränder
der Wunden wurden Ligaturen aufgelegt, welche vor dem Versuche nicht zu¬
gebunden und mit antiseptischen Compressen bedeckt wurden. Die Hunde wurden
mit einem schwarzen Tuche bedeckt und in das Zimmer gebracht, wo der
Volta’sche Bogenapparat stand. In dem möglichst verdunkelten Zimmer wurden
die Röhren in die Wunden unter die Haut hereingelegt, worauf die Wunden durch
die Ligaturen fest verschlossen und mit einem Stück weichen schwarzen Stoffes
bedeckt wurden, damit das Liebt nicht in die Wundspalte eindringe, die Röhren
aber wurden so weit wie möglich von der Wunde weg weiter geschoben. Während
der Belichtung wurde bloss diejenige Stelle entblösst, die beleuchtet werden sollte.
Nach der Belichtung wurden die Röhren bis zu ihrer Hervorrufung vor der Ein¬
wirkung des Tageslichts beschützt. Ausserdem führte Verf. noch einen kleinen
Schnitt in der Glutäalgegend aus und eine Wunde seitwärts von demselben in
die Tiefe der Glutäalmuskeln, so dass die Röhre hinter einer Muskelschicht von
1 cm Dicke zu liegen kam. Die Versuche wurden an 2 Hunden ausgeführt.
Ausserdem wurden noch einige Versuche an Menschen angestellt: die Brom-
Gelatinhäutchen wurden auch in Röhrchen eingelassen oder zwischen 2 Objeot-
gläser eingelegt, die hermetisch verkittet wurden. Die Verkittung der Röhrchen
und Objectgläser wurde deshalb ausgeführt, damit die photographischen Häutchen
vom Einflüsse verschiedener Flüssigkeiten unter der Haut und des Schweisses
verschont blieben. Dem Menschen wurden die auf diese Weise eingeschloBsenen
Häutchen hinter die Ohren gelegt, an den Vorderarm angebunden und in die
Faust gedrückt. Die Stellen, an denen die Röhrchen mit den Häutchen lagen
t»-U WH’
1130
wurden mit schwarzem Stoffe umhüllt, in dem ein kleines Loch ausgeschnitten
wurde entsprechend der Stelle, welche gegenüber den Böhrehen lag, doch auf der
entgegengesetzten Seite. Ausserdem wurden die Röhrchen noch in den Mund und
in die Nase gelegt, das Qesicht mit einem schwarzen Tuche bedeckt, die Be¬
leuchtung aber an derjenigen Stelle ausgeführt, an welcher die Röhren lagen.
Bei den Hunden fand die Zerlegung des Bromsilbers in denjenigen Häutchen
statt, die unter der Haut lagen; in den Häutchen aber, die unter den Muskeln
lagen, wenn dieselben auoh von der Haut entblösst waren, fehlte eine Zerlegung.
Die Zerlegung des Silbers unter der Haut trat ziemlich schnell schon nach einer
halben Minute auf. Beim Menschen trat die Zerlegung des Silbers in den Häutchen
hinter dem Ohre und in der Mundhöhle auch ziemlich bald auf, hinter dem Ohre
nach einer halben Minute, hinter der Wange nach 2 Minuten; auf dem Vorder*
arm aber und in den Fäusten trat eine Zerlegung des Silbers sogar nach
15 Minuten langer Beleuchtung nicht auf. Auf eine Bitte des Verf.’s hin wurde
von Dr. Pussep ausserdem ein Versuch am Menschen mit denselben Brom-Gelatin-
häutchen angestellt, wobei aber eine stärkere Lichtquelle zur Anwendung gelangte,
und zwar ein Volta’scher Bogen von 25 Amp&re bei 110 Volt. Aus den an-
gestellten Versuchen geht hervor, dass das Licht vom Apparat mit einem Bogen
von 10—12 Ampere bei 50—60 Volt bloss durch die Haut durchdringen kann;
bei stärkerer elektrischer Energie, wie z. B. bei 25 Ampere und 110 Volt, geht
das elektrische Licht durch den ganzen Körper des Menschen hindurch; bei einer
elektrischen Energie, deren Intensität zwischen den obengenannten Grenzen sich
bewegt, dringt das elektrische Licht in die Tiefe des Körpers herein. Diese
Ergebnisse verdienen besondere Beachtung bei Feststellung der Indicationoi
wann und in welchen Fällen Licht angewendet werden soll, und auch in welcher
Intensität. E. Diese (St. Petersburg).
IV. Mittheilung an den Herausgeber.
In Nr. 14 d. Centralbl. vom 16. Juli 1901 hat Prof. v. Bechterew eine
Arbeit; „Ueber den hypogastrischen Reflex“ erscheinen lassen.
In derselben Nummer hat |Dinkler darauf aufmerksam gemacht, dass er
schon im Jahre 1892 in Bd. II der Deutschen Zeitschrift f. Nervenheilkunde und
ferner Geigel in Nr. 8 der Deutschen Med. Wochenschr. von 1892 diese Ver¬
hältnisse besprochen habe. In einer Erwiderung auf die Mittheilung Dinkler’i
sagt v. Bechterew wörtlich Folgendes:
„Inwiefern der von mir beschriebene hypogastriBche Reflex mit dem unteres
Bauchreflex H. Dinkler’s identificirbar sei, soll hier von der Hand nicht näher
erörtert werden. Ich kann jedoch nicht umhin, meinem Bedauern darüber Aus¬
druck zu geben, dass die betreffenden Mittheilungen von Geigel und Dinkler
mir unbekannt geblieben sind, was ich mir nur durch den Umstand zu erklären
vermag, dass weder in den referirenden neurologischen Fachblättern, wie Neuro¬
logisches Centralblatt, Centralblatt f. Nervenheilkunde, noch in einer Edition w»
Range der Realencyolopädie, noch auch in den grossen Handbüchern über Nerven¬
krankheiten (Gowers, Oppenheim u. A.) auf jene Mittheilungen irgendwo eis
Hinweis zu finden ist. Sogar in dem neuerlich erschienenen Werke von Dejerine
ist bei Beschreibung des Bauchreflexes die Beobachtung Dinkler’s mit keine
Silbe erwähnt“.
Dem gegenüber erlaube ich mir nun zn bemerken, dass erstens in dem tbe
mir redigirten Centralblatt f. d. med. Wissenschaften Bd. XXX, 1892, S. 681 d*
beiden genannten Arbeiten ausführlich referirt sind und dass ich selbst dieselbe
Digitized
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1131
in meinem Buche: Die Erkrankungen der peripherischen Nerven, Th. 1, Wien
(H öl der) 1896 auf Seite 36 und 37 ausführlich berücksichtigt habe.
Prof. Bernhardt.
V. Neurologische und psychiatrische Litteratur
vom 1. September bie 1. November 1801.
I. Anatomie. Sattler, Anatomy of nervous system. Medic. Record. LX. Nr. 14.
— Kohlbrugge, Hirnwägungen. Monatseehr. f. Psych. u. Neur. X. Heft 8. — Strohmayer,
Anatomische Untersuchungen der Hörsphäre beim Menschen. Ebenda. — Probst, Sagittal-
mark und Balkenfasern des Hinterhauptlappens. Jahrb. f. Psych. XX. Heft 2 u. 8. —
Bikeles, Lagerung der motorisohen Hirnnerven im HirnschenkelfusB. Neurolog. Centralbl.
Nr. 20. — Flechsig, Localization of the cerebral cortex. Lancet 19. October. — Probst,
Bindearme, Hauben Strahlung und Regio subthalamica. Monatsschr. f. Psych. u. Neur.
X. Heft 4. — Edinger-Wallenberg, Fornix und Corpus mamillare. Archiv f. Psych. XXXV.
Heft 1. — Probst, Verlauf der centralen Sehfasern. Ebenda. — v. Bechterew. Darstellung
der Rückenmarkssysteme mit Hülfe der Entwickelungsmethode. Archiv f. Anat. u. Phys.
Heft 4 u. 5. — Sträussler, Variation im Verlauf der Pyramidenbahn. Neurolog. CentralDl.
Nr. 18. — Klghi, N. cocnleae. Archiv f. mikr. Anat LIX. Heft 1. — Dogiel, Nerven¬
endigungen im Bauchfell u. s. w. Ebenda.
II. Physiologie. Bickel, GehimphyBiologie der Schildkröte. Archiv f. Anat u.
Phys. Heft 6 u. 6. — Fano, Hirnphysiologie der Schildkröte. Ebenda. — Keller, Verletzung
der unteren Olive bei der Katze. Ebenda. H.4 u. 5.— Holmes, Nervous system of the dog without
a forebrain. Journ. of Phys. XXVII. Nr. 1 u. 2. — Munch-Petersen, Lokalization of
storbjernens functioner. Hopitalstid. Nr. 48. — Pltres et Abadie, Rachicocai'nisation et
foncbon lombaire. Arch. de neurol. Nr. 70. — Buchanan, Electrical response of muskle in
persistent contraction. Ebenda. — Edridge-Green, Evolution of colour sense. Journ. of
Ment sc. Nr. 199. — Brown, Note on a new form of aesthesiometer. Arch. de neurol.
Nr. 70. — Walton, Boston and Paal, Cortical sensory aroas. Brain. XLV. — Probst, Hirn-
mechanismus der Motilität. Jahrb. f. Psych. XX. Heft 2 u. 3. — Parhon und Goldstein,
Spinale motorische Localisation. Neurolog. Centralbl. Nr. 20 u. 21. — Martinottl et Tirelll,
Microphotographie et la structure de la cellule des ganglions spinaux dans l’inanition. Arch.
de biol. XXXV. Fase. 8. — Bianchinl, Gangli del cuore. Riv. di pat. nerv. VI.
Fase. 9. — Georges, Possibilite de rendre comparables entre eux les appareils servant ä
Texcitation ölectrique. Ebenda. — Storch, Musikalische Tonwahrnehmungen. Centralbl. f.
Nervenheilk. u. Psych. Nr. 140. — Adler, Energetik der Ganglienzellen. Münchener med.
WochenBchr. Nr. 37. — Binet-Sanglt, L’amiboisme des neurones. Prog. möd. Nr. 42. —
Jotcyko, Phdnomfcnes de fatigue musculaire. Journ. möd. de Bruxelles. Nr. 36. — Guerrini,
Dell’ azione della fatdea sulla struttura delle cellule del midollo spinale. Rif. medio.
Nr. 214. — Placzek, Bedeutung des Vagus für den Erhängungstod. Vierteljahrsschr. f.
geriohtl. Med. XXII. Heft 2. — Langley, Stimulation and paralysis of nerve-cells and
nerve-endings. Journ. of Physiol. XXVII. Nr. 8 u. Phyaiological action of extracts of
supra-renal bodies. Ebenda. — Dean, Active muscle excited directly and indirectly. Ebenda.
— Waller, Aotionsstrom ohne Strom. Centralbl. f. Physiol. Nr. 14. — Saalfeld, Bewegung
und Innervation der Haare. Archiv f. Anat. n. Phys. Heft 5 u. 6. — Hoorweg, Erregung
des Nerven. Archiv f. Phys. LXXXVII. Heft 1 u. 2.
III. Pathologiseho Anatomie. Bolton, Demonstration of gross leBionB of cerebrum.
Journ. of ment sc. Nr. 199. — Barnes, Degenerations in hemiplegia. Brain. XLV. —
Paltauf, Laterale Furchen am Rückenmark bei Porencephalie. Wiener klin. Wochenschr.
Nr. 42. — Kattwinkel, Balken bei grösseren corticalen Hirnläsionen. Deutsches Archiv f.
klin. Med. IXXI. Heft 1. — Lugaro, Patologia delle cellule dei gangli sensitvi. Riv. di
patol. nerv, e ment. VI. Fase. 10. — Elmiger, Neurogliabefunde in 80 Gehirnen von
Geisteskranken. Archiv f. Psych. XXXV. Heft 1. — Weber, Gefassveränderungen bei
miliaren Hirnblutungen. Ebenda.
IV. Nervenpathologie. Allgemeines: Oppenheim, Lehrbuch der Nervenkrankheiten.
8. Aufl. Berlin, S. Karger. 24 Mk. — Finckh-Reutlingen, Die Nervenkrankheiten. München,
Ginelin. 47 S. — Monti, Krankheiten deB Gehirns und Beiner Häute. Wiener Klinik.
8. Supplementheft. — Bickel, Veränderung des Gefrierpunktes des Blutes und nervöse
Störungen. Deutsche raed. Wochenschr. Nr. 86. — Magill, Anästhesia und Analgesia.
Med. News. Nr. 14. — Schoen, Kopfschmerzen. Wiener klin. Rundschau. Nr. 35 u. 86.
Digilized by
GooqIc.
1132
— M. Bernhardt, Neuropathologische Beobachtungen. Festschrift zur Feier des 60. Geburts¬
tages von Max Jaffe. Braunscnweig, Yieweg u. Sohn. — v. Reusz, Icterus und Nerven-
systemsymptome. Orvosi Hetilap. Nr. 88 u. 89. — Capriati, Reaction ölectrique anormale.
Gaz. hebdom. Nr. 82. — Meningen: Bendix, Cytodiagnose der Meningitis. Deutsche med.
Wochenschr. Nr. 48. — Stanculeanu et Nattan-Larrier, Möningite cdrebro-spinale apres otite
ä pneumocoques. Progr. med. Nr. 36. — Albrecht und Ghon, Meningitis cerebro-spinalis
epidemica. Wiener klin. Wochenschr. Nr. 41. — Wintersteiner, Metastatische Ophthalmie
bei Meningitis cerebro-spinalis. Ebenda. — Debove, Mdningites cöröbro-spinales. Gaz. heb.
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Ehescheidung bei inducirtem Irresein. Archiv f. Psych. XXXV. Heft 1. — Hees. Fahr¬
lässigkeit bei Entweichung eines irren Strafgefangenen? Psych. Wochenschr. Nr. 25. —
Therapie der Geisteskrankheiten: Heppe, Behandlung Geisteskranker ohne Zellen oad
Schlafmittel. Psych. Wochenschr. Nr. 80 u. 81. — Scholz, Behandlung Geisteskranker.
Deutsche Praxis. Nr. 17 u. 18 u. Irrenfüraorge und Irrenhülfsvereine. Halle a/S. Mar-
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bach, Dionin. Orvosi Hetilap. Nr. 87. — Jacob! , Heroin. Wiener med. Wochenschr.
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Presse. Nr. 87. — Krebs, Schwitzen in elektrischen Licht- und Heissluftkästsa.
Deutsche med. Wochenschr. Nr. 40. — Strebei, Inductionsfunkenlicht Wiener med.
Presse. Nr. 42. — Pearce, Climate and nervous disease. New-York med. Joun.
Nr. 14. — Ide, Nervenschwache im Nordseeklima. Therap. Monatshefte. Nr. 10. — Kefler,
Bergsteigekuren für Nervenkranke. Ebenda. — Keriey, Suggestions in infant feeding.
Medic. Becord. LX. Nr. 9. — Rosenbach, Zulässigkeit aer ärztlichen Hypnose. Wratscn.
Nr. 84. — Btriilon, Hypnotisme dans l’dducation des enfants vicieux on ddgdnerds. Gas.
des höpit. Nr. 118. — Löwenfeld, Mitwirkung des Pflegepersonals bei hypnotischer Behand¬
lung. Zeitschr. f. Krankenpflege. Nr. 10. — Krukenberg, Heimstätten für körperliche uad
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1901. 16. December. Nr. 24.
Inhalt. I. Originalmittheilungen. Zur Pathogenese der Arthropathieen bei Syringo¬
myelie, von Dr. Carl Hudovernig.
il. Bibliographie. 1. Das Erkrankungsbild der Apraxie (motorischer Asymbolie) auf
Grund eines Falles von einseitiger Apraxie, von Dr. phil. et med. Llepmann (Dalldorf-Berlin).
2. Ueber Tabes und Paralyse. Anatomisch-klinische Vorträge aus dem Gebiete der Nerven-
pathologie, von Dr. Karl Schaffer.
Ili. Ans den fiesallschafton. Aerztlicher Verein zu Hamburg. — Gesellschaft der Neu¬
rologen und Irrenärzte zu Moskau.
IV. Register.
I. Originalmittheilung.
[Aus der Universitätsklinik für Geistes* und Nervenkrankheiten in Budapest]
Zur Pathogenese der Arthropathieen bei Syringomyelie.
Von Dr. Carl Hudovernig,
II. Assistenten der Klinik.
Arthropathieen sind eine so häufige Erscheinung im Verlaufe der Syringo¬
myelie, und es liegen diesbezüglich so viele Beschreibungen vor, dass die einfache
klinische Schilderung eines solchen Falles bereits ohne besonderes casuistisches
Interesse wäre; da jedoch der nachstehende Fall geeignet ist, die Frage des
Entstehens der Arthropathieen bei Syringomyelie neuerdings zu beleuchten, und
da die Abbildung der Radiographieen durch einen erst vor Kurzem erschienenen
Aufsatz Kienböck’s(I) actuell erscheint, sei die Krankengeschichte hier mit-
getheilt.
Der 21jähr. Wagnergehülfe Julius N. entstammt einer Familie ohne nach¬
weisbare hereditäre Belastung; sein Vater lebt und erfreut sich der besten Ge¬
sundheit, die Mutter starb vor 16 Jahren an einer acuten Krankheit; Geschwister
hatte N. nie gehabt. Vor seinem 12. Lebensjahre litt er einige Male an Pneu¬
monie und Wechselfieber; bis zum 19. Jahre war Pat. vollkommen gesund. Um
72
iqitized bv
Google
1188
diese Zeit, also vor 2 Jahren, bemerkte N., dass seine rechte Hand zusehends
schwächer wurde, und nach einigen Monaten war er unfähig, schwerere Werkzeuge
mit der rechten Hand zu halten; dies Schwächerwerden der rechten Hand dauerte
beiläufig 1 Jahr, — seither kann N. keine Verminderung der Kraft der rechten
Hand constatiren. Eine Kraftverminderung des rechten Armes, der linken oberen
Extremität konnte N. bisher nicht beobachten, doch findet er, dass die rechte
Hand seit l 1 ^ Jahren bedeutend magerer wurde. Im Frühjahr 1900 geschah
es, dass N. ein Rad rollte, und um dasselbe rascher vorwärts zu bringen, gab er
ihm einige kräftige Stösse „aus dem linken Ellbogengelenke heraus“; während
dieser Arbeit fühlte N. plötzlich ein heftiges Knacken im linken Ellbogengelenke,
welches bis zum nächsten Morgen bedeutend anschwoll. Pat. stand 3 Wochen in
ärztlicher Behandlung; Anfangs fühlte er im erkrankten Gelenke heftige reissende
Schmerzen, welche nach kurzer Zeit einem unangenehmen, aber nicht schmerzlichen
Kribbeln wichen. Die Geschwulst des Gelenkes ging nach einigen Wochen etwas
zurück, doch nur unbedeutend, und die Gelenksverdickung besteht zur Zeit noch
unverändert. Einige Monate lang hatte N. leichte locale Schmerzen, wenn er das
Gelenk mit kaltem Wasser berührte, und fühlte bei plötzlichen Bewegungen noch
das gewisse Knacken, wie beim Entstehen der Gelenksaffection, doch schwanden
alle diese subjectiven Erscheinungen seit einigen Monaten, d. i. seit seiner Auf¬
nahme in die Klinik.
Am 15. Januar 1901 fiel N. zu Boden, während er die linke Hand gegen
die Hüfte gestemmt und den Ellbogen nach aussen gedreht hielt; bereits un¬
mittelbar nach dem Falle fühlte N. im linken Handgelenk ziemlich heftige
Schmerzen; bis zum Morgen des 16. Januar war das linke Handgelenk ebenso ge¬
schwollen, wie s. Z. das Ellbogengelenk, mässig schmerzhaft; die Schwellung ver¬
ringerte sich nach 2 Wochen und besteht seither unverändert.
Seit dem Winter bemerkte Pat, dass er an den Händen gegen Temperatur¬
einwirkungen ziemlich unempfindlich sei; so z. B. heizte er eines Tages ein, griff
mit der rechten Hand in den Ofen, fühlte nur eine ganz geringe Wärme, — und
am nächsten Tage hatte er ausgebreitete Brandwunden der rechten Hand, deren
Entstehen er sich Anfangs garnicht erklären konnte. Hitze fühlt N. nahezu keine,
und er schwitzt selbst in überheitzten Räumen nie. Hingegen bemerkt« er, dass
er gegen Kälte ziemlich empfindlich sei, und strenge Kälte verursacht ihm ein
unangenehmes, ja direct schmerzliohes Unbehagen.
Status praesens: Pat. ist mittelgross, gut entwickelt. An den Schädel¬
knochen finden sich beiderseits gut ausgeprägte parietale Unebenheiten; Geeicht
asymmetrisch, die linke Hälfte stärker entwickelt, namentlich das Jochbein. Die
linke Pupille ist weiter, Durchmesser 6 mm, rechts nur 4 mm; diese Pupillar-
differenz wurde während 3 Monaten beobachtet und stets gleich gefunden: beide
Pupillen reagiren prompt auf Lichteinfall und Accommodation. Beide Bulbi be¬
wegen sich frei nach allen Richtungen, beiderseits jedoch, in extremer Seiten¬
stellung der Augäpfel, zeigt sich mässig starker, ausgeprägter Nystagmus. Mit
Ausnahme einer Schwäche des rechten mittleren Facialisastes zeigt sich im Ge¬
biete der Hirnnerven keine weitere Veränderung. (Augenhintergrund normal.'»
— Bei Betrachtung des entblössten Oberkörpers fallen einerseits die Golenk-
deformationen, andererseits Atrophieen der Unterarme auf. Die Gelenkverände¬
rungen beschränken sich ausschliesslich auf das linke Ellbogen- und Handgelenk.
Das linke Ellbogengelenk ist bedeutend aufgetrieben, und die Verdickung ist be¬
sonders auffällig, wenn man das Gelenk von der Beugeseite betrachtet; an der
Verdickung participiren ausschliesslich die Knochen, deren Consistenz keine Ver¬
änderung zeigt. Bei genauer Untersuchung erscheint namentlich die obere Epi¬
physe der Ulna, ferner der Condylus internus humeri, sowie dessen Umgebung
verdickt. Die obere und untere Grenze der Gelenkauftreibung ist nicht scharf
Digit
Google
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1189
ausgeprägt, sie geht vielmehr gradatim in die normalen Dimensionsverhältnisse
der Knochen über; dieser Uebergang erstreckt sich am Oberarm auf etwa 6, am
Unterarm auf etwa 4 cm von der Gelenksmitte gemessen. An der Streckseite des
Gelenkes ist ein beiläufig nussgrosser, in äusserst geringem Maasse frei beweg¬
licher Knochentheil fühlbar, der nach Lage, Grösse und Form dem Olecranon
entspricht. — Eine ganz analoge, jedoch bedeutend geringere Verdickung zeigt
das linke Handgelenk. Auch hier participiren ausschliesslich die Knochen, und
es erscheint hier speciell die untere Epiphyse des Radius verdickt und aufgetrieben,
Fig. 1. Fig. 2.
ohne fühlbare Veränderung der Consistenz. Die Hautdecke über den verdickten
Gelenken ist nicht verändert.
Die Untersuchung der erkrankten Gelenke mit Röntgenstrahlen bestätigte die
geschilderten Verhältnisse. Die Radiographie des linken Ellbogengelenks (Fig. 1)
zeigt an der oberen Ulnarepiphyse, ferner um das untere Ende des Humerus eine
bedeutende deformirende Ostitis, Verknöcherung des hinteren und seitlichen Theiles
der Gelenkkapsel, ferner einen schmalen, von den Röntgenstrahlen vollständig
durchleuchteten Spalt zwischen dem oberen Ulnarende und dem Olecranon, so dass
der oben geschilderte, minimal freibewegliche Knochenantheil an der Streckseite
des Gelenkes als abgesprengtes, und mit dem Ulnarende wahrscheinlich wieder
ligamentös verbundenes Olecranon anzusprechen ist. Die Radiographie des linken
Handgelenks (Fig. 2) zeigt nur Veränderungen leichteren Grades: periostale Ver¬
dickungen, speciell der unteren Radiusepiphyse, ferner beginnende Verknöcherung
72*
Qigitizedby G00gk
1140
des Lig. interosseum. — Im Wesentlichen sieht man an beiden Radiographieen
— sowohl bei der bereits seit einem Jahre bestehenden Arthropathie des Ellbogen¬
gelenks, als auch bei der erst kürzere Zeit (einige Monate) bestehenden Hand¬
gelenksarthropathie — eine Knochenneubildung, zum Wenigsten eine vermehile
Bildung der Kalksubstanzen, welche theils in periostalen Verdickungen mit ossifi-
cirendem Charakter, theils in Verknöcherung der Gelenkkapsel und Gelenkbänder
ihren Ausdruck findet, aber keine Spur eines Kalkschwundes, einer RareficatioD,
ein Umstand, auf welchen ich bereits an dieser Stelle hinweisen möchte.
Wie erwähnt, sind es nebst den Gelenksveränderungen die Atrophieen der
oberen Extremitäten, welche die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Beide Arme
zeigen eine ausgesprochene Muskelatrophie, vom Typus Duchenne-Abas, rechts
ausgesprochener, als links; dieser Unterschied ist einestheils durch das längere
Bestehen der Atrophie auf der rechten Seite, anderentheils durch den Umstand
bedingt, dass die Gelenksdeformationen des linken Armes die Muskelatrophieen
zum Theile verdecken. Die Muskelatrophieen beginnen beiderseits bei der Mittel¬
linie des Unterarmes und erstrecken sich auf die distale Hälfte desselben, sowie
auf die Hand; Extensoren und Flexoren sind gleichmässig ergriffen. Die aus¬
geprägteste Atrophie zeigen Thenar und Hypothenar, ferner die Muskeln des
Handrückens; Thenar und Hypothenar sind namentlich rechts nahezu vollkommen
geschwunden, und zwischen den einzelnen Metakarpalknochen sind bedeutende
Vertiefungen sichtbar. An den atrophischen Muskeln ist nur eine Herabsetzung
der elektrischen Erregbarkeit (deutlicher an der Musculatur der Hand), aber keine
Entartungsreaction nachweisbar. — Die Haut über den atrophischen Muskeln ist
— namentlich am rechten Thenar und Hypothenar — bläulich-braun verfärbt,
rechts kühler als links; die Haut der rechten Handfläche ist verdickt, etwas
brüchig und rissig. Druckkraft der Hand rechts 0, links 9 kg. — Die Musculatur
der Oberarme und Schulter zeigt keine Veränderung, der rechte Oberarm ist
etwas stärker entwickelt, was wohl darin seine Erklärung findet, dass Pat. von
Jugend an bei der Arbeit stets den rechten Arm benutzte.
Die theils in Folge der Atrophieen, theils in Folge der Gelenksdeformationen
bedingten Dimensionsunterschiede der oberen Extremitäten dürften durch folgende
Maasse am besten veranschaulicht werden:
Rechts
Links
Umfang des Oberarmes, in der Mitte desselben . .
25,1 cm
24,0 cm
„ Ellenbogens, 3 cm über der Gelenksmitte
24,9 „
24,7 „
„ „ in der Gelenksraitte . .
24,5 „
29,6 „
J9
„ „ 3 cm unter der Gelenksmitte
24,0 „
25,8 .
„ Unterarms, in der Mitte gemessen .
15,9 „
17,6 „
„ Handgelenks.
16,7 „
19.0 .,
Die Localisationsverhältnisse der sensiblen Störungen erwiesen sich als
sehr interessante. 1
Es fanden sich nämlich bloss zwei Hautbezirke, über welchen die charakte¬
ristische partielle Empfindungslähmung rein zum Ausdrucke kam: Der erste bildete
einen länglichen, liegenden Rhombus zu beiden Seiten des ersten Dorsalwirbels,
von 1 dem Längs- und 1 / a dem Höhendurchmesser. Der zweite bildete ein läng¬
liches Oval an der Ulnarseite des Unterarms, gerade unterhalb des Condylus in¬
ternus gelegen. Ueber diesen Hautfeldern war der Schmerzsinn bloss gegenüber
sehr starken Stichreizen erhalten, während der Temperatursinn daselbst vollständige
1 Die Darstellung der Se^sibilitätsverbältnisse entnehme ich fast wörtlich den Auf¬
zeichnungen des Herrn Dr. H. Benedict, Assistenten an der I. medicinischen Klinik; für
seine Freundlichkeit drücke ich ihm auch an dieser Stelle meinen besten Dank aus.
Diqi
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1141
Inversion zeigte (kalt für warm, seltener warm für kalt). Die ulnare Plaque
zeigte links stärkere Analgesie als rechts, ebenso war die linke Hälfte des dorsalen
Rhombus stärker analgetisch, als die rechte. — Diese beiden Plaques entsprechen
den „Maximal spots“ des ersten Dorsalsegmentes, wie sie Hbad für seine hyper¬
algetischen Hautsegmente ermittelt hatte. 1
Der den übrigen Antheil des ersten Dorsalsegmentes bildende Hautstreif an
der Ulnarseite des Unterarmes war nur schwach analgetisch, die Unterscheidung
von Nadelspitze und Kopf gelang meistens prompt. Unterschiede von 15° C.
wurden hier noch gut wahrgenommen, bloss unterhalb dieses Unterschiedes kamen
Verwechslungen zu Stande. — Der Temperatursinn war über den ganzen Bezirk
intact, ebenso der Muskel- und stereognostische Sinn.
• Bemerkenswerth ist, dass bei längerer Prüfung das Anfangs kleine dorsale
analgetische Feld sich allmählich gleichsam concentrisch vergrösserte, so dass es
schliesslich von einem Akromialende bis zum anderen, bezw. vom 4. Cervical- bis
zum 5. Dorsalwirbel reichte. Wurden die Empfindungen von Minute zu Minute
festgestellt, so erhielt man das Bild mehrerer in einander geschachtelter Rhomben,
deren kleinster, innerster den am stärksten analgetischen Kern vorstellte. W T urde
sodann behufs Sensibilitätsprüfung auf einen anderen Körpertheil übergegangen
und das Dorsalfeld nach dieser Pause neuerdings untersucht, so fand sich wieder
bloss das kleine Mittelfeld analgetisch und thermoanästhetisch.
Auch an den oberen Extremitäten liess sich diese Ausbreitung der Gefühls¬
störungen constatiren; zuerst wurde der ganze Ulnarrand, sodann die Radial- und
die Streckseite und zuletzt die Beugeseite ergriffen; doch waren diese Störungen
ebenso unvollkommen und vergänglich, als die secundär auf dem Rücken hinzu¬
getretenen.
Die Vertheilung der Gefühlsstörungen in diesem Falle ist nicht bloss desshalb
wichtig, weil durch diese ihre segmentäre Anordnung erwiesen wird; besteht doch
an diesen seit den Untersuchungen La ehr’s kein ernster Zweifel, sondern sie
zeigt die Wichtigkeit der innerhalb dieser Zonen gelegenen maximalen Flecken.
Ohne Kenntniss dieser wären uns vielleicht auch hier die geschilderten Gefühls¬
störungen leichter entgangen; doch wiesen die Atrophie der kleinen Handmuskeln,
sowie die Pupillardifferenz ohnehin auf das hauptsächliche Ergriffensein des ersten
Dorsalsegmentes hin und lenkten unsere Aufmerksamkeit sogleich auf die bekannten
kleinen Hautterritorien. Wenn die Kenntniss dieser in ihrer Constanz verblüffenden
Maximalflecken allgemeiner sein wird, wird die Zahl der richtig diagnosticirteu
Syringomyelieen auf Kosten der primären Spinalatrophieen wahrscheinlich noch
mehr anwachsen.
Nebst den soeben eingehend geschilderten Sensibilitätsstörungen im Gebiete
des ersten Dorsalsegmentes Hessen sich auch noch andere, mehr diffuse, nach-
weisen, welche auf hochgradige Betheiligung des untersten Cervicalmarkes hin-
wiesen, und zwar: a) rechte obere Extremität: am Handrücken, an der Streckseite
und an der ulnaren Seite des Unterarms theilweise Inversion (kalt und warm
gleichmässig als warm empfunden), an der Handfläche hingegen totale Inversion;
b) linke obere Extremität: am Handrücken, an der Handfläche, ferner an der
Streckseite des Unterarms wird kalt und warm als warm empfunden, an der
Beugeseite hingegen jede thermische Einwirkung als kalt. — An beiden Ober¬
armen und Schultergürteln bestand nur Unsicherheit in der Bezeichnung der
thermischen Einwirkungen.
1 Herr Dr. Bknbdict beschäftigt sich eingehend mit der Frage der Segraentalverhält-
nisse and konnte die Zusammengehörigkeit der soeben geschilderten zwei „Maximal spots“
durch ihr gleichzeitiges Hyperalgetischwerden bei Erkrankungen der Aorta und des linken
Ventrikels unzählige Male feststellen.
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1142
Bezüglich der Reflexe sei noch erwähnt, dass die Kniephänomene beiderseits
lebhaft gesteigert, die Hautreflexe normal waren; Fussklonus und Babinski’sches
Phänomen waren nicht nachweisbar.
Vor Besprechung der Arthropathieen und Radiographieen sei es mir ge¬
stattet, auf den Nystagmus im vorliegenden Falle hinzu weisen, nur deshalb,
weil im Gegensätze zu anderen Autoren, die das nicht allzu häufige, aber auch
nicht seltene Vorhandensein von Nystagmus erwähnen, Dejerinb (2) betont
dass dieses Symptom in einem Falle von Syringomyelie nachweisbar war.
Der beschriebene Fall erscheint mir ganz besonders geeignet, die Frage des
Entstehens der Arthropathieen im Verlaufe der Syringomyelie zu beleuchten.
Beide Gelenksaffectionen — sowohl diejenige des Ellbogengelenkes, als die des
Handgelenkes — entstanden bei N. im Anschluss an ein Trauma, welches in
beiden Fällen in der Form von Muskelzug einwirkte. Die Erkrankung des Ell¬
bogengelenkes entstand bei N. während des Rollens eines Rades, einer Action
also, welche hauptsächlich in einer abwechselnden Thätigkeit der Strecker und
Beuger des Unterarmes (Triceps und Biceps) besteht Während dieser Thätig¬
keit verspürte N. ein plötzliches Knacken im linken Ellbogengelenke, welches
unmittelbar danach rapid anschwoll; die Radiographie des erkrankten Gelenkes
zeigt uns u. A. eine Absprengung des Olecranon, also der Insertionsstelle des
Triceps, d. h. jenes Muskels, welcher beim Rollen des Rades ganz besonders
thätig war. Ich glaube daher mich nicht zu irren, wenn ich in der Einwirkung
erhöhten Muskelzuges, welcher auch im Absprengen des Olecranon seinen Aus¬
druck findet, — und der im Wesen eine mechanisch-traumatische Einwirkung auf
das Gelenk darstellt, — den Ausgangspunkt und die unmittelbare Ursache der
Arthropathie erblicke. Auch im Entstehen der Handgelenksarthropathie fällt
dem Muskelzug eine wichtige Rolle zu. Bekanntlich entstand diese bei N. in
der Weise, dass er zu Boden fiel, während er die linke Hand — mit der Fläche
nach innen — in die Hüfte gestemmt hielt; N. fiel auf die linke Seite, wobei
das vom Körper abstehend gehaltene Ellbogengelenk nach vorne gedrückt wurde,
wodurch im Handgelenke natürlicher Weise eine Hyperextension und in Folge
dessen wieder eine abnorme passive Anspannung der an der Beugeseite des
Unterarmes verlaufenden und am Handgelenke inserirenden Muskeln eintreten
musste. Und sobald diese Muskeln einmal einer die Norm überschreitenden
passiven Dehnung ausgesetzt waren, mussten sie auch nothgedrungeuerweise auf
die Insertionsstelle, also aufs Handgelenk, einen ungewöhnlichen Zug ausüben.
Im Endresultate findet man bei N. auch im Entstehen der Handgelenksarthro¬
pathie als Ursache eine durch Muskelzug ausgeübte mechanisch-traumatische
Einwirkung auf das betreffende Gelenksende. — Die Frage, ob und in welchem
Maasse das Trauma — sei es nun, dass dieses durch den Muskelzug oder durch
einfache Contusion einwirke — auf das Entstehen der syringomyelitischen Arthro¬
pathieen von Einfluss wäre, ist es eine ziemlich oft besprochene. Die meisten
Autoren erklären, dass dem Trauma in vielen Fällen die Rolle des ursächlichen
Momentes zufalle, dass sich syringomyelitische Arthropathieen meist im Anschlüsse
an ein, oft auch gering zu nennendes, Trauma entwickeln (Dejbrine, Leydbs
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1143
und Goldsoheideb, Obebbteineb u. s. w.), ja Chaecot (3) findet, dass sich die
Arthropathieen bei Syringomyelie stets im Anschlüsse an ein Trauma entwickeln,
mitunter jedoch so geringfügig sind, dass sie als solche der Aufmerksamkeit
entgehen. Ein Fürsprecher der entgegengesetzten Ansicht ist Sokoloff (4),
welcher in seiner 68 Fälle umfassenden Zusammenstellung dahin concludirt,
dass sich die Arthropathieen bei Syringomyelie ohne nachweisbare Ursache, ohne
traumatischen Einfluss entwickeln; auch Nalbandoff(5) erklärt, dass sein un¬
längst publicirter Fall im Widerspruch zur musculären Theorie stehe. Ein ent¬
schiedener Anhänger der Theorie von der Rolle des Trauma beim Entstehen
der Arthropathieen bei Syringomyelie (und Tabes dorsalis) ist Chaecot; er
giebt der Meinung Ausdruck, dass das auslösende Moment der Arthropathie stets
ein Trauma sei, meist jedoch „so geringfügig, dass man sich gewöhnt hat, den
Vorgang einen spontanen zu nennen“, und im Anschlüsse an dieses entwickelt
sich die schwerste Deformation des Gelenkes. — Unser Fall ist vollkommen
geeignet, bezüglich des Entstehens der Arthropathieen Chaboot’s Ansicht bei¬
zupflichten. Freilich, auf normalem Boden, d. h. bei gesunden Knochen, könnte
dieses Trauma keinen schädlichen Einfluss ausüben und kaum der Ausgangs¬
punkt einer schweren Arthropathie sein; hierzu muss das Gelenk, eigentlich
sämmtliche Bestandtheile desselben bereits prädisponirt sein; oder nach Chaecot’s
Worten unter dem Einflüsse der Rückenmarkserkrankung eine schwere Textur¬
veränderung erlitten haben, und nur diese ist der Boden, auf welchem das
Trauma eine Arthropathie verursachen kann. Diese Ansicht finde ich vollkommen
passend für den beschriebenen Fall. Unter dem Einflüsse der Rückenmarks¬
erkrankung erlitten die Gelenke des Kranken (der oberen Extremitäten) eine
solche, auf trophischem Wege entstandene Veränderung des Ernährungszustandes,
dass diese dadurch prädisponirt waren, damit sich in Folge dieser Ernährungs¬
störung, im Anschluss an ein geringfügiges Trauma, eine schwere Arthritis und
mit dieser die Deformation einzelner Gelenkbestandtheile entwickle. Dieses
dürfte auch die Entstehung der meisten syringomyelifcischen Arthropathieen sein.—
Mangels histologischer Untersuchungsergebnisse fühle ich mich nicht berechtigt,
mich in eine speculative Erforschung des Ausgangspunktes der Ernährungs¬
störung emzulassen, glaube jedoch, dass dieser, ebenso wie die Ursache der
Atrophieen, centraler und nicht peripherer Natur sei.
Eine neue Ansicht entwickelt Nalbandoff (6) bezüglich des Entstehens,
namentlich aber über das Wesen des ostealen Processes der bei Syringomyelie
auftretenden Arthropathieen. Im Falle Nalbandoff’s, auf welchen Kienböck (6)
eingehend reflectirte, handelt es sich um einen an Syringomyelie leidenden Mann,
mit Arthropathie des linken Schultergelenkes. Nach Verletzung des linken
Daumens entstand eine eiternde Entzündung, mit bedeutender Schwellung des
ersten Daumengliedes, Abfall des Nagels; in diesem Stadium war eine vor¬
genommene Durchstechung des Knochens schmerzlos, und die Aufnahme mit
Röntgenstrahlen ergab einen Schwund der Kalksubstanzen; später trat an dem
erkrankten Knochen Consolidation ein, eine neuerliche Röntgenaufnahme erwies
frische Ablagerung von Kalksalzen. Nalbandoff bringt nun die trophischen
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Knochen- und Gelenkerkrankungen bei Syringomyelie in Zusammenhang mit
dem pathologischen Process bei Osteomalacie und giebt der Ansicht Ausdruck,
dass bei Syringomyelie eine pathologische Blutfülle eine chemische Lösung der
Kalksalze bewirke, welcher hierauf eine abnorme Kalkablagerung und mit dieser
Deformation folge. Die Schlüsse, welche Nalbandoff aus seinem Falle ab¬
leitete, fanden in der sachgemässen Arbeit Kienböck’s eine auf reichen Er¬
fahrungen beruhende Besprechung; auf Grund der Radiographieen des vor¬
liegenden Falles kann ich mich den Ausführungen Kienböck’s vollkommen
anscblie8sen, dass nämlich die von Nalbandoff publicirten Radiographieen den
krankhaften Process der bei Phlegmone auftretenden Knochenrareficirung dar¬
stellen, welche, vom syringomyelitischen Process gänzlich unabhängig, sich bei
einem an Syringomyelie leidenden Manne, eben in Folge der Phlegmone, ent¬
wickelt hat. An unseren zwei Radiographieen sehen wir theilweise nur einen
hyperplastischen Knochenprocess, denn die kranken Knochen gaben stets nur
dunklere Schatten, theilweise periostale Verdiokungen — doch finden wir keine
Andeutung eines rareficirenden Vorganges, eines Kalkschwundes, welcher bekannt¬
lich eine Aufhellung des Bildes, eventuell fast imsichtbar gewordene Knochen¬
schatten aufweisen müsste. — Die Radiographie des EUbogengelenkes von N.
liesse sich noch im Sinne der NALBANDOFF’schen Ausführungen erklären, denn
diese wurde ein Jahr nach dem Entstehen der Arthropathie aufgenommen, zu
einer Zeit also, wo die neuerliche Ablagerung der Kalksalze bereits stattgefunden
haben könnte, doch widerspricht der NALBANDOFF’schen Theorie die Röntgen¬
aufnahme des Handgelenkes. Diese geschah beiläufig 2 Monate nach Entstehen
der Arthropathie und zeigt ebenfalls einen vorgeschrittenen Verknöcherungs-
process, dessen Intensität nicht erklärlich wäre, wenn demselben innerhalb zweier
Monate noch eine gänzliche Entkalkung mit darauffolgender Neuablagerung
hätte vorausgehen müssen. — Wahrscheinlich ist jedoch, dass im Falle Nal-
bandoff’s der Kalkschwund als Folge der Phlegmone nicht so intensiv gewesen
wäre, wenn diese nicht bei einem an Syringomyelie leidenden, sondern bei einem
gesunden Individuum eingetreten wäre. Die Knochen des Kranken dürften —
eben in Folge der Rückenmarkserkrankung — bereits prädisponirt gewesen sein,
d. h. eine solche Texturveränderung im Sinne Chabcot’s erfahren haben, dass
die Phlegmone im Stande war, an dem bereits veränderten Knochen eine schwere
Schädigung der Ernährung und so den ganzen pathologischen Process hervor¬
zurufen, dass nämlich die Phlegmone auf dem syringomyelitischen Boden ihre
specielle Knochendestruction in erhöhterem Maasse hervorbringen konnte. Und in
diesem Sinne könnte Nalbandoff’s Fall als Beispiel dienen, dass bei einem
an Syringomyelie leidenden Individuum eine Entzündung als chemisch wirk¬
sames Trauma die Arthropathie hervorzurufen vermag.
Litteratur.
1. Kienböck, Die Untersuchung der trophiscben Störungen bei Tabes und Syringo¬
myelie mit Röntgenlicht. Neurolog. Ceutralbl. 1901. Nr. 2 u. 12.
2. Dejebine, Semiologie du syst&me nerveux. Traitö de pathol. g6n£r. V. S. 1145.
t.
iqitized bv
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1145
3. (.'haboot, L«9on3 du mardi.
4. iSoKOLOFP, Les arthropathies d. 1. Syringomyelie. Revue de medecine rosse. 1896.
5. Nalbahdoff, Befer, in Revue nearol. 1901. S. 32.
6. Derselbe, Zur Symptomatologie trophisoher Störungen bei Syringomyelie. Deutsche
Zeitschr. f. Nervenheilk. XVII. 1900; ref. im Neurolog. Centralbl. 1900. S. 481. — Siehe
auch Neurolog. Centralbl. 1901. Nr. 12.
£L Bibliographie.
I) Daa Erkrankungsbild der Apraxie (motorisoher Asymbolie) auf Grund
eines Falles von einseitiger Apraxie, von Dr. phil. et med. Liepmaun
(Dalldorf-Berlin). (Monatsschr. f. Psycli. u. Neurolog. VIII.)
48jähriger gebildeter Mann (höherer Beamter) aus gesunder Familie acqui-
rirte Anfang der achtziger Jahre Lues, die er noch im Jahre 1886 nach seiner
Verheiratung auf die Ehefrau übertrug.
Vor zwei Jahren vorübergehende Incontinentia urinae. Seit Sommer 1899
Schwindel, Ohnmachtsanfälle, häufige Hinterkopfschmerzen, Vergesslichkeit und
Zerstreutheit, Nachlass der Arbeitskraft, leichte Sprachstörungen. 2. Dezemb. 1899
kurz dauernde Bewusstlosigkeit, danach Verlust der Sprache, Unfähigkeit zu
stehen und zu gehen, jedoch keine Lähmung.
Nach kurzem Aufenthalt in einem innern Krankenhaus, wo er sich hülflos
und zeitweilig tobsüchtig, zum Sprechen und Schreiben ganz unvermögend und
anscheinend völlig blödsinnig zeigte, wurde der Kranke am 10. Februar 1900 in
Dalldorf aufgenommen.
Hier war er zuerst sehr erregt, auch Nachts unruhig, vom dritten Tag an
ruhig. Eine begonnene Schmierkur und die Darreichung von Jodkali musste
ausgesetzt werden, weil der Kranke darnach Angstzustände, später sogar einen
Anfall von Bewusstlosigkeit mit linksseitigen Zuckungen bekam.
Es besteht linksseitige Facialisparese. Motorische Aphasie. (Der Kranke
kann nur wenige articulirte Laute, wie „ja“, „ach“, „ach Gott“ und ähnliches
herausbringen.) Da der Kranke bei Aufforderung, bestimmte Gegenstände zu
zeigen, oder bestimmte Handbewegungen zu machen, alles verkehrt machte, hatte
es zunächst den Anschein, als ob er sprachtaub, vielleicht auch seelenblind sei.
Dagegen sprach aber, dass er Aufträge, zu denen er den ganzen Körper brauchte,
wie Aufstehen, zum Fenster gehen u. dergl. prompt erledigte. Als ihm aber die
rechte Hand festgehalten wurde, ergab sich die auffällige Erscheinung, dass er
die geforderten Bewegungen, welche vorher rechts misslungen waren, links ganz
exact ausführte, und zwar sowohl mit der oberen, wie mit der unteren Extremität.
Verf. kam deshalb zu der Ueberzeugung, dass es sioh bei dem Kranken um eine
auf die rechte Seite beschränkte Apraxie handele, eine Auffassung, die durch die
nachfolgende eingehende Untersuchung völlige Bestätigung fand. Erschwert wurde
diese Untersuchung dadurch, dass, wie sich bald feststellen lieBS, neben der
Aphasie auch Paramimie bei dem Kranken bestand, ferner dadurch, dass bei jeder
gestellten Aufgabe der motorische Impuls zunächst auf die rechte Extremität sich
beschränkte und nur, wenn diese durch Festhalten an der Bewegung gehindert
wurde, auf die linke überging.
Unter Berücksichtigung dieses eigentümlichen Verhaltens ergab sich folgendes:
Links führt der Kranke kurze schriftliche Aufforderungen (sogar fremdsprachliche)
prompt aus, längere schriftliche Aufforderungen versteht er nicht. Dasselbe Ver¬
halten zeigt er bei sprachlicben Aufforderungen. Die Bewegungen des Kopfes
als Ganzes, der Zunge, der Gesichtsmuskeln sind, soweit überhaupt, beiderseits
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apractisch. Links macht er auf Verlangen eine Faust, die Droh- und Etseh-
bewegung, greift nach irgend einer geforderten Stelle seines Körpers; rechts ge¬
lingt alles das nicht. Auch vorgeraaohte Bewegungen kann er nur links nach¬
machen.
Wahlreactionen (Aufforderungen unter verschiedenen, bis zehn Gegenständen
einen bestimmten zu wählen) gelingen mit Zuhölfenahme der linken Hand fast
immer, rechts wird in zwei Drittel der Fälle der geforderte Gegenstand verfehlt
Bei der Verfehlung rechts braucht die Aufforderung nicht wiederholt zu werden,
es genügt zu sagen: „Machen Sie das nun links“, um sofort die richtige Beaction
zu erhalten: ein Beweis, dass er die Aufforderung vorher richtig verstanden hatte.
Beim Schreiben mit der rechten Hand liefert er zwar einzelne erkennbare
Buchstaben, aber ganz andere als die mündlich oder schriftlich geforderten; auch
Nachzeichnen misslingt rechts gänzlich (statt eines vorgezeichneten Vierecks
schreibt der Kranke den Buchstaben „M“, statt eines Kreuzes malt er einen
ungeschickten Kreis u. ähnl.). Dagegen schreibt er einzelne Buchstaben oder
Worte mit der linken Hand richtig, aber in Spiegelschrift.
Gewisse Bewegungen gelingen auch rechts immer; so isst er z. B. rechts mit
dem Löffel ganz richtig, Kau- und Schluckakt vollziehen sich danach ohne jede
Störung. Auf- oder Zuknöpfen gelingt auf blosse mündliche Aufforderung rechts
zumeist nicht; wenn aber der Finger einmal an den Knopf geführt worden ist,
so geht der weitere Akt mit ziemlicher Geschicklichkeit vor Bich, selbst bei ge¬
schlossenen Augen. Eine Cigarre vermag er kunstgerecht zu rauchen. Ja selbst
das Klavierspielen gelingt so weit, dass eine einfache Melodie erkennbar, wenn
auch nicht fehlerlos, wiedergegeben wird.
Gesicht, Gehör, Geschmack und Geruch werden im Wesentlichen intact be¬
funden. Sensibilität links ziemlich normal, rechts wird nur auf starke Nadel¬
stiche oder stärkeren Druck durch kaum merkliches Zurückziehen des betroffenen
Theiles oder „au“ reagirt, auf mittelstarke oder feine Berührung nicht. Erheb¬
liche Temperatur- oder Gewichtsunterschiede werden auch rechts, aber weniger
gut als links erkannt. Dagegen ist die Localisirung der empfundenen Berührung
der rechten Körperhälfte sehr schlecht, Belbst bei Verwendung der linken Hand.
Lage- und Bewegungsempfindung reohts bei geschlossenen Augen ganz aufgehoben. —
Links besteht Parese des Mundfacialis. Sonstige Lähmungserscheinungen sind
weder rechts, noch links vorhanden. Passive Beweglichkeit normal. Keine Con-
traction. Keine Blasen- und Mastdarmstörungen. Gang normal, nicht atactisch.
Anfangs fanden bei Bewegungen der linken oberen Extremität starke Mit¬
bewegungen der rechten statt, die jedoch im Laufe der Beobachtung bedeutend
zurückgingen.
Psychisches Verhalten: Zeitliche und örtliche Orientirung ziemlich gut
Persönlichkeitsbewusstsein erhalten. Merkfahigkeit für frische Eindrücke unge¬
stört, Gedächtniss für persönliche Erlebnisse anscheinend lückenlos. Aufmerksam¬
keit ziemlich gut. Leichte Ermüdbarkeit Schriftliches Rechnen gelingt selbst
mit dreistelligen Zahlen (links in Spiegelschrift).
An die Schilderung dieses in der Litteratur einzig dastehenden Falles
schliesst sich eine eingehende Würdigung desselben, sowie des Begriffe« der
Apraxie im Allgemeinen.
Verf. definirt Apraxie als: Unfähigkeit zu zweckmässiger Bewegung. Das
Zustandekommen dieser Störung im speciellen Falle erklärt er durch „Leitungs¬
unterbrechung bezw. -Störung zwischen dem sensomotorischen Gebiet der rechten
Extremitäten und dem übrigen Gehirn“ (also sowohl den übrigen Centren der
linken, als sämmtlichen Centren der rechten Hemisphäre). Die wenigen zweck¬
mässigen Bewegungen, welche von der bestehenden Apraxie unberührt bleibav
wie Gehen, Essen, Knöpfen u. a. sind ausnahmslos solche, welche durch „corti-
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calen Kurzschluss“ zu Stande kommen, d. h. ohne den Umweg über andere
Centren zu nehmen durch directe Ueberleitung von dem psychosensorischen zu
dem anatomisch benachbarten psychomotorischen Centrum. Wegen ihrer relativen
Kürze ist die zwischen diesen Centren gelegene Bahn ungestört geblieben. Wenn
der Verf. nun weiter das „Ich“ der normalen Psychologie ignorirend von einer
Zweitheilung der Seele (im Sinne einer Theilung zwischen rechts und links)
spricht, wenn er annimmt, dass im vorliegenden Falle der linke Mensch ein
Sonderleben führt, dass es sich gewissermaassen um eine Verblödung des rechten
Menschen bei relativ gut erhaltener Intelligenz des linken handelt, so dürfte ihm
bis zu diesen Konsequenzen vielleicht nicht jeder Leser folgen.
Als pathologisch-anatomische Grundlage der Erkrankung vermuthet Verf.
„einen linksseitigen Herd (vermuthlich eine durch Lues bedingte Erweichung), der
sich von der dritten Stirnwindung durch die Insel nach hinten zieht, im wesent¬
lichen die Centralwindung verschont, aber Rinde und vorwiegend Mark des Gyrus
supramarginalis und des oberen Scheitel lappens zerstört hat. Er würde also
hinten hauptsächlich das Gebiet einnehraen, welches Flechsig’s parietalem
Associationscentrum entspricht (nur mehr das Mark als die Rinde betreffen)“.
Wo die Einstrahlungen aus der rechten Hemisphäre unterbrochen sind, will Verf.
unentschieden lassen. Das Bestehen einer linksseitigen FacialiBlähmung erfordert
ausserdem die Annahme eines kleineren rechtsseitigen Herdes.
Theodor Ranniger (Sonnenstein).
2) Ueber Tabes und Paralyse. Anatomisch - klinische Vorträge aus dem
Gebiete der Nervenpathologie, von Dr. Karl Schaffer. (Mit 6 Tafeln
und 63 Abbildungen im Text. Jena, 1901. Gustav Fischer. 296 S. 12 Mk.)
Verfasser hat in 10 Vorträgen in anschaulicher Weise und klarer Form
das Hauptsächlichste, was wir über Tabes und Paralyse wissen, zusammen¬
gestellt. Er behandelt nicht nur ihre pathologische Anatomie und Klinik,
sondern bespricht auch die normale Anatomie der Hinterstränge, den klinischen
und anatomischen Zusammenhang zwischen Paralyse und Tabes sowie' in dem
letzten Vortrage das Verhältniss der cerebralen Neurasthenie zür progressiven
Paralyse.
Bezüglich einiger noch strittiger Punkte seien hier die Ansichten des Ver¬
fassers aufgeführt:
In der Frage der Neurontheorie schliesst er sich v. Lenhossek an: er
hält es für zweifellos, dass das Neuron im anatomischen Sinne nicht mehr
zu Recht bestehen kann, doch muss „der Begriff des Neurons festgehalten werden
als der eines genetischen Neuroblastenderivates und eines in sioh abgeschlossenen
trophischen Zellbezirkes“.
Verf. verwirft die periphere und celluläre Genese der Tabes mit Rücksicht
auf die Unversehrtheit der Spinalganglienzellen, die funiculäre Genese als unbe¬
gründete Hypothese und erblickt die primäre Läsion der tabischen Erkrankung —
in Übereinstimmung mit den meisten Forschern — in der Entartung der hinteren
Wurzeln. Mitergriffensein der Meningen ist häufiger als man gewöhnlich annimmt.
Das Reflexcentrum der Pupille liegt — nach Verf.’s Ansicht — im obersten
Teile des Halsmarkes.
Die tabische Ataxie hat nicht eine corticale Genese, sondern das anatomische
Substrat derselben ist die Sklerose der Hinterstränge bezw. der hinteren Wurzeln.
Zur Tabes-Syphilisfrage äussert sich Verf. folgendermaassen: „Es hat den
Anschein, dass unter den immittelbar tabeserzeugenden Factoren die relative
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Hyperfunction bei gestörter Ersatzfähigkeit die wesentlichste Rolle spielt. Das
Nervensystem gelangt in diesen geschwächten Zustand in allererster Linie durch
vorangegangene Syphilis; viel seltener dnrch Erschöpfung, durch Erkältung und
Durchnässung. Neuropathische Belastung fällt hier auch in die Wagschale“.
Durch dieselben Schädlichkeiten wie die Tabes, d. h. in erster Reihe durch
Syphilis, dann durch Ueberarbeitung und durch Gifte (besonders Alkohol) wird
auch die progressive Paralyse hervorgerufen. Diese Schädlichkeiten treffen den
locus minoris resistentiae zuerst, letzterer ist bei der Paralyse das Gehirn, bei
der Tabes das Rückenmark. Wirken die Noxen auf Hirnrinde und Rückenmark,
so entsteht die so häufige Combination von Tabes und Paralyse.
Die Hinterstrangsläsion ist bei der Paralyse im Wesentlichen genau derselbe
Process wie bei der Tabes, nur bedeutend jüngeren Datums.
Das Verhältnis der cerebralen Neurasthenie zur beginnenden Paralyse denkt
sich Verf. wie folgt: Das erste und relativ leicht heilende Stadium der Cere-
brasthenie ist das „Erregungsstadium“. Ihm folgt, wenn gewisse den Krankheits-
procesB begünstigende Verhältnisse (Lues, Alkoholismus) bestehen, das zweite
Stadium, das der „Erschöpfung“, welches förmlich die „präparatorische“ Phase
zur Paralyse darstellen kann. Die Cerebrasthenie sei die functionelle, die
Paralyse die organische Störung der Associationen. Kurt Mendel.
m. Aus den Gesellschaften.
▲ermtlioher Verein zu Hamburg.
Sitzung vom 15. October 1901.
Herr Heinrich Embden: Ueber die chronische Manganvergiftung bei
Braunsteinmüllern. (Vgl. Referat im Neurolog. Centralbl. 1901. S. 1067.)
Discussion:
Herr Physicus Abel: Vor einigen Wochen hatte ich zu begutachten, ob das
Sieben von Braunstein die Gesundheit vorübergehend damit beschäftigter Arbeiter
gefährdet. Es war von vornherein klar, dass der bei dieser Arbeit entstehende
Staub mechanisch Augen, Nase und tieferen Respirationsorganen der Arbeiter
lästig werden kann und dass die Arbeiter daher mit den nöthigen Staubechutz-
vorrichtungen vom Arbeitgeber versehen werden müssen, dass die Arbeit im
Freien oder im gut ventilirtem Raume geschehen, Waschgelegenheit vorhanden
sein muss u. s. w.
Um mich zu unterrichten, ob daneben noch eine specifische Giftwirkung de*
Braunsteinstaubes in Betracht komme, habe ich die Litteratur gewälzt und ge¬
funden:
1. dass die meisten Bücher überhaupt nichts derlei erwähnen,
2. dass andere wohl etwas bringen, aber ganz nebenbei, und zwar immer
nur Notizen von Coup er,
3. dass die Angabe von Couper immer mehr verloren geht, je nenerc
Bücher, bezw. je neuere Auflagen älterer Werke (Kober t, Lew in) man m
Rathe zieht.
Embden’s Mittheilungen kommen also sehr zur Zeit, da Couper’s Angaben
im Staube der Jahrzehnte zu versinken beginnen.
Couper’s wie Erabden’s Beobachtungen lehren, dass nur bei dauernder
Beschäftigung im Manganstaub die Gesundheit der Arbeiter leidet. In meine®
Gutachten falle konnte von specifischer Mangangiftwirkung keine Rede sein.
Zum Schutze der Braunsteinmüller ist nöthig: Staubfreie Einrichtung der
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Mühlen nach Art ähnlicher industrieller Anlagen, öfterer Wechsel der Arbeiter,
ärztliche Beaufsichtigung derselben. (Autoreferat.)
Sitzung vom 29. October 1901.
Herr Nonne: Ueber diffuse Sareomatose der Pia mater des gesammten
Centralnervensystems. (Mit Demonstrationen mittels Projectionsapparates.)
Ein 16jähr. Mädchen, bei der für die Annahme von Tuberculose und für
Syphilis anamnestisch Nichts vorlag, erkrankte mit Anfällen von Fremdkörper¬
gefühl im Kehlkopf, Parästhesieen in der reohten Körperhälfte und Ohnmachts¬
anfällen. Im Krankenhause St. Georg traten Anfälle von halbseitigen Convulsionen
auf, welche einer Psychotherapie zugänglich zu sein schienen. Ein anfallsweises
Unvermögen zu stehen und zu gehen wurde anscheinend auch durch psychische
Behandlung beeinflusst. Objective somatische Symptome konnten nicht festgestellt
werden; sie wurde unter der Diagnose „Hysterie“ entlassen. 4 Monate später
wurde sie im Eppendorfer Krankenhause aufgenommen. Es waren inzwischen
Kopfschmerzen, Schmerzen im Nacken und Kreuz aufgetreten. 3 Wochen vor der
Aufnahme war sie eines Nachmittags plötzlich erblindet; die Blindheit kam und
ging anfallsweise. Die Eltern hatten dann eine auffallende Weite der Pupillen
bemerkt, und bald war das Mädchen nicht mehr im Stande ohne Hülfe zu gehen
und fcu stehen. Objectiv fand sich jetzt eine ziemlich starke Abmagerung und
Anämie, Nichts von Tuberculose und Syphilis; die Kranke war amaurotisch, die
Pupillen waren abwechselnd weit und starr auf Lichteinfall, dann wieder eng,
dann wieder normal weit und reagirten ganz unregelmässig ab und zu auf Licht¬
einfall. Zwischendurch wurde ein pathologisch langsamer Hippus beobachtet.
Ophthalmoskopisch waren die Papillen blass, ein Ophthalmologe (Deutschmann)
diagnosticirte Atrophie, ein anderer (Beselin) nur eine der allgemeinen Anämie
entsprechende Blässe. Ebenso wechselte die Fähigkeit zu stehen und zu gehen.
Auch jetzt waren Stunden und Tage da, wo die Kranke leidlich sehen konnte,
während sie meistens total amaurotisch zu sein schien. Von somatischen Sym¬
ptomen bestanden doppelseitiges Westphal’sches Zeichen und Hypotonie der
unteren Extremitäten, keine Lähmungen, keine sicheren Sensibilitätsanomalieen und
keine Sphinkterenstörung. Das Hörvermögen zeigte einen ausgesprochenen
Wechsel, indem gänzliche Taubheit mit Hörfähigkeit wechselte. Das Nächste war
eine Lähmung in den äusseren Zweigen des rechten Oculomotorius; es folgte eine
linksseitige Oculomotorius- und eine rechtsseitige Abducenslähmung. Auch hier
war der Wechsel im Grade der Lähmungserscheinungen ein ausgesprochener. Im
Laufe der nächsten Woche entwickelte sich ein schweres Krankheitsbild: die
bisher anfallBweise aufgetretenen Störungen wurden stabil, dazu trat Nacken- und
Rückensteifigkeit, Gehörs- und Gesichtshallucinationen, Erregungszustände, die zu¬
weilen in Delirien ausarteten, klonische Convulsionen, im Gesicht und Rumpf und
an den Extremitäten, theils halbseitig, theils doppelseitig, theils alternirend auf¬
tretend; dazu kamen bulbäre Lähmungserscheinungen. Bis zuletzt fanden sich
am Augenhintergrunde keine weiteren Anomalieen, die Spinalpunction (Druck¬
messung und bakteriologische Untersuchung) fiel negativ aus, ebenso wie die
bakteriologische Untersuchung des Blutes. Naohdem sich das Krankheitsbild noch
etwa 2 Wochen hingezogen hatte, erfolgte der Exitus.
Die Section ergab makroskopisch, abgesehen von fleckweiser, ganz geringer
Trübung der Pia mater über Gross- und Kleinhirn, Pons und Rückenmark einen
durchaus negativen Befund. Die mikroskopische Untersuchung hingegen zeigte,
dass es sich um eine diffus über die gesammte Pia des Centralnervensystems sich
erstreckende Neubildung handelte. Es fanden sich Zellen vom Charakter eines
kleinzelligen Sarcoras, deren Ausgangspunkt die Endothelien der perivasculären
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Lymphräume waren (Peritheliom). Ueberall wo die Pia untersucht wurde, fand
sich dasselbe Bild. Stellenweise zeigten sich die extravasculären Lymphräume
mit den neugebildeten Zellen dicht austapezirt, dasselbe Bild zeigte auch die
Arteria basilaris, die einzige grosse Arterie, die von den Basalgefassen zur
mikroskopischen Untersuchung kam. Ein primärer Tumor fand sich bei der ein¬
gehenden vollständigen Eörpersection nicht. Die Neubildung drang in verschie¬
denen Höhen des Rückenmarks auf der Bahn der Piamaschen bezw. der in den¬
selben verlaufenden Gefässe ins Rückenmark zapfenförmig ein, umklammerte die
hinteren und in geringerem Grade auch die vorderen extraspinalen Wurzeln. Von
den Sehbahnen kamen zur Untersuchung die Rinde des Cuneus, das Chiasma und
die Optici. Während am Cuneus und am Chiasma und am distalen Ende des
Opticus die in beschriebener Weise erkrankte Pia die Hirnmasse überzog, drang
die Neubildung am Chiasmaende des Opticus mit den Piasepten mehr weniger
tief in den Opticusquerschnitt ein, und fanden sich auch die Gefässe auf dem
Querschnitt des Opticus von den neugebildeten Zellen eng umscheidet; ebenso
fanden sich im Oculomotoriuskerngebiet die Gefässe dicht umlagert. Die Gefäss-
wandungen selbst waren überall (Weigert'sche Elasticafarbung) normal. Am
Nervenparenchym selbst liess sich nach Weigert-Pal und nach van Gieson
nur im Rückenmark und im Opticus in der Nähe der eindringenden Tumor¬
massen CompreBsionsatrophie, mit Nissl-Färbung keine Anomalie feststellen.
Das Krankheitsbild wurde somit erst durch die mikroskopische Unter¬
suchung erklärt, und deckte sich der progrediente und diffuse Charakter des
klinischen Bildes aufs Beste mit dem anatomischen Befunde. Die Störung der
Sebfunction, die Vortr. als nur eine Theilerscheinung der schweren Geeammt-
Schädigung der Function des Centralnervensystems bespricht, kann erklärt werden
durch die Schädigung der Sehbahnen im centralen Hirnantheil (Cuneus), am
Chiasma und im Opticus, doch hält Vortr. die Affection des Opticus für sehr
wesentlich für das Zustandekommen der Amaurose. Vortr. weist hier auf die
passageren Amaurosen nach schweren Blutverlusten hin.
Der Wechsel der klinischen Erscheinungen erklärt sich nach Vortr. gut durch
die Annahme einer wechselnden Füllung der Gefässe, deren Weite durch die um¬
lagernden Neubildungsmassen auf- und abschwanken musste. Eine andere Erklärung
der schweren klinischen Lähmungs- und Reizsymptome bei mikroskopisch intactem
Nervenparenchym kann man finden in der Annahme der Bildung eines Toxins
seitens der diffosen Neubildung, welches durch die Gefässwände in die Blutbahnen
hineingelangen und so das Nervensystem vergiften konnte. Vortr. erinnert an
die Beobachtungen von Senator-Oppenheim, von Schlesinger, Feinberg
(bulbäre Lähmungserscheinungen bei Ileus), von Bruns u. a., in denen es sich um
bulbäre Lähmungssymptome bei Carcinose bezw. Sarkomatose ausserhalb des Nerven¬
systems handelte. Vortr. weist für die Erklärung der finalen bulbären Lähmungs¬
erscheinungen speciell auf die schwere Erkrankung der Lymphscheiden der Arteria
basilaris hin. Schliesslich geht Vortr. auf die klinische und anatomische Aehn-
lichkeit und die Unterschiede zwischen der vorliegenden Erkrankung einerseits und
der cerebrospinalen Syphilis und Tuberculose andererseits ein und vergleicht seinen
Fall mit der seit Olivier's Arbeit im Jahre 1837 erwachsenen und einstweilen
mit Benda-Lilienfeld abschliessenden Litteratur über multiple Sarkomatose.
Sitzung vom 15. November 1901.
Herr Hess stellt I. einen Kranken mit Osteoarthropathie hypertrophiante
vor, bei dem sich Anfang December v. J. ohne nachweisbare Veranlassung all¬
mählich unter ziehenden Schmerzen ohne Fieber, in unregelmässiger Reihenfolge
zuerst Anschwellungen der Finger, dann der Zehen entwickelten, die mit einer
Auftreibung der Gelenke verbunden waren. Sie betrafen im Januar d. J. haupt-
izedby G00gle
1151
sächlich die I. Gelenke der Finger, Bind jetzt aber auf fast alle Finger- und
Zehengelenke übergegangen und verschonten auch nicht die Carpometacarpalgelenke.
Die Anschwellungen scheinen auf einer Verdickung der Knochen und Weichtheile
zu beruhen, sie waren nicht ödematös, die Haut war nicht geröthet, sensible und
Temperatursinnesstörungen bestanden nicht, eine geringe livide Verfärbung der
Haut zeigte sich ab und zu und noch jetzt. Die Beweglichkeit der trommel¬
schlägelartig geformten Finger und des hypervoluminösen Daumens war weniger
frei. Rasches Wachsthum der dicken Nägel, welche leicht längB- und quergerifft
sind. — Die Röntgen-Untersuchung ergab keine Veränderungen an den Knochen,
an der herumgereichten Platte sehen Sie nur eine Anschwellung der Weichtheile
des Daumens. (Eine zweite, sehr scharfe Aufnahme, die nach dieser Demonstration
angefertigt wurde, zeigte keine Auflagerungen an den Knochen.)
Pat. ist 34 Jahre alt, Maurer, hatte vor 13 Jahren Gonorrhoe, vor 11 Jahren
Typhus, verheirathete sich vor 9 Jahren. Ein Kind starb an Scharlach, der
Vater mit 58 Jahren an Pneumonie (?), die Mutter und 9 Geschwister sind gesund.
Lues und Potus negirt. — Die inneren Organe (Herz, Lungen, Nieren) wiesen
keine nachweisbaren Erkrankungen, insbesondere keine Eiterbildungen auf, an dem
Nervensystem ebenfalls keine Veränderungen, alle anderen Gelenke, insbesondere
die Knie- und das rechte Ellenbogengelenk, in denen über stechende oder ziehende
Schmerzen vorübergehend geklagt wurde, sind nicht geschwollen.
Bei dem Fehlen der von P. M arie beschuldigten Aetiologie, ferner der
Syphilis, des Alkoholismus müssen wir analog R. Massalongo das Attribut
„pneumique“ streichen. Auch die bisherigen Untersuchungen publicirter Fälle
anatomidbh (Leföbre) und durch Röntgenstrahlen (Teleky, Godlee, Thayer
und der complicirte Fall Gasne’s) haben ebenfalls noch kein einheitliches
Resultat ergeben.
Therapeutisch ist Colchicin Merk und Thyreoidin versucht, die Anschwellung
der Weichtheile des Daumens ist (propter hoc?) zurückgegangen.
II. Vorstellung eines 48jährigen Mannes (seit 28 Jahren) mit in das Gebiet
der Raynaud’sohen Krankheit gehörigen Symptomen. — Aus der Anamnese
(Vater 80 Jahre alt, Mutter mit 47 Jahren und eine Schwester mit 18 Jahren
an Phthise (?) gestorben, ein Bruder hatte infantile Lähmung, 2 Brüder und
2 Schwestern gesund) ergiebt sich nur eine erhöhte Erregbarkeit des Nerven¬
systems wohl auf den Verlust von allen 11 Kindern zurückzuführen. Syphilis
und Potus negirt. — Im vergangenen Winter öfters Frieren des 2., 3. und
4. Fingers links mit Kriebeln, ohne Schmerzen und Verfärbung (todte Finger).
Ende August traten starke Schmerzen Anfangs in den Spitzen jener 3 Finger,
später in der Hand und im Arm auf, die anfallsweise kamen und manchmal so
heftig waren, dass sie Pat. „zum Weinen brachten“. Dabei waren die Finger in
den ersten 2 Gliedern verfärbt und zwar mehrere Male täglich, gewöhnlich
4—5 Mal wechselnd, weise, blauschwarz, roth; es bildeten sich auf den Kuppen
Blasen mit rothem Inhalt, die platzten und kleine, runde, schwärzliche Schorfe
bildeten. — Als Pat zu mir kam, hatte er jene 3 blauschwarzen Finger, die
ausserordentlich kalt waren und nebenbei Hautverletzungen unregelmässiger Art
(in Folge der Maurerarbeit) zeigten, es bestanden aber, abgesehen von einer
Hypästhesie, keine sonstigen Störungen im Schmerz- und Temperatursinn, keine
Atrophieen, so dass Syringomyelie bezw. Morvan’sche Krankheit auszuschliesse#
waren. Das Wachsthum der betreffenden Finger hörte auf. — Man sieht jetzt
nur noch am 3. Finger unregelmässige, oberflächliche Substanzverluste mit zwei
kleinen aus Bläschen hervorgegangenen Schorfen. In der Nähe zeigt sich Neigung
zu Schweissbildung. Die anderen 2 Finger scheinen geheilt (bei der Demon¬
stration tritt wieder eine Verfärbung ein).
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1152
Der Fall ist ausgezeichnet 1. durch die Aetiologie. Pat. „mauert sich die
genannten Finger durch“, während er sich den Daumen und den kleinen Finger
weniger verletzt; cfr. Fall Brasch (Arbeit mit der Säge) undPospeloo: Erwähnung
des Vorkommens bei Nägelkauern (referirt in Semaine medioale. S. 46. 6. Nov.j.
2. Durch die Einseitigkeit der Symptome cfr. Fälle Parkington, Zeller u.».
3. Durch das Fehlen der Knochengangrän.
4. Durch das Vorausgehen der Akroparästhesieen.
In Bezug auf die Pathogenese werden die reflectorischen Beziehungen der
immer wiederkehrenden Haut Verletzungen zum vasomotorisch-trophischen Centrum
im Cervicalmark erörtert in Vereinbarung mit den Befunden von Neuritis, End-
arteritis und Endophlebitis als nicht primär anzusehende.
III. Bericht über den am 12. December 1900 vorgestellten Fall von
symmetrischer Polyneuritis mit Fehlen der elektrischen Reaction beider
Faciales. Diese ist auf der gesunden, nicht gelähmten Seite nach etwa 6 Monaten,
auf der früher gelähmten nach etwa 8 Monaten wiedergekehrt. (Autoreferat.)
Herr Saenger demonstrirt 3 Fälle aus der Hirnohirnrgto. I. 2jähriges
Kind. Sturz aus dem Fenster 3 Etagen tief. Bewusstlosigkeit. Rechtsseitige
Lähmung. Blutig-seröser Ausfluss aus dem linken Ohr. Depression des Scheitel¬
beins. Nach zwei Tagen Besserung; dann tiefe Benommenheit, erneute rechtsseitige
Lähmung mit rindenepileptischen Zuckungen der rechten Seite. Zunehmender
Collaps. Trepanation. Entfernung eines subduralen Hämatoms über der Central¬
windung. Vollkommene Heilung bis auf leichte Schwäche im rechten Arm.
II. Wiedervorstellung eines 21jährigen ManneB, bei dem wegen Kleinhirntumor
die palliative Trepanation 1899 ausgeführt wurde. Die doppelseitige Stauungs¬
papille ging prompt zurück, ebenso wie die übrigen Tumorerscheinungen, die in
Pulsverlangsamung, cerebellarem Gang, Kopfschmerz, Erbrechen bestanden. Im
März dieses Jahres traten ähnliche Tumorerscheinungen 6 Tage lang auf. Zur
Zeit relatives Wohlbefinden. Vortr. empfiehlt die palliative Trepanation auch bei
inoperablen Hirntumoren, zur Beseitigung der quälenden Hirndruckerscheinungen,
insbesondere zur Vermeidung völliger Erblindung, da die Stauungspapillen in
7 von ihm beobachteten Fällen nach Trepanation zurückgegangen sind.
III. 60jähriger Mann, der vor 12 Jahren wegen eines otitischen Hirnabscesses
im linken Schläfenlappen operirt worden war. Trepanation. Incision. Heilung.
Damals bestand neben einer alten Otitis sensorische Aphasie, vorübergehende
Pulsverlangsamung, beginnende Stauungspapille links. Pat. ist jetzt noch dauernd
geheilt, bis auf gelegentliches Versprechen.
DisousBion über den Vortrag des Herrn Nonne:
Herr Deutsch mann rechtfertigt zunächst den Schluss auf Sehnervenatrophie,
den er aus dem Augenspiegelbilde zeigen zu müssen meinte. Er drücke sich
gewöhnlich bei der Diagnose höchst vorsichtig aus; er spreche immer nur ron
Abblassung der Papille und von Atrophie erst dann, wenn Functionsstörung,
Sinken des Sehvermögens, Gesichtsfeld- und Farbendefecte ihn dazu berechtigen.
In dem Falle des Herrn Nonne war eine Aufnahme des objectiven Sehbefundes,
als Herr D. die Patientin sah, nicht möglich; es wurde ihm aber mitgetheilt,
dass hochgradige Sehstörung bestehe, ja sogar Amaurose, die freilich mit geringem
Sehvermögen zeitweilig abwechsele. Der von Herrn Nonne vorgelegte Sections-
befund habe nun erwiesen, dass eine Sehnervenatrophie nicht bestanden habe.
Herr Nonne suchte die Erklärung der intra vitam beobachteten Papillenblässe
in einer Compression der Opticusgefasse, die, in den Pialsepten des Opticus ver¬
laufend, von reichlicher Menge von Geschwulstzellen angefüllt gewesen seien. Eine
solche Erklärung könne schon darum nicht acceptirt werden, weil, wie die
1153
Demonstrationen des Herrn Nonne lehren, die Gefasslumina völlig frei von jeder
Compressionserscheinung seien. Herr D. glaube, dass vielleicht die Erklärung des
Augenspiegelbildes in der Lichtreflexion zu suchen sei, die durch die Anhäufung der
Geschwulstzellen um die Gefasse in den Pialsepten entstehen müsse, ähnlich wie bei
Einscheidung der Retinalgefässe durch Rundzellen dieselben uns ophthalmoskopisch
von weissen Streifen eingescheidet erscheinen, bezw. die Gefässwand das lichte
weiss reflectirt erscheinen lässt. So sei ja auch die nicht atrophische Papille
nach manchen retrobulbären Opticusprocessen weiss, wohl nur durch die Reflexion
von Seiten des verdickten BindegewebBgerüstes. — Den Hinweis des Herrn Nonne
auf die weisse Papille nach Blutverlusten könne Herr D. in diesem Falle auch
nicht gelten lassen. Bei letzterem handle es sich wirklich sehr häufig um eine
Sehnervenatrophie. — Bei dem vorhandenen Sectionsbefunde sei auch eine
Erklärung der schwankenden hochgradigen Sehstörung durch den Befund am
Opticus nicht zulässig; man müsse wohl annehmen, dass es sich dabei um eine
Störung in den Sehcentren, welcher Natur bleibe dahingestellt, gehandelt habe.
Herr D. möchte endlich noch des Hippus gedenken, der auch normaler Weise oft
beobachtet werde, wenn gleich ein sehr beträchtlicher Hippus doch wohl patho¬
logisch sei; auf alle Fälle sei dieses Symptom nur mit Vorsicht zu verwerthen.
(Autoreferat.)
Herr Heinrich Embden: Das Interesse an dem Befund, den Herr Nonne
uns mitgetheilt hat, ist ja sehr vielseitig. Ich möchte mir erlauben, nur nach
einer Richtung hin die angeregten Fragen zu behandeln, und auf das Fehlen
jedes makroskopischen Befundes am Centralorgan bei einem so schweren klinischen
Bilde und bei so ausgedehnten mikroskopischen Veränderungen hinweisen. Diese
ThatBache ist in Uebereinstimmung mit Beobachtungen beim Carcinom, wo man
ebenfalls schwere klinische Erscheinungen, ohne grobanatomischen Befund in
cerebro mit Oppenheim’s Hinweis oft beobachtet hat. Indessen hat auch hier
Herr Saenger in einem Vortrag in der biologischen Abtheilung unseres Vereins
auf mikroskopische Carcinommetastasen aufmerksam gemacht, und jüngst sind
ähnliche und ausführliche Befunde von Herrn Sief er t aus der Hitzig'sehen
Klinik auf der Versammlung mitteldeutscher Neurologen und Psychiater in Jena
mitgetheilt worden. In seinen Fällen fand Herr S. ebenfalls in den Meningen
reichliche Anhäufung von Tumorelementen, abgesehen von Veränderungen in der
Hirnrückenmarksubstanz, und machte mit Recht diese makroskopisch unsichtbaren
Infiltrate für eine Reihe der beobachteten schweren cerebralen Symptome (Deli¬
rien u. s. w.) verantwortlich. Dass es sich hier zum Theil um Wirkungen der
in loco producirten toxischen Producte der Tumorzellen handelt, dürfen wir wohl
annehmen, und so, wenigstens für eine Gruppe der Fälle, die Schwierigkeit der
Annahme localer cerebraler Erscheinungen als Folge von Allgemein Vergiftung mit
dem Carcinomtoxin vermeiden. — Aehnliche locale Giftwirkungen mögen bei den
schwankenden Symptomen des Nonne’schen Falles, neben den von Herrn Nonne
schon hervorgehobenen Circulationsstörungen in Betracht kommen.
Indessen will ich nicht verfehlen auf den wesentlichen Unterschied aufmerksam
zu machen, der zwischen Nonne’s Sarkomatose und der von Saenger und
Siefert beobachteten Carcinomatose der Meningen insofern besteht, als es sich
bei diesen immer um Metastasenbildung handelt, während die sarkomatösen Wuche¬
rungen (Peritheliome) in dem Falle des Herrn Nonne in loco, und zwar an den
verschiedensten Orten der weichen Häute offenbar gleichzeitig, entstanden sind.
Zu den Ausführungen des Herrn Vorredners über die beobachtete Sehstörung
möchte ich nur bemerken, dass ich eine Mitbetheiligung des corticalen Sehfeldes
an dieser Störung angesichts der hier von Herrn Nonne beobachteten meningealen
Erkrankungen für wahrscheinlich halte. (Autoreferat.)
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Herr Saenger theilt kurz seinen im Neurol. Centralbl. 1901, Nr. 23 publi-
cirten Fall von Hirnsymptomen bei Carcinomatose mit, bei welchem Bich trotz
des negativen makroskopischen Befundes bei der mikroskopischen Durchforschung
eine carcinomatose Infiltration der Hirnhaut fand; ganz ähnlich den vonSiefert
in Jena gezeigten Fällen. Herr S. wiederholt seine schon früher geäusserten
Bedenken gegen die Annahme einer toxischen Herderkrankung des Gehirns bei
Carcinomatose. Auch im vorliegenden Nonne’schen Falle sei makroskopisch kein
von der Norm wesentlich abweichender Befund zu erheben gewesen, und doch
hat die mikroskopische Untersuchung so ausgedehnte Veränderungen ergeben.
In Beziehung auf die Deutung der Sehstörung stellt sich S. auf Seiten m
Deutschmann, indem nämlich der Befund am Opticus die Sehstörung nicht
erklärt; wahrscheinlich sei die centrale Sehbahn an irgend einer Stelle durch die
Neubildung beeinträchtigt worden. (Autoreferat)
Herr Beselin ist erfreut, dass die Uebereinstimmung mit Prof. Deutsch¬
mann grösser wäre als zuerst geschienen. Er hätte mit dem Augenspiegel Blässe
der Papille gefunden und sich von einer Atrophie nicht überzeugen können.
Herr Saenger aber hätte Herrn Nonne missverstanden; dieser hätte nicht im
Sehnerven die ausschliessliche Ursache der hochgradigen Sehstörung angenommen,
vielmehr betont, dass die Veränderungen im Sehnerven nur zum Theil die Seh-
schwäche erklärten; vielmehr sei auch eine Schädigung des Rindencentrums an¬
zunehmen. Im Opticus könne sich eine Beeinträchtigung der Function auch ohne
Atrophie ergeben aus der EinschliesBung der ernährenden Pialgefässe durch die
Tumorzellen, welche, wie auch das Schwanken der Krankheitssymptome an anderen
Stellen des Centralorgans vermuthen Hessen, bald mehr, bald weniger das Lumen
comprimirt haben könnten, auch wenn im mikroskopischen Bilde eine CompresaioD
nicht gerade sich erkennen Hesse. Ausserdem ergebe die Weigert-Färbung in
der Nähe des Chiasma eine nicht unerhebliche Atrophie in der peripheren Zone
des Sehnerven. (Autoreferat)
Herr Boettiger hat früher, zugleich mit A. Westphal (Archiv 1 Psychiatr.
XXVI.) hervorgehoben, dass ein ganz hervorragender Unterschied zwischen der
luetischen Meningomyelitis und der Sarcomatose der Rückenmarkshäute insofern
bestehe, als die erstere mit ihren Zellinfiltrationen ganz diffus und ausgedehnt
auf das Rückenmark selbst übergreife, die letztere das Rückenmark freilasse.
Diese Behauptung ist dann mehrfach bestritten worden, ohne dass jedoch strikte
Beweise für das Gegentheil gebracht wurden. Auch Herr Nonne bestreitet sie
auf Grund seiner mikroskopischen Befunde, bei deren Beschreibung er von einem
diffusen „schrankenlosen“ Hineinwuchern der Zellen ins Rückenmark sprechen zu
müssen glaubt. B. kann sich jedoch nach Kenntniss der Präparate des Hm. Nonne
dem nicht anschliessen, vielmehr scheinen ihm die Präparate wiederum die Richtig¬
keit der von A. Westphal und ihm aufgestellten Behauptung zu beweisen, das
die Sarcomatose der Häute nicht auf das Rückenmark übergreife, wenn auch
allerdings einzelne Geschwulstzapfen sich im Verlaufe einiger Piasepten oder auf
dem Wege der perivasculären Räume zwischen die Rückenmarkssubstanz zwischen-
drängten. Thatsächlich findet man auch in Hm. Nonne’s Fall nicht das wirk¬
lich schrankenlose Hineinwuchern von Zellinfiltration in das Rückenmarksparenchym.
namentlich auch in die graue Substanz, mit Zerstörung von Fasern und Ganglien¬
zellen, wie es die syphiHtische Meningitis regelmässig darbietet. B. möchte bei
dieser Gelegenheit ausdrückHch constatiren, dass seiner Meinung nach seine frühen
Behauptung vom principiellen Unterschiede beider Processe nach wie vor zu Recht
besteht. Es hat das vielleicht vorläufig ein mehr theoretisches, anatomisch«
Interesse, kann aber sehr wohl Bpäter auch in klinischer, differential diagnostisch#
Hinsicht wichtig sein.
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d
1155
Herr Buchholz weist darauf hin, dass garnicht so ganz selten bei orga¬
nischen Erkrankungen des Centralnervensystems hysterische Erscheinungen, die
nicht durch die nachweisbaren Veränderungen erklärt werden können, Vorkommen,
und erwähnt speciell eine Beobachtung von ausgesprochenen hysterischen Anfällen
mit arc de cercle und| grands mouvements bei einem Paralytiker, der früher
hysterische Erscheinungen niemals dargeboten hatte. Es wäre daher denkbar,
dass auch in diesem Falle einzelne hysterische Erscheinungen der organischen
Erkrankung so zu sagen aufgepropft wären, die dazu geführt hätten, auch hier
zuerst an Hysterie zu denken. Jedenfalls zeigt diese Beobachtung, dass man sich
nicht immer, auch wenn zuerst einmal nur hysterische Erscheinungen vorhanden
sind, bei der Diagnose Hysterie beruhigen kann. (Autoreferat.)
Herr Nonne zeigt mittels des Projections - Apparates noch neue Bilder der
Opticuserkrankung. Die Schnitte liegen am Chiasmaende des Opticus und zeigen
ein zapfen förmiges Hineinwuchern der Neubildung von der Piascheide aus. Auch
hier ist im Opticusquerschnitte eine Beihe von Gefässen von den Neubildungen
umlagert. Er betont unter nochmaliger Vorführung von Schnitten aus den Haupt-
theilen der Sehbahnen (Binde des Cuneus, Vierhügel, Chiasma), dass er die Seh¬
störung keineswegs auf den Opticus allein bezogen, sondern, wie auch Herr Beselin
hervorgehoben habe, von einer Störung des Sehvermögens an irgend einem Theile
oder dem ganzen Verlaufe der Sehbahnen gesprochen habe. Ob die Störung der
Sehfunction durch mangelhafte Blutzufuhr (Compression der Gefässe) oder durch eine
chemische Alteration des Blutes seitens der malignen Zellen stattgefunden hat, wolle
er unentschieden lassen, jedenfalls bringe er aber theilweise die Functionsstörung mit
der Umwucherung der Gefässe durch die malignen Zellenmassen in Verbindung. Die
Sehstörung sei ja auch nur ein einziges Symptom unter der grossen Beihe von
schweren Schädigungen des Nervensystems gewesen, die schliesslich auf ein
Darniederliegen der gesammten Functionen des Centralnervensystems hinaus¬
gelaufen wären. Ueber die pathologische Natur des Hippus konnte in diesem
Falle für den Beobachter kein Zweifel sein. In rein anatomischem Sinne
kann man in diesem Falle allerdings kaum von einer bösartigen Neubildung
sprechen, weil sie sich an präformirte Bahnen, nämlich die Blutgefässe in der
Pia, gehalten habe und die Malignität nur durch die diffuse Ausbreitung über die
Oberfläche des gesammten Centralnervensystems repräsentirt werde. Die Aehnlich-
keit mit dem Hineinwuchern der syphilitischen Neubildungsmassen in das Bücken¬
mark, die Vortr. noch einmal an Projectionsbildern vorführt, sei nur eine grob-
anatomische. Vortr. muss auch noch jetzt die Möglichkeit, dass Toxine Herd¬
erscheinungen machen, aufrecht erhalten und kann sich nicht auf den abweichenden
Standpunkt des Hrn. Saenger stellen. Er erinnert an den negativen anatomischen
Befund bei urämischen Halbseitenlähmungen, bei paralytischen Anfällen, ferner
an die Hemiplegieen im Puerperium und bei Keuchhusten. Dadurch, dass in
einer Beihe von Fällen von Carcinosis cerebrale Erscheinungen erst durch einen
mikroskopisch erhobenen positiven Befund erklärt worden seien, seien die Fälle
von cerebralen Erscheinungen bei Carcinosis doch noch unerklärt geblieben, in
denen der von zuverlässigen Beobachtern erhobene mikroskopische Befund eben¬
falls negativ gewesen sei. Von einer Superposition hysterischer Symptome war
im vorliegenden Falle keine Bede, sondern die Diagnose war nur im ersten Be¬
ginn der Krankheit fälschlicherweise auf Hysterie gestellt worden.
Nonne (Hamburg).
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Gesellschaft der Neurologen und Irren&rste su Moskau.
Sitzung vom 17. März 1900.
Herr Dr. P. Nikitin: Zur Frage über die Verpflegung von Idioten
und Epileptikern.
Vortr. brachte eine genaue Schilderung der medicinisch-pädagogischen An¬
stalten für Idioten und Epileptiker im westlichen Europa und in den vereinigten
Staaten. Aus diesem Berichte ist zu ersehen, dass für die genannten Kranken
auch im Auslande nichts Sonderliches gethan worden ist. Was nun Bussland an¬
betrifft, so kommen nach der Berechnung von W. J. Jakowenko für das Moskauer
Gouvernement auf 100,000 Einwohner 55 Epileptiker und 70 Idioten; S. A. Bel-
jakoff und P. P. Kaschtenko geben für das Petersburger und Nichegorod’eche
Gouvernement fast die gleichen Zahlen an. Dagegen ist die Zahl der Kranken¬
häuser und Verpflegungsanstalten bei uns nur sehr beschrankt. Im Jahre 1854
gründete Dr. Platz in Riga die erste medicinisch-pädagogische Anstalt für Epi¬
leptiker, Schwachsinnige und Idioten. Im Jahre 1882 wurde eine solche Anstalt
in St. Petersburg von Dr. Maljarewsky gegründet Im Jahre 1885 wurde in
Udjelnoje eine Abtheilung für 50 Idioten beiderlei Geschlechts eröffnet, von denen
die Hälfte Epileptiker waren; Schulen und rationell geleitete Arbeit giebt es in¬
dessen dort nicht. Ebenfalls in Udjelnoje existirt eine Anstalt der St. Peters¬
burger evangelischen Gesellschaft für 40 Idioten beiderlei Geschlechts. 1895
gründete der Archimandrit Ignatius in St. Petersburg eine Anstalt für 48
stationäre und 15 ambulante Kranke mit einer Schule und Werkstätten (Buch-
binderei, Tischlerei, Handarbeiten). Eine kleine Wohlthätigkeitsanstalt existirt
in Waronesh; ein kleine Privatanstalt in Mitau. In Moskau besteht seit 20 Jahren
eine für 40 minderjährige Idioten eingerichtete Anstalt; der Arzt besucht die
Kranken ein Mal wöchentlich. Beim Troizky-Krankenhaus für Cbroniche giebt
es eine Abtheilung für Epileptiker jeglichen Alters von 12 Jahren an. Im
Moskauer Gouvernements-Landschaftskrankenhause für Geisteskranke werden 10
minderjährige Idioten auf Wohlthätigkeitsmittel verpflegt. In kurzer Zeit jedoch
wird in Moskau eine neue und grosse pädagogisch-medicinische Anstalt für Idioten
und Epileptiker eingerichtet werden. Der Bau dieses neuen Krankenhauses ist
auf der Kanatschikowa Datscha in der Nähe des Aleksjew’schen psychiatrischen
Hospitals in Aussicht genommen. Sie wird jedoch ein selbständiges Ganzes dar¬
stellen und in sich sowohl ein pädagogisches, als auch medicinisches Institut ver¬
einigen. Nach W. K. Roth soll Moskau im Alter von 2 —14 Jahren ungefähr
350 Idioten haben; von ihnen sind 200 bildungsfähig.
Discussion:
Herr G. J. Rossolimo weist auf die Nothwendigkeit hin, ausser der ärzt¬
lichen Seite auch die pädagogische nicht ausser Acht zu lassen. Die Vorbereitung
des Lehrerpersonals ist erforderlich.
Herr W. A. Mouratoff hält eine Beobachtungsabtheilung für nothwendic-
zwecks Stellung einer entsprechenden Diagnose.
Herr N. P. Postowsky will Epileptiker und Idioten getrennt wissen.
An der Discussion betheiligten sich auch die Herren A. A. Tokarsky und
W. C. Roth.
Herr Dr. G. Rossolimo: Ein© besondere Form von Schluokstörung.
Unter der Bezeichnung „amyotaktische Dysphagie“ versteht Vortr. eine Schluck¬
störung in Folge von Thätigkeitsstörung der das Schlucken beherrschenden Nerven¬
apparate des Grosshirns. Dieses ist ein Complex von Symptomen, welche dem
Stottern, dem Schreibkrampf und anderen ticösen Erkrankungen höherer Ordnung
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M
1157
ähnlich sind, mit Vorherrschen bald motorischer, bald sensorischer, bald psychischer
Veränderungen (Dysphagia amyotactica, motoria, sensoria, psychica). Auf Grund
von aoht beobachteten Fällen kommt Vortr. zum Schluss, dass die von ihm be¬
schriebene Störung gewöhnlich bei Personen mittleren Alters auftritt, häufiger bei
Frauen als bei Männern, hauptsächlich bei der gebildeten Klasse, meist auf dem
Boden tuberculÖ8er und alkoholischer Heredität Gleichzeitig besteht auch eine
ausgesprochene vasomotorische Störung. Zuweilen werden hysterische Erschei¬
nungen, andere amyotaktische Störungen und Zwangsprocesse im Gebiete der
Seelenthätigkeit beobachtet Von Sensibilitätsstörungen, welche mit der Schluck¬
störung verbunden waren, wurden constatirt: Globus, diverse Parästhesieen im
Munde, in der Nase, am Gaumen, Kehlkopf, Halse und am Hinterkopf, Druckgefühl
in der Herzgrube und Gefühl von Athemnoth. Von den prädisponirenden Mo¬
menten stehen an der ersten Stelle Bedingungen, welche einen gesteigerten Zustand
im Gefühlsgebiete unterhalten, am häufigsten der Zustand ängstlicher Erwartung,
acute Kränkungen, Unregelmässigkeiten im Geschlechtsleben. Die die Dysphagie
unmittelbar hervorrufenden Ursachen lassen sich zurückführen 1. auf Schwächung
des Schluckapparates in Folge von erhöhter Arbeit, 2. auf das Auftreten der er¬
wähnten Parästhesieen, und 3. auf eine specielle Angst, welche mit dem Schluck¬
act einhergeht. Der Verlauf ist in der Regel langwierig, zuweilen mit lang-
dauernden Re- und Intermissionen. Die Behandlung dieser Störung erfordert viel
Zeit; in schwach ausgeprägten Fällen kann mau sich einigen Erfolg von einer
roborirenden Behandlung versprechen (Eisen, Arsen, Hydrotherapie, physische Be¬
schäftigung) und ebenso von einer beruhigenden (Brompräparate mit Code'in);
sind deutliche hysteriche Zeichen vorhanden, so ist psychische Behandlung incl.
Hypnose angezeigt.
Discussion:
Herr A. A. Tokarsky hält diese Fälle als ziemlich häufig vorkommend und
fügt hinzu, dass diese Krankheit nicht selten auch im jugendlichen Alter auf¬
tritt, und dass unter anderen Erscheinungen nicht selten Erbrechen gleich nach
dem Schluckact vorkommt, hervorgerufen durch Furcht und die Vorstellung
der Unmöglichkeit des Schluckens. Solche Kranke werden häufig zu Chirurgen
dirigirt, welche sich, nachdem sie sich von der freien Passage überzeugt haben,
auch bei der weiteren Behandlung, zwecks psychischer Beeinflussung, der
Sonde bedienen, mit dem Resultat, dass der Kranke nun wirklich an ein
mögliches Krebsleiden zu glauben beginnt. Deshalb ist die Sonde nur
als diagnostisches Hülfsmittel, nicht aber zum Zwecke psychischer Behandlung
zulässig.
Herr W. W. Murawjeff hält das Sondiren auch zu diagnostischen Zwecken
in vielen Fällen für überflüssig, da durch genaues Befragen zur Genüge hervor¬
geht, dass es sich um Störungen des Schluckactes und nicht um Behinderung ira
Oesophagus handelt.
Herr N. M. Wersiloff weist daraufhin, dass die sorgfältigste Untersuchung
der inneren Organe erforderlich ist; so erwies sich bei einer Kranken mit Dys¬
phagie Kehlkopftuberculose, bei einer anderen tuberculöse Spitzenaffection.
Herr Prof. W. C. Roth sieht das Hauptinteresse des Vortrages in dem Be¬
streben, das, was unter dem Collectivnamen Dysphagia nervosa bekannt ist, in
einzeln^, wichtige Unterschiede zeigende Gruppen zu sondeni. Wir finden die
Dysphagie bei Hysterischen, Hypochondern, bei asthenischer Bulbärparalyse und
endlich bei wirklichen organischen Leiden der Bulbärparalyse. Bei den einen ist
die Hauptursache psychische Beeinflussung, bei den anderen aber irgend eine
periphere Reizung oder locale Anästhesie u. 8. w.
An der Discussion betheiligten sich auch die Hrn. Luntz, PreobrahenBky
und Muratoff.
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Herr Dr. P. Tutyschkin: Der gegenwärtige Evolutionismua und dk
Entartung.
In Anbetracht dessen, dass die wissenschaftliche Pathologie einen untrenn¬
baren Theil der allgemeinen Biologie ausmacht, ist in Bezog auch auf jene das
Evolutionsgesetz, welches sich alle Zweige der Biologie zu eigen gemacht haben,
vollkommen anwendbar. Und in der That, in den letzten 10 Jahren fangt der
Begriff über die UnWandelbarkeit der klinischen Krankheitstypen sich zu festigen
an, es erstarkt die Anschauung über die anwachsende pathologische Erblichkeit
und endlich keimt der Begriff über die pathologische Auswahl. Der gegenwärtige
wissenschaftliche Stand der Biologie und ihres Zweiges — der Sociologie — zeugt
davon, dass ein jeglicher Evolutionsprocess stets von Regression begleitet wird
Die Entartung erscheint deshalb als ein nothwendiger Begleiter der Entwickelung.
Die Ursache der Entartung in der Biologie wird im Allgemeinen auf einen Mangel
der Existenzmittel zurückgeführt. Aehnlich den Abarten in der Biologie fuhrt
die Entartung zur Bildung von leichthin pathologischen Abarten auch des mensch¬
lichen Geschlechts. Die Anwendung der Lehren des Darvinismus auf die Patho¬
logie muss auf andere Bedingungen zurückgeführt werden: auf Erblichkeit und
Auswahl. Der Begriff der pathologischen Erblichkeit ist schon fest begründet
Was aber die pathologische Auswahl anbetrifft, oder wie sie der Vortr. benennt,
die negative Auswahl, so kann man drei Arten derselben feststellen: a) die
negative natürliche Auswahl, deren Anerkennung gegeben wird durch die
Möglichkeit der Durchführung einer strengen Analogie zwischen Entwickelung
der vervollkommneten Arten, welche sich dem Medium angepasst haben und der
Entwickelung derer, welche sich dem Medium nicht angepasst haben — die Ent¬
arteten; b) die negative künstliche Auswahl, welche von der absichtlichen Aus¬
rottung dieser oder jener Species abhängt, ähnlich der Auswahl k rebours in der
Biologie. Auf diese Art der Auswahl weisen Ireland, Galton, Esquirol,
Ribot u. A. hin; c) die negative geschlechtliche Auswahl, welche auf gegen¬
seitiger Anziehung entarteter Individuen beruht.
An der Discussion betheiligten sich die Hrn. A. A. Tokarsky und W. W.
M urawjeff. A. Bernstein. W. Murawjeff
Sitzung vom 21. April 1900.
Herr W. J. Wasilljeff: Ein Fall von oortioaler Epilepsie (mit Demon¬
stration von Präparaten).
In das Pokrow’sche psychiatrische Krankenhaus wurde ein Kranker auf¬
genommen, welcher an Krampfanfällen der linken Hälfte des Gesichts und der
linken Extremitäten litt, wobei Gesicht und Arm dieser Seite gelähmt waren, da«
Bein aber im Zustande der Parese. Die Krampfanfalle wiederholten sich so
häufig, dass der Kranke auf eine Operation drang. Syphilis, Trauma, Abunu
spirituosus werden in Abrede gestellt. Die Krankheit begann vor 15 Jahren aus
unbekannter Ursache; zuerst stellten sich zeitweise Vertaubung des Arms ein,
dann Zusammenziehen der Finger, darauf entwickelten sich die Krämpfe im Ge¬
sicht u. 8. w. Häufige Anfälle traten erst einen Monat vor dem Eintritt ins
Krankenhaus auf. In den letzten 2 Wochen entwickelten sich die Paralyse des
Arms und Parese des Beins. Bei der Untersuchung Hess sich eine gewisse Härte
der Arterien constatiren; typische Anfälle corticaler Epilepsie mit Bewusstsein*-
verlusst in der Höhe des Anfalls, ohne Veränderungen von Seiten der Papillen
und der Blasenfunction. Am anderen Tag nach Eintritt ins Hospital entwickelte
Bich eine croupöse Pneumonie, welche am 13. Tage letal endete. Die Anfalle
erreichten die Zahl von 221 in 24 Stunden; die Krämpfe gingen auch auf die
rechte Seite über. Am 5. Tage der Krankheit verringerten sich die Anfälle (8)
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1159
und die Krämpfe blieben auf dem linken Arm und Gesicht localisirt. Zuweilen
coupirte der Kranke den in den Finger beginnenden Anfall, indem er das Hand¬
gelenk stark zusammendrückte. Ausser der Paralyse des Arms entwickelte sich
ausserdem aus der Parese eine Paralyse des Beins. Die Sehkraft war vollkommen
erhalten, das Gesichtsfeld nicht eingeengt; die ophthalmoskopische Untersuchung
ergab ein negatives Resultat. Das Gehör war auf beiden Seiten herabgesetzt.
Bei Untersuchung der Sensibilität (Berührung und Schmerzempfindlichkeit) und
des MuskelgefUhls ergaben sich auf der linken Seite Fehler in den Angaben,
während rechts solche nicht beobachtet worden. Bei der Section wurde Trübung
der weichen Häute, rechts ausgesprochener als links, gefunden, wobei in der
Parietalgegend in der Dicke der Pia ein Bluterguss von der Grösse eines Silber¬
rubels bestand. In den Centralwindungen entdeckte man nach Auseinanderschieben
derselben in der Tiefe des Sulcus Rolando einen röthlichbraunen Herd von Erbsen-
gTÖsse, welcher sowohl die vordere wie hintere Windung einnahm und nicht in
die weisse Substanz eingedrungen war. Makroskopisch glich dieser Herd einem
apoplektischen, seine Lage entsprach den Nummern 53, 54, 59, 61 des Exner’-
schen Schemas. In den anderen Organen wurde fettige Degeneration conBtatirt;
die rechte Lunge im Zustande der grauen Hepatisation. Dieser Fall bietet das
Hauptinteresse in chirurgischer Beziehung. Wenn bei der Operation, welche
beim Eintritt des Kranken in Aussicht genommen war, auch beide Central¬
windungen in ihrer ganzen Ausdehnung blossgelegt wären, hätte man doch den
Krankheitsherd ohne Auseinanderschieben der Windungen nicht gefunden.
Discussion:
Herr Dr. Muratoff bemerkte, dass bei der Jackson’schen Epilepsie ge¬
wöhnlich klonische Krämpfe beobachtet werden; das Auftreten von tonischen
Krämpfen in dem Falle des Vortr. weist auf irgend welche degenerative Ver¬
änderungen hin. Was die Sensibilitätsstörungen anbetrifft, so erkennt die Mehr¬
zahl der Autoren ihre Existenz bei Rindenepilepsie an und es giebt keinen ein¬
zigen beweisenden Fall, bei dem dieselben nicht vorhanden gewesen wären.
Nach der Meinung von Weidenhammer ist es im gegebenen Falle nicht
möglich, mit Genauigkeit die Läsionsstelle zu bestimmen, so lange die anderen
Theile deB Gehirns nicht secirt wurden, da sehr häufig mehrere, dem beschriebenen
ähnliche vorhanden sind.
Herr Dr. Serbsky nahm ebenfalls an der Discussion Theil.
Herr A. A. Tokarsky: Experimentelle Daten zur Frage über daa Ge*
däohtniss.
Diese Mittheilung gab Veranlassung zu einer lebhaften Discussion, an welcher
sich die Herren A. Ch. Repmann, N. P. Postowsky, W. J. Worobjeff, Prof.
W. C. Roth, W. J. Jakowen ko, Ro leger, S. T. Sch ach-Nasa roff, G. J. Rosso-
limo betheiligten. G. Rossolimo. N. Wersiloff.
Ausserordentliche Sitzung am 5. Mai 1900 zu Ehren des verstorbenen
Vicepräsidenten Prof. S. S. Korsakoff.
Dem Andenken des Dahingeschiedenen waren die Reden gewidmet von Prof.
W. C. Roth, A. Korniloff, W. P. Serbsky, A. A. Tokarsky, N. N. Bashe-
noff, G. J. Rossolimo, in welchen die sociale und die Gelehrten-Thätigkeit des
Verstorbenen, als auch seine hohe ethische Bedeutung charakterisirt wurden.
Es wurden Telegramme von verschiedenen Institutionen und einzelnen Per¬
sonen verlesen, welche ihrem tiefen Beileid zu dem schweren Verluste, den die
Gesellschaft, die psychiatrische Klinik und die Familie des Dahingeschiedenen
erlitten, Ausdruck gaben.
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1160
Sodann wurde die Frage über Verewigung des Andenkens des Verstorbenen
discutirt, wobei Folgendes zum Beschluss kam:
1. Herausgabe eines Journals, Namens S. S. Korsakoff, wobei dieses Joonul
als Organ der Gesellschaft dienen soll (die Idee ein solches zu begründen hegte
der Verstorbene schon lange).
2. Im Auditorium der psychiatrischen Klinik, welches der Gesellschaft als
Sitzungssaal dient, die Büste des Verstorbenen aufzustellen.
3. Gründung einer Prämie zu seinem Andenken.
4. Sammlung eines Kapitals, welches bestimmt wird, jungen Aerzten, die
sich mit Neurologie und Psychiatrie beschäftigen, eine Reise ins Ausland za er¬
möglichen (Nichtmitglieder der Gesellschaft sind nicht ausgeschlossen).
5. Die gewöhnliche Januarsitzung in Zukunft mit dem Namen „Korsakoff-
Sitzung“ zu benennen.
6. Das Beileid der Gesellschaft der Wittwe der Verstorbenen anszudrücken.
G. Rossolimo. A. Bernstein.
Sitzung vom 19. Mai 1900.
Herr Dr. S. Nnlbandoff: Verkrümmung der Wirbelsäule bei Syringo¬
myelie.
Auf Grund von 38 persönlich untersuchten Fällen und von 13 Fallen ans
dem Archiv der Klinik für Nervenkrankheiten gelangt Vortr. zu folgenden
Schlüssen: 1. Die Verkrümmung der Wirbelsäule als eins der häufigen Zeichen
der Syringomyelie (73,6 °/ 0 ) muss einem sorgfältigen Studium unterzogen werden
zum Zweck der Feststellung seiner Ursachen. 2. Die Mehrzahl (52,6 °/ 0 ) der
Verkrümmungen bei dieser Krankheit ist auf rhachitische zurückzu führen. 3. Die
syringomyelitischen Verkrümmungen im eigentlichen Sinne kommen bloss in 21°/,
aller Fälle vor. 4. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Syringomyelie und die
englische Krankheit, welche in vielen Fällen des Vortr. vorkamen, ihren Ursprung
gemeinsamen Ursachen verdanken, unter denen die dominirende, Stelle der Syphilis,
dem Alkohol und der Tuberculose zukommt.
Im Anschluss hieran demonstrirte L. S. Minor einen Kranken, bei welchem
alle Zeichen der Syringomyelie, darunter auch Arthropathie, Kyphose, Skoliose u.a.w.
deutlich ausgesprochen waren.
Herr Prof. Roth sprach sich gegen die Möglichkeit eines zufälligen Zu-
sammenfallens der Verkrümmung der Wirbelsäule und der Syringomyelie aus. &
ist ebenfalls nicht richtig, die Abhängigkeit der Skoliose von Gliomatose zu ne-
giren, wenn bei der Section arthropathische Veränderungen fehlen; solche Fälle
beweisen nur, dass die gliomatose Verkrümmung der Wirbelsäule, ausser der
primären Arthropathie, in der Mehrzahl der Fälle einen anderen Ursprung hat
Herr Muratoff beobachtete Verkrümmung der Wirbelsäule bei 2 Kindern
mit Hydrocephalus und Hydromyelie (kein Trauma) und ist geneigt, auf dieses
Symptom nicht als auf eine Complication, sondern als auf ein wesentliches Zeichen
des Hydrops und der Hydromyelie zu sehen.
Herr Dr. N. Solowzoff demonstrirte einige Gehirnpräp&rate mit ange¬
borenem Defeot.
I. Mädchen, Kopf stark verkleinert, Fontanellen nicht vorhanden. Patientin
starb nach 12 Tagen unter Erscheinungen einer acuten Gastroenteritis. Bei der
Section, nach Entfernung der Schädelknochen und der Dura mater, stellten ö<±
beide Hemisphären in Form einer einzigen Blase mit sehr dünnen, stellenweise
vollständig durchsichtigen Wandungen dar und nur hier und da lässt sich Gehirn-
Substanz als kleine Inseln nachweisen. Von dieser Blase an ihrer Basis nehmen
die Bulbi olfact. und die stark verdünnten Nn. optic. ihren Ursprung. Die übrigen
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1161
Nerven sind gut entwickelt. Normales Aussehen zeigen Cerebellum, Pons, Med.
oblong, und Med. spinalis. Hirnschenkel und Sehhügel sind unentwickelt. Die
Gefässe an der Gehirnbasis geschlängelt; die Carotis int. und ihre Verästelungen
fehlen.
II. Kopf stark vergrössert, so dass hei der Geburt Trepanation erforderlich
wurde. Bei der Section findet sich die Schädelhöhle, die von mit Blut gefärbter
Flüssigkeit angefüllt ist, von dem Proc. falciform., welcher in das Tentoriura
cerebelli übergeht, in zwei Hälften getheilt. Weder in der vorderen, noch in den
seitlichen Schädelgruben Gehirnsubstanz. Die innere Fläche des Schädels ist von
einem sehr dünnen Häutchen bedeckt, von welchem die Bulbi olfact. und die
Sehnervenkreuzung ihren Anfang nehmen. Cerebellum, Pons, Med. spinalis und
Med. oblong, sind gut entwickelt.
III. Anencephal — ein gut genährtes und ausgetragenes Mädchen. Es
existirt nur das Rückenmark; Schädeldach und die hinteren Wirbelbögen der
oberen Halswirbel fehlen; das Rückenmark ist kaum gänsefederdick; Hals- und
Lendenanschwellung wahrnehmbar.
Auf Grund der beiden ersten Fälle kann man die Schlussfolgerung ziehen,
dass die vor dem Cerebellum liegenden Gehirntheile auf die Entwickelung aller
übrigen Theile mit Ausnahme der Pyramidenbahnen nur wenig Einfluss ausüben.
Das Fehlen der Pyramiden ist in der Med. oblong, in der Gegend der Oliven
mit blossem Auge zu constatiren, welche letztere gut ausgebildet erscheinen, ln
den beiden ersten Fällen ist die Med. spinalis gut entwickelt, während dieselbe
beim Anencephal drei Mal dünner als normal erscheint. Auf Grund dieses Be¬
fundes lässt 8ich annehmen, dass auf die Entwickelung der grauen und weissen
Substanz deB Rückenmarks das Gehirn und die Sehhügel weniger Einfluss haben
als das Cerebellum. Weiterhin bestätigen diese Fälle noch einmal, dass Hydrops
eines Theiles des Centralnervensystems andere Theile nicht beeinflusst. In den
beiden ersten Fällen bestand Hydrops der Seitenventrikel und des 3. Ventrikels,
der 4. Ventrikel und der Centralcanal des Rückenmarks aber waren nicht erweitert.
Endlich übt Hydrops der Seitenventrikel einen grossen Einfluss auf die Sehnerven
aus, welche sich als stark verdünnt erwiesen.
W. Murawjeff. N. Wersiloff.
Sitzung vom 22. September 1900.
Herr Dr. W. Weidenhammer: Zur pathologischen Anatomie der
Huntington’sohen Chorea.
Vortr. hat in dem von ihm untersuchten Falle folgende Veränderungen ge¬
funden: Makroskopisch einen gleichmässig verringerten Umfang des Grosshirns,
des Cerebellums und des Rückenmarks; eine geringe Trübung und Verdickung
der weichen Häuto an der Convexität des Gehirns, hauptsächlich längs den
Furchen. Hydrocephalus externus levis. Geringe Verschmälerung der Rinde, der
Hauptsache nach im Gebiete der frontalen und centralen Windungen. Hydro¬
cephalus internus. Ependymitis granularis levis ventriculi IV. Atrophia cordis,
hepatis, lieuis, renum. — Mikroskopisch geringe Verdickung der Pia mater,
lymphoide Infiltration, zerstreute Extravasate, Verdickung und stellenweise Infil¬
tration der Adventitia der Gefässe. Deutlich ausgeprägte Veränderung der Ge¬
fasse (Verdickung der Wandungen und hyaline Entartung) in der Rinde und
weissen Substanz; bedeutende Obliteration der Rindencapillaren; kleine zerstreute
Blutungen in der Rinde; stellenweise, hauptsächlich in der weissen Substanz, ge¬
ringe lymphoide Infiltration der Adventitia. Beträchtliche Vermehrung der Glia-
kerne in der Rinde, besonders in den tieferen Schichten, stellenweise bedeutende
Ansammlung von Gliakernen in den pericellulären Räumen. Kernvermehrung der
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Glia und Schwellung der Gliazellen in der oberflächlichen gliöBen Schiebt der
Rinde und in der weissen Substanz, besonders in der Nähe der Gefässe. ln den
Ganglienzellen — nach Nissl — centrale Chromatolyse, Verkleinerung des Kerns,
dichte Granulation, in den Präparaten nach van Gieson Pigmentablagerung an
der Peripherie der Kerne der Ganglienzellen; ebensolches Pigment in den Zellen
der Glia in der Nähe der Gefässe. Bedeutende R&refication der Tangent i&lfasern
der Rinde, besonders in den frontalen und centralen Windungen, hierselbst auch
bemerkbare Verminderung der Fasern des superradiären Flechtwerkes. Einzelne
degenerative Fasern in der Radiärschicht. Im Cerebellum dieselben Veränderungen
der Gefässe und der Nervenzellen, aber keine Vermehrung der Gliakerne in der
Rinde. Verstärkte Gliabildung um die Gefässe und Schwellung der Gliazellen.
In den Stammganglien (am deutlichsten im Linsenkern), im Himstamm, im
Rückenmark überall Gefässveränderungen, Gliawucherung um die Gefässe und der
Septa, zerstreute Extravasate, stellenweise geringe lymphoide Infiltration der Ge-
fässadventitia. In den Nervenzellen des Rückenmarks dieselben Veränderungen
wie in der Rinde, nur in geringerem Grade; die Veränderungen in der weissen
Substanz der Med. spinalis betreffen hauptsächlich die Vorderseitenstränge, sind
aber auch in den Hintersträngen zu finden. Wucherung des Intercellulärgewebes
in den Wurzeln und den peripheren Nerven. Wucherung des Ependyms und des
subependymalen Gewebes mit deutlicher Veränderung der Gefässe und zerstreuten
Extravasaten in der Gegend des Seiten- und des 3. Ventrikels, des Aquaeductus
Sylvii und des 4. Ventrikels. Die Veränderungen im Gross- und Kleinhirn be¬
trachtet Vortr. als eine Encephalitis chronica haemorrhagica diffusa. Die Ver¬
änderungen im Gehirnstamm und Rückenmark tragen denselben Charakter und
Vortr. fasst dieselben, im Gegensatz zu der Ansicht von Oppenheim, als primäre
auf, welche mit den Veränderungen im Grosshirn von einer gemeinschaftlichen
Ursache abhängen. Vortr. spricht sich, indem er auf den diffusen Charakter des
Leidens (das ganze Centralnervensystem) hinweist, zu Gunsten derjenigen Auf¬
fassung (Golgi, Jolly, Wallenberg) aus, welche eine Analogie der Hun-
tington’schen Chorea mit anderen diffusen degenerativen Erkrankungen des
Nervensystems durchführt: der progressiven Paralyse und der Dementia senilis.
Discussion:
Herr Prof. Roth bemerkt, dass ähnliche Veränderungen in den Gelassen
auch bei Tollwuth beschrieben worden sind, wobei einige von ihnen sich als
Kunstproducte erwiesen haben. Bei anderen diffusen Erkrankungen des Central¬
nervensystems existiren keine specifischen Veränderungen (z. B. bei Paralysis
agitans).
Herr Dr. Murawjeff und Herr Dr. Korniloff betheiligten sich ebenfalls
an der Discussion.
In dieser Sitzung wurden zu Redacteuren des Korsakoff’schen Journals
der Neuropathologie und Psychiatrie die Herren Roth, Korniloff, Minor,
Ros8olimo, Serbsky, Tokarsky, Soukhanoff gewählt.
G. Rossolimo. N. Wersiloff.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction Bind zu richten an Prot Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 29.
Verlag von Vkit & Comp, in Leipzig. — Druck von Manen & Wime in Leipzig.
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Register 1901.
I. Originalaufsätze.
Balte
1. Bin Fall von isolirter traumatischer Lähmung des N. pcron. prof., von M. Bartels 2
2. Mittheilungen zur Friedreich’schen Ataxie, von Dr. S. Schoenborn.10
3. Die Tabes beim weiblichen Geschlecht, von Prof. Dr. E. Mendel.19
4. Giebt es centrifugale Bahnen aus dem Sehbtigel zum Rückenmark? Von Adolf
Wallenberg.50
6. Zur KenntnisB des Geruchsorganes bei menschlicher Hemicephalie, von Dr. L. v.
Muralt .•.51
6. Zum Ursprung des dorso-medialen Sacralfeldes, von Priv.-Doo. Dr. G. Bikeles . 53
7. Die Untersuchung der trophischen Störungen bei Tabes und Syringomyelie mit
Röntgenlicht. Nebst kritischen Bemerkungen zu NalbandolFs Aufsatz: Zur Sympto¬
matologie der trophischen Störungen bei Syringomyelie (Osteomalacie), von Dr.
R. Kienböck.55
8. Ein neues Silberimprägnationsverfahren als Mittel zur Färbung der Axencylinder.
Vorläufige Mittheilung, von Dr. J. Fajersztajn.98
9. Ueber Blutdruckmessungen im Dienste der Diagnostik traumatischer Neurasthenieen
und Hysterieen, von Priv.-Doc. Dr. H. Strauss.106
10. Ein Fall von Myasthenia pseudoparalytica gravis, von Dr. Kurt Mendel . . . 111
11. Ueber Dysphagia amyotactica, von Priv.-Doc. G. J. Rossolimo . . . 146. 213. 255
12. Ueber eine neue Modification der Golgi’schen Silberimprägnirungsmethode, von Priv.
Doc. Dr. Hans Gudden.151
18. Zur Frage der erblichen Uebertragbarkeit der Brown-Sequard’schen Meerschweinchen¬
epilepsie, von Dr. Max Sommer.152
14. Die psycho-reflectorische Facialisbahn (Bechterew) unter Zugrundelegung eines Falles
von Tumor im Bereich des Thalamus opticus, von Priv.-Doc. Dr. Max Borst . 155
15. Ueber angeborene Kurzlebigkeit einzelner Theile des Nervensystems, von Dr. Adler 159
16. Ueber Appendicitis in „nervösen“ Familien, von Dr. Adler.161
17. Ueber ein wenig bekanntes Fasersystem an der Peripherie des antero-lateralen Ab¬
schnittes des Halsmarkes, von Akademiker W. v. Beohterew.194
18. Weiteres über das intermittirende Hinken, von S. Goldflam.197
19. Zur Histologie der Compressionsveränderungen des Rückenmarks bei Wirbel-
gesch wülsten, von Dr. MaxBielschowsky. 217. 242. 300. 344
20. Zur Pathogenese und Klinik der Wadenkrämpfe, von Oberarzt Dr. P. Näcke . . 290
21. Ein Fall von oberflächlicher Erweichung des Gesammtgebietes einer Arteria fossae
Sylvii, von Priv.-Doc. Dr. G. Bikeles.296
22. Neue Mittheilungen über Störungen der Tiefenlocalisation, von Prof. A. Pick . . 838
28. Axencylinderfärbung. Vorläufige Mittheilung, von Dr. L. Kaplan.843
24. Ein klinischer Beitrag zur Lehre von der Hemitonia apoplectica (Bechterew), von
H. Pfeiffer.886
25. Zur optisch-sensorischen Aphasie, von Dr. M. Rosen fei d.895
26. Ueber die centralen Endigungen und Verbindungen des 7. und 8. Hirnnerven, von
N. Wyrubow.484
27. Zur pathologischen Anatomie der Basedow’scben Krankheit Vorläufige Mittbeilung,
von Dr. Laurenz Kedzior und Dr. Josef Zanietowski.438
28. Zur Frage nach dem Zusammenhänge von Träumen und Wahnvorstellungen, von
Dr. A. D. Kazowsky . 440. 508
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1164
29. Myoklonische Zuckungen bei progressiver Paralyse, von J. 8. Hermann . . . 498
30. Ueber den Scapula-Periostreflex, von Dr. Stein hausen.507
31. Deber das Helweg’sche Bündel, von Prof. H. Obersteiner . *.546
32. Ein Beitrag zur Lehre über den Verlauf der Geschmacksfasern, von Dr. J. Krön 549
33. Erwiderung an Herrn Dr. R. Kienböck auf seine kritischen Bemerkungen bezüglich
meiner Arbeit: „Zur Symptomatologie der trophischen Störungen bei Syringomyelie
(Osteoraalacie)“, von Dr. S. S. Nalbandoff.562
84. Erwiderung zu den obenstehenden Bemerkungen, von Dr. R. Kienböck . . . 564
35. Beiträge zur Lehre von der Erb’schen Krankheit, von Leop. Laquer und Carl
Weigert.594
36. Casui8ti8cher Beitrag zur Lehre von der Dystrophia musculorum progressiva, von
Dr. Kurt Mendel.601
37. Ererbte Mitbewegungen, von Dr. Max Levv.605
38. Zur Technik der Marcbi-Methode, von Dr. Emil Raimann.608
39. Ueber die psychischen Schluckstörungen (Dysphagia psychica), von Prof. Dr. W.
v. Bechterew.642
40. Das antero-mediale Bündel im Seitenstrange des Rückenmarks, von Prof. Dr. W.
v. Bechterew.645
41. Ueber den hypogastrischen Reflex, von Prof. W. v. Bechterew.647
42. Ein Beitrag zur gegenseitigen Beeinflussung der Geisteskranken (Fall von „musi¬
kalischer Infection“), von Oberarzt Medicinalrath Dr. P Näcke.648
43. Ein Fall von angeborenem partiellem Haarmangel in Beziehung zur Haarempfindlich¬
keit, von Dr. V. P. Ossipow.655
44. Ueber functionellc Herabsetzung der Hörfahigkeit, von Dr. L. Tr eitel .... 689
45. Erfahrungen über den Babinski’schen Reflex, von Dr. August Homburger . . 698
46. Ueber die Bedingungen des Erscheinens und die Bedeutung der Varicosität der
Protoplasmafortsätze der motorischen Zellen der Hirnrinde. Vorläufige Mittbeilung,
von Dr. J. Jwanoff.701
47. Zur Frage der Regeneration des Rückenmarks, von Dr. med. Alfred Fickler . 7S8
48. Recidivirende Facialislähmung bei Migräne, von Priv.-Doc. G. J. Rossolimo . . 744
49. Associirter Nystagmus, von Dr. Erwin Stransky.786
50. Ueber intermittirendes Hinken, von Dr. M. van Oord.795
51. Der Supraorbitalreflex. Ein neuer Reflex im Gebiet des 5. und 7. Nervenpaares,
von Dr. Daniel MoCarthy.800
52. Eine Variation im Verlaufe der Pyramidenbabn, von Dr. Ernst Sträussler . . 8S4
53. Pathohistologische Untersuchung des Centralnervensystems in einem Falle von
Sachs’scher familiärer amaurotischer Idiotie, von Dr. Ernst Frey.836
54. Weiteres zur Klinik der Tay-Sachs’schen familiären paralytisch-amaurotischen Idiotie,
von H. Higier.343
55. Ueber Kothbrechen bei Hysterie, von Dr. med. L. E. Br eg man.882
56. Stichverletzung des dritten linken Dorsalnerven am Ganglion spinale, von Adolf
W alienberg.888
57. Ueber einen Fall von Brücken Verletzung bei intactem Schädel, von Dr. med.
Stanislaus Orlowski.894
58. Ueber die Reflexe im Antlitz- und Kopfgebiete, von Prof. Dr. W. v. Bechterew 930
59. Zur Frage des Supraorbitalreflexes, von Dr. Carl Hudovernig.933
60. Die spinalen motorischen LocaliBationen und die Theorie der Metamerieen, von Dr.
C. Parhon und Dr. M. Goldstein. 935. 9®
61. Zur Kenntniss der Lagerung der motorischen Hirnnerven im Hirnschenkelfuss, von
Priv.-Doc. Dr. G. Bikeles.944
62. Reflexepilepsie bei spastischer OesophagusBtenose, von Dr. med. L. E. Bregman 978
63. Zur Conservirung von Faserfarbungen, von Dr. Erwin Stransky.983
64. Ueber ein Teratom der Hypophyse bei einem Kaninchen, von Dr. Alexander
Margulies.1026
65. Ueber den Ursprung des N. depressor. Vorläufige Mittheilung, von Priv.-Doc. Dr.
Georg Köster.1032
66. Ueber einen Fall von doppelseitigem, symmetrisch gelegenem Erweichungsherd im
Stirnhirn und Neuritis optica, von Dr. Zacher.1074
67. Die Eutstehung der Tabes. Summarische Mittheilung von Dr. Coloman Pandy 1083
68. Ueber Hirnsymptome bei Carcinomatose. von Dr. Alfred Saenger.108*
69. Zur Pathogenese der Arthropathieen bei Syringomyelie, von Dr. Carl Hudovernig 1137
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1165
II. Namenregister.
(Die in Parenthese eingeklammerten Zahlen bedeuten: Bemerkung in der Discussion.)
Abadie: Hysterische Polyurie
865.
Osteoarthropathie bei Tabes
1052.
Abel: (1148).
Acevedo : Neuritische Gangrän
960.
Aohard: Urticaria abdominalis
185.
Erythem am Thorax 185.
Akromegalie 277.
Cocaininjection (intraspinal)
876.
CerobrospinalflÖ8sigkeit 993.
Adamkiewioz: Gedächtnis»
328
Adler (Breslau): Kurzlebigkeit
einzelner Theile des Ner¬
vensystems 159.
Appendicitis in „nervösen“
Familien 161.
Kleinhirn u. multiple Skle¬
rose 806.
Ahlström: Oculomotoriuskern
708.
de Ahna-.Kümmell’sche Krank¬
heit 903.
Alexander, de Maine: Melan¬
cholie 134.
Allard: Paralytischer Klump-
fuss 918. (919).
Elektrischer Strom nach
intraarachnoidealer Co¬
caininjection 921.
Alt: (475). (477).
Alzheimer: (1119).
Amabilmo: Rücken markscom-
pression 909.
Anglade: Neurogliafärbung
591 u. 918.
Anton: Ermüdung der Kinder
118.
Kleinhirnataxie 166.
Alkohol 537.
Ardin-Delteil: Rückenraarks-
syphilis 67.
Plantarreflex bei Paralyse
142 u. 1110.
Larvirte Epilepsie 407. (427).
Masturbation 431.
Vererbung 432.
Arnaud: Tod der Paralytiker
431.
Arnott: TramnatischeEpilepsie
411.
Arnsperger*. Athetose u. Tabes
1046.
Ascbaffenburg: (477). (478).
Berufsgeheimniss u. Psy¬
chiatrie 1065.
Aspissow: Centra des N. fa¬
cialis 1126.
Auerbach: Unfallnervenkrank¬
heiten 265.
Babes: Pellagra 319.
Babinski: (142).
Kleinhirnasynergie 174.
(494). (589).
Hemiasynergie 732.
Basedo w’sche Krankhei t733.
Stauungspapille 734. (735).
(919). (920).
Babonneix: Polyneuritis bei
Influenza 314.
Bach,L.: Verlauf der Pupillar-
u. Sehfasern 25.
Bade: Corsettbehandlung bei
Tabes 1052.
Baelz: Klima, Erkältung und
Nervensystem 726.
Baer: (729).
Baer, Lucian-. Paralyse in
Stephansfeld 38.
Baglioni: Mechanismen des
Rückenmarks 403.
Bailey: Rückenmarksblutung
durch Trauma 239.
Baldi: Thyreoidea 265.
Balint: Geistige Vorgänge im
Greisenalter 131.
Ballet: Spiegelschrift 170.
Cerebrale GliomatoBe 589.
(590).
Schrift des Leonardo da
Vinci 1097.
Bälz: Emotionslähroung 480.
v. Bardeleben: Topographische
Anatomie 565.
Bardesco: Mal perforant 35.
Barendt: Arsen Vergiftung 519.
Barratt: Hämatom der Dura
617.
Nervensystem nach Ampu¬
tation 950.
Bartels: Traumatische Läh¬
mung des N. peron. prof. 2.
Endopblebitische Wuche¬
rungen im Centralnerven¬
system 1120.
Barth: Hysterische Taubheit
358.
Barthelmes -. Poliomyelitis und
Polyneuritis 312.
Bary: Muskelatrophie 540.
Battelli: Nervensystem nach
Anämie 119.
Batten: Encephalitis nach In¬
fluenza 576.
Batten: AngehalteneEutwicke-
lung des Nervensystems
bei Kindern 855.
Bäumler: Traumatische Er¬
krankung des Nerven¬
systems 627.
Beadles: Geisteskrankheit bei
Jaden 132.
Becher: (475).
v. Bechterew: PonsafFection
126.
Kleinhirnataxie 176.
Anterolateraler Abschnitt
des Halsmarks 194.
Nervöser Speichelfluss 869.
Suggestion als Factor des
Verbrechens 538.
Besessenheit bei Hysterie
541. (542).
Psych. Schluckstörungeu
642.
Anteromediales Bündel 645.
Hypogastischer Reflex 647
u. 778. (828). (829). (830).
Reflexe im Antlitz- u. Kopf¬
gebiete 930.
Geschwulst in Mcdulla ob-
longata 1129.
Beck: Elektrische Erschei¬
nungen im Rückenmark
686 .
Becker, Ph. F.: Schütteltremor
nach Trauma 266.
Becker: Axencylinderfärbung
969. (1015).
Bebr-. Paralyse in den letzten
4 Jahrzehnten 1106.
Bellin: Jugendirresein 78.
Benda: Fettfarbstoffe 140.
Hypophysis 140.
Bender: Spondylose rhizomö-
lique 901.
Benders-. Hallucination und
Wahnidee bei Schwach¬
sinn 762.
Benedict: Therapie der Tabes
35 u. 827.
Abstinenzfrage 527.
Ursachen der Tabes 824.
Tabes 827.
Beneke: Ganglioucurom 901.
Benoit: Basedowsche Krank¬
heit 996.
Berger: Postinfectiöse u. In-
toxicationspsychosen 581.
Bluteirculation in der
Schädelhöhle 947.
Börillon: Morphinomanie 428.
Berkban: Haschiscbkneipe584.
Schwachsinn 869.
Digitized by GoO^lC
1166
Bermann: Tabes, Paralyse u.
Syphilis 1042.
Bernhardt, M.: Abnormes
Wachstham 331. (630).
Facialislähmungen 951.
Hypogastrischer Reflex (Mit¬
theilung) 1130.
Bernhardts (476).
Bernheim: Motorische Aphasie
1095.
Bernheimer: Corticale Seh*
centren 567.
Bernstein: (924).
Bertley: Allgemeine Anästhesie
65.
Bertschinger: Verblödungs¬
psychosen 873.
Beselin (1154).
Bethe: Regeneration peripherer
Nerven 720.
Bettencourt-Ferreira: Hamlet
820.
Bettmann: Hautaffectionen bei
Hysterie 360.
Beyerman: Nervensystem und
Athmung 854.
Bezola: Alkohol und Zeugung
537.
Bianchi: Hirnmantel 162.
Physiopathologie des Ge¬
hirns 572.
Bickel: Hirnphysiologie der
Schildkröte 613.
Magendie-Bell'scher Lehr¬
satz 853.
Sensorische Ataxie 1039.
Bielschowsky: Rückenmarks-
coro pression bei Wirbel¬
geschwülsten 217. 242.
300. 344.
Myelitis und Sehnervenent¬
zündung 457.
Bierhoff: Enuresis 860.
Biernacki: Migräne 1124.
(1125).
Bietti: Augenstörungen bei
Pellagra 958.
Bikeles: Dorsomediales Sacral-
feld 53.
Himschenkelfu88 944.
Erweichung im Gebiet der
Art. fossae Sylvii 296.
Bing: Hysterisches Fieber 362.
Binswanger: Taboparalyse967.
Postinfectiöse und Intoxi-
cationspsychosen 581.
(1023).
Biro: Epilepsie 410 u. 683.
Achillessehnenreflex bei Ta¬
bes u. Ischias 686 u. 1045.
(925).
Friedreioh’sche Krankheit
1054 u. 1124.
Sklerodermie 1071.
Tetanus 1071.
Syringomyelie 1124. (1125).
Bischoff: Cerebrale Kinder¬
lähmung 857.
Bischofswerder: Syringomyelie
592.
Blackwood: Balkentumor 124.
Blaschko: (534).
Blin: Craniometer 431.
Bloch, Ernst: Hysterische
Stummheit 857.
Nervensystem bei Leukämie
449.
Boehelman: Rückenmarks-
tranma 464.
Boettiger: (91).
Schreibkrampf 179. (1154).
Boinet: Muskelatrophie 633.
Boissier: Epilepsie n. Trepa¬
nation 412.
Paralyse und Alkohol 537.
Bolte: Alkohollitteratur 1059.
Bonardi: Akromegalie 278.
Bonhöffer: Delirium tremens
479.
Bonne-. (92).
Suggestion bei Alkoholisten
1056.
Ekzem 1057.
Bonnier-. Labyrinthaffection
bei Tabes 32.
Borischpolski: Geistige Welt
der Taubstummen 828.
Borrowman: Hirncirculation
572.
Borst: Psychoreflectorische
Facialisbahn 155.
Borsuk: Jackson’sohe Epilepsie
927.
Bourneville: Jugendirresein 78.
Hysterie bei Kindern 366.
Idiotie nnd Epilepsie 409.
Epilepsie 410.
Epilepsie, Hysterie, Idiotie
473.
Familiäre Affeotion 862.
Bouveret: Aphasie 167.
Boyer: Hysterie bei Kindern
366.
Braösco: Bettbehandlung 428.
Brahmachari: Posthemiplegi-
Bche Athetose 575.
Bram well, Hirngliom 616.
Myasthenie 811.
Brasch, F.: Wasserentziehung
und Nervenzelle 227.
Rückenmarksgefasserkran-
kung 667.
Brasch, M.: Hereditäre und
infantile Tabes 331. (333).
Bratz: (484).
Epilepsie 485.
Brauer: Reflexe bei Rücken-
marksquerläsion 452.
Braun: Laminektomie 466.
Bregman: Trochlearis- und
Oculomotoriuslähmung
189.
Bregman: Akromegalie 277.
Epilepsie 682.
Kothbrechen bei Hysterie
882. (925).
8vringomyelie 925.
Kleinhirntumoren 685. 926
u. 927 u. 928.
Kohlendunstvergiftung 928.
Reflexepilepsie bei Oeso-
phagusstenose 978.
(1125).
Bresler: Gekreuzte Demtioj
der Augen 1109.
Breuer: Basedow'sehe Krank¬
heit 274.
Briand: (427).
Brisard: Meralgia paraerthe-
tica 1006.
Brissaud: Herpes zoster 142.
Metamerie bei Throphonra-
rosen 361.
Progressive Paralyse 919.
(920).
Broca: Serum antialcobolicon
530.
Brodie: Herzhemmuog 899.
Brodmann: Neuritis ascendeu
traumatica 308.
Brodowski: (925).
Brousse: Rückenmarks«jphilis
67.
Browning: Drucklihnmng
peripherer Nerven 952.
Bruce: Melancholie 134.
Topographie des Rücken¬
marks (Atlas) 264.
Bruchansky: Delirium arutaa
877.
Bruns-, Kleinhirn 162.
Segmentdiagnose 453.(968),
Chorea eleetrica 969.
Bruns, Otto: Spätapoplexie
naoh Trauma 907.
Brunton: Alkoholneuritis522.
Bucelski: Paralyse 684.
Buchanao: Sarcom in der
Kniekehle 325.
Buchholz: (774). (1155).
de Buck: Spasmen 662.
Hirnläsion durch Contrecoup
908.
Bührer: Mvoklonie 1005.
Bum: Uebungstherapie bei
Tabes 34.
Bnrgl: § 1569 BGB. 625.
Burr: Syphilis des Nerven¬
systems 69.
Allgemeine Anästhesie 359.
Hydrocephalus 621.
Stereoagnosie 1098.
Bury: Arsenneuritis 308.
Bnttersack: Aphasie 167.
ÜDfallnearo8e 265.
Buzzard: Bahnen zwwebe«
Mittelhirn und Rücken¬
mark 946.
1167
Cadman: IX., X. u. XI. Hirn¬
nerv 899.
Camia: Acute Verwirrtheit 830.
Krampf und Narcose 750.
Cerebrale Kinderlähmung
859.
Caminiti: Chirurgische Ana¬
tomie des Gangl. Gasseri
749.
Campbell: Herpes zoster 309.
Canning: Hülfsklassen für
Schwachsinnige 865.
Carlslaw: Erythromelalgie
961.
McCarthy: Endotheliom der
Dura 617.
Hydrocephalus 621.
Supraorbitalreflex 800.
Cassirer: Little’sche Krankheit
639 .
AbscesB der Medulla oblong.
729.
Halssympathicus 813.
VasomotoriBch-trophisohe
Neurosen 966.
Catani: Ankylosirende Ent¬
zündung der Wirbelsäule
467.
Ceni: Experimentelle Pellagra
958.
Cesario-Demel: Syringomyelie
665.
Cestan*. Meningomyelitis lue-
tica 69.
Polyneuritis syphilitica 70.
Polyneuritis bei Influenza
314.
Malum Pottdi 465.
Lähmung der associirten
Augen bewegungen 489.
Polvneuritis nach Blenor-
rhagie 590.
Chantemesse: Heredität 583.
Chapin: Poliomyelitis 714.
van Charante: Hyperalgetische
Zonen von Head 306.
Charon: Paralyse zu Saint-
Alban 1104.
Chiari: Myelitis bei Bronchi-
ectasie 460.
Glioma cerebri 1058.
Chipault: Mal perforant 35.
Eesection der hinteren
Wurzeln 470.
Kugel im Corpus callosum
620.
Arthropathieen 669.
Meralgie 762.
Hodenneuralgie 762.
Halssympathicuschirurgie
816.
Wirbelosteomyelitis 902.
Rachitische Skoliose 902.
Gibbu8behandlnng 902.
Chodiko: Babinski'sohea Phä¬
nomen 663 u. 684.
] Ciaglinski: Pathologie der
I Nervenzelle 711. (925).
(1125).
i Clairbonne: Familiäre amau¬
rotische Idiotie 864.
Claparöde: Agnosie 168.
Clark, J. E.: Landry’sche
Paralyse 316.
Clark, Pierce*. Hysterische
Aphonie 407.
Clarke: Hirntumor 123.
Akromegalie 279.
Claus: Hedonal 186.
Clere: Erythem am Thorax 185.
Coenen: Hautsensibilität 994.
Cohn, Martin: Ponsblutungen
574.
Cohn.Toby: Little’sche Krank¬
heit 42.
Alopecia areata 43.
Progressive Muskeldystro¬
phie 1115.
Hemiplegie und Bulbär-
symptome 1115.
Colla: ModerneTrinkerbehand-
lung 526.
Collier: Bahnen zwischen
Mittelhirn u. Rückenmark
946.
Collina: Glandula pituitaria
264.
Cololian: Therapie 966.
Concctti: Eklampsie, Tetanie
der Kinder 270.
Cotterill: Hypertrophische
Osteopathie 814.
Courtney: Hirntumor 122.
Ray n aud’scheKran kbeit 961.
Couvelaire: Neurofibromatose
324.
Couvreur-. Experimentelle
Physiologie 354.
Covöos: Epilepsie, geheilt nach
Influenza 410.
Cowen: Progressive Paralyse
1104.
Cramer-. Sympathische Reao-
tion bei Unfallkranken
450. (476). (484).
Grenzzustände in foro 624.
Crivelli: Alkoholismus 529.
Crocq: Mal perforant 86.(186).
Croner: Diabetes und Tabes
1043.
Crouzon: Zehenreflex bei Epi¬
lepsie 142.
Familiäre Affection 862.
Cumston-. Nervenverletzung
durch Fractur 266.
Cybulski: Elektromotorische
Kraft der Nerven 687.
Czyhlarz: Cerebrale Blasen-
Störungen 571.
Dämmer: Tetanie 999.
Dams: (188).
Digiliz
Decroly: Rückenmarks¬
verletzung 240.
Liqour cerebrospinalis 469.
Deganello: Aplasie des Klein¬
hirns 165.
Canaliculi semicirculares
514.
Porencepbalie 855.
Deitere: Typhuspsychosen 530.
Dejerine: (47).
Semiologie des Nerven¬
systems 81. (186). (917).
Delbrück: Anstaltsneubau 585.
Trinkerheilanstalten 1060.
Delobel: Alkoholismus beim
Kind 177.
Congenitaler Alkoholismus
520.
Dembo: Alkoholismus 529.
Democh: Spastische Spinal¬
paralyse 461.
Demoor: (188).
Deneke: (90).
Derkum: Hemiplegie, Hemi¬
anopsie, Aphasie etc. 121.
Nervenfasern in der Rücken-
markspia 707.
Endotheliom des Ganglion
Gasseri 758.
Deskin: Familiäre Erkran¬
kungen des Centralnerven¬
systems 670.
Determann: Allocbirie 1046.
Deutschmann: (419). (1152).
Devaux: Trophische Tabes
1051.
van Deventer: Hallucinationen
und Wahnideeen bei
Schwachsinn 762.
Dide: Aetiologie der Epilepsie
406.
Dinkler: Basedow’sche Krank¬
heit 273. 995.
Bauchreflex 778.
Tabes 1042.
Donaggio: Reticulum der
Nervenzelle 991.
Donald: Anthropometrie an
Schulkindern 75.
Donath: Traumatische perio¬
dische Lähmung 234.
Peroneuslähmung durch
puerperales Trauma 955.
Curarewirkung und elek¬
trische Erregbarkeit 992.
Ophthalmoplegiainterna bei
Paralyse 1107.
Dopter: Malarianeuritis 322.
Mikroben und periphere
Nerven 950.
Dorendorf: Ankylosirende Ent¬
zündung der Wirbelsäule
468.
Laryngeus-superior-Läh-
mung 952.
Doutrebente: (427).
. y Google
1168
Downarowicz: Hemiparese
1123.
Dabois: Experimentelle Phy¬
siologie 354.
Nervöse Dyspepsie 864.
Intermittirenae psycho¬
pathische Zustande 766.
Düms: Militärkrankheiten 767.
Daplay: Mal perforant 36.
Duprö: (142).
Basedow, Sklerodermie und
Tetanie 271. (735).
Tropbische Tabes 1051.
Dnrante: Körniger Zerfall der
Muskelfaser 63.
Dntton: Opticnsfasern 992.
DyiJynski: Cerebrale Kinder¬
lähmung 189.
Progressive Paralyse 189.
Multiple Hirnnerven¬
lähmung 190.
Landry'sche Paralyse 924.
Kberuiann: Partieller Riesen¬
wuchs 541.
Edel, Max: Selbstbeschädigung
40.
Vergiftung mit Höllenstein¬
stiften 85.
Unfallpsychosen 484 u. 912.
Ediuger: Unfallnervenkrank-
beitcn 265. (968). (1020).
Ehret: Ischias 963.
Einstein: (87).
Eisath: Aetiologie der pro¬
gressiven Paralyse 1102.
Eliassow: Huntington’scbe
Chorea 1003.
Elzevier Dom: Aetiologio der
Paralyse 1100.
Elzholz: Syringomyelie oder
amyotropbiscbe Lateral¬
sklerose 190.
Einöden: 776.
Manganvergiftung 1067 u.
1148. (1153).
Engelhardt: Postoperative
Seclenstörungen 268.
Engelkeu: 0<>mpression des
Bracbialplexus 463.
Erben: Ataxie 543.
Simulation 915.
ßtienne: Progressive Muskel-
atrophie 712.
Eulenburg, A.: Gonorrhoische
Nervenerkrankungen 72.
Teslaströiue 135.
Ischiastherapie 962.
HirnerkraDkungen nach
elektrischem Trauuial057.
JPabris: Meningealcyste der
Metlulla oblongata 129.
Fajersztujn: Axencylinder-
färbung 98.
Fajersztajn: Polioencepbalitis j
und Myasthenie 683.
Gekreuztes Ischiasphänomen i
761. !
Falkenheim: Familiäre Idiotie
670 u. 868.
Farnarier: Aetiologie der Para¬
lyse 37.
Fauquet: Tabes 1046.
Faure: Delirium 428.
Zellläsionen bei psychischen
Zuständen 481.
Favaro •. Sulcus ve»tibularis658.
Fcngvessy: Lipochrom der
Nervenzellen 712.
Ferd: Coup de foudre 76.
Sadismus 77.
Hysterie und Basedow 274.
Epileptischer Heissbunger
407.
Ferney: Corporaquadrigemina
993.
Ferrand: Atrophie der Corpora
mamtuillaria 494.
Akromegalie 875.
Ferner: Organische u. hyste¬
rische Hemiplegie 283.
Fiokler: Regeneration des
Rückenmarks 738.
Fischer: Gesellschaft für ex¬
perimentelle Psychologie
830. (1119).
Fischer, Max: lrrenfüreorge
1013.
Flatau: Neuritis und Poly¬
neuritis 675.
Entzündliche Processe im
Gehirn 681.
Reflexe bei traumarischer
Rückenmarksläsion 685.
(1016). (1024).
Fleming: Landry’sche Para¬
lyse 956.
Flesoh: Steifigkeit der Wirbel¬
säule 377.
de Fleury: Epilepsie 471.
Fock: (93).
Foereter: Sensibilität bei Tabes ;
31.
Follet: Myoklonie und Spon¬
dylose rhizomelique 181.
Parainyoklonus 181.
Fussklonus bei Tuberculose
489.
Forel: Alkohol 587.
Fönster-. Tabes und Opticus- j
atrophie 1047.
Fraenkel, E.: (418).
v. Fragstein: Trigeminus bei
Tabes 1045.
Francois: Brown-Sequard 906.
Franx-Möusterlingen: Straf¬
rechtspflege u. Psychiatrie
1120.
Fränkel, Joseph: Prognose der
Hysterie S68.
v. Frankl-Hochwart: (191).
Frenkel: Sensibilität bei Tabes
31.
Muskelerregbarkeit und
Sehnen retteie beiTabes Sl.
Frey: Familiäre amaurotische
Idiotie 836.
Frick: Sensibilität bei Aneu¬
rysma aortae 762.
Friedfänder, A.s Aphasie und
Demenz 1017.
Friedmann, M.: Spastische
Spinalparalyse 67.
Myelitis nach Influenza 718.
Wahnide en im Völkerleben
963. (1119).
Fröhlich: Schädel- und Hirn¬
verletzungen 233.
Frohmann: Facialislähmung
952.
Frölich: Chorea 1000.
Frölich: Paralyse vor Ab¬
schluss der körperlichen
Entwickelung 1111.
Fuchs: Leberneuralgie 378.
Fürst: Hysterie 365.
Fürstner, Prof.: Rückenmark
bei progressiver Paralyse
28. (477). (483).
Augenspiegelbefund 677.
Hämatomyelie und Plexus¬
erkrankung 815. (1119).
dallavardin: Cerebrale
Kinderlähmung 859.
Ganter: Tätowiren 622.
Garnier: Therapie 966.
Gasne: Hysterische Anorexie
863.
Osteoarthropathie 1052.
Gaupp: (1119).
Geelvink: Gehirne mit Cysti-
cerkeninvasion 85.
van Gehuchten: Neurone 188.
Gölineau: Epilepsie 470.
Gerhardt, C.: Kleinhirncyste
173.
Gibert: Arthropathieen und
Radiographie 32.
Gierlich: Erkrankung der Lum¬
bal- u. Sacralwurzeln 463.
Giese: Puls und Athumng in
Hypnose 640.
Myasthenia pseudoparaly-
tica 809.
Hereditäres Nervenleiden
863.
Rückenmarkstumor 904.
Gilles de la Tourette: Gang
572.
Gioffredi: Immunisirung gegen
Morphium 516.
Glaser: Spondylose rhizome¬
lique 901.
Glax: Balneotherapie 821.
Digitiz
edbyG00g[(
1169
Glorien*: Kleinhirntnmor 807.
Polyneuritis 957.
Goldbaum: Syringomyelie 664.
Goldblum: Chorea 1001.
Goldfeld: Forensische Bedeu¬
tung der Röntgenstrahlen
625.
Goldflam: lntermittirendes
Hinken 197.
Goldscheider: (4171.
Goldstein: Pseudobulbärpara¬
lyse 810.
Schädelhirnverletzungen
288.
Hvpoglossuskern 807.
Theorie der Metamerieen
985 u. 985.
Gombault: Progressive Para¬
lyse 481.
Goodall: Binde bei Geistes¬
kranken 949.
Görke: Geistig zurückgeblie¬
bene Kinder 79.
Gorschkow: Geschmack- und
Geruchscentren 1092.
de Gothard: Sensibilität bei
Tabes 80.
Gram: Chorea 1002.
Graniux: Hallucination bei
Alkoholismus 523.
Grassl: Syringomyelie 664.
Grawitz: (730).
Grebner: Tactile Hautanästhe¬
sie bei Tabes 1045.
Greenless: Friedreich’sche
Krankheit 1055.
Gregor: Alkoholwirkung 520.
Griboiedow: Anatomie und
Psychologie 881.
Grillain: Basedow, Sklero¬
dermie, Tetanie 271.
Grober: Alkohol 537.
Grudzinski: Tetanie 999.
Gubler-. Akromegalie 278.
Gudden: Silberimprägnirunga-
methode 151.
Guerrini: Ermüdung und Hirn¬
rindenzellen 117.
Guinon: Polyneuritis nach
Keuchhusten 957.
Gumpertz: Seelenstörungen im
Kindesalter 77. (332).
Poliomyelitis anterior 333.
(334).
Guranowski: Trigeminus¬
neuralgie 1124.
Gutmann: Schädelverletzung
229.
Hysterischer Mutismus 858.
Guttenberg: Erkrankung dee
Pleius sacralis 956.
Haag: Unfallversicherung915.
Haardt: Anstalt zu Emmen¬
dingen 1117.
Habart: Gehirn- und Rücken¬
markschirurgie 825.
Habel: Chorea 1001.
Haeckel: Topographische Ana¬
tomie 565.
Haenel: Erkrankung des Hirn-
Schenkels 125.
v. Halban: Infantile Pseudo¬
bulbärparalyse 129 u. 191.
Polyneuntis alcoholica 522.
Hall: Asthenische Bulbärpara-
lyse 131.
Hammerechlag: Otitisohe
endocranielle Complica-
tionen 377.
Hanser: Angioneurose 314.
Haorland: Basedow’sohe
Krankheit 273.
Harlan: Hysterisohe Blindheit
357.
Harrison: Nervensystem bei
Salmo salar 402.
Hartenberg: Angstneurose 428.
Hartmann: Traumatisohe
Bückenmarkserkrankung
458 u. 909.
Ankylosirende Entzündung
der Wirbelsäule 466.
Postmortale Cystenbildung
569.
Hemiplegischer Keuch¬
husten 575.
Haskovec: Basedowsche
Krankheit 271.
Zwangsvorstellungen 428.
Hauser: Malum Pottii 592.
Haushalter: Neurofibromatose
904.
Hawthorne: Kleinhirntumor
und Kniepbänomen 175.
Haydon: Kleinbirnabscess 173.
Head: Herpes zoster 809.
Hecht: Circulation in gelähm¬
ten Gliedern 575.
Hegar-. Menstrualpsychosen
818.
Heilbronner: Functionelle
Psychosen 481.
Heiligenthal: Halssympathicus
268.
Heitz: Epilepsiebehandlung
411.
Helmstädt: Epilepsiebehand¬
lung 412.
Henderson: Aphasie 168 u.
1096.
Hendon: Delirium tremens524.
Hendrickx: Tabes beim Pferd
1040.
Henne: Schussverletzungen
229.
Henneberg: Pseudologia phan-
tastica 132.
Gowerisches Bündel 334.
Spiritismus 485.
Rückenmarksgliom 666.
Henrici: Multiple Neuritis 318.
Herford: Hitzachlag 911.
Hermann: Myoklonie bei Para¬
lyse 498.
Hertz: Delirium tremens 524.
Herwer: Physiologie der Hirn¬
rinde 542.
Hemmende Functionen der
Hirnrinde 542.
Herz: Heilgymnastik 827.
Hess: Symmetrische Polyneu-
ritis 94 u. 1152.
Dystrophia musculorum
progr. 95.
Osteoarthropathie, hypertr.
1150.
Raynaud’sche Krankheit
1151.
Heubner: Bückenmarksgliome
666 .
Chorea 1058.
Higier: Familiäre amauro¬
tische Idiotie 843 u. 1015.
Hill: Vasomotorische Nerven
709.
Hinshelwood: Kopfschmerz
757.
Hirschfeld: Nervensystem bei
Leukämie 449.
Hirschl: Basedow’sche Krank¬
heit 275.
Hitzig: Motorische Rinden-
centren 164.
CorticaleB 8ehen beim Hunde
286. (477).
Localisationslehre 1060.
Hoche: Frühdiagnose der pro¬
gressiven Paralyse 88.
Einweisung in die Irren¬
anstalt 78.
Aetiologie des Myxödems
481.
Innervation der Handbewe¬
gungen 613.
Neurosen nach elektrischen
Entladungen 627.
Pathologie des Rückenmarks
900.
Gerichtliche Psychiatrie
1007.
Hockenjos: Cerebrale Affeo-
tionen bei Keuchhusten 580.
Hödlmoser: Tetania gravida¬
rum 269.
Hoffmann, A. (Halle): Hemi-
anästbeaie u. Hemiplegie
573.
Hoffmann, August: Paroxys¬
male Tachycardie 378.
Epilepsie u. Myoklonie 1016.
Hofnnann, J. (Heidelberg):
Multmle Sklerose 678.
Spinale Muskelatrophie 752.
Höftmann: Paraplegie 466.
Holl: Insel des Ungulaten-
gehirns 263.
74
Digilizedby G00gle
1170
Holm: Temperatur bei Geistes*
kranken 764.
Holmgren: Trigeminusneural¬
gie 759.
Holst: Infantile progressive
Paralyse 1111.
Holzinger-. Nervenkrankheiten
in Abessinien 380.
Lepra 540.
Caissonkrankbeit 541.
Homburger: Babinski’scher
Reflex 698.
Hönig: Polyneuritis alcoholica
324.
Hoppe: Trunksucht u. Geistes¬
störung 525.
Brandstiftung unter Einfluss
des Alkohols 528.
Hirntumor 620.
Poliomyelitis anterior 713.
Horvath: Hysterische Krämpfe
360.
v. Hösalin: Hirnsyphilis 65.
Huber: Incontinentia urinae
369.
Hudovernig: Polioencephalitis
superior 578 u. 811.
Supraorbitalreflex 933.
Arthropathieen bei Syringo¬
myelie 1137.
Hughes: Hirnschnitte 481.
Ignatjew-. Das Unbewusste
und die bewusste Thätdg-
keit 828.
Ilberg: Prognose der Geistes¬
krankheiten 372.
Hemicephalus 1062.
Infeld: Posthemiplegischer
Intentionstremor 576.
Iwanoff: Hervorrufung der
Stimme beim Thiere 539.
Varicosität derProtoplasma-
fortsätze der motorischen
Zellen der Hirnrinde 701.
Jaboulay: Trophische Stö¬
rungen am Fass 37.
Epilepsiebehandlung 411.
Sympathicuschirurgie 816 .
Jaoob: Sensorische Ataxie 1039.
Jacobsohn, L.: Tabes 1044.
Jacquin: Heroin 583.
Jahrmärker: Paralyse bei
Frauen 1110.
James: Reflex und Clonus 451.
Landry’sche Paralyse 956.
Jastrowitz: (1114).
Jelinek: Beobachtungen bei
Elektricitätsarbeitern 368.
Jeremias: Erwerbsfähigkeit
bei traumatischen u. nicht-
traumatischen Neurosen
286.
Jessen: (87).
Jolfroy: (47).
Progressive Paralyse 431.
(494). (920).
Johnston: Gehirn des Störes
1092.
Jolly: (45).
Syphilis und<Geisteskrank-
heiten 71. (137).
Stich Verletzung des Rücken -
marke 288.
Doppelseitige Halbseiten-
lähmung 582. (630). (729).
Peroneuslähmung nach Ge¬
lenkrheumatismus und
Chorea 1002.
Künstlicher Abort bei Neu¬
rosen u. Psychosen 1022.
(1024). (1116).
Joteyko: Ermüdung u.Nerven-
centren 117.
Joukovski: Zirbeldrüsen-
geschwulst 618.
Juliusburger: Zwangsvorstei-
lungsjwychosen 731.
Jullian*. Crise nasale bei Tabes
82.
Just: Röokenmark bei pro¬
gressiver Paralyse 1107.
Kadyi: Färbung der grauen
Substanz 687.
Kaes: (1015). (1016).
Kahane: Erythromelalgie 961.
v. Eahlden: (416).
Porencephalie 488.
Kalischer, O.: Groeshirnlocali-
sation bei Vögeln 710.
Kalischer, S.: (187). (882).
Fürsorge für schwach be¬
gabte Kinder 375.
Kaplan: Axencylinderfärbung
343.
Färbung des Nervensystems
480. (1015).
Kapper/Landry’sohe Paralyse
315.
Karplus: Myelomeningitis
luetica 68.
Kassowitz: Alkoholismus im
Kindesalter 586.
Käst: Schwerhörigkeit und
Worttaubheit 1096.
Kattwinkel: Huntington’sche
Chorea 994.
Kausch: Magenectasie bei
Rückenmarksläsion 907.
Kautzner-. Homosexualität 75.
Kazowsky: Träume u. Wahn-
Vorstellungen 440 u. 508.
Kedzior: Basedow’sche Krank¬
heit 438.
Keen: Neurofibromatose 825.
Endotbeliom des Ganglion
Gasseri 758.
Trigeminusresection 759.
Kellner: Kopftnaasse der
Idioten 868.
Keraval: Therapie der Geistas¬
krankheiten 581.
Kienböck: Trophische Störun¬
gen bei Tabes u. Syringo¬
myelie 55 u. 564.
Muskelatrophie nach
Trauma 143.
Schussverletsung des Kopfes
385.
Traumatische ConusläaioD
378.
Kionka: Schwefelkohlenstoff¬
vergiftung 518.
Kirchhof: Schichtstar und
Tetanie 1000.
Kirchhoff: Erblichkeit 623.
Kissinger: Hysterie nach
Trauma 913.
Kissling: Infantile Cerebral¬
lähmung 858.
Klapp: Brustmuskeldefect 754.
Klau: Progressive Muakd-
atrophie 713.
Klemm -. Psychosen u. Influenza
966.
Klingmöller: Erythromeließlö.
Klippel: Neuroretinitis u. halb¬
seitiges Zittern bei Typhus
141.
v. Knape: Resection spinaler
Nerven 660.
Motorische Kerne für Tflria-
lis und Peroneus 708.
Knapp: Landry'sche Paralyse
817.
Knecht: (475). (477).
Knotz: Seh- und Hörstörung
nach Schädelverletzuag
234.
Kobler: Hysterisches Fieber
868 .
Koch: Sarcom der Felsenbein¬
pyramide 131.
Dormiol 431.
Fibrom des 7. Cervieal-
nerven 462.
Abnorme Charaktere 868.
Koelliker: Medulla oblongata
von Ornithorhynchns 801.
Koenig: Cerebrale Kinderläh¬
mung 858.
Pupillenanomalie bei Idioten
871.
Koeppen-. Hirnerkrankung
nach Trauma 911.
Koester, Georg: Schwefel-
kohlenstoffneoritis 519.
Koffler: N. octavua beim
Frosch 853.
Kohn, Ernst: Pseudobulbär¬
paralyse 130.
Kohnstamm: Reflexe von hin¬
terer auf hintere Wurzel
26.
dby Google
1171
Kohnstamm: Vaguskerne 767.
Kolben: Traumatische Spät¬
apoplexie 907.
Kollarita: Bromalin 410.
Königstein: Herpes zoster oph-
tnalmicus S09.
Konräd: Schussverletzang des
Rückenmarks 267.
Kopczvfiski: Hirnsyphilis 188.
Muskelatrophie 926.
Tic convulsif 1008.
Hemiathetose 1071.
Friedreich’sche Krankheit
1124.
Brown - Söquard’sche Läh¬
mung 1125.
Korniloff: (882). (877).
Korsakoff: Bettbehandlung421,
Köster: Facialislähmung 949.
Ursprung des N. depressor
1032.
Clitoriskrisen 1050.
Kotschetkowa: Mikrogyrie u.
Mikrocephalie 856.
Kouindjy: Hemiplegie 579.
Kovalevsky: Epilepsie 471.
Kozowsky: Anatomische Ver¬
änderungen bei progres¬
siver Paralyse 80.
v. KraSt-Ebing: Familiäre
spastische Spinalparalyse
861.
Krainsky: Behexung in Russ¬
land 541.
Krau: Epileptischer Wander¬
trieb 408.
Krause, F.: (534).
Trigeminusneuralgie 1118.
(1114).
Krause (Jena): PoBtsyphili-
tische Demenz 64.
Krausbar: Tetanie 999.
Krauss: Cerebralgefasse nach
Trauma 229.
Kreuser: Beruhigungsmittel
für Geisteskranke 1117.
Krewer: Transitorische Spinal¬
lähmungen 457.
Krön: (45). (332). (1023}.
Krön, J.: Geschmacksfasern
549.
Arseniklähmung 1115.
Kroncr -. Raynaud’sche Krank¬
heit 960.
Kronfeld: Dentale Symptome
bei Tabes 1045.
Kudnaschoff: Spondylitis de-
iormans 902.
Kuh: Familiäre amaurotische
Idiotie 864.
Kühn: Ankylosirende Entzün¬
dung der Wirbelsäule 466.
liadame-. Motorische Aphasie
170.
Lafforeue: Mikroben u. peri¬
phere Nerven 950.
Laignel-Lavastine = Hämato-
myelie 182.
Laitinen: Alkohol und Infec-
tionskrankheiten 515.
Lalanne: (431.)
Spontanfracturen bei Para¬
lyse 431.
Traum bei Paralyse 431.
Lancereaux: Nervöse Hämatu-
rieen 365.
Langley: Sympathicus 803 u.
804.
Langstein: Circulation in ge¬
lähmten Extremitäten|575.
Lannois: Epilepsiebehandiung
411.
Hereditäres Trophoedem
862.
Lapinsky: Halssympathious
813.
Laquer: Hülfsschulen für
schwachbefähigte Kinder
82.
Erb’sche Krankheit 594.
Laslett: Fasern im Pons 221.
Laubry: Cerebrospinalflüssig¬
keit 993.
Laudenheimer-. Epilepsie 772.
Lazursky: Erinnerung 495.
Athmung u. Puls in Hyp¬
nose 540 u. 827.
Entwickelung der Psycho¬
logie 542 u. 829.
Seniler Schwachsinn 548.
Lefert: Neurologie 767.
Lenaz: Ataxie 805.
Lengnick: Rückenmarkaver- ;
letzung 465.
Lenoble: Familiäres Nerven¬
leiden 863.
Lentz: Idioten unterricht 186.
Lenzi: Elektrische Reaction
bei progr. Paralyse 37.
Leppmann: (42).
Ladendiebinnen 44. (968).
(1116).
Leroux: Tetanie 269.
Lesniowski: Reflexe bei trau¬
matischer Rückenmarks-
läsion 685.
Leven: Nervöse Hyperthermie
362.
L4vi: Zehenphänomen bei
Typhus 141.
Myoklonie und Spondylose
rhizomölique 181.
Paramyoklonus 181.
Fussklonus bei Tuberculose
489.
Levy, Max: Ererbte Mitbewe¬
gungen 605 u. 630. (682).
Lewandowsky: Automatie des
sympathischen Systems
353.
Lewandowsky! Cerebro-
spinalflÜBsigkeit 447.
Kleinhirn 804:
v. Leyden, Acute Myelitis 418.
Tabes 1041.
Libertini: Hemmung bei
Geisteskranken 75.
Liebmann: Sprachstörung
Schwachsinniger 872.
Liebscher: Angiolipom des
Wirbelcanals 668.
Liönaux: Kleinhirnataxie 176.
Tabes beim Pferd 1040.
Hinterstränge beim Pferd
1040.
Liepmann, H. (681). (682).
Paranoia + Simulation 728.
(729).
Apraxie 1145.
Lilienstein: Diagnostik innerer
Organe 1017.
van der Linden: Hirnläsion
durch Contrecoup 908.
Lodge: Akromegalie 277.
Loeper: Akromegalie 277.
Cerebrospinalflü8sigkeit998.
Loewenfeld, L.: Spontane
Besserung von Tabes-
Symptomen 34.
Loewenthal: (484). (1024).
Lohmann: (1023).
Loiseau: Alkobolismus und
sociale Reform 528.
Lombroso: Christoph Colum-
bus 818.
Londe: Athetose mit Chorea
915.
Lorenz: Epilepsiebehandlung
410.
Losski: Psychologie 881.
Luce: Beri-Beri 820.
Ludwig: (1118).
Lugaro: Waller’sches Gesetz
802.
Lui: Erblichkeit und Alkoho¬
lismus 177.
Kopftrauma und Paralyse
1103.
Lukäcs: Curare Wirkung und
elektrische Erregbarkeit
992.
Lundborg: Degeneration in
Schweden 865.
Luxenburg: Myxödem 1072.
diLuzenburger: Hemicontrac-
tur nach Trauma 235.
Haas: Unterbindungd.Schild-
drüsengefasse 1018.
Macdonald: Färbemethode 898.
Mackenzie: Negerlethargie370.
Mackie: Blut Geisteskranker
678.
Macleod: Vasomotorische Ner¬
ven 709.
74*
Digitized by GoOglC
1172
Maclulich: Rinde bei Gei«tee¬
kranken 949.
Mager: Acute Myelitis 379.
Magnan: (427).
Manret: (427).
Masturbation 481.
Vererbung 432.
Malewsld: Basedow 1125.
Mally: Metatarsalgie 762.
Manasse. Paul: Neuroplastik
187. (140).
Vereinigung des N. VII u.
XI. 948.
Manko: Traumatisches Irresein
282.
Mann: Hysterische sensorische
Aphasie 1097.
Manson: Negerlethargie 371.
Maragliano: Tabes 1040.
Marburg: Rückenmarksaffec-
tion mit Anämie 456.
Cerebrale Blasenstörungen
571.
Marguliös: Teratom der Hypo¬
physe bei Kaninchen 1026.
Marie, P.: Spätskoliose bei
Kinderlähmung 96.
Aspirin bei tabischer Arthro¬
pathie 96. (181). (184).
Neurofibromatose 324.
(494).
Atrophie der Corpora mam-
millaria 494. (495). (591).
(876). (916). (919).
Marinesco: Nervenzellen im
Senium 121.
Tumor des IV. Ventrikels
127.
Spinalganglien bei Tabes
184.
Acute Myelitis 282 u. 905.
Gang bei Tabes am Kine-
matograph studirt 1051.
Marquez: Sehapparat 566.
Marr: (776).
Marsball • Rockwell: Alopecia
areata 814.
Marson: Jackson'sche Epilep¬
sie 411.
Martial: Traumatische Hemi¬
plegie 235.
Martin: (1023).
de Martine«: Alcoholismus529.
Massaut: Intermittirende Arm¬
lähmung 953.
Mattei: Empfindungen nach
Alter u. Geschlecht 659.
Matthäi: Massiger Alcohol-
genuss 523.
Mauclaire: Schädelfractur 908.
Mazurkiewicz: Traumatische
Spätapoplexie 235.
MeczkowBki: Hämatomyelie
1125.
Meige: (186). (876).
Meijer: Hyoscin 583.
Mendel, E.: Tabes beim weib¬
lichen Geschlecht 19. 45.
(45).
Acromegalie 279.
Zwangsvorstellungen (Dis-
cussion) 1115. (1116).
Mendel, K.: Myasthenia pseu-
doparalytica 111 u. 187.
Dystrophia musculorum
progr. 601 u. 629. (630).
Merewkina: Venenthrombosen
im Rflckenmark 456.
Meyer: (Braunschweig) (475).
Meyer, A.-. Parenchymatöse
Degeneration 1093.
Meyer, Ernst: (Tübingen) Zell¬
veränderung im Halsmark
bei Phlegmone 62.
Poliomyelitis nach Trauma
268.
Puerperalpsychosen 476.
(488).
Indncirtes Irresein 580.
Meyer, Hans: Alcobol 536.
Mignot: Corticale Taubheit
495.
Miklaszewski: Alternirende
Pupillendifferenz 684.
Mingazzini: Cauda equina u.
conus 448.
Hirngeschwülste 614.
Minor: Spätcontracturen im
Gebiete des N. VII und
XII 688. (879).
Verletzung am Epiconus
medullaris 906.
Moebius: Entartung 74.
Serumbehandlung bei Base¬
dow 1064.
Moeli: Hysterie 374.
Familiale Pflege Geistes¬
kranker 474.
Alcoholvergiftung 523.
Moenkemoeller: Conjugale
Paralyse bezw. Tabes 40.
Möller, Ultraviolette Strahlen
404.
Lo Monaco: Optische Centren
118.
Mondio: Vererbung und se-
cundäre Demenz 133.
Monod: Resection der hinteren
Wurzeln 470.
Paralytischer Klumpfuss
918.
Progr. Paralyse 919.
Morel: Bettbebandlung 425.
Neurogliafärbung 591.
Morse: Plantarreflex bei Kin¬
dern 449.
Mott: Hemiatrophie des Ge¬
hirns 221.
Negerlethargie 371.
Motta-Coco: Reticulum in quer¬
gestreifter Muskelfaser
853.
Mühlmann: Nervenzellen in
verschiedenem Alter 1038.
Munk: Sinnessphären der
Hirnrinde 163.
▼. Muralt: Geruchsorgan bei
Hemicephalie 51.
Katatonie nach Kopfver¬
letzungen 231.
Muratoff: (878). (880).
Epileptisches Irresein 923.
(1156). (1159). (1160).
Murawieff: Durchschnittene
Nervenfasern 326. (1157).
Murri: Seitwärtsablenkung der
Augen 661.
Kleinhirndegeneration 805.
Paramyoclonns multiplex
1005.
Muskens: Segmentale Gefühls-
Störungen bei Tabes und
Epilepsie 1019. (1020).
Sacke: Wadenkrampf 290.
Degenerationazeichen der
inneren Organe bei Para¬
lyse 478.
Musikalische Infeotion 648.
Nadler: Peroneuslähmung in¬
folge schwerer Geburt 955.
Nagel: Farbensinn der Thiere
802.
Nageotte: Tabes 1041.
Nalbandoff: Syringomyelie 562.
Wirbelsäule bei Syringo¬
myelie 832 u. 1160.
Narbut: Natürlicher Schlaf
1126.
Nartowski: Diphtherietoxine
und Nervenzellen 686.
Natvig: Traumatische Lum¬
bago 910.
Naunyn: Raynaud’sche Krank¬
heit 815.
Navarro: Mal perforant 1053.
Nebelthau: Syphilis des Cen¬
tralnervensystems 66.
Neisser: Bettbehandlung 423
und 626.
Neugebauer: Meningocele an¬
terior 1071.
Neumann: Alimentäre Glyco-
surie nach Unfall 914.
Neumann, H.: Geheilter
Wasserkopf 622.
Neumann, M.: (Karlsruhe)
Chorea minor .727.
Volksheilstätten für Nerven¬
kranke 1117.
Neurath: Raynaud’sche Krank¬
heit 144.
Poliomyelitis 144.
Spinale Kinderlähmung
191. (288) u. 754.
Nicitin: Aktinomykoee 579.
Verpflegung von Idioten u.
Epileptikern 1156.
Digitized by
Google
1173
Niehues: Gehirnerschütterung
227
Nissl: (476). (488).
Nogues: Augenmuskellähmung
hysterischer Natur 918.
Noten; Tetanie 997.
Nonne: (90). (419). Encepha¬
litis 577.
Intramedulläres Sarcom 669.
(1018).
Sarcomatose der Pia 1149.
(1155).
Nordqoist: Larynxsymptome
bei Tabes 1049.
Norman: Beri-Beri 821.
Nose: Tabes-Syphilisfrage
1042.
Nussbaum: (1125).
Obereteiner: (190). Gliazellen
in der inolecalaren Schicht
des Grosshirns 192.
Helweg’sches Bündel 546.
Bau der nervösen Central¬
organe 610.
Oberthür: Careinommetastasen
im peripheren Nerven¬
system 917.
Friedreich’sche Krankheit
1054.
Oddo: Augenmuskellähmung
bei tuberculöser Menin¬
gitis 874.
Chorea 1001.
Olejnik: Syringomyelie und
Syphilis 665.
Olmer: Augen muskellähmung
bei tuberculöser Menin-
gitis 874.
Onodfi: Ganglion ciliare 992.
van Oordt: Hirngeschwülste
618.
Intermittirendes Hinken
719 und 795.
Opp: Hysterische Aphonie 858.
Oppenheim: (137). (139). (140).
(831). (488). (538). (535).
Orlowski: Brücken Verletzung
894.
d’Ormea: Hedonal 766.
Orr: Progressive Paralyse
1104.
Oasipow: Ammonshorn 224.
Haarempfindlichkeit 655.
Ottuazewsri: Sprachstörungen
1094.
Pagenstecher: Tod durch
psychischen Insult 230.
Pal: Polyneuritis nach Ver¬
brühung 811.
Meralgia paraesthetica 761.
P&ndy: Entstehung der Tabes
1088.
Paralysis incipiens 1110.
Panichi: Cauda equina und
conus 448.
Panse: Sohwindel 1021.
Paliski: Erb’sche Lähmung
954.
Tabesbehandlung 1058.
Paravicini: Ataxie im Kindes¬
alter 1054.
Pardo: Amyotrophische La¬
teralsklerose 716.
Parhon: Hypoglossuskern 807.
Pacialiskern 307.
Theorie der Metamerieen
935 u. 986.
Vasomotorische Störungen
bei Hemiplegie 1099.
Parisot: Hallucinationen bei
Amputirten 428.
Parsons: Pupille bei Hirn¬
rindenreizung 660.
Passini: Grosszenenreflex bei
Kindern 448.
Pastrovitch: Muskeldystrophie
753.
Patnam: Trigeminusneuralgie
und Migräne 962.
Paton: Zellen der Hirnrinde
115.
Patrick: Familiäre amau¬
rotische Idiotie 864.
Paul: Plantarreflex 451.
Astereognosis 1098.
Pawinski: (1125).
Pöcharmant: Aspirin bei ta-
bischer Arthropathie 96.
Syringomyelie 592.
Pel: Aetiologie und Therapie
der Tabes 33.
Pelman: Hülfsverein für
Geisteskranke 531.
Pöraire-. Metatarsalgie 762.
Mal perforant 1054.
Pdrier: Hysterische Pseudo-
appendicitis 864.
Perman: Trigeminusneuralgie
759.
Pesker: Familiäre Krankheit
861.
de P6ters|: Hereditäre Syphilis
70.
Petrön: Neurasthenie 356.
Pfeiffer.- Hemitoniaapoplectica
386.
Philippe: Friedreich’sche
Krankheit 1054.
Pick, A.: Gumma der Frontal¬
region 65.
Rhythmus und Reim 327.
Störungen der Tiefenlocalisa-
tion 338. (476). (477).
Senile Hirnatrophie 1096.
Kniephänomen und cere¬
brale Affectionen 1099.
Paramnesie 1108.
Picquö: Chirurgie in Anstalten
431.
Digitizei
I Pilcz: Periodisches Irresein
191.
Myxödematöses Irresein 279.
PeriodischeGeistesstörungen
823.
Blutdruckmessung bei
Geisteskranken 827.
Pitres: Paraphasie 167.
Hirntumor 619.
Tic convulsif 1008.
Plaozek: Spinale Kinder¬
lähmung 834.
Jahresbericht der Unfell¬
heilkunde 822.
Vortäuschungsmöglichkeit
einseitiger Ptosis 914.
Plicque: Neuralgie- und Neu¬
ritis-Behandlung 1006.
v. Poehl: Nervenreizung und
Autointoxication 1055.
Pommerol: Ischias 760.
Pope: Akromegalie 279.
Popoff: Multiple Neuritis 877.
Portugalow: Psychologisch-
Anthropologische Unter¬
suchung der Verbrecher
829.
Postowsky: (924). (1156).
Poulard: Epilepsie 410.
Lähmung der Augenbewe-
f ungen nach unten 591.
rashensky: Höhlen im
Rückenmark 878.
Prickett: Encephalitis nach
Influenza 576.
Prince: Brachialneuritis 954.
Probst, M.: Zwischenhirnver-
letzungen 119.
Sehhflgel 568.
Arteriosklerose des Gehirns
570.
Prus: Motorische Centren 684.
Postpyramidale Bahnen 685.
PrzewoBki: Hirntumor 927.
Perlgeschwulst an Hirnbasis
927.
Neurofibroma molluscum
928.
Purvis: Friedreich'sche Krank¬
heit 1055.
Pussep: Jahresbericht der Ge-
sellsch. f. experimentelle
Psychologie 830.
Putnam: Familiäre periodische
Lähmung 671.
Rabaud: Cyclopenauge 60.
v. Rad: Gehirnnervenneuritis
318.
Zurechnungsfähigkeit der
Epileptiker 412.
Radziwittowicz: Fasern in den
Sinnesbahnen 618.
Ragg: Bromschlaf bei Manie
831.
by Google
1174
Raimann: Polioencephalitis
sup. 190.
Alkoholische Augenmuskel-
lähmung 322.
Polioenceph&litis sup. acut,
und Delirium acutum 823.
Marchi-Methode 608.
Ramön y Cajal: Bewegungs¬
rinde 24.
N. cochlearis 610.
Banachburg: Geistige Vor¬
gänge im Greisen alter 131.
Associationsprüfung 717.
RanBohoff: Acute Bulbärpara-
lyse 130.
Ransom: Präatactisohes Sta¬
dium der Tabes 1050.
Rapin: Wortblindheit 169.
Rathmann: PsychischeStörun-
gen nach Schädeltrauma
912.
Raw: Arsen Vergiftung 519.
Raymond: (185).
Lähmung der associirten
Augenbewegungen 489.
Polyneuritis nach Blenor-
rhagie 590. (9171.
Redlich, E.: Chronische Polio¬
myelitis 144. (192).
Senile Epilepsie 288 .
Acute Myelitis 414.
Rögis: Traum bei Paralyse
431.
Geisteskrank oder Ver¬
brecher? 624.
Reichl: Nervenaffinität und
Blitzschlag 867 u. 368.
Reitz: Alkoholismus 542.
Reroak: (139). (140). (838).
(533). (629). (681).
Neuritis u. Polyneuritis 1 674.
(1114).
Remy: Paralyse im Kanton
Fribourg 1103.
Rennie: Palmarreflex 450.
v. Reusz: Postmortale Cysten-
bildung im Hirn 614.
Reuton: Excision des Ganglion
Gasseri 759.
Reynolds: Arsenikneuritis 516.
Neuritisepidemie 521.
Riehe-. Sensibilität beiTabes 30.
Richter (Dalldorf): Scbussver-
letzung des Gehirns 83.
Riebeth: Brandenburgischer
Hülfsverein 80.
Ritter: Myelitis im kindlichen
Lebensalter 417.
Robert: (188).
Roberts: Tumoren des Ischia-
dicus 963.
Robertson: Mesogliazellenll6.
Färbemethode 898.
Geisteskrankheiten 1015.
Robinovitch: Alkoholismus u.
Verbrechen 282.
Roncali: Hirnerschütterung
570.
Laminectomie 902.
Roncoroni: Epilepsie 405.
Rose: Epileptisches Irresein
408.
Muskeldystrophie 752.
Rosenfeld -. Optisch-sensorische
Aphasie 895.
Gliose u. Epilepsie 726.
Rosin: Lipochrom der Nerven¬
zellen 712.
Rossolimo: Dysphagia amyo-
tactica 146. 213 u. 255.
Facialislähmung bei
Migräne 744. (879). (1156).
Schluokstörung 1156.
Roth: Organische und hyste¬
rische Hemiplegie 284.
(832). (877). (880). (1157).
Rothmann, Max: (45). (138).
(139). (417).
Läsionen der Medulla oblong.
486. (630). (631).
Lipochrom der Ganglien¬
zellen 712.
Monakow’sches Bündel beim
Affen 780.
Roubinovitoh: Pupillenreflex
431.
Verwirrtheit 431.
Rouvi&re: Plantarreflex bei Pa¬
ralyse 142 u. 1110.
Roux: Sympathien» bei Tabes
27.
Roy: Basedow 997.
Rüdin: Gefängn iss psychosen
817.
Rufflni: Ultraterminale
Nervenfasern 263 u. 852.
Rumpf: (91).
Beri-Beri 820.
Muskel bei EntartungsTeac-
tion 719.
Rüssel: Herzhemmung 899.
Ruysch: Religiöser Wahnsinn
764.
Rybalkin: Vertigo auralis hy-
aterica 359.
Rychliliski: Alkoholismus 530.
Dementia paralytica 880.
(1125).
Sabrazös: Tabes 1046.
Sachs-. Kohlenoxydvergiftung
518.
Sacquöpde-. Malarianeuritis
322.
Sadkowski: Rückenmarks¬
reflexe 662.
Saenger-. Schädelbasisfractur
87.
Eisenbahnunfälle 87 u. 918.
(88). (91). (420). (776).
(968). (1015).
Psychopathologia sexualis
1058.
Intermittirendes Hinken
1067.
Qirnsymptome bei Careino-
matose 1086.
Hirnchirurgie 1152. (1154).
Sailor: Sulfonalvergiftung516.
Sala: Markhaltige Nerven¬
fasern 60.
Salomonsohn: Hemianopsie
121 .
Salomonson: Polydactylie 404.
Epilepsie 413.
Sano: Neuronlehre 709.
Sante de Sanctis-. Muskel¬
dystrophie 753.
Cerebrale Sklerose 860.
Sapelier: Serum antialcoholi-
cum 530.
v. Sarbö: Uebungstherapie 84.
Savon: Facialiskern 807.
S carpate ttd: Pellagröses Irre¬
sein 319.
Schäfer: Cerebrospinalflüssig¬
keit bei Geisteskranken
1066.
Schaffer: Tabes und Paralyse
1147.
Schaper: Kleinhirn der Petro-
myzonten 162.
Schede: Kleinhirntumor 175.
Scheffer: Polioencephalitis 577.
Porencephalie 866.
Scheiber: Circuläres Irresein
582.
Scherb: Paralysis agitans 683.
Radialislähmung 638.
Rückenmarkseysten 668.
Schiffer: Arthrogryposis 136.
Schipow: Erinnerung 495.
Schlesinger, H.: Pseudohyper¬
trophie 143.
Syringomyelie 143. (192).
Schweissbahnen 222. (288).
Multiple Hautnerven-
affection 307. (377).
Schweissbahnen 378.
Pectoralisdefect 824.
Steifigkeit der Wirbelsäule
825.
8yringomyelie 826.
Schlesinger, W.-. Akromegalie
mit Diabetes 836.
Schloss: Brandlegung unter
Einfluss des Alkohols 527.
Schmaus: Pathologische Ana¬
tomie des Rückenmarks
449.
Schmidt, H.: Ganglienzellen
in Schlundmusculator von
Pulmonaten 992.
Schmidt, P.: Beri-Beri 820.
Schnabl: Tabes 824.
dby Google
1175
Schoenborn-. Friedreich’sehe
Ataxie 10.
Combinirte System erkran-
kungen 461.
Scholtens-. Hereditäre Be¬
lastung bei Paralyse 1100.
Schönfeld: (478).
Schröder: Gehirnschnitte 481.
Schtscheglow: (828).
Schubert: Schilddrüsenbehand-
lung 281.
SchBle: Bulbärlähmung ohne
anatomischen Befund 130.
(478). (484).
Kleinhirncysten 807.
Sohöller: (477).
Schnitze. Fr.: Hysterische
Taubheit 858. (416).
Myasthenia pseudoparaly-
tica 809.
Schulz, J.: Basedowsche
Krankheit 272.
Schulze, Haus: Moral insanity
872.
Schuster, P.: (535). (631).
Schuster (Aachen): Kinder-
convulsionen 1016.
Schütte: Patholog. Anatomie
der Idiotie 856.
Schwarz, Emil: (825).
Hysterische Arthralgie 826.
Schwarz, Karl: Medulläre
Cocainanalgesie 469.
Söaux: Tabes und Trauma 38.
Söglas.- Epilepsiebehandlnng
411.
Dementia paranoides 674.
Psychische Hallucinationen
674.
Seiffer*. Sarcom der Felsenbein¬
pyramide 131.
Ben-Beri 320.
Spinale Sensibilitätsverhält-
nisse 533.
Iscbiasskoliose 760.
Sendziak: Larvngeale Störun¬
gen bei Tabes 1048.
Seppilli: Myoklonie und Epi¬
lepsie 407.
Alkohol und Paralyse 1102.
Serbski: Bettbehandlung 421.
(878). (924).
Sdrieux: Aetiologie der Para¬
lyse 37.
Corticale Taubheit 495.
Psychiatrische Kliniken in
Deutschland 584.
Serrigny: Paralyse bei secun-
därer Lues 1110.
Sherrington: Entstehung der
Gemüthsbewegungen 354.
Shoezynski: Multiple Sklerose
535.
Shoyer: Hirntumor 122.
Sibeliua: Rückenmark bei De¬
mentia paralytica 28.
Siefert: Carcinom der weichen
Häute 1063.
Siemerling: Progr. Paralyse
476. (478).
Hysterische Psychose 625.
Sihle: Migräne 756.
Sikorsky: Alkohol u. Psyche
522.
Simmonds: Meningitis tuber-
culoSa 418.
Hirnblutung bei Endocardi-
üb 418. (420) u. 574.
Simon, H.: Hirnerschütterung
228.
Sinell: Geistig zurückgeblie¬
bene Kinder 778.
Singer, Prof.: Schwindel 172.
8inger(Wien): OtitischerHirn-
abscess 288.
Sion: Pellagra 319.
Sirol: Hysterische Augen¬
muskellähmung 918.
Sklodowski: Brown •Söquard’-
sehe Lähmung 685.
Skowronski: Kohlendunst-
Vergiftung 1071.
Smidt: Glia von Helix 658.
(1119).
Smith: (1018).
Snell: (585).
Snijdera: Simulation 763.
Soca: Hypophysistumor 276.
Sollier: Spiegelschrift 170.
Morphicocäinomanie 519.
Skelalgia paraesthetioa
761.
Solowzoff*. Angeborener Hirn-
defect 1160.
Soltmann: (1058).
Soluoba: Haut u. Volta’sches
Bogenlicht 1129.
Solvay: Instinct u. Gedäoht-
niss 330.
Sommer, Max: Meerschwein¬
chenepilepsie 152.
Sommer (Giessen): Dreidimen¬
sionale Analyse 488.
Analyse von Bewegungs¬
störungen 487.
Soukhanoff: Zwillingsirresein
583 u. 831 (924).
Souques: Paralyse des Serra-
tus ant und Trapezius 47.
Spangaro-. Aplasie des Klein¬
hirns 165.
Spengler: Frühdiagnose und
Therapie der Paralyse
1108.
Spiller: Neurofibromatose 325.
Nervenfasern in der Rücken-
markspia 707.
Amyotrophische Lateral¬
sklerose 715.
Dystrophia musculorum 716.
Endotheliom des Ganglion
Gasseri 758.
Spiller : Enfernung des Gang¬
lion Gasseri 758.
Resection des Trigeminus
759.
Renauf sohe Körperchen 804.
Spina: Intracranieller Druck
224.
Spitz: Compressionsmyelitis
904.
Spitzer: Tumor am Boden der
Rautengrube 128.
Mercurielle Polyneuritis 379.
957.
Migräne 755.
Spitzka: Gehirn zweier be¬
rühmter Aerzte 707.
Topographie der Hirn-
vcntrikel 991.
Stadelmann: üebungstherapie
34.
Encephalitis haemorrhagica
576.
Stankiewicz: (926).
Stanowski: Myelitisheilung
460.
Stamüski: Keratitis neuropara-
lytica 951.
Steckei: Migräne 757.
Stefani: Ciliarganglion bei
Atropinisirung 751.
Stefanowska: Aether u. Hirn
517.
Varicositäten der Zellfort-
sätze 517.
Steffens: Hysteria magna 866.
Steiner: Entbindungslähmung
287.
Aetiologie der Epilepsie 407.
Steinhausen: Scapula-Periost-
reflex 507.
Stern: Differentielle Psycho¬
logie 73.
Sternberg, Max: (836).
Neuropathi8che Gelenks- u.
Knochenerkrankung 824.
Steven: Kleinhirntumor 806.
Stevens: Hirncyste 617.
Stewart, Halssympathicus 818.
Stoeokle: Hedonal 584.
Storch: (476).
Paralyse Lissaueris 484.
Strähuber: Axencylinder-
farbung 657.
Stransky: Empfindlichkeits-
Schwankung 190.
Associirter Nystagmus 786.
Faserfärbungen 983.
Strasburger: Achillessehnen¬
reflex 452.
Strasser: Gehirnpräparation
657.
Strauss, H.: Blutdruck¬
messungen bei trauma¬
tischer Hysterie 106.
Hämatorrhachis traumatica
267.
Digitized by
Google
1176
Strauss, H.: Hysterische Hemi-
“ parese 367.
8 träassler: Variation im Ver¬
lauf der Pyramidenbahn
834.
Stroganoff: Eklampsie 405.
Stroud: Isthmus rnomben-
cephali 947.
Strozewski: Tabestberapie
684 u. 1053.
▼. Strümpell: Poliomyelitis u.
Polyneuritis 312.
Myelitis 415.
Hereditäre spastische Spinal¬
paralyse 628.
Struppler: Gehirn- u. Rücken¬
markssyphilis 66.
Läsion des Sprachcentrums
nach Trauma 231.
Suehanoff: Psychose bei
Zwillingen 583 u. 831.
(924).
Sullivan: Mord unter Alkohol¬
einfluss 178.
Alkoholismus u. Selbstmord
525.
Switalski: Rückenmark bei
Amputirten 494.
Hörddo-ataxie cördbelleuse
590.
Hautreize und Rückenmark
899»
Swolfs: "(187).
Szuman: Reflexe bei Neurosen
663.
Taylor: Landry’sche Paralyse
816.
8 ulfonalvergiftung 516.
Tellegen: Simulation 768.
Ten Cato: Empfindlichkeits-
Schwankung 190.
Terrieu: 8trycnninvergiftung
517.
Teuscher: (968).
Thibaut: Serum antialooholi-
oum 530.
Thiemich: Imbeoillität 870.
Thomas: Worttaubheit 170.
Landry’sche Paralyse 817.
Malum Pottii 592.
Thompson: Ponsgliom 619.
Thomsen: (968).
Tiling: Moral insanity 878.
Tilmann: Cucullaris Verletzung
910.
Tokarsky: (924). (1157).
Gedächtni88 1159.
Tolotschinow: Progressive
Paralyse 538.
Touche: Neuralgie im Ampu¬
tationsstumpfe 46.
Tumoren der KückenmarkB-
häute 46.
Pachymeningitis cervico-
dorsalis bei Tabes 183.
Touche*. Suboorticale Blutung
in der 2. Stirnwindung
184.
Syringomyelie 492.
Pick’sche Aphasie 587.
Pottfsohe Paraplegie 903.
Kleinhirnblutung 917.
Toulouse: Statistik u. Unter¬
suchung der Geisteskran¬
ken 431.
Tredgold: Hemiatrophie des
Gehirns 221.
Treitel*. (631).
Agoraphobie 632. (683).
Functaonelle Herabsetzung
der Hörfähigkeit 689.
Treves: Fingernägel bei
Geisteskranken 431.
Triwus: Farbige Beleuchtung
und Puls 1128.
Troitxki: Basedow'sehe Krank¬
heit 272.
Trömner: Jugendirresein 77.
Hypnose 88. (94).
Tschisch: Ursacne der progr.
Paralyse 38 u. 430. (427).
Tumpowski: Babinski’sohes
Phänomen 663.
Verunstaltung der Füsse u.
Hand 711.
Ophthalmoplegie interna
907.
Turner: Hirnrindenstructur
946.
Corpora quadrigemina 993.
Tutyschkin *. Evolutionismus
u. Entartung 1158.
Ugolotti: Pyramidenbahn 852.
Umenhuth: Leprabacillen im
Körper 317.
Lepra 959.
Ulrich: Basedow u. Myxödem
996.
Umber: Sensorielle Krisen bei
Tabes 1049.
Urstein Pseudobulbärparalyse
808.
Ury: Tetanie 270.'
Vanaelow: Beischlafsfähigkeit
624.
Variot: Basedow 997.
Chorea 1002.
Veasey: Hysterische A maurose
857.
Venuti: Akromegalie 276.
Verboogen: Phänomene nach
Trauma des Rückens 287.
Verworn*. Ermüdung und Er¬
holung 612 .
Vetlesen: Basedow’sche
Krankheit 270.
Vial: Hyster. Hemianästhesie
860.
Viallon*. Heroin 583.
Viollet: Herpes zoster bei
Diphtherie 311.
Vincelet*. Friedreich’eche
Ataxie 37.
Vincenzi: Zellmembran der
Nervenzelle 898.
Vlavianos: Verwirrtheit 4SI.
Vogt: Neurofibrillen 1061.
Voigt: Hirn anatomische Mit¬
theilungen 479.
Hirnanatomisches Arbeite*
486.
Völker: Anstalt zu Langes-
hagen 80.
Voreter: Vererbung 623.
v. Voss: Tetanie 998.
Vulliet: Medulläre Cocain-
anästheeie 469.
Wagner v. Jauregg: Alko¬
holismus 536.
Walbaum: Patellarreflex-
prüfung 450.
Walaon: Plantarreflex 451.
Walker: Alopecia areaba 814.
Wallenberg: Centrifugale
Bahnen aus Sehhügel 50.
Secundäre sensible Bahnen
im Hirnstamm des Kanin¬
chen 306.
Erkrankungen des verlänger¬
ten Marks u. der Brücke
811.
Stichverletzung des drittes
Dorsalnerven 888.
Walton: Astereognosis 1098.
Wappenschmitt: Landry’sche
Paralyse 316.
Warrington: Läsionen des
Rückenmarks 356.
Arsen Vergiftung 519.
Opticusfasern 992.
Wasilljeff: Corticale Epilepsie
1158.
Watson: Hereditäre Ataxie
beim Pferd 1041.
Tabes 1043.
Nervenkrankheit beim Pferd
1098.
Weber, Eugen (Norderney):
Epilepsie u. Psychose 406.
Weber (Göttingen): Multipl«
Hirnblutungen 574.
Monstergliazellenim Gehin
585.
Gedächtnisstörung 586.
Miliare Hirnblutung 1063.
Wedensky: Nerven und Gifte
514.
W eichsei bäum: Säuferorgane
536.
Weidenhammer-. (1159).
Huntington’sehe Chorea
1161.
dbyGoOglf
1177
Weigert: Erb’sche Krankheit
594.
Weil: Hirntumor 725.
Weill: Cerebrale Kinderläh¬
mung 859.
Werner: Symmetrische Gan¬
grän 815.
Wernicke: (477). (481). (484).
Wersiloff: (1167).
Westphal: Lepra 959.
Aphasie 1096.
Wettendorfer: Hysterische
Sehstörungen 857.
Weydenhammer-. Delirium
acutum 877. (924).
Weygandt: (478).
Manisch-depressives Irresein
628.
Neurasthenie 728.
Whitehead: Migräne 757.
Wiek: Traumatische Hysterie
913.
Wickel: Siechthum 624.
Wiglesvrorth: Porencephalie
857.
Wijnhoff: Polioencephalitis
577.
Wilbrandt: Perineuritis bei
Tabes 1020.
Wildermuth: (1119).
Williamson: Myokymie 1004.
Windscheid: Arteriosklerose
1069.
Winiavski: (925).
Wutocki: Epilepsie 682-
Wizel: Bettbehandlung 580.
Wlassak: Alkohol Wirkung 536.
Wormser: Hysterisohes Fieber
362.
Wright: Aether, Chloroform
u. Nervensystem 514 u.
710.
Wyrubow: 7. u. 8. Hirnnerv
484 u. 1127.
Embolie des Grosshirns 1126.
Zacher: Erweichung im Stirn¬
hirn 1074.
Zahn: Polyneuritis 311.
Zanietowski: Basedowsche
Krankheit 488.
Elektrisirnng des Magens
886 .
Voltaisation 686.
Tetanie, Myotonie, Myasthe¬
nie 686.
Zappert: Aphasie 191.
Wurzel- und Zellverände¬
rungen beim Kinde 225.
Poliomyelitis 718.
v. Zeissl: Innervation der Blase
750.
v. Ziegenweidt: Kleinhirn¬
tumor 174.
Ziegler: Instinct u. Gedacht-
nies 329.
Ziehen: Phy siolog. Psychologie
60.
Psychologie u. Psychiatrie
531. (968). (1024).
Zingerle: Sexuelle Perversi¬
täten 76.
Balkentumor 124.
Vasomotorische Neurose818.
Zinn: Brandenburgiseber
Hülfsverein 80.
Fibrom des 7. Cervicalnerv
462.
Zlatarovic: Pellagra 818.
Zollitscb: Militäraienstbrauoh-
barkeit u. Zurechnungs¬
fähigkeit hei geistigen
Störungen 584.
Zuber: Basedow’sche Krank¬
heit 273.
Zweifel: (1028).
m. Sachregister.
(Die mit * bezeichnten Zahlen bedeuten: Litteraturverzeichniss.'
Abducens, cf. Bliokcentrum.
Abducenskern nach Entfernung
der Bogengänge 514.
Abort, künstlicher 1022.
Aceessorius u. Facialis ver¬
einigt 948.
Achillessehnenrefler 452. 686.
1045.
Acipenser Hirndruck 1092.
Acusticus, Faserverlauf 485. —
Anatomie 610. — Kern
1127. — electrische Beizung
beim Frosch 858.
Aequivalente, cf. Epilepsie.
Aetner, Einfluss auf Nerven¬
zellen 514. 517. 710. — auf
Hirn 517.
Ageusie, cf. Geschmack.
Agnosie, cf. Seelenblindheit
168.
Agoraphobie 173. 632.
Agraphie, cf. Aphasie.
Akromegalie *881. *781. *978.
•1133. 276. 277. (2). 278 (2).
279. 875 — u. Diabetes
277. 386. — Obductionsbe-
fund 278. (2). 279. 875. -
u. Tabes 278.
Aktinomykose im Gehirn 579.
Alkohol *638. *782. *974. *1134.
Einfluss auf Empfindlich¬
keit des thierischen Körpers
für Infectionsstoffe 515. —
Schädlichkeit massigen Ge¬
nusses 523.
Alkoholdelirium, cf. Delirium
alcoholic.
Alkoholismus 535. 1059. Ein¬
fluss auf Entwicklung des
Organismus 542. — cf.
Trinker, congenitaler 520. —
bei Kindern 177. 520. 586.
— Heredität 177. — Des-
cendenz 282. 587. — u. Mal.
perforans 86. 87. — u. Sy¬
philis 537. — Ataxie 176.
— u. Psychose 626. — u.
Augenmuskellähmungen322.
— u. Selbstmord 526. — u.
Paralyse 537. s. diese. — u.
psychisches Leben 522. —
Todtschlag u. Mord 178. —
Hallucinationen 528. —
Brandlegung 527. 528. —
Bewusstseinsinhalt 523. —
u. sociale Reform 528. 529.
580. — Behandlung (cf.
Trinkerheilanstalten) 529.
(2). 580. (Serum). — Sug¬
gestionsbehandlung 1056.
Alkoholneuritis, cf. Neuritis
multiplex.
Alkoholparalyse 328.
Alkoholwahnsinn, cf. Del. al-
eoholicum.
Allochirie 1046.
Alopeoia areata 43. 814.
Amaurose, hysterische 857. —
auf einem Auge 857. — cf.
Idiotie, amaurotische.
Amblyopie u. Trauma 284.
Amentia cf. Delir, hallucin.
Ammonshorn, physiol. Be¬
deutung 224.
Amnesie, cf. Gedächtniss.
Amöboismus der Nervenz. 706
Amputirte, Rückenmarksver¬
änderungen 494. 950.
Amyotrophisohe Lateralskle¬
rose cf. Lateralsklerose.
Anämie, Einfluss auf Herz und
Nervensystem 119. — u.
Rüokenmarkerkrankung456.
Anästhesie, allgemeine 859. —
medulläre nach Cocalnin-
jectionen 469. (3). — tac-
tile bei Tabes 1045.
, y Google
1178
Anatomie, topographische 565.
— des Nervensystems 610.
Anencephalie 1161.
Aneurysma aortae, Sensibiü-
tätsstörnngen dabei 762.
Angiom 122. — Angioneurose
814. — Angstneurose 428.
Anisooorie, cf. Pupillen.
Anorexie, hysterische 868. —
cf. Dyspepsie.
Anthropologie, criminelle 544.
Anthropometrie 75.
Aphasie *685. *780. *971. *1182.
167. (2). 168. 170. 615.
— cf. Paraphasieen. — n.
Demenz 1017. — Pick’sche
587. — u. Meningitis 191.
— optisch-sensorische 895.
— sensorische 171. 1096.
1097. — motorische 1095.
1096. (2). 1145. — durch
Trauma 282.
Aphonie, hysterische 858. 407.
Apoplexia cerebri cf. Hirn¬
blutung *685. *780. *971.
*1182. — tarda cf. Trauma.
Appendioitis in nervösen
Familien 161. 683.
Apraxie 1145.
Arachnoidea cf. Meningen.
Armlähmung, syphil. bei Neu¬
geborenen 70. — intermit-
tirende 958. — cf. Erb’sche
Lähmung. — durch Geburt
287.
Arsenik, cf. Neurit arsenical.
ArBonval-Tesla-Ströme, cf.
Electrotherapie 185.
Arteria, cerebn profunda und
cerebelli supenor Thrombo-
sis 166. — dorsalis pedis
Thrombosirung 198. — foss.
Sylvii Thrombose 296. —
tibialis postica Throm¬
bosirung 198.
Arteriosklerose 856.1067.1069.
— Hemiparese 1128.
Arthralgie, hysterische 826.
Arthritis chronica, cf. Spon-
dvlosis.
Arthrogryphosis 186.
Arthropathie, cf. Tabes mit
Röntgenlicht 56. 1051. —
bei Syringomyelie 1187. —
ABpinn 96. — Rückenmarks-
erkrankungen 669. — bei
Muskelatrophie 712.
Asphyxie, locale cf. Raynaud’
sehe Krankheit
Aspirin bei tabischer Arthro¬
pathie 96.
Association, Apparat zur Unter¬
suchung 717.
ABeociationsfelder 163.
Asthenische Bulbärparalyse, cf.
Myasthenie.
Asymbolie 169.
Ataxie, Differentialdiagnose
548. 806. — Kleinhirn cf.
dieses. — Lob.parietalis725.
— Gangstörungen 1051. —
sensorische 1039. 1041. —
bei Pferden 1040. — here¬
ditäre cf. Friedreich’sehe
Krankheit bei einem Pferde
1041. — heredo-cerebellaris
1054. — path. Anatomie 590.
— spinale 82.
Athetosis *1184. — post-hemi-
plegica 575. — mit Chorea
915. — als Complication der
Tabes 1046.
Athmnng bei Hypnose 827. —
Einfluss des Nervensystems
854.
Atropinvergiftung 41.
Auge 566. — Befund mit
Augenspiegel 677. — of.
Deviation conjugirte.
Augenbewegun^en u. Stirnhirn
185. — associirte Lähmung
derselben 489. — reflec-
torische 566.
Augenmuskeln, Anatomie und
Physiologie 566. ^
^culomotorius u. s. w. — u.
Trauma 284. — alkoholische
322. — associirte nach unten
591. — bei tuberculöser
Meningitis 874.
Augenreflex 930.
Automatismus bei secundärer
Demenz 133.
Autointoxic&tion durch Nerven-
reizung 1055.
Axencylinder, Färbung 98.843.
657. 969.
Axonreaction 1092.
Babinski’scher Reflex 451. —
bei Friedreioh’scher Krank¬
heit 18. — bei Abdominal-
typhus 141. — bei progr.
Paralyse 142. — bei Epilep¬
sie 142. — Bedeutung 398.
698. — bei Kindern 448.449.
— diagnostischer Werth 668.
(2). 684.
Balken, cf. Corpus callosum.
Balneotherapie 821.
Basedow’sche Krankheit *781.
*973. *1183. 270. 271. 272.
278. 274. 995. 996. 1126. —
u. Hysterie 274. — u. Myx¬
ödem 275.996. — u. Sklero¬
dermie u. Tetanie 271. — u.
Tabes 24. — bei Kindern
273. 997. — bei Soldaten
273. — path. Anatomie 488.
Therapie 271. — Natrium
salicyl. 733. — chirurg. Be¬
handlung 272. Serumbehand¬
lung 1064.
Bauchreflex, cf. Reflex hypo¬
gastrischer.
Beri-Beri, cf. Neuritis multi¬
plex 820, (2). 321.
Bernhardt’Bche Senaibilitita-
störung, cf. Cu tan. fern. ext.
Berührungsgefühl, cf. Tast¬
sinn.
Berufsgeheimniss u. Psychi¬
atrie 1065.
Besessenheit u. Hysterie 541.
Bettbehandlung 421. 428. 530.
626.
Bewegungsstörungen, dreidi¬
mensionale Analyse 483. —
Analyse 487.
Bewegungstherapie, cf. Tabes.
Bewusstsein 828.
Bewusstseinsstörungen u. Al¬
koholismus 523.
Blase, Innervation derselben
750. — reizbare 860.
Blasenstörungen und Hirn¬
erkrankung 371.
Bleiintoxication *782.
Blickcentrum, pontiles 128.
Blicklähmung, pontile 128.
Blindheit, cf. Amaurose,
Seelenblindheit.
Blitzschlag u. Nervenaffinitüt
367. 368. — Keraunoneu-
rose.
Blutdruckmessungen bei trau¬
matischer Neurasthenie u.
Hysterieen 106. — bei Me¬
lancholie 184. — bei Psy-
ohosen 827.
Blutcirculation in der Schädel¬
höhle 947.
Braunsteinmflller, Mangan¬
vergiftung 1067.
Broca’sche Windung, cf. Gyr.
front inf.
Brom, bei Manie 331. — cf.
Epilepsie.—beiEpilepsie 410.
— Stoffwechsel dabei 773.
Exanthem 1124.
Bromalin 410.
Bromipin 410. 773.
Bromocoll *640.
Bronchiectasie u. Myelitis sup¬
purativa 460.
Brown -Söquaxd’scher Symp-
tomencomplex 465. 532. 666.
685. 906. 1125. — syphilit
67. — nach Laminectomie
954.
BuergerlichesGesetzbueh 1010.
Bulbäraffectionen. cf. Medulla
ohlongata.
Bulbärparalyse, of. Myasthenia
E sendoparalytica, Pseado-
ulbarparalyse. — ohneana-
Digitized by Google
1179
tomischen Befand 130. —
acute 130.
Bnlbos olfactorius, gliomatöse
Entartung 1058.
Bolimie &1 b Zeichen der Epi¬
lepsie 407.
Camphora monobromata und
Epilepsie 418.
Canäle, halbzirkelförmige 514.
Carbolsäure, physiol. Wirkung
408.
Carcinomatose, Hirnsymptome
dabei 1086. 1158.
Cauda equina, Physiopatho¬
logie 448.
Centralnervensystem, Verän¬
derungen beim Kinde 225.
— postmortale Cystenbil-
dung 569. — Anleitung beim
Stadium des Baues 610. —
endophlebitische Wuche¬
rungen 1120.
Centram, cf. Hirnrinde, Locali-
sation.
Centram, ciliospinale 462.
Cerebellum, cf. Kleinhirn.
Cerebrospinalflüssigkeit 447.
— Gefrierpunkt 998. — n.
Injectionen in Wirbelsäule
469. — bei Geisteskranken
1066.
Cervicalnerv siebenter, mit
Compression des Bücken*
markB 462.
Charactere, abnorme 868.
Charcof sehe Krankheit cf.
Arthropathie.
Chiasma opticam, cf. Opticas
566.
Chloroform, Einfluss auf
Nervenzellen 514. 710.
Chorda tympani 554.
Chorea minor. *882. *687. *782.
*973. *1134. — Beflexe 1001.
— Herzgeräusche 1002. —
als Infectionskrankheit 1002.
— und doppelseitige Athetose
916. — u. Peroneuslähmung
1002 . — Aetiologie 727.
1000. — u. Bheumatismus
1001. (2). 1058. - Thera¬
pie, ktinstl. Abort 1028. —
nereditaria-(Huntington*
sehe) 994. 1003. 1161.
Chorea electrica 969. 1003.
Circuläres Irresein 582. 766.
Clitoriskrisen 1050.
Cocainanalgesie medulläre 469.
(8). 876. Eiektrisation der
Muskeln 921.
Cochlearis, Anatomie 610.
Columbus, Psychose 818.
Commotio cerebri, cf. Hirn-
erschütterung. — spinalis cf.
Bückenmarkserschütterung.
Compressionsmyelitis 46. 47.
66. 217. 242. 800. 344. 462.
904. (8). — tranmatisohe
240.
Contracturen, angeborene 137.
— cf. Hemicontractur.
Contrasexuelle Empfindung, cf.
sexuelle Perversion.
Conns medullaris, Hämato-
myelie 182. 1125. trauma¬
tische Läsion 378. — Phy¬
siopathologie 448.
Cooraination der Bewegungen,
cf. Ataxie.
Corpus callosum, Kugel 620.
— Tumoren 124. (2). — ge-
niculatum, Erweichung
167. — ext 568. — ma-
millare, Atrophie 494. —
quadrigeminum 566.—
Gegend desselben 801. —
AfPection 141. — experimen¬
telle Verletzung 993. —
restiforme bei Morb.
Basedowii 439.
Craniectomie, cf. Trepanation.
Criminalanthropologie, cf. fo¬
rensische Psychiatrie.
Cucullarislähmung, cf. Trape-
zius.
Cuneus, Erweichung u. Atro¬
phie des Corp. mamillare 494.
Curarewirkung u. elektr. Erreg¬
barkeit 992.
Cutaneus femoris externus807.
Cyklopie 60.
Cystenbildung, postmortale im
Centralnervensystem 569.
614.
Cysticerken im Hirn 85.
Degeneration 74. 1158. — der
Muskelfasern 63. — cf.
Bückenmarksdegeneration,
secundäre bei Kleinhirnblu¬
tung 918. — absteigende
in beiden Pyramiden 858. —
Wallerbches Gesetz 802.
Delirium acutum 581. 877.
— alooholicum 823. 524
(2). — Pathogenese 479. —
hallucinatorium, Ner¬
venzellen dabei 330. —
nervosum 230.
Deltoides, cf. Erb’sche Läh¬
mung.
Dementia bei Dystrophia nms*
cularis 753. — u. Aphasie
1017. — paralytica, cf. Para-
lys. progr. — paranoides 674.
— sypnilit. primaria 64. —
S raecox 77. 873. — secun-
aria 133. — senilis 548.
Depressor (nervus), Ursprung
und Bedeutung 1032.
Deviation, conjugirte der Augen
661. — gekreuzte der Augen
und des Kopfes 1109.
Diabetes, cf. Glycosurie. —
insipidus und Gliosarcom am
Boden des 4. Ventrikels 127.
— und Akromegalie 277.
886. — und Tabes 1043.
Diphtherie und Herpes zoster
811. — Toxine und Nerven¬
zellen 686.
Diplegia cerebralis, cf. Kinder¬
lähmung, cerebrale. — fa¬
cialis, cf. Facialis 318.
Dorsalmark, cf. Bückenmark.
Dura mater, cf. Pachymenin-
S 'tis, Meningen. — cerebralis
ämatom 617. — Endo-
theliom 617.
Dyspepsie, nervöse 864.
Dysphagia amyotactica 146.
218. 255. 1156. — psychica
642. .
Dystrophia musc. progr., cf.
Muskeldystrophie.
Kchinokokken im Gehirn 495.
— im Hinterhauptslappen
614.
Eclampsie 270. 405. — der
Neugeborenen 1016.
Ehescheidung beiGeisteskrank-
heit 625.
Eisenbabnunfalle, nervöse
Folgezustände 87. 913.
Ekzem, klinische Bedeutung
1057.
Elektrisirung des Magens 686.
Elektrische Entladungen, Neu¬
rosen 627, cf. Trauma.
Elektricitätsarbeiter, Affectio-
nen derselben 368.
Elektrische Erregbarkeit bei
Curarewirkung 992. — cf.
En tartungsrcaction.
Elektrodiagnostik bei progr.
Paralyse 87.
Elektromotorische Kraft im
Bückenmark 686. — im peri¬
pherischen Nerven 687.
Elektrotherapie, cf. Arsonvali-
sation *784.
Emotionslähmung 480.
Encephalitis *1182. — nach
Influenza 576. — haemorrha-
gica nach Influenza 576. —
nicht eitrige 577.
Encephalocele occipitalis 855.
Encephalomyelitis acuta 582.
Encepbalopathia saturnina, cf.
Bleiintoxication.
Endarteriitis obliterans, cf.
einzelne Hirnarterien.
Endocarditis verrucosa und
Hirnblutung 418. 419. 574.
> y Google
1180
Endophlebitis and Central-
nervensystem 1120.
Entartang, of. Degeneration.
Entartungsreaction ohne Ver¬
änderungen dea Muskels da¬
bei 719. — Entbindungs¬
lähmungen 287.
Epiconus medullaris, Ver¬
letzung 906. — cf. Conus.
Epilepsie *882. *637. *782.
*973. *1134. — cf. Eklam¬
psie, Jackson’scbe Epilepsie,
Alkoholepilepsie, Amnesie,
Krämpfe, Renexepilepsie470.
471 (2). 473. 682. 683. —
Symptomatologie, Seg¬
ment. OeffiblBstörnng 1019.
— Babinslü'seber Reflex 142.
— Bulimie 407. — Aphonie
407. — Blut 673. — La¬
tenzzeit der spinalen Reflexe
75. — Myoclonie 407. 1016.
— Urin, Giftigkeitdesselben
406. — Wandertrieb 408.
— Psychose 408 (2). 923.
—Bromsalzstoffwechsel 772.
— Kochsalz 773. — Aetio-
logie: bei Pferden 407. —
Trauma 283. — Abdominal¬
typhus 406. — Syphilis 407.
— senile 288. — nach Cam¬
phora monobromata 418. —
Physiolog. Pathologie:
Meerschweinchenepilepsie
152. — Autointoxication
405. 485. — Pathol. Ana¬
tomie 409. — lobuläre
Gliose 726. — Prognose
81. — Vererbung 482. —
Ausgang 410.— Therapie
81. 410. 682. 683. — Brom¬
therapie 772. — Bromalin
410. — Flechsig’sche Me¬
thode 410. 411. — Bromipin
410. 778. — Toulouse und
Riebet 412. — Sympathec-
tomie 411. — Trepanation
411. 412. 1114. — künst¬
licher Abort 1028. — Ver-
^ fung 1156. — forens.
rtheilung 412.
Erb’sche Krankheit, cf. Mya¬
sthenie.
Erb’Bcbe Lähmung 954.
Erblichkeit 583.
Ereuthopbobie 428.
Erholung 612.
Erinnerung cf. Paramnesie.
Ermüdung.Einfluss aufNerven-
zellen der Hirnrinde 117. —
Widerstand der nervösen
Centren 117. — der Kinder
118. — und Erholung 612.
Erröthen cf. Ereuthophobie.
Erythem, segmentäre Form
185.
Erythromelalgie 961 (2).
Erythromelie 815.
Evolutionismus 1158.
Facialis u. Thräneneecretion
87. 949. — u. Geschmack,
Sohweiss- u. Speichelabson¬
derung 949. — psychoreflec-
torisene Bahn 155. — mit
AccesBorius vereinigt 948. —
cortdcale Centren 1126. —
-Kern 807.434.1127. —[acces-
sorischer435.— dorealer 801.
— Contractur, späte, bei He¬
miplegie 688. — - L ä h m u n g
*781. 949. 951. 952. - u.
Weinen 87. — psychoreflec-
torische 156.—doppelseitige
818. — recidivirende bei
Migräne 744. — Fehlen der
elektr. Reaction bei Poly-
neuriti8 94. — Therapie-.
Nervenpfropfung (mit Acces-
sorius) 187.
Färbemethoden 98. 140. 151.
848. 480. 608. 657. 687.
898. 918. 946. 969. 983.
Familiäre Krankheiten * 638.
*781. *972. *1133. — cf.
Muskeldystrophie. — Spinal¬
paralyse, spast. 628. 861.
868. — des Centralnerven-
Systems 670. 861. 862. —
amaurotische Idiotie 670.
836. 848. 868. 864 (8).
— periodische Lähmung
671. — Trophödem 862. —
Schwachsinn mit Zittern u.
Sprachstörung 868. — Myo-
klonie 865.
Familienpflege 474.
Farbensinn der Thiere 802.
Fasciculus long. post. 128. —
eriolivaris 546. — longitud.
ors. 946.
Fettfarbstoffe 140.
Fibrilläres Zittern 404.
Fieber, hvsterisches 862. 868.
— und Tuberculinreaction
365.
Filum terminale, cf. Cauda
equina.
Fingernägel, Veränderungen
bei Geisteskranken 431.
Flechsig’sche Methode, cf.
Epilepsie.
Folie ä deux, cf. inducirtes
Irresein.
Forensische Psychiatrie 74.
178 282. 412. 527.528.588.
544. 584. 624 (8). 625 (8).
829,1007. 1121. *883. *689.
*784. *1185. - Laden¬
diebinnen 44.
Fracturen u. Nervenverletzun¬
gen 266.
Frenkel’scheMethode, ctTabes.
Friedreich’sche Krankheit 10.
918.1054 (3). 1055.1124 (2).
*781. *972. *1133. — Zu¬
sammenhang mit Infectioo*-
krankheiten 15. — bei einem
Pferde 1094. — path. Ana¬
tomie 37.
Füsse, Verunstaltung 711.
Fus8klonus bei Lungen tuber-
culosis 489.
Clanglien, sympathische Ver¬
bindungen derselben 803.
Ganglienzellen, cf. Nerven¬
zellen.
Ganglion ciliare 992. — Zellen
desselben bei atropinisirten
Auge 751. — Gasseri bä
Herpes zoster 310. — Ana¬
tomie 749. 758. — Endo-
theliom 758. — Exciaon
758 (2). 759 (2). 1113. —
jugulare des Vagus 1036.
Ganglionneurom, cf. Neurom.
Gangrän, symmetrische, cf.
Raynaud’scheKrankheit 815.
— u. Neuritis 960.
Gedächtniss, cf. Erinnerungs¬
vermögen 829. 330, ef. Par¬
amnesie. — Mechanik des¬
selben 328. — Apparat zur
Untersuchung 717. — Stö¬
rung bei organischer Hirn¬
erkrankung 586. — bei Er¬
krankung des Stirnhins
1079.
Gefangnisspsychosen 817.
Gefässerkrankung, hyaline
1063.
Gefässnerven, cf. Sympathien*.
Gehörshallucinationen 495.
Geistesschwäche, cf. Dementia.
Gemüthsbewegnngen, Ent¬
stehung 854.
Genitalien, äussere, über¬
mässige Entwickelung 331.
Gerlier’sche Schwindel 173.
Geruchsorgan 52.
Geruchssinn u. Amnionahorn
224.
Geschmacksfasern, Verlauf
derselben 549. — u. Facialis
949. 952.
Gesetzbuch, bürgerliches, cf.
Bürgerliches Gesetsbnch.
G esichtsfeldein schrän kung,
concentrische 234.
Gesichtsmuskelschwund, cf.
Hemiatrophia faciei.
Gibbus, traumatischer 237.
Gigantismus u. Akromegalie
277.
Glandula pinealis, cysüsohcr
Tumor 618. — pituitaria.
Digilized by Google
— 1181
cf. Hypophysis. — thymus,
Tumor 597. — thyreoidea,
cf. Basedowsche Krankheit,
Myxödem, Thyreoidismus.
— Physiologie 265. —
Unterbindung der Gefässe
derselben 1018.
Gleichgewichtsstörungen und
Labyrinth 82.
Glia, cf, Neuroglia.
Gliom Monstergliazellen 585.
Gliomatose cerebrale 689.
Gliose, cf. Syringomyelie, des
Hirns. — lobuläre 726. —
centrale syphil. 66.
Glvkosurie, cf. Diabetes. —
bei Hirntumoren 618.
GolgiSche Silberimprägni-
rungsmethode, Modification
151.
Gonorrhoe und Nervenerkran¬
kungen 72. — u. Neuritis
multipl. 590.
Gowers’sches Bündel 46. —
centraler Verlauf 384. —
Degeneration 615. 836. 909.
Graphospasmus, cf. Sohreib-
krampf.
Graves’sche Krankheit, cf.
Basedow’sche Krankheit.
Greisenalter, Nervenzellen 121.
— quantitative u. qualitative
Veränderungen geistiger
Vorgänge 131.
Gyrus, cf. Lobus. — angularis
beim Affen 163. — central,
ant., anatomischer Bau 24.
— Psammom 128. — central,
post., anatom. Bau 24. —
frontal is mediua.subcortdcale
Blutung 184. — frontalis
infer., Angiom 122, cf. Lobus
frontalis. — Physiologie
163. — hippocampi, Geruchs-
centram 1093.
Haarmangel u. Haarempfind¬
lichkeit 655.
Hämatomvelie, cf. Rücken-
marksbfutungon 239. — im
Conus medull. 182. 815.
Haematorhachis traumatica
267.
Hämatnrie 365.
Halbseitenläsion des Rücken¬
marks, of. Brown-Söquard'-
scber Symptomencomplex.
Hallucinationen im Wachen
295. — bei Imbecillitas 763.
— psychische 674.
Halsmark, Fasersystem an
Peripherie (Olivenstrang)
194.
Halssympathicns, cf. Sympa-
thicus. — Pathologie 268.
— sympath. Pupillenreaotion
450.—Ursprung im Rücken¬
mark 818. — Lähmung 813.
Hamlet, Psychose 820.
Hand, Verunstaltung 711. —
Localiaation der motor. Cen-
tren im Rückenmark 940.
Handbew^ungen, Fasern in
Pyramidenbahn 618 .
Harn, cf. Urin.
Harnblase cf. Blase.
Haschisch 584.
Haube, c. Hirnschenkel.
Haubenbahn, cerebrale 946.
Haut), Duchlässigkeit für das
Volta’sche Bogenlicht 1129.
Hautaffeotionen bei Hyste¬
rischen 860. — segmentäre
Anordnung derselben 361.
Hautgefühl, cf. Sensibilität
Hautinnervation und Wurzel¬
gebiet 994.
Hautreflexe, cf. Babinski'scher
Reflex, Palmarreflex, Plan¬
tarreflex, Supraorbitalreflex
u. s. w.
Hautreize, Einfluss auf Rücken¬
mark 899.
Hedonall88.584.766.*S84.*640.
Helweg’sches Bündel 546.
Hemianästhesie, hysterische
860. 867. — sensible u. sen¬
sorielle 573.
Hemianopsie 121 (2). 568. —
in Folge Erweichung des
Kniehöckers 167.
Hemiatrophia faciei progres¬
siva *1133.
Hemicephalie, Geruchsorgan
dabei 51. — Centralnerven¬
system 1062.
Hemicontractur, cf. Trauma
235.
Hemikranie *381. — recidivi-
rendeFacialislähmung dabei
744. — u. Trigeminusneur¬
algie 962. — Theorie 755.
756. 757. — Therapie 757.
Hemiopische Pupillenreaction,
cf. diese.
Hemiparese, hysterische 367.
— u. Arteriosklerose 1121.
— mit choreatischen Be¬
wegungen 1123.
Hemiplegie *1132, cf. Kinder¬
lähmung, cerebrale, post-
hemipleg. Störungen. —
traumatische 235. — nach
Keuchhusten 575. — Spät-
contracturen688.—alternans
896. — organische u. hyste¬
rische 283. 284. — Babinski’-
soher Reflex 699. — mit
sensibler und sensorischer
Hemianästhesie 573.— Tono-
metrie der gelähmten Ex¬
tremitäten 575. — Mechano-
therapie 579. — mit Stereo-
agnosis 1099. — vasomo¬
torische Störungen 1099.
Hemitonia apoplectica 386.
Hemmung bei Psychosen 75.
Heredität 583. 628. — u. se-
cundäre Demenz 138. — bei
Meerschweinchenepilepsie
152.—bei Alkoholismus 178.
Heredo-Ataxia cerebellaris, cf.
Ataxie.
Heroin 583. *640.
Herpes zoster 142. 309. *781.
— ophthalmicus 809. —
nach Diphtherie 811. — bei
Hysterie 360.
Herz u. Vagus 899 (2).
Herzdilationen bei nervösen
Znständen 1018.
Herzjagen, cf. Tachykardie.
Uerzthätigkeit bei Myasthenia
pseudoparalyt. 118.
Hilfsschulen für geistig
Schwache 79. 82. 774. 777.
Hinken, intermittirendes 197.
719.
795. 1067. — cf. Armläh¬
mung, intermittirende.
Hinterstränge bei progr. Para¬
lyse 29.
Hirn, path. Anatomie *380.
*481. *779. *970. *1181.
— arteriosklerotische Ver¬
änderungen 570. — Hemi-
atrophie desselben u. Klein¬
hirn 221. — Einfluss auf
Reflexe 662.
HirnabBcess 288. *880. *685.
*780. *971. *1132.
Hirnaktinomykose 579.
Hirnanatomie *379. *634.
*779. *970. *1131. 486. —
Präparation 657. — Ent¬
wickelung u. Cyklopie 60.
— Dicke der Markscheiden
479. — bei zwei hervor¬
ragenden Aerzten 707. —
der Vögel 710. — bei Aci-
penser 1092.
Hirnarterien u. Trauma 229.
Sklerose 570. — capillare
Nerven derselben 709.
Hirnatrophie, senile 1096.
Hirnblutung bei verrucöser
Endocaraitis 418. — späte
traumatische, cf. Trauma—
bei verrucöser Endocarditis
574. — multiple punktför¬
mige 574. — durch hyaline
Gefässerkrankung 1068.
Hirnchirurgie, cf. Trepanation.
Hirncirculation, gestörte 572.
Hirncyste, syphilit. 66. —
postmortale 569. 614. —
Hydatidencyste 617.
Google
1182
Hirncysticerken 85. — echino-
coccus 495.
Hirndruck, Liquor cerebro¬
spinalis dabei 224. — und
Hirnerschütterung 228.
Hirnerschütterung 227. ,570.
— u. acuter Hirndruck 228.
Hirngeschwülste *380. *635.
*787. *971. *1132.614. 616.
617. 618 . — Dermoidal-
geschwalst 927. — Perl-
geechwulst 927. — Gliom
1059.
Hirngliose, lobuläre 727.
Hirnhäute, cf. Meningen.
Hirnkrankbeiten und Blssen-
störungen 571. — syphili-
tische, cf. Syphilis. — in
Folge elektrischen Traumas
1057.
Hirnnerven, motorische Lage¬
rung im Hirnschenkelfuss
944.
Hirnnervenlähmung, multiple
190. 896.
Hirnphysiologie *377. *779.
*970. *1131. - bei Schild¬
kröte 613.
Hirnrinde, cf. Nervenzellen. —
Projectdonsfelder 162. —
Sinnessphäre 163. — Cen-
tren 164. — Gliazellen 192.
— hemmende Functionen
542. — Bewegungsrinde 24.
— Zellentwickelung 115. —
bei progr. Paralyse 80. —
beim senilen Schwachsinn
548. — Markfaserschwuud
bei Geisteskranken 949. —
Geschmacks- und Geruchs-
centren 1092.
Hirnsohenkel, Tumor 125. —
Gliom 619.
Hirnschenkelfuss, Lagerung
der motorischen Hirnnerven
944.
Hirnschüsse 83.
Hirnsinusthrombose 377.
Hirnsklerose, cf. Sklerose 615.
Hirnsyphilis, cf. Syphilis.
Hirnventrikel, Topographie
am Schädel 991.
Hirnverletzung, cf. Schädel
233 (2). — cf. Trauma. —
durch Schuss 335.
Hitzschlag 911.
Hodenneuralgie 762.
Hörapparat, cf. Acusticus.
Hörfähigkeit, functionelle Her¬
absetzung 689.
Hörstörungen u. Trauma 234.
Huntington’sche Chorea, cf.
Chorea.
Hydrocephalus internus acutus
621. — Heilung 622.
Hydromyelus 848.
Hyoscin 588.
Hyperthermie, nervöse 862.
Hypnose 88.588. — Athmung
und Puls 540.
Hypnotica, cf. Dormiol u. s. w.
Hypogastrischer Reflex 647.
778.
Hypoglossuskern 807.
Hypoglossuscontractur, späte
bei Hemiplegie 688.
Hypophysis, normale u. pathol.
Histologie 141. — Ursprung
u. Bedeutung 264. — Tera¬
tom bei einem Kaninchen
1026.
Hypophysistumor, cf. Akro¬
megalie 875. — mit pro-
longirtem Schlaf 276.
Hypoplasie bei cerebraler
Kinderlähmung 858.
Hysteria magna 366.
Hysterie *382. *637. *781.
*978. *1133. 473. — Sym¬
ptomatologie. Sehstö¬
rungen 857. — Blindheit
857. — monoculäre 357. —
Taubheit 858 (2). 691. —
Aphonie 358. — Worttaub¬
heit 171. — Stummheit 357.
358. — Dysphagie 262. —
Anorexie 363. 364. — Oeso-
phaguskrampf 865. — Koth-
brecnen 882. — Psendo-
Appendicitis 864. — Harn¬
veränderungen 359. —
Polyurie n. Pollakurie 365.
— u. Sinneswahrnehmungen
374. — metamerische Topo¬
graphie der Sensibilität 46.
— allgem. Anästhesie 859.
— Hemianästhesie 860. 867.
— Hautaffectionen 360. —
Temperatur 765. — Hyper¬
thermie 362. — Fieber 362.
368. 365. — Vertigo 359.
— Krämpfe 360. — Hemi¬
plegie 288. 284. 367. —
und Basedowsche Krank¬
heit 274. — und Tabes 24.
— Arthralgie 826. — Psy¬
chose 625. — Besessenheit
541 (2). — Aetiologie
beim männlichen Geschlecht
857. 866. — traumatischen
237 cf. Trauma. — Blitz¬
schlag 867. 368. — Dia¬
gnose 366. — Prognose
368.
Idiotie *639. *975. 473. 774.
775. — amaurotische 670.
836. 843. 868. 864(3). 1015.
— Unterricht 186. — pa-
tholog. Anatomie 409.
856 (2). 857. — geheilt 410.
— Kopfmaasse 868. — Pu-
illaranomaüeen 871. —
ereditäre Syphilis 871. —
Verpflegung 1156.
Imbecillitas, cf. Schwachsinn
774. *783. — Hallucinatio-
nen dabei 763. — hereditär
mit Zittern und Sprach¬
störung 863. — Porenze¬
phalie 866. — Frühdiagnose
870.—Sprachstörungen 871
Incontinentia urinae bei Kin¬
dern 369.
Inducirtes Irresein 580.
Infection, psychische musika¬
lische 648.
Infectionskrankheiten *381
*638.
Infectionspsychosen *783.
Influenza, Neuritis, cf. diese.
— Myelitis 718. — Psycho¬
sen 966.
Insel 707. — des Ungulaten-
gehirns 268. — Tumor 616.
Instinct 829. 330.
Intentionstremor, posthemi-
pleg. 576.
Intoxication *639. *783. *1134.
Intoxicationspsychosen 581.
Irrenärzte, Verein, Jahresver¬
sammlung 96.
Irrenanstalten 585. — Uebcr-
führung in dieselbe 78. —
Hülfsverein Brandenburg 80.
— Rheinprovinz 531. —
Jahresbericht Langenhagen
80. — Wacbabtheilungen
1117.
Irrenfürsorge 1013.
Irrenpflege, cf. Familienpflege.
Irresein, et Psychose.
Isohiadicus, blutige Dehnung
bei Tabes 85. — multiple
Fibrome 963.
Ischias 761. — Sehnenreflexe
452. — Achillessehnenreflex
686. 1045. — Skoliose 760.
— gekreuztes Ischiasphä¬
nomen 761. — u. Schlangen¬
biss 760. — Therapie 962.
— Erwerbsbeschränkung
963.
Isthmus prosencephali 947.
Jackson'sehe Epilepsie 411.
616. 620. 621. 927. 1158.
Jod u. Basedowsche Krank¬
heit 275.
Juden, Geisteskrankheit bei
denselben 132.
Jugalreflex 932.
Katatonie 477. 478. — nach
Trauma 231.
Keratitis neuroparalytica 560.
961.
1183
Keuchhusten u.Hemiplegie575.
— cerebrale Affectionen 580.
Kinder, Seelenstörungen 77.
78.118. — zurückgebliebene:
Fürsorge 79. 82. 875. —
Ermüdung 118. — Verände¬
rungen des Centralnerven-
? rstems 225. — Eklampsie,
etanie, Poliomyeloencepha-
litis 270. — Reflexe 448.
449. — Babinski 701. —
Sensibilität 659.
Kinderlähmung, cf. diese. *380.
*1182. — cerebrale 189
(2). 860. — und Arthro-
gryphosis 137. — mit Oculo-
motoriuslähmnng 858. —
Babinski’scber Reflex 142.
— u. Athetose 1071. —
Wachsthumsstörungen 858.
— pathol.Anatomie 857.
— mit PBeudoporencephalie
859. — mit Paralysis agi-
tans 859. — spinale *880.
— Spätskoliose 96. — Elon¬
gation der Knochen 191. —
path. Anatomie 834.
Kinderlose Ehen bei Tabes 21.
Kleinhirn *880. *636. *780.
*971. *1182. — der Petro-
myzonten 162. — Physio¬
logie 804. — Beziehungen
zum übrigen Nervensystem
162. — bei Hemiatrophie
des Hirns 222. — congeni¬
tale Aplasie 165. —Erkran¬
kung beim Hunde 176. —
Symptome 162. — Fehlen
der Patellarreflexe 175. —
AbBcess 178. — Adenom
806. - Cyste 173. 807. —
Sarcom 175. — Tumoren
174. 685. 807. 928. — Hemi-
asynergie 732. — Ataxie,
cf. diese 166 . 176. — Asy-
nergie 174. — Gliom 175.
176. 572. — Tuberkel 572.
926. 927. — Degeneration
805. — u. multiple Sklerose
806. — Blutung 917.
Klemhirnseitenstränge, Durch-
schneidung derselben 356.
Klimakterium, nervöse Stö¬
rungen 818.
Klumpfuss, paralytischer 918
Kniepnänomen, cf. Patellar-
renexe, Sehnenreflexe.
Kohlenoxydvergiftung 618. —
u. Hemiparese 928. — u.
Neuritis 1071.
Kopfmaasse bei Idioten 868.
Kopfschmerz *970. *1181. —
u. Sehorgan 757.
Kopfverletzung, cf. Trauma.
KorsakofPsche Psychose 812.
322. 823.
Kothbreohen bei Hysterie 882.
Krämpfe *972. *1138. — hyste¬
rische 360.
Krisen, gastrische, cf. Tabes.
— nasale, cf. Tabes. — sen¬
sorielle, cf. Tabee. — der
Clitori8, ef. Tabes.
Kropf, cf. Struma.
Kümmell’scbe Krankheit 903.
Iiabyrinth bei Tabes 32. —
cf. Canäle halbzirkelförmige.
Ladendiebinnen 44.
Lähmungen, cf. Paralyse.
Laminectomie, cf. Trepanation.
Landry*sche Paralyse 315. 816.
(2). 317. 924. 956.
Laryngeale Störungen bei Er¬
krankungen des Nervensys¬
tems 1048. — bei Tabes
1049.
Laryngeus • superior - Lähmung
952
Lateralsklerose, amyotroph.
190. 715. 716. *780.
Leberneuralgie 878.
Lepra *972. *781. *1183. —
tuberoso-anaesthetioa 959.
Lepra maculo-anaesthetica540.
— Bacillen 817.
Lethargie der Neger, cf. diese.
Leukämie, Centralnerven-
systom dabei 449.
Liq. cerebrospinalis, Resorption
bei normalem u. erhöhtem
intracraniellem Druck 224.
Little’sche Lähmung 42. 682.
Lobus frontalis, cf. Gyrus
frontaliscf. Gyri, Insel, Oper-
culum. — Gumma 64. —
Sarcom 615. — Tumor 615.
616.(2).620. - Sensibilitäts¬
störungen bei Geschwülsten
der Centralwindungen 616.
— Gliom 616. (2). — Tu¬
berkel 621. — doppelseitiger
Erweichungsherd 1074. —
occipitalis EohinococcuB
614. — Gliom 621. - ol-
factorius 52. — parietalis,
Gliosarcom 621. — Cyste
725. — Tiefenlocalisation
847. — temporalis, Cyste
621. — Tumor 725.
Localisation in Hirnrinde 164.
286.1060. — bei Vögeln 710.
— für psychische Functionen
1080. - für Auge 168. —
für Augenbewegungen 185.
— für Tiefe 347. — für
Handbewegungen 618. —
für motorische Centren 684.
— für Rumpf 163. — für
Ataxie ohne Lähmung 725.
— für Sehen 286. 567. —
für Stimme 589. — für
Urinentleerung 571. — für
Stimme 589. — für Pupille
660. — für Stereognosie
1098. (2). — für Facialis
1126. — für Geruch 1092.
— für Gesohmack 1092.
— im Rückenmark: für
Tibialis 708. — für Pero¬
neus 708. — für motorische
Nerven 935. 985. — für Hand
940. 954. — für Vorderarm
941.
Lues, cf. Syphilis.
Lumbago, traumatisch 910.
Lumbalpunction, cf. Trauma
1066. — bei Haematorhachis
traumat 267.
Lumbalwurzel, untere, isolirte
Erkrankung 468.
Lungentuberculosis, Fuss-
clonus dabei 489.
Hagen, Ectasie bei Rücken¬
marksläsion 907. — Elektri-
sirung desselben 686.
Malum perforans 35 (2). 86
(2). 37. 1053. 1054.
Mandibularreflex 932.
Manganvergiftung, chron.
1067. 1148.
Manie, Blut 678. — Brom
dabei 881.
Marchimethode 608.
Meohanotherapie bei Hemi-
plegischen 579.
Medulla oblongata von Orni-
thorbynchus 801.
Medulla oblongata *636. *780.
*971. *1132 cf. Bulbär-
paralyse. — Hellweg'scbes
Bündel, cf. dieses. — Me-
ningealcyste 129. — Abscess
729. — Herderkrankung
811. — experimentelle Lä¬
sion 486. — nnd Blase 571.
MeerBchweinchenepilepsie 152.
Meissner’sche Körperchen 852.
Melancholie, Blut 673. — und
Blutdruck 184.
Meniöre’scher Symptomen-
complex 348. *974. *1185.
Meningen *880. *635. — Car-
cinom 1063. — diffuses Sar¬
kom 1149.
Meningitis *971.*1182.—cere-
bralis, ef. Pseudomeningitis.
— u. Aphasie 191. — tuber-
culosa 418. — und Augen¬
muskellähmung 874.
Meningocele sacralis anterior
1071.
Meningomyelitis, syphil. 588.
Menstrualpsychosen 818.
Meralgia paraesthetica, cf.
Digitized by Google
1184
Cutan. femor. ext. 761.1006.
— und Psendomeralgie 762.
Mesoglia 116.
Metamerie, Theorie 985. 985.
— radicnläre u. spinale 861.
Metatarsalgie, Therapie 762.
Meynertfscnes Bändel 120.
Migräne, cf. Hemikranie.
Mikrocephalie 856.
Mikrogyrie 856.
Militärkrankheiten 767.
Millard-Gubler’sches Syndrom
896.
Mitbewegungen, ererbte 605.
680.
Mittelhirn, Geschwülste 618.
— Faserverlauf 996.
Monako wasche Bändel 780.946.
Monobromcampher, cf. Cam-
phor. monobr.
Moralischer W ahnsinn 872.878.
Morphiococainomanie 519.
Morphium, Immunisirung da¬
gegen 516.
Morvan'sche Krankheit, cf.
Lepra. Syringomyelie 665.
Mund, Vestibolarfalte 658.
Musculus pectoralis • Defect
754.
Muskel, Veränderungen bei
Myasthenie 598. — ehern.
Aenderungen bei Entar-
tungsreaction 719.
Muskelatrophie *781. *972.
— gonorrhoische 72. —
nach Trauma 143. — pro¬
gressive spinale 713. 927.
— cf. Poliomyelitis. — he¬
reditäre im Kindesalter 752.
— Arthropathie dabei 712.
Muskeldystrophie *881. *688.
. *781- *972. 95. 143. 601.
629. 716. 717. 752. 753. 926.
— und psych. Störung 758.
Muskelerregbarkeit, mecha¬
nische bei Tabes 31.
Muskelfasern. Degeneration
derselben 63. — Beticulum
in denselben 358.
Mnskelpseudohypertrophie, cf.
Muskeldystrophie.
Muskelsinn und Coordinations-
Störung 804.
Mutismus. cf. Stummheit.
Myasthenia pseudoparalytica
*381. *781. *972. — cf.
Bulbärparalyse, asthen. 111.
131. 187. 594. 683.809.811.
Myelitis *380. — cf. Compres-
sionsmyelitis, Spinalpara¬
lyse, Systemerkrankungen
415. - acuta 282. 413. 414.
905. — Veränderungen des
Rückenmark 879. — go¬
norrhoische 72. — nach In¬
fluenza 718. — haemorrha-
f ica 456. — suppurativa
ei Bronchiectasie 460. —
syphilit. 67. 634. — und
gfehnervenentzündung 457.
— Herde bei Leukämie 449.
— Heilung 460.
Myelomeningitis, syphilitische
68 . 69.
Myeloplaxie 828.
Myoclonie 181. 1005. — fami¬
liäre 865. — und Epilepsie
407. 1016. — cf. Paramyo¬
klonus. — und progressive
Paralyse 498.
Myokymie 1004.
Myotonie 392. 998. *637.
Myxoedem *381. *688. *781.
•973. *1183. — u. Base-
dow’sche Krankheit 275.
996. — u. Akromegalie 279.
— im jugendlichen Alter
1072. — u. Psychose 280.
— u. Leuchtgasvergiftung
481. — Therapie 281.
Wasalreflex 932.
Natr. salicyl. bei Basedow’-
scher Krankheit 784.
Neger, Lethargie derselben
870. 371.
Nerven, Schmidt-Lautermann-
ZawerthaTsche Einkerbun¬
gen 468. — periphere Läh¬
mung *381. —■ Druckläh¬
mungen 952.— Regeneration
720. — Renaut’scne Körper¬
chen 804. — der Hirncapil-
laren 709. — Wirkung der
Mikroben 950.
Nervendehnung 35 (8). 36.
Nervenerregung, Einwirkung
von Giften 514.
Nervenfasern, markhaltige 60.
— Färbung 988. — in der
Pia des Rückenmarks 707.
— Endigungen 263. — De¬
generation nach Durch¬
schneidung 326. — Regene¬
ration 788.
Nervenkrankheiten, Therapie
966. — und Arteriosklerosis
1069.
Nervennath (Greife nerveuse).
Facialis undAccessorius948.
Nervenpathologie, Allgemeine
*685. *780.
Nervenpfropfung 137.
Nervenreizung u. Autointoxi-
cation 1055.
Nervensystem, centrales: fa¬
miliäre Erkrankung 861,
862. — Symptomato¬
logie *634. 81. — Kurz¬
lebigkeit einzelner Theile
159. — Physiologie 854.
*634.— path. Anatomie
*686. — Entwicklungs¬
hemmung 855. — periphe¬
risches bei Salmo salar 402.
— Carcinommetastasen 917.
Nervenverletzungen bei Fra«,
turen 268.
Nervenzellen. Pathologie
62. 711. — Färbung, d
diese 946. — Fibrillen 1061.
— Dendriten 1126. — Be-
ticulum 991. — Einfluss
von Aether und Chloroform
auf dieselben 514. 517 (2).
— von Gift auf dieselben
750. — von Diphtherie-
toxinen 686. — senile Chro-
matolyse 121. — im Gan-
f lion ciliare, cf. dieses. —
in floss der Wasserentxie-
hung 227. — bei Delirium
hallucinatorium 330. — Li-
pochrom 712 (2). — in der
Schlundmuskulatur von Pul-
monaten 992. — Membran
derselben 898. — Verände¬
rungen in verschiedenem
Alter 1038. — der Hirn¬
rinde: Entwickelung der¬
selben 116. — Einfluss der
Ermüdung 117. — Eisen-
infiltration 617. — Varieo-
sität der Protoplasmafort-
sätze 701. — Einfluss von
Aether und Chloroform 710.
— Axonreaction 1093. -
des Rückenmarks 62.
Neugeborene, syphilit: Arm-
lähmung 70.
Neuralgie *381. *636. *781.
*972. *1183. — cf. dieein-
zelnenNerven: Ischias ils.«.
— gonorrhoische 72. — des
Hodens 762. — Therapie
1006.
Neurangiose 314.
Neurasthenie *637. *781. *973.
*1138. — Verbreitung 356.
— Diagnose 728.
Neuritis *381. *972. *1133.674.
— arsenicalis 308. 314. 516.
519. 521. — ascendens trau¬
matica 308. — und Gan¬
grän 960. — gonorrhoische
72. — Schwefelkohlenstoff
519. — palustris 322. —
des Peroneus profundus3. -
multiplex 94.674.1152.-
cf. Beri-Beri, Landry’ache
Paralyse. — der Gehirn¬
nerven 313. — Anfnngs-
stadien 877. — nach Ver¬
brühung 311. — alkoholi¬
sche 313. 324. 522 (2). -
und Koreakow’sche Psychose
311. — Influenza 315. 956.
957. — nach Gonorrhoe 590.
4
1185
— und Poliomyelitis 312.
— syphilit. 70. — nach
Pertussis 957. — postdiph-
theriache 957. — u. Queck¬
silber 879. 957. — nach
KohlendunBtvergiftung
1071. — optica bei Hirn¬
geschwülsten 123. — bei
Erweichungsherd im Stirn¬
hirn 1074.
Neurofibromatosis 824. — am
Nervus ulnaris 325.
Neuroglia, Ursprung derselben
116. — und Mesoglia 116.
— Zellen in Hirnrinde 192.
— Monsterzellen 685. —
Färbung 591. 918. — bei
Helix 658.
Neurofibrillen 1061.
Neurofibroma molluscum 928.
Neurom sarcomatöses am N.
poplit. int. 325. — Gang-
linenrom 901.
Neuron 188. 709. 720. -
Theorie 852. 1147.
Neuroplastik 187.
Neuroretinitis 141.
Neurose, vasomotorische 813.
815.
Neurosen u. Appendicitis 161.
— und elektr. Entladungen
627. — Abnormitäten der
Reflexe 668. — vasomoto-
risoh-trophische 966.
Niootinvergiftung 205.
Nierenaffection und Myasth.
pseudop. 114.
Nystagmus, associirter 786.
Oculomotorius, cf. Augen¬
bewegungen, Blickcentrum.
Oculomotoriuskem, Fasern zu
demselben 51. — medianer
709. — accessorischer 488.
Oculomotoriuslähmung, in Fol¬
ge von Schädelbrucb 189. —
bei cerebralerKinderlähmung
858.
Oesophaguskrampf,
hysterischer 365.
OeBophagusstenoseJ, Reflexepi¬
lepsie 978.
Oliven, untere 435.
Olivenstrang 194.
Opercnlum, Centrum für Ge¬
schmacksempfindungen
1098.
Ophthalmoplegia 921. — ex¬
terna 313. — interna trau¬
matica 907. — bei progr.
Paralyse 1107.
Opticus, cf. Amaurose, Amblyo¬
pie, Sehstörungen.Neur.opt
— u. Myelitis 457. — Faser¬
erkrankung 992. — Atrophie
bei Tabes 1047. — Sarco-
matose 1155.
Os petroBum, myelogenes
Sarcom 131.
Osteoarthropathie hyper-
trophica pneumica 1052 (2).
1150.
Osteomalaoie bei Syringomyelie
562.
Osteopathie, hypertroph. 814.
Otitis, cf.Sinusthrombose, endo-
cranielleComplicationen 877.
— Hiruabacess 288.
Paohymeningitia, oervicalis
hypertrophica 492. (2). —
cervico-aorsalis bei Tabes
188. — gummosa lumbalis
66 .
Palmarreflex 450.
Paralexie, cf. Alexie 495.
Paralyse *972. *1183. — cf.
diphther. Lähmung. —
period. nach Trauma 234.
Paralysis agitans *881. *638.
*782. *974. 638. — als
Symptom 859.
Paralysi8 labio-glosso-laryn-
gea, cf. Bulbärparalyse.
Paralysis progr., cf. Tabopara-
lyse *388. *639. *783. *975.
*1135. — Symptomato¬
logie: cf. Taboparalyse. —
atypischer Fall 880. 919. —
Myoklonie 498. — Verän¬
derung der Form 1106. —
elektr. Verhalten der Muskeln
u. Nerven 37. — Babinski’
scher Reflex 142. 1110. —
Ophthalmoplegie 1107. —
Nachkommenschaft derselb.
1100. — Deviation der
Augen u. des Kopfes 1109.
— Degeneration innerer
Organe 478. — Blut 673.
— Cerebrospinal flüssigkeit
1066. — Aetiologie 39.
72. 1100. — im Kindesalter
77.1111.(2). - Ein 20 jähr.
Mädchen 189. — Alkoholis-
mns 89. 537. 1101. (2).
1102. 1103. 1104. —
conjugale Form 40. —
Heredität 40. 1102. — bei
Männern 684. — beim weib¬
lichen Geschlecht 1110. —
bei Juden 132. — in Abes¬
sinien 830. — Syphilis 87.
38. 89. 72. 189. 480. 684.
1042.1101. 1102. — Traum
als Ursache für Wahnvorstel¬
lungen 431. — Trauma 39.
1101.1108.—u.Alkoholpara-
lyse 328. — Verlauf 1110.
— Ausgang 431 — Dia¬
gnose: Frühdiagnose 88.
1108. — u. syphilit Pseudo¬
paralyse und Cerebrasthenia
luetioa 1110. — Pathol.
Anat.: 1015. 1104.1148. —
spinale Veränderungen 28.
(2). — Gehirn im Anfangs-
Btadium 30. — Etat crible
476.—Rinden Veränderungen
bei atypischer Paralyse 484.
Vierhügel, Brücke u. med.
oblong. 588. — Rücken¬
mark 1107. —■ Therapie
72. 1108.
Paralytische Anfälle, Störung
der Tiefenlocalisation da¬
nach 339. — Häufigkeit
1107.
Paramnesie 1108.
Paramyoclonus multiplex 181.
1005. *637. *782.
Paraphasie 167. 1096.
Paraplegie, cf. Pottische
Krankheit
Patellarreflex, Verschwinden
bei Blutung in Gyri front
med. 185. — Prüfung 450.
— transitorische Beein¬
flussung duroh cerebrale
Affectionen 1099.
Pedunculus. cf. Hirnschenkel.
Pellagra *1183. 318. 319. (2).
958. (2).
Periodische Psychose 823.
Peroneus', Kern im Rücken¬
mark 708.
Peroneuslähmung, träumat. 2.
(Peroneus profunduB) 955.
(2). *781. — nach Chorea
1002.
Phonendoskop 1018.
Physiologie, experimentelle
354.
Pica als Zeichen der Epilepsie
407.
Plantarreflex 451. — cf. Ba-
binski’scher Reflex. — bei
progr. Paralyse 142. — bei
Kindern 449.
Plattfusa 761.
Plexus brachialis, Compression
desselben 463. — durch
Trauma 954. — cf. Arm¬
lähmung. — doppelseitige
Lähmung 816.
Plexus sacralis, perineurit Er¬
krankungen 956.
Polioencephalitis super, aout
190. 323. (2). 577. 681. 688.
— chron. 811.
Poliomyelitis, ant chron. 578.
— acuta 144. 312. 388. 414.
416. 417. 713. 714. *880. —
adultorum 713. — Knochen¬
deformitäten 754. — im
kindlichen Alter 417. —
75
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1186
chronica 144. — nach Trau¬
ma 240. 268. 456.
Poliomyeloencephalitis 270.
Pollakurie, hysterische 365.
Polydactylie 404.
Poydipsie, hyBter. 367.
Polyneuritis, cf. Neuritis mul¬
tiplex.
Polyurie, hysterische 365.867.
Pons VaroUi, tiefe Qnerfasern
221. - Affection 126. -
Blutung 574. — Verletzung
894. — Geschwulst 618. —
Tuberkulose 490. — Gliom
619.— Herderkrankung 812.
Popliteus ext., Neuralgie 761.
— int., Neurom 325.
Porencephalie 488. 711. 855.
859. 866. — doppelseitige
857.
Posthemiplegi8che Störungen
575. 576.
Postpyramidale motorische
Bahnen 684.
Potfsche Krankheit 465. 669.
— u. Böckenmarkshöhle 592.
902.903. — cf. Kfimmeirsche
Krankheit.
Pseudoappendicitis,hyster.864.
Pseudobulbärparalyse, infan¬
tile 129. 180. 191. 808. 810.
Pseudohypertropbie der Mus¬
keln, cf. Dystrophie.
Pseudologia phantastica 132.
Pseudomeralgie, cf. Meralgie.
Pseudoporencephalie 859.
Psychiatrie u. Psychologie 581.
— Lehrbuch 581. — u. Be-
rufsgebeimnias 1065.
Psychiatrie 584. *882. *638.
*783. *974. *1185.
Psychologie *882. *638. *1185.
— physiolog. 60. — der in¬
dividuellen Differenzen 78.
— u. Psychiatrie 581.
Psychopathologia sexual. 1058.
Psychosen, cf. circulares, Co-
fumbus, Hamlet, induoirtes
Irresein, Dementia praecox,
Verblödungspsychosen etc.
*388.*688.*783.*974.*1135.
— Symptomatologie:
Tätowiren 622. — manisch-
depressiv 628. — Selbst¬
beschädigungsversuche 40.
85. — Rhythmus u. Reim
827.— Zwangsvorstellungen
731. — Hemmung 75. —
Menstruation 818. — Finger¬
nägel 431. — Raynaud’sche
Krankheit 960. — Blutdruck,
cf. diesen. — Spiritismus
485. — Blut 678. — Tem¬
peraturmessungen 765. —
Aetiologie: im Kindes¬
alter 77. 78. — Myxödem
279. — Militär 767. — Alko¬
holismus 525. — postinfec-
tiöse 581. — hysterische,
cf. Hysterie. — syphil. 64.
71. — Influenza 966. —
Pellagra 318. 319. — post-
operative 268. — Typhus
580. — Intoxioation 581. —
bei Zwillingen, cf. diese. —
Trauma u. Unfall, cf. diese.
— Neuritis multipl., cf. diese.
— Epilepsie, cf. diese. —
durch Predigen von Schwär¬
mern 764. — in Abessinien
830. — u. Echinokokken 495.
— Vererbung 628. — Ge¬
fangenschaft 817. — Path.
Anatomie derfunctionellen
Psychosen 481. — Mark¬
faserschwund der Rinde 949.
1015. — Liquor cerebro¬
spinalis 1016. — Verlauf:
periodisch 828.—Prognose
372. — Diagnose: Simu¬
lation 728. 768. — Tbera-
pi e 966. — Irrenanstalt 78.
— Bettbehandlung 421.428.
580.626. *784. — Heroin 583.
— Hyoscin 588. — Hedonal
766, cf. dieses. — Schild-
drüsenbebandlung 280. *640.
— Künstlicher Abort 1022.
Ptosis, Vortäuschungsmöglich¬
keit 914.
Pubertätsirresein 118.
Puls bei fShrpnose 827. — bei
farbiger Beleuchtung 1128.
Pupillenbewegung, cf.Centrum
ciliospinale. — Physiol. u.
Pathologie 25. — u. Con-
tract. des Orb. palp. 790.
— beiJMyasth. pseudop. grav.
114. — Erweiterung vom
Cortex aus 660. — bei Idio¬
ten 871.
Pupillendifferenz, 'alternirende
684.
Pupillennervenfasem 25.
Pupillenreaction 25. — bei
Alkoholismus 522. — bei
Idiotie 871. — hemiopische
121 (2). — sympathische
bei Unfallkranken 450. —
bei Totalexcision des Hals-
8ympatbicus 450.
Pupillenstarre, reflectorische,
bei Scbädelbruch 189. —
bei Alkoholismus 823. —
hemiopische 391. — u. here¬
ditäre Syphilis 871. —Varia¬
tion im Verlauf derselben
834.
Pyramidenbabn, cf. postpyra¬
midale Bahn. — bei Hemi-
atrophie des Hirns 222. —
Degeneration 299. 852. -
Bedeutung 486. — Fasern
für Handbewegung 613. -
primäre Degeneration 628.
Pyramidenzellen 24.
Querulantenwahnsinn 580.
Quecksilber, cf. Neuritis mul¬
tiplex.
Badialislähmung, trauma¬
tische 633. — Druckschmerz
952.
Radiographie, cf. Röntgeo-
bilder.
Rautengrube, cf. Ventrikel,
vierter.
Raynaud’sche Krankheit 144
815. 960. 961. 1151.
Reaction, myasthenische, cf.
Myasthenie.
Reflexe *380. *636. *781. *972.
*1138. 662. 663. - cf. Ba-
binski’scher Reflex. — cf.
Scapula-Periostreflex 507. -
hypogastrischer 647. 778.
1180. — spinale 662. —
Latenzzeit 75. — bei trau¬
matischer Rückenmarks¬
läsion 685. — im Antlitz-
u. Kopfgebiete 930.
stenose 978. —durch NutSe
1118.
Reflexzuckung 119.
Regeneration im Rückenmark
738.
Reim, Psychologie desselben
327.
Reproduction der Geeicht»-
eindrücke 495.
Renaufscbe Körperchen 804.
Respiration u. Vagus 899.
Rheumatismus und Chorea
1001 ( 2 ).
Rhythmus, Psychologie des¬
selben 827.
Riechschleimhaut 53.
Riesenwuchs, cf. Gigantisinns.
Rindenblindheit *380.
Rindeneentren, cf. Hirnrinde.
Rindenepilepsie, cf. Jackson’-
sche Epilepsie.
Rindentaubheit 380.
Röntgen-Bilderbei Arthropath.
tab. 32. — bei trophiaehen
Störungen bei Tabes und
Syringomyelie 55. — foren¬
sische Bedeutung 625.
Rückenmark *636. *780. *971.
*1182. — cf. Clarke’scbe
Säulen, Cauda equina, Conus
med., Sacra lfeld, Hinter¬
stränge, Kleinhirnseites-
strangbahn, Vorderseiten¬
strang, Seitenstränge. -
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1
1187
Anatomie, cf. HAlsmark.
— Fasern aas dem Thal,
opt. 61. — Topographie 264.
— Centralcanal 351. — an-
tero-mediales Bündel 645.
— elektrische Erscheinungen
686. — u. Hautreize 899.
ath. Anatomie 449.
ntstehung von Höhlen
878. — bei aseptischer Em¬
bolie 900. — Venenthrom-
bose 456. — bei progr. Pa¬
ralyse, cf. diese.
RückenmarksabscesB 460.
Rückenm&rksblutungen 239.
Rüokenmarkscompression, cf.
Compressionsmyelitis 668.
Rückenmarkserkrankungen, cf.
Myelitis, Spinallähmungen.
— syphilitische, cf. Syphilis.
— Höhlenbildung 848. —
Segmentdiagnose 453. —
uncomplicirte traumatische
453. 909. — cf. Trauma.
— mit schweren Anäraieen
456. — u. Magenectasie 907.
Rückenmarkserschütterung
265. 453.
Rückenmarksgefässe, aneurys-
lua - serpentmumartige Ver¬
änderung 667.
Rückenmarksgeschwülste, cf.
Rückenmarkshäute 906. —
Gliome 666 (2). — Fibrom
904. — Echinokokken 668.
— ascendirendes Sarcoro669.
Rückenmarkshäute, cf. Dura
mater spinalis. — Psam¬
mome 46. — roarkhaltige
Nervenfasern 707.
Rückenmarksnerven, sensible
533. — Stichverletzung des
dritten linken Dorsalnerven
888 .
Rüokenmarksquerläsion, Seh¬
nenreflexe aabei 452. 669.
Rückenmarksregeneration 788.
Rückenmarksveränderungen
nach Durchschneidung der
vorderen u. hinteren Wurzeln
856. — bei Amputirten 494.
950. — bei Paralys. progr.
28 (2). — nach Resection
einiger Nerven der vorderen
Extremität 660. — bei
Pferden 1040. 1041. 1094.
Rückenmarksverletzungen, cf.
Wirbelsäule, Trauma. —
Stichverletzung 238.464. —
Schussverletzung 267. —
durch Wirbelfractur 465. —
Reflexe dabei 685.
Sacralfeld, dorsoraediales 53.
Sacralwurzeln, isolirte Erkran¬
kung 463.
I Sadismus 77.
Scapulo-Humeralreflex 507.
Schädelfractur 87.
Schädelgrube.hintere,Tumoren
351.
1 Schädelhöhle, Blutoirculation
947.
i Schädelverletzung 229, 230.
283 (2). 234.
Schilddrüse, cf. Glandula thy-
reoidea.
Schildkröte, Gehirnphysiologie
613.
Schichtstar u. Tetanie 1000.
Schlaf von 7 monatl. Dauer bei
Hypophysistumor 276. —
u. Dendriten der Hirnrinde
1126.
Schlafmittel u. Blutoirculation
in Schädelhöhle 947.
Schlingact, cf. Dysphagie.
Schlundmusculatur der Palm o-
naten, Nervenzellen dabei
992.
Schreibkrampf 179.
Schultze’sche Kommadegene¬
ration, cf. Rückenmarks¬
degeneration.
Schwachsinn, cf. Imbecillitas,
Hülfsschulen 186. 376. 773.
777. 865. — angeborener
u. früh erworbener 869.
Schwangere: Tetanie 269.
Schwefelkohlenstoff Vergiftung
518. 519.
Schweissabsonderung u. Fa¬
cialis 949.
Schweissbahnen 222. 37&.
Schweisscentren 222.
Schweisse, spinale 378.
Schweisssecretion 222.
Schwerhörigkeit u. Worttaub¬
heit 1096.
Schwindel 172. — u. Laby¬
rinth 32. — Entstehung 1021.
*638. — hysterischer 859.
Seelenblindheit 168.
Segmentanordnung 264.
Segmentäre Symptome, Urti¬
caria 185. — Erythem 185.
— cf. Metamerie. — Sensi¬
bilität 533.
Sehbahn, cf. Opticus.
Sehcentrum 287. — u. Corp.
mamillare 494. — cortieales
567.
Sehhügel, cf. Thal, opticus.
Sehnenreflex 451. — cf. Achil¬
lessehnenreflex , Patellar-
reflex, Fussklonus, Triceps-
reflex. — bei Tabes 81. —
bei Chorea 1001. — bei
Rüokenmarksquerläsion 452.
669.
Sehnerv, cf. Opticus.
Sehhügel, cf. Thal. opt.
Sehstörungen, hysterische 857.
Seitenstrang, entero-mediales
Bündel 645.
Seitenstrangsklerose, cf. Late-
! ralsklerose.
Seiten Ventrikel, Tuberkel 615.
I Selbstmord u. Alkoholismus
525.
Sensibilität bei Kindern 659.
— u. Schleifenbahn 1129.
SenaibilitätsBtörungen der
Haut bei Tabes SO. 31. —
bei Aneurysma aortae 762.
— der Gelenke u. Muskeln
31. — halbseitige 69.
Sensibilitätsverhältnisse, spi¬
nale 533.
Serratuslähmung 47.
Sexualität *689. — Coup de
foudre 76. — cf. Sadismus.
— Homosexualität 75.
perverse 76.
Sexuelle Perversion '1058.
Siechthum 624.
Simulation, cf. Psychose.
Sinnesbahnen, centrifugale
Fasern 613.
Sinnestäuschungen, cf. Hallu-
cinationen.
Sklerodermie 1071. — u. Base¬
dow'sehe Krankheit 271.
*781. *1133.
Sklerose des Hirns, tuberöse
u. hypertrophische 409. —
diffuse nach miliaren skle¬
rotischen Herden 860. —
multiple 416.535. 678. *780.
*972. *1132. — Babinski’-
scher Reflex 700. — u. Klein¬
hirn 806.
Skoliose bei Ischias, cf. diese.
Speichelabsonderung u. Facia¬
lis 949.
Speichelfluss, nervöser 369.
Spiegelschrift 170. 1097.
Spina bifida *971.
Spinalganglien, bei prugr. Pa¬
ralyse 28 (2). — bei Tabes
184. — bei Herpes zoster
310.
Spinalganglienzellen, cf.
Tabes.
Spinalparalyse, spastische 461.
— hereditäre 628. — fami¬
liäre 861. 863. — spastische
Byphil. 67. — transitorische
457.
Spinalpunction, cf. Lumbal-
punction.
Spiritismus u. Geisteskrank¬
heiten 485.
Splanchnicus bei Tabes 27.
Spondylitis, cf. P otPscheKran k-
heit, Spondylosis. — defor-
mans 902. —traumatica 903.
I Spondylosis rhizomelica 181.
75*
Digilized by Google
1188
825. 901. — cf. Wirbelsäule,
ankylosirende Entzündung.
Sprachcentrum, cf. Aphasie.
Sprachstörungen, cf. Aphasie.
— bei geistig zurückgeblie¬
benen Kindern 872 (2). —
historische Darstellung 1094.
Sprachtaubbeit, cf. Aphasie.
Stammeln 80.
Status epilepticus, cf. Epilepsie.
Stauangspapille u.Trepanation
784.
Stereoagnosie 1098(2).
Stereotypie bei secundärer De¬
menz 183.
Stimme beim Thiere, Einfluss
der Hirnrinde u. subcorti-
calen Centren 639.
Stottern 80.
Strangerkrankungen des
Rückenmarks, cf. Rücken¬
mark. .
Struma, cf. Glandula thyreo-
idea.
Strychnin, physiol. Wirkung
403.
Stummheit, hysterische 857.
858.
Suggestion als Ursache des
Verbrechens 538. — bei
Alkoholismus 1056.
SalfonalVergiftung 516.
Supraorbitalreflex 800.931.938.
Sympathectomie bei Epilepsie
411.
Sympathicus bei Tabes 27. —
Anatomie 803. — Physio¬
logie 803. 804. — Chirurgie
816 (2). — cf. Halssympa-
thicus *781. *1133.
Sympathisches System, Auto¬
matic 353.
Syphilis *638. *782. *974.
*1184. — cf. Paralys. progr.,
Tabes, Syringomyelie etc. —
des Nervensystems 66. 69.
— n. Geisteskrankheiten 71.
— des Hirns 64 (2). 65. 66.
188. — u. Epilepsie 407. —
des Rückenmarks 65. 66. 67
(2). 68. 69. 638. — der peri¬
pheren Nerven 70. — Op¬
ticus 1020. — hereditäre 70.
72. 332.1016. — u.PapiUen-
starre 871.
Syringomyelie *380. * 780. *972.
*1132. 190. 664. 665. 826.
879. 925. 1124. — troph.
Störungen mit Röntgenlicht
55. 562. 564. — Arthro-
pathieen 1137. — sensitive
Form 492. — syphilit. 66.
665. — u. Hydromyelus 851.
— Brustkasten 592. 664.
904. — Wirbelsäule 832.904.
1160. — sacrolumbalis 148.
— intramedulläre Neurome
592.
Systemerkrankungen, combi-
nirte 461.
Tabak, cf. Nicotin.
TabeB *381. *636. *781. *972.
*1133. — cf. Taboparalyse
1041. — Symptomato¬
logie: präatactisches Sta¬
dium 1047. — Opticus 1020.
Opticusatrophie 1047.1048.
— Labyrinthaffection 32. —
Nasenkrisen 32. — gastrische
Krisen 27. — Clitoriskrisen
1050. — sensorielle Krisen
1049. Trigeminuserkran¬
kung 1045. — laryngeale
Störungen 1048. 1049. —
dentale Symptome 1045. —
Schwindel 173. — Allochirie
1046.—Gangstörungen 1051.
— Sehnenreflex 31. 452.
— Achillessehnenreflex 686.
1045. — Atbetosis 1046. —
Muskelerregbarkeit 31. —
Sensibilitätsstörungen 80.81.
Localisation derselben 1045.
— segmentale Gefühlsstö¬
rung 1019. — trophische
Störungen mit Röntgenlioht
56. — Arthropathieen 82.
824. (2). 1051. — Osteo¬
arthropathie 1052. — Frac-
tur des Oberkiefers 1046. —
Malum perforans 86. —
Akromegalie 278. — Dia¬
betes 1043. — u. Hysterie
24. — u. Basedowsche
Krankheit 24. — Aetio-
logie 33. 824. — Syphilis
22. 38. 40. 45. 882. 1042 (8,i.
1147. — Trauma 83 . — beim
weiblichen Geschlecht 19.45.
— oonjugale Form 40. —
infantile u. hereditäre 881.—
in Abessinien 330. — Ver¬
lauf 827. — spontane Bes¬
serang 34. —Pathogenese
1043. 1044. 1083. 1147. —
Path. Anatomie 1042. —
Sympathicus 27. — doreo-
mediales Sacralfeld 54. —
Spinalganglien 184. 1040.
— primäre Läsion 1041.
1050. — Therapie 88. 34.
35. 684. 827. 1042. 1044.
1053 (3). — bei Arthro¬
pathie 96. — Coreettbehand-
lung 1052.
Taboparalyse 967.
Tachykardie, paroxysmale 873.
Tfttowiren 622.
Tastsinn, cf. Stereoagnosie.J
Taubheit, hysterische 858 (2).
692. — cortioale 495.
Taubstummheit, cf. Hörstumm¬
heit — geistige Welt dabei
828. — Temperatur bei
hysterischer Psychose 764.
Tetanie, cf. Pseudotetanie*637.
*782. *974. 997. 999 (2). -
bei Schwangeren 269. -
bei Enteritis 269. — bei
Kindern 270. 999. — u.
Basedo w’scheKrankheit 27 1 .
— u. Schichtstar 1000 . -
bei Magendilatation 270. -
u. myotonische Störungen
998
Tetanus *381. *637.*782.*973.
*1134. 1071.
Thalamus opticus 568. — ceu
trifug. Bannen zum Rücken¬
mark 50. 120. — Aufbau
desselben 306. — Physiologie
118. — Anatomie u. Physio¬
logie 119. — Gliom 122. -
Cylinderepitheli*>m 156. -
Erweichungsherde 570.
Therapie *3»4. *640. *7»4.
*976. *1136.
Thomsen’sche Krankheit cf.
Myotonie.
Thorax en bätean bei Syringo¬
myelie 592. 664.
Thränenabsonderang u. Facia¬
lis 949.
Thymus, cf. Gland. thymus.
Thyreoidea, cf.Gland.thyreoid.
Thyreoidismus, cf. Basedow¬
sche Krankheit 274. 281.
Tibialis, dieser im Rücken¬
mark 708.
Tickrankbeit 1003 (2). *1184.
Tiefenlocalisation, Störung
derselben 338.
Tobsucht in Folge von Atro-
pinvergiftung 41.
Tonometrie 108. 575.
Tonus, cf. Muskeltonns.
Tractantero-lateral. ascendem
cf. Gowers’sohes Bündel.
— olfact., cf. Bulb, olfsd.
— opt, cf. Opticus.
Trapezius-Lähmung 47. -
traumatische 910.
Traum und Wahnvorstellung
440. 608.
Trauma, cf. EisenbahnunfiUe,
elektrische Entladungen,
Schädelfracturen.Hitzschlag
*382. *637. *788. *974. *1184.
— Hirnerschütterung 227.
228. — am Kopfe 122. —
Schädel 229. — Schädel- u.
Hirnverletzung 238 (2). 906.
— durch Contreooup 906.
— des Pons bei intactem
Schädel 894. — Kleinhiit-
tumor 806. — und Hire-
gefässe 229. — Hemiplegie
Google
1189
285. — Hemicontractur 235. der Otitis 878.1152. — bei I Verbrecher, geborener, Mund-
— Spätapoplexie 235. 907 Stauungspapille 734. — der \ vestibularfalte 658. — Blut*
(2). — Läsion des Sprach- Wirbelsäule 460 (2). 825. ; gefässsystem 830.
centrums 231. — Seh- und 908. 954. Vergiftungen *782, *974.
Hörstörungen 234. — Augen- Triceps, raotor. Centrum im *1184.
mnskellähmung 189. 234. Rückenmark 942. Vertigo cf. Schwindel.
907. — Paral. progr., cf. Tricepsreflex bei Tabes 31. Verwirrtheit, acute, cf. Del.
diese 39. 1101. 1103. — Trigeminus, Herpes im Gebiet* balluc.
periodische Lähmungen 234. desselben 309. 810. — Vicq d’Azyr’scbes Bündel 120.
— Hirnerkrankungen 911. Neuralgie, cf. Ganglion Vierüügel, cf. Corp. quadrige-
— elektrisches und Gehirn- Gasseri 759 (3). 1113. — mina.
erkrankungen 1057.— Wir- und Hemikranie 962. — u. Volksheilstätten für Nerven-
belTerletzung 465. 669. — Tabes 1045. — und Zahn- kranke 1117.
SpondylitiB 903. — extra- erkrankung 1124. Voltalicbt u. Durchlässigkeit
meningeale Blutung im Trinker, cf. Trunksucht. der Haut 1129.
Rückenmark 238. — Hä- Trinkerheilanstalt 527. 1060. Vorderhornxellen, cf. Nerven-
matorrhachis 267. — Häma- Trochlearislähmung in Folge zellen. — Veränderungen
tomvelie 239. — Blutung von Schädelbruch 189. bei Kindern 227.
im Duralsack 238. — Stich- Trophödem, hereditäres 862.
Verletzung des Rückenmarks Trunksucht 526. 527.
238. 664. — Schussver- Typhus, Neuroretinitis nach Wachabtheilung 1117.
letzung desselben 267. — demselben 141. — Babinski’- Wadenkrämpfe 290.
des 3. Dorsalnerven 888. — sches Zeichen 141. — als Wahnideeen im Volksleben 963.
Rückenmarkserkrankungen Ursache von Epilepsie 406. Wahnvorstellung und Traum
453. 909 (2). — epiconiscbe — und Psychose 580. 441. 508.
Läsionen 906. — Corapres- Uebungstherapie, cf. Tabes Wallerisches Gesetz 802.
sionsmyelitis 240. —- mul- 34 (3). Wandertrieb, epileptischer
tiple Sklerose 627. — Polio- Ulnaris, Neurofibrom desselben 408.
myelitis 240. 268. 456. — 325. Wirbelcanal, Angiolipom 668.
Tabes 88. — malum per- Ultraviolette Strahlen, Wir- — intraarachnoideale In-
forans 86.— Muskelatrophie kung 404. jection, of. Cocain.
143. — Neuritis 308. — Unbewusste 828. Wirbelgeschwülste, Compres-
Radialislähmung 633. — Unfallgesetzgebnng, cf. sion des Rückenmarks 217.
Peroneuslähmung 3. 955. — Trauma. 300. 344.
Halssympathicus 268. — Unfallheilkunde 822. Wirbelsäule *780. *971. *1132.
Nervenverletzung bei Frac- Unfallskranke, cf. Trauma. — — cf. Pott’sche Krankheit,
turen 267. — Lumbago 910. Erwerbsfähigkeit 286. — Skoliose, Spondylitis. —
— Cucullaris910. — Schuss- Nervenkrankheiten 265. — Steifigkeit 377. 825. —
Verletzungen 229. 233. 336. sympathische Pupillenreac- ankylosirende Entzün-
— aliraentäreGlycosurie914. tion 450. — Psychosen 489. düng 466 (2). 467. 468.
— Blutdruckmessung bei 912. — Arteriosklerose 1071. *638. *780. 901 (2). —
traumatischen Neurosen 108. — alimentäre Glykosurie Trauma 237. 238. 267. 465.
— Hysterie 237. 627. 918 914. — Simulation 914.915. —Veränderungen bei Fried-
(2). 915. — Schütteltremor — Erwerbsbeschränkung reich’scher Krankheit 17,
266. — Muskelcontractur durch Ischias 963. bei Syringomyelie 882. 904.
237. — Unfallsneurosen 88. Urethra, Nerven derselben 760. 1160. — Verkrümmung bei
265. — Erwerbsfähigkeit Urin, cf. Polyurie, Hämaturie, Pott*scher Krankheit 465.
dabei 286. — Simulation Pollakurie. — Giftigkeit — Osteomyelitis 902. —
914. 915. — Delirium ner- bei Epilepsie 405. — bei Eröffnung derselben 902. —
voaum 230. — Psychosen Hysterie 359. cf. Trepanation.
912. — nach Operationen Urticaria abdominalis 185. Wortblindheit 169. 170.
268. — traumatisches Irre- Worttaubheit 170.— u.Schwer-
sein 232. 233. 912. — Kata- hörigkeit 1096.
tonische Krankheitsbilder Vagus, cf. Acoessorius, Gangl. Wurzeln des Rückenmarks, cf.
281. jugulare. — -Fasern, re- Lumbalwurzeln u. s. w. —
Tremor, cf. Zittern. — post- spiratorische und herzhem- physiologische Bedeutung
hemiplegicus 576. mende 899 (2). — -kerne Magendie-BelTscher Lehr-
Trepanation 122.123.1162.— 767. satz 853. — hintere, Re-
bei Kugel im Balken 620. — Vasomotorische Störungen, flex von hinterer Wurzel
bei Hirntumoren 616. 620. Localisation im Hirn 1099. auf hintere Wurzel 26. —
621. — bei Epilepsie 409. Venenthrombose im Rücken- Durchschneidung u. Degene-
411.412.1114.— bei Jack- mark 456. ration der Sympathicus-
son'scher Epilepsie 411.616. Ventrikel, of. Seitenventrikel. fasern 27. — Veränderungen
— bei Kleinhirngeschwulst — vierter, Gliosarcom am beim Kinde 225. — peri-
174.175.176.1152.— bei en- Boden desselben 127. — pbere Ausbreitung derselben
docraniellen Complicationen Solitärtuberkel 128. 306. — Durchschneidung
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1190
derselben 856. — intra-
d orale, Resection 470. —
vordere, Veränderungen
beim Emde 226. — Durch-
scbneidung derselben 356.
Zehenbewegungen 8.
Zehenreflex, cf. ßabinski’scher
Reflex.
Zelle, cf. Nervenzelle.
Zirbeldrüse, cf. Glandula pi-
nealis.
Zittern, cf. Tremor. — halb¬
seitiges contralaterales mit
Neuroretinitis 141.
Zunge, cf. Hypoglossus.
Zurechnungsfähigkeit, cf. fo¬
rensische Psychiatrie. — der
| Epileptiker 412. — gemin¬
derte 624.
Zwangslachen 126.
Zwangsvorstellungen 428. -
: Psychosen 731. 1115.
j Zwangsweinen 126.
i Zwillingsirresein 583. 831.
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