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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MEDICAL CENTER LIBRARY
SAN FRANCISCO
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■P^"^"^^»"'"'""^'
NEUROLOGISCHES
CENTRALBLATT
ÜBERSICHT
DER
IjEISTUNGEN auf dem gebiete der ANATOMIE.
PHYSIOLOGIE, PATHOLOGIE UND THERAPIE DES WERTEN
SYSTEMS EINSCHLIESSLICH DER GEISTESKRANKHEITEN.
HERAUSGEGEBEN
VON
1)R. £. MENDEL,
PR0FR8S0R AN DER UN[TEB8ITAT BERLIN.
SIEBENTER JAHRGANG.
LEIPZIG,
VERLAG VON VEIT & COMP.
1888.
Drnek TOn Mati^rer k Wlttlf^ In Ldpflff.
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UebersicHt darkeittiingeh auf dem Clebiete der Anatomie^ Physiologtoy Pathdlog»e
und Therapie des Kervensysiemes einschliesslich der GeisteskrankhQltefiV
..vHenmiigegebeD.Topi . -. -« •• -i^
Professor Dr. E. Mendel
SiMMmtei^ • ^"^^ ' Jatrgang,;
MonMUolL «ncheiiieik xwei Nuimvieriu Preis 4es Jabrgui|^< 2Q:Mark^ t Zu« badebwftdiiToh
AlJeJBii^hha]idliuig^.dfii.In- iia4 Ämla^desi 4ie PosUnst^tem des IXeutsoim Qekhs» sowie
, dkßist .Ton , der VOTlügsbuohhfipcUiBttg. .
1888./. ' ..,: , : , t Jwmar. : : ; :.\.Mi,
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iDliali I. OriglhalmfltheiltiiigeiL 1. Cytism g^geii Migräne^ von Prof. E. Kraepel^o.
2. Doppelseitige Trocldearisparese« ron Dr. Ernst Remak. 3. Zur Anatomie dei» Frosehgehmis,
Tön Dr. n. Kopien.
M. -RefiraW; AMtomlek .. Ir2ar Keantnlss der iFormeOides Hinwoh&dQls; von' Rragar.
2. Phjsiologisehe uud,iiuk]X)ohemisclie Beiü%e zur Kenntniss der Nerreazelien, iq den peri-
ph^l^h)r6n GaDglien. von Itotlarewsky. — ' Eizperimentelle' Physiologie. B. Die Phy-
siologie deft motorischen Feldes dez* Hirnrinde, ton ' Bechterew. 4, ITöber einseitigen und
dopnel8aitiffen:LidBchluss, Ton Lanfendorlli 5. üeber Ataxie andlftusköllanii, Vo» G^ldsdielddr.
— r aihologi B oh 1^. Anatomie« 6. Zur Lefaievon der Tuberetilose des CeBtralnerven^stems,
TOD Hoche. 7. Ueber HeiluDg ToiL^tiohwunden des Gehinm, von Cj^e«, ß* Cerebroporoed
da congelamento, del Rezzonico. — j^athologie des ^erven^ystemsi ^., A case pf ataxie
triih'loss of muscular sense, by tir^mwelt. 10. Des'möuveme'nis choröifbrmes et de l^ath^tose
ohez les ataziqUe») par'AMry- D* UobM einen Fall ron Tabes dorsalis mit Spoütanraptur
der. QandnQepsBehne und Aithxopathieni von kOwenfeld« • 12. Looomotor ataxia. Two cases:
one a caae.ol so-caUed spinal fiithropathy ; the otber* acute tabes dorsfUis, .by Porlaiu 13. Char-
cot^s diseäse of Shoulder, von Reclitess. 14. Die Arthropathie bei Tabes, yön Weizttckefp
15. Ein Fall ton Arthropathie bei Tabes, ton v. Kabiden. 16. 0eber neuritische Muskel-
atropiie bei Tabes dOrsalife, ton Rämik. 17. Di^ ItaitiaIs;]^ptom^ der Tabes dotsalis, ton
Kmfßfp 18s. . Halbseitige yasomoloiisehe und.seeretorische Storuageb b^ Tabes dovsualls.in-
dpiens, TOS Mau 19. Tabes pr^ce et bär^tä uerteuse, parBtrbez. 20.. Zur Frage über
die Beziehungen zwisoben Tabes und Syphilis, ton Meumann, 21. Zur Casuistik der Fstchoseu
bei Tabes, ton Hebotd. 22. tJeber hefedit&re Ataxie. Ein Beitrag zu den primären combinirten
Systemarkrankungeo des RQokenmarkÄ, ton RDtiiiieyer. 29. Zur Lehre tOn der Ataxie. Acute
BnHriMrl&hmnng* Friedreich'sehe Tabes» ton Hendel, -r- Psychiatrie, 24. Reoherckes aur
l'töolegie de & paralyßie gi^^Bale «hez rfaonune, par Chrltlian. 25u Beitrag- zur, Ajetiplogie
und Therapie der Dementia paralytica, ton Levlqttflin. 26. Ueber Jacksoi^'sche Epilepsie und
Psychose, tön Mendel; ^. Pairalysie g^n^rale. Boulimie^Asphyxie pär les ahments, par
" 0t; tSSi Zur Casuitftik der progtessitett Paralyse d^r Irreü, toHi Acker. '
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^V. Persoi||llan. , . t- ,;..•..,. -
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I. Öriginalmittlieilivaesiu
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1. Cytisiii JKegeii Migfäne.
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Kqbx^. ^ov tABsteUu^g theinpeiiti^ Yergnche übergab|. l0gte^::9iir 'die Vfr-*
— 2 —
muthung nahe, dass dem Mittel unter Anderem gerade bei jener Erkrankung
eine Heilwirkung zukommen werde^ als deren weeentliche Grundlage wir eine
Erschlaffung der Oefasswand anzusehen pflegen/ bei der sog. paralytischen Migranie.
In der That hat mir gleich der erste derartige Fall, in welchem ich das Gytisin
in Anwendung ziehen konnte, diese Voraussetzung in befriedigender Weise bestätigt.
I. Frl. S,, 21 J., warde am 25. III. 1887 wegen einer hysterischen Contractnr
des rechten Beines und mannichfacher nerY(y8er Beschwerden, Herzklopfen, Schlaf-
losigkeit, Appetitstömng, Verstopfung u. s. £. in die paychiatriache Klinik aufgenommen.
Seit mehreren Jahren leidet Fat. alle 2—3 Monate an heftigen Anfallen rechtsseitiger
Kopfschmerzen, die seit dem Herbste 1886 häufiger geworden und in der letzten Zeit
mehrmals wöchentlich aufgetreten sind. Dem meist gegen Abend sich entwickelnden
Anfalle geht regelmässig starke Unruhe, OppreesionsgefUhl, Schmerz in der Herzgrube,
Uebelkeit voraus; eine fleckige Böthe zeigt sich auf der rechten G^sichtshälfte, während
die linke Seite blass bleibt, verbreitet sich immer mehr und greift nicht selten sogar
bis auf den Arm hinüber; die rechte Temporaiis pulsirt stark. Nach 1 — 2 Stunden
beginnt dann unter heftigem, häufig wiederholtem Erbrechen, mit Unruhe, quälender
Angst, absoluter Schlaflosigkeit, Lichtscheu und Flfamnern vor den, Augen der die
ganze rechte Schädelhälfte einnehmende Kopfschmerz. Die Dauer des Anfalles be-
trägt 12—24 Stunden; nach demselben grosse Mattigkeit, starke Erweiterung der
rechten Fupille und häufig eine bald vorübergehende Sehstörung auf dem rechten
Auge, Undeutlichkeit und Verschwommenheit der Qesichtseindrücke. Als therapeutisch
unwirksam hatten sich Coffein, salicylsaures Natron und die gewöhnlichen Schlafmittel
erwiesen; dagegen hatten Cocalneinloräufelungen in's Auge, sowie Morphiuminjectionen
Linderung bewirkt und wurden von der Fat lebbaft verlangt.
Am 10. IV. wurde nach vergeblicher Anwendung veirschiedener anderer BCittel
beim Beginne eines Anfalles 0,003 Cytisinum nitricum subcutan injicirt. Der Erfolg
war überraschend. Im Laufe einer halben Stunde schwanden die Böthung, das Op-
pressionsgefühl und der Schmerz bis auf einen leichten Kopfdruck; ausserdem gelang
es nunmehr, durch 8 gr Faraldehyd mehrstündigen Schlaf zu verschaffen. Dasselbe
Besultat wurde unter Steigerung der Dosis auf 0,005 im Laufe der folgenden Monate
be| jedem der zahlreichen Anfälle mit der grössten Begelmässigkeit erzielt; nur ein-
mal, als das Mittel innerlich genommen und daher vermuthlich ausgebrochen wurde,
versagte es ganz. Im Uebrigen erwies es sich am wirksamsten bei möglichst früh-
zeitiger Anwendung; als es zweimal erst mehrere Stunden nach Beginn der Schmerzen
injicirt worden war, trat wohl wesentliche Erleichterung ein, doch dauerte ein leichter
Kopfschmerz bis in den folgenden Tag. Schlaf konnte durch Faraldehyd nicht immer
erzielt werden. Einmal wurde das Gytisin auch in einem Anfalle linksseitiger,
spastischer Migräne angewandt, wie sie sich ganz vereinzelt beider Fatientin ein-
stellten; hier versagte das Mittel nicht nur vollständig, , sondern es steigerte nach
Angabe der Kranken sogar noch den Schmerz. Unter dem Einflüsse einer auf das
AUgemeinbeflnden gerichteten Behandlung (Massage, allgemeine Faradisation, Bäder,
Ueberemährung) wurde neben dem Schwinden der Contractur, Steigen des Körper-
gewichts u. s. w. nach und nach auch Sie Anfangs 3— Imal wöchentlich auftretende
Migräne immer seltener und stellte sich schliesslich nur noch alle 9 — 10 Tage ein,
um stets sofort coupirt zu werden.
Ausser dem Gytisin wurde noch die „(Galvanisation des Sympathicus'' bei der
Fat. versucht. Einmal schien dieselbe von günstiger Wirkung zu sein; ein anderes
Mal schwand zwar die rechtsseitige paralytische Migräne, aber nur, um der links-
seitigen spastischen Platz zu machen, w&hrend ein drittes Mal, als ans Versehen die
Kathode statt der Anode an den Untefkieferwinkel gesetzt worden war, der Anfall
sich gerade an die €kilvanisation anschloss. Da im Uebrigen jene Manipulation völlig
wirkungslos blieb, müssen wir hier wohl dem Spiele des Zuffdls die Hauptrolle bei-
meBBM. AntifsbriD (0,5) wurde im Aognst eiDmal mit gutem Erfolge angewandt.
Am 10. 12. trat die Fat., in jeder Beziehung erheblich gebessert, aus der Kliöik aus.
Der günstig Erfolg des Gytisin hat sich, wie man sieht, im Torlic^enden
Falle mit der Sicherheit eines ph^oiogischen Experimentes eingestellt Aller-
dings könnte miui mit einer gewissen Berechtigung einwendeo, dass bei der
hystfirisohen Gnmdl^e hier möglicherweise psfchisohen Einflössen ein sehr weiter
Spielisom zugeschrieben werden müsse. Indessen, al^esehen von der Unwirk-
samkeit mehrerer anderer der angewandten Mittel, dürfte gegen diese Anffiwsnng
die objectiT nachweisbare, sehr deutliche Veränderung des Pulsbildes sprechen,
welche r^elmässig dnrch die CytiäninjectioD herbeigeführt wurde. Ton den
fdgenden 3 Curven, die leider sämmtlich w^en eines habituellen Zitt«m8 der
Hände bei der Patientin kleine Unr^lmässigkeiten zeigen, aber doch die wesent-
Uchen Eigenthfimlichkdten der Pulsbilder deutlich genug erkennen lassen, wurde
Fig. 1.
die erste im anfalls&eien Zustande, die zweite beim Beginn der Migräne und
die dritte 20 Minuten nach der Cjtislaiujection (0,004) von meinem AÄsist^tea,
Herm Dr. Dksio, aufgenommen.
Die erste dieser Curven zeigt im Allgemeinen das normale Verhalten; nnr
ist das stfirke Hervortreten der sig. ersten secnndären Welle anffiillend. Wie
schon oftmals betont wurde, und wie ich nach eigenen Versuchen mit aller
Sicherheit bestätigen kann, ist diese Erscheinung ein Symptom psychischer Er-
i^ong, zu deren Auslösung das Sphygmognipbiren bei der grossen Rmboxiait
der Kranken mehr als hinreidienden Anlass bot;- daSir ^richt au^ die ^öhte
Frequenz (9S). ffit dem Herannahen der Mig¥äne sehen wir die erste secimtfire
Welle soweit hinaufirücken (Pulsfrequenz 88), dass sie höher wird, als dieGipfel-"^
velle, bis sie dann upter dem Einflüsse des Gytisin (Frequenz 6d) wieder herab-
mnkt. Auf eise Deutung dieser BiJder^wiU loh mich bei der Stdiwiengkeit der
Frage hier nicht" einlassen, obgleich ös-rielleicht nahe Uegt, »bs der' MigrÄne-
Cmre ein langsameres Ansteigen der Pülswelle bei niedrigem Blhtdmcbe und
atis "der Cytisincaire' eine^ Verengerung und stärkere Spannong des Gt^asses
heianszuieBöii;-mElg'es genngen, dass'die hei der M^rSne hervortretende Ver-
fbiderahg' im Piilsbilde äcb unter der Einwirkung des Cytiän aoäeheinend wieder
rürt'fikljadSt' Tön InlCTesSe ist jedoch ttcAI noch die Bemerkung, dass die
E!nihb:e' deren PulsbiM schon-Witer aormtleh -TethUtnisseu' eine ^msfr'iNeignng
ftigfe,' Ü6h der „Migräneonrve'^ aozunÄhem, thrtsäohliöh gerade in Folge pSy-
c^h^'EtTBguög Öbemiia-'leichtVon der JGgWne befeilen wtrde.
■'* ©id negative od^ gÄr verschleehteriäde 'Wirkung des Cjöan bei apaatiacher
J4ifer5n& liiitte' idi in' öoch' zw« wwterMi Pälleo zu erproben Gelegenheit, io
deieii'eineto AnÖftbriü atta prompt half. - Diese ■Erffthning steht tait nnewea
soDstlgeri 'Kenntnissen filier das Cytisia in gutem Einklänge und spricht eben*
falls dafür, dase es sich bei unserer Patientin um eine pharmakologische, nicht
habe loh n<>Hi in <PHpw^|m'mQle ?oö part^ftischer Milane ^
\ ddfficn Geäctii'.'Lt'' ;iMp|^9ie"-aadeien Gfändsn' em. gewisses Interesse bietete
!-;■■: Ü. " E.* Btud. ii.r.|;,'S8 J., anfgenoamen' 9. IIL 1887.- Hoöhgradlge herediära
:iouriijiiitIiisi'lic ri',1.1 Hg', ghte intflfectuelle Begabung, grosse psjxliische Erregbar-
keit. Hit 11 Jahren Singiütus; seit der Jugead seltene rechtsaeitige UigrÜneanflUle
'-.«üt Apatbia, stiirkoi- i^<;iUfi|i|^t|t|^<jiMMwii ><^ «|».
j'/r«niporaIartenmi) Dauer ß^^li'WS^K. tm Jahie 1881 diente Fat wiede.rhflti'
i a^ Ü«dL(iin bCL tiypiioijacliiä Tersuclien, werde in Folge 'deBasn sehrnerrfis and Ter-
rae! ecbUesslicli so^t <.<litie ied^n ifiamnn Atilass oft in stoodetilaBg wftbrende teta-
V lepljsclie >[ u^^tAiidr nji loiiuften Gesichte- und EleliOn[ba]IuciDa.tionen) dabei tratMi"
''uili--i'i'', "i; :.-ut,'aowib wechselnde Hyperästhesien ond Schmorzen' anf.
AUrnfthlicb indeBseti erholte Pai eich ToUst&odig. Im ÄnsckloBBe an die Nachricht,
^^otaU^tic' i.>ii i...^-:..r-i. ■•■ :o pB&i nra dem Erwägen hefiige Hinteräsupts^tn^^^ßj ^
Ot^e kyr(iorii(;lio Schn'.nl^-Vnd gwstige Enjifldatg. Ende October nach einft-'"o»-
^aUticM^oi'''' Narliriuht :ii:iBt1iche ÄufTegting .mit stblreichen SlnnesttUiBchungei) osd '
SjiifllertEaitäli KrAinpf^i), »>&)e.xiH'-0«bernhrUig.in die pajcjüatfteobe KUnilE fülüle,..
ans der Fat. nach 3 Monaten geheilt entlassen wurde. Im Mai 1886 nach starker
gfÜ^ei .Xleheranstr^ngiin^ Selbstmordversuche, tonische und klo^iBche Krämpfe, Eat«-
LB^ie',1^änm) erzustände; Be^eriing in einer E alt wasserbeilaiistaU. Ende Februar 1887
Vtin 'TIene'in ^rstimkan^, Aufregung Ober bin bevorstehendes FiatoIendueH, wieder-
holte Selbstmordversuche; Ueberfflhmng in die twy^biattistiM IQiiiik; Bxaltirtes
Weeeoi^Sidhatv'onrArfa, JifpaohmdDBohft .y»raiieiflitDK;.fnt. tftglich ErajnpfiaBE&lle von
i(iiqhse^deffi':@^i4Bit'.'hjst<i;ischeia Cb^akter;. ihnen g^igefi nidit selten D^imer-
j^^ifltijul^^ yqfijLii3(.., 4:^ d^Q^r^ ifat. geordnet handelt^, Kartep jBpi^ltß, Fluchtversuche
machte^ vor sich hinaprach, einzelne Antworten, gab, aber seine Umgebung völlig
visTkäniitä." 'Nach'äeiil- firwachen keinerlei^ Erinnertrag; Wtweite HemianSsthesie,
&^iAUp^e,'"!{«ä&ilBknäle: "Alhia&Iiob -BerabigOng, t»Uges TetMukän « ^Etf-
sDfailig«nf)äd(fea;j.nad .hoffiiDl9lQa»>:BwiKi]ftti<iii, fiedbe'.^iiabiDe:' inn;^Itei^ wti
ÜJKBfflgei^a^tj t?«"8. .ScJjl^fv ^»f^g 3*"^ .»^UiR». ^P^"^>1"^'^iwe'gennj, Milte
Jfflai; ;W(^cJjaeiide. än^lielifl Au'''^egung,,4alUreiche Hallucinatiopeu, stf^gendp yerwirrt-
5eii^HelbB(m6i^lieimng. Anfang'^ geringe Beäserung; am 7.' Juli Seibstnjord
'dnhjlJ\EWÄn'get''ain FtmstergltfOT' in'stehmder SteUiiB ■ — 'Üit'der Cfenpirong deir
VigribW^ ^Mt^^lä 'SO.'MairS'StBtadennadi Begfmr deiMlbeD« «^ Tenndf gemacht
— 5 —
worden. Sdboa eine YiertelBtupde nach Injection von 0,003 Cytisin Hess der tScliiBjerz
nach; eine halbe Stunde später war völliges Wohlbefinden eingetreten.
Offenbar haben wir es hier mit einem Falle ausgesproclienster mannlicher
Hysterie auf degenerativer Grundlage zu thnn. Was aber demselben eine besondere
Bedeutong verleiht und mich, abgesehen von der Cytisinwirkung, zu seiner An-
fuhrung veranlasst hat, ist die Anknüpfung der Psychose an hypnotische Versuche.
Allerdinga wird man diese letzteren wohl mehr als eine G<9legenheitsursache an-
zusehen haben; inunerhin aber bleibt es in hohem Orade beachtensjwerth^ dass
die Krankheit von vom herein in Form von Dänunerzustanden mit Sinnes-
täuschungen und kataleptischen Erscheinungen auftrat, ganz analog den vorher
bei dem Fatb experimentell erzeugten. Dass durch die ^häufigen hypnotischen
Versuche die schon bestehende psychopathische Disposition erheblich gesteigert
und derselben die bestimmte Richtung angewiesen worden ist, kann somit kaum
bezweifelt werden. Sicherlich ist der Fall geeignet, uns bei der Anstellung
hypnotischer Versuche zu grosser Vorsicht zu mahnen und uns die alte Grund-
regel ärztlichen Handelns, das „non nocere'', energisch in's Gedächtniss zurück-
zurufen.
2. Doppelseitige Trochlearisparese.
(Nach einer Erankenvorstellung in der Berliner Gesellsdiaft für Psychiatrie und
Nervenkrankheiten am 14. November 1887.)
Von Dr. Ernst Bemak, Privatdocent.
Der 26 jährige Sattler St, dessen Eltern und Geschwister gesund sindi wurde
am 10. September d« J. in die Poliklinik au^enonmien, nachdem er schon seit
einigen Jiüiren Schwindel bäm starken Aufwärtsblicken gefühlt hatte, der sich
seit etwa einem Jahre auch beim Treppensteigen und beim Gehen auf ebener
Erde geltend gemacht hatte. Dazu hatten sich seit zwei Monaten unregelmässig
intermittirende Hinterkopfsschmerzen und taumeliger Gang allmählich gesellt,
während er schon seit etwa fünf Monaten den Urin schwerer entleeren kann
und seit noch längerer Zeit (angeblich seit Frühling vorigen Jahres) beim
Schlucken von Flüssigkeiten namentlich vom Löffel sich anstrengen niuss. Er
war nie syphilitisch, hat überhaupt keinen sexuellen Verkehr gehabt. Frühjahr
vorigen Jahres will er die letzte Pollution gehabt haben. Erectionen sollen nicht
eintreten. Erst durch die Untersuchung in einer Augenklinik ist er vor kurzer
Zeit aufmerksam ds^rauf geworden, dass er doppelt sieht
Die Untersuchung der inneren Organe des etwas blassen, aber leidlich
genährten Individuums, das im Ganzen während der Beobachtung etwas herunter-
gekommen ist, ergab ein negatives Besultat in Bezug auf die Lungen, das Herz
(90 — 96 Pulse) und den Urin, welcher frei von Eiweiss und Zucker ist Ab-
gesehen, von den ocularen Erscheinungen sind schwerere Störungen cerebraler
Nerven nicht n^hzuweisen. Es schien anfanglich, als wenn bei weitem Oeflhen
des Mundes, der rechte Mundwinkel etwas hing, und bei der Phonation die
— 6 —
rechte Hälfte des Yelum etwas tiefer stand. Es ist das aber jetzt kaum noch
nachzuweisen. Psychische Störungen fehlen. Das Gehör ist gut Die Sprache
ist intact, die Zunge devürt nicht. Keine Sensibilitatsstörungen im Trigeminus-
gebiete. Kehlkopfsymptome fehlen. Beim Schlucken von Flüssigkeiten beobachtet
man, nicht immer gleichmässig, eine gewisse Anstrengung des Schlingactes und
Mitbewegungen des Platysma myoides. Dem im Hinterkopf localisirten Kopf-
schmerz entspricht keine besondere Empfindlichkeit des Schädels für die Per-
cussion. Niemals Uebelkeit und Erbrechen. Es bestehen keine Lähmungs-
erscheinungen der Oberextremitäten , nur eine leichte Paraesthesie im linken
Ulnarisgebiete, welche Pat. mit Bestimmtheit auf einen Sturz von der Treppe
in Folge des Schwindels im December v. J. zurückführt, bei welchem er gleich-
zeitig sich einen Zahn ausschlug. Pat., welcher niemals im Liegen schwindelig
ist, nur beim Gehen über Schwindel und zwar nicht nach einer Seite besonders
klagt, schwankt bei geschlossenen Augen nicht, geht aber auch mit oflenen
Augen taumelig, breitbeinig, jetzt eher etwas besser als bei der Aufnahme, bei
welcher das Taumeln noch stärker war, nach Art eines Betrunkenen. Niemals
konnte aber der statische Schwindel etwa auf die Augenmuskelläbmungen allein
zurückgeführt werden, da er bei geschlossenen Augen sehr viel unsicherer geht
und nicht im Stande ist, eine gerade Richtungslinie, z. B. die Fuge zwischen
zwei Dielen einzuhalten. Ausserdem klagt er über leichte Ermüdbarkeit der
Unterextremitäten, welche vielleicht eine leichte motorische Schwäche, aber keine
Lähmung, keine Muskelatrophie, keine Sensibilitätsstörungen darbieten. Sehr
auffällig aber und stets nachweisbar ist die excessive Steigerung des Knie-
phänomens beiderseits, so dass es bei Percussion der Patellarsehne meist zu
wiederholten Gontractionen des Extensor quadriceps kommt. Das Fussphänomen
ist vorhanden, bald rechts, bald links stärker, lässt aber nach einigen Gontrac-
tionen bei f(Hrtgesetzter Dorsalflexion nach. Die Störungen der Urinentleening
und des Geschlechtstriebes (Mangel an Erectionen) wurden bereits erwähnt
Es sei an dieser Stelle erledigt, dass unter Jodkaliumgebrauoh und jedesmal
euphorisirend wirkender subauraler und orbitaler Galvanisation der objective und
subjective Schwindel und Hinterkopfsschmerz sich gebessert haben, während die
Deglutitionsstörungen, Störungen der UrinenÜeerung und namentlich die ocularen
Symptome für die objective Untersuchung eher zunehmen.
Bei der Aufiiahme constatirte ich bereits bei kräftiger Action der Augen-
schliessmuskeln, der Lidheber, mittelweiten Pupillen mit guter Lichtreaction
und normalem ophthalmoskopischen Befunde als pathologisch leichte nystagmus-
artige Zuckungen bei seitlicher Blickrichtung beiderseits, gleichnamige Doppel-
bilder beim Blick nach abwärts im Sinne einer rechtsseitigen Trochlearisparese,
welche Herr Professor Dr. Schoeleb bei einer Untersuchung am 14. September
bestätig. Vom 30. September ab hat Herr College Uhthoff den Fall sehr
au&nerksam verfolgt, und nachdem er zuerst ebenfalls eine rechtsseitige
Trochlearisparese constatirt hatte, etwa um Mitte October insofern eine Aenderung
des Befundes entdeckt, als nun doppelseitige Trochlearislähmung aUmählich
immer mehr wahrscheinlich wurde. Sein Bericht vom 22. October lautet:
„Ophthahnoskopisefa nonnal. Pnpillarreactioii gut, Gesichtsfeld frei, dagegen
Gilt schon im Sinne beider Becti extemi eine denüiohe leidite BeweglichJcäts-
stornng auf, auch stellen sieh in den horizontalen Endstellangen ausgesprochene
nystagmnsartdge Znckangen ein, die nach beiden Richtungen wohl als ziemlich
gleich intensiv zu betradliten sind. Beim Blick gerade nach unten bestehen
jetzt gleichnamige Doppelbilder, deren seitlicher Abstand beim * weiteren Blick
nach unten stetig zunimmt ohne wesentliche Höhenunterschiede. Anfangs bestand
eni for rechtsseitig Trochlearislähmung typische gleichnanüge Diplopie beim
Blick nadi nnt^, mit wachsendem Höhen- und Seitenabstand. Diese Zunahme
des Höhenunterschiedes ist jetzt nicht mehr vorhanden, und möchte ich zur
Zeit mit aller Beserve an eine doppelseitige Parese der Nn. trochleares denken/'
Auch Mchter Schiefistand des verticalen Meridians beider Augen beim Abwäxts-
blicken macht fOr die einfache Betrachtung dieses Verhalten wahrscheinlich,
welches noch vor einigen Tagen von Herrn Uhthoff wieder bestätigt wurde.
Neben der doppelseit^n Trochlearisparese constatirte er wiederum eine leichte
doppelseitige Abducensparese mit njstagmusartigen Zuckungen.
Da die Locahsationsdiagnose der Affection zunächst von diesem an und für
sich gewiss seltenen Befunde einer erst einseitige, dann allmählich doppelseitigen
Trochleariserkrankung auszugehen hat, so sind die eigenthümlichen anatomischen
Yerhaltnisse dieses Augenmuskelnerven besonders zu berücksichtigen. Der Troch-
leariskem li^ bekanntlich beiderseits im Bereiche des hinteren Yierhügelpaares
in dem den Aquaeductus Sylvii umgebenden Höhlengrau seitlich und unterhalb
desselben, nach aussen begrenzt von der absteigenden Qnintuswurzel und dem
hinteren LangsfoündeL Er bildet nach Meynsbt das hintere Ende derselben
Oanglienzellenanhäufung, welche den langgestreckten Oculomotoriuskem darstellt,
und ist also als unmittelbare Fortsetzung desselben zu betrachten.^ Gegenüber
dieser anatomischen Gontinuität der Oculomotorius- und Xrochleariskeme haben
die ans ihnen entspringenden Wurzelfasem einen verschiedenen Verlauf. Während
die Ocnlomotoiiuswurzeln nach abwärts ziehen, verlaufen die Trochleariswurzel-
ftsem nach hmten innen und oben, um mit denjenigen der anderen Seite im
l^ehim medulläre anterius die sc^enannte. Trochleariskreuzung zu bilden, welche
nach der Angabe der meisten Anatomai (SmiUNa, v. EöiiLncEB, Stieda,
Wkrnioitb,* EniKaEB') und experimentellen Befunden von v. Güdden^ eine
totale ist, während Henle partielle Verflechtung annimmt und Mauthkbb^ aus
klinischen Gründen und auf Grund von Vermichen von Exmeb die Kreuzung
überhaapt ablehnen möchte. Wie dem auch sei^ so treten beide Nn. trochleares
zusammen nur an der oberen Fläche des Velum medulläre hervor, divergiren
dann sofort und schlagen sich in nahezu querem Verlaufe um die laterale Seite
^ Vgl XL A. Wbbrickb, Lehrbach der Gehimknunkheite]). 1881. Bd. I. S. 99. 107.
109. 111 IL ff.
* a. a. O. S. 119.
* Arch. f. Psych. Bd. XVI. 8. 868 and dieses Cbl. 18Sd. S. 809.
^ Tageblatt der NatarfarseberTersaaakml 2a Salzbarg S. 186; vgL dieses Cbl. 1882. S. 9.
* Die Naclearlähmang der AogenmoskelD. 1885. S. 868.
— 8 —
der GrosshinrscheBkel hemm, um dann beiderseits an der basalen Fläche der-
selben znr Perforationsstelle der Dnra mater unter dem Ansatzpunkte des Ten-
torium cerebeUi an dem Processus clinoideus posterior zu yeriaufen und endlich
durch die Fissura orbitalis superior den M. obliquus superior zu melcihen.
Es bedarf wohl keiner ac^hrlichen Auseinandersetzung, dass die Duplidtat
einer an und für sich schon seltenen Trochlearisparese ungezwungai weder durch
eine peripherische noch basale Localisation der Erkrankung erklart werden ksnn^
um so weniger, als die doppelseitige Abducensparese, die Stfirungen des Gleich-
gewichtes, der Deglutition, femer die spastische Partie der IJnterextremitaten und
die Blasen- und Oenitalsymptome auf eine centrale Affeetion, etwa des Cerebdlom
und des Pons deuten. An eine doppelseitige Eemerkrankung des Trochlearis-
kemes etwa als abnormen Beginn einer nudearen externen Ophthalmologe
kann aber auch nicht wohl gedacht werden, weil, was aus der Gontinuit&t mit
dem Oculomotoriuskem einleuchtet, sie isolirt selbst einse^g nach Wbbnicke^
nicht vorkommt. Dass übrigens der Trochleariskem zusammen mit dem Octüo-
motoriuskem erkrankt sein kann, ist far die chronische Ophthalmoplegia externa
erst kürzlich von Westphal^ für die acute haemorrhagische Polioencephalitis
der Potatoren von Thomsek' gezeigt worden. Eine doppelseitige schleichende
Trochlearisparese wird als fasciculare Lähmung nach Maüthkeb^ wohl am ersten
durch eine das Trochlearischiasma im Yelum medulläre anterius langsam direct
ergreifende Affeetion bewirkt werden, welche die übrigen in Betracht kommenden
Himabschnitte unmittelbar oder durch Femwirkung in Mitleidenschaft gezogen
hat, ohne jedoch bisher so schwere Allgemeinerscheinungen herrorzubiingen,
dass Stauungspapille, Pulsverlangsamung, Erbrechen u. s. w. einzutreten brauchten.
Selbst eine gewisse Remission des schleichenden Processes ist aus dem Verlauf
wahrscheinlich.
Welche anatomisch festgestellten Affectionen haben nun erfahmngsgemäss
ähnliche Symptomencomplexe verschuldet?
Ton NtEBEN" wurden bei einer 35jährigen Frau, als Anfangssjmptome
eines tödtlichen Cerebralleidens, Occipetalkopfschmerz, Schwindel und rechts-
seitige Trochlearisparese beobachtet. Die Obduction ergab einen wallnussgrossen
cystischen Tumor der Glandula pinealis, welcher den ganzen dritten Yentrikel aus-
fällte. Diese Beobachtung haben sowohl Nothnagel* als besonders BEHNHAnnT^
berücksichtigt, welcher die Trochlearislähmung als einen, wie ihm
schiene, für Geschwülste dieser Gegend entschieden charakteristi-
schen Befund hervorhebt Maüthkeb^ hält es ebenMls f&r möglich, dass
ein Tumor der Zirbel, wenn er sich rückwärts ausdehnt, die Trochleariskreuzung
1 a. a. O. S. 351.
• Arch. f. Psych. Bd. XVm. S. 858.
» Arch. f. Psych. Bd. XIX. S. 195 u. 198.
^ Die nicht nnclearen Lahmangen der Augenmaskeln. 1886. S. 419.
^ Centralblatt für NenrenkrankheiteD. 1879. Nr. 8. S. 168.
* TopiBche Diagnostik der Gehimkrankheiten. 1879. S. 555.
^ Beiträge zur Symptomatologie nnd Diagnostik der Hirngeschwülste. 1881. S. 178.
" a. a. O. S. 419.
— 9 —
I&diren kaim, macht aber fernei auf Grund von in Bezog auf die Thatsache der
Trochlearislähmung selbst übrigens zweifelhaften Beobachtangen von y. Pfunqbn
darauf aufmerksam , dass die Trochleares auoh als peripherische Nerven noch
im Querschlitz des grossen Gehirnes zwischen den Corpora qnadrigemina und
dem Splenium corporis callosi durch das Exsudat einer tuberculösen Meningitis
afidrt werden können. Hieran zt denken bat man im vorliegenden Fall keinerlei
Yeianlassung. Aber auch g^n die Annahme eines Zirbeldrüsentumors lässt
sich schon a priori geltend machen, dass wenn die durch ihre vordere Basis
mit der hinteren Commissur zusammenhängende, dem vorderen Yierhügelpaare
unter dem Bailkenwolst aufliegende Zirbel zu einem Tumor anschwillt, welcher
das Yelum medulläre nach hinten erreicht, es schwer verstandlich ist, dass nicht
aüch die Oculomotoriusr^on in Mitleidenschaft gezogen werden sollte.
In der That sind auch in den seitdem veröfGdnUichten Fällen von Zirbel-
drüsentumoren, wenn wir aus ihrer Symptomatologie nur die Augenmuskel-
symptome berücksichtigen, zwar von FtoIiChenfeu) ^ vollständige Lähmung der
vom Oculomotorias versorgten Augenmuskeln, von Pontoppidan^ starrer Blick
und beschränkte Beweglichkeit nach allen Richtungen, von BeinhoijD ' nystag-
musartige Bewegungen beim Blick nach oben, doppelseitige Ptosis und doppel-
seitige Abduoenslähmung, von IL Schulz^ Insufdcienz des M. rectus. int. oculi
dextri, von Dalt '^ nicht bestimmter charakterisirte Störungen beobachtet worden,
niemals aber eine einseitige oder gar doppelseitige Trochlearisparese. Beiläufig
sei bemerkt, dass der B. SctoüLz'sche Fall sonst durch Hinterkopfischmerz, breit-
beinigen taumeligen Gang, gesteigerte Sehnenphänomene mit Fussolonus, als
deren anatomische Basis Hydrocephalus internus anzusehen war, Deglutitions-
stonmgen die allergrösste Aehnlichkeit mit diesem Falle darbot
Es muss also dahingestellt bleiben, ob hier wirklich eine Zirbeldrüsenaffection
auch nur vermuthet werden darf, oder ob primär oder von ii^end einer anderen
Stelle aus das Yelum medulläre secundär ergriffen worden ist
Obgleich die Gleichgewichtsstörungen doch erst in letzter Zeit stärker auf-
getreten sind, Uebelkeit und Erbrechen stets gefehlt haben, so hat Herr Menpel
in der Discussion die Yermuthung ausgesprochen, dass eine EleinhimafEiection
vorliegen möchte, weil durch eine Geschwulst des Oberwurmes ebenfalls ein Druck
von hinten auf d^ benachbarte Yelum medulläre ausgeübt werden könnte.
Indessen ist in 90 von Bbrnhabbt zusammengestellten Fällen von Tumoren
des Eleinhims niemals eine doppelseitige Trochlearislähmung beobachtet worden
und gerade für diejenigen Fälle, in welchen Schlingbeschwerden auftreten, von
Bkmhhawdt^ hervorgehoben, dass dann die Neubildung meist im Unterwurm sass.
Unter diesen Umständen glaube ich die Discussion über den hier vor-
Ueg^doi anatomischen Process nicht weiter fahren zu sollen , als sie durch
^ IMwes Centralblatt 1885. S. 409.
* Diesei. Gentralblatt. 1885. S. 553.
* Deutsches Arehiv t kUn. Med. Bd. XXXIX.
* Dieses Centralblatt. 1886. S. 489.
•BaADT. 1887. July.
* a. a. 0. 8. 240.
— 10 —
bekannte Thatsachen begründet ist, babe aber die Beobachtung an und für aich
wegen ihrer Seltenheit ^ trotz des aasstehenden erklftrendea ObdnctionsbefandeSy
der Mittheilung für werth erachtet.
3. Zur Anatomie des Froschgehims.
Von Dr. M. Koppen, I. Assistenten an der psychiatrischen Klinik Strassburg L E.
(Aus dem Laboratorium von Prof. Schwalbe.)
Auf den Rath meines hochverehrten Lehrers, Herrn Prof. Schwalbe, beschäf-
tigte ich mich seit einiger Zeit mit einer Untersuchung des Centralnervensystems
des Frosches. Wenn ich an dieser Stelle einige Ergebnisse dieser Untersuchung
yeröffentliche, so geschieht es in der Meinung, dass die Verhältnisse bei niederen
Wirbelthieren uns wichtige Fingerzeige geben für die Untersuchung des Central-
nervensystems höherer Wirbelthiere, insbesondere auch des Menschen. Bei den
Untersuchungen in dieser Richtung hat es sich herausge^Ut, dass die Verhältnisse
bei allen Thieren eine grosse Aehnlichkeit besitzen und dass Befunde bei einem
Thier ähnliche Befunde bei einem anderen erwarten lassen. Man wird allerdings
ticht hoflFen dürfen, bei niederen Thieren dieselben Dinge nur einfacher wieder-
zufinden, die man zum Beispiel beim Menschen findet. Es ist vielmehr offenbar,
dass bei dem einen Thier jener, bei einem anderen dieser Gehimtheil eine be-
sonders hohe Ent Wickelung zeigt, so dass zum Beispiel ein Gehimtheil eines
niederen Tbiieres eine höhere Entwickelung zeigen kann, als derselbe Theil bei
einem Thier höherer Ordnung. So zeigt zum Beispiel der Lobus opticus des
Frosches eine reichere Entwickelung seiner Rinde, als die Vierhügel des Men-
schen, und die Medulla oblongata des Frosches scheint an hoher Ausbildung
der des Menschen näher zu stehen, als man es annehmen würde.
Ich untersuchte das Centralorgan des Frosches mit der WBiGEBx'schen
Methode und vergleichsweise mit Garminßrbungen , indem ich nach Art der
Embryologen aus meinen in Paraffin eingebetteten Präparaten Serien verfertigte.
Folgende Ergebnisse möchte ich hervorheben: Die aus der Medulla oblongata
entspringenden Nerven, Vagus, Trigeminus, Acusticus zeichnen sich aus durch
grosse aufsteigende Wurzeln. Vagus und Trigeminus haben zwei aufsteigende
Wurzeln. Die grösste aufsteigende Wurzel des Vagus entstanmit dem Seiten-
strang, der fast ganz in diese Wurzel aufgeht, die grösste aufsteigende Wurzel
des Trigeminus wird gebildet von dem Dorsalstrang. Ausserdem gehen in beide
Nerven über aufsteigende Fasern, die in einer Substantia gelatinosa innerhalb
der Dorsalhömer der grauen Substanz verlaufen und somit den longitudinalen
Fasern des Hinterhoms beim Menschen entsprechen. Der motorische Bestand-
fheil des Trigeminus entspringt ungeföhr in gleicher Höhe, in welcher der ganze
Nerv austritt, aus einer Gruppe grosser Zellen. Besonderes Interesse bieten die
Verhältnisse des Acusticus. Derselbe hat einen dreifachen Ursprung: 1. ent-
springt er aus der allgemeinen Eemmasse der grauen Substanz, ohne dass man
diesen Ursprungsfasem einen abgesonderten Kern zuertheilen ktonte; 2. hängt
— 11 —
er mit grossen ZeDen zusammen in der grauen Substanz , die wir d^ Zellen
des DEiTEB'schen Kernes beim Menschen gleichstellen können, und 8. finden
wir im dorsalen Theil der grauen Substanz noch ein^ runden Kern, aus dem
ihm Easem zuströmen. Jene gh)6sen Zellen scheinen femer mit Fasern grössten
Oalibers zusammen zu hängen, welche in der ganzen Medulla bis zur Lenden-
anschw^ung in den Yentralsträngen gefunden wurden. Sicher ist, dass diese
aofialligen Fasern, nachdem der Aeusticus die Medulla oblongata verlassen hat,
im Yentralstrang fehlen und median von der Acusticuswarzel in der N&he der
grossen Zellen und in der ventralen Gommissur zu finden sind. Der austretende
Nerv theilt sich zuweilen gleich nach seinem Austritt in einen dorsalen, mehr
cranial gelegenen und einen ventralen, mehr caudal gelegenen Theil. Beide
Theile enthalten besonders starke Nervenfasern, der ventrale mehr, als der dor-
sale. Ich hege nach allen Beobachtungen die allerdings kühne Yermuthung,
dass wir in jenen grossen Zellen ein Qleichgewiohtscentrum vor uns haben,
von dem aus einerseits Fasern in den Aeusticus zu den halbcirkelförmigen
Ganälen, anderersmts Fasern in die ventralen Bückenmarkswurzeln gehen. Dies
letztere konnte ich beobachten. Femer sind entschieden jene grossen Fasern
den MüXiiiEB'sGhen Fasern gleichzustellen, da sie genau an derselben Stelle wie
diese auftreten. LAKaESHANS und Ahlbobn beobachteten schon bei den Neun-
augen, dass der grösste Theil der MüMiEB'schen Fasem in sehr grosse Zellen
im Qebiet der Acusticuswurzel übergeht, und Ahlbosk betrachtete anderer-
seits diese grossen Zellen als Ursprungszellen des Aeusticus. Bei höhereu
Wirbelthieren würden wir das Analogen der MüUiXSB'schen Fasem in Fasem
der Substantia reticularis zu suchen haben. Weiter als jene Fasem ist eine
Ghruppe grosser Fasem zu verfolgen, welche über und zwischen der ventralen
Gommissur liegt und als hinteres Längsbündel au&ufassen wäre. Diese Gmppe
von Fasem liegt an derselben Stelle, wo sich die MAUTHKEB^schen Fasem
bei den Fischen befinden. Die hinteren Längsbündel sind bis zum Austritt
des Oculomotorius zu verfolgen. Ein Strang, welcher dem Pyramidenstrang
höherer Thiere gleichkäme, konnte beim Frosch nicht beobachtet werden. Alle
Bahnen des Bückenmarkes und der Medulla oblongata finden , wenn sie nicht
schon früher auslaufen, ihr letztes Ende im Lobus opticus und im Zwischenhim.
Im Lobus opticus und Zwischenhim entspringen dann neue Bahnen, welche im
Orosshim endigen. Durchgehende Bahneu giebt es nicht Die Verbindung
entfemt liegender Centren ist nicht in der Weise entwickelt, wie bei höheren
Thieren. Die Bahnen des Orosshims bleiben bei der WEiOEBT'schen Färbung
im Wesentlichen nicht blau, die Bahnen aus dem Bückenmark und der Medulla
oblongata haben dagcigen bei dieser Methode eine schön blau geßurbte Mark-
hülle. Die Bahnen des Grosshims haben auch keine gut von einander getrennten
Fasem, sondem bilden an einigen Stellen äne Masse, die ich Nervenfinser-
conglomerat nannte.
• *
Die Medulla obl(»igata ist ausgezeichnet durch ihre stark ausgebildete ven-
trale Ereuziingseommissur, deren Fasem in Gruppen aas den Ventratsträngen
heraustreten, bis in die dorsalen TheOe der graueti Substanz verlaufen und in
— 12 —
die ZeUenkenimasse ausBbalileii. Sie enthält somit Fasern, w^lohe aas denselbai
Keinen entspringen, denen die Nerven ibren Ursiming yerdank^ nnd welche
dann in die Yentralstränge äbergehen. Diese Fasßrp verbinden zu eioBni Th^
gleiobnamige Oentren nüteinandet (centrale sonsojieUe Bahnen, ÜDmexa), zom
anderen Theil ist zu rermatben, dasa in diesen Bahnen die; Beize sensibler
Gentren sich auf die mototisoben Nerven übertragen. Diesen Theil der Fasern
würden wir Beflexbahn^i nennen. Eine untere Olive ist an richtiger Stelle
zu finden, doch besteht sie ans einer kleinen wbedeutenden Eenunassa Das
Kleinhirn ist nur wenig entwickelt und wir haben daher am Frosohgehim kein
gfinstiges Object for das Stadium von Kleinhimbahnen. Der Lohns opticus ist
dagegen sehr entwickelt Zwei Wnizelucq^rünge des N. opticus sind hier nach-
zuweisen, die eine entspringt aus dem Theil des Lobus opticus, welcher am
weiteste caudal gelegen ist Eine dritte Wurzel des N. opticus entspringt aus
dem Zwiachenhim. In dem Bereich des Chiasma nervi optici finden wir ausste
der Kreuzung der Nerven&sem eine Conunissur, welche ventral von dem Chiasma
die Wurzelbändel beider Seiten verlandet. Auch eine Commissura arcuata an-
terior ist vielleicht vorhanden. Der Behauptung Osbobns's, dass d&c Frosch auch
ein Corpus eallosum besitze, kann ich zustiminen. Die Yerbindungen der Com-
missura anteriora, welche derselbe Autor beschreibt, schienen mir dagegen nicht
sehr deutlich. Das Fasersystem des Grosshims ist viel reichhaltiger als man
erwartet Die genauere Besehreibung desselben würde hier zu weit führen.
Der Biechnerv entspringt ans Gfebilden, welche Olomemli b^utnnt wurden. '
Der Bau dieser Korper ist aber beim Frosch nicht so, wie er. bei anderen Thieren
beschriebe wurde. In diesen Olomeruli des Frosches befinden sich keine ZeUen,
sondern dieselben bestehen aus feinen Fasern und Massen von solchen Fasern,
die zu stärkeren verschmolzen sind. Die einzelnen Fasern des N. olEactorius
setzen sich aus den Fasern vieler Glomeruli zusammen und es entspringen die
Fasern eines N. olfoctorius zum Theil auch aus Qlomeruli der anderen Gehirn-
hälfte, so dass eine Olfactoriuskreuzung besteht
Die genauere Ausführung der hier kurz mitgetheilten Thatsachen und die
Mittheilung noch anderer Ergebnisse, welche die Unteisuchung lieferte, wird m
einer ausführlichen Arbeit erfolgen.
n. Referate.
Anatomie.
•
1) Zur EenntniSB der Formen des BlmsoUdels, von Dr. C. Bieger, Professor
in Würzbarg. (Sep.-Abdr. aus der Festschrift zur BegrOssung des Xyni. Oon-
gresses der deutschen Anthropologischen GeseDschaft in Nämberg 1887. —
V. Ebner*sche Buchhandlung. NQmberg 1887.)
Bezugnehmend auf seine beiden Schriften „Eine ezacte Methode der Craoio-
graphie" (Jena 1885, Fischer) und ,,Ein neuer Projections- und Coordinatenapparat
TQr geometrische Aufnahme von Schädeln etc.^ (im Cenkalblatt fttr Nervenheilkunde
1886) giebt hier der Verf. seine Unteranchungen an 191 Schftdehi (177 flMt aoa-
schliesslich Unterfranken, 14 Sicilianer) in 35 Zahlentabellen und 5 Tafeln in Farben-
— 18 —
^naek; aiiBii waf 3(K Seiten die Bespraciiing ■ eines . Th^ilfl der atis diesen Tab^Uea
IremtiazüleseBden oder lierausznseclmendeii Thiisadnu — nnr ^iaes Tbeiter denn man
mvm d«tti'V«rf. mgelMii, daes hi-dienn arit^ eiftaxmHehem iPleisse iMgeeteUten
tabelkn^ „m iMit leicht 2n erediftpfebdea Mfttenäl für.. weitere Slo^eii entbaUen
i0t|^;'iä^d — wollen ^"Wir^bimnifhgen ^^eih tmdit za^ vei^cktbndes txate Beniediot's
J¥tö 'Grtfa8himkiq)flel wnrder > giB|llüBolL (mit abkabaxMi Maäaeen) daigeetülH ii^
fonf Horizontalebenen nnd einer (medianen) Sagittalcnrve. Die unterste Horizontal-
ebene wird gelegt durch die oberen Augenränder und die Protuberantia occipii interna,
Sonzonbü^lieiSBA liegt Idinln Hber dev^sodxfisen^t^afiaaB «lA;di6<t)benBte ttnflü^jBdiDm
über der untersten liegt. /." -/ . • . ; ,,..— \-..-.-^..
.- &fj>eet^mte fon ,fV jede Ho/|zentale^ene. die .median^ LAng9ai:e> und ihre
vorder^ ^^ luntere.thcoUäqge«^ I)W tipgsaxe., wird ^nämlich getheilt.dorcli eine
iQni^rate, diwcl^.^n vorderen. Sand. 4^ Condjien 4^s Blnterhauptbeiiis gelegt (Äire b);
aiiss^ dieser ^Cwdjlen^'^, ^''^urde noch eiiie ] Quer-Axe a, die 5Ö mm , vor, und eine
Qaer-^xefC, die ^Sp nu9 hinter der ^e b liegt^ in' ien untersten £^orizontalebenen
buil'^eh 'no$)jkeijie,.A^e,a' (^e- kürzeßie Quer-^e des. Schädela) zur Bestimmung.
. ; ' /Wif> B^ fm diesig ^hlreicbea Messpbgen seine Tabellen und aus ihnen aeind
Cpnw . entwirf t, ijpd mit fiüWe.det.W^rsßbeinüch^ Iheoretiephe^ Curven
ber^^ft^ IÄU9S im priginal n^ , ',
.gier. mögen npr. einige/ der, Ergebnisse der Aji^beit des Yerf. Iliittheilüng finden.
IL hatte, i^eine i7.7,][Jnterfranken-Schädel in normale (i07J und mehr oder weniger
abnome (70) getheilt ^r. fapd, dass. für diese^^ wie jene ein aueii^ich gleiä^es Lan^en-
maass (uateirate HQ.rizont.a]eVene) und gleich grosse' Extreme nach obeii und
unten bestel)^n; dasselbe gilt für die vorderen und hinteren TheÜlängen. Das Mittel
der ganzen Länge liegt bei 172 mm, das der vorderen Theill&ngen bei 103 nnd 104,
das der hinteren bei 68 und 70, doch kann letzteres Maass bis 92 hinauf-, die
vordere Theillange bis 75-h6räbg6h^ii, an denaßelben 1ScMdcil<^rde jedoch als Extrem
nur b^baphtet; vp]rdere Theillange 96, h|ntere, 92.
Die Condyleniö:V''fetn^V^*^'^^^^ Bhenen;
die kleinste Breitenaxe (ä') zeigte eine bemerkenswerthe Constanz, sodass jeder unter-
Buebie ficUftd^ nioht viel mehr tnidMchi-vid; weniger aki^Oinm^gedngfte Sk^äfen-
brtete hai; das Miltei der :€öndjleii8xe ist 140; das «on A:ie at<dO mm^ weiter rem)
110, das von Axe c (30 mm weiter hinten) 120 mm.
IH«' «Bdeven: HoiizeBitäle]MBen''(2-i-6) zeigto eharBktdris&cAie Untonichiede von
der ttiterttteti; wobei die rBOh^tdes :8^bftdek(Diifo1i8(chBitt 96(bei Qüdrazia b^^8S bei
(^ei^PaSl» a, 85 iNDi Qt»raxe c): stin' befitiinmeiid iak ^ :! \ . . Vr
'■ Die Milstua dör Ungn lUkn bei 9d -v^^^
49'attf die' mitertte Qpiiniiiteiey herM;rauf :die;dri(^r^b^^^
sind die Besnltate wieder in charakteristischer Weise abwMChend«^ i <
''Waa^^ ^ie ' MiMelAiileii' für die. gf^te Lfhige^ iBreitfl[..u. 4i»,'w^.b0t de^« unter-
(räckiw 43clM«lB' beitnin^ 1^^^^ für die iLänge 175 mm mtt JSxtrMan Ar
die ,4iohnalfe'* ScIiaM ^^n 1404^1%. & die abnormen .v(m:i30r-220(. j&tadie
BMte^ 149^ tübd i44imn;. lalt EttcBlnen v«a 110^^180bW'< ^ ,. z ..
;'-'< Üttr^Iitagwt^Brefeletiaiiiex betrug . im Mittal 8% bei «UeK ym «(tpemeP Do}iche-
eij^ludM: ittH^iefteitt Üntac n^^ &Jl und i extremer »Bnu^ceiAalia m^teiiivmi'^aolAhen
'-' Mm: dm'l4 SIeäiaQeraehftdain seigte sichLiaSezog atf:die Lapgemaftiise eane
tMIgento WiereinstlnMngrmll' dem Mittel obn^e^ 177'>fi(AMel:«iis .UQterfnuikeii;
imb^hBgbkr4i^muäamj^^ LftUBea nur bei 4 fieb&dAi in; derrOTe^fln, .bei 2 auf
4tr'iweitelfBii;-dill4en.iQgftflRsb^^bd'8^ dar.driUfo aUein, bei'ke«iem:'ewiizig!eB. «flif
der untersten: die Sicilianischen Schädel wölben sich also im SagittalbogeniBucb^obep
— 14 —
mehr ans. Diese Eigenschaft rührte wie eine Früftmg der TheiUfingen ergiebt» haaj^t-
s&chlich von der relativ grösseren L&nge der hinteren Theillängen in der 3 oberen
Honzontalebenen her. — Grössere Abweichung zeigen die Queraxen, welche im Durch-
schnitt 12 — 14 mm kürzer sind, als die UnterMnldsohen, und zwar so« dass auch
hier in den Maassen der Queraxen aller 5 Horizontalebenen sowohl, wie der 3 Quer-
axen unter sich eine grössere Uebereinstimmung sich zeigte als }m jenen 177. Die
Sidlianiflchen Sch&del haben also mehr eine Walzenlorm. Hadlich.
2) PhysiologlBohe und mikroohemiaohe Beitrftge Bur Eenntniss der Nerven-
2sellen in den peripher(isoh)en Ganglien, von Anna Kotlarewsky. (In-
augural-Dissertation. Bern 1887.)
Yerf. knüpft an die Arbeiten von Flesch und Koneff an. Sie folgt dem
Beispiele Ehrlichs, die Ganglien im lebenden Thiere zu firben, doch weicht sie
darin ab, dass sie die Injectionen in die Lymphr&ume macht. Das Resultat war,
dass die kleinen Zellen viel intensiver gefirbt wurden als die grossen. Versuche
mit Alizarinnatriumlösung über die Beaction der Zellen blieben ohne Ergebniss, hin-
gegen wurde aus Färbungen mit Phenolphthalein, Lakmoid, Gyanin geschlossen, dass
die Beaction neutral oder ganz schwach alkalisch sei. Experimente über den Nach-
weis freien Sauerstofb misslangen. Härtungsversuche ergaben, dass die verschiedenen
Formen der Nervenzellen ihren verschiedenen Charakter immer wahrnehmen lassen,
femer dass die chromophilen Zellen ausnahmslos eine grössere Affinität zu den Metall-
lösungen zeigen als die chromophoben. Tinctionsversuche lassen die Verf. als charak-
teristisch für die Nervenzellen aufstellen: Armuth des Nervenkems an Chromaün-
bestandtheilen, Färbbarkeit des Protoplasmas durch verschiedene Agentien.
Eronthal
Experimentelle Physiologie.
8) Die Physiologie des moXbrisohen Feldes der Hirnrinde, von W. Bech-
terew. (Archiv psychiatrii, neirologii etc. 1887. Bussisch.)
Die über 5 Druckbogen enthaltende Schrift^ welcher zahlreiche, bereits im Jahre
1881 begonnene Versuche des Verfassers zu Grunde liegen, zerfällt in mehrere Ab-
schnitte.
Der erste trägt die Ueberschrifb: Ist es bewiesen, dass der durch Beiznng das
motorischen Feldes bedingte Effect von Erregung der Binde und nicht von Strom-
schleifenwirkung auf tieferliegende motorische Centren abhängt? Zur Beantwortung
dieser Streitfrage stellt Verf. die verschiedenen Angaben der Autoren pro et contra
zusammen und spricht sich auf Grund eigener Untersuchungen zu Gunsten des Vor-
handenseins corticaler Centren aus.
Der zweite Abschnitt behandelt die Topographie des motorischen Feldes an der
Gehimoberfläche. Da die bei Beiznng der Binde entstehenden Impnlse durch die
Fasern der Pyramidenbahn zur Peripherie gelangen, hält es Verf. für das Sicherste,
die Grenzen des motorischen Feldes durch den Ausbreitungsbezirk der Pyramidenbahn
in den Hemisphären zu ermitteln; dieser Weg wird besonders dadurch erleichtert,
dass bei Hunden die Pyramidenfasem am 10. — 12. Tage nach der Geburt ihre volle
Entwickelung erreichen, zu einer Zeit, wo die anderen Systeme der Markanb^tanz
noch marklos Bind. Die auf diesem Verhalten basirten Untersnchungen dee Verl
ergeben, dass das betreffende Gebiet vorzüglich der sigmoiden Windong entspricht,
sowohl vor als hinter dem Sulcus cruciatus; ausserdem treten Fasern des Pyouniden-
bündeler noch zu dem unmittelbar nach aussen anliegenden Abschnitt der sweitefi
ürwindnng.
— 15 —
ReiznngSTersache an der Gebimoberfläclie zeigen» dass die erregbaren Punkte
In zwei Kategorien zerfallen: die im Ausbreitungsgebiet des Pyranüdenbflndels ge-
legenen sind leicht erregbar, und ihre Abtragung hat deutliche Bewegungsstörungen
an den Gliedern zur Folge; andere sind mehr einzeln zerstreut, und ihre Zerstörung
wird weder von Symptomen seitens der Motilität, noch Yon secundärer Degeneration
der Fyramidenbahn begleitet. Was die Dififerenzirung der Gentren anbelangt, von
welchen ans bestimmte Bewegungen heryorgemfen werden können, so fand Verf. am
Hand 16 solche Punkte, an der Katze 11 (im nftmlichen Gebiet), am Kaninchen
ond Bichhömchen 6, am Meerschwein 4 — 5 (im vorderen Theil der Himoberfläohe).
fieizung dieser Punkte beeinflusst an allen Thieren auch die Atbembewegungen.
Schwer erregbare Punkte, d. h. solche, zu deren Beizung stärkere Ströme erforderlich
sind, fand Verf. an Hunden und Katzen vier: 1) Beizung der zweiten Urwindung
ungefähr in der Mitte zwischen dem hinteren Band des Gyrus sigmoides und der
Spitze des Hinterhauptlappens bewirkt Ablenkung der Augäpfel zur gegenüberliegenden
Seite, Verengerung der Pupillen und leichten Verschluss der Augenlider; 2) Beizung
der nämlichen Windung in der Entfernung einiger Ifillimeter hinter dem Gyrus sig-
moides — Bflmpfong der contralateralen Hälfte der Nase und Backe, so dass die
Zähne entblösst werden; 3) Beizung der dritten Urwindung nach hinten und aussen
vom Gyrus sigmoides — Erhebung und Aufrichtung des contralateralen, zuweilen
auch des gleichseitigen Ohres; 4) Beizung etwas nach aussen von diesem Punkt —
Anlegen des contralateralen Ohres an den Kopf, wie es die Thiere thun, wenn sie
erschrecken. Was die Erklärung dieser Bewegungen anbetrifft, die bekanntlich bereits
von Ferrier beschrieben wurden, so bestreitet Verf. die Ansicht, dass sie durch
reflectorische Erregung sensibler Centren entstehen; seiner Meinung nach widersprechen
derselben 1) der Umstand, dass die angegebenen Punkte durchaus nicht im Terri-
torium sensibler Centren liegen und 2) der stereotype Charakter der Bewegungen,
die keine Aehnlichkeit mit allgemeinen reflectonschen besitzen. B. stellt dagegen
die Behauptung auf, dass die in Bede stehenden Punkte Endstationen selbstständiger
motorischer Leitungsbahnen repräsentiren, und zwar solcher, die in den Sehhügeln
unterbrochen werden.
Die Beziehung der motorischen Centren zu den einzelnen Körperhälften be-
sprechend, unterscheidet Verf. 1) solche, die hauptsächlich die gleichseitige Musculatur
innerviren, 2) die fast gleichmässig bilateral wirlcen und 3) die vorwiegend mit der
contralateralen Musculatur verbunden sind. Zur ersten Gruppe rechnet er am Hunde
die Centren fQr das Platysma myoides und für die seitliche Biegung des Bumpfes;
zur zweiten die Centren fQr Bewegung des Unterkiefers und der Zunge (mit Aus-
nahme des M. genioglossus). Fast alle anderen motorischen Centren stehen vor-
wiegend zur coniralateralen Musculatur in Beziehung, wenigstens an Hund und Katze,
während an niederen Thieren die bilaterale Innervation seitens des Gehirns ver-
breiteter ist
Besonderen Werth legt Verf. auf die Thatsache, dass nach Zerstörung des mo-
torischen Bindenfirides die sogenannten affectiven Bewegungen, durch welche Gemttths-
stimmnngen ansgodrücict werden (Freude, Zorn etc.) vollkommen erhalten bleiben.
Auch Geben und Lsnfen bleiben sogar nach beiderseitiger Zerstörui^ der motorischen
Gentren unbeeinträchtigt. Eine unbedeutende Schwäche der Extremitäten ist die
^mdge Lähmongserscheinung, welche sich constatiren lässt, und auch diese ver-
schwindet nach einiger Zeit Nach bilateraler Exstirpotion nur wird die Gangart in
chankteristischer Weise verändert (Hahnentritt), wahrscheinlich in Folge secundärer
DegeneratioB der Bflckenmarksseitenstränge. Dagegen sind die Extremitäten untaug-
lich zu complieirten willkürlichen Bewegungen, und diese Folge der Operation gleicht
sich auch nach langer Zeit nicht völlig aus; nach bilateraler Bindenexstirpation be-
Mt- diese Störung beide Körperhälften find bleibt stationär. Da Abtragung der
motorischen Oentren das Laufen und Gehen nicht beeinflusst^ so nimmt Verf. das
— 16 —
yorhandenflein eines beBonderen Loc<»notionscentram8 ausserhalb des erregbaren Binden-
feldes, vielleiclit im HirnstamiQ, an. Die früher besprochenen schwer erregbaren
Punkte der Hirnrinde halt er ffir Centren, aus welchen. die In4)ul8e Eur unwiUkfir«
liehen- Innervation bei Gemütiisbewegungen, Tenrnttctlat der Sehhüge^ entspring^.
St6rpflgen. der Sensibüit&t Hessen, sioh.bei oberflJLchliche];! Lftslonen.iin Oebiet
des Gyrussigmoides., nicht constatireofc Nur beki/ZerstöriO^ des -hintere^, änsser^n
Abschnitts dieser Windung tiiat Än&sthasie an der .contrab^ter«^leii.H|iJfte des Kopfes
und Qesichta auf; .das Gebiet der motonschen Qent^en blieb, dabei unfei^ehft. Bei
tiefer Zerst(^rni^g...des jotetoriscben. Kind^feldes wnrd^ .anpgepragte G^ichtsschwache
axn gegenüberliegenden Auge beobachtet«.. Das Yorkpnnnen verschiedener. Bcnsibilitäts»
Störungen bei Läsionen, der motonschen :,Centre^ erklärt. V^rf» dadurch, daßs d!ie in
der Nachbarschi^t gelegenen sensiblen Centren« fiichr zum\Iheil.. auf jlie ,sigmoide
iVindimg, insbesondere, derim hintuen, äusseren Ab8cbi|itt.eraireQ)ien,.. ,. ,.
. , . Pi,|lo4e^i>a^h". .
_ 1 < *
4),Uebex eiiiiseitig^. hj(i4 <topp,elB€4tigeD, IiidifiolUusa« von O^^ Langen^or/f,
; königsbcirg^ (ArcL f. Anat. u. Phjsiolj 1887. . Physiol..AbtL .H. X u. 2.) \
L. tischt auf die E^seitigkeii des Lidreflezes nath Hantreiien im TrigeminusN
gebiet bei Sanincheh aufmerksam; nur bei starkeii Hälutreizen betiteiligt sich. der
gekreuM OrbicuIatifiT oculi, Meerschweinchen, Vögel und - Frösche verhalten sich
ebenso. Hunde und Kat^n eeigen oftj der' Mensch* stets doppelseitigen- LidscUusS.
Er erklärt das letztere aas der' grossen Kaohbarschaft; beider* Augerif eine Gviafac,
dicf eiäem Auge droht) bedroht auch das andere (,»S^i>>®^^lifl^^))^ Giofahrfeld^).
Daher hat der Mensch ^e iniercentrale Bahn der beiden BHns^lreflexcentrer so ein-
geschliffen/ dassder Befle^K üb^haupt nie mehr einseitig bleibt Die Schwierigkeit,
ein- Auge ohne das andere zu scbliessen, sowie die seltene Mitbetfaeiligüng des Augen«
fndalis- bei centblen Pacialisl&hmnngen möchte L. hieraus erklären. -^ Bindenreizung
führt bMm Eanüichen stets nur zu einseitigen >(ge'kreu2tem)'0rbicularisschlii88, beim
Hund oft zu doppelseitigem. ' Th. Ziehen.
6) ITeber Ataaäe iind XuskelBlnn, von Goldscheider. (Yirhandl. cier Physio-
logischen Geöellschaft zu Berlin: Sitzung den 15, Juli 1887.)
Die spinale Ajtaxie wiird bekanntlieh von Leyden auf Störungen der sensiblen
Leitungsbahneuj . vop Friedr.Qich, £rb .auf isolche besonderer Goordinationsfasem
zorückgeführjb. En^cheidend . dürfte das . Verhalten des sogenannten Mi^sk^lsinns
(Wahrnehmung d^r Lageveränderung mfus Qliedes und Bmpfi^](iag.der?)Bchwere) sein.
iO. prüfte -daher,, ob der sog. JMtuskelsinn.^uf dav bewegenden Kerven-J))Dnskel-
Apparat o^er auf das bewegte Glied selost zurückzuführen ist.. J^ machte: mittelst
des secundären Inductionsstromes einen Finger anästhetiscli (starke Strön^e)./r^p.
herabgesetzt e9ipQncUich (schwache Ström^X ^Q^d st^te nun. fest» w^che geringste
Bewegi^ng in^ ersten faterphälaiiiigfMlgelenk noch eben die^mpfinduog einerrBe.w«gfvig
hervorruft . . Der d^|cch . d0n Indnctionsstrpm . jui(lst)iatisc)ie . Fäiffer musste. eine f^
grössere. Bewegung .macheu^.als der. nonpiJiQr besQ9dec8^ wenn specieU.das betreffende
Gelenk vondeminducirten ätrope...dun^i]aufen, d. hv uiiempflndlkb, gQ.macht wurde,
. Ausserdem aber geigte der vom far^di^chen Strome darohflosÄenf
Fi4ger e^ne abgesetzte, stoss weise -^< der ataotisc^en gleiche. -r-Be|re|gdng,
eine AbnprmitlU^y wolci^e lu^r 4er Conl^^ Auges zwar, jrenein^ert, aber niclit
beseitigt wird;, we|che, andererseits,. dadur^ das^ m4Q die^ Bewejgung nach der —
(KB. beeinträchtigt^^, r^rE^mpfinilung der Fortbewegwf^ .^a^.Fi^epS'Zu.QQntrolIren
sucht, np^h, starker in die ^cheinnng fctt. .?:
Die.Wiohtijgkeit der Sensibilität,, speciell die der Gelenke, füx. die a^ctischen
Esscheiniungen. gehjb hieraus, her vor. . Die. Empfindung der Lageverände^uig i:egt.i
— 17 —
Goordinatioiis- Centram die antagonistischen Moskelcontractionen nnd die nöthigen
Mofikel-Synergien an: bei fehlerhafter resp. herabgesetzter Empfindang werden diese
auch fehlerhaft Bei absoluter An&sthesie föllt der Anlass zu falscher Coordination
fort, da das Coordinationscentram gar keine Bewegongseindrücke mehr bekommt^ and
das erklfirt die klinischen Beobachtungen Ton Fehlen der Ataxie bei gewissen F&llen
?on totaler An&sthesie. Hadlich.
Pathologische Anatomie*
6) Zur Lehre von der TuberotQose des Centrainer vensystems, von A. Ho che,
Heidelberg. (Awh. f. Psychiatrie. 1887. XK. 1.)
H. berichtet über 2 Fälle aus der Erhaschen Klinik. Besonders werthvoll ist
der erste, in welchem eine complete schlaffe Lähmung beider Beine unter den Symp-
tomen bemerkenswerth ist. Die 3^2 Stunden p* m. ausgeführte Section ergab neben
Miliartuberculose in Lungen, Leber, Milz und Nieren eine cerebrospinale tuberculöse
Leptomeningitis, eine acute aufsteigende Myelitis, sowie einen solitärcn Tuberkel in
der Oblongata (im Gebiet der linken aufsteigenden Trigeminuswurzol). Die mikro-
skopische Untersuchung (Carmindoppelfärbung, Weigert-Farsche Methode) bestätigte
die Existenz einer eitrig-fibrinOsen tuberculOsen Meningitis. Tuberculöse Yasculitis
der sobarachnoidalen Arterien und Venen. An den Nervenwurzeln Fori- und Endo-
Nenritis, kleine Hämorrhagien, Injection des ganzen Wurzelquerschnitts mit einer
homogenen Exsudatmasse, welche überall die Schwann*8che Scheide respectirt. In den
hinteren Wurzelbündeln des Lendenmarks regellos vertheilte, hellere Flecke, die eine
feingekömte Masse mit einzelnen Kernen und Besten von Nervenfasern enthalten und
von feinen Lamellen mit platt ovalen Kernen gleich denen des Stützgewebes begrenzt
Verden. Auf Längsschnitten stellen diese Grebilde Streifen entsprechend dem Verlauf
der einzelnen Wurzeln dar. Das Mark selbst zeigt ausgedehnte diffuse Bundzellen-
anhäufongen und Zerfall von Nervenfasern und zum Theil inself5rmige Zerfallsheerde
ohne KOmchenzellen. Die graue Substanz ist relativ intaci Das Gehirn ward nicht
untersucht.
H. nimmt acute „Autoinfection" des Oentralnervensystems von dem Solitärtuberkel
ans an. Die Veränderungen in den hinteren Lendenwurzeln sind dieselben, wie
Kahler sie kürzlich beschrieb. Aber H. hält die fraglichen Gebilde nicht wie
Kahler für ein von aussen in die Nervenwurzel hineingelangtes Exsudat, sondern
fQr die mit Lymphe oder Exsudat gemischten Zerfallsproducte abgegrenzter Nerven-
faserbündel.
Im zweiten Fall Hoche*s, in welchem Parese beider Beine bestand, fanden sich
p. m. ausser der tuberculösen Leptomeningitis Heerde von 20 — 70 gequollenen
Axencylindem, namentlich im Dorsalmark, femer eine von der Neuritis der hinteren
Worzehi abhängige aufsteigende secundäre Degeneration in den Goll'schen Strängen.
Die Axencylinderquellungen unterscheidet Verf. von der peripherischen „Myelitis"
als eine nicht-entzündliche, durch Ischämie, Stauung und Compression bedingte „Er-
weichung". H* vermuthet, dass überhaupt bei Myelitiden die nervösen Elemente
seltener einem primären sie selbst betreffenden entzündlichen Beize, sondern secundär
einer — z. B. durch interstitielle Myelitis gesetzten — Circulationsbehinderung im
^inn der Kahler*schen Experimente zum Opfer fallen. Th. Ziehen.
'7) Ueber Heilung von Btlohwiinden des Gehirns, von Dr. Edmondo Coen,
Bologna. (Beiträge zur pathol. Anatomie u. Physiologie, herausgegeben von Ziegler
u. Nauwerck. 1887. Bd. IL 8. 109.)
0. hat in dankenswerther Weise eine Neubearbeitung der Versuche von Ziegler
und Kammerer (vergl. d. ersteren Lehrbuch d. pathol. Anatomie, Bd. IL^ 5. Aufl.,
- 18 —
S. 358) Aber die entzflndlichen YMünderungen des Gehirns nach (aseptischen) Stich-
wunden übernommen. Die Methode bestand im Einstechen einer starken gltthenden
Nadel dnrch den Sch&del in das Gehirn von Kaninchen und Meerschweinchen, Ent-
nahme des Gehirns nach einer Zeit von 1 — 62 Tagen von dem lebenden narkotisirten
Thier, darauf Einbringen in das Fiemming'sche Ghrom-Osmium-Essigs&nregemisch,
Färbung mit Safhinin.
Die Reihe der um den Stichkanal entstehenden Veränderungen fand er darnach
in den ersten Tagen (wie Bef.) in drei Zonen geschieden: zunächst eine nekrotische,
darauf eine fettig degenerirte und nach aussen davon eine entzündliche. Die letztere
greift aber an den späteren Tagen auf die beiden inneren Zonen über, wenn auch
einzelne abgestorbene Gewebsinsein noch am 62. Tage nachweisbar waren. Unter
den activen Erscheinungen unterscheidet G. die eigentliche Entzündung, die sich
namentlich durch das Auftreten von Leucocyten charakterisirt, von der Froliferation
der Gewebszellen; die erstere, anfangs ziemlich lebhaft, nimmt schon am 6. Tage
wieder wesentlich ab, ihre zelligen Producte scheinen wesentlich nur an der Bildung
von Fettkömchenzellen betheiligt» dagegen nicht an dem Aufbau der Narbe. Die
gewebliche Wucherung, die durch das Auftreten reichlicher indirecter Kemtheilnngen
und Neubildung grosser verschiedenfach geformter Zellen nachgewiesen wird, ist vom
vierten Tage an ausgeprägt und etablirt sich sowohl an dem perivasculären Gewebe
(spedell auch in der Pia Mater), als an den Gliazellen, wie auch namentlich an den
Ganglienzellen; an den letzteren wird der Befund sehr häufiger Karyokinesen ange-
geben. Gtogen den 12. Entzündungstag lässt in dem jungen grosszelligen Keimgewebe
die Proliferation wieder wesentlich nach; an Präparaten vom 32. Tage zeigt sich
die Wucherung hauptsächlich um die Gefasse entwickelt, zugleich findet man in ihr
sehr feine verflochtene Bindegewebsfasern, während die Kömchenzellen fast völlig
geschwunden sind. Es kommt so eine regelrechte Narbe zu Stande, während von
einer Regeneration nervösen Gewebes Nichts zu sehen ist.
Ein grosser Theil der präexistenten Zellen wird dabei, namentlich innerhalb der
ersten 12 Tage, durch Verfettung dem Zerfall und der Resorption entgegengeführt;
an den Nervenfasern wurden ausschliesslich rückgängige Veränderungen beobachtet.
Der Arbeit sind zwei schön ausgeführte Tafeln beigegeben. (Abgesehen von
einer Reihe interessanter Einzelheiten liegt der Hauptwerth der Arbeit dann, dass
der Ablauf der entzündlichen Vorgänge durch eine wesentlich längere Zeitdauer als
bisher, bis zum Beginn der Narbenbildung verfolgt wurde. Dagegen ist durch die
ausschliessliche Anwendung des Flemming'schen Untersuchungsverfahrens auch
Manches entgangen, so der durch Weigert- Färbung zu führende Nachweis, dass die
anscheinende Verfettung zahlreicher Zellen nur auf der Aufnahme massenhafter Mark-
tröpfchen beruht, femer die Betheiligung der Randzellen der pericellulären Räume
an der Proliferation, endlich ist der Nachweis der Kaiyokinese an noch wohl charak-
terisirten Ganglienzellen als vom Verf. nicht vollkommen sicher erbracht anzusehen,
wie Ref. anderweit ausgeführt hat.) Friedmann.
8) Oerebroporosi da oongelamento, studio del Dott. G. Rezzonico. (Rivista
sperim. di Freniatr. ecc. 1887. XIII. p. 112.)
Obschon sich der Inhalt der angezeigten Arbeit nicht zu einem Referat für
dieses Centralblatt eignet, so sei hier wenigstens die Veranlassung zu derselben hervor-
gehoben: Verf. untersuchte einige Irrengehime und fand besonders in der Rinde sehr
zahlreiche, dem blossen Auge noch erkennbare Hohlräume, die er anfänglich genei^
war, für pathologisch zu halten. Der Mangel atrophischer Vorgänge etc. rief jedoch
Zweifel hervor und die Poröse stellte sich als ein Kunstproduct heraus: zur Oonser-
virung waren die Hirne in Müller*sche Flüssigkeit gelegt und zufällig bei der (für
Italien allerdings uDgewöhnliehen) Temperatur von — 8" in einem ungeheizten Räume
— 19 —
aafbewahrt worden und mit der H&rtungsflQssigkeit gefroren. Controlversnche er-
wiesen, dass dnrch den €toMerangsprocess derartige Porösen regelmässig erzeugt
werden konnten. Sommer.
Pathologie des Nervensjatems.
9) A case of ataxie wlth Iobb of miisotdar senBO, by Byron Bramwell.
(Brain. 1887. July.)
Tabes dorsalis seit 8 Jahren: vollständige Incoordination und totale Vernichtung
des Muskelfiinns in den Untereztremitäten, während das Tastgefflhl derselben nur in
ganz geringem Grade, wenn überhaupt, gestört, das Gefühl für Kälte und schmerz-
hafte Beize erhöht war. Aortenaneurysma. Der FaU wird hauptsächlich im Anschlnss
an den Tortrag Bastians über den Muskelsinn in der Londoner Neurolog. Geeell-
schafk (siehe das Bef. dieser Zeitschr. 1887 S. 283) mitgetheilt: er dient zur Stütze
der Ansichten Bastians gegen die von Ferrier erhobenen Einwände. Bruns.
10) Des mouvements ohorölfoimea et de l'athötose ohes lea atoTlqueii, par
le Dr. Andry de Lyon. (Revue de M^decine. 1887. Janvier.)
Im Anschlnss an mehrere ältere Beobachtungen berichtet der Verf. über einen
Fall von „Tabes", bei welchem in den oberen Extremitäten Athetose-Bewegungen, in
den Beinen häufige kurze spontane Zuckungen auftaraten. Leider sind aber die
klinischen Angaben so wenig vollständig, dass man über die Diagnose des Falles
kein sicheres Urtheil fällen kann. Es fehlt z. B. jede Angabe über das Verhalten
der PnpiUenreaction und der Sehnenreflexe!
Verf. ist der Meinung, dass die choreiformen Bewegungen bei der Tabes von
einem Mitergriffensein der Seitenstränge abhängen. Strümpell.
11) Ueber einen Fall von Tabes dorsalis mit Spontanruptur derQuadrioeps-
sehne nnd Arthropathien, von Dr. L. L 5 wen fei d. (Münch. med. Woch. 1887.
Nr. 20.)
Ein 41jähriger Mann, der sich im 27. Lebensjahre beim Tanzen eine partielle
Ruptur der rechten Achillessehne acquirirt hatte, und der im Alter von 18 Jahren
ein Ulcus mit vereiternden Bubonen gehabt, (dass Verf. auch in diesem Falle Lues
annimmt, da es „zur Genüge bekannt ist, wie leicht gewisse „secundäre" Symptome
[insbesondere Exantheme wie Anginen] übersehen werden oder in Vergessenheit ge-
rathen, ist doch zu weit gegangen; hier handelt es sich doch offenbar um Ulcus
molie) — fühlte im J. 1878 nach einer anstrengenden Bergtour neben hochgradiger
Schwäche Kältegefühl und Taubsein, in den Beinen, Erscheinungen, die im Laufe von
2 Jahren sich erheblich steigerten. 1880 fühlt Fat. beim Spaziergange im Garten
einen „Knacks" und heftigen Schmerz im linken Kniegelenk, worauf er zusammen-
brach. Es konnte eine Ruptur der Quadricepssehne dicht über der Fatella constatirt
werden, welche in 5 Monaten unvollkommen heilte, sodass man in der Tiefe der
Narbe das Femur durchfühlen konnte. Das Ligamentum patellae fehlte späterhin
auch. Bewegung im Kniegelenk natürlich unvollkommen. Gehen nur mit Hülfe eines
Apparates möglich.
1881 plötzliche tumorartige Anschwellung zuerst an der Innen-, dann an der
Aussenseite des rechten Oberschenkels, die in 4 Wochen verschwanden. Unmöglich-
keit zu gehen oder zu stehen, dabei grobe motorische Kraft sehr erheblich. I^äter
Nephritis, die den Fat. bis 1883 an*s Bett fesselte; langsame GFenesung. Dysurie
laneinirende Schmerzen.
2*
— 20 —
Auf trophische Störungen ist zu beziehen eine Spontanfractur des rechten |
Schlüsselbeins, sowie eine auftretende Schlaffheit (Atrophie) der Glut&en; auch der i
beiderseits bestehende Hallux valgus wird auf tabische Aetiologie zurückgeführt Die
Anschwellungen am rechten Oberschenkel werden als tabische Arthropathien gedeutet
Verf. erörtert noch die FragCi ob die Sehnenruptur der Tabes oder eventuell
der (fraglichen) Syphilis zugeschrieben werden musste; er bejaht erstere Annahme
und bezieht sich auf einen Fall von Ruptur der Achilles-Sehne bei einem Tabiker,
der aus der Erhaschen Klinik stammt
Merkwürdig ist die gleichzeitige Ruptur resp. der Schwund des Ligam. patellae,
wofür eine durchaus genügende Erklärung nicht gegeben werden kann.
In Frankreich sind Arthropathien bei Tabikem öfter beobachtet worden als bei
uns und in England; zur Erklärung dafür mag dienen, dass dieselben in einer Zeit
auftreten, wo andere Symptome der Tabes noch fehlen und daher h&ufig übersehen
werden dürften.
üebrigens ist in dem vorliegenden Falle an der Diagnose Tabes kein Zweifel.
_ Sperling.
12) laooomotor ataxia. Two oases: one a oase of so-oalled spinal arthro-
patfay; the other, acute tabes dorsalis, by W. H. Porter. (Journal of ner-
vous and mental diseases. 1887. April.)
Der erste Fall betrifft; eine 40jähr. Frau, die wahrscheinlich von ihrem luetisch
erkrankten Gatten inficirt, früh verwittwet, seit 2 Jahren an leichten Schwindel-
anfallen gelitten hatte und dann bald die gewöhnlichen Symptome der Tabes darbot :
Ataxie bei erhaltener Muskelkraft, Myosis und Pupillenstarre bei Lichteinfall, Sensi-
bilit&tsstörungen etc. Nach allmählicher Schwellung der Füsse bis zu den Knien
Entwickelung einer schmerzlosen suppurativen Arthropathie mit hochgradigster Knorpel-
nekrose zuerst im Unken, dann im rechten Kniegelenk, und ziemlich plötzlich ein-
setzende Phlegmone beider Oberschenkel; Tod an Septikämie.
Der andere Fall ist wegen seines rapiden Verlaufes bemerkenswerth. Ein 53jähr.,
wahrscheinlich ebenfalls luetisch inficirter Mann, war seit 6 Wochen unter Parästhesien
und Blitzschmerzen der unteren und oberen Extremitäten erkrankt. Bei der Unter-
suchung zeigte er (am 26. August) ausserdem starkes Schwanken bei geschlossenen
Augen, deutliche Ataxie, Fehlen der Reflexe etc. Schon am 10. Sept. traten plötz-
lich Delirien auf, denen sich bald Bewusstlosigkeit und unter Convulsionen am 18. Sept
der Exitus anschloss. Die Section ergab u. A. chronische Meningitis der Pia cere-
bralis und Sklerose der Hinterstrange. (Paralysis generalis?) Sommer.
13) Oharcot'B disease of Shoulder, von Reckless. (The British med. Journal.
1887. Nov. 12. p. 1062.)
In der medic. Chirurg. Gesellschaft Sheffield- stellte R. einen 47jährigen Mann
vor, der in den letzten 8 oder 9 Jahren an Ataxie locomotrice litt. Die oberen Ex-
tremitäten waren nie atactisch gewesen. Seit 6 Monaten traten Schmerzen in der
Schulter auf. Die Ataxie nahm zu. Patellarreflex verschwunden; Pupillen sehr eng.
Die linke Schulter sah relativ voller aus; sie war unter dem Akromion abgeflacht,
so dass die Finger unter den Process geschoben werden konnten, der Kopf des Humerus
war deutlich unter der Clavicula zu sehen. Wurde der Arm extendirt und rotirt,
so schlflpfte der Kopf unter hörbarem Krachen in die Achselhöhle, konnte aber leicht
wieder zurflckgebracht werden. L. Lehmann (Oeynhausen).
14) Die Arthropathie bei Tabes, von Dr. Th. Weizsäcker. Mittheilung aus
der Chirurg. Klinik zu Tübingen. (Sep.-Abdr. aus Bruns: Beiträge zur klinischen
Chirurgie. 1887. Verlag: Laupp'sche Buchhandlung in Tübingen. 64 Seiten.)
— 21 —
Eine erschöpfende Casuistik aller bis heute in der Litteratur verzeichneten Fälle
von Arthropathie bei Tabes (109) nebst ausfOhrlicher Litteraturangabe (8 Seiten).
Hier soll nur Weniges von den Angaben und Schlüssen des Terf.s hervorgehoben
werden.
Unter den 109 Fällen betreffen 72 das männliche und 87 das weibliche Ge-
schlecht; den letztem gehören auch die schwersten Fälle an. Fast in der Hälfte
der Fälle ist das Kniegelenk afficirt, der Frequenz nach folgt: Hüfte, Ellbogen^ Schulter
u. 8. w. In den meisten Fällen (66) ist nur ein Gelenk erkrankt, 2 Gelenke ca. 34mal,
3 und mehr Gelenke etwa lOmal.
Das Charakteristische von Beginn und Verlauf solcher Arthropathien wird durch
eingestreute Krankengeschichten illustrirt. Nach plötzlichem Eintritt erreicht die
Affection in wenigen Tagen ihr Maximum. Man kann zweckmässig leichte (der
Rückbildung fähige) und schwere Formen unterscheiden.
Pathologisch-anatomisch betrachtet giebt es Fälle, welche durch rege Wachs-
thumsverhältnisse (Osteophytbildung) bei mehr oder weniger vorgeschrittener Destruc-
tion der Arthritis deformans ähnlich sind; dies sind die seltneren. Der Charakter
der tabischen Arthropathie ist Atrophie und zwar Atrophie der Knochen, was
wohl das Primäre ist (im Gegensatz zu Yirchow, der den Process vom Gelenk-
knorpel ausgehen lässt). So entstehen intrakapsuläre Usuren, intra- und extra-
kapsuläre Fracturen (Spontanfracturen; beiden Affectionen liegt also derselbe Process
zu Grunde).
Syphilis ist unter den 109 Fällen uur ISmal (8,5 7o) f»^^ Sicherheit" con-
statirt; auf Grund dessen wird die specifisch syphilitische Natur dieser (zelenkleiden
(Strünrpell) in Abrede gestellt. Der Schluss wird von einer längeren Abhandlung
„über das Wesen der Krankheit'' gebildet, woraus folgendes Besumd hervorzuheben
ist: 1. Die grösste Anzahl der Fälle zeigt Arthropathien im präatactischen Stadium,
woraus folgt, dass deren Zustandekommen auf rQin mechanischem Wege nicht denkbar
ist (Sensibilitätsstörungen müssen dann aber auch ausgeschlossen sein!). 2. Eine
Identiflcirung mit Arthritis deformans ist nicht möglich, freilich scheinen einige der
citirten Fälle Arthritiden bei Tabes darzustellen. 3. Pathologisch-anatomische Nach-
weise, dass die Affectionen nervöser Natur sind und mit der Eigenheit der Krank-
heit in directem Zusammenhang stehen, sind bis heute nicht geliefert, jedoch ist es
nach anatomischen und klinischen Analogien wahrscheinlich, dass die Gelenkleiden
bei Tabes durch peripherische Neuritis hervorgerufen werden. 4. Die
Annahme eines nervösen Centrums für die Gelenke (Buzzard) ist durchaus nicht
gerechtfertigt^ da durch keinen Fall bewiesen. Sperling.
15) E£d Fall von Arthropathie bei Tabes» von Dr. von Kahlden, Assistenz-
arzt am pathol. anatom. Institut in Freiburg. (Virchow's Arch. 1887. CIX. 2.)
Ein 59jähriger Pflegling des Spitals erlitt im September 1886 eine Spontan-
fractur des rechten Oberschenkels in der Nähe des Hüftgelenks, welcher er nach
27: Monaten erlag. Bei der Section fand sich im Bückenmark eine graue Degene-
ration der Hinterstränge in ihrer ganzen Länge. Die rechte Hüftgelenksgegend bis
incL Trochanter major war in einen grossen Knochentumor verwandelt mit atrophischen
Processen am Knorpel, mit Wucherungen in anderen Theilen des Knorpels und des
Knochens; der abgebrochene und nur theilweise consolidirte Oberschenkelschaft ragte
in die geschwulstartige Knochenmasse hinein. — K. meint, dass die bedeutende
Gelenksveränderung, welche der Arthritis deformans zuzuzählen sei, zum grössten
Theile schon vor der Spontanfractur bestanden habe; sie stelle einen Fall von Arthro-
pathie der Tabiker dar, deren gewöhnlicher Verlauf durch die Fractur unterbrochen
sei. — Bemerkenswerth sei das vorgeschrittene Stadium der Bückenmarksaffection,
während sonst die Arthritis in einem frühen Stadium der Tabes aufzutreten pflegt.
Hadlich,
— 22 —
16) lieber neuritilBohe Muskelatrophie bei Tabes dorsalis, von E. Bemak.
(Berl. klin. Woch. 1887. Nr. 26.)
Es wird ein Fall von Tabes angeführt mit schleichend aufgetretener Medianus-
neuritis. Bei der völligen Congruenz der atrophischen^ motorischen, sensiblen und
electro-diagnostischen Störungen deutete der Befand mit Sicherheit auf eine periphe-
rische Degeneration lediglich des rechten N. medianus hin, ohne dass irgend welche
eigentliche tabische Erscheinungen der rechten oberen Extremität vorhanden waren.
Dieser Fall dient aufs Neue als Beweis, dass nicht jede degenerative Muskelatrophie
bei Tabes spinalen Ursprungs zu sein braucht. Ein besonderes Causalmoment für die
Entwickelung dieser Medianusneuritis hat Terf. bei seinem Patienten darin ermitteln
können, dass derselbe als Cigarrenarbeiter bei dem Bollen des Deckblattes und dem
Drehen der Spitzen die drei ersten Finger der rechten Hand seit vielen Jahren ein-
seitig angestrengt hat. Auf diese Ueberanstrengung allein aber die Medianusneurüas
zurückzuführen, sie also als eine ganz zuföllige Gomplication der Tabes aufzufassen,
erscheint unstatthaft. Denn, sind auch Paraesthesien, Anaesthesien, Paresen bei Gi-
garrenarbeiterinnen beobachtet, so ist doch eine ausgesprochene degenerative Nenhtis
auf Grund der Gigarrenarbeit allein nicht bekannt. In der professionellen lieber*
anstrengung wird daher nur die Gelegenheitsursache gesehen, schon vorhandene, der
Tabes eigenthümliche peripherische Alterationen zu einer derartigen Aouit&t zu ste^^em,
dass hier eine degenerative Muskelatrophie mit. Sensibilitatsatörung sich entwickelte.
- Kalischer.
17) Die Initialsymptome der Tabes dorsalis, Inaugural-Dissertation von Max
Karger. Berlin 1887. (41 Seiten.)
Verf. studirte die Initialsymptome der Tabes an 117 Fällen aus der Poliklinik
des Prof. Mendel. Auffallend erschien vorerst der relativ hohe Procentsatz der
Frauen, 29 an Zahl, also 25% (nach Erb 11 Vo)* ^^® Erkrankung trat nur aus-
nahmsweise vor dem 20. und nach dem 50. Lebensjahre ein. Dauernd einwirkende
Unbilden der Witterung verbunden mit körperlichen Strapazen riefen dieselbe oft bei
Ingenieuren, Soldaten, Erdarbeitern, Eisenbahnbeamten hervor. 62 der Tabiker, also
63 ^/q, gaben eine syphilitische Infection zu. Als erstes Zeichen im Initialstadium
traten meist Störungen der Sensibilität auf, lancinirende Schmerzen in den Unter-
eztremitäten; folgen dieselben bestimmten Nervenbahnen, so geben sie leicht zu Ver-
wechselung mit Neuralgien (Ischias) Veranlassung; sitzen sie mehr in der Tiefe, den
Weichtheilen und Knochen, so tritt eine Verwechselung mit Bheumatismus nicht selten
ein. Die lancinirenden Schmerzen konnten in den 117 Fällen nur 24 mal nicht con-
statirt werden und gingen in einigen Fällen bis zu 20 Jahren den andern Symptomen
voraus, in der Mehrzahl aber nur 3 bis 5 Jahre. Meist gesellten sich zu ilinen
Paraesthesien aller Art, GürtelgefQhl, Formication etc. in den unteren Extremitäten,
selten an den oberen (ülnarseite). Anaesthesien sind im frühen Stadium der Tabes
selten, häufiger kommt eine Verlangsamung der Empfindungsleitung, besonders für
Schmerzeindrücke vor, und oft zeigt sich schon früh ein starkes Ermüdungsgefühl
(Spaeth: Paraesthesie der sensiblen Muskeberven). Das Bomberg'sche Symptom,
das nicht zu dem Grade der Ataxie, sondern zu dem der Sensibilitätsstöning in
directer Beziehung steht, tritt auch oft schon früh hervor. Relativ selten sind Stö-
rungen der Motilität im Initialstadium der Tabes, sie treten häufiger zu dem zweiten
Stadium (Ataxie) hinzu. Was den nervösen und musculösen Apparat des Auges
angeht, so äussert sich der chronisch verlaufende pathologische Process, der schliess-
lich zu Amaurose führt, oft schon im Initialstadium als Abnahme der Sehschärfe,
Verdunkelung, concentrische Einengung des Gesichtsfeldes, Amblyopie, Farbenblind-
heit, Amaurose etc. 41 Tabiker, also 35^/^, hatten Sehstörungen und abnormen
ophthalmoskopischen Befund (Erb ll7o> ^^^^ ^^Vo)- Häufiger noch zeigt sich
Lähmung oder Parese der Augenmuskeln, Ptosis, Diplopie, Strabismus, Mydriasis.
— 28 —
Nächst dem Ocnlomotoriiis und dessen Zweigen ist der Abducens am häufigsten be-
troffen, sehr selten der Trochlearis. Dauernde Paresen gehören besonders den späteren
Stadien der Krankheit an, während unbedeutende, vorübergehende, leicht reddivirende
Lähmungen dem Initialstadium eigen sind. Befl. Pupillenstarre trat in ^/^ der Fälle
auf, und mitunter sehr frühzeitig. Die Kniephänomene vermisst man meist schon
früh, im Beginn der subjectiven Klagen. Unter den 117 Fällen war bei einem der
Fatellarreflex links ungewöhnlich stark, während er rechts fehlte; in 3 waren die
Beflexe beideraeits erhalten, in 4 Fällen fehlte er auf der einen Seite, während er
auf der andern erhalten war. Die Blasenstörungen gehören sicher zu den frühzeitigen
Symptomen und bestanden 68 mal, also in bS^I^; als isolirtes Leiden gingen sie in
einigen Fällen Jahre lang den andern tabischen Beschwerden voraus (15 derartige
Falle beschrieb Berger). Zu den Seltenheiten gehören die Störungen des Sexual-
reflezes im Initialstadium der Tabes, noch seltener sind migraineähnliche Kopf-
nearalgien, gastralgische Anfälle, Arthropathien, Spontanluxationen, Arthritis defor-
mans etc. Kurze Krankenberichte über 70 der beobachteten Fälle werden angeführt.
Kalischer.
18) Halbseitige vasomotorisohe tind seoretorisohe Störungen bei Tabes
dorsualis inoipiens» Inaug.-Diss. von Isidor Juda. Berlin 1887. (35 Seiten.)
Nachdem aus der Litteratur zahlreiche Fälle zusammengestellt sind, wo Störungen
vasomotorischer oder secretorischer Natur sich im Verlauf der Tabes zeigten, berichtet
Verf. über einen in der Poliklinik des Prof. Mendel beobachteten Fall von Tabes.
In diesem trat schon im praeatactischen Stadium auf der ganzen rechten oberen
Eörperhälfte halbseitige Hyperhidrosis auf, die später in stationär bleibende Anidrosis
überging. Selten tritt diese Secretionsanomalie so früh bei Tabes auf, während uni-
versale oder regionäre, einseitige oder doppelseitige Hyperhidrosis gewöhnlich erst
im Verlaufe der Erknmkung sich zu zeigen pflegen. Hier handelt es sich wahr-
scheinlich um einen Uebergang der Beizung der Schweissfasem im Sympathicus in
einen lähmungsartigen Zustand (Anidrosis). Gleichzeitig fand sich auf der rechten
oberen Korperhälfte Kältegefühl, Herabsetzung der Temperatur um 0,8^ C. und Myosis.
Später erst traten die Symptome der Tabes hinzu, lancinirende Schmerzen, Erbrechen,
Durchfalle, Gürtelgefühl, reflector. Pupülenstarre, Fehlen der Patellarreflexe, Bom-
berg*sches Phänomen etc. Die halbseitige Localisation der Störung in der Innervation
der Iris, der Blutgefiusse und Schweissdrüsen, das Fehlen der Läsion des Bücken-
marks in derselben Höhe (Ataxia cervicalis) und die verschiedene Zeit des Entstehens
dieser und der tabischen Symptome schienen dem Verf. gegen eine Affection der
Bückenmarkscentren zu sprechen; er nahm eine primäre, spontan entstandene Sym-
pathicnsafiEection an, die sec. durch Uebergreifen des Processes auf die Bami com-
munic. und die vorderen Wurzeln des Bückenmarks zu einer typ. Tabes dorsualis
gefOhrt hat Das entgegengesetzte Verhalten der oculopupillären und secretorischen
Fasern (Myosis und Anidrosis) einerseits, gegenüber den Vasomotoren (Kältegefühl,
Herabsetzung der Temperatur) andererseits, erklärt er in dem Sinne, dass die vaso-
motorischen Fasern des Sympathicus grössere Besistenz besitzen, so dass Schädlich-
keiten, die bei den einen Fasern bereits zu Lähmungserscheinungen führen, bei den
andern nur Irritationszustände hervorrufen; eine Analogie findet sich bei der Er-
krankung peripherer Nerven, wo herabgesetzte Empfindlichkeit in den sensiblen Fasern
neben Beizungszuständen in den motorischen zuweilen auftritt. Femer fanden sich
als frühzeitiges Symptom der Tabes bei diesem Kranken chron. DurchMe (Diarrhoe
tab^tique), die bald contmuirlich, bald anfallsweise, bald auf psych. Erregung, bald
ohne solche auftraten, jeder Behandlung widerstehen etc. Ein Milztumor, der im
Beginn der Erkrankung auftrat und subacut schwand, wird ebenso wie die beobachtete
Haematemesis auf vasomotor. Störungen zurückzuführen gesucht. Kalischer.
— 24 —
18) Tabes pröoooe et hiröditö nenreuse, par Berbez. (Progr.mM. 1887. Nr. 30.)
B. giebt auf Gnind von eigenen Beobachtungen während seiner Assistentenzeit
bei den Incurables dlvry, bei den Incurables de Laennec und in der Salpätriere sehr
werthvolle Mittheilungen über die Wichtigkeit neuropathisch-hereditärer Momente für
die Aetiologie der Tabes dorsalis. Von 150 Tabikem gaben 61 Individuen an, dass
ihre Eltern oder deren Geschwister von Nervenleiden heimgesucht gewesen seien und
zwar von
Geisteskrankheit 15 Fälle
Tabes 8 „
Dementia paralytica 7 „
Epilepsie 4 ,,
Hysterie 6 „
Alkoholismus mit nervösen Erscheinungen ... 7 „
Paralysis agitans 2 „
Neurasthenie, Psychopathien etc 12 „
Total 61 Fälle.
In 36 von diesen Fällen waren Mutter oder Vater resp. Beide nervenkrank.
Ferner sind folgende Notizen des Verfassers von Werth:
3mal traten die ersten Tabessymptome auf nach dem 60. Lebensjahre,
8 mal traten die ersten Tabessymptome auf zwischen dem 50. u. 60. Lebensjahre
54 „ „ „ „ „ „ „ „ 40. .u. 50.
42 „ ,y it „ ff ff ff ff Ov. U. 4:ü.
28 „ „ }| ,1 I, ff ff >i 20. u. 30.
ö ff ff ff ff ff yj ff f» •ib» u. Ä\)*
2 f, ist unbekannt, wann die ersten Tabessymptome auftraten.
Die Tabes praecox (darunter versteht B.nach Charcot die vor dem 30. Lebens-
jahre einsetzende Tabes) tritt zumeist bei sehr schwer belasteten, von Tabikem and
Paralytikern herstammenden Individuen ein und zeichnet sich durch die Intensität
und die Mannigfaltigkeit der tabischen Symptome aus. Dieselbe unterscheidet sich
aber sehr wesentlich von der hereditären Tabes, der Friedreich'schen Krankheit,
welche Charcot in der Nr. 23 u. 24 des Progrds abgehandelt und worüber auch
in dieser Zeitschrift referirt worden ist. 14 mehr oder minder ausführliche Kranken*
geschichten illustriren die Behauptungen des Verfassers, welche die Tabes praecox
betreffen. Laquer.
n
aO) Zur Frage über die Besiehungen BwiBohen Tabes und Syphilis» von
Dr. H. Neumann. Aus dem städtischen Krankenhause Moabit. (Berliner klin.
Wochenschr. 1887. Nr. 43.)
N.*s Statistik entstammt dem Material des Berliner Krankenhauses Moabit, ein
Material, das ein gleichmässig gemischtes, und In dem keine Krankheitsform, welche
die Entscheidung einseitig beeinflussen könnte, vorwiegt. Die Ermittelungen erstrecken
sich nur auf Männer (vom 18. Lebensjahre an), meist dem Arbeiterstande angehörig.
Die Resultate, die Verf. bei möglichst sorgfältiger Erhebung erhielt, sind: Von
861 Männern war bei 147 = 17,2^0 früher Syphilis oder Ulcus moUe vorhanden;
bei 76 = 8,8 ^/o von diesen 147 Kranken war secundäre Syphilis sicher oder selir
wahrscheinlich vorhanden gewesen. — In der Annahme, dass dieser Procentsatz der
syphilit. Erkrankungen eher zu niedrig, als zu hoch sei, versuchte N. dem wahren
Procentsatz der Syphilis möglichst nahe zu kommen durch eine besondere statistische
Methode, die von der Erwägung ausgeht, dass mit jedem Jahrzehnt des Lebens die
Zahl der inficirten gegenüber den nicht inficirten eine grössere werden muss^ während
— 2ö —
ifr seinen Tabellen der Procentsatz mit zunehmendem Alter sank, — was wobl da-
darch bedingt sein mfisse, dass die Kranken im späten Alter sich ihrer Jugendsünden
z. Tb. nicht mehr entsinnen können oder wollen. Aus den von diesem Gesichtspunkt
aosgehenden Tabellen, in denen neben den absoluten Zahlen der Inficirten das pro-
centische Yerhältniss zur Gesaihmtzahl der betrefifenden Altersclasse ersichtlich ist,
gelangte N. zu dem Resultate, dass mindestens 22,4^0 seiner 861 Kranken Lues
reep. Ulcus, 10 ^/^ secundäre Syphilis gehabt haben.
N. untersuchte nun auch bei semem Materiale die Häufigkeit der Tabes bei
Syphilitischen und Nicht-Syphilitischen. (Tabes wurde nur nach genauer,
sicherer Untersuchung diagnosticirt, Paralytiker wurden ausgeschlossen.) Es Mden
flieh unter den 861 Kranken überhaupt an Tabes erkrankt 17 a 2,0 ^/q, und zwar
stellten hierzu die 671 Nicht-Inficirten 0,9%^ ^^^ ^^7 mit weichem oder
hartem Ulcus 8,2%, die sicher Syphilitischen 11,8%. — Die Häufigkeit
der Syphilis bei Tabes anlangend, fand N. unter 20 Fällen 7 =» 80,5%, bei
denen jede syphilitische Ansteckrmg geleugnet wurde, 13 » 66% mit Ulcus, von
denen 10 s 60 ^/^ sicher syphilitisch waren. „In der Mehrzahl der Falle Ton Tabes
ist eine syphilit^he Durchseuchung des Organismus vorausgegangen und für diese
Fälle ein enger Znsammenhang zwischen beiden Erkrankungen höchst wahrscheinlich."
Schoenthal.
21) Zur OaauiBtik der Faychosen bei Tabee, von Dr. 0. Hebold, Sorau. (Allg.
Ztschr. f. P^chiatrie. 1887. Bd. XLIY. H. 1.)
H. .schildert eingehend zwei Fälle, in denen sich neben einer Degeneration der
Hinterstränge und unabhängig von derselben eine Geistesstörung entwickelte. Im
ersten Fall handelte es sich um eine hinzukommende Manie (oder vielmehr eine
hftllacinatorische Paranoia. £ef.) mit Hallucinationen und Zwangsvorstellungen ohne
geistige Schwäche. Die Psychose heilte, seit 1^/^ Jahren ist Fat. geistig gesund.
Im zweiten Falle lag der hinzutretenden Psychose ein Stirnhirnsarcom, welches
die beiden oberen Gyri front sin. einnahm, zu Grunde. Die Krankheit verlief unter
dem Bild einer Taboparalyse. Pat. schwankte nach rechts und hatte ausser den
tabischen Symptomen eine Parese des rechten Facialis und Hypoglossus sowie hesi-
tirende Sprache und epileptische Krämpfe mit Augen- und Kopfdrehung nach linkä
und schlaffem rechten Arm. Th. Ziehen.
22) Ueber hereditäre Ataxie. Ein Beitrag bu den primären oombinirten
Systemerkrankungen des Büokenmarks, von Dr. L. Bütimeyer, Basel.
(Virchow's Arch. 1887. Bd. CX. Heft 2.)
Yerf. hat jetzt die genaue mikroskopische Untersuchung von zwei der von ihm
im Jahre 1882 mitgetheilten Fälle^ von hereditärer Ataxie machen können, von
Heinrich Kern (Fall 9) und Bertha Kern (Fall 11), und berichtet darüber in
der vorliegenden Arbeit. Beide Fälle ergaben ein fast vollkommen gleiches Resultat:
Gehirn ohne wesentliche Abnormität (die atrophirte Medulla oblongata ist nicht genauer
untersucht). Am Bückenmark eine strangweise Entartung, welche ganz dem Bilde
der gewöhnlichen Tabes entsprach. Diese hatte in den Seitensträngen genau das Gebiet
der Pyramiden-Seitenstrangbahneu und der Kleinhim-Seitenstrangbahnen ergriffen; in
den Hintersträngen die Goirschen Keilstränge (am hochgradigsten, resp. den diesen
entsprechenden Theil) und die ihnen angrenzenden Partien, während die lateralsten
TheUe der Hinterstränge ziemlich frei geblieben waren. Femer waren die Clark er-
sehen Säulen durchaus degenerirt und zwar nicht nur ihre Fasern, sondern auch ihre
Ganglienzellen. An der grauen Substanz überhaupt, speciell der Hinterhörner, zeigte
sich senst keine Yeränderung, auch nicht in der Biandzone der Hinterhörner. Auch
^ ef. d. Centralbl. 1888. S. 114.
— 26 —
die Pyramiden-Yorderstrangbahnen waren ganz intact, die hinteren Wurzeln dagegen
degenerirt
Indem Verf. seine Befunde mit den früher mitgetheilten vergleicht, constatirt
er die ziemlich genaue Uebereinstimmung mit den Friedreich'schen, von Schnitze
untersuchten Fällen. Die von Letzterem gefundene Banddegeneration des Bücken-
marks (die der Pia anliegende Peripherie) möchte B. als etwas Accessorisches ansehen
und auf das Alter der Friedreich*schen Fälle schieben: sie wurden nach 23- resp.
30jähriger Krankheitsdaner untersucht, die B/schen F&lle dagegen nach 13- resp.
9jährigem Bestehen des Leidens (Heinrich Kern war 20, Bertha Kern nur 14 Jahre
alt geworden).
Von den sogenannten combinirten Systemerkrankungen des Bückenmarkes unter-
scheiden sich B.'s Fälle klinisch sowohl wie anatomisch, wenn auch mancherlei auf-
fallende Aehnlichkeiten des anatomischen Befundes vorhanden sind.
Was die Tabes (sog. „classische'' Tabes) betrifft, so stimmt mit dieser Art daä
Befallensein der Hinterstränge bei den B.*schen Fällen von hereditärer Ataxie ganz
gut überein, aber daneben sind hier Fasern und Zellen der Clarke'schen Säulen degene-
rirt, die Bandzone der Hinterhömer ist frei; bei der Tabes dag^en sind die Zellen
der Ciarke'sohen Säulen unbetheiligt, Bandzone der Hinterhömer entartet; und bei
Tabes findet sich auch nicht die streng systematische Degeneration der Pyramiden-
und Kleinhim-Seitenstrangbahnen.
Auf die interessanten Bemerkungen des Yerfs., auf Grund seiner Befunde, über
das Yerhältniss der einzelnen Stränge und grauen Säulen des Bückenmarkes zu ein-
ander, über ihre Beziehungen zur Sensibilität und motorischen Kraft, zur Ataxie u. s. w.
kann hier nur hingevriesen werden. Erwähnt sei nur noch, dass B.*s Befunde die
Westpharsche Annahme von der Abhängigkeit des Patellarphänomens von der sog.
Wurzeleintrittszone im Uebergangstheil des Dorsalmarkes in die Lendenanachwellung
durchaus stützen.
„Die hereditäre Ataxie ist eine selbständige und einheitliche Krankheitsgruppe,
eine combinirte primäre (parenchymatöse, nicht interstitielle) Systemerkrankung auf
hereditärer Grundlage." Hadlich.
23) Zur Lehre von der Ataxie. Acute Bulbärlähmung. — Friedreioh'-
8ohe Tabes« von Dr. med. F. Mendel in Essen a. d. Buhr. (Berl. klin. Wocb.
1887. Nr. 41.)
1. Fall von Bulbär-Apoplexie bei einem 61jährigen Manne mit Lähmung des
rechten Facialis und Parese des linken Armes; Sprache anfangs ganz unverständlich,
später sehr verwaschen, da die Gonsonanten nur undeutlich oder gar nicht aus-
gesprochen werden; starke SaUvation, Schlingstörungen; Sensibilität vollkommen intact,
am rechten Arm und an beiden Beinen keine Spur von Lähmung, Haut- und Sehnen-
reflexe normal, aber hochgradige Ataxie aller vier Extremitäten. Verf.
diagnostidrt eine Blutung in der rechten Hälfte des Pons unterhalb der Facialis-,
oberhalb der Pyramidenkreuzung, und betrachtet den Fall als eine Bestätigung für
das Bestehen einer bulbären centralen (ein Coordinationscentrum betreffenden) Ataxie.
Charakteristisch für solche sieht er das Symptom an, dass bei Augenschluss die
Ataxie nicht vermehrt wird, wie bei der sensorischen Ataxie.
2. Fall von Friedreich 'scher hereditärer Tabes bei einem 4t^l ^i^hr. Mädchen,
dessen älterer Bruder 4^2 Jahre alt an derselben Krankheit gestorben war. Bei
beiden Kindern Hess sich der Beginn des Leidens in der ersten Hälfte des zweiten
Lebensjahres feststellen. Eltern blutsverwandt. — Hier besteht Strabismus con-
vergens, leichtes Oscilliren der Augen beim Fixiren, Hin- und Herfahren der Zunge
beim Herausstrecken, leichte Ataxie der oberen Extremitäten, Sprache langsam,
monoton, undeutlich, tief. Keine Lähmungen, keine sensiblen Störungen der Extremi-
— 27 —
täten, Fehlen des Kniephänomeus beiderseits» starke Ataxie der unteren Ex-
tremitäten ohne Beeinflussung durch den Augenschluss, also centrale
Ataxie. Auf diese abweichende Art der Ataxie von der tabischen, die immer
(immer? Bef.) sensorisch ist, gründet Verf. die Ansicht, dass die Friedreich'sche
Tabes eine Krankheit sei generis, nicht eine gewöhnliche Tabes dorsalis der
Kinder sei. Hadlich.
Psychiatrie.
24) Aeoherohes sur l^ötiologie de la paralysie gänörale ohes lliomme, par
J. Christian. (Arch. de Neurol. 1887. Bd. XIY. p. 205.)
Verf. zieht seine Schlüsse aus 340 Beobachtungen paralytischer Männer. Er
bemerkt einleitend, dass die Paralyse schon in ältester Zeit existirt habe, wenn sie
auch erst seit 1822 beschrieben sei; wenn sie auch jedenfalls gegen frühere Zeiten
an Frequenz zugenommen habe, so sei doch eine wesentliche Steigerung in Paris im
letzten Jährzehnt nicht zu constatiren. Das Lieblingsalter sei zwischen 30 und 50;
in der Hehrzahl trifft die Paralyse Yerheirathete. Sie beföllt Angehörige aller Glassen
und Schichten der Bevölkerung; das Militär erscheint bevorzugt, in erster Linie die
Officiere, besonders nach dem Feldzuge 1870 — 71. In Ansehung der Heredität
weicht die Paralyse nicht erheblich von den anderen Psychosen ab. Dem Alkohol
kann Ch. nur eine sehr beschränkte Bolle zuerkennen; auch die Excesse in venere
betrachtet er nur als Nebenursache. Dem Tabaksmissbrauch streitet er ebenfalls den
Platz; desgleichen der Syphilis. Kopfverletzungen bewirken an und für sich auch
keine Paralyse; Insolation, strahlende Wärme bei verschiedenen Handwerkern und
Kälte stellen ein geringes Gontingent. Wichtig sind Yorkrankheiten, insbesondere
des Nervensystems, welche „einen Stachel'', einen Locus minoris resistentiae, im
Centnüapparat zurücklassen. — Epileptiker werden selten paralytisch; etwas häufiger
die Tabiker, welche aber auch an anderen Psychosen erkranken können. Gesichtsrose
bat nur einer seiner Kranken gehabt, der auch noch andere Ursachen zur Paralyse
aufwies. In Summa: Die Wirkung acuter oder chronischer Krankheiten zur Ent-
stehung der Paralyse ist eine geringe. Kummer und Schreck sind auch nicht in
höherem Grade als wirksam nachzuweisen; es ist ein Zusammenwirken vieler
Ursachen nöthig, welche an Einzelnen nichts Specifisches haben. Was Gh. ge-
funden zu haben glaubt, ist dieses: Fast alle seine Paralytiker waren von mittel-
mässiger B^abung; die brillant Beanlagten hatten zugleich einzelne Defecte, keiner
zagte gleichmässig hohe Intelligenz. Solche Naturen ertragen den Kampf um's
Dasein schwerer wie Andere; die Anforderungen des Lebens und ihre Stellung be-
wirken im Verein mit den oben erwähnten Nebenursachen die Erkrankung an Paralyse.
Es ist daher die Ueberanstrengung, das Missverhältniss zwischen Fähigkeit und
verlangter Leistung, welche in letzter Linie bei Prädisponirten die Paralyse herbei-
führt In demselben Maasse, wie die Ueberangestrengten zunehmen, wird auch die
Paralyse häufiger werden. Siemens.
25) Beitrag zur Aetiologie und Therapie der Dementia paralytioa, Inaugural-
Dissertation von Walter Levinstein. Berlin 1887. (29 Seiten.)
In Hinsicht auf die Lehre über den Zusammenhang zwischen Paralyse und Lues
hat der Verf. die seit ekdk 25 Jahren in der Maison de sant^ zu Schöneberg
behandelten, geeigneten Fälle von Paralyse in Betrachtung gezogen, indem er hanpt-
sichlich die Behandlungsweise der voraufgegangenen Syphilis und die Erfolge der
nach dem Ansbrnch der Paralyse eingeleiteten spedfischen Cur in*s Auge fasste. In
der einschlägigen Literatur hat der Nutzen derartiger therapeutischer Maassregeln
— 28 —
eine sehr verschiedene Beurtheilung gefanden. Den Eintritt von Remissionen auf
Bechnnhg der angewandten Therapie zu setzen, erscheint unstatthaft, da dieselben
auch spontan bei vielen Paralytikern auftreten. Auch dürfte bei der Beurtheilung
der Heilerfolge eine Verwechselung mit Lues cerebri zuweilen untergelaufen sein, da
dieselbe im Beginn ähnlich wie die progressive Paralyse auftritt (Augenmuskel-
lähmungen, psych. Störungen, apoplectlforme Anfälle etc.). Verf. führt 32 Kranken-
geschichten in tabellarischer Form an, mit Angabe der Zeit der Infection, des Aus-
bruchs und Aui^angs der Paralyse und der Behandlung vor und nach dem Ausbruch
derselben. Einige wenige Remissionen neben zahlreichen ungünstigen Ausgängen
wurden festgestellt. Trotz schneller, langdauernder und gründlicher Behandlung der
Syphilis erfolgte in vielen Fällen von Lues späterhin dennoch der Ausbrach der
Paralyse; ebenso waren die mannigfaltigen Curversuche bei den bereits psychisch
Erkrankten erfolglos. Schliesslich sieht Verf. eine Hülfe gegen die Paralyse auf
syphilitischer Grundlage nur in der Verhinderung der Weiterverbreitung der Syphilis.
Kalischer.
26) Ueber Jaokson'sohe Epilepsie und Psychose, von Prof. £. Mendel.
(Allg. Ztflchr. für Psychiatrie, 1887. Bd. XLIV. H. 1.)
Ein 32 jähriger Kaufmann, bei dem ätiologisch nur Excesse im Rauchen nach-
zuweisen waren, erkrankte Juni 1882 unter den Erscheinungen cerebraler Meningitis
(Kopfschmerzen, Fieber, Erbrechen, Fieber bis zu 40,5 ^ 120 Pulse, allgemeine Gon-
vulsionen und Delirien und Albuminurie). Nach 14 Tagen liessen die Erscheinungen
nach. Es blieb zurück eine constante Percussionsempfindlichkeit einer etwa Mark-
stück grossen Stelle auf dem Tub. parietale dextr., femer linksseitige Pupillen-
erweiterung und -Trägheit und linksseitige Facialisparese. Dazu kamen häufige
Anfalle Jackson'scher Epilepsie: Kaltwerden der Finger der linken Hand, dann
taubes Gefühl und leichte Fingerbeugung, dann Aufsteigen des Taubheitsgefühls zum
Arm, zur linken Gesichts- und Zungenhälfte, ^darauf momentanes SchwindelgefQhl.
Zwischen diesen Anfallen kam es dreimal zu einem völlig ausgebildeten epileptischen
Anfall mit psychischen Störungen.
Im Juli 1884 trat im Anschluss an heftige Gemüthsbewegungen tobsüchtige
Erregung ein. Der Fall verlief nun äusserlich unter dem Bild einer progressiven
Paralyse. Epileptische Anfalle (nicht corticaler Natur) wiederholten sich noch öfter.
Im April 1885 erfolgte der Tod.
Die Section bestätigte die diagnostische Annahme einer Schwarte als Residuums
einer acuten diffusen Meningitis über der mittleren und unteren Partie beider rechts-
seitigen Gentralwindungen. Dieselbe hatte eine Dicke von 2,5 mm und eine Aus-
dehnung von 2qcm. Nur hier haftete die, namentlich rechts, auch sonst verdickte
Pia an der Hirnrinde an. Nur hier Verschmälerung der Windungen, sonst normaler
makroskopischer und mikroskopischer Befund in der Hirnrinde. Von der Schwarte
aus, die selbst für die AnßJle corticaler Fpilepsie und die Constanten Paresen ver-
antwortlich zu machen ist, entwickelte sich gelegentlich eine allgemeine Reizung der
Himsubstanz, die zu epileptischen Anfö.llen führte, und schliesslich eine weitere
Beeinträchtigung der Kindenfunction, die mittelst chronischer Meningitis zu den
Symptomen der progressiven Paralyse führte.
Da keine Encephalitis interstit. cortic. bestand, trennt M. den Fall von der
Paralyse. Er führt dann drei weitere ähnliche Fälle an, in denen gleichfalls corticale
Epilepsie das Bild einer Paralyse einleitete, aber die Section nicht gemacht werden
konnte. Auch in diesen war der Heerd rechtsseitig. Zum Schluss wird ein Fall
angeführt, in dem im Anschluss an eine Jacks on'sche Epilepsie mit Ausgangspunkt
in der linken Hemisphäre ein Zustand von Paranoia sich entwickelt.
Th. Ziehen.
— 29 —
27) Paralysie gdnörale. BouHmie-ABphyzie par les aliments, par Bonn et.
(Progr. m6d. 1886. Nr. 50.)
Ein gefrässiger Paralytiker starb in vorgerficktem Erankheitsstadinm an Er-
stickung; bei der Autopsie fand sich die Trachea bis zur Bifurcation mit Speiseresten
angeffilli — B. versucht das Hineingleiten von Speisen in die LuftrOhre bei Para-
lytikern nicht bloss durch die schwachsinnige Art, mit der solche Patienten zu kauen
and zu schlucken pflegen, zu erklären, sondern er ist auch geneigt, eine Becurrens-
lähmnng anzunehmen, welche die Wirkung des M. corytemoideus aufhob. — Durch
eine Lähmung dieses Muskels werde der Verschluss der Epiglotte beim Schluckact
zur Unmöglichkeit. Die Gefrässigkeit bei Paralytikern soll nach einer weiteren Hypo-
these Bonne t*s auf einer Yaguslähmung beruhen; die betreffenden Erscheinungen der
Boulimie wären dann den bekannten Glaude-Bernard'schen Experimenten (Yagus-
darchschneidung in der Mitte des Halses) analog zu deuten. L aquer.
28) Zur OMoiBtik der progressiven Paralyse der Irren, von Dr. L. Acker,
Mosbach. (AUg. Ztschr. f. Psychiatrie. 1887. Bd. XLIY. H. 1.)
14 Fälle werden kurz geschildert und mit den herrschenden Ansichten Aber
Paralyse zusammengestellt. In einem' FalT weiblicher Paralyse lag anamnestisch
eine in der Jugend überstandene Melancholie vor; der Ehemann war ebenfalls Para-
lytiker und die Kranke hatte dreimal abortirt. In einem andern Fall (Mann) trat
nach 4jähriger Erankheitsdauer 2jährige Remission ein, die Gesammtdauer betrug
8 Jahre; interessant ist ein an Chorea magna erinnernder paralytischer Anfall (Ro-
tationen und Stampfbewegungen). Th. Ziehen.
III. Aus den Oesellsohaften.
Berliner Gtosellsohaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung vom
12. Dec. 1887.
1. Herr Oppenheim stellt einen Kranken vor, bei welchem das gleiphseitige
Bestehen von Morbus BasedowU und Morbus Addisonii wohl ein Unicum
darstellt Es besteht ad I: 1. Starker Exophthalmus; die Oberlider blieben zurück
bei der Blickrichtung nach unten; sonst an den Augenmuskeln nichts Abnormes.
2. Beträchtliche Struma. 3. Pulsfrequenz 160 — 180; bei sehr starker Herzhyper-
trophie ein schwacher und unregelmässiger Puls. — Es besteht femer deutliches
Zittern, das bei Bewegungen zunimmt, sowie auch die Mehrzahl der Nebensymptome,
die bei Morb. Basedowii beschrieben sind; alles seit langer als 10 Jahren.
Daneben findet sich nun ad U eine deutliche, z. Th. recht starke Bronzefarbung
der Haut, namentlich an der Glans penis, am Fraeputium, am Scrotum und Abdomen;
Oberschenkel-Innenfläche, Waden, Stellen der Hände zeigen es deutlich, wobei die
Erscheinung besonders dadurch auffallend wird, dass neben den dunkeln scharf ab-
gesetzt helle Hautstellen stehen. Auch die Schleimhäute, Lippen, Gonjunctiva haben
dunkle Stellen. Dabei allgemeine Schwäche, Apathie, Gedächtnissschwäche, Sensi-
bilitatsstdruugen, Erbrechen u. s. w. — 0. erinnert daran, dass man ätiologisch fflr
beide Krankheiten Störungen am Sympathicus beschuldigt resp. nachgewiesen hat.
(0. macht nachträglich folgenden Zusatz: Im British med. Joum. hatDrummond
am 14. Mai 1887 Ober abnorme Pigmentirungen bei Morbus Basedowii Mittheilungen
gemacht und ausser Yitiligo besonders Bronzefarbung hervorgehoben.)
2. Herr Hans Yirchow: „Heber grosse Granula in Nervensellen des
Kaoinohenrackenmarks." Da Altmann neuerdings die Granuhi der Neryenzellen
^ herrorgehoben und ihnen eine so wichtige Bolle zugesprochen hat — eine Frage,
— 80 —
auf die der Vortragende hente nicht eingehen will — so glanbt Y. Aber das Vor-
kommen solcher grossen Granula in den Ganglienzellen des Bückenmarks von Kaninchen
und Meerschweinchen berichten zu sollen. Sie sind theils rund und eckig, theils —
nämlich gegen die Fortsätze hin und in denselben — lang gestreckt, und liegen in
einer Schicht etwas unterhalb der Zellenoberfläche. Ben da uud Tannhofer haben
dies beschrieben. V. möchte besonders seine Darstellnngsmethode dieser zarten Ge-
bilde betonen: er injicirte 1^/^ blutwarme Ghromsäurelösung den Thieren und härtete
d^n mit Alkohol. Die Färbung gelang am besten mit Hämatoxylin und dem vom
Vortragenden schon seit längerer Zeit benutzten Chinolin-Both.
Herr Ben da findet in den Angaben des Vortragenden die Bestätigung seiner
früheren Mittheilungen und stellt eine grössere Arbeit über diesen Gegenstand in
Aussicht. Eine bestimmte Erhärtungs- und Färbungsmethode hält er nicht für noth-
wendig oder maassgebend, aber es scheint das Vorkommen der Granula an eine be-
stimmte Entwickelung, ein gewisses Alter der Thiere gebunden zu sein. B. sali sie
bei Adamkiewicz an Präparaten von einem jugendlichen Menschen; femer gut an
Katzen. B. glaubt nicht, dass sie mit den Altmann*schen Granula etwas zu thun
haben.
3. Herr Kronthal: „Ueber Heterotopie grauer Substana im Bücken-
mark." (Der Vortrag erscheint demnächst in dieser Zeitschrift in extenso.)
4. Herr Siemerling: Ein Fall von hereditärer Hirn- und Büokenmarks-
Syphilis. (Mit Demonstration von Präparaten.)
Das 12jährige Mädchen wurde im November 1886 in die Charit^ aufgenommen.
Der Vater hat Lues gehabt, die Mutter war gesund, machte 5 Entbindungen und
1 Abort durch. Fat. ist das älteste Kind. Ein Bruder leidet an Schwindel und
Kopfschmerzen. Die Fat. erlitt im 4. Jahre einen Schlaganfall mit Sprachverlust
und rechtsseitiger Parese. Die Sprache kehrte wieder, rechtsseitige Schwäche blieb
bestehen. Im 6. Jahre wurde hochgradige Schwäche der Beine, Ataxie, beiderseits
weisse Papillen constatirt; Kniephänomene waren vorhanden; keine erheblichen Sensi-
bilitätsstörungen. — Im April 1886 Erbrechen und Schwindelanfälle, im Juni 1886
epileptoide Anfälle,. die alle 8 — 14 Tage wiederkehrten. Ende October Schwerhörig-
keit beiderseits. Im November Blindheit und fast vollständige Taubheit. Bei der
Aufnahme in die Charit^ fand man ausgesprochene Opticus-Atrophie, Nystagmus;
Sprache laut und gellend, rechter Mundwinkel etwas tiefer stehend ; Pai ging noch,
aber atactisch und über Schwindel klagend. Kniephänomene vorhanden. Intelligenz
nicht erheblich herabgesetzt. Es kam dann vor dem Exitus noch oft zu epileptoiden
Anföllen mit Bewusstseinsverlust, Urinentleerungen u. s. w.
Die Obducüon ergab ein stark hydrocephalisches Gehirn. Dura ganz dünn,
auch der Schädel stellenweise papierdünn. Die Arachnoidea lässt sich, mit der Pia
verwachsen, stellenweise nicht abziehen, und zeigt, besonders an der Basis, grosse,
dicke Wucherungen. Auch das Bückenmark ist in eine, von der Pia ausgehende,
verschieden dicke Schwarte eingehüllt.
Bei der mikroskopischen Untersuchung fand S., dass von der Pia zapfenförmige
Fortsätze, stark mit Bundzellen durchsetzt, in die weisse Substanz des Rückenmarks
eindringen; die graue Substanz wird dadurch zurückgedrängt, aber nicht von den
Zapfen erreicht. — Die Heubner'schen Gefässveränderungen sind am Gehirn besser
zu sehen, als am Bückenmark. Die Bückenmarks- Wurzeln sind dabei ziemlich intact
geblieben.
Was die Bildung dieser syphilitischen Granulationsgeschwülste anbetrifft;, so
schUesst sich S. der Ansicht an, welche Schnitze vertritt, dass nämlich der Process
in den Meningen, Gefässen und dem Bindegewebsgerüst der Nervensubstanz seinen
Ausgang nimmt und das eigentliche Nervengewebe nur secundär in Mitleidenschaft
gezogen wird. Hadlick.
— 81 —
SaoiM de Biologie, Paus. Sitzung: vom 22. October 1887.
Zur Frage der Lähmungen neuritisoher Natur bei Tabes, von A. Pitres
und L. Vaillard.
Bei einem Tabischen trat 8 Monate vor dem Tode eine Paralyse des M. levator
palpebrae sap. and mehrerer anderen Aagenmuskeln linkerseits ein. Bei der Section
fand sich — ausser der grauen Degeneration der Hinterstränge und der hinteren
Woneln — eine Atrophie der gelähmten Augenmuskeln und ihrer Nerven. Da
niclit alle Aeste des Oculomotorius atrophirt waren, die betheiligten aber in recht
verschiedenem Grade, so scbliessen die Yerff., dass hier keine nucleare Lähmung
vorliegt (untersucht haben sie den Kern nicht), sondern eine Neuritis.
lieber die Beziehungen des Nervensystems zur Ernährung des Körpers,
von Dr. Manuel Leven.
Verf. hat durch lange fortgesetzte Untersuchungen gefunden, dass bei „Erkran-
kmigen des Nervensystems" die Hamstoffausscheidung sehr herabgesetzt (auf ^1^ — ^j^),
dass die Zahl der rothen Blutkörperchen um mehrere Millionen verringert wird, dass
das Fettgewebe entweder stark vermehrt oder stark vermindert wird.
Hadlich.
IV. Mittheilung an den Herausgeber.
Hochverehrter Herr College!
Nummer 10 (15. Mai 1887) Ihres geschätzten Centralblattes filr Neurologie
enthält einen Artikel von Dr. de Watteville „über die Lähmung der Convergenz-
bewegnng des Auges im Beginne der Tabes doröalis".
Ich bedauere, dass dem Autor eine wohl ein Jahr ältere Publication von mir
über dasselbe Thema entgangen ist. Dieselbe findet sich auf p. 504 meines Werkes,
über „The Refraction and Accommodation of the Eye'' (Publ. by Young J. Pentland.
Edinbnrgh 1886).
Dann ist die Insuffidenz des Convergeozvermögens sehr eingehend behandelt,
and als Symptom verschiedener neuropathischer Zustände, namentlich aber der Tabes
dorsalis deutlich angegeben. Als Beleg führe ich zwei Fälle von Tabes an, die mein
damaliger Assistent, Herr Dr. Hübscher, beobachtet hat.
Dürfte ich bei dieser Gelegenheit vielleicht noch auf eine andere einschlägige
Arbeit verweisen, die ich im Jahre 1885, unter dem Titel: die Insufficienz des Con-
vergenzvermögens, der Heidelberger Ophthalmologen-Versammlung vorgelegt habe.
Sie würden mich, hochverehrter Herr College, sehr verpflichten, wollten Sie
diesen Zeilen die Aufnahme in Ihr Centralblatt gestatten. Empfangen Sie dafür zum
Voraus meinen herzlichen Dank, und die Versicherung der Hochachtung Ihres ergebenen
Paris, 7. Dec. 1887. Dr. E. Landolt.
Berichtigung.
In dem Beferate über die 12. Wanderversammlung der südwestdeutschen Neuro-
logen und Irrenärzte im Arch. f. Psychiatrie findet sich Seite 7 (des Separatabdruckes)
die Notiz, dass ich in der Discussion über den Rumpf 'sehen Vortrag behauptet haben
»oll, dass „die Veränderungen bei Dementia paralytica keine syphilitischen'^ sind. Ich
würde sehr bedauern, wenn ich meine Meinung über diese Angelegenheit in so un-
klarer Form gesagt hätte, dass die Herren Referenten mich so verstehen mussten,
wie sie es gethan haben.
Ich glaube im Gegentheil durchaus an nähere Beziehungen zwischen der De-
mentia paralytica und der Syphilis, wie ich das auch an die Spitze meiner Bemer-
kongen stellte. Die Rumpf* sehen Präparate und die anatomischen Befunde bei
Dementia paralytica überhaupt scheinen mir nur nicht zu beweisen, dass es sich
— 32 —
um specifisch syphilitische Ver&nderuDgen handelt; das Gegentheil wird aber durch
sie ebenfalls nicht bewiesen.
Dorpat, den 25. December 1887. Prof. Schnitze.
V. Personalien.
Am 1. December 1887 starb zu Berlin Prof. Arthur Christian! im Alter
von 44 Jahren. Auch die Neurologie verliert in ihm einen hervorragenden Arbeiter.
Bekannt nach dieser Bichtung ist besonders seine im Jahre 1885 erschienene Mono-
graphie: „Zur Physiologie des (Jehims."
In Paris starb im Alter von 57 Jahren Achille Foville, einer der Bedacteure
der Annal. m^d. psychologiques, auch in Deutschland wohl bekannt durch eine BeihB
trefflicher psychiatiischer Arbeiten, die zum Theil im Dictionnaire de m^d. et Chirurg.
pratiqueSi zum grössten Theil in den Annal. m^d. psycholog. erschienen sind, und
besonders sich mit der progressiven Paralyse beschäftigten.
VI. Vermischtes.
Im Bicdtre bei Paris wurde am 3. August 1887 eine Marmojtafel von dem Prafecten
der Seine feierlich enthüllt zu Ehren J. B. Pussin's, eines früheren Kranken and spateren
Wärters der Anstalt, welchen Pinel „seinen besten Mitarbeiter" genannt hat. Derrräfect
hielt eine warme Ansprache an das Wartpersonal , welche mit den Worten schloss: „Wir
hoffen, unter Ihnen Nachfolger Possin's za finden, welche verdienen , ihren Namen auf die
Steinblä^r des Buches einzugraben, das wir heute eröffnen." Siemens.
Gase of oerebellar Ataxia in kitten. (The British med. Joum. Nov. 5. 1887. p. 997.)
Herringham brachte in die Londoner medicinische Gesellschaft eine Junge Katze mit,
welche eine bemerkenswerthe Form von Störung der Coordination zeigte. Sie war eine vod
vier gleichzeitig geworfenen, die alle gleicherweise afficirt waren. Es bestand keine eigent-
liche Lähmung, sondern nur Unfähigkeit, das Gleichgewicht zu halten. Die Antojwie bei
einer dieser Katzen ergab Degeneration der Bumpfstreckmusculatar und Atrophie des mittleren
Lohns des Cerebellnm. L. Lehmann (Oeynhausen).
Preisanfgaben.
Die Acad^mie de M^ecine zu Paris hat für 1888 u. A. folgende Preisaafgaben gestellt:
Preis Civrieui (800 frs.): Die Gefaörshallacinationen.
Preis Falret (1500 frs.): Ueber die Beziehungen zwischen der allgemeinen Paralyse
und der Gehumsvphilis.
Preis für die Hygiene des kindlichen Alters (1000 frs.): Ueber Paralysen in den beiden
ersten Lebensjahren, ihre Ursachen und ihre Natur sind durch klinische Beobachtungen
festzustellen.
Für das Jahr 1889:
Preis der Academie (1000 frs.): Physiologie des Nervus pneumogastricus.
Preis Oivrieux (800 frs.): Ueber die Sensibilitätsstömngen bei Tabes.
Für das Jahr 1890:
Preis Falret (1000 frs.)! Ueber diathesische Psychosen.
Preis Lef^vre (1800 frs.): Die Melancholie.
Preis Portal (600 frs.): Das Mal perforant.
Preis P curat (900 frs.): Durch präcise Experimente ist zu bestimmen, ob es ein oder
mehrere respiratorische Centren giebt
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20.
Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzgbb & Wittio in Leipzig.
iüROLOGISCHESCENTRALBLAn.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskranicheiten.
Herausgegeben yon
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter *" ^'"**- Jahrgang.
Monitlieh erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zn beziehen durch
alle Boehhandlangen des In* und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
m 15. JanMr. m2,
Inhalt I. OriginalmiHhellungen. 1. üeber einen Fall yon hereditärer Chorea der Er-
wachsenen, Ton Dr. Zacher. 2. Ein Fall yon Dyslexie (Bbblin) mit Störungen der Schrift,
TOD Dr. Ludwig Brunt.
II. Referate. Anatomie. 1. Notiz zur Ner?enfarbung. üeber 2 gesonderte Nerven-
bfiodel in der grauen Axe des menschlichen Bückenmarkes, von Pal. — Exn crimen teile
Physiologie. 2. Das Bindenfeld des Facialis u. seine Verbindungen bei Huna u. Kaninchen,
Ton Exner und Paneth. 8. Studien über die Innervation der Athembewegungen, von Langen-
M. 4. Untersuchung der Erregbarkeit einzelner Bückenmarksstr&nge an neugeborenen
Thieren, von Bechterew. 5. Zur rhysiologie des FroBchgehirns, von Schrader. — Patho-
logische Anatomie. 6. Ueber Mangel des Balkens im menschlichen Gehim, von Kaufmann.
7. Gase of osteophytes of the arachnoid, by Burton. 8. Darstellung und Beschreibung einer
intraaterin entstandenen Narbe in der rechten Hemisphäre des Gemrns einer chronisch B15d-
smDJgen, von Jensen. — Pathologie des Nervensystems. 9. Zur Genese des Intentions-
tremors« von Stephan. 10. Ueber einen Fall von multipler Sklerose des Centralnervensystems,
von Hess. 11. lieber multiple inselförmige Sklerose des Gentralnervensystems im Eindes-
alter, von Unger. 12. Contribution ä Tötude de la scl^rose en plaques ä forme paralytique,
par Gilbert et Llon. 18. On a case of early disseminated myelitis occurring in the ezanthem
stage of measles and fatal on the 11^^ day of that disease, by Barlow. 14. Ueber neuere
gnostige Formen von Hemiläsion des Bückenmarks, von Rosenthal. 15. Klinische Beiträge
w Kenntniss der Halbseitenläsion des Bückenmarks und der Spinalapoplexie, von NofVmann.
16. A case illustrating the differential diagnosis of tumour of the cord and tumour of the
caada equinus, by Oliver. 17. Ein Fall periodischer spinaler Lähmung, von Greidenberg.
16. Ueber periodische Oculomotoriuslähmunff, von Senator. 19. Migrame attacks followed
by temporary paralysis of the third nerve, oy Suchlinfj. — Psychiatrie. 20. On arrested
cerebral development with special reference w its corncal pathology, by Sachs. 21. De T^tat
de la dentition chez les enfants idiots et arri^r^ par Sollier. 22. Idiotie complöte symp-
tomatique d'une atrophie c^r^brale double, par Bourneville et Brilon. 28. Gases of suicidal
intent in congenital imbeciles, by Cobboio. 24. Tunghörte, Dove og Aandssvage, af Bull.
25. Läsionen des Gehöianparates und psychische Störungen, von Lannois. — Forensische
Psychiatric. 26. Du aiagnostic m^dico-l^al de la Pyromanie par Texamen indirect, par
lontyel. — Therapie. 27. De l'^pilepsie d^ongine cardiaque et de son trutement, par Georges.
28. Nuovi ipnogem (metilalo e idrato d'amileue), del Petrazzani. 29. Ueber die Berechtigung
der Csstnition der Frauen zur Heilung von Neurosen und Psychosen bei intactem Sexual-
system, von Wiilers. 80. De Taction de l'antipyrine sur Tun des centres thermiques enc^pha-
liques, par Girard. — Anstaltswesen. 81. Bericht über die Verwaltung der Provinzial-
IrrenHeil- und Pflege-Anstalt zu Neustadt in Westpr. für das Etatsjahr 1. April 1886/87»
Too Kroemer. 32. Bericht Über die Verwaltung der Provinzial-Irren-Heil- und lolege-Anstalt
zu Schwetz für das Etatijahr 1. April 1886/87, von Grünau.
IIL Aus den Gesellschaften.
IV. Bibliographie.
V. Psrsonallofl.
VI. Vermischtes.
— 34 —
I. Originalmittlieilungen.
1. üeber einen Fall von hereditärer Chorea der
Erwachsenen.
Von Dr. Zaoher in Stephansfeld.
In der neuesten Auflage seines Handbuches der speciellen Pathologie und
Therapie stellt Eichhobst gewisse Fälle von choreatischer Bewegungsstörung
als eine besondere Oruppe unter dem Namen hereditäre Chorea der Erwachsenen
zusammen. Diese Form der Chorea ist hauptsächlich dadurch charakterisirt,
dass sie in gewissen Familien erblich ist, erst im späteren Leben der betreffen-
den Individuen zur Entwickelung gelangt und unheilbar ist; femer noch da-
durch, dass die choreatischen Bewegungen im Gegensatze zur gewöhnlichen
Chorea durch den Willen vorübergehend unterdrückt werden können. Reine,
derartige Fälle sind bis jetzt sehr selten und ausser dem in letzter Zeit auf der
Züricher Klinik beobachteten und von Hübeb näher beschriebenen FsJle sind
nur noch 8 oder 4 Fälle genauer bekannt geworden, welche bereits Pebetti^
angeführt hat In Folge dessen dürfte die Mittbeilung des folgenden Falles von
Interesse sein.
W aus Bufach, zur Zeit 45 Jahre alt, wurde am 28. Juni d. J. in
die hiesige Anstalt aufgenommen. Anamnestisch ergab sich, dass der Kranke
eine schlechte Erziehung genossen hat, nicht lesen und nur seinen Namen
schreiben kann. Er ist früher stets gesund gewesen bis vor 4 Jahren, um
welche Zeit die jetzt bestehendo Bewegungsstörung, von der weiter unten die
Bede sein wird, anfing sich zu entwickeln. Seit etwa 2 Jahren ist er arbeits-
unfähig; seitdem soll er öfter sehr erregt und sehr reizbar sein, seine Frau miss-
handeln, gelegentlich in der Aufregung Alles zerreissen und zerstören, vras ihm
zwischen die Finger komme und eine sehr starke Esslust zeigen. Später kam
er in*s städtische Spital, zeigte auch dort gelegentlich stärkere Erregungszustände
mit Neigung zum Zerreissen und kam schliessUch, da er bereits mehrere Male
entwichen war, in unsere Anstalt.
W. ist ein mittelgrosses, ziemlich gut genährtes Individuum, dessen Schädel
und Gesichtsbildung, abgesehen von einer relativen Schmalheit der Stirn, nichts
Abnormes erkennen lässt In seiner äusseren Erscheinung fallen sofort eigen-
thümliche, ungeordnete und zwecklose Bewegungen auf, die sich anscheinend in
seiner gesammten, willkürüch innervirten Musculatur abspielen« Der Kopf wird
bald hierhin, bald dorthin gedreht, das Gesicht auf das Wunderlichste verzerrt,
indem bald diese, bald jene Muskeln in Action traten; die Arme und Beine
vollführen allerhand schleudernde und zappelnde Bewegungen, während der
Bumpf bald nach vorne, bald nach hinten oder nach den Seiten hin bew^
wird. Dabei sind im Allgemeinen die Bewegungen an den Extremitäten inten-
siver und häufiger als im Gedchte. Die Athmung ist, soweit sie durch das
Zwergfell bedingt wird, regelmässig, doch kommen nicht selten allerhand schluch-
zende und schlürfende Athemgeräusche vor. Der Gang wird durch die Be-
^ Berliner klin. Wochenschrift. 1885. Nr. 50.
— 35 —
wegosgen ganz erheblich gestört Patient vermag sich allerdings ohne Unter-
stützung allein fortzubewegen, doch geschieht dies in sehr auffälliger und müh-
seliger Weise. Bald macht er kürzere, bald längere Schritte, bald muss er
auc^ mitten im Gehen stehen bleiben, um unter den bestandig zappelnden und
schleademden Bewegungen der Gliedmaassen und des Oberkörpers das Oleidi-
gewieht zu behalten. Versucht man ihn mit geschlossenen Augen und Füssen
stehen zu lassen, so tritt keine Verstärkung, eher eine Verminderung der Be-
w^uDgoi auf.
Bei intendirten Bewegungen, z. B. beim Ergreifen eines Gegenstandes ver-
mag Fat. vorübergehend die Muskelunruhe in den betreffenden Muskelgebieten
za unterdrücken und die gewollte Bewegung ziemlich prompt und sicher aus-
zufahren, doch ffillt hierbei auf, dass er inmier eine gewisse Zeit gebraucht, ehe
er die Bew^;ung vollführt Sind die Bewegungen complicirter und nehmen sie
längere Zeit in Anspruch, wie z. B. das Aus- und Ankleiden, so werden die
Eiozelbewegungen, die mehr oder weniger in Absätzen geschehen, öfter von
ungeoräneten Bewegungen unterbrochen. Heisst man ihn seinen Namen schreiben,
so gelingt dies ziemlich gut; lässt man ihn aber denselben gleich darauf zum
zweiten Male schreiben, so gerathen die Buchstaben in einander und die Schrift
erhält einen choreatischen Charakter. Die Zunge kann nur schlecht vorgebracht
werden; hie und da gelingt es dem Kranken, zumal in seinen besseren Zeiten,
dieselbe ziemlich gerade vorzustrecken, zumeist aber macht er beim Hervor-
strecken aUerhand ungeordnete Bewegungen und gelegentlich bringt er sie über-
haupt nicht über die Lippen heraus, sondern wälzt sie vergeblich im Munde
herum. Die Sprache ist ziemlich monoton ; die einzelnen Worte kommen meist
weoig artieuürt, verschwommen heraus und lässt der Kranke beim Sprechen
öfter Pausen zwischen den einzelnen Worten eintreten. Die intendirten Augen-
bewegungen geschehen zumeist prompt, doch werden auch sie gelegentlich durch
unwülkürliche Bewegungen gestört. Fühlt der Kranke sich beobachtet, so tritt
nur eine geringe Verstärkung der choreatischen Bewegungen auf, dagegen ist
dieselbe sehr ausgesprochen, sowie der Kranke in Erregung geräth. Versuche
die Aufmerksamkeit des Kranken auf G^nstände zu concentriren oder aber
die gdstige Thätigkeit desselben sonstwie in erhöhtem Maasse in Anspruch zu
nehmen, lassen keine merkliche Absohwächung der Bewegungen erkennen. Im
Schlafe hören dieselben vollkommen auf. Zeitweise scheinen jedoch aus unbe-
kannten Gründen Unterschiede in der Stärke und Ausbreitung der Bew^ungen
TOTzukommen, wenigstens beobachtete man, dass zeitweise die Bewegungen ohne
nachweisbaren Grund viel schwächer und wenige ausgebreitet waren, als an
anderen Tftgen. Die Musculatur ist durchw^ gut entwickelt, die grobe moto-
rische^ Kraft nicht vermindert. Die Patellimr^exe sind beiderseits nicht ver-
stärkt, eher noch, wenigstens rechts schwächer als normal. Sonstige Sehnen-
reflexe sind nidit hervorzurufen. Die mechanische und reflectorische Muskel-
erregbarkeit ist nicht gesteigert Die elektrische Untersuchung ergiebt keine
abweichenden Besultate. Die Sensibilität scheint vollständig intact zu sein, soweit
sich dies bei dem wenig aufinerksamen Kranken feststellen lässt Im XJebrigen
— 36 —
bietet der Kranke wenig AuffiLlliges in seinem äusseren Verbalten dar. Er hält
sich rahig und geordnet, schläft ziemlich gut, entwickelt aber immer noch einen
sehr guten Appetit, den er seiner eigenen Angabe nach sät dem Beginne des
„Zittems^^ hat Eine stärkere Reizbarkeit und großsere Erregbarkeit wurde nur
zeitweise bei dem Patienten bemerkt, doch kamen eigentliche Aufiregungszustände
nicht vor. Dagegen Mt bei demselben eine gewisse Uneinsichtigkeit und Kritik-
losigkeit hinsichtlich seines eigenen Zustandes auf. Er behauptet beständig, zur
Arbeit fähig zu sein, trotzdem er daheim bereits 2 Jahre nicht mehr gearbeitet
hat und sich auch hier mehrere Versuche, einfache leicht« Beschäftigungen aus-
zuführen, als unmöglich erwiesen. Trotzdem kommt er immer wieder darauf
zurück, erklärt die Angaben, dass er daheim nicht gearbeitet habe, für Lügen,
die absichtlich gemacht worden wären, um ihn hierher bringen zu können.
Daneben deutet er auch noch sonstige Beeinträchtigungsideen an, von denen er
beherrscht zu sein scheint Der Maire und andere Leute hätten ihm allerhand
üebles zugefügt, hatten ihn von Hause fortgenommen und in's Spital gesteckt
und seien überhaupt Schuld daran, dass er „zittre" etc. Sowie er auf »dieses
Thema zu sprechen kommt, geräth er allemal in eine gewisse Err^^ng hinein,
wobei dann der ganze Körper durch die choreatischen Bewegungen hin und her
geschüttelt wird. Seine Litelligenz ist eine sehr massige, doch lässt sich nicht
genau feststellen, in wie fern die höchst mangelhafte Erziehung daran Schuld tragt.
Nachforschungen über die erblichen Verhältnisse des Patienten haben nun
das überraschende Resultat ergeben, dass die gleiche Bewegungsstörung sich
bereits in mehreren Generationen bei verschiedenen Familienmitgliedern gezeigt
hat Leider sind die erhaltenen Nachrichten trotz mehrfacher Bemühungen
ziemlich mangelhafte und hatte ich auch persönlich keine Oelegenheit, noch
andere von der Erkrankung ergriffene Familienmitglieder zu sehen. Die sicheren
anamnestischen Erhebungen, welche gemacht werden konnten, reichen zurück
bis auf die Grosseltem des Patienten und da ergiebt sich, dass der Grossvater
mütterlicherseits, sowie zwei seiner Brüder die gleiche y,ZitterkTankheit'' gehabt
haben, während eine Schwester desselben geisteskrank in einer Lrrenanstalt starb.
Ob Letztere auch die gleiche Erkrankung hatte, liess sich nicht mehr feststellen.
Von diesem Grossvater stammten 3 Kinder ab, zwei Söhne und eine Tochter.
Der eine Sohn lebt noch und hat dieselbe „Zitterkrankheit'S während der andere
draussen in der Fremde verstorben ist, ohne dass man etwas Näheres über sein
Schicksal anzugeben weiss. Die Tochter, die Mutter unseres Patienten, errachte
ein Alter von etwa 45 Jahren und hat mehrere Jahre vor ihrem Tode gleich-
falls an derselben Erkrankung gelitten. Auch von den Nachkommen der Brüder
des Grossvaters sollen verschiedene die „Zitterkrankheit'' gehabt haben, doch
liess sich Genaueres darüber nicht erfahren. Patient selbst hat zur Zeit noch
zwei lebende Geschwister, nämlich eine 47 Jahre alte, verbeirathete Schwester,
welche seit einigen Jahren von derselben Krankheit befallen ist und einen zur
Zeit 42 Jahre alten Bruder, bei dem sich vor Kurzem die ersten Spuren des-
selben Leidens eingestellt haben. Die vier Kinder des Patienten sollen bis jetzt
wenigstens gesund sein, doch soll das älteste, ein 12jähriges Mädchen, gelegent-
— 37 —
lieh Zucken im Oesichte haben. Leider haben wir keine näheren Nachrichten
darüber erhalten können, ob bei dem noch lebenden Onkel des Patienten, sowie
bei dem Grossvater und dessen Geschwistern die Bewegungsstörung auch erst
im späteren Alter, beziehungsweise nach dem 40. Lebensjahr aufgetreten ist,
doch lässt wohl der Umstand, dass die Betreffenden sich verheirathet haben,
darauf schliessen, dass auch bei ihnen die Störung erst im späteren Leben sich
entwickelt hat. Wir können also in unserem Falle die gleiche Erkrankung
durch 3 Generationen hindurch yerfolgen und finden dabei die bemerkenswerthe
Thatsache, dass bei denjenigen Familienmitgliedern, von welchen wir genau
anamnestische Daten besitzen, die Erkrankung anscheinend genau in demselben
Lebensalter, zwischen dem 40. und 42. Lebensjahre zur Entwickelung kam.
Ein ganz analoges Verhalten fand sich in den Fällen von Ewald und in dem
fiiCHHOBST-HuBEB'schen Falle, da in dem ersteren das 35—37., in dem letzteren
das 30. Lebensjahr die kritische Zeit war, in der die Bewegungsstörungen bei
den einzelnen Familienmitgliedern auftraten.
Nach der obigen Darstellung kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass
es sich in unserem Falle genau um die gleiche Störung handelt, wie sie Pesetti,
Ewald etc. beschrieben haben und die Eiohhobst mit Recht als eine Neben-
form der gewöhnlichen Chorea hinstellt. Denn das inmierhin auffallige Symptom,
dass die betreffenden Kranken im Stande waren, vorübergehend die ungeordneten
Bewegungen zu unterdrücken, dürfte allein kaum genügen, um einen wesent-
lichen Unterschied zwischen den beiden Erankheiteformen zu bedingen. Es
dürfte dies umsoweniger der Fall sein, wenn man bedenkt, dass jene Fähigkeit
vorübergebend die Bewegungen zu unterdrücken ganz erhebliche Schwankungen
erkennen lässt und zeitweise sogar vollständig verloren gehen kann. Wenigstens
worden bei unserem Patienten derartige erhebliche Schwankungen beobachtet
and zeigte es sich, dass Fat um so leichter und sicherer die choreatischen Be-
wegungen unterdrücken konnte, je schwächer und vereinzelter dieselben auf-
traten, dass er aber alle oder fast alle Herrschaft über dieselben verlor, wenn
sie h^tig und möglichst allgemein verbreitet waren. Eine Ursache für diese
auf läi^ere Zeit hin auftretenden Unterschiede in der Jn- und Extensität der
Bewegungen, denen man ja auch bei der gewöhnlichen Chorea begegnet, Hess
sich nicht nachweisen, dagegen beobachtete man, dass jeder Affect vorübergehend
die Bewegungen verstärkte. Für den innigen Zusammenhang der uns hier
interessirenden Fälle mit der gewöhnlichen Chorea spricht femer der Umstand,
dass ähnlich, wie in dem einen Falle von Pebetti, unser Patient in jenen
Perioden, wo die choreatischen Bewegungen sehr stark und verbreitet waren,
anch psychisch reizbarer, empfindsamer und heftiger war, nirgendwo Buhe fand
ond ungestümer nach Hause verlangte. Dieses parallele Zusammengehen von
motorischen und psychischen Erscheinungen findet man bekannüich auch nicht
selten bei der gewöhnlichen Chorea und sind es bei der Letzteren im grossen
Ganzen die gleichen psychischen Symptome, wie stärkere Reizbarkeit, Yerdriess-
Mkeit, Neigung zu zornigen Ausbrüchen etc., die analog wie in diesem Falle
in Perioden stärkerer Muskelunruhe sich bemerkbar machen.
— 38 —
2. Ein Fall von Dyslexie (Berlin) mit Störungen der
Schrift.
Von Dr. Ludwig Bruns, Specialarzt für Nervenkranke in Hannover.
Unter der Bezeichnung Dyslexie hat Prof. Beblin* in Stuttgart 6 Fälle
eines Erankheitsbildes beschrieben, das sich in Kürze etwa folgendermaa^en
charaktensiren lässt:
Zunächst und vor allem besteht eine Erschwerung des Lesens (Dys-lexia),
die es dem Kranken unmöglich macht, ^ine grössere Anzahl von Worten hinter-
einander zu lesen; vielmehr tritt meist schon beim 4. oder 5. Worte eine Un-
fähigkeit weiter fortzufiihren ein. Meist sind den Patienten diese Leseversache
äusserst unangenehm und mit deutlichen Zeichen des Widerwillens legen sie
die Leseproben, nachdem die Unmöglichkeit weiter zu lesen eingetreten ist, aus
der Hand. Nach einiger Zeit der Buhe kann ungeMr die gleiche Anzahl von
Worten wieder gelesen werden. Kie kommt es vor, dass die Patienten sich
verlesen. Störungen an den äusseren Sehorganen sind entweder überhaupt nicht
vorhanden (namentlich fehlen immer die Orundlagen der sogenannten Hebetudo
Visus wie nervöse, accommodative oder musculäre Asthenopie) oder dieselben (es
bestand z. B. Cataracta incipiens, Presbyopie, einmal auch r. Hemianopie) ver-
mögen das Symptom nicht zu erklären. Die Krankheit tritt meist plötzlich,
apoplectiform auf; manchmal ohne besondere Vorboten: nicht selten sind aber
ernstere cerebrale Störungen, Kopfechmerzen, Schwindelerscheinungen, äpoplecti-
forme Anfalle, auch aphatische Störungen vorhergegangen. In der Anamnese
wird öfter Lues erwähnt Das Symptom der Dyslexie ist von ernster prognostischer
Bedeutung: es weist jedesmal auf ein schweres cerebrales Leiden bin, welches
progressiv verläuft und in absehbarer Zeit zum Tode führt Es konmit im
späteren Verlaufe meist noch zu erneuten apoplectischen oder epileptiformen
Anfallen mit nachfolgenden Lähmungs- oder Beizerscheinungen: Fadaliszucken,
Hemiparesen, Pelzigsein der Extremitäten, welche Erschemungen immer die
r. Körperhälfte betreffen. In einem Falle entwickelte sich progressive Fiaraljse
Bei 4 Sectionen fand sich einmal ein linksseitiger Erweichungsheerd, zwei-
mal Arteriosklerose, besonders links, einmal der gewöhnliche Befund der allge-
meinen Paralyse: es waren also stets Läsionen der linken Hemisphäre zu finden.
Bebun glaubt berechtigt zu sein, die Krankheit als eine unvollkommene, isolirte
Wortblindheit zu bezeichnen und die Hypothese aufzustellen, dass der anatomische
Heerd der dyslectischen Störung möglicherweise im unteren Parjetalwulst der
linken Hemisphäre zu suchen sei. Ein diese Annahme stützender Sectionsbefund
wird durch eine Tafel erläutert, doch warnt B. in letzter Beziehung selbst vor
zu grosser Sicherheit.
^ WanderverBMDmliing südwestdentsoher Neurologen nnd Irrenärzte 18S8. Beferat im
Archiv f!lr Psychiatrie XY. S. 276 nnd Medecinisches Coirespondenzblatt des Württemberg.
ärztL Landesvereines LIIL 209. Ferner: Eine besondere Art von Wortblindheit (Dyslexie).
Wiesbaden. Bbbghann. Cf. Beferat am Schlosse dieser Nummer.
— 39 —
Die Schiift hat Berlin nicht untersucht. Nieden^ fand in einem sonst
gleichen Falle (3 apoplectische Heerde im linken (Corpus striatum) keine Störung
des Schreibens nach Dictat; die übrigen Schreibarten wurden nicht untersucht.
In diesem Falle traten die TJnlusterscheinungen bei Leseversuchen so stark auf,
dass KiBDEM yon Lesescheu (in Analogie zu Wasserscheu) spricht
Ich werde nun zunächst Krankengeschichte und Sectionsbefand meines
Falles so kurz wie möglich mittheilen. Die YeroflFentlichung wird sich, wie ich
glaabe, dadurch rechtfertigen, dass hier zum ersten Male in einem Falle von
Dyslexie die Spontanschritt und die Schrift nach Vorlage geprüft ist und dass
sie gewisse Abweichungen bot, die von allgemeinerem Interesse sind.
W. W., Eanfmaim aus Hannover, 46 Jahre alt. In hereditärer Beziehung kerne
Besonderheiten; der Yater starb am Gehirnschlag. Vor 20 Jahren Lues, ohne be-
sonder schwere secundäre Erscheinungen. Seit 7 Jahren in jedem. Frühjahr wieder-
kehrende Anfalle von Gelenkrheumatismus, der nach Angabe des Hausarztes auch das
Herz in Mitleidenschaft gezogen haben soll. Massiger Abnsus spirituosorum. Fat.
war zweimal verheirathet; ans erster Ehe stammen zwei noch lebende, taubstumme
Kinder, in zweiter Ehe sind zwei Kinder nach einigen Tagen gestorben, emes wurde
todtgeboren, zwei noch lebende Kinder sind anscheinend gesund, das jüngste erst
einige Monate alt. Seit zwei Jahren leidet Fat. an heftigen Schwindelanfällen, die
im Laufe eines Jahres 5 — 6mal eintreten, meist gegen Mittag. Der Schwindel ist
so heftig, dass Fat nmfällt: dabei tritt Schwarzsehen, hinterher auch Fhotopsien auf.
Nach den Anfällen heftiger Stimkopfschmerz, Erbrechen und Gedächtnissschwäche.
Am 13. Juni 1886, nachdem sich Fat. schon längere Zeit sehr schlecht befanden
hatte (häufiges Erbrechen, Kopfschmerz, Schwindel, schwankender Gang), trat un-
mittelbar nach einem stärkeren excessus in potu ein Schlaganfall auf. Dabei bestand
zwei Tage Bewusstlosigkeit, die linke Seite, auch Gesicht und Zunge, waren gelähmt.
Zunächst bestand auch motorische Aphasie: das SprachverständnJss war erhalten.
Hemiplegie und Aphasie besserten sich rasch und Fat. konnte bald wieder seinen
Geschäften nachgehen. Dafllr traten dann aber sehr bald unter steter Wiederholung
der oben beschriebenen SchwindelanföUe Störungen im Lesen ein, die uns unten näher
beschäftigen werden und äusserst heftige SchmerzanföUe, die von der Höhe der
6. Bippe links dicht neben der Wirbelsäule ausgingen, zum Kopfe aufstießen, in
beide Arme ausstrahlten und sich fast stündlich wiederholten, sodass Fat. beabsich-
tigte, sein Geschäft aufzugeben und nur der Behandlung seines schweren Leidens zu
leben. Diese SchmerzanfäUe waren es, die den Hausarzt Herrn Dr. Jükes veranlassten,
mir den Fat zu überweisen: derselbe hat dann die weitere Behandlung und wissen-
schaftliche Yerwerthung des Falles in liebenswürdigster Weise mir ütwrlassen.
Am 12. März 1887 Mittags nahm ich unter gütiger Hülfe des Augenarztes
Herrn Dr. Stöltikq von hier bei dem Fat. folgenden Status auf: Am Schädel äusser-
lich keine Abnormität; das Beklopfen besonders am Scheitel schmerzhaft, Schütteln
erregt lebhaftes Schwindelgefühl.
Aagen (Herr Dr. Stöltino): die Beweglichkeit der Bulbi ist in keiner Weise
beeinträchtigt, die motorische Kraft der einzelnen Muskeln gut, keine Insufficienz der
Mm. recti intemi. Die FupiUen gleich woit, sämmtliche Arten der F. B. normal. Es
besteht beiderseits Cataracta incipiens, links etwas weiter vorgeschritten. S=®/g B.
=*/23 L, in der Nähe wutL Sn I ^/^ in richtiger Entfernung ohne Convezglas gelesen.
Die Papillen sind beiderseits etwas hyperämisch, ihre Grenzen etwas verwischt, doch
besteht jedenfalls keine Stauungspapille. Eine Neuritis ^optica ist nicht sicher aus-
^ Tagebl. der NatarforaeherverBammliing. BerUn 1886. S. 156 und Arch. f. AugenheUk.
Bd. XVn S. 162. Cf. d. GtrlbL 1887. S. 105.
Euschliessen, dodi uauh dem übrigen Befunde (soiris dem weiteren Verlaufe ond den
' ~ der Autopsie: Dr. STöi<TiNa) nicht wKiuscheinlicb. Di« Geaiclitafeldei
für Weiss und Farben intact. Aus-
gespiocliene fieriin'gche Dyslexie: mit
Sn VI tritt nach dem Lesen von
einigen wenigen Worten die Unmög-
lichkeit weiter fortzatahren ein. Pat.
wendet plötzlich den Kopf sb, wird
offenbar erregt und sucht die Lese-
probe geradezu mit einer gewissen
ängstlichen Ungeduld dem Ante wie-
der einznh&ndigen. AnsdrflcUich con-
statirt er auf Befragen, dass nicht
etwa Verdunkelungen des Gesichts-
feldes, Verschwimmen der Buchstaben
ihm am Weiterlesen, hindere: es be-
stand also keine sog. Hebetudo visua,
wie ja übrigens schon aus dem Status
hervorgeht. Nach einiger Zeit der
Rnhe vermag PaL wieder dieselbe
Arbeit zu leisten. Diese Lesestdnmg
war bei mehrfach wiederholten Ver-
snoben, die immer in dieselbe T^:es-
züt fielen, stets in derselben Weise
vorhanden.
Von der Schritt (Fat. ist rechts-
händig) wnrde eine Probe der spon-
tanen und eine solche nach Vorlage
angefertigt. Während die Spontan-
schrift ii^end welche Besonderheiten
nicht bietet, sogar kaufmännisch ele-
gant ist von Anfang bis zu Ende,'
tritt bei der Schrift nach der Vor-
lage, die gleich hinter der ersteren
angefertigt wurde, sofort eine Aende-
mng der SchriftzQge ein. Die Schrift
verliert ihre Eleganz, die Grundstriche
erheben sich nur wenig Aber die Linie,
die Haarstriche werden so dick wie
die Gnindsbiehe. Schliesslich sieht
die ganze Schrift ans, „wie mit dem
Besensüel geschrieben". Pat klagt
dabei, dass ihm der Arm immer steifer
werde, zuletzt entölt die Feder seiner
Hand. Das Ganze macht, isolirt be-
trachtet, entschieden den Eindruck, als
wenn Pat an Schreitwkrampf litte.
Eine Probe der Dictatschrift die such
beabsichtigt war, wurde bei der hoch-
gradigen EnnftduDg des Fat nicht
1 In die umstehende Nachbildung ist der Raamenparnias wegen nni ein Theil der
DutanBehriftprobe auf^nonuueo.
— 41 —
angeBtellt Ich werde weiter unten im Zusammenhange mit den übrigen epikritiechen
Bemerkungen yersuchen^ meine Ansicht über diese Art von Schreibstömng darzulegen,
lieber die Zeit, wann die schweren Störungen des Lesens eingetreten sind, weiss Fat.
Genaues nicht anzugeben. Sie haben sich langsam seit der Zeit des Schlaganfalles
bis zu ihrer jetzigen Höhe entwickelt. Uebrigens sind sie so hochgradig erst von
der Mitte des Tages an, wenn Fat. schon einige Stunden im Geech&ft th&tig gewesen
ist; des Mozgens unmittelbar nach der Nachtruhe vermag Fat. eine ganze Seite seiner
ziemlieh grossen Zeitung zu lesen. Dadurch unterscheidet sich mein Fall in etwas
von den Berlinischen; im Nieden'schen Falle, treten allerdings bei offenbar fort-
schreitender Besserung, auch Schwankungen im Grade der Lesestörung auf; die
charakteristische Störung seiner Schrift schien dem Fat. bisher überhaupt entgangen
zu sein; er hatte wohl Abschriften seit längerer Zeit nicht mehr gemadit.
Die weitere Untersuchung ergab noch kurz Folgendes: Eine deutliche Be-
hinderung der Sprache ist nicht vorhanden, auch schwierige Worte werden gut
nachgesprochen. Keine Spur sonstiger aphatischer Störungen. Die übrigen Sinne
bieten normalen Befund, nur der Geruch ist auf dem rechten Nasenloche etwas
herabgesetzt. In den Facialisgebieten bei mimischen Bewegungen leichtes Zittern;
die linke Nasolabialfalte etwas flacher als die rechte, der rechte Mundwinkel etwas
nach unten verzogen. Die linke H&lfte des Gaumenthores etwas kleiner als die
rechte; das Gaumensegel hebt sich bei Fhonation links etwas weniger als rechts. Die
Zunge wird gerade hervorgestreckt, zittert etwas.
Die grobe Kraft der linken Extremitäten ist viel geringer als die der rechten.
An den oberen Extremitäten sind sonst alle, auch die feineren Bewegungen intact»
es besteht keine Ataxie. Der Gang zeigt nichts Abnormes, die linke Unterextremität
wurd nicht nachgeschleppt. Die Fatellarreflexe sind gleich, nicht erhöht. Es besteht
leichtes Bomberg'sches Symptom. Die Sensibilität, auch Muskelsinn und Lagegefühl,
im Uebrigen intact; die Algesie ist aber links entschieden gegenüber rechts herab-
gesetzt Die Intelligenz ist im Wesentlichen intact, doch will Fat selber eine Ab-
schwächnng des Gedächtnisses bemerkt haben und fSAli ihm das Rechnen schwer.
Die Stimmung ist eine deprimirt apathische.
Die Untersuchung der übrigen Organe ergab schliesslich noch Folgendes: Kachek-
tischer Habitus. Leichte Arythmie des Fulses. Starke Schlängelung der Temporal-
gefässe; kein deutlicher Befund am Herzen. Im Urin weder Eiweiss noch Zucker.
Suspectes Exanthem der Stirn. Grosser Defect der Glans penis am Sulcus retro-
glandularis. Wirbelsäule für gewöhnlich auf Druck nicht schmerzhaft; während der
m der Anamnese erwähnten Schmerzanfälle Druckschmerzhaftigkeit des 5. und 6. Brust-
wirbels.
Eine sichere Diagnose war in diesem Falle nicht zu stellen. Manche Symp-
tome legten den Qedanken an einen Tomor nahe, der dann wohl ein Gumma
mit rechtsseitigem Sitze war; andererseits konnte man w^en der Sohmerzanfalle
an eine spedfische Meningitis der Medulla spinalis und des Gehirns denken,
wogegen allerdings der Mangel einer schweren Afiection irgend welcher Gehim-
nerven sprach; am nächsten lag wohl die Annahme einer syphilitischen Erkran-
kung der Himgefasse und in Folge dessen mehrfacher kleinerer und eines
grösseren Erweiohungsheerdes. Der letztere war dann die Ursache der linken
Hemiplegie, hatte deutliche linke Hemiparese zurückgelassen und musste also
seinen Sitz in der rechten Hemisphäre haben.
Die Behandlung des Fat bestand zunächst in der Verordnung grösserer Dosen
von Jodkali. Daneben wurde eine galvanische Behandlung der schmerzhaften Bücken-
und Wirbelsäulenpartien vorgenommen. Im Anfang April war ich genöthigt, auf«
— 42 —
längere Zeit zu yerreisen; doch setzte Herr Dr. Jukes die galvanische Behandlang
fort, die dann auch den Erfolg hatte, die Schmerzanf&lle vollständig zu vertreiben.
Aach die übrigen Symptome hatten sich gebessert, als im Mai wieder Erscheinungen
von Seiten des Herzens auftraten.
Allgemeines Oedem, Eiweiss im Urin, hochgradigste Athemnoth, Krampfhasten
und Präcordialangst, alles besonders schlimm m der Naht, sodass an Schlaf gar nicht
za denken war, quälten den armen Kranken auf*s Furchtbarste. Nur grosse Dosen
Chloral und der Aufenthalt im Lehnstuhl, auch Nachts, verschafften einige Linderung.
In den letzten Wochen traten dazu auch heftige ängstliche Delirien. Lesen und
Schrift wurde in dieser Zeit nicht wieder geprüft.
In der Nacht vom 6. zum 7. Juli apoplectischer Anfall. Eine Stunde später
totale linksseitige Lähmung (auch Stimaugenast des Facialis und der Zunge), links
Blindheit Vollständige Besinnungslosigkeit war überhaupt nicht eingetreten, eine
Stunde nach dem Anfall, antwortete Pat. auf Fragen des Arztes, den er sofort kannte,
ganz verständig.
Am 8. Juli war Pat. soporös und delirirte. Er machte automatische Greif-
bewegungen mit der rechten Hand und es bestanden klonische Zuckungen im rechten
Arm und Bein (Adductionsbewegungen des Oberarmes, Pronationsbewegungen des
Unterarmes, Adductionsbewegungen des Oberschenkels). Die linksseitige schlaffe Para-
lyse bestand fort. Der linke Patellarreflex fast erloschen, der rechte massig stark.
Urinretention, Schlingbeschwerden.
9. Juli: Blasen- und Mastdarm-Lähmung. Unmöglichkeit zu Schlucken. Bul-
bäre Sprache des delirirenden Patienten. Die klonischen Zuckungen rechts bestehen
ohne Pause und nehmen zu. Am 10. Juli rechts charakteristische Contractur des
Armes und Beines und bei Bewegungen des Armes (Pat. griff z. B. nach einer Fliege
im Gesicht) Intentionszittem. Links schlaffe Lähmung, Westpharsches Zeichen, rechts
lebhafter Patellarreflex. Acuter Decubitus der linken Hinterbacke und der linken Seite
der Glans penis, der in einer Urinflasche lag. Lautes diastolisches Aortengeräusch.
Temperatursteigerung bis 39,2. Am 11. Juli 472 U^f Morgens Exitus letalis.
Die Section wurde am 12. Juli 3lVs Stunde p. m. unter gütiger Assistenz
der Herren Dr. Haoemakn und Dr. Stölting ausgeführt. Die betreffenden Tage
herrschte grosse Hitze. Nur die Eopfsection war gestattet; auch war es nicht mög-
lich, genügendes Material zur Härtung und mikroskopischen Untersuchung mitzunehmen,
weshalb auf eine solche ganz verzichtet wurde. Die Section ergab folgenden Befund:
Das Schädeldach mit der Dura namentlich in der Gegend des Stirnbeines ziemlich
fest verwachsen. Das Schädeldach ziemlich schwer, Spongiosa gering, kein Defect.
Auf Innen- und Aussenfläche der Dura keine Auflagerungen. Die Gefösse der Basis
stark atheromatös degenerirt, so beide Art carotid. intern., die Arteria basilaris,
beide Vertebrales, dagegen nicht die Artt. fossae Sylvii. Eine Embolie oder Thrombo-
sirung irgend eines grösseren Q^fässes nicht vorhanden. Die Nerven an der Him-
basis makroskopisch normal. Keine circumscripte Meningitiden; dagegen Trübung
der ganzen Pia und Arachnoidea an der Convexität» besonders die Sulci entlang.
Die Gyri nirgends abgeflacht. Die ganze rechte Hemisphäre fast breiig weich, die
linke von guter Consistenz; die Ventrikel enthalten weder Blut noch grössere Mengen
Flüssigkeit; das Ependym ist glatt. Auf Frontalschnitten sieht man rechts in der
Substanz des Linsenkemes und nach aussen davon einen grösseren, frischen Er-
weichungsherd, doch ist eine genauere Umgrenzung desselben bei der Zerflieasbar-
keit der gesammten rechten Hemisphäre nicht zu machen. Die innere Kapsel scheint
jedenfalls in Mitleidenschaft gezogen zu sein; die Wände des rechten Seiten Ventrikels
sind aber intact geblieben. Ein isolirter älterer Erweichungsheerd wurde nicht auf-
gefunden. Die linke Himhälfte, wie auch Kleinhirn und Himstamm zeigen makro-
•skopisch keinen Befund.
— 43 —
Die anatomische Diagnose war also, soweit sie zu stellen:
Ausgesprochene Atheromathose der meisten grosseren Hirn-
arterien. Erweichungsheerd im rechten Linsenkernes und in
der rechten Capsula externa.
(Schluss folgt.)
n. Referate.
Anatomie.
1) Notia zur Nervenfttrbung. — Ueber 2 gesonderte Nerrenbündel in der
grauen Axe des menBOhliohen Büokenmarkes, von Dr. J. Pal. (Sep.-Abdr.
aus den medizinischen Jahrbüchern. Neue Folge. Jahrg. 1887.)
Anknüpfend an seine Veröffentlichung: ,,Ein Beitrag zur Ner?enfarbetechnik"
(Medizinische Jahrbücher. Neue Folge. Jahrgang 1886.)^ giebt der Verf. zuerst eine
Verbesserung seiner Methode an. Er empfiehlt nämlich jetzt: 1) Die Stücke sollen
in eben schnittfahigem Zustande aus der Müller*schen Flüssigkeit zur weiteren Be-
arbeitung entnommen werden. 2) Man bereite die '/^^/o Hämatozylinlösung heiss
und setze nach dem Erkalten etwas (wie viel?) Alkohol zu. Die Lösung sei frisch
und werde nicht dem Sonnenlicht exponirt, das Lithion carbonicum werde derselben
erst unmittelbar vor dem Gebrauch zugesetzt und zwar 2 : 100. 3) Die Schnitte
bleiben nur 5 — 6 Stunden im Farbstoff; in das zum Auswaschen dienende Wasser
giesse man einige Tropfen Lithion carbonicum. Das Entfärbungsverfahren blieb un-
verändert. Zur Nachfarbung wird Alauncarmin empfohlen.
Diese Methode verwendete Verf. bei einem Bückenmark, das 3 Stunden post
mortem der Leiche entnommen wurde. Er beobachtete 2 bisher nicht beschriebene
Bündel. Das eine, welches im IJebergangstheil vom Brust- zum Lendenmark liegt,
läuft aus dem Hinterhom in den Vorderstrang und senkt sich in diesen ein; es soll
mit keinem der schon früher beschriebenen identisch sein. Das zweite wurde auf
der Höhe der Halsanschwellung gefunden. Es entsteht in der äussersten Spitze des
Seitenhoms, passirt die seitliche Ganglienzellengruppe, giebt an die Commissuren
keine Fasern ab und scheint auf dem Niveau der hinteren Commissur abzubiegen.
Die Fasern sollen von mittlerer Stärke sein und sehr dicht liegen. Die Dicke des
Bündels wird auf mindestens ^/, mm geschätzt; es soll von vom lateral nach hinten
medial aufsteigen und durch Schiefstellung des Messers getroffen sein. Ein parallel
zu diesem Bündel verlaufendes kürzeres hat Verfasser in den grauen Vordersäulen
gesehen. F. Eronthal.
Experimentelle Physiologie.
2) Das Bindenfeld des Facialis und seine Verbindungen bei Hnnd und
Kaninchen, von Prof. Sigm. Exner und Dr. Th. Paneth. (Pflügefs Archiv.
Bd. XLI.)
Paneth hatte bei früheren elektrischen Beizversuchen an dem „Bindenfeld des
Facialis'' unregelmässiges Auftreten gleichseitiger, neben dem regelmässigen Auftreten
gekreuzter Zuckungen beobachtet. Die gegenwärtige Untersuchung lehrte, dass die
damals hauptsächlich in Betracht kommende Gontraction des gleichseitigen Orbiculans
palpebrarum durch Stromschleifen zu den Besten der Dura ausgelöst worden war.
Denn ebenso wie die elektrische Beizung der Dura selbst, brachte nunmehr auch jede
Art von mechanischer Beizung derselben den gleichen Beizefifect» nämlich BMnzeln
des gleichseitigen Auges hervor. War dagegen für isolirte Beizung der Binde Sorge
* Cf. d. Ctrlbl. 1887. S. 53.
— 44 —
getragen, so erschien die gleichseitige Contraction nur ausnahmsweise, l^ichtsdesto-
weniger musste aus einer Reihe Ton Gründen^ die Annahme einer directen Beziehung
der Hirnrinde einer Seite zu dem Facialisgebiete beider Seiten angenommen werden.
Der letztgedachte Umstand machte es den Verfassern aber unmöglich, den örtlichen
Verlauf des Reizvorganges bis zur Peripherie am Hunde, an dem jene Versuche an-
gestellt worden waren, zu verfolgen. Sie wandten sich deshalb an das Kaninchen,
dessen Hirn thatsächlich bei einseitiger. Reizung mit doppelseitiger Contraction vor-
nehmlich der Muskeln der Oberlippe antwortet; denn Reizung der Dura bleibt in
dieser Beziehung ohne Erfolg und „Unterschneidui^" des gereizten Feldes hebt den
vorher vorhandenen doppelseitigen Reizeffect auf. Bei diesen Versuchen gelangten S.
und B. rücksichtlich des Facialis auf einem ähnlichen Wege wie Lewasch ew (Heiden-
hain) zu dem gleichen Resultate, wie dieser Forscher rücksichtUch der gleichseitigen
Innervation der Extremitäten. Unterschneidung des entsprechenden Rindenfeldes der
anderen Seite und longitudinale Spaltung des Commissurensystems ändert nämlich
nichts an den Reizefifecten; wenn aber die Oblongata median gespalten wird, so hören
die Zuckungen beiderseits von beiden Hemisphären aus gänzlich auf. Daraus geht
hervor, dass die andere Hemisphäre bei dem Zustandekommen des Reizeffects unbe-
theiligt ist und dass eine totale Kreuzung der Fasern stattfindet. Die Rückkreuzung
vollzieht sich wahrscheinlich im Gebiete der Facialiskeme und zwar sowohl beim
Hunde als beim Kaninchen in oberhalb der Spitze des Galamus scriptorius belegenen
Ebenen; denn in dieser Höhe durch die Oblongata gelegte Frontalschnitte veränderten
den Reizeffect nicht, während derselbe sofort aufhörte, wenn der Schnitt 2 — 3 mm
höher geführt wurde. —
Anlässlich der kurzen Litteraturübersicht bemerken die Herren Verfasser, schon
Referent habe Beobachtungen über doppelseitige Reizeffecte bei einseitiger Reizung
und zwar betreffend die Nackenmusculatur gemacht. Ihnen wie ihren Vorgängern
auf diesem Gebiete scheinen dabei mehrere Stellen des citirten Buches^ gänzlich ent-
gangen zu sein. Auf den Seiten 87,^ 88,^ 89, 132^ und 134 des letzteren wird
nämlich das Auftreten dieser doppelseitigen Reizeffecte auch für den grösseren Theil
der mimischen und masticatorischen Musculatur (incl. der Zungenmuskeln) des Hundes,
der Katze und des Affen nachgewiesen. Uebrigens findet sich auch auf S. 97 eine Notiz,
aus der hervorgeht, dass das Auftreten gleichseitiger Zuckungen in dem Facialisgebiet
der Katze als abhängig von einer Brücke Flüssigkeit zwischen Reizpunkt und Dura
erkannt worden ist Hitzig.
^ Zu diesen Gründen dürften auch die schon vor 14 Jahren angestellten Versuche des
Referenten, bei denen wirksame Stromschleifen zur Dura ausgeschlossen waren, zu rechnen
sein. Näheres über dieselben folgt am Schlüsse des Referats.
* Hitzig, Üntersnchangen über das Gehirn.
^ „Eine Ausnahme macht der (mit einem Kreis) bezeichnete Punkt (beim Hunde), welcher
auf den Werth des Zuckangsminimums regelmässig mit einer doppelseitigen Zangen-
bewegung, bei stärkeren Inductionsströmen mit Herausstrecken der Zunge antwortet etc."
* „Aber abgesehen davon, dass wie erwähnt die erforderlichen Stromintensitäten (beim
Hunde) variabel sind, fallen auch alle von hier aus resultirenden Bewegungen (Zunge, Kiefer,
unterer Theil des Facialis, vordere Halsgegend) selbst auf die für diese Theile gdtende
Stromstärke des Zuckungsminimums doppelseitig aus. Die Contractionen sind dabei auf
beiden Seiten gleichstark. Eine Ausnahme von dieser Regel machen die Zygomatlci, insofern
als dieselben manchmal sogar auf der Seite der Reizung viel stärker innervirt werden."
^ „Ging man nun noch weiter lateralwärts (zwischen Punkt 3 und 4 des Affenhims),
so gesellten sich zu den Ohrbewegungen noch Contractionen der Masseteren, endlich Lippen-
bewegungen und an der Stelle unmittelbar über der Fossa Sylvii auf den Inductionsstrom
intensives Aufsperren des Mundes. Etwas höher als dieser Centralpunkt, jedoch noch mit
ihm zusanmiennängend trat Retraction der Mundwinkel und in einer ebenfalls sehrbenach*
ba^n Gegend traten Bewegungen der Zunge, sowie der Übrigen zwischen Kiefer, Zungen-
bein und Stemum belegenen Motoren ein. Die um den Punkt 4 gruppiiten Bewegungen
waren sämmtlich doppelseitig."
— 45 —
8) Stadien über die Innervation der Athembeweenuigen, von 0. Langen-
dorff, Königsberg. (Arch. f. Anat. u. PhysioL Physiolog. Abth. 1887. H. 3 u. 4.)
Verf. setzt Mittheilungen aus den Jahren 1880 — 1883 fort. Er hatte dar-
gethan, dass die Oblongata kein einheitliches Athemcentram enthalte, sondern nur
einen regulatorischen Apparat, der die von den eigentlichen Athemcentren ausgesen-
deten Impulse zweckmässig zeitlich vertheilt und Tiefe und Frequenz der Athem-
bewegungen modificirt. Die Ursprünge der Kopfathmungsnerven und der Kehlkopf-
nerren in der Oblongata sowie die spinalen Centren der Athemnerven bilden zusammen
das automatische Athemcentrum, das danach nur eine physiologische Einheit dar-
stellt L. kritisirt jetzt die hiergegen von Frdd^ricq, Mislawsky, Enoll, Mark-
wald u. a. erhobenen Einwände. Er thut dann durch neue Versuche, in welchen
er bei Fröschen nach Entfernung von Gross- und Mittelhim, Lungen und Herz, nach
Durchschneidung des Bückenmarks unter dem Athemcentrum und Zerquetschung des
peripherischen Theils des Bückenmarks öfter noch stundenlang regelmässige Bespiratiou
fortbestehen sah, nochmals die automatische, nicht reflectorische Natur der Athem-
bewegungen dar.
Den nach Zerstörung der Oblongata eintretenden Athemstillstand hatte L. nicht
immer erfolgen sehen und sein häufiges Auftreten auf Hemmungswirkung zurück-
geführt Er zeigt jetzt, dass halbseitige Zertrennung der Oblougata die Athmung
der entsprechenden Körperhälften nur zeitweilig, nicht dauernd lähmt und dedu-
drt hieraus ein neues Argument dafür, dass der Athmungsantrieb von spinalen
Athmnngscentren ausgeht. Der anfängliche einseitige Stillstand ist auch hier durch
Hemmungswirkung zu erklären. Th. Ziehen.
4) Untersuchung der Erregbarkeit einzelner Büokenmarksstränge an neu-
geborenen Thieren, von W. Bechterew. (Wratsch. 1887. Nr. 22. Bussisch.)
In Anbetracht des Umstandes, dass marklose Fasersysteme im Gentralnerven-
system für elektrische Beizung unerregbar sind, hält Verf. es für angezeigt, die Er-
regbarkeit der einzelnen Bückenmarksstränge durch elektrische Untersuchung an neu-
geborenen Thieren zu ermitteln, an welchen, ebenso wie am Menschen, die Myelin-
bekleidung der Nervenfasern nur zum Theil ausgebildet ist. Er benutzte zu seinen
Experimenten neugeborene und mehrere Tage alte Hunde, und stellte an ihnen folgende
Thatsachen fest:
An soeben geborenen Hunden sind die Hinterstränge des Bückenmarks noch
zum grössten Theil marklos; myelinhaltig erscheinen nur die hinteren Wurzeln und
der vordere laterale Abschnitt der Burdach*8chen Stränge; Beizung dieses Gebiets
bewirkt Oontraction der vom betreffenden Bückenmarkssegment innervirten Muskeln,
wie es auch bei directer Beizung der hinteren Wurzeln der Fall ist. Die Goirschen
Stränge erreichen ihre volle Entwickelung erst vom 5. Tage nach der Geburt an,
und von diesem Termin an bewirkt Beiznng der Hinterstränge allgemeine reflectorische
Bewegungen, wie an erwachsenen Thieren. Hieraus ist die selbstständige Erregbar-
keit der Hinterstränge (abgesehen von den darin enthaltenen hinteren Wurzelfasem)
ersichtlich, und die entgegengesetzte Ansicht Stilling*s, van Deen*8 u. A. erhält
hierdurch eine neue Widerlegung.
Li den Yorderseitensträngen. sind an neugeborenen Hunden nur das Grund-
bündel und die directe Eleinhimseitenstningbahn markhaltig und erregbar. Beizung
dieses Gebietes des Querschnitts im Halsmark und oberen Theü des Brustmarks ^rgab
Oontraction sowohl der vorderen, als hinteren Extremität an der entsprechenden Seite
und Bewegung des Schweifes; der n&mUche Erfolg trat auch nach Durchschneidung
der benachbarten Bückenmarkswurzein ein. Dagegen blieb Beizung der hinteren
Hälfte der Seitenstränge, im Gebiet der noch marklosen Pyramidenbündel, ohne Effect.
— 46 —
Dieses Verhalten nöthigt %u der Annahme selbststandiger Erregbarlceit des Grand-
bündeis der yorderseitenstränge, indem dadurch die Möglichkeit ausgeschlossen wird,
die Wirkung der Erregung des Grundbündels durch Ausbreitung des Stromes auf
benachbarte Querschnittspartien zu erklären. Bei Application der Elektroden an das
Gebiet der directen Eleinhirnseitenstrangbahn stellte sich in stereotyper
Weise Drehung des Körpers und seitliche Bewegung des Kopfes ein.
Am 10. — 12. Tage nach der Geburt werden an Hunden die Fasern der Pyra-
midenbündel markhaltig, und dann bewirkt Reizung derselben Bewegung der Ex-
tremitäten.
Es ist zu bedauern, dass Verf. in seiner Mittheilung über die Details seiner
Versuchsanordnung, Gestalt und Grösse der benutzten Elektroden etc. Nichts erwähnt.
P. Bosenbach.
6) Zur Physiologie des Frosobgehims, Ton Dr. M. E. G. Seh rader, Assistent
an dem Institut für Experimental- Physiologie in Strassburg (Prof. Dr. Goltz).
(Arch. f. d. ges. Phys. Bd. XLI. S. 15.)
Zunächst konnte der Verf. nach völliger Entfernung des Vorderhims (beider
Grosshimhemisphären) mit möglichster Schonung des Thal. opt. durchaus nicht jenes
bisher angenommene Versinken in nahezu absolute Bewegungslosigkeit, Verlust der
Spontaneität feststellen. Dagegen entsprechen Frösche, welchen das Grosshim unter
ausgedehnterer Verletzung des Thal. opt. entfernt ist, dem Bilde, welches bisher für
die reine Ezstirpation der Hemisphären aufgestellt war. Das Mittelhim (Thal, und
Lob. opt.), in das Goltz das Gleichgewichtscentrum verlegte, enthält hauptsächlich
sensible Elemente; seine Zerstörung ruft Störung der Sensibilität und infolge dessen
auch solche der Bewegung hervor. Den Quakreflez konnte Verf. noch erzeugen bei
möglichster Integrität des Kopfmarks (Med. obl., Nachhim); sein Centrum befindet
sich nicht in den Lob. opt., sondern in der Med. oblong. Femer erhellt aus den
Versuchen, dass es keine Stelle in der Med. oblong, giebt, nach deren Verletzung
nothwendig die coordinirte Bewegung aufhört. Bün „Krampfcentnun" würde der
Gegend entsprechen, bis zu welcher man das Gehirn, ohne die Coordination ausiu-
löschen, abtragen kann (Med. oblong, in Gegend der Spitze des CaL Script). Das
Beflexcentrum für den Press- und Sohluckact liegt in dem centralen Ursprungsgebiete
und zwischen den Wurzeln der Nn. fac, trig. und vag. Das Centmm des Um-
klemmungsreflexes liegt, wie Goltz nachwies, in dem Wurzelgebiete des Plex. brachialis.
Die Herausnahme der häutigen, halbzirkelförmigen Kanäle rief analoge Bewegungs-
störungen hervor, wie bei den Vögeln; es handelt sich dabei um einen sensorischen
Beflex, für den der Beiz in den halbzirkelförmigen Kanälen entsteht und das Centmm
im Ursprungsgebiete des Acusticus liegt. Das Beflexcentrum für die Herzbewegnng
ist zwischen den Vaguswurzeln zu suchen. Für die automatische Athembewegong
wäre die Gehimpartie in Anspruch zu nehmen, welche zwischen dem Querschnitt
parallel dem hinteren Band der Kleinhimleiste und dem Niveau der Spitze des CaL
Script, gelegen ist. Wie Goltz, gelang es auch dem Verf., durch Quertrennung des
Centralnervensystems die selbstständige Function einzelner Bückenmarksabschnitte
nachzuweisen; man kann so den Frosch in 3 für die Bewegung und Empfindung
selbstständige Thiere zerlegen (Kopf-, Vorderbein-, Hinterbein-Segment). So lehrt
die Versuchsreihe, dass man das Centralnervensystem des Frosches theilen kann in
eine Beihe von Abschnitten, welche einer selbstständigen Function fähig sind und
den Ganglienknoten niederer Thiere in ihrer functionellen Selbstständigkeit gleich-
kommen. Es handelt sich nicht um die Alleinherrschaft eines einheitlichen Apparates,
sondern um eine vielseitige Verkoppelung relativ selbststandiger Stationen. Die Be-
deutung des Grosshims, die durch die Versuche eine Einsdiränkuttg erlitt, gewinnt
in der aufsteigenden Thierreihe in morphologischer wie in physiologischer Hinsicht.
Kalischer.
— 47 —
Pathologische Anatomie.
6) Heber Kangel des Balkens im mensohliohen Oehim, von Dr. Ed. Kauf-
mann, Breslau, Pathol. Institut. (Arch. f. Psych. Bd. XVIIL H. 3 und XIX. H. 1.)
Verf. erkennt bis jetzt erst 19 Fälle von Balkenmangel beim Menschen in der
Litteratnr an, gegenüber Anton, der 21 resp. 22 aufzählt
[Onnfrowicz (Arch. f. Psych. XVIU. 2) zählt 27 Fälle, allerdings dürfte sein
Fall 13 und 15 ein und derselbe sein; Fall 16 und 17 bei Onufrowicz betreffen
nar eine au£fallende Dünnheit des Splenium, seine Fälle 22, 24 und 27 nennt er
selbst unklar; nach Abzug dieser letzten 5 Fälle bleiben also auch bei Onufrowicz
nur 21, dazu sein eigener und der obige neue von Kaufmann, endlich der von H.
Virchow (s. d. Centralbl. 1887. S. 263), macht 24. In Kaufmannes Aufzählung
fehlen die Fälle von Ward und von Gausser. Bef.]
Kaufmannes Fall betrifft ein seit einem Sturz im 4. Lebensjahre geistig zurück-
gebliebenes Mädchen von 24 Jahren, Luise Hubrich. — Der Balken fehlt vollständig,
den Yentric. ni bedeckt eine durchsichtige Membran, welche sich vom und hinten
in die Pia fortsetzt. Diese bedingt an der medialen Fläche eine ziemlich feste Yer-
klebung beider Stimtheile; eine Falte der Pia bildet femer die vordere Begrenzung
des Yentric. Ill und enthält eine rudimentäre Commissura anterior; unter ihr liegt
das Chiasma nerv. Optic; die Seh- und Riechnerven sind normal. — Keine Commissura
media, aber deutliche Commissura posterior. ^- Zwei weite Foramina Monroi, deren
vordere Begrenzung die Crura fomicis bilden, fQhren in die Seiten Ventrikel; nur die
Oolumnae fomicis stehen in Continuität mit grauer Bindensubstanz, der übrige Theil
des Gewölbes grenzt an eine frei daliegende Schicht weisser Substanz mit deutlicher
Faserrichtung, das Associationssystem des Gyrns fomicatus, wegen der fehlenden
Balkendurchkreuzung so deutlich daliegend. — Beiderseits ist der Sulcus calloso-
marginalis und eine Balkenwindung vorhanden, ersterer wendet sich aber schon sehr
weit vom (besonders rechterseits) nach oben, sodass der Praecuneus sehr gross wird.
— Die Furchen und Windungen sind übrigens sowohl an der medialen wie an der
convexen Fläche der Hemisphären vielfach sehr unregelmässig.
Eine Zerlegung des erhärteten Gehirns in Frontalschnitte erwies, dass das dem
Fomix benachbarte Markbündel nicht als Associationssystem des Gyr. fomicatus, son-
dern als das von Onufrowicz beschriebene grosse fronto-occipitale Associations-
bündel, auch Fasciculus Ibngitudinalis superior genannt, darstellt. K. bestätigt voll-
kommen die Angaben von Onufrowicz, auch dass das Tapetum gar nicht dem
Balken, sondern jenem oberen Längsbündel 0. angehört — K.*s Fall beweist, dass
auch bei vollständigem Balkenmangel Gyrus fomicatus und Sulc. calloso-marginalis
vorhanden sein können.
Etwas ganz Besonderes fand sich am Kleinhirn: ein grosser Defect des hinteren
Theils des Oberwurms und des Unterwurms mit Yerbildung der medialen Theile der
Hemisphären. Dies war offenbar zurückzuführen auf einen Hydrops des Yentric. lY,
welcher zur Bildung einer Cyste geführt hatte, die sich an der Stelle des Defectes
befand.
Hieran schliesst K. die Beschreibung eines sehr interessanten Falles von totaler
Erweichung des Balkens durch Embolie, ausgehend von einem Aneu-
rysma der Arteria corporis callosi dextra. Es bandelt sich um einen
45jährigen Mensehen, der an einer Pneumonie mit eitriger Meningitis gestorben war,
imd an dem in den Wochen resp. Monaten vor dem Tode keinerlei psychische Ab-
normitäten, Coordinationsstörungen oder Lähmungen n. s. w. beobachtet sein sollen.
Das Aneurysma, kirschkemgross, sass unmittelbar am Abgang der A. communi-
cans anterior; aus ihm waren viele kleine Emboli in die Yerästelungen sowohl der
rechten wie der linken Art. corp. callosi getrieben und hatten sehr umfangreiche
— 48 —
ErweichuBgen erzeugt, ihres verschiedenen Alten wegen von mannigfacher Beschaffen-
heit. Der Baiken selbst ist in seinem vorderen Theil in eine glasige, braungelbe
Masse, hinten in weichen weisslichen Brei verwandelt; ebenso die Hirnwindungen in der
Umgebung des Knie und Schnabels des Balkens, rechts auch der Kopf des Nucleus
candatus u. s. w. — Weit in die Balkenfaserung, stellenweise bis an die Hirnrinde
heran, liess sich die Erweichung verfolgen. — Das Tapetum im Unter* und Hinter-
hom war ganz intact; die Capsula interna beiderseits ganz normal.
K. stellt diesen Fall neben den Erhaschen (totale Zerstörung des Balkens durch
eine Hämorrhagie), in welchem auch keinerlei Symptome zu bemerken waren.
Hadlich.
7) Gase of osteophytes of the arachnoid, by F. H. M. Burton. (The Lancei
1887. 28. Mai.)
Bei einem 27jährigen Soldaten, der über 6 Jahre lang in Indien gedient und
mehrfach an Wechselfieber erkrankt war, zeigte sich bei erneuter Intermittensattacke
Bewusstlosigkeit bei gut reagirenden Pupillen und Erhaltensein der conjuncüvalen
Empfindung, femer spastische Rigidität der rechten Oberextremität bei Schlaffheit
der übrigen Glieder. Zeitweise tmten Spasmen in beiden Armen auf. Leicht sterto-
röse Athmung, profuser Schweiss, galliges Erbrechen. Am 2. Tage nach der Auf-
nahme des Fat. in das Krankenhaus trat bald nach dem Ausbruch von sehr heftigen
klonischen Convulsionen, welche mehr als 2 Stunden andauerten, Exitus letalis ein.
Bei der Section fand sich eine ganze Anzahl spitziger Osteomata, die von der
Pia mater ausgingen und Bohnengrösse erreichten. Die meisten sassen an der Innen-
seite des Stirnbeins und an den Seitenwandbeinen. Ein sehr spitzer Stein drückte
auf die linke aufsteigende Parietalwindung. Reichliche Adhäsionen der Pia.
Das Interesse des Falles knüpft sich an das Vorhandensein der seltenen ossi-
ficirenden Leptomeningitis, während Pachymeningitis extern, ossificans keine so rare
Erscheinung bildet. Syphilis wurde anamnestisch nicht festgestellt Bis zu der oben
beschriebenen Attacke waren keine Symptome seitens des Gehirns vorhanden.
J. Ruhe mann (Berlin).
8) Darstellung und Beschreibung einer intrauterin entstandenen Narbe
in der rechten Hemisphäre des Gehirns einer chronisch Blödsinnigen,
von J. Jensen, Charlottenbui^. (Arch. f. Psychiatrie. XIX. 1.)
Die Obduction des klinisch nicht bemerkenswerthen Falles (Entwickelungshemmung
mit Contractur und Lähmung in Hand und Fuss linkerseits, vorübergehend epilep-
tische AnHllle, Imbecillität mit Erregungszuständen) ergab:
Gewicht des Gesammthims . . . 975 g
Gewicht der linken Hemisphäre 490 g
Gewicht der rechten „ 335 g
Die rechte Hemisphäre zeigt einen Defect, welcher den medialen Theil des G. cenir.
ant. und den lateralen Theil des G. centr. post. umfasst und durch den hinteren
Ast der Sylvi*schen Furche bis in das hintere Drittel des Schläfenlappens und bis
in den Stammlappen reicht. Septum cerebri rudimentär. Die Forchen der Medial-
fläche münden zum grössten Theil in den Defect Mittlere Furchentiefe links 7,4 mm,
rechts 6,9 mm; mittlere Bindendicke links 2,34 mm, rechts 2,26 mm; freie Binden-
Oberfläche links 7230 qmm, rechts 4800 qmm. Bechts starker Hydrocephalns int.
Die sehr genauen weiteren Zahlenangaben und Abbildungen sind im Original nach-
zusehen. Th. Ziehen.
— 49 —
Pathologie des Nerveusystems.
9) Zur Genese des IntentioiistremorB, von B. H. Stephan, Zaandam. (Arch.
f. Psychiatrie. XVm. 3 und XIX. 1.)
Eine KritilE der Mheren Ansichten führt Verf. zunächst zu dem Schluss, dass
die cerebrale Localisation sklerotischer Heerde für das Zustandekommen des Zittems
der multiplen Sklerose nothwendig ist. Beine Ausfallsheerde im Cerebellum oder in
der Oblongata machen kein Intentionszittem. Dasselbe ergiebt ein Ueberblick über
die Pons-Erkrankungen. ^
Si l&8st hier die Krankengeschichten und Sectionsbefunde zweier eigener Fälle
folgen, in welchen während des Lebens kein Zittern bestand, die Section aber ausser
in Rückenmark und in Oblongata nur im Pons sklerotische Heerde nachwies. Auch
der Pons ist also nicht ürsprungsstätte des Intentionszittems. Aus der Betrachtung
derpost- und prähemipiegischen Bewegungsstörungen glaubt St. schliessen zu können,
das8 die verschiedenen Formen derselben (Hemichorea, Hemiathetose, Hemiataxie,
Hemiparalysis agttans, Hemitremor intentionalis) klinisch nicht scharf zu trennen sind
und wahrscheinlich von der Läsion derselben Stellen im (Gehirn abhängig sind.
St stellt dann 35 klinisch gut beobachtete, von Autopsie gefolgte Fälle von
Ueerderkrankungen mit hemiplegischen Tremorformen zusammen. In 20 dieser Fälle
war sicher, in 3 mit grosser Wahrscheinlichkeit der Sehhügel mit in den Process
bezogen, in einigen wenigen Fällen ist der Sehhügel intact, hingegen der Fuss des
Stabkranzes im hinteren Abschnitt der inneren Kapsel lädirt. Nach eingehender
kritischer Besprechung der gegentheiligen Ansichten kommt St. mithin auf Noth-
nagePs bekannte Schlüsse zurück.
Ein eigener Fall von multipler Sklerose bestätigt dem Verf. auf*s Neue, dass
an den Oberextremitäten sehr typisches Intentionszittem bei normaler Muskelkraft,
elektrischer Beaction, Sensibilität und normalem trophischen und vasomotorischen
Zustand bestehen kann. Obduction fehlt. Der Intentionstremor der multiplen Sklerose
ist den posthemiplegLschen Bewegungsstörungen verwandt, wie denn in der That bei
ihr zuweilen auch die übrigen Formen jener Bewegungsstörungen vorkommen. Der
Sitz des Intentionstremors der multiplen Sklerose ist also wahrscheinlich gleichfalls
der Thalamus opt. Unsere physiologischen Anschauungen über den Thal. opt. und
die Obductionsberichte lassen sich hiermit vereinigen.
Den IijLtentionstremor führt St auf eine Coordinationsstörung zurück. Den
psychomotorichen Bindencentren glaubt er das Coordinationsvermögen, wie es bei
intendirten Bewegungen erforderlich ist, absprechen zu müssen. Auch hierdurch sind
wir also auf subcorticale Genese des Intentionszittems hingewiesen. Zum Schluss
hebt Si selbst hervor, dass er mit seinen Auseinandersetzungen die Abhängigkeit
des Intentionszittems von sklerotischen Heerden im Sehhügel nicht erwiesen, sondem
nur wahrscheinlich gemacht zu haben glaubt. Die einschlägige Litteratur ist sehr
vollständig verwerthet. Th. Ziehen.
10) üeber einen Fall von multipler Sklerose des Centralnervensystema,
von K. Hess, (Arch. f. Psych. XIX. S. 64.)
Der intra vitam nicht diagnosticirte Fall bot folgendes Bild: Nach kurzen Pro-
dromen apoplectiformer Anfall, mit zurückbleibender linker Hemiplegie und Sensi-
bilitätsstöning am ganzen Körper; zwei Wochen später plötzliche Herabsetzung des
Hönrermögens, Sprache nur wenig gestört; allmählige Bflckbildnng der Lähmung
und Sensibilitatsstörung, sodass erstere vorwiegend auf das linke Bein beschränkt
bleibt Nach mehrjährigem stationären Verhalten Zunahme des Processes, hochgradige
spostaseh-paretische Zustände der Beine, Abnahme der Sehschärfe, Yerlangsamnng der
2
— 50 —
Sprache, Störungen der Digestion, der Blase, schliesslich Decubitus, Tod nach acht-
jähriger Dauer.
Die Section zeigte eine auffallend derbe Beschaffenheit des nicht weiter unter-
suchten Qehims; das gehärtete Bückenmark, Med. obl. und Pons zeigten eine multiple
Sklerose, daneben jedoch besonders die beiden letzteren eine diffuse Sklerose.
Aus der genauen, ausführlich mü^etheüten histologischen Untersuchung hebt
H. zuerst hervor die Persistenz der grossen Mehrzahl der Axencylinder in den
sklerotischen Heerden, welche die Ursache des Ausbleibens der secundären Degene-
ration ist Die Gefasse in den Heerden zeigten das Terschiedenartigste Verhalten,
ein normales an vielen kleineren Gefassen, besonders an den Capillaren, Verdickung
der Wand, besonders an den grösseren Gefassen, Gefassvennehrung, Erweiterung oder
Verengung und selbst Obliteratioii des Gefasslumens.
Die diffuse Sklerose zeigte namentlich zwei wichtige Erscheinungen, einmal Er-
haltung der meisten Markscheiden, dann eine starke kleinzellige Infiltration im Pons
und Med. oblong, und an einer Stelle im Lendenmark. Da diese Infiltration wahr-
scheinlich in Zusammenhang mit der Sklerose steht und ihr, da sie in den älteren
Heerden des Rückenmarks fehlt, wohl vorangeht und ihrerseits wieder von Gefaas-
veränderungeu bedingt ist» so nimmt H. zur Erklärung des Gesammtbefnndes folgende«
an: Bei der diffusen Sklerose ist die Gefössveränderung nur eine derartige, dass sie
Emigration weisser Blutkörperchen veranlasst, die ihrerseits Gliawucherung und nur
geringen Markscheidenschwund bedingt; bei der multiplen Sklerose ist die Gefäss-
veränderung eine so bedeutende, dass es ausser zur Gliawucherung in Folge der Er-
nährungsstörung zu Markscheidenschwund und schliesslich zum Schwund der Axen-
cylinder kommt Doch betont H. selbst das vorläufig hypothetische seiner Anschau-
ung; indem er mit Schnitze und Babinsky die multiple Sklerose als eine durch
primäre Veränderungen der Gefässe bedingte Entmarkung der Nervenfasern und Glia-
wucherung bezeichnet, wendet er sich gegen die Ansicht Adam kiewicz', dass Mark-
scheidenveränderungen das Primäre seien.
Schliesslich bespricht er die Eigenthümlichkeiten des klinischen Bildes, das die
typischen Erscheinungen der Herdsklerose vermissen Hess. A. Pick.
11) Ueber multiple inselförmige Sklerose des Centralnervensystems im
Kindesalter, von Dr. L. Unger. Wien 1887. (Verlag von Toeplitz & Deuticke.
82 Seiten.)
Eine eigene Beobachtung von multipler Sklerose bei einem 6jährigen Knaben
hat den Verf. zum genauem Studium des betr. Erankheitsbildes veranlasst. Aus der
Litteratur Hessen sich noch 18 Fälle zusammenstellen. Man sieht daraus, dass der
Verlauf der Sklerose der Kinder im grossen ganzen mit der der Erwachsenen über-
einstimmt; dasselbe- vielfarbige Bild von den Krankheitssymptomen erscheint auch
hier; ein gleiches Dunkel schwebt über der Aetiologie und den eigenthümlichen
Localisationen der Heerde, durch welche bald die cerebralen, bald die bulbären, bald
die spinalen Erscheinungen in den Vordergrund treten.
Dessen ungeachtet dürfte eine kurze Skizze des Krankheitsverlaufes hier wohl
am Platze sein: Der Beginn ist entweder stürmisch mit Convulsionen und apoplecti-
formen Anfällen (letztere meist ohne Bewusstseinsverlust), denen dann sehr rasch
Schwäche in den Beinen, Tremor und die übrigen Erscheinungen der gestörten Co-
ordinatiou folgen, oder die ersten Erscheinungen treten langsam und schleichend auf,
entweder in Form psychischer Verstimmung, Sehstörungen und schwankendem Gang
oder mit Schwindel, Kopfschmerzen und Tremor, oder auch ganz einförmig mit Nach-
schleppen des einen oder andern Beines, worauf nach längerer Pause von ein oder
zwei Jahren erst der charakteristische Tremor und andere Symptome auftreten. Apo-
plectiforme AnfUle unterbrechen häufig den gewöhnlichen Gang, der remittireiidy
— 51 —
zuweilen stationär, im AUgemeineB aber ein unanfhaltsam progreasiver ist. Der
Exitus letalis wird nicht selten durch Lähmung der bulbären Kerne herbeigeführt»
nachdem schon vorher Contractureii der paraljsirten Qlieder, Lähmung der Schlund*
und Kaumnsculatur sowie Lähmung der Sphiuktorou eingetreten war.
In andern Fällen nähert sich das Bild dem der Tabes, der chronischen Myelitis,
der spastischen Spinalparalyse, der progressiven Paralyse, der Bulbärparalyse; auch
mit der progressiven Muskelatrophie kann diese Krankheit eventuell verwechselt
werden. Keines der oben angeführten Symptome ist für sich allein der Krankheit
pathognomoniscb. In vielen Fällen sind die Symptome so vag und wenig distinct,
dass die Diagnose in der That erhebliche Schwierigkeiten bietet.
Bemerkensworth sind noch diejenigen Fälle, welche ganz unter dem Bilde der
multiplen Sklerose verlaufend (eine Diagnose rührt von Charcot her, die beiden
andern bekannten, sog. „formes frustes" stammen aus der französischen und englischen
Litteratur) der Heilung zugeführt, sind, während sie gewöhnlich letal enden.
Die Deutung der vielgestaltigen Symptome aus den übrigens sehr raren Obduc-
iions-Befunden stösst naturgemäss auf nicht geringe Schwierigkeiten. Während bisher
das Intentionszittem aus einer Ponsaffection erklärt wurde, hält Verf. es für am
wahrscheinlichsten, dass es auf Verletzung der Pyramidenbahnen in ihrem Verlaufe
durch den Stabkranz zurückzuführen sei. Einige Beobachtungen scheinen in der
That diese Ansicht zu stützen. Die Natur des Sklerosirungsprocesses, welcher ein
langes Erhaltensein der nervösen und leitenden Elemente gestattet, macht die be-
sondere Erscheinung des Intentioustremors möglich, während er bei andern Affectionen
des Stabkranzes fehlt. Die Erklärung der paretischen Erscheinungen ist verhältniss-
massig einfach, weniger schon die der atactischen; auch hierbei ist Ataxie ohne
Störung der Sensibilität beobachtet worden. Den Nystagmus stellt Verf. in eine
Kategorie mit dem Intentionszittem, für manche Fälle hält er jedoch auch die Auf-
fassung desselben als atactischen für berechtigt.
Die Verbreitung der sklerotischen Heerde ist im Allgemeinen sehr ungleich,
jedoch giebt es Prädilectionsbezirke, so vor allem die Marksubstanz des Gehirns und
die weissen Stränge des Kückenmarks; des Weiteren findet man sie häufig in der
Oblongata, den Kleinhimstielen, der Brücke, in den Himschenkeln und im Centrum
ovale. Aber auch die Himnerven und die Wurzeln der Rückenmarksnerven sind dieser
Erkrankung ausgesetzt.
In die pathologische Anatomie der Sklerose ist durch Adam kie wie z neues
Leben hereingebracht worden. Freilich ist es noch abzuwarten, inwieweit sich seine
Untersuclimigen bestätigen. Verf. giebt die Resultate des genannten Autors ziemlich
genau wieder; wir erwähnen davon nur in Kürze, dass Adamkiewicz das Safranin
als ein scharfes und empfindliches Reagens für Degenerationen herausgefunden hat.
Bei der multiplen Sklerose handelt es sich um eine primäre Erkrankung der Nerven
O^rfall der sog. chromoleptischen Substanz der Markscheide) und um eine secundäre
Veränderung der Nenroglia. Die letztere besteht in einer Wucherung von Glia-
elementen, ans denen sich jedoch niemals fibrilläres Bindegewebe bildet; schliesfilich
tritt noch eine Wucherung von Gefassen hinzu, deren Wandungen sich später ver-
dicken. Während dessen erfahrt der Axencylinder zuerst eine Quellung, der dann
eine Sdirnmpfnng folgt
Dies ungefähr das Wichtigste aus «der langen Arbeit, bei der auch die ausführ*
liehe Wiedergabe der Krankei^^eschichten besondera hervorgehoben zu werden verdient.
Sperling.
12) Contribution a Tötude de la solörose an plaques 4 forme parolytigue,
par A. Gilbert et Gaston Lion. (Arch. de PhysioL norm, et pathol. 1887. Nr. 5.)
Der Yaü multipler Sklerose mit hemiplegischen Symptomen, den die Verff. be-
schreiben, ist namentlich interessant wegen der Sensibilitätsstörungen auf der Seite
2»
— 52 —
der Lähmung und eines acuten Decubitus auf der nicht gelähmten Seite. Die' Verff.
beziehen den letzteren auf einen der bei der Section gefundenen Heerde, welcher das
linke Hinterhom einnimmt. Die rechtsseitige Hemiplegie erklärte sich gut aus der
Localisation der Heerde, die Hemianästhesie hingegen nicht in eindeutiger Weise.
Th. Ziehen.
13) On a oaee of early disseminated myelitis oooiunrlng in the exanthem
Btage of meaeles and fatal on the 11^ day of that dlseaee, by Thomas
Barlow. (The Brit. medic. Joum. 1886. 13. Nov. p. 923.)
Der 23jährige Polizist kam am 2. Tage der Eruption in's Hospital. Kotirt
wurde Schmerz längs des Stemum und im Epigastrium. — Nachts Urinverhaltuug.
Folgenden Tags leichter Sopor, Lähmung der untern Extremitäten, Knie- und Plantar-
reflex fehlend, Empfindung ziemlich erhalten. Der Druck der Hand schwach. Läh-
mung der Intercostalmuskeln. Geist klar. Husten effectlos, Abweichen der Zunge
nach links. Sprechen: ein Flüstern. Cyanose: Tod am 11. Tage.
Die Autopsie ergab ausser Verdichtung des unteren Lappens der linken Lunge
und intensiver Congestion und Ekchymosen auf Tracheal- und Bronchial-Schleimhaut
in Brust und Bauch, sonst nichts Abnormes. — Die graue Substanz der Hirnwin-
dungen dunkel, Gehirn weich, Ependym der Seitenventrikel leicht abgehoben. — Im
oberen Dorsalmark intensive Erweichung, in der Gegend des 5. Br.-W. zerfliessend.
In der Lumbargegend rothe Erweichung, namentlich in den grauen Hörnern, welche
stellenweise gehöhlt. Das Mikroskop erwies Gefässanschoppung , Infiltration ' des
Nachbargewebes mit weissen Blutkörperchen und interstitiellem Extravasat. In Nerven-
zellen, Fasern und dem Stützgewebe keine Veränderung.* Aehnliche Befunde in der
Med. oblongata, jedoch ohne Blutung. Die Hauptstörung schien die Hypoglossus-
und Vaguskeme getroffen zu haben.
Der Fall ähnelt dem von W^estphal nach Pocken gesehenen. — Eine sehr
eingehende Discussion, welche sich an diesen Fall knüpfte (Cheadle, Ormerod,
Poore u. a.) Hess noch folgende Fragen unbeantwortet, ob
1. solche Erkrankung die Folge eines besonders intensiv auftretenden Masern-
Virus sei;
2. ob solche Erkrankung nach Masern eine hereditäre Disposition erkennen lasse;
3. ob ein den Masern voraufgegangenes Trauma dabei mit wirksam gewesen sei.
L. Lehmann (Oeynhausen).
•
14) Ueber neuere günstige Formen von Hemiläsion des Bückenmarka, von
Prof. M. Rosenthal, Wien. (Sep.-Abdr. aus der Wiener med. Presse. 1887.)
3 Fälle spondylitischer Hemiläsion werden ausfCihrlich geschildert. Im ersten
Fall deckten sich die Ausfallsgebiete von Schmerz- und TemperaturgefQhl nicht
Bei der Heilung erholte sich die Sensibilität in centrifugaler Richtung; zuerst kehrte
Gontact-, Kitzel-, dann Schmerzgefühl, erst nach 5 weiteren Tagen Temperatur-
sinn und Tempieratur-Schmerzempfindung (beide fOr Wärme frfiher als fftr Kälte)
zurück. Die (gekreuzte) Hemiplegie mit Mnskelatrophie, sowie die vasomotorischen
Störungen gingen vor der Hemianästhesie zurück. Halbseitige Gompreseion des
Bückenmarks durch Pachymeningitis cervic. ext. lag vor.
Der 2. Fall, eine traumatische Spondylitis, heilte unter Application von 6 points
de feu, Elektrisation und Jodkalium.
Im 3. Fall (tuberculöse Halswirbel-Garies) ging die halbseitige Druck-Myelitis
in eine transversale, tödtliche über. Beflexsteigerung auch auf der anästhetischen
Seite leitete die Verbreitung der Myelitis auf die andere Hälfte ein.
Fall 4. 25jährige Hysterica: links Hemiparese, Ovarie, leichte Steigerung des
Patellarreflexes, leichter hyperästhetischer Seitenstreifen; rechts Analgesie, Motilität
— 58 —
und MnskelgefBhl intact Ab und zu Streokkrämpfe der Arme und Singultus, Car-
dialgie. Unter elektrischer Behandlung binnen 2 Monaten Heilung. Dieser einzig
dastehende Fall des Auftretens der Hysterie unter dem Bilde der Halbseitenläsion
Brown-S^quard*8 weist nach B. wieder darauf hin, dass die behauptete Bizarrerie
der hysterischen Symptome sich als Leitungsstflrung bestimmter anatomischer (hier
spinaler) Bahnen auflöst. Th. Ziehen.
16) Eliiiisohe Beiträge zur Kenntniss der HalbBeitenläslon des Büoken-
marks nnd der Spinalapoplexie, von Dr. Aug. Hoff mann, Erlangen. (Münch.
med. Woch. 1887. S. 409.)
I. Fall. 16j&hr. Tischlerlehrling verspürte 1 Stunde nach dem Tragen relativ
ZQ grosser Last auf dem Bücken vorübergehende Schmerzen von dem letzten Brust-
bis zu den Kreuzwirbeln. 4 Stunden später heftiger Stich in den letzten Brust-
wirbeln; zugleich fiel Fat. bei vollem Bewusstsein zu Boden. Danach war das linke
Bein paralytisch, im rechten Bein lebhaftes Hitzegefühl. In 5 Wochen allmähliche
motorische Besserung des linken Beines. Doch bestand noch immer Parese und
Schwäche. Sensibilität normal.
lankes Thoraxsegment von der 5. Rippe bis Rippenbogen anästhetisch. Rechtes
Bern total anästhetisch, ebenso aufwärts bis zur 7. Rippe. Beim Beugen des Knie-
gelenks tritt Mitbewegui^ in dem activ total unbeweglichen Fussgelenk ein (Contraction
des M. tibialis ant. und extensor hallucis longus), öfters Mitbewegung im linken
Cremaster beim Anziehen des linken Beins an den Rumpf. Hautreflexe rechts leb-
hafter als links. Nach 5monatlicher (elektrischer) Behandlung trat allmählich Besse-
nmg ein bis auf restirende Yaro-equinus-Stellung des linken Fusses beim Liegen;
femer fehlte dauernd die Kälteempfindung im rechten Bein und in der linken
grossen Zehe traten ab und zu von selbst Dorsalflexionen ein, die langsam wieder
zurückgingen.
H. nimmt als anatomische Grundlage eine Rückenmarksblutung an wegen des
ätiologischen Moments und dadurch „veranlasster activer Gongestion zum Rücken-
mark", wegen des acuten Auftretens und der raschen Besserung bis zu einem ge-
wissen Grade.
IL Fall. 56jähriger Oekonom wurde von 2 Ochsen im Bereich des ganzen
Rückens getreten, wobei er das Bewusstsein verlor. Darauf entwickelte sich folgen-
der Zustand: Hirn- und Bulbämerven intact. Schmerzen im Nacken, die in den
linken Arm ausstrahlten. Bewegung der Halswirbelsäule behindert und schmerzhaft.
5. Halswirbel nach innen vorspringend. Linker Arm total paralytisch bis auf mini-
male Bew^n^ngen im Daumen und Zeigefinger. Sensibilität normal bis auf fehlende
Schmerz- und perverse Temperatnrempfindung, so dass Kältereize Wärme-
gefühl hervorrufen. Das rechte Bein ist motorisch normal; seine Sensibilitätsver-
hältnisse wie im linken Arm. Das linke Bein, anfangs total gelähmt, wurde im
Hfift- und Kniegelenk bald beweglich. In Fussgelenk und Zehen Unbeweglichkeit;
trotzdem tritt beim Beugen im Hüft- und Kniegelenk deutliche, nicht unterdrückbare
Dorsalflexion im Fussgelenk als Mitbewegung ein. Im linken Bein Hyper-
ästhesie. Anfangs Blasenlähmung und Obstipatio alvi, die nach 14 Tagen schwanden,
in 8 Wochen war der gesammte Zustand bedeutend gebessert. Die Sensibilitäts-
störungen des rechten Beines dauern aber fort neben einem jetzt vorhandenen sub-
jectiven Hitzegefühl. Sehnenreflexe auf der linken Seite jetzt gesteigert, anfangs
normaL
Bezüglich der anatomischen Diagnose dieser traumatischen Läsion des Cervical-
marks neigt H. eher zur Annahme einer Compression der linken Cervicalhälfte durch
ein Blutextravasat als durch Wirbellnxation, wegen der schnellen Besserung.
III. erwähnt H. einen nicht ganz reinen Fall von Halbseitenläsion des Rücken-
marks mit der Dii^ose Syringomyelie, bei dem rechter Arm und rechtes Bein
— 64 —
motorisch gelähmt sind, während die Sensibilität im rechten Arm theilweise, im linlcen
Bein total erloschen ist. Am rechten Bein ebenfalls Mitbewegung im Fassgelenk.
Am rechten Vorderarm und Handrücken partielle Wärmeanästhesie, indem Fat.
kalte Gegenstände als kalt, bei Berührung mit warmen und heissen gar keine Tem-
peratur empfindet.
Beachtung verdienen die ,,Mitbew6gungen" in diesen Fällen, die in neuerer Zeit
bei cerebraler Hemiplegie, spastischer Spinalparalyse etc. häufig beobachtet wurden.
Die Hyperästhesie auf der Seite der Verletzung, wie sie in typischen Fällen Brown-
S6quard*scher Spinallähmung gefunden wird, zeigt nur Fall II. Diese nach Woroschi-
loff*8 Vorgange aus dem Wegfalle schmerzhemmender, mit den motorischen Bahnen
im Seitenstrang ungekreuzt aufsteigender Fasern zu erklären, möchte H. nicht, da wir
sonst diese Hyperästhesie in Fall I (mit vermuthlich starker Seitenstrangläsion) gewiss
erwarten müssten. H. zieht deswegen die Annahme einer reactiven Entzündung des
Marks vor.
Die verschiedenen Sensibilitätsarten verhalten sich nicht immer gleich. Die
Tastempfindung kehrt zurück und die Schmerzempfindung bleibt ofb gestört (Fall I
und II). Der Temperatursinn ist entweder herabgesetzt oder aufgehoben und zwar
für „Warm" und „Kalt" in gleicher Weise (dies dau Häufigste); oder es findet sich
partielle Temperatursinnlähmung (Fall III); oder perverse Temperaturempfindung, so
dass alle thermischen Reize dieselbe Temperaturempfindung bewirken (Fall I n. II).
Letztere Erscheinung spricht für die Annahme getrennter „Wärmenerven" und „Kälte-
nerven" Popper.
16) A oase illustrating the differential diagnoais of tumour of the cord
and tumour of the cauda equinus, by Oliver. (Brain. 1887. Januar.)
Die differeutialdlagnostischeu Momente, die nach der Ansicht des Verf. zwischen
einem Tumor der Meüulla in der Lumbarregion und einem solchen der Cauda equina
bestehen, lassen sich in folgender Weise iu ein Schema bringen.
Tumor der Medulla. Tumor der Cauda equina.
1. Im Beginn meist Erscheinungen der 1. Wenn halbseitige Erscheinungen, dann
Halbseitenläsion. motorische und sensible Störungen auf
derselben Seite.
2. Keine trophischen und elektrodiagnosti- 2. Muskelatrophien u. Entartungsreaction.
sehen Störungen der Muskeln.
3. Starker Kniereflex und Achillesclonus. 3. Weder Patellar- noch Achillessehnen -
reflex.
4. Blasenstörungen. 4. Keine Blasenstörungen.
Bruns.
17) Ein Fall periodisoher spinaler Lähmung, von B. Greidenberg. (Wratsch.
1887. Nr. 48. Russisch.)
Ein 22jähriger Soldat klagte über periodisch auftretende Lähmung des ganzen
Körpers, wodurch er mehrere Male monatlich im Laufe von 1 — 2 Tagen verhindert sei
sich zu rühren; die Krankheit soll seit 10 Jahren bestehen und der erste Anfall
nach einem heftigen Schreck entstanden sein. Erbliche neuropathische Disposition
ist nicht vorhanden. In Folge seiner Angaben wurde er zur Exploration in die vom
Verf. geleitete Anstalt geschickt, wo er zwei Monate lang unter spedeller Beobach-
tung verblieb.
Die objective Untersuchung ergab keine Abnormitäten seitens des Nervensystems.
Es erwies sich, dass er 2 — 3mal wöchentlich von einem stereotypen Lähmungszustand
— 55 —
folgenden Charakters befallen wurde: Noch am Abend, beim Schlafengehen fühlte
sich Patient vollständig gesnnd, am nächsten Morgen aber erwachte er mit dem
Oef&hl einer Gebundenheit des ganzen Körpers, konnte sich weder umdrehen, noch
setzen, noch überhaupt ein Glied bew^en, und nur die Muscnlatur des Gesichts und
der Zunge erschien ungelähmt. Einige Muskelgruppen, yorzüglich an den Unter-
dxtremit&ten, boten deutlich ausg^rägte Spannung und fühlten sich hart an. Haut-
and Sehnenrefiexe fehlten. Die elektrische Erregbarkeit der Nerven und
Maskeln war vollständig verloren. Sensibilität erhalten, Temperatur normal,
Bewuastsein frei. Puls etwas beschleunigt. Die Läbmung mitsammt ihren Attributen
befiel stets zuerst die Unterextremitäten und breitete sich dann im Verlauf mehrerer
Stünden auf die Bumpftnusculatur und Oberextremitäten aus; mehrmals beschränkte
sie sich auf die Unterextremitäten allein. Die Rückkehr der Beweglichkeit geschah
in umgekehrter Richtung, indem Patient zuerst im Stande war, die Handfinger zu
bewegen, dann die Arme, weiter sich setzen konnte, und erst zuletzt die L&hmung
der Fflsse verschwand; zu gleicher Zeit und in der nämlichen Reihenfolge stellte
sich auch die elektrische Erregbarkeit wieder ein; die Sehnenreflexe kehrten erst
bedeutend später zurück. Die Restitution dauerte gewöhnlich mehrere Stunden, die
Lähmung selbst hielt von mehreren Stunden bis zu einigen Tagen an.
Verf. macht auf die frappante Aehnlichkeit seiner Beobachtung mit der von
Westphal (Berliner klin. Wochenschr. 1885. Nr. 31 u. 32) beschriebenen aufmerksam
und gesellt sich zu dessen Ausspruch zu: „Wir stehen dem geschilderten Krankheits-
fall als einem Räthsel gegenüber." P. Rosenbach.
18) Ueber periodische OoiüomotoriuBläbmiuig, von Prof. Dr. H. Senator.
(Zeitschr. f. klin. Med. Bd. XHI. H. 3.)
Eine 22jährige Frau litt ihrer Angabe nach seit ihrem 8. Lebensjahre an
periodisch auftretenden Anfällen von rechtsseitigem, heftigem Kopfschmerz, Frost,
Müdigkeit und Erbrechen; dieselben dauerten in der Regel 3 — 4 Tage und wieder-
holten sich alle 4 Wochen. Ursache unbekannt.
Im 12. und 16. Lebensjahre trat während der Dauer zweier derartiger Anfälle
auch Doppeltsehen und Ptosis des rechten Auges hinzu. Dieselbe Complication zeigte
sich ein 3. Mal im 22. Jahre und kam diesmal zur genauem Beobachtung des Ver-
fassers. Am 4. November 1886 wurde neben rechtsseitigem Kopfschmerz eine
eomplete L&hmung sämmtlicher Zweige des rechten N. oculomotorius, einschliess-
lich der Iris- und Ciliarzweige, constatirt. Reaction auf Licht und Accommodation
rechterseits erloschen. Augenhintergrund normal. Sonstige Störungen an den Augen,
oder von Seiten des Nervensystems fehlten vollständig. Nach 6tägigem Bestände
war die Lähmung wieder völlig verschwunden und der Augenbefund ein gänzlich
normaler. Patientin fühlte sich, wie auch nach den früheren Anf&Uen wieder voll-
kommen gesund.
Während einer weiteren langem Beobachtung der Patientin wiederholten sich
diese Migräneanf&lle in unregelmässigen Zwischenräumen mit 3, 6, 9wöchentlichen
Pansen; eine Betheiligung des N. oculomotorius fand nicht wieder statt.
Die Angabe der Patienian, dass stets die Anfälle alle 4 Wochen und kurz vor
oder mit der Menstraation eingetreten sein sollen, bestätigte sich also in letzterer
Zeit nicht und macht einen Zusammenhang zwischen den An^en und der Menstrua-
tiott unwahrscheinlich.
In Anschluss an vorstehenden Fall periodischer Oculomotoriuslähmung bespricht
Verf. ausfdhriich diese sehr interessante und eigenartige Krankheitserscheinung mit
Berücksichtigung der einschlägigen Litteratur.
Es handelt sich in allen diesen Fällen um eomplete, sämmtliche Zweige eines
N. oculomotorius betreffende Lähmungen, die in verschieden langen Zeitintervallen
immer wieder ein und denselben Nerven befaUen.
— 66 —
Verf. unterBcheidet 2 Gruppen: die eiste umfasst diejenigen L&hmiingen, welche
nur periodisch exacerbiren und bei welchen in den Zwischenzeiten Reste der Läh-
mungen doch noch nachw^har sind; in die zweite rechnet er die rein periodischen
L&hmungen mit vollkommen freien Intervallen, deren Vorkommen durch den mitge-
theilten Fall von Neuem bestätigt wird.
Bei Besprechung des Wesens und der Ursache dieser Lähmungen kommt Verf.
zu dem Schlüsse, dass die periodisch exacerbirenden Oculomotoriuslähmungen in
einigen Fällen mit Sicherheit, in andern mit grosser Wahrscheinlichkeit auf eine
Läsion des Nervenstammes an der Schädelbasis zurückzuführen und durch vorüber-
gehende odematöse Schwellungen und entzündliche Reizungen von einem bestehenden
Erkrankungsherd aus secundär bedingt sind.
Schwieriger ist die Beurtheilung dieser Frage bei der 2. Gruppe, den rein
periodischen Lähmungen, und ist Verf. geneigt anzunehmen, dass es sich hier um
schnell vorübergehende, leicht ausgleichbare Störungen handelt^ dass grObere ana-
tomische Läsionen auszuschliessen sind und dass dieselben mit Wahrscheinlichkeit
als sogenannte functionelle Lähmungen, als hysterische oder als Reflezlähmungen auf
hysterischer Grundlage aufzufassen sind. P. Seifert
19) Migraine attaoka followed by temporary paralysis of the third nerve,
by Suchling. (Brain. 1887. July.)
Totale recidivirende Paralyse des linken Oculomotorius nach Migräneanfällen.
Die Migräne dauerte gewöhnlich 48, die Lähmung 24 Stunden, doch war auch in
der Zwischenzeit die Function des Nervus III keine ganz normale. Verf. will nur
den Fall von Saundby (Lancet. 1885. 10. Jan.) dem seinigen gleichstellen. (Die
Fälle von MObius, Oppenheim, Thomsen und Manz hatten zwar alle auch
migräneartige Anfälle vor Eintritt der Lähmung, letztere aber war von weit längerer
Dauer, als in des Verfossers Fall Ref.) Bruns.
Psychiatrie.
20) On arrested cerebral development with special reference to its cortical
pathology, by B. Sachs. (Joum. of nervous and mental diseases. 1887. XIY.
p. 641.)
Bemerkenswerther Fall von hochgradigster Idiotie bei einem sonst wohlentwickelten
Mädchen von 2 Jahren. Die Eltern waren frei von Lues etc., dagegen psychopathisch
belastet; die Mutter hatte im 6. Monat der Gravidität eine schwere Erschütterung
durch Sturz aus dem Wagen erlitten. Das Kind hatte sich in normaler Weise ent-
wickelt» doch fiel seit dem 3. Monat sein Mangel an Aufmerksamkeit und an activen
Bewegungen auf. Er lernte auch später nicht, eine Person erkennen, eine spontane
Bewegung zu machen und einen Ton von sich zu geben. Gehör und Gefühl schienen
sehr ausgebildet^ das Sehvermögen fehlte aber völlig. (Eine von Knapp vorgenom-
mene ophthalmoskopische Untersuchung ergab das von ihm bereits auf der XVII. Oph-
thalmologen-Yersammlung zu Heidelberg mitgetheilte eigenartige Resultat, dass neben
Nystagmus und normalen Augenmedien Abblassung beider Sehnervenpapillen und inten-
sive kirschrothe Färbung der Fovea centralis, die beiderseits von einem grauweissen
und allmählich in die normale RetinaUärbung übergehenden Ringe umgeben war,
bestand.) 2 Jahr alt erlag das Kind einer Bronchopneumonie.
Die Section ergab einen fast symmetrischen hyperostotischen Schädel und keine
wesentlichen Abnormitäten der Hirnhäute. Das Gehirn selbst irog 1000 Gramm;
alle Furchen waren tief und dabei wenig complicirt, besonders in den Stimlappen.
Die linke Insel lag ziemlich frei, während die rechte fast ganz verdeckt war. Im
— 67 -
Hini and speciell in der — dem Gefühl nach — härten Hirnrinde lieesen sich keine
Spuren eines älteren encephalitischen Processes nachweisen: die Neuroglia war überall
gans normal. Weder Sklerosen, noch Kemwucherongen oder Verändernngen der
Blntgefösse waren irgendwo zu entdecken; auch die Zahl der (befasse aaf einer
Flächeneinheit entsprach durchaus dem normalen Verhalten. Dagegen war die Zahl
der Qanglienzellen nnd besonders der grossen Pyramidenzellen zweifellos verringert
und die Zellen selbst mangelhaft entwickelt: die Contour und der protoplasmatische
Inhalt derselben boten ganz von der Norm abweichende Bilder. Hervorzuheben ist
hier speciell der eigenthümliche Befund, dass viele der Vertreter der grossen Pyra-
mideniellen nngewöhnlich gelagert waren, also z. B. mit der Basis nach aussen lagen.
Eme ähnliche abnorme Lagerung hat übrigens auch Brückner (und ganz neuerdings
Bernardini, Bef.) bei Idiotie beschrieben.
Die Zellenfortsätze nnd Nervenfasern schienen normal zu sein, doch Hessen sie
sich bei den angewandten Färbemethoden nicht weit in ihrem Verlaufe verfolgen.
Eine Erkrankung der Ganglienzellen, etwa mit secundärer Degeneration und
Atrophie derselben, glaubt Verf. aosschliessen zu müssen; er nimmt daher einen
(▼ielleicht im 5. Fötalmonat in Folge des Traumas eingeketenen) Stillstand in der
weiteren Entwickelung der Bindenzellen als Ursache der Idiotie au.
Eine Beproduction der linken Hemisphäre durch Lichtdruck und einige Abbil-
dungen mikroskopischer Präparate aus der Rinde vervollständigen die anatomische
Beschreibung des Falles. Sommer.
■
21) De rötat de la dentition ches las enfants idiots et arriärös, par Alice
Soll i er, n^ Mathieu-Dubois, Docteur en M^decine etc. Paris. (Publications
du Progrte medical. 1887. p. 179.)
Mehr als hundert Beobachtungen an idiotischen und epileptischen Kindern des
„Hospice de Bicetre" werden ausführlich mitgetheilt und die Angaben durch zahl-
reiche Abbildungen der Kiefer und Zahnreihen anschaulich gemacht. Die Idiotie mit
oder ohne Epilepsie giebt in 91^/^ eine Prädisposition zu Verzögerungen in der
Entwickelung und zu andern Anomalien der Zähne. Unter 60 Idioten zeigten 8 eine
verfrühte erste Dentition, der 4. Theil sämmtlicher Idioten und Epileptiker hatte
eine verspätete erste Dentition. Vorzeitiges Ausfallen der Zähne der ersten Dentition
&nd sich selten (I^Iq), verspätetes Schwinden derselben in H^/q der Fälle. Die
Verspätung der 2. Dentition erfolgte in 36%. Bei 14% fand sich Zwergwuchs der
Zähne, in 11 ^/q Biesenwuchs derselben; andere Missbildungen der Zähne treten bei
53% auf. Das Fehlen von Zähnen kam, abgesehen von der Verzögerung der zweiten
Dentition, in 11% ^^h ^^ Ueberschnss in 2^/^. In dem Sitz der Zähne sind die
Anomalien häufig (34 ^/q) und betreffen namentlich die Richtung der Eck- und Schneide-
zähne. Längsfurchen und Streifen wurden bei 41"/^) beobachtet, Einkerbungen und
Zacken in 58 ^/g. Caries, Weinsteinbildung etc. haben keine besondere Beziehung
zQr Idiotie und Epilepsie. Erosionen wurden bei Idioten mit und ohne Epilepsie
beobachtet, häufiger kamen sie ohne Gonvulsionen vor. In 43 ^/^ war die Articulation
eme mangelhafte. In 38 ^/^ zeigte der harte Gaumen Anomaüen (Ungleichheit im
Nifeau etc.), der weiche Gaumen war in 45 ^,(, der Fälle missgebildet. Doch fand
sich anch völlige Idiotie ohne ii^end eine dieser Störungen. Kali scher.
22) Idiotie oompldte symptomatique d'une atrophie oäröbrale double, par
Bonrneville et Bri9on. (Progr. mäd. 1886. Nr. 34.)
Das 4jährige vollkommen idiotische Kind kam in der Pflegeanstalt in Bicötre
zur Beobachtung, es starb nach einem Aufenthalt von 4 Monaten an chronischer
Bronchitis. — Der Knabe stammte aus einer mit Geistes- und Nervenkrankheiten
— 68 —
sehr belasteten Familie, und wurde erzeugt in einer Zeit, da Vater und Mutter in
einer Eautscbukfabrik arbeiteten und viel Schwefelkohlenatofif einathmeten. Im
8. Monate seines Lebens wurde die mangelhafte Entwickelung desselben zuerst be-
merkt. Er lernte nicht sprechen, erst im 4. Jahre üng er an zu laufen, schlief
wenig und stiess in der Nacht heftige Schreie aus, war dabei von allen möglichen
Krankheiten und Bildungsanomalien, Impetigo, Ophthalmie, Strabismus, Phimosis etc.
heimgesucht — Es wurde complete Idiotie constatirt. — Das Kind knirschte fast
fortwährend mit den Zähnen und wiegte sich von hinten nach vom.
Die Autopsie ergab verschiedene atrophirende Processe im Grosshim, welche die
Verff. auf eine entzündliche Erweichung zurückzuführen geneigt sind. — An Stelle
der besonders atrophirten Lobi frontales, temporales und parietales waren theilweise
Pseudokysten getreten. — Die linke Hemisphäre, welche 91 Gramm wog, war weniger
betheiligt als die rechte. Laqner.
23) Cases of suioidal intent in oongenital imbeciles, by C. S. W. Cobbold.
(Joum. of ment. science. 1886. Oct.)
G. theilt 6 Fälle von Selbstmordversuchen bei angeborenem Schwachsinn mit.
Solche Fälle kommen wohl öfters zur Beobachtung, die hier mitgetheilten zeichnen
sich aber durch das Missverhältniss zwischen dem stattgehabten geringfügigem Yer-
druss und der Schwere der geplanten That aus, ja in einzelnen fehlt sogar jede
äussere Ursache, der Versuch entspringt rein einem momentanen Impuls, und in
diesen Fällen ist auffallend, wie rasch der Impuls vergeht und dann auch vergessen ist
Zander.
24) Tunghörte, Böve og Aandssvage, af Dr. med. Ole Bull. (Norsk. Mag. f.
Lägevidensk. 1887. 4. B. II. 6. 7. S. 438. 633.)
B. untersuchte die Zöglinge mehrerer Institute für geistig Zurückgebliebene in
Bezug auf das Hör- und Sehvermögen, in der Absicht, das gewonnene Material fQr
die Aetiologie der Geistesschwäche zu verwerthen. Er fand dabei die Yermuthung
bestätigt, dass Ohrenleiden oft Schuld sind am Zurückbleiben in der geistigen Ent-
wickelung. Auch für Augenleiden konnte B. dasselbe in einer nicht unbedeutenden
Anzahl von Fällen feststellen. Er fordert deshalb, dass bei geistig Zurückgebliebenen
mehr auf das Verhalten der Smnesorgane geachtet werde. Walter Berger.
26) liäsionen des Gehörapparates und psychische Störungen, von Lannois,
Lyon. (Pariser Congress für Laryngologie und Otologie. October 1887.)
L. hat seine Untersuchungen bei 46 Frauen angestellt und unterscheidet unter
ihnen die vollständig tauben und die an Hallucinationen leidenden Patienten. Die
erste Gruppe (19 Fat.) umfasst 14 mit und 5 ohne HaUucinationen. Die zweite
Gruppe (26 Fat.) umfasst 12 ohne Ohrenläsionen, 14 mit Gehörsstörungen und
Ohrenläsionen. Daraus folgt, dass mehr als die Hälfte der FäUe ohrenleidend ist
L. kommt zu folgenden Schlüssen: 1. Die Ohrenläsionen sind bei den Irren häufig
und in einer Anzahl von Fällen die prädisponirende Ursache der Hallucinationen und
psychischen Störungen. 2. Bei allen an Hallucinationen leidenden Patienten muss
man zuerst immer die Ohren untersuchen, da eine rechtzeitige Behandlung eines be-
stehenden Ohrenübels die Krankheit zuweilen zu heilen vermag.
(D. M. Zeitg. 1887. S. 1050.)
— 5fl —
Forensische Psychiatrie.
26) Du diagnostic mädico-l^al de la Pyromanie par Tezamen indirect,
par Marandon de Montyel. (Arch. de Neurologie. 1887. VoL XIII. p. 19.)
In weiterer Ansftlhrang seiner früheren Mittheilong über die geistesgestörten
Brandstifter (Arch. de Neor. 1885. X.) behandelt M. solche Schwachsinnige, welche
Dicht wie andere Irre ihren Wahnideen gehorchend Feuer anlegen, sondern welche
von Zeit zu Zeit durch einen unwiderstehlichen Trieb hierzu getrieben werden. Sie
sind Yerschmitzt und im Lügen gewandt und es gelingt nur durch indirecten Beweis,
sie zu überführen, weil sie vorzüglich zu dissimuliren wissen: Manche wissen auch
in ihrem Schwachsinn nicht, über das was in ihrem Innern bei der That vorging,
Auskunft zu geben. Der indirecte Beweis wird erbracht durch verschiedene Um-
stände: sonächst sind es Brände von leicht entzündbaren Stoffen, zu denen ein Streich-
hölzchen genügt; dann sind es immer mehrere Brande, auf dem Lande, und stets
Sonntags oder Festtags, nach Schlnss der Wirthsbäuser. Den Brandstifter charak-
terisirt das Fehlen jeden Motivs, sein Schwachsinn, sodann gewisse Störungen seines
Befindens kurz vor oder bei der That: Kopfschmerzen, Herzklopfen, Luftmangel, Ab-
geschlagenheit und Schwächegefühl, schweigsames, trauriges Wesen, bereits früher
bemerkte Neigung zum Brandstiften. Er h^t in der Kindheit an Convulsionen ge-
litten, oder an andern nervösen und intellectuellen Störungen, er ist erblich beanlagt,
er ist in der Zeit der Pubertätsentwickelung, Frauen in der Menopause oder in Zu-
ständen von Menstruationsstörungeu. Meist sind sie eifrig beim Löschen des Brandes.
Die That ist verschmitzt und mit Vorbedacht ausgeführt; in der Untersuchung sind
die Thätw verschlagen und lügnerisch; die öffentliche Meinung hält sie für geistig
gesund. Es sind stets Landleute.
Auf diese den Thäter betreffenden Indicien 1^ M. das Hauptgewicht; manche
Fälle bieten Abweichungen, doch stets muss das Fehlen eines jeden Motivs fär die
That Gonstatirt sein.
In den mitgetheilten Fällen gelang es M., die Bichter von dem Vorhandensein
der „Pyromanie'' zu Überzeugen. [Es dürfte sich aber nicht empfehlen, diesen Be-
griff in die gerichtliche Medicin wieder einzuführen.] Siemens.
Therapie.
27) De l'dpilepsie d*origine cardiaque et de son traitement, par Georges
Lemoine. (Revue de M^decine. 1887. Mai. p. 365.)
Verf. berichtet über einige Kranke mit organischen Herzfehlern (Mitralstenose,
Aorteninsuflicienz), bei welchen anscheinend erst im Anschlüsse an den Klappenfehler
sich zeitweise stärkere oder schwächere epileptische Anfälle einstellten. Letztere
hängen wahrscheinlich mit den Oirculationsstörangen zusammen. Denn, sobald es
gelang, durch Coffein, Digitalis und ähnliche Mittel eine völlige Compensation des
Herzfehlers herbeizuführen, blieben auch die Anfälle weg, während ihre Häufigkeit
zunahm bei jeder Verschlimmerung des sonstigen Zustandes. Von welcher Art die
Circulationsstörung ist, welche den epileptischen Anfall hervorruft, ist nicht leicht
in entscheiden. Es scheint, dass hierbei sowohl die Anämie, als in anderen Fällen
auch die active Congestion des Gehirns in Betracht kommt. Strümpell.
^S) Nuovi ipnogeni (metilalo e idrato d'amilene), note preventive del dott. P.
Petrazzani. (Bivist. speriment. di Freniatr. ecc. 1887. XIII. p. 206.)
Untersuchungen über die Wirksamkeit zweier neuer Schlafmittel, von denen
indess nur das zweite, Amylenhydrat, eine wesentliche Bereicherung des Arzenei-
s^^hatzes darzustellen scheint.
— 60 —
1. Methylal (Methylendioxymetfayl)» Yon der Zusammenfietzong CI^HgOj =
(GH30),CH2, Ton Malagati bereits 1839 entdeckt, aber erst 1886 von Personali
und dann von Lemoine, Mairet ond Gombemale, Motrokin u. A. therapeutisch
angewendet Es wurde vom Verf. gegen hartnäckige Schlaflosigkeit, besonders gleich-
zeitiger psychischer oder motorischer Erregung, innerlich, in Wasser gelöst, gegeben
und zeigte sich in Dosen von 5 — 8gr nur bei etwa 28% der Fälle wirbanu
2. Amylenhydrat (Pseudoamylalkohol, Dimethyläthylcarbinol) von der Zu-
sammensetzung C5H|20s=(CH3),C(C2H5)OH, von Würtz entdeckt und von Hering
1887 als Schlafmittel empfohlen. Es ist eine ungefärbte, nach Aether und Kampher
schmeckende Flflssigkeit vom spec. Gewicht 0,81 und Itet sich in Wasser im Yer-
hältniss von 1:8, in Alkohol aber in jedem Yerhältniss. Die Dosis beträgt 3,5 bis
5,0 gr und ist bei Schlaflosigkeit auf Grund tobsüchtiger oder ängstlicher Erregung ^
fast ausnahmslos wirksam, indem sie einen festen, ruhigen und 4 — Sstflndigen Schlaf
hervorruft. Leider versagt sie aber schon nach 4 — 6maliger Anwendung; subjective
Unannehmlichkeiten sind unter einigen 70 Einzelfällen nur zweimal geklagt worden
und haben auch hier keinen höheren Grad erreicht Weitere Versuche mit diesem
Mittel sind daher wohl zu empfehlen. Sommer.
29) Uebor die Berechtigung der Castration der Frauen sur Heilung von
Neurosen und Psyohoaen bei intaotem Sezualsystem, von Gustav Willers.
Inaugunü-Dissertation. Freiburg i. B. 1887.
Eine sehr fleissige tabellarisch geordnete ZusammensteUung einer grösseren Seihe
von Castrationen kommt zu dem Schluss, dass die Annahme, dass die Castration bei
vollständig intactem Senalapparat angezeigt sein könne, in der Zusammenstellung
wenig Stutze findet M.
aO) De raotion de raatipyTlne sur l'un des oentres therrniquee enoäpha-
liquee, par le Dr. H. Girard. (Revue m^c. de la Suisse romande. 1887. Nr. 11.)
Zu den seit längerer Zeit bekannten Wärme-Erregungscentren in MeduUa cer-
vicalis, Bulbus, resp. Pons und Thalamus opticus haben wir durch neuere Forschungen
(von Schreiber, Ott, Ch. Riebet, Aronsohn und Sachs, Girard) Eenntniss
bekommen von einem im vorderen Theile des Gehirns gelegenen Wärmecentrum, dessen
Ort verschieden angegeben wird. G. beschreibt eine einfache Operation, durch welche
er mit Sicherheit eine Stelle am Innenrande des Corpus striatum beim Kaninchen
trifift und jedesmal eine starke Temperatursteigerung von 24 bis 48 Stunden Dauer
erzeugte. — Nachdem er die Wirkung von subcutaner Injection von Antipjrin bei
unverletzten Kaninchen vorher studirt und den entsprechenden Temperaturabfall fest-
gestellt hatte, injidrte er das Antipyrin bei solchen Kaninchen, denen durch die oben
angegebene Operation (piquüre du corps strie) eine Temperatursteigerung beigebracht
war. In allen Fällen trat auch hierbei eine deutliche Temperaturabnahme nach Anti-
pyrin auf, woraus G. schliesst, dass dieses Mittel zu den Nervinis gehört, welche
durch Einwirkung auf das Gehim-Wärmecentrum die Temperatur herabsetzen.
Hadlich. '
Anstaltswesen.
81) Bericht über die Verwaltung der Provinsial- Irren -Heil- und Pflege-
Anstalt SU Neustadt in Westpr. für das Btatigahr 1. April 1886/87. Kr-
stattet vom Director Dr. Kroemer.
61
1. April 1886 164 M. 177 Pr.
Aufgenommen 61 M. 66 Fr.
Verpflegt 215 M. 243 Fr.
Abgang 49 M. 55 Fr.
Bestand am 1. April 1887 166 M. 188 Fr., Summa 354.
Von den Aufgenommenen waren 13 mit dem Strafgeeetz in Conflict gerathen;
ein ausffihrliches Gutachten über einen der Brandstiftung angeklagten Paralytiker
findet sieb im Bericht, der ausserdem 33 sorgföltig ausgearbeitete, sehr instructive
Tabellen enthält Wir heben unter den letzteren noch besonders die über die Arbeits-
tage der Männer und Frauen hervor, welche ein erfreuliches Bild von den erzielten
Resultaten in Bezug auf die Beschäftigung der Kranken bieten. M.
32) Bericht über die VerwaXtung der Frovinsial-Irren-Heü- und Pflege-
Anstalt zu Sohwetz ffir das Etatflijahr 1. April 1886/87. Erstattet von.
dem Director Dr. Grünau.
Bestand am 1. April 1886 177 M. 165 Fr., zusammen 342.
Aufgenommen 32 M. 30 Fr., zusammen 62.
Zusammen 209 M. 195 Fr., zusammen 404.
Es schieden aus 43 M. 27 Fr., zusammen 70.
Bestand am 31. März 1887 166 M. 168 Fr., zusammen 334.
Von den Aufgenommenen litten 21 M. 22 Fr., zusammen 43 an einfacher Seelen-
atorung.
Die Kosten der Verpflegung betrugen pro Kopf 0,66 Mark.
Von Interesse ist besonders der Bericht wegen einiger forensischer Fälle, speciell
der über eine Frau, welche im Jahre 1879 wegen Mordes ihrer zwei Kinder zum
Tode verurtbeüt, jedoch zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe begnadig^ worden. Ob-
gleich schon während des Stra^rocesses Zweifel an ihrer Zurechnungsföhigkeit vor-
handen waren, die sich im Laufe der Strafvollstreckung noch mehrten, wurde sie
doch erst nach 7 Jahren und zwar nach einer 6wöchentlichen Beobachtungszeit in
einer Irrenanstalt und entgegen der Ansicht des betreffenden Zuchthausarztes definitiv
als geisteskrank erkannt und f&r blödsinnig erklärt. Sie leidet an Schwachsinn, ver-
bunden mit Erregungszuständen. M.
ni. Aus den Gtosellsohaften.
0
Berliner GtoeeUechaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung vom
9. Januar 1888.
Herr Thomson: Vorstellung eines Falles von traumatischer Beflex-
paralyae. Ein jetzt 45jähriger Mann, dessen Yater Potator, von dessen Brfldem
der eine auch Potator, der andere taubstumm ist, der selbst im Wesentlichen gesund
gewesen ist, nur einmal als Soldat einen leichten Schwindelanfall gehabt hat, wurde
im Feldzuge 1870/71 durch einen Schuss in den rechten Oberarm verwundet. Seit
1885 traten Schmerzanfölle auf, welche von der Narbe des rechten Arms ausgehen
und sieb mit Hallucinationen und psychischen Störungen verbanden, die nach und
nach heftiger wurden, in immer kürzeren Intervallen wiederkehrten und am 5. Nov.
1887 die Aufoahme in die Charit^ nöthig machten. — Die An^e treten immer in
dersellien Weise auf: erst beginnen die Schmerzen im Arm, zunehmend an Stärke;
zu ihnen treten Hallucinationen, Bilder von Büffeln und Hunden, von rothen oder
blutigen („abgehäuteten") Menschen, Pat. glanbt, seine Frau greife ihn an, werfe ihn
— 62 —
aus dem Bette eic. — Der Fat wird dann erregt» gewaltthätig. In den nächsten
Tagen tritt deprimirte Stimmung ein, er sagt, er wolle sich aufhängen; diese Stim-
mung wechselt mit einer entgegengesetzten, er renommirt, bramarbasirt und endlich
folgt normales Verhalten, das jedoch zuletzt von krankhaften Erscheinungen, ängst-
lichen Träumen, Benommenheit, getrübt war. Fat selbst hat bei den Anfallen auch
Kopfschmerz, Sehschwäche, schlechten Geschmack und Gefühllosigkeit im rechten
Arm und Bein wahrgenommen.
Die Untersuchung (5. Nov. 1887) ergab: kräftiger, intelligenter Mann. Am
rechtep Arm — ausser den Narben — nichts Abnormes an den Nerven und Muskeln.
Am 8. November ein Anfall, Schmerz, Hallucinationen etc. Das rechte Bein
zeigte deutliche Farese, keine Ataxie. Aber es bestand eine totale Hemianaesthesia
dextra, die sich auch auf Cornea, Nasen-, Mund- und Bachenschleimhaut und äusseren
Gehörgang erstreckte, und Geruch, Geschmack, Gesicht rechterseits betraf, während
das Gehör links beeinträchtigt war. — Muskelsinn intact.
In ähnlicher Weise traten noch mehrere Anfälle ein, wobei sich zunehmende
Einschränkung des Gesichtsfeldes und Dyschromatopsie — sodass zuletzt nur noch
im Fixirpunkt Farben, und zwar lediglich rotb, gesehen wurden — zeigte.
Vom 19.— 31. December freies Intervall, das benutzt wurde, um (27. Dec.) die
Narbe zu reseciren, welche sich übrigens nicht mit dem Knochen vorwachsen zeigte,
auch nicht einen nennenswerthen Nervenast betheiligte. — Nur am 1. Januar d. J.
noch ein ganz leichter Anfall von 24 Stunden; seitdem ist Fat. bis heute ganz ge-
sund geblieben, zeigt psychisch ganz normales Verhalten, die Hemianästhesie ist voll-
ständig verschwunden.
Wir haben also 15 Jahre nach einer Verwundung das von der Narbe ausgehende
Leiden. Fat. hat niemals epileptische oder epileptoide AnHille gehabt. Offenbar löst
die Narbe des rechten Armes die Anfälle aus, wobei es merkwürdig ist, dass die
Anästhesie sowohl, wie die Hallucinationen rechtsseitig auftreten, nur die Gehörs-
affection sich — übrigens auch nicht regelmässig — links, also gekreuzt» stärker
zeigte. — Von Uysterie ist hier nicht zu reden, auch erwies sich gegen die Anäs-
thesie sowohl der Magnet wie der galvanische Finsel etc. ganz machtlos. Es ist
offenbar eine Beflex-Fsychose.
Herr Bemak: Ueber einen Fall von Bulbärkernerkrankung. Eine
48jährige, schlecht genährte Frau, welcher 6 Jahre vorher wegen Tumoren die Ovarien
entfernt waren, erkrankte am 10. Nov. 1886 ganz plötzlich, indem ihre Sprache be-
hindert wurde. Dies ging zwar bald vorüber, trat aber wiederholt von Neuem auf,
es gesellten sich Schlingbeschwerden hinzu, sie war nicht mehr im Stande zu pfeifen
u. a. m. Als B. sie am 15. December untersuchte, fand er eine leichte Struma, sehr
unregelmässige Herzthätigkeit; Oberlippe auffallend dünn, Mund breit und schlaff,
Nasolabialfalten verstrichen, das ganze Gesicht maskenartig; Augenschluss unvoll-
kommen. — Sensibilitätsstörungen fehlen, keine Augenmuskellähmung, Fupillen reagiren
auf Licht* Zunge schwer beweglich, aber ohne Atrophie; überhaupt nii^ends Muskel-
atrophien. Das Schlucken geschieht mit sichtlicher Anstrengung. — Die Sprache
war nicht erheblich gestört, kaum nasal klingend, beim Lesen trat erst nach und
nach Undeutlichkeit und Verlangsamung der Sprache ein, wobei Mitbewegungen des
Stimmuskels sich zeigten. Der Facijdis war sowohl im Stamm wie in den meisten
Aesten elektrisch gut erregbar, schlecht jedoch der zum Sphincter oris gehende Ast;
nirgends Entartungsreaction.
Es hatte sich hier also, anscheinend in apoplectischer Weise auftretend, eine
Faralysis glosso-Iabio-pharyngea entwickelt. Gegen eine ursächliche Embolie sprach
der normale Zustand des Herzens, dessen unregelmässige Thätigkeit auf Nerven-
störung beruhte. — Offenbar lag eine Kernläsion vor; bemerkenswerth war die Ab-
wesenheit jeder Zungenatrophie, des Speichelflusses u. a.
— 63 -^
Der Zasland versohlechierte sich ziemlich rasch , es trat Erbrechen und Stirn-
kopfschmerz auf, eine Ptosis worde nach und nach deutlich und zwar links etwas
slirker als rechts. Im Februar 1887 zeigt der Frontalis keine Reaction mehr und
em am 16. Februar eintretender Anfall von Schlingbeschwerden mit Dyspnö machte
die Aufnahme in die Charit^ nothwendig, wo schon am 18. Februar der Tod an
Schludc-Pnenmonie erfolgte.
Die Section ergab keinerlei üerderkrankung im Gehirn, keine meningitischen
Erscheinungen, keine GtofössTerdickungen. — Herr Oppenheim machte die mikro-
skopische Untersuchung der Med. oblongata. Er fand in der Gegend der Fyramiden-
kreuzung noch nichts Pathologisches; aber sofort mit dem Erreichen des Hypoglossus-
Kernes traf er auf die Erkrankung: zahlreiche Spinnenzellen, Yerdickte Gefisse,
Schwund der Zellen, und zwar am st&rksten in der oberen Hälfte des XII. Kernes;
auch die Kerne des Yago-Accessorius und Glossophaiyngeus waren erkrankt, des-
gleichen der Fadalis-Kem, dieser besonders in seiner unteren H&lfte. — Am Abdu-
cens- und Qnintus-Kem nichts Abnormes; auch die Wurzeln aller Gehimnerven intact;
am Ocnlomotorius-Kem nichts Krankhaflies zu erkennen. Dieser letztere Umstand
spricht nach Bemak nicht daf&r, dass es beim Menschen sich so verh<, wie es
Mendel bei seinen Experimenten an Thieren gefunden, dass n&mlich der Kern des
oberen Facialis — welcher hier mit afficirt war — im Oculomotorius-Kenie gelegen sei.
Herr Oppenheim kann sich der Angabe Bemak^s insofern nicht anschlieesen,
als er in dem negatiYen Befund im Oculomotoriuskem einen Beweis gegen die
Mendersche Lehre vom nuclearen Ursprung des Augenfadalis im Kemgebiet des
Oculomotorius nicht erblickt. Denn gerade die Untersuchung des Oculomotoriuskems
konnte im Torliegenden Fall keine vollständige sein, weil das Präparat bei der Seotion
an dieser Stelle durchtrennt war und somit eine lüclsenlose Serie keineswegs gewonnen
werden konnte. 0. hat nur in den Portionen, die ihm noch zu Gebote standen,
etwas Pathologisches nicht entdecken können.
Herr Mendel glaubt, dass er nach der Erklärung des Herrn Oppenheim kaum
noch etwas in Bezug auf den Zweifel des Herrn Bemak zu erwidern brauchte. Er
möchte aber fQr den vorliegenden Fall doch noch auf Folgendes aufmerksam machen.
Betheiligt war in demselben auch der Oculomotorius (Ptosis), und zwar musste man
nach der ganzen Sachlage annehmen: in Folge von Kemaffection. Hätte nun in
der That, was hier nicht der Fall, die vollständige Untersuchung einen negativen
Befand im Oculomotoriuskem ergeben, dann hätte Herr Bemak, wenn er Schluss-
folgerungen in seiner Weise ziehen wollte, schliessen müssen: Weder der obere
Facialis, noch der Ast des Oculomotorins, welcher zum Levat. palp. super, geht, hat
seinen Kern im Oculomotoriuskem, denn obwohl beide Nerven af&cirt waren, hat der
Kern nichts Pathologisches gezeigt. Einen solchen Schluss in Bezug auf den Lev.
palp. sup. hatte aber Herr B. doch gewiss nicht ziehen wollen. Der geschilderte
klinische Verlauf spricht übrigens für den Zusammenhang von obem Facialis und
Ast des Oculomotorius für den Lev. palp. sup.
Herr Bernhardt hat unter seinen Fällen von Bulbärparalyse einmal die Be-
theiligung der oberen Facialis- Aeste gesehen; es waren aber hierbei keinerlei klinische
Störungen im Gebiete des Oculomotorius zu bemerken. Hadlich.
IV. Bibliographie.
Bine besondare Art der Wortblindheit (Dyslexie), von Prof. Dr. B. Berlin
in Stuttgart (Wiesbaden 1887. J. F. Bergmann. Mit einer Tafel. 74 Seiten.)
B. hat seit dem Jahre 1863 in 6 Fällen ein eigenthümliches Symptom beobachtet,
das er als eine Art von Wortblindheit betrachtet. Der betreffende Patient kann
— meist plötzlich — beim Lesen nur wenige Worte hinter einander herausbringen;
— 64 -
er giebt danach mit einer gewissen Unlust, einem gewissen WiderwiUen das Buch
aus der Hand und kann absolut nicht weiter lesen. Nach kurzer Zeit zu einem
neuen Versuch aufgefordert, macht er es nach 3 — 5 Worten, die er ganz oorrect liest
(gleichgültig ob grosse oder kleine Schrift), wieder ebenso etc. Dabei besteht
keinerlei Affection des Sehorgans, wohl aber begleitende Erscheinungen —
Zuckungen im rechten Facialis, Farästhesien in einer rechtsseitigen Extremit&t, rechts-
seitige Hemianopsie (Imal), Aphasie (3mal): Alles Zeichen einer linksseitigen Oehim-
affection. Ausserdem können Kopfweh und Schwindel vorhergehen, apoplectische and
epileptiforme AnföUe folgen, und in allen bisher bekannten F&llen trat in Folge des
zu Grande liegenden Leidens der Tod ein. Die Sprache braucht nicht im Geringsten
gestört zu sein. Verf. theilt ausführlich die 6 Krankengeschichten mit, bei denen
4mal der Obducüonsbefund ihm bekannt geworden ist. Es handelt sich in den ein-
zelnen Fällen um Atherose der Art. fossae Sylvii sin., um Encephalo-Meningitis dififasa
(Paralys. progress.), um eine ältere Thrombose der Arteria cerebri posterior und
Communicans posterior linkerseits neben einer tödtlichen Hirnblutung bei atheromatösen
Geflssen; endlich am einen Erweichungsheerd, der am aufsteigenden Ast der Fossa
Sylvii beginnt» den vor demselben gelegenen Theil der dritten Stimwindung noch
einige Millimeter breit betheiligend, und sich bis zum hinteren Ende der Sylvi'schen
Grube erstreckt, in der Breite von etwa 1cm (von oben nach unten); daneben be-
standen noch 3 Heerde: im rechten Corpus striatum, im linken Kleinhirn und der
linken dritten Schläfenwindung.
Verf. leitet in sehr eingehender Weise aus diesen Beobachtungen und ans zwei
weiteren aus der Litteratur (Dr. Nieden und Dr. Steiner) als anatomische Grund-
lage der Dyslexie eine linksseitige Heerdaffection des Gehirns her, welche nahe topo-
graphische Beziehungen zu der Broca*schen Windung hat. Das anatomische Material
ist in dieser Hinsicht allerdings noch sehr gering und wenig beweiskräftig.
Die Dyslexie ist in diagnostischer Beziehung wichtig, insofern sie ein Anfangs-
symptom einer bisher noch immer tödtlich verlaufenden Himerkrankung darstellt,
wenn auch in den meisten Fällen das Symptom selbst, die Lesestörung, sich nach
einigen Wochen besserte oder ganz verschwand.
Das Verhalten der Patienten beim Schreiben ist noch nicht genügend ermittelt;
Dr. Nieden fand in dieser Beziehung keine Störung. Hadlich.
V. Personalien.
Herr Dr. Otto Snell trat als Assistenzarzt an der Kreis-Irren-Anstalt zu
München ein.
VI. Vermischtes.
In Bezuff auf das Anstaltswesen in Schlesien hören wir Folgendes: Rybnik (Director
Dr. Zander) nat jetzt 870 Patienten, 200 mehr als bei Beginn des Jahres 1887. Da die
Banten fast alle fertig sind, wird die Anstalt in kurzer Zeit voll belegt sein (600 Patienten);
die Hälfte der Kranken wohnt in freien Abtheilnngen, welche sich aber in onmittelbarer
Nähe der geschlossenen Central-Anstalt befinden, nur ein Meierhof — Bademühle — ist
IVs Kilometer entfernt, dort werden 40 männliche Patienten, auch 1 Arzt» wohnen; dert
befindet sich die eigentliche Oeconouiie. Rybnik ist Heil- und Pflegeanstalt; in Zukunft
sollen dies übrigens alle schlesischen Anstalten sein, doch soll Leubus bis nach Ankauf ge-
eigneter Ländereien vorwaltend den Charakter der Heilanstalt behalten. Kreuzburg war,
wie Rybnik, von vornherein als Heil- and Pflege-Anstalt errichtet.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Heransgeber wird gebeten«
Einsendungen f&r die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbanerdamm 20.
Verlag von Vht & Goiip. in Leipzig. — Druck von Mbtzobb & Wittio in Leipzig.
NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn.
Uebersieht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie^ Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben Ton
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter «° ^**"- Jahrgang.
Monatiich enoheiiiea zwei NununenL Preis des Jahrganges 20 Mark. Za beriehen durch
alle BnchhaBdlnngen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct tou der Verlagsbuchhandlung.
1888. L Februar. M3»
Ishalt. I. Orlflnalnftthellinigen. 1. Die histologischen Veränderungen in den peri-
pherischen Nerven» deren Spinalganglien und dem Bückenmarke in Folge von Amputation,
Ton Prof. E. A. Homln. 2. Ein Fall von Dyslezie (Berlin) mit Störungen der Schrift, von
Dr. Ludwig Bmn«. (Sehlnss.)
IL IMorftto. Anatomie. 1. Ueber die hintorm Nerveuwnrzeln» ihre Endigung in der
giaaen Substanz des Bückenmarkes und ihre centrale Fortsetzung im letzteren, von Bechterew.
2. Cells of Clarke's column, von Hott« — Experimentelle Physiologie. 3. On an ap-
pirenUy peripheral and differential aetion upon the larvngeal museles, by Semon and Horsley.
4. A minnte analysis of the various movements produced by stimulating in the monkey
diffiorent regions of the cortical centre for the upper limb as defined by Prof. Ferrier, by Beevor
andRorsloy. — Pathologische Anatomie. 5. Syrin^myelia, von Turner. 6. Histologische
üntersnohang von Lyssa^ von Schaffer. 7. Zur Casuistik und Entwickelung der Himlipome,
von Taubner. — Pathologie des Nervensystems. 8. Des n^vrites provoqu^es par las
injeetions d'^tfaer au voisinage des troncs nervenz des membres, par Pitres et Wiillard.
9. Sülle nevriti perferiche infektive sperimentali: Nevriti determinate da inoccdazioni del bacillo
del tifo e dello pneumococco di Friedländer, pel D'Abuqdo. 10. (Jeher die Affection des Ner-
ven^fstems nach acuten infectiösen Processen, von Lunz. 11. üeber acute Polyneoritis und
verwandte Krankheitsformen mit Bücksicht auf ihr zeitliches und örtliches Auftreten, von
Eisenlohr. 12. Zur Eenntniss der acuten infectiösen multiplen Neuritis, von Rosenhefm.
18. Zar Klinik der multiplen Alkoholneuritis, von WitkowskL 14. Brachial monoplegia, oom-
plieating a case of entenc fever. 15. Contribntion ä Tötude de la nävrite alcoolique, par
Dejerlne. 16. Einfluss des chronischen Alkoholismus auf das menschliche Sehorgan, von
UrtiKifl. 17. Synoope locale des extr^mitäs sup^rieures a la suite d'une commotion mödullaire»
par ■arfan. 18. Baynaud's Disease, von Suckllng. 19. Növralgie väsicale, par Guyon.
20. Zur Diagnose una Therapie der Intercostalneuralgien, von SeeligmDller. 21. rl&gra ord
om den sakaMia Urticaria faotitia, af Edf ren. 22. üeber eine öftere Ursache des Schläfen«
und Hinterhauptkop&chmerzes, von Legal« 23. Ueber den Herpes zoster, von BoottJcher.
24. Herpes digitalis, von Blaschko. 25. Periodically occuning Oculo-Motor Piffalysis. 26. Loca-
hsed Facial sweating, by Wilde und Localiaed Inguinal sweating, by Ponny. — rsychiatrie.
27. On the oocurrence of albumen in the urine of the insane, by Turner. 28. M^lancolie
anziense avec d^lire des negations, par S^glas. 29. Üeber Perversion des Geschlechtssinnes
bei Epileptikern, von Kowelewsky. 80. Ueber die Besiehungen des moralischen Irreseins zu
der erblich degenerativen Geistesstörung, von Binswanger. 31. Sopra un singolare fenomeno
allueinatorio presentato da una nevrosica, Nota del De GlovannL — Thera|)ie. 82. Ueber
die therapeutische Verwendong der Muskelarbeit und eiuen neuen Apparat zu ihrer Doeinuig,
von Birtner« 33. Gn^rison rapide de la chor^e par l'antipyrine, par Legroux.
III. Aus den Gesellschaften.
IV. Bibliographie.
V. Vennisclileg,
66
X. . Oviglnaimitth^iaij$0n.
•w *
1. Die histologischen. Y^ränclenmg^a in dexi peripherischen
Nerven, den Spinalganglien und dem Eückenmarke in
Folge von Amputation.
Von FrofeaBor B. A. Homte in Hdsingfors (Finland).
(Nach einem anf dem internationftleii Congress in Washington, Sept. 1887, gehaltnen Vortrage.)
Der Verfasser hebt zuerst die theoretische Bedeutung der Ver&ndeningen
des Nervensystems in Folge von Amputationen hervor, und 'Wie die Ansichten
der Autoren über diese Veränderungen bis hierher ganz verschieden gewesen
^d. — Verf. hat im pathologischen .Institute in Helsingfors eine experiment^e
Studie darüber gemacht, und daf&r circa SO Hunde gebraucht von verschiedenem
Alter (von einer Woche alt bis zum Erwachsenen), Er hat meistens Exarticnlationen
gemacht, zuweilen im Hüftgelenk, zuweilen im Kniegelenk des Hmterbeines, bis*
weilen auch des Vorderbeines. Die Thiere hat Verf. leben lassen 1, 2, 3 Tage etc.
\m zu 8^/2 Jahr nach der Operation (die ersten Thiere sind schon im Januar
1884 operirt).
Die Präparate waren in Müller'scher Lösung gehärtet und nachher in Alkohol
conservirt, für die peripherischen Nerven hat Verf. auch Osmiumsäure angewendet
Um gleich die Besultate der Amputation im Bückenmark mit den aecun-
dären Degenerationen vergleichen zu können, hat Verf. bei einigen Thieren zwei
hintere Wurzeln der Lumbalnerven auf der gesunden Seite abgeschnitten und
so eine au&teigende secundäre Degeneration in dem correspondirenden Hinter-
strang hervorgerufen.
Verf. giebt zuerst eine Beschreibung seiner Besultate bei kleinen Hunden,
welche, eine WochiB alt, im Hüftgelenk ejarticuhrt worden sind und wenigstens
5 — 6 Monate nach der Operation gelebt haben; etwa nach dieser Zeit scheint
nämlich der weitere Fortschritt des Processes sehr gering zu sein. Im Bücken-
mark giebt es eine bedeutende Atrophie gewisser Partien auf der operirten
Seite, welche Atrophie in der Mitte der Lendenanschwellung am meist^i aus-
gesprochen ist; in dieser Gegend ist der Hinterstrang und beinahe auch das
Hinterhom kaum mehr als die Hälfte derselben Partien auf der gesunden Seite;
im Vorderhom giebt es auch eine geringe Atrophie. Ln Vorderseitenstrang hat
Verf. keine Atrophie constatiren können. Eine Atrophie und Verminderung der
hinteren Wurzeln im Bückenmark auf der operirten Seite ist auffallend, ebenso
eine Eemvermehrung in dem Hinterstrang, ungefähr entsprechend der Atrophie.
Aber eine Differenz in der histologischen Structur der beiden Seiten ist nicht
zu finden. — Li dem Vorderhom hat Verl eine geringe Atrophie und Ver-
minderung der GangUenzellen constatirt; diese Alteration ist nicht so ausschliess-
lich und so prononcirt, wie VbiediiAXDbr und Ebaüse es beim Menschen ge-
funden haben (Fortschritte der Medicin Bd. IV), aber doch hauptsächlich
— 67 —
eiDgeseliiiiikt anf 4i6 hmtere latorato ZeUangruppe; etwa ein Yiertel von dies^
Zdln soheiiity im :YergleiolL aul der geswden Seite^ verloreii gf^^aogen zu seiiu
Die besdmeb^Mii Yer&ndenmgen nehmen eehr schnell in der Sichtung
naoh oben ab (resp. vorwärts), die Atrophie des Hinterhoms und des Hinter-
sbanges ist kamn bis. zur Mitte des Dorsalmarloa zu verfolgen. In den untersten
Partien des Dorsahnarks und obersten des Lendenmarks hat auch Yer£ eine
adff geringe Yeiminderung der Zdl^n der Glarke'schen Säulen auf der opezirten
Seite ooQstatirt
Bei den eine Woche alten Hunden, welche Yerf. im Kniegelenk ezarticulirt
haty bat er dieselben Yeranderungen gefunden, aber in entschieden geringerem
Gnide.
Bei den erwaohseaen Thieien sind die Yerandervmgen noch minderhervor«
Nach ExürtiQiIatioii des Yorderbeines hat Yerf. eine ebenso grosse Atrophie
des Hinterstranges und des Hinterhoms der Gervicalansch wellung gefcmden als
in der Lendenanschwdlung nach Ezarticulation des Hinterbeinea Auch eine sehr
geringe Yerkteinerung des Yorderhoms, wie auch eine ganz unbedeutende Atrophie
und Yermindenmg der Ghmglienzellen, besonders in der posterg^Iateralen Gruppe,
ist zu constatiren.
In den pmphenschen Nerven hat Yerf. ungefähr dieselben Yeranderungen'
gefimden wie EniHDiiÄiinDBB und Ehause, doch nicht in ganz so hohem Grade
(Verf. hebt hervor, dass es nothig ist» bei iei Hämatoxylinmethode nach Weigbbt
die Entfirbungsflössigkeit sehr verdünnt zu haben). Durch transversale Schnitte,
unmittelbar unter den Spinalganglien, wo die motorischen und sensiblen Fasern
noch getrennt sind, hat Yerf. gezeigt, dass nur die sensiblen Fasern, doch nicht
aUe, alterirt sind, während in den motorischen Fasern keine, wenigstens keine
deutliche Yeranderung zu constatiren ist, natürlich auch nicht in den vorderen
Wurzeln. Dagegen glaubt Yerf. in den hinteren Wurzeln eine ganz geringe
Veränderung, ähnlich der der Nerven, gefunden zu haben.
Bei den Spinalganglien hat Yerf. durch Yergleich mit der gesunden Seite,
eine geringe Atrophie und Yerminderung der Fasern gefunden, vielleicht auch
eine geringe Atrophie der Zellen. (Yerf. wird seine Untersuchungen, spedell
über diesen Punkt, noch fortsetzen.)
Um den An&ng und die nähere Natur dieser Yeranderungen zu studiren,
hat Yerf. eine mikroskopische Untersuchung der Präparate der Thiere gemacht,
welche 1, 2, 3 Tage etc. nach der Operation gelebt haben, und dabei sich der
aUergebraucfalichsten histologischen Methoden bedient Durch keine von diesen
Methoden ist es gelungen eine qualitative Difierenz der beiden Seiten zu
constatiren, weder in den Nerven, noch im Bückemnark. Aber etwa nach acht
Tagen fingt man bei den kleinen, eine Woche alt operirten Thieren an, eine
Ueme quantitative Differenz an den peripherischen Nerven der beiden Seiten
zu constatiien, indem man in den Nerven des Amputationsstnmpfes eine relativ
grosse Anzahl ganz feiner Fasern findet und solche, deren Myelinscheiden sich
nidit so gnt wie normal mit H&matoxylin färben; diese Yeranderung ist über
r
— 68 —
den ganzen Nerv verbreitet Nach 2 — 3 Wochen ist die Yeraiideniiig e^dent,
wie ancb eine Atrophie des Hinterstranges nnd des Hinteriioms auf der opeiiiten
Seite. Allmählich beginnt man dann aach die übrigen, oben beschriebenen Ver-
änderungen zu constatiren.
Bei den erwachsenen Thieren findet man erst nach etwa 1 oder 2 MiMiaiten
die ersten deutlichen Yeranderungen.
Auf Grund dieser Untersuchungen zieht Verf. den Schluss, dass es sidi
hier um einfache Atrophie ohne eigentliche Veränderung der histokgisGhen
Structur handelt, und ganz verschieden von der WALiiEB'schen DegeneEation
der Nerven und der secundären Degeneration des Rückenmarks; diese letztge^
nannte Differenz hebt Verf. besonders hervor durch Vergleichung mit der durch
die Section der hinteren Wurzeln hervorgerufenen aufsteigenden Degeneration
und auf Grund seiner früheren Arbeiten über die secundare Degeneration (siehe
Virchow's Archiv Bd. LXXXVIII H. 1 und Gontribution eip6iimentale ä la patho-
logie et ä Tanatomie pathologique de la mobile opinis. Helsingfors 1885).
Was die Erklärung der Thatsache betrifft, dass nur ein Theil da: sensiblen
Fasern alterirt werde, so will Verf. noch keine Hypothese aufstellen, findet auch
die FniEDLijNDEB'sche Hypothese, „dass nur die NervenfiE^em atrophiren, welche
in specifischen Endapparaten enden'^, wenig wahrscheinlich, schon deswegen^
weil er eine Differenz in dem Grade der Veränderungen gefunden hat, ob er
die Section mehr central oder mehr peripher machte. Auf der andern Seite
glaubt Verf., wie FBiBDLAia>EB, dass die am meisten alterirten Partien des
Bückenmarks, so auch die Zellen der hinteren lateralen Gruppe des Vorderhoms,
sensible Functionen besitzen.
(Der Vortrag war b^leitet von Demonstration mikroskopischer Präparate
und Photographien von solchen.)
2. Ein Fall von Dyslexie (Berlin) mit Störungen der
Schrift.
Von Dr. Ludwig Bruns» Spedalarzt für Nervenkranke in Hannover.
(Schloss.)
Bei der Vergleichung des oben kurz skizzirten BsRLiN'schen Symptomen-
complexes mit der Beschreibung meines Falles wird ein Zweifel an der Zuge-
hörigkeit des letzteren zur BEKUN'schen Dyslexie wohl nicht erhoben werden
können. Ich glaube, mein Fall bestätigt vielmehr auf's Vollkommenste die
Beobachtungen BebiiIn's, dessen grosses Verdienst es bleibt, die Neurologen auf
das wohl im Ganzen seltene und ausserdem seiner Art nach häufig zunächst
dem Ophthalmologen begegnende Erankheitsbild aufinerksam gemacht zu haben.
Abgesehen von dem Symptom, das der Krankheit den Namen gegeben,
entsprechen sich ätiologische Momente, die übrigen klinischen Symptome^ der
die schlechteste Prognose bestätigende Yerkuf und der anatomische Befund
auf's Beste; warum ich das auch fOr den anatomischen Befund behaupte, wird
— 69 —
später nocli naher begründet' werden; hier genüge znnftchst, dass anatomisch
eine schwere organische Himläsion nachgewiesen wurde.
Ich glaube nicht, dass darin, dass in meinem Falle die Dyslexie sich
nicht apoplectiform, scndem allmählich entwickelte, em Onmd liegt, denselben
anders anfzniässen; anch dass Fat am Morgen mit ausgerahtem Gehirn längere
Zeit lesen konnte nnd die schweren Sympt^nne der Dyslexie erst gegen Mittag
nach längerer Arbeit za constatiren waren, ändert an der Qualität des ganzen
Symptomes nichts, sondern kann nur dazu berechtigen, den Fall als einen
geringeren Grad der Erkrankung an£E0&8sen. Dass dieser umstand auch für die
Deutung des ganzen Erankheitsbildes von Wichtigkeit ist, wird später noch
hervortreten*
Was die peripherischen Störungen der Augen anbetraf, so brauche ich kaum
zn erwähnen, dass me, selbst wenn die zweifelhafte Neuritis optica wirklich be-
standen hätte, das Symptom der Dysleiie, das seiner ganzen Art nach sicher
ein cerebrales ist, nicht würden erklären können.
Nachdem das constatirt ist, möchte ich die Aufinerksamkeit des Lesers
noch eine kurze Zeit für die Besprechung der einzelnen hervorragendsten Erank-
heitssymptome in Anspruch nehmen, um zum Schluss meine Ansicht über Natur
nnd Art des ganzen Krankheitsbildes, soweit sich nach dem vorliegenden Material
mit einiger Sicherheit darüber reden lässt, auseinanderzusetzen.
Heber die dyslectischen Störungen an sich brauche ich mich weiter nicht
auszulassen, sie entsprechen bei mir ganz den von Bebun beschriebenen und
kann ich dem oben Ausgeführten nichts hinzufügen. Au&llend war auch in
meinem Falle die hochgradige Unlust, die Fat. bei Leseversuchen empfand und
für die ich den NiEDEN'schen Ausdruck Lesescheu ganz zutreffend finde. In
den BEBUN'schen Fällen scheint diese Scheu so hochgradig nie gewesen zu sein.
Uebrigens ist dieselbe für den Neurologen kein besonders auffalliges Symptom;
in sehr vielen Fällen von Aphasie z. B. ist den Fat. die Prüfung der durch die
cerebrale Erkrankung gesetzten Functionsstörungen, z. B. gerade solche des
Lesens und Schreibens äusserst unangenehm, sie suchen sich derselben in jeder
Weise zu entziehen und verweigern eine wiederholte Untersuchung manchmal
in erregter, ärgerlicher Weise. Das Benehmen der Kranken ist dabei ein um
so auffälligeres, als sie auch sonst, wenigstens in der ersten Zeit nach dem Ein-
tritt der Aphasie meist an ihrer Litelligenz gelitten haben.
Am interessantesten sind in meinem Falle die Störungen der Schrift und
zwar, wie ich glaube nicht nur deshalb, weil solche hier zum ersten Male bei
Dysiexie constatirt wurden.
Wir sehen, dass während die Spontanschrift irgend welche Abweichungen
von der Norm nicht bietet, die Schrift nach Vorlage sofort in der aus der bei-
gegebenen Probe ersichtlichen und schon oben kurz erläuterten Weise verändert
wird. Die Schrift nach Vorlage ähnelt vollständig der Schrift mancher an
Schreibekrampf leidenden Kranken, und Fat äusserte spontan während der
Probe, dass sein Arm ihm steif würde. Ich glaube, man kann sich diesen
merkwürdigen Befund nur in einer Weise erklären: Man muss annehmen.
— 70 —
dass die beim Lesen der Vorlage entstehenden dyaleotisohea £r-
scheinnngen, die Unlust- n. Hemmungsgefühle, auf associatorisojien
Bahnen ähnliche Hemmnngen in den Sohreibbewegnngsoentiem her-
vorgerufen haben, die schliesslich so stark wurden, dass sife im
Stande waren, direct die Schreibbewegungen des Armee und der
Hand unter einem deutlichen Gefühle des krampfhaften Zusammen-
ziehens aufzuheben.
Diese Beobachtung lastet zugleich ein intsressantes Material for die Be-
urtheilung der Frage, in wie weit bei der Spontanschrift eii)es im Sohräben
geübten Individuums die Gontrole d^ Schrift durch die Augen nothwttMÜg ist
und ausgeübt wird. In den mir zugänglichen Schriften über Aphasie habe ich
über diese Frage Genaueres nicht auffinde können. EussKAUxi spricht sich
über das betreffende Verfaältniss nicht aus, aber er erwähnt zwei Fälle (Bboab-
B>MT und Westshal) ' bei denen beiden vollständige Alexie bei Intsctbat des
Spontan- und Dictatschreibens bestand* Wbbnioks^ gruppirt diese selben Fälle
unter dem Titel subcorticale Alexie; er nimmt an, dass bei ihnen jedesmal rechts
Hemianopsie bestehe und bestreitet, dass es for die optischen Erinnerungsbilder
der Buchstaben andere Centren gäbe, wie für die übrigen, id est die Ocdpital-
lappen. Aus Lxohthehi's^ Schema geht, wie auch Bsbion hervorhebt^ nur so
viel hervor, dass bei ihm Alexie bei Frhaltensein, der Spontan-, Dictat- und
Abschrift (?) möglich ist. In letzterer Hinsicht muss man nach meiner Ansicht
scharf zwischen einer wirklichen mit Yerständniss erfolgenden Abschrift und
einem mechanischem Nachzeichnen der Vorlage unterscheiden, was nicht inmier
leicht sein dürfte, weil, wie einige Beobachtungen lehren, alectische Patienten
manchmal durch dieses Nachzeichnen Yerständniss für die Schrift gewinnen;
bei solchen Patienten bemerkt man dann auch wohl einen Unterschied in dem
Yerständniss für Gedrucktes und Geschriebenes; letzteres wird leichter aufgefasst,
weil das Nachzeichnen rascher und leichter von Statten geht Beblin, der,
wie schon erwähnt, die Schrift seiner Kranken in keinem Falle untersucht hat,
entschuldigt diesen Mangel unter anderem damit, dass er aus den Aussagen
einzelner Kranken den Eindruck gewann, „dass die von ihnen spontan angegebene
Erschwerung des Schreibens positiv auf das erschwerte Lesen des von ihnen
Geschriebenen zurückzufahren sei'' und weil er es femer in anderen Fällen for
kaum ausfahrbar hielt, „zu entscheiden, ob eine vorübergehende Unßhigkeit im
Schreiben fortzufahren, durch eine Störung des Schreibactes als solchen, oder
durch eine Störung der gleichzeitig dabei stattfindenden Lesearbeit hervorgerufen
werde.'' Beblin scheint also anzunehmen, dass beim Spontanschreiben auch
des geübten Schreibers, wenigstens wenn er nicht blind oder schriftblind ist,
eine genaue Controle der Schrift durch das Auge erfolgt und nothwendig ist
Man kann durch Selbstbeobachtung zu einem sicheren Besultat darüber nicht
kommen, in wie weit man bei offenen Augen die eigene Schrift durch den Blick
^ Fortsohritte der Medicin. 1886. S. 478.
* Yen. sAdwestdeataoher Neurol. o. Iiren&nte. Baden-Baden 1884. Bei im AnshiT
ftr Psychiatrie. Bd. XY. S. 822.
— 71 —
oontan)lirt^ da die CkmtroUe sofinrt eine eoharfe wiid, wenn man die Anfinerkaam-
kät auf ihr eventoelles Yorliandensein riolMiet Daas aber unter gewissen Um»
gtänden tär den geübten Schreiber die Gpntnde der Schrift dmeh die bei den^
selben stattfindenden Mnskd- nnd Bewegongogefühle genügt, kann man sdiOB
daraus sehen, dass Erblindete sohieiben und dasa man selbst nüt gescUosseneii
Augen, wenn anoh weniger gut^ doch richtig m schreiben im Stande ist Noch
viel intereesanter ist eine schon oben gestreifte Beobachtung Wbstphal's, oitirt
in EuBOULim's {^Störungen der Sprache^' S. 180. Sie betraf einen aphasischen
Kranken, der an Yollständiger Alezie Utt. Derselbe konnte Dictirtes ganz gut
sdireLben, seine Sdinft nachher aber selber nicht lesen. Nur weim er das
Dictat mit den Fingern wieder nach zog, also durch Vermittlung der Muskel-
und Bewegungsgefuhle, konnte er, wie man das ausdrückt, schreibend lesen.
Auch hier fehlte also bei der Alexie des Kranken die Ckmtrole der Schrift durch
glaidizeitigee Lesen.
Immerhin sind diese YerhUtnisse, wenn sie auch deutlich zeigen, dass die
Omtrde des Auges ftir die Schrift nicht nothwendig ist, (eine Thatsache, die
natürlich Bsiumr ebenso bekannt ist wie mir) besonders geartet, da sie die
Veberwachung der Schrift durch das Auge unmöglich machen und die Kranken
deshalb zur besseren BSinübung anderer Gontrolverrichtungeu zwingen, und sie
entscheiden nichts in der Frage, ob, wenn die Möglichkeit einer üeberwaehung
der Schrift durch das Auge vorhanden &ty eine solche stets ausgeübt wird und
nothwendig ist Und da, glaube ich, beweist mein Fall mit Sicherheit,
dass auch unter solchen, allerdings etwas eingeschränkten Ver-
hältnissen, bei der Spontanschrift eines im Schreiben geübten Indi-
viduums, zum mindesten eine aufmerksame visuelle Gontrole der
Schriftzüge nicht stattfindet Denn sonst müssten dieselben Stö-
rungen, wie sie die Schrift nach Vorlage hemmen und schliesslich
unmöglich machten, auch bei der Spontanschrift nach 2 — 3 Worten
eingetreten sein und beide Schreibarten sich gleichen, was nicht
der Fall ist Sie unterscheiden sich vielmehr auf's schärfste von
einander.
Was schliesslich die Auffassung der Dyslexie als Erankheitsbild und seine
SteDung im System anbetrifft, so schliesse ich mich Berlin in der Beziehung
vollständig an, dass auch ich annehme, dass die Dyslexie der grossen Krank-
heitsgruppe der Aphasie angereiht werden muss. Ich glaube auch, dass man
sie mit Becht als eine „unvollständige isolirte Wortblindheit'' bezeichnen kann.
Dagegen möchte ich noch mehr, als das schon Besmn thut> vor zu weit gehen-
den Schlüssen in Bezog auf die Localisation des Symptomes warnen, vor allem
davor, das Symptom ohne weiteres zur Stütze einer Localdiagnose herbeizuziehen.
B. g^t doch in dieser Beziehung wenigstens soweit^ dass er erstens die Dyslexie
stets für ein Symptom einer schweren oigamschen Himläsion erklärt, zweitens
annimmt^ dass diese Lasion stets in der linken Hemisphäre sitzen müsse und
dass es ihm drittens nach seinem 4. Sections£älle nicht unwahrscheinlich ep-
scheint, als die Region, deren Erkrankung die Dyslexie hervorruft, den linken
— 72 —
tmteren ParietaUappen, also eme Qegend zwischen den präsumirten optischen
Oentnun im Occipitallappai und dem wahrscheinlichen Laatbildcentram in der
■ersten Temporalwindnng anzusprechen. Ich gebe zn, dass diese Annahmen
nach der Betrachtang der ^BUN'schen Beobachtnngen und Secttonsergehnisse
viel Yerfnhrerisches haben; das Lesen ist jedenMls an bestimmte Bahnen nnd
Gentren im Gehirn gebunden, die in letzter Instanz bei der Djrslexie natürlidi
jedesmal in ihren Functionen beeinträchtigt sein müssen; es ist wohl mit Sicher-
heit anzunehmen, dass diese Bahnen bä Beohtshandem zum grössten Hieil, das
Gentrum und seine associatorischen Verbindungen mit den Gentren fOr die
Lautbilder, für die Sprach- und Schreibbew^ngsrorstellungen total in der
linken Hemisphäre ihren Sitz haben werden. Auch für die Localisation der
optischen Schriftbilder im linken unteren Parietallappen dürfte manches sprechen,
vor allen anatomische Verhältnisse und physiologische Erfahrungen, wenn ich
mich für meine Person auch mehr der Ansicht Webihcee's zuneige, der einen
besonderen Bezirk für die Deponirung der optischen Schriftbilder yerwirft und
sie mit den übrigen visuellen Erinnerungsbildern in den Ocdpitallappen verlegt.
Trotz alledem kann ich zunächst nicht einsehen, weshalb die Dyslexie nicht
auch einmal bei rein functionellen Erkrankungen des Gehirns vorkommen sollte.
Gerade für aphatische Symptome ist es längst bekannt» dass sie bei allgemeinen
Ernährungsstörungen nicht selten eintreten; solche Erschöpfungs- resp. Ennüdugs-
aphasien sind mehrfach beschrieben, besonders hat auch BiNBWAvaBB auf der
Berliner Naturforscherversammlung auf sie die Aufinerksamkeit gelenkt und wie
ich aus einer personlichen Mittheilung desselben Autors weiss, die derselbe mir
in liebenswürdigster Weise zu veröffentlichen gestattete, hat er noch in letzter
Zeit eine rein motorische Aphasie in Folge von Inanition bei einer Morphium-
abstinenzkur beobachtet, die in vollkommene Heilung überging. Es wäre des-
halb auch ^ar nichts Aufialliges, wenn durch eine allgemeine Ernährungsstörung
gerade eine so spedelle Function, wie das Lesen, gestört würde. Bbruk, dem
solche Fälle wohl bekannt sind, und der hervorhebt, dass sie der Dyslexie
manchmal sehr ähneln, will doch von dieser Erklärung für sem Symptom nichts
wissen. Die Dyslexie ist ihm immer ein Zeichen far eine schwere organische
Himerkrankung, denn sie tritt plötzlich, apoplectiform auf, keiner der Patienten
hatte kurz vorher eine den Körper schwächende Krankheit und die vorhergehen-
den Störungen des Allgemeinbefindens waren unbedeutend.
Ich muss gestehen, dass ich diese Angaben Bebuk's nicht ganz verstehe.
In seinem Falle 4 und 6, wie in dem meinigen, waren die Kranken syphilitisch,
also doch wohl allgemein geschwächt, in anderen, wie auch bei mir, bestanden
heftige Schwindelanfalle, in B.'s Fall HI langjähriger Kopfechmerz, im Niedsk'-
schen Falle gingen der Dyslexie Blutungen in das linke Corpus striatum und
ein dadurch bedingter KrampÜEuifall, in dem meinigen eine linksseitige Hemi-
plegie voraus. Das sind doch keineswegs unbedeutende Störungen des Allgemein-
befindens. Als Hauptgrund gegen die Annahme rein functioneller Störungen
bei der Dyslexie lässt sich jedenfalls geltend machen, dass alle bisher beobadi-
teten Fälle unter schweren Himerscheinungen zum Tode geführt haben und
- 73 -
dass in allen zor Section gekommenen Fällen auch organische^ LSsionen des
Schädelinhaltes anfgefunden worden sind. Ich will aus diesem Grunde zuge-
stehen, dass das Symptom der Dyslexie mit Wahrscheinlichkeit eine rein fnnc-
tiondle Erkrankung des Cerehrum ausschUessen lässt Aber damit sind wir
wenigstens für die Localisation der Erkrankung noch nicht viel weiter. Im
giossten Theile der bisher zur Section gekommenen Fälle fand sich verbreitete
Atheromatose der Himgefasse. Diese bedingt doch jedenfalls eine schlechtere
Emähraiig und deshalb grössere Erschöpfbarkeit des Gehirnes, und es wäre also
sehr wohl denkbar, dass die organische Erkrankung der Himgefösse durch die
durch sie bedingte schlechte Ernährung eine fnnctionelle Btörung des Lesens,
in specie die Dyslexie hervorrufe. Dann ist die Allgemeinerkrankung zwar eine
organisehe, das Symptom der Dyslexie aber ein fiinctionelles, und es wäre im
solchen Falle wohl kaum nöthig, dass die Erkrankung der Himgefasse in der
linken Hemisphäre stärker ausgeprägt wäre, wie rechts.
Kann man die bisher besprochenen, eine Localdiagnose überhaupt unmög-
lich machenden Umstände äusschliessen, was f&r den ersten, zugegeben bisher
noch nicht beobachteten, Fall leichter, für den zweiten jedenfalls sehr schwer
sein wird; dann wird man wohl nicht fehlgehen, bei dem. Symptom der Dyslexie
eine organische Erkrankung der linken Hemisphäre anzunehmen, besonders
natürlich dann, wenn noch andere Symptome linker Cerebralerkrarikung vor-
handen sind. Die für die cerebrale topische Diagnostik überhaupt gültigen
Begeln, wie sie namentlich von Nothnagel präcisirt sind und die ich hier
nicht auseinanderzusetzen brauche, müssen uns dann Aufschluss geben, ob wir
in unserer Diagnose noch weiter gehen, ob wir mit einem Worte die Dyslexie
ab im gegebenen Falle directes oder indirectes Heerdsymptom ansehen können.
Auch hier können die Begleitsymptome uns sehr grosse Hülfe gewähren, nament-
h'ch wenn sie so relativ sicher zu localisiren sind wie die rechte Hemianopie in
einem BEMiiN'schen Falle. Wie schwierig aber gerade bei der Dyslexie die
Sache auch dann noch sein wird, leuchtet noch deshalb besonders ein, ^eil wir
gar nicht wissen, ob nur die Affectionen des Centrums und der directen Bahnen
des Lesens, oder auch solche der selbst noch hypothetischen Associationsbahnen
zwischen diesem und den übrigen Centren der Sprache und Schrift das Symptom
der Dyslexie hervorzurufen im Stande sind.
Meine Ansicht weicht also nur insofern etwas von der BEBLiN'schen ab,
dass ich doch die Möglichkeit des Vorkommens der Dyslexie bei rein functionellen
Störungen nicht ganz in Abrede stellen möchte; im üebrigen, glaube ich, zeigen
die obigen Erörterungen auf's Deutlichste, wie sehr Bebun recht hatte, vor
einer allzu sicheren Localdiagnose bei der Dyslexie zu warnen. Darf ich noch
einer mehr persönlichen Empfindung Ausdruck geben, so möchte ich sagen,
dass ich mir das Symptom der Dyslexie eher bei einer nicht ganz directen
Lääon der Lesebahnen und -Centren vorstellen kann und dass eine solche directe
Läsbn wohl eher Alexie hervorrufen würde; besonders auch in meinem Falle
lässt der grosse Gradunterschied der betreffenden Functionsstörung zu verschie-
denen Tageszeiten die Annahme einer directen Läsion wohl kaum zu. Auch im
— 74 —
NiEDEN'schen FäUe spricht die Besseroog des Symptoms im Laufe d^ Beobach-
tung für die Annahme einer indirecten Heeiderscheinung.
Ich brauche nach obigen Deductionen wohl kaum besonders hervorzuheben,
dass ich keinesw^s in Versuchung gerathen hin, meinen Fall, in dem eine
Lasion dei Hirnsubstanz nur rechts nachgewiesen wurde^ g9gen die Annahme
der Localisation der centralsten Behnen und des Centrums fär das Lesen in der
linken Hemisphäre in's Feld zu fuhren. Die bisherigen Sectionen bei BjsiexiB
haben stets eine linksseitige Läsion des Cerebrum ergeben; ausserdem ist der Zif
sanmienhang aphatischer Symptome mit linksseitigen Heerden bei Bechtshandem
eine so wohlconstatirte Thatsache, dass man bei einiger Kritik sich hüten wird, an-
vollständige Section^ dagegen in's Feld zu führen. Wie unvollständig die Section
meines Falles aber war, wird erst recht klar, wenn man die Besohreibong eines
Falles liest, wie ihn Siehebiino^ im letzten Hefte des Archivs für Psychiatrie be-
schrieben hat. Hier stimmten die makroskopischen Befunde nicht im Geringsten
mit den klinischen Symptomen und erst die genaueste mikroskopische Unter-
suchung Hess eine ganze Anzahl kleiner Erweichungsherde entdecken, die dann
zur Erklärung der Symptome nach den Lehren der Himlocalisation mehr als
ausreichten. Solche Fälle sind von principieller Bedeutung; nur wenn man in
dieser Weise untersucht hat, hat man im gegebenen Falle m. Recht, sonst gut
fundirte Lehren der Himphysiologie anzugreifen. Ich glaube deshalb auch in
meinem Falle solche kleine, makroskopisch nicht kenntliche Erweichungsheerde
in der linken Hemisphäre annehmen zu sollen, die dann auch wohl die Ursache
der Dyslexie gewesen sind. Die schwere Atheromatose fast sämmtlicher Him-
gefasse und die in der Ejrankengeschichte erwähnten häufigen heftigen Schwindel-
anfalle mit Niederstürzen, Erbrechen und Benommenheit machen diese Axmahme
noch wahrscheinlicher. Ebenso glaube ich die sub finem auftretenden reäiten
klonischen Krämpfe in die rechte Gontractur auf solche mikroskopische Er-
weichungsheerde zurückführen zu müssen; sie boten mit der linksseitigen schlafTen
Lähmung ein Erankheitsbild, wie ich es sonst nur einige Male bei Paralytikern
in und nach einem Anfalle gesehen habe, ionische Krämpfe sind sonst mehr-
ÜEkch bei Blutungen auf die Oberfläche und in die Ventrikel beobachtet worden
und Webnicke^ beschreibt einen dem meinigen ganz gleichenden Fall rechts-
seitiger - schlaffer Lähmung und linksseitiger Contractur, bei iem die Section
eine Blutung in den linken Seitenventrikel und an die Basis der linken Seite
bei negativem Befund an der rechten Seite darbot Auch hier bestand starke
Atheromatose der Basalgefasse, die Antecedentien der Patientin waren nicht
bekannt. Eine mikroskopische Untersuchung fand nicht statt, ich glaube, sie
würde auch in der rechten Hemisphäre Befunde ergeben haben, die die links-
seitigen Symptome besser als eine gleichseitige Ventrikelblutung erklärt hätten«
^ CasTiistiBoher Beitrag znr Lehre von der LocaUsatioii im Qrosshun. Arch. f. Psych.
xvm. H. 3.
' Lehrbuch der Gehimkrankheiten. Bd. U. S. 46.
— To-
ll. Referate.
Anatomie.
1) ITeber die hinteren Kervenworzeln, ihre Bndignng in der grauen Sub-
stans des Bückenmarkes und Ihre centrale Fortsetsrang im letsteren,
Ttm W. Bechterew. (Sep.-Abdr. ans dem Archiv für Anatomie n. Physiologie.
1887. Anat. Abth.)
Verf. benutzte das Bückenmark von Föten und Neugeborenen. Die Präparate
wurden nach Weigert nnd mit Chloigold nach Freud gefärbt. Es zeigte sich, dass
der Entwickelung nach die hinteren Wurzeln in 2 streng differenzirte Bündel zer-
fallen, die sich im Quers<^nitt als gleichmässig vermischt erwiesen. Von dem zuerst
entwickelten Bündel mit stärkeren Wurzelfasem geht der grösste Theil in das Wurzel-
gebiet der Burdach'schen Strange, der kleinere direct in die gelatinOse Substanz,
ond zwar mit den meisten Fasern in den inneren, mit den übrigen in den äusseren
Abschnitt derselben. Das später sich entwickelnde Bündel mit sehr feinen Fasern
bi«gt mii der MetoaU dsraeUmmach dem Eintritt in's BüdEsnmBark naeh attssen
ab^ geht in deir hintemten Abschnitt der Seitenstaränge und in ihnen aafwftrts^. die
Minderzahl geht theils direct in die Subst gelatin., theils zwischen den Fasern des
zuerst entwickelten Bündels in die Höhe. In der Lumbalanschwellung und dem
aateren Dorsalmark zieht die Minderzahl der Fasern des zuletzt enistaudenen BQndels
mehr nach innen, um die äusserste Partie der BurdacK^schen Stränge einzunehmen.
Terf. bezeichnet die Bündel als „innere starke'' und „äussere feine Wurzelfasem".
Sämmtliche Fasern der hinteren Wurzeln sollen, indem sie in die graue Sub-
stanz eintreten, die sich dort befindenden Zellen passiren. Was die Endigungen
betrifft» so beobachtet Verf., dass die inneren starken Wurzelfasem nach ihrem Ein-
tritt in das Hinterhom einerseits — und zwar die mehr nach innen gelegenen —
— sich zwischen den Zellen der Clarke^schen Säulen vertheüen, andererseits, nach-
dem sie tiefer in die graue Substanz eingedrungen sind, sich mit den Zellen des
mittleren Theils der Substanz verbinden oder in das Vorderhom gehen. Eine Partie
dieses Bündels passirt die vordere Commissur, um zum Vorderhom der anderen Seite
za gelangen. Die äusseren feinen Wurzelfasem ziehen in dem hinteren Abschnitt
der Seitenstränge nach oben und treten wieder in die graue Substanz des Hinter-
boms, um sich mit den Zellen vor der Subst. Bolandi zu verbinden. Einige dieser
Fasern gehen direct zu den lateralen Zellen des Vorderhoms.
Aus den Clarke'schen Säulen kommen 3 Faserzüge: 1) Fasem zu den Kleinhim-
seitenstrangen; 2) Fasem zu den Burdachschen und Goll'schen Strängen; 3) Fasem
zum Vorderhom und dßr vorderen Commissur. Aus den Zellen vor der Subst. Bolandi
gehen Fasem zur grauen Commissur und weiter in die Seitenstränge als besondereß
System zwischen dem hinteren Theile des Seitenstrangrestes und dem inneren des
Pyramidenseitenstranges. Aus den zerstreuten Zellen des Hinterhoms sollen die
Fasem der Goll'schen Stränge ihren Anfang nehmen, längs des inneren Hinterhom-
randes in die graue Substanz der hinteren Comnussur eintreten, vor der Mittellinie
scharf nach hinten abbiegen und bis zur Mitte der EQnterstränge gehen, wo man die
GoU'schen Stränge zuerst sieht.
Aus Dnrchschneidungen schliesst Verf., dass die äusseren feinen Wurzelfasem
die sensiblen Eindrücke der Haut, und aus den anatomisch-pathologischen Erscheinungen
der Tabes doFsalis, dass die inneren starken das Muskelgefühl leiten.
Die hintere Commissur des Bückenmarks soll nur Fortsetzungen der äusseren
feinen Wurzehi und Verbindungsfasem für die Zellen der beiden Hälften der grauen
Substanz führen. Kronthal.
_ 76 —
2) Cells of Glarke'8 oolurnn, von F. W. Mott. (The Brit med. Jonrn. 1887.
Dec. 3. p. 1218.) ' «
M. zeigte in der grossbrittanischen anatomischen Gesellschaft mikroskopische
Präparate nnd Mikrophotographien, am Form und Grösse der Zellen der Clarke*8chen
ßkoie beim Hunde, Affen und Menschen zn illnstriren. £s waren vertikale und trans-
versale Schnitte abgebildet Die Zellen waren entweder deutlich bipolar, oder vesi-
cular, mit grossen und deutlichen Axencjlindem und Fortsätzen. Die Längsaxe der
Zelle lag vertikal. Die Zellen standen unten mit Fasern der Colomna postero-extema,
oben mittelst Fasern, welche in vertikalen Schnitten nach oben und aussen verfolgt
werden konnten, mit dem Tractus cerebellaris in Verbindung. — Auch Abbildungen
pathologischer Befunde thaten dies dar, in welchen je nach der Druckrichtung in
Beziehung zur Clarke*schen Säule Degenerationen entweder der oberen oder unteren
Segmente von Nervenfasern stattgefunden hatten. L. Lehmann (Oeynhausen).
Experimentelle Physiologie.
d) On an apparently peTipheral and dlflbfential aotlon upon the laryngaal
muaolea, by Felix Semon and. Vietor Horsley^ (London 1886. 20 Seiten.)
Die Yerff. knüpfen an die Experimente Hooper*s an, welcher bemerkt hatte,
dass bei Thieren, deren Willenseinfluss durch Aether- oder Ghloroform-Einathmung
aufgehoben war, eine elektrische Beizung des Nervus laryngens recurrens eine Ab-
duddon des entsprechenden Stimmbandes, eine Oeffiiung der Glottis bewirkte. Diese
Erscheinung erklärte er sich durch eine specifische locale Einwirkung des Anaestheti-
cum (Aether) auf den M. cricoaiytaenoideus posticus oder auf die peripherischen
Nervenenden in ihm. Da nach Durshschneidung des Nerven der Beiz des periphe-
rischen Endes dasselbe Besultat gab, schien der Einfluss der Centren und die Ein-
wirkung des Aethers auf die centralen Nervenkeme dabei ausgeschlossen. Die Yerff.
wiederholten diese Versuche und kamen zu demselben Besultate. Eine Differenz in
den histologischen und nutritiven Zuständen der verschiedenen Larynxmuskeln war
tereits von Semon und Krause auf pathologischem Gebiete und von Grützner und
Simanowski anatomisch nachgewiesen. Dieselbe bestätigend, fanden die Yerffl, dass
nach Exstirpation des Larynx bei Affen, Hunden, Katzen, Kaninchen (20 Thiere,
.32 Yersuche) unmittelbar nach dem Tode der M. cricoarytaenoideus posticus auf
elektrische Beizung seine Erregbarkeit stets früher verliere, als die andern Larynx-
muskeln. Diese Besultate stimmen auch mit denen überein, die Onimus, und Jean-
selme und Lermoyez bei ähnlichen Yersuchen an Muskeln nach dem Tode hatten.
So scheint die Differenz in der histologischen Zusammensetzung, wie in den Stoff-
wechsel-Processen der Abductoren und Adductoren des Kehlkopfs begründet. Yon
der Bewegung der Stimmbänder bei den ersteren Yersuchen sind graphische Curven
aufgenommen. Zum Schluss wird auf die verschiedenen Abweichungen und Fehler-
quellen hingewiesen, die hervorgerufen werden durch die Basse der Thiere, durch
die Individualität der Thiere derselben Basse, durch das Alter der Thiere, durch
Stromschleifen, durch die Stärke des Stromes und endlich durch die Tiefe der
Narcose. Kalischer.
4) A minute analysis (experimental) of the various movements produoed
by Btimalating in the monkey different regions of the oortioal oentre
for the Upper limb as deflned by ProfesBor Ferrier, by Charles E. Bee-
vor and Yictor Horsley. (Phüosoph. Transact. 1887. [Yol. 178] p. 153— 167.)
Der Umfang des Armcentrums beim Affen, welches die Yerff. einer Unter-
suchung unterziehen, wird von ihnen noch etwas grösser, als von Ferner angegeben.
— 77 —
Dflflselbe leiiM nfinüloh nach ihiiea mddial in daa Gebiet. vou Femer's Beinoeatrom,
ktenl imd Tom in das Gebiet von dessen FaßiaiiBoentrttm hinein. Die hintere Oentral-
windong hat (entqureohend Mheren Angaben des Beferenten) ,, weniger Anspmeh nie
die vordere Gentralwindung als ein aosgesprochenes Bewegangsgebiet betrachtet zu
werden.'^ Innerhalb des Gesammtareais folgen die Specialcentren fOr die ein-
lelnsn Gelenke und Bevegnngaformw derart aofeinanderi dass die grösseren Gelenke
QDd die Extension mehr medial, die klmneren Gtolenke und die Flexion mehr lateral
TU suchen sind. Als recht eigentlichen Bewegungskem des Anacentnims betrachten
die Yeiff. die nnmittelbar medial des horizontalen Schenkels des Snlcus praecentralis
bis zur Bolando'schen Furche gelegene Partie. Bücksichtlich der Art der Beizer
effecte ist zu bemerken, dass sie bei längerer als momentaner Beizung ein und
defiselben Punktes Bewegungen verschiedener Muskeln und Muskelgruppen hinter«
einander auftreten sahen, die sie als primäre, secundäre etc. Bewegungen bezeichnenr
Beispielsweise erfolgte bei Beizung ihres Punktes 2 Flexion und Extension des Dau-
mens, Flexion und Extension der Finger, Extension, Pronation und Supination inx
Handgelenk, Flexion im Ellbogengelenk, Botation, Adduction und Abduction in\
Schnltergelenk. Die primäre Bewegung bringen sie in besondere Beziehung zu dem.
betreffenden Beizpunkt. Die Beibenfolge, in der die einzelnen primären, secundären etc.
Bewegungen nach einander auftreten, finden sie entsprechend der von Hughlings Jack-
son aufgestellten Begel, nach der corticale Krämpfe, wenn sie in der Schulter be«
ginnen^ sicli gradatim nach der Peripherie ausbreiten und wenn sie in den Fingern
beginnen, sich gradatim nach oben hin ausbreiten. Uebrigens ist es dem Beferenten
nicht durchweg geglückt, die Unterlagen für diese allgemeinen Sätze in den beige-
gebenen Tabellen wiederzufinden. Wegen letzterer und zahlreicher Einzelnheiten
moas auf das Original verwiesen werden.
Bei diesen Versuchen bedienten sich die Yerfif. des inducirten Stromes eines^.
mit einem Paniell armirten Schlittenapparates, Wenn wir erfahren, dass ihre „pri-
mären Bewegungen'' schon bei einem Bollenabstand von 10 cm auftraten, dass sie
aber in der Begel hei einem Bollenabstand von 8 cm^ reizten, so wird die grosse
Ausdehnung ihres Armcentrums, sowie die MannigfiEdtigkeit der bei den einzelnen
Versuchen auftretenden Bewegungen verständlich. Es befremdet jedoch, dass sie
weder von dem Vorkommen von Zuckungen im Gebiete des Facialis, noch von dem
Auftreten epileptiformer Anfälle bei diesen Versuchen etwas erwähnen. In dem untern
Theile jenes Armcentrums sahen nämlich andere Autoren, Beferent bei viel schwächeren
Strömen und sogar Horsley selbst bei seinen mit Schaefer ausgeführten Versuchen
regelmässig Facialis-Bewegungen erscheinen und ohne die gerade bei solchen Ver-
suchen nnd Schlussfolgerungen gewiss nicht gleichgültigen Erampfanfalle dürfte es
unter der angewandten Methode, wohl nicht abgegangen sein. Hitzig.
Pathologische Anatomie.
6) Syringoxnyelia, von Charlewood Turner. (The Brit. med. Joum. 1887,
Dec 10. p. 1281)
F. zeigt in der Londoner pathologischen Gesellschaft das betreffende Präparat
vor. Es stammte von einem Patienten, der zu Erampfanfällen neigte. Brandwunden,
während eines solchen entstanden, führten den Tod herbei.
Die centrale Höhlung ging von der Med. oblongata nach unten durch das ganze
Bückemnark. Die Höhlung varürte an Grösse und Form in verschiedenen Theilen
^ Im Widersprach mit diesen Angaben steht freilich die Bemerkung der Verff., dasq
S cm B. A. der Stromstärke des Zuckui^minimums entsprach.
— 78 —
am ItttokaanarlaL Die HOUnngea emm waagegngm ton Cjitn in 4er gUMii
SobetMkz des SlkelBeiuiierla; Die BUdmig sei aiHÜog te* ejstieciien Degencntioii in
gmaen Snbetans dee GehiniB. L. Lehmen» (Oeynhnaiwn).
0) lÜMtologfaohe Uhfeenooluiiig efaee Fallen toh Lyena» ton Karl Schaff er,
ettid. med. Ane dem Laborntorinm der peyofaiaftr. Klinik der UniwBttftt Badapeit
(IrdL £ Pqrehisfrie. XIX. 1.)
Der Fdl betrifft eine 40jShr. Frau, die am 15. Sept 1886 in die rechte lEtand
gebissen wnrde. Am 16. Nov. Ausbrach der Lyssa, am 19. Not. Tod.
IMe Untersnchong dds Verf. konnte sich nur auf das BUckenmark erstrecken.
Sie ergab eine acute Myelitis, welche von oben nach nnten an Intensit&t abnahm.
Auffallend war eine diffuse, besonders die grane Substanz betreffende Infiltration mit
emigrirten weissen Blutkörperchen. Ausser der Umgebung der Gefässe zeigten sich
gruppenförmige Anhäufungen farbloser Blutkörperchen im Yorderhom, den Ganc^ien-
zellengruppen resp. dem Gefässreichthum entsprechend. — Der Centialkanal war in
seiner ganzen Länge von den ausgewanderten Zellen obliterirt.
Als Folgen der entzfindlichen Ernährungsstörungen beschreibt Yerf. sodann: die
grossen Ganglienzellen der Vord erhör n er waren vielfach von massenhaftem Pigment
erfüllt^ einzelne dabei atrophisch, alle von weiten pericellulären Bäumen umgeben.
— Die feinen Fibrillen der Vorderhömer auch nach Weigert*scher Färbung un-
deutlich.
In den Hinterhörnern finden sich nur spärliche NervenzeUen, gewisse Nerven-
faserbflndel sind von Myelin entblösst und ihre Axencylinder degenerirt („spiralig
zusammengerollt''). An einer Stelle ein umschriebener apoplectischer Heerd. — Die
Hinterstränge zeigten rundliche Gewebslficken, welche den vorderen Theilen der-
selben ein fast siebförmiges Aussehen gaben. Aehnliches fand sich in der Umgebung
der grauen Säulen in den Seiten- und Yordersträngen. — Die Neuroglia ist stellen-
weise deutlich hyperplastisch. — Noch fanden sich diffus zerstreut eigenthfimliche
Körperchen „ZerfaÜsproducte'', die keine Corpora amylacea waren.
Auffedlend ist, entgegen den bisherigen negativen Befunden, die Menge und
Intensität der Yeränderungen des Nervensystems bei einer Krankheit von drei
Tagen. — Yerf. will auch an 3 weiteren Fällen, welche er z. Z. untersucht, „einen
scharf ausgeprägten myelitischen Process" gefunden haben. Hadlich.
7) Zur Oaeuistik und Entwiokelusg der Hlmlipome» von Dr. Taubner in
Neustadt in Westpreussen. (Yirchow's Arch. CX. 1.)
Bei einem 23jähr. Geisteskranken, 1^/, Jahr vor seinem Tode erkrankt, erwies
die Section auf der Grenze des rechten Yierhügelpaares und der Proc. cerebelli ad
corp. quadrig. eine haselnussgrosse gelbliche Geschwulst von praller Gonsistenz, ein
Lipom, das der Untersuchung nach seinen Ausgangspunkt genommen hatte von der
hinteren Grenze des rechten hinteren Yierhügels, da, wo die Spitze des Bindeanns,
die des hinteren Längsbfindels und der graue Bekg des Yentricul. lY (obere Hälfte)
zusammentreffen.
Es hatte während der Krankheit beständig eine bald mehr bald weniger inten-
sive Hyperämie des Kopfes (resp. des Gehirns — diese auch bei der Section gefunden)
bestanden, in XJebereinstimmung mit den experimentellen Beobachtungen von Ows-
jannikoff, der ein vasomotorisches Centrum im Boden des oberen Yentricul. lY ge-
funden hatte, nach dessen Zerstörung eine sichtliche Erweiterung der kleinen Körper-
arterien eintrat Hier hatte der Tumor gerade diesen betr. Theil des YentricoL lY
rechterseits comprimirt
— 79 —
Yol staQt. dia riomlicli beedir&Dkten FrfidileetioDsstolien der Himlipome fest
and mmk, daas an diaseii wsfarsclieiiiliöh die HitnzwiBclieiiSftbslaius (Nenroglia) eme
nr fintnioUiuig emes. lipon» eigeiuurtig präformirte . BesöhaftDheii (mehr dtm
Bindegeirabe der Himb&ote ähalicli) habe. Hadlich.
Pathologie des Nervensystems.
8) Des n^TriteB proYoquöes par las iojeotions d'Mier «a volBixiAgd des
tronos net^euK des membreB» par A. Pitres et L. Vaillard. (Sep.-Abdr.
der Yerh. der 8oc. de Biologie. 1887. 14. M&rz.)
Die Yerff. ergänzen die Arbeiten von Amozan und Sf^vat. Sie fanden, dass die
Wirkung des Aetbers auf einen 'Nervenstamm dieselbe ist, wie die einer Dnrcb-
fichneidiuig. Am Orte der Einwirkung zeigt sich nach einigen Stunden, dass der
Axeocflinder . sowohl« wie die seitlichen Incisionen des Nerven, und die Kerne der
interannolaren Segmente undeutlich resp. unerkennbar geworden sind ; erst nach
14 Tagen beginnt der Zerfall des Myelins und seine Besorption, spätejr erst treten
BegenerationsYorgänge auf. Unterhalb der getroffenen Stelle kommt es zu einer
typischen Kenrendegeneration und zwar vom 4. Tftge an.
Die Einwirkung des Aethers ist also die einer unmittelbaren Nekrose der be-
troffenen Stelle, doch geechieht der Zerfi^ hier langsam und ganz allmfthlich. —
Wie Schwefeläther wirken ademlich gleich auch andere Aetherarten. Hadlich.
9) Stille jMvtM periferlohe inf aktive spevimentali: Hevriti detamdnste da
inooulanoxii dal bacillo del tifo e dello pneumoooooo di Friedlftnder«
pel Dott G. D'Abundo. (La Biforma medica. 1887. Agosto. Sep.-Abdr.)
Bekanntlich sind Neuritiden als Folgezustande acuter Infectionskrankheiten durch-
aus nicht selten und es liegt die Yermuthung nahe, sie auf die Einwirkung der
pathogenen Bacülen zurückzufahren. Yerf. hat nun in diesem Sinne zu experimen-
tiren versucht: er hat bei Kaninchen und Hunden kleinere Mengen einer Typhus-
bacilJen oder Pneumoniecoccen enthaltenden Beinculturflüssigkeit theils in das den
Ischiadicus umgebende Gewebe, theils unter das Perineurium desselben (unter mög-
lichster Schonung der Nervenfasern selbst) eingespritzt. Dass übrigens Einspritzungen
iMMdllenfreier sterilisirter Nährflüssigkeit keine fnnctionellen oder organischen Störungen
in den operirten Nerven hervorriefen, hatte Yerf. durch Yersuche an 15 Kaninchen
imd Hunden vorher festgestellt.
1. Typhusbacillus.
Einspritzungen in das den Ischiadicus umgebende Gewebe brachten bei 6 Hunden
einmal und bei 9 Kaninchen dreimal positive Besultate: perineuritische und (einmal
asch) endoneuritische Processe.
Einspritzungen unter die Nervenscheide waren bei Hunden stets, bei 6 Kaninchen
nicht regelmässig von functionellen Störungen begleitet. Anatomische Yeränderungen
waren aber nur bei einem Hunde (nach 27 Tagen) und bei 2 Kaninchen (nach 50
resp. 60 Tagen) noch im* Ischiadicus nachweisbar.
Allgemeininfection wurde niemals beobachtet und nie glückte eine Wiedercultur
des Badllus.
Es waren übrigens 2 Jahr alte Beinculturen aus Mangel an irischeren zur
ImpfoDg benatzt worden.
2. Pneumoniecoccus von Friedländer,
Hier konnten ganz frische Beinculturen benutzt werden, und sänuntlichen Impfungen-
mter die Nmrvenscheide bei Kaninchen wie bei Hunden folgten functionelle und meistens
— 80 —
aach (NFganiflcke Stftroiigen des iBchiadiciiB — soweit die Herren ftberhaüpt aiuitomisch
Tcatersacht werden konaien, da mehrere Hunde, deren fanctionelie StGno^^ sich
einige Wochen nach der Injection yollst&ndig zurflckgebiidet hatten, am Leben er-
halten worden. Zeichen von Allgemeininfeotion — abgesehen von Temperatorsteige*
rongen von 0,5^ bei Kaninchen — fehlten stets nnd auch der Versuch einer Wieder*
Züchtung der Coccen erwies sich als resultatlos.
Einspritzungen in das den Ischiadions umgebende Gewebe können beim Pneu-
moniecoccus nicht besprochen werden, da Verf. mit seinen Untersuchungen noch nicht
zum Abschluss gelangt ist.
Fest steht es jedenfalls, dass Symptomencompleze, wie sie den Neuritiden nach
Typhus und Pneumonie entsprechen, durch Injectionen der betreffenden Spaltpilze in
den Ischiadicus erzeugt werden können. Ueber ähnliche Ergebnisse mit Tuberkel-
und Erysipelbacillen wird Verf. in einer nächsten Arbeit berichten. Sommer.
10) Ueber die Affeotion des Kervensystems nach acuten infectidsen Pro-
cessen, von Dr. N. Lunz, Ordinator am Stadtkrankenhause zu Moskau. (Arch»
f. Psych. XVni. S. 882.)
Unter den kurz beschriebenen FäUen (13 Beobachtungen) ist besonders be-
merkenswerth: 1) ausgebildete Ataxie nach Diphtherie (neben Diplopie, Gaumen-
segeUähmung etc.) bei einem 17 Jahre alten . Gymnasiasten und 2) doppelseitige
Facialis-Paralyse (neben Schwäche der obem und untern Extremitäten, Ataxie,
Sensibilitätsstörungen, fehlenden Beflexen) nach Typhus exanthematicus bei einem
i 6jährigen Manne.
Je nach der Schwere des Falles werden die Beobachtungen in 4 Gruppen ein-
getheüt:
1) Auftreten der Kervenstörungen am Ende der Krankheit oder in der Becon-
valescenz. Besserung im gleichen Schritt mit der Hebung des Allgemeinbefindens.
Ursache derselben in Anämie und Erschöpfung der Nervencentren zu
suchen.
2) Anhaltendere Störungen, die indessen verhältnissmässig schnell in Heilung
übergehen und daher als functionelle angesehen werden mflssen (z. B. der oben
angedeutete Fall von postdiphtherischer Ataxie, welche durch Galvanisation des
Bückenmarks in 2^/, Monaten beseitigt wurde).
3) Entzündliche Veränderungen in Form von peripherischen Neuritiden,
Meningitis, Meningitis cerebrospinalis, multipler Sklerose etc.
(4 Beobachtungen, von denen 3 nach Typhus exanthematicus, 1 nach Becurrens,
kein Sectionsbefund.)
4) In Folge der Gefässveränderungen (nachgewiesen insbesondere bei Typhus
von Abbers, Popoff, Iwanowsky, Bosenthal etc.) Hämorrhagien, Embolien,
Thromben im Centralnervensystem.
(2 Beobachtungen: 1. Hemiplegia dextra mit Aphasie nach Typhus exanthematicus,
2. Hemiplegia dextra nach Typhus.) Sperling.
11) Ueber acute Polyneuritis und verwandte Krankheitaformeu mit Bück-
Bioht auf ihr zeitliches und örtliches Auftreten, aus dem allgemeinen Kranken-
hause in Hamburg von Dr. Eisenlohr. (Berl. klin. Woch. 1887. Nr. 42. S. 781.)
Die Häufung von Fällen acuter Polyneuritis im Jahre 1886/87 gegenüber den
Vorjahren, der fast bei allen evidente Mangel einer plausiblen Entstehungsarsache,
die bei einigen hervortretenden ganz an eine acute Infectionskrankheit erinnemden
Initialerscheinungen — alle diese Momente veranlassten den Verf., die beobachteten
— 81 —
9 FUle Yon Poljiieiiritis als den Ausdruck einer kleinen Epidemie aufanfassen.
Zwei in doi Jahren 1883 nnd 1885 beobachtete, im Beginn und Yerlanf von den
andern abweichende Falle betrachtet er als Vorläufer derselben und rechnet der fipi*
demie zwn weitere F&Ue zn, bei denen eine Betheilignng des Bückenmarks nicht
ansgoechlossen ist» die aber der zeitlichen Goincidenz wegen auch entstanden gedacht
werden können dnrch die gleiche Noxe, die sich ebm an verschiedenen Funkten,
besonden in den motorischen Bahnen des Nervensystems etabürt hat.
Bemerkenswerth ist der dem Verf. von Dr. Gurschmann mündlich mitgetheilte
Gedanke, dass diese Formen acuter trophischer LiUunung vielleicht in ätiologischem
Zasanuaenhang stehen k({nnten mit den ebenfiEtlls in den letzten Jahren in grösserer
Häufigkeit in Hamburg auftretenden Fällen von epidemischer Cerebrospinalmeningitis.
Die genannten 9 Fälle betreffen 6 männliche und 3 weibliche Personen im
Alter von 15 — 40 Jahren und vertheilen sich der Zeit nach so, dass im September
1886 3, im October und November je 2, im December und Febmar 1887 je 1 Fall
vorkommt Sämmtliche Erkrankungen fanden in Hjunbnrg selbst statt nnd andere
Infectionen lagen nicht vor, worauf dieselben hätten bezogen werden können.
Die Initialsymptome bildeten 2mal acute gastrointestinale Erscheinungen, 2mal
leichter Icterus, Imal während 7 Wochen vorher cholerinartige Diarrhoe nnd Car-
dialgien; in anderen waren Symptome von Seiten des Nervensystems die ersten:
Mattigkeit^ allgemeines Uebelbefinden, Kopfschmerz, Schwäche der Arme und Beine etc.
Bei 3 Fällen kurzdauernde massige Temperatursteigerung.
Auf die weiteren Symptome, die in der Gesammtheit besprochen werden, Thera-
pie etc. soU hier nicht weiter eingegangen werden, da Yerf. eine genaue Beschrei-
bung der einzelnen Fälle in Aussicht stellt.
Sehr bemerkenswerth ist die zum Schluss gemachte Bemerkung, dass Fälle von
Trichinosis in gewissen Stadien genau dieselben Symptome bieten können, wie die
acute Polyneuritis und daher diagnostische Zweifel auftauchen können. Selbst die
elektrische Erregbarkeit bietet in beiden Fällen Aehnlichkeiten. Die Beflexe fehlen
bei Trichinosis nicht selten, die Schmerzhaftigkeit und Schwellung der Muskeln
braucht nicht vorhanden zu sein. Der Verlauf beider Krankheiten gestaltet sich
natfirlich ganz verschieden. Sperling.
12) Zur KenBtniflS der aouten infeotiösen multiplen Neuritis« von Dr. Th.
Bosenheim, Assistenzarzt im „Friedrichshain", Berlin. (Arch. f. Psych. XVUL 3.)
Ein gut beobachteter nnd genau beschriebener Fall von Neuritis multiplex in-
fectiosa acuta bei einem 35jährigen, tuberculösen, aber weder luetischen noch alko-
holischen Kutscher, welcher in 17 Tagen letal endete. Zuerst traten plötzlich Läh-
mnngserscheinungen an den Unterschenkeln auf, nach einigen Tagen an den Armen,
späterhin im Gebiet der Grurales und Obturatoril, an Schulter, Bücken und Brust.
Die Lähmung wird fernerhin vollkommen und geht mit Atrophie nnd Entartungs-
reaction einher. Sensible Beizerscheinungen: Kribbeln, Hyperästhesie nebenbei; die
letztere geht in Herabsetzung der Function der sensiblen Nervenfasern Aber. Vaso-
motorische Störungen. Patellarreflexe fehlen von Anfang an; Hautreflexe erlöschen
später. Ungleichheit und träge Beaction der Pupillen. Sphincteren frei. Am 15. Tage
Respirationsstömng und Beschleunigung des Pulses. Einige Stunden vor dem Tode
Temperaturerhöhung. Tod unter Erscheinungen der Atheminsufficienz.
Für die Diagnose ist Art nnd Verlauf der Lähmung in Verbindung mit den
sensiblen Störungen maassgebend. Ein Analogen in der Litteratur existirt nur in
einem von Eichhorst mitgetheilten Falle.
Bei der Section findet sich in der linken Lunge ein tuberculöser Heerd. Bücken-
mark ist intaet Im Verlauf der peripherischen Nerven, auch längs des Vagus, finden
sich zahlreiche Hämorrhagien im Perineurium; die Gefässe siud strotzend gefdUt und
6
— 82 —
gesehlSngelt, mn dieselben KeniTeniiehniiig, wdche sich in dss interstitielie Qewebe
fortsetzt Im Endonenrivm bedeutende Yennehnmg der Masfaellen, anf deren Be-
deatnng an dieser Stelle Yerf. xnerst die Aufmerksamkait gelenkt bat Die Narren-
Cssem selbst sind znm Theil intaet vom Theü fehlt mehr oder weniger das Mark.
Die intermasenliren Nerren sind intact (Entartnngsreaction also nnr in Folge der
degenerativen Atrophie der Mnskidnl). (Znr BrUämng der Un^eichheit ond tragen
Beaction der Pupillen ist wohl eine gleidiartige Affection des Oculomptoiius mit
Sicherheit anzunehmen; leider ist doselbe nicht untersucht worden).
Verf. hat ach der dankenswerthen Au^be untenogen, die am schwersten affi*
drten Stellen der Nerven nach allen Begeln der Kunst auf Mikroorganismen, spectell
Tubeikelbacillen zu unteisuchen. Trotz des negativen Besultates spricht er von
infectiöser Neuritis, weil er in den Umsetznngsproducten des in der linken Lunge
wuchernden tuberculteen Yvrus das ätiologische Moment dieses Krankheitsfalles erfaückt
Zu erw&hnen sind noch die in den Ischiadici entdeckten eigenthfimlichen Parenchjm-
defecte, welche als EntwickelungsstOrungen auftufassen sind.
Den Schlnss der zur LeetOre bestens empfohlenen Abhandlung bildet «in aus-
ffthiliches LittMaturverzeichniss. Sperling.
13) Zur EUnik der multiplen Alkoholneuritis, von Dr.A.Witkowski, Assistenz-
arzt am städtischen allgem. Krankenhause ,,Friedrichshain", Berlin. (Arch. f. Psych.
XVni. S. 809.)
An die Mittheilnng von 2 Fällen ziemlich weit vorgeschrittener Alkoholneuritis,
die auch in den Einzelheiten Interesse bieten) schliesst sich eine kurze chronologische
Darstellung das klinischen Bildes genannter Krankheit, welche von der mancher Autoren
in diesem und jenem Punkte abweichen dürfte:
Der Beginn der Krankheit findet klinisch in den Muskeln statt, oder vielleicht
in den nervösen Endapparaten derselben; als die Folge davon treten motorische
(Tremor) und sensible Beizerscheinungen (Beissen, Stechen in den Muskeln,
Schmerzhaftigkeit derselben bei Druck auf; Druck der Nervenstämme ist in diesem
Stadium noch nicht schmerzhaft). Allgemeine Zeichen der Intozication sind nebenbei
vorhanden. GefQhl von Mattigkeit, Schwäche in den Gliedern, Unlust zur Arbeit
Schreitet der Process fort, so kommt es zu Atrophien der Muskeln mit herab-
gesetzter quantitativer elektrischer Erregbarkeit im weitesten Sinne des Wortes und
andern unmittelbaren Folgeerscheinungen. In diesem Stadium kann sich die Krank-
heit Jahre lang erhalten, ohne dass die Hautsensibilität und die Be-
flexe wesentliche Aenderungen erleiden (Gegensatz zu Strümpell).
Genannte Symptome finden sich zuerst an den Unterextremitäten; Gesicht-, Brust-
und Bückenmusculatur sind am widerstandsfähigsten dagegen.
Entsprechend der fortschreitenden Muskelatrophie erleidet die Muskelsensi-
bilität Störungen und es tritt Ataxie auf und Bomberg'sches Symptomu
Späterhin folgen die klinischen Zeichen für die Verbreitung des Frocesses auf
die Nervenstämme: Schmerzhaftigkeit derselben, Entartnngsreaction, ge-
störte Hautsensibilität, Abnahme und Erlöschen der Sehnenreflexe.
In dieses Schema lassen sich die meisten Fälle einreihen.
Hoffentlich bringt die vom Verf. in Aussicht gestellte ausführlichere Arbeit über
die Alkoholneuritis recht viele pathologisch-anatomische Beweise der vorstehen-
den Auffassung. Sperling.
14) Brachial monoplegia, oomplioatiiig a oase of enteric fever. (The-Brit
medical Joum. 1887. April 2. p. 727.)
Im Liverpooler Fieberhospital kam ein genau beschriebener Typhosftdl bei einem
32jähr. Manne vor, in welchem sich in der 2. Krankheitswoche schon Schwäche des
— 88 —
nditeii Aimm einstellii^ vfthrend am 28. Knmkheitstage heftige Sehnitt^liliftigkeit
imd 6rli6hte Wfime daaälbst notiii wurde. Abmagennig des Ober- und VordeFanns;
8 Eilognimm am Dynamometer gegen 40 links. Allmählich stellten sieh zwar die
Bewegungen wieder hör, jedoch nur in geschw&ehtem Maasae; feinere Bewegung der
Finger (Schieiben etc.) waren in der 11. Knmkheiiswoche noch nicht möglich. Eine
TöQige Herstellnng war wahrscheinlich. Die Diagnose nahm eine Nenritis f&r den
Bracbialplezus an, soweit die betroffenen Muskeln dnrdh denselben yersorgt werden.
Entgegen der allgemeineren Erfahmng, dass solche Affedionen meist in der Ck>nyalefl-
c«nz-Periode anffcreten, war hier der Beginn in der 2. Eiankheitswoche schon bemerkbar.
L. Lehmann (Oeynhausen).
16) Contribation ä l'ötude de la nö^rite alooolique, par J. Dejerine. (Arch.
de Physiol. norm, et pathoL 1887. Nr. 6.)
In einer übersichtlichen Zosammenstellang der einschlägigen Litteratnr betont
D. namentlich, dass anoh bei der paralytischen Form der multiplen Neuritis der
Potatoren, wenn auch keine Ataxie besteht, so doch das Muskelgefühl gestört ist;
dahtf fehlt auch das Bomberg*sohe Symptom selten. D. hält daran fest, dass bei
der atactischen Form die pathologischen Veränderungen der Hautnerven tüber die der
MnskefaierYen stark tüberwiegen.
Alsdann wird über 2 Fälle der multiplen Neuritis der Potatoren berichtet, in
welchen ausgesprochene Tachyoardie bestand. Im ersten war dieselbe am letalen
Ausgang wesentlich betheüigt; die Untersuchung der Nn. vagi ergab die tn>i^9<^^
parenchymatösen Veränderungen. Im zweiten Fall, der mit Melancholie und Gedächtniss«
defecten complicirt war, trat Heilung ein. Die Zahl der Pulse stieg bis auf 160.
Th. Ziehen.
16) «jwnwaui des ofaroBiBohen Alkoholiamiui auf das mensohliohe Behoi^gaa«
TOD Dr. W. Uhthoff, Berlm. (Arch. f. Ophthalmologie. Bd. XXXYT Abth. 4 und
Bd. XXXm Abth. 1.)
Die nmfongreiche Arbeit des Verf. beruht auf zahlreichen Untersuchungen von
Alkoholisten der Charit^, der DaUdorfier Irrenanstalt und des 6jährigen Materials der
Sehdler'schen Augenklin^; die Kranken wurden oft jahrelang beobachtet. — 7 Fälle
mit Sectionsbefnnd hat Verf. gesammelt und untersucht, darunter 6 reine Alkoholismus-
iWe und einen mit Tabes complicirten, ätiologisch unbestimmten. Die Zahl der
ophthalmoskopisch untersuchten Fälle von schwerem Alkoholismus beträgt 1000; in
der Schdler*schen Klinik wurden 100 Fälle von Intoxications-Amblyopie untersucht.
Es können hier nur kurz die Hauptresultate der äusserst fleissigen und sorgfältigen
Arbeit wiedergegeben werden.
Wenn wir zunächst die Ergebnisse der ophthalmoskopischen Untersuchungen der
1000 Alkoholisten berücksichtigen, so fand U. in 13,9 ^/^ die charakteristische tem-
porale Abblassung der Papille, mit theils scharfer, theils yerwaschener Be-
grenzung gegen das Grunde. Freilich bestand bei 66 Ton diesen 139 Kranken keine
weeentliche Functionsstörung, doch erwies die Section selbst bei 8 derartigen Kranken
ansgesprochene anatomisdie Veränderungen. — Dass umgekehrt Sehstörungen bestan«
den ohne Augenspiegelbefund, konnte nur 9mal unter den 1000 Kranken bemerkt
werden, und zwar waren hier die Fnnctionsstörungen nur leichte oder jfingeren Datums.
Eine leichte aber deutliche pathologische Trftbung der Papille (die jedoch
mdits mit der temporalen Abblassung zu thun hat), fand U. in 55 Fällen unter
seinen 1000 und zwar unter Ausschluss aller zweifelhaften Fälle und solcher, die
auf eine andere Ursache, als den Alkoholismus, zu beziehen waren. Da 3 derartige
Fälle zur Secüon kamen, so konnte, aber nur in einem Falle, eine interstitiell neu«
ritische Degeneration unmittelbar retrobulbär festgestellt werden. Kleines Angaben
in betreff seiner „Betinitis paralytica" konnte U. nicht bestätigen.
6*
— 84 —
Was die Papillen angeht» so zeigten 6^/^ Abnonnit&ien: 25 FftUe Pupillen-
nngldchheit, 25 F&Ue sehr geringe, resp. minimale Lichtreacüon» 10 Fälle refleefcorisdie
Fnpillenstarie auf Licht (bei Beaction auf Convergena).
Selten waren die Augenmuskelstörangen. Bei 13 von den 1000 Kranken
&nden sich nystagmosartige Contractionen, namentlich bei stark seitlicher Blickrich-
tnng; nur 2mal wirklicher Nystagmus (zugleich mit multipler Neuritis). — Ausge-
sprochene Augenmuskeli&hmnngen hatten nur 3 Kranke und zwar jedesmal doppel-
seitige Abducensparese (neben multipler degenerati?er Neuritis), wie 2 analoge F&lle
von Lilienfeld ^ und B. Schulz' 1886 mitgetheilt sind.
In 100 Fällen von Litoxications-Amblyopie aus der Schöler'schen Klinik fand
sich 63mal die temporale Abblassung der Papille, 8mal deutliche Trübung der Pa-
pille, Imal Betinalblutung.
Die 7 Fälle mit Sectionsbefund werden eingehend beschrieben und mit firflheren
Beobachtungen verglichen, die anatomischen Processe auf *s Genaueste erfoischt Qyphilis
lag in keinem dieser Fälle vor, noch wurde Eiweiss oder Zucker im Harn constatiri
U. setzt auseinander, dass die früheren analogen Fälle, selbst die von Erisman,
Vossius, Bunge, nicht reine alkoholistische waren, wie seine 6, obwohl U.*s Beeul-
täte die betreffenden Angaben von Samelsohn, Vossius, Nettleship und Bunge fast
vollständig bestätigen. U. fand in allen Fällen eine intcurstitifille neuritische Degene-
ration des Opticus, wenn auch in verschiedener Ausdehnung an Intensität, doch immer
entsprechend der temporalen Abblassung. Der Degenerationsheerd im Opticus zeigt
dabei (von vom nach hinten gerechnet) anfangs eine dreieckige, dann mehr in die
Breite gehende, meist mondsichelförmige, später flach-rundliche Form und tritt dabei
von aussen-unten nach und nach ganz an die Unterseite des Opticus.
Dunkel bleibt, warum die alkoholistische Veränderung im Opticus eine wohl
charakterisirte interstitielle Neuritis ist^ keine einfache atrophische Degeneration wie
bei den peripherischen Nerven; femer, wamm der Process so typisch eine bestimmte
Fasergruppe, einen bestimmten Betina-Quadranten ergreift
Im 3. und 4. Theile seiner Arbeit geht U. näher auf ätiolog^he Fragen zur
Alkohol- resp. Intoxicationsamblyopie ein. Es sei hier nur erwähnt, dass Verf. keine
durchgreifenden differentiell-diagnostiBchen Merkmale zwischen der Alkohol- und der
Tabak- Amblyopie auffinden kann. Von 188 Fällen mit Intoxications-Amblyopie (aus
30000 Augenkranken) waren 64 Alkohol- Amblyopien, 23 Tabak- Amblyopien, 45mal
lag gleichzeitiger Missbrauch von Alkohol und Tabak vor. Sonst sah U. noch 1 Fkll'
von Blei-, 2 FäUe von Schwefelkohlenstoff-Amblyopie.
Die eigentliche retrobulbäre Neuritis hält U. von den Intoxications-Amblyopien
auseinander. Hadlich.
17) Synoope looale des eztrömitös supörieures a la suite d'une oommotion
mödullaire, par A. B. Marfan. (Arch. gänär. de med. 1887. Oct.)
Eine 39jähr., schon lange mit wechselnden Neuralgien behaftete Frau erleidet
einen Sturz mit Erschütterung der Wirbelsäule. Die nächsten Menses blieben aus.
Innerhalb 4 Tagen traten lancinirende Schmerzen zugleich mit Abstumpfung der
Sensibilität in beiden Händen auf. Letztere fQhlten sich kflhl an und waren sehr
biass. Dazu kam eine beiderseitige Intercostalneuralg^o und Spinalirritation vom
6. Halswirbel bis zum 11. Brustwirbel. Am 5. Tag entwickelt sich ein Oedem beider
Hände. Am 8. Tag waren bis auf die Intercostalneuralgie und die Spinalirritafion
alle Symptome bereits wieder geschwunden.
M. glaubt den Fall der Baynaud'schen Krankheit (forme syncopale) zurechnen
zu können. Th. Ziehen.
1 Cf. d. Ctrlbl. 1886. S. 352. > Cf. d. Ctrlbl. 1885. S. 4S7.
— 85 —
18) Baynand's Diseaae, yon Sackling. (The British med. Journ. 1887. Nov. 5.
p. 998.)
8. stellte in der Midland medicinischen Gesellschaft ein 12j&hr., strnmOs aas-
sehendes Mädchen ?or, welches an symmetrischer Gangrän seiner Finger und Zehen
leidet In der Familie kommt Stmma nicht yor; das Mädchen aber ist schwächlich,
schlecht genährt. 2 Jahre alt biss ein Kaninchen in den rechten Zeigefinger des
Kindes. 3 Monate nachher wnrden die Finger wnnd. Seitdem war Patientin nicht
länger als einen Monat frei von wnnden Fingern nnd Zehen. Die paroxysmenweise
aoftretenden Fingerimtzündnngen machten heftige Schmerzen. Die Endphalangen nnd
die daranstossenden Hälffcen der mittleren ' an den Zeige-, Bing- und kleinen Fingern
waren fort Die Beste der Finger geschwollen, roth, an den Enden geschwürig. Der
Danmen entzündet, die Endphalanz nekrotisirt. Hier war kein Schmerz, keine An-
l&sihesie. Die Hant des Beines hläolich, dünn, geschwürig hier nnd da. Die geringste
Verletzung macht ein hartnäckiges (xeschwür. Die Endphalangen der beiden kleinen
Zehen nekrotisirt — Eniephänomen besteht; Plantarreflex nicht yorhanden. Kaltes
Wetter yerschlimmert den Zustand. L. Lehmann (Oeynhausen).
19) Nivralgie vösicale, par Prof. Guyon. (Progr. mäd. 1887. Nr. 27.)
Die yon Fotherat wiedergegebene Vorlesung G.'s behandelt die essentielle
Blasen-Keuralgie, d.h. diejenige, welche bei hereditär belasteten, weder an einer
Tabes, noch an einer Cystitis, noch an Nierenkoliken, noch an Blasensteinen leiden-
den neryösen Menschen - und bei Hypochondern yorkommt. Die Schmerzen treten
beim Urinlassen auf, strahlen yon der Analgegend bis zur Glans aus, sind aber lange
nicht so intensiy wie bei echten tabischen Neuralgien, und bei Sensationen, die secun-
där yon einer Cystitis abhängen. — Die Patienten haben gewöhnlich ausser den
Blasenschmerzen noch Sexualerscheinungen, namentlich Symptome einer reizbaren
Schwäche in der genitalen Sphäre. — Die Blase selbst ist bei bimanueller Unter-
suchung nicht druckschmerzhaft, die Kranken müssen häufig und unter Schmerzen
Urin lassen, derselbe ist aber klar. — Eine gewisse Besistenz nnd üeberempfind-
lichkeit zeigt nur die Urethralschleimhaut, ohne dass es dem Untersucher gelingt,
wirkliche Stricturen ausfindig zu machen. — Eine genaue Diflferentialdiagnose be-
sonders myelitischen und cystitischen Processen gegenüber ist dringend geboten. —
Die Therapie soll sich yor Allem auf die allgemein-neryGsen Erscheinungen erstrecken.
— Eine sehr allmähliche sanfte Dilatation der Harnröhre regelmässig mit immer
stärker werdendem Bongie ausgeführt soll häufig Besserung und Heilung der Blasen-
schmerzen bei den echten Yesical-Neuralgien herbeiführen. L aquer.
aO) Zur Diagnose und Therapie der Interoostalneuralgien, yon Prof. Dr.
Seeligmüller in Halle a. d. S. (Deutsche med. Woch. 1887. Nr. 45.)
Yerf. hat in gewissen Fällen yon traumatischen Intercostalneuralgien den Bauch -
reflex gesteigert gefunden. Es wäre dies als objectiyes Symptom yon hoher Be-
deutung in den yielen Fällen yon Interco8tal-„Schmerzen", über die nach Verletzung
geklagt wird und die so häufig dem behandelnden Arzt simulirt erscheinen.
In manchen Fällen soll die Pupille der yerletzten Seite erweitert sein.
Was die Behandlung eines Falles sehr heftiger und inyetenrter Intercostal-
neuralgie mit Injectionen yon 10^/oiger Osmiumsäure anlangt, so lehrt die Kranken-
geschichte, dass nach der ersten Injection tief in die Musculatur an der schmerz-
haftesten Stelle in der Nähe der Wirbelsäule eine fast sofortige Bemission der
Schmerzen erfolgte, die imgefahr 86 Stunden dauerte. In den yier darauf folgenden
Tagen äusserten sich die Schmerzen wieder heftig und traten zurück nach 2 an
— 86 —
2 aufeinander folgenden Tagen gemachten I^jeetionen. In den nftehelen 4 Monaten
traten zuweilen gelinde Schmerzanfälle auf (zu gleicher Zeit Parftsthesien in Armen
und Beinen), bis sich nunmehr wieder sehr starke Exacerbationen einstellten*
Ein Erfolg der Medication ist nach allen andern vergeblich gewesenen Yersnchen
unverkennbar; sehr glänzend und ermntbigend scheint er in Anbetracht der enormen
Schmerzhaftigkeit gerade nicht, abgesehen von dem colossalen Preise des Mittels
(Lösung von (1»0) 10,0 kostet 10 Mark). (Sollte man nicht in ähnlichen hartnäckigen
Fällen auch mit Injectionen einer Lösung von Acid. muriai 2,0 : 100,0 zum Ziele
kommen? — So sehr gross ist der Schmerz dabei nicht, und schöne Erfolge sind
auch von diesem Mittel berichtet worden^ Ref.) Sperling.
21) Nd^ppa ord om den sakaldia uiüoaria fthoütia, af Dr. J. G. Edgren.
(Hygiea. 1887. XLIX. 9. S. 513.)
E. theilt 2 F&Ue von Urticaria factitia mit, die er zu beobachten Gelegenheit
hatte. Der 1. Fall betraf einen 17 Jahre alten Menschen, der als Kind die Masern,
im Frühjahr 1886 Scharlachfieber gehabt hatte, sonst stets gesund gewesen war. Das
abnorme Verhalten seiner Haut bemerkte er gegen Mitte Dec. 1886, nachdem er
einige Tage vorher an allgemeinem Unwohlsein, Kopfischmerz und Ifottigkeit mit
geringer Albuminurie gelitten hatte. Wo Falten der Kleider mit der Haut in Be-
rührung kamen, entstanden Urticariakuötchen. Bei schwacher Beizung der Haut mit
einer stumpfen Spitze wurden die gereizten Stellen erst weiss, dann lebhaft gerötbet;
nach etwas stärkerer Beizung bemerkte man nach 15 — 20 Secunden erst einen
weisslichen Streifen, nach 25 weitem Secunden lebhaftere Böthung, die sich unge-
fähr 1 Minute nach der Beizung seitlich ausbreitete, 2 — 3 Minuten nach der Beizung
bildeten sich an den gereizten Stellen leistenf5rmige Erhabenheiten von 2 — 3 mm
Höhe, von blasser Farbe, die von der gerötheten Umgebung scharf abstach. Nach
ungefähr 10 Minuten begann allmählich die Böthung und die Hervorragung zurück-
zugehen, aber noch nach Stunden bezeichnete ein rother Streifen die Stelle der Beizung.
Nnr mechanische Beizung brachte diese Erscheinung hervor; Kälte, verdünnte Sal-
petersäure, Faradisation und solche Ingesta, die erfahrungsgemäss öfter Urticaria er-
zeugen, hatten keine Wirkung, nur der galvanische Strom. rief eine Eruption hervor,
sowohl am positiven, wie auch am negativen Pole, an letzterem intensiver. Nach
ungefähr 7a J&hre hatte die Intensität und die Dauer der Erscheinungen nach Bei-
zung der Haut abgenommen, die weissen Streifen, die unmittelbar auf die Beizung
folgten, konnten nicht mehr wahrgenommen werden, weil die Böthung rascher auftrat,
die jetzt auf beiden Seiten von weissen Streifen eingeschlossen war, diese aber bald
verdrängte. Die Behandlung hatte in Anwendung verschiedener Mittel, auch von
Chinin und Atropin, bestanden, die aber keine nennenswerthe Einwirkung auf die
Affection ausübten, dem Fat schien es, als ob kalte Waschungen wohlthätig wirkten.
— In dem 2. Falle, der einen 24 Jahre alten Schuhmacher betraf, begann die Er-
höhung sich ungeföhr 1 Min. nach der Beizung zu bilden, wurde aber nie über 1 cm
hoch und begann 5 — 6 Minuten nach der Beizung wieder zu ven^hwinden. — E.
nimmt an, dass ein Mechanismus peripherischer Befleze bestehe, der auf die Haut-
gefässe wirke, und dass bei der erwähnten Affection die Beizbarkeit dieser Beflez-
apparate erhöht sei. In Bezug auf die Behandlung verwirft E. jede innerliche Be-
handlung gänzlich, nach ihm können nur locale Behandlung und vor allen Hydrotherapie
in geeigneter Form gute Besultate liefern. Walter Berger.
22) XTeber eine öftere Ursache des Sohlftfta- und HInterhaaptkopftiobmerBes
(Oephalalgia pharyngo-tympanioa), von Dr. E. Legal, Breslan. (Deatschee
Arch. f. klin. Med. Bd. XL. H. 2)
— 87 —
Unter der BeieichnuBg: „Cepluüalgia pharyngo-l^mpaiiica'' bespricht Verf. eine
Dennügieche Afifectioii, welclie durch einen gleichzeitig bestehenden Pharynx- oder
Mittelohrcatarrh Yenuilassty durch eine erfolgreiche Behandlung des Grundleidens
geheilt wurde.
Auf Grund von 10 Erankenbeobachtungen, die er ausführlich mittheili^ be-
schreibt L. das Leiden folgendermaassen: Es treten im Bereiche des Nerv, auriculo-
temporalis major anfallsweise starke Schmerzen von echt neuralgischem Charakter
auf, welche sich zeitweise zu solcher Intensität steigern können, dass der Patient zu
jeder Th&tigkeit unfähig und Nachts schlaflos ist — Dabei besteht eine deutliche
Druckempfindlichkeit der betreffenden Nervenstämme (Druckpunkt 0,5 cm vor dem
oberen Ende des Tragus; ein zweiter direct unterhalb der Ohrmuschel) und eine
Hyperaesthesie der von den genannten Nerven versorgten Kopfhaut.
Die Occipitalneuralgie bringt Yerf. mehr zum Pharynx in Beziehung, da er
dieselbe öfters nach Heilung von Pharynxcatarrhen verschwinden sah; die neural^-
schen Schmerzen in der Schläfengegend (nerv, auricul. temporal) dagegen beobachtete
er dami, wenn die catarrhal. Entzflndung sich durch die Tuben nach dem Mittelohr
ausgebreitet hatte.
In letzteren Fällen waren mehrmalige Lnfteinblasungen nach Politzer's Yer-
fahren oder mittelst Tubencatheters von ausgezeichnetem, oft fiberraschendem Erfolge,
indem die neuralg^hen Schmerzen sich schnell verminderten, resp. verloren. Verf.
giebt deshalb den Bath, bei jedem Patienten, welcher an Kopfschmerzen in der
Schläfen- und Hinterhauptsgegend klagt und schmerzhafte Druckpunkte zeigt, auch
eine genaue Untersuchung des Pharynx und Hittelohrs vorzunehmen, ausserdem eine
Lofteinblasung nach Politzer zu versuchen, und wenn dadurch eine Milderung der
neuralgischen Schmerzen eintritt, einjs weitere Behandlung der Phaiynx- und Mittel-
ohraffection einzuleiten. P. Seifert.
23) Ueber den Herpes zoster» Inaugural- Dissertation von Eng. Boetticher.
(Berlin. Januar 1887. 28 Seiten.)
Ein kurzer historischer üeberblick klärt uns über die verschiedenen Ansichten
über die Pathogenese dieser Krankheit auf; so scheint es nach dem heutigen Stand
der Wissenschaft nicht sicher festgestellt, ob die Veränderung der Spinalganglien
oder die Laesion der trophischen Nervenfasern Ursache oder Folge des Zoster sind,
ond ob es sich in manchen Fällen nur um ein einfaches Zusammentreffen handelt.
Wo sich eine bestimmte, die Erkrankung des Nervensystems bedingende Ursache
nicht eruiren Hess, sah man den Zoster als acute Infectionskrankheit an, die cykHsch
verläuft und von einer specifischen Nervenaffection abhängt. Allein die Stützen
dieser Hypothese, das epidemieartige Auftreten und der Umstand, dass ein Indivi-
duum meist nur einmal im Leben von Zoster befallen werde, wurden bald widerlegt.
Was das doppelseitige Auftreten des Herpes zoster anbetrifft, so ist dasselbe nicht
abzuleugnen, wenn man auch zugeben muss, dass diejenigen, keineswegs seltenen
Fälle, bei denen ein halbseitiger Zoster die vordere oder hintere Mittellinie um ein
geringes überschreitet, unmöglich als Zoster bilateralis aufgefasst werden können.
Vielfach liegt bei der Beschreibung eines doppelseitigen Herpes die Verwechslung
mit Erysipel vor und namentlich mit Eiysipelas phlyctaenodes und impetiginodes.
Yerf. beschreibt einen auf Lewin's Abtheilung für Hantkranke in der Charit^ beob-
achteten Fall, der bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck eines doppelseitigen
Herpes zoster machte; allein die Affection folgte keinen Nervenbahnen und wurde
als Lupus superficialis (Lewin) oder syphilitische Hautaffection angesehen. — Das
kindliche Alter gewährt keine Immunität gegen Herpes zoster, wenn auch das Alter
von 20 — 40 Jahren das grösste Contingent der Erkrankten stelli Kalischer.
— 88 —
M) Herpes Mj^um^ yon Dr. A. Blaschko^ B^'liit (Dentsdie Med. Wochenschr.
1887. Nr. 27.)
Es handelt sich nm einen Herpes, der seit 2 Jahren in immer kürzeren Pausen
(6 — 8 Wochen) sich wiederholt und ansschliesslich auf den Zeigefinger der rechten
Hand localisirt ist Dem Ausbruch des Exanthems gehen neuralgische Schmerzen
im rechten Arm und Zeigefinger Yoran, die nur kurze Zeit andauern und nach deren
Schwinden stets mehrere Tage vergehen, ehe die Blasen auftreten. Impfangen mit
den im Serum enthaltenen vereinzelten kleinen Coccen blieben erfolglos. Der Fall
wird in die Gruppe des schon bekannten Herpes labialis (facialis) und progenitalis
eingereiht und somit auf eine trophoneurotische Basis zurfickgefOhri Kalischer.
25) Periodically ooonrring Oculo- Motor Paralysis. (The weekly medical
Review. 1887.)
Ein 17 jähriges, aus gesunder Familie stammendes M&dchen erwacht eines Mor-
gens nach guter Nachtruhe, ohne dass sie das linke Auge 6ffiien kann; reisst sie
es auf, so sieht sie das linke Auge nach aussen gerichtet stehen. Nach 3 — 4 Tagen
war alles wieder normal und blieb ca. 2 Monate so. Dann litt sie 2 Tage an
heftigem linksseitigen Kopfschmerz, Schwindel und Erbrechen; aUes, was sie zu sich
nahm, gab sie wieder durch Erbrechen von sich; am dritten Morgen bemerkte sie
wieder die Lähmungserscheinungen, bei deren Auftreten Schmerz, Schwindel« Erbrechen
schwanden; dieses Mal war auch der linke Arm paretisch und die Articulation er-
schwert In ca. 1 Woche war sie wieder vOUig beigestellt und blieb 3 Monate
gesund. Dann hatte sie den dritten Anfall, bei dem Arm und Articulation weniger
betroffen waren; bei dem nach 4 Monaten eingetretenen vierten Anfall bestand neben
Kopfschmerz, Erbrechen, noch linksseitiges Ohrensausen und Taubheit. Dann traten
die AnfUle jährlich 1 — 2 Mal auf; die Intervalle waren rein und frei. Die AnfiUle
hatten keine Beziehung zur Menstruation. In ihrem 20. Jahre hatte sie einen
Anfall, in dem Schmerz und Erbrechen 3 Tage und die folgende Lähmung über
einen Monat dauerte. In den nächsten 6 Monaten hatte sie 4 Anfalle, die Läh-
mungserscheinungen hielten länger an, schwanden weniger vollständig, bis nach dem
letzten Anfall links Strabismus divergens, weite unbewegliche Pupille, Lähmung der
Accomodation und aller vom Oculom. versorgten Muskeln zurfickblieb; femer bestand
Amblyopie, ohne dass die ophthalmoskopische Untersuchung irgend welche Anomalie
nachweisen konnte. Das rechte Auge war emmetropisch und zeigte keinerlei Stö-
rungen. Ebenso war die Articulation, die Innervation der anderen Himnerven, Beflex-
erregbarkeit etc. intact. Die Ursache dieses Leidens wird bald in functionellen
Störungen, bald in organischen Läsionen gesucht; unter den letzteren glauben die
einen an eine peripherische Läsion des Nerven (basilare Meningitis etc.), andere an
einen centralen Ursprung, Affection des Kernes. Drei Sectionsbefunde liegen vor,
Gubler, Weiss und Thomsen-Richter. In allen dreien war die Läsion periphe-
risch und der Kern intact. Nichts desto weniger glaubt Verf. nach genauer Durch-
sicht der Litteratur, dass das Leiden einen centralen (nudearen) oder peripherisch
organischen oder einen functionellen Ursprung haben könne. In seinem Fälle ver-
muthet er eine Läsion des Kernes und seiner Umgebung, nachdem congestive Hyper-
aemien vorangegangen waren. Die Prognose ist ungünstig; nur in einem Falle ist
von einer Besserung die Bede. Kalischer.
26) Localised Faoial sweating, bj B. G. Wilde und Locallsed TwgnJTift)
sweating, by W. J. Benny. (The British medical Journal, 24. Sept. 1887.
p. 675.)
Der Fall von W. betrifft einen jetzt 22 j&hrigen Mann, der vor 20 Jahren einen
— 89 —
Typlnu mit folgender Parotitis sappnratiya dnrchmachte. Drei kLeine Narben (ob-
zygomai, unterhalb des ünterldeferwinkels mid an der vorderen Wand des meat. andi-
torins ext.) bezeichnen die Stellen der Abscessöfhungen. In der Mitte der linken
Wange zeigt sich ausnahmslos beim Kauen, oder wenn Säare genommen wird, aber
sonst nie, eine Stelle von einem Zoll Durchmesser, welche profus schwitzt Niemals
bestand daselbst ii^end welche Sensibilitätsstörung. Diese Aflfection besteht seit
20 Jahren.
2 andere Fälle erzählt P. Bei seinem erstem Falle trat dieser locale Schweiss
rings um die Narbe eines vor 5 Jahren geheilten Bube auf, und dauerte auch jetzt
noch fort, während die andere Inguinalgegend nie schwitzt.
In dem zweiten Falle schwitzt die linke Inguinalgegend nach der Genesung von
einer acuten Gomorrhoe. Der Samenstrang war bei Druck schmerzhaft
L. Lehmann-Oeynhausen.
Psychiatrie.
27) On the ooouürrenoe of albumen in the urine of the insaae» by John
Turner. (The Brit med. J. 1887. 17. Dec.)
200 männliche Irre wurden auf Ürin-Eiweiss (Salpetersäure, Pikrinsäure) unter-
suchty und zwar zwischen 6 — 7 Yorm. (beim Aufstehen), gegen 9 (^/j Stunde nach
dem Frfihstück) und gegen 1 (V4 Stunde vor dem Mittagessen). Die Diät war bei
allen ziemlich dieselbe. — Es fand sich in 81 Fällen (40,5 Proc.) Eiweiss, vor
Frflhstfick in 22,3; nach Frühstück 24,5, vor Mittag 24,4 Proc. — Die Untersuchten
arbeiteten, oder arbeiteten nicht. Unter den Arbeitern, 115 an Zahl, kam 45 Mal
(39 Proc.) Albumen vor. — Nichtarbeiter, 85 an Zahl, hatten Albumen 36 Mal
(42,3 Proc.) —
Getrennt nach den oben bezeichneten Morgenstunden zeigten die Arbeiter und
Nicht- Arbeiter, die Ziffer der letzteren in Paranthesen, feigende Verhältnisse:
24,4 (32,8); 28,9 (32,2); 30,0 (31,3);
dem Lebensalter nach ergab sich die folgende Reihe:
Jahre Falle
Von 50 — 55 = 6
65 — 60 == 6
60 — 65= 3
65 — 70 = 11
70 — 75= 4
75 — 87= 3
Jahre Fälle
Von 15 — 20= 5
20 — 25 = 13
25 — 30= 3
30 — 35 = 10
35 — 40= 7
' 40 — 45 = 4
45 — 50= 6
Die Anschwellung der Beihe zwischen dem 20 — 25. Lebensjahre rührt von
Epileptischen (deren Anzahl 7 imter 13) her, die relativ oft Albumen im Urin haben.
1 Epüepticus hatte nach dem Anfall kein Albumen, vor dem Mittagessen; vor dem
Anfall wurde Albumen gefunden.
Femer fand sich Albumen bei:
Mania (60 FäUe) 23 Mal (38,3 Proc.),
secund&re Dementia (40 ,, ) 21 „ (52,5 „ ),
senile Dementia . (11 „ ) 7 „ (63,6 „ ),
Epüepsie . . . . (30 „ ) 11 „ (36,6 „ ),
allgem. Paralyse . (13 „ ) 1 „ ( 7,6 „ ).
Von den Epileptikern waren 7 zwischen dem 20. und 25. Jahre, 2 waren 34,
je eiiner 18 und 54 Jahre alt. L. Lehmann (Oejnhausen).
— 90 —
as) MÄla&ooUe anzleaM stoo dälire dos nögatlonB, par Säglas. (Ftogr. in6d.
1867. Nr. 46.)
60j&hrige Frau inirde zur Zeit der Menopause melancholisch, machte einen
Selbstmordversuch; später traten Yerfolgungsdelirien und Bache-Ideen auf, auf Grund
deren sie glaubt, dass sie selber nicht mehr existirte, l&ngst gestorben sei,
keine Zunge, noch irgend ein anderes Organ besitze; sie erkennt ihre Eltern nicht
mehr an u. s. w. — Der unter dem Namen Dälire des nägations von den Fran-
zosen, besonders yon Cotard, beschriebene Symptomencomplex stellt sich, wie S.
am Schlüsse selbst angiebt, als das dar, was die Deutschen secund&re Verrückt-
heit nennen würden. Laquer.
29) tJeber Perversion des Ctoscbleohtssinnes bei Epileptikern, von P. S. Ko-
walewsky, Prof. d. Psych, u. Nervenkrankheiten in Cha,)rl^ow. (Sep.-Abdr. aus
Jahrb. d. Psych. Vn.)
Der beschriebene Fall betrifft einen 40jährigen, von trunksüchtigen Eltern ab-
stammenden Bauern, der nebeneinander drei Degenerationszeioheii des Nervensystems
aufweist:
1) epileptische Anfalle, seit dem 5. Jahre, . zuerst monatlich einmal, später
mehrere Male in der Woche.
2) Perversion des Geschlechtstriebes seit dessen Erwachen im 17. Jahre; keine
Zuneigung zum weiblichen Geschlecht, Impotenz bei einmal beim Weibe versuchten
Coitus, dagegen Trieb, Potenz, Wollustgefühl beim Geschlechtsakt an Thieren.
3) Religiöse Extase beim Beten zum Bilde der Mutter Gottes, fOr welche er
zuerst ein unsagbares Mitleid empfindet, das dann in den Zustand der höchsten
Wonne und Glückseligkeit übergeht
Neben Schwäche des Gedächtnisses und der Intelligenz seien sonst noch von
Erscheinungen, die Pat. bietet, Gesichts- und Gehörshallucinationen^ sowie Grössen-
delirien erwähnt.
Yerf. fasst Epilepsie und Geschlechtsperversion als nebeneinander bestehende
Zeichen nervöser Degeneration, von der hereditären Anlage abhängig, auf und tritt
entschieden dafür ein, dass die Anomalie des Geschlechtssinnes bereits ab ovo ent-
standen ist. Sperling.
30) Ueber die Beadehnngen des moralisohen Irreseins su der erblich de-
generativen GtoisteBst5rung, von Otto Binswanger. (Sammlung klin. Vor-
träge von Richard v. Yolkmann. Breitkopf & HärteL Leipag 1887.)
Nach einem kurzen historischen Rückblick auf die Entstehung des Begriffes der
Moral insanity zeigt Verf., wie die verschiedensten psychischen Krankheiten vorüber-
gehend oder dauernd unter dem Bilde „verschiedener Ausschreitungen^' verlaufen
können, dass aber das moralische Irresein als solches nur „eine Spielart des Schwach-
sinns" ist. Das Unterscheidende zwischen dem gewöhnlichen und dem moralischen
Schwachsinn liegt in dem Nachweis der erblichen Belastung, zweitens in dem Nach-
weis der erblich degenerativen Geistesstörung sowohl in psychischer wie in physischer
Beziehung. Um dieses erblich degenerative Moment klar zu legen, geht Yerf. näher
auf die Aufstellungen MorePs ein, und verwahrt sich mit Recht gegen die Verall-
gemeinerung der Morerschen Ausführungen: „Es Issam wohl eine fortschreitende
degenerative Ausbildung neuropathologischer Zustände in der Descendenz stattfinden,
aber ein für alle Fälle zwingendes Naturgesetz existirt in dieser Beziehung nicht''
Nicht übei^ehen wollen wir übrigens bei der Frage der Erblichkeit die interessante
Angabe des Verf., dass er in den ersten 4 Jahren seiner Jenaer Wirksamkeit 35
— 91 —
biB 40 Proc. Heradit&t bei fieinen Kianken fand, dass aber seine soigMtigeti Naoli-
forsebiingen nach d^ Antecedeniieii im Jabre 1886 die ProoentKabl auf 60 — 65 Proc.
•teigea lieesi. Drei aaef&hrlicfae StammbAame und eine sehr duurakterietiecbe Kran-
kengeecbiehte illBstriren die sehr lesenswerühen and nach vieler Bichtnng hin inter-
Msantoi AnsfUhningen» wel^ zu dem Schloese führen, dass ,,man in Zokimft erstens
den eoglisehen Ansdrack ,»moral insanitj" ganz meiden sollte; dass man zweitens
alle erworbenen moralischen Irreseinsbilder einfach aof ihre Grundursachen zorück-
führen and sie nach den Krankheitsformen, denen sie zugehteen, benennen sollte,
and dass drittens der angeborene moralisciM Schwachsinn der erblich degenerativen
Qeistesstörong nntergeordnet werden sollte". Beferent schliesst sich diesem Appell an
die Psychiater and Gerichtefirzte — wenigstens in Bezng auf die beiden ersten
Pnnkte — voll und ganz an, und hat denselben Standpunkt in Washington bei
Gelegenheit des dortigen Oongresses vertreten. (Cf. d. GentralbL 1887. S. 464.)
______ M.
31) Sopv» un singolare fenomeno allacdnatorio preaentato da ima nevrosica.
Nota del Prof. A. De Giovanni. (Bivista sperim. di freniatr. ecc. 1887.
Xn. p. 369.)
Die Eigenthlbnlidikeit des Falles. besteht darin, dass bei einer hysterissh-epilep-
tisdim Dame mit den verschiedensten Störungen auf sensiblem, motorischem und
trophischem Getnet, die besonders h&ufig über lebhafte Gesichtshallucinationen bei
klarem Bewusstsein klagte, jede Zuckung ihrer GFesichts- oder Halsmusculatur auch
in den wechselnden Phantasmen menschlicher Gestalten, die dauernd vor ihren Augen
schwebten, regelmässig wiedeiholt wurde: verzerrte sich z. B. ihr Mund, so that es
auch sofort der Mund aller halludnirten Gestalten n. s. w. So interessant auch diese
Beobachtnng an sich ist, so schwer ist sie zu erklären; die Annahme des Verf., es
handele sich um eine „automatische, indirecte Suggestion im wachenden Zustande",
erscheint beachtenswerth, dürfte aber doch auf manche Zweifel stossen.
Sommer.
Therapie.
32) lieber die therapeutbohe Verwendung der Muskelarbeit und einen
neuen Apparat au ihrer Dosirung, von Dr. G. Gärtner, Wien. (Sep.-Abdr.
d. Allg. Wien. med. Zeitg. 1887. Nr. 49 u. 50.)
Die Wichtigkeit der Muskelarbeit in der Therapie verschiedener Krankheiten
(Fettleibigkeit, Neurasthenie u. s. w.) ist unbestritten. Die von Oertel für solche
Fälle eingeführte Behandlungsmethode des Bergstergens ist um so rationeller, weil
me praktisch ist, d. h. das Angenehme mit dem Nützlichen verbindet. Dieselbe ist
aber nach der Ansicht des Verf.'s — der sich Bef. vollkommen anschliesst — durch
jede andere zweckmässig gewählte Muskelarbeit zu ersetzen.
Der Werth jeder Körperbewegung für die Entfettung geht mit der Anzahl der
geleisteten Kilogramm-Meter parallel, d. h. die Muskelarbeit muss so eingerichtet
werden, dass in Folge sparsamen Kräfteaufwandes bis möglichster Hintenanhaltung
der Ermüdung möglichst viel Kilogramm-Meter geleistet werden. Von diesem Ge-
sichtspunkte aus findet Verf., dass das deutsche und schwedische Turnen, das Budem
und Schwimmen allen Anforderungen genügen. Das Turnen mit Hanteln, das Trep-
pensteigen, das Gehen auf ebenem Lande, Beiten, Holzspalten, Holzsägen u. s. w. sind
Arbeiten, die aus verschiedenen vom Yerf. genauer angegebenen, sehr stichhaltigen
Gr&nden nur unvollständig ihrem Zweck dienen.
Deshalb hat Yerf. einen Apparat, „Ergostat" genannt, construiren lassen, bei
d«n die erforderliche, dem Patienten durch besondere Vorrichtung in Kilogramm-
Metern zu dosirende Arbeit durch Drehen einer Kurbel verrichtet wird. Verf. hat
— 92 —
das Prinoip, welches der Oonstraction des Eigostaten zn Grande liegt, der in Ge-
werbe und Technik aUgemeinen Erfahrung entlehnt, dass die Knrbeldrehnng sn den
am w<niigsten ermüdenden Arbeiten gehört, weshalb anch die fOr Menschenbetrieb
bestimmten Maschinen stets anf Enrbeldrehnng eingerichtet werden. Interessant ist
das von dem bekannten rassischen Dichter Dostojewski in seinem Roman „aus
dem todten Hanse" der Earbelarbeit als trefflicher Bewegung gespendete Lob, za
zu welchem er in Sibiriens Gefängnissen verartheilt war.
Die Vorzüge des Ergostaten giebt Verf. in mehreren Punkten selber an:
1) Der Apparat ist dem Patienten stets, bei jeder Jahreszeit und Tageszeit
zur Hand.
2) Er beschäftigt die grossen Muskelmassen des Eflrpers; die Arbeit ist daher
die rationellste und ergiebigste.
3) Er erfordert keine Geschicklichkeit und Intelligenz.
4) Es erfolgt eine förmliche Lungengymnastik.
5) Der Unterleib wird rhytmisch comprimirt, der Pfortaderkreislauf angeregt.
6) Der Ergostat gestattet eine genaue Dosirung der Kilogramm-Meter.
7) Ermöglicht er es dem Arzte, den Fleiss seines Patienten zu controlliren.
Abgesehen von vielen wissenschaftlich interessanten Fragen, die mit Hülfe dieses
Instrumentes vielleicht entschieden werden können, z. B. über das Yerhältniss der
verbrauchten Kohlehydrate und Fette (Yoit und Pettenkofer) zur Grösse der Mus-
kelarbeit, dürfte es jedem Arzte als willkommener Beitrag zur Therapie mancher
Krankheiten dienen. Sperling.
33) Guörison rapide de la ohoröe par l'antipsrrüie, Acad. de M6decine
S^ance du 27. Dec. 1887. (Progr. m6d. 1887. Nr. 53.)
Legroux berichtet über sechs Fälle von gewöhnlicher Chorea, die er mittelst
Antipyrin geheilt habe. Er hält dasselbe für das wirksamste und am wenigsten den
Organismus schädigende aller Hedicamente gegen Chorea. — Es bedurfte nach L.*8
Mittheilung nur einer Zeit von 6 — 27 Tagen, um mit Dosen bis 3 Gramm pro
die die Krankheit völlig zu beseitigen, wührend nach Säe und Roger die Krankheit
gewöhnlich durchschnittlich 64 Tage, nach Cadet de Gassicourt sogar 90 Tage
zu dauern pflegt. — 1 Gramm Antipyrin wird in 20 Gramm Pommeranzensyrup
gelöst und mit oder ohne Wasserzusatz angewendet. La quer.
m. Aus den Gesellsohaften.
In der Sitzung^ der y^Gtesellsohaft der Aerzte des Cantons Zürich" vom
10. Mai 1887 sprach Prof. Gaule über das Eleinhim. Unter Darlegung der
Ergebnisse der 6 ee veraschen Arbeit schloss sich G. denselben an, indem er meinte,
dass die verzweigten Fortsätze der Purkinje'schen Zellen entweder blind endigten
oder in das Beevor*sche Nervenfasemetz der molecularen und Körner-Schicht über-
gingen. G. meint, dass, wo Ganglienzellen auftreten, die Neuroglia der Markscheide
der markhaltigen Nervenfasern entspräche, während die Ganglienzellen aus dem Axen-
cylinder hervorgehen. Die Neuroglia sei also nicht bindegewebigen, sondern epithelialen
Ursprungs und demnach nervöser Natur; die Körner der Kömerschicht des Cerebellum
entsprächen den Kernen der Markscheide, die zwar nicht Ganglienzellen seien, aus
denen sich aber Ganglienzellen entwickeln können. Letzteres habe Lahousse in
einer unter G.'s Leitung gefertigten Arbeit wahrscheinlich gemacht.
In der Discussion trat v. Monakow für die Golgi*sche Auffassung des Klein-
hirns ein. Hadlich.
^ cf. Correspondenz-Blatt für Schweizer Aerzte. 1887. Nr. 21.
— 93 —
Aioad&nie des soienoeB, Paris. Sünrng Tom 24. October 1887.
. Boncheron hat beobachtet» dass die durch eitrige Entzandungen des Gehör-
organs gesetzte Beiznng des N. acosticas die Erregung auf verschiedene Gehimtheile
übertragen kann, nnd zwar 1. auf die Medolla oblong, und spinalis, Epilepsie und
andere Krämpfe erzeugend. — 2. auf das Gerebellum: Schwindel und andere Gleich-
gewichtsstörungen. — 3. auf das Grosshim: leichte oder auch schwere psychische
Affectionen mit dem Charakter der Depression, Melancholie, Hypochondrie, Yerfolgungs-
wahn u. s. w. — Es sind oft rehitiv leichte Ohrerkrankungen, welche diese Geistes-
störungen verursachen; sind sie noch frisch, so schwinden mit Heilung des Ohrleidens
auch die p^chischen Alterationen. Hadlich.
In der Sitzung der Royal medioal and ohirorgioal society zn Iiondon
Tom 24. Januar 1888 stellten Gowers und Horsley einen Mann vor, der 3 Jahre
lang an Schmerzen nach unten und innen von dem untern Winkel der linken Scapula
gelitten. Unterhalb des 5. Dorsalnerven bestand fast vollständige Anästhesie und
Paraplegie. Die Diagnose wurde auf Tumor der Medulla spinalis gestellt, am 9. Juni
1887 die Eröfi&iung des TVirbelkanals in der Höhe des 3. — 5. Bückenwirbels gemacht^
mid ein Myxom von der Gestalt einer Lambertnuss entfernt. Während in den ersten
Wochen nach der Operation die Beschwerden wenig vermindert waren, verschwanden
die Schmerzen allmählich in den nächsten Monaten und jetzt nach 7 Monaten er-
scheint der Gebrauch der untern Extremitäten fast normal, wenn sie auch etwas
steif sind. (Brit. med. Journal. 1888. 28. Jan.) M.
IV. Bibliographie.
Eliniflohes Iiehrbuoh der Qeiateskraakheiten, von Dr. George H. Savage.
Deutsche antorisirte Ausgabe von Dr. A. Knecht. (Leipzdg 1887. Amdd.)
Das uns in deutscher Bearbeitung vorliegende Buch des bekannten Directors
von Bethlem Boyal Hospital und klinischen Lehrers zn London weicht nach Inhalt
imd Form von dem, was wir Deutschen unter einem klinischen Lehrbuch verstehen,
nicht unwesentlich ab. Der Verfasser hat den Gegenstand nicht nur eigenartig auf-
gefasst, sondern hat auch eine Form der Darstellung gewählt, welche an manchen
Stellen einen gewissermaassen feuilletonistischen, ja hier und da fast laienhaften An-
strich hat Dabei ist die Schreibweise jedoch in hohem Maasse unterhaltend und
lebendig, die Gesichtspunkte, von denen aus der Yerf. die Sache betrachtet, sind
▼ielüach originell und zum Nachdenken anregend. So die Ausführungen über das
Wesen der Geistesstörungen, ihre Ursachen, ihre Entwickelung, ihre Grenzgebiete.
Manches fordert auch lebhafb zum Widerspruch heraus, neben vielem eigenartig
Treffendem. Auf Einzelheiten mich hier einzulassen verbietet der Baum.
Die „ideale Eintheilung'' der Geistesstörungen ist klmisch unzweifelhaft die
richtige (8. 14), wenn sie auch nicht ganz vollständig ist. Dass Savage einzelne
Formen, wie z. B. das circuläre Irresein, nicht zu kennen behauptet, ist eine der
Sonderbarkeiten des Buches. Diese und ähnliche Lücken hat Knecht, der deutsche
Bearbeiter, auszufUlen gesucht; er hat dafür solche Ausführungen des Originals,
welche sich speciell auf englische Verhältnisse beziehen, sowie einige Kranken-
geschichten weggelassen.
Aües in Allem ist es für den Fachmann ein Buch, welches er nicht ohne leb-
hafte Anregung aus der Hand legen wird. Ob es gerade das geeignete Lehrbuch
für den deutschen Studenten bei seiner Einführung in die Psychiatrie ist, dürfte
bezweifelt werden.
Die Ausstattung des Buches ist eine gute. Siemens.
— 94 —
Die Morphiunumoht «ad Ihre Bebandlmig, von Dr. Albrecht Srlenmeyer.
(Heuser*8 Verlag in Neuwied. 1887. 3. yermehrte u. Terbesserte Aufl. 463 S^ten
Hüi 22 Holzschnitten im Text)
E. giebt auf Gnmd langjähriger Erfahning nnd präoiMr wiaseDScfaafÜieher Be«
obachtnng in der vollständig neu bearbeiteten Auflage sdnes Werkes eine aUseitig
erschöpfende Darstellung der Morphiumsucht und ihrer Behandlung.
Das Eingehen auf die einselnen Capitel, so anregend und belehrend auch jedes
derselben behandelt ist» wflrde hier zu weit führen und seien im Folgenden nur die
Haupipunkte hervorgehoben.
E. vertritt den aus längerer klinischer Erfahrung nothwendig reaultirenden
Standpunkt, dass bei der chronischen Morphiumvergiftung» die Wirkung des Morphiums
als die eines Nervengiftes und nicht als die eines Herzgiftes aufzufassen ist.
Unter reservirter Ablehnung der Marm^'schen Hypothese erklärt E. die unmittel-
baren Abstinenzsymptome als Folgen „der durch Entziehung des gewohnten Beiz-
mittels eintretenden reactiven Lähmung.''
Der erfolgreichen Behandlung der Morphinmsucht stellt E. eine dreifache Auf-
gabe: 1) Entziehung, 2) Bekämpfung der dadurch bedingten krankhaften Störungen,
3) Verhütung der Becidive.
Nach objectiver Besprechung der verschiedenen Entwöhnungsver&hren empfiehlt
Verf. seine „Methode der möglichst schnellen Entziehung.^ Thatsächlich hat sich
diese auch verdientermaassen die meisten Anhänger erworben, denn 1) gewährt sie
völlige Sicherheit des Gelingens, da durch Isolirung der Patienten jede heimliche
Morphiumzufuhr unmöglich (?) gemacht ist.
2) Absolute Gefahrlosigkeit, da durch das Nichtauftreten des Collapses das
Leben nicht bedroht wird.
3) Sehr kurze Dauer der Entziehungserscheinungen.
4) Yerlängerung der Beconvalescenzzeit
Zur Vornahme sicherer Entwöhnungskuren empfehlen sich nur „geschlossene
eigens dazu eingerichtete Anstalten. Offene Anstalten wirken schä-
digend und eher fördernd auf die Ausbreitung der Morphiumsuchf
Es wäre lebhaft zu wünschen, dass diese Worte Erlenmeyer*s von allen Aerzten»
die Morphiumsüchtige behandeln, oder an Anstalten empfehlen, genau berücksichtigt
würden. Gleiche Beachtung verdient das vorzüglich dargestellte Capitel über die
Cocainbehandlung und die Cocainsucht. Auch mich heissen meine Erfahrungen und
Beobachtungen auf diesem Gebiete, ungeachtet mancher Abweichung, Erlenmeyer
rückhaltlos beistimmen, „dass ausser dem Cocain nur noch der Schnaps die gleiche
physisch und psychisch moralische Zertrümmerung des Menschen hervorzurufen
vermag."
Von Morphiumsüchtigen, denen das Morphium nicht ganz und für immer ent-
zogen werden kann, unterscheidet E. drei Gruppen:
1) Bei denen die veranlassende Krankheit nicht zu heben ist (z. 6. heftige
Neuralgien, Blasenleiden).
2) Wenn die mächtigen Leiden nur durch Mittel bekämpft werden können, die
entschieden nachtheiliger als Morphium wirken (Opium, Chloral, Alkohol, Nicotin).
3) Kranke, welche Morphium schon über 10 Jahre brauchen und wiederholte
Entziehungen durchgemacht haben.
Eine ausführliche Erörterung ist noch den rechtlichen Fragen gewidmet, welche
sich bei der Morphiumsucht entwickeln können. 50 lehrreiche KrankeDgeschichten,
sowie ein reiches Litteraturverzeichniss mit kurzer Inhaltsangabe der einzelnen Ar-
beiten schliessen in würdiger Weise das verdienstvolle Werk ab. — Die Ausstattung
des Buches ist in jeder Beziehung eine ausgezeichnete. Hügel (München).
^ Früher „modificirt langsame Entwöhnung" geheissen.
— 96 —
Ovondrias der medleinifloiien Mektiioitfttilelire für Aanrte und Stndimde,
von Bieger. (Zweite Auflage. Jen» 1887. Gustay Fischer.)
Dass das Bieger'sche Bach bereits nach anderthalb Jahren in zweiter Auflage
yorliegt, ist wohl ein Beweis seiner Nützlichkeit, welche von mir bei der eingehen-
deren Besprechung der ersten Auflage (Neurol. Centralbl. 1886. S. 496) ausdrflclclich
anerbmnt wurde. Im Uebrigen kann ich mich auf diese Besprechung um so mehr
zurfickbeziehen , als das Buch — von unwesentlichen kleinen Gorrecturen abgesehen
— keine Veränderung erfahren hat. Vielleicht berichtigt der Verfasser gelegentlich
einer dritten Auflage seine bisher festgehaltene Meinung, dass ,,die Beibungselek-
triciiät — in der heutigen ärztlichen Praxis nicht in Verwendung gezogen" werde.
A. Eulenburg.
Schablone des menschlichen Gtehims zur Bintragung yon Seotionsbefiinden,
herausgegeben von Prof. Sigmund Exner. In 2 Tafeln mit 12 Abbildungen.
(Wien 1888. Braumfiller. Preis für 6 Doppeltafeln 1 Mark.)
Wir machen auf das im Wesentlichen aus dem £xner*schen Buche über «^Locali«
sation der Functionen in der Orosshimrinde des Menschen" entnommene Schema ganz
besonders die Kliniker aufmerksam. * M.
Ueber Sehnerven -Degeneration und Sehnerven- Kr eiurang. Festschrift der
med. Facultät der Uniyersit&t Würzburg zur Feier des LXX. Geburtstages des
Herrn Geh.-Bath Prof. Dr. Albqrt von Kölliker, verfasst von Prof. Dr. Julius
MicheL Würzburg, 6. Juli 1887. (Verl. v. J. F. Bergmann, Wiesbaden. 91 Seiten
und IV Tafeln.)
Die unvollständige Kreuzung der Sehnervenfasern im Ohiasma, wie
sie fast allgemein angenommen wird, existirt nicht, sondern es findet auch
beim Menschen eine vollständige Kreuzung statt. Dies zu beweisen, und
daDiit die beinahe isolirte Stellung des Verf. in dieser Frage zu rechtfertigen, ist
der Zweck der Arbeit.
Zum Beweise soll einmal das physiologische Experiment, resp. die Beobachtung
an Thieren, auf der anderen Seite die pathologische Erfahrung beim Menschen dienen,
worüber Verf. im Einzelnen berichtet, nachdem er in ausführlicher Weise die Litteratur
dee Gegenstandes (auf den ersten 43 Seiten) kritisch besprochen.
Was zuerst die Experimente und Untersuchungen am Thiere betrifft, so betrafen
dieselben eine erwachsene Sperlingseule, welche eine Linsentrübung hatte, 8 erwach-
sene Meerschweinchen, denen ein Bulbus oder beide Bulbi enucleirt wurden, 6 er-
wachsene Kaninchen, femer neugeborene Katzen und ein neugeborener Hund, bei denen
meisten Theils die gleiche Operation vorgenommen wurde.
Die Thiere wurden nach längerer Beobachtungsdauer (ein bis viele Monate)
getödtet, dann das Ghiasma und die beiden Tractus in beinahe horizontaler Schnitt-
richtung serienweise mittelst des Mikrotoms geschnitten, und nach Weigert gefärbt.
Die Untersuchung ergab folgendes übereinstimmende Besultat:
Die Degeneration, welche sich in dem Sehnerv des enucleirten
Auges zeigt, setzt sich in aufsteigender Weise durch das Ghiasma nur
in den entgegengesetzten Tractus fort (bei jüngeren Thieren pflanzt sie sich
langsamer, bei erwachsenen Thieren in höherem Grade fort).
Bei zwei Kaninchen, bei denen die mediane Durchschneidung des Ghiasma ge-
lang, degenerirten beide SehnerTen und beide Tractus, was bei einer unvollständigen
Kreuzung nicht müglich wäre.
Die 4 Untersuchungen beim Menschen betrafen 1. einen 67 jährigen Mann, der
das rechte Auge durch eine Entzündung in sehr früher Kindheit verloren, 2. einen
— 96 —
66j&hngen Maim, der das linke Aage im 20. Jahre eingebfiBst, 3. ein löjUmges
M&dchen, dem 6 Jahre vor ihrem Tode das rechte Aage enndeirt worden » nnd
4. ein Kind mit einseitigem Anophthalmos.
Fall 1 u. 2 geben das anzweifelhafte Besoltat, dass die. Degeneration nur auf
den entgegengesetzten Tractus fortgeschritten war.
Die Frage, wie sich die Hemianopsie erklären lasse, wenn jene Semidecossation
im Chiasma fehlt, beantwortet Verf. mit Schön dahin, dass die identischen Stellen
der Netzhaut die Endpunkte zweier correspondirender Nervenfasern cind, welche in
einem Punkte des Sensoriums zusammentreffen. Dieser liegt in der gegenftberliegen-
den Grrosshimhemisphäre. Die rechte Hemisphäre sieht nach rechts, die linke nach
links. Es muss allerdings eine Semidecussation stattfinden, aber nicht nothwendiger
Weise im Chiasma. Yom physiologisch-klinischen Standpunkte ist es gleichgültig,
ob eine Semi- oder Totaldecussation des Sehnerven im Chiasma stattfindet.
Wäre das Qudden'sche Schema richtig, wonach das lateral im Tractus gelegene
ungekreuzte Bündel im Opticus eine mediale Lage einnimmt, so würde z. B. eine
rechtsseitige Hemianopsie bei linksseitiger Tractusläsion unmöglich, sie würde nur
durch eine rechtsseitige Tractuszerstörung zu erklären sein, was den klinischen Er-
fahrungen und den anatomischen Befunden widersprechen würde.
Wir haben damit einige Hauptpunkte aus dem Werke hervorgehoben, das ausser-
dem reich ist an anatomischen Einzelheiten, die im Original nachgelesen werden
müssen.
Dass nun endgültig die Semidecussation aus der Welt geschaffb sei, ist aller-
dings fraglich; jedenfaUs wird aber die Arbeit den Ausgangspunkt neuer CTnter-
suchungen bilden, bei denen dann auch andere Methoden herangezogen werden müssen,
denn dies scheint doch nach neueren Erfahrungen nicht fraglich, dass die Weigert'sche
Methode, welche uns ja so ausgezeichnete Dienste leistet, wenn sie positive Ergeb-
nisse giebt, doch eine gewisse Vorsicht erheischt, wenn die mit ihr gewonnenen
Besultate negativ sind.
Die Ausstattung des Werkes, wie die Abbildungen, können nur mit dem Prä*
dicate „vorzüglich" bezeichnet werden. M.
V. Vermisohtes.
Die Archives de Neurolog. reprodncireD (1887. Bd« XIY. p. 107 £) die Berichte des
BucoldianuB U.A. über die wunaerbare Fasterin Margarethe ans Boed bei Speyer, welche
Kaiser Ferdinand 1542 besuchte. Dieses 12jährige Mädchen genoss Jahre lang weder Speise
noch Trank und die Gelehrten erschöpften sich in schar&innigen HypoUiesen über den Yorguig.
Bei dieser Gelegenheit sei einer Notiz in Hufeland 's Makrobio tik gedacht. Der Yen.
citirt ans der Hist. de Tacad^mie fran9. vom Jahre 1769 einen Fall, in welchem ein geistes-
kranker Offider 46 Ta^ nicht die geringste Speise genoss. Er trank nur Wasser mit einigen
Tropfen Anisbranntwem darin, in den letzten 8 Tagen nahm er auch kein Wasser mär.
Vom 36. Tage an mnsste er liegen. Der Foetor ex ore der Hunj^ernden wurde auch bemerkt
Er fing nach 46 Tagen plötzlich wieder an zu essen, als er em Kind mit einem Butterbrode
hereintreten sah, und ernolte sich vollständig wieder. Sieme'ns.
£. Dupny sah zuverlässige Erfolge von Antipyrin bei Seekrankheit Er gab taglich
3,0 g und begann schon drei Tage vor der Einscbifiung mit dieser Medication. Auch Indivi-
duen mit Dilatatio ventriculi und dyspeptischen Symptomen blieben verschont (Compt rend.
14. November 1887). Th.- Ziehen.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20.
Verlag von Vst & Comp, in Leipzig. — Druck von Mxtmxe ft Wittio in Leipsig.
NEÜROLOGISCHESCENTRALBLAn.
Uebereicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie^ Phydiolegie^ Ptthölegte
und Therapie des Nervensystemes einschlr^llbh der Gk^l^eskfähkh^lten.
Heraoflgegeben von
Professor üt* B4 Mendel
Siekelter "> ^^ Jahrgang«
if onaüich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die l^ostanstalten des Üeutschen tteichs, sowie
direeii von der TeflAgsbüc^hhahdlung.
3C
1888. 15. Febrnan ^4.
Inhalt. I. Originalmittheilung. Ueber Heterotopie grauer Substanz im Bückenmark,
Ton Dr. P. Kronthal.
II. Rtfarttej Aaatomie. h On tko nerrcms mtem of the head cf tbe htrra cf Cory-
daluB cornutns Linn, by Krauss. — Experimentelle Physiologie. 2. Ueber die Landois'-
sehen Versuche der chemisdaen Beizung der Grosshimrinde, von Letllkliichei^ und ZiUhdti,
8. Untenmehiagen Über den Einfloss des Coffeins und Thees auf die Dauer einfacher psy-
chischer Yoreänge, von Dehio. — Pathologische Anatomie. 4. Osseryazioni d'anatomia
patdogica smfa paralisi ptogressira deg^ atletiati, del flettonicd. 5. Zur Fhtgc^ Über die
seeun&reB Degenerationen des Himschenkd«, von Bechtertw. — Pathologie des Nerrefl-
systems. 6. Contribuzione allo studio della paralisi radicolare superiore del Plesso brachiale,
per SiiitM. 7. A 6ase of päradysis fh)m nressure en the fifth Atd sizth cerYlcid nei^es,
py Beevor. 8. De la tempmtere oentrale aans FäpQepsie» paar BMmeville« ^ Psychiatrie.
9. Sopra un caso di demenza paralitica in individuo affetto da atrofia muscolare progfessiya,
pel Tanttroni. itf. t>emexitsk pätaütica in tin imbedUe epüettico pel fiftghieelll. — Thef&pi6.
11. Die ehirurgische BehandluBg von Hinkrankheiten, von v. Borgntami. 12L Emipareei pro-
gressiva sinistia iniziatasi due mesi depo di un trauma alla regione parietale destra e giunta
ad emiplegia completä, pel Cod. l8. Gase of cefebelfiar tumour; opei'ation; death ttbist shock,
by 9mMlngi 14. Bemo^ of cerebral tumoiffi by toduML 15. Gase of PaehymeiinfiitiB in-
tona wiih haemorrhage and temporary relief by trephining. 16. Glioma of the rignt tem-
poral k/be with interctirtent hiiemorthage. A case in wU6h läief questtdü of f fephift^g tihis
eonsidered and deeided agiinst, by INillt and Bodtmer. 17. FaU af tumör i ajermitti Hiod
ÜUfallig förbättring öfter f5rsökt exstirpation, medd. af Wising och Berg. 18. Gase of excision
of tumour of cerebellum, by INay.
III. fm% den eMelMMeii.
IV. Bibliographie.
1 Oftl^titLaltüittlldflungeitl.
(An0 dem Labortftarhim ^ Prof. VbsttDmj.)
üeber Heterotopie grauer Substanz im Rückenmark.
(Nach einem Vortrag, gekalten in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nerven-
krankheiten am 12. December 1887.)
Yon IM. F. Utom^Ai AssiBtent am Prof. Hlonderschon Labortttofmitl.
Bei dem Wideisprndi der Ansehaumngen über die WirkdngeDl des Bleiee aof
das GeirtratneiTeiiErf stem erregen die FUM voa tödtiicfaem SMiindsmtig chr^c^
7
— 98 —
immer in hohem Orade die Aufinerksamkeit des Pathologen« Der Güte des
Herrn Director P. Gitcthakn verdanke ich das Material und die Erlaubniss
zur Veröffentlichung, der Freundlichkeit des Herrn Dr. Nbümank die Kranken-
geschichte und den Sectionsbefund eines unter den Erscheinungen schwerer ßlei-
yergiftnng verstorbenen fiohrlegers.
Der 22jähr. Fat. war innerhalb zweier Jahre yiermal an typischer Bleikolik
und Bleilähmung im Erankenhause behandelt und dreimal gebessert entlassen
worden. Zum 4. Male wurde der Kranke am 80. März d. J. im städtischen
Krankenhaus zu Moabit aufgenommen. Er war vorher wieder als Bohrleger
thätig gewesen. Die lebhaften Leibschmerzen liessen bald unter Opium nach,
doch konnte Patient am 31. die Finger nur schlecht strecken und es entwickelte
sich schnell beiderseits die typische Badialislähmung. Vom 1. April an b^ann
Patient zu halluciniren und gab Antworten, welche auf mannigfaltige Halluci-
nationen des Gesichts und Gehörs deuteten. Am 2. klagte Patient über Taub-
heit in der Unken Glutäalgegend und über ein schwirrendes Gefühl über dem
Damm.
Die Aufnahme des Status praesens an diesem Tage ergab mittleren Er-
nährungszustand, blassgelbliche Gesichtsfarbe, Bleisaum; die Zunge, bräunlich
belegt, wird zitternd herau^estreckt. Die Pupillen reagiren lebhaft reflectorisch
und accommodatorisch. Keine Facialislähmung. Hände in charakteristischer
Stellung der Badialislähmung; bei dorsalflectirter Hand ist der Druck kräftig.
Die Beine können nur andeutungsweise gebeugt werden. Wird Patient aufge-
stellt, so klappt er zusammen. Patellarreflex fehlt beiderseits vollkommen. Sensi-
bilität überall scharf erhalten. Innere Organe normal, links vom Sternum ein
systolisches Geräusch angedeutet, Abdomen wenig druckempfindlich. Weiterhin
wurde der Kranke mehr benommen trotz warmer Bäder mit kalter Uebergiessung
und Jodkälium. Drei Tage später besteht allgemeine, wenngleich nicht absolute
Lähmung des Halses, Rumpfes und der Extremitäten. Tod am 5. April Moi^gens.
Die Temperatur bewegte sich zwischen 86,5 und 88,4, Respiration war ruhig.
Puls um 100, voll.
Die Tags darauf gemachte Section zeigte das Gehirn und seine Häute
makroskopisch ohne Besonderheit, leichte Yerdickung an den Klappen der Aorta
und Mitralis, Oedem der Lungen; Milz, Nieren, Leber normal. Das Gehirn und
Bückenmark, sowie der Nervus radialis, ulnaris, medianus und Stücke des Muse,
triceps wurden sogleich in 3^/^ Kalium-bichromicum-Lösung gebracht
-Was zuerst den Muskel anbetrifft, so zeigte er sich mikroskopisch bis auf
eine leichte Kemvermehrung durchaus normal. Die Querstreifung war scharf
erhalten, keine fettige Degeneration, keine Verschmälerung der Fasern.^
' Der Versuch, die Nervenendplatten in diesem Muskel darzastellen, wurde gemacht
trotz der Erfahrung, dass im Muskel des Erwachsenen diese Gehilde äusserst selten gesehen
werden können. Von der Anschauung ausgehend, dass die pathologisch veränderte Nerven-
endigung TieUeicht resistenter und weniger zart als die normale sei, vielleicht auch durch
Imprägnation mit Blei leichter darsteUbar wäre, wurden kleine Partikel des Muskels nach
der bekannten Methode mit Goldchlorid und Ameisensäure behandelt Dass der Muskel vor-
her kurze Zeitt in Kalium bichromicum gelegen hatte, ist für diese Methode nach neueren
_ 99 —
Der Nervus radialis zeigte die schon öfters bei Bleilahmting beschriebenen
y erändeningen , Degeneration und Zerfidl der Axencylinder und Markscheiden.
Der Nervus nlnaris und medianus kann normal genannt werden. Yon höchstem
Interesse war es nun, sich über die Bescha£Penheit des Bückenmarks zu Orien-
talen. Dasselbe war, wie üblich, 4 Wochen in Kalium bichronücum gehärtet
und dann mit Alkohol im Dunkeln extarahirt worden. Es zeigte schon ausser-
li^h insofern ein ungewöhnliches Verhalten, als es an zwei Stellen, nämlich etwa
2 cm von seinem oberen Ende entfernt 1V2<^1^ ^^^ ^^^ 28 cm weiter unten
etwa 2 cm weit eine fast flüssige Gonsistenz darbot, so dass die sonst vor dem
Härten üblichen Einschnitte an diesen Stellen aus Vorsicht unterlassen wurden.
Auch das übrige Bückenmark war weicher als gewöhnlich. Ausserdem fiel noch
auf, dass etwa in einer Länge von 4 cm oberhalb der unteren sehr weichen
Partie das Organ äusserst umfangreich erschien. Die Färbungen wurden theils
mit Ammoniakoarmin, theils mit Pikrocarmin, theils mit Nigrosin, theils nach
Weigebt gemacht Das Bückenmark wurde, nachdem es erhärtet war, in Par-
tien von etwa 1 — P/^cm Höhe zerlegt, in Celloidin eingebettet und aus jedem
Stück etwa 30 Schnitte angefertigt, so dass eine Schnittserie von gegen 900 Prä-
paraten ein recht vollständiges Bild darbot. Das erste Stück, das behandelt
wurde, war etwa Com vom Anfang des Bückenmarks entfernt und erweckte
makroskopisch den Verdacht, dass man es mit einem Tumor zu thun hätte.
Das linke Vorder- und Hinterhoru, das wie immer nach Chromhärtung hellgrün
erschien, vmrde durch eine gleichfalls heller gefärbte Masse, die etwa Bimen-
fonn hatte, nach rechts gedrängt und schien sehr stark verschmälert. Die
mikroskopische Betrachtung des ersten Schnittes klärte den Lrrthum bereits auf
und zeigte, dass es sich um eine Heterotopie grauer Substanz handle, denn in
einem Gewebe, das histologisch theils an die Substantia gelatinosa Bolandi er-
imierte, theils aus Sonnenbildchen bestand, lagen zahlreiche grosse, schön ent-
wickelte (Ganglienzellen. Das erste Stück, wie auch die MeduUa oblongata zeigten
normale Verhältnisse. Ebenso das zweite Stück. Bald jedoch, je weiter man
schnitt, verlor die graue Substanz ihre Form sehr schnell und hier in diesem
Präparat, das also etwa aus der Höhe des zweiten Halsnerven stammt, kann
UnteirachimgeD sogar vortheiUiaft. Es Hessen sich auf den Fibrillen kleine» sehr feine, schwane
Fidchen erkennen, die zn kleinen, theils runden, theils ovalen, theils polygonen, dunkel oon-
toiirten Flächen führten, auf denen man Punkte und Strichelchen imterscheiden konnte.
Diese Gebilde konnten dreierlei sein. Entweder Nervenendplatten mit den zuf&hrenden Nerven,
oder elastische Fasern -> denn diese färbt das Gk>ld auch schwarz — oder endlich, was
zuerst bei Weitem das WahiBcheinlichste war, Eunstprodncte, die ja gerade bei den Gold-
methoden so angemein hftnflg sind. Die Durchmusterung einer grösseren Anzahl von Prä-
paiaten liess immer wieder diese selben Gebilde erkennen. Es wäre nicht zu verwundem,
wenn dieselbe Methode auch immer dieselben Eunstproducte giebt. Man musste deshalb
TerBuchen, ob mit einer andern Methode auch diese Figuren sich zeigen wftrden. Die Prä-
parate wnrden nach der von Saiidicank angegebenen Methode hergesteUt und zeigten die-
sdben Formationen. Trotzdem möchte ich doch noch nicht mit Sicherheit behaupten, dass
diese Gebilde Nervenendplatten seien, obgleich man ja elastische Fasern unzweifelhaft wegen
der gleichmässig wiederkehr^ndeo' formen arssQhliessen kann und die Wahrscheinlichkeit^
dsH verschiedene Methoden 'diesofbac KrJistpro^uote geben' elften,' ttth eine sehr geringe ist
7*
— 100 —
man v<m der aoiirt ablieben Configuiation Nichts mehr erkennen. Wirr nnd
planlos liegt graue nnd weisse Masse durcheinander^ der Gentralkanal ist nicht
mehr zu finden, keine vordere Conunissnr zu entdecken, ebaisowenig wie die
hintere, kein Sulcus longitadinalis anterior, kein posterior. Ob die graue Sub-
stanz hier in absolut grosserer Masse vorhanden ist als sonst, muss, glaube ich,
im bejahenden Sinne beantwortet werden. Sicher wenigstens ist, dass in vielen
Schnitten zinsohen 80 und 100 Ganglienzellen gezahlt wurden, so in dem vor*
liegenden zum Beispiel 87. — Das nächste Stack lässt wenigstens das rechte
Yof der* und Hinterhom, wenn auch noch sehr abnorm gestaltet, erkennen,
während die linke Hüfte der grauen Substanz noch ganz ungeordnet umherliegt
Xbe änzelnen Bündel hier zu construiren dürfte wohl grosse Schwierigkeiten
haben. Die geordnete rechte Seite löst ach auch bald wieder auf und die
niofasten Serien zeigen wieder die wild herumliegende graue Substanz. Ein
rechtes Yorderbom ist vorhanden und scheint auch, als ob man eine von ihm
aopgehende Zunge als C!ommis8ur ansprechen könnte« Jetzt in der Höbe also
etwa des 6. H^dsnerven ordnet sich die graue Substanz, wenngleich sie auch
noch lange nicht die Form der normalen hat Die Yorderhömer sind sehr
kurz, gedrungen, die Gonmxissur ungemein lang, ein linkes Hinterhom existirt
nioht, wohingegen das rechte Hinterhom sehr kräftig entwickelt ist IStwas
Neues tritt aber jetzt noch hinzu. Von der Spitze des linken Hinterhoms aus-
geh^d zieht ein Streifen schmaler grauer Substanz schräg herüber zum Vorder*
hom, indem er am Ende stark kolbig anschwillt In den nächsten Stücken
siebt man diesen Streifen stärker anschwellen und seinen Zusammenhang init
dem linken Hinterhom verlieren, wohingegen das linke Yorderhon schmäler und
schmäler wird, um schliesslich als ganz schmaler dünner Streifen die neu auf-
getretene graue Substanz zu umfassen. Spater dann wird das linke Yorderbom
wieder starker, die heterotopische Substanz nimmt an Mächtigkeit ab und hier
sieht man annähernd normale Yerhältnisse, Ganz normal erschemt die Figur
der grauen Substanz im ganzen Bückexunark überhaupt nicht, bald ist es das
Unke Yofdwhcnm, bald das rechte Hinterhom, das an Grösse gegen daa der
andem S^te weit zurückbleibt Die Gonfiguration ist überall eiue absonderliche,
so geht es mit mannigfachen wechselnden Bildem bis zu der Stelle, wo bereits
früher die Yerdickong des Organs beobachtet war. Es ist dies das Stück Nr, 22
der Serie. Man sieht hier, dass an der linken Seite die wrisse Substanz eine
kleine Hervorraguug hat Dieser Yorsprung wächst mehr und mehr und zwar
recht schnell und ist bereits im nächsten Stück als eine grosse Platte weisser
Substanz, die an Grösse etwa gleich einem Drittel des Büokenmarks ist, abge-
schnürt und hängt nur noch durch einige lockere bindegewebige Yerbindungen
mit dem Hanptorgan zusammen. An der lateralen Seite trägt das nengebildeta
Stück zwei Flecken, die dunkler tingirt sind und die sich als graue Substanz
erweisen, so dass man es also hier mit einem zweiten rudimentären Bücken-
mark zu tbun hat Diese Ansicht bestätigen die nächsten Schnitte vollkommen«
Das neu angetretene Stück wird grosser und grösser, ist hier ungeflUir gläch
einer Hälfte des Bückeqmarks und zeigt an' Seiinor^ lateralen Seite eine grosse
— 101 —
Masse grauer Substanz, die die Form etwa mer Sanduhr hat Es sind schöne
zaUreiohe grosse Oanglienzellen in ihr und treten die Nervenfasern medialwärts
ans. Die Verbindung mit dem Bückenmark ist eine innigere wie vorher, indem
ein breiter Streifen weisser Substanz hinüberzieht Dieser Streifen ninmit schnell
za und findet man bald beide Anlagen zu einer einzigen vereinigt und in einer
zosammenhangenden Fläche von Sonnenbildchen rechts oben schief gestellt eine
annähernd normale Figur grauer Substanz, links ziemlich am Bande eine der
froheren ähnliche Figur mit einem langen Auswuchs nach oben und einer gut
zu erkennenden Substantia gelatinosa an dem dünnen Mittelstück. Sehr rasch
wechsebi jetet in den nächsten Schnitten die Bilder, indem die heterotopische
linke graue Substanz ihre schlanke Form in eine kürzere dickere umwandelt
und zugleich mehr nach der Mitte herüberdrängt, wobei das linke Hinterhom
nicht mehr zu entdecken ist An der linken Seite trägt die weisse Substanz
am Bande eine Einbuchtung, in der austretende Wurzeln liegen. Sehr schnell,
fast plötzlich verschwindet jetzt mehr und mehr graue Substanz aus den Schnitten
und V/^ cm tiefer ist alles, was überhaupt noch von grauer Substanz vorhanden
ist, hi^ an der rechten Seite des Querschnitts ein schmaler hakenförmig ge-
bogener Best mit einem langen dünnen Zipfel. Doch dürfte wohl kaum diese
Masse die Hälfte der sonst vorhandenen Menge grauer Substanz reprasentiren.
Bald tritt wieder etwas mehr Ganglien tragende Masse auf, die so vielfach ge-
wunden gewesen ist, dass fast jeder Schnitt eine andere Figur darstellt Was
man als Yorderhom, was als Hinterhom in diesem sehr kleinen Querschnitt der
früher stark erweichten Stelle ansprechen soll, ist nicht mit Sicherheit zu sagen.
Bald ändert sich wieder das Bild und hier das nächste Stück stellt einen fast
bereits normalen Querschnitt des Lendenmarks dar, der sich nur noch durch
die Kleinheit des rechten Hinterhoms auszeichnet Gleich darauf wird die Figur
eine ganz normale.
Wir haben es also nicht nur mit einer Heterotopie der grauen Substanz,
sondern auch mit einem rudimentär au^ebildeten zweiten Bückenmark zu thun,
ein Fall, der nur noch von den von Fübstneb und Zaoheb im Archiv für
Psychiatrie Bd. XU veröfifenüichten übertrofifen wird.
Das ganze Bückenmark zeigte, und zwar genau von der Stelle an, wo zuerst
die Missbildung auftritt, bis zu der Stelle, wo die graue Substanz beinahe ihre
normale Form wieder annimmt, zahlreiche sklerotische und myelitische Heerde
verschiedenen Alters. Die Partien, die zwischen den beiden Stellen liegen, wo
die heterotopischen Formationen am stärksten ausbildet sind und die, wie
bereits erwähnt, auch nicht als normal in Bezug auf die Form der grauen Sub-
stanz bezeichnet werden können, zeigen nur sehr kleine zerstreute myelitische
Heerde meist frischeren Datums. Die beiden Partien, die sich früher durch ihre
relativ weiche Gonsistenz ausgezeichnet hatten, bieten das Bild der schwersten
pathologischen Veränderung dar. In vielen Querschnitten sind nur noch ganz
wenige Sonnenbildchen zu sehen, die meist randständig sitzen. Zahlreiche grosse
Spinnenzellen, Yermehrung des Bindegewebes, Yerdickung der (befasse, charak-
terisuren ältere myelitische Heerde, während ausgewanderte Blutkörperchen, zahl-
— 102 —
reiche, vielfach geschläugelte, erweiterte Capillaren, aufgequollene Markscheiden,
ondeutliche Axenoylinder auf einen frischeren Entzündongs^rocess hindeuten.
Andere Stellen zeigen die nackten Axencylinder, dabei Wucherung und Ver-
dickung des interstitiellen Gewebes, so dass man hier einen bereits längere Zeit
bestehenden Process, der zur Sklerose gefahrt hat, anzunehmen berechtigt ist
Was die Ganglienzellen und speciell die der Yorderhömer betrifit» so haben sie
ein weniger klares Aussehen als gewöhnlich. Stellenweise enthalten sie etwas
Pigment Im Ganzen sind die Zellen der heterotopischen Substanz grösser und
durchsichtiger als die des anderen Gewebes. Ausserdem finden sich mehrfach
Spalten im Bückenmark, so eine besonders grosse an der Stelle, wo beide An-
lagen in einer Fläche weisser Substanz liegen. Die Höhlen tragen nirgends
Epithel.
Dass die Missbildung der grauen Substanz nicht etwa ein durch ungeschickte
Manipulationen herYorgebrachtes Eunstproduct ist, dagegen spricht, dass das
Mark, bevor es erhärtet worden ist, überhaupt nicht durchschnitten wurde und
dass femer eine zweite Anlage vorhanden ist. Die Idee, dass vielleicht im Ge-
hirn oder Kleinhirn eine ähnliche Missbildung wäre, lag nahe und wurde des-
halb die Section dieser Organe auch erst, nachdem sie vollkommen erhärtet
waren, möglichst genau vorgenommen. Es zeigte sich von Abnormitäten weiter
gar nichts, als dass der linke Gyrus centralis anterior am Ende des oberen
Drittels darchbrochen war, ein immerhin nicht häufiger Fall und dass im Klein-
hirn die Menge der weissen und grauen Substanz auf den beiden Seiten eine
ungleiche ist Die mikroskopische Untersuchung bot nichts Bemerkenswerthes.
Die Frage, die jetzt nun das hauptsächlichste Interesse darbietet, ist die
über den Zusammenhang der Bleivergiftung mit den schweren pathologischen
Veränderungen des Bückenmarks.
Die Durchsicht der litteratur zeigte, dass überhaupt nur 10 Fälle von
Heterotopien grauer Substanz im Bückenmark nebst genauem Befunde veröffent-
licht sind. Diese Fälle sind:
1. Bbamvtell-Weisb, Krankheiten des Bückenmarkes. (Wien 1883. ToepUtz &
Deuticke.) S. 199.)
Z In demselben Werke (S. 200) ein Fall von Dbttmmokb.
3. Pick, Prager medicimsche Wochenschrift. 1881. S. 93.
4. PiOK, ebendort S. 96.
5. PiOK, ebendort S. 195.
6. FüESTHBB und Zaohbb, Archiv für Psychiatrie. Bd. XII. S. 373.
7. FüBSTNEB, ebendort S. 391.
8. Sghieixbdeckeb, Archiv far mikroskopische Anatomie. Bd. XII.
9. Kahleb & Pick, Vierteljahrsschrift für Heilkunde. 1879. Bd. IL & 17.
10. Pick, Archiv für Psychiatrie. Bd. Vffl.
Es ist zu untersuchen, woran diese 10 Fälle gestorben sind und ob resp.
welche pathologischen Yeränderungen das Bückenmark zeigte. — Pick sagte
zuerst, dass ihm das Bückenmark, welches heterotopiscbe Heerde beherbergte,
ein Locus nünoris resistentiae für alle Schädlichkeiten, die den Körper trafen,
— 103 —
zn sein schiene. Man kann den Satz unter Berücksichtigung der letzten Ver-
öffentlichungen jetzt sicherer fassen und behaupten, dass ein Rückenmark mit
heterotopischer grauer Substanz der Ort allergeringsten Widerstandes ist. —
Mit Ausnahme nämlich des ScHiEFEBDEGKEB'schen Falles, bei dem der Unter-
suchende die Sache mehr vom physiologischen Standpunkte aus beleuchtete und
sowohl über Todesursache als auch über pathologische Veränderungen in seiner
Veröffentlichung nichts sagt, erwähnen alle übrigen Autoren die mehr oder
weniger hochgradigen Veränderungen des Organs. Die Fälle 1 und 2 starben
an Paralysis pseudohypertrophica und zeigten Spalten und Erweichungsheerde
um die Gefasse. In Fall 3, der einen Blödsinnigen betraf, war eine Myelitis
vorhanden. Fall 4 starb an Phtisis pulmonum, zeigte im Bückenmark Spalten,
transversale Myelitis und Vacuolen in den Ganglienzellen. 'Fall 5 ging an einem
Trauma der Wirbelsäule und Gompression der Medulla zu Grunde und niuss
deshalb als unrein aus unserer Betrachtung ausgeschlossen werden. Fall 6 starb
an Paralysis progressiva und zeigte neben älteren Processen eine frische Ent-
zündung des Bückenmarkes. Fall 7 endete gleichfalls durch progressive Para-
lyse und zeigte das Bückenmark neben Tabes Myelitis. Der 9. Fall zeigte
gleich&Us Tabes. Der 10. ging an progressiver Muskelatrophie zu Grunde.
Es ist also klar, dass all' diese Fälle, obgleich sie zum Theil durch Krank-
heiten endeten, die mit dem Bückenmark in keiner näheren Beziehung stehen,
80 z. B. der durch Lungenschwindsucht zu Grunde gegangene, auf dem Sections-
tisch Veränderungen des missgebildeten Organes zeigten. Sind ^vir nun berech-
tigt für die verschiedenen Processe, die wir in dem von uns obducirten Bücken-
mark gefunden haben, die Bleivergiftung als Ursache anzusprechen?
Ich glaube nicht, denn es ist höchst wahrscheinlich, dass, wenn dieser Mann
an ii^end einem andern Leiden zu Grunde gegangen^ wäre, auch das Bücken-
mark einen pathologischen Befund darbieten würde. Deshalb trägt dieser Fall
zur Losung der Frage über die Wirkung des Bleis auf das Gentralnervensystem
Nichts bei.
Nicht unbemerkt möchte ich lassen, dass von den 10 Fällen bei zweien in
den Krankengeschichten ausdrücklich hervorgehoben ist, dass die Patienten links-
händig waren.
Die Bearbeitung eines derartigen heterotopischen Bückenmarks bietet sehr
grosse Schwierigkeiten dar. Dünne Schnitte zu erhalten war an den stärker
veränderten Partien fast unmöglich und auch die Färbung eine immer wech-
selnde und unberechenbare. Pick konnte z. B. auch in Fall 6 aus einem Theil
des Organs keine brauchbaren Schnitte erhalten. Li Fall 6 ist ein Theil der
verdünnten Partie ausgelaufen. Die anderen Autoren berichten Nichts über die
Bearbeitungsfahigkeit ihres Materials.
**
I
1\
ry«
9
- 105 —
Erläatemng der Abbildungen.
Fig. L Nr. 3. Höhe des 2. GerTicaloerren. In a 2 Qanglienzellen, b S, c 49, d 4, e 2,
f 13, g 13, h 6. Der ganze Querschnitt zeigt ältere nnd frischere myelitische Heerde,
sowie anch nackte Axencylinder. Die grane Substanz liegt planlos umher.
Fig. II. Nr. 4. 1 cm tiefer als das vorige Präparat. Zahlreiche, disseminirte, kleinere
myelitische Heerde. a rechtes Yorderhom, b rechtes Hinterhom.
Fig. in. Nr. 6. Höhe des 3. CervicalnerTen. In a 8 Ganglienzellen, b zahlreiche grosse,
e zahlreiche kleine, dB, e B, f 1, g zalreiche kleine, h spärliche kleine; abe ist als
rechtes Yorderhom anzusehen, % als Commissnr.
Fig. lY. Nr. 6. Annähernd normale Rfickenmarksfigur, rechtes Yorderhom grösser als
linkes, ebenso rechtes Hinterhom, sehr lange Comroissur, ab heterotopische graue Sub-
stanz mit zahlreichen grossen Ganglienzellen in ö.
Fig. Y. Nr. 7. Rechte Seite mehr entwickelt als linke, sehr breite Commissur, schmaler
bindegewebiger Zusammenhang des rechten Yorder- und Hinterhoms, linkes Hinterhom
sehr dünn; a heterotopische graue Substanz.
Fig. YL Nr. 8. Linkes Yorder- und Hinterhom nur noch als ganz schmaler Streifen Tor-
handen, rechte Hälfte abnorm conftguriri a birnenförmige heterotopische graue Sub-
stanz; zahlreiche Spalten im Präparat.
Fig. YH. Nr. 9. Zunehme der normalen grauen Rfickenmarksfigur auf der linken Seite,
starke Ausbildung eines rechten Seitenhoras, Yerschmälerang der heterotopischen grauen
Substanz.
Fig. YHI. Nr. 17. Rechtes Yorderhom länger, schmäler, stärker auswärts biegend als linkes,
dieses kurz, gedrungen mit stark ausgeprägtem Seitenhom, rechtes Hinterhom normal,
linkes äusserst dfinn.
Fig. IX. Nr. 22. Rechtes Yorderhom schmal, Hinterhom sehr dick stark nach auswärts
gelegen, linkes Yorderhom kurz und dick, Hinterhom sehr schmal. Bei a eine Aus-
buchtung der weissen Substanz.
flg. X. Nr. 23. Normale R&ckenmarksflgur. Durch bindegewebige Sträng^ d, h mit dem
R&ckenmark eine Platte weisser Substanz a yerbundcn, die bei b und e kleine Stöcke
graue Substanz mit zahlreichen, schönen Ganglienzellen trägt. Bei e und / Nerven-
bfindel.
Fig. XL Nr. 24. Die zweite Anlage a hängt durch den Streifen weisser Substanz b mit
dem Hauptorg^ zusammen, eed sanduhrförmige, graue Substanz, bei e Substantia
gelaiinosa Rolandi.
Fig. XII. Nr. 25. In einer Platte weisser Substanz a eine annähernd normale graue Rücken-
marksfigur, bed heterotopische graue Substanz, bei c deutliche Subst. gelatinosa Rolandi.
Fig. XIII. Nr. 26. Rechtes und linkes Yorderhom ziemlich gleich, rechtes Hinterhom sehr
stark und bei a plötzlich nach auswärts abbiegend, linkes Hinterhom nicht Torhanden.
b und e heterotopische graue Substanz.
Fig. XIY. Nr. 27. Sehr wenig graue Substanz im Querschnitt Was a Torstellt, ist nicht
sicher zu sagen, ein schmaler dfinner Streifen b f&hrt noch zu etwas stark gewundener
GangUenzellen föhrender Masse c, ebensolche bei d,
Fig. XY. Nr. 28. Sehr Tiele, planlos heramliegende graue Substanz.
- 106 -
n. Referate.
Anatomie.
1) On the nervouB System of the head of the larva of Ck>rydalus oomutas
Linn, by William C. Krause. Extract; from a thesis in Entomology presented
to the faculty of Gorneil University for the Baccalaureate in Science. (Cambridge.)
Nach den Untersuchungen von Erauss besteht das Nervensystem des Kopfes
von Corydalus comutus Linn aus folgenden Theilen:^
1) Ein Supra-oesophagealganglion oder Grosshim mit seinem Nerven. Dasselbe
liegt auf dem Oesophagus in der Mitte zwischen Labrum und Eopfgelenk dicht unter
der Schale, von derselben nur durch Fettgewebe getrennt Es besteht aus 2 Gang-
lien und ist als Grosshim anzusprechen. Die beiden Ganglien hängen durch eine
kurze dicke Nervencommissur zusammen und sind öfter als 1 Ganglion beschrieben
worden. Diese Körper sind oval, ihre Dicke von vom nach hinten beträgt etwa
'/^ mm, ihre Länge etwa 2 mm, lateral treten je 2 Nervenpaare aus. Von der unteren
Fläche entwickeln sich 2 dicke Commissuren, die zum Subösophagealganglion gehen.
Die Aorta erweitert sich nach dem Supraösophagealganglion zu und aus ihrem offenen
Lumen umspült das Blut frei das Gehim, um nach unten zu fliessen nnd auf die-
selbe Art das Subösophagealgangiion zu ernähren. Die doppelte Trachea tritt, nach-
dem sie sich in mehrere Zweige.gespalten, in das Grosshim ein. Von den beiden
lateral aus diesem austretenden Nervenpaaren ist das vordere ein gemischtes, und
zwar geht der vordere, wahrscheinlich sensible Ast zum Fühlhorn, der hintere, wohl
ein motorischer, zu den Muskeln desselben, die am Rumpfe liegen. Das hintere Paar
ist der Sehnerv, welcher sich in 7 Aeste theilt, obwohl das Thier nur 6 entwickelte
Augen hat. Von jeder Cerebralhälfte treten nach vom hin 2 Nerven aus; der eine
geht zum Clypeus und Labmm, der andere — Vagus — bogenförmig zu einem etwa
1 mm weiter nach vom auf der Mittellinie liegenden sehr kleinen Ganglion.
2) Die Crura cerebri umfassen den Oesophagus und gehen zum Subösophageal-
Ganglion oder Cerebellum. Den Cmra cerebri liegt als dicke Leiste in der Mitte
noch eine Commissur auf.
3) Das Cerebellum liegt unter dem Oesophagus auf der Mittellinie senkrecht
unter dem Cerebrnm; es besteht aus 1 Ganglion von etwa herzförmiger Gestali Von
diesem verläuft jederseits eine Nervenfaser nach hinten und verbindet die auf dem
Bauch zu beiden Seiten der Mittellinie liegenden Ganglienreihen. Auch in das Cere-
bellum senken sich Luftröhren ein. Seitwärts und nach oben entsendet das Cere-
bellum 1) Labialnerven, 2) Nerven zur Zunge, 3) zum Oberkiefer, 4) zum Unter-
kiefer.
4) Der Vagus geht vom Cerebrum zum Frontal-Gangljon und von diesem unter
dem Cerebrum zwischen Aorta und Oesophagus bis 2 mm hinter das Cerebrum, wo
er in ein anderes Ganglion eintritt. Von diesen gehen 2 Zweige^ jederseits des
Oesophagus einer, bis zum Vormagen, wo sie in viele Aeste zerfallen. Auf seinem
Verlauf giebt der Nerv zahlreiche Zweige an Aorta und Oesophagus ab.
Kronthal.
Experimentelle Physiologie.
2) Ueber die Landois'schen VerBuche der ohemisohen Reizung der Gross-
himrinde, von G. Leubuscher und Th. Ziehen, Privatdocenten in Jena.
(Centralbl f. klin. Med. 1888. 1.)
Verff. haben die Landois*schen Vercuche^ wiederholt und konnten dieselben im
Allgemeinen durchaus bestätigen. Sie schlössen bei ihren Beobachtungen diejenige
* S. d. Centralbl. 1887. S. 270.
107 —
WirkuBg, welche schon das blosse Freilegen eines Theils der motorischen Zone des
Grossbinis auf die contralaterale Seite hat» durch gleichzeitige Trepanirung auch der
anderen Seite, welche nicht chemisch gereizt wurde, aus. Ghlomatrium erzeugte keine
andere Wirkung, als die Freilegung allein; schwach wirkten Chlorkalium und harn-
saures Natrium. Am besten lösten saures phosphorsaures Kalium und Kroatin die
Kr&mpfe ans.
In einigen Einzelheiten weichen die Ergebnisse der Verff. von Landois ab:
die Kloni im Facialisgebiete und den Yordereztremit&ten traten oft beiderseitig (bei
einseitiger Beiznng) auf; Nystagmus trat auch bei Grosshimreiznng auf; die Reihen-
folge der Krämpfe war etwas anders und es liessen sich die Anfälle so lange hinter-
einander, wie Landois es angiebt (bis 2 Tage), nicht herrorrufen, sondern meist nur
einige Stunden lang.
Auch die Yerff. finden, dass Landois* Vermuthungen in Bezug auf eine chemische
Theorie der Urämie ausserordentlich yiel Plausibles haben, wenngleich noch manche
Einwände übrig bleiben. Hadlich.
3) Uiitenuohungen über den Einflass des Ck>ffelns* und Thees auf die
Dauer eixifiioher psyohisoher Vorgänge, Inaugural-Disserlation von Heinrich
Dehio, Assistenzarzt der psych. Klinik zu Dorpat 1887. (55 Seiten.)
Im Anschluss an Kraepelin*s Untersuchungen über die Einwirkung einiger medica*
roentdser Stoffe (Aether, Ghloroform,.Alkohol etc.) auf die Dauer einfacher psychischer
Vorgänge, stellte Verf. seine Versuche mit Coffein und Theo an, indem er dabei der
Technik der gebräuchlichen Methoden sich bediente, wie sie ausführlich beschrieben
werden. Coffein wurde subcutan als Coffein, natrobenzoicum in Qaben von 0,5 auf
Coff. pur. berechnet» angewandt. In der andern Versuchsreihe wurde Theeinfus. 10,0
mit er. 200,0 kochenden Wassers h' lang auf dem Heerde digerirt, getrunken. Der
Theo enthielt 1,49 ^/^ Theln. Geprüft wurden: die einfache Beaction, die V7ortreaction,
die Wahlreaction und höhere Beactionsformen, wie urtheilen, rechnen etc. Bei der
einfachen Beaction ergab sich die Neigung zum Kürzerwerden der Beactionszeit. Die
Wahlreaction ergab negative Besultate. Bei der Wortreaction und den höheren
Beactionsformen bewirkte Coffein eine geringe Verkürzung der Beactionszeit und ent-
schiedene Abnahme der Schwankungen. Nach Thee machte sich .eine anfängliche
Verkürzung der Beactionszeit geltend, welcher nach einiger Zeit eine Verlängerung
zu folgen pflegte. Demnach wirken Thee und Coffein verkürzend auf die Beactions-
zeit und machen die Beactionen regelmässiger; während Thee mehr den Ablauf der
Reactionen beschleunigt, tritt bei Coffein die regulirende Wirkung mehr hervor; die
Verkürzung durch den Thee bedingt wahrscheinlich ein anderer Stoff in demselben.
Bei der Prüfung des normalen Verhaltens bei den beiden Versuchspersonen, zeigten
sich schon bei den niederen Beactionen erhebliche Unterschiede, die auf tiefgreifende
Verschiedenheiten der psychischen Persönlichkeit hindeuten und vor einer übereifrigen
Anwendung der Methode auf pathologischem Gebiete warnen. Endlich wird auf die
Uebereinstimmung mit der Alkoholwirkung bei der Wirkung des Thees hingewiesen;
auch nach Alkohol treten 2 Phasen auf, Verkürzung der Beactionen mit folgender
Verlängerung. Allein die verkürzende Wirkung des Alkohols beschränkt sich haupt-
sächlich auf die Willenszeit, die durch Thee fast gar nicht beeinflusst wird. Die
Wirkung anf die Apperceptionszeit ist bei beiden gemeinsam; allein die durch Thee
hervorgerufene Verkürzung ist dauernder und intensiver als die nachträgliche Ver-
längerung, während beim Alkohol auf eine schnell vorübergehende Verkürzung, die
bei hohen Dosen sogar ganz fehlen kann, eine beträchtliche und lange anhaltende
VerläDgemng folgt Während schliesslich Alkohol zu einer tiefgreifenden Störung
des Apperceptionsvorgangs (Berauschung) führt, finden wir nach Thee nur einfache
massige Verlängerung des Auffiassungsprocesses (als zweite Phase), wie sie in ähn-
licher Weise dnrch leichte, rasche Ermüdung bedingt wird. Kalischer.
— 108 —
Pathologische Anatomie.
4) Osservazioni d'anatomia patologioa sulla paraliai progressiva degli alie-
nati, studio del Dott. G. Bezzonico. (Archiv, ital. per le mal. nervös, ecc. 1887.
XXIV. p. 499.)
Bei der Section eines Patienten, der im Verlauf der progressiven Paralyse unter
den Symptomen der Himcongestion gestorben war, fand Verf. in allen Qefässen des
Gehirnes eigenthflmlicbe Körper von kugeliger oder auch cylindrischer Gestalt» ge-
wöhnlich von der Grösse, dass sie das ganze Lumen des Gef&sses einnahmen; ein-
zelne waren indess auch von geringerem Durchmesser. Dem Aussehen nach hätte
man sie fOr Fett- oder Amyloidmassen halten können, doch widersprach einer solchen
Annahme das Ausbleiben einer jeden der bekannten Beactionen. Sie hingen in keiner
Weise mit den Wänden der Gefösse zusammen, Hessen weder eine Structur noch Reste
etwa eingeschlossener Blutkörperchen erkennen und waren durch Carmin, aber auch
nur durch dieses eine Färbemittel, zu tingiren.
Verf. entwickelt noch emige Hypothesen Aber die prä- und postmortale Ent-
stehung dieser Gebilde 'und Aber ihre Zusammensetzung, ohne indess zu einem be-
stimmten Resultat zu gelangen.
Der Patient, um den es sich in der referirten Arbeit handelt, hatte Abrigens
im Leben das auffällige Symptom conträrer PupiUenreaction dargeboten (Erweiterung
bei Lichteinfall) und ist in dieser Hinsicht bereits von A. Rag gl 1886 besprochen
worden. Sommer.
6) Zur Frage über die seoxaidären Degenerationen des Himsohenkels,
von W. Bechterew. (Arch. f. Psych. XIX. S. 1.)
Die vorliegende Arbeit ist die Uebersetzung zweier schon frAher in diesem Blatte
referirten Arbeiten (1885 Nr. 17 und 1886 Nr. 8). Unter Verweisung auf das dort
Mitgetheilte seien folgende Details referirt:
Zuerst hebt B. hervor die in der Richtung vom Kniehöcker zum VierhAgel ab-
steigende Degeneration, femer die Degeneration des medialen Abschnitts der Schleifen-
schicht, die bis in den ventralen Theil des Nucleus reticularis (Bechterew) im
unteren BrAckengebiet sich fortsetzte, was g^en die von Meynert angenommene
Endigung dieses Schleifenantheils in der Olivenzwischenschicht spricht Die gleich-
falls vorhandene Atrophie des äusseren Theils der Hanptschleife ist B. geneigt, mit
der Atrophie des anderseitigen Keilstrangkemes in Beziehung zu bringen; ebenso
vertritt er unt«r Leugnung der Beweiskräftigkeit der Gudden*schen Experimente fOr
den unmittelbaren Rindenursprung der genannten Schleifenantheile, die Anschauung,
dass ersterer in den basalen Himganglien (Nucleus lent.?), letzterer im Globus pallidus
des Linsenkems vorläufig endigen.
Klinisch zieht B. aus seinen Fällen den Schluss, dass zur Leitung der nnwill-
kArlichen mimischen Gesichtsbewegungen in der Haube verlaufende Fasern dienen.
(Siehe dieses BlaU 1886 S. 371.) A. Pick.
Pathologie des Nervensystems.
6) Contribiusione allo studio della paralisi radioolare superiore del Plesso
brachiale (tipo Duchenne-Erb), per il Dott. L. Giuffr^. (Giomale di Neuro-
patol. 1887. V. Fase. 3.)
Nach einem historischen Ueberblick Aber die Litteratur der Dnchenne-Erb*-
schen Plexus-Lähmung theilt Verf. zunächst eine eigene Beobachtung dieser seltenen
Erkrankung bei einem Erwachsenen mit
- 109 —
Der 28j&lirige Patient war im Mai 1886 anf die linke Schulter gestfirzt und
hatte gleich nachher motorische und sensible L&hmungserscheinungen im ganzen
Anne bemerkt Bei einer genaueren Untersuchung einige Tage später Hess sich
dann constatiren, dass beide Supinatoren, der Biceps, der Brachialis und der Deltoi-
deus gel&hmt und auch bereits etwas qjtroplüsch waren, während die anderen Mus-
kehiy sowie die Knochen • und die Gelenke normal erschienen. Faradische Beizong
Yom Erhaschen Funkte aus ergab Herabsetzung der indirecten Erregbarkeit; directe
Heizung ergab ebenfalls schwächere Beactionen über den gelähmten Muskeln als rechts;
galvanische Beizung löste bereits Entartungsreactionen aus. Die Sensibilität zeigte
sieh nur auf der oberen äusseren Seite des Oberarms in einem nicht das ganze Ver-
theilungagebiet der Hautäste des Axillaris einnehmenden Gebiet herabgesetzt resp.
aufgehoben. Druck auf die Fossa supraclavicularis in der Bichtung auf den Quer-
fortsatz dos sechsten Halswirbels war schmerzhaft, sonst Alles normal.
Die Behandlung bestand in den ersten Tagen in galvanischer Einwirkung auf
den Plexus und in Faradisation der Muskeln, dann nur in letzterer und in Massage
und passiver Gymnastik. Nachdem unter dieser Therapie mehrere Monate vergangen,
die Atrophie sogar noch zugenommen hatte, trat eudlich eine Besserung und nach
2 Monaten vollständige Wiederherstellung der Fnnctionsfähigkeit ein.
Eine centrale Läsion war mit Bücksicht auf die eingetretene Atrophie und Ent-
artungsreaction, eine Erkrankung der Armnervenstämme aus anatomischen und ätio-
logischen Gründen, eine Poliomyelitis wegen der verhältnissmässig doch nicht bedeu-
tenden Atrophie und wegen der Mitbetheiligung sensibler Nervenäste auazuschliessen.
Bs blieb also als Ursache der Lähmung nur eine Läsion des Plexus resp. eines
Theiles der zu seiner Bildung zusammentretenden Bückenmarksnerven übrig und da
Erb (bekanntlich zuerst) gefunden hat» dass man von einer circumscripten Stelle in
der Fossa supraclavicularis (dem Austritt des Cervicalis VI zwischen den beiden
Scalenis entsprechend) den Deltoideus, Biceps, Brachialis und die Supinatoren zu
reixen vermag, ohne dass irgend ein anderer Muskel mit in Zuckung versetzt würde^
80 muss sich der Sitz der Läsion im vorliegenden Falle an einer dem Erhaschen
Punkte benachbarten Stelle des Plexus brachialis befinden.
Hoedemaker, ¥6r6 und in neuester Zeit Herringham haben denn auch den
anatomischen Nachweis geführt, dass die in Frage kommen könnenden Nerven sämmt-
lieh dem 5. oder 6. Cervicalis entstammen. Die Diagnose einer Lähmung in Folge
traumatischer Neuritis in den Plexuswurzeln aus dem 5. und 6. Cervicalnerven, also
einer sogenannten oberen Plexuslähmung, dürfte daher keinem Zweifel unterligen.
Zum Schluss führt Verf. noch 2 Beobachtungen von Plexuslähmung in Folge
von Verletzung bei der Geburt, was ja die häufigste Entstehungsursache ist, und
einen dritten (Nr. U) an, in dem die Veranlassung zur Lähmung nicht ganz klar
ist, da die Geburt des kleinen Patienten angeblich ohne besondere Schwierigkeiten
vor sich gegangen war, so dass an eine rheumatische oder reflectodsch bedingte
Lähmung gedacht werden könnte. Sommer.
7) A caae of paralysis from pressure on the flfth and slxth oervical
nerves, by C. E. Beevor. (The Brit. med. Joum. 1887. July 23. p. 177.)
Eäne 36jährige Frau schläft auf dem linken Arm, der auf einem Tisch liegt,
5 Stunden lang. Der Arm sinkt herab, und nun liegt die linke Qalsfläche auf einer
scharfen Tischkante. Beim Erwachen ist der Arm eingeschlafen, Formication darin.
Finger, Daumen, Handgelenk können bewegt werden, aber Flexion des Vorderarms,
Botation desselben. Ab- und Adduction des Humerus sind gelähmt. — 5 Tage nachher
zeigt die Untersuchung leichte Anästhesie des Daumens, am Deltoideus und der hintern
Schulter, auch vom an der Brust; nach oben ist vom die Grenze der Band des
St. cl. mastoideus, nach hinten der Trapezius. Der durch die Tischkante verursachte
110 -
Drack hatte stattgefonden 2^1^ Zoll oberhalb der Clavicnla längs dem hinteren Bande
des St cL mastoidens. Paralysirt waren: Sapinator longas und brevis, Biceps, Brachialis
intern., Deltoid., Snpra- und Infraspinatns, Teres roinor, die claviculare Portion des
Fectoralis; paretisch waren: Trapezius, Bhomboidei, Teres major, Subscapularis. Nicht
betbeiligt: Triceps, Serratas magnus, Latissimus dorsi nnd der Best des Fectoralis
major. — Faradische Erregbarkeit gänzlich fehlend im Sap. longas, herabgesetzt im
Biceps, Brach, int., Deltoidens. (Die detaillirten Untersachnngsangaben werden hier
fibergangen.) Kach 3 Monaten schwindet allmäblich die Anästhesie. Alsdann stellt
sich allmählich wieder Contraction der Muskeln (Flexion) ein, diese aber schwach
und unter Mitbewegung sonst nicht nöthiger Nachbarmuskeln. Nach 7 Monaten be-
stand noch eine Schwäche bei der Humerus-Abduction. Die faradische Erregbar-
keit war alsdann zurQckgekehrt
Nach B. ist dieser Fall der erste in England beobachtete, in Anschloss an
mehrere der Art, welche deutsche Autoren (Erb, Hoedemaker, Bernhardt,
Bemak u. A.) publicirt haben. Die Aetiologie in diesen Fällen der gen. Autoren
wies auf: Trauma durch Fall, peripherische Neuritis, Carcinom der Drfisen nnd
Wirbel, ein Band über die Schulter, an welchem ein schweres Gewicht hing; aber
in keinem dieser Fälle war der Ort, wo der Druck wirkte, so scharf gekennzeichnet
und abgegrenzt, wie in diesem hier referirten, da die scharfe Tischkante ausschliess-
lich den 5. und 6. Cervicalnenren, mit völliger Integrität der unterhalb befindlichen
Wurzeln, gedrückt und getroffen hatte. Die Wichtigkeit des Falles liege darin, dass
die Wirkung einer Verletzung der cerricalen Wurzeln des Bflckenmarks vor ihrem
Eintritt in den Plex. brachialis dadurch demonstrirt werden könne. Auch könne
daraus erschlossen werden, dass jeder vordere spinale Nerv dieselbe Function trage,
als derjenige Bflckenmarks- Abschnitt, welcher dessen motorische Zellen in dem Yorder-
hom der grauen Substanz enthalte. Man wird daraus auf die motorische Function
jener verschiedenen Bückenmarks-Abschnitte, welche die Verbreiterung des Cervical-
theiles des Bückenmarks bewirken, weiter schliessen dflrfen.
Die Behandlung bestand in täglicher Galvanisation; der negative Pol auf die
afficirten Muskeln. L. Lehmann (Oeynhausen).
8) De la tempiratore centrale dans röpilepsle, par Bourneville. (Arch.
de Neurol. 1887. XIII. p. 209.)
B. wendet sich gegen Witkowski, welcher (Berl. klin. Woch. 1886. Nr. 43 n. 44)^
die Angaben der Pariser auf Grund seiner Beobachtungen angefochten hat Während
Witkowski fand, dass in den einzelnen Anfällen der Epileptiker die Temperatur fflr
gewöhnlich nicht erhöht sei, nur im Stadium der gehäuften Anfälle (6tat de mal),
sucht B. auf Grund neuer Tabellen darzuthun, dass die einzelnen Anfälle der Epi-
leptiker die Temperatur sehr wohl erhöhen und dass diese Erhöhung zwischen ^/^^
und 1V2 ^fskd schwankt, im Mittel 5 — 6 Decigrade beträgt, dass aber Ausnahmen
und Irregularitäten bei dem Verhalten der Temperatur vorkommen. (Die Arbeit ist
ein Theil aus dem Jahresbericht über die Abtheilung der Epileptiker im BicStre
pro 1886.) Siemens.
Psychiatrie.
9) Sopra un oaso di demenza paralitioa in individuo affetto da atrofla
mascolare progressiva, per il Dott. B. TambronL (Bivista sperimentale di
Freniatria ecc. 1887. XIII. p. 184.)
Ein bemerkenswerther Krankheitsfall, in dem zu einer seit 2 Jahren bestehen-
den progressiven Muskelatrophie als terminale Erkrankung paralytisches Irresein
hinzugetreten ist.
» Cf. d. Ctrlbl. 1887. S. 60.
- 111 -
■
Seit 2 Jahren hatten sich bei dem zur Zeit der Aafnahme 46j&hrigen Patienten
die ersten Zeichen von Maskelatrophien an der linken Hand gezeigt nnd allmäblich
80 bedeutende Fortschritte gemachti dass er in seinem Berafe nicht mehr thätig zn
sein vermochte; bald war ihm auch eine allgemeine Einbusse der Körperkräftei be-
sonders anf der linken Körperh&lfte, aufgefallen. 6 Monate vor der Aufnahme wurde
er plötzlich von einer fieberhaften Erkrankung mit heftigen cerebralen Symptomen
ergriffen, nach wenigen Tagen allerdings wieder hergestellt, aber eine geistige Schwäche
ond allgemeine Arbeitsunfähigkeit war doch unverkennbar. Nach einigen Monaten
brach ein neuer Fieberanfall mit ähnlichen Symptomen und demselben kurzen Verlauf
aus, der aber diesmal eine so bedeutende geistige Störung hinterliess, dass die Auf-
nahme des Patienten in eine Irrenanstalt nothwendig wurde. Hier konnte bedeutende
geistige Schwäche mit Erinnerungsdefecten, Verwirrtheit und Reizbarkeit, sowie Sprach-
störung, Pupillendifferenz (l.>r.), rechtsseitige FacialisparesOy Tremor der (Gesichts-
und Zongenmusculatur und endUch Atrophie des linken Stemocleidomastoideus, der
Interossei und der Daumenmuskeln mit Herabsetzung der faradischen und galvanischen
Huskelerregbarkeit und mit Andeutungen von Entartungsreaction constatirt werden.
Ohne dass noch besondere Veränderungen eingetreten wären, starb Patient 2 Monate
später in einem paralytischen Anfall.
Die Section ergab chronische Meningitis und Periencephalitis der Convexität,
sowie Atrophie der motorischen Zellen der Vorderhömer, besonders ausgesprochen im
linken Cervicalmark mit sklerotischen Processen und Amyloideinlagerungen in der
grauen Substanz, und ausgebreitete Bindegewebswucherungen und Sklerosen in den
vorderen Seitensträngen; die Hinterstränge waren frei geblieben. Es entsprach also
der Sectionsbefund vollkommen der Diagnose einer (zeitlich secundären) Dementia
paralytica und (primären) Mnskelatrophie. Sommer.
10) Demensa paralitica in un imbecille epilettico, pel Dott. C. Sighicelli.
(Archiv, ital. per le mal. nervös, ecc. 1887. XXIV. p. 486.)
Fall von terminaler Paralyse (classische Form mit ausgebildetem Grössenwahn
und mit den charakteristischen Störungen der Motilität und der Sprache) bei einem
von Kindheit an imbecillen Menschen, der ausserdem noch lange Zeit hindurch epi-
leptisch gewesen war. Bemerkenswerth ist es, dass sich im vorliegenden Fall der
Patient bereits 6 Jahre in der Irrenanstalt befunden hatte, ehe sich die paralytischen
Symptome zu entwickeln begonnen hatten; einen ähnlichen Fall (Paranoia und Para-
lyse) hat übrigens Bef. in der Allg. Ztschr. f. Psych. Bd. XLII mitgetheili
Hereditäre Belastung war auszuschliessen; leider hat Verf. weder das genaaere
Alter des Patienten, noch die Frage, ob eine frühere luetische Infection nachzuweisen
gewesen sei, erwähnt. Sommer.
Therapie.
11) Die otonirgische Behandlung von Himkrankheiten, von Prof. Dr. Ernst
V. Bergmann. (Sep.-Abdr. aus v. Langenbeck^s Arch. 1888. Bd. XXXVI. H. 4.)
Die vorliegende Arbeit erscheint uns als Markstein in der in der neueren Zeit
praktisch so hochwichtig gewordenen Frage von dem Eingreifen des Chirurgen in
das verletzte Gehirn. Nicht der chirurgische Specialist ist es, der jenen Markstein
setzt, sondern der Arzt, der mit der genauesten Kenntniss der Physiologie und Patho-
logie des Hirns die Kunstfertigkeit verbindet, das fest verschlossene Organ dem Auge
biossiegen zu können. So nimmt es nicht Wunder, dass der Verf. sowobl dem Neuro-
pathologen gegenüber, der mit der sicheren oder vermeintlich sicheren Diagnose des
Krankheitsheerdes im Gehirn dem Chirurgen Trepan und Meissel in die Hand drOcken
- 112 -
will, wie dem Chirurgen gegenüber, der die Eröfihung der Höhle der Dura maier
als etwas Irrelevantes bezeichnet und zufrieden ist, wenn der Kranke nicht der Ope-
ration oder ihren unmittelbaren Folgen erliegt^ klar und scharf die Indicaüonen pr&-
cisirt, unter denen bei dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse von den krankhaften
Vorgängen im Hirn und ihrem Sitze, wie bei den augenblicklichen Verhältnissen der
chirurgischen Technik die Himchirurgie berechtigt ist
Nur wenige und ausgewählte Fälle empfiehlt er zur Zeit ihrer Thätigkeit, wenn
er auch für die Zukunft Vieles und Grosses von ihr hofft.
Die Arbeit behandelt nach einander 1. die tiefen Himabscesse, 2. die (Geschwülste
des Gehirns, 3. die Epilepsie.
Was die ersteren betrifft, so ist gegen die Trepanation zum Zwecke der Ent-
leerung der intracraniellen Eiteransammlung nur die Schwierigkeit der Diagnose anzu-
führen. Die letztere inrd vor Allem begründet durch die Aetiologie, und nur „bei
den traumatisch bedingten und den durch eine Ohren- oder anderweitige Knochen-
eiterung erzeugten Fällen ist auf Erfolg zu rechnen." Die Symptome, welche für
die Diagnose von Wichtigkeit sind, können sein
1. solche, welche von der Eiterung abhängig sind (besonders anfallsweise auf-
tretendes Fieber);
2. solche, die einen gesteigerten intracraniellen Druck und störende intracranielle
Verschiebungen anzeigen (Kopfschmerz mit regelmässigen Exacerbationen
während der Fieberzeiten des Kranken, zuweilen fixirt und an der Stelle
des Abscesses localisirt; die übrigen Druck- und Stauungserscheinungen, auch
die Stauungspapille sind seltener und wechseln häufig);
3. die Heerdsymptome, welche letztere sowohl für die Diagnose, wie für den
Ort des operativen Eingriffs selbstverständlich von grösster Bedeutung sind.
Hier behandelt nun der Verf. die einzelnen Lappen der Hirnrinde und ihre
Bedeutung für die Localisation, berücksichtigt auch das Kleinhirn; entsprechende
Fälle werden eingefügt.
Aber auch ohne Heerdsymptome kann aus dem vorangegangenen Trauma und
der Reihenfolge in der Entwickelung der secundären Erscheinungen die Diagnose
zuweilen gestellt werden; zwei Fälle aus der Litteratur wie eine eigene Beobachtung
des Verf. beweisen dies.
Was die Geschwülste des Gehirns betrifft, so glaubt Verf., „dass die Chirurgie
derselben weniger Aussicht auf Erfog und deswegen eine schlechtere Zukunft hat,
als die der endocraniellen Eiterungen." Sehr interessant ist die diesen Schluss
begründende kritische Zusammenstellung von 11 Fällen, in welchem die Eröffnung
der Schädelhöhle ausgeführt wurde, um eine intracranielle Geschwulst zu entfernen.
Drei davon (zwei von Mac Ewen und einer von Birdsall) waren nicht gehörig
begründet und hätten unterlassen werden müssen, bei den übrigen acht ist nur in
einem Falle (Horsley) eine noch nach 4 Monaten vorhandene Genesung zu con-
statiren gewesen. Von den 4 Horsley*schen Patienten ist einer dem operativen Ein-
griff erlegen, dagegen sind die von Bennett, Godle, Hirschfelder und Birdsall s&mmt-
lich an den Folgen der Operation gestorben.
Als Gefahren derselben werden besonders hervorgehoben 1. die Blutung, 2. ein
acutes und schnell tödtliches Himödem.
Für die Lehre vom Himdruck mag hier noch ein von dem Verf. erwähntes
Symptom besonders hervorgehoben werden. Man findet bei Hirntumoren mitunter
Verdünnung, ja wirkliche Lücken und Defectbildungen in den Schädelknochen, welche
nicht durch Usurirung des Knochens durch die Geschwulst entstanden sind, da
zwischen Schädel und Geschwulst noch Himsubstanz lag; sie sind Folge der Zunahme
der Spannung des Liquor cerebro-spinalis, welche einzelne Knochenabschnitte beson-
ders schädigen kann.
— 113 —
Was endlich die Epilepsie betrifft, so trennt Yerf. die Fälle von reiner trau-
matischer Bindenepilepsie von denen, in welchen das klassiBche Bild der Epilepsie vor-
handen ist Nnr fttr erstere hält er die chirurgische Hfllfe für indidrt, wenn auch
in einem eigenen und einem Fall von Horsley ein Erfolg nicht eintrat
Wir stimmen dem Verf. vollständig bei, wenn er ausspricht, dass der grteste
Theil jener Mittheilungen, die sich auf Heilung eines Epileptischen durch die
Trepanation beziehen, jedenfalls niedergeschrieben worden ist, ehe noch die Wunde
geheilt war.
Bei Arbeiten, wie der vorliegenden, hat der Referent nur die Pflicht, auf sie
aufmerksam zu machen; deswegen die vorstehenden kurzen Bemerkungen. Ein Aus-
zog soll und kann auch nicht des Lesens der Schrift selbst überheben. In diesem
Falle kommt noch dazu, dass eine blühende Sprache, nie sie nur sehr selten eine
medicinische Arbeit auszeichnet, die Leetüre zu einem Genuss macht M.
12) Emiparesi progressiva sinistra inisiatasi due mesi dopo di un trauma
alla regione parietale destra e giunta ad emiplegia completa, pel Prof.
Änt Ceci, Genova. (Rivista diu. 1887. Settembre.)
Ein 52jähriger Mann stürzte einige Meter hoch herab mit dem rechten Scheitel-
bein auf einen spitzen Stein; er war 2 Stunden bewusstlos. Eine oberflächliche
Qoetschwunde heilte rasch und bis auf einen vorzugsweise rechtsseitigen Stimkopf-
schmerz fühlte sich Pat. 2 Monate lang wohl. Dann stellte sich Schwäche der linken
Hand ein, der bald linksseitige Hemiparese folgte. Auf sensiblem Gebiet war nur
die Berührongsempfindlichkeit im linken Arm etwas vermindert 9 Tage, nachdem
die Schwäche der Hand bemerkt worden war, bestand bereits eine absolute halb-
seitige Lähmung. Zunge, Zäpfchen und Gesicht waren betheiligt, der Urin ging
unwillkürlich ab, der Pols war verlangsamt, die Temperatur normal, Cheyne-Stocke*-
sches Athmen, das Schlucken erschwert; Pat lag in tiefem Sopor, ab und zu bewegt
er die rechten Glieder.
Die Diagnose ward auf Himabscess in Folge von Splitterfractur der Lamina
Titrea gestellt und Trepanation vorgenommen an der Stelle einer palpabeln Knochen-
depression auf dem rechten Scheitelbein. Die Lamina vitrea erwies sich intact,
die Dura war schwarzroth durchscheinend, Pulsationen fehlten. Nach Anlegen einer
zweiten Trepanöffhung spaltete C. die Dura. Ein Löffel voll flüssigen, zum Theil ge-
ronnenen Blntes entleerte sich. Darunter zeigten sich Pia und Himoberfläche suf-
fondirt Immer noch in der Erwartung, einen Abscess zu finden, machte P. erst
4 Probepunktionen mit der Pravaz*schen Spritze, dann 6 mit einem feinen Trokar
bis zu 3 cm Tiefe: Kein Eiter fand sich. Die Wunde ward geschlossen. Höchste
Temperatur 38,3 am 4. Tage, ab und zu noch comatöse Zustände, bis auf ein
Drainageloch prima intentio. Nach 13 Tagen konnte Pat das linke Bein, nach
15 Tagen den linken Arm wieder etwas bewegen. Nach einem Jahre war höchstens
noch im linken Zeigefinger eine leichte Schwäche und Unbeholfenheit bemerklich.
Die erste Trepanöfifhung entspricht dem mittleren Drittel des G. centralis ant
(4,8 cm von der Pfeilnaht entfernt), die zweite dem Fnss der zweiten Stimwindung.
C. umfasst den Fall als „chronische hämorrhagische Pachymeningitis mit Betheiligung
der tieferliegenden Membranen." Intra vitam musste ein Abscess angenommen werden.
Speciell macht C. noch auf die Berechtigung multipler Probepunktionen mit dem
Trokar statt der Pravaz*schen Spritze aufmerksam. Th. Ziehen.
13) Gase of oerebellar tumour; Operation; death trom shook» by C. W.
Suckling. (The Lancet 1887. VoL IL Nr. 14.)
Bei der geringen Anzahl von (}eschwulstoperationen des Kleinhirns (Bennett,
Victor Horslej) verdient vorliegender Fall der Erwähnung.
— 114 —
Bei einem 12jährigen hereditär belasteten Mädchen zeigten sich ca. 2 Jahre
vor seinem Tode Kop&chmerz und häufiges Erbrechen am Morgen; dann trat Schwäche
im rechten Arm und Bein auf, und der nun über dem rechten Auge localisirte Kopf-
schmerz nahm an Intensität zu. Es stellten sich weiterhin Pupillendifferenzen, Läh-
mung der Abducentes, Diplopie, Sehschwäche, Schwindelerscheinungen, schwanlkender
Gang, Intentionszittem der rechten Hand ein.
Die motorische Kraft ist im rechten Arm herabgesetit. Parese des rechten
Beines. Der linke Conjunctivalreflex fehlt. Linksseitige, peripherische Fftcialisparese,
Entartungsreaction nachweisbar. Deviation der herausgestreckten Zunge nach rechts.
Beiderseits intensive Neuroretinitis, Nystagmus bei Bewegungen des Bulbus. Die Be-
wegung des linken Auges nach aussen ist beschränkt, die Abduction des rechten
unmöglich. Erdphosphate im Urin vermehrt. Man nahm auf diese Symptome hin
einen Tumor cerebelli und zwar bei dem mangelnden Nachweis von Syphilis und
Scrofulose ein Gliom an, welches durch Druck auf den linken Theil des Pens, auf
den linken Facialis und die beiden Abducenten die geschilderten Paresen hervor-
brachte. Bei der Operation fand sich eine verbreitete Erweichung im linken Klein-
himlappen, von der ein Theil entfernt wurde. Pat. starb 48 Stunden nachher im
Collaps. Bei der Section ergab sich die Erweichungshöhle mit frischen Blutcoagulis
erftOlt und von weichem, vascularisirtem, fleischrothem Gewebe umgeben, das sich
mikroskopisch als Gliom ergab. Dajsselbe erreichte auch die Mittellinie.
J. Ruhemann (Berlin).
14) Bemoval of cerebral tumour, by J. Hughlings Jackson. (The Brit med.
Joum. 1887. Nov. 5. p. 997.)
J. stellt in der Londoner med. Gesellschaft einen 21jährigen Patienten vor, der
seit 1884 an schweren und leichten epileptischen Anfällen litt, die im linken Daumen
anfingen. Zwar war kein auf Gehinitumor weisendes Anzeichen vorhanden, aber
dennoch wurde ein solcher vermuthet und der Schädel geöffnet Victor Uorsley,
der voriges Jahr die betreffende Operation ausführte, fand einen Tumor in der
rechten Hemisphäre, entfernte denselben und ebenfalls einen Theil des „Daumen-
Centrums".
Die epileptischen Anfalle haben seitdem an Zahl und Intensität abgenommen.
Tor der Operation hatte Patient 16 Anfalle in 13 Tagen; seit der Operation über-
haupt nur 11 und zwar nur schwache, worunter nur einen mit Bewusstseinsverlusi
L. Lehmann (Oeynhausen).
16) Oase of Paehymeningitis interna with haemorrhage and temporary
reUef by trephining. (The Brit. med. Joum. 1887. AprO 23. p. 877.)
Im Edinburger Hospital, Abtheilung von Grainger Stewart, wurde der 44jähr.
Eohlenträger, der über Kopfweh, Schwäche in den Gliedern und Unfähigkeit zu gehen
klagte, aufgenommen. 7 Wochen vor der Aufnahme war er mit dem Hinterkopf auf
einen harten Gegenstand aufgeschlagen, für Augenblicke bewussüos, doch rasch er-
holt, wenn auch etwas schwindelig. Er arbeitete noch 14 Tage, konnte dann aber
nicht mehr wegen heftigen Kopfschmerzes und Schwindel. Am Kopf war nichts zu
sehen. Rechte Pupille etwas grösser als linke. In beiden Augen Neuritis optica.
— Stehen auf einem Beine, oder Gehen in gerader Linie war nicht ausführbar. Die
Diagnose wurde gestellt: Trauma und Verletzung des Kleinhirns durch directe Gewalt
und der Stimlappen durch Contrecoup. — Es trat alsbald Erbrechen ein, schlechte
Nächte, Coma, Aphasie und rechtsseitige Hemiplegie.
Annandale trepanirte über dem hinteren Theile der 3. linken Stirn Windung.
Die Dura zeigte sich adhärent an dem Knochen, wurde mit dem erhobenen Knochen-
stücke geöffnet, und eine Menge anfangs braunröthlicher, dann dunkelröthlicher seröser
— 115 —
Fluflsigkeit entleert Diese Flüssigkeit lag zwischen Dura und Arachnoidea und er-
wies sich als Hämorrhagie (mit ungünstigerer Prognose, als wenn ein Abscess vor-
handen gewesen wäre).
Zwar trat grosse Besserung in Beziehung auf Intelligenz, Sprache, motorischQ
Function bei dem Patienten ein. Indessen machte die bestehende Entzündung Fort-
schritte, Erbrechen, Coma, Lähmung traten wieder ein und 7 Tage nach der Opera-
tion Tod. — Ein ausführlicher Obductionsbericht, der hier übergangen wird. Lepto-
meningitis war der Entzündung der Dura gefolgt. In der Epikrise wird dis Berech-
tigung der Operation naher motivirt. L. Lehmann (Oeynhausen).
16) Glioma of fhe right temporal lobe with interourrent haemorrhage. A
oase in whioh the question of trephining was oonsideved and decided
against, by Dr. Ch. K. Mills and G. A. Bodamer. (Jonmal of nervous and
mental disease. 1887. XIY. pi 716.)
Ein 12jährige8 Mädchen stürzte im September 1886 von einer Treppe, so dass
es 10 Minuten bewusstlos liegen blieb. Bald darauf klagte sie über Kopfschmerzen
und gelegentlich über Nasenbluten und zweimal litt sie in dem folgenden Winter
an Ohrenentzündung. Im April 1887 wurde sie der zunehmenden Kopfschmerzen
wegen einem Krankenhause überwiesen. Hier konnte constatirt werden spontaner
sowie durch Druck oder Percussion leicht hervorzurufender Schmerz in der rechten
Schläfe, Dilatation der rechten Pupille, rechtsseitige Stauungspapille, sowie Herab-
setzung der Seh- und Hörschärfe, die indess nicht genauer bestimmt werden.
Als ganz unerwartet am 29. April Benommenheit, Paralyse der linken Extremi-
täten, rechtsseitige Facialisparese (oder linksseitiger Facialiskrampf ) und Andeutungen
einer Articulationsstömng der Sprache eintraten, wurde zunächst an das Vorhanden-
sein eines Tumors oder Abscesses etc. und an die Ausführbarkeit einer Trepanation
gedacht^ aber in Folge der Unmöglichkeit, alle Symptome auf einen und dazu einer
Operation zuganglichen Heerd zu beziehen, wieder aufgegeben. Schon am 2. Mai
trat der Tod ein.
Die Section ergab ein grosses gefässreiches Gliom im Mark des rechten Temporal-
lappens mit einer frischen Blutung in dasselbe. Sommer.
17) Fall af tumör i hjerman med tlllf&Illg f5rbftttring efter fSrsökt ezstlr-
paüon, medd. af prof. P. J. Wising och prof. John Berg. (Hygiea. 1887. XLIX.
2. 3. Sy. läkaresälk. fOrh. S. 15. 17.)
Ein 52 Jahr alter Mann bekam Ende Mai 1886 plötzlich Zuckungen im rechten
Foss, die rasch Yorübergingen, danach Gefühl von Taubheit in der rechten Hand,
das fortbestand. Aehnliche Anfälle kehrten in den nächsten Tagen wieder; am 2. Juli
stellten sieb nach einem kitzelnden Gefühle am ganzen Körper Zuckungen in der
ganzen recbt.en Körperhälfte ein, Pat verlor das Bewusstsein und bekam ausgebreitete
allgemeine Krämpfe. Solche Anfalle wiederholten sich; nach einem konnte Pai eine
Zeit lang nicht reden und den rechten Arm nicht bewegen, in dem auch einige Male
isolirter Krampf auftrat. Das rechte Bein wurde paretisch, sonst aber fanden sich
am 20. Joli keine weiteren Lähmungserscheinungen, besonders nicht im rechten Arme;
in den nächsten Tagen aber stellte sich auch an diesem Lähmung ein und am
1. Angost begann Parese des rechten N. facialis, auch an den Muskeln der linken
Bompfhalfte zMgten sich Lähmungserscheinungen. Seit Beginn der Erkrankung hatte
Fat fortwährend an Kopfschmerz gelitten, später trat wiederholt dabei Erbrechen
auf. Sensibilitätsstörungen waren nicht nachweisbar. Die Krämpfe wiederholten sich,
später waren auch Zuckungen in der rechten Gesichtshälfte vorhanden. Das Sen-
— 116 -
Burium wurde immer mebr benommen, die Sprache gestört und am 1. October war
vollständige Aphasie vorhanden. Das rechte Ange wich nach aussen ab, seine Papille
war erweitert, im linken bestand Stauungspapille, im rechten war die Papillengrenze
nach innen verwaschen.
Dass es sich um eine Geschwulst handelte, konnte nicht zweifelhaft sein. Der
Umstand, dass der Krampf in den beiden ersten Anf&llen auf die rechte ünterextre-
mit&t beschränkt war und auch in den späteren Anfällen in dieser zu beghmen pflegte,
sowie die Lähmung, die zu Anfang im rechten Beine isolirt bestand, sprachen fOr
Localisation im motorischen Bindencentrum für die untere Extremität oder in dessen
nächster Nähe und, nach den übrigen Symptomen zu schliessen, hatte sich der Tumor
wahrscheinlich an der Stimoberfläche ausgebreitet. Die Wiederholung der Krampf-
anfälle und mitunter eintretende geringe Besserung der paralytischen Symptome
schienen dafür zu sprechen, dass die Leitung von der Binde aus durch die corti-
comusculären Nervenbahnen nicht oder wenigstens nicht vollständig zerstört war. Da
nun der Sitz der Geschwulst sich mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit g^enaa be-
stimmen Hess und der Zustand des Kranken immer schlechter und hofifoungsloser
wurde, schien es Wising vollkommen berechtigt, einen operativen Eingriff in Er-
wägung zu ziehen, der, wenn es auch nicht dadurch gelang, die Geschwulst wirk-
lich zu ezstlrpiren, doch durch Verminderung des Druckes in der Schädelhöhle die
unmittelbar drohende Gefahr, die für den Fat. vorlag, abwehren, die Symptome mil-
dem und das Leben verlängern konnte.
Die Operation wurde am 3. October von Prof. Berg ausgeführt Mit dem
Meissel wurde ein 6 cm langes und 3 cm breites Stück von der Hirnschale entfernt,
wodurch ungefähr die oberen zwei Drittel des Sulcus Bolandi blossgelegt wurden.
Die Dura mater erschien vollkommen normal und buchtete sich nicht vor in die
Operationsöfibiung; nach Durchschneidung derselben zeigten sich auch die weichen
Hirnhäute gesund, die Hirnrinde aber war gelblich grauroth verfärbt und die Gyn
waren nicht deutlich zu erkennen, die Consistenz war vermehrt; die Veränderung
erschien sowohl nach den Seiten als in die Tiefe diffus, ohne deutliche Begrenzung.
Durch wiederholtes Abtragen von Himmasse in dünnen Schnitten wurde die weisse
Substanz blossgelegt, die, wenigstens im unteren Theile der Wunde, ein gesundes
Aussehen hatte; auch davon wurde etwas abgetragen, ohne dass man eine Grenze
zwischen gesundem und krankem Gewebe entdecken konnte. Die Blutung war un-
bedeutend; aus der Gehimmasse erfolgte nur parenchymatöse Blutung, die mit dem
Thermokauter gestillt wurde, aber es sehr erschwerte, zu erkennen, ob gesundes oder
krankes Gewebe vorlag. Da sich durchaus keine bestimmte Grenze des krankhaften
Gewebes erkennen Hess, wurde von weiterer Operation abgestanden, die Durawunde
zum Theil mit Catgutsuturen, die Hautwunde mit Seidensuturen vereinigt Während
der ganzen Operation wurden Irrigationen mit schwacher (1:5000), lauer Snblimat-
lösung gemacht
Schon am Abend nach der Operation zeigte sich deutliche Besserung, die wei-
tere Fortschritte machte. Die motorischen wie die psychischen Störungen nahmen
allmählich ab, so dass Fat am 20. October gut sprechen und das rechte Bein be-
wegen konnte, auch der Arm erlangte wieder etwas Beweglichkeit Am 2. Deoember
war die Operationswunde vollständig geheilt Anfang December begann aber die
Sprache wieder schlechter zu werden, Mitte Deoember war Fat wieder vollständig
aphaüsch, die rechten Glieder wurden wieder vollständig gelähmt, Sopor stellte sich
ein, schliesslich innehmendes Fieber und am 26. December erfolgte der Tod.
Bm der Section fand sich in der Operationsöl&iang im Schädel eine Feriost mit
Dara vereinigende Bindegewebsmembran, unter derselben an der Oberfläche des Gehirns
die Geschwulst» die aus dem Sulcns centralis, nngeftbr 3 cm von dessen unterem Ende
enIfiNmt, hervordrang, die Gyn centrales nach vom und hinten ansttnander dr&ngte
und deren Snbstani zerstört hatte, doi oberen Theü des vorderen last vollständig.
— 117 ~
Difl GesohinilBfc hatte m der Bicbtaag von vorn nach lünten me Ansdehnong von
5 cm, weiter mueh unten su wurde ilir Umfimg geringer; immer drang sie ans dem
SdcDs centralis hervor, den Lobniue centralis zusammendrückend, sie reichte bis zum
Dach des Seiteoventrikels, vcm dem sie nur durch das rOthlicb verfärbte lockere
Ependjm getroioit war, ihre gesammte Höhe betrug 7 cm. Bis zur Tiefe von 1 cm
TOB der Hhmoberfläche aas konnte die Geschwulst in ihrem ganzen Umkreis mit
Leichtigkeit von der umgebenden Himsubstanz lospräparirt werden, weiter nach innen
war sie intim mit dwsdben vereinigt Nach der mikroskopischen Untersuchung war
die Geschwulst ein Oliosarkom.
Wising hebt in der Epikrise hervor, dsss bei der Operation die Geschwulst
an der schon bestimmten Stelle gefunden wurde, aber nicht operirt werden konnte,
dan die Operation dem Fat. keinen Schaden brachte, dass vielmehr die Symptome
danach emo lange Zeit bedeutend gebessert waren. Die Geschwulst war, als die
Operation vorgenommen wurde, schon so ausgedehnt, dass sie schwerlich hätte exstir-
pirt werden können, doch ist Wising geneigt zu glauben, dass dies zu einer früheren
Zeit vielleioht möglieh gewesen sein würde. Walter Berger,
18) Gase of exoiakm of ttunour of oeMbeUnm« by Bennet May. (TheLancet.
1887. Vol. I. No. 16.)
Ein 7Jähriger Knabe. Aus der Familiengeschichte ergab sich nur, dass ein
Onkel seines Vaters an Fhthise gelitten hatte. Die Krankheit des Kindes begann
mit dauerndem Frontalkopfschmerz, Erbrechen und gradueller Abnahme der Sehkraft.
Die Untersuchung ergab nach einigen Monaten Pnpillendifferenz, prompte Beaction
des Sphincters auf Licht und bei Accommodation, Deviation conjugu6e der Augen nach
links, Nystagmus, Paralyse des rectus extemus dexter, beiderseitige Neuroretinitis
mit beinahe absolutem Verlust der Sehkraft, schwankender Gang, Fehlen des recht-
seitigen Kniephänomens. Sprache verständig und klar, Lungen gesund. Der Gang
wurde immer schlechter, das Stehen unmöglich, die Blindheit vollkommen.
Die Diagnose lautete anf einen tuberculösen Tumor der rechten Kleinhim-
hemisphäre, der den N. abducens comprimirt hatte.
Unter strengen antiseptischen Maassnahmen und Ghloroformnarcose begann die
Operation mit einem nach dem Scheitel zu convex verlaufenden Schnitt, welcher von
einem Proc. mastoid. zu dem anderen oberhalb der Frotuberantia occipitalis externa
lief. Befreiung der Schädelknochen von den Welchtheilen, Trepanation eines vier-
seitigen Stückes des Knochens oberhalb vom Foramen occip. magnum und rechts von
der crista occipital. externa. Oellhung der sich extrem vorbauschenden Dura mater.
Die gesund aussehende Kleinhimoberfläche zeigte an einer Stelle eine unbestimmte
HIrte. Daselbst wnrde mit dem Tenotom eingeschnitten und mit dem Finger ein
Tumor gefühlt, der sich nach der Entnahme eines kleinen Stückchens als tuberculös
erwies. Ansschälnng der mehr als Taubenei grossen Geschwulst mit dem Stiel eines
Theelöfifels. Keine wesentliche Blutung, keine Läsion oder Functionsstörung des Ge-
hirns. Schlnss der Wunde, Tod durch Shock wenige Stunden nach der Operation.
Kerne Sedion. J. Buhe mann (Berlin).
in. Aus den Oesellsohaften.
Aus der Berliner modtoioiaQheii Gtosellsohaft.
Herr L. Lewin hat am 11. und 25. Januar d. J. Mittheilungen über ein neues
Anästheücnm, das Hayagüt resp. das Brythrophlaeln gemacht, welche ein be*>
rechtigtes Anftwhen erregten. Die interessante GFeschichte der Auffindung des Mittels
flbeargehend wollen wir nur hervorheben, dass bisher das Erythrophlaein hydrochlor.
Merck nur ala ein Alktdoid bekannt war» welohee eine der Digitalis ähnliche Wir*
— 118 —
knng besitzt, Krämpfe erzeug und in einer Dosis von 0,02 gr einen Hnnd tödtet.
L. fand nun, dass eine 0,2 ^/^ Lösung, bei Kaninchen, Katzen nnd anderen Thieren
in*s Auge gebracht, eine gewisse Reizung nnd in 15 — 20 Minuten eine 1 — 2 Tage
anhaltende Anästhesie erzeugt; stärkere Lösungen rufen intensive Keratitis hervor.
— Wenn man Fröschen im Strychnin-Tetanus eine subcatane Injection einer 0,05
bis 0,2^/(1^ Lösung macht, so kann man von dieser Stelle her keinen Anfall mehr
auslösen. — Nach subcutenen Injectionen kann man die Thiere an der betreffenden
Stelle und in grosser Tiefe auf's Aergste misshandehi, ohne dass sie Schmerz äussern,
selbst das Peritoneum anschneiden. Bei einem grossen Hunde bewirkte eine 0,05 ^/^
Lösung eine vollkommene ünempfindlichkeit der Cornea und Conjunctiva; die Pupille
wird nicht erweitert, wenn das Präparat rein (ohne Säure) isi
In der Sitzung vom 8. Februar trat Herr Liebreich den Versuchen und
Resultaten L. Lewin's entgegen. Die Winterfrösche sind häufig inert; locale
Anästhesie könne man in der von Lewin geschilderten Weise durch Injection zahl-
reicher Stoffe erzeugen, z. B. mit Eisenchlorid, Ferrum dialysatum, Resorcin, Aconitin.
Der Ausfall reactiver Bewegungen werde wahrscheinlich nicht durch eine entstandene
Anästhesie, sondern durch Paresen bedingt. — Herr Liebreich hat bei 4 Menschen
Injectionen von 0,005—0,0075 Erythrophlaein gemacht, und wohl Röthung und Ent-
zündung, aber keine Anästhesie danach bemerkt, resp. nur eine ganz geringe; er lasse
eine gewisse anästhetische Wirkung dahingestellt; aber, wie ihm mitgetheilt, haben
Tweedy und Collins in England bei Applikation auf das Auge negative Resultate
gefunden.
Herr Lewin wies diese Entgegnungen unter Berufung auf seine zahlreichen
xmd sorgfältigen Versuche und deren positive Ergebnisse zurück.
In sehr wirksamer Weise kam ihm hierbei Herr Schöler zu Hülfe, der Ver-
suche am menschlichen Auge mit einer 0,2 ^/^ Erythr.-Lösung (1 — 2 Tropfen) ge-
macht hat. Er fand in einem Falle schon nach 5 Minuten, im Mittel nach 15 bis
23 Minuten eine vollständige Anästhesie der Cornea und Conjunctiva, welche 8 bis
9 Stunden anhielt; anfängliche Reizerscheinungen, Brennen, Hyperämie etc. verlieren
sich nach 35 — 40 Minuten, aber nach etwa 2 Stunden tritt ein leichter Schleier,
Interferenzerscheinungen, leichte Trübung der Cornea auf, Erscheinungen, die nach
einigen Stunden nachlassen, nach 9 — 11 Stunden ganz verschwunden sind. — Bei
Prüfung mit Nadeln wird jedoch ein geringer Stichschmerz gespürt. — Bei Kanin-
chen bleibt die Nickhaut empfindlich, während Cornea und Conjunctiva ganz unem-
pfindlich werden. Herr Schöler erklärt das Erythrophlaein im Vergleich zum Cocain
für viel stärker und anhaltender, während dieses schneller wirke. — Sphincter pu-
pillae und die Accommodation bleiben unbeeinfiusst. Eingehend setzt Seh., entgegen
einer Bemerkung von Liebreich, auseinander, dass eine Beeinflussung des Sym-
pathicus durch das Erythrophlaein nicht stattfindet. Er vergleicht die Summe der
verschiedenen von ihm gefundenen Wirkungen des Erythrophlaein auf das Auge mit
den Anfängen einer Keratitis neuroparalytica. — Uebrigens meint Seh., dass für den
Augenarzt die Reizwirkungeu des Erythr. nicht in*s Gewicht fallen, zumal er bei
einer Combination von Erythr. mit Cocain ausgezeichnete Erfolge erzielt habe, vor-
zügliche Anästhesie ohne Reiz und Schmerz und ohne Schleier. Auch die Iris scheine
besser anästhesirt zu werden von Erythrophlaein als von Cocain. H ad lieh.
lY. Bibliographie.
Grundlage der Diagnostik der Nervenkrankheiten, von P. Rosenbach. Mit
58 Illustrationen. (St. Petersbui^. Carl Ricker 's Verlag. Russisch.)
Das unter obigem Namen erschienene Lehrbuch ist bestimmt, Studirenden und
Aerzten zur Einführung in das Studium der Nervenkrankheiten zu dienen.^ Es ent-
— 119 —
hält in gedrftDgier Fonn eine systematische Darstellung deijenigen Thatsachen ans
der Anatomie nnd Physiologie der nervösen Gentralorgane nnd der Semiotik der
Nerrenkrankheiten, auf welchen die klinische Diagnose letzterer beruht. Demgem&ss
zerfallt das Bnch in drei selbstst&ndige Abschnitte.
Der erste über 8 Bogen starke Abschnitt enthält die Lehre yom Bau des Central-
uervensystems nebst einer kurzen einleitenden Schilderung der neurologischen Forschungs-
methoden. Das anatomische Material ist derartig geordnet, dass in jedem einzelnen
Capitel (Rückenmark, Terl&ngertes Mark, Brücke, Tierhügel u. s. w.) Morphologie,
histologischer Bau und Verlauf der Leitungsbahnen nacheinander besprochen werden.
Hinsichtlicb letzterer Frage folgt Verfasser vorzüglich den Angaben Flechsig*8 mit
Berücksichtigung der neuesten Untersuchungen in diesem Gebiete von verschiedenen
Autoren, anch von dem Referenten.
Die anatomische Beschreibung ist durch 42 Figuren iUnstrirt; unter anderen
ist der innere Bau des Himstammes durch 9 neue halbschematisch gehaltene Ab-
bildungen veranschaulicht.
Der zweite Abschnitt behandelt auf 4 Druckbogen die Functionen des centralen
Nervensystems. Letzteres ist auch hier in seine einzelnen Theile zergliedert, und über
jeden derselben sind die neuesten wissenschaftlichen Ergebnisse sowohl, als die ver-
schiedenen herrschenden Anschauungen mitgetheilt. Die Resultate der Thierexperi-
mente finden hauptsächlich in soweit Erwähnung, als sie zum Verständniss und zur
Verwerthnng pathol(^ischer Beobachtui^en dienen können.
Das Capitel über die Function der Grosshimhemisphären enthält eine ziemlich
ausführliche Begründung der Localisationslehre nebst Erörterung der Bedeutung letz-
terer für die Diagnostik der Gehimkrankheiten.
Den dritten Theil des Boches bildet die „Semiotik der Nervenkrankheiten nebst
den klinischen Untersuchungsmethoden der Nervenfunctionen". Hier werden die
Störungen der Sensibilität, Reflexe, Motilität, elektrischen Erregbarkeit, Haut- und
Mnskelernfthrung, Sprache und des Bewusstseins besprochen. Bezüglich jeder Function
siQd ihr normales Verhalten, die Mittel zu ihrer klinischen Prüfung und die diag-
nostische Verwerthnng ihrer pathologischen Zustände kurz auseinandegesetzt, mit Zu-
grundelegung der betreffenden anatomischen und physiologischen Daten.
Li einem kurzen Schlusscapitel sind die vegetativen Störungen aufgeführt, die
für die Diagnose von Nervenkrankheiten in Betracht kommen.
Im Allgemeinen macht das Buch einen sehr angenehmen Eindruck. Zum beson-
deren Verdienst des Autors muss die musterhafte Ausführung gerechnet werden.
Bechterew.
Pathologie und Therapie der Spraohanomalien, für Aerzte und Studirende, von
Bafael Coön. (Wien und Leipzig, ürban k Schwarzenberg, 1886.)
Der erste Versuch einer, allerdings nur partiellen, monographischen Bearbeitung
dieses schwierigen Gebietes seit dem klassischen, durch Eintheilung und Beherrschung
des Stoffes für immer mustergültigen Werkes von Kussmaul (1877). Des Letzteren
„Versuch einer Pathologie der Sprache" gegenüber hat das Co ö nasche Buch freilich
einen wesentlich geringeren Inhalt, denn es fasst vorzugsweise nur die functionellen
Dysarthrien und Dyslalien in*s Auge, denen nach Plan und Umfang des Kuss-
mauFschen Werkes daselbst eine verhältnissmässig geringere Berücksichtigung, zumal
in praktisch-therapeutiBcher Hinsicht, geschenkt wurde. Innerhalb dieses engeren,
die eigentlichen „Anomalien der Sprache" in sich begreifenden Abschnittes
der Sprachstörungen verbreitet sich der Verf. des vorliegenden Buches mit grosser,
auf Tieljährigen Specialstudien nnd Erfahrungen beruhenden Sachkenntniss. Er unter-
scheidet zwei Hauptklassen der eigentlichen Sprachanomalien, nämlich Articulations-
Btörungen und Functionsst6rungen der Sprache. Zu ersteren rechnet er das
— 120 —
Lispelti, Schnarifeii, DcihleB, den Laifibdaoismns mid das Stammeln; zu
letzteren das Foltern, Gaxen, die Aphthongie und Lalophoble, nnd schliess-
lich das Stottern. Ansserdem w^en im sweiten kleineren Thefle des Buches die
Sprachlosigkeit, resp. ihre beiden Hauptfotmen : Hörstummheit (d. h. das
meist angeborene IJnyetmGgen articnlirter Lantbüdungi bei normalem Geh<^r) und
Taabstummheit, erörtert. — Es ist natürlich nicht möglieh, hier anf BinMlnes
n&her einzugehen; doch sei ganz besonders der den Hauptlheil des Ganzen bildende
Abschnitt über Stottern (S. 60 — 224) hervorgehoben, welcher eine sehr eingehende
nnd minutiöse, mit zahlreichen graphischen Taföln, Leseproben etc. ausgestaltete
Darstellung der vom Verf. geübten Stotterheilmethode bietet
Derselben geht eine Casuistik, ein Abschnitt über Prophylaitis nnd eine Ueber-
sicht der bekanntesten älteren Stotterheiknethoden Toranf. G. selbst stellt folgende
Indicatioden auf: 1. Kr&ftigang nnd Regelung der Respiration, Regelung des Stimm-
nnd Sprachapparates; 2. Bekämpf ong der Innerrationsstörung, d. h. bei mögliohator
Beseitigung der diese unterhaltenden Momente Herabsetzung der gesteigerten Erreg-
barkeit des Nerrensystems und der erhöhten Reflexthätigkeit der Sprachmnscolatur;
9. Hebung und Stärkung dc*r Willenstiiätigkeit; 4. allgemeine Belebung und Toni-
cArung des Organismus. — Der ersteren Indication entspricht eine für diesen Zweck
geschaffene Athem-, Summ- und Sprachgymnastik. Für die Athemgymnasük (In-
spiration, Zurückbalten der inspirirten Luft in den Lungen, Exspiration) bedient sich
0. eines Secunden-Metronoms und eines selbst erfundenen (durch Abbildung und Be-
schreibung erläuterten) Bespirationsapparates. Hierzu dienen die vier ersten Behand-
lungswochen ausschliesslich; dann tritt während der vier nächsten Wochen die Stimm-
gymnastik hinzu (reine und kräftige Betonung der Yocale, sowohl für sich wie in
Verbindung mit anderen); endlich von der neunten Woche bis zum Schlüsse der Be-
handlung die Sprachgymnastik, in Silbenübungen, Leseübongen, gebundenen Sprach-
übungen, freien Sprachübungen bestehend. — Für die Erfüllung der zweiten obigen
Indication empfiehlt 0. Elektridtät (Phrenicus, Sympathicus), emige Arzneimittel (bes.
Natrium bromatum innerlich oder inhalirt mit Zerstäubungsapparat) nnd hydriatische
Proceduren. Die dritte Indication erheischt ein wesentlich psychisches Eingreifen von
Seiten des Arztes; die vierte besonders hydropathische und hellgymnastische Kuren.
A. Eulenburg.
Y. Vermischtos.
Der siebente Coogress füt intiere Mediein findet vom 9. Ms 12. April 1887 zu
Wiesbaden statt Das Präsidium desselben Übernimmt Herr Leube (Würzbuig). Folgende
Themate sollen zur Yerhandlunff kommen: Montag den 9. April: Die chronischen Herz-
muskelerkrankongen und ihre Behandlung. Referenten: Herr Oertel (München) und Herr
Licütheim (Bern). ~ Dienstag den 10/ April: Der Wei^eitt als Heilmittel. Beferenten:
Herr Binz (Bonn) und Herr von Jaksch (Graz). — Mittwoch den 11. April: Die Vor-
htttong und Behandlung der asiatischen Cholera. Beferenten: Herr Cantani (Neapel) und
Herr August Pfeiffer (Wiesbaden). — F<^ende Vorträge sind boreits an^meldet? Herr
Bumpf (Bonn): Ueber das Wanderherz. — Herr Un verriebt (Jena): fixpenmentelle Unter-
suchungen über deiii Mechanismus der Athembewegungen. — Herr Liebreich (Berlin):
Thema vorbehalten. — Herr AdamkiewiciS (Krakau): tJebita' combinirte Degenetütion des
Rüekeamsrkes. -— Herr Jaworski (Krakan): Experimentedle Beiträge zur Diätetik derVer-
dauungsstdruDgen. — Derselbe: Thema vorbehalten. — Herr Stiller (Budapest): Zur Thera-
pie des Morbus Basedowii. — Derselbe: Zur Diagoostik der Nierentumoren. — Herr Emil
Pfeiffer (Wiesbaden): Harnsäureaasscheidang und Hamsanrelosong. — Herr' BinsWanger
(Jena): Zur Pathogenese des epileptischen AnmUs. — Herr v.Jürgeiisen (Tübingen): Ueber
kryptogenettgefae Sepüko-Pyämie.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendniifen flbr die Bedadäon sind au richten «n Prot Dr« B. Merndel^
Berlin. NW. Sohiffbauerdamm 90.
Yeilag von Vbit & Coup, in Leipzig. ^ Drtick von MB^zuan & Witna i^ Leipzig.
NEUROLOGISCHESCENTRALBUn.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Heraasgegeben yon
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter »° ^^^ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Fostanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct yon der Verlagsbuchhandlung.
m 1. März! Ss".
Inhalt I. Oriflinalmittheilungen. 1. Progressive Paralyse mit Tabes bei einem ISjfthr.
Madeben, Ton Prof. Dr. Adolf Strümpell. 2. Seitrag zu der Beziehung zwischen gewissen
Formen ron Epilepsie und der Ausscheidung von Harnsäure, von Dr. A. Halg. 3. Eine Be-
obachtung über die Localisation der hypnagogisohen Hallucinationen , von Dr. Fr. Fudis»
Professor der Jatrophysik.
II. Referate. Anatomie. 1. Untersuchungen an der Hypophyse einiger Säugethiere
und des Menschen, von Lothringer. — Experimentelle Physiologie. 2. Eine neue Me-
thode der Temperatursinnprüfang, von Goldscheider. 8. Die Einwirkung der Kohlensaure,
von QoldscfeeMer. 4. üeber die Wahrnehmung eigener passiver Bewegungen durch den
MüskeLdnOp von Scbaefer. — Pathologische Anatomie. 5. Ein Fall von Banken-
neurom der Intercostalnerven mit Fibroma molluscum und Neurofibromen, von PomorsM.
6. Di UB caso raro di odoppiamento parziale del midollo spinale, pel Bonome. — Patho-
logie des Nervensystems. 7. Ein Beitrag zur Casuistik der Hypophysis-Tumoren, von
ffoUMOr. 8. Zur Pathogenese des Morbus Basedowii, von Durdufi. 9. Sur le traitement et
sur quelques particulariti^ cliniques de la maladie de Basedow, par VIgouroux. 10. A new
point in the Diagnosis of Graves* Disease, by Wolfenden. 11. De l'^pilepsie Jacksonienne,
par Rolland, Monod et Arnozan. 12. Ueber spinale progressive Muskelatrophie und amyo«
troplüaclie Seitensi^angsklerose, von SfrOmpell. 18. Note sur nn cas d'atrophie musculairo
progresvive, secondaire d^välopp^ ohez un siget primitivement atteint de paralvsie infantile,
par Dutil. 14. Acute Myelitis mit Ausgang in Heilung, von SchDtz. 15. Myelite cervicale
fanssement attribu^e k un traumatisme peiiph^rique et produite en r^lit4 par un mal de
Pott möoonnu, par Qrassot et ^tor. 16. Ein Fall von Spina bifida oeculta mit congenitaler
lumbaler Hypertrichose, Pes varus und „Mal perforant du pied", von Brunner. 17. Beitrag
zur Lehre von der spastischen Spinalparalyse, von Brieger. 18. Zur Frage der chronischen
nervensyatems nebst einigen Bemerkungen über rolyurie und Polydipsie, von Buttortack.
22. A caa« of chronic Meningitis, probably syphilitic, and causing progressive dementia, von
Wamor, Boaeh, Monoy. 28. Zur Casuistik der Himsypbilis, von Thlersch. 24. Hysterie mer-
enrieUe, par Quinon.
III. Aus don Qesollschaften. Acad4mie des sciences, Paris. — Soci4t^ de Biologie, Paris.
— Bertiner medicinische Gesellschaft.
IV. Bibliographie. Die Irrenklinik der Universität Leipzig und ihre Wirksamkeit in den
Jahren 1882—1886, von Flechsig. — Schlaf und Traum, eine popular-vrissenschaftliche Dar*
Stellung von Scholz. — Lehrbuch der Krankheiten des Rückenmarks und Gehirns sowie der
aUgemeinen Neurosen, von Seeligmttllor.
V. Porsonallon.
VI. Vermischtes.
— 122
I. Originalmittlieilungen.
1. Progressive Paralyse mit Tabes bei einem ISjähiigen
Mädchen.
Von Prof. Dr. Adolf Strümpell in Erlangen.
Der Zosammenhang der Tabes und ebenso der progressiven Paralyse mit
einer vorhergehenden Syphilis wird nicht nur dargethan durch den statistischen
Nachweis, dass die beiden erstgenannten Krankheiten vorzugsweise bei solchen
Personen auftreten, welche früher syphilitisch inficirt waren, sondern ausserdem
auch durch die Beobachtung einzelner Fälle, bei welcher der Zusammenhang
der beiden Krankheiten in besonders überzeugender Weise hervortritt So unter-
suchte ich z. B. vor einiger Zeit ein Ehepaar, dessen beide Hälften, Mann
und Frau, an typischer Tabes litten. Die näheren Erkundigungen und die Mit-
theilungen des schon seit Jahren in der Familie bekannten Hausarztes ergaben,
dass der Mann sich vor ca. 12 Jahren, bereits verheirathet, eine Lues mit
massigen Secundärerscheinungen (Roseola u. A.) zugezogen hatte. Drei Jahre
später trat bei ihm ziemlich plötzlich eine Oculomotorius-Lähmung auf, welche
nach einiger Ztiti wieder verschwand. Bald darauf zeigten sich aber auch lanci-
nirende Schmerss^n in den Beinen und allmählich entwickelte sich eine ausge-
sprochene Tabes (fehlende Patellarreflexe, Pupillenstarre, Ataxie u. s. w.). Einige
Jahre später, als der Mann, erkrankte auch die Frau mit Schmerzen und Un-
sicherheit in den Beinen. Die Untersuchung ergab, dass auch sie zweifellos an
Tabes leidet Ausserdem fand sich aber bei ihr an der Beugeseite des rechten
Vorderarmes ein ganz charakteristisches tertiäres serpiginoses Syphilid, als sicheres
Zeichen, dass auch die Frau, jedenfialls durch den Mann, inficirt worden war.
Auch die seltenen Falle, wo die Tabes oder die progressive Paralyse bei
auffallend jungen oder bei ungewöhnlich alten Personen auftritt» sind häufig
geeignet, uns die Abhängigkeit der nervösen Erkrankung von einer früheren
Syphilis in besonders deutlicher Weise zu zeigen. So hat bekanntlich BEsasB
die Beobachtung einer Tabes bei einem 72jährigen Manne veröffentlicht Dieser
Kranke hatte sich noch in seinem 70. Lebensjahre eine Lues zugezogen. Um-
gekehrt hat Dr. B. Bemak^ drei Fälle von Tabes bei Kindern beschrieben, bei
denen allen eine hereditäre Syphilis mit grösster Wahrscheinlichkeit angenommen
werden durfte.
An die B. BEMAK'sche Mittheilung schliesst sich eine Beobachtung an,
welche ich im vorigen Sommer zu machen Gelegenheit hatte. Es handelt sich
um das Auftreten einer mit tabischen Erscheinungen verbundenen progressiven
Paralyse bei einem 13jährigen Mädchen, dessen Vater zwei Jahre vor der Geburt
des Kindes sicher an secundärer Syphilis gelitten hatte. Diese Thatsache, sowie
Berliner klinische Wochensohrifb. ISSö. Nr. 7.
— 128 —
der Umstand, dass die progressive Paralyse bisher überhaupt erst sehr selten^
im Eindesalter beobachtet worden ist, veranlassen mioh, die betreffende Kranken-
geschichte im Folgenden etwas ausführlicher zu veröffentlichen.
Babette W. wurde am 6. Juni 1887 in die medicinische Klinik zu Erlangen
angenommen. Der Vater der Patientin inficirte sich wahrend des Feldzuges
1870. Er erinnert sich genau, ausser an einem anfanglichen Geschwür am
Penis spater auch an „breiten Condylomen'^ am After gelitten und damals auf
Anordnung des Militärarztes eine mehrwöchentliche methodische Schmierkur mit
grauer Salbe durchgemacht zu haben. Die Krankheitserscheinungen verloren
sich bald, so dass Pat. sich nicht weiter behandeln liess und sich im folgenden
Jahre 1871 verheirathete. Als erstes Band in dieser Ehe wurde unsere Patientin
Babette im Jahre 1872 geboren. Sie war Anfangs ein sehr schwächliches Kind
and Utt längere Zeit an Hautausschlägen, welche für „scrophulös" gehalten
wurden. Allmählich erholte sie sich aber, bekam zur richtigen Zeit die Zähne
und lernt« im Alter von zwei Jahren das Gehen. In ihrem 7. Jahre machte
sie eine Augenentzündung durch, über deren Natur jetzt nichts Näheres zu er-
fahren ist Im Uebrigen befand sie sich aber ganz wohl, war in geistiger
Beziehung völlig «normal und besuchte die Schule mit gutem Erfolg. Er-
wähnenswerih ist noch, dass die Mutter ein Jahr nach der Geburt der Babette,
also im Jahre 1873, ihr zweites Kind todt auf die Welt brachte. Ein später
geborenes drittes £[ind blieb leben und ist gesund.
Im Herbst 1885, als Babette 13 Jahr alt geworden war, trat zum ersten
Mal ein eigenthümlicher Anfall ein. Das Kind rief plötzlich aus: „Mutter,
&S8 meinen rechten Arm an.'' Dabei wurden der rechte Arm und ebenso auch
das rechte Bein völlig steif und unbeweglich, kalt und empfindungslos. Nach
einer halben Stunde waren diese Erscheinungen aber wieder völlig verschwunden«
Nach 14 Tagen jedoch erfolgte plötzlich ein zweiter derartiger Anfall mit Be-
wegungslosigkeit der rechten Körperhälfte. Dieses Mal verlor das Kind dabei
auch vorübergehend die Sprache: es machte vergebliche Bewegungen mit dem
Munde und mit der Zunge, brachte aber kein Wort hervor. Nach einer Stunde
war indessen Alles wieder vorüber. Aehnliche Anfalle wiederholten sich nun
in der folgenden Zeit noch häufig. Sie traten etwa alle 3—4 Wochen auf und
dauerten jedes Mal ungefähr V2 — ^ Stunde. Im Herbst 1886 hörten die An-
falle auf.
Schon seit dem ersten Anfalle, im Herbst 1886^ ja vielleicht sogar noch
etwas früher, hatten die Eltern bemerkt, dass das Kind sich in seinem Betragen
ond in seinen geistigen Fähigkeiten auffallend änderte. Es wurde träge,
unaufmerksam, kindischer und lernte schlecht. Bald nach den ersten Anfällen
war aach eine deutliche andauernde Sprachstörung eingetreten. Der Gang
des Kindes wurde ebenfalls unsicher. Zuweilen klagte es über Schmerzen im
Leib und in den Seiten (Gürtelschmerzen?). Die geistige Schwäche nahm all-
' Man vergleiche die wenigen, hieraaf bezüglichen Angaben von EMHiNanAUS in seiner
Bearbeitang der Geistesstomngen im Eindesalter (Gsbhabdt's Handbnch der Einderkrank-
heiten.
8*
— 124 —
mählich immer mehr und mehr za. Wiederholt kam es vor, dass Harn mid
Stahl in's Bett entleert wurden. Im Juni 1887 wurde das Kind, wie gesa^
zu mir in die medicmische Klinik gebracht
Die Untersuchung und Beobachtung der Kranken ergaben Folgendes.
Die Patientm ist ein ihrem Alter entsprechend grosses, gut genährtes Mad-
chen, dessen geistige Schwäche sich aber sofort in dem ganzen Benehmen aus-
spricht Ihr G^ankenkreis bewegt sich, wie bei einem kleinen Kinde, nur in
den alltäglichsten Dingen. Sie wiederholt oft zwecklos dieselben Sätze und die-
selben Handlungen, auf die einfachsten Fragen giebt sie ungenügende Antworten
oder sagt: ,4 weiss nef Sie vergisst sehr leicht das vor Kurzem (rehörte oder
Erlebte und madit Fehler bei den leichtesten Bechnungen, die sie früher ohne
die geringste Schwierigkeit ausführen konnte. Das früher von ihr auswendig
Gelernte haftet noch bis zu einem gewissen Grade in ihrem Gedächtnisse zu-
sammen, fällt aber doch leicht auseinander, zumal das Gesagte nicht mdir vom
Denken controlirt wird. Auf die Frage z. B., wie viel 7 mal 8 sei, antwortet
sie zuerst ganz richtig 66. Gleich darauf sagt sie aber auf dieselbe Frage 86,
dann 66 und wiederholt nun mehrere Male „Sechsundsechzig, sechzig, sechzig^,
bis sie schliesslich ganz verwirrt ist Die rein lautlichen Associationen der
Zahl 6 treten in diesem Beispiele ' deutlich hervor.
Manchmal, bei besonderen Veranlassungen, kann das Kind sehr err^
werden. Es weint und schreit dann laut in der unverständigsten Weise. Ge-
wöhnlidi beruhigt es sich aber bald wieder und die heftigste psychische Erregung
ist rasch spurlos verschwunden. Im Allgemeinen ist das Mädchen meist in zu-
friedener Stimmung und hat offenbar kein ausgesprochenes subjectives Krank-
heitsgeftÜiL
Die Sprache ist deutlich gestört und zwar ganz in der für die progressive
Paralyse charakteristischen Weise. Kurze einsilbige Worte werden meist noch
ziemlich gut ausgesprochen. Bei jedem etwas längeren und schwierigeren Worte
tritt aber das „Silbenstolpem^^ (die literale Ataxie) deutlich zu Tage. Statt
„dritte reitende Artilleriel»igade'< sagt die Kranke „drittribritteriade'^ oder etwas
dem Aehnliches. Um den Mund herum, in den Gesichtsmuskeln und zuweilen
sogar an den Augenlidern zeigt sich beim Sprechen ein deutliches Zucken und
Zittern, genau wie bei den Paralytikern.
Charakteristisch und interessant ist die Störung der Schrift Die ein-
zelnen Buchstaben werden etwas steif und ungeschickt geschrieben, wie von
einem Kinde, welches noch in den ersten Schreibübungen b^riffen ist Immerhin
ist das Geschriebene an sich aber noch vollkommen leserlich. Sehr hervortretend
ist aber die von der psychischen Schwäche abhängige Sdireibstörung: das häufige
Auslassen einzelner Buchstaben oder ganzer ^ben und Wörter, das leichte
Abgelenktwerden in ungehörige Fehler und Zusätze, wobei sich der Emflnaa
unbewusst wirkender, vom Verstände nicht corrigirter psychischer Associationen
in sehr bemerkenswerther Weise geltend macht Von den vielen von mir ge-
sammelten Beispielen kann ich hier natürlich nur wenige anführen. So soll die
Kranke z. B. das Vaterunser aufschreiben, welches sie sicher früher sehr gut
— 125 —
gekannt hak Sie schreibt: „Vater unser der bist geheilte dein Name geheit
fm Yersichung mid uns aus böse aus Uebel. Amen.^' Man erkennt noch in
diesen Trümmern deutlich die wenigen übrig gebliebenen Bestandtheile des
ursprünglichen Qebets. Beachtenswerth sind die mehrfachen Wiederholungen
deäelben Wortes: ^ygeheilte'^ und ,^heit'< (anstatt ,,geheiligt^'), ferner „aus böse
ans UebeV^
Als zweites Beispiel führe ich an, was die Kranke schrieb^ ab man ihr
langsam das bekannte kleine Heine'sche Frühlingslied dictirte: „Leu duch mein
Gebet lieliches Gelaute, klinge kleines frohlichs Lied kling hinaus weite/^ Hier
sind, abgesehen von den zahlreichen Auslassungen, besonders interessant die
Worte „Gcbet^' anstatt „Gemüth'^ und „fröhliohs^^ statt „Frühlings^ beides
Fehler, welche sicher unter dem Einflüsse lautlicher Associationen entstanden
sind. — Viel besser, als das Dictatschreiben, gelingt der Kranken das Ab-
schreiben von vorgeschriebenen Sätzen. Hierbei macht sie nur vereinzelte
klane Fehler. Ihre Fähigkeit, schriftliche Rechnungen auszuführen, hat sehr
abgenonmien. Schon bei kleinen leichten Exempeln wird sie leicht verwirrt
und macht die gröbsten Fehler.
Die körperliche Untersuchung der Kranken ergab femer: am Schädel
ist nichts Abnormes bemerkbar. Beide Pupillen sind nicht verengt, die rechte
ist aber deutUch noch etwas weiter, als die linke. Beide Pupillen sind nicht
▼öQig kreisrund, sondern oval und zeigen eine vollkommene reflectorische
Starre, während sie bei wechselnder Gonvergenzstellung der Bulbi deutliche
Ißtbewegungen machen. Das Sehvermögen ist normal, das Gesichtsfeld nicht
eingeschränkt Die ophthalmoskopische Untersuchung des Augenhinter-
grondes ergiebt blasse Papillen, enge Arterien, eine geringe physiologische £x-
cavation, sonst nichts Besonderes. Die herausgestreckte Zunge zittert deutlich.
Die Mitbewegungen und das Zittern in den Gesichtsmuskeln beim Sprechen sind
schon oben erwähnt. In den oberen Extremitäten sind keine aufiEBdlenden
Störungen vorhanden, abgesehen von einer gewissen Unsicherheit aller Bewe-
gongen. Die Haut der Arme zdgt eine im Ganzen normale Sensibilität; nur
gegen Schmerzeindrücke ist sie auffallend wenig empfindlich. In den unteren
Extremitäten besteht keine Parese, aber beiderseits eine sehr deutliche, ziem-
lich starke Ataxie. Dem entsprechend ist auch der Gang der Kranken aus-
gesprochen atactisch und unsicher. Das Treppensteigen ist nur noch mit Zu-
hölfenahme der Arme möglich. Eine genauere Sensibilitätsprüfung ist bei der
mangelhaften Intelligenz der Kranken unausführbar. Tastsinn, Temperatursinn
nnd Muskelsinn scheinen normal zu sein, während die Schmelzempfindlichkeit
der Haut entschieden herabgesetzt ist Hautreflexe sind vorhanden, aber
schwach. Dag^en fehlen die Patellarreflexe vollständig.
Das Kind blieb bis zum 3. Juli 1887 in meiner Klinik. Es erhielt Jod-
kaUum. Das Gehvermögen und die Sprache schienen etwas besser zu werden;
eine wesentliche Veränderung des Zustandes trat jedoch nicht ein. Nach der
Entlassung der Kranken ist bis jetzt eine deutliche langsame Verschlimmerung
des Leidens eingetreten. Insbesondere haben die geistigen Fähigkeiten noch
— 126 —
weiter abgenommen. Mitte October 1887 ist noch einmal ein heftiger para-
lytischer Anfall eingetreten, welcher über V3 Tag lang anhielt
Der soeben mitgetheilte Fall scheint mir zunächst in klinischer Beziehung
interessant zu sein, weil er eine der ersten sicheren Beobachtungen über das
Vorkommen der progressiven Paralyse im Kindesalter darstellt. An der Diagnose
scheint mir in der That kaum ein Zweifel mögUch zu sein. Das Erankheits-
bild stimmt in allen Einzelnheiten vollkommen mit den Erscheinungen der pro-
gressiven Paralyse, wie wir sie bei Ervrachsenen so häufig beobachten, überein.
Ich wüsste auch in der That keine einzige andere Krankheit zu nennen, bei
welcher die beobachteten Symptome gerade in dieser eigenartigen Verbindung
vorkommen könnten. Die psychische Demenz, die hiermit zum Theil zusammen-
hängenden charakteristischen Störungen der Schrift, die Veränderung der Sprache,
die Mitbewegungen in den Gesichtsmuskeln beim Sprechen, die eigenthümlichen
„paralytischen^^ Anfälle, die Ungleichheit und reflectorische Starre der Pupillen
und endlich die mit diesen cerebralen Symptomen verbundenen selbstständigen
spinalen Erscheinungen, das Fehlen der Patellarreflexe, die Ataxie der Beine,
die leichten Blasenstörungen und die Analgesie der Haut — alles dies macht
die Erkrankung geradezu zu einem typischen Schulfall von progressiver Paralyse,
an dem eben nichts Anderes auffallend ist, als seine Ehitstehung bei einem
Madchen von dreizehn Jahren. Ist die progressive Paralyse aber eine wirklich
einheitliche Krankheitsform und hängt sie, wie dies ja eigentlich kaum mehr
bezweifelt werden darf, meist von einer vorhergehenden Syphilis ab, so muss auch
in dem vorliegenden Falle nach letzterer als der eigentlichen Krankheitsursache
gesucht werden. Dass es sich hierbei nur um hereditäre oder in frühester
Kindheit erworbene Syphilis handeln kann, liegt auf der Hand. Und in dieser
Hinsicht ist es nun gewiss kein Zufall, sondern eine bedeutungsvolle ätiologische
Thatsache, dass der Vater des Kindes sich mit aller Sicherheit zwei Jahre vor
der Geburt des letzteren syphilitisch inficirte, so dass seine Krankheit zur Zeit
der Zeugung des Kindes sicher noch übertragbar und vererblich war. Wir
sehen somit, dass Tabes und Paralyse sich als postsyphilitische Degenerations^
processe des Nervensystems nach hereditärer Lues ebenso entwickeln können,
wie nach der gewöhnlichen erworbenen Syphilis. Vielleicht werden die hierher
gehörigen Beobachtungen sogar etwas häufiger werden, sobald man diesem
Gegenstande mehr Beachtung schenkt, als es bisher geschehen ist. Dass die
Häufigkeit der Tabes und der Paralyse bei Kindern im Verhältniss zur Häufig-
keit der hereditären Lues so gering ist, hängt wohl zum Theil auch damit zu-
sanmien, dass ein nicht unbeträchtlicher Theil der Kinder nüt hereditärer Syphilis
frühzeitig zu Grunde geht.
— 127 —
2. Beitrag zu der Beziehung zwischen gewissen Formen
von Epilepsie und der Ausscheidung von Harnsäure.
Von Dr. A. Haig, London,
(üebersetzung des englischen Mannscriptes von Dr. Bperli&g.)
Bei dem Studium der Pathologie und Therapie einer Form des Eopf-
schmeizes, welcher zur Klasse der Migräne zu zählen ist (Praotitioner Aug. 1884
und März 1886) wurde ich durch dessen auffallende klinische Beziehung zur
Gicht zur Untersuchung des Urins veranlasst: zuerst erhielt ich keine sichtbaren
Resultate; aber nach der sorgföltigen Trennung des während der Kopfschmerz-
Periode gelassenen Urins von dem vor und nach derselben gewonnenen, fand
ich zu meiner Ueberraschung, dass dieser Kopfschmerz stets von einer
reichlichen Ausscheidung von Harnsäure begleitet war, während die-
selbe vorher und nachher nicht erhöht war, so dass eine Mischung des Urins
der verschiedenen Perioden nichts Bemerkenswerthes zeigte (Abhandlung in Med.
Chirurg. Transact Vol. 70).
Die Anwendung verschiedener Medicamente zeigte mir, dass es in gewissen
Grenzen möglich war, die Harnsäure-Ausscheidung zu controliren (Joum. of
Physiol. Bd. Yin Nr. 8 u. 4), und ich fand bald, dass Mittel, welche dieselbe
verminderten, auch den Kopfschmerz beseitigten, dagegen Mittel, welche sie er-
höhten, den Kopfschmerz herbeiführten oder verstärkten: so dass ich nunmehr
un Stande bin, in gewissen Grenzen die Harnsäure-Ausscheidung nach Belieben
zn vermehren oder zu vermindern und bei Personen, welche an. dieser Form
von Kopfschmerz leiden, denselben herbeizufuhren oder zu beseitigen.
Ich hatte schon früher erwähnt (Practitioner), dass eine Diät, aus welcher
Fleischspeise vollkommen ausgeschlossen war, die Häufigkeit und Heftigkeit der
Kopfschmerzen verminderte; und meine Harnsäure-Untersuchungen erklärten
dies Resultat) da Fleischspeise die Bildung von Harnstoff sowohl wie von Harn-
säure vermehrt; und femer verursachen ihre Phosphate und Sulfate durch Ver-
mehrung der Säure eine Retention von Harnsäure, so dass in Folge der so
entstandenen Anhäufui^ späterhin eine gewisse Menge im Blut zurückbleibt,
welche den Kopfschmerz hervorbringt.
Nach einer Theorie von Sir A. Qabbod (Lectures on Brit. Med. Joum.
Vol. I. 1883 und meine Mittheilung im Joum. of Physiol.) wird die Harnsäure
m der Niere gebildet, geht zum Theil durch die Nierenvene in den allgemeinen
Kreislaaf über und wird dann mehr oder weniger in der Milz, Leber etc. zurück-
gehalten. Ich habe diese Theorie in Ansprach genommen, um meine Resultate
zu erklaren, und sie passt dazu sehr gut.
Der in Rede stehende Kopfschmerz ist immer von einer vermehrten Harn-
säure-Ausscheidung begleitet, und ich behaupte, dass dies bedingt wird durch
vermehrte Ansammlung im Blut und dass, gemäss jener Theorie, das Plus von
Harnsäure von einer Niederlage in der Milz herkommt^ dass während der
128 -
geringeren Ausscheidnng dagegen sich deshalb ein Minus von Harnsaure im
Blat befindet^ weil dieselbe in der Milz aofgespeichert ist
Wenn diese oder eine ähnliche Theorie als Erklärung aller meiner Erfolge
mit Arzneimitteln und für das Zustandekommen des Hamsäure-Eop&dmierzes
angenommen wird^ so glaube ich, dass auch die Ursache der Anfalle in manchen
Fällen von Epilepsie sehr einÜBU^h ist. Es sei hier daran erinnert^ dass bei allen
meinen Besultaten und in der beigegebenen Tabelle ich es nur mit dem Ver-
halten von Harnsäure und Harnstoff in Bezug auf die Ausscheidung allein
zu thun haben will; ich spreche nicht von der Bildung von Harnsäure. Aber
beiläufig will ich sagen, dass ich bei keinem meiner Experimente etwas gesehen,
was mich hätte glauben machen können, dass Harnsäure gewöhnlich in höherem
Maasse als im Yerhältniss von 1 : 33 Harnstoff gebildet wird, obwohl bei der
Ausscheidung sich häufig das hohe Yerhältniss von 1:18 oder das niedrige
von 1 : 50 zeigt. Aber wenn man die Ausscheidung während einer, langem
Periode in Betracht zieht, so findet man, dass die Schwankungen sich ausgleichen
und meist ein Yerhältniss von 1 : 33 resultirt, welches nur individuell ein wenig
variirt. Allgemein gesprochen heisst dies, dass, wenn bei einer Person die Säure
des Harns steigt, die Harnsäure-Ausscheidung fallt und umgekehrt, dass aber
bei einer Zeit von einigen Tagen sich beides ausgleicht
Es ist schon lange bekannt, dass die Harnsäure-Ausscheidung nach den
verschiedenen Tageszeiten variirt; aber es war, wie ich glaube, noch nicht be-
kannt, was ich zuerst ausgesprochen habe (Y. Joum. of Physiol.), dass die Aus-
scheidung nach Belieben zu gewissen Zeiten durch Säuren vermindert und durch
Alkalien vermehrt werden kann«
Jetzt weiss ich auch, dass abgesehen von den Säuren und Alkalien auch*
noch andere Arzneimittel die Ausscheidung beeinflussen, von denen die Salicylate
am meisten interessiren, über welche ich der nächsten Versammlung der Medico-
Gbirurgical-Society (10. Januar) eine Mittheilung unterbreiten werde, und deren
Wirkung weitgehende und wichtige Beiträge zur Pathologie und Therapie aller
Harnsäure-Erkrankungen bietet
Bei diesem Standpunkt in Bezug auf den in Bede stehenden Eop£9chmeiz
richtete ich wieder mein Augenmerk auf seine klinischen Beziehungen in Hin-
blick auf eme fär die St Bartholom. Hosp. Beports geschriebene Mittheilung
über Symptome und Diagnose, als mir die nahe Beziehung desselben zur Epi-
lepsie in die Augen fiel (Dr. Lisbino „Megrim and headache^ Churchill
1873), zumal da zwei meiner Fälle an Kopfechmeiz und Epilepsie zugleich
litten, und ich bemerkt hatte, dass beide Krankheiten unter dem Einfiuss der
diätetischen Behandlung und der angewandten Arzneimittel zu heilen sdiienen.
Danach sah ich bald eine ähnliche Hamsäure-Beaction in Fällen von Epilepsie,
imd es dauerte nicht lange, so fand ich einige Thatsachen, die diese Beziehung
bestätigten. In verschiedenen Fällen, die als Aussen-Patienten unter meiner
Behandlung standen, fand ich, dass der immittelbar nach dem Anfiül gelassene
Urin eine Sterke Vermehrung der Harnsäure (1 : 20) aufwies, und ich fond auch,
dass vor und nach dem An£Bdl ein Minus von Ausscheidung erfolgte, so dass
~ 129 ^
wib in jeder Beziehung zwischen Anfall und Kopfschmerz analoge VerbUtniBae
Die bdgegebene Figur zeigt die in einer Periode von 31'/^ Stunden hinter
einander erhaltenen Beanltate bei einem Kinde, M. H. 13 Jahre alt Dasselbe
hat seit dem 10^ eine ältere Schwester von 30 Jahren seit ihrem 7. Jahre an
epüeptisohen AnfiUlen gelitten.
Die Aoßlle stellen sich morgens ein, wenn es aufwacht oder ao&teht, es
ist bewDSstlos ßr etwa 30 Minuten, nnd zuweilen erfolgt unfreiwilliger Urin-
at^ang. Sein Urin, schon crftmals Mher unt^sucht, zeigte Vermehrung tod
Hamsiure zur Zeit dee Anfalls, eine gerii^ere Quantität vor demselben.
Vot irgend einem Anfalle
Nach dem 1. ÄnMIe
Zwischen dem 1 . n. 2. Anfalle
Nach dem 2. Anfalle
Vorm. bis 3 Nachm.
3 Nachm. bis 4,15 Nachm.
15 Nachm. bis 9 Naobm.
9 Nachm. bie 1 1 Nachte.
11 Nachta bis 12,20 Vom.
^^^^—^,^^—. ^2,20 Vom. bis 10 Vonn.
Nach allen AdKIIbd, sehr
Nhlifrig
ToUl: HUTistoff 26,6 gl
Honuänre 0,78 gr
VerhältnisB: 1 : 31.
Die ganze Hamstc^nenge während der Sl'/i Standen betrog 411 gr und
die Harnsäure 12,1 gr, was einem nahezu normalen Yerhältniss von 1:34 ent-
sphdit. Die Figur spricht für sich selbst^ und mit Ausnahme von Golunme 5,
welche eine Mischung von Urin zwischen and während eines Anfalls ergiebt,
sind die Resultate klar genug. Aber es ist mir nicht zweifelhaft, auf Qruud
meiner früheren Experimente aber den Kopfechmerz, dass dieselben noch klarer
ansg^iELllen wären, wenn es möglich gewesen wäre, den dem Anfall entsprechenden
Urin gensaer zu sondern. So bezeichnet Colnmne 2 einen Urin, der znm Theil
der Zeit vor dem Anfall mit sehr wenig Harnsäure -Qehalt (1:50) enteprieht,
zum Theil dem Anfalle selbst, welcher sorg<ig geschieden wahrscheinlich ein
Veritälbuss von 1 : 20, odra so ongaßthr daigeboten haben wärde, nnd die That-
_ 180 —
Sache wäre mehr in die Augen gesprungen. Das ist es auch genau, was ich
beim Kopfschmerz &nd: je schärfer der demselben entsprechende Urin von dem
von vorher und nachher gesondert worden war, um so klarer stellte sich die
Vermehrung der Harnsäure dar. Aber bei der Epilepsie kann oft der Anfall
auf keine Weise vorhei^esehen werden, und man muss sich mit dem mehr oder
weniger gemischten Urin begnügen, der während des An&lls abg^angen oder
nach demselben gelassen ist
Sehr bemerkenswerth ist Golumne 6 in mancher Beziehung, denn die Harn-
säure-Ausscheidung steht auf höchster Höhe, und die Anfalle gehören zu den
schlimmsten. In Bezug auf die Stunden ist es erwähnenswerth, dass die Zeit
von 10 Uhr Abends bis zum frflhen Morgen gerade die Zeit ist, zu welcher der
„Harnsäure-Kopfschmerz'' oft am heftigsten und unerträglichsten ist; und dies
schliesst auch die Zeit ein, in welcher Gichtische gewöhnlich ihren ersten Podagra-
Anfall bekommen; es ist schon bemerkt worden, dass erste epileptische Anfalle
oft zur Nachtzeit eintreten. Und dies ist noch eine fernere Parallele zwischen
Kopfschmerz und Epilepsie, welche zu wichtig ist, um übergangen zu werden,
zumal ich in der Lage bin, eine wahrscheinliche Erklärung für das Symptom
zu geben, welche für beide Fälle passt.
Personen, welche an diesem Kopfschmerz leiden, haben angegeben (Dis-
cussion über meine Mittheilung über Kopfschmerz: Proceedings of the Medic
Chirurg. Society. März bis Juni 1887 p. 272), dass solche Attacken oft durch
ein Oefühl des Wohlseins oder der Erheiterung eingeleitet werden, und, obwohl
ich dies nicht in meiner Notiz erwähnt, — ich oft bemerkt hatte, dass mit
einem um Mittag herannahenden Kopfschmerz sich bis zu dieser Zeit das Ge-
fühl verband, dass ich niemals im Leben mein Tagewerk so gut und sorgßltig
vollbracht habe, wie heute; genau dasselbe geschieht bei der Epilepsie, wie es
Dr. Boss (Krankheiten des Nervensystems. Vol. IL p. 916) von einem seiner
Patienten wie folgt beschreibt: ,Jch erwarte heute z. B. einen Anfall; ich fühle
mich so glücklich und freudig, und doch ist nichts in meiner Situation, was
mich dazu veranlasste, da ich gerade durch diese Anfalle meine Stellung ver-
loren habe.'' Mein Erklärungsversuch dafür ist folgender: In beiden Fällen, bei
dem Kopfschmerz sowohl wie bei dem epileptischen Anfall, vollzieht sich eine
erhebliche Betention von Harnsäure (vgl. die Tabelle, ebenso die meiner Mit-
theilung über Kopfschmerz) und eine Verminderung derselben im Blut; und ich
bin im Stande, durch künstliche Zurückhaltung von Harnsäure annähernd dies
freudige Gefühl hervorzubringen, während andererseits, wenn der Kopfechmerz
und die vermehrte AusscheiduDg begonnen haben, das G^f&hl nichts weniger
wie freudig ist
Alle Arzneimittel, soviel ich weiss, und ich habe eine sehr grosse Zahl ge-
prüft^ welche beim Kopftchmerz als günstig wirkend befunden worden sind,
wirken entweder durch Entfernung von Harnsäure aus dem Blut, und durch
Yerminderung ihrer Ausscheidung im Urin, oder, wie Bromsalz und Strychnin,
durch Verhinderung der nervösen Gentren an der Beaction auf die Beizquelle.
Ich zweifle nicht, dass dasselbe für diese Fälle von Epilepsie gilt, so dass
_ 181 —
ich bedeutendes Yertraiien habe, epileptische Anf&lle gerade so wie Kopfschmerz
nach Belieben hervorrufen und hemmen zu können. Aber da ein epileptischer
Anfall nicht frei von Gefahr ist, so habe ich mich an ein derartiges Experiment
nicht gewagt Immerhin habe ich meine Fälle auf die bei Kopfischmerz so
günstige Diät gesetzt und auf die Arzneimittel, welche die Anhäufung von Harn-
säure verhindem, und ich erwarte die günstigsten Besultate, ja sogar voUkommene
Heilung von der Diät Aber dies erfordert Zeit; da meine Resultate indess von
grosser Wichtigkeit sind, so mache ich sie bekannt, damit Andere mit mehr
Material, als ich es habe, sie prüfen mögen, und wenn, wie ich sicher erwarte,
dieselben den Thatsachen entsprechen und einen Theil der wirklichen Erank-
heitsbedingungen bilden, dass dann die mit gichtischen Erscheinungen ver-
knüpfte Epilepsie nicht länger eine relativ hoffnungslose Krankheit sein wird,
sondern eine, welche durch zweckmässige Diät fast sicher sich vermindern lässt
nnd klinisch ein Glied mehr in der schon festen Kette bilden wird, welche die
Gicht mit der Epilepsie verbindet
Anmerkung.
Harnstoff ist bei diesen Untersuchongen nachgewiesen durch den Hypromid-
Process mit dem Appa*nit von Dupr^, bestehend aus 2 Glastuben, einer äussern,
die Wasser enthält und einer innem, die gradnirt und mit der Reactionsflasche ver-
bunden ist; die entstehende Stickstoffmenge wird an den Gradstrichen des innem
Tnbns abgelesen. Temperatur und Druck werden notirt und Regelungen des Volums
nach dessen Schwankungen ausgeführt.
Harnsäure wird bestimmt durch den Process nach Prof. Haycraft (Brit med.
Joam. 1885. Nov. p. 1100): die Harnsäure wird als Sflber-Ürat niedergeschlagen,
welches als eine gelatinöse Masse auf einen Asbest-Filter geworfen und ausgewaschen
wird. Dann wird der Silber- Ürat-Niederschlag, der auf dem Filter verbleibt, aufge-
löst und mit Salpetersäure gewaschen. Das in Lösung befindliche Silber wird nach
Yolhard's Methode und die Harnsäure ans jenem berechnet Eine Qoecksilber-
Lnftpumpe ist nothwendig.
Säure ist als Oxalsäure durch eine Phenol-Phthalein- und eine graduirte Soda-
lösung berechnet worden.
Ich habe diese Prüfungen zwei Jahre lang fast jeden Tag und manchmal öfters
am Tage ausgeführt, manchmal all' meinen Urin gesammelt und die oben geschil-
derten und andere Zusammensetzungen fQr 2 bis 3 Monate ohne Unterbrechung
berechnet.
Bei einigen wenigen Yorsichtsmaassregeln, so um sicher zu sein, dass alle Harn-
aänre in Lösung ist, and andern weniger wichtigen Momenten, habe ich das Recht,
mit der sich ergebenden Genauigkeit meiner Resultate zufrieden zu sein.
3. Eine Beobachtung über die LocaUsation der
hypnagogischen Hallncinationen.
Von Dr. Fr. Faohs, Professor der Jatrophysik in Bonn.
Als ich neulich mit dem Nachtzuge von Wien nach Berlin fuhr, machte
ich eine Beobachtung , welche ich weniger wegen ihres Inhaltes als wegen der
— 182 —
Seltenheit, mit der die zur AnstelluBg derselben erforderlichen Bedingungen zu-
sammentreffen, mir mitzutheilen gestatte.
In der Seitenlage, mit dem Kopf auf emem Keisesack ruhend, erwartete
ich den Schlaf. Yor dem Eintritte desselben hatte ich, wie es oft bei mir der
Fall ist, kurzdauernde Gesichtshallucinationen.
Die im Sehfelde auftauchenden Figuren machten diesmal aber, abweichend
von ihrem gewöhnlichen Verhalten, hin- und hergehende Bewegungen, deren
Rhythmus mit der Periode übereinstimmen mochte, in der mein Kopf durch
den stark schlagenden Wagen erschüttert wurde.
So sah ich einmal einen auf- und niedertanzenden Korb, ein anderesmal
eine Weinflasche, welche mit grossen Excursionen um eine etwa durch ihren
Boden gehende, ideelle Axe hin und her pendelte.
Ans dieser Beobachtung geht hervor, dass das Lag^efühl des Kopfes zur
Zeit, wo die hypnagogischen Hallucinationen sich einstellen, noch nicht erloschen
ist Denn die aus der inneren Himerregung stammenden Bilder verhalten sich
in Bezug auf ihre Localisation den Augen- und Kopfbewegungen gegenüber
offenbar wie die Nachbilder reeller Objecto, welche bei Lageanderungen des
Kopfes bewegt oder ruhend erscheinen, je nachdem diese^mit einer Aendemng
des Lagegefuhls verbunden sind oder nicht
IL Referate.
Anatomie.
1) Untersuchungen an der Hypophyse einiger Säugethiere und des Men-
schen, von Salomon Lothringer. (Arch. f. mikroskop. Anatomie. Bd. XXVIII).
Verf. hat im anatomischen lustitut von Prof. Flesch in Bern die Hypophyse des
Menschen (5 resp. 7 Stunden nach dem Tode) und verschiedener Thiere untersucht.
Da bei letzteren oft nicht von Vorder- and Hinterlappen wie beim Menschen ge-
sprochen werden kann, weil der erstere bald vor, bald unter, bald hinter dem letzte-
ren liegt, so gebraucht der Verf. nur die Bezeichnungen: Epitheüaltheil und Himtheil.
Die Grösse der Hypophyse hängt in keiner Weise von der Grösse des Gehirns
ab, wohl aber besteht eine directe Beziehung der Hypophyse zur Körpergrösse. Die
Hypophyse des Rindes ist von den untersuchten die grösste, danach die des Pferdes,
und zwar bei beiden weit grösser als beim Menschen. Bei den Fleischfressern war
die Reihenfolge der Grösse: Löwe, junger Bär, Hund, Fuchs, Katze. Von den meisten
dieser Thiere giebt Verf. genaue Beschreibungen der Hypophyse.
Nachdruck legt Lothringer auf die Bestätigung der Existenz zweier verschie-
dener Zellenarten iu den Hypophysen-Schläuchen, von denen die eine Art die „chro-
mophilen" darstellt und in den Rindenschichten vorwiegt. Sie zeigen im Gegensatz
zu der zweiten Art der Färbung durch Eosin, braune bis schwarze Tinction durch
Haematoxylin nach Weigert, durch Ueberosmiumsäure u. s. w. — Die chemischen
Eigenschenschaften der chromophilen Hypophysen-Zellen weisen auf eine sehr nahe
Verwandtschaft derselben mit den colloiden Substanzen hin; letztere dürften aus Um-
wandlung der ersteren hervorgehen. Lothringer nimmt an, dass den chromophilen
Zellen eine active chemische Function zukommt, der Reactionen wegen, die sie, wie
gewisse Elemente der Nebennierensubstanz, mit den Belegzellen der MagendrOsen
theilen. Die innige Dnrcbflechtung mit äusserst zartwandigen Geftssen spricht auch
— 133 —
für eiiie secretorische Thäü^keit d€6 fipithelialtheils der Hypophyse. Das Secret
mflsste der Resorption in den Hoblräamen des Organs anheimfallen.
Die Hypophysen-Höhle hat mit der Infundibolar-Höhle nichts zn thun. — Br-
w&hnenswerth sind seitliche Aasbuchtangen derselben beim Hunde. — Ausgebildete
Flimmerepithelien hat Lothringer nur in der Hypophyse des Kaninchens gesehen, aber
mehrfach sonst Bildungen getroffen, die an den Cuticularsaum der Darmepithelien
erinnerten. Hadlich.
Experimentelle Physiologie.
2) Eine neue Methode der Temperatursinnprüfong, von Dr. Alfred Gold-
scheider in Berlin. (Arch. für Psych. 1887. XVm. Heft 3. 4 Tafeln).
^ne Meisterarbeii Die nütgetheilte neue Methode ist nicht so umständlich,
als sie aaf den ersten Blick scheinen mag; jedenfalls ist sie practisch und für genaue
Untersuchungen so wichtig, dass sie nicht allein dem Specialisten unentbehrlich, son-
dern auch dem practischen Arzte, wenigstens in den gröbsten Zügen, bekannt zu
werden verdiente.
Die Temperaturempfindlichkeit ist nicht gleicbmässig auf der ganzen Köperober-
fläche vertheilt; sie folgt im Allgemeinen der Ausbreitung der sensiblen Nerven in
der Weise, dass sie an Stellen grössten Nervenreichthums am höchsten ist. Wärme-
8inn und Kältesinn bestehen gesondert nebeneinander, so dass für Wärme höchst
empfindliche Körperstellen dies nicht auch etwa für Kälte sind und umgekehrt.
Andererseits kommt jeder Stelle eine bestimmte Empfindungsintensität für Tempera-
turen zu, über welche hinaus auch die stärksten Beize dieselbe nicht zu steigern ver-
mögen, oder mit anderen Worten: jede Stelle der menschlichen Haut hat für sich
eine „absolute Empfindlichkeit". Läset sich dieselbe für die verschiedenen Stellen
und Regionen des Körpers bei gleichbleibender Wärmequelle dem Grade nach be-
stimmen, and stellt sich dann ein mehr oder weniger constantes Yerhältniss zwischen
der Empfindlichkeit jener heraus, so gewinnt man sichere Merkmale für Herabsetzung
oder Erhöhung derselben unter physiologischen und pathologischen Bedingungen. Und
dies ist es, was eine objective Sensibilitätsprüfung als Resultat verlangen muss.
Von diesen Erwägungen ausgehend versuchte Verf. die topische Ausbildung des
Temperatarsinns an der gesammten Körperoberfläche, zunächst an sich selber, zu be-
stinmien, indem er mit einem Metallcylinder von 1 cm Durchmesser, der entweder
bei luftkaltem Zustand die Temperatur von ca. 15^ C. hatte, oder bis auf 45 — 49^ C.
erwärmt wurde (derselbe erregt in der Hohlband ein leidlich warmes, am Oanthus ext.
des Auges ein soeben heisses Gefühl) alle Körperstellen durchprüfte. Indem er nun
die verschiedenen Gefühlsquantitäten als eben fühlbar, schwach, kühl, schon etwas
kalt, kalt^ „sehr kalV u. s. w. oder in dementsprechenden Ziffern zunächst auf dem
Körper notirte und dann in Lebensgrösse abzeichnete, gewann Verf. auf den einen
nach den andern vorgenommenen Körpertheilen ungeAhre Bilder von der Yertheilung
des Kälte- und Wärmesinns, die er später wieder nachprüfte, an andern Personen
aufs Genaaeste oontrolirte etc., bis die Darstellung des Gegenstandes in der Art möglich
wurde, wie es in den der Arbeit angehängten 4 Tafeln geschehen ist, von denen die beiden
ersten die Empfindlichkeit des Kältesinns in 12, die des Wärmesinns in 8 Stufen,
bezeichnet durch verschiedenartige Schraffirungen, im Schema des menschlichen Körpers
landkartenartig eingetragen enthalten, während in den beiden andern die Zahlen von
1 — 12 bezw. 1 — 8 die Empfindungsintensität der betreffenden Stellen bezeichnen.
Zwei Tabellen enthalten als Erklärung zu den Zeichnungen die Prüfungsstellen
für Kälte- und Wärmemessung unter Angabe ihrer Dignität, während dieselben in
zwei andern nach dem Nervengebiete geordnet sind.
Die AoÜBteUung von 12 bezw. 8 Stufen ist empirisch erfolgt; die Uebergänge
zwischen denselben sind als practisch unwichtig und complicirend vernachlässigt.
— 1S4 —
Did Untersachnng in Bezug anf den Temperatarsinn erfolgt in der Weise, dass
man den Metallcylinder anf Stellen, welche bekannt sind als am meisten empfindliche
(Maximumstellen; am Kopf z. B. Canthus ext., an der Hand Spat inteross. I and
unterer Theil des Oss. metacarp. Y, am Fuss Mitte des inneren Fassrandes und Mitte
der Fasssohle u. s. w.) aufsetzt. Erfolgt hier keine Temperatarangabe, so muss eine
grobe Störung vorliegen; ist dieselbe unsicher, so lässt sich Abschwächung vermuthen,
und nun muss durch Yergleichung mit gleich empfindlichen Stellen derselben oder
entfernter Regionen (interne und externe Prüfung) festgestellt werden, wie hochgradig
die Störung ist u. s. w.
Es ist zu beachten, dass die Empfindlichkeit für Kälte grösser ist als für Wärme
(Verf. hat hierfür eine genügende Erklärung), desgleichen an der linken Hand grössser
als an der rechten (aus naheliegenden Gründen).
Ein Unterschied von 2 — 3 Stufen in der Angabe des Fat. von den tabellarisch
festgestellten steht noch in physiologischem Bereich, obwohl individuell sowohl wie
symmetrisch die Schwankungen nicht so erheblich sind. Giebt der Fat. dagegen z. B.
an, dass er am Canthus ext. (Stufe 7) ebenso fühlt wie an der Spitze eines kleinen
Fingers (Stuf 1), so ist eine pathologische Störung sicher.
Fehlerquellen, die ausführlich erörtert werden, liegen einmal bei dieser Methode
in der von der untersuchten Person verlangten psychischen Leistung. Deshalb thnt
man gut, die Intelligenz des Fat. darch eine Vorprüfung am Gesicht, wobei man ihm
sagt, worauf es ankommt, auf die Probe zu stellen.
Weiterhin ist es die Ermüdung des Temperatursinns, welche ungemein leicht
eintritt und zu Irrthümem Veranlassung geben kann, und schliesslich die Abkühlung,
die Verminderung der Eigentemperatur, welche die Empfindlichkeit für Temperaturen
erheblich schädigt und deshalb leicht pathologische Störungen vortäuschvin kann. In
dieser Hinsicht ist zu erwähnen, dass eine physiologische Herabsetzung des Tem-
peratursinns sich genau so äussert wie eine pathologische. Wie sehr diese Thatsache
in*s Gewicht fällt, erhellt aus der Angabe des Verf.'s, dass bei einer Hauttemperatur
von 23 — 24^ C. die Kälteempfindlichkeit um 5 — 6, die Wärmempfindlichkeit um
3 — 4 Stufen differi]:en kann.
Den Schluss der Arbeit, deren sehr viele interessante Einzelheiten sich hier
natürlich der Wiedergabe entziehen, bildet eine Reihe von Beispielen, die zugleich
den Gang der Untersuchung veranschaulichen.
Die Forderung des Verf.'s, dass die Temperatursinnprüfung nicht nur als Finesse
zu behandeln, sondern der Sensibilitätsprüfung als ebenbürtig einzureihen sei, begründet
sich allein schon durch seine Beobachtung, die er bei der diesbezüglichen Prüfung von
120 pathologischen Fällen gemacht hat, dass die Temperatursinn-Störungen nicht etwa
bloss als rara avis vorkommen, sondern als integrirender Bestandtbeil an den Ver-
änderungen der Hautsensibilität und oft sogar mehr in die Augen fallen als die
Störungen der sonstigen Sensibilität.
Die topischen Differenzen der Innervation scheinen auch den andern Qualitäten
der Hausensibilität gegenüber eine Bedeutung zu haben.
Das Material, an dem Verf. seine schönen Untersuchungen gemacht hat, stammt
aus der Poliklinik der Proff. Mendel und Eulenburg.
Die vorliegende Arbeit kann nicht angelegentlich genug zur Leetüre und zum
Studium empfohlen werden. Sperling.
3) Die Einwirkung der Kohlensäure auf die sensiblen Nerven der Haut,
von Dr. Goldscheide r. (Verhandlungen der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin
vom 25. Nov. 1887.)
Kohlensäure bewirkt in der Haut ein deutliches Wärmegefühl, an der Hand
eine Erhöhung wie um 2 — 3^ nach G., im Kohlensäure -Vollbade von +12^ nach
— 136 —
Eisch wie eine Temperatur von 45®. — Q, erörtert nun, dass weder der grössere
FeachtigkeitBgehalt der Eohlens&ore^ noch ihre Wärmecapacit&t oder ihr Wärme-
leitongsvermögen, noch andere physikalische Eigenschaften dies bewirken können. —
Eine thatsächliche Temperaturerhöhung der betreffenden Hauttheile findet auch nicht
stattp Tielmehr an der Ton Epidermis befreiten Haut eine geringe Abkühlung. Das
fragliche Wärmegefflhl entspricht vielmehr einer directen chemischen Erregung
der Wärmenerven, denn es tritt mit dem Wärmegefühl eine Wärmehyperästhesie
auf neben einer Gefühlshyperästhesie und bei der nach längerer Kohlensäure-Ein-
wirkung sich einstellenden Hypästhesie ist die Herabsetzung der Empfindlichkeit bei
den Wärmenerven weniger ausgesprochen, als bei den Kältenerven; endlich ist die
ganze Erscheinung an Hautstellen mit besonders guter Wärmeempfindlichkeit viel
deutlicher als an anderen. Hadlich.
4) üeber die Wahrnehmung eigener passiver Bewegnngen durch den
MuakelsinD, von K. Schaefer, Jena. (Arch. f. d. ges. Phys. Bd. XLL).
Die Bewegungsvorstellungen, welche bei passiven Bewegungen auffcreten und
namentlich von Mach und Delage studirt worden sind, werden nach Schaefer aus-
gelöst durch die specifischen Spannungsänderungen der Muskeln während der Bewe-
gmig. Die nachfolgenden (compensatorischen) Zwangsbewegungen beruhen auf einem
Beflexmechanismus, durch welchen die gewöhnliche, normale Körperhaltung immer
wieder hergestellt wird. Die letztere, welche Yerf. treffend als Usustatus bezeichnet,
isfc fOr jedes Thier verschieden; für den Menschen ist es z. B. die Verticalstellung
auf den Füssen.
Yerf. spricht sich gegen eine Betheiligung der halbzirkelförmigen Canäle beim
Zustandekommen der Bewegungsvorstellungen bei passiver Aenderung des Usustatus
ans. Vielmehr werden die Muskeln durch passive Bewegungen mehr gedehnt, als sie
es vorher waren. Diese Spannungsänderungen werden durch myästhetische Nerven
einem Gentralorgan — wahrscheinlich dem Kleinhirn — gemeldet und von dort aus
reflectorisch eine Wiedercontraction des passiv gedehnten Muskels bewirkt, welche
den Usustatus wieder herstellt. Dass dieser Beflexvorgang nur bei Gefährdung des
Usustatns in vollem Umfang, hingegen bei passiven Bewegungen eines einzelnen
Gliedes sowie bei allen activen Bewegungen nur andeutungsweise eintritt, erklärt sich
daraus» dass derselbe in den beiden letzteren Fällen seit unendlich vielen Genera-
tionen vom Willen unterdrückt worden ist. Th. Ziehen.
Pathologische Anatomie.
5) Ein Fall Yon Bankenneurom der Intercostalnerven mit Fibroma moUus-
oom und Neurofibromen, von Dr. J. Pomorski, Assistenten am pathol. In-
stitut zu Greifswald. (Virchow's Arch. Bd. CXI. 1.)
Seit Bobin zuerst im Jahre 1851 die, später (1861) von Verneuil „Neu-
roma plexiforme", von Bruns 1870 „Bankenneurom" genannte, eigenthümliche (}e-
schwulstform beschrieben hat, sind 19 Fälle beschrieben worden, auch ihr Zusammen-
vorkommen mit multiplen Fibromen und Neurofibromen constatirt (Winiwarter). —
P. besehreibt einen Fall, in welchem sich 1. ein Fibroma molluscum'in Gestalt von
2 mit einander zusammenhängenden kindskopfgrossen Tumoren in der rechten Thorax-
büfte fand, sowie mehrere kleinere Knoten, 2. im Bereiche der ganzen rechten Pleura
costalis eine Geschwulst aus zahlreichen rankenartig gewundenen Strängen und Wülsten
von cylindriseher oder variköser G^talt, von lockerem Bindegewebe theils verbunden,
theils 80 umhüllt, dass die Banken in glattwandigen Taschen zu liegen kommen. Die
Interoostalnerren sind unregelmässig spindelförmig verdickt und ihre bindegewebige
zu Fibromen verdickte Scheide geht in die Ranken und Wülste über. 3. Neurofibrome
— 136 —
der Nn. vagi und der Nerven beider Arme (median^ radial, ulnarO — Der Kranke
war an hämorrhagischer Pleuritis zu Grunde gegangen. — Es gelang dem Verf.
nachzuweisen, dass nicht nur die beiden Geschwulstarten (Fibroma moU. und Neuro-
fibrome) durch den Nachweis von Nervenfasern unter einander, sondern auch, dass
die beiden mit dem Bankenneurom der Pleura in einem engen Znsammenhange stehen,
indem alle von Nerven resp. dem in und um die Nerven liegenden Bindegewebe ge-
bildet werden. Hadlich.
6) Di un oaso raro di odoppiamento paandale del midoUo aplnale, pel
A. Bonome, Torino. (Arch. per le scienze mediche. 1887. XL 4.)
Bei einem 2 jährigen Kind fand sich der linke Fuss nur als knochenloser rudi-
mentärer Anhang des Beins; der rechte Fuss hatte die doppelte Grösse des linken,
Talus und Calcaneus waren missbildet Keine Spina bifida. Im unteren Dorsalmark
erwies sich der linke Hinterstrang erheblich kleiner als der rechte. In der Lenden-
anschwellung erschienen die Hinterhömer nach aussen verschoben, rechts und links
erscheint an der Peripherie der Goll'schen Stränge ein Keil heterotopischer grauer
Substanz. Letztere nimmt nach unten zu und verschmilzt mit der hinteren grauen
Commissur. Die vordere weisse und graue Commissur schwinden; statt eines Cen-
tralorgans treten zwei auf. Die mit der hinteren Commissur verschmolzenen heteroto-
pischen Keüe treten auseinander und bilden jederseits ein neues Hinterhom. Zwischen
die beiden nun getrennten Bückenmarkshälften drängt sich eine Bindegewebsmasse,
welche ihrerseits e'men Strang aus Knorpelgewebe enthält
Die Reste grauer Substanz rechts und links nehmen weiterhin mehr und mehr
auf jeder Seite die charakteristische Form der Subst. grisea des Bflckenmarks an.
Gleichzeitig findet eine Drehung statt, so dass das Bückenmark jeder Seite die Yor-
derhömer medialwärts, die Hinterhömer lateralwärts richtet. Das linke Bückenmark
ist kleiner. Die totale Verdoppelung des Bückenmarks erstreckt sich 2 cm weit
Noch weiter caudalwärts verkleinert sich das linke Bückenmark fortgesetzt, schliess-
lich bleibt nur das rechte übrig. Th. Ziehen.
Pathologie des Nervensystems.
7) Ein Beitrag sur Casuistik der Hypophysis-Tumoren. Aus dem pathol.-
anat Institut in Heidelberg. Von Dr. Job. Heusser. (Yirchow's Arch. CX. 1.)
Eine 64jährige Frau mit Carcinoma recti wurde wegen dieses Leidens operirt
und starb am nächsten Tage. Sie litt an bedeutender Sehschwäche des linken Auges
und vollständiger linksseitiger Ptosis, die sich während der letzten -4 Wochen ent-
wickelt hatte; dabei heftige linksseitige Gesichtsschmerzen, ab und zu Kopfschmerzen,
Schwindel und Uebelkeit
Die Section ergab — von dem Uebrigen abgesehen — eine Geschwulst der Hypo-
physis, beinahe pflaumengross, röthlich, ziemlich derb, welche stellenweise die Dura ab-
gehoben und den Knochen usurirt hatte: ein malignes Lymphosarkom, das seinen Ur-
sprung im vorderen Lappen der Hypophysis genommen hat. — Zu Breitner's und Bern-
hardts Litteraturangaben bringt Verf. noch zwei ältere und zwei neuere Fälle von
Hypophysistumoren bei (von Petrina und Hayet, bezw. von H. Beck und Lawson.)
Aus einer Zusammenstellung von 20 Fällen leitet er sodann die Symptomato-
logie dieser Geschwulst ab, die allerdings manchmal (bei sehr langsamem Wachs-
thum) gar keine Erscheinungen machen; oder nur allgemeinere; treten aber Heerd-
erscheinungen auf, so wird die Diagnose eines Tumors der Hypophyse wahrscheinlich
bei: Kopfschmerzen, Apathie und Abnahme der geistigen Kräfte, Amblyopie bis zur
Amaurose, nebst Ptosis oder (seltener) Strabismus, Pupillenträgheit oder PupiUenstarre;
dazu kommen noch bisweilen Trigeminusneuralgie (meist einseitig), Protrusio bulbi
— 187 —
und PareBen der Extremitäten. — Verf. stimmt also hierin mit Bayer, Petrina,
Bernhardt überein. HadUch.
8) Zur Pathogenese des Morbus Basedowü, von G. N. Dardufi. (D. Med.
Wochenschr. 1887. Nr. 21.)
Im Anschluas an Filehne's Experimente worden nene Untersuchungen an Kanin-
chen angestellt. Verf. machte im verlängerten Marke am unteren Bande resp. unter-
halb des sogenannten Tuberculum acnsticum (Tuberculum laterale, Stieda, tubercule
de Wendel) mit einem feinen Messer einen Schnitt, lateralwärts vom genannten Tuber-
cnlam in transversaler Bichtung 2 — 2^/^ mm lang und nicht über 1 — 1^2 o^ni tief.
Wurde die beschriebene Operation beiderseits ausgeführt, so Hess sich eine Beschleu-
nigmig der Herzthätigkeit (?), Protusion der Augen und Erweiterung der Pupillen
feststellen. Die Kaninchen erholten sich gleich nach der Operation und ^ngen, nach-
dem sie 1 — 2 Wochen sonst keinerlei Veränderung zeigten, nach 3 — 4 Wochen apa-
tisch und abgemagert zu Grunde. Die Pupillen waren am Cadaver immer bedeutend
erweitert Wurde die Operation nur einerseits gemacht, so war der Verlauf derselbe;
nar war der Exophthalmus und die Pnpillenerweiterung unilateral (auf der Seite der
Verletzung) und beide Symptome zeigten die Neigung zu progressiren, wie sie auch
am Cadaver deutlicher hervortreten. Mit Berücksichtigung der Arbeiten von Ferner
und von Kotschanowski nimmt Verf. an, dass von der Stelle der Verletzung in der
Oblongata ein Degenerationsprocess von Nervenfasern beginnt, welche die Impulse
vom Centrum aus, zu den glatten Muskeln des Auges (M. dilatator pupillae, M. or-
bitalis H. Müllen, Ss^per) durchleiten; infolge dessen beobachtet man bei Doppel-
wie auch einseitiger Verletzung der betreffender Partie Bulbusprotusion und Pnpillen-
erweitemng. Kalischer.
9) SuT le traitement et sur quelques partioularitäs oltniques de la xnala-
die de Basedow (Goltre exophthalmique) , par Vigouroux. (Progr. med.
1887. Nr. 43.)
V. rühmt die Behandlung der Basedow*schen Krankheit mit dem faradischen
Strom in .ähnlicher Weise, wie bereits Przewoski es gethan: Das Verfahren, das
V, dabei einschlägt, besteht aus folgenden vier Applicationen: 1) Eine Electrode von
7—8 cm im Durchmesser setzt er auf den unteren und hinteren Theil des Ha]ses, die
andere kleinere schmale und glatte von Olivenform (1 cm im Durchmesser) an die
Innenseite des Stemocleidomastoideus in der Gegend des Zungenbeins. — Er drückt
dieselbe stark hinein, sodass die Pulsation der Carotis deutlich fühlbar, — der mit
dieser verbundene Pol ist der negative. — Dauer der Application beiderseits je
iVs Minuten. — Der Strom soll so stark genommen werden, dass er auf dem moto-
rischen Punkte des Stemodeidomastoideus eine deutliche Contraction auslost 2)
Electrisation des muscul. orbicular. palpebrarum, des muscul. frontalis; Bestreichen
der Augenlider von aussen nach innen bei gleicher Lage der positiven Electrode, wie
bei der ersten Application. — 3) Statt der kleinen olivenförmigen wird nunmehr
eine flache von 4 cm im Durchmesser genommen und der Kropf, sowie die oberfläch-
lichen und tiefen Halsmuskeln faradisirt. 4) Jetzt wird der Strom gewendet und
ZOT Faradisation der Präcordial-Gegend geschritten. Die betreffende Electrode sitzt
links vom Stemum im UI. linken Intercostalraum; es werden nur leichte fibrilläre
Zackungen im Pectoralis hervorgerufen. Dieser Ansatz soll 2 — 3 Minuten, die ganze
Behandlung 10 — 12 Minuten dauern, täglich soll eine Sitzung stattfinden und die
Kur muss nach V. mit Consequenz Monate lang durchgeführt werden., V. hat Besse-
rung und Heilung der wesentlichsten Symptome des Morb. Basedowii durch den
faradischen Strom gesehen, — mehr Erfolg jedenfalls als mit medicamentösen und
9
— 188 —
hydrotherapoutiflchen Proceduren. Ueber die physiolog^he Wirkungsweise der be-
ireffenden faradischen Applicationen erlaubt sich V. kein Urtheil, er hält die Ein-
wirkung auf Sympathicus und Vagus fttr wahrscheinlich, die Modification der Cir-
cnlation im Sch&del fCür eine Thatsache. Einige kurze Daten aus Krankengeschichten
illustriren die therapeutischen und physiologischen Bemerkungen des Verfassers.
Lähmungen und Muskelatrophien und Herabsetzung der Erregbarkeit will
Vigouroux, wie Potain besonders im Gebiete der N. facialis und im Stemocleido-
mastoideus beobachtet haben. V. wiederholt femer seine schon früher gemachten
Angaben Ober die Veränderung das electrischen Leitungswiderstandes der Haut bei
Morb. Basedowü. Laquer.
10) A new point in the DiagnoBis of Graves' Disease, by B. Norrie Wolf en-
den (Cantab). (The Practitioner. 1887. Nr. 234. S. 8.)
Schon Charcot wies darauf hin, wie schwierig es sei, die Basedow'sche
Krankheit, so lange sie noch nicht ganz entwickelt oder überhaupt zweifelhaft ist,
zu diagnosticiren. Drei Punkte seien in diesen Fällen zu beachten: Die Palpation,
der Tremor, und die Verringerung des Leitungswiderstandes gegen die elektrischen
Str/)me. Die letzte Erscheinung, eines der ft*flhesten Symptome, konnte Verf. an
20 Fällen bestätigen. Seine Untersuchungsmethode nach Thisleton und De Watte-
Tille wird ausführlicher beschrieben. Bei einem massigen Strom von 15 Volts EMF.
betrug der Leitungswiderstand bei Gesunden 4000—5000 Ohms. In 8 Fällen von
ausgesprochenem Morb. Basedow, betrug der Leitungswiderstand 300 — 900 Ohms,
in 12 unentwickelten, resp. unvollständigen Formen dieser Krankheit betrug er 1000
bis 1500 Ohms. Charcot fand in einem Falle 900, in einem anderen 1170 Ohms.
Zur GontroUe untersuchte Verf. gewöhnliche Kopfkranke, und fand einen Leitungs-
widerstand von 5000 — 6000 Ohms; in 7 Fällen von Hemiplegie fand er 1300 bis
4000, in 7 Fällen von Epilepsie 1000—4000, in 3 Fällen von Gehirnerweichung
3000, in 2 Fällen von Paraplegie 3000, in 1 Fall allgemeiner Paralyse 6500, in
1 Fall von Kinderlähmung 2600, in 1 Fall von Hysteroepilepsie 1600 Ohms und
endlich in 1 FaU schwerer Chorea bei einem 37 jährigen Manne 350 Ohms bei einer
Stromstärke von 15 Volts EMF. In einem Falle Spicer*s von Morb. Basedowü
betrug der Leitungswiderstand nur 250 Ohms bei einer Stromstärke von 13 Volts EMF.
die Ursache dieser erheblichen Vermindemng des Leitungswiderstandes, schon in den
frühesten Perioden des Morb. Basedowü sucht Verf. in der vasomotorischen Dilatation
der Hautcapülaren, welche die Haut mit Flüssigkeit sättigt und die Trockenheit
der schlecht leitenden Haut auf ein Minimum redncirt Die Angabe Silva*s, dass
in drei FäUen von Morb. Based. durch die Prüfung und Behandlung der Leitungs-
widerstand von 1000 bis zu 5000 Ohms anwuchs, konnte W. in seinen Fällen be-
stätigen; auch hier erreichte bei längerer Behandlung der Leitungswiderstand das
normale Maass von ca. 5000 Ohms. Kalischer.
11) De l'äpilepsie Jaoksoiiieime. M^m. couronn^ par la soc. de mM. et de chir.
de Bordeaux» revue et considirablement augment^ par le Dr. E. Rolland, m^ des
asües „John BosV* de Laforce (Dordogue). Pr^cMfe d*une notice sur les asUes
»John BosV* par le Dr. E. Monod et d'une mtroduction par le Dr. X. Amozan.
Paris 1888. (192 Seiten.)
Die vorliegende Schrift als Beantwortung einer von der in der Aufechrift ge-
nannten Qesellschaft gestellten Preisfhtge entstuiden, kommt gerade jetzt» wo die in
den Vordergrund tretende chirurgische Behandlung der Gehimkrankheiten an den
Symptomen der sog. Jaökson^schen fipüepsie einen wichtigen Anhaltspunkt für ihr
Handeln gewonnen, einem entschiedenen Bedürfbiase entgegen, xumal da trotz der
— 189 —
lahlreichen Litieratur eine nach jeder Bichtong hin zuaaminenfiissende Darstellung
des Gegenstandes bisher noch nicht vorliegt.
In einem Einleitungscapitel giebt BoUand einen kurzen Abriss über makrosko-
pische und mikroskopische Anatomie der Grosshimrinde, der sich inhaltlich sowohl wie
hinsichtlich der beigegebenen Abbildungen in den bekannten Geleisen der zahlreichen
einschlägigen Arbeiten bewegt und in der Beschreibung der feineren Structnrverhält-
nisse der Grosshimrinde direct als unzureichend bezeichnet werden muss; das gleiche
darf wohl auch von dem physiologischen Besum^ behauptet werden, was jedoch im
Hinblick auf die kürzlich erfolgte grosse YeröfiTentlichung Fran^is-Frank's nicht so
sehr in's Gewicht fällt.
Um so eingehender sind die einer kurzen historischen Einleitung folgenden
Capitel der Symptomatologie^ patholc^ischen Anatomie und Physiologie abgehandelt,
die weit über die Hälfte des Buches ausmachen; die erstere stützt sich in erster
Linie auf 109 mit Sectionsbefunden versehene Fälle (darunter mehrere sehr inter-
esBante eigener Beobachtung), deren graphische Darstellung auf einer Himschablone
eine interessante Ergänzung der kürzlich von Naunyn gegebenen Topographie der
Sprachstörungen bildet.
In gleich erschöpfender Weise finden sich weiter die Diagnose und die Therapie,
diese namentlich unter besonderer Berücksichtigung der Arbeiten Horsley*s abgehandelt.
Die Anführung der Conclusions des Verfassers können wir uns, da sie wie das
Bach überhaupt, nur den gegenwärtigen Stand der Frage darstellen, versagen, nur die
erste sei zur Präcisirnng seines Standpunktes hierhergesetzt, indem er sich dahin aus-
spricht^ dass die Jackson'sche Epilepsie absolut nichts mit der Epilepsie gemein habe.
Am Schlüsse unserer Anzeige dürfen wir es nicht unterlassen, der Einleitung
Monod's den Hinweis auf ein Werk der Barmherzigkeit zu entnehmen, das unseres
Wissens selbst in den Fachzeitschriften weder Erwähnung noch auch entsprechende
Würdigung gefunden; es handelt sich um ein im Jahre 1848 von John Bost, damals
Pastor in Laforce, mit Hülfe von Schenkungen gestiftetes Heim für verwaiste und ver-
lassene Mädchen, an welches sich allmälig noch 8 weitere Heimstätten angliederten,
von denen 6 (je 3 für Knaben und Mädchen) für Sieche, Unheilbare, Blinde, Idioten
and Epileptische jugendlichen Alters, bestimmt sind. Diese 6 Abtheilungen beher-
bergen 360 Zöglinge, von denen 150 Epileptische sind. BoBand ist Arzt der ver-
einigten Anstalten. A. Pick.
12) Ueber spinale progressive Muskelatrophie und amyotrophiscbe Seiten-
Strangsklerose, von Adolf Strümpell. (Sonderabdr. aus der Festschrift zur
Feier des 25jährigen Professoren-Jubiläums F. A. v. Zenker's 1887.)
Bei der bisherigen Seltenheit genauer Beobachtungen von Fällen reiner spinaler
progressiver Mulkelatrophie theilt Strümpell ausführlich einen Fall mit, der s. Z. schon
auf der Wnnderlich'schen Klinik als Typus vorgestellt wurde. Frau Erbs, 1820 ge-
boren, als Waschfiau viele Jahre sehr angestrengt körperlich thätig, merkte seit
1874 Schwäche der Arme, welche sie 1875 in die Klinik führte. Hier fand man
eme Atrophie der Deltoidei, Supra- und Infraspinati; an den Armen war Biceps und
Brachials int., femer Supinator longus betroffen. Qanz langsam schritt das Leiden
fort auf die Pectorales, Latissimi dorsi, Serrati ant. m^ora; femer Gucullaris, Triceps
und Teres mijor; spät erst Bhomboidei und Handmuskeln, insbesondere des linken
Daumenballens. Noch nach 6 Jahren waren nur die Schultern und Arme ei^riffen,
«rst in den 3 letzten Jahren (Tod am 1. Mai 18^3) auch gewisse Muskelgebiete
an den Beinen (Quadrioeps, Adductores, Peronei). Die Bulbämerven scheinen bis zu-
letit frei geblieben zu sein. — Nebenher geht ein thrombotischer Cortikalheerd links
mit späterer sekundärer rechtsseitiger Pyramidenstrangdegeneration. — Die Sensibi-
lität war ganz normal; nicht die geringsten spastischen Erscheinungen. Sehnenreflexe
e*
— 140 —
an den Armen niehl vorbanden, an den Beinen nicht erhöht; reichlich fibrilläre
Zuckungen.
Es fand sich eine hochgradige Degeneration der motorischen Nerven, der (Gang-
lienzellen, der Yorderhömer im Halsmark — eine viel geringere im Lendenmark —
und eine degenerative Atrophie der betroffenen Muskeln. — Wo das eigentliche Agens
der Krankheit zuerst wirksam ist, ob in den Ganglienzellen oder peripher — in letz-
terem Falle nach Strümpell doch wohl in den Nervenend&sten, nicht im Muskel —
ist noch nicht zu sagen. — Der Begriff der „Systemerkrankung'' ist übrigens selbst
hier nicht allzu schematisch festzuhalten, denn das Gebiet der Seitenstränge vor den
Pyramidensträngen und am Bande des Bückenmark war auch nicht intact
Hieran schliesst Strümpell die Mittheilung zweier Fälle von amytrophischer
Lateralskierose, den Charcot'schen Angaben grüsstentheils entsprechend, aber auch
in manchen Beziehungen abweichend. So war die Lähmung in den Armen keine
diffuse, sondern das Vorwiegen der Alrophie in einzelnen Muskeln (Daumenballen,
Interofisei, Deltoidei) war deutlich ausgesprochen. Yerhältnissmässig erst spät — nach
3 Jahren — traten Bulbärerscheinungen auf. Auch ging nicht immer die Lähmung
der Atrophie voran (Chacrot), sondern beides war — an den oberen Extremitäten —
nicht auseinanderzuhalten.
In dem einen Falle waren die spastischen Erscheinungen kaum nachzuweisen,
hier war aber die Erhöhung der Sehnenreflexe von entscheidender Bedeutung für die
Seitenstrangaffection; doch war letztere nur eine relativ geringe und so ein Fall vor-
handen, der als Mittelglied zwischen reiner spinaler Muskelatrophie und
amyotrophischer Seitenstrangsklerose angesehen werden kann; die chro-
nische Bulbärparalyse tritt als dritte Unterart des gleichen Erankheitsprocesses hinzu
(Kussmaul). — Untersuchungen der Bnlbärkeme und ihrer Verbindungen mit der
Binde müssen künftig genauer ausgeführt werden, da spastische Erscheinungen
im Gebiete der Bnlbärnerven auf Ergriffensein dieser Verbindungen hindeuten.
Hadlich.
13) Kote Bur un oas d'atrophie muBOulaire progressive, secondaire döve-
lopp6e ohes un SQjet primitivement atteint de paralysie infiantile. Far
A. Dutil. (Gazette m^dic. de Paris 1888. 1.)
Bei Individuen mit spinaler Einderlähmung können gewisse Schädlichkeiten (In-
fectionskrankheiten, Erkältungen, Ueberanstrengungen) sowohl acute als subacute wie
chronische Myelitiden hervorbringen, die letzteren unter dem Bilde der progressiven
Muskelatrophie. Einen solchen Fall theilt Dutil mit. Ein 39 jähriger Eranker, der
seit seiner Eindheit eine Parese des rechten 4rmes und linken Beines besass, übri-
gens ein geschickter Handwerker geworden wiy, hatte nur in dem Alter von 30 bis
23 Jahren einen massigen Abusus spirituos. getrieben. AuffiQlend war, dass er im
14., 32. und 35. Jahre, und zwar z. Thl. auf recht geringfügige Veranlassungen hin,
Enochenbrüche sich zugezogen hatte, sodass er selbst meinte, er habe sehr brüchige
Enochen. Seit 3 Jahren bemerkte er zunehmende Schwäche der kranken sowohl, wie
der bis dahm gesunden Glieder und musste vor IV2 Jahren die Arbeit ganz auf-
geben. Im October 1887 constatirt Dutil an beiden oberen Extremitäten eine starke
Atrophie und besonders an Schulter und Oberarm (am meisten Mm. triceps, deltoides
und die Schulterblattmuskeln), weniger am Vorderam; die Hände erscheinen normal.
Der rechte Arm bot Alles in stärkerem Masse dar. Die electrische Erregbarkeit war,
dem Grade der Atrophie entsprechend, vermindert resp. erloschen, im übrigen gut
Am Rumpf sind die Mm. pectorales und rhomboidei atrophirt. — An den unteren
Extremitäten sind besonders die Unterschenkel in allen ihren Muskeln betroffen, femer
der triceps femoris; da die Füsse und in der Hauptsache auch die Unterschenkel im
Kniegelenk flast gar nicht bewegt werden können, so ist der Gang des' Eranken ein
w^
— 141 —
sehr eigenthümlioher, indem er fast nur durch die Yorwärtfibewegung der Hüften zu
Stande kommt. — Das Eniephänomen ist links fast erloschen, rechts sehr schwach. —
Nie bestanden Sensibilitatsstörungen, Blasen« oder Mastdarmlähmung; keine Störungen
im Gebiete der Himnerven.
Das Ganze ist also unzweifelhaft eine Afifection der grauen Vordersäulen des
Bückenmarks. — Die Brüchigkeit der Knochen dürfte als eine trophische Störung
anch auf diese Affection zurückzuführen sein. Hadlich.
14) Acute Myelitis mit Ausgang in Heilung, von E. Schütz. (Prager med.
Wochenschr. 1887. Nr. 38.)
15 jähr. Schüler^ hereditär nicht belastet, nach längerer Fusstour in der Hitze
und Liegen auf feuchter Erde, Harnverhaltung, Schmerzen in den Beinen; am folgen-
den Tage die beiden rechten Extremitäten paretisch, Kniephänomen rechts schwach,
dauernde Stuhl- und Harnverhaltung; am folgenden Tage Paraplegie, partielle Läh-
mung des rechten Armes: Sensibilität frei. Verlauf: Kein Fieber, Parese des linken
Armes, Lähmung der Bauchmuskeln, Sehnenreflexe erloschen, Herabsetzung derSchmerz-
empfindong, Störung der Temperaturempfindung, Schmerzhaftigkeit des 2 — 6. Hals-
wirbelfortsatzes; Besserung der Beweglichkeit der Arme, fleckweiser Verlust des Tast-
empfindung an den Beinen und an der unteren Bauchhälfte, Verlust der Kälteeijüpfin-
dung in den Beinen, Steigerung derselben an den Bauchdecken, heftige Schmerzen
in den Beinen die nur bei constanter Flexionsstellung derselben sistiren; bedeutende
Abmagenuig der Beine, handgrosser Decubitus, Gürtelschmerz, Hamträufeln; vom
17. Tage der Krankheit ab Bückkehr der Tastempfindung an den Beinen, Schmerz-
empfindlichkeit daselbst gesteigert; Besserung der HamenÜeernng, allmälige Besse-
rung der Motilität, zuletzt der der Bauchmuskeln; Wiederkehr der Sehnenreflexe, links
kurzdanemdes Fuasphänomen; 3^2 Monate nach Beginn der Erkrankung restitutio
ad integrum.
Seh. nimmt eine Myelitis acuta disseminata an. A. Pick.
15) ICyAite oervioale flaussement attribute a un traumatisme pöxiphörique
et produite en röalitd par un mal de Pott möconnu, par J. Grasset et
E. Estor. (Bevne de m^d. F^vrier 1887. p. 113.)
Zwei Monate nach einem Fall mit nachfolgender starker traumatischer Entzün-
dung des rechten Handgelenks traten bei einem 37jährigen Kellner neuralgische
Schmerzen im rechten Schultergelenk auf. Einige Monate später, im Mai 1886,
wurde der rechte Arm fast völlig gelähmt, später auch der linke. In den Beinen
erhaltene Motilität, erhöhte Patellarreflexe. Sensibilität besonders am rechten Arm
herabgesetzt, in der Schultergegend Hyperästhesie. Halswirbel auf Druck und bei
Bewegungen des Kopfes sehr schmerzhaft, zeigen aber keine Deformität. Rechte
PnpiUe weiter, als die linke. Ausserdem starke schmerzhafte Anschwellung der
Schilddrüse. Unter Zunahme der erwähnten Erscheinungen (nähere Einzelnheiten
siehe im Original) erfolgte der Tod im November 1886, nachdem zuletzt auch die
Beine gelähmt wurden.
Die Diagnose war auf Myelitis cervicalis gestellt, entstanden durch „aufsteigende
Neuritis" von der Verletzung des Handgelenks ans. Die Autopsie ergab dagegen
eine Garies der Halswirbel mit Compression der Nervenwurzeln und des Halsmarks.
Daneben Tuberculose der Schilddrüse und der Lungen.
Die mitgetheilte Beobachtung trägt hofiTentlich dazu bei, von Neuem das bisher
völlig Unbegründete der Lehre von der durch aufsteigende Neuritis entstehenden
Myelitis darzuthun. Strümpell.
— 142 —
16) Ein Fall von Spina bifida occulta mit oongenitaler lumbaler Hypei^-
trioboBe, Pos varus und „MbI i>erforant du pied*', von Dr. 0. Brnnner,
Zürich. (Virchow's Arch. CVII. H. 3.)
Fat. ausser der Hypertrichose und rachitischem Habitus bis zum 7. Jahr normal
entwickelt, dann gelegentlich einer leichten Verletzung des rechten Fusses jahrelang
Ulceration an diesem, Verbildung desselben und Atrophie des rechten Beins. Im
20. Jahr ward normale electrisch Erregbarkeit der rechten Beinmuskeln, fast völlige
Aufhebung des Patellarrefiexes rechts und Herabsetzung der Sensibilität der rechten
Planta pedis sowie eine flache Grube in der Lumbosacralgegend an Stelle der Proc.
spin. constatirt. Wegen fortgesetzter Ulceration Amputation nach Lisfranc mit Erfolg.
1 Jahr danach wegen Rezidivs des Mal perforant im Stumpf (abermals mit An-
aesthesie) Amputation nach Pirogo£f. Der abgetragene Theil (von Klebs untersucht)
zeigte neben typischen zur Nekrose führenden Granulationsgewebsbildungen hyper-
plastische Neuritis mit reichlicher Neubildung markloser Nervenfasern von embryo-
nalem Typus und Degeneration des markhaltigen. Klebs macht die hyperplastische
Gewebsentwickelung, die zu Mal perforant führte, von der hyperplastischen Neuritis
und letztere von einem Ausfall centraler auf trophische Vorgänge bezüglichen Hem-
mungsvorrichtungen abhängig. Th. Ziehen.
17) Beitrag but Lehre von der spastlBchen Spinalparalyse, von Prof. Dr.
Brieger. (Charitö-Annalen 1887. XII. Jahrg. S. 140—145.)
Verf. fflgt zu den beiden Fällen von v. d. Velden und Heuck einen neuen hinzu,
bei dem trotz des bestehenden Symptomencomplexes der spastischen Spinalparalyse
der Beginn und Verlauf des Leidens unzweifelhaft darauf hinweisen, dass überhaupt
keine schwere Alteration des Nervensystems insbesondere keine Sklerose des Bflcken-
marks bestand. Der Pat., der wiederholt Bleikoliken und zuletzt sogar eine Ijäh-
mung des einen Arms infolge von Bleiintoxication überwunden hatte, flbte trotzdem
seinen Beruf ohne jede Yorsichtsmassregel weiter aus, bis er inmitten eines Zech-
gelages plötzlich in kurze Ohnmacht verfiel. Sofort nach dem Erwachen aus der
Syncope trat das typische Bild der spastischen Spinalparalyse entgegen. Nur die
unmittelbar nach der Att<aque wahrgenommene vollständige Anaesthesie der Haut, die
sich bis zum oberen Drittel des Oberschenkels hinauf erstreckte, entsprach dem Typus
der Krankheit nicht; da jedoch dieses Symptom in kurzer Zeit schwand, so wurde es
nicht weiter in Betracht gezogen. Die spastischen Symptome wurden als durch Blei-
vergiftung veranlasste angesehen, zumal eine rasche Besserung erzielt wurde, nach-
dem man für schleunige Elimination des einverleibten Bleis gesorgt hatte. (Jodkali
und Schwefelbäder.) Die Aetiologie, die acute Entstehung und rasche Besserung der
spastischen Symptome legten es nahe, das Leiden in einer Erkrankung der periphe-
ren Organe, Muskeln oder Nerven zu suchen. Es sind überdies die functionellen
Störungen infolge von Bleiintoxication nach thatsächlichen Ergebnissen durch Ver-
änderungen entzündlicher Natur in den peripherischen Nerven und Muskeln bedingt
(Zunker, Friedlaender). Somit wird auch für diesen Fall jede schwere anatomische
Schädigung des Rückenmarks, insbesondere eine Sklerose der Seitenstränge ausge-
schlossen. Ealischer.
18) Znr Frage der chronischen Vergiftung durch Syphilis, von Prof. Dr.
Th. Rumpf in Bonn. (Deutsche med. Wochenschr. 1887. Nr. 36.)
Rumpf schliesst sich der Ansicht Strümpell's, dass die Tabes und die pro-
gressive Paralyse der Einwirkung eines chemischen durch den Syphilisprocess erst
secundär erzeugten Qiftes ihre Entstehung verdanken, nicht an. Die Lues mache
die allergeringsten Allgemeinerscheinungen; auch habe man, was man früher fQr
n
— 143 —
Intozication hielt, nenerdiiigs schon mehrfach als directe Wirknng des Infections-
tnigers (Carschmann fand Typhnsbacillen in der medalla obl.) oder als anatomische
Yeränderang (Bnmpf) erkannt Was die Dementia paralytica anbetrifft, so sah Rumpf
in 3 Fällen anatomische Veränderungen syphilitischer Natur: 1 Mal ein Gumma der
Arteria basilaris; 1 Mal eine diffuse gummöse Infiltration der Hirnrinde „wobei die
eigentliche nervöse Hirnrinde ersetzt war durch ein Gewebe reich an verdickten mit
Bundzellenanhäufung umgebenen Gefässen'S wie Rumpf es ähnlich am Rückenmark
eines luetischen Individuums schon früher gesehen hatte; endlich 1 Mal eine durch
das ganze Gtehim gehende Verdickung, Verengerung und Verkalkung der kleinen und
kleinsten Gefasse, bei intacten grossen Gefässen. — Hiemach scheint Rumpf die
Qefässerkrankung der primäre, zu dem fi[rankheitsbilde der Dementia paralytica
f&hrende Process zu sein. — Aebnliches sucht Rumpf für die Tabes wahrscheinlich
zu machen ; es seien die luetischen Erkrankungen des Nervensystems wirkliche Loca-
iisationen des Virus im Nervensystem. Hadlich.
19) IlltuitrationB of syphüitio Disease in the nervous System, by John
Aikmau. (The Glasgow Medical Journal. 1887. Oct. p. 4.)
Die angeführten drei Fälle sollen die Behauptung stützen, dass die groben Lae-
sionen des Nervensystems eher durch eine antisyphilitische Cur beeinflusst werden,
als die feineren; während die ersteren meist das Bindegewebe etc. betreffen, haben
die letzteren mehr in der wirklichen Nervensubstanz ihren Sitz. Die Ursache für
die bestimmte Localisbrung des Giftes ist unbekannt. Eine 40 Jahre alte Frau wird
halb bewnsstlos und gelähmt, in Behandlung genommen. Vor 15 Wochen hatte sie
heftige Kopfschmerzen an Stirn, Nacken etc. Die geistigen Fähigkeiten nahmen seit
jener Zeit ab; man dachte an einen Hirntumor. Nunmehr lag sie somnolent da, das
Gesicht nach rechts verzogen; rechts fand sich Ptosis, während das linke Auge nicht
ganz geschlossen werden konnte. Linke Arm und Hand waren paretisch und die
Empfindung daselbst herabgesetzt. Beiderseits fehlten die Patellarreflexe und es be-
stand ein geringer Fussklonus. Dabei bestand Incontinentia ani et vesicae. Kein
Zeichen von Lues war nachweisbar. Die Frau hatte 4 Fehlgeburten gehabt und vor
2 Jahren an einer Paraplegie gelitten. Vor 20 Jahren wurde sie inficirt und hatte
damals Hautausschläge und Larynxgeschwüre. Die Symptome wiesen auf gröbere
Laesionen, Tumor, Arterienaffection etc. hin; schon eine lOtägige Jodkali-Behandinng
bewirkte ein erhebliche Besserung. Seit 3 Monaten ist Pat. völlig hergestellt. —
Die feineren Laesionen des Nervensystems bei Syphilis äussern sich häufig in Ataxie,
Chorea, nutritiven Störungen etc. Die beiden folgenden Fälle gehören hierher. Ein
33 jähr. Mann hatte sich im Jahre 1867 inficirt, und 1869 secundäre Syphilis. Im
Jahre 1880 litt er an remittirendem Fieber, Torticollis, Unfähigkeit, seine Aufmerk-
samkeit auf seine Arbeit zu concentriren, Abmagerung, Gewichtsverlust. Im Verlaufe
von 6 Monaten schwanden diese Symptome ohne jede Behandlung. 1881 litt er an
Ataxie, Mangel der Patellarreflexe, Impotenz, Torticollis etc. Eine strenge antisyphi-
iitische Cur abwechselnd mit Tonica etc. war erfolglos. Die Ataxie nahm zu. In
einem anderen Falle litt ein 30jähr. Arzt, der sich am Finger inficirt hatte, an Ab-
magerung, Temperaturerhebungen und Atrophie des linken Armes und Beines. Nach
Jodkali trat Besserung ein. Von den feineren Laesionen des Nervengewebes scheinen
dem Verf. die trophischen Störungen weit leichter der Therapie zugänglich als die
hoffnungslose Ataxie, Chorea und andere, bei denen es sich vielleicht um amyloide
Umwandlung des Nervengewebes handelt. Kali seh er.
aO) Contiibution 4 l^ötude de l'hydrooöphalie interne dans la Syphilis
hiriditaire, par la Dr. Georges Sandoz. (Revue mädicale de la Suisse Bo-
mande. 1887. Nr. 12. p. 713.)
- 144 —
Die vier Fälle eigener Beobachtung sind gut gewählt. Die Syphilis ist ent*
weder ans der Vergangenheit von Vater oder Mutter, oder durch Pemphigus, weiter-
verbreitete Erytheme, Papeln u. dergl. des Kindes als unzweifelhaft constatirt. Andere
Krankheiten, auf deren Basis sich der Hydrocephalus internus hätte entwickeln
können, sind ausgeschlossen.
Beigefügt sind noch 5 ähnliche Fälle aus den Beobachtungen von Bärensprung,
die indess nur sehr skizzenhaft veröffentlicht worden sind.
Von den Resultaten welche sich daraus ergeben, ist folgendes bemerkenswerth:
Der Hydrocephalus internus syphiliticus kann schon intrauterin auftreten. In
den Bärensprung*schen Fällen sind ^es Kinder, die im 7., 8., 9. Monat daran zu
Grunde gehen; bei den selbstbeobachteten gehen syphilitische Hauterkrankungen den-
selben voraus, und der Hydrocephalus entwickelt sich im 1., 2., 3. Monat, während
der Tod 1, 3 resp. 4 Monate später erfolgt
Die Symptome des syphilitischen Hydrocephalus bieten nichts besonderes.
Bei der Obduction hat Verf. bei im Allgemeinen verdickten Schädelknochen eine
mehr oder weniger hochgradige Entzündung des Ependyms und der plexus chorioidei
gefunden, die Ventrikel sämmlich stark durch Flüssigkeit ausgedehnt, ihre Wände
dünn etc.
Verf. betont zum Schluss noch einmal, dass es einen Hydrocephalus internus
giebt, der durch hereditäre Syphilis allein erzeugt ist. Sperling.
21) Zur Lehre von den Byphilitisohen Erkrankungen des Centralnerven-
syBtems nebst einigen Bemerkungen über Polyurie und Polydipsie, von
Dr. P. Buttersack. Aus der med. Klinik des Prof. Erb in Heidelberg. (Archiv
f. Psychiatrie. Bd. XVII. H. 3.)
Verf. theilt in sehr ausführlicher Weise einen Fall von syphilitischer Erkran-
kung des Gehirns und Bückenmarks mit.
Es handelt sich um eine 31jährige Frau, weiche Nachts plötzlich mit einem
intensiven Durstgefühl erwachte. Dazu traten in der nächsten Zeit Schwindel, nächtlich
exacerbirende Kopfschmerzen, Erbrechen, Nackenschmerzen, Abnahme des Gehörs und
Denkvermögens; Lähmungen des rechten Nerv, oculomotorius, abducens, facialis, Am-
blyopie, Abweichen der Zunge nach rechts.
Zeichen von durchgemachter Lues fehlten gänzlich, auch Patientin wusste nichts
darüber anzugeben.
Während der 11 Monate dauernden Krankheitsperiode traten nach zweimaligen
starken Jodkaliumkuren wesentliche Besserungen aller Erscheinungen ein; auch die
Polyurie und Polydipsie, welche von Anfang an bestanden hatten, verschwanden nach
einiger Zeit unter der Einwirkung dieses Arzneimittels.
Später wieder Verschlimmerung. 14 Tage vor dem Exitus letalis deutliche
Hemiparese, Hyperästhesien der Arme und des Rumpfes, Nackensteifigkeit. Tod
durch Pneumonia acuta.
Die klinische Diagnose wurde durch die Section bestätigt. Es fand sich eine
Leptomeningitis chronica syphilitica des Gehirns und Rückenmarkes. Syphilisbacillen
waren nicht nachzuweisen.
Vorliegender Fall ist insofern interessant und ungewöhnlich, als sich die luetische
Erkrankung auch auf das Rückenmark erstreckte. Vorzugsweise waren die Nerven-
wurzeln des Halsmarkes knollig verdickt, mit Rundzellen infiltrirt, die Meningen diffus
entzündet, die Gefasse in typischer Weise verändert und die Rückenmarksnerven zum
Theil im Zustande exquisiter Perineuritis.
Verf. bespricht femer den causalen Zusammenhang der Lues mit dem Diabetes
insipidus und das Verhältniss der Polyurie und Polydipsie. Ob die Polydipsie oder
Polyurie als primäre Erkrankung aufzufassen sei, lässt B. unentschieden.
— 145 —
fieim Polydiptiker ist die Zufuhr der Flüssigkeit eine pathologisch gesteigerte,
deshalb muss er auch schwitzen, um die Flftssigkeitsmenge neben der Hamausschei-
dang aus dem Körper wieder zu entfernen. — Beim Polyuriker ist die Abfuhr
abnorm erhöht, deshalb keine Hautperspiration.
Die Richtigkeit dieser Satze weist B. an zwei Kranken durch genaue Mes-
sungen nach.
In Bezug auf die der Arbeit beigegebenen umfangreichen Litteraturangaben,
mikroskopischen Untersuchungen etc. muss auf's Original Terwiesen werden.
P. Seifert.
22) A oase of ohronio Meningitis, probably syphilitio, and oausing pro-
greaaiYe dementia. (The Brii med. Journ. 1887. p. 935.)
Francis Warner und Fletcher Beach berichten über den Sectionsbefund
bei einem 7jährigen Knaben und dessen yorhergegangene Krankengeschichte. Bis
8 oder 9 Mos. vor der ärztlichen Beobachtung war derselbe gesund. Bei der Unter-
suchung: Kopfweh, Weinerlichkeit, gewisse locomotorische Störung; dann zunehmende
geistige Schwäche, Tod.
Die Dura adhärent an einer falschen Membran, von welcher sie jedoch leicht
ablösbar. Hier und da ebenfalls mit der Pia verwachsen. — Meningitis chronica,
wahrscheinlich syphilitischen Ursprungs unter hereditärer Belastung. — Aehnliche
Fälle werden hieran anschliessend von Angel Money nütgetheilt. — Beach hatte
3 ähnliche Fälle unter 1600 aufgezeichnet. L. Lehmann (Oeynhausen).
23) Zar Gasuistik der HimsyphiliB, von Dr. Justus Thiersch. (Münch. med.
Zeitschr. 1887. Nr. 23.)
1. Fall. 12jähr. Mädchen; hereditäre Lues: Monate lang Kopfschmerzen, die seit
Jahren schon vorübergehend auftraten. 11.. September 1886 einige Stunden nach
einem Fall: Erbrechen, Schwindel, Empfindlichkeit der Kackenmuskulatui* ohne Fieber.
Parese des rechten oberen Lids und linken Gaumensegels, starker Stimschmerz.
14 Tage Status idem. Dann innerhalb 5 Tagen folgende Verschlechterung: Links-
seitige Ptosis, Abducensparese, dann Paralyse; Facialis-Paralyse. Entzündung der
linken Conjunctiva, erst nach einigen Tagen Anästhesie im Gebiet des linken Trige-
minus. Böthang und Blasenbildung an der linken Backe, dann ülcera am Zungenrand
und Mundschleimhaut, Nystagmus rotatorius. Verminderung der Hautsensibilität am
rechten Arm und Unterschenkel, später an wechselnden Stellen der rechten Bumpf-
häUle mit leichter motorischer Schwäche rechts.
Während monaüanger antiluetischer Behandlung schwanken die Symptome, erst
nach 3 Monaten schwand der Schwindel und besserten sich die Heerdsymptome.
Von Interesse sind die trophischen Störungen im Gebiet des linken Trigeminus, die
der Anästhesie vorangingen und unabhängig von dieser auch schwanden (Anästhesie
bestand noch weiter). Als anatomische Ursache wird eine Affection des Gangl.
Gasseri angenommen. Localdiagnostisch musste die Annahme eines intracerebralen
Heerdes wegen der grossen Zahl der z. Th. auch doppelseitigen Lähmungen zurück-
gewiesen werden. Ein Ponsheerd (wegen gekreuzter Facialislähmung) müsste sehr
klein sein, da die Extremitätenaffeotion sehr gering. Zudem ist die Affection acut
entstanden und dann die Facialis- und Extremitätenparalyse nicht zugleich. Das
Ueberwiegen der sensiblen Erscheinungen weist auf den Himschenkel. Die Affection
wird daher in die Dura verlegt, und ist ihre Ausdehnung durch die afficirten Nerven
and das Uebergreifen auf das Gangl. Gasseri und den Pedunculus genau bestimmt. —
Durch den Ausschluss von Tuberculose und mit Hülfe der Anamnese wurde die
Affection als luetische erkannt. Nur bleibt das acute Auftreten mit der „diffusen In-
filtration der BindegewebscapiUaren" der Hirnhaut schwer vereinbar.
— 148 —
2. Fall. 32jäl]r. Mann. 1876 laetisch inficirt ohne secund&re Erscheinnngen.
1884 Haatsypbilid, Kopfschmerzen. Anfang 1885 Erbrechen. Vom 2. — 4. April
folgende Erscheinungen: Rechtsseitige Schwäche, dann Paralyse in Arm und Bein,
rechts Mnndfacialis paretisch. Bewnsstsein intact, Schlingbeschwerden, Dysarthrie,
keine Aphasie, Sensibilität intact, Sehnenreflexe beiderseitig schwach. Zongenbewe-
gang fast Null. Sprechen, Schlacken anmöglich. Zuletzt Parese des linken Beins,
Paralyse des linken Arms. Aushusten unmöglich, Ernährung' durch Schlundsonde.
Dann keine neuen Lähmungen mehr, allmähliches Zurückgehen derselben bis von Ende
Juni an der Zustand stationär wird: Gang jetzt spastisch, Sehnenreflexe erhöht Am
linken Oberschenkel anästhetische Zone. Sprache skandirend; zeitweise Aphonie.
Therapeutisch wurden bis Ende Juni 330 Gramm Ungu. ein. und 300 Gramm
Jodkali gebraucht, wonach zwar noch das Allgemeinbefinden gebessert, sonst aber
keine Besserung erreicht wurde. — Thiersch nimmt als Ursache der als apoplectische
Bulbärparalyse yerlaufenden Affection eine Thrombose der Art. basilaris und deren
Verzweigungen in der MeduUa obiongata an, dessen luetische Basis durch den Mangel
You Arteriosklerose und das Bestehen des Hautsyphilids wahrscheinlich gemacht wurde.
3. Fall. 27jähr. Fabrikarbeiterin. 1883 und 84 wiederholt an Lues behan-
delt Seit Januar 1887 Polyurie. März 1887 kurz nach einander 2 Anfalle Yon
Extremitätenlähmui^ (ohne Bewusstseinsstörung). Seitdem rechts Facialis- und Hypo-
glossus-Parese, keine Aphasie. Rechter Arm total schlaff gelähmt, rechtes Bein etwas
beweglich. Incontin. urinae. Sensibilität intact — Antiluetische Kur. Die Läh-
mungen gehen in 14 Tagen zurück. Polyurie bleibt dauernd. — Thiersch nimmt
hier durch Thrombosirung infolge luetischer Gefösserkrankung eine Affection am Boden
des 4. Ventrikels an. Die 3 Fälle, in denen Hg. und Jod zugleich applicirt wurden,
sollen bestätigen, dass auch schwere Formen von Gehunsyphilis durch energische
antiluetische Therapie gebessert werden können. Popper.
24) Hystörie merourielle, par M. Louis Guinon, interne des höpitaux. (Gazette
m6d. 1887. Nr. 48.)
•
Ein öOjähriger Mann, der von Jugend auf in Spiegelfabriken gearbeitet hatte,
ohne hereditäre Belastung, ohne Syphilis, bis dahin nur an vorübergehender Salivation
erkrankt, bekam 1880 eine heftige Quecksilberintoxication, dabei leichtes Zittern der
Glieder, besonders links, mit linksseitiger Schwerhörigkeit und taubem Gefühl in den
Fusssohlen. — Bei Landaufenthalt trat nach 6 Monaten Heilung ein. — 1888 neuer
Anfall von viel schwererer Art mit Paralyse resp. Parese des rechten Beines und
linken Armes, Anästhesie an den Beinen und am linken Arm u. s. w. (ähnlich dem
späteren dritten), war von 1884 — 86 in Krankenhäusern und konnte erst Ende 1886
wieder arbeiten. Doch traten bald wieder Intoxicationserscheinungen auf, zumal da
Patient, gegen das lästige Zittern, ziemlich viel Alkohol trank. Ganz plötzlich kam
es zu einem heftigen Anfall allgemeiner Krämpfe und März 1887 wurde in Folge
dessen Patient im Hotel Dieu aufgenommen.
Status praes. Kräftiger, aber sehr magerer Mann mit guter Intelligenz, aber
ungemein grosser Erregbarkeit: er geräth in heftiges Zittern, wenn ihn Jemand nur
ansieht, und auf der Strasse ängstigt er sich so, dass er mehrmals vor Zittern und
Schwäche umgefallen ist Wenn Pat allein ist, zittert er nicht, aber beim Sprechen
alsbald so stark, dass der Unterkiefer und die Zunge nebst allen Gliedern in heftiges
Zucken geräth. Gehen und Stehen ist fast unmöglich. Mit der linken Hand (Pat.
ist linkshändig) kann er Nichts greifen oder halten, mit der rechten Hand dagegen
ziemlich gut. Dabei bestand complete linksseitige sensible und sensorielle Anästhesie,
rechts herabgesetzte Sensibilität; Hyperästhesie der Wirbelsäule, des Nackens und
des Scheitels. — Keine spontanen Schmerzen. Pupillen normal. Einengung des
Gesichtsfeldes und centrales Scotom für grün und gelb: Alles stärker links wie rechts.
— 147 —
— Durch YerBChiedene Anlässe kann man heftige Rrampfanfalle bei dem Fat. her vor-
rufen, die jedoch den rechten Arm ziemlich frei lassen. — Seit 1880 bestand
Impotenz.
Vom April bis August wurde Fat. mit Hypnotisirnng (Suggestion) und Appli-
cation eines Magneten behandelt, wobei die Anästhesie anfangs durch lYansfert ver-
ändert, dann ganz beseitigt und aUe Symptome so sehr gebessert resp. geheilt wurden,
dass im Anglist der Kranke kaum wiederzuerkennen war.
Hervorzuheben ist, dass Verf. entgegen der Ansicht Charcot*s und Anderer,
wonach die merkurielle (und satumine, alkoholische etc.) Hysterie eine latente gewöhn-
liche Hysterie ist, welche nur durch die Gtolegenheitsursache der Quecksilber-Intoxi-
kation manifest wird, dass, sage ich, dem gegenüber Verf. behauptet: „Diese Hysterie
ist das directe Resultat der Intozication allein; sie existirt ganz für sich ohne
irgend welche hysterische nervöse Prädisposition; sie ist rein toxisch, symptomatisch.''
(Sie hat dann allerdings nur noch den Namto mit dem sonst Hysterie genann-
ten Symptomencomplex gemein und es dürfte richtiger sein — wie es in Deutsch-
land geschieht — die Bezeichnung „Hysterie" auf diese Intoxications-Neurosen nicht
anzuwenden. Ref.) Hadlich.
in. Aus den Oesellsohaften.
Aoadömie des scienoes, Paris. Sitzung vom 17. October 1887.
Brown-S6quard: Dualitö du oerveau et de la mobile öpinidre, d'aprte
des ftdts montrant, que l'anösth^ie, rhyperästhöaie, la paralysie et des
etats ▼ariös d'hypothennie et d'hyperthermie dus 4 des lösions organiques
du centre cöräbrospinal, penvent dtre traasfirös d'un oötä 4 l'autre du
oorpe. — B.-S. hat schon seit Jahren auf Erscheinungen hingewiesen, die obigen
Satz erweisen sollen, und stellt jetzt folgende Thatsachen zusammen: I. Wenn man
(bei Hunden) eine halbseitige Durchschneidung des Fedunculus, Pens oder der Me-
dulla oblongata ausführt, bekommt man Anästhesie der entgegengesetzten, Hyperästhe-
sie der gleichseitigen Extremitäten; macht man hierauf eine halbseitige Durchschnei-
dung des Dorsalmarks auf der der Himbasisoperation entgegengesetzten Seite, so
wird das vorher anästhetische Glied nicht bloss wieder empfindlich, sondern hyper-
ästhetisch, während das hyperästhetische mehr oder weniger vollständig anästhetisch
wird. — Ein „Transfert" analoger Art findet statt, wenn man den hinteren Theil
der Capsula interna (rechts) durchschneidet (Anästhesie links), und dann, da hier-
nach nur selten Hyperästhesie der gleichseitigen Extremitäten (rechts) auftritt, ent-
weder an der Basis cerebri oder im Oervicalmark eine zweite halbseitige (rechts)
Durchschneidung macht; dies führt fast immer zu rechtsseitiger Hyperästhesie der
Extremitäten. Führt man nun eine halbseitige Durchschneidung linkerseits in der
Höhe des neunten oder zehnten Dorsal wirbeis aus, so tritt Transfert ein: die An-
ästhesie erscheint rechts, die Hyperästhesie links an den Extremitäten.
II. In ganz entsprechender Weise wird dorch einen solchen zweiten Schnitt
durch die andere Hälfte des Rückenmarks, die durch einen ersten halbseitigen Quer-
schnitt erzeugte Paralyse umgekehrt. — Bei Fröschen sah B.-S. femer, wenn er
erst die eine Grosshimhälfte (rechts) abtrug und damit Paralyse (Parese) der linken
Extremitäten sowie eine Erafbzunahme der rechten Seite erzeugt hatte, diese Erschei-
nungen sich ausgleichen, wenn er danach die linke Grosshimhälfbe entfernte.
m. Nach Durchschneidung der einen Hälfte des Cervicalmarks (rechts) tritt
Hyperthermie der gleichseitigen Extremitäten (rechts), Hypothermie der anderen Seite
(links) auf; wird hierauf die linke Rückenmarkshälfte (Höhe des sechsten Dorsal-
wirbels) durchschnitten, so tritt Transferi der Temperaturverhältnisse ein.
B.-S. glaubt, dass diese Beobachtungen es nicht gestatten, noch femer anzu-
nehmen, dass die rechte HimhSlfte für die linke Körperseite, die linke für die rechte
— 148 —
Körperseite die Functionen der Bewegungi Sensibilität und der vaso-motoriacben Er-
scheinungen vermittle, sondern dass jede der beiden Uimhälften allen beiden Körper-
hälften fflr jene Functionen dienen könne; dasselbe gilt entsprechend für das Blicken-
mark, d. h. in Bezug auf Sensibilität und Taso-motorische Erscheinungen. Und
femer glaubt B.-S., dass die durch eine halbseitige Durchschneidung gesetzten Fonc-
tionsstörungen nicht durch die Zerstörung der jenen Functionen dienenden Theile
hervorgerufen werden, sondern durch eine ,,Inhibition'', welche auf andere Theile des
Gehirns oder Bückenmarks ausgeübt wird; die Inhibition in Folge der zweiten Ope-
ration (halbseitige Durchschneidung anf der anderen Seite) mft dann den Transfert
hervor.
Sitzung vom 7. November 1887.
Jud6e: Aotion du systdme nerveux aur la produotion de la salive.
Yulpian und -Gley haben unter verschiedenen Umstanden reichliche Salivation be-
obachtet bei Beizung des centralen Endes des N. ischiadicus: ersterer durchschnitt
vorher die Chorda tympani und erzeugte eine reichliche Absonderung von dicklichem,
fadenziehendem Speichel (sympathischem Speichel). Gley dagegen entfernte das
(Ganglion cervicale superius, liess aber die Chorda intact und sah bei darauf folgen-
der Ischiadicus-Beizung reichlichen wässrigen Speichelfluss (normalen Speichel). Bei
letzterem Versuch wird von der MeduUa aus das Ganglion submaxillare, welches der
eigenüiche Erreger der Drüsentbätigkeit ist, in Action gesetzt, resp. durch Inhibition,
„ohne welche es keine normale Secretion giebt", eine Dilatation der Drüsenzellen
und dadurch die gewöhnliche Speicbelabeonderung bewirkt. Bei Ynlpian's Versuch
bringt die anf den Sympathious — vom Ischiadicus her durch die Mednlla *-<• über-
tragene Beizung durch excito-motoriscbe Nerven eine Contraction der Drüsenelemente
— schleimig-dicker Speichel — zu Stande.
Sitzung vom 5. December 1887.
L. de Saint-Martin: Binfliiss des natürlichen und des künstlichen
Schlafes auf die Bespiration. Nach einer im Laboratorium des Professor Beuget
ausgeführten Arbeit hat Verf. gefunden, dass 1) während des natürlichen Schlafes —
und unabhängig von dem Zustande des Fastens — die Menge der ezhalirten Kohlen-
säure etwa um Vs» ^^^ des absorbirten Sauerstoffs nur um ^/]^ erniedrigt ist;
2) während des Morphium-Schlafes die Kohlensäure-Exhalation auf die Hälfte,
während des Chloral- und Chloroform-Schlafes auf Vs ^^^ derjenigen des normalen
Zustandes fallt;
3) während einer genügend langen Chloroform-Narcose das Blut an Sauerstoff
verarmt und sich mit Kohlensäure überladet. Uadlich.
Sooiötö de Biologie, Paris. Sitzung vom 15. October 1887.
Ch. F^r^: Ein Fall von Nystagmus-Sohwindel bei einem Epileptiker.
Ein 55jähriger Mann, der seit seinem 43. Jahre an Epilepsie leidet, hat nach den
Anföllen lateralen Nystagmus nach rechts, der sich in den Intervallen verliert.
Ausserdem aber hat er sowohl bei seiner Arbeit (er ist Schneider), wie auch beim
Spazierengehen, wenn er seine Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Funkt richtet,
Nystagmus- Anfälle, wie er glaubt nach rechts, bei denen Schwindel und ein Gefühl
von Schwingungen (nicht Drehungen) im ganzen Körper auftritt, dass er sich fest-
halten und die Augen schliessen muss, um nicht zu fallen. Niemals verliert Patient
dabei das Bewusstsein, und unterscheidet genau diese Anfalle von dem epileptischen
Schwindel, an welchem er auch leidet — F6re möchte diese eigenthümlichen
Nystagmus-Anfälle in eine Beihe stellen mit den anfallsweisen Muskelzucknngen,
welche man bei manchen Epileptikern beobachtet. (Man vergl. auch dies. Centralbl.
1887 Nr. 20. S. 487.)
— 149 —
Sitsung vom 5. November 1887.
Eng. Dupny: Zur Physiologie des Kleinhirns. Wenn man das ganze
Cerebellnm ganz symmetrisch fortnimmt, so treten weiter keine motorischen Erschei-
nungen anf, als eine sehr bedeutende Abnahme der motorischen Kraft, eine viel be-
deutendere, als nach Abtragung der Grosshimhemisphären; es dürfte dies vielleicht
dadurch ^ zu erklären sein, dass die CirculationsstGrungen in der Medulla oblongata
nach der Abtragung des Cerebellum grössere sind, als nach Entfernung des Grosshims.
Sitzung vom 12. November 1887.
Pilliet Histologische Verttnderungen nach sabacuter Morphiomver*
giftnng fand F., indem er drei Wochen lang Hunden Morphium injicirte und zwar
jeden zweiten Tag um 0,01 mehr: es waren Yerfettungsprocesse im Grehim- und
Lebergewebe, welche etwas Specifisches nicht hatten.
Sitzung vom 26. November 1887.
Mairet und Combemale haben Antipyrin als Schlafmittel bei (Geistes-
kranken versucht; unter 4 g keine Wirkung, doch versuchten sie^ Dosen bis 6 und
bis 8 g. Der Erfolg war ziemlich negativ, besonders bei aufgeregten Kranken, bei
seniler Dementia und bei allgemeiner Paralyse; einige Erfolge sahen die Vortragen-
den bei Alkoholisten und ziemlich gute bei Epilepükern, aber doch weniger sichere
als nach Chloral mit Digitalis.
Sitzung vom 10. December 1887.
F6r^: „Ueber die allgemeinen Wirkungen der Erregungen der Sinnes-
ozgane, und die rückwirkenden Binflüsse der sensoriellen Erregungen.*^
Wie Daval gezeigt hat, giebt es amaurotische Hysterische, die, wenn man jedes
Auge pr&ft, total blind und ohne. Farbenempfindung sind, die aber, wenn man beide
Augen gleichzeitig öfoen Iftsst, noch nothdürftig sehen und alle oder fast alle Farben
onterscbeiden können. Diese Verstärkung des Sinnesorgans einer Seite durch das
der anderen findet sich auch bei normalen Personen, wenn auch in viel geringerem
Grade als bei Hysterischen; und es findet sich ausserdem, dass die Thätigkeit des
einen Sinnes die eines anderen verfeinert, wie z. B. bei Affection des Muskelsinns
die Bewegongen richtiger werden durch einfaches Augenöffiien (ohne Blickcontrole),
schlechter bei Augenschluss (Duchenne und Charcot) und Aehnliches. — F6ri
hat nun folgondes merkwürdige Schauspiel vcm rückwirkender Versch&rfuBg der
Sinnesempfindung beobachtet. Er brachte — mit entsprechenden Yorsichtsmassregeln
— Schriftzeichen auf weissem Papier an und stellte sie in so grosser Entfernung
auf, dass die Beobachtungsperson sie sicher nicht mehr erkennen konnte; wenn er
nun gleichzeitig, indem er die Schriftzeichen bedeckte, eine andere sensorielle Er-
regung (des Gehörs, Geruchs, oder eine Bewegung) verursachte, so konnte nun nach-
träglich die Versuchsperson angeben, welche Schriftzeichen auf dem jetzt bedeckten
Papier standen, obwohl sie die unverdeckten nicht erkennen konnte. Die betreffenden
Hfilfs-Sinneserregungen dürfen aber nur von massiger Intensisät sein; heftige Er-
regungen wirken umgekehrt abschwächend, selbst ganz vernichtend auf die zur Unter-
suchung stehende Sinnesempfindung, ja, sie können sogar (Choc bei Wunden z. B,)
rückwirkend Sinnes-Amnesie erzeugen.
Sitzung vom 17. December 1887.
Laffont: Ck>oaIn-Wirknng. — Vasoulftrer Antagonismus des Cocains
und PQooariiins. Die Besnltate seiner Arbeiten veranlassten L., das Cocain mit
dem Curare zu vergleichen: beide wirkten exdto-medull&r, beide liesseu die Nerven
in ihrem Yerlanfe intact; dieses lähme die motorischen Endplatten und die GeHus-
nerven, jenes die sensiblen Nervenendigungen und errege die Gefässnerven und die
platten Muskelfasern.
— 150 —
J. DejeriBe: Bin Fall von Oooaln-Vergiftong. Ein 26j&hriger Zahnarzt
hatte sich 6 Wochen lang Cocain injicirt, von 0,01 pro dosi bis zn 0,5 steigend.
Eines Abends hatte er sich 1 grm auf ein Mal injicirt and war danach alsbald wie
vom Blitz getroffen umgefallen. D. fand ihn in starker allgemeiner Mnskelstarre, Pnlfi
120, Athmnng etwas beschleunigt, Augen geschlosseu, Papillen dilatirt und reactions-
los, vollständige Hautanästhesie, Bewusstlosigkeit. Ziemlich plötzlich kam er wieder
zu sich, war dabei leicht erregt, zeigte Photophobie, die einzelnen Erscheinungen ver-
loren sich dann nach und nach and es trat (Zeitfrist?) normaler Zustand ein. Der
Cocalnomane gab an, ein besonderes Wohlgefühl und wollüstige Empfindungen, die
bisweilen von einer Ejaculation gefolgt wurden, nach jeder Iigection zu haben.
Sitzung vom 16. Januar 1888.
Ch. F^r^: De l'ötat des foroes ehez les öpileptiques. Bei 100 Gresun-
den fand F^r^ dynamometrisch den Druck der rechten Hand (Durchschnitt) 63, bei
linken Hand 48; bei 100 Epileptischen dagegen 36 resp. 32. — Die postepilep-
tische transitorische Paralyse ist häufig beobachtet. F6r^ hat nun weiter Folgendes
ermittelt: 1. Bei 13 Epileptischen fand er eine Herabsetzung der Kraft, wenigstens
auf einer Seite, während der Aura, und zwar um 19^/^ rechterseits, um 22^/^ linker-
seits. — 2. Nach den Anfällen fand er — bei 75 Epileptischen — im Mittel eine
Schwächung der Kraft um 21% rechts, um 23^/^ links; bei einigen Kranken betrug
sie bis 70%; bei solchen, die sehr schnell nach dem Anfall wieder zu sich kamen,
ist sie am geringsten, 2 — 3^/^. — 31 Mal war sie rechts. 44 Mal links stärker. —
3. Auch nach Schwindel- und Ohnmachtsanfallen ohne Krämpfe war eine Vermin-
derung der Kraft zu constatiren, im Mittel um 30 (rechts) resp. 27 ^/^ (links) sofort
nach dem Anfall, um 18 resp. 14 ^/^ eine Viertelstunde später. Bei einem Kranken,
der nach dem Anfall an Hallucinationen litt, fand sich eine Vermehrung der Kraft
um 15 resp. 24 ^Z^; dagegen eine Verminderung um 30 resp. 50 ^Z^, wenn diese
psychischen Störungen ausblieben. — Etwas geringer ist die postepileptische Einbnsse
an Kraft bei Krampfanfällen ohne Verlust des Bewusstseins. — 5. Frühestens
^Zs Stande nach dem Anfall hat sich der anfängliche Kräffceverlust wieder ausge-
glichen, mitunter aber erst nach 24 Stunden. Hadlich.
Berliner medioinisohe GlesellBohaft. Sitzung vom 15. Februar 1888.
Herr Karewski „über die praktiaohe Verwendbarkeit der Erythro-
phlöin- Anästhesie.'' ^ Bei gesunden Menschen rufen subcutane Iiyectionen eine
locale Anästhesie hervor, die jedoch individuell etwas verschieden ist, bei 0,0005 gr
unsicher, bei 0,0025 — 0,005 gr sicher ist, nach 20—40 Minuten eintritt, 3—12
Stunden anhält, mit recht unangenehmem Schmerz und ziemlich heftigen localen Beiz-
erscheinungen einhergeht. Es tritt jedoch keine vollständige Empfindungslosigkeit
ein, sondern die Berührungen u. s. w. werden, wenn auch ungenau, gefühlt, sind aber
vollkommen schmerzlos, selbst tiefe Nadelstiche; es handelt sich also um eine Anal-
gesie. — Allgemeinerscheinungen hat Karewski bei obigen Dosen nicht beobachtet»
der Puls war ganz unverändert. Die Analgesie reichte kaum etwas — 0,5 cm —
über den Umfang der von der Injectionsflüssigkeit getroffenen Stelle hinaus.
Herr Karewski hat femer die Erythrophlöin-Anästhesie bei kleinen Operationen
versucht und gefunden, dass in acut entzündeten Gewebe (z. B. bei einem Furunkel)
das Mittel nicht wurksam ist; im übrigen ist die Wirkung mutatis mutandis gleich
der des Cocains d. h. die Patienten fühlen alle Angriffe der Instrumente, empfinden
aber gar keinen Schmerz, besonders bei künstlicher Anaemie des betreffenden Theils.
» Cf. d- Ctrlbl. 1888. Nr. 4. S. 117.
— 161 -
M Neuralgien hat Karewski von 0,0025 — 0,005 gr 1 Mal oder 2 Mal paren-
chjmatds, nicht subcutan, injicirt, recht gute Erfolge gesehen; für Operationen scheint
08 ihm wegen der Schmerxhaftigkeit der Injection selbst wenig verwendbar.
Hadlich.
IV. Bibliographie.
Die Irreaklinik der Universitftt Leipsig und ihre Wirkaamkeit in den
Jahren 1882—1886, von Prof. Dr. Flechsig. Mit 2 Planen. (Leipzig 1888.
Veit k Comp. 66 Seiten.)
Die vorliegende Schrift hat insofern ein erhebliches historisches Interesse für
die deutsche Psychiatrie, als sie das GrieBinger*sche „Stadtasyl" betrifft, dessen
beabsichtigte Ausführung die deutschen Irrenärzte 1868 beinahe einstimmig (nur
Kinecker, Leidesdorf, Westphal und der Bef. bildeten die opponirende Minorität)
verworfen hatten.
Auf die Einrichtung der Klinik, die ja wohl der grössten Zahl der Psychiater
aas eigner Anschauung bekannt ist, brauchen wir hier nicht näher einzugehen; ihre
Beschreibung umfasst die ersten 28 Seiten der Schrift.
Was die Leistungen der Klinik betrifft, so bespricht Verf. gesondert diejenigen
als Irrenanstalt und diejenigen als Klinik. Wir heben in erster Beziehung hervor,
dasB in dem Zeiträume vom 17. April 1882 bis 31. December 1886 1894 Kranke
aufgenommen worden sind, worunter 220 M. und 64 Fl*, an Dementia paralytica
leidend, 306 M. 13 Fr. an Alkoholismus, 5 M. an Bleüntoxication, 5 Fr. au'Schwefel-
kohläistoffvergiftung.
Auffallend erscheint die grosse Zahl der geheilten Paralytiker; es sind 7; eine
Zahl, die mit den bisherigen Erfahrungen nicht übereinstimmt. Wir werden uns aber
in dieser Beziehung erst ein Urtheil bilden können, wenn der Verf. die FäUe, wie
wir hoffen, ausführlicher mittheilen wird.
Wir müssen übrigens auf die Leetüre des Abschnittes über „die Kritik der
Behandlungs-Besultate" besonders hinweisen, die nach mehrfacher Bichtung Beher-
agenswerthes enthält.
Auch der folgende Abschnitt über das „Klinische'', der in gedrängter Kürze
neben den äusseren Verhältnissen den Plan des Unterrichts und die Aufgaben des-
selben in der Psychiatrie entwickelt und eine Beihe von anregenden Gedanken und
Andeutungen in Bezug auf die Bedeutung der Gefössvertheilung im Hirn für die
Entstehung von psychischen Erkrankungen enthält, entzieht sich dem Beferat; er
soll gelesen werden.
Der Gedanke Griesinger*s war gut und fruchtbar; dafür spricht die Erfahrung,
wie sie in diesem Bericht niedergelegt ist!
Die Auisstattung ist gut, die Tafeln, welche den Grundriss der Irrenklinik dar-
stellen, sind wohlgelungen. M.
Schlaf und Traum. Eine populär wissenschaftliche Darstellung von Dr. Friedrich
Scholz, Director der Kranken- und Irrenanstalt zu Bremen. (Leipzig 1887.
Verlag von Ed. Heinr. Mayer. 70 Seiten.)
Der „Diätetik des Geistes" des Verf., auf die wir im vorigen Jahre (d. Ctrlbl.
1887. S. 239) aufmerksam machten, ist jetzt eine andere Schrift gefolgt, die zwar auch
in erster Beihe für Laien bestimmt, aber auch für den Fachmann von Interesse ist
und schon wegen der anziehenden Sprache mit Vergnügen gelesen wird. Der dritte
Abschnitt: die Schlaflosigkeit und ihre Verhütung, enthält viele beherzigenswerthe
Winke. Die Ausstattung ist gut. M.
— 152 —
Lehrbuch der Erankeiten des Bückenmarks und Gtohims sowie der all-
gemeinen Neurosen, von Seeligmflller. (Erste Abtbeilang 1886, zweite Ab-
theilüng 1887. Braonschweig^ Verlag Yon Fr. Wreden).
Das obige Werk bildet einen Bestandtheil der bekannten Wreden*schen ,,Samm-
lang kürzer mediciniccher Lehrbücher'S wodurch Umfang und Art der Dar-
stellung yon vornherein in gewisse Grenzen gebannt waren. Innerhalb dieser Grenzen
leistet das Buch ganz Vortreffliches und ist zur Orientirung für Aerzte und Studi-
rende auf dem neurologischen Specialgebiete in hervorragender Weise geeignet. Es
beginnt mit einer ^^allgemeinen Uebersicht über Bau und Function des
Cerebrospinalsystems", darauf folgen die Krankheiten des Bückenmarks
(physio-pathologische Einleitung; Krankheiten der Bückenmarkssubstanz) — Krank-
heiten des verlängerten Marks — Krankheiten des Gehirns (physio-patho-
logische Einleitung und topische Diagnostik; Erkrankungen der Gehirnhäute, Krank-
heiten der Gehimsubstanz) — und endlich die allgemeinen Neurosen. Letztere
sind mit besonderer Ausführlichkeit abgehandelt; wir finden hier ausser der Neu-
rasthenie und Hysterie mit ihren besonderen Formen noch Katalepsie, Hypno-
tismus, Epilepsie und Eclampsie, Chorea, Myoclonie, saltatorischen
Reflexkrampfy Tremor, Paralysis agitans, Tetanie, Myotonie, und als
Anhänge die toxischen und syphilitischen Nervenerkrankungen. Man könnte
diese Zusammenstellung vielleicht etwas bunt finden; allein wer sich jemals an einer
rationellen Eintheilung und Classification der Nervenkrankheiten versucht hat, der
weiss, dass die Schwierigkeiten hier geradezu unüberwindlich sind und dass, wie man
es auch anfange, stets ein nicht aufgehender Best bleibt, der im Interesse erwünsch-
ter Vollständigkeit schliesslich irgendwie und irgendwo unfeergestopft wird.
Einzelnes hervorzuheben, ist an dieser Stelle kaum möglich; doch sei auf die
ganz angezeichneten Abschnitte über allgemeine Symptomatologie und Ge-
hirnkrankheiten und über Hirnlocalisation hingewiesen, welche diese schwie-
rige Materie vollständig beherrschen und bei aller gebotenen Kürze doch nichts prac-
tisch Wichtiges und Brauchbares vermissen lassen. Wie hier, so ist auch in allen
übrigen Theilen des Werkes dem Bedürfnisse der grossen Mehrzahl ärztlicher Leser
in verständnissvoller Weise Rechnung getragen. Ueberdies zeichnet sich das Seelig-
müll er'sche Buch durch eine grosse Klarheit und nicht selten durch herzerfreuende
Frische, ja man kann sagen durch eine gewisse Naivetat der Darstellung aus —
eine in unserer Zeit und bei einem wissenschaftlichen Stoffe doppelt seltene Erschei-
nung; es bietet, von der Belehrung ganz abgesehen, in manchen Abschnitten eine
wahrhaft angenehme Leetüre, wie etwa ehedem Niemeyer*s berühmtes Lehrbuch, an
welches Seeligmüller auch mit Recht in seiner Vorrede erinnert. — Zahlreiche Holz-
schnitt-Illustrationen, ein die wichtigsten Quellen umfassendes Litteratur-Verzeichniss
und ein beigegebenes Sachregister erhöhen die Brauchbarkeit des gut ausgestatteten
Buches. A. Eulenburg.
V. Personalien.
Dr. Anton Bumm, bisher Director der Kreisirrenanstalt Deggendorf, wurde
zum Director der Kreisirrenanstalt Erlangen ernannt.
IV. Vermischtes.
Die ophthalmologische GesellBchaft (Heidelberg) wird in der zweiten Angnetwoche d. J.
ihr 25jährigeB Bestehen dadurch feiern, dass sie die Augenärzte aller Länder auffordert» ihren
Sitzungen beizawohnen, um dadurch den Congress zu einem internationalen zu erweitem
(der letzte internationale ophthalmologische Congress war 1880 in Mailand). GeBehäftsführer
sind die Herren Becker (Heidelberg), Hess (Mainz), Stilling (Stnunburg).
Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobb & Wittig in Leipzig.
Neurologisches Centr alblah.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter "" ^^ Jahrgang.
■ ^^^^^^^mm, ■ ■ ^ ■ » — ^ I I ^^^■— .■■■■■■■■I 1M|. -■ - -■■■■-. —■■■■»■ -_ ■■■— -^ Mll^
Monatlieh erscheinen zwei Kammern. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zn beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1888. 15. Mftrz. M 6.
Inhalt. I. Originalmittheilung. Ueber die Erregbarkeit einzelner Faserbündel im
Rückenmark neugeborener Thiere, von Prof. W. Bechterew.
tl. Refferate. Anatomie. 1. Versuch zur Ermittelung' der Homologien der Fissura
parieto-occipitalis bei den Carnivoren, von Flesch. — Experimentelle Physiologie.
2. tftber den Einfluss des Sympathicus auf die Vogelpupille, von Jegorow. 3. Ueber die
Grösse des Eiweissumsatzes bei abnorm gesteigerter Nahrungszufuhr, von Bleibtreu. — Pa-
thologische Anatomie. 4. Secundäre Degenerationen nach tuberculöser Zerstörung des
Pons, Yon Gebhard. 5. Syringo-Myelia, von Silcock. — Pathologie des Nervensystems.
6. Zur Pathologe der centralen £ehlkopflähmungeii, von Elsenlohr. 7. Beitrag zur Aetiologie,
Symptomatolog'le und Therapie der Tabes dorsaUs, von Hoffmann. 8. Zur Gasuistik der 6e-
theihgung der peripherischen Nerven bei Tabes dorsualis, von Nonne. 9. Ueber multiple
Himnervenlähmung, von Unverricht. 10. Ein Fall von Blepharospasmus, von Schubert.
11. Beumatisk tic convnlsif med förijockning af nervi facialis stam, af Menschen. 12. Tics
eonvnlsifs et bjst^e, par Quinon. 13. Paralysis of the fifth cranial nerve, bv Ferrier. 14. Du
röle de la pr^disposition nerveuse dans l'^tiologie de la paralysie faciale dite „a frigor6",
par NeunMiiin. 15. Ein merkwürdiges Sensibilitätsphänomen, von Jacobl. 16. Les tremblements
prae- et posth^mipl^giques et leurs rapports aveo les affections c^r^brales, par Stephan.
17. B^flexions etc., par Souza-Leite. — Psychiatrie. 18. La folie ^rotique, par Ball. 19. Des
däires mnltiplea et des intoxications d'origine differente chez le mcme individu, par PIchoh.
20. Monde dee r^ves, le rdve, Thallncination, le Soronambulisme, et PHypnotisme, riUusion,
les Paradies artificiels, le Bagle, le (^erveau et le B6ve, par Simon. 2t. Des intervallcs
hicides eonsid^res dans lenra rapports avec la capacit^ civile des sAÜn^s, par R^gis. 22. Di
nn caso di follia communicata, pcl Funa|oli. 23. A case of Melanoholia presenting some ex-
ecptional festnres, prolonged rerosal of food and forced alimentation, by Adam. 24. Preai-
dential addreas at the annual meeting of the medico psychological association, by Savage.
25. Iropressiona d'un buveur d'Opium, par Luys. — Forensische Psychiatrie. 26. Be-
fund und Gutachten über den der Brandlegung angeklagten L. Fr., 18jährigen Wirthschafts-
gehfilfen aus M., von Pick. — Therapie. 27. SyphiBs of the nervous system and its treatment,
by Gray. 28. De l'action de l'antipyrine dans T^pilepsie, par Lemolne. 29. On the use of
Stryehnine as a Hypnotic, by Brunton. 80. Die Massage in der Neuropathologie, von Bum.
31.'üeber Amylenhydrat als Schlafmittel, von Avellis. 82. Tbc treatment of sea-sickness, by
SkiBMr. 83. Kemarks on ten consecutive cases of Operations upon the brain and cranial
cavity to iltnstrate the details and safety of the method employed, by Horsley.
in. Ans den Gesellschaften. Academie de m^declne, Paris. — Medicinische Gesellschaft
in Stnaebni^. — Aneserordentlidie Sitzung der Soci^ de m^decine mentale de Belgique.
IV. Bibliographie. Ueber irre Verbrecher, von Moeli. — Compendium der gerichtlichen
Medicini Ton Guder.
V. VermiscMes.
10
— 154 -
I. Originalmittheilungen.
üeber die Erregbarkeit einzelner Faöerbündel im
Rückenmark neugeborener Thiere.
Von Prof. W. Bechterew in Kasan.
Bekanntlich zählt man die Anwendung des elektrischen Stromes zu den
besten Mitteln, um die Erregbarkeit verschiedener Himtheile zu bestimmen;
nur erschwerte bis jetzt die Untersuchung einzehier, besonders tief gelegener
Theile des GentralnerTensystems der Umstand, dass es fast unmöglich war, den
Einfluss des Stromes auf seine anatomisch scharf b^renzten Gebiete zu be-
schränken. Diese Bemerkung ist nicht ohne Bedeutung, auch in dem Fall,
wenn man die Erregbarkeit der weissen Substanz des Rückenmarks unter-
suchen will.
Erwägend, dass die Untersuchungen über die Erregbarkeit einzelner Theile
der weissen Substanz des Rückenmarks nur unter der Bedingung auf besondere
Genauigkeit Anspruch machen können, wenn man im Stande ist, am lebenden
Thiere schon die Wirkung des Stromes auf die einzelnen Faserbündel irgend-
wie zu begrenzen, unternahm ich diesbezügliche Versuche an neugeborenen
Thieren, deren Rückenmark sich noch in der Entwickelungsperiode befindet
Schon die bei der Entwickelung der psychomotorischen Centra neugeborener
Thiere constatirten Thatsachen beweisen, dass die Erregbarkeit dieser Centra, sowie
der unterliegenden weissen Substanz mit der Markscheidenbildung der Nerven-
fasern des Pyramidenbündels eng zusammenhängt^ Ein gleiches Abhängigkeits-
verhältniss, wie ich mich durch zahlreiche Versuche überzeugen konnte, findet
man auch in Bezug auf die Erregbarkeit anderer Theile des Centralnerven -
Systems bei neugeborenen Thieren. Auf Grund dieser Versuche kann ich end-
gültig behaupten, dass alle bei erwachsenen Thieren erregbaren Theile
des Centraluervensystems bei neugeborenen unerregbar sind, so
lange sie noch keine Markscheide besitzen.
Es ist also klar, dass bei neugeborenen Thieren die Bewegungserscheinungen
während der Reizung mitteist des Stromes dieses oder jenes Nervensystem-
gebietos mit deu Leitungsbahueu in Verbindung zu bringen sind, welche schon
myelinhaltige Fasern aufweisen. Da ich mich andererseits überzeugt habe, dass
bei Thieren, wie auch beim Menschen, die Markscheidenbildung bündelweise,
und bei den verschiedenen Fasersystemen in verschiedenen Entwickelungsperioden
vor sich geht, so wird es verstandlich, welche wichtige Bedeutung die Unter-
suchung der Erregbarkeit der verschiedenen Theile der weissen und grauen Snb-
* Vgl. meine Arbeit „Ueber die Erregbarkeit der motorischen Zone der Grosshimrinde
bei den neogeborenen Thieren" im Wratsch (russiscb) und im Arch. Slaves de Biologie 1886.
S. aach die Arbeiten von Soltmamn (Jahrb. f&r Kinderheilkunde. 1876. Bd. IX) and von
Tabchahoff (Bevne mensaelle. 1876^.
— 166 —
stanz neugeborener Thiere bei gleichzeitiger anatomischer Erforschung der ent-
sprechenden Himgebiete erhält Die experimentelle Physiologie gelangt hierdurch
za einer bis jetzt fehlenden Methode zur Bestimmung der Erregbarkeit
einzelner«Faserbündel des Centralnervensystems.
Zur Erläuterung der Bedeutung dieser Methode lege ich hier kurz die
Resultate meiner Untersuchungen über die Erregbarkeit verschiedener Faser-
bündel des Bückenmarks vor. Beginnen wir mit den Hintersträngen.
Ein bedeutender Theil der Hinterstränge des Bückenmarkes ist bei soeben
geborenen Welpen myelinlos. Nur die Burdach'schen Eeilstränge, vorzüglich
der äussere und vordere Theil derselben oder die sogenannte Wurzelpartie,^
welche an die graue Substanz des Hinterhoms stoest, ebenso wie die hinteren
Wuizeln, enttialten markhaltige Fasern, während die zarten (Goll'schen) Stränge
durchaus marklose Fasern besitzen. Dementsprechend finden wir auch bei eben
geborenen Welpen den Theil der Hinterstränge erregbar, welcher an die graue
Substanz des Bückenmarks stösst, also die Keilstränge, >< während die OoU'schen
Stränge noch gar nicht erregbar sind.^
Bei solchen Welpen treten auf Beizung der Keilstränge des centralen Bücken-
marksstumpfes krampfhafte Gontractionen der vom entsprechenden Bückenmarks-
segment innervirten Muskeln auf; man erhält somit dasselbe Besultat, welches
die Beizung der hinteren Wurzeln an gleicher Stelle giebt, weshalb die ange-
fahrten motorischen Erscheinungen zweifellos auf Beizung des intramedullären
Theiles der hinteren Wurzeln zurückzuführen sind.
Es muss hier erwähnt werden, dass nicht nur die Beizung der Keilstränge
des centralen, aber solche des peripherischen Bückenmarksstumpfes ebenfalls
Muskelcontaractionen zur Folge hat und zwar derjenigen Muskeln, deren Nerven
aus dem Bückenmark, gleich hinter dem Schnitt, hervortreten. Diese Thatsache
beweist klar, dass die hinteren Wurzeln, nach dem Eintritt in das Bückenmark
ihre Bicbtnng verändernd, sowohl nach oben, wie nach unten ziehen, was ja
bekanntlich zur Zeit in der Anatomie anerkannt wird.
Zwei oder drei Tage nach der Geburt finden wir bei den Welpen schon
die Keilstrange ganz markhaltig, während die zarten Stränge noch marklos sind.
Dementsprechend sind bei Thieren von diesem Alter alle Theile der Hinter-
stränge mit Ausnahme ihrer innersten Abschnitte, der zarten oder GoU'schen
Stränge, err^bar. Letztere können, sowohl mechanisch wie elektrisch, erst vom
ca. 5. Tage nach der Geburt an erregt werden; gleichfalls gelingt schon jetzt
in ihnen der Nachweis markhaltiger Fasern. Bei Thieren von eben angegebenem
Alter ist das Besultat der Beizung der innersten Theile der Hinterstränge, bezw.
der zarten Stränge, identisch mit solchen bei erwachsenen, d. h. es besteht in
verschiedenen reflectorischen Muskelcontractionen am Bumpf, Kopf und den
Extremitäten, jedoch ohne Aeusscrung von Schmerz.
^ Ueber die Eintheilimg der Fasern der Burdach'schen Stränge nach ihrer Entwickelang
vgl. meine Arbeit in Nr. 5 des „Wratsoh" (russisch) und auch dies Gentralblatt Nr. 2. beide
Jahrgang 1S85.
' AUe Versuche sind an nicht narkotisirteu Thieren ausgeführt v^orden.
10*
— 156 —
Die Thatsache, dass bei soeben geborenen Welpen die zarten Strange^ wie
wir gesehen, nnerregbar sind, während bei solchen Thieren, welche den 5. Lebens-
tag hinter sich haben, die Heizung derselben von reflectorischen Bewegongs-
erscheinnngen, wie bei erwachsenen, begleitet ist^ beweist klar, dass diese
Stränge eine selbstständige Erregbarkeit besitzen.
Somit erföhrt die Ansicht von Stilukg, Yan-Deen, Chaüteau u. A.,
welche den Hinterstrangen, mit Ausnahme der in ihnen befindlichen hinteren
Wnrzeliasem, jedwede Erregbarkeit absprechen, eine schwer in's Gewicht fallende
Widerlegung.
In den Vorder- nnd Seitensträngen des Rückenmarks, äusseres Hinter-
wurzelgebiet oder Randzone ^ ausgenommen, finden wir bei soeben geborenen
Welpen nur zwei Bündel markhaltig: 1) Vorder- und Seitenstranggrundbündel,
welches bei Hunden den ganzen Vorderstrang und den vorderen Theil des Seiten-
stranges einnimmt, und 2) directes Eleinhimseitenstrangbündel, welches sich
an der Peripherie der hinteren Hälfte des Seitenstranges befindet.
Untersuchen wir mittelst des elektrischen Stromes die Err^barkeit ver-
schiedener Theile des Vorder- und Seitenstranges am peripheiisohen Stumpf des
Rückenmarks, so sehen wir in diesem Alter nur den Vorderstrang und die
vorderen Theile des Seitenstranges erregbar, d. h. diejenigen Theile, welche
ihrer Lage nach dem Vorder- und Seitenstranggrundbündel entsprechen.
Die Application des elektrischen Stromes an die hintere Hälfte des Seitenstranges
bleibt ohne Effect. Bei meinen Versuchen hatte die Reizung der Vorderstränge
und der vorderen Seitenstrangtheile am unteren Stumpf des Halsmarks nicht
nur Gontractionen an der Vorderpfote, sondern auch solche der Hinterpfote und
des Schwanzes, nach der entsprechenden Seite hin, zur Folge. Ebenfalls traten
Bewegungserscheinungen an der Hinterpfote und des Schwanzes bei der Reizung
der entsprechenden Theile am oberen Brustmark auf, auch dann noch, wenn
einige nächstliegende Wurzelpaare vordem durchschnitten worden waren.
Bekanntlich existirt über die Erregbarkeit der Vorderstränge zur Zeit unter
den Autoren grosse Uneinigkeit Einige, wie Van-Deen, Ghaitveau, Hüizinga,
AiiADOFF und SoHiFF nehmen an, dass diese Rückenmarkstheile gar nicht er-
regbar sind, während Fick, Engelkek und Vulpiak für dieselben selbstständige
Erregbarkeit, unabhängig von den Vorderwurzelfasem, in Anspruch nehmen.
Die Thatsache, dass bei meinen Versuchen an neugeborenen Welpen die Reizung
der Vorderstränge und vorderen Seitenstrangtheile im unteren Hals- und oberen
Brustmark Gontractionen an der Hinterpfote und des Schwanzes hervorrief, er-
laubt entschieden nicht dieses Ergebniss durch Ausbreitung der Reizung auf die
* Vgl. über dieses Gebiet meine Arbeit ,,üeber einen besonderen Bestandtheil der Seiten-
stränge des Rückenmarks nnd über den Anfang der grossen aufsteigenden Trlgeminoswnrzel"
in Nr. 26 des „Wratsch" (russisch) pro 1885 und im Arch. f. Anat. n. Physiol., anat. Abth.,
1886; nnd „Ueber die hinteren Nerven wurzeln, ihre Endignng in der granen Substanz des
Kückenmarks nnd ihre centrale Fortsetzung im letzteren" im Wiestnik klin. phych. u. Neu-
rologie 1886 und Arch. f. Anat. n. Phys., anat. Abth. 1887. S. auch die Arbeit von Ldsaubb
iro Neurol. Ccntralbl. 1885. Nr. 11 und im Arch. f. Psychiatrie 1886.
— 157 —
ToTderwnTzelfiEtöem zn erUären. Die Gegner der Erregbarkeit der Yorderstrange
des Räokenmarks aber weisen oft auf die Möglichkeit eines Uebergangs der
Reizung auf die Hinterstränge hin, nnd erklären die Muskelcontractionen an
entfernten Eörpertheilen eben durch eine solche Beizung der Hinterstränge.
Meine' Versuche an neugeborenen Welpen erlauben aber, diese Erklärung
entschieden zurückzuweisen. Die Verbreitung des Reizes in querer Sichtung des
Räckenniarksdurchschnittes geht gar nicht so leicht vor sich, wie die Autoren,
welche gegen die Erregbarkeit der Vorderstränge plaidiren, es zulassen. Wie oben
erwähnt, konnte ich bei meinen Versuchen au neugeborenen Welpen folgende auf-
fallende Thatsache constatiren: dieselbe Beizung, welche am Vorderstrang und
an den vorderen Seitenstrangtheilen die Bewegungserscheinungen zur Folge
hatte, rief bei Application auf die hintere Hälfte des Seitenstranges (also der
Lage des Pyramidenbündels entsprechend) gar keine Bewegungen des Thieres
hervor. Sogar eine bedeutend stärkere Beizung blieb in diesem Falle ganz er-
folglos; unterdessen es leicht verständlich ist, dass ein üebergang der Beizung
Ton der hintere Hälfte des Seitenstranges auf den Hinterstrang leichter zu
Stande gekommen wäre, als von den entfernteren Vordersträngen und vorderen
Seitenstrangtheilen.
Dasselbe erfahren wir an der Err^barkeit der Hinterstränge des Bücken-
marks. Wie wir gesehen, erwiesen sich hier, bei neugeborenen Welpen, die
inneren Theile vollkommen unerregbar, während die Beizung der Wurzelpartie
der Keilstränge Bewegungserscheinungen auslöste. Augenscheinlich müsste die
Nachbarschaft dieser Theile, gemäss der Annahme von Schiff u. A., einen
Üebergang der Beizung der inneren Theile der Hinterstränge auf die äusseren
err^baren Theile der Eeilstränge bedingen und entsprechende Bewegungs-
erscheinungen zu Stande bringen ; directe Versuche zeigen jedoch das G^gentheil.
Endlich spricht gegen einen üebergang der Beiz^g von den Vordersträngen
auf die Hinterstränge des Bückenmarks in oben beschriebenen Versuchen noch
der Unterschied in den Bew^fungserscheinungen bei der Beizung dieser oder
jener Bückenmarkstheile neugeborener Thiere. Wir sahen, dass durch die
Beizung der Eeilstränge bei eben geborenen Welpen Bewegung nur in den
Muskeln ausgelöst wurde, welche von den nächsten Wurzelpaaren ihre Kerven
beziehen, während die Beizung der Vorderstränge und der vorderen Seitenstrang-
theile bei ihnen Bewegungserscheinungen nicht nur an den nächsten, sondern
auch an entfernten Eörpertheilen zur Folge hatte.
Alles das zwingt mich nothwendig, die angeführte Erklärung der Bewegungs-
erscheinongen, welche man bei neugeborenen Welpen auf Beizung der Vorder-
strange nnd der vorderen Seitenstrangtheile, resp. ihrer Grundbflndel, zu be-
obachten Gelegenheit hat, zurückzuweisen. Diese Erscheinungen können, meiner
Meinung nach, nicht anders, als durch Annahme einer selbstständigen Er-
regbarkeit des Grundbündels der Vorder- und Seitenstränge des
Rückenmarks erklärt werden.
Die Versuche an eben geborenen Welpen zeigen femer, dass bei denselben
die Erregbarkeit bestimmter Seitenstrangtheile nicht nur am peripherischen.
- 158 —
sondern auch am centralen Bückenmarksstumpfe nachzuweisen ist Diese Ver-
suche wurden, wie folgt, angeführt. Nachdem das untere Brustmark quer
durchschnitten war, wurden die nächsten Nervenwurzehi am oberen Stumpfe,
an einer Strecke von wenigstens 2 — 3 cm ebenfalls durchtrennt, und nun er-
folgte die Application der Elektroden eines vschwachen Inducüonsstroines an die
meisten peripher gelegenen Theile der hinteren Seitenstranghälfte des oberen
Stumpfes, oder an den äusseren Band des letzteren. Sofort traten charakteristische
Kopf- und Bumpfbewegungen auf: der vordere Theil des Körpers machte eine
leichte Drehung um die Langsaxe zur widerliegenden Seite hin, wahrend der
Kopf ebenfalls zur Schulter der gereizten Seite abgebogen wurde. Diese Be-
wegungen wiederholten sich beständig und stereotyp, sowohl auf die Beizung
der einen, wie auf die der anderen Seit« des Bückenmarks. Nach der Lage zu
urtheilen, hatten wir es mit der Erregung des directen Kleinhirnbündels
der Seitenstränge zu thun, welches bei Welpen schon bei der Geburt mark-
haltig ist
Bei B — 4 Ts^e alten Welpen finden wir schon den ganzen sogenannten
Seitenstrangrest markhaltig, — folglich triflR; man bei Welpen von diesem Alter
markhaltige Fasern, ausser im Grund- und directen Kleinhimbündel, auch schon
in der Grenzschicht der grauen Substanz, sowie in dem von mir beschriebenen
peripherischen Bündel des Seitenstrangrestes.^
Als ich in dieser Periode die Erregbarkeit der Seitenstränge am peripherischen
Stumpf untersuchte, fand ich keinen Unterschied im Besultat, welches man bei
soeben geborenen Welpen bei gleicher Versuchsanordnung erhält; wohl aber
verändert sich die Erregbarkeit der Seitenstränge am centralen Stumpfe im an-
gegebenen Alter. So finden wir am durchschnittenen Brustmark - nicht nur die
äussersten Theile der hinteren Seitenstranghälfte des centralen Stumpfes (ent-
sprechend der Lage des directen Kleinhirnbündels) erregbar, sondern auch die
vorderen Theile derselben,* deren Beizung von eigenartigen Bewegungen des
Bumpfes und der Vorderextremitäten begleitet werden. Diese Thatsaohe beweist
augenscheinlich, dass im vorderen Theil der Seiteustränge des Backen-
marks centripetal leitende Fasern vorhanden sind. Aller Wahrschein-
lichkeit nach gehören diese Fasern zu einem von den obenerwähnten Bündeln
(vielleicht dem peripherischen Bündel des Seitenstrangrestes des Bücken-
marks?).
Erst 10—12 Tage nach der Geburt findet man bei Welpen Myelin auch
in den Fasern des Pyramidenbündels. Zu derselben Zeit (nicht vor dem 11. bis
13. Tage) treten bei ihnen auch Bewegungen der Extremitäten bei der Beizung
^ Die Fasern des letzteren Bündels sind beim Uande grösstentheils zwischen den
Fasern des hinteren Theils des Seitenstranggmndbündels zerstreat, während beim Menschen
dieses Bündel mehr compact ist und nur theilweise aus zerstreuten Fasern besteht. Vergl.
meine Arbeit „üeber die Bestan<itheile des sogenannten Seitenstrangrestes des Bückenmarks*'
in Nr. 29 des Wratsch (rassisch) 1885; und „Ueber liängsfaserzügc der Formatio reticalaris
medollae oblongatae et pontis" in diesem Centralblatt. 1885. Kr. 15. S. auch Gowsrs „Be-
merkungen über die antero- laterale aufsteigende Degeneration im Bfickenmark.'* Dieses
CenfcralbL 1886.
- 159 —
der hinteren Seitenstrangtheile des peripherischen Räckenmarksstumpfes auf.
Diese Erscheinung ist ohne Zweifel abhängig vom Auftreten der Erregbarkeit
in den Pyramidenbündelfasern.
Schliesslich sei bemerkt^ dass die Entwickelung der einzelnen Bändel im
Rückenmark bei verschiedenen Thiergattungen nicht zu derselben Periode des
extrauterinen Lebens vor sich geht, weshalb die XTntersuchungsresuItate an
Welpen nicht auch für andere Thiere, z. B. Kaninchen und Katzen, bedingungs-
lose Geltung haben können. Ferner muss noch angeführt werden, dass die be-
schriebene TTntersuchungsmethode der Erregbarkeit einzelner Faserbündel mit
gleichem Erfolg auch auf andere Gebiete des Centraluervensystems ausgedehnt
werden kann. Die Mittheilung der Resultate meiner Versuche in dieser Rich-
timg wird bald erfolgen.
II. Referate.
Anatomie.
1) Versuoli sur Ermittelung der Homologien der Fissura parieto-oooipi-
talia bei den Camivoren» von Max Flesch. (Sonder- Abdruck aus: Festschrift
für Albert v. Kölliker. lieipzig 1887. Verlag von Wilhelm Engelmann.)
Nachdem Verf. in einigen einleitenden Worten auf die Schwierigkeit seines Themas
hingewiesen hat» giebt er der Hoffoung Ausdruck, dass es gelingen werde» den Ur-
sachen für die Ausbildung der Furchen und Windungen näher zu kommen, wenn
man deren di£ferente Gestaltung bei weit von einander gelegenen Formen aus einer
gemeinsamen Grundlage erklären könne. Die Parieto-Occipital-Spalte wird als Unter-
suchungsobject herangezogen und soll bewiesen werden, dass diese an dem Primaten-
Gehirne so charakteristische Spalte» die den meisten Camivoren fehlt, bei dem am
weitesten ausgebildeten Carnivoren-Gehirne, dem des Bären angelegt ist. Die Parieto-
Occipital-Furche ist wie die Fissura Hippocampi, calcarina, Sylvii bereits im embryo-
nalen Gtehime als Furche angelegt und wird als solche in die spätere Entwickelungs-
zeit übernommen und fehlt ihr im embryonalen Organe jede Beziehung zur Fissura
calcarina. Eine Uinterhauptsspalte des Thiergehims zu beschreiben haben nur wenige
und mit Unglück versucht, wie Meynert, der eine vom Sulcus calloso-marginalis
aasgehende Zweigfurche als Fissura parieto-occipitalis beschrieb; diese Furche fällt
aber vor das Splenium corporis callosi, statt hinter demselben an die Basalfläche zu
gelangen. Beim (Gehirn des Orang und Chimpanse ist die Parieto-Occipital-Spalte
von der Fissura calcarina durch eine schmale Windung geschieden. Das Gehirn von
Cynocephalus zeigt dieselbe Verbindung beider Spalten wie beim Menschen, doch
kommen hier Variationen vor. Die verticale SteUung der Spalte stimmt annähernd
mit der menschlichen überein; nicht mehr so bei Macacus, wo auch der Abstand
zwischen Fissura parieto-occipitalis und calcarina grösser wird. Bei der Betrachtung
von oben sieht man beim Menschen gewöhnlich die Fissura parieto-occipitalis und
calloso-marginalis als kurze, von der medialen Fläche einschneidende Spalten. Die
Centralspalte kreuzt als transversaler Einschnitt das longitudinale Fnrchensystem, die
Fnrchenbogen um die Sylvische Spalte sind zu Längsfnrchen gestreckt. Verf. be-
spricht nun genauer die G^ichtsponkte, die beim Aufsuchen der Parieto-Occipital-
Spalte an nicht dem Primatenkreise angehörigen Gehirnen bieten müssen. —
Die mediale Fläche des Bärengehimes zeigt keine Forche, die als Parieto-Occi-
pital-Spalte gedeutet werden kann. Bei der Betrachtung von oben sieht man zwei
— 160 —
Bogenforchen die äylvische Spalte umkreisen; die obere Bogenfurche ist versch wanden;
die aus dem Sulcus suprasylvius abzweigenden Aeste entsprechen topographisch der
Farieto-Occipital-Spalte der niederen Affen. Das Auftreten der Fissura parieto-occi-
pitalis scheint zusammenzufallen mit: Beduction der oberen Bogenfurche, Umgestal-
tung der medialen Hauptfurche, Verschiebung des Sulcus suprasylvius gegen die
Mittelebene. Auch beim Bärengehinie kann man eine Abzweigung der oberen Haupt-
furche als Sulcus parieto-occipitalis ansprechen, bei Felis catus domesticus entspringt
auch zuweilen aus der oberen Bogenfurche em kurzes Querastchen. —
Am Ende der vorzüglichen Studie meint Flesch, dass schliesslich das letzte
Wort über die Identität der einzelnen Gehimabschnitte die mikroskopische Forschung
sprechen würde; das Ergebniss seiner Arbeit fasst er in folgenden S&tzen zusammen:
1. Die Faheto-Occipital-Spalte erreicht bei den niederen Affen ihre grösste Aus-
dehnung auf der Convezitat des Gehirns.
2. Am Gehirn des Bären ist die Parieto-Occipital-Spalte als Abzweigung der
mittleren Bogenfurche angelegt.
3. An Gamivoren- Gehirnen mit vollständiger Ausbildung der 3 Bogenfurchen
fehlt die Fissura parieto-occipitalis.
4. Die Ausbildung der Parieto-Occipital-Spalte steht in directer Wechselbezieh-
ung zu dem Schwinden der oberen Bogenfurche, zu der Umbildung eines Theiles
derselben zur Centralspalte und zu einer Bückbildung des Sulcus cruciatus.
Eronthal.
Experimentelle Physiologie.
2) Ueber den ElnflusB des SympathiouB auf die VogelpnpUle, von J. Jego-
row, Kasan. (Arch. f. d. ges. Physiol. XLI. 7 u. 8.)
Mit Budge, Yulpian und Jeglinski und gegen Hirschmann, Bosenthal
und Gruenhagen findet Verf., dass weder Durchschneidung noch Reizung des Sym-
pathicus oder seines obersten Ganglions bei Vögeln die Papülenweite beeinflusst Die
von anderen bei Sympathicusreizung gesehenen Veränderungen der Pupillenweite
kamen zum grössten Theil durch Stromschleifen auf die pupillenerweitemden Nerven-
fasern im Trigeminus zu Stande. Auch das dritte Augenlid der Vögel bewegt sich
unabhängig vom Sympathicus. Th. Ziehen.
3) Ueber die Grösse des Eiweissumsatses bei abnorm gesteigerter Nahrungs-
zufuhr (Weir-MltchelPsohe Kur), von Dr. L. Bleibtreu, Bonn. (Arch. f. d.
ges. Physiol. XLI. 7 u. 8.)
Vor Beginn der Kur wurde bei der schwemervösen Patientin ein Körpergewicht
von 44,75 kg und ein täglicher Eiweissumsatz von nur 0,629 gr fOr 1 kg Körper-
gewicht nach der Pfläger-Bohland'schen Modification der Kjeldahrschen Stickstoff-
bestimmungsmethode ermittelt. Nach 44tägiger, erfolgreicher Kur hatte das Körper-
gewicht um 15,84 kg zugenommen, der mittlere tägliche Eiweissumsatz während der
Kur betrug 2,763 gr für 1 kg Körpergewicht. Der Stickstoffgehalt des Koths war
nicht über die Norm erhöht: 7,57 "/q des Eiweisses der Nahrung verliessen mit den
Fäces den Körper. Von der Gesammtgewichtszunahme ist etwa die Hälfte auf An-
satz ei weiss haltiger Substanz zu rechnen, da von den 8419,43 gr Ei weiss in der
Nahrung nur 7233,11 gr in Koth und Harn wieder abgegeben worden sind.
Den gesteigerten Eiweissumsatz führt B. namentlich auf die passiven Muskel-
bewegungen bei der Massage zurück. Nach Beendigung der Kur ging der Eiweiss-
umsatz wieder auf die Norm, d. h. circa IV2 g^ pro Tag und 1 kg Körpergewicht
zurück. TL Ziehen.
— 161 —
Pathologische Anatomie.
4) Seoundäre Deganerationan nach tuberoulöser ZerBtörung des Föns, von
Franz Gebhard. (Inaugaral-Dissertation. Halle-Wittenberg 1887.)
In diesem Centralblatte (1886. Nr. 7 u. 8) veröfifentlicbte Dr. Bruns Kranken-
geschichte und Sectionsbefund eines 272Jäbrigen Patienten, der unter den Erschei-
nungen eines intracraniellen Tumors zu Grunde gegangen war. Haupts jmptome:
Coordinirte AngenmuskeUähmung nach links, Anästhesie der Cornea und Gonjunctiva
bei erhaltener Schmerzempfindung im übrigen Gebiete der Trigemiui, Schwäche der
Kau-, Hals- und Nackenmuskeln, Parese mit Contractur und erhöhten Sehnenreflexen
der rechten Extremitäten ohne Sensibilitätsstörungen, Kopfschmerzen, Sopor, allge-
meine Schwäche, Stauungspapille. Section des Gehirns: Hervorwölbung des Bodens
des 3. Ventrikels zwischen den hinteren Ghiasmaschenkeln, linke Ponshälfte sackartig
ausgebuchtet, an mehreren Stellen gelbe Yerkäsung der Binde; ein Tumor von etwa
Eastaniengrösse nimmt fast den ganzen Querschnitt des Föns ein, erstreckt sich nach
vorn bis 3 mm abwärts vom Eingang des Aquaeductus Sylvii, nach hinten bis an die
Tordersten Striae medulläres. Er erweist sich analog den Bindenheerden als Solitär-
tnberkel. Die vorliegende Arbeit, die unter Prof. Hitzig's Leitung gemacht ist,
befa^ sich hauptsächlich mit der histologischen Untersuchung dieses interessanten
Falles und zeigten die Präparate: partielle absteigende Degeneration beider Pyramiden,
Endigang derselben im gleichnamigen vordergekreuzten Seitenstrang; theilweiser Ur-
sprang der Pyramidenfasem aus Kleinhirn mittelst Brückenarmfasem, Fibrae arciformes
extemae anteriores und Fibrae rectae; Uebergang von Fasern der rechten Pyramide
in den gleichnamigen Seitenstrang; absteigende Entartung beider Schleifenbahnen,
Endigung dieser in den gekreuzten Hinterstrangskemen; Ursprung eines erheblichen
Theiles der Bahnen aus Kernen der Brücke; absteigende Degeneration eines Theiles
der Formatio reticularis resp. nicht der Schleife zugehörigen Längsfasem der Haube,
Endigung dieser theils in der Oblongata, theils im Bückenmark in Abschnitten der
Vorderseitenstrangreste, in welchem sie bis zum unteren Dorsalmark zu verfolgen ist
Anknüpfend an diesen Befund setzt Verf. in genauer Weise die Anschauungen der
verschiedenen Forscher über die Bahnen in diesen Gebieten auseinander.
Kronthal.
5) Syrinso-Myelia, von Silcock. (The British med. Joum. 1888. Jan. 7. p. 21.)
S. seigte in der Londoner pathologischen Gesellschaft Präparate eines Falles
von g^ringomyelie. Ein 23jähriger Mann hatte stürzend den Halstheil der Wirbel-
säule gebrochen. Der Körper des 5. Wirbels war zermalmt und nach hinten etwas
dislocirt, wodurch eine Eindrückung in dem Bflckenmarkskanal entstand. Dort war
das Bückenmark abgeflacht Schnitte in der Höhe des 2. HaLswirbels zeigten eine
längUche, spaltfömüge Höhle nach innen von der hinteren Würz Aund parallel mit dieser.
Allgemeine Sklerose, besonders ausgesprochen in der Nachbarschaft der Höhle, also
in der rechten hinteren Säule. Die Wände der Höhle sind von Bindegewebe, welches
ein feines Netzwerk darstellt und reichlich Kerne zeigte, gebildet, ohne auskleidende
Membran 9 rauh. Der Centralkanal steht mit der Höhle nicht in Verbindung. Von
dem Bindegewebe rings um den Centralkanal gehen faserige Züge zur Innern Wurzel
der centralen grauen Substanz und der Nachbarschaft der hintern Säule. In der
Höhe des 6. Wirbels ist die Höhle beträchtlich kleiner; sie endet unten in eine
Masse gefalteten Bindegewebes. — Der hier mitgetheilte Fall könne nicht in eine
Gruppe mit den ähnlichen gebraucht werden, welche als eine Fortsetzung der em-
bryonalen Spalte zwischen den hinteren Säulen und der Peripherie des Bückenmarks
betrachtet würden, denn hier handle es sich um eine secundäre Bildung, eine Höh-
loog in neugebildetem Bindegewebe in Folge von Trauma.
L. Lehmann (Oeynhausen).
— 162 —
Pathologie des Nervensystems.
6) Zur Pathologie der oeiitralen Kehlkopf Ifthmnngen, von Eisenloh r. Aus
dem allgemeinen Krankenhause in Hamburg. (Arch. f. Psych. 1888 Bd. XIX. H. 2.)
Der klini«ich und pathologisch-anatomisch gleich sorgfaltig untersuchte Fall bot
folgende Erscheinungen: Unvollständige, aber alle Gefflhlsqualitäten betheiligende
Anästhesie im Gebiete der 8 Aeste des Trigeminus und der obersten Cervicalnerven
links, ohne Betheiligung der Mund-, Wangen- und Zungenschleimhant und ohne Störung
des Geschmackes an der Zungenspitze. Störungen der Sensibilität der linken Gaumen-
und Rachenhälfte; dagegen Erhaltenbleiben des Geschmackes auch auf den hinteren
Zungenpartien links. Tiefstand des linken vorderen und hinteren Gaumensegels,
Uvula steht mit der Spitze nach links: völliger Ruhestand des linken Gaumensegels
beim Intoniren. Keine Abnormitäten der elektrischen Erregbarkeit desselben. Schwierig-
keit beim Schlucken. Totale Lähmung und Anästhesie, sowie Verlust der Reflex-
erregbarkeit der linken Kehlkopfhälfte. Bei Seitwärtswendung des Blickes Nystagmus
rotatorius. Subacute Entstehung des ganzen Krankheitsbildes, das durch 3 Jahre
stationär bleibt Exitus letalis durch Ausbildung von Lungenabscessen und Bronchi-
ectasien und eines peripleuritischen Abscesses. Die Lungenerscheinungen traten eben-
faUs zuerst links auf.
Pathologisch-anatomisch fand sich ein alter myelitischer Heerd der linken Seite
der MeduUa oblongata, der sich in der Längsaxe von der 1. Oervicalwurzel bis zum
unteren Ende des Abducenskemes erstreckte und in der Breite eine wechselnde Aus-
dehnung hatte (s. die Abbildungen). Er betheiligte von unten nach oben folgende
Elemente des verlängerten Markes: Am weitesten nach unten das Tubercnlum Ro-
land i, die gelatinöse Substanz des Hinterhomes, die Wurzein des Accessorius, den
hinteren Yaguskem, die Vaguswurzeln, das solitäre Bündel und den vorderen mo-
torischen Vagttskem, die mehr nach aussen liegenden Theile des Glossopharyngeus-
kemes, die aufsteigende Trigeminuswurzel zum Theil, die innersten Abschnitte des
Kernes der Seitenstränge. Im Gebiete der Acusticuskeme einen Theil der innersten
Partien des Corpus restiforme, einen Theil des sogenannten inneren Acusticuskemes
und vielleicht auch einige der aus dem Kleinhirn zum Acusticus ziehenden Fasern.
Der RoUer'sche Accessoriuskem, der Hypoglossus-, Facialis- und motorische Trigeminus-
kern, sowie die absteigende Trigeminuswurzel waren intact geblieben.
Verf. knüpft an den . Fäll noch einige sehr interessante epikritische Bemerkungen.
Die sensiblen Fasern für die Schleimhaut der Zunge, Wange und des Mundes müssen
aus dem oberen intrapontilen Theil der Radix V ascend. stammen: ebenso, wenn sie
überhaupt vom Trigeminus kommen, die Geschmacksfasem des Lingualis. Trophische
Faseiii führt die aufsteigende Trigeminuswurzel niclit.
Das Gaumensegel muss z. Th. wenigstens von dem motorischen Vagus, resp.
Accessorius, innervirt werden: vielleicht beruhte das Nichtgestörtsein der elektrischen
Erregbarkeit auf dem Erhaltenbleiben der Gaumenäste des Facialis resp. Trigeroinos,
vieUeicht aber auch auf Faseraustausch im Plexus pharyngeus.
Ueber die Frage, ob die motorische Innervation des Kehlkopfes vom motorischen
Vagus- oder vom Accessoriuskem ausgeht, entscheidet der Fall nichts, da der Vagus
total zerstört war, vom Accessorius aber, wenn auch nicht sein bulb&rer Kern, so
doch seine Wurzelfasem.
Den Nystagmus rotatorius führt Verf. auf die Betheiligung der inneren Partien
des Corpus restiforme zurück.
Von Störungen des Gehörs an der linken Seite ist nichts gesagt: bei der sonst
80 genauen Beobachtung, möchte Ref. daraus schliessen, dass sie nicht vorhanden
waren: dann würde der Fall auch dafür sprechen, dass der sogenannte innere Acusticus-
kem mit dem Hören nichts zu thun hat, was ja auch neuere experimentelle und
anatomische Erfahrungen (Onnfrowicz, Forcl, Flechsig) sehr wahrscheinlich
machen. Bruns.
— 163 —
7) Beitrag aiir Aetiologie, Symptomatologie und Therapie der Tabes dor-
salis. (Aus der med. Klinik des Herrn Prof. Erb in Heidelberg.) Von Dr. .J.
Hoffmann. (Arch. f. Psych. 1888 Bd. XIX. H. 2.)
Die 5 Fälle, welche H. ausführlich mittheilt, sind ausgezeichnet durch das Auf-
treten von gastrischen und enterischen Anfallen, von denen die ersteren bis zu vier
Wochen ununterbrochen anhielten. H. konnte in Bestätigung der Sahli'schen An-
gaben eine Hyperacidität und Uypersecretion des Magensaftes während der Anfälle
feststellen; daneben fanden übermässige Speichelabsonderung und Secretion der Darm-
scbleimhaut statt. — Eigenthümliche Fieberorscheinungen glaubt H. auf einen cen-
tralen Ursprung — Medulla oblongata — zurückführen zu dürfen, um so mehr, da
in einem dieser fieberhaften Fälle gleichzeitig epileptische Anfälle — wie auch noch
in einem weiteren FaUe — auftraten. —
ßine plötzlich aufgetretene Parese des rechten N. radialis bei dem einen Kranken
sieht H. als „wohl durch Druck entstanden'' an; und eine mit EaR verbundene
Parese und Atrophie der kleinen Handmuskeln beiderseits bei einem anderen Kranken
als auf centraler Ursache beruhend, im Anschluss an ähnliche Beobachtungen Eulen -
borg's, die dieser als central bedingt betrachtet. —
In therapeutischer Hinsicht hat bei gastrischen Anfällen Antifibrin 0,5 — 0,75
2—3 mal tagÜch gute Dienste geleistet; in verzweifelten Fällen jedoch ist ohne
Morphium nicht ausz\}kommen. Hadlich.
8) Zur Casuiatik der Betheiligung der peripherischen Nerven bei Tabes
dorsualiB» von Dr. Nonne. (Aus dem allgem. Krankenhause zu Hamburg, Ab-
theilung des Herrn Dr. Eisenlohr.) (Arch. f. Psych. 1888 Bd. XIX. H. 2.)
1. Bei einem Manne, der sich 1870 ein Ulcus durum zuzog, trat 1872 unter
leichten Schmerzen eine Atrophie der rechten Hand auf: eine schleichende Neuritis
specifica. Erst nach weiteren 4 Jahren stellten sich die ersten Symptome einer
stetig fortschreitenden Sklerose der Hinterstränge ein, während die Atrophie der
rechten Hand absolut stillstand. Letzterer Punkt, sowie die Einseitigkeit der Affec-
tion sprechen für die peripherische Natur derselben. Ob hier aus der Neuritis sich
eine Tabes entwickelt habe (Leyden), scheint N. wegen der langen Zeitdauer von
4 Jahren fraglich.
2. Ein 47jähriger Mann — keine Syphilis nachweisbar — seit 4 Jahren an
Tabes dorsalis incipiens leidend, bekam plötzlich in der Nacht vom 13. zum 14. Sep-
tember 1880 eine Lähmung des linken Radialis mit typischer EaB; bis 23. October
fast vollständige Besserung (ganz analog dem StrümpelTschen FaUe).
3. Mann von 33 Jahren, vor 10 Jahren syphilitisch inficirt, seit 5 Jahren
Zeichen beginnender Tabes darbietend, seit kurzem Unsicherheit des Ganges und
leichtes Schleudern. Am 28. November 1881 plötzlich Parese des linken N. peroneus,
die sich Januar 1882 fast verliert. — Vom Juni bis September 1882 die gleiche
Affection rechterseits. — Im Juli 1883 zeigen beide Füsse kräftige Dorsalflexion.
Die Lähmangen verliefen ohne Sensibilitätsstörungen.
4. Ein 49jähriger Tischler, der sich 1873 ein Ulcus durum holte, leidet seit
3 Jahren an beginnender Tabes, hat 1886 leichte Ataxie, Bomberg*sches Phänomen,
1887 Yiel Sensibilitätsstörungen im Ulnaris-Gebiete. Ende Juli 1887 machte sich
eine leichte Abmagerung einzelner Partien der Hände bemerkbar, besonders im Hypo-
thenar, beiderseits ungefähr gleich, mit qualitativer Anom^e der elektrischen
Erregbarkeit.
5. Ein 48jähriger Tischler, ohne Lues, seit 2 Jahren leichte tabische Symp-
tome zeigend, die bis September 1886 zu leichter Ataxie geführt hatten, April 1887
zu hochgradiger Ataxie und erheblichen Seusibilltätsstörungen der unteren Eztremi-
— 164 —
taten, bekam Mitte Juli 1887 in wenigen Tagen eine erhebliche Verschlechteixing
der Motilität in den unteren Extremitäten bis fast znr völligen Paralyse; im August
und September trat merkliche Besserung ein; dabei quantitative Herabsetzung der
elektrischen Erregbarkeit resp. EaB, während in den oberen ExtrjBmitäten (Eland-
muskeln) qualitative Veränderungen der Beactionsform in dem Auftreten theils
intermittirender vibrireuder, theils geradezu tonischer Contractionen sich zeigten.
In Bezug auf Alterationen peripherischer motorischer Nerven bei Tabes macht
N. noch darauf aufmerksam, dass sich die bisher publicirten Fälle ziemlich gleich-
massig auf Tabes mit Syphilis und auf Tabes ohne Syphilis vertheilen.
Im Fall 5 konnte N. durch die Section die Diagnos\3 auf Neuritis der peri-
pherischen motorischen Nerven bestätigen (neben grauer Degeneration der Hinter-
stränge) — was N. besonders wichtig erscheint, da Eulenburg kürzlich eine An-
zahl ähnlicher Fälle auf Atrophie der Yorderhömer neben Tabes zurückführen will.
N. hat endlich noch Gelegenheit genommen, die Angaben von v. Benz zu
prüfen, dass in den Stämmen der III. und IV. Sacralnerven der Ausgangspunkt der
tabischen Degeneration gesucht werden müsse, dass die Hypästhesie des Plexus pu-
dendo-haemorrhoidalis et coccygeus „eines der ersten, wenn nicht geradezu das erste
Symptom der Tabes dorsalis" sei. — N. untersuchte daher in 20 Fällen (3 Frauen)
die Sensibilitätsverhältnisse des Perineum, Penis mit Glans, Scrotum, Begio pubica
und Nates, und fand in der That das fragliche Gebiet ganz frei nur in einem Falle,
das ganze Gebiet betroffen 3mal, partiell 16mal. — Aber dih gleichzeitige genaue
Prüfung der Sensibilität des übrigen Körpers ergab, dass in den Extremitäten die
Herabsetzung des Schmerzsinnes in 14 Fällen grösser war, als im Gebiete des
3. und 4. Sacralnerven, in 6 Fällen eine gleiche; die Herabsetzung des Temperatur-
sinnes in den Extremitäten in 12 Fällen erheblicher u. s. w. — Die sensiblen Stö-
rungen an den Extremitäten überwiegen also bei weitem diejenigen im Gebiete des
Plex. pudendo-haemorrhoid. et coccyg., und letztere zeigen sich ausserdem auch erst
in vorgeschrittenen Fällen von Tabes in ausgesprochener Weise. — Ob Lues
vorherging oder nicht, macht keinen Unterschied. — Herr Dr. Eisenlohr ist^ wie
N. mittheilt, durch Mhere Untersuchungen zu gleichen negativen Ergebnissen in
Betreff der v. Benz'schen Angaben gekommen. Hadlich.
9) Ueber multiple Himnerveiilähinung, von Prof. Dr. Un verriebt in Jena.
(Fortschr. d. Med. 1887. Nr. 24.)
Ein 38jähriger Landwirth — mit 20 Jahren Ulcus syphil., niemals spätere Er-
scheinungen von Lues; mit 29 Jahren Gelenkrheumatismus — bemerkt um den
10. Juli 1887 eine Schwäche des linken, dann des rechten Mundwinkels, nach wenigen
Tagen vollständige Gesichtslähmung mrt Unmöglichkeit, die Augen vollständig zu
schliessen; dann Schluckbeschwerden, Ophthalmie, Doppelbilder, grosse Mattigkeit.
Eine Schmierkur war ohne Erfolg.
Am 24. August fand U. eine beiderseitige Facialis -Lähmung in s&mmtlichen
Aesten, mit completer Entartungsreaction; femer beiderseits Abducens- Lähmung,
rechts ausserdem Schwäche im Oculomotor ins- Gebiete, leichte Ptosis; Pupille rechts
weiter als links, dort träge, hier gute Beaction. — Im Trigeminns-Gebiete An-
ästhesia dolorosa mit Wegfall der Beflexe. — Velum palat. ist schlaff und wird,
ebenso wie die ganze hintere Bachenwand, bei der Phonation nach links-oben ver-
zogen; Uvula nach links gerichtet. Trinkflüssigkeit regurgitirt durch die Nase. —
An Bumpf und Extremitäten keine Störung. Erst vom 4. September an trat eine
merkliche Schwäche der oberen wie unteren Extremitäten auf, die Sehnenphänomene
blieben normal.
Später gesellte sich Schwerhörigkeit hinzu, Lähmung des rechten Trochlearis,
— 165 —
b«der Oenlomotoni; die Geschmacksempfindung erlosch gänzlich, leichte Lähmnngs-
erseheinnngen im XI. nnd XII. (Zungenspitze kann kaum vor die Zähne gebracht
werden, weicht ab) sind zn bemerken, am 6. Sept anch Lähmungen der Eehlkopf-
mnskeln; der Pnls stieg bei geringer Fieberbewegung vom 2. — 14. September von
88 bis auf 140 Schläge. — Bei grossen Dosen Jodkalium rapider Verfall, Schluck-
pnenmonie, Tod am 14. September. Nur an den Opticis und am linken Trochlearis
war keine Störung nachzuweisen gewesen; das Gehör war zuletzt fast ganz verloren.
Eäne Diagnose war schwer. Multiple Apoplexien der Medulla und Bulbärpara-
lyse waren abzuweisen, letztere besonders wegen des completen und gleichmässigen
BefallenseiDS beider Fadales und Oculomotorii, wegen der gleichmässigen Entartungs-
reaction in allen Facialis-Aesten etc. Aber welche peripherische Affection an der
Schädelbasis war es, da eine syphilitische bei dem therapeutischen Misserfolg kaum
festzuhalten war?
Die Secüon (Geh. Bath Müller) ergab anfangs ausser grau-weisser Verfärbung
verschiedener Nerven nichts Bemerkenswerthes. Erst wiederholte genaue Betrach-
tung zeigte, dass die Dura an einigen Stellen ein weisslich trübes Aussehen und
eine leichte Vorwölbung darbot; und es ergab sich hier die Einlagerung grau-weisser
Geschwulstmassen zwischen Dura und Schädel, welche auch namentlich die Schädel-
öffhnngen verengt hatte. Diese Neubildungsmassen fanden sich nun an der ganzen
Schädelbasis von der Fissura orbitalis bis zum Foramen jugulare, das nur noch
schwach betrofifen war. — Im hinteren Mediastinum lag ein apfelgrosser elastisch-
resistenter Tumor, in den die Brustäste des Vagus eingebettet waren: ein Bundzellen-
sarcom. Lymphdrüsen vielfach infiltrirt.
Von den Erscheinungen, welche der äusserst interessante Fall bot, hebt U. noch
hervor, dass die Trinkflüssigkeit nur so lange regurgitirte, wie die halbseitige
Gaumen- und Bachenwandlähmung bestand; als volle Unbeweglichkeit der Bachen-
muficulatur eintrat, floss nichts mehr durch die Nase zurück. — Die seitliche Ver-
ziehung der hinteren Bachenschleimhaut hat U. noch nirgends verzeichnet gefunden.
U. bespricht schliesslich die Beziehungen seines Falles zu der „multiplen syphi-
litischen Wurzelneuritis'' Kahleres, glaubt jedoch genügende Unterschiede zwischen
beiden Afifectionen feststellen zu können. Hadlich.
10) Ein Fall von Blepharospasmus, von Dr. Schubert, Nürnberg. (Münchener
med. Wochenschr. 1887. Nr. 28.)
Blepharospasmus entsteht nach der Ansicht des Verf. fast ausnalimslos auf dem
Wege des Reflexes. Sowohl jene überaus häufigen fibrillären Zuckungen im Orbi-
cularis, welche ohne Verengerung der Lidspalte, meist im ünterlide, oft nur im
medialen oder temporalen Abschnitt erfolgen, und nur durch die damit verbundene
Empfindung belästigen, als auch die mit Blinzeln bezeichneten clonischen Contractionen
des Muskels, sowie endlich die seltneren tonischen Krämpfe mit vollkommenem Ver-
schluss eines oder beider Augen (Blepharospasmus im engeren Sinne) finden sich
meist bei Individuen, deren Befiexerregbarkeit in Folge erblicher Belastung oder
dnrch Anämie, TJeberbürdung und andere die Nerventhätigkeit schädigende Potenzen
derart erhöht ist, dass durch gewisse geringfügige, aber länger wirkende Reize (meist
im Gebiet des Trigeminus) eine Erregung der zum Orbicularis führenden Facialis-
zweige ausgelöst werden. Der Lidkrampf ist meist clonisch, doch kommen auch
tonische Contractionen vor, deren reflectorische Entstehung ausser Zweifel steht. Ge-
wöhnlich beschränkt sich der Krampf auf den Orbicularis, seltener sind noch andere
Zweige des Facialis befallen und nur ausnahmsweise greifen die Krämpfe auf ent-
ferntere physiologisch associirte Nervengebiete über. Die Behandlung mit dem con-
stanten Strom neben Bekämpfung der sensiblen Beizquelle und Berücksichtigung des
Allgemeinbefindens wird warm empfohlen. Sodann beschreibt Verf. einen Fall, bei
— 166 —
dem die Badicalheilung durch Morphiuminjectionen erfolgte. Es handelte sich um
toniachen Blepharospasmus bei einem 13jährigen, neuropathisch belasteten M&dchen.
Der Krampf ging secundär aus halbseitiger Hyperästhesie der ganzen rechten Kopf-
und Gesichtshälfte hervor. 5 Jahre nach der definitiven Heilung entstand dieselbe
Affection auf der linken Seite (Hauthyperästhesie, Blepharospasmus). Auch dieses
Mal erfolgte die Heilung durch wenige Morphiuminjectionen. Die zeitweise, nament-
lich kurz nach dem Schwinden des Krampfes aufgetretene schwache Ptosis sucht
Verf. auf Lähmung der von Müller als Muse. palp. sup. beschriebenen, glatten, vom
Sympathicus versorgten Muskelfasern zu beziehen; auch die Hyperästhesie der Haut,
wie eine trophische Störung (Herpes) an der erkrankten Gresichtshälfte wird auf eine
Sympathicusaffection zurückzuführen gesucht Endlich wird der Fall als Hysterie
bezeichnet, zumal sich in dem Gebiete der Hyperästhesie jene für Hysterie charak-
teristische Insel normaler Empfindlichkeit fand. — In anderen Fällen von tonischem
Blepharospasmus versagte dem Verf. auch das Morphium den Dienst Kalischer.
11) BetimatiBk tio oonvulsif med förtjookning af nervi flEKsialiB stam, af
S. E. Henschen. (Upsula läkarefören. förh. 1887. XXIII. 3. S. 219.)
Eine 27 J. alte Lehrerin litt schon seit der Kindheit oft an Kopfschmerz, der
mit Erbrechen abschloss. Im J. 1876 hatte sie einen Ohnmachtsanfall mit Krampf
und Verlust des Bewusstseins, im J. 1882 litt sie an Schwindel und Ohnmachts-
anwandlungen, ohne Krampf, doch bisweilen mit Erbrechen und Erstickungsgefühl.
Im August 1883 begannen Zuckungen im linken Augenlid, im November breitete
sich der Krampf bis zur linken Seite der Nase und auf die linke Oberlippe aus.
Die Zuckungen traten in einer Stunde mehrere Male auf und dauerten jedesmal
mehrere Minuten. Nach vorübergehendem Nachlass traten diese Symptome im Früh-
jahr wieder heftiger auf, Hessen nach Anwendung von Eisen im Sommer wieder nach,
werden aber im December sehr heftig, so dass Fat. am 31. Dec. in dem Kranken-
haus zu Upsala aufgenommen werden musste. Es fanden sich die Zeichen von Bleich-
sucht und Blutmangel, die Zuckungen nahmen bei psychischer Erregung zu und
waren besonders beim Sprechen bemerkbar. Der N. facialis sin., der bedeutend dicker
und empfindlicher als der rechte war, bildete einen dicken, sehr deutlichen Strang,
auch an der Stirn fanden sich die Zweige des Trigeminus verdickt und empfindlich.
Schon nach 14 Tage langer Behandlung mit Massig, Elektricität und pyrophosphor-
saurem Eisenwasser trat bedeutende Besserung ein und der N. facialis war wenig
geschwollen und empfindlich geworden. Ende Januar hörten die Zuckungen auf, am
13. Februar wurde die Kranke geheilt entlassen; bei einem Anfall von schwerem
Kopfschmerz am 7. Februar waren die Nervenzweige an der Stirn mehr geschwollen
als gewöhnlich. Die Kranke hatte vor Beginn des Leidens in einer kalten Wohnung
gewohnt und meist mit der kranken Seite api Fenster gesessen. Danach war der
Krampf aufgetreten, er nahm bei Anstrengung zu, bei Ruhe und beim Gebrauch von
Eisen ab. H. nimmt an, dass durch die Erkältung ein entzündlicher Proc^ess im
N. facialis entstand, durch den der Krampf bedingt wurde; auch bei rheumatischer
Facialislähmung fand H. wiederliolt Verdickung dieses Nerven. In dem mitgetheilten
Falle kommen noch in Betracht hereditäre Anlage und deutliche nervöse Constitution.
Wie bei der Migräne nimmt H. auch für den Tic convulsif an, dass er aus 2 Mo-
menten resultire, einem constitutionellen und einem localen, und dem entsprechend
muss auch die Behandlung eine constitutionelle und eine locale sein.
_ Walter Berger.
12) Tics oonvulsift et hystörie, par Georges Guinon. (Bevue de M^ecine.
1887. Juin. p. 509.)
— 167 —
Gninon hat ^her mit dem Namen ,,Maladie des tics'' (cf. dieses Gentralblatt
1886, S. 489) jene eigenthümliche Neurose bezeichnet, welche vorzugsweise durch
das Auftreten krampfartiger Zwangsbewegnngen in einzelnen Muskelgebieten, durch
Echolalie, Koprolalie, Echokinesie und durch Zwangsvorstellungen (fixe Idee) charak-
terisirt ist. In der vorliegenden Arbeit weist Verf. darauf hin, dass Zwangs-
bewegungen, genau in der Form wie bei der Maladie des tics, auch bei der Hysterie
vorkonunen. Der hysterische Nustus, der Singeltus, der hysterische Bullar, femer
zwangsmassige Bewegungen im Qesicht, in den Hals- und Extremitätenmuskeln ge-
hören hierher. In solchen Fallen ist die Diflferentialdiagnose, ob Hysterie oder
Maladie des tics vorliegt, oft sehr schwierig. Von entscheidender Bedeutung ist die
genaue Beachtung der sonst vorhandenen Symptome. Hysterische Stigmata (hyste-
rogene Zonen, Hemianästhesie, Einengung des Oesichtsfeldes u. dgl.) sprechen für
Hysterie, während die gleichzeitige Anwesenheit von Echolalie, Eoprolalie, von fixen
Ideen n. s. w. fOr Maladie des tics spricht Einige Krankengeschichten, die Verf.
mittheilt, erlautem das Gesagte. Die eine betrifft eine Hysterie, die andere eine
Maladie dee tics. In einem dritten Fall, Aber den Verf. berichtet, fanden sich neben
den Zwangsbewegungeli sowohl deutliche Zeichen von Hysterie, als auch charak-
teristische Symptome der Maladie des tics. Verf., welcher an der principiellen Ver-
schiedenheit der beiden Krankheiten festhält, nimmt an, dass es sich in diesem Falle
um eine Combination der beiden Neurosen handelt, etwa ebenso, wie Hysterie und
Epilepsie bei derselben Person vorkommen können. Wichtig soll die Unterscheidung
der beiden Krankheiten namentlich auch in prognostischer Hinsicht sein. Die Fälle
von Hysterie mit Zwangsbewegungen sind bei geeigneter Behandlung oft rasch heil-
bar, während die Maladie dee tics stets eine sehr schlechte Prognose quod sanationem
geben soll.
(Bef. ist durch die Ausführungen des Verf. nicht überzeugt worden, dass die
„Maladie des tics" von der Hysterie grundsätzlich zu trennen sei. Beide Krank-
heiten scheinen ihm offenbar eng zusammen zu gehören und gehen in einander über.
Hier mag bemerkt werden, dass auch die als „Paramyoclonus multiplex'' in
Deutschland mehrfach beschriebene Krankheitsform offenbar auch hierher gehört, dass
der Paramyoclonus demnach nach der Ansicht des Bef., welche sich auf eigene Be-
obachtungen stützt, weiter Nichts, als eine besondere, keineswegs sehr seltene Form
der Hysterie ist. Zu derselben Auffassung des Paramyoclonus ist neuerdings auch
Möbins^ gekommen). Strümpell.
13) Faralysia of the flfth cranial nerve, by David Ferrier. (The Lancet.
1888. Vol. I. Nr. 1.)
Verf. schildert eine uncomplicirte, wie durch ein physiologisches Experiment
erzeugte rechtsseitige Trigeminusparalyse bei einem 48jährigen Eisenbahnschafher,
welcher nach einem vor 3 Jahren erlittenen Falle von einem Eisenbahnwagen eine
Viertelstunde lang bewussüos, etwa 3 Monate arbeitsunfähig war und seit dieser
Zeit von Schmerzanfällen der rechten Kopf- und Gesichtsseite heimgesucht wurde.
9 Monate vor seiner Untersuchung empfand er bei einer Zahnextraction keine Schmerzen,
obwohl Anaesthetica nicht angewendet wurden. Es entwickelte sich Entzündung und
Abnahme der Sehkraft auf dem rechten Auge. Die Bewegungen des Bulbus waren
ongestött Der Mund konnte nicht weit geöffnet werden, wobei alsdann das Kinn
nach rechts abwich.
Seitlich und nach vom sind Kinnbewegungen nicht möglich. Beim Schliessen
dee Mundes werden rechts Mm. temporalis und masseter nicht so hart wie links.
^ S. dessen Zufiammenstellnng über ParamycolonaB iu Schmidt's Jahrbüchern der
Medicin, 1888, Nr. 2. S. 147.
— 168 —
Faradische Beizrmg jener Muskeln bewirkt bei den stärksten StrGmen, die ertragen
werden können, keinen Schlnss des Mundes. Die Zunge wird gerade faeransgestreckty
reagirt beiderseits gleicbmässig auf den luductionsstrom. Uvula ist perforirt und
daher nach links gerichtet. Ea besteht keine Yelamparese, dagegen complete Anästhesie
and Analgesie der rechten Yorderkopfseite, Temporalregion , des rechten Angenlides,
des rechten Bnlbns^ der rechten Nasen- und Nackenhälfte, des rechten Nasenloches
und der Schleimhaut der entsprechenden Mundhöhlenpartie bis zu der rechten Ton-
sille hin, der rechten Zungenhälfte, der rechten Rachenhälfte und nicht ganz voll-
kommen auf der den rechten ünterkieferbogen bedeckenden Hautpartie. Der Geruch
ist rechts in geringem Grade herabgesetzt. Bei Verstärkung des Tonus auf dem
rechten Auge findet sich leichte Gomeatrflbung desselben, circuläre Synechie und
absolute Anästhesie der rechten Hornhaut und Conjunctiva. In der Tiefe des Auges
treten anfallsweise Schmerzen von brennendem Charakter ein. Der ophthalmoskopische
Befund ist negativ. Auf den vorderen zwei Dritteln der rechten Zungenhälfte fehlt
jegliche Geschmacksunterscheidung (Salz, Zucker, Citronensäure, Chinin), welche im
hinteren Drittel erhalten ist.
Unter faradischer Behandlung der rechten Gesichtsseite und Jodkali trat fort-
schreitende Besserung ein.
Es handelt sich in diesem Falle um eine durch Trauma entstandene peripherische
Läsion beider Trigeminusportionen, zu welcher Syphilis vielleicht das disponirende
Moment abgab.
Im Falle, dass der gesammte motorische Theil des Quintus ergriffen war, liegt
in dieser Beobachtung Beweismaterial gegen die Lucae*sche Ansicht, nach welcher
Lähmung des Tensor tympani Ueberempfindlichkeit gegen hohe Töne und ausserdem
subjective tiefe dröhnende Töne erzeugt; denn da sich hier nichts derartiges fand,
glaubt Verf. schliessen zu müssen, dass entweder der Tensor tympani nicht von dem
Trigeminus versorgt werde oder andererseits das Lucae*sche Phänomen nicht noth-
wendig in solchen Fällen in die Erscheinung trete.
Für die Aetiologie der sogenannten paralytischen Keratitis macht Verf. nicht
trophische Elemente verantwortlich, sondern irritative und inflammatorische Zustande
der Nerven.
Den Verlauf der Gecchmacksnerven betreffend schliesst sich Verf. der CarFschen
Ansicht an, dass sie alle pnmär dem Glossopharyngeus entstammen und zwar die
der Basis der Zunge angehörigen direct im 9. Gehimnerven verlaufen, die für die
vordem zwei Drittel der Zunge bestimmten durch die Anastomosen des N. tympanicus
oder Jacobsonii mit dem Facialis und durch das Ganglion oticum mit dem Lingualis
in Verbindung stehen. J. Buhemann (Berlin).
14) Du röle de la prödisposition nerveuse dans l'ötiologie de la paralysie
faoiale dite „a frigore"» par Neumann. (Arch. de Neni:ol. 1887. XIV. 1.)
Die bisher angeblich unbewiesenerweise der Eälteeinwirkung allein zugeschriebenen
peripherischen Faciallslähmungen beruhen nach der Behauptung des Verf. in erster
Linie auf hereditärer nervöser Prädisposition, zu welcher der kalte Wind nur als
Gelegenheitfiursache hinzukommt, wie et«a noch Schreck, psychischer Insult oder
Aehnliches. Eine genaue Anamnese ergiebt nach N. jedesmal diese nervöse Prädis-
position, zu welcher jene zufällige Einwirkung hinzutritt, welche bisher als die alleinige
Ursache der Facialislähmung angesprochen wurde. Diese Ausführungen sucht N. an
einer Reihe von eigenen und fremden Beobachtungen zu beweisen. [Viel weiter kommt
die rationelle Pathologie der Facialisparalysen dadurch auch nicht] Siemens.
15) Ein xaerkwürdiges SensibiUt&tBphaiKiomen, von Dr. Bud. Jacob i. (Berl.
klin. Woch. 1887. Nr. 23 u. 25.)
— 169 —
Die Theorie der OoUateralinnervation der Haut bespricht Verf. im Anschluss an
seine Dissecfcation „Fall von schwerer traumatischer Paralyse der Nn. radialis und
medianns" (Marburg 1877) und im Hinweise auf seine im Westphal'schen Archiv
(Bd. XV) niedergelegte Arbeit Sie soll uns über die mannigfachen Erscheinungen
bei der Begeneration durchtrennter und wieder zusammenheilender peripherischer
Nerven Aufkl&rnng geben, wie auch verschiedene anatomisch-histologische Thatsachen
über die Endigungen der Nerven in der Peripherie der Haut physiologisch deuten.
Auch die Resultate der Thierexperimente von Arloing und Tripier werden durch
das neue Schema der Theilung und Gruppirung der peripherischen Nerven erklärt.
Dasselbe laset sich nicht in wenigen Worten wiedergeben und beruht darauf, dass
jeder Finger resp. Zehe von den Aesten verschiedener Nertren versorgt wird, indem
jeder der 4 Finger resp. Zehennerven Fasern enthält, welche mit Fasern aus dem
Verbreitungsgebiete eines jeden der drei anderen anastomotisch verbunden sein müssen.
■ Ealischer.
le) laes tremblementB prae- et posthömiplegiques et leurs rapports aveo
lee affeetions oäröbrales, par le Dr. Stephan, Zaandam-HoUande. (Bevue de
m6d. Mars 1887. p. 204.)
Die Arbeit enthält eine Besprechung der posthemipiegischen Beizerscheinungen
auf Grund einer Zusammenstellung von 43 Fällen aus der Litteratur mit brauch-
baren Sectionsbefunden. Keine eigenen Beobachtungen. Yerf. kommt zu dem Schlnss,
dass die posthemiplegische Chorea fast immer abhängig ist von einer Verletzung des
hinteren Abschnitts der inneren Kapsel oder vielmehr des anliegenden Thalamus op-
ticus. Letzterer sei ein Centrum für die Goordination der Bewegung.
Strümpell.
17) BMexions ä propos de oertaines maladies nerveuses observäes dans
la ville Salvador (Brasil). Faits d'astasie et d'abadie (Blocq) c'est-a-dire
de raffeotloii dänomznee: Inooordination znotrice poor la Station et la
marohe. Frätendue öpidemie de choröe de Sydenham, par Souza Leite.
(Progr. möd. 1888. Nr. 8.)
Sehr ausführliche Schilderung von 2 zur Chorea major gehörigen Krankheits-
fallen, die S. in Salvador, einer Stadt Brasiliens zu beobachten Gelegenheit hatte,
and die nach seiner Meinung um so grösseres Interesse erheischen, als sie einer
Uemen Epidemie angereiht werden müssen, die in jener Stadt geherrscht und bei den
Aerzten den Eindruck einer „Chorea minor Epidemie" hervorgerufen hatte, — Der
erste der geschilderten Fälle betrifft eine 38jährige Negerin, eine Köchin, von mangel-
hafter Erziehung, die eine ganze Reihe der gewöhnlichen hysterischen Charaktere bot,
aber ausserdem ganz besonders ausgesprochene saltatorische Beflexkrämpfe zeigte,
welche Gehen und Stehen fast unmöglich machten; es waren rythmisch eintretende
Bewegungen, Streckungen, Verdrehungen der unteren Extremitäten, hervorgerufen
beucnders durch intendirte Bewegungen der Füsse, Erhebung der Ferse vom Boden etc.
Diese Erscheinungen waren zwar zuerst in direktem Anschluss an eine grössere Er-
müdung aufgetreten, waren aber im Wesentlichen als Folgeerscheinungen einer Imi-
tation GfAuto-Suggestion'O aufzufassen. — Die Fat. hatte nämlich ähnliche, chorea-
üsche Bewegungen bei einer Mulattin auf öffentlicher Strasse bemerkt und war von
tiefem Mitgefühl mit der Betreffenden ergriffen worden. — Die saltatorischen Krämpfe
dauerten im Ganzen nur 7 Tage.
In dem zweiten Falle handelt es sich um eine 12jährige Weisse, mit stark
neoropathischw Disposition väterlicher- und mütterlicherseits. — Dieselbe war in
einer überaus bigotten Familie untergebracht; ihr Geist stand unter dem Eindrucke
baofiger kirchlicher Ceremonieen, Messelesungen etc. Ausserdem hatten 2 Mit-
11
— 170 -
scbfllerinnen des PeDsionais kurz vorher dasselbe wegen Veitstanz verlassen müssen;
es war viel über diese Affection im Kreise der Familie gesprochen worden. — Aach
bei diesem Mädchen traten, nachdem eine Veränderung im Charakter, eine Vergess-
lichkeit und eine melancholische Verstimmung vorhergegangen war, beim Gehen und
Stehen klonische Zuckungen in Armen und Beinen und Verdrehungen des Kopfes auf,
welche die Locomotion sehr erschwerten. Die Phänomene verschwanden, nachdem
sie 25 Tage angedauert hatten, und zwar in Folge einer religiösen Ceremonie, an
der sich die kleine Pat. betheiligte.
Alle 6 Kranken, 1 Mulatte, 1 Negerin und 3 Weisse, die S. in Salvador ge-
sehen, oder von denen er gehört, sollen nach Verf. von einer Epidemie ergriffen
gewesen sein. Er wünscht bei dieser Gelegenheit dem Irrthum zu begegnen, der in
der That unter vielen Aerzten verbreitet zu sein scheint, dass die sogenannten Chorea-
Epidemien Fälle von Chorea minor seien; gewöhnlich, meint S., handelt es sich um
Chorea major ähnliche Zustände oder um andere, niehr oder minder schwere Aeusse-
rungen und Phasen der Grande Hysterie.
(Auch Bef. sah im vorigen Sommer, allerdings nur vorübergehend, 6 kleine
Mädchen, die aus einer Dorfschule in Schwanheim bei Frankfurt a. M. stammten
und von „Veitstanz", der dort bei im Ganzen 14 — 15 Kindern epidemisch aufge-
treten, befallen sein sollten. Auch die Erscheinungen, welche diese kleinen Patienten
boten, waren keine choreatischen Bewegungen von dom gewöhnlichen, bizarren Charakter,
sondern sie bestanden vomämlich in leichten halbseitigen, rhythmisch - klonischen
Zuckungen im Bereiche des Facialis, der oberen und unteren Extremität.)
Laquer.
Psychiatrie.
18) La folie örotique, par B. Ball. (KEnc^phale. 1887. Nr. 2—4.)
B. hat seit Jahren seine Schüler auf das Studium der partiellen Delirien und
die physiologische Entstehung dieser auf bestimmte Gebiete begrenzten Wahnideen
hingeführt So hat er den Mechanismus der Ideenbildung bei der Zweifelsucht, dem
moralischen Irresein, dem Ueberschätzungswahn etc. verfolgt, nun bespricht er in
eingehender Weise die erotischen Irreseinsformen. Nach dem Vorgange EsquiroTs
unterscheidet B.:
I. eine erotische Irreseinsform der keuschen Liebe;
IL eine sexuelle Erregungsform:
1. aphrodisiatische Form,
2. obscöne Form,
3. hallucinatorische Form,
4. Satyriasis und Nymphomanie; .
III. eine sexuelle Perversiou:
1. Lustmörder,
2. Leichenschänder,
3. Päderasten,
4. geschlechtliche Zuneigung gegen das eigene Geschlecht.
Die Personen der ersten Klasse sind wohl ausnahmslos erblich stark belastet.
Doch sind sie keineswegs, wie andere Autoren sie bezeichnet haben, alle schwachsinnig,
wenn schon viele es wirklich sind und manche noch neben der Erotomanie andere
geistige Defecte aufweisen. Gewöhnlich fassen derartige Kranke zu einer Person,
die social auf weit höherer, unerreichbarer Stufe steht, heftige, plötzliche Zuneigung,
oft ohne die Persönlichkeit selbst jemals gesehen zu haben, oder sie haben jene so
flüchtig erblickt, dass sie nicht wissen, ob jene blond oder brflnett seien. B. möchte
so auch den Mariencultus vieler Theologen erklären. Die Erotomanen werden nur
selten für ihre Mitnieiischen, namentlich den Gegenstand ihrer Zuneigung unbequem.
— 171 —
zuweilen jedoch selbst geföbrlicb. Die bei jenen Kranken oft sieb einstellenden
Gehörstäoschnngen bringen dann oft Yerfolgungsideen beryor, wonach dann die Symp-
tome der Paranoia vorwiegen. Die sexuelle Erregungsform bildet einen schweren
Grad der Folie 6rotiqae; die Unterabtheünng der hallucinatorischen Form stellt sich
meist nur bei Kranken ein, welche überhaupt an hallucinatorischem Irresein leiden,
bei denen sich aber die perversen Sensationen auf die sexuelle Sphäre concentriren.
Die aphrodisiatische Form nennt B. jene oft in*s Ungeheure übertriebene Steigerung
der sexuellen Gelöste. Die davon befallenen Kranken bieten, wenn. hierin allein ihre
Krankheit besteht, durchaus keine weitere Störung der Intelligenz, obwohl gerade
auch im Beginn der Dementia paral. eine hochgradige Steigerung des Geschlechtstriebes
eintritt. Eine Krankengeschichte nach Trelat bietet hierzu eine gute Illustration.
Als obscöne Form bezeichnet B. jene FäJle, in denen der Kranke fortwährend
Kedensarten aus der sexuellen Sphäre im Munde führt, obwohl die geschlechtliche
l^istungsfähigkeit bei ihnen meist stark herabgemindert ist, wir finden sie bei Para-
lytikern und Greisen. Doch gehört aucb hierher jene oigenthümliche Sucht noch
junger Leute, die physisch normal erscheinen, welche fortwährend sich getrieben
fühlen, ihre Geschlechtstheile vor den Augen junger Frauen und Mädchen zu ent-
blössen. Unter der nymphomanischen Form oder Satyriasis begreift B. jene auf
physischer Degeneration beruhenden Fälle, in denen das sexuelle Begehren auch un-
mittelbar nach dem Genüsse nicht aufhört; dadurch, dass solche Kranke mit äusserster
Gewaltthätigkeit die Befriedigung ihrer Begierden zu erzwingen suchen, werden sie
höchst gemeingefährlich. Die 4 Unterabtheilungen, welche B. bei der sexuellen Per-
version macht, sind durch ihre Ueberschriften hinreichend charakterisirt, bei den
Lostmördem drückt B. selbst den Zweifel aus, ob nicht in vielen Fällen das zweite
Verbrechen nur geschehe, um das erste der Nothzucht vor Entdeckung zu sichern.
Im Ganzen erreicht die interessante Studie B.'s die Gründlichkeit Beard*s und
auch die deutscher Arbeiten nicht. Zander.
19) Des dölires multiples et des intoxioations d*origine dilfärente ohez le
meme individu, par M. G. Pichon. (L*Enc^phale. 1887. Nr. 4, 5, 6.)
P. beweist in einer sehr ausführlichen und durch viele Krankengeschichten er-
läuterten Arbeit, dass bei einem und demselben geisteskranken Individuum gleich-
zeitig mehrere Krankheitsformen auftreten und nebeneinander ihren Verlauf haben
können, jede für sich, dabei aber doch das Gesammtbild durch ihre Coexistenz in
besonderer Weise färbend, aber ohne sich doch zu einer Einheit zu vermischen. Diese
Analyse ist natürlich klinisch und prognostisch sehr wichtig, denn zu mancher un-
heilbaren Form kann sich noch eine heilbare Psychose einstellen, die auch für sich
unabhängig von der primären Erkrankung abläuft, während die erstere nach wie vor
weiterbesteht, also nicht etwa wie Ueberschätzungsideen und Verfolgungswahn neben
einander hergehen. Diese beiden sind nicht als coexistirend, sondern als miteinander
combinirt aufzufassen. So kann ein und dasselbe Individuum eine Alkoholvergiftung
und daneben auch Symptome von Morphinismus zeigen. Absynthismus und Ghloral-
vergiftnngy Chloralismus und Cocainomanie. Sehr häufig findet sich eine Coexistenz
multipler Delirien bei Paralytikern und zwar mit acutem Alkoholismus, also Fälle,
in denen die Paralyse vollständig ausgebildet ist, der Kranke nun Alkoholismus treibt
und eine Alkoholpsychose acquirirt, in der also die Excesse in baccho durch die
Paralyse veranlasst, nicht die Paralyse der Effect des fortgesetzten Alkoholmissbrauches
ist Die schreckhaften Gesichtshallucinationen geben immer das sichere Zeichen, dass
im betreffenden Falle der AlkohoHsmus seine Bolle gespielt hatte. Nach einigen
Wochen der Anstaltsbehandlung vergehen alle Symptome des Aikoholismus, die Para-
lyse geht ihren Gang weiter. P. fast nun die Paralyse selbst noch als eine dua-
listische auf und trennt sie in den paralytischen Blödsinn und das paralytische Irre-
11*
— 172 —
sein, za denen noch alle möglichen Formen der erblichen Degeneration als coezistirend
hinzutreten können. Femer kann sich die Paranoia mit Alkoholismos zu einem mul-
tiplen Delirium yergesellschaften oder auch mit dem Zustande erblicher Degeneration
und schliesslich mit der Epilepsie. Am häufigsten findet man bei Epileptikern diese
multiplen Delirien, sie sind oft Trinker, vielfach ausserdem erblich belastet und auch
systematischer Verfolgnngswahnsinn oder Hallucinationen sind bei denselben nicht
selten, ja oft finden wir alle diese yerschiedenen Irreseinsformen in einem Individuum
vertreten. Zander.
20) Monde des rdves» le rdve» Iliallnoinstion, le SonmambiiliBme, et l'Hyp-
notisme, llllusion» las Fsradis srtiflciels, le Bagle (on Hslluoinatlon
du Bösert), le Cerveau et le B^ve, par Max Simon, M^decin en chef k FAsile
public d'ali^n^ de Bron, M^decin-Inspecteur du Asiles priv^ du Bhöne. Deuxi^me
M. (Paris 1888. Baillidre & fils. 825 Seiten.)
Der Titel dieses in der Biblioth^que soientifique contemporaine erschienenen Buches
giebt den Inhalt an. In einer anziehenden, auch ffir Laien leicht verständlichen
Weise werden die geistigen Vorgänge geschildert, wobei Verf. zu dem Schluss kommt,
dass der Erinnerung, dem Traum und der Hallucination dieselben Vorgänge im Ge-
hirn zu Grunde liegen, welche nur gradweis von einander verschieden sind. Wir
können die Leetüre empfehlen. M.
21) Des intervallee luddefl oonsiddrös dana leurs rapports sveo la oapaoitö
oivile des aliänis, par B^gis. (L*Enc^phale. 1887. Nr. 2.)
B. stellt die wirkliche Existenz der Intervalla lucida perfectissima sowohl bei
periodischen Irreseinsformen mit typischem Verlauf als bei cyclischen Formen wissen-
schaftlich fest und knüpft dann daran die Forderung, dass auch gesetzlich diese
Intervalle als das, was sie sind, anerkannt werden, nämlich als zeitweise Genesungen.
Während dieser Intervalle sollen die bevormundeten Kranken ihre volle Dispositions-
Migkeit wieder erlangen, wie dies auch andere Gesetzgebungen, namentlich das
römische Becht, zogegeben haben. Sehr interessant ist die in der Arbeit enthaltene
Beschreibung, welche eine an periodischem Irresein leidende Dame von ihren eigenen
Krankheitsattacken gegeben hat. Zander.
22) Di un oaao di follia oommunioata (foUia a quattro)« pel doti F. Funajoli.
(Archivio per le mal. nervös, ecc. 1887. XXIV. p. 469.)
Ein neuer Fall von „Folie ä quatre" (cfr. dieses Ctrlbl. 1885. S. 186), in dem
ein 25jähriges Mädchen, das die active Rolle spielte, in nur wenigen Monaten ihre
drei älteren mit ihr unter denselben Verhältnissen zusammenlebenden Brüder in einen
ähnlichen Erregungszustand mit denselben unangenehmen Sinnestäuschungen und Ver-
folgungswahnvorstellungen versetzte, wie die waren, an denen sie selbst litt
Alle 4 Patienten wurden gleichzeitig der Irrenanstalt übergeben und sofort von
einander getrennt. Die 3 Brüder genasen in 4—8 Wochen vollständig; die Schwester
hingegen scheint nur noch geringe Aussichten auf eine noch zu erhoffende Heilung
darzubieten. Sommer.
23) A case of Melanoholia presenting some exoeptional features, prolonged
refasal of food and forced alimentation, by James Adam. (The British
med. Joum. 1888. Febr. 18. p. 349.)
25jährige, unverheirathete Dame, bleich, mager, mit erweiterten Pupillen,
zuckenden Augenlidern; Lippen, Zähne und Ztunge trocken, mit schmutzigem Belag;
— 173 —
eigenthflmlich riechender Athem, wie er langdauenideD Hunger begleitet. Seit 123 Tagen
— und auch beute noch andauernd — besteht völlige Nahrungsverweigerung; und
nur Sondenfftttenmg hat die ganze Zeit hindurch das Leben gefristet. 345 mal
hintereinander ist die forcirte Ernährung ausgeführt worden. Bei Beginn der Be-
handlung war das Eraftmaass schon auf das Aeusserste gesunken. Keine Katalepsie,
kein Stupor. Verstand im Uebrigen klar; doch glaubte die Kranke, Gott habe Hunger
ihr anbefohlen. — Menses während der ganzen Zeit nicht vorhanden. — Während
der Behandlung ist das Körpergewicht gewachsen, Zunge ist rein, Schleimhäute nor-
mal, der Athem hat den beissenden Geruch verloren. Der Autor stellt eine gute
Prognose; die Kranke werde genesen. L. Lehmann (Oeynhausen).
24) Presidential address at the annual meeting of the medico psyoho-
logioal aasooiation, Aug. 9, by G. H. Savage. (Joum. of ment. science. 1886.
October.)
S. bespricht in fesselndem Vortrage die Pathologie des Irreseins.
Die mikroskopischen Schnitte durch die Oentralorgane des Nerversystems er-
Idart S. für Bausteine eines Zukunftsgebäudes, noch sei unsere Kenntniss nicht reif
genug, um aus ihnen, und wenn man auch, wie er selbst, ihrer viele Tausende fer-
tige, die wahre Pathologie des Irrseins zu erkennen. Vom Lebenden sollen wir
lernen, weil die Modificaüonen am Lebenden bis in's Unendliche gehen. Alsdann
▼endet sich S. gegen das Bestreben, bestimmte Krankheitsformen zu definiren, weil
bei jedem Kranken die Form eine abweichende vom vorhergehenden Falle sein wird,
er möchte jede Classification, wie Epilepsie und Manie, verwerfen, um dafür Gruppen
von vitalen Beziehungen zu bilden. Danach möchte er die Pathologie des Irreseins
eintheilen in Irresein 1. veranlasst durch Erkrankung des Oentralorgans, 2. resul-
tirend aus Erkrankung anderer Körperorgane, 3. Störungen der psychischen Functionen.
Fast alle Fälle von Gehimerkrankungen, welche überhaupt Geisteskrankheiten be-
dingen, führen zum völligen Verfall und deswegen hält S. es für wenig förderlich,
wenn minutiöse ünterabtheilungen für die Paralyse aufgestellt sind. Die Paralyse
sei ein beständig fortschreitender Process, der aber je nach Perdon und specieller
Ursache unendlich abwechsele. Die grösste symptomatische Aehnlichkeit mit den zum
Verfall führenden eigentlichen Gehimerkrankungen bieten die Vergiftungen des Ge-
hirns durch Blei, Alcohol und Syphilis. Nach Verf. Ansicht resultirt die Paralyse
aus Ueberanstrengung, die je nach dem verschiedenem Maass der ursprünglichen
Potenz und der möglichen Erholung leichter oder schwerer den Verfall herbeigeführt.
In der zweiten Gruppe mache sich in fast allen Fällen bei den verschiedenartigsten
körperlichen Leiden die krankhafte Erklärung von allen möglichen Sensationen gel-
tend, gerade hier spiele aber auch die Vererbung eine grosse Rolle, auch werde oft
ein Altemiren zwischen körperlichen Leiden und Psychose beobachtet. In die dritte
Gruppe reiht S. vor Allen die auf Sinnestäuschungen beruhenden Irreseinsformen.
Bemerkenswerth ist, dass Verf. hier empfiehlt, den Patienten, welche an Sinnes-
täuschungen leiden, durch Vemunftgründe ihre Irrthümer zu beweisen, er führt meh-
rere FäUe Yon so erzielten Heilungen an. Zander.
25) Impressions d'unbuveur d'Opium, par Luys. (L'Enc^phale. 1887. Nr. 3.)
L. giebt die von einem Opiophagen selbst niedergeschriebene Leidensgeschichte
wieder; diese Aufzeichnungen sind sehr interessant zu lesen, eignen sich aber nicht
za einem aosf&hrliohen Referat, da eigentlich Neues doch nicht darin enthalten.
Zander.
— 174 —
Forensische Psychiatrie.
26) Befund und Gutachten über den der Brandlegung angeklagten L. Fr.,
ISjährigen Wirthschaftsgehülfen aus M., von Prof. A. Pick, Prag. (Prager
med. Wochenschr. 1887. Nr. 60.)
Ein yon Hanse aus schwachsinniger junger Mensch, bis dahin harmlos, hat kurz
hintereinander 2 Brandlegungen ausgeführt, ohne nachweisbaren Anlass „es sei ihm
der Gedanke gekommen und er musste es thun". In klarer und fiberzeugender Aus-
einandersetzung führt P., ausser der angeborenen Schwachsinnigkeit, die Erscheinungen
yon Petit-mal, sowohl zu Hause, wie auch in der Klinik beobachtet, auf und bringt
eine wechselnde Gesichtsfeldeinschränkung hiermit in Verbindung. Pat war ausser-
dem hereditär belastet (Ohrläppchen auch angewachsen). Dazu kommt, dass die
That in die Zeit der Pubertät fallt; Penis und Testes waren relativ unentwickelt;
endlich war eine Schädelverletzung nachzuweisen und das Ueberstehen eines Typhus.
Alle Umstände der That, das Verhalten des Pat. nach derselben, die Mehrzahl der
Brandstiftungen etc. — Alles spricht nach analogen Erfahrungen dafür, dass die
That unter dem Zwange eines krankhaften Impulses vollführt wurde. Hadlich.
Therapie.
27) Syphilis of the nervous System and its treatment, by Landon Carter
Gray. (Medical News. 1887. 9. July.)
Für Himlues sprechen nach den Erfahrungen des Verf. und Anderen folgende
Symptomencomplexe: periodisch einsetzende Kopfschmerzen, die oft nach Chinin
vorübergehend gehoben werden; Hemiplegien vor dem vierzigsten Lebensjahre, und
besonders solche, welche durch heftigen Kopfschmerz eingeleitet werden, der sich
aber nach der Katastrophe nicht mehr wieder einstellt; Krämpfe bei Erwachsenen
ohne vorausgegangenes Kopftrauma, ohne Nierenerkrankung, ohne Gravidität etc.,
und länger anhaltende Bewusstlosigkeitszustände, ohne dass Trauma, Meningitis,
Typhus, Diabetes oder Morbus Brightii nachzuweisen wäre. Der Hinzutritt basaler
oder spinaler Symptome zu bereits vorhandenen Himsymptomen soll ebenfalls sehr
für Syphilis verdächtig sein.
In Bezug auf die Therapie der Himlues ist allein Jodkalium von wirklichem
Einfluss. Verf. giebt anfänglich je 20 Gran = 1,2 dreimal, um dann jede Dosis
täglich um je 2 — 3 Gran zu vergrössem. Sobald Jodismus eintritt, lässt er die
Einzelgaben noch bedeutend (um Ys) verstärken, da er häufig gesehen hat, dass mit
der Einverleibung grösserer Dosen die Vergiftungserscheinungen schnell schwinden.
Ist dies letztere aber nicht der Fall, so geht er auf die halbe Menge zurück, die
unmittelbar vor dem ersten Ausbruch des Jodismus verordnet war, und bleibt auf
dieser so lange stehen, als noch eine Intoxication zu beobachten ist Erst dann be-
ginnt er wieder mit dem Jodverbrauch zu steigen.
Fälle, in denen durch keine dieser beiden Methoden der Jodismus schwindet,
sind als prognostisch sehr ungünstig zu betrachten. Verf. hat übrigens bis zu
800 Gran &= 50 Gramm Jodkalium in 24 Stunden mit gutem Erfolge gegeben!
Die Jodkaliumlösung soll nach der Mahlzeit in einem Glase Eiswasser oder
noch besser Giesshübler, event. auch Vichy-Brunnen, genommen werden. Gleichzeitig
wird eine Kur nach Playfair-Mitchell dringend angerathen.
Auch nach erfolgter Heilung lässt Verf. noch Jahre lang kleinere Mengen Jod-
kalium fortnehmen, ähnlich wie man dies mit Bromkalium bei Epileptikern zu thun
pflegt. Sommer.
— 176 —
88) De l'aotioii de Tantipyrlne dans l*öpilepsie, par M. Georges Lemoin.e,
aggr^, m^deciii-adjoint ä Tasile de Baillenl. (Gazette mM. de Paris 1887. Nr. 62.)
Verf. hat das Antipyrin nur bei gewissen Formen der Epilepsie nützlich gefanden
und zwar 1. hei solchen Kranken, deren Anfalle besonders unter dem Einflüsse der
Menstruation auftreten; 2. bei Epilepsia larvata und 3. bei Epileptischen mit Migräne-
anfallen. — Es genügten fast immer 2 Gramm pro die, eine Medication, die man
beliebig lange fortsetzen kann ohne schädliche Nebenwirkungen; doch tritt bei längerem
Gebrauche (Gewöhnung ein, und aus diesem Grunde empfiehlt es sich, von fortgesetzter
Anwendung des Mittels abzusehen. Hadlich.
29) On the ose of Stryohnine as a Hypnotio, by T. Länder Brunton. (The
(Practitioner. 1888. Jan. Nr. 235.)
fiei der Behandlung der Schlaflosigkeit in Folge der Ueberanstrengung von
Körper und Geist sind Opium und die Narcotica zu verwerfen; denn einerseits liegt
die Gefahr der Grewöhnung an diese Mittel zu nahe, und andrerseits werden viele
nach der Anwendung derselben am nächsten Tage stumpf und arbeitsunföhig, während
sie gerade Stärkung und Frische für den nächsten Tag erzielen wollten. Ohloral
beeinflusst zwar den geistigen Zustand am nächsten Tage weniger ungünstig, allein
auch an dieses Mittel gewöhnt man sich bald, und bei längerer Anwendung stellt
sich Schwäche dee Herzens ein. Einmal sah Verf. sogar nach langem Ghloralgebrauch
Manie entstehen, die mit dem Aufhören der. Anwendung des Mittels schwand. Brom-
kalium ist in den meisten Fällen von Schlaflosigkeit in Folge von geistiger Ueber-
anstrengung ohne hypnotische Wirkung. Bei einigen geistig angestrengten Menschen,
die an Schlaflosigkeit litten, suchte Verf. den Zustand der Uebermüdung, Ueber-
r^zung, in den einfacher Ermüdung mit folgendem natürlichen Schlaf zu verwandeln.
Dies will er erreicht haben durch beef-tea, Yalentine's Fleischsaft, kleine Dosen
Alkohol etc. Durch diese Mittel würde in Folge von Erweiterung der Magengefässe
das Blut vom Kopfe abgeleitet und zugleich eine stimulirende Wirkung auf das
Nervensystem selbst erreicht. Diese letztere Wirkung kommt auch in hervorragendem
Maasse dem Stiychnin zu, und eine kleine Dosis dieses Mittels soll das Nervensystem
von dem Zustande der Uebermüdung in den einfacher, schlafbringender Ermüdung
umwandeln. Der Schlaf sei gesund und ohne üble Folgen für den nächsten Tag.
Tinct noc vomic. in Dosis von 6 — 10 Minims (1 Minim » 0,06 Gramm) oder
Scbieffelin*8 Pillen (1 Pille = V200 ^^^ Strychn. sulph.) werden empfohlen; von
letzteren wurden 1 — 2 und mehrere zur Schlafzeit gegeben, und die gleiche Dosis
wiederholt, falls der Schlaf nach 1 — 2 Stunden wieder wich. Ob Strychnin in andern
Fällen von Schlaflosigkeit als bei Ueberarbeitung dieselbe Wirkung habe, ist zweifel-
haft. In einem Fall von Anämie erzielte Verf. auch gute Erfolge, ' doch lässt er
dahingestellt^ in wie weit Suggestion und Einbildung dabei mitwirkten.
Kalischer.
30) Die Maeeage in der Nenropathologie, von Dr. Anton Bum in Wien.
(Wiener Klinik. 1888. Januar.)
Nach einer kurzen Einleitung, in welcher die Wichtigkeit der Massage für die
Therapie der Nervenkrankheiten betont wird, spricht Verf. unter den beiden Hanpt-
nibriken „directe Massagewirkung'' und „indirecte Massagewirkung'' alle
Nervenkrankheiten durch, bäi welchen ein Erfolg dieser Therapie mehr oder weniger
anerkannt ist.
Der Sinn jener beiden Gapitel-Ueberschriftien erklärt sich von selbst. Unter
d«r ersten werden die Neuralgien besonders berücksichtigt Yerf. scheint bei idio-
pathischen, nicht veralteten Trigeminus- und anderen Neuralgien gute Erfolge gehabt
— 176 —
zn haben. Das Verfahren dabei wird ziemlich genau beschrieben. Die Kranken-
geschichte eines an sogenannter Ischias leidenden Mädchens ist lehrreich: Die genaue
Beckenuntersuchung nach längerer erfolgloser Massage ergab eine Aufblähung des
€olon descendens in Folge chronischer Obstipation, nach deren Beseitigung die Ischias
verschwand. (Im Uebrigen werden die glänzenden Resultate der Massage bei chro-
nischer Obstipation, die doch so häufig Nervenleiden vortäuscht, nicht erwähnt.)
Genauer besprochen wird auch die Massage bei Migräne. Hier ist es nur die
myopathische Form, bei welcher man schmerzhafte Funkte und Anschwellungen in
den Halsmuskeln findet, die auf Heilung durch dieselbe rechnen lässt. Verf. erwähnt
mehrere günstig verlaufene Fälle und theilt eine Krankengeschichte (Heilung einer
veralteten Form in 90 Sitzungen) des Nähern mit.
Sehr gute Resultate soll auch die Massage der Gelenkneurosen (hysterischen)
ergeben. Freilich kann sie dabei der allgemeinen und besonders psychischen Be-
handlung von Seiten eines energischen Arztes nicht entbehren (eine lehrreiche Kranken-
geschichte). Die Diagnose, meint Verf., wäre nur in der Chloroformnarcose zu stellen
möglich.
Unter den motorischen Störungen wird neben dem Facialiskrampf, dem Blepharo-
spasmus u. a., die bei Berücksichtigung der werthvollen Schmerzpunkte der Massage
durchaus zugänglich sind, besonders der Schreibekrampf berücksichtigt. Verf. hat
mehrere Fälle des spastischen Schreibekrampfes zur Verfügung, die durch die mecha-
nische Therapie erheblich gebessert worden sind (die Behandlungsmethode wird genau
angegeben). Eine vollkommene Heilung dieser Form hält Verf. fOr ausgeschlossen,
dagegen hat er eine bei der paralytischen Form durch dieselbe Methode zu verzeichnen.
Auch die übrigen Beschäftlgnngsneurosen (der Musiker, Tänzerinnen, der Melker, der
Radfahrer u. s. w.) sind derselben zugänglich.
Die Lähmungen sind dann besonders dankbare Objecto fOir diese Behandlung,
wenn sie rheumatischer Natur und frühzeitig derselben unterbreitet werden.
Die unter Oapitel U besprochene indirecte Massagewirkung ist natürlich von
viel geringerer Bedeutung als jene, bei welcher die kranken Nerven etc. der massirenden
Hand direct zugänglich sind. Dennoch giebt es einige Affectionen, wo sie zweck-
mässig verwandt wird. Hyperämische Zustände des Hirns werden durch die Massage
des Halses, welche depletorisch auf jenes wirict, beseitigt (Methode von Gerst), und
so kann dieselbe auch prophylactisch bei apoplectischer Disposition verwandt werden.
Bei den sehr kurz abgehandelten Rückenmarkskrankheiten sei besonders der
Massage bei Dystrophia muscularis progressiva, welcher Hühnerfauth (Handbuch
der Massage, Leipzig 1887) das Wort redet, erwähnt.
Von den functionellen Neurosen hat die Chorea schon im Jahre 1850 durch
S^e eine mechanische Behandlung erfahren. Verf. bestätigt das derselben zu Grunde
liegende Frincip: „il faut rendre les contractions sous la puissance de la volonte'*.
Dies soll gescliehen durch Combination von Massage und Gymnastik.
Bei Nearasthenie und Hysterie kann die Massage eventaell auch mdidrt sein.
lieber die Wirkung der Massage bei Neuritis hat Verf. keine eigene Erfahrung.
Sperling.
31) Ueber Amylenhydrat als Sohlaftnittel. Aus der med. Klinik des Herrn
Prof. Riegel in Giessen. Von Georg Avellis. (Dtsch. med. Wochenschr. 1888. 1.)
Das Mittel wurde in Gelatinekapseln oder in Mixtur, mit Bothwein oder mit
Wasser und Syrup gegeben, auch im Klystier, und zwar zu 3 gr in Aq. dest. und
Gummi arab. iok 25,0. — Die Dosis war 0,8—3,2 gr, meistens 2 — 2,4. — Nach
letzteren Dosen trat 6 — 8 stündiger, nach kleineren Gaben 2 — 3 stündiger Schlaf ein,
und zwar meist schnell, nach einigen bis 15, längstens 45 Minuten. Es wurden so
gut wie niemals unangenehme Nebenwirkungen beobachtet, und nur bei 3 Patienten
— 177 —
unter 40, die mit den yerschiedensten Krankheiten behaftet waren, yersagte das
Mittel, das dem Faraldehyd entschieden Tonsnziehen ist. — Hofifentlich wird es bald
billiger. - Hadlich.
•
32) The treatment of sea^siokness, by W. W. Skinner. (The Brit. med. Jonm.
1887. Oct 8. p, 768.)
Nach Skinner, der als Schi&arzt Gelegenheit hatte, Seekrankheit zu stndiren,
ist dieselbe zn erklären durch Nervenreiznng sowohl der Bauch-, als der Sinnes-
organe (Gesicht, Gerach), welche Lähmung der motorischen Functionen des grossen
Sympathicus durch Reflexaction hervorrufe. Von dieser so erzeugten Sympathicus-
lahmung rfüiren dann im Allgemeinen Herabsetzung des Blutdruckes und alle damit
verbundenen Folgeerscheinungen her, — daher vrurden Medikamente gesucht, welche
der Blutdruckverringerung entgegenwirken. Verf. findet dafOr die Alkaloide : Atropin,
Strychnin, Coffein (erstere beide, gleichzeitig angewandt, nützlich, sowohl durch mano-
metrische, an kleineren Thieren angestellte Versuche, als hauptsächlich durch directe
Behandlung Seekranker. Die angewandte Formel war:
Atropini sulfurici
Strychnini sulfurici ää 0,04
Aq. Menthae 40,0
1 gr enthält also 1 mgr von je beiden Alkaloiden. — In warmen Klimaten muss die
Mixtur frisch gemacht werden. Nie sah Sk. einen Nachtheil von dieser Medikation.
Wenn 2 Stunden nach der ersten Injection noch nicht Genesung eintritt, so muss
eine zweite — mehr aber nicht — gemacht werden. Bei einem 2^/, jährigen Mädchen,
welches bereits 14 Stunden krank war, half pünktlich der sechste Theil dieser Dosis
= 0,00016 (IGcmgr); ein 6 jähriger Knabe erhielt eine viertel Dosis. In der Mehr-
zahl der FäUe hört nach Igr der Lösung das Erbrechen auf, alsdann verliert sich
üebelkeit, Kopfweh, Schvnndel. Meist stellt sich halb- oder dreiviertelstündiger Schlaf
ein; nach Injection zur Nachtzeit steUt sich erfrischende Nachtruhe ein.
Die Formel für Coffein war:
Ooffeini 4,0
Natr. salicyl. 3,0
Aq. dest. q. d. ad cc. 10,0, in milder Wärme zu lösen. Jeder cc. enthält dem-
nach 0,4 (4 Decigr.) Coffein. — Eine einzige Injection von 0,3 Coffein heilte in
7 Stunden einen bereits 3 Tage Leidenden; einen zweiten in 5 Stunden. — Kleine
Nachtheile : Trockenheit im Halse, Hautröthe, Amblyopie, auch einmal inflammatorische
Reizung an der Einstichstelle traten zuweilen ein, waren aber nicht von Belang.
Bei organischen Herzfehlem blieb dieser wohlthätige Effect aus. — Pillen, bereitet
von den beiden Alkaloiden, die sofort beim ersten Eintritt der Symptome genommen
wurden, verhindern die Entwickelung der Seekrankheit.
L. Lehmann (Oeynhausen).
33) Bemarks on ton oonseoutive oaaes of Operations upon the brain and
oxanial cavity to illiiBtrate the detaila and safety of the method em-
ployed, by Victor Horsley. (The Brik med. Joum. 1887. April 23. p. 863.)
Eine Mittheüimg in Tabellenform über 10 wegen verschiedener Diagnosen von
Gehinikrankheit vorgenommener Trepanationen mit mehreren die chirurgische Behand-
luig betreffenden Bemerkungen, fflr welche auf die Arbeit selbst hingewiesen werden
mosB. Die Fälle sind die folgenden:
1. Siin 22jähriger Mann mit rechter Hemiparese und epileptiformen Anfällen,
welche im rechten Bein beginnen, und benommenem Kopf. Alte Schädelfractur mit
Depression. Wegnahme der Narbe, die sich bis in's Gehirn erstrecki — Hemi-
parese bleibt; epileptiforme Anfälle hOren auf.
— 178 —
2. Ein 20jähriger Mann mit epileptischen Anfällen nnd constanten Spasmen.
Parese des linken Armes. — 3 Monate lang nach der Operation keine Anfälle;
dann 8 Anfälle auf Arm und Schulter beschrankt Nachher kein weiterer Anfall.
3. Ein 24 jähriger Mann mit alter Schadelfractur, benommenem Kopf nnd
häufigem Kopfschmerz, Parese des rechten Armes und Gesichts. Schwere epileptische
Anfälle alle 3 Wochen oder weniger. — Nach der Operation nur 3 kleine AnflUle
j.petit mal".
4. Ein 38 jähriger Mann mit linker Hemiplegie , Coma, und epileptischen, in
der linken Schulter beginnenden Anfällen. 10 Tage vor der Operation: Semicoma-
tose und links Hemiparalyse. — Nach der Wegnahme eines Tumor (Glioma) — das
weggenommene Stück wiegt 4^2 Unzen — 3 Monate lang kein Anfall mehr; 6 Monate
nach der Operation Becidiv; Tod.
5. Ein lOjähriger Knabe, der schwachsinnig» epileptiforme, am linken Mund-
winkel beginnende AnföUe (täglich 3 — 6), Parese des Gesichts, der Zunge etc. hat.
— Nach der Operation in der zweiten Nacht am linken Mundwinkel Zucken, in der
dritten: Anfälle. Nachher nur die Hälfte der Anzahl von Anfällen wie vorher. Als-
dann 3 Nächte ohne Anfall.
6. Ein 37 jähriger Mann, hatte vor 15 Jahren einen Stoss auf den Kopf be-
kommen, mit benommenem Kopf, Hemiparese, auch halbsseitiger Anästhesie. Nach
Incision der Dura eine grosse cystisch entartete Narbe vom Gortex entfernt —
Wegen drohenden CoUapsus Fortnahme der Narbe unvollkommen. Bewegung und
Sensibilität verbessert. 4 Anfälle einen Tag, 2 Anfälle am sechsten Tage nach der
Operation. — Bewusstsein nicht gestört.
7. Ein 37jähriger Mann mit örtlichem, arbeitsunfähig machendem, heftigem
Kopfschmerz, von bereits dregähriger Dauer. Ein Stück der inneren Platte des Os
parietale wird weggenommen. — Aufhören des Schmerzes nach der Operation.
8. Ein 4 jähriger Knabe, halbcomatös zur Zeit, mit Hemiparalyse rechts und
3 — 14 epileptischen Anfällen täglich. — Nach der Operation einen Monat keine
Anfälle, dann 6 leichte, und endlich keine mehr.
9. Ein 37jähriger Mann mit beständigem Kopfweh, mit Paralyse der rechten
Hand und des rechten Antibrachium, Parese des rechten Beines, mangelhafter Sprache
und epileptischen, im rechten Zeigefinger beginnenden Anfällen. Wegnahme eines
Tumor von 4^/, Unzen Gewicht. — Nach der Operation hören Kopfschmerz und
AnföUe auf.
10. Ein ISjähriger Mann mit Parese aUer 4 Gliedmaassen (besonders links),
Sphincteren geschwächt, Kopfweh, mit Brechanfällen, Neuritis optica, epileptischen
Anfällen (unter Kopfdrehung nach rechts). — Operation. Vom rechten Lohns oere-
belli wird ein tuberkulöser Tumor von 7 Drachmen Gewicht weggenommen. — Tod
nach 19 Stunden. Post mortem: Allgemeine chronische Tuberkulose.
L. Lehmann (Oeynhausen).
m. Aus den Oesellsohaften.
Aoadämie de mödeoine, Paris. Sitzung vom 27. December 1887.
Legrouz: Sohnelle Heilung der Ohorea durch AnÜpjrrin. Ein Knabe,
der seit Mai 1887 an leichter, seit August an heftiger Chorea litt, bekam —
nachdem schwächere Dosen sich wirkungslos gezeigt hatten — vom 7. September
au 3 g Antipyrin pro die und war am 12. September dauernd geheilt, sodass das
Mittel ausgesetzt wurde. — Aehnlich war die Wirkung in fünf anderen Fällen, wenn
auch nicht so schnell, denn die Frist bis zur Heilung schwankte zwischen 6 nnd
27 Tagen. Immer musste die Dosis auf 3 g pro die (in Einzelgaben von 1 g mit
20 g Syrup und Wasserzusatz) erhöht werden, wenn Wirkung eintreten sollte.
Hadliclu
— 179 —
Aoadömie de mödeoine, Paris. Sitzung yom 14. Februar 1888.
üeber Vergiftung durch Antipyrin, von Dr. Jennings. Eine junge Dame
nahm 8 Tage lang taglich 2,50 gr Antipyrin : danach erythematöse Flecke, dann
allgemeiner Ausschlag (rash) mit Nasen- Augen-Catarrh; hinterher grosse Schwäche
Andere Aerzte (Dr. Barber, Dr. Whitehouse, Dr. Allen Sturge) sahen nach 1 gr, resp.
0,5 gr (bei einem Kinde) resp. 0,25 gr theils am anderen Tage, theils nach wenigen
Minuten Urticaria-artigen Ausschlag mit catarrhalischen Symptomen auftreten; bei
dem Kinde trat zugleich Schwund des Bewusstseins ein.
Germain S6e bemerkt hierzu, dass er dergleichen häufig gesehen hat, aber
kaum jemals bei so kleinen Dosen, sondern wenn man fortgesetzt mehrere Gramm
taglich giebt. Besonders Frauen disponiren zu diesen Nebenwirkungen, die übrigens
niemals einen bedenklichen Charakter annahmen und für die das Wort „Vergiftung"
kaum passend sein dürfte.
Dujardin-Beaumetz schliesst sich durchaus der Auffassung See's an; er
möchte eher die gastrischen Störungen, welche das Antipyrin bei längerem Gebrauche
macht, beklagen, zumal das Mittel bei subcutaner Anwendung heftige Schmerzen
macht —
Germain S6e empfiehlt Zusatz von doppelt-kohlensaurem Natron oder Seltera-
wasser, und bei subcutanen Einspritzungen möglichste Verdünnung. Uebrigens werde
das Präparat wohl oft unrein dargestellt.
Ollivier: „Vielleicht sind die meisten Wirkungen des Mittels auf seine Un-
reinheit zu schieben; wenigstens scheinen mir seine Wirkungen bei Chorea mit all-
zuviel Enthusiasmus gerühmt zu werden." (Hört! hörti Ref.) Ha d lieh.
Ausserordenüiohe Sitzung der „Sooiötä de mödeoine mentale de Belgique»**
am 26. November 1887 zu. Brüssel.
(Bulletin de la Sod6t6 de M^decine mentale de Belgique. 1887. Nr. 47. p. 17^94.)
Auf die Tagesordnung für diese ausserordentliche Sitzung war die Frage gesetzt
worden, was in Belgien für die Unterbringung crimineller Irrer zu geschehen habe,
um die öffentlichen Irrenanstalten möglichst zu entlasten.
Der Präsident Dr. Höger eröfibet die Sitzung, indem er zur Begründung jener
Tagesordnung ausführt, dass in der belgischen Kammer schon 1873 die Errichtung
einer Specialanstalt für criminelle Irre für noth wendig erklärt worden sei, und dass
jetzt Strafvollzugsbeamte wie Aerzte über die grossen Misastände des bisherigen Ver-
pflegungssystems einig seien. Verbrecherische Irre (im engeren Sinne) kommen ge-
wöhnlich in eine der öffentlichen und ungenügende Sicherheit gegen Ausbrüche etc.
bietenden Irrenanstalten, und von den irren Verbrechern wird nur ein Theil in die
»Specialqnartiere" bei den Staatsirrenanstalten zu Toumay (für Männer) und Mona
(für Franen) überführt; die meisten bleiben in der Strafanstalt, so lange dies irgend
möglich ist. Er selbst spricht sich für eine Specialanstalt, etwa für ein „Prison-
asile" unter der allgemeinen Verwaltung der Justizbehörden und unter besonderer
Direction eines Irrenarztes aus, und fordert die Versammlung auf, sich über die
technischen und administrativen Grundlagen einer solchen Anstalt zu äussern.
Es entwickelt sich dann eine sehr lebhafte Debatte, die besonders zu längeren
Auseinandersetzungen zwischen den Dr. Semal und Lentz, der Directoren der beiden
Staatsirrenanstalten, denen je eine Verbrecherabtheilung angehängt ist, über die Mit-
berftcksichtigung der sogenannten „crinünels instinctifs" führt; ein Beiferat über diese
interessante Discussioii ist leider an dieser Stelle nicht zu geben.
Dr. Semal stellt dann folgende Thesen auf:
— 180 —
1. Es ist eine Specialanstalt zu errichteii für
a) die criminellen Irren aus der Klasse der gemeingefährlichen Irren O,homi-
cides, incendiaires, violateurs etc/^ und
b) für die sogenannten „criminels instinctifs'' („ni intellectuellement ali^n^
ni moralement coupables'').
2. Provisorisch können diese beiden Kategorien in einer Irrenabtheilung bei
einer Strafanstalt oder in einem ad hoc adaptirten Gefangniss etc. unter-
gebracht werden.
4. Alle criminellen Irren, die nicht unter die Bestimmung in 1 fallen, können
in den öffentlichen Irrenanstalten bleiben.
(3. und 5. enthalten Ausführungsbestimmungen auf Grund der belgischen Gesetz-
gebung etc.)
Dr. Lentz macht folgende Vorschläge:
1. Gründung einer Specialanstalt für sämmtliche criminelle Irre, welcher Kate-
gorie sie auch angehören mögen. Bis zur Fertigstellung dieser Anstalt sind
die gefährlichsten dieser Irren in einem sofort (im Anschluss an die Irren-
anstalt zu Toumay) zu erbauenden „Sicherheitsquartier" unterzubringen.
2. Anscheinend gemeingefährliche, aber noch nicht mit dem Strafgesetz in Con-
flict gerathene Irre sollen aus den übrigen belgischen Anstalten in jenes
Sicherheitsquartier überführt werden, sobald die Specialanstalt eröfi&iet ist.
Endlich beantragt Dr. Cuylits die Gründung von Sicherheitsquartieren (^^qxiBX'
tiers de s^curit^") bei mehreren Irrenanstalten mit der Bestimmung, aufzunehmen:
a) alle von einem Verbrechen freigesprochene oder ausser Verfolgung gesetzte
Irre,
b) alle geistig erkrankten Sträflinge, und
c) einzelne besonders gemeingefährliche „unbescholtene" Irre.
Zum Schluss resumirt der Präsident noch einmal die verschiedenen ausgesprochenen
Ansichten und glaubt constatiren zu können, dass alle Differenzen nur auf formellen,
nicht aber auf wesentlichen materiellen Bedenken beruhen.
Alsdann werden von der Versammlung folgende Thesen zum Beschluss erhoben:
I. Es ist nothwendig, eine oder mehrere Specialanstalten für criminelle Irre zu
errichten.
Criminelle Irre sind 1. alle Angeklagte und Untersuchungsgefangene, die wegen
Geistesstörung freigesprochen oder ausser Verfolg gesetzt sind; 2. aUe Sträflinge,
die geistig erkrankt sind, und 3. diejenigen Irren, die in einer Irrenanstalt ein
schweres Verbrechen begangen haben („acte qualifi^ de crime").
n. Bei der Dringlichkeit der Sachlage ist bei den beiden Staatsirrenanstalten
sofort eine Sicherheitsabtheilung aber nur als provisorisches Hülfsmittel zu errichten.
III. Sobald die Specialanstalt (oder die Specialanstalten) eröffiiet, sind in die
Sicherheitsabtheilungen zu Toumay und Mens die besonders gemeingeföhrlichen Irren
aus allen änderen Anstalten aufzunehmen.
Diese Beschlüsse der Gesellschaft sollen dem Jujstizminister übermittelt werden.
Sommer.
Medicinisohe Gesellsohaft in Strassburg. Sitzung vom 5. Januar 1888.
Ueber Ophthalmoplegie. P. Meyer beobachtete bei einem 62jährigen, durch
eine Bronchitis chronica mit Bronchiectasie etc. sehr geschwächten Manne eine Läh-
mung aller Augenmuskeln ind. Levator palpebrae, doph ohne Betheiligung der Pupille.
Es gesellten sich hi den nächsten Tagen hinzu Dysphagie, Anästhesie der Conjnnc-
tiva, Parästhesien in Bumpf und Gliedern, und bald darauf trat Exitus letalis ein.
— Die Section ergab eine auch bei genauester mikroskopischer Durchforschung intacte
— 181 —
Hedolla oblongata, alle Kerne normal. Dagegen fand sich eine sehr aasgebreitete
multiple Neuritis: alle Augenmuskelnerven vollkommen, Facialis, Hypoglossus, Glosso-
pharyngens u. a. partiell degenerirt, auch zahlreiche spinale Nerven. Hadlich.
IV. Bibliographie.
üeber irre Verbrecher, von Dr. C. Moeli, dirigirender Arzt der Irren-Siechen-
Anstalt zn Dalldorf, Docent an der Universität Berlin. (Berlin 1888. Fischer*s
med. Buchhandlung. 180 Seiten.)
Nicht ein erschöpfendes Werk, sondern die Besprechung einzelner wichtiger
Fragen an der Hand 4^2 jähriger Beobachtungen und auf Grund des reichen Dall-
dorfer Materials gemachter eigener Erfahrungen will Verf. bieten. — Wie reich und
interessant dieses Material ist^ ergiebt sich aus den im ersten Abschnitt mitge-
theilten Krankengeschichten, welche die Hälfte des Buches einnehmen und nach der
Art der strafbaren Handlungen in 14 Gruppen mitgetheilt sind: Betteln; Ruhestörung,
Widerstand etc.; Körperverletzung, Mord, Todtschlag etc.; Verbrechen und Vergehen
gegen die Sittlichkeit; Beleidigui^; Gotteslästerung; Mtgestatsbeleidigung; Insubordi-
nation; Brandstiftung; Diebstahl (78 Fälle); schwerer Diebstahl (76 Krankengeschich-
ten!); Betrug; Raub. — Ueberall werden die Beziehungen zu den Formen der Geistes-
störung hervorgehoben und besonders eingehend schon hier die an Zahl der Fälle
auffallend überwiegenden Gruppen des einfachen und des schweren Diebstahls be-
sprochen. — Bei der Erörterung des „Zusammenhangs von Geistesstörung und Ver-
brechen" (zweiter Abschnitt) hebt Verf. zunächst hervor, dass es sich bei seinen
Kranken nicht nur um irre Verbrecher, sondern nachweislich vielfach um verbreche-
rische Irre handele, während bei einer gewissen Anzahl die Entscheidung der Frage
ansicher bleibt. Bei den Bettlern und Arbeitsscheuen, bei den wegen Beleidigung,
Körperverletzung, Mord und Todtschlag, Migestätsbeleidigung, Insubordination, Brand-
stiftung, unsittlicher Handlungen in Untersuchung beziehungsweise Strafe genommenen
und später nach Dalldorf gebrachten Individuen findet M. ein ganz ausserordent-
liches Ueberwiegen der sicher bereits z. Z. der Strafthat Kranken; sie handelten
meist unter Antrieb von Affectzuständen, die wegen Strafthaten gegen die Sittlich-
keit Angeschuldigten waren jedoch fast alle Schwachsinnige. — Schwieriger liegt die
Frage bei den wegen Verbrechen gegen das Eigenthum Beschuldigten resp. Bestraften
and hier widmet der Verf. besonders den gewohnheitsmässigen Eigenthumsverbrechem
eingehende Untersuchungen. Die psychische Beschaffenheit ist auch hier natflrlich
nur ein Factor für das Handeln des Individuums; Unwissenheit, Verwahrlosung und
Koth sind im Allgemeinen Hauptursachen des Verbrechens. Unverkennbar treten
aber gerade bei den Gewohnheitsdieben, Einbrechern etc. 1. eine psychische Schwäche,
2. allerlei krankhafte Eigeuthümlichkeiten : abnorme Erregbarkeit, wahnhafte Auf-
fassung der Verhältnisse etc. in entscheidender Weise hervor. Diese Unglücklichen
sind sehr oft Verbrecher von Jugend her, die meisten vor dem 20. Jahre schon
mehrfach bestraft und enden nun in Dalldorf. Bei 79 dieser Eigenthumsverbrecher
wurde Geistesstörung oder Epilepsie bei Familienangehörigen 41mal angegeben
(gewiss noch öfter vorhanden). Im Einzelnen fand sich bei 23 ^/^ keine erbüche
Belastung; bei 15 ^/^ war in der Familie Nervosität, Selbstmord, Verbrechen oder
Trunksucht nachweisbar; bei 21 ^/^ zweifellos Geistes- und Nervenleiden bei Ge-
schwistern und andern Famüiengliedem; bei 40^/0 in der directen Ascendenz
Geistesstörung oder Epilepsiel — Vorhergegangene Kopfverletzungen lagen
häufig vor. Im Ganzen fand M., dass von 74 jetzt geisteskranken gewohnheits-
mässigen Eigenthumsverbrechem von jeher (d. h. schon vor den Strafthaten) geistig
abnorm waren 28, bedenklich in dieser Hinsicht (d. h. mit geistigen Abnormi-
täten massigeren Grades) 18, ohne nachweisbare frühere Abnormität 28.
— 182 —
An der Hand der Ergebnisse vorstehender mid ähnlicher Untersnchnngen be-
spricht M. sodann die ,,Pe8tstellang des Geisteszustandes*', and beklagt, dass
bei Gericht zn oft die Frage nach der Geistesbeschaffenheit des Angeklagten gar
nicht aufgeworfen wird; wurde — in M/s Fällen — der ärztliche Sachverständige
überhaupt zugezogen, so wurde auch eine genflgende Aufklärung gewonnen.
In Abschnitt IV: „Ueber Simulation von Geistesstörung" tbeilt Verf.
eine Reihe höchst interessanter Fälle mit; er constatirt, dass zwar bei einer Anzahl
von Personen auch wirkliche Sachverständige sich insofern irrten, als sie entweder
Simulation fökchllch angenommen, oder das Bestehen einer Geistesstörung neben
Simulation Obersehen haben, dass aber in keinem einzigen Falle, in welchem
Geisteskrankheit von dem Sachverständigen behauptet war, sich diese als Simulation
erwiesen hat.
Besondere Beachtung verdient u. E. der letzte Abschnitt, Aber die Behand-
lung und Unterbringung geistesgestörter Verbrecher. Leider verbietet
uns der Baum ein genflgendes Eingehen auf die Auseinandersetzungen des Verf., die
uns doppelt werthvoll erscheinen, weil sie einerseits überall auf eigener reicher Er-
fahrung beruhen, andererseits sowohl einer echten Humanität wie den Erfordernissen
der Praxis Rechnung tragen. — Nach einer kurzen Darlegung der betreffenden Ver-
hältnisse im Auslande und der Entwickelung, welche dieselben bisher in Deutschland
durchgemacht haben, giebt die Besprechung der Gründe, welche gegen eine Aufnahme
der irren Verbrecher in die IrrenauHtalten vorgebracht werden, M. Gelegenheit, sich
über die zahlreichen Entweichungen auszulassen, die früher in Dalidorf vorkamen;
sie betrafen fast ausschliesslich die gewohnheitsmässigen Eigenthumsverbrecher.
Bei entsprechenden baulichen Einrichtungen, Sorge f&r gutes Personal, für
passende Beschäftigung der Kranken, erziehlicher und unterhaltender Art; bei rich-
tiger Vertheilung der Patienten, besonders in isolirte Schlafräume ist man in Dall-
dorf nicht nur ganz gut ausgekommen mit diesen verbrecherischen Irren, sondern
hat sie z.. Th. sogar, nach langer Behandlung in der Anstalt, entlassen (4 Kranke)
oder in die gewöhnlichen Abtheilungen verlegen können (7 Kranke). — M. hält
indess besondere Abtheilnngen für die betreffenden Kranken für besser, als ihre
Unterbringung in die Abtheilung für unruhige und gefährliche Kranke, was Sander
für genügend erklärt. — Den Streit über die Frage, ob irre Verbrecher in besondere
Anstalten, ob in Annexe an die Strafanstalten, ob einfach in die Lazarethe derselben
u. s. w. verlegt werden sollen, hält M. mit vielen anderen Aerzten (z. B. Mendel,
Sander, Baer) für nicht so wichtig, wie die Herstellung einer erhöhten psychiatrischen
Bildung der Gef&ngnissärzte, um bessere und schnellere — rechtzeitige — Fürsorge
für geisteskranke Gefangene zu erreichen.
Zum Schluss bringt der Verf. einen neuen beachtenswerthen Vorschlag: wenn
schon die geminderte Zurechnungsfähigkeit bei der Strafabmessung im Strafgesetz-
buch nicht zugelassen sei, so soUe man doch wenigstens beim Strafvollzuge auf
gemindert Zurechnungsflihige Bücksicht nehmen. Und da Prophylaxe auch auf
diesem Gebiete in erster Linie stehen muss, so könne man hier und zwar besonders
iu den Fällen der gewohnheitsmässigen Eigenthumsverbrecher, die meistens schon in
jugendlichem Alter der Verurtheilung anheimfallen, dadurch ihrer wdteren traurigen
Entwickelung entgegenarbeiten, wenn man sie, ähnlich wie strafl&llige Kinder unter
12 Jahren, in Besserungsanstalten verwiese (bis zum 20. Jahre), auch nach ab-
gebüsster Strafe; während man jetzt nur jugendliche Freigesprochene von
12 — 18 Jahren, die wegen mangelnder Einsicht straffrei blieben, so behandele. So
könne man diese meist schwachsinnigen Menschen vor Rückfällen bewahren.
Der reiche Inhalt des Moeli'schen Buches, den wir hier nur kurz skizziren
konnten, rechtfertigt den Wunsch und die Erwartung, dass es recht viele Leser
Anden möge. Hadlich.
— 188 —
Compendium der geriohtlioben Medioin, von» Dr. P. Guder. (Leipzig 1887.
Ambr. Abel.)
Das vorliegende Compendium will eine gedrängte Uebersicbt des Materials sein,
über welches der Gtorichtsarzt verfdgen soll; es soll ,,als ein Leitfaden fflr den
Studirenden, als Mittel za schneller Orientirung fflr den praktischen Arzt und als
Bepetitorinm für den Physicats-Candidaten" dienen. In Ansehung des letzteren
Zweckes ist das Buch vornehmlich für preussische Examenverbältnisse zugeschnitten.
— Der Yerf. hat das Material mit Fleiss zusammengetragen und Qbersichtlicb grup-
pirt Einige kleinere Irrthümer und manche Härten des Ausdrucks werden bei einer
weiteren Auflage ausgemerzt werden müssen.
Was die auf 100 Seiten abgehandelte gerichtliche Psychopatboiogie betrifft, so
sind nach Absolvirung des formellen Theils kurze Beschreibungen der klinischen
Bilder der Geisteskrankheiten gegeben, insoweit dieselben für den (rerichtsarzt be-
sonderes Interesse haben. Unter Benutzung des Eintheilungsprincips der Entwickelung
der Geisteskräfte, wie es jetzt die meisten Kliniker anwenden, werden zunächst die
angeborenen oder in der Kindheit bezw. in der Zeit der Pubertätsentwickelung er-
worbenen Hemmungen und. Entartungen der Psyche besprochen. Bei den Entartungs-
zustanden wie beim moralischen Irresein hätte die angeborene bezw. erworbene
geistige Schwäche als die Grundlage des krankhaften Zustandes mehr in den
Vordergrund gestellt werden müssen, anstatt dass der alte schiefe, den Gerichtsarzt
verwirrende Vergleich von der Farbenblindheit („Mangel moralischen Sinnes, während
die Intelligenz scheinbar ganz intact oder nur wenig gestört erscheint'') reproducirt
wird. Wh* empfehlen dem Verf. zur Klärung der Anschauungen bei einer Neubearbei-
tung dieses Oapitels Binswanger^s Vortrag (Nr. 299 der Volkmann'schen Sammlung).
— Im Weiteren werden die Geistesstörungen bei vollentwickelten Individuen an der
Hand der üblichen Krankheitsbilder besprochen, also die einfachen primären Psychosen,
die erworbenen psychischen Schwächezustände und die complicirten Geistesstörungen.
Zu den letzteren rechnet der Verf. neben den auf Neurosen und toxischen Einwir-
kungen beruhenden Geistesstörungen auch die auf organischer Gehimerkrankung be-
ruhenden. Ganz mit Becht; .wesshalb er aber die Letzteren nicht hier, sondern bereits
vorher, unter: primär erworbene geistige Schwächezustände bespricht, dafür liegt wohl
kein anderer Grund vor als vielleicht das Bestreben, auch einige selbstständige Ab-
ändMTingen an dem üblichen Schema vorzunehmen. — Zum Schluss wird noch Einiges
über Bewnsstlosigkeit, Taubstummheit, Aphasie gesagt.
Im Ganzen ist das Buch mit Fleiss und praktischem Blick geschrieben. Die
Ausstattung ist eine gefällige. Siemens.
y. Vermischtes.
Italienische Anstalt für criminelle Irre. Bekanntlich ist im Jahre 1886 eine
Staataanstalt fUr criminelle Irre in Italien eröffnet worden. Bei der hervorragenden Wichtig-
kdt, die die Frage nach der besten Unterbringung derartiger Individuen augenblicklich für
sieh in Ansprach nimmt, sei es gestattet aus einem Berichte Ferri's folgende Daten hier
mitzutheilen.
Im Jahre 1884 beanftragte der verdienstvolle Generaldirector aller Gefangnisse Beitrau i-
Scalia den Dr. Ponti colli, der bereits eine Ackerbauoolonie f&r Sträflinge geschaffen hatte,
das unter dem Namen Ambrogiana bekannte und von Francesco III. von Medici 1586 er-
baate Schloss bei Montelupo (25 Kilometer von Florenz) für eine Criminalirrenanstalt ein-
zurichten. Da das Schloss schon seit 1855 zu Detentionsz wecken verschiedener Art benutzt
worden war, so konnte die neue Anstalt bereits am 12. Juni 1886 eröffnet werden. Sie be-
steht abgesehen von den Yerwaltungs- und BeamtenwohngelNluden aus 2 Hanptabtheilun^en,
einer ^^l^zione giudiziaria" für zu beobachtende üntersuchungsgefangene und aus emer
„Schone penale" für psychisch erkrankte Sträflinge; die erstere enthält 52 Einzelzellen, die
andere vermag ca. 200 irre Verbrecher aufzunehmen und besitzt für aufgeregte Patienten
natüilieh auch einige Zellen. Zu jeder der beiden Abtheilungen gehurt ein besonderes Lazareth,
— 184 —
in dem das ärztliche Regime einäg herraeht, während auf den Abtheiliingen selbst eins den
Strafanstaltebestimmiiogen entsprechende Verpflegong etc. vorgeschrieben isl Das Wart-
personal besteht daher ans nnr 8 wirklichen Kranken wiutem nnd ans 18 Anüsehem. Die
Beschäftigung der Insassen scheint sich ansachliesslich auf Blumen«, Gemflse- nnd Weinbau
zu erstrecken. Eine hohe Mauer umschliesst die ganze Anstalt (ob auch die Gärten?); trotz-
dem ist es einem Insassen gelungen, fiber die Mauer zu entkommen und sich im vorbei-
fliessenden Arno zu ertranken.
Seit der ErMfhung sind aufgenommen 112 Personen, von denen 7 gestorben, 7 den Ge-
richten zur weiteren Veranlassung übergeben und 5 nach Ablauf ihrer Strafzeit in andere
Irrenanstalten überfuhrt worden sind. Zur Zeit des Besuches von Ferri befanden sich 6 in
der üntersuchungs- und 90 in der Strafabtheilung.
Als noch zu beseitigende üebelstande betrachtet Ferri die Anwesenheit der Aufseher
(an Stelle von Krankenwärtern), den Mangel absoluter Selbstständigkeit und Autorität des
Directors reep. des Arztes und das Fehlen der (gewiss nothwendigen) Abtheilung ffir wegen
Irrsinns freigesprochene Angeklagte.
Dass allcD nicht im Lazareth befindlichen Insassen die übliche Sträflingskost gegeben
wird, und ganz besonders, dass die Abbüssung der Strafe unter allen Umständen die sofor-
tige Entlassung zur Folge haben muss, düiften allerdings noch weitere Uebelstände sein,
deren Abschaffung allerdings auch wieder grosse Bedenken gegenüberstehen würden.
. (Cfr.: Manicomio criminale di Montelupo, im Arohivio di Psichiatria, Scienze penaU ed
Antropologia crimin. 1887. YIII. p. 523.) Sommer.
Chastaing und Barillot haben aus dem Morphium einen Körper C,qH,,N,04 dar-
gestellt, den sie „Morphiumblau" nennen. Seine Krjstalle sind roth im durchscheinenden,
blau im auffallenden Lioht und lösen sich leicht in Aether und Chloroform, in letzterem zu
einer blauen Flüssigkeit. Morphinmblau entsteht durch eine langsame Oxydation aus allen
den Morphiumdcrivaten, welche sich bei Einwirkung von Oxalsäure, Bemsteinsäure u. a. in
Gegenwart von Schwefelsäure aus Morphium bilden. Diese Entstehung von Morphiumblau
ist ein ausserordentlich feines Reagens auf Morphium auch in Gegenwart organischer Sub-
stanzen. (Comptes rendus. 1887. Nr. 21.) Th. Ziehen.
•Langender ff hatte an Fröschen, bei welchen er mit Strychnin Glycosurie erzeugt
hatte, einen sehr geringen Glycogengehalt der Leber gefunden, woraus sich eine wesentliche
Betheiligung des Leberglycogens am Strvchnindiabetes ergebt. Für die experimentelle Curare-
Glycosurie zeigt L. das Gegentheil. Dieselbe tritt auch ein. nach Exstirpation der Leber.
Der Piqürediabetes verhält sich wie der Stryohnindiabetes; hingegen kommt der Fhloridzin-
diabetes auch bei enüeberten Fröschen wie der Curarediabetes zu Stande. (Arch. f. Anat.
u. Physiol. 1887. Physiol. Abth. H. 1 u. 2.) Th. Ziehen.
Preisaufgaben.
Das „Reale Istituto liombardo di scienze e lettere'' in Muland stellt folgende Preis-
anfgaben *.
1. Geschichte des Hypnotismus, kritische Studien mit eigenen Versuchen. Termin:
80. April 1889. Preis: 1500 fr. und goldene Medaille im Werthe von 500 fr.
2. Eine makro- oder mikroskopisch-anatomische Untersuchung über einen Theil des
menschlichen Gehirns. Termin: 1. Juni 1889. Preis: 2000 fr.
3. Untersuchungen über die Entwickelungsgeschichte des Nervensystems oder eines
Theiles desselben bei den Säugethieren. Termin: 80. April 1889. Preis: 2000 fr.
4. Historisch-kritische ^udie über die Veröffentlichungen des menschlichen Craninm
seit Gall. Termin: 1. Juni 1888. Preis: 2000 fr.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prol Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20.
Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobb & Wittig in Leipzig.
Neurologisches CENTRALBLAn.
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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben toh
Professor Dr. E. Mendel
Siebentor ■» ^^^ Jahrgang*
Monatlich eTBcheineii zwei Nnmmern. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zn beziehet dorch
alle Buchhandlungen des In- nnd Auslandes, die Postanstalten des Deatschen Beichs, sowie
direct von der Verlagsbnchhandlang.
1888, 1. ^ril. mY,
Inhalt I. Origlnalmlttbeflung. Zur therapeutischen Verwerthung der Hypnoe^ von
Dr. ■• Noime.
IL Referate* Pathologie des Nervensystems. 1. Des anösthMes hTst^ques, par
PHres. 2. Zur Charakteristik der Hysterie, Yon Resenthal. 8. Contributo alla diagnod ed
alla cura delle paralisi isteriche, del Lumbroso. 4. Etüde sur une forme particuli^re ae d^lire
hyst^qoe, par Blanc-Fontenllle. 5. Arthralgie hTstdro-tranmatique du geoou, par Charcet.
6. Contribution k Thiatoire des monoplägies partielles du membre sup^rienr, d'origine hyst^ro*
traumati^e. par Rendu. 7. Gase of nysterical tremor and contractures, von Ormerod. 8. Gase
of hystencal hyperpyrexia» von Giemen. 9. Contribution a Tötnde de ThTst^rie chez IHiomme.
Troubles de la sendbüit^ chez les orientaux. Les Aissana, par Lucu-ClianipionniAre. 10. Hysterie
et syphiUs: De Pinfluence d'une maladie ou d'nne inWication anterieure sur le mode de
locafisation et sur la forme des aocidents hyst^riques, par Charcof. 11. Hypnotismus, von
Preyer und Bknwanger. 12. La Suggestion mentale et Faction k distance des substances
toxiquee et m^dioamentenses, par Bourru et BureL 18. Les ^motions ches les siriets m ^tat
dliypnotume, par üiya. 14. Einige therapeutische Versuche mit dem Hypnotismus bei Geistes*
kraiilen« von Forel. 15. Einige Bemerkungen über den ^ogenwärtigen Stand des Hypnoiaa-
mus nebst eignen Erfahrungen, von Forel. 16. MittheiluDgen Über Hypnotismus aus der
akandinaTischen litterator. 17. Histoire d'une hystärique hypnotisable, par Grasset et Brousie.
18. Spasmo esafisgeo in giovinetto isterico guanto coUa suggestione ipnotica, del Söaravelll.
19. Du traitement de l'am^Dorrhäe par la Suggestion hypnotique, par Vetein. 20. Attaques
d^yst^ro-epile^sie suppximdee par Suggestion hypnetique, par Seliler. 21. Die Bolle der
Suggestion bei gewissen Erscheinungen der Hysterie und des Hypnotismus, von HUeliel.
22. Ueber Hypnotismus, von v. KrafH-EbIng. 28. L'hypnotisme et la m^deoine legale, par
iU. Aus den GeseUschaften.
IV. Vemlscbtes.
I. OriginalinittlieilTmgen.
Zur therapentischen Verwerthung der Hypnose.
Von Dr. K. Nonne, Assistenzarzt^ .
Ans dem aUgemeinen Krankenhause zu Hamburg.
(Abtheünng des Herrn Dr. Eisenlohb)
Wahrend die therapeutische Verwerthung des Hypnotismus und der Sug-
gestion bisher nur in Frankreich geübt wurde — einen guten Ueberblick über
* Nach einem Vortrag mit ErankeuTorsteUung im ärztlichen Verein am 24. Jan. 1888.
12
— 186 —
die mannigfache und oft erfolgieiche Anwendnng der Methode bekommt man
bei der Leetüre der erst neuerdings von Qbbbsteineb^ yeröfifenüichten Zusammen-
stellung — hat der letzte Sommer auch aus Deutschland drei einschlägige Falle
gebracht; Mendel,' SpEBUNa' und SchuiiZ^ hatten Besultate erzielt, die sie
der Anwendung der Hypnose und Suggestion zuschrieben. Die Fälle sind den
Lesern dieses Blattes noch in frischer Erinnerung. Seither ist aber die Frage,
ob die in Deutschland neue Methode einer weiteren Pfi^ werth ist, wiederholt
besprochen worden. Dass man dem Vortrage Moll's g^enüber in Berlin eine
vorwiegend abweisende Haltung einnahm, ist bekannt, ebenso, dass sich Bikb-
WANOEB und Andere in Wiesbaden im Frühjahr 1887 im Grossen und Ganzen
ablehnend verhielten; inzwischen war die Methode durch referirende Aufeatze in
verbreiteten Blättern® dem grösseren äiztlichen Publikum bekannt geworden,
in alleijüngster Zeit findet sie in Fobel wieder einen Yerfechter;^ besonders
sucht letzterer auf Grund eigener Erfahrungen die Einwände Menbel's und
EwaiiD's zu entkräften.
In einer Frage, die immerhin noch so wenig spruchreif ist, ist die Mit-
theüung einer genauen und vorurtheilsfreien Beobachtung wohl berechtigt Der
Patient, dessen Krankengeschichte hier mitgetheilt werden soll, befiemd sich von
Anfang Mai 1887 bis zu den ersten Tagen des Januar 1888 auf Herrn Dr.
EisENiiOHB's Abtheilung im hiesigen allgemeinen Erankenhause.
Gideon Knabe, 29 Jahre alt, Schriftsetzer. Die Eltern sind angeblich nicht
neuropathiscb, Pat. hat 16 Geschwister, von denen nur eine Schwester an Phthisis
pulmon. starb; die übrigen sind gesund und leiden speciell nicht an Nervenkrank-
heiten. Pat. litt als kleines Kind nicht an Krämpfen, war im Wesentlichen immer
gesund, auch kräftig. In seinem siebenten Jahre bekam er unter Krampf-Erschei-
nungen ziemlich rasch eine vollkommene Lähmung aller Extremitäten mit Contrac-
turen, die später auch auf die Halsmuskeln übergingen; auch Verlust der Sprache
und des GehOrs stellte sich damals ein; ebenso war das Geftlhl wesentlich beeinträchtigt;
diese Lähmung dauerte bis zum 13. Jahre; dann kam die Motilität während einer
elektrischen Behandlung, und zwar recht rasch, wieder; an einem Abend wurde er
zum Galyanisiren zum Arzt getragen, und während der Sitzung bekam er den Ge-
brauch seiner Glieder wieder; auch Sprache, GehOr und Senmbilität stellte sich
rasch wieder her. Seitdem im Wesentlichen gesund; vor 7 Jahren eine Attacke von
Bleikolik, die spontan vorftberging; keine Lähmungen; seitdem keine Krankheits-
erscheinungen.
Am 25. Mai 1883 stellte sich nun plötzlich, ohne irgend welche Vorboten, ein
Taubheitsgefühl in den Endgliedern der Finger ein; diese Farästhesien breiteten sich
am nächsten Tage nach oben über den Vorderarm und das Ellenbogengelenk aus;
die Hand wurde vOllig gelähmt, während der Arm noch beweglich blieb; einige Zeit
später auch Farästhesien im rechten Bein, ohne eigentliche Schwäche. Dagegen
* Elmische Zeit- und Streitfragen. Bd. L H. 2.
* Neurolog. Ctrlbl. 1887. Nr. 18.
* Dentache Medioinalzeitg. 1887. Nr. 84.
* Neurolog. Ctrlbl. 1887. Nr. 22.
» BerL klin. W. 1887. Nr. 40.
* Münch. med. W. 1887. Nr. 84. — Berl. klin. W. 1887. Nr. 46.
' Münch. med. W. 1888. Nr. 4.
— 187 —
öfter Anfälle von Schwindel, wodurch Unsicherheit beim Gehen. — Lnes nnd Abusus
spintos ist ansznschliessen.
Am 4. Juni 1883 constatirte Dr. Eissnlohb bei dem etwas anämischen, sonst
ganz gut genährten Manne betreff sämmtlicher Gehirn -Nerven, der Sprache,
Intelligenz nnd Psyche keine Anomalie.
Pupillen in jeder Beziehung normal.
Die rechte Hand nnd ihre Finger waren vOUig gelähmt, die Bewegpmgen
im rechten Ellenbogengelenk nur mit Terminderter Erafl^ im rechten Schulter-
gelenk mit normaler Kraft möglich. Die linke obere Extremität vollkommen frei;
ebenso beide untere Extremitäten. Gehen und Stehen ganz intact, auch bei
Angenschluss.
Die Haut- und Sehnenreflexe waren rechts eher etwas herabgesetzt gegen
links. Beflexerregbarkeit des Gaumens und Zungengrundes sehr beträchtlich.
Die Sensibilität war auf der ganzen rechten Körperhälfte, vom Scheitel bis
zu den Zehen, mehr oder weniger herabgesetzt gegen Tast-, Schmerz-, Temperatur-
Ebdrflcke und den faradischen Strom; am stärksten ist die Herabsetzung am peri-
pherischen Abschnitt der rechten oberen Extremität und am rechten Knie. Die
halbseitige Sensibilitätsstörung erstreckt sich auch auf die Schleimhaut der Nase, der
Ober- und Unterlippe^ das äussere Ohr, die rechte Zungenhälfte, den weichen Gaumen.
GefOhl für passive Stellungsveränderungen der rechten Hand und des rechten
Vorderanns absolut erloschen, fQr passive Bewegungen in der rechten Schulter er-
halten, fOr die rechte untere Extremität erhalten.
Das Gehör ist rechts erheblich herabgesetzt
Das rechte Auge ermüdet sehr rasch, die Buchstaben verschwimmen dann
beim Lesen; Farben werden links richtig erkannt, rechts hält er roth für braun,
hochgradige concentrische Einei^ng des GMchtsMdes rechts, links Grenzen für
weiss normal, für die Farben ziemlich hochgradig verengt.
Geruch rechts sehr stark herabgesetzt (Aether, aq. carbolis).
Geschmack, mit dem galvanischen Strom geprüft, erglebt auf der rechten
Seite Aufhebung der G^chmacks-Beaction.
Pereussion des Schädels nirgends empfindlich.
Die faradische und galvanische Erregbarkeit der Nerven und Muskeln
der rechten obem Extremität bietet weder quantitative noch qualitative Anomalien.
Diagnostisch schien die Annahme einer organischen Läsion der linken Grosshim-
hälfte mit Betheiligung des hinteren Theils der inneren Kapsel, auf Basis von satur-
ninen Gefässveränderungen, die grösste Wahrscheinlichkeit für sich zu haben.
Eine Woche später wurde eine deutliche, wenngleich nicht hochgradige, Herab-
setzung der indirecten faradischen und galvanischen Erregbarkeit fOr die rechte
obere Extremität constatirt
Es traten tn den nächsten Tagen erhebliche, bohrende Schmerzen im rechten
Bein auf, die in der Nacht zum 18. Juni besonders heftig waren.
Am Morgen des 18. Juni bestand eine Lähmung des rechten Beins. Bei der
Untersachong war ausser der completen motorischen Lähmung keine Yeränderung
des Status zu constatiren (s. o.).
Diese Lähmung bestand mehrere Monate und ging dann langsam wieder zurück,
während die Lähmung der oberen rechten Extremität bestehen blieb.
September 1885 (nach 2V4 Jahr). Die Lähmung der rechten unteren Ex^
tromität ist zurückgegangen, auch keine Schwäche mehr zurückgeblieben; dagegen
besteht noch völlige Lähmung der rechten Hand und des rechten Arms mit voU-
kommen schlaffem Charakter.
Patient war nim in den letzten Jahren immer gesund, hatte speciell gar
keine nervösen Symptome. Vor 9 Tagen machte er gegen Abend einen circa
12*
Kg. 1.
— 188 —
emstAndigen Spazierguig, wobei «r ä<^ „Ywätätbi etwas übwaBitzengte"; one
sonstige physische oder psychische Uisache fär seme Erkiwi^img ist iiaa mniii
bekannt; am selben At)end stellte sich Kribbeln in beiden F^sen tmd 'Sehen
ein; im Bett traten dorchsohiessende Schnenep iji den Unterschenkeln (l?^;
am nächsten Morgen waren Füsse and 3etne boohgndig |»retisch, und noch
im Laofe des (Tages tnldete ach eine faM eomplete Faraplegie aus; dabei absolut
kcöne Sphincteren- Erschänni^en; keine KUckenschmerflen, keine motiuiBeheB
Reizeischeinnogen, kein 'Fieber. AppeUt ist seither schlecht, sonst bestehen keine
AUgemein-Stömngen.
Status praeaens:
Falinit «twas BnatniaDh, gut {lenfihrt; knn Blaisanm.
Innere Organ« ohufl nsiAwsiafaare AiuHnalia, apeciall Herz und Urin nonnaL
Beeilte obere ExtremitU:
Bewegungen im Baulgdenk und Fingern absolnt angehoben, im EUenbefpen-
gelenk fiengang za ca. 120'* mßglieh, ohne j*de £raft, im Scbaltngeleak eine Spur
von Hebung des Anne mO^c^
Utah obne jadfi Kraft, Adduc-
ÜOD und Botation dea Anna
nioht mSglicfa.
Tficepsreflez rechts
sehr «cbnch, links nninaL
Vorderarm reflez rechts
fehlend, links schwach.
Seosibilttät anderganien
ExtremitU fOr Stdimers- imd
Temperatur - Applicationen in
gmingem, aber dooh recht
deoUichem Grade abgeetnmpft,
vom Handgelenk abw&rte hoch-
gradig geschw&oht.
Ebenso besieht derselbe Grad
von äyperäatheaie fBr alle
Qaalitaten der SenaibilitU an
Xopf, Gesicht, Hals, Nacken,
Bfioken, Brost, Abdomen, Aber*
all bis znrlle^anlinie reiidiend;
anf d«i Schleimh&nten ist die
Senaibilitftt nicht mit fficher-
helt herabgesetet.
An den Gebirnnerv^n ist
keine einiige sichere Anomalie
zn constatiren.
Die Pupillen sind in jeder Beuehnng gans normal. Die eensoriscben Func-
tionen sind rechts wie links intaet
Das Gesichtsfeld fllr eine grobe Untersnchung nicht eingeengt. Fubensiiui intaet.
Ophthalmoskopisch wird oonstatirtr Beide Papillen etwas g«4thet, Orenian der
Fspille flberall scharf, Qeffisse von nonoaler Weite, Adventiaa als breiter, glftnieoder
Streifen zn erkenuen.
Untere Extremitäten:
Complete motorische Paraplegie; nnr noch ganz minimale Dorsalflexion der
linken grossen Zelle und des linken Fnasgelwka ist mOglicb.
Mai.
An den hellBchrafOxten Partiep «iad die erwftlmteii
QnalitUen der Sensibilität mäsai^, an den dnnklen
Partien sehr ilwk beraDj^etzt.
— IS» —
86&8ibilii&t am ganBen* UntersQkenkaL' be&dArseitB: heiabgBsetet f&r UnteisGllei*'
duDg Yon spitz und stomp^ Schmerz-lppliGiitioii nad Traipeniiiur-UBtersehiede; feine
fiertthnuigen werden gefiUilt und richtig localisirt; paesive Stellangsyerändenmgen
der Gelenke werden ^t erkannt An den Oberschenkeln und fassen ist beiderseits
die Sensibilität in allen QüaÜtät^n itttäct geblieben^ (s. %. t),
Aie EiftremitMeii' sind absolut ^tUkVatt, ohne eine Spnk* ton Spannung bei passiven
Bevr^giUigeB.
Pi^teilar-Befle» beideraeits sehr lebhaft» zftwe^n aum Fatellar-'Cloniis ge-
steigert
Achilles-Clonns beiderseits.
Addnctoren-Beflex beiderseits lebhaft
Plantar- |
Cremaster- > Reflex normal.
Bauch- j
Die passiven Bewegungen yerursachen ziemlich lebhafte Schmerzen; Druck
auf die Gegend der grossen Nervenstämme sowie auf die Waden-Musculatur
beiderseits ziemlidi empfindlich.
Die Wirbelsäule ist etwas druckempfindlich von B.-W. VIII — X; bei activen
mid passiven Bewegbngen des Bnmpfes, welMie durchaus erMten- sind, treten keine
Schmerzen auf.
Sphincteren ohne? jede Störung. Bl&gends trophische Störungen«
Ordination:
Bettruhe, Kai. jodat 2,0 täglich.
In d«i nächsten Tagen bestendeü zieadich heftige spontane Schmerzen in
den Fnssgelenken und Unterschenkeln; passive Bewegungen der Gelenke waren
empfindlich; eine GfelenksafFeotion konnte mit Sicherheit ausgeschlossen werden;
niemals Fieber.
Eine entschiedene Hyperästhesie bei Berfihren der Ffisse und ünteiBchenkely
weniger der Oberschenkel blieb in den nächsten Tagen constant^ doch war die-
selbe jetzt keineswegs auf die Nervenstämme beschränkt« Nach einer weiteren
Woche hatten die spontanen Schmerzen aufgehört, die Hyperästhesie bei Be-
röhmngen war nur noch gering. Die motorische Paraplegle war jetzt eine totale;
im üebrigen war keine Veränderung eingetreten.
Die elektrische Untersuchung ergab jetzt (2V9 Wochen nach den»
B^^ der Lahmung) für beide Stromesarten normale qjoantitative und qpaä-^
tative Err^arkeit für Nerven und Muskeln.
Die Diagnose war eine unsichere; gegen eine acute Myelitis oder eine
irgend umfiinglichere Blutung sprach durchaus' das IVeibleiben der S^uncteren
för eine peripherische Affection Hessen sich die spontanen Schmerzen sewie die
Hyperästhesien auf Druck und bei passiven Bewegungen verwerthen; die Leb-
haftigkeit der Sehnenrefleze war kein zwingend« Beweis g^en diese Abnahme,
sdtdem Stbümpell und Mömus einschlägige Fälle veröffentlioht haben. Immer«»
bin war doch die Rigidität und Hochgradigkeit der Lähmung für eine peri*
pheosche Affection eine sehr aufblleade. Als nach mehr ala 2 Woohea die
* Bei allen späteren Unteisnohungen fand aich ebenfaUfr nur der Sehmerz- (darunter
auch das tTnterBcheidnngBYennogen f&r Spitze und Knopf der Nadel verstanden) und Temperatur-
nM heralbgesetzt.
— 190 —
elehtrische Erregbarkeit aber sich noch alB völlig normal erwies, muaste man
den Oedanken an eine peripherifiche Oenese ganz follen lassen.
Dag^n konnte wohl an kleine — miliare — Heerde im Anschlnss an
verbreitete Gefässd^eneiaüoneo im Rückenmark gedacht werden, wie solche ja
in einzelnen Obductionsbefondeo von complicirteren Bleilähmangen, so frfiber
von Monakow, neaerdings von Yibbobi>i, nad^wiesen sind. Der c^thalmo-
Bkopisohe Befand bot för diese Annahme eine gewisse StAtze. Gerade die sicht-
baren Gflfässverändenmgeu des Augenhintergrundes schienen auch die Annahme
Fig. 2.
einer foucücnellen Lähmung zn
verbieten, obwohl uds die Ansicht
Chaboot'b, dass ein Theil der Blei-
lähmungen und Anästhesien (spe-
ciell mit centralem Charakter) als
hysterische an&ofossen seien, wohl
bekannt war.
Points de fen längs der Wirbel-
sätile blieben ohne Effect anf die
motorische Lähmoi^ der Beine;
eben so wenig hatten Seesalzbäder und Galvanisiren des Rückens einen Erfolg
ao&Qweiaen; auch die Sensibilitätsstörungen waren Mitte Jnli im Wesentlichen
noch die gleichen.
Jetet traten aaoh noch ziemhch heft^e, anf die Tibien beschränkte Schmerzen
aof; dieselben wurden aach empfindlich auf Druck, ohne dass eine locale Ano-
— 191 —
malie nachzaweisen war; dieselben dauerten ca. 1 Monat, widerstanden einer
localen Behandlung und verschwanden von selbst wieder.
Immer noch bestand eine erhebliche Erhöhung der Sehnenreflexe bei voll-
kommen schlaffer Lähmung, Fehlen jeglicher trophisoher Störungen, jeglichen
Decubitus und jeghcher Sphincteren-Erscheinungen; Anfang September hatte
sich die Senaibilitatsstörung am Unterschenkel beiderseits bis auf einen schmalen
Streifen zur&ckgebildet; dafSr war an der Aussenseite der Oberschenkel beider-
seits eine deutliche Oefahlsstörung im Verlauf eines schmalen Streifens aufge-
treten (s. flg. 2).
Während des Septembers bestanden dumpfe Schmerzen über den Augen,
Nebel- und Funkensehen, ohne dass ophthalmoskopisch von spedalistischer Seite
eine Erklärung dafOr gefunden wurde. Auch tagliche Faradisation der unteren
Extiemitaten während des ganzen Septembers, sowie ca. 1 Monat hindurch dar-
gereichte Strychnindosen, beeinflussten die Lähmung da: Beine nicht; seit An-
fimg September konnte Patient auch den Ellenbogen gar nicht mehr beugen;
eine Aendenmg des objeotiyen Beftindes war im TJebrigen an der rechten
oberen Extremität nicht eingetreten; nur eine öfter wiederholte Untersuchung
der Sensibilität (s. Fig. 3) ergab jetzt eine überraschende Veränderlichkeit und
Launenhaftigkeit der Verhältnisse (s. beistehende Figuren). Eine jetzt wieder-
holte elektrische Untersuchung ergab wieder normale Verhältnisse fOr beide
Stromesarten.
Jetzt mussten wir aUerdings, mit Bücksicht auf den gesammten bisherigen
Verlauf, die Diagnose auf eine functionelle Lähmung und Anästhesie
steUen, wobei freilich die Möglichkeit gleichzeitig exisürender organischer Ver-
änderungen nicht ganz aui^eschlossen blieb — ein Verhältniss, wie wir es aus
den Mittheilungen von Oppenheim und Thomsen,^ sowie aus eigenen Beobach-
taugen kennen.
Zu derselben Zeit kam uns ein Beferat über einen Vortrag Chabcot's' zu
Gresicht; derselbe hatte mehrere Kranke mit chronischem Satumismus vorgestellt,
die an hysterischen Lähmungen litten; sie waren geheilt worden; Ghabcot hatte
bei dieser (Gelegenheit betont, das die chronische Bleivergiftung den Organismus
zu derglachen Lähmungen nach seiner Erfohrung disponire. Damals kamen
auch die Fälle von Mendel, Schulz und SPEBLma zu unserer Eenntniss, die
durch Suggestion in der Hypnose therapeutische Erfolge erzielt hatten.
Ich fing dskher nach Zustimmung meines verehrten Ghe& an, die Hypnose
bei unserem Patienten zu versuchen. Schon in der ersten Sitzung gelang es
mir, durch Fixirenlassen eines glänzenden Metallknopfs in ca. 5 Minuten einen
massig tiefen Schlaf zu erzielen; am 2. Tage ging es schon schneller, am 8. Tage
fiel der Kranke schon durch Fixiren meiner Augen, ebenso durch Hinhören
auf das ücken einer Uhr in Schlaf. Auch durch Suggestion war er leicht in
^ Thohssn und Oppbvhbix. Arch. f. Psych. 1SS4. Bd. XV. H. 3 a. 8. — TnoMSBir.
Areh. £. Psych. 1886. Bd. XVII. üeber das Vorkommen nnd die Bedentong der gemischten
Anästhesie bei Geisteskranken.
' Bulletin m^cü. 1887. Nr. 25.
— 192 —
Schlaf zu veraetzen, d. b. durch die jetzt wohl schon als allgemein bekaimt
vorauszusetzende Methode, dem Kranken die Symptome des Ermüdens und Ein-
schlafens zu schildem; schliesslich bediente ich mich ausschliesslich dieeeor Me-
thode. TJebrigens genägte bei dem f&r die Hypnose immer empßngludier
werdenden Patienten schon nach ca. 3 Wochen ein sanftes Zudrücken und Bmben
der Augenlider, sowie der Befehl: ,,Schlafen Sie^', um ihn in Lethargie zu Ter-
setzen*
Am 22. September suggurirte ich ihm dann zum ersten Male in der Hyp-
nose, er werde am nächsten Morgen, wenn ich bei der Visite an sein Bett kirne,
die linke grosse Zehe bewegen können. In der That war er am n&chsten
Morgen dazu im Stande; jeden Abend nahm ich denn eine weitere Zehe vor,
und am nächsten Moigen war der Erfolg ein prompter; die Dorsalflexion des
Fusses gelang nicht gleich; ich wiederholte die Suggestion noch 2 Abende, und
erst am Morgen nach der 8. Suggestion gelang die Bew^fung. Ich fOge gleidi
hier hinzu, dass ich zuweüen dem Patienten vor der Hypnose sagte, was er
morgen Früh können werde, es meistens aber nicht that; dadurdi schien mir
ein „psychischer^ oder „moralischer^ Einfluss ausgeschlossen zu sein. Weitere
Gontrolyersuche werde ich später noch anführm.
Ich ging nun langsam weiter; die Beugung des Knie's setzte mir audi
8 Tage lang Widerstand entgegen, während die Bewegungen im Huflgelenk
schneller erfolgten. Nach ca. 2 Wochen war Patient zu sämmtlichen Bewegungen
in der linken unteren Extremität im Stande; die rechte Extremität, die ich
bisher bei der Suggestion unberücksichtigt gelassen hatte, war noch oomplet
gelahmt, und alle bei der Visite an den Patienten gerichteten Aufforderungen,
dieselbe doch jetzt ebenso zu gebrauchen, waren erfolglos. In ung^hr dem-
selben Ablauf kam aber auch hier die Bewegungs-Möglichkeit wieder, als ich
dieselbe Schritt für Schritt vorgehende Methode für diese Extremität anwandte.
Nadi ungefähr 6 Wochen war die Lähmung der Beine, Füsse und Zehen ver-
schwunden. Trotzdem konnte Patient noch nicht stehen; auch wenn ihn zwei
Wärter hielten, knickte er zusammen. Nachdem ihm dann in einer Sitzung
auch die Möglichkeit zu stehen suggerirt war, war er dazu im Stande; ebenso
konnte er erst nach einer Suggestion den ersten Schritt ansetzen; das weitere
Oehen übte er sich dann selbst ein; ungefähr 2 Monate nach An&ng dieser
Behandlung konnte er im Saal und bald im Garten, zuerst noch am Stock,
später ohne Stütze spazieren gehen.
Schon 2 Wochen vorher, also Ende October, fiand sich, dass die Sensi-
bilität der unteren Extremitäten für sämmtliche Qualitäten normal
geworden war. Die Sehnenreflexe waren noch sehr lebhaft Die Sensibilitats-
verhältnisse boten jetzt folgendes Bild (s. Fig. 4):
Nach dem bisherigen Erfolg glaubten wir uns nun berechtigt, auch einen
therapeutischen Versuch mit der rechten oberen Extremität, die nunmehr seit
5 Jahren gelähmt war und allen bisherigen Heilungs-Bemühungen widerstanden
hatte, zu machen; die Methode sollte zugleich gewissermaassen als Prüfiätein
dienen, ob die.Affection des Arms auch nur eine functionelle sei.
— 193 —
loh begann in derselben Art nnd Weise, dem Patienten znnfiehst die Beu-
gting dee rechten Zeigefingers zn soggeiiren; es trat kein Erfolg ein, auch
nach 3 weiteren Sitenngen nicht; eben so wenig reagirten zon&ohat die übiigen
Fh^er. Ich probitte es darauf mit der Flexion des EUenbc^ns, von dem Ge-
danken ao^eheDd, daas diese Bew^tmg bis tot wenigen Monateo, wenn auch in
geringem Grade, wenigstens noch möglich gewesen war. Und nadi der ersten
Stzong gelang ee dem Patienten, den M. bioepa etwas anzuspannen; er brachte
öne ContraetioQ des HoeA^ allerdinga noch ohne motorischen Effect, zu Stande;
aber schon nach der 3. Sitzni^ gelang eine schwache Beugung dee Arms im
Ellenbogen, die dann ohne weitere Nachhülfe schnelle Fortfichritte machte;
weniger Widerstand fand idi bei der Fionation und Supination des Yordaisims,
edieÜiohere MfUie kostete wieder die Dorsalflexion der Hand. Jetit machte uüi
Fig. 4.
mich wieder an die Bew^piitgen der Finger, and nun reagirten dieselben ganz
pimnpt; nat^ 5 Sitzungen war Patient im Stande, alle 6 Finger zu bew^n;
nachdem Patient den Daumen flectiren konnte, kamen die anderen Bew^^ongen
des Damnens allmählich von selbst zurück; tod den Bewegungen des Anus im
Schultergelenk suggerirte ich dem Patienten nur die Erhebong bis zur Horizon-
taten, die nach 2 SitEui^;ett gelang; alle weiteren Bewegungen im Schulter-
gdeok lernte er ebenfalls spontan. An dieser Stelle will ich hinzufügen, dass
sämmtlicbe Bewegungen, ;renn sie zum ersten Male gelangen, nur schwach und
sehr wenig ausgieb^f ausfielen; die weitere Uebung wurde dem Patienten selbst
überlassen, nnd schon nach kazzer Zeit konnte ich mich dann von den &8t
oder ganz noimaleB Exoiusionen der Bew^nngen überzeugen.
(SohliiM folgt)
— 194 —
n. Referate.
Pathologie des Nervensystems.
1) Des anösthäsies hystäriqueB» par le Dr. A. Fitres, Professeur ä la Facult^
de M^decine de Bordeaux. (Bordeaux 1888. Imprimerie G. Goanooilhoa. 162 S.)
Die erste seiner 9 Vorlesungen beginnt der Verf. mit einem historischen Ueber-
blick über die einschlägige Litteratur, woran sich die Eintheilnng der yerschiedenen
Formen der Hautanästhesie anschliesst. Die totale, die sich auf alle Arten der Haut-
sensibilität bezieht, ist complet, wenn die stärksten Beize und Erregungen ebne Wahr-
nehmung und Empfindung erfolgen; andem&lls ist sie inoomplet (Hypoästbesie).
Zur partiellen Anästhesie gehören ^ 1. die Analgesie; 3. Thermo^AnästheBie,
3. Anästhesie mit Thermo- Aesthesie; 4. Elektro-Aesthesie; 5. Anästhesie mit Elektro-
Aesthesie. Der isolirte Verlust der Tastempfindung, Verzögerung oder Verdoppelung
der Empfindung, falsche Localisation etc. kommen bei Hysterie nicht vor, dagegen
oft; bei organischen Läsionen des Bückenmarks oder der peripherischen Nerven. Nur
bei Hysterie findet sich die „Alphalg^sie" (aXq)^ und aX^og), eine Form der Far-
ästhesie, bei der die einfache Berührung mit gewissen Gegenständen (Metallen, Por-
zellan etc.) die heftigsten Schmerzen henrorruffc, während Stechen, Brennen etc. nicht
empfunden wird. Die Beflexe, die durch Kitzebi der Haut hervorgerufen werden,
fehlen bei der hysterischen Anästhesie; nur der Bosenbach^sche Bauchreflex ist
meist vorhanden, wenn auch zuweilen auf der anästhetischen Seite abgeschwächt
Femer sind die organischen Befiexe (vasculäre und sekretorische) und der sensitive
FupiUarreflex stets erhalten. Vesicatore, Kälte, Hitze (Schweiss und Frostbeulen)
wirken auf der anästhetischen Seite ebenso, wie auf der gesunden. Die cardialen
und respiratorischen Beflexe, die Erection der Brüste, die Erweiterung der Pupillen,
treten bei Beizung der anästhetischen Haut auf, ohne dass Schmerz dabei empfunden
wird. Charakteristisch ist die Abwesenheit subjectiver, unangenehmer Empfindungen
und Beschwerden bei der hysterischen Anästhesie, von der die Kranken meist nichts
wissen. Zugleich mit der Anästhesie bestehen oft, doch nicht immer: Erniedrigung
der localen Temperatur, Verlangsamung der capillaren Circulation, veränderte vaso-
motorische Beaction und Muskelschwäche an den anästhetischen Stellen. Häufig sind
die Anästhesien der Schleimhäute (Conjunctiva, Zunge, Pharynx, Epiglottis, Larynx,
Nase, äusserer Gtohörgang, Geschlechtsorgane, Anus etc.). Die Thermo-Anästhesie
ist selten, die andern Arten der partiellen Anästhesie gar nicht auf Schleimhäuten
beobachtet; wohl aber die „Alphalgesie". Auch auf den anästhetischen Schleimhaai-
stellen findet man Verlust der Beflexe beim Kitzeln und Erhaltung der organischen
Beflexe. Die Kranken haben von dieser Anästhesie meist ebenso wenig Bewusstsein,
als von der ihrer Haut. Der Verlust des Geschmacks ist sehr häuflg, und zwar
bald total und überall, bald auf gewisse Stellen und gewisse Geschmacksempfindungen
beschränkt; ebenso oft finden sich Geschmacksperversionen. Seltner ist die Anosmie.
Der Geschmack wie der Geruch kann sowohl auf empfindenden wie auf anästhetischen
Schleimhautstellen fehlen resp. vorhanden sein. Die hysterische Taubheit ist meist
incomplet und auf eine Seite beschränkt; der Binne'sche Versuch giebt meist posi-
tive Besultate; auch am Ohr zeigt sich die Unabhängigkeit der sensoriellen An-
ästhesie von der sensiblen des Trommelfells, der äussern Schleimhaut etc. Totale
und complete Blindheit kommt bei Hysterie zuweilen plötzlich und vorübergehend
vor; häufiger jedoch tritt die hysterische Amblyopie mit ihrem bestimmten Symptomen-
complex auf: Achromatopsie und Dyschromatopsie (complete und incomplete chroma-
tische Anästhesie), concentrische Einengung des Gesichtsfeldes, centrales Scotom,
laterale Hemianopie, Abschwächung der Sehschärfe, Asthenopie, Accommodations-
„ 195 —
st^noigen. Unter den letzteren ist die „Polyopie monocalaire'' (Parinaud) die
h&o^SBle. Ein Gegenstand, den man yertical vor das Auge h<^ wird in der Nähe
deatlidh erkannt, hei langsamer Entfenrnng in er. 10 — 20 cm wird er doppelt ge*
sehen« bei noch weiterer Entfernung dreifach etc. Oewöhnlich sitzt die hysterische
Amblyopie unilateral und ist mit einigen der- angeführten Symptome combinirt. Yerf.
fUirt noch andere SehstOmngen an, aus denen er die Multiplicität der percipirenden
Sehcentren, die Unabhängigkeit der percipirenden Gentren bei dem monoculären und
binocol&ren Sehen zu beweisen sucht Sodann bespricht er die Anästhesie der tieferen
Gewebe und Eu^eweide (Knochen, Ligamente, Nenrenstämme, Muskeln etc.). In
önem Fälle hysterischer Anästhesie beobachtete er auch Duchenne*s „Paralysie de
la consdenoe musculaire ou de Taptitude motrice indipendante de la vue'^ ein Symp-
tom, das Verf. nicht als directen Effect der hysterischMi Anästhesie der Muskeln
ansieht^ sondern als eine Form motorischer Paralyse betrachtet Das Oeftthl von
der Lage unserer Glieder, das bei völliger Anästhesie der Muskeln und Verlust der
Empfindung von der Muskelthätigkeit erhalten sein kann, ist bei Hysterischen ge*
wohnlich gestört, wenn die Haut und die Muskeln der Tiefe insensibel sind. Das
Epigastrium, Ovarium etc. ist bei Hysterischen gewöhnlich unempfindlich. In 5^/o
der Fälle von Hysterie fehlt jede Störung der Sensibilität Noch seltener ist die
Anästhesie auf einzehie Punkte der Haut, Schleimhaut oder Sinnesorgane beschränkt
In 90 % finden sich vielfache Störungen in der Sensibilität der Haut, Schleimhäute,
Sinnesorgane^ tiefen Gewebe. Dabei unterscheiden wir: die allgemeine Hautanästhesie
m 20 ^/o> die hemilaterale Anästhesie in 45 ^/^ und die Anästhesie in disseminirten
Inseln in 25 ^/q. Die allgemeine Hautanästhesie ist nicht überall gleich stark, hat
mitunter einzelne intacte Inseln und ist mit der Anästhesie einiger Schleimhäute und
Sinnesoigane verbunden. Die hemilaterale Hautanästhesie ist die häufigste Form,
wenn anch nicht immer die Grenze genau eingehalten ist^ und nicht alle Stellen
derselben Seite in gleichem Grade anästhetisch sind. Die Anästhesie der Schleim-
häute und Sinnesorgane findet sich nicht absolut nur auf der anästhetischen Seite,
sondein nur vorwiegend auf ihr. Einen reinen Fall der classischen sensitiv-senso-
riellen Hemianästhesie hat P. in Uebereinstimmung mit Thomsen und Oppenheim
nie beobachtet Das Gesichtsfeld ist' meist auch auf der nicht anästhetischen Seite
ein wenig eingeengt; das Gehör ist oft auf beiden Seiten betheiligt oder frei; uni-
laterale Anästhesie der Larynxschleimhaut kommt nie vor etc. Die Anästhesie in
disseminirten Inseln erstreckt sich bald auf alle Körpertheile, bald nur auf eine Seite.
Die Inseln liegen zuweilen symmetrisch, haben unregelmässige Grenzen und keine
Beziehung zur Vertheilung der sensiblen Hautnerven, noch der Gefässe. Die Hemi-
anästhesie sitzt häufiger links als rechts. Charakteristisch fflr die hysterische An-
ästhesie ist femer ihr brüskes Auftreten und ihre Veränderlichkeit, theils durch
künstlich hervorgerufene Vorgänge (wie Faradisation, Gkdvanisation, mechanische Vibra-
tion, Berfkhrung mit bestimmten Metallen, Sinapismen etc.). Verf. erzielte diese Ver-
änderungen (temporäres Schwinden der Anästhesie, Transfert etc.) nicht nur durch
feste, sondern auch durch flüssige und gasartige Metalle (flüssiges Quecksilber und
Quecksilberdämpfe). Bei Versuchen mit 4 andern Gasen (Sauerstoff, Kohlensäure,
LeudliigBS und Wasserstoff) gelangen die Versuche nur bei dem letzten, das den
Metallen am verwandtesten ist. Bei der Einwirkung der verschiedenen Metalle zeigen
die Kranken eine Idiosyncrasie m^talliqne. Zwei verschiedene Metalle, die zugleich
angewandt werden, können gegenseitig ihre Wirkung aufheben resp. neutraUsiren;
auch zwei gleiche Metalle, die auf symmetrische Körperstellen gelegt werden, können
dasselbe thun. Bei genesenden Hysterischen kann, so lange die hysterische Diathese
fortbest^t und die Anästhesie sich im labilen Gleichgewicht befindet, ein Metall,
das früher, auf der Höhe der Erkrankung, die Sensibilität wieder erweckte, nunmehr.
Anästhesie erzengen. Von den Theorien des Transferts werden besprochen: die der
elektrischen Ströme, die der elektrischen Polarität, die der moleculären Vibrationen
— 196 —
Bild die der psychisdien BeeinfluBgD&g. Nach P. wirken Weder die physiscbeii' Krttfte
BOck die p^ckificke* Beeinflossimg exclnsiv ;. beide können die^ Sensibilit&t» yA9 Mck
andeM SörperfanetLonen (Herzsckkig, Athttan(f, Erbrecken ete.) modifiekfen. Yildieickt
erklflvt sick auck der Trensfeiii durek Steigerung' der gewöknU^en pkysiologincken
Brsokekmng, bei der darck* den Belar einer SMle der einen Ek^rperkAlfte die enH-
ipreokende Stolle der andern eine Veitedwung der Senmbilit&t erf&krt (Seppe,
Rumpf, A'dler, Adankiewiez, Westpkal etc.). Dle^ ÜMMske der kysteMacken
iaitetiiesie sackt Verl. in einer maitedellen oder d^pnaniecken« Yerandlnning; iHf einer
fiinctionellen Lftkmang der cen#alen' Orgnae' fta die sinnücke Watoiekttinng (seil-
satione brutes). IMeseiH)en besteken aiuh der Asikäiifttng der Ganglienseilen der Him^
bafflg, in denen' die erste Transformmtion der sensiblen* EindrOcke Yor siek gekk. P.
bezeiobnet diese Form der Antetk(teie als basilfire, bei der kn Gegensats zu der
pehpkeiiscken: nnd oortioalen Anftstkesie die vom BQckenmartc, Med. oblongata' etc.
ausgebenden Empfindmugsreaetionen und Reflexe erkalton i^d nnd> die bewnsste
Perception der sinnlicken Empfindung feUt. Die* basilBi« Ünästkesie kommt anck
bei organiBoken L&sioBen in der Ea^elgegend vor nnd^ kann» dieedben Symptome^
wie die kystejfiseke' anfweisen) Hemianastkesie der Haut nnd SinnesorgMM, Beein«
flnssnng durok MetallberOkrang etc. Ilfack P. wiitt die Laslon> der sensiblen' Sasem
der Kapselgegend nur indirect auf die Sensibilität, indem' sie Verluet oder SdiWAoknng
dar darunter liegenden basiifiren» Gentren and ftindioneUe Lftkmang cKeser Centren
bewirkt; die ästkesiogene Wirkung der Metfedlberfikrung erweckt ihre^ TkfttfglDeiC
wiedinr. Pemer giebt es basiläre Anftstkesien* toxiseken Ursprungs (Alkokol« Blei»
Qaecknibm-, Arsen, Sckwefelkoklenstoff etc.). B^i iüsokolisten findet ^k ^^pefr*
ftstiiesie, Anaigfesie oder Anfistkesie in denselben Formen and Clestattungw, wie* bei
der Hysterie; Meist ist sie aof diseemintrte Inseln localisirCy a» detf Beinen als
anftetketiscke Stiefel, an den» Amnen in Armbandfbrm, am Bnmpf als fiOiws ete.|
auck die Sckleimk&ute und Sinnesorgane sind betroffen;' Dock besteken kier im
Oegensats zur Hysterie subjectiira Besokwerden; dabd findet sick eki sckaeller Weeksel
der Symptome tkeils spontan, tkeis durck ft^mde SinftiBse (pqrckiscke und meckBK
■isoke Elektricit&t, Metalle, Sinapismen* eto.)i Aeknlicke Ersckeiiinttgev bieten die
Formen der Anftstbesie bei ^üntoxication. Tiele erklfli^ diese itttadbalions-
anftstkesien durck die kysteriscke und nenropatbisoke Anlage der Erkmaiiten; Naek
P. modificirt das Gift die Eiregbarkeit der nmi^tOsen* Centren, und bewirkte nutiar
a&dttn Ersckeinungte eine ftmotlonellr Lftkmang der senmbien Centreny die* sick
klinisck in Art der baBÜftreU' Anftstkesie äussert^ wie sie bei' ^^terie' so kfimfig Yor«^
konmt Nur auanakmsweise weckt das €^ift bei prftdispomrten Mdi^duen die< latonde
Hysterie. Neben den functionelien Anftstkesien giebt es bei Blei-* nnd Aikokol«'
intoaacation nickt wenige, die auf organiscke Lfteion* der nervOsen Centren und dw
peripkeriscken Nerven beruben und die* diesen Störungen zukommenden Symptome
aeigen. Was die Anftstkesien bei Sypkiü» und Ckiorose anbetrifft, so fond sie P. nur
bei Frauen, die an Hysterie litten oder zu Hysterie pv&disponirt waren, abgeseben
ton jenen Fällen, in denen organiscke Lftsionen der Centren oder peripkeriseber
Nerven in Folge der Sypküis ürsacke der basüftren Anftstkesien waren.
KaÜBcker^
2) Zur Charakteristik der Hysterie, von Prof. Dr. M. Bosentkal. (Allgem.
Wiener med, Ztg. 1887. Nr. 46 u. 47.)
Durck genauere Beobacktung der Entstekung und fintwickelungsfolge der sick
langsam entwickelnden kysteriscken Krampfanfalle kommt B. zu dem Scklctes, dass
es sick kierbei am Beizzustände der corticalen Centren bändeln kann.
Fftr diese Auffisussang sprecken einmal die den Krampf einleitenden resp. be-
gleitenden Symptome: psyckiscke Verstimmung, Leickenbl&sse des Geeicktei^ optiseke
— 197 —
oder acostiBclie fiisperasthesie, Tachycardie, abncowe iBeizzaständei nnd bei achinereren
Fonnen: BevoflBttesigkeit, HaUncüiationen und Delkien.
Ferner sind es die in neuerer Zeit mehr gewürdigten Ereoheiaangen der Hyp-
nose und Suggestion, irelche »uf güeich^ Ursprung zuröckzulüluren sind. So wird
am vom Verf. beobaabteter by^rischer Tremor bei einem 20jlil^igen Mädchen durch
Saggesüou geheilt und die Wirkung derselben als in einer Beruhigung der corticalen
Centren reep. in einer Auslosung von Hemmungsprocessen in denselben bestehend
gedacht Dasselbe gilt fflr den von Sperling in der medicinischen Gesellschaft am
12. October d. J. vorgestellten Fall von »»hysterischer Lähmung" bei einem Manne.
Bisher ist es nicht gelungen, in solchen Fällen, die zur Autopsie kamen» ana-
tomische Yeränderungen nachzuweisen. Auch '7erf. fand bei einem 26jähr. Mädchen,
die zu einer gewissen Zeit ihres vielgestaltigen» sechs Jahre dauenden hysterischen
LeidfiDB das h<k)bst seHene BiUL von l^stMischar lAhmung und Anästhesie aller vier
Extremitäten nebst beideneitiger Amblyopie dacbot» und die ischUesslich an Phthisis
am Grninde ging» nur seröse Durchfeuchtong und Blutleere des Hirns.
So ist 09 erklärlich» dass durch Oebtauch von Amylnitrit zeitweilige Besse-
rungen erzielt wurden. Interessant ist es auch» dass geschlechtliche Befriedigung
die Gonvnlsionen verminderte.
Schliesslich warnt Verf. vor leichtsinniger Anwendung der Hypnose» die nur in
der Hand des umsichtigen Arztes und nur in ganz bestimmten F^len von Hysterie
Erfolge erzielen kann. Ueberreisung der Centren durch forcirte Hypneae kann sehr
mMngeiielime Zwischenf&lle herbeifCOiFen (in einem Falle des Verf. vomitas). Oeffent-
liche Schaustellungen hypnotischer Experimente sollen allein deshalb verboten werden»
weil der fizperimentator aber Aea Zustand des JSenens» des Gtoftasapparates und des
ganzen Nervensystems der betr. Personen nicht im Gkuringsten unterrichtet ist.
Die Therapie darf sich nicht auf einige Suggestionen beschränken. Eine allge-
mein kräftigende Behandlung des hysterischen Grundleidens muss sich denselben an-
flchliessen» und hier leistet die Weir-Mitcheirsche Kur besonders gute Dienste.
Sperling.
3) Gontrlbuto alla diagnosi ed alla cura delle paralisl isteriche, studio
clinico del dott. G. Lumbroso. (Sep.-Abdr. aus ,»Lo Sperimentale". Firenze 1887.
46 Seiten.)
Verf. giebt eine übersichtliche Zusammenstellung der für die Differentialdiagnose
der hysterischen Lähmungen wichtigen Einzelheiten der Symptomatologie. Sie seien
hier auszugsweise mitgetheilt.
1. Lebensalter zwischen 15 — 80 Jahren.
2. Bedeutendes Vorherrschen des weiblichen Geschlechtes.
3. Plötzliche Entwickelung der Lähmung» die bei spinaler Ursache gewöhnlich
allmählich vor sich geht» bei cerebraler Veranlassung meistens apoplectiform
einsetzt und von Temperatursteigerungen und von trophischen Störungen be-
gleitet zu sein pflegt.
4. Lähmuj^en einer Extremität oder eines Muskels allein sind bei cerebraler
Veranlassung extrem selten; ebenso Paraplegien. Gegen Poliomyelitis und
I peripherische Neuritis spricht aber das Ausbleiben der Eutartungsreaction.
(Verf. hat übrigens 2 Fälle hysterischer Facialislähmung veröfifentlichi)
5. Während »»Oerebral-!^miparetiker" (wenn man diesen Ausdruck gebrauchen
darf) bei ihren Gehversuchen mit dem gelähmten Bein eine Art Kreisbogen
beschreiben, ziehen Hysterische das Bein in gerader Linie nach vorwärts.
(»». . . in luQgo di far eeeguire all*arto affetto un arco di cerchio» lo trascinano
in avanti direttamente.")
— 198 —
Bei Hysterischen ist es manchmal zu beobachten, dass in gewissen Lagen ge*
lähmte Mnskeln willkürlich bewegt werden können, in anderen Lagen aber, z. B. im
Bett oder beim Stehen, nicht.
6. Frühzeitiges, gewöhnlich fast mit der Lähmung gleichzeitiges Eintreten einer
Contractur; der Widerstand gegen passive Bewegungen ist bei cerebralen
Lähmungen höclistens nach sehr langer Dauer so gross wie bei hysterischen.
7. Fehlen der Blasenlälimungen; Strangurie im engeren Sinne ist allerdings
nicht selten.
8. Schwere Beeinträchtigung und selbst ?ollständige Aufhebung der Sensibilität
(und z. Th. auch der specifischen Sinnesfunctionen).
9. Aufhebung des Muskelgefühls.
10. Das Vorhandensein wie das Fehlen der Schmerzen kann unter Umständen
Yon differential-diagnostischem Werthe (im Gegensatz zu spinalen und cere-
bralen Erkrankungen) sein.
11. Steigerung der Sehnenrefiexe und Abschwächung der Hautreflexe.
12. Fehlen der Muskelatrophie in den meisten Fällen, jedenfalls aber der fibrillären
Zuckungen und der gesteigerten idiomusculären Erregbarkeit.
13. Fehlen der Entartungsreaction.
14. Gelegentlich findet man bei Hysterischen das auffällige Symptom, dass ein
contrahirter Muskel auf Grund einer energischen Willensbewegung oder eines
Befehles vorübergehend auf einen Augenblick zu fonctioniren vermag.
Wegen der interessanten Krankengeschichten und der therapeutischen YoTBChläge
muss auf das Original verwiesen werden. Sommer.
4) Etüde sur une forme partioulidre de dälire hystörique CDelire aveo
eoninösie), par le docteur Henry Blanc-Fontenille. (Bordeaux 1887.)
Die unter der Aegide von Fitres in Bordeaux gemachte Studie zeichnet sich
durch klare, sachliche Sprache und kritische Auffassung aus.
Unter „ecmn^sie" (ix aus und fipf;aig Gedächtniss) versteht Verf. „eine Form
von Amnesie, in welcher das Gedächtiüss vollkommen bewahrt ist für alle einer be-
stimmten (abgegrenzten) Lebensperiode des betr. Individuums vorausgehenden Ereig-
nisse, dagegen vollkommen aufgehoben für diejenigen, welche dieser Periode folgen.**
Des bessern Verständnisses halber möge hier der eine der beiden vom Yerf.
beschriebenen Fälle ganz kurz angeführt werden :
Eine 32jährige Frau (Albertine M.) mit einer längeren Krankbeits- Vorgeschichte
wird nach einer heftigen psychischen Erregung, in welcher sie ihren damaligen Lieb-
haber mit einem Revolver bedroht, von heftigen Convulsionen befallen, die mit
Schmerzen der linken Weiche beginnen und von Delirien, in welchen sie mit Herrn X
discutirte, begleitet werden. Ein halbes Jahr hindurch wiederholen sich diese mit
Delirien vereinten Krämpfe mehrmals täglich, um dann seltener zu werden. Nunmehr
gelingt es im Hospital, als fingirter Herr X in die Delirien einzutreten und die
Unterhaltung in Bezug auf die bekannten Zustände von damals weiterzuspinnen. Da-
gegen ist es unmöglich, eine Taste der Erinnerung aus der darauf
folgenden Zeit anzuschlagen, d.h. sie glaubt mit Herrn X zu sprechen,
glaubt sich in seinem Hanse, lacht über die Bemerkung, dass sie jetzt
im Hospital sei, negirt Herrn Pitres zu kennen u. s. w.
Diesem Zustand kann man durch Ck)mpression der linken Ovarialgegend ein
Ende machen.
Aehnliche Delirien mit Ecmnesie traten nach Anföllen spontanen Schlafes auf;
dieselben beziehen sich auf bestimmte Scenen ihres Verhältnisses mit Herrn X oder
— 199 —
ihrer diesem folgende Ehe, kehren h&nfig in derselben Form wieder und sind noch
willkfirlich benrorzarufeu (par Suggestion). So kann sie in die Situation der im
Alter von 7 Jahren überstandenen Tracheotomie zurückversetzt werden: sie ist wieder
Kind, erinnert sich nicht der späteren Zeit, ist auch nicht — wie gewöhnlich —
hemianasthetisch; sie wird durch Anblasen der Augen erweckt, es besteht voUkommne
Anmesie fOr das eben Erlebte.
In einem solchen Zustande ist es nicht mOglich, ihr etwas zu suggeriren, weil
sie als Kind fOr die Hypnose nicht empfänglich war — so übertragen sich alle
Charaktere der damaligen Epoche auch auf diesen künstlich hervorgebrachten Zu-
stand, welchen man den Erscheinungen des Somnambulismus zurechnen würde; zwischen
dem Delirinm mit Ecmnesie und dem hypnotischen Zustand bestehen Unterschiede;
letzterer kann aus ersterem hervorgerufen werden.
Wie zu erwarten, finden sich auch in diesem Falle Zonen, durch deren Druck
man mannigfache Erscheinungen bei der Kranken hervorrufen kann; es genügt wohl
die Namen zu nennen: spasomogene, hypnogene, lethargogene Zone. In einer andern
Kategorie, die zugleich noch ein erhöhtes Interesse bietet, stehen dann die ideo-
eknmetischen Zonen: ein Druck auf die Gegend der Submaxillardrüsen beiderseits
versetzt Albertine zurück in die Situation eines früher erlebten ehelichen Conflictes,
in der sie zu heftigen Wuthausbrüchen veranlasst wird; Druck auf das mediale Ende
beider Schlüsselbeine lasst sie eine Scene wieder erleben, in der sie aus einem fHlheren
Dienst entlassen werden sollte; Druck des Mens veneris endlich führt sie zurück zu
den Freuden des mit Herrn X genossenen Liebesglücks.
Schon von Braid ist die Existenz solcher Zonen festgestellt worden; er brachte
dieselben in Verbindung mit der GalFschen Schädellehre.
Weitere interessante Einzelheiten können hier nicht angeführt werden. Das für
diesen Gegenstand allgemein erwachende Interesse mag die Länge des Referates ent-
schuldigmi. Sperling.
5) Arthralgie hyst^ro-traumatique du genou. Le9on de Charcot, recueillie
par M. Paul Blocq. (Progr. m6d. 1888. Nr. 4.)
An der Hand eines Falles von hysterischer Eniegelenks-A£fection traumatischen
Ursprungs bei einem 22jährigen Mädchen, welches durch einen Fall sich eine Reihe
von Entzflndungserscheinungen im linken Knie zuzog, die einige Monate von ver-
schiedenen Aerzten für Symptome einer schweren chronischen Arthritis gehalten und
dementsprechend behandelt, unter Gharcot's Aegide erst in ihrer wahren Bedeutung
— als rein funetionelle erkannt wurden, nimmt Ch. wiederum Gelegenheit, auf die
praktische Wichtigkeit gerade dieser hysterischen Affeddonen aufknerksam zu machen,
wie er es bereits in den in dieser Zeitschrift mehrfach referirte Vorlesungen über
hysterische Coxalgie gethan.
In dem vorliegenden Falle hatte erst 7 Monate, nachdem die Verletzung passirt,
die Chloroformirung der Patientin zu der nothwendigen diagnostischen Gewissheit
geführt, dass die Localerscheinungen an dem erkrankten Knie: Contracturstellung und
Atrophie, sowie Immoliration und Druckschmerzhaftigkeit rein funetionelle, die Schwel-
lung, Röthung und Eczem der Haut, die Infiltration im Unterhautzellgewebe —
Kunstproduct — durch die Application der verschiedensten Heilmittel hervorgerufen
worden seien. — Eine Reihe der bekannten hysterischen Stigmata, Einschränkung
des Gesichtsfeldes, Anästhesie des Pharynx, hystero-epileptische Attacke leichterer
Art u. s. w. wären ebenfalls bei genauerer Prüfung aufgefunden worden. — Der in
der Epikrise an die nichtfranzösischen Aerzte gerichtete Appell, doch ohne Vorein-
genommenheit den Studien der Hysterie näher zu treten und sich nicht beirren zu
lassen durch das Gespenst der Simulation, welches Charcot auch hier wieder „un
produit de l'ignorance des mädecins" — nennt, findet lauten Widerhall selbst im
— 200 —
Herzen derjenigen Awzte, die wegen ihres Skepticismns jüngst beinahe dem kritLschen
Bichtsehwert eines bekannten sehr verdienten deutschen Neoropathologen znm Opfer
gefellen wären. Laqner.
6) Contribution a rhistoire des monoplögies partiellee du membre supörieur,
d'origi^e liyst^ro-traumatiqua, par Benda. (Arch. de NeuroL 1887. XIY. 177.)
Gewisse nerrös prädisponirte Individum reagiren auf einen manchmal geringen
traumatischen Choc, welcher eüien Körpertheil trifft, theils mit fixem Schmerz der
Gelenke, theils mit rigider Contractor, sehr oft mit em«r schlaffen Lfthmnng. Diese
rein psychischen L&hmnngen, welche man in Verbindung mit der Hysterie findet,
betreffen häufig die Oberextremität und spedeU den Yorderann. Die Störungen der
Motilität und Sensibilität erstrecken sich meist ohne Bflcksicht auf den anatomischen
Bezirk der Nerven Manschetten- oder Segment-artig auf beliebige Abschnitte des
Gliedes, und weiter findet sich keinerlei Veränderung der elektrischen Beizbarkeit
auch nach längerem Bestehen des Leidens; zwei Symptome, welchen Charcot pa&o-
genetisohe Bedeutung zuweist. Meist finden sich daneben andere Stigmata der Hysterie;
das Leiden wird bei männlichen und weiblichen Individuen beobachtet
Nachdem Verf. aus der Litteratur einige Vorgänge referirt, auch einen neuen
Fall aus Charcot's Klinik beschrieben, berichtet er tbet den von ihm beobachteten
Fall. Er betraf eine junge Dame, welche nach einem Falle auf den rechten Daumen
allmählich erschwerte Bewegungsfähigkeit des Daumens, leichtere Ermüdung beim
Klavierspiel etc. bemerkte. Die Beschwerden bestanden etwa ein Jahr lang, nahmen
dann bei Gelegenheit einer anderweiten Störung des Befindens (Anämie, Menstmations-
stömngen etc.) zu; die Müdigkeit erstreckte sich auf die ganze Hand und den Vorder-
arm, es traten Grampi und lebhafte Schmerzen auf. Absolute Buhe bewirkte Nach-
lass der Schmerzen, die Kranke glaubte sich geheilt, fing wieder an Klavier zu
spielen, aber nach 6 Wochen nahmen die Schmerzen und die Müdigkeit wieder zu
und es bildete sich bald eine schlaffe Lähmung der Hand und des Vorderanns aus,
sowohl fOr BewegUDgen als für das Gefdhl und besonders den Muskelsinn. Die Grenze
der krankhaften Störung umzog manschettenartig den Vorderarm in halber Höhe des
Gliedes. Sonstige nervöse Störungen, insbesondere die gewöhnlichen Zeichen der
Hysterie, fehlten. Doch war die Kranke erblich belastet. Verf. stellte die Diagnose
trotz Fehlens sonstiger Zeichen der Hysterie auf psychische Lähmung auf hysterischer
Basis. Unter der Behandlung mit Einreibungen, Elektricität, Magnet» Tonids, Hydro-
therapie, psychischer Einwirkung und Uebnng besserte sich der Zustand.
In einem Nachtrage polemisirt Verf. gegen Adamkiewicz, welcher in seinen
Fällen die wahre Natur der Aflidction, die rein functionelle, psychische Lähmung auf
hysterischer Basis, verkannt und eine imaginäre Läsion der hinteren Wurzeln und
Intervertebralgangüen angenommen habe (Wiener med. Presse, Wiener Blätter, 1887).
Siemens.
7) Caae of hysterioal tremor and oontraotures, von Ormerod. (The Brii
med. Joum. 1887. Dec. 3. p. 1216.)
0. berichtet in der Londoner med. Gesellschaft über eine 29jährige Frau, welche
nach einem Krampfanfalle vor 6 Monaten Tremor der Hände und tonische Contrac-
turen der Finger und Zehen bekauL Vor den Contracturen bestand auch in den
Fingern Zittern, wie bei Paralysis agitans. In der letzteren Zeit wurde auch das
Gehen erschwert. Kein Nystagmus. Faradisation ohne Erfolg.
Hughlings Jackson bemerkt zu dieser Mittheüung, dass rhythmisches Zittern
ohne erkennbare Ursache oft hysterischen Ursprungs sei.
L. Lehmann (Oeynhausen).
— 201 —
8) CaM of hyiterioal hjperpyxttdai von A. H. Glemon. (The Brit. med. Joum»
1887. Dec. 3. p. 1211.)
G. macht in der Londoner klmiacben QeeeUschaft Mittheilnng über eine 23j&hr.
Wäscberin, welche vom 22. Ooi 1888 bis zam 1. April 1884 im Edinburger HoS"
pitale beobachtet worden war. Dieselbe bot eine solch' bemerkenswerthe Variation
im VerhaiteD der Körpertemperatar, wie sie bis jetzt durch unsere Kenntniss von
„Wännecentren'' kaum genfigend erkl&rt werden kann. In der Discnssion wurde
daher auch die Möglichkeit emer T&nschung ansgesprochenf welche jedoch yom Vor*»
tragenden als ausgeschlossen in diesem Falle dargethan wurde. Die detaillirt mit-
getheiUen Zahlen über die Temperatur müssen hier übergangen werden. Es genügt,
wemi ich angebe, dass Monate lang Achseltemperaturen zwischen 111 und 98^ F.
(43,5—36,5^ G.) beobachtet werden konnten, dass sich zuweilen rechts 108,8 ^ links
99,8^ Yorfimden und dass sich jetzt 110^ und kurze Zeit darauf 98,4<> am Thermo-
m^r in derselben Achsel ablesen liessen. — Die Klagen der Patientin im Uebrigen
bezogen ach auf Schwindel, Schmerz in der linken Seite; und objectiv fand sich
eine purpurfarbene Böthe über die untern Extremitäten verbreitei Im Verlauf des
Hospitalanfenthalts zeigte die Kranke allerlei krampfhafte Erscheinungen, als: ver-
lingerte Beaetion der rechten Pupille auf Licht, links Strabismus ini, klopfender,
bei Druck gesteigerter Schmerz im Scheitel, der selbst pseudo-tetanische Anfälle
herforbringen konnte. Delirium kam hinzu, Bewusstlosigkeit, Ruhelosigkeit etc.
Plantar- und Patellarrefleze fehlten; An&sthesie, Incontinentia urinae et faecium.
Allmählich kehrten Bewusstsein und Gontrole über Blase und Darm zurück. Nach
einigen Tagen kam ein Bück&ll, zwischendurch Erythem über die Arme und so
fortwährend wechselnd bis zu einer stetig zum normalen Befinden fortschreitenden
Beesemng. Aber auch dann zeigt die erste Temperaturmessung 110^, und dieselbe
Stelle kurz nachher gemessen: 98,4 ^ L. Lehmann (Oeynhausen).
8) GonMbutloii k V6tfade de lliystörle ohez lliomme. — Troublos de la
seiudlifllti ohez lee orlentanz. — lies Alsaana, par Lucas-Ghampionni^re.
(Arch. de Neurolog. 1887. XIV. p. 15.)
Unter Beibringung zweier kurzer Krankengeschichten bestätigt Verf. die nicht
mehr angezweifelte Thatsache von dem Vorkommen der Hysterie beim männlichen
Geschlecht, auch das Vorkommen des sog. Ovarialschmerzes bei demselben. Er be-
lichtet auch, dass er wiederholt bei hysterischen Weibern die Ovarien entfernt habe,
ohne dass der Bauchschmerz yerschwunden sei — Im Besonderen geht Verf. auf
die Anästhesie bezw. Analgesie der Hysterischen ein und führt hier auf manche
fionderbaren Beobachtungen von Ertragen des Schmerzes zurück. Er schildert aus-
f&hrlich eine Arabersecte, bei deren Productionen die Einzelnen, durch Musik, An«
starren glänzender (Gegenstände und Aehnliches in eine Art Hypnose versetzt, in
dem Ertragen schmerzhafter Manipulationen Erstaunliches leisten. Verf. hat bei
zweien der Leute auch Gonvulsionen gesehen, welche der Ghef der Truppe lege artis
durch Bauchcompression unterbrach. Die Leute sind übrigens meist nervös belastet,
ausschweifend und haben auch ausserhalb der Vorführungen Störungen des Nerven-
systems, Anästhesie u. dgl. Diese Verhältnisse sind bei den Orientalen und bei halb-
wilden Völkerschaften vielfach anzutreffen. Siemens.
10) Hysterie et Syphilis: De l'influenoe d'une nmladie ou d'une intozi-
catlon antärieure sur le mode de looalisation et sur la forme des acoi-
dents hystöriques. Le9on de Gharcot, resum^e par Gilles de la Tourette.
(Progr. mM. 1887. Nr. 51.)
Die Hysterie bleibt oft sehr lange latent und pflegt sich bei vielen Individuen
erst auf Grund oder in Folge von bestimmten Gelegenheitsursachen zu äussern. Diese
18
— 202 —
sind entweder Infectionskrankheiten, wie Pneumonie, Typhns oder Intoxicationen, wie
Alkoholismus, Blei- und Quecksilbervergiftung, oder aber traumatische Ursachen. —
Endlich kann auch die Syphilis in der genannten Weise die ersten deatlichen hysteri-
schen Erscheinungen hervorrufen, und von dieser Thatsache zeugt ein Fall« auf den
Ch. später n&her eingeht. — Festzuhalten ist dabei, dass der allgemeine Charakter
der Krankheit selbst unbeeinflusst bleibt von den erwähnten Momenten, dass allerdings
die Localisaüon, die Form der hysterischen Attacken modificirt werden kann durch
Trauma, Alkoholismus, Syphilis u. s. w. — Der Kranke, den Charcot vorstellt»
steht im Alter von 26 Jahren, acquirirte Lues vor 10 Jahren, wurde aber nicht
sorgfältig behandelt Am 1. Jan. 1884 erlitt er einen apoplectiformen Insult mit
Verlust des Bewusstseins. Es wurde eine rechtsseitige Hemiplegie mit Contracturen
(Arm, Bein und Zunge) constatirt und Hemianästhesie. — Einige Tage später trat
heftiges Kopfweh besonders Nachts auf, auch machten sich Zuckungen von epilepti-
formen Charakter bemerkbar. Es wurden Jod und Mercur angewendet, aber die
Lähmung und die Kopfschmerzen wollten nicht heilen; auch traten zwischenzeitlich
zwei neue apoplectiforme Insulte ein. — Aber da die Hemianästhesie eine complete,
und von Störungen im Bereiche des Muskelsinns begleitet war, da sich die rechts-
seitige Zungenlähmung nicht als paretische, sondern als spasmodische Erscheinung
erwies, da femer auch die sog. epileptiformen Attacken und die Cephalaigia nocturna
mit hochgradiger Hyperästheme der behaarten Kopfhaut eher für hysterische als fflr
syphilitische Erscheinungen anzusehen waren, so war Charcot geneigt, die langsame
Heilung mehr auf Kosten der Hysterie, als auf die der Syphilis zu setzen. Auf
dem Boden der letzteren hatte sich die Hysterie unter einer von ihren sonstigen
Erscheinungsarten abweichenden Form von Neurose entwickelt.
In ähnlicher Weise hatte Potain bei einer Bleilähmung feststellen können, dass
das. betreffende Individuum zwar eine rechtsseitige Extensorenlähmung darbot, dass
aber der betr. Arm auch völlig hemianästhetisch war und die Entartungsreaction in
den Muskeln fehlte. Aus diesem Grunde musste auch dieser Symptomeneomplex als
hysterischer angesprochen werden. — Es gäbe also keine syphilitische, keine satumine
und keine typhöse Hysterie, man brauche die Arten nicht zu vermehren, — man
werde immer die hysterischen Eigenthümlichkeiten wiederfinden, auf welchem Boden
die Krankheit sich auch entwickele. La quer.
11) HypnotiBmus, physiologischer Theil von Prof. Preyer, pathologischer Theil
von Prof. Bins wanger. (Eulenburg's Bealencydopädie der gesammten Heilkunde.
2. Aufl. 1887.)
Preyer definirt die Hypnose dahin, dass sie „ein künstlich erzielbarer, dem
Schlaf verwandter Zustand sei mit Veränderungen der Functionen des Gehirns, welche
zwar eine grosse Mannigfaltigkeit der Erscheinungen darbieten, in dem einen Punkte
aber mit einander übereinstimmen, dass sie nach einer anhaltenden, gleichförmigen,
nicht ungewöhnlich starken und nicht aufregenden Beizung von Sinnesorganen ein-
treten, wenn die Aufmerksamkeit nicht abgelenkt ist und eine gewisse willige Stim-
mung vorherrscht." Die Hypnotisirbarkeit Schlafender ist noch sehr fraglich. Die
Verzückungszustande der Derwische und tunesischen Sectirer mit Analgesie sind den
hypnotischen Zuständen nur verwandt. Die Disposition zur Hypnose liegt weniger
in einer grösseren Erregbarkeit, als in einer grösseren Ermüdbarkeit der sensorischen
und motorischen Nerven.
In knappen, klaren Zügen wird alsdann die Symptomatologie besprochen. Die
motorischen Symptome, speciell die excitomotorischen (gegenüber den Ausfallserschei-
nungen) werden durch Stein entlehnte Abbildungen veranschaulicht. Die Möglichkeit,
Hallucinationen bei hypnotisirten Gesunden durch Suggestion zu erzeugen, bezweifelt
Preyer; es dürfte sich meist um Wahnvorstellungen (ohne excentrische Localisation
und Objectivirung) handeln.
— 203 —
Unter den Folgen wiederholter Hypnosen betont P. den Werth der Autohypnose
bd hartnäcldger Schlaflosigkeit. Die Unzutr&glichkeit wiederholter Eataleptisinuig
für einen Gesunden steht fest.
In der düferentiellen Diagnostik werden die Yerwandtschaffc mit dem Schlaf und
die Unterscliiede von der Kaiaplezie scharf hervorgehoben.
Das Symptom der hypnotischen Abalie und Inactivit&t veranlasst P. in theo-
retiflcber Beziehung eher Heidenhain*s Annahme eines Fortfalls corticaler Hem-
mung den Yonog zu geben zur Erklärung der gesteigerten Beflexerregbarkeit.
Gegenüber der Unsicherheit der übrigen bisher versuchten Hypothesen kommt P. auf
seine Yermuthung zurück, dass in der Hypnose die Bindenfnnetionen z. Th. in Folge
rascho- Anhäufung von Ermüdungsstoffen erloschen, und die übrigen alsdann einer
Steigening um so zugänglicher sind. Eine Yergleichung des Hypnotisirten mit einem
gewissen Rindentheile experimentell beraubten Thieres wird angeregt. Die erhöhte
Concentration der Aufmerksamkeit erklärt wenigstens psychologisch die auffallende
Steigerung des sensorischen Unterscheidungsvermögens.
Auch der forensischen Bedeutung des Hypnotismus wird kurz gedacht. Der
geschichtliche Abschnitt stellt zum ersten Mal die Genese der Lehre vom Hypnotismus
völlig klar. Eine sehr vollständige Litteraturflbersicht ergiebt, wie viel Material die
knappe Darstellung bewältigt hat.
Für den pathologischen Theil, dessen Bearbeitung Binswanger übernommen
hat, fehlten irgend zusammenfaasendere Yorarbeiten ganz. Etwa 150 Einzelarbeiten
äusserst verschiedenen Werthes liegen vor. Uebertriebener, sich selbst neue Erkennt-
nisswege versperrender Skeptidsmns einerseits und bis in die wissenschaftlichen Kreise
eingedrungene Leichtgläubigkeit andrerseits kämpften miteinander. Mit sicherer Kritik
hat B. das zahlreiche Material gesichtet und geordnet. Namentlich sei erwähnt, dass
zahlreiche werthvoUe, in Deutschland nicht einmal in Referaten bekannt gewordene
Arbeiten besonders französischer Forscher uns hier zum ersten Mal näher gerückt
werden.
Nachdem die Erscheinungen des Hypnotismus im Allgemeinen durchaus als
pathologische Yorgänge bezeichnet worden sind, behandelt der erste naturgemäss
durchaus überwiegende Abschnitt die hypnotischen Erscheinungen bei der Hysterie.
Die 3 Formen des hypnotischen Zustandes (kataleptischer, lethargischer, somnambuler
Zustand) werden nach Gharcot und P. Sicher geschildert, und die fundamentale
Bedeutung dieser wenn auch nicht ganz ausnahmslos festzuhaltenden Eintheilung fOr
die Orientirung in dem Wirrsaal der Beobachtungsthatsachen hervorgehoben. Die
Differenz zwischen Gharcot und Sicher einerseits und Dumontpallier und
M agnin andrerseits, die darin gipfelt, ob die Contraeture provoqn^e im lethargischen
Zustand nur durch mechanische Seizung subcutaner Theile, im somnambulischen
nur durch Hautreize oder in beiden Zuständen allein durch Hautreize entsteht,
wird im Ganzen zu Gunsten Gharcot*s entschieden. Die excessive Steigerung der
Apperceptionsföhigkeit für Sinnesempfindungen und des Gedächtnisses bei Hysterischen
ist sicher erwiesen.
Die Bedeutung der Suggestion zur Erzeugung der Hypnose ist durch die Schule
von Nancy (Li^bault und Bernheim) überschätzt worden. Binswanger*s eigne
Yersuche beweisen, dass zuweilen die Suggestion nicht ausreicht und nur die Zu-
hfllfenahme anderer hypnogener Mittel die Hypnose erzeugen lässt. Die Suggestibilität
sensibler und sensorischer Lähmungen, wie sie namentlich von Oh. Sichet beschrieben
worden sind, kann B. bestätigen, nicht hingegen nach den bisherigen Erfahrungen
die posthypnotische Nachwirkung von Suggestionen, wie sie Sichet, Li^bault,
Bernheim und Färö sich namentlich in Zwangsvorstellungen oder Zwangshandlungen
äussern sahen. Ebenso ist gegenüber den Yersachen über Beeinflussung der vege-
tativen Functionen durch Suggestion noch einige Seserve geboten. Festzuhaken ist,
dass überhaupt die suggestiv erzeugte Hypnose von der physikalisch erzeugten
IS*
— 204 —
Yonchieden ist Insbesondere ist fflr die Reihe der hypnotischen Eisdieinnngen bei
Hysterischen maassgeb^id, ob die erstmalige Erzeagong der Hypnose aof snggestiTein
oder physikalischem Wege vorgenommen wurde.
Die Uebweinstimmnng des Hypnotismns als einer experimentellen Neurose mit
den spontanen Erankheits&nsseningen der Hysterie ist frappant Gegenüber der Aus-
sage fast aller Beobachter, dass Geisteskranke zu hypnotischen Versuchen sehr un-
geeignet seien, betont B. auf Grund einer eignen Yosuchsreihe, dass es bei einer
grossen Zahl ?on Geisteskranken, inclusive Epileptikern — Melancholie, Manie und
acute Demenz nach den seitherigen Versuche ausgeschlossen — gelingt» entweder
die völlige Hypnose oder aber rudimentäre Zustände derselben hervorzurufen. Letztere
findm sich namentüch bei primär Yerrftckten. Die „Fascination" Bremaud*8 und
„Captation" Descourtis* gehören hierher. Auch sind diese rudimentären oder abor-
tiven Formen durchaus den posthypnotischen Delirien ähnlich, welche oft erst mehrere
Stunden nach Ablauf der Hypnose bei Geisteskranken zu Stande kommen können.
B. hat diese Erscheinungen schon 1880 demonstrirt. Das hervorstechendste Merk-
mal ist die heftige psychische Erregung. Dabei werden niemals andere Erscheinungen
(Wahnideen, Hallucinationen'etc.) gezeitigt als solche, die auch im wachen Zustand
augenblicklich oder früher für die Psychose charakteristisch waren.
Die Zulässigkeit und der Werth der therapeutischen Anwendung der Hypnose
beschränkt sich auf nervöse Schlaflosigkeit und hysterokataleptische und somnam-
bulische Zustände. Das Bernheim'sche Verfahren 0^i<^l^^ Streichen des Kopfes
ohne jede Suggestion) wird hier empfohlen. Th. Ziehen.
12) La Buggestion mentale et Taotlon ä dlstanoe des substanoes toziques
et mödioamenteuses, par les docteurs H. Bourru et P. Burot, professenrs ä
r^cole de m^decine de Bochefort. (Paris 1887. Baillike & Fils. 308 Seiten.)
Das interessanteste Capitel der umfangreichen Schrift ist das erste, welches die
Entstehungsgeschichte der hier geschilderten Entdeckungeii erzählt: an einem hystero-
epileptischen Manne (V.) mit Hemiparese und sensitivsensorieller Hemianästhesie
wurde die Wirkung der Metalle studirt und gefunden, dass Gold und Quecksilber —
um von den andern gar nicht zu sprechen — mit der Haut in Berührung gebracht
ein intensives brennendes Gefühl und sogar bei innigem Contact Brandwunden ver-
ursachten. Erstaunlich war es, dass unter gleichen Bedingungen auch ein Thermo-
meter — mit in Glas eingeschlossenem Quecksilber! — denselben Effect
hervorbrachte, und mochte er auch den Blicken des Kranken durch Einhüllung in
ein Tuch entzogen sein. Ein zufallig auf der Haut des Kranken in Berührung ge-
kommener Goldring, eine in seinem Bette versteckte Goldmünze etc. lösten gleiche
Erscheinungen aus. Wasserstoff auf die Haut geblasen, versetzte den Patienten in
einen Zustand von geschlechtlicher Erregung, ein auf den Unterarm gelegter, in Pa-
pier gehüllter Krystall von Bromkali brachte Gähnen und Niesen hervor.
Ein Stück Opium auf y.*s Kopf gelegt (im wachen Zustande) führt in einer
Minute Schlaf herbei, Jaborandi-Blätter, unter seinem Kopfkissen versteckt, Schweiss
und Speichelfluss, und Y. klagt nach dem Erwachen über einen süssen Geschmack
im Munde (diese den Speichel süssmachende E^enschaft des Pilocarpins ist bekannt).
Aehnliche Erscheinungen konnten bei einer hysterischen Frau (M.) mit rechts-
seitiger Analgesie und linksseitiger Hyperästhesie constatirt werden.
Solche zum Theil dem Zulall zu verdankende Beobachtungen führten die Yerff.
zu systematischen Prüfungen auf das Verhalten dieser beiden Yersuchsobjecte gegen-
über der äussern Einwirkung (Femwirkung, acüon ä distance) aller gebräuchlichen
Arzneistoffe.
Es zeigte sich hierbei bald, dass dieselben um so stärker wirken, je weniger
sie eingeschlossen sind, jedoch können auch mit sehr indifferenten Stoffen in ver-
— 205 —
siegelten Glasröliren Wirkungen ausgelöst werden. Die Stelle für die Anlegung am
Körper bleibt der Wahl überlassen und spielt keine Bolle» die Entfernung der Sub-
stanz Tom KOrper kann bis auf 10 cm -verlängert werden, die mittlere Entfernung
bleibt 5 cm. Toxische Substanzen werden am besten in Lösungen angewandt. In
Bezug auf die anzuwendenden Dosen l&sst sich kein (besetz aufstellen, desgleichen
unterliegt auch die Dauer der Application individuellen Schwankungen. S&mmtliche
Experimente gehen -vom wachen Zustand aus, und eine Beseitigung der dadurch her-
Torgemfenen Erscheinungen mittelst Hypnose und Suggestion ist unmöglich.
Jeden&lls wird es interessiren, einige der constatirten Wirkungen kennen zu
Itfnen.
Morphium bewirkt Schlaf und beschleunigte Athmung; Atropin zeigt sich als
Antidot. (Aus der Angabe tber die Pupillen -Yerhältoisse lässt sich kein Schlnss
ziehen. Bef.) Auch Codein, Thebain und Chloral ffthren Schlaf herbeL
Apomoiphin und Ipecacuanha verursachen Uebtilkeit und Erbrechen, Podophyllin
dasselbe und Salivation.
Alkohol führt einen Zustand von Trunkenheit herbei, gegen welchen sich Am-
moniak als Antidot erweist Aethyl- und Amyl-Alkohol haben Terschiedene Wirkungen.
Champagner führt zu geschlechtlicher Erregung.
Eine eigenthümliche Wirkung hat Aqua laurocerasi: zuerst wird eine religiöse
Exstase bei der genannten Frau M. ausgelöst, die im zweiten Stadium zur Position
einer Betenden führt, im dritten zur religiösen Zerknirschung, die sich in Haltung,
Mienen u. s. w. ausdrückt; ein weiteres Stadium lässt die Betende hinsinken und
es ist dasselbe von leichten Conyulsionen begleitet, worauf Buhe mit Schlaf folgt.
Wird M. nunmehr in Somnambulismus versetzt, so giebt sie die Hallacination, welche
sie während dieses Zustandes gehabt und die sich an die heilige Juugfrau knüpfte,
zum Besten. Unter dem Einfluss von Aqua laurocerasi soll sich dies Phänomen
immer in gleicher Weise abspielen. Photolypen veranschaulichen die einzelnen Stadien.
Für die Wirkung von Valeriana ist neben andern das Eratzen der Erde, wie
es auch Baldrian riechende Katzen thun, charakteristisch.
Eine beruhigende und krampfstillende Wirkung hat das Ammoniom valerianicum
(Dosis 0,15), desgleichen der Campher.
Nux Yomica führt zu tonischen Convulsionen mit Opistothonus, Aconitin zu Con-
gestion des Kopfes und Thränenlaufen u. s. w.
Die Wirkungen Ton Aqua laurocerasi (Hallucinationen religiösen Inhalts u. s. w.)
konnten auch an einer nicht hysteris<dien Dame im hypnotischen Zustand hervor-
gebracht werden, ebenso die des Alkohols durch die bezeichnete Methode bei einem
Matrosen.
üebrigens soll noch bemerkt werden, dass die Beactionsfahigkeit der gedachten
Personen in den verschiedenen Stadien ihrer Krankheit nicht immer die gleiche war.
Als Gewährsmänner für die Bichtigkeit ihrer Beobachtungen führen die Yerfif.
zuerst M. Ch. Bichet an, der dieselben in der That bestätigt und auch die Meinung,
es wären diese Phänomene durch die natürliche Wirkung flüchtiger Substanzen zu
erklären, mit gaten Gründen zurückweist: die Experimente gelingen mit durchaus
nicht flüchtigen Substanzen und es gelingt auch, bei Unbekanntschaft des Experi-
mentators und der Yersuchsperson mit der betreffenden Substanz aus den durch die
Wirkung derselben ausgelösten Symptomen die betreffende Substanz zu erkennen.
Femer führen die Yerff. Luys (v. folgend. Beferat), M. Ch. Döcle in Paris, Cha-
zarin, Dufour und Bochas als Autoren an, die gleiche Besultate bei ihren Ver-
suchen erhalten haben, während sie die Versuche von Voisin als nicht maassgebend
bezeichnen, weil derselbe an ihrem Versuchsobject V. zu einer Zeit operirt habe, als
dasselbe andere Krankheitserscheinungen bot und gerade weniger empfänglich war.
Der zweite TheU ist einer umständlichen Abhandlung über Suggestion und
Metalloscopie gewidmet» über erstere, um darzulegen (insbesondere auch gegen Voisin),
— 206 —
dasB die Fdmwirinmg der Medikamente auf Personen, deren €Heicligewicht des Nerven-
systems gestört ist (d^^qnüibrto), dorchaus nichts mit der Suggestion za thon hat,
dass man sich bei den Experimenten speciell vor Suggestion mit Worten gehütet hat^
und dass die Suggestion mentale (Ideen-Suggestion) zum mindesten eine zweifelhafte
Sache ist.
Die Metalloscopie wird herangezogen, nm über die Analogien in ihr mit den
vorliegenden Erfahrungen zur Entwickelung einer ErU&mng derselben überzugehen:
Alle lebenden Wesen besitzen in sich eine gewisse Menge magnetischer Kraft oder
Elektricität, wie es für bestimmte Individuen unzweifelhaft dargethan ist Aehnüch
einem Magneten schafft sich diese Kraft um das Individuum herum eine magnetische
Sph&re (champ magn^tique), in deren Bereich sich ähnliche Erscheinungen auslösen
können wie in nnmittelbarem Gontact mit der magnetischen Quelle. Die betreffenden
Medikamente communidren mit diesem champ magn^tique durch Vibrationen ihrer
Molecüle. Das Weitere ist Beflezvorgang. Dies ungeföhr die Hypothese der YerfT.
über die wunderbaren Phänomene.
Der dritte Theil beschäftigt sich mit der Anwendung der einen Entdeckung:
zu weitläufig, um näher darauf eingehen zu können, sei es dem Leser überlassen,
aus Yorstehendem sich selber die Indicationen zu jener zurecht zu stellen. Ein de-
finitdves zustimmendes oder ab^iges Urtheil über diese „Neuheit" ist jetzt zu fallen
unmöglich. Die Zeit muss die Entscheidung darüber bringen. Vielleicht lässt sich
Altmeister Gharcot zu einem Wort in dieser Sache herbei. Sperling.
13) IiOB ämotionB ohes les snjets en ötat dliypnotisme, par J. Luys, mMecin
de rhöpital de la Charit^. (Paris 1887. Bailli^e & Fils. 98 Seiten, 28 Photo-
glyptien.)
Verf. bestätigt im Allgemeinen die Berichte und Beobachtungen von Bourru
und Burot. L. hat etwa 87 medicamentöse Stoffe in Bezug auf ihre Femwirkung
auf Hypnotisirte untersucht und legt besonderes Oewicht auf die dabei zu Tage ge-
tretenen Aensserungen des Gkmüths, sowie auf vasomotorische und trophische Er-
scheinungen.
L. giebt eine genaue Beschreibung seiner Methode. Die Medicamente befinden
sich sämmtlich in gepfropften und versiegelten Glastuben. Die beiden Versuchsobjecte
(Esther und Gabrielle), von denen besonders die erstere sich auszeichnet, sind hystero-
epileptisch; Esther hat eine lange Krankengeschichte. Im Zustand von Hemianästhesie
rufen Glastuben, die mit Medicamenten gefüllt sind, an verschiedenen Körperstellen
und über gleichnamigen Stellen beider Körperhälften verschiedene Symptome hervor.
(Widerspruch mit Bourru und Burot.) Dieselben hier aufzuzählen, würde zu weit
fähren. Erwähnt soll nur werden, dass L. durch Femwirkung einer einfachen Glas-
tube hallucinatorische Erscheinungen und Gontraction der Arme auslöste, sowie durch
Femwirknng des Wassers (sie!) Symptome von Hydrophobie! Im üebrigen stimmen
die Resultate mit denen von Bourm und Burot ziemlich überein. Originell ist L.
die Anwendung der Thymian-Essenz: Hallucinationen heitern und traurigen Inhalts
resultiren daraus, Anschwellung der Thyreoidalgegend des Halses und Exophthalmus.
Hallucinationen traten bei diesem und andern Mitteln mit oder ohne Betheiligung
der Sprache auf; mit der Wegnahme des Medicaments schwinden die Erscheinungen,
um mit Annäherong desselben sich wieder einzustellen.
Die hervorragendsten Phänomene, welche die beiden genannten Personen dar-
boten, sind durch 25 Photographien fixirt.
Verf. hält die geschilderten Vorgänge für reflectorischer Natur, er erklärt aber
nicht, wie er sich die erste Phase des Reflexes, die Wirkung des Medicamentes, des
Glases, des Wassers auf die peripherischen Nerven zu Stande gekommen denkt.
Die praktische Seite dieser Experimente erleuchtet Verf. durch „erhebliche
— 207 —
6€fi86nmg'' Yon zwei bjsteroepileptiacben Mädchen in Folge von Fernwirknng von
Bromkaliy nachdem alle andern Heilversache fehlgeschlagen hatten.^ Sperling.
14) Slnlge therapeutisohe Versuche mit dem Hsrpnotismas bei GMatea-
kranken, von Prof. Dr. Aug. Forel in Zürich. (Gorresp.-Bl. f. Schweiz. Aerzte.
1887. Nr. 16. S. 481.)
Es mehren sich die Beohachkingen, welche den HypnotismnB auch in der wissen-
schaftlichen medidnischen Welt zu seinem Becht verhelfen zu wollen scheinen!
Prof. Forel ist nach Nancy gereist, um sich hei Bernheim, dem Director
einer Abtheüung der dortigen innem Klinik und wohl augenhlicklich dem vielerfahrensten
anf dem Gebiete des HypnotLsmus, persönlich von dem zu überzeugen, was er in dessen
— übrigens zur Lectflre sehr lesenswerthem Buche: „De la Suggestion et de ses
appücations ^ la th^rapeutique." Pans 1886 — 416 Seiten — gelesen hatte.
Zorflckgekehrt vwsuchte er es selber zu hypnotisiren. F. bediente sich der in
Nan<7 angewandten Methode: par Suggestion; was ihm vorher misslungen, glückte
jetzt vollständig. Die angestellten Versuche sind um so interessanter, als sie an
Cknsteskranken gemacht sind.
Bei 41 Personen (21 Männern und 20 Frauen) konnte F. 27mal eine mehr oder
minder hochgradige Hypnose hervorrufen.
Die einzehien Fälle sind mit ihrem Erfolg oder Misserfolg kurz geschildert.
Sehr auffallend ist die Wirkung der Suggestion in der Hypnose bei mehreren Alko-
holikern, welche sich dann später in den Mässigkeitsverem aufnehmen Hessen!
Ein Morphinist konnte durch Hypnose sowohl vom Morphiumhunger als von
den sehr quälenden Neuralgien befreit werden.
Ein Fall von periodischen submaniakalischen Aufregungen wurde aufEEdlend g^t
beeunflnsst Der rohe und angeregte (congenital schwachsinnige) Mann wurde bald
mhig, ernst und viel fleissiger als vorher.
Zwei schwere Hysterien wurden erheblich gebessert.
Bei angeborenen Psychosen (3 Fälle) missglückte jeder Versuch zu hypnotisiren;
ebenso Hessen sich „unheilbare Psychosen" wenig beeinflussen.
Bei acuten Melancholien und Manien sind einige Erfolge zu verzeichnen.
Ein Panacee gegen alle Leiden darf natürlich auch in dem Hypnotismus nicht
gesucht werden. Jedenfalls ist es sehr häufig der Mühe w^h, ihn anzuwenden,
wenn andere Mittel im Stich lassen. Sperling.
15) Einige Bemerkungen über den gegenwärtigen Stand des Hypnotismus
nebst eignen ErflAhrangen, von Prof. Aug. Forel in Zürich. (Münch. medic.
Woch. 1888. Nr. 6. S. 71.)
Ein Aufsatz, welcher durch die Erörterungen dieser Frage in der Berliner medi-
cinischen Gesellschaft im November v. J. gelegentlich eines Vortrages von Dr. Moll
hervorgerufen worden ist.
F. wendet sich sehr entschieden gegen die dort von Ewald vertretene Ansicht,
dass die Hypnose kein Mittel sei, welches in den Dienst der Heilkunde gestellt zu
werden verdiene, weil sie jeder Schäferknecht hervorrufen könne: zur richtigen An-
wendung derselben gehört „medicinisches Wissen und psychologische Kenntnisse» ge-
^ Die Acad^ie de MMecine in Paris hat eine Commission zur Prüfung der von Luys
berichteten Veranche über die Wirkung von Heilmitteln auf Distanz eingesetzt Die von
Dujardin-Beaumetz mitg^etheilten Kesultate lauten dahin, „dass die durch Medikamente
auf Entfernung bei hvpnotisirbaren Personen erzielten Wirkungen mehr von Launen der
Phantasie und des Gedächtnisses der betreffenden Personen, als von den in diesen Fällen
gebrauchten, in Glastnben eingeschlossenen medikamentösen Substanzen abzuhängen schei-
nen." — Luys hat für eine der nächsten Sitzungen das Wort gebeten, um die Gründe und
Anschauungen der Commission zu vnderlegen. (Gaz. m^d. de Paris. 1888. 10. März.)
— 208 —
liört Tor Allem die F&liigkeit, Diagnosen zu machen, gehört aueh Uebnng". Deshalb
ist der Arzt zn ihrer Anwendung nicht nur berechtigt, sondern yerpfliditet, ein Heil-
mittel der ruchlosen Hand des Eurpftischers zu entziehen, mit welchem von äntüchen
Autoritäten unbestreitbare Erfolge erzielt worden sind. „Es ist nun allerhöchste Zeit»
einer Erscheinungsreihe, welche im höchsten Grade unsere Anschauungen HbM* die
Physiologie, über die Physiologie des Grosshims zu yervollstindigen im Stande ist,
unser volles Augenmerk und eine streng wissenschaftliche Prüfung zu widmen/' —
Mendel gegenüber betont F., dass die nach Anwdsung der Schule von Nancy
(Bernheim, Liäbault) geübt« Hypnose niemals von üblen Nebenerscheinungen be-
gleitet sei wie die Braid*sche Methode, die M. wohl allein angewandt habe. Heilungen
würdoi nicht vorzugsweise bei Hysterischen orzielt, gerade im Gegentheil seien die
„geistig Gesunden mit gesundem Schlaf, die einfachen Leute aus dem Volke am
leichtesten zu hypnotisiren und durch Suggestion zu beeinflussen, und zwar Männer
so gut als Frauen". Die Au£GuBsung der Hypnose als Neurose ist mit Yorf.'s Er-
fahrungen nicht vereinbar; auch Bernheim und Li^bault widersprechen derselben.
Die Hypnose bietet viel Analogien mit dem normalen Schlaf.
Zu den früheren Mittheilungen fügt L. noch einige neue, durch Suggestion günstig
beeinflusste resp. geheilte Fälle: Ein 30jähr. Mädchen, die zuerst von einer Quintus-
neuralgie, dann von ihrer Alkoholsucht und schliesslich von ihrer unregelmässigen
Menstruation befreit wurde. Ein zweiter Fall betrifft einen Rheumatiker, der durch
Suggestion seine Schmenen verlor; ein dritter eine Paranoica, der die „Stimmen"
wegsuggerirt wurden; ein vierter und fünfter eine Ischias resp. Schlaflosigkeit, die
unter dem Einfluss der suggestiven Hypnose schwanden.
„Das Feld der Psychosen ist für die therapeutische Wirkung der Suggestion
äusserst nngünstig."
Das Buch Bernheim's „De la Suggestion et de ses appllcations ^ la th^rapeu-
tique", das eben in 2. Auflage erschienen, wird jedem Arzte zum Studium empfohlen.
Sperling.
16) Mittheiliuigen über Hypnotlamus aus der Bkandinavisohen laittaratur.
Unter 718 Personen, die Dr. Otto Wetterstrand (Hygiea L. 1. S. 28. 1888)
im Laufe des Jahres 1887 hypnotisirte, zeigten sich nur 19 unempfüiglich; oft ist
Unempfönglichkeit nur temporär vorhanden, denn dieselbe Person kann an dem einen
Tage empfänglich sein, an einem andern nicht, Leute, die vorher wiederholt leicht
hypnotisirt werden konnten, können später unempfänglich werden. George Lytken
(Ugeskr. f. Läger 4. B. XYI. 34. 35. 1887) hat die Erfahrung gemacht, dass man
mit Geduld und Ausdauer oft Hypnose bei Personen hervorzubringen vermag, die
sich nach den ersten Versuchen als unempfänglich darstellten. Einen Unterschied
der Temperamente und des Geschlechts in Bezug auf die Empfänglichkeit hat Wetter-
strand nicht gefunden, nach ihm sind nerv5se Personen oft besonders schwer zu
hypnotisiren; die Ansicht, dass der Hypnotismus in den meisten Fällen mit Hysterie
verbunden sei, hält W. für unbegründet; die am besten hypnotisirbare Person, die
W. gefunden hat, war ein 17 J. altes, ganz gesundes Mädchen von blühendem Aus-
sehen, ohne jede Spur von Nervosität, sie war nie krank gewesen. Wohl aber hat
nach W. der Charakter eine gewisse Bedeutung; Egoisten, Skeptiker, Leute, die Alles
bekritteln, sind nach seiner Erfahrung weniger empfänglich. Alle Kinder, vom 3. oder
4. J. an bis zum 15., sind empfänglich; bis zum Alter von 30 J. ist die Emp^g-
lichkeit besonders gross, von da an nimmt sie ab, ohne jedoch vollständig zu ver-
schwinden, noch sehr alte Leute können hypnotisirbar sein.
Nach hypnogenen Zonen hat 8. Hytten (Ugeskr. f. Läger 4.B. XYI. 36. 1887)
in vielen Fällen gesucht, aber nur in 3 Fällen solche gefunden: im Nacken am
1. Halswirbel, am rechten Ohrläppchen und längs des Bippenbogens auf beiden Seiten.
Hytten hat sich wiederholt überzeugt, dass vollständige Hypnose nicht noth-
— 209 -
wendig ist, um wirksame therapeutische Suggestionen zu geben, sondern dass
dazu schon Fasdnation und Lethargie genügen, in beiden Fällen sind aber dann
noch Str^diiuig«! nothwendig. In einem Falle extrahirte H. einen Zahn, nachdem
er nur dmal über den Alveolarfortsatz des Oberkiefers gestrichen und die Stelle für
gefühllos erklärt hatte, ohne dass die, offenbar dadurch fascinirte Kranke Schmerz
bei der Extraetion empftmd.
Die therapeutische Wirksamkeit der Suggestion sucht Lütken (a. a. 0.) darin,
dass die znerst durch Suggestion eingegebenen Ideen und Qedankenjgänge dem Hjp-
notisirten allmählich selbst eigen werden, so dass z. B. ein Trinker im Laufe der
Zeit enthaltsam wird nicht in Folge des Befehls, sondern aus eigenem Trieb.
Ausser Wetterstrand in Stockholm, der die ausgedehnteste Anwendung der
hypnotischen Suggestion zu therapeutischen Zwecken gemacht und eine reichliche
Auswahl Yon Fällen ausführlich mil^etheilt hat, dessen Aufsatz jedoch zur Zeit noch
nicht Tollständig erschienen ist^ haben yerschiedene Aerzte in Dänemark die Sug-
gestion zu Heilzwecken verwendet. Fraenkel in Slagelse (Ugeskr. f. Läger 4. B.
XV. 17, — NeuroL Centralbl. VI. 18. p. 427. 1887) wandte sie in 2 Fällen an.
L. Bentson (Ugeskr. f. Läger 4. B. XVI. 81. 32. 1887) heilte in je 1 Falle neu-
ralgische Schmerzen in den Gliedern bei einer wahrscheinlich hysterischen Frau und
rheumatische Schmerzen in Kreuz, Bücken, Nacken und beiden Gesichtshälfben bei
einer Frau, die durchaus ohne jede hysterische Anlage war. Lütken (a. a. 0.) theilt
20 FäUe mit, Hypochondrie, Keurasthenie, Hysterie, Geistesstörungen, Chorea, Neu-
ralgien, Lähmungen und Stottern betreifend; in der überwiegenden Mehrzahl von
Ftllen wurde Tollständige Heilung erzielt. Hytten (a. a. 0.), der 8 Fälle von ver-
schiedenen Nerrenkrankheiten mittheilt, in denen hypnotische Suggestion mit guten
Besultaten angewendet wurde, hatte ebenfalls guten Erfolg bei Behandlung des Stottems,
wie auch Wetterstrand. In einem Falle benutzte Hytten die Hypnose statt der
Chloroformnarkose behufs Ausschabung des Uterus. Als Curiosa theilt Hytten zwei
FlUe mii In dem einen ernüchterte er durch hypnotische Suggestion einen in leichtem
Rausche Befindlichen, im andern hatte sich ein junger Mann unfreiwillig selbst hyp-
notisirt dadurch, dass er, in Gedanken auf einem Stuhle sitzend, auf ein kleines,
stark lacht reflectirendes Bild gestarrt hatte; der junge Mann gerieth leicht in der-
artige Zusiäide.
Eine Methode, sich selbst zu hypnotisiren, theilt J. P. G. Johansen
(ugeskr. f. Läger 4. B. XVI. 1. 2. 1887) mit, der an sich selbst versucht, mittelst
hypnotischer Suggestion Morphiumsucht zu überwinden. J., in dessen Familie sich
starke Disposition zu Nerrenkrankheiten findet, war in Folge einer hartnäckigen
Kardialgie Morphinist geworden und nach Entziehungskuren rückfällig geworden.
Gegen den Hypnotismus war J., von Haus aus ein sehr kräftiger Mann, anfangs
schwer empfänglich und selbst einem Hypnotiseur von Fach gelang es nicht, ihn in
vollständige Hypnose zu versetzen, sondern nur in einen leichten somnambulen Zu-
stand, der indessen fär J.*s Zwecke genügte. Diecen Zustand lernte J. in folgender
Weise an sich selbst hervorrufen. In einem mittelwarmen, verdunkelten, möglichst
rahigen Zimmer setzt er sich auf einen bequemen Stuhl, den Kopf stark auf die
Brust gebeugt, in der Hohlhand dicht vor die Brust einen schwarz lackirten Knopf
haltend, der in der Mitte einen Eupferpunkt von der Grösse einer Pupille hat; diesen
Knopf, der von einer hinter dem Bücken des Stuhles stehenden Lampe beleuchtet
wird, fizirt er mit den Augen. Anfangs konnte er den Knopf 30 — 40 Minuten lang
betrachten ohne andere Wirkung als Schmerz in den Augen, durch Uebung soll man
aber bald lernen, die Gedanken auf den Schlaf und dessen Vorläufer zu concentriren.
Man soll den Knopf mit weit geöfi&ieten Augen betrachten und gut accommodiren,
80 dass man ihn einfach sieht. Wenn man etwa 16 Minuten lang so gesessen hat,
soll man einige leichte Streichungen machen, welche die Luft über die Augenlider
abwärts nach dem Gesicht bewegen und bald sollen die Augenlider zufallen mit dem
— 210 —
Gefühl, als ob man sie nicht wieder öfifoen könne. Einige leichte Striche längs des
Körpers sind nnn hinreichend, das Gefühl zn erzengen, als ob man an den Stuhl
festgebannt wäre, nnd man Terfällt in Schlaf, der erquickend wirkt, wenn er auch
nicht fest genug ist, um alle äussern Eindrücke fernzuhalten. Wenn man erwachen
will, soll man sich von einem Andern auf die Augen blasen oder die Aug^fel leicht
reiben lassen; wenn man mit dem festen Vorsätze einschläft, eine gewisse Zeit zu
schlafen, erwacht man nach Ablauf derselben von selbst Durch Uebung wird der
Schlaf leichter erzeugt und, wenn man beim Einschlafen die Gedanken auf einen
bestimmten Punkt concentrirt» kann man sich selbst die Suggestion geben.
Ueble Zufälle will Lütken (a. a. 0.) bei oder nach der Hypnotisation nicht
beobachtet haben, doch giebt er zu, dass er einmal in tiefer Hypnose die Beq^iration
hat aussetzen sehen, wie es bei der Ghloroformnarkose manchmal geschieht, indessen
war sie leicht wieder in Gang zu bringen; ein anderes Mal stellte sich bei einer
Patientin ein hysterischer Anfall ein, der durch energisches Zureden bald abgebrochen
wurde. Plötzliches Erwachen zieht leicht Kopfschmerz nach sich. Hytten, der
ebenfalls keine üblen Zufälle beobachtet hat, ist überzeugt, dass das Hypnotisiren
unschädlich ist, wenn es mit hinreichender Einsicht zu rein therapeutischen Zwecken
verwendet wird. Ueber die Verwerflichkeit des Unfuges, der mit den öffentlichen
Schaustellungen sog. Magnetiseure getrieben wird, stimmen Alle überein. J. Carlsen
(Ugeskr. f. Läger 4. B. XV. 6. 7. 1887) theilt folgenden in dieser Beziehung inter-
essanten Fall mit Ein Mann, der die Vorstellungen des Magnetiseurs Hansen be-
sucht hatte, versuchte, seinen Schwager zu hypnotisiren, was zu seiner üeberraschung
gelang, es gelang ihm auch, den Hypnotisirten wieder zu erwecken; bei einem zweiten
Versuche kurz darauf gelang das Hypnotisiren eben so leicht, aber das Erwachen
nicht. Der Hypnotisirte verbrachte die Nacht ruhig, Mh stand er auf, kleidete sich
an und genoss sein Frühstflok, aber nur auf Befehl seines Schwagers. Die Ange-
hörigen, durch das eigenthümliche automatische Wesen des Hypnotisirten in die höchste
Angst versetzt» schickten nach C; ehe dieser aber ankam, gelang es bei erneuten
energischen Versuchen, den Hypnotisirten zu erwecken. Schwere und lange dauernde
Folgen beobachtete Dr. Linden (Finska läkareeällsk. handl. XXIX. 6. S. 281. 1887)
an einem 18 J. alten Schüler, der vom Magnetiseur Hansen hypnotisirt worden war.
Nach dem Erwachen aus der Hypnose blieben körperliche Schwäche mit anhaltendem
Kopfschmerz, Gleichgewichtsstörungen, Mangel der Esslust zurück, es stellte sich
psychische Schwäche und Trägheit ein, der Charakter des Kranken veränderte sich
und er musste seine Studien unterbrechen. Erst bei Landaufenthalt und Vermeiden
aUer geistigen Thätigkeit besserte sich der Zustand ganz allmählich.
In Bezug auf die therapeutische Anwendung der Hypnose und hypno-
tischen Suggestion sind die Meinungen sehr getheilt. Dr. Julius Petersen (ügeskr.
f. Läger 4. B. XVI. 34. 36. 38. 1887) spricht sich gegen die Benutzung der Hyp-
nose zu Heilzwecken durch Aerzte aus, die nicht ganz speciell in der Neuropathologie
bewandert sind; er fordert, dass solche therapeutische Versuche nur unter der sichern
Controle angestellt werden, die nur iq^ecieU in der Neuropathologie theoretisch und
praktisch erfahrene Aerzte zu bieten vermögen. Er verkennt nicht die grosse Be-
deutung und Tragweite der psychischen Therapie, hält aber eine Durchführung der-
selben mittelst des Hypnotismus fflr eine sehr zweifelhafte und misaliche Form.
Fraenkel in Slagelse dagegen (a. a. 0.) will diese Beschränkung nicht zugeben und
hält eine eingehende Beschäftigung mit dem Hypnotismus für geboten. A. Seil in
Terslöse (a. a. 0. 37) hält die hypnotische Suggestion für eine Heilmethode von
ausserordentlich grosser Bedeutung, glaubt aber, dass eine Gefahr unter Umständen
aus dem Inhalte und der Form der Suggestion entspringen könne; man darf, wie
S. hervorhebt, nicht ausser Acht lassen, dass man mit einem Mittel arbeitet^ das
in seiner Dosirung und seinem Inhalte mit Vorsicht und Bedacht angewendet werden
muss, wie das stärkste toxische Medikament; der Arzt muss das Seelenleben seines
— 211 —
Patienten genau kennen und danach die Suggestion einrichten. Scavenins-Nielsen
(a. a. 0. 39)y der selbst nie nachtheilige Folgen des Hypnotisirens beobachtet hat^
meint» dass diese tberapeatische Methode auch dann noch nicht zu Terwerfen sei,
wenn sie mehr oder weniger bedeutende Uebelstände mit sich brachte, wenn nur der
Yortheil, der durch sie erreicht werden könnte, den Nachtheil tiberwöge.
Nach J. Carls en*s Meinung (a. a. 0. 38) muss die Empfänglichkeit ftir hyp-
notische Einwirkung als Ausdruck fflr ein abnormes Nervensystem betrachtet werden
und dieser Empfänglichkeit muss als einer krankhaften Erscheinung bei dem einzelnen
Individuum möglichst entgegengearbeitet, es muss danach gestrebt werden, die Zahl
der empfänglichen Individuen einzuschränken. Versuche mit hypnotischen Kuren
aber können nicht nur die Empfänglichkeit des einzelnen Individuums, sondern auch
die Zahl der empfänglichen oder abnormen Individuen vermehren. Dr. F. D. Koch
(a. a. 0. Xyn. 1. 2. 1888) erinnert daran, dass bei reconvalescenten Geisteskranken
BflckfäUe durch die Hypnose veranlasst werden können, und hält es durchaus nicht
fOr sicher, dass nicht auch Ezaltationszustände und psychische Störungen bei Leuten
mit einem leicht enegbaren Nervensystem eintreten können, auch wenn sich vorher
ähnliche Zustände bei ihnen nicht gezeigt haben. Besonders hebt K. die Neigung
zu spontanem Somnambulismus hervor, die bisweilen schon nach einmaligem Hypnoti-
siren auftreten kann, sowie die Möglichkeit, dass Gefallen an dem hypnotischen Zu-
stande zum Selbsthypnotisiren und zum Missbrauch ftihren kann. Das hauptsächlichste
Feld der Wirkung des Hypnotismus sind functioneUe Neurosen aller Art, gerade darin
aber liegt nach £. eine bedeutende Gefahr, weil man es hier immer mit Patienten
n thnn hat, deren Nervensystem sich in einem sehr labilen Gleichgewichte befindet
und sehr empfänglich fOr körperliche und psychische Einflüsse ist, so dass auch die
möglichen schädlichen Folgen in verstärktem Maasse auftreten können. Im Allge-
meinen ist nach E. von der Anwendung des Hypnotismus abzurathen, nur in einzelnen
Fällen mag er als ultimum refugium versucht werden, wenn die andern gebräuchlichen
Mittel ohne Erfolg angewendet worden sind; jedenfalls ist dabei ausser genauer Fest-
stellnng der Diagnose und Prognose au6h die sorgfältigste Abwägung der individuellen
YerhSltnisse erforderlich. Nach Dr. Friedenreich (a. a. 0. XVI. 39. 1887) ist ein
Individuum, dass häufig hypnotisirt worden ist, durchaus nicht als normal zu be-
trachten; wenn auch andere Abnormitäten an ihm nicht nachgewiesen werden könnten,
so bleibt es doch leicht hypnotisirbar und dadurch dem Einfluss einer andern Person
leicht unterworfen. Obgleich F. glaubt, dass mit andern Mitteln dasselbe erreicht
werden könne als mit dem Hypnotismus, meint er doch, dass dieser die prompteste
ond wirksamste Anwendungsweise der psychischen Therapie ist und wohl angewendet
werden soll, aber mit Vorsicht und nur dann, wenn schon jede andere rationelle
Behandlung ohne Erfolg versucht worden oder unmöglich ist.
Districtsarzt Dr. G. Schleisner (a. a. 0. XVU. 1. 2. 1888) theilt ein „Kanzlei-
Circolar" vom 14. Jan. 1817 mit, nach dem eine Kur mit „thierischem Magnetismus''
nicht vorgenommen werden durfte, ohne das GesundheitscoUegium davon in Kenntniss
zu setzen und von dem Yerlaufe zu benachrichtigen; wenn die „Operation" von einem
Andern als dem Arzte selbst ausgeführt wurde, musste sie doch unter des letzteren
Aufsicht geschehen und dieser hatte die volle Verantwortung dafür. Schleisner
hebt femer (a. a. 0. 4. 5.) hervor, dass diese Verordnung vom Jahre 1817 noch volle
gesetzliche Kraft besitze in Hinsicht der therapeutischen Anwendung des Hypnotis-
mus. In Bezug auf die experimentelle Anwendung des Hypnotismus dürfte nach S.
eine Beschränkung berechtigt sein, da es sich dabei um eine Veränderung (um nicht
zu sagen: Aufhebung) der Individualität handelt. S. hält deshalb die Forderung für
nchtig, dass solche Versuche nur von competenten wissenschaftlichen Specialitäten
ansgefOhrt werden, und zwar nicht ohne bestimmten Zweck und mit aller Sicher-
BteUnng gegen Missbrauch und Nachtheile; nicht alle Aerzte hält Schleisner für
gleich berechtigt. Walter Berger.
— 212 —
17) HIfltoire d'nne hystärique hypnotisable, par Grasset et Bronsse (de
Montpellier). (Arch. de Neurol. 1887. UV. p. 321.)
Die FeststeUnng der nuTeränderlichen körperlichen Begleiterscheinongen des
hypnotischen Znstandes betrachten die YerfiF. mit Recht als die Hanptanfgabe des
Forschers nnd Beobachters. Welches ist der natürliche, f^iwillige, normale Zustand
der Hanptnervenfanctionen im hypnotischen Schlaf, wenn alle Suggestion und alle
künstliche Erziehung ausgeschlossen werden kann? Es stehen sich hier die Auf-
fassungen der Gharcot'schen Schale in der Salp6tri^re und die der Kauziger Schule
gegenüber. Die Einen kennen gesetzmässige Erscheinungen, die Andern machen Alles
von der Suggestion abhängig. — Q. und B. studirten diese Fragen an einer beson-
ders geeigneten Kranken, und die Ergebnisse der Beobachtung sprechen einmal gegen
die Kanziger, insofern als feststehende körperliche Symptome beobachtet wurden, zum
zweiten gegen die Auffassung der Salpötri^re, insofern als die gefundenen Erschei-
nungen nicht alle in den Bahmen der bekannten drei Zustände der grossen Hysterie
passen; zum Dritten aber ergeben die Beobachtungen, dass der Charakter der körper-
lichen Symptome in hohem Qrade abhängig ist von der Art der früheren spontanen
AnföUe, ehe das Individuum durch Hypnotismus beeinflusst wurde. Die Kranke ist
dieselbe, über welche schon Bringuier (in der Gtez. hebd. m^. de Montpellier 1886
p. 122) berichtet hat. Die AnföUe traten zuerst spontan ein und bestanden in tiefem
Schlaf mit Gontracturen und Anästhesie. Sonderbarerweise war nur der Gehörsinn
erhalten; die Kranke hörte und antworte auf Fragen mit gutem Gedächtniss. Während
in dem letzteren Amnesie für das, was in dem Anfall mit ihr vorgegangen war, be-
stand, erinnerte sie sich im Anfall an die Erlebnisse sowohl aus den früheren An-
tillen, als auch aus dem wachen Zustand. Die Anfllle waren von verschiedener
Dauer und konnten unterbrochen werden durch Compression der Ovarialgegend, der
Gegend unterhalb der Mamma und über dem Schulterblatt, sowie der Processus spinosi
der Wirbel. Auf die Annäherung von Metallen, Magneten und der blossen Hand
reagirte sie im Anfall mit starkem Zittern. Die Anfälle konnten künstlich hervor-
gerufen werden durch Compression eines der hysterogenen Punkte, sowie auch durch
die übrigen Mittel des Hypnotismus. Die Symptome im künstlichen Anfall glichen
durchaus denen im spontanen. Handlungen Uessen sich ihr leicht suggeriren; nach
der Ausführung verfiel sie sogleich wieder in Schlaf. Dies letztere Symptom scheint
den Yerff. anzudeuten, dass der Zustand nach dem Erwachen, in welchem die Kranke
die ihr suggerirte Handlung ausführen muss, auch noch eine Art somnambulistischen
Zustandes ist. Ausser Handlungen konnten ihr auch Halludnationen und Paralysen
suggerirt werden; die letzteren pflegten mit Gontracturen und lebhaften Schmerzen
einherzugehen. Auch konnte man ihr z. B. suggeriren, dass sie ein abführendes
Salz einnehme; sie trank reines Wasser und ging darauf etwa zehnmal zu Stuhle;
u. s. f. Man suggerirte ihr auch, während einer Reihe von Tagen keine spontanen
Anfälle zu haben und am bestimmten Tage sich wieder vorzustellen. Sie kam, be«
richtete, dass sie keine Anfälle, wohl aber heftiges Zittern oder Kopfschmerzen ge-
habt habe und verfiel nach dem Bericht in Schlaf. Man erfahr auch, dass sie an
dem bestimmten Tage einige Stunden vor der festgesetzten Zeit in Schlaf verfallen
war und sich dann kurz vor der bestimmten Stunde erhoben habe, so dass sie noch
gerade rechtzeitig ankam. — Weitere Suggestionen und überhaupt das weitere Ver-
halten sind im Original nachzusehen.
Eine Analyse der Symptome ergiebt für die Yerff., dass die geschilderte Kranke
nicht in die von den andern Autoren aufgestellten Schemas passt und doch in ihren
Krankheits- und Hypnotisations-Erscheinungen gesetzmässige, körperlich wohl charak-
terisirte, bestimmte Züge zeigte. Weiterhin folgern sie, dass man unterscheiden muss
zwischen den Individuen, welche vor den hypnotischen Versuchen bereits Anfälle der
grossen Hysterie hatten und denen, welche vorher keine hatten. Bei den Ersten kann
der künstlich hervorgerufene hypnotische Zustand bestimmte körperliche Symptome
— 218 —
darbieten» welche ans den vorher bestandenen Anfällen stammen, ana ihnen reproducirt
und ihnen conform sind. Bei der zweiten Qmppe hängt Alles von der Suggestion
ab, die Individaen bilden sich nach ihr. Siemens.
18) Spasmo esofageo in giovinetto ieterico guarito ooUa auggeetloxie ipno-
tioa^ dal Dott C. SoaraTelli. (Bivist. speriment, di Iren. eoc. 1887. Yni p, 20i.)
iSn 11 jähr. nearopathischMT Knabe erkrankte unmittelbar nach dem heftigen
Schreck, der durch das bekannte Erdbeben in diesem FrOl^Al^i' hervorgerufen war,
an eigenthflmlichen Oesophaguskrämpfen, die jede Aufnahme flüssiger Nahrungsmittel
unmöglich machten, während feste Körper ohne besondere Schwierigkeit geschluckt
werden konnten. Nach zweimonatlicher Dauer dieses fast unerträglich gewordenen
Zostandes wurde mit Rücksicht auf die bekannten Heilerfolge bei ausgebildeter Hysterie
ein Yersuch gemacht, den Patienten za hypnotisiren. Es gelang dies nach längerem
Bonühen und nun wurde dem Knaben in mdgliohst überzeugender und eindrücklicher
Weise mitgetheilt^ daas nach dem Erwachen aus dem hypnotischen Schlafe alle Be-
schwerden geschwunden sein würden, und dass er dann unter allen umständen trinken
können müsse. Nach anscheinendem Zweifel gab der hypnotisirte Knabe dann selbst
zu, dass er fühle, geheilt zu sein, und — aus dem Schlafe erweckt — vermochte
er wirklich ohne Schwierigkeit Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Die „Heilung'' hat
seitdem angehalten, ohne dass es auch nur ein einziges Mal nöthig gewesen wäre,
wieder zur hypnotischen Suggestion schreiten zu müssen. Sommer.
19) Dn tiedftement de TamAaorrhte par la enggeatlon hypnotique, par le
Docteur Aug. Voisin. (Bevue des sdences hypnotiques. 1887. Janvier.)
Beferat eines in der Soci^t^ mMico-psychologique gehaltenen Vortrages.
Drei Fälle, bei denen es gelang, die mehr oder weniger lange ausgebliebene
Menstruation durch Suggestion auf Tag und Stunde vorher zu bestimmen, desgleichen
ihre Dauer und die früher aufgetretenen Schmerzen zu beherrschen.
Fünf weitere durch Suggestion günstig beeinflusste Fälle von Amenorrhoe ge-
hören der Praxis des Dr. Li^bault in Nancy an; auch von Beaunis, Focachou,
Dumontpallier, Bourru und Burot, MabiUe, Bourlureau giebt Yoisin an,
dass sie analoge Erfahrungen gemacht.
(Von Yoisin stammen die ungünstigen Berichte über die Femwirkung der Arznei-
mittel. Bef.) Sperling.
20) AttaquoB dliystöro-öpilepsie Bupprimtea par Suggestion hypnotique,
par Sollier. (Progr. mM. 1887. Nr. 42.)
Eine junge Frau von 23 Jahren, hereditär belastet und von Jugend auf reizbar
und nervös, litt an Anfällen echter Hystero-Epilepsie, die sich sowohl durch ihre
Intensität als durch die Häufigkeit ihres Auftretens auszeichneten und ihr jede Arbeit
immöglich machten. — Sie schrie und tobte während denselben so fürchterlich, dass
sie auf Veranlassung der Nachbarschaft ihr Haus verlassen und das Hospital auf-
suchen musste. — Die Krankheit trotzte 4 Jahre lang allen möglichen Behandlungs-
methoden: Täglich traten mehrere Anfälle ein. — S. hypnotisirte sie durch Zudrücken
der Augen, und führt sie durch einfaches Bestreichen des Scheitels aus dem Zustande
der Lethargie in den des Somnambulismus über; in diesem suggerirte ihr S., dass
sie acht Tage lang keine hysterischen Anfälle mehr haben würde; sie versprach, so
lange davon frei zu bleiben — und in der That blieben die AnffiUe so lange aus.
— Nach abgelaufener Frist wiederholte S. Hypnotisation und Suggestion in derselben
Weise, später nur mit längeren Zwischenräumen: Und unter dem Einflüsse der Ein-
flüsterung setzten die Attacken auch wirklich ein volles Jahr aus bis auf ein ein-
ziges Mal, wo Patientin sehr überangestrengt und gereizt war. — Sie wurde schon
— 214 —
nach wenigen Monaten ihrer Familie und ihrem Haoshalte wiedergegeben. — S. er-
achtet sie als geheilt von ihren Attacken, die sie nnd ihre Umgebmig so schrecklich
belästigten, wenn auch ihre hysterischen Stigmata (Hemianästhesie: sensible und sen-
sorische) noch fortbestehen. La quer.
21) Die Holle der Suggestion bei gewiMen Ersoheiniixigen der Hysterie
nnd des Hypnotismns, Kritisches und Experimentelles von Dr. Armand Httckel.
(Jena 1888. YerL Yon Gust. Fischer. 72 Seiten.)
Die wanderbaren therapeutischen Erfolge, welche man bei Hysterischen im
wachen und hypnotischen Zustand erzielt hat, die Heilwirkungen der Metalle und
Magneten, die Wirkungen von Arzneistoffen in der Entfernung, die wundersamen
Heilungen durch Reliquien, heilige Wasser etc., schliesslich die in der Hypnose
selber durch eigenthümliche Mittel wie intensiTe Beleuchtung der Haut, Anblasung etc.
hervorgebrachten Oontracturen — alle diese Erscheinungen sind nach des Verf. wohl-
begründeter Ansicht nicht physikalisch, sondern psychisch zu erklären. Die Sug-
gestion, die bewusste oder unbewusste, ist es, welche hierbei die Hauptrolle spielt,
und die Psyche setzt die Suggestion, die schon in der Form von Geberden, Ausrufen,
Andeutungen als Suggestion von Seiten der Versuchsperson aufgefasst werden kann,
individuell, aber meist, und dies nicht wunderbarer Weise, im Sinne des Experimen-
tators, in Handlung etc. um. Das innere Wesen dieses Vorganges entzieht sich bis
jetzt einer ausreichenden Erklärung.
Die Bolle, welche die Suggestion unter den erwähnten Verhältnissen spielt, ist
so subtil, dass nur die äusserste Vorsicht vor Selbsttäuschungen bewahren kann.
Einige vom Verf. angestellte Experimente sind interessant, wie überhaupt die kleine
aufklärende Schrift zur Leetüre empfohlen werden kann.
Den Schluss bildet ein Verzeichniss der diesen Gegenstand betreffenden Litteratur.
Sperling.
22) Ueber Hypnotismus, von Prof. Dr. v. Erafft-Ebing. Referat eines Vor-
trages in dem Verein der Aerzte in Steiermark. (Wiener medic. Presse. 1888.
Nr. 7. S. 231.)
An einer 32jährigen intelligenten Hystero-epileptica ist es durch Suggestion in
der Hypnose gelungen, sehr wunderbare Erscheinungen in der motorischen, sensiblen
und vasomotorischen Sphäre hervorzurufen, ja sogar die Körpertemperatur zu
beeinflussen und bis auf bestimmte Grade zu regeln. Die Psyche konnte durch die
Hypnose merklich beeinflusst, desgleichen der Stuhlgang regulirt werden; die Anfalle
yerschwinden für gewisse Zeit. Weitere Beobachtungen an dem sehr vorzüglichen
Medium führten E.-E. dazu, an Hypnotisirten drei verschiedene Bewusstseins-Stadien
anzunehmen: 1. das lucide, 2. die eigentliche Hypnose, 3. die Autohypnose und die
posthypnotischen Suggestionszustände. Die Eintheüung bietet nichts Neues. Letzteres
Stadium hat, wie auch in vorliegendem Falle, eine hohe Bedeutung für die gericht-
liche Medicin.
Verf. verspricht sich viel von der therapeutischen Macht der Hypnose. Die
Ausübung derselben zum Zwecke des Experimentes soll sich auf Kliniken oder An-
stalten beschränken, zum Zwecke der Therapie soll der Arzt sie nur vor Zeugen
anwenden. Die Braid'sche Methode zu hypnotisiren ist zu verwerfen.
Sperling.
28) la'hypnotlsme et la medeoine legale, par le Dr. Ladame, Privat-Docent
ä rUniyersit^ de Genöve. (Abdruck aus den „Archives de TAnthropologie crimi-
nelle et des Sciences pönales.'' Lyon 1888. A. Stror^k. 82 Seiten.)
Da die Hypnose ohne Zweifel zu selbstsüchtigen Zwecken, die dem Urtheil der
Justiz anheimfallen, ausgebeutet werden kann, so beleuchtet Verf. nach allen Rieh-
— 216 —
taugen die einschlÄ^en Frages, welche dem Gtorichtearzt zur Beantwortung vor-
gelegt werden können.
Er stellt davon 6 auf. Nr. 1: Darf der Hypnotiemna öifentlicli geübt und von
Laien ausgeübt werden? — wird mit strictem „nein'' beantwortet. Die Gründe dafür
liegen sehr nahe. So entschied sich auch die Commission, welche in dem Process
Hansen in Wien ihr Gutachten abzugeben hatte. Auch die Oommission de sant^ in
Nenchätel und in andern Gantonen der Schweiz erklärten sich dagegen, besonders
wegen der nervQeen Störungen, die ungeschickte Hypnotisirungen hervorgerufen hatten
(Lombroso). Hypnotisiren dürfen nur diejenigen, welche das Studium
der Nerven- und Geisteskrankheiten eifrig betrieben und mit der Methode
vertraut sind, also die Aerzte.
Nr. 2 behandelt die Frage der gerichtlichen Verantwortlichkeit (Zurechnungs-
fahigkeit) von Personen, die mit „somnambulischer oder hypnotischer Neurose" be-
haftet sind. Verf. glaubt, dass criminelle Handlungen kaum von einfachen („idio-
pathischen") Somnambulen werden begangen werden, sondern dass es sich da um
hysterischen, alkoholischen oder epileptischen Somnambulismus handeln wird. Die
vorliegende Frage wird theils mit ,ja'' (Fod6r^ ond Hofbauer) beantwortet, theils
als unentschieden betrachtet (Verf.), weil die nöthigen Erfahrungen fehlen. Jeden-
falls ist jeder Fall ganz individuell zu prüfen. Die Auffassung des Verf. von Hyp-
nose und Somnambulismus (nicht symptomatischer Art) als pathologischer Zustand
iBt übrigens nicht allseitig anerkannt (Bernheim, Li^bault, Forel); die Frage
verdient jedoch ernstliche Erwägung, ob dieselbe nicht für gerichtliche Fälle wird
gelten müssen.
Nr. 3 bezieht sich auf Verbrechen an hypnotisirbaren Personen und auf An-
schuldigungen, die gegen die betreffenden Hypnotiseure erhoben werden können. Verf.
erwähnt mehrere Fälle von Nothzucht während der Hypnose. Einmal ist dieselbe
anter Benutzung hypnogener Zonen eingeleitet werden. Wenn eine solche Anklage
vorliegt» ist eine eingehende Untersuchung der von dem betreffenden Individuum
während der Hypnose dargebotenen objectiven Erscheinungen unbedingt nothwendig.
Leider stösst die Erkenntniss (Diagnose) des hypnotischen Zustandes heutzutage
noch auf grosse Schwierigkeiten. Die drei von Oharcot unterschiedenen Stadien
findet man sehr selten. Verf. erinnert dabei an die übergrosse Einbildungskraft
Hysterischer, die, gleich wie viele Kinder, das (Gehörte, Voi^estellte oder Geträumte
für wirklich geschehen ansehen und ausgeben. Vor einer Verwechselung dieser Er-
scheinungen wird man sich zu hüten haben. Der Arzt soll nur in Gegenwart dritter
Personen hypnotisiren. Selbstverständlich kann man sich noch eine Reihe von andern
Verbrechen unter Ausbeutung des bewusstlosen Zustandes der Hypnose begegnen,
reep. den Hypnotiseur derselben beschuldigt vorstellen.
Nr. 4 handelt von den posthypnotischen Suggestionen, unter deren Einfluss ein
Verbrechen begangen werden kann. Ein authentischer Fall, der Gelegenheit zu
richterlichem XJrtheil gegeben hätte, ist nicht bekannt. Jedoch liegen unfehlbare
Beweise der Möglichkeit vor (Bernheim, Liögeois etc.) und die im Laboratorium
in dieser Hinsicht gelungenen Experimente lassen vermuthen, dass auch das prak-
tische Leben einmal ^en solchen Fall bieten kann, allerdings, sagt Verf. selber,
gehören zum Gelingen ganz besonders günstige Umstände, die nur selten zusammen-
treffen dürften. Eine hier eingefügte Gasuistik ist interessant und lehrreich.
Nr. 5 geht auf die Unterscheidung der Hypnose von der Simulation ein. Un-
trügliche somatische Erscheinungen des hypnotischen Zustandes giebt es nicht; die
Symptome, welche derselbe in diesem und jenem Falle darbieten kann, werden aus-
führlich erörtert. Es würde zu weit führen, dem Verf. im Einzelnen zu folgen. Verf.
kommt zu dem Schluss, dass genaueste Untersuchung und Prüfung des Verdächtigen
im Wachen und im hypnotischen Znstand mit Zugrundelegung aller über den letzteren
gewonnenen Erfahrungen schliesslich zur Aufklärung des Falles führen wird.
— 216 —
Nr. 6 erwägt die Frage, ob der Sonmambole vor Geriebt in jedem Falle als
onzorechnangsföbig zu betracbten ist Binet und F^r^ snpponiren einen Fall als
möglieb, dass der bypnotisirte Verbrecher sieh in Terbrecberiscber Absiebt
habe hypnotisiren lassenj am mit mehr Muth und Kflhnheit handeln zu können,
— Eigenschaften, die dem hypnotischen Zustand unter gewissen Umständen zukommen,
— Beaunis yemeint die Frage strickt Verf. lässt die Antwort darauf unentschieden
und verlangt sorgfältigste Untersuchung und Individualisirung eines jeden Falles.
Das vorliegende Buch kann zur LectQre und zum Studium angelegentlich em-
pfohlen werden. Sperling.
m. Aus den GtosellsohafteiL
Berliner Gtosellsohaft für Fsyehiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung Yom
12. März 1888.
Herr Thomsen demonstrirt kurz einen 39jährigen Kranken, der 1870 unter
den bekannten Erscheinungen der hereditären retrobulbären Neuritis erkrankte (cf.
Leber, Fall Ernst Pauls, Archiv für Ophthalmologie 1871).
Nach mehreren Monaten hatte die Krankheit ihre volle Ausbildung erreicht und
ist mit Bezug auf den Sehnerven, wie Untersuchungen im Jahre 1888 (Dr. Uhthoff)
und jetzt feststellen konnten, stationär geblieben: bläulich weisse Papille, centrales
Scotom von 30^ Both-Grünblindheit, relativ gutes peripherisches Sehen, sodass der
Kranke sich gut orientiren kann. 1888 ergab eine genauere Untersuchung keinerlei
fCür eine ausgesprochene Spinalerkrankung zu verwerthende Symptome, dagegen Er-
scheinungen, welche für eine bis jetzt nicht genauer zu definirende, in der Entwicke-
lung begriffene Cerebralaffection zu sprechen scheinen.
Die sehr engen Pupillen reagiren nämlich fast gar nicht auf Licht, die Augen-
bewegungen sind im Uebrigen frei, doch besteht eine deutliche Unfähigkeit, die
Augen nach oben zu bewegen (höchstens 20^).
Ausserdem ist der Kranke in den letzten Monaten ausgesprochen hypochondrisch:
er hat Angstanfälle, glaubt» seine Organe seien abgestorben und er wäre bereits eine
Leiche, schreibt Abschiedsbriefe, hat einen Selbstmordversuch gemacht
Zwischendurch treten diese depressiven Affecte und Vorstellungen vollständig
zurück und Fat zeigt bei formal erhaltener Intelligenz doch eine gewisse geistige
Schwäche.
Die Myose mit Pupillenstarre, die Störung der Augenbewegung beim Blick nach
oben und die Psychose sind interessante Complicationen der seit 17 Jahren stationären
hereditären (5 Brüder, 2 Mutterbrüder leiden an derselben Affection) Sehnerven-
erkrankong — ob es sich dabei um beginnende progressive Paralyse mit Betheiligung
des Oculomotoriuskemes handelt, muss vorläufig dahingestellt bleiben, da unzweideutige
paralytische Symptome fehlen.
IV. VermiBohtes.
Der HypnotismuB in Frankreich, von Max Dessoir. Mit Bfleksioht auf die
in dieser Nummer befindlichen Referate über Hypnotismos möge noch waf eine Zusanunen-
Stellung der französisohen Litteratur unter obigem Titel in der „Sphinx", Monatuchrifl für
die geschiohtlicbe und experimentelle Begründung der übersinnlicnen Weltanschauung auf
monistischer Grandlage, herausgegeben von Hübbe- Schieiden, 1887 M&rz, aufmerksam ge-
macht sein. M.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber irird gebeten.
Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20.
Verlag von Yxit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mktzobb & Wimo in Leipzig.
Neurologisches Centralblah.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben yon
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter luMin. Jahrgang.
Honatlich erscheinen zwei Nammem. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zir beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1888. 15. April. m 8.
Inhalt I. Origlnalmitthellungen. 1. Geaichtsstörunffen in ihrem AbhangigkeitsTer-
h^tnia« von Occipitallappenerkrankung, yon Dr. Mooren. 2. Zur therapeutischen Verwerthung
der Hypnose, von Dr. M. Nonne (Schluss).
II. Referate. Experimentelle Physiologie. 1. Experiments on special sense locali-
aattons in the cortex cerebri of the monkey, by Schaefer. — Pathologie des Nerven-
systems. 2. Beitrage zur Localisation im Grosshirn und deren praktische Verwerthunff,
Ton Jastrowitz. 3. De Taphasie et de Tagraphie en particulier d'apr^s Fenseignement de
]f. le profeseear Charcot, par Marie. 4. Gase of aphasia with repeatä localised convulsions
of the tongne and right cheek , by Thomson. 5. Ein Fall von Typhus abdominalis mit sel-
tenen Complicationen , von Escherich und Rschl. 6. Aphasie ohez une tactile, par Faraes.
7. Aphemia, by Suckllng. 8. Notes on an exceptional case of Aphasia, bv Paget. 9. Left
Uemiplegia and Hemianaesthesia, Aphasia and lefl; sided Pyrexia in a len-handed woman.
by White. 10. Olinical lectures on diseases of the nervous System. Lect. IX: Sensory Aphasia,
by Bennett. 11. On puerperal Aphasia, by Bateman. 12. Puerperal Aphasia, by Orton.
13. Transitorische Aphasie im Spätwochenbette, von Luckinger. 14. Amnestische Aphasie
mit Schriftblindheit bei einem Paralytiker. Ataktische Aphasie bei einem Kinde, von Kneclit.
15. Ueber Aphasie, von RIegor. 16. Notes on a case of amnesie, by Batterham. 17. Note
sur un cas d'amn^ie verbale visuelle, par SIgaud. 18. Ein Fall von Amblyopia cruciata,
yon Mierzojewskl. 19. Ein Fall von einseitiger temporaler Hemianopsie in Fol^e von syphi-
Utiseher Arteriitis cerebralis, von Treitel und Baumgarten. 20. A second cUnical stuay of
hemianopsia. Gases of chiasm-lesion. Demonstration of hemiopic pupillary inaction, by
Segain. 21. Zur Gasuistik der Hemianopia temporalis, von Rumschewltsch. 22. Die osclT-
lirende Hemianopsia bitemporalis als Kriterium der basalen Himsyphilis, von Oppenheim.
23. Brain disease with Hemianopia, by Sbarkey. 24. Gases in illnstration of cerebrä Hemi-
anaathesia, by Ferrfer. 25. A case in which paralysis of the sphincters and incontinence of
luine were, together with torpid intellect, the chiei Symptoms of symmetrioal disease of the
Corpora striata, by Hutchinson. 26. De la bl^pharoptose cör^brale, par Lomoine. 27. Two
eaaea of brain tamor: tumor of the second frontal gyre, tumor of the optic thalamus. Be-
marks on the localization of oculomotor and facial centres, by Mill. 28. Gases of cholestea-
toma of floor of third ventricle and of the infundibulum, by Osler. — Therapie. 29. Suc-
eessAil trephining over motor areas for arrested development of limbs and complete loss of
fonetioDai value; commencing retum of functional activity, by Felidn. 80. Epilessia e disturbi
mentali consecutivi a trauma sul capo in un delinquente; trapanazione del cranio; migliora-
meoto, pel Algerl. 31. Gerebral abscess, by Ferrier and Horsiey.
IM. V^rmltchfot.
14
— 218
I. OriginalmitttLeilungeii.
1. Gesichtsstörungen in ihrem Abhängigkeitsverhältniss
von Occipitallappenerkrankung.
Von Dr. Mooren, Düsseldorf.
(Nach einem im September 1887 in Washington bei Gelegenheit des internationalen
Congresses gehaltenen Vortrap^e.)
In TJebereinstimmung mit den Resultaten der klinischen Beobachtung wird
heutigen Tages von der Physiologie der Sitz des Sehcentrums in die Rinde der
Hinterhauptlappen verlegt Den Anstoss zu dieser Localisation gab eine Be-
obachtung von HuGXTENiN; uach der durch die Section constatirt wurde, dass
eine von frühester Kindheit mit Amaurose einhergehende Atrophie des linken
Sehnerven von einem Defect in der Rinde des Ocdpitallappens abhängig war.
Der grossere Umfang dieser occipitalpathologischen Störung bestand rechterseits,
linkerseits war sie nur wenig ausgesprochen. Diese Thatsache wurde gleich
fruchtbar für das physiologische Experiment wie für die klinische Diagnostik.
W^m Muinc einem Hunde die in dem Occipitallappen gel^ne Sehsphäre ex-
stirpirte, so war das Thier auf beiden Augen blind. Die übrigen Sinnesempfin-
dungen blieben intact, die willkürlichen und unwillkürlichen Bew^ungen wurden
nur in so weit gestört, als sie in irgend einem Abhängigkeitsverhältniss von dem
Ausfall der Gesichtswahmehmungen standen. Die Pupillarreflexe blieben voll-
ständig erhalten; der Beweis war damit erbracht, dass die Lichtperception der
Netzhaut vor wie nach durch die Leitung des Sehnerven dem vorderen Vier-
hügelpaar übermittelt und dort durch Erregung dieses Reäexoentrums die Oculo-
motoriusfasem zu ihrer specifischen Energie hinsichtlich der Pupillarbewegungen
veranlasst. Die subjective Empfindung des Lichts hat aufgehört, jede Oesichts-
wahmehmung ist erloschen, Beweis genug, dass diese beiden Qualitäten an die
Litegrität der Hinterhauptslappen gebunden sind und somit in diesen, als den
Endorganen der Ausstrahlungen des Opticus auch gleichzeitig das Gentrum der
Licht- und Gesichtspercepüon zu suchen ist.
Die vollständige Exstirpation eines Hinterhauptlappens, welche Münk im
Verfolg seiner Experimente ausführte, erzeugte stets und unter allen Umstanden
eine vollständige binoculare contralaterale Hemianopsie. Der Ausfall in der seit-
lichen Netzhaatpercepüon ist bei Erhaltung der Fixationsfähigkeit am geringsten
auf dem Auge, welches der Seite der Zerstörung des Hinterhauptlappens ent-
spricht und am ausgedehntesten auf der contralateralen Seite.
Die Versuche Munx's sind gewissermaassen als klassische anzusehen, sie
sind die Controlversuche zu den kUnischen Beobachtungen, die durch Hibsch-
BEBO, PooiiBY, Jasteowitz, Pflügeb, Hüghlings Jackson, Gowebs, West-
PHAii und Andere gemacht wurden. Diese in der Litteratur bekannten Fälle,
welche alle durch die nachfolgende Section ihre anatomische Begründung fanden,
sind Ihnen Allen zur Genüge bekannt. Eine bedeutend grössere Zahl von Fällen
— 219 -
ist Yon den Ophthalinologen der alten und der neuen Welt beobachtet; sie sind
indessen entweder nicht veröffentlicht oder sie haben nicht die Beweiskraft der
oben erwähnten Beobachtungen, weil die nachträgliche Bestätigung der Diagnose
dnrch die Section fehlte. Ich selbst habe bis jetzt 42 Fälle von Hemianopsia
homonyma lateralis im Verlaufe von mehr als 30 Jahren in meiner Praxis zu
sehen Gtel^enheit gehabt, 14 rechts- und 19 linksseitig, 5 nasale und 4 tempo-
rale. Meine Fälle haben das mit den übrigen gemein, dass ihnen bald Hämor-
rhagien und traumatische Veranlassungen, bald encephalitische Processe, ein
anderes Mal Grehimsyphilis oder die Entwicklung von Tumoren zu Grunde lag.
Eliminirt man die Fälle, in denen die Goexistenz von Aphasie auf eine Erkran-
kung der linken 3. Stimwindung hindeutet, oder in Folge einer Apoplexie der
Arteiia lenticulo-striata im hinteren Drittel der inneren Kapsel die etwa auf-
tretende Parese und Hemianästhesie der entgegengesetzten Eörperhälfte mit
Anästhesie des Gehörs, Geruchs und Geschmacks complicirt ist, ich sage, eliminirt
man diejenige^ Fälle, in denen die begleitenden Complicationen auf eine patho-
logische Störung in der Gegend der Intercalarganglien hinweisen, so kann die
Frage sich nur so gestalten, ob die vorhandene Gesichtsfeldanomalie als Symp-
tom einer Erkrankung eines Truncus opticus anzusehen ist oder von einer Occi-
pitalstörung abhängt*. Manchmal ist die differenüelle Diagnostik schwierig, ja
kaum m^lich, in andern Fällen aber leicht Ist das plötzliche Auftreten einer
homonymen Hemianopsie von vornherein mit aufgehobener Pupillarreaction ver-
bunden, so kann man mit Sicherheit sagen, dass der Heerd des Leidens min-
destens diesseits des vorderen Vierhügelpaares zu suchen ist Sind noch oben-
diein, wie ich wiederholt gesehen habe, kleine capillare Blutaustritte auf der
Insertionsstelle des Opticus nachweisbar, so kann es kaimi einem Zweifel unter-
liegen, dass der Truncus opticus in seinem Verlauf erkrankt ist Steht man
einer Truncus-Erkrankung g^enüber, so ist es möglich, dass die Farbenpercep-
tion in derselben Proportion herabgesetzt ist, wie die Sehschärfe reducirt ist,
aber von einem Ausfall dieser Qualität ist indessen, wie bei Occipitalstörungen
wiederholt beobachtet wurde, niemak die Bede. Dieses Verhältniss der gleich*
massigen Herabsetzung von Sehschärfe und Farbenperception bleibt auch dann
noch ein proportionales, wenn mit der Resorption des Blutaustritts oder dem
Schwinden der serösen Transsudation die Opticussubstanz einem mehr oder
minder grossen Umfang von Atrophie anheimfällt Durchaus charakteristisch
für das Abhängigkeitsverhältniss der homonymen, occipital bedingten Hemi-
anopsie ist die Integrität der Pupülarreflexe, wie sie eben durch die Integrität
des vorderen Vierhügelpaars bedingt wird. Dagegen ist bei dieser Form die
Farbenperception eine wechselnde Grössa
Der Umstand, dass bald hemianopische Farbenstörung für sich allein da*
steht, bald mit gleichgrossem lateralem Defect comphcirt ist, ein andermal die
Sehschärfe beeinträchtigt, dann wieder intact ist und so die drei Richtungen
der Störungen in wechselnder Gombination und in wechselnder Intensität auf-
treten, bestimmte WilIjBrani), alle einschlägigen Beobachtungen zusammen zu
stellen und die Ergebnisse derselben dahin zu formuhren, dass das Farbencentrum
14*
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in der äussersten Rinde des Hinterhauptiappens gelegen sein müsse, unter
diesem das Centaimi der Sehscharfe — des Ranmsinnes — wie er sich aus-
drückt, und den Gratiolet'schen Sehstrahlungen zunächst das Centrum des Licht-
sinnes, d. h. der Gesichtsfeldausdehnung, zu suchen sei. Indem nun bei der
schichtweisen Anordnung dieser drei gesonderten Centren in einem gegebenen
Falle der Lichtsinn in W^all kommt, so müssen auch nothwendiger Weise
Verlust des Sehvermögens und der Farbenperception damit verbunden sein, weil
die Leitungsfasem mit dem Erlöschen der Function des tiefem Centrums nicht
mehr zu den beiden höher gelegenen Centren gelangen können. Dag^n kann
in einem andern Falle der Lichtsinn vollständig erhsJten sein, aber Farbenhemi-
anopsie bestehen, ohne dass dabei Beeinträchtigung der Sehschärfe — des Raum-
gJQQes — vorkonunt, wie solches die Beobachtungen von Bjebnüm und Sajcei>
SOHN beweisen. Eine alleinige laterale Beschränkung des Baumsinnes kommt
niemals vor, denn bei der engen Verbindung zwischen den beiden Qualitäten
des Baum- und Farbensinnes ist die Beeinträchtigung der Sehschärfe immer
proportional dem Wegfall des Farbensinnes.
So sind im Wesentlichen die Symptome, wenn die occipitale Störung eine
vollständige ist, indessen ist das klinische Bild auch häufig ein incompletes, sei
es, dass der Erkrankungsheerd nur ein partieller ist, sei es, dass in der Aus-
dehnung des Gesichts sich eine gewisse Fernwirkung geltend macht und somit
die Gesichtsfeldanomalien beträchtlichen Differenzen in dem acuten und regres-
siven Stadium des Erkrankens unterliegen. Ich erinnere mich eines mit latenter
Keuritis optica einhergehenden Falles, in welchem die laterale Beschränkung,
die etwas schräg von oben nach unten verlief, auf dem einen Auge um 15®,
auf dem andern um 10® vom Fixationspunkt entfernt blieb. Fast 2 Jahre hin-
durch habe ich den Patienten beobachten können; sein Leiden manifestirte sich
schliesslich als eine Abscessbildung in den Hinterhauptslappen, ein Leiden, das
unter heftigem Fieber und Coma zum Tode führte, ohne dass bei der Schwere
der Krankheit die Grenze der Hemianopsie auch nur vorübergehend die mediale
Trennungslinie erreicht hätte. Das inselfSrmige Vorkommen homonymer Defecte
habe ich in drei verschiedenen Fällen beobachtet; in dem einen Falle waren sie
im unteren Quadranten gelegen, von der Ausdehnung einer dicken Bohne, in
den beiden andern mit encephalitischen Störungen einhergehenden Fällen hatten
sie sich in den oberen Quadranten localisirt und zeigten trotz der homonymen
Lage eine von einander bedeutend abweichende Grösse.
Die Dignität der Störung steht unter diesen Verhältnissen auf gleicher Linie
mit jenen homonymen Gesichtsfelddefecten, die man von der Ausdehnung eines
Getauten durch alle Abstufungen hindurch bis zur Grösse eines Quadranten zu
beobachten Gelegenheit hat. Sie reichen nur ganz ausnahmsweise bis an den
Fixationspunkt So lange die Sehschärfe intact geblieben ist, sind die Störungen
immerhin einer gewissen Rückbildung fähig, wenngleich eine völlige Ausgleichung
immerhin sonst selten sein mag. Besserung tritt nur in den Fällen ein, die
von Traumen oder Apoplexien oder einer syphilitisch bedingten Bindegewebs-
wucherung abhängen. In einem Falle von Hemianopsia homonyma sinistra, der
— 221 —
beiderseits bis an die Grenze des Fixationspunktes reichte, sah ich nach Verlauf
von einigen Monaten den * Process soweit rückgangig werden, dass die Grösse
des beiderseitigen Ausfalls kaum noch die Ausdehnung eines halben Octanten
betrug.
Unter allen Umstanden ist das Auftreten der erwähnten Störung, gleich-
viel unter welcher Form der Gesichtsfeldgestaltung, ein höchst ominöses, denn
daran reiht sich ein rascher Verfall der geistigen und psychischen Energie, das
Gedächtniss lässt nach und der jähe Wechsel der Stimmung meist mit depres-
sorischem Charakter wird der Umgebung des Kranken zur grössten Last. So
ziehen sich die Erscheinungen in der B^el noch 2 — 3 Jahre hin, bis dann ein
neuer umfangreicher apoplectisoher Anfall denTatienten bald dem Grabe zuführt
Nur ein Fall ist mir erinnerlich, wo die Ausgleichung der Gesichtsfeldanomalie
eine völlige war und der Patient sich nach dem ersten Anfall über volle 3 Jahre
hindurch aufrecht hielt, dagegen vermochte er zuweilen in einer lebhaften Dis-
cossion nicht gleich das richtige Wort zu finden. Dann kam ein neuer Anfall,
complicirt mit Parese des linken Abducens und einer wahrscheinlichen Mitbe-
theiligung des kleinen Gehirns. Wochen hindurch hielt Patient eine Zwangs-
lage im Bett ein; nach diesem neuen Anfall blieb kaum noch ein quadrant-
grosses Gesichtsfeld übrig.
Allen diesen Leiden ist der Charakter der Chronicitat aufgedrückt. Freilich
hört man häufig von neuropathischen Individuen, die ab und zu an den Er-
scheinungen eines Flimmerscotoms leiden, dass sie die Dinge bei heftigen Mi-
graneanßllen wie halb durchgeschnitten sähen, aber so oft ich hintendrein unter
solchen Umstanden das Gesichtsfeld zu untersuchen Gelegenheit hatte, so habe
ich doch objectiv niemals eine dahinzielende Anomalie entdecken können.
Dag^en wurde von Mükk darauf hingewiesen, dass die partielle Exstir-
pation des occipitalen Bindenfeldes eine Sehstörung schafie, die unter der Form
eines ausgedehnten centralen Scotoms auftrete. Mehrere Fälle habe ich gesehen,
die ich glaube in dem MüNK'schen Sinne deuten zu müssen. Bereits im Jahre
1866 konnte ich bei der Veröffentlichung meiner ophthalmiatrischen Beobach-
tangen darauf hinweisen, dass mir bei diesen ausgedehnten centralen Defecten
ein cerebrales Abhängigkeitsverhältniss wahrscheinlich sei, denn mochten auch
im Momente der ersten Vorstellung absolut keine pathologischen Veränderungen
des Angenhintergrundes nachweisimr sein, so trat doch in einigen FäUen bald
totale Atrophie des Sehnerven ein, ein anderes Mal gingen die Patienten an
allgemeiner Paralyse oder durch consecutive Apoplexie zu Grunde. Die Ge-
staltung des Gesichtsfeldes bietet fast immer das Bild einer von oben nach
unten zusammengedrückten Ellipse dar, die bald das Centrum des Gesichtsfeldes
einnimmt, bald mit ihrem Scheitel im Fixationspunkt liegt und in ihrem hori-
zontalen Querdurchmesser die Ausdehnung von 1 V2 Zoll und noch mehr erreicht
Das Vorkommen hemianopischer oder centraler Gresichtsfelddefecte involvirt
immer den Charakter einer Ausfallserscheinung. Die Ausdehnung ihres ana-
tomischen Substrats, mit andern Worten, ihre occipitale Begrenzungszone wurde
durch NoTBKAaEL nach der Methode der kleinsten Heerde, in jüngster Zeit^
— 222 —
wenigstens bei dem Vorkommen von Hemianopsie, noch genauer bestimmt, als
früher der Fall gewesen war. Gestützt auf die Beobachtungen von Haab,
HuouBiaN, Ftßik, Säguin verlegt dieser Forscher das optische Perceptionsoentrom
in die Binde des Cuneus und der ersten Occipitalwindung. Diese Localisation
findet ihre genaue Bestätigung durch eine von Gubbohmakn vorgenommene
Section, aus der hervorging, dass eine frische Embolie in den 3 Zweigen der
Occipitalarterie und zwar in einem bis zum Momente des Auftretens der Störung
ganz intacten Gehirn, einen Erweichungsheerd in der Spitze des Hinterhaupt-
lappens und ganz besonders des Cuneus hervorgerufen hatte. Bei vollgtändiger
Abwesenheit von Hemiparese und Hemianästhesie hatte der Patient durchaus
kein anderes Symptom als das einer linksseitigen Hemianopsie beider Augen
dargeboten. Nothnagel schliesst aus dieser Thatsache, dass nur die erste
Occipitalwindung die Ursache für das Auftreten hemianopischer Störungen ab-
gebe, dass weiterhin in der diffusen Erkrankung der 2. und 8. Windung, also
des Lobulus lingualis und fusiformis, mit denen niemals hemianopische Störungen
verbunden seien, die Ursache der Seelenblindheit zu suchen sei, weil nach seinem
Dafürhalten in ihnen das optische Erinnerungsfeld liege. Zu einer Zeit, als ich
die Occipitallappen noch nicht^ als Sehcentrum kannte, sah ich einen Patienten,
der bei Abwesenheit aller sonstigen ophthaünoskopischen und functioneilen
Störungen noch die feinste Diamantschrift sah, ohne im Stande zu sein, sie
noch zu lesen, was er bis dahin vermocht hatte. In einem 2. Fall, der unge-
fähr 172 Jabr nach der ersten Vorstellung an Bulbärparalyse zu Grunde ging,
waren in Folge eines Typhus Störungen im motorischen und occipitalen Binden-
feld eingetreten. Schwere der Beine, gestörte Farbenperception und gestörte
Erinnerungsbilder waren die hervorstechendsten Erscheinungen.
Auf Grund dieser wenigen Beobachtungen möchte ich mir duit)haus kein Ur-
theil über das anatomische Substrat der Seelenblindheit erlauben, aber darauf hin-
weisen, dass die Hinterhauptslappen, ohne gerade gestört zu sein, doch äner diffusen
Erkrankung anheimfallen können und somit Anlass zu dem Auftreten eines Sjmp-
tomencomplexes geben, der von den früher erwähnten Störungen durchaus ver-
schieden ist. So entsinne ich mich eines Patienten, der nach überstandenem
Typhus ausschliesslich über unerträgliche Schmerzen in den Hinterhauptslappen
klagte. Stirn und Parietallappen waren vollkommen frei und niemals hatten
sich motorische ' Störungen bemerklich gemacht. Dagegen bestand auf beiden
Augen Atrophie der Sehnerven. Die Fähigkeit, die grössten Buchstaben der
JlGEB'schen Schriftscala zu lesen, war vollständig erloschen, aber das (Gesichts-
feld hatte beiderseits eine schmale spindelförmige, horizontal dastehende Gestal-
tung angenommen. Ich muss allerdings gestehen, dass ich den Fall zu einer
Zeit gesehen habe, in welchem ich die Bedeutung der Farbenperception für die
Begründung der Diagnostik noch nicht hatte würdigen gelernt Ein anderer
Fall ist dafür um so mehr beweisend. Im Frühjahr 1868 wurde mir ein
Knabe mit beiderseitiger Neuritis optica im Stadium der Atrophie vorgestellt.
Das Gesichtsfeld war rechterseits bis auf 8, links bis auf 2 Zoll Durchmesser
eingeengt, dem entsprechend das Sehvermögen so weit reduoirt, dass mit HfUfe
— 223 —
von Gonvex 10 rechts emzelne Worte von Nr. 2, links von Nr. 19 der JlOEB'schen
Seala bnchstabirt wurden. Ein äusserst heftiger Fall auf den Hinterkopf war im
Herbei des verflossenen Jahres vorausgegangen und von dem Momente an alle und
jede Farbenperception vollkommen erloschen. Nur die subjectiven Beschwerden des
Kindes bestimmten mich zu einem therapeutischen Handeln, das in nichts Anderem
als in der consequenten Darreichung von Eal. jod. und in der Application eines
Setaceums in den Nacken bestand. Bereits am 11. Mai trat mit dem Nachlass
der Hinterhauptschmerzen ein unbestinmites Erkennen der Farben ein, am 4. Aug.
war die Besserung so weit fortgeschritten, dass alle Farben wieder erkannt
wurden, nur Ulla konnte nicht von blau unterschieden werden. Das Gesichte
feld hatte sich rechts vollkommen ausgeliehen und links die Ausdehnung er-
langt, die früher das rechte aufgewiesen hatte. Die Sehschärfe stieg links wieder
bis auf 13, rechts ohne Gonvexgläser bis auf Nr. 1. Die aufgehobene Function
des Färbencentrums konnte über die Localisation der Störung in dem Hinter-
hauptslappen keine Zweifel bestehen lassen.
Ueberhaupt sind Traumen des Hinterhauptes bald mit, bald ohne Ver-
letzung der Eopfschwarte und die sich im weitem Verlauf daran reihenden
Sehstorungen keine so gar seltenen Erscheinungen. In diesem Augenblick habe
ich noch einen jungen, 30jährigen Mann in Behandlung, der, in einer Zucker-
&brik beschäftigt, am 6. April des vorigen Jahres in Folge einer Eesselexplosion
mnfiEmgreiche Verbrennung der Körperoberfläche, Verlust des linken Auges und
am Elnterkopfe eme breite Wunde davon getragen hatte. Sechs volle Wochen
blieb Pfibtient ohne Bewusstsein. Als er aus seiner Betäubung erwachte, war
seine stete Klage über ein dumpfes Schmerzgefühl im Hinterkopfe, Abnahme
des Gedächtnisses und umflortes Sehen. Bei der ersten Vorstellung^ nicht ganz
ein Jalir nach dem erlittenen Unfall, zeigte das rechte Auge intacte Pupillar-
bew^^ungen, keine Abnormitäten des Augenhintergrundes; das Gesichtsfeld war
massig eingeschränkt, die Sehschärfe bis auf Jageb 4 zurückgegangen, aber
jeder Versuch des Fixirens wurde von Schmerzen im Hinterkopf gefolgt. Die
Farbenprüfnng ergab, dass Gomplemente von grün und blau nicht mehr gesehen
worden. Die Diagnose wurde auf Anaesthesia optica, abhängig von Erschütte-
rung des Hinterhauptlappens gestellt und dieser Auffassung entsprechend die
Therapie eingeleitet, die nunmehr ein solches Resultat erzielt hat, dass das
Kopfweh völlig gewichen und eine völlige Ausdauer des Sehens bei gleidizeitiger
Steigerung der centralen Sehschärfe bis auf Ni. 1 erzielt ist
Bei änem 8jährigen Knaben, der mir vor ^ Jahren zugeführt wurde, be-
staaden noch umfangreichere Störungen wie die eben gesdiilderten, concentrische
EinengiBig des Gesichtsfeldes und Bedvction der centralen Sehschärfe, die nur
mit ffidfe von staricen Convexgläsem von 8 oder 10 Zoll Brennweite das flüch-
tige Erkemen der grössten Druckscäirifl gestattete, denn jeder Versuch des
Sehens vurde von emer starken Thräfnensecretion gefolgt Selbst das Fixbren
mam wensen Papierblattes genügte, um die Augen mit Thränen zu füllen. Das
Aoflgeben ohne eim» intensive blaue SchuitebriUe war selbst bei bedecktem Himmel
kaum mogüfA imd in's Unendliche steigerten sieh die Qualen des kleinen
— 224 —
Patienten, wenn staxk reflectirtes Licht sein Auge traf. Der Knabe, welcher nur
die grossen Buchstaben auf Holzklötzchen lesen gelernt hatte, sollte einem Blinden-
institut zu weiterer Erziehung überwiesen werden, denn alle bisherigen Eur-
versüche hatten sich als erfolglos erwiesen. Bei der sorgsamen Untersuchung
des Falles fiel mir vor Allem eine colossale, aber äusserst flache Depression des
linken Hinterhauptes auf, die von Geburt an datirte. Nach Berücksichtigung
aller Momente stellte ich die Diagnose auf eine durch reizenden Einfiuss des
Hinterhauptlappens bedingte Sehstörung. In der Prognostik war ich äusserst zu-
rückhaltend, weil es nicht möglich war, bei der ausserordentlichen Lichtscfaea
ein Bild des Augenhint«rgrundes zu gewinnen, ganz abgesehen davon, dass die
Pupillen bei jedem Beleuchtungsversuch mit den energischsten Gontractionen
antworteten. Meine Medication bestand in der systematischen Anwendung
schwacher Inunotionen, jede von 1 V2 gr und jedesmaligem Aussetzen, wenn der
Knabe Erscheinungen der Ermattung darbot Ich ging von der Idee aus, dass
unter der Einwirkung von Innunctionen oder der subcutanen Sublimatinjectionen
günstigere Filtrationsbedingungen für die Function der Oefösswandungen her-
gestellt und somit am ehesten eine Resorption von Exsudaten stattfinden würde,
wenn solche in der Gegend des OccipitaUappens vorhanden sein sollten. Jedes-
mal folgte nach 10 Inunctionen ein warmes Vollbad. So oft ihre Anwendung
ausgesetzt wurde, bestand die innere Medication in der Darreichung von Tinct
ferri pom. mit Sol. arsenic. Fowleri, daneben Abends eine Stunde vor Schlafengehen
die continuirliche Anwendung des Eisbeutels. Nach ungefähr dreimonatlicher
Behandlung war das Gesichtsfeld ausgeglichen, die Sehschärfe bis auf Nr. 1 ge-
stiegen und das Kind fähig, ein paar Stunden täglich einen regelrechten Schul-
unterricht zu gemessen. Den Winter hindurch wurde die Darreichung leichter
Eisenpräparate, wie nicht minder die Anwendung des Eisbeutels fortgesetzt,
dann im nächsten Sommer die frühere Methodik der Behandlung wiederholt,
weil sich noch ab und zu ein Ermüdungsgefühl des Kopfes einstellte. Damit
trat ein Zustand für Kopf und Auge ein, der in jeder Weise als nonual be-
zeichnet werden durfte. Mit Rücksicht indessen auf die von frühester Eondheit
an bestandene Störung wurde zur Gonsolidation des erzielten Heilresultats im
dritten Jahre nochmals die früher erprobte Behandlung durchgemacht und mit
der 25. Inunction vollständig abgeschlossen. Seit jenem Zeitpunkt sind 1 Vt Jahre
verfiossen und keine Spur der frühem Störung ist mehr vorhanden.
Eine noch grossere Zahl casuistischer Beobachtungen könnte hier angereiht
werden, indessen das beigebrachte Beweismaterial ist umfangreich genug, um
den klinischen Unterschied zwischen einer mehr oder minder umfangreichen
Zerstörung der Hinterhaupüappen einerseits und den Folgeerscheinungen ihrer
blos diffusen Erkrankung andererseits genau darzulegen. Abstrahirt man von
den Ausfallserscheinungen, wie sie der ersten Beihe der Störungen inhärent ist^
so lässt sich von der zweiten nicht behaupten, dass sie sich durch eine specifisohe
Gestaltung des Ejrankheitsbildes auszeichnen. Die hier auftretenden Sehstörungen
manifestiren sich vorzugsweise unter dem Bilde der Anaesthesia optica. Mit
den bald vorhandenen, bald fehlenden Hinterhauptschmerzen verbindet sich in
— 225 -
der Mehizahl der Fälle die angemein rasche Ermüdung des Gesichtes, weiter-
hin das Auftreten subjectiyer Lichtempfindungen, nur höchst selten mit hyper-
ästhetischen Erscheinungen der Netzhaut verbunden. Das ophthalmoskopische
Verhalten des Augenhintergrundes bietet in der grösseren Zahl der Beobach-
tungen keine nennenswerthen Veränderungen dar; einige Male traten die Symp-
tome einer langsamen Atrophie der Sehnerven ganz besonders in den Vorder-
grund, ab und zu auch neuriüsche Erscheinungen von den leichtesten bis zu
den schwersten Formen. Dieses wechselnde Bild, das häuJSg genug die Schwere
der Erkrankung nicht ahnen lässt, ist bereits andern Beobachtern aufgefallen.
Die Experimente, welche Prof. Adamtoevioz anstellte, um die beim Gehim-
dmck concurrirenden Factoren genau zu bestimmen, scheinen im Stande zu
sein, einiges Licht auf diese dunkeln Vorgange zu werfen. Wenn dieser Be-
obachter einer Reihe von Thieren durch die eröfihete Schädelhöhle Laminaria-
Stückchen zwischen Knochenhülle und Dura mater introducirte, so wurden durch
langsame Gompression die Gehimtheile um so vieles zusammengedrückt, als die
Ausdehnung des Laminariastifts betrug. Die Thiere blieben, so lange die Gom-
pression nicht eine gewisse Grenze überschritt, Monate hindurch im vollkommen-
sten Wohlsein. Die spätere Untersuchung des Gehirns ergab, dass niemals an
der Gompressionsstelle auch nur der leichteste Grad von Anämie bestand, im
Gegentheil zeigten sich überall Ausdehnungen und Wucherungen der arteriellen
Gewisse. Eine Steigerung dieser Reizeffecte, sei es durch die Einwirkung des
introduoirten Fremdkörpers, sei es durch die weiteren Ausdehnungen und Wuche-
rungen der Gefässe, rief, gleich der Injection einer sechsprocentigen Eochsalz-
lösong in destiUirtem Wasser, die Symptome der Gehimreizung hervor, als dessen
Aequivalent Adamkiewioz jede traumatische Ueberreizung ansieht, welche die
Schädelhöhle getroffen hat Durch weitere Steigerung der Gompressionseffecte
konnte der eben erwähnte Beobachter schliesslich halbseitige klonische Krämpfe
ohne Bewusstseinsstörung und daran anschliessend Hemiplegie und spastische
Störungen hervorrufen. Zuletzt trat posthemiplegische Paraplegie und spontaner
Tremor ein, indem die Beizeinwirkung von Seiten der comprimirten Gehirnhälfte
auf die entgegengesetzte übertragen wurde. Die Fortsetzung des Reizes rief
unter dem Auftreten comatöser Erscheinungen den Tod hervor. Hierin zeigte
sich das Schlussglied einer Reizeinwirkung, welche vorher die verschiedenen
Stadien der Erregung, Erschöpfung und Lähmung durchlaufen hatte.
Nach diesen Experimenten wäre das Auftreten von Neuro-Retinitis nicht
der Effect der intracraniellmi Raumbesohränkung, sondern der durch die patho-
logischen Veränderungen gesetzten Reizeinwirkung. Sie würde uns in durchaus
befriedigender Weise bei Abwesenheit ophthalmoskopisch wahrnehmbarer Ver-
änderungen der Sehnervenpapille das Vorhandensein der subjectiven Licht-
empfindung erklären. Die pathologischen Veränderungen an der Opticusinsertion
treten nur dann auf, wenn die mit der occipitalen Störung verbundenen Reiz-
einflüsse stark genug sind, Geßsshyperämie und Wucherlmgen zu erzeugen.
In dieser kurzen Darstellung, die zu ihrer Vervollständigung noch vielsei-
tiger Beobachtungen bedürfen wird, sehe man nichts anderes als den Versuch,
— 226 -
zwischen den oocipital bedingten Ausfallserscheinungen in der Gtetaltung des
Gesichtsfeldes und jenen Störungen, die einem diffusen Erkranken der Hinter-
hauptslappen entspringen, eine klinische Scheidung zu ziehen.
2. Zur therapeutischen Verwerthung der Hypnose.
Von Dr. M. Nonne, Assistenzarzt.
(Schloss.)
Interessant war übrigens auch, zu sehen, wie Patient die richtige Inner-
vation far die gewollten Bewegungen offenbar verlernt hatte, indem er immer
mit falschen, d. h. mit zu seinem Zweck absolut nicht dienenden, Muskeln sich
abmühte; auch hierin glich er sehr dem von Chabcot in der 22. Vorlesung
beschriebenen Patienten.
Anfang December, also nach Ablauf circa eines Monats, war die Motilität
in der ganzen rechten oberen Extremität ziemlich normal.
Der Triceps-Reflex war nach wie vor schwach, die Gelenke bei passiven
Bewegungen schlaff, die Sensibilitatsverhältnisse giebt beistehendes Bild (s. Fig. 5).
Muskelgefohl, stereognostisches Vermögen vollkonunen erhalten.
Mitte December ist Pat. im Stande, gut und ziemlich schnell zu schreiben,
zieht sich mit der rechten Hand an, isst mit derselben etc. Es fallt ihm nur
Fig. 5. Fig. 6.
Beim.Abgai^
noch schwer, sich der linken Hand zu entwohnen, da er diese in den letzten
Jahren ausschliesslich gebraucht hat
Bis Mitte Januar blieb Patient noch auf der Abtheilung dar Beobaditung
halber; bei der letzten Untersuchung ergab sich, dass auch die grobe Kraft der
rechten oberen Extremität, mit Ausnahme des Händedrucks (Dynamometer
nur bis 25^) völlig wie links war, ebenso an den unteren Extronititai dieselbe
in allen Muskehi als normal gelten konnte; die Sehnenrefiexe waren an den
unteren Extremitäten noch sehr lebhaft, die SensibLtität war nur noch am
unteren Drittel des Dorsums des Vorderarms (& Fig. 6) gestört, am übrigen
Körper durchaus intact Das sonstige Veriialten des Patienten war vötlig normaL
Ich halte es nidlit für unnöthig, nooh einiges Nähere hinzuzufügen. Es
gelang mir immer nur, einen lethargischen Schlaf zu erzielen;. Patient sass wia
— 227
in tiefem, festem Schlafe, er war f&r Auffordemngen , Befehle etc. dnrchaas
unzaganglich ; es gelang mir auch nicht, die nenromusculäre Hyperexcitabilitat,
die von der Pariser Schule, von Bebnheim in Nancy und auch von Tambttbimi
und SeppttiTj besonders betont wird, nachzuweisen; das Erwecken gelang leicht
durch Anblasen sowohl als durch Anrufen mit seinem Namen, als auch durch
£neifen. Stechen etc. in die nicht anästhetischen Theile des Körpers. Interessant
war auch, dass sich Patient durch Suggestion erwecken liess; mit massig lauter
Stimme schilderte ich ihm : „Sie schlafen jetzt schon nicht mehr fest, Sie fühlen,
wie Binen die Augen leichter werden, wie die Müdigkeit verschwindet, wie Sie
wach werden; Sie können jetzt die Augen schon auftnachen, jetzt machen Sie
sie auf^ jetzt sehen Sie mich an und sind jetzt wach.'' Redete ich in ganz
demselben Tone irgend etwas Gleichgültiges vor den Ohren des Patienten, so
schlief er ungestört weiter. Ebenso verschaffte ich mir die XJeberzeugung, dass
nicht die Morgens am Bett an den Patienten gerichtete, betreffende Aufforderung
das therapeutische Moment — wenn ich mich so ausdrücken darf —- war,
sondern dass die Suggestion das Wesentliche war, auf folgende Weise: Ich sagte
dem Patienten z. B., bevor ich ihn hypnotisirte: Sie werden morgen Früh den
3. Finger beugen können; in der Hypnose selbst suggerirte ich ihm dann, am
kommenden Morgen den Zeigefinger beugen zu können, und in der That war
er dazu dann im Stande, wiUirend die andere Bewegung ihm noch nicht mög-
lich war. Unmittelbar nach der Sitzung konnte er nur dann eine Bewegung
ausfahren, wenn ich ihm suggerirt hatte, er werde dieselbe gleich nach dem
Erwachen machen können, während er am Abend trotz meiner wiederholten
Aufforderung es nicht konnte, wenn ich ihm, wie ich es fast immer that, die
Möglichkeit der Bewegung erst für den folgenden Morgen suggerirt hatte.
Dass übrigens der Erfolg nicht immer gleich eintrat, und manche Bewe-
gung wiederholt suggerirt werden musste, ehe sie gelang, geht aus der Kranken-
geschichte hervor. Daraus ergiebt sich wohl auch die Richtigkeit meiner An-
nahme, dass ich durch eine schrittweise fortgeführte Behandlung wohl ein
Biesultat erzielen würde, durch ein „Steh' auf und wandle^' aber wohl nichts
erreichen würde.
Dass der Patient wahrend der Hypnose gewissermaassen ganz ausser
Bapport mit mir zu sein schien, kann nicht mehr als etwas Besonderes auf-
fallen; denn bei vielen der französischen Fälle, sowie bei einzelnen Fällen
FoBEii's war dasselbe der Fall.
(Gegenüber neueren Aeusserungen, dass die Hypnose in den meisten Fällen
nachtheilig auf das Allgemeinbefinden der Patienten einwirke, will ich, in
üebereinstimmung mit Fosel, hinzufügen, dass bei unserem Patienten davon
absolut nichts zu bemerken war, sondern er im Gegentheil sich immer mehr
zu kräftigen anfing. Ob ein Becidiv eintreten wird, bleibt abzuwarten; aus dem
Gelesenen geht hervor, dass die Heilung bisher für mehrere Monate Bestand
hatte; jedenfalls würde ein Becidiv noch nicht gegen die Methode als solche
sprechen.
Der Fall ist demnach geeignet, ebenso wie die Fälle von Mendel, Schulz
— 228 —
und Sperlino, zu iUustriren, dass fuuctionelle Erkrankungen des Nervensystems
welche anderen, üblichen Behandlungs-Methoden Widerstand leisten, sniweilen
auf diesem Wege zu bessern, resp. zu heilen sind; gewiss werden nicht alle
Fälle, die man für geeignet halten könnte, auf diese Methode reagiren; das
lehrte uns erst vor Kurzem ein an allgemeiner Anästhesie leidender Patient.
Derselbe wurde von Herrn Dr. Eibenlohr im ärztlichen Verein im Juni 1887
vorgestellt;^ derselbe ist der Hypnose ganz ausserordentlich zugänglich; man
kann ihm ohne jede Schwierigkeit Amnesie, Unmöglichkeit jeder beliebigen Be-
wegung su^eriren, man kann ihm Taubheit und Blindheit suggeriren, aber
die oft angestellten Versuche, ihm eine normale Sensibilität zu suggeriren,
blieben bisher ohne jeden Erfolg. Ich will für den, der jenen Fall nicht gelesen
hat, hinzufugen, dass Herr Dr. Eisenlohb mit Sicherheit eine rein functionelle
Basis der Anästhesie annehmen zu müssen glaubte.
Noch einige Worte über die Diagnose bei dem Patienten Knabe:
Ueber die erste Attacke, die wir aus der Erzählung des Kranken kennen,
können wir ein TJrtheil nicht abgeben, doch scheint die rasche, fast plötzliche
Besserung einer functionellen Störung am ehesten zu entsprechen. Der Befund
bei der zweiten Lähmungsattacke im Jahre 1883, die hemiplegisohe Form mit
sensiblen und sensorischen Anästhesien, entsprach allerdings einer hysteriscdien
Lähmung, doch schien auch Manches dagegen zu sprechen: so der vollkommene
Mangel des psychisch-hysterischen Elements, auch der von Ghabgot für solche
Fälle männlicher Hysterie betonten Depression des Qemüthszostandes; femer
die, wenn auch geringe Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit in der ge-
lähmten rechten Ober-Extremität^
Für den letzten Anfall vor der Aufnahme, Herbst 1886, gelten diese Be-
denken in Bezug auf hysterisches Wesen der Lähmung in noch höherem Grade.
Der Verlauf hat gezeigt, dass es sich in der That doch um functionelle, der
hysterischen ähnliche, Störungen gehandelt hat. Eine öftere Untersuchung auf
hysterogene Punkte hatte immer ein negatives Resultat ergeben, auch hatte Pat
niemals irgend welche Andeutung von spontanen „AnWlen^ gehabt Indess möchten
wir gerade mit Bücksicht auf den Fall Ejiabe hervorheben, dass nicht jede func-
tionelle Lähmung oder Anästhesie als hysterische bezeichnet werden darf, sondern
uns auf den Standpunkt stellen, den Thomsen und Oppenheim' vertreten, indem
sie diese Störungen als mögliche Theil-Erscheinung verschiedener Neurosen be-
zeichnen. Konmit noch das Moment einer chronischen Intoxication hinzu, wie
es im Fall Knabe vorlag und sich durch die sichtbaren Veränderungen der
Retinalgefasse präsentirte, oder wie es bei zahlreichen Fällen von Alkoholismus
vorliegt, so hat man um so weniger das Recht, kurzweg von Hysterie zu sprechen.
Speciell die Alkohol-Intoxication scheint uns sehr lehrreich zu sein; ein Blick
' Deutsche med. Wochenschr. 1887. Nr. 36.
' Die Beobachtung auch dieser Möglichkeit bei hysterischen lAhmnngen war damals
noch nicht gemacht.
»1. c.
— 229 —
aaf die Analogien^ der alkoholischen Anästhesien mit den hysterischen, wie sie
nns das Werk von Gbassst* und zahlreiche eigene Beobachtungen bieten, wird
nns mit der Bezeichnung „Hysterie" voreichtig machen. Auch vom chronischen
Satumismns sind mehr oder weniger verbreitete Anästhesien längst bekannt.
Es ist aber gerade bei den toxischen Anästhesien und Lähmungen wahrschein-
lich, dass hier Uebergange von functionellen zu wirklich anatomischen Störungen
stattfinden — das beste Beispiel bieten die functionellen Amblyopien und Seh-
nerven-Affectionen beim chronischen AJkoholismus — resp. dass die einen neben
den anderen vorkommen, und es scheint viel richtiger, diese Störungen von dem
Gesammtbiide der Hysterie durchweg zu trennen.^
Zum Schlosse spreche ich meinem verehrten Chef, Herrn Dr. Eisenlohb,
meinen aufrichtigen Dank für das Interesse, welches er dieser Arbeit zugewandt
und der Anregung, die er mir in vieler Beziehung hat zu Theil werden lassen, aus.
n. Referate.
Experimentelle Physiologie.
1) Experiments on special sense looalisations in the oortex oerebri of the
monkey, by E. A. Schaefer, F. B. S. (Brain. 1888. XXXIX and XL.)
Die Absicht der im Verein mit Dr. Sanger Brown ausgeführten Yersnche
Schaefer's bestand zunächst in einer Controle der unsererseits in diesem Central-
blatt bereits gewürdigten Behauptungen Ferrier's^ über die cerebrale Locali-
sation des Sehcentrums beim Affen. Einem Affen wurden beide Gyri angulares
mit dem Glüheisen gründlich zerstört. Das Thier zeigte während einer mehrmonat-
lichen Beobachtung nicht die geringste Sehstörung, aber auch keinerlei Defect weder
in den Bewegungen noch in der Sensibilität der Bulbi. Einem andern Affen wurde
der Gyrus einseitig in seiner ganzen Tiefe herausgelöffelt. Dieses Thier hatte nach-
her eine Sehstörung, sie bestand aber nicht in einer Amblyopie, wie Ferrier wollte,
sondern in einer Hemiopie und sie dauerte nur wenige Tage an. Hiemach war sie
nicht auf den verlorenen Gyrus angularis, sondern auf den accidentell beleidigten
* Wer die Abbildungen der SenBibilitätsstörung im vorliegenden Falle mit denjenigen,
die Gbabsbt in dem citirten VV^erke über chronischen Alkoholismus giebt, femer mit den
Ton Chabcot im Progrte m^ical, sowie mit den von Rbndu in den Archives de neorol.
18d7 Nr. 41 veröffentlichten Fällen von männlicher und weiblicher Hysterie nach Trauma
TOgldcht, wird von der Aehnlichkeit, man kann fast sagen der Identität der Vertheilung
der Anästhesien frappirt sein. Bei dem Falle von functioneller Lähmung nach einem Trauma,
den ich im ärztlichen Verein (Deutsche m( d. Wochenschr. 1887. Nr. 46) vorstellte, bot sich
anch genau dasselbe Bild. Eine übersichtliche Nebeneinanderstellung jener verschiedenen
Fälle würde sehr lehrreich sein.
* Geasbbt, Etüde clinique sur les troubles de la sensibilit^ chez les alcooliques, Bor-
deaux 1887.
* In dem Referat über meinen Vortrag bei der Vorstellong des Kranken im ärztlichen
Verein (Münch. med. W. 1888. Nr. 5) ist die Lähmung irrthümlicher Weise als „hysterisch"
bezeichnet worden, trotzdem ich bei dieser Gelegenheit obigen Gedanken Ausdruck gab; ich
möchte jenen Irrthum hiermit berichtigt haben.
* Vgl. das Referat Jahrg. 1887 Nr. 14.
— 280 —
HinterhauptBlappen zu beziehen. Aach in diesem Falle liess sieb keine Beeinträch-
tigung der Motilität und Sensibilität des Bulbus nachweisen. In letzterer Beziehung
widerspricht Schaefer also den Ansichten MunVs.
Einem dritten Affen wurde der ganze linke Hinterhauptslappen fortgeschnitten
— das Thier war alsbald und blieb hemianopisch. Einem vierten Affen wurden
beide Hinterhauptslappen genommen; die Folge war totale dauernde Blindheit Seh.
ist also rücksichtlich der sogenannten Sehsphäre (in toto) ganz der Ansicht Munk's
und bestätigt die Angaben Ferrier*s in keiner Weise. Der Gyrus angul. hat mit
dem Sehen nichts zu thnn, einseitige Ausschaltung des Hinterhauptlappens bedingt
den Eintritt von Hemianopsie, doppelseitige Ausschaltung desselben den gänzlichen
Verlust des Sehvermögens.
In einem Falle hatte ein Affe bei der Abtragung der Hinterhauptslappen ein
Stückchen der basalen Fläche derselben behalten. Dieses Thier wurde nun nicht
total blind, sondern blieb auf den unteren Hälften der Retinae lichtempfindlich. Dem
Verf. scheint diese Erfahrung für die Angaben Munk's rücksichtlich bestimmter
Beziehungen der einzelnen Theile der Retinae und der Sehsphären zu einander zu
sprechen.
Um die Angaben von Ferrier und Munk über das HOrcentrum zu prüfen,
zerstörte Schaefer bei 6 Affen beiderseits die obere Schläfenwindung mehr oder
minder vollständig; in einem von diesen Fällen hatte er den ganzen Gyrus heraus-
gehoben, in einem andern Falle ausserdem noch den ganzen Rest der Schläfenlappen
entfernt. In keinem Falle erlitten die Thiere jedoch eine Einbusse an ihrer Hör-
föhigkeit. Dagegen befanden die beiden letzterwähnten sich eine Zeitlang in einem,
gleichwohl vorübergehenden Zustande von Stupor und Demenz. Das Hörcentrum
scheint dem Verf. also nicht nur nicht in der obersten Schläfenwindung, wie Ferrier
will, sondern nicht einmal im Schläfenlappen, wie Munk will, localisirt zu sein.
Der zuletzt erwähnte Affe und ausserdem noch zwei andere Affen, denen die
Spitze des Schläfenlappens beiderseits fortgeschnitten worden war, hatten übrigens
weder das Geruchs- noch das Geschmacksvermögen verloren.
Schliesslich führt Seh. noch an, dass er in einem Falle dauernde Hemianästhesie
(7 Monate lang Reactionslosigkeit gegen tactile und leichtere schmerzhafte Beize)
durch Abtragung einer 1,5 cm langen Partie aus der Mitte des Gyr. fomic. erzielt
habe. Hitzig.
Pathologie des Nervensystems.
2) Beiträge zur Lokalisation im Grosshim und deren praktische Ver-
werthung, von Dr. Jastrowitz in Berlin. (Dtsch. med. Wochensch. 1888.
Nr. 5—8.)
Nachdem die Ergebnisse von Schädeloperationen so günstige geworden sind,
dass von den wegen Kopfverletzung Operirten nur 3,2 7o (n&ch Amidon) oder 4^/^
(nach Roberts) sterben, gegenüber den früheren 51,25^0 (i^&ch Bluhm); und nach-
dem von 10 wegen Gehirntumor in Amerika Operirten 4 gut gebessert wurden«
1 die Operation überstand, 5 starben (2 direct in Folge der Operation), hält J. die
Zeit für gekommen, der Operation der Gehirntumoren auch bei uns näher zu treten.
Die genauere Diagnose des Sitzes der Geschwulst ist hierbei zunächst das Wichtigste.
J. bespricht nun zuerst die Schwierigkeit, die in der sogenannten Fem Wirkung der
Tumoren liegt, für welche aber mit der Zeit auch Regel und Gesetz zu finden sein
müsste und geht dann auf das Yerhältniss der Rinde zu der darunter liegenden
Markmasse ein, und auf die Einwirkung der besonderen Circulationsverhältnisse.
Einen merklichen Fortschritt stellt Exner's „negative Methode'* und seine „Methode
der procentischen Berechnung'' dar.
— 231 -
In kurzer Idarer Znsammenstellang giebt dann J. die Samme unserer Kennt-
niss in der Lokalisationslebre, „waa Exner in seinem Bfiche publicirt bat und
adtdem von Neuem gefunden ist". Scbematiscbe Zeichnungen geben dies Alles fiber-
sichtlicb wieder, und daneben bat Verf. eine Reibe von ibm beobachteter Tumoren-
flUe resp. deren Gebimbefund in ein Gebimscbema eingetragen; 5 Fälle schildert er
demnächst sehr eingebend, von denen die 3 ersten — isolirte Tuberkelknoten —
Geisteskranke, die beiden letzten geistig Gesunde betrafen.
Bei Fall I — kartoffelgrosser Knoten in der rechten oberen Stimwindung dicht
oberhalb der Umbiegnng in den Orbitaltheil — , welcher keinerlei Heerderscheinungen
gemacht hatte und darum nicht diagnosticirt worden war, knüpft Verf. Betrachtungen
an die Form der Geistesstörung: Blödsinn mit eigenthümlich heiterer Auf-
regung, die sogenannte Moria, welche er bei Tumoren einzig und allein dann
sah, wenn sie in den Stimlappen sassen. J. erinnert hierbei an Goltzes Beobach-
toogen über den Einfluss der Gehirnexstirpation bei Hunden, je nachdem Stimlappen
oder Hinterhauptslappen entfernt wurden; die bissig-heftige Stimmung im ersteren,
die ft-eundüche Stimmung im letzteren Fidle bieten wenigstens eine gewisse Analogie
KU der in mehr als einem halben Dutzend Fällen von ihm betrachteten Moria bei
Stimlappentumoren. Andere Fälle aus der Litteratur werden angeführt.
Der zweite Fall ist äusserst interessant durch das Bestehen mehrfacher, kirsch-
bis wallnussgrosser Tuberkel in der metrischen Region, ohne dass bei Lebzeiten
Labmungserscheinungen wahrgenommen waren. Freilich hatte der sehr närrische
nnd widerspenstige Kranke keine genaue Untersuchung gestattet.
Im dritten Falle waren, einige Monate vor dem Tode, Bewegungsstörungen an
der rechten Hand und dem rechten Vorderarm beobachtet: Contractur im rechten
Ellenbogengelenk, Extensoren- und Supinatorenparese. Dabei wiederholt KrampfanfäDe,
von der rechten Hand in den rechten Arm steigend, das Gesicht und rechtes Auge
ergreifend. Patientin war dabei, auch nachdem die Aufalle sich stark häuften, stets
bei Bewusstsein. — Die Section ergab ausser verschiedenen anderen erbsen- bis
kirschkemg^ossen Tuberkeln in der motorischen Zone, auch einen links in der Mitte
der vorderen Centralwiiidung gegenüber der mittleren Stimwindung. Da Mahon
sowohl wie Beynaud ganz entsprechende Fälle von mit Extensoren resp. Supinatoren-
läbmung der Hand beobachtet haben, mit Heerderkrankungen an obiger Stelle, so ist
J. geneigt, auch in seinem Falle den betreffenden Zusammenhang anzunehmen. —
Der Verf. geht hierbei des Weiteren auf die Frage der Abhängigkeit der Monoplegien
und Monospasmen von Him- resp. Himrindenläsionen ein, auf die Jackson'scbe
Epilepsie. — Das Zusammentreffen von Monoplegie und Monospasmus in demselben
Gliede (Parese, Zitterkrämpfe, Contractur) führte hier bei der Diagnose zur Annahme
gerade eines Tuberkels und zwar in der Rolando'schen Zone.
Die beiden folgenden Fälle betreffen also Nicht-Gtoisteskranke und erlaubten
demgemäss eine viel genauere Feststellung der Symptome. Es handelt sich beide
Male um Tumoren (Gliosarcom resp. Sarcoma fibrosum) in der motorischen Region.
Die Erkrankungen begannen beide mit monoplogischen Lähmungen, zu denen sich
frühzeitig Muskelsteifigkeit, Frühcontractur, Erhöhung der Sehnenreflexe gesellte,
späterhin Jackson'sche Krämpfe. In dem einen Falle traten plötzlich sehr heftige
Krämpfe im linken, bisher gesunden Beine auf (linksseitiger Bindentumor): eine
Erscheinung, welche, in Uebereinstimmung mit Heidenhain'scben Versuchen, da-
durch zu erklären ist, dass, nach starker resp. völliger Zerstömng der Rinde durch
Uebergreifen des Processes auf die unterliegende Markmasse, auch die in dieser
übenden, nach der andern Seite ziehenden Gommissurenfasem getroffen wurden.
Für den Extensor ballucis longus ergab sich das Rindencentmm (wahrschein-
lich) im Gyr. centralis posi, 4 cm entfernt von der Scissura magna.
Die Verhältnisse der Sensibilitätsstörangen bei Rindentumoren werden vom Verf.
— 232 —
emgehend erörtert, ihre AbweicbaDgen gegenüber denen bei Läsionen der Capsula
interna geprüft n. s. w.
In besonders eingebender Weise aber bescbäftigt sieb J. mit der Frage der
Störungen des Mnskelsinnes, der Bewegongsvorstellungen (kinästbetiscbe Empfindungen
nacb Bastian), ibren Znsammenbang mit Rindenlähmungen u. s. w. Er kommt
damit auf die Theorie der motorischen Zone und giebt eine klare Darstellung der
bisherigen Geschichte derselben.' Sein eigener Standpunkt ist: „wir nehmen mit
Hitzig, Schiff, Munk, Bastian und Luciani-Sepilli an, dass diekinästbe-
tischen Empfindungen in der motorischen Gegend localisirt sind (die
Ferrier im Gyr. formicatus, Nothnagel im Scheitelläppchen sucht) und nehmen
mit Ferrier, Nothnagel, Luciani-Sepilli (gegen Munk, Bastian und Brücke)
an, dass auch die motorischen Impulse direct von hier aus stattfinden/'
Mit Uücksicht auf die Experimente Yon Goltz, Hitzig, Loeb, welche ein-
seitige homonyme Sehstörung nach Stimlappen-Operationen bei Hunden erhielten,
findet J. die Möglichkeit der Erklärung von Hemiamblyopie bei einem seiner Kranken
mit Betheilig^ng der oberen Stimwindnng ni dieser letzteren Affection. Diese Dinge
seien immerhin noch nicht genügend klar. Doch müsse Verf. sieb entschieden gegen
Fürstner aussprechen, welcher bei Paralytikern Binden- oder Seelenblindheit auf
einem Auge beobachtet haben will; denn centralwärts vom Chiasma könne es nur
hemianopische Sehstörungen geben.
Zum Scbluss auf die praktische Yerwerthung des jetzigen Standpunktes der
Localisationslehre für die Chirurgie übergehend, stellt sich J. ganz auf den Stand-
punkt V. Bergmannes Oi^^^^fi)* Behandlung der Himkrankheiten"^), dessen Aus-
spruch, dass man zur Operation die traumatisch entstandenen Fälle von Jackson*scher
Epilepsie auswählen müsse, durchaus maassgebend sei; denn wir besitzen mehrere
Fälle von acut auftretenden Jackson'scben Krämpfen selbst mit Monoparesen, wo
post mortem sich ein negativer Befund ergab. — Gehirnabscesse sind natürlich,
wenn irgend möglich, zu öffnen. — Bei Tumoren sollte man verschiedene bisher
beachtete Einschränkungen der Operation (z. B. nur dann zu operiren, wenn der
Tumor von der Dura ausgeht, wenn er scharf abgegrenzt ist u. s. w.) fallen lassen.
— Zu erwägen ist, ob man nicht unter Umständen auch operiren soll, um das ge-
föhrlichste Symptom, den Gehimdrnck, zu beseitigen, wie z. B. nach grossen Blut-
ergüssen; bei meningealen Blutungen ist dies ja schon mit Erfolg geschehen. —
Ferner hat die glückliche Entleerung alter Blutungsreste zu Heilungen geführt.
Liegen verzweifele Fälle vor, so wird man dem Chirurgen unter Umständen
auch ein gewisses Wagniss gestatten müssen. Hadlich.
3) De Taphasie et de Tagraphie en partioalier d'apr^ renseignement de
M. le profiBBBeur Charoot, par P. Marie. (Progr. m6A, 1888. Nr. 5.)
Darlegung des Charcot'schen Standpunktes zu der Lehre von den verschiedenen
aphasischen Störungen: Die Patientin, welche zu den nachfolgenden Auseinander-
setzungen die Veranlassung bot, war eine Frau von 64 Jahren, welche zum ersten
Male 1868 einen apoplectischen Insult erlitt; die Folgen desselben waren eine rechts-
seitige Extremitäten- und Znngenparese, beide Erscheinungen verschwinden wieder
vollkommen. — Aber seit diesem ersten Unfall besteht die absolute Unfähigkeit zu
schreiben, die Bewegungen der Hand, die zum Schreiben nothwendig wären, fehlten
nicht im geringsten, aber die Erinnerung daran, welche Form sie den Buchstaben
geben solle, war und blieb verloren.
Nachher hatte sie noch mehrere apoplectische Attacken durchgemacht. Schliess-
lich trat eine Pseudo-Bulbärparalyse auf, in Folge deren Pat. schon seit einer ge-
« Cf. d. Ctrlbl. 1888. S. 111.
— 233 —
wiflsen Zeit gefüttert werden mnss. — Seit 1868, also 18 Jahre, besteht aber in
ToUer Reinheit die oben schon genannte Agraphie: Die Frau leidet weder an Wort-
blindheit, noch an Worttanbheit, sie bezeichnet sehr genau die Gegenstände, die
man ihr benennt^ sie copirt Buchstaben, Ziffern u. s. w., malt die Zeichen nach, ist
aber onföhig nach Dictat zn schreiben, oder spontan durch die Schrift sich irgend
wie auszudrucken:
Die Aphasie ist nach Charcot nur eine Amnesie und zwar unterscheidet dieser
Autor vier verschiedene Amnesieformen, als Ausdruck der mannigfachen aphasischen
Störungen. Die Amn&ies auditive, visuelle, motrice d'articulation et motrice graphi-
que. Für jede der vier Formen nimmt Ch. ein besonderes Centrum an und geht
von der Theorie aus, dass diese Centren von einander ziemlich unabhängig sind.
Das dem Aufsatz beigefügte Schema veranschaulicht sehr prägnant den Sitz dieser
4 Centren und deren Verhalten einerseits zu den optischen, zu den acustischen
und zu den motorischen Begionen der Grosshimrinde, andrerseits zu den peripherischen
Sinnes- und Bew^ungsorganen. — Wir verweisen auf die Originalzeichnungen, da
sich ohne diese die Details der Arbeit hier kaum wiedergeben lassen dürften. —
Wir betonen nur noch, dass nach Ch. durch Erziehung und Uebung der Pat. leicht
daza gelangen kann, dass ein Centrum befähigt werde vicarürend für das andere
einzutreten resp. demselben zu Hülfe zu kommen, z. B. lernt der Worttaube, wenn
ihm die Spontanschrift geblieben ist, mitunter durch Nachmalen der Worte in der
Luft auch den ihm fehlenden Sinn derselben wieder zu erfassen etc. Uebrigens ist
auch nach Charcot die gegenseitige Unabhängigkeit der Centren als kein absolut
und allgemein gültiges Gesetz zu betrachten, es giebt in der That auch Fälle, wo
z. B. der Mangel der sensorischen Centren des Gesichts und des Gehörs das Articu-
lationscentrum lähmte und auch eine motorische Aphasie oder eine Agraphie er-
zeugen kann. — Das hat nach Charcot seinen Grund in der verschiedenen Art, wie
bei einzelnen Individuen der so unendlich complicirte Mechanismus des inneren Wortes
zu Stande kommt, ob mehr mit Hülfe der Gesichts-, der Klang- oder der Bewegungs-
bilder. — Bei „indifferenten" Individuen, wo die verschiedenen Centren gleich viel
bei der Bildung des inneren Wortes mitwirken, wo die einzelnen eine grössere Au-
tonomie gemessen, wird auch die Ergänzung des einen Centrums durch das andere,
von der oben die Bede war, am ehesten möglich sein, da aber, wo bei Entwickelung
des Sprechactes die einzelnen Centren mehr in den Vordergrund treten, und bei Bil-
dung des Wortes eine gewisse Einseitigkeit herrscht, — werden die einzelnen Aphasie-
formen am leichtesten in ihrer Beinheit und unvermischt mit anderen zur Beobach-
tung kommen. La quer.
4) Case of aphasia with repeated looalised oonvulBions of the tongae and
right oheek, bj B. S. Thomson. (The Glasgow Medic. Journ. 1888. Maerz.)
Ein 56jähriger, bisher gesunder Mann, litt im Juni 1885 an heftigem Kopf-
schmerz in der linken Schläfengegend. Er hatte nie an Lues gelitten, und zeigte
bei der körperlichen Untersuchung eine Hypertrophie des linken Ventrikels des Herzens.
Ausserdem traten die Symptome motorischer Aphasie deutlich hervor, bei intacter
Iiitelligenz, gutem Gedächtniss und Verständniss für die Worte, die er hörte oder
las. Im Laufe des Monats Juni und August traten wiederholt KrampfanföUe der
rechten Gesichtshälfte und Zunge ein, die einige Minuten dauerten bei erhaltenem
Bewusstsein und Unvermögen zu schlucken und zu sprechen. Danach zeigte sich
eine Lähmung der rechten Gtesichtshälfte. In den folgenden Monaten dehnten sich
die Krampfi&nfalle auch auf das Platysma, den Stemocleidomastoideus und endlich
auf die ganze rechte Eörperhälfte aus; die Augenmuskeln blieben jedoch frei; das
Bewusstsein war meist erhalten. In den anfallsfreien Zeiten wechselte der Zustand,
indem Pat. bald besser, bald schlechter sprach und das Gehörte and Geschriebene
15
— 284 -
verstand. Oft verwechselte er die Bnclistaben, Silben, Worte, und allmäUicli traten
die Erscheinungen der sensor. Aphasie hinzu; auch fehlte das Bewusstsein nunmehr
meist in den Krampfanfallen, welche wechselnde Lähmungen der Extremitäten zurück-
Hessen. Nach einem Anüalle waren beide Extremitäten gelähmt und völlig anästhe-
tisch, blutige Blasen bilden sich an der rechten Ferse und Decnbitelgeschwüre in
der Kreuzbeingegend. Die Fatellarreflexe fehlteu fast ganz. Die Empfindung kehrt
bald wieder. Nach einem anderen Anfalle waren beide Arme paretisch, das linke
Bein gelähmt, und die rechte PupiUe weiter. Die Intelligenz war getrübt, Wort-
taubheit und Wortblindheit schien zu bestehen. Mit der S^eit trat Lähmung der '
Blase ein, völlige Verwirrung, Hallucinationen und endlich Mitte 1887 der Exit.
let. ein. Die Section ergab Adhärenz der Dura an der Seite der linken Hemisphäre
in der Gegend der vorderen Hälfte der Sylv. Spalte und der benachbarten Frontal-
und Temporosphenoidal-Windungen, die sehr weich und mit einer eitrigen Membran
bedeckt sind und grau verfärbt erscheinen. Beim Einschnitt in die Insul. Reilii
öfiEhet man eine Höhle (cyst), welche den vorderen Theil des Nuclens lenticul. und
den vorderen Theil der inneren Kapsel mit betrifft. Das Bückenmark wurde nicht
untersucht. Goats hielt die Affection, dem Befunde nach, für syphilit. Ursprungs.
Th. glaubt, dass im Beginn der Erkrankung, als neben motor. Aphasie Krämpfe der
Zunge und der rechten Gesichtshälfte bestanden, allein der hintere Theil der Broca'-
sehen Windung betroffen war durch irgend einen Reizungszustand. Es spricht sein
Fall für die Theorie, dass derartige Aphasieen paralyt. Natur seien; wenn auch die
Lähmung nicht die groben Bewegungen, sondern die feinere Coordination der Muskeln
störe. Die Läsion grif^ wie der Verlauf zeigt, allmählich um sich. Die wiederholt
aufgetretenen, streng localisirten Krämpfe (am Anfang des Leidens) sprechen für die
Identität der cerebralen Centren für die Sprache und für die Bewegung der Zunge
und Lippen. Kalischer.
6) Ein Pall von Typhus abdominalis mit seltenen Complicationen (Apha^
sie, Dementia — Erysipel), von Dr. Th. Escherich und Dr. Rudolf Fischl,
Assistenten der K. Univ.-Kinderklinik in München. (Münchener med. Wochenschr.
1888. Nr. 2.)
Verfasser geben die ausführliclie Beschreibung eines Falles von Typh. abd., der
in seinem Verlaufe von vollständiger Aphasie und Dementia begleitet wurde. Section
ergab: Schleierartige Trübung der sonst zarten Pia über den Sulci, leichte Vermeh-
rune des Liquor cerebrospinalis und Ausweitung der Seiten Ventrikel; geringes Oedem
der Marksubstanz der linken Grosshimhemisphäre. Hügel (Würzburg).
6) Aphasie cheB nne taotile, par Farges. (L^Encephale. 1887. Nr. 5.)
Die Berührung hat ihre eigenen Erinnerungsbilder im Gehirn und für diese
Bilder sind dort festhaftende Worte vorhanden, ebenso auch für den Geschmack,
denn dieser ist eine der Berührung ähnliche Bewegung. Von der Wichtigkeit dieser
Tbatsache ausgehend, giebt F. eine Krankengeschichte einer ö3jährigen Person,
welche in Folge eines apo])lectischen Insultes beinahe völlig aphasisch war, das heisst,
Pai sprach wohl, sogar spontan und viel, aber ihre Phrasen setzten sich eintönig
nur aus etlichen Worten zusammen, gefolgt von einer langen Reihe incohärenter
Silben, welche kein wirkliches Wort bilden. Die Untersuchung ergab Wortblindheit
und Worttaubheit. Sobald nun aber die Kranke Gegenstände berührte, welche ihr
geläufig waren, so erkannte sie dieselben alsbald und hatte auch das richtige Wort
für dieselben. Aehnlich verhielt es sich mit dem Geschmack. Es ist also in allen
Fällen einer Aphasie genau zu untersuchen, ob die Berührungs-, Geschmacks- oder
Qeruchsbilder erhalten geblieben sind. Zander.
— 235 —
7) Aphemia, by Suckling. (The Brit. med. Joum. 1887. Dec. 24. p. 1388.)
S. stellte eine 19jährige Patientin in der Midland med. Gesellschaft vor, welche
nach längerdanemdem Kopfweh einen plötzlichen Anfall von Bewnsstlosigkeit, Läh-
mung nnd Sprachverlnst bekam und allmählich eine Yerbessemng in diesen Symp-
tomen erfuhr. Sie konnte 8 Tage gar nicht, dann nur ein einzelnes Wort sprechen.
Die rechte Gesichtshälfte paretisch; Hemiparalyse rechterseits. Rechterseits die Re-
flexe gesteigert. Rheumatismus, Syphilis, Bright's Krankheit, acute Krankheiten
auszuschliessen. — Die Diagnose wurde gestellt auf Thrombose der linken mittleren
Cerebralarterie mit Verschluss des Zweiges zur ßroca'schen Oertlichkeit; Folge da-
von Erweichung der inneren Kapsel und der 3. Stimwindung. Eine allmähliche
Collateralcircolation stellte die Function in dem andern corticalen Sprachcentrum her.
— Augenhintergrund, Herz normal. L. Lehmann (Oeynhausen).
8) Kotes on an exceptional oase of Aphasia, by Sir G. E. Paget. (The Brii
med. Joum. 1887. Dec. 10. p. 1258.)
Der Fall betrifft einen 64jährigen, sehr gelehrten, fleissig studirenden, höchst
begabten und geistreichen Prediger. Derselbe erleidet Morgens beim Aufstehen einen
Anfall von Aphasia bei vollem Bewusstsein; der rechte Arm und die rechte Hand
waren paretisch und ataktisch. Nach 9 Stunden merkliche Besserung; am folgenden
Tage völlige Herstellung. — Solche Anfälle kommen im Verlaufe der nächsten fünf
Jahre drei;, der zweite 2}l2 Jahre nach dem ersten. Im dritten und letzten Anfall
entstand Hemiparalyse und Hemianästhesie rechterseits, fast gänzlicher Verlust
des Hörens und Sehens und des Bewusstseins. Letzteres stellte sich nach einigen
Tagen in unvollkommener Weise wieder her. — Der Geschmacksinn blieb unversehrt.
Nach 2 Monaten kam auch etwas Bewegung in der rechten Hand wieder, und die
Sensibilität stellte sich wieder her. — 2^/3 Jahre später linke Pneumonie; Tod.
Der Prediger schrieb ausserordentlich viel in gesunden Tagen; er
war aber linkshändig für alle anderen Thätigkeiten. Hier ist also das Haupt-
interesse des Falles die Abweichung von der sonst gemachten Erfahrung, dass Apha-
sie bei linkshändigen Menschen die gelähmte linke Seite zur Begleitung hat, während
hier die rechte Seite gelähmt war, wie in Fällen, die nicht linkshändige Menschen
betreffen. Da die Hauptbeschäftigung des Predigers das Schreiben war, welches
rechtshändig ausgeführt wurde, so scheint dieses dafür als Ursache herangezogen
werden zu können, indem durch die vorherrschend gewesene üebung die entsprechend
entgegengesetzte Gehimhemisphäre ihre besondere Ausbildung erfahren hatte, wie es
bei den meisten (rechtshändigen) Menschen geschieht. Der Fall kann also zum Be-
weise für die Theorie herangezogen werden, dass Uebung Einfluss hat, die linke
Hemisphäre besonders auszubilden und für den Sitz des Sprachvermögens geschickt
zu machen. L. Lehmann (Oeynhausen).
9) Left Hemiplegia and Hemianaesthesia, Aphasia and left sided "Pyrexia,
in a left-handed woman, by Haie White, Guy's Hospital. (Tbe Brit. med.
Journ. 1887. Sept. 24. p. 675.)
50jährige Frau plötzlich gelähmt, hingefallen, unfähig zu sprechen, anscheinend
bei Bewusstsein. Augen nach rechts, enge, nicht reagirende Pupillen, Hemiplegie
links, rechts die Sensibilität ein wenig herabgesetzt, linke Körperhälfte schwitzt,
namentlich linke Gesichtshälfte. Kniereflex beiderseits fehlend, Plantarreflex rechts
vorbanden. Am Herzen präsystolisches und systolisches Geräusch, reichliches Bas-
sein auf der Brust, starke Albuminurie. Puls 100, hart, unregelmässig, Oheyne-
Stokes, t^ 99,4^ F., linkerseits bis 1^ F. höhere Temperatur, als rechts. Die Kranke
war linkshändig. Nach dem Tode findet sich eine grosse Blutung, welche die
15*
— 236 —
rechte Hälfte des Nudeus lenticularis und ebenso das Knie und den hintern Theil
der Capsula interna zerstört hatte. Im Seiten Ventrikel nur wenig Blut. Thalamus
opticus nach innen verdrangt; Nucleus candatus unversehrt. Die Begrenzung der
Hämorrhagie konnte wegen Zerstörung der betroffenen Theile nicht genau festgestellt
werden, doch waren die Corp. quadrigemina noch mitbeschädigt. Kleines Extravasat
im Föns. Granular-Nieren. Stenosis mitralis.
Das Hauptinteresse dieses Falles beruht auf Eintreten von Aphasie bei Blutung
in die rechte Gehirnhälfte, und dass die Kranke linkshändig war.
Zweitens war die erhöhte Temperatur in der gelähmten Körperhälfte und der
auf die gelähmte Hälfte localisirte Schweiss hervorzuheben.
L. Lehmann (Oeynhausen).
10) Clinioal leotures on diseases of the nervous System. Leet. IX: Sen-
sory AphasiA, bj Hughes Bennett. (The Brit. med. Joum. 1888. Febr. 18.
p. 339.)
Auf die genauere Ausführung der Einzelheiten in diesem klinischen Vortrage
sei hier nur hingewiesen. — Den Inhalt bilden 3 Fälle, welche kurz skizzirt folgen.
1. Fall. Wortblindheit. Ein 52jähriger Schiffer, robust und gesund aus-
sehend, ohne irgend eine Andeutung von Lähmung, Tremor oder dergl., doch ge-
steigerte Kniereflexe, besonders rechts. Gefässe etwas starr und gewunden. Hemi-
opie beider Augen links. Discus beiderseits etwas grau und undeutlich begrenzt —
Intelligenz ohne bemerkbare Störung. Wortarticulation deutlich und normal. Etwas
taub in Folge von Ohrkatarrh. Er versteht Gesprochenes und antwortet verständig.
Aber er kann kein geschriebenes (oder gedrucktes) Wort lesen, wohl aber, wie ein
Kind, jeden Buchstaben richtig nennen und die Wörter auf diese Weise zusammen-
buchstabiren, wenn nur wenige Buchstaben im Wort, z. B. c a t = cat spricht und
versteht er. Wörter mit mehr, als 3 oder 4 Buchstaben, werden zwar auch buch-
stabirt, aber nicht sicher mehr ausgesprochen und nicht sicher verstanden. Wörter
wie Constantinopel u. s. w. werden auch richtig buchstabirt, aber nicht mehr richtig
ausgesprochen, auch nicht mehr verstanden. So kann er seinen eigenen Namen nicht
lesen. Trotz dieser Unmöglichkeit, ein längeres Wort zu lesen, schreibt Fat. voll-
kommen geläufig, richtig und^mit schöner Handschrift Er schrieb seine Kranken-
geschichte vorzüglich klar und geschickt, ohne einen Fehler, gleichwohl kann er
seine eigene Schrift nicht lesen, die kurzen Wörter derselben nur buchstabiren, wie
bereits oben mitgetheilt wurde. Er copirte Vorlagen genau, jedoch nur langsam,
Buchstaben für Buchstaben. Er versteht aber das Copirte nicht Wird ihm dictirt,
so schreibt er fehlerlos nach. Er liest Ziffern correct und kann rechnen.
2. Fall. Worttaubheit 55jährige Frau, völlig gesund, auch das Verhalten
der Reflexe normal; nirgends Andeutung von Lähmung oder Sensibilitätsstörung.
Gehör für Schallperception normal. Sie kann kein gesprochenes Wort verstehen.
Dabei ist die Intelligenz ungestört. Sie steht vor wie nach dem Hanshalt vor und
verständigt sich durch Zeichen und Gesten. Wird aber zu ihr gesprochen, so ver-
steht sie, obwohl sie weiss, dass es sie angeht, den Sinn des Gesprochenen nicht,
antwortet aber, wie automatisch und schwatzhaft dummes, ungehöriges Zeug; z. B.
„Sind Sie 100 Jahre alt?'' Antwort: „Gut; aber das ist mein Wille, denn warum
ist das? Neinl Jal" und so unaufhörlich weiter. — Auch ohne angeredet zu werden,
ergeht sie sich in langem, sinnlosen Geschwätz, welches schliesslich mit Weinen
endet, wenn sie inne wird, dass ihre Bederei nicht ausdrückt, was sie auszudrücken
den Wunsch hat. — Fat konnte auch in gesunden Tagen nicht lesen, noch schreiben.
Eine Prüfung damit konnte also nicht stattfinden. Sie kann auch nicht ein einziges,
ihr vorgesprochenes Wort wiederholen.
3. Fall. Amnesie. 70jähriger, hochgebildeter Geistlicher. Für seine Jahre
— 237 —
kräftig und gesand. GefSsse massig rigid und gewunden. Seine Klage besteht darin,
dass er die meisten Wörter, namentlicb Substantive (Namen der Plätze, Personen etc.)
Tergessen hat. Seine Intelligenz, das Vermögen des Denkens ist ungeschwächt. Er
kann sich alle Verhältnisse klar vorstellen, nur die Bezeichnung der Dinge hat er
vergessen, sowohl sprechend, als schreibend.
Wenn er d!e Benennung hört oder liest, so versteht er sie vollkommen wie in,
gesunden Tagen; aber in der Unterhaltung oder beim Niederschreiben seiner Ge-
danken fehlen die entsprechenden Laute und Zeichen. Während er behindert schreibt,
copirt er unbehindert. Beim Versuch, vorzulesen, werden die Wörter falsch ausge-
sprochen. Dess ist der Kranke sich aber bewusst; er versteht den Inhalt des Ge-
lesenen ohne Behinderung. Er gleicht also Jemandem, der früher eine fremde Sprache
sprach und schrieb, nunmehr dieselbe grösstentheils vergessen hat; er hat seine
Muttersprache vergessen. In der Unterhaltung mit Anderen versteht er diese, und
ebenso Schriftsachen. Manchmal kann er seinen eigenen Namen oder sein Lebens-
alter nicht nennen. So hat er die Namen seiner Frau und seiner Kinder vergessen.
Besonders heftig tritt diese Störung auf, wenn er sich Mühe giebt, verständlich zu
sein. Ja er kann selbst diejenigen kleinen Sätze nicht wiederholen, welche er ganz
passend bei allgemeiner Unterhaltung äussert. Nicht Substantiva allein, auch Adjec-
tiva sind vergessen, manchmal auch fehlerhaft oder" irrig mit anderen verwechselt,
von welcher Verwechselung Patient aber dann sofort weiss, ohne ändern zu können;
z. B. phosphoresdren statt Philosoph u. s. w. — Meistens hört Patient — unglück-
lich über diese Störung — der Unterhaltung schweigend zu oder vertieft sich in
Leetüre. L. Lehmann (Oeynhausen).
11) On puerperal Aphasia, by F. Bateman. (The Brit. med. Joum. 1888.
Febr. 4. p. 237.)
Eine 23jährige, jetzt Zweitgebärende, die stets völlig gesund, jedoch Tochter
einer als Irre gestorbenen Mutter, hatte vor 2 Jahren ihr erstes Kind geboren. Da-
mals im 7. Schwangerschaftsmonat litt sie an unbestimmten, leichten Sprachstörungen,
die nach einem Monat verschwanden. Es folgte normale Entbindung und Wochen-
bett Sie säugte 9 Monate lang, anfangs mit beiden Brüsten, doch hörte in einer
Brust (der linken?) nach längere Wochen hindurch bestandener Galaktorrhoe die
Milchsekretion auf.
In der zweiten Schwangerschaft stellte sich Hemiparese rechterseits (besonders
im Arm) 3 Monate vor der Entbindung ein, und einen Monat vor der Entbindung
leichtere Sprachstörungen, die sich 6 Tage nach der Entbindung zu völliger Aphasie
steigerten. Das war plötzlich, ohne Bewusstseinsstörung, noch irgend erkennbare
Ursache. — Am 2. T^e nach der Entbindung ungewöhnlich reichliche Milch in
beiden Brüsten; am 5. Tage war alle Milch aus den Brüsten verschwunden.
Am 8. Tage rechts Hemiplegie neben völliger Aphasie; Zunge kann nicht vor-
gestreckt werden; Unnretention; Puls 74; alle sonstigen Functionen normal. Sie
verstand Gesprochenes, konnte aber zu allem ausschliesslich die 3 Worte „the other
day" antworten. — 6 Wochen später Erschöpfungstod.
Während Hemiplegie nicht selten als Wochenbettskrankheit, sei Aphasie in 8000
von Sireday gesammelten Fällen nicht ein einziges Mal verzeichnet. Auf eine Ar-
beit von Poupon (l'Enc^phale. 1885. Juli), die hierher bezüglich, wird verwiesen.
Nach Bateman's anmaassgeblich ausgesprochener Ansicht handelte es sich hier um
Thrombose in den Cerebralarterien. L. Lehmann (Oeynhausen).
12) Puerperal Aphasia, by Ch. Orton. (The Brit. med. Joum. 1888. Febr. 25.
p. 415.)
0. berichtet zu dem im Brit. med. Joum. vom 4. Dec. mitgetheilten Falle einen
bezüglichen aus eigener Praxis. Die 35jährige Wöchnerin wurde plötzlich 10 Tage
— 238 —
nach ihrer Entbindung (das 10. Kind), .als sie zum ersten Male, ihr Kind säugend,
aufsass, gelähmt, verlor die Sprache und war an der rechten Körperhälfbe paralysirt.
— Die Diagnose wurde auch in diesem Falle auf Embolus in der linken Cerebral-
arterie gestellt. Patientin hatte ungetrübtes Bewusstsein. Im Augenblick des Anfalls
war die Milchsekretion nicht vermehrt; wohl aber in der nun folgenden Nacht. In
Arm und Bein verlor sich die Lähmung nach und nach. Doch t)lieb die Sprache
dauernd mangelhaft. L. Lehmann (Oeynhausen).
18) TranBitoriBohe Aphasie im Spfttwoohenbette, von Dr. U. Luc kinger.
Münchener med. Wochenschr. 1888. Nr. 5.)
IL Fara, „bis auf einen nicht unbedeutenden Grrad von Anämie früher stets ge-
sund'S gebar am 28. Juni 1886 ein nicht ganz ausgetragenes Kind. Partielle Lö-
sung der Flacenta erforderlich. Normales Puerperium die ersten 15 Tage. Am
16 Tage plötzliches Auftreten einer sehr heftigen linksseitigen Neuralgia supraorbitalis
mit gleichzeitigem Cessiren der Milchsecretion und des Lochienfiusses. Ordination
6,0 Natr. salicyl. Untersuchung der Genitalorgane ergiebt keine Veränderungen,
„nur der Uterus erscheint kleiner, als man für die Zeit erwarten könnte." Anderen
Tages — 15. JuU — neuralg. Schmerzen geringer, sonst Status idem. 4,0 Natr.
salicyl. Abends eigenthümliches Wesen der Pat. „Denken und Reden erscheint er-
schwert.'' Daneben unverkennbare Somnolenz und Apathie. Patientin klagt nur
über Ohrensausen. (10,0 Natr. salicyl. I) 16. Juli, morgens tiefes Goma, „dabei
war die Fähigkeit^ irgend ein Wort zu sprechen, vollständig abhanden gekommen.''
„Yerständniss einer Frage wurde nur durch Schütteln oder Nicken mit dem Kopfe
zu erkennen gegeben." Pat. giebt später an, dass sie während dieses Zustandes
auch manche Worte mit Versetzung seiner Silben gehört habe; z. B. statt Zucker-
wasser, Wasserzucker. Lähmungserscheinungen fehlen, auch schien die Sensibilität
nicht gestört. Temperatur 39,8, Puls 140, grosser Durst. Ordination Eisblase.
2 Stunden später: plötzliches Auftreten klonischer Krämpfe vorwiegend im rechten
Arm, weniger intensiv am Bumpf und im linken Arme. Gesichtsmuskeln frei, Brost
in ausgesprochener Exspirationsstellung , stöhnendes Athmen, geröthetes Qesicht^
warme, feuchte Haut. Nach einigen Minuten Buhe, Wiederholung des Anfalles nach
15 Minuten. Nachher enormer Durst unter gleichzeitigem bedeutendem Schweiss-
ausbruche und grosser Erschöpfung. Bewusstsein schien während des Anfalles auf-
gehoben. Urinuntersuchung resultatlos. 3 Stunden später konnte Pat. wieder Ja
und Nein sagen. 17. Juli Sprachvermögen wieder erweitert, Aussprache noch
schwierig. „Die einzelnen Buchstaben der Worte mussten förmlich erst gesucht wer-
den. Es waren in diesem Falle amnestische und atactische Aphasie vereint. 18. Juli.
Wiederkehr der Milchsecretion und der Lochien. Letztere anfangs von dunkel-
blutiger Beschaffenheit. 3 Wochen nach Beginn der Erkrankung völlige Wiederher-
stellung der Frau auch bezüglich der Fähigkeit der Sprache.
Als ätiologisches Moment des ganzen Processes, bei dem die Aphasie doch
mehr als ein den übrigen Erscheinungen gleichwerthiges Symptom aufzufassen sein
dürfte, nimmt Verfasser eine Embolie der linken Art foss. Sylvii an. Eine Erklä-
rung, die durch die vorgenommene Placentalösung allerdings am nächsten liegt. Die
differentialdiagnostisch noch in Frage kommende Eclampsie lehnt Verf. ab, „da die
Art der Erkrankung dem gewöhnlichen Bilde reiner Eclampsie nicht entspricht", da
femer keine Veränderungen des Urins nachzuweisen waren. „Ausserdem spräche
gegen eine Eclampsie auch das jugendliche Alter der Pat und die späte Zeit der
Erkrankung." Aus den in der Litteratur verzeichneten Fällen hätten 2 Fälle von
Embolie der Art. pulm. (ref. von Playfair in Virch. Jahresber. 1885) mit dem be-
schriebenen die meiste AehnHchkeit.
Eclampsie im Spätwochenbette ist jedenfalls nicht so selten wie Verfasser an-
nimmt Ich habe deren in den letzten 3 Jahren 2 zu beobachten Gelegenheit ge-
- 239 —
habt, Ton denen der eine Fall 12, der andere 21 Tage poet partum auftrat, die
beide mit länger dauernden Sprachstörungen einhergingen und schliesslich mit
TöUiger Genesung endigten. Hügel (Würzburg.)
14) Amnestische Aphasie mit Schriftblindheit bei einem Paralytiker. —
Ataktische Aphasie bei einem Kinde, von Dr. Knecht, Colditz. (Deutsche
med. Wochenschr. 1887. Nr. 37.)
Auf Grund apoplectiformer und epileptiformer Anfalle bei allmählich fortschrei-
tender Geistesschwäche wurde der beobachtete Krankheitsfall in die Gruppe der
paralytischen Geistesstörungen gerechnet, und zwar zu derjenigen Form, welche von
Anfang mit geistiger Schwäche beginnt und ohne Grössenideen und erhebliche Auf-
regung verläuft. Die Section nach dem durch einen zufälligen Unfall eingetretenen
Tode ergab eine Bindenatrophie mit chronischer Pachymeningitis. Nach einem
apoplectiformen Anfall litt der Fat. an amnestischer Aphasie; und während ihm
anfangs nur die Klangbilder der Worte fehlten, schwanden ihm bei fortschreitender
Demenz auch die Schriftbilder aus dem Gedächtniss. In der Regel sind bei der
amnestischen Aphasie auch die Schriftbilder der Worte verloren gegangen und oft
in höherem Grade als die Klangbilder. Der Fat. vermochte zwar seine Antworten
auf vorgelegte Fragen niederzuschreiben, jedoch das Geschriebene nicht abzulesen.
Y^. glaubt, dass es sich um Wortblindheit gehandelt habe, nm das Unvermögen,
geschriebene oder gedruckte Schrift aufzufassen. Die hämorrhag. Pachymeningitis,
welche die linke Hemisphäre befallen hatte, wird als Ursache sowohl der epilepti-
formen Anfalle, wie der an dieselben sich anschliessenden Aphasie betrachtet. —
Sodann beobachtete Verfasser bei einem 7jährigen Knaben, der vier Wochen nach
Beginn des Schulbesuches an heftigen Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit und Erbrechen
unter leichten Fieberbewegungen erkrankte, eine plötzlich eingetretene unvollständige
Lähmung des rechten Armes mit Unfähigkeit, articulirt zu sprechen. Bei geringem
Fieber und zeitweiligem Erbrechen blieb dieser Zustand 10 Tage lang unverändert.
Dann tratmi klonische Krämpfe in den mimischen Gesichtsmuskeln bei erhaltenem
Bewusstsein auf; dieselben wiederholten sich und ergriffen in den nächsten Tagen
auch den rechten Arm, während zugleich der ganze Kopf nach rechts gedreht wurde;
der Fuls wurde beschleunigt und Pupillenerweiterung trat ein. Später schwand das
Bewusstsein während der Anfälle, und nachdem Sopor und Nackenstarre hinzuge-
treten war, erfolgte bald der Tod. Der Umstand, dass bereits ein älterer Bruder
in ähnlichem Alter an dieser Krankheit gestorben ist, wie das Fieber und die schliess-
liche Nackenstarre lassen die Veranlassung der Störung mit grosser Wahrscheinlich-
keit in einer tuberkulösen Meningitis suchen, die meist die Ursache von Aphasie in
so kindlichem Alter ist. Dieselbe hat vielleicht zunächst durch Thrombose einer
kleinen Bindenarterie eine Erweichung des Sprach- und Armbewegungscentrums
bedingt Kalischer.
15) Ueber Aphasie, von Rieger. (Aus den Sitzungsberichten der Würzburger
Fhys. med. Ges. VI. Sitzung vom 26. Febr. 1887.)
Bieger stellt der Gesellschaft den beim Eisenbahnunglück des vorigen Sommers
schwer verletzten Bildhauer Seybold von Carlstadt vor. Derselbe zeigt in Folge von
Brüchen der Schädelbasis einerseits Symptome von Lähmung, andererseits von Sprach-
und Gedächtnissverlust.
Letztere äussern sich: 1. durch Yerlangsamung der sprachlichen Reactionen,
2. durch einen merkwürdigen isolirten Verlust bestimmter optischer Buchstabenbilder
(besonders aus der Reihe der grossen), die in keinerlei Weise mehr für den Fationten
ezisüren und ebenso sämmtliche Zahlbegriffe mit Ausnahme von 1, 2 und 3.
3. Fast absolute Aufhebung des Gedächtnisses für frische Eindrücke. Sperling.
— 240 —
16) Notes on a oase of amnesie, by Batterham. (Brain. 1888. Janaar.)
Ein Fall von Aphasie mit folgenden Symptomen; Die Fat. hatte ein gutes
Wortverständniss: die spontane Sprache zeigt nur leichte Paraphasie und musste
manchmal ein Wort umschrieben werden. Gegenstände erkennt sie, vermag sie aber
häufig nicht zu benennen, nennt man ihr die Bezeichnungen, so spricht sie sie gut
nach. Fast totale litterale und verbale Alexie: den Sinn geschriebener Worte erkennt
sie aber, wenn sie sie nachschreibt (schreibend lesen). Zahlen werden gut erkannt.
Spontan und Dictatschreiben gut mit leichter Faragraphie, sie vermag aber weder
laut noch leise zu lesen, was sie geschrieben hat. Das Abschreiben ist mehr ein
Nachzeichnen und bringt bei gedruckter Vorlage kein Yerständniss des Wortbegrifiis
hervor. Das Gedächtniss ist auch im Ganzen sehr geschwächt: z. B. weiss sie den
Inhalt eines Briefes nicht mehr, wenn sie ihn geschrieben hat, hat sie einen Brief
angefangen und aus irgend einem Grunde unterbrochen, so muss ihr das Bruchstöck
erst wieder vorgelesen werden, damit sie den Faden findet. Bruns.
17) Note BOT un cas d'amnÖBie verbale visuelle (avec autopsie), par Sigaud«
(Frogr. m6d. 1887. Nr. 36.)
In der Einleitung zu der Mittheilung eines Falles von reiner Wortblindheit
kommt S., der damit eine klinische Besprechung Frof. Teinier*s von Lyon vrieder-
giebt, auf die Complicirtheit des Sprachmechanismus zu reden und erwähnt die
Charcot*sche Ansicht, dass derselbe sich zusammensetze aus vier Arten von Wort-
bildem, dem durch das Gehör, dem durch das Gesicht vermittelten sensorischen,
dem durch die Articulation und durch die Schrift vermittelten Wortbilde: Von Wort-
blindheit unterscheidet T. zwei besondere Unterarten. Die wirkliche Wortblindheit
darin bestehend, dass das Gedächtniss fOr die Gesichtsbilder der Worte vollständig
aufgehoben ist und zwar in so hohem Grade, dass auch der Anblick der geschriebe-
nen Worte nicht im Stande ist diese Gesichtsbilder hervorzurufen, femer das mangel-
hafte Gedächtniss fflr die Gesichtsbilder der Worte (Amn^ie verbale
visuelle), wo die betreffenden Gesichtsbilder wohl verwischt sind, aber durch den
Anblick des geschriebenen Wortes von dem Fatienten wieder hervorgeholt werden
können.
Nach Charcot repräsentirten diese beiden Categorieen von Wortblindheit Störungen,
denen beiden dieselbe anatomische Läsion zu Grunde liege, nur sei sie das eine
Mal von oberflächlicher, das andere Mal von tieferer Ausdehnung.
Bei dem 77 jährigen Fatienten fand sich keine Spur von Hemiplegie, er verlor
plötzlich die Sprache; dieselbe kehrte allmählich wieder zurück, es fand sich bei
genauer Untersuchung nur eine rechtsseitige Ftosis und eine Spur von Agraphie.
Zeichen von Worttaubheit, von Wortblindheit, von motorischer Aphasie fehlen voll-
kommen, hier und da war Fat. paraphasisch. Er war auch nicht völlig agraphisch,
er copirte ganz gut ein geschriebenes oder gedrucktes Wort, aber nur dann, wenn
er langsam einen Buchstaben nach dem andern nachmalen durfte. Gehörte Worte,
die kurz waren, konnte er schreiben, längere fielen ihm schwer. Aber er war ab-
solut unfähig, in seinem Geiste die zur Bildung eines Wortes nothwendigen Buch-
staben von selbst zusammenzufinden, das innere Wortbild konnte er sich im Geiste
nicht ganz vorstellen, deshalb schrieb er längere Worte nur unbeholfen. — Die
Sectiou ergab zur Erklärung dieses Fhänomens einen kleinen Heerd in dem Lobulus
parietalis inferior (der bekanntlich die zweite Schläfenwindung mit den Occipital-
windungen in Verbindung setzt). La quer.
18) Ein Fall von Amblyopia oruolata» von Frof. Mierzejewski. (Verhand-
lungen der St. Fetersburger psychiatrischen Gesellschaft. 1887. Russisch.)
— 241 —
Ein 28jähriger, an Pneamonia chronica leidender Bauer bietet seitens des
Nervensystems folgende stationäre Symptome: Die linken Ertremitaten sind bedeutend
schwächer, als die rechten; linke untere Gesichtshälfte in deutlich paretischem Zu-
stande mit Deviation der Zunge links; mechanische Muskelerregbarkeit und Sehnen-
reflexe linkerseits beträchtlich gesteigert; Ernährungszustand der linksseitigen Mus-
culatur unbedeutend verringert, ohne Veränderung der elektrischen Erregbarkeit. Die
Sensibilität der Haut fflr Tast- und Schmerzreize ist au der ganzen linken Eörper-
hälfte merkbar herabgesetzt, indem die Hemianästhesie genau an der Medianlinie
beginnt Oeruch, Geschmack und Gehör sind linkerseits ebenfalls vermindert.
Was die Augen anbelangt, so ist am rechten die Pupillenreaction normal und
die centrale Sehkreft vollkommen erhalten; doch lässt sich hier mit Hülfe des
Perimeters beträchtliche concentrische Gesichtsfeldeinschränkung nachweisen. Am
linken Auge besteht fast vollständige Blindheit, und Pat. kann hier nur Licht und
Dunkelheit unterscheiden; am Augenhintergrund ist nichts Pathologisches (ausser
beiderseitigem Staphyloma posticum) zu bemerken; die linke Pupille ist im Ver-
gleich zur rechten bedeutend verengert, doch reagirt sie ebenfalls auf Lichteinfall.
Das gezeichnete Krankheitsbild hatte sich im 2. Lebensjahr des Patienten ent-
wickelt, und er erinnert sich, seit seiner frühesten Jugend an Schwäche der linken
Extremitäten und Blindheit des linken Auges gelitten zu haben. Von hysterischen
Symptomen fand sich keine Spur, und die Hemianästhesie bot keine Transfert-
erscheinungen.
M. stellt die Diagnose auf organische Affection des hinteren Drittels im hinteren
Schenkel der rechten Capsula interna und bespricht die Schwierigkeit, die in solchen
Fällen auftretende Amblyopia cruciata mit dem Vorkommen bilateraler Hemianopsie
bei Erkrankung der Hemisphären in Einklang zu bringen. Seiner Meinung nach ist
es nicht abzuweisen, dass in der Kreuzung der Sehnervenfasem individuelle Schwan-
kungen vorkommen, analog dem Verhalten der Pyramidenkreuzung.
P. Bosenbach.
18) Ein Fall von einseitiger temporaler Hemianopsie in Folge von syphi-
litischer (gummöser) Arteriitis cerebralis^ von Dr. Th. Tr eitel und Prof.
Dr. P. Baumgarten, Königsberg in Pr.. (Virchow's Arch. Bd. CXI. H. 2.)
Ein 35 jähriger Mann, vor 12 Jahren syphilitisch inficirt, hatte seit Anfang
December 1884 (ohne sonstige luetische Erscheinungen) eine Parese des ganzen
rechten Nervus oculomotorius ind. Pupille und Accommodatiou, welche sich jedoch
binnen 8 Wochen bei Jodkalium und Faradisation fast völlig verlor. Erst am
7. Februar 1886 trat von Neuem Doppelsehen auf und die Untersuchung ergiebt
Parese des Nervus oculomotorius und trochlearis, sowie partielle temporale rechts-
seitige Hemianopsie. Keinerlei cerebrale Allgemein- oder Heerdsymptome. — Besse-
rung nach Inunctionskur. Am 3. April 1886 Tod durch Erhängen» Die Diagnose
(Dr. T.) war auf einen basalen Process (Gumma oder gummöse Meningitis) in der
Gegend des rechten Nervus opticus gestellt worden. — Die Section (Prof. B.) ergab,
dass die Arteria basilaris etwa in ihrer Mitte durch ein halblinsengrosses, weisslich —
gelbes Knötchen mit der Dura des Clivus Blumenbachii zusammenhängt. Es
handelt sich hier, wie das Mikroskop zeigte, um ein geheiltes Gumma der Art. basil.
— Femer fand sich am Anfangsstück der rechten Art. corporis callosi ein etwas
fiber hanfkomgrosses gelbes Knötchen und noch mehrere Flecke und Verdickungen
an den Arterienwandungen: sonst nichts, weder am Gehirn noch an den Häuten oder
dem Knochen. — Unter diesen Umständen nimmt T. an, dass die Arteriitis gum«
mosa der A. corporis callosi dextra, von welchen die kleinen ernährenden Gefösse
(Endarterien) des Chiasma und Fasciculus cruciatus, sowie analog auch die Nn.
oculomotor. und trochl. abgehen, eine fonctionelle Schwächung der betreffenden
- 242 —
Nerven herbeigefülirt bat, ohne noch bis dahin zu palpablen Veränderungen des
Nervengewebes zu fuhren. Wenn weder Heubner noch Förster und Mauthner
oder Bumpf und Michel Fälle von Opticus- resp. Himnervenstdrungen durch
Arteriitis obliterans gummosa anführen, so glaubt T. doch, dass bei genauerem
Achten auf dieses Yerhältniss 03 öfter gefunden werden dürfte. — Prof. B. hält
in einer epikritischen Auseinandersetzung seine Angabe, dass die gummöse Arteriitis
obliterans in den Aussenhäuten, nicht in der Intima, ihren Ausgang nimmt,
gegen Heubner's Lehre, der sich Gerhardt und Litten angeschlossen haben,
aufrecht und begründet ^es eingehend. . Hadlich. .
ao) A söoond clinioal study of hemianopsia. Cases of ohiasm-leBion. De-
monstration of hemiopic pupillary inaction, by E. G. Seguin. (Joum.
of nervous and ment. disease. 1887. XIV. p. 721.)
3 Fälle von Hemianopsie mit hemiopischer Fapillenreaction (nach v. Graefe
und Wem icke) und ohne auffällige Erscheinungen von Seiten des Gehirns. Obschon
nur Erankenbeobachtungen ohne Sectionsbefund vorliegen, so scheint doch die Diagnose
auf Sitz der Läsion im Ohiasma in allen Fällen gesichert.
1. 20jähriger Mann. Vollständige Blindheit links und temporale Hemianopsie
rechts, mit entsprechend ausgebildeter Atrophie der Sehnerven.
2. 41 jähriger Mann. Partielle Blindheit durch beiderseitige temporale Hemi-
anopsie und durch accessorischen Ausfall des oberen nasalen Quadranten des linken
Gesichtsfeldes. Partielle Atrophie beider Optici.
3. 25jähriger Mann. Temporale Hemianopsie links und fast totale Blindheit
rechts: es functioniren hier nur zwei Segmente aus den beiden oberen Quadranten.
Partielle Atrophie beider Optici.
Interessante Zeichnungen mit den genaueren Angaben der Gesichtsfeldbeein-
trächtigungen und des vermutheten Sitzes der Läsion sind zu jedem Fall beigegeben.
Verf., der bei dieser Gelegenheit in sehr coUegialer Weise ein früheres Miss-
verständniss der Wernicke'schen Beschreibung der hemiopischen Pupillenreaction
gegenüber bedauert, giebt dann eine Erklärung des Phänomens, das er übrigens lieber
als hemiopische Pupillenreactionslosigkeit bezeichnen möchte, und macht darauf auf-
merksam, dass die Irisstarre nur durch Beleuchtung demonstrirt werden kann; die
Pupillenreaction bei Accommodationsschwankungen ist nicht beeinträchtigt.
Zum Schluss giebt Verf. ein ausführliches Schema, aus welchem für alle Arten
der Hemianopsie der wahrscheinliche Sitz des Leidens abgeleitet werden kann; das-
selbe muss im Original eingesehen werden, da ein Referat nur durch fast wörtliche
Wiedergabe geliefert werden könnte. Sommer.
21) Zur Casuistik der Hemlanopia temporalis, von Dr. Bumschewitsch,
Wien. (St. Petersburger med. Wochenschr. 1887. Oct.)
Während die gleichnamige rechts* und linksseitige Hemianopie sehr häufig an-
getroffen wird, ist die temporale eine weit seltenere Erscheinung. Nach der Ansicht
von Mauthner und Oswald Baer verdankt sie ihre Entstehung keiner Läsion
der Sehcentren, sondern ausschliesslich solchen Einflüssen, die sich im Bereich des
Ohiasma localisiren (Gummata, knöcherne und entzündliche Neubildungen etc., welche
eine Gompression auf den vorderen oder hinteren Winkel oder in sagittaler Richtung
von oben resp. unten auf die Mitte desselben drücken).
Verf. berichtet über zwei neue Fälle, deren einer nur oberflächlich beobachtet
wurde. In dem anderen handelte es sich wahrscheinlich (Section fehlt) um ^nen
Gummiknoten. Gleichzeitig stellte sich Diabetes (erst insipidus, später mellitus) ein.
— 243 —
Verf. macht darauf aufmerksam, dass unter 36 genau beschriebenen Fällen Ton
temporaler Hemianopie 4mal Diabetes constaürt wurde. (D. Med.-Ztg. 1888. S. 87.)
22) Die osoillirende Hemianopsia bitemporalis als Kriterium der basalen
Hirnsyphilis, von H. Oppenheim; aus der Nervenklinik der Charit^. (Berl.
klin. Wochenschr. 1887. Nr. 36.)
Ein 31 jähriger Mann klagte bei seiner Aufnahme in die Charit^ über heftigen,
periodisch exacerbirenden, seit etwa 3 Monaten bestehenden Kopfschmerz, der sich
zeitweise mit Erbrechen verband, über vorübergehendes Doppeltsehen, Abnahme der
Sehkraft, besonders des linken Auges, sowie starkes Durstgefühl. — Vor 14 Tagen
hatte er ein „Ulcus" erworben, das erst nach 3 Monaten heilte und allgemeine
Drüsenschwellung ohne sonstige Folgezustände bewirkte. Merkwürdig war nur das
Ergebniss der Sehprüfung: bei normalem Augenhintergrund beiderseitiger Gesichts-
felddefect, und zwar unvollständige bitemporale Hemianopsie. Dieser Befund bildete
zusammen mit ausgeprägtem Diabetes insipidus die einzigen objectiven Krankheits-
zeichen. Gestützt auf einen früher beobachteten Fall (cfr. d. Gentralbl. 1886. Nr. 17),
in welchem eine derartige Hemianopsie beobachtet wurde, die sehr häufige und rasche
Schwankungen aufwies, ein Verhalten, das post mortem seine Erklärung fand durch
den Befund einer überaus gefässreichen, schwellungsfähigen gummösen Neubildung,
welche das Chiasma umklammerte, — diagnosticirte 0. basale Himlnes: auf Medication
von Kai. jodat. verminderte sich die Sehstörung rasch, ebenso der Kopfschmerz, so-
wie der Diabetes insip. und der Kranke gelangte als „geheilt'^ nach 14 Tagen zur
Entlassung. Bei späterer Untersuchung erwies sich das Gesichtsfeld als ganz normal.
Die beigegebenen Gesichtsfeldaufnahmen, die sich z. Th. auf den erwähnten früheren
Fall beziehen, illustriren die Verhältnisse in sehr prägnanter Weise.
Verf. hält sich für berechtigt» ein werthvoUes diagnostisches Kriterium für die
so localisirte Lues in der Hemianopsia bitemp. fugax zu sehen. „Häufig wird man
durch genaue und was besonders zu betonen, mehrfach wiederholte perimetrische
Untersuchung (besonders auch mit Farben) nicht allein eine Localdiagnose gewinnen,
sondern auch die syphilitische Natur des Processes erschliessen können.'' Inzwischen
hatte Verf. Gelegenheit, 4 Fälle von Hirnsyphilis auf dem Sectionstisch zu sehen
(3 derselben, von Siemerling beobachtet, werden demnächst publicirt werden), in
welchen das Chiasma in dieser Weise von einer gummösen Neubildung umlagert war.
In der Litteratur fand 0. keine Beobachtung, in welcher ein anderer Krankheits-
process durch Druck auf das Chiasma eine derartige unbeständige Beschränkung des
ezcentrischen Sehens bewirkt hätte. Bemerkenswerth ist noch die Combination mit
Diabetes insipidus, die auch in entsprechenden Beobachtungen anderer Autoren vor-
handen war. Schoenthal.
28) Braln disease with Hemixianopia» by Seymour Sharkey. (TheBritmed.
Joum. 1887. Nov. 19. p. 1105.)
S. trug in der ophthalmologischen Gesellschaft über einen Fall von Hemianopie
vor, der in Folge einer corticalen und subcorticalen Erkrankung in der Regio occi-
pito-angularis entstanden war. Patient, 29 Jahr alt, litt seit 20 Jahren an gewöhn-
licher Epilepsie und zuletzt an epileptischer Verrücktheit. Oct. 1886 schlug er sich
mit einem Stück Holz auf den Kopf, wovon eine Narbe hinterblieb. Seitdem Unbe-
weglichkeit und Starrheit der rechten Hand, und allmählich Anästhesie. Pupillen
weit, rechts mehr. Klonische Krämpfe der Gesichtsmuskeln. Neuritis optica, rechts
Hemianopie. Vor dem Tode: Kopfweh, Insomnie, Benommenheit, Coma. Temperatur
3 Tage vor dem Tode 107,4*^ F.
Bei der Autopsie fand sich ein rundzelliges Sarcom in der linken Hemisphäre,
welches den Lob. occipitalis und einen Tbeil des Lob. parietalis einnahm. Ver-
— 244 —
dünnung der Windungen an der vorderen Hälfte des Lob. occipit, dem oberen Lo-
bulos parietalis und am oberen Ende des Gyrus angalaris, der hintere Theil der
innem Kapsel nicht durchbrochen. — Für die rechtsseitige Hemiplegie liess sich
die örtliche Ursache nicht bestimmt auffinden. Ein Theil der Bein-Gentren im Lo-
bulus parietal, super, war von der Geschwulst ergriffen. — Neuritis optica war die
Folge von Meningitis an der Basis; Hemianopie Folge der Zerstörung des corticalen
und subcorticalen Feldes der Begio occipito-angularis. Anästhesie wurde zurückgeführt
auf Läsion derjenigen Fasern, welche in die sensible Kreuzung eintreten, aber noch
nicht in das hintere Drittel des hintern Randes der innem Kapsel eingetreten waren.
Deshalb konnten Hemianopie und Hemianästhesie angesehen werden als hervorgebracht
durch Läsion der sensorischen Ausstrahlungen, welche zu der Regio temporo-sphenoi-
dalis und zum Corp. callo&um, und von der Regio occipito-angularis zum N. opticus
verlaufen.
Ueber einen früher bereits vorgetragenen, hierher bezüglichen Fall von Epilepsie
mit Augensymptomen wird hier nachgetragen, dass alle Lähmungsphänomene ver-
schwanden, die Blindheit aber unverändert bestehen geblieben sei. Es sei eine häufig
zu machende Beobachtung in solchen Fällen von Hemianopie, dass Augensymptome
unverändert lange Zeit hindurch fortbestehen, ohne dass andere Krankheitsäusserungen
hinzuträten. L. Lehmann (Oeynhausen).
24) Cases in illuBtration of cerebral Hemianaesthesia, by Ferrier. (The
Brit. med. Joum. 1887. Nov. 26. p. 1166.)
F. trug in der Londoner medicinischen Gesellschaft eine Abhandlung über 7 Fälle
von cerebraler Hemianästhesie (Symptome; 5 Obdnctionen) vor. — Diese hängt ab
von einer Läsion des hintern Drittels des hintern Segmente der innem Kapsel. Die
Erscheinungen variiren je nach der Ausdehnung der ergriffenen Gebiete, und nament-
lich je nach Ei^iffensein der occipitalen Region und der Corpora geniculata. Ist
Letzteres der Fall, so entsteht Hemiopie.
1. Fall. Frau, hysterisch, seit einigen Jahren hemianästhetisch. Links blind,
taub, geschmack- und geruchberaubt, links Sensibilität (auch Muskelgefühl) erloschen,
mit Ausnahme der linken Hand bis zum Gelenk.
2. Fall. Nicht hysterische Frau, welche plötzlich rechtsseitig gelähmt wurde.
6 Monate nach dem Anfall rechts Hemianästhesie. Genesung in 3 Monaten durch
Faradisation.
3. Fall. Hämorrhagie des rechten Thalam. opticus und hintern Abschnitts der
innem Kapsel. Ein kleiner und jüngerer Erguss links. — In diesem Falle bestand
links Hemianästhesie, Hemiplegie mit Schmerz und Rigidität; klonische Krämpfe im
rechten Arm und Bein. Der ganze Verlauf 2 Monate. '
4. Fall. Erweichung im Nucleus lenticularis und im hintern Abschnitt der
innem Kapsel der rechten Hemisphäre.
5. Fall. Rechts Hemiplegi und Hemianästhesie, Hemiopie, Wortblindheit. Die
linken basalen Ganglien und die innere Kapsel erweicht; die Oortexschicht darüber
abgeflacht. Adhäsionen der Häute in der Gegend der Fiss. Rolando. — Alkoholismus.
Verlauf 2 Monate.
6. Fall. Lmks Hemiplegie, Hemianästhesie, Hemiopie. Hämorrhagie im hintern
Abschnitt der innem Kapsel rechts und der Occipitalgegend. Verlauf 2 Monate.
7. Fall. Sarcoma in der ganzen linken Occipitalregion mit vorwärts gerichtetem
Druck zu dem Lobus temporalis et parietalis. Ausser Neuritis optica bestand rechts
Hemiopie und Hemianästhesie. Der Tumor war gross wie eine Apfelsine; die vordere
Hälfte desselben erweicht.
In der Discussion äussert F., dass er eine Differentialdiagnose zwischen einer
Functionsstörung und einer Stömng durch materielle Ursachen nicht machen könne.
L. Lehmann (Oeynhausen).
— 245 —
26) A oase in whioh paralysis of the sphinoters and incontinenoe of
urine were, together with torpid intellect, the ohief Symptoms of
symmetrica! disease of the oorpora striata, by Hutchinson. (Brain.
1887. JuH.)
Die symmetrische Erkrankung der Corpora striata bestand in einem gemisc*hten
Spindel- und Bundzellensarcom, da«« beiderseits die vordere innere Partie des Corpus
striatum eingenommen hatte. Auf der rechten Seite erfolgte schliesslich eine Blu-
tung in die Geschwulst, die plötzlichen Tod bedingte. Die Symptome sind aus dem
Titel der Arbeit zu ersehen: vor allem wichtig ist, dass keine Lähmung der Ex-
tremitäten bestand. Verf. erwähnt noch einen ähnlichen Fall von Bright aus den
Medical Beports. Bruns.
26) De la blepharoptose cör6brale, par le Dr. Georges Lemoine. (Revue de
m^ecine. 1887. Juli. p. 579.)
Grasset und Landouzy haben die Behauptung aufgestellt, dass im Gyrus
angularis ein corticales Centrum fQr die Bewegung des oberen Augenlides gelegen
sei. Die Beobachtung L.'s ist geeignet, diese Angabe zu unterstützen.
Bei einem 43jährigen Glasarbeiter, welcher an Mitralstenose litt, trat plötzlich
unter den Zeichen eines apoplectischen Insults eine rechtsseitige Blepharoptosis
ein, welche andauernd blieb. Mehrere Jahre darauf erfolgte der Tod in Folge einer
neuen Gehimembolie. Die Section zeigte neben den frischen Veränderungen einen
alten Erweichungsheerd im linken Gyrus angularis. Strümpell.
27) Two cases of brain tomor: tumor of the second frontal gyre, tumor
of the optic thalamos. Bemarks on the looalization of oculomotor
and fooial centres, by Oh. K. Mi 11. (Joum. of nervous and mental disease.
1887. XIV. p. 707.)
Der erste Fall betrifft einen 16jährigen Knaben, der nach einem Trauma über
dem rechten Parietalbein, aber ohne Depression, seit etwa einem Jahre an Krämpfen
litt und etwa 14 Tage vor dem Tode von einem unerwarteten Ohnmachtsanfall mit
folgendem Vomitus, Kopfschmerz, unsicherem Gange, Schwindel, Pulsherabsetzung auf
50, Diplopie, Parese der linken Extremitäten und des ganzen linken Facialisgebietes
sowie rechtsseitiger Ptosis ergriffen wurde. Rapid zunehmende Erschöpfung (bei
excessivem Hungergefühl) führte dann in kurzer Zeit den Tod herbei. Unter dem
rechten Scheitelbein war die Dura fest mit der Pia und der Hirnrinde verwachsen.
Die Binde selbst war an der Verwachsungsstelle in eine erweichte röthlich-graue
Masse verwandelt, die genau dem hinteren Abschnitt von Fj entsprach und nach
hinten noch etwas auf das untere Drittel der vorderen Oentralwindung hinüber-
iCichte. Im Mark erstreckte sich die Erweichuag noch auf die angrenzenden Par-
tien von F^ und F3. Die Binde und die Meningen der Basis waren völlig intact.
Der zweite Fall betrifft einen 19jährigen jungen Mann, der an Tuberculose
leidend etwa ^/^ Jahr vor dem Tode von einem plötzlichen Bewusstlosigkeitsanfall
ergriffen worden war und seitdem über heftigen Kopfschmerz in der linken Schläfe
und Aber totale rechtsseitige Facialisparese und über zunehmende motorische und
sensible Lähmung der rechten Extremitäten zu klagen gehabt hatte. Bei der Section
fanden sich miliare Tuberkel in der Pia über der Fossa Sylvii, Hydrocephalus internus
und ein fester grauröthlicher Tumor, der vom lateralen Theil des linken Thalamus
ausgegangen und die medianen Partien des Thalamus und des Oorp. caudatum nach
innen und oben verdrängt hatte.
Bei beiden Beobachtungen ist die Betheiligung der oberen Facialisäste (für Orbi-
cularis ocuü, Frontalis etc.) bei einer Hemiple^e auffällig. Die Nothnagersche
246
Annahme (Erkrankung der Himschenkelschlinge) wird ffir den zweiten Fall heran-
zuziehen sein; für den ersten, bei dem dazu eine Ptosis der anderen Seite bestand,
erscheint die Entstehung dieser Symptome noch unerklärt. Sommer.
28) Cases of cholesteatoma of floor of third ventricle and of the infündi-
buluxn, by Dr. W. Osler. (Joum. of nervous and ment. disease. 1887. XIV.
p. 667.)
Patient litt seit der Pubertät an heftigen Kopfschmerzanfallen, die mit dem
18. Jahre immer häufiger wurden; auch trat seitdem schnell vorübergehende Blind-
heit öfters ein. Indessen vermochte Patient später Medicin zu studircn, obschon er
auch in den folgenden Jahren häufig noch über Sehstorungen, Kopfschmerzen und
plötzliches Einschlafen zu klagen hatte. Bald nachdem er sich als Arzt niederge-
lassen, wurde er von einer plötzlichen Lähmung der linken Extremitäten ergrifTen,
die allerdings nach einer Stunde schon wieder schwand, der sich aber in den nächsten
Monaten viele Anfalle von Kopfschmerz, Vomitus, Schlafneigung, Herabsetzung des
Pulses bis auf 30, schnell vorübergehende Zustände geistiger Verwirrtheit, Diplopie
und Amblyopie, sowie einmal eine leichte epileptiforme Attacke anschlössen. Dann
trat plötzlich eine ganz unerwartete Besserung resp. Heilung ein, die nur gelegent-
lich durch einzelne der früheren Krankheitserscheinungen gestört wurde. Nach 6 Mo-
naten aber ein sehr schwerer, 3 Tage lang dauernder Anfall von Kopfschmerz und
Brechneigung, dem sich dann ein Krampfanfall und langer Sopor anschloss und aus
dem Patient völlig erblindet erwachte. Darauf rapides Schwinden sämmtlicher anderer
Krankheitssymptome, sodass Pat. trotz seiner Blindheit im Stande war, noch 5 Jahre
lang in einem Drogengeschäft thätig zu sein. Dann erst wieder Einsetzen der
früheren Anfälle und nach 6 Monaten plötzlicher Tod.
Ausser beiderseitiger Opticusatrophie und hochgradigem Hydrops ventriculorum
fand sich der vordere Abschnitt des Bodens des dritten Ventrikels mit dem Infundi-
bulum und dem ganzen Ghiasma in einen rundlichen festen und von zwei communi-
cirenden Erweich ungscysten durchsetzten Tumor verwandelt, der nach mikroskopischer
Untersuchung als Cholesteatom (vielleicht auch Cylindrom, Ref.) bestimmt wurde.
Die älteren Krankheitserscheinungen erklären sich aus dem Sectionsbefunde; die
terminalen Symptome werden vom Verf. auf ein erneutes Wachsthum des Tumors und
den dadurch bedingten Hydrocephalus internus zurückgeführt. Sommer.
Therapie.
29) Successfül trephining over motor areas for arrested development of
limbs and complete loss of ftinctional value; oommencing retarn of
fünctional activity, by Felkin. (The Brit. med. Joum. 1888. Februar 25.
p. 418.)
F. stellte in der Edinbnrger med.-chir. Gesellschaft ein 17jähriges Mädchen vor,
welches in Folge von Schädel Verletzung im Kindesalter rechts hemiparetisch war;
auch hatte die Ernährung und Entwickelung der rechten Gliedmaassen beträchtlich
gelitten. In üebereinstimmung mit Hare führte letztgenannter die Trepanation aus.
Man fand links am Schädel eine Depression und alte Fractur. Nach Fortnahme des
Knochens an dieser Stelle, erschien eine Cyste, die geöfi&iet und entfernt wurde. An
der innem LameUo des fortgenommenen Knochenstücks sah man einen homartigen
Fortsatz, der zweifellos Ursache der bestehenden Beizung gewesen war. Die Heilang
erfolgte p. pnmam int. — Die Parese wurde verbessert, gewisse Bewegungen des
Vorderarms, bis dahin unmöglich, konnten wieder ausgeführt werden. — Wie weit
— 247 -
die Ernahrong und die gehemmte Entwickelang der betreffenden Theile sieb bessern
möchten, könne erst die Zukunft lehren, da die Trepanation erst 4 Wochen alt.
L. Lehmann (Oeynhausen).
30) Epilessia e disturbi mentsli conseontivi a trauma sul capo in un
delinquente; trapanazione del cranio; miglioramento, pel Dott. G. Alger i.
(Bivist. speriment. di Freniatr. ecc. 1888. XIII. p. 284.)
23jähriger Mann, Verbrecher, hatte vor 5 Jahren in einem Streit eine schwere
Verwundung (complicirte Fractur) über der linken Stimhälfte erlitten, die erst nach
Entfernung mehrerer Knochensplitter und nach 70tagiger Krankenhausbehandlnng
yerheilt war. Seitdem wurde er in seinem Wesen aufifallig, klagte oft über sehr
heftige Kopfschmerzen, über Schwindel etc., bis sich allmählich auch epileptische
Zustände und ausgesprochene Anfälle von Geistesstörung hinzugesellten. Da eine
sehr beträchtliche rinnenförmige Depression von 7 cm Länge vorlag, da Druck auf
die Narbe sehr schmerzhaft war und das Gefühl der Himpulsationen hervorrief und
da alle pathologischen Erscheinungen sicher erst nach dem Trauma entstanden waren,
so wurde die Trepanation vorgenommen; dabei wurde eine zweite Krone noth wendig,
um einen grösseren Splitter, der auf der hyperämischen Dura auflag, entfernen zu
können.
Es trat nun im gesammten psychischen Verhalten eine zunehmende Besserung
ein und 5 Monate später waren Kopfschmerzen, Schwindel und Epilepsie verschwun-
den, die psychische Reizbarkeit war bedeutend verringert und die Verfolgungswahn-
vorstellungen und die Gehörshallucinationen waren wesentlich undeutlicher geworden.
Sommer.
31) Cerebral abscess, by David Ferrier and V. Horsley. Sitzung der Medical
Society of London vom 5. März 1888. (The Lancet. 1888. Vol. I. Nr. 10.)
Bei einem Künstler zeigten sich anfangs Schläfrigkeit, Kopfschmerz, Photophobie,
dann öfters Delirien und Zeichen von Aphasie, später vollständige motorische Aphasie,
Paresen der rechten Gesichtsseite und der rechten Oberextremität vor allem an Hand
und Fingern. Ueber dem linken Meat. auditor. extemus entsprechend der oberen
Temporo-sphenoidal-Windung fand sich eine auf Percussion schmerzhafte Stelle. Beider-
seits intensive Neuritis optica mit Hämorrhagie der rechten Papille. Trepanation an
der schmerzhaften Stelle über dem äusseren G^hörgang, Eröffnung der congestionirten
Dura und Entleerung von 22 gr rahmigen, geruchlosen Eiters. Drain am 13. Tage
entfernt. Heilung am 24. Tage beendet. Otitis media war die Ursache des Gehim-
abs:ces8es, dessen Localisation in diesem Falle sehr leicht war.
Ferrier schliesst die Ansicht daran, dass heutzutage intracranielle Operationen
so wenig gefährlich seien, dass chirurgische Explorationen selbst bei diagnostisch
zweifelhaften Fällen vorgenommen werden sollten.
Horsley: In allen Fällen, wo man wider Erwarten keinen Gehimabscess findet,
ist eine genaue Prüfung der Lateralsiuus, event. ihre Unterbindung zur Entfernung
eitriger Massen um die Blutleiter herum nöthig. J. Buhemann (Berlin).
— 248 —
ni. Vermischtes.
Ataspa in fhe donkey, by Drammond. (Brain. 1888. Jannar.)
Interessanter Fall von Ataxie, Myosis, Pnpillenstarre und Romberg'schein Symptom bei
einem Esel. Die Üntersuchnng des Bückenmarkes ergab eine Randsklerose, die die Hinter-
stränge, beide Hinterwnrzeln und einen Hinterseitenstrang betheiligte. Es war ein inter-
stitieller Process; die Pia war gesand. Brans.
AbBoess of Brain and Adenoma of pitnitaria body in a ewe. (Tbe BritiBh
med. Journ. 1888. Jan. 21. p. 134.)
Präparate von einem Schaf wurden von W. E. Sibley vorgezeigt, welches 2 Jahre alt,
blind und taub and schwer krank gewesen war. Nach dem Tooe fanden sich: Pleura-
adhäsionen, kleine Lungenknoten und ein grosser Abscess in der rechten Gehimhemisphäre
neben allgemeiner Meningitis. Die Lungenknötchen waren erzeugt von dem bei Schafen so
hänfigen Nematodenwurm Strongylus filaria. Schnitte durch die Glandula pituitaria zeigten
die charakteristischen Merkmale eines Adenoma. L. Lehmann (OeynhauBen).
Die vor einigen Jahren begonnenen Versuche, Typenphotonaphien z. B. einer Familie
oder einer Kasse, dadurch herzustellen, dass man auf ein und derselben Platte je eine Copie
der einzelnen Aufnahmen der zu vergleichenden Individuen, nachdem gewisse Punkte zur
Deckung gebracht worden waren, entwickelte, sind von Dr. Noyes (von Bloomingdale bei
New York) auf Geisteskranke ausgedehnt worden. In dem neuesten Hefte vom „Journ. of
nerv, and ment disease" (XV. Jan. 1888) giebt er zwei derartige Typenbilder; in dem ersten
sind 5 männliche und 3 weibliche Köpfe von Paralytikern und in dem anderen die von
8 männlichen Melancholikern vereinigt. Besonders bei dem Paralytikertypus erkennt man
das Behaglich-Demente ganz gut in dem resultirenden Kopfe; ob sich freilich ein besonderer
Nutzen für die Psychiatrie ans diesen an sich sehr interessanten Versuchen ergeben wird,
muss vorläufig noch dahingestellt bleiben. Sommer.
Percy Jakins theilt 6 Fälle mit, in denen er die Ursache häufiger Migräneparozysmen
durch Störungen im Auge bedingt fand. In 5 der Fälle handelte es sich um Hypermetropie,
in einem um Myopie. Nach dauernder Correction durch die entsprechenden Gläser blieben
die Migräne-Anfälle fort. (The Practitioner. 1888. März.) K.
Frew (Kilmamock) theilt 1888 im Glasgow Medical Journal 6 Fälle eigener Beobach-
tung und mehrere von andern Autoren über Gerebrospinal-Meningitis mit, die bisher nur
selten und meist sporadisch in Schottland beobachtet worden ist. K.
Freisauljgaben.
Belgische Academie der Medicin. unter den Preisaufgaben heben wir hervor:
Preis eines Anonymus: Durch klinische Thatsachen und wenn noth wendig durch Ex-
perimente die Pathogenie und Therapie der Epilepsie zu fordern. Preis 8000 fr. Schluss
des Concurses 31. December 1888. Event. Belobigungen mit 800—1000 fr.-Preis.
25000 fr. können ausser dem Preise von 8000 fr. dem Autor bewilligt werden, welcher
einen wesentlichen Fortschritt in der Therapie der Krankheiten des Oentralapparates des
Nervensystems, wie etwa die Entdeckung eines Heilmittels der Epilepsie anbahuen würde.
Die Arbeiten müssen in lateinischer, französischer oder vlämischer Sprache geschrieben
sein und an den Sekretär der Academie in Brüssel geschickt werden.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NVIT. Schiffbauerdamm 20.
Verlag von Vkit & Comp, in Leipzig. — Druck von Metzorb & VITittiö in Ijeipzig.
Neurologisches Centralblatt.
Uebersicht der Leistungen auf denfi Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter ■" ^•'"^ Jahrgang.
Monatlich erecheinen zwei Nnmmem. PreiB des Jahrganges 20 Mark. Zu beziehen dnrch
aUe Bnehhandlnngen des In- and Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
m 1. Mai. m9.
Inhalt I. Originalmlttheilungen. 1. Ein Einesiästhesiometer, nebst einigen Bemer-
kongen über den Muskelsinn, von Prof. E. Hitzig. 2. Isollrte peripherische LuimuDg des
Nenros snprascapularis sinister, von Dr. J. Hoffmann.
II. Referate. Anatomie. 1. On the segmcntal distribution of sensory disorders, by
Rost. 2. Des tissus veineux des ganglions sympathiques, par Ranvier. — Experimentelle
Pbysioloffie. 3. Die Wahrnehmung der Schallriohtnng mittelst der Bogeng&nge, von
Preyor. — Pathologische Anatomie. 4. Ueber die pathologische Bedeutune der soeen.
Vacuolisatioii der Nerven zellen, von Anfimow. 5. Report of a case of anencephaly witii a
microsoopical study bearing on its relation to the sensory and motor tracts, by Cb. L. Dana.
Pathologie des Nervensystems. 6. Note sur trois cas de tameurs intracranienues, par
Ledere. 7. Le vertigo paralysant en 1887, par Gerlier. 8. On the significance and value of
tendon reflez, by Biizzanl. 9. Die diagnostische Bedeutung des Fehlens des Kniephänomens,
von Ziehen. 10. Chorea hereditaria der ErwachseneD, von Huber. 11. Ueber Myoclonus und
Myoclonie, von Zlebon. 12. Ueber Chorea chronica progressiva» von Hoffmann. 18. Klinisches
und Anatomisches ftber die Syringomyelie, von Schultzo. — Psvchiatrie. 14. Diun nuovo
criterio dia^ostico nella paralisi nrogressiva, del Marro. 15. Ueber die plötzliche Umbildung
einer klinischen psychischen KranKheitsform in eine neue, von Nasse. 16. Ueber die originäre
VerroektJbeit, von Nelssor. — Therapie. 17. Note on nitroglyceriae in epilepsy, by Osler.
18. On oil of Gaultheria and Salol in rheumatism of ncrves and muscles, by Dorioim.
III. Aus den Gesellschaften. Berliner GcRcllschaft für Psychiatrie u. Nervenkrankheiten,
Sitzung vom 9. April 1888. — Londoner neurologische Gesellschaft, Sitzung vom 7. Juli
1887. — Vn. Congress für innere Medicin.
IV. Personalien.
V. Vermischtos.
I. Originalmittheilungen«
1. Ein Kinesiaesthesiometer, nebst einigen Bemerkungen
über den MxiHkelsinn.
Von Professor E. Hitslg in Halle.
Zur UTitersuchung „des Miiskelsinns" bediene ich mich seit Anfang des
Jahres 1886 des im Folgenden zu beschreibenden Apparates. Auf einem 47 cm
langen und 39 cm breiten Brett von polirtem Holz, welches auf 4 kurzen Püss-
chen steht, sind in seichten Vertiefungen 17 Kugeln aus dichtem Holz (Erlen)
16
250 —
•
angeordnet. Der Durchmesser dieser Kugeln beträgt ca. 7 cm; ihr Gewicht
differirt zwischen 50 und 1000 gr, so zwar, dass 6 Kugeln von 50 — 100 eine
Gewichtsdifferenz von je 10 gr, 5 Kugeln von 100 — 300 eine Gewichtsdifferenz
von je 50 gr und 6 Kugeln von 300 — 1000 eine Gewichtsdifferenz von je 100 gr
aufweisen. Jede Kugel besteht aus 2 Hälften, welche mit einem Falz aufeinander
geleimt und durch den Drechsler glatt abgedreht worden sind, nachdem sie
zuvor ausgehöhlt, bezw. in der Höhlung mit einer entsprechenden Bleifüllung
versehen worden waren. Die Gewichtszahl einer Jeden Kugel ist auf ihr selbst
mit Bleistift, neben der ihr zukommenden seichten Vertiefung des Brettes mit
weisser Oelfarbe angegeben.
Diesen Apparat Hess ich mir seinerzeit anfertigen, weil mir eine handliche
Vorrichtung, vermittelst deren sich die Schärfe „des Muskelsinns'' bei Kranken
mit Leichtigkeit bestimmen liesse, aus der Litteratur nicht bekannt war. £. H.
Webeb gab bei seinen grundlegenden Untersuchungen^ den Versuchspersonal
die 4 Zipfel von Tüchern in die Hand, in denen sich die Gewichte be&nden.
Es versteht sich von selbst und wird übrigens durch die Ergebnisse Webeb's
bewiesen, dass auch dieses Verfahren an sich brauchbar ist Ich glaube jedoch,
dass Jeder, der solche Untersuchungen an Kranken angestellt hat, eine erheb-
liche Schwierigkeit in dem durch die Zusammenstellung der Gewichte entstehen-
den Zeitverlust gefunden haben wird. Noch ein anderer Umstand erschwert
die Anwendung jenes Verfahrens bei Kranken. Nach der Vorschrift Wbbeb's
soll der Beobachter das Tuch etwas fester fassen als nötiiig ist, damit es nicht
aus der Hand gleite. Hierdurch wird schon an sich insofern eine Gomplication
in den Versuch eingeführt, als den Muskeln eine zweite, nicht in gleichem
Sinne wirkende, aber für sich abzumessende und abzuschätzende Kraftleistung
zugemuthet wird, mit der das Sensorium sich also nebenher zu beschäftigen hat,
Ueberdies ist gerade bei den hier in Betracht kommenden Krankheitszuständen,
mögen dieselben nun in Reiz- oder Lähmungszuständen auf dem motorischen
oder dem sensiblen Gebiet oder in Coordinationsstörungen bestehen, die Forde-
rung Webeb's schwer oder nicht ausführbar. Ich will jedoch nicht verkennen,
dass es für eine Anzahl der uns interessirenden Fälle wenig darauf ankommt, ob
man den Kranken das Tuch in die Hand giebt oder ob man es nach dem
Vorschlt^e anderer Autoren in der Art einer Sohlinge um die Hand oder das
Handgelenk befestigt, dafem man nur bei Anwendung grösserer Gewichte für
den Ausschluss schmerzhaften Druckes besorgt ist Zwar besteht die Absicht
des reinen Versuches in der Prüfung „des Muskelsinns'' für sich ohne Con-
ourrenz des Drucksinns, während bei dem Ueberhängen des Tuches unter allen
Umständen ein mehr oder minder starker Druck auf eine beschränkte Hautstelle
ausgeübt wird. Da jedoch die erwähnten Versuche Webeb's gelehrt haben,
dass die combinirte Inanspruchnahme des Muskelsinns und des Drucksinns an
den oberen Extremitäten keine feinere Unterscheidung ermöglicht als die des
Muskelsinns allein, während die Unterscheidung durch den Drucksinn allein an
> Der Taflteinn und das Gcmeingeffthl. Wagnei's Handwörterbuch. Bd. DL 2. S. 546.
251 -
Feinheit der Unterseheidang durch den Muskelsinn allein bei weitem nachsteht,
so erscheint die erwähnte Modification der WEBEB'schen Anordnung für prak-
tische Zwecke immer dann ausreichend, wenn nicht eine hochgradige Störung
,,des Muskelfiinnä^^ neben relativ guter Gonservirung des Drucksinns zu ver-
muthen ist Auf derartige Combinationen muss man sich aber, sobald über-
haupt Sensibilitatsstörungen vorhanden sind, immer gefasst machen.
Letden^ untersuchte den Muskelsinn von Tabeskranken nach einer anderen
Methode. „Ein Becher steht auf einem ca. V2 ^^ hohen Stock, an dessen
unterem Ende eine querovale Pelotte angebracht ist. Der Stock geht durch das
horizontale Brett eines Gestelles freibeweglich hindurch, so dass der Becher auf
diesem Brette steht und die Pelotte über dem Fussbrett des Gestelles etwa
IVa ZoU entfernt bleibt Der Fuss wird nun so hingestellt, dass die Pelotte
sich über der zwischen Zehen und Fusswurzel gelegenen Furche befindet und
ist in dieser Stellung durch ein kleines verschiebbares, hinter der Hacke befind-
liches Brettchen so weit fixirt, dass auch die A taktischen eine hinreichende
Sicherheit der Bewegungen gewinnen, zumal sie dieselben noch durch Hinsehen
leiten können. Wenn nun in diesem Apparate die Fussspitze durch Gontraction
der Extensoren am IJntersdienkel gehoben wird, so wird auch die Pelotte und
mit ihr der Becher emporgehoben, in welchen man einen anderen mit Bld-
kugeln gefüllten Becher hineinstellt, dessen Gewicht man variiren kann.^'
Ich besitze ein abschliessendes Urtheil über diesen Apparat iiicht, weil ich
selbst keine Versuche mit demselben angestellt habe. Jedenfalls macht er ein
zeitraubendes Nachwiegen nach jeder Gewichtsschätzung erforderlich. Uederdies
scheint es mir, dass durch denselben der Druoksinn -~ wo er erhalten ist —
mindestens in dem gleichen, vielleicht noch in höherem Grade als der Muskel-
sinn in Anspruch genonmien werden kann. Bei den Hebelbewegungen, welche
der Fuss während eines jeden Schätzungsversuches zu machen hat, dient der
Hacken als Hypomochlion. Die zu hebende Last drückt also gleichzeitig auf
seine Hautbedeckung und auf denjenigen Theil der Haut, auf dem die verhält-
nissmässig kleine Pelotte ruht Hiernach würde für jede einzelne Versuchs-
person vorgangig zu ermitteln sein, ob dieselbe nicht etwa im Stande ist, eine
bestimmte Gewichtsdifferenz durch entsprechende Belastung jeuer beiden Haut-
stellen zu erkennen. In der That wollte ein Theil der Kranken Leyden's die
Schwere des Gegenstandes an der Stelle fühlen, wo der Fuss die Pelotte traf.
Auf die CoDCurrenz der Gelenkempfindungen kommen wir später zu sprechen.
Eine noch umständlichere Vorrichtung, auf deren Beschreibung ich ver-
ziehte, hat M. Bbknhabdt' für die Untersuchung der unteren Extremitäten
angegeben.
Inzwischen scheint Chaelton Bastian' auf eine ähnliche Idee wie ich
selbst gekommen zu sein. „Es mag angeführt werden," sagt er, „dass bei der
> lieber Mnakekinn und Ataxie. Yirchow's ArclÜT. Bd. XLVII. 8. 326.
* Zar Lehre vom Miukelfiinn. Aroh. f. Psych. Bd. III. 1S72.
' The mnscalar sense; its natnrc and cortical locaHsation. Brain. 1887. April. S.-A. p.d8.
16*
252 ~
Anwendung dieser Untersuchung auf die Oberextremitäten lederne Balle von
gleicher Grosse, aber mit verschiedenen Bleigewichten darin benutzt werden
können.^' Yielleicht hat die lederne Umhüllung sogar einen* Vorzug vor der
von mir benutzten hölzernen, da eine stark beschwerte Lederkugel, welche zu
Boden fallt, nicht wie eine gleich schwere Hobskugel zerbrechen kann. Indessen
sagt Bastian nicht, ob und in welcher Weise er diese Idee in die Wirklichkeit
fibersetzt hat.
„Den Muskelsinn'' der unteren Extremitäten hat man — abgesehen von
den erwähnten Methoden Lbidxn's und BEnMHAEDx's — auch derart unter-
sucht, dass man beschwerte Tücher oder Säcke an dem Fussgelenk aufhingt
und das Bein alsdann aufheben liess. Diese Methoden sind in der Art, wie sie
angewendet wurden, wenig zweckmässig, da das Receptaculum für das Gewicht
rutschen oder drücken musste, wozu dann noch die Unbequemlichkeit der Zu-
sammenstellung der Gewichte kam.
Ich habe mir für diese Zwecke an den Hacken eines gewöhnlichen Strumpfes
aus starker Baumwolle eine kleine, zur Au&iahme der Kugeln dienende Tasche
mit einer seitlichen Oefihung anstricken lassen. Die Auswechselung der Engeln
bewirkt man auf diese Weise sehr leicht und schnell und ihr Gtewichtsdruck
vertheilt sich auf eine sehr grosse Hautfläche. Nach Bedarf kann man den
Druck auch noch durch Zwischenschaltung von Watte vermindern.
Ich finde die Vorzüge meines Apparates in der Bequemlichkeit, welche
durch die stets bereite Cumbination verschiedener Gewichtsgrössen gegeben ist,
in seiner Anwendbarkeit für die obere und untere Extremität und in seiner
leichten Transportabilitat. Nicht nur für die gewöhnliche Erankenuntersuchung,
sondern namentlich auch für die klinische Demonstration machen sich diese
Vorzüge in sehr bestimmter Weise geltend. Es liegt auf der Hand, dass der-
artige Demonstrationen nur dann mit Vortheil und ohne Ermüdung der Hörer
ausführbar sind, wenn sie schnell und glatt zur Anschauung gebracht werden
können. Mit den bisher beschriebenen Vorrichtungen war dies in der jetzt leicht
zu erreichenden Weise nicht möglich. —
E. H. Wbbeb fand bekanntlich, dass Gesunde eine Gewichtsdifierenz von
V40 n^t den oberen Extremitäten noch erkennen. Febbieb' konnte dagegen
nur noch V17 unterscheiden.^
^ Jaocoud» les parapl^es et Tataxic du mouvemcnt. Paris 1864. S. 672.
' FanotionB of the brain. II ed. p. 392.
* Vgl. auch fiiQBNBBODT» Uebef die Diagnose der partieUcn EmpfindungaUUiniaiigeD.
Virchow's Aroh. Bd. XXIII. S. 577. Bikdbrmann und Lobwit, welche unter der I^itiing
von E. Hbrinq arbeiteten, fanden den eben merklichen Uutersohied = Vii ^^i 250 und bei
Zunahme der Belastung allmählich kleiner werdend bis = Viu bei 2500 gr. Bei noch stär-
kerer Belastung nahm die Ünterschieds-Empfindlichkeit wieder ab. Sie konnten also die
Hiniufttgung von 22 gr zu 2500 gr noch erkennen. Ich darf Ton diesen und ebenso von
Fbghnbr's Resultaten hier im Uebrigen absehen, da diese Feinheit des ünteracheidungsrer*
mögens doch wohl nur vou Personen, die durch psycho-pbysische Untenuchungen geschult
sind, erworben werden kann. Um solehe handelt es sich aber bei der klinischen Unter-
suchung nicht.
— 268
Mein Apparat reicht in der ihm yon mir gegebenen Gestalt für Unter-
suchuDgen, welche sich auf Grenzen des normalen Schätzuugsyermögens be-
ziehen, nicht aufc er ist aber auch nicht dafär, sondern für die Erankenunter-
sachung berechnet Will man „den Muskelsinn'' der oberen Extremitäten
prüfen, so wird man zunächst die 100 und 90 gr schweren Engeln mit einander
vergleichen lassen und dabei finden, dass gesunde und nicht unintelligente
Menschen diese Gewichtsdifferenz von 7io ^^^^ ^^® besondere Schwierigkeit
erkennen, dass aber dazu doch schon eine gewisse Beobachtungsgabe und An-
spannung der Aufmerksamkeit erforderlich ist Irrthümer über eine geringere
Gewichtmüfferenz fallen also bereits in den Bereich der Fehlerquellen und kommen
bei Eranken nicht in Betracht. Die Differenz von Vio ^ Minimum reicht
deshalb sogar für die obere Extremität, dafem es sich nur um klinische Zwecke
handelt, vollkommen aus. Wenn Jemand dennoch das Bedürfniss hat» noch
feinere Unterschiede festzustellen, so ist auf dem Brett des Apparates noch
Platz für 3 — 4 Engeln mit Zwischengewichten gelassen. Die Differenz von
V)o kehrt nach oben in den Engeln von 900 und 1000 gr Schwere nochmals
wieder. Die Prüfung wird dann — wenn also 100 von 90 nicht unterschieden
werden kann — derart fortgesetzt, dass 100 mit 80, 70, 60, 50 und dann 150
mit 90, 80, 70, 60, 50 etc. verglichen werden.
Heber die Fähigkeit, Gewichtsdifferenzen mit den unteren Extremitäten
zu schätzen, finde ich Angaben bei Jagooud, Letdek und Bebnhabdt. Jac-
couB giebt nur an, dass die Gewichtsdifferenz 50 — 70 gr betragen müsse, wenn
sie wahrgenonunen werden solle, lieber die Grösse des Anfangsgewichts sagt
er nichts. Bei Leyben unterschieden Gesunde noch die Hinzufügung von ca.
83 zu ca. 1100 bezw. zu 1700 gr, d. h. ca. Vis ^^^ ^Iw ^^^ ^^^ Yersuchs-
peison unterschied sogar noch etwas scharfer. Bebhhabbt selbst unterschied
ca. 60 gr von 0 und 688 gr von 500, also etwa Ve- Dagegen vermochte er
500 von 550 gr d. h . Vn i^i^^^t zu unterscheiden. Ein von ihm untersuchter
Aizt unterschied 0 von 88 und 250 von 880, also nur etwa ^4' ^ Allgemeinen
fond er, dass 83 von 0 und 760 von 880 also Vio ^^^^ richtig unterschieden
werden konnten. Hiemach schätzten die Versuchspersonen Leyden's im All-
gemeinen mindestens doppelt so fein, als die Bbrnhabdt's.
Ich habe schon vorher die Yermuthung ausgesprochen, dass der Apparat
Leyben's den Drucksinn mit in Anspruch nimmt. Soweit meine eigenen Er-
fahrungen reichen, ist es nun ungeschulten Personen nicht möglich, durch den
„Muskelsinn'' allein V20 ^^ unterscheiden, wahrend 7io ^^^ ^^^1 ^^^ schätzen
lässt Demnach dürften die weiter gehenden Ergebnisse von Leyden durch die
gleichzeitige Bethätigung mehrerer Empfindungsquellen zu erklären sein. Zwar
erscheint diese Auffassung auf den ersten Blick nicht vereinbar mit den er-
wähnten Versuchen Webeb's. Indessen beziehen sich diese Versuche nur auf
die Verhältnisse der oberen Extremität In der That kommt die Fähigkeit,
Gewichtsdifferenzen zu erkennen, den unteren Extremitäten in einem viel ge-
ringeren Maaase zu, als den oberen Extremitäten, so dass hier die Bolle des
Drucksinns mehr in's Gewicht föUt
— 264 —
•
Will man Fehler bei diesen Untersuchungen venneiden, 80 muss man der
in horizontaler Lage befindlichen Yersuchsperson aufgeben, das mit dem Yer-
suchsstrumpf bekleidete Bein einfach zu erheben und dasselbe alsdann wieder
herunteraulassen. Bei dem letzteren Act fangt der Untersuchende die Ttedie
mit der darin befindlichen Kugel ab, so dass die Yersuchsperson lediglich den
Act der Erhebung zu beurtheilen hat Eigentlich sollte es sich von selbst ver-
stehen, dass Wägebewegungen — abwechselndes Heben und Senken der Ge-
wichte — vermieden werden müssen. Denn durch die verschiedene Grösse der
Fallgeschwindigkeit, welche dem zu schätzenden G^mchte auf diese Weise mit-
getheilt werden kann, wird der Werth desselben in uncontrollirbarer Weise ver-
ändert. Gleichwohl empfehlen verschiedene Autoren gerade diese Art der
Untersuchung.
Ich selbst kann mich einer besonderen Feinheit des Muskelsinns an den
unteren Extremitäten nicht rühmen. Ich unterscheide 0 von 100 gr sidier,
aber wenn es nur 90 gr sind, so irre ich mich schon. Dagegen unterscheide
ich 200 von 260, 250 von 800 und Gewichtsdifferenzen von 100 bis hinauf zu
einer Belastung von 1000 gr stets richtig. Im Allgemeinen werden 70 — 90 gr
von 0 noch unterschieden, 60 gr dagegen in der BßgA nicht mehr. Nachher
gelingt die Unterscheidung von 100 und 150 sowie von 50 und 100 manchmal,
sie ist aber entschieden unsicherer als die Unterscheidung von 200 von 250,
bei der Irrthümer kaum vorkommen. Bei der Yergleichung von 900 und 1000 gr
irren sich Einzelne schon wieder. Die Schätzung gelingt allemal dann besser,
wenn erst das leichtere und dann das schwerere Gewicht gehoben wird. Anderen-
falls werden die Gewichte sehr oft als gleich bezeichnet.
Der Apparat reicht also für die Untersuchung der unteren Extremitäten
sogar von Gesunden, dafem diese nicht besonders befähigt sind, vollkommen
aus. Man wird zunächst die untere Grenze, bei der eine Belastung überhaupt
wahrgenommen wird, bestimmen. Liegt diese zwischen 100 und 150, so thut
man 2 der leichteren Kugeln in die Tasche. In ähnlicher Weise kann man
sich helfen, wenn bei den schwereren Gewichten ein solches von gewünschter
Grosse fehlen sollte. Indessen düifte dies wohl nur selten der Fall sein.
« (Schloss folgt.)
2. IsoUrtc peripherische Lähmung des Nervus
suprascapularis sinister.
Von Dr. J. Hofltaiami, Privatdocent.
Aus der medicinischen Klinik des Herrn Professor Ebb in Heidelberg.
Am 1. Februar 1888 wurde mir durch die hiesige Poliklinik der 24jährige
ledige Wagner Joseph Schick zur elektrischen Untersuchung und eventuellen
Aufnahme auf die stationftre Abtheilung zugeschickt
Der Kranke stammt aus einer gesunden Familie, war selbst nie leidend
und wurde „wegen Mindermaass militarfrei'^
— 265 —
Sem jetziges Leiden fährt er auf eine Erkaltung zurück, die er stob iai
Juli vorigen Jahres zugezogen haben will. Er arbeitete damals an einem Neu-
bau und war g^nöthigt^ abwechselnd in der heissen Luft im Freien und in dem
kalten feuchten Keller zu arbeiten. Aber erst im October sollen sich die ersten
krankhaften Erscheinungen bemerkbar gemacht haben, ohne dass bis dahin eine
frische Erkältung oder dn Trauma statt hatte. Er spürte reissende Schmerzen
in der Gegend des linken Schultergürtels, welche der genaueren Be-
schrdbnng nach in den supraclavicularen und suprascapularen Hautasten ihren
Sitz hatten, femer ,,Schwäche im Schultergelenk^'. Wenn auch der Schmerz
an Intensität naehliess, so wurde der Kranke doch bis jetzt noch nicht ganz
frei yon leichten stellenden Empfindungen und Parasthesien in der bezeichneten
G^end. Neben diesen sensiblen Störungen war ihm bei der Arbeit besonders
lastig, „dass er mit dem linken Arm viel schwerer als früher in die
Höhe kam,^^ wenn er etwas hob. — Abgesehen von allgemeiner Mattigkeit
und einer angeborenen massigen Schwäche des Sphincter vesicae fühlte sich der
Kranke sonst wohl.
Objectiver Befund: Fat sieht gesund aus, ist von kleiner, aber breiter
gedrungener Statur. — Die innem Organe und der Urin verhalten sich normal.
Die Musculatur ist auffallend stark entwickelt und ihrem Volum entspricht
die grobe motorische Kraft
Die Sensibilität, die Motilität, die Haut- und Sehnenreflexe sind bis auf
folgende Abweichungen normal.
Betrachtet man den Kranken von der Rückseite, so fallt sofort die beträcht-
liche Abflachung der linken Scapulargegend auf. Dieselbe ist bedingt
durch den fast vollständigen Schwund des M. infraspinatus und des
M. supraspinatus. Während die Atrophie des letzteren durch die darüber
wegziehenden Muskelbündel einigormaassen, wenn auch nur schlecht, verdeckt
wird, tritt das Fehlen des M. infraspinatus um so deutUcher hervor, da die
übrigen, das Schulterblatt umrahmenden Muskeln so sehr kraftig entwickelt
sind. Bei der Contraction der letzteren entsteht an Stelle des M. infraspinatus
eine flache Grube und die Spina soapulae springt scheinbar mehr vor. Rechts
fillt der obere durch den Cucullaris gebildete Rand der Schulter allmählich
dachförmig bis zu dem Acromialende der Clavicula hin ab; dagegen scheint er
links schon 2^2 cm von dem bezeichneten Punkte entfernt zu endigen; dies
kommt daher, dass der M. cucullaris hier seine sonst von dem M. supraspinatus
geschaffene Unterlage entbehrt Der mediale Rand des linken Schulterblattes
steht femer um ein Weniges weiter von der Wirbelsäule und auch vom Thorax
ab, als der rechte.
Die fnnctionellen Störungen, die aus der Atrophie dieser beiden Muskeln
resultiren, sind viel mehr subjeotiver Natur, als dass sie objectiv zu Tage treten.
An der Abduction und gleichzeitigen Hebung des linken Armes vom Rumpf ist
nichts Krankhaftes zu bemerken; auch ist der Widerstand, der geboten wird,
wenn man den abducirten, bis zur Horizontalen erhobenen Arm herabzudrücken
versm^t, beiderseits der gleiche. Dagegen scheint es dem Kranken mehr An-
— 266 —
strengUDg zu kosten, den linken Ann gestreckt nach vom in die Höhe zn heben;
doch ist der Unterschied zwischen rechts und links kein betrachtlioher. Be-
schrankt ist entschieden die Rotation des linken Armes nach aussen, wobei
sich weder der M. infraspinatus noch der M. supraspinatus contrahirt
Fibrillare Zuckungen sind nirgends sichtbar. Die mechanische Erreg-
barkeit des M. infraspinatus ist träge; der tonischen Contracüon folgt je
ein idiomuscularer Wulst nach. Die indirecte faradische und galranische
Erregbarkeit ist for die beiden atrophischen Muskeln links erloschen; da-
gegen lassen sich von dem Supraclavicularpunkt aus rechts die beiden Mus-
keln in kraftige Contracti(^ versetzen. Die directe faradische Erregbar-
keit des M. infraspinatus ist erloschen, die galvanische herabgesetzt;
die AnSZ>EaSZ, tritt vor der letzteren auf und ist exquisit trage. Es besteht
also complete EaR. — Der M. supraspinatus entzieht sich der elektrischen
Untersuchung, denn die ihn überbrückenden Cucullarisbündel contrahiren sich
zu frühzeitig und zu kräftig, um eine Contraction des erstem sichtbar werden
zu lassen.
Die Sensibilität der linken Hals^ und Schultergegend erwdst sich für die
objective Prüfung als normal.
Der Kranke blieb zwei Wochen in ambulanter Behandlung und klagte
ausser über Parästhesien noch über reissende Schmerzen an der genannten Stelle.
Ein Tieferstehen der linken Schulter oder sonst eine Anomalie, ausser den
erwähnten, war nicht vorhanden.
Es kann nicht fraglich sein, dass es sich in dem geschilderten Falle um
eine isolirte, aller Wahrscheinlichkeit nach rheumatische, peripheriache,
complete Lähmung des N. suprascapularis sinister handelt.
Die Seltenheit isolirter Lähmung dieses Nerven rechtfertigt wohl die genauere
Mittheilung. So weit ich sehe, ist nur ein einziger derartiger ganz reiner Fall
bis jetzt veröffentlicht worden und zwar von Bernhardt (Gentralbl. f. Nerven-
heilkunde. 1886. Nr. 9). Dieser Autor fährt die Lähmung darauf zurück, dass
das Tragen schwerer Lasten auf der Schulter einen Dmck auf den N. supra-
scapularis ausgeübt habe. Bernhardt erwähnt femer, dass naoh SeeligmüIiIiER
(Eulenbui^'s Bealencyclopädie. 2. Aufl. 1885. Bd. 1. S. 666) derartige Beobach-
tungen selten seien. Dagegen ist bekanntlich eine Mitbetheiligung dieser Mus-
keln sowohl bei Lähmungen des Plex. brachialis, bei combinirten Schulteragn-
lähmungen, bei spinalen Paralysen, sowie bei der Dystrophia muscularis progr.
etwas sehr Oewöhnliches. Da bei der letztgenannten Krankheit gerade der M.
infraspinatus meistens hypervoluminös gefunden wird, wird die Differential-
diagnose, besonders bei Berücksichtigung des Zustandes der übrigen Musoolatur,
kaum Schwierigkeit bereiten. Sollten die Muskeln ausnahmsweise einmal zuerst
bei der progressiven Muskeldystrophie erkranken, so giebt der Nachweis oder
das Fehlen der EaB den Ausschlag. Etwas mehr Schwierigkeit kann vielleicht
einmal die Differentialdiagnose der peripherischen Lähmung des N. suprascapu-
laris, besonders wenn sie mit ausgeprägteren Sensibilitfttsstörungen einhergeht,
mit der Syringomyehe bereiten. Diese, die ja mit Vorliebe sich im Halsmark
— 257 ^
etablirt, sdieint im Beginn ahnliohe Ersoheinungen machon zu können. Nur
eine sehr eingehende ünteisuchung besonders der sensiblen Störungen wird in
solchen Fällen vor einer falschen Diagnose und einer zu günstigen Prognose
schützen können.
DuoHENNS (de Mectrisat. localis^e. 3. 6dit. 1872. p. 949) hat die Wirkung
des M. supraspinatus und des M. infraspinatus, wie ziemlich deutlich aus
semen Angaben hervorgeht, vorwi^end an Fällen von juveniler Muskelatrophie
etc. studirt
Die Störungen in unserm Falle wie in demjenigen Bebnhabdt's bestätigen
die AoseinandeisetKungen Duqhennb's über die Function der beiden Muskeln,
dass 1. der M. infraspinatus Auswärtsroller des Oberarms ist, dass
2. der M. supraspinatus durch Spannung der Sohultergelenkkapsel
den Hnmeruskopf an die Cavitas glenoidalis anpresst und dadurch das Heben
des Armes erleichtert, dass er aber auch, wenn auch nicht sehr ergiebig,
den Arm mit heben hilft. Ich glaube auf die Mitwirkung des M. supra-
spinatus bei dem Heben des Armes daraus schliessen zu dürfen, dass der Arm
in sagittaler Richtung etwas mühesamer gehoben wird. Da bei dieser Bewe-
gung sich nur ein Theil des M. deltoides contrahirt, kann der Ausfall der Func-
tion des M. supraspinatus bemerkbar werden. Wird der Arm aber in abducirter
Stellung erhoben, wobei sich der M. deltoides fast in toto contrahirt, so kommt
bei der bedeutenden groben motorischen Kraft des letztgenannten Muskels die-
jenige des M. supraspinatus wenig in Betracht und deshalb wird auch das Aus-
fallen derselben keine weitere Functionsstörung verursachen.
Ist der M. supraspinatus gelähmt, so ermüdet der Arm leichter beim Heben
schwerer Gegenstände wie auch seiner eignen Last. Ausserdem wird durch die
Schwere des herabhängenden Armes die Gelenkkapsel etwas gedehnt, die Schulter
kann etwas herabgezogen werden, und die Folge davon ist, dass die Scapula,
dem Zuge des Armes folgend, ebenfalls in toto etwas nach aussen und mit
ihrem medianen Band von der Wirbelsäule abrückt —
Eine Besserung wurde bei unserm Kranken durch die Htägige, häufig
onterbrochene Behandlung nicht erzielt.
Heidelberg, 11. März 1888.
IL Referate.
Anatomie.
1) On the segmental distiibution of sensory disorders, by Ross. (Brain.
1888. Januar.)
Die äusserst interessante, viel Neues bringende und manches länger Bekannte
dem Verstftndniss näher rückende Arbeit verdient ein eingehendes Beferat, noch mehr
allerdings im Original studirt zu werden. B. geht in seiner Abhandlung zunächst
von der Anordnung des sensiblen Nervensystems bei dem niedrigsten Wirbelthierei
dem Amphioxus, ans; wir haben hier ffir jedes Segment des Körpers einen rechten
und linken Nerven, der sich in 3 Aeste: einen für die BQckenpartien (superior dorsal).
— 268 —
einen fttr die Seitenpartien (inferior dorsal) und einen fOr die fianchparüen (inferior
Tentnü) theilt. Beim Menschen ist diese einfache Anordnung fttr die 2. — 12. Dorsal-
wnrzel indos. erhalten. Den oben erwähnten Bezeichnungen entsprechen die Band
posteriores der Dorsalwurzeki (sup. dorsal), die von den Bami anteriores (intercostales)
abgehenden Perforantes laterales (inf. dorsal) und die Perforantes anteriores (inf.
ventral). Diese 10 Wurzeln versorgen in regelmässiger Reibenfolge die Haut von
der 3. Rippe bis zur Inguinalgegend. Das Kopfsegment wird zunächst vom Trigeminus
versorgt^ es entspricht der 1. Ast dem Ramus dorsalis, der 2. dem Perf. lateralis,
der 3. dem Perf. anterior.
Relativ einfach sind auch noch die Verhältnisse für Hals und Nacken,* obere
Brust- und Schulterpartien, die von den 4 ersten Cervicales versorgt werden. Die
Rami dorsales versorgen hier zunächst das ihnen gleich segmentirte hintere (sup.
dors.) Gebiet; sie müssen aber, da das Eopfsegment fOr den Trigeminus allein zu
stark ausgebildet ist, stark nach oben steigen, so dass z. B. der N. ocdpitalis einen
dorsal aufsteigenden Verlauf einschlägt. Dagegen müssen die den Perf. laterales und
anteriores entsprechenden Zweige des Plexus cervicalis für die Seiten und Vorder-
theile des Halses sehr stark nach unten steigen, und zwar bis zum 2. Intercostal-
raum, da, wie wir sehen werden, die 5. — 8. Cervical- und die 1. und 2. Dorsalwurzel
für den Arm verbraucht werden. Die dorsalen (sup. dorsal) Zweige werden auch
im Gebiete des Arm* und Beinplexus einfach für die dorsalen Pariiien ihrer Segmente
verwandt, so dass diese Nerven ein ununterbrochenes Gebiet vom 1. Ast des Trigeminus
bis zum betreffenden Antheil des letzten Steissbeinnerven einnehmen.
Wir haben also jetzt innervirt Kopf und Gesicht, die ganze dorsale hintere
Partie des Rückens und die vorderen und seitlichen Partien des Halses, der Schul-
tern, der Brust und des Bauches und dafür sämmtliche oberen dorsalen Aeste und
die unteren dorsalen und ventralen der ersteren 4 Cervical- und der 2. — 12. Dorsal-
wurzel verbraucht. Es bleiben also die Rami inf. dorsales und ventrales (Ross)
von der 5. Cervical- bis zur 2. Dorsalwurzel incl. für den Arm, die nämlichen An-
theile sämmtlicher Lumbal-, Sacral- und Coccygealwurzeln für das Bein über. Für
die Anordnung dieser Nerven gelten nun besondere (besetze, zu deren näherem Ver-
ständniss vor allen Dingen entwickelnngsgeschichtliche Daten herangezogen werden,
in Bezug auf welche auf das Original und die Lehrbücher der Entwickelungsgeschichte
(es sei hier vor allen auf das Lehrbuch Hertwig*s hingewiesen) verwiesen werden
muss. Genug, dass man am Arme und Beine eine dorsale und eine ventrale Seite
unterscheiden muss; diese entsprechen zugleich den Streck- und Beugeseiten. Am
Arm ist das, wenn wir denselben in embryonale Lage bringen: Beugeseite nach vom,
Unterarm supinirt, Vola manus nach vom, Daumen nach aussen, ohne Weiteres klar;
am Bein müssen wir bedenken, dass während der Entwickelung die Beugeseite nach
innen und hinten gedreht wird. Femer müssen wir an beiden Extremitäten eine
sogenannte präaxiale und postaxiale Zone unterscheiden, am Arm entspricht die
äussere Hälfte der Peripherie bei obiger Armstellung der ersteren, die innere der
letzteren, am Bein der ersteren: ein Theil der Inguinal- Serotal- und Analgegend,
die Vorderaussen- und Innenseite des Oberschenkels, die Innenseite des Unterschenkels,
Fusssohle und Hacken; der letzteren: ein Theil der Anal- und Perinealgegend, die
Glutäalgegend, die Hinter- und ein Theil der Aussenseite des Oberschenkels und die
Wadengegend. Es ist klar, dass die prä- und postaxialen Zonen zum Theil der
ventralen, zum Theil der dorsalen Seite angehören. Die betreffenden Gesetze für die
Anordnung der sensiblen Extremitätennerven sind nun im Wesentlichen folgende:
1. Die dorsalen Gebiete werden nur von den den infer. dorsalen Aesten (Perfor.
laterales) entsprechenden Antheilen des Arm und Beinplexus versorgt (Paterson).
2. In der präaxialen Zone werden die proximalsten Gebiete von den obersten,
die distalsten von den untersten Wurzeln der betr. Plexus versorgt; für die post-
axiale Zone ist das umgekehrt (Herringham). Wenn wir also in ersterer ab- und
— 959 —
in leisterer ansteigen, so werden wir die betr. Nervenwarzeln in regelmftssig ab-
staigrader Reihenfolge antreffen. Im Einzelnen ist das so:^
A. Arm.
1) Ventral (Beugeseite).
a) Präaxial absteigend. Gebiet des Cotaneus lateralis aus dem Musculocutaneus
an der Yerderaussenseite des unteren Drittels des Oberarmes und derselben Partie
des Unterarmes bis an die Metacarpophalangealgelenke des Daumens und Zeigefingers.
6. und 7. Cervical Wurzel: mittlere Partien der Vorderseite des Unterarmes und
Medianusgebiet der Handwurzel, der Palma manus und der Finger.
b) Postaxial aufsteigend. 8. Gervicalwurzel. Ulnarisgebiet der Volarseite
der Hand und der Finger: z. Th. auch innere Partie der Beugeseite des Unterarmes,
Gebiet des Gutanens medius. 1. Dorsalwurzel: Gebiet des Cutaneus medius in
der oberen Hälfte und des Cutaneus medialis, vordere, innere Seite des Unter- und
Oberarmes. 2. Dorsalwurzel: oberste innerste Partien der Beugeseite des Oberarmes.
2) Dorsal (Streckseite).
a) Präaxial absteigend. 5. Gervicalwurzel: Gebiet des Axillaris an der
Aussenseite des Oberarmes und der Schulter. 6. und 7. GervicalwurzeL Gebiet
des Cutaneus posticus sup. und inf. vom Radialis: äussere, hintere Partien des Ober-
armes und Unterarmes und das radiale Gebiet des Dorsums der Hand und der Finger.
b) postaxial aufsteigend. 8. Gervicalwurzel. Ulnarisgebiet des Dorsums der
Hand und der Finger. 1. und 2. Dorsalwurzel: Gebiet des Cutaneus medius und
medialisy innere hintere Partie des Unter-Oberarmes.
B. Bein.
1) Ventral (Beugeseite).
a) Präaxial absteigend. 1. Lumbarwurzel: Gebietstheile des Ueoinguinalis
und Ileohypogastricus. 2. Lumbarwurzel: Gebiet des Spermaticus extemus. 3. und
4. Lnmbarwurzel: Gebiet der Hautzweige des Obturatorius, Innenseite des Ober-
schenkels. 5. Lumbar- und 1. und 2. Sacralwurzel: Gebiet des Cutaneus plant,
proprius, plant, medialis und lateralis, vom Tibialis, Hacken und Fusssohle.
b) Postaxial aufsteigend. 2. und 3. Sacralwurzel: Gebiet des Communicans
tibialis: Aussenseite des Fussrandes. 3. und 4. Sacralwurzel: Gebiet des Cutaneus
cruris posticus medius, des Cutaneus femoris posticus, sowie z. Th. des Glutaeus Inf.,
hintere Seite der Wade, des Oberschenkels, untere Partien der Nates. 5. und 6.
Sacral- und die Coccygealwurzeln: Theile der Anal- und Steissbeingegend.
2) Dorsal (Streckseite).
a) Präaxial absteigend. 1. Lumbarwurzel: Theile des Gebietes des Ileohypo-
gastricus und Ueoinguinalis. 2. Lumbarwurzel: Gebiet des Cutaneus fem. lateralis.
Aussenseite des Oberschenkels. 3., 4. und 5. Lumbarwurzel. Gebiet des Cutan.
ant medialis, sowie der Nervus saphenus als Aeste des Cruralis, Vorderseite des
Oberschenkels, innere vordere Seite dos Unterschenkels.
b) Postaxial aufsteigend. 5. Lumbal-, 1., 2., 3. Sacralwurzel: Gebiet des
Communicans tibialis und peronei, hintere Aussenseite der Wade. 3. und 4. Sacral-
wurzel: Gebiet des Cutaneus femoris posticus lateralis und Glutaeus inf. Theile
der Aussen- und Hinierseite des Oberschenkels, grösster Theil der Nates, sowie das
Gebiet des Haemorrhoidalis extemus und perinealis, Haut des Scrotum, Penis, Peri-
neum und schliesslich die Coccygealwurzeln. Theile der Anal- und Coccygeal-
g^end.
Was schliesslich die vasomotorischen Nerven angeht, so acceptirt Verf. hier ganz
die Untersuchungen Gaskeils. Er unterscheidet eine thoracicale Ursprungsstelle
' An der Stelle der englischen Bezeichnangen für die Nerven sind hier die Henle'schen
gewählt
.— 260 -
des Sjmpathicafl vom 2. Dorsal- bis 2. Lnmbarnerven, eine oeiricocraniale aus der
1., 2. und 3. Halswurzel im Accessorius verlaufend, eine sacrale von der 2. und
3. Sacralwurzel. Der Sympathicus hat motorische und sensible Fasern: er stammt
aus der Hinterwurzel, der seitlichen Gkmgliengruppe des Yorderhoms (später Krause*s
UespiratioDsbündel) und der Clarke^schen Säule. Diese endet cerebralwärts im grossen
Vaguskeme; der Vagus ist auch hauptsächlich sympathischer Nerv.
Sehr klare, das Yerständniss erleichternde Schemata sind der Arbeit beigegeben;
klinische Stützen seiner' Ansichten streift Verf. nur und verweist in dieser Beziehung
auf andere Arbeiten, besonders auch auf eine Arbeit Thorbums in demselben Hefte
des Brain.
Die im 2. Theil zur lUustrirung der Auseinandersetzungen kurz skizzirten
klinischen Beobachtungen sind jede einzelne beachtenswerth; sie beweisen z. Th. die
ausgezeichnete Beobachtungsgabe des Autors, z. Th. sind sie längst ersehnte Er-
klärungen fOr lange bekannte klinische Erfahrungen. Es kann hier nur unter noch*
maliger Verweisung auf das Original auf Einzelnes eingegangen werden:
1. Schmerzen bei Magenleiden: Sie sitzen z. Th. in der Magengegend
selber (Verf. nennt diese wohl durch sympathische Zweige percipirten Schmerzen
splanchniBche, im Gegensatz zu den durch die nicht sympathischen Nerven bedingten,
die er somatische nennt), z. Th. sitzen sie im Gebiete des 4. und 5. Dorsalnerven.
Von diesen gehen aber auch die sympathischen Zweige für den Magen aus.
2. Pleuritische Affectionen: Schmerzen auf den vorderen Partien des Ab-
domen durch directe Beizung der betr. Intercostales. Schmerzen im äusseren Drittel
des Schlüsselbeines und in die Schulter ausstrahlend; diese im Gebiet des 4. Cervical-
nerven. Sie werden erklärt durch Betheiligung des Diaphragma bei Neuritis und
Reizung des Fhrenicus. Ebenso sind ähnliche Schmerzen bei Peritonitis, Leberabscess,
Gallensteinkolik zu erklären.
3. Angina pectoris: splanchnische Schmerzen in der Herzgegend selber; so-
matische: vom Manubrium stemi zum Domfortsatz des 2. Dorsalwirbels und an der
inneren hinteren Peripherie des Armes herabstei^^end bis zum Ellenbogen. Das ent-
spricht der 2. Dorsalwurzel, aus der noch der Sympathicusantheil für das Herz ent-
springt. Die Schmerzen irradiiren wohl auch in das 1. Dorsal- und 8. Cervical-
wurzelgebiet und demgemäss in die ulnaren Finger.
4. Blasenaffectionen: Splanchnische Schmerzen in der Blase selbst, somatische
längs der Urethra in der Spitze der Glans; der Sympathicus der Blase und der sen-
siblen Nerven für die erwähnten Genitaltheile stammen aus der 3. Sacralwurzel.
Brnns.
2) Des tissiia veineuz des ganglionB Bympathiqaea, par L. Ran vier. (Comptes
rendus. 1888. Nr. 9.)
R. macht auf eine interessante Eigenthümlichkeit der Venen in den sympathischen
Ganglien der Mammiferen aufmerksam. Es empfiehlt sich bei einem Kaninchen nach
Ii\jection des gerammten Gefasssystems ein möglichst kleines sympathisches Ganglion
mit gewöhnlichem und absolutem Alkohol zu behandeln und mit Canadabalsam anfzu-
hellen. Während die feinen Arterien allmählich in ein weites Capillametz übergehen,
münden die Capillaren direct in weite venöse Säcke, welche das Ende der gewun-
denen, plexiformen Venen darstellen. In Analogie zu den venösen Sinus der Dura
mater bezeichnet R. sie als „venöse Sinus der sympathischen Ganglien." Wie die
ersteren sollen sie den Blutabfluss erleichtern. Lymphgefässe fehlen den sympathischen
Strängen und Ganglien. Th. Ziehen.
- 261 -
Experimentelle Physiologie.
3) Die Wahrnehmung der Sohallriohtang mittelst der Bogengänge, von W.
Frey er. (Arch. f. d. ges. Phys. XL.)
Fr. bat mehrere tausend Einzelversache angestellt xnr Ermittelung der Fehler
in der Localisation von Schalleindrflcken. Rechts and links wird sicherer unter-
schieden als oben und unten oder hinten und vom. Scballimpulse, welche von oben
oder hinten kommen, werden sicherer localisirt als solche, die von unten oder von
vorne kommen. Fr. nimmt auf Qmnd seiner Versuche die alte Hypothese wieder
auf, wonach den Bogengängen die Function der Localisation zukommt Er sagt, es
sei die specifische Energie der Ampnllennerven ein mit Schall verbundenes Baum-
gefühl und zwar ein Richtungsgef&hl zu geben. Je nach der Schallrichtung wird
ein Bogengang oder ein Bogengangpaar st&rker als die anderen getroffen. Jedem
Bogengänge kommt eine specifische Energie zu; so wird z. B. der horizontale Bogen-
gang links am stärksten erregt bei Schallrichtungen von links her in horizontaler
Ebene. Die Fortpflanzung der Schallwellen auf die Bogengänge wird wesentlich
durch die Kopfleitung (nicht durch die Luftleitung) vermittelt. Dementsprechend
wird bei möglichstem Ausschluss der Kopfleitung das Erkennen der Schallrichtung
auffallend unsicher. Th. Ziehen.
Pathologische Anatomie.
4) Ueber die pathologische Bedeutung der sogenannten Vaouolisation der
NervensMllen, von J. Anfimow. (Wjestnik psychiatrii i nevropatologii. 1888.
y. 2. Russisch.)
Die Arbeit des Yerf. bestand in der mikroskopischen Untersuchung des Gehirns
und BQckenmarks gesunder Thiere (6 Hunde und 3 Kaninchen), die auf verschiedene
Weise — durch Chloroformiren, Verbluten aus der Carotis, Durchbohrung des Herzens
— getödtet wurden. Die Erhärtung der Präparate geschah in verschiedenen ge-
bräuchlichen FlQssigkeiten. In keinem einzigen Fall wurden vacaolisirte Nerven-
zellen gefunden. Yerf. vertheidigt in Folge dessen von Neuem die pathologische
Bedeutung der Vacuolisation gegenüber der Behauptung einiger Autoren, die dieselbe
als Artefact auffassen. P. Rosenbach.
5) Beport of a oase of anenoephaly with a microsoopioal study bearing
on ite relation to the sensory and motor traots, by Ch. L. Dana. (Joum.
of nervous and ment. disease. 1888. XY. p. 21.)
Ein ausgetragenes und abgesehen vom Schädel wohlgebildetes Kind starb nach
2Vs '^V u°d ^ Section ergab einen vollständigen Defect des Grosshlms, an dessen
Stelle' eine grosse Blase mit gelblichem flüssigem Inhalt lag. Yen den Streifen-
hftgeln und von den Riechnerven war keine Andeutung vorhanden. Einige kleine
Gebilde am Boden jener Blase konnten als Sehhflgel, Corpora quadrigemina und Pens
angesprochen werden. Tentorium und Kleinhirn waren ganz normal ausgebildet;
ebenso die Nervenkeme der Oblongata.
Der Stamm wie das Btlckenmark wurden einer mikroskopischen Betrachtung
unterworfen, doch erfordern die knappe Beschreibung des interessanten Befundes,
sowie die beigegebenen Illustrationen durchaus den Einblick in das Original. Als
besonders bemerkenswerth sei hier nur darauf hingewiesen, dass entsprechend dem
Defect der corticalen motorischen Sphäre die Fyramidenbflndel in der Oblongata fast
vollständig zu fehlen scheinen, und dass die vorderen Pyramidenbahnen sehr rudi-
mentär, die in den Seitensträngen aber durch eine Masse von embryonalem Binde-
gewebe ersetzt sind. Sommer
— 262 —
Pathologie des Nervensystems.
6) Note sor trois oas de tomeors intraoranienneB, par F. Leclerc. (Bevne
de M^decine. 1887. D^c. p. 977.)
Fall I. Tumor der Glandula pituitaria. Ein 64jähriger Mann erkrankte
im Juni 1886 mit heftigen Kopfschmerzen. Etwa ein Jahr später trat aemlieh
rasch eine beträchtliche Sehstörnng ein, zuerst auf dem rechten, bald darauf auch
auf dem linken Auge. Dabei beiderseitige Ptosis. Häufiges Erbrechen. Im
December 1886 fand man: Leichter Exophthalmus, starke doppelseitige Ptosis.
PupiUendtfferenz (rechts > links), fast vollständige reflectorische Starre. Ansserdem
auch fast völlige Lähmung aller äusseren Augenmuskeln auf beiden Seiten.
Amaurose. Ophthalmoskopisch: beiderseitige Opticusatrophie ohne alle Zeichen
von Stauungspapille. Geringe Deviation der Zunge nach rechts; im (Jebrigen keine
bemerkenswerthen Störungen.
Am 11. December 1886 trat nach vorheriger starker psychischer Aufregung
und Verwirrung plötzlich der Tod ein. Die Autopsie ergab einen kmderfonst-
grossen Tumor der Glandula pituitaria (histologisch ids Oarcinom aufgefasst), welche
die ganze Sella tnrcica einnahm und von hier auf die benachbarten Theile der
Schädelbasis übergegriffen hatte.
In der Epicrise bespricht Verf. die Symptomatologie der Hypophysis-Tumoren,
insbesondere auf Grund des Buches von Auch6 (Glande pituitaire et ses maladies.
Paris 1873). Als besonders charakteristisch und diagnostisch wichtig hebt er hervor
den Kopfschmerz und die Amaurose, als deren Ursache sich anzüglich häufig
kein ophthalmoskopischer Befund, später Atrophie der Optici nachweisen lässt. Oph-
thalmoplegie und Pupillenstarre, wie in diesem Fall, ist selten beobachtet worden.
Sensible und motorische Störungen in den Extremitäten fehlen meist.
Fall IL Tumor mit secundärem Uebergreifen auf die Glandula
pituitaria. Ein 22jähriger Mann erkrankte Ende Mai 1887 mit Schmerzen in der
linken Seite und in der linken Gesichtshälfte. Bald darauf auch Sehschwäche auf
dem linken Auge und Herabhängen des linken Augenlids. Die objective Unter-
suchung am 28. Juni ergab völlige Ptosis und Lähmung alier äusseren Muskeln
des lenken Auges. Starke Amblyopie. Ophthalmoskopisch beginnende Atrophie des
Opticus. In den nächsten Tagen zeigte sich noch eine geringe Parese des rechten
Arms, des rechten Abducens und des linken Facialis. Die Autopsie ergab primären
Krebs des vorderen Mediastinums mit secundären Carcinomen im Gehirnt zwei kleine
Knoten in der motorischen Zone der linken Hemisphäre, ein dritter grosserer Tumor,
von den Meningen ausgehend, in der mittleren Schädelgrube, auf die Hypophysis
Qbergreifend und den linken Oculomotorius und Opticus comprimirend.
Fall III. Tumor im linken Schläfenlappen. Die klinischen Symptome
bestanden nur in allgemeinen Gehimsymptomen (Kopfschmerz, Brechen, Stauungs-
papille, Benommenheit). Bemerkenswerth ist, dass die Krankheitserscheinungen sich
unmittelbar an einen heftigen Fall auf die linke Kopfseit-e angeschlossen hatten.
Strfimpell.
7) La vertigo paralysant en 1887, par le Dr. Gerlier.^ (Bevue m^d. de la
Suisse romande. 1888. 1 u. 2.)
G. hat im Sommer 1887 nur wenig Fälle beobachtet» was er der ungewöhn-
lichen Trockenheit dieses Sommers zuschreibt. Doch kam in dem Dörfchen Omex,
Canton Femey-Voltaire, eine Hausepidemie vor, welche 8 Personen ergriff, und ausser-
dem 4 einzelne Fälle.
» Cf. d. Otrlbl. 1887. S. 177 n. 823.
268
Diese neuen Beobachtungen veranlassen G., seine frfiheren Mittheilungen in
einigen Punkten zu ergänzen, bez. zu berichtigen. Von den 3 Symptomengruppen:
GesichtsstGrungen, Yorflbergehenden Paresen und den Schmerzempfindungen sind oft
nur einzelne vorhanden, nur in schweren Fällen alle. — Die vorübergehende Blind-
heit ist nicht von der Ptosis allein herzuleiten, doch ist ihre Natur noch ziemlich
dankel. — Diplopie (wie Dr. David schon angegeben) wurde G. häufig angegeben,
doch konnte er selbst von Strabismus bei den Kranken nichts beobachten.
Das Schliessen resp. Nicht-Oeffiien des Mundes beruht nicht auf einem Krampf
der Masseteren oder Temporales, sondern auf einer Parese der Herabzieher des Unter-
kiefers. — Im Ganzen sah G. ein üeberwiegen der LähmungserscheinongAi auf der
linken Seite, besonders war die Ptosis fast immer linksseitig. — Die Schmerzen
haben ihren Sitz nicht nur im Nacken (obwohl hier am häufigsten), sondern auch
in der Lendengegend, und strahlen von hier nach dem Bauche und nach den Beinen
ans; vom Nacken kann der Schmerz nach dem Kopfe, den Augen u. s. w. sich hin-
ziehen. Während in den leichten Fällen die Beranken zwischen den minutenlangen
Anfallen ganz wohl sind, bestehen bei schwerem Auftreten des „Vertigo paralysant"
auch Zwischensymptome: Reste der Paresen, Zittern der Lippen und Extremitäten,
Schwierigkeit und selbst Unmöglichkeit zu lesen, weil beim Fixiren der Schrift
Ptosis und Sehstörung auftritt.
Ueberhaupt ruft Blickfixation, besonders auf ein entferntes Objecto leicht einen
Anfall hervor, und ebenso stärkere Bewegung und gebückte Haltung. Und begünstigt
wird das Auftreten von Anföllen durch Uebermüdung, durch Anstrengungen, durch
Excesse in Baccho et Yenere.
Nach G.'s Auffassung ist der Yertige paralysant eine Infections-Neurose; der
Infectionsstoff bildet siclr in den Ställen. G. nimmt hierbei Bezug auf eine neuere
Arbeit von Brieger, der im Pferdedüngor und Kuhmist einen toxischen Stoff nach-
wies, welcher unter Lähmungserscheinungen Thiere tödtet. Hadlich.
8) On the significanoe and value of ten'don reflex, by Th. Buzzard. (The
Lancet. 1888. Vol. L Nr. 4.)
B. giebt eine Reihe praktischer Winke für die Verwerthung des Westpharschen
Zeichens. Weder die seitherige Hypothese einer reflectorischen noch die einer idio-
miiscnl&ren Entstehung des Kniephänomens erschienen ibm annehmbar. In einem
Falle Thomsen'seher Krankheit vermisste B. das Kniephänomen; bekanntlich ist es
hier in der Begel erhalten. Ein Fall multipler Alkoholneuritis zeigt etwas ge-
steigerte Kniephänomene; er nimmt an, dass die Einwirkung des Alkohols auf die
Hirnrinde den hemmenden Einfluss der letzteren auf die Sehnenphänomene aufgehoben
hat (im Gegensatz also zu den Schwarz*schen Experimentaluntersuchungen). Bei
oBBentieller Kinderlähmung kann die Motilität sich vollkommen wiederherstellen, ohne
dass das Eniephänomen zurückkehrt. — Bei ausnahmsweise tiefem Sitz der Pott'-
achen Krankheit fehlt das Kniephänomen in den paraplegischen Beinen, während es
sonst stark gesteigert ist — In einem Fall, dessen Symptome entschieden auf einen
Tumor am Tentorium cerebelli deuteten, constatirte B. Westphal'sches Zeichen. —
Bas Fehlen oder Erhaltensein des ^niephänomens unmittelbar nach einem apoplec-
tischen Insult erlaubt keinen prognostischen Schluss. — Besteht das Westphal'sche
Zeichen neben Fussklonus, so ist stets an die Möglichkeit einer multiplen Sklerose
zu denken. — Paraplegie ohne Sensibilitätsstdrungen mit gesteigerten Kniephäno-
loenen und fehlenden Plantarreflexen erweckt stets den Verdacht einer functionellen
Störung; nur eine bestimmte Phase der Myelitis zeigt denselben Symptomencomplex.
Ungleichheit beider Kniephänomene beweist durchaus nicht, dass eine organische
liäsion vorliegt. Hingegen wird eine solche sicher gestellt, wenn die Kniephänomene
fortgesetzt zunehmen, während die grobe motorische Kraft abnimmt.
— 264 -
Das Jendr&S8ik*8cbe Verfahren modificirt B. dahin, daas er den Patienten
sitzend den Fass fest aufsetzen läast, wobei Bein und Zehen etwas mehr als einen
rechten Winkel bilden. Tb. Ziehen.
0) Die dlagnoBtische Bedeutung des FehlenB des Kniephftnomena, von
Dr. Tb. Ziehen. (Gorresp.-Blatt des Allg. ärztlichen Vereins von Tbfkringen.
1887. Nr. 11.)
Ver^ bringt in 3 Abtbeilungen: 1. das Wesen des Kniephänomens, 2. die
diagnostische Bedeutung des Westpbal*scben Zeichens, 3. das praktische Verfahren
bei Prüfung auf das Kniepbänomen eine sehr gute und erschöpfende Zusammen-
stellung dessen, was wir Aber den (Gegenstand wissen. M.
10) Chorea hereditaria der Erwachsenen (Huntington'sohe Chorea), von
A. Huber. (Virchow's Archiv. Bd. CVni. H. 2.)
H. schildert einen Fall typischer Chorea bei einem 38jährigen Mann; dieselbe
bestand seit 8 Jahren. Auffällig war nar, dass bei intendirten Bewegungen die
choreatischen sehr gering wurden, ja aufhörten. Die Sprache ist erschwert, das Ge-
dächtniss geschwächt Die Anamnese wies 9 Fälle von Chorea in der Familie nach.
Die Belastung geht aus vom Urgrossvater väterlicherseits. Kinderchorea kam in der
Familie nicht vor. Der Erankheitsausbruch lag zwischen dem 30. und 50. Jahr.
Bet einer jetzt blödsinnigen Schwester des Kranken gingen psychische Störungen
den choreatischen voraus. Der Vater verlor später die Chorea und bot nur noch
das Bild einer Psychose; das Sectionsprotokoll desselben ist zu ungenau, um ver-
werthbar zu sein (Pachy- und Leptomeningitis). Der gleichfalls choreatische Vater
des Vaters verstarb blödsinnige Nie ward eine Generation übersprungen; blieb eine
solche einmal frei, so blieb es aach die folgende. Tb. Ziehen.
II) Ueber Myoclonus und Myoolonie, von Dr. Theod. Ziehen, Jena. (Arch.
f. Psych. 1888. Bd. XIX. H. 2. p. 465.)
Ausgehend von der Beobachtung, dass das Krankheitsbild des Paramyodonus
multiplex, wie es von Fried reich beschrieben worden ist: klonische Zuckungen
symmetrischer Extremitätenmnskeln, welche nur im Schlaf und bei wülkftrlichen Be-
wegungen cessiren, dabei Arhythmie und geringe Excursionsweite der Zuckungen —
in den spätem Beobachtungen mehr oder weniger grosse Abweichungen bot, will
Verf. den Paramyodonus multiplex, die von andern Autoren damit identificirte Chorea
electrica und die maladie des tics convulsifs (Guinon), die doch offSenbar zusammen-
gehörende Krankheiten sind, unter dem Namen Myoclonia (so z. B. als Paramyodonia
brachio*crara1is, Myoclonia facialis [Tic convulsif], Myoclonia diflfusa [Chorea electrica]
u. 8. w.) zusammenfassen. Zwei interessante Fälle, beide mit Psychose (Melancholie)
combinirt, werden ausfflhrlich mitgetheilt.
Myoclonia als Symptom wird vom Verf. zweckmässig als Myoclonus bezeichnet
Sehr interessant ist der zweite sehr ausfflhrlich beschriebene Fall von Myoclonus bei
einem jugendlichen Epileptiker, während eine andere Beobachtung bei einem 23jähr.
Epileptischen nur kurz referirt wird.
Auf die Versuche des Verf., die einzelnen Formen von Myodonia und Myodonus
zu individualisiren , zu localisiren und zu charakterisiren kann hier leider nicht ein-
gegangen werden. Der Aufsatz ist anregend und lesenswerth. Sperling.
— 2d6 —
la) Ueber Obore» chronioa progressiva (Himtinston'Bohe Chorea, Chorea
heredUaiia). Aus der med. Klinik des Prof. Erb in Heidelberg. Vod Dr. J.
Hoff mann, Assistenzarzt. (Yirchow's Archiv. 1888. Bd. CXI. 3.)
Schon S^e und Sanders haben vor Han tington (1872) die ohronische Form
der Chorea beBchrieben; erst in den letzton Jahren haben nach ihm andmi Aatpreü
(Ewald, Cl. King, Feretti, Hnber, Maeleod, Zacher) nene Fälle mitgetheilt.
H. berichtet hier über eine Familie, in welcher die Krankheit schon 3, vielleicht
4 Generationen ergriffen hat; bei denjenigen Mitgliedern^ die unbetroffen blieben,
blieben anch die Kachkommen gesund, tm Gegensatz zu Huntington, der die
Krankheit ,;a\e in der Jugend'' beginnen sah, sind in dieser Familie schjn mehrere
Schulkinder ergriffen, wie bei Peretti*s einem Falle. Andererseits erkrankten ein-
zebie Glieder der Familie erst mit 45 und 50 Jahren (bei Maeleod bis zum 60. bis
70. Jahre), während allerdings die Mehrzahl im mittleren Lebensalter stand.
Die Krankheit beginnt wie die gewöhuliche Chorea, bleibt aber nicht nur be-
stehen, sondern ist progressiv. Früher oder später, meist bald, treten psychische
Störungen hinzu (nur in dem Kwai duschen Falle nicht), als fieizbarkeit, Gedächtniss-
schwäohe, vorübergehend maniakalische Anfälle, später Dementia, zuletzt tiefer Blöd-
sinn mit Verunreinigung, Bedürfhiss des Gefüttertwerdens. Die höheren Sinnesorgane,
die Sphincteren, die Sensibilität bleiben intact; die elektrische Erregbarkeit der
Nerven und Muskeln ist normal, die Sehnenreflexe sind oft gesteigert, die Haut-
reflexe meistens normal. Das Herz pflegt intact zu sein. Im Schlaf cessiren die
choreatischen Bewegungen (doch nicht ausnahmslos); bei intendirten Bewegungen
lassen sie nach. Eine Kranke litt gleichzeitig von Kindheit an an Epilepsie.
Ton 4 Kranken der Familie Waldi^Wipfler giebt H. genaue Krankengeschichten,
ond fügt diesen noch eine sehr ausführliche, von Joseph Kärcher Mn^u, der bis Jetzt
10 Jahre lang auf der Heidelberger Klinik beobachtet wurde (1878—1888). Die
Krankheit desselben begann 1875, als er etwa 30 Jahre alt war, mit eigenthüm-
lichen Krampfzuständen im Gebiete der Bulbämerven, bis immer mehr andere Muskel-
grappen von choreatischen Krämpfen ergriffien wurden, Zwerchfell und Kehlkopf,
Rumpf und Extremitäten. Hier besteht keine intellectuelle Störung, da-
gegen stellen sich seit etwa 2 Jahren epileptiM^he Anfölle ein, nach und nach in
inner kürzeren Pansen.
AnflEEÜlend ist non, dass Mutter und 2 Schwestern dieses Kranken, früher ganz
gesund, im Alter von 39, 29 und 20 Jahren an Epilepsie erkrankt und» schwach-
sinnig gewordeni 41 resp. 39 Jahre alt gestorben sind. Chorea ist in dieser Familie
nicht beobachtet
Wenn die vererbte Epilepsie nach Echeverria vor der Pubertät, nach Bey-
nold und Nothnagel vor dem 20. Lebensjahre auftritt» so haben wir sie hier viel
später und ausserdem tritt bei einem Familiengliede Chorea an Stelle von Epilepsie»
welche letztere sich erst 10 Jahre spätw zu ersterer hinzugeselli Umgekehrt er-
krankte in der Familie Wipflor, in welcher sich sonst nur Chorea vererbte» Mn Mit-
glied an EpilepsiOf und bekam erst später Chorea dazu»
V. Ziemssen hat Chorea und Geistesstörung (seltener Epilepsie)» Nothnagel
hat Chorea minor und Epilepsie, Hitzig Epilepsie und Chorea, auch Paralysis agitans
und Epilepsie combinirt gesehen, Golgi ond Schuchardt Chorea und Geistes-
störung, Simon, Clouston und Mendel Chorea und Paralyse.
Man wird danach bei Hnntington^scher Chorea die „Erblichkeit" nicht noehr so
eng fassen dürfen, sondern in demselben Sinne wie bei Neurosen aUgemem es ge-
schieht. Entscheidend ist der chronisch fortschreitende Charakter, sodass sich der
Name chronica progressiva empfiehlt.
Bezüglich des Sitzens und Wesens der Affection ist H. geneigt, sie in die Me-
dolla oblongata zo verlegen} doch wurden meningitisöhe Veränderungen und Binden-
atrophien gefunden, ähnlkh wie bei Paralyse.
17
— 266 —
Die Therapie ist machtlos, die Krankheit endet stets erst mit dem Eintritt
des Todes. Hadlich.
13) Eliniflohes und Anatomisohes über die Syringomyelie, von Prof. Dr. F.
Schnitze, Dorpat. (Zeitschr. f. klin. Med. 1888. Bd. XIII. H. 6.)
In dieser gehaltvollen Arbeit liefert Verf. einen dankenswerthen Beitrag znr
Erkenntniss jener eigenartigen, vom weitem ärztlichen Publikum noch wenig beobach-
teten Affection der Syhngomyelie nnd setzt ans durch Präcisirung des klinischen
Symptombildes und der anatomischen Verhältnisse in den Stand, in geeigneten Fällen
bereits intra vitam die Diagnose auf Syringomyelie mit Wahrscheinlichkeit zu stellen.
Verf. betont, dass diese Krankheit durchaus nicht so selten ist, wie man bis-
her angenommen, und nach seinen persönlichen Erfahrungen ebenso häufig vorkommt,
wie z. B. die aroyotrophische Lateralsklerose oder selbst die multiple Sklerose. Das
klinische Bild der Affektion ergiebt sich aus den Zerstörungen, welche durch die
Höhlenbildungen im Bückenmark gesetzt werden. Es findet sich meistens die hintere
und zum grossem Theile auch die vordere graue Substanz des Hals- und Dorsal-
theils des Rückenmarks afficirt, wodurch folgender charakteristischer Symptomencom-
plex geschafifen wird:
1. Langsam fortschreitender Muskelschwund der obem Extremitäten und Schulter-
muskulatur (die kleinen Handmuskelu sind meistens besonders stark betroffen).
2. Sensibilitätsstörungen eigenthümlicher Art (ausgedehnte oder circumscripte Herab-
setzung der Schmerz- und Temperatarempfindung; Tast- und Muskelsinn dagegen
erhalten oder nur wenig alterirt).
3. In vielen Fällen trophische und vasomotorische Stömngen.
In sehr ausführlicher Weise theilt Verf. folgenden Krankheitsfall mit, bei welchem
er die Diagnose einer Syringomyelie annimmt.
Ein 43 jähriger Pat. erkrankte vor 12 Jahren unter starken brennenden und
reissenden Schmerzen an einer langsam sich entwickelnden Atrophie einzelner Mnskel-
gmppen beider Arme und des obem Rumpfes. — Gleichzeitig fast völlige Aufhebung
der Schmerz- und Temperaturempfindung an beiden Armen und am rechten Ohr,
neben Herabsetznng oder Steigerung dieser Empfindungsqualitäten an andern Körper-
stellen; dagegen Tast- und Muskelsinn ungestört, einzelne trophische Störungen und
Anomalien der Schweisssecretion; spastische Zustände und Parese im linken Bein;
Sehnenreflexe dor obem Extremitäten fehlen; Patellarsehnenreflex rechts normal,
links stärker; links Fussclonus; Plantarreflex zeigt wechselndes Verhalten; Banch-
decken- und Mammillarreflexe beiderseits nicht vorhanden. Rechte Pupille weiter,
als die linke. — Der Muskelschwund machte sich zuerst an den kleinen Hand-
muskeln linkerseits bemerkbar und es entwickelte sich binnen 2 Jahren eine ansge-
sprochene Krallenstellung der linken Hand; spät^er wurde die untere Hälfte der linken
Yorderarmmuskulatur und ein Theil der Rumpf- und Naokenmuskolatur ergriffen. —
Rechterseits sind die atrophischen Stömngen weniger ausgeprägt, hier der M.
deltoideus und M. cucullaris besonders afficirt. Die linken Handmnskeln zeigen
complete EAR. Die Atrophie ist in den betroffen Muskelgebieten ganz ungleich-
massig vertheilt. —
In Anschluss an diesen Fall bespricht Verf. in eingehender Weise die Differen-
tialdiagnose der Syringomyelie gegenüber den verschiedenen andem Affectionen mit
mehr oder weniger ähnlichen Symptomencomplexen z. B. der multiplen Neuritis, den
toxischen Lähmungen, der Tabes, multiplen Sklerose etc. Sehr schwierig und oft
unmöglich sei die Diagnose zu stellen, wenn es sich neben der Syringomyelie gleich-
zeitig noch um einen intramedullären Tumor handele, wodurch das Symptomenbild
wesentlich complicirt werdo. Erstreckt sich die Erkrankung weiter nach oben zn
— 267 —
und beföUt auch die Medolla oblongata, wie das nicht selten der Fall ist, so erleiden
Toizngsweise die aufsteigenden Trigeminusworzeln eine Zerstörung, welche sich in
partiellen Empfindungsanomalien im Trigeminusgebiete documentiren. Auch die Vagus
und Hypoglossuskeme scheinen manchmal in Mitleidenschaft gezogen zn werden, —
ohne jedoch bulbäre Erscheinungen zu veranlassen.
Neben den Uauptsymptomen der Syringomyelie, der Muskelatrophie und den
Sensibilitats Veränderungen, sind aber auch die mit letzteren oft einhergehenden
trophischen Störungen von grosser diagnostischer Bedeutung. Dieselben können zu
Spontanfracturcn, schweren entzündlichen Processen, z. B. Panaritien etc. führen. —
Zur Illustration dessen theilt Verf. folgende Beobachtung mit:
Ein 36jähriger Pat. erkrankte mit schmerzhafter Anschwellung der Metacar-
pophalangealgelenke der rechten Hand und des rechten Vorderarms. Nach 2 Monaten
dieselben Erscheinungen an der linken Hand. Dazu nach einiger Zeit Eiteransamm-
lung an verschiedenen Stellen beider Hände; Perforation der Haut und eine monate-
lang anhaltende Absonderung stinkenden Eiters. Nach Ablauf dieses Processes Ab-
magerung beider Hände und Vorderarme, allmähliche Ausbildung von Krallenstellung
der Hände, im rechten Kleinfingerballen EAB. Tastempfindung gut, Schmerz- und
Temperatursinn abgestumpft. Später auch Schmerzen und Parästhesien in den unteren
Extremitäten, spastische Parese der Beine mit Steigerung der Sehnenreflexe. — Eine
abermalige schwere phlegmonöse Entzündung der linken Hand führte infolge ein-
tretender Sepsis zu einer Amputatio humeri, wodurch jedoch ein tödtUcher Ausgang
durch allgemeine Sepsis nicht aufgehalten werden konnte. —
Der Sectionsbefund ergab: die charakteristischen Degenerations Veränderungen in
den betroflfenen Hand- und Armmuskeln (Wucherung der Kerne, Vacuolenbildung;
theils totale, theiJs partielle Atrophie der einzelnen Muskeln). Im obem Halstheil
eine ausgedehnte Spaltbildung mit theilweise erheblichen Formveränderungen des
Bflckenmarkes. Der Querspalt reicht beiderseits fast bis zur Pia, das Rückenmark
in einen yordem und einen hintern Abschnitt theilend. — Hochgradiger Schwund
der Seiten- und Vorderstränge, der Vorderhömer und grösstentheils der Hinterhömer
mit Einschluss der Clar kuschen Säulen. Verlust der Ganglienzellen, starke Glia-
wucherung um den CanaL Medulla oblongata intact. (Vergl. die Abbildung im Orig.)
Nachdem Verf. noch zwei weitere, vorstehendem Falle sehr ähnliche Beobach-
tungen mitgetheilt hat, betont er, dass man bei progressiven Muskelatrophien stets
auf das Vorhandensein specifischer Empfindungslähmungen fahnden und wenn diese
sich finden, die Diagnose einer Syringomyelie mit in Betracht ziehen müsse, zumal
wenn' eine Betheiligung der Medulla oblongata an der Erkrankung längere Zeit
ausbleibt
In anatomischer Beziehung vertritt Verf. die Ansicht, dass die syringomyelitischen
Veränderungen nicht immer von einem abnorm weiten oder abnorm gelagerten
Centralcanal ausgehen müssen, sondern dass auch von einem normalen Centralcanal
oder an einer andern Stelle des Bückenmarkes oder der Medulla von der normalen
Qua aus dieser eigenthümliche Wucherungs- und Zerstörungsprocess sich entwickeln
könne; eine Anschauung, welche sich aus der Beschaffenheit der vorgefundenen
HöhlenbilduBgen ergiebt.
Die Langhans'sche Auffassung, dass in einer Anzahl von Fällen die Syringo-
myelie secundär durch einen vermehrten Driick, bedingt durch Kleinhimgeschwülste,
entstände, hält Seh. auf Grund seiner anatomischen Befunde nicht für berechtigt,
sondern schliesst sich viemehr der Ley den 'sehen Auffassung der Sache an.
Am Schlnss seiner Arbeit weist Verf. nochmals auf die relative Häufigkeit ab-
normer Ganalbildungen und Gliose des Kückenmarks (besonders auch als Begleiter-
scheinung der Spina bifida) hin und empfiehlt diesen Erkrankungen klinisch und
anatomisch in Zukunft eine grössere Beachtung zu schenken, als es bisher geschehen ist.
P, Seifert (Dresden).
11*
— 268 —
Psychiatrie.
14) Di un nuovo oxiterio dlagnosüco nella pat«lifii progressiva. Commüni-
cacione del Dott. A. Marro. (Archivio di Psichiatria, scienze penali ecc. 1888.
IX. p. 88.)
Verf. hat Peptonurie bei 21 darauf hin antersachten Individuen, die an Dementia
paralytica litten, constant gefunden. Die Menge des Peptons war manchmal aller-
dings nur gering, sodass er 800, selbst 1000 ccm Urin benutzen musste, um die
Hofmeister'sche Reaction zu erhalten; wesentlich grösser aber war sie in allen
Fällen mit acuterem Verlauf und bei Complicationen. Verf. glaubt, absolutes Fehlen
von Pepton schlösse eine Diagnose auf Paralyse aus. Sommer.
16) Ueber die plöteliohe Umbildung einer klinieohen psyohisohen Kraak-
heitsform in eine neue, von Prof. Nasse. (Zisohr. f. Psych. 1888. Bd. XLIY.
H. 4 Q. 6.)
GegenQber dem Standpunkt, dass eine secundäre Paranoia nicht existirt, d. h.
dass sioh nie aus Melancholie oder Manie eine Paranoia entwickeln könne (ein Stand-
punkt, den flbrigens Ref. [cf. dieses Otrlbl. 1888 S. 213 und Artikel Verrücktheit
in Eulenburg'fi Realencyolop&die] ebenfalls bekämpri;), hebt Verf. hervor, dass nicht
bloss alimählich sich eine solche Transformation vollziehen könne, sondern dass es
ancb Fälle giebt, in denen plötzlich aus einer Melancholie oder Manie Paranoia ent-
steht. Verf. führt 3 derartige Fälle an.
In dem 1. Fall handelt es sich um eine Melancholie mit hypochondrischen
Etnpflndungen und Selbstvorwürfen bei einer 30jährigen Frau (hereditär belastet),
bei welcher nach halbjähriger Dauer plötzlich in einer Nacht Gesichts- und Gehörs-
hallueinationen mit heftiger zweistündiger Erregung auftraten, welchen dann gehobene
Stimmong, exaltirt religiöse Wahnvorstellungen, Grössenideen u. s. w. im Bilde der
Paranoia chronica folgen, welche Krankheit noch jetzt besteht.
Der 2. Fall betrifft ein 3djähriges Mädchen (ohne hereditäre Anlage), welche
an Melancholie mit Conamina suicidii, Selbstbeschuldigungen, den Wahnvorstellungen,
für ewig Verstössen zu sein, ein Kind des Teufels zu sein u. s. w., viele Monate litt,
und plötzlich in die glücklichste Stimmung geräth; die Jungfrau Maria als ihre
Mutter betrachtet, sagt, der Kaiser werde kommen und mit ihr an ihrem Geburts-
tage gell Himmel fahren u. s. w. Später treten wieder abwechselnd depressive Ideen
auf. Der Krankheitszustand — Paranoia chronica — dauert ati.
Der 3. Fall endlich zeigt eine 28jährig6 Dienstmagd (keine hereditäre Anlage),
welche 1880 zuerst an Manie erkrankte, von der sie nach ca. 9 Monaten geheilt
wurde. 4^2 J^l^r später Recidiv der Manie; nach achtmonatlicher Dauer plötzlicher
Ausbruch der Paranoia mit Hallucinationen und Grössenideen religiösen Inhalts, welche
andauert (nach V/^ Jahren). M.
16) Ueber die ordglnäre Verrücktheit (Sander), Vortrag Ton Dr. Clemens
Neisser. (Arch. f. Psych. XIX. S. 491.)
N. zeigt an mehreren kurz mitgetheilten Fällen, deren Wahnsystem in der Ueber-
zeugung, nicht die Kinder ihrer angeblichen Eltern zu sein, gipfelt, dass -die von
Kraepelin sog. Erinnerungsfalschungen (Gonfabulation, Kahlbanm), das Eigen-
thümliche der Wahnproduction . sind, wodurch sich diese mit Sander*« originärer
Yerrflcktheit zusammenfallenden Fälle von den andern Formen der Paranoia unter-
scheiden, die er deshalb unter der Bezeichnung Paranoia oder Paranoesis confabulans
zusammenfassen will.
Auf den Sander*s Fälle kritisch und Vorwiegend in negativem Sinne besprechenden
Theil der Arbeit glaubt Bef. nicht näher eingehen zu sollen, weil, was N. offenbar
— 26» —
ftberedhen, Sander selbst (Zteehr. f. Psych. Bd. XXXV, 8. 232) es ansgesprooben, dass
er, wis die Anwendong des yon ihm eingefQhrton Ansdmckes „ori^näre Yerrftokt-
heü'' angebe, zweifle, ob er beute denselben noch fQr die betreffenden Fälle anwen-
den wfirde, yiellmebt würde er gerade fAr die von ihm skizzirten Falle die Bozeich-
nnng „prim&re YerrftektheiV anwenden und fOr andere das Wort „originär"
A. Pick.
Therapie.
17) Hote on nitroglycerlne in epllepsy, by W. Osler. (Joum. of nerv, and
ment. disease. 1888. XY. p. 38.)
Verf. bat in 19 Fällen von Epilepsie, in denen ßromsalze versagten, Nitro-
glycerin angewendet und zwar in 1^/^^ Lösung oder in Pillen zu Ofi Milligramm.
Eine Wirkung auf die Krämpfe ist erst zu erwarten, wenn sieb die ersten IntoxL-
cationserscheinungen: Gesicbtscougestion, Kopfschwere, Kopfschmerz etc. einstellen^
d. h. nach einer individuell sehr verschiedenen Dosis von 1,2 — 4,8 Milligramm. Eine
wesentliche Besserung ist nicht selten erreicht worden, doch war die Wirkung ge-
wöbnlicb vorübergehend und Yerf. giebt sich selbst keinen grossen Illusionen hin,
indem er Nitroglycerin für diejenigen Patienten empfiehlt, bei denen Bromsalze
wirkungslos sind oder zu versagen anfangen. Sommer.
18) On oil of Gaulthtria and Salol in rheium^tism of nerw9« anA nmfolee,
by F. X. Derkum. (Journal of nervous and mental disease. 1888. XY, p. 33,)
Kurz dahin zueammenxnfaaeen, daas bei allen rheumatiscben Erkrankungen Ganl«
theria^l, S— ^stfindlich so 10 — 20 Tropfen, hfilfreioh ist. Ymrf. entsohlieset sich
zu anderen Salicylmedioationen nur ausDahmsweise, um einmal abanwechseln, und
halt Salol und salicylsaures Natron f&r weniger wirkMun. Die subjectiven GehArst
•mpfindonsen sind nach dem Gefarauoh des Gaultheriaöls fast ebenso eemtant, wie
M anderen PrftpiuAten dieser Gmppe. Sommer.
m. Aus den GosoUscliaftexi.
Berliner GeseUsohalt für Psychiatrie nnd Nervenkrankheiten. Sitzung von
9. April 1888.
Herr Moll: über Hypnotismos, mit Demonstrationen.
Weil man sehr h&nfig verkennt oder ansser Acht Iftsst, dass die Hypnose ein
rein psychischer Znstand ist, dessen leichteste Formen üebergänge aus dem nor-
malen wachen Zustande in den pathologischen darstellen, so ist man vielfach geneigt,
diese leichten Formen fflr Simnlation zn halten. Dies erklärt gewisse Yersdiieden-
heiten der Ansichten. So giebt z. B. Mendel an, dass das Eii^schen des Bewnsst-
seins nnd Amnesie fCür die Dauer des hypnotischen Zustandes, femer die Flexibilitas
eorea der Muskulatur in einem die physiologischen Yerhältnisse dberschreitenden
Maasse, daes auch die Anästhesien tu den gewöhnlichen Symptomen der Hypnose
gehörten. Dem gegenüber erklärt Moll diese Dinge für seltene Yorkommnisse, die
8ich wohl bei schweren, aber nicht bei der Mehrzahl der leichten Fälle finden. Gerade
auf die leichteren Fälle aber mnss das Studium dieses interessanten Znstandes ge-
richtet sein; freilich gehört viel Uebnng nnd Erfahrung dazu, um sich vor Täuschungen,
vor Simnlation zu schfitzen. Die Sache liegt so, dass einerseits fOr den Einzelfall
kein objectiver Beweis daffir zu ftthren ist, dass es sich nicht um Simulation handele,
dass andererseits aber der üntersucher für sich selbst genflgende Sicherheit erlangen
kann. Leider ist es nicht möglich, wie der Yortragende ausffthrt, ein bestimmtes
Bomatisehes Zeichen ffir den Hypnotismus anzugeben, keines ist pathegnomomscb,
ond in den leichten IWen emd somatische Symptome ftberhanpt selten.
— 270 —
M. demonsiarirt hierauf die hypnotiBchen Erscheinungen an einer Reihe von Per-
sonen, welche er schon wiederholt hypnotisirt hat. M. combinirt zur Erzeugung des
hypnotischen Schlafes die Fixation eines Punktes mit der Suggestion („Schlafen Sie,
Sie werden jetzt müde'' u. s. w.), und mit raschem Erfolge. Er entwickelt und zeigt
dann die kataleptischen Symptome, welche er definirt als WiUensrichtung des Hyp-
notisirten, diejenige Stellung der Glieder und des ganzen Körpers inne zu halten,
welche ihnen vom Uypnotismus gegeben ist. Unmögliches kann hierbei natürlich
nicht geleistet werden, die erhobenen Arme sinken nach einiger Zeit; bei einer Hemi-
paretischen sank der paretische Arm bedeutend früher als der gesunde; aber ein
Individuum hat einmal 24 Minuten lang die Arme hoch gehalten u. s. w. — Der
passive Widerstand gegen Aenderung der Haltung ist verschieden, manchmal gering.
— Die Dauer der Katalepsie föllt wohl auch einigermaassen zusammen mit der
Dauer der Suggestion selbst: wenn der ursprüngliche Eindruck aus dem Gedachtniss
schwindet, verliert sich auch die kataleptische Starre, denn die Katalepsie ist eine
blosse Suggestionserscheinung. — Augenschluss ist für die Katalepsie nicht unbedingt
nöthig.
Bisweilen geben die Hypnotisirten nachträglich an, sie hätten simulirt, folgen
aber in jeder neuen Sitzung wieder den Anweisungen des Hypnotiseurs. Sie gestehen
zuletzt, sie könnten nicht anders, obwohl sie nachtraglich in der Erinnerung die
Empfindung haben, als hätten sie es freiwillig gethan. — Das Bewusstsein ist eben
oft mehr oder weniger gut erhalten, bisweilen freilich ist es erloschen.
M. demonstrirte sodann suggerirte Hallucinationen. Von zwei Personen, die
beide auf die Frage: Sehen Sie den Löwen, der hier auf Sie loskommt? mit „Ja''
antworteten, blieb die eine ruhig sitzen, die andere sprang erschreckt auf. Letztere,
ein ungemein suggestibler Mann, liess sich suggeriren Napoleon, Friedrich der Grosse,
ein Frosch, eine Katze, ein Teppich zu sein und nahm dementsprechende Gesten und
Bewegungen resp. Stimmäusserungen an.
M. macht darauf aufmerksam, dass man, um unliebsame Folgen, anhaltenden
Schlaf, Eingenommensein des Kopfes und andere postsuggestive Zustande zu yermeiden,
die Hypnotisirten vollkommen munter machen müsste. M. sagt ihnen vor dem Er-
wachen „Sie werden aufwachen und vollkommen wohl und munter sein.
Die Demonstrationen waren entschieden gut gelungen, ohne doch — wie M.
selbst ausgeführt hatte — auf Dritte einen eigentlich beweisenden objectiven Eindruck
zu machen. Hadlich.
Londoner neurologisohe Gtesellsohaft. Sitzung vom 7. Juli 1887.
Musoular Hyi>ertonioity in paralysis, Vortrag von Hughes Bennett und
Discossion. (Brain. 1888. Januar, p. 289.)
Der Vortragende beschreibt zunächst ein nach seiner Ansicht selbständiges und
eigenartiges Krankheitsbild, das er hypertonische Parese resp. Paralyse nennt und
folgendermaassen charakterisirt: Motorische Schwäche, besonders der unteren, in ein-
zelnen Fällen auch der oberen Extremitäten. Meist Paraparese der Beine, doch kann
sich die Schwäche auch nur in einem Beine entwickeln. Hochgradige Erhöhung der
idiomusculären mechanischen Erregbarkeit und der Sehnenreflexe: manchmal bis zum
Patellar- oder AchiUessehnenclonus, doch ist letzterer nur unvollkommen ausgebildet.
Nie eigentliche Spasmen oder Contracturen. Nicht selten Gomplication mit Schmerzen in
dem Bücken oder in den Beinen, subjectivem Grefühl von Taubheit, Kopfweh, psychische
Depression; doch sind diese Symptome in der Regel nicht vorhanden, also keine
wesentlichen Bestandtheile der Krankheit und man muss dasselbe von ähnlichen
Krankheitsbilderu bei Neurasthenie und Hysterie trennen. Die Patienten stehen im
Alter von 20 — 40 Jahren. Die Symptome können sich langsam oder plötzlich ent-
wickeln, nach längerem oder kürzerem Bestehen langsam oder plötzlich vollständig
schwinden; der Vortragende hat sie auch ohne jede Aenderung jahrelang bestehen
— 271 —
sehen, oder auch ein allmähliches SchlimmerweFden der Symptome beobachtet, niemals
aber den Uebergang in eine schon organische Entartung des Bfickenmarkes. Er stellt
das Krankheitsbild in Bezog auf seine klinischen Symptome, seine Aetiologie, seine
ev. pathologische Anatomie (organisch oder fnnctionell?) etc. zur Discossion.
Im zweiten Theile konunt er dann auf die Ursachen der erhöhten Sehnen- und
M nskeiphaenomene selber za sprechen. — Er h< die Erhöhung beider für in glei-
chem Maasse bedingt durch eine Erhöhung des musculären Tonus: dieser sei stets
erzengt durch eine Uebererregbarkeit der Vorderhomganglien , die zugleich die Ur-
sache der motorischen Schwäche sei Diese Uebererregbarkeit kann 1. direct an Ort
und Stelle erzeugt sein (Strychnin), 2. von peripherischen Nervenreizen und zwar
sensiblen (Uebererregbarkeit mit Schwäche bei peripherischen Läsionen der Extremi-
täten, Tetanus (?) sog. ascendirender Neuritis) oder motorischen (Ueberermfidung)
zum Centralorgane fortgeleitet sein, oder 3. durch eine Affection der Pyramidenbahnen
¥on der motorischen Binde bis zu den Vorderhömem herrorgerufen sein. In letzterer
Hinsicht weist Verf. die Theorie des hemmenden resp. controlirenden Einflusses des
Grofishimes und die Theorie des durch Hirn- und Pyramidenbahnerkrankungen her-
beigefahrten überwiegenden Einflusses des Kleinhirnes (Hughlings Jackson) mit im
Original nachzulesende Gründen zurück. Am besten passt nach ihm noch die fran-
zösische Theorie der absteigenden Degeneration der Fyramidenbahnen, die sich dynamisch
auf die Vorderhomganglien fortsetzt: nur erweitot-t er sie dahin, dass auch nutritive
Störungen dieser Bahnen dasselbe Symptom hervorrufen können. Damit wäre das
Symptom bei allen organischen Läsionen der Fyramidenbahnen, sowohl für die firüh-
zeitigen (nutritiv) wie fDr die tardiven (degnerativ) Contracturen , und auch für die
Bennett'schen Fülle, wie der Autor sie aufl^asst, erklärt: für die mit Neurasthenie und
Hysterie verbundenen Fülle, nimmt er dann noch an, dass die supponirten Ernährungs-
störungen in den Pyramidenbahnen nicht nur von den motorischen, sondern auch von
rein psychischen Theilen der Binde ausgehen könnten.
Diflcussion.
Hughlings Jackson hält nach einer im Original nachzulesenden, beachtens-
werthen Auseinandersetzung über den Missbrauch des Wortes „functionell'' seine An-
sicht, dass die Erhöhung der Sehnenreflexe und des Muskeltonus bedingt sei durch
die mangelnde Controle des Grosshimes, sowie durch den von Seiten des Grosshimes
auch mehr balancirten Einfluss des Kleinhirnes, aufrecht, obgleich er selber anerkennt,
dass diese Theorie viele AngrifG^punkte biete. Die geistreichen Bemerkungen des
Redners über den Antagonismus zwischen Gross- und Kleinhirn, sowie über die Patho-
genese der Paralysis agitans verdienen ebenfalls im Original nachgelesen zu werden.
Buzzard erkennt zunächst das Kiankheitsbild Hughes Bennetts an, und wenn
man es auch meist den functionellen (neurasthenischen oder hysterischen) Krankheits-
formen zurechnen müsse, so habe doch auch er Fälle gesehen, bei denen er sich der
Ansicht nicht verschliessen könne, dass es sich um eine rasch in Heilung verlaufene
Seitenstrangsderose gehandelt habe. Er polemisirt dann gegen die Auffassung der
Identität zwischen Sehnenreflexen und Muskeltonus; bei Tabes seien erstere und
letztere nicht, bei amyotrophischer Lateralsclerose letzterer und erstere nicht ver-
nichtet Auch könne die Erhöhung beider nicht in allen, und speciell nicht in den
Bennett'schen Fällen auf eine Uebererregbarkeit der Yorderhomganglien bezogen
werden, da nach seinen Erfahrungen in diesen Fällen die Haut- und speciell die
Plantarreflexe vermindert seien. Als differentaldiagnostisches Moment zwischen orga-
nischen und functionellen spastischen Paresen glaubt er die Thatsache verwerthen
zu können, dass bei letzteren auch in den oberen Extremitäten die Erhöhung der
Sehnen- und Muskelerregbarkeit von Anfang an vorhanden sei, bei ersteren erst wenn
auch hier deutliche Paresen nachzuweisen wären: ebenso könne natürlich eine vor-
handene Sehnervenatrophie die Entscheidung bringen.
Ferrier ist in Bezug auf den Zusammenhang zwischen erhöhtem musculären
— 272 —
Toaofl und erhöhten dehnenreflezen ganz der AiiBicht des Vortragenden. Er betont
die Wichtigkeit der Erfahrung, dass erhöhte Patelkrreflexe and AehiUeaBehnenclonns
nidit ohne weiteres auf organische Krankheiten hindeuten. Im flbrigen glaubt er, dass
die grosse Mehrzahl der Fälle doch wohl zugleich an Yerandeningen der Stimmung
(emotional instability) litte und deshalb wohl der Neurasthenie resp. Hysterie zuge-
rechnet werden müsste. Dafür spräche auch der Wechsel und die Inconstanz der
Symptome, besonders' in Bezug auf die Sehnenreflexe. (Referent kann sich nach
seinen Erfahrungen dieser Ansicht Ferriers nur anschliessen. Derselbe hat mehrere
F&Ue des Yon Bennett skizzirten Krankheitsbildes gesehen^ aber alle die betreffenden
Patienten litten zugleich an neurastheniscben resp. hysterischen Erscheinungen, die
über die eigentliche Grundlage der Krankheit keinen Zweifel liessan. Das Yorkommim
erhöhter Sehnenrefleace, spedell auch des Achillessehnenclonus bei diesen Neurosen ist
öbrigens in Deutschland wohl bekannt und z. B. von Oppenheim besonders hervor-
gehoben worden. Dabei ist es nicht die Inconstanz z. B. des Achillessehnenclonus, die ja
unter anderen auch bei Druckläsionen des Hals- resp. Dorsalmarkes vorkommen kann,
sondern die auch von Bennett urgirte unvollkommene Ausbildung dieser Symptome,
die Beschränkung auf einige, höchstens vielleicht ein Dutzend Oontracturen der Waden-
musculatur gegenüber der fast unbegrenzten Fortsetzung des Olonns bei organischen
Läsifmen, die nicht selten bald die diagnostischen Zweifel zerstreut. Es soll dabei
nicht geläugnet werden, dass die betreffenden Kranken dauernd oder vorübergehend
so frei von allgemeinen nervösen Symptomen sein können, dass die Diagnose zwischen
fonotioneller oder organischer Erkrankung eine Zeit lang in suspenso bleiben moss;
auch in dieser Beziehung hat Beferent längere Zeit einen Fall beobachtet, in dem
die Sache noch durch die Einseitigkeit des Achillesphänomens erschwert war.)
Dontrin will nicht selten Uebergang dieser Fälle in organische Lateralsderose
gesehen haben.
Haie White weist auf die von Dr. Fogge beobachteten Heilerfolge der
Galabarbohne bei spastischer Paralyse hin. Organische Seiten«itrang8Bcl<H'0Be unter-
scheide sich von den BennetVschen Fällen durch das gradweise, reraissionalose Fort-
schreiten, durch späte Betheiligung der Arme, durch event. Urincontinenz und Opticas-
atrophie (im letzteren Falle handelt es sich doch wohl um multiple Sderose und
diese macht oft erhebliche, wenn auch wohl nie vollständige Remissionen. Ref.).
Ben nett freut sich constatiren zu können, dass sich gegen das von ihm aufjge«
stellte Krankheitsbild ein ernsterer Widerspruch nicht erhoben habe. Bnzzard*s
Angaben über die Unterscheidung zwischen organischer und functioneller spastischer
Paralyse dürften wohl nicht genügen. Auf den Haupteinwand Ferrier*8, nämlich
die Zugehörigkeit seines Krankheitsbildes zu den bekannten Neurosen, Neurasthenie
und Hysterie, geht er nicht ein. Gegen seine Erklärung der Erhöhung des Tonus
sei nur Jackson aufgetreten; derselbe habe aber von seiner Theorie selbst erklärt,
dass sie sehr angreifbar sei, was B. auch von der seinigen, nur im geringeren Maasse,
zugäbe. Gegen die Einwürfe Buzzard's erwidere er, dass man zwischen einer idio-
mnsculären Zuckung des Muskels nach plötzlicher Dehnung seiner Fasern, nach
Rttzung seines motorischen Nerven und bei direct erhöhter musculärer Erregbarkeit
unterscheiden müsse. Die erstere sei bei Tabes zugleich mit den Sehnenreflexen
erloschen, die zweite vorhanden, nicht selten sogar erhöht; die letzte finde sich bei
degenerativen Vorgängen im Muskel, z. B. bei Poliomyelitis. Bruns.
Vn, CongresB für innere Medioin
(9.— 14. April zu Wiesbaden).
Original -Bericht von Dr. Benno Laquor, pr. Arzt in Wiesbaden.
1. Nachmittagssitzung. Prof, Adamkiewicz (Erakau): Ueber oombinirte
O^genoir^tiQA a«a Büokmmarka.
— 278 —
Fdr dl« von Friedreich zuerst beecbriebene sogen, hereditäre Ataxie hatte
dieser Autor als anatomische Grandlage Veränderungen im Kückenmarke aufgefunden,
die sieh susammensetzten einerseits aus der der Tabes eigenthamlichen grauen De-
generation der Hinterstrange und andererseits aus Entartungen, die bald nur die
Seiten-, bald Seiten- und Vorderstränge betrafen. Die mannigfachen Erklärungen,
die man dieser seit Friedreich öfters beobachteten Krankheitsform gab, gipfelten
darin, dass man die Degeneration in seitlichen Partieen des Kückenmarkes, zum Theil
als secnndäre Folgen der Tabes, Fortkriechen des Processes von den Hintersträngen
auf die Seitenstränge in der Substanz (Friedreich) oder auf dem Wege der Pia
(Bchnltze, D^j^rine), zum Theil als von der Tabes unabhängige Erkrankungen der
in den Seitensir&ngen gelegenen Systeme (Pick und Kahler) ansah. Westphal
hat nnn 187S auf Grund seiner Untersuchungen über diese Krankheit, die er die
„combinirte Degeheraüon'' zu nennen vorschlug, die Ansichten der Autoren über die
Entstehung dieser Degenerationen für nicht stichhaltig erklärt und selbst folgende
Möglichkeiten angenommen:
Da bei der combinirten Degeneration die Seiten- resp. die Vorderstränge meist
in Form einer „Kandzone" zu Grunde gehen, so müsste man annehmen, dass diese
Bandzone entweder mit der Vertheilung von Blutgefässen oder von Binde-
gewebe in Zusammenhang stehen, oder der Ausdruck sei einer Gruppe von Nerven,
die, obwohl zu verschiedenen Systemen gehörend, vielleicht durch gemeinschaftliche
Genien fnnctionell zusammen gehalten wurden.
Die Untersuchung des Vortragenden über die Circulations- Verhältnisse im Bücken-
marke haben nun erwiesen, dass es zwei Kategorien von Eraährungsbezirken im
Kückenmarke giebt. Der eine entspricht einem kreisfSrmigen Feld, welches das
Centmm des Bückens speciell den grössten Theil der grauen Substanz einnimmt.
Es ist der Bmährungsbezirk der Arteria sulci, die andern Kategorien dieser
Bezirke bestehen aus keilförmigen Feldern, deren Basen an der Bückenmarksperipherie
liegen und die mit den Spitzen nach der grauen Substanz hin convergiren.
Jeder dieser Bezirke wird von einem Gefässchen der Vasa vasorum versorgt. —
Einen der Bandzone entsprechenden Emährungsbezirk giebt es also nicht. Folglich
kann die Kandzone bei der combinirten Degeneration weder durch den Verlauf der
Blutgefässe noch durch denjenigen des Bindegewebes, da dieser mit dem der Blut-
gefässe übereinstimmt, bedingt sein.
Dagegen läset sich nachweisen, dass die Kandzone einer gewissen Gruppe von
Nerven entspricht. Zunächst beruht die Krankheit dieser Zone auf primär in den
Nerven ablaufenden Veränderungen, wie Vortragender durch seine Safhinintinction
nachweisen konnte. Bildeten die Blutgefässe oder das Bindegewebe den Ausgangs-
punkt der Krankheit, so müsste dieselbe auf interstitiellen Veränderungen des Bandes
bernhen.
Dann aber konnte A. die Existenz besonderer neben den Systemen im Bücken-
mark vorhandener Nervengrnppen, von denen eine der Bandzone entspricht, auf zwei-
fache Weise darthun.
1. Durch Untersuchung kranker Rückenmarke und 2. durch Tinction normaler.
Es kommen scharf gezeichnete, symmetrisch gelagerte Degenerationen vor, die
nach Form und Lage als der Ausdruck präformirter Nervengruppen angesehen werden
müssen; in den Bnrdach*schen Strängen haben sie die Gestaltung eines S*. Sie sind
nachweislich die primären Heerde gewisser Fälle von Tabes.
In den Seiten- und in den Vorder -Strängen liegen sie entweder in der Nähe
der grauen Substanz und haben annähernd elliptische oder kreisförmige Contouren.
Sie wurden in Fällen beobachtet, die unter dem Bilde der Heerdsderose ver^
liefen ^ — oder sie traten in der Gestalt der Kandzone auf — in Fällen sog. com-
1 Adamkiewioz, Die Degeneration des KückenmarkB. Stuttgart, 1888. Enkc.
— 274 —
binirter Degeneration. Aehnliche Gruppen konnte Vortragender schon früher mittels
Safranin und der Methjlenblautinction in normalen Bückenmarken nachweisen. Er
hatte diese Gruppen die chromoleptiscben Partieen des Bückenmarks genannt
Ueberall wo diese Partieen erkranken (Tabes, Heerdsclerose, combinirte Degene-
ration) geht die Krankheit direct und primär von den Nerven aus. Daher hält A.
es für angezeigt, die Krankheiten der chromoleptiscben Partieen gegenüber denjenigen
der Systeme, die meist in Folge von Trennungen von ihren Centren (secundare De-
generation) zu Grunde gehen, als „primäre Degeneration'' zu bezeichnen.
Da sich nun die Bandzone als eine „chromoleptische Partie*' jenen Heerden
dicht anschliesst, deren Degeneration klinisch das Bild der Heerdsderose hervorbringt,
und da that sächlich die Symptome der sog. combinirten Degeneration denen der
Heerdsderose gleichen, so dürfe man, meint A., die sog. combinirte Degeneration,
d. h. die Verbindung der Tabes mit der Banddegeneration, zur Heerdsderose z&hlen.
Als wahre combinirte Degeneration präsentiren sich dagegen diejenigen Fälle,
in welchen primäre und secundare Degenerationen d. h. Erkrankungen
der chromoleptiscben Partieen und der Systeme vorkommen.
Zu diesen Fällen gehört zunächst die Tabes; bei derselben verbindet sich die
Degeneration der F-Fdder (primäre Degeneration) mit der Degeneration der Goll'schen
Stränge (secundare Degeneration).
Da hier beide Degenerationsformen in einem Strangpaare verlaufen, nennt A.
diese Form der combinirten Degenerationen die monofasciculäre. Eine solche
Vereinigung von primärer und secundärer Degeneration kann auch in den Seiten-
Strängen stattfinden. Vortragender berichtet über einen solchen Fall und beschreibt
die betreffenden anatomischen Veränderungen im Bückenmark.
Der monofasciculären stellt er die bifasciculäre Form der combinirten Degeneration
gegenüber. Er versteht darunter diejenige Form derselben, bei der primäre und
secundfire Degenerationen in Strangpaaren vorkommen und weist nach, dass in dieser
Hinsicht folgende Combinationen bekannt sind:
Tabes mit Degenerationen der Pyramiden- und der Kleiuhimseitenstrangbahnen,
Tabes mit Degeneration der Pyramiden-Bahnen allein, und endlich
Tabes mit Degeneration der Kleinhimseitenstrangbahnen allein.
Einen in die letzte Kategorie gehörigen Fall hat A. selbst beobachtend beschrieben. ^
Allen diesen Combinationen drückt der scharf geschiedene Grundcharacter der
beiden sie zusammensetzenden Degenerationsformen auch den eigenthümlichen
klinischen Stempel auf.
Alle secundären Degenerationen beschränken sich genau auf die Grenzen der
Systeme. Die primäre Degeneration dagegen (Tabes Heerdsderose) sind in hohem
Grade expansiv.
Die Combinationen beider vereinigen daher auch die Eigenthümlichkeiten beider
Degenerationsformen: die durch den Untergang des Systems bedingten
Functionsstörungen mit dem progressiven Charakter der primären De-
generationen.
Lebhafter Beifall folgte dem Vortragenden, der durch Bilder von Bückenmark-
schnitten seine Ausführungen unterstützte. Discussion fand nicht statt.
Professor Unverricht (Jena): Ueber experimentelle Unterauohungeii über
den MechaniBmus der Athembewegongen.
Die Innervation der Athembewegungen ist noch Gegenstand lebhafter Discus-
sionen. Während man früher allgemein der Ansicht war, dass die Athembew^ungen
ausschliesslich von der Medulla oblongata aus innervirt würden (Legallois, Flou-
rens), haben verschiedene Forscher in neuerer Zeit (Bokitansky, v. Schroff,
^ A. a. O.
— 276 _
Langendorff), die Ansicht vertreten, da&s auch im Bückenmark wahre Aihmen-
centren za finden sind.. Andererseits hat Ghristiani inspiratorische and exspirato-
rische Centren in den Seh- und Vierhügeln nachgewiesen.
Die ziemlich naheliegende Vermuthang, dass auch in der Grosshimrinde Stellen
forhanden sein müssen, von denen aus die Athmung beeinflu8st*wird, ist noch nicht
weiter experimentell verfolgt worden.
Unverricht hat bei seinen Beizversuchen an der Grosshimrinde des Hundes
den Veränderungen der Athemthätigkeit eine besondere Beachtung geschenkt und
dieselben mit Hülfe von graphischen Methoden sorgföltiger untersucht. Von den
Methoden, die Athembewegungen graphisch darzustellen, benutzte Unverricht haupt-
sachlich die Einführung einer Hohlsonde in den Oesophagus, welche mit einer Marej-
schen Schreibkapsel in Verbindung stand. Zur Aufzeichnung der intrapleuralen
Drackschwanknngen construirte sich U. eine eigene Canüle, welche nach Art ge-
wisser Manschettenknöpfe sich in emen Intercostalraum einschrauben liess und dann
ebenfalls mit dem Marey'schen Tambour in Verbindung gebracht wurde. Die Nar-
kose wurde gewöhnlich mit Morphium ausgeführt, da man von dem Chloral, dem
Chloroform und dem Aether weiss, dass sie die Erregbarkeit der Hirnrinde vernichten.
Die Beizung erfolgte mit dem faradischen Strome und zwar mit Stromstarken,
welche bei den andern motorischen Centren gerade genügen, eine Zuckung des be-
treffenden Muskelgebietes auszulösen.
Es stellte sich nun heraus, dass nicht, wie gelegentlich behauptet worden ist,
von der ganzen motorischen Begion aus die Athmung beeinflusst wird, sondern dass
nur von einer ganz circnmscripten Stelle der Hirnrinde aus sich eine
deutliche und typische Einwirkung auf die Athembewegung erzielen
las st. Die Stelle liegt in der dritten äusseren Windung Ferriers, nach aussen
vom Orbiculariscentrum.
Die Veränderung der Athmung bestand in einer Verlangsamung der Athem-
bewegungen, so dass die Dauer der Athempausen einfach verlängert wurde. Zeichen
einer activen Exspiration waren nicht wahrzunehmen, auch die Inspiration zeigte
meist keine wesentliche Veränderung. Es handelte sich also offenbar um Hemmungs-
erscheinnngen, und es fragte sich, ob diese von einem corticalen Hemmungscentrum
der Athmung ausgingen, oder ob sie sich anderweitig erklären Hessen. Die Annahme,
dass es sich um Beiznng sensibler Trigeminusäste handele, weist U. von der Hand,
da sonst auch von den übrigen Bindenpartieen ähnliche Wirkungen zu Stande kommen
müsaten. Auch die Annahme von Schiff, dass in der Hirnrinde nur sensible Ele-
mente vertreten sind, würde die Erscheinungen nicht erklären, da es dann ebenfalls
unverständlich wäre, warum Veränderungen der Athemthätigkeit nur von einer be-
stimmten Stelle ans zu erzielen sind.
Ferrier hat gewisse Erscheinungen, welche er bei Beiznng der Hirnrinde erhielt,
als reflectorische aufgefasst. Wenn er z. B. durch Beizung einer Stelle Aufrichten
des contralateralen Ohres und Seitwärtsbewegnng der Augen beobachtete, so erklärt
er diese Erscheinungen als reflectorisch entstanden durch Sinnestäuschungen, welche
der electrische Beiz hervorruft.
Auch U. bekam Aufrichten des contralateralen Ohres, allerdings von einer
Stelle, die etwas hinter der Athemstelle liegt. Man könnte sich nun vorstellen,
dass zu den reflectorischen Erscheinungen Ferriers auch die Hemmung der Athmung
gehört In Ferriers Sinne müsste man daher sagen: Das Thier bekommt durch
Beizung seiner Hörsphäre Hallucinationen, wendet deshalb den Blick nach der andern
Seite und lauscht mit gespanntem Ohr und angehaltenem Athem auf die wunder-
baren und ungewohnten Schallerscheinungen.
Gegen diese Erklärung wendet U. ein, dass sie ihm zunächst für die Bewegungen
des Ohres nicht zuzutreffen scheine. U. sah bei electrischer Beizuug diese Bewegungen
in Krämpfe übergehen, ebenso wie bei Beizung des Vorderbeincentrums dessen Muskel-
— 276 ^
zacknngen sich za Kr&mpfen ausbilden. Man könnte also nicht gat yon einem ,,Cen-
trum'' der Vorderpfote sprechen, die ganz analogen Erscheinungen bei Reizung der
Ohrregion aber als reflektorische auffassen.
Etwas der conyolsiblen Beaction ähnliches sieht man übrigens auch bei Beizung
der Athemstelle. In* vielen Fallen dauert die Verlangsamung der Athembewegungen
noch eine Zeit lang nach Aufhören des Reizes fort, und in anderen F&Uen bilden
sich langdauemde Athemstillst&nde als Einleitung eines Krampfanfalles, die man dem-
entsprechend als „Hemmnngskrftmpfe" bezeichnen könnte.
Alle diese Beobachtungen schienen dafür zu sprechen, dass die von U. ge-
fundene Stelle ein Hemmungscentrum darstellte. Aber die Versuche mit Chloral-
injektion in die Venen haben diese Annahme doch nicht gestfltzt, wenn sie auch
nicht unbedingt dagegen sprechen. Während Chloral die Erregbarkeit der motori-
schen Centren vernichtet, bleibt der Effect auf die Athembewegungen unverändert.
Unverricht halt es deshalb nicht für ausgeschlossen, dass der Effiect durch Reisnng
von hemmenden Nervenfasern zu Stande kommt, welche in diesem Punkte besonders
dicht zusammenstrahlen, gerade so wie sich das Flourens'scbe Athemcentrum der
Medulla oblongata durch die Untersuchungen von Gierke als Bündel von Nerven«
strängen entpuppt hat. Dieselbe Wirkung wie Chloral übte auch die Aeihemarkose aus.
Dass die Wirkung nicht durch Stromschleifen erzeugt wird, welche zu tiefer
gelegenen Gangliengruppen gelangen, glaubt Vortragender dadurch ausschliessen zu
können, dass die unmittelbare Nachbarschaft der betreffenden Stelle keine Effecte
ergiebt.
Eine Discussion fand über den sehr beifällig aufgenommenen Vortrag nicht statt
Prof. 0. Liebreich (Berlin): Ueber looale Anftsthesie.
Vortragender hat sowohl selbst als unter seiner Leitung Bussenius sehr zahl-
reiche willkürlich herausgegriffene Körper nach der alten sog. Pelican'schen Methode
(Prüfung mit der Nadel an Ort und Stelle) auf ihre anästhesirende Wirknng unter-
sucht und gefunden, dass ein Zusammenhang der chemischen Constitution mit der
Wirkung nicht besteht; ausgezeichnete Wirkung ergaben Salmiak, Eisenchlorid, die
ätheriscben Oele, besonders Camillenöl, welches auch die Cornea unempfindlich mache,
Besorcin, Hydrochinon Terebenhydrat, Natron amylosulfuricum etc. Eine erschöpfende
Erklärung der Besultate sei nicht möglich, aber es ist gestattet, um die Versuche
fortsetzen und dabei gewisse Kategorien von Körpern bevorzugen zu können, Hypo-
thesen zu machen, von denen die eine oder andere zur Theorie heranreifen dürfte.
Erstens ist die caustische Wirkung nicht wegzuläugnen, welche sich besonders
bei Hydrochinon (Comealeinwirkung) nachweisen lässt; dieser ätzende Einflnss dürfte
auf Nerven^- Stamm und -Endigung verschieden verlaufen; bei letzterer tritt eine
Anästhesie ein, während der kleine Nervenstamm in einen gereizten Zustand kommt;
so entsteht die Anaesthesia dolorosa.
Zweitens ist es möglich, dass bei einzelnen Körpern durch die in Folge von
Gewebsanämie bedingte Hemmujig und Verminderung des zu den Nervenenden
gehenden Emährungsstromes eine vorübergehende Anästhesie eintritt.
Drittens könnte auch die Ernährungsstörung durch eine Art von Hyperämie be-
dingt sein; es wäre von grossem Interesse in dieser Frage, wenn die von Professor
Adamkiewicz für die Ganglienzellen angesprochenen Vasa serosa eine Analogie für
die Nervenendapparate zeigen würden, weil mit Hülfe dieser Einrichtung eine bessere
Erklärung der Wirkung centraler und peripherischer Anästhetica erbracht werden
könnte. Auch Aqu. destill, setzt subcutan injicirt die Sensibilität herunter; sie wirkt
dabei als mildes Causticum (v. Wittich).
In der Discussion, welche an den hoch interessanten Vortrag sich anschloss,
fragt Herr Prof. E. Leyden den Vortr., ob auch schon entsprechende Versuche an
Keuschen angestellt worden seien, was Prof. Liebreich verneinte.
— 277 —
In der 3. Yonnittagssitzaiig, 10. April (Debatte über den Weingeist »le
Heilmittel), warnte Hoirath Nothnagel (Wien) davor, Kinder, deren Organismus
gar keines Beizmittels bedürften, sohon vom 2. — 3. Lebensjahre an, wie es vielfiich
Sitte wäre, Bier oder Wein bei Tische su geben; die heutige gesteigerte nervöse
Erregbarkeit einer- und die geringe nervöse Widerstandsfähigkeit andererseits seien
vielfach eine Folge dieses frühzeitigen Missbrauchs des Alkohols bei Kindern, denen
nur ausnahmsweise, grundsätzlich aber nicht als einfaches Nahrungsmittel, Wein etc.
zugereicht werden dürften. Prof. Loewenthal (Lausanne) bemerkt femer, dass der
Alkohol bei Neurasthenikem oontraindirt sei.
In der 6. Nachmittagssitzung (11. April) berichtete Prof. Binswanger (Jena)
Sxperimentelle und kritieohe Untersuchungen über die Pathogenese des
epileptisohen Anfalls.
Vortr. giebt zuerst einen historischen Abriss der modernen Anschauungen über
den Ausgangspunkt und den Mechanismus des epileptischen Anfalls (Kussmaul,
Tenner und Nothnagel). Auf Grund dieser Versuche und früherer Erfahrungen
der Pathologie war die Entstehung des epileptischen Anfalls mittelst einer primären
Erregung des vasomotorischen und des von Nothnagel gefundenen Krampfcentrums
in dem verlängerten Marke und der Brücke eine anscheinend wohl gesicherte That-
sache geworden. Seit Entdeckung der cortical bedingten Krampfzustände der Yer-
snchsthiere und seit genauerer anatomischer Erforschung bestimmter Fälle der mensch-
lichen Pathologie, in welchem aus Heerderkrankungen der Grosshimrinde convulsivische
Anfalle entstanden waren, ist aber diese „medulläre" Theorie stark erschüttert worden.
Ein Theil der Untersucher bestreitet ^ schon heute auf Grund der Beiz- und Exstir-
pationsversuche im Gebiete der Grosshimrinde jeglichen Antheil des verlängerten
Markes und der Brücke an dem Zustandekommen und den Erampferscheinungen des
epileptischen Anfalls, Andere verlegen ebenfalls die Entstehung der Bewnsstlosigkeit
und den Ausgangspunkt der epileptischen Convulsionen in die Grosshimrinde und
messen den tiefergelegenen infracorticalen Centraltheilen nur eine secundäre Bedeu-
tung am Krampfbilde zu.
Diese Widersprüche der Auffassungen spiegeln sich in allen klinischen Mit-
theilungen über Epilepsie wieder, sie dehnen sich aber auch aus auf die Beurtheilung
der verschiedenen wichtigsten convulsivischen Zustände, die mit der Epilepsie im
engeren Sinne des Wortes nichts zu thun haben. Eine Aufklärung der bestehenden
Differenzen ist bis heute nicht gegeben worden; die Experimentatoren der neueren
Schule haben vorzugsweise, oder besser gesagt, fast ausschliesslich die corticalen
Krämpfe zum Ausgangspunkte ihrer Beweisfühmng verwandt. Eine erneute genauere
Durcharbeitung der Grundlagen der medullären Theorie ist bislang nicht ausgeführt
worden.
Die folgenden Mittheilungen sollen eine solche darstellen. Sie geben die Er-
fahrungen und Schlussfolgerungen wieder, die aus Versuchen an Kaninchen gewonnen
wurden. Diese erste Versuchsreihe war noth wendig, da die Grundlagen der Unter-
suchungen Nothnagels ausschliesslich an diesen Thieren gemacht worden sind.
Ueber die Weiterführung der Arbeit mittelst Versuchen an Hunden wird B. später
Bericht erstatten.
Die Versuchsanordnung von Nothnagel konnte nur in soweit beibehalten
werden, als es sich zuerst um eine Nachprüfung der Ergebnisse dieses Autors han-
delte; sowohl die Stich- (Beiz) als auch die Dorohschneidungsversuche bestätigten
seine Ergebnisse, dass von der Medulla oblongata und der Brücke aus durch Beizung
bestimmter Bezirke der Rautengmbe allgemeine Convulsionen des Bumpfes und der
Extremitäten erzeugt werden k<^nnen, und dass innerhalb dieses Grebietes nur die
Brücke als centraler Ausgangspunkt der allgemeinen K6rper-Gonvulsionen, als Sitz
des Krampfcentmms zu betrachten sei. Die Entstehung der durch Reizung des Ventrikel-
bodens erzielten Krämpfe geschieht auf dem Wege des Reflexes, durch Beizung
— 278 —
sensibler Wnrzeln nnd Fortpflanzung des reflexerregenden Reizes auf den Pens.
Diese principiellen Feststellungen Nothnagels konnten bis auf geringe Abweichungen,
welche aus den folgenden Sätzen ersichtlich sind, als gesichert erkannt werden. Des
Yortr. Untersuchungen ffthrten zu einer Reihe von Ergänzungen und Erweiterungen
dieser Ergebnisse und insbesondere zu einer genaueren Erkenntniss der physiolo-
gischen Grundwerthe derselben. Um das Versuchsfeld genauer übersehen und um
weittragende, unschwer controllierbare Nebenyerletzungen in diesem engbegrenzten
Räume so weit angängig yermeiden zu können, wurde die Rautengrube durch Tre-
panation der Hintorhauptsschuppe und Lüftung des Wurms möglichst zugängig ge-
macht, in anderen Versuchen der Wurm abgetragen und so der Ventrikel freige-
legt. Die Reizung erfolgte mittelst mechanischer Berührungen und oberflächlicher
Verletzung, vor Allem aber auch mittelst schwächster faradischer Ströme (1 Daniel-
sches Element 18 — 21 cm Rollenabstand). In ähnlicher Weise wurde zu den Durch-
schneidungen entweder der hintere Eingang der Rautengrube geöffnet oder von der
vorderen grossen Querspalte aus, zwischen Vierhügel und Kleinhirn der Durchschnitt
durch das Velum medulläre anticum gemacht. Bei all diesen Versuchen ist eine
Mitverletzung des Kleinhirns oder seiner Stiele nicht zu vermeiden, zur Elarstellong
des Einflusses dieser Reizungen — denn auch die Durchschneidungen wirken nur im
Sinne intensiver Reizungen — empfahl es sich Controlluntersuchungen durch mög-
lichst isolirte Durchschneidung der Kleinhimstiele und nachheriger Reizung der
Meduila und des Pons auszuführen. Die Folgeerscheinungen der ersteren entspringen,
soweit nicht die Zwangslagen und Rollbewegnngen in Frage kommen, wie schon hier
bemerkt werden kann, denselben Reizmomenten, wie die Krampferscheinungen bei
den Reizungen der Meduila und der Brücke. Es harrten vor Allem 3 Fragen der
Beantwortung. Welche Bedeutung ist den motorischen Reizerscheinungen beizu-
messen? Was lehren diese Versuche über die anatomische und physiologische Stellung
des Krampfbezirkes, der Rautengrube und des Krampfcontrums in der Ponssubstanz?
Und welche Beziehungen besitzen diese medullären Krampfbilder zum epileptischen Anfall?
Die Beantwortung derselben lässt sich, soweit die Versuche eine solche zulassen,
in folgende Sätze zusammenfassen:
1. Im Boden der Rautengrube liegen in den lateralen Abschnitten von den
medialen Abhängen der Glava zum vorderen seitlichen Begrenzungswinkel des Ven-
trinkels reichend, eine Reihe electrisch und z. Th. mechanisch erregbarer Punkte,
welche auf Reizung mit tonischen Krampfzuständen des Rumpfes, Kopfes und der
Extremitäten und compliciteren Erscheinungen associirter Bewegungsformen der
Extremitäten (Lauf-, Tret-, Stoss-, Schlag- -Strampelbewegungen) antworten. Die er-
regbarsten Stellen, von welchen aus die heffcigsten allgemeinen Krampferscheinungen
ausgelöst werden können, liegen in den vorderen Theilen dieses Gebietes.
2. Diese motorischen Reizerscheinungen sind reflectorischer Art. Die Reizstelle
bilden die sensiblen Trigeminusi^urzeln, vornehmlich die aufsteigende, vielleicht ist
auch eine im seitlichen Felde der Formatio reticularis gelegene sensible Hauptbahn
Vermittlerin dieses Reizes.
3. Die Reflexcentren sind vorzugsweise in der dorsalen Brückenhälfte (Hauben-
theil des Pons) gelegen. Die ventrale basale Brückenhälfte ist an dem Zustande-
kommen dieser Reflexvorgänge der Fovea anterior nicht betheiligt. Die obere Grenze
dieser Reflexcentren ist basalwärts nahe dem vorderen dorsalen Rande des Pons.
4. Durchschneidungen der Brücke rufen ausser für Oculomotorius und Trochle-
aris, die stürmischsten Reflexactionen hervor, vornehmlich, wenn durch den Schnitt-
reiz die erregbarsten Stellen getroffen werden.
5. Elektrische Reizung der Schnittfläche bedingt allgemeine Krampfbewegungen,
wenn die Haubenregion der Brücke gereizt wird, der mechanische Reiz der Berührung
ist unwirksam.
6. Diese Reflexcentren der Brücke besitzen die Bedeutung einer Sammelstation
— 27« —
der NiYeaacentren des BfickeBmarks, sie dienen der Yermittlmig umfassender asso-
ciirter Bewegungen. Die Bezeichnung ,,Krampfcentrum" entspricht sicherlich der
physiologischen Stellung derselben.
7. Es ist damit nicht ausgeschlossen, dass unter bestimmten Voraussetzungen
beim Vorhandensein einer pathologisch gesteigerten Erregbarkeit oder durch abnorme
Reize die Erregung dieser Centren za ausgebreiteten Erampfbewegungen führt. Nur
in letzterem Sinne kann die Bezeichnung ,,Erampfcentrum" beibehalten werden.
8. Die Form des Krampfes ist diejenige der tetanischen Erregung und krampf-
hafter Steigerung der associirten Muskelbewegungeu des ganzen Gliedes.
9. Es gelingt niemals, weder durch electrische noch mechanische Reizung von
der Brücke aus wahre epileptische Anfalle auszulösen. —
Prof. Nothnagel bemerkt in der Discnssiou, dass er vor 14 Jahren einige
Vorsicht gegenüber der Himrindentheorie empfohlen habe; nunmehr stehe nach N.'s
Meinung fest, dass man Epilepsie von der Rinde aus erregen könne, dass man aber
nicht alle die verschiedenen Epilepsie-Formen von der Rinde aus ableiten dürfe. Die
B.'schen Versuche würden die Wissenschaft einen wesentlichen Schritt weiter in der
Erklärung des epileptischen Insaltes bringen.
Prof. Unverricht betont, dass Kaninchenversuche nur mit Vorsicht auf den
Menschen übertragbar seien. Beim Kaninchen trete bei der Verletzung des Gehirns
nicht wie beim Menschen dauernde Lähmung ein; Versuche an Afifen würden am
idealsten sich präsentiren. Seiner Ansicht nach habe die durch Rindenreizung er-
zengte Epilepsie die grösste Aehnlichkeit mit der menschlichen Epilepdie.
In der 7. Sitzung sprach Prof. A. Cantani (Neapel): über die Verbreitung
des Wuthgiftes längs der Nerven und Pasteur's Sohutsimpfungen.^
Die Zweifel über die Wirksamkeit der Pasteur*schen Schutzimpfungen schienen
durch von Prisch's Versuche von Einführung des Wuthvirus unter die Hirnhaut der
Versachs-Thiere nicht bestätigt, und der Vorwurf, die Pasteur'scho Schutzmethode
entbehre jeder experimentellen Basis, wie derselbe von vielen Seiten erhoben worden,
durch jene Experimente, die das Virus den Centralorganen so nahe brachten, nicht
begründet.
Die im Laboratorium der C.'schen Klinik zur Klärung der Frage unternommenen
und von seinem Assistenten Hm. Dr. di Vestea mit Hm. Zagari im vorigen Jahre
ausgeführten Versuche gaben Resultate, die wohl ziemlich sichere Schlüsse erlauben.
Statt unter die Hirnhaut das Wuthgift einzuführen, wurde dasselbe in peripherische
Nervenstämme eingespritzt. Diese Versuchsmethode versetzte die Tbiere in eine der
beim Bisse wüthender Hunde stattfindenden ähnlichere Lage, da ja kein Thier und
kein Mensch in's Gehirn oder in die Hirnhäute, wohl aber in die Körperperipherie
gebissen wird.
Alle Thiere, denen ein Ischiadicus oder ein Nervus medianus mit Wuthgift
inoculirt werde, erkrankten nach einer gewissen Zeit an Wuth, regelmässig etwa
zwei Tage später als nach der subduralen Inoculation des Strassenvirus oder des
sog. fixen, d. h. verstärkten Virus, und gingen natürlich zu Gmnde.
Thiere, denen ein Ischiadicus mit Wuthgift geimpft worden war, zeigten, wenn
sie vor dem Ausbmche der Krankheit (etwa am 4. Tage nach der Inoculation des
fixen, am 6. Tage nach der des Strassenviras) getödtet wurden, bloss die Oauda
eqnina und den unteren Theil des Rückenmarkes virulent, nicht aber den oberen
and nicht den Bulbus, insofem als die subdurale Impfung anderer Thiere mit dem
anteren Theil des Rückenmarkes wieder Wuthkrankheit hervorbrachte, während die
Impfung mit dem oberen Theil keinen Erfolg hatte.
Thiere, denen der Medianus mit Wuftgift inoculirt wurde, gleichfalls mehrere
' Cf. auch La Paiohiatria. 1887. V. p. HS.
-- 280 —
Tage vor dem Ausbruob der Krankheit getödtet, zeigten den Balbna und den oberen
Tbeil des Rückenmarkes in einer Zeit virulent, in welcher der untere Theil des-
selben, namentlich die Cauda equina, noch nicht virulent war.
Thiere, denen nach Durcbscbneidung des Bfickenmarkea, bäl&ufig in der Mitte,
doch Wuthgift mittelst Treporaüon subdural eingeimpft werde, hatten auch nach
erfolgtem Tode nur die obere Hälfte des Bfickenmarkes virulent
Thiere, denen gleichfalls nach Durchschnitt des Bfickenmarkes der linke Ischia-
dicus mit Wuthgift geimpft wurde, hatten auch nach erfolgtem Tode bloss die untere
Hälfte des Bfickenmarkes, und fiberdies noch den rechten Ischiadicus virulent, und
dieses Besultat bewies die Verbreitung des Wuthgiftes längs der Nervensubstanz,
nicht nur im centripetalen, sondern auch im centrifugalen Sinne.
Nur in einem der so operirten Fälle, in welchem noch während des Lebens
eine partielle Excision des nicht operirten Ischiadicus bereits die Virulenz desselben
bewiesen hatte, und in welchem der Tod erst 4 Tage später erfolgte, zeigte sich
nach dem Tode auch der Bulbus virulent, was wohl nur durch Uebertragnng des
Wuthgiftes mittelst des Blutes erklärlich isi
Alle diese Versuche beweissen gewiss ganz sicher die Verbreitung und Fort-
pflanzung des Wuthvirus längs der Nervensubstanz, und Vortr. ist fiberzeugt, dass
auch nach dem Bisse wfithender Tbiere die Verbreitung des Virus längs der Nerven*
stamme bis zu den Nervencentren die Begel ist, während die von Pasteur experi-
mentell bewiesene Möglichkeit der Uebertragung von der Wunde nach den Nerven-
centren mittelst des kreisenden Blutes zur Ausnahme gehört, um so mehr, als sie
experimentell relativ selten gelingt, während die Impfung der Nerven sie nie im
Stiche läset.
Nun ist es gewiss sehr interessant^ und ffir Pasteur*s Schutzimpftmgen von
höchster Wichtigkeit, dass von 8 in peripherische Nerven inoculirten und hierauf
nach Pasteur's Schutzmethode behandelten Kaninchen, welche bekanntlich die ffir
die Wuthiufection am meisten empfanglichen Thiere sind, 6 ohne das geringste Un-
wohlsein davon kamen, und nur 2 erkrankten und starben.
Diese Experimente haben also, neben dem Beweise der Verbreitung des Wuth-
virus längs der Nervenstämme, auch der Pasteur*schen Schutzmethode die ihr bisher
von den Gegnern geläugnete experimentelle Basis gesichert.
Im Anschluss an den Congress hatten die Wasserheilanstalt Nerothal (Director Dr.
Lehr) und die Heilanstalt Dietenmfihle, die jetzt unter der Leitung von San.-Rath Dr. C.
W. MfiUer und Dr. Bich. Friedländer steht und kfirzlich reorganisirt worden
ist, zu freundlicher Besichtigung eingeladen.
IV. Personalien.
Unser hochgeschätzter Mitarbeiter, Herr Prof. Dr. Erb, wurde %am Geheimen
Hofrath ernannt.
y. YermisohteB.
Das Kgl. Bachs. Caltnsministerinm hat genehmig^ dass die seitherige „Irrenklinik**
der Universität Leipzig fernerhin ab ..Psyehiatrisehe und NerveDklinik*' derUniverri-
tat Leipzig bezeichnet wird.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den HerauBgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20.
Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mrt2»bb & Wimo in Leipzig.
NEUßOLOGISCHES CeNTR ALBLAH.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Heraasgegeben Ton
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter «" ^"'>- Jakrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nammern. Preis des Jahrganges 20 Blark. Zn beziehen dnrch
alle Bnchhandlnngen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct yon der Verlagsbuchhandlung.
1888. 15. Mai. m 10.
Inhalt I. Oriflinalinittheilunoen. 1. Einiges über Suggestion, von Dr. E. Jendrissik.
2. Ein Kinesiästhesiometer, nebst einigen Bemerkangen über den Muskelsinn, von Prof.
E. HItzis (Schluss).
It. Referate. Anatomie. 1. Kraniometrie und Kephalometrie, von Benedikt. 2. Ueber
i« Ci-ntral'n ilndigungen des N. vagos und über die Zusammensetzung des sog. solit&ren
Hl iideLs d> verlängerten Marks, von W. Bechterew. — Physiologie. 8. Ueber den Weg
•1er Ge.s(>inuu Lsfasern zum Gehirn, von Salomonsobn. — Pathologie des Nervensystems.
4. \fcB < oiitr^'-tares, par Blocqu. 5. üeber einen Fall von abortiver Pachymeningitis oervi-
(^lis hypertrot'hica, von E. Remak. 6. Beitrag zur Lehre vom Gliom und der secundären
^ -^'eiuratioTi des Rückenmarks, von Volkmann. 7. Caso speciale di affezione combinata dei
( rd<>ni posioriori e laterali del midoUo spinale, pel Borgherlni. 8. Progressive spastic ataxia
^^ d tUe combined scleroses of the spinal cord, by Dana. 9. On a oase of diffuse sclerosis
jt 'the spinal cord prodacing Symptoms of postero-lateral sclerosis, by Drescbfeld. 10. Some
^üTt.ber observations on Friedreichs disease, dy Ormerod. 11. On injunes of the Gauda equina,
t>y 'Tborbum. 12. Hydatids of the spinal chord, by Magnire. 18. Gase of muscular hyper-
t<»tiicity, by Saundby. 14. Sur la r^istance ^lectrique consider^e comme signe dinique, par
V'iyouroMX. 1''. Ueber Messung galvanischer Ijeitung^s widerstände am Kopfe und deren semi-
tische Verw • '^thnng, von A. Eulenburg. — Psychiatrie. 16. The forty-first report of the
«mDiip.s*'»Df ;^ in lunacy 81 March 1887 etc. 17. Note sur les rapports de Tiraagination et
']u 'Jclire. ]*...r fM, 18. Un cas de v^sanie combin^, par Seglet. — Therapie. 19. Ueber
• rl)«:.itane Mt^thylalinjectionen bei Delirium tremens, von v. Kralft-Ebing.
III. Atti den Qeeellechaften.
IV. Vermiecbtee.
I. Originalmittheilungen.
1. Einiges über Suggestion.
Von Dr. Ernst JendrAsaik, Universit&tsdocent in Budapest
Die von Tag za Tag stetig zunehmende Litteratnr des Hypnotismus führt
ans eine solche Menge kaum erwarteter Ergebnisse zu, dass vorderhand eine
Grenze dieses Gebietes nicht übersehbar ist. Freilich erregen so manche der
Experimente den Zweifel besonders in solchen, die aus eigener Erfahrung den
Hypnotismus noch nicht genügend kennen gelernt haben. Eines der grössten
Verdienste Charcot's und %iner Schule ist es, dass sie objectiv beweisende
18
^ 282 —
vrelehe^ die Möglichkeit einer Simulatioii
SxperimeDtB sngesteUt ba^ ^ j^ eriaube mir in dem Folgenden eine
gSnzäoh ausge&Moesea wer ^^^^^^^^ j^j, interessante, objectiv gänzlich sicher-
Beobaohtang mitzütbeäen, iß ^^ ^^^ grossten Punküichkeit gelingende Ver-
gesteüie und ''^^J^^'l^^em kA glaube, dass die Mitiheüang von solchen
gache anstellen ^j^rbalh Frankreichs gemacht worden sind, noch einigen
^^ h h"h ' Das befereffende „Medium", welches zu solchen Versuchen in
h h m Grade gee^et war, hatte ich durch neun Monate in der hiesigen
^ d Klinik in Beobachtung. Die hier beschriebenen Experimente habe ich
• der Sitzung (am 7. März 1887) des kgl. Vereins der Aerzte in Budapest
4^onstrirt Bas Vorleben der Patientin ist der wahre Roman der Hysterischen.
II ma Sz., ZOT Zeit der Aufnahme 27 Jahre alt. Vater und ein Grossvater
liiiben durch Selbstmord geendet, Muttw starb an Apoplexie, eine Schwester leidet
an HjsterO'Epilepsie, und vei^iftete sich einmal wegen unglücklicher Liebe.
Patientin wurde von ihrem 3. — 15. Jahre in einem Kloster erzogen, sie war
damals still, träumerisch, liebte die Einsamkeit. Ihre Eltern wollten sie auch Nonne
werden lassen, so wurde sie in ihrem 15. Lebensjahre Novitierin und verblieb l^a Jahre
fortwährend im Kloster. Als sie aber dann zum Besuche zu ihren Eltern zurück-
kehrte, machte sie die Bekanntschaft eines jungen Mannes, der sie verführte and
dann verliess. Nachdem der Vater diese Affaire erfuhr, führte er sie wieder ins
Kloster, obzwar J. damals schon keinen Wunsch mehr hatte Nonne zu werden. Im
Kloster war ihr Benehmen ganz verändert, sie folgte nicht ihren Vorgesetzten, die
sie deswegen Öfters bestraften; als sie sich einmal eingesperrt allein im Zimmer be-
fand sprang sie aus dem Fenster der im ersten Stockwerke befindlichen Zelle hergab
und floh nach Hause. Angekommen fiel sie in eine schwere Krankheit, die von ihr
als Gehirnhautentzündung benannt wird, nach ihrer Beschreibung aber höchst wahr-
scheinlich eine von sehr häufigen und starken Anfällen begleitete Hystero-Epile'psie
gewesen zu sein scheint. Diese Krankheit dauerte ein halbes Jahr, als sie s^ch
aber zu bessern anfing, wollte ihr Vater sie wieder in das Kloster zurückführeri;
da entlehnte sie aus der Kassa ihres Vaters 600 Gulden und entfloh nach einer
kleineren Stadt, wo sie Männerkleider anzog und bald eine Erzieherstelle mittelst
von ihr gefälschten Documenten bei einem Gutsbesitzer erhielt. Nachdem sie hier
unerkannt IY2 Jahre zugebracht, kam sie nach Budapest, und erlang — noch
immer in Männerkleidern — eine Practicantenstelle bei einer grossen Eisenbahngesell-
schaft. Diese Stelle bekleidete sie 2 Jahre, während dieser Zeit konnten ihre Mtem
keine Nachricht von ihrem Aufenthaltsorte erhalten. Sie lebte sehr gut mit ihren
CoUegen, rauchte, nahm Theil an den Unterhaltungen der jungen Männer, die keine
Ahnung von ihrem Geschlecht hatten, die sie aber oft spotteten wegen ihrem zurück-
haltenden Benehmen Mädchen gegenüber. So war sie in ziemlich ruhigen Ver-
hältnissen, bis sie einst ihr Geheimniss einer Freundin anvertraute, die dann infolge
eines kleinen Zwistes ihre Geschichte der Polizei verrieth. Sie wurd^ detenirt, ihre
Erlebnisse in den Tageblättern besprochen, — in diese Zeit fiel auch der Selbst-
mord ihres Vaters. In der Polizeihaft wurde die Patientin, die während der letzten
372 Jahre ganz gesund war, wieder von grossen hystero-' epileptischen AnfaUen
ergriffen, so dass man sie ins Krankenhaus transferirte. In drei Wochen genesen
kam sie zu ihrer Mutter, dann zu ihrem Schwager, wo sie sehr schnell die Flöte
erlernte und im Orchester mitwirkte; sie konnte es aber hier nicht lange aushalten,
ihr unruhiger Character trieb sie wieder in die Hauptstadt. Sie benützte wieder
Männerkleider, bekam aber auf der Strasse einen hystero-epileptischen Anfall, so
dass man sie ins Spital trug; später diente i^ie als Dienstmädchen mit gefälschten
— 283 -
ZeagniaseD, bald wurde sie aber wegen Betogs und Diebstahls arretirt, musste jedoch
wieder ins Spital transferirt werden, da sie eine grosse Anzahl von Anfallen bekam.
Im December 1886 kam sie wieder zur Polizei wegen Diebstahls, nachdem aber bei
der Verhandlmig ihr Benehmen den Verdacht einer Psychose erregte, berief das Ge-
richt Prof. Ajtay, der die Merkmale der Hysterie und die leichte Hypnotisirbarkeit
der J. nachwiese. Durch die freundliche Güte des Hm. Prof. Ajtay kam dann die
J. in die Klinik, wo sie sich in den ersten Monaten sehr gnt aufführte, die Anfälle
waren in Anfang ziemlich häufig, wurden aber in kurzer Zeit bedeutend seltener.
J. hat ein regelmässiges, blasses G^cht ohne stärkere Züge, kurz geschnittene
Haare, in der Mittellinie getheilt. Ihr Gesicht hat weder einen männlichen, noch
einen ausgesprochen weiblichen Character; ihr Körperbau, bei der Aufnahme nicht
besonders wohlgenährt, zeigt regelmässige weibliche Bildung. Brüste ziemlich gross,
Genitalien ganz normal entwickelt. Die Kopfbildung zeigt keine grösseren Abiiof*
mitäten. Umfang 552 mm bei 159 cm Kürperhöhe. — Vollständige, rechtsseitige
Anästhesie. Am rechten Auge bemerkt sie die Bewegungen der Hand nur im Cen-
trum, der übrige Theil ihres Gesichtsfeldes ist unempfindlich. Am linken Auge ist
das Gesichtsfeld auch sehr eingeschränkt (nach i. 10^, a. 18^ o. 15®, u. 20^, für
Farben noch mehr (Roth: i. 5^ a. 10^ Blau 2 — 3^ desgleichen Gelb; Grün erkennt
sie nnr ans der Nähe im Gentrnm). Motilität normal. Typische Anfidle von grosser
Hystero^Epilepsie.
Die Menstruation hatte die Pat. nur sehr selten, während ihres klinischen Auf-
enthaltes doch einigemal. Perverser Sexualtrieb wurde schon früher, noch während
den erwähnten Spitalsaufenthalten bei ihr wahrgenommen. In der Klinik verliebte
sie sieh auch in eine ihrer Nachbarinnen, die aber in kuner Zeit die Abtheilung
yerlie8& — J. schrieb ihr dann sehr sentimentale Briefe. Gegen Männer seheint
sie indifferent zu sein, obwohl sie Schamgefühl hat, und ihre erste Liebe in gutem
Gedächtnisse hält.
Es scheint, dass ihr moralisches und intellectuelles Benehmen Veränderungen
unterworfen ist, so wie überhaupt der Zustand der Hysterischen veränderlich ist. Es
giebt Zeiten bei ihr, wo sie in Anbetracht ihrer Bildung intellectuell sehr viel leisten
kann, sie schreibt Briefe, die orthographisch fast fehlerlos, im Styl, im Gedanken
sehr schön sind.
Die Hypnotisation gelang sehr leicht und zwar am einfachsten durch die ganz
im gewöhnlichMi Tone ausgesprochene Worte: „sie schlafen", oder plötzlich durch
einen Znruf: „hopp"! Im Momente ist sie hypnotisirt und zeigt dann die charac-
terisiische Katalepsie, sie verbleibt in der angegebenen Stellung. Puls und Respiration
sind ein wenig yerlangsamt. Wenn man sie anredet, so antwortet sie und ist sehr
snggestionirbar und zeigt dann alle Zeichen des Somnambulismus — ohne aber, dass
zwifidien diesen zwei Arten ein bestimmter Uebergang wäre, neben den reinsten
Symptomen des Somnambulismus behält sie kataleptisch eine angegebene Stellung.
(Schlnss folgt.)
2. Ein Kinesiaesthesiometer, nebst einigen Bemerkungen
über den Mnskelsinn.
Von Professor E. Hiteig in Halle:
(Schlnss.)
Schliesslich entstellt die Frage, welche Apperceptioueu es denn nun eigent-
lich sind, deren Schärfe durch den Apparat ziATermasslg bestimmt werden soll,
18*
— 284 —
und welche ich bisher mit dem Namen „Muskelsinn'' bezeichnet habe. Ich
kann diese Frage nicht ganz umgehen., erstens weil ich Missverständnisse za
vermeiden wünsche und zweitens, weil der Name des Apparats durch die An-
schauungen, welche mit seiner Benutzung verknüpft sind, bedingt wird. In-
dessen möchte ich doch bemerken, dass meine Anspniche sich auf eine er-
schöpfende Besprechung der „Muskelsinnfrage^ nicht erstrecken. Wer sich dafür
interessirt, findet reichliches Material in der oben citirten Abhandlung von
Ghablton Bastian und in der anschliessenden Discussion der Neurological
Society of London und an anderen Orten. ^
Die Leistungen unseres Bewegungsapparates gelangen uns in normalen Ver-
bältnissen zum Bewusstsein — abgesehen vom Gesichtssinn — durch die Wahr-
nehmung der Einzelleistungen der Muskeln und ihrer Adnexe, sowie durch
differente Empfindungen Seitens der Haut und der Gelenke. Welchen Antheil
ich jenen einzelnen Factoren an dem Zustandekommen der Bewegungsbilder zu-
schreibe, das habe ich schon vor langer Zeit wiederholt in unzweideutiger Weise
ausgesprochen und ich finde auch heute nichts daran zu ändern. Ich sagte z. B.
— „und gleicherweise ist es klar, dass diese Bewegungsbilder vorwiegend auf
die Perception der Muskelzustände, weniger also auf Gelenke, Haut u. dgl. zu-
rückzuführen sind etc.''' Es scheint mir hieraus so unzweideutig als möglich
hervorzugehen, dass ich zwar dem „Muskelsinn'' s. strict eine besonders hervor-
ragende Rolle bei der Bildung der Bewegungsvorstellungen zuerkannte, aber
keineswegs der unbestimmten Auffassung (lax view) gewesen bin, welche Charlton
Bastian' mir zu Unrecht vorwirft und welche „Haut-Gelenkempfindungen u. s. w.
in den Begriff Muskelsinn einschliesst."
Man hat nun die Frage aufgeworfen, ob mit den bei jeder Bewegung ab-
* Fbohnbb, Psychophysik. I. S. 98 (f. und S. 182 (F. — Hering, Ueber Fbohnbr's psyoho-
physisches Gesetz. Sitznngsber. d. K. Akad. d. Wiasensch. liXXH. 1876. ^ Funkb, HenuanD's
Handbach der Phyiiol. Bd. HI. 2. — Wumdt, Physiol. PgychoL 2. Aufl. Bd. I. S. 397 ff. —
Jastrowite, Beitrage zur Localisation im QroaBbim. Dtsch. med. Woehenaoh. 1888. Nr. 5 ff. etc.
' UnterancbaDgen fiber das Oehim. S. 61. Ztterst abgedmckt Id Reichert's und da Bois
Reymond's Arcb. 1875.
* A. a. O. S. 76. Meines Erachtens hätte ich vor derartigen Missrerst&idnisBeD ge-
sichert sein sollen. Nachdem ich in der mit Herrn Fritsoh pablioirten Abhandlung in ganz
bypothetischer Form yon einer cerebralen Endstation — einem Centrum für „den Hnakel-
sinn" gesprochen hatte, bemerkte ich an der von Ch. Bastian citirten Stelle gegenfiber
einem Einwände Nothnaorl's: „Und dennoch bedaaere ich noch, damals das Wort Mnskel-
sinn gebraucht zu haben, insofern dasselbe von jeher zu allerlei Missverständnissen Veran-
lassung gegeben hat"; später habe ich mich denn auch bei der Erörterung der durch Hirn-
verletzungen henrorgebrachten Störungen des Ausdrucks „Muskelbewusstsein" bedient. Ich
habe dann sehr genau, wenn auch in der mir passend scheinenden Kflrze auseinandergesetzt,
wie ich mir die fraglichen Vorgänge denke und freue mich zu sehen, dass Bastian hierin
mit mir einer Ansicht ist
Wenn ich nun in dem Torliegenden Aufsätze, welcher sich mit der experimentellen
Pathologie des Gehirns nicht beschäftigt, gleichwohl zunächst schlechthin von „Muskelsinn"
spreche, so scblics!>e ich mich damit lediglich dem bei diesem Thema allgemein angenom-
menen Sprachgebrauch an. Auch hiet wird man aber die Erläuterung dessen, was ich da-
runter verstanden wissen will, nicht vermissen.
— 285 —
g^benen WiUeiiäimpuIsen eine Wahruchmung der Qrosse dieser Impulse un-
abhängig von den centripetal anlangenden Empfindungen ihrer peripherischen
Wirkungen rerbunden sei oder nicht, mit anderen Worten, ob dem Sensorium
dn unabhängig von äusseren Sinuesempfindungen bestehender ,,Kraftsinn''
zukomme.
loh habe an sich gegen die Annahme eines Kraftsinns nichts einzuwenden,
ja ich sehe sogar nicht, wie der regelmässige Ablauf unserer willkürlichen Be-
wegungen ohne diese Annahme erklärt werden kann. Jede mehr oder minder
complicirte Willkurbewegung setzt sich zusammen aus den Einzelwirkungen
überaus zahlreicher, den einzelnen Muskeln und Theilen von Muskeln zukommen-
den Zugkräfte. Diese Kräfte bleiben aber während eines und desselben Be-
wegungsactes weder absolut noch in ihrem gegenseitigen Verhältniss zu einander
constant, sondern sie erfahren während jeder einzelnen Phase desselben zahlreiche,
durch die Verwirklichung der Bewegungsintention bedingte Veränderungen. Da
nun die Letztere eine Function des Bewusstseins ist und da ihre Verwirklichung
von einem Zuwachs oder umgekehrt einer Abminderuug der von diesem abzu-
gebenden Impulse abhängig ist, so versteht es sich von selbst, dass das Bewusst-
sein irgend eine Kenntniss sowohl von den peripherischen Wirkungen der von
ihm aufgewendeten Kraft, als auch von dem Maasse dieser Kraft selbst besitzen
muss; ja diese Kenntniss kann nicht nur etwa die aufgewendete Kraft im All-
gemeinen betreffen, sondern sie muss sich nothwendig wieder aus der Kenntniss
von den Einzelkräften zusammensetzen, welche f&r jeden einzelnen Factor des
arbeitenden Theiles des Muskelsystems verwendet worden sind.
Wenn nun unsere eigenen Wahrnehmungen von diesen inneren Vorgängen
nicht die Schwelle des klaren Bewusstseins überschreiten, so dass deren Existenz
oder Nichteoustenz überhaupt Qegenstand der Discussion sein kann, so ist dies
auf ein allgemein gültiges Cresetz zurückzufahren.
„Wir vermögen ganz allgemein die Zustände der einzelnen Organe nur in-
soweit — von Innen heraus — zu erkennen, als es für die Benutzimg derselben
zur Erhaltung des gleichmässigen Flusses der von ihnen abhängigen Beihe von
Lebenserscheinungen erforderlich und ausreichend ist''^
Hiemach ist also die Existenz eines „Kraftsinns'' insoweit zuzugestehen, als
derselbe einen von den für den Ablauf normaler Bewegungen unentbehrlichen
Factoren bildet. Daraus kann aber noch nicht ohne Weiteres gefolgert werden,
dass solche Empfindungen (Sinnesempfindungen des Kraftsinns) auch gänzlich
unabhängig von den anderen in Betracht kommenden Factoren gebildet werden.
Man kann sich vielmehr sehr wohl vorstellen, dass sie nur unter dem Einflüsse
von bestimmten centripetalen Reizen zu Stande, bei • gänzlichem Fortfall der
Letzteren aber gleichfalls in Fortfall kommen. In dem erstangenommenen Falle
würden also centripetal anlangende Empfindungen zur Bildung von Associationen
— d. h. zur Miterregung anderer centraler Empfindungsapparate — verwandt
werden, welche in ihrer noch centripetal gerichteten Hälfte sich mit dem centri-
^ piTZio, Unt^rsuehunffen üb«r das Gebirii. Berlin 187^* S* 9h
— 286 —
fugalen Willeüsimpulse zu einer in verschiedener Weise nuancirten Vorstellung
vereinigen. Dass dieser als möglich vorausgesetzte Vorgang grosstentheils unter
der Schwelle des Bewusstseins verliefe, könnte aus dem vorangeführten Grunde
nicht weiter überraschen.
In dem anderen Falle würde die Associationsreihe aber gar nicht erst in
Flttss gerathen, weil das hierfür wesentliche Anfangsglied fehlt Lediglich inter-
centrale (der vielfach gebrauchte Ausdruck ,,centrifugal'' passt hier nidit) Em-
pfindungen des Eraftsinns würden unter dieser Voraussetzung nicht existiren.
Ich weiss nicht, ob es sich so verhält und ich wiU nichts Derartiges be-
haupten. Ich sehe aber auch nicht, dass das Gegentheil erwiesen ist; viehnehr
scheint mir dasjenige, was wir von unzweideutigen Beweisen besitzen, eher gegen
die Existenz eines von der Apperception der Bewegungen unabhängigen Eraft-
sinns zu sprechen.
Natürlich wird die Schätzung der für eine besünmite Bewegung ange-
wendeten Kraft durch jede pathologische Veränderung der hier mitwirkenden
Apparate beeinflussb Zwei in der Kürze anzuführende Beispiele mögen diese
Thatsache etwas näher erläutern.
I. Einem 16jährigen Handlanger war am 6. Januar 1886 ein Mauerstein aus
beträchtlicher Höbe auf die Unke Scheitelhöhe dicht neben der Mittellinie gefallen.
Er trug eine Depression des Scheitelbeins und eine Parese beider rechten Extremi-
täten, welche in der unteren Extremität stärker war, nebst einer Steigerung der
Sehnenreflexe davon. Das (Gebiet des Facialis etc. war frei geblieben. Als er am
26. Januar 1886 zur Beobachtung kam, waren sämmtliche Bewegungen der oberen
Extremität ausführbar, die grobe Kraft derselben massig herabgesetzt, feinere Finger-
bewegungen wurden langsamer und ungeschickter ausgeführt, Contracturen bestanden
nicht, das LagegefQhl war erhalten. Der Kranke schätzte aber Gewichte mit
dieser Extremität zu schwer. Gab man ihm gleichzeitig in jede Hand eine
Kugel, die leichtere in die rechte Hand, so schienen ihm 50 gr theils schwerer als
100 gr, theils gleich schwer, 150 gr schwerer als 200 gr etc. Bei den höheren
Gewichten hielt er vielfach ziemlich weit auseinander liegende Gewichte fdr gleich
schwer. Gab man ihm jedoch die Kugeln nach einander in die gleiche rechte
Hand, so schätzte er richtig, üebrigens erlahmte die Aufmerksamkeit verhältniss-
mässig schnell Ein ähnliches, jedoch nicht weiter verfolgtes Verbalten wurde an der
unteren Extremität constatirt.
In diesem FaUe waren ofTenbar die cortlcalen Centren für die motorische
Innervation der rechten Extremitäten verletzt und dadurch in ihrer Leistungs-
fähigkeit beeinträchtigt Somit wurde durch die Leistung der gleichen Arbeit
die Aufwendung einer grosseren Summe von Willensimpulsen bedingt, welche
Differenz nun nach dem Oesetz der excentrischen Empfindung als Yorstellung
der Hebung einer grosseren Last in die Peripherie verlegt wurde.
Genau dem Widerspiel dieser Erscheinung b^gnen wir dem folgenden Falle.
IL Ein 3dj&hriger Arbeiter war am 28. Mai 1887 so von einem 4 — 5 Fnss
hohen GerQste gestürzt, dass er bei gestrecktem Arm auf die Fläche der linken
hyperextendirten Hand fiel. Er klagte von der Zeit an über eine Gombination von
motorischen und sensiblen Lähmungs- und Reizerscheinungen in dieser Extremität.
In diesseitige Behandlung trat er am 8. October ej. Zu der Zeit, als die fraglichen
— 287 —
(Jotersuchangen aasgeführt wurden» hatte er eine nicht auf bestimmte Nerveustämme
begrenzte motorische und sensible Parese des linken Vorderarms und der Hand,
gleichzeitig aber Krämpfe und Parästhesien in dieser Extremität. Paretisch waren
die Extensoren der Handwurzel, der Flexor digitt. prof. und die den kleinen Finger
bewegenden Muskeln an der Hand. In den letzteren war die Parese am stärksten,
derart, dass der 5. Finger nicht opponirt und dem 4. Finger nicht genähert werden
konnte, in den übrigen Muskeln war sie nur angedeutet. Die elektrische extramus-
Guläre Erregbarkeit erwies sich annähemd normal, die intramuscul&re dagegen an
der ganzen Extremität eher etwas gesteigert. Die sensible Parese betraf nur den
Tastsinn, während die Temperatur- und Schmerzempfindung keine Veränderungen er-
kennen liessen. Die Störung erstreckte sich auf die ganze Vola, einen Theil der
Phalangen, sowie Slreüen und Flecken innerhalb yerschiedener Nervengebiete des
Vordenurms. Ganz genaue Grenzen liessen sich nicht feststellen, da der Kranke
durch excentrische Empfindungen beirrt wurde. Er war jedoch z. B. gänzlich ausser
Stande, ein Geldstück, eine Uhr, einen Schlüssel etc. durch Betasten zu erkennen
und gab an, einmal in der Nacht dadurch heftig erschreckt worden zu sein, dass er
seine linke Hand mit der rechten Hand wie eine fremde Hand in seinem Bette fühlte.
Oegeneinanderstossen der Phalangealgelenke nahm er nicht wahr, wohl aber Ziehen
an denselben. Die Empfindung für nicht schmerzhaften Druck fehlte an den Fingern
ganzlich, während er schon kleine Differenzen eines schmerzhaften Druckes wohl er-
kannte. Die Contractionsempfindung bei elektrischer Beizung der Muskeln war zwar
erhalten, aber deutlich schwächer als rechts. An den oberen Extremitäten war eine
Veränderung der Beflexe nicht wahrzunehmen, dagegen erschienen die Patellarreflexe
ausserordentlich gesteigert. Symptome von Seiten der Himner?en, welche auf die
gegenwärtige Krankheit bezogen werden konnten, fehlten. Ausserdem litt der Kranke
an klonischen Krämpfen, durch welche in der Begel nur abwechselnd rhythmische Ad-
dactions- und Abductionsbewegungen im linken Handgelenk und zwar ca. 150mal in der
Minute hervorgebracht wurden und an denen sich sowohl die Beuger als die Strecker
betheiligten. Liess man den Kranken jedoch bei horizontal gestrecktem Arm die
Vola manus nach oben drehen, so traten — vornehmlich bei geschlossenen Augen —
mehr tonische Krämpfe auch im Biceps und in anderen Muskeln des Vorderarms
und der Hand auf, so dass pronatorische Flexions-Bewegungen des Vorderarms und
Oppositionsbewegungen des Daumens entstanden. Die ersterwähnten rhythmischen
Krämpfe cessirten während dessen ganz oder fast ganz. Im Uebrigen traten die
Krämpfe zurück, sobald die Aufmerksamkeit des Kranken nicht in irgend einer Weise
auf seinen Arm gelenkt wurde und bei Ausführung anderer Bewegungen z. B. beim
Händedruck.
Dieser Kranke schätzte pun dann, wenn man ihm gleichzeitig
eine Kugel in jede Hand gab, die linke Kugel stets zu leicht und
zwar war der Irrthum grösser bei Schluss der Augen, folgerecht bei Verstär-
kung der Intensität und Extensität der Krämpfe. In diesem Falle schienen
ihm mit der rechten Hand gefasste Kugeln nicht nur dann schwerer, wenn es
äch um die kleineren Gewichte zwischen 50 und 100 handelte, sondern er hielt
^ur noch. 250 gr fiir schwerer als 800 gr. Andererseits schätzte er mit der
lechten Hand allein ganz richtig, mit der linken Hand allein so, dass er z. B.
60 und 80 gr nicht, aber doch 800 von 700 gr und 250 von 300 gr richtig
unterscheiden konnte. Die Unsicherheit war in diesem Falle also nur gering.
In demselben Sinne war das Lagegefühl verändert Sollte der Kranke
nämlich mit dem linken Arm eine dem rechten Arm gegebene Stellung reprg-
duciren^ so erfolgte stets eine zu ausgiebige Bewegung.
- *
„ . , _ i«^ ^ Zweifel sein.* Im
fugaleu Wükasimi«.^- ^^ .^'Indelte. Jedenfalls lässt
veremigeD ^^^ ^ f^S^^J^i Betteüigung der grauen Sub-
",.. ^"J^ '^ '*lrV<i* Brörterung ist nur dies und die
™ fr,.*rtf^rf> '''S^'^ 5?CSaö und sogar eine um vieles grössere
PI „ ^ 'I!^IÄ«***«iS«» '^^ Sfc»«' ««" "«^«8 geringer erschien, weü ein
J<ius ^^^^ tf J**^"*4rW' nicht von Wiliensimpulsen, sondern von
T 'rfS^*^ '^g'^^'^aotonseben Bahn wirksam werdenden Reizzustande
eiit^'^^Ztr-' wir dJ*" beiden oder ähnliehe Fälle für die Entschei-
bettn^^^ Jab^"^ fjfige nichts beizutragen. Denn wenn durch dieselben
Ar »"^^Jtdass dJß geleistete Arbeit jedesmal dann unrichtig geschätzt
^"^tetri^^ mUss der erforderlichen Impulse durch einen der Erfahrung
^vj irö^^ ^^remden Factor eine positive oder negative Veränderung erleidet,
Lg 8e^^ pliertsßhß Arbeitsleistung doch in jedem dieser Fälle apperdpirt
^fd dl^ ^ . ^i'üH'ntifirAilia. waIaHa yn Hat Arfnr^Arlip.ViAn TTrf.hAi1fl^^.h1n$»V
^ ifird f'*,. ^ociationsreihe, welche zu der erforderlichen Urtheil8(8chluss)
and ^*^^^•n FIuss gebracht.
Ijildaiiß ^ßjien Gründen lässt sich auch mit den Erfahrungen, welche über
den oberen und unteren Extremitäten verschiedene Feinheit des Muskel-
dj^ ^^ggjo.melt sind, nichts anfengen. Die Thatsache selbst ist wohl hinreichend
^^L^t D^nn wenn auch die durch die oben angeführten Untersuchungen
^ to^enen Verhältnisszahlen für die unteren Extremitäten zwischen V4 und V20
fliraiilföo, so ist doch der der grössten Feinheit des Unterscheidungsvermögens
derselben entsprechende Werth von Vao — welcher zudem kaum richtig sein
dürfte — immer nur halb so gross, wie der von Wsbbb für die oberen Ex-
tremitäten gefundene Werth. Wahrscheinlich verhält sich das relative Unter-
soheidungsvermögen = 1:4-— 5.
Man könnte folgenden Schluss ziehen wollen. Wenn mit den oberen Ex-
tremitäten die Hinzufügung von 1 gr zu einer Belastung von 39 gr richtig, da-
gegen mit den unteren Extremitäten die Hinzufügung von 60—80 gr zu einer
Belastung von 0 gr nicht richtig erkannt wird, so ist dies mit der Annahme
eines Kraftsinnes nicht vereinbar; denn ein solcher Sinn müsste in jedem von
beiden Fällen die aufgewendete Kraft gleiohmassig fein beurtheilen können.
Dieser Schluss wäre aber deshalb unzulässig, weil er der Gewichtsdifi'erenz zwischen
der oberen und der unteren Extremität keine Rechnung trägt Es versteht sich,
dass das Sensorium in demjenigen corticalen Gentrum, welches stets die Be-
yfegang einer grösseren Last — also der unteren Extremität — zu versehen
^ M. Bbbkhabdt, Ueber einen Fall von Himrindenataxie (Dentsche med; Wochenschr.
1887. S. 52), beschreibt einen sehr ähnlichen Fall. S. aach Jabtbowitz a. a. O. Fall VI
und Vn.
' Diese Annahme ist nur zum TheU ricbtdg. Ein Theil des Inthoms ist zweifellos
ans der Abstompfong des Muskel- nnd Gelenkgefuhls derart herzuleiten, dass das Sensorium
geringwcrthigere Reize von diesen Theilen her empfing. Im Text ist hiervon abgesehen, um
die Auseinandersetzung nicht unnöthig zu verwickeln. Der Einfluss der Krämpfe geht
andererseits daraus hervor, dass die Grosse des Irrtbums von ihrer Inteusitat abhängig; war«
— 289 —
bat^ eine höhere Schwelle für den Werth der Belastung besitzt. Einen Eraft-
sinn in der supponirten Bedentang könnte es also geben und dennoch würde
dieser nicht befähigt sein, das Mehr der Impulse zu appercipiren, welches durch
einen Zuwachs der Belastung von 1 gr oder 80 gr gleichviel zu der Eigenschwere
des Beines bedingt wird.
Dag^en scheinen gerade solche Beobachtungen, wdcbe nach der Ansicht
einiger Autoren für die Existenz eines unabhängigen Eraftsinns sprechen sollen,
dagegen zu sprechen. Ich meine die Beobachtungen über die Bewegungsempfin-
dungen der Tabischen. Diese Krankheitsfälle sind um deswillen von ganz be-
sonderem Interesse, weil bei ihnen die Uebermittelung ceutripetaler Reize ganz
oder fast ganz ausgeschlossen sein kann, so dass dann die Existenz und die
Eigenschaften eines interceutralen Eraftsinns appercipirbar werden müssten.
Leyben fand bekanntlich,^ dass Tabiker, welche die stärksten faradischen
Muskeloontractionen an den unteren Extremitäten nicht empfanden und ausser-
dem daselbst an einer bedeutenden allgemeinen Anästhesie litten, die Schwere
Terschiedener Gewichte (nach der Torbeschriebenen Methode) „mit derselben
Scharfe unterschieden wie Qesunde.'^ Indessen gelang ihnen das nur dann,
wenn das zu schätzende Gewicht eine gewisse Schwere besass, sonst wurde das
Gewicht überhaupt nicht wahrgenommen. Leydek schliesst hieraus, „dass die
Schätzung nicht (mehr) Function der sensiblen Nerven, sondern des Sensorium
st, dass diese Fähigkeit so lange normal ist, als die psydüschen Vor-
gänge dieser Art normal sind.'< „Die Grenze aber, .wo das Gefühl der Schwere
entstand, war erheblich heraufgerückt, wenn eine erhebliche Abschwächung der
Muskelsensibilität, wie der Sensibilität überhaupt bestand.^' Zunächst kommt
der von Leydek mitgetheilten Thatsache eine allgemeine Gültigkeit nicht zu.
Schon Jaccoud^ hatte abweichende Erfahrungen gemacht Letden hat zwar
die Grenze nicht angegeben, jenseits deren das Gefühl der Schwere entstand;
man kann jedoch aus seinen Versuchen entnehmen, dass dieselbe nicht höher
als 1000 — 1500 gr gelegen hat. Lassen wh: also von den 6 an Tabes leidenden
Versuchspersonen Jacgoud's zunächst diejenigen 5 bei Seite, welche mit leich-
teren Gewichten untersucht wurden, oder welche geringere Differenzen unter-
schieden, so bleibt doch immer noch ein Eranker, welcher erst eine Differenz
von ca. 3000 gr unterschied. Auch Bebnhabdt* untersuchte Tabische, welche
1000, selbst 1500 gr von 500 gr nicht unterschieden.
Ich selbst beobachte seit dem Juni 1886 einen Erankeu, der in dieser
Beziehnng und sonst von Interesse ist
IXI. Der Schreiber E., ein iDtelligenter Mann, nicht syphilitisch, angeblich in
Folge von Erkältung erkrankt, ist in Folge doppelseitiger glaucomatoser Opticus-
Atrophie total blind. Die ersten Erscheinungen von Tabos traten im Jahre 1881
mit lancinirenden Schmerzen in den unteren Extremitäten und Blasenbeschwerden
auf. Gegenwärtig besteht eine aosserordentUch hochgradige Ataxie. Wenn der KrankQ
> A. a. O. S. 329.
■ A. a. O. S. 675.
» A» ». 0. 8. 631,
— 290 —
sitzend oder liegend sich zum Gehen anschickt^ so wirft er die Beine durcheinander,
als wenn er damit trommeln wollte. Ist er damit jedoch erst auf den Fussboden
gelangt, und in Gang gekommen, so vermag er an der Hand eines Führers grosse
Wege zurückzulegen. Das Lagegefübl in den unteren Extremitäten feblt gänzlich.
Die stärksten faradischen Muskelcontractionen rufen daselbst nicht die geringste Con-
tractions-Empfindung hervor. Die Hautsensibilität ist hochgradig gestört, am besten
ist noch der Temperatursinn erhalten, ausserdem werden stellenweise starke, auf die
Haut localisirte Inductionsströme mit einer Yerlangsamung als Schmerz empfunden.
Dieser Kranke vermag nun 0 von 1900 gr anch dann nicht zu
unterscheiden, wenn die Schätzung bei gestrecktem Bein durch
Beugung im Hüftgelenk vorgenommen wird.
In allen diesen Fällen war also von einem mit Scharfe fungirenden Kraft-
sinn nichts zu merken. Indessen sprechen auch die anderen bei Weitem zahl-
reicheren Fälle, in denen das Gefühl der Schwere bereits bei einer viel geringeren
Belastung entstand, durchaus in gleichem Sinne. Es ergiebt sich nämlich aus
diesen — und meine eigenen Beobachtungen stimmen damit überein — dass
die Fähigkeit, Gewichte richtig abzuschätzen, in gleichem Maasse mit den sen-
siblen Eigenschaften der Extremitäten abnimmt, ohne dass der „Kraftsinn'' etwas
daran zu ändern vermöchte. Diese Fähigkeit erweist sich damit als abhängig
von centripetalen Reizen und als unabhängig von selbstständigen
intercentralen Vorgängen.
Wäre die in Bede stehende, von Leyden gemachte Erfahrung aber auch
allgemein gültig, was sie nicht ist, so könnte daraus unter keinen TJmständep
der von ihm gezogene Schluss hergeleitet werden. Wenn Lbydbn nämlich sagt:
„Nunmehr ist aber diese Thatsache leicht verständlich, denn die Schätzung ist
nicht mehr Function der sensiblen Nerven, sondern des Sensorium,'' so kann
dieser Satz nur so verstanden werden, dass die Schätzung in den fraglichen
Fällen ohne Mitwirkung der sensibeln Nerven ausschliesslich Function des
Sensorium sei; denn dass bei jeder Schätzung eine Mitwirkung des Sensorium
stattfindet, versteht sich von selbst
Hiemach würde sich die Sachlage für einen concreten Fall folgendermaassen
gestalten. Ein Tabiker nimmt ein Gewicht von 900 gr ungeachtet seines inter-
centralen Kraftsinns überhaupt nicht wahr, sondern hat das Gefühl der Schwere
erst bei 1000 gr. Fügt man dagegen zu diesem Gewicht von 1000 gr V20? ^Iso
50 gr hinzu, ein Mehr, welches von Gesunden in der Regel nicht apperdpirt
werden wird, so erkennt der gleiche Sinn, welcher bis dahin überhaupt nicht
functionirt hat, nunmehr plötzlich diese minimale Differenz. Dieses Verhalten
wäre in keiner Weise zu erklären. Man versteht nicht, aus welchem Grunde
jener Sinn, wenn er überhaupt vorhanden und in dem einen Falle zur Er-
kennung so feiner Differenzen befähigt ist, in dem andern FaUe grobe Diffe-
renzen nicht wahrzunehmen vermag und man wird deshalb genügt sein, den
Grund für diese auffallende Erscheinung nicht im Centrum, sondern in der
Peripherie zu suchen.
Leyden selbst hat durch Versuche nachgewiesen, dass noch andere sen-
sible Nerven al3 die der Mu3kelu bei der Bildung unserer Anschauungen vou
— 291 —
acÜTea und passiven Bewegungen concurriren. In der That kommt den Em-
pfindungen, welche durch Zug an den sehnigen Appendices der Muskeln und
durch Druck auf die Gelenkflächen vermittelt werden, schon in der Norm ein
nicht unwesentlicher Antheil an der Bildung der Bewegungsvorstellui^n zu;
ich erinnere nur an die schon von Webbb angestellten Versuche.
An Kranken lasst sich nun zunächst nachweisen, dass die Sensihilitat dieser
Theile einer gesonderten Störung fähig ist. Der hier unter IL erwähnte Kranke
hat z. B. keine Empfindung von dem Zusammenstossen fast aller Fingergelenke,
während er Zug an den Fingern wahrnahm. Qerade umgekehrt empfindet der
zuletzt erwähnte Kranke Zug an den Gelenken der unteren Extremitäten gar
nicht, dag^en empfindet er schon ein leises Zusammenstossen der einzelnen
Grdenkflächen s^r gut. Ja er empfindet das leiseste mit einer Fingerspitze
gegen die Längsaxe des Gliedes gerichtete Klopfen unter dem Hacken mit der
grössten Sicherheit und Begelmässigkeit, während die Haut des Hackens in
dem Maasse anästhetisch ist, dass der Kranke daselbst weder das Quetschen
einer Hautfalte noch tiefe Nadelstiche überhaupt wahrnimmt Jene Empfindung
kann daher nur in den Gelenken der Fusswurzel oder im Fussgelenk entstehen.
Ich vermuthe hiemach weiter, dass den Gelenkempfindungen unter Um-
standen eine vicariirende Thätig^eit zukommt, vielleicht sogar in der Weise,
dass der Gelenksinn — wenn man das Wort passiren lassen will — einer Ver-
schärfung dann fähig ist, wenn das Sensorium bei der Orientirung über die
Zustände der Extremitäten vornehmlich oder gänzlich auf ihn angewiesen ist
Wahrscheinlich beruht die grössere Sicherheit, welche die Tabischen in der Be-
herrschung der Extremitäten gewinnen, sobald sie erst einmal mit den Hacken
auf den Boden gelangt und in Grang gekommen sind, andererseits — wenigstens
zum Theil — die grössere Kraft, mit der sie die Hacken aufsetzen auf der
verstärkten Inanspruchnahme der Gelenkempfindungen.
Und in gleicher Weise scheinen sich die Erfahrungen von Leyden zu er-
klären. In der That gaben seine Kranken an, sie empfanden die Schwere der
Belastung theils an der Stelle, wo der Fuss die Pelotte trifft, theils in den
Gelenken. Jedenfalls hat es sich dabei also um die Apperception periphe-
rischer, nicht aber um die intercentraler Empfindungen gehandelt
Jedoch scheinen mir die von dem Haut- und dem Muskelsinn unabhängigen
Empfindungen auch bei den Bewegungsverrichtungen der Gesunden eine grössere
Bolle zu spielen als man bisher anzunehmen geneigt war. Ich schliesse das
ans der oben von mir mitgetheilten Thatsache, dass Personen, welche eine Be-
lastung der unteren Extremität von 60 gr überhaupt nicht appercipiren, einen
Zuwachs von 60 gr zu einer Anfangsbelastung von 200 und von 250 gr etc.
leicht erkennen.^^ Wären die Muskelempfindungen bei der Schätzung einzig
und allein ausschlaggebend, so müsste das Umgekehrte zutreffen. Wenn die
^ Die Thatsache, dass die Feinheit der Schätzung mit der Zunahme der Belaetong
bis za einer bestimmten Grenze anwächst, hat fUr die obere Extremität znerst pKOHirm
(a. a. O. 8. 200) gefunden und nachdem HBBnro (bezw. Bibdxbhakn und Loewit a. a. O,
9, 84) bestätig
— 292 —
der Schätzung zu Grunde liegende Bewegungsempfiuduug sich jedodi ausserdem
noch aus den Empfindungen von Zug an Fascien und Bändern und von Pres-
sungen der Grelenkflächen zusanmiensetzt, so wird die Thatsache ohne Weiteres
verstandlich; denn die anatomischen Verhältnisse der imteren Extremität, das
grössere Gewicht ihrer Theile, bedingen naturgemäss einen höheren Schwellen-
werth für die in I^'rage konunenden Beize. —
Wenn man also Gewichte schätzen lässt, so misst man die Summe der
im EinzelfaUe wirksam werdenden, aus jenen verschiedenen Quellen herstammen-
den Empfindungen, Bewegungsempfindungen im weitesten Sinne. Das werden
in der Norm vornehmlich, aber keineswegs ausschliesslich Muskelempfindungeu
sein, — hierin stimme ich Leyden und Bastian vollkonmien bei — bei Knmk-
heiten kann das Verhältniss sich indessen derart ändern, dass gerade diese
Empfindungen gänzlich zurücktreten.
Ghablton Bastian hat für die Wahrnehmung der Gesammtheit jener
Empfindungen den Ausdruck „Kinaesthesis'^ (Kinaesthetic impressions) vorge-
schlagen und ich selbst finde gegen ein solches Sammelwort, wenn es auf eine
schärfere Präcision dessen, was bisher vielfach „Muskelsinn'' genannt wurde,
ankommen soll, im Prindp nichts einzuwenden. Nur wird mir von competenter
Seite versichert, dass das Wort in sprachlicher Beziehung nichts tauge. Mir
thut das aufrichtig leid. Denn wenn ich, im Uebrigeu Bastian folgend, den
beschriebenen Apparat nicht „Kinaesthesiometer'' genannt habe, so verhehle ich
mir keinesw^s, dass dieses Wort, wenn auch sprachlich unrichtig, sich doch
zum Sprechen immer noch besser eignet, als das sprachlich richtigere „Kinesi-
aesthesiometer.''
IL Referate.
Anatomie.
1) Kraniometrie und Kephalometrie. Vorlesungen gehalten au der Wiener Allge-
meinen Poliklinik von Prof. Dr. M. Benedikt. Mit 36 Holzschnitten. YIIl und
172 S. (Wien und Leipzig, Urban & Schwarzenberg. 1888.)
Ein werth volles Werk, die Frucht grosser Opfer an Zeit und Geld, und reich
au originellen Gedanken. Wie Verf. selbst sagt, ist der Zweck desselben Kranio-
scopie zu lehren. Einerseits sollen sich die Kliniker überzeugen, dass hereditäre
sowie frflhzeitig erworbene Erkrankungen des Centralnervensystem's mit atypischen
Formen grösserer oder kleinerer Abschnitte des Sch&dels verbunden zu sein pfl^en;
andererseits werden dem modernen Morphologen Hilfsmittel an die Hand gegeben,
durch die er mit genügender Genauigkeit Diagramme organischer Gebilde aufzeichnen
und überhaupt jeden Punkt im Baume construiren kann, und durch die z. B. der
Anatom die strenge Gesetzmässigknit im Bau des anscheinend so unregelmässig ge-
formten Schädels zu erkennen vermag. Die letzte Aufgabe der wissenschaftlichen
Craniologie wird es ja sein, aas der Gestalt des Schädels auch die das Wachsthum
desselben bedingenden Kräfte und deren Gesetze, also die Biomechanik des Schädels,
abzuleiten. Für derartige Untersuchungen wird der optische Kathetometer B.*8 von
grosser Wichtigkeit werden; eine Preisangabe ist nicht gemacht, doch wird seine
Anschaffong; so weit man nach den Abbildungen zu beurtheilen vermaj;, leider selbol
— 293 —
in einfachster AnsfÜhrang so theuer sein» dafs sie nur vereinzelten Forschem und
Laboratorien möglich .sem dflrfte.
Den Apparat selbst zu beschreiben, ist hier nicht möglich; es sei nur erwähnt,
dass er im Gegensatz zu allen anderen Messinstrnmenten für craniometrische Zwecke,
speciell anch zu den sonst so scharfsinnig erdachten Apparaten Biegers^s und Mies\
als optischer Eathetometer also nach Art eines Theodolithen zur Bestimmung der
drei Banmcoordinaten ausgeführt ist.
Ein Hauptergebniss der wissenscbaftlichen Untersuchung des Verf/s ist die Ent-
deckung, dass die ganze Oberfläche des Schädels aus einer bestimmten Anzahl von
Eugelschalen besteht von oft recht verschiedenem Badius. Femer entspricht jedem
SchalentheU ein bestimmter Hirnabschnitt und es existirt ein conformes Yerhältniss
zwischen beidw Wachsthnm. Eines echten Naturforschers würdig ist dann der Qe-
danke, aus den Erümmungsmittelpunkten der einzelnen Eugelschalen, die also ge-
Wissermassen die Centren der zugehörigen Himabschnitte sind, einen Eörper zu con-
stmiren und dies für jede Altersstufe des wachsenden Schädels zu wiederholen; aus
dem Vergleich dieser Serie von ,,Centralkörpem" mit einander wird sich dann die
Morphologie und auch die Mechanik des Hirawachsthums erkennen lassen. Es ge-
hört allerdings eine Entsagung auf persönlichen Erfolg dazu, an derartigen Problemen
zu arbeiten: vorläufig fehlen ja noch fast alle Materialien dazu und dann bedarf
es noch der vollständigen Beherrschung der angewandten Mathematik. Mögen sich
die Mitarbeiter, deren Mangel Verf. lebhaft beklagt, zu diesem Werke finden; sie
werden freilich nur in besonders gut eingerichteten Laboratorien arbeiten können,
da der nothwendige Apparat sehr gross und kostspielig ist.
Für die praktischen Bedürfnisse des Irren- und des Gerichtsarztes sind ein-
fachere Methoden genügend, um zu werthvoUen und verwendbaren Besultaten zu ge-
langen. Ein guter Tasterzirkel und ein (öfters zu controUirendes) Messband reichen
für die meisten Bedürfnisse aus.
Auf zwei Grandsätze baut sich die praktische Craniologle auf: abnorme Form
des Schädels deutet auf abnorme Entwickelung des Hims, und; abnorme Entwickelung
des Hims deutet auf abnorme Gehimfunction.
Der Einfluss absoluter oder relativer Mikro- und Makrocephalie ergiebt sich
sehr leicht; mit gewissen Extremen ist eine normale Function unvereinbar und für
viele andere Fälle ist sie sehr unwahrscheinlich. Von ähnlicher Bedeutung ist der
Nachweis hydrocephaler, rachitischer etc. Residuen am Schädel und dann der von
Asymmetrien; hier ist indess zu beachten, dass grade die auffälligsten Schiefheiten
ein Zeichen hervorragender Compensation sein können, wie schon Yirchow ange-
geben hat. Abnorme Enochenpunkte, frühzeitiger oder zu spät erfolgender Naht-
anschluss sind ebenfalls von grosser Bedeutung.
Der häufig recht knapp gefasste Inhalt der B.*schen Ausführungen erschwert
ein eingehendes Beferat und es muss durchaus auf das Original verwiesen werden.
Von speciellen Einzelheiten sei hier noch erwähnt, dacs es dem Verf. gelungen ist,
in Fällen von congenitaler (und frühzeitig erworbener) Blindheit eine beträchtliche
Verkürzung des Interparietalbogens, bei congenitaler Aphasie Stenokrotaphie, bei
Taubheit Verkürzung des Schläfenbogens, bei Epilepsie eine Verkümmerang der
Scheitelbeine, und bei criminellen und psychopathischen Individuen überhaupt Ab-
flachung des Stirnbeins u. s. w. nachzuweisen.
Eine Volumsbestimmung ist an macerirten Schädeln bekanntlich mit grossen
Schwierigkeiten verknüpft. Von verschiedenen Forschem unternommene Messungen
ein und desselben Schädel ergaben gewöhnlich abweichende Resultate und man hat
in der Voraussetzung, dass die „Fehler" bei jedem üntersucher constant bleiben,
eine „persönliche Gleichung" derselben aufsetzen wollen, um Vergleiche ihrer Resul-
tate zur ermöglichen. Anch die auf Broca's bahnbrechenden Arbeiten bemhenden
neueren Methoden der „Schädelcubage" nm die sich besonders Ranke, Schmidt und
tiooh it0<n fehlerfreies Besoltat. Hofent-
.f^Mgcbt hBbeB, f^^^^ leider flrfth verstorbenen Schüler's von
^ jüker ^^^'f*M0^^ t'»^Y%Jam8besftmmxmg (durch AnfWlnng einer dem
gcijrfajj^j^ App»r*^^ ^ B.'a sllen, die sich mit Craniologie zn besch&ftigen
^oeB 2]JJ^jÄ BBi ^ v^enn «an auch nicht in der Lage ist» ein so kostbares
warm ^^P^?^ß' es erfordert, zu besitzen, so wird man doch grossen Vor-
SS^meo^'^'^'^^nöhüngen zu ziehen vermögen. Sommer.
theil ans seif^"
oßotrBien Endigungen des N. vagus und über die Zasammen-
^) üeif^ ^des flogenivz^^^ solit&ren Bündels des verlängerten Harke,
9^*^^ ^echtereir. (Wjestnik psychiatrii i nevropatologii. 1888. V. 2.
von W. **
BBSBiflch.;
bisher die Angaben der Autoren über den Ursprung der Fasern des N. vagus
A A FunicuJus solitÄrius im verlängerten Mark viele Widersprüche enthalten, ver-
1 iß es Verfasser diesen Fragen durch das Studium embryonaler Präparate näher
^"^ treten. Gehirne von Früchten früher Perioden (ca. 28 cm Länge) erwiesen sich
'u diesem Befunde am geeignetsten, da zu dieser Zeit die meisten Fasersysteme des
verlängerten Marks noch keine Myelinscheiden besitzen, und deshalb die markhal-
tigen Fasern der Nervenwurzeln bei Weigert 'scher Färbung sich genau verfolgen
lassen.
Die Wurzelfasem dos N. vagus verlaufen nach ihrem Eintritt in*s verlängerte
Mark in verschiedener Richtung. Ein bedeutender Theil derselben zieht direct zum
Vaguskem, der am Boden des 4. Ventrikels aufwärts und lateral vom Hypoglossus-
kern liegt und kleine Nervenzellen enthält Doch nicht alle Fasern dringen in diesen
Kern ein, sondern ein Theil zieht an letzterem sowohl, als am Hypoglossuskem ven-
tralwärts vorüber, überschreitet die Baphe und tritt an der gegenüberliegenden Seite
zum N. ambiguus. Ein anderer TheÜ der Vagusfasern geht von ihrem Eintritt
direct zum N. ambiguus; ein dritter endlich zieht zum solitären Bündel hin, und
dieses Verhalten lässt sich mit solcher Deutlichkeit demonstriren, dass jeder Zweifel
ausgeschlossen ist. Die von einigen Autoren behaupteten Verbindungen der Vagus-
fasern mit der gelatinösen Substanz des Hinterhoms, dem Fasciculus teres und dem
Hypoglossuskem bestreitet Verf. auf Grund seiner Untersuchungen. Dagegen ergiebt
das Studium fortlaufender Schnittreihen fötaler Gehirne, dass diejenigen Vagusfasem,
welche in das solitäre Bündel eintreten, aus letzterem zur gegenüberliegenden Seite
ziehen, wo sie anscheinend in einem besonderen Kern endigen, welcher medialwärts
von den Hypoglossuswurzeln mid dorsalwärts von den unteren Oliven liegt Dieser
Kern wurde von Misslawski vor Kurzem als Athmungscentrum beschrieben (vgl.
dieses Centralblatt 1886, S. 560), und es ist deshalb anzunehmen, dass die in Rede
stehenden Vagusfasem in unmittelbarer Beziehung zur Athmung stehen.
Ausser den soeben besprochenen enthält das solitäre Bündel B.*s Angaben zu-
folge nur noch Glossopharyngeusfasem; letztere stammen aus einer Anhäufung kleiner
Zellen, welche vor und medialwärts vom Kern des zarten Strangs in der Höhe der
oberen Pyramidenkreuzung liegt. Eine Fortsetzung der zum Bestand des solitären
Bündels gehörenden Fasern in das Halsmark bestreitet B. ausdrücklich; auch die An-
gaben Gierke*s über Beziehungen desselben zum Facialiskem und zu den Zellen der
reticulären Formation, sowohl als die Behauptung Koller's, dass ein Theil der
Fasern des solitären Bündels aufwärts zieht und in dio aufsteigende Trigeminus-
wnrzel eintritt., erklärt B. für irrthümlich. P. Eosenbach.
— 296 —
Physiologie.
3) Ueber den Weg der „G^ohmacksfasem** zum (Gehirn. Inaugoral-DiBser-
tation von H. Salomonsohn. (Berlin. März 1888. 30 Seiten.)
Nachdem durch zahlreiche Forscher festgestellt war, dass der grOsste Theil
der geschmackgempfindenden Nerven von den vorderen zwei Dritttheilen der Zunge
vom Lingnalis in die Chorda tympani, und mit dieser in den Facialis übertrete und
bis zum GangL genicuL in diesem verbleibe, wurden über den weiteren Verlauf be-
sonders 2 Ansichten geltend gemacht. Lussana glaubt, dass die Geschmacksnerven
im Fiacialis verbleiben und zur Port intermed. Wrisberg. gehn, so dass der Facialis
als der eigentliche Geschmacksnerv anzusehen wäre. Nach Schiff geht der grösste
Theil der Geschmacksnerven vom Gangl. genic. durch den Nerv. petr.. superf. maj.
zum Ganglion sphenopalai und zweiten Ast des. Trigeminus. Ein kleinerer Theil
verliefe häufig gar nicht in der Chorda, sondern würde vom GkmgL oticum, mit
welchem der Lingual, in Verbindung steht, durch den Nerv. petr. sup. min., das
Gangl. genia, den Nerv. petr. sup. mi^. dem Gangl. sphenopalatinum und damit dem
Trigem. zugeführt, so dass der zweite Ast des Trig., der SupramaxiUaris der Ge-
schmacksnerv des vorderen Theils der Zunge wäre. Die einschlägigen experimen-
tellen Versuche an Thieren widersprecben sich völlig. Ueber die Beobachtungen au
Menschen hat Erb in seinem Handbuch von 1874 die hierauf bezüglichen Kranken-
gesehiditen einer Kritik unterworfen, und giebt er daselbst Fälle an, die für Schiffes
Ansicht sq[>rechen, d. h. Fälle von isolirter völliger Anästhesie des Trigem. mit gleich-
zeitiger Aufhebung des Geschmacks an der vorderen Zungenhälfte. Die für die An-
sicht Lussana^s sprechenden Fälle von Lähmung des Quintus ohne Ageasie konnte
Erb als beweisend nicht ansehen, da in keinen derselben eine Degeneration aller
Fasern des Trigem. nachgewiesen wurde. 1875 veröffentlichte Carl (Archiv für
Ohrenheilkunde X) einen Fall von Hemiageusie, auf Grund dessen er eine neue An-
sicht über den Verlauf der GFeschmacksnerven aufzustellen suchte; danach wäre der
Glossopbaryngeus als der eigentliche G^eschmacksnerv auch für die vorderen Dritt-
theile anzusehen; während er die Ursache der G^eschmacksstörong in dem Nerv, und
Plex. tympanicas suchte, lässt sich dieselbe auch in seinem Falle in der Chorda
finden, wie es Verf. nachzuweisen sucht. Schon 1876 wies Urbantschitsch (Be-
obachtungen über Anomalien des Geschmacks etc. in Folge von Erkrankungen der
Paukenhöhle, Stuttgart) nach, dass der Plex. tympanicus keinen hervorragenden An-
theil an der Uebermittelung der Geschmackseindrücke vom vorderen Theil der Zange
habe, sondern dass wir die Hemiageusie nach Mittelohrcatarrhen auf Läsionen der
Chorda zu beziehen haben. Ans der Fortsetzung der Besprechung der seit 1874
publicirten Beobachtungen von halbseitiger G^eschmacksstörung der vorderen 2 Drittel
der Zunge ergiebt sich, dass von allen Fällen für die Ansicht Lussana's oder
Carls auch nicht einer zu verwerthen ist; nur der von Erb im Jahre 1870 be-
obachtete Fall lässt den Verlauf der Gteschmacksnerven klar erkennen und mit Be-
stimmtheit in den Trigem. verlegen. Eine zweite fQr die Ansicht Schiffes beweis-
kräftige Beobachtung konnte S. aus der Poliklinik der Proff. Mendel und Eulen-
bnrg veröffentlichen.
Ein 37 jähriger Schlosser, der 1876 von Bleikolik befallen war und seitdem nie
wieder mit Bleiarbeiten zu thnn hatte, hatte nie an Ohrenkrankheiten gelitten; luetische
Infection stellte er in Abrede, ebenso wie Abusus spirituosorum. Juni 1887 litt er
an heftigen rechtsseitigen Kopfschmerzen und Schmerzen im rechten Oberkiefer. Am
9. Oetober bemerkte er beim Erwachen, dass er mit dem rechten Auge nicht klar
sehen könne; anfangs hatte er noch einen schwachen Lichtschein, bis er am 24. Oetober
auf dem rechten Auge ganz erblindet war. Im November 1887 wurde er von Prof.
Mendel Torgestellt und zeigte völlig erhaltene Intelligenz. Das rechte Auge zeigte
eine Protusio bulbi, ist im Allgemeinen gut beweglich bis auf ein geHuges Zurück-
— 296 —
bleiben beim forcirien Blick nach rechts. Die rechte Pupille ist weiter als die linke
und gegen Lichteinfall unempfindlich. Der Augenhintergrund normal (Prof. Hirsch -
berg). Der Geruch rechts ist yöUig aufgehoben, links normal. Die Schmeckföhig-
keit war links gut, während rechts auf den vorderen zwei Dritttheilen ,,sauer", ,,8ü88"
und ,,salzig'' überhaupt nicht geschmeckt wurde; bei Chinin gab der Pat. an, er
schmecke etwas, ohne die Qualität angeben zu können. Auf dem hinteren Abschnitt
der Zunge wurden die Stofife rechts ebenso richtig und schnell, wie links erkaiiot
Die Sensibilität war genau im ganzen Grebiete des N. supramaxillaris mit allen seinen
kleineren Aesten und Verzweigungen auf der rechten Seite erheblich herabgesetzt.
Nadelstiche wurden nur als ganz stumpfe Bertthrungen empfunden, erst bei tiefem
Einstechen waren sie schmerzhaft. Am oberen Theil der rechten Nasenscheidewand
wie an allen Stellen, die nicht von den Zweigen des N. snpFamaxill. Tersorgt werden,
war die Sensibilität normal. Die Percussion des rechten Schädels war schmerzhaft.
Die Bewegung der Zunge, Uvula, Gesichts- und Eörpermnskulatur war völlig normal.
Nach Einleitung einer energischen antiluetischen Cur stellte sich schon nach wenigen
Tagen die Aufhebung des Geschmacks und die Anästhesie bis zu einem gewissen
Grade, wie der Geruch wieder her; auch das Auge erlangte etwas Sehfähigkeit
wieder; doch war im December eine beginnende Excavation der Papilla optic. an con-
statiren. Die Erkrankung des rechten Auges, welche sich unzweifelhaft als eine
retrobulbäre Neuritis charakterisirte, Hess mit der Hervortreibung des Auges eine
Ck)mpression des Nervus opticus annehmen, die wegen des Mangels eines veränderten
Hintergrundes des Auges nicht dicht am Sehnerveneintritt, sondern zwischen dem
Ghiasma und Foramen optic. zu suchen war. Die Beschränkung in der Beweglich-
keit des Auges nach aussen wird durch die Yortreibung des Augapfels erklärt,
die rechtsseitige Mydriasis durch Sympathicus-Eeizung von Seiten der Gompressions-
ursache. Diese wird kurzwog als Tumor erklärt. Die Annahme der LocaUsation des
Tumors am Foramen optic wird gesichert sowohl durch die Lähmung des Olfactorius,
als durch die Ergebnisse der Sensibilitätsprfifung, welche uns auf eine Läsion des
Supramaxillaris schliessen lässt. Der Tumor zog sich wahrscheinlich vom medialen
Rande des For. optic, wo er den Nerv, opticus und den Nerv, olfact. comprimirte an
der äusseren Wand des Sin. sphenoid. dexter herab zum For. rotund., wo er auf den
Nerv, supramaxillaris einen Druck ausübte. Ein derartig localisirter Tumor konnte
weder auf den Facialis, noch auf den Glossopharyogeus, noch auf den Plexus tym-
pauicus einen Einfluss ausüben. Es blieb daher für die Hemiageusie anterior keine
andere Erklärung, als die, dass die Geschmacksnerven gleichzeitig mit den anderen
Fasern des IL Trigeminusastes comprimirt wurden; und man darf daher annehmen,
dass die Geschmacksfasem vom Lingualis durch die Chorda in den Facialis und ver-
mittelst des Nerv, petros. superf. major zum Ganglion sphenopalatin. und in den
Supramaxillaris gelangen; dass in manchen Fällen ein Theil dieser Fasern durch
das Ganglion oticum und den Nerv, superfic minor in das Ganglion geniculi verläuft
und damit die Bahn des vorderen Theiles erreicht; endlich dass ein Uebertritt oder
Austausch von Geschmacksfasem des Trigem. und Glossopharyng. im Plexus tym-
panicus stattfindet Eine solche Annahme dürfte alle bisher beobachteten Störungen
des Geschmacks erklären. Sie erklärt die Geschmacksempfindungen bei Beizungen
in der Paukenhöhle; sie erklärt den (}eschmacksverlust bei Trigeminuslähmui^, bei
Facialisparalyse und bei Läsionen der Chorda; sie erklärt endlich auch die Fälle,
in denen bei Paralyse des Facialis oder der Chorda der G^chmack nur herabge-
setzt ist, durch die directe Verbindung zwischen Ganglion oticum und Ganglion
geniculi in befriedigender Weise. — Eine genaue Angabe der einschlägigen Litteratur
finden wir im Text. — Kaiischer.
~ 297 —
Pathologie des Nervensystems.
4) Des CSontractures. Oontraotures en gönäral. La Contraoture spasmo-
dique. Les Pseado-Contraotures. Par le Dr. Paul Blocqu. (Paris 1888.
Publicatioiis du Progr^ m^dical. 210 Seiten. A. Delahaye A E. Lecrosnier.)
Der erste Hauptabschnitt des Werkes handelt von den Contracturen im Allge*
meinen. Als Contracturen werden die yerschiedenen krankhaften Zustände der Mus-
keln bezeichnet, die sich durch andauernde und unwillkürliche Bigidit&t kennzeichnen.
Man kann dieselben vom klinischen Standpunkte in Contracturen mit und ohne
Krampf erscheinungen eintheilen; vom physiologischen Gesichtspunkte in solche mit
und ohne Betheiligung des Nervensystems; und in anatomischer Beziehung kann
man die Contracturen mit offenbaren Veränderungen in den Muskeln von denen ohne
solche trennen. Auszuschliessen von den Contracturen sind die tonischen Convulsionen
Yorübergehender Natur^ die schmerzhaften Crampi, die Tics (klonische Zuckungen),
die Catalepsie, die fibröse Retraction, die Verkürzung durch Gewöhnung und An-
passung in Folge von Lähmung der Antagonisten.
Nach Besprechung der diagnostischen Merkmale, wie Inspection, Palpation, Per-
cttssion, Auscultation, Thermometrie, Microphon, Elektricitat, Chloroformnarcose etc.
geht B. zum zweiten Hauptabschnitt über. Dieser enthält die spastischen Contrac-
turen (Contracture spasmodique). Dieselben sind mit Erampfzust^nden und Bethei-
ligung des Nervensystems verbunden, ohne eine anatomische Veränderung der Muskel-
Substanz selbst aufzuweisen. Ihre klinischen Merkmale sind: das (Gefühl des elastischen
Widerstandes, die Localisation in functionell zusammengehörigen Muskelgruppen, die
Mitbetheiligung der Antagonisten, die Neigung zur Verbreitung, die Steigerung, der
Sehnenreflexe, oft auch Fussklonus, das Schwinden in der Chloroformnarcose, die
normale elektrische Beaction, das Schwinden nach längerer Anwendung des Esmaroh*-
schen Schlauches, der Wechsel in der Intensität, der häufig traumatische Ursprung
etc. Die spastische Contractur ist häufig mit einer Läsion der Pyramidenseitenstränge
verbunden; allein sie kommt auch ohne eine solche vor; und eine Läsion der Pyra-
midenseitenstränge muss nicht immer von spastischer Contractur gefolgt sein. B. be-
trachtet sie als einen Beflexvorgang, der in dem Erethismus, in der krankhaften
Erregbarkeit, in einer dynamischen Läsion der Ganglienzellen der VorderhOmer seinen
Ursprung hat.- Diese Erregbarkeit kann bedingt sein direct durch toxische Stoffe,
Strychnin oder durch den Fortfall des Uemmungseinflusses, oder sie ist indirect be-
dingt durch Beize von den peripherischen centripetalen sensiblen Nerven, oder von
den Pyramidensträngen aus. Der Weg von den letzteren zu den Ganglienzellen der
VorderhOmer geht oft durch die Elemente der Hinterhömer hindurch. Die spastische
Contractur kommt vor bei secundärer Degeneration der Pyramidenstränge, bei amyo-
trophischer Lateralsklerose, bei multipler Sklerose, Compressionsmyelitis, Tetanus,
Hysterie, Hypnotismus etc. Die Erregbarkeit der Ganglienzellen der VorderhOmer
bei Hysterie, Trauma, Suggestion ist vielleicht durch den Fortfall der cerebralen
Hemmung in der Leitungsbahn bedingt; mit neuer Erregung dieser Fasem von der
Binde aus kann sie plötzlich schwinden; durch den Fortfall der Hemmung entsteht
eine Steigerang der physiologischen Tonicitäi Die „Diath^e de contractures'' ist
ein Stigma der Hysterie, eine übermässige motorische Beaction der irritirten Centren;
sie kann durch die verschiedensten, oft geringsten Beize und Gelegenheitsursachen
offenbar werden. Eine ähnliche latente Disposition zu Contracturen findet sieb auch
bei manchen organischen Leiden, so beobachtete sie Charcot in je einem Falle von
Apoplexie, nnd Compressionsmyelitis und bei Pachymeningitis cervicalis hypertrophica.
Die spastische Contractur kann schwinden; doch bleiben in manchen Fällen irre-
parable Folgezustände durch trophische Störangen, fibro-tendinöse Betraction von
Sehnen nnd Ligamenten zurück, ohne dass die Muskeln selbst verändert oder fibrös
sind; diese Folgeerscheinungen, wie sie bei der Betraction der Aponeur. palm. auch
19
— 298 —
spontan vorkommen, werden vielfach auf eine arthritische Diathese zurückgeführt;
derartige secnndäre Schrumpfungen können bei allen spastischen Gontracturen vor-
kommen, seien dieselben, organischen oder hysterischen Ursprungs. Bei Hysterie sind
sie seltener, weü Sehnenrisse und trophische Störungen da nicht so häufig sind wie
bei organischen Leiden. Die hysterisclie Contractur ist oft ohne anderweitige auf-
fallende Symptome der Hysterie als locale Hysterie beobachtet worden. Bei Gelenk-
leiddn und namentlich bei Arthritis nodosa entstehen die trophischen Störungen und
Gontracturen meist auf reflectoriscliem Wege durch Beizung der peripherischen Nerven
und der Ganglienzellen der Vorderhömer mit Erhöhung der Beflexerregbarkeit. In
nicht Seltenen F&llen complicirt sich diese spastische Gontractur mit Veränderungen
im periarticulären Gewebe, welche die fehlerhafte Stellung der Gontractur zu einer
dauernden machen können, zu einer Zeit, wo die reflectorische Gontractur längst ge-
schwunden ist So kann bei peripherischer Neuritis der Beiz auf die Ganglienzellen
der Torderhömer durch den Zerstörungsprocess im Nerven allmählich aufhören und
somit auch der Einfluss dieser auf die peripherischen Gebilde. Andererseits kann
der peripherische Beiz aufhören und die erhöhte Beflexerregbarkeit im Gentrum fort-
bestehen. Bei der Therapie der spastischen Gontractur ist jeder chirurgische Ein-
griff cöntraindicirt, so lange als der krampfhafte Zustand noch besteht; ist die Gon-
tractur geschwunden und die Deformation sicher als durch fibröse Beiractionen etc.
bedingt, erwiesen, so sind chirurgische Maassregeln vorzunehmen; andernfalls sind
Massäge, Elektricität, Transfert, Suggestion im wachen und hypnotischen Znstapde etc.
anzuräthen. Der dritte Abschnitt handelt von den Pseudo-Gontracturen, die mit den
spastischen Gontracturen nur das Symptom der Steifigkeit gemeinsam haben; sie
kommen ohne Krämpfe, ohne Betheiligung des Nervensystems durch Veränderungen
in der Musculatur selbst zu Stande; die Beflexe sind dabei nicht gesteigert, sondern
normal, abgeschwächt oder aufgehoben; die Antagonisten sind meist nicht mit er-
griffen, die Intensität ist nicht wechselnd; Trauma ist ohne Einfluss auf ihr Ent-
stehen; sie bieten das Gefühl eines nicht-elastischen, mehr fibrösen Widerstandes;
die Neurose ist ohne Einfluss; elektrische Beaction hängt nicht von der Bigidität,
sondern von der Grundursache derselben ab; die Localisation ist eine unregelmässige;
die Anlegung des Esmarch'schen Schlauches ist ohne Einfluss etc. Sie kommt bei
den verschiedenen Muskelaffectionen vor, wie bei denen traumatischen Ursprungs oder
dnr^h Fremdkörper, bei Tumoren, Gumma etc., bei Myositis mit oder, ohne Eiterung
etc. iBesonders betrachtet werden die Pseudo-codtracture ischemique, die Pseudo-
oonträcture parkinsonnienne und die Pseudocontracture des myopathies primitives.
Die ischämische Pseudocontractur tritt auf nach Ligaturen, Thrombose, Embolie,
Aneurysma, Gompression durch Neoplasmen, die auf die Art. iliaca oder subclav.
einwirken. Es handelt sich dabei weniger um Erregung der motorischen Nerven-
enden durch das venöse Blut, als duich Veränderungen, welche der Mangel des
arteriellen Blutes in der Muskelsubstanz selbst hervorruft; die nervösen Gentra sind
unbetheiligt. Diese Gontractur myogenen Ursprungs wird vielfach mit der Verände-
rung der Muskelsubstanz bei der Todtenstarre verglichen. Die vorübergehende Lähme
der Pferde, wie die von Gharcot beschriebene „Glaudication intermittente" gehören
auch hierher. Die Pseudocontractur bei der Parkinson'schen Krankheit (Paralysis
agittms) ist oft das erste und zuweilen auch das einzige Symptom dieser Erkrankung.
Das Zittern kann später folgen oder auch dauernd fehlen. Die Bigidität hat oft eine
eigenthümliche Localisation und kann Gontracturen nach Hemiplegie, Paraplegie,
altemirende Hemiplegie vortäuschen. Fibrilläre Zackungen und Oscillationen, wie
sie bei der spastischen Gontractur vorkommen, fehlen, ebenso wie die charakteristischen
Zeichen der spastischen Gontractur. Die elektrische Beaction ist herabgesetzt, nicht
verändert. Joffroy hob schon hervor, dass Veränderungen der Muskelsubstanz dabei
vorkommen, namentlich Vermehrung der Kerne, atrophische Muskelfasern etc., auch
fand er in einem andern Falle peripherische Neuritis; er sah diese Veränderungen
^ 299 -
als zuföllige Complication oder Zeichen der Altercachexie bei der Paralys. agii an.
B. bericlitet über einen Fall, der zur Aatopsie kam, und in welchem Gehinii Bücken-
mark wie peripherische Nerven frisch wie nach Härtung und mehrfachen Färbungs-
methoden keine Veränderung zeigten; dagegen fanden sich in den betreffenden Mus-
keln: Ungleichheit der Fasern, hypertrophische und atrophische Fasern, Proliferation
der Kerne im Sarcolemma und Eemvermehrung im Bindegewebe. Sieht er auch die
Parkinson'sche Krankheit als Nervenkrankheit an, so behauptet er dennoch, dass die
Rigidität der Muskeln von einer Läsion der Muskelsubstanz selbst herrühren könne.
Die Pseudocontractur kommt femer vor nach progressiver Muskelatrophie mit allen
ihren Abarten, nach Pseuhypertrophie und besteht in fibröser Betraction und Sklerose
der Muskeln, die sich hart wie Holz anfühlen (Myositis atrophica, Sklerose). Meist
sind nur einzelne von den atrophischen Muskeln befallen, und oft retrahiren sieh
gerade die am wenigsten erkrankten Muskeln. Das fibröse Gewebe erzeugt nicht
activ durch seine eigene Kraft die Deformation, sondern die weniger angegriffenen
Muskeln rufen durch Contraction eine Stellung hervor, die durch die hinzutretende
Betraction durch das fibröse Gewebe zu einer dauernden gemacht wird; insofern
gleicht diese fibröse Betraction deijenigen, welche nach den spastischen Gontracturen,
wie oben beschrieben, zuweilen vorkommt; sie spielt eine mehr passive Bolle. B.
untersuchte einen Fall spinaler Muskelatrophie mit fibröser Betraction und Defor-
mation einzelner Muskeln. Die Muskelfasern waren stellenweise ganz geschwunden.
Die erhaltenen Muskelfasern hatten zahlreiche Kerne in ihrem Innern, wie in der
Umgebung. Die transversale Streifung war erhalten, doch unregelmässig. Die Muskel-
fasern selbst wandeln sich in fibröse Gewebe um; an einzelnen Fasern sieht man
Brücken fibrösen Gewebes zwischen quergestreifter Muskelsubstanz. GefSsse wie
Nerven waren normal. Das interfasciculäre Gewebe war wenig verändert, während
das interfibrilläre Gewebe sklerotisch war.
Beispiele fremder wie eigener Beobachtung, experimentelle Versuche und schöne
Abbildungen mikroskopischer Präparate erhöhen den Beiz des lesenswerthen Werkes.
Kalischer.
6) Ueber einen Fall von abortiver Fachymoningitis cervioalis hypertrophioa,
von Dr. E. Bemak, Berlin. (Deutsche med. Wochenschr. 1887. Nr. 26.)
Ein ISjähriger Knabe war am 24. December 1886 ziemlich plötzlich von einer
degenerativ-atrophischen Parese beider Hände im Gebiete des Medianus und Ulnaris
befallen worden: Klauenstellung der Finger, Unfähigkeit der Beugung in den Basal-,
der Streckung in den Endphalangen, Unmöglichkeit der Opposition des Daumens;
am Oberarm normale, über dem Handgelenk kaum bemerkbare elektrische Erregung
des Medianus und Ulnaris; die directe Erregbarkeit der Binuenmuskeln der Hand
fast Null, Entartungsreaction nachweisbar; Sensibilitätsstörungen, besonders in der
Yola manus, Herabsetzung der Kälteempfindung u. s. w.
Nach einigen Tagen leichte spastische Parese der Unterextremitäten. Am 10. Jan.
erhob B. diesen Befund und fand ausserdem eine grosse Empfindlichkeit des 1., 2. und
3. Bückenwirbels auf Druck. Die typische Muskelatrophie war bei dem Alter des
Pai und der schnellen Entstehung auszuschliessen; es blieb die Frage, ob Syringo-
myelie oder Pachymengit. cervical. hypertroph.? — Als bei Gebrauch von Jodkalium
(4:150, 3mal täglich 1 Kinderlöffel) und wöchentlich 3maliger Galvanisation nach
5 Wochen deutliche Besserung und nach 2 — 3 Monaten ziemlich vollständige Heilung
eingetreten war, musste eine Pachymeningitis, von der ja auch schon etwa 6 Fälle
mit Heilung bekannt sind, angenommen werden. Bei Besprechung der galvanischen
Therapie polemisirt B. — bei aller Anerkennung der Verdienste C. W. MüUer's —
gegen dessen Princip der schwachen Ströme. Hadlich.
19*
300 "
. ^0r «eoundären Degeneraüon des
Xtobre vom Oliom "^ßöfl ^^11 von Brown-Söqoard'soher
67 ^SS^^^ ^^ ^^i^Büd^f foikmann, Leipzig. (Denteches Archiv
f^\\^' ^^ icher bereita seit 4 Jahren von Zeit zu Zeit an krampf-
ßßj&hnger ^*""l ^^^ Qj,d Annmuskeln gelitten hatte^ erkrankte plötzlich
ßchJ^enen in den Wa ^^ £[r&mpfen im rechten Bein. Am nächsten Tag
haft^ -^thesie"/ ^^"^^atio uriü&e dazu, linkes Bein wurde gefühllos.
"**' UicoJ^^^^^^ ^ier aufgenommene Status ergab ausser den noch bestehenden
**** per ^ '^^id^l^gtöniDgen auf der rechten Seite: eine complete Paralyse des
oi^g^' uJi^ ^üf nerfsfchesie für Tast-, Druck-, Schmerzempfindung. Muskelsinn ge-
Be^ ^^^'iSiraiie bis au einer bestimmten Zone in der Höhe des Nabels. Patellar-,
sUirt ^y^^^^ierreüex fehlen, Kitzelreflexe lebhaft. — Auf der linken Seite: Eben-
ßgküch'f ^^"^^a beihöhe complete Anästhesie für Druck. Schmerz- und Temperatur-
/jjüfl biß ^.'^ iiuskelsinn, Beflexe normal.
empfindung» ^j^^^^ Woche Zunahme der Erscheinungen: Fast vollständige Lähmung
iL üjiken Beins, sehr starke Uyperalgesie, Incontinentia urinae et alvi, grosser
^gg^n^aer Decubitus in der Sacralgegend, Cystitis, hohes Fieber, Exitus letalis.
^ Die Section ergab einen Tumor in der Höhe des VIL Dorsalnerven, welcher
vom rechten Seitenstrang ausgehend allmählich die volle rechte Hälfte des Bücken-
Tßgxis einnahm, später, auch nach links weiterwucherte und sich nach oben bis zum
5. nach unten bis zum 9. Dorsalnerven erstreckte. — So lange die Geschwulst auf
ji'e rechte Seite des Bückenmarks beschränkt blieb, bestand klinisch das reine Krank-
beitsbild einer Brown-S^quard*schen Halbseitenläsion.
Nach einer mit grosser Sorgfaltigkeit und Gründlichkeit Torgenommenen mikro*
gkopischen Untersuchung kam Verf. zu dem Besultat, dass es sich im vorliegenden
Falle um eine gliomatOse Geschwulst handele, in deren Umgebung sich ein parenchy-
matös myelitischer Process etablirte, und welche eine secundäre Degeneration der
Nervensubstanz nach oben und unten veranlasste. Die Hauptmasse der Geschwulst
bestand aus gleichartigen, sehr grossen, dicht gelagerten Zellen, welche in alveolärer
Anordnung in dem Faserwerk der Neuroglia eingebettet waren.
Obgleich diese Zellen grosse Aehnlichkeit mit gewucherten endothelialen Zellen
hatten, so sprach doch das Intactsein der Blut- und Lymphgefässe gegen die An-
nahme einer endothelialen Wucherung.
Auch gegen die Auffassung der Geschwulst als einer sarcomatösen macht Yolk-
mann verschiedene Gründe geltend.
Analog den Beobachtungen einiger anderer Autoren hält Verf. diese eigenthüm-
lichen Geschwulstzellen für Gebilde nervösen Ursprungs und zwar hervorgegangen
aus degenerirten Axencylmderresten. Die secundären Degenerationen zeigten, da sie
nur verhältnissmässig kurze Zeit bestanden, gleichzeitig mehrere Stadien frischer
Entartung der nervösen Elemente: Anfangs eine Quellung und Auftreibung der Axen-
cylinder, darauf eine Erweiterung der Markscheide und Zerfall derselben. Erst später
schliesst sich dann der gänzliche Schwund der Axency linder an; man findet nur noch
leere Hohlräume, die theilweise mit Myelinkugeln ausgefüllt sind.
Weitere Einzelheiten über die histologischen Veränderungen müssen im Original
eingesehen werden. P. Seifert (Dresden).
7) Caso speciale di affesione combinata dei oordoni posteriori e lateral!
del midollo spinale, pel dott. A. Borgherini. (Bivista sperim. di Freniatr.
e di Medicina legale. 1887. XIIL p. 137.)
Der nicht luetisch inficirte Patient erkrankte im 52. Jahre unter Schmerzanfallen
in den unteren Extremitäten, die sich aufanglich alle 2 — 3 Monate, später aber
I
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— 301 -
häufiger wiederholten; nach einigen Jahren bildeten sich Ataxie und schnell zu-
nehmende motorische Schwäche aus. In den letzten Jahren bestanden ausserdem
ataciische Erscheinungen von Seiten der oberen Extremitäten, Amblyopie, difformirende
Gklenkentzflndungen von tabischem Charakter, Fehlen der Reflexe, Blasenbeschwerden
und unter Hinzutritt von Sphincterenlähmung und Decubitus starb Pat. im 67. Jahr.
Sensibilitätsstörungen waren bei genauerer Untersuchung in den letzten 2 Jahren
nicht nachzuweisen, ausser einer beträchtlichen Herabsetzung des MuskelgefQhles.
Die Autopsie ergab graue Degeneration der Hinterstränge bis zur Med. oblongata,
femer Leptomeningitis und Degeneration der ganzen Rindenschicht, Degeneration in
beiden Seitensträngen und atrophische und sklerotische Processe in den grauen Säulen;
ausserdem neuritische Heerde in beiden Sehnerven und im Ischiadicus, nicht aber im
Cruralis; das Hirn war völlig normal.
Das Bemerkenswerthe dieses Falles liegt nun darin, dass im Gegensatz zu den
häufigen Beobachtungen combinirter Hinter- und Seitenstrangssklerose die Degenera-
tion der Seitenstränge in Hinsicht auf ihre Längenausdehnung durchaus nicht sym-
metrisch war; sie erstreckte sich rechts vom Eintritt des Nerv. dors. YIII bis IV
und links von. N. Y bis III aufwärts, und dass sie lediglich auf die gekreuzten
Pyramidenbahnen beschränkt war. Alle anderen Felder der Seitenstränge — abge-
sehen von der peripherischen allgemeinen Randdegeneration — waren intact.
Indessen scheint die Annahme einer primären systematischen Seitenstrangsklerose
nicht begründet; sie ist wahrscheinlich nur secundär und hängt von der ebenfalls
vorhandenen Erkrankung der grauen Säulen und speciell der Seitenhömer ab. Spastische
Erscheinungen fehlten vollständig, dagegen ist das frühzeitige Auftreten motorischer
Schwäche hervorzuheben. Sommer.
8) FrogreBsive spastio ataxia (oombined ftysoioular solerosis) and the
oombined soleroses of the spinal cord, by C. L. Dana. (Sep.-Abdr. aus
„The Medical Record". 2. Juli 1887.)
Auf Grund einer Zusammenstellung aUer in der Litteratur bekannten Fälle
combinirter Hinter- und Seitenstrangsklerosen, speciell der Goll*schen Bändel, der
gekreuzten Pyramidenbahnen und der Eleinhimseitenstrangbahnen ohne wesentliche
Betheiligung der grauen Substanz, kommt auch Verf. zu dem Schluss, dass sich vor-
läufig noch kein constanter Symptomencomplex aus den einzelnen Beobachtungen auf-
stellen lässt Jenen pathologischen Befund traf man 7mal bei Dementia paralytica,
8mal bei Friedreich^s Krankheit, lOmal bei gewöhnlicher Tabes mit frühzeitigen
Muskellähmungen, 16mal bei spastischer Ataxie und 4mal in ungenügend beobachteten
Fällen. Er behandelt im Weiteren nur die Fälle mit den Symptomen progressiver
spastischer Ataxie und je nach dem Vorwiegen der paretischen und spastischen Er-
scheinungen einerseits und der sensorischen und atactischen andererseits unterscheidet
er wieder zwei Untergruppen, die anatomisch freilich kaum zu differenziren sind.
Für die Prognose ist aber ihre Erkennung werthvoU, da derartige Fälle von schein-
barer Tabes mit viel geringeren Beschwerden, speciell in Hinsicht auf die Blitz-
schmerzen, und auf Erkrankungen des Opticus, der Augenmuskelnerven und des Hirns
und der Oblongata überhaupt, verbunden zu sein pflegen und meistens einen weit
langsameren Verlauf nehmen. Von Wichtigkeit kann auch die Differentialdiagnose
gegen Myelitis transversa werden.
In therapeutischer Hinsicht sei noch mitgetheilt, dass elektrische Behandlung
gegen die spastischen Erschemungen von grösserer Wirkung ist» als sonst bei Rücken-
marksleiden, und dass orthopädische Apparate entsprechender Einrichtung das Gehen
wohl zu Ermöglichen pflegen.
Gute Abbildungen, z. Th. in mehrfachem Farbendruck, illustriren die genauer
mitgetheilten Fälle. Sommer.
— 302 —
9) On a oase of diffuse (syphilitio?) solerosis of the spinal oord produ-
oing Symptoms of postero-lateralsclerosis, by Dresclifeld. (Brain. 1888.
Jannar.)
Fall von diffuBer Sklerose der Hinter-, Hinterseiten- und Pyramidenvorderstränge,
sowie der grauen Substanz in den unteren Partien des Dorsalmarkes; aufsteigende
Degeneration der Goll'schen, auf kurze Strecke eines Tbeiles der Burdach*schen und
wie es scheint, der Eleinbimseitenstränge; absteigende der Pyramidenseitenstränge
und der Eleinhimseitenstrangsbabn, soweit diese sieb erstrecken, der GolVschen und
Burdacb'scben Stränge eine Strecke weit in das Lumbarmark, aber die Westpbal'sche
Patellarreflezzone freilassend. Die Sklerose zeigte starke Pen- und Endartoriitis,
perivasculäre Infiltration. Die Pia war gesund.
Der betreffende Pat. litt I673 Monate nach einer syphilitischen Infection, wäh-
rend er noch secundär-syphilitische Symptome darbot, an: Parese, Gontractur, erhöhten
Sehnenrefiexen (Patellar- und Achillessehnenclonus), Ataxie and leichten Sensibilitäts-
störungen der unteren Extremitäten und an Blasenlähmung. Die oberen Extremi-
täten waren ganz frei. Eine antisyphilitische Kur brachte grosse Besserung. Schliess-
lich erlag Pat. einer Pyelitis.
Verf. ist geneigt, den Fall für eine syphilitische Sklerose anzusehen, behauptet
dies aber nicht bestimmt. Er trennt den Fall mit Becht scharf von der combinirten
Systemsklerose (Westphal, Strümpell, Kahler und Pick); er zählt ihn zu den
sogenannten falschen combinirten Systemsklerosen (Ballet-Minor). Bruns.
10) Some ftirther observations on Friedreichs diaease, by Ormerod. (Brain.
1888. Januar.)
Verf. beschreibt 3 typische Fälle von hereditärer Ataxie: 2 waren Geschwister,
deren Mutter wahrscheinlich an Lateralsklerose litt. Der 3. war ein sporadischer
Fall: ein Mädchen von 19 Jahren, deren Vater ein starker Potator war. Die Arbeit
führt am Schluss die neueste Litteratur über hereditäre Ataxie, vom Jahre 1887
beginnend, an. Bruns.
11) On injuriea of the Oa«da equlna, by Thorburn. (Brain 1888. Januar.)
Es handelt sich um einen Fall von Dislocation des ersten, einen solchen des
zweiten Lumbarwirbels, einen Fall von Spina bifida, und einen von 'Tumor der Cauds
eqnina. Die Läsion sass in allen Fällen entsprechend den obersten Partien der
Gauda. Alle vier ergeben das merkwürdige Resultat, dass eine Druckläsion der
gesammten Cauda in ihren obersten Partien die weiter unten austretenden Nerven
mehr betheiligt, als die weiter oben austretenden und zwar verhält sich das ganz
gleich fQr motorische und sensible Nerven. In Thorbnms Fällen ist meist der
Plexus lumbalis mit Ausnahme der 5. Lumbalwurzel unbetheiligt geblieben. Moto-
rische Lähmungen finden sich deshalb in allen Fällen ausgeprägt im Gfebiete des
Tschiadicus und Pndendohaemorrhoidalis, während die Nervi crurales und obtu-
ratorii wenig oder gar nicht betheiligt sind. Die elektrischen Befunde wechseln von
completer Entartungsreaction bis zur normalen Reaction. In sensibler Beziehung sind
alle sensiblen Gebiete des Ischiadicus, der Glutaei sup. und inf., der Pudendohaemor-
rhoidales betheiligt: also der grösste Theil der Nates, die Hinterseite des Ober- und
Unterschenkels, die Fusssohle (nicht immer ganz), ein Theil der äusseren Vorder-
fiäche des Unterschenkels und fast das ganze Scrotum, Perineum und der Penis.
(Diese Verhältnisse sind durch Schemata verdeutlicht: sie stimmen übrigens genau
mit der von Boss im selben Hefte des Brain angegebenen Vertheilnng der sensiblen
Antheile des Lumbal- und Sacralplexus in den unteren Extremitäten.) Es waren
- 803 —
fast immer Symptome Yon Seiten der Blase und des Mastdarmes, doch in verschie-
dener Art vorhanden; ebenso variabel waren die Erscheinungen von Seiten der Se-
xualorgane: in zwei Fällen bestand Decubitus, in dem Fall von Spina bifida ein
Ulcus perforans an der Aussenseite des rechten Fusses. Fall 4 (Dislocation des
2. Lumbarwirbels) wurde durch Trepanation und Entfernung des drückenden Narben-
gewebes sehr gebessert.
Znr Dii^ose giebt Th. an, dass man bei Fällen von Verletzung sich vergegen-
wärtigen muss, dass am unteren Rande des 1. Lumbaiwirbels die Cauda equüia. be-
ginnt. Eine Verwechselung mit Tabes, die Verf. bei nichtläraumatischen Fällen für
müglich hält, dürfte wohl kaum vorkommen. Für die Unterscheidung von partieller
Myelitis des Lumbaimarkes kann Verf. keine Anhaltspunkte geben. Bei multipler
Neuritis kommt die Betheilignng der Oberextremität, die geringe Betheiligung der
Sensibilität, die vor allem nicht den skizzirten schematischen Charakter hat, auch
die" meist andere Localisation der Lähmungen in Betracht. AfTectionen des Lumbal-
und Sacralplexus ausserhalb der Wirbelsäule machen einseitige Symptome, doch kann
dies auch, wie ein Fall von Erichsen lehrt, bei Affectionen der Cauda vor^Eqmmen.
Verf. räth schliesslich energisch zur Operation, wenn die Diagnose sicher ist und
die Erscheinungen nach 6 Wochen sich nicht bessern, dann sei stets ein die Cauda
comprimirender Befund zu erwarten. Bruns.
12) Hydatids of the spinal ohord, by Magnire. (Brain. 1888. Januar.)
Verf. behandelt einen Fall von Echinococcus des Spinalkanales, der sich vom
letzten Hals- bis zum ersten Brustwirbel erstreckte. Die Symptome waren die einer
Compressionslähmung. Verf. hat noch 20 Fälle von Echinocose des Bückeamark-
kanales und 2 Fälle von Cysticercus desselben gesammelt und referirt sie kur«« In
allen bis auf 2 Falle von Echinocose waren die Enochen betheiligt. Eine Diagnose
ist natürlich nur dann möglich, wenn Cysten auch an anderen Stellen, z. B. unter
der Haut sitzen und untersucht werden können; was übrigens in einigen der erwähnten
Fälle vorgekommen ist. Bruns.
13) CSase of miiaoular hypertonioity, by Saundby. (Brain. 1888. Januar.)
Der Verf. beschreibt kurz ein Beispiel der unter obigem Titel in der Londoner
neurologischen Gesellschafb von Hughes Bonnett beschriebenen Krankheit. (Brain,
dasselbe Heft. Bef. d. Ctrlbl. 1888 S. 270.) In diesem Falle (der Fat. htitte' vor
30 Jahren Syphilis gehabt) trat Heilung unter Jod- und Quecksilberbehandluüg.ein.
Bru'ns.
14) Sur 1b röalBtanoe äeotrlque oonsideröe oomme eigne olinique, pdrVigou-
roux. (Frogr. mÄi. 1888. Nr. 3 et 6.)
Nach einer kurzen physikalischen und physiologischen Einleitung übejr Messung
des elektrischen Leitungswiderstandes der menschlichen Epidermis nach der von Jplly,
von Gärtner und vom Verf. selber angegebenen Methode kommt V. auf die Bedeu-
tung der Veränderungen dieses Widerstandes für die Semiotik gewisser Nervenaffec-
tionen zu sprechen. Erhöht ist der Leitungswiderstand nach Untersuchungen V.'s
an den anäathetischen Eörperstellen Hysterischer, ebenso bei spinalen Paralysen» wenn
dieselben nicht sehr veraltet sind. — Vermindert erscheint derselbe nach V.*s An-
gabe bei Morbus Basedowii. — Aus der letzteren Thatsache soU sich. die grössere
Intoleranz der betreffenden Patienten gegen die Franklinisation erklären. — Diii3.anf
den Isolirstuhl gesetzte Person nimmt natürlich eine um so grössere Ladung auf, je
kleiner der Leitungswiderstand ihrer Haut ist. — Deshalb fühlt sich ein Basedow-
— 304 —
KraDker oft von dem statischen Apparat drei-, viermal mehr geladen, als ein anderer
Patient. — Die Modification des Widerstandes an den verschiedenen Regionen des
menschlichen Körpers hängt nach Y. ab von der Menge der Flüssigkeit^ die der
vom Strome dnrcliflossene Körpertheil einschliesst, resp. von dem Tonus der in Be-
tracht kommenden Blatgefasse.
Die von Y. angegebene Methode, den Widerstand zu messen, läset sich nur aus-
führen mit Hülfe eines an dem stationären Apparate selbst angebrachten Galvano-
meters (System Deprez d'Arsonval?), den man nach Wunsch durch eine besondere
Hebelvorrichtnng auch in einen Yoltmeter verwandeln kann. Durch einfaches
Ablesen der anf einer Skala verzeichneten Zahlen, durch deren Division nach dem
Ohm*8chen Gesetze sollen genaue Widerstandszahlen zn erhalten sein. Im Gegensatz
zn vielen Elektrotherapeuten ist Y. auf Grund seiner Untersuchungen zu der Ansicht
gelangt, dass der Leitungswiderstand einer Körpergegend, ganz besonders, wenn nicht
ausschliesslich, abhängig sei von der Beschaffenheit der direct unter der Epidermis
liegenden Partien, besonders der Gefässe.
Die Yermindemng des Widerstandes bei Morbus Basedowii ist bestätigt worden
von La Sota (Palermo) und von Silva (Turin). Widersprochen haben der Y.'schen
Ansicht von der Bedeutung dieser Sache Eulenburg n. Martins (Berlin). Y. sncht
die verschiedenen Einwände der Letzteren zu entkräften. Eulenburg hat besonders
die starken Schweisse der an Basedow leidenden Menschen fQr die Yerminderung des
Leitungswiderstandes verantwortlich gemacht. Y. bezweifelt diesen Zusammenhang,
da die Schweisssecretion ohne Binfluss auf das genannte Phänomen bleibe und Lasker
in Wien auch gezeigt habe, dass nicht die Durchfeuchtung der Haut mit nassen
Elektroden, sondern der durch letztere erleichterte innigere Gontact mit der Epidermis
den Widerstand herabsetze. Gegen Martius, dessen Arbeit Y. übrigens nur aus dem
Eulenburg'schen Referate kennt, und der behauptet, dass das Symptom des herab-
gesetzten Widerstandes auch bei Gesunden vorkomme, führt Y. in's Feld, dass er
das Symptom nicht gerade für etwas Charakteristisches halte, und dass es nur in
Zusammenhang mit den andern schon bekannten Basedow-Symptomen Bedeutung ge-
winne. Laquer.
16) Ueber MeBSimg galvanischer Leitungswiderstftnde am Kopfe und deren
semiotiaohe Verwerthung, von A. Eulenburg, Berlin. (Ztschr. f. klin. Med.
Bd. XII. H. 4.)
Yon der Yorstellnng ausgehend, dass das Maass des galvanischen Leitungs-
widerstandes am Kopfe eventuell zur Diagnosticirung cerebraler Affectionen organischer
oder functioneller Natur Yerwerthung finden könnte, stellte Yerf. bei einer grossem
Anzahl gesunder und kranker Individuen verschiedenen Alters und Geschlechtes
methodische Messungen des galvanischen Leitungswiderstandes am Kopfe an: Zu
diesem Zwecke Hess er den galvanischen Strom in massiger Stärke (bis 5 M.-A.)
durch 2 grosse Elektroden in stets gleicher sagittaler Richtung aufsteigend von der
Occipital- nach der Frontalgegend so lange durch den Schädel strömen, bis ein weiterer
Zuwachs der absoluten Stromstärke, resp. eine Abnahme der Widerstände nicht mehr
stattfand; also ein Zustand eingetreten war, welchen er nach Martius das „relative
Widerstandsminimum" nannte. Dasselbe wurde berechnet aus der finalen Stromstärke
mit Abzug der innem Widerstände der Leitung. Letztere bestimmte er mittelst einer
Kohlrau8ch*schen Messbrücke mit Telephon, wobei die erfolgte Ausgleichung der
Brücken durch Aufhören des Tönens des Telephons prompt angezeigt wurde.
Da gewöhnliche mit erwärmter Kochsalzlösung durchtränkte Elektroden stets
ein höheres „relatives Widerstandsminimum'' (3—400 Ohm Differenz) ergaben, so
wurden später nur unpolisirbare Elektroden angewandt.
Auf Grund methodischer Messungen an 60 Personen kam Yerf. zu dem Resultat,
— SOS —
dass der galTanische Leitnngswiderstand am Kopf nicht nur bei denselben Yersucba-
Personen zn verschiedenen Zeiten, sondern aach nach Geschlecht, Alter, Gesnndheits-
yerh<nissen etc. eine auflGallende annähernde Constanz darbot. — Für gesande
Männer war der Darchschnittswerth der Widerstandsminima 1200 — 1600 Ohm, fflr
Frauen nnd Kinder etwas höher. Dagegen zeigte sich in einer Anzahl pathologischer
Fälle, sowohl bei organischen Himläsionen (Encephalitis, Sklerose, Tumor), als auch
bei functlonellen Störungen (Hemikranie, Basedow, Chorea, Hysterie, Melancholie) oft
eine verschieden starke, constant bleibende Steigerung des Widerstandsminimum
bis zu 3000 Ohm, während dasselbe bei Neurasthenikem und Tabikem sich im All-
gemeinen in normalen Grenzen hielt.
Bemerkenswerth waren die Befunde in Fällen von nervöser Erschöpfung und
allgemeiner Anämie; hier fand sich der Widerstand wesentlich erhöht und grossen
individuellen Schwankungen unterworfen; während bei Himhyperämie der Widerstand
niedrig, ja subnormal war.
Besonders das letzte Ergebniss, der hohe oder niedrige Leitungswiderstand je
nach dem vorhandenen Blutgehalte des Schädelinhaltes lässt Verf. die Hoffoung hegen,
die Bestimmung des galvanischen Widerstandes am Kopfe praktisch verwerthen zu
können und daraus Schlüsse auf krankhafte Zustände im Schädelinnem, auf abnormen
Blutgehalt^ auf übermässige Flüssigkeitsansammlungen oder Consistenzveränderungen
des Gehirns zu ziehen.
Für diese Annahme spräche auch der Umstand, dass E. den Leitungswiderstand
des menschlichen Blutes mehr als doppelt so gross fand, als den der Gerebrospiual-
flüssigkeit. P. Seifert.
Psychiatrie.
16) The forty-first report of the oommissioners in lunaoy 31 Maroh 1887.
(Joum. of mental science. 1888. L)
Die Summe aller Geisteskranken betrug 80891 am 1. Januar 1887. Dies be-
deutet gegen das Toijahr einen Zuwachs von 735. Während 1878 ein Kranker
auf 365 Einwohner kam, ist jetzt das Yerhältniss 1 : 349, doch war dies 1884 schon
1 : 345, so dass also in den letzten Jahren eine wirkliche Abnahme zu constatiren
ist; der Bericht kann über die Ursache dieser geringen Abnahme keine Auskunft
geben. Die Procentzahl der Todesfälle und Genesungen bleibt dem Jahre vorher
gleich. Die Zahl der Todesfälle beträgt 10,03 ^/q, ist also ziemlich hoch, darunter
sind aber nur 19 Suiddien. Der Bericht hebt die Wichtigkeit der Beschäftigung
für das Wohlergehen der Kranken besonders hervor, es variirt aber die Zahl der
Beschäftigten in den verschiedenen Anstalten sehr, von 45 — 78 ^/q, auch für Zer-
streuung und Kurzweil in den Anstalten wird jetzt besser als früher gesoi^.
Twenty-nlnth axmual report of tbe general board of oommissioners
in Itmacy for Sootland. 1887.
In Schottland hat die Gesammtzunahme der Krankenzahl nur 130 betragen.
Der Procentsatz der Todesfälle beträgt 7,9 ^/q, 15 tödüich verlaufende UnglücksfTille.
In Familienpflege waren 2140 während des Jahres untergebracht, während im Jahre
1878 nur 1385 Patienten so versorgt waren; das System wirkt recht zufrieden-
stellend.
ThlrtyHsIxt report of the inapeotorB of Irish asylums 1887.
Die G^esammtzahl der Geisteskranken betrug 14702 gegen 14419 im Jahre 1886,
es kommt 1 Kranker auf 350 Einwohner. Auch dieser Bericht constatirt eine Besse-
rung der Fürsorge für die Kranken in Bezug auf Beköstigung, Beschäftigung und
Unterhaltung. Zander.
— 306 —
17) Note Bu;r les rapports de rimagination et du dAMre, par Cb. F^r^.
(Revue de MMecine. 1887. November.)
Der Yerf. berichtet ausführlich über die Krankengeschichte eines hereditär be-
lasteten, stark nervösen Kaufmanns von 37 Jahren, bei welchen schon seit der Zeit
der Kindheit ein auffallender Hang zu »/Iraumereien" bestand. Schon als Knabe
liebte der Kranke die Einsamkeit, baute sich Luftschlösser, durchlebte in seiner Ein-
bildung allerlei Abenteuer, eilte der Zukunft voraus, indem er seine zukünftige Lauf-
bahn bald als Beamter, bald als Officier u. a. sich so lebhaft vorstellte, dass er sie
wirklich zu durchleben glaubte. Später entwickelten sich aus diesen Träumereien
Anfälle von vollständiger Geistesabwesenheit Gi&^sences'O* Dabei nahmen die Ge-
danken während dieser Zustände stets dieselbe Richtung und steigerten sich offenbar
zuweilen zu ausgesprochenen Hallucinationen. Der Kranke baute sich in der Ein-
bildung ein schönes Schloss in der Nähe von Paris, richtete dasselbe prächtig ein,
legte Stallungen und Gärten an u. s. w. Er fühlte sich in diesem Traumleben
äosserst glücklich, während er sonst traurig und niedergeschlagen war.
Die Behandlung bestand in kalten Douchen und in der beständigen Ueber-
wachung des Kranken, welcher, sobald nur die ersten Zeichen der Geistesabwesenheit
bemerklich wurden, jedesmal sofort durch enei^gisches Anrufen wieder zu sich ge-
bracht wurde. Auf diese Weise gelang es in verhältnissmässig kurzer Zeit eine be-
deutende Besserung des Zustandes, ja schliesslich anscheinend eine vöUige Heilung
zu erzielen. Strümpell
18) TJn oas de väsanie oombinöe, par S^glas. (Annales m^dico-psychologiques.
1888. Januarheft.)
Ab einem allerdings seltenen Falle von Irrsinn, welcher in einem Kmnkheits-
bilde gleichzeitig nebeneinanderstehend widersprechende Aeusserungen darbot, ver-
sucht S^glas die Unzulänglichkeit der Classificationen zu zeigen; man dürfe nicht
von Krankheiten, sondern von Kranken in der Psychiatrie reden.
Der Fall betrifft eine 3V jährige Frau, deren Vater Trinker war. In früheren
Jahren hatte dieselbe Metritis mit Ulceration des Cervix durchgemacht; die Psychose
besteht, eingeschlossen die langsame Entwickelung der Krankheit, seit 12 Jahren.
Im Anfang zeigte sich Gharakterveränderung, düsteres Wesen, später Eifersucht,
Reizbarkeit. Seit einem Jahre bestehen Yerfolgungsideen. Sie entflieht nach Paris
vor ihren Feinden, glaubt an bezahlte Agenten oder Freimaui*er, welche sie tödten
sollen. Aus Angst macht sie Selbstmordversuche; darauf wird sie in der Anstalt
untergebracht Hier zeigt sie massenhafte Hallucinationen des Gehörs, welche sie
in dem Wahn des Yerfolgtseins durch alle Welt bestärken. Diese Hallucinationen
waren erst einseitig, wurden dann doppelseitig, aber derart, dass auf dem einen Ohr
ängstliche, zur Vorsicht, Flncht vor den Verfc^nngen auffordernde, aaf dem anderen
tröstende, ermunternde Smneseindrücke empfunden wurden. Wohl nicht ausser Zu-
sammenhang mit dieser zwiefältigen Verschiedenheit der krankhaften Sinneseindrücke
stand die nunmehr sich entwickelnde Vorstellung von doppeltem Bewusstsein. Gleich-
zeitig treten auch schreckende Gesichtshallucinationen auf; die Stimmung ist durch-
weg eine hochgradig ängstliche, auf Selbstmord bedachte, um allen diesen Schrecken
zu entgehen.
Später beginnt Alles, die Farben der Gegenstände^ die harmlosesten Erschei-
scheinungen, eine Bedeutung für ihre Person zu gewinnen. Sie geräth in echte
Panphobie, versucht mehrfach sich das Leben zu nehmen; die Aeusserungen bleiben
völlig melancholisch, sie ist an allem diesem Unheil schuld. Widersprechend mit
diesen Erschemungen war sie dann wieder besorgt um ihren Mann, wie das Schick-
sal ihrer Familie, welche sie verlassen hatte, um dieselbe glücklich zu machen, wurde
— 807 _
misstrauiscli, verscblosseD, weigerte sich zu reden, um sich nicht zu compromittiren,
wahrend ihre Hallucinationen und Yerfolgungsideen unvermindert forthestanden.
Das Auffällige an diesem Krankheitsbilde ist der bis zum Schluss der Beob-
achtung erwiesene Fortbestand ängstlicher Verstimmung bei einem systematisirten
Verfolgungswahn, langsamer und langjähriger Entwickelung, sowie dass diese Kranke,
welche überhaupt kein Zeichen körperlicher oder psychischer Degeneration aufwies,
keinerlei verrücktes Wesen in Sprache oder Eigenart angenommen hatte. Anderer-
seits ist kein Anlass, diese ängstliche Stimmung, welche deutlich durch den. schreck-
haften .Inhalt der Hallucinationen unterhalten wurde, als genügend anzusehen, um
die Existenz einer „Melancholie" neben jener Verrücktheit zu erweisen.
Jehn.
Therapie.
19) lieber anbeutane Methylalinjeotionen bei Delirium tvemeiie, von Prof.
V. Krafft-Ebing in Qraz. (Therap. Monatshefte. 1888. Febr.)
Verf. h< das Methylal für das beste Beruhigungs- und Schlaf-
mittel bei Delirinm tremens. Gegeben wird es subcutan — zur inneren An-
wendung brancht man sehr grosse Dosen, und das Mittel ist theuer — ;; und zwar
von einer Lösung 1,0:10,0 aq. desi alle 2 — 3 Stunden eine Spritze, bis ausgiebiger
Schlaf eintritt, und in der Beconvalescenz noch an einigen Abenden 2 Einspritzungen.
21 kurze Kraakengesdiichten illnstriren die Wirkung und den Krankheitsverlauf in
Folge der Methylalinjectionen.
Verf. fordert zu Versuchen mit Methylal bei asthenischen Zuständen des
Centralnerrensystems auf; auch soll dasselbe das beste Antidot des Strychnin sein.
Innerlich wird es bei nervOsen, enteralgischen, stomachischen Schmerzen empfohlen
(Nicoi). Herzaffectionen bilden keine Contraindication. Sperling.
m. Aus den Gesellschaften.
BoölM mMioo-psyohologique, Paris. Sitzung vom 27. Dec. 1887.
Christian theilt mit, dass auch seine neueren Untersuchungen über das Othae-
matom ihm seine schon 1878 ausgesprochene Ansicht bestätigt hätten, dass der Sitz
desselbisn zwischen I^erichondrium und Haut sei.
Motet bezweifelt, dass dies richtig sei, weil man dann die nachfolgenden De-
formitäten des Ohrknorpels kaum erklären könne. Hadlich.
Soci^tä de Biologie, Paris. Sitzung vom 24. Dec. 1887.
Iia Vision coloräe et röquivalence des exeltations sensorielles, par
Ch. F6r6, — Wenn in Folge eines Beizes des Gehörssinnes ausser der betreffenden
Gehörsempfindung noch eine Farbenempfindung auftritt, so spricht man von „audition
coloree", zuerst beschrieben von Sachs in Erlangen 1812, dann von Verga, von
Lussana (1865). Diese Audition color^e kommt vor in Folge der verschiedensten
Gehörsempfindungen, bald nach Gesang oder einfachem Sprechen, bald nach gewissen
Consonanten, oder nach Vokalen, bald nur nach einer ganz speciellen Stimme, bald
nach einem Instrumente. Hohe Töne sollen bisweilen helle Farben, tiefe Töne dunkle
Farben hervorrufen (Pedrono). Hilbert hat dem entsprechend auch, eine „olfac-
tion color^e" beobachtet, indem bei verschiedenen Geschmackseindrücken braune
Farbentöne auftraten; und F^r^ hat ein Beispiel von „gustation color^e" gesehen:
nach reichlichem Gtonuss von Essig erschien der betreffenden Frau für einige Minuten
Alles roth, und danach für mehr als eine Stunde Alles hellgrün. — F^r^ zieht den
— 308 —
Nftmen ,,vi8ion color^e" vor; sie kommt auch bei neuropathischen Individnen ohne
eine besondere Sinneserregung vor, auch bei MelancholikenL — Indem nun Fere
durch zahlreiche Experimente sich klar gemacht hat, dass bei Sinnestäuschungen
ausser der entsprechenden Empfindung noch eine Summe physiologischer Vorgänge
ausgelöst wird — Veränderung der Muskelspannung, der Circulation, der organischen
Functionen überhaupt — [Vorgänge, welche auch bei blossen Vorstellungen solcher
Sinnesreizungen, sowie bei gemfithlichen Erregungen auftreten können], glaubt er
eine Erklärung der „audition color^e'' oder „vision color^e'' geben zu können, indem
er meinte dass, wenn ganz dieselbe Summe physiologischer Nebenwirkungen bei zwei
verschiedenen Sinnesreizen ((rehörs- und (resichtsreiz etc.) bei einem bestimmten
Menschen auftritt, dieser die beiden Sinnesreize verwechselt, resp. zusammen empfindet.
Sitzung vom 7. Januar 1888.
Arthaud und Butte, die früher gefunden hatten, dass Neuritis des rechten
Vagus Veränderungen des Urins, besonders Albuminu^e hervorruft;, experimentirten
mit dem inducirten Strom am gesunden Vagus (rechterseits) und fianden eine Ver-
minderung, bei stärksten Strömen sogar einen Stillstand der Urinsecretion, welche
alsbald wieder wie gewöhnlich vor sich ging, wenn die Beizung des Vagus unter-
brochen wurde. — Cl. Bernard und Vulpian sind fHiher zu entgegengesetzten
Resultaten gekommen.
Sitzung vom 11. Februar 1888.
Ch. F^r^ hat den Athmungsmeohanismus bei EpilepÜkem (ausserhalb
der Anfälle) studirt und 130 Kranke mit dem Marey'schen Pneumographen unter-
sucht. Er fand, dass bei 64% die Dauer der Inspiration nur 30 beträgt» wenn
man die ganze Respirationsdauer 100 nennt. Dies ist z. Th. abhängig von der Kürze
der Inspiration, hauptsächlich jedoch von der abnormen Exspiration, welche in 2 bis
5 Absätzen (sakkadirt) erfolgt bei 79 ^/q, und verlangsamt abläuft. F. hält diese
eigenthümliche Exspiration für veranlasst durch Glottis-Spasmen.
Heber die Elektrioität des menaohlioben Körpers machte Dr. Romain
Vigouroux nach Besprechung der ziemlich umfangreichen latteratur Mittheilungen
nach Versuchen, die er im Jahre 1882 angestellt hat — ¥6t6 hat kürzlich zwei
Kranke vorgestellt mit Erscheinungen von Elektricität: diese hätten unzweifelhaft
hergerührt vom Reiben der Kleider auf der Haut. Denn seine (Vigouroux') sehr
sorgfältigen und mit den verschiedensten sehr empfindlichen Instrumenten angestellten
Versuche, statische Elektricität am menschlichen Körper und seinen Theilen nach-
zuweisen, sowohl am isolirten, wie an dem vom Boden nicht isolirten, hatten durch-
aus negative Resultate geliefert. Es können nur äussere Ursachen sein, welche
elektrische Spannungen auf der Oberfläche des menschlichen Körpers erzeugen.
A. d*Arsonval stimmt dem ganz bei: es seien entschieden physikalische, äussere
Ursachen, keine physiologischen, welche statische Elektricität des menschlichen Körpers
hervorrufen. Wenn Herr Dastre gesagt habe, dass sie an der nackten Froschhaut
sich finde, so seien das sehr geringe Stärken, während F6t6 beim Menschen bis
1,200 Volts gefunden habe. — Wenn die am bekleideten Menschen zu beobach-
tende Elektricität in Folge von sensoriellen Erregungen Schwankungen zeige — wie
er selbst und F^r^ es gesehen haben — so seien diese zu erklären aus den durch
Circulationsveränderungen bedingten Feuchtigkeitsdifferenzen der Haut.
Sitzung vom 3. März 1888.
Ch. V6r6: Ueber Veränderungen des elektrischen Widerstandes der thieriachen
Gewebe unter dem Einfluss von Sinneserregungen und Gemüthsbewegungen. — Es
handelt sich um Versuche an Hysterischen, wie sie ähnlich schon Vigouroux an-
gestellt hatte. — F. setzte die beiden Elektroden in bestimmtem Abstände an einem
809 -
Arme oder Beine an und fand am Galvanometer eine Nadelablenkung von 1 — 3 Strichen.
Wenn er nmi der VersucliBperson eine Erregung irgend eines Sinnes zuführte, so trat
eine plötzliche Nadelabweichnng bis zom 15. Striche auf. ümgekehrlr verminderte
sich die Nadehibweichong, wenn F. die vorher offenen Augen der betreffenden Person
schloss. — Auch eine motorische Innervation eines Gliedes rief einen plötzlichen
starken Nadelausschlag hervor, d. h. eine Abnahme des elektrischen Widerstandes.
De ramyotrophie tab^tique» par A. Joffroy.
Mit £ezug auf eine Mittheilung von Dejerine in der vorhergehenden Sitzung,
welche den histologischen Nachweis der peripherischen Natur der Muskelatrophie bei
den Tabikem gegeben hatte, bemerkt Joffroy, dass Gharcot und Pierret in Fällen
von Muskelatrophie bei Tabes Atrophie der Zellen der Vorderhörner nachgewiesen
haben, dass Marie eine Atrophie des Hypoglossus-Kemes bei halbseitiger Zungen-
atrophie eines Tabikers gefunden hat, und dass ähnliche Fälle im Auslände mitge-
theilt sind. Femer hat Joffroy zusammen mit Condoläon bei einer Tabischen mit
fettiger Entartung des Peroneus longus und Soleus beiderseits gefunden, dass neben
Neuritis der peripherischen Nerven eine diffase Affection von Ganglienzellen der
Vorderhörner des Lendenmarks in nicht unbeträchtlicher Anzahl bestehe. — Neben
der durch Neuritis bedingten Muskelatrophie bei Tabischen gebe es also unzweifelhaft
auch eine central bedingte.
Sitzung vom 10. März 1888.
Dejerine erwiderte hierauf am 10. März, dass er ja selbst auf die Fälle cen-
tralen Ursprungs hini^ewiesen habe; dass er femer nur von den Muskelatrophien am
Bompf und an den Extremitäten, und zwar den doppel-, nicht auch den einseitigen
gehuidelt habe, und dass er in Bezug auf diese' behaupte, dass in der ungeheueren
Mehrzahl der Fälle die Muskelatrophie der Tabiker auf Neuritis der peripherischen
Nerven beruhe. — Dass auch ein Tabiker einmal eine Poliomyelitis (Tephro-my^lite
aiguS, sttbaigrad oder chronique, bekommen könne, das scheine ihm ganz wohl möglich.
A. Pitres und L. Vaillard: „Ueber peripherisohe KeuxltiB bei Wund-
tetaans/«
Die YerflC haben 8 Fälle von Wundtetanus genau untersucht und zwar in einem
derselben leichte Yerändemngen an den von den verletzten Theilen ausgehenden
Nerven bis in die betreffenden Nervenstämme hinein (die Rfickenmarkswurzeln waren
gesund) beobachtet: helle Bäume und seitliche Yacuolen im Innem der Schwann*schen
Scheide, ohne Kemvermehrung. Diese Kranke starb 28 Tage nach der Verletzung,
13 Tage nach Beginn des Trismus. In 2 anderen Fällen, die schneller verliefen,
fanden die Yerff. jedoch die Nerven und die Bückenmarkswurzeln ganz gesund. —
Es ist also die Theorie, dass der Wundtetanus auf peripherischer Neuritis berohe,
fallen zu lass.en.
J. Babinski und A. Charrin: ^jye la paralysie pyooyanique.'*
A. Charrin hat schon früher Mittheilungen gemacht über eine Lähmung, welche
er bei Kaninchen durch Injection der Kultur oder der bei der Kultur erzeugten
löslichen Producte eines Mikroben („microbe pyocyanog^ne'O bei Kaninchen hervor-
gerufen hatte. Weitere Studien haben die Yerff. nun zu folgenden Ergebnissen ge-
führt. Nach einer Inculationszeit von 2 Wochen bis zu 2 Monaten beginnt die
Paralyse in den hinteren Extremitäten, meist beiderseits, seltener nur monoplegisch.
In letzterem Falle kann die Monoplegie später zu einer Paraplegie werden (nicht in
allen Fällen); und ganz ausnahmsweise werden auch zuletzt die Yorderextremitäten
ergriffen. Die Lähmung ist eine spastische, keine Amyotrophie; die elektrische Er-
regbarkeit ist erhalten, meistens auch die Sensibilität, welche überhaupt niemals
gänzlich verloren geht. Bei Paraplegie besteht auch ürinretention.
Bei aUgemeiner Lähmung tritt stets der Tod ein; bei Mono- und Paraplegien
l^ann Heilung eintreten, doch bisweilen nur unter Entstehung von Contracturen.
— 810 —
Die anatomische Untersttchung ergab ein negatives Besnltat» spedell fanden sich
keine Pettkörachen im Rückenmark. ~ Die „Paralysie pyocyanique" ist also in eine
Reihe mit ifiu toxischen und infectiösen Lähmungen za stellen. Hadlich.
In der Aoademie des soienoes in Paris hat am 12. März 1888 Charcot
die Ergebnisse von Experimenten über chronische Alkoholintoxication bei Hunden
mitgetheilt, welche Mairet und Combemale angestellt haben. Sie fanden nach
einem psychischen Erregungsstadium die Erscheinungen der allgemeinen progressiven
Paralyse. Im Obductionsbefund: diffuse Meningo-Encephalitis und Qefässdilatation.
Hadlich.
22. Versammlung von Mitgliedern des Vereins der Irrenärzte n'ieder-
Sachsens und Westphalens su Hannover am i. Mai 1888.
I. Brnns (Hannover) spricht ,^TJeber einige seltenere Aftootionen des
Himstammes** mit Krankenvorstellungen und Demonstrationen.
1. Acute Bulbärparalyse. 25jähriger Mann aquirirte vor 5 Jahren Lues.
Weihnachten 1886 erster Schlaganfall: altemirende Hemiplegie (linker Facialis, rechte
Extremitäten), Sprachverlust, Glossoplegie: Einsatz unter tonischen Krämpfen ohne
Bewusstseinsverlust. Sommer 1887 nur noch leichte Behinderung der Sprache und
leichte rechte Parese mit erhöhten Sehnenreflexen und AchiUesdonus. Weihnachten
1887 zweiter Sdüaganfall: Zunächst rechte Krämpfe ohne Bewusstseinsverlust» dann
Lähmung des linken Facialis, leichte Parese der linken Hand, Lähmung der Zunge,
des Kanens» Schlingens, Parese des Diaphragma. Dysarthrische Sprachstörang und
Parese der Stimmbänder. Pulsus rarus (48 L d. M.), unregelmässige, anterbrochene
Athpinng, Singultus, Qähnen, Speichelfluss, Zwangslachen. Zwei Tage dauernde Bla-
senlähmung. Bückgang der Symptome unter Schmiercur bis auf leichte Lähmung
des Unken ^mteren Mundfacialis, linksseitige Zungenlähmung, Ernchwerung der Sprache,
leichte Zwerchfellsparese. Keine electrischen oder trophischen Störungen. Die Diag-
nose wird unter voller Würdigung der aus den Siemerling*Oppenheim*schen Unter-
suchungen hervorgehenden Schwierigkeiten einer sicheren Differentialdiagnose zwischen
acuter Bulbärparalyse und Pseudobulbärparalyse, auf Grund der auch nach diesen
Autoren für die echte Bulbärparalyse sprechenden Symptome seitens der Respiration
und des Kehlkopfes, dann wegen des Zwangslachens und wegen des Fehlens irgend
welcher deutlicher hemiplegischer Erscheinungen im zweiten Anfalle, wegen der He-
miplegia alternans im ersten, auf eine in der Hauptsache wenigstens echte acute
Bulbärparalyse gestellt. Der Kranke wurde der Gesellschaft vorgestellt S. übrigens
den sehr ähnlichen Fall von Thiersch aus Wagners Klinik. (Münch. med. Wochen-
schr. 1887, Nr. 25.)
2. Ein 35 jähriger, nicht luetischer, wohl aber dem Alcoholgenusse stark er-
gebener Mann erkrankte in subacuter Weise an folgenden Symptomen: Doppelseitige
Parese der Faciales mit Betheiligung der Orbiculares oculi und electrischen Störungen
(im Allgemeinen einfach quantitative Herabsetzung der Erregbarkeit von N. und M.),
Parese des Yelum palatinum, Störungen der Zungenbewegung ohne electrische Störungen,
Erschwerung des Kauens und Schluckens, Parese des Zwerchfells, nasaler, eintöniger
Sprache mit besonderer Erschwerung der Aussprache von b, p und l statt, zu setzen;
dazu kam eine Parese beider AbduCentes und des rechten Rectus sup. mit entsprechenden
Doppelbildern: rechter Ptosis und Störungen der Pupillenreaction. Ausserdem West-
phalsches Zeichen ohne irgendwelche sonstigen tabischen Symptome. Es war also
eine Gombination von gewöhnlicher Duchenne'scher mit der sog. oberen Bulbärpara-
lyse und Hinterstrangsklerose. Strümpell, Kahler und Pick und Boss haben ganz
ähnliche Syniptomencomplexe beschrieben.
— 311 —
3. Ataxie nach Scharlach. Bei einem 7V2Jährigen Mädchen entwickelte
sich 8 Tage nach Beginn einer ohne Diphtherie verlaufenden Scarlatina unter stür-
miflclien Erscheinungen von Seiten des Centralnervei^systems zunächst eine Paralyse
aller vier Extremitäten und Sprachverlusi 14 Wochen nach Beginn der Scarlatina
zeigt dasselhe: Exquisit scandirend-dysarthrische Sprache ohne irgtodwelche apha-
tische Störung, leichte Ataxie der oberen, stärkste der unteren Extremitäten (Un-
möglichkeit auch mit offenen Augen zu stehen, kann nur gehalten ein paar Schritte
gehen), bei ganz leichter Parese der linken Eörperhälfte, die aber im Liegen eine
ausgiebige Bewegung der Extremitäten gestattet. Weder irgendwelche Sensibilitäts-
oder sensorische noch, noch trophische oder electrische Störungen. Patellarreflexe
beiderseits normal: keine Blasenstörungen, keine Contracturen, Intelligenz intaci
Während der Beobachtung Besserung: die rechte Parese gejsch wunden, die Ar-
taxie viel geringer, die Sprachstörung unverändert.
Unter Ausschluss anderer fOr die Ataxie in Betracht kommender Möglichkeiten
(cerebrale Heerde, Tabes, Neuritis peripherica) und unter Hinweis auf die sicher bul*
bare Sprachstörong , wird hier die Diagnose einer postscarlatinösen bulbären Ataxie
gestellt. In Bezug auf die feineren anatomischen Veränderungen wird auf die Be-
funde, wie sie Mendel in einem Falle von Erkrankung des Nervensystems nach Diph-
therie im Bulbus gemacht hat, hingewiesen. (Dieses Gentralblatt 1885 S. 128.)
Die Fat wird der Versammlung vorgestellt. Redner erwähnt noch, dass er im
letzten Jahre als postscarlatinöse Erkrankungen (NB. ohne Diphtherie) eine rechte
Facialislähmung mit electrischen Störungen und Tic convulsif (Ohr gesund), eine
multiple Neuritis und eine rechte Hemiplegie mit Contractur und Aphasie beob-
achtet habe.
4. Glioma pontis. Bei einem bis dahin scheinbar ganz gesunden Knaben,
der von gesunden Eltern stammte, entwickelten sich nach einem leichten Eopftrauma
im Verlauf von 14 Tagen folgende Symptome:
Assocürte Lähmung des Blickes nach rechts, Parese nach links, bei intacter
Convergenz und fast intacter isolirter Function der beiderseitigen Becti intemi; freie
Bewegung in den übrigen Blickrichtungen mit leichtem Nystagmus; Optici frei;
weder Atrophie, noch Stauungspapille. Altemirende Hemiplegie: rechte Abducens-,
Facialis-, Acusticuslähmung (normaler Ohrbefund), linksseitige Parese der Zunge und
der Extremitäten, bei nur ganz leichter, inconstanter Contractur derselben. Diffuse
Störung der Schmerzempfindlichkeit im ganzen Körper, bei gutem Tastsinn. Intentions-
tremor des Kopfes und aller vier Extremitäten. Sehnenreflexe normal. Beim Gehen:
Nachschleppen und falsches Aufsetzen der linken unteren Extremität, Umfallen nach
links hin. Kauen und Schlucken sehr erschwert. Pulsfrequenz 120 — 160 1. d. M.
Sprache exquisit scandirend, leicht dysarthrisch. Mehrtägige, anfallsweise wieder-
kehrende Fieberanfalle ohne sonstigen Befund. Häufiges galliges Erbrechen. Intelli-
genz intact.
Die Di^nose wurde auf eine hauptsächlich rechts sitzende Geschwulst des Pens
gestellt, die durch des Trauma (vielleicht Blutung in ihre Substanz) manifest gewor-
den war. Die Section bestätigte diese Diagnose vollkommen. Es fand sich ein Glioma
pontis, das rechts für makroskopische Betrachtung nur die oberflächlichen Querfasem der
Br&cke, links auch die Region der compacteren Pyramidenstränge freigelassen hatte,
in der Haube diffus über den ganzen Querschnitt verbreitet und nahe unter dem
Ventrikelboden cystisch degenirt war. Frische und ältere Blutungen in den Wänden
der Cyste. Das Präparat wurde demonstrirt.
Es wird auf die Sicherheit der Diagnose des Sitzes bei dem Symptom der as-
soeiirten Augenlähmung und der altemirenden Hemiplegie hingewiesen; femer darauf,
dass dieser Fall einer isolirten Ponsgeschwulst alle sogenannten Hauptsymptome der
multiplen Sklerose: Intentionstremor, scandirende Sprache und Nystagmus darbot,
trotzdem aber bei genauen Abwägen aller Momente die richtige Diagnose gestattete.
- 312 -
Er bietet in dieser Beziehui^ eine Kehrseite zu demjenigen Ffillen von multipler
Slderose, in denen ein Theil dieser Symptome ganz oder während längerer Zeit der
Beobachtung fehlt, auf welche Fälle in neuester Zeit besonders Oppenheim und im
Anschluss an ihn aach B. hingewiesen hat (Berliner klin. Wochenschr. 1887 Nr. 48
und 1888 Nr. 5.)
IL Roller (Brake) spricht: Ueber die Beeinflussung der Menstruation
durch Opium und Morphium. (Der Vortrag wird in extenso erscheinen.)
III. Bartels (Hildesheim) spricht „Ueber Wortneubildung bei Geistes-
kranken/'
Seine Beobachtungen beziehen sich auf 4 Paranolker. Es werden eine ganze
Anzahl charakteristischer Beispiele angeführt. Z. Th. sind es existirende Worte, denen
von den Kranken em anderer Sinn untergelegt wird, z. Th. sind sie aus ähnlich
klingenden corrumpirt, z. Th. sind es aber auch vollständige Neubildungen. Rs ist
sehr oft schwer, von den Kranken eine Erklärung dieser Worte zu erlangen, sie
halten sich durch Nachforschungen gefoppt, da sie natürlich annehmen, dass der
Sinn, den sie mit den Worten verbinden, der allgemein verständliche sei; von ein-
zelnen Worten scheinen sie aber selber den Sinn nicht zu kenuen. Da die Kranken
auch angeben, Gott habe ihnen direct diese Worte gesagt, oder sie hätten sie einmal
gehört, so glaubt B. ihre Entstehung auf G^hörshallucinationen zurückführen zu
müssen.
In der Dlscussion betont Bruns (Hannover), dass er solche Wortneubildnngen
nur bei alten Verrückten, meist auch langjährigen Irrenanstaltsinsassen, gesehen habe.
Bartels und Gerstenberg (Hildesheim) stimmen dem vollkommen zu; doch
sei das nicht absolut nothwendig; der letzte B.'sche Patient sei z. B. noch nicht
lange krank.
Schmalfuss (Hannover) hat Aehnliches auch bei periodisch Tobsüchtigen ge-
sehen; diese Neubildungen seien nicht zu verwechseln mit den alliterirenden Wort-
neubildungen der Maniaci resp. der tobsüchtigen Paralytiker.
ly. Berkhan (Braunschweig) dedicirt der Versammlung eine Anzahl von Ab-
drücken seiner Arbeit „Ueber das Irrenwesen der Stadt Braunschweig in früheren
Jahrhunderten''. Bruns.
IV. Vermisohtes.
KranioIogiBche Untersuchungen werden Beitens der anthropologischen Gesellschaft in
Wien an den Schädeln der Tonheroen Beethoven, Mozart, Gluck und Schubert an-
lässlich der Exhumirung und UeberfÜhrung derselben nach den Ehrengräbern auf dem Central-
friedhof vorgenommen werden. Unter Leitung der Proif. Toldt, Meynert, Kundrat und
des Oberstabsarztes Dr. Weisbach werden die Schädel gemessen, photographirt und schliess-
lich abgeformt werden, so dass fdr alle Zeiten authentische Abgösse und Abbildungen vor-
handen Bein werden. Die zu lösende Frage besteht darin, ob an diesen Schädeln gewisse
gemeinsame Merkmale auftreten, welche fßr die specielle Geistesriohtnng dieser ffrossen
Männer charakteristisch sind. (Int. klm. Rundsch. 1888. Nr. 12. — D. Med.-Ztg. 1888. Nr. 31.)
Am 9. und 10. Juni d. J. wird in Freibnrg i. B. die XIII. Wanderversammlung der
Süd westdeutschen Neurologen und Irrenärzte stattfinden. Anmeldungen von Vorträgen sind
an die Geschäftsftihrer Professor Emminghaus in Freiburg und Dr. Fischer in Illenau
zu richten.
Beriohtigiing.
Seite 259 Z. 4 v. o. ist hinter „absteigend" einzuschalten „5. Gervicalwurzel".
Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20.
Verlag von Vkit & Oomp. in Leipzig. — Druck von Mktzgkb & Wittig in Ijeipzig.
Neurologisches Centralblah
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter ^ ^*^ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1888. 1. Jnni. M 11.
Inhalt. I. Originalmittheilungen. 1. Einige therapeutische Versuche mit der Hypnose,
TOD Dr. Sperling. 2. Die Karminf&rbung för Nervengewebe, von Dr. Henry S. Upton.
3. Bemerkung zu Vorstehendem, von Dr. William C. Krauts. 4. Einiges fiber Suggestion,
von Dr. E. Jendrissilc (Schluss).
II. Referate. Anatomie. 1. Sur la persistance de vestiges m^dullaires coccygiens et
la product^on des tameurs sacro-coccygiennes cong^nitales, par Tourneux. — Experimen-
telle Physiologie. 2. Zeitmessende Versuche über den Temperatur- und Drucksinn, von
V. Vlntscligatt und Steinach. ^ Pathologische Anatomie. 3. A case of Porencephalus
wlth apecimen, by Brucli. 4. Ueber einige mikrochemische und physische Eigenschaften der
sog. cnromoleptischen Substanz, von Diomidow^ — Therapie. 5. Üeber die Wirkung der
Ueberoftmiums&ure bei Epilepsie, von Seliweder.
III. Aus den Gesellschaften. -- IV. Bibliographie. — V. Vermischtes.
I. Originalmittheilungeii.
1. Einige therapeutische Versuche mit der Hypnose.
Von Dr. Sperling, Berlin.
Ans der Poliklinik für Nervenkrankheiten Yon Prof. Mendel und
Prof. EULENBUEG.
Die dem Heilmittelschatz für Nervenkrankheiten erst nenerdings einverleibte
Hypnose hat in unserer Heimath eine wenig günstige Aufnahme gefanden. Der
innerste Grund dafar ist wohl in dem Mysticismus zu suchen, welcher dieses
bisher unaufgeklärte Phänomen umgiebt, und welchem der auf exacte Forschung
gerichtete deutsche Geist im Grunde seines W^esens abhold ist Indessen hiesse
es doch, dem Fortschritt Schranken bauen, wenn man es verschmähen wollte,
ein Mittel zu prüfen, von dessen heilsamer Wirkung glaubwürdige Männer be-
richtet haben, es hiesse, den ganzen Empirismus verdammen, in dem die medi-
cinische Wissenschaft zum Theil hat gross werden müssen. Sollte Jemand ernst-
lich zu behaupten wagen, dass man die Elektricität als Heilmittel verwerfen
müsse, weil man den innasten Grund ihrer Wirkung nicht durchschaut habe?'
Oder sollte man aUe jene Substanzen aus dem Arzneisohatz verdammen, deren
Hülfe dem Arzt unentbehrlich geworden ist, ohne dass ihm im einzelnen Fall
das innerste Geheimmss ihrer Wirkungsweise klar ist?
20
— 814 —
yo9 dieaem Stend^oiikte allem halben wir die Anwendung der Hypnose
als Heilmittel zu betrachten.
' Dflram faflen jene Einwände des Herrn Prof. Ewald^^ welcher die Hypnose
als eine der ärztUdien Eonst unwürdige Hantimng hinstellte, als unberechtigt
fort Es würde zu weit führen, über das leitende Frincip der genannten Ein-
wände hinaus zu Einzelheiten übeizugehen. Zudem hat sich Herr Piof. Yorsl
in Zürich^ der Mühe dner ausffihrlichen Widerlegung derselben in so vortreff-
licher Weise unterzogen, dass es dazu kaum weiterer Zusätze bedarf.
Dasjenige Moment, welches schliesslich zu Gkmsten oder Ungunsten der
als Heilmittel angewandten Hypnose am meisten in die Wagschale fällen wird,
wird der praktische Nutzen sein, den dieselbe bei verständmssvoller An-
wendung zu leisten im Stande ist.
Erweist sich die Praxis von jenem befriedigt, so wird ihr das Bürgerrecht
in der Medicin sicher zufallen.
In Frankreich hat sie es schon lange erworben. Das beweisen die zu einer
stattlichen Litteratur angewachsenen Schriften,' in welchen die Berichte über
hypnotische Heilelfolge bereits nach vielen Hunderten zählen. Auch in andern
Ländern hat man reges Interesse hierfür gezeigt, z. B. in Schweden und Nor-
w^en,^ während das Schweigen der englischen Litteratur über diesen G^en-
stand bemerkenswerth ist. Bei uns ist die therapeutische Anwendung der
Hypnose erst jüngsten Datums;* indessen haben sieb in letzter Zeit die Be-
obachtungen gemehrt, und es scheint, als ob verdoppelter Eleiss das Yeisäumte
nachholen wollte. Diesem Zwecke soll auch der folgende Beitrag dienen.
In der Sitzung der Berliner medicinischen Gesellschaft vom 12. Oct 1887
stellte ich einen jugendlichen Hystero-Epileptiker vor, bei welchem es mir ge-
lungen war, die Enuaipfe durch wenige l^ypndtische Sita^ngen resp. Suggestionen
zu coupiren. Die weitere Greschichte dieses Falles ißt so interessant^ dass eine
kurze Wiederholung des in der ersten Mittheilung Gesagten zum Zwecke einer
übersichtlicheren. Darstellung entschuldigt werden wird.
*
Beinhold Z., 22 Jahre alt^ ohne hereditäre Belastung, seit dem 9. Lebensjahre
an Asthma bronclüale leidend, fiel am 8. December 1882 — seitdem datirt seine
Erankheitsgescbichte — mit dem Hinterkopf so nnglücUidi auf's Eis, dass zwar
keine äussere Yerletzong, aber eine mehrere Minuten lang dauernde Ohnmacht und
ein localer von Tag zu Tag sich verstärkender Kopfschmerz davon d^e Folge war.
^ Ewald, Berl. klin. Woch. 1887. Nr. 47. S. 893.
' FoBBL, Münch. med. Woch. 1886. Nr. 5. S. 71.
' Bbbkbbui (Nancy), De U Boggestion et de ses applications a la tbkapentique.
IL Apsgabe. Paris, Octaye Doin» 1888. — Das empfehleiuiwerUieste Werk auf diesem Gebiete.
* Mittheilnngen über Hypnotismns ans der skandinavischen litterat^or. (Bef. Waltbe
BsBOBE.) Nenrolog. CentralbL 1888. Nr. 7. 8. 208.
* MxNDBL, Nenrolog. CentralbL 1887. Nr. 18.
Sfxblino, Berl. Uin. Woch. 1887. Nr. 44. S. 882.
SoHULTS, Nenxolog. CentralbL 1881. Nr. 22.
Nonhb, ebenda. 1888. Nr. 7.
V. Krafft-Ebino, Wiener med. Pr. 1888. Nr, 7. S. 281.
— 315 —
Adit Tag« darauf trat beim Kla^Brspiel bdi Tollem Bewusstsein ein Krampf
auf, welcher der Beschreibung nach als »»Zwerchfellskrampf ' gedeutet werden mnss
und ongefahr eine Stunde dauerte. Derselbe wiederholte sich öfter in der nächsten
Zeit —
Nach einet mehrwöehentlichen Ruhepause stellte sich der ,,Krampr' in derselben
Art^ aber schwfteher wie frfther, am 3. März 1888 ein und trat nun mehrere Monate
lang täglich auf. Diese Reihe Yon Anfällen wurde von emer mit asthmatischen
Anföllen verbundenen Bronchitis begleitet
Im Juni 1883 ftnderte sich das Bild: zu dem ursprünglichen Krampf gesellten
sich Paräflthesien in der linken grossen Zehe, die nach der Herzgrube aufstiegen und
unter einer „Art ron Schluckkrampr' sich In Arm und Kopf fortsetzten. Während
des Anfalls war das Bewusstsein erhalten, nach demselben wurde Aber ,,Benommen-
heit" geklagt
Dieselben Erscheinungen, welche mehrere Wochen lang täglich spontan auf-
traten, konnten reflectorisch durch Druck auf die betr. Aufschlagstelle auf dem Kopf
herrorgerufett werden.
Es felgte eine fiut krampffreie Zeit von Juli 1883 bis October 1886, während
welcher auch die Erscheinungen ton Seiten der Respirationsorgane sich verringerten.
Körperliche und geistige Anstrengung, wie sie damals das Geschäft in ver-
mehrtem Maasse forderte, überstiegen wohl die Kräfte unseres Patienten, und
unter den Vorboten von 3 Tage anhaltenden Kopfschmerzen erschien der Krampf
wieder, pflanzte sich auch auf die rechte Körperseite fort und fUhrte zu voUkommnem
Bewuasteeinsverlust Es hatte sich also ein Uebergang zu einer schwereren Krampf-
form vollzogen, die siph indess nur 8 Tage in dieser Art erhielt ni^ dann wieder
in Krämpfe mit erhaltenem Bewusstsein abgeschwächt zu werden. Obwohl unser
Patient wieder soweit hergestellt wurde, dass er geschäftlich thätig sein konnte, so
blieb er doch von diesen Anfällen immer nur kurze Zeit verschont. Zuerst wieder-
holten sie sich in Pausen von 8 — 14 Tagen, späterhin öftw, im Juni 1887 fast
tftgUdk. Dabei bestanden heftige Kopfschmerzen, die jenen Locus minoris resistentiae
als Mittelpunkt hatten, und von dem auch nach Belieben reflectorische Krämpfe her-
Torgerufen werden konnten!
Im Juli in die Charit^ aufgenommen, hatte Patient die Freude, acht Tage lang
▼on Anfällen verschont zu werden; aber die Freude dauerte eben nicht lange und
schlug iQ*B G^egeiithell um, indem nunmehr die Anfälle sich häuften und mitunter
2 Stunden dauerten, einer sogar 5 Stunden, und dieser letastere nur durch Faradi-
sation des ganzen Körpers sistirt werden konnte. Unter diesen Anfällen litt die
Sprache, indem eine gewisse Langsamkeit, Tonlosigkeit und Unsichierheit zurflckblieb.
Kurze Zeit darauf zeigte sich, dass das linke Bein „fast ganz gelähmt" war, auch
wurde am nächsten Tage der linke Arm „sehr schwer". Diese letzteren Erschei-
nungen gingen nach elektrischer Behandlung in kurzer Zmt zurück.
Am 10. September 1887 suchte Patient die Polildinik f&r Nervenkrankheiten
Yon Prof. MüMipL und Prof. Eülknbpbo auf, wo ich bald Gelegenheit hatte, diese
nunmehr sehr häufig auftretenden Krämpfe zu beobachten. Während sich dieselben
spontan mit Vorliebe nach den Mahlzeiten, beim Besteigen oder Verlassen des Bettes,
in Folge von Qemüthserregung oder körperlicher Anstrengung einstellten, gelang ee
auch, sie durbh Druck auf jene schmerzhafte Stelle des Kopfes hervorzurufen, durch
Ihj^ auf mehrere empfindliche Punkte von Hals, Nacken und Schultern (hysterogene
Funkte), durch starkes Flectiren oder Hypereztendiren der Finger und Zehen. Der
Vorgang war dann der, dass sich an vermehrte Parästhesien in der linken grossen Zehe
und in der linken Hand die dem Kranken noch zu Bewusstsein kamen, ein Schfittel-
tremor anschloss, welcher von den linken Extremitäten, die am stärksten geschfittelt
vurden, unter aUmählicih eintretende Bewusstlosigkeit auf die rechten überging« Arm
und Bein waren dabei aufs Aeussorste exte&dirt. Schliesslich wurde der Kopf von
20*
— 316 —
dem Tremor mit ergriffen; derselbe warde lebhaft nach beiden Seiten geBchüttelt
Die Musculator der linken Gesichtshälfte verzog sich, als ob man den Faoialis-Stamm
elektrisch reizte, die Zunge wurde im Munde nach links verzogen and der Kranke
machte prustende Bewegungen, wie etwa ein Badender, der eben das Wasser verUlsst.
Diecer Zustand dauerte, so oft er sich wiederholte, etwa 5—20 Minuten.
Objectiv liess sich zu dieser Zeit eine geringe Parese des linken Facialis und
der ganzen linken Eörperseite constatiren, so dass das linke B^in beim Gehen nach-
gezogen wurde. Die Sensibilität war für die verschiedenen Gefflhlsqualitäten links
gleichmassig sehr erheblich herabgesetzt, ganz abgesehen von den vielen sehr em-
pfindlichen Nervendruckpunkten, die die linke Eörperseite aufwies. Die Befleze waren
sämmtUch stark. Von den hysterogenen Punkten habe ich schon gesprochen. Die
Psyche war durchaus intact, Sprache etwas schleppend und von mattem Tone. Be-
merkenswerth sind noch die sehr weiten, aber auf Licht und Accommodation gut
reagirenden Pupillen. Gesicht und Gehör hatten keine Störung erfahren.
•
In Erwägung, dass die hier vorliegende Affection die linke Eörperhälfte so
vorzugsweise betraf, dass dagegen die geringen Erscheinungen anf der rechten
Seite kaum in Betracht kamen, lag es nahe, an eine ganz circamscripte Affec-
tion organischer Natur der betreffenden Gentren in der Hirnrinde zu denken.
In der That ist dies auch von verschiedener Seite geschehen, und Herr Prof.
Mui^, der diesem Falle ein besonderes Interesse entgegentrug und die Krämpfe
öfter zu beobachten Gelegenheit hatte, hat an dieser Ansicht, welche et sich
gleich beim ersten Anblick gebildet^ bisher immer noch festgehalten.
Die Art des Verlaufe der Krankheit, der Wechsel der Erscheinungen, die
Hemianästhesie, die hysterogenen Punkte, die Veranlassung zum Auftreten der
Krämpfe, sowie deren Erscheinungsweise, der Mangel an psychischen und in-
tellectuellen Störungen und andere Momente mehr, machten es für mich un-
zweifelhaft, dass wir es hier mit einem Falle von traumatischer Hystero-
Epilepsie zu thun hatten. An ein Superarbitrium konnte damals nicht appellirt
werden, da die Herren Chefs unserer Poliklinik sich auf Reisen befanden.
Die Therapie, welche ich zuerst anwandte, und von der ich in einigen ähn-
lichen Fällen ausgezeichneten Erfolg gesehen, die centrale Galvanisation, schlug
vollkonmien fehl, da gleich der erste Versuch der Anwendung einen sehr starken
Anfall auslöste; deshalb wurde davon Abstand genommen.
Bei der Unzulänglichkeit und Unsicherheit der bisher in solchen Fällen
angewandten Heilmethode beschloss ich^ hier mit dem neuesten unserer Mittel,
der Hypnose, einen Versuch zu machen.
Zum ersten Mal gelang es in 2 Minuten, den Patienten durch den Blick
auf einen Metallknopf zu hypnotisiren. Bei Beginn der Hypnose senkt sich der
rechte den Knopf haltende Arm, und es beginnt ein Schütteltremor des ganzen
Körpers, besonders der linken Seite. Der Aufforderung, aufeustehen und zu
gehen, folgt Patient, schleift aber das zitternde linke Bein nach. In Folge
energischer Ermahnung geht er dann ganz ordentlich, aber mit zaghaften
Schritten, bis er nach längerer Gehübung plötzlich erbleicht und kraftlos zu-
sanunensinkt — trotz aller Ermahnung. Auf dem Sopha liegend bleibt er in
tiefem Schlafe; der Puls zählt zuerst 124, nach einiger Zeit 84 Schläge. Nach-
dem Patient eine halbe Minute gelegen, tritt ein neuer, aber viel sohwächeiBr
— 317 -
koMi auf, der baM vorftber^eM; nadh emeüi "wöiterd' ungest6rtöri ScMÄf völi'
10 Mhititen erwacht Patient und fShlt sich, gc^mäss^ ineiier 'Stiggöötiön, voH-
kommen wohl. '' •
«
Diesen utierwülischten Zwischenfall iti Gestalt eines Ohnmachtsanfalleäf
möchte ich als den Ausdruck einer Erschöpfung abffassen, in welche die p'sjrchb-
motorische Sphäre durch die sich in ihr VollzietiendeautöThatSsche Leistto^ ge-
rathen ist Diese' letztere, welche sich In der nunniiehr windet normalen! 'Be-
wegohg der Beine beim Gehen documentirt, und die allein 'tmtet dem Einfflii^'
meines Willens sifch vollzogen hat, hat aber tu der LeIötubgsfähi^kiBit'*duiteh
ein zuviel der Beeinflussung des Vorhin kranken und moinentan zifr Kdrrti'
zurückgekehrten Cfeiitrums fSr di^ Gehbewegüng im Jfissverh<niss' geitandöii;*
Daher die Erschöpftmg. Der FeWer lag aof'mrtner Seite. ' ' ' • ' -'
Am nächsten Tage erzfihlte Fat., dalss er bis jetzt keinen Aiifall mehr ge-
habt, dass er s?ch in Arm imd Bein kr&ffiger fÖhlt und vorzüglich, wife' ächon'
lange iricht zuvor, g^chlafen habe; in der Gegend der lihlreri HtlfW fOhlte' ör
eine gewisse Spannung. » . . \ f «.
Bei der nunmehr vörgenommeiieii zweiten Byptiotisatiott schläft' Fiat auf
einfaches Zureden sofort ein. Man bemerkt dabei feih l^hles* VferSfiehfen' det*
linken Oetiehtsmnsculatur und Zittern des Unken Aims; beides verschwindet
bald. Beim* firwochen fühlt er sic^ matt und klagt '^übef Kq^Mruek- utid'
„Spaünttng^'im; linken Arm. * Daher erneute Hypnbtisatiott. • Bei der Anfforie-'-
rungy die Znnge ouszustreekeih ^ verzieht sich ^eder das* G^<^ht: uod der« Uftk&'
Ann fangt «an zu aittem, jedoch geht es wiederholt giaiiz gut undisdhliessHc^
ohne iNtbenerachetmingen. : •»
Nttoh Aem Biwachen fohlt sich Ptot. stuewt eiü wenig wüst Imf'Kopfel, nach
wenigen HiiMHleti abei' vollkommen \rohl Die 'Zungd kahti ohne einen 'Atflkll
auszulosen hfctau^streckt! werdetr; die Paarfatiesien in' detf linken Fingerfi(pifaiu,'
übet weteho uoeb geklagt stordeil wär^ sind bis auf elii Minimum' geschwunden.
Am näichsten'Tage erzählte Fat:' Voller Fremde, er habe gestern eihen'vier-'
sttedigefü sSpaei^i^ang mächen kernen ohne zu ennüden, dier Krampf habb äioli
auch nicht durch die geringste Andeutung wieder gemeldet, aber* er* haÄe noch'
etwas '„RopftWtfck^* ää! der ^ho* öftfer besieichneten ^lle ünti' leide uhter' sehr
sohlenihffer Stlhnthtltig.- B^klesr' wühle dürdh' Hin'nös^ und dai«\if fblgendeu'byl^-
notlschert Schlaf von' 10' Jrfiimteh' zu beseitigen virsucht^ »was a6ctt' vollktoihinen-
Etwa I4'l^'damüf sielltie ich den 'Patienten der mediciWfeohen 'Gwell«'
schaft'Vor. '''■' - •' ' '- - ' '• • • •• "•' •'■''• "
•'Es War kttuni zö ^rwart^, ' dJi^^ hiörmife die K«liik^nge«*kAte tfnseifes'
Patt^nten aibg^dilossett' imd die'IMmpfe Iftr flnmer beseitigt sein- sullteti^ Da»-
Fehlen einer hereditären Bela^to^iftg, sowie ' die • bisher b^ def enonin gi-^sieö
SuggteÖbilitBfe dte PÄt. durch «die -ÜypAoBe erzielten lokalen ErfoJge er^beu
gtmitlg&'M'öineilite'fut'idihe'ii^IatiV gdt^ Prognose. > Andererieitb läiusste 'dieMbe^
getHA>r weMed dttfeh den uhg^iiMin säiwädhlicUen K5rperbaa; dürrihdie^^Wahi-^
ncfhniüiig^eltfiger'veiilMitiger Ra»S(>)geräusch^ Aber beiden tiungmsiifitzbn, dmci^'
— 318 —
die Behr h&ufigen Nachtscfaweisse und schliesslich durch die äasseren Yerhaltr
nisse, welche dem Patieoten den Luxus einer langem Bade- oder Erholungs-
reise nicht gestatteten. Deshalb waren meine Hoffnungen auch nicht gerade
hoch gespannt; um so grösser ist heute meine Freude, dieselben weit übertroffen
zu sehen.
Die erwarteten Rückfalle traten dreimal ein, niemals jedoch ohne besondere
Veranlassung: das erste Mal (nach Ablauf von 5 Wochen) rief ich absichtlich
durch starke Faradisation der Scheitelgegend einen Krampf hervor, nachdem
sich am Tage vorher während des Nachmittagsschlafes ein Zittern des linken
Beines und sjäterhin ein Schmerz in der linken grossen Zehe bemerkbar ge-
macht hatte. Meine Absicht, während des Krampfes Hypnose einzuleiten und
in dieser den Anfall zu couphren, konnte ich vorzüglich ausführen.
Der zweite Rückfall wurde 6 Tage später durch eine von 6 oder 8 Herren
hintereinander ausgeführte, etwa '/^ Stunden dauernde laryngoskopische Unter-
suchung herbeigeführt und zwar am ersten Tage in Gestalt eines „Brustfarampfes^^
(wohl Zwerchfellskrampf), am Tage darauf als typischer Krampf, wie er vorher
geschildert. Die hiemach zurückbleibenden Parasthesien im linken Bän wurden
durch faradische Pinselung desselben in einer Sitzung beseitigt
Die Entstehung des dritten Rückfalls ist vielleicht die interessanteste. Da
Fat seit einigen Tagen über Kopfschmerz klagte, und die Wirkung des Anti-
febrin in solchen Fällen schon oft erprobt war, gab ich ihm am 18. Febmar
6 Pulver von je 0,25 mit der Anweisung, täglich eines zu nehmen. Am 24.
stellte sich plötzlich wieder ein Krampf ein, der sich am nächsten Tage wieder-
holte. Nach einer hypnotischen und einer elektrischen Sitzung waren alle Folge-
erscheinungen (,,Aufsteigen im linken Arm und Bein, als ob der Krampf im
Anzüge wäre") geschwunden. Da im TJebrigen jede weitere Veranlassung znr
Entstehung des letzten Anfalles fehlte, wie sie für die beiden ersten offenbar
vorgelegen hatten, so ist wohl sein Auftreten als durch die Wirkung des Anti-
febrin verursacht anzusehen. Vielleicht ist die Hypothese, nach welcher dieselbe
einer Beeinflussung des vasomotorischen Centrums verdankt wird, als Erklärong
hierfür heranzuziehen.
In zweiter Reihe sind weitere Störungen des im TJebrigen während dieser
ganzen Zeit sehr befriedigenden Gesundheitszustandes zu verzeichnen, denen ich
den Werth von Aequivalenten für die Krampfanfalle beilegen möchte. Dieselben
traten in unbestimmten Intervallen als Schwindel- und leichte Ohnmachtsanfalle
in die Erscheinung, welche sich im Oanzen vielleicht fünf- oder sechsmal wieder-
holten und niemals zu einer erheblicheren Störung des Allgemeinbefindens Ver-
anlassung gaben. Vielleicht sind auch die in letzter Zeit zweimal ohne nach-
weisbare Ursache aufgetretenen jedesmal etwa 2 Ts^e dauernden Leibschmerzen
und Diarrhöen als solche Aequivalente zu deuten.
Fernerhin machten sich noch allerlei Nebenerscheinungen bemerkbar, deren
Beseitigung jedesmal nur kurze Zeit in Anspruch nahm: Kopfschmerzen ver-
schiedenen Charakters, meist von der bewussten Aufschlagstelle oder deren Nähe
ausgehend, Parasthesien in der linken Hand and den Zehen des linken Fnsaes,
— 319 —
Nachtschweisse, Hyperbidiosis der Fasse, Gefühl tob yjSpannung'' im Unken
' Oberschenkel, schlechte Stimmnng, Heisshnnger.
Die Behandlung hatte natürlich noch andere Aufgaben zu erfüllen, als
die der Beseitigung der Krämpfe. Ausser der etwa 8mal angewandten Hyp-
nose wurde die Diät im weitesten Sinne ger^elt, jedoch so, dass auch Bier,
Wein und Gigarren in massiger Menge gestattet wurden. Es wurden regel-
mässige Bäder, kalte Abreibungen und Gymnastik (letztere nach besonderer
Vorschrift) verordnet Schliesslich wurde im Zeitraum von ca. 8 Wochen eine
methodische allgemeine Faradisation 3mal wöchentlich durchgeführt
Natürlich erforderten auch die vorhin erwähnten Basselgeräusohe über beiden
Lungenspitzen eine besondere Beachtung. In dieser Beziehung von der schlinoon-
sten Befürchtung ausgehend, liess ich die bekannten Creosot-Eapseln brauchen,
mit 2 pro die beginnend und bis zu 8 steigend. Im Ganzen hat Fat ca. 500
verbraucht Der Erfolg bestand in der baldigen Beseitigung des Hustens und
Auswurfs; auch die asthmatischen Beschwerden haben sich nie wieder gezeigt.
Die erwähnten Basseigeräusche habe ich bei wiederholter Untersuchung nie wieder
constatiren können. Auch die Nachtschweisse verschwanden, jedoch glaube ich,
diese auf neurasthenischen Ursprung zurückführen zu müssen.
Der Erfolg der eingeschlagenen Behandlung wird am besten durch die
Angaben illnstrirt, dass Herr Z. seit dem 1. Januar d. J. ununterbrochen als
erster Buchhalter in einem grossen hiesigen Geschäft thätig ist und dass er sich
von einem Körpergewicht von ursprünglich 108 Pfund im October v. J. zu einem
solchen von 130 Pfund emporgeschwungen hat. Bemerkenswerth ist die im Laufe
der Zeit eingetretene erhebliche FupUlenverengerung.
Unterziehen wir schliesslich den ganzen Fall einer kurzen kritischen Be-
leuchtung, so kann es wohl keinem Zweifel begegnen, dass im Gange der Therapie
der Hypnose das Verdienst gebührt, die ersten und störendsten Erscheinungen
des Krankheitsbildes, die Krämpfe, beseitigt zu haben, und dass sich auf diesem
ersten Erfolge dann die Wirkungen der übrigen Mittel erst nutzenbringend auf-
bauen konnten.
(Fortsetzung folgt.)
2. Die Kamiinfärbung für Nervengewebe.
Von Dr. Henry S. Upson, Cleveland (Ohio).
Man stelle sich zuerst die von Gbenacheb angegebene Carminalaunlösung
nach folgendem Recepte dar:
Ein Gramm Carmin wird mit 100 cc einer öprocentigen Alaunlösung er-
wärmt; 20 Minuten lang gekocht und nach dem Erkalten ültrirt.
Erste Methode: Zu 5 cc dieser Lösung setze man 10 — 20 Tropfen Essig-
säure, 1—3 Tropfen ' Phosphormolybden-Säure hinzu und filtrire.
Die Schnitte kommen in diese Mischung für 2 — 10 Minuten eventuell auch
länger, werden dann sorgfaltig in Wasser abgespült, dann entwässert, aufgehellt
und eingebettet.
•«
— 320
Es förbeu sich Ganglieozellen, Axencylind^ und Bindegewebe. Die Kerne
werden auch deutlich tingirt.
Zweite Methode : Man nehme 5 cc der Carmin-Alaun-Lösung, sättige sie
mit ZincJ sulfuric. und filtrire. Schnitte werden in diese Lösung für V2 bis
12 Stünden eingelegt, dann in Wasser abgespült und weiter me gewöhnlich
behandelt Diese Methode färbt dieselben Gewebselemente wie die erste.
• • •
Dritte Methode: In 4 cc Wasser + 1 cc Alkohol löse man 0,06 Carmin-
Säui'e.
Die Schnitte bleiben in dieser Mischung 8 — 10 Minuten, werden auf kurze
Zeit in Wasser abgespült und kommen dann in eine der folgenden Fixations-
Fläsfflgkeiten.
In dieser bleiben sie einige Minuten, werden dann in Wasser abgespült,
^ntwä^ert, angeheilt und eingebettet.
Die llnction ist abhängig von der Fixations-Flüssigkeit Verdünnte Essig-
säure'förbt gelbroth; gesattigte Ijosung Plumbi acetati blau; Eisensulfat schwarz;
Mangansulfat' rolh; Nickelsulfat oder Bariumchlorid violett
Axencyliilder, Oanglienzellen und Bindegewebe werden tingirt, die Kerne
hingegen iiebeh sich gegen das übrige Gewebe nicht scharf ab. Myelinscheiden
bleiben ungefärbt • '
' Je länger ein Gewebe in der Müller^sclien Flüssigkeit oder in Alkohol gebärt^
worden ist, desto läiiger dauert die Färbung.
Die erste Methode ist besonders geeignet für Präparate^ die überhärtet oder
schwer ' tirlgnrtar sind.
Die dritte Methode eignet sich besonders für Präparate^ die gut gehärtet
und auch leicht farbbar sind.
In der Herstellung der Cärmin-AIaunlösung macht es keinen wesentlichen
TJtit^rschied, welchen Alatin mau anwendet. Gereinigtes Alaun-Kalium giebt
eine Lösung; die etwas sicherer ist in seiner Wirkung, wie Alaun-Natron. Alaun
Kübidium Ist vielleicht noch, besser, doch ist es sehr theuer.
' Es i^ oft unhöthig, Essigsäure zu der Carmin- Alaunlösung hinzuzufügen^
denn von längerem Kochen oder Stehen zerföllt der Alaun und es bildet sich
eine Säure. Wenn dies geschieht wird die Lösung viel heller als durch Zu-
fügung einer Säure. Man kann die Farbe heller machen, indem man einige
Tropfen Phosphomolybden-Saure hinzusetzt
. ■ 4« »> I i
3. Bemerkung zu Vorstehendem.
Ton Dr. Wmiam 0. KrauBs, Attica (New York).
Meine im Laboratorium des Prof. Mendel mit diesen Methoden angestellten
Versuche ergaben folgende Resultate :
Mit der eräten Methode waren sämmtliche Gewebe tingirt .mit Ausn^me
der Markscheiden, vvie Verfasser beschrieben hat
' Die l^ctiou üach 20 Minuten ergab sich als etwas zu hell, die Präparate
— 321 -
sahen zu blass ans und die DiSbrenzirung war uicht scliaif genug. Aber nach
einer l->28tüiidigen F&rbung waren diese Kachtheile grösstentheils beseitigt
Mit der zweiten Methode bekam ich sehr gute Resultate, besonders bei
peripherischen Nerven. Axency'linder, Markscheiden und ächwann'sche Membran
waren scharf und deutlich differeuzirt. Besonders schön war das Bindegewebe
üngirt Im Büd^enmark waren die Resultate ebenfalls sehr befriedigend^
Was die dritte Methode betrifft, so ergaben meine Versuche befriedigende
Hesaltate; Oefasse, Nenrenkeme und Nervenfasern waren gut tingiri Boch wie
Verfasser bemerkt hat, soll die Methode nur dann angewandt' werden, wenn die
Präparate eine Tinction leicht annehmen.
4. Einiges über Suggestion.
Von Dr. Ernst JendrAssik« Universitatsdocent in BadapMt.
(SchluBs.)
r
Ich will nicht alle Versuche aufzahlen, das hiesse viel sehr Bekanntes
wiederholen, ich werde aber doch einige beschreiben, weil ich glaube, dass es
von Interesse ist zu erfahren, dass solche Versuche in anderen Ländern ebenso-
gut gelingen, als im Mutterlande des Hypnotismus.
»
Suggestionen von grosser Kälte, Baden in kaltem Wasser riefen einen
förmlichen Schüttelfrost hervor, Klappern der Zähne, wie mau das nicht nach-
ahmen könnte; auf Suggestion spielt sie die Betrunkene mit blassem, nichts-
sagendem Gesichte meisterhaft, bei der Suggestion von Unwohlsein erbricht sie
in wenigen Augenblicken — ohne jede Hülfe — den Inhalt ihres Magens. — .
Sie erhält die Suggestionen, .wenn sie ihr so aufgegeben worden sind, auch
nach dem Erwachen, ohne sich aber der im hypnotisirten Zustahd an ihr an-
gestellten Versuchen zu erinnern. So hielt eine Monoplegie des rechten Armes,
die durch Suggestion hervorgebracht worden ist, und die ich zufalliger Weise
veiigessen hatte gut zu machen, 4 Tage an, bis die Kranke mich bitten liess.
Hvpnotisirt gelang mir die Losung dieser Lähmung durch Suggestion in einigen
Augenblicken. — Die Anästhesie der rechten Seite konnte auch durch Suggestion
sehr leicht auf die linke Seite transferirt, oder gänzlich aufgehoben werden.
Diese Aenderungen waren jedoch im wachen Zustande nicht so permanent, wie
die beschriebene Lähmung; in wenigen Stunden kehrte die rechtsseitige Em-
pfindungslosigkeit in ihr Recht zurück. -— Ein von forensischer Seite sehr wich-
tiges und schon öfter beschriebenes Experiment gelang mit der grössten Leichtig-
keit: wenn wir nämlich im hypnotischen Zustande der Fat suggerirten, dass
sie nach ihrem Erwachen einen der Anwesenden mit einem als Dolch suggerirten
Papierstreifen ermorden müsse, befolgte sie diese Aufgabe mit einem so wahren
Ausdruck der Wirklichkeit, zu welchem unvorbereitet kaum Jemand ßhig wäre.
Im Momente, wo der heftig getroffene aufschreit, wird durch diesen Schrei J.
hypnotisirt, und steht kataleptisch mit starren Augen, mit empor gehaltenen
Armen. Wird sie aber im Augenblicke nach vollzogener That nicht hypnotisirt
— 822
(wenn z. B. der Betreffende nicht aufschreit), dann bekommt sie in Folge der
heftigen Gemüthserregung sogleich einen Anfall. — Durch einen Wink vor den
Augen kann sie ebenso momentan hypnotisirt werden, wenn man ihr aber sug-
gerirt, dass sie von Jemanden nicht hypnotisirt werden könne, dann kann der
Betreffende sie anschreien, vor ihren Augen winken, umsonst, selbst wenn er
einen Gegenstand vor ihren Augen hält und sie diesen Gegenstand fortwährend
anstarrt, ßlUt sie nicht in Schlaf. — Sehr leicht gelingen die Experimente mit
dem Tam-Tam, man kann ihr suggeriren, dass sie nur für dieses Instniment
taub sei, in diesem Falle erräth keine Miene das Vernehmen dieses furchtbaren
Knalles, welcher Gesunde erzittern macht Ist sie aber nicht suggerirt, so zuckt
sie schon beim leisen Anschlage zusammen und verfallt in Katalepsie, bei
stärkerem Anschlage aber bekommt sie den Anfall.
Mit ähnlicher Praoision fallen auch aus die Experimente mit dem Gesichts-
sinn. Suggerirt man ihr auf ein Blatt weisses Papier den Buchstaben p, dreht
nun das Blatt, ohne dass sie es bemerken konnte um (d) und zeigt dann das
Bild dieses Papiers im Spiegel, so erkennt sie sofort b.
Es war möglich, auch die Athembewegungen durch Suggestion zu beein-
flussen, wenn ich ihr sagte, sie könne nicht Athem holen, so hörte sogleich die
Brustbewegung auf, sie wurde aber blass, fing an zu zittern und endlich er-
folgte eine zögernde Inspiration. Während solchen Versuchen zeichnete ich die
Curve der Thoraxbewegungen und markirte gleichzeitig die Zeitintervalle mit-
telst eines elektrischen Signals, es ergaben sich vollständige Athempausen von
150 — 195 Secunden (2^2 — 3V4 Minuten), und für länger dauernde Experimente,
z. B. in 5 Minuten, holte sie nur 5mal Athem.
Am interessantesten waren aber entschieden die Versuche mit suggerirten
Verbrennungen. Der erste Versuch war, dass ich ein Blatt gewöhnliches Piltrir-
papier an JJs Unterschenkel aufband mit der Suggestion, es sei Senfpapier,
welches bis zum nächsten Morgen Blasen ziehen werde: in der That war zur
besagten Zeit die ganze Fläche lebhaft geröthet, eine Menge ganz kleiner Blasen
war entstanden. Nun nahm ich eine Pappschachtel, sagte ihr im hypnotisirten
Zustand, es sei glühendes Eisen und berührte auf einen AugenbUck ihren rechten
Unterarm mit dem schmalen Band der Schachtel, mit der Versicherung, es
werde an der berührten Stelle eine Brandwunde mit Blase entstehen. Bei der
Berührung äusserte sie lebhaften Schmerz — obzwar sie im wachen Zustande
an dieser Stelle gar kein Gefühl besass. Zunächst war an der betreffenden
Stelle nichts zu bemerken, ich liess sie aufwachen, sie schien nichts von dem
Vorgefallenen zu wissen, verspürte keine Schmerzen. Als ich nach 5 Stunden
die Stelle wieder aufsuchte, fand ich einen intensiv rothen Streifen, auf welchen
sich bald eine prallgefüllte Blase mit gerötheter Umgebung erhob, die Form
der Schachtel war dabei ganz erhalten. Es entstand weiterhin eine sehr tiefe
Brandwunde, die mehr als 3 Wochen zur Heilung brauchte, eine rothe Narbe
war aber noch lange sichtbar. Nun stellte ich unter der strengsten Aufsicht
und Beobachtung das zweite Experiment derart an, dass ich an den linken
Oberarm einen als glühend suggerirten Ring, der an einer Stelle eine Einkerbung
— 823 —
hatte — andrückte. Die nun erweckte Fat. beschäftigte sich vor unseren Augen
mit einer Handarbeit Es verflossen so 5 Stunden, ohne dass irgend eine Ver-
änderung am linken Oberann wahrnehmbar gewesen wäre, zufilliger Weise
besah ich dann ihren rechten Oberarm und es war gerade an der symme-
trischen Stelle eine dem Ringe genau conforme Blase mit der Einkerbung ^t-
standen. Somit war hier ein Transfert von der sensibeln zur anästhetischen
Sdte. Nun wurden noch einige Versuche gemacht, die sammtlich positiy aus-
gefiELÜen sind, mit einer Ausnahme — als die Fat. kurze Zeit nach der Sug-
gestion einen Anfall bekam, diesmal blieb die Suggestionswirkung aus. Einer
der schönsten Versuche war der folgende. Ich nahm einen Vordruck-Buchstaben
(wie man ihn zur Bezeichnung der Wäsche gebraucht) und ohne, dass J. ihn
gesehen hätte, suggerirte ich, dass ich ein heisses Eisen in der Hand habe und
berührte nun auf einen Moment ihre linke Schulter; die Abbildung zeigt den
Abdruck des Buchstaben und die auf der rechten Schulter entstandene Brand-
wunde, welche das Spiegelbild, also Transfert mit Umdrehung zeigt.
Die Wunde entstand genau an der symmetrischen Stelle der Berühning,
ihre Bänder waren sehr scharf gezeichnet, der ganze Buchstabe eine Blase. Die
Unregelmässigkeiten der Form können wenigstens theilweise von der nicht ganz
pünktlichen Berührung stammen. — Bedauerlicher Weise rief Jemand — wir
konnten nicht erfahren wer — eine sehr intensive Brandwunde an ihrer rechten
Brusthälfte nüttelst Suggestion hervor, in der Form einer mittelgrossen Scheere.
Diese Wunde hinterliess ein dickes Narbenkeloid , welches die Form sehr gut
erkennen lässt, aber die freie Beweglichkeit ihres rechten Oberarmes bedeutend
behindert Seit dieser Affiure habe ich ähnliche Versuche nicht wiederholt, nur
am letzten Tage ihres Aufenthaltes in der Klinik habe ich ihr die folgende
Suggestion eingegeben: auf ein Blatt Papier zeichnete ich den Buchstaben y,
zeigte es ihr und sagte,, es sei aus Metall und glühend und näherte das Blatt
plötzlich ihrem linken Vorderarm. Sie glaubte berührt gewesen zu sein, schrie
auf, ich versicherte ihr aber, dass der Schmerz schon beseitigt sei, dass aber
der Buchstabe eine Brandwunde verursachen wird. Ich konnte die Wirk\mg
dieser Suggestion nicht sehen, da die Kranke am nächsten Moi^n entfloh. Sie
wurde aber einige Tage später in Oraz aufgefunden, und in die Klinik des
Herrn Ftoi. y. Kbasft-Ebikg gebracht. Aus der Ireundlicheu Mittheilung des
Herrn Prof. v. KBAPPT-EniNa habe ich erfahren, dass der suggerirte Buchstabe
auf der rechten Seite an symmetrischer Stelle, jedoch nicht in Spiegelbild, als
ein in Vemarbung übergehendes Brandmal gefunden wurde.
Endlich will ich noch Einiges über Versuche mit dem Magneten berichten.
Gewiss hatte der Magnet eine sehr grosse Wirkung auf die J.^ Transferte von
Hemianäsf hesien, Contracturen, Schmerzen etc. gelangen immer '■ i»:ompt, nur
— 384 -
konnte man diese Versucljie ,pi^ längere. Zeiit foipBeij^jij denn es wurde ihr »un-
wolil dabe^ es trateu hie an4 fl£i Gpnjtracturen wi^ dann Zäicji\mgßx\ im. ganzen
Köip^r und wenn der Magnet ni^ht entfernt winden entwi^ltelte sieb. binnen
Kurzem der bystero-epileptische Anfall. Hatte man abei; einp^al mit diesen
magnetispben. Yersucben begonnen, dann konnte ^an ^ auch, nach £jitfe^iaqg
des Ma^eten alle die beschriebenen Wirkungen durch ein jedes Object: H^^nd-
schuh, Porcellanschale, Qlas etc. hervorrufen: wobei ich bemerken will, dass ich
weder den 'Magneten, noch ()iese Gegenstande in der Hand gehalten habe, sQn-
äern mir in die Kähe der Pat. auf den Tisch stellte und oft so verbarg, dass
dÜB Patientin seine Anwesenheit nicht ahnen könnt«. Eine sehr.intensivß Wjur-
kung. hätte das Tuch, mit welchem der Magnet vor den Versucl^en b^dopkt
war, wenn m^ es ihr in die Hände gab,, bekam sie plötzlich in, den Armen
uuid Händen eine äusserst heftige Co^tractur, die d^xch Streichen und , Worte
nur siqhwer zu lösen war, die aber gelost werden musste, spp^t bekam sie d^n
AnfedlJ Wenn man ihr durch Suggestion die Gehörseindrücke des Tam*Tam
unhörbar gemacht hat, und dann unoemerkt den Magneten ihrem Hinterhaupt
genähert hat, während Jemand vor ihr das Instrunient in kurzen Intervallen
ziemlich fest anschlug -^ kehrtd ihr Gehör naeh eiijugeü Minuten zurück und
bei dem nächst erfolgenlten^ Anschlag zuckte sie heftig Zusammen und sank in
Katalepsie. Trotz dieser., gr^^en EfTecte und der zahlreichen Experiment«, die
ich angestellt habe, konnte ich mich nicht überzeugen, ob die magnetische
Kraft diiö tJrsachö der Wirkung sei.
, Wen^n J^'s^^ einer so mi^, der grossten Präci^ion gongenden Beihe v^a
Yersuchen ., gegenüber steht, kan& man unmöglich der Fjrage : ausweioheni wia,
durq^. welche . Organisation des Gentralnervansystems. dieser so lavge unbekannt
gebheli^ne Zustand mioglich wird? In, einer früheren Arbe^^^ habe ich die
Grunde auseinandeigesetTit, denen zufolge ich als die Gmndjursaohe des hyp-
npliaschen . ^cU^tfes d^e Ai^ebong oder vielmehr nur die Einsahiankiuig der
aasQciativen Tbätigikeit des Gehirns annehmen lu müssen glaube., Der Jlrklurang
diesem Yerhalteps kann man, durch folgenden Gedankengang etwas, näher treten^
Bas Organ uiiser^s Seeilen]ebens ind. der Empfindung und der bewussten, inten-
dirten B.ewegung: die Gebimrinde, bestellt nur aus zwei n^vösen Elementen,
den Zellen und den sie verbindenden Fasern. Die Function der ersteren scheint
die Aufbewahrung der Erinnerungsbilder, die. der letzteren die Ermogli^huBg
einer proportionirten Wechselbe^dehung -r Association^ Coqrdination — der ge^
sanmielten^ Bilder, siu sein, Wä.hrend dem gewohnUchen waoheA Znstande be-
schäftigen unser Gehirn , fortwährend Ideen, die durch äussere. Sinnesreize ent-
stap46u sind. un(} durch die geschulte, ausgelf^ufene Association weiteigiespoDiien
wi^rdep, .won^it sich, natürjiph ihr Inhalt beständig ändert; es ist uns ebenso,
unmöglich, ohiie I^ee^ wach m bleibe^,, als bei einer und derselben. Iclee laogere
j
. ^ ^ l)e rbjp.i^otisme, Arohives de NenfDlqgiQ 1S86. Indem iob auf' dies« Arl^it rerweifle,
wi^l ich Wieoerhol langen verii(ieideD. , < .
— 326 -
Zeit auBzvüijalten. Bin ähzüiphes Wechselspiel der Ideen dauert auch während
des Sdilafes fqrt aljs Tiaum, verliert aber in diesem Zustandet den assodativen
Charakter des T^aohenden; den Inhalt der Traume bilden oft ganz verschiedene,
anftauchonde und sich wieder verlierende Erinnerungsbilder, welche durch Er-
regungen einzelner Zellengruppen entstanden zu sein scheinen, dann. werden
diese B^der. durch eine wenig intensive Association, in Wechselbeziehung gebracht,
welche wegen der ganz heterogenen Eigenschaften zu unlogischen, unmöglichen
Schlüssen fuhrt. , Der Uuterschied zwischen, dem wachen Zustande und dem
Schlafe ist also dier, dasa im ersteren Falle ueue Ideen durch die Associaüons-
processe oder neue Sinnesreize entstehen, im Schlafe aber werden spontan ent-
stehende Bilder in Association gebracht. Jm Schlafe ist aber die Bei^harkßit
der ZeUeu bedeutend abgeschwächt, so dass nur stärkere Beize . eine Beaction
hervorrufen, in diesem Augenblick tritt jedoch Erwachen ein; es bleibt sich
gleich, ob dieser grössere Beiz von aussen eingewirkt hat, oder von einem leb-
haften Traum entstanden ist. Die Erregung der Zellen, in welchen die Traume
sich abspielen', ist eine sehr schwache, gewiss unter dem Jcleinsten Werthe der-
jenigen Erregungen, die im wachen Zustande ablaufen; dies. bezeugt z, B., dass
wir von Bew^ungen träumen, wir glauben zu laufen, mit den Händen zu ar-
beiten, ohne eine wirkliche Bewegung auszufahren. In der Hypnose dagegen
haben die Zellen ihre vollständige Erreg;ungsfahigkeit — sie sind im „wachen^'
Zustande, aber die Erregbarkeit der verbindenden Elemente ist für Associations-
processe aufgehoben. Wie dieser eigenthümliche Zustand entsteht, das kann
man jetzt noch nicht beantworten, es liegt aber in der Natur des centralen
Nervensystems, dass dessen Elemente in eine Gleichgewichtslage kommen können,
aus welcher sie nur durch einen heftigeren Beiz erweckt werden können. Im
hypnotischen Schlaf fehlt die durch Association weitergeführte Gedankenbildung,
die von aussen einwirkenden Beize losen nicht eine lange Beihe sich kettenartig
verbindender Ideen aus, sondern es entsteht eine einfache, nur der Beizwirkung
conforme Erregung, die aber, weil beschränkt, auch sehr intensiv ausfallt. Die Tiefe
des hypnotischen Schlafes wird durch den Grad der Associations-Einschränkung
gegeben, je tiefer die Hypnose, um so grösser ist der Effect der von aussen ein-
wirkenden Beize in der Intensität der hervorgebrachten Wirkung (cf. die cit. Arb.)
und um so beschränkter in der localen Ausdehnung. Die suggerirte Idee ver-
bleibt unverändert gerade so wie eine lethargische Contractur oder eine kata-
leptische Körperhaltung; die erlerUten Associationsprocesse können nicht benützt
werdeb, sie werden um Vieles durch die suggerirten (also mit grolssem Nach-
druck recent eingeführten) Ideenverknüpfungen übertroffen. Dieses ist auch der
Fall, wenn ein hysterisches Individuum im wachen Zustande gleichfalls sug-
gestionsfähig ist.
Null komme ich zur Frage, was Suggestion sei? Nach den jetzt üblichen
Definitionen scheint die Suggestion eine Einwirkung zu sein, die auf das be-
treflende Individuum einen Effect im Wege seines Intellectes hervorbringt.'
Nadi dieeer Auffassung sind die sogenannten physischen Erscheinungen (hyper-
-»-*-
' BiMBT et ¥tsii Le magnetisme animal. p. 128.
326 -
eicitabilit^ neuro-musculaire, Gontracturen etc.) nicht als Suggestionswirkungen
zu betrachten. Ich kann eine solche Differenzirung nicht annehmen. Die psy-
chischen und die motorischen Verrichtungen unseres Grosshims sind gewiss
gleichwerthig, es wäre auch die Grenze zwischen diesen beiden Kategorien nicht
leicht zu ziehen. Drücken wir z. B. den Arm eines Hypnotisirten bis er starr
wird — tmd erzeugen wir ein anderes Mal gerade dieselbe Contraotur durch
die Affirmation „dein Arm wird steif', so entsteht derselbe Process, nur war
in dem einen Falle der Tastsinn, im anderen der Oehörsinn der Weg der Sug-
gestion. Freilich ist die Entfernung im Oehim grösser vom Gehörscentrum £ds
Tom Tastsinnscentrum zu derselben motorischen Region, welche der suggerirten
Contraction entspricht, dies ist aber auch die Ursache, dass der eine Versuch
gewöhnlich im tieferen Schlafe, in der Lethargie, der andere hingegen in der
somnambulischen Form gelingt.
Suggestion ist eine Einwirkung, die in dazu geeigneten Indi-
viduen eine der Anffassnng der snggerirten Idee conforme Wirkung,
wenn sie auch in Wirklichkeit als völlig falsch erscheint, als wahre
Thatsache einbringt. Wenn ich diese Definition entsprechend meiner Auf-
fassung der Entstehung der hypnotischen Erscheinungen übersetze, so wird es
heissen: durch die Suggestion wird ^ine (meistens der logischen Auffassung
widersprechende) Idee, d. h. eine Verbindung von gewissen Erinnerungsbildern
in den entsprechenden Gehirnelementen wachgerufen, diese meistentheils sehr
eindringliche AfSrmation bringt einen tieferen Eindruck in den betreffenden
Elementen hervor als alle früher gesammelten, deswegen und weil ein Vergleich
mit früher gesammelten Kenntnissen in Folge aufgehobener Association unmög-
lich geworden ist, erscheint die suggerirte Idee für den Hypnotisirten als wahr.
Ich glaube gezeigt zu haben, dass sämmtliche Erscheinungen des Hypnotismus
vom Grosshim abhängen und den gleichen Ursprung haben, ich betrachte auch
alle hypnotischen Experimente als Suggestionswirkungen.
Ich halte es für einen wichtigen Theil der oben gegebenen Definition, dass
die Suggestion in der Form der Auffassung der suggerirten Idee gelingt, und
glaube, man kann nur dann die einzelnen Experimente in ihrer wahren Be-
deutung würdigen, wenn man diesen Satz vor Augen halt Früher waren die
Hypnotisirten oft des Betruges beschuldigt, auch jetzt noch hört man diese
Klage zuweilen von solchen, die wenig persönliche Erfahrung haben; wer sich
aber viel mit solchen Experimenten befasst hat, weiss, dass eine Simulation
höchst selten vorkommt; es geschieht aber sehr oft, dass die Beurtheilung, die
Auffassung der Experimente falsch ist. Wir sind gewohnt, unter dem Einfluss
der exacten Untersuchungsmethoden in wissenschaftlichen Fragen einen Effect
in causale Beziehung zu bringen mit dem verursachenden Agens^ wenn in einer
grösseren Reihe von Versuchen derselbe Eingriff immer dasselbe Resultat zu
Wege bringt Dieses Princip, auf die hypnotischen Versuche angewendet, hat
schon so manche falsche Doktrinen verursacht Der Grund solcher Täuschungen
liegt darin, dass die Suggestionen inmier mangelhafte Experimente sind. Man
— 327 —
giebt nicht alle Eigenschaften einer Saggestion an, den grosseren TheU moss
der Hypnotisirte dazndenken, dies kann aber in Folge mangelhaftem Associations-
?ennögen kaum durch Association geschehen. Wenn ich z. B« einen Vogel
snggerire auf den empoigehaltenen Finger des Mediums, und wenn ich diese
Behauptung öfter wiederhole, wird endlich der Untersuchte angeben, dass er
ihn sieht. Wenn ich einen reellen Vogel betrachte, sehe ich seine Grösse, Form,
Stellung, Farbe und andere Eigenschaften, die zusammen einen ganzen Begriff
geben, und die Bealitat des Gesehenen ausmachen. Bei der Suggestion bleiben
fast alle diese Umstände verborgen, der Suggerirte kann nicht denselben Vogel
denken, der vielleicht in meinem Gedächtnisse auftaucht^ um so weniger, da'
meistens der Untersucher sich auch keinen klaren Begriff macht, was for einen
Vogel ... etc. er suggeriren will. Nun wird aber der Hypnotisirte auch zuerst
keinen klaren Begriff von den einzelnen Eigenschafken des suggerirten Objectes
haben, wenn wir ihn fragen nach der Farbe, wird er zogern mit der Antwort
— es ist möglich, dass diese Frage in seinem Gedächtniss eine specielle Farbe
wachruft, öfters aber erhalten wir keine Antwort; wenn wir helfen wollen, wenn
wir fragen, es sei vielleicht gelb — dann erhält die Suggestion ihre Farbe etc.
Wenn wir später zum zweiten Male denselben Versuch machen, so wird der
Untersuchte die wiederholten Fragen schon bestimmter beantworten. Manchmal
hilft in diesen Detaillen der Zu£bJ1, z. B. eine in seinen Gesichtskreis kommende
Farbe, ein Best einer Erinnerung (d. h. ein Best eines Associationsprocesses) etc.
Diese äusseren Einflüsse haben aber viel weniger Bedeutung als das unwillkür-
liche, nicht bewusste Benehmen des Experimentators: was sein Wort verschweigt,
das macht oft die Aussprache, der Ton verständlich, eine gutheissende Miene,
die Demonstration beim GeUngen, oder Erneuerung der Aufgabe, wenn sie nicht
gut ausgeführt zu werden beginnt, ein leichter Ausdruck des Tadels, der Be-
fürchtung des NichtgeUngens fuhren den Hypnotisirten zur Lösung der schwersten
Aufgaben. Wer aus eigener Erfahrung weiss, wie leicht die CuMBEBLANB'schen
Versuche gelingen, wenn man sie mit Hülfe einer nervösen, reizbaren, etwas
durch das Experiment aufgeregten Person unternimmt, wird einen Begriff haben,
dass im hypnotischen Schlaf, wo die Suggestionsfähigkeit so hochgradig ist, die
erwähnten leisen Andeutungen von grosser Wirkung sind. Ist einmal das Ex-
periment gelungen, dann bleibt die Erinnerung zurück, der Versuch gelingt
leichter und der Untersucher suggerirt bei der Wiederholung noch Einiges, so
entsteht zuletzt ein ausgebildetes Medium. Es ändert sich also nicht die Hyp-
nose, sondern es bleiben Suggestions-Erinnerungen zurück. Dieses Verhalten
wirft auf noch zwei dunkle Fragen Licht. Erstens gelingt es nicht einem Jeden,
hypnotische Versuche mit gleichem Erfolg anzustellen, und zweitens ist es eine
höchst merkwürdige Thatsache, dass die verschiedenen Forscher theilweise ganz
verschiedene Beobachtungen und Versuche machen, die anderen nicht gelingen,
die sie aber an mehreren Personen wiederholen können. Das giebt verschiedene
Schulen, die in der verschiedenen Individualität des Experimentators, d. h. in
der verschiedenen Suggestionsfähigkeit de&selben ihre Entstehimg haben. Mau
kann mit Gewissheit behaupten, dass, wenn ein sogenannter typischer Fall einer
— 328 -
Schule zufallig in audere Hände gekommen wäre, seine Hypnose auch eine
andere Form bekommen hätte.
Die Erklärung der Transferteßcheinungen ist derzeit noch sehr mangelhaft^
es scheint, dass diese Verhältnisse eine directe Verbindung der symmetrischen
Stellen unserer Hirnrinde beweisen. Ein erfolgreiches Studium des Transfertes
wird nur gelingen können, wenn man die Grundlage der hysterischen Hemi-
anästhesie kennen wird. Ich will aber hier betonen, dass im Gegentheil zu den
Angaben der meisten Fachmänner die hysterische Hemianästhesie nicht identi-
ficirt werden kann mit der Hemianästhesie, die durch eiiie organische Läsion
äer inneren Kapsel entstanden ist. Die Ausbreitung der hysterischen Anästhesie
geschieht nicht conform der anatomischen Gestaltung des centralen Nerven-
systems, sondern in der Ausdehnung der functionalen Prpjection. Störungen
des Gedichtssinnes bei organischer Hemianästhesie (falls diese * letzteren nicht
indirect durch Compression des N. opticus verursacht sind) zeigen immer die
hemianopische Form, welche aber bei der Hemianästhesie nie beobachtet worden
ist, hier giebt es nur Amblyopie oder Amaurose des einen oder der beiden
Augen. Das ist ein Unterschied von sehr grosser Bedeutung. Wenn Jemand
ferner eine organische Anästhesie der beiden unteren Extremitäten hat und die
Augen schliesst, so wird es ihm sogleich unmöghch, sich aufrecht zu erhalten,
er fällt plötzlich nieder, während dem die Hysterischen, welche eine vollständige
Anästhesie gegen unsere Tast- Und Schmerzeingriffe zeigen, wenigstens in der
Mehrzahl der Fälle unbehindert, auch ohne der Contröle der Augen herumgehen.
Weiterhin, während die Kranken mit organischen Anästhesien sehr oft äusseren
Schädlichkeiten unterworfen sind und an ihrem Körper viele Zeichen erhaltener
Verwundungen tragen, sieht man So etwas bei Hysterischen fast niemals; sie
fühlen nicht, wenn wir sie brennen, stechen, und doch können sie solchen Ver-
letzungen ausweichen. Endlich können Kranke mit hysterischer Anästhesie sehr
gut ihre empfindungslosen Körpertheile gebrauchen selbst zu den feinsten Ver-
richtungen, was kaum der Fall ist bei derartigen organischen Leiden.
Diese Verhältnisse beleuchtet weiterhin auch eines der oben angegebenen
Experimente. Als nämlich die Brandwunden durch den Transfert auf die an-
ästhetische Seite übertragen wurden, entstand so lange das Spiegelbild des appli-
cirten Gegenstandes, bis die Suggestion durch Tasteindrücke hervorgebracht war;
als aber die Suggestion der Brandwunde durch ein gesehenes Object — ohne
Berührung — angestellt worden ist, entwickelte sich ein Brandmal, dessen
Form das einfache, nicht umgedrehte Bild zeigte, obgleich es auch von der
linken auf die rechte Seite, an die symmetrische Stelle transferirt erschien. Bei
der einfachen Berührung konnte die Fat. keine Idee von der Form des sie be-
rührenden Gegenstandes haben, da entstand also ein reiner Transfert — wie
man ihn auf streng physikalische Weise denken kann; — dagegen als ihr der
Buchstabe J gezeigt wurde, wechselte zwar die Suggestion ihren Ort — aber
nicht ihre Form, denn hier war die Suggestion an die Form gebunden. Nach-
dem diese Suggestionen alle im Wege des Grosshims ablaufen, bezeujgt dieses
Verhalten, dass hier nicht die einfachen anatomischen Grundlagen, sondern
— 329 —
fanctionale« Verbindongen die. Art des Yersuchsei^ebnisses bestimmen ; das ist,
was ich oben als fanctionale Projection zu b^eichnen wünschte.
Ich komme nun zurück zu der weiteren Geschichte der Patientin. Obzwar
wir anfangs ziemUch oft hypnotische Versuche mit ihr anstellten, konnte ich
keine Verschlimmerung ihres Zustandes bemerken; im Gegentheil, die Anfalle
wiederholten sich immer seltener und wir konnten sehr oft im Prodromalstadium
den Anfall durch Suggestion ooupiren. Auch ist es gelungen, den Anfallen
durch Suggestion längere Zeit vorzubeugen. Diese Suggestionen waren aber nur
palliative Mittel, trotz welchen doch hie und da ein Anfall zum Ausbruch kam.
Von Mitte März bis Ende Juli war die Pat kaum hypnotisirt, und gerade in
diese Periode fiel eine sehr tiefgreifende Veräpderung ihres Zustandes. Die
vorher ziemlich schlanke Pat, wurde sehr wohlgenährt, ihr Körpergewicht stieg
um mehr als 15 kgm. Mit dieser physischen Veränderung hielt Schritt auch
eine psychische, die sich aber sehr ungünstig gestaltete; Pat., die früher ^ut-
mfitfaigy arbeitsam und folgsam war, so dass alle sie lieb hatten, fing an un-
ruhig zu werden^ stiftete überall Unfrieden, verleumdete Schwestern, Patienten etc.
Versuche, sie durch Suggestion zu besserer Aufführung zu bewegen, gelang kaum
für einige Tage. Oefters klagte sie über Eppfschmerzen, einigemal i\ber Cardialgie
und unbestimmte Gefühle, Anfalle hatte sie selten, aber dann sehr heftig. So-
weit ich ihren Zustand kennen lernen konnte, scheinen derartige Veränderungen
bei ihr 6fter vorgekommen zu sein, und scheinen die einzelnen Phasen ihres
bunten Lebenswandelis immer beschlossen zu haben. Sie fand sich nämlich,
als ihr Charakter ähnlich dem war, als sie in die Klinik aufgenonimen wurde,
in den mannigfaltigsten /Umständen zurecht, diese Periode dauerte verschieden
lange Zeit^ dann änderte sich ihr Charakter, sie kam in ColUsion mit ihren Ver-
wandten, Bekannten — oder mit der Polizei, wurde arretirt, da kam die dritlo
Periode, wo sie sehr häufigen Anfällen unterworfen war, nach einiger Zeit be-
ruhigte sie sich — und der Cyklus ging von Neuem an. Diese Umgestaltung
ihres Charakters war auch von Einfluss auf die hypnotischen Experimente. Die
früher an ihr öfter angestellten Versuche gelangen zwar noch immer, aber nicht
in dem überzeugenden, wahren Bilde der subjectiven Echtheit, es war mehr
ein maschinenmässiges Wiederholen derselben Handlungen, zu neuen A>rsucheii
war sie in dieser Zeit viel weniger geeignet, entweder reagirte sie gar nicht ^(ler
falsch, dann erinnerte sie sich auch nach dem Erwachen dessen, was mit ihr
vorgenommen wurde, erzählte von den Versuchen und log Vieles dazu etc. Ich
glaube, diese Veränderung ist in unmittelbarem Zusammenbange mit ihrer
hysterisch-psychischen Verstimmung; sie war unter der Herrschaft besonderer
Wahngefühle, d. h. einzelne Associationen waren besonders stark erregt; diese
zu lösen gelang der Suggestion ebensowenig, als es nicht gelingt, bei Irren
Wahnideen durch hypnotische Processe aufzuheben und auch nur selten möglich
iät, ein hysterisches Leiden durch Su^estion zu heilen. Obzwar es höchst wahr-«
scheinUcb ist, dass hysterische und hypnotische Symptome gleiche LocalisaUoii
haben, scheinen doch die spontan (ohne bekannte Ursache) entstandeneu eine
tiefere orguuisclie Grundlage zu haben, als die suggerirten. Andererseits steht
— 3S0 —
es mit der SuggestioDstherapie so, wie mit den hypnotischen Experimenten, sie
gelingt Manchen, Andere werden umsonst scheinbar dieselben Methoden versuchen;
es hängt eben das Meiste von der Suggestionsfahigkeit des Experimentators ab, und
diese Fähigkeit ist eine individuelle Eigenschaft, die kaum erlernt werden kann.
Indem ich mir erlaube, diese kurzen Bemerkungen im Anschluss zu den be-
schriebenen Experimenten mitzutheilen, leitet mich die Teberzeugung, dass bei
der Beurtheilung hysterischer und hypnotischer Zustände diese Grimdsätze nicht
ausser Acht gelassen werden dürfen.
Budapest, März 1888.
IL Referate.
Anatomie.
1) 3ur la persistanoe de vestiges mödullaires coccygiens et la production
des tumeurs sacro-ooccygiennes congönitales , par F. Tonrneux et G.
Herrmann. (Jonm. de Tanat. et de physiol. norm, et path. 1887. Nr. 5.)
Die Yerff. gelangen zum Resultate; dass das Rückenmark bei Föten von 37 mm
Länge bis zum letzten Steisswirbel reicht und hier mit den tiefen Haatscbicbten zu-
sammenhängt. In Folge des rascheren Wachsthums der knöchernen Wirbelsäule wird
das Endstück des Rückenmarks zn einer Schleife ausgezogen, deren tiefer Ast im
Wirbelkanal liegt (Segment coccygien direct), während der oberflächliche Ast ausser-
halb des. Wirbelkanals unter der Haut liegt (Segment coccygien r^fl^chi). Im vierten
Fötalmonat atrophirt das Segment direct, während das Segment r^fl^hi sich noch
bis zum fünften Monat weiter entwickelt; das letztere besteht aus Strängen und
Haufen kleiner runder oder polygonaler Zellen, welche zwischen sich eigenthümliche
von glatten, polyedrischen oder prismatischen Zellen begrenzte Hohlräume lassen.
Vom sechsten Monat an schwinden diese „vestiges coccygiens" des MeduUarrohres,
doch sind sie beim Neugeborenen noch nachweisbar. Einmal gelang es den Verff.,
Nervenfibrillen in den Vestiges coccygiens eines Fötus von 37 mm Länge nachzu-
weisen. Eine weitere Arbeit der VerfiL wird die Beziehung dieser MeduUarreste zu
den congenitalen nervösen Geschwülsten der Gegend behandeln. Th. Ziehen.
Experimentelle Physiologie.
2) Zeitmessende Versuche über den Temperatur- und Druoksinn, von M.
V. Vintschgau und E. Steinach, Innsbruck. (Pflüger's Archiv. XLIII. 2 — 4.)
Die Verfif. haben mit einem eigens construirten Apparat („Thermophor'^ die
ReactionsZeiten für Druck- und Temperatur -Empfindungen bestimmt Die Druck-
reactionszeit betrug für die Stimmitte 0,119 Secunden; an derselben Stelle betrug
die Reactionszeit für Kältereize von ca. 2 — 6® C. 0,143 See, die für Wärmereize
von 48—49® C. 0,144 See. An denselben Stellen sind überhaupt die Wärme-
reactionszeiten länger als die Kältereactionszeiten und letztere wieder länger als die
Druckreactionszeiten. Die Temperaturreactionszeit an der Hand ist länger als im
Gesicht, auf der linken Wange länger als auf der rechten. Sehr hoher Temperatur-
empfindlichkeit (Wangen) entspricht eine kurze Reactionszeit, niederer (Metacarpal-
gelenk) eine lange. Unwohlsein verlangsamt die Reaction auf Druckreiz. Unter-
schiede in der Erregungstemperatur von 2 — 4® C. beeinflussen die Reactionszeit nidit.
Th. Ziehen.
— 831 —
Pathologische Anatomie.
3) A oase of Porenoephälua with speoimen« by Edward N. Bruch. (The
Polydmic. . Philadelphia. 1888. April.)
Es handelt sich nm einen 67jährigen Arbeiter, der unter den Symptomen einer
wohladsgesprochenen Dementia paralytica im Irrenhanse starb. Aus der Geschichte
wäre nur hervorzuheben, dass schon bei der Geburt des Patienten eine asymmetrische
Entwickelung bemerkt wurde. Die linken Extremitäten waren stets dünner und kürzer
als die rechten. Im Alter von 9 Jahren fiel er aus 16 Fuss HOhe auf den Hinter-
kopf, ohne sich jedoch schwer zu verletzen. Abusus spirituosorum. Sonnenstich im
Alter von 47 Jahren. Geringer ataktischer Gang, Bomberg^sches Symptom und fehlende
Kniereflexe waren bei der Aufnahme zu constatiren.
Autopsie: Nach Entfernung des Schädeldaches zeigte sich eine Hervorwölbung
der Dura in der Regio parieto-pccipitalis, die auf eine Ansammlung von rein seröser
Flüssigkeit (Liquor cerebro-spinalis) zurückzuführen war. Die sehr beträchtliche
Höhle communicirte mit dem Seitenventrikel und war mit Ausnahme dieser Communi-
cationsstelle von Pia bekleidet. Die Höhle war in der Gegend des Parietallappens
und erstreckte sich bis in den Occipitallappen und Temporallappen hinein.
Es fehlten fast vollständig der obere Tbeil des Gyr. parietal, ascend., der Lob.
parietal, super., ebenso der hintere Theil der oberen Temporalwindung. Eine dünne
Membran trennt die Höhlung von der Fissura Sylvii, von der mittleren und oberen
Occipitalwindong sind nur geringe Reste übrig. Cuneus fehlt beinahe vollständig,
und von dem Lobulus quadratus ist nur ein sehr kleiner Theil übrig. Die ganze
rechte Hemisphäre ist weniger gut entwickelt, und um 9V8 Ui^zen weniger an Gewicht
als die linke.
Das Kleinhirn war auch asymmetrisch, da die rechte Hälfte wegen mangelnden
Widerstandes von Seiten des Grosshims weiter nach oben und vom ragte.
Leider ist der Fall klinisch sehr wenig ausgenützt worden, was auf Rechnung
des manfakalischen Zustandes des Patienten zu setzen ist. Sachs (New York).
4) Heber einige mikrochemlBChe und physische Eigenschaften der sogen,
chromoleptischen Substans, von A. Diomidow. (Wjestnik psychiatrii i nevro-
patologii. 1888. V. 2. Russisch.)
In -Anbetracht des Dunkels, in welches bisher das Wesen der Safraninreaction
auf das Nervengewebe gehüllt ist, und der Uneinigkeit der Autoren (Adamkiewicz,
Babes, Schnitze, Rosenheim) über die Natur der sogen, chromoleptischen Sub-
stanz, versuchte Verf. das Verhalten letzterer verschiedenen chemischen Reagentien
gegenüber zu ermitteln. Er stellte seine Untersuchungen an Präparaten aus der
Hirnrinde und dem Rückenmark von Hunden, Katzen und Menschen an. Die Här-
tung geschah zum Theil in Sublimatlösungen, zum Theil in Alkohol, die Safranin-
farbung sowohl nach der Methode von Adamkiewicz, als auch der von Babes.
Die gefärbten Schnitte wurden der Wirkung verschiedener Substanzen ausgesetzt.
Hierbei erwies es sich, dass die orange-gelbe Tinction, die durch Safranin entsteht,
weder durch Alkohol, noch Aether, noch stark concentrirte Säuren (Essig-, Salpeter-,
Schwefelsäure) beeinflusst wird; auch wenn die Präparate vor der Tinction mit Al-
kalien oder dem Saft der Pankreas behandelt wurden, blieb die Reaction der chromo-
leptischen Substanz unverändert. Hieraus schliesst Verf., dass letztere weder zu den
Fett-, noch Eiweiss-Substanzen gehört. Wenn dagegen die Präparate vor der Safranin-
tiuetion mehrere Stunden lang der Einwirkung siedenden absoluten Alkohols ausge-
setzt waren, so war von chromoleptischer Substanz keine Spur zu constatiren. In
Berücksichtignng dieser chemischen Eigenschaften scheint die chromoleptische Sub-
stanz zu den sogenannten Cerebrosiden zu gehören, die nach Thudichum in Aether
and kaltem Alkohol unlösbar sind, aber in siedendem Alkohol sich lösen.
— 332 —
Zugleich mit dem Yerschwinden der chromoleptischen Substanz durch die Be-
handlung der Präparate mit siedendem Alkohol« varliereä m woßk die F&hi^nit^ daa
Licht zu polarisiren. Diese Fähigkeit besitzen sevohl Präparate, an denen nach
Safranintinction die chromoloptische Substanz siebtbar ist, als auch solcbt^ die nicht
mit Salranin getarbt, aber mit Alkohol behandelt wurden. Verf. schliesst aus den
im Polarisationsmikroskop zu beobachtenden Figuren letzterer Präparate im Vergleich
zu denjenigen, die sich an solchen einstellen, welche ohne Alkoholbehandlung (durch
Erfrieren oder Kali bichrom.) erliärtet wurden, dass bei der Einwirkung von Alkohol
auf die Neryen- (Myelin-) Substanz ein Kunstproduct entsteht, welches durch Safraiiin-
tinction die der chromoleptischen Substanz eigenthümliche Färbung annimmt
P. ßosenbach.
1' h e r a p i e.
6) Uober die Wirkung der Ueberoamiumsäure bei fipilepsie« Inattgttral^
Dissertation von Carl Schweder. Kiel 1888. (47 Seiten.)
Esmaroh, Eulenburg, Seeligmüller, Jacoby und Andere hatten die Os-
miumsäure subcutan bei Neuralgien mit mehr oder weniger Erfolg angewandt» und
sahen einige von ihnen das Mittel nipht als eigentUches Antineuriügicam an; viel-
mehr fahrten sie den therapentischen Werth auf die bei der £änspritzung zu Stande
kommende locale Gewebsänderung (Induration, narbige Schrumpfung) zurQck. Dasis
das Mittel local die Structur des Nerven verändere, hatte schon E. Fraenkel an
Versuchen mit Kaninchen beobachtet (parenchymatöser ZerMl der Nerven, schwielige
Epineuritis etc.)* Wildermuth wandt« das Mittel bei Epilepsie au und zwar inner-
lich, erst in wässriger Losung, dann in Pillenform. Die Erfolge wai'ea. gering.
Newsky (cf. dies GtrlbL 1885 Nr. 17) gelangte auf Grund zahlreicher Versnobe au
Kalt- und Warmblütern zu dem Ergebuiss, daas die YerabreiohnBg von 0smiuni8d«a*e
Herabsetzung der Reflextbätigkeit der Nervencentren bewirkt; auch die elektrische
Erregbarkeit des motorischen Rindenfeldes (an Hunden) wurde durch intravenöse, lu-
jectiou des Präparats vermindert; zur Her vorrufung corticaler epileptischer Krämpfe
war intensivere faradisphe Belziing erfordexUch, als Ua. normalem Zusku4o» und.di^
Dauer uud Intensität der Anfalle sohieu verrijigert. Er . wandte idan;\ Osi^iomsäure
(0,001 pro dosi in Pillenform) bei 7 epileptischen Kindern an, aber nur in 2 Fällen
erzielte er eine Abnahme in der Frequenz der Anfälle. Wildermuth und Nqwsky
beliandelteu im Ganzen 25 Epileptiker mit Osmiumsäure, yoji denen 1 Ifranker (5 ^Iq)
geheilt, 6 (30 7o) gebessert und 13 (65%) &^ ^^^* beeihflusst wurdien.
S. gab Osmiumsäure in Pillen (a 0,005 Acid. hyperosmic.) und zwar erst täg-
lich eine, dann zwei und drei pro die. Ungünstige Nebenwirkungen irgend welcher
Art wurden nicht beobachtet, auch nicht gastrische Störungen. Zu den Yersuclien,
(8 Fälle) wurden theils Kranke gewählt, die bis zuletzt mit Brom behandelt wurden,
theils solche, bei denen dasselbe vor längerer oder kürzerer Zeit ausgesetzt war.
Geheilt wurde kein einziger (0%), gebessert 2 (25^/^,) und zwar einer nach allen
Uichtuugen hiii, der andere hauptsächlich in seinem psychischen Verhalten. Bei den
übrigen 75^0 ^*^*^ Osmiumsäure keinen wesentlichen Ein fluss. Kalischer:
HL Aus den OesellscliafteiL.
Berliner Geaellsohaft für Psychiatrie und Nerven]Eranli:lielteh; Sitzung vom
14. Mai 1888.
* Vor der Tagesordnung. Herr Kronthal: Der ÖOte des Hernt Prof. Mendel
verdanke ich folgende Daten aus der Kranköngeöchichte des Patifenten, von dem fi>r*
liegendes RQckenmark stammt: Fr. T., 62 Jahre alt, wurde vo«i mir smerst' am
25. Juli 1887 gesehen. Sie giebt an, seit einem Jahre ohne na^hweifibäre ürsaifte
Schmerzen in' Annen und Beinen zn haben, denen sich ,; Krämpfe" besonders* iii' deft
— 338 —
Beineil doch aueb gelegentlicb in den Annen zogeeellt hatten. Seit Vi *^^^® ^^^
sie nicht mehr föhig sein, sich ron der Stelle zu bewegen.
Statns: Psyche, Hirnnerven normal.
Herabgesetzte Sensibilität in allen Qualitäten in beiden Armen, Handedruck
beiderseits schwach, die Bicipites wie die Flexoren des Vorderarms fühlen sich auf
beiden Seiten etwas rigide an; Ellbogen- und Handreflexe von mittlerer Starke.
Vollständige motorische Lähmung beider Beine, alle Muskeln fühlen sich unge-
mein rigide an. Vollfltändige Analgesie, Hautreflexe nicht nachweisbar, Patellarreflex
beiderseits sehr stark, Fussclonus angedeutet. Ischurie.
Im weiteren Verlauf entwickelte sich eine hochgradige, spastische Contractur
der unteren Extremitäten — die Oberschenkel wurden gegen das Abdomen, die
Unterschenkel gegen die Hinterseite des Oberschenkels flectirt — dabei steigerten
sich die Schmerzen in Armen wie Beinen. Es trat Enuresis, Incontinentia alvi ein.
Schliesslich entwickelte sich im April d. J. Decubitus, an dem die Patientin am
11. Mai zu Grunde ging.
Am 12. Mai machte ich die Section und zeigte das Bückenmark vorliegenden
interessanten Befund. Sie sehen hier oben in der Höhe des 2.-4. Cervicalnervwi
rechterseits einen Tumor von länglicher runder Form, massig weicher Consistenz,
weissem Aussehen, dessen Längsdurchmesser ungefähr 3Ya cna und dessen Dicke 2 cm
beträgt; die Oberfläche ist glatt, die Farbe auf dem Durchschnitt weiss-grau. Der
Tumor hängt an der Dura, von der er ausgegangen zu sein scheint, fest und erwies
sich mikroskopisch als Spindelzellensarcom. Er hat das Bückenmark an dieser Stelle
auf etwa Ys seines Volumens comprimirt und lässt dasselbe auf dem Durchschnitt
hier nichts mehr von der gewöhnlichen Configuration erkennen. Etwa 1 cm unter
dem unteren Ende des Tumors zeigt es die normale graue Figur, hingegen sieht
man zwei grössere und eine kleinere Höhle, so dass man auch die Diagnose der
Syringomyelie stellen muss; femer erscheint hier, soweit man das makroskopisch be-
urtheilen kann, die linke Seite der Hinterstränge degenerirt. Einige Centimeter
weiter unten zeigen die gesammten Hinterstränge ein graues Aussehen, die Höhlen
sind schon 1 cm tiefer nicht mehr zu sehen. In der Gegend der Lendenanschwellung
scheint im Centralkanal sich ein kleiner, wohl secandärer Tumor entwickelt zu haben ;
auch sind hier wiederum zwei kleinere Höhlen als die oberen bemerkbar. Eine genauere
Untersuchung wird nach Härtung des Präparates angestellt und mitgetheilt werden.
Herr Siemerling: StatlstiBohes und Elinisohes zur Paralyse der Fraueik
Unter den in den letzten 13 Jahren in die Charit^ aufgenommenen 3800 geistes-
kranken Frauen waren 440 paralytische, also 11,6 7o- Soweit Berechnungen mög-
lich und zuverlässig sind, findet S. für Frauen eine Abnahme der ErkrankungsföUe
an Paralyse, während er bei Männern — von denen je 3^2 ^^^ ®^ö ^^^ kommen
— eine Zunahme verzeichnen muss. — Das Durchschnittsalter beim Beginne der
Erkrankung ist das 36.-^40. Jahr, doch scheinen jetzt öfter als f^her auch schon
Angehörige jüngerer Altersklassefn zu erkranken. In den Monaten August bis October
fanden stets die meisten Aufhahmen in das Krankenhaus statt.
Aetiologiseh konnte S., so wenig er die Wichtigkeit des Geschlechtslebens der
Frauen für psychische Verhältnisse verkennt, doch eine bestimmte Beziehung einzelner
Phasen desselben zur Entstehung der Paralyse nicht feststellen, weder des Puerperiums
und schwerer Entbindungen, noch des Climacteriums. Nur ein einziges Mal musste
das Ausbleiben der Menses als Ursache der Krankheit angenommen werden. Dagegen
spielen ungünstige sociale Verhältnisse entschieden eine grosse Bolle bei der Ent-
stehung der Paralyse. — Lues konnte unter 126 Fällen 14mal, also in 11%,
sicher constatirt werden; Reinhardt (Hamburg) fand 14%.
In Bezug auf die Heredität konnte S. die Thatsache, die Mendel hervor-
bebt, dass nämlich häufig bei den Eltern Schlaganfall als Todesursache angegeben
ist, bestätigen.
— 884 _
Von somatischen Symptomen will S. nur zwei her?oi:li6beii, die reflectoriache
Pupillenstarre, welche sich in 64^0 f<uid und Abnonnit&ten des KniephSnomens;
dieses war verschwunden in 28 ^j^, gesteigert in 26 ^/o der Falle. Eine Oombination
dieser beiden somatischen Symptome fand sich in 25 ^/q.
Was den Verlauf anbetrifft^ so zeigt dieser keine weflentUchen AbweichnngieD
von demjenigen beim Manne, nur dass er — wie schon Sander hervorgehoboi hat
— im Ganzen ein ruhigerer ist Apathie und Dementia beherrschen das Bild, in
welchem GrCssendelirien (sehr oft sexnell gefärbt) und hypochondrischer Stimmungs-
wechsel etwas Mannigfalügkeit bringen.
Die Daner des Leidens, nach 239 Fällen der letzten 6 Jahre berechnet, jergiebt
im Durchschnitt 2^/3 Jahre, wenn S. nur die 101 bis jetzt Gestorbenen in Anschlag
bringt; 60 leben noch, und yon 78, die zum Theil gebessert pach Hause enüaasen
wurden u. s. w. fehlen die Nachrichten. — Die durchschnittliche Dauer des Anfent^
haltes in der Anstalt war 1^/3 Jahr.
In der Discussion bemerkt Herr Jensen, dass in Allenberg auf 208 m&nnliche
Paralytiker 22 weibliche kamen» Yon denen alle bis auf eine beim Beginn dea Iieidens
alter als 30 Jahre waren.
Herr Sander nimmt nach seinen Erfahrungen eher eine Zunahme als eine Ab-
nahme der, Paralyse bei Frauen an, und findet einen gewissen Widerspruch in den
Angaben des Vortragenden,, der das Verhaltniss der Frauen za den Hännem wie
1 zu 3V3 fs^nd, während man es sonst wie 1 zu li annahm;, und doch spreche Herr
Siemerling von einer Abnahme des Leidens bei Feinen.
Herr Moeli wundert sich über die angegebene kurze Krankheitsdauer; wenn
Herr S. die Yeirhältnisse der 78 EntUssenen hätte berücksichtigen können, so wäre
wohl eine längere Dauer herauegekommen. — Was die Symptomatologie betrifft, ao
hat H. auffallend häufig bei Frauen Zustände von Benommenheit mit Unruhe — die
Kranken gebenr stereotyp an, sie suchten etwas —r beobachtet; es gingpm dabei
keineswegs immer apoplectiforme AnßUe v:orher, und ein ungünstiger Sinflnss auf
das Gtosammtbefinden trat nicht hervor. , .
Herr Mendel glaubt auch eine Zunahme der Paralyse bei Frauen annehmen
zu dürfen, und meint, dass, wepn in 11 ^/q der FäUe vorhergegangene Lues sicher
hätte nachgewiesen wecden kOnnen, thatsächlich ein weit höherer Procentsata voirhanden
sein wird. — Er fragt aodann den Vortragenden, ob ihm nicht Fälle voi^gekonunen
seien, in denen Mann und Frau an Paraly^ erkrankten? Er seitot habe bis jetzt
5mal ein, solches Zusammentrefifon beobachtet und zwar hatten dabei immer die beiden
Ehegatten gleichzeitig Lues, indem der Mann seine Frau inficirt hatte. Herr Mendel
hebt endlich noch, den grossen Werth des Westphal*schen Zeichens als eines znjweUen
sehr, früh auftretenden Symptoms der Paralyse hervoii ..
Herr Siemerling erwidert mit genauerer Mittheil^ng der von ihm gef^denen
Zahlen« Li dem gleichen Zeitraum wurden gegenüber 347 paralytischen' Frauen
1262 männliche Paralytiker in der. Charit^ aufgenommen, d. )i. 3Va°uil.so viel;
nach der Bevölkerungszahl berechnet zeige die Zahl der parolytjischen Frauen' eine
Abnahme, — Fälle, wi^ sie. Herr Mendel hervorgehoben hi^be^ seien auöh.ihm vor-
gekommen.
Herr Westphal bemerkt hierzu^ dass auch er das interessante Vorkommen der
Paralyse bei Mann und Frau beobachtet habe;, bei 3 derartigen Fällen sei jedoch
nur. einmal Syphilis der Ehegatten festgestellt worden.
Herr Bernhardt stellt: einen Kranken vor, welcher nach einem Fall auf die
Nates ausschliesslich eine Lähn^ung der Blase und des Mastdanns . und eine, voll-
ständige Anästhesie dieser Theile; dabei auch eine Anästhesie des Penis und'Scrotum,
sowie der Haut , in der Umgebung des Anus und an der Hinter-Ihneiiseite der Ober-
schenkel davongetragen hat. — Die Motilität der Beine, die Sehnenphänomeae. iL s. w.
— 335 —
Alles war intaci Auch der Gottas kann 'ohne Schwierigkeit vollzogen werden, Libido
und Toluptas sind yorhanden/ nur erfolgt keine E^jaculation des in der Harnröhre
befindlichen , Samens, d. h. die Mm. bolbo- und ischiocavemosi sind gelähmt.
Der Fall, zn welchem bereits Analogien in der Litteratnr vorliegen (bei Eirch-
hofl^ Bosenfhal u. A.) lehrt, dass das Centram ano-vesicale isolirt getroffen werden
kann, dass das Gentram generandi nicht örtlich mit jenem zusammenfällt. — Jetzt,
etwa 4 Monate nach dem Unfall, fangen die Lähmungserscheinungen der Blase und
des Mastdarms an^ sich zu bessern.
i
%
Herr Oppenheim: Zur Pathologie der Tabea dorsalis. Die 2 Fälle,
welche O. mittheilt^ sind interessant durch ihre Bulbärsymptome. Im ersten
Falle traten schon früh heftige Kopf- und Gesichtsschmerzen, Schmerzen in der
Imken Zungenhälfiie, später Kriebeln in der rechten Gesichtshälfte auf, Speisetheile
bliri>en im Munde stecken; die rechte Stirnseite und rechte Zungenhälfte zeigten
schwache Anästhesie. Das Hervorstrecken der Zunge gelang nur, wenn Fat. sich
vor dem Spiegel mit den Augen controlirte. Schon früh Larynx-Krisen, grosse Puls-
frequena, rauhe Stimme; laryngoskopisch Lähmungen an den Eehlkopfmuskeln nach-
gewiesen!. Später Anfälle von Schlingkrämpfen, 24—32 in der Minute, V4 ^^
Vs Stunde Ung dauernd. Diese sogenannten „Krisen'' konnten beliebig hervorgerufen
werden durch Druck auf eine zwischen Kehlkopf und M. stemodeidomastoideus ge-
legene Stelle. — Bei der Section fand sich ausser einer typischen Degeneration der
Hinterstränge, wdche bis in die MeduUa oblong, hinaufreichte. Folgendes: Die auf-
steigende Qointns-Wurzel war in ihrem ganzen Verlauf bis zu ihrem Austritt aus
der Mednlla degenerirt; dagegen war die absteigende und die motonsche Wurzel
intact Vom Tago-Accessoiius-Gebiete war nur die aufsteigende Wurzel vollständig
entartet bis zum ViU. Kerne; die austretenden Yagus-Wurzeln stark verändert; der
Yagus-Stamm war deutlich atrophisch, die N. hiryngei recurrentes, wo sie in den
Kehlkopf eintreten, sehr stark * atrophisch; N. laryngeus superior dagegen normal;
auch ein Zweig des N. glosso-phaiyngeus war degenerirt.
Bei UntersuchuDgen von Tabes^flUlen dieser Art fand man Veränderungen, theils
nur in Kernen^ theils nur in den Nervenasten; dazu kommen nun Fälle mit Ver-
änderung^ von beiderlei Art
Im zweiten Falle, der schwer und schnell verlief war ein eigenthümliches
Gefühl von Starre des Gesichtes vorhanden; Kauen und Schlingen erschwert durch
SensibilitätsstOrungeni trotz erhaltener Muskelkraft. Nach einigen Monaten traten
beim Spirechen und Kauen eigenthümliche atactische Gesichtsbewegungen auf.
— Die Section ergab — obwohl das Bückenmark frisch ganz intact aussah — eine
totale Entartung der Hinterstränge; die hinteren Wurzeln waren, was äusserst selten
ist und wohl mit dem sehr raschen Ablauf dieses Falles zusammenhängt, auffallend
stark vascularisiri — In der Medulla oblongata ging die Degeneration bis in die
Corpora restiformia; daneben bestand Atrophie der aufsteigenden Quintus-Wurzel in
ihrer ganzen Länge.
Diese Quintus-Affectionen bei Tabes sind nicht selten, Pierret beschrieb sie,
Westphal untersuchte sie zuerst anatomisch, später auch Hayem, Flechsig u. A.
— Sehr interessant sind die Ataxie der Gesichtsmuskeln, und die mannigfachen
Sensibilitätsstömngen, welche letztere allein die Behinderung der Zungenbewegungen,
des Kanons u. s. w. bewirkten.
Erwähnenswerth von diesem Falle ist noch das spontane Ausfallen der Zähne.
— Störungen des Geschmacks, die hier fehlten, werden in diesen Fällen nur selten
verzeichnet. — Herr 0. veranschaulichte die anatomischen Befunde durch zahlreiche
Präparate. Hadlich.
— 336 —
IV. Bibliographie.
Bealencyolopädie der gesammten Heilkunde. ]M[ed.-ohirarg. Handwörter-
buch für praküflohe Aente, herausgegeben Ton Prof. Dr. Albert Eulenburg.
(Wien und Leipzig 1887 u. 1888. Urban & Schwarzenberg.)
Seit oDserm letzten Beriebt (cf. Jahrgang 1887 S. 119) hat das Werk, sein
Programm erfüllend, grosse Fortschritte gemacht Der 9. — 13. Band sind erschienen
(Liefernng 81/82 bis Lieferung 129/130) bis zum Beginn des Buchstaben N. Von
den den Neuropathologen und Psychiater interessirenden Artikeln seien hier folgende
grösseren heryorgehoben: Hemianästhesie (Eulenburg), Hundswuth (Benedikt), Hydro-
cephalus (Heubner), Hydroelelctrische Bäder (Eulenburg), Hypnotismus (Preyer und
Binswanger cf. d. Ztschr. 1888 8. 202), Hypochondrie (R. Arndt), Hysterie (B. Arndt),
Idiotie (W. Sander), Irrenanstalten (Pelman), Irrenbehandlnng (Pelman), Irrengesetz-
gebung (Pelman), Irrenstatistik (Oldendorf), Einderlähmung (Seeligmflller), Lethargie
(M. Rosenthal), Makrocephalie (Scheuthauer), Manie (Mendel), Melancholie (Mendel),
M^nike'sche Krankheit (Lucae), Metalloskopie (M. Rosenthal), Moral insanity (Mendel),
Muskelatrophie progressive (A. Pick), Muskelatrophie (Eulenburg), Myxödem (Schwimmer).
Eine Anzahl dieser Artikel stellt vollständige Monographien dar, und die meisten
enthalten gegen die erste Auflage erhebliche Erweiterungen und Verbesserungen. Die
Realencyclop&die ist nicht bloss ein Werk für die praktischen Aerzte, sondern sie
ist auch für den Specialisten ein ausgezeichnetes Handbuch, sie bedarf bei d«r all-
gemeinen Verbreitung, die sie gefunden, einer besonderen Empfehlung nicht. Beson-
ders aber möchten wir noch darauf aufmerksam machen, dass die Verlagsbuchhand-
lung jetzt auch einzelne Hefte und einzelne Bände käuflich ablässt, wodurch Manchem,
welcher nicht so schnell nach deir ersten Auflage sich zur Anschaffung der zweiten
in ihrer ganzen Ausdehnung entschliessen kann, die Möglichkeit geboten wird, die
gerade ihn besonders interessirenden Artikel zu erwerben. M.
Biographisches Iiexioon der hervorragenden Aerste aller Zeiten und Völker,
herausgegeben von Prof. A. Hirsch in Berlin. (Wien n. Leipzig. Urban & Schwaricen-
berg. 1887 u. 1888.)*
Der V. und VI. Band dieses Lexikons sind erschienen und enthalten den Best
von den Buchstaben Ri an, gleichzeitig auch einen ausgedehnten Nachtrag und Er-
gänzungen. Wir finden die Lebensgeschichten von Rinecker, Robin, Romb^rg, W.
Sander, Friedrich Schultze, E. Seguin (New York) Snell, Spielmann, Stilling, Strüm-
pell, L. Türck, Tuke, Westphal, L. Wille, Ziemssen u. a^ m.
Mit wenigen Lieferungen, welche noch Ergänzungen bringen, ist das Werk voll-
ständig. Als Nachschlagebuch darf es keiner Bibliothek fehlen. M.
V. Vermischtes.
Zum HvpnotiBmns. Einer der Hysteriker, welcher zu den Experimenten von Bonrrn
and Barot über die Wirksamkeit der Medikamente auf Distanz diente (cf. d. Ctrlbl. 1888.
S. 204), machte in der Klinik des Prof. Peter zu Paris an den Director der Assistance
pabliqae die Anzeige, dass die Oberwärterin einen Kranken der Abtheilnng mit 22 Tropfen
SalpeterBäore und Opium vergiftet habe. Der Kranke war, wie die Section bewies, an l^phoa
gestorben. (Gaz. des Höpitanx. 1888* 6. Mars.)
»"crdTctrlbL 1887. S. 72.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prot Dr. E.Mendel»
Berlin, NW. Schiff bauerdamm 20.
Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mstzobb & Wrmo in Leipzig.
NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter " ^"»- Jahrgang.
UonatliGli erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zu beziehen durch
alle Bnchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1888. Is. Jnni. ]fe¥.
Inhalt. I. Originaimittbeilungen. 1. Zur Localisation der sensorischen Aphasie, von
Dt. LeopoM Uiq«er. 2. Ueber die Kosten des optischen Kathetometers in der Eraniometrie,
von Prof. Dr. Moriz Benedikt.
II. Refferate. Anatomie. 1. On the relation of the central nervous System to the
alimentary canal, by Sutton. 2. On a ready method of preparing large sections of the brain,
by BramwolL — Experimentelle Physiologie. 8. Zur Frage über die Localisation der
wärmeregulirenden Centren im Gehirn und über die Wirkung des Antipyrins auf den Thier-
kdrper, von Sawadowtkl. 4. The heat centres of the cortex cerebri ana pons Varolii, by Ott.
— Pathologische Anatomie. 5. Ueber die Veränderungen am Bückenmark nach zeit-
weiser Verschliessung der Bauchaorta, von Singer. 6. Con^bution ä P^tude exp^rimentale
des lesions de la moelle ^ini^re d^termin^es par l'an^mie passagere de cet organe, par
Spronck. 7. Studi di antropologia patologica sulla pazzia, pel MorseilT. 8. A case of cholestea-
toma with remarks on the origin of the tumor, by Dercum. — Pathologie des Nerven-
systems. 9. Ueber Akromegalie, von Erb. 10. A case of Acromegaly, by Qodlee. 11. A
case of Acromegaly, by Hadden. 12. Fall von Biesen wuchs der linken Oberextremitat, von
Scbdtz. IS. Traumatische Sympathicus-, Hjrpoglossus- und Accessoriusparalvse, von Remak.
Bemerkungen dazu, von Frinkel. — Psychiatrie. 14. Die Lehre von der Verwirrtheit, von
Wille. 15. Folie ä deux, by Tuko. 16. Das inducirte Irresein als eine Form pathologischer
Nachahmung, von Jakowenko. 17. Ueber die sogen, psychische Contagion, von Werner. —
Therapie. 18. Einige Indicationen für die Anwendung von Chloralhydrat und Morphium,
nebst Bemerkungen zur Anwendungsweise, von Aufreckt. 19. The treatment of Sleeplessness,
by Eccies. 20. Onthe use of the Hydrobromate of Hyosoine in the treatment of recurrent
and acute Mania, by Thompson. 21. Note on antipyrin as an analsesie. by Wilson. 22. Theine
in pain, by Mays. 28. Ueber Behandlungen von Lähmungen una Contracturen, von RIogor.
III. Vermiacbtet.
I. Originalmittheilungen.
1. Zur Localisation der sensoriHchen Aphasie.
Yen Dr. Leopold Laquer in Frankfurt a. M.
„Einen der glänzendsten Beweise for die befruchtende Einwirkung der ex-
perimentellen Forschung auf die Pathologie bilden die klassischen Untersuchungen
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von Fmtsch und Hitzig „über die elektrische Erregbarkeit des Grosahirns",
die Grundlage unserer moderaen Kenntnisse von der Physiologie des Grosshirns.
Mit der Entdeokung der sogenannten „motorischen Centren** auf dem Wege ^es
Thierexperiments nimmt auch die Pathologie der Grosshirnrinde ihren Anfang.
Unter den Klinikern, welchen überhaupt Gelegenheit geboten war, eine grössere
Anzahl einschlägiger Beobachtungen zu sammeln, kann kein Zweifel bestehen:
Es giebt eine Localisation in der Grosshirnrinde des Menschen; in
zahlreichen Fällen sind wir im Stande, sie mit Sicherheit zu diagnosticiren. Das
Gros des umfangreichen klinischen Materials bezieht sich auf die „motorische
Zone*' der Grosshirnrinde, während die Zahl der die distincte Localisation
der sensorischen Functionen beweisenden Beobachtungen noch relativ
gering ist."
Mit diesen Worten leitete Prof. Bebgeb, mein leider so früh dahingegangener
Lehrer, seine letzte Arbeit: „Zur Localisation der corticalen Sehsphäre
beim Menschen"^ ein. Mit der gleichen Schärfe und Klarheit, wie es Bebgsb
nicht blos hier, sondern auch in seinen Vorlesungen und den unter seiner Aegide
schon früher verfassten Arbeiten seiner Schüler^ gethan, vertrat Nothnagel auf
dem letzten Congress für innere Medicin im Laufe der Verhandlungen über die
Localisation der Gehirnkrankheiten den klinischen Standpunkt in 'dieser Frage
und fand einen würdigen Partner in Naunyn, der es übernommen hatte, ein
Referat über die Localisation der aphasischen Störungen zu geben. Auch
dieser Autor bekannte sich als ein glaubenstreuer Anhänger einer stricten
Localisation, nicht blos der längst auf sicherer anatomischer Basis ruhenden
motorischen Aphasie, wie sie Bboca beschrieben, sondern auch der senso-
rischen Aphasie, deren Schilderung wir bekanntlich Wernicke verdanken.
Auf Grund einer einfachen statistischen Methode (Einzeichnung der Num-
mern aller brauchbaren Fälle in ein Exner'sches Gehirn-Schema) kam Naunyn'
zu dem Schluss, dass diejenigen Fälle von Aphasie, in denen die Fähigkeit,
Worte zu bilden, wohl erhalten sei, aber eine unzweifelhafte Erschwerung des
Wortverständnisses oder geradezu Worttaubheit — natürlich bei unversehrtem
Hörvermogen bestehe (sensorische Aphasie), auf einer Erkrankung der „Wer nick er-
sehen Windung^' (hintersten zwei Drittel der obersten Temporal Windung) be-
ruhen. Da aber Kussmaul, der bahnbrechende Lehrer auf dem Gebiete der
Sprachstörungen, nur die Broca'sche Stelle (in. Stirn Windung) als eine solche
anerkennt, deren Zerstörung regelmässig von aphatischen Störungen begleitet
sei, und auch Exkeb, sowie Westphal u. A. sich der Localisation der sen-
sorischen I'unctionen der Sprache gegenüber reservirt verhalten, so erschien mir
die Publication eines prägnanten Falles von sensorischer Aphasie (Worttaubheit
^ Sep.-Abdr. aas der Breslaaer ärztl. Ztschr. 1S85. Nr. 1, 3—5.
' L. Laqueb, Beiträge zur Pathologie der QroBshiriirinde. Inaagaral-Dissert. Breslau
1879. — Riedel» Zar Lehre von den dy aphatischen Sprachstörungen. Inaugural- Dissertation.
Breslau 1879.
3 Verhandl. d. VL Congr. für Innere Medicin IS87 S. 132.
- 339 —
mit Paraphasie), welchen ich im Laufe der letzten anderthalb Jahre zu beobachten
Gelegenheit hatte, umsomebr angezeigt, als die Autopsie die von mir bei Leb-
zeiten des Patienten gestellte Localdiagnose auf das Entschiedenste rechtfertigte.
Es lag femer eine so circumscripte Läsion der Wernicke'schen Win-
dung und der darunter liegenden Markstrahlung bei einer fast voll-
kommenen Unversehrtheit der übrigen Hirnoberfläche, sowie des
Gehirns überhaupt vor, dass die „Methode der kleinsten Heerde'^, welche
von Chabcot, Pitres und Nothnagel als die bei Localisations-Fragen einzig
maassgebende bezeichnet worden ist, auch für den vorliegenden Fall in gewissem
Sinne in Anspruch genommen werden kann.
Die Litteratur über sensorische Aphasie mit Sections-Befund ist zwar nicht
mehr so dürftig wie noch vor wenig Jahren, aber die Fälle, in welchen bei
Lebzeiten Worttaubheit mit Paraphasie als einziges Heerdsymptom bestand
und diesem die verlangte Erweichug der L Schläfenwindung der einen (linken)
Seite entsprach, ohne dass sonstige grossere Destructions-Processe der Kinde und
der tiefer gelegenen Himtheile den Werth jener Befunde fär die Localisation
der betreffenden sensorischen Function beeinträchtigten, sind immer noch
rocht selten.
So sagt Bebgeb (a. a. 0.): „Bereits ehe Mümk durch seine Exstirpations-Yer-
snche den Beweis geliefert hatte, dass der Hinterhauptslappen zum Gesichtssinn,
der Schläfenlappen zum Gehörssinn in Beziehung steht, hatte Webnicke mit
der B^fründung seiner „sensorischen Aphasie^' in der linken L Schläfenwindung
des Menschen den Sitz des sensorischen Sprachcentrums entdeckt.'^
Diese „Wemicke'sche Region'^, wie Bebgeb diese Localisation (analog der
Broca'schen B^on für die motorische Aphasie) zu bezeichnen vorschlägt, hatte
derselbe sehr sorgfaltige Autor bis zum Jahre 1885 in vier einwurfs&eien Be-
obachtungen mit absoluter Cionstanz wiedergefunden. —
Eine sehr genaue und wohl erschöpfende Zusammenstellung aller bis zum
Jahre 1886 beobachteten Fälle von sensorischer Aphasie findet sich bei Luoiaiyi
und SepiliiI.^ Die Yerff. geben in ihrem Buche eine Uebersicht von 20 Fällen,
in denen sich Worttaubheit fand. — Unter diesen war 14mal die erste und
zweite Schläfenwindung linkerseits ergriffen. Da aber, wie in dem Buche jener
italienischen Forscher bereits erwähnt ist, bei einen grossen Frocentsatz der Be-
obachtungen, von einem Fortschreiten des Krankheitsprocesses, auf die motorischen
Centren, auf die Broca'sche Stelle, und auf die Occipitalwindungen berichtet
wird, auch die während des Lebens beobachteten sonstigen mannigfachen Aus-
falls-Symptome der Gomplicirtheit der anatomischen Läsionen entsprachen, so
wird die pathologische und wohl auch die physiologische Beweiskraft eines Falles,
in dem die apoplectiform entstandene Worttaubheit und die damit
zusammenhängende Paraphasie bis an das Lebensende der Patientin
' Die FanctioDsJiOoalisation auf der Grosshirarinde an Thier-Experimenten and klinischen
Fällen nachgewiesen von Luciani and Sbpilli. (Deutsche Ausgabe von 0. FrInkel. 1S86.)
21*
— 340 —
das ausschliessliche und genau beobachtete Krankheitssymptom
darstellten, hoch anzuschlagen sein.
Eva M., Maurerswittwe aus Kranzberg bei Usingen (Beg.-Bez. Wiesbaden), steht
im 74. Lebensjahre. Ueber eine neuropathische Belastung der Familie ist nichts
Besonderes festzustellen. Sie war immer gesund bis auf eine Schwerhörigkeit, die
sich bei der Patientin mit dem zunehmenden Alter eingestellt hatte, und welche wohl
auf die bestehenden senilen Veränderungen (Verkalkungen) im Trommelfelle zurück-
zuführen iBt. Ihre Umgebung konnte sich aber jederzeit durch etwas lauteres Sprechen
mit ihr verständigen. — Sie war bis zum Beginne ihrer jetzigen Erkrankung eine
rüstige, arbeitsame Frau und zeigte eine dem niederen Arbeiterstande, welchem sie
angehörte, und den ärmlichen und ländlichen Verhältnissen, unter denen sie aufwuchs,
entsprechende Intelligenz. — Sie ist seit Jahren verwittwet und lebt bei ihrer Tochter
in Kranzberg. — Noch im Sommer 1886 soll sie mit auf's Feld gegangen sein und
dort die gewohnten Arbeiten in voller körperlicher Frische verrichtet haben. — Sie
war rechtshändig. — Ihre Ausdrucksweise war eine völlig correcte, ihre geistige
Regsamkeit liess nichts zn wünschen übrig. Sie war nie luetisch inficirt, nie dem
Alkohol ergeben. Ihre Kinder sind ganz gesund.
Am 29. Ootober 1886 ist sie, ohne dass irgend welche Prodromal-ErBcheinungen
vorhanden gewesen waren, plötzlich ohnmächtig zusammengebrochen; sie erholte sich
aber ziemlich schnell von diesem Anfall, der ohne Convulsionen in wenigen Minuten
verlief, Lähmungen oder sonstige nervöse Erscheinungen von irgend welcher Bedeu-
tung nicht zurückliess. Nur geben die Angehörigen an, dass die Patientin nach
dieser ersten Attacke etwas schneller und aufgeregter als sonst gesprochen habe, sie
betonen aber, dass ihre Wortbildung damals noch vollkommen richtig und Jedem
verständlich gewesen sei.
Nenn Tage später wiederholte sich jener Anfall; Patientin befand sich gerade
zum Gottesdienst in der Kirche: Sie fiel zusammen und wurde bewusstlos aus dem
Gotteshause herausgetragen. Dabei sollen der rechte Arm und das rechte Bein
wie leblos herabgehangen und eine blaurothe Verfärbung gezeigt haben. Aber
die genannten paretischen und vasomotorischen (?) Erscheinungen hätten sich nach
Ablauf von kaum 24 Stunden zurückgebildet; — die motorische Schwäche in der
rechten Hand blieb einige weitere Tage bestehen. Gleich nachdem Patientin wieder
zu sich gekommen war, wurde von den Angehörigen die Sprachstörung und der
Mangel des Wortverständnisses bemerkt und als Zeichen einer beginnenden Geistes-
verwirrung gedeutet.
Das Allgemeinbefinden hatte durch die beiden apoplectiformen Anfalle nur wenig
gelitten.
Am 12. November kam Frau M. mit ihrer in Frankfurt wohnenden Schwieger-
tochter, zu der sie der besseren Verpfiegung wegen gebracht wurde, in das Ambula-
torium der Frankfurter Armenklinik. Dort sah ich die Pat. zum ersten Male
und constatirte sofort die dysphatischen Störungen, sowie das Symptom der Wort-
taubheii
Status praesene vom November und Deoember 1886.
Patientin ist eine kleine, massig gut genährte Frau und zeigt ein ihrem Lebens-
alter entsprechend greisenhaftes Aussehen, doch machen ihre Gesichtszüge einen
durchaus freundlichen, intelligenten Eindruck. Die Badial-Arterie ist rigide, die
Temporaiis erscheint erheblich geschlängelt und stark pulsirend, die Temperatur ist
normal. Puls gespannt: 84. Der Gesichtssinn ist ungestört, bei den Leseproben er-
giebt sich kein auf Hemianopsie hinweisendes Merkmal; der opthalmoskopische Be-
fund ist ein negativer; Gesichtsfeldbestimmungen waren nicht ausführbar. In ihrem
— 341 —
psychischen Yerhalten findet sich keine Spnr bestehender Demenz: Ihr Benehmen
im Zimmer des Arztes, in der Kirche, die sie fleissig hesacht, bei der Demonstration
im Frankfurter ärztlichen Verein vor mehr als 50 CoUegen Hessen nicht den min-
desten Zweifel darüber aufkommen, dass wir es mit einer völlig geistesgesun-
den Person zu thun haben. Nur machten sich in den ersten Wochen nach Eintritt
der Sprachstörungen Anomalien seitens der Psyche geltend, welche besonders
bei der Hausarbeit, der die alte Frau vor dem Anfalle mit so grosser Sorgfalt vor-
gestanden hatte, ihrer Umgebung aulElllig erscheinen mussten: Sie sass nämlich in
den ersten Wochen nach ihrer Erkrankung ruhig und fast apathisch in einer Ecke
des Zimmers, hatte wenig Lust zur Thätigkeit. — Aus ihrem Wehklagen und aus
ihrem Geberdenspiel war ersichtlich, dass sie. zum Arbeiten unfähig sei. Dieser Hang
zur Unthätigkeit hatte seinen Grund nicht blos in dem mangelhaften Yerstän^niss,
welches sie allen durch die Sprache ausgedrückten Aufforderungen und Wünschen
entgegengebrachte, sondern auch in einer „Apraxie''.^ Es war ihr das Yer-
ständniss für den Gebrauch der Dinge verloren gegangen. Wenn man ihr
eine Scheere in die Hand drückte, damit sie einen vorgehaltenen langen Faden
zerschneiden sollte, fasste sie dieselbe verkehrt an, ergriff die beiden Branchen, so-
dass sie sich in die Finger stach, hatte überhaupt keine Ahnung von dem Zwecke
und der Handhabung des Instrumentes; anstatt des auf dem Waschtische liegenden
Schwammes oder der Seife bediente sie sich des Kammes, um sich das Gesicht zu
waschen. — Sie war nicht im Stande, sich aus- und anzuziehen, rathlos stand sie
den einzelnen Kleidungsstücken gegenüber, zog sie verkehrt an, erst die Schuhe,
dann die Strümpfe etc., man musste sie an- und auskleiden wie ein kleines Kind.
— Beim Versuche, das Zimmer auszufegen, drehte sie den Besen um und fegte' mit
dem Stiele desselben, die Stiefel pflegte sie mit der Holzseite der Bürste blank zu
putzen u. A. m. Diese sonderbare Ungeschicklichkeit verlor sich aber vollkommen
nach Ablauf von etwa 8 — 10 Wochen, der beste Beweis, dass sie nicht Zeichen
einer dauernden Demenz waren und andererseits von der Paraphasie und Wort-
taubheit, die bis an's Lebensende fast unverändert fortdauerten, scharf zu trennen
waren. Ihr Gedächtniss hatte, wie es schien, wenig gelitten. Am 6. December 1886
war sie im Frankfurter ärztlichen Verein vorgestellt worden; am Tage darauf ver-
suchte sie mit ziemlich grosser paraphasischer Bedegewandtheit und unter Zuhülfe-
nahme der Mimik ihrem von der Arbeit heimkehrenden Sohne zu erzählen, was ihr
dort Alles passirt wäre. — Den ziemlich langen und umständlichen Weg von der
Wohnung ihrer Tochter nach der meinigen fand sie schon nach 3 Wochen selbst-
ständig, machte später den Weg häufig ganz allein und gab schriftliche Bestellungen
zu Hause richtig ab.
Sie war schwerhörig, aber sie percipürte jedes Geräusch und jeden Klang. Wenn
hinter ihrem Bücken gepfiffen, in die Hände geklatscht oder geschellt wurde, drehte
sie sich sofort herum; wenn man, ohne dass sie es sah, mit lauter Stimme eine
Aufforderung an sie richtete, so wendete sie sich sogleich an den Sprechenden, zum
Zeichen, dass sie Alles gehört hatte. — Den Sinn der Worte verstand sie
nicht. In der ersten Zeit reagirte sie auch nicht auf die gewöhnlichen und vom
Arzt oft wiederholten Aufforderungen: „Strecken Sie die Zunge heraus 1'' „Machen
Sie die Augen zu!'' „Setzen Sie sich!" „Stehen Sie auf!'' „Gehen Sie durch's
Zimmer!" — Erst wenn der Arzt die betreffenden Bewegungen vormachte, verstand
sie, was man wollte, und kam den genannten Aufforderungen nach. — Das Ver-
ständniss für den wörtlichen Ausdruck dieser Dinge kehrte allmählich zurück und
so wurde ihr auch Manches,., wenn auch nicht Viel von den zum Haushalt gehörigen
Dingen beigebracht. — Lesen hatte sie nur in unvollkommener Weise, — Schreiben
gar nicht gelernt. — Sie konnte vor ihrer Erkrankung nur Gedrucktes lesen. Aber
' Kussmaul, Stdrangen der Sprache. III. Aufl. 1885. S. 181.
— 842 —
aacb diese Fähigkeit hatte sie nach dem Anfall eingebüset. Ich hatte einige der
oben genannten Sätze, die ihr schon geläufig geworden waren, auf ein Blatt Papier
mit Patentbachstaben aufgedruckt und bedeutete ihr, sie sollte sie vorlesen. — Die
Patientin setzte auch ihre Brille auf und fing an, in paraphasischer Weise zu bnch-
stabiren, indem sie den Bachstaben, Silben und Worten mit den Fingern nachfuhr,
wie dies im Lesen wenig geübte Kinder und Erwachsene zu thun pflegen. Aber
aus der Leseübung ging mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit hervor, dass sie nicht
verstand, was sie gelesen hatte. Sie zeigte also neben der Worttaubheit mit Para-
phasie auch Wortblindheit (mit Paralexie?).
Ihre Paraphasische Ausdrucksweise ist aus beifolgenden Protokollen ersichtlich,
in denen ich einige der vielen Unterhaltungen, die ich aufgezeichnet, wörtlich wieder-
zugeben versiucht habe.
Wie heissei^ Sie?
Ja, Feder! Hantel
Wo wohnen Sie?
Ja Dummfeder! —
Haben Sie guten Appetit?
Ich muss Einem doch ein Feder! —
Wie haben die Tropfen geschmeckt, die ich Ihnen aufgeschrieben?
Feder Winterer!
Was war denn Ihr verstorbener Mann?
Dem Feder Hanter Goter.
Wie viel Kinder hat Ihre Tochter?
Welchen Feder am Dritte.
Sagen Sie einmal: „Stuhl!''
Fadere Hanter Dummel! —
Was ist das, was ich in der Hand halte (ein Federhalter)?
Federhitter welcher!
Wie heisst dieser Gregenstand (ein Buch)?
Federhauter! Bosse goter! — Schunte.
Haben Sie irgend wo Schmerzen?
(Auf ihren Kopf deutend:) Zu eroflede Honter gent dos!
Bei Eintritt in's Zimmer an einem regnerischen Tage spricht sie unaufgefordert:
„Garschte!" (garstig).
Wie geht's Ihnen? Geht's Ihnen noch nicht besser?
(Lächelt sehr freundlich): Ja da müssen Sie immer am Guden helfen, immer
dam helfen.
Guten Forgen! Es ist doch schön am Helfe! —
Wie stehts mit Ihrem Kopf?
Lellpeslie, alleweil is ganz schön.
Können Sie gut laufen?
Ja im Ganzen gut, so als gut!
Leiden Sie an Schwindel?
Das is doch immer su schelpe, das is doch ganz nit.
Es ist wohl recht schönes Wetter draussen?
Ganz schön verlinde (gelinde?).
Schlafen Sie gut?
Im Fledere Schunde!
(Es wird ihr Geld gezeigt.) Sie lächelt und spricht: Ja das glaab ich, das
hilft Flidere, wir brauchen keine Hilfe!
Sie sehen viel besser aus?!
Es geht immer am späte gut was.
— 843
Waren Sie gestern spazieren?
Ja, am Schede gnt's. —
Wie viel ist drei und drei?
Drei!
Spontane Aensserung beim Hereintreten: Es wird ganz gute schon vergelte
(veiigeh'n?).
Was ist dies (Taschenuhr)?
Das is Schader allscheze!
Wollen Sie wieder nach Kranzberg zurück?
Ja Ifaldere Schede liz!
Es wird ihr ein Lineal gezeigt: Das is en Federict!
Eine Stahlfeder: Das kann ich federfitt, das geht aber!
Ein Spiegel: Scheiden Feder.|
Schlfisselbund : Das sind gude Geschindere. Da habe sie do finzeri alle! —
Wann ist Ihr Mann gestorben?
Ja der is schon lange doch (todt?).
Wie viel Kinder haben Sie gehabt.
Fidderiesch enteri zusomme.
Wie geht's denn Ihrem Enkelsohne Wilhelm (ein Panaritium war ihm incidirt
worden)?
Ganze schöne geht*s fider (wieder?).
Es war ihr vorgezählt: Eins, zwei, drei.
Sie wiederholt: Das erstmal, das zweit, drittmal, viertmal, achtmal, zehntmal.
Es werden ihr Bilder in einem Bilderbuche gezeigt: Ach wie schOn, das is viel
anfilder, das kenn ich nit all die. — Sie versucht, nachdem sie sich die Brille auf-
gesetzt hat, die Ueberschriffc zu lesen; dieselbe lautet richtig: „Bilder aus dem Reiche
der Thiere!" Sie aber buchstabirt langsam! Nimderi Redordi, dus is gele schenderi,
ganz schön! —
Am Tage vorher hatte ich ihr Sodener Pastillen geschenkt, als ihr am nächsten
Tage wieder drei Stück gezeigt werden, ruft Sie: „Haben Sie wieder Schäle?"
Wie haben die Fastillen von gestern geschmeckt?
Ganz bertelzi, ganz e schöne.
(Als Sie dieselben erhält): Ganz e schö, vergelt Alles, da sched Alles hüb<ich.
(Auf Streichhölzer, die aus der Schachtel herausgefallen sind, deutend): Das
habt Ihr verfehldet, habt Ihr verschedt (verschüttet?).
Nachsprechen konnte sie natürlich auch nicht. Den Namen ihres Sohnes Mat-
thias bezeichnet sie mit „Ma-zi", „Ma-runke'', „Ma-schinchi" u. s. f. und brachte den
richtigen Namen nicht heraus, so oft er ihr auch vorgesagt wurde. — Sie sprach
viel und gern, versuchte, mannigfache häusliche Erlebnisse oft mit grosser paraplm-
sischer Weitschweifigkeit wiederzugeben — sie war also nichts weniger als aphasisch,
man konnte sie eher — „hyperphasisch" nennen. — Ihre Articulation gini? unge-
hindert von Statten.
Sonst bot sie keinerlei motorische oder sensible Störung, weder rechts noch
links. Facialis, obere und untere Extremität waren vollkommen frei. Sie machte
grössere Spaziergänge ohne jede Ermüdung. — Die Augenbewegungen vollzog sie
prompt, die Zunge wurde gerade herausgestreckt und war nach allen Seiten hin
frei beweglich. — Die Pupillen boten in ihren Beactionen keine Abweichung von
der Norm, beide waren von gleicher Weite.
Der gescliilderte Krankheitszustand blieb ziemlich unverändert bis etwa Mitte
Febmar 1SS7, wo Patientin anfing, sich mehr im Haushalt zu beschäftigen. Die
mangelhafte Vorstellung vbn dem Gebrauche der häuslichen Gegenstände und von der
Art der Verrichtungen im Haushalte hatte sich vollständig zurückgobildet. — Sie besorgte
— 344 -
Hausarbeit und Küche in Abwesenheit ihrer Schwiegertochter ganz zu deren Zufrieden-
heit. — Sie kleidete sich wieder selbst aus und an. — Das Verständniss für ^orte
war aber sehr lückenhaft geblieben. — Was ihr wieder und immer wieder
alltäglich vorgesprochen wurde, lernte sie schliesslich auch dem Sinne nach yerstehen,
nachdem sie mehrmals in ihrer paraphasischen Weise danach gefragt hatte oder mit
,yMeinen Sie so?" oder „Wie meint Ihr?'' bekundet, wie schwer sie den Sinn der
Worte ohne Unterstützung der Mimik noch zu fassen vermochte. — Einzelne spon-
tane alltägliche Aeusserungen: ,,Es ist sehr kalde!" (kalt), „Guten Morgen!" „Adieu!"
„Es geht schlechde! (schlecht), „Heut is schön!" und Aehnliches hatte sie völlig
wiedergewonnen und sprach sie correci — Bei Fragen, die von den Dingen des
alltäglichen Verkehrs irgendwie abwichen, konnte sie sich ihrer Umgebung schwer
verständlich machen. In einer Streitsache, die im April 1887 in der Familie vor-
fiel und über die viel im Hause verhandelt wurde, wollte sie, nachdem sie Tage lang
ihre Schwiegertochter hatte weinen sehen, gern Partei ergreifen, wnsste wohl auch
von ungefähr, um was es sich etwa handeln könnte, stand aber rathlos allen Er-
örterungen gegenüber und fühlte sich sehr unglücklich. — Wenn sie allein in der
Wohnung war und ein Fremder zu irgend einer Bestellung eintrat» war sie ganz
unfähig, irgend etwas zu verstehen, ebensowenig vermochte sie das Bestellte auszu-
richten, obwohl die paraphasische Ausdrucksweise besser geworden war. — Ihre
Gemüthsstimmang war wechselnd; oft war sie missgestimmt und sogar zornig err^
darüber, dass sie von ihrer Umgebung nicht richtig verstanden wurde. Spuren einer
psychischen Schwäche hatten sich aber auch im weiteren Verlaufe des Leidens nie-
mals eingestellt
Ende Dec 1886 wurde die Fat., wie schon erwähnt, im Frankfurter ärztL Verein
vorgestellt. An die damals gegebene Schilderung des gesammten Krankheitsverlanfes
hatte ich folgende kurze diagnostische Bemerkungen über die vermuthllche Localisation
der Himläsion angefügt: „Da die diffusen Hirnsymptome, welche die beiden
apoplectischen Insulte begleiteten, so geringfügige waren, so wird es
sich bei der dem vorliegenden Falle von Aphasie zu Grunde liegenden
Herderkrankang wohl nicht um einen grossen Bluterguss, sondern um
einen Gefässverschluss mit Erweichung und zwar in der Hirnrinde
handeln. Dieselbe hat jedenfalls die Broca*sche Stelle freigelassen,
dagegen muss man annehmen, dass die erste Schläfenwindung zerstört
worden ist, in wie grossem Umfange — ob und in wie weit auch die un-
mittelbare Nachbarschaft betroffen ist, wage ich nicht mit Sicherheit zu
sagen. — Die genannte «natomische Läsion würde, wenigstens nach den
bisherigen Erfahrungen, völlig zur Erklärung des Symptomencomplexes
der sensorischen Aphasie, Worttaubheit mit Paraphasie, ausreichen, von
deren Existenz Sie sich bei der vorangegangenen Demonstration zu
überzeugen Gelegenheit hatten."
Ende des Jahres 1887 schien sich das Allgemeinbefinden der Patientin wesent-
lich zu verschlimmem; sie sah decrepid aus; schliesslich trat eine catarrhalische
Pneumonie ein, der sie am 8. Februar 1888 erlag.
Die Autopsie des Gehirns machte 9 Stunden nach dem Tode Dr. Rieder,
d. Z. Assistent am Senckenberg'schen pathologischen Institut zu Frankfurt a. M.,
dessen Leiter, Prof. WeigebT; 6 Wochen später das (Gehirn im geharteten Zu-
stande im ärztlichen Vereine zn Frankfurt demonstrirte; auch die nachher zu
erwähnenden Frontalschnitte wurden erst angelegt, als die Härtung in Müller'-
scher Losung eine vollkommene war.
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SeotionB-Berioht.
Schädeldach von massiger Dicke. — Die Dura mater mit dem Schädeldach
nirgends verwachsen. Pia mater wenig ödematös, ist von der Hirnoberfläche
überall leicht abziehbar und zeigt an keiner Stelle eine Trübung.
Nach EntfemuDg der Pia bemerkt man an der linken Hemisphäre
Folgendes: Stimwindangen, vordere und hintere Centralwindung sind vollkommen
norma]; nirgends eingesunken oder von veränderter Consistenz; ebenso das Para-
eentralläppchen. — Auch die Binde der III. Stimwindung zeigt keinerlei De-
structions-Processe. Dagegen ist der vorderste Theil der L Schläfenwin-
windung in einer Ausdehnung von etwa 4—5 cm in eine gelbliche
Erweichung verwandelt, der mittlere Theil dieser Windung scheint gut
erhalten, während die Bindenschicht des hinteren Drittels vrieder erweicht ist
In der Tiefe hängen die eben genannten Erweichungsheerde des yorderen und
hinteren Drittels der I. Temporalwindung mit einander zusammen.
Auf einem Frontalschnitt, der durch die Spitze des Schläfelappens geht,
sieht man nämlich den vorderen Erweichungsheerd unter die Insel hin bis an
die basale Fläche des Putamen reichen. — Schneidet man senkrecht auf einen
etwa 2 cm weiter hinten gelegenen Punkt der I. Schläfenwindung ein, so findet
sich das Marklager unmittelbar unter der Insel im Zustande der Erweichung
bis gegen das Claustrum hin. Der Herd reicht hinauf bis unter den ventralsten
Theil der hinteren Centralwindung. Verfolgt man den Process in der Mark-
strahlung weiter nach hinten, so geht der Theil des Erweichungsheerdes, welcher
bisher als dünner Streif unter der Insel lag, in einen breiteren Heerd über, der
längs der Markstrahlung des unteren Scheitelläppchens dahinzieht und bis zu
einer durch den höchsten Punkt der Intraparietalfurche gelegten Ebene reicht.
Das Marklager der m. Stimwindung, sowie das der Central Windungen ist
verschont geblieben. Auch in den CentralgangUen linkerseits findet sich nichts
Bemerkenswerthes.
Schliesslich ist in der Binde der linken Hemisphäre noch ein kleiner, etwa
lO-Pfennigstück-grosser, oberflächlicher Heerd zwischen Gyrus angularis und
Gyrus occipitalis secundus zu erwähnen. Cuneus und Gyrus occipitalis primus
sind unversehrt
An der rechten Hemisphäre war weder an der Oberfläche, noch in der
Tiefe irgend welche Läsion zu entdecken. Ueberall zeigten sich normale Con-
sistenz, Blutreichthum und Feuchtigkeit; in der Tiefe bot sich auch nach der
Zerlegung der Hemisphäre in Frontalschnitte nichts Krankhaftes dar. — Weder
rechts noch links fand sich Atrophie der Windungen.
.Schnitte durch das Kleinhirn, durch den Pons, durch die Vierhügelgegend
und durch die Oblongata lassen nichts Pathologisches erkennen.
Die Obduction der übrigen Körperorgane wurde nicht gestattet.
(Abbildungen und Erklärung derselben finden sich umstehend.)
— 847 —
Bpikrise.
Es kann an dieser Stelle nioht meine Aufgabe sein, auf die in den letzten
Jahren erschienenen fundamental wichtigen Arbeiten Lichthbih's^ nnd Grashey's'
näher einzugehen und manche bedeutsame Gesichtspunkte, die in jenen Arbeiten
enthalten, an der Hand des eben geschilderten Krankheitsfalles zu besprechen.
— LiCHTHBiM behandelte bekanntlich mit Hülfe eines besonderen, sehr einlachen
Schemas die verschiedenen theoretischen Möglichkeiten, wie Unterbrechungen
der einzelnen Bahnen zu Sprachstörungen führen können. Grashet bewies in
seiner Arbeit, „dass es Aphasien gäbe, welche weder auf Fanctionsunfahigkeit
der Centren, noch auf Leitungsunfahigkeit der Verbindungsbahnen, sondern
lediglich auf Verminderung der Dauer der Sinneseindrücke imd dadurch bedingter
Störung der Wahrnehmung und der Association" beruhten.
Da unsere Patientin nicht schreiben und nur in unvollkommener Weise
lesen konnte, die meisten Worte nicht verstand und ihren Gedanken und Em-
pfindungen w^en ihrer hochgradigen Paraphasie wenig Ausdruck zu geben
vermochte, so war es unmöglich, nach Gbashey's Vorbild die Dauer ihrer Sinnes-
eindrücke zu prüfen.
Auch die Einreihung des Falles in eine der sieben verschiedenen Formen
von Aphasie, wie sie Lichtheim aufgestellt hat, dürfte keine vollständige sein,
da wir von der Schriftsprache ganz absehen müssen.
Folgen wir in dieser Hinsicht den Ausführungen Wernicke's' resp. dem
von ihm angegebenen Theilungsmodus, so sind wir berechtigt, das vorliegende
Krankheitsbild als „corticale sensorische Aphasie^* zu bezeichnen und in
Punkt a des hier angefugten Lichtheim'schen Schemas, das wu: als bekannt
voraussetzen, zu suchen.
Die durch Ausfall von a bedingte Aphasie-Form wird nämlich dadurch
charakterisirt, dass der Kranke nicht versteht, was man zu ihm spricht, auch
nicht nachsprechen kann, spontan aber mit unbeschränktem Wortschatz zu
sprechen vermag, dabei jedoch Wörter und Silben verwechselt d. h. paraphasisch
ist — Die genannten aphasischen Phänomene bot unsere Patientin in seltener
Vollkommenheit und Reinheit dar — das geht aus der Krankengeschichte und aus
den UnterhaltungS'Protokollen deutlich hervor. — Das Charakteristische der
Symptomenreihe mussten alle Collegen, welche sich mit der Patientin beschäf-
tigten, ohne Weiteres anerkennen. An der Diagnose: Sensorische Aphasie
(Worttaubheit mit Paraphasie) konnte kein Zweifel bestehen.
Wenden wir uns nunpiehr zur Beantwortung der Localisaüons-Fragen, so
möchten wir noch Folgendes voranschicken: Wenn es auch in diesem Falle
trotz der vorhandenen Erziehungs-Defecte und trotz der mangelhaften Verstän-
digung gelungen ist, die sensorische Aphasie resp. eine Erkrankung der L Schläfen-
* LiCHTHSDi, Ueber Aphasie. Aas der med. Klinik in Bern. Dentsches Arch. f. klin.
Med. Bd. XXXVL
• Gbashey, Ueber Aphasie und ihre Beziehungen zur Wahrnehmung. Arch. f. Psych.
Bd. XVI.
^ Webnickk, Die neueren Arbeiten über Aphasie. Fortscbr. d. Med. Bd. III u* IV.
— 348 —
Windung richtig zu diagnosticiren, so kann man nicht mehr von einem ,,glück-
lichen Zufall'' reden, wie es manche Autoren den ,,Kinden-Diagnosen^' gegenüber
immer noch zu thun pflegen, sondern man muss mit Webnicke einerseits die
klinische Existenzberechtigung des genannten Krankheitsbildes, andererseits die
Bedeutung der I. Schläfenwindung als Sitz der acustischen Erinnerungsbilder
anerkeuneu. — Denn wenn die Diagnose auf sensorische Aphasie bei einer
Person möglich ist, die man beinahe unter die Analphabeten rechneu konnte,
um wie viel leichter muss dieselbe in jedem andern Falle von Aphasie bei
gebildeten ludividuen sein, wo das geschriebene und gedruckte Wort der Unter-
suchung zu Hülfe kommt?
Die Patientin hat am 8. November 1886 eine Embolie in einem der vier
Hauptzweige der Arteria foss. Sylvii, wahrscheinlich in demjenigen erlitten, der
B Begriffs-Centrum.
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SensoriRches 8prachcentraui a --
h Motorisches Sprachoentram.
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nach den bekannten Untersuchungen von Heubneb und Durbt sich zur ersten
Schläfenwindung begiebt. Der so entstandene ischämische Heerd hat diese
Windung zum grossen Theil und die darunter liegenden Stabkranzfaserung fast
vollkommen zerstört und damit dasjenige Gebiet ausser Function gesetzt, in
welchem nach den Angeben Webnicke's, Bebgbb's, Naunyn's und anderer
Forscher höchst wahrscheinlich ein Centrum für die acustischen Wahr-
nehmungen der Worte gelegen ist. Die Pat. ist sofort nach dem Schlaganfalle
worttaub geworden. — Aber während die auf Grund von Rindenheerden eintretende
Worttaubheit in weitaus den meisten Fällen einer ziemlich raschen Rückbildung
fähig ist, und die betreffenden Individuen ihr Wortverständniss immer mehr zu
erweitem pflegen, je länger sie leben, war dies bei unserer Patientin, trotzdem
sie im Ganzen noch IV2 J&hre nach ihrer Erkrankung am Leben blieb, nur
— 340 —
in geringem Grade der Fall. Bebosr bat in dem von Riedel veröffentlichten
Falle (a. a. 0.) die Doppelseitigkeit der Schiäfelappen-Zerstörung für den Mangel
einer genügenden Besütation der Worttaubheit verantwortlich gemacht Dieses
Moment können vrir auf unsern Fall nicht anwenden, da die rechte Hemisphäre
völlig unversehrt gefunden worden ist Möglicher Weise haben die Tiefe der
Erweichungs-Processe im Temporal-Lappen und das Mitergriffensein eines Theiles
der Stabkranzfasem der Insel die Wiederherstellung des Wortverstandnisses
verhindert
Yielleicht findet aber das lange Bestehenbleiben der eigenthümlichen Sprach*
Störung bei unserer Kranken eine passende Erklärung von gewissen psycho-
logischen Gesichtspunkten aus. Nacnyn hat darauf aufmerksam gemacht,
„dass der Mechanismus, welcher bei der Erlernung der Sprache im Hirne aus-
gearbeitet wird, nach der verschiedenen Art des Unterrichts und nach
vielem anderen nicht nur in nebensächlichen Theilen, sondern selbst in seinen
Haupttheilen bei den verschiedenen Individuen verschieden ausfallen kann.''
CHAfiOOT^ ist in dieser Hinsicht noch viel weiter gegangen: Mit Ueber-
gehung der Einzelheiten in der Auffassung jenes Autors möchten wir nur kurz
hervorheben, dass nach Ch. die Erlernung des Sprachvermögens in eine passive
(sensorische) und eine active (motorische) Phase sich scheidet. Erstere setzt sich
zusammen aus je einem „Partial-Gedächtniss'' — um mich eines Wernicke'-
schen Ausdruckes zu bedienen — nämlich aus dem Memoire auditive und dem
Memoire visuelle, — die zweite acüve Phase aus dem Gedächtniss der Sprach-
bewegungen und Schreibbewegungen. Für ein jedes dieser Partialgedächtnisse
nimmt Gh. ein besonderes anatomisch abgegrenztes Centrum an, und wenn man
auch mit Webkicke diese hypothetischen Localisationen und die so weit gehende
Zerstückelung psychischer Vorgänge nicht gutzuheissen vermag, so scheint uns
doch zur Erklärung der Wiedererwerbung verloren gegangener sprach-
licher Functionen eine an genannter Stelle wiedergegebene Anschauung Chae-
cot's brauchbar zu sein. Ch. stellt nämlich in Bezug auf die Abhängigkeit
seiner Sprachcentren von einander geradezu zwei Typen auf: einen Typus von
„Indifferenten'^ ^' h. Individuen, in deren Gehirn an der Bildung des inneren
Wortes die vorgenannten vier Arten von Erinnerungsbildern in gleicher Weise
mitgewirkt haben. — Diesen „Indifferenten" stellt er einen andern Typus von
Leuten gegenüber, bei denen die einzelnen functionellen Sprachcentra eine gewisse
Autonomie erlangt haben; in dem Mechanismus der Sprache herrscht dann
eine gevdsse Einseitigkeit, die es z. B. möglich macht, dass gewisse Menschen
beim Sprechen hauptsächlich mit optischen Vorstellungen, mit dem memoire
visuelle Chabcot's arbeiten. Die ,4i^differenten Sprecher^' werden nun, im
Falle eine Gruppe von Erinnerungsbildern durch einen Heerd vernichtet wird,
kaum lange in Verlegenheit gerathen; mit Hülfe der unversehrt gebliebenen
Centren werden sie lernen, die Lücke in kurzer Zeit auszufüllen. Individuen
dag^en, die kaum lesen und nie schreiben gelernt haben, wie unsere
' De FApbasie en g^^ral et de TAgraphie en particulier d'apres Vens^ignement de M.
le Prof. Chabcot, par Mjjkix. Progr. m^d. 1888. Nr. 5.
- 350 _
9
Aphasische, die also die viäuellen Erinueruugsbilder der Sprache und diejenigen
für die »Schreibbewegungen fast gar nicht cultivirt haben, dürften viel längere
Zeit brauchen, um bei dem durch einen Hirnheerd bedingten Ausfall der
Wortklangbilder nur mit Hülfe der einzig noch übrigen und verwendbaren
Erinnerungsbilder für die Spraehbewegungen den vorhandenen grossen Defect
wieder auszugleichen.
Was die Paraphasie unserer Fat. anlangt, so handelt es sich um diejenige
Form, welche Kussmaul mit choreatischer Paraphasie bezeirhnet: Fat. be-
diente sich theils richtig gebildeter oder an den gemeinten Ausdruck anklingender
Wörter, theils brachte sie nur einzelne verkehrte Silben und verdrehte Wort-
gebilde, oft auch ein vollständiges Kauderwälsch heraus — hie und da liefen,
besonders in den späteren Stadien der Krankheit die richtigen Worte mit unter,
die auch den Hörer auf die richtige Fährte zu leiten vermochten. In wie weit diese
dysphatischen Störungen mit dem anatomischen Befunde congruiren, ist schwer
zu sagen, da Paraphasie nicht blos bei localen Erweichungen im Schläfelappen
also bei — Worttaubheit sich findet, sondern auch bei verschiedenen andern
Heerderkrankungen und diffusen Hirnprocessen in Erscheinung tritt. So sah ich erst
vor wenig Monaten in einer Consultation mit College Hibschberg von hier einen
Fall, wo die Paraphasie als Initial-Symptom einer Convexitäts-Meningitis auftrat.
— Auch nach Lichtheim soll Paraphasie bei aphasisohen Störungen des Oefteren
und zwar immer dann vorhanden sein, wenn der durch Begriffe-Centrum, Klang-
und Sprach-Centrum (s. d. Schema) kreisende Innervations-Strom irgendwo unter-
brochen ist, ohne dass die Sprache selbst gehemmt wird. — Hat doch auch
Webnicke, nachdem Lichtheim einen Fall isolirter Worttaubheit beschrieben
die Bedenken, welche er zuletzt noch in seinem „Lehrbuch der Gehimkrank-
heiten" gegen die klinische Gleichstellung seiner „sensorischen Aphasie" mit
Kussmaul's „Worttaubheit" äusserte, nunmehr zurückgenommen und hat aner-
kannt, dass gewisse seltene Fälle von reiner Worttaubheit auch ohne Paraphasie
vorkommen können.
Zum Schlüsse möchte ich mir noch wenige Worte über bei Frau M. vor-
handene Anomalien der psychischen Sphäre gestatten. Patientin litt an einer
Apraxie; es war ihr das Verständuiss für den Gebrauch der nothwendigsten
Dinge verloren gegangen. „Derlei Zustande," meint Kussmaul, „darf man
nicht mit der Aphasie verwechseln, 'die es nur mit den Zeichen des Ausdrucks
für Vorstellungen zu thun hat, und wie wir sahen, oft mit erhaltener Intelli-
genz sich verträgt, was bei der Apraxie nun und nimmer der Fall ist."
— In letzter Hinsicht scheinen die bei Frau M. beobachteten Phänomene der
Ansicht Kussmaul's zu widersprechen. Patientin hatte, wie Jeder zugestehen
musste, der sich nur einmal mit ihr zu verständigen versuchte, ein völlig
freies Intellectorium. — Wohl konnte die aus der Apraxie resultirende
Apathie und Trägheit leicht zu der Annahme verleiten, dass eine Demenz vor-
lag, aber Apraxie und Apathie hatten sich schnell wieder zurückgebildet — Fat.
machte in der BeurtheUung der sie umgebenden kleinen Welt in kurzer Frist
ausserordentlich gute Fortschritte, während ihr Wortverständniss bis an ihr
— 361 —
Lebensende ein lückenhaftes blieb. Aus diesem Grunde glaube ich, dass
sich jene in dem Status mitgetfaeilten Vorkommnisse weniger auf ein mangel-
haftes Verständniss der gehörten Worte, sondern eher auf den Mangel an Orien-
tirungs-Yermögen bezogen und als Andeutungen von Seelenblindheit auf-
gefasst werden müssen. Ob neben dieser auch Wortblindheit bestand, wage
ich nicht mit Sicherheit zu behaupten, da du Leseversuche, die wir mit der
Patientin anstellten, bei der geringen Schulbildung derselben, nicht als stricto
Beweise angesehen werden dürften. — Jedenfalls waren der Patientin anfangs
eine Reihe von optischen Erinuerungs-Bildem verloren gegangen, während kein
Merkmal auf Hemianopsie hinwies. — Die Spuren dieser Störungen in der sen-
sorischen Sphäre des Gesichtssinns haben sich nach kurzem Bestehen wieder
vollständig zurückgebildet. — Wir sind geneigt, dieselben auf die Erkrankung
des Marklagers im unteren Scheitelläppchen und auf den kleinen
Rindenheerd im Gyrus angularis zurückzuführen. — Prof. Teinieb von
Lyon hat durch Sigaüd im Progr. med. (1887. Nr. 36) einen Fall von reiner
Wortblindheit veröffentlichen lassen, bei dem die Section einen kleinen Heerd
im Lobul. pariet. infer. ergab. Die geringe Ausdehnung, in welcher in unserem
Falle Mie noch nicht zum eigentlichen Occipitalhirn gehörenden, aber doch wohl
den Uebergang dazu bildenden Theile betroffen waren, ist vielleicht die Ursache,
dass die iSrscheinungen von Apraxie und Wortblindheit so schnell zurückgingen,
während Worttaubheit und Paraphasie so lange constant blieben. — Vielleicht
sind es auch nur Femwirkungen gewesen, welche die erstgenannten Erscheinungen
veranlassten. Da aber, wie bereits erwähnt, das eigentliche Occipitalhirn sowohl
links wie rechts intact blieb, Hemianopsie nicht festgestellt werden konnte, so
möchten wir auf die Localisation der bei Lebzeiten der Patientin beobachteten
eigenthümlichen Andeutungen von Wortblindheit und Seelenblindheit keinen so
grossen Werth legen.
Am wichtigsten und werthvoUsten an unserer Beobachtung erscheint uns,
wenn wir unsere Erörterungen zusammenfassen, die Thatsache, dass ein vorher
körperlich und geistig gesundes Individuum nach einem apoplec-
tischen Anfall worttaub und paraphasisch geworden ist, und dass
sich bei der Section die entsprechend dem genannten Symptomen-
bilde der sensorisehen Aphasie schon iutra vitam angenommene
circumscripte Erkrankung der L Schläfenwindung sowie der zuge-
hörigen Stabkranzfaserung in der That vorgefunden hat — dass
sonstige Ausfalls-Symptome fast vollkommen gefehlt haben und
fehlen mussten, weil der anatomische Befund in allen übrigen für
sensorische oder motorische Functionen wichtigen Hirutheilen ein
völlig negativer war.
Frankfurt a. M. im Mai 1888.
— 352 —
2. Ueber die Kosten des optischen Kathetometera in der
Kranioinetrie.
Mittheilung an die Redaction
von Prof. Dr. Moriz Benedikt (Wien).
Ein Versäumniss meines Buches über Eraniometrie^ an das ich durch die
liebenswürdige Besprechung Sommer's (1888 Nr. 10) neuerdings erinnert wurde,
nachzutragen, seien diese Zeilen bestimmt.
Die Küsten des ganzen Apparates, der in der Fig. 25 abgebildet ist, beträgt
ca. 900 Gulden in österreichischem Papiergelde, also ca. 1450 Mark und ca.
1800 Francs.
Nachdem einmal ein Musterapparat besteht, lässt sich an Toohterapparaten
Einiges ersparen, indem z. B. die Einstellung der Seiten des Grundplatten-
Eathetometers mit Hülfe meines Femrohrs auch ohne Mikrometerschrauben ge-
lingen dürfte. Der kleine Defect an Pracision könnte durch Auftragen dickerer
Striche am Schädel bis zu einem gewissen Grade compensirt werden.
Weiter kann auf die mikrometrische Einstellung des Eraniofixators und auf
die Messung bis auf Vs" verzichtet und — bei Auflassung der Noniusse — die
Bnichtheile eines Grades geschätzt werden.
Doch wäre die Ersparniss zu gering und in Zukunft wird die Anforderung
an die Feinheit der Apparate gewiss eher gesteigert, als herabgesetzt werden.
Ich würde daher kaum rathen, etwas sparen zu wollen.
Die Fachmänner werden gewiss bald einsehen, dass alle Versuche der Ver-
einfachung scheitern werdeu; ich habe für diese Versuche genug Lehrgeld gezahlt,
um sie Andern anzurathen.
Ich zweifle nicht, dass diese „theuren^^ wissenschaftlichen (reschosse bald in
allen morphologischen Laboratorien einheimisch sein werden, wenn die Finanz-
verhältnisse der Laboratorien und die Ungewohntheit der Morphologen mit solchen
Präcisiohsinstrumenten zu arbeiten, die ersten Schwierigkeiten überwunden haben
werden.
Ich lade zugleich jene Collegen, welche den Apparat anschafibn wollen, ein,
sich an mich zu wenden. Ich bin bereit, jedes Exemplar zu controliren, um
für die Exactheit einstehen zu können.
n. Referate.
Anatomie.
1) On the relation of the central nervous System to the alimentsry oanal.
A study in evolution by Bland Sutton. (Brain. 1888. Januar.)
Verf. kommt durch entwickelungsgeschichtliche und pathologisch -anatomische
Studien zu dem Schlosse, dass Hirn und Bückenmark der Wirbelthiere sich aus
einem ursprünglich dem Emährungscanal zugehörigen Theile entwickelt habe. «Jn
— 353 -
anderen Worten, das Centralnervensystem ist ein verändertes Stück Darm." Er bringt
folgende Gründe für diese Ansicht vor:
1. Der ursprüngliche Zusammenhang zwischen Darm und Centralnervensystem
(Rathke*sche Tasche und Canalis neurentericus).
2. Die gleichartige und gleichzeitige Entwickelung.
3. Die Beziehung des Sympathicus einerseits zur grauen Substanz der MeduUa,
andererseits zu den Nervenplexus der Darmwand.
4. Beide, der Darm und das Nervenrohr, haben eine seröse Membran (Arach-
noidea und Pleuroperitoneum).
5. Bei niederen Wirbeltbieren ist die Medulla spinalis relativ grösser wie beim
Menschen, bei den Fröscben übertrifft sie an Gewicht das Gehirn.
6. Das Zusammentreffen gewisser Missbildungen des Centralnervensystems, wie
besonders der Syringomyelocele und der Syringomeningomyelocele mit Missbildungen
des Yerdaunngscanales. In letzterer Beziehung wird ein Fall von Spina bifida occulta
erwähnt, der zugleich einen undurchbohrten Pharynx, eine Gommunication zwischen
Oesophagus und Trachea, eine Atrophie des Proc. vermiformis und ein imperforirtes
Rectum hatte. Bruns.
2) On a ready method of preparing large seotions öf the brain, by Byron
Bramwell. (Brain. 1888. Januar.)
Das Hirn wird zunächst, wenn eine Untersuchung im frischen Zustande erwünscht
ist, in 2 — 2^2 Zoll dicke Frontalschnitte zerlegt, diese können frisch so genau wie
möglich studirt werden. Dann kommen sie in flache Schalen mit Müller'scher Flüssig-
keit, diese muss häufig erneuert und die Stücke gewendet werden, wobei man eine
Misshandlung der Stücke durch die Finger durch Abheben der Flüssigkeit und Um-
drehen der Stücke auf den Glasdeckeln der Schalen vermeidet. Sie sind in 6 Wochen
hart, auf der Oberfläche geschrumpft, können aber mit Hülfe eines höchst einfachen
Schneideapparates, dessen Beschreibung im Original nachzusehen ist, in ^/^ Zoll dicke
glatte Schnitte zerlegt werden. An diesen kann man alles sehen, was makroskopisch
zu seheB ist und kann die Schnitte auch photographiren. Schliesslich kann man
noch einzelne Partien aus den Schnitten herausschneiden und mit dem Mikrotom für
das Mikroskop verarbeiten, wobei man den Yortheil hat, stets ganz genau zu wissen,
woher das Stück ist. Die Methode empfiehlt sich besonders für die Topographie von
Neubildungen, Blutungen etc. Kommt es auf die Untersuchung des frischen Organes
nicht an, so empfiehlt Verf. auch sehr mehrfache Injectionen des ganzen Gehirnes
mit Müller'scher Flüssigkeit. Bruns.
Experimentelle Physiologie.
3) Zur Frage über die Looalisation der wärmeregulirendeii Centren im
Gtehim und über die Wirkung des Antipyrina auf den Thierkörper,
von Dr. J. Sawadowski in St. Petersburg. (Ctrlbl. f. d. med. Wissenschaften.
1888. Nr. 8—10.)
Auf den Vorschlag des Prof. Botkin wurden von S. Versuche angestellt über
die Wirkung des Antipyrins auf den Kreislauf, die Athmung, die Verdauung, das
Nervensystem, den N-Stoffwechsel und die Temperatur der Thiere (Hunde und Frösche),
endlich auf den Fäulniss- und Gahrungsprocess. In Dosen von 0,018 — 0,3 gr auf
1 Kilo Körpergewicht bewirkt das Antipyrin Beschleunigung des Pulses und nacli
vorheriger kurz anhaltender Blutdruckabnahme eine ziemlich lang anhaltende Druck-
steigemng. Die Beschleunigung der Herzthätigkeit entsteht in Folge von Reizung
22
— 354 —
der excimotorischen Herzganglien, da dieselbe auch sowohl nach DurchschDeidung
der Nn. vagi und des Rückenmarks über dem Atlas, als auch in Versuchen nach
der Williams'schen Methode am ausgeschnittenen Froschherzen beobachtet wird. Die
Drucksteigerung entsteht ausschliesslich in Folge Zunahme der Her/thätigkeit, da
sowohl die vasomotorischen Centren als auch die Kn. splanchnici auf die Blutdruck-
zunahme keinen Einfluss üben, die Gefässe der isolirten Extremität dagegen nach
Durchströmung antipyrinhaltigen Blutes eine Erweiterung erfahren. Auf die Athmung
wirkt das Autipyrin immer beschleunigend. Das Nervensystem beeinflusst es aus-
schliesslich in seinem centralen Theil. Bei unverletztem Gehirn wird der Hund bei
Einführung kleiner Dosen Autipyrin in eine Vene ruhiger; toxische Dosen rufen
Krämpfe hervor. Bei Fröschen mit durchschnittenem Bückenmark werden nach kleinen
Dosen die Keflexe gesteigert, nach grossen anfangs gesteigert, sodann geschwächt.
Bei Dosen bis zu 0,3 auf 1 Kilo traten keine Nebenerscheinungen ausser Zunahme
der Speichelabsonderung auf; nach 0,3 auf 1 Kilo stellte sich öfters Erbrechen (cen-
tralen Ursprungs) ein. Die Oxydationsprocesse in den Geweben werden durch Auti-
pyrin nicht beeinflusst. Um den Einfluss des Antipyrins auf die Körpertemperatur
zu studiren, wurden zahlreiche Versuche an operirten Thieren mit Gontrolversuchen
vorgenommen. Autipyrin wurde in eine Vene eingeführt und parallel damit fand die
Einführung putrider Stoffe statt, die im Gegensatze zu Autipyrin die Temperatur
erhöhen. Bald wurde das Bückenmark in seinen verschiedenen Höhen durchschnitten,
bald das Gehirn in der Medulla oblongata und Pons Varoli. Die Durchschneidung
geschah bald mehr, bald weniger vollständig. Auch noch höher durch die Thalami
optici oder die hinteren Ränder der Corp. striat. wurden Schnitte in querer Richtung
geführt, ebenso vor den Corp. striat.; das Verhalten der operirten Thiere, wie die
Einführung und Wirkung von Autipyrin und der putriden Stoffe bestimmten den Verf.
zur Annahme, dass die regulatorischen thermischen Nervencentren in den Corp. striat.
gelegen sind, und zwar liegt in dem vorderen Theil der Corp. striat. das vasomoto-
risch-thermische Centrum der Hautgefässe, während in dem hinteren Theil derselben
der wärmeproducirende sog. ti*ophische Abschnitt dieses Centrums sich beflndet Die
Wirkung des Antipyrins findet derart statt, dass dasselbe das specielle vasomotorisch-
thermische Contrum reizt und dadurch eine Steigerung der Wärmeabgabe bewirkt;
da das Autipyrin femer auch dann die Temperatur herabsetzt, wenn ans irgend
welchem Grunde (Entfernung des entsprechenden Centrums, Befinden des Thieres in
einem Räume mit hoher Temperatur) die Wärmeabgabe nicht gesteigert ist, so wirkt
dasselbe folglich auch auf den andern sog. trophischen Abschnitt des genannten Ceu-
trums, indem das Autipyrin wahrscheinlich eine Lähmung des wärmeproducirenden
Theiles desselben hervorruft, oder vielleicht den die Wärmeproduction hemmenden
Theil reizt und somit die Wärmeproduction im Körper herabsetzt. Andererseits be-
wirken die putriden Stoffe wahrscheinlich eine Lähmung des besagten Centrums, da
die Hauttemperatur, wie durch Marigliano festgestellt, im Beginn des Fiebers ab-
nimmt. Eine Verminderung der Wärmeabgabe mittelst Verengerung der Hautgefässe
reicht jedoch für eine bedeutende Temperatursteigerung nicht aus, was aus den Ver-
suchen folgt, in denen nach Durchschneidung des Gehirns sowohl die Hauttemperatnr
als auch die innere Temperatur rasch herabsinkt. Daher muss man annehmen, dass
die putriden Stoffe eine Reizung des wärmeproducirenden Theils des trophischen Ab-
schnitts des thermischen Centrums bewirken, auf diese Weise also die Wärmeproduc-
tion im Organismus steigern. In Folge dessen erfolgt eine Steigerung der inneren
Temperatur, was zugleich mit den übrigen Erscheinungen, welche vermittelst der
anderen Nervencentren durch putride Stoffe hervorgerufen werden, denjenigen Symp-
tomencomplex ausmacht, den man unter dem Namen des Fiebers zusammenfasst. —
Nach Durchschneidungen des Gehirns wurde niemals ein allmähliches gleichmässiges
Absinken der Hauttemperatur entsprechend dem Sinken der inneren Temperatur wahr-
genommen, wie solches nach gelungeueu Durchschneidungen immer stattfindet; es
- 355 —
stellte eich beraus, dass die Haattemperatur noch durch Schmerzempfindangeu and
Kohleneäareanhäufung im Blüte beeinflosst werde. Bei ungenügender Athmung er«
folgt die Erweiterung der Hautgefasse, um die Kohlensäareausscheidung durch die
Haut zu compensiren. Die Beizung der sensorischen Nerven bewirkt eine Erweite-
rung der Hautgefässe, um vermittelst i des vermehrten Blutzuflusses den Heilungs-
process zn befördern. Die entsprechenden Centren sind in der Med. obl. gelegen,
da nach Durchschneidung des Gtehims über der Med. obl. die Hautgefösse die Fähig-
keit beibehalten, sich zu erweitern (z. B. nach Reizuug des centralen Yagusendes),
nach Durchschneidung hingegen unter der Med. obl. diese Fähigkeit einbüssen. Da
endlich manchmal nach Blutungen in den 4. Ventrikel die Wirksamkeit bald des
einen, bald des anderen Centnims aufgehoben wird, so folgt daraus, dass diese Centren
von einander ganz unabhängig sind. Dieser Umstand wurde benutzt, um nachzu-
weisen, dass nach Durchschneidungen des Gehirns die Hautgefässe in Folge Entfer-
nung des thermisch-vasomotorischen Centrums nur in Hinsicht der speciell thermischen
Function gelahmt sind, während im Allgemeinen die Fähigkeit derselben, sich zu
erweitem, nicht aufgehoben ist. Dieselben Gefässe, die nach der Operation sich
unter der Einwirkung des Antipyrins nicht mehr erweitem, weisen trotzdem eine be-
deutende Erweitemng auf, in Folge Beizung des centralen Yagusendes oder unter
dem Einfluss der Kohlensäure bei der Erdrosselung. — Für die Existenz eines
Wärmecentrums im Gehirn und zwar in den Corp. striat. spricht auch der angeführte
Fall von Bagojawlensky (Eschenedelnaja klinitscheskaja Gazeta Nr. 21), in dem
nur durch die bei der Obduction in den beiden Corp. striat. aufgefundenen Echino-
coccusblaseu die bei Lebzeiten beobachtete hohe Temperatur erklärt werden konnte;
die Veränderungen der übrigen Organe lieferten keinen Anhaltspunkt dafür. S. ge-
lang es nnr in einem Falle die Corp. striat. ohne bedeutende Nebenverletzungen zu
entfemen; das Jhier blieb fast 24 Stunden am Leben, die Temperatur sank bis auf
25® C. etc. Kalischer.
4) The heat centres of the cortex cerebri and pons Varolii, by Dr. J. Ott.
(Joum. of nervous and mental disease. 1888. XIII. p. 85.)
Verf., über dessen physiologische Arbeiten in diesem Centralblatt bereits früher
referirt ist (vergl. Jahrg. 1887. S. 392 u. 545) giebt in der vorstehend angezeigten
Arbeit eine genauere Beschreibung der beiden Bindencentren, deren Reizung eine
Abkühlung, deren Zerstörung aber eine Steigerung der Körpertemperatur bedingt, und
theilt ausführlicher die Versuche mit, durch die er seine Schlüsse begrQndet.
Das sog. Sylvi'sche Centrum, im Kaninchengehirn zwischen den Endpunkten der
Fissura suprasylvica und der Fiss. postsylvica gelegen, bedingt nach erfolgter Zer-
störung der Binde eine Temperatursteigerung von 3 — 4^ F. (ca. 1,6 — 2,2 ^ C), die
bis zum Tode, der gewöhnlich in 6 Tagen eintritt, anhält. Im calorimetrischen
Apparat nach d'Arsonval zeigt es sich, dass anfänglich sowohl die Wärnveproduction
als auch die Wärmeausstrahlung gesteigert sind, dass aber nach etwa 24 Stunden
beide Werthe herabsinken, obschon die Körpertemperatur selbst noch gesteigert bleibt.
Das Körpergewicht der Versuchsthiere nimmt regelmässig ab, da die Nahrungsauf-
nahme sehr gering zu sein pflegt; man hat auf diese Ursache wohl auch die all-
mähliche Abnahme der Wärmeproduction zu beziehen. Die anfängliche Steigerung
derselben hat übrigens mit vasomotorischen Vorgängen nichts zu thun: unmittelbar
nach der Operation fallt der Blutdrack und auch die Uerzarbeit wird schwächer.
Das vordere, den Sulcus cruciatus von hinten berührende Bindencentrum mft
durch Beizung eine Abkühlung und durch Zerstörung eine beträchtliche Temperatur-
steigerung der entgegengesetzten Körperhälfte hervor; der Unterschied zwischen den
beiden Körperhälften bekägt 1,5 --13^ C. (? Fahr.).
Im Pons befindet sich kein Wärmecentrum; dagegen liegen an der Basis des
22*
— 356 —
Hirns mehrere, ebenfalls von Ott, von Sachs und Aren sehn u. A. aufgefundene
Centren, die ebenso wie die im Bfickenmark, vorwiegend wärmeerzeugende Functionen
besitzen dürften. Die Bindencentren sind wohl nur afs Hemmungsapparate zu be-
trachten. Sommer.
Pathologische Anatomie.
6) Ueber die Veränderungen am Rückenmark nach sseitweiaer Ver-
BohliesBung der Bauchaorta, von J. Singen (Ans dem XCVI. Bande der
Sitz.-Ber. d. K. Akad. der Wissensch. in Wien. UI. Abth. 1887. Nov.-Heft)
S.'s Arbeit knüpft an die kurze Mittheilung von 'Ehrlich und Brieger an,
doch zog er die directe extraperitoneale Abklemmung der Aorta unter dem Abgange
der linken Nierenarterie in Anwendung und gelang es ihm, einzelne Thiere bis zu
5 Wochen am Leben zu erhalten; bemerkenswerth ist, dass bei 4 Thieren mit rich-
tiger Abklemmung keine Lähmung entstand.
Die Folgen einer einstündigen Abklemmung an 24 oder 36 Stunden nach der
Operation gestorbenen Thieren zeigten sich nur an den VorderhomganglienzeUen; deren
Körper deutlich ausgesprochene Andeutung feinkörnigen Zerfalls zeigte; hie und da
fand sich um die Gefösse der grauen Substanz Diapedese rother Blutkörperchen.
Thiere mit 4tägiger Lebensdauer nach der Operation zeigten deutlichen kömigen
Zerfall der Vorderhomganglien, zum Theil mit starker Schrumpfung und Fehlen der
Fortsätze, starker Schrumpfung des Kerns bei Erhaltensein des Kemkörperchens; die
markhaltigen Fasern des Yorderhoms sind stark varicös, ausser diesen finden sich
unregelmässige Myelinklumpen und mächtig gequollene Axencylinder; auch die vor-
dem Wurzeln, sowie die weisse Substanz zeigen zahlreiche geschwollene Axencylinder.
Nach 8tägiger Dauer fehlen die Ganglienzellen fast vollständig, in den vordem
Wurzeln und in einer bestimmten Zone der weissen Substanz beginnt Markscheiden-
zerfall, die Vorderhöraer werden kleiner.
Nach 3 Wochen: Hintere Wurzeln, Spinalganglien und Hinterstränge völlfg
normal, Vorderhöraer stark verkleinert, Vorderhoraganglien geschwunden, an ihrer
Stelle am Anfang der Lendenanschwellung ein das Yorderhom einnehmender, aus
faserigem Gewebe bestehender Heerd; das nervöse Faserwerk fehlt; vordere und
hintere Commissur gut erhalten; in den Yorder- und Seitensträngen, deren äusserst«
Peripherie freilassend, zerstreute degenerirte Fasern. Nach abi^rts verkleinert sich
der Heerd im Yorderhom und dementsprechend Abnahme der Yerändernngen der
Yorherhömer; unter der Lendenanschwellung erscheint das Bückenmark normal, die
vordem Wurzeln jedoch noch theilweise degenerirt.
Nach 5 Wochen: Nicht blos die graue, auch die weisse Substanz einschliesslich
der Hinterstränge erscheint verkleinert, an Stelle der erstem zeigt sich ein streifiges
ganglienzellenloses Gewebe; an Stelle des Can. centr., der von Beginn der Lenden-
anschwellnng ab fehlt, längs der einstrahlenden hinteren Wurzeln, unterhalb der
Lendenanschwellung in der grauen Substanz mas'senhafte Kömchenzellen, das Nerven-
fasergeflecht der Yorderhömer ist geschwunden; die vordem Wurzeln sind nicht alle
atrophisch; auffallend ist der Befund eines zuweilen kräftigen Bündels markhaltiger
Fasem, die aus der vorderen Commissur kommend in der Fissur, ant. horizontal bis
zu der in dieser liegenden Arterie verlaufen. Die Degeneration der weissen Substanz,
bedeutend hochgradiger als im vorigen Befunde, betrifft dasselbe Areale wie dort.
Aus den epikritischen Bemerkungen S.'s heben wir hervor: Die QueUungs-
erscheinungen an den markhaltigen Nervenfasem deutet er im Sinne der Kahler'-
sehen Befunde bei Compression; der differente Befund an den Yorderhornzellen und
den Spinalganglienzellen erklärt sich aus ihrer differenten Widerstandsfähigkeit gegen
Anämie, nicht etwa (was durch Injection widerlegt wird) aus einer selbstständigen
— 357 —
GefassTeraorgnng der Spinalgangllen. Die die graue Substanz umgebende, die Peri-
pherie freilassende diffuse Degeneration ist eine secundäre und dieser Befund spricht
für den von Flechsig angenommenen Zusammenhang dieser Vorderseitenstrangreste
mit den Vorderwurzeln, jedenfalls dafür, dass es sich um in der grauen Substanz
entspringende, zum Theil lange Commissurenfasem handelt; auffallend ist das Frei-
bleiben der peripherischen Zone des Hinterseitenstranges, die der Kleinhimseiten-
strangbahn entspricht, bei Degeneration der Zellen der Glarke'schen Säulen. Die
peripherische Zone des Yorderstrangs hat nichts mit der Pyramidenbahn zu thun;
bezüglich der in der vordem Fissur verlaufenden Fasern spricht S. die Vermuthung
aus, dass es sich um vasomotorische Nerven handeln möchte; die Yorderhomganglien
stehen vielleicht auch zur Leitung der Schmerzempfindung in Beziehung, die hoch-
gradige Schrumpfung des gesammten Querschnittes ist vorläufig noch nicht sicher
zu erklaren. A. Pick.
6) Contribution a l'ötude expörimentale des lösions de la moelle öpiniere
döterminöes par ranömie passagdre de cet organe, par C. Spronck.
(Arch. de Physiol. norm, et path. 1888. Nr. 1.)
Verf. hat die nach der Stenso naschen Aortenunterbindung im Lendenmark ein-
tretenden Veränderungen bei Kaninchen histologisch untersucht. Er konnte die Be-
obachtung von Ehrlich und Brieger bestätigen, dass einstündiger Blutabschluss
zu einer typischen anämischen Nekrose aller zelligen Elemente der grauen Substanz
des Lendenmarks führt. Secundär gehen die markhaltigen Nervenfasern der grauen
Substanz mit Ausnahme der in den Hinterhömem verlaufenden hinteren Wurzelfasem
zu Grunde, ebenso die markhaltigen Nervenfasern in den centralen Theilon der Vorder-
und Seitenstränge. Die Deiters*schen Fortsätze der Vorderhornganglienzellen lösen
sich von den letzteren ab und zerfallen binnen 4 Tagen. Yaricöse Hypertrophie der
Achsencylinder leitet den granulösen Zerfall der Markfasem ein, welcher erst am
4. oder 5. Tage beginnt.
Ausserordentlich wichtig ist der weitere Befund Spronck^s, dass schon ein Blut-
abschlus.s von 10 Minuten bei vielen Thieren genügt, um irreparable anatomische
Veränderungen im Lendenmark zu setzen. Dieselben unterscheiden sich von den
obigen nur dadurch, dass nicht alle Elemente des Lendenmarks davon betroffen
werden. Diese Beschränkung des Processes, sowie das totale Ausbleiben von Yer-
ändemngen bei manchen Thieren erklärt sich aus dem öfteren Vorhandensein von
Gollateralbahnen, welche die Anämie nicht zu einer totalen werden lassen. Ent-
sprechend dem mikroskopischen Befund geht nach 10 Minutenlangem Blutabschluss auch
die anfängliche sensible und motorische Lähmung nur theilweise zurück. Die Ver-
suche von Ehrlich und Brieger Hessen eine so grosse Empfindlichkeit der Ganglien-
zellen des Rückenmarks gegen vorübergehende Anämie nicht annehmen.
_______ Th. Ziehen.
7) Studi di antropologia patologica sulla pazzia, pel E. Morselli. Napoli
1887. (Nach einem Referat in Archivio di Psichiatria, Scienze penali ecc. 1888.
rx. p. 112.)
Verf. hat 133 Gehirne Geisteskranker (77 männlich und 56 weiblich) auf das
Hemisphärengewicht untersucht und kommt zu folgendem Resultat:
männl. Irre
77
weibl. Irre
56
alle Irre
133
R Hemisphäre
R
R
ff
9»
s L bei
> L bei
< L bei
8.6 'lo
58,6 o/o
42,8 7o
12.6 7o
61.8 7o
85.7 o/o
9,8 »/o
Ö2,6 »/o
37,6 7o
Gesunde
722
11%
50 7o
30 o/o
358
Marandon de Montyel fand ein Uebergewicht der rechten Uemispli&re bei
SO^Iq der untersuchten (rehime mit einfacher Seelenstörung und ein Uebergewicht
der linken Hemisphäre bei 65®/q aller Paralytikergehime. Sommer.
8) A oase of cholesteatoma with remarks on the orfgin of the tumor, bj
F. A. Deren m. (The Polyclinic. Philadelphia. 1888. April.)
Ein unverheiratheter, 43jähriger Mann wurde in einem stupiden Zustande in*s
Hospital gebracht Vor 9 Jahren soll eine BalggeschwuLst von der Kopfhaut ent-
fernt worden sein. Es waren indess keine Spuren einer solchen Operation aufzufinden.
3 Wochen vor Eintritt in*s Hospital klagte er über beständige heftige Kopfschmerzen
am Hinterkopfe; allgemeine Schwäche, aber keine Paresen. Sensibilität normal.
Kniephänomene erhöht. Neuritis optica beiderseits. Der stupide Zustand verschlimmerte
sich, bis der Tod 28 Tage nach Aufnahme erfolgte.
Bei der Autopsie musste das Gehirn mit dem Schädeldach entfernt werden wegen
verbreiteter Adhäsionen am Frontal-Lappen. Der Tumor lag zwischen der I. und
II. Frontalwindung einerseits und der Präcentralwindung. Die allgemeine Structur
der Geschwulst war die eines typischen Sarcoms.
Der Verf. hebt als besonders interessant hervor^ dass sich Perlenkörper inmitten
dieser sarcomatösen Geschwulst vorfanden, zum Beweise dafür, dass diese Perlen-
körper nicht nur in Epitheliomen vorkommen. Zu bemerken ist noch, dass sich am
Stirnbein eine Exostosis vorfand, mit Verdickung der Dura, und dass von dieser
Stelle aus die Geschwulst sich ausbildete. Sachs (New York).
Pathologie des Nervensystems.
9) Ueber Akromegalie (krankhaften Biesenwuohs), von Prof. Dr. W. Erb.
(Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. XLII.)
unter obigem Namen (Yergrösserung der Spitze, der äussersten Enden) hat P.
Marie 1886 einen Krankheitszustand (2 Fälle) beschrieben, welcher auch vor ihm
schon beobachtet ist; er wurde von Friedreich 1868 als „Hyperostose des ge-
sammten Skeletts'', von Lombroso 1879 als „allgemeine Hypertrophie*' oder „Makro-
somie", von Pritsche und Klebs 1884 als „Riesenwuchs", von letzteren Autoren
mit einem ausgezeichneten Sectionsbefunde, beschrieben. — Erb beschreibt sehr aus-
führlich einen neuen Fall, und giebt ausserdem den gegenwärtigen Status der beiden
Gebrüder Hagner, welche Friedreich vor 20 Jahren beschrieben hat, sodann stellt
er alle sicheren, bisher veröffentlichten Fälle (11) zusammen, nämlich ausser den
obigen je einen von Saucerotte (1872), Brigidi (1877), Henrot (1877, als
Myxödem mitgetheilt), Minkowski (1887).
. Das Leiden entwickelt sich langsam, im Alter zwischen 15 und 50 Jahren be-
ginnend, mit unbedeutenden Schmerzen der Glieder, des Kopfes u. s. w. Die Ffisse
und Hände beginnen grösser und unförmlich zu werden, demnächst auch die Fuss-
und Handgelenke, die Unterschenkel und Vorderarme, die Kniee, während Oberarm
und Oberschenkel in der Regel verschont bleiben; die Hände werden tatzenartig, die
Endphalangen am riesenhaftesten, auch die Füsse und Zehen gigantisch. Nasen,
Lippen, Unterkiefer, Zunge, aber auch bisweilen die Clavicula, die Wirbelsäule, Sca«
pula u. A. nehmen an der Yergrösserung Theil. — Die Haut bleibt normal, die
Sensibilität und Motilität, die Reflexe bis auf geringe Abweichungen intact. Die
Biesenform der betreffenden Theile ist bedingt durch Knochenhypertropbie, besonders
in der Breiten- und Dickenausdehnung; kein Oedem oder Myxödem. — In allen
(3) Sectionen fand sich ein erheblicher, bis hühnereigrosser Tumor der
— 359 -
Hypopbysis cerebri, dazu in 2 Fällen eine Hyperplasie des Gehirns, der
cerebralen und zum Theil ancb der spinalen Nerven und des Sympathicns in
allen seinen Tbeilen. — Die Thyreoidea fand sich in 2 Sectionsfallen massig
resp. stark vergrössert, bei den klinischen Untersuchungen dagegen in 6 Fällen
atrophisch resp. ganz fehlend. — Elebs verzeichnete femer eine Persistenz und
erhebliche Hyperplasie der Thymusdrüse, allgemeine Hyperplasie und Erwei-
terung des Gefössapparates u. s. w. — Erb fand in allen 3 von ihm untersuchten
Kranken eine auffallende Dämpfung der oberen Hälfte des Stemum und der angrenzen-
den Bippen- und Intercostalpartien, woraus er eine Thymus-Abnormität glaubt er-
schliessen zu dürfen.
Das Wesen der Krankheit bleibt vorläufig dunkel, obwohl die genauen und um-
fassenden Untersuchungen von Klebs sehr werthvoU sind. Dieser Autor hält eine
übermässige Yascularisation für den Ausgangspunkt der ganzen Störung, und glaubt,
dass dieselbe angeregt ist durch die in der hypertrophischen Thymus in grosser
Menge gebildeten Gtofassendothelien, welche als Augioblasten durch den Blutstrom
überallhin geführt werden und zum Biesenwuchs den Anstoss geben. — Theoretisch
könnten auch abnorme irritirende Stoffwechselproducte oder ein abnormer tropho-
nenrotischer Einflnss angenommen werden.
Die Bolle der vergrösserten Hypopbysis, des hyperplastischen Sympathicns —
ob primäre, ob secnndäre Erscheinung? — bleibt bis jetzt unaufgeklärt.
Hadlich.
10) A case of Acromegaly, by Bickman' J. Godlee. Clinical Society of London.
(The British Medical Journal. 1888. 21. April.)
Eine 41jährige Frau litt seit 9 Jaliren an einer hochgradigen Schwellung der
Gland. thyreoid., in der sich eine Cyste gebildet hatte, die auf den Plex. cervicalis
drückend, Neuralgien verursachte. Nach Oefi&iung der Cyste schwand dieses Symptom;
jedoch es stellten sich andere Störungen ein. Die Fat. konnte hohe Töne nicht mehr
hervorbringen, die Menses blieben fort, die Schwellung der Gland. thyreoid. nahm zu;
die Knochen des Gesichts, besonders des Unterkiefers, fbrner die der Brust, Clavicula,
Bippen, sowie die der Hände und Füsse nahmen an Umfang erheblich zu. Dazu
trat eine Kyphose, die Caries vortäuschte; die Knorpel der Nase, der Ohren und des
Kehlkopfes wurden dicker und grösser. Die Haut war etwas rauh, die Perspiration
profus, das subcutane Gewebe normal. Die Zunge war dick, die Stimme hart, monoton,
metallisch klingend; ferner bestand Dyspnoe, Verminderung der Geruchs- und Ge-
schmacksfähigkeit. Der Puls war sehr schnell, die Temperatur normal. Der Urin
enthielt weder Eiweiss noch Zucker; dabei bestand starker Durst. Intelligenz und
Stimmung waren normal. Dem Leiden war ein Bheumatismus vorausgegangen. Es
ist von der Ostitis deformans und dem Myxödem streng zu scheiden. Auch handelt
es sich nicht etwa um einen malignen Tumor der Gland. thyreoid., der Metastasen
in den Knochen verursacht hätte. Kalischer.
11) A case of Acromegaly, by Dr. Hadden. Clinical Society of London. (The
British Medical Journal. 1888. 21. Aprü.)
Eine 37jährige Frau hatte vor ca. 5 Jahren eine rheumatische Schwellung der
Kniegelenke nach Scharlach; zugleich litt sie an prickelnden Schmerzen in den Händen
und die Menses blieben aus. Das Gesicht wurde breit, die Gesichtsknochen und
Nasenknorpel wurden dick. Die Haut war weder geröthet, noch glänzend. Das
Schädeldach war nicht betheiligt. Die Gland. thyreoid. war atrophisch. Die Clavicula,
wie die Knochen der Hände und Füsse waren hypertrophisch; ebenso die Zunge. Die
Haut^ das subcutane Bindegewebe, die motorische Kraft, Sensibilität, Urin etc. waren
- 360 —
nonnaL Bechts bestand völlige Blindheit (Opticusatrophie). Dieses Leiden, das von
Myxödem und Ostitis deformans wohl zu scheiden ist, befallt beide Geschlechter.
Rheumatismus geht oft voran. Die Menses hören mit Eintritt des Leidens stets auf.
Es hypertrophiren die Knochen und Knorpel des (Gesichts, der Brust, der Hände,
FQsse, Nase, Ohr, Augenlider etc. Die langen Röhrenknochen bleiben meist verschont.
Die Gland. thyreoid. ist stets dabei verändert In 3 — 4 Fällen wurde Blindheit fest-
gestellt, die vielleicht durch den Druck entsteht, welchen die vergrösserte Gland.
pituitar. auf das Ghiasma oder den Tract. optic. ausnbi In 3 letal verlaufenden
Fällen wurde die Gland. pituitar. vergrössert gefunden. Auf die Aehnlichkeit in dem
Bau derselben mit der Structur der Gland. thyreoid. und der Nebennieren wiesen
Yirchow, Goll und Andere hin. Bei der Addison*schen Krankheit fand Verf. die
Gland. pituit. wie Gland. thyreoid. mehrfach unverändert. Bei der Acromegalie findet
ein Uebermaass im Wachsthum des Knochenskeletts statte so wie bei andern Störungen
das lymphoide Drüsengewebe sich enorm vergrössert. Die Basis ist mehr eine physio-
logische als pathol(^che; die Correlation und der Einfluss der verschiedenen Organe
auf einander, auf ihr Wachsthum und ihre Function ist verändert. Kalischer.
12) Fall von Biesenwuchs der linken Oberextremität, von Schötz. VorsteU
lung in der Berliner med. Gesellsch., Sitzung vom 18. Januar 1888. (Klinische
Woch. 1888. Nr. 6.)
Riesenwuchs der linken oberen Extremität. Maasse analog dem im 56. Bande
von Yirchow's Archiv mitgetheilten Fall von Gruber. Die Affection ist angeboren,
im Laufe der Zeit aber mehr bemerklich geworden. Die ziemlich beträchtliche De-
formität der Hand genirt den Fat. bei seiner Beschäftigung als Glasschleifer nicht.
M.
13) Traumatische Sympathicns-, Hypogloasus- und Acoessoriusparalyse,
von Dr. Ernst Remak, Privatdoceni (Berl. klin. Woch. 1888. Nr. 7. S. 121.)
Nach der Exstirpation eines gänseeigrossen, untrennbar mit dem N. sympathicns
verwachsenen Cavemoms an der rechten Halsseite durch Herrn J. Israel, wobei ein
5 — 6 cm langes Stück des Sympathicns resecirt wurde, konnte Verf. an dem 57jähr.
Patienten folgende Erscheinungen beobachten:
1. Leichte rechtsseitige Ptosis mit erheblicher Verengerung der rechten Pupille
(diese halb so gross wie die linke); die auf Licht und Accommodation eintretende
prompte Beaction der Pupillen bleibt rechts aus bei Reizung der Haut des Halses
mit dem faradischen Pinsel, während links dabei normalerweise eine Erweiterung zu
Stande kommt. Die Ptosis wird als eine Ptosis sympathica aufgefasst, bedingt durch
Lähmung der glatten von H. Müller entdeckten Lidmuskeln. Keine weitere intra-
bulbäre Veränderung. Rechtes Ohr röther und dem Gefühl nach wärmer, subjectiv
kälter (in Folge vermehrter Wärmeabgabe) als das linke Ohr. Pulsfrequenz normal.
Schweiss-Secretion rechts an Gesicht und Kopf geringer. Hypersalivation rechts.
Kopfschmerzen, migräneartige Anfälle etc. fehlen, doch will Pat. immer an einge-
nommenem Kopf leiden.
2. Die zweite Reihe von Erscheinungen bezieht sich auf die Zunge, welche
ruhig am Mundboden liegend eine leichte Gonvexität der Mittellinie nach rechts dar-
bietet, herausgestreckt aber mit der Spitze merklich nach rechts ab«
weicht. Die rechte Hälfte der Zunge fühlt sich schlaffer und weicher an. Motilität
ist verhältnissmässig wenig gestört, Geschmack und Sensibilität gar nicht, dagegen
zeigt die Musculatur complete EaR mit erheblicher Steigerung der galvanomusculären
Erregbarkeit.
Directe faradische Reizung der gesunden Seite stellt die ausgestreckte Zui^e
— 361 —
gerade; daraas schlieast Verf., dass in diesem Falle die Deviation von der Lähmung
des Genioglossus abhängig zu machen sei, während er sonst die Ursache dafür in
dem Uebergewicht des betr. Longitadinalis resp. Transversus erblickt.
Sehr bemerkenswerth ist die Rückbildung dieser Hypoglossusparalyse, welche
nach und nach erfolgte, woraus man mit Recht den Scliluss ziehen darf, dass hier
keine Durchtrennung, sondern nur eine Zerrung oder Quetschung des Nerven statt-
gefunden hat Für eine Localisation dieses Traumas am Nervenstamm, oberhalb des
Abganges des N. descendens, spricht die Mitbetheiligung der von der Ansa hjpo-
glossi versorgten äussern Hals- resp. Kehlkopfmnskeln (stemotbyreoidens, stemöhyoi-
deus, omohyoideus), deren Schädigung weniger auf eine Verletzung des vom 2. und
3. Gervicalnerven stammenden Astes — welche ja auch denkbar wäre — als auf
eine Leitungsunterbrechung im Ram. descendens hypoglossi zurückgeführt wird.
3. kommt der N. accessorius in Betracht. Eine dem Operationsprotokoll gemäss
stattgehabte Verletzung des Accessorius am Foramen jugulare hatte zur Folge:
a) rechtsseitige Posticusläbmung, durch die Läsion des inneren Astes,
b) Graumensegellähmung, die sich allmählich zurückbildete,
c) durch die Läjsion ^es äusseren Astes, Lähmung des rechten CucuUaris und
Stemocleidomastoideus, welche beide complete EaR zeigen. Jedoch erfahren beide
ASiectionen eine relative Restitution.
Zwei hier angeschlossene Fälle, ebenfalls traumatische Accessoriuslähmung, sollen
beweisen, dass Accessoriusverletzung an einer tieferen, mehr peripherischen Stelle
viel schwerere funcüonelle Störungen hervorbringt
Einzelheiten über hieran sich knüpfende anatomische und pathologisch-anatomische
Betrachtungen, Litteraturangaben u. s. w. müssen im Original nachgelesen werden.
Bemerkungen dazu, von B. Fränkel. (Berl. klin. Woch. 1888. Nr. 8. S. 149.)
„Der Fall ist für die Laryngologie ein Ereigniss,'' sagt F., und zwar ist er es
deshalb, weil damit eine lange schwebende Streitfrage der Lösung nahe gebracht wird,
ob es sich bei der sog. Posticuslähmung mit ihrem typischen Symptom wirklich um
eine Lähmung des Erweiterers der Stimmritze, des Crico-arytaenoideus posticus, han-
delt, oder um einen Krampf der Verengerer derselben, wie Krause durch Experi-
mente es wahrscheinlich gemacht zu haben geglaubt hatte. F. glaubt die Frage im
ersteren Sinne gelöst, und zwar deshalb, weil eine offenbar hier vorliegende Ver-
letzung des Accessorius in zwei Aesten (für das Velum palatin. und für Cucullaris
und Stemocleidomastoideus) sicher beobachtete Lähmung verursacht habe; es
wäre nnmöglich, dass die unter denselben Bedingungen stattgehabte Verletzung des
dritten Astes habe zu Gontractur führen können.
Vagusfasem wären nicbt verletzt worden, da Sensibilitätsstörungen gefehlt hätten.
Vor der Operation wäre Fat. von F. beobachtet; der Kehlkopf hätte normale Ver-
bältnisse aufgewiesen. Das Semon*sche Gesetz behalte seine Richtigkeit, dass bei
Accessoriusverletzungen zunächst der Gricoarytaenoideus posticus ausfallt
Ueber einen Prioritätsstreit von Rosenbach gegen Semon in Betreff der
„Vulnerabilität der Recurrensfasem" (cf. Nr. 8 u. 10 d. W.) kann wohl hier zur
Tagesordnung übergegangen werden. Sperling.
Psychiatrie.
14) Die Iiehre von der Verwirrtheit, von Prof. Wille. (Arch. f. Psych. XIX.
8. 328.)
Nach einer allgemeinen, den klinischen Standpunkt der neueren Psychiatrie her-
vorhebenden Einleitung giebt W. zuerst eine kurze Geschichte jener Psychose, deren
- 362 —
BteeicImuDg er von dem hervorragendsten und am längsten andauernden Symptome
hernimmt, und dabei die Bezeichnung ,,acut" als falsch verwirft. Bezüglich der
Häufigkeit scheint ihm die 3,7 ^/^ betragende Durchschnittszahl einer 10jährigen
Beobachtung seiner Anstalt hinter der Wirklichkeit zurückzubleiben; Frauen scheinen
häufiger befallen, das Alter von 20 — 40 Jahren liefert die meisten Fälle, doch finden
sich solche auch noch im Alter von 50 — 60 Jahren. Die ätiologische Bedeutung
der Erblichkeit erscheint noch nicht genügend festgestellt, eine wesentliche Rolle
spielt dagegen die Prädisposition in Folge fötaler oder infantiler schwerer Erkran-
kungen; in zweiter Linie stehen aUe Momente, welche im späteren Leben eine neuro-
oder psychopathische Constitution erzeugen; für die chronischen Formen betont W.
die ätiologische Bedeutung der Onanie. Unter den occasionellen Momenten stehen in
erster Linie psychischer Shock und alle auch prädisponirend wirkenden Momente, vor
Allem das Puerperium; Herz- und Gefasskrankheiten mit ihren Folgen von Embolie
und Thrombose stehen in enger Beziehung zu den nach W. als Abart gesondert zu
behandelnden aphasischen und pseudo-aphasischen Formen der Verwirrtheit. Mit
Rücksicht auf die neben den Reizerscheinungen nachzuweisenden Schwächeerschei-
nungen lässt W. zwischen unserer Affection und der Dementia primaria und acuta
der Autoren zum Theil nur einen graduellen Unterschied zu.
Der Verlauf wird eingeleitet durch ein Stunden bis Monate umfassendes Vor-
läuferstadium, welches vor Allem in subjectiven Beschwerden, Stimmungswechsel,
kurzdauernder Verwirrtheit und ebensolche iUlusionelle und hallucinatonsche Ele-
mente charakterisirt ist. Der Beginn erfolgt rasch, oft plötzlich unter zahlreichen
Sinnestäuschungen, Bewusstseinsstörung und vasomotorischen Störungen. Der folgende
Zustand, meist höchstgradiger allgemeiner Aufregung, trägt die Züge maniakalischer
Erregung, acuter Verrücktheit, furibunder Tobsucht, agitirter Melancholie, acuten De-
liriums in wechselndem Gemisch; in relativ seltenen Fällen bildet sich sofort ein
mehr chronischer Symptomencomplex heraus, der sich von der Verrücktheit durch
mangelhafte Orientirung, Verwechselung der Umgebung, Verwirrtheit, pseudo-apha-
sische Momente und besonders durch sonderbare gesticulatorische und mimische Be-
wegungserscheinungen unterscheidet.
Auf dieses Stadium folgt ein ruhigeres mit maniakalischem Charakter. — Die
von Eonrad beschriebene pathetische Uebergangsphase hat W. nicht beobachtet; —
die gesammte Dauer der beiden Phasen beträgt Tage bis Monate, dann folgt Remis-
sion, Reconvalescenz oder Tod; meist schliesst sich entweder ein chronisches Stadium
an, charakterisirt durch geistige Schwäche, Verworrenheit, pathetische Erscheinungen,
sonderbare Bewegungen, Neigung zu Verbigeration, oder es folgt ein Stadium von
sprachlosem, oft tetanischem, selten cataleptiformem Stupor; sprechen die Kranken, so
erscheinen sie hochgradig verworren und geistesabwesend; zuweilen wechseln in mehr-
facher regelmässiger oder ganz ungeordneter Weise maniforme und stuporartige Zu-
stände.
Die Dauer der Krankheit beträgt wenige Tage oder Wochen, acute Verwirrt-
heit, oder mehrere Monate bis ein Jahr, subacute Form, endlich mehrere Jahre,
chronische FäUe. In der somatischen Sphäre sind im Beginn leichtes abendliches
Fieber, sonst allgemeine Schwächeerscheinungen zu erwähnen; ebenso Schlafstörungen,
öfters Albuminuria. Der Ausgang in Genesung erfolgt meist durch ein psychisch
reines oder stuporartiges Schwächestadium; meist zeigt sich ein mehr oder weniger
vollständiger Erinnerungsdefect, in andern Fällen kommt es durch ein chronisches,
oft jahrelanges Stadium hindurch zur Heilung mit Defect; ein weiterer Ausgang ist
der in chronische Verwirrtheit oder Demenz, endlich der in Tod im acuten oder
chronischen Verlaufe.
Die Section zeigt himanämische und -hydrämische Zustände bis zu Hydro-
cephalus ext. und int., meningeale Trübungen, verschieden hochgradige Himatrophie,
Befunde die der Atfection eine UebergangssteUung zwischen functionellen und anato-
— 863 -
mischen Psychosen anweisen. Bezüglich der von W. eingehend besprochenen speciellen
Symptomatologie mnss auf das Orig. verwiesen werden.
Bei der Diagnose betont W. zuerst das intercurrente Vorkommen von Verwirrt-
heit in den verschiedensten Psychosen; als diagnostisch wichtiges und die HaUu-
cinationen überragendes Symptom ist zu nennen die Bewusstseinsstörung, daran reiht
W. die intercurrenten stupofösen Zustande, und die körperlichen Schwächeerschei-
pungen, schliesslich den Verlauf mit seinem Wechsel. Aus den differential-diagosti-
schen Bemerkungen hioben wir hervor, gegenüber der Manie den anders gearteten
Beginn, das episodische Vorkommen ausgesprochen maniakalischer Zustande in der
Verwirrtheit, gegenüber der erst in der Verwirrtheit aufgehenden acuten Paranoia
die geringe oder fehlende Benommenheit, die aus Büsstrauen oder Beachtungswahn
hervorgehende Entwicklung bei der letzten Krankheitsform.
Die Prognose ist eine zweifelhafte, der Ausgang in ein unheilbares Stadium ist
häufiger als Heilung, die übrigens selbst nach jahrelanger Dauer eintreten kann.
Therapeutisch sind. in erster Linie die Schwächeerscheinungen durch Bettruhe, kräf-
iiges Regime, Bäder zu bekämpfen; von den Beizerscheinungen ist die Schlaflosig*
keit durch Bäder, Einwickiungen Alcoholica, Brom, Chloral, die übrigen durch kühle
Bäder und die gleichen Medicamente zu behandeln; in erster Linie steht die Bett-
ruhe, Zwangsfütterung ist öfters noth wendig; die psychische Behandlung verlangt bis
in die Beconvalenscenz hinein Irrenanstaltsaufenthalt. A. Pick.
16) Folie ä deiix, by Hack Tuke. (Brain 1888. Januar.)
Verf. fasst unter der Bezeichnung Folie ä deux folgendes zusammen:
1. Fälle, in denen A. B., der geisteskrank ist, C. B. direct inficirt und zwar
mit derselben psychischen Störung.
2. Fälle, in denen C. D. geisteskrank wird, weil er mit dem geisteskranken
A. B. zusammenlebt, nicht in Folge directer Uebertragung krankhafter Ideen, son-
dern z. B. durch den schmerzlichen psychischen Eindruck, den das Zugegensein bei
acuten Attaken der Krankheit oder durch die körperliche und seelische Anstrengung,
die die Pflege eines solchen Kranken, besonders eines Verwandten, bedingt.
3. Fälle, in denen zwei oder mehr Personen zu gleicher Zeit aus denselben Ur-
sachen geisteskrank werden; hier werden besonders die Meetings der Revivals er-
wähnt
4. Fälle, in denen ein (Geisteskranker seine Wahnideen auf einen anderen Geistes-
kranken überträgt. Sehr selten.
5. Zwillingspsychosen.
Alle diese verschiedenen Formen werden durch kurze Krankengeschichten illu-
strirt» die auch im Referat nicht kürzer wiedergegeben werden könnten. In allen
Fällen muss man besonders darauf achten, ob die betr. Kranken verwandt oder he-
reditär belastet sind, oder ob wenigstens das passive Subject, dem die Wahnideen
übertragen werden, ausgesprochen nervös ist; femer wie bald nach Vereinigung mit
A./B. Zeichen von Geisteskrankheit gezeigt hat, wie weit die Identität der Symptome
ging, wie lange sie zusammenblieben, und wie sich das passive Subject nach der
Trennung verhält. Schliesslich bringt Verf. noch in 9 Sätzen seine Schlüsse, deren
wesentlicher Inhalt folgender ist: die Folie ä deux ist selten; die passiven Subjecte
sind meist schwache Menschen, häufiger Frauen wie Männer, meist jünger wie die
ersteren, oft Verwandte; es werden leichter Psychosen mit einigermaassen wahr-
scheinlichen Wahnideen, in denen Methode steckt und bei denen der Patient seine
Haliang noch einigermaassen bewahrt, als ausgesprochene, auch dem Laien leicht
erkenntliche Geisteskrankheiten übertragen, also leichter gewisse Formen von Ver-
rücktheit^ besonders Verfolgungsideen, oder die Idee eines grossen, von Feinden be-
- 364 —
strittenen Besitzes, als auch Manie oder Melancholie; die passive Person kann um-
gekehrt wieder die Wahnideen der activen beeinflussen.
Praktisch wichtig ist, dass man gut thut, nahe Verwandte von der Pflege Geistes-
kranker fem zu halten; ist eine Folie ä deux vorhanden, so muss man die beiden
Kranken sofort trennen, dann wird das passive Individuum wohl sehr bald genesen.
Bruns.
16) Das inducirte Irresein (folie a deux) als eine Vorm pathologisoher
Nachahmung, von W. Jakowenko. (Wjestnik psychiatrü i nevropathologii.
1887. Russisch.)
Die Veranlassung zum eingehenden Studium des inducirten Irreseins gab dem
Verf. die Beobachtung dreier Fälle dieser Erankheitsform in der Landschaftsirren-
anstalt Buraschowo. — Im ersten derselben litten Mann und Frau an fast identi-
schem Verfolgungswahn mit einzelnen Grössendelirien. — Der zweite betraf eine
Handwerkerfamilie, in welcher Vater, Mutter, ein erwachsener Sohn , und zum Theil
auch eine Tochter Verfolgungsideen mit Sinnestäuschungen unterworfen waren. Im
dritten endlich entwickelte sich eine hysterische Verrücktheit mit religiösen Wahn-
ideen identischen Inhaltes bei zwei Schwestern, erwachsenen Bäuerinnen; die jüngere,
welche zuerst die ältere pflegte, erkrankte eine Woche nach derselben und blieb
noch krank, nachdem letztere gesund geworden war. Im Anschluss an die detaillirte
Erzählung dieser Krankengeschichten folgt eine tabellarische Uebersicht aller bisher
veröffentlichten einschlägigen Fälle aus der Litteratur, fast ausschliesslich der franzö-
sischen und deutschen; aus der russischen ist, abgesehen von den drei eigenen Beob-
achtungen des Verf. 's, nur noch eine (von Danillo) registrirt. Die in den Tabellen
berücksichtigte Casuistik umfasst 113 Fälle und betrifft 254 Personen, davon 80
Männer und 174 Frauen; in 97 Fällen (von den 113) handelte es sich um Folie
ä deux, in 8 um — ä trois, in 4 um — ä quatre, in 2 um — ä six, in 1 um
— a huit, und in einigen Fällen wurden die Wahnideen von einer grossen Menge
anderer Personen getheilt, ohne dass letztere auch als erkrankt gelten konnten. —
Was die gegenseitigen Beziehungen der au inducirtem Irresein Leidenden betrifft, so
handelte es sich in den meisten Fällen um Schwestern (27 Mal), ferner Mutter und
Tochter (23 Mal), Mann und Frau (20 Mal); andere Verhältnisse, wie z. B. Brüder,
Herrschaft und Dienstleute etc., kamen seltener vor; in 8 Fällen waren die Erkrankten
Zwillinge. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle (70 von 113) beutand die
Krankheit in Verfolgungswahnsinn, meistens in der Form der chronischen primären
Verrücktheit, zuweilen mit Transformation in Grössenwahn; bedeutend seltener waren
andere Psychosen vertreten, z. B. maniakalische Exaltation, Melancholie, Stupor etc.
Die Angaben über das Alter der Erkrankten, über ihre Heredität sowohl, als über
den Zeitraum zwischen den einzelnen Erkrankungen beim inducirten Irresein, sind
in der Casuistik zu unvollständig, um darüber statistische Erhebungen aufzustellen.
Verf. scheidet aus der ihii beschäftigenden Krankheitsform solche Fälle als
pseudo-inducirtes Irresein aus, in welchen bei zwei oder mehreren zusammenlebenden
Personen zufallig zu gleicher Zeit, aber unabhängig von einander, verschiedene Psy-
chosen sich entwickeln. Hinsichtlich des wahren inducirten Irreseins nimmt er in
Uebereinstimmung mit Marandon de Montyel die Einiheilung in Folie imposee,
simultanes und communiqu^e an.
Das Schlusscapitel der fleissigen, 8 Bogen umfassenden Arbeit enthält eine Zu-
sammenstellung der verschiedenen Meinungen, die über den psychischen Mechanismus
des inducirten Irreseins ausgesprochen wurden. Hier kritisirt er die Theorien von
Finkeinburg, Rambosson, Prosper Despine u. A. über die Natur des Nach-
ahmungstriebes und der psychischen Contagion, ohne jedoch über dieses Thema Neues
zu bringen. P. Bosenbach.
— 365
17) Heber die sog. psychische Gontagion, von C. Werner, ßoda. (Allg. Ztsdir.
f. Psychiatrie. XLIV. 1888. 4 u. 5.)
Eine tabellarische Zusammenstellung von 45 Fällen inducirten Irreseins aus der
Litteratur (Koster, Finkehiburg, Nasse, Hansen, Witkowski, Wille, Graf, Lehmann)
ergiebt dem Verf., dass in der erblichen Anlage des Secondär-Erkrankten die Haupt-
ursache der Psychose liegt; die Psychode des Primär-Erkrankten giebt nur den
occasionellen Anstoss. Wo keine Erblichkeit nachweisbar ist, handelt es sich meist
um schwächliche Individuen, namentlich Frauen, welche sich bei der Pflege und in
Folge der Sorge aufreiben. Ein gesunder Mensch mit rüstigem Hirn wird stets in-
tact bleiben.
W. theilt dann einen eigenen Fall mit, in welchem eine Frau im melancholischen
Stadium einer progressiven Paralyse sich befand, als ihr Ehemann unter dem Symp-
tomenbild einer agitirten Melancholie erkrankte. Erbliche Belastung weder bei Mann
noch Frau nachweisbar, der Mann in jüngeren Jahren zuweilen Stunden bis Tage
lang benommen. Der Sectionsbefund des Mannes schliesst übrigens eine Paralyse
auch des Mannes nicht ganz aus. lieber syphilitische Antecedentien ist leider nichts
angegeben.
Vom Wartepersonal in Boda erkrankte während 39 Jahren nur ein, erblich
schwer belasteter Mensch an Psychose. Th. Ziehen.
Therapie.
18) Einige Indioationen für die An^ndung von Chloralhydrat und Mor-
phium, nebBt Bemerkungen zur Anwendungsweise, von Dr. Aufrecht
in Magdeburg. (Therapeutische Monatshefte. 1888. Februar.)
Die Indicationen für Anwendung von Morphium einerseits und Chloralhydrat
andererseits trennen sich scharf. Letzteres ist ausschliesslich anzuwenden bei mit
Delirien verbundenen Pneumonien, bei Delirium tremens, und zwar hier in grossen
Dosen von 3,0 — 4,0 — ohne Zusatz von Morphium I — bei der Eclampsie Schwan-
gerer, bei maniakalischen Geisteskranken, bei Singultus, bei Schlaflosigkeit älterer
Leute — in letzterem Falle mit 0,5 zu beginnen.
Morphium, und zwar nur subcutan, ist indicirt bei gastrischen und intestinalen
Schmerzen, desgleichen bei solchen, die von den serösen Häuten ausgehen, bei Gallen-
steinkoüken, bei allen Neuralgien, bei Melancholie. Die Dosis ist 0,015. Da sich
Morphium-Lösungen nicht halten, bereitet sich Verf. dieselben am Krankenbett, indem
er eine Spritze voll warmen Wassers, das er sich eben im Theeiöffel über Licht oder
Lampe bereitet, auf ein Pulver von 0,02 heraufspritzt und mehrmals aufzieht und
wieder ausspritzt, bis das ganze Pulver gelöst ist; dann enthält die Spritze 0,02.
Per OS ist Morphium wiederum indicirt bei Husten, bei Ulcus ventriculi, Dysenterie
(2— 3mal 0,015) und Diarrhöen.
Bei bewnsstlosen Patienten (Eclampsia gravidarum) und bei an Convulsionen
leidenden bringt man Chloralhydrat am besten mit durch die Nase eingeführter weicher
Schlondsonde bei. Sperling.
19) The treatment of SleepleseneBS, by A. Symons Eccles. (The Practitioner.
1888. März.)
Gute Erfolge bei Schlaflosigkeit erzielte E. durch das heisse Bad, oder heisse
Compressen um den Leib mit oder ohne vorangehendes Kneten des Bauches oder
allgemeine feuchte Einwickelung, die individuell verschieden angewandt werden muss;
alle diese Mittel wurden zugleich mit strenger Beobachtung einer ruhigen Lage in
— 366 —
einem warmen Bett versacht. Das Bett moss in einem ruhigen» kühlen, gut venti-
lirtem Baume stehen. Contraindicirt sind diese Methoden hei hochgi*adiger Anämie,
Aortenfehler, Atheromatose etc., in derartigen Fällen sind mehr stimalirende Mittel
geeignet, Schlaf zu bringen; als solches empfahl Brunton Strychnin, das nach E.
jedoch auf das vasomotorische Centrum wirkt und Contraction der Himgefasse be?
wirkt. Bei Herzfehlem, functioneller Herzschwäche und Circulationsstörungen eignen
sich ruhende Lage bei Tag und Nacht, erhöhte Nahrungszufuhr und systematische
Massage als Schlafmittel. Der Kranke muss gleich nach dem Massiren die Natur
durch seinen Willen, durch die Absicht zu ruhen und zu schlafen, unterstützen. Bei
Schlaflosigkeit in Folge eines überarbeiteten geschwächten Nervensystems besteht oft
derartige Hyperästhesie, dass die Massage gemässigt und auf Streichen des Kückens,
Reiben der Extremitäten, Kneten des Unterleibes mit folgender heisser Compresse um
denselben beschränkt werden muss. Letzteres Verfahren wendet er an, gestützt auf
die Experimente von Goltz und Schüller. Bei Personen, die an Schlaflosigkeit in
Folge von geistiger Ueberanstrengung, Aufregungen des Gemüths, Missbrauch von
Narcotica, Morphium, Chloral etc. leiden und die Symptome der erethi&chen Neu-
rasthenie zeigen — muss man auf die augenblickliche Wirkung dieser Methode ver-
zichten. Der mechanische Reiz der Haut ruft anfangs Erregungen hervor und ist
dann die Massage Abends fortzulassen oder 3 Stunden ev. vor gewünschtem Schlaf
anzuwenden; monotone sensible Eindrücke wirken da besser, als starke flüchtige Beize.
Daher wirken auch feuchte Einwickelungen im ersten Augenblick durch den starken
Hautreiz ungünstig. Auch die lange Dauer der Einpackung in wollene Decken wirkt
durch die Wärmeanhäufung nicht gut, daher muss man dieselben allmählich (Lage
für Lage) entfernen. Um die permanente, rhythmische, gesunde erfrischende Ruhe
des Körpers und Geistes für die Dauer heirzustellen, muss man die Kette der Uebel
beseitigen, welche die Schlaflosigkeit zur Folge hatten; und es empfiehlt sich dazu
Ruhe und Schonung des Geistes, Entfernung von den gewohnten Beschäftigungen,
Ordnung in der Diät, Anregung des MuskelstofiFwechsels, Anwendung der Massage
oder der feuchten Einpackung vor dem gewünschten Schlaf etc. Kalischer.
20) On the use of the Hydrobromate of Hyosoine in the treatment of
recurrent and acute Mania, byG. Thompson, Bristol Asylum. (The Lancet
1888. Vol. L Nr. 5.)
Th. gab 0,0003 bis 0,0006 gr Hy^^scin. hydrobromic. mit bestem Erfolg bei
jeder Form der Manie. Auch die motorische Agitation der Paralytiker, zumal bei
geringer Urin- und Schweiss-Secretion wird günstig beeinflusst. Drei typische Fälle
werden beispielsweise angeführt. Th. Ziehen.
21) Note on antipyrin as an analgesic, by Dr. J. G. Wilson. (Joum. of nervous
and mental disease. 1888. XY. p. 40.)
Verf. empfiehlt lebhaft die Anwendung des Antipyrins bei allen schmerzhaften
Zuständen, besonders aber bei Neuralgien jeder Art, bei Kopfschmerzen auf Grund
von Neurasthenie oder Ueberarbeitung etc.; seine eigenen Erfahrungen bei Rheuma-
tismus acutus sind dagegen wenig zufriedenstellend. Er verordnet übrigens ziemlich
kleine Dosen, 0,3 — 0,6 alle Stunden bis zum Aufhören der Schmerzen, und warnt,
das Mittel auch in den Pausen zwischen den einzelnen Anfällen zu geben, da es
doch nicht heilend wirkt, aber mit der Gewöhnung an schmerzstillender Kraft verliert
Sommer.
22) Theine in pain, by Th. J. Mays. (Joum. of nervous and mental disease.
1888. XV. p. 44.)
— 367 —
Sehr warme Empfehlung des Tlielns bei allen Neuralgien und Myalgien, beson-
ders bei Ischias und bei Lumbago. Es ist dem Morphium vorzuziehen, da es rein
local auf die Schmerzempfindlichkeit wirkt und das Centralnervensystem unbeeinflnsst
lässt; e^ liegt daher auch keine Gefahr der missbräuchlichen Angewöhnung vor. Die
subcutane Dosis beträgt 3 Centigramm im Mittel, gleich Vs Spritze von folgender,
der besseren Löslichkeit wegen vorgeschlagener Solution: Theln. Natrii benzoic. ää Ifl,
Natr. chlor. 0,05, Aq. destill. 10,0.
Nur das Präparat von Merck hat dem Verf. seine befriedigenden Erfolge ge-
geben. Die Injectionen werden natürlich an der schmerzhaften Stelle und event. an
mehreren vorgenommen. Sommer.
23) neber Behandlungen von Lähmungen und Contracturen, von Prof. Dr.
Bieg er. (Sitzungsberichte der Würzburger Phys.-med. Ges. 1887.)
Es wird besonders auf die hohe Bedeutung der secundären Contractur der
Antagonisten nach peripheren Lähmungen eines Muskels oder einer
Muskelgruppe hingewiesen. Demonstration mehrerer Fälle von Lähmung des
Muse deltoidee nach Verletzung des Nerv, axillaris, in denen sich starke Contractur
vorwiegend im Fectoral. maj. und Latissimus dorsi eingestellt hatte, die activ und
passiv durchaus nicht zu überwinden war und schon bei leichter Dehnung heftige
Schmerzen verursachte. Erst in tiefer Chloroformnarkose, wenn der Maskeltonus
völlig aufgehoben war, gelang es den Arm zu heben und dann verhielt er sich den
passiven Bewegungen gegenüber wie der normale Muskel. Ein Beweis, dass es sich
lediglich um Muskelcontractur, nicht um Veränderungen der Knochen und Gelenk-
bänder handelte. Zur Behandlung derartiger Zustände, spec. zur methodischen
Dehnung contratcurirter Muskeln empfiehlt liieger einen einfachen von ihm construir-
ten Apparat. Derselbe besteht aus einer durch Schrauben mit feinem Gang genau
regulirbaren, mit Gummischeiben versehenen Klammer, die an einem Tische unver-
rückbar; doch so fixirt ist, dass ihre Lichtung bald horizontal, bald vertical gestellt
werden kann. Die Extremität mit der zu dehnenden Muskelgruppe kann in der
Klammer stets zum Punctum fixum gemacht werden, während der Rumpf gegen
dieses Punctum fixum bewegt wird. So kann der Patient auch mit gelähmten
Gliedern ohne fremde Beihilfe passive Bewegungen ausführen.
Der Apparat eignet sich auch zur Behandlung der TorticoUis spastica.
L. F. Hügel (Würzburg).
in. Vermischtes.
Die Criminal-Irrenanstalt sni Aubum (Kew York) und das ««Beforma-
torium 2U Elmira (ebenüalls New York).
Den Jahreftberichten über die erstere Anstalt» welche der Ref. der Liebenswürdigkeit
des ärztlichen Directors Dr. C. F. Mac Donald verdankt, seien folgende Einzelheiten ent«
nominen.
Die Anstalt nimmt bekanntlich nur criminelle Irre auf, and zwar sowohl irre Ver-
brecher ab auch verbrecherische Irre (70 °/o ^Oonvicts" zu 30 7o »»Unconvicted").
Der Bestand am 1. October 1886 betmg
Zugang im Etatsjahr 1886/87
Abgang im Etatsjahr 1886/87 und zwar
durch Genedung
Besserung
Entlassung im un^ebesserten Zustande 28
Entlassung als nicht geisteskrank
Tod
Zusammen also
Es blieben also im Bestände am 80. IX. 1887
Der tagliche mittlere Bestand betrug 207,21 Köpfe mit 15067 Arbeitstagen und 169,35 Doli.
Kosten (incL Slleidung) pro Kopf &= ca. 710 M. Im ganzen Jahr ist weder ein Selbstmord,
190 M.
11 W.
Sa. 201
73
6
79
24
— i.
24
5
1
6
28
1
24
3
—
3
6
1
7
61
3
64
202
14
216
— 368 —
noch sonst ein Unglücksfall, eine geglückte fintweichung oder die Nothwendigkeit eines
Bestnünts Torgekommen, was bei der hochgradigen UeberfüUung, die auch hier herrschte,
und bei dem aas den Terscbiedensten Ländern znsammengewürfelten Yerbrechemiaterial
gewiss Anerkennung verdient. Dabei ist im Winter regelmässiger Schulnnterriobt gehalten
and ausserdem sind viele Theater-, Concert- und sonstige Vorstellungen gegeben worden.
Seit der Eröffnung der Anstalt am 2. Februar 1859 sind im Ganzen aufgenommen
885 M. + 45 W. = 930 Personen, und genesen entlassen worden 244 M. + 10 W. « 255 Personen.
Von den Aufnahmen 1886/87 1859/87
war Trunksucht constatirt bei 26 M. 2 W. 397 M. 18 W.
und mittlerer Alkobolfi^enuss bei 21 M. 3 W. 235 M. 7 W.
Um die herrschende Ueberf&llung zu beseitigen, hat die Legislatur des Staates New
York beschlossen, eine neue Criminälirrenanstalt för 450 Individuen mit 250 Acres Land
(=100 Hectar) und 300000 Dollars » 1,260000 M. Baukosten, zu erbauen. Die neue An-
stalt, von der ein Plan dem letzten Jahresberichte über Aubum beigegeben ist, ¥drd in
Fishkill am Hudson erbaut und soll im Februar 1890 eröffnet werden.
Den Mittheilungen ans dem Jahresbericht 1885/86 über die zweite Anstalt sei zunächst
vorausgeschickt, dass die letztere keine Irrenanstalt ist, sondern den fast einzig dastehenden
Versuch repräsentirt, das Regime einer modernen Irrenanstalt auf eine Strafanstalt für jugend-
liche und daher noch besserungsfähige Verbrecher zu übertragen*, es sollen daselbst, ähnlich
wie in dem Kräpelin'schen Werke „über die Abschaffung des Strafmaasses" ausgefllhrt ist»
die Sträflinge auf unbestimmte Zeit bis zur wahrscheinlich gemachten Besserung nach dem
Gutachten der Anstaltsdirection zurückbehalten werden können. Bei der engen Verwandt-
schaft zwischen moralischer und psychisch-somatischer Degeneration werden einige Mitthei-
lungen über diesen höchst interessanten und grossartigen Versuch nicht unerwünscht sein.
Das „Beformatorium", 1876 eröffnet, ist auf Einzelhaft eingerichtet und hatte Ende
1886 einen Bestand von 711 männlichen Sträflingen. Rückfällige sollen eigentlich nicht
mehr aufgenommen werden, doch pflegen unter den neuen Aufnahmen doch schon gegen
20®/« vorbestraft zu sein. Der Sträfling hat eine Minimalzeit von 12 Monaten daselbst zu-
zubnngen; entlassen kann er jedoch erst dann werden, wenn er unter Anwendung eines
Markensystems von der untersten bis in die oberste Stnifstufe vorgerückt ist, worauf eine
stets widerrufliche Beurlaubung und nach erorobtcr guter Führung die definitive Entlassung
erfolgt. Die durchschnittliche Dauer bis zur Erreichung der Beurlaubung beträgt 20,5 Monat;
nur bei 7,8 ^/^ der Aufnahmen betrug sie über 36 Monat und bei 0,7 ®/o über 5 Jahr. 93,6 •/q
allnr Aufgenonunenen sind Eigenthumsverbrecher.
Von den seit 1876 aufgenommenen 2878 Verbrechern standen 59,6 ®/o im Alter von
16 -20, 30)2 7o im Alter von 20—25 Jahren und 10,2 ®/o waren älter bis zu 30 J. Von dem
Abgang (1707 Personen) wurden nur 19 = 1,1 % einer Irrenanstalt überwiesen und nur
2 = 0,12 ®/o starben durch Selbstmord. Von 1476 Urlaubern verschwanden aus der Beobach-
tung 7,4 ®/o, rückfällig wurden nur 8,8 ^qi ^i^ übrigen haben sich gut gehalten und konnten
definitiv entlassen werden. Die jährlichen Kosten pro Kopf betrugen 166,52 Dollars » 700 M.,
doch wurden 102,31 Doli, von Jedem durch den Arbeitsverdienst gedeckt, und dies Verhält-
niss wird noch günstiger werden, da seit 1886 die Anstalt auf eigene Rechnung arbeitet.
Unter 2378 Aufgenommenen fand sich Epilepsie oder Geistesstörung der Eltern bei
13,6 %> ^^^ Trunksucht der Eltern starken resp. massigen Grades bei 37,5 resp. 12%.
Neben der regelmässigen Arbeit wird auf Schulunterricht grosser Werth gelegt: von
den 711 Individuen des Bestandes waren 65 ^/^ bei der EinUeferung fast als Analphabeten
zu betrachten, jetzt sind es nur noch 10 %.
Ein im letzten Jahr unternommener Versuch, wie weit kräftigste Ernährung mit täg-
lichen Bädern, mit Massage und Gymnastik, und Schulunterricht auf einige anscheinend
ganz besserungsunfahige Individuen günstig einwirken könne, hat, soweit sich dies bis jetzt
übersehen Hess, sehr befriedigende Enolge gehabt.
Zum Scbluss sei noch oemerkt, dass für den Staat New York ein zweites „Beforma-
torium" geplant wird, und dass die Staaten Massachusetts, Ohio, Pensvlvania und Kansas
^nUche Anstalten mit discretionärer Dauer der Straf haft eingeführt haben oder doch im
Begriff stehen einzuführen. Sommer.
Th. Ribot hat seine Vorlesungen über experimentelle und vergleichende Psychologie
am College de France mit einem Vortrag „la psychologie contemporaine" eröffnet Er giebt
darin eine klare Uebersicht über die neueren psychologischen Arbeiten in Frankreich, Eng-
land, Deutschland und Italien. Bezüglich der deutschen Psychophysik fragt er bei aller
Anerkennung, ob sie stets innerhalb ihrer Grenzen bleibe und nicht zuweilen zur Metaphysik,
Erkenntnisstheorie, Dialektik etc. abschweife. (Revue scientifique. 1888. Nr. 15.)
Th. Ziehen.
Verlag -von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzorb & Wittig in Leipzig.
Neurologisches Centralbutt
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskranicheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter "« ^^ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zu beasiehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
.- ii^fi 11 I II 1^— ^^1 I PI --■ . ■ ■ ■ . I... -^^^^
1888. L Jnli. N^ 13.
' -■■■ . I p , ■ - ■■•—
Inhalt I. OrigiRalmIttheilungen. 1. Die Spondylarthritis synovialis, von A. Catpari.
2. Einige therapeutische Versuche mit der Hypoose, Yon Dr. Sperling (Fortsetzung^.
II. Referate. Anatomie. 1. üeber die Leitungsbahn des Lichtreizes von aer Netz-
baut des Auges zum Neryns ocülomotorius, von Darittctiewlttch, 2. üeber die Beziehung
d«B Nervus accessorius zu den Nn. vagns und hypoglossus, von Deet. — Experimentelle
Physiologie. 8. Expäriences sur les fonctions motrioes du cerveau, par Dupuy. 4. Calori-
memsche Untersuchungen über die Wärmeproduction und Wärmeabgabe des Armes an Qe-
Bunden und Slranken, vonC. Rosenthal. — JPathologische Anatomie. 5. Veränderungen
der nervösen Centralorgane in einem Falle von cerebraler Einderlähmung, von Wallenberg.
6. Bioerohe suUe alterazioni del midoUo spinale conoomitanti le lesioni cerebellari, dei Martl-
nettt e Mercandlno. 7. Microscopical studies in a case of pseudohypertrophic paralysis, by
Jacobl. — Pathologie des Nervensystems. 8. Sur une affection caracterisäe par de
l'astasie et de l'abasie, par Blocq. 9. Chorea, by 8t. Mackanzie. 10. Etiology of Chorea, by
Porter. 11. Case of rapidly fatal Chorea; death in 130 hours. Bericht von Cook u. Beale.
12. Senile Chorea, bv Suckling. 18. Zur Lehre von der Chorea minor, von Koch. 14. Ein
Fall von imitatorischer Chorea mit tödtlichem Ausgange, von Schwrarz. 15. Paramiodono
multiplo, rassegna pel Seppüll. -16. Two cases of hemichorea associated with Brig^f s disease,
by Darfcom.
III. Aus dan Gaseiltchaftan. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie u. Nervenkrankheiten,
Sitzung vom 11. Juni 1888. — XIII. Wanderversammlung sfld westdeutscher Neurologen u.
Irrenärzte zu Freiburg, 1. Sitzung am 9. Juni 1888. — Sociöte de Biologie, Paris. Sitzung
vom 4. Febr. 1888.
IV. Bibliographie. Der Verbrecher in anthropologischer, ärztlicher und juristischer Be-
ziehung, von C. Lombroto. In deutscher Bearbeitung von Fraankal« Mit Vorwort von Prof.
Dr. jur. V. Klrchanbalin.
V. Personalien.
VI. Vermischtes.
I. Originalmitfheilungen.
1. Die Spondylarthritis synovialis.
Von A. Gaspari in Moskau.
In der „ESinik der Gelenkkrankheiten'' yon Dr. Hubtbb finden wir die
Beschreibung einer Wirbelerkrankong, welche von anderen Autoren, soweit die
betreffende Litteiator mir zu Gebote stand, gar nicht erwähnt wird, nämlich
28
— 370 —
die Entzündung der Gelenke der Process. obliq., und zwar in Form
einer leichten SjnoTitis. Nach Hüeteb kommt an der Hatewirbelsaale diese
Form ziemlich häuJ&g vor, viel häufiger als die Entzündung der WirbelkSrper,
aber auch, wie die letztere, vorwiegend im kindlichen Alter: „Schon die Be-
tastung stellt meist die Diagnose fest, indem es gelingt, die Schmerzhaftigkeit
auf der einen Seite und zwar um einige Centimeter seitwärts von den Proc.
spinös, nachzuweisen, während bei Myelitis granulosa die Betastung auf beiden
Seiten und ganz besonders die Betastung der Proc. spinös, schmerzhaft empfunden
wird. Sollte noch im Beginn der Krankheit ein Zweifel bestehen, so lösjk er
sich bald durch den Verlauf. Die meisten Fälle von Synovitis der Qeienke der
Proc. obliq. heilen schnell, ohne eine Störung zu hinterlassen die
Myelitis granulosa der Halswirbelkörper aber bildet sich nicht schnell zurück . . .'/
Weiter geht Hueteb mit seiner Beschreibung nicht Viele Jahre sind seitdem
vergangen und in der Litteratur ist nicht die geringste Abhandlung aufzuweisen,
welche diesen Gegenstand besprochen hätte. ^ Und doch ist die Spondylarthritis
synovialis eine Krankheit, die nicht nur wirklich existirt, sondern auch (wenigstens
in Bussland) ganz ungemein häufig vorkommt. In einer grösseren Abhandlung,
die nächstens in russischer Sprache erscheinen wird, werde ich die Spondyl-
arthritis synovialis detaillirt besprechen und mit zahlreichem casuistischem
Material beleuchten. Hier will ich nur die wichtigsten klinischen Thatsachen
als Ergebnisse jahrelanger Beobachtung mittheilen.
1. Zunächst ist hervorzuheben, dass die Synovitis vertebralis in jedem Alter
vorkommt; ob bei Kindern öfter als bei Erwachsenen, bin ich nicht in der Lage
zu entscheiden; mein Beobachtungsmaterial bezieht sich beinah ausschliesslich
auf letztere und gerade in dieser Hinsicht kann ich mit der grössten Bestimmt-
heit behaupten, dass diese Form der Wirbelerkrankung eine überaus häufige ist.
2. Die Synovitis vertebralis kommt an allen Abschnitten der Wirbelsäule
vor, am häufigsten aber am Cervicaltheile, dann an den Lendenwirbeln, kann
aber auch mitunter an demselben Subjecte die Gelenkfortsätze der ganzen Wirbel-
säule afficiren.
3. Am Brusttheile der Wirbelsäule habe ich die Krankheit bis jetzt nur
einseitig beobachtet; an den Hals- und Lendenwirbeln kommt sie aber recht
häufig doppelseitig vor.
4. Klinisch äussert sich die uncomplicirte Synov. vertebr. am Hals- und
Lendenabschnitte durch folgende Erscheinungen; a) Schmerzhafte Spannung,
oder vielmehr Steifigkeit an den betrefienden Partien, bei jeder activen oder
passiven Bewegung; in sehr acuten Fällen meiden die Patienten jede Bewegung
mit dem Kopfe; Husten, ja sogar Schlucken, steigert den Schmerz bis zum Un-
erträglichen (bei Localisation am Halse), b) Ausgesprochene Druckempfindlich-
keit der betreffenden Fortsätze neben Schmerzlosigkeit der übrigen Wirbeltheile.
c) Durch Betastung nachweisbare Spannung der gleichseitigen Nacken- oder
^ Braun in seiner Monographie*. „Klinische and anatomische Beitrage zur Lehre Ton
der Spondylitis defomians, als einer häufigen Ursache der Irritatio spinalis. 1B87" bespricht
eine unheilbare Erkrankung der Wirbel, die ungleich seltener auftritt als die uni interessireode.
— 371 —
Lendenmuskeln mit oder ohne Schiefhaltoo^. — Diagnostisch kann dieses Symp-
tom aber nnr bei gleichzeitigem Vorhandensein der sab a und b angegebenen
verwerthet werden, d) Nach abgelaufenem acuten Stadium (3—8 Tage) ist
meist nur noch Druckschmerz nachzuweisen, der viele Wochen, ja Monate per-
sistiren kann, e) In seltenen Fällen kommt leichtes Fieber — bis 39® — vor.
5. Die bei weitem wichtigste Complication der Spondyl. synov. ist die Neu-
ritis descendens; ob dieselbe in allen Fällen vorkommt, aber der geringen Aus-
dehnung wegen während des acuten Stadiums nicht nachweisbar ist, habe ich
nicht entscheiden können; soviel aber steht fest, dass in den meisten Fällen
schon nach 3tägigem Bestände der Synovitis die Plexus am Halse auf Druck
höchst schmerzhaft sind, und gerade dieses Symptom ist klinisch von der grössten
Wichtigkeit, weil es auf den Beginn eines, erst später, nach Wochen oder Mo-
naten auftretenden Leidens hinweist, nämlich einer schleichenden Neuritis descend.
Der genetische Zusammenhang solcher Neuritiden mit einer vorhergegangenen,
in manchen Fallen schon abgelaufenen, in anderen, zur Zeit noch bestehenden
Synovit. vertebral. ist meis£ leicht nachzuweisen. In klassischen Fällen gestaltet
sich der Gesammtverlauf folgendermaassen : Patient consoltirt den Arzt wegen
Schmerzhaftigkeit im Nacken, die Untersuchung ergiebt Druckschmerz in der
Gßgend der Proo. obliq., schmerzhafte Spannung der gleichseitigen Nacken-
muscttlatur und dadurch bedingte Schie&tellung des Kopfes; active und passive
Bew^ungen des Kopfes sind schmerzhaft,^ Druck auf Halsplexus ist meist
auch sehr empfindlich; nach einigen Tagen (3 — 8) verschwinden alle subjective
Beschwerden, die Kopfbewegungen werden frei, Patient hält sich far gesund
und entzieht sich der Beobachtung. Thatsächlich ist aber der Patient in den
allermeisten Fällen noch nicht gesund, denn bei manueller Untersuchung er-
weisen sich gewöhnlich die Plexus auf Druck noch mehr oder weniger em-
pfindlich; die Synovitis ist vergangen, die consecutive Neuritis noch nicht, und
hat man Gelegenheit den Patienten in grösseren Zeitabschnitten zu untersuchen,
so kann man Schritt für Schritt das Descendiren der Neuritis beobachten. Bei
Synovitis im Lendenabschnitte ist das Bild ein ähnliches — man glaubt einen
gewöhnlichen Fall von Lumbago vor sich zu haben, und zwar um so eher, als
Muskelspannungen selten vermisst werden; nach Wochen oder Monaten aber
.hat man es mit einer Neuritis ischiadica (oft duplex) zu thun.
Hat man nun einige Male Gelegenheit gehabt den ganzen Hergang, vom
ersten Beginne der Synovitis bis zur schliesslichen Neuritis zu verfolgen, so
bietet es durchaus keine Schwierigkeit, sich ätiologisch diejenigen Fälle zu
deuten, wo der Patient einer „reinen Neuritis^' wegen die Hülfe des Arztes in
Anspruch nimmt In mehr als der Hälfte der Fälle wird der Patient sich er-
innern, dass seine Krankheit mit Schmerzen im Nacken und Bücken begonnen
hat, und die Erscheinungen der Neuritis an Schulter, Arm, Bein etc. erst viel
spater aufgetreten sind. Nur muss man den Patienten auf diesen Zusammen-
hang aufmerksam machen, von. selbst redet er gewöhnlich nicht über Schmerzen,
die er vor vielen Wochen oder Monaten gehabt hat und angeblich spurlos ver-
* Das Bild eines gewöhnlichen Torticoll. rhemnatic.
23*
— S72 —
schwunden sincL Am sichersten geht der Arzt, wenn er es nicht anterlässt,
neben • den Nervenstämmen auch die entsprechenden Gelenkfortsatze der Wirbel-
säule auf Druck zu untersuchen.
Die häufigste, vielleicht die einzige Ursache der Spondylarthr. synov. ist
Erkältung.^ Dass Hals- und Lendenwirbel am frequentesten afficirt werden,
erklärt sich am einfachsten dadurch, dass gerade diese Partien am leichtesten
transpiriren und deswegen fOr Erkältung viel empfindlicher sind. Diese Ansicht
stimmt auch vollkommen überein mit meinen Beobachtungen. Die Synovitis
vertebr. an den Lenden habe ich beinah ausschliesslich bei Frauen der unbe-
mittelten Klasse beobachtet und zwar meist im Sommer, weil zu dieser Jahres-
zeit bei ihnen die Gewohnheit herrscht^ die Beinkleider abzulegen. Die Art
und Weise, wie sich der Patient die Erkältung zuzieht, wird im gegebenen
Falle stets leicht zu erfolgen sein, nur muss ich betonen, dass es absolut noth-
wendig, den Modus zu eruiren, wenn man den Patienten vor Becidiven schützen
will. In einem Falle konnte ich mit der grössten Bestimmtheit nachweisen,
dass die nächste Ursache des Schwitzens und der nachträglichen Erkältung der
Lendensäule im permanenten Tragen eines Leistenbruchgürtels zu suchen war.
Die differentielle Diagnose ist in den allermeisten Fällen sehr leicht,
besonders wenn der Arzt nicht unterlässt, die Localuntersuchung am blossen
Körper vorzunehmen. Es kommen aber Fälle vor, wo eine einmalige, noch so
gewissenhafte Untersuchung im Stiche lässt, und nur längere Beobachtung Auf-
klärung verschafft. An hysterischen und neurasthenischen Subjecten trifft man
zuweilen nicht die Dom-, sondern die Gelenkfortsätze auf Druck äusserst
empfindlich; existirt zugleich Druckschmerz an Plexus und Nervenstänmien
(einfache Hyperästhesie), so kann man den Fall für Synovitis mit consecutiver
Neuritis halten; weitere Beobachtung aber bringt bald Aufklärung.* In Aus-
nahmsfällen könnte man auch anf den Gedanken einer cerebralen Erkrankung
kommen; eine Patientin consultirte mich wegen grosser Schwäche und Ver-
taubungsgefühls an der ganzen linken Körperhälfte mit Ausnahme des Kopfes;
die Symptome hatten sich allmählich im Verlaufe von Monaten entwickelt; bei
näherer Untersuchung aber constatirte ich einseitige Spondylarthritis synov. längs
der ganzen Wirbelsäule und multiple Neuritis bei absolutem Mangel irgend-
welcher Himsymptome; nach geeigneter Behandlung erfolgte schnelle Heilung.
Was schliesslich die Behandlung betrifft, so bediene ich mich stets der
von HtTETEB (a. a. 0.) angegebenen Garboltherapie; modificirt habe ich dieselbe nur
insofern, als ich an Stelle der in 8% CarboUösung getauchten Watteplatten sehr
häufig 2^0 Carbolinjectionen (5 — 10 Spritzen täglich) gebrauche und zwar nicht
nur bei acuten, sondern auch bei chronischen Fällen von Synovitis vert Ich
^ Dass Entzündung der Gelenkfortsätze auch bei Polyarthritis acuta, bei Spondylitis
deform., pyämischen Processen Yorkomnit, ist aUgemein bekannt
* Idi habe eine hysterische Dame längere Zeit in Beobachtung gehabt, welche Symp-
tome der infectiösen Polyneuritis darbot, und die Diagnose um so eher gerechtfertigt sdiien,
als die Schmerzen in den Nerrenstämmen von wochenlangem Fieber begleitet waren, und
doch erwiesen sich später alle Encheinungen, sogar die Temperaturerhöhung rein hysterischen
Ursprungs.
— 873 —
sfawse die Canüle einer Fravaz'schen Spritze dem in Bauchlage befindlichen
Patienten direct gegen die Oelenkfortsätze ; die Wirkung ist eine ungleich
schnellere^ und nie habe ich danach Intozicationserscheinungen beobachtet, da>
g^en selur häufig nach 3— 5tagigem Gebrauche 3— 4^/o Carbolcompresse. Gegen
die consecutive Neuritis applicire ich die Garbolsaure beinah ausschliesslich sub-
cutan. Am edatantesten erweist sich der Erfolg in chronischen Fällen, wo die
conseoutiTe Neuritis das dominirende Symptom ist und andere therapeutische
Maassr^ln (Galvanisation, Thermocauter etc.) längere Zeit erfolglos angewandt
wurden. Bei sicherer Diagnose habe ich bis jetzt noch keinen einzigen Miss-
erfolg erlebt; in zweifelhaften Fällen kann die Garboltherapie sogar, die Diagnose
insofern unterst&tzen, als bei rein nervösen Schmerzen die Garbolsaure sich ganz
wirkungslos erweist Die Wirkung der Garbolsaure ist keine palliative, sondern
eine curative, nur ist manchmal Ausdauer in der Behandlung absolut nothwendig.
2. Einige therapeutische Versuche mit der Hypnose.
Von Dr. Sperling, Berlin.
Aus der Poliklinik f(tr Nervenkrankheiten von Prof. Büi^enbubg
und Prof. Mendel.
(FortBetznng.)
n.
Bei einem zweiten Falle von Hystero-EpQepsie erzielte ich zwar keinen so
glanzenden Erfolg, aber immerhin Besultate, die bemerkenswerth genug sind.
Die betreffenden Krankengeschichten, welche der Chronicität dieser Krankheit
entsprechend meist von bedeutender Länge sind, sollen hier nur in Kärze mit-
getheilt werden.
Frau ScL, 26 Jahre alt» die als Mädchen an Chlorose gelitten und auch jetzt
noch über Dysmenorrhoe zu klagen hat» im Allgemeinen von kräftigem Körperbau, ver-
fUlt nach emem im Mai 1885 durchgemachten Wochenbett in eine schwere Er-
schCpfangsnenrose, von der sie sich nnr langsam erholen kann. Während dieser Zeit
erzählt ihr eines Tages eine Bekannte von einer »»schaarigen" Operation, die sie bei
vollem Bewusstsein dorehgemacht, und der Eindruck dieser Erzählnng auf unsere
Patientin äussert sieh in einem hysterischen Anfall, bei welchem vasomotorische Er-
scheinungen die Hauptrolle gespielt zu haben Schemen: Leichenblässe des Gesichts
nach zuerst eingetretener grosser Böthe, Salivation u. s. w. bei allgemeiner Uebelkeit,
aber erhaltenem Bewusstsein. Die Sprache soll ihr unmittelbar darauf versagt haben.
Einige Wochen später wiederholte sich dieser Anfall bei Gelegenheit einer anderen
,,8Chaurigen" Erzählung, war aber jetzt mit einem „Schlagen des Kopfes^' und mit
„Schflttehi und Schlagen" im ganzen Körper verbunden. Solche Anfölle dauerten bis
zu einer halben Stunde und traten mehrere Monate lang täglich, ja oft auch 5 bis
6mal an einem Tage auf. So blieb der Zustand bis zum November 1887; nur zwei-
mal traten ganz krampffreie Pausen von 14 Tagen und 3 Monaten ein, während im
üebrigen Besserung und Verschlechterung mit und ohne besondere Ursache mit ein«
ander abwechselten.
— 374 —
Im KoYember 1887 sah ich die Pai zum ersten Mal. Die somatiscbe genaue
Uniersuchnng ergab keine positiven Besoltate, abgesehen von einer enorm grossen
Empfindlichkeit aller Nervenst&mme gegen mechanische Beizung. Bald liessen sich
auch solche Punkte constatiren, durch deren Druck man die Krämpfe hervorrufen
konnte, besonders spielte die Ualsgegend in dieser Beziehung eine hervorragende
Bolle. Dieselben verliefen in der Weise, dass in Verbindung mit einem tiefen Seufzer,
mit einem Schluchzen oder Aufschrei, ein Zittern der Augenlider begann; die Stirn
zog sich in Falten, die Augen wurden gedreht und gerollt, die Zähne pressten sich
fest aufeinander, der Kopf wurde nach hinten übergezogen und unter dem Ausstossen
aller möglichen unartikulirten Laute vollzog sich eine tonische Beugecontractur der
Arme und eine Streckcontractur der Beine. Mit einer tiefen Exspiration liessen
dann alle diese Erscheinungen nach, um nach kurzer Pause sich in derselben Weise
zn wiederholen. Ueber den Anfall bestand fast voilkommne Amnesie.
Nachdem schon der ganze Arzneischatz erschöpft und auch von keinem Mittel
ein nur geringer Erfolg hatte gerühmt werden können, versuchte ich es mit der
Hypnose. Es war nicht schwer, einen leichten hypnotischen Zustand hervorzurufen,
jedoch war der Eintritt desselben von einem Krampfausbruch heftiger Art begleitet»
der indess bald von einer voUkommnen Buhe gefolgt war. Bei der zweiten nur durch
Zudrücken der Augenlider und durch Suggestion hervorgerufenen Hypnose zeigte sich
nur — ganz wie im vorigen Falle — eine Andeutung des Krampfes. Darauf folgte
eine krampffreie Pause von 2 Tagen; zugleich waren die heftigen Schmerzen im
linken Bein, . worüber Patientin in der letzten Zeit beständig geklagt hatte, voll-
kommen geschwunden. Nunmehr änderte sich der Charakter der Krämpfe, indem
stets ein Laohkrampf in den Vordergrund trat, während die Bewegungen der Ex-
tremitäten fast fortfielen. Jedoch gelang es Mitte December v. J., zu Demonstrations-
zwecken, Krämpfe der alten Art wieder hervorzurufen, denen dann leichtere Ausbrüche
in den nächsten Tagen häufig folgten. Dieselben konnten durch eine fernere Hyp-
nose — die fQnffee — wieder beseitigt werden, obwohl in dieser wie in der ersten
sich ein heftiger Anfall auslöste und in Folge der durcu Prüfung kataleptischer Er-
soheinungen u. s. w. etwas ausgedehnten Sitzung sich nach derselben Uebelkeit und
Mattigkeit eingestellt hatten.
Volle 4 Wochen war unsere Patientin von Krämpfen frei, so dass sie sich eines
grossen Wohlbefindens erfreuen konute. Nach Ablauf dieser Zeit erwies sich ein
jäher Schreck als Störenfi-ied, jedoch blieb die üble Wirkung desselben auf einen
Anfall beschränkt. Ohne Ursache traten dann nach etwa 8 Tagen, verbunden mit
Kopfschmerzen zwei bis drei Anfälle hinter einander auf, nach ferneren 8 Tagen
wieder mehrere, und so blieb es im Februar und der ersten Hälfte des März, während
welcher Zeit sich die Pai ans unbekannten Gründen der Behandlung entzogen hatte.
Am 16. März kam sie dann wieder, wurde hypnotisirt, hatte darauf noch drei Anfälle
und dann Buhe während 4 Wochen. Eine Wiederholung trat ein am 15., 16. und
17. April, dann wieder am 28. post coitum. Seitdem ist Fat bis heute (10. Mai)
von solchen Zufällen verschont geblieben, jedoch fühlt sie, dass „es sich hin und
wieder meldet'', aber sie kann es jedesmal unterdrücken; ihr Allgemeinbefinden lässt
dabei wenig zu wünschen übrig.
Dieser Fall onterscheidet sich in mehreren Punkten wesentlich von dem
vorbeigehenden. Vor Allem ist die letztere Patientin für die Suggestion in der
Hypnose lange nicht so empfänglich, wie jener junge Mensch, der mit stannens-
werther Pracision darauf reagirte. Eine Untersuchung, worauf dies im Einzelnen
zu beziehen wäre, würde hier zu weit führen. In Folge dessen musste auch
der Erfolg der Behandlung hinter jenem zurückbleiben. Aber ausserdem standen
demselben in diesem Falle noch mehr Hindemisse entgegen, als in jenem:
— 375 —
onglookliche häusliche Yerhaltnissey die za fortwährendem Aerger und Auf-
regnngen fährten, schlechte pekuniäre Lage, die eine Trennung von den häus-
lichen Geschäften nicht ermöglichte, ungesunde Wohnung u. a. m. Schliesslich
aber ist nicht zu vergessen, dass die Methode der Behandlung viel zu wünschen
übrig gelassen hat. Vor AUem ist hier eine sorgßltige elektrische Therapie,
wie ich sie für solche Fälle nebenbei als unbedingt erforderlich halte, aus nahe-
liegenden Gründen weggefallen; auch konnten Diätvorschriften nicht so genau
befolgt werden, und was die hypnotische Eur selber anbelangt, so wären darin
die allergrössten Fehler gemacht worden, wenn man nur das therapeutische
Interesse hätte verfolgen wollen. Indess kam es mir hier speciell darauf an,
durch Experimente während des hypnotischen Zustandes, deren Erwähnung ich
unterlassen habe, meine eigne Erfahrung zu bereichem. Der Werth indess,
welcher der Hypnose hier beizumessen ist, ergiebt sich aus den in den Monaten
Februar und März gehäuften Anfallen, bei welchen es durch die Schuld der
Patientin unterlassen wurde, denselben Einhalt zu thun.
m.
Der dritte Fall, auf welchen ich die neue Heilmethode angewandt habe,
zeigte sich wiederum durch den Erfolg dankbarer.
Es handelte sich um ein 22jähriges ziemlich robustes, aber. hereditär belastetes
junges Mädchen (H. E.)» welches plötzlich auf der Strasse zusammensank und in ein
Haus getragen wurde, wo ich zufällig Gelegenheit hatte, sie zu beobachten. Bei
vollkommnem Verlust des Bewusstseins befanden sich die Finger beider Hände in so
starker Contractur, dass es die grOsste Kraftanstrengung kostete, um sie zu öffnen,
die Kiefer waren fest auf einander gepresst, die weiten Pupillen reagirten gut^
schmerzhafte Nadelstiche an den Händen wurden mit karzen Seufzern, aber keiner
Abwehrbewegung beantwortet. Es gelang mir, diesen Anfall durch Druck auf die
linke Ovarialgegend zu coupiren. Wenn dies schon als Zeichen für die Natur des*
selben gelten musste, so sprachen die ferneren Klagen der Patientin: anhaltender
heftiger Stimkopfschmerz, Schmerzgefühl unter der rechten Brust, Gefühl einer im
Halse steckenden Kugel, bei absolut nicht nachweisbaren somatischen Veränderungen
mit Sicherheit für die Diagnose eines hystero-epileptischen Anfalls. Unmittel-
bar danach fühlte sich Patientin ausserordentlich matt, wie denn überhaupt ihr
Allgemeinbefinden während der letzten acht Tage, sowie Appetit, Stuhlgang und
Schlaf viel zu wünschen übrig liessen. Eine Veranlassung zu dem plötzlichen Auf-
treten des Krampfes konnte durchaas nicht festgestellt werden.
Eine Wiederholung desselben folgte in der Nacht und dauerte etwa eine Stunde.
Bei Tage und bei Nacht traten nun, zweimal, auch dreimal in 24 Stunden, solche
Anfälle auf, ohne dass auch nur ein Tag übersprungen wurde, und so ging es
9 Tage lang bis zum 25. April d. J. fort. Dabei hatte sich das Allgemeinbefinden
erheblich verschlechtert, zumal der Kopfschmerz unerträglich geworden war. Brom-
präparate in Dosen, wie sie bei der Epilepsie verordnet werden, hatten durchaus
keinen Erfolg, ja es war überhaupt nicht die leiseste Wirkung davon zu verspüren,
ond es blieb sich ganz gleich, ob das Brom an einem Tage genommen wurde öder
nicht, der Krampf wiederholte sich eben mit grosser Begelmässigkeit.
So lange hatte ich gewartet, um über den muthmaasslichen Verlauf der Krank-
heit ein ungefähres Urtheil zu gewinnen. Am 25. April leitete ich die erste Hyp-
nose ein, welche leicht gelang und voUkommne Amnesie für das dabei Gesprochene
n. s. w. hinterliess. Unmittelbar darauf fühlte sich Patientin erheblich wohler,
„leichter^', insbesondere war der Kopfschmerz vermindert» die Nacht wurde besser
— 876 —
verbracht, und auch fQr den nächsten Tag hielt die BeBserung an, bis am Vormittog
nnter Kopfschmerz als Vorbote sich wiederum ein Krampf von einatündiger Dauer
mit Bewusstseinsverlust einstellte. Am 26., 27. und 28. wurde die zweite^ dritte
und vierte Hypnotisation vorgenommen, um noch diese und jene krankbafbe Erschei-
nung zu bannen und den Gedanken an die üeberwindbarkeit der An^e immer fester
zu suggeriren. In der That verlief auch der 27. und 28. ganz ohne Störung bei
bedeutend gehobenem Allgemeinbefinden, bis am 29. Abends wiederum ein Krampf
von einstündiger Dauer und einige Zeit sp&ter, bevor sich Patientin zu Bett legte,
ein Schwindelanfall auftrat. Letztere Erscheinung begrOsste ich mit Freude als einen
Uebergang zu einem leichteren Aequivalent, eine Auffassung, die sich späterhin auch
bestätigen sollte. Jedoch erneute sich ein Krampfanfall noch am nächsten Tage,
dem 30. April, dauerte indess nur ca. 20 Minuten und ging nicht mit voUkommnem
Bewusstseinsverlust einher. Dagegen hatten sich wieder andere Erscheinungen ein-
gestellt, die man zu bekämpfen hatte: Böthe und brennendes Qefühl im Gesicht,
Kälte und Schweissausbrach in den Extremitäten, dabei natürlich schlechteres All-
gemeinbefinden. Die Hypnose besserte diesen Zustand, und so blieb es nach gut
verbrachter Nacht bis zum nächsten Tage, jedoch trat am 1. Mai ein Anfall von
^/jStündiger Dauer ein, am 2. sogar mehrere, die ebenfalls von den geschilderten
vasomotorischen Erscheinungen begleitet waren. Indessen sollten diese vorläufig die
letzten sein.
In der nunmehr am 2. Mai eingeleiteten und auf 15 Minuten ausgedehnten
Hypnose gelang es mir, die genannten Störungen vollkommen zu beseitigen; nach
dem Erwachen fühlte sich Patientin wohl und meinte, dass die Hitze aus dem Ge-
sicht gewichen und die Hände wieder warm wären. In der That konnte ich mich
auch objectiv davon überzeugen, dass die rechte Gesichtshälfte, welche vor der Hyp^
nose „geglüht" hatte, sich nur ein wenig wärmer wie die normale Temperatur auf-
weisende linke anfühlte. Eine PupiUendifferenz hatte nicht bestanden. Analoga zu
einer solchen gelungenen Beeinflussung vasomotorischer Vorgänge finden sich häufig
in der Litteratur.
Am 8., 4., 5. und 9. Mai folgten einige Schwindelanfälle, die besonders bei
dem Wechsel der Körperlage eintraten, im Uebrigen unbedeutend und ganz vorüber-
gehend waren, während sich Patientin dabei, besonders in den letzten Tagen, eines
vorzüglichen Allgemeinbefindens erfreute. Bis heute (20. Mai) habe ich die Patientin
täglich mit Ausnahme des 8. und 10. hypnotisirt. (Am 23. Mai ist der Zustand
unverändert gut)
Die Wirkung der Hypnose kann in diesem Falle kaum bestritten werden,
zumal ich bei dieser Behandlang absichtlich von der Anwendung von Medika-
menten sowie Diätvorschriften u. s. w. Abstand genommen hatte. Das Einzige,
was ich der Patientin empfohlen, waren morgendlidie kalte Abreibungen.
Interessant ist es, hierbei zu sehen, wie sehr es auch auf die hypnotische
Dosis ankommt^ die dem Patienten in (Gestalt von Schlaf an und für sich, oder
von Suggestionen resp. von Zeit, die letzteren zu „verdauen", einverleibt wird.
Offenbar genügte die Dauer der ersten Hypnosen von ca. 3 Minuten nur für
die ersten Sitzungen, während sich dieselbe späterhin als unzulänglich erwies
und verlängert werden musste. Ob sich aus dieser Beobachtung ein therapeu-
tisches Q-esetz wird ableiten lassen, ist mir noch zweifelhaft, jedenfalls habe ich
in andern Fällen ähnliche Erfahrungen gemacht
Was schliesslich die Aussicht auf endgültige Heilung dieses Falles an-
langt, so dürfte dieselbe unter sonst gunstigen umständen als gut bezeichnet
werden. Könnte man die Patientin jetzt in ein Soolbad schicken und ihr mit
— 877 —
der 80 Dothwendigen Gemüthsruhe die entsprechende körperliche Pflege ange-
deihen lassen, so zweifelte ich nicht an dem allerbesten Erfolg. Statt dessen
steht sie mit ihrer Mntter auf ewigem Eriegsfass und verwendet Zeit und Ge-
duld auf die Pflege eines kranken Bruders, der ebenfalls unter hysterischen
Anfallen leidet, die jetzt in eine melancholische Psychose überzugehen drohen,
und unter deren Einfluss schon öfters Gonamina suicidii gemacht worden sindi
Yon denen die Schwester den Bruder durch Entreissung der Waffe gerettet hati
Unter solchen stets das Gemflth in Aufregung erhaltenden Verhältnissen ist bei
der pekuniär schlechtesten Lage der Familie freilich fllr einen dauernden Be-
stand der Heilung wenig zu hoffen.
IV.
Einen vierten Fall derselben Kategorie will ich nur kurz erwähnen, weil
die geringe Zeit der Beobachtung wenig haltbare Schlüsse gestattet, aber inmier-
hin um eine Erfahrung reicher macht
Es bandelte sich hierbei um einen Fall von langjähriger traumatischer Hystero-
Epilepsie. Ich hypnotisirte dreimal. Es Hess sich bei dem jungen 17jähr. Menschen
in der Hypnose eine kataleptische Starre des ganzen Körpers erzeugen, wie sie in
den Schaustellungen von Hansen und Bollert nicht besser gesehen werden konnte.
Vielleicht habe ich eben dadurch geschadet An demselben Tage, an welchem ich
die kataleptische Starre erzeugt hatte, trat ein Erampfanfall auf, der mir nach der
Schüderung seiner Angehörigen als rein epileptisch imponirte. Ich liess mich da-
durch t&uschen und gab die Behandlung auf, um den Patienten einer Anstalt zu
flberweisen. Trotz öfterer Anfrage bei seinen Eltern habe ich leider nie wieder von
ihm gehört
Wenn die Hystero-Epilepsie in ihrer buntfarbigen Erscheinung schon ein
dankbares Feld — zum mindesten zu Versuchen mit therapeutischer Hypnose
darbietet, so sind es vielmehr noch die hysterischen Lähmungen, welche ent-
schieden einer grossen Beeinflussung durch dieselbe zugänglich sind; und be-
käme die Hypnose hierbei auch nur die Bedeutung einer Mithülfe, und müsste
im Uebrigen die bisherige Therapie die weiteren Leistungen bis zur vollkommnen
Wiederherstellung übernehmen, so dürfte wohl Jeder, der weiss, welche Schwierig-
keiten die Behandlung der Hysterie bietet, mit mir glauben, dass hiermit mancher
Vortbeil gewonnen ist Eine andere Frage ist es, wie weit sich die hypochon-
drischen Beschwerden, welche meist mit den Lähmungen Hand in Hand gehen,
wie Olobus, Clavus, Kücken- und Brustschmerz, Herzpalpitationen u. s. w. durch
die Hypnose bannen lassen. Es wird unzweifelhaft Fälle geben, die dafür un-
zugänglich sind, jedoch habe ich in mehreren mit überraschender Schnellig-
keit nach wenigen hypnotischen Sitzungen alle diese subjectiven Beschwerden
weiehen sehen. Wie lange freilich ein solcher Erfolg anhält^ das ist eine Er-
Mrung, die die Zeit wird bringen müssen. Immerhin ist dann auf bequeme
und durchaus unschädliche Art für Stunden oder Tage eine Erleichterung ge-
schafien, wie sie durch die besten unserer Medikamente in solchen Fällen auch
nicht besser bewirkt werden kann. Und ein unschätzbarer Vorzug dieser Therapie
scheint mir, soweit meine Erfahrung reicht, auch ausserdem noch der zu sein,
dass sich ihre Wirkung nicht erschöpft Die zwanzigste Hypnose kann eventuell
— 378 —
denselben Nutzen bringen wie die erste, was bekanntlich von der ebensovielsten
EsslöfEeldofiis Medioin auf dem Gebiete der Hysterien nur selten gerühmt wer-
den kann.
V.
Der erste Fall, den ich in dieser Beziehung mitzatheilen habe, betrifiR ein
22jähriges Mädchen, M. B., dessen Vater sich seit vielen Jahren im Irrenhause be-
findet und die stets unter sehr unglücklichen häuslichen Verhältnissen zu leiden
gehabt hat Sie klagt seit mehreren Jahren über einen den ganzen Kopf einnehmen-
den in unbestimmten Zeiträumen auftretenden Kopfschmerz, über häufiges Erbrechen,
schlechten Appetit» Schwindel, Herzklopfen und allgemeine Schwäche, als sie zum
ersten Mal unsere Poliklinik aufsucht. Es wurde anfangs geglaubt, dass es sich
hier um einen besonders schweren Fall von Migräne handele, jedoch wurde mit der
hierfür angewandten Therapie durchaus kein Erfolg erzielt. Da plötzlich änderte
sich das Bild. Eines Tages erschien Fat. wieder in der Poliklinik und klagte über
eine ungeheure Schwäche in den Beinen. In der That knickte sie bei jedem Schritt
in den Hüften und Knien ein, und schleppte die Füsse auf dem Erdboden nach, so
dass der Gang dadurch ein eigenthümlich wogendes Gepräge erhielt. Ausserdem
bestanden die vorhin genannten Beschwerden unverändert fort. Am 29. März d. J.
unternahm ich dann eine eingehende Untersuchung, von der ich das Hauptsächlichste
kurz mittheilen will.
Die Psyche und Intelligenz, sowie die höheren Sinne erwiesen sich als durchaus
intact Die Sprache war in den letzten Wochen langsamer und schwerfällig« ge-
worden. Im Gebiet der Motilität zeigte sich eine erhebliche motorische Schwäche
der Extremitäten, . während die Himnerven durchaus intact wareu. Zunge, Hände
und Füsse zitterten im Zustand der Buhe und der Bewegung. Sensibilitätsstöruugen
irgend welcher Art konnte ich trotz der ' genauesten biesbezüglichen Prüfung an den
untern Extremitäten nicht entdecken, dagegen war an der linken Hand der Temperatur-
sinn deutlich herabgesetzt, während die andern Gefühlsqualitäten normal gefunden
wurden. Die Patellarreflexe sind stark, desgleichen alle Hautreflexe, Fussclonus ist
nicht vorhanden; der Cubitalreflex erscheint als ein langdauemder Tremor des ganzen
Armes.
Wenngleich dieses ganze Bild als ein hysterischea imponiren muaste, so konnte
ein anderer Gedanke wenigstens nicht ganz von der Hand gewiesen werden. Die
Pat klagte nämlich auch, dass sie häufige Kolikanfalle und Diarrhöen durchgemacht,
sowie öfter an Gelenkschmerzen gelitten habe; dies konnte im Verein mit ihrer An-
gabe, dass sie seit 5 Jahren in einem Fischconserven-Geschäft thätig sei, wo sie die
Gläser mit Stanniol zu verbinden habe, eventuell zu der Annahme berechtigen, dass
das verwandte Stanniol Blei enthalten habe und hier eine Bleiintoxication vorliege.
Freilich fehlte der Bleisaum. Späterhin wurde indess aus naheliegenden Gründen
dieser Gedanke vollkommen aufgegeben.
Gleich die erste Hypnose führte in Bezug auf die Gehfähigkeit eine bedeutende
Besserung herbei, auch die übrigen Symptome wurden günstig beeinflusst, ausge-
nommen die enormen Schmerzen in beiden Kniegelenken, welche in der Bewegung
wie in der Ruhe gleichmässig quälten. Nachdem das Allgemeinbefinden nach etwa
5 Sitzungen ein verhältnissmässig günstiges geworden war, gab ich vorläufig die
Hypnose auf, um die Patientin einer sehr sorgföltigen galvanischen Kur zu unter-
ziehen, welche natürlich wie schon vorhin durch Bäder, Abreibungen u. s. w. unter-
stützt wurde. Als nach Verlauf von 10 Tagen in Bezug auf die erwähnten Schmerzen
ein kaum nennenswerther Erfolg zu verzeichnen war, ging ich zur Hypnose zurück,
am dieselbe diesmal freilich etwas methodischer, energischer und vor Allem regel-
mässiger, als es vorhin in der Poliklinik geschehen war, anzuwenden. Während die
— 379 ^
Hypnose in der ersten Zeit nur sehr leicht gewesen war, yertiefbe sich dieselbe immer
mehr, bis schliesslich vollkommne Amnesie über alle Suggestionen eintrat.
Im Ganzen wurde die Fat vom 25. April bis zum 16. Mai etwa zwanzig Mal
hypnotisirt und erfuhr nach jeder Sitzung eine so merkliche Besserung« dass von
aUen fr&her angefahrten Symptomen schliesslich nur eine gewisse allgemeine Schwäche
zurückblieb, welche hofifenUich durch einen eben gewählten Landaufenthalt mit nach-
folgender Kur in einem Saolbade vollkommen beseitigt werden wird, um einer voll-
ständigen Genesung Platz zu machen.
In diesem Falle hat die Hypnose in kurzer Zeit so viel geleistet, wie man
es von einer auch noch so sorgfaltig durchgeführten Eur nach älterer Methode
kaum erwarten kann.
VI.
Wie sehr hysterische Lähmungen der Therapie mit der Hypnose zugänglich
sind, beweist auch noch ein anderer Fall, welcher überdies die Schwierigkeit der
Differential-Diagnose zwischen hysterischen und organischen Affectionen auf's
Nene beweist.
H. E., 14 Jahre alt, hatte schon vor 2 Jahren die Hülfe unserer Poliklinik
nachgesucht. Damals hatte sich bei dem bisher vollkommen gesunden und nach-
weislich nicht hereditär belasteten kräftigen Mädchen ohne alle Vorboten eine Schwäche
der Beine eingestellt, welche immer mehr zunahm. Beim Gehen schleppte sie die
Füsse nach und knickte häufig in den Knien ein. Der Bücken befand sich dabei
in starker Lordose, und es hatte der Gang im Ganzen eine gewisse Aehnlichkeit mit
dem Gange der Personen, welche an congenitaler Hüftgelenksluxation leiden. Zu-
gleich war die am stärksten lordotische Lendenwirbelsäule sowohl spontan als auch
bei Bewegungen und auf Druck äusserst schmerzhaft. Nimmt man dazu, dass auch
objectiv die motorische Schwdche beider Beine als sehr erheblich zu constatiren war,
dass die Patellarreflexe ungemein stark und besonders links ein ausgeprägter Fuss-
clonus hervorzurufen war, sowie dass Vesical- und Bectalreflex nicht unbedeutende
Störungen zeigten, so lag bei dem Mangel aller Sensibilitätsstörungen der Gredanke
an eine Myelitis, vielleicht tuberculöser Natur, ziemlich nahe.
Nach einem Monat hatte sich in dem geschilderten Erankheitsbilde trotz sorg-
föltiger elektrischer Behandlung wenig verändert; ein wenig Besserung trat in den
nächsten 4 Wochen auf; die Patientin ging dann zu Verwandten auf's Land, und -^
nach weiteren 3 Wochen war die ganze Krankheit verschwunden. Diese Anamnese
machte die Diagnose nicht schwer, als die Pat. sich vor etwa 3 Monaten mit dem
fost gleichen Leiden, nur nicht so ausgeprägt wie früher, wieder in der Poliklinik
einstellte. Eine mehrwöchentliche elektrische Kur nebst Bädern, Abreibungen u. s. w.
besserte wenig oder gar nichts.
Die hypnotische Therapie beschränkte sich in diesem Falle nicht auf die blosse
Suggestion, sondern es wurde dieselbe auch mit passiven und activen Uebungen der
gelähmten Glieder verbunden. Dabei zeigte es sich, dass das rechte Bein, auf welches
diesmal die Lähmung beschränkt war, welches beim Gtohen nachgeschleppt wurde,
80 dass der innere Fussrand den Boden berührte, und welches der Aufforderung zur
Flesion im wachen Zustand auch nicht durch die leiseste Kraftäusserung nachkam,
in der Hypnose, die gleich beim ersten Mal ziemlich tief war und Amnesie hinter-
liess, mit einer nennenswerthen Kraft gebeugt werden konnte. Desgleichen war der
Gang während der Hypnose nach einer diesbezüglichen Suggestion erheblich natür-
licher . und dem normalen nahekommend. Die Kranke konnte gewöhnlich auf ihrem
rechten Bein allein nicht stehen, hypnotisirt stand sie darauf aber vorzüglich und
schwankte kaum, obwohl die Augen geschlossen waren. Nach etw{i 10 hypnotischen
— 380 —
Sitzimgen war der Oang fast normal und auch andere weniger wichtige Symptome,
wie Kopfscbmerzen, Schwindel n. s. w., die zeitweilig aufni^etreten, yoUkommen be-
seitigt^ so dass ich kein Bedenken trug, die Patientin, welche sich wiederum nach
dem Landaufenthalte sehnte, aus der Behandlung zu entlassen. Vier Wochen darauf
schrieb sie mir, dass sie sich yollkommen wieder hergestellt fühle.
(Schloss 'folgt)
n. Referate.
Anatomie.
1) Ueber die Leitungabahn des liohtreises von der Netzhaut des Auges
zum Nervus ooulomotorius, von L. Darkschewitsch. Eine anatomisch-
physiologische Untersuchung. (Moskau X887. IV. 146 Seiten. Russisch.)
Die Schrift des Verf. zerfallt in drei Abschnitte. Der erste enthält seine ana-
tomischen Untersuchungen Ober die hintere Gehimcommissur, die Zirbeldrüse und
die Pupillarfasem des Tractos opticus. Im zweiten beschreibt er seine Thierrersuche
mit Zerstörung der hinteren Gommissur und der Pupillarfasem und deren Einfluss
auf die Pupillenreaction. Im dritten (Schlusscapitel) sind seine Anschauungen über
den Gesammtverlauf der Bahn, auf welcher der Lichtreiz von der Netzhaut zum
Oculomotorius geleitet wird, niedergelegt. Was den thatsächlichen Inhalt des Buches
anbelangt, so ist derselbe bereits aus den im Laufe dreier Jahre erschienenen Original-
mittheilungen des Verfassers den Lesern dieses Centralblattes in extenso bekannt.
In der russischen Bearbeitung sind die betrefifenden Artikel in systematiBcher Reihen-
folge geordnet, mit genauen Litteraturangaben versehen und durch 20 Zeichnungen
illustrirt; die meisten Figuren sind ebenfalls in den deutschen Abhandlungen des
Verf. über dasselbe Thema abgebildet. (Vgl Neurol. Ctrlbl. 1885 u. 1886, Archiv
für Anatomie und Physiologie 1886 und Pflüger*s Archiv 1886.)
P. Rosenbach.
2) Ueber die Beziehung des Nervus aooesaorius zu den Nn. vagua und
hypoglossus, von 0. Dees, Kaufbeuren. (AUg. Ztschr. f. Psychiatrie. XUV. 6.)
D. hat in seiner Arbeit über den N. accessorius (dies CentralbL 1887. S. 251)
von der Möglichkeit gesprochen, dass der Accessoriuskem nach oben in den vorderen
Vaguskem übergehe. Fortgesetzte Untersuchungen haben dies nicht best&tigt, viel-
mehr geht der Accessoriuskem als ein Bestandtheil der grossen motorischen Zellen-
s&ule des Vorderhoms proximalwärts unmittelbar in den Hypoglossuskern über.
Bisch off *s Auflhssung, dass die aus der Oblongata entspringenden und in den
Vagus übergehenden Accessoriosfasem die Eehlkopfmuskeln innerviren, kann D. nicht
theilen. Th. Ziehen.
Experimentelle Physiologie.
3) Expörienoes sur les fonotionB motrioes du oerveau, par £. Dupuy.
(Compi rend. 1888. Nr. 14.)
D. fand, dass die Spaltung der Dura mittelst Kreuzschnittes über der Scheitel-
region an sich bereits eine Parese der gekreuzten und zuweüen der gleichseitigen
Gliedmaassen hervorbringt, femer eine constante Parese der gleichseitigen Qesichts-
musculatur. Die gleichseitige Gesichtsh&lfte erscheint zugleich hyperästhetisch. L&sst
man eine Duraspaltung auf der anderen Seite folgen, so verschwinden die Paresen
— 881 —
wieder. — Faradiscbe Reizung der aneröffneten Dura erzeugt ganz analoge Bewegongs-
effecte wie die faradiscbe Reizung der Rinde selbst. Die dureb Duraspaltong her-
▼orgebracbten Paresen lassen sieb aacb durcb elektriscbe Durareizung wieder zum
Scbwinden bringen. — D. glaubt, das» diese Tbatsacben sieb mit der berrscbenden
Tbeorie der psycbomotoriscben Rindencentren nicbt in £inklang bringen lassen.
Tb. Zieben.
4) CalorimetrlBOhe Untersuchungen über die Wärmeproduotion und Wärme-
abgabe des Armes an Gesunden und Kranken, Inaugural-Dissertation von
Carl Rosentbal. (Erlangen, Juli 1887. 58 Seitra. — Arcbiy fOr Anatomie
u. Pbysiologie. 1888. Pbysiol. Abtb.)
Die Yersucbe, 72 an der Zabl, wurden mit einem neuen von Prof. J. Rosen-
tbal angegebenen Apparate angestellt. Derselbe bestebt im Wesentlicben aus zwei
l^stemen je drei in einander gescbacbteller Blecbcylinder; ein jedes der beiden inneren
Cylindersysteme bildet je ein Lufttbermometer und beide zusammen ein Differential-
lufttbermometer. Die beiden äusseren Cylinder dienen lediglicb dazu, den Einfluss
der ümgebungsluft zu paralysiren. Die Arme wurden in den betrefifenden Cylinder
gesteckt und aus dem empiriscb gefundenen Maass der Wärmeabgabe des Armes
liessen sieb Scblflsse zieben auf seine Wärmeproduction und die des ganzen Körpers.
Denn im Arm circulirt das Blut» der Träger der Körperwärme, des ganzen Körpers;
es wird femer im Arm unabbängig Tom übrigen Körper Wärme producirt, und es
ist nicbt abzusebeUi wesbalb in ibm andere Yerbältnisse der Wärmeabgabe und,Pro-
duction als im ganzen übrigen Körper berrscben sollten. Es ergab sieb nun, dass
der unbekleidete Arm mebr Wärme abgab als der bekleidete. Erböbte Wärmeabgabe
trat femer ein, bei scbon geringerer Bewegung, bei dem Genuss von Alkobol oder
beissem Wasser, bei angestrengter geistiger Arbeit, bei dem Gebraucb von Nicotin
und Amyhiitrit etc. Vermindert war die Wärmeabgabe bei Einreibung der Haut mit
Yaselin, bei Bebinderung der Circnlation durob Umscbnümng des Arms etc. Anti-
pyrin, Antifebrin, äussere Application von Eiswasser auf die Haut in bescbränktem
Umfange und kurzer Zeit, batten auf die Wärmeökonomie des gesunden fieberfreien
Olganismus keinen Einfluss. Je grösser, je schwerer, je besser genährt eine Person
war, um so mebr Wärme giebt sie unter sonst gleichen Verhältnissen ab. 22 der
Versuche wurden an Fiebernden gemacht; die Wärmeabgabe war im Fieber geringer
als bei dem gesunden Organismus, im Fieberfrost war sie sehr gering. Zur Zeit des
Ansteigens der Innentemperatur zeigten alle chronisch und gering Fiebernden eine
Steigerung der Wärmeabgabe, die acut fieberhaft Erkrankten hingegen eine Vermin-
derung. Die Temperaturerhöhung im Fieber beruht im Wesentlichen auf einer Ver-
ringerung der Wärmeabgabe nach aussen. Dieselbe kommt dadurch zu Stande, dass
das fiebererregende, im Blut kreisende Agens das Hauptcentrum für die Vasomotoren
in der Med. oblong, und vielleicht auch die übrigen Centren im Rückenmark auf
zweierlei Weise beeinfiusst. Entweder bewirkt es eine directe Erregung der Vaso-
constrictoren oder es wirkt durch Reiznnempfindlichmachnng der Vasodilatatoren.
Vielletcht liegt eine zweite Ursache der Temperatursteigerang im Fieber in .der ge-
steigerten Wärmeproduction in Folge des gesteigerten Stofl^ecbsels. Dieser gesteigerte
Stoffumsatz aber dürfte vielleicht nur eine Folge der durch Fieberagens bewirkten
Veränderang des Blutes, specieU seiner abnormen Erwärmung sein und eine unter-
geordnete Rolle beaüglich der erhöhten Körpertemperatur spielen. Gestützt wird diese
Ansicht durcb Versuche von Knmagawa in Prof. 8ulkowski*s Laboratorium. Die-
selben ergaben, dass eine grosse Zahl der Antipyretica, Antipyrin, Chinin etc. den
Stoffumsatz des Organismus hemmen nnd verringern, während Antifebrin ihn erhöbt.
Die prompte Wirkung dieses Mittels beim Fieber spricht gegen die Annahme des
Wesens des Fiebers in dem gesteigerten Stoffnmsatz. In R.'s Versuchen bei Fiebernden
bewirkten die angewandten antifebrilen Mittel, Antipyrin und Antifebrin, eine Steigerung
— 882 —
der W&rmeabgabe nach aassen hin, indem sie entweder die Reizbarkeit der Yaso-
oonstrictoren abschwächten, oder diejenige der Vasodilatatoren erhöhten.
Kalischer.
Pathologische Anatomie.
6) Veränderungen der nervösen Centralorgane in einem Falle von cere-
braler Kinderlähmung, von Wallenberg. (Archiv f. Psychiatrie. Bd. XIX.
H. 2.)
Der Fat., um den es sich handelt, hatte im 6. Jahre einen Schlaganfall er-
litten. Im 49. Jahre bot er Lähmung des Rectus internus, rechts- und linkseitige
Lähmung der Extremitäten mit Contractur in typischer Form, ausgesprochener Wachs-
thumshemmung derselben Extremitäten und athetoide Bewegungen der linken Hand.
Die Faciales sollen beiderseits intact gewesen sein. Es fand sich eine erbsengrosse
Cyste im rechten Hirnschenkel oberhalb der hinteren Vierhügel, die die lateralen
Oculomotoriusbfindel, einen Theil des rothen Kernes, die obere Schleife, die Substantia
nigra und die obere Partie des mittleren Drittels der Fussfasem beteiligte. In der
Nähe der Brücke wurde auch noch eine Atrophie des gekreuzten Bindearmes con-
statirt. Pens, Medulla oblongata und Kleinhirn wurden nicht zur Untersuchung auf-
gehoben. Im Bückenmark fand sich in den oberen Partieen Degeneration beider,
besonders aber der linken Pyramidenseitenstrangbahnen, der Kleinhimseitenstrang-
bahnen ebenfalls links starker, grosser Partieen der seitlichen Grenzschicht und der
gemischten Seitenstrangzone und der GolTschen Stränge. Die Degeneration der
Goirschen Stränge reicht, allmählich abnehmend bis zur Mitte des Dorsalmarkes,
zu ihr gesellt sich eine Atrophie der Clark e'schen Säulen, die im oberen Dorsal-
mark nur die Querfasem, im Gebiete des 6. — 10. Dorsalnerven auch Längsfasem
und Ganglienzellen betheüigt, die Degeneration der Seitenstränge beschränkt sich
vom mittleren Dorsalmark an auf die Pyramidenseitenstrang- und Kleinhimseiten-
strangbahn, links ist sie immer viel stärker, wie rechts.
Der Fall bietet zunächst Interesse als ein solcher von duich 43 Jahre unver-
ändert bestehender gekreuzter Hemiplegie des Oculomotorius und der Extremitäten.
Er hatte intra vitam eine höhere Localdiagnose erlaubt. Ausserdem versucht Verf.
in der Epikrise die sämmtlichen im Rückenmark constatirten Veränderungen auf den
Himschenkelheerd zurückzuführen. Abgesehen von den Pyramidenbahnen nimmt er
für diese Degeneration folgenden Weg an: Vom Himschenkelheerd, durch den sich
kreuzenden Bindearm in das gekreuzte Corpus dentatum und von da in die Corpora
restiformia, hier zum Theil in die Kleinhimseitenstrangsbahn und zum Theil in den
Hinterstrangsantheilen der Corpora restiformia, von der Kleinhimseitenstrangsbahn
des Bulbus in die des Bückenmarkes, in die Clarke*schen Säulen und die Goir-
scben Stränge, von den Hinterstrangsantheilen der Corpora restiformia durch die
Schleife (prägnanter durch Fibrae areif ormes ext. ant., Olivenzwischenschicht, Fibrae
arciformes int. Edinger) zu den gekreuzten Goll'schen Kernen und dem Goirschen
Strang. Ausserdem nimmt er noch eine Degeneration der oberen Schleife direct bis
in die GolTschen Stränge an.
Es soll a priori zugegeben werden, dass eine Degeneration nicht unmöglich
wäre, die doppelseitige Erkrankung der Pyramidenseitenstrangbahnen bei einseitigem
Hiraheerd bat nichts auffallendes und eher schon die Hochgradigkeit der Erkrankung
bei der geringen Ausdehnung des Heerdes in den mittleren Partieen des Fusses.
Auch die Degeneration der Kleinhimseitenstrangbahnen in umgekehrter, als bisher
beobachteter Richtung in dieser Bahn, ebenso wie der Schleifenbahn übw Ganglien-
Intemodien hinaus, wäre bei dem Alter des Heerdes und der Erkrankung in früher
Jugend nicht ohne Analogie. Die Kleinbiinseitenstrangbahnen sind bisher zwar nur
— 883 —
bis in die Rinde des Warmes verfolgt, diese wird aber wohl Verbindungen mit dem
Corpus dentatum haben. Verbindungen zwischen den Glarke'schen Säulen und den
GolVschen Strängen findet Ref. nirgends erwähnt, man hätte hier eher eine Degene-
ration der hinteren Wurzeln erwarten müssen. Alle diese Erörterungen hätten aber
nur dann einen Werth, wenn der Verf. nach genauerer Untersuchung des Hirnstamms
und des Cerebellum, die postulaten Degenerationen 'Schritt für Schritt hätte verfolgen
und separate Heerde in diesem Grebiete hätte ausschliessen können. Da das ver-
säumt ist, bewegt sich Verf. nur auf dem unsicheren Boden der Hypothesen, auf
dem ihm jeder nach Gutdünken folgen oder nicht folgen kann. Ausserdem ist auch
die Krankengeschichte, bei der nach eigener Angabe des Verf. sehr erschwerten
UntersQcbung, keinesweg geeignet, die Annahme einer selbstständigen Erkrankung
des Rückenmarkes auszuschliessen. Bruns.
6) Bicerohe sitlle alterasioni del midoUo spinale conoomitanti le lesioni
cerebellari, dei dott S. Martinotti e F. Mercandino. (II Morgagni. 1888.
XXX. H. 1.)
Marchi hatte in einer (auch in diesem Ctrlbl. 1886. S. 559 besprochenen)
Arbeit mitgetheilt, dasS er nach vollständig oder wenigstens theilweis ausgeführten
Kleinhimexstirpationen bei Hunden und Affen u. A. eine absteigende Degeneration in
verschiedenen Feldern der Varolsbrücke und dann auch in den Kleinhimseitenstr«angen
beobachtet habe. Die Verflf. haben nun Gelegenheit gehabt, 5 Präparate von Klein-
himzerstorungen beim Menschen (4mal durch Tumor und Imal durch Abscess) auf
Degenerationen zu untersuchen und haben für das Rückenmark stets negative Resul-
tate gefunden. In einem Falle war allerdings eine Entartung der gekreuzten Pyra-
midenbahn vorhanden, doch war hier nicht auszuschliessen, dass diese von einer
Grosshimläsion abhängig wäre. Sie möchten daher zur Erklärung dieses Wider-
spruches gegen Marchi^s Befunde auf die Möglichkeit hinweisen, dass der Faserverlauf
bei dessen Versuchsthieren ein anderer sei, als beim Menschen, und erwähnen dabei,
dass z. B. bei der Wanderratte (Mus decumanus) nach Stieda und auch Flechsig
ein Theil der Pyramidenbahn in den Hintersträngen verlaufe. Ohne Weiteres dürfe
daher auf keinen Fall von einem Versuchsthier auf den Menschen zurückgeschlossen
werden. Sommer.
7) Mioroscopioal studies in a oase of pseudohypertrophic paralysis, by Dr.
G. W. Jacobi. (Joum. of nervous and ment. disease. 1887. p. 577.)
Der Patient war ein 15jähriger Knabe, der nicht hereditär belastet^ das einzige
▼on seinen 7 Geschwistern war, das an der in Rede stehenden Erkrankung litt; ein
Bruder starb allerdings gelähmt, aber aller Wahrscheinlichkeit nach durch postdiph-
therische Paralyse. Die Gehstörung wurde auffällig nach einem schweren Fall im
9. Jahre und hat seitdem langsame Fortschritte gemacht. Die Pseudohypertrophie
bei sehr bedeutender Functionsstörung hatte bei der genaueren Untersuchung beson-
ders den Vastus extemus, Gastrocnemius, Glutaeus, Infraspinatus, Deltoideus, Biceps,
Triceps und den Gostaltheil des Pectoralis beiderseits ergriffen. Die elektrische Er-
regbarkeit war für beide Stromarten herabgesetzt, l^irgends waren Muskelatrophien;
die Kniereflexe fehlten.
Die mikroskopische Untersuchung zweier Stücke aus dem linken Vastus ist nach
zwei Richtungen interessant. Verf. konnte im Gegensatz zu den meisten Autoren,
spedell zu Schnitze und zu Erb, nirgends hypertrophische Fasern constatiren,
obschon der Patient durchaus keine Zeichen von Marasmus darbot, Neben normal
breiten fanden sich nur noch verschmälerte Fasern. Doch lässt Verf. die Möglichkeit
— 884 —
offen, dass vielleicht die Untersachong anderer Mnskelstellen ein abweichendee Besnltat
ergeben haben könnte.
Auf eine fiildnngsanomalie der erkrankten Muskeln deutet die Thatsache, dass
die Anzahl der Muskelfasern, die hier 'durch umhOllendes Bindegewebe zu einem
Bündel zusammengefasst sind, nur die Hälfte der normalen Zahl beträgt, und dass
die einzelnen „Sarcons Elements" ausserordentlich klein und nicht in der regelmässigen
Anordnung abgelagert sind.
Im Uebrigen ist das Bindegewebe Sehr stark verdickt, do dass man Perimysium
intemum oft kaum' vom P. extemum unterscheiden kann; auch finden sich oft stärkere
Züge und Platten von fast knorpeligem oder sehnigem Aussehen, sowie grosse Massen
von Fettzellen in demselben. Mehrere Abbildungen erläutern die histologischen
Einzelheiten, auf die hier nicht genauer eingegangen werden kann. Sommer.
Pathologie des Nervensystems. .
8) Sur iine aflBeotion oaraotöriaee par de l'astasie et de Tabasie« par P. Blocq.
(Arch. de Neurologie. 1888. XV. p. 24.)
Astasie und Abasie nennt der Verf. den schon von Charcot und Eich er unter
der Bezeichnung: „Incoordination motrice pour la Station et pour la marche", von
y. Mitchell unter „Motorischer Ataxie Hysterischer", von Jaccoud schon früher
unter „Ataxie durch Fehlen der automatischen Goordination" beschriebenen Zustand,
in welchem der Kranke unföhig ist zu stehen und zu gehen, trotzdem seine Sensi-
bilität, seine motorische Kraft und die Goordination der andern Bewegungen seiner
Unterextremitäten intact sind.
Die aus den angeführten eigenen und fremden Beobachtungen gezogenen Resul-
tate ergeben, dass der Beginn des Leidens meist ein ziemlich plötzlicher ist und sich
mit oder ohne schmerzhafte Sensationen nach einer heftigen Gemüthsbewegung oder
leichtem Trauma einstellt In seinen leichtesten Anklängen besteht es nur in einer
Art von Unsicherheit beim Stehen und Gehen. Augenschluss scheint die Sache zu
verstärken, doch ist das inconstant. Sehnenreflexe sind meist normal. Andere Arten
der Fortbewegung, wie Springen, Klettern, das Gehen auf einem Beine oder auf «allen
Vieren, können erhalten sein. Im Liegen sind alle Bewegungen möglich. Oft sind
anderweite nervöse Störungen vorhanden, insbesondere solche hysterischer Natur;
auf Zeichen organischer Bückenmarkserkrankung muss natürlich geachtet werden. In
andern Fällen fehlten alle sonstigen Störungen. Die Intensität der Symptome ist
verschieden. Der Verlauf ist zuweilen capriciös; Heilung, oft plötzliche, ist die
Regel. —
Die Diagnose ist nicht so leicht; eine exacte Differenzirung schützt vor Ver-
wechselungen: Tabes, Friedreich'sche Krankheit, hysterische Ataxie und Paniplegie,
Chorea, saltatorischer Reflexkrampf, gewisse Beschäftigungsneurosen u. A. wollen
vermieden sein. Was die Aetiologie betrifft, so kamen ausser den oben erwähnten
Ursachen noch vor: schwere Entbindung, Typhus; in andern Fällen fehlte eine auf-
findbare Ursache. Die Therapie ist dieselbe wie bei Hysterie: energischer Zuspruch,
Isolirung, Hydrotherapie, Suggestion etc.
Bei der physio-pathologischen Erklärung erinnert Verf. an die Schwierigkeit des
Gehen- und Stehen-Lernens beim Kinde; später geschieht das Gehen und Stehen ohne
Mühe und fast ohne Mitwirkung des Bewusstseins, ganz automatisch. Spinale Centren
unterhalten die durch Bindenimpuls „in Gang" gesetzte Bewegung, bis zum hemmen-
den Impuls, in geregelter Weise, in ausgeschliffenen Bahnen. Nun kann diese Hem-
mung in krankhafter Weise auftreten, sei es in der Rinde, oder in den spinalen
Gentren (Fall X spricht hierfür), experimentell auch durch Suggestion, und die Stö-
rung ist da, rein functionell, psychisch gewissermaassen. Siemens.
— 385 —
9) Report on inquiry (oolleotive investlgation oommitjbee of the Brit. med.
aasoo.) No. ü, Chorea. Prepared by St Mackenzie. (The Brit. med. Journ.
1887. Peb. 26. p. 426.)
Ich finde hier keinen Baam, um ansfOhrlich über die Ergebnisse der englischen
Sammelforschung in Beziehung auf Chorea zu berichten. Indem ich aaf die reichen
Einzelheiten der Arbeit verweise, hebe ich folgende Punkte aus dem zahlreichen
tabellarisch dargestellten Material hervor. In dem Zeiträume 1882 — 1885 wurden
439 Fälle von Chorea beigebracht. Die Kranken (bei 3 nicht angegeben) waren
männUchen Qeschlechtes: 114mal, weiblichen: 322mal.
Das Lebensalter der Choreakranken der Häufigkeit nach:
Im 1. Lustrum des Lebens standen die Kranken 6mal=3 1^36^/^
« 2. „ „ „ „ „ „ 149mal=.33,96«/o
^ »3. „ „ „ „ „ „ I91mal=43,50%
M 4- *> M »» » M »» 7lmal=16,lö7o •
„ 5. „ „ „ „ „ „ 10mal= 2,29 ^/o
Die darauf folgenden Jahre weisen relativ seltene Erkrankungen an Chorea auf.
Die Gesellschaftsklassen, aus denen die Choreakranken hervorgehen (immer
unter Vorwalten des weiblichen Geschlechtes) sind durch
die höheren 12mal, durch die mittleren 115mal, durch die niederen 303mal
vertreten (ohne Angabe 9).
Die Ernährung der Patienten wurde bezeichnet als mager 212mal« massig
gut 181mal, stark 43mal.
Die Kräfte waren schwach 133mal, massig 202mal, gross 69mal.
Das Wachsen geschah massig 208mal, schnell I59mal, langsam 49mal.
Die Menses waren noch nicht erschienen (im Lebensalter von 10 bis
18 Jahren) 65ma], regelmässig 44mal, unregelmässig 32mal. — 7 Frauen
waren Gravidae zur Zeit des ersten Anfalles; Imal kam der Anfall in der Periode
des Säugens.
Die Nahrung war ausreichend 384mal, nicht ausreichend 48mal, über-
mässig Imal« schlecht 2maL
Die dem Anfall vorhergehenden Krankheiten waren:
Rheumatismus (acut mit Gelenkaffection) ll6mal.
Vager und chronischer Rheumatismus 63ma].
Scarlatina 129mal, Masern 116mal, Scarlatina und Masern zusammen 34mal.
Keuchhusten 43mal.
Anämie 92mal.
Andere erregende Ursachen: Schreck 115mal, geistige üeberanstrengnng
71mal« NachäflFung 13mal, Würmer 9mal.
Körperliche Ueberanstrengung wurde als Ursache in 32 Fällen angenommen,
und zwar im Alter von 6 — 10 Jahren 3mal, 11 — 15 Jahren 12mal, 16 — 20 Jahren
15 mal, über 20 Jahren 2maL
Herzkrankheiten (mit mehr oder weniger ausgesprochener Diagnose) bestanden
141 mal, mehr functionelle Herzstörungen ausserdem 73mal. (Die Mitralklappe war
116mal, die Aorta 6mal erkrankt.)
Unter 439 Fällen von Chorea bestand während des Chorea-Ausbruchs oder
unmittelbar nachher 96mal acuter (oder subacuter) Rheumatismus (beziehungs-
weise 56 und 40).
Eine Reihe seltener Complicationen, die bei Chorea vorkamen, wurden hier nicht
wiedergegeben.
Hereditär (in der Familie der Chorea-Patienten) kam Rheumatismus 45mal
unter 100 vor.
Zur Therapie konnte die Sammelforschung wegen sich von selbst ergebender
Schwierigkeiten Gesetze nicht formuliren. Die verschiedensten Mittel und Methoden
24
— 886 —
wurden für sich oder in Verbindung mit einander bald mit, bald ohne Erfolg ver-
sucht. Die medikamentöse Behandlung war relati? die häufigere. Buhe und Nah-
rung waren nützlich, unter den Arzneien: Arsen und Eisen. — Salicylpraparate
(Fälle mitgetheilt) zuweilen nützlich, wo andere Mittel erfolglos. Genannt werden
noch: Zinksulfat und Yalertanat; Zink mit Belladonna; Bromkalium; Chloral; ausser-
dem Antihelminthica. (Massage; Elektricität; Hydrotherapie.)
L. Lehmann (Oeynhausen).
10) EÜology of Chorea» by Porter. (The British med. Journal. 1888. April 7.
p. 749.)
P. gab eine statistische üebersicht über 49 Fälle von Chorea seiner Praxis in
Beziehung auf Aetiologie. Die Fälle betrafen 37 weibliche und 12 männliche Indi-
viduen, so dass die gewöhnlich angenommene Häufigkeit des Vorkommens der Chorea
beim weiblichen Geschlecht gegenüber dem männlichen auch hier wie 3 : 1 festge-
stellt werden konnte.
Acuter oder subacuter Rheumatismus bei irgend einem Familiengliede des Fat
kam 13mal, ausserdem noch 2mal in Verbindung mit Chorea vor. — 3mal fand
sich in der Familie allein Chorea, 3mal auch andere nervöse Erkrankung. Die Zahl
der Fälle, in welchen sowohl in der Familie, als auch bei den Patienten Rheumatis-
mus auftrat, waren 22 unter 46, nervöse Disposition oder vorhergegangene Chorea
allein 18. Nach seiner Anscbauung kann Chorea für sich Endocarditis und Klappen-
fehler hervorrufen. 8mal unter 39 fand sich ein Herzgeräusch, bei welchen 8 nur
3mal Rheumatismus bestanden hatte. Ueberbürdung beim Unterricht gehört zu den
krankmachenden Einfiüssen. Ob Chorea und Rheumatismus aus einer und derselben
Quelle herrühren, bleibe noch festzustellen. L. Lehmann (Oeynhausen).
11) Gase of rapidly fatal Chorea; death in 130 hours. Bericht von Cook
und Clifford Beale am Great North. C. Hospital. (The British med. Jouro.
1888. April U. p. 795.)
Das 9jährige Mädchen bekommt eine ganz milde beginnende Chorea mit den
bekannten, hier nicht ausfQhrlich wiedergegebenen Erscheinungen. Diese steigern
sich von Stunde zu Stunde; die Ruhelosigkeit wird sehr gross. Das Kind schreit
auf, delirirt, Temperatur massig (101^ F.), Puls wird frequenter, kaum fühlbar zu-
letzty Respiration ' häufig und aussetzend, plötzlicher Tod. Der ganze Vorgang vom
ersten Beginn bis zum Tode hatte 130 Stunden gedauert.
Autopsie ergab congestionirte Lungenbasis; linke Pleura adhäreni Rechtes
Herz schlaff, erweitert mit Blutcoagulum und etwas flüssigem Blut. Die linke Herz-
hälfte fest contrahirt, Muskeln daselbst gut. An dem freien Rande der Mitralklappe
die Ansätze der Chordae tendineae verdickt; an einigen derselben hafteten fibrinöse
Coagula. Keine Ulceration des Endocardiums. An Pens und MeduUa ausgesprochen
hochgradige Anämie; die übrigen Verhältnisse im Qehim und Rückenmark nicht
abnorm.
Bei der Therapie hatten sich Arsen, Morphium, Chloral, Brom unwirksam er-
wiesen. L. Lehmann (Oeynhausen).
12) Senile Chorea, by Suckling. (The Brit. med. Joum. 1888. April 28. p. 907.)
S. stellte in der Midland med. Gesellschaft eine 62jähr. Frau vor, welche seit
9 Jahren an Chorea litt. Beide obem und untern Extremitäten, Zunge und Lippen
boten die krankhaften Bewegungen und das Bild der mangelnden Coordination dar.
Im Schlafe hörten die krankhaften Bewegungen auf; Gemüthsbewegungen steigerten
— 987 —
sie, Patientin schrieb ihr Leiden Sorgen und Kummer zu. Als 12jähr. Madchen
hatte sie 3 Monate an Chorea gelitten, war dann aber geheilt worden. Im Alter
von 45 Jahren war sie an Rheumatismus erkrankt. Intelligenz, Sinne, Herz normal.
L. Lehmann (Oeynhausen).
13) Zur Lehre von der Chorea minor, von Dr. Paul Koch, Zwickau. (Deutsches
Arch. f. klin. Med. XL. H. 5 u. 6.)
Statistik über 267 Fälle aus der Leipziger medicinischen Klinik und Poliklinik
— darunter 100 masc, 167 fem., d. i. 37,45 und 62,54 7o» «i» Resultat, welches
mit dem anderer deutscher Autoren (Eulenburg) übereinstimmt, aber von dem der
Engländer erheblich abweicht (27 ^[q masc. und 73 ^/^ fem.), so dass Verf. nationale
und locale Verschiedenheiten als hierauf von Einfluss anzunehmen geneigt ist.
Das 7. bis 13. Lebensjahr ist am meisten von der Krankheit heimgesucht.
Im Winter und bei kalter Witterung steigert sich die Zahl der Ghoreafälle. Der
December liefert den grössten Frocentsatz (22 ^/q) aller Erkrankungen.
Hereditäre Anlage spielt bei der Chorea eine sehr untergeordnete Rolle. Die
Möglichkeit einer directen Vererbung wird geleugnet.
Unter den Veranlassungsursachen stehen bei 115 genauer darauf untersuchten
Fällen „heftige psychische Erregung'' (25mal) und „anscheinend Rheumatismus" (21mal)
obenan. In den 3 Fällen von Chorea gravidarum handelt es sich um Erstgebärende;
sie verlaufen günstig für die Mutter.
Bei der Symptomatologie bespricht Verf. die Druck- und Schmerzpunkte, denen
er gar keine Bedeutung beilegt, die nicht constante Ovarie und die Sehnenreflexe,
bei denen „gröbere Abweichungen von der Norm zu den Seltenheiten gehören''.
Leichtere psychische Störungen sind bei der Chorea häufig, geistige Trägheit und
Stumpfheit selbst in langwierigen Fällen selten (entgegen v. Ziemssen und Eulen-
barg); unter 110 Fällen findet sich eine Psychose (Melancholie).
Unter 54 schwereren Fällen finden sich 9 Casus gravissimi (complicirt), von
denen 4 tödlich endeten; bei den letzteren fand sich stets frische oder recidivirte
Endocardiüs.
Recidive traten unter 162 Fällen 35mal auf (21,6 ^/q), darunter 10 chronische
mit der Dauer von 1 — 7 Jahren.
Sicherer Zusammenhang mit Rheumarthritis konnte unter 111 Fällen 21mal,
d. i. in 18,91 ^/^ constatirt werden. Klappenfehler fanden sich bei 153 Choreatischen
21mal (13,72*'/o), von denen 6 in Verbindung mit Rheumatismus. (Ueber diesen
Punkt bestehen im Uebrigen sehr weit in ihren Resultaten auseinandergehende Sta-
tistiken und Ansichten; auch liier scheint der Mittelweg der richtige zu sein).
Das letzte Capitel ist der „Ontologie" der Chorea gewidmet. Die gesammelten
pathologischen Befunde sind zu dürftig, um das Wesen der Chorea festzustellen, die
klinischen Erfahrungen zu vielseitig gedeutet, um darüber eine Einigung zu erzielen.
Daher sind auch des Verf. Schlüsse nur als Hypothesen aufzufassen, immerhin be-
deutsam genug, um hier kurz wiedergegeben zu werden:
1. Die Chorea darf nicht als Neurose aufgefasst werden; die verschiedensten
Gründe bestimmen dazu, in ihr eine Infectionskrankheit zu vermuthen.
1. Das choreatische Virus nimmt vorzugsweise die cortico-musculären Nerven-
(Pyramiden-) Bahnen in Angriff und zwar mehr im Gehirn als im Rückenmark.
3. Dasselbe ist nahe verwandt mit dem polyarthritischen, so dass gelegentlich
das letztere Chorea und das choreatische Polyarthritis hervorbringen kann; die Endo-
cardiüs steht dazu in enger Beziehung; tritt dieselbe einmal vor der Chorea auf, so
kann man sie durch das choreatische Virus entstanden denken.
Die zum Theil sehr überzeugenden Gründe für diese Schlüsse mögen im Original
nachgelesen werden.
24»
— 388 —
(Id der Litterator wäre noch eine Arbeit von Litten, Charit^-Annalen 1866,
S. 265 ff., die aich ancb besonders mit der Ontologie besch&fügt, zu erwähnen ge-
wesen. Bef.) Sperling.
14) Ein Fall von imitatorisoher Chorea mit tddtlichem Ausgange» von Dr.
Arthur Schwarz in Budapest. (Pester med.-chirurg. Presse. 1887.)
Die geschilderten Verhältnisse sind kurz folgende: Ein junges Mädchen erkrankt
an Chorea; kurz darauf wird auch ihre Mutter, die bis dahin die Tochter zärtlich
gepflegt und mit ihr seit Beginn der Krankheit dasselbe Bett getheilt hatte, von
einer allgemeinen Chorea überfallen. Sorgen, Kummer und Anstrengungen waren
in der Familie zu Hause gewesen. Nachdem bei der Mutter die Extremitäten im
Verlauf einiger Wochen ruhig geworden waren, beschränkten sich die Zuckungen auf
den rechten Facialis und nahmen hier einen tonischen Charakter an. Einer allmäh-
lich zunehmenden Lähmung des rechten Facialis folgte eine rechtsseitige Hemiparese,
verbunden mit Zungenlähmung psychischer Depression, Apathie, Abnahme der In-
telligenz und Aphasie. Die Pupillen sind ungleich bei guter Beaction. Die Sensi-
bilität ist überall intact. Etwa 2V2 Monat nach Ausbruch der ersten Erscheinungen
erfolgt der Tod. Autopsie liegt nicht vor.
Verf., der aufs Entschiedenste die Meinung vertritt, dass die Chorea der Mutter
durch Nachahmung der Krankheitserscheinungen der Tochter entstanden ist, und
dass die Basis für die Krankheit der erstem durch geistige und Gemüthsaufregungen
gewonnen wurde, sucht sich den üebergang von ursprünglich functionellen Störungen
zu materiellen zu erklären. Ausgehend von den interessanten Beobachtungen Stricker*s
über die Nachahmung, welche eine Thätigkeit derjenigen centralen Nervenelemente
annehmen liesse, welche beispielsweise bei einer choreatischen Person sich in Muskel-
Bewegungen äusserten, nimmt Verf. eine initiale Hyperämie in den fraglichen —
leider bei mangelnder Autopsie nicht eruirten — Centren an, welche bei bereits er-
krankten Gefässen zu einer Zerreissung derselben geführt hätte.
Für die Annahme des Sitzes der betr. Affection in der Hirnrinde liegt kein
Grund vor. Die bisher veröffentlichten Sectionsbefunde bei Chorea praehemiplegica
— und als solche muss der Fall doch aufgefasst werden, gleichgültig, ob er durch
Nachahmung entstanden oder nicht — , wiesen meist Heerde auf im hintern Abschnitt
der innem Kapsel, in dem dazu gehörigen Stabkranzfnss (Gebiet der Arteria thalami
posterior), im hintern Theil des Thalam. optic. oder im Nucleus caudatus.
Sperling.
16) Faramioclono multiplo, rassegna pel Dott. G. Seppilli. (Bivista speriment
di Freniatr. e di Medic. Legale. 1888. XIU. p. 387.)
Entwurf des klinischen Bildes des „Paramyodonus multiplex'', wie es sich ans
der Zusammenstellung der (voUständig aufgezählten) Litteratur ergiebi
Charakteristisch für den Paramyodonus sind clonische Muskelzuckungen, die
vorwiegend in den oberen und unteren Extremitäten, seltener in der Rumpfmusculatur
and im Gesicht eintreten, die gewöhnlich symmetrische Muskeln auf beiden Seiten,
wenn auch zu verschiedenen Zeiten ergreifen, die sich bald vereinzelt, bald gehäuft
zeigen und deren Anzahl im letzteren Fall zwischen 5 — 10 und 140 — 180 in der
Minute zo schwanken vermag. Die Intensität der Zuckungen ist sehr wechselnd von
einer einfachen momentanen Coutraction des Muskels bis zu einem die Ortslage der
Extremität verändernden Krampf; in seltenen Fällen sind auch nnr beschränkte fibrilläre
Zückungen einzelner Faserbündel beobachtet worden. Einen wesentlichen aber indi-
viduell sehr verschiedenen Einfluss auf die Zahl und auf die Intensität der Zuckungen
hat die Körperhaltung.
— S89 —
WiUkürliche Bewegangen hemmen meistens die Zncbingen, in einzelnen F&Uen
schienen sie sie allerdings zu verstärken. Im Schlaf hören die Zuckungen in der
Mehrzahl der F&lle anf. Fsychisch'e Eindrücke und Hautreize vermehren meistens
die Zuckungen; in zwei Fallen brachte Alkoholgenuss dieselben zum Aufhören.
Mechanische, faradische und galvanische Erregbarkeit der Muskeln und der Nerven
ist meistens ganz ver&ndert; die Sehnenreflexe sind gewöhnlich sehr gesteigert
Die Sensibilität bleibt normal; in einzelnen Fällen riefen die Zuckungen aller-
dings das GefQhl der Müdigkeit und selbst einen dumpfen Schmerz hervor.
Der Verlauf des Leidens ist immer langwierig. Qenesung, aber auch Reddive
sind nicht selten.
Hereditäre nenropatlusche Disposition (bei ^/^ der Fälle) ist wohl ohne wesent-
lichen Einfluss. In einzelnen Beobachtungen scheint es sich um eine „Schreckneurose"
gehandelt zu haben. Das gewöhnliche Alter beim Ausbruch schwankt zwischen
20 und 40 Jahren.
Die einzige Autopsie ergab weder für die Annahme einer idiopathischen noch
für die einer nervösen Erkrankung einen Anhalt.
Unter den therapeutischen Eingriffen scheint die Behandlung mit dem galvanischen
Strom noch am erfolgreichsten gewesen zu sein. Sommer.
16) Two oases of hemiohorea assooiated with Bright's disease» by Francis
X. Der^um. (Jonmal of nervous and mental disease. 1887. XIV. p. 473.)
Verf. hat Gelegenheit gehabt, in zwei Fällen von Morbus Brightii, bei einem
58jähr. und bei einem 60jähr. Mann, ausgesprochene Hemicborea der rechten Körper-
hälfte zu beobachten. Im ersteren Falle hielten die abnormen Bewegungen fast
4 Wochen bis zum Tode an; die Section ergab durchaus keinen Himbefund, auf
welchen die Chorea hätte zurückgeführt werden können. Im anderen Fall traten die
choreatischen Bewegungen 2 Jahre nach einer rapid entstandenen und in wenigen
Tagen wieder restituirten Paralyse des rechten Beines ein und halten ziemlich un-
verändert seit einem Jahre an; in der letzten Zeit sind ähnliche Bewegungen, wie
in der rechten Eörperhälfte, auch in dem linken Bein gelegentlich beobachtet worden.
Verf. hält die Verbindung der Hemichorea mit Morbus Brightii nicht für ein zußdliges
Zusammentreffen. Er weist darauf hin, dass schon mehrere Beobachtungen über
urämische Krämpfe und Lähmungen, die ganz auf eine Körperhälfte beschränkt ge-
blieben sind, in der Litteratur vorliegen, so von Raymond (1885) und von Chante-
messe und Tenneson (ebenfalls 1886), und dass femer Raymond einseitige
urämische Oonvulsionen experimentell hervorgerufen hat, indem er vor Abschnürung
beider Kieren das Halsganglion des einen Sympathicus entfernte. Sommer.
m. Aus den Gesellschaften.
Berliner Gtosellsohaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung vom
11. Juni 1888.
1. Herr Oppenheim: Herr Bernhardt hat in der letzten Sitzung dieser Ge-
sellschaft einen Patienten vorgestellt, bei dem sich in Folge einer Verletzung der
Wirbelsäule eine Lähmung der Blase, des Mastdarms, sowie Sensibilitätsstörungen
von eigenthümlicher Verbreitung entwickelt hatten. Von besonderem Interesse war,
dass die Potenz nicht erloschen, dagegen die Ejacnlatio seminis behindert war.
Einen ähnlichen Fall habe ich lange Zeit klinisch beobachten können und durch
die Autopsie und nachfolgende mikroskopische Unterauchung einen Einblick in die zu
— 890 —
Qrunde liegenden Yerandenmgen gewonnen, so dass ich die Bernhardt'sche Beobach-
tung in erspriesslicher Weise zu ergänzen im Stande bin.
Der 24jährige Bauarbeiter August Uhlich- wurde am 19. August 1887 in die
Charit^ aufgenommen. Er war an diesem Tage von einem Neubau in der Höhe von
2 Etagen heruntergefallen, auf das Kreuz. Er war ein paar Momente bewussüos,
dann stellte sich eine mehrere Stunden anhaltende Taubheit und Bewegungslosigkeit
in beiden Beinen auf. Sogleich trat Harnverhaltung ein. Er wurde in die äussere
Abtheilung der Charit^ gebracht. Die Lähmung verlor sich schnell, ebenso das taube
Gefühl in den Beinen. Dagegen blieb eine völlige Incontinentia urinae et alvi be-
stehen, die Entleerungen kamen ihm nicht zum Bewusstsein. Seit der Zeit der Ver-
letzung ist auch der Penis andauernd schlaff, ohne Erection, ohne Samenabgang.
Es findet sich ein Gibbus in der (hegend des 1. und 2. Lendenwirbels, die
Domfortsätze sind auf Percussion empfindlich. In der Bflckenlage sind alle Bewe-
gungen der unteren Extremitäten ausfahrbar ohne wesentliche Kraftverringerung,
höchstens ist die Action der Wadenmuskeln etwas geschwächt. Keine Atrophie an
den unteren Extremitäten, keine Abnahme der elektrischen Erregbarkeit. Kniephäno-
mene vorhanden, eher gesteigert, dagegen fehlen dauernd die Achillessehnenphänomene.
Hautreflex lebhaft. Keine Contractur. Völlige Lähmung der Blase und des Mast-
darms. Eine ausgeprägte Anästhesie findet sich nun in der ganzen Umgebung des
Anus, in der Glutaeal-, Perineal-, Scrotalgegend und am Penis, ausserdem ist ein
Streifen an der medialen Hinterfiäche des Oberschenkels anästhetisch. Die Anästhesie
umgreift alle Sensibilitätsqualitäten, besonders ausgeprägt ist aber die Analgesie.
Nach oben reicht der nicht fühlende Bezirk bis zu einer etwa die Mitte des Hüft-
beins treffenden Linie, rechts aussen bis zur Furche zwischen Tuber ischii und Tro-
chanter major.
An allen fibrigen Stellen ist das Gefühl gut.
Pat. katheterisirt sich selbst mit Näaton.
Es entwickelt sich eine Urethritis purulenta (ohne Gonokokken), die unter An-
wendung von Jodoformstäbchen gebessert wird. Im November aber stellte sich Fieber
ein, Oedem an den Füssen und Pat ging am 8. Dec. zu Grunde.
Bei der Autopsie fand sich eine Infraction des 1. Lendenwirbels, dessen Körper
wie stark zusammengepresst erscheint und zum Theil in ein derbes fibrös-sulziges
Gewebe verwandelt ist, der Wirbelkanal ist hier auf eine kleine Strecke deutlich
verengt, ohne dass am Bückenmark bei äusserer Besichtigung etwas Pathologisches
zu erkennen ist, und fand ich gleich in einem am Sacraltheil entnommenen Partikel-
chen zahlreiche Kömchenzellen.
Nach der Härtung in Müller'scher Lösung wurde es evident, dass die unterste
Spitze des Bückenmarks, der Conus terminaHs vollständig myelitisch erkrankt war,
dass die Veränderungen sich bald mehr und mehr auf die Hinterstränge beschränkten
und in der eigentlichen Lendenanschwellung schon ausser der aufsteigenden Degene-
ration nichts Pathologisches mehr nachzuweisen war. Ein Querschnitt durch den
Sacraltheil zeigt erhebliche Veränderungen. Die hintere Hälfte des Bückenmarks,
d. h. die Hinterstränge bis auf eine kleine vordere Kuppe, die Hinterhömer und
ein Theil der hinteren Seitenstränge scheint zu fehlen, man sieht hier ein Gewebe,
das von dichtgedrängten Bundzellen, neugebildeten Gefässen und freien Blutungen
durchsetzt ist und den übrigen Theil des Querschnitts, welche die Vorderhömer und
die Vorderseitenstränge enthält, nach hinten wie ein Wall abschliesst. Aber auch
der erhaltene Theil iut beträchtlich erkrankt. Namentlich die graue Substanz ist
überaus kemreich, enthält keine Ganglienzellen mehr, in der weissen sind die Nerven-
fasern wenigstens zum Theil untergegangen. Die Wurzeln, die in dieser Höhe ent-
springen, sind ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen, namentlich die hinteren, die
Wurzeln aber, die von höheren Partien des Bückenmarks herabsteigend, ebenfalls die
verengte Partie durchziehen mussten, sind nicht wesentlich alterirt. Die Pia ist
— 391 —
überall abgehoben, verdickt und stark vaficularisirt. Schon in den untersten Theilen
der Lendenanschwellung beschränkt sich die Erkrankung auf das Hinterstranggebiet
und in der Anschwellung selbst haben wir nur noch die aufsteigende Degeneration
der Goll*schen Stränge.
Eine solche sich auf den Sacraltheil des Backenmarks beschränkende Erkran-
kung ist jedenfalls überaus selten. Eine Compressionsmyelitis und Haematomyelie
des untersten Bückenmarkstheiles in Folge einer Infraction des ersten Lendenwirbels
batte zu Symptomen geführt, die auf eine Lähmung des 3. und 4. Sacralnerven hin-
weisen. Denn auch die Sensibilitätsstörungen lassen sich aus einer Affection des
Plexus pudendo-haemorrhoidalis resp. seines spinalen Centrums vollständig erklären,
ohne dass eine Betbeiligung des Plexus ischiadicus angenommen zu werden braucht.
Bemerkenswerth ist auch das dauernde Fehlen der Achillessehnenphänomene bei
Steigerung des Eniephänomens.
Einen ähnlichen Fall berichtet Kirchhoff, es ist aber von einer Sensibiliiäts-
störung keine Bede, femer waren die Veränderungen in der Höhenausdehnung aus-
gebreiteter, während, soweit man aus seiner Beschreibung ersehen kann, die Erkran-
kung auf dem Querschnitt des Sacraltheils sich nicht als eine so intensive darstellte,
wie in unserm Falle.
Aehnliche Symptomenbilder können hervorgerufen werden durch Erkrankung des
Plexus pudendo-haemorrhoidalis selbst. Dafür ist der WestphaTsche Fall ein treff-
liches Beispiel. Hier handelte es sich um eine gummöse Neubildung und ist es für
die Differentialdiagnose gewiss beachtenswerth, dass Beizerscheinungen in den Bahnen
der betroffenen Nerven (Schmerzen in Blase, Mastdarm, Perinealgegend etc.) voraus-
gehen.
Herr Bemak hat den von Westphal in den Charitö-Annalen beschriebenen
Fall von Sensibilitäts- und Motilitätsstörung im Bereich des Plexus pudendalis und
coccygeus mitbeobachtet. Bei absoluter Incontinentia vesicae et alvi war die An-
ästhesie bei der syphilitischen Frau genau so begrenzt, wie in dem soeben mitge-
theilten Falle. Dennoch war das Bückenmark ganz gesund und wurde erst nach
AuMgung des Sacnükanals eine gummös-käsige Meningitis ermittelt» welche unter-
halb des ersten Sacndloches die Nerven der Cauda equina nach Abgang der Wurzeln
des Plexus ischiadicus einhüllte. Es kann also ein gleicher Symptomencomplex
auch traumatisch zu Stande kommen durch Läsion des untersten Abschnitts der Cauda
equina, durch einen Bluterguss in den Sacralkanal, durch Sturz auf die Gefässgegend
mit und ohne Verletzung des Knochens.
Herr Oppenheim hebt noch einmal hervor, dass in Fällen, wie der West-
p harsche, die charakteristischen heftigen Schmerzen in den betreffenden Körpertheilen
differentialdignostisch entscheidend sind.
2. Herr Bernhardt stellt einen 36jährigen Tabischen vor, der, ähnlich wie
der von Herrn Oppenheim in der vorigen Sitzung beschriebene Kranke, eigenthümliche
cephalische» auf Störungen in der aufsteigenden Quintus-Wurzel zu beziehende Sym-
ptome hat: ein Gefühl von Geschwollensein des Gesichts, speciell der Lippen; es ist
ihm auch, als drückte ein Band das Gesicht zusammen. Er bewegt beim Essen den
Bissen ganz gut im Munde umher, doch verliert er ihn bisweilen aus dem Munde,
wenn er vom zwischen die Lippen kommt. Das Trinken aus emer Tasse geht schlecht^
weil Fat. dabei nicht recht weiss, wo der Band der Tasse ist, und das Getränk ver-
giesat. — Auch das Sprechen ist durch mangelhafte Action der Lippen verschlech-
tert. — Die G:esicht8sen8ibilitat ist im Uebrigen intact, nur zeigt der Tasterzirkel
auffallend weite Distanzen. — Atactische Bewegungen an den Lippen oder sonst am
Gesicht sind nicht zu bemerken. — Störungen des Gescbmacks sind — wie meistens
in solchen Fällen — nicht vorhanden; doch hat ein Wiener Autor einmal anhaltendes
SflsB-Schmecken beobachtet. .. .. i ..... i. . i ...
— S92 —
Herr Remak hat bei einem analagen Kranken, einem 70jährigen Tabiker, Ver-
schlechterung des Geschmacks gefunden; bei einem anderen eine, wohl sonst noch
nicht erwähnte, Verlangsamong der Oeschmacksempfindnng.
3. Herr Bemak stellt einen Fall von Athetosis vor. Es ist ein jetzt 59jähr.
Mann, der im Alter von 1 Vs Jahren eine linksseitige Hemiplegie bekam. Der linke
Arm ist ganz kräftig entwickelt, aber etwas verkürzt (71 cm gegen rechts 76 cm),
und Patient ist immer ganz leidlich arbeitsfähig gewesen. Im Juni und Juli 1887
liess sich Fat. in der Charit^ behandeln, weil der linke Arm, während Kopfschmerzen
und Schwindel aufgetreten waren, sich verschlechtert hatte. Damals traten zuerst
Zuckungen am Halse und in der linken Hand auf. G^en Ende 1887 mehrmals
Anfalle von Bewusstlosigkeit, auch einmal von kurzer Verwirrtheit. — Seit dem
30. April dieses Jahres behandelt B. den Kranken, der beständig — auch im Schlaf
— Zuckungen der linken Platysma myoides hat, die früher klonisch waren, jetzt
mehr tonisch sind; femer Zuckungen der linken Hand, deren Finger, und zwar
namentlich wenn Pat. die Hand ausstrecken oder fest zusammendrücken will, in be-
ständiger unregelmässig greifender Bewegung sind. — Choreatischen Charakter haben
diese Zuckungen nicht. Der Mund-Facialis zeigt keine Lähmung, die Sensibilität ist
vollkommen erhalten, die Sehnenphänomene sind nicht deutlich gesteigert
Betheiligung der Platysma wird beobachtet bei Chorea electrica, bei corticaler
Epilepsie, beim Spasmus facialis; R. sah es einmal mitafficirt bei einem Fall von
Hypoglossus-Krampf. — Während sonst die Anatomen das Platysma nur in seinem
oberen Theile vom Facialis inner virt sein lassen, nimmt Bardeleben an, dass es
ausschliesslich vom Facialis versorgt wird. Aus dem vorgestellten Falle möchte R.
eher den Schluss ziehen, dass es auch mit dem Plexus brachialis in Verbindung steht.
Herr Oppenheim sieht zu letzterem Schluss keine Veranlassung, denn es finden
sich bei corticaler Epilepsie auch ganz isolirte Krampfformen z. B. nur am Extensor
hallucis longus u. s. w.
4. Herr Wollenberg (Charit^) spricht über psychische Infection. Er präcisirt
zunächst den Begriff der psychischen Ansteckung und scheidet die in der Litteratur
fölschlich hierher gerechneten Fälle aus, z. B. die, wo die Erkrankung von A nur
die Gelegenheitsursache (gleich wie Schreck, Kummer etc.) war, welche bei B die
Krankheit zum Ausbruch brachte; femer die Fälle von Irresein bei Zwillingen und
die von ungenauen Beobachtungen. — Wirkliche psychische Infection hat Statt in
der sog. Folie impos^e: A drängt B seine Wahnideen auf, welche dieser erst wieder
verliert, nachdem er von A getrennt ist. Nur graduell von dieser Form ist ver-
schieden die Folie communiqu^, das eigentliche inducirte Irresein, bei welchem die
Wahnideen auch nach der Trennung bleiben.
Von dem inducirten Irresein theilte Herr W. einen von ihm in Nietleben be-
obachteten sehr interessanten Fall mit, in welchem 2 Schwestern, beide an Paranoia
erkrankt, und in wahrhaft seltsamer Weise ein in jeder Hinsicht congmentes Krank-
heitsbild darbietend, nach Jahren auch ihren 80jährigen Väter so infidrten, dass
derselbe ihre Wahnideen vollständig theilte und ganz wie sie selbst erkrankte.
Die Bezeichnung Folie ä deux ist fallen zu lassen, weil oft mehr wie 2 Per-
sonen — man hat bis 8 Personen zusammen erkranken gesehen — gemeinsam er-
griffen werden. Ha dl ich.
xm. Wanderversammlung südwestdeutBcher Neurologen und Iirenftnte
zu Freiburg i. Br. am 9. u. 10. Juni 1888.
Original-Bericht von Dr. L. Laquer in Frankfurt a. M.
Erste Sitzung den 9. Juni Nachmittags 3 Uhr im Auditorium der Anatomie
zu Freiburg. Eröfi&iung durch den Geschäftsführer Prof. Emminghaus* (Freiburg),
— 398 —
der des dabingeschiedenen Mitgliedes Director Freasberg (Bonn) gedenkt, und auf
dessen Yorscblag Prof. Erb (Heidelberg) zum Vorsitzenden gewäblt wird. — Das
Scbriftffihreramt wird Dr. Laqner (Frankfurt a. M.) and Dr. Gramer (Freibnrg)
übertragen. Anwesend sind 75 Tbeilnebmen
1. Prof. Bfthlmann (Dorpat): Ueber solerotisohe Veränderungen der
Netzhautgefässe.
Eine Reibe von Autoren batte bereits frflber Veränderungen an den Gefftss-
wänden der Netzbaut nachgewiesen, so bei Embolie der Art. centralis, bei syphilitischen
Veränderungen und bei Nierenerkrankungen, femer bei der mit Pigmentirung der
Netzhaut verbundenen hereditären Degeneration, wie sie bei Idioten und Mikrocepbalen
beobachtet wird. Auch bei atheromatöser Erkrankung der Eörperarterien sind ein-
zelne Befunde, welche die Erkrankung der Netzhautgefässe betreffen, erhoben worden.
Vortragender hat 35 Fälle untersucht von Leuten, deren Körperarterien sclero-
tisch verändert waren: 20mal mit positivem Ergebniss. Die Veränderung betraf am
häufigsten die Arterien, an denen sich eine Verdünnung des Kalibers fand; an den
engen Stellen erschienen die Gefässe wie durch ein schmales Band eingeschnürt. —
Diesseits und jenseits dieser Stelle war bis auf eine leichte Ausdehnung des Lumens
etwas Pathologisches nicht nachzuweisen. — In den meisten Fällen war die verengte
Stelle kenntlich an einer spindelf5rmigen Verbreiterung der Wandung, die als gelb-
weisser oder gelbgrauer Fleck sichtbar war. — Es handelte sich offenbar um eine
Arteriosclerosis nodosa. Die Patienten zeigten theils sclerotisch veränderte Körper-
arterien, theÜB waren nur die Carotiden verändert; 6 waren hemiplegisch und litten
an Herzdilatation, bei Einzelnen waren nur habitueller Kopfschmerz, Neigung zu
Ohnmächten, Schwindelanfallen u. s. w. vorhanden. Ausser dieser Arterien-Erkran-
kung waren auch die Venen verändert; in 8 Fällen betraf die Erkrankung aus-
schliesslich die Venen der Netzhaut. Auch hier gab es wieder locale Einengungen,
meist aber fanden sich ektatische, ampullenförmi^e Ansbuchtungen (varicöse Ektasien).
— Analog diesen sind miliare Aneurysmen an den Arterien der Netzhaut von Schleich,
Rudioff, Fuchs u. A. gefunden worden. — Alle die eben genannten Erscheinungen
sind, wenn man die Windungen der Gefässe genau absucht, nicht schwer zu ent-
decken und bilden somit nach Ansicht des Vortragenden ein wichtiges Uülfsmittel
zur Diagnose der Gefässerkrankungen des Gehirns.
2. Prof. Manz (Freibarg): Ueber symptomatisohe Neuritis optioa.
Der diagnostische Werth der Neuritis optica für eine Reibe von Himkrank-
beiten kann nur aufrecht erhalten werden, wenn man den Zusammenbang dieser
Local-Erkrankung mit der betrefifenden HimafFection zu ergründen bestrebt ist.
Gräfe bat die Pathogenese gesucht in einer Steigerung des intracraniellen Druckes;
Sesemann bat ihm widersprochen. — Manz hat den Hydrops vaginae n. optici
(Staumtgspapille) so erklärt, dass die Flüssigkeiten durch den gesteigerten Druck
nach der Opticus-Scbeide hin verdrängt würden. Diese Hypothese („Transport-
Theorie") hat ziemlich allgemeine Anerkennung gefunden. — Leber und Deutschmann
baben dagegen die Anschauung vertreten, dass nicht der Druck der aus dem Schädel
abfliessenden Flüssigkeit, sondern die Beimengung von Stoffwecbsel-Prodncten reizend
auf den Sehnerven wirke. Beweise dafür sind eigentlich nicht erbracht worden,
Mikroorganismen hat man in dem Hydrops vaginae n. optici nicht gefunden. Wenn
man die Stanungspapüle als Neuritis schlechtweg ansieht, dann könne man das Symp-
tom der Schwankungen der Füllung der Sebnervenscbeide und die damit zusammen-
hängende Functionsschwankung nicht erklären. — Auch sei bei rein entzündlichen
Affecüonen, Meningitis, Himabscessen die Neuritis selten, während sie bei Tumoren
— 394 —
bekanntlicli ein wichtiges diagnostisches Hülfsmittel bilde. — Das widerspreche der
Deutschmann'schen Ansicht.
Die Untersuchungen müssten in klinischer und anatomischer Hinsicht wieder
aufgenommen werden. M. hält daran fest, dass die Stauungspapille wohl eine Neu-
ritis sei, aber etwas Charakteristisches gewinne sie erst durch die Girculationsstörung
in der Umgebung des Sehnerven, welche ihrerseits abhangig sei von der Art der
Himkrankheii
3. Dooent Dr. Knies (Freiburg): Ueber Augenbefünde bei Epilepsie.
Als häufiger Befund im Anschluss an epileptische Anfalle ist von vielen Autoren
eine venöse Hyperämie der Netzhaut und des Sehnerven constatirt worden, die um
so auffalliger war, je früher nach dem Anfall untersucht vmrde, und je heftiger und
zahlreicher die einzelnen Attacken auf einander folgten. Es gelingt sehr selten,
während eines epileptischen Anfalls mit der nöthigen Buhe das Auge zu untersuchen.
1877 hat Yortr. auf dem Ophthalmologen-Congress über Befunde bei einem 14jähr.
Knaben im Status epilepticus berichtet: 10 — 20 Secunden vor jedem Anfall trat
plötzlich eine auffällige Verengerung der Netzhautarterien ein, die während des An-
falles anhielt und mit Beendigung desselben zurückging, worauf sehr erhebliche Er-
weiterung der Venen emtrat. Wir sehen also an den Gefassen der Netzhaut genau
die Vorgänge, wie wir sie uns beim epileptischen Anfall an den Gefassen der Hirn-
rinde vorstellen müssen: Arterienkrampf, der durch locale Ernährungsstörung und
Kohlensäurevergiftung den Anfall aaslöst, Aufhören des letzteren mit dem Nachlass
des Gefösskrampfes und langsame Bückkehr zum normalen Zustand. Eine weitere
Beobachtung des Vortr. unterstützt diese Auffassung: Ein 35jähriger Mann litt seit
57s J^l^foi^ &n epileptischen Anfällen wahrscheinlich auf syphilitischer Basis. Der-
selbe hatte in letzter Zeit minutenlange Anfälle von Erblindung des rechten Auges.
Das Gesichtsfeld zog sieb vorhangähnlich zusammen bis zu absoluter Erblindung,
die etwa eine Minute lang dauerte und dann wieder ganz zurückging. — .Trotzdem
Untersuchung während eines solchen Anfalls nicht möglich war, — in der Zwischen-
zeit bestand nur venöse Hyperämie, und zwar rechts stärker als links — glaubt Vortr.,
dass es sich auch hier um einen Arterienkrampf gehandelt habe, der als rudimen-
tärer Anfall von Epilepsie zu deuten sein dürfte.
•
4. Prof. Naunyn (Strassburg): Die Prognose der syphiUtiBoheii
Erkrankungen des NervensystemB.
Für die Praxis ist es oft von grösster Wichtigkeit, die Prognose im Einzelfalle
einer syphilitischen Erkrankung möglichst bestimmt stellen zu können. Denn die
Durchführung einer energischen langdauemden antisyphilitischen Kur ist mit grossen
Ansprüchen an die Geduld aller Betheiligten verbunden. Vortragender verwendete zii
einer Statistik eigne Fälle und solche aus der Litteratnr. Die syphilitische Tabes
und Dementia paralytica scheinen, in prognostischer Hinsicht eine ganz besondere
Stellung einzunehmen; die Prognose der beiden genannten Krankheiten scheint dem
Verf. ganz unabhängig davon, ob Syphilis im Spiele ist» oder nicht und Quecksilber-
Kuren sind dabei erfolglos.
Bei den andern von Syphilis abhängigen Erkrankungen ist die Prognose un-
zweifelhaft nicht so traurig, wenn auch ernst genug. Sehr gering sind die F&lie
dauernder Heilung der antiluetischen Kuren. Unter 93 Fällen aus eigener Erfahrung
des Vortragenden kann derselbe nur 8 Fälle mit definitiver und dauernder Heilung
(seit über 5 Jahren) anführen. Ihnen reihen sich an Heilungsfälle, in welchen die
Kur zunächst Heilung bringt, wenn auch der Fat. sich der weiteren Beobachtung
entzieht.
In 10 von den 88 klinischen Fällen N.'s fehlt jeder Erfolg; 49 wurden ge<
— 395 —
bessert; 5 Kranke starben in der Klinik; 24 wnrden geheilt. Aus der Gasnististlk
in der Litteratur gewinnt man ein günstigeres Bild: von 325 Fällen der Znsammen-
steUnng N/s äind 155 (48 o/^) geheUt, 170 (52 7^) nicht geheUi Dies Resultat
scheint offenbar zu günstig. Folgende Funkte scheinen N. diejenigen zu sein, welchen
im Einzelfalle Bedeutung für die Prognose beigelegt zu werden pflegt.
1. Das Lebensalter bei Beginn der Erkrankung des Centralnervensystems; die
Prognose wird ungünstiger nach dem 40. Jahr. Die Prognose wird wenig dadurch
beeinflusst, wie bald nach dem Auftreten der Nervenaffectiön begonnen wird. — Die
Prognose wird nicht schlechter, je später man zu behandeln anfängt, eben so wenig
ist die Prognose abhängig von der Frage, ob ein oder mehrere Jahre zwischen An-
steckung und Erkrankung liegen, d. h. die Prognose ist entschieden besser, wenn
unmittelbar nach dem Auftreten der Affection mit der Behandlung begonnen wird;
nachdem einmal die ersten Wochen ungenützt verstrichen sind, wird sie durch Ab-
warten, bis selbst über ein Jahr nicht weiter verschlechtert. Die Form, unter welcher
die Nervenerkrankung auftritt, ist sehr wichtig; Epilepsie giebt die beste Prognose,
ebenso gute Heilziffer geben Fälle von Himreizung (Kopfschmerzen, Schwindel bis
zu Syncopeanfallen, Erbrechen und Erregungszustände), und die neuritischen Affec-
tionen (Neuralgien, Ophthalmoplegie, Lähmung der basalen Himnerven), während
Monoplegie, Hemiplegie, Paraplegie, scbwere diffuse und gemischte Formen etc. weniger
günstige, letztere sogar recht schlechte Heilresultate zeigen.
Wo ein gutes Resultat der Behandlung, eine Heilung der Krankheit oder eine
Besserung erreicht wird, da lassen fast immer die ersten Anzeicben der Besserung
nicht lange auf sich warten. — Ist bei Jodkali-Bebandlung bis Ende der ersten
Woche, bei energischer Quecksilberbebandlung bis Ende der zweiten Woche kein
Resultat erzielt, so sind nach Erfahrung des Yortr. die Aussichten für jede dieser
Behandlungsarten sehr gering. Die günstige Wirkung der specifischen Kur zeigt sich
in der Regel zuerst und. am sichersten im Allgemeinbefinden. — Grosse Dosen:
Inunctionen von 5 — 10 gr steigend, sind nothw^ndig!
5. Prof. Forel (Zürich): Zur Therapie des AlkoholismuB.
Yortr. zeigt, dass thatsächlich die sogenannten Abstinenzvereine, deren Mitglieder
sich zur völligen Enthaltung aller alkoholischen Getränke verpfiichten, die gross-
artigsten Heilerfolge bei den Alkoholikern aufzuweisen haben (z. B. ca. 1000 ge-
heilte Alkoholiker unter den 6000 Mitgliedern der schweizerischen Abstinenzvereine).
— Der Prämien-Rabatt von 10 7o» welchen angloamerikanische Lebensversicherungs-
gesellschaften den Abstinenten gewährten, zeigen zudem, dass die Abstinenz der
Gesundheit der Menschen sehr zuträglich ist.
Vortr. findet, wie schon von englischer Seite berichtet wurde, dass eine rasche
völlige Entwöhnung der Alkoholiker sogar bei Delirium tremens gefahrlos ist (4 bis
5 Tage genügen ihm meistens dazu). Man muss nur für kräftige Ernährung (im
Nothfall mit Scblundsonde) sorgen. Beim Wasserregime befinden sich die Alkoholiker
der Irrenanstalt Burghölsdi sehr wohl. Seit September 1886 hat Yortr. die Alko-
holiker der Irrenanstalt Burghölzli consequent auf die angedeutete Art und mit
relativ gutem Erfolge behandelt, obwohl es sich, wie in Irrenanstalten überhaupt, um
die ungünstigsten Formen handelt. Von 24 Fällen sind 10 bis jetzt geheilt (ab-
stinent) geblieben. Die andern Fälle sind theils rückfällig geworden (5), theils
zweifelhaft (2), theils unbekannten Aufenthaltsortes (6). Bei einem Fall war die
Geistesstörung chronisch.
Als Hülfsmittel bei der Behandlung des Alkoholismus und bei Morphinismus empfiehlt
F. den Hypnotismus; er stellt eine durch Suggestion geheilte, früher alkohoUstisch
gewesene Wärterin vor und demonstrirt an ihr einige hypnotische Versuche.
— 896 —
6. Prof. Erb (Heidelberg): Ueber Dystrophia musoulorom progresslTa.
Im Jahre 1883 hat £. zuerst eine klinische Trennung der ^^progressiven Muskel*
atrophie" in 2 Formen versucht: eine spinale Form (Amyotrophia spinal, progr.) und
eine wahrscheinlich myopathische (die Dystrophia mnscul. progr.). Zu der letzteren
rechnet er die unter dem Namen der juvenilen Muskelatrophie (Erb), der
Pseudohypertrophie der Kinder und der hereditären Muskelatrophie
(Leyden) beschriebenen Erkrankungsgruppen; nach £.*s Ansicht gehört dazu auch
die infantile progressive Muskelatrophie Duchenne*s (mit Gesichtsbetheiligung).
Fast alle Autoren haben sich E. angeschlossen. Der Vortr. erörtert die Frage, ob
in der That die klinische Einheit der 4 Formen aufrecht zu erhalten ist und ob
derselben auch ein anatomiRch einheitlicher Process zu Grunde liegt. Endgültig ab-
geschlossen ist die Untersuchung darüber noch nicht Wenn man von der juve-
nilen Muskelatrophie Erb's ausgeht, deren volle Existenzberechtigung im Laufe
der Jahre durch eine sehr reichhaltige Casuistik anerkannt worden ist, so ist der
Nachweis der klinischen Einheit leicht zu führen: es handelt sich vor Allem darum,
die Uebereinstimmung dieser Form mit den andern Formen in Bezug auf Locallsation
der Atrophie und Hypertrophie, Verhalten der Muskeln bei der Inspection, Palpation,
elektrische Untersuchung, fibrilläre Zuckungen etc. nachzuweisen. Diese Ueberein-
stimmung wurde dem Vortr. durch eigene, sowie durch fremde Beobachtungen be-
kräftigt, ebenso für die infantile Muskelatrophie Duchenne*s. — Für die sog.
„hereditäre Muskelatrophie", deren Existenzberechtigung E. nicht anerkennt (denn
alle diese Formen seien gelegentlich hereditär), gelte dasselbe.
Beweisender noch ist der Nachweis von Uebergangsformen zwischen den ein-
zelnen Gruppen. So giebt es a) Fälle von juveniler Form mit Gesicbts-
betheiligung, b) solche von Pseudohypertrophie mit Gesichtsbetheiligung, c) infan-
tile Formen mit theils juvenilem, theils pseudohypertrophischem Typus, d) PseudD-
hypertrophien, die später ganz unter dem Bilde der juvenilen Form erscheinen,
e) juvenile Form, die ganz unter dem Bilde einer Pseudohypertrophie aber bei einem
erwachsenen älteren Individuum auftrat, f) unbestimmte Formen, über deren Zuge-
hörigkeit zu der einen oder andern Form Zweifel bestehen können. Endlich gehört
hierher noch das Vorkommen verschiedener Formen in der gleichen Familie.
Die Uebereinstimmung aller dieser Formen in allen wesentlichen Punkten ist
eine genügend grosse; es kommen alle möglichen Uebergänge zwischen ihnen vor,
folglich ist es gerechtfertigt, sie als klinische Einheit aufzufassen. Die Eintheilung
in weitere Unterarten und eine zweckmässige Gruppirung behält sich E. noch vor.
Aus den Beobachtungen des Vortr. an excidirten Moskelstückchen von 7 Fällen,
zu denen auch eine Reihe fremder Publicationen hinzugetreten ist, scheint auch ein
anatomisch-einheitlicher Process hervorzugehen: An den Muskelfasern finden sich ganz
enorme Hypertrophien, daneben alle Uebergänge zu hochgradiger Atrophie. —
Die Fasern sind alle mehr oder weniger abgerundet, zeigen überall erhebliche
Kern Vermehrung, Spaltbildung, Fasemtheilung und Vacuolenbildung. Daneben
findet sich erhebliche Wucherung des Bindegewebes und endlich mehr oder weniger
reichliches Fettgewebe bis zur ausgesprochenen Lipomatose. — Manchmal überwiegen
die hypertrophischen, manchmal die atrophischen Fasern. — Kemvermehrung und
Abrundung der Fasern ist stets vorhanden. Spaltbildnngen sind meist sehr zahlreich,
in den Stadien mit fast ausschliesslicher Hypertrophie treten sie zurück. — Vacuolen-
bildung findet sich stets nur vereinzelt; die Lipomatose erscheint in sehr wechselnder
Intensität und Verbreitung. Im Grossen und Ganzen scheint sich doch eine so voll-
ständige Uebereinstimmung in den wesentiichen Veränderungen darzubieten, dass
dem gegenüber die quantitativen Unterschiede zurücktreten. — Aus einfachen logischen
Gründen dürfte diejenige Veränderung als die früheste, als die primäre zu betrachten
sein, welche sich in gewissen Muskeln allein oder doch fast allein und am ent-
wickeltsten vorfindet — und zwar die Hypertrophie der Muskelfasern.
— 397 —
Indem E. sich die Mittheilung aller Details, die Erörterung aller einschlägigen
Fragen vorbehält, giebt er seine vorlänfige Ansicht von der Entwickelang des Krank-
heitsprocesses in Folgendem wieder.
Zneist Hypertrophie der Fasern, Abrundong derselben, Spaltbildnngen, geringe
Kemvermehrong im Bindegewebe. — Dann allmählich zunehmende Atrophie der
Fasern und erhebliche Bindegewebs- Hyperplasie; mit dem Fortschreiten dieser Pro-
cesse gesellt sich zuletzt die Lipomatose hinzu. Damit stimmt auch das klinische
Verhalten überein.
Es erscheint sonach die Aufstellung einer — die 4 wiederholt genannten
Formen umfassende — Dystrophia muscularis progressiva hinreichend begründet.
7. Prof. Bäumler (Freiburg) stellte einen Fall von seit Jahren bestehender
Dystrophia musoularis progressiva (juvenile Form) vor, mit charakteristischer
Localisation an Schulter und Oberarmmusculatur, bei dem auch die Gesichtsmusculatur
leicht atrophisch ist und die Interossei der Hand zu entarten beginnen.
Ausserdem gelangt ein Mann mit einer eigenthümlichen Aphasie zur Vorstellung,
der leicht dement ist, an Tremor der rechten Seite leidet, ohne sonstige Erscheinungen
von Dementia paralytica darzubieten.
8. Prof. Wiedersheim demonstrirt eine Reihe vortrefiflicher, für den aka-
demischen Unterricht bestimmter Himmodelle von Ammocoetes, Haifisch, Forelle,
Frosch, Alligator, Taube, Kaninchen und Jagdhund, die von dem Freiburger Fabri-
kanten Ziegler aus Wachs unter Aufsicht W.'s gefertigt sind.
9. Prof. Dr. Kim (Freiburg): Ueber die Psychosen der EinEOlhaft.
«
Man hat die Gefangenschaft beschuldigt, ungemein unheilvoll für die psychische
Gesundheit zu sein. Die Erfahrung vieler Autoren und auch die des Vortr., der
seit 10 Jahren Arzt des Zellengefangnisses zu Freiburg ist, widerspricht dieser
Anschauung: Erbliche Anlage, Kopfverletzungen, Epilepsie, verkehrte Erziehung etc.
schaffen eine hochgradige Prädisposition; die Einsperrung wirke nur als occasionelles
Moment, um am Straforte die vorbereitete Psychose meist rasch zu zeitigen. Die
Geistesstörungen in gemeinschaftlicher Haft erscheinen wesentlich verschieden von
denen der Einzelhaft; in jener beobachtet man vornehmlich sich langsam entwickelnde
chronische Störungen mit dem Charakter der Demenz oder der chronischen Verrückt-
heit, in der Einzelhaft überwiegend acute Psychosen. Die letzteren sind zwar häufiger,
aber auch leichter heilbar, als die aus gemeinsamer Haft entspringenden Störungen.
Die Einzelhaft-Psychosen zeichnen sich aus durch den acuten Verlauf und durch
das mächtige Hervortreten von Sinnestäuschungen.
Unter 133 von E. in Freiburg beobachteten Fällen waren besonders häufig die
acute hallucinatorische Melancholie; nie sind hier die Hallucinationen primär,
vielmehr geht ihnen stets eine »Verstimmung voraus.*— Die Stinmnen, welche die
Patienten hören, enthalten Anklagen, Beleidigungen, Bedrohungen, Aufforderungen
zum Selbstmord. — Die Visionen zeigen drohende Gestalten von Feinden und Mördern
mit tödüichen Waffen, das aufgeschlagene Schaffet. — Die Krankheit bleibt bei an-
dauernder Depression mit schmerzlichen Empfindungszuständen und gleichartigen De-
lirien nur kurze Zeit auf der Höhe, um meist nach Aufhebung der Isolirung rasch
abzufallen und in wenigen Wochen bis Monaten zur Genesung zu führen. Die zweit-
wichügste Einzelhaft-Psychose, der acute hallucinatorische Wahnsinn, beginnt
ohne Depression nach einer Reihe von somatischen Erscheinungen direct mit Sinnes-
täuschungen. Dann kommt es der Reihe nach zu Verfolgungs-, Grössen-, religiösem
und sexuellem Wahn. — Ein kleiner Theil dieser Fälle endet nicht so günstig, wie
die acute Melancholie, sondern geht in den chronischen unheilbaren Wahnsinn über.
Nur üi 3 Fällen beobachtete K. die acute hallucinatorische Manie mit hoch-
— 398 —
gradiger Anfregmig, tief gestörtem Bewusstsein, blinder Herrschaft der Sinnesdelirien:
Prognostisch sind aach diese Fälle recht günstig.
Nach diesem einleitenden Vortrage folgte unter K.*s Leitung eine Besichtigung
des Zellengefangnisses zu Freibnrg.
Um 6^/2 Uhr wurde die erste Sitzung geschlossen.
(Schloss folgt.)
Sooiötä de Biologie, Paris. Sitzung vom 4. Februar 1888.
Georges Lemoine (de Lille): „lieber Contraoturen bei Epileptikern/*
L. unterscheidet zwei Arten des Vorkommens: 1. Permanente Contracturen in Ex-
tension oder Halbbeugung, welche sofort nach dem Anfall (einmal schon im Anfall)
auftreten und einige Minuten bis mehrere .Tage anhalten; sie sind an den oberen
Extremitäten häufiger als an den unteren, gewöhnlich nur auf einer Seite, selten
allgemein. — 2. Die andere Art entsteht nur dann, wenn man plötzlich (nach einem
Anfall?) ein Glied des Patienten kräftig drückend anfasst: es tritt dann eine Starre
desselben ein, die man nur mit grösster Kraft und unter Auftreten von Zuckungen,
überwinden kann; lässt die pressende Hand das Glied los, so ist es wieder frei be-
weglich.
Ch. F^re theilt eine interessante Beobachtung bei hysterischer Hemianästhesie
mit: er befestigte auf einem Muskel der anästhetischen Seite einen Myograph mit
Leitung zur Faradisirung; auf dem symmetrischen Muskel der gesunden Seite einen
einfachen Myograph. Ersterer beschrieb eine Gurve, wobei die Kranke keine Em-
pfindung von den Zuckungen hatte. Bei einem stärkeren Strome begann auch der
Muskel der gesunden, nicht faradisirten Seite zu zucken resp. eine ganz schwache
Gurve zu zeichnen, und diese leichten Zuckungen fühlte die Kranke. — F. meint,
dass vielleicht gewisse Fälle von Allochirie demgemäss zu erklären sind: die falsche
Localisation ist nur scheinbar, indem die Kranken den Reiz selbst nicht fühlen, weil
er eine anästhetische oder hypästhetische Stelle getroffen hat, aber trotzdem die
thatsächliche Diffusion des Reizes wahrnehmen. Hadlich.
IV.
Der Verbrecher in anthropologisoher, ärztlicher und juristiBcher Besiehung,
von G. Lombroso. In deutscher Bearbeitung von Dr. M. 0. FraenkeL Mit
Vorwort von Prof. Dr. jur. von Kirchenheim. (Hamburg 1887. J. F. Richter.
XXXII und 560 Seiten.)
Es mag auf den ersten Blick auffallend erscheinen, dass in einem neurologischen
Gentralblatt ein Buch mit* dem Titel „Der Verbrecher" ausführlicher besprochen
werden soll. Der Name des Verf. bürgt indessen dafür, dass sein Werk für jeden
Psychiater von hervorragendem Interesse sein muss.
Gesare Lombroso hat seit fast 20 Jahren den grösseren Theil seiner wissen-
schaftlichen Thatigkeit der anatomischen und biologischen Untersuchung der Ver-
brecher gewidmet und ist der Gründer einer Schule geworden, die auf dem positiven
Boden der Beobachtung stehend eine objective Inferiorität der „geborenen Verbrecher''
(des grössten Theils der sog. Gewohnheitsverbrecher) in somatischer und physiologischer
Hinsicht nachzuweisen bemüht ist Sie beschäftigt sich daher fast ausschliesslich
mit der Person des Verbrechers und hat bereits zahlreiche Eigenschaften aufge-
fanden, die einen anatomischen Verbrechertypus aufzustellen gestatten. Dieser Typus
setzt sich aus einer grossen Zahl von Einzelbefunden zusammen, die vereinzelt auch
bei Unbescholtenen und bei Gelegenheitsverbrechem zu beobachten sind, und die
— 399 —
daher an sich keinen beweisenden Weith haben würden, deren Hänfnng aber bei
ein nnd demselben Individuum fast ausschliesslich bei Gewohnheitsverbrechern vor-
kommt. Man ist daher in gewissem Grade berechtigt, den Schlnss umzukehren und
eine Person mit vielen criminalistischen Degeperationszeichen als des Gewohnheits-
verbrecherthnms verdächtig zu beanstanden, wenn sie auch zum ersten Male sich
einer strafbaren Handlung schuldig gemacht haben sollte.
Lombroso betrachtet den ,,geborenen Verbrecher" eben als einen Menschen,
den entweder Entwickelnngshemmung oder erworbene Krankheit, besonders der Nerven-
centren, schon vor seiner Geburt in einen anomalen — dem Nenropsychopathen ähn-
lichen, aber durchaus nicht gleichen — Zustand versetzt hat, kurz als einen wirk-
lich chronisch-kranken Menschen (S. 253). Und nicht nur materiell, auch fiinctionell
ist eine erhebliche Deteriorität beim „geborenen Verbrecher" vorhanden. Abgesehen
auch von der meist geringeren Verstandesentwickelung, die allerdings durch Schlau-
heit öfters einigermaassen ahsgeglichen wird, sind die geborenen Verbrecher ganz
durchgängig weit weniger empfindlich gegen Schmerzen und gegen Tasteindrücke als
Kormale; nicht selten sind sie fast anästhetisch; doppelt so häufig sind sie farbenblind,
drei- bis sechsmal so häufig linkshändig; sie erröthen weit seltener und langsamer,
selbst nach Einathmung von Amylnitrit etc.; Mitleid, Anhänglichkeit und ähnliche
altruistische Gefühle sind bei ihnen weit schwächer entwickelt als bei Unbescholtenen,
wogegen die Empfindlichkeit gegen atmosphärische Schwankungen, gegen magnetische
Einflüsse, sowie die Geruchsschärfe gesteigert sein sollen.
Ganz analoge Resultate sowohl in somatischer als in functioneller Hinsicht er-
hält man, sobald man eine Gruppe von Individuen mit sog. „Moral Insanity" unter-
sucht, nicht aber bei Irren im engeren Sinne.
L. betrachtet daher den geborenen Verbrecher und den Moral Insane als iden-
tisch, nämlich als Namen für ein und denselben Zustand angeborener körperlicher
und geistiger Inferiorität, der bisher je nach dem subjectiven Staudpunkt des Be-
obachters bald als Verbrecherthum, bald als Krankheit, immer aber mit dem Prädicat
der Unverbesserlichkeit resp. der Unheilbarkeit, bezeichnet wurde. Das praktische
Ergebniss, das L. erreichen will, ist daher die Anerkennung eines „strafunfähigen,
aber gemeingefährlichen Menschentypus mit atavistischen Reminiscenzen und patho-
logischen Defecten auf somatidchem und organischem Gebiet."
Im concreteu Fall stützt sich diese Anerkennung auf den anamnestischen Nach-
weis des gewohnheitsmässigen, d. h. rückfälligen Verbrech erthums und auf den ob-
jectiven Nachweis des anatomischen und biologischen Inferiorität. Die erste Folge
ist die Anerkennung des Rechts der socialen Vertheidig^ng und dann schliessen sich
die Versuche an, die normale Menschheit von derartigen „Wilden" zn befreien, also
am sichersten durch Ausrottung derselben, oder — da dieses Mittel wohl nicht als
anwendbar zu betrachten wäre — durch dauernde Unschädlichmachung, also durch
lebenslängliche Detention (oder Deportation? Ref.).
Dies wären ungefähr die Grundzüge der L.'schen Lehre. Die Einzelheiten seiner
geistvollen Ausführungen müssen natürlich in seinem Buche selbst nachgelesen werden.
Jeder wird interessante Beobachtungen und Schlüsse finden, auch wenn er nicht mit
den Folgerungen des Verf. übereinstimmt. Die Thatsachen sind mit ausserordent-
lichem Fleisse gesammelt und sehr geschickt gruppirt.
Seine Auseinandersetzungen über die Verbrechen der Pflanzen und Thiere, über
den Ursprung der Strafe bei den WUden, seine Schilderung der verbrecherischen
Kinder und v. A. werden besonders geeignet sein, das allgemeine Interesse auf das
werthvoUe Werk hinzulenken, das in italienischer Sprache bereits in fünfter Auflage
erschienen ist und dass uns jetzt dank der anerkennenswerthen Bemühung des um
die Ausbreitung italienischer Litteratur in Deutschland wohlverdienten Fraenkel in
deutscher Uebersetzung vorliegt Sommer.
— 400 —
V. Personalien.
Unser verehrter Mitarbeiter, Herr Prof. Bnmpf, wurde nach Marburg als
Director der Poliklinik berufen.
Am 13. Juni d. J. starb zu Erlangen einer der Nestoren der deutschen Psychiatrie,
Hofrath Dr. Hagen, früher Director der Kreisirrenanstalt und (JniYersitätsprofessor
in Erlangen, im Alter von 74 Jahren. Unter seinen Arbeiten heben wir hervor:
„Die Sinnestäuschungen" (Leipzig 1837), Chorinsky (Erlangen 1872), Statistische
Untersnchungen über Geisteskrankheiten (Erlangen 1876), „Ueber Nierenkrankheiten
als Ursache von Geisteskrankheiten" (Ztschr. f. Psych. Bd. IXIVIU).
Ein junger hofoungsvoUer College, der auch dieser Zeitschrift seino Mitarbeiter-
schaft zugewendet hatte, Dr. Hügel, Assistent von Ph>f. Bieger am Juliusspital in
Würzburg, erlag dem Typhus, welchen er in den ersten Wochen seiner neuen An-
stellung im Jnliusspital acquirirte.
VI. Vermischtes.
Entwurf des neuen italienlBchen StrafigesetBbuoheB.
In dem neuen Entwarf, welchen der Minister Zanardelli in der Sitzung vom 22. Nov.
1887 der Depntirtenkammer vorgelegt hat, finden sich folgende die forense Psychiatrie inter-
essirende Bestimmungen:
§ 47. Nicht strafbar ist der, der sich bei Begehung einer strafbaren Handlang in einem
Zustande geistiger Missentwickelung („deficienza") oder krankhafter Störung der Geistes-
thätigkeit („morbosa alterazione di mente'*) befunden hat, der geeignet war, ihn des Be-
wnsstseins seiner Handlungen zu berauben, oder ihn zur Ausführung jener Handlang za
zwingen.
Der Richter kann entscheiden, ob der Thäter in eine Criminaiirrenanstalt^ oder in eine
andere Irrenanstalt überf&hrt werden soll, um dort zu bleiben, so lange die Direction der-
selben (^l'aatorita competente'*?) es f&r nöthig erachtet.
§ 48. Wird durch die im vorigen Paragraphen angegebenen Znstände die Zurechnunf^
fiihigkeit nicht ausgeschlossen, sondern nur erheblich („erandemente") verringert; so wird
die Strafe gemildert und kann nach Entscheidung des Kfchters in einer Gorrectionsanstalt
(„Casa di custodia") verb&sst werden.
Tamassia hebt in einer Besprechung dieser Paragraphen (in der Rivist sperim. di
Freniatr. ecc. 1888. XIII. p. 235) hervor, dass hier zum ersten Mai der Begriff der Criminal-
irrenanstalt offidell fixirt sei und dass die Worte „Deficienza o-morboea alterazione di mente"
an und f&r sich schon ausreichten ; er halt daher den folgenden Zusatz f&r mindestens fibei^
flüssig, wenn nicht schädlich. Auch wünschte er, dass im § 48 an Stelle der „Casa di
custodia" ebenfalls die Oriminalirrenanstalt zu treten hatte.
Die Redaction der citirten Zeitschrift ist Übrigens um ein Gutachten über den Entwurf
ersucht worden und wird dies in nächster Zeit erstatten. Sommer.
Kirch hoff setzt seine interessanten Veröffentlichungen zur (beschichte der Psychiatrie
in einem Aufsätze über „die Beziehungen des Dämonen- und Hexenwesens zur deutschen
Irrenpflege" fort. (Ztschr. f. Psychiatrie. XLIV. 4 u. 5.) Vor der Scholastik erklärten der
kirchliche Canon, das longobardische Gesetzbuch (644) und ein Capituiare Karls des Grossen
den Glauben an die Existenz von Hexen für sündlich, unmöglich, ja sogar todesstrilflich.
Zwischen Ludw. Meyer uud Sold an entscheidet K. dahin, dass jedenfalls eine grössere
Zahl Geisteskranker unter den Hexen und Zauberern war. Besonders häufig war die
Dementia senilis bei denselben, dann epileptisches Irresein, erst in dritter Linie Paranoia.
Weiterhin setzt K. die Anschauungen von Paracelsus, Wier, Plater und Luther über das
Hexenwesen auseinander. Des letztem eigene nervöse Störungen und Hallucinationen werden
genau geschildert, die Schön'sche Annahme einer lusania sine delirio bei Luther als tendenziöse
Unrichtigkeit nachgewiesen. Schliesslich sucht K. den Dämonenglauben in seineu letzten
Resten in der Gegenwart auf. Th. Ziehen.
Verlag von Vkit & Comp.. in Leipzig. — Druck von Mxteobb & Wlttig in Leipzig.
NeurologischesCentralblah
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter "» ^^^ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nammem. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1888. • 15. JüU. N2: 14.
Inhalt I. Originalmittheilungen. 1. Zur Lehre von der Hemiatrophia facialis, von E.
Mendel. 2. Einige therapeutiBche Versuche mit der Hypnose, von Dr. Sperling (Schluss).
II. Refferate. Pathologische Anatomie. 1. üeber circumscripte Bindegewebshyper-
plasien in den peripherischen Nerven, besonders in dem Plexus brachialis, von Trzebinski.
2. Om nervdegeneration och nervatrofi, jemte nagra ord om varikositetemas forekomst och
betydelse i de periferiska nervema, af Kdster. 3. Note sur quelques troubles trophiques
cauaäs par Irritation du nerf sciatique, par Gtey et Mathleu. — Pathologie des Nerven-
systems. 4. Die Entzündung der peripherischen Nerven, deren Pathologie und Behandlung,
von Leyden. 5. Ueber acute multiple Myositis bei Neuritis, von Senator. 6. Beiträge zur
CasuiBtik der multiplen Neuritis, von Cornelius. 7. Multiple peripher^ Neuritis, by Suckling.
8. The probable ocourrence of Multiple Neuritis in Epidemie Cerebrospinal Meningitis, by
Mills. 9. Eenige bijdragen tot de kennis van de oorzaken en den aard der beri-beri, door
van Eecke, 10. Neuritis fascians, von Elchhorst. 11. Zur Frage über die Veränderungen der
peripherischen Nerven bei Schvrindsnoht, von Jappa, 12. N^vrites p^riph^riques dans le
rheumatisme ohronique, par PItres et Valilard. 13. Pamphigoid eruption with changes nerves,
by Saugster. 14, üeber einen eigenthü milchen Fall von combinirter systematischer Erkran-
kung des Bückenmarkes und der peripherischen Nerven, von Braun.
III. Aus den Geseltschafften, XIII. Wanderversammlung südwestdeutscher Neurologen u.
Irrenärzte zu Freiburg, 2. Sitzung am 10. Juni 1888. — Berliner Gesellschaft für Psychiatrie
und Nervenkrankheiten, Sitzung vom 9. Juli 1888.
I. OriginalmittheilunKen.
1. Znr Lehre von der Hemiatrophia facialis.
(Nach einem in der Berliner med. Gesellschaft am 15. April 1888 gehaltnen Vortrage.),
Von E. Mendel.
Der Fall; den ich zum Ausgangspunkt meiner heutigen Besprechung der
Hemiatrophia facialis machen will, wurde am 9. Juni 1880 von Herrn Vibchow
in dieser Gesellschaft vorgestellt.^
Er betrifil Frau Kulicke. Von den vielen Aerzten, die sie von Rombebg
> Cf. Verhandlungen der Berliner med. Gesellschaft. 1879/80. U. 169.
25
— 402 —
an consultirt, bin ich der letzte gewesen, und dadurch auch in die Lage ge-
kommen, die Section und die nachfolgende üntersnohung ihres Nervenapparats
zu machen.
Ihre Geschichte ist kurz folgende: Die Todesursache ihres Vaters, der in
hohem Alter starb, ist nicht bekannt; ihre Mutter starb im Alter von 30 Jahren
an der Schwindsucht; ihre Geschwister sollen gesund sein. Sie hat, nachdem
sie vorher nie wesentlich krank gewesen war (abgesehen von einem hier wohl
noch zu erwähnenden Blutschwär auf dem Kopfe im Alter von 22 Jahren), im
Alter von 25 Jahren einmal geboren, das Kind starb nach wenigen Monaten.
Noch im Wochenbett will sie eine mit lebhaftem Fieber verbundene Gecdohts-
rose überstanden haben, nach deren Verschwinden noch lange Zeit Schmerzen
am linken Auge und in der linken Wange bestanden, wegen welcher sie Chloro-
formeinreibungen brauchte. Als diese Schmerzen im Laufe eines Jahres all-
mählich nachliessen, bemerkte sie ein Einsinken ihrer linken Gtesichtshälfte,
zuerst, wie sie angab, am linken Nasenflügel. Auch im linken Voiderarm
stellten sich nach jener Zeit Schmerzen ein (es war die Zeit aber nicht mit
Sicherheit festzustellen), welche aber nicht so stark, wie im Gesicht, sich ze^^n.^
Der Zustand, wie er sich nun allmählich im Laufe der nächsten 15 Jahre
entwickelte, und wie er von Herrn Vibchow geschildert worden ist, war einmal
die klassische Form einer linksseitigen Gesichtsatrophie, und einer Atrophie,
welche vorzugsweise, ja wohl ausschliesslich im Gebiet des linken Radialis sich
zeigte.
Im Alter von 60 Jahren suchte sie am 21. April 1887 meine Hülfe auf,
nicht eigentlich wegen ihrer Hemiatrophie, sondern wegen eines „allgemeinen
Schwächezustandes''.
Der Status war folgender: Patientin ist im höchsten Grade abgemagert,
appetitlos, hat ab und zu Diarrhöen, und ihrer Beschreibung nach Fieberanölle.
Als Ursache dieses Zustandes ergab die Untersuchung vorgeschrittene Phthisis
pulmonum, auf deren einzelne Symptome ich hier nicht weiter eingehe. Ich
beschränke mich auf die Erörterung der hemiatrophischen Erscheinungen. Was
zuerst das Gesicht betrifft, so sprang auch in diesem Falle, wie in andern typischen
Fällen sofort in's Auge, dass die Atrophie der Ausbreitung der Verzweigungen
des Trigeminus entsprach.
^ Darob die Oüte des Herrn Collegen Bbmak erhalte ich nachträglich die Anfzeichnmigeü
seines Vaters über Frau Knlicke vom 7. Februar 1863, aus denen ich Folgendes hervorhebe:
„Die Schmerzen in der Stirn haben so zugenommen, dass die Kranke nicht schlafen kann."
„Es bestand an einzelnen Stellen des Gesichts Unempfindlichkeit, dort war auch die Haut-
farbe besonders dunkel. Starkes Ausfallen der Haare. Der Oberarm zeigte rechts O'/«,
links 9V4» der Vorderarm rechts 8V4> links B Zoll Ciroumferenz. Schmerz und Schwellung
bestand nach dem Laufe des Plexus brachialis, am Vorderarm war die Haut livide im Be-
reiche des ülnaris."
Auffallend ist, dass in diesem Bericht — im Gegensatz zu dem späteren Befund —
die Atrophie der Cutis des linken Arms besonders im Bereich des Ulnaris hervorgehoben ist,
so dass „man durch die dünne Cutis sämmtliche Venen und Nerven sehen kann, wie an
einem Präparate".
— 40S —
Im ersten Aste zeigte sich ganz besonders im Verlaufe des Nervus fron-
talis eine von dem obem Augenlid nach der Medianlinie der Stirn hin ver-
laufende Rinne, welche bis an die Grenze des Haarwuchses deutlich war, und
sich, ehe sie dieselbe erreichte, in einige Zweige (der Bamification des Nv. fron-
talis entsprechend) theilte.
Viel intensiver, als im Gebiete des ersten Astes, war jedoch die Erkrankung
in dem des zweiten deutlich; hier zeigten sich sowohl im Verlauf der Nervi
palpebrales inferiores, wie der Nasales subcutane! tiefe ESnsenkungen, die wie
Narben aussahen. Seichtere Rinnen waren noch über dem äusseren Rande der
linken Oberlippe zu sehen.
Im Gebiete des dritten Astes endlich bemerkte man eine flache Einziehung
etwas nach links oben und aussen vom Kinn (Nervus mentalis); im Uebrigen
aber schien hier die Erkrankung am Unbedeutendsten. Die gelblich-graue Ge-
sichtshaut war fast überall gleichmässig dünn, und obwohl auch die rechte Ge-
sichtshälfte entsprechend der allgemeinen Macies hochgradig mager war, Hess
sich doch immer noch ein deutlicher Unterschied zwischen beiden Hälften nach-
weisen. An den meisten Stellen schien die Haut den darunter liegenden Fascien
oder Knochen zu adhäriren.
Die Haare der Kopfhaut, auf beiden Seiten von gleicher Farbe, waren sehr
spärlich und dünn.
Die Muskeln des Gesichts erschienen durchweg links viel dünner als rechts,
doch nicht nur die vom Facialis bewegten, sondern ebenso die vom Trigeminus
innervirten Mscl. temporalis und Masseter.
. Auch die Zunge erscheint, besonders in ihren^ vorderen Drittel, links dünner
als rechts; zwei etwa 2 cm lange, von hinten nach vom verlaufende rissartige
Einkerbungen sind auf der linken Zungenhälfte zu sehen.
Bei den mimischen Gesichtsbewegungen trat der Unterschied zwischen der
gesunden und kranken Seite noch deutlicher hervor; die elektrische Untersuchung
der Muskeln des Gesichts ergab sowohl bei directer wie bei indirecter Reizung,
und zwar für beide Stromesarten, eine Herabsetzung der elektrischen Erregbar-
keit; eine genauere, Untersuchung derselben war bei der übergrossen Empfind-
lichkeit der Patientin nicht möglich.
Erwähnt mag endlich noch werden, dass der linke Bulbus wegen Schwundes
des retrobulbären Fettgewebes viel tiefer in die Orbita gesunken war, femer
dass Patientin das Auge wegen der Schwäche des Orbicularis palpebrarum nicht
vollständig schliessen kann, und dass sie, wie sie berichtet^ auch des Nachts das
Auge nicht völlig zumacht.
Patientin hat keine Schmerzen in der linken Gesichtshälfte, sie fühlt Nadel-
stiche auf beiden Seiten gleichmässig, sie unterscheidet deutlich Kopf und Spitze,
ebenso warm und kalt und localisirt durchaus richtig.
Unterschiede in Bezug auf Kalte- und Wärmegefahle, wie in Bezug auf
Schwitzen zwischen beiden Gesiohtshälfben hat Pat. nicht bemerkt
Die Knochen des Schädels sind, wie schon Herr Vibohow festgestellt, in
keiner nennenswerthen Weise betheiligt.
25*
- - 404 -
•
Was nun den Znstand der linken obem Extremität anbetnflft, so waren die
Erscheinungen fast ganz dieselben, wie sie 7 Jahre vorher von Herrn Yirchow
gefunden waren, und ich kann sie gewiss nicht besser beschreiben, als wenn ich
seinen Befund hier wiederhole:
„Es findet sich bei ihr eine Atrophie, die an der Mittellinie des Rückens,
zwischen dem lY. und YII. Dorsalwirbel beginnt, dann schief nach oben und
unten über die Fossa infraspinata scapulae und die Umgegend desselben sich
verbreitet, namentlich stark am M. infraspinatus, von da zur Achsel geht und
sich verbindet mit einer Atrophie, welche zuerst hinten, dann an der Yolarseite
heruntergeht und ihre grösste Starke am Vorderarm erreicht Man kann sie
schon am Oberarm in einer gewissen Ausdehnung verfolgen, aber das eigent-
liche ist Hauptgebiet am Vorderarm bis zur Hand (Kleinfinger) hin. Innerhalb
dieses ziemlich grossen Gebietes treffen wir genau dieselbe Verdünnung der
Haut, welche ein leicht gelbliches Aussehen hat, und dasselbe höchst auffallige
Hervortreten der Hautgefässe, die durchweg als vorragende, im Hautrelief er-
scheinende Zeichnungen sich darstellen. Dabei findet sich derselbe absolute
Mangel des Fettgewebes; der Panniculus adiposus ist total geschwunden, die
Muskeln sind auf das Aeusserste verkleinert und die Haut liegt so nahe an
den Fascien und Knochen an, dass sie, wenngleich sie nicht gerade so fest ad-
härirt, wie am Kopfe, doch ungleich weniger verschiebbar ist, als an den nor-
malen Stellen."
Auch hier war keine Störung der Sensibilität, keine Störung in den vaso-
motorischen Erscheinungen, keine der Knochenbildung bemerkbar.
Der allgemeine Kräfteverfall der Patientin machte bald weitere Fortschritte
Patientin wurde bettlägerig, ich musste sie schliesslich aus ihrer Wohnung nach
dem städtischen Krankenhaus Moabit bringen lassen, wo sie 24 Stunden nach
ihrer Aufnahme am 19. Juni 1887 starb.
Durch die Güte des Directors des Krankenhauses, des Herrn Colinen
GüTTMANN, war ich in den Stand gesetzt, dort die Section zu machen.
Dieselbe ergab, abgesehen von der Lungenphthisis, die den Tod veranlasst
hatte, makroskopisch keinen wesentlichen Befund.
In gewöhnlicher Weise wurden Hirn und Bückenmark, die herausgeschnittenen
Nerven, einzelne Haut- und Muskelstücke gehärtet, geschnitten und gefärbt
Das Besultat der nun stattgefundenen Untersuchung erlaube ich mir Ihnen mit
einer Anzahl von Präparaten hier vorzulegen. Ueberall wurden bei der Unter-
suchung und Beurtheilung des Befundes der Nerven, der Haut und
der Muskeln Vergleichsstücke von der gesunden Seite benutzt
I. Die peripherisohen B'erven.
1. Der Trigeminus sinister.
Es wurde* untersucht der Trigeminus in seinem Verlauf im Pens, nach
seinem Austritt aus demselben, die Aeste desselben nach ihrem Austritt aus
dem Ganglion Gasseri, wie dieses selbst, und einzelne weiter peripherisch ge-
legene Zweige.
— 405 —
Die prägnantesten Bilder and den höobsten Grad der Entwickelung der
Krankheit ergab die Untersuchung des N. supramaxillaris.
Auf den mit den verschiedensten Färbemittehi (Nigrosin, Karmin, Pikro-
karfliin, Weigert'sche Färbung u. s. w.) tingirten Nervenquerschnitten zeigte
sich £ast durchgehends das Perineurium erheblich verdickt, an manchen Prä-
paraten 3— 4mal so dick, als an den entsprechenden normalen Nerven, und am
Trigeminus der rechten Seite der Kuücke. Yon diesem Perineurium gingen
nun die Bindegewebsbalken des Endoueurium in grösserer oder geringerer Zahl
und in. verschiedener Stärke durch das Nervenbündel hindurch, zwischen denen
die Querschnitte der Nervenfasern in durchaus normaler Weise erscheinen. Eine
Vermehrung der Kerne des Neurilems war nicht nachzuweisen. In einzelnen
Querschnitten erschien weitaus der grösste Theil der Fasern erhalten, in andern
erschienen nur kleine Inseln von Nervenfasern zwischen dem mächtigen Binde-
gewebsbalken.
Geringer erschienen in den übrigen Aesten des Quintus dieselben Verände-
rungen, wenn sie auch auf den meisten Querschnitten deutlich zu erkennen waren.
Dasselbe gilt von der Wurzel des Trigeminus nach ihrem Austritt aus
dem Pens,
Zwischen Faserbündeln, in denen nur geringe oder auch gar keine patho-
logischen Veränderungen zu entdecken waren, erschienen solche, die auf das
Deutlichste die Vermehrung des Bindegewebes und den Ausfall von Nerven-
fasern zeigten.
Auf den Längsschnitten, welche den Nerv in seinem intrapontilen Verlauf
(Frontalschnitte durch den Pens) trafen, ergab der Vergleich zwischen der linken
und rechten Seite, dass auf der ersteren sich stärker durch Karmin und Nigrosin
färbende Fasern zwischen den ungefärbten weissen Nervenfasern nachweisen
lassen.
Die Zellen des Ganglion Gassen erscheinen durchaus normal, nur sind
auch in diesem die Bindegewebsbalken etwas mächtiger entwickelt.
Die Untersuchung ergiebt demnach, dass in sämmtlichen Aesten des
linksseitigen Trigeminus, von seinem Ursprung an ^bis zu seiner
peripherischen Ausbreitung, besonders aber in dessen zweitem Ast
die Endproducte einer Neuritis interstitialis prolifera (Viechow)^
bestehen.
2. Der N. radialis sinister.
Auch hier zeigt sich in einer Beihe von Schnitten, aber durchaus nicht auf
allen gleichmassig, die starke Entwickelung von Bindegewebsfasern, sowohl in
der Verdickung des Neurilems, wie in dem Hervortreten der Bindegewebsbalken
in dem NervenEaserbündel, welche die Nervenfasern selbst verdrängt und zum
Theil zum Verschwinden gebracht haben. Der Vergleich mit dem rechten
Badialis macht das pathologische Verhalten besonders auffallend.
Es besteht also auch im. linken Badialis eine Neuritis interstitialis
prolifera.
1 Yircbow'a Archiv. Bd. LEI. S. 441.
— 406 —
8. Der Nervns facialis sinister,
sowohl in seinem Austrittssehenkel, wie im Stamm und einzelnen Zweigen der
peripherischen Ausbreitung untersucht, zeigte nicht die geringste Veränderung.
IL Das Gtohiim und die Medtdla oblongata.
Es wurde vom hintern Ende des 3. Ventrikels beginnend bis zum distalen
Ende des Hypoglossuskemes eine auf einander folgende Reihe von 519 frontalen
Schnitten angefertigt. Dieser Mühe unterzog sich mein Assistent Herr Dr. Kbon-
THAii in sehr ausgezeichneter und dankenswerther Weise.
Die Untersuchung liess zwei pathologische Thatsachen wahrnehmen: näm-
lich 1. Unterschiede in Bezug auf die Mächtigkeit zwischen der
rechten und linken absteigenden Wurzel des Trigeminus und 2. Unter-
schiede in der Mächtigkeit der Substantia ferruginea zwischen beiden
Seiten und gewisse Veränderungen in den Zellen der linksseitigen.
Was zuerst die absteigende Wurzel des Trigeminus betrifft, so liess
sich dieselbe von Schnitt 145 bis zu Schnitt 356 verfolgen, auf dem die letzten
Beste derselben in den Stanun des Trigeminus treten, also auf 211 Schnitten.
Durchgehends zeigte sich hier, bald deutlicher, bald weniger deutlich, aber auf
den meisten Schnitten schon makroskopisch erkennbar, dass der rechtsseitige
halbmondförmige Querschnitt dieser absteigenden Wurzel mächtiger als der links-
seitige ist, dass femer auf einer Anzahl von Schnitten der erstere eine reine
weisse Farbe zeigt, während der linksseitige durch die verschiedensten Tinctionen
(Karmin, Nigrosin u. s. w.) mehr ergriffen, schmutzig erscheint.
Auf den Präparaten mit Weigert'scher Färbung ist der rechtsseitige Quer-
schnitt intensiv dunkel, der linksseitige heller.
Die mikroskopische Untersuchung ergiebt rechts das gewöhnliche normale
BUd durchschnittener Nervenfaserbündel, links ist die Zahl der Querschnitte
kleiner, die erhaltenen sind normal, ein Theil der Nervenfasern ist unzweifel-
haft untergegangen.
Bei der langen Zeit, welche seit dem Beginn des Processes vergangen, er-
scheint es nicht •auffallend, dass die Processe, welche zu der Atrophie geführt,
nicht mehr zu erkennen.
Die Substantia ferruginea, die sich vom 168. Schnitt an bis zum 344ten
verfolgen lässt, zeigt auf der Mehrzahl der Schnitte eine grössere Mächtigkeit
rechts als links, auf einzelnen Schnitten ist die Differenz erheblich, so auf Schnitt
276, auf dem ich rechts 120, links 70 Zellen zähle. Auch hier ist auf vielen
Schnitten der Unterschied schon makroskopisch sehr deutlich.
Die mikroskopische Untersuchung ergiebt die Zellen links weniger intensiv
pigmentirt, und die Ausläufer erscheinen bei einem Theil derselben weniger aus-
geprägt
Im Uebrigen ergab die Untersuchung des Hirns und der Med. oblongata
keine nachweisbaren Veränderungen; speciell sei bemerkt, dass die Kerne des
Quintus, der motorische wie der sensible, die blasenformigen Zellen in der Um-
gebung des Aquaeductus Sylvii, aus denen die absteigende Wurzel entspringen
- 407 —
soU, die an&teigende Wurzel des TrigemiimSy und der Kern des Facialis durch-
aus normale Verhältnisse zeigten.
in. Das Büokeninark.
Untersucht wurde eine Anzahl von Schnitten aus der Höhe des 2«, 4. und
5. Cervicalnerven, femer aus der Höhe des obem Rückennerven.
Deutliche Veränderungen waren nur nachzuweisen in der Höhe des 5. Cervi-
cahierven, und zwar zeigten sich hier fast in allen Präparaten (29 Stück) die
Zellen der Vorderhömer links in geringerer Zahl als rechts, und erschienen
links auch neben grossen Zellen auffallend viel kleine; in einzelnen Präparaten
fehlte die medial gelegene ZeUengruppe der Vorderhömer vollständig.
Einzelne, doch nicht prägnante Unterschiede in den Zellen der Vorderhömer
fanden sich auch auf einigen Präparaten aus der Höhe des 1. Dorsalnerven.
Die vorderen und hinteren Eückenmarkswurzeln Hessen keine
Veränderung erkennen.
Es fehlt die Untersuchung des Sympathicus, welche durch äussere Umstände
missglückte. Ich kann jedoch nach dem Ausfall der übrigen Untersuchung diesen
Mangel nicht für relevant erachten.'
IV. Die Haut.
Die Untersuchung derselben hatte Herr College Eoebneb in dankenswerther
Weise untemomnl^n. Er berichtet:
„Die wesentlichste Veränderung besteht in einer höchst auffallenden Atrophie
des Goriums der kranken Seite.
In zwei Hautschnitten der gesunden und der kranken Gesichtsseite (mit
Obj. 4 Oc. 2 Habtnack gemessen) eigeben die Dickendurchmesser der Cutis
(zwischen Bete und der obersten Grenze des Unterhautgewebes) folgende Zahlen:
auf der gesunden Seite auf der kranken Seite
0,95--0,99 mm 0,3—0,35 mm
0,8—0,95 mm 0,3—0,5 nun
Die Epidermis nimmt im Allgemeinen keinen erheblichen Antheil an dieser
Verdünnung, nur an ' wenigen allmählichen Einsenkungen der Oberfläche ist
auch das Strat comeum und noch mehr das Bete bis auf die untersten Lagen
desselben verdünnt
Die Bindegewebsfasern verlaufen etwas weniger wellig auf der kranken als
auf der gesunden Seite, und ohne jede Spur der allerdings auch auf der ge-
sunden Seite nur hier und da vorhandnen niedrigen Papillen.
Die Blutgefässe sind spärlicher und minder weit, verlaufen nur annähernd
parallel der Oberfläche, die auf der gesunden Seite deutlichen aufsteigenden
Zweige fehlen gänzlich."
Die Haut des rechten Vorderarms, welche ich selbst untersuchte, ergab
ebenfalls Differenzen zwischen rechts und links, und Resultate, die ähnlich den
eben mitgetheilten waren, aber weitaus nicht so erheblich.
— 408 —
V. Die Muskeln.
Es wurden Muskelfasern aus den Oesichtsmuskeln der linken Seite und
den Muskeln der Extensoren an dem linken Vorderarm verglichen mit den ent-
sprechenden der rechten Seite. Während auf der linken Seite die Breite der
Fasern (im gehärteten Zustand) zwischen 9 und 21 fi schwankte, war die Breite
auf der gesunden Seite zwischen 12 und 30 fi. Keine Kern Vermehrung, keine
fettige Degeneration, lediglich einfache Atrophie.^
Soweit das Ergebniss meiner Untersuchungen des Falles Eulicke.
Die Hemiatrophia facialis ist bisher bekanntlich als eine ihrer Entstehung
und ihrer anatomischen Begründung nach dunkle Erkrankung betrachtet worden.
Nur zwei Sectionsbefunde sind, so weit ich sehen kann, in der Litteratur ver-
zeichnet:
Der erste Fall stammt von Pissling aus dem Jahre 1850 (Ztschr. d. G^s.
Wiener Aerzte. 1852. 1), in dem an der grössten Convexität der Himhemisphäre
sich ein 3'" breites, IV2'" dickes, lockeres Neugebilde fand — ein Fall, der
im üebrigen einer genauem Untersuchung durchaus entbehrt; der zweite ist
der von Jolly (Arch. f. Psych. 1872. IQ. S. 711). In diesem letztem Fall be-
stand vor und neben einer multiplen Hirnsklerose Hemiatrophia facialis.
Auch hier hat aber eine genauere Untersuchung der peripherischen Nerven
nicht stattgefunden. Es heisst nur: Die Kerne des Accessorius, Hypoglossus,
Vagus, Glossopharyngeus, die Ursprangsstätten des Acusticus, des Facialis, des
Abducens, des Trigeminus, sowie endlich die Keme des Trochlearis und Oculo-
motorius waren normal, eben so wenig liess sich an den antretenden WurzeL
fasern während ihres Verlaufs durch das verlängerte Mark irgend eine
Abweichung erkennen.
Bei diesem Mangel an positiven Ergebnissen der Untersuchung war den
Hypothesen ein weites Feld gelassen.^
Die Einen, und zwar die grosse Mehrzahl, fassten die Krankheit als eine
primäre NervenafFection auf. Dabei wurden aber von. den verschiedenen Autoren
sehr verschiedene Nerven zur Erklämng herangezogen, BonsEBa, Samuel und
Främy brachten sie zu den trophischen Nerven, Bebobon und SiiLiiiNO zu den
Grefassnerven in Beziehung, bald war es der Sympathicus, bald der Trigeminus,
bald der Facialis, bald der Boden des 4. Ventrikels, in siem der ursprüngliche
Krankheitssitz sein sollte. Eine andere Theorie (Bitot, Lande, GtIüteac) suchte
den Ausgangspunkt der Krankheit lediglich im Bindegewebe (Aplasie lamineuse
progressive.
' Mein Befand steht im vollen Einklang mit dem von Hamhond (Journ. of nerv, and
mental disease Chicago. April 1S80. Otrlbl. f. d. med. Wiasenschaften. 1880. S. 874), welcher
in 2 Fällen von Hemiatrophia facialis, in denen er mittelst des Trocacs beim Lebenden
Stacke ans dem Masc. buccinat. heraasholte, am Vs schmälere and blassere Fibrillen in den
atrophischen Maskeln fand, als in den normalen. Eine fettige Degeneration fehlte. Dorch-
messer der gesunden FibriUen VeAo amerikan. Zoll, der kranken Vim amerikan. Zoll.
* Cf. die Litteratar bei Eülbkbubo, Lehrbuch der Nervenkrankheiten. 2. AoflL 1878.
2. Theil S. 88 and Gbasset, Traitä pratiqae. 1881. p. 624.
— 409 —
In dem von mir untersuchten Fall ist nun das unzweifelhafte Ergebniss,
dass die Hemiatrophia facialis durch eine Neuritis interstitialis
prolifera nv. trigemini hervorgebracht ist, und dass die damit verbundene
Atrophie der Haut und der Muskeln im Gebiete des Badialis derselben Seite
ebenfalls einer Neuritis interstitialis prolifera ihre Entstehui^ verdankt
Als Folgeerscheinungen der peripherischen Neuritis betrachte ich in Bezug
auf den Trigemlnus die Atrophie der absteigenden Wurzel desselben
und die partielle Atrophie der Subst ferruginea, in Bezug auf den
Badialis den Ausfall von Ganglienzellen in den entsprechenden Vorderhörnem
des Bückenmarks.
Dass eine peripherische Neuritis die Erscheinungen der Haut- und Muskel-
atrophie hervorbringen kann, ist eine Thatsache, die über allen Zweifel erhaben
ist, und welche taglich constatirt werden kann. Es braucht dabei nur auf die
traumatische Perineuritis und Neuritis nach Fracturen u. s. w. hingewiesen zu
werden.
Es entsteht nun die Frage, ist die Hemiatrophia facialis immer oder
wenigstens in der Begel als bedingt durch eine peripherische Neuritis interstitialis
zu erklären?
Hier können schliesslich nur weitere Untersuchungen an der Leiche sichern
Aufschluss geben.
Die Aetiologie der Krankheit giebt allerdings mannigfache Anhaltspunkte
dafür, dass far eine grössere IZahl von Fällen ein neuritischer Ursprung wahr-
scheinlich sei.
Herr G. Lewin hat in sehr dankenswerther Weise in den Charite-Annalen
des Jahres 1884 bei Gelegenheit seiner Studien über die bei halbseitigen Atro-
phien und Hypertrophien, namentlich des Gesichts vorkonmienden Erscheinungen
die bis dahin bekannten Fälle vpn Hemiatrophia facialis zusammengestellt (es
waren deren incl. einer eignen Beobachtung desselben 71) und einer kritischen
Betrachtung unterworfen. Seit jener Zeit sind, soweit ich die Litteratur durch-
sehen konnte, noch bekannt geworden: 15 Fälle.
1. Rapmann, Virchow-Hirsch-Jahresbericht für 1885. IL S. 508. Ref.
2. Spitzer, Wiener med. Blätter. 1885. 1.
3 — 6. Borel, Bev. m^d. de la Suisse romande. 1886. 1 u. 2. 4 Fälle.
7. Warfvinge, Neurol. Ctrlbl. 1885. S. 513. Ref.
8. Boshdestwenski. Rassisch 1885. Ref. im Neurol. Ctrlbl. 1886. S. 114.
9. Nicaise, Revae de m6ä. 1885. Aoüt.
10—11. Penzoldt, Münchner med. Woch. 1886. 14—16. 2 Fälle.
12. Suckling, Brit. med. Journal. 1886. Nov. p. 925.
13. Herz, Arch. f. KmderheUk. 1887. H. 4.
14. Barwige, Brit med. Joum. 1887. Dec. 24.
15. Putzel (New York), The med. Record. 16. Aprü 1887.
Unter diesen 86 Fällen von Hemiatrophia facialis lässt sich 19 mal nach
den gegebenen anamnestischen Mittheilungen mit grosser Wahrscheinlichkeit ein
peripherischer Ursprung annehmen, in 9 Fällen ging Trauma des Kopfes, in
4 Fallen Angina und Tonsillitis, in 3 Fällen Zahnschmerz und Zahngeschwür,
in 2 Fällen Gesichtserysipel voraus. In dem vorliegenden Falle endlich ist der
— 410 —
perii^iensche ürspnmg nach einem Gesicbtserysipel nicht zweifelhaft. In den
4 Fällen ferner, in denen die Hemiatrophie nach acuten Infectionskrankheiten
entstand, ist nach dem, was wir in der neneren Zeit über die Erkrankung der
peripherischen Nerven bei Infectionskrankheiten erfahren haben, sehr wohl an
eine Neuritis zu denken.
Die Aetiologie der Hemiatrophia facialis spricht demnach nicht gegen, son-
dern in einer grösseren Reihe von Fällen fOr den peripherischen Ursprung der
Krankheit; und ich darf wohl bei dieser Gelegenheit anfahren, dass Herr Yibchow
bei Gelegenheit jener Vorstellung der Frau Kulicke sagte: ,Jmmerhin möchte
ich glauben, dass die Annahme berechtigt ist, dass innerhalb des
Gebietes der peripherischen Nerven der eigentliche Hauptsitz der
Störung liegt"
Diese Annahme hat durch die Untersuchung, deren Resultate ich Ihnen
mittheilte, ihren ersten thatsächlichen Beweis gefunden.
Ich bin aber nicht der Ansicht, dass nicht auch durch andere Processe als
durch Affection der peripherischen Nerven die Krankheit hervorgerufen werden
könnte. Im Gegentheil glaube ich, dass wenn die Fasern, welche in diesem
Falle durch die interstitielle Neuritis zerstört wurden, in ihrem centralen Ver-
lauf durch irgend welche Schädlichkeit getroffen, oder wenn die Ganglienzellen,
aus denen sie ihren Ursprung nehmen, zerstört werden, dasselbe oder ein ganz
ähnliches Bild auftreten kann.
So ist vielleicht der von Babv^ge (1. c.) berichtete Fall, in dem eine
Affection des Pens aus begleitenden Erscheinungen angenommen wurde, zu erklären.
Wenn es nun kaum zweifelhaft erscheint, dass eine grossere Zahl von
Fällen der Hemiatrophia facialis einer Neuritis ihre Entstehung verdankt, so
verdiente die Frage noch eine Erörterung, warum werden nur gerade die
Fasern zerstört, welche mit den trophischen Functionen in Verbindung stehen,
warum bleiben die Fasern, welche die Motilität und Sensibilität vermitteln, firei;
wenigstens ist in den meisten Krankengeschichten, wie auch in der meinigen
hervorgehoben, dass weder Schmerzen noch Anästhesien in den betreffenden
Theilen bestanden, noch auch Bewegungsstörungen, welche nicht durch die
Atrophie der Muskeln zu erklären wären.
Allerdings besteht dieses Verhalten in Bezug auf die Sensibilität, wie her-
vorgehoben werden muss, nicht im Beginn der Krankheit: hier wird öfter, wie
auch in unserm Fall, das Bestehen von Schmerzen, Anästhesien und Parästhesien
als ein Symptom hervorgehoben, das der Entwickelung der Atrophie vorausging
oder sie in ihren Anfängen begleitet. Es ist denmach wohl zulässig anzunehmen,
dass neben den „trophischen Fasern'' zuerst auch die sensiblen leiden, diese
letztem aber nicht dauernd zerstört werden. Dasselbe gilt wohl auch von den
selten afficirten motorischen Fasern. In dem Fall Axhank-Hüteb und Akgel
bestanden Zuckungen in den Kaumuskeln. Warum nun aber die dauernde
Läsion lediglich die mit den trophischen Functionen in Zusammenhang stehenden
Nerven trifft, wird sich nur aus Analogien begreifen lassen: wir sehen be-
stimmte Schädlichkeiten und Gifte ausschliesslich auf die motorischen Functionen
— 411 —
emwirken, nnd Herr Yibohow hat bereits nach dieser Riohtoiig hin auf die
Analogien der Nervenlepra, namentlich der Morphea, der Lepra anaesthetica
und mutilans hingewiesen.
Welche Bedeutung haben nun gegenüber den in den peripherischen Nerven
(Tngeminus nnd Badialis) nachgewiesenen Veränderungen die pathologischen
Befunde im Hirn und Rückenmark?
Was zuerst den Befund in der absteigenden Wurzel des Trigeminus betrifft,
wdche einhergeht mit einer beschrankten Atrophie in der Substantia ferruginea,
so dürfte es vielleicht nicht ohne Nutzen sein, hier an die Ursprünge des Tri-
geminus zu erinnern, zumal die Untersuchung auch nach dieser Richtung hin
gewisse AufischlüBse giebt
Der Trigeminus setzt sich zusammen:
1. aus Fasern, welche aus dem sogenannten sensiblen Trigeminuskem, welcher
am Boden des 4. Ventrikels liegt, stammen;
2. aus Fasern, welche aus dem nach innen von dem vorigen liegenden* moto-
rischen Kern konmien,
8. aus der aufsteigenden Trigeminuswurzel, welche aus der Substantia gelatinosa
der ffinterhömer des Rückenmarks stammt und bis zur Höhe des zweiten
Gervicalnerven zu verfolgen ist.
4. aus Fasern, welche aus dem Kleinhirn zu kommen scheinen, nach Bechterew
(Arch. f. Anatomie u. Physiologie. 1886. Anat. Abth.) aber nicht bis in die
Kleinhimrinde gelangen.
5. aus Fasern, welche aus der Substantia ferruginea entspringen (nach Meynebt
aus der contralateralen, was Bechtebew [Neurolog. Centralbl. 1887. S. 290]
bestreitet).
6. Endlich aus der absteigenden Wurzel, welche nach Metneet aus „grossen,
zu Traubchen geordneten blasenformigen Zellen, welche den Sympathicus-
ganglien vergleichbar sind", hervorgehen (Meynebt, Psychiatrie. I S. 98).
Von diesen Fasern sind die ersten (aus dem sensiblen Trigeminuskem) un-
zweifelhaft sensibler Natur, die zweiten (aus dem motorischen Kern) motorisch,
die dritten ihrem Ursprung aus den Hinterhörnem nach und durch ihr Anlegen
an die Portio major trigemini als sensibel zu deuten.
Von der Bedeutung der 4. und 5. Art der Fasern wissen wir bisher nichts.
Was endlich die 6. Art, die absteigende Wurzel, anbetrifft, so ist diese die
einzige, die hier im Anschluss an den peripherischen Process eine Verkümmerung
zeigt Man müsste demnach annehmen, dass in ihr die mit den trophischen
Processen in Verbindung stehenden Fasern verlaufen.
Diese Fasern entspringen aber zum Theil aus der Substantia ferruginea,
welche in unserem Falle gewisse Defecte zeigt, und zwar nicht, wie es nach
Meykebt's Annahme sein müsste, auf der contralateralen, sondern auf der-
selben Seite.
Im Uebrigen stimmen meine eignen Untersuchungen mit denen von Meykebt
und Bechtebew überein, dass diese absteigende Wurzel — wenigstens weitaus
zum grossten Theil — sich den aus dem sensiblen Kern hervortretenden Fasern
— 412 —
der Portio major des Trigeminüs hinzi^esellt, während sie Heni^b vorzugsweise
mit dem motorischen Theil sich vereinigen lässt
Man könnte die absteigende Wurzel des Trigeminüs demnach als trophische
Wurzel bezeichnen.
Ich möchte mich aber ausdrücklich dagegen verwahren, als ob ich auf
Grund einer einzigen Beobachtung die Frage nach der Existenz oder Nicht-
existenz besonderer trophischer Nervenfasern (Sie wissen, dass die Mehrzahl der
Physiologen *sich für die Nichtexistenz entschieden hat) hier disoutiren oder ent-
scheiden möchte.
Erwähnen aber will ich, dass Merkkti (Untersuchungen aus dem anatomischen
Institut zu Rostock 1874) auf Grund experimenteller Durchschneidungen bei
Kaninchen ebenfalls zu dem Schluss kam, dass diese absteigende Wurzel die
trophischen Fasern des Trigeminüs enthält, wogegen allerdings später Eckhard
(Beiträge zur Anatomie und Physiologie. Bd. VII. S. 145. Giessen 1876.), wie
DüVAB und Labobde (Journal de Tanatomie. 1878. p. 4.) Einwände erhoben
haben. Neuerdings glaubt Joseph (Virchow's Archiv. CVn. S. 136) auf Grund
eines Versuches an einer Katze annehmen zu dürfen, dass die aufsteigende
Wurzel des Trigeminüs die trophische Leitungsbahn sei, wc^egen aUerdings die
oben angegebenen Befunde entschieden sprechen.
Wenn übrigens Sigmund Mayeb (Hebbmann, Physiologie. II. S. 218) meint,
dass erst dann trophische Nerven anzuerkennen sind, wenn der anatomische
Nachweis die Existenz von Nerven, denen trophische Wirkungen zuzuschreiben
wären, wahrscheinlich gemacht werden könnte, so dürfte der vorliegende Fall
durch seine isolirte Betheiligung eines Nervenbündels bei einem lediglich tro-
phischen resp. atrophischen Process in Betracht konmien.
Ganz anders gestaltet sich nun die Betrachtung der Veränderungen im
Rückenmark, Im Gehirn war der aufsteigende Process vom peripherischen
Nervenstamm in eine tief in das Gehirn eindringende Wurzel zu verfolgen; im
Rückenmark bestand ein Ausfall von Zellen, während die vordem und hintern
Rückenmarkswurzeln durchaus normal erschienen, in der peripherischen Aus-
breitung des Nerven aber die interstitielle Neuritis nachgewiesen werden konnte.
Ausgefallen waren zum Theil die Zellen des Theils der Vorderhörner, in
denen der Plexus brachialis seinen Ursprung ninmit (V. — VUL Nv. cervicalis
und Nv. dorsalis 1).
Es dürfte der Befund kaum anders zu deuten sein, als dass der Ausfall
der Function für diese Zellen auch sie selbst hat verschwinden lassen, wie wir
dies in ähnlicher Weise bei den Operationen an jungen Thieren nach v. Gudden's
und meinen eignen Experimenten, die ich vor einiger Zeit Ihnen vortrug (c£
Neurol. Ctrlbl. 1887. S. 587), sehen.
Der Process ist, worauf ich besonders aufmerksam machen möchte, kein
continuirlicher, die Rückenmarkswurzeln bleiben intact.
Die lange Dauer der Krankheit liess die Verhältnisse deutlich erkennen,
welche, wie ich glaube, bei kurzem Verlauf weniger wahrnehmbar gewesen wären.
— 418 —
2. Einige therapeutische Versuche mit der Hypnose.
.Von Dr. Sperling, Berlin.
Aus der Poliklinik für Nervenkrankheiten von Prof. Eulenbubg
und Prof. Mendel.
(Schluss.)
Schliesslich mögen hier noch zwei Krankheitsfälle ihren Platz finden, die
zwar in ihrer Erscheinung durchaus verschieden, aber dabei zwei Punkte ge-
meinsam haben, deren nähere Betrachtung recht interessante Ergebnisse liefert.
In beiden Fällen schliesst sich die Erkrankung an eine Infectionskrankheit, im
ersten an Malaria, im zweiten an Typhus an, und in beiden zeigt sich die
colossale Schwierigkeit, die Frage zu entscheiden: hat man es hier mit einem
Process organischer oder hysterischer Natur zu thun?
vn(i).
Fräulein W. E., 23 Jahre alt, wohl hereditär zu nervösen Erkrankungen disponirt,
soll als Kind einmal Typhus gehabt haben, aber im Uebrigen bis jetzt gesund ge-
*«7esen sein. Anfang December v. J. wurde sie ,,8ehr nervös", leicht reizbar, auf-
brausend und jähzornig, missgestimmt, fror immer und litt ständig an kalten Ex-
tremitäten, während meist gegen Abend in mehr oder weniger grossen Zwischenräumen
Anlalle von Froet und Zittern eintraten, wobei sich unwillkürliche Zuckungen ein-
zelner Muskeln, besonders in den Fingern, an Knie und Schulter bemerkbar gemacht
haben sollen. Zu diesen Erscheinungen trat bald Doppelsehen hinzu, welches sich
im Allgemeinen im Laufe der Zeit verstärkte, indess auch zuweilen an Intensität
abnahm, um dann bald wieder den alten Grad zu erreichen.
Ende Februar d. J. sab ich die Patientin zum ersten Mal und konnte eine
starke linksseitige Abducensparese constatiren. In der äussersten Blickstellung des
Auges nach links machte der Bulbus jedesmal einige ataktische Bewegungen. Die
in Folge dessen eingetretene Diplopie zeigte sich beim Blick nach links, erhielt sich
jedoch bei Bewegung eines Gegenstandes in der Blickebene von links nach rechts
über die Mittellinie hinaus bis zu einem Winkel mit der letztem von ungefähr 45^.
Jedoch rückten die Doppelbilder um so mehr zusammen, je mehr sie mit dem Blick
nach rechts gesehen wurden. Ausser einer congenitalen Myopie war an beiden Augen,
über deren Znstand ich den genauen Bericht Herrn Dr. Peltesohn verdanke, nichts
Bemerkenswerthes zu constatiren.
Als objective Symptome der hier vorliegenden Krankheit war ausser dem eben-
genannten nur eine auffallende Kälte der Extremitäten und ein sehr schneller Wechsel
der Gesichtsfarbe vom äussersten Blass bis zum Bläulichroth, welches besonders an
den Wangen hervortrat, zu bemerken. Veränderungen der Motilität, Sensibilität oder
der Reflexe waren durchaus nicht nachzuweisen, dagegen machten die vielseitigen
Klagen das Krankheitsbild doch zu einem recht bunten. Die vorhin erwähnten, jetzt
auch mit Hitze verbundenen abendlichen Frost- und Zitteranfälle zeigten sich nach
wie vor, und die Veränderungen des geistigen und gemüthlichen Zustandes: Unlust
zur gewohnten Thätigkeit, Missvergnügen an jeder Beschäftigung, gereizte übel-
nehmerische Stimmung, die sogar in Wuthausbrüche ausarten konnte, Appetit- und
Schlaflosigkeit u. a. m. bildeten eine ständige Klage der im Uebrigen sehr verstän-
digen und intelligenten Patientin.
Es lag nahe, die regelmässig Abends wiederkehrenden Anfälle als Malaria-
Attacken zu deuten, zumal Pai angab, dass sie bis October 1886 in einem Zimmer
- 414 —
geschlafen habe, an dessen Fenster die berüchtigte Panke vorüberfloss. In der That
worden dieselben auch durch hohe Chinindosen für's erste beseitigt, desgleichen ein
nach mehreren Wochen eintretender Bückfall. Als aber dann diese Anfalle nach
einer Pause von 14 Tagen sich wieder in erneuter Auflage einstellten, da wurde das
sofort verordnete Chinin durchaus nicht mehr vertragen. Es stellte sich Erbrechen
danach ein, und der Allgemeinzustand wurde durch einen jetzt fast continuirlichen
Kopfschmerz so verschlechtert, dass ich nach vergeblicher Anwendung von Elektricität,
Bädern und Medicamenten aUer Art in der That nicht mehr wusste, wodurch ich zur
Linderung der herzerweichenden Klagen hätte beitragen können. Der Fall stand,
um es kurz zu sagen, auf einem Standpunkt, bei welchem man sich gewöhnlich nur
durch die Uebergabe desselben in eine „Anstalt'' retten konnte.
Bei den trefflichen Diensten, welche mir die Hypnose schon in manchen ver-
zweifelten Fällen geleistet hatte, durfte ich auch hier mit Recht einen Versuch damit
wagen.
Gleich die erste Hypnose gelang leicht und war so tief, dass Fat nur eine
„dumpfe Erinnerung" an den ganzen Vorgang behielt, während die späteren Hypnosen
voUkommne Amnesie hinterliessen. Sie war dabei zu kataleptischen Stellungen geneigt,
schlief auch bei geöffiieten Augen, nahm leicht Hallucinationen auf und zeigte sich
merkwürdig gut auf jede Suggestion eingehend, so dass, wenn sie eben mit dem
furchtbarsten Kopfweh in Hypnose verfallen war, das einfache Wort „sie habe keinen
Kopfschmerz mehr", ihr das Geständniss abnöthigte, dass sie sich in der „That
wohl" fühle. ♦
Unter dem Einfluss der Hypnose besserte sich nunmehr dieser Zustand in- den
nächsten vier Wochen so erheblich, dass sich Fat. fast vollkommen wieder hergestellt
fühlte und meiner Empfehlung gemäss eine Erholungsreise antreten konnte. Zwar
traten in dieser Zeit auch noch einige solche Frostanfälle auf, auch hin und wieder
Kopfschmerzen oder neuralgiforme Schmerzen, die sich meist auf häusliche Aerger-
nisse als Ursache zurückführen liessen, — aber fast jedesmal war die Hypnose im
Stande, fast im Moment jede krankhafte Erscheinung zu beseitigen.
Die erste Besserung trat abgesehen von dem sehr bald schwindenden Kopfschmerz
in Bezug auf den Schlaf ein: Pai versicherte gleich nach der ersten Hypnose, dass
sie schon lange nicht so vortrefflich geschlafen wie in der letzten Nacht^ dann folgte
die Wiederherstellung des Appetits, während die Beeinflussung der Stimmung am
schwersten gelang, schliesslich aber doch Erfolg hatte.
Die Behandlung der Abducensparese bestand in anfänglicher Galvanisation des
kranken Auges und späterhin in Uebungen der Augenbewegungen während der Hypnose.
Es wurde zwar eine erhebliche Besserung der Diplopie, aber keine Heilung bis zu
dem Tage erzielt, an welchem Fat. meine Behandlung verliess. Heute (24. Juni)
höre ich, dass Doppeltsehen zwar noch immer besteht, aber im Uebrigen sich die
Fat. eines vortrefflichen Wohlbefindens erfreut.
Die Auffassung dieses Krankheitsfalles bietet grosse Schwierigkeiten. Da
es zu weit führen würde, hier das Für und Gegen diese und jene etwa mög-
liche Auffassung einzeln abzuwägen, so will ich mich darauf beschränken, die-
jenige hier wiederzugeben, welche mir die grösste Wahrscheinlichkeit für sich
zu haben scheint:
Es ist wohl als sicher anzunehmen, dass die vorliegende Erkrankung durch
Malaria hervorgerufen worden ist, und dass die ersten Frost- und Hitze-Anfalle,
die sich fast täglich um dieselbe Abendstunde wiederholen, als Malaria-Attacken
zu deuten sind; dafür spricht auch die prompte Chinin- Wirkung — jedoch
möchte ich nach anderen Erfahrungen über dieselbe bei nervösen Leiden anf
— 416 -
dies letstere Moment nicht za viel Gewicht legen. Von der Malaria-Intoxication
abhängig gehen zwei Symptome resp. Symptomengruppen parallel: 1. die Ab-
dncenslähmung und 2. eine Reihe von hysterischen Beschwerden.
Was die erstere anlangt, so möchte 4ch doch aDnehmen, und zwar haupt-
sächlich wegen der Hartnäckigkeit, mit der dieselbe der Therapie widersteht,
dass es sich um eine durch Gefössalteration entstandene organische Affection im
Verlauf des Abducens sin. resp. dessen Kern handelt, die von der Malaria direct
abhängig ist Die Gruppe der hysterischen Beschwerden einschliesslich der letzten
Zitteranfalle scheint mir dagegen eine mittelbare Ursache in der Malaria zu
haben und auf Grund hereditärer Disposition in dem durch jene geschwächten
und widerstandsunfähiger gemachten Organismus entstanden zu sein, eine An-
nahme, die durch ähnliche Beobachtungen und Deutungen von Krankheitsfällen,
wie sie in der Litteratur zahlreich vorkommen, gestützt wird. Die Sache kommt
also im Wesentlichen auf Hysterie heraus, und daher auch der Erfolg mit der
Hypnose bei einem zufallig dafür sehr empfanglichen Individuum.
Vin (2).
Frau L., 36 Jahre alt, Plätterin — ein Fall, der schon in einer Dissertation
von liAZABUS ,,Typhns und Gehimkrankheiten", Berlin 1888, verwerthet worden ist
— erkrankte im October v. J. an Typhns abdominalis und branchte zur Herstellong
ihrer Gesundheit 4 Wochen. 8 Tage vor ihrer Entlassung ans dem Krankenhause
bemerkte sie eine Schwäche im rechten Arm und rechten Bein, welche immer mehr
znnahm.
Im Januar d. J. wurde bei der ersten Untersuchung der Patientin eine nicht
nnbedentende Lähmung des rechten Arms constatirt, welcher nur mit Anstrengung
bis zur horizontalen gehoben werden konnte. Dabei war die Bewegung im EUbogen-
und Schultergelenk sowohl activ wie passiv gestört and zwar theils durch eine Afifec-
tion der Gelenke selbst, in denen sich bei Bewegungen deutliches Knirschen und
Krachen bemerkbar machte, theils durch Muskelspannungen, die besonders die Muskeln
des Oberarms betrafen. Fat verspflrte auch heftige Schmerzen, welche meist in der
Mitte des Oberarms, aber auch in den Gelenken selber von ihr localisirt wurden.
Der Lahmung des rechten Arms entsprach eine leichte Parese des rechten Beins
und des rechten Facialis; was sich aber als das Merkwürdigste bei dieser Lähmung
herausstellte, das war eine vollkommne Anästhesie für alle Gefühlsqualitäten auf der
ganzen gelähmten Seite einschliesslich des Kopfes, welche auch Muskeln, Gelenke etc.
betroffen hatte. Daran schloss sich eine Amblyopia deztra, verbunden mit concen-
trischer Einengung des Gesichtsfeldes und Polyopie, während der ophthalmoskopische
Befand normal war, fernerhin eine erhebliche Herabsetzung des Gehörs, sowie voll-
kommne Aufhebung des Geruchs- und Geschmackssinnes auf der rechten Seite.
Die subjectiven Klagen der Pai bezogen sich, abgesehen von den erwähnten
Schmerzen im rechten Arm, auf häufige Kopfschmerzen, Schwindelanfölle, allgemeine
Schwäche, Appetitlosigkeit und das bekannte Globus-Gefühl. Die Ovarialgegend der
linken Seite war auf Druck empfindlich.
Die Fat. machte durch ihre starren, ein wenig verstörten Gesichtszüge einen
dementen Eindruck; Antworten auf die ihr gestellten Fragen erfolgten langsam und
zögernd, und eine geringe Abnahme von Intelligenz und Gkdächtniss während der
letzten Zeit wurde von ihr selber zugegeben.
Eine wohl 3 Monate lang regelmässig fortgesetzte elektrische Kur, bei welcher
zuerst statische, späterhin abwechselnd faradische und galvanische Elektricität ange-
wandt wurde, änderte in diesem Zustande fast gar nichts; wenn auch nach Belieben
416 —
durch Transfert die gesunde Seite zum Theil in die kranke verwandelt werden konnte,
so dauerte dieser Wechsel doch nur wenige Minuten und brachte damit selbstver-
ständlich keinen dauernden Yortheil. Es lag also ein Erankheitsbild vor, welches
man wohl mit dem Namen ,, verzweifelter Fall" bezeichnen konnte, zumal voUkommne
Mittellosigkeit der Patientin nach jeder Richtung die grösste Beschränkung auferlegte.
Bei der Unsicherheit in Bezug auf die Diagnose, welche noch die Situation
erschwerte, konnte es sich natürlich nur um einen blossen „Versuch" handeln, mit
der Hypnose doch noch etwas zu leisten. Gflnstig war von vornherein die sehr
leichte Hypnotisirbarkeit der Kranken, welche späterhin zu einer trefflichen Somnam-
bulin wurde. Auch die Suggestibilität war ziemlich gross, so dass Schmerzen, sub-
jective Angst- oder Schwindelgefühle u. s. w. in der Hypnose sofort zum Verschwinden
gebracht werden konnten. Die spastischen Contracturen der rechten Oberarmmuskeln
lösten sich sofort und die Gelenke waren frei beweglich bis auf zuweilen eintretende
kurze knarrende Geräusche, welche die Patientin jedesmal mit dem Ausdruck der
Schmerzempfindung begleitete. Die active Beweglichkeit war auch gleich in den
ersten hypnotischen Sitzungen freier, jedoch kostete es grosse Anstrengung und von
meiner Seite energisches Zureden, bis der Arm bis zur senkrechten gehoben worden
war. In dieser Stellung äusserten dann die Extensoren eine grössere Thätigkeit und
in dieser fast krampfhaften Extensionsstellung gerieth der Arm meist in ein inten-
sives Zittern. Die Beschreibung der einzelnen hypnotischen Sitzungen, in welchen
allen active und passive Bewegungen des Armes vorgenommen wurden, würde zu
weit führen. Es soll nur kurz gesagt sein, dass die Besserung der Motilität und
Sensibilität des Armes, und mit diesem parallel auch die des Gesichtes und Beines,
obwohl ich mich immer nur mit dem ersteren allein beschäftigt hatte, mit der Zeit
erhebliche Fortschritte machte, so dass nach ungefähr 30 Sitzungen der Druck am
Dynamometer rechts von fast 0 auf 3*5—40^ gestiegen war, während er links 55^
zeigte. Die Sensibilität hatte sich am Arm fast vollkommen wiederhergestellt, Ge-
sicht, (Geruch, Geschmack und Gehör hatten sich gleichfalls gebessert, so dass die
Patientin vor ungefähr 4 Wochen ihre Arbeit als Plätterin wieder aufnehmen konnte.
Auch selbst nach diesem Verlauf der Krankheit macht es noch immer die
grösste Schwierigkeit, zu entscheiden : liegt hier eine organische oder functionelle
Erkrankung vor? Der muthmaassliche Sitz würde in beiden Fällen im sogen.
Carrefour sensitif zu suchen sein? — Ich möchte mich für die hysterische
AflFection entscheiden, und zwar aus folgenden Gründen: 1. In unserm Falle
besteht Amblyopia dextra, während organische Läsionen meistens zu Sehstörungen
in Form der Hemianopsie führen; 2. spricht das Auftreten der Muskelcoutrac-
toren, die übrigens öfters einen krampfartigen Charakter annahmen, so bald
nach Beginn der Krankheit ebenso wie deren häufiger Wechsel an In- und Ex-
tensität für Hysterie, und 3. möchte ich noch die baldige Besserung durch die
hypnotische Behandlung als Stütze dafür anführen, wenn ich auch weiss, dass
bei organischen Läsionen die indirecten Heerdsymptome durch die Hypnose einer
baldigen Besserung fähig sind. Mit dem Gedanken an hysterische Fadalis-
Lähmungen müssen wir uns doch wohl oder übel be&eunden.
Die hier mitgetheilten Beobachtungen, wenn auch häufig der Kürze des
verstatteten Raumes w^en etwas kurz wiedergegeben, werden nach Zahl und
Werth, hoffe ich, genügen, um auch den hartnäckigsten Zweiflern das Geständniss
abzunöthigen, dass die sachgemässe Anwendung der Hypnose eine Bolle in der
heutigen Therapie zu spielen berufen ist, dass es sich nicht nur um Curiosa
— 417 —
handelt) weldie dabei zu Tage gefordert werden, sondern dass sich praktische
und recht verfolgenswerthe Zwecke damit verknüpfen, dass es schliesslich nicht
angebracht ist, jeden Arzt zu verdächtigen, der es sich angelegen sein lässt, die
Anwendung des hypnotischen Zustande^, der Suggestion u. s. w. auf den kranken
Körper zu studiren und ihn erforderlichen Falles zum Besten seiner Kranken
anzuwenden.
Es braucht wohl hier nicht besonders betont zu werden, dass neben den
geschilderten Erfolgen auch eine ganze Reihe theils halber, theils ganzer Miss-
eifolge steht, die indess meistens auf die Schuld einer noch mangelhaften Me-
thode zurückzuführen sind. So sind mir eine ganze Anzahl von Fällen der
gewöhnlichen hypochondrischen Hysterie vollkommen verunglückt, einige Fälle
von Bailway spine, 2 Fälle von Singultus hystericus u. a. dl, wogegen ich aber
auch anführen muss, dass ich kaum die Hälfte der Fälle beschrieben habe, in
welcher mir die Hypnose mehr oder weniger trefiFliche Dienste geleistet hat,
und die ebensogut wie jene hier hätten ihre Stelle finden können. Zu erwähnen
wäre besonders ein Trismus hystericus, der in wenigen Sitzungen geheilt wurde,
zwei hysterische Lähmungen, eine hypochondhscbe Hysterie, eine hysterische
Psychose, eine Neurasthenie und eine Elailway spine u. a., bei welchen ein Er-
folg sich mehr oder weniger evident herausstellte. Die Hypnotisation der Patienten
gelax^ mir meistens sehr leicht und habe ich besonders in der letzten Zeit
niemals eine ganz resistente Person gefunden.
Es wird zweckmässig sein, meinen augenblicklichen Standpunkt in dieser
Sache mit wenig Worten zum Schluss festzustellen:
1. Die planvolle Anwendung der Hypnose als Heilmittel ist durchaus be-
rechtigt; jedoch soll dieselbe noch als ein ultimum refugium betrachtet
werden.
2. Es steht der Gebrauch der Hypnose nur dem Arzte zu, sei es zu
wissenschaftlicher Forschung oder zu Heilzwecken.
3. Es wäre ein nie wieder gut zu machender Fehler von Seiten der Aerzte,
woUten sie sich der Forschung auf diesem Gebiete als unter ihrer Würde
stehend enthalten und dasselbe schlecht bewährten Laien-Händen über-
lassen.
4. In Folge dessen ist es zweckmässig, dass die neue Lehre im Publikum
so wenig wie möglich Verbreitung findet; das staatliche Verbot der öffent-
lichen hypnotischen Schaustellungen muss als sehr weise anerkannt werden.
«
5. Der Erfolg der therapeutischen Hypnose hängt im einzelnen Falle ab:
a) von der richtig gestellten Indication. Daher ist genaue Kenntniss
des Krankheitfibildes unerlässlich.
b) von der Methode zu hypnotisiren und zu suggeriren. Daher sind
die Resultate mehr oder weniger individuell.
c) von dem persönlichen Einfluss des Arztes auf seinen Patienten.
ö. Allgemein gültige Gesetze und Regeln für die Behandlung mit der
Hypnose bestehen zur Zeit noch nicht, werden sich auch kaum jemals
26
— 418 —
aufstellen lassen, da mit individueller Anlage des Chaiakteis der Yer-
suohspersonen gerechnet werden muss.
7. Die oft angeführten üblen Nachwirkungen der Hypnose habe ich bei
richtiger Anwendung niemals gesehen.
Berlin, Juni 1888.
II. Referate.
Pathologische Anatomie.
1) XTeber oiroumsoripte Bindegewebshyperplasien in den peripherischen
Nerven, besonders in den Plexus braohialis, von Stanisl. Trzebiüski,
Doctor der Medicin der Universität Heidelberg. (Mit 1 litb. Tafel. Dorpat 1888.)
Verf. stadirte die zuerst von Scbultze, später von Oppenheim und SiemerUng,
Bosenheim, Stadelmann, Nonne beschriebenen bindegewebigen Verdickungen periphe-
rischer Nerven. Die Form derselben war eine mehr oder weniger regelmässige, rand-
liche oder ovale mit zwiebelartig concentrisch geschichteten Lamellen. An der Grenze
der Lamellen befinden sich Kerne. Oft ist der concentrische Bau nicht ausgesprochen.
Das Perinenrium pflegt in der Nähe dieser Neubildungen verdickt zu sein, manchmal
auch das Endoneurium. Einige Autoren halten diese ECrperchen f&r sklerosirte 6e-
fasse. Dem widerspricht T., indem er sich der Ansicht Stadelmann^s anschliesst; er
hat nie die Spur eines Lumens gesehen und einmal mitten in dem Körperchen eine
Nervenfaser. Die Neubildungen liegen meist in der Nähe des Perineurium; sind sie
in der Mitte des Nervei!, so befinden sie sich an einem Endoneurium-Streifen. Die
grCssten Maasse für diese Körper waren: 0,6 mm Ducchmesser, 3 mm Länge. Ihre
Zahl ist in den verschiedenen Nervenabschnitten eine äusserst schwankende. Sichere
Beziehungen zwischen ihrem Vorkommen und bestimmten Erkrankungen sowohl des
Gesammtorganismus als auch des Nervensystems waren nicht zu erniren. üeber die
Entstebungsweise der Gebilde und ihre Bedeutung für den Organismus konnte Verf.
nichts Sicheres oder Neues ermitteln. P. EronthaL
2) Om nervdegeneration ooh nervatrofl, jemte nl^a ord om varikositetemas
förekomst ooh betydelse i de periferiska nervema, af H. Eöster. (Upsala
läkarefören. förh. 1887. XIH. 1—3. S. 31 — 124, 145—211.)
Nach experimenteller Durcbschneidung von Nerven bei Meerschweinchen
fand K. in dem peripherischen, von den Centralorganen abgetrennten Nervenstück
nicht eher deutliche Anschwellung der Kerne, als bis die Mjelinscheide deutliche
Veränderungen zeigte, undurchsichtiger und matter wurde, was schon nach 48 Stunden
eintreten konnte. Die hell graublaue Färbung, die nach Hertz das Myelin bei Os-
miumbehandlung annehmen soll, hält K. für ein Artefaet, beruhend auf unvollkommener
Härtung. Die Richtigkeit der Annahme, dass diese ersten Veränderungen im Nerven
auf Coagulation beruhen, analog dem Eintreten derselben nach dem Tode, bezweifelt
K., theils weil nach seinen Untersuchungen die Bilder der nach dem Tode und nach
der Durchschneidung eintretenden Veränderungen verschieden sind, theUs weil dem
Nerven trotz der Durchschneidung doch noch Nährmaterial zugeführt wird. Eine
Abhebung der Myelinscheide von der Schwann'schen Scheide und Ausfüllung des
dadurch entstandenen Zwischenraumes mit einer kaum färbbaren Substanz hat K.
einige Male beobachtet, er hält aber diese Veränderung nicht für die Regel; öfter
hat er eine Anschwellung der Myelinscheide beobachtet^ aber auch nicht constant
— 419 —
and nur an den stärksten NervenfawNm. Die constant an der Myeüascheidd -vor-
kommende Veränderung besteht in Binbochtnngen an ihre» Bande, die s(Mi vertiefen^
bis die Scheide schliesslich in onregelmassige St&cke serfallen eraobeint. Die Zeil^
die bis zur beginnenden Besorption dar Zerfallsprodaete veigeht, betragt nach KJs
Meinung für die feineren Kervenfasem 2 bis B Wochen, fta- die grösseren bedeu*
tend mehr.
Da K. bei seinen Untersuchungen in degenerirten Nervenfasern nie einen Axent
cylinder hat auffinden kennen, nimmt er an, dass dieser zerstört werde, wenn die
Degeneration bis zu einem gewissen Grade fortgeschritten sei. Vor der Veränderung
des Myelins hat K. keine des Axencylinders nachweisen können, wenn aber das
Myelin kömig geworden ist, zeigt auch der Axencylinder sine ^eiohe Veränderung'
und nach der Theilung der Myelinscheide fand E. nicht selten auch den Axencylinder
in St&cke zertheilt, ohne deutliche Anschwellung dieser Stücke, die später durch
quere Tbeilung in immer mehr Stfloke zerfallen; schliesslich verschwindet. der ganze
Axencylinder, ohne dass es K. möglich war, andere Veränderongen vorher, nachzu-
weisen. Vereinzelt sah K. solche Stacke rundum von Myelin umgeben.
Dass die Schwann*sche Scheide im AllgemeiBen bestehen bleibt, ist nach E. ;iin*
zwSifelhaft; wie weit sie manchmal verschwindet, kann K nicht feststellen; sie zeigte
sicli als ein schmaler Streifen und ist oft ohne Inhalt. Kemvermehmng findet statt»
und zwar, wie K. anzunehmen geneigt ist, wenigstens zum Theil durch Kerotiieilung,
denn er hat theils vollk<munen gleiche, dicht an einander liegende und nur durch
eine äusserst feine hellere Zone von einander geschiedene Kerne, «theils soldie mit
einer Einschnürung in der Mitte gesehen. Das Bindegewebe soheini aufgelockert zu
werden, wofür grössere Zerreisslichkeit der Nerven spiicht, die E. schon vom 17. Taipe
an beobachtete.
In den ersten 3 Wochen konnte E. keine makrosk<^iache Veränderung nach*
weisen, in einem Präparat schien der Nerv in der 4. Woche etwas dünner und graner
als ein normaler, noch mehr war dies an einem Präparat ans der* 13. Woche der
Fall. Bei grösseren Thieren findet sich vielleicht sdion früher eine s(^ehe Yety
änderung.
Die Degeneration tritt nach K.*s Untersuchungen gleichzeitig in dem ganzen
abgeschnittenen peripherischen Nervenstück ein» in dünnen Nervenfasern sdinBllor
als in dickeren, bei warmblütigen Thieren rascher als bei kaltblütigen, sie kommt
rsscher zu Stande, je kräftiger ein Thier ist und je lebhafter der Stoffwechsel in
ihm vor sich geht.
Die Eiutheilung der Atrophien geschieht nach K. am besten auf Grund der
pathologisch-anatomischen Veränderungen in einfache Atrophie (wo die Myelinsdheida
allmählich, ohne, vorbeigehende wahrnehmbare Degeneration abnimmt und- schliesslich
verschwindet) und degenerative (nach Degeneration der Nervenfasern auftretende).
Die einfache Atrophie ist entweder primär oder secundär, die letztere beruht aof
Abtrennung des Nerven von seinen periphensohen Endapparaten, nicht vK)n seinem
Centrum. Zur degenerativen Atrophie will E. nicht die nach Abtrennung des Nerven
auftretenden Veränderungen überhaupt mit gerechnet wissen^ sondem nur die späteren
Stadien derselben.
Mit Bezug auf die Bedeutung des Vorkommens degenerirter Nervenfasem bei
Erankheiten, ohne auf dieselbe hindeutenden Symptome, namentlich bei Typhus abdom^
und Tuberculosen hat E. aus 40 Leichen einen oder mehrere Nerven unteroucht.
Die Nervenstücke wurden zuerst 24 Stunden lang in V2 Vo Ueberosmiumsäure gelegt,
dann mit Wasser abgewaschen, vorsichtig in ihre einzelnen Bündel zerlegt, 24 Std.
lang in eine Pikrokarminlösung gelegt, von Neuem mit Wasser abgespült, dann
Vb Stunde lang in eine PikrinsalzsäareglyceanniBchung gelegt, wieder in Wasser
al^waschen und in reinem Qlycerin aufbewahrt
In nicht weniger als 35 von diesen 40 Fällen fanden sich Nerven mit Vari-
2e*
— 420 —
cositäten; sensible und motorische Nerven waren ungefähr gleidi oft betroffen,
doch schienen entwickeltere Formen bei den letzteren relativ häufiger; von 174 unter-
suchten Nerven fanden sich in 98 Varicositäten. Die Verhältnisse, unter denen diese
vorkamen, sprachen entschieden gegen die Entstehung durch Riss oder Druck. Ein
bestimmter Znsammenhang zwischen irgend einer Krankheit und dem Auftreten von
Yahcositäten in den Fasern peripherischer Nerven liess sich nicht nachweisen, Fieber
und Temperatursteigerung schien keine Bedeutung in dieser Beziehung zu haben,
ebensowenig das Alter, dagegen schien die Abmagerung nicht ohne eine gewisse Be-
deutung zu sein.
Leere Scheiden sind nach E.'s Untersuchungen ein normaler Bestandtheil der
peripherischen cerebrospinalen Nerven, sie treten zahlreicher auf in den mehr peri-
pherisch gelegenen als in den mehr central gelegenen Theilen, ihre Anzahl scheint
relativ grösser zu sein in den sensiblen Nerven als in den Muskelnerven, am grössten
in den feinen Hautnerven. Bei zunehmendem Alter des Individuums nimmt in den
Nerven die Anzahl der breiten myelinhaltigen Nervenfasern ab, die der dünnen und
der leeren Scheiden zu. Je mehr das Individuum abgemagert ist, desto zahlreicher
kommen in den Nerven dflnne Fasern und leere Scheiden yor und desto weniger
breite Fasern; diese Begel gilt sowohl für jüngere, als für ältere Individuen. L^ere
Scheiden können in reichlicher Menge vorkommen, ohne dass gröbere, ausgeprägte
Sensibilitätsstörungen oder andere Störungen in dem Ausbreitungsbezirk des betr. Nerven
während des Lebens beobachtet wurden; man darf deshalb nicht ohne Weiteres einen
Zusammenhang zwischen ihnen und vorhanden gewesenen Störungen annehmen.
Der Vorgang, der zur Entstehung der leeren Scheiden führt, ist eine Atrophie,
eine Verminderung der Bestandtheile der Fasern in der Schwann'schen Scheide: die
Mjelinscheide wird schmäler und verschwindet schliesslich mit dem Axencylinder,
während die Schwann'sche Scheide als ein zusammengefallener Strang übrig. Zu
Anfang besteht die Atrophie vielleicht in einer blossen Verdünnung der Nervenfaser,
ohne Störung der Continuität und ohne deutliche histologische Veränderungen. Alle
dünnen Nervenfasern sind aber nicht atrophisch, sie können ebenso normal sein, wie
die dicken.
In 84 von 178 untersuchten Nerven fand E. deutlich degenerirte Nervenfasern,
in 21 in ganz bedeutender Anzahl, beim Menschen ist demnach die Degeneration von
Fasern in den peripherischen Nerven nicht selten, auch ohne klinische Erscheinungen
in dem Ausbreitungsbezirk. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Alter einen
gewissen Einfluss auf das Auftreten der Degeneration hat, die Abm^erung hat ent-
schieden einen Einfiuss, Temperaturerhöhung and Fieber nicht deutlich, wenn sich die
Möglichkeit auch nicht ganz ableugnen lasst.
Bei Krebs, Tuberculose, Abdominaltyphus, acutem Gelenkrheumatismus und an-
dern Krankheiten haben K.'s Untersuchungen nicht zu bestimmten Resultaten geführt
Der Nachweis degenenrter Fasern und leerer Scheiden in den zu den pathologisch
veränderten Bezirken gehenden Nervenzweigen ist, wie K. hervorhebt, nicht hin-
reichend, um annehmen zu können, dass diese Processe auf einer derartigen Degene-
ration und Atrophie beruhen, sondern es ist dazu das Bestehen klinischer Symptome
erforderlich, die auf eine solche Degeneration hindeuten, aber auch dann ist ein Zu-
sammenhang nicht mit Sicherheit nachgewiesen. Selbst bei dem Befund total degene-
rirter Nerven darf man sich nach K. nicht ohne Weiteres mit diesem Befunde be-
gnügen, sondern man muss auch die mehr central gelegenen Theile genau untersuchen.
Walter Berger.
8) Note aar quelques troublee trophiques oaus^ par l'irritation du nexf
soiatique, par E. Gley et A. Mathieu. (Arch. de Physiol. norm, et path.
1888. Nr. 1.)
— 421 —
Die Yerff. haben an 5 Hunden das bekannte Lewascbew'scfae Experiment
(Durcbziehnng eines mit concentrirter Kochsalzlösung getränkten Fadens durch den
Nerv, isohiadicus) wiederholt. Sie konnten die von Lewaschew beobachteten athero-
matösen Gefassveränderungen des zugehörigen Gliedes nie finden. Indess bemerken
sie selbst, dass ihre Thiere nicht so lange am Leben erhalten wurden als die Loschen
(nämlich nur 3 Monate statt 2 Jahren), und zweitens bewirkt die Fadendurchziehnng
in ihren Versuchen stets eine echt Wa Herrsche Degeneration mit Aufhebung der
Leitaog, während die letztere bei Lewaschew's Thieren erhalten blieb.
Th. Ziehen.
Pathologie des Nervensystems.
4) Die Entsündung der peripherisohen Nerven (Polyneuritis — Neuritis
multiplex), deren Pathologie und Behandlungr Zwei Vorträge, gehalten in
der militärärztlichen Gesellschaft zu Berlin, von Dr. E. Leyden, o. 6. Prof. (Berlin
1888. £. 8. Mittler & Sohn. 42 Seiten. 1 Tafel.)
So viel auch in verhältnissmässig kurzer Zeit darin gearbeitet ist, so jung ist
doch die Lehre von der multiplen Neuritis noch. Leyden, obwohl er den Werth der
Arbeiten Dum^niTs (1864 u. 1866) nicht verkennt, ,,welcher in mehreren Fällen
von ausgebreiteter atrophischer Lähmung durch eine äusserst scharfsinnige klinische
Analyse den Nachweis geführt hat, dass es sich dabei um eine peripherische Neuritis
handeln müsse," hat durch seine Arbeiten aus den Jahren 1879 und 1880 (,>Ueber
einen Fall von multipler Neuritis" — Charitö-Annalen 1880 — und „Ueber Polio-
myelitis und Neuritis" — Zeitschrift für klinische Medicin 1880 — ) in gewissem
Sinne eine entscheidende Bedeutung gehabt, „insofern sie das klinische Bild der
multiplen Neuritis zum ersten Male mit Sicherheit formulirten und dasselbe durch
unzweifelhafte anatomische Untersuchungen begründeten." In Bezug auf letztere konnte
L. denselben Befund constatiren, wie Eichhorst in einem Falle von „Neuritis acu-
tissima progressiva" (1876): in grosser Ausdehnung eine degenerative Erkrankung zahl-
reicher peripherischer Nerven. — Gkinz ähnliche Veränderungen fand später Faul
Meyer in Strassburg in einem Falle von verbreiteter diphtherischer Lähmung an
den motorischen Nervenstämmen. — L. bespricht eingehend das Erankheitsbild, seine
iypische Form und die atypischen Abweichungen, sowie den in der grössten Mehrzahl
der Fälle günstigen Ausgang. Die active Therapie ist an demselben allerdings nur
in bescheidenem Maasse betheiligt, richtig demgemäss ein hygienisch -respecta-
tiver Heilplan, d. h. Buhe und Diät, deren Wichtigkeit in auisführlichen Darlegungen
auseinandergesetzt wird; Massage und Elektricität dürfen erst in späteren Stadien
eintreten. Krankheitsresidnen, Schwäche der Muskeln, Par- und Dysästhesien bedingen
nicht selten die Nothwendigkeit von Nachkuren (Bäder).
In seinem zweiten Vortrage geht L. auf die einzelnen Formen der Polyneuritis
ein. Nicht eine einzige Krankheit, sondern eine grosse Gruppe von Krank-
heiten versteht er darunter und theilt das ganze Gebiet ein in:
1. die infectiöse Form (nach Diphtherie, Typhus, Syphilis, Tuberculose u. A.;
auch die Beri-Beri-Krankheit gehört hierher);
2. die toxische Form (durch Blei, Arsen, Phosphor, Eohlenoxyd, Schwefelkohlen-
stoff, Ergotismus, Quecksilber und Alkohol);
3. die spontane Neuritis multiplex (die jebige multiple Neuritis der Autoren);
4. die atrophische (dyskrasische, kachectische) Form (nach Anämie, Chlorose,
Marasmus, Krebs-Kachexie; Diabetes). — Hierher könnte auch, anstatt zu 1.,
die Tuberculose und die Beri-Beri-Krankheit- gerechnet werden.
Endlich fasst L. noch in besonderer Grnppirung — abweichend von seinem son-
stigen ätiologischen Eintheilungsprincip — unter 5. die sensible Neuritis zusammep
(Pseudotabes, Neurotabes peripherica) unterschieden ab:
— 422 —
! a) difr sensibto Form der multiplen NeuritiB;
b) die seneible Neuritis bei Tabes.
Der anatomische Vorgang ist überall bald ein entschieden entzündlicher, bald
ein passiver, degenerativ^atrophischer. Klinisch sind die Fälle als acute (subacate)
und chronische, andererseits als in den motorischen oder in den sensiblen Nerven ver-
laufende zn unterscheid«!.
L. bespricht in ausfOhrlicher Weise alle Formen der Neuritis in den obigen
5 Gruppen, zahlreich» eigene Beobachtungen und interessante Bemerkungen einflech-
tend, und besonders bei der alkoholischen und diabetischen Form verweilend, am aus-
führlichsten jedoch bei der sensiblen Form der multiplen Neuritis. Hier bringt der
Verf. einerseits die. Fälle zur Besprechung, welche, obwohl in allen Symptomen der
wahren Tabes gleichend, selbst Doppeltsehen, Fupillendifferenz, Bomberg^sches und
Westphal'sches Zeichen darbietend; doch nur auf Neuritis beruhen, und welche nur
durch die Aetiolo^e (z. B. 'AlkohoHsmus), sowie durch den günstigen Verlauf sich
als Neuritis erkennen lassen. Andererseits erörtert er die peripherische Nerven-
degeneration bei Tabes von Westphal, D^j^rine u. A. bearbeitet, welche die Frage
nach dem peripherischen Ursprung der Tabes nahe legen; „für manche Fälle ist der
Gedanke kaum abzuweisen, dass der Frocess Jahre lang nur in der Peripherie der
Nerven bestanden habe;" Uebo'gänge der acuten sensiblen Neuritis (Ataxie) auf das
Büokenmaric sind noch nicht erwiesen, „aber auf die Möglichkeit derselben ist Bück-
sicht zu nehmen." Hadlich.
6) Ueber acute multiple Myositis bei Neuritis, von Prof. Dr. Senator. (Dtsch.
. ipedic. Wochenschr. 1^88. 23.)
Ueber die Bricrankung der Muskeln bei multipler Neuritis liegen noch nicht viel
Beobachtungen vor. S. beschreibt folgende 2 Fälle.
L Ein 27jähr. tubercuiöser Mann bekam im Frühjahr 1886 eine schlaffe Para-
lyse beider Beine mit Verlust des Patellarphänomens und verminderter Sensibilität
I)ie Arme, sind paretisch; Extension der Hände und Spreizung der Finger unmöglich;
ßehnenphänomene an den Armen erhalten^ Musculatur der Beine auf Druck sehr
»Am^rzbaft^ ebenso die Nervenstämme. Faradische und galvanische Erregbarkeit der
Muskdin und Nerven der untei«n Extremitäten stark herabgesetzt Pupillen normal;
keine Bhwen- und Darmstörungen. — Pat starb an Phthise, und die Untersuchung
ergab neben Neuritis parenchymat et interstitialis auch eine acute interstitielle Myo-
sitis, besonders in den Gastrocnemii; die interstitielle Eemwucherung zeigte abnorme
Kemformen von dreierlei Art; die Muskelfasern stellenweise stark geschwunden.
II. Ein SSjähriger Landwirth erkrankte acut an multipler Neuritis der unteren
und oberen Extremitäten, mit heftigen Muskelschmerzen, aber sonst ganz ohne Sen-
sibllitätsstörungen; erst nach Wochen trat auch eine Empfindlichkeit der Nervenstämme
auf Driick neben anderen Sensibilitätsstörungen auf (Schmerzempfindung verlangsamt
u. s. w.). An excidirten Muskelstückchm fand sich Hyperämie, interstitielle Kern*
wuohenmg, Muskelfasenitrophie, in den späteren Stadien EntWickelung von fibrillärem
Bindegewebe um die Fibrillen.
Ausserdem fanden sich in beiden Fällen Mastzellen, in Fall I im Endoneu-
rium, in Fall II sehr reichlich in der Musculatur, theils der Muskelsubstanz dicht
anliegend, theils in den interstitiellen Geweben.
Wir haben hier also eine frische Myositis in acuten resp. subacuten Fällen von
Neuritis, während man bisher nur in chronischen Fällen schleichende Entwickelung
interstitieller Processe in den Muskeln beobachtet hat.
&. will auf Grund seiner beiden Fälle nicht entscheiden, ob die Myositis primär
Qd«r secundär^ oder ob sie mit der Neuritis coordinirt aus gleicher Ursache ent-
springe; vielleicht kommt in den verschiedenen Fällen bald diese, bald jene Entwicke-
— 428 —
long Tor, doch dflrfte in Yielen-Fftllen die Neuritis der peripherischen Nerven primär,
die Moskelaffection secundär sein.
In der Mehrzahl der Fälle eine fonctionelle Siörai^ des Bflckenmarks zu sehen,
welche die degenerativen Yerändemngen zur Folge hat — wie Erb will, — ist
Senator nicht geneigt ' Hadlich.
6) Beiträge zur Casuistik der miiltiplezi Neuritis, Inaugural- Dissertation von
A. Cornelius. (Berlin. März 1888. 51 Seiten.)
Die Fälle der mnltiplen Neuritis lassen sich in ätiologischer Beziehung in drei
Gruppen eintheilen, die infeol3(yse Form, die toxische und rheumatische. Zu der ersten
Gruppe gehört neben den im Anschluss an acute Infectionskrankheiten auftretenden
Formen die primär-infectiöse multiple Neuritis (Beriberi, Eak-ke). Dass von der letzt-
genannten Form die Ureinwohner von Atjeh (Sumatrah) fast ganz verschont blieben,
scheint dem Bef. unrichtige da er in den Hospitälern der holländischen Oolonien beri-
beri-kranke Malayen und Javaner in nicht geringer Anzahl besichtigen konnte. —
Vier Fälle aus der Nervenabtheilung der königl. Charit^ werden mit ausführlichen
Krankengeschichten beschrieben. Im ersten Fall waren Lues, Fötus, Tubercuiose als
prädisponirende Momente angefahrt; die Zeichen der Tubercuiose traten in den Vorder-
grund. Der Sectionsbefund und die mikroskopische Untersuchung (Oppenheim) konnten,
trotz ausgedehnter Lähmungen, im Bfickenmark und in den Nervenwurzeln keine Spur
von pathologischen Vorgängen nachweisen. In den peripherischen Nerven war der
eigentliche Sitz der Erkrankung in den Nervenästen, die zu Muskeln und Haut hin-
riehen, während die Stämme der betroffenen Nerven ein fast normales Aussehen hatten
oder doch einen nur mittleren Grad von parenchymatöser Degeneration zeigten; nur
der N. peroneus wies schon in seinem Stamm einen beträchtlichen Grad von Ent-
artung auf. Der Muskelbsfund zeigte entzündliche Vorgänge, fettige Degeneration
der Muskelfasern, enorme Eemwucherung, Verdickung und Eemreichthum der Gefass-
wände und Verbreiterung des Perimysiums. — Die anderen 3 Fälle verliefen gün-
stiger; im zweiten handelte es sich um Erkältung und Potatorium und erzielte man
durch Entziehung des Alkohols dieselbe Besserung, wie in dem 4. Fall, in dem auch
Alkoholismus als Ursache des Leidens angesehen wurde. Die Aetiologie des 3. Falls
ist unklar. Die zuerst betroffenen Stellen waren in der Regel die unteren Extremi-
täten (Schvräche beim Gehen, Gefühl von Taubheit, Farästhesien, lancinirende Schmer-
zen, Druckempfindlidikeit, Gelenkschmerzen, Oedeme, Athrophie, Entartungsreaction etc.).
Bald wurden meist auch die oberen Extremitäten in Mitleidenschaft gezogen. Die
motorischen Symptome traten in dem 3. Falle völlig in den Hintergrund. An den
Extremitäten waren besonders der Peroneus ergriffen, dann der N. tibialis posticus,
<a-nralis etc., sodass die Extensoren hauptsächlich betroffen waren. An den oberen
Extremitäten war .vor allem der N. radialis und in zweiter Linie der N. ulnaris er-
griffen. Die Sehnenreflexerregbarkeit war in einem Fall erloschen, in einem gestei-
gert und in 2 Fällen abgeschwächt. Das Fieber, das nur in acuten infectiösen Fällen
ausgeprägt zu sein scheint, fehlte in den beschriebenen Fällen, die meist einen chro-
nischen Charakter hatten. In dem ersten Falle fiebert Pat in Folge seiner Phthise.
Hohe Pulsfrequenz wurde beobachtet Die Himnerven, abgesehen vom Vagus, schienen
verschont zu sein; nie fanden sich Spuren von Neuritis optica; einmal nystagmus-
artige Bewegungen und Pupillenweite mit Differenz. Ausgeprägte Blasen- und Mast-
darmstörungen, die bei multipler Neuritis nicht so selten zu sein scheinen, fehlten
in allen Fällen. Die Blasenstörung könnte auch auf eine Affection der peripherischen
Nervenendigungen in der Blase zurückgeführt werden, ohne Betheiligung des finalen
Centrums. Therapeutisch ist die Alkoholentriehung zu empfehlen. Im Anfangsstadium
eignen sich Antipyretica (Salicylsäure, Antipyrin etc.), Buhe, roborirende Kost, warme
Bäder, diaphoretische Behandlung, später die Elektridtät; in älteren Fällen wendet
— 424 —
man indifiL Thermen, Sool*, Moorbader, Kaltwasserkuren, Massage und Gymnastik mit
Erfolg an. Kalischer.
7) Multiple peripheral Neuritis, by Suckling. (The British medic. J. 1888.
March 24. p. 647.)
S. stellte einen 14jährigen, an multipler peripherischer Neuritis leidenden Kna-
ben Yor, derselbe hatte 18 Monate in Blei und Zink gearbeitet und war dann zu
anderer, sehr schwerer Stampfarbeit übergegangen. — Grosse Schwäche in Händen
und Ffissen, die Extension namentlich leidend. In allen 4 Extremitäten Anästhesie,
doch nur bis einige Zoll über die Hand- und Fussgelenke hinaus. In den Waden
Druckschmerz; Kniereflexe verschwunden. Faradische Muskelerregung verringert; doch
nicht Degenerationsreaction. Blase und Rectum ohne Störung. Keine Bleii^mptome.
L. Lehmann (Oeynhausen).
8) The probable ooeurrenoe of Multiple Neuritis in Bpidemio Gerebro-
spinal Meningitis, by Dr. C. K. Mills. (Polyclinic. 1888. Aprü. p. 313.)
In der Philadelphia Neurolog. Society besprach M. drei Fälle von epidemischer
Gerebro- spinal -Meningitis, in der die deutlichen Symptome der multiplen Neuritis
vorherrschten. Heftige Schmerzen an den Nerven entlang; Hyperästhesie der Haut
und Muskeln. Fehlen der Kniephänomene, Equino-varus-Stellung des Fusses u. s. w.
M. glaubt, dass die von Stella als neuralgische Formen der Meningitis cerebro-spinalis
hierher gehören. In der Discussion hebt Osler hervor, dass diese multiple Neuritis
sich von anderen Formen dadurch unterscheide, dass sie so sehr -früh im Verlaufe
der Krankheit erscheine, und nicht wie bei Typhus, Diphtherie etc. erst nach län-
gerer Zeit auftrete. Sachs (New York.)
8) fienige bijdragen tpt de kennis van de ooTsaken en den aard der
beri-beri, door J. W. J. van Eecke. (Geneesk. Tijdschr. voor Nederl. Indie.
1887. XXVU. 1. S. 71.)
E. fand in Beri*beri-Leichen 2 verschiedene Mikrokokken, einen gelben und einen
weissen, deren Verimpfung indessen noch nicht zu entschiedenen Besultaten führte.
Mehr Positives wurde durch die Untersuchung des Nervensystems erreicht Die
peripherischen Nerven (Radialis, Tibialis und Peroneus wurden untersucht) zeigten
in den meisten Fällen deutliche Degenerationserscheinungen. Das Mark zeigte sich
oft als eine unzusammenhängende, unregelmässig klumpige Masse, welche mitunter
ganz in Detritus fibergegangen war, während der Axencylinder zerrissen oder un*
regelmässig angeschwollen oder ganz verschwunden war. Die Nervenkeme fand £.
mitunter in vermehrter Zahl, mitunter geschmolzen, mit undeutlichen Oontouren und
kömig entartet. Das Bfickenmark zeigte in den meisten Fällen keine Veränderungen.
Wohl sah E. in einzelnen Fällen die Goll*schen Stränge entartet, doch durchaus nicht
constani Das Muskelgewebe zeigte ausser Fettentartung nichts Bemerkenswerthes.
Walter Berger.
10) Neuritis llweians. Ein Beitrag zur Lehre von der Alkohol -Neuritis. Von
Prof. Dr. Hermann Eichhorst in Zürich. (Yirchow's Arch. 1888. CXU.)
Ein öOjähriger Landwirth, potator strenuus, zeigte seit etwa 6 Wochen Tabes-
artige Gehstörungen; vor 4 Wochen Schwäche, dann Lähmung erst der unteren, bald
danach auch der oberen Extremitäten, dazu auch Somnolenz und Delirien: so worde
Pat. am 10. August 1886 in die Klinik aufgenommen; er konnte die Zunge nicht
hervorstrecken, liess Koth und Urin bald ins Bett, bald musste er katheteristrt wer-
den. Pupillen sehr eng, reagiren aber doch; Temperatur normal, Puls nicht be-
schleunigt, klein und weich. Beiderseits ausgebildete Badialis- Lähmung mit Ab-
magerung und starker Hyperästhesie der Badialis -Musculatur, bei gleichzeitiger
— 425 —
ÄBästheBie der überziehenden Haut. Die Beine vollkommen gelähmt, Druck auf die
Muskeln empfindlich, Haut auch hier gofühlloB. Pateliar- und Achillessehnenreflex
fehlt, ebenso Hoden- und Bauchmuskelreflex. Betentio urinae. Kein £iweiss oder
Zucker im Harn. Im Augenhintergrund nichts Abnormes. — Nach leichter Besserung
des psychischen Zustandefi neue Verschlechterung, zunehmender Verfall, Tod am
16. August
Der makroskopische Sectionsbefund ergab so gut wie nichts von Veränderungen,
die das Krankheitsbild hätten erklären können. Am Gehirn nichts Erhebliches. Einige
punktförmige Uämorrhagien im Dorsaltheile des Bückenmarks waren offenbar erst
kurz vor dem Tode entstanden; die Ganglienzellen waren normal, die weissen Stränge
ebenfalls. Die Bückenmarkswurzeln ohne jede Abweichung. Erst die Untersuchung
der peripherischen Nerven ergab wichtige Befunde, und zwar eine degenerative
Atrophie, ohne die geringste Betheiligung des Bindegewebes; die Veränderung bestand
gleich hochgradig in beiden Tibial-, Feroneal- und Badialnerven. Die Atrophie nahm
nach dem Oentrnm hin ab, war in den kleinen Aesten starker als in den Stämmen.
In den feinen Muskelästen — der gelähmten und atrophischen Muskeln — fand sich
auch eine Vermehrung des endo- und perineuralen Bindegewebes zu zwiebelschalen-
artigen Umhüllungen der Nervenreste. Die Bindegewebswucherung ging stellenweise
auch von den Gefässen aus. — Höchst merkwüdig war die Miterkrankung des Muskel-
gewebes: die eben genannten zwiebelschalenartigen epineuralen Binde-
gewebslamellen hatten vielfach benachbarte Muskelprimitivbündel um«
wachsen und zum Druckschwund gebracht — „Neuritis fascians" — ; in der
Folge war dann auch das eigentliche intermusculäre Bindegewebe gewuchert und hatte
die Muskelphmitivbündel atrophirt. E. meint, dass das grosse Interesse dieses Falles
in der Frische der erst seit kurzer Zeit entstandenen Veränderungen (6 Wochen)
liegt; die eigenthümlichen Bilder der Neuritis fascians würden wohl später in der
allgemeinen Bindegewebswucherung und Sklerose unerkennbar geworden sein. —
Uebrigens haben andere Autoreu ähnliche Bilder einer Neuritis fascians — nur bei
Alkoholikern noch nicht — bereits beschrieben, so E. Fraenkel bei Phthisikem,
Eisenlohr bei spinaler Kinderlähmung, von Millbacher bei verschiedenartigen
Kranken.
(Im Arch. f. Psych. XIX. 3. S. 824 bezeichnet Siemerling im Anschluss an
Both die von £. beschriebene „Neuritis fascians'' als identisch mit den physiolo-
gischen neuromusculären Stämmchen.) Hadlich.
11) Zur Frage über die Veränderungen der peripherisohen Nerven bei
Sohwindauoht, von Jappa. (Dissertation. St. Petersburg 1888. Bussisch.)
Die Arbeit des Verf. bestand in der histologischen Untersuchung peripherischer
Nerven, die den Cadavern von 15 an der Schwindsucht (pneumonia chronica, tuber-
cnlosis pulmonum) verstorbenen Personen entnommen waren, und zwar: N. ischiadic,
sural. post, tibial. posi, plantar. Int., crural., saphen. int., peron. superfic, median.,
ulnar., radial., cutan. med. (am oberen Drittheil des Armes), B. inteross. n. mediani
und B. superfic. n. radialis (an der Dorsalfläche der Hand). Die betreffenden Patienten
hatten während des Krankheitsverlaufs keine Symptome seitens des Nervensystems
aufgewiesen, abgesehen von unbestimmten neuralgischen und Muskelschmerzen, allge-
meiner Hyperästhesie und Steigerung der Sehnenreflexe — Erscheinungen, die ge-
wöhnlich bei hohem Fieber und prämortaler Inanition der Schwindsüchtigen beobachtet
werden. Die meistens nicht später als 15 Stunden post mortem ausgeschnittenen
Nerven wurden in Osmiumsäure und Alkohol erhärtet und in Celloidin geschnitten,
die Schnitte mit Pikrokarmin gefärbt; in einem Fall untersuchte Verf. ausserdem
frische mit Gk)ld behandelte Präparate.
Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass in allen Fällen die meisten der
ausgeschnittenen 13 peripherischen Nerven eine beträchtliche Anzahl pathologisch-
— 426 -
veränderter Fasern enthielten. Die Yerändemngen betrafen sowohl Axencylinder und
Markscheide, als auch die Kerne der Schwann^schen Scheide, Qtid sind nach Yerf.
Ansfühmngen als parenchymatöse Nenritis anfzufassen. Die Intensität des patho-
logischen Processes war an den peripherischen feinen Verästelungen der Nerven
höher, als an den dicken Nervenstämmen, und die Aflfection war an den unteren
Extremitäten stärker ausgeprägt, als an den oberen.
Da das Rückenmark, welches in 12 Fällen genau untersucht wurde, sich als
intact erwies, so sind die Veränderungen der peripherischen Nerven als unabhängig
von Einflüssen seitens des centralen Nervensystems zu betrachten.
P. Bosenbach.
12) Nivrltes peil^höriques dana le rheumatiame ohroniquOt par A. Pitres
et L. Vaillard. (Bevue de M^decine. 1887. Juin. p. 456.)
Auf Grund der anatomischen Untersuchung dreier zur Section gekonunener FäUe
von schwerer chronischer Polyarthritis kommen die Verff. zu dem Ergebniss, dass
sich bei der chronischen Arthritis in der Regel ausgesprochene degenerative Verände-
rungen in den kleineren peripherischen Nerven nachweisen lassen. Diese Verände-
rungen stehen aUer Wahrscheinlichkeit nach in keiner ursächlichen Beziehung zu der
Gelenkerkrankung, wohl aber möglicherweise zu der bei chronischen Gelenkleiden be-
kanntlich fast immer sich einstellenden Muskelatrophie. Leichte Veränderungen
fanden sich auch im Rückenmark, über deren Bedeutung man aber nichts Sicheres
aussagen kann.
Die drei Beobachtungen sind kurz folgende: 1) 50jähr. Mann. Chronischer
Gelenkrheumatismus seit seinem 28. Lebensjahr. Allmähliches Befallenwerden aller
Gelenke der Extremitäten. Ichthyosis-ähnliche Abschuppung der Epidermis an den
Unterschenkeln und Füssen. Starke Entwickelung des Panniculus adiposis mit Atrophie
der Muskeln. Dystrophie und Ausfall der Nägel an den grossen Zehen. Autopsie:
Enorme Veränderungen an den Gelenken und den Epiphysen. „Leichte Sklerose der
Pyramidenbahnen und der Hinterstränge" im Rückenmark. Integrität der Rücken-
markswurzeln. Starke Veränderungen in den peripherischen Nerven (tibialis anticns und
posticus, saphenus, musculo-cutaneus, plantaris u. a.). — Fall 2. 66 jähr. Frau.
Seit 4 Jahren chronische Arthritis in fast allen Gelenken der Extremitäten. Atrophie
der Interossei. Ichthyosis-ähnliche Abschuppung der Haut an den unteren Extremi-
täten. Dystrophie der Nägel an den grossen Zehen. Autopsie: Leichte Verdickung
der Neuroglia in den Pyramidenbahnen und in den Goirschen Strängen. Sehr starke
Veränderungen in den kleineren Aesten der peripherischen Nerven, während die grossen
Nervenstämme fast vollkommen normal sind. — Fall 3. 49jähr. Mann. Chroni-
scher Gelenkrheumatismus. Beginn vor 7 Jahren in der linken Schulter. Allmäh-
liches Befallenwerden der übrigen Gelenke. Dystrophie der Nägel und Abschuppung
der jlaui Keine deutliche Muskelatrophie. Autopsie: Sehr starke Gelenk-
veränderungen. Rückenmark normal. Auch die Muskeläste der Nerven nor-
mal. Nur in einigen Hautästen und Gelenkästen degenerative Veränderungen.
Strümpell.
13) Famphigoid eruption with changes in peripheral nerves, by A. Saugster
and F. W. Mott. (The Brit. med. Joum. 1888. June 16. p. 1273.)
VerfiEl berichten in der k. chir. und med. Gesellschaft über eine 78jährige Frau,
welche eine Hauteruption am Stamm und den Gliedern von ziemlich symmetrischer
Vertheilung aufwies. Die Form der Eruption war bullös pemphigoid. — Albuminurie,
zuletzt Urämie.
Die äusseren Hautnerven, ein Theil der Ganglien und hinteren Wurzeln wurden
gehärtet und untersucht. Man fand eine parenchymatöse Degeneration der Nerven-
fasern. L. Lehmann (Oeynhausen).
— 427 —
14) neber einen eigenthümliehen Fall von oombinirter systematlsoher
Srkraakung des Büekenmarkes und der peripherisohen Nerven, von
Dr. H. Braun, (Deutsch. Ateh. f. klin. Medio. 188^. XLII.)
Es handelt sich um einen 74jähr. Zinngiesser, welcher mit reissenden Schmerzen
und Parästhesien im rechten Arm, der rechten Hand und beiden Beinen erkrankte.
Gleichzeitig Atrophie der rechten Hohlhand, der Streckmusculatur des rechten Unter-
arms, des rechten Muse, deltoideus, Pectoralis major, Supra- und Infraspinatus. Die
erkrankten Muskeln sind auf Druck schmerzhaft, zeigen fibrilläre Zuckungen, Ver-
ringerung der elektrischen Erregbarkeit, theilweise Entartungsreaction. Sehnenreflexe
an den Armen erloschen, an den Beinen erhalten. Sensibilität normal. — Nach
'/^jährigem unveränderten Bestand die Krankheitserscheinungen Tod durch Erysipel.
Als klinische Diagnose war — dem Symptomenbild entsprechend — mit Wahr-
scheinlichkeit eine spinale Form von progressiver Muskelatrophie oder eine multiple
Neuritis angenommen worden.
Der Sectionsbefund war folgender: Atrophie und Schwund der rechten Vorder-
homganglien und der vordem spinalen Wurzeln in der Höhe des VI. und VII. Cer-
vicalnerven, beiderseitige Atrophie der hintern Wurzeln in der Hals- und Lenden-
anschweUung. Ausserdem aber wurde eine Degeneration in den Hintersträngen
(Schwund der Nervenfasern, Bindegewebsentwickelung) constatirt, welche von der
Lendenanschwellung bis zum mittleren Dorsalmark allmählich abnahm und vom oberen
Dorsalmark bis in die Halsanschwellung an Flächenausdehnung wieder zimahm.
An den peripherischen Nerven und den afficirten Muskeln der oberen und un-
teren Extremitäten zeigten sich ebenfalls degenerative Veränderungen.
Verf. ist geneigt, im vorliegenden Falle als Ausgan^punkt der Erkrankung eine
peripherische Neuritis anzunehmen, an welche sich secundär eine aufsteigende De-
generation bis ins Bückenmark anschloss.
Auf diese Weise sei sowohl der Heerd im rechten Vorderhom, wie die Degene-
ration in den Hintersträngen als den Fortsetzungen der peripherischen sensiblen Bah-
nen im Bückenmark am natürlichsten zu erklären.
Da Fat. Zinngiesser war und selar viel mit Blei zu thun gehabt hatte, so liegt
die Möglichkeit nahe, dass eine chronische Bleüntoxication das ätiologische Moment
für die Erkrankung abgab. F. Seifert (Dresden.)
m. Aus den Qesellsohaften.
JULii. Wanderversammlung südwestdeutsoher Neurologen und Irrenärzte
zu Freiburg i. Br. am 9. u. 10. Juni 1888.
Original-Bericht von Dr. L. Laquer in Frankfurt a. M.
Zweite Sitzung den 10. Juni Vorm. 9 Uhr im Auditorium der psychiatrischen
Klinik. Besichtignng der neuen, erst am 1. April a. c. neu bezogenen Bäumlichkeiten
genannter Klinik seitens der Versammlung unter Leitung von Prof. Emminghaus.
Erledigung von geschäftlichen Angelegenheiten. Wahl von Baden-Baden zum
nächsten Versammlungsort. Die Geschäftsführung übernehmen Prof. Erb und Dr.
Franz Fischer (Illenau). — Den Vorsitz am zweiten Versammlungstage führte
Prof. Jelly (Strassburg).
10. Docent Dr. Hoflknann (Heidelberg): Ueber einen Fall von progressiver
Muskelatrophie eto.
H. berichtet über einen Fall von progressiver Muskelatrophie. Die Krankheit
befiel ein Mädchen in frühester Kindheit; die Kranke selbst kam im 8. Jahre in
Beobaichtnng.
Die charakteristischen Symptome der Krankheit waren wahrscheinlich familiäre
Belastung; Beginn der Atrophie und der mit ihr gleichen Schritt haltenden Parese
— 428 —
an den vom Bückenmark entferntesten Moskelgebieten (zuerst d^ unteren, mehrere
Jahre später der oberen Extremitäten), prc^resaiver Verlauf mit ascendirendem Cha-
rakter, schweren sehr eigenthfimlichen Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit»
sowohl der paretischen wie der nicht gelähmten (Gesichts- etc.) Muskeln und Nerven,
Sensibilitätsstörungen, Fehlen der Sehnenreflexe, verminderte mechanische Muskel-
Erregbarkeit, Unruhe der Muskeln, Klumpfuss etc.
H. glaubt, dass der Fall mit denen von Eulenburg, Eichhorst, Ormerod,
Schnitze und Charcot, Marie publicirten, zusammen eine besondere Form von
progressiver Muskelatrophie bilde, die in der Mitte stehe zwischen der spinalen und
der myopathischen progressiven Muskelatrophie.
Weiter fQhrt er aus, dass sich anatomisch wahrscheinlich multiple Nerven-
Degenerationen finden werden und man die Krankheit als neurotische progressive
Muskelatrophie bezeichnen könne.
Trotz der Aehnlichkeit, welche die Affection mit peripherischen Nerven-Erkran-
kungen in sich hat, schliesst sich H. der Ansicht von Charcot an, dass doch eine
Myelopathie das Primäre des Leidens sei.
11. Dr. Koeppen: Ueber Albuminurie bei Gtoisteskranken.
Es finden sich im Urin Geisteskranker viel häufiger Eiweiss, als bisher ange-
nommen wurde. Die Fälle, in denen die Albuminurie als wesentliches Moment des
Zustandes auftrat, lassen sich in 3 Gruppen bringen.
1. Psychosen, welche sich anf Grund einer Nephritis entwickelt haben. Es
giebt hier psychische Störungen, die man direct als urämische Intoxications-Psychosen
auffassen kann.
2. Psychosen, die sich auf Grund einer allgemeinen Arteriosklerose entwickeln.
Das Auftreten von Eiweiss ist hier abhängig entweder von der Beschaffenheit des
Gefäss-Systems oder von einer Nierenerkrankung, hervorgerufen durch die Arterio-
sklerose.
Fürstner fand bei Delirium tremens im Urin Eiweiss und constatirte, dass
dasselbe bei zunehmender psychischer Verwirrtheit und Benommenheit ebenfalls
zunahm. *
Dieser Satz lässt sich verallgemeinern: Man findet in den allermeisten Fällen,
wo psychische Verwirrtheit und Benommenheit besteht, Eiweiss im Urin und zwar
zu- und abnehmend mit den psychischen Erscheinungen; so beim Delirium acutum;
in bestimmten Stadien der Manie u. s. w. Es gelang nicht allein, das gewöhnliche
Eiweiss, sondern auch Propepton im Urin zu constatiren. Das Propepton ist nach
den Beobachtungen E.'s in vielen Fällen als das erste Anzeichen eines Einflusses
des Gehirns auf die Nieren aufzufassen. Die Urine hatten meistens hohes specifisches
Gewicht. Mikroskopisch fand sich selbst in Fällen mit sehr viel Albumin nichts als
zuweilen spärliche hyaline Cylinder und einige Epithelien. Es ist also das Auftreten
des Eiweisses in diesen Fällen allein auf den Zustand des Gehirns zurückzuführen,
und man könnte in einem gewissen Sinne von einer centralen Albuminurie sprechen.
(Die Untersuchungen E.*s werden ausführlicher veröffentlicht.)
12. Dr. Edinger (Frankfurt a. M.): Ueber Entwiokelung des HimmantelB
in der Thierreihe.
Vortr. demonstrirt eine Anzahl von Präparaten und Zeichnungen, welche die
Entwickelung des Vorderhims in der Thierreihe betreffen. Redner hat versucht^ den
complicirten Bau des Säugergehimes besser zu verstehen durch Verfolgung von dessen
wichtigsten Theilen durch die Thierreihe hindurch. Die Resultate seiner Arbeit, die in
den Abhandlungen der Senkenbergischen naturforschenden Gesellschaft so-
eben in extenso erschienen ist, sind kurz die folgenden: Der Uimmantel erreicht nur sehr
allmählich die Ausbildung, die wir an ihm bei den Säugern kennen. Eine ununter-
brochene Entwickelungsreihe von den niederen Formen zu den höheren ist nicht vor-
— 429 —
banden. Der rein epitheliale Himmantel der Knoclienfische und der Cjclostomen und
das wesentlicli dem primären Yorderhim entsprechende Yorderhim der Selachier,
welches entwickelnngsgeschichtlich stndirt wnrde, werden demonstrirt. Yen ihnen
fflhren keine Uebergangsformen zu dem ansserordentlich einfach gebauten Gehirn der
Amphibien, von denen Redner eine grosse Anzahl in allen Alterstufen untersucht hat.
Die Grundformen des Amphibiengehimes sind bei den Reptilien noch nachzuweisen,
aber im Reptilienhim beginnt mit dem Auftreten der Hirnrinde, dem ersten in der
Thierreihe, diejenige Himform, von der sich das Organ der Yögel und das der Säuger
ableiten lassen. Bei den Reptilien tritt auch die Ammonsformation und der aus ihr
entspringende Fomix zuerst auf.
Während der Mantel alle diese Wandlungen durchmacht, bleibt im Grossen und
Ganzen die Lage und Stractur des Stammganglions wesentlich durch die ganze Reihe
hindurch die gleiche. Bei den Knochenfischen bildet es die Haaptmasse des Gehirns,
mit zunehmender Mächtigkeit des Mantels aber tritt es mehr und mehr in die Tiefe
zurück und wird schliesslich bei den Säugern zu einem im Yergleich mit der übrigen
Yorderhimmasse kleinen üimstück.
Eine Reihe, die Gebilde jeder Yorderhimseite mit denen der andern verknüpfenden
Faserzüge und eine Anzahl aus dem Yorderhim weiter hinab tretende Bündel wurden
als allen Thieren zukommend nachgewiesen.
13. Privatdooent Dr. Ziehen (Jena): Zur Physiologie der suboortialen
Ganglien tmd über ihre Beziehungen zum epileptisohen Anfall.
Z. hat im Anschlass an frühere Yersuche, welche bewiesen, dass der klonische
Antheil der beim Hunde durch faradische Rindenreizung ausgelösten Krämpfe corti-
calen Ursprungs ist, der tonische Antheil und die Laufbewegungen hingegen infra-
cortalen, und im Anschluss an die Yersuche von Binswanger, welcher in der Med.
oblongata und im Pens. Reflexentren fand, die auf Reizung mit tonischem Krampf,
sowie Laufbewegungen antworteten. Reizungsversuche am Corp. striat., Nucl. lentif-
ormis, Thalamus opticus und den Yierhügeln nach Atragung der Grosshimhemisphäre
angestellt.
Als Yersuchsthiere dienten zunächst Kaninchen; als Reizungsmittel wurde Be-
rührung und oberflächliche Yerletzung mit stumpfer Nadel verwandt; nur selten den
faradische Strom, ausserdem wurden zahlreiche Durchschneidungsyersuche gemacht.
Faradiäche Reizung am Streifenhügel und Linsenkem löst Mastication, Flimmern
der Lippen, Drehung des Kopfes nach der gekreuzten Seite, tonische Contraction der
gekreuzten und in schwächerem Grade auch der gegenseitigen Beine aus. Bei längerer
Reizdaaer tonischer Krampfanfall. Aehnliche tonische Contractionen erfolgen bei stär-
kerer faradischer Reizung des Thalamus opticus.
Darchschneidung desselben führt zu excessiver Laufbewegung mit Locomotion
des Thieres. Dieselben krampfhaften Laufbewegungen kommen zu Stande bei Rei-
zung im Gebiet der vorderen Yierhügel.
Mechanische faradische Reizungen, sowie Durchschneid nng im Gebiet der hinteren
Yierhügel löst einen extremen allgemeinen, die Reizung überdauernden tetanischen
Krampf aus.
Aus den Yersuchen Ziehende ergiebt sich, dass in der Gegend des Thalamus
opticus und der vorderen Yierhügel motorische Gentren für höher coordinirte Be-
wegungen gelegen sind.
In den obigen Yersuchen sind dieselben nicht direct, sondern wahrscheinlich
reflectorisch erregt worden; es dürfte hierbei der intracerebralen Bahn des N. opticus
eine bedeutsame Rolle zufallen.
14. Prof. Thomas berichtet über eine autopathische Beobachtung, betreffend
die Abhängigkeit einer leichten Strangurie von jeglicher mechanischen Reizung der
Mundschleimhaut
— 430 —
15. Dr. A. Gramer (Erelburg): Ueber die Wirkung dSB Sulfonals bei
Yortr. behcbtet über 407 mit dem Sulfonal an Geisteskranken angestellte Ver-
suche und sodann im Anschluss daran über physiologisch -chemische Experimente,
welche das Verhalten von Chloral, Paraldehjd^ Amjlenhydrat und Solfonal zur künst*
liehen Verdauung klar legen. Die 407 therapeutischen Versuche wurden an 45 Per-
sonen gemacht: 30 (7,4 ^o) ^^^^^ negativ aus; d77mal (92,4%) führte das Mittel
einen fünf- und mehrstündigen Schlaf herbei Der Schlaf trat meistens 7« — 1 Stunde
nach Einnehmen des Mittels ein. Die Dosis schwankt zwischen 1 und 3 Gramm.
Unangenehme Nebenwirkung, abgesehen von einer einige Mal aufgetretenen Schläfrig-
keit am andern Morgen, wurde in keinem Falle bemerkt Die Kranken litten an
Melancholie, Manie, Paralysis, Paranoia, Hebephrenie.
Die physiologisch-chemischen Versuclje bezQgen sich auf das Verhalten der oben
genannten Schlafmittel: 1. zur diastatischen Wirkung gemischton Mundspeichels;
2. zur fibrin verdauenden Wirkung künstlichen Magensaftes; 3. zur fibrinverdauenden
Wirkung künstlichen Pancreassaftes. Sie ergaben, dass Sulfonal keinen wesenüich
hemmenden Einfluss auf die eben erwähnten chemischen Voigänge äussert — Vortr.
glaubt, dass im Sulfonal ein wichtiges Mittel für den psychiatrischen Arzneisohatz
gewonnen sei.
16. Prof. Käst: Ueber musikalisohe Stöcungen bei Aphasie.
Schon früher hatte Vortr. über die interessante Erscheinung berichtet, dass musi-
kalisch begabte und technisch gut gebildete Individuen nut dem Eintritt einer apha-
sischen Erkrankung die Fähigkeit einbüssten, aus einem möglicherweise reichen Schatze
musikalischer Vorstellungen auch nur die allereinfachsten in correcter Weise zu re-
produciren, — und dies ohne nachweisbare Beeinträchtigung der Qualität des musi-
kalischen Hörens und ohne jede Behinderung im peripherischen Bewegungsapparat Der
erste von Käst publicirte Fall betraf einen Landwirth, der an rechtsseitiger Hemi-
plegie mit Broca'scher Aphasie litt und das Unvermögen zeigte, correct zu singen,
während er vorher ein guter Sänger gewesen war, — bei Erhaltensein der musi-
kalischen Fähigkeiten nach der perceptiven Seite und guter Intelligenz. Die expres-
siven Störungen auf musikalischem Gebiete blieben noch bestehen, als die Sprache
sich bereits gebessert hatte!
Die neue Beobachtung Kast's betrifft einen gebildeten, als Musikdilettaat sehr
geschätzten Herrn von 45 Jahren, der vor 20 Jahren sich luetisch infidrt hatte,
2 apoplectiforme Anfalle erlitt und nach dem letzten eine Broca'sche Aphasie davon-
trug mit ausgesprochener Schreibstörung. — Während sich die Sprache innerhalb
von Monaten besserte, zeigte sich Pat. unfähig, nicht nur einfache Weisen und Ton-
folgen, sondern auch einzelne bestimmte musikalische Töne spontan oder nach Vor-
spielen und Vorsingen zu reproduciren und zwar weder gesanglich noch auf der
Geige, trotzdem er vorher ein in weiten Kreisen gern gehörter Solosänger und guter
Violinspieler gewesen war. Dabei erkannte er Töne und Intervalle vortrefflich. —
Die Geige sei, .trotzdem er bei Versuchen den Bhythmus einhielt, „wie ein Stück
Holz in seiner Hand". Noten wurden ziemlich gut gelesen. Die musikalische Störung
besteht noch jetzt, wo mehr als ein Jahr verflossen, fort, während die Sprache ent-
sprechend der grössern Uebung weit besser von Statten geht
(Die Beobachtung wird im Archiv für Psychiatrie ausführlich publicirt werden.)
Um 12 Uhr wird die Wanderversammlung geschlossen.
Berliner G^sellsohaft für Fsyohiatrie und 19'ervenkrankheiten. Sitzung vom
9. Juli 1888.
Herr Mendel (vor der Tagesordnung):
Die beiden Brüder, welche ich Ihnen hier vorführe, der eine 13, der andere
— 431 —
12 Jahr, leigen folgendes GemeinBame. Ihre Grossmatter und ihr Onkel y&terlicher-
seits sind geisteskrank gewesen. Ein älterer Bruder ist 8 Tage alt an Krämpfen
gestorben. 6 jüngere Geschwister sind gesund. Syphilis und Alkoholismus der Eltern
sind auszuschliessen.
Bei beiden Knaben wurden zuerst im Alter von 2 Jahren (doch waren sie
wahrscheinlich schon früher vorhanden) zuckende Bewegungen im Gesicht, in den
Armen und Beinen beobachtet, wie sie jetzt noch bestehen. Ohne dass wesentlich
andere intercurrente Erscheinungen auftraten, bietet sich jetzt bei Beiden Folgendes:
1. Sehnervenatrophie auf beiden Augen mit Erweiterung und Schläugelung der Netz-
hautvenen. Die Grenzen der Optici sind scharf. Bei dem altem Knaben ist
die Atrophie stärker, als bei dem jungem. Pupillen normal. Nystagmus. (Prof.
Hirschberg.)
2. Choreatische Bewegungen im Gesicht (Gesichterschneiden), in den Armen und
Beinen, in der Buhe, bei Bewegungen sich steigernd. Speciell sind auch ander Zunge
sowohl bei ruhiger Lage im Munde, wie beim Herausstrecken lebhafte choreatische
Bewegungen sichtbar. Der jüngere Knabe kann die Zunge nur etwa 1 cm über
die Zähne aus dem Munde hervorbringen, der ältere dagegen in normaler Weise.
3. Geringe motorische Kraft in beiden Armen und beiden Beinen (kein Unterschied
zwischen beiden Seiten); plumpe Bewegungen, deutlich "beim Herauf- und Herunter-
steigen von einem Stuhl, aber auch plumper Gang.
4. Starke Sehnenreflexe, besonders starke Patellarreflexe; bei dem älteren noch be-
sonders am linken Bein Fussklonus, bei dem jüngeren nicht.
5. Keine Ataxie, keine Sensibilitätsstörungen, keine Störung der visceralen Reflexe
keine nachweisbare Erkrankung innerer Organe.
Die beiden Knaben unterscheiden sich:
1. in Bezug auf Intelligenz. Der ältere ist deutlich schwachsinnig, der jüngere
geistig normal, beantwortet mit Schnelligkeit Fragen, welche der ältere nicht
zu beantworten vermag.
2. in Bezug auf die Sprache, welche bei dem älteren kaum nennenswerth ver-
ändert, bei dem jüngeren undeutlich, abgebrochen, ab und zu scandirend erscheint.
Der demonstrirte Symptomencomplex lässt sich in keins der bekannten Bilder,
speciell auch in keins der hereditären Formen von Erkrankungen des Nervensystems,
woran im vorliegenden Fall in erster Reihe zu denken ist, einreihen. Friedreich*sche
Krankheit, multiple Sklerose sind auszuschliessen. Wäre nicht die Sehnervenatrophie
vorbanden, so könnte man am ersten an die Huntington'sche Chorea denken, deren
mannigfaches Bild und Vorkommen in trefflicher Weise soeben erst Hoffmann (Vir-
chow's Archiv Bd. CXI S. 513) geschildert hat.
1. Herr Westphal: lieber einen Befund der Augenmuskeln bei Oph-
thalmoplegie. Herr W. hat früher von einem F^le von Ophthalmoplegie den Be-
fund der Kern- und Nerven- Atrophie beschrieben; ^ er hat jetzt die Augenmuskeln
dieses Kranken genau untersucht, die frisch sich auffallend gelb gezeigt hatten.
Anstatt einer Atrophie fand er aber eine auffallende Yolumszunahme des Quer-
schnitts der Muskelfasern, neben starker Bindegewebsentwickelung; die Muskelfaser-
substanz war ganz entartet, ein gelbes, kömiges Material. — In einem anderen Falle
von Augenmuskellähmung mit Kern- und Nervenatrophie und gelber Verfärbung der
Muskeln zeigte sich gleichfalls diese hyper voluminöse Form der Muskelfasern; hier
war aber ausserdem die Fasersubstanz, auf dem Querschnitt gesehen, zu einem nui*
die Mitte des Sarcolemma-Schlauches einnehmenden Strange geschwunden, der von
einem hellen Ringe umgeben war; was diesen Ring ausfüllte, war nicht sicher zu
sagen. — Jedenfalls ist dies ein Befund an den Muskeln resp. Augenmuskeln, wie
er bisher nicht bekannt geworden ist.
» Cf. d. CtrlbL 1887. S. 479.
— 432 —
Herr Ben da spricht die YermuthiiDg ans, dass die beschriebene Mnskelfaser-
degeneration vielleicht eine Analogie zu derjenigen bilde, welche man neuerdings an
Froschlarvenschwänzen beobachtet hat.
2. Herr Ben da: lieber ein neues Härtungs verfahren des Centralnerven-
Systems mit Demonstrationen. Das Verfahren ist vom Verf. bereits im Central-
blatt für die medicin. Wissenschaften 1888 Nr. 26 beschrieben, worauf er verweist,
mit dem Bemerken, dass zu Serienschnitten diese Härtung die Präparate nicht ge-
eignet macht Femer ist anzuführen, dass die Weigert'schen Fasersysteme durch
obige Methode nicht zur Darstellung kommen; es sei ja auch wahrscheinlich, dass
die Weigert'schen Fasern nicht nervöser Natur seien, eine Annahme, welche Fritsch
und wohl auch Weigert selbst zu theilen scheinen.
Herr Westphal kann bestimmt aussagen, dass Weigert nicht behauptet hat,
dass er mit seiner Methode das Nervenmark färbe: was sich eigentlich färbe, könne
er nicht sagen.
Herr Ben da: Mit Weigert's Methode kann man z. B. auch in der Leber Netze
darstellen, welche sicher keine nervösen seien.
Herr Oppenheim: Das ist doch jedenfalls sicher, dass die Weigert*sche Me-
thode exacten Nachweis darüber giebt, ob Atrophie der Fasern in der weissen Sub-
stanz vorhanden sei oder nicht.
Herr Ben da hat auch keine Vorwürfe gegen Weigert's Methode erheben wollen;
ihm scheine nur, dass man z. Z. mit den Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen
der Weigert'schen Methode zu weit gehe.
Herr Siemerling fragt, ob sich Benda's Verfahren, auf die Hirnrinde ange-
wendet, brauchbar gezeigt habe?
Herr Benda bedauert, dass dies nicht der Fall sei; die basalen Fortsätze der
Ganglienzellen färbten sich wohl ganz gut, sonst aber nichts von Fasern der Binde.
3. Herr Gluck (als Gast) und Herr Bernhardt: Kranken vorstellang: Ein
durch seoundäre Nervennaht (suture ä distanoe) geheilter Fall von trau-
matisoher Badialislähmung.
Herr Gluck sah den Kranken, der einen Federmesserstich in den Oberarm be-
kommen hatte, 4 Wochen nach der Verletzung mit einer vollständigen Badialislähmung.
Es ist in diesen Fällen sehr schwer zu sagen, ob man es mit einer Druckiähmung
des Nerven durch das Trauma, oder mit einer Continuitätstrennung zu thnn hat
G. entschied sich für das letztere, operirte und fand eine Distanz der Nervenenden
von mehr als 5 cm. Er verband beide Enden durch Catgut-Schlingen und hat da-
durch Regeneration des Nerven erzielt
Herr Bernhardt berichtet ergänzend, dass er am 20. Oct 1887 den Kranken
zum ersten Male mit vollständiger Lähmung des Radialis und Entartungsreaction in
den betreffenden Muskeln gesehen habe. Erst 4 — 5 Monate nach der Operation,
nachdem Fat. inzwischen mit faradischer und galvanischer Elektricität behandelt war,
begann Fat. die Hand zu erheben (Dorsalflexion) und schritt dann ganz langsam in
der Heilung voran. Heute kann Fat alle Bewegungen mit Hand und Fingern gut
ausführen, ausgenommen die Ab- und Adduction. Mit sehr starken Strömen kann
man vom Nerven oberhalb der Wunde aus die Muskeln erregen.
Der Erfolg ist demnach ein recht guter zu nennen, und lehrreich, weil er so
lange nach der Operation verfolgt werden konnte, was bei den wenigsten in der
Litteratur vorhandenen Fällen zutrifft. Hadlich.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Heranageber wird gebeten.
Einsendungen PSlt die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin. NW. Schiffbauerdamm 20.
Verlag von Veit & Comp, in lioipzig. — Druck von Mstzgbr & Wittio in Leipzig.
NeürologischesCentralblatt
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatonriie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einscliliesslich der Geisteskrankheiten.
Heraasgegeben yon
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter «« "^««»^ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1888. 1. Angost m 15.
Inhalt. I. Originalmittheilung. 1. Seltene Symptomencomplexe bei Nervenkranken,
von Prof. Fr. Schnitze. 2. Etwas über Schädel- Asymmetrie und Stimnaht, von M. 0. Fraenlcel.
II. Referate. Anatomie. 1. üeber die Entwickelung der Substantia gelatinosa Kolandi
beim Kaninchen, von Corning. 2. First dorsal Interrosseus muscle supplied by the Median
nerve, von Brockt. — Experimentelle Physiologie. 3. üeber yasoailatatorische Centren
im Bückenmarke, von Kager und Pal. 4. Ueber die Innervation der Leber, von Pal. 5. Du
noyau d'origine, dans le bulbe rachidien, des fibres motrices ou cardiaqnes du nerf pneumo-
gastriqne, ou noyau cardiaque, par Laborde. -—Psychiatrie. 6. Ein Fall von circul&rem
Inresein mit Ausgang in Genesung, von Borosdlna-Rosensteln. 7. Sitofobia da megalopsia in
alienato affetto da sifilide constituzionalc, pel Frigerio. 8. Contribution a l'^tude de T^tat
mental des h^r^ditaires ddg^n^r^, par Ballet. 9. Le pazzie transitorie, pel Veniuri. 10. In-
versione e pervertimenti dello istinto sessuale, pel Cantarano. 11. Nogle Meddelelser vedrorende
direkte Arvelighed af Sindssygdomme, af Eibe. — Therapie. 12. Sulfonal, ein neues Schlaf-
mittel, von Käst. 18. üeber die Wirkung des Sulfonals, von Rabbas. 14. Zur klinischen
Wl^digung der Sulfonalwirkun^. von Schwalbe. 15. Ueber Sulfonal, von Langgaard und
Rabow. 16. Ueber das Pbenacetm, von Rumpf.
III. Ahs den Gesellschaften.
VI. Bibliographie.
V. Vermischtes.
I.
1. Seltene Symptomencomplexe bei Nervenkranken.
Von Prof. Fr. Schultse in Dorpat.
I.
Intentionsnystagmos. Atrophie der linken Zungenhftlfte, spastisohe Parese
und Abmagerung der rechten Extremitäten, Verlust der Beflexerregbarkeit
des Pharynx bei einem 21jfthrigen Hanne.
Der früher stets gesunde 21jährige Schuhmacher Peter Lesne aus
Alswig (Livland), seiner Nationalitat nach ein Lette, erkrankte vor 2 Jahren, im
27
— 434 —
Laufe des Winters 1886, mit geringfügigen Schmerzen im rechten Ober-
schenkel und Farästhesien im rechten Beine. Zu diesen abnormen Em-
pfindungen geseilte sich bald eine allmählich zunehmende Schwache in der
genannten Extremität und ebenso im rechten Arme mit Yertaubungsgefuhl in
letzterem. Ausserdem soll sich seit derselben Zeit die Sprache etwas verändert
haben.
Vor einem halben Jahre vorübergehende Schlingbeschwerden (leichte Schmer-
zen und erschwertes Schlucken).
Sonst keine Beschwerden. Niemals Kopfweh oder Schwindel. Kein
Doppeltsehen. Harn- und Stuhlentleerung stets normal.
Syphilis wird geleugnet; in der Verwandtschaft keine Nervenerkrankungen.
Ein jüngerer Bruder und zwei Schwestern sind gesund.
Status praesens am 12. April 1888 und in den nächsten Tagen.
Der Kranke ist von mittlerer Körpergrösse; seine Musculatnr gut entwiek^t;
G^ichtsfarbe etwas blass. Die Organe der Brost und des Unterleibes nicht nach-
weisbar verändert; der Harn ohne Ei weiss und Zucker. Nirgends Zeichen von
Syphilis.
Sein Gang ist der eines rechtsseitig Hemiplegischen, ebenso die Haltung seines
rechten Armes.
Die rechte Pupille ist bei mittelstarker Beleuchtung deutlich weiter als die
linke, nicht aber bei intensivem Lichte. Beide Pupillen reagiren gegen Licht und
Accommodation in normaler Weise. Dagegen sind die Augenbewegnngen abnorm.
Schon bei der Fixation von Gegenständen, die in der Mitte des Sehfeldes des Kranken
liegen, wie z. B. das Gesicht des Untersuchenden, werden die Augen hänfig nicht
ruhig gehalten, sondern weichen in zuckender Weise bald nach den Seiten, bald aber
auch etwas nach oben und unten zu ab. Noch mehr treten indessen rhythmisch
zuckende Bewegungen der Bulbi bei dem Blicke beider Augen nach links zu auf,
und zwar in sehr ausgiebiger und rascher Weise, während bei den Augenbewegungen
nach rechts hin die einzelnen Stösse sich viel langsamer folgen, etwa in secunden-
langen Zwischenräumen, aber ebenfalls sehr ausgiebig sind.'
Bei dem Blicke nach oben zu ist das Zucken viel schwächer, beim Sehen nach
unten nicht bemerkbar. Es ist also ein ausgeprägter Nystagmus vorhanden, der
während der Buhe gar nicht oder nur schwach bemerkbar ist, bei angestrengter
Fixation aber sehr stark wird. Eine Lähmung der Augenmuskeln und eine Ein-
schränkung des Gesichtsfeldes besteht nicht; ebenso wenig lässt sich eine Abnahme
der Sehschärfe oder eine Farbensinnstörung nachweisen (Dr. Hlasko). Der von
Herr Collegen Bashlmakk aufgenommene ophthahnoskopische Befund ergab die inneren
Hälften beider Papillen bedeutend röther als die äusseren relativ verbreiterten Hälfton
derselben. Die Netzhautarterien sind leicht geschlängelt, aber nicht verbreitert; an
einer derselben auf einer kurzen Strecke weisse Berandungen.
Die Untersuchung des Olfactorius und des Trigeminus ergiebt nichts Abnormes.
Die Facialis musculatur im Allgemeinen kräftig und überall ohne fibriUäre
Zuckungen. Doch ist die mechanische Erregbarkeit des linken Orbicul. oris
inf. entschieden erhöht; ausserdem bekommt man durch stärkere Percufision der
unteren Facialisäste über dem Unterkiefer Zuckungen in dem unteren Orbicularis
oris auf der betreffenden Seite, während die Percussion der übrigen Facialisäste ein
negatives Resultat ergiebt. Auch die faradische Untersuchung ergiebt am linken
Orbicul. oris inf. eine Erhöhung der Erregbarkeit, während bei galvanischer
Beizung die ASZ=KSZ ist, ohne trag zu sein, und ohne deutliche Erhöhung der
— 485 —
Erregbarkeit nachweisen zu lassen. An dem rechtsseitigen Orbicnlaris oris tritt die
E8Z früher als die ASZ ein.
Das Ganmensegel hebt sich bei der Intonation von a beiderseits gleich, drückt
aber nicht ansgiebig nnd kr&ftig genug mit seiner Wölbnng gegen die Schlund-
wand an.
Aach stärkere Berührung desselben and ebenso Kitzeln der hinteren Bachen-
wand lüst keine Befl'eze aas. Eine sonderbare Differenz zeigt die Untersuchung
mit den beiden elektrischen Stromesarten. Während die rechte Gaumensegelhälfte
bei faradischer Reizung auch yermittelst eines stärkeren Stromes nicht reagirt, wohl
aber die linke bei entsprechendem Elektrodenansatz, löst der galvanische Strom
rechts früher kurze KS-Znckangen aus als links.
Die linke Zungenhälfte ist ziemlich stark atrophisch. Ihre Oberfläche
ist unregelmässig grabig vertieft und lässt unaufhörliche starke fibrilläre Zuckungen
wahrnehmen, die auf der glatten rechten Seite nur in schwachem Grade ausgeprägt
sind. Beim Vorstrecken bleibt die kranke Hälfte zurück, so dass die Spitze nach
links abweicht; die Mittellinie der Zunge ist dabei stark concav gekrümmt und zwar
mit der Convezit&t nach der erkrankten Seite gerichtet. Die Einzelbewegungen der
Zunge sind ungestört, ebenso wie die Sprache, welche nur wegen des mangelnden
vollständigen Abschlusses der Rachenhöhle ein näselndes Timbre erkennen lässt, aber
sonst vollständig normal ist (kein Scandiren u. dergl.). Es ist somit, da auch die
Sensibilität der Zunge keine Abnormität erkennen lässt, ganz dasselbe Bild vorhanden,
wie es Ebb^ vor Kurzem in einer Arbeit über einen Fall von halbseitiger atrojphischer
Hypoglossuslähmung beschrieben hat
Die elektrische Untersuchung ergab eine deutliche Erhöhung der directen
faradischen und galvanischen Erregbarkeit der kranken Zungenhälfte ohne träge
Zuckung und bei normaler Erregbarkeit vom Uypoglossus aus.
Der Geschmack zeigt nirgends Anomalien (auch nicht bei elektrischer Prüfung).
Der Kinnreflex nicht gesteigert. Bei Reizung der Nasenschleimhaut kein
Niesreiz oder gar Niesen. Gehörfunction normal.
CncuUaris und Stemodeidomast. beiderseits intact; Kehlkopffanctionen normal.
Die Untersuchung der rechten Extremitäten ergiebt eine starke Abnahme
der Kraft im M. deltoid., biceps und triceps. Der Druck der Hand von minimaler
Kraft; die Extension der Hand und Finger gelingt nicht in normaler Ausgiebigkeit;
ebenso wenig die Spreizung und Adduction der Finger. Die Opposition des Daumens
ist dagegen noch ziemlich ausgiebig, aber sehr unkräftig. — Femer stärkerer Wider-
stand bei passiven Bewegungen in den einzelnen Gelenken, von dem sich schwer
sagen lässt, ob nur Steifheit der Gelenke die Ursache bildet oder ob auch Muskel-
rigidität daneben vorhanden ist.
Am rechten Beine ist die Cruralismusculatur kräftig, die des Ischiadicus
schwach; die Peroneusmusculatur fast völlig paralytisch.
Die tiefen Reflexe sind ganz erheblich gesteigert: (}nadricepszuckung ist
von allen Funkten der vorderen Fläche des Unterschenkels und des Innenrandes des
rechten Fusses auslösbar, während die directe Percussion des Muskels nur von den
untern Abschnitten desselben aus bei massiger Intensität Zuckungen erregt. Starker
Fussklonus. Percussion des Aussenrandes des Fusses erzeugt langsame Plantar-
flexion der drei letzten Zehen; Beklopfang der Fusssohle selbst: Plantarflexion der
4 letzten Zehen.
Am rechten Arme zeigt sich der Supinatorreflex schon bei leisester Percussion
des unteren Endes des Radius; von der Tricepssehne aus neben Tricepscontraction
auch Extension der Hand.
* Ebb, Ein seltener Fall von atrophischer Lähmung des N. hypoglosBUs. (Deutsches
Aroh. f. klin. Med. 1885. S. 265 ff.)
27*
— 436 —
Bei ganz schwacher Percossion des Biceps, Sapinator longos, Delioides und der
Eztensoren des Vorderarmes Znckungen der getroffenen Mnskeln. Dasselbe Phänomen
am Pectorales major und Infraspinatus, nur weniger stark ausgesprochen.
Die Bauchreflexe fehlen; Cremasterrefleze beiderseits gleich; Plantarreflexe links
starker als rechts.
Die Sensibilität (aller Arten) an der rechten Körperhälfte nicht wesentlich
alterirt; am rechten Fasse die Berührungsempfindlichkeit wegen der grösseren Kälte
desselben weniger präcis als rechts. Keine Farästhesien mehr.
Die elektrische Erregbarkeit der rechtsseitigen Extremitätenmoskeln nicht
verändert, trotzdem dieselben durchweg eine Abmagerung gegenüber der linken
Seite zeigen, die besonders deutlich an dem ersten Interosseus der rechten Hand
hervortritt, welcher auch deswegen öfters besonders untersucht wurde. Niemals
zeigten sich aber — im Gegensatze zu der atrophischen linken Zungenhälfte —
fibrilläre Zuckungen in diesen Muskeln.
Während eines Gwöchentlichen Aufenthaltes des Kranken in der Klinik treten
keine wesentlichen Aenderungen des Krankheitsbildes ein; nur ergab die elektrische
Untersuchung der Zunge nach dieser Zeit, dass jetzt die faradische Erregbarkeit
auf der linken Hälfte herabgesetzt ist (im Gegensatze zu früher), und dass ausser-
dem bei etwas stärkeren galvanischen Strömen, die auf der rechten Seite noch
kurze Zuckungen hervorrufen, deutliche tonische und tetauische Zusammenziehungen
sowohl bei KS als bei AS entstehen, ohne dass die letztere überwiegt. Es ist also
jetzt eine Entartungsreaction der kranken Hälfte vorhanden.
Das geschilderte Erankheitsbild ist so eigenthOmlicher Art, dass es sich
ohne anatomischen Befund nicht leicht deuten lässt. Die Annahme eines nur
peripheren Leidens ist selbstverständlich wegen der spastischen Hemipl^e
der rechten Extremitäten anzulässig, eine Complication mit peripherer Hypo-
glossusläsion indess nicht ohne Weiteres auszuschliesseu.
Wie nicht weiter ausgeführt zu werden braucht, liegt weder das gewöhn-
liche oder ungewöhnliche Bild einer motorischen Tabes (amyotrophischen Lateral-
sklerose und Bulbärparalyse) vor, noch ist dasjenige einer multiplen Sklerose
in einer der bekannten klinischen Erscheinungsformen vorhanden. 6^n die
etwaige Annahme eines im Pens oder im Bulbus medullae localisirten Tumors
irgend welcher Art spricht der dauernde Mangel jedweden Kopfwehs oder
Schwindelgefuhls.
Jedenfalls werden wir aber das Vorhandensein einer Degeneration der
linken Pyramidenbahn annehmen müssen, die sich in dem Pens und Oblon-
gata-Theil desselben irgendwo entwickelt hat, da die begleitende Hypoglossus-
und Fadalisaffection auf Erkrankung dieser Himabschnitte hinweisen. Ob aber
diese Degeneration der linken Pyramide die an ihr vorbeiziehenden Fasern des
linken Hypoglossus mit betroffen hat, oder ob eine ausgebreitete fleckige Sklerose,
wie sie bei Nystagmus vorkommen kann, besonders stark den Hypoglossuskem
geschädigt hat, oder ob dieser durch einen anderweitigen degenerativen Process
nothgelitten hat, das lässt sich nicht bestimmen. Selbst die Annahme; dass die
schädigende Ursache der Affection einen ausserhalb der Oblongata gelegenen
Theil des linken Hypoglossus in einzelnen Fasern desselben in bestimmter Aus-
breitung betroffen hätte, lässt sich nicht zurückweisen, wenn man auch gewiss
mehr geneigt sein wird, die Gesanmitläsion von der sicher vorhandenen centralen
— 4ST —
Affection ans zn erklären, wie sie sich gewöhnlich bei^ Hemiplegia altemans
findet —
Die circnmscripte nnd nnr dnrch elektrische üntersnchnng festzustellende
linksseitige Affection des Mundfacialis kann ebenfalls mit Wahrscheinlichkeit
durch TJebergreifen des Processes auf einzehae Fasern oder Ganglienzellen des
Facialis erklärt werden, während die aufgehobene Reflexerregbarkeit des Pharynx
und der Nasenschleimhaut bei sonst intactem Trigeminus wegen unserer TJn-
bekanntschaft mit der Lage der diesbezüghchen Reflexbögen verschiedene Deu-
tungen zulässt
Für die Annahme einer chronischen basilaren Meningitis mit folgender
Degeneration der linken Pyramide liegt kein Grund vor; ob aber der supponirte
degenerative Process in der Oblongata sich so wie bei der gewöhnlichen mul-
tiplen Sklerose verhält, muss deswegen fraglich erscheinen, weil bei dieser
Krankheit erhebliche trophische Störungen der Musculatur selten sind, wenn
sie auch vorkommen können, wie das z. B. ein vor Kurzem aus der hiesigen
medicinischen Klinik veröffentlichter Fall von Dr. Kboegeb^ lehrt
In Bezug auf die Aetiologie des eigenthümlichen Leidens liess sich leider
nichts Bestimmtes herausbringen. Lrgend eine Infectionserkrankung war nicht
vorausgegangen; auch Diphtherie wurde geleugnet; Syphilis liess sich nicht
nachweisen. Da Putkah (Boston med. Joumal, referirt nach Sdmoidt's Jahr-
büchern 1888, Heft 4) angiebt, bei chronischen Nervenkrankheiten, besonders
bei der multiplen Sklerose, häufig Blei im Harne der Kranken gefunden zu
haben, so wurde eine grosse Quantität dieser Flüssigkeit (6 Liter) von Herrn
Apotheker BoEKiNa hierselbst auf meine Bitte darauf untersucht, aber mit
negativem Resultate, wie es bei dem von jedem bekannten Bilde der Bleilähmung
abweichenden Krankheitsbilde unseres Kranken auch nicht anders zu erwarten
war. Ebenso wenig war Arsenik vorhanden. Die Nahrungsweise des Kranken
wich von derjenigen seiner nicht erkrankten Umgebung nicht wesentlich ab, so
dass auch die Annahme des Genusses irgend welcher Nahrungsgifte nicht ge-
macht werden konnte.
Schliesslich noch einige Worte über den Nystagmus. Da die geschilderten
rhythmischen Zuckungen nur bei der Bewegung und Fixation der Augen ein-
treten, nicht aber, oder nur angedeutet, während der vollständigen Ruhe der-
selben, so entspricht dieser Tremor völlig dem Zittern bei activen Bewegungen
und angestrengter Thätigkeit der Extremitätenmuskeln, wie es bei der Sklerose
gewöhnlich beobachtet wird. Wenn solche Sklerotiker mit ihrer erkrankten Hand
einen vorgehaltönen Gegenstand ergriffen haben und festhalten, so dauert das
Zittern gewöhnlich fort, gerade so wie bei unserem Nystagmus während der
Dauer einer länger fortgesetzten Fixation das Augenzucken fortdauert Man
könnte also den allgemein gebrauchten Ausdruck des „Intentionszittems'^ auf
die geschilderte Form des Nystagmus übertragen und von Intentionsnystag-
mus sprechen, trotzdem genau genommen nicht blos bei der Intention der Be-
' Albx. EboegeBi Beiträge zar Pathologie des Rückenmarks. Inaugoral-Dissertatioii
Dorpat 1888.
— 438 —
wegougy Vfie das Ghaboot formnliit hat, sondern auch bei der Ausführung
derselben und während der gewollten dauernden Gontraction gewisser Muskeln
das Zittern sich einstellt Natürlich soll mit diesem Worte ebenso wenig aus-
gedrückt werden, dass es sich um einen willkürlich hervorgerufenen Nystagmus
handelt, der nach Bashlmakn^ in sehr seltenen Fällen ebenfalls vorkommen
kann, me etwa der Ausdruck „Intentionszittem'^ dahin aufgefasst wird, dass
das Zittern selbst in der Intention des Betreffenden läge.
Allerdings waren auch, während der Kranke beim Sprechen mit seinem
Gegenüber ohne besondere Anstrengung flxirte, nicht inuner deutliche rasche
Zuckungen der Augen vorhanden, sondern nur eine gewisse Unruhe der Augen;
ich möchte aber dennoch nicht von einem sogenannten „atactischen Nystagmus'^
sprechen, weil beide Augen sich stets in coordinirter Weise bewegten, und man
doch nur bei wirklicher Störung der Goordination von echter Ataxie sprechen
darf. Auch wurde das einzelne Auge rasch und prompt zu der für die jeweilige
Fixation erforderlichen Stellung hinbewegt und erst dann durch kräftige Rucke
wieder in eine andere Richtung gestossen.
(Sohloss folgt)
2. Etwas über Schädel-Asymmetrie und Stimnaht.
Von M. O. Fraenkel in Dessau.
Zugleich mit der für Psycho-Physiologie und Psychiatrie wichtigen Frage
nach dem ungleichen anatomischen und physiologischen Yerhalten der beiden
Himhälften ist auch die vor längerer Zeit vielbesprochene Frage der Schädel-
symmetrie neuerlich wieder in den Vordergrund getreten. Die Asymmetrie des
Eopfskelettes gilt nameutlich der jungem italienischen Schule (cf. Lombboso
Tuomo delinquente. Deutsche Ausgabe S. 169) als eines der hervorragendsten
Degenerationszeichen. Insbesondere handelt es sich dabei um die unter dem
Namen Plagiokephalia bekannte Deformation, wo die eine Hälfte vor der andern
nach vorn hervorragt, während sie gegen die andere nach hinten verkürzt er-
scheint. — um die Plagiokephalie festzustellen, hat man sich verschiedener
Methoden bedient Die Einen verliessen sich auf den blossen Augenschein, der
allerdings genügt, wenn sie einigermaassen stark ausgesprochen isi Andere,
wie Lacassagne und Delaunat benutzten das bekannte Hutmachermaass,
LA8:fi:ouE maass mit Daumen und Mittelfinger, Lebon, Manouvbieb, Palombi
(und Amadei?) mit besonders construirten Präcisionsinstrumenten. — Das Er-
gebniss des grössten Theils dieser Arbeiten war indess kein anderes, als dass
constant die beiden Schädelhälften ungleich entwickelt sind und zwar eben so
oft die rechte wie die linke.
Nach Manoüvbieb kommt die Plagiokephalie bei Männern zwar häufiger
als bei Weibern vor, jedoch eben so wohl bei normalen Individuen wie bei Mikro-
^ BABHLMAiiir, üeber den Nystagmus. Archiv ftir Ophthabaologie. Bd. XXIV.
— 439 —
kephalen, Idioten u. s. w., nach Lombboso dagegen bei Yerbrechern in noch
einmal so grosser Anzahl als bei Normalen.
Im Hintergrunde aller dieser Forschungen steht selbstverständlich die Frage
nach der Ungleichheit der beiden Himhälften, der Windungen u. s. w. und
deren Bedeutung für die Localisation der Functionen, unter der Voraussetzung,
dass die Schädelkapsel, wenn auch nicht der genaue Abdruck der Himoberfläche,
so doch der ungefähre Ausdruck eines mit der letztem gleichzeitigen Ent-
wickelungsvorganges sei. Während man nun früher das Ebenmaass nicht blos
im ästhetischen, sondern auch im anatomischen Sinne für die Grundbedingung
des normalen Zustandes hielt, erklärte Bbooa die Asymmetrie der Himhälften,
namentlich die der Windungen, für den Vorzug der höher entwickelten Thiere
und Menschenrassen, w(^egen das Hirn der Primaten, der Neger und Idioten
mehr und mehr zur Symmetrie hinneige.
Die daraus gezogene Folgerung, dass die Schädelkapsel dementsprechend
symmetrisch oder asymmetrisch sein müsste, würde nicht zutrefifen. Denn auch
die Thiere von niedererem Entwickelungsgrade zeigen die Asymmetrie des
Schädels, me sich besonders bei Betrachtung der bei Thieren normal erhaltenen
Stirnnaht herausstellt.
•
Zu dieser Untersuchung wurde ich veranlasst, als W. Sandeb gelegentlich
der Demonstration eines metopischen Schädels gegen Theod. Simon den Beweis
zu führen suchte, dass die Abweichung der Stimnaht nach rechts oder links
von der Pfeilnaht nicht als Abnormität der Stimnaht, sondern als abnormer
Verlauf der erstem zu deuten sei, indem dieselbe nicht die wahre Mitte des
Schädels schneide (vgl. Archiv f. Psychiatrie Bd. VI, H. 2, S. 595). — Aus der
Schildemng und den Abbildungen bei älteren Anatomen geht nun hervor, dass
sie die Pfeilnaht als die directe Fortsetzung der Stimnaht ansehen. Die beiden
Babthounus (Thomas und Casper) sagen: Keilnaht heisst sie darum, weil sie
gtt^ewegs oder per rectam lineam, instar sagittae projicitur per longitudinem
capitis, — aliquando per coronalis medium pergit usque ad nasum (B.
Anatomia, Hagae 1655. p. 484). Hybtii (Lehrbuch. 1855. S. 207) sagt von der
Sutura frontalis, dass sie verücal gegen den Marge coronalis aufsteigt und den
Stimtheil in 2 oongruente Hälften theilt
Dagegen heisst es in Vibchow's Abhandlung zur Pathologie des Schädels
(Oes. Abb. 1856. S. 902): „anderemal sieht man Schief köpfe gebildet von der
Art, dass das Ereuz an der Durchsetzungsstelle der Kranznaht mit der Stim-
Pfeünaht ganz verschoben und die (erhaltene) Stirn- und Pfeilnaht nicht mehr
aufeinander treffen.'^ — S. 911, Fig. 24, ist ein weiblicher plagiokephaler Schädel
abgebildet, wo bei verstrichener linker Hälfte der Eranznaht die persistirende
Stimnaht direct in die Pfeilnaht einmündet; dagegen ein makrokephaler männ-
licher Schädel (S. 904), wo die Pfeilnaht nach links abspringt und in Folge
dessen das rechte Scheitelbein auf Kosten des rechten Stirnbeins vergrössert ist
(Fig. 1).
(Bei dem von SA2n>BB demonstrirten ähnlichen Schädel liess sich durch
Messung von den Tuber. pariet aus nachweisen, dass die wirkliche Mitte der
— 440 —
Eranznaht an der Einmündungsstelle der Stini-y nicht aber an der der Heil-
naht lag; die Scheitelbeine mnssten demnach nngleich sein.)
Chalmettes (Th^ 1878) meint, es komme oft vor, dass die Stimnaht in
dem Angenblicke, wo sie die Pfeilnaht im Bregma erreichen sollte, einen Haken
macht und rechts oder links von diesem Pnnkte endet. Bisweilen läge der
Grand der Abweichung in der Keilnaht, alsdann sei der Schädel symmetrisch (?),
anderemale in der ungleichen Entwickelung der Stimhälften. Letzteres sei oft
der Fall. Bei 8 Papua's habe Begalia die Naht immer zur rechten gefunden
und sei das linke Stirnbein überwiegend entwickelt gewesen. Ob sonst noch
statistisches Material über diesen Gegenstand sich vorfindet, ist mir unbekannt
Die Seltenheit der Abweichung am Menschenschädel veranlasste mich, Thier-
schädel, bei denen die Stimnaht auch im erwachsenen Zustande fort besteht,
daraufhin zu untersuchen und seltsamer Weise fiel mir zu^^
fig.3.
%.2.
5***Ä(w^'?''''
1) ein Eaninchenschädel in die Hand, bei welchem die seitliche Ein-
mündung der Stimnaht an der linken Seite der Eranznaht sehr zierlich, aber
deutlich zu Gesicht kam. Das rechte Stirnbein reicht um 2 mm höher hinauf^
das linke steht um eben so viel tiefer und zwar nicht blos an den Scheitelbeinen,
sondern auch an der Nasenwurzel. Dagegen erscheint das rechte Scheitelbeia
umfangreicher und flacher als das linke, überhaupt die rechte Schadelhalfte
etwas flacher (Fig. 2).
2) Am Schädel eines jungen Hundes, dessen Reisszahne noch nidit zum
Durchbrach gekommen, setzt sich die Stimnaht geradlinig in die Ffeilnaht fort,
die beiden Enden der Eranznaht aber sind durch das schräg nach links an-
steigende Ende der Stirnnaht 2 mm weit von einander getrennt, das linke Stirn-
bein ist um etwas höher als das rechte und beide treffen nidit mit einander
zusammen; das rechte Scheitelbein bildet eine schräg nach links absteigende
— 441 —
Sobneppe. Also aach hier Asymmetrie durch Yersohiebmig in der Längsrichtung.
Im XJebrigen ist der Schädel, mit Ausnahme einer theilweisen Verschmelzung
der linken Eranznaht, regelmässig.
8) An einem zweiten altern Hundeschädel meines Besitzes ist die Asym-
metrie weniger deutlich; die Stimnaht mündet zwar in die linke Hälfte der
Ereuznaht, und die Pfeilnaht in die etwas höher liegende rechte Hälfte, die
Entfernung zwischen beiden ist jedoch fast verschwindend. Dagegen ist die
Pfeilnaht selbst nach links gebogen und das linke Scheitelbein merUidi schmäler
als das rechte. Zwischen Ffeilnaht und Spitze der Lambda befindet sich über-
dies ein linsengrosser Worm'scher Knochen.
4) und 5) An 2 Fuchsschädeln, bei denen die Stimnaht direct in die Pfeil-
naht übergeht, ist die Verschiedenheit der beiden Stimhälften schwer zu erkennen;
bei näherem Zusehen findet man jedoch bei 1., dass die obere Spitze des linken
Nasenbeins etwas früher in die Stirnnaht einläuft, als die des rechten, demgemäss
auch das obere, zudem schmälere, Ende des linken Stirnbeins tiefer stehen muss.
Bei 2. ist es umgekehrt die rechte Hälfte der Eranznaht, die um ca. V2 ^^
tiefer steht und ebenso die rechte Hälfte der Pfeilnaht an der Spitze der Lambda-
Naht Bei 2 (einem älteren Exemplar) ist, nebenbei gesagt, der Eanmi der
Pfeilnaht schmäler, die Zähne weniger entwickelt und trotz dessen scheinen die
Scheitelbeine nach aussen breiter entwickelt und der Schädel kürzer zu sein,
als bei 1, — entgegen dem VmcHow'schen Gesetz, wonach bei gänzlicher oder
theilweiser Synostose der querverengte Schädel sich verlängert und dolichokephal
wird (1. c. S. 899). Allerdings ist die Längsnaht dieses Schädels nicht als ver-
strichen anzunehmen. — Auch an der Basis des Schädels 2 liegen die Nähte
nicht in derselben Ebene. Die Spitze des rechten Litermaxillarbeines reicht
weniger nach hinten als die des linken, ebenso der rechte Bogen der Gaumen-
naht und die Spina des rechten Gaumenbeines. (Bei Fuchs 1 ist dieses Ver-
hältniss verdeckt durch einen haferkomähnlichen, zwischen dem Intermaxillar-
bein und Gaumendach liegenden Worm'schen Knochen.)
An Thierschädeln von grösseren Dimensionen sind die Verschiebungen der
beiden Naht-Hälften selbstverständlich noch deutlicher zu erkennen. Ich habe
deren in Menge in der zoologischen Abtheilung des Jardin des Plantes zu Paris
zu beobachten Gelegenheit gehabt Und zwar nicht blos an Thieren lebender
Rassen, sondern auch an ausgestorbenen. Zunächst fand ich an einer mir ge-
hörigen Sammlung von Schädeln des Trematosaurus und Gapitosaurus, aus dem
Bemburger bunten Sandstein, dieselbe Erscheinung. Leider kann ich dieselbe
nicht mehr in natura vorlegen. Dagegen sprechen die in Bübmbistsb's (Tre-
matosaurus) und Hebh. y. Meybb's Werken befindlichen getreuen Abbildungen
so überzeugend für die Verschiebung der gleichnamigen Schädelknochen, dass es
kaum einer weiteren Erklärung bedarf.
Auf y. Meyeb's Taf. XXVII (Paläontologie) stossen die Queniähte des
Zwischenkiefers und die der Nasenbeine zwar regelrecht aneinander, dagegen ist
die gezackte Eranznaht um 3 mm unterbrochen und erreicht das linke Stirn-
bein die letztere gar nichts sondern liegt mit seinem hintern Ende zwischen
— 442 —
dem rechten Stirn- and dem linken Scheitelbeine, das längere rechte Stirnbein
endet allein mit seiner Spitze in die KeilnahL
Auf Busmeisteb's Taf. 1 (Labyrinthodonten), ist das Umgekehrte der
Fall Hier erreicht nor die Spitze des linken Stirnbeines die Pfeilnaht nnd das
rechte liegt abseits von der Mittellinie. Auch vom stossen weder die Stirnbeine
mit den Nasen-, noch letztere mit den Zwischenkieferbeinen in einer Querlinie
zusammen (Fig. 3).
Die Asymmetrie der beiden Schadelhälften ist also unverkennbar.
Die letztgenannten Fälle bieten zugleich ein Analogen for die bald nach
links abweichende persistirende Stirnnaht am Menschenschädel und auch wohl
für Sanpeb's Ansicht, dass nicht die Stimnaht, sondern die Eranznaht ungleich
verlaufe.
Indess nicht aUein im Thierreich, auch bei den Pflanzen und namenüidi
an den Blättern lässt sich die grossere oder geringere Ungleichheit der beiden
seitlichen Hälften nachweisen, wenn man die vom Stiel bis zur Spitze des Blattes
laufende Mittelrippe zum Maassstab annimmt Gleichwohl habe ich in den mir
zu Gebote stehenden botanischen Hälfemitteln diese Asymmetrie nirgend erwähnt
gefunden. Bestätigt sich aber diese Beobachtung auch far die Yegetabüien, so
wäre daraus zu schliessen, dass die Asymmetrie die für die ganze organische
Welt geltende Begel und die sonst behauptete Symmetrie die Ausnahme bilde.
Wenn nun die italiemsche Schule die Asymmetrie des Verbrecher-Schädels
als Abnormität und Degenerationszeichen betrachtet, so lässt sich dieser Gesichts-
punkt nicht anders als dadurch erklären, dass ein im Uebermaass stattfindender
Bildungstrieb die gewöhnlichen Grenzen überschreitet
Auch die etwaige Folgerung aus dem obenerwähnten BnooA'schen Satze,
dass die symmetrische Schädel-Entwickelung mit der Synmietrie des GFehims
bei niederen Thierrassen sich decke, ist demnach nicht zutreffend.
Vielmehr dürfte man daraus den Schluss ziehen, dass bei ihnen, wie aus
dem Beispiel der Labyrinthodonten besonders hervorgeht, Hirn und Schädel
nicht denselben Entwiokelungsgang durchmachen.
n. Referate.
Anatomie.
1) liebet die Entwiokelung der Substantto gelatinosa Bolandi beim
IBLaninohen, von H. K. Corning. (Archiv für mikroskopische Anatomie. 1888.
Bd. XXXI.)
Drei Fragen legt sich Verf. zur Beantwortung vor:
1. Aus welchen Theilen des ursprünglich einheitlichen Bückenmarkskanals entsteht
die Formatio gelatinosa Bolandi, oder hat die His*sche Anschauung, dass ihre
Elemente ans eingewanderten Zellen entstehen, eine Berechtigang?
2. Wie frühe lässt sich eine Differenzirung der zur Snbstanüa gelatinosa sich um-
bildenden Elemente erkennen?
— 448 —
3. Bieten die entwickelnngsgeschichtlichen Vorgänge irgend eine Erkl&rnng fOr die
so eigenthümliche nnd von der Übrigen grauen Substanz abweichende Structur
der Substantia gelatinosa?
Verarbeitet wurden besonders Embryonen von Kaninchen, jedoch auch solche von
Mäusen, Schweinen, Ratten, Meerschweinchen. Die Resultate, zu denen Verf. kam,
waren:
ad 1 und 2. Der hintere Abschnitt der grauen Substanz entwickelt sich bei
Kaninchen am 12. — 13. Tage. Die Innenplatte zeigt in ihrer dorsalen Hälfte eine
Zellenwucherung, welche die erste Anlage der Substantia gelatinosa Rolandi in sich
schliesst Diese Zellen verDeren viel später — etwa vom 18. Tage an — ihren
frflh-embrjonalen Typus, als die übrigen Zellen der grauen Substanz. Während der
Centralkanal in seinem hintersten Abschnitt sich verschliesst, trennt sich die Subst.
gelatinosa Rolandi von ihrem Mutterboden. Später entwickelt sich noch die Zwischen-
substanz.
Die His*sche Anschauung, nach welcher sich die gelati])6se Substanz in der
primären weissen entwickeln würde, hat keine Berechtigung, weil die Formatio Ro-
landi Zellen enthält, welche mit anderen Nervenzellen auf einer Stufe stehen und
für welche Verf. den Zellenbelag des Centralkanals als Ursprung in Anspruch nimmt
ad 3. Die Subsi gelat. Bol. ist ein Gebilde, welches beim Erwachsenen noch
an embryonale Zustände erinnert.
Die interessante und ausführliche Arbeit ist im Laboratorium von H. Virohow
gefertigt. P. KrontbaL
2) Flnt dorsal InterroBsetis musole supplied by the Median nerve, von
Brocks. (The British med. Joum. 1888. Febr. 11. p. 302.)
B. berichtet in der anatomisch-physiologischen Gesellschaft über eine, nach ihm
Mher noch nicht beobachtete Variation im Verlaufe des N. medianus in der Hand.
Der Zweig desselben zum ersten M lumbricalis war ungewöhnlich breit, durchbohrte
denselben und bildete mit einem Zweige von demjenigen Aste des N. medianus, welcher
sich zur Innervation der anstossenden Ränder des Zeige- und Mittelfingers theilti
einen Bogen. Der letztgenannte Zweig (Ram. anter.) hatte keine Verbindung mit
dem zweiten M. lumbricaUs. Der so gebildete Bogen lag unter dem Elezor digiti
indicis und gab hier zwei Zweige ab, einen zur Articul. metacarpo-phalang. des Zeige-
fingers und einen zweiten stärkeren zum ersten M. interosseus dors. Der Nerv ver-
theüte sich in diesen Muskel bis zu Ende. Der Nachbartheil des Muskels wurde
von dem normalen Zweig der tiefen Falmartheilung des Ulnaris innervirt. Der Ulnar-
zweig communidrte im Muskel mittelst 2 oder 8 sehr feinen Anastomosen mit dem
aussergewOhnlichen Zweig des Medianus. L. Lehmann (Oeynhausen).
Experimentelle Physiologie.
8) Ueber TasodilatatoriBOhe Oentren im Büokenmarke, von Dr. A. E. Kager
aus New Tork und Dr. J. Fal in Wien. Aus dem Institute für allgemeine und
ezper. Fathologie der Wiener Universität (Med. Jahrbücher. Neue Folge. 1888.)
Einleitend stellen Verff. die bis jetzt auf diesem Gebiete erschienenen Arbeiten
zusammen. Sie selbst sahen bei curarisirten oder chloroformirten Thieren nach Durch-
schneidung der Medulla und directer Reizung des Rückenmarks mit schwachen
Strömen kerne Depression, hingegen war sie fast stets vorhanden bei reflectorischer
Beizung sowohl vom Ischiadicus als auch vom Flexus brachialis aus. Verfasser ver-
suchten nun Verlauf und Ursprung der betreffenden Bahnen zu eruiren. Nach Laffont
war zu erwarteui dass die Vasodilatation auf dem Wege der Splanchnid zu Stande
— 444 —
käme. Durchschneidung derselben widerlegte diese Annahme; hingegen hob Dnrch-
trennnng des untersten Brost- oder des Lendenmarks den Effect anf. Also müssen
die depressorischen Nerven das Rückenmark in der Lendengegend verlassen. Dorch-
schneidnng der Ischiadici, Sapheni, Crurales, Plexus brachiales zeigte, dass der Efltect
fortbestand. Dies beweist, dass die centrifngalen Nerven, welche die Depression be-
wirken, keine Extremitäten- sondern Baacheingeweidenerven sind. Das über die be-
treffenden Yersnche beigefügte Protokoll belegt die gefondenen Thatsachen.
P. Kronthal.
4) Ueber die Innervation der Leber, von Dr. J. Pal, Secundararzt am allgem.
Krankenhause und pr. Assist, am Institute für allgem. u. exp. Pathologie d. Wr.
Universität. (Medicin. Jahrbücher. Neue Folge. 1888.)
Ein sicherer Beweis für die Existenz yascHnotorischer Lebemerren war bisher,
trotz zahlreicher Arbeiten (A. Bemard, Eckhard, Pavy, Schiff, Cyon, Adalofi^ Budge,
Ynlpian) nicht erbracht Verf. ordnete die Versuche folgendennassen an: Zuerst wur-
den sämmtliche Zuflüsse zur Leber abgesperrt, weil durch Beizung der Splanchnici
Milz und Nieren sich contrahiren und so ihr Blut auspressen. P. unterband deshalb
die Aorta thoracica und die Cava unterhalb der Leber. Kymogpraphische Messungen
des Blutdrucks zeigten, dass die Leber während der Splanchnicus-Beizung Blut aus-
pressi Um diese Beobachtung sicher zu stellen, wurden noch Messungen der ans
der Lebervene fliessenden Blutungen angestellt. Dieselben ergaben, dass während
der Beizung der Splanchnici bei Absperrang aller Zuflüsse zur Leber eine Vermeh-
rung des Ausflusses aus der Lebervene stattfindet. Die Vermehrung tritt erst nach
einer Latenz von 5 — 10 See. ein. — Zum Schluss seiner Arbeit wirft Verf. noch
die Frage auf, ob die im Splanchnicus für die Leber verlaufenden Fasern eigentliche
Gefässnerven oder Drüsennerven im Sinne von Stricker und Spina seien. Letztere An-
nahme hat, da die Thatsache, dass die Leberzellen eines Volumenwechsels fähig sind,
feststeht, einige Wahrscheinlichkeit für sich. P. Kronthal.
6) Du noyau d'origine, dans le bulbe raohidien, des flbres motrioes on
oftrdiaques du nerf pnenmogastrique, ou noyau oardiaqne, par J.-V.
Laborde. (Arch. de Physiol. norm, et path. XX. Nr. 4.)
Die Piqüre des sog. Noeud vital hebt die Athmung auf, stört aber die Hen-
thätigkeit nicht; L. hat experimentell eine Stelle zu finden gesucht, deren Zerstörung
die Herzthätigkeit bei fortbestehender Athmung aufhebt. Als Versuchsthiere dienten
vorzugsweise Katzen, die Herzcontractionen wurden graphisch dargestellt Piqüre an
einer bestimmten Stelle in den SeitentheUen des hinteren Drittels der Bautengrube
bewirkte in der That Herzstillstand ohne Athemstillstand. Da auch bei Chloroform-
und Ghloralanästhesie und auch nach Abtragung des ganzen Grosshims, femer nach
Exstirpation des Gkmgl. cervicale inf. und nach totaler Bückenmarksdurchschneidung
unterhalb der Oblongata dieser Herzstillstand durch die Piqüre der Stelle zu erhalten
war, ist der Gedanke an einen reflectorischen HerzstilLitand in Folge von Reizung
benachbarter sensibler Bahnen (radix descend. Quinti) auszuschlieesen. Die ein-
seitige Piqüre genügt, den Herzstillstand herbeizufOhren. Wird die Stelle nicht
mittelst Piqüre gereizt, sondern zerstört, so tritt Beschleunigung der Herzth&tig-
keit ein. Mittelst Hämodynamometers ergab sich, dass der Blutdruck in der Carotis
nach der Piqüre sinkt. Der Herzstillstand selbst ist ein diastolischer. Der Nudens
cardiacus, wie L. die bez. Stelle bezeichnet, entspricht nach der Abbildung des Verf.
dem „vorderen Vaguskem" (N. ambiguus s. lateralis mediuiB) und auch dem NucL
lat. ant. und post. Jedenfalls handelt es sich nach L. ausschliesslich um Vagus -
Fasern. Th. Ziehen.
— 445 —
Psychiatrie.
e) Eiii Fall von oironlfirem Irreseln mit Ausgang In Oenesung, von Frau
Borosdina-Bosenstein. (Wjestnik psychiathi 1 nevropatologii. 1888. V. 2.
Bussisch.)
Die Beobachtimg der Verfasserin betrifft ein 32jähriges Mädchen« welches sich
dnrch Stundengeben ernährte und selbst mit grossem Eifer Naturwissenschaften
studirte. In der Familie der Patientin war l^eine erbliche neuropathische Belastung
nachweisbar. Sie hatte viel mit Entbehrungen und Unannehmlichkeiten verschiedener
Art zu kämpfen« und ihre allgemeine Ernährung war sowohl dadurch, als durch
angestrengte Geistesarbeit sehr geschwächt. Anfangs Februar 1886 begann an ihr
eine tiefe Verstimmung bemerkbar zu werden« sie trug sich mit Todesgedanken und
machte am 19. Februar einen Selbstmordversuch, indem sie sich am Ellenbogen eine
Schnittwunde beibrachte« die jedoch ungefährlich war und bald verheilte. Einige
Tage darauf begann die GemCithsverstimmung zu schwinden« und ziemlich schndl
entwickelte sich aus ihr eine maniakalische Exaltation mit Bewegungsdrang« zu-
sammenhanglosem Geschwätz« gehobnem Selbstgefühl mit erotischem Anstrich. Gegen
Ende März hatte dieser Zustand seinen Höhepunkt erreicht und schlug ^ann wieder
im Laufe mehrerer Tage in tiefe Melancholie mit Selbstmordgedanken um. Seit dem
Anfang der maniakaliBchen Exaltation wurde Patientin in eine Irrenanstalt gebracht
und vom 26. Juli 1886 bis Ende Mai 1887 stand sie in Beobachtung der Verfasserin.
Der weitere Krankheitsverlauf bestand ebenfalls in mit einander abwechselnden mania-
kalischen und melancholischen Zuständen« die jedesmal ziemlich unmittelbar auf ein-
ander folgten und sich in typischer Weise ähnlich waren, abgesehen von der Dauer
der einzelnen Perioden« welche anfänglich grösser war. Im Ganzen wurden 11 aus
melancholischem und maniakalischem Stadium bestehende Cyclen beobachtet. Der
letzte maniakalische Paroxysmus hatte in der zweiten Hälfte des Decembers 1886
stattgefunden; ihm folgte nicht mphr eine melancholische Periode« sondern nach einem
kurzen Depressionsstadium« welches mehrere Tage währte« stellte sich völlige Gene-
sung ein. Das Körpergewicht« welches bei der Aufnahme 95 Pfund betragen hatte«
war allmählich gestiegen und hatte zum Beginn der Genesung 108 Pfund erreicht
Patientin verblieb noch bis Ende Mai in der Anstalt« ohne dass weitere psychische
Störungen eingetreten waren« und wurde mit einem Körpergewicht von 130 Pfund
als geheilt entlassen. P. Rosenbach.
7) Sitofobla da megalopsia In allenato affetto da siflUde oonstittudonale.
Communicazione letta al congresso di Pavia nel settembre 1887 pelDoti Prigerio.
(Archiv, italian. per le malat. nervös, ecc. 1888. XXV. p. 98.)
Sehr hartnäckige Nahrungsverweigerung eines Paranoikers auf Grund eigen«
th&mlicher Gesichtsillusionen: er sah alle ihm vorgelegten Nahrungsmittel in einem
ausserordentlich vergrösserten Maassstabe und obschon er ganz willig immer von
Neuem den Versuch zu essen unternahm« musste er beim Anblick der unförmlichen
vor ihm aufgehäuften Speisemassen beängstigt davor zurückweichen.
Antiluetische Behandlung blieb dieser Erscheinung gegenüber ohne Wirkung,
obschon die anderen Symptome wesentlich gebessert wurden; auch Accommodations-
ansschaltung durch Atropin blieb erfolglos. Ophthalmoskopisch war bleifarbene Trü-
boDg der Betina, sowie vermehrte Füllung und Varicosität der Venen naehweisbar,
die als Zeichen luetischer Beünitis aufgefasst wurden. Sommer.
8) Oontributlon & l'ätude de I'ötat mental des hiröditaires diginiriB^
O. Bailei (Arch. gfo^r. de mäd. 1888. März-April)
— 446 —
B. theilt einige interessante Krankengeschichten mit als Beleg für das Vor-
kommen einiger psychischer Degenerationszeichen bei jenen Individuen, die dauernd
psychisch abnorm, aber nicht eigentlich geisteskrank sind (fons lucides, Tr^t).
Der erste Fall ist ein typisches Beispiel conträrer Sexaalempfindung. Die erb-
liche Belastung, der absonderliche Charakter (Furchtsamkeit, Unentschlossenheit etc.)
und zeitweilig Anfälle von Grübelsucht beweisen dem Verf., dass es sich in diesem
wie in anderen Fällen nicht um eine „monomanie", sondern um ein ,,syndrome ^pi-
sodique de la folie des h^r^ditaires d^g^n^r^s" handelt.
Fall 2. Ein 37jähriger Buchbinder (convergente erbliche Belastung), seit dem
15. Jahre an Migräne leidend, beschränkter Vielwisser, litt vor 4 Jahren an ein-
bis zweistündigen, täglich einmal wiederkehrenden Anfällen von Herzklopfen, Athem-
noth, Hyperidrosis, Aura-Sensationen in der linken Schulter, Steifheit und Taubheit
des linken Arms ohne Bewusstseinsverlust. Nach zeitweiliger Besserung stellte sich
beim Lesen wieder ein Anfall ein mit Herzklopfen, Angst, Globusgefühl und mit
Bewusstseinsverlust, aber ohne Krampfbew^ungen. Ein solcher Anfall wiederholte
sich noch einmal. Alsdann entwickelte sich eine ziemlich typische Agoraphobie. Aus
Furcht vor neuen Anfällen unterliess er jedes Lesen. Sah er ein Buch oder nament-
lich ein ihm noch neues Wort, so überfiel ihn Angst und Herzklopfen mit Schweiss-
ausbruch. Einige Monate später las er auf einem Placat ein Wort, fühlte sich plötz-
lich unbehaglich und musste das Wort fortwährend wiederholen (Obsession de mot).
Schliesslich vergisst er dasselbe trotz des Wiederholens bis auf eine Silbe. Diese
Silbe scheint ihm zur Kehle und zum Gehirn hinaufzusteigen; er stürzt bewusstlos
zusammen. Keine Krampfbewegungen, kein Einnässen. Erst am folgenden Tage
erinnert er sich der dem Anfall voraufgegangenen Dinge. Nach 2 Monaten wieder-
holte sich ein ähnlicher Anfall. Es folgen Selbstmordversuche, ein leichter Beein-
trächtigungswahn entwickelt sich. Nach einem neuen onomatomanischen Anfall stellte
sich eine Parese des linken Arms und Beins ein. Weiter wird eifie Contractur der
rechten Gesichtshälfte constatirt, linksseitige absolute Hemianästhesie. Im Niveau
des 2. Lendenwirbels ein hysterogener Punkt. Leseversuche führen zu Bewusstseins-
verlust. Unter Application eines Magneten zuerst Transfert, dann fast völlige Wieder-
herstellung der Sensibilität. Nur das Muskelgefühl im linken Arm bleibt dauernd
geschädigt. Die Intelligenz und das Gedächtniss haben Einbusse erlitten, Patient
ist reizbar und empfindlich geworden. Auch Anfälle von Zweifelsucht und Arithmo-
manie kommen vor. Sexuelle Impotenz, Schädel missbildet. Bei Leseversuchen stockt
Pat. plötzlich an irgend einem Wort und sagt, seine Zunge versage ihm es auszu-
sprechen; in anderen Fällen sieht Pat., indem er über das Wort hinweg in der Zeile
weiter liest, das Wort auf der Zeile von links nach rechts vorschreiten. Dabei ver-
dunkelt sich das Gesichtsfeld.
B. rechnet den Fall zu der 2. Gruppe der Onomatomanien nach der Eintheilung
von Charcot und Magna-n. Den Bewusstseinsverlt^st am Schluss jeder „crise d'ono-
matomanie'' betrachtet B. nicht als directe Folge der letzteren, sondern als eine ach
in Folge der Angst anschliessende „crise hyst^rique".
Fall 3. 37jähr. Mann, erblich belastet, Syphilis, sexuelle und Alkohol-Excesse
in den Antecedentien. Nach einem psychischen Choc Hyperacusis, dann Ohrensausen
erst links, dann auch rechts, schliesslich auch Hallucinationen des Gehörs. Dieselben
sind durchaus bilateral und bestehen aus kurzen Sätzen imperativen oder persecutiven
Inhalts. Während der hallucinatorischen Anfälle gehorcht Pai den Stimmen, ist sich
aber stets des subjectiven Ursprungs der Stimmen völlig bewusst Zur Zeit^ als die
Gehörstäuschungen bereits bestanden, trat eine 14tägige Eiterung aus dem rechten
Ohr auf. Während dieser Zeit blieben die Hallucinationen aus, nachher kehrten sie
wieder. Spätere Ohrenuntersuchung ergab wesentlich normalen Befund. Zeitweise
hat der Pat. auch leichte onomatomanische Zustände.
Ballet nimmt einen krankhaften Erregungszustand im Centrum der Wortschall-
— 447 —
bilder fAr diese Stimmen an, ebenso wie er die Onomatomanie als einen krankhaften
Erregangsmstand des Centmms der Sprechbewegnngsyorstellnngen ansieht Bezüglich
der Aetiologie der Gehörshallucinationen deducirt B., dass die erbliche Belastung das
einzig fast constant nachweisbar ätiologische Moment ist; alle anderen ätiologischen
Momente sind variabel. Die Otitis des obigen Falles kann nach dem ganzen Verlauf
nicht einmal für das Sausen und die Hyperacusis yerantwortlich gemacht werden,
auch diese sind central. Das vorhandene Erankheitsbewusstsein, die Beschränkung
der Hallucinationen auf das GehOr und der anfallsweise Charakter mit luciden Inter-
vallen kennzeichnen sie als Symptome der erblichen Degeneration, als psychische
Stigmata hereditatis. Th. Ziehen.
8) Iie panie transitorie. Pel Prof. S. Venturi. Studio oritioo, olinioo e
medioo legale ad uso dei medioi e dei giurisperlti. Con prefiasione
del Prof. 0. Lombroso. (Napoli 1888. E. Detken. XII und 94 Seiten.)
Obschon Lombroso selbst an dem epileptischen Charakter aller Fälle transi-
torischer Geistesstörung festhält, hat er doch eine empfehlende Einleitung zu der
verdienstvollen Arbeit Venturi*s geschrieben, der seinerseits für die klinische Existenz
eines selbstständigen transitorischen Irreseins eintritt. Aus der gesammten ihm 'zu-
gänglichen Litteratur hat V. 56 Erankenbeobachtungen, die unter jener Diagnose
veröffentlicht worden sind, ausgewählt und kurz reproducirt. Doch schaltet er von
diesen späterhin wieder 24 aus, da sie in so fem nicht reine Fälle darstellen, als die
betroffenen Patienten schon zu irgend welcher Zeit in ihrem früheren Leben einmal
Zeichen geistiger Abnormität dargeboten Jiaben.
Unter den verbleibenden 32 Fällen, in denen also der transitorische Anfall aus-
nahmslos das einzige Zeichen psychischer Alienation gewesen ist, unterscheidet Y.
nun 6 klinische Gruppen.
Die erste, von der er uns ein (und ein nicht ganz genügend beobachtetes) Bei-
spiel, Nr. XXy, mittheilt, bezeichnet er als „Forma passionale''; sie dürfte dem patho-
logischen Zomaffect auf Grund einer unmittelbar vorausgegangenen Beleidigung etc.
und mit nachfolgendem tiefen Schlaf und mit Amnesie entsprechen.
Von der zweiteh Gruppe, der Forma impulsiva, hat er 6 Fälle: sie kennzeichnen
sich durch eine einmalige sinnlose, gewöhnlich sehr gewaltthätige Handlung, der sich
unmittelbar darauf ein einfaches verwirrtes Delirium von etwa 1 Stunde Dauer und
ohne weitere Neigung zu impulsiven Handlungen anschliesst. In die dritte Gruppe,
die Forma hallucinatoria, verlegt er zwei Fälle, in denen einer plötzlich einsetzenden
Oesichtshallucination ein verwirrtes Delirium folgt. Die 4 FäUe der vierten Form,
der F. somnambulica, entsprechen unseren Schlaftrunkenheitszuständen. Die 2 Fälle
der Forma melancholica stammen aus Biffi's Beobachtung (Nr. XXX Vm u. XXXIX)
und sind wohl charakterisirte transitorische Melancholien mit Angst.
Die maniakaUsche Form gelangt am häufigsten zur Beobachtung. Aus seinen
17 Fällen leitet er folgende Einzelheiten ab:
Mittelbare Prädisposition war 7mal vorhanden und zwar durch Erblichkeit 2mal,
Nervosität 2mal und je Imal durch Eummer, Alkoholmissbrauch und Leidenschaft-
lichkeit. Eine unmittelbare Veranlassung lag llmal vor: schwere Sorgen 4mal,
strahlende Wärme 2mal, und je Imal zu heisser Aufenthalt, Nachtwachen, Excesse
im Essen, in Eaffee und in Wein.
Prodrome waren nur 2mal vorhanden und bestanden in Eopf^chmerz und Druck.
Die Dauer des Anfalls betrug Imal 3, Imal 4, Imal 5, 4mal 6, je 2mal 8,
10 und 12, und je Imal 13, 14, 15 und 24 Stunden.
Die pathologischen Handlungen während des AnfaUs trugen 4mal den Charakter
der Mordsucht, 2mal den der Selbstroordsucht, 7mal den der Gewaltthätigkeit gegen
die umgebenden Personen und 4mai den der einfachen Zerstörungssncht.
Fester Schlaf beendete in allen 17 Fällen die psychische Störung und ebenso
— 448 —
cosstant war nachher vollständige Amnesie vorhanden. Becidive sind nur Smal er-
wähnt und zwar zweimal innerhalb 24 Standen und Imal erst nach vielen Jahren.
2mal war während des Anfalls wahrscheinlich passive und 12mal active Congestion
zum Kopf vorhanden.
Die maniakalische Form erscheint nach dieser Symptomatologie als ein wirklich
selbstständig existirendes klinisches Krankheitsbild. Wie es sich in dieser Hinsicht
mit den anderen Formen verhält, werden erst weitere Beobachtungen entscheiden
können; der abschliessende Schlaf fehlte hier 8mal und die Amnesie 3mal unter
15 Fällen.
Jedenfalls ist diese Monographie Venturi^s eine interessante und empfehlens-
werthe Arbeit.
Man kann übrigens mit Sicherheit annehmen, dass transitorische Irreseinszustände
weit häufiger sind, als man der immerhin zienüich spärlichen Litteratur gegenüber
glauben sollte. Derartige Patienten kommen in die Irrenanstalten aus leicht erklär-
lichen Gründen nur äusserst selten, während man sie in der Privatpraxis und in
Stadtasylen (im Sinne Ghesinger^s) häufiger sehen dürfte. Die melancholische Form
wird sich aber auch dann in den meisten Fällen der ärztlichen Beobachtung entziehen.
Sommer.
10) Inversione e pervertimenti dello istinto sessuale, pel dott. G. Gantarano.
(La Psichiatria. 1887. V. p. 195.)
Mehrere sehr interessante Beobachtungen sexualer Perversität^ von denen be-
sonders der erste und der zweite, der ein kaum djähriges Mädchen betrifft, be-
merkenswerth sind. Zu einem Auszuge eignen sich indess die Besobreibungen nicht
und es muss daher auf das Original verwiesen werden.
Eine Photographie von dem Object der ersten Beobachtung ist beigegeben.
Sommer.
11) Nogle Meddelelser vedrörende direkte Arvelighed af Sindssygdomme,
af Thorvald Eibe. (Hosp.-Tidende. 1887. 3. R, V. 48. 49. 50.)
Die von E. für seine statistischen Untersuchungen benutzten Fälle von directer
Erblichkeit stammen aus der nordjütischen Irrenanstalt Aarhus und sind nur solche,
in denen sowohl die Ascendenten, als auch die Descendenten in der Anstalt behandelt
wurden. Unter den von 1885 — 1887 behandelten ca. 3500 Irren befanden sich 65,
von denen Kinder (62) in die Anstalt zur Behandlung kamen. Die Fälle hat £. in
folgende Gruppen eingetheilt: A. Familien, in denen Ascendenten erblich disponirt
waren (a in direct aufsteigender, ß in nicht direct aufsteigender Linie), und B. Fa-
milien, in denen die Ascendenten ohne Disposition waren.
Das Durchschnittsalter bei dem ersten Anfalle war insgesanunt bei den Asoen-
denten 38,69 J., bei den Descendenten 23,1 J., in der Gruppe A. 36,23 (Ascen-
denten) und 20,51 J. (Descendenten); in der Unterabtheilung a 35,27 und 19,96,
in der Abth. ^ 37,85 und 21,47 Jahre; in der Gruppe B. 43,00 und 28,48 Jahre.
Die disponirten Ascendenten wurden im Durchschnitt 6,77 J. früher befallen, als die
nicht direct Disponirten. Die Descendenten der disponirten Ascendenten erkrankten
7,97 J. früher als die der nicht disponirten, die Descendenten der direct disponirten
Ascendenten 1,5 J. früher als die andern.
Je grösser die Anzahl der geisteskranken Generationen war, desto früher trat
der 1. Anfall bei den Descendenten auf, bei den männlichen Kranken durchschnittlich
früher als bei den weiblichen. Bei den Descendenten spielten Pubertätspsychosen
die Hauptrolle, die Hälfte erkrankte bis zum Alter von 20 Jahren, ^/g im Alter von
20—30 Jahren.
Von den Descendenten wurden 71 7o ^^^ 29 ^/^ nach dem Ausbruche der
Geisteskrankheit bei dem Ascendenten geboren; das Durchschnittsalter der Ascen-
— 449 —
deDten bei der Gebort der Descendenten war in der (xrappe A. 33,7, in der Gruppe 6.
29,8 Jalire.
Fflr die Feetstelliing des Verhältnisses der Form und des Verlaufs der Psychosen
bei den Ascendenten und den Descendenten konnten Ton den 72 Fällen nur 48 ver-
wttrthet werden, weil die Fälle ausgeschlossen werden mussten, bei denen die Dis-
position von beiden Eltern zugleich ererbt war. In 8 von diesen 48 Fällen war die
Form der Psychose dieselbe bei dem Ascendenten und Descendenten (Melancholie,
acute Verwirrung in je 3 Fällen, circuläre Psychose, Manie in je 1 Falle), in den
übrigen 40 Fällen war sie verschieden. Im Allgemeinen ist das Krankheitsbild bei
den Ascendenten reiner und typischer als bei den Descendenten. Besonders bei den
Pubertätspsychosen mit raschem Uebergange in Demenz zeigt es sich, dass accumu-
lative Disposition atypische Formen erzengt.
Sowohl von den Ascendenten als von den Descendenten kommen die am stärksten
disponirten am leichtesten über den ersten Anfall hinweg, aber bei ihnen sind Bück-
fälle häufiger. Genesung im Allgemeinen kommt häufiger vor bei den Descendenten
als bei den Ascendenten; dass bei letzteren scheinbar mehr Rückfälle vorkommen
als bei den ersteren liegt daran^ dass die Zeit der Beobachtung des Verlaufs bei
ersteren länger ist.
Von den 62 Descendenten trat bei 44 (71 ^/q) der 1. Anfall zur Zeit der
Pubertät auf, bei 31 (70 ^/q) von diesen ging er in Genesung über (Bückfälle bei
65 ^/q, Ausgang derselben in Genesung in 65 ^/q), bei demjenigen aber, bei denen
der 1. Anfall nach der Pubertät auftrat, ging er nur in 6 Fällen (33 ^o) ^ Heilung
über (4 Rückfälle, davon 1 geheilt). Bei den Pubertätspsychosen giebt wieder die
jüngste Altersklasse die günstigsten Resultate. Zum Theil kommen allerdings diese
günstigen Heilungsverhältnisse auf Rechnung des ümstandes, dass bei den Descen-
denten noch ein verhältnissmässig grösserer Theil des Verlaufs in der Zukunft liegt,
aber es scheint doch festzustehen, dass das Pubertätsalter, besonders das frühere,
gute Aussichten für die Heilung bei Disponirten in direct aufsteigender Linie bietet.
Die Heilungsverhältnisse sind am günstigsten bei denjenigen Descendenten, die vor
dem Ausbruche der Psychose bei den Ascendenten geboren wurden. Heilung trat
ein bei 59 ^/q der von- der Mutter aus, bei 43 ^/^ der vom Vater aus und bei 28%
der von beiden Eltern aus disponirten.
Auch bei den Ascendenten waren die Heilungsverhältnisse am günstigsten bei
den Disponirten, und zwar bei den am stärksten Disponirten; günstiger bei Frauen
als bei Männern. Walter Berger.
Therapie.
12) Bulfönal, ein neues Sehlafinittel, von Prof. A. Käst in Freiburg i. B. (Berl.
klin. Woch. 1888. Nr. 16. 8. 309.)
Sulfonal, eine Verbindung des Aethylmercaptans mit Aceton, von Baumann
Diäthylsulfondimethylmethan, von der darstellenden Firma Bayer mit obigem ein-
fachen Namen benannt, wurde von Verf. zuerst an Hunden und später bei gesunden
and kranken Menschen auf seine Wirkung geprüft, welche dahin zusammengefasst
werden kann: Das Sulfonal ist kein Betäubungsmittel wie das Chloral und das
Opium, es äussert durchaus keine schädlichen Nebenwirkungen auf Herz- und Ge<
fässsystem (Verf. hat dies durch Experimente an Thieren und am Menschen erwiesen),
sein Gebrauch hat keine üblen Folgen, wie man sie mit dem Namen „Katzenjammer"
zusammenfassen kann, es unterstützt das normale Schlafbedflrfniss und
ruft es da, wo es fehlt, hervor. In Folge dessen wird Sulfonal (Dosis 1,0)
Verwendung finden in allen Fällen von nervOser Schlaflosigkeit, wobei als be-
merkenswerth hervorgehoben werden muss, dass sich die Wirkung des Mittels auch
— 460 —
bei häufiger Wiederholung nicht erschöpfen solll In zweiter Beihe kommen ZustSnde
Yon Schlaflosigkeit in Folge von organischen Leiden wie Himkrankheiten aller Art,
Herzfehlern, Arteriosderose, Phthisis u. s. w. in Betracht. Verf. führt eine Beihe
solcher Fälle an, in denen Sulfonal vortreffliche Dienste geleistet hat.
In der Gruppe der Disulfone hat das Sulfonal nach des Verf. Untersuchongen
allein die Berechtigung, therapeutische Verwendung zu finden. Sperling.
13) lieber die Wirkung des Sulfonals, von Dr. G. Babbas. Aus der psychia-
trischen Klinik zu Marburg i. H.. (Berl. klin. Woch. 1888. Nr. 17. S. 330.)
Die Anwendung des Sulfonals als Schlafmittel bei Geisteskranken hat durchaus
gute Besultate gehabt. In der Dosis von 2,0 — 3,0 wirkt es besser als Amylenhydrat
und Paraldehyd in grosseren Dosen; der durch Chloralhydrat, freilich schon nach
kürzerer Zeit eintretende Schlaf (durch Sulfonal nach ^/j, seltener nach 1 — 2 Stunden)
ist nicht so anhaltend. Auch bei Leuten, die an Narcotica gewöhnt sind, ist die
Wirkung des Sulfonals erfolgreicher. Das Mittel ist geruch- und geschmacklos, wird
von den Patienten gern genommen und zeichnet sich dadurch aus, dass es gar keine
unangenehmen Nebenwirkungen hat, insbesondere auch nicht auf Herz und <}efös8-
System. Die 27 Fälle, in welchen es Verf. 220mal angewandt hat, sind zum grössten
Theil Manien und Melancholien, zum kleineren hysterische Psychosen und Paralysen.
Fast überall führt die genannte Dosis des Mittels 5 — Sstündigen erquickenden Schlaf
herbei und wirkt sogar bei den aUerschlimmsten maniakalischen Zuständen, wo Chloral
und Paraldehyd schon versagt hatten. Ein Fall von Dementia paralytica scheint
besonders bemerkenswerth, da hier die ersten Gaben weniger oder gar keinen, die
späteren hingegen vortrefflichen Erfolg hatten. Einige Fehlschläge sind natürlich
auch hier beobachtet. Sperling.
14) Zur kliniBOhan Würdigung der Sulfoxialwirkung, von Dr. Jul. Schwalbe.
Aus dem städt. allg. Krankenhause Friedrichshain, AbtheUung des Prof. Für-
bringer. (Dtsch. med. Wochenschr. 1888. 25.)
Verf. hat das Sulfonal bei 50 Kranken angewendet, 29 Männern, 17 Frauen,
4 Kindern, bei acuten und chronischen Krankheiten verschiedenster Art, in Dosen
von 1 — 2 — 3 Gramm. Das Mittel erzielte in 66% der Fälle eine gute Wirkung
nach ^8 bis 3 Stunden, eine mangelhafte in 10 ^/q, eine schlechte in 24%. Die
schlechten Wirkungen fanden sich besonders da, wo die Grundkrankheit — durch
cerebrale Störungen, Schmerzen, Husten u. s. w. — die Ursache der Schlaflosigkeit
abgab, während bei rein nervöser Schlaflosigkeit in 90,3% eine volle und
gute Wirkung erzielt wurde, und zwar, wenn das Mittel zur gewöhnlichen Schlafens-
zeit (9 Uhr Abends) gegeben wurde; Sulfonal ist ein Hypnoticum, kein Narcoticum.
Verf. resumirt:
1. Das Sulfonal in reiner Form ist wegen seiner Geruch- und Geschmacklosig-
keit ein angenehmes Medicament
2. Es wirkt als Hypnoticum in Fällen von „nervöser" Schlaflosigkeit in der
Dosis von 1 — 2 Gramm mit annehmbarer Promptheit.
3. Das Sulfonal alterirt weder Temperatur, noch Puls, noch Respiration und
verdient deshalb — den Vorzug vor Morphium und Chloral — da, wo man Herz-
schwäche befürchten muss. Es dürfte namentlich auch bei Kindern zu verwenden sein.
4. Die Nebenwirkungen (Schwindel, Mattigkeit, Eingenommensein des Kopfes,
Uebelkeit, Erbrechen, Diarrhö) traten nur in 12 ^/^ der Fälle auf, sind geringfügig
und dürften im Allgemeinen eine Contraindication nicht abgeben. Hadlich.
— 451 —
10) neber Salfoxial (Bayer), von Dr. A. Langgaard and Dn S. Babow.
(Therap. Monatshefte. 1888. Kr. 5. S. 2B7.)
' Kurze, selir klare Angaben über die Zusammensetzung, Darstellung, Eigenschaften
und Wirkung des von Baumann 1886 zuerst dargestellten, von Bayer (Elberfeld)
sogenannten Sulfonals. In Bezug auf die Wirkung, die hier am meisten interessirt,
stimmen alle Beobachter erfreulicherweise in ihren Erfolgen überein. Die Verfasser
machen darauf aufmerksam, dass es vor allem auf die absolute Reinheit des Präpa-
rates ankommt; es soll vollkommen geruch- und geschmacklos sein und bei 130 bis
131^ C. schmelzen. Eine auch nur geringe Verschiebung des Schmelzpunktes beein-
trächtigt die Wirkung. Man wird daher gut thun, sich bis auf Weiteres bei der
Verordnung des Ausdrucks Sulfonal (Bayer) zu bedienen. Sperling.
16) Ueber das Phenaoetin, von Prof. Dr. Bumpf in Bonn. (Berl.klin.Woch.
1888. Nr. 23. S. 457.)
2^hlreiche Versuche mit dem neu eingeführten Mittel sprechen sehr zu Gunsten
desselben.
Als Antipyreticum setzt es in 2 — 3 Stunden die Temperatur um 2^ herab.
Als Antineuralgicum hat es dem Verf. in 8 Fällen von Hemicranie ohne Aus-
nahme vortreffliche Dienste geleistet (nach Bedarf Dosis von 1,0); auch bewährte
es sich unter 3 Fällen von neurasthenischem Kopfschmerz zweimal und soll die un-
angenehmen Folgen der acuten Alkoholintozication mildem.
Weniger günstig sind die Erfolge bei den verschiedenen Neuralgien. Immerhin
trat unter 10 Fällen einmal eine Heilung und fünfmal eine Besserung der Symptome
ein, während in 4 Fällen (2 Ischias, 1 Intercostalneuralgie, 1 Angina pectoris) das
Mittel durchaus wirkungslos blieb. Es ist dabei bemerkenswerth, dass auch solche
Fälle, die offenbar eine anatomische Ursache zur (xrundlage hatten, beeinflusst wurden.
Von sehr grosser Wichtigkeit erweist sich die Wirksamkeit des Mittels gegen
die Neuralgien bei Tabes; bei 3 damit behandelten Fällen brauchte kein Misserfolg
▼erzeichnet zu werden, dagegen half es nichts gegen die Schmerzen, die in einem
Falle durch Myelitis transversa hervorgerufen waren.
Auch bei Neuritis konnte unter 4 Fällen dreimal guter Erfolg von dem Phenacetin
gesehen werden.
Verf. fasst seine Ergebnisse zusammen:
1) Das Phenacetin ist ein sicher wirkendes und von unangenehmen Neben-
erscheinungen freies Antipyreticum, das bei Erwachsenen in der Dosis von 0,6, bei
Kindern in solcher von 0,2 — 0,25 sich empfiehlt.
2) Das Phenacetin kann in der Dosis von 1,0 als Antineuralgicum empfohlen
werden :
a) in allen Fällen vasomotorischer Neurosen;
b) gegen die lancinirenden Schmerzen der Tabes und die Neuralgien bei chro-
nischer Neuritis;
c) als Linderungsmittel bei den verschiedenen Neuralgien. Sperling.
HL Aus den Oesellsohaften.
•^TTT, Congress italienisoher Aerzte zu Pavia, vom 19.~26. Sept. 1887.
Berioht über die Sitsnngen der Seotion für Neurologie, Psychiatrie und
gerichtliche Medioin von Dr. PetrasaanL
(Rivisi speriment. di Freniatria ecc. 1888. XUI. p. 207.)
Unter den zahlreichen Yortr&gen, die zum Theil noch ausführlicher werden ver-
öffentlicht werden, seien hier vorläufig die folgenden erw&hni
— 452 —
Marchi untersuchte den ferneren Verlauf der Fasern der Goll'scben Stränge
und fand, dass nach Dürchschneidung derselben die aufsteigende Degeneration bis in
die graue Substanz am unteren Theil des Bodens des vierten Yentrikelfl zu yerfolgen
sei, während die unteren Eleinhimstiele völlig intact blieben.
Bernardini wendete die bekannte Golgi*sche ,,schwarze Beaction" auf die Binde
patholog^cher Gehirne an und fand, dass bei Paralyse die Ganglienzellen, speciell
der ersten und der zweiten Schicht, verkleinert, dass ihre Frotoplasmafortsätze dünner,
starrer und weniger verzweigt als sonst sind, und dass ihre Axencylinderforts&tze
ebenfalls verdünnt, sonst aber normal erscheinen. Bei Epilepsie ist die Grösse und
die Form der Ganglienzellen sowie ihrer Protoplasmafortsätze durchaus normal, während
die Axencylinderfortsätze nur ausserordentlich wenig Verzweigungen aufweisen.
Frigerio verlegt mit Ferrier das Biechcentrum in das Ammonshom, da er
bei einem Patienten, der in Folge einer Schussverletzung des Kopfes in Paranoia
mit Gefühls- und Gehörstäuschungen, speciell aber mit Hallucinationen des Geruchs,
verfallen war, eine hochgradige Atrophie des linken Ammonshomes fand.
Bianchi und Armanni führen die häufigen Terminal-Pneumonien bei Para-
lytikern auf eine in allen untersuchten (11) Fällen nachgewiesene Neuritis des Vagus
zurück und betrachten sie als Fremdkörperpneumonien, welche durch die in Folge
jener Degenerationen bedingten Lähmungen der Pharynx-, Larynx- und Bronchial-
musculatur entstehen und die durch die ebenfalls vom Vagus aus hervorgerufenen
Störungen der Herz- und Athmungsthätigkeit klinisch modificirt werden.
Bianchi weist femer darauf hin, dass bei Paralyse die periphenschen Nerven,
besonders die motorischen, sehr häufig ausgedehnte Degenerationen zeigen, ohne dass
in den zugehörigen Kernen resp. Oentren entsprechend deutliche Störungen zu er-
kennen wären; er hält daher manche Symptome, wie Tremor und Dysarthrie, viel-
leicht für — anfänglich wenigstens — peripher bedingt.
Cionini untersuchte die Dicke der Hirnrinde bei 15 Fällen von ParaLyse, in-
dem er bei jedem Hirn je 50 Messungen im Vorderhim, in beiden Centralwindni^^n
und im Hinterhim vornahm. Er fand zunächst eine allgemeine Verschmälernng der
gesammten Binde, bei weitem am bedeutendsten in der hinteren Oentndwindung, und
in abnehmender Beihenfolge in der vorderen Gentralwindung, im Vorderhim und end-
lich im Hinterhirn; die Verschmälernng ist in der linken Hemisphäre weniger aus-
gesprochen, als in der rechten, und im Uebrigen werden die Besnltate Contrs an
normalen Gehirnen bestätigt; die Binde in der Tiefe der Furchen, die der Basis und
der Medianflächen ist also unter sonst gleichen Verhältnissen schmäler, als die der
Windungen und die der Convexität.
Vizioli sprach über halbseitige Gesichtsatrophie und konnte einen neuen Fall
beschreiben. (Mädchen von 15 — 20 Jahren nicht neuropathisch belastet; im 10. J.
Abmagerung beider Gesichtshälften, ohne Betheiligung des übrigen Körpers, bald
wieder normale Emährang der rechten Gesichtshälfte, während die linke im Gebiet
des 2. und 3. Trigeminusastes um ^/j zurückblieb. Epidermis, deren Sensibilität,
Schweisssekretion, Behaarang, ferner Contractilität etc. vollkommen gleich auf beiden
Seiten.)
Gasperini bringt eine neue Theorie über die Entstehung der Gesichtsneural-
gien, indem er dieselben als reflectorisch ausgelöst durch zahlreiche kleine dicht bei
einander stehende ülcerationen der Mund- und Zungenschleimhaut der ergriffenen
Seite betrachten möchte.
Pianetta spricht über Psychosen bei Idioten und Imbecillen. In der Anstalt
zu Imola hat er 114 Imbecille beobachtet, von denen sich 51 als einfach dement
und mhig, 44 als dement mit gelegentlicben Tob- und Erregungsanfällen erwiesen,
während die übrigen 19 eine ausgesprochene Psychose erkennen Messen, die sich erst
secundär auf dem Boden der Imbecillität entwickelt hatte. Von diesen 19 waren
— 458 —
10 (6 m. und 4 w.) als maniakalisch; 8 (3 m. und 5 w.) als melancholisch und
1 als paranoisch zu betrachten. Alle diese Erkrankungen betrafen übrigens nur
leichtere Zustände von Imbecillität und führten schnell zur tiefen Verblödung.
Sommer.
New York Neurologioal Sooiety. Sitsung vom 6. Mars 1888.
Es sprachen u. A.: Dr. Dana über einen atypischen Fall von Thomsen'scher
Erkrankung.
Das Eigenartige dieses Falles lag darin, dass der 35jähr. Fat. erst seit seinem
20. Lebensjahre den bekannten Symptomencomplez darbot und ausserdem eine ge-
wisse geistige Verwirrtheit erkennen liess, so dass an einen erworbenen, zunächst
central begründeten Zustand gedacht werden musste. Die mikroskopische Unter-
suchung eines Maskelstückchens aus dem Supinator longus ergab Vermehrung der
Kerne und der Fasern, von denen die einen die Durchschnittsbreite überstiegen,
andere aber nicht erreichten, femer Vergrösserung der Muskelkörperchen und (zweifel-
hafte) dichotomische Theilung der Fasern. Femer zeigte dich an dem Patienten
Steigerung der mechanischen und elektrischen Erregbarkeit der Muskeln, nicht der
Nerven, sowie die Erhasche Beaction.
Es schloss sich eine ziemlich lebhafte Discussion darüber an, ob der Fall über-
haupt dem Begriff der Thomsen'schen Krankheit zu unterstellen sei.
Dr. Starr legte einen Hirntumor von Hühnereigrüsse vor, der sich in der
Leiche einer 56jährigen Frau gefunden hatte, und der von der Unterfläche des Ten-
torium ausgehend lediglich die eine Hemisphäre des Kleinhims comprimirt hatte. Die
Krankheitsdauer hatte 2 Jahre betragen, die Symptome hatten nur in zunehmender
Benommenheit, in Schwindel, Erbrechen und Neuritis optica bestanden.
Dr. J. West Boosevelt sprach endlich über Morbus Basedowii, woran
sich ebenfalls eine längere Discussion, u. A. über das Vorkommen des Graefe'schen
Symptoms, über die Möglichkeit, durch elektrische Behandlang die Herzthätigkeit
herabzusetzen, und über die starke Verminderung des elektrischen Widerstandes
anschloss. Sommer.
The Philadelphia Neurologioal Sooiety. Sitzung vom 28. Januar 1888.
(Joum. of nervons and mental disease. 1888. p. 203.)
Es sprachen u. A.: F. X. Derkum, über einen Fall von Duracholesteatom (cf.
d. Ctribl. 1888. S. 358.)
Dr. Osler stellte einen Fall von „localer Asphyxie'' (Bäynaud's Krankheit) vor,
in dem die Endphalangen des linken 2., 3. und 5. Fingers durch eine ganz scharfe
Demarkationslinie von den übrigen Partien abgegrenzt, marmorweiss und eiskalt waren.
Er erklärte diese „Asphyxie" durch vasomotorischen Krampf, vielleicht in Folge von
directer Einwirkung bedeutender Kälte, und sieht „Frostbeulen" als Resultat einer
vasomotorischen circamscripten Lähmung an.
Dr. E. N. Brush und Dr. E. T. Bruen demonstrirten alsdann je einen Fall
von Porenkephalie.
Der eristere betraf einen hereditär belasteten 67jährigen Mann, dessen linke
Körperhälfte beraits bei der Geburt weniger entwickelt und auch später im Wachs-
thum beträchtlich zurückgeblieben war. Im 9. Jahre schweres Kopftrauma mit hef-
tigen Kopfschmerzen; im 46. Jsihre Sonnenstich. 6 Monate vor der Aufnahme wurde
der immer etwas reizbare Mann von dassischer progpressiver Paralyse ergriffen und
starb nach einjähriger Dauer des Leidens.
Bei der Section fand sich neben chronischer Pachyleptomeningitis und hoch-
gradigem Hydrokephalus extemus ein grosser Defect des rechten unteren Scheitel-
— 454 —
lappens, so daes ein grosser Theil der liinteren Centralwindang, der hintere Abschnitt
von Tj nnd der vordere Theil von 0] and 0^ nnd ganz Pj durch eine onregelmässige
Cyste, die mit dem dilatirten rechten Hinterhom communicirte, ersetzt waren. Dabei
war die rechte Hälfte des Cerebellum stärker aasgebildet als die linke, und die dem
Anschein nach intacten Windungen der rechten Hemisphäre waren weniger entwickelt,
als die entsprechenden der linken. Die Differenz beider Hemisphären ohne Liquor
betrug 260 g.
Der zweite Fall betraf eine d2jährige Frau, über deren Vorleben leider nichts
mitgetheilt worden ist. Hier fanden sich je zwei submeningeale Cysten zu beiden
Seiten der grossen Langsspalte des Hirns. Die rechts gelegenen hatten die Grösse
einer Wallnuss und hatten einen tiefen Defect in der Convezität des Hinterhims
und z. Th. auch des Scheitelhims hinterlassen; die der linken Seite waren viel
grösser und zwar nahm die eine von 3 : 1 ThW Durchmesser das Hinter- und Scheitel-
him ein, während die andere von 2:'/^ Zoll Durchmesser auf das Occipitalhim be-
schränkt war. Dabei war die ganze linke Hemisphäre beträchtlich in der Entwlcke-
lung zur&ckgeblieben und die an die Cysten angrenzenden Windungen waren atrophisch
verschmälert.
In der Sitzung derselben GeseUschaft am 27. Februar 1888 wurden u. A. fol-
gende Vorträge etc. gehalten.
Dr. W. Osler über excessive venöse Stauung in Folge mechanischer Arbeit
einer Extremität. Der Patient zeigte, sobald er auch nur kürzere Zeit mit dem
rechten Arm gearbeitet hatte, eine bedeutende Anschwellung desselben, z. B. des
Vorderarms um 1^2 ^^^ i™ Umfang; dabei wurde die Extremität durch Capillar-
injection livid und die Venen sprangen als dicke Stränge hervor, während der Arterien-
puls kaum fühlbar war. Es war weder eine Herz- noch eine Gefässerkrankung nach-
zuweisen; die Drüsen der Achselhöhle waren völlig normal und es musste daher an
eine regulatorische Störung der Blutznführ im Anschluss an deren physiologische
Vermehrung in Folge der geleisteten Arbeit gedacht werden.
Dr. James Hendric Lloyd besprach einen ausserordentlich rapid verlaufen«!
Fall von Morbus Basedowii bei einer 39jährlgen Dame, die etwa 6 Monate vor der
terminalen Erkrankung ein nicht mehr genauer zu beschreibendes Leiden mit gastri-
schen Symptomen und Exophthalmus überstanden hatte, seitdem aber für völlig genesen
gehalten worden war. Sehr heftiger Brechdurchfall führte am ersten Erkrankungs-
tage zur Diagnose „Cholera nostras", doch wies eine genauere Untersuchung beim
zweiten Besuche einen anfänglich vielleicht übersehenen, vielleicht aber auch erst
entstandenen Exophthalmus mit Struma, Cyanose, Puls von 170 — 210, und höchst-
gradiger Prostration nach und am dritten Tage trat unter den Erscheinungen der
Herzparalyse der Tod ein; die Psyche war bis zuletzt vollkommen intact.
Die Seotion musste sich leider auf die Brust- und Bauchorgane beschränken und
ergab kein verwerthbares Resultat. Sommer.
Sooiätö mödioale des hopitaux, Paris. Sitsuiig vom 24. Febro^ 1888.
Herr Gilbert Ballet „über Lähmung bulbärer motorischer Nerven bei dem
Morbus Basedowii". Dass das Erankheitsbild der Maladie de Graves bisweilen recht
complicirt ist, beweist folgender Fall: Es besteht eine Lähmung aller Augenmuskeln
bei erhaltener Reaction der Pupille auf Licht und Nahesehen; aber während der
Patient ganz unföhig ist, willkürlich die Augen zu bewegen, bemerkt man — wenn
die Aufmerksamkeit des Kranken abgelenkt ist — leichte spontane Schwankungen
der Bulbi. Femer findet sich Lähmung der beiden Faciales und beim Schlucken
)[ommt ofb Flüssigkeit durch die Nase zurück; die Kiefer- und Zungenbewegangen
-^ 455 -
schienen normal zu sein. Die L&hmangen betreffen also das 3., 4., 6. und 7. Him-
neryenpaar, doch sind in anderen Fällen (bei F^räol, MGbius, F. Warner, Jen-
drassik, Potain) theils diese, theils auch das 5. und 12. Paar betroffen.
Hadlich.
Sooiätö firanfaiae d'ophihalmologie. Mai 1888.
Herr Picqu^ „ther Pupillenbewegungen". Die nervOse Natur der PupiUen-
bewegnng ist, trotz Chauveau's neuer Untersuchungen, wohl sicher; aber wie
wirken die düatirenden Nerven? Manche Autoren bestreiten die Existenz dilatirender
Muskelfasern; Franck nimmt eine hemmende Wirkung der dilatirenden Fasern auf
den N. oculomotorius an. P. hat in einer Beihe von Experimenten gefunden, dass
die maximale Dilatation der Pupille erst eine gewisse Zeit nach dem Eintritt der
Beiznng zu Stande kommt und schliesst hieraus, dass es sich um eine Muskelwirkung
bei der Dilatation handele.
In der darauf folgenden Discussion bemerkt Abadie, dass man durch neuere
Momentphotographien der Pupille ermittelt habe, dass sie im Dunkeln maximal er-
weitert ist; das spreche gegen eine musculare Grundlage der Pupillendilatation und
ffir Ohauveau.
Picqu^ erwidert, dass die Thatsache der maximalen Dilatation der Pupille in
der Ruhe die Existenz dilatirender Nerven — welche Franck nachgewiesen habe
— nicht ausschliesse; jedenfalls seien die Pupillenbewegungen nicht von dem Zu-
sta&d der Qefässe, wie Chanveau es wolle, bedingt. Hadlich.
Aoadämie des aoienoes, Paris. Sitsung vom 4. Juni 1888.
Emile Berger: „Untersuchungen Aber Augenerkranknngen bei Tabes dorsalis."
Dieselben beziehen sich auf 109 Kranke, von denen 47 7o syphilitisch waren; 26 ge-
hörten dem PrüLstadium, 50 dem atactischen, 33 dem paralytischen Stadium an. —
H&nftg fand B. eine Spannungsverminderung des Bulbus und zwar am häufigsten
im Frühstadium. — Eine leichte Verengerung der Lidspalte durch L&hmung
der glatten Muskelfasern der Augenlider (Jacobson) bestand in 42 Fällen, theils ein-,
theils do{^lseitig; 17mal war gleichzeitig Myosis vorhanden. — Ein ferneres
Symptom ist die Deformation der Pupille, welche sich elliptisch zeigte, den
grossen Durchmesser meistens von aussen-unten nach innen-oben gerichtet (14mal),
seltener (llmal) quer oder anders; in 32 weiteren Fällen hatte die Pupille eine
unregelmässige Form, und fast immer bestand gleichzeitig Myosis. B. urtheilt hier-
nach, dass die Myosis der Tabiker keine spastische ist, sondern eine paralytische,
auf Gefässparalyse der Lris beruhend, besonders auch deshalb, weil sehr oft eine
Accommodationslähmung gleichzeitig besteht. — Alle diese geschilderten Symptome
— Myosis, Spannungsverringerung, Lidspaltenverengerung — entstehen auch nach
Durchschneid Qug des Sympathicus; pathologische Veränderungen des Sympathicus
haben Vulpian*s Schfiler bei Tabes gefunden. — Die eigentliche Ursache der Stö-
rungen liegt jedoch im Bückenmarke, von welchem aus sie nur auf den Sympathicus
übergeleitet werden.
Sitzung vom 11. Juni 1888.
Just Lucas-Championnidre: „lieber die Unschädlichkeit der Eröffnung des
Schädels und die therapeutische Verwerthung derselben." Er hat seit dem 15. Oci
1885 15 Trepanationen gemacht, abgesehen von 5 weiteren Malen bei frischen Ver-
letzungen. Alle 15 Trepanationen sind glatt geheilt Die Indicationen bestanden
in unerträglichen Schmerzen (6), wegen Schwindel (4); an einem Kranken wurde
3mal die Trepanation gemacht; die Besultate waren meistens gute. Die Operation
— 456 —
bei Epileptikern (4) und bei einem Uemiplegiker hatte wenig Erfolg. Die Einwir-
kungen der Trepanation waren so geringe, dass mehrere Operirte schon am 4. Tage
das Bett verliessen; auch die Vemarbung ging sehr gut von Statten, obwohl mehr-
mals Oefihungen von 7 — 8 cm Länge und 3 — 4 cm Breite angelegt waren.
Hadlich.
Sooiätä mädioale des höpitaux, Paris. Sitsung vom 8. Joni 1888.
Gilbert Ballet theilt 3 Fälle mit, in denen Spasmen, schmerzlos, etwa zwei
Minuten dauernd, bei Leuten auftraten, die an chronischem Gelenkrheumatismus litten;
und zwar fanden sich die Krämpfe an Muskeln, welche die erkrankten Gelenke
(Schulter und Ellenbogen, Kiefergelenk, Tarsalgelenk) bewegten. B. meint, dass eine
durch das rheumatische Leiden bedingte Uebererregbarkeit der Medulla spinalis resp.
der Med. oblongata den Krämpfen zu Grunde liege; um diese letzteren zu beseitigen,
müsse man den chronischen Rheumatismus heilen. Hadlich.
IV. Bibliographie.
Die Krankheiten des Kehlkopfes. Mit Einsohluss der IjBxyngoBkopie und
der looal-therapeutisohen Technik für praktische Aerste u. Studirende,
von Dr. J. Gottstein, Docent an der Universität Breslau. Mit 89 Abbildungen.
2. verbesserte und sehr vermehrte Auflage. (Leipzig und Wien, Franz Deuticke,
1888. 336 Seiten.)
Das hier angezeigte Buch ist für den Neuropathologen von besonderem Interesse,
weil es nicht blos die Neurosen des Kehlkopfs in erschöpfender Weise (S. 179—230)
behandelt, sondern in sehr dankenswerther Weise in den beiden letzten Capiteln den
Zusammenhang der Larynxaffectionen mit cerebralen Erkrankungen (S. 298 — 320)
und mit spinalen Erkrankungen (S. 320 — 381) erörtert. Verf. bezeichnet diesen
letztem Theil seiner Arbeit als einen „vorläufigen Versuch", das schwierige Gebiet
ist aber mit beinahe erschöpfender Litteraturkenntniss und guter Kritik so dai^estellt,
dass auch die Neuropathologie durch diese Bearbeitung eine werthvolle Bereicherung
erhält, die selbstverständlich im Einzelnen studirt werden muss. Erwähnt soll nur
werden, dass speciell hervorgehoben werden die mit Enkephalomalada, mit Hirn-
tumoren, mit progressiver Bulbärparalyse, mit multipler Sklerose, mit Himsyphilis,
mit Tabes, mit amyotrophischer Lateralsklerose und progressiver Muskelatrophie in
Zusammenhang stehenden Kehlkopfaffectionen.
V. Vermischtes.
Hermann hat Versuche über das Verhalten thierischer Theile im magnetischen Feld
eines grossen Elektromagneten angestellt. Auch unter den günstigsten TJmständen war
nicht die geringste physiologische Wirkung des Magneten nachweisbar. Aach subjective
Empfindung irgend welcher Art traten im magnetischen Feld niemals ein, in das letztere
gebrachte Tbiere zeigten keinerlei Beactlon. An die Mitthcilang dieser Versuche schliosst
[. eine scharfe Kritik der magnetischen Experimente an Hysterischen und Hypnotisirten;
er knüpft dabei besonders an Obersteiner's vor Kurzem erschienene Schrift an (Pflüger's
Archiv. XLni. H. 5 u. 6). Th. Ziehen.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen fär die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20.
Verlag von Vbit & Cour, in Leipzig. — Druck von Metzobb & Wimo in Leipzig.
Neurologisches Centr albuh
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter ' « Berlin. Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes» die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1888. 15. Allgast M 16.
Inhalt. I. Origlnalmlttheilung. 1. Ein klinischer Beitrag über den Verlauf des Ge-
schmacksnerren, von Dr. Philip Zenner. 2. Seltene Symptomencompleze bei Nervenkranken,
von Prof. Fr. Sclittltze (Schluss).
II. Referate. Anatomie, l. Ueber die Lymphwe^e des Gehirns, von Rottbach u. Sehr-
wald. 2. Sulla istogenesi della retina e del nervo otüco, per Falchl. — Experimentelle
Physiologie. B. Experimentelle Untersuchungen zur Amblyopiefrage, von MDIIer-Lyer. —
Pathologische Anatomie. 4. Ueber multiple Anglosaroome der Pia mater spinalis mit
hyaliner Degeneration, von Gramer. 5. Diffuse Sarcoma of the spinal Pia mater, by Patfeur,
Ormoford and Hadden. 6. Multiple Cancer, by Coatt. 7. Primary Cancer of brain, by Coats.
— Pathologie des Nervensystems. 8. Note sur un cas d'athätose double, par Blocq
et Blln. 9. Des paralysies dans la dysenterie et la diarrhöe chronique des pays chauds, par
Pugibet. 10. Demonstration eines Kranken mit symmetrisch localisirten oberflächlichen Haut-
entzündungen und gleichzeitig auftretenden Lähmungszuständen auf infectiöser Basis, von
Ebstein. 11. Beitrag zur Lehre vom Merycismus, von Alt. 12. Contribution a l'ötude de la
paralysie atrophique de l'enfance ä forme h^mipl^gique, par Dejerlne et Huet. 18. Infantüe
paralysis limited to the bulbar nuclei with permanent paralysis of half the face and tongue,
by Pasteur. 14. Ueber paralytische Luxationen der Hüfte, von Karewtkl. 15. Ueber Muskel-
atrophie bei Gehirnerkrankungen, von Qulnice. 16. Ein Fall nicht-progressiver Maskelatrophie,
von Butakow. 17. Hereditär progressiv muskelal^oii hos tre syskon, af Levin. 18. Pseudo-
hypertrophic Muscular Paralysis, by Mlddleton. 19. Des ^jphidroses de la face, par Raymond.
— Psvchiatrie. 20. Ueber plötzlichen Tod aus Angst bei einem Gefangenen, von Bollinger.
21. Ueber Chorea und andere Bewegungserscheinungen bei Geisteskranken, von Kdppen.
22. Ueber Neurosen und Psychosen durch sexuelle Abstinenz, von v. Krafft-Ebing. 28. Mit-
theilungen aus der psychiatrischen E^linik in Prag, von Pick. 24. Des attaques du sommeil
hyst^rique, par de la Tourette. 25. Des troubles de la Vision dans Thyst^rie et dans quel-
ques affections mentales, par Pichon.
III. Personalien.
I. Originalmitfheilungen.
1. Ein klinischer Beitrag über den Verlauf des
Geschmacksnerven.
Von Dr. Philip Zenner, Cincinnati,
Docenten für Neuropathologie am Medical College of Ohio.
Ein im Neurologischen Centralblatt, S. 295, enthaltener Auszug aus einer
Inaugural-Dissertation von Salomonsohk, über den Weg der ,,6eschmack8fasem"
28
— 458 -
zum Gehirn veranlasst mich, in Kürze einen Fall zu berichten, der, an und
für sich sehr interessant, geeignet sein dürfte, einiges Licht auf diese Frage zu
werfen.
Herr L., 42 Jahre alt, ein kraftiger und gesunder Mann, war am 8. Juli
1885 in dem Schaufenster eines Putzmacherladens in vorwärts gebeugter Stellung
beschäftigt, als plötzlich sein Halt brach, und er vorwärts auf eine mit scharfer
Spitze versehene eiserne Stange fiel, die zum Aufhängen von Hüten diente. Die
runde, glatte Stange, die etwa 1 cm Durchmesser hatte, durchbohrte die Haut
in der rechten Regio submaxillaris 3^2 <^t^ ^on der Mittellinie entfernt, und
drang 10 cm vorwärts, dabei ihren W^ nach oben, hinten und innen nehmend.
Die Stange wurde oflFenbar in unnachgiebigen Theilen festgehalten, denn es be-
durfte aller Kräfte eines starken Mannes, um sie zu entfernen, was übrigens
wenige Minuten nach dem Unfälle geschah.
Ich sah den Patienten ungefähr Vs Stunde später. Er war bei vollem
Bewusstsein, das er überhaupt nicht verloren hatte. Die rechte obere und untere
Extremität war vollständig gelähmt, und abgesehen von einer geringen Beweg-
lichkeit der Zunge und des Mundes, war die ganze untere Hälfte des Gesichts
unbeweglich. Er konnte nicht schlucken und sprechen, und weder articnlirte
noch unarticulirte Laute hervorbringen. Die Respiration war laut, jedoch regel-
mässig; desgleichen der Puls, mit einer Frequenz von etwa 80. Patient war
sehr durch Anhäufung von Schleim und Speichel im Munde belästigt, die er
nicht zu entfernen im Stande war. Dagegen waren die Muskeln der oberen
Gesichtshälfte, die inneren und äusseren Muskeln des Augapfels, der Lider und
der Stirn nicht im Geringsten afficirt.
Am 5. oder 6. Tage nach der Verletzung wurde, als der Zustand des Pat.
eine genauere Untersuchung zuliess, bemerkt, dass Anästhesie der von den zwei
oberen- Aesten des linken Trigeminus versorgten Hautstellen vorhanden war.
Die unempfindliche Zone reichte von der Mitte des Scheitels zur Höhe des
Mundes, und von der Mittellinie bis zum Ohr. Diese Anästhesie war zweifellos
von Anfang an vorhanden, ubschon sie unbemerkt geblieben war. Jedoch hatte
Patient seit der Verletzung heftige Schmerzen in dieser anästhetischen Zone,
Der Zustand des Patienten verbesserte sich schnell. Nach wenigen Tagen
konnte er Flüssiges schlucken und einige articnlirte Töne hervorbringen. Am
Ende des zweiten Monats war der Zustand folgender: Hemiplegie rechterseits,
geringe Parese der rechten Gesichtshälfte; die Zunge unbedeutend nach rechts
abgelenkt; Druck der rechten Hand schwach; Fähigkeit mit Hülfe eines Stockes
zu gehen, jedoch mit ausserordentlichem Nachschleppen des Fusses; Sprechen
schwieriger als in gewöhnlichen Fällen von Hemiplegie, jedoch einfach in Un-
beholfenheit der Articulation bestehend; keine Deglutitionsbeschwerdeu. 5 oder
6 Wochen nach dem Unfälle hatte er während eines Zeitraumes von ungefähr
3 Wochen Polyurie, bei der die Hammenge zeitweise 373 Liter in 24 Stunden
betrug und das specifische Gewicht 1002 war. Während dieser Zeit hatte er
einen übermässigen Appetit. Der Harn war frei von Eiweiss und Zucker.
Zur selben Zeit, als die Anästhesie des linken Trigeminus entdeckt wurde?
— 459 —
wurde auch oonstatirt, dass keine GreschmaokseiiipfinduBg in den vorderen zwei
Drittheilen der linken Znngenhälfte vorhanden war. Die Ausdehnung und der
Grad der Anästhesie war zu verschiedenen Zeiten verschieden. Ungefähr zwei
Monate nach der Verletzung schien die Anästhesie sich verschlinunert zu haben,
indem sie fast die ganzen vom Trigeminus versorgten Theile, sowohl die äusseren
Theüe wie die Schleimhaut, einnahm; nach wenigen Wochen ging sie jedoch zu
der ursprünglichen Ausdehnung zurück. Gegenwärtig, ungefähr 3 Jahre nach
dem Unfälle, ist der Zustand des Patienten etwa der eben beschriebene.
Der Sitz der Verletzung ist nach meiner Ansicht in der linken Seite der
Brücke, mit Betheiligung des Trigeminus und des Pyramidenstranges oberhalb
der Ejreuzung des FadaUs. (Die elektrische Beaction der gelähmten Muskeln
ist und war normal.) Bei einer Verletzung in dieser Begion und bei so aus-
gedehnten indirecten Symptomen ist es überraschend, dass zu keiner Zeit eine
Lahmung der von den dritten, vierten, sechsten und oberen Zweigen des siebenten
Nerven versorgten Muskeln vorhanden war. Welcher Art die Verletzung und
was der Mechanismus derselben war, ist ein Bäthsel. Ich habe verschiedene
Messungen vorgenommen, um die Entfernung der äusseren Wunde vom vor-
deren Bande des Foramen magnum zu bestimmen, und habe diese Entfernung
auf ungefähr 9 — 10 cm berechnet. Da nun die Stange ungefähr 10 cm weit
eindrang, so ist es denkbar, dass die Spitze derselben bis in die Oefihung ge-
gangen ist. Nichtsdestoweniger scheint es unmöglich, dass die Spitze der Stange
bis zu dieser Stelle vorgedrungen sein sollte, wo der Sitz der Verletzung sich
zu befinden scheint.
Der Verlust der Geschmacksempfindung ist zweifellos auf die Verletzung
des innerhalb der Schädelhöhle gelegenen Theiles des fünften Nerven, und
speciell seiner zwei oberen Aeste zu beziehen. In diesem Falle kann irgend ein
Gausalzusammenhang zwischen Vvlust der Geschmacksempfindung und Ver-
letaung der intraorauiellen Portion des siebenten Nerven nicht in Frage kommen,
da der linke Facialis intact war.
Ein kurzer Bericht über eine den intracraniellen Theil des Facialis betref-
fende Verletzung ohne Störung der Geschmacksempfindung ist hier vielleicht
am Platze:
M. S., Mädchen von 11 Jahren, erkrankte angeblich nach einem Schlage
auf die rechte Seite des Kopfes von Seiten ihrer Lehrerin. Der behandelnde
Arzt theilte mir mit, dass er Patientin zum ersten Male 4 Tage nach der Ver-
letzung sah. Sie hatte zu der Zeit Parese der linken oberen und unteren Ex-
tremitäten, Paralyse der rechten Gesichtshälfte, des rechten Nervus abducens
und Erweiterung der Pupille. Am Tage nach der Verletzung klagte sie über
Kopfweh, und ihre Eltern bemerkten, dass ihr Mund beim Lachen nach links
gezogen wurde. Die Kopfschmerzen wurden während einiger Tage immer
schlimmer, bis sie beinahe unerträglich waren, um jedoch nach einer Woche
oder 10 Tagen gänzlich zu verschwinden. Zu keiner Zeit war eine Temperatur-
erhöhung vorhanden.
Als ich Patientin, 4 Wochen nach dem Auftreten dieser Erscheinungen,
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sah, waren die oben beschriebenen Paralysen nachweisbar: vollständige Paralyse
des rechten Facialis und Abdnoens, Erweiterung der rechten Pupille^ welche
nichtsdestoweniger auf Licht reagirte, geringe Parese der linken Extremitäten;
keine Anästhesien. Kop&chmerz war nicht vorbanden, jedoch wurde bei oph-
thahnoskopischer Untersuchung doppelseitige Neuritis optica gefanden. Diese
letztere zeigte keine Veränderungen bei verschiedenen während der nächsten
2 Wochen vorgenommenen Untersuchungen. Bei einer 7 Wochen nach dem
Auftreten der Neuritis optica vorgenommenen Untersuchung wurden die Seh-
scheiben jedoch normal befunden. Zu dieser Zeit war noch vollständige Läh-
mung des rechten Facialis vorhanden und eine ausgesprochene Entartungs-
reaction in allen von diesem Nerven versorgten Theilen; jedoch waren die
Extiremitäten und der Abducens auf der Besserung. Zur Zeit, wo ich dieses
schreibe, 2 Wochen später, ist der Zustand der vom Facialis versorgten Nerven
unverändert, mit der Ausnahme, dass während des Lidschlusses die Spalte am
rechten Auge enger ist, als zuvor, und ungefähr die Hälfte ihrer gewöhnlichen
Grösse hat. Die Kraft in den linken Extremitäten ist jedoch kaum wahrnehmbar
geringer als in den rechten. Die Beweglichkeit des rechten Abducens ist bei-
nahe normal, die Pupille weniger erweitert, als zuvor, und das Kind befindet
sich wohl.
Die Verletzung, deren Art sich schwer feststellen lasst, befindet sich zweifel-
los an der Basis des Gehirns, wobei ein Druck ausgeübt wird auf den rechten
sechsten und siebenten Nerven, und weniger direct auf den Pyramidenstrang
bei seinem Wege durch die Brücke. Der intracranielle Theil des Facialis muss
affidrt und seine Functionen gänzlich aufgehoben sein. Dafür sprechen die
vollständige Paralyse desselben, mit Mitbetheiligung der Muskeln der Uvula,
die ausgesprochene Entartungsreaction, und die anderen begleitenden Symptome.
Die Geschmacksempfindung jedoch war nicht im Geringsten verändert
Diese beiden Fälle sind ein weiterer Beweis, dass der central gelegene Theil
der Bahn der „Geschmacksfasem^' zum Gehirn sich im Trigeminus befindet
2. Seltene Symptomencomplexe bei Nervenkranken.
Von Prof. Fr. Sohultse in Dorpat
(Schlnas.)
n.
Ophihalmoplegia externa eigenthümlioher Art, Ataxie der Unterextremi-
tftten mit gesteigerten PateUarreflexen bei einem 28jahrigen Ifiaiiiie. —
Bei einem Uteren Bruder Mikrophthalmus, ausserdem Oolobome der Iris
und Cboroidea.
Bei dem 28jähr. Feldarbeiter und Stallknecht J. W. aus Livland (Esthe),
welcher früher stets gesund gewesen und niemals Lues gehabt haben will,
stellten sich 1881 Parästhesien geringfügiger Art in. den Beinen ein, wie
— 461
wenn leichte Nadelstiche auf die Haut derselben einwirkten. Zugleich aber fiel
ihm besonders das Treppensteigen schwer, und er konnte die Füsse nicht so
beim Grehen setzen, wie er beabsichtigte. Ebenso war auch ein gewisses Gefühl
von Steifheit in den Beinen vorhanden. Alle diese Beschwerden steigerten sich
allmählich, so dass er 1885 die Feldarbeit aufgeben musste, da ihm ausserdem
das Bücken schwer fiel. Lancinirende Schmerzen fehlten; nar im Rücken
soll öfters ein längere Zeit dauerndes schmerzhaftes Gefühl und ausserdem Steif-
heit vorhanden gewesen sein; diese Schmerzen traten indessen erst im Verlaufe
des Jahres 1887 auf. Stärkere Grade von Ermüdung der IJnterextremitäten
wurden nicht bemerkt, ebenso fehlten Beschwerden bei der Harn- und Stuhl-
entleerung. Sehstörungen traten erst vor 3 Jahren auf und zwar in der
Weise, dass das Nahesehen und das Lesen schwer wurde. Doppeltsehen wurde
niemals bemerkt
Bei genauerer Nachforschung ergab sich, dass ein älterer Bruder von Kind-
heit an schlecht sehen kann und kleine Augen habe. Drei ältere Geschwister
sind gesund; Eltern sind gestorben, waren aber nicht nervenkrank. Kein stärkeres
Potatorium weder bei den Brüdern noch bei den Eltern vorhanden.
Status praesens (April 1888):
Bei dem kräftig gebauten, und ganz intelligenten Manne zeigen sich folgende
Abnormitäten: Der Gang ist breitbeinig, mit kurzen Schritten. Häufig werden die
Hacken aufgesetzt. Das Umdrehen schwierig, unsicher und wackelnd. Stehen auf
einem Beine wegen starken Schwankens nicht möglich.
Bomber g'sches Symptom. Fnssspitzenstand sehr unsicher.
Bei der Untersuchung im Liegen des Fat. tritt die Ataxie besonders im linken
Beine noch viel deutlicher hervor. Dabei ist die grobe Kraft der Unterextremi-
täten völlig erbalten. Keine Rigidität nachweisbar. Tastsinn und Temperatursinn
nicht wesentlich verändert; dagegen ist das Gefühl für Lage und Stellung der Beine
entschieden gestört. Der Fat. kann bei geschlossenen Augen nicht das eine Bein in
correcter Weise in die mit dem gesunden Bein symmetrische Lage bringen, während
allerdings das Heben und Senken der erhobenen Extremitäten auch bei geringen
Locomotionen gefohlt wird.
Die Fatellarreflexe beiderseits sehr lebhaft; links Andeutung von
Fussklonus. Bei der Fercussion der Tibiae Einwärtsrollung der Unterschenkel,
beim Beklopfen der innem Fussränder Adduction des betreffenden Fusses.
Die Plantarreflexe fehlen, auch bei stärkerer Beizung durch Nadelstiche
in die Haut der Fusssohlen; Cremasterreflexe erhalten; Bauchreflexe fehlen.
An den Händen und Armen nichts Abnormes; weder Ataxie noch Störungen
der Motilität und Sensibilität. Triceps- und Supinatorreflexe beiderseits lebhaft;
auch vom untei;ßn Ende der linken Ulna aus Tricepscontractionen bei Fercussion.
Rückenwirbelsäule intact, ohne Schmerzhaftigkeit bei Druck. — Sprache normal.
Die Fupillen mittelweit, beiderseits gleich, reagiren etwas träger auf Licht,
und werden bei der Oonvergenz der Augen, soweit dieselbe möglich ist, deutlich
verengt.
Die Lidspalte klein; der Blick geradeaus gerichtet; kein Schielen; kein Nystagmus.
Die Augenbewegungen nach allen Richtungen hochgradig beschränkt
und gelingen nur, wenn gleichzeitig Kopfbewegungen vorgenommen oder wenigstens
versucht werden. Sie geschehen dann mit einem gewissen Ruck; die kurze Zeit fest-
gestellten Augen sinken aber bald wieder in langsamem Tempo in die gewöhnliche
ruhige Mittelstellnug zurück.
— 462 —
Es kanB bei solchen mit BeweguBgen des Kopfes verbundenen Bewegungen das
Ange auf kurze Zeit stark nach aussen oder oben, in normaler Excursionsweite, ab-
gelenkt werden, während es ohne dieselben bei häufig wiederholter Prüfung trotz
der unzweifelhaften Bemühungen des Kranken nicht gelingt
Die ophthalmoskopische Untersuchung (Prof. Baehlmann) ergiebt die
Papillen von eigenthümlich braunrother Färbung und ?on einem helleren gelbröth-
liehen bis gelbweissen ringförmigen Saume umgeben, der überall gleich breit ist und
ca. 7io Papillendurchmesser Querschnitt besitzt. Die Netzhautgefasse streichen ober-
halb dieser peripherischen Zone hinweg und zeigen ausser einer schwachen venöseD
Hyperämie und einer partiellen Verengerung einer Vene nichts Besonderes.
Die Sehschärfe ist herabgesetzt; auch der Farbensinn erscheint nicht völlig
intact. Die Accommodation normal An den Gtohimnerven sonst keine Anomalien;
keinerlei Gehimerscheinungen; weder Kopfweh noch Schwindel; nirgends Tremor. —
Bei dem altern, 30jährigen Bruder des Pat. lassen sich keine Anom^en
im Bereiche der Motilität, Sensibilität und der Reflexe, sowie keine Erkrankung des
Nervensystemes finden; auch im Uebrigen ist er vollständig gesund.
Dagegen sind die Augen hochgradig abnorm. Eine von Herrn Prof. Raehuiakn
vorgenommene Untersuchung ergab einen hochgradigen Strabismus convergens
des rechten Auges mit Beschränkung der Beweglichkeit beider nach aussen. Bei der
Fixation beider Augen verschwindet die Pupille des schielenden Auges fast vollkommen
hinter der Garunkel; bei stärkeren Seitenbewegungen entsteht ausserdem Nystagmus.
Nach oben und unten smd die Augenbewegungen möglich, werden aber gewöhnlich
zum grossen Theile durch Kopfbewegungen ersetzt. Ausserdem besteht starker
Mikrophthalmus; die Hornhaut stellt nur etwa die Hälfte der normalen Oberfläche
dar, ist unregelmässig begrenzt und anscheinend sphärisch gekrümmt Die Kammer
etwas tief; die Pupillen zeigten nach unten einen ziemlich breit angelegten Defect
(Colobom); die Linse vorhanden.
Beide Pupillen mittelweit, reagiren aber nicht auf Licht und Oonvergenz.
Am linken Auge rechts und links von der Papille ein Ghoroidealdefect,
welcher schläfenwärts etwa 4 Papillendurchmesser, nasenwärts nur 3 Papillendimen-
sionen weit reicht und in der Richtung des horizontalen Meridians dahinzieht. Der
nasalwärts hin sich ausdehnende Defect zeigt eine Unterbrechung durch einen bläu-
lich glänzenden Contour, welcher eine ausgebuchtete Stelle des Augenhintergrundes
markirt
Die Sklera frei, die Papille vertical oval, etwas geröthet, sonst normaL
Auf dem rechten Auge temporalwärts von der Papille ebenfalls ein colobomatöser
Defect der Choroidea, der in Gestalt eines halbmondförmigen excavirten Hofes die
Papille umgiebt.
Sehschärfe beiderseits stark herabgesetzt
Was nun die Diagnose bei dem ersten Kranken angeht, so muss wegen
der gesteigerten Sehnenrefiiexe bei dem Mangel einer in den peripherischen
Apparaten nachweisbaren erhöhten Erregbarkeit eine Alteration der Pjra-
midenbahnen geringen Grades angenommen werden, deren Sitz allerdings
nicht mit Bestimmtheit anzugeben ist, welcher aber nicht unterhalb der Hals-
anschwellung allein gelegen sein kann, da auch an den Armen sich die grössere
Lebhaftigkeit der Reflexe und das Vorhandensein eines abnormen Sehnenreflexes
nachweisen liess. Da femer eine Ataxie nicht cerebellaren Charakters vorlag
(das Gefühl für die Lage und Stellung der Glieder und der Muskelsinn waren
gestört), und da irgend welche Anhaltspunkte für die Annahme einer peri-
pheren oder Gorticalen Ataxie fehlten, so müssen auch die Hintersträuge
- 463 —
als erkrankt angesehen werden. Natürlich können sie wegen des normalen
Verhaltens der Oberextremitäten im Halsmarke nicht allznstark afficirt sein und
im Lendentheil müssen die Sehnenreflexbögen intact geblieben sein, auch kann
nicht dieselbe Looalisation der Läsion wie bei Tabes vorliegen, da die lancinirenden
Schmerzen fehlten, über deren centrale oder periphere Entstehungsweise wir
noch nichts Bestimmtes wissen.
Es ist also eine combinirte Degeneration der Hinter- und Seitenstränge
anzunehmen, wobei natürlich über die systematische oder nicht systematische
Natur der diesbezüglichen Störungen vom rein klinischen Standpunkte aus nichts
ausgesagt werden kann. Zu diesem Symptomencomplexe kommt nun aber die
geschilderte Augenmuskellähmung hinzu, wie sie als charakteristisch für die
sogenannte Nuclearlähmung angesehen wird, da bei ausgebreiteten Paresen
Lichte und Accommodationsreflexe erhalten waren.
Wenn auch angesichts der bereits vorliegenden Sectionsbefunde nicht daran
gezweifelt werden kann, dass bei Erkrankungen bestinmiter Ganglienzellengruppen
diese Lähmung vorkommt, so kann doch im Gegensatz zu den MAUXHNEB'schen
Ausführungen nicht geleugnet werden, dass auch eine periphere Entstehung
dieses Symptomencomplexes möglich wäre. Bei vollständiger Gompression der
Nervenstämme an der Basis des Gehirnes oder bei vollständigen Querschnitts-
läsionen derselben überhaupt ist natürlich das eigenthümliche Yerschontbleiben
der Irismusculatur oder des Ijcvat. palpebr. nicht zu erklären, aber warum sollte
nicht irgend eine bestimmte Schädlichkeit die Nervenfasern in der Nähe ihrer
Insertion in die Muskeln treffen können, wo sie gerade so gut räumlich von
einander getrennt sind, wie das innerhalb der Eernregion der Fall ist? In
unserm Falle wird freilich ganz ähnlich wie bei der Hypoglossusaffection in
dem früher geschilderten eine centrale Läsion mit viel grösserer Wahrscheinlich-
keit angenommen werden können, als eine periphere, weil andere centrale
Erkrankungen vorliegen ; indessen zeigte sich auch die PapiUe des Opticus nicht
normal; und auch abgesehen davon ist bei der Möglichkeit des Zusammenvor-
kommens centraler und peripherer Affectionen überhaupt auch in unserem
Falle eine lediglich periphere Erkrankung der meisten Augenmuskelnerven
nicht absolut ausgeschlossen.
Allerdings ist die Erklärung des eigenthümlichen Verhaltens, dass bei gleich-
zeitigen Kopfbewegungen die Augenbewegungen öfters sogar in ausgiebiger Weise
gemacht werden konnten, eine schwierige. Aber sie ist, wie ich im Widerspruche
mit Mauthneb^ behaupten muss, gleich schwierig bei der Annahme einer Hem-
mung in der Peripherie wie in den Ganglienzellen. Mauthneb nimmt an, dass
„der schlechte Leitungsdraht immer gleich schlecht'' bleibt, während, wenn die
Nervenzellen zwar krank, aber noch nicht abgestorben sind, der Wille sie
momentan zu stärkerer Leistung anregen könne.
Die Nervenzelle hilft aber ebensogut die willkürliche Innervation fortleiten,
wie die periphere Leitungsbahn, und warum soll nicht auch das irgendwo
Die NacIearläLmting der Augenmuskeln von Ludw. Maüthksb (S. 37S).
- 464 -
lädirt« periphere Nervenstück ebensogut ,yzwar krank, aber noch nicht ab-
gestorben sein" wie die Nervenzelle, zumal wir auch bei entschieden peripheren
Lahmungen z. 6. unmittelbar nach d^ Einwirkung eines elektrischen Reizes
bei starker Innervation stärkere Contractionen der Muskeln sehen können.
A priori wäre auch an eine Unterbrechung der central von den Kernen
gelegenen Willensbahn zu denken; da wir aber wohl annehmen müssen, dass
die Fasern derselben für die einzelnen Muskeln auf grosse Strecken hin nicht
weit von einander liegen und in unserm Falle die Levatoren des oberen Augen-
lides verschont blieben, so erscheint eine Läsion dieser Bahnen unwahrscheinlich;
für die Affection dei selben im Gortex cerebri oder in der Nähe desselben, dort
wo sie auseinander strahlen, ^richt jedenfalls nichts, abgesehen davon, dass die
gewöhnlichen Ursachen derartiger Heerderkrankungen in der Orosshimhemisphäre
fehlen.
Am aufTallendsten bleibt der Umstand, dass der sonst ganz verständige
Kranke, welcher im Uebrigen alle gewünschten Bewegungen macht, auch bei
bestem Willen ohne die dazugehörige Kopfbewegung die Augenmuskeln entweder
gar nicht, oder wenigstens nicht so stark innerviren kann, als bei gleichzeitigen
Kopfbewegungen, so dass die Annahme als die wahrscheinlichste erscheint, dass
es dem Kranken auf diese Weise besonders leicht mögUch war, starke Lmer-
vaüonsstösse zu ertheilen, welche den irgendwo vorhandenen Widerstand zu über-
winden im Stande waren. Einen Wechsel in der Intensität der Lähmung hat
ja anch Benedict^ in einem von ihm beobachteten Falle wahrnehmen können,
in welchem das kranke Auge gelegentlich erst nach energischer und wiederholter
Aufforderung der angewiesenen Blickrichtung folgen konnte. Die Annahme, dass
es sich etwa um Mitbewegungen wie bei Hemiplegischen handeln könnte, ist
deswegen schon unwahrscheinUch, weil dabei efai normales Verhalten der Kerne
und der peripheren Leitungsbahn neben einer Erkrankung der centralen Willens-
bahn vorausgesetzt werden müsste.
Auch bei dem Bruder des Kranken waren die Excursionen der Augen nach
oben und unten zu zwar möglich, aber doch gewöhnlich mit Kopfbewegungen
verbunden, oder durch Kopfbewegungen erleichtert Es fehlte also zwar das
eigentliche Bild der Ophthalmoplegia externa, da die Pupillen nicht reagirten
und die meisten Augenbewegungen gut von Statten gingen, und es waren ganz
andersartige complicirte Störungen am Auge vorhanden; es blieb aber immerhin
interessant, dass sich erhebliche Störungen der Augen und der Augenbewegungen
vorfanden, so dass man geneigt sein könnte, auch bei dem anderen Bruder
irgend eine angeborene Anomalie als den Ausgangspunkt seines Leidens anzu-
sehen, zumal eine Ursache für die Entstehung desselben sonst nicht gefunden
werden konnte. Indessen lässt sich darüber ohne Autopsie nichts Sicheres aus-
sagen; ich hielt aber auch ohne dieselbe den Fall für mittheilenswerth, abge-
sehen davon, dass über die Complicationen der Ophthalmoplegie mit anderweitigen
Nervenleiden doch noch wenig bekannt ist.
Benedict, Elektrotherapie. S. 241.
— 465 —
IL Referate.
Anatomie.
1) neber die Lymphwege des Gehirns, ?on M. J. Rossbach und E. Sehr-
wald. (Ctrlbl. f. d. med. Wissensch. 1888. Juni. Nr. 25 u. 26.)
In der grauen Substanz des GeMms (in den Oentralwindungen) giebt es 3 ver-
schiedene Systeme von Lymphwegen: Erstens die die Gefässe begleitenden Hi8*schen
perivasculären und die sog. advenütiellen Lymphbahnen; zweitens ein der Ernährung
der GanglienzeUen dienendes und drittens ein die Gliazellen umspinnendes System.
Die Existenz der perivasculären His'schen Bäume, wie die der periganglionären Bäume
(Obersteiner) kann man durch den besonders gesetzmässigen Bau am besten nach-
weisen durch die Behandlung absolut frischer, aus dem lebenden Thier direct ent-
nommener Gehimstückchen mit ^2 ^/o Osmiumsäurelösung. Auf das unzweifelhafteste
ergab das Gehirn die Existenz der genannten Bäume, wenn man dem Thier den
grössten Theil der Halsvenen bei erhaltenem Blutzufluss zum Gehirn unterband.
Auch an ganz frischem ungehärteten Gehirn kann man sich von dem Bestehen der-
selben überzeugen. Bei Härtung in Chromsäure und Alkohol erscheinen sie in Folge
von Schrumpfung der Gefasse und Ganglien weiter, als im Leben resp. beim frischen
Gehirn. Die der Ernährung der Ganglienzellen dienenden Lymphwege haben einen
Mittelpunkt, den sog. periganglionären Lymphraum. Die Lymphkanälchen, die sich
in diesen ergiessen, entspringen an Gefässen und Glialymphränmen, werden gegen den
ganglionären Lymphraum zu immer grösser, und ihre Verästelung gleicht langen
feinfaserigen Wurzeln; sie nehmen zum grossen Theile die Axencyllnderfortsätze der
Ganglienzelle in sich auf. Die abführenden Lymphwege schliessen sich an den sog.
Spitzenfortsatz (Frotoplasmafortsatz Deiters) an, hüllen ihn wie eine Scheide ein,
verlassen ihn, um sich zu verästeln und in einen perivasculären Baum oder in einen
Glialymphraum oder in den epicerebralen Baum direct zu münden; die abführenden
Ganglienlymphbahnen gleichen mehr Verästelungen als Würzelchen. Das Lymphsystem
einer jeden einzelnen Ganglienzelle hat keinen Zusammenhang mit denen der benach-
barten Ganglienzellen, sondern nur mit den Himgefässen und den Glialymphräumen.
Diese letzteren sind nun die GliazeUen der äussersten Schicht der Gehirnrinde und
um die in der Nähe des Beginns der weissen Substanz liegenden besonders ausge-
bildet» und bilden somit 2 Hauptreihen von Lymphlücken, die mit feineren und
gröberen Ausläufern in die perivasculären und epicerebralen Lymphräume münden
und oft; zwischen die perivasculären Lymphbahnen und die der Ganglienzellen ein-
geschaltet sind. Am besten lassen sich diese feinen Lymphnetze durch die Golgi*sche
Methode nachweisen. Diese ist nicht nur eine Färbemethode der Ganglien und ihrer
Fortsätze, sondern vielmehr eine Methode, durch welche die lymphführenden Bahnen
und Bäume des Gehirns mit dunklen amorphen oder krystallinischen Massen erfüllt
und dadurch auf das Deutlichste sichtbar gemacht werden. Die Figuren, die Golgi
für geförbte Ganglienzellen erklärt, sind stets absolut grösser als die Ganglienzellen-
bilder, die man bei andern Färbungen derselben Gehimtheilchen nach derselben
Fizirungsmethode wie G. erhält. Die Gestalt der Pyramidenzellen ist bei allen andern
Färbungen eine andere. Wie bei den Ganglienzellen werden auch bei den Gliazellen
die pericellulären Bäume bei der G.'schen Methode schwarz gefärbt, ebenso wie die
Fortsätze der perigliären Bäume; und man sieht nie bei der G.*8chen Methode noch
einen periganglionären lichten Baum, wie bei allen andern Methoden. Löst man
durch Einwirkung von Ammoniak die G.'schen Incrustationsmassen wieder auf, so
kommt statt der plumpen eine normale kleinere Ganglienzelle zum Vorschein. Wo
plötzlich die G.'sche Färbung der Ganglienauslänfer unterbrochen ist, um sich dann
wieder fortzusetzen, sieht man deutlich, wie der feine Axencylinder- oder Spitzen-
fortsatz im Innern des weiteren Lymphausläufers des periganglionären Baumes liegt
— 466 —
Die bisher unerklärliche Launenhaftigkeit der G.'schen Methode wird auf die ver-
schiedene Weite oder Füllung dieser Bäume mit Lymphe zurückgef&hri Je nach-
dem im Leben für raschen Abfluss der Lymphe oder für Stauung gesorgt war,
ergaben die Untersuchungen Differenzen in der Weite der perivasculären, pericellulären
und perifibrillären Bäume. In Kleinhirn, Med. oblong, et spinalis, Betina, Magen,
Darm und fast allen anderen Organen ohne besondere Nervenelemente zeigten sich
dieselben Bilder von Lymphbahnen, die nicht mit einer homogenen Farbe, sondern
mit einem groben farbigen Niederschlag von Silberdichromat (durch Vereinigung von
Kali bichromic. mit Argent. nitr.) erfüllt sind. Diese complicirte Einrichtung der
Lymphwege in der grauen Himsubstanz wirkt darauf hin, dass die (jhinglieDzellen,
als die empfindlichsten Zellen des Körpers, und die nackten Axencylinder vor Druck-
wirkungen, Zerrung, zu racher Yorbeifinthung des Lymphstromes etc. geschützt werden.
Auch die Existenz der perivasculären und adventitiellen Lymphräume sorgt dafür,
dass die Volumen- und DruckschwankuDgen in den Gehimgefössen sich nicht un-
mittelbar auf die Gehimsubstanz übertragen. Kalischer.
2) Sulla istogenesi della retina e del nervo ottdoo« per F. Falchi, Torino.
(Arch. per le scienze mediche. XU. 1.)
Aus der eingehenden Arbeit sei hier nur hervorgehoben, dass Verf. mit His und
V. Köllicker den Nervus opticus als Theil des Gehirns entstehen lässt, während die
Wände des Stiels des secundären Augenbläschens — z. Th. unter Mitwirkung des
mit den Geissen eingedrungenen Mesoderms — das Stützgewebe liefern. Gegen
W. Müller lässt er die Entwickelung der Faserbündel des Sehnerven der Entwicke-
lung der Ganglienzellen der Betina lange vorausgehen; erstere bilden sich also auch
unabhängig von den letzteren. Th. Ziehen.
Experimentelle Physiologie.
3) Experimentelle Untersuchungen zur Amblyopiefrage^ von Dr. Müller-
Lyer. (Arch. f. Anat. u. Physiol. 1887.)
Verf. findet, dass bei variabler Beleuchtungsintensität die Unterschiedsempfind-
lichkeit des Auges sich ui^efähr proportional der Kubikwurzel aus der absoluten
Beizstärke ändert. Bei abnehmender Beleuchtung nimmt die Sehschärfe nahezu in
demselben Verhältniss ab wie die Unterschiedsempfindlichkeit. Charakteristisch sind
femer für das Sehen bei abnehmender Beleuchtung: Quantitative Both-Grün-Blindheit;
Gelb und Blau werden am längsten wahrgenommen; die Gesichtsfelder für die ein-
zelnen Farben sind in typischer Beihenfolge eingeengt, das für Weiss unverändert
Gerade entgegengesetzt verhält sich das Auge, wenn seine Erregbarkeit durch Bei-
zung vermindert ist: Die Unterschiedsempfindlichkeit ist mehr gestört als die Seh-
schärfe, es besteht namentlich für Violett und Blau quantitative centrale Dyschro-
matopsie, die Gesichtsfelder sind für die dunkleren Farben mehr eingeengt i^ für
die helleren, auch das Gesichtsfeld für Weiss ist concentrisch eingeengt, endlich be-
steht Hemeralopie. Aehnlich wie während der Beizung verhält sich das ermüdete
Auge nach der Beizung.
Vergleicht man die pathologischen Formen der Amblyopie mit diesen experi-
mentell erzeugten Zuständen, so ergiebt sich, dass bei den hysterischen Amblyopien
die Unterschiedsempfindlichkeit in höherem Maasse als die Sehschärfe gestört ist
Umgekehrt verhalten sich die tabische und alkoholische Amblyopie, sowie die cen-
trale Hemiamblyopie. Das hysterische Auge verhält sich auch bezüglich der übrigen
Punkte wie das gereizte oder ermüdete Auge.. Dem Zustand des Auges bei herab-
— 467 —
gesetzter Beleuchtung entspricht im Allgemeinen die durch einfache Sehnervenatrophie
hervorgebrachte Amblyopie. Th. Ziehen.
Pathologische Anatomie.
4) neber multiple Angiosarcome der Pia mater spinalis mit hyaliner
Degeneration. Inaugural-Dissertation von E. Gramerr. Marburg 1888. (41 Seiten.)
Ein 40 Jahre alter, bisher gesunder Mann verspürte eines Morgens beiderseits
Schmerzen in der Gegend der Tuber. ischü; der Schmerz bestand hauptsächlich beim
Sitzen. Ein Jahr darauf zeigten sich Schmerzen im Kreuz und rechten Oberschenkel
hinten; der Schmerz steigerte sich perioden weise; im Unterschenkel bestand Ameisen-
kriechen, Kältegefühl, in Fusssohle taubes Gefühl beim Gehen. Das linke Bein war
nicht betroffen. Dann zeigte sich Abmagerung, Ischuria paradoza, Hämorrhoidalknoten,
Doppelsehen und Parese der untern Extremitäten mit Herabsetzung der elektrischen
Erregbarkeit; und zwar rechts mehr als links. Es fehlte die Goncavität der Lenden-
wirbelsäule, und der 4. — 5. Dornfortsatz war schmerzhaft. Rechts fehlten Sehnen-
und Sohlenreflexe. Die Sensibilität war objectiv nicht gestört. Durch den Zutritt
von Gystitis, Pyelonephritis, Decubitus trat 2 Jahre nach Beginn des Leidens dei
Exitus letalis ein. Man nahm das Vorhandensein eines Tumors an, und zwar des
Markes oder seiner Häute in der Gegend der Lenden- und Kreuzbeinwirbel. Die
Section ergab: Sarcomata multiplicia piae matris pontis Yaroli, medullae oblongatae
et spinaUs praecipue caudae equinae etc. Der Tumor in der Gauda equina war der
bedeutendste und der einzige von allen Tumoren, der einen vollständigen Untergang
des Nervengewebes, namentlich in seinen untersten Partien herbeigeführt hat; er
allein hat den beobachteten Sjmptomencomplex herbeigeführt. Eine beginnende
Wucherung der Neuroglia im obersten Halsmark in den GolFschen Strängen wird
als Ausdruck aufsteigender Degeneration angesehen, die bedingt ist durch einen etwa
haselnussgrossen Tumor an der Hinterfläche des untern Brustmarkes. Dieselbe wuchert
ungefähr 2^/3 mm in die Substanz desselben hinein und bewirkt eine Verschiebung
der Hinterhömer. Unter diesem Tumor befindet sich ein kleinerer von Kirschkern-
grösse. Weiter abwärts folgen kleine röthlichgraue Knötchen an dor Lendenanschwel-
lung und unterhalb derselben. Auf und zwischen den Nervenfasern der Gauda equina,
mit derselben ziemlich stark verwachsen, findet sich eine Anzahl grosser Tumoren.
Der untere Theil ist in einen umfangreichen, 18 cm langen Strang von (^eschwulst-
masse umgewandelt und reicht bis dicht an die Endausbreitung der Dura, mit der
die Geschwülste innig verwachsen sind. Tumoren fanden sich femer an der unteren
Fläche des Pens links, an der rechten Seite hinten am Halsmark etc. Die Geschwulst-
masse besteht wesentlich aus Gefassen, Zellsträngen und einem spärlichen Gerüst von
Bindegewebe, in welchem die aus den Zellsträngen und Geissen hervorgegangenen
Degenerationsproducte gelagert sind (Pigmenthaufen, hyaline Kugeln und Kolben,
hyalin entartete Gefässwände etc.). Die Zellen von verschiedener Grösse und Gestalt
haben einen epithelialen Gharakter, ovalen bläschenförmigen Kern, ein oder mehrere
Kemkörperchen etc., ihre Gestalt ist bald rundlich, bald spindelförmig. Die Ent-
stehung der Geschwulstzellen wird auf Proliferation des die gequollene Ge^sadven-
titia umgebenden Perithels zurückgeführt; auch an die Möglichkeit der Entstehung
aus dem Endothel der Lymphzellen der Arachnoidea wird gedacht. Der Beginn der
Tnmorbildung ist in der Pia mater zu suchen, wenn auch das weitere Wachsthum
die Arachnoidea mit ergriff; es handelt sich um ein typisches Gylindrom (Billroth)
oder um ein Angiosarcom mit hyaliner Entartung der Gefässwände und Geschwulst-
zellen. Aehnliche Neoplasmen im Rückenmark sind von Ganguillot (Beiträge zur
Kenntniss der Bückenmarkstumoren. Gylindrom des Gonus meduUaris. Inaugural-
Dissertation. Bern 1878) und von Glaser beschrieben (Ein Fall von centralem Angio-
468
sarcom des Bfickenmarks. Archiv ffir Psycbiatria XYI. 1885). Im Gegensatz air
ÄDBicht, dass es cjlindromartige Tumoren giebt, die echte Cardnome sind (Lubarsch
etc.), halt Verf. an der Behauptung fest, dass die typischen Cylindrome als Abkömia-
llnge Yon Geweben des mittleren Keimblattes, zu den Bindesubstanzgeschwülsten un^
zwar unter die Endothelsarcome zu rechnen sind. Kalischer.
6) Difhue Sarooma of fhe spinal Pia mater. (The British med. Joum. 1887.
May 7. p. 992.)
Pasteur trug in der Londoner Gesellschaft für Pathologie fiber 2 Falle von
Sarcoma diffusum piae matris spinalis vor, welche zur Autopsie gekommen.
Ormeford und Hadden erwähnen in Anschluss daran je eine eigne ähnliche
Beobachtung.
Fall 1. 22jähr. Mädchen. Beginn der Krankheit mit Kopf-, Arm- und Schulter-
schmerz rechterseits. 3 Monate später heftiger Schmerz längs der Wirbelsäule.
4 Monate später: Abnahme des Gedächtnisses, Parese der Arme und Beine ohne
Sensibilitätsstömng, Kniephänomen fehlt, heftiger Spinal-Occipitalschmerz, beiderseitig
Neuritis optica, coroplete Paralyse beider M- recti extemi, Diplopie. Tod comatds.
Das Bückenmark in seiner ganzen Masse in ein weiches graues Neoplasma, nament-
lich die hinteren und seitlichen Flächen, versenkt Die Neubildung lag unter der
Arachnoidea mit der Pia verwachsen. Nach oben erstreckte sich jene über Pons
und Medulla oblongata, das 6. Gehimnervenpaar gänzlich umkleidend, bis zu der
parietalen Arachnoidea, hier und da isolirte Knötchen bildend. Nach unten wurden
die Nerven der Gauda eqoina von der (xoschwulst umkleidet mit einer dünnen, durch-
scheinenden Schicht, unter Bildung von kleinen Tumoren hier und da. Makroskopisch
zeigte das Nervengewebe nichts Besonderes. Mikroskopisch bestand die NenbUdung
aus dichtgelagerten kleinen Bundzellen mit einem kleinen Kern in einem dunklen
Stroma. Sie griff an verschiedenen Punkten auf die weisse Substanz des Bücken-
marks über. Das Nervengewebe normal.
Fall 2. ^^/^jSLhngea Mädchen war die Treppe hinabgefallen. 2 Monate nach-
her Strabismus, Parese der Beine und Arme, plötzliche Erblindung, Bückenschmerz,
Stamm-Musculatur schwach. Keine Sensil^ilitätsstörung. Keine Convulsionen. Tod
asphyktisch.
Das Bückenmark, namentlich hintere Fläche, in ein dichtes Neoplasma gehüllt,
nach oben bis zur unteren Fläche des Cerebellum, dessen mittlerer Lappen fast durch
die Neubildung verdrängt war. Mikroskopisch fast derselbe Befund wie in Fall 1.
Diese Art von Neubildung scheint eine besondere Gruppe zu bilden, die auch klinisch
durch kurze Dauer der Krankheit, das Alter der Patienten, Abwesenheit von Con-
vulsionen, Fehlen des Kniephänomens etc. sich unterscheiden lässt.
L. Lehmann (Oeynhausen).
6) Multiple Cancer, by Jos. Coats. (The Brit. med. Joom. 1888. May 5. p. 958.)
G. zeigte in der Londoner pathologischen Gesellschaft Präparate eines Falles
von multiplem Cancer der Lungen, Knochen, des Gehirns etc. eines 17jährigen Ver-
storbenen vor. Im Leben bestanden verschiedene Nervensymptome, Amaurose, Schielen,
Nystagmus ohne andere Lähmungserscheinungen oder Störung der Intelligenz. Schliess-
lich Convulsionen. Allmählich waren Tumoren der Knochen aufgetreten.
In der rechten Lunge wurde eine alte Höhle mit cancrösen Wandungen als der
primäre Ausgangspunkt angesprochen; es bestanden secundäre Tumoren in den Lungen,
den Knochen, der Leber, dem Pankreas und der Nieren. Im Gehirn waren Cysten
von verschiedener Grösse, die grössten von 2 Zoll, die kleinsten Y« ^^^ ^^ Durch-
messer, und 24 der Zahl nach. Nur ein einziger war consistent, aber auch weich
- 469
nnd deutlicb cyaüBch zu einem grossen Theil. Das Mikroskop erwies die Lnngen-
tumoren von typisch cancrösem Bau. Die Alveolen in dem primären Lnngentumor
waren von epithelialen Anhäufungen gefüllt; die peripherischen cylindrisch. Bei den
secandären Lungentumoren waren die Alveolen weniger regelmässig an Grösse und
Form und durch kolloide Metamorphose der Zellen zu Cystenbildung veranlagt. In
den Knochen (Femur) Cysten, Epithelialanhäufung mit Höhlen, deren Ausfüllung
kolloide Massen. Der Knochen atrophisch, nar noch schmale Trabekeln. Die Gehim-
cysten deutlich epitheliale Auskleidung. Dieser cystische Charakter der secundären
Tumoren müsse als etwas selten Beobachtetes hervorgehoben werden.
L. Lehmann (Oeynhausen).
7) Primary Cancer of brain, by Jos. Coats. (The Brit. med. Joum. 1888.
May 5. p. 959.)
Im Leben (Gairdner) zeigten sich Kopfschmerz mit leichtem Schwindel, Er-
brechen, Zurückziehen des Kopfes, Lethargie, Sopor. Progressive Abmagerung bis
zum Tode.
Der Tumor im Gehirn war oval, mit einem Durchmesser von l^s Zoll. Er
sass über dem Föns und den Pedunculi, anscheinend ausgehend vom Aquaeductus
Sylvii. Dieser wurde ausgedehnt; die Geschwulst griff über zu der 4. Höhle. Der
vordere Theil des Aquaeductus und der 3. Ventrikel waren unberührt geblieben.
Das Mikroskop zeigte in Reihen abgelagertes Cylinderepithel, welche Reihen
Höhlen einschlössen. Man nahm an, dass das Epithel des Aquaeductus zum Aus-
gangspunkt gedient habe. L. Lehmann (Oeynhausen).
Pathologie des Nervensystems.
8) Note 8ur un oas d'athötose double, par P. Blocq et E. Blin. (Revue
de M^decine. 1888. Janvier. p. 79.)
Die Yerff. beschreiben einen Fall von allgemeiner Athetosis aus der Charcofschen
Klinik. Das Leiden betraf eine 50jährige Frau, bei der es sich im 3. Lebensjahre
in den Armen, später in den Beinen, im Gesicht, in der Zunge etc. entwickelt hatte.
Die Bewegungen verschwinden bei völliger Ruhe der Patientin fast ganz, treten aber
bei der leisesten Erregung sofort auf. Die Zunge ist anfallend gross (hypertrophisch?);
durch ihre Bewegungen ist die Sprache beträchtlich erschwert In den Beinen finden
sich mittelstarke Contracturen, ebenso im linken Stemocleidomastoideus. An den
kleinen Fingergelenken finden sich Verdickungen, ähnlich wie bei Arthritis deformans.
Die Sehnenreflexe sind etwas erhöht. Die Sensibilität ist normal, ebenso Harn- und
Stuhlentleerung. Keine auffallende Intelligenzstörüng.
Als Ursache der Athetose nehmen die Yerff. eine „Gehimsklerose" an.
Strümpell.
9) Des paralysies dans la dysenterie et la diarrhäe ohronique des pays
chauds, par J. Pugibet. (Revue de M6decine. 1&88. F^vrier p. 110. Mars
p. 222. Avril p. 283.)
Verf. theilt in einer sehr ausführlichen Arbeit seine Beobachtungen über nervöse
Erkrankungen bei chronischer Dysenterie mit. Er machte dieselben in Algier an
Soldaten, welche in Tonkin erkrankt und ins Militärlazareth nach Algier übergeführt
waren. Die Soldaten waren in Tonkin von acuter Dysenterie befallen, an welche
sich eine chronische nachbleibende Diarrhoe angeschlossen hatte. Im Verlaufe der
letzteren traten bei 7 von 71 Kranken, meist ziemlich plötzlich, nervöse Erscheinungen
auf, bestehend vorzugsweise in mehr oder weniger vollständigen Lähmungen der'
— 470 —
Muskeln am Halse, an den Schaltern und an den oberen Extremitäten. Die Läh-
mungen treten meist ziemlich plötzlich auf, bessern sich allmählich wieder vollständig
oder bleiben zum Theil stationär. Die Sensibilität ist meist erhalten. Elektrische
Veränderungen in der Erregbarkeit der befallenen Muskeln wurde nicht nachgewiesen.
Verf. ist geneigt, als Ursache der Lähmungen ,,cap01are Thrombosen in den
grauen Yorderhömem*' anzunehmen, eine Ansicht, welcher wohl nur wenige Neuro-
logen beistimmen werden. Strümpell.
10) Demonstration einos Kranken mit symmetrisch looalisirten oberfläch-
lichen HautentBündungen und gleichzeitig auftretenden Ii&hmungssu-
ständen auf infectidser (diphterischer P) Basis, von Wilhelm Ebstein.
(Berliner klin. Woch. 1888. Nr. 27. S. 537.)
Die oberflächlichen Hautentzündungen betrafen bei dem 55jährigen Manne Kopf-
und Gesichtshaut, Hals und Nacken, je zwei Stellen auf beiden Ellbogen, an den
Nates,^ an der Mitte der Oberschenkel und an den Knien, und Hessen sich als Eczema
squamosum charakterisiren. Der Beginn ihres Auftretens vergesellschaftete sich mit
einer Schwellung der Nasen- und Mundschleimhaut, in dessen Gefolge wieder Schluck-
und Schlingbeschwerden auftraten, welche eine Lähmung des Gaumensegels und der
Schlnndmusculatur zur Ursache hatten. Weiterhin folgte die Parese der Rumpf- und
Extremitätenmusculatur, ohne dass wesentliche Sensibilltätsstörungen oder Yerände«
rungen der elektrischen Erregbarkeit und der Reflexe nachzuweisen gewesen wären.
Fat. erfuhr in der G^ttinger Klinik bedeutende Besserung, die indess bald einer
Verschlimmerung des Leidens Platz machte, welcher der Kranke unter Schling-
störungen und „wassersüchtigen Anschwellungen'' erlag.
Die Section ergab ausser lobulärer Pneumonie eine parenchymatöse Nephritis,
während die Halsorgane sich intact erweisen. Dem Centralnervensystem konnte keine
eingehende Untersuchung zu Theil werden.
Die Ursache und Natur dieser Krankheit ist unklar. Jedoch scheint dem Verf.
ein Zusammenhang zwischen der Hautaffection und den nervösen Störungen wahr-
scheinlich; er erinnert an ein ähnliches Zusammentreffen bei Pellagra, Acrodynie und
Beri-Beri und glaubt in diesem Falle, dass eine Intoxication mit diphtherischem
Virus der Ausgangspunkt der Krankheit gewesen ist. Sperling.
11) Beitrag zur Lehre vom Meryoismus. von Dr. Konrad Alt. Aus der Kgl.
psychiatr. u. Nervenklinik in Halle a./S. (Berl. klin. Woch. 1888. Nr. 26. p. 519
und Nr. 27 S. 544 ff.)
Ein sehr gut beobachteter und therapeutisch mit grossem Geschick behandelter
Fall von Merycismus (Rumination, „Wiederkäuen'')» dessen Beschreibung eine aus-
führliche Litteraturangabe sowie eine kurze Besprechung der landläufigen Theorien
dieser merkwürdigen Affection, deren Litteratur ca. 100 Fälle umfasst, vorausgeht.
Verf. fand durch Untersuchung des Magens und des Mageninhalts zu verschie-
denen Zeiten seine Vermuthung bestätigt, dass hier drei Factoren zusammenwirkten,
um die Rumination zu Stande zu bringen: 1. massige Dilatation des Magens (wahr-
scheinlich mit stärkerer Muskelentwickelung). 2. Mangelhafter Verschluss der Cardia
und Erweiterung des cardialen Theils des Oesophagus (sehr sinnreich ist das Ex-
periment mit den lebenden Goldfischen, welche Verf. den Patienten verschlucken Hess,
und die alsbald wieder unbeschädigt zu Tage gefördert wurden; Verf. schliesst daraus
wohl mit Recht auf eine bedeutende Erweiterung des cardialen Oesophagustheiles).
3. Hyperacide Beschaffenheit des Magensaftes, einhergehend mit guter Fleisch- und
schlechter Amylaceenverdauung.
— 471 —
Daraas erklären sich vortrefflich die verschiedenen Yerdauungsstörangen eben-
sowohl wie die Wirksamkeit der Therapie, welche in Darreichung von Alkalien und
Elektrisimng des Magens resp. des Oesophagus bestand. Patient wurde geheilt
enüassen.
Die Arbeit ist sehr lesenswerth. Sperling.
12) Contribution a l'etude de la paralysie atrophique de l'enfanoe a forme
hömiplägique (töphro myälite xmilatörale), par J. Dejerine et E. Huet.
(Arch. de FhysioL norm, et path. 1888. Nr. 3.)
Die Yerff. beschreiben eingehend einen jener selteneu Fälle spinaler Einder-
lähmung, welche in hemiplegischer Form auftreten. Bei einem llmonatlichen Kinde
hatte sich dieselbe rechterseits entwickelt. Im 46. Lebensjahre ergab eine genaue
Untersuchung: schlaffe, atrophische Parese des rechten Arms und Beins, Gesichts-
musculatur intact, Eniephänomen rechts kaum erhältlich, idiomusculäre Erregbarkeit
rechts fast erloschen, keine trophischen oder sensibeln Störungen. Tod durch Tuber-
culose. Die Section ergab, dass die Atrophie am rechten Arm vorzugsweise Biceps,
Brachiaüs Int., Triceps, die Flexoren des Vorderarms, Thenar und Antithenar, am
rechten Bein namentlich den Semitendinosus betraf. Sämmtllche Knochen der rechts-
seitigen Glieder waren kürzer, so z. B. der rechte Humerus 3 cm kürzer als der
linke. Die rechte Arteria brachialis zeigte eine Hypertrophie der glatten Muskel-
fasern der Media. Die histologische Untersuchung des Biceps ergab nur wenige
verkleinerte Fasern; der Durchmesser der meisten Fasern war vergrössert (110 bis
148 fi). Starke interstitielle Fettwucherung. Das Gehirn erwies sich durchaus
intact Im Bückenmark fand sich in der Höhe der Lendenanschwellung eine völlige
Atrophie aller Ganglienzellen der hinteren äusseren Gruppe lediglich des rechten
Vorderhoms, sowie hochgradige Degeneration der rechtsseitigen, aber auch theilweise
der linksseitigen vorderen Wurzelfasem. Von den zu Grunde gegangenen Fasern
waren nur die leeren Schwann'schen Scheiden übrig. Interstitielle Veränderungen
fanden sich im rechten Vorderhome nicht. Im Dorsaltheil des Bückenmarks ist auch
das rechte Hinterhom etwas verschmälert, desgleichen die rechte Clarke'sche Säule;
die hinteren Wurzeln erscheinen beiderseits unverändert. Die Pyramidenvorderstrangs-
bahn ist rechts stärker als links, der Seitenstrang rechts schmäler. Der übrige Be-
fund wie im Lendentheil. Im Halstheil ist auch die vordere äussere Zellengruppe
des rechten Vorderhoms geschwunden, ebenso der rechte Tractus intermedio-lateralis.
Es besteht leichte Kemvermehrung. Die hinteren Wurzeln sind auch hier intact.
Die Vorderstränge sind wiederum links schmäler. In der Oblongata fanden sich
keine Veränderungen, auch die p^pherischen Nerven (N. medianus und ischiadicus
dexter) zeigten verhältnissmässig wenig degenerirte Fasern.
In der Epikrise heben die Verff. als differentialdiagnostisches Merkmal gegen-
über der cerebralen Kinderlähmung das Fehlen der Contracturen und die Abscliwächung
der Sehnenphänomene und das Prädominiren der Atrophie in gewissen Muskelgruppen
bei der spinalen Kinderlähmung hervor. Die Degeneration der linksseitigen vorderen
Wurzeln betrifft Fasern, die mittelst der weissen Commissur aus dem rechten Vorder-
hom stammen. Th. Ziehen.
13) Infiintile paralysis limited to the bulbar nuclei with permanent para-
lysifl of half the face and tongue, by W. Pasteur. (The Lancet. 1887.
Vol. II. Nr. 18.)
Bei einem Kinde von 2 Jahren und 3 Monaten zeigten sich am 2. bis 3. Tage
einer mit heftigem Fieber verbundenen Diarrhö Zuckungen in den Mundwinkeln und
472 —
an den Fussgelenken, denen sich am folgenden Morgen rechtseitige Gesichtslähmung,
Sprachstörung und Unmöglichkeit zu schlacken anschlössen. Nach einigen Wochen
stellte sich das Schluckrermögen und dann die Sprache wieder her, während die
totale Facialislähmung und die rechtsgerichtete Deviation der Zunge mehrere Monate
lang bestehen blieben. Die übrigen Gehimnerven erwiesen sich als intact.
Verf. fasst den Fall als infantile Paralyse auf, bei welcher die ungewöhnliche
Localisation der Lähmungen auf Affection der bulbären £eme schliessen lasse; viel-
leicht seien bei dem lange bettlägerig gewesenen Kinde paralytische Erscheinungen
der Glieder übersehen worden. Bemerkenswerth bleibt es, dass während des sechs-
monatlichen Bestehens der Lähmungen — so lange wurde das Sind beobachtet —
keine entsprechenden trophischen Störungen zu finden waren. J. Bnhemann.
14) Ueber paralytische Luxationen der Hüfte, ein Beitrag anr Aetiologie
der Gtolenkcontraoturen nach spinaler Einderlähmung (aus dem jüdischen
Krankenhause zu Berlin) von Dr. Karewski. (v. Langenbeck's Arch. Bd. XXXVII.
Heft 2.)
Die 4 geschilderten Fälle von spontaner Hüftgelenksluxation, welche unzweifel-
haft ihre Entstehung einer spinalen Kinderlähmung verdanken, gewähren einen tieferen
Einblick in die Grundursache des Zustandekommens derselben. Eine mechanische
Erklärung nach Hueter und Volkmann genügt nicht, es muss die antagonistische
Werner*s, oder die antagonistisch-mechanische von Seeligmüller herangezogen
werden. Deshalb behauptet Verf. in seiner Schlussfolgerung geradezu: „eine para-
lytische Luxation der Hüfte kann nur zu Stande kommen, wenn die Hüftmuskeln
nicht alle in gleichem Maasse gelähmt werden. Ueberwiegt die Kraft der- Botatoren
und Abductoren, so entsteht luxatio infrapubica, sind die Adductoren intact, so bildet
sich luxatio iliaca aus. Trifft die Paralyse alle Muskeln in demselben Maasse, so
wird ein Schlottergelenk erzeugt."
Diese Anschauung erscheint recht plausibel. Unter den 4 Fällen befinden sich
3 von luxatio infrapubica, einer von luxatio iliaca. Der eine der erstem verwandelte
sich unter den Augen des Arztes aus einer blossen Contractur in eine Luxation.
Die Therapie muss durch Orthopädie, Massage und Elektricität womöglich pro-
phylactisch wirken. Sperling.
16) Ueber Muskelatrophie bei Gehimerkrankungen, von H. Quinke in Kiel.
(Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd. XLIL H. 5.)
Verf. theilt folgende Beobachtung mit: Ein 14jähriger Mensch erkrankte an sich
öfters wiederholenden Krampfanfallen im linken Arm und Bein. Dazu trat Parese
der linksseitigen Extremitäten, eine allmählich zunehmende Abmagerung des linken
Arms und der linken Wade, starke Kopfschmerzen, Erbrechen, Schwindel, später
Somnolenz, in welcher Fat zu Grunde ging.
Die Section ergab ein Gliom von 3,5 cm Durchmesser in der vorderen Gentral-
windung.
Von besonderem Interesse ist bei diesem Krankheitsfalle die Constatirung einer
Abmagerung, die, von den Angehörigen schon einen Monat nach dem ersten Krampf-
anfalle bemerkt, allmählich bis zur 10. Woche an Intensität zunahm und den linken
Oberarm, später auch den Unterarm und Unterschenkel betraf. Dabei nur geringe
Parese in den afficirten Muskeln ohne jedwede Contractur. (Ob Zeichen von EAB
bestanden, ist nicht erwähnt.)
In einem 2. ähnlichen Falle von Gliom der medialen Hälfte beider rechtsseitigen
Centralwindungen erfolgte 4 Wochen nach Eintritt völlig schlaffer Lähmung eine
473 —
bedeutende Abmagerung des linken Annes mit geringer Herabsetzung der faradiachen
Erregbarkeit. Das gleichzeitig gelähmte linke Bein zeigte keine atrophischen Störungen.
Bei einer 3. Beobachtung gab eine luetische Affection im motorischen Rinden-
gebiete die Veranlassung zu einer Paralyse des linken Arms und Parese des linken
Beins. Gleichzeitig klonische Zuckungen, Contracturen mit wechselnder Intensität
und — schon 3 Wochen nach der Lähmung — deutliche Atrophie des linken Armes
und Beines. — Keine EAB nur geringe Herabsetzung der faradischen Erregbarkeit.
Sich stützend auf vorstehende Beobachtungen stellt Verf. die Vermuthung auf,
dass in der Hirnrinde neben den motorischen Centren räumlich davon getrennte
trophische Gentren vorhanden seien, welche, manchmal mit betroffen, trophische
Störungen in den gelähmten Muskeln hervorrufen könnten.
Die Abmagerungen als Inactivitätsatrophien oder als Folge einer absteigenden
Degeneration der Pyramidenseitenstrangbahnen aufzufassen, hält Verf. für nicht möglich,
da sich die Abmagerung der Lähmung nach so kurzer Zeit anschloss und der mikro-
skopische Befund keine pathologischen Veränderungen weder in den Pyramidenseiten-
strangbahnen noch in den Vorderhomganglien ergab. P. Seifert (Dresden.)
16) Ein Fall nicht-progressiver Mnskelatrophie, von J. Butakow. (Wjestnik
psychiatrii i nevropatologii. 1888. V. 2. Russisch.)
Verf. hatte Gelegenheit, einen 54jährigen Bauer zu beobachten, bei welchem
sich im Laufe von 39 Jahren eine bis zum höchsten Grad vorgeschrittene Atrophie
der Musculatur am Gesicht, Hals und im oberen Gebiet der Brust und des Rückens
entwickelt hatte. Der Hals erschien verhältnissmässig lang und dünn, der Kopf
folgte dem Gesetze der Schwerkraft und fiel bald vornüber, bald zurück, das Acromial-
ende der Schlüsselbeine war nach vom und unten verschoben, die Schulterblätter
standen weit vom Rücken ab. Die Atrophie der Mm. pectorales, deltoidei, latissimi
dorsi und der an den Schulterblättern inserirenden Muskeln hatte eine solche In-
tensität erreicht, dass die obere Partie des Rumpfes buchstäblich ein nur mit Haut
bedecktes Skelett darstellte; von den Mm. sternocleidomastoidei war beiderseits nur
ein dünner bindegewebsartiger Strang erhalten; am Gesiebt waren die Schläfen und
Wangen tief eingefallen, und sein Knochengerüst zeichnete sich deutlich unter der
Haut ab. Die Extremitäten, sowohl die oberen, als die unteren,, waren vollständig
von Atrophie verschont geblieben; eine geringfügige Abnahme der Muskelmassen be-
stand nur in der Schulterregion und am Gesäss. Die Bewegungen der Extremitäten
waren in keiner Weise behindert, auch irgend welche andere nervöse Störungen liessen
sich nicht constatiren. Die elektrische Erregbarkeit der Nerven und Muskeln wurde
nicht untersucht. Patient giebt an, dass er in seinem 15. Jahre von einer heftigen
Fiebererkrankung befallen worden sei, die mit Bewusstseinsverlust verlief; als er von
dieser Krankheit zu genesen anfing, bemerkte er zum ersten Mal, dass er den Kopf
nicht gerade halten konnte, und seitdem nahm die Atrophie der Muskeln allmählicb,
sehr langsam, zu. lieber Erblichkeitsverhältnisse liess sich nichts Bestimmtes er-
mitteln. P. Rosenbach.
17) Hereditär progressiv muskelatrofi hos tre syskon, af A. Levin. (Hygiea.
1887. XLIX. 12. Svenska läkaresäUsk. förh. S. 245.)
Bei dem 17 Jahre alten Pat., der zeitig laufen gelernt hatte, stellte sich im
4. Lebensjahre Schwäche mit schwankendem Gange bei eingebogenem Rücken ein;
allmählich verschlimmerte sich dieser Zustand und vom 10. Jahre an ging Patient
an Krücken. Der Bücken war immer schwach gewesen und Pat. konnte nicht ohne
Stütze aufrecht sitzen und beim Aufstehen musste er sich auf die Arme stützen, die
auch schwach waren. Alle Muskeln waren schwach entwickelt, besonders an der
Vorderseite der Schenkel, am Rücken und Schultei^ürtel, theils schlaff (kurze und
— 474 —
•
breite Muskeln), theils sehnig (lange Muskeln). Znr Zeit der Untersuchung (Juni
1887) konnte der Kranke ohne Stütze kaum einen Augenblick stehen, stützte sich
nnr auf das rechte Bein mit nach rechts überhängendem Körper bei nach links con-
vexer Skoliose der Wirbelsaule; ausserdem bestand starke Lordose mit etwas nach
Yom geschobenem Steiss und nach hinten durchgedrückten Knien. Nach vom bis
auf den Boden sich bücken konnte Fat, auch mit auf die Knie gestützten Händen
aufstehen. Das rechte Bein konnte mit gebeugtem Knie kaum 3 cm Tom Boden
erhoben werden, mit gestrecktem Knie gar nicht, im Knie konnte es bis fast zu
einem rechten Winkel gebeugt werden. Das linke Bein konnte bei gebeugtem Knie
24 cm, bei gestrecktem Knie 8 cm vom Boden erhoben, im Knie bis zu einem rechten
Winkel gebeugt werden. Beim Stehen waren die Beine ziemlich stark nach aussen
rotirt. Plantar- und Dorsalfiexion war an beiden Füssen erhalten, eine geringe Pro-
nation am linken» die Supination war an beiden Füssen unmöglich. Die Kraft war
in dem linken Bein grösser als im rechten. Die Arme konnten nicht nach oben
gestreckt werden, die Serr. ant. majores waren stark atrophisch. Die Schulterblätter
standen ab. Der linke Arm war starker als der rechte. Oontracturen oder fibrilläre
Zuckungen waren nicht vorhanden, der Patellarreflex war schwach, aber deutlich, die
Hautreflexe waren normal. Die elektrische Reizbarkeit war der Atrophie entsprechend
herabgesetzt Entartungsreaction wai nicht vorhanden. Die Intelligenz des Kranken
war gut, auch fand sich keine Abnormität der innem Organe.
2. Die 14jähr. Schwester des erwähnten Kranken lernte spät gehen und zeigte
von Anfang an Schwäche in den Beinen und im Bücken; seit dem 10. Jahre ging
sie an einer, seit dem 13. an zwei Krücken; sie konnte sich nicht auf die Beine
stützen. Es bestand Skoliose mit Lordose, nach vom gehobenem Steiss und nach
hinten durchgedrückten Knien; aus vomübergebeugter Stellung konnte sich die Kranke
nicht ohne Stütze aufrichten. Sonst war der Befund ziemlich wie bei dem ältesten
Bruder, die Sehnenreflexe waren links äusserst schwach, rechts nicht sichtbar.
3. Bei dem 3. der Geschwister, einem lljähr. Mädchen, begann die Schwäche
im 4. Jahre, Krücken wurden im 10. Jahre nothwendig, doch konnte sich Fat. auf
beide Beine stützen. Es bestand Skoliose und Lordose. Sie konnte einige Schritte
ohne Krücken gehen, aber wankend, wie bei angeborener Hüftgelenksluxation. Die
Arme konnte sie nach oben strecken, doch nur mit Schwierigkeit. Auch bei ihr
war die linke Seite stärker. Die Sehnenreflexe waren ziemlich gut, die elektrische
Reizbarkeit war wenig herabgesetzt.
Die Behandlung (Bäder, Elektricität, Gymnastik) besserte den Zustand des Bruders
etwas, die ältere Schwester lernte etwas besser, die jüngere ziemlich gut lanfen.
Walter Berger.
18) Fseudo-hypertrophio Mnsoular Paralysis» bj Dr. Middleton. (Medice-
Chirurgical Society of Glasgow. April 1888. The Glasgow Medical Journal.
1888. Juni.)
Ein Sjähriger Knabe, über dessen Familie nichts bekannt war, konnte im Jahre
1881 gut gehen und Nahrung zu sich nehmen; er hatte einen Pes equinus. Ende
1881 konnte er nicht mehr gehen, doch sich in der typischen Weise vom Stuhl
erheben. Ende 1882 war auch das nicht mehr möglich. Es bestand damals eine
Scoliose und Hypertrophie der Waden. Die Muskelschwäche nahm mit der Zeit zu;
er konnte nicht mehr kauen, musste gefüttert werden. Das Kniephänomen fehlte.
Die Sensibilität wie Articulation war normal, ebenso der geistige Zustand des Knaben.
Nach allmählicher Abmagerung starb der Fat. im December 1887 nach kurz dauern-
der Erschöpfungsdiarrhoe. Der Körper war sehr abgemagert und die Muscnlatur
gering, mit Ausnahme der Gastrocnemii. Die Waden waren rechts lO^/j Zoll, links
972 ^^^ ^^^^» ^'® Oberschenkel rechts 9'/^, links 9, die Unterarme rechts 6, links 6,
die Oberarme 6^/2 Zoll. Gehirn und Med. obl. waren makroskopisch und mikroskopisch
475 —
ohne pathologische Veränderung. Das Bflckenmark verdarb bei der Härtung. Die
Muskeln zeigten hochgradige fettige Infiltration, namentlich der rechte Glut, maxim.
und der linke Gastrocnem. Die Dicke der Muskelfasern wie die Menge des Binde-
gewebes war verschieden; letzteres oft vermehrt. Dichotom. Theilung der Muskel-
fasern wurde ebenso wenig wie Coagulationsnecrose gefunden. Die Krankheit scheint
dem Verf. myopathischen Ursprungs zu sein, doch dürfte die vielfach beschriebene
Coagulationsnecrose nicht das Anfangsstadium derselben darstellen. Kalischer.
19) Des öphidrosea de la faoe, par P. Raymond. (Arch. de Neurolog. 1888.
XV. p. 61 et 212.)
B. bespricht die abnorme Schweissabsonderung im Gesicht unter Anfflhrung
zweier selbstbeöbachteter Fälle, sowie unter kritischer Sichtung des in der Litteratur
vorhandenen Materials. Er sondert die Fälle in 4 Hauptgruppen. In der ersten
Gruppe bestehen materielle Störungen im cerebrospinalen Nervensystem: es sind die
Uemiplegiker, Paralytiker, Tabiker, Epileptiker und Andere mit organischer Erkran-
kung des nervösen Oentralorgans. Hier finden sich neben dem oft halbseitigen
Schweissausbnich häufig allerlei trophische Störungen. Die zweite Gruppe ist aus-
gezeichnet durch eine Affection des Halssympathicus, auf welche aus den sonstigen
charakteristischen Symptomen geschlossen werden kann. Der zweite Fall des Verf.
gehört hierher; bei der Autopsie will B. im unteren Halsganglion Kemwucherung
und Compression und Atrophie der Nervenzellen gefunden haben. In der dritten
Gruppe sind die Gesichtsnerven afficirt, der Facialis oder der Trigeminus bezw.' ihre
Aeste, durch Neuralgien oder durch Krankheiten ihrer Umgebungen: Parotitis, Trau-
men u. s. w. Zur vierten Gruppe gehören die reflectorischen Ephidrosen, psychischen
oder peripherischen Ursprungs, auch toxischer Natur.
Bei allen diesen Arten erscheint die Vermittelung des Sympathicus zweifellos.
Die Experimente beweisen es; und zwar geschieht es auf zweierlei Weise, durch die
vasomotorischen und durch die Schweissfasem. Im ersteren Falle kann nebenbei
Röthung und erhöhte Wärme der Haut und Myosis auftreten; bei der Schweisshyper-
secretion allein können die Pupillen erweitert sein. Ueber eine directe Einwirkung
der Gehirnrinde und der bulbären Centren sind die Acten noch nicht geschlossen,
wie denn Oberhaupt alle die verschiedenen klinischen Erscheinungen noch nicht völlig
erklärt werden können. Auch der Befund an dem Cervicalganglion lässt, besonders
bei völligem Intactsein des Nervenstammes, noch Vieles dunkel. Siemens.
Psychiatrie.
20) Ueber plötaliohen Tod aus Angst bei einem Geftuigenen, von 0. Bol-
linger. (Münch. med. Woch. 1888. Nr. 20. S. 331.)
Für den plötzlichen Tod ist bei dem 60jährigen Manne keine andere Ursache
ausfindig zu machen, als die oben angegebene. Nach 6monatlicher Gefangenschaft
zeigten sich die ersten Spuren von Krankheit an dem Tage, an welchem er vor das
Schwurgericht geführt werden sollte. Der anwesende Arzt erkannte sofort den mori-
bunden Zustand und sorgte fQr Ueberführung nach dem Krankenhaus. Dort trat
unter den Symptomen von Herzlähmung sehr bald der Tod ein.
Die Section gab keine Aufklärung. Verf. hält es für am wahrscheinlichsten,
dass bei ' vorausgegangener schlechter Ernährung das „psychische Trauma" vorzugs-
weise auf die Herznerven schädigend gewirkt hat. Der Befund der Herzmusculatur
lässt, wie Lesser hervorhebt, keinen Schluss zu auf die Leistungsfähigkeit des Herzens;
Verf. meint, dass die Blutfflllung der Unterleibsorgane, welche schnell auf Störungen
der Herzfnnction reagiren, in solchen Fällen plötzlichen Todes ganz besonders berück-
sichtigt werden muss. Sperling.
476
21) lieber Chorea und andere Bewegnngsencheiniuigen bei Oeisteekrasken,
von M. Koppen, Strassburg. (Arch. f. Psychiatric. 1888. XIX. 3.)
K. berichtet über 6 Fälle, in welchen eine einfache Psychose zeitweise choreatische
Bewegungsstörungen zeigte. 4 Fälle betreffen typische Manien; jugendliches Alter
und weibliches Geschlecht spielt wie überhaupt bei der Entstehung einfacher Manien
mit starkem Bewegungsdrang eine grosse Bolle. Charakteristisch für die choreatischen
Bewegungen hält K. die Betheiligung des ganzen Körpers, ihre Zusammengesetztheit,
ihre Arhythmie, das plötzliche Einsetzen und langsame Zurückgehen und endlich den
verstärkenden Einfluss der Affecte nnd intendirter Bewegungen. Wie auch bdm
Gesunden anfiings willkürliche Bewegungen durch Uebung schliesslich zu automatischen
werden, so würden nach Verf. auch die maasslosen Bewegungen des Tobsüchtigen,
die Logorrhoe, die Echolalie, die paramimischen Bewegungen etc. anfangs auch einen
entsprechenden Bewusstseinsinhalt haben und erst im Laufe der Krankheit zu auto-
matischen Bewegungen werden. Die Möglichkeit, dass Bewegungen, die ursprünglich
reine Ausdrocksbewegungen eines Affects sind, sich von dem letzteren schliesslich
loslösen und auf Grund secundär-selbstständiger Erregung tieferer Centren fortdauern,
hat übrigens Referent schon betont. Von diesen ursprünglich bewnsst gewesenen
Bewegungen trennt K. jene Erscheinungen allgemeiner Bewegnngsunruhe, für die
Freusberg eine unbewusste Irradiation von der Psyche auf subcorticale Centren
angenommen hat; dieselben hören bei beabsichtigten Bewegungen auf und verlaufen
weniger plötzlich als die choreatischen. Th. Ziehen.
22) lieber Neurosen und Psychosen durch sexuelle Abstuienz, von Prof.
V. Krafft-Ebing. (Jahrbücher für Psychiatrie. 1888. VIII. 1 u. 2.)
Der Einfluss sexueller Abstinenz ist in seinen Wirkungen abhängig von der
Persönlichkeit des Abstinirenden, von seiner Constitution und der Intensität des
Triebes. Bei Menschen von normaler Veranlagung und geschlechtlicher Bedürftig-
keit wird die Abstinenz niemals Gefahren für Nerven und Geistesleben mit sich
bringen. Jedem normal constituirten Manne wird die Abstinenz unschädlich sein,
wenn er passende geistige Diät, Femhaltung von der geschlechtlichen Sphäre er-
regenden Vorstellungen, ernste geistige und berufliche Thätigkeit, frugale Kost und
reichliche Leibesbewegung zu Hülfe nimmt. Beim normal veranlagten Weibe macht
sich das Nichteintreten des geschlechtiichen Verkehrs wie der Verzicht auf gewohnten
(Wittwen) noch weniger fühlbar als beim Manne. Auch hier werden ein der ehe-
lichen Versorgung äquivalenter Beruf, geistige und leibliche Diätetik Nützliches
leisten. Das normal veranlagte Weib ist an und für sich weniger geschlechtsbedürftig
und daher weniger sinnlich als der Mann, und spielt die sexuelle Nichtbefriedigung
keine so grosse Rolle bei der Entstehung der Hysterie, wie vielfach behauptet wird.
Nicht auf die Sinnlichkeit, sondern auf die Nichtbefriedigung idealer (Gefühle (ge-
sicherte Lebensstellung als Ehefrau und Mutter etc.) legt v. E.-E. den Hauptaccent
beim Weibe. Bei Frauen, die eine äquivalente ehelose befriedigende Lebensstellung
finden, bleiben die später zu erwähnenden Wirkungen ans. Beruf, Kunst, Aesthetik etc.
vermögen jedoch den durch die JBhe erschlossenen ethischen Gefühlskreis nie voll-
kommen zu ersetzen. Auf dem psychischen Entstehungswege, nicht durch Nicht-
befriedigung des grob sinnlichen geschlechtiichen Triebes entsteht die Hysterie.
Ernste Gefahren kann die erzwungene Abstinenz bezüglich der Entstehung von Nerven-
und Geisteskrankheiten nur bei Individuen hervorbringen, die neuropathisch constituirt
sind und bei denen als Theilerscheinung ihrer Belastung ein äusserst lebhafter Sexual-
trieb sich vorfindet Die mächtige Steigerung der Libido sexualis, die nur lasciven
Bildern das Verweilen im Bewusstsein gestattet, führt zu einem wahren Erethismus
cerebralis. Bei Andauer desselben entwickeln sich Schlaflosigkeit, Hallucinationen,
— 477 —
Neurosen (Nenrasthenie), Nymphomanie, Satyriasis, Zustände von (erotischem) halln-
cinatorischem Wahnsinn etc. Der pathogenetische Weg, auf welchem die Nichthe-
fHedignng des Sexnaltriebes die Nervengesnndheit schädigt, ist der gleiche wie bei
der Gesnndheitszerrflttnng durch sexuellen Abusus und Onanie. Es entwickelt sich
zunächst durch beständige Erregung und Hyperämisirung der genitalen Organe ver-
möge der centralen Hyperästhesia sexualis bei mangelnder Entlastung und Ausgleichung
der Erregung durch den Coitus etc. eine genitale Neurose, eine reizbare Schwäche
der Lendenmarkscentren. Die Lendenmarksneurose entwickelt sich schliesslich zur
allgemeinen Neurasthenie. Spielen sich diese Vorgänge auf dem Boden der Belastung
ab, 80 kommt es zu Psychosen, die je nach der Schwere der Belastung sich als
hypochondrische Melancholie oder Wahnsinn oder als Paranoia oder Irresein in Zwangs-
vorstellungen etc. entwickeln. — Die Ehe kann nur für Neurasthenia sexualis ex
abstinentia ein Heilmittel sein, und auch da ist sie nur anzurathen, wenn die Neu-
rose erheblich gebessert ist. Ealischer.
23) Hittheiluiigen aus der psychiatrisohen Klinik in Prag» von Prof. A.Pick.
(Jahrbücher für Psychiatrie. 1888. VIII. 1 u. 2.)
L Zur Looalisation einseitiger Gehörshalluoinationen nebst Bemer-
kungen über transitoriflohe Worttaubheit.
Ueber einseitige GehOrshallucinationen berichten Uughlings Jackson, Robertson,
Tamburini, Hertz, Millet etc. Die contralaterale Localisation der die einseitigen
Gehörshallucinationen bedingenden centralen Läsion beweist auch der folgende Fall,
in welchem intra vitam eine- ziemlich sichere Localdiagnose gestellt werden konnte.
Bei einer geistig beschränkten, aber bis dahin psychisch gesunden 3öjährigen Frau
entwickelt sich ein Zustand von Verworrenheit mit den Erscheinungen der Seelen-
blindheit. Dann treten AnföUe auf, die mit Bewusstlosigkeit beginnen; dann folgen
rechtsseitige und später allgemeine Gonvulsionen; ebenso zeigen sich erst rechtsseitige
Parästhesien dann allgemeine Herabsetzung der Sensibilität; femer Worttaubheit,
Paraphasie, Seelenblindheit. Als einzige Folgeerscheinung in den darauf folgenden
fast symptomlosen Intervallen bestehen rechtsseitige Gehörshallucinationen. Die An-
falle waren bald mit Stumpfheit, Ohnmacht, bald mit völliger Bewusstlosigkeit und
Sopor verbunden. Die sensiblen Störungen erst halbseitig, dann allgemein, gehen
bald den Krampfanfallen voran, bald subsütuiren sie gleichsam die Krampfanfälle.
Charcot stellt sie den halbseitigen Gonvulsionen an die Seite und beschrieb sie bei
Paralytikern als Epilepsie sensitive. — Die vorübergehende, anfaUsweise auf-
tretende Worttaubheit dürfte wohl durch jene Störungen der Bindenfunctionen bedingt
sein, welche mit epileptischen Krämpfen verbunden sind. Als Aura eines epileptischen
Anfalls wurde Worttaubheit von Boss, Netter, Skikorsky etc. beobachtet Als Folge-
erscheinung des epileptischen Anfalls dürfte die sensorische Aphasie aus dem Grunde
seltener als die einfache transitorische Aphasie beobachtet werden, weil dieselbe im
Symptomencoroplex der prä- und postepileptischen Bewusstseinstrübung häufig über-
sehen wird; auch ist der Schläfelappen vielleicht in geringerem Grade betroffen oder
einer schnelleren Bestitution fähig; ebenso mag es bei der Dementia paralytica sein,
wo Worttaubbeit als Anfallssymptom häufiger zur Beobachtung kommt als bei Epi-
lepsie. Jedenfalls muss die den Symptomencomplez der beschriebenen AnföUe aus-
lösende Ursache (Läsion) in der Nähe des linken Schläfelappens liegen. Dass die
linke Hemisphäre Sitz der Störung (Läsion) sei, dafür sprechen auch die motorischen
und sensiblen Erscheinungen des Anfalls. — Die Worttaubheit zeigte in den einzelnen
Fällen drei verschiedene Formen. Die erste stimmt mit der von Wemicke beschrie-
benen Form überein. Ausschaltung des Klangbildcentrums A nach Lichtheim's Schema.
Es fehlte das Yerst&ndniss des Gesprochenen, wie die Fähigkeit des Nachsprechens,
während die willkürliche Sprache als Paraphasie erhalten war. Die zweite Art glich
der Leitungsworttaubheit Lichtheim's. Es bestand die Möglichkeit des Nachsprechens
- 478 —
bei feblesdem Verstandnifls des Nachgesprocheuen. Wir mfUisen diese Form als die
mildere betrachten, da sie erst mit weiterem Abklingen der Allgemeinerscheinungen
auftrat Als die andern Erscheinungen noch mehr abgeklungen warra, zeigte sich
die dritte Form, und zwar derart, dass die Kranke bei noch fehlendem WortYerstand-
nies die Wörter als solche in ihrer BuchstabenfQgung theilweise oder yielleicht ganz
correct auffesste und sie nicht mehr einfach automatisch, sondern bewusst fragend
wiedei^b. Während man bisher die Ferception der Worttauben mit der eines Yer-
worrenen Geräusches verglich, beschrieb Amaud eine ähnliche Abart der Worttaub-
heit und führte fflr seine Deutung einen Fall von Fraenkel an, der die Erscheinung
des spontan fragenden Wiederholens missverstandener Wörter gleichfalls während der
Bflckbildung der Worttaubheit zeigte. Aehnlich wie Broadbent nimmt er ein den
Sinnescentren functionell übergeordnetes neues Oentrum an. Der FaU wird an Lichtr
heim*s Schema erläutert Die Seelenblindheit zeigte sich gleichfalls vorübergehend
als functionelle Störung bei Nachlass der Erscheinungen des Anfalls, nachdem vorher
überhaupt nicht perdpirt wurde, und handelt es sich da um dieselben quantitativ-
differenten Zustände, wie sie Cronigneau für die Binden- und Seelenblindheit und
Boss für die aphasischen Störungen besprochen hat. — In den Anfällen handelt es
sich erst um Beiz- dann um Lähmnngserscheinungen von Functionen, die in die
Binde der Centralwindungen, des Schläfe- und Hinterhauptlappens verlegt werden.
Es muss sich um eine drcumscripte Läsion handeln, die keine dauernde Störung
motorischer, sensibler und sensorischer Functionen erzeugte und jedenfalls das Mark,
vielleicht auch Bindenabschnitte im Gebiete des untern Scheitel- und hmtem Schläfe-
lappens ergriffen hat Den Verdacht embolischer Erweichung legt ein abnormer Be-
fund am Herzen nahe. Die motorischen und sensiblen, dem Typus der Bindenepilepsie
entsprechenden Erscheinungen sind mehrfach, als durch ähnliche Heerde im Mark
ausgelöst, durch Sectionsbefunde erhärtet (Holland). Seelenblindheit ohne Hemianopsie
als rasch vorübergehende Erscheinung bei Intactheit beider optischen Wahmehmungs-
centren und Läsion des Bindenfelds für das optische Gedächtniss in der einen Hemi-
sphäre — beobachtete Wilbrand: Der Sitz der Läsion in der linken Hemisphäre
in der Nähe des Schläfelappens könnte auch das Zustandekommen der rechtsseitigen
Hallucinationen erklären, die sich an die rechtsseitigen Erampfanfälle anschlössen
und erst vorübergehend, dann eine Zeit lang permanent, und endlich intermittirend
auch ohne vorgängige Krampfanßille auftraten. Daneben bestand rechtsseitige hoch-
gradige Acusticushyperästhesie ohne sonstige nachweisbare Ohraffection. Während
der Anf&Ue und Verworrenheit verlegte die Fat. die GehörsbaUucinationen nach unten
und objectivirte dieselben, später verlegte sie dieselben in das Ohr und an den Bücken.
— In letzter Zeit nahm die Verblödung der Fat. rapide zu und lässt es sich an-
nehmen, dass eine grobe Heerdaffection rasch ablaufende Himatrophie als diffuse
Folgewirkung hervorrief.
n. Im zweiten Falle handelt es sich um epileptisches Irresein bei einem
15jährigen Knaben. Dasselbe verlief klinisch genau identisch mit dem der Erwach-
senen (Stupor, ängstliche Delirien, Gewaltthätigkeiten etc.).
nL Bin FaU von Beilezpsyohose nebst Mittheilungen über das sog,
Deliriiun traumatioum oder nervoaum und transitorisohen Fussklonus.
Bei einem als nervös beanlagt zu bezeichnenden 26jährigen Bergmann, dessen
Prädisposition durch Hitze, Affect und floride Lues gesteigert war, würd plötzlich
durch die schmerzhafte Bongierung einer Strictur eine durch SinnestäuschungMi, Angst,
Erregung charakterisirte Psychose hervöfg^rsf^i^der aura-artige Erscheinungen vor-
ausgingen. Der Verlauf ist ein remittirender, nu^tm^ge Tage dauernder. Kein
Erinnerungsdefect. Keine Wiederholung des Anfalls. Dß^ Fall, eine traumatische
Beflexpsychose, steht Griesinger's Dysthymieu und SchJMo's Dysphrenia neuralgica
nahe, ebenso wie dem Delirium traumaticum nervosum, '"^on dem ein Fall berichtet
wird. Ein 4djähriger Schneider mit körperlicher Sclv^äche und Inanition durch
— 479 —
Eüernng zeigt nach einer Keerotomie des linken Unterschenkels die Symptome, wie
sie bei den Delirien nach Kataraktoperationen beschrieben sind. Es fiel weniger die
nicht so seltene Unorientirtheit des Kranken auf, als die dicke yerschwommene lallende
Sprache, die als Ausdruck der allgemeinen Schwäche angesehen wird. Nach 10 Tagen
er. trat volle Klarheit ein. Es bestand ferner während der Dauer der Psychose Fuss-
klonus und Steigerung der Patellarreflexe. Dass auch andere Affectionen als derartige
peripherische Beize Ursachen eines vorübergehend auftretenden Fussphänomens sein
können, beweist ein anderer Fall, in welchem ein Kranker mit den psychischen Er-
scheinungen der melancholischen Verrücktheit (Witkowski) nach Amputation des
rechten Fusses nach Lisfranc Steigerung der Kniephänomene und deutlichen Fnss-
klonus links vorübergehend zeigte. Für beide Fälle lässt sich eine über den ganzen
Bückenmarksquerscbnitt verbreitete von der Wunde resp. Verletzung und Narbe aus-
gehende Erregung als Ursache des Fussklonus annehmen. Fussklonus an dem ver-
letzten Bein allein beobachteten bereits Flenry, Delom-Sorb^ etc. Kalischer.
24) Des attaques du sommeil hyst^rique» par Gilles de la Tourette. (Arch.
de Neurologie. 1888. XV. 93 u. 266.)
Kataleptische und lethargische Anfälle sind schon von Alters her auf die Wir-
kung des Uterus zurückgeführt worden; das historische Studium der AnfäUe von
Schlaf zeigte dass der Schlafanfall eins der wichtigsten und interessantesten Phäno-
mene der Hysterie ist Die Geschichte der „Schlafenden von Thenelles" ist ein gutes
Beispiel zur Einleitung.
Die Kranken bieten meist die bei der Hysterie gewöhnlichen hereditären und
persönlichen Antecedentien dar. Gewöhnlich sind auch die üblichen hysterischen
Anfalle vorhergegangen, zu welchen die lethargischen Phänomene sich mischen, um
gegebenen Falles ein selbstständiges Bild zu stellen, welches dann noch mit den ge-
wöhnlichen Anfällen abwechseln kann. Die Seltenheit der Schlafanfälle ist keine so
grosse, als die früheren Autoren annahmen. Die Anfälle betreffen beide (Geschlechter.
In den ausgebildeten Formen ist das Bewnsstsein genügend geschwunden, die Mus-
keln sind hinreichend gelöst. Ohne, oder mit vorhergehenden Krämpfen, oder anderen
Vorboten tritt der Schlaf langsam oder plötzlich ein, das Geucht ist bleich; einzelne
Muskeln sind contracturirt, was ein wichtiges Zeichen ist; fast stets sind es die
Kaumuskeln. Die Pupillen sind normal oder verengert oder erweitert (im normalen
wirklichen Schlaf sind sie bekanntlich etwas verengert. Bef.), die Bespiration lang-
sam, Puls normal oder langsam, die Temperatur ist meist um einige Centigrade er-
höht. Da die Ernährung meist schwierig ist, so tritt Abmagerung ein; viele der
Fälle sind zugleich solche von Abstinenz mit den für die Inanition charakteristischen
Erscheinungen. Hier wird vielleicht der Stoffwechsel durch die Hemmung des Schlafs
noch mehr verlangsamt. — Was den Zustand der Sinne betrifft, so sind die Kranken
gewöhnlich anästhetisch nach jeder Bichtung, doch kommen Fälle vor, wo der Kranke
wohl fühlt, aber nicht reagiren kann. Auch giebt es partielle Hyperästhesien, hystero-
gene Zonen, durch welche man „Anfälle'' und Erwachen hervorrufen kann; Transfert
und Magnetwirknng sind ebenfalls beobachtet Viele Kranke wissen später von Nichts,
andere haben Erinnerung an den Zustand. Auch Suggestion ist möglich. Das kann
schwierige Fragen in forensischen Fällen geben, besonders wenn auch Verdacht auf
Simulation vorliegt. Differentiell-diagnostisch muss man Apoplexien, Coma, Hemi-
plegien und andere schwere Zustände organischen Ursprungs vermeiden, auch die
hypnotische Lethargie, den epileptoiden, „narcoleptischen'' Anfall, den melancholischen
Stupor der lethargischen Form u. s. w. Simulation hält Verf. für unmöglloh heut
zu Tage. — Die Therapie des Abwartens verwirft Verf. als möglicherweise gefähr-
lich; er verweist auf die hysterogenen Zonen, um eine Erweckung zu versuchen.
Siemens.
— 480
26) Des tronbles de la vision dans l'hystörle et dans quelques affeotionB
mentalesy par G. Pichon. (L*Enc^pliale. 1888. Nr. 2.)
Verfasser bebandelt in der recbt ausführlichen Arbeit nicht eigentlich die rein
psychiatrischen Störungen des Gesichtssinnes wie die Hallucinationen, welche gerade
bei der Hysterie so vielfach zur Beobachtung kommen und diese grosse Aehnlichkeit
mit den bei Alkoholismus beobachteten Sinnestäuschungen haben, sondern er beschränkt
sich auf die physikalischen Störungen des Gresichts. €rerade die Untersuchung des
Gesichtssinnes giebt oft ein wichtiges diagnostisches Hülfsmittel, um zwischen ver-
schiedenen Formen psychischer Alienation und der Hysterie unterscheiden zu können,
so zwischen Hysteroepilepsie, Epilepsie, Chorea, wahrer hysterischer Verrücktheit und
mancherlei Intoxicationserkrankungen, wie P. dies an einigen Krankheitsberichten
darthut, ja oft treten auch maniakalische und melancholische Anfälle bei Hysterischen
rein symptomatisch auf und da ist es natürlich sehr wichtig, das fundamentale IJebel
zu erkennen.
Zuerst fällt Amblyopie auf einer Seite auf, welche sich bei Hysterischen stets
mit einer Herabsetzung des Allgemeingefühls derselben Seite verbindet und zwar ist
es die nämliche Seite, auf der sich eventuell die Hyperästhesie des Ovarium findet.
Die Untersuchung des Augenhintergrundes ergiebt negatives Kesultat. In den Fällen,
in welchen nur für bestimmte Eörperstellen das Gefühl herabgesetzt ist, tritt die
Amblyopie meist binoculär auf, in seltenen Fällen deckt sich die Seite der Amblyopie
und der Hemianästhesie nicht, sondern eins tritt rechts, das andere Phänomen links
auf. Sodann sind Störungen des Farbensinns zu bemerken und zwar von der Dys-
chromatopsie bis zur Achromatopsie fortschreitend, am meisten geht die Wahrnehmung
des Violet, dann des Grünen verloren, dann folgt an Häufigkeit das Roth, dann Gelb,
Blau und schliesslich Weiss, doch macht das Rothe auch merkwürdige Ausnahmen,
oft können Hysterische gerade das Rothe noch bis zuletzt erkennen, während alle
anderen Farben ihnen schmutzig grau erscheinen. Wirkliche Amaurose bei Hysterischen
ist dagegen selten. Sodann sind die Anomalien des Gesichtsfeldes zu beachten, die
für die Hysterischen sehr wichtig, ja fast pathognomisch sein dürften, und zwar ist
es concen^isch verengt, eine geradezu constante Erscheinung, zweitens unregelmässig,
während es physiologisch rund oder elliptisch ist und drittens ist die Anordnung der
Farbenwahmehmung zerstört, welche physiolo^sch immer unverändert dieselbe sein
soU, indem das Gesichtsfeld für Wahrnehmung des Weissen weiter als blau, für blau
weiter als für gelb, für gelb weiter als roth, für roth weiter als grün, für grün
weiter als violet. Viertens ist das Gesichtsfeld der Hysterischen zuweilen durch
Hemianästhesie beeinträchtigt. Alle diese Symptome können in einem gewissen Ab-
hängigkeitsverhältniss zu einander zunehmen oder schwinden.
Eine weitere Sehstörung bei Hysterischen ist die Mikropsie, die aber auch bei
anderen Geistesstörungen angetroffen wird, ebenso die Diplopie und Poliopie und
zwar giebt es hier eine Art von monocularer Diplopie, der objective Befund wird
natürlich Strabismus convergens oder divergens sein. Während der hysterischen
Attacken sind die oculo-palpebralen Reflexe wie die der Pupille beinahe ganz auf-
gehoben. P. schliesst mit der Besprechung von 3 Fällen von Blepharoptosis, von
denen 2 auf Syphilis beruhen, der letzte einen Paralytiker betrifft. Zander.
m. Personalien«
Dr. Sioli, bisheriger Director der Irrenanstalt in Bunzlau, wurde zum Director
der Frankfurter Irrenanstalt gewählt, nachdem die von ihm gestellten Bedingungen
von der Stadtverordneten- Versammlung genehmigt worden.
Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mxtzgbb ft Wittig in Leipzig.
NeürologischesCentralblatt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geistesicrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter «» ^^^ Jahr^i^aiig.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zn beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1888. !♦ September. :^17.
Inhalt. I. Orlglnalmlttheilungen. 1. Ein Fall von Alexie mit rechtsseitiger homonymer
Hemianopsie („subcorticale Alexie" Wemicke), von Dr. L. Brans, Nervenarzt und Dr. B. 8i9l-
tiag, Augenarzt zn Hannover. 2. Anatomisoher Befund bei einer diphtherischen Lähmung,
von Dr. William 0. Krauu.
II. Referate. Pathologie des Nervensystems. 1. Contribution a T^tude de l'hämi-
atrophie de la langue, par Koch et Marie. 2. Ueber einen Fall von Tabes dorsalis, von Martins.
3. Tabes dorsalis — ataxia laryngis, by Gay. 4. Beitrag zur Pathologie der Tabes dorsalis»
von Btmbardt. 5. Herzaffeetionen bei Tabes dorsalis,^ von Oroedel. 6. Contribution k l'^tude
de l'ataxie locomotrice des membres supörieurs, par Dejerine. 7. Locomotor Ataxia oonflned
to tiie arms; Beversat of ordinaryprogress, by MItcliell. 8. Tabes dorsalis with rapid develop-
ment of Ataxia, by Suclding. 9. Wirbelerkrankungen bei Tabikem, von KrSnIg. W. A case
of Qiarcofs disease of the knee-joint, by Collier. 11. Fractnre de cuisse chez un ataxique.
Snppuration de la fractnre, mort, par Watllcli. 12. Lead-Poisoning as a cause of Muscular
loeoordination, by Putnam. 18. Ataxia in a Brassworker, by Suckllng. 14. Ataxia in a Brass-
worker, by Hogben, 15. Die trophisehen Störungen bei der Tabes dorsalis, von Max Hatow«
16. Ataxie lateral sclerosis, bv Preiton. 17. Üeber multiple Him-Rückenmarksklerose nebst
Angabe zweier F&lle bei Kindern nach Diphtherie, von Sclioenfetd. 18. Sor un cas de pseudo-
taMs, par Pitret, — Psychiatrie. 19. On Haemonhages and fabe membranes within te
cerebral subdural Space, occurring in the insane, by WIgletwortti. 20. Analogie des symptomes
de la paralysie vellagreuse et de la paralysie g^närale, par Balllaraer. 21. Traumatisme,
Epilepsie et paralysie gän^rale, par Terrien. 22. Die zunehmende mnflgkeit der Dementia
paralytica, von Snell. 23. Psychose im Kindesalter, von Kelp. 24. On a case of locomotor
ataxia followed by general paralysis of the insane, by Bullen. 25. Note sur les rapports
de lar paralysie g^n^rale et de la syphilis, par itfgia. — Therapie. -26. Mittheilungen über
die Wirlningen des Amylenbydrats bei Geisteskranken, von Scliloest. 27. Observation de scl^rose
en plaques - ßffet remarquable de la solanine sur le tremblement, par Grasset et Sarda.
I. OriginalmittlieilunKen.
1. Ein Fall von Alexie mit rechtsseitiger homonymer
Hemianopsie („subcorticale Alexie" Webniökb).
Von Dr. L. Bnms» Nervenarzt nnd Dr. B. StSlting, Augenarzt zu Hannover.
In seiner 1886 in den Fortschritten der Medicin veröffentlichten Abhand-
lung: ,;Die neueren Arbeiten über Aphasie" schreibt Webnickb auf S. 477 u. flF.
Folgendes: „Die subcorticale Alexie ist diejenige Krankheitsform, von der unter
dem Namen der isolirten Schriftblindheit einige wenige Beobachtungen in der
litteratnr des letzten Jahrzehnts enthalten siud. Nur die Fähigkeit des Lesens
29
— 482 —
ist aufgehoben, das spontane Schreiben ungestört, in einigen Fällen wurde con-
statirt, dass die Kranken schreibend lesen konnten, d. h. die Buchstaben da-
durch fanden, dass sie sie nachzeichneten oder wenigstens entsprechende Hand-
bewegungen naachten.^ In den genauer untersuchten Fällen bestand zugleich
rechtsseitige Hemianopsie, so in einem mir bekannten Falle aus der Wbbtfhal'-
schen Klinik,^ den ich später selbst untersucht habe, in einem Falle von Chab-
coT.^ Ich halte dieses Vorkommen for gesetzmässig und darin natürlich be-
gründet, dass es sich um Unterbrechung der Bahn zwischen Auge und der
optischen Bindausbreitung der linken Hemisphäre handelt — diese Bahn ent-
hält aber den linken Tractus opticus. In einem Falle von Bboadbent^ scheint
die Hemiopie nicht gesucht worden zu sein, wahrscheinlich ist sie übersehen
worden. Der Fall 3 meiner früheren Arbeit, bei dem die Alexie nach Abklingen
der übrigen aphasischen Symptome isolirt zurückblieb, ist ebenfalls hierher zu
recdmen, er hat ebenfalls eine rechtsseitige Hemiopie. Somit sind nur selbst
schon zwei Fälle dieses seltenen Erankheitsbildes durch die Hände gegangen.
Bei beiden konnte ich constatiren, dass sie für vorgezeigte Gegenstände nur sehr
schwer den Namen finden konnten, während sie sonst nicht aphasisch waren
und auch die Gegenstände richtig erkannten. Dasselbe war im Falle Bboad-
bent's zu beobachten. Auch dieses Symptom scheint mir einer anatomischen
Erklärung zugänglich : das Erkennen der Gegenstände geschah mit der rechten
Hemisphäre, während der Wortbegriff gewöhnlich in der linken Hemisphäre
seinen $tz haf
Ehe wir daran gehen die Beobachtung eines den Forderungen Webnicke's
ganz entsprechenden Falles mitzutheilen, möchten wir darauf hinweisen, dass
wir in der neueren Litteratur noch 8 Fälle gefunden haben, die zu demselben
Symptomencomplex zu gehören scheinen. Einer ist von Wilbbai^d^ und ein
zweiter von Bbandenbübg^ mitgetheilt. An beiden Stellen finden wir auch
eine genaue Aufstellung der Litteratur gleicher und verwandter Fälle. Nur
hat BRA2n)BNBUBa auffalliger Weise die letzten Yeröffentliohungen Wsbkioks's
übersehen. Der 3. Fall, den wir, obgleich von Hemiopie nichts gesagt ist, eben*
Ms hierher rechnen möchten, stammt von Battebhah.^ Seine Patientin hatte
ein gutes Wortverständniss. Die spontane Sprache zeigte nur leichte Paraphasie,
und musste manchmal ein Wort umschrieben werden. Gegenstände erkennt
sie, vermag sie aber häufig nicht zu benennen, nennt man ihr die Bezeichnungen^
^ Hier ist zn bemerken, dass in dem weiter uoten dtirten CHABCOx'schen« in einem
gleich zu erwähnenden BATTSBSAic'schen and wie wir sehen werden anch in unserem Falle
ein prägnanter Unterschied zwischen der Fähigkeit geschriebene und gedruckte Worte zu
entziffern bestand, letztere wurden entweder nur mit sehr grosser Mühe durch Nachzeichnen
oder gar nicht, erstere sehr viel leichter „schreibend" gelesen.
* s. Kussmaul, Störungen der Sprache. 8. 180.
' Neue Vorlesungen etc. üebersetzt von FaEun. S. 124.
^ Ejdbsxaul, a. a. O. S. 179.
" Die Seelenblindheit als Heerderscheinung. S. 180 und Aroh. f. Ophthalm. XXXL S.
• Aroh. f. Ophthalm. XXXm. 8. .
•
' Brain. 1888. Januar. Notes on a case of amnesia.
— 483 —
so spricht sie sie gut nach. Sie findet öfters auch die Bezeichnung, wenn sie
die betrefifeuden Gegenstande fühlt, riecht oder schmeckt Fast totale ver-
bale und litterale Alexie; den Sinn geschriebener Worte erkennt sie aber, wenn
sie sie nachschreibt. Zahlen werden gut erkannt. Spontan- und Dictatschreiben
gnt, nur selten Yerschreiben, sie vermag aber weder laut noch leise zu lesen,
was sie geschrieben hat Das Abschreiben ist mehr ein Nachzeichnen und
bringt bei gedruckter Vorlage kein Verstandniss des Wortbegriffes hervor.
Wir lassen nun unsere Beobachtung folgen und wollen im Voraus bemerken,
dass wir den von uns aufgenommenen Status der Einfachheit und Uebersicht-
lichkeit wegen zu einem einzigen zusammengezogen haben, obwohl, wie leicht
ersichtlich, die einzelnen Theile des Gesammtbefundes natürlich nicht alle an
einem TJntersuchungstage constatirt wurden. Doch haben wir die wichtigsten
Theile des Status zu mehreren Malen controlirt.
W., Schneidermeister aus Hannover. 51 Jahre. Ein Bruder des Fat soll
längere Zeit geisteskrank gewesen sein; er selber hat besondere Krankheiten
nicht durchgemacht, war namentlich nie luetisch und hat nur in massiger
Weise Alcoholica genossen. Er hatte schon seit längerer Zeit an Schwindel-
anfallen, die sich mit Verdunkelungen des Gesichts verbunden hatten, gelitten.
Am 28. IV. 88. Abends sass er auf seinem Tische bei der Arbeit und konnte
plötzlich eine Garnrolle, die rechts vor ihm lag, nicht mehr finden. Er stieg
dann vom Tisch herunter und sagte zu seiner Frau: „Die rechte Seite ist mir
nicht recht, es ist mir, als ob ich sie gar nicht fühlte.^' Darauf legte er sich
zur Ruhe und schlief die ganze Nacht fest Am andern Morgen ging er die
3 Treppen von seiner Wohnung in den Hof, griff aber an der Thürklinke vor-
bei, stiess gegen die Ecken an, verfehlte beim Hinaufsteigen die Treppe. Sein
Gang war etwas taumelig; er behauptete, die rechte Hand sei wie gelähmt, die
ganze rechte Seite sei nicht in Ordnung. Objectiv waren Lähmungserscheiimngen
aber nicht zu constatiren, so dass der hinzugerufene Arzt einen Schlaganfall
nicht annahm. Am 80. IV. traten zu dem Krankheitsbilde paraphatische Er-
scheinungen hinzu; er nahm z. B. eine Arbeit vor und sagte: „Dieses Hannover
muss weggeschnitten werden^^, statt „dieses Stück^^ Als dann die Bede davon
gewesen war, dass der Sohn sich hatte einen Zahn ausziehen lassen, forderte er
einen Zahn statt einer Nadel. Er klagte auch häufig wieder über mangelhaftes
Gefühl der rechten Fingerspitzen. Von jetzt begann eine Periode allmählich
zunehmender ängstlicher Verwirrtheit mit grosser Unruhe und ab und zu ein-
tretenden Selbstmordsideen, ein Zustand, der schliesslich so arg wurde, dass die
Frau am 9. V. den Mann der Irrenstation des hiesigen Krankenhauses übergab.
Die dort über den Kranken gemachten Notizen wurden uns vom Oberarzte
dieser Station, Herrn Dr. LümcH, gütigst zur Verfügung gestellt; wir ent-
nehmen aus denselben Folgendes:
Ausgesprochene körperliche Erscheinungen, namentlich hemiplegische oder
hemianästhetische wurden nicht constatirt Dagegen wurde hier schon die auf-
fällige Störung des Sehens bemerkt und auf eine Einengung des Gesichtsfeldes
bezogen. Buchstaben und Zahlen der Snellen'schen Tafel wurden nicht gelesen.
29 ♦
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Patient war znnäcbst ganz veitrirrt, glaubte, er sei erst 8 Tage in Hannover;
hielt das Krankenhaus für ein tiafithaus, in dem viele Fremde verkehrten.
Allmählich wurde er besonnener. Am 18. V. ist Folgendes notirt: „Als ihm
ein Messer rorgeholten wird, mit der Frage, was das sei, erwidert er: „Das ist
eine Eins"; auch darauf aufmerksam gemacht, dass es keine Zahl, sondern ein
Gegenstand sei, bleibt er dabei (seelenbiind?}. Korkzieher; „das ist ein J",
kurz darauf „eine Eins". Schlüssel: „das ist ein J". Er fQhlt dann mit
der Hand zu und erklärt es fQr Schlüssel. Bleifeder, Taschentuch giebl
er nach einigem Besinnen richtig an; kommt er mit dem Tastsinn dem Qesichts-
sinn zu Hülfe, so findet er schneller die richtige Bezeichnung. Nach der vor-
gehaltenen Taschenuhr die Zeit zu lesen wird ihm schwer; dabei I
Schema 1.
wiederholt, seine „Uhr" (Brille) sei zu schwach, mit einer stärkeren könne er
wohl besser sehen.
20. y. Bezeichnet vorgehaltene Gegenstände richtig und giebt richtige
Auskunft über seinen Aufenthaltsort.
21. V. EnUassen.
Fassen wir diese Daten noch einmal zusammen, so sehen wir bei einem
vorher im Allgemeinen gesunden Uanne apuplectiform eine Störung des Sehens
auftreten, die sich mit Farästhesien der rechten Seit« (ob im Anfang auch
objectiven Sensibilitätsstörungen?) verbindet, aber nicht zu eigentlichen Läh-
mungen fährt Dazu kommen Erscheinungen leichter Paraphasie und £rs(^we-
rung resp. Unmöglichkeit vorgehaltene Objecte lautlioh zu bezeichnen, während
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er nur selten die Objecte wirklich nicht zd kennen schien. Eine anfingüch das
Eiaokbeitsbild oomplidrende, allgemeine VerwirrUieit bessert mob bald.
Am 2i, Mai kam PaL in ansere Beobocbtong. IMe Anftiabme des nach-
folgenden Statns erstreckt sieb von diesem Tage bis nun 6. Jnni; Einzelnes,
wie e. B. die Hemianopie and die Unmöglichkeit, Gtedraoktes za lesen, wird
später noch häufig z. B..anch am 21. Jnni (54 Tage nach dem Anfall) durch
Omlxole bestätigt
Status praesens: PaL ist von gedrungenem Körperbau, wohlgenSiirt. An-
geborener Klampfusa links. Am Schädel keine Abnormität. Die Prüfung der
Angen gab folgenden Befund. 24 V. S beäderseits aal Fingerzählen in 3,5 m
heral^esetet Die linke Pupille mittelweit, (Atropin) die rechte etwas enger
(siAter waren beide gleicbweit). Die Beaction auf Licht beiderseits, wenn anob
schwach, vorbanden. Die Beweglichkeit der Augen völlig int&t Gleeicbtsfelder
(s. Schema 1] conoentrisch sehr eingeengt Von Farben wird auf beiden Angen
loth sofort erkannt; rechts anch grün, dagegen nicht bUn nnd gelb; links er-
kennt der Pat blau, aber nicht gelb and grün. Doch worde diese Farben-
prüfiuig nur in der Weise vorgenonunen, dass dem Kranken nach Verbinden
eines Aoges Pigmentfarben, wie täe bei perimetrischen Untersaohungen gebraucht
werden, vorgelegt worden and man denselben aufforderte, diese zu benennen.
Es mnsa deshalb, wie wir weiter sehen werden, anentoobieden bleiben, ob ein
Fehlgreifen in der Bezeichnung oder ein wirkliches Nichterkennen der Farbm
vorbanden war. (Siebe äbrigeos den Nachtrag bei der Correotur.)
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Ophtbalmoskopisch war das Besnltat der TTntersacbQi^ ein völlig negatitee;
Optici beide gleich und nonnal gefärbt.
Wesentlieh vencbiedeD ron dem Besnltate dieser UnteisiMdiai^ war das
des am 28. V. TOigenommenen Examens. 8. B. mit + LO D — */,. L. bei
gleiober Correctaon = */jg des Nonnalen. Das Gesichtsfeld erwies aob heute als
^iscb rechts bemianopisch (siehe Schema 2], doch moss heirorg^ben werden,
dasa bei der zuerst Toigenommenen Prüfbng des linken Anges der Kranke zn-
nachst wieder die alten Grenzen wie vor 4 Tagen angab, und daas dann plötz-
lich bei einer Ermahnung znr Aufmerksamkeit die typische Hemiopie zum Vor-
schein kam. (Die panktirte Linie im linken Gesichtsfelde des Sdiema 2 bedeutet
die zuerst gefundenen Wertfae; sie deckt sich ganz mit der analogen in Schema 1.)
Es dflrfte schwer fallen, fiir dieses aofOUlige Verbalten eine andere Erklärung
als die einer mangelnden Aufmerksamkeit herbeizuziehen und auch wir glauben
diese Erkl&miig annehmen zu müssen. Der Kranke gab eben dann erst die Marke
zu sehen an, wenn die Erregung seiner Netshaut eine intenäve wurde, d. h. wenn
sie die centralen Theile traf. Nehmen wir aber diese Erklärung für den zweiten
Befund an, so wird dieselbe auoh wohl f&r den ersten Befund zutreffen, besonders
da die hier gefundenen Grenzen genau den Angaben entsprechen, die der Patient
anch beim zweiten Male zunächst machte, ehe seine Aufmerksamkeit besonders
gesch&rft war. Wir wGrden dann also annehmen, dass auoh 8<^od bd der ersten
Untersuchung eine nnr durch die geringe Aufmerksamkeit des Patiente markirten
typische r. Hemianopie vorhanden war. Bei alten weiteren Aufoahmen zeigte
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Ton nan an das Gesiohtsfeld ohne Weiteres den hemiopisoheD Charakter mit
einer leichten Ausbuchtung 2n Gunsten der sehenden Partien über die Mittel-
linie. Ein scharfes Absohneiden in der Mittellinie wurde nie coDstatirt.
Qehör, Geruch und Geschmack sind beiderseits vollkommen gleich und gut
Die Motilität der beiden Faciales, sowie die der Zunge and des Chkomensegels
lässt nichts zu wünschen übrig. Irgend eine Störung der Sensibilität (es wurde
unter anderen aucdi auf Lagegefühl, MuskelgefiUil und die Fähigkeit, Gewichts-
differenzen zu taxiren, genau untersucht) war am ganzen Körper nicht auäu-
finden. Auch die grobe Kraft war, allerdings ohne DTnamometennessung, auf
beiden Seiten gleich; nur eine ganz leichte Ungeschicklichkeit bä feineren Be-
w^ungen der rechten Finger war zu oonstatiren; auch hielt Fat z. B. beim
Schema 2.
Schreiben den Federhalter sehr angeschickt; er konnte aber auch ohne Brille
äae einfoche Viäit ganz gat nähen. Trophische Störungen der Haut oder der
Mnsculatar &Dden dch nicht; die Sehnenrefleie waren beiderseita gleich und
von normaler Stärke.
Das Herz war in tote etwas vei^rössert, die zweiton ArteiientSne stark
accentnirt Keine Oeräusche. Im Urin f^nd sich nichts Pathologisches.
Die Intelligenz war im Ganzen vielleicht etwas vermindert (häufig wieder-
holtes Stellen stereotyper Fragen), doch wusste Fat über Ort- und Zeitverhält-
nisse and über Ere^isee früherer nnd letzter Zeit gut Besohnd und rechnete
prompt Die Verwirrtheit hatte sich ganz verloren. Auch das Gedächtniss,
aber das Fat. selber klagte, war objectiv kauqi erheblich abgeschwächt; Näheres
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darüber wird sich in den epikritiachen Bemerkungen finden. Von Zeit zn Zeit
finden sich Erscheinungen, die man wohl als Andeutungen von SeelenbUndheit
auffassen könnte; so fragt er eines Morgens beim Aufwachen seine Frau, ob sie
schon lange mit ihm zusanunenlebe; ein anderes Mal, ob er in dem Bette immer
geschlafen habe. In ganz seltenen Fällen will er Torgehaltene Objecto (s. w.
unten) wirklich nicht kennen. Fragt man ihn nach dem etwas oomplidrten
Wege vom Hause des Arztes zu seiner Wohnung, so erklärt er sofort, dorthin
ßnden zu können, kann aber den Weg nicht beschreiben, jedoch wohl haupt-
sächlich, weil ihm die Strassennamen fehlen, denn er weiss z. B. wie viel Quer-
strassen er Ton einem Punkte dieses Weges bis zu einem anderen überschreiten
muss. TJebrigens treten alle diese Erscheinungen im Krankheitsbilde sehr zu-
rück. Das Yerständniss der Sprache ist toII erhalten. Fat selbst spricht mit
vollständigem Wortschatze, ohne Articulationsstörimgen und die manchmal auf-
tretende Paraphasie ist so gering, dass man sie, wenn man nicht scharf darauf
achtete, wohl kaum bemerken würde. Sie überschreitet jedenfalls das auch bei
Gesunden erlaubte Maass nicht.
Yorgehaltene Objecto benennt er meist nach einigem Zögern richtig, in
anderen FäUen wird der Name erst dann gefunden, wenn man dem Pat
das Object betasten lässt In manchen, jedoch seltenen Fällen findet er
auch so das Wort nicht, sondern muss die Bezeichnung umschreiben (z. B. Thermo-
meter: das ist für das Wetter; Spritze: das ist ein chirurgisches Instrument),
Dabei sind das manchmal Worte, die er vorher im Gespräch ohne Weiteres
gebraucht hatte: z. B. die „Binde'', die er beim Perimetiien vor dem einen
Auge hatte, oder die „Brille'', diese nennt er Porte-monnaie, es war ihm gerade
vorher eine Geldbörse gezeigt worden. Wie sich schon aus dem Vorhergehenden
ergiebt, erkennt er so ziemlich alle Gegenstände; er behauptet dies auch auf
Befragen und nur in ganz seltenen Fällen giebt er an, nicht gewusst zu haben,
was das für ein Ding sei: z. B. Korkzieher (s. o. Seelenblindheit, doch bleibt
diese ganze Sache fraglich). Nachsprechen kann er die Bezeichnung der Ob-
jecto, die er selbst nicht findet, ohne Weiteres, wenn man sie ihm vorsagt
Macht man die Sache umgekehrt, fragt z. B.: wo ist der Stuhl? das Bild? so
findet er es ebenfalls sofort Bilder (Portraits bekannter Persönlichkeiten und
Genrebilder) erkennt er und fasst sie richtig auf.
Für das Lesen gedruckter Buchstaben und Worte müssen wir 2 Periode
unterscheiden. Am 28. Y. liest Pat gedruckte Buchstaben und kurze Worte,
z. B. der, die, das, sich, zu, es, ganz prompt,^ grössere Worte bringt er nicht
heraus. Von dieser Zeit an aber wird Gedrucktes, Buchstaben und Worte
überhaupt nicht mehr erkannt, nicht nur nicht laut gelesen. Pat selbst giebt
an, dass er nicht wisse, was das sei, wenn man ihm Buchstaben bezeichnet,
ganz im Gegensatz zu seinem Verhalten concreten Objecten g^enüber; er kann
auch vorgehaltene gedruckte Buchstaben im geschriebenen Alphabet nicht wieder-
finden, zeigt man ihm ein kurzes gedrucktes Wort, z. B. Tisch, Stuhl, und
^ Siehe die Beobachtung von Bbandbnbubg a. a. O.
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fordert ihn auf, das dem Worte entsprechende Object im Zimmer zu zeigen, so
ist er dazu nicht im Stande. Er erkennt also gedruckte Buchstaben und Worte
wirklich nicht Zum Nachzeichnen gedruckter Schrift ist er nicht zu bringen.
Zeigt man ihm aber eine Beihe der Snellen'schen Tafehi und sagt: Zeigen Sie
mir das „d^^ oder das |,g^< in dieser Beihe, so geschieht das meist ohne Zögern,
nur selten muss er längere 2^it suchen, am seltensten zeigt er einen falschen
Buchstaben.^
Gedruckte arabische Zahlen erkennt er meist sehr prompt^ doch sieht man
in manchen Fällen, dass er die zu erkennende Zahl in der Luft nachzeichnet
Meist fasst er auch ganze Zahlenreihen richtig auf. Doch haben wir auch
beobachtet, dass er beim Beginn einer Untersuchung Zahlen kannte, nach
5 Minuten nicht mehr aufGäSste und am Schluss sie wieder lesen konnte.^
Gteg&n geschriebene Worte und Buchstaben verhält sich Fat. verschieden.
Er hest nach der Vorlage, zwar sehr viel langsamer als normal, aber richtig,
ein geschriebenes f, L, G, N, D, schliesslich „Holz'<. Als er nach „Holz<<
„Maler^' lesen soll, liest er erst „Malz'S dann „Malzer^^ g und Y liest er so
nichts er zeichnet dann mühsam die Vorlage nach und kommt so zum Ver-
ständniss der Buchstaben; in anderen Fällen genügt es auch, die Schräbbewe-
gungen in der Lufk zu machen. Einzelne Buchstaben, z. B. k und B, versucht
er durch Nachzeichnen heraus zu bekommen, doch gelingt ihm dies nicht
Nimmt man die Hand des Fat und schreibt auf eine Unterlage for ihn passiv
und bei Augenschluss geschriebene Buchstaben und Worte, so bekommt er sie
sofort heraus; zeichnet man ebenso mit seiner Hand gedruckte Buchstaben, so
erkeniit er sie nicht Mit Sicherheit liest er also einen grossen Theil geschrie-
bener Buchstaben und Worte nur „schreibend^. (S. übrigens die Epikrise.)
Das spontane und das Dictatschreiben ist voll erhalten; hier besteht wirk-
liches Schreiben; wohl zu unterscheiden davon, wie Fat eine geschriebene Vor-
lage nachzeichnet Die Feder wird ungeschickt gehalten und muss Fat z. B.
wegen Tintenmangels absetzen, so findet er w^en seiner Hemianopsie nicht
gleich das Ende des Wortes wieder; dabei setzt er „U^'striche und „I^'punkte,
die er erst, wenn er mit dem Worte fertig ist, nachfagt, stets an die richtige
Stelle. Er schreibt z. B. auf Dictat: Faries, Heinrich, Katze, Mohr; spontan
* Diese Möglichkeit, vom Klangbild eines Bachstabens das optische auszulösen, wäh-
rend dy umgekehrte Weg nnmöglieh ist, ist schon frtther von den Beobachtern als auffallig
oonatatirt worden. Gbashbt (Ueber Aphasie und ihre Beziehungen zur Wahrnehmung. Arch.
f. Psych. Bd. XYI) giebt daf&r eine für seinen Fall sehr plausible Erklärung. Sollte nicht
aber auch noch folgender Moment eine Berücksichtigung verdienen? Frage ich Jemanden
z. B. auf ein b zeigend, „was ist das für ein Buchstabe? so können alle 25 Buchstaben des
Alphabetes in Betracht kommen; in einer Keihe der Snellen'schen Tafeln sind aber nur
8 — 7 Buehstaben, fhkge ich hier: Wo ist das b in dieser Reihe? so hat der Kranke nur
zwischen dieser geringen Zahl zu wählen und wird, wenn er nur einen ganz unbestimmten
Eindruck empfangt, nicht leicht einen falschen Buchstaben bezeichnen. Ein eigentliches
Lesen wäre das aber kaum zu nennen.
* Auf diesen plötzlichen Wechsel in den aphatischen Symptomen hat neuerdings be-
sonders Oppbnhbim hingewiesen: üeber das Verhalten der musikalischen Ausdrucksbewe-
gungen etc. Charitö-Annalen. XIII.
— 4«0 —
(er soll z. B. eine Rechnung schreiben): „Herrn Dr. Möller: Ein Beinkleid ge-
macht'' oder (einen Brief an seine Frau) „Hannover 20 maL labe maigareta.^'
Er kann aber sofort hinterher, was er selber geschrieben hat^ nicht lesen. So
setzt er z. B. bei dem Worte Paris bei „F' ans wegen Tintenmangels, als er
wieder anfängt, sagt er: „Das ist ja kein P, das ist ein T^' und beginnt das
Wort von NeueuL Er hatte die Worte „Paries'^ und „Heinrich'^ und darunter
die Rechnung geschrieben; als man ihm später wieder die ersteren Worte zeigte,
sagt er „das heisst Rechnung'^ Das andere Mal schrieb er auf Dictat Katze
und Mohr, dann den Brief an seine Frau. Als man ihm nach 20 Minuten das
Wort „Katze'' zeigte, sagt er zunächst, das heisst „Liebe'', dann „das ist das
Datum"; als man ihm auch dieses bestreitet, sagt er: „dann hat es vorher schon
dagestanden".
Bei seiner eigenen Schrift gelingt es dem Pat nur sehr schwer, durch
Nachzeichnen den Sinn des Wortes herauszubekommen; er kommt nieist nicht
über den ersten Buchstaben w^, offenbar, weil die eigene Schrift sehr viel
undeutlicher und kleiner ist, als die Vorlage.
Die Unmöglichkeit eines eigentlichen Abeohreibens därfte wohl aus dem
Vorstehenden sich von selbst ergeben.
Nachtrag bei der Gorrectur:
Am 14. Juli, also 77 Tage nach dem Eintritt der Erscheinungen, wurde
das Vorhandensein der hauptsächlichsten Symptome noch einnuü constatirt
Dieselben sind also wohl als directe Heerdsymptome aufzufassen. Bei dieser
Gelegenheit wurde zugleich festgestellt, dass Farben erkannt werden. Die Farben-
gesichtsfelder sind natürlich audi hemianopisch; ihre Grenzen zeigen die normale
Reihenfolge blau, roth, grän.
(Sohlnss folgt)
2. Anatomischer Beftmd bei einer diphtherischen Lähmung.
Aus dem Laboratorium des Prof. Dr. Mendel in Berlin.
Von Dr. WlUiam C. KraoBS aus Attica (New York).
Bei dem grossen Interesse fllr den anatomischen Befund nach diphthßpschen
Lähmungen und den wenigen Fällen, die bisher untersucht der Oeffentiichkeit
übergeben worden sind, glaubte ich durch folgenden von mir untersuchten Fall
vielleicht zur Erklärung der Frage über diphtherische TAhmnng etwas beitragen
zu können.
Gertrud E., 11 Jahre alt, erkrankte am 15. Ootober 1887 an schwerer
Diphtiierie. Am 23. October 1887 trat flfissige Nahrung aus der Nase. Exitus
letalis am 1. November. Genaueres in Bezug auf sonstige Lähmungen liess sich
nicht eruiren, da eine acute fieberhafte Erkrankung auftrat.
Der Sections-Befund am 2. November 1887 ergab Folgendes:
Herz: Mehrere ziemlich festsitzende Thromben.
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Langen: OedematÖs.
LeW, Nieren and Milz bieten nichts ÄbnoimeB. Im Banob-Baume ciioa
500 oom einer Beiös-fibiinösea Flaasigkeit
Die DannBchlingeo nur wenig geiötliet und infioirt.
Diagnoms: DiphUieri« und Peritonitis recena sero-fibriuosa.
Die maltroskopisohe Betraohttu^ des Oehims zagte starke Hypef&mie dei
Pia, die nicht verdickt war und sich ohne Sabstanzverlnst abziehen liess.
Die Section zeigte gleichfalls starke FüUang Bämmtlioher Gefässe, und
Oedem.
Der Himstanun von den Corpora quadrigemina bis zur Deonssatio pyra-
midam, die Hiranerven von III bis XII enthaltend, wurde in einer 3 % LOsnog
von Ealinm biohromicmn gehärtet, im Dunkeln in Alkohol extrahirt and in
Gelloidin eingebettet
Eine Serie von 650 Schnitten wurde angefertigt QeArbt wurde mit'Häma-
toxylin, Ammoniak-Karmin, Fikro-Karmin, Nigrosin, femer nach der Weigert'-
schen und Fal'schen Methode.
Die Untersuchung, die hauptsächlich gerichtet wurde auf die Kerne des
Oculomotorius, Abduoens, Facialis und Hjpogloesug mit ihren intraoerebraleu
Wurzeln, sowie die Geisse, ergab folgende Resultate.
Was die Oanglienzellen betrifft, so war an Zahl noch an QrÖese, Form,
Inhalt derselben etwas Abnormes nicht nachzuweisen.
Anders verhielt es sieh mit einem Theil der Nervenfasern. Die stärkste
Verinderung in dieser Beziehung zeigte der peripherische intracerebrale Oculo-
motorins. Ein Theil der Axenoylinder war unterg^angen, während andere ihre
scharfen Gontoureu verloren
hatten. Von den Markscheiden Fig. /
hatten einige den Farbstoff
aofgenommen, ein Beweis, dass
sie ihr normales chemisches
Verhalteo elngebfisst hatten.
Sie boten auch mitunter ent-
schieden das Aussehen dar, als
ob sie geschwellt wären.
Fig. 1 zeigt uns einen Ab-
schnitt ans dem Oculomotorius,
der das Erwähnte klar zeigt
Au den Gelassen waren dieVer-
änderangen am aufTallendsten.
— Es bestand eine starke Fäl-
lung nicht nur der Capillaren,
sondern die kleinsten sowie
grösseren Arterien waren voll
von Blntkörpercheo. So auffallend war dies, daas die Präparate den Eindruck
machten, als ob eine Ge&sneubilduug stattgefunden hätte. Dagegen waren die
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Venen im oentraleQ Höhlengran dea vierten Ventrikels beinahe blutleer and
ihre Wände Uieilweise coUabirt
Die Hj'perämie war ziemlieb gleiohniäesig ansgepiSgt nnd konnte in jedem
einselnett Präparate der ganzen S<:^ttrtihe beobachtet werden.
Das nächste und s^ aof-
foUeode war eine stark aus-
geprägte Diapedesis der Blat-
körperohen, die wphl bedmgt
war durch feinere Verändemn-
gen der Oefässwände.
Von den meistrai Autoren
wird dieae G«&88Terinderang
erklart als eme dnroh das
t I diphtherische Giit venirsachte
Enta:flndDng
Fig 2 stellt ein GteSss dar
ans dem Pons in der Nahe
der AnstnMestelle des Tnge-
mmos. Man sieht, wie längs
der ganzen Gt&sswand Blnt-
kOrperohen eng anh^en, and
theil weise anch schon weiter in
das Gewebe eingelagert sind.
Diese Diapedesis war Ober-
all nachweisbar nnd am auf-
fallendsten in den mit Kigro-
dn tingirten Präparaten. Der
Grand daf&r lag darin, dass
I die mit Ghiomaätire gelb ge-
\ färbten Blntkörpeichen das
Nigrosin nicht aufaehmen und
/ so stark von den blan tingirten
QefäsBwänden sich abheben.
Femer waren kleine Hämor-
ihagien in giöaserer Zahl nnd
Ausdehnung vorhanden. Die
eben besobriebene Diapedens
der weissen sowie rothen Blut-
körperchen hatte als Folge An-
sammlungen in den perivasonlären Bäumen. Dieser Befund war oonatant, schien
in keinem besonderen Theil häufiger zu sein, sondern erstreckte sich gleichmässig
doroh die ganze Serie.
Fig. 2 zeigt aadi diese Austretui^n und Ansammlangen von Biutkfirperohen
in den periTasonlären Bäomen.
- 493 —
Diese H&morrhagien waren znm Thdl sohon makroskopisch sichtbar, so
besonders in dem intrapontilen Verlauf der Nerven. Femer &nden sie sich
besonders stark in der Gegend des Austritts des linken Oculomotorius aus dem
Kern. Femer am Solous oculomotorius langst des Nervenstammes. Aehnliche
Blutungen £uiden sich I&ngs des Abducens und der sensiblen Wurzel des Tri-
geminus im Föns. An den Wurzeln der anderen Nerven liess sich nichts Ab-
normes nachweisen«
Die grosseren Hämorrhagien stellen wohl nicht nur eine Ansammlung
ausgewanderter Blutkörperchen dar, sondern sind als Folge der Zerreissungen
kleinerer GefiLsse anzusehen. Gleichfalls erheblichere Blutungen fanden sich in
den Nervenstammen. — So stellt Fig. 3 einen Theil der intracerebralen Fasern
des Abduoensstammes dar und ist ersichtlich, wie durch Blutkörperchen« An-
häufungen die Fasern theils auseinandergedrängt sind, theils untergegangen zu
sein scheinen.
Endlich ist noch zu bemerken* dass eine grosse Hämorrhagie in den Tri-
gonum interpedunculare stattgefunden .hat, die die austretende Wurzel des.
Oculomotorius umgiebt Diese Blutung, obwohl eine beträchtliche, erschien doch
nicht genfigend ausgedehnt, um Erscheinungen von einer Apoplexie sanguinea,
resp. Tod hervorzurufen.
Schliesslich war von Verstopfungen der (Jeiässe, von Thrombenbüdung pder
Embolien nichts zu sehen.
Fassen wir das Eigebniss der Untersuchung zusammen, so zeigt der Him-
stamm: •
1. Normale Nervenkeme.
2. Degeneration des peripherischen Oculomotorius.
3. Starke Hyperämie, Diapedesis der Blutkörperchen nebst grösseren und
kleineren Blutungen.
Die Resultate dieser Untersuchung stimmen im Allgemeinen fiberein mit
dem Befund von MEin)EL, welcher in diesem Centralblatt (1885. Nr. 6) ver-
öffentlicht wurde.
Das Hervorrufen von Veränderungen in den peripherischen Nerven, sowie
in den Gefässen wird ziemlich allgemein dem diphtherischen Gift, resp. Mikro-
organismen zugeschrieben. Da aber diese noch nicht sicher festgestellt sind, so
bestehen über die Art ihrer pathologischen Wirkung noch immer Zweifel.
Zu dem anatomischen Befund der Diphtheritis ist in der Litteratur nichts
hinzugefugt worden seit der Veröffentlichung des MENDBL'schen Falles. Eine
ausführliche Zusammenstellung Mherer Beobachtungen findet sich bei Paul
Meyeb in Virchow's Archiv för pathologische Anatomie Bd. LXXXV S. 214.
Ich erfülle noch die angenehme Pflicht, Herm Prof. Mendel für gütige
Ueberlassung des Materials und freundliche Unterstützung beim Anfertigen der
Arbeit meinen besten Dank auszusprechen.
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IL Beferata
Pathologie des Nervensystems.
1) Ck>ntribation & l'^ude de lliimiatrophie de la langae. (Autopsie d*Qii
cas de tabes avec bämiatrophie de la langae.) Par P. D. Koch et P. Marie.
(Bevue de MMecine. 1888. Jan. p. 1.)
Durch Oharcot und seinen Schfiler Ballet ist man bekanntlich darauf auf-
merksam geworden, dass bei der Tabes zuweilen eine halbseitige Atrophie der Zunge
Yorkommt. Koch und Marie theilen in dieser Arbeit die Ergebnisse der genauen
anatomischen Untersuchung eines Falles mit, dessen klinischer Verlauf bereits you
Ballet yerwerthet war. Es handelt sich um einen 35jährigen Tabiker, bei welchem
sich ca. 8 Jahre nach dem Entstehen der Krankheit, eine Mnskelatrophie an Aea
oberen Extremitäten, vor Allem eine Atrophie des linken Deltoideus, der linken Inter-
ossei und des linken Daumens, ausserdem aber eine starke rechtsseitige Hemi-
atrophie der Zunge entwickelt hatte. Sprach- und Schlingstörungen waren damit
nicht verbunden. Die Geschmacksempfindung fQr Chinin war rechts etwas abgestumpft,
fflr andere Geschmacksreize (sauer, süss) normal. Leichtes Zittern der ganzen Zunge.
Bemerkenswerth ist femer eine Ptosis des rechten oberen Augenlides, Abnahme des
Gehörs auf dem rechten Ohr und ein starker nervOser laryngealer Husten.
Bei der Autopsie fand sich, abgesehen von den sonstigen tabischen Verände-
rungen, ausser der Muskelatrophie in der Zunge, eine sehr starke Atrophie des
rechten Nervus hjpoglossus und eine sehr beträchtliche Atrophie der Zellen
und -ausstrahlenden Wurzelfasem des rechten Hypoglossuskernes in der Oblon-
gata. Auch der sogenannte accessorische Kern des Hypoglossus (Duval) ist atrophirt.
Dagegen sind die ausstrahlenden Fasern aus dem Kern beiderseits gleichmässig erhalten.
Im Ganzen sind bisher 6 Fälle von Hemiatrophie der Zunge bei. Tabes be-
schrieben worden. Ausserdem ist die Hemiatrophie beobachtet worden zweimal bei
progressiver Paralyse (davon ein Fall mit gleichzeitiger spinaler Tabes). Ehi-
roal trat das Sjrmptom im Anschluss an Scharlach auf. Wiederholt beobachtet
ist es bei bulbärer Syphilis.
In klinischer Hinsicht ist bemerkenswerth, dass auch die stärkste halbseitige
Zungenatrophie keine Störungen des Sprechens, des Kauens und des Schluckens ver-
ursacht. Sehr häufig ist mit derZungenatrophie verbanden eine Atrophie des Gaumen-
segels auf derselben Seite und des gleichseitigen Stimmbandes. K. und M. sind geneigt
anzunehmen, dass der „Hypoglossuskem" selbst schon in Beziehung zu den letztge-
nannten Muskeln des weichen Gaumens und des Kehlkopfs stehi Gleichzeitige Atro-
phie im Gebiete des N. facialis ist dagegen noch nicht beobachtet worden. Das
gleichzeitige Befallensein des weichen Gaumens und eines Stimmbandes ist aber in
diagnostischer Hinsicht wichtig, weil es zur Unterscheidung bulbärer Affectionen von
peripherischen Hypoglossuslähmungen dienen kann. Strümpell
2) Ueber einen Fall von Tabes dorsalis. (Aus der II. med. Universitätsklinik
in Berlin.) Von Stabsarzt Dr. Martins, Privatdocent. (Deutsche med. Wochen-
schrift. 1888. Nr. 9.)
Der beschriebene Fall ist dadurch bemerkenswerth, dass er in einem frühen
Stadium zur Section kam, und bis dahin objectiv nur Sensibilitätsstönmgen in den
oberen Extremitäten (Unfähigkeit, bei geschlossenen Augen kleine G^egenstände zu
halten, Störungen des Druck- und Temperatursinns) und Parästhesien in den oberen
und unteren Extremitäten nebst Schwäche in den Knien gezeigt hatte; erst kurz vor
dem Tode trat Gurtelgefühl auf. Das Bomberg'sche, Bobertson'sche und West-
p harsche Zeichen fehlton durchaus, ebenso die Ataxie. — Das Bückenmark zeigte
495 -
nach der Erh&rtaog eine Degeneration der Hintenstränge, welche ihren höchsten Grad,
intensiv nnd extensiv, im Cervicahnark erreicht hatte, im Lnmbaimark äusserst gering-
fügig war. Im oberen Cervicalmark zeigte die Degeneration eine eigenthümliche
Feldemng, indem die Hinterstrange einen Degener^tionsstreifen parallel dem Hinter-
hom nnd von diesem dnrch eine etwa gleich starke gesande Zone getrennt» anpriesen;
an der inneren Seite dieses Degenerationsstreifens war wieder ein normales Gebiet
mid erst wieder die inneren GtolFschen Keilstränge zeigten sich degenerirt. An der
Grenze nach dem Dorsalmark hin war nur noch die Degeneration der Goll'schen
Stränge vorhanden. Im Lnmbaimark war wenig zu sehen, die Westphal*sche Warzel-
eintfittszone war ganz intact nnd insofern dieser Fall ein Beweis für die Bichtigkeit
der Westphal*schen Localisation des Kniephänomens (soweit das Bückenmark dabei
beUieiligt). — Die oben beschriebene eigenthümliche Felderung der Degeneration im
Cervicalmark aber stimmt genau mit den experimentellen Forschnngen von Kahler
and Singer (von F. Schnitze am Menschen erwiesen), welche für den Verlauf der
sensiblen Fasern festgestellt haben, dass dieselben, von unten nach oben gerechnet»
anfangs im Anssentheii der Hinterstlänge liegen und im Aufsteigen immer mehr nach
Innen rücken, sodass im Cervicaltheil die im Lnmbaltheil eingetretenen Fasern zu-
nächst der Mittellinie, die im CervicaltheU selbst eingetretenen am meisten lateral-
wärts liegen. Diese letzteren waren im vorliegenden Tabes «Fall, dem klinischen
Verlauf entsprechend, am meisten degenerirt; dem intacten Bnmpf entsprach die
mittlere normale Zone und die jüngere Affection der unteren Extremitäten fand ihren
Ausdruck in der Degeneration der GolVschen Stränge.
Herr Leyden, der in seiner „Klinik der Bückenmarkskrankheiten'' einen ganz
analogen Fall mitgetheilt hat, sieht darin einen Beweis für die Bichtigkeit seiner
Auffassung der Tabes. Hadlich.
3) Tabes dorsälis — ataxia laryngis, by Gay. (Brain. 1888. Jan.)
Ein Fall von Tabes dorsälis in den Anfangsstadien, in dem neben häufigen
Umschlagen der Stimme in Falset ausgesprochene atactische Bewegungen der Stimm-
bänder, besonders wenn die vorher geschlossene Stimmritze sich öffnete, beobachtet
wurden. Die von Krause mitgetheilten analogen Beobachtungen sind dem Verf. ent-
gangen. Bruns.
4) Beitrag aar Pathologie der Tabes dorsälis, von Prof. M. Bernhardt.
(Ztschr. f. kün. Med. 1888. XIV. 3.)
Es handelt sich nm einen jener seltenen Fälle von Tabes cervicalis. Ein
36j&hriger Bildhauer, der anf Bauten den Unbilden der Witterung sehr ausgesetit
war, sah ein Jahr vor seiner Untersnchnng eine Zeit lang doppelt Dann hatte er
sich infleirt; secundäre Symptome waren ebensowenig, wie bei einer früheren Infection
aufgetreten. Von seinen Kindern leben 2, die ersten (Zwillinge) starben. Zur Zeit
der Behandlung klagte Fat über eine eigenthümliche Steifheit, die sich zuerst am
Zeigefinger, dann an der ganzen Hand links nnd später anch an der rechten Hand
zeigte. An den nntem Extremitäten fehlten nur die PatellarTefleze. Keine Ataxie,
noch Sensibilitätsstürnngen etc. Geringes Schwanken bei Angenschluss. In den oberen
Extremitäten hingegen bestand ausgesprochene Ataxie, Mangel des Tastgeftthls und
Mnskelgefühls, Herabsetzung der Schmerzempfindnng. Pupillen etc. waren normal.
Nach 2 Jahren hatte sich das Bild nur insofern geändert, als auch im Finstem
geringes Schwanken auftrat. Nach 3V2 Jahren waren Schmerzen in den Händen
hinzugetreten; sonst war Alles unverändert Das in so früher Zeit constatirte West-
pharsche Zeichen spricht dafür, dass dasselbe bei der fast völligen sensiblen and
motorischen Intactheit der untern Extremitäten, nicht sowohl von einer Läsion der
sensiblen oder motorischen (peripherischen) Nerven derselben, sondern von einer.
— 496 —
wenn auch streiig localisirten und wenig ausgeprigien Erkrankung der von Wes^li
bezeichneten Begion im Backenmark abh&ngig zu machen eeL Kali scher.
6) HenaflBBotioiien bei Tabes donalis, Ton Dr. Groedel, Bad Nauheim.
(Dtsoh. med. Wochenschr. 1888. Nr.*20.)
Veranlasst durch die Angaben von Berger und Bosenbach (1879) und von
Anjel (1880), welche das häufige Vorkommen von Herzfehlern bei Tabes hervor-
hoben, hat G. diese Frage seit Jahren stndirt
Unter seinen von 1875 — 79 beobachteten 43 Tabischen hatte nur einer einen
Klai4>enfehler, ein anderer (Nephritiker) eine mftssige Hypertrophie oordis.
Von 1880—87 behandelte G. 108 Patienten mit Tabes: von diesen litten 4 an
Klappenfehlem und zwar war bei 2 derselben Syphilis, bei 1 Bheumai artic. acut
als Ursache anzusehen; bei dem letzten war keine bestimmte Ursache zu finden. —
2mal bestand Dilatatio cordis.
G. schliesst sich hiemach der Ansicht Leyden's an, welcher das Vorkommen
von Herzklappenfehlem bei Tabes fttr ein rein zulUliges hftli
Von den seltenen F&ilen von Angina pectoris nervosa bei Tabes, von welchen
Leyden kflrzlich Beispiele mitgetheilt hat^ f&hrt G. auch drei von ihm beobachtete
an, auch hier Leyden's Ansicht beitretend, dass neuralgische AnfUle im Bereioii der
Herznerven des Vagus, durch die Tabes bedingt» diesen Formen der Angina zu Grunde
liegen dürften. Hadlich.
6) Oontribution & l'itude de l'atazie looomotrioe des membres 8ai>drieiirB
(tabes oervioal), par J. Dejerine. (Arch. de Physiol. norm, et path. 1888. 3.)
Unter 106 Tabikem des Bicötre fand D. nur einen, bei welchem die tabischen
Symptome zuerst in den Armen aufgetreten waren. Ein 49jähriger Erdarbeiter, erb-
lich kaum belastet, angeblich nie syphilitisch gewesen, zeitweise starker Trinker und
Bancher, erkrankt Juli 1883 an Sehstörungen und Doppelsehen (namentlich Abends).
Ende 1883 Schielen. April 1884 landnirende Schmerzen und Ataxie der Arme.
Im Februar 1887 fand sich: L&hmung des Abducens beiderseits, Opticusatrophie
beiderseits, Myosis rechts, Mydriasis links, lancinirende Schmerzen und erhebliche
Ataxie beider Arme, verlangsamte Leitung der Schmerz- und BerUhmngsempfindung
und lange Nacbempfindungen (auch für Kältereize) in den Armen und im Gesicht,
geringer auch am Bumpf, Aufhebung des MuskelgefQhls beider Arme, geringe Ab-
schw&ohung ihrer motorischen Kraft, Anconeusphänomen erloschen, idiomuscnlfire Er-
regbarkeit erhalten. An den Beinen keine irgend erheblichen Störungen,
kein Bomberg'sches Schwanken, Plantarreflex erhalten, Kniephänomene im Bectus ant
und Vastus ext erloschen, wohl aber auf Percussion der Patellarsehne eine Con-
traction im Vastus int oder in den Adductoren. Keine visceralen Störungen. Die
Untersuchung p. m. ergab im oberen Halsmark eine totale Degeneration der ganzen
Hinterstränge, Hinterhömer und hinteren Wurzeln; nur ein kleines Dreieck an der
Peripherie der (atoU'schen Stränge und ein kleiner Punkt hinter der hinteren Oom-
missur ist frei. Im unteren Halsmark nehmen die Veränderangen der Hinterhömer
und der GoU'schen Stränge und zwar zuerst an ihrem medianen Saum mehr und
mehr ab. In der Mitte des Dorsalmarks erscheinen intacte NervenüEisem auch in
den Burdach'schen Strängen, das hintere Drittel der GoU'schen Stränge ist hier fast
ganz normal Die Glarke*schen Säulen sind nur in ihren Faserelementen afficirt Im
Lendenmark zeigen sich schliesslich Spuren von Degeneration nur in den Burdach'-
schen Strängen. In der Oblongata endigt die Degeneration an den Hinterstnmgs-
kemen. Die sensible Quintnswurzel und die Bad. descendens .Quinti sind hochgradig
^trophirt^ die peripherischen Hautnerven des Arms wenig verfindert
— 497
Bei der vollst&ndigen Hmtentrangsdegeneratioii im Halsmark und der allseitigen
Intactheit der Sensibilität und des MuskelgeftOües der Beine zwingt der Fall nach
Yerf^ die Leitungsbahnen der KOrpersensibilität lediglich in der grauen Substanz zu
suchen. Aufl&Uig ist das Fehlen von Anftsthesie in den Armen. — Die Yertheilung
der Degeneration spricht gegen die Auffassung der L&sion der Goll'schen Stränge
als Systemerkrankung. Th. Ziehen.
7) Looomotor Ataxia oonfined to the arma; Beversal of ordinary progress,
by S. Weir Mitchell. (Philadelphia Medical News. 1888. 21. Aprü.)
M. berichtet über einen Fall tou Tabes dorsalis, in dem die üblichen Symptome
sich auf die Arme und nicht auf die Beine erstreckten. Patient, 55 Jahre alt, ohne
irgend welche Belastung, fand im Juli 1887 ein Taubsein der Finger beim Schreiben;
dieses Gefühl erstreckte sich von den Fingern beider Hände durch die Arme über
die Brust, den Bauch und den Bücken. Die gewöhnlichen Initial-Symptome der
Krankheit waren nicht vorhanden. Wir entnehmen folgende Punkte der Mitschell'schen
Beschreibung. (Untersuchung am 15. Jan. 1888.) Auffallende fahle Hautfarbe. Keine
neuralgischen Schmerzen. Tactile Sensibilität etwas herabgesetzt in den Fingern.
Schmerzempfindungen überall normal. Beginnende graue Atrophie der Nn. optici (de
Schweinit2). In den Beinen nur sehr geringe Ataxie, dagegen ist dieselbe sehr aus-
gesprochen in den oberen Extremitäten.
Tricepsreflex nicht vorhanden; Kniephänomene hingegen gesteigert; Fussklonns
vorhanden. Blase und Darm fnngiren normal. Keine gastrischen Krisen.. Scrotal-
und Abdominalreflexe fehlen. Geringe Ermüdung in den Beinen beim Gehen, sonst
keiue Symptome an den unteren Extremitäten. Mitchell stellt zum Schlüsse noch
die Yermuthung auf, dass im Anfangsstadium der Tabes die Sehnenphänomene stets
erhöht sind. Sachs (New York).
8) Tabes dorsalis with rapid development of Ataxia, by C. W. Suckling.
(The Brit. med. Joum. 1888. 12. Mai. p. 1007.)
Vor 5 Jahren Ulcus, aber keine Secundäraffectionen. — Jetzt vor 5 Monaten
die ersten Erscheinungen des Schwankens bei geschlossenen Augen, doch konnte Fat.
noch vor 14 Tagen als Frachtftihrknecht arbeiten. In einer einzigen Nacht
trat bei ihm die Unmöglichkeit zu stehen ein, während er bis dahin rektiv gut hatte
stehen und gehen können. Dabei hatte die rohe Kraft der Muskeln nicht abgenommen.
Bald konnte er auch die Feder nicht mehr führen, um zu schreiben. Man kann
hier die Ataxie, die in wenigen Stunden sich entwickelt, acut benennen.
Jodkalinm half nichts. — Aigent nitric besserte die Symptome.
L. Lehmann (Oeynhausen).
0) Wlrbelerkrankongen bei Tabikem, von Dr. Krönig, früherem Assistenten
an der Frerichs'schen Klinik. (Ztschr. f. klin. Med. 1888. XIV. 1 u. 2. p. 51.)
Drei Fälle von Fracturen, wie Verf. annimmt, der Lendenwirbelsäule in Folge
von geringfügigen Traumen bei ausgesprochenen Tabikem. Die sich hieran anschliessen-
den Processe brauchen zum Theil mehrere Jahre, bis sie in Gestalt von Difformitäten
der Wirbelsäule zur Erscheinung kommen. Zur Erklärung solcher Fracturen wäre
die Thatsache der nunmehr schon häufiger nachgewiesenen Degeneration peripherischer
Nerven bei Tabes heranzuziehen, welche eine Prädisposition der betreffenden Gebilde
zu Erkrankungen herbeifährt.
Die Einzelheiten der Fälle müssen im Original eingesehen werden«
Die Therapie bestand in Anlegung von Gyps-, resp. Stahl-Fischbein-Corsetts,
welche Verf. für ähnliche Fälle warm empfiehlt. Sperling.
— 498 —
10) A oase of Charoot*i disettae of the knee-Joint, by Wm. Collier. (The
Brii med. Joarn. 1888. 28. April, p. 909.)
0. zeigt in der Cambridge med. Gesellscbaft das Kmegelenk einer an Tabes im
Leben leidenden, jetzt im 41. Lebensjahr verstorbenen Fraa vor. In der Anamnese
Syphilis, aber weder Gicht noch Eheamatismas. 1 Jahr Tor dem Tode zeigte sich
Anschwellung im linken Knie; Ansammlung von Flflssigkeit daselbst, doch keine
krankhafte Veränderung der Gelenktheile. Sie hatte wegen hochgradiger Ataxie
16 Monate hindurch das Bett hüten müssen. 6 Monate lang hatte sie schon stets
gelegen, da wurde das Gelenk selbst g&nzlich verändert. Die Knochen konnten ohne
Uindemiss nach jeder Richtung bewegt werden. Dabei Knarren, doch kein Schmerz.
Man sieht jetzt an dem der Leiche entnommenen Gelenk hochgradi<?en Gewebsschwnnd,
die Ligam. cruciata sind gänzlich verschwunden, ebenso der Gondylus extemns, und
dennoch ist in der unmittelbaren Nachbarschaft dieser Zerstörung eine bedeutende
Neubildung von Knochengeweben zu bemerken. — Durch diesen Fall kann man nach
Collier*8 Anschauung beweisen, dass die Gelenkkrankheit nicht in ursächlicher Ver-
bindung mit rheumatischer oder sonstvrie begründeter Entzündung steht, die durch
die vorhandene Tabes modificirt worden sei, sondern dass man dieselbe als eine
spedelle Theilerscheinung der Tabes anzusehen habe. L. Lehmann (Oeynhausen).
11) Fraqture de ouiase ohez un ataxiqae. Suppurcttion de la firaotare,
mort, par M. Wallich. (Arch. g^n^rales de la M^decine. 1888. März.)
Bei einem 41jährigen vor mehr als 20 Jahren syphilitisch inficirten Manne,
der Ataxie, lancinirende Schmerzen, geringe Herabsetzung der Sensibilität der Unter-
extremitäten, Impotenz, Incontinentia urinae, Fehlen der Kniephänomene darbot, trat
nach einem ziemlich heftigen Stosse gegen die Bettstelle ohne Empfindung von
Schmerz Fractur des rechten Femur ein. Bei der Prüfung auf Crepitation empfand
Fat. keine Schmerzen. Das Knie des afücirten Beins zeigte Schwellung und Flac-
tuation. Nach mehrmaliger Entleerung der blutigen, wenig Eiter enthaltenden Ge-
lenk-Flüssigkeit, nach wiederholter Eröffoung und Drainirung eines in der Nähe der
Fracturstelle gelegenen Eiterheerdes trat unter colliquativen Diarrhöen und massigem
Fieber Exitus ein.
Die Section ergab ein gesundes Gehirn, dagegen graue Degeneration der äusseren
Partie der Hinterstränge im Lurobalmark. Ein grosser Theil des Femur dextmm war
nekrotisch, umgeben von einem tief in Muskeln und Unterhantgewebe reichenden
Abscess. J. Bubemann (Berlin).
12) Iiead-poisoning as a oauae of miuciilar inoGordination (Paendo-Tabee),
by James J. Putnam. (Boston Medieal and Surgical Journal. 1887. Dec. 22.)
Terf. erinnert zuerst an die Fälle von chronischer Alkohol-, Arsen- und Blei-
vergiftung, sowie Diphtherie als Ursache einer Pseudo-Tabes. Er geht genauer ein
auf die 2 Fälle von Bleivergiftung, die Teissier und Raymond berichtet haben und
fügt aus eigener Beobachtung 3 weitere hmzu. Als pseudo-tabische Symptome hat
er beobachtet: Gliederschmerzen, Gürtelgefühl, Schwäche in den unteren Extremitäten,
Ataxie und Sensibilitätsstörungen in den unteren und oberen Extremitäten, Diplopie.
Interessant in dem ersten Falle eigner Beobachtung war die Aetiologie, indem
Patientin durch dauernden Genuss bleihaltigen Wassers sich die Intoxication zuge*
zogen hatte.
Als differentialdiagnostisch wichtig hält P. gesteigerte Kniephänomene, schnelle
Besserung der einen Extremität, während der Zustand einer andern sich verschlimmert,
allgemein scbnell fortschreitende Besserung.
Alle diese Fälle von Pseudo-Tabes werden für Erkrankung peripherischer Nerven
angesehen. P. Kronthal.
— 499 —
18) Atasda in a Brassworker, by Snckling. (The Brit. med. Joarnal. 1888.
3. M&rz. p. 471.)
S. stellte in der Midland medic. Gesellschaft einen Fall Ton Ataxie bei einem
54j&htigen Messingarbeiter (Gtelbgiesser) vor. Seit 18 Monaten litt Fat. an stumpfem
GefQhl in Hftnden and Fflssen, nnsicherm Qang nnd excentrischen Schmerzen, Magen-
krisen. Romberg*s Zeichen. Anästhesie nnd Analgesie bestand nicht, wohl aber
yerringerter Muskel« nnd Drucksinn. Besserung durch Jodkali. Syphilis nicht im
Spiel. L. Lehmann (Oeynhausen).
14) Ataada in a BrasBWorker, by Hogben. (The Brit. med. Jonm. 1888 5. Mai.
p. 964.)
H. stellt in der Midland medic. Gesellschaft einen Fall von seit 2 Jahren an
Ataxie leidenden Messingarbeiter vor. Fat. hatte den charakteristischen grünen weiss-
farbigen Zahnrand. Keine Syphilis in der Anamnese; keinerlei Krisen. Fatellar-
reflexe gesteigert, Fussklonus Yorhanden. Die Augen normal. Der Muskelsinn bei
sonst normaler Sensibilität in den unteren Extremitäten sehr verringert. Tremor,
Schwäche und hochgradige statische Ataxie. Seit 2 Jahren hatte der Znstand weder
Vor- noch Bflckschritte gemacht. L. Lehmann (Oeynhausen).
16) Die trophisohen Störungen bei der Tabes doraalis, von Max Flatow.
Inauguraldissertation. Berlin 1888. (64 Seiten.)
Eine ungemein fleissige Zusammenstellung aller Formen yon trophisohen Störungen,
welche bei der Tabes beobachtet wurden, mit genauer Litteraturangabe. M.
16) Ataxie lateral scleroBis, by Dr. J. G. Preston. (Journal of nerrons and
mental disease. 1888. IIU. p. 241.)
Fall von „atactischer Lateralsklerose'' bei einem 83jährigen Mann« ohne Here-
dität nnd ohne Lues. Seit 2 Jahren Ataxie der Unterextremitäten nnd allmähliches
ErKyschen der Potenz und der Herrschaft über die Sphinkteren. Dabei aber keine
Blitzschmerzen, keine SensibüitätsstOrnngen, keine Schmerzhaftlgkeit der Wirbelsäule,
kein Gürtelgefühl, wohl aber Crampi in den Waden, gesteigerte Muskelerregbarkeit
(FaradiBcher Strom), gesteigerte Kniereflexe und Fussklonus, spastischer Gang etc.
Patient schwankt femer bei geschlossenen Augen, bietet aber keine FupiUarstömngen
und keine Muskelatrophien.
Arsenik per os, warme Bäder und Massage haben deutliche Besserung gebracht.
Die Diagnose (des noch in Behandlung befindlichen Falles) wird auf Strang-
Sklerose der Seiten- nnd Hinterstränge (oder multiple Sklerose) gestellt.
• Sommer.
17) Ueber mnltiple HIm-Büokenmarkakleroie nebst Angabe zweier Fälle
bei Kindern nach Diphtherie. Inaugural-Dissertation von A. Schoenfeld,
Arzt Berlm, Juni 18S8. (30 Seiten.)
In seiner Arbeit Sdörose en plaques et maladies infectieuses beschäftigt sich
Pierre Marie mit der Aeüologie der multiplen Sklerose uild zeigt, dass sie als Nach-
krankheit von Typhus, Pocken, Scharlach, Masern, Dysenterie, Pneumonie auftreten
kann. Ebstein beobachtete sie nach Typhus abdominalis, Westphal nach Variola und
Typhus, Charcot nach Cholera. In einem einzigen Fall (Stadthagen) ist die Krank-
heit bisher nach Diphtherie beobachtet worden.
Verf. beschreibt 2 neue Fälle aus der Poliklinik des Prof. Mendel und Enlen-
burg, welche als Nachkrankheit von Diphtherie aufgetreten sind. In dem ersten Fall
handelt es sich um einen löjährigon Knaben, der in seinem 9. Jahre an Diphtherie
liti Knrz nachher stellen sich Intentionszittem, Parese, Gehstömug in den Beinen
etc. ein. Nachdem der Zustand mehrere Jahre ohne erhebliche Verschliromerung blieb.
— 600 —
zeigten neb mangelhafte geistige Entwickelnng, SehwindelanflUe und SpndiatOning.
Während aich der Gang Terschlechterte, besserte sich das Intentionszittem. Gleich-
zeitig bestand Steigerung der PateUarreflexe, Nystagmos, Dyschromatopsie, und es
fehlten Sensibilitäts- wie trophische Störungen. Eine hinzutretende partielle Fadalis-
lähmung des Mundastes, eine geringe Anarthrie, das Herausfallen der Speisen aus
dem Munde etc. legen den Gedanken an eine beginnende Bulbarparalyse nahe. —
Der zweite Fall betrifft ein llj&hriges Mädchen, die im 8. Jahre Diphtherie durch*
machte. £urz darauf zeigten sich Intentionszittem, Gehstörungen, mangelhafte geistige
Entwickelung, häufige Schwindelanfalle, Combination von Lähmung und Contracturi
Steigerung der Sehnenreflexe; es fehlten Störungen der Sensibilität, der Ernährung,
wie der Blasen- und Darmfnnctionen. Kalischer.
18) Bur un oas de pseodo-tabes, par A. Pitres, Bordeaux. (Arch. de Neurolog.
1888. XV. 46.)
Ein Mann in den 40er Jahren, von bewegter Vergangenheit, aber ohne neuro*
pathische Belastrmg, ohne Antecedentien von Syphilis oder Alkoholismus. Vor 10 J.
zuerst Gefflhl von Spannung in der Rflcken-, vorztiglich Lendenmusculatur, nach Jahres-
frist Schmerzkrisen; die lancinirenden Schmerzen sassen anfangs in der rechten Hflfte;
gingen dann auf die linke über. Polyurie. 1880 GCkrtelgefQhl und Unsicherheit
beim Gehen, GefOhl der Anschwellung der FQsse und Unebenheit des Bodens, Bom-
berg'sches Zeichen. In demselben Jahre einige Monate Neigung zu Priapismus, danach
abnehmende Geschlechtsfunction. Von 1881 bis 1886 Hambesch werden, Tenesmus
des Mastdarms, gastrische Krisen, typische heftige Schmerzanfälle. Dabei fortwährend
starke motorische Ataxie. Keine Sehstörungen, keine trophische Störungen; Knie-
phänomene erhalten. Tod an tuberculöser Pleuritis. — Bei der Autopsie dieses
Kranken, welchen P. in seiner Klinik iriederholt als typischen Fall von Hinterstrang-
sUerose Torgestellt hatte, fanden sich weder Strangskleroee des Bflckenmarks, noch
Atrophie der hinteren Wurzeln, noch auch irgend eine Degeneration der peripherischen
Nerven, mit Ausnahme eines etwas mysteriösen Befundes an gewissen Visceralnerven.
Es reiht sich dieser Fall den schon beschriebenen an, wo das klinische Bild einer
bekannten Cerebral- oder Spinalläsion besteht ohne den anatomischen Hintergrund
derselben. Siemens.
Psychiatrie.
10) On haemorrhages and ftdae membranet within te cerebral eubdoral
spaoe, oooorring in the Inaane (inoluded tbe sooalled paohymeningitis),
by J. WiglesworUi. (Joum. of mental science. 1888. I.)
W. bestreitet die Annahme, dass die pachymeningitische Pseudomembran das
Product einer Entzflndung der Hirnhäute sei, und dass ohne eine solche Entsflndung
die Bildung solcher Membranen nicht vor sich gehen könne, er will das zuftllige
gleichzeitige Auftreten einer Entzflndung zwar nicht beetreiten, aber behauptet, dass
alle Phänomene sich sehr wohl als das einfache Resultat einer Effüsion von Blut in
den subdnralen Baum erklären lassen. W. basirt seine Ansicht auf die Resultate
von 400 Leichenbefunden, unter denen keine besondere Auswahl getroffen war.
Es sind 195 Männer, davon 80 paralytisch, 206 Frauen, darunter 39 paralytisch
zu Orunde gegangen waren. Unter den 400 Sectionen ergaben 42, also 10,2 ^/^ Blut
oder Pseudomembranen im subduralen Baum, obwohl unter ihnen kein Fall von
Schädelbruch war oder sonstigen schweren Kopfverletzungen. Das Durchschnittsalter
der 400 Gestorbenen betrug 61^07 Jahre, war höher als das Durchschnittsalter der
sämmtlichen Anstaltsbewohner, das nur 43,3 betrug. Nach der Krankheitsdiagnose
flberwog bei den Paralytikern das Vorkommen von Pseudomembranen bm weitem, ja
es kam bei allen andern Formen zusammengenommen nocb nicht so häufig vor, und
— 601 —
dann Oberwog es stets bei Patienten mit längerer Krankheitsdaaer, nur in 3 Fällen
von acater Melancholie war die Psychose noch nicht 3 Monate alt. Wegen des
Ueberwiegens der Paralyse bei Männern findet sich auch der höhere Procentsatz yon
Hämatomen bei Männern. In einem Falle fand sich im snbdnralen Baum fiQssiges
Blut allein, in sieben flüssiges Blut in Verbindung mit frischem Gerinnsel, in allen
übrigen war mehr oder weniger ?on einer Membran vorhanden, in 15 Fällen haftete
die Membran mehr oder weniger locker auf der Innenfläche der Dura und hatte das
Aussehen von coagullrtem Blut, in den übrigen aber erinnerte sie noch häufig durch
ihre Farbe an die hämorrhagischen Elemente, bestand aus weisslichen oder fleisch-
farbenen Schichten als dicke fibrinöse Membran. Wenn nun in einem Falle nur Blut
und in 7 nur Blut und Gerinnsel, aber keine Spur einer Membran vorhanden war,
so stimmt für diese die sonst verbreitete Ansicht nicht, dass zuerst als Entzündungs-
product sich die Membran bilde, aus deren Gefassneubiidungen aber die Blutungen
stammten, vielmehr liegt der Schluss nahe, dass stets zuerst eine Blutung da ist,
aus welcher dann Goagnla entstehen, welche sich schliesslich zu Membranen organisiren,
wie dies ja auch die Structur der Membranen darthut, welche an einen fHschen oder
älteren Thrombus erinnert, und dementsprechend mehr oder weniger rothe Blut-
körperchen enthalten. Ebenso wie nun der Thrombus sich mit der Gefasswand ver-
bindet durch Emigration weisser Blutkörperchen, so auch die Membran mit der Dura,
auf welche sie einen gewissen Beiz ausübt, doch zeigt die Dura fast nie Beste einer
Entzündung. Für eine Hämorrhagie spricht auch in einigen Fällen W.*s der Verlauf
der Krankheit während des Lebens, nämlich Coma und erniedrigte Temperatur nach
Kopfverletzungen und dennoch post mortem derbe Pseudomembran, während oft alle
Symptome intra vitam gefehlt haben. Für die Entstehung aus dififundirtem Blut
spricht auch die keineswegs ständige bilaterale Bildung. Dass sich die Pseudo-
membranen besonders bei Geisteskranken bilden, erklärt sich aus dem Schwund der
Hirnrinde bei diesen, wodurch den Gefässen die Stütze entzogen wird, während sie
häufigen Congestionen ausgesetzt sind, daher auch das Ueberwiegen bei den Para-
lytikern, das seltene Vorkommen bei acuten Fällen. Zander.
aO) Analogie des symptomes de la paralysie pellagreuse et de la para-
lyaie gdnärale, par Baillargef. (Annales m^dico-psychologiques. 1888. März.)
B. untersucht die vielfachen musculären Störungen, welche sich im Verlauf der
Pellagra herausstellen und die Lähroungszustände dieser Krankheit im Vergleich mit
den motorischen Störungen der Paralyse.
Die Schwächung des motorischen Systems in der Pellagrakrankheit kann so
hochgradig werden, dass dieselbe einer Lähmung sich nähert. Gleichzeitige Demenz
kann demnach das Bild echter Dementia paralytica vortäuschen.
B. weist nun nach, dass selbst in den pellagrösen Formen, welche Lähmungs-
erscheinungen aufweisen, die Störung der Sprache sehr selten — eine Ausnahme —
ist; hierin liegt demnach ein differentialdiagnostisches Zeichen.
Ein Beihe Krankengeschichten ist beigefügt.
Verf. fasst seine Erfahrungen darin zusammen, dass zwischen echter Paralyse
und der pellagrösen Lähmung eine grosse Aehnlichkeit besteht. Die erstere ist aber
immer progressiv; die zweite bleibt unvollständig bis zum schliesslichen Ausgang.
Die Störung der Sprache kommt bei beiden Formen vor, wenn auch höchst
selten bei der pellagrösen Lähmung. Ist sie bei der letztgenannten Form vorhanden,
so kann vorwiegend durch die Aeusserung der Krankheit in psychischer Beziehung
entschieden werden, wie die Diagnose zu stellen ist.
Wirkliche Sprachhemmung kommt hingegen nur bei der echten Dementia para-
lytica vor, bildet also, wenn vorhanden, ein sicheres ünterscheidungsmittel beider
Formen. Jehn.
— 502 —
21) TraomatiBme, Epilepsie et paralysie gönörale, par Terrien. (Annales
m^dico-psychologiques. 1888. Januar.)
Ein 38jäbriger, dem Trunk stark ergebener Mann war wegen GastriÜB einem
Krankenhanse übergeben, wurde aber plötzlich heftig und drohend gegen seine Um-
gebung und wurde Januar 1885 in die Irrenanstalt geschickt Trotzdem er dort
von Anfang an einen blühenden Grössenwahn zeigte, konnte doch die sich sp&ter als
unzweifelhaft bestehend erweisende Paralyse nicht erkannt werden.
Im August, als schon Sprachstörung zu dem schwachsinnigen Grössenwahn hinzu-
getreten war, erfolgte ein „epileptischer'^ Anfall. Der Kranke gab an, seit dem
8. Jahre, nachdem ihm der Vater einen heftigen Stockschlag über den Kopf versetzt
habe, epileptisch zu sein und demonstrirte Ober der linken Schläfengegend eine an-
geblich daher rührende Narbe.
Die epileptischen Anfalle waren im späteren Leben seltener geworden; der letzte
lag Jahre weit zurück.
Während seines Aufenthalts in dem Asyl traten dieselben wieder häufiger auf.
Die Section des nach 2^/^ jährigem Aufenthalt in ausgesprochen dementem Zu-
stande verstorbenen Kranken ergab unter der von ihm als von dem Stockschlag her-
rührenden Narbe eine Abplattung des Schädels an Stelle der Höhe der linken Coronar-
naht. Die linke Hemisphäre war bedeutend verkleinert gegen die rechte, dabei derb,
die Gyn gut ausgebildet^ aber Alles gegen rechts wie verkleinert; rechterseits war
Erweichung und der klassische Befund der Paralyse vorhanden. Die Atrophie des
linken Gehirns setzte sich bis in den bedeutend verschmälerten Ped. cerebri fori
T. hält die linke Hemisphäre in Folge jenes Schlages für in der Entwickelung
gehemmt und atrophiri Später wurde der so Verletzte Trinker; die Paralyse hätte
sich erst nach dem „d^lire aigu'' entwickelt, welches sich bei ihm, als er wegen
Gastritis dem Hospital angehörig war, entwickelte.
Dass diese Erklärung zu Zweifeln berechtigt, wird noch durch den Umstand
bestärkt, dass T. selbst erwähnt, der Kranke sei wohlgebaut gewesen und habe zumal
keine Unregelmässigkeit oder Atrophie der Musculatur aufgewiesen, während eine
halbseitige Dystrophie bei einer aus dem Kindesalter herstammenden, so starken,
Himatrophie, dass der zugehörige Pedunculus cerebri stark verschmälert war, doch
wohl durch peripherische Zeichen sich bemerkbar hätte machen müssen.
Zu erwähnen ist noch, dass die beiden Kinder dieses Kranken deutliche Zeichen
der Degeneration an sich trugen. Jehn.
Die zunehmende Häufigkeit der Dementia paralytioa, von 0. Snell,
München. (AUg. Ztschr. f. Psychiatrie. 1888, XLIV. 6.)
S. verglich die Zahl der in der Frovinzial-Heil- und Pflege-Anstalt zu Hildes-
heim aufgenommenen Paralytiker mit der Zahl der aufgenommenen Geisteskranken
überhaupt in den einzelnen Jahren seit 1857. Es waren von den Aui^genommenen
paralytisch : 1857—1861 7,0 ^/o,
1862—1866 10,7 ^/o,
1867—1871 9,3%
1872—1876 9,0%
1877—1881 10,9 <>/o,
1882—1886 11,5%
Jedenfalls hat also die Häufigkeit der Paralyse in Hannover während der letzten
30 Jahre zugenommen. Th. Ziehen.
23) Fsyohose im Kindeaalter, von Dr. Kelp, Oldenburg. (Allg. Ztschr. f. Psych.
1888. XLIV. 6.)
Ein I2jähr., Schwachbegabter, in seinem Wesen stets etwas sonderbarer Knabe
erkrankte nach einem Typhus unter heftigen AngstafiEecten ohne Hallndnationen.
— 503 —
Gleichzeitig war der Geschlechtstrieb sehr gesteigert, er batte Neigung, selbst mit
seiner Mutter den Goitus zu üben. Nach 2 — 3 Wochen trat Beruhigung ein; leichtere
Anomalien blieben noch länger zurück. Für den Erregungszustand bestand absolute
Amnesie. Der Vater des Knaben ist ein leicht erreg^r Mann, sonst keine erbliche
Belastung nachweisbar. Th. Ziehen.
24) On a oase of looomotor ataxia foUowed by general paralyais of the
ixisane, by Bullen. (Brain. 1888. April.)
Die Arbeit bietet eine eingehende klinische Besprechung und eine sehr genaue
anatomische Untersuchung eines Falles von Tabes und progressiver Paralyse. Der
Verf. hat das Bückenmark, den Uimstamm, das Grosshim und einzelne peripherische
Nerven einer mikroskopischen Untersuchung unterworfen: In Bezug auf die einzelnen
klinischen Symptome und ihre Begründung durch anatomische Befunde mnss auf das
Original verwiesen werden. Als besonders auffallig hebt der Yerf. in seinem Falle
eine ausgebreitete Erkrankung der Blutgefässe hervor, die sich durch das ganze
Centralnervensystem erstreckte, hauptsächlich in den erkrankten Partien sich fand,
aber auch die scheinbar noch ganz gesunden nicht verschont hatte. Dieser Befund,
zusammengehalten mit nur beiläufig erwähnten anderen, in welchen sich bei Para-
lytikern eben beginnende Degeneration der Hinterstränge fand, Degenerationsheerde,
die stets von erkrankten Blutgefässen als ihren Centren ausgingen, in denen sich
ausserdem Zunahme des perivasculären Gewebes an Stellen fand, an denen die Nerven-
fasern selbst noch ganz unbetheiligt waren, und in denen schliesslich eine besondere
Tendenz zur Miterkrankung der an die hintere Commissur angrenzenden Hinterstrangs-
fasern hervortrat» giebt dem Verf. Anlass, die Auffassung von der systematischen und
primär neurodegenerativen Natur der Tabes zu bekämpfen und sich dw Ansicht
6nzzard*s und Adamkiewicz's von der primären, von den Blutgefässen ausgehenden,
interstitiellen Erkrankung zuzuneigen. Dass er dabei als Vertreter der Ansicht von
der systematischen Natur der T^^bes Strümpell und Westphal in einem Atiiem nennt,
ist wohl nur ein Lapsus. Auch Adamkiewicz will keineswegs mehr in allen, nicht
einmal in den meisten Fällen die Tabes als interstitielle Erkrankung aufgefasst wissen.
Die theoretischen Auseinandersetzungen über die Pathogenese und Pathologie der Tabes
und. progressiven Paralyse, sowie über das Verhältniss beider zu einander, die den
Schluss der Arbeit bilden, eigpien sich für ein Referat nicht. Bruns.
25) Note BOT les rapports de la paralysie gänärale et de la syphiliB, par
, ^le Dr. Eromanuel B^gis. (Gaz. mM. de Paris. 1888. 23. 24. 2S.)
Während in den skandinavischen Ländern, in Deutschland und in England die
hervorragende Bedeutung, welche die Sypbilis in der Aetiologie der progr. Paralyse
einnimmt, fast allgemein anerkannt ist, hatten sich die französischen Psychiater bis-
her diesem Zusammenhang gegenüber ablehnend verhalten.
Jetzt erklärt nun B., welcher ebenfalls geglaubt^ dass die Syphilis kein häufiges
Antecedens bei d^ Paralyse sei, und dass sie nur zur Pseudopaiälyse Veranlassung
würde, dass er nach aufmerksamer Beobachtung zu anderer Ansicht gekommen und
dass er sich früber geirrt habe. Auch er betont, wie Bef. es seiner Zeit gethan,
dass bei den Kranken der öffentlichen Anstalten die Anamnese nach dieser Bichtung
hin oft im Stiche lasse. Da, wo genaue Auskunft vorhanden, sind nach seiner Er-
fahrung 70— 76^/o der Paralytiker syphilitisch gewesen (rechnet man die wahr-
scheinlichen Fälle hinzu, 94 ^/q). Die 4 von ihm beobachteten paralytischen Frauen,
deren Anamnese bekannt war, hatten sämmtlich Syphilis gehabt Da, wo Syphilis
and Alkoholismus selten unter der Bevölkerung vorkommen, sind Paralytiker eben-
falls selten. [Asyl von Si Alban (Lozke): Krankenbestand zwisohen 190 und 300
im Zeitraum von 10 Jahren nur 10 Paralytiker (Gamuset).]
B. findet, dass die syphilitischen Paralytiker gleichzeitig meistentbeils Hereditarier
— 504 —
waren, und nimmt an, dass die Heredität die Pradisposition, die Syphilis das occa-
sionelle Moment znr Entstehung der Krankheit bilde.
Dass trotzdem die antUuetische Behandlang keine oder nur geringe Erfolge anf-
xüweisen hat, ist daraos zu erklären, dass die Gewebsverändernngen einen Grad er-
reicht haben, welcher ansser der Wirksamkeit jener Behandlung liegt Die syphilitische
Paralyse unterscheidet sich durchaus nicht, weder symptomatisch, noch anatomisch
von der Paralyse, sie ist eine wahre, keine Pseudopanilyse.
Es giebt bei Syphilitischen Psychosen, welche der Paralyse ähnlich sind, und
welche durch specifische Behandlung gebessert werden; diese haben jedoch andere
auatomische Grundlagen, und sind als specifische Pseudoparalysen zu trennen.
M.
Therapie.
26) Mittheflimgeii über die Wirkungen des Amylenhydrats bei Qeistes-
kranken, von Dr. H. Schloess. (Secundärarzt der niederöster. Landes-Irren-
anstait Wien. (Jahrb. f. Psych. 1888. VIII.)
Das Mittel wurde 92mal gegeben und zwar 32mal zu je 3,0 gr und 60mal zu
je 3,5 gr. Sowohl bei 3,0 als bei 3,5 gr trat der Schlaf meist in der 2. Stunde nach
Einnahme auf. Nach 3,0 gr währte er in der Hälfte der Fälle (16) 5 — 7 Stunden,
war jedoch öfter unterbrochen; nach 3,5 gr fand sich in 7 Fällen Schlaflosigkeit in
26 hingegen Schlaf in der Dauer von 7— 10 Stunden. Die Dosis von 3,5 gr hatte
auch in andern 15 Fällen mit Ausnahme weniger eine sichere schlafhiachende Wir-
kung (am besten bei blödsinnigen Paralytikern). Da es oft schlecht vertragen wird,
empfiehlt sich bei täglicher Anwendung eines Hypnoticums die Abwechselung mit
andern Hypnoticis. Bei Epilepsie wirkt es in kleinem Dosen nicht; bei gehäuften
Anfällen dürfte sich eine grössere Dosis Amylenhydrat (3,5 gr) empfehlen (cfr. Gfirtier).
Kalischer.
27) Obserration de solärose en plagues — Effet remarqoable de la solaaine
sor le tremblement, par Grasset et Sarda. (Progr. m^. 1888. Nr. 27.)
Ein 43jähriger Schäfer leidet seit 2 Jahren an ausgesprochener Heerdsklerose.
Dieselbe hat mit Eopfischmerzen und Schwindel eingesetzt, wenige Monate später hat
sich Intentionszittem im linken Arm, Lähmung des linken Arms und linken Beins
hinzugesellt. Die Sprache wurde beschwerlich, es trat auch vorflbergehend eine links-
seitige Facialis-Lähmung auf. Der Gang wurde unbeholfen.
Bei der Beobachtong im Hotel Dieu St. Elvi zu Montpellier konnten die Verff.
mit Sicherheit eine Sd^rose en plaques constatiren, die sich aus Intentionstremor
der linken oberen Extremität, leichter Parese des linken Beins, erheblicher Steigerung
der Sebnenreflexe, linksseitiger Hemianästhesie zusammensetzte, die Sinnesorgane noch
ziemlich unversehrt gelassen hatte. Bemerkenswerth war noch eine Dyspnoe, fOr
welche die physikalische Untersuchung keine Erklärung gab und die mit einem Gen-
strictionsgefühl im Epigastrium verbunden war. Am meisten beschwerte den Kranken
der Tremor. Gegen dieses Symptom versuchten die Verff. das Solanin, das von fran-
zösischen und italienischen Autoren gegen Schmerzen und andere nervöse Beizerschei-
nungen mehrfach empfohlen worden war. Unter der Einwirkung des Sdlanin, welches
in Dosen von 5 cgr mehrmals täglich gegeben wurde, verschwand die Dyspnoe voll-
kommen und auch das Zittern nahm beträchtlich ab, nachdem Pat. das Solanin etwa
8 Tage lang fortgebraucht hatte.
Die Verff. glauben auf Grund der mit den Solanin gemachten Erfahrungen zu
folgenden Schlflssen berechtigt zu sein: Das Solanin ist ein Mittel, welches die Beflex-
erregbarkeit entschieden herabsetzt. Die Gew()hnung an dasselbe ist nicht sehr ffthl*
bar, da es eine cumulative Wirkung zu haben scheint. — Schwächere Dosen längere
Zeit^ mit einigen Unterbrechungen fortgenommen, scheinen die wirksameren zu sein.
(Sarda hatte über die antineuralgischen Eigenschaften des Solanin schon in
den Bull. gte. therap. im Mai 1888 berichtet! D. Ref) L aquer.
Verlag von Vnx & Comp, in Leipzig. — Druck von Mxtzobb & Wittio in Leipzig«
Neurologisches Centralbutt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter ^ ^"°' Jahrgang.
Monatiioli encheinen zwei Nummeni. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zn beziehen dnroh
alle BncbhaodliiBgen des In- und Analandea, die Postanstalten des Deutschen Beiohs, sowie
direct Ton der Yerlagsbachhandlung.
1888. 15. September. Na 18.
Inhalt. I. Orlglnalmittheilungen. 1. Die Himcentra fQr die Bewegung der Harnblase,
▼on Prof. Dr. W. Bechterew und PriTatdocent Dr. N. Mitiawsky. 2. Ein Fall von Alexis mit
rechtsaeitifer homonymer Hemianopsie („snbcorticale Alexie" Weroicke), von Dr. L. Bnint,
Nervenarzt und Dr. B. StSItlng, Augenarzt zu Hannover (Schluss).
II. Referate. Anatomie. 1. The grouping of the cranial nerves, by Hill. 2. Micro-
scopiojJ ezamination of Glarke^s column in man, the monkey and the dog, by Mett. 'S. llie
morphology of the Vagus nerve, by Shere. 4. Nerve-elementer, deres struktur og sammen-
häng 1 centralnervesvstemet, af Nansen. — Experimentelle Physiologie. 5. Studien
über den centralen Verlauf der vasomotorischen Nervenbahnen, von Heiweg. -- Pathologie
des Nervensystems. 6. Casd of haemorrhage into the medulla oblongata. Recovery» by
Bafterham. 7. Glioma of the medulla oblongata, by Osler.
III. Bibliographie. Charit^ Annalen. XIII. Jahrgang. Bedigirt von Director Dr. Mehl-
haasMi, Qonerslarzt I. Cl. nnd Geh. Ob. Medio. Bath.: Leyden, Zur Lehre von der Looalisation
in der Grosshimrinde. Waetzoidt, 2 Fälle von Gehirntumor. Senator, I. Solitarer Tuberkel
im linken Thalamus opticus. Beicljtsseitige Ataxie. U. Abscess im linken Schläfenlappen.
Martittt, Hemianopsie mit hemianopischer PupUlenreaetion« MDIIer, 2 Fälle von Tetanie bei
Dilatatio ventriculi und bei Axendrehung des Magens. Oppenheim, lieber Hirnsymptome bei
Carcinomatose. Verhalten der musikalischen Ausdnicksbewegungen und des musikalischen
Verständnisses bei Aphatischen. SchBtz, 3 Fälle von Aphasie nnd Paraphasie. Opponholm,
BeschreibuDg eines Falles von juveniler progressiver Muskelatrophie. Thomton, 4 Falle von
traumatischer und Beflexpsychose.
I.
1. Die Himcentra für die Bewegung der Harnblase.
Von Prof. Dr. W. Bechterew und Privatdocent Dr. N. MislawBky.
BuDOE^ fand, dass Reizungen der Grosshimschenkel, der Strickkörper und
des GalamuB scriptoiius des verlängerten Markes Contractionen der Harnblase
* BuBGB, Ueber den Einfluss des Nervensystems anf die Bewegung der Blase. Ztschr.
f. rationeUe Madkin. DriUe Beihe. XXL Bd.
80
— 606 —
henromifen, wahrend Beizung der Grosshimhemisphäxen, des Corpus stnatom
und des Sehhägels in den Versuchen des genannten Beobacbfcers einen derartigen
Efifect nicht ze^te. Ebenso waren Beizungen des Kleinhirnes erfolglos; aber
Angesichts dessen^ dass die Beizung des Corp. restiforme, an dessen Verbindungs-
stelle mit dem Kleinhirne in genannter Beziehung ein positives Besultat giebt,
konnte Büdge dem letzterwähnten Himtheile nicht mit Gewissheit jeden Antheil
an der Hervorrufung von Bewegungen der Blase absprechen. Auf Grund dieser
Experimente kam Bübge zu dem Schlüsse, dass das Bewegungscentnun der
Blase in den Grosshimschenkeln liege und dass es seitens des Grosshims in Er-
regung gebracht werde. Dies ist aus den folgenden Worten dieses Autors zu
erschliessen: „Wir müssen uns begnügen, einigermaassen einsichtlich gemacht
zu haben, dass durch den Contact gewisser inThätigkeit gebrachter Gehirn-
massen, die jedoch uns unbekannt sind, mit Faserm&ssen oder wahrschein-
lich zunächst mit Ganglienzellen der Pedunculi eine Erregung der letzteren und
dadurch Blasencontraction entstehen kann.^'^
Aponassiew* beobachtete bei Durchschneidung des Himschenkels keinerlei
Veränderungen in der Blasencontraction; seiner Meinung zufolge bleiben nach
der besagten Operation nur die Contractionen der Urethra aus, während der
Tonus des Schliessmuskels anwächst. Was die auf Himschenkelreizung erfolgen-
den Blasencontractionen anlangt, so lassen sich dieselben, zufolge Afonabsiew,
aus dem Spasmus der Blasengefässe und der hierdurch herbeigeführten unge-
nügenden arteriellen Blutzufuhr herleiten, welch letztere auf die glatten Muskei-
zellen der Blase oder die Nervenendigungen derselben err^nd wirken kann.
Solcherweise schliesst Afonassiew anscheinlich einen directen Einfluss des
Grosshimes auf die Bewegungen der Harnblase völlig aus. Dagegen lassen sich
spätere Untersuchungen mit der Ansicht des genannten Autors nicht in Ein-
klang bringen. So wurden in den Experimenten von Ssokowkin^ und Nüss-
BAUM^ nach Durchschneidung der Grosshimhemisphären im Niveau der Him-
schenkel keine Reflexe seitens der sensiblen Nerven (wie z. B. des Vagus, Ischiadicus?
Gruralis, Medianus u. A.) auf die Blase erhalten, während nach Abtragung der
Hirnrinde solche Reflexe noch ausgelöst wurden (Nüssbaum). Ausserdem zeigte
RooHEFONTAiNE,^ dass au dem Gyrus sigmoides wenigstens vier Punkte sich
finden, deren Reizung Blasencontraction hervorruft. Analoge Beobachtungen
machte auch FBANgois Fbakck,^ indem er die Bewegungen der Blase mittels
registrirender Werkzeuge aufnahm.
Dies ist in Kürze das Wenige, was wir gegenwärtig über die Innervation
^ BuDQB, a. a. O. S. 180.
' Afokasbiew, Zur Physiologie der Pedimeali cerebri. Kiew 1869. (RoBsisch.)
^ SsOKOWNiN, Beiträge zur Physiologie der Harnabsondening and der Hamvcrhaltnng.
Kasan 1877. (Rassisch.)
* NussBACM, Zar Frage über die Innenration des Masc. detraser. Arbeiten ans dem
Warschaaer Laboratoriam. Lief. Y. 1879. (Rassisch.)
^ RocHEPONTAiNE, Arcb. de physiologie normale et pathologiqne. 1876. T.III. Seriell
p. 165.
* FBANgois-FnANCK, Le9ons aar les fonctions motrices da ceryeaa. Paris 1887.
— 507 —
der Blase seitens des Grosshimes kennen. Angesichts dieser mangelhaften Er-
kenntniss der Sache einerseits, sowie andererseits im Hinblicke auf die oben
angedeuteten Widersprüche in den Ansichten der verschiedenen Autoren machten
wir letzterzeit diese Frage zum Gegenstande unserer Untersuchungen.
Unsere Experimente wurden an Hunden und Katzen angestellt Die Thiere
worden bis zu yölligem Verluste der willkürlichen Bewegungen curarisirt, und
nach Einleitung der künstlichen Athmung wurden an beiden Uretheren Fisteln
angelegt, die Urethra unterbunden und sodann in einen, den Blasenscheitel
durchdringenden Einschnitt eine olivenformige Silbercanüle eingeführt, an deren
Halse die Blase mittelst einer die Blasenwand durchsetzenden Naht fixirt wurde.
Die Ganüle wurde mit einem Manometer in Yerfalndung gebracht und darauf
die Blase, die Yerbindungsröhre des Manometers, sowie dieses letztere selbst
mit einer 0,75procentigen ClNa-Lösung gefüllt Das freie Ende des Mano-
meters wurde mit einer Marey'schen Begistrirtronmiel (tambour enr^gistreur)
verbunden. Die Blase wurde während des Experimentes aus der Bauchhöhle
herausgenommen und von einer Schicht hygroskopischer Watte umhüllt, die
gleichfalls mit der ClNa-Lösung befeuchtet war.^ Die Temperatur und die Ent-
blössung der Hemisphären wurden in der gewöhnlichen Weise vollführt Zur
Beizung bedienten wir uns des Du Bois-Beymond'schen Schlittenapparates mit
einem Gren^'schen Elemente.
Bei der Untersuchung der Hirnrinde fanden wir, dass die Begion, deren
Reizung eine deutUch wahrnehmbare Blasencontracüon hervorruft, streng locali-
sirt erscheint und sich auf den inneren Theil des vorderen und hinteren Ab-
schnittes des Gyrus signioides beschrankt Der äussere Theil desselben, gleichwie
die Nachbartheile der Hirnrinde ergeben bei ihrer Reizung entweder einen völlig
negativen, oder einen nur äusserst geringfügigen Effect Somit sind die von
uns gefundenen Bindencentra für die Blasenbewegungen mit den von Roghe-
FONTAiNE^ angegebenen nicht vollkommen congruent, indem der letztgenannte
Autor den äusseren TheU des vorderen Abschnittes des Gyrus sigmoides als die
Region bezeichnet, von der aus eine Gontraction des Detrusor erzielt werde.
Bei der Reizung der von uns angegebenen Punkte tritt sowohl bei den
Hunden als auch bei den Katzen nach einem kurzen Latenzstadium eine Blasen-
contraction ein, welch' letztere nach Entfernung des Reizes fast sofort aufhört
(s. Fig. 1). Es ist aber zu bemerken, dass in der Mehrzahl der Fälle Ströme
von massiger Stärke (80 — 90 mm Spiralenabstand) erforderlich sind, um von
Seiten der Hirnrinde einen positiven Effect zu erlangen, wobei wiederholte Rei-
zungen einer und derselben Region bei Hunden recht bald eine Erschöpfung
des Centrums herbeiführen.
Indem wir femer die centralen Theile des Grosshims untersuchten — wobei
vorher die Hemisphären bis zur Eröffnung der Seitenventrikel abgetragen werden
' Der ganze Apparat, den wir zur Controle der Blascncontractionen heratellten, er¥ne8
sich 80 empfindUoh, dass selbst die schwächsten Bewegungen des Oigans verzeichnet wurden.
* BocRxroKTAnnB, Gaz. m^e. de Paris 1875.
30*
miiHstei] — fandeD wir, dase die Beizang tiefer, im Niveau des Ueberganges des
Corp. striatnm in die Canda gelegener Theile des votdereD Abaohnittes des 8eh-
hfigels sowohl bei Honden als auch bei Katzen bereits b« schwacher S(>rom>
Wirkung (120 — 100 mm 8piralenabstand) constant Blasencontraction hervorruft,
welch' letztere nach Unterbrechung des Reizes anfangs ziemlich rasob abnimmt,
um darauf immer langsamer und langsamer in den Zustand der normalen Er-
schlaffung äberzugehen (s. Fig. 2). Der mittlere und der hintere Abscbnitt des
Sehbflgels verhalten sich df^egen zu einer sogar etftrkeren Rozung v&llig nfgativ.
Ebenso wirkungslos bleibt die Beizusg des Corp. striatam und des Nucl. lenti-
cnlaris. Bringen wir jedoch die Elektroden in Contact mit den, dem Sehhügel
anli^enden Basaltheüen der inneren Kapsel, oder reizen wir die Huibe unter
Pig. 1.
ContractioD der Btrnblue n>ch der elektmchen Beiznog der Hirnriiidi!.
£ Anbng der BeiiDiig. £ End« der Beiiang.
ContrMtion der Harnblase nuh der elektriacben Beizang der TorderateD
Theile des äebhügeli (die Abbildonfr ist photognqthiMb dreimal verUeiHtt).
B An&ng der Beisong. £ Ende der Beisnng.
dem Vierhügel, so erhalten wir ebenso typische Blasencontractionen, wie sie bei
der Reizung des vorderen Setihägelabscbnittes eintraten. Dagegen bleibt eine
oberflächliche Reizung der vorderen und hinteren Zweihügel, gleichwie die der
Kleinhimriude und der Centraltheile des Kleinhirnes ohne jeden Effect.
Zu notiren ist noch, dasa die Reizung des vorderen Abschnittes der Capsula
interna Blasencontraction bewirkt Um aber diesen Effect zu erzielen, muss,
wie wir bemerkten, ein gewisses Faserbündel getroffen werden, welches den vor-
deren Theilen der Hemisphären entstammt und ersichtlicherweise von den oben
be!JE^t«n Rindencentreu zu dem von uns in dem vorderen Theile (resp. im vor-
deren Kerne) des Sehbügels gefundenen Ontrum verläuft
Es ist also, unseren Experimenten zufolge, das Gentrum für die Bewegungen
der Harnblase in der Tiefe des vorderen Theiles des Sehhügels gelegen und
nimmt selbiges einen beschränkten, wenige Millimeter nicht übersteigenden
Baum ein. Das besagte Ceotrum steht einerseits mittels eines besonderen
— 509 —
Faserbündels mit den Bindencentren, andererseits aber mittels der von ihm
ausgehenden und die tiefen Theile der Capsula interna sowie die Haube des
Himschenkels durchsetzenden Leitungs&sem mit den weiter abwärts liegenden
Böckenmarkscentren in Verbindung. Augenscheinlich hat es Büdgb in seinen
Experimenten nar mit den, von dem oben genannten Centrum zum Bücken-
marke verlaufenden Leitungsfasem zu thun gehabt Die bei Beizung der Central-
ganglien von dem genannten Autor erhaltenen negativen Besultate lassen sich
daraus erklären, dass er das streng localisirte und auf einen äusserst kleinen
Baum beschränkte Centrum nicht traf, das, wie bereits erwähnt, in der Tiefe
des vorderen Abschnittes des Sehhügels gelegen ist
Schliesslich erübrigt noch die Bemerkung, dass, obzwar die Beflexe seitens
der sensiblen Nerven (wie z. B. seitens des Centralendes des N. ischiadicus) auf
die Blase auch nach einseitiger sowie nach beiderseitiger Zerstörung des oben
genannten Centrums, gleichwie nach vollständiger Durchschneidung des Gehirns
im Niveau der Himschenkel nicht völlig aui^ehoben werden, seloige dennoch
nur bei einer starken Beizung eintreten, während schwächere Beizungen unter
den gegebenen Bedingungen bereits ohne Effect bleiben. So rief eine Beizung
des N. ischiadicus bei einer Stromesstärke von 120—100 mm Spiralenabstand in
unseren Experimenten, selbst nach vorhergehender Abtragung der Himhemi-
sphären constant eine Blasencontraction hervor, wenn das oben genannte, in
dem Yorderabschnitte der Sehhügel befindliche Centrum unversehrt geblieben
war; im Gegentheil erwies sich nach beiderseitiger Zerstörung dieses Centrums,
gleichwie nach der Durchschneidung des Gehirnes im Niveau der Himschenkel
eine Beizung mittelst gleich starker Ströme bereits als wirkungslos, während
auf eine Verstärkung des Stromes, die durch gegenseitige Annäherung der Spiralen
(bis auf 70 mm Abstand) erreicht wurde, noch eine ziemlich starke Blasencon-
traction folgte.
Somit ist es klar, dass dem von uns in dem vorderen Theile des Sehhügels
entdeckten Centrum, al^esehen von seiner, den Bindencentren untergeordneten
Bolle, auch die Bedeutung eines Beflexcentrums zukonunt, indem es unter Ein-
fiuss schwacher Hautreize Contractionen der Blase hervorruft, während dagegen
stärkere äussere Beizungen ersichtlicher Weise bereits durch weiter abwärts ge-
l^ene (Bückenmarks-) Centren vermittelte reflectorische Blasencontractionen be-
wirken.
Kasan, Juni 1888.
2. Ein Fall von Alexie mit rechtsseitiger homonymer
Hemianopsie („subcorticale Alexie" Webnickb).
Von Dr. It. Brons, Nervenarzt und Dr. B. Stölting, AugODarzt zu Hannover.
(Schlofls.)
Der von uns beobachtete Fall fordert zu folgenden epikritischen Bemerkungen
und Klarstellungen heraus.
— 510 —
Die ToizögUche Abhandlnng Gbashby's: „TJeher Aphasie imd ihre Bezieh-
ongen znr Wahmehmimg^ (a. a. 0.) hat uns gezeigt, „dass es eine Aphasie giebt,
die lediglich anf Yermindenmg der Daoer der Sinneseindrficke nnd dadurch
bedingte Störung der Wahmehmnng und der Assodation beruht^ Es könnte
zunächst massig erscheinen, für die von nns beobachtete Alerie die Frage anf-
zu werfen, ob sie nicht vielleicht ans ähnlichen Ursachen entsprungen sei, denn
bei dem GsASHEY'scben Kranken war das Lesen gedruckter und geschriebener
Worte und Bachstaben, das Yerstandniss des Gelesenen und ebenso das Ab-
sehreiben vollständig erhalten, dagegen gerade die Benennung von Objecten und
Zahlen besonders erschwert; ein umgekehrtes Yerhalton wie in unserem Falle.
Ja der Kranke bediente sich geradezu des Sdireibens und Wiederablesens, um
sein schwaches Gedächtniss zu unterstützen. Doch, und das veranlasst uns
dieser Frage näher zu treten, konnte Grashet bei sdnem Patienten künstlidi
Alexie hervorrufen, wenn er denselben durch einen Spalt lesen liess, durch dm
derselbe immer nur einen Buchstaben sehen konnte; der vorhergehende wurde
sofort wieder verdeckt, wenn der zweite an die Reihe kam. War er verdeckt,
so wurde er sofort wieder vergessen und der Wortbegriff koimte auf diese Weise
nicht zu Stande kommen. Wir oonstatirten nun bei der ersten genaueren
Untersuchung der Lesefahigkeit unseres Patienten, dass damals einzelne ge-
druckte Buchstaben und kurze ebensolche Worte noch richtig aufgefasst wurdes,
dass aber längere Worte nicht mehr gelesen werden konnten. Diese Störung
einzig und allein, wie das von anderer Seite geschehen, auf die vorhsmdeDC
Hemianopsie zurückzufuhren, dürfte wohl nicht angehen; zum mindesten müsste
hierfür neben der Hemianopsie noch eine erhebliche Störung des Gedächtnisses
hinzukommen. Die halbseitige Blindheit träte dann hier an die Stelle des
GsASHET'schen Spaltes; wird die noch liditempfindende Partie der Netzhaut anf
den zweiten Theil eines längeren Wortes gerichtet, so ist der erste für den
Blick wie verdeckt; wird er zugleich sofort vergessen, so kann die Erkenntniss
des ganzen Wortes nicht zu Stande kommen. Aber abgesehen davon, dass
während des Haupttheiles unserer Beobachtung und zwar dauernd auch kurze
gedruckte Worte und einzelne Buchstaben nicht gelesen werden konnten, und
zwar, wie wir gesehen, weder innerlich noch laut, für die doch, wenigstens was
die Buchstaben anbetrifft, ein längeres Haftenbleiben des Sioneseindruckes, wie
uns gerade wieder Gbashey's Patient lehrt, nicht postulirt zu werden braucht,
abgesehen femer davon, dass im G^ensatz zu Worten längere Zahlerureihen ge-
lesen werden konnten, deren Auffassung dann doch wohl durch die Gredächtniss-
schwäche ebenso gestört sein würde, so war bei unserem Pat von einer iigeud-
wie hochgradigeren Abschwächung des Gedächtnisses im Allgemeinen überhaupt
nicht die Bede. Er wusste bei der nächstfolgenden Untersuchung ganz gut,
was man in der vorhergehenden mit ihm vorgenommen hatte, er erinnerte sich
sogar der Vorgänge auf der Irrenstation, die in die schlimmste Periode seiner
Krankheit fielen. Er las nach der oben erwähnten Schreibeprobe statt „Paris"
„Bechuung^^, er wusste also ganz genau, dass man ihn auch eine Bechnusg
hatte schreiben lassen. Schliesslich gelangen auch die von G&ashey in seiner
— 511 —
Arbeit (S. 670 a. a. 0.) erwähnten Experimente nicht. Hielt man dem Kranken
eine Beihe von Objecten vor^ die man sofort verdeckte, so wusste er nachher
ganz genau, welche Dinge man ihm gezeigt hatte, gleichviel, ob er sie hatte
benennen können oder nicht Damit ist wohl bewiesen, dass in unserem FaUe
die totale Alexie für gedruckte Symbole auf einer wirklichen Zerstorong ii^end-
welcher fSr das Lesen nöthiger Centren oder Bahnen und nicht in Analogie za
dem GnASHEY'schen Falle anf einer Yermindemng der Dauer der Sinneseindrücke
beruhte, dass es sich also um eine ganz specielle Gedächtnissstörung einzig und
allein far die Schriftzeichen und nicht um eine solche allgemeinerer Natur
handelt; eine solche partielle Gedächtnissschwäche nennen wir aber „Alexie'^
Sehen wir nun weiter, welche Läsionen wir wohl für die von uns beobachtete
Alexie mit rechtsseitiger Hemianopsie postuliren müssen und ob wir überhaupt
im Stande sind, die betreffenden Störungen auf einen einfachen, schematisch zu
erläuternden Heerd zurückzuführen. Eine solche Untersuchung würde uns dann
zugleich wohl einen Anhaltspunkt für den anatomischen Sitz des Ausfallsheerdes
gewähren. Solche Erklärungsversuche machen ja keineswegs den
Anspruch, absolute und für alle Zeiten gültige Thesen aufzustellen;
sie haben ihren Zweck erfüllt, wenn sie so lange, bis die fort-
schreitende Wissenschaft Besseres bringt, zur Orientirung gedient
haben. Für die betreflTende Untersuchung müssen wir von zwei Voraussetzungen
ausgehen. Die erste ist die, „dass alle optischen Erinnerungsbilder (also auch
die Buchstaben imd Worterinnerungsbilder) gleichzeitig und gleich nachhaltig
bei sonst normalen Verhältnissen im rechten wie im linken optischen Erinne-
rungsfelde angelagert werden*' (Wilbrand, a. a. 0. S. 175). Dieser Ansicht
ist auch Wesnigke, wie er des öfteren nachdrücklich bestätigt hat. Es ist
dabei für unsere Frage gleichgültig, ob wir die optischen Centren in den beiden
Occipitallappen allein, oder etwa in diesen und den unteren Scheitelläppchen
suchen. Nur dürfen wir nicht das Depositorium der Buchstaben und Wortbilder
getrennt von den übrigen optischen Erinnerungsbildern etwa in dem linken
unteren Scheitelläppchen annehmen, was von anderer Seite unter Zuziehung
scheinbar, beweisender Sectionsbefiinde geschehen ist. Es ist hier nicht der Ort,
die für die oben mit den Worten Wilbband's aufgestellte Behauptung sprechen-
den Gründe, die z. Th. aprioristischer Natur sind, z. Th. pathologischen Er-
fahrungen entsprechen, genauer auszuführen. Wir können in dieser Beziehung
unter anderen auf die citirte Arbeit Weqbeand's (S. 175 flF.) verweisen, aus der
wohl klar hervorgehen dürfte, dass das betreffende Postulat kein willkürliches
ist, sondern durch gewichtige und genügende Gründe gestützt erscheint Die
zweite Voraussetzung, deren Annahme es, wie wir sehen werden, allein ver-
ständlich macht, weshalb die rechte corticale Sehsphäre, die doch erhalten und
erreichbar ist, dennoch das Lesen nicht ermöglicht, ist, dass wir uns für das
Zustandekommen des Lesens diejenigen Schemata aneignen, wie sie in der
Hauptsache übereinstimmend von allen neueren Autoren, so Lightheim, Ghashey,
W^EBNiOKE oonstruirt worden sind. Für ihre nähere Begründung, die sich haupt-
sächlich auf die Art stützt, wie das Lesen erlernt wird, muss wieder auf die
— 512 —
Arbeiten der citirten Autoren, speciell auch auf WESMiCKEy dem wir uns hier
ganz anschliessen, verwiesen werden. Folgendes möge genügen. Zum Lesen
gehört: Intactheit der subcorticalen optischen Bahnen und der optischen Centren,
die wie gesagt doppelt angelegt sind und deshalb einseitig entbehrt werden
•können; des Centrums für die acustischen Lautbflder, das unter gewöhnlichen
Umstanden nur linksseitig, in der linken Hörsphäre liegt und der betreffenden
Verbmdungsbahnen. Soll verstanden werden, was gelesen wird, so müssen auch
die von Webnicke transcortical genannten Bahnen erhalten sein, die die Wort-
bilder mit den zugehörigen B^riffen verbinden; soll laut gelesen werden, so
müssen auch noch die Bahnen zu dem ebenfalls nur links angeordneten mo-
torischen Lautcentrum, dieses selbst und die subcorticalen motorischen Sprach-
bahnen gangbar, respective unzerstört sein. WEBiacKE unterscheidet sich von
Lichtheim und Gbashey nur dadurch, dass er hauptsachlich auf Gbäjbhet's
Beobachtung gestützt (es wird buchstabirend gelesen) auch für das leise Lesen
eine Intactheit des motorischen Wortcentrums und seiner Verbindung mit dem
sensorischen postulirt; ein Postulat, das, wie es scheint nicht umgangen werden
kann, für die vorliegende Frage aber nicht von Bedeutung ist Alle diese
Bahnen und Centren müssen beim Gesunden bei jedem Lesen wieder abgewandelt
werden , Vereinfachungen in Form von Richtewegen können höchstens unter ganz
abnormen Verhältnissen wie bei Taubstummen, wo ein sensorisches Wortcentrom
gar nicht vorhanden ist, zugelassen werden. Jede Störung an irgend einer Stelle
dieser Bahnen und Centren muss also nicht nur das Lautlesen, sondern über-
haupt das Erkennen der Buchstaben und Worte vernichten.^
Treten wir nun unter den obigen zwei Voraussetzungen wieder an den
Versuch emer Erklärung unseres Symptomencomplexes heran, so glaube ich,
können wir nichts Besseres thun, als für dieselbe mit einer unerheblichen Aus-
stellung, die ebenso klaren wie plausiblen Auseinandersetzungen Wilbbahd's zu
acceptiren, wie er sie in seinem öfter citirten Werke auf S. 156 mit folgenden
Worten giebt:
„Wir zeigten, dass die Object-, Wort- und BuchstabenerinnerungsbUder in
gleicher Anzahl in jeder Sehsphäre angelagert li^en, und dass von den in jeder
Sehsphäre vorhandenen Kegionen, welche vorzüglich Wort- und Buchstaben-
erinnerungsbilder beherbergen, lediglich den Sprachzwecken (genauer dem Lesen
und Schreiben d. A.) dienende Associationsfasem nach der Gegend der linken
Hörsphäre ihren Verlauf nehmen."
„Die der rechten Sehsphäre entstammende Partie dieser Associationsfasem
^ Uebrigens kann man bei sonst strengem Festhalten an dem oben entwickelten Schema
wohl zugeben, dass bei bestimmten Individaen, einzelne für das Lesen wie Überhaupt far
die Sprache in Betracht kommenden Centren so pravalirend ausgebildet und so selbststindig
geworden sind, dass bei ihrem eventuellen Erhaltensein mehr Functionen erhalten, bei ihrem
Zerstortsein mehr zerstört sind, als es bei dem Durchschnittsmenschen, dessen Centren eine
mehr gleichmässige Ausbildung erfahren, der Fall sein wtlrde. Bas wQrde dann, da bei
solchen Individuen auch in gesunden Tagen nicht die ganze WssHiCKB^sche Lesebahn abge-
wandelt zu werden brauchte, individuelle Verschiedenheiten bei den gleichen Lasioneo er-
klären. Chabcot führt besonders diese Frage naher aus.
— 513 —
mii88 den Balken durchziehen und in der Nähe des linken Hinterhanptslappens
sich nahe an die analoge, der linken Sehgphäre entstammende Partie anlegen,
um in Verein mit dieser nach der G^end der Binde des linken unteren
Scheitelläppchens, des linken Gyrus angularis, und der linken ersten Schläfen-
windung convergirend zu verlaufen. Zerstört nun ein Heerd diese Leitungs-
bahnen in oder nahe der Binde der eben beschriebenen Gegend, dann tritt
Alexie als eine dem aphasischen Symptomencomplexe unterzuordnende Erschei-
nung auf.^
„Werden diese eben beschriebenen Associationsfasem weiter rückwärts in
der Nähe des linken Hinterhauptlappens betroffen, dann wird sogleich mit der
Alexie sehr häufig auch rechtsseitige homonyme Hemianopsie gefunden. Zer-
stört aber ein Heerd die rechtshimige Partie dieser Associationsfasem entweder
in dem Balken oder nahe der rechten Sehsphäre, dann werden keine Erschei-
nungen von Alexie zur Beobachtung kommen.^'
Schema 8.
Wie leicht ersichtlich wird nach den obigen Auseinandersetzungen bei An-
nahme einer Läsion + in unserem Schema 3 die Alexie und die rechtsseitige
Hemianopsie bei vollständigem Mangel aller sonstigen aphatischen Symptome
vollkommen erklärt. Das linke optische Gentrum ist überhaupt verbarrikadirt
und vom rechten sind die für das Lesen durchaus nöthigen Yerbindungsbahnen
zu dem links gelegenen Wortcentrum zugleich mit den analogen linksseitigen
Bahnen zerstört; folglich besteht absolute Alexie bei nur rechtsseitiger Hemi-
anopsie für die concreten Objecte. Die Bezeichnung dieses Symptomencomplexes
durch Webnioke als subcorticale Alexie würde dann auch anatomisch voll be-
gründet sein. Selbstredend könnte eine solche Alexie und rechtsseitige Hemi-
— 514 —
anopsie auch durch einen, lündenheerd erzeugt werden, der Yom linken Hinter-
hauptslappen sich nach dem Gyrus angularis und unteren Scheitellappen hin
erstreckt und gerade für diese Localisation sind schon einige Secüonsbefünde
beigebracht; nur beweist, wie aus Obigem leicht ersichtlich, ein solcher Befund
nichts fOr die Annahme eines einseitig und links liegenden Depositoriums für
die Buchstaben und Worte.
Dagegen wird durch die WiLBBAKD'sche Annahme nicht erklärt, weshalb
geschriebene Worte und Buchstaben noch erkannt werden, und weshalb über-
haupt geschrieben werden kann. Beides gehört nach unserer Ansicht zusammen
und soll weiter unten noch erörtert werden; zunächst müssen wif aber uodi
auf einen anderen Punkt kommen« Wir haben gesehen, dass übereinstimm^d
mit WEfiNiCKE's Angaben vorgehaltene coucrete Objecto von dem Patienten
fast stets erkannt und meist, wenn auch etwas Terlangsamt, richtig benannt
werden konnten; nur für einzelne Objecto wurde durch einfaches Anscfaanen
der Name nicht gefunden, er fand sich dann nicht selten, wenn Pat das Object
in die Hand nehmen und betasten konnte. In ganz vereinzelten Fällen genügte
auch das nicht, Pat musste dann zu Umschreibungen seine Zuflucht nehmen*
Wie kann man sich diese Verhältnisse erklären?
Eine auch nur leichte directe Mitverletzung der eigentlichen Sprachcentren
anzunehmen, haben wir in unserem Falle keinen Grund; die Zeit der indiiecten
Symptome war aber vorüber. Zunächst ist es nun klar, dass coucrete Objecte
mit der intacten rechten l^hsphäre erkannt werden mussten; die Möglichkeit,
sie begrifflich aufzufassen, steht nicht in so zwangsmässigem Zusammenhang
mit ihrer lautlichen Bezeichnung, wie das bei den Buchstaben der Fall isL Der
Objectbegriff verbindet sich erst ziemlich spät, wenn er selbst schon ziemlich
fest und ausgebildet sein kann, mit seiner sprachlichen Bezeichnung. Das
Kind kennt, wie besonders Webnioke hervorhebt, eine ganze Anzahl von Ob-
jecten und erkennt sie unter Umständen auf rein optischem Wege, ehe es die-
selben zeigen kann, wenn man sie nennt, und noch vielmehr, ehe es sie selber
sprachlich bezeichnen kann. Wir sehen demnach in unserem Falle, dass der
wohl erhaltene Begriff nicht immer im Stande ist, ohne Schwierigkeiten die
sprachliche Bezeichnung auszulösen. Die Bahn nun, die die visuellen Object-
bilder, die in unserer rechten optischen Zone zu Stande kommen, direot mit
dem sensorischen Lautcentrum verbindet, die also fOr gewöhnlich die Haupt-
strasse bilden muss, auf der rein optisch aufgefasste, also z. B. vorgezeigte Ob-
jecte direct zu dem betreffenden Lautbild gelangen, wird wohl dieselbe sein, die
die Symbolbilder mit ihren lautlichen Bezeichnungen verbindet, oder ihr jeden-
falls direct anliegen. Sie wird also in unserem Falle jedenfalls mit gestört sein.
Nun setzen sich aber die Begriffe von concreten Objecten meist aus einer ganzen
Anzahl von Componenten zusammen; es sind ausser der visuellen, vor allem
tactile, wohl auch auditive, auch Geruchs- und Geschmacksvorstellungen« Die
einzelnen, einen Objectbegriff bildenden Componenten müssen aber durch Asso-
ciationsbahnen zusammenhängen, sie bilden eine associatorische Einheit, als solche
den Begriff. Visuelle Componenten eines Begriffes stehen also je nach der Art
— 515 —
des Objectes mit einer mehr oder weniger grossen Anzahl anderer Gomponenten des-
selben Begriffes in fester Verbindung und es können diese anderen, nicht visu-
ellen Gomponenten des Begriffes alle oder z. Th. directe Verbindungen mit dem
Sprachcentrum haben. Solche Verbindungen existiren auf jeden Fall; das Ge-
fühl y^nass'^ kann uns direct das Wort ^^Wasser^', der Geschmack ,^Ü8S^^ das
Wort ;^ucker^' auslösen.^ Während nur unter . normalen Umstanden bei vor-
gehaltenem Objecto zwar auch gleichzeitig alle anderen Gomponenten des be-
treffenden Objectes angeregt werden, die lautUche Bezeichnung desselben aber
auf derjenigen Bahn gefunden wird, die das zunächst, durch einen neuen resp.
erneuten änneseindruck und deshalb am intensivsten erregte Gentrum mit der
Sprachregion verbindet; also bei vorgehaltenem Objecto auf dem Wege vom
visuellen zum Sprachcentrum, — treten, wenn diese directe Verbindung unter-
brochen ist, die übrigen sinnlichen Gomponenten des Begriffes und ihre Ver-
bindungen mit dem Lautcentrum helfend ein ' und lösen die sprachliche Bezeich-
nung ausr Die Benennung eines Objectes wird unter diesen Umständen lang-
samer erfolgen, sie wird beschleunigt werden, wenn das Object wie von unserem
Kranken befühlt, oder wie vou Battebham's Patienten gefühlt, gerochen oder
geschmeckt wird, weil dann zunächst der directe Weg von der Fühlcomponente
des Begriffes zum Lautcentrum eingeschlagen wird und der weitere Umweg
über das optische Gentrum nicht mehr nöthig ist; oder wenn letzterer nebenbei
doch eingeschlagen wird, z. 6. die Tastcomponente eines Begriffes einmal in-
direct vinn visuellen Gentrum aus und dann direct durch das Betasten selber,
also besonders stark angeregt werden und diese stärkere Erregung schneller
und intensiver zum Sprachcentrum fortgeleitet werden wird. Für alle Objecte
aber werden diese Aushülfsbahnen nicht ausreichen, resp. überhaupt nicht vor-
handen sein, was bei der dominirenden Stellung, die die optische Gomponente
für viele Begriffe einnimmt, a priori zu erwarten war; für solche Objecte wird
der Name dann überhaupt nicht gefunden werden. Drücken wir die oben er-
örterten Verhältnisse speciell in Bücksicht auf die Verschiedenheit in der Auf-
fassung und Bezeichnung von Buchstaben und concreten Objecten noch einmal
mit anderen Worten aus, so können wir sagen, die meisten concreten Objecte
haben ausser dem Auge noch eine ganze Anzahl anderer Einbruchspforten in's
Sensorium, solche des AUgemeingefuhles, des Gehörs, Geruchs und Geschmacks
und auf den Bahnen der meisten dieser, resp. bei einfacher Anschauung des
Objectes auf dem Umwege über ihre Gentren, wenn die directen Verbindungen
zwischen visuellem und Sprachcentrum unterbrochen sind, kann auch die sprach-
liche Bezeichnung des Objectes gefunden werden; die Unterbrechung einzelner
Bahnen kann also dieses Finden erschweren, aber nur in seltenen Fällen unmöglich
machen; der gedruckte Buchstabe hat ausser dem Laut, der ja hier c. 1. beim Lesen
nicht in Betracht kommt, da er gefunden werden soll, nur eine Einbruchspforte:
er kann mit dem Sensorium' nur durch das optische Gentrum in Verbindung
treten (vielleicht nicht ganz ausschliesslich; s. Wbsnicke a. a. 0.^); ist deshalb
^ Siehe aach Fabges, Aphasie chez one tactile. L'enc^phale. 1887. Nr. 5.
' Webniokb meint, dass bei AnffassuDg der Buchstaben auch Bewegungsgefühle, wenn
— sie-
dle Bahn von diesem Centram zum Lautcentrum unterbrochen, so kann er auf
jeden Fall nicht mehr laut gelesen werden; aus der Art, wie seine Kenntniss
erlernt wird, resultirt zugleich, dass er überhaupt nicht mehr erkannt wird.
(NB. Die hier entwickelten Anschauungen stehen und fallen mit der Yorstellung,
die wir uns von der Stellung des Begriffes eines concreten Objectes machen.
Nehmen wir an, dass die einfachen, primären, sensorischen Gomponenten des
Objectes, die jedenfalls die Ursprungsquellen des Begriffes sind, noch einmal
wieder in einer Art von psychischen Coordinationscentrum vereinigt werden?
dem eigentlichen BegrifiGscentrum, dann ist nicht abzusehen, weshalb dieser Be-
griff, der ja für vorgehaltene Objecto bei unserem Fat sofort vorhanden war,
nicht auch ohne Weiteres die Bezeichnung des Objectes auslöst. Ist aber der
Bbgriff nichts anderes als die feste Verbindung der einzelnen sensorischen Gom-
ponenten des Objectes durch Associationsfasem, eine Yerbindung, die durch stete
Wiederkehr derselben Empfindungen bei demselben Objecto, zu einer Art asso-
ciatorischer Einheit wird (s. auch Webnioke), dann muss stets auch die laut-
liche Bezeichnung des Objectes von einer, einzelnen, oder allen den sensorischen
Gomponenten desselben ausgelöst werden. Es ist jedenfalls nicht unwahrschein*
lieh, dass dazu vor Allem diejenige Componente benutzt wird^ die durdi die
Art, wie das betreffende Object percipirt wird, primär, auf's Neue und deshalb
am intensivsten erregt wird. Gerade für diese Auffassung spricht auch unsere
Beobachtung. Wir vermögen nicht zu entscheiden, welche Ansicht die richtige
ist; sicher dagegen scheint uns zu sein, dass auch der vollendete und fest ein-
gelebte Begriff weniger unabhängig von den sensorischen Gomponenten ist, aus
denen er hervorgegangen, wie wohl angenommen worden ist)
Das Schreiben und zwar sowohl das spontane wie das auf Dictat war in
unserem Falle voll erhalten. Nun brauchen wir aber zum Schreiben zunächst
dieselben Bahnen und Centren wie zum Lesen und dann die Verbindung dieser
mit dem Centrum der Schreibbewegungsvorstellungen; eine Verbindung, die
wohl vom optischen Centrum aud erfolgen wird. Beim spontanen Schreiben
(das Dictatschreiben mit Verständniss unterscheidet sich in dem, worauf es
uns hier ankommt, in nichts von diesem) muss das sensoiische, nach Wbrnicke
auch wieder das motorische Wortcentrum, wenigstens ein visuelles Centrum, das
Centrum der Schreibbewegungsvorstellungen und ihre Verbindungsbahnen intact
sein. Daher kann das Schreiben auch nur bei „subcorticaler^' Alexie zu Stande
konmien; bei „oorticaler", wenn die visuellen Erinnerungsbilder der Buchstaben
mit zerstört sind, fehlt auch das Schreiben, natürlich nur, wenn beide optischen
Centren zerstört sind. Kürzere Verbindungen, z. B. vom optischen zum Sohreib-
bewegungscentrum unter Uebergehung des Lautcentrums, oder vom Lautcentram
zum Schreibcentrum unter Uebergehung des visuellen, sind, darin stimmen alle
auch nur in sehr geringer Weise in Betracht kämen. Biese müssten dann wohl bei sehr
grossen Buchstaben besonders lebhaft sein and ermögUchen fnr sie vielleicht auch bei sonst
alectischen das Erkennen ; vieUeicht wird auf diese Weise bei einfacher Prüfung mit Buch-
Stäben manchmal eine Ambljopie vorgetäusebt, die sich bei Prüfting mit Strich- und Puskt-
tafeln nicht bestätigt.
— 617 —
neueren Autoren überein unter normalen Umstanden nicht möglich (Taubstumme
und Blindgeborene machen natürlich eine Ausnahme). Es müssen also auch
für das Schreiben direct« Verbindungen zwischen visuellem und Lautcentrum der
Buchstaben vorhanden sein. Man würde sich a priori wohl vorstellen, dass dafür
dieselben Bahnen, wie sie für das Lesen vorhanden sind, genügten, nur dass
sie in umgekehrter Richtung abgewandelt würden, also doppelsinnig leiteten.
Auch wäre immerhin selbst bei dieser Annahme in unserem Falle die Möglich-
keit einer Erklärung dafür gegeben, dass das Lesen vernichtet, das Schreiben
aber erhalten ist Wie wir wissen, ist in unserem Falle der Weg zu dem linken
optischen Bindencentrum durch die Hemianopsie überhaupt aushoben, rechts
kann das optische Gentrum zwar noch erregt werden, Buchstaben aber werden
trotzdem nicht erkannt^ da die hierfür nothwendige Verbindungsbahn zwischen
rechtem Sehcentrum und dem Sprachcentrum mit zerstört ist Man könnte nun
behaupten, dass eine Zerstörung der Bahn zwischen linkem optischen Gentrum
und dem Lautoentrum gar nicht postnlirt zu werden brauchte; sie könnte intaot
sein, ermöglichte aber das Lesen doch nichts weil ja die optischen Beize durch
sabcorticale Leitui^sunterbrechung gar nicht in die linke Sehsphäre gelangen.
Für das spimtane Schreiben aber, für das wir mit WEaEOf icke die Bahn Bc^n^,
Sprachcentrum in der linken Hemisphäre, optisches Gentrum der Buchstaben,
Gentrum der Schreibbewegungsvorstellungen annehmen, stünde dann dieser Weg
noch offen (s. Schema 4: die gezeichnete Linie, die im IJebrigen so ziem-
lich Webmicke's Schreibschema entspricht; die genaue WsBMiCKE'sche Schreib-
bahn findet sich in Schema 8 , die angenommene Läsion an Stelle des +).
Schema 4.
^'■■'A
.-T-Ii),
»1 <».
V
Doch hat diese Annahme jedenfiEÜls etwas sehr Gezwungenes. Die den betreffen-
den Sprachzwecken dienenden Associationsbahnen zwischen den Occipitallappen
— 518 —
und dem Sprachcentrum müssen doch wohl in der Gegend der linken Seh-
strahlong so nahe znsanmienliegen, dass eine Lasion der einen von ihnen beiden
allein wohl kaum anzunehmen sein därfte (diese Schwierigkeit könnte allerdings
noch durch die Annahme eines doppelten Heerdes umgangen werden), femer
aber dürften bei der Art, wie wir unter sonst normalen Verhältnissen stets
doppelseitig sehen und besonders lesen, bei der Verbindung beider Maculae mit
beiden optischen Centren die Associationsbahnen zwischen beiden optischen
Gentren besonders stark entwickelt sein; wäre nun der Weg in die rechte
optische Rindenzone intact, der Weg von hier zum Sprachcentmm aber ver-
legt, andererseits aber das eigentliche linke Rindencentrum und seine Ver-
bindung mit dem Sprachcentrum erhalten, nur nicht direct angreifbar, so
wäre die Annahme doch wohl gerechtfertigt, dass die Buchstabenbilder, die in
die rechte Sehsphare eindringen, auf Associationsbahnen die analogen Erinne-
rungsbilder in der an sich intacten linken Ocdpitalrinde auslosten und diese
dann die, wie angenommen, mtacte Bahn nach dem linken Sprachcentrum ab-
wandelten. Auf diese Weise wurde dann also auch gelesen werden können
(pnnktirte Bahn in Schema 4), was nicht der Fall ist Demnach bleibt uns
also nichts anderes übrig, als für das Schreiben besondere Bahnen zwischen
optischem und Lautcentrum anzunehmen, die in unserem wie in den anderrai
oben citirten gleichen Fällen unzerstört waren. Auch Wesnioke scheint dieser
Ansicht zu sein; in seinem Leseschema verbindet er das optische mit dem mo-
torischen Wortoentrum nur indirect durch Vermittelung des sensorischen Wort-
centrums, wahrend er in seinem Schreibcentrum sensorisches und motorisches
Wortcentrum direct mit der optischen Bindenzone verbindet
Auf denselben Bahnen, v^e das Schreiben, nur in umgekehrter Richtung,
käme in Fällen, wie der unserige, dann auch das Lesen geschriebener Worte
und Buchstaben zu Stande. Das „schreibend^' Lesen ist ja jedenfalls nur ein
umgekehrtes Schreiben. Nun haben vrir gesehen, dass eine Anzahl von ge-
schriebenen Buchstaben erst durch Nachzeichnen erkannt werden, bei anderen
machte der Fat wenigstens schreibähnliche Bewegungen mit der rechten Hand.
Für diese ist es ohne Weiteres klar, dass sie nur durch diese Bewegungen, also
„schreibend" erkannt wurden. Aber auch in denjenigen Fällen, wo ohne äusser-
liche Bewegung geschriebene Worte und Buchstaben erkannt wurden, muss
dies wohl auf dem Wege der innerhchen Wachrufung der Schreibbewegungs-
vorstellungen geschehen sein, die ja bei unseren Patienten auch bei passiven
Armbewegungen genfigten, das Wort erkennen zu lassen; sei es, dass bei der
Unterbrechung der directen Bahn zwischen rechtem optischen und Lautcentrum
die in die rechte Sehsphäre eindringenden, hier aber nicht erkannten, visuellen
Bilder der geschriebenen Buchstaben die associatorisch fest mit ihnen verknüpften
Schreibbewegungsbilder auslösen und dieser Reiz die Schreibbahnen umgekehrt
abwandelt und zur Erkenntniss der Buchstaben fuhrt, sei es, dass in jedem
Falle, wenn auch rein innerlich Schreibbewegungsgefahle in der rechten oberen
Extremität entstehen und direct das Schreibcentrum anregen. Auf jeden Fall
werden die geschriebenen Worte und Buchstaben immer schreibend gelesen;
— 619 —
d. h. stets wenigstens mit Zuhülfenahme der Schreibbewegungsvorstellongen ;
ein directes Lesen derselben könnten wir ja auch kaum annehmen, wenn wir
uns nicht wieder eine besondere, isolirt verlaufende Bahn zwischen den optischen
Depositorien der geschriebenen Schriftzeichen und dem Lautcentrum vorstellen
wollen, was doch wohl nicht angängig ist. Denn bei einer solchen Methode
könnten vrir schliessUch, wie Gbabhey (a. a. 0.) richtig bemerkt, Alles erklären.
Aus allem Angeführten aber sehen wir schliesshch, dass die geschriebenen
Buchstaben in ihrem Verhalten sich mehr den concreten Objecten annähern,
sie haben ausser den ihnen mit den gedruckten gemeinsamen lautlichen noch
zwei Componenten: eine visuelle und eine durch Bewegungßgefuhle gebildete,
und können von letzterer zur Erkenntniss gebracht und lautlich bezeichnet
werden, wenn die erstere dazu nicht im Stande ist. Nur deshalb haften sie
fester im Sensorium, als ihre gedruckten Analoga.^
Schliesslich noch eins: auch gedruckte arabische Zahlen erkannte unser
Pat, wie , auch die Fat. Battebham's und Billndenbubg^s meistens. Sollte das
wenigstens in unserem Falle nicht auch dadurch zu erklären sein, dass die ge-
druckten Zahlen im Unterschiede zu den Buchstaben, den geschriebenen völlig
gleichen, dass also auch sie schreibend gelesen werden? Manchmal machte
unser Patient auch beim Lesen der Zahlen Schreibbewegungen mit der rechten
Hand. Wir wissen wohl, dass die Zahlen auch in anderen Fällen von Aphasie
eine gesonderte Stellung einnahmen; sie verhalten sich nach Gbashey, dem
Webnickb beitritt, mehr analog den Bildern concreter Objecto, also ganz anders
wie die Buchstaben, sie sind Symbole für ganze Worte und nicht for einzelne
Buchstaben; immerhin glauben wir, dass for unseren Fall auch die oben er-
wähnte Ansicht Berocksichtigung verdient Nach einer Andeutung Qppekbbim 's
in seiner oben citirten Arbeit könnte das besondere Verhalten der Zahlen auch
darin seinen Grund haben, dass die Zahlenbilder in näherer Beziehung zur
rechten Hemisphäre stünden, wie die Bilder der übrigen Symbole.
^ S. a. LiOAUD, Note sur nn cas d'amnesie verbale visuelle avec antopsie. Progr^s
m^dical. 1887. Nr. 86.
Nach Chabcot würde man das so ausdrücken: Der gedruckte Buchstabe hat ausser
der ihm mit dem geschriebenen gemeinsamen memoire auditive und ftiotrice d*articuIation,
nur noch eine memoire visueUe; der geschriebene eine memoire visuelle und motrice graphique.
Ist die Bahn von der memoire visuelle des Buchstabens zu dem Lautcentrum unterbrochen,
so kann für den gedruckten Buchstaben die lautUche Bezeichnung nicht mehr gefunden
werden» zugleich wird er überhaupt nicht mehr erkannt; ftlr den geschriebenen tritt die
memoire motrice graphique helfend ein und löst auf der umgekehrt abgewandelten Schreib-
bahn die Erkenntniss des Buchstabens aus. Schriftmaler, wie Chabcot ä. a. 0. geistreich
bemerkt, Rundschriftschreiber und auch wohl eine ganze Anzahl anderer Individuen, die je
einmal das Nachzeichnen der Druckschrift geübt, haben dann auch für diese eine memoire
motrice graphique und würden in Krankheitefällen, wie der unserige, auch diese schreibend,
wenn auch wohl mit grösserer Mühe, erkennen. Factisch ist das auch in einer Anzahl der
betreffenden Ej'ankheitsgeschichten berichtet und lehrt wieder, wie verschiedenartig bei ganz
gleichen Laaionen die aphatischen Störxmgen bei verschiedenen Individuen sein können.
— 520 —
Erkläniog der Schemata.
B, BegrifiiMSdntnim.
S. Sensoiisches Spiachoentnun.
M. Motorisches Sprachcentram.
S.C, Schreibcentram.
Schrbb. Schreibbahn, sabcortioale.
Sprh. Sprachbahn, sabcortioale.
Ass. f. Aasociatioiisfasem zwischen beiden optischen Oentren.
Schema 3: —.-..— Verbindungsbahn zwischen rechtem Oocipitallappen nnd Sprachcentram.
.... Verbindungsbahn zwischen linkem Occipitallappen und Sprachcentram.
Wernicke's Schreibbahn.
Schema 4: .... Mögliche Schreibbahn, wenn nur die Verbindung des rechten Occipital-
lappens mit dem Sprachcentram zerstört wäre.
Bahn, auf der dann auch wohl das Lesen zu Stande käme.
NB. Auf beiden Sohematen ist der Einfachheit halber das Schreibcentmm nur in Ver-
bindung mit dem linken optischen Oentrum gezeichnet; es besteht natürlich eine ebensolche
mit dem rechten.
n. Beferate.
Anatomie.
1) The grouplng of the oranlal nerves, by Hill. (Brain. 1888. Januar.)
Verf. nimmt fOr jeden spinalen Nenren 4 Ursprünge an: 1. sensibel aus der
hinteren Wurzel; 2. und 3. motorisch aus den Ganglienzellenhaufen im Vorder*
Seitenhorn und 4. vasomotorisch aus der Clarke'schen Säule; 2, 3 und 4 in der
vorderen Wurzel austretend. (Die doch wohl sicher constatirten Verbindungen der
hinteren Wurzeln mit der Glarke*schen Säule werden nicht erwähnt) Folgen wir
dieser Annahme, so können wir die NervenursprOnge im verlängerten Mark voll*
ständig mit denen im Bückenmark in Analogie bringen. Im Halsmark schon trennt
sich der Ursprung aus dem Seitenhorn als Accessorius spinalis vollständig von der
vorderen Wurzel ab; sein Kern bildet später den motorischen Kern des Vagoglosso-
phaiyngeus und setzt sich in den Facialis und motorischen Trigeminuskem fort Die
aus den Fortsetzungen der Vorderhomgangliengruppe hervorgehenden Himnerven sind
Hypoglossus, Abducens, Trochlearis und Oculomotorius. Die Clarke'sche Säule lässt
er nach Boss in dem grossen Vagus-, resp. Vagoglossopharyngeuskem und den
Ursprungsstätten für die Portio intermedia endigen. Auch nach Gaskell ist der
grosse Vaguskem hauptsächlich sympathischer Natur. Das Hinterhom setzt sich in
die aufsteigende Trigeminuswurzel fort; diese giebt wohl auch die sensiblen Fasern
für den Vagus und Glossopharyngeus her. Es entsprechen also einem Spinalnerven
vier vollständig getrennte Oblongatanerven ; z. 6. Hypoglossus (Vorderhoraganglien-
gruppe), Accessorius (die des Seitenhomes), Vagus (Clarke'sche Säule) und aufsteigende
Trigeminuswurzel (Hinterhom). Eine Umlagerung hat nur insofern stattgefunden, als,
während im Bückenmark die sympathischen und die Seitenhomwurzelfasem mit der
vorderen Wurzel austreten, sie in der MeduUa sich mehr dem Austritt der sensiblen
Wurzeln im dorsalen Gebiete anschliessen. Bruns.
2) MloroBOopioal examination of Glarke's oolumn in maa, the monkey and
the dog, by Fr. Mott. (Joum. of Anat and Physiol. 1888. April.)
M. bestätigt die von Gaskell angegebene Thatsache, dass die Clarke'schen Säulen
auf denjenigen Bückenmarksabschnitt beschränkt sind, aus welchen die feinen mark-
— 621 —
halfdgen Nervenfasern der Eingeweide und Gefässe entspringen. Zerstreute Zellen-
gmppen der Clarke'schen Säulen fand M. im menschlichen Bückenmark bis zur Höhe
des 1. Dorsalnerven, während der Hauptkdrper vom 8. Dorsalnerven bis zum 2. Lumbar-
nerven sich erstreckt. Unterhalb des 2. Lumbamerven finden sich keine Clarke'schen
Zellen (mit Ausnahme des StUling'schen Kernes). Bei dem Affen und namentlich
beim Hund sind die Glarke'schen Säulen im unteren Dorsal- und oberen Lumbarmark
weniger zellenreich als beim Menschen, im oberen Dorsalmark zellenreicher. Die
Grösse der Zellen in der Höhe des 8. Dorsalnerven beträgt durchschnittlich 0,05 mm.
Die Zellen sind z. Th. klein und bläschen- oder spindelförmig und bipolar, z. Th.
gross und multipolar. Ob die Clarke*schen Zellen nur mit hinteren Wurzelfasem
oder auch mit centrifugalen, feinen markhaltigen Nervenfasern (Gaskell) zusammen-
hängen, ist rein anatomisch nicht zu entscheiden. Da centralwärts die Clarke'schen
Säulen mit der directen Kleinhimseitenstrangbahn und peripheriewärts mit Eingeweide-
nerven zusammenhängen, möchte M. annehmen, dass es sich um eine Bahn handelt,
welche Organempfindungen der Eingeweide centripetal dem Kleinhirn zuleitet und die
Erhaltung des Gleichgewichts und der aufrechten Körperstellung refiectorisch ver-
mittelt So würde sich auch die verschiedene Vertheilung der 01arke*schen Zellen
beim Menschen einerseits und beim Affen und Hund andererseits erklären. Ob nebenher
vielleicht die kleineren Clarke'schen Zellen auch feine markhaltige Nervenfasern zu
den Vorderhömem abgeben, bleibt zweifelhaft. Th. Ziehen.
3) The morphology of the Vagus nerve» by Thomas W. Shore. (Journal of
Anai and Physiology. 1888. April.)
Verfassers Arbeit ist ein werthvoller Beitrag zur vergleichenden Anatomie und
Entwickelungsgeschichte des Vagus in der Thierreihe und ist namentlich im Hin-
blick auf Gaskell*s neuere Arbeiten, deren Resultate sie z. Th. bestätigt, interessant.
Th. Ziehen.
4) Nerve-elementer, deres struktur og sammenhäng i centralnenresystemet,
af Fridtiof Nansen. (Nord. med. ark. 1887. XIX. 4. Nr. 24.)
Durch seine Untersuchungen ist N. zu einer den Angaben fast aller Autoren
widerstreitenden Auffassungen der Structur der Nervenröhren gelangt. Nach
ihm besteht der Inhalt der Nervenröhren (ohne Markscheide) aus feinen Böhrchen
(Primitivröhren), aus einer festen Substanz (Spongioplasma), die mit einer
homogenen, halbflflssigen Substanz (Hyaloplasma), der eigentlichen Nervensubstanz
nach N., gefüllt sind; jede Nervenröhre besteht also aus einem BOndel feiner Böhr-
chen, das in die Scheide der Nervenröhre eingeschlossen ist Die Primitivröhren
bilden wahrscheinlich die niedrigste Einheit, aus der die Nervenröhren aufgebaut sind.
Wenn man lebende Nervenröhren in optischen Längsschnitten bei starker Vergrösse-
mng untersucht, zeigt sich eine deutliche Längsstreifung, nach Anwendung geeigneter
Beagentien (Osmiumsäure, Essigsäure, Chromsäure) tritt eine deutlich fibrilläre Längs-
streifung hervor, auf Querschnitten aber sieht man bei starker Vergrösserung ein
Netzwerk mit runden Maschen, deren durchschnittlicher Durchmesser genau dem Ab-
stand zwischen den Längsstreifen auf Längsschnitten entspricht, und welche die Quer-
schnitte feiner Bohren darstellen. Bei Untersuchung frisch isolirter Nervenröhren
sieht man in diesen Primitivröhren die erwähnte hyaline, halbflüssige Substanz, die
bei Druck aus dem Schnittende in Form feiner Perlen austritt. So ist die Structur
bei allen von N. untersuchten Wirbellosen, wie auch bei Amphioxus und Myxine.
Die fibrilläre Axe in den grossen Nerven der Hummern wird nach N. aus einer Art
von Concentration der Primitivröhren gebildet.
Die Ganglienzellen umgiebt in der Begel eine Membran oder Scheide aus
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brndegewebsartigem Gewebe, dass sich als Stfttzsubstanz über das ganze Nervensystem
ausbreitet Aach im Protoplasma der Ganglienzellen glanbt N. PrimitivrOlireD als
die anfbaoende Einheit annehmen zn mttssen, als deren Wandnngen er die Maschen
deutet, die im Protoplasma ein über die ganze Zelle aasgedehntes Netzwerk bilden;
die Ganglienzellen können nach N. als Knäuel von PrimitiTrGhren betrachtet werden
die in äosserst complichier Weise nm den Kern aufgewickelt sind. Ausser den
Primitivröhren muss aber noch ein anderer Stoff in den Ganglienzellen vorhanden
sein, der in den Nervenröhren nicht vorkommt und entweder in, oder zwischen den
Wandungen der Primitivröhren liegt und die tiefere Färbung des Protoplasma durch
Osmiumsäure und Färbeflüssigkeiten, besonders Hämatoxylin, bedingt. Diese Substanz
fehlt häufig an oft scharf umgrenzten Stellen, die dann dasselbe Aussehen haben
wie der Inhalt der Nervenröhren, und in gefärbten Präparaten durch ihre hellere
Färbung scharf abstechen. Die GanglienzeUen sind also zusammengesetzt aus dem
Hyaloplasma, das den halbflüssigen Inhalt der Primitivröhren, aus dem Spongioplasma,
das die Scheide derselben bildet, und aus der erwähnten, noch unbestimmten Substanz.
Die Ausläufer der Ganglienzellen sind entweder nervöse oder protoplas-
matische; erstere fehlen in keiner GanglienzeUe; directe Verbindungen zwischen den
Ganglienzellen durch protoplasmatische oder nervöse Ausläufer existiren in der Regel
nicht. Die nervösen Ausläufer behalten entweder ihre Individualität bei, geben keine
Seitenzweige ab und gehen direct in die Bildung von Nervenröhren über, oder sie
lösen sich in feine Zweige auf, die sich vollständig im flbrillären Gewebe verlieren.
Die bei den wirbellosen Thleren den centralen Theil der Ganglien ausmachende
weissliche Substanz, die Leidig'sche Punktsubstanz, besteht nach N. aus einer
nicht unter einander anastomosirenden , Primitivröhren bildenden Substanz (Spongio*
plasma), die Hyaloplasma umschliesst. Ob die Stützsubstanz aus Neuroglia entsteht^
kounte N. nicht feststellen, sicher kommt aber Neuroglia in derselben vor.
Die peripherischen Nervenröhren entspringen entweder direct aus den
Ganglienzellen, sind directe Fortsetzungen der nervösen Ausläufer derselben, oder sie
entspringen aus der Punktsubstanz, oder dem fibrillären Gewebe bei den Wirbelthieren
und werden dann durch eine Vereinigung feberer Bohren gebildet Im Bückenmark
von Myxine fand N., dass die Nervenröhren in den vordem oder centralen Wurzeln
wahrscheinlich stets direct aus den Ganglienzellen entspringen, während die in den
hintern oder dorsalen Wurzeln durch eine Vereinigung feinerer Bohren sich bilden.
Wahrscheinlich gilt für die ganze Thierreihe, was Golgi für die Wirbelthiere an-
nahm, dass die direct ans den Ganglienzellen entstehenden motorische, die aus feineren
Bohren zusammengesetzten sensitive Nervenröhren sind.
Die Ganglienzellen stehen durchaus in keiner directen Verbindung
mit einander, ihre protoplasmatischen Ausläufer haben, wie N. fand, in der Begel
eine peripherische Bichtung; wo mehrere Lagen von Ganglienzellen vorhanden waren,
fand N., dass die nach aussen liegenden wesentlich unipolare, die innem Lagen da-
gegen multipolare Zellen waren, deren protoplasmatische Ausläufer sich nach aussen,
nach der Peripherie hin, richteten. Dieses Verhalten stützt nach N. die Annahme,
dass die Function dieser Ausläufer in der Ernährung der Ganglienzellen besteht,
indem die äusseren Ganglienzellen, die der Emährungsflüssigkeit zunächst liegen,
solche Hülfsorgane weniger brauchen, als die femer gelegenen inneren. Bei Myxine
und Amphioxus konnte N. nachweisen, dass ziemlich alle protoplasmatischen Aus-
läufer durch die weisse Masse nach der Peripherie hin dringen, wo sie unter der
innem, das Bückenmark umgebenden Scheide enden, meist in kleinen Verdickungen
oder Platten.
Bei der Zusammensetzung des Beflexbogens sind nach N.*s Annahme die
GanglienzeUen gar nicht betheiligt; nach ihm geht ein Beiz, wenn er durch die
centripetale Nervenröhre und ihre Verzweigungen hindurchgeführt ist, direct in die
Seitenzweige über, die von den motorischen oder centrifugalen Nervenröhren abgeben
— B28 —
(das ceatrale Fibrillengewebe), und direct durch diese in die motorischen Endapparate.
Bei wirbellosen Thieren ist der überfahrende Theil des Beflexbogens die Punktsnb-
stanz. Die Ganglienzellen Terlieren durch diese Annahme ihre Bedeutung fdr die
Reflexbewegungen nnd damit auch für die Nerrenthätigkeit selbst; ihre Function
besteht Tielmehr nach'N.'s Annahme darin, dass sie die nntritiTen Centra für
die Nervenröhren und die von diesen ausgehenden Fibrillen sind. Das centrale
Fibrillengewebe, das um so entwickelter in seinem Bau ist, je entwickelter das
Thier, hat nach N. grosse Bedeutung für die Nervenphysiologie; er nimmt dieses
Gewebe und nicht die Ganglienzellen als den wesentlichen Sitz der Intelligenz an.
Walter Berger.
Experimentelle Physiologie.
5) Studien über den centralen Verlauf der vasomotorisohen Nervenbahnen,
von Dr Hei weg, Secundärarzt der Irrenanstalt bei Aarhus. (Als Auszug aus
dem dänischen Original bearbeitet von Dr. Kurella in Owinsk.) (Archiv für
Psychiatrie. 1888. XIX. 1.)
Die sehr beachtenswerthe Arbeit des Verf. zerfällt in einen anatomischen und
einen physiologischen Theil.
Bei der Untersuchung des Rückenmarks von Geisteskranken wurde U. auf eine
eigenthümliche Formation zwischen dem 2. und 4. Cervicalnerven aufmerksam, die
kein Forscher am normalen Bückenmark bisher gesehen oder beschrieben hat, und
von welcher nach H. aus der Litteratur über Bückenmarkskrankheiten sich nur eine
einzige Angabe findet, die von Westphal herrührt; W. beschreibt sie in einer Ab-
handlung über 4 Fälle von acuter aufsteigender Spinalparalyse (Landry) in zweien
dieser Fälle als etwas anscheinend nicht Pathologisches. — Diese Formation besteht
in einer gut begrenzten Bahn äusserst feiner Nervenfasern (1,5 — 2 fc Dicke) im
vorderen Theile des Seitenstrangs, ein Dreieck bildend, dessen Basis an der Peripherie
des Bückenmarks gelegen, dessen Spitze g^en die Mitte des Vorderhoms hin —
dieses nicht erreichend — gerichtet ist; die äusseren Bündel der vorderen Wurzel-
fasem durchziehen eben noch den mediansten Theil der Basis des Dreiecks. Dies
ist des Verf. dreikantige Bahn im Halsmark. — H. fand nun, dass in der
ganzen Höhe des Rückenmarks aus dem Vorderhom äusserst feine Fasern austreten,
welche in den Seitenstrangresten und in dem an diese angrenzenden Theil der Vorder-
stränge senkrecht nach oben ziehen, zwischen den stärkeren Fasern zerstreut; sie
sind, ausser durch ihre gleichmässige äusserste Feinheit, charakterisirt durch ihre
leichte Färbbarkeit mit Oarmin. Weil sie diflfus zerstreut sind, nennt sie H. die
diffuse Seitenstrangformation und die diffuse Vorderstrangformation;
erst vom 4. Cervicalnerven an nach aufwärts gesellt sich zu diesen beiden die com-
pacte Formation der dreikantigen Bahn. — Westphal hat in einem Falle von
Bleilähmung ähnlich feine Fasern im N. radialis gefunden. — H. hält sie im Sinne
Pick*s für schlecht entwickelte, durch Wachsthumshemmung schwächlich angelegte
Fasern. Er berechnet ihre Menge in der dreikantigen Bahn auf etwa 100,000.
Diese Formationen verfolgt H. nun weiter nach aufwärts, dabei vielfach in sehr
eingehender Weise die feine Anatomie der Med. obl, des Pons, der Himstiele u. s. w.,
sowie die Angaben anderer Forscher berücksichtigend. Hier kann nur kurz zusammen-
gefasst werden, dass die dreikantige Bahn mit ihren beiden Begleitern, der diffusen
Formation der Vorderstränge und der diSiisen Formation der Seitenstränge, sich zu
einem dreitheiligen Bündel gestaltet; es geht die dreikantige Bahn in die Olive (Ol.
inf.) über, während die diffusen Formationen in der Umhüllungsmasse der Olive auf-
gehen. Dann strebt, oberhalb der Olive von neuem als „ovale Bahn'' formirt, der
mittlere Theil des Gesammtstranges (das ist die frühere dreikantige Bahn) abge-
trennt etwas nach aussen und setzt sich in ein Bündel fort, welches aussen um den
— 624 —
Prooeosos cerebelli geht, bedeckt vom Lemniscus; der äussere Theil (frühere diffdse
Seitenstrangformation) senkt sich in die Oliva superior ein, und seine Fortsetzung
jenseits derselben verbindet sich von neuem mit dem inneren Theil des Gesammt-
Stranges und geht mit diesem zusammen in die Commissura posterior über, und durch
diese in den Thalamus opticus. — Dies in wenigen groben Zügen das Ergebniss der
vortrefiflichen anatomischen Untersuchungen des Verf.
H. hat dieses Ergebniss gewonnen durch die Untersuchung des Bückenmarks
von 47 Geisteskranken der verschiedensten Erankheitsform, und im Alter von 16 bis
80 Jahren. In 95,8% dieser Falle fand er die abnorm feinen Fasern der drei-
kantigen Bahn, in 72,7 ^/^ die der diffusen Formationen.
Als das gemeinsam Pathologische am Nervensystem aller Geisteskranken erkennt
H. das vasomotorische System. Er findet auch eine genügende Uebereinstimmung
der von ihm gefundenen anatomischen Bahn mit den Resultaten physiologischer For-
schung. So ergab letztere z. B. für die vasomotorischen Nerven der Extremitäten
folgende Bahnen: Seitenstrang im Bückenmark (Dittmar), Seitenstrang in der Oblon-
gata (Dittmar und Owsjannikow), Oliva superior (Dittmar), Seitentheil des
Tegmentum (Owsjannikow), Pedunculi cerebri — nicht genau — (Budge), Corpora
quadrigemina (dafQr müsste Thalamus opt. ermittelt werden) (Vulpian), endlich
vordere Gentralwindung (Ealenburg und Landois). — Vielleicht ist die obere
Qlive das gemeinsame Beflexcentrum für alle (}efassnerven des E6rpers oder
doch seiner äusseren Theile. — Die dreikantige Bahn, welche Beziehungen zu den
4 obersten Gehimnerven und durch Bami communicantes derselben zu dem Sym-
pathicus hat, ist vielleicht die Bahn fOr die Gefässnerven des Gehirns.
22 Abbildungen sind der Arbeit beigegeben. Hadlich.
Pathologie des Nervensystems.
6) Gase of haemorrhage into the meduUa oblongata. Recovery, by Batter-
ham. (Brain. 1887. April.)
Der Fall hat folgende Symptome: Apoplectischer Beginn ohne Krämpfe und ohne
Bewusstseins Verlust; Parese des 1. Armes und Beines, leichtere des r. Armes. Parese
des Mundfacialis besonders rechts. Abweichung der Zunge nach 1. Sprachstörung
bulbärer Natur. Erweiterung der r. Pupille, Erschwerung der Accommodation, sonst
keine Augenerscheinungen. Erschwerung des Schluckens. Nausea, Erbrechen, Schwindel-
eracheinungen. In 2 Monaten vollständige Heilung. Während des grössten Theiles
der Krankheit war die Pat. frei von Asthmaanföllen, an denen sie seit 9 Jahren litt,
später traten sie wieder auf.
Verf. stellte die Diagnose eines kleinen Blutergusses in die Medulla oblongata.
Den Pons schliesst er wegen der Gruppirung der Symptome bei jedenfalls kleiner
Blutung und des Mangels von Augenmuskellähmungen aus. Für die Facialisstörungen
recurrirt er auf den doch wohl sehr problematischen sogenannten medullären Facialis-
kem, der neben dem Uypoglossuskem im Funiculus teres liegen soll. Die Sch?rindel-
geffihle ist er geneigt auf eine Affection des inneren Acusticuskemes oder der hin-
teren (?) Wurzel dieses Nerven zurückzuführen, der nach neueren Forschungen
Yesübulamerv sei, keine eigentlichen Uörfunctionen habe, sondern dem „sense of
direction" diene. (Nach den betreflfenden Untersuchungen von Forel, Onufrowicz,
Flechsig ist aber die vordere, resp. innere Wurzel des Acusticus Vestibulamerv. Bef.)
Die Augenstörungen werden auf eine Afifection der ciliospinalen Fasern zurückgeführt.
Bruns.
7) Olioma of the medulla oblongata, by Dr. W. Osler. (Joum. of nervous
and mental disease. 1888. XV. p. 172.)
— 525 —
32j&hriger Mann; Lues und bald darauf ein heftiger Kopfsehmerzanfall, vor
2 Jahren; seit 6 — 8 Wochen epileptiforme Krämpfe, 2 — 5mal in der Woche, und
Unsicherheit und SchwächegefQhl in den Unterextremitäten.
Bei der Aufnahme klares Bewusstsein, Hinterhauptslcopfschmerz, Steifigkeit im
Nacken, Schwindelgeffihle, Parasthesien und besonders Kälteempfindung in Händen
und Ffissen; Ataxie und Schwäche der Extremitäten, bei erhaltener Muskelkraft,
Steigerung der Kniereflexe etc. 7 Tage später plötzlicher Anfall von Bewusstlosig-
keit» ohne Krämpfe, und Tod unter den Andeutungen des Cheyne-Stokes'schen Zeichens.
Die Section ergab ein hämorrhagisches Gliom von Kastaniengrösse, unterhalb des
Calamus beginnend, das einen Theil der rechten und den grösseren Theil der linken
Hälfte der Oblongata, hauptsächlich die Corpora restiformia, die hinteren Pyramiden
und die Hinterstränge ergriffen hatte. Sommer.
m. Bibliographie.
Chariti-Aimalen. XIII. Jahrgang. Redigirt von Director Dr. Mehlhausen,
Generalarzt L Cl. und Geh. Ob. Medic Bath. (Berlin 1888, August Hirsch wald.
768 Seiten, 3 Tafeln.)
Der XIII. Band der Charit^- Annalen, gut ausgestattet wie immer, und den Augen
erfreulich durch grossen klaren Druck, enthält reichliches neurologisches Material,
zu dem nicht nur die Nerven- und psychiatrische Klinik, sondern auch die übrigen
Abtheilungen beitragen.
Dr. Leyden eröffnet die Reihe mit einer Arbeit »»Zur Iiehre von der Looali-
sation in der OroBShirnrinde*'. Es sind 4 interessante Beobachtungen.
I. Eine Hirnapoplexie von seltenem Sit:^ des Heerdes: von äusseren Umfang
des linken Linsenkems auf äussere Kapsel, Vormaner und Inselmark übergreifend;
auch auf das Centrum semiovale dehnte sich die Blutung nach oben und seitlich
von der Hauptstolle her aus. Es bestand, neben einer an Intensität sehr wechselnden
rechtsseitigen Lähmung, fast totale Aphasie, und dabei traten epileptiforme Krämpfe
(Bindenepilepsie) von sehr charakteristischem Verlaufe (Gesicht, Schulter, Ober-,
Onterextremität, dann Unterextremität der anderen Seite) auf.
II und III. Zwei sehr ähnliche Fälle von Schädelfractur mit Gehimaffection.
Beide Male war der Sitz der Himläsion auf der der Fractur entgegengesetzten Seite,
wie im ersten Falle (mit Worttaubheit complicirt) die Erscheinungen, im zweiten die
Autopsie lehrten.
lY. iSn Fiall von Gumma syphiliticum in der Rinde des linken Schläfenlappens
(Aphasie, Hemianopsie, Andeutungen von rechtsseitiger Hemiplegie mit epileptiformen
Zuckungen), ausgezeichnet durch das anfallsweise Auftreten der Erscheinungen: häufig
wurde Fat unter Schwindel plötzlich aphasisch und worttaub 7^ — ^ Stunden lang.
— Inunctionskur brachte schnelle Besserung.
Stabsarzt Dr. WaetzolÜt berichtet über 2 Fälle von Gtohimtomor.
I. Ein Fibrosarcoma regionis cerebelli, das sich sehr langsam entwickelt und
daher, obwohl es fast hühnereigross war und den Ponf«, die Medulla oblongata und
das Cerebellum sehr stark comprimirt und verschoben hatte, doch fast gar keine bul-
bären Symptome gemacht hatte.
n. Sarcom der hinteren linken Centralwindung, gleichfalls fast hühnereigross,
bemerkenswerth durch den Umstand, dass — wenn auch viele Jahre vorher — eine
starke Verletzung derselben Kopfseite stattgefunden hatte.
Gleichfalls zwei „casuistische Beiträge zur Kenntniss der Heerderkrankungen des
Gehirns" liefert Dr. H. Senator:
I Solitftrer Tuberkel im llnlcen ThaXamos optious. Beobtsseitige Ataxie,
— 526 —
Der Tuberkel hatte den linken Thalamus opticus so zerstört, dass nur nach hinten
und nach oben ein Theil seiner Substanz erhalten war. Es bestand rechtsseitige
Facialisparese, Schwäche und Ataxie im r. Arm und Bein; Haut- und Sehnenreflexe
normal, ebenso die Sensibilität; der r. Arm ist etwas atrophisch. — S. bezieht sich
im Allgemeinen zustimmend auf die Angaben von Bechterew, hebt aber herfor,
dass die Bewegungsstörungen entschieden atactisch, nicht choreatisch waren, und dass
die mimischen Gesichtsbewegungen nicht nur nicht fehlten (Bechterew), sondern dass
sogar bei ihnen die Facialisparese unbemerkbar wurde.
n. Eine Analogie zu dem bekannten WestphaPschen Falle bildet die zweite
Beobachtung, in welcher bei der Section ganz unerwartet ein Abaceas im linken
Sohl&fenlappen von mehr als Wallnussgrösse gefunden wurde, der gar keine
Störungen des Gehörs und der Sprache (von Ohrensausen abgesehen) gemacht
hatte. Es ergab sich, dass, wie S. sofort vermuthete, der Patient Linkshänder
gewesen war; und zwar war in der betrefifenden Familie die Linkshändigkeit erblich,
indem von 5 Geschwistern 4 es sicher waren, und die beiden Kinder des Patienten
dieselbe Eigenschaft zeigten.
Aus der Ger bardischen Klinik stammt eine Mittheilung vom Stabsarzt Dr.
Martins (über „Hemianopsie mit hemianopisoher Fupillenreaotion**. Ein
Fall von Hämorrhagia cerebri, bei dem ausser der Hemianopsie noch Parese der linken
Körpermusculatur, linksseitige Parästhesien und eine partielle Störung des rechten
Oculomotorius bestand. Der Heerd war also an diejenige Gegend längs des äusseren
unteren Theils des GrosshimstieLs zu verlegen, wo derselbe vom Tractus opticus
umschlungen wird. M. giebt eine vortrefiTliche Epikrise des Falles und spricht sein
Bedauern aus, dass die Wer nie keusche hemiopische Pupillenreaction bisher theils
nicht genug beobachtet, theils (Seguin) missverstanden sei. Klinische unzweifelhafte
Beobachtungen liegen überhaupt noch nicht vor, sodass der Martius*8che Fall demnach
der erste sichere wäre. Die Prüfung wurde so gemacht, dass mit einem einfachen
Augenspiegel die Spitze eines Lichtkegels bald von vom, bald von rechts, bald von
links in das eine oder das andere Auge geworfen wurde. Dabei stellt sich heraas,
dass eine Verengerung der Pupille nur eintrat» wenn die Fovea centralis oder die
linke l^etzhauthalfte beleuchtet wurde. Wurde die rechte Netzhauthälfte — sei es
des linken oder rechten Auges — beleuchtet, so blieb die Iris unbewegt
Gleichfalls von der GerhardVschen Klinik bringt Dr. Friedrich Müller zwei
Fälle von Tetanie bei Dilatatio ventrioiUi und bei Azendrehung des ICagens.
Seit Kussmaul ist diese interessante Afifection mehrfach beschrieben worden (von
L. Gaillard, Dujardin-Beaumetz und Oettinger, von Martin (Lancet 1887), Dreyfuss-
Brissac, Malinowski, MacaU, zuletzt von Dr. Benvers (Leyden'sche Klinik). Die
Magendilatation in den beiden hier beschriebenen Fällen war durch peritonitische
Verwachsungen in der Pylomsgegend und an anderen Stellen bedingi M. w^st ein-
gehend nach, dass .es sich um wahre Tetanie gehandelt hat: Anfalle tonischer Krämpfe
von Stunden- bis Tag^Dauer, an Händen und Füssen beginnend, zuletzt auch das
Gesicht (risus sardonicus) betreffend; sie verschwanden während des Schlafes nicht
vollständig; es bestand Starre der ad maximum erweiterten Pupillen, Erhöhung der
mechanischen (Trousseau) und elektrischen (Erb) Erregbarkeit von Kerv und
Muskel; Sehnenphänomene inconstant, dagegen beide Male sehr ausgesprochen das
WestphaTsche paradoxe Phänomen und AehnUches auch an anderen Extremitäten-
Muskeln. — Beide Fälle endeten tödtlich, sodass von 8 bisherigen Beobachtungen
5 zum Exitus letalis führten. — M. erörtert die Theorie dieser Fälle, bei welchen
Kussmaul die Wasserentziehung des Körpers als Ursache des schweren Nerven-
leidens betrachtet, und konunt zu dem Ergebniss, dass eine IntoxicaUon durdi
Zersetzungsproducte nicht unmöglich, aber ein vom Magen ausgehender Beflexvorgang
am wahrscheinlichsten sei: hierfür seien Analoga die Tetanie der Säuglinge, die
Krämpfe durch Helminthen, das Vorkommen von Schwindel, Asthma, Aphasie,
— 527 —
Krämpfen, Lähmungen, Hallncinationen, Urticaria bei (rastrectasie ans Dyspepsie.
Eine Art von Tetanie hat M. auch einmal bei einem Falle Ton perforativer Peri-
tonitis beobachtet.
Ans der Westphal'schen Nerven- und psychiatrischen Klinik finden wir eine
Anzahl bemerkenswerther Arbeiten.
Zunächst H. Oppenheim „lieber Hirasymptome bei Carcinomatose**.
Kach einer Zusammenstellung von Erkrankungen des Nervensystems mit scharf
umschriebenen Symptomenbildem, bei welchen sich bei der Section keinerlei anatomische
Veränderungen nachweisen liessen, theilt 0. einen Fall von Magencarcinom mit, in
welchem sich 8 Tage vor dem Tode eine fast complete Aphasie und Lähmung der
rechten KOrperhälfte entwickelte. Eine anatomische Grundlage konnte durch die
Section nicht nachgewiesen werden, auch nicht bei sorg^tiger mikroskopischer Durch-
forschung der in Frage kommenden Gebiete. — In einem zweiten Falle traten neben
anderen schweren Gehimerscheinungen Krämpfe auf, die sich vom rechten Bein auf
den rechten Arm, rechte Hals- und rechte Gesichtshälfte, zuletzt auf die linke Ge-
sichtshälffce ausdehnen. Tod am zweiten Tage. Auch hier konnte die anatomische
Untersuchung nichts nachweisen. — 0. neigt sich der Ansicht zu, dass es sich hier
um eine auf dem Boden der Carcinose entstandene toxische Heerderkrankung des
Gehirns handele. Allerdings scheine in gewissen analogen Fällen eine congenitale
mangelhafte Anlage des Nervensystems eine wichtige Bolle zu spielen.
Derselbe Autor widmet sodann eine eingehende Studie (38 Seiten) dem „Ver-
halten der muflikaliBohen Ausdrucksbewegungen und des musikaliBohen
VerständnlBses bei Aphatisohen**. Mit der ihm eigenen Schärfe und Klarheit
in Beobachtung und BeweisfQhrung analysirt 0. 16 Krankheitsfalle. In den 11 ersten
Fällen war trotz des mehr oder weniger vollständigen Verlustes des sprachlichen
Ausdrucks und meistens auch des Verständnisses für gesprochene Worte durch die
Fähigkeit zu singen und Melodien aufzufassen erhalten geblieben. In eingehender
Auseinandersetzung weist 0. nach, dass bei diesen Kranken fast durchweg auch die
zwei verwandten Ausdrucksweisen, die Affectsprache und das mechanische Beci-
tiren, das automatische Sprechen bis zu einem gewissen Grade erhalten war,
und erklärt so das Oonserviren der musikalischen Fähigkeiten. — In den 5 anderen
Fällen dagegen war mit dem Verlust der Sprache auch die Fähigkeit zu singen und
Melodien aufzufassen verloren gegangen, und zwar konnte wenigstens fftr 2 dieser
Fälle nachgewiesen werden, dass die betreffenden Leute sangesknndig gewesen waren.
Diese selteneren Symptomenbilder — von denen 0. noch einen weiteren Fall (Fall 17)
beschreibt — stehen mit den ersteren in einem gewissen Widerspruche und können
durchaus nicht einfach als besonders schwere bezeichnet werden, weil in ebenso
schweren die musilCEtlischen Fähigkeiten erhalten waren. 0. deutet aber darauf hin,
dass vielleicht die musikalischen Fähigkeiten wie die Sprache an ein besonderes
Terrain der linken Hemisphäre geknüpft seien; für die Zahlen-Erinnerungs-
bilder kann eine Erkrankung der rechten Hemisphäre — wie ein von 0. beobach-
teter Fall, in welchem die Sprache ganz unbeeinträchtigt war, beweist — zerstörend
wirken. — Auch nach der Seite der musikalischen Fähigkeiten hin bleibt also auf
dem Gebiete der Aphasie noch manches zu erforschen, nachdem 0. der Forschung
die Wege gewiesen hat.
Im Anschluss hieran seien noch 8 Fälle von Aphasie uxid Paraphasie er-
wähnt, welche Dr. Schütz, Assistent der psychiatrischen Klinik, mittheilt mit genauer
Analyse und ausführlicher Angabe der Formen der Sprachstörung.
Dr. H. Oppenheim bringt sodann noch die Beschreibung eines Falles von
juveniler progressiver Muskelatrophie, der besonders merkwürdig ist durch
Störungen im Bereiche der Augenmuskeln und der Kehlkopfmusculatur.
Die seitlichen Bewegungen der Bulbi sind beeinträchtigt (besonders Rectus extemus),
und bei angestrengten Seitenbewegungen tritt Nystagmus ein. Sobald man femer
— 528 —
das eine Auge schliesst, wird das andere von nystagmusartigen Zuckungen ergriffen.
— Gaumenbewegungen schwach, beim Phoniren wird der ganze weiche Gaumen etwas
nach rechts verzogen. Uvula steht stark nach links. — Laryngoskopiach wird con-
statirty dass beim Phoniren zwischen den Stimmbändern ein schmaler ovalärer Spalt
bleibt. — Der Muskelschwund betrifiFt besonders die Laüssimi dorsi (starke Lordose)
Bhomboidei, CucuUares und die Oberarme; an den Oberschenkeln die Qoadric. ond
Adductores, an den Unterschenkeln die Peronei. Patient kann gehen, aber nur so,
dass er sich vollständig auf die Fussspitzen stellt und die Be'me breit aoseinander-
setzty den ganzen Körper dabei stark hinüberbiegt
Dr. B. Thomson giebt die vortreffliche Beschreibung von 4 Fftllen von
traumatisoher und Beflexpayohose. Die beiden ersten sind primär-tranmatische
Irreseinsformen: im ersten Falle trat wenige Stunden nach einer Verletzung der linken
Kopfseite eine hallucinatorische Psychose auf, von welcher sich später nur die Hallu-
cinationen — einseitigl und zwar nur links — dauernd erhielten. Ausser
allgemeiner nervöser Schwäche, Parästhesien, Arbeitsunfähigkeit war von objectiven
Erscheinungen dauernd nur concentrische Gesichtsfeld-Einschränkung vorhanden, ein
Symptom, das nach Th. als isolirtes, ohne sonstige Sensibilitätsstörungen, sehr
selten isi — Im zweiten Falle — Kopfcontusionen durch Eisenbahnunfall — war
eine schnell (nach 2 Tagen) vorübergehende Psychose, blödsinniger Verfolgungswahn,
bemerkenswerth, mit Amnesie vom Inhalte derselben. Die anfängliche Anästhesie
macht einer Hyperästhesie, speciell der behaarten Kopfhaut, Platz und als dauerndes
objectives Symptom eine wechselnd starke concentrische Gesichtafeldeinschränknii^
neben Beeinträchtigung des Geruchs, Geschmacks und Gehörs; vielfache vage Schmerzen
im ganzen Körper. Th. wählt zur Bezeichnung dieser Formen das Wort Railway-
Brain. — Der dritte Fall, Reflex-Psychose, ist in diesem Centralblatt (1888.
Nr. 2. S. 61) bereits ausführlich beschrieben. — Ihm ähnlich ist der vierte Fall.
Hier handelt es sich um echte epileptische Anfalle, die von einer Verletzung des
rechten Handgelenks bedingt sind und mit Sprachbehinderung und Hemipareae einher-
gehen. Nach Exstirpation der Narbe schwinden die Anfälle, es tritt aber sofort
stärkere Benommenheit und 14 Tage später ein nächtlicher Dämmerzustand mit Am-
nesie und nach weiteren 4 Tagen ein intensiver halludnatorischer Verfolgungswahn
auf, der nach einer Woche einem normalen psychischen Verhalten Platz macht Die
concentrische Gesichtsfeldeinschränkung, welche während der Krampfanfalle bestand,
zeigte sich auch während der nachfolgenden, als psychisches Aequivalent der epi-
leptischen Anfalle anzusehenden, Psychose, nach und mit derselben verschwindend;
zu keiner Zeit waren sonstige sensible Störungen nachweLsbar.
Th. hebt zum Schluss die grosse Wichtigkeit des Symptoms der sensorisch-sen-
siblen Anästhesien bei traumatischen und Beflex-Psychosen hervor, wegen dieses auch
der Hysterie eigenthümlichen Symptoms, aber solche Krankheitsbilder als „hysterische''
zu bezeichnen, erscheint ihm verfehlt Die grosse Bedeutung der Gesichtsfeldein-
schränkung — „dieses feinen Beagens auf die (fluctuirende) Functionshemmung des
corticalen Sehfeldes" — wird noch besonders erörtert.
In Bezug auf Dr. Siemerling's umfassende Arbeit „Zur Lehre von der
progressiven Paralyse der Frauen'* verweisen wir auf das Beferat in diesem
Centralblatt (1888. Nr. 11. S. 333), und schliessen unsem Bericht mit 0. WestphaTs
Äufisatz „über multiple Sklerose bei zwei Knaben", welcher demnächst folgt.
Hadlich.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiff bauerdamm 20.
Verlag von Vbit & Coiip. in Leipzig. ^ Druck von Mbtzobr & Wittio in Leipzig.
Neurologisches Centr alblah.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter " ^^ Jahrgang.
^ I p ■ .1 ■ ■ ■ I » - ■ ■■ ■■■■II ■ ■ ■ ■_ ■ ■— _ I M —— ■ ■ ■ ■ ■»■■■■■■ — ■— I I ^
MonaÜich ersclieiiieii zwei Nnmmem. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Ilentschea Beicbs, sowie
direct Yon der VerlagsbuchhandluAgt.
188ä ~ 1. October. ^- N« 19.
Inhalt. I. Originalmittheilung. Ueber die Ungleichheit der Ejiiephänomene bei Tabes
dorsalis, von Dr. S. Goldflam.
II. Rtferaie. Anatomie. 1. Ueber die Peutung der Zirbel bei den Saugethieren» von
Flesch. — Experimentelle Physiologie. 2. Ueber die Reactionszeit für Erregung und
f&r Hemmung, von Gad. — Pathologische Anatomie. 8. Falle von abnorm kurzem
Corpus callosum oerebri, von Schröter. 4. Glykogen in den Ca^illaren der Grosshirnrinde
beim Diabetes mellitus, von FDtterer. 5. Sul peso deirencefalo ux rapporto con i caratteri
craniometrid negli aüenati, nota del Morseili. 6. Sullo spessore della corteccia cerebrale
negli aüenati, del ClMlnin — Pathologie des Nervensystems. 7. Hypertrichosis, due
to general disease of tibe nervous system, by Olimann-Dumesnii. 8. Demonstration seltener
Bewegungsstörungen, von Rieger. 9. Centributo al significato semiologico deirepilessia par-
ziale, del Stppilli. 10. Gontribution a T^tude du paaaris anatgdaique, par MOnod et Reboiil.
III. Aus den Geselisciiaften.
lY. Personalien.
I. Originalmittheilungen.
Ueber die Ungleichheit der Kniephänomene bei
Tabes dorsalis.
Von Dr. B. Gk>ldflaiii, Warschau.
Bei Beuitheilung der Bedeutung des Fehlens der Sehnenphänomene bei
Tabes dorsalis, wie auch bei anderen Krankheiten, gehen wir zunächst von der
Voraussetzung aus, dass das Wichtigste von ihnen, das Eniephänomen, eine all-
gemeine, physiologische, bei allen gesunden Menschen vorkommende Erscheinung
darstellt. PELizAEirs fand es bei allen Kindern, die er untersuchte; Zenneb
vermisste es nur einmal auf 1000 Menschen; andere Verfasser fianden ein zwar
höheres Verhältniss, jedoch nur bei hereditär belasteten Individuen. Ausserdem
muss vorausgesetzt werden, dass bei einem gesunden Individuum und bei gleich-
massigen Verhältnissen, dieses Phänomen im gegebenen Momente beiderseits
gleichmasäg stark aioh kund giebt, denn abgesehen davon, ob man ein centrales,
oder peripherisches Entstehen dieses Phänomens annimmt, jedenfalls muss man
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zugeben, dass seine beiderseitige Gleichmässigkeit ein ebensolches, durch iden-
tischen Bau, bedingtes physiologisches Postulat ist, als z. B. die gleichmässige
Beaction beider Pupillen auf Licht, die gleichmässige elektrische Beaction der
Nerven und Muskeln beider Körperhälften u. s. w. Bisher haben wir zwar kein
strenges Maass, um die Grösse des Eniephänomens, oder besser gesagt, der Con-
traction des M. quadriceps femoris zu beurtheilen und die Erfindung einer klinisch
leicht anwendbaren Methode zu diesem Zwecke halte ich für sehr wünschenswerth,^
doch soll das normale Eniephänomen eine gewisse, durch praktische Erfahrung
festgestellte Grösse besitzen und jede Abweichung von dieser Norm, aufwärts oder
abwärts, wird als pathologische Verstärkung oder Abschwächung au^efasst —
Nun will ich bald darauf aufmerksam machen, dass nur diejenige Untersuchung
der Sehnenphänomene, die vielmals und bei allen möglichen Gautelen ausgeführt
wurde, Bedeutung gewinnen kann. Die beste Methode, das Eniephänomen, mit
welchem wir in dieseni Aufsatze hauptsächlich uns beschäftigen werden, hervor-
zurufen, ist meiner Ansicht nach die in der Westphal'schen Klinik geübte: Der
Kranke soll auf dem Bücken mit vollständig entblössten Unterextremitäten ge-
lagert sein, denn das Zuschnüren des Oberschenkels mit irgendwelchem Kleidungs-
stücke stört oft; das r^elmässige Erscheinen des Phänomens, was ich vielmals
zu beobachten Gelegenheit hatte; die Unterextremitäten werden im Kniegelenke
unter einen offenen Winkel mittelst der untergeschobenen Hand des Untersuchers
gebeugt, wobei alle Muskeln relaxirt sein müssen, eventuell soll die Aufinerksam-
keit des Ejranken abgelenkt werden, oder das Jendrassik'sche Verfahren, das,
wie bekannt, im Auseinanderziehen der Finger beider Hände besteht und die
Kniephänomene steigert, angewandt werden; alsdann wird der unteren Patellar-
sehne mit einem Percussionshammer ein kurzer Schlag versetzt, wobei die Ent-
stehung und die Grösse des Phänomens nicht nur von der Stärke des Schlages,
sondern und noch mehr sogar vom getroffenen Punkte abhängen, so sind z. B.
die Bänder der Sehne reizbarer, als deren Mitte.
Alle Fälle von Tabes, die weiter unten zur Besprechung kommen werden,
wurden auf diese Weise untersucht; überhaupt wird dieser Vorgang immer von
mir angewandt, wo es sich um genaue Untersuchung handelt
Nur wenige semiotische Entdeckungen wurden so schnell gewürdigt und
haben so allgemeines Bürgerrecht erhalten, wie das Fehlen der Kniephänomene,
welches zuerst von Ebb und Westphal, fast gleichzeitig, bei Tabes dorsalis
festgestellt wurde. Alle späteren Verfasser bestätigten diese Angaben, dass es bei
Tabes ein nahezu constantes Symptom darstellt Obgleich man später zur Ueber-
zeugung kam, dass es für Tabes durchaus nicht pathognomisch ist, da es eben-
falls bei anderen Nervenkrankheiten vorkonmit, als Poliomyelitiden, allen Arten
progressiver Muskelatrophie, inclusive der sogenannten falschen Muskelhyper-
trophie, multiple Neuritis, entzündlichen Zuständen und Traumen des Lenden-
^ Hellsb (Berl. klin. Wocb. 18S6. Nr. 52) giebt zwar einen zu diesem Zwecke dienenden
Apparat an, doch ist derselbe selbst in der Klinik schwer anzuwenden. Mittels dieses
Apparates hat dessen Erfinder die Stärke des rechten Kniephänomens um einen Qrad (25®)
höher gefanden, als des linken (24^).
— 531 —
marks, acuter ascendiiender sog. Landiy'scher Paralyse etc., wie auch bei gewissen
AUgemeinleiden, wie z. B. Zuckerruhr, Diphtherie, Alkoholvergiftung, Marasmus
senilis, verschiedenen Gachexien u. s. w., wobei es sich nach Oppenheim und
Siemerling's Untersuchungen um eine Degeneration peripherischer Nerven han-
deln soll, so wird dadurch die wichtige Solle dieses Symptoms bei der Diagnose
der Tabes dorsaUs durchaus nicht geschmälert, denn Fälle von Tabes ohne Er-
löschen der Kniephänomene sollen ja zu den Seltenheiten gehören. Durch dieses
sogenannte Westphal'sche Zeichen wurde besonders die Diagnose der Anfangs-
stadien dieses Leidens gesichert, da es nicht nur zu den constantesten, sondern
auch zu den frühesten gehört. Wie bekannt, sind wir jetzt im Stande, einige,
ja selbst viele Jahre früher, als vorher, dies heimtückische, progressive und
schwere Leiden zu erkennen. Zwar ist das Fehlen der Eniephänomene allein
für das sichere Erkennen der Tabes nicht maassgebend, doch ist es als patho-
logisches Symptom (die oben angefahrten Krankheiten werden leicht durch die
Differentialdiagnose ausgeschlossen) sehr wichtig, da es im Zusammenhang mit
zwei anderen Erscheinungen, nämlich' dem Argyll-Bobertson'schen (reflectorische
Pupillenstane) und den charakteristischen Schmerzen, oder nur mit einem von
beiden — die Diagnose Tabes sichert, oder wenigstens mit grosser Wahrschein-
lichkeit stellen lässt
Meine persönliche Erfahrung erlaubt mir, die Wichtigkeit der Untersuchung der
Kniephänomene bei der Tabes, besonders der Frühstadien derselben, zu bestätigen,
da ich in keinem einzigen Falle ihr normales Verhalten zu beobachten Gelegen-
heit hatte. Ich habe mich von dem sehr oft vorkommendem Fehlen überzeugt,
aber zugleich muss ich auf meine Beobachtungen gestützt, behaupten, dass sie,
obgleich in anormaler Gestalt, doch gar nicht selten bei Tabes auch vorhanden
sein können. Zu diesem Resultate bin ich nach Untersuchung von 64 Fällen
der Klinik des Krankenhauses zum heiligen Geiste, wie auch meiner Privat-
praxis, über die ich specielle Au&eichnungen besitze, gekommen. Unter den
64 Fällen sind 47 Fälle ohne Kniephänomene und 17 Fälle mit anomalen
Phänomenen verzeichnet. Die mit anomalen Phänomenen behafteten Fälle zer-
fallen folgendermaassen : 1 Fall mit abgeschwächtem Kniephänomen; 1 Fall,
wobei das Westphal'sche Zeichen nur auf einer Seite vorhanden war; 6 Fälle
(darunter zwei mit wahrscheinlich combinirter Degeneration der Hinter- und
Seitenstränge) mit verstärkten Kniephänomenen; 3 Fälle, in denen die Knie-
phänomene während der Beobachtung allmählich schwächer wurden bis zum
vollkommenen Erlöschen an einem (1 Fall) oder an beiden (2 Fälle) Knieen;
schliesslich 7 Fälle, wo die Kniephänomene nicht gleichartig auf beiden Seiten
auftraten. — Es ist nicht meine Absicht, das ganze von mir beobachtete Material
zu verwerthen, noch kann ich eine allgemeine Pathologie der Tabes dorsalis hier
niederlegen; mein Ziel ist ein streng umschränktes. Hier will ich nur bemerken,
dass in Betreff der viel ventilirten Frage über das Yerhältmss der Tabes zur
Lues mein Material Folgendes aufzuweisen hat: Auf 47 Fälle mit fehlenden
Kniq>hänomenen kommen 21 ohne Lues, 15 mit sicher bewiesener Syphilis,
7 mit sogenanntem weichen Schanker ohne Secundärsymptome und ohne oder
81*
— 532
aehi ungenügender Queoksilberkur, und 4 Falle, wo keine sioheien diesbezüglichen
Angaben zu ermitteln waren. Auf 17 Fälle mit bestehenden, aber umegelmassigen
Phänomenen kommen 10 ohne Syphilis, 6 mit Lues und 1 Fall ohne sichere
Angaben. Von den Fallen mit Westpharschem Zeichen standen 10 im vor-
atactischen, 21 im atactischen, 4 im Uebergangs-, 12 im paralytischen Stadium-,
Ton den mit unregelmässigen Phänomenen behafteten waren 9 Fälle im vcr-
atactischen, 6 im atactischen und 2 im Uebergangsstadium.
Ich werde mich mit solchen Abweichungen der Eniepbänomene, als Ab-
schwächung, Verstärkung, Westphal'sches Zeichen nur auf einer Seite nicht be-
fiassen, da diese Erscheinungen bekannt sind, obgleich nicht genügend gewür-
digt. Ebenfalls sind diejenigen Fälle von Tabes bekannt, wo die Kniephänomene
im Verlaufe des Leidens aUmählich schwächer wurden bis zum Erlöschen. Nur
eine Anomalie der Eniephänomene, die ich zu beobachten Gelegenheit hatte,
soll den Stoff zu dieser Arbeit abgeben, nämlich die Ungleichheit dieses
Phänomens auf beiden Seiten, und dessen ungleichmässiges und un-
gleich starkes Auftreten an einem Knie. — Selbstverständlich sah ich mich
nur alsdann zur Festsetzung einer Ungleichheit des Phänomens berechtigt, wenn
dieselbe bei allen möglichen Gauteln und bei identischen Untersuchongsmethoden
vielmals constatirt wurde. — Obgleich ich schon früher dieses Symptom bei
einigen Tabikem beobaditete, so wurde doch meine Aufmerksamkeit spedell
durch folgenden Fall darauf gelenkt.. In meine Bdiandlung kam ein 35jahriger
Mann, der seit 8 Jahren an Schmerzen in bald dieser, bald der anderen Unter-
extremität, an Parästhesien, wie z. B. an einem sehr unangenehmen Gefühle eines
fremden Körpers, an einem Ermüdungsgefühle in beiden Füssen etc. zu leiden
hatte, die jeder Behandlung hartnäckig trotzten. Bei diesem Kranken waren
gar keine pathologischen Symptome objectiv vorhanden , ausgenommen der Un-
gleichheit der Kniephänomene; das rechte war nämlich schwächer als das linke
und ungleichmässig, d. h. bald stärker, bald schwächer. — Wäre das West^hal'sche
Zeichen in diesem Falle vorhanden, so könnte in Hinsicht auf die charakteristischen
Schmerzen und Parästhesien die Diagnose auf beginnende Tabes dorsaUs mit
Wahrscheinlichkeit gestellt werden. — Doch musste die von mir gefundene und
viebnals bestätigte Ungleiciiheit der Kniephänomene und deren ungleidunässiges
Auftreten, als ein pathologisches Symptom gedeutet werden und wurde ich aof
den Gedanken geführt, dass möglicherweise die Abweseidieit der KniephäncHDene
und deren beiderseitige Ungleichheit in naher Beziehung stehen, dass die Un-
gleichheit vielleicht als erste Stufe der pathologischen Sehnenphajiomeae, deieu
Höhepunkt in völligem Erlöschen derselben gipfelt, aufrufieissen wäre. — Selbst-
verständlich würde bei Bestätigung dieser Idee die Ungleichheit der Kniaphän>-
mene, als diagnostisch wichtiges Symptom der Tabes, sehr an Bedeutung gewinnen.
Nun handelte es sich darum, den Nachweis zu führen, ob Fälle von festgestellter
Tabes vorkommen, wo statt des Westphal'schen Zeich^is eine Ungleichheit der
Kniephänomene zu beobachten wäre, femer, ob klinische Beoboditungen vor-
liegen, welche die nahe Verwandtschaft der Ungleichheit der Kni^hänomeDe
und des Erlöschens derselben feststellen; einen solchen Beweis würde ein fUl
— 633 —
abgeben, in welchem die Ungleichheit der Phänomene in Tollkommenes Fehlen
derselben übergehen sollte. Werden solche Beweise von der Klinik geliefert, so
wird auch die Bedeutung des Symptoms for die Diagnose der Tabes feste Wurzeln
fassen. Meine, hier folgenden Beobachtungen sollen die aufgesteUten Prämissen
bestätigen.
Ich lasse nun die Fälle yon unzweifelhafter Tabes mit ungleichen Eni&>
Phänomenen kurz referirt folgen:
Fall I.
Joseph B.y 39 Jahre, Buchhalter in einer Zuckerfabrik, trat im Januar 1 887
in die Klinik ein. Schon vor 3 Jahren begann er an lancinirenden Schmerzen
im ganzen Köiper und besonders in den unteren Extremitäten zu leiden; all-
mählich wurden diese Schmerzen inmier intensiver. Vor 2 Jahren entstand das
Gürtelgefühl, dann kamen Störungen seitens der Harnblase, Nachtschmerzen in
der Harnröhre, Blasenincontinenz, Abschwächung des Sehvermögens und Gehör-
sinnes. Im 25. Jahre inficirte er sich mit Lues mit Secundärsymptomen und
machte eine Inunctionskur durch. Im 27. Jahre litt er an Magenstörungen:
Appetitmangel, Sodbrennen, Aufstossen, saurem Geschmack im Munde, Meteoris-
mus, Stuhlverstopfang ; alle diese Symptome dauern noch bis jetzt Im 36. Jahre
Recidiv der Lues, wieder mit Inunctionen behandelt. Ein Bruder des Kranken
starb an einer Nervenkrankheit.
Patient ist von gutem Bau und guter Ernährung; die inneren Organe sind
gesund. Auf den Rücken gelagert ist Patient im Stande, alle Bewegungen mit
den unteren Extremitäten mit Kraft und ohne Ataxie selbst bei geschlossenen
Augen aaszufahren; bei passiven Bewegungen kein Widerstand. Der (rang ist
aber abnorm und hat einen atactisch-spastischen Charakter; beim Umdrehen
kreuzen sich die Extremitäten, der Fuss wird am Fussboden geschleppt und auf-
gestampft; bei geschlossenen Augen wird der Grang noch unsicherer; Bomberg'-
sches Symptom stark ausgesprochen. Das Treppenabsteigen ist dem Kranken
besonders umständlich. — Die Kniephänomene sind auf beiden Seiten vorhanden,
aber verschieden: links ist dasselbe gut ausgesprochen, rechts sehr schwach und
nur im M. vastus extemus, selbst bei Anwendung des Jendrassik'schen Ver-
fahrens. Beim Anschlagen der rechten Patellarsehne wird immer eine Gontrac-
tion der linken Adductoren ausgelöst Die Plantar- und Cremasterreflexe sind
vorhanden. Nachts geht der Harn unwillkürlich ab, am Tage ist der Kranke
nicht im Stande, den Harndrang aufzuhalten. — Obstipatio alvi; der Kranke
fühlt den abgehenden Stuhl nicht. Erectionen und Pollutionen bleiben seit
längerer Zeit aus. Das Gefühl ist an den Geschlechtsorganen erhalten; der
Tastsinn ist auch an den unteren Extremitäten erhalten mit Ausnahme einer
kleinen Fläche am Metatarsus sinister in der Nähe der grossen Zehe und einer
anderen an der äusseren Oberschenkelfläche von der Grösse eines Fünfmarkstückes,
welche anästhetisch sind. — Selbst eine leise Berührung der Fusssohlen ist für
den Kranken fast immer schmerzhaft. An den Füssen und Unterschenkeln, hier
im geringeren Grade, fühlt Patient Stiche als Berührungen, oder sehr oft zuerst
als Berührungen, alsdann als Schmerz (Remak'sches Symptom). Der Temperatur-
— 534 —
sinn ist for grössere Differenzen erhalten, für kleinere abgestampft. Auch der
Moskelsinn ist betroffen: der Kranke kann nicht mit der einen Extremität die
Lage der anderen nachahmen, kann deren g^nseitige Lagerang nidit pracis
angeben, hat keine genaue Yorstellong Ton einer Aenderong der Fingerlagerong
u. s. w. Bei Tag und Nacht erleidet der Kranke stechende Schmerzen in ver-
schiedenen Stellen, der unteren Extremitäten, bald in den Knöcheln, bald in den
Zehen, Waden, Schenkelbeugen u. s. w. Der Schmerz danert yerscbieden lange
Zeit, einige Minuten bis einige Stunden und länger. An diesen schmelzenden
Stellen wird die Haut so empfindlich, dass selbst eine leise Berührung das
Zittern der ganzen Extremität zur Folge hat Die Haut schwillt an solchen
Stellen an, es bildet sich hier ein rother Fleck, der sich später mit einer Kroste
bedeckt
Die Wirbelsäule ist schmerzlos bei Druck. Das Gefühl am ganzen Thorax
erhalten, mit Ausnahme eines schmalen zweifingerbreiten Streifens, der von
der linken Brustwarze in der Richtung zum Schulterblatte verläuft, und einer
anderen kleinen Fläche am unteren Winkel des rechten Schulterblattes wo das
Tastgefahl abgeschwächt ist — Patient hat an vorübergehenden Schmerzen in
den Lenden, an Stichen in der Brust zu leiden. — Die Kraft der rechten
oberen Extremität ist geringer, als die der linken, doch immer noch genügend
gross; alle Bewegungen werden gut ausgeführt mit Ausnahme der Opposition
der beiden kleinen Finger, besonders der rechten Hand. Muskelatrophien sind
nicht vorhanden, Ataxie fehlt Das Gefühl und der Muskelsinn sind intact.
In den oberen Extremitäten verspürt Patient ähnliche Schmerzen, wie in den
unteren, die mit Bildung kleiner, nach einigen Tagen eintrocknenden Bläschen
einhergehen, ausserdem hat er ein Gefühl von Jucken in den Handflächen.
Pupillen sind ungleich, die linke breiter, die rechte ziemlich eng, auf Licht
reagiren beide nicht, ziehen sich aber beim Convergiren sehr gut zusanunen.
Die Bewegungen der Augäpfel sind normal. S=l. Ophthalmoskopisch wurden
keine Veränderungen wahrgenommen. Das Gesichtsfeld ist für Weiss und Farben
normal. Das Gehör stark abgeschwächt, man muss den Kranken laut ansprechen;
das ührticken wird von ihm weder aus der Feme noch unmittelbar vom Knochen
aus vernommen. — Diese Symptome haben sich seit einem halben Jahre pro-
gressiv entwickelt, ohne Schmerzen und ohne Ausfiuss aus dem Gehöigange,
aber mit einem Gefühle vom Rauschen in den Ohren. Die Untersuchung von
specialistischer Seite erwies keinerlei Veränderungen im Mittelohre und muss
ein Leiden der Gehörnerven selbst angenommen werden, da der Kranke rechter-
seits das hohe A des Gamertons nicht hört und linkerseits ist die Knochenleitung
unterbrochen und der Kammerton wird nur auf dem Warzenfortsatze deutlich
gehört
Vor einem Jahre litt er auch an Kopfschmerzen, jetzt hat er ein Summen
im Kopfe. Sprache, Gredächtniss sind normal Schlaf gut
Alle klassischen Symptome von Tabes sind in diesem Falle vorhanden;
charakteristische, seit 8 Jahren dauernde Schmerzen, Ataxie beim Gehen, Rom-
berg'sohes Symptom, Argyll-Bobertson'sches Symptom, Anästhesien, Remak'sches
— 535 —
Symptom, Stonmgen des Maskelsinnes, der Blasenftinctiony des Rectums, der
Qeschlechtsfimctionen u. s. w. Wie steht's aber mit den Eniephonomenen? Sie
sind nicht erloschen, man kann sie beiderseits hervorrufen, doch in ungleichem
Grade, linkerseits ist das Phänomen gut ausgesprochen, rechterseits ist es schwach
und nur am M. vastus extemus bemerkbar.
Wären diese Phänomene selbst ganz normal, so könnten wir in diesem
Falle mit der Diagnose der Tabes dorsalis nicht zögern. Dieser Fall weist
also darauf hin, dass die Ungleichheit der Eniephänomene bei ausgesprochener
Tabes vorkommt und dass sie vielleicht ein Uebergangsstadium zum völligen
Erlöschen dieser Phänomene bildet. Die Bichtigkeit dieser letzten Aussig vnrd
durch einen weiter unten zu beschreibenden Fall nachgewiesen. Vorläufig wUl
ich noch einen Fall von Tabes anfuhren, wo nicht nur die Eniephänomene,
sondern auch die Achillessehnenphänomene beiderseits ungleich auftreten.
Fall n.
Stanislaus B., 37 jähr. Landwirth, kam am 19. 11. 1888 in die Elinik wegen
Geh- und Sehstörungen. Bereits vor 10 Jahren begann das Leiden, zuerst mit
einem Gefühl von Steifigkeit der rechten unteren Extremität und einem Pelzig-
werden beider Eniee. Er konnte zwar in der ersten Zeit gehen und arbeiten,
doch verschlimmerte sich sein Zustand mit jedem Jahre, so dass er seit zwei
Jahren fast gar nicht in's Feld gehen kann, obgleich er noch im vorigen mit
vieler Noth und Mühe und vielmaligen Pausen sein Stückchen Feld besäen
konnte. Seit 3 Jahren werden seine Finger pelzig, er fühlt nicht die Gegen-
stände, die er in Händen hält Acute Schmerzen hatte er in den Extremitäten
nicht, doch hat er ein Eältegefühl in den Fusssohlen fast vom Anfange seiner
Erankheit an verspürt Blasenstörungen begannen ebenfalls vor 3 Jahren und
zwar als hartnäckige Harnverhaltung, die erst in der letzten Zeit in Incotinenz
überschlug, welche besonders bei Nacht aufzutreten pflegt. Zur selben Zeit be-
gann auch der Gesichtssinn zu leiden, zuerst auf dem rechten Auge, im letzten
Jahre auch auf dem linken.
Vor 15 Jahren heirathete Patient und hat 6 gesunde Einder am Leben,
6 sind verstorben. Er war früher immer giösund, machte keine venerische Erank-
heit durch, trank massig. Sein Vater starb mit 76 Jahren und litt im vor-
gerückten Lebensalter an Steifigkeit der Beine, was ihm am Gehen hinderte.
Sonst sind keine Hereditätsmomente vorhanden.
Patient ist gut gebaut und ernährt Pulsschlag 72, innere Organe normal.
Eine ausgesprochene Ataxie ist weder im Liegen, noch beim Gehen vorhanden,,
nur beim Umdrehen und während der Kranke mit •geschlossenen Augen gelit
ist eine gewisse üngeschicktheit der Bewegungen und ein zu starkes Auftreten
der Fusshacken bemerkbar. Das Bomberg'sche Symptom schwach ausgesprochen.
Die activen Bewegungen der unteren Extremitäten sind kräftig, die passiven
ohne Widerstand. Das Gehen wird dem Eranken schwer, er muss oft ausruhen.
— Die Eniephänomene sind beiderseits vorhanden, rechterseits aber viel schwächer,
doch bei Benutzung des Jendrassik'sohen Verfahrens wird es starker, obwohl
nicht so stark wie das linke.
— 636 —
I)a8 Verhalten der Achillessehnenphänomene ist ganz eigenfhümlich nnd
den Eniephänomenen entgegengesetzt: rechteiseits ist sogar das Fussphanomen
unzweifelhaft vorhanden und heim Anschlagen der Achillessehne mit dem Per-
cussionshanmier bekommt man eine sehr deutliche Plantarflexion des Fnsses,
linkerseits aber fehlt das Fussphanomen und das Anschlagen der Achillessehne
hat, nicht immer, ein schwaches Zusanunenziehen der Wadenmuskeln zur Folge.
Der Gremasterreflex ist erhalten. — Die Sensibilität und der Muskelsinn sind ftst
unverändert. Patient hat ein Gefühl von Leim oder Baumwolle unter den Fuss-
sohlen. Incontinentia urinae; Stuhl ganz normal. Erectionen sdiwach. Wirbel-
saule schmerzlos, die Sensibilität ist am Thorax erhalten, am Kreuzbein ein
Gefühl von Steifheit
Die Bewegungen der oberen Extremitäten gehen energisch, ohne Ataxie von
Statten, die feineren Arbeiten (Zuknöpfen etc.) werden aber ungeschickt ausge-
führt. Kleinere auf der Hand liegende Gegenstände fühlt er gar nicht, grössere
(Weinglas, Federmesser u. s. w.) werden nicht erkannt. Ein Stich wird von ihm
als Gefühl eines scharfen Gegenstandes, aber ohne Schmerz vemonamen. Tem-
peratursinn ist erhalten. Der Muskelsinn unverändert Muskeln und Nerven
sind auf Druck nicht schmerzhaft
Pupillen normaler Grösse, die rechte etwas breiter, reagiren direot auf Licht
und auch durch Yermittelung des anderen Auges; die Beaction ist aber träge
und Erweiterung erfolgt alsbald. Die Bew^^gen der Augäpfel sind normal.
Graue Yerfilrbung der Papillen Nn. opticorum. Sehstärke intensiv herabgesetzt
Es liegt uns also ein langjähriges (seit 10 Jahren), progressives Leiden des
Bückenmarks mit hauptsächlich parästhetischen Symptomen und geringen Ver-
änderungen der Sensibilität vor, welches zwar ohne evidente Ataxie einhergeht,
doch durch ungeschickte Bewegungen, durch ein Missverhältniss zwischen roher
Kraft und Gehvermögen, durch Störungen der Blasenfnnction u. s. w. sich kund-
giebt Es fehlen zwar die für Tabes charakteristischen Schmerzen, aber die
Parästhesien sind stark ausgesprochen und sind auch Gtohimnerven afficirt,
nämlich die beiden Optici sind der grauen Entartung verfallen. Die Sehnen-
phänomene zeigen hier ein eigenthümlich ungleiches Verhalten; die Eniephäno-
mene sind vorhanden, das rechte ist viel schwächer, das rechte Fussphanomen
(tr^pidation du pied) ist ebenfalls vorhanden, was entschieden pathologisch ist nnd
auf Verstärkung der Sehnenphänomene hinweist Auch das Achillessehnenphäno-
men ist diesseits sehr ausgesprochen, während linkerseits das Fussphanomen ganz
ausbleibt und das Achillessehnenphänomen nur schwach auftritt und nicht jedes-
mal zum Vorschein kommt Auch in diesem Falle haben wir es also mit Un-
gleichheit der Kiüephänomene, der Achillessehnenphänomene, mit ungleichmässigem
Auftreten der letzteren und zi^leich mit einem umgekehrten Verhalten der Knie-
und Achillessehnenphänomene zu thun, denn dem schwächeren, rechtsseitigen
Kniephänomen entspricht das rechte Fussphanomen, und dem linken ausge-
sprochenen Kniephänomen das schwache Achillessehnenphänomen.
(SohloBs folgt)
537 —
n. Beferate.
Anatomie.
1) Ueber die Deutung der Zirbel bei den Säugethieren, von Prof. Dr. Max
Fl esc h, Frankfurt a. M. (Anatomischer Anzeiger. 1888. III. Jahrg. Nr. 6.)
Den Beweis gegen die Ansicht, dass die Zirbel der Säugethiere das rudimentäre
Parietalauge sei und somit keine weitere Aufgabe im Haushalte des KOrpers zu er-
füllen habe, führt Verf. folgendermaassen : Die Zirbel ist kein rudimentäres Organ,
dagegen spricht: 1. das Eintreten von Nerven, 2. das Vorkommen eigenartiger Ab-
scheidungen, 3. die Existenz eigenartiger, epithelialer Structuren auf der der Himhöhle
abgekehrten Seite des Organs. Unter eigenartigen Abscheidungen versteht Fl. nicht
den Gehimsand; als specifische Bildungen betrachtete er eigenthümliche Pigmentdarsen.
An Sinnesepithelien erinnern Bildungen, die den Sehepithelien in Augen niederer,
wirbelloser Thiere ähnlich sind. Form, Consistenz, Grösse, Structur und besonders
der Pigmentreichthum der Zirbel zeigt bei den Säugethieren grosso Verschiedenheiten
und diese scheinen nicht dafür zu sprechen, dass dies Organ ein rudimentäres Auge
sei. Was aber ist es? Fl. vermuthet ein Sinnesorgan, das bei Säugethieren nichts
mehr von seiner Sehfunction besitzt. Bestätigt sich die Existenz eines Fiebercentrnms
in den benachbarten Himabschnitten, so könnte vielleicht die Zirbel dazu bestimmt
sein, Schwankungen der Körpertemperatur wahrzunehmen und auf dem Beflexwege
ihre Wahrnehmungen für den Körper zu verwerthen. P. Kronthal.
Experimentelle Physiologie.
2) Ueber die Beactionsseit für Erregung und für Hemmung, von J. Gad
(nach Versuchen von Dr. Orschansky). (Verhandl. der Berl. physiolog. Gesell-
schaft 1887. Nr. 13 u. 14.)
0. hat unter G.*s Leitung die Zeit gemessen, welche vergeht von dem Moment
eines gegebenen Signals bis zu dem Moment des Beginnes der auf dies Signal will-
kürlich ausgeführten Entspannung eines bis dahin willkürlich gespannten antagonisten-
losen Muskels, und verglich diese „Beactionszeit für Hemmung'' mit „der Beactions«
zeit für Erregung''. Zu den Versuchen ward der M. masseter gewählt.
Es ergab sich als
Beactionszeit für die Erregung: Beactionszeit für die Hemmung:
vor der Uebung =s 0,25 See vor der Uebung = 0,30 See.
nach der Uebung == 0,15 See. nach der Uebung =3 0,14 See.
bei minimalem Beiz = 0,20 See bei minimalem Beiz = 0,17 See.
bei mittlerem Beiz = 0,15 See. bei mittlerem Beiz := 0,14 See.
bei maximalem Beiz = 0,12 See. bei maximalem Beiz = 0,11 See.
Es sind also die beiden Beactionszeiten wesentlieh gleich. Ein Grund, anzu-
nehmen, dass die willkürliehe Hemmung wülkürlich unterhaltener Muskelerregung
anderswo angreife, als am eortiealen Ausgangspunkt dieser Erregung, liegt also zu-
nächst nicht vor. Th. Ziehen.
Pathologische Anatomie.
3) Fälle von abnorm kursem Corpus oallosum oerebri, von Direetor Dr. B.
Schroeter, fiichberg. (AUg. Ztschr. f. Psychiatrie. 1888. XLIV. 4 u. 5.)
Der Aufsatz enthält den in der psychiatrischen Seetion der Naturforscher- Ver-
— 538 —
Sammlung 1887 vom Verf. gehaltenen Vortrag. Derselbe ist in diesem Ceutralblatt
1887 S. 440 bereits aosfohrUcli referirt Th. Ziehen.
4) Glykogen in den Capfllsren der Qroflahimrinde beim l>iabeteB mellitus,
von Dr. 6. Fütterer, Assistent am path.-anat Institat zn Würzburg. (Ctrlbl.
f. cL med. Wissenscb. 1888. Nr. 28.)
Neben Glykogen in der Leber und im Bückenmark fand sich auch solches im
Grosshim. Der Nachweis wurde an Stücken gefOhrt, die in Alkohol gehärtet, mit
der Ehrlich^schen Jodgummilösung behandelt wurden; bei Wasserzusatz zu den Prä-
paraten lösste sich das Glykogen, und eine Färbung mit Methylenblau zeigte dann
ein glykogenfreies Präparat Die meisten Capillaren der Ifimrinde waren mit krüme-
ligen Glykogenmassen erfüllt, die wohl auf embolischen Wege hierher gelangt waren.
Bei der grossen Verbreitung des Glykogens in der Hirnrinde müssen ausgedehnte
Ernährungsstörungen eingetreten sein. Ob das stellenweise Fehlen der peripherische
Bindennerrenfaserschichten directe Folge derartiger Ernährungsstörungen war, bleibt
einstweilen dahingestellt. Weitere Untersuchungen werden folgen. Ealischer.
5) Svd peso dell'enoefalo in rapporto oon i caratteri oraniometrici negli
alienati, nota del Prof. E. Morselli. (Bivista speriment. di Freniatria ecc.
1888. XIII. p. 366.)
Verf. hat 104 Schädel und Gehirne von Irren und zwar von 59 M. und 45 W.
untersuchen können, und da seine Besultate in manchen Beziehungen von den Er-
gebnissen anderer Autoren abweichen, so seien aus seiner werthvollen Arbeit hier
folgende Angaben mitgetheilt.
1. Das Gewicht der Hirnhäute etc. incl. Dura betrug
unter 50 g bei M. 2 mal; bei W. 4mal; in Summa 6mal.
50—100 g bei M. 12mal; bei W. 21 mal; in Summa 3dmal.
101—150 g bei M. 23mal; bei W. 18mal; in Summa 41 mal.
151—200 g bei M. 13mal; bei W. 2mal; in Summa 15mal.
201—300 g bei M. 6mal; bei W. — ; in Summa 6 mal.
über 300 g bei M. 3mal; bei W. — ; in Summa 3mal.
Im Mittel also, wenn man die extremen Gewichte über 200 g ausser Ansatz lässt,
wiegen die Gehirnhüllen bei m. Irren 124,5 und bei w. Irren 93,3 g.
2. Das Gewicht der Hirne allein betrug bei m. Irren 1216,2 und bei w. Irren
1127,5 g. Die Gehirnhüllen wiegen also etwa 9 % ^^ Gesammthimgewichts mit
Häuten.
3. Das Verhältniss des Gesammthimgewichts (mit Häuten) zum Schädelvolumen
betrug bei m. Irren 91,6%, bei w. Irren 92,9%; wurde das Nettohimgewicht der
Berechnung zu Grunde gelegt, so betrug das Verhältniss zum Schädelinhalt 81,8
resp. 86,8 ^/q. Die Cubatur der Schädel ist übrigens nach Broca*s Methode erfolgt.
4. Das Verhältniss zwischen Capacität und Form des Schädels ergiebt sich aus
folgender Zusammenstellung:
M. W.
bei Dolichocephalie beträgt die Capacität 1510 1239
Subdolichocephalie 1494 1272
Mesaticephalie 1422 1255
Subbrachycephalie 1479 1301
Brachycephalie 1501 1342
Er beträgt
bei einem
der Schädelinhalt
Netto-H
imgewi
Alter von
M. W.
M.
W.
unter 25 J.
1295 1336
1138
1163
26 40 J.
1450 1243
1192
1116
41 60 J.
1500 1307
1221
1106
über 60 J.
1492 1258
1209
1086
— 539 —
5. Form des Sch&dels und Himgewiclii stehen zu einander in folgender Ver-
bindung:
Es ergiebt sich ein mittleres Nettohimgewicht von
bei Doüchocephalie M. 1179 g W. 1125 g Sa. 1154 g
Subdolichocephalie M. 1234 g W. 1094 g Sa. 1191 g
Mesaticephalie M. 1215 g W. 1081 g Sa. 1164 g
Subbrachycephalie M. 1118 g W. 1076 g Sa. 1143 g
Brachycephalie M. 1238 g W. 1159 g Sa. 1186 g.
6. Der Einflass des Alters auf das Himgewicht ergiebt' sich aus folgender
Tabelle :
Yerhältniss des Nettogewichts
tt zum Schädelinhalt
M. W.
88,5 87,1
82,2 87,3
82,1 84,6
81,5 86,3
Im Weiteren gelangt Verf. selbst zu folgenden Schlüssen:
Bei Yergleichung von Himgewichten muss der Einfluss der Hirnhäute und zwar
in ihrer Modification durch das Alter, durch die Eörperlänge, durch das Körpergewicht
und durch die Dauer der terminalen Erkrankung der Patienten berücksichtigt werden.
Das Durchschnittsgewicht der HimhüUen incl. Liquor ist bei Irren höher als bei
geistig Qesnnden. Dasselbe wächst mit dem Lebensalter; es ist grösser bei chronischen
Psychopathien, spedell im Terminal- und im Altersblödsinn und bei der Paralyse,
als bei den einfachen Seelenstörungen und bei den Psychoneurosen.
- Das durchschnittliche Himgewicht ist bei Irren niedriger als bei geistig Gesunden,
und der „Schädelhirnindex'' (das Yerhaltniss, in dem das Himgewicht zum Yolum des
Schädels steht) ist bei Irren viel niedriger als bei Normalen.
Bei -Melancholikem und bei Epileptikern finden sich häufig verhältnissmässig
recht hohe Schädelcapacitäten und Himgewichte. Die Gewichtsabnahme der para-
lytischen und der terminalen Gehirne hängt, abgesehen vom Einfluss der Krankheit
an sich, besonders von der Dauer der Krankheit und von der mit dieser verbundenen
Ernährungsstörung ab.
Im Allgemeinen aber glaubt Yerf., dass die Frage nach dem Zusammenhang
zwischen Himentwickelung und Intelligenz durch die bisherigen Untersuchungen noch
durchaus nicht gelöst sei.
Den Schluss der Arbeit bildet die tabellarische Zusammenstellung der Einzel-
werthe seines Materiales. Sommer.
6) Sullo spesBore della oorteooia cerebrale negli alienati, del Dott. Att.
Cionini. (Biv. speriment. di Freniatr. ecc. 1888. XIII. p. 436.)
Yerf. benutzt, zu seinen Messungen der Himrindendicke einen feinen Zirkel mit
Nonius, der direct Vio ^^ abzulesen gestattet. Die zu untersuchenden Hemisphären
werden durch Schnitte längs der Fissura praecentralis und postcentralis in 3 Theile
zerlegt: in die Pars praerolandica, die postrolandica und endlich die Pars rolandica,
die also die beiden Centralwindungen enthält.
Er hat bereits 80 Irrengehime, an deren jedem er 150 Messungen gemacht
hat, untersucht; in der vorliegenden Arbeit giebt er jedoch nur die Besultate, die
er an 15 paralytischen Gehirnen erlangt hat.
1. Bei Paralytikern ist die Hirnrinde über das ganze Hirn hin verschmälert.
i. Die grösste Dicke der Binde findet sich in der hinteren Hälfte der vorderen
Centralwindung (Frontalis ascendens). .
— 540 —
3. Die gröaste Yerschmälerang findet sich in der Pars rolandica nnd spedell
in der hinteren Gentralwindong (Parietalis ascendens).
4. In beiden Gentralwindungen ist die Binde der hinteren Hälfte dicker als die
der vorderen.
5. Die untere Räche der Pars praerolandica und postrolandica ist mit einer
dünneren Binde bedeckt als die äussere nnd die mediane Fläche.
6. Die Hirnrinde ist auf der linken Hemisphaere ceteris paribns dicker als auf
der rechten.
7. Die linke Hemisphäre wiegt mehr als die rechte; auch die Entwickelung der
Gefassforchen auf der Innenseite des Schädels ist links bedeutender als rechts. Verf.
macht femer darauf aufmerksam, dass in Bezug auf die Gefässfnrchen eine gewisse
Compensation zwischen rechts nnd links öfters beobachtet werden kann: sind die
Furchen auf der einen Seite tiefer, so sind sie auf der anderen zahlreicher aus-
gebildet.
Die Einzelwerthe der Messungen sind in tabellarischer Form ebenfalls mit-
getheilt. Sommer.
Pathologie des Nervensystems.
7) HypertriohoslB, due to^general disease of the nervous System, by A.
H. Ohmann-Dumesnil. (Alienist and Neurologisi 1887. YIII. p. 483.)
Eine 28jährige Dame, die auch nach der Versicherung ihres Hausarztes früher
einen auffallend zarten Teint besessen hatte, bemerkte vor Kurzem, dass sich auf
beiden Seiten der Stirn, auf beiden Wangen und auf der Oberlippe die Haut dunkel
zu förben und mit sehr dichten dünnen ^/^ — V2 ^^^^ langen Haaren zu bedecken
begann; die Flaumhaare schienen allgemein ein wenig verlängert zu sein. Aus leicht
erklärlichen Gründen wollte Patientin von diesem höchst entstellenden Leiden befreit
sein. Verf wies aber bei ihr das Bestehen schwerer Neurasthenie des Hirn- und
Bückenmarkssystem nach und da proportional dem Auftreten der nervösen Symptome
das Unterhautzellgewebe immer reichlichere Massen Fett angesetzt hatte, so glaubte
er auch die ungewöhnliche Haarentwickelung auf ähnliche und zuletzt somit auf
nervöse Einflüsse zurückführen zu dürfen. Und der Erfolg wenigstens gab ihm Bechi
Als nach etwa einjähriger Behandlung die Neurasthenie geschwunden war, war auch
die Haameubildung vollständig beseitigt, natürlich ohne irgend einen localen Eingriff.
Sommer.
8) Demonstration seltener Bewegungsstöningen, von Professor Dr. Bieger.
(Sitzungsberichte der Würzburger Phys. med. Gesellsch. 1887.)
Der 43jährige Eisenbahn-Conducteur Dennerlein erlitt bei dem Eisenbahnunfall
am Faulenberge (1. Juli 1886) eine Fractur beider Malleoli links, sowie eine Con-
tusion des linken Kniegelenks. Am 9. Aug. 1886 als anscheinend völlig gesund
aus der chirurgischen Behandlung entlassen, zeigten sich in den folgenden Wochen
doch noch Gehstörungen, weshalb er im August 1886 die Poliklinik von Prof. Bieger
für Nervenkranke aufsuchte. Die Untersuchung ergab bezüglich der Knochen- und
Gelenkverhältnisse der erkrankten Extremität vollständig normales Verhalten. Fractur
so glatt geheilt, dass sie kein Bewegungshindemiss abgeben konnte, auch das Knie-
gelenk zeigte nichts Abnormes.
Dagegen zeigte sich, was auch als Ursache der ganzen Störung im G^mecha-
nismus zu betrachten ist, eine Atrophie der Musculatur an der Vorderseite des Ober-
schenkels, also in der Quadricepsgruppe. Auffallende Differenz im Umfang des linken
Oberschenkels gegenüber dem rechten. Anfangs 1 cm, später 2 cm. Infolgedessen
geschieht die active Streckung des linken Unterschenkels mit geringerer Kraft als
— 541 —
die des rechten. Kraft der Beuger beiderseits gleich. Elektrische Beaction im Quadri-
ceps durchweg normal; Patellarrefleze beiderseits gleich. Weder Mechaiio- noch
Elektrotherapie hat eine Besserung der Atrophie herbeizuführen yermocht In Folge
der Atrophie und Schwäche des Muse, rectus femoris hat sich ein ganz abnormer
und fehlerhafter G^ng entwickelt Die leichte Kniegelenkscontusion könnte vielleicht
eine Atrophie bedingt haben, die an und für sich zu denen gehört, auf die Charcot
in neuerer Zeit die Aufmerksamkeit gelenkt hat.
Bef. hatte in der jüngsten Zeit wiederholt Gelegenheit, den Patienten D. bezüg-
lich des oben geschilderten Symptomencomplexes genauer zu untersuchen. Das ganze
Krankheitsbild hat sich bis jetzt in nichts geändert, trotz der fortgesetzten mecha-
nischen und elektrischen Behandlung.
Es ist wohl mit Sicherheit anzunehmeui dass die Atrophie der Strecker durch
die Gelenksaffection bedingt wurde.
InjectionsYersnche in die atrophische Mnsculatur schienen anfangs von einer
Besserung gefolgt zu sein, letztere war aber so vorübergehender Natur, dass der
ganze Versuch vorläufig keine weitere Besprechung verdient. Eine genauere Bear-
beitung vorliegenden Falles erscheint in der Münchener med. Wochenschrift.
• L. P. Hügel (Würzburg).
9) Ck>ntributo al signifloato semiologioo dell'epilessia paniale. Nota clinica
del Dott. Gius. Seppilli. (Bivist. speriment. di Freniatr. 1888. XIII. p. 274.)
Verf. macht darauf aufmerksam, dass der Symptoroencomplex der Jackson*schen
Epilepsie durchaus nicht immer den Schluss auf das Vorhandensein einer gröberen
Erkrankung des in Betracht zu ziehenden Bezirkes des motorischen Bindenfeldes
gestatte. Er theilt 4 Krankenfälle mit, in denen alle charakteristischen Erscheinungen
der partiellen Epilepsie häufig zum Ausbruch gekommen waren, und doch zeigte die
Section jedesmal eine ganz diffuse und über beiden Hemisphären gleich ausgebildete
Meningitis ohne Spur einer der Gehimlocalisation nach zu erwartenden Bindenzerstörung
durch Tumor, Erweichung, Blutung etc. oder auch nur durch periencephalitische Ver-
wachsungen zwischen Binde und Hirnhäuten.
In der Litteratur findet sich (unter den von Luciani und Verf. gesammelten
50 Fällen von partieller Epilepsie mit Sectionsbericht) merkwürdiger Weise kein
einziger FaU, in dem' nicht eine gröbere organische Zerstörung nachgewiesen wäre.
Sommer.
10) Ck>ntribution 4 l'ötude du panaris analgösique (Maladie de Morvan)«
par Ch. Monod et Beboul. (Arch. g^n^r. de M^d. 1888. Juli.)
Die Verff. haben einen typischen Fall jener seltenen Affection, die Morvan
zuerst 1883 beschrieben hat und von der überhaupt erst 21 Fälle beschrieben worden
sind, beobachtet. Bei einem öGjährigen Manne stellte sich Taubheit und Analgesie
des rechten 5. Fingers, dann Schwäche der Flexoren und Extensoren der Finger und
Atrophie der Musculatur der rechten Hand ein. Nach einem Jahr auch Analgesie
der linken Hand. Nach einigen weiteren Monaten Eiterung am rechten Mittelfinger
und Nekrose der 2. Phaiange. Genauere Untersuchung stellte verbreitete Atrophien,
Paresen und Anästhesien an beiden Händen und Füssen fest, femer trophische Stö-
rungen an Haut und Nägeln und eine Beihe anderweitiger Ulcerationen, so nament-
lich auch ein .Mal perforant an beiden Füssen. Das Kniephänomen war rechts normal,
links abgeschwächt. Keine Ataxie, kein Bomberg*sches Schwanken, keine lancinirenden
Schmerzen, keine Parese der Arm- und Beinmuskeln. Mehrere Amputationen wurden
durch immer neu hinzutretende ulceröse und nekrotische Processe nöthig. Die An-
ästhesie breitete sich allmählich bis auf Oberschenkel und Oberarm aus, auch im
Gesicht war sie zu constatiren. Die Sehnenphänomene der Arme waren gesteigert,
— 542 —
leichter Fassklonus stellte sich ein. Sebsch&rfe, Geruch und Gedächtniss iiahmGn
etwas ab. Arme und Beine bewegt Fat noch kraftig. Arthropathien traten nicht
auf. An den Beinen bestand ein fortwährendes Kältegefühl. Oft localisirte Schweisse
an Kopf und Nacken.
Die mikroskopische Untersuchung der Nerven der amputirten Finger ergab eine
schwere parenchymatöse und interstitielle Neuritis. Die Morvan^sche Krankheit oder
Par6so-analg6sie ist daher nur eine Varietät der peripherischen Neuritis. Yermuthungs-
weise deuten die Yerff. die Möglichkeit an, dass die Morvan'sche Krankheit in ätio-
logischer Beziehung zu dem Gewerbe der befallenen Individuen steht Es faandeli
sich nämlich auffallend oft um Leute, die irgendwie mit Fischen zu thun haben.
Th. Ziehen.
m. Aus den Gesellschaften.
JahresBitBUsg des Vereins deutscher Irrenärste im Festsaale
der Provinzial-Irrenanstalt in Bonn am 16. und 17. September 1888.
Originalbericht- von Dr. Bruns (Hannover).
Der Vorsitzende Westphal eröfibet die Versammlung. Nasse (Bonn) heisst
dieselbe in den Bäumen der Bonner Anstalt willkommen.
1. Mendel: Referat über den Vortrag von Prof. Jelly „Ueber geminderte
Zurechnungsfähigkeit".^
Jolly hatte beantragt, dass man petitioniren solle, dass eine Bestimmung über
geminderte Zurechnungsfahigkeit in das Strafgesetzbuch eingeführt werden solle.
Mendel entwickelt an der parlamentarischen Geschichte der Entstehung des jetzigen
Strafgesetzbuches, dass das System der mildernden Umstände die geminderte Zu-
rechnungsföhigkeit ersetzen, sollte. Die Annahme JoUy's, dass jene gar nicht dazu
bestimmt sein konnten, widerlegt sich durch die Erklärungen des Berichterstatters
V. Schwartze (Stenogr. Bericlite des Reichstags 1870. I. S. 233). Allerdings sind
die Versuche, die mildernden Umstände auf sämmtliche Delicto auszudehnen, wie sie
z. B. von den Abgeordneten Lasker und Becker bei dem Morde versucht wurden,
an dem entschiedenen Widerspruch der Regierung gescheiteri Nichtsdestowemger
ist die Sache nicht so schlimm, wie es nach den Darstellungen Jolly*s scheinen
könnte. Von seinen 177 Delicten, bei denen mildernde Umstände nicht zugelassen,
fallen 104 sofort weg, da bei ihnen ein Strafminimum überhaupt nicht angegeben,
demnach durch Verhängung von nur 1 Tag Gefängniss oder 3 Mark Strafe jedem
Fall Gerechtigkeit geschehen könne, bei andern Verbrechen ist durch Fahrlassigkeits-
Paragraphen (Meineid) die Möglichkeit gegeben, dem subjectiven Zustand des Thäters
gerecht zu werden.
An eine Ausdehnung der mildernden Umstände auf die Verbrechen, bei denen
sie 1870 nicht zugelassen, ist bei der jetzigen Zusammensetzung des Reichstages
nicht zu denken ; bekannt ist ja auch, dass im Allgemeinen seitdem sich vielmehr die
Absicht geltend gemacht, das Strafgesetz zu verschärfen, als zu mildern. Eine Zu-
lassung einer verminderten Zurechnungsfahigkeit würde mit Nothwendigkeit eine Um-
arbeitung des Strafgesetzbuches in Bezug auf die Zulassung mildernder Umstände
herbeiführen. Die geminderte Zurechnungsfähigkeit als solche ist aber von einer
Reihe von hervorragenden Psychiatern als ein zweifelhaftes Geschenk, von einem
grossen Theil von Juristen als eine juristische Unmöglichkeit dargestellt worden.
Vortragender selbst kann Bedenken nicht unterdrücken, dass unzweifelhafte Fälle von
Geisteskrankheit, welche unter den § 51 des Si-G.-B. gehören, leicht von nicht
* Cf. d. Ctrlbl. 1887. S. 435 und Ztschr. f. Psych. XLIV. S. 461.
— 543 —
psychiatrisch gebildeten Sachverstandigen als Fälle von verminderter Zurechnungs-
fahigkeit erklärt werden würden.
Wenn man aber über all diese Bedenken hinweg sich setzen und lediglich den
principiellen Standpunkt festhalten wollte, dann müsste man nicht mit Baisonnements,
die zum so und sovielsten Male voi^ebracht werden, sondern mit Thatsachen kommen,
man müsste bestimmte Fälle anführen, in denen das jetzige Strafgesetzbuch die be-
hauptete Lücke gezeigt habe. Davon ist nichts geschehen. Der einzige von JoUy
angeführte Fall beweist das Qegentheil von dem, was er beweisen soll.
Im Uebrigen glaubt Redner, dass für die Fälle, die in Betracht kommen, von
viel grösserer Wichtigkeit der Strafvollzug, als die etwas längere oder kürzere
Strafe sei. Bei einem Gesetzentwurf über den Strafvollzug in Deutschland, der ja
noch aussteht, würden die Psychiater vor Allem ihre dessfallsigen Wünsche vor-
bringen können.
Ck>rTeferent Grashey (München): Der Antrag Professor Jolly*s stützte sich
auf die Annahme, dass wohl jeder Psychiater in seiner forensen Thätigkeit mne Lücke
des deutschen Strafgesetzbuches in der Znrechnungsfähigkeitsfrage würde gefunden
haben, dass die Gründe, die gesetzliche Bestimmungen über geminderte Zurechnungs-
flhigkeit hintan hielten, formeller und doctrinärer Natur gewesen seien, dass der Sach-
verständige im concreten Falle nicht blos Geistesstörung nachzuweisen habe, sondern
einen erheblichen Grad geistiger Störung, dass das deutsche Strafgesetzbuch keine
präcise Bestimmung über den zum Ausschluss der Strafbarkeit nöthigen Grad der
Erkrankung enthalte und auch keine Bestimmungen über die Fälle, in welchen zwar
psychiatrische Symptome nachweisbar seien, aber kein erheblicher Grad dieser Er-
scheinungen. J.'s Behauptung, dass nicht alle Fälle von Geistesstörung in gradueller
Beziehung einander gleichstehen und dass nicht alle eine gleiche forense Behandlung
erfahren dürfen, sei zweifellos richtig, unrichtig aber sei die Annahme, dass das
Gesetz eine klare Bestimmung über den Grad der Störung vermissen lasse. Das
Gesetz stelle den Grad der Erkrankung dadurch präcise fest, dass es den Ausschluss
der freien Willensbestimmung verlange. Daran müsse man festhalten und in jedem
Falle untersuchen, ob die in Frage kommende Handlung auch mit krankhaften
Symptomen in ursächlichem Zusammenhange stehe.
§ 51 des St.-G.-B. sei nur dann anwendbar, wenn dieser ursächliche Znsammen-
hang sich nachweisen lasse. Ein Erankheitssymptom, welches zu einem bestimmten
Beate nicht in Beziehung stehe, könne die Strafe nicht ausschliessen. Verfahre man
in dieser Weise, dann seien Bestimmungen über geminderte Zurechnungsfähigkeit
nicht nöthig und auch nicht zu befürchten, was unter der Herrschaft der geminderten
Zurechnungsfähigkeit leicht vorkommen könne, dass ein Mensch wegen ein und der-
selben Handlang erst gestraft und im Interesse der öffentlichen Sicherheit nach über-
standener Strafe auf unbestimmte Zeit in eine Irrenanstalt gesandt werde. Er bitte
daher, den Antrag J.'s abzulehnen.
Discussion.
Schäfer-Lengerich. Wenn Mendel erklärt habe, dass für die Zulassung
der geminderten Zurechnungsfähigkeit nur 44 Beate in Betracht kämen, so sei auch
das genug. Fragen, ob die jetzige Zeit zur Einbringung eines dahingehenden An-
trages opportun wäre, kämen nicht in Betracht; auch habe Mendel ja selber gesagt,
dass auch die Juristen sich über die Frage nicht einig seien. Den Fall J.*s habe
Mendel falsch aufgefasst.
Finkeinburg (Bonn) empfiehlt die Femhaltung juristischer oder Opportunitäts-
fragen aus der Discussion. Es bestehe eine thatsächliche Lücke und der Verein
müsse auf sie hinweisen und ihre Ausfüllung verlangen, gleichviel ob das jetzt opportun
sei oder nicht. F. wendet sich dann gegen die Ansicht Grashey's, als sei nur
— 544 —
dann Straffälligkeit yorhanden, wenn ein psychologischer Zusammenhang zwischen
That und krankhaften Symptomen nachzuweisen sei; das sei ein längst überwundener
Standpunkt, dessen Annahme zu Justizmorden führen würde.
Erafft-Ebing (Graz) weist darauf hin, dass in Oestreich generelle mildernde
Umstände (§ 50. Schwäche des Verstandes) im Strafgesetzbuche sich finden — und
sich in Fällen von geminderter Zurechnungsfähigkeit, die das Gesetzbuch nicht kennt,
durchaus bewähren. Die Ansicht Gräshey's vom erkennbaren psychologischen Zusammen-
hange zwischen Krankheitserscheinungen und That bekämpft er.
Grashey erwidert KrafiPt-Ebing, dass bei der Darlegung der Genese einer krank-
haften Handlung es darauf ankäme, ob der Betrefifende seinen krankhaften Impulsen
noch habe Widerstand leisten können oder nicht; nur im letzteren Falle sei die That
Ausfluss der Krankheit. Finkeinburg erwiderte er, dass man in foro sehr oft ge-
nöthigt sei, den Zusammenhang zwischen krankhaften Ideen und That klarzulegen
und dass es schlimm um den Fall stehe, wenn man das nicht könne.
Schule (lUenau). Eine Lücke in der Gesetzgebung sei allseitig anerkannt,
diese müsse ausgefüllt werden. Ob durch die Annahme verminderter Zurechnungs-
fähigkeit, oder durch die Ausdehnung mildernder Umstände auf alle Beate, sei ziem-
lich gleich. Er selber scheue sich vor dem Begriff der geminderten Zurechnungs-
fähigkeit nicht. Der Ansicht Grashey*s könne er sich nicht anschliessen, man könne
nie mit Bestimmtheit sagen, dass ein Zusammenhang zwischen Krankheitsideen und
Handlung nicht bestehe.
Die Versammlung nimmt darauf einstimmig die von Mendel beantragte Reso-
lution, in der auf Wunsch Schüle*s die Forderung nach Thatsachen noch etwas
schärfer hervorgehoben wurde, an:
Scharfe Grenzen zwischen geistiger Gesundheit und Geisteskrankheit bestehen
nicht Das Strafgesetz hat auf diejenigen Thäter einer strafbaren Handlung, welche
sich auf diesem Grenzgebiet befinden, billige Rücksicht zu nehmen. Thatsächlich
ist dies in dem jetzt bestehenden Recht bei einer Anzahl verbrecherischer Hand-
lungen nicht geschehen. Der augenblickliche Zeitpunkt scheint jedoch nicht ge-
eignet, an die zuständigen Behörden mit der Forderung auf eine Abänderung des
Strafgesetzbuches nach dieser Richtung hin vorzugehen. Zur endgültigen Ent-
scheidung über die Frage wird an die Mitglieder des Vereins die Aufforderung
gerichtet, einschlägige Thatsachen zu sanmieln und zu publiciren, welche die Lacke
der Gesetzgebung beweisen können.
2. Mendel: Beferat über den Entwarf eines bürgerlichen GtoBetzbuoheB für
das deutsche Reich.
§ 28. Eine Person, welche des Vemunftgebrauchs beraubt ist, kann wegen
Geisteskrankheit entmündigt werden. Hört der im ersten Absatz bezeichnete Zu-
.stand auf, so ist die Entmündigung wieder aufzuheben.
Den Fortschritt, welcher in dem § 28 gegen die bisher bestehende Gesetzgebung
liegt, zuerst hervorhebend, wendet er sich sodann gegen den Passus: welche des
Vemunftgebrauchs beraubt ist. Er weist nach, dass weder das Römische Recht
(mente captus), noch die späteren Gesetze, welche den Ausdruck aufgenommen, noch
die Commentare zu diesen Gesetzen, noch die Entscheidungen oberster Gerichtshöfe
erkennen lassen, was darunter zu verstehen sei. Die Philosophie giebt ebenfalls
keinen Aufschluss, der Sprachgebrauch des Volkes lässt auf die grösste Zahl der
Geisteskranken jene Bezeichnung nicht zu, die psychiatrische Wissenschaft perhorres-
cirt ihn. Er schlägt vor, zu sagen
principaliter; Eine Person, welche an einer Geisteskrankheit leidet, kann ent-
mündigt werden.
— 645 —
evoDtaaliter: Eine Person, welche wegen Geisteskrankheit nicht im Stande ist,
für sich oder für ihr Vermögen gehörig zn sorgen, kann entmündigt werden.
Ausser bei den Geisteskranken and den Verschwendern sollte auch die Möglich-
keit gegeben werden, die Gewohnheitstrinker zn entmündigen, eine Forderung, welche
anch der Juristentag soeben erhoben hat. Das entscheidende Moment, welches der-
selbe anf die „Gefährlichkeit'' des Trinkers legt, ist nach psychiatrischen Erfahrungen
viel zn eng.
Die „blosse Geistesschwäche'' sondert der Entwurf aus, er wül sie nicht als
Grund der Entmündigung zulassen und verweist sie auf § 1739 mit einer Pfleg-
schaft. Diese Auffassung ist, wie die über den mente captns, aus dem Fatuus des
römischen Bechts enstanden. Der Geistesschwache ist ein Geisteskranker, bedarf der
Vormundschaft.
Unzweifelhaft ist es Sache des Gresetzgebers, die Merkmale zu bestimmen, welche
nothwendig sind, um einen Geisteskranken als unter den besonderen Schutz des
Staates gehörig zu betrachten, und über ihn die Entmündigung zu verhängen, aber
die Merkmale müssen aus der zur Zeit erlangten wissenschaftlichen Kenntniss
der Geisteskrankheiten entnommen werden, nicht aus der dürftigen Psychiatrie der
alten Römer.
Vortragender wendet sich sodann zur Besprechung des § 64 des Entwurfs
(Geschäftsfähigkeit), hebt die correcte Auffassung der Lucida intervalla, welche
durch denselben geschaffen wird, hervor, bemängelt auch hier den Ausdruck: „des
Vemunftgebrauchs beraubt", und glaubt, dass, da hier die Geschäftsfähigkeit unter den-
selben Umständen (cf. Motive) aufgehoben wird, wie die Zurechnungsfahigkeit im
§ 51 des St.-G.-B., auch dieselbe Bezeichnung, wie an letzterer Stelle gewählt werden
sollte, also: Dasselbe gilt von einer Person, welche, wenn auch nur vorübergehend,
in einem Zustand von Bewusstlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistesthätig-
keit sich befindet, für die Dauer dieses Zustandes.
(Der Vortrag erscheint in extenso in der £ulenberg*schen Vierteljahrsschrift.)
Pelmann (Gräfenberg) hat nur über § 708 zu berichten, und zwar auch nur
in soweit, als er die Beschränkung* enthält, dass auch eine des Vemunftgebrauchs
beraubte Person f&r angerichteten Schaden verantwortlich gemacht wird, wenn der
Vemunftgebrauch durch selbstverschuldete Betrunkenheit ausgeschlossen war. In
dieser Beschränkung liegt etwas Neues, das wir als den ersten Schritt nach dieser
Richtung hin mit Freuden begrüBsen. Zu beachten ist einerseits, dass die Nicht-
Aufhebung der Delictfähigkeit durch Verschulden auf diesen einzigen Fall (durch
Berauschung) beschränkt ist und dass eine Delictsfähigkeit eintreten kann, wo die
Geschäftsunfähigkeit bestehen bleibt.
Auch bleibt anerkannt, dass ein intensiver Rausch an sich die Zurechnungs-
ßihigkeit aufheben kann, aber auch ein solcher Rausch entschuldigt nicht, wenn er
ein selbstverschuldeter ist.
Erafft-Ebing. Nach § 1440 des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches
für das deutsche Reich ist unheilbare Geisteskrankheit als Ehescheidungsgrund nicht
mehr zulässig. Früher war die Ehescheidung bei unheilbarer Geistesstörung zulässig
im Gebiete des allgemeinen Landrechtes, in Baden, Sachsen und Bayern. Der Ent-
wurf lässt Ehescheidung nur bei Verschulden des einen Theiles zu, also nicht bei
Krankheit. So ist es auch nach dem Code civil. R. erörtert dann die Verhand-
lungen, die in Frankreich in Bezug auf die Regelung dieser Frage stattgefunden
haben. Besonders sei hervorgehoben, dass die Prognose der Unheilbarkeit eine viel
zu unsichere sei. Auch England habe sich nicht zu Gunsten der Scheidung ent-
schieden. Die Motive des deutschen Entwurfes haben sich den mannigfaltigen Grün-
den, die fOr die Zulassung der Scheidung bei unheilbarer Geistesstörung sprechen,
nicht verschlossen, doch halten sie die Gegengründe für gewichtiger. Sie sind ausser
— 546 —
solchen rein ethischer Natur mehr formelle; beliehen sich vor allen auf die Unsicher-
heit der Prognose; dann nehmen sie auch an, dass das Bedflrfniss der betreffenden
ZnlassuDg nicht constatirt sei. Nach K. spricht ffir die Zulassung der Ehescheidung,
das sittliche und moralische Wohl des gesunden Theiles und der Kinder, denn un-
heilbare Geistesstörung sei nicht gleich zu achten körperlicher Erkrankung; gegen
dieselbe: Bücksichten auf das Institut der Ehe, humane Bücksichten auf den Kranken,
die Möglichkeit einer Speculation bei Eingehung einer Ehe mit geisteskranken Per-
sonen; vor Allem die Unsicherheit der Prognose. Besonders sei es schwierig eine
Zeitgrenze zu bestimmen, yon der an man die Kranken für unheilbar erklaren soll.
K. schlagt schliesslich die Annahme folgender Thesen vor.
1. Die projectirte absolute Ausschliessung der Geisteskrankheit als Ehescheidungs-
grund muss als ein Bückschritt bezeichnet werden.
2. Als relativer Ehescheidungsgrund und facultativ sollte die Geisteskrankheit
beibehalten werden.
3. Nur geistiges Siechthum und Untergang der früheren gesunden Persönlich-
keit bei sachverständigem Nachweis der Aussichtslosigkeit der Wiederherstellung und
nach 5j&hriger Krankheitsdauer sollte als Ehescheidungsgrund civilrechüich aner*
kannt werden.
4. Ist die Krankheit durch Verschulden des gesunden Ehegatten entstanden, so
kann sie kein Scheidungsgrund sein.
6. Sollte die Gesetzgebung keine Möglichkeit der Codification der Geisteskrank-
heit als Ehescheidungsgrund finden, so möge § 1440 nur körperliche Krankheit als
fehlenden Grund der Ehescheidung erwähnen. Damit bleibt dann die Frage wegen
Geisteskrankheit eine offene, dem richterlichen Ermessen überlassene, wie in England.
Eventuell könnte sie der landesherrlichen Entscheidung überlassen bleiben, gleich wie
andere, seltene im (besetze nicht vorgesehene Ehescheidungsgründe.
§ 1231 spricht aus, dass geschäftsunföhige Personen eine Ehe nicht schliessen
können. Das schliesst Ehen Entmündigter aus. Aber auch nicht Entmündigte können
eine gültige Ehe nicht schliessen, wenn ihnen zur Zeit der Schliessung derselben
„mangelnder YemunftgebraucV nachgewiesen wird. Besser wäre hier wohl das Kri-
terium der freien Entschliessung; denn eine Ehe kann ganz vernünftig sein, aber
ohne resp. sogar gegen den Willen des einen Theiles abgeschlossen sein.
§ 1232. „Eine Person, deren Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, bedarf zur Ehe-
schliessung der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters." Hier wäre bei Geistes-
störung (Imbecillität etc.) erwünscht, jedesmal zu constatiren, ob der betreffenden Ehe
keine ärztlichen Bedenken, speciell in Bezug auf die Nachkommenschaft^ entgegen
stehen und sie in diesem Falle zu verbieten.
§ 1259 enthält unter anderen die Anwendung auf solche Fälle, in denen dem
anderen Theile wissentlich z. B. periodische Psychosen oder Epilepsie, vieUttcht auch
conträre Sexualempfindung verschwiegen ist. In diesem Falle ist die Ehe ungültig.
Die Entscheidung wird hier nicht selten eine sehr schwierige sein, z. B. bei Epilepsia
nocturna.
Die Versammlung beschliesst nach längerer Debatte: Der Vorstand möge die
vorstehenden Verhandlungen, sowie etwa daran sich anschliessende Meinungsverschieden-
heiten, resp. die betreffenden Fragen illustrirenden Fälle, die an den Vorstand ein-
zusenden sind, möglichst bald in Druck legen und bis zur nächsten Versammlung
etwa für nothwendig gehaltene Schritte bei der Gesetzescommission selbständig thun.
3. Pelman spricht über die Ministerialverordnung vom 19. I. 1888,
die PrivatanBtalten betreffend. Da seit ihrer Veröffentlichung die Verfügung in
zahlreichen Verhandlungen besprochen worden ist und zu verschiedenen Veröffent-
lichungen geführt hat, so verzichtet der Vortragende auf ein weiteres Eingehen auf
— 547 —
die Sache selbst und richtet an die Versammlang die Fn^e, ob sie die Verfügung
ihrer Allgemeinheit nach für zweckentsprechend halte, oder ob sie der Meinung sei,
dieselbe führe zu solchen Missständen, dass ihre Abänderung dringend zu wünschen
sei. In der sehr lebhaften Discussion, an der sich Oebbecke, Ehrenwall, Nasse,
Bruns und Zenker betheiligten, erhob sich keine Stimme für die Verfügung, wenn
sich auch in der Schätzung des Grades der Unzuträglichkeiten für und wider ver-
schiedene Ansichten geltend machten. Die Versammlung war demnach einstimmig
der Ansicht, dass eine Abänderung der Verfügung anzustreben sei und sie beauftragt
den Vorstand, die dazu erforderlichen Schritte einzuleiten.
4. Finkeinburg (Bonn): Ueber Fhrenasthenie.
F. hält den Begriff der Neurasthenie, wie er heute gefasst werde, für einen zu
weiten, er will ihn enger fassen und zunächst einmal zwei Unterarten charakterisiren.
1. Erschöpfbarkeit der Arbeitsfähigkeit allein (torpide Form); 2. Erschöpfbarkeit der
psychischen Hemmungscentren (erethische Form). Die erste finde sich besonders nach
'Infectionskrankheiten und bei melancholischen und hypochondrischen Individuen. Sie
sei ziemlich reine Cerebrasthenie. Sie komme ausserdem hauptsächlich nach geistiger
Ueberanstrengung vor, während bei der erethischen Form meist noch Beizung der
emotiven Sphäre dazu kommen müsse. Letztere zeichne sich aus durch Mangel an Zu-
rückhaltung der Qemüthsbewegungen, Mangel der Selbstbeherrschung und durch starke
Betheiligung der vasomotorischen und spinalen Sphäre. Sexuelle Excesse führten
bei Männern mehr die erste, bei Frauen die zweite Form herbei. Bei der ersten
Form genüge die Femhaltung .der Schädlichkeiten, bei der zweiten müsse eine active
Therapie eingreifen, hier seien besonders die offenen Anstalten am Platze. Statt des
barbarischen „Cerebrasthenie*' empfiehlt F. den Namen Fhrenasthenie.
An der Discussion betheiligten sich Brosius (Bendorf), welcher die betr. Fälle
zur Melancholie rechnet und sie in die geschlossenen Anstalten weist, Knecht (Ucker-
münde) und Mendel. Der letztere glaubt» dass mit der Einführung der Neurasthenie
überhaupt ein Rückschritt in der Nervenpathologie geschehen sei. Die Thatsachen seien
ja selbstverständlich nicht zu leugnen, sie seien aber auch früher bekannt gewesen,
während man sich aber früher bemühte, die sog. functionellen Neurosen und Psycho-
nenrosen unter Hysterie, Hypochondrie, Melancholie u. s. w. gesondert zu betrachten,
habe man jetzt Alles zusammen in den grossen Topf der Neurasthenie geworfen. Die
zu lobende Methode Finkelnburg's, wieder zu sondern, würde uns dann allmählich
wieder auf den Standpunkt vor der Neurasthenie bringen.
5. Bumm (Erlangen): Experimenteller Beitrag zur Kenntniss des Corpus
trapesoides beim Kaninchen.
Die nach der Gudden'schen Methode vorgenommenen Experimente ergeben den
Zusammenhang der hinteren Wurzel des Acusticus mit dem vorderen (accessorischen)
Kerne, weiter centralwärts konnte eine Degeneration nicht verfolgt werden. Für die
vordere Wurzel ergeben Durchschneidungen dieser selbst, sowie Exstirpationen einer
Kleinhimhemisphäre, resp. des Wurmes den Weg im Corpus restif. zum Kleinhirn,
sowie eine Verbindung mit dem feinen, die Fortsetzung der inneren Abtheilung des
Corpus restiforme bildenden Fasemetze ventral vom Deiters*schen Kerne.
6. Wildermuth (Stetten): Untersuchungen über den Muaiksinn der Idioten
(mit Vorzeigung von Momentphotographien).
Die Mittheilungen waren das Resultat der Untersuchung bei 180 Idioten ver-
schiedenster Grade und 85 normalen Schulkindern. Untersucht werden Treffsicher-
heit, Harmoniesinn und Musikgedächtniss bei schwachsinnigen Idioten und Gesunden.
Danach werden die betreffenden Individuen in 4 Klassen eingetheilt. I = gut. IV == 0.
— 548 —
Bei Idioten Bei gesnnden Kindern.
1-27 7o 1=60 o/o
11=36 o/o n«27 0/^
m=26 0/^ m=iio/^
IV-llo/o IV=2 0/,.
Also ein relativ ^tes Resultat bei den Idioten.
Bei den Blödsinnigen konnte nur der Eindruck, den die Musik macht, im Mienen-
spiel constatirt werden; bei 25 von 30 war der Eindruck ein durchaus freudiger.
Bezüglich der Verhältnisse zur Aphasie ergab sich das bemerkenswerthe Resultat,
dass die kranken mit intellectueller Aphasie (Dysphasie) meist sehr musikaliscli
waren, während bei Kranken mit motorischer Aphasie der Musiksinn meist völlig fehlte.
Bei den Folgezuständen der infantilen Encephalitis (r. und L Hemiparese) war
Störung des Musiksinnes ohne gleichzeitige Aphasie nicht vorbanden. Bei sklerot^hen
Heerden war der Musiksinn äusserst gering oder fehlte ganz.
7. Jehn (Menig): Zweifelhalte Gtoisteesustftnde nach Kopfverletsung unter
BerüokBiohtignng der Haltpfliohtfrage.
Der Vortragende beschränkt sich auf diejenigen leichteren und inconstanten,
von den Praktikern meist verkannten (daher nicht im eigentlichen Sinne zweifel-
haften) Störungen, wie sie als Folgezustände von Eisenbahnunfallen in Deutschland
besonders von Oppenheim und Bernhardt beschrieben sind. Sie kommen auch bei
andern Verletzungen vor. Die Symptome sind meist psychischer Natur und der
Psychiater ist der richtige Arzt dieser Kranken. Von körperlichen Symptomen er-
wähnt J.: Schwäche resp. Parese des Facialis, Anomalien der Sehnenreflexe, Herab-
setzung resp. Erhöhung des Sexualtriebes, bedenkliche Störungen der allgemeinen
Ernährung, manchmal Albuminurie. Psychisch treten besonders geringe Arbeitsfähig-
keit, grosse Reizbarkeit^ geringer Widerstand gegen Alcoholica hervor; nicht selten
machen die Kranken den Eindruck leicht dementer und hypochondrischer Fälle. J.
bringt mehrere Beispiele und fordert die CoUegen zur Publication aller einschlägigen
Fälle auf.
8. Futh (Bonn): Ueber symmetrisohe AfDdotion der Qliedmaassen bei
Gteisteskranken.
Der erste Fall betrifift eine alkoholische Psychose. Es fanden sich Störungen
des Nagelwachsthumes und Abstossen der Nägel. Bemerkenswerth ist die Symmetrie
der Affection, sowie ihre Verschlimmerung congruent mit der Psychose. Der zweite Kranke
war ein Hallucinant, der schon früher häufig an flüchtigen Oedemen, localen Schweissen
etc. gelitten hatte. Er bekam später symmetrische Gangrän an den Händen. Die
Affection muss als eine nervöse angesehen werden. Es besteht auch nicht selten
locale Syncope resp. Asphyxie oder localer Ruber. Die Pulscurven der Radialarterie
deuten auf eine Lähmung der Gefässwände hin.
0. Brie (Bonn): Ueber plötsliohe Todesfälle bei Psychosen.
Verf. will die nicht selten rasch tödtiich verlaufenden Psychosen wie Delirium
acutum oder alcoholicum nicht mitbetrachten; auch nicht solche Fälle^ in denen der
plötzliche Tod die Folge wohl erkannter körperlicher Symptome war. Er erwähnt
nur solche Fälle, die vor ihrem Tode keine Zeichen körperlicher Erkrankung geboten
hätten. In allen den Fällen fand sich Fettdegeneration des Herzmuskels und Athero-
matose der Gefösse. Sie betrafen ungefähr alle Hauptarten von Psychosen. Schliess-
lich bespricht Verf. noch die Frage des Verbältnisses zwischen der Psychose und der
Herzkrankheit» ohne sich zu entscheiden, was man für das primäre halten müsse.
Die ausscheidenden Vorstandsmitglieder Schule und Grashey werden durch
Acclamation wieder gewählt.
— 549 —
Dia SeotUm für Neurologie und Psychiatrie auf der 61. Versammlung
deutscher NaAuforscher und Aerste.
Originalbericht von Dr. Nissl.
Sitzung am 19. September 1888. Ycnrsitzender Hofrath Meynert.
Bastelberger (Eichberg) spricht über Technik und Werth mikrophoto-
graphischer Präparate, besonders des Centralnervensystems. Bei Ausführung
der Photographien empfiehlt er besonders das nasse Vorfahren. Vortragender betont
fürs Erste den objectiven Und zuverlässigen Gopirapparat in der miln'ophotographischen
Kammer, durch welche es möglich ist, bald vergängliche Präparate zu fixiren. Zweitens
legt er Werth auf die MÖglichlseit, exacte Messungen anzustellen, wenn man das
Ocularmikrometer mit photographirt. Drittens schlägt er vor, den Versuch zu unter-
nehmen, ob es vielleicht nicht gelänge, mit Hülfe der Mikrophotographie eine weitere
morphologische Differenzirung von Geweben des Centralorgans zu erzielen, die uns
jetzt noch homogen erscheinen. Redner denkt sich dieses in der Weise, wie z. B.
beim Photographiren ganz verblasster Stellen in Handschriften, wo es manchmal ge-
lingt, die Schrift deutlich zu erhalten, indem durch Beste des verblichenen Farb-
stoffes noch die für das Auge unsichtbaren ultravioletten Strahlen reflectirt werden,
die die photographischen Platten stark afficiren.
In der Discussion empfiehlt Mies (Köln) bezüglich des 2. Punktes Schemata
mit Absdssen und Ordinaten sowie mit eingezeichneten Badien und concentrischen
Kreisen zu benützen.
Schnopfhagen (Linz a./D.) erörtert in seinem Vortrage über Faltung der
GroBShimrinde, dass die Projections- nnd Associationsfasersysteme vollständig ge-
sondert in die Binde eintreten und zwar in der Weise, dass erstere, welche die
innersten Blätter, den Kern des Marklagvrs bilden, die Kämme der Windungen für
sich in Anspruch nehmen, während letztere nur im Windungsgebiete der Furchen
sich verbreiten und zwar in der Weise, dass die langem Fasern die oberen, die
kürzeren die tieferen Partien dör Furchen in Anspruch nehmen. Diese anatomische
Vertheilung der Fasern ermöglicht es, eine plausible Faltungstheorie aufzustellen,
dahin gehend, dass die radiär aus den Ganglien in die Binde einstrahlenden Pro-
jectionsfasem bei ihrem Wachsthum naturgemäss die von ihnen besetzten Binden-
gebiete zu Wülsten emporheben, die schliesslich zu den vollendeten Windungen sich
herausbilden unter Mithülfe der Associationsfasem, die längs der Furchenthäler am
allerkürzesten sind und daher nur eine geringe Wachsthumsenergie zu Wege bringen,
als Folge deren auch der Furchungsschnitt entsteht.
Bruns (Hannover): Multiple Himnervenlfthmung nach Basisfractur. Ein
Beitrag aur Frage des Verlaufe der Q^schmacksnerven«
B. beschreibt einen Fall von Basisfractur mit linksseitiger partieller Lähmung
des Oculomotorius, totaler des Trochleans, Abducens und des sensiblen und motoriBchen
Quintns (Anästhesie im ganzen Gebiet für aUe sensiblen Beize, Keratitis neuropara-
^ca, totale Kaoimiskellähmiug mit Verlust der faradischen Erregbarkeit), r. bestand
leichte Abdaceoi^arese xmd totale Lähmung des Facialis mit Entartungsreaction distal
vom Ganglion genicolL Leichter oontundirt war auch der rechte Opticus. Die
übrigen Himnerven special auch die Glossopharyngei iatact. Keine Zeichen cen-
traler Läsionen.
Die mit allen Cautelen ausgeführte Geschmacksprüfung ergab: totale Hemiageusie
vom und hinten auf der Zunge und am Gaumensegel für alle Geschmacksarten, r. auf
der Seite der Facialislähmung, vollständiges Erhaltenbleiben des Geschmackes 1. auf
der Seite der Trigeminoslähmung«
— 550 —
B. hebt zunächst die Durchsichtigkeit seines Falles in pathologisch-anatomischer
Beziehung hervor; derselbe lasse wohl kaum eine andere Deutung zu^ als die einer
totalen Zerstörung sowohl des Quintus 1. wie des Facialis r. Er erläutert dann an
der Hand der hauptsächlichsten neueren Hypothesen über den Verlauf der Geschmacks-
nervenfasem, dass keine derselben die Störungen in seinem Falle erklärmi könnte.
Am ersten wäre dazu noch die Ynlpian'sche Ansicht im Stande (jA^t Intermedius
ist Oeschmacksnerv und bleibt im Facialisstamme bis zum Gkmglion geniculi resp.
bis zur Chorda tympani'O» wenn man auch die zunächst im Glossopharyngeus ver-
laufenden Geschmacksfasem der hinteren Znngenhälfte durch den Plexus tympanicus
in den Facialis übergehen Hesse. Doch will B. keine neue Hypothese aufstellen; er
stellt nur seinen Fall zur Discussion, um zu beweisen, dass die Yerlaufsart der Ge-
schmacksnerven keineswegs so sicher constatirt ist» wie man nach den meijsten deut-
schen Lehr- und Handbüchern annehmen sollte, was ja übrigens ausser älteren Be-
obachtungen auch die von Gowers, Dana und Vulpian, allerdings im anderen Sinne,
wie die B.*s beweisen.
Gk>ld8t6in (Aachen) spricht über 2 Fälle von complicirter Fraotor des
Sohlftfenbelns, bei denen eine grosse Quantität Himmasse verloren ging. In beiden
Fällen befindet sich die Fracturstelle oberhalb des Jochbeins linkerseits. Das wich-
tigste Symptom war in beiden Fällen eine absolute motorische Aphasie. Vortragender
stellt beide nun geheilte Kranken vor. Im Anschluss daran erwähnt er noch einen
Fall von Himabscess, der an derselben Stelle etablirt und von ihm diagnosticirt war,
wie die Trepanation bestätigte. Der Kranke starb 4 Wochen nach der Operation
an den Folgen des dadurch entstandenen Gehimprolapses. Redner behält sich die
ausführliche Beschreibung dieser Fälle vor.
2. Sitzung am 20. September. YoraitKender Prof. Arndt (Greifswald).
Der Vortrag von Prof. Steiner (Heidelberg) über Pathogenese des Krampfee
(der einen Theil einer bald erscheinenden Arbeit behandelt) lässt sich in Kürze nicht
wiedergeben. Im Wesentlichen erörtert der Redner, dass die Krämpfe, die man einer-
seits vom Hirne, anderseits vom Bückenmark ausK^sen kann, wohl von einander unter-
schieden werden müssen. Er behandelt nur die ersteren. Redner postulirt^ dass
man den Punkt des Grehimes kennen lernen müsse, von dem S[rämpfe insbesondere
epileptische Krämpfe ausgelöst werden können. Um diesen Punkt zu finden, müsse
man von den niedem Thieren (Amphiozus lanceol.) zu den hohem experimentell
arbeitend vorwärts schreiten. Diesen Weg einschlagend kommt Redner zu dem
Resultate, dass es einen Punkt giebt, wo sämmtliche Nervenfasern des Muskelappa-
rates einmünden. Er nennt diesen Funkt das allgemeine Bewegungscentnun. Vor-
tragender meint» die Zwangsbewegung sei eine Function dieses allgemeinen Bewegungs-
centrums. Beim Säugethier liege es bereits im Grosshim. Wie die centralen Functionen
überhaupt in der Thierreihe vom Mittelhim zum Grosshim wandern, so sei dieses
auch der Fall beim allgememen Bewegungscentram.
Nisal (München) spricht über den Ztuiammenhang Ton SSellstractor und
Zellfünetion in der centralen Nervenselle. Redner erörtert, dass bei den cen-
tralen Nervenzellen, wenn man sie nach der von ihm angegebenen Methode behandelt
(Vorbehandlung mit Alkohol und Tinction mit einer wässrigen Lösung einer bestimmten
Anilinfarbe [Magenta]), viele Formen von Zellstracturen vorhanden sind. Aus dieser
grossen Grappe von ZeUstmcturen kommt eine derselben gesetzmässig und ausschliess-
lich in allen motorischen Nervenkemen und im Vorderhom des Rückenmarkes vor
und zwar wurde sie bis jetzt beim Kaninchen, Hunde, Katze und beim Menschen
constatirt. Diese Zellen haben einen ganz bestimmten, eigenartigen inneren Bau und
— 551 —
untersclieiden sich deatlich darch ihre Structur von andern Zellformen, die an Orten
zu finden sind, die niemals motorische Functionen auslösen, z. B. im Centrum des
Olfactorius, des Opticus, im sensiblen Quintuskem, im Acusticuskem, im Hinterhom
des Bflckenmarkes. Die histologischen Structuren der hier vorhandenen Formen, die
Bedner nur gemeinsam im Gegensatz zu den ersterwähnten Structurformen beschreibt,
bieten deutliche in die Augen springende Verschiedenheiten, die sie unschwer von
den Structuren der Zellen in motorischen Kernen unterscheiden. Aus diesem Befunde
glaubt Bedner den berechtigten Schluss ziehen zu dürfen, dass letztere Structurformen
mit motorischen Functionen in Zusammenhang zu bringen sind. Conseqnent schliesst
er sodann weiter, dass man auch dann diese Formen mit motorischen Functionen in
Beziehung bringen dürfe, auch wenn sich derartige Zellen nicht an sicher festge-
stellten motorischen Orten zeigen, z. B. in der Grosshimrinde des Menschen. Bedner
demonstrirt diesbezügliche Präparate, deren detaillirte Beschreibung vorausgeschickt
wurde.
Nach Schluss der Sitzung Besichtigung der Irrenanstalt Lindenburg.
3. Sitzung am 21. September. Vorsitzender Medicinalrath Dr. Sander.
Prof. Arndt (Greifswald) spricht über Othftmatom. Vortragender tritt der
Ansicht entgegen, dass das Othämatom ausschliesslich als eine Folge roher Misshand-
lung von Seite der Pfleger aufzufassen sei, sondern hält es für die Folge einer Er-
nährungsstörung, auf Grund deren freilich das Othämatom in fast allen Fällen durch
ein Trauma und zwar selbst durch ein ganz leichtes Trauma (z. B. Beiben an der
Goncha) in letzter Instanz hervorgerufen wird. Bezüglich der Ernährungsstörung
handelt es sich um ein anatomisch verändertes Gewebe im Sinne Ludwig Meyer*s.
Bedner will durch seine Ausführungen die Anklage gegen Anstaltsärzte und Pfleger,
als seien in jedem Falle von Othämatom rohe Misshandlungen die Ursache, entlasten
— eine Ansicht, die namentlich von den Chirurgen getheilt wird. Vortragender er-
wähnt eines Falles von idiopathischem Othämatom. Was die Behandlung der Othäma-
tome anlangt, empfiehlt Bedner conservative Therapie. Zum Schlüsse werden Zeich-
nungen mikroskopischer Präparate, femer Gypsabgüsse von Othämatomen gezeigt.
Das Besum^ aus der sich an den Vortrag knüpfenden Discussion lässt sich dahin
zusammenfassen, dass gerade die Ueberzeugnng, dass das Othämatom als Folge von
grob traumatischen Einwirkungen aufzufassen sei, ungemein segensreich in Bezug auf
die praktische Irrenpflege gewirkt habe. Man verdanke es Gudden, der diese Auf-
fassung zuerst aufstellte, dass die Othämatome fast gänzlich aus den Irrenanstalten
verschwunden seien. Man müsse deshalb in der Praxis an dieser Ansicht festhalten.
Dass eine gewisse Prädisposition zum Othämatom beim Paralytiker vorliege, ist schon
deshalb anzunehmen, weil Epileptiker, die doch vielen traumatischen Einflüssen aus-
gesetzt seien, selten Othämatome bekommen. Laudahn (Köln) erwähnt ausserdem
noch 2 Fälle von Othämatom ohne nachweisbare Ursache.
Mies (Köln): Ueber das Gtohimgewioht neugeborener Kinder.
Vortragender sagt, dass die Ergebnisse verschiedener Forscher über das Gehirn-
gewicht von einander abweichen, ja sogar sich widersprechen. Dies rührt her von
der Berücksichtigung unbrauchbarer Fälle und von der geringen Verwerthung der
Beobachtungen. Oft findet man nur das geringste, mittlere und höchste Gehimgewicht,
zuweilen sogar ohne Angabe der Zahl der Beobachtungen. Das Verhältniss zwischen
Gehimgewicht und Körpergewicht, sowie das bei fast immer mehr oder weniger
abgemagerten menschlichen Leichen zuverlässigere Verhältniss zwischen Gehimgewicht
und KörperläDge wurden vielfach ausser Acht gelassen.
Eine bessere Verwerthung der Fälle zeigt Vortragender an dem Gehimgevrichte
neugeborener Kinder. Das mittlere Gehimgewicht von 203 lebend neugeborenen,
— 552 —
ausgetragenen Kindern ist 339,35 g. Darunter befinden sieb 21 noch nicht Ter-
öffentlicbte Fälle, welche Vortragender der Gflte des Herrn Obermedicinalratfas von
Volt verdankt. Die übrigen F&lle sind aus der gesämmten Litterator zusammenge-
stellt. Nur bei 148 Kindern ist das Geschlecht angegeben, nämlich bei 79 Knaben
und €9 Mädchen. Erstere haben ein mittleres Gehimgewieht yon 339,25 g, letztere
von 329,99 g. Das mittlere Gehimgewicht der Knaben ist also 2,73 ^/^ schwerer
als das der Mädchen.
Die durch einige geringe oder hohe Angaben leicht beeinflussten Mittelzahlen
haben aber viel weniger Werth als Mittelgebiete, d. h. die Abgrenzung von Gebieten,
innerhalb deren eine verhaltnissmässig grosse Zahl von Beobachtungen sich einreihen.
Zur Beslimmung der Mittelgebiete gebraucht man die einzelnen Beobachtungen. Kur
bei 77 Neugeborenen fand Vortragender das Gehimgeincht einzeln angeführt Von
diesen 77 Fällen hatten 21 oder 27,27 ^/o Gehirne, die 370 — 399,9 g wogen. Das
Mittelgebiet des Gehimgewichts der darunter befindlichen Knaben liegt tiefer, ist
ungünstiger als das der Mädchen. Das mittlere Gehimgewicht dieser 77 Fälle ist
nur 361,33 g, so dass ein 385 g schweres Grehim eines neugeborenen E[indes diesem
mittleren Gehimgewieht gegenüber mehr als mittelschwer erscheint^ während ee in
der Mitte des Mittelgebietes liegt.
Um die zur Berechnung des relativen Gehimgewichts unbrauchbaren Fälle aus-
zuschalten, müsste man zuerst das Mittelgebiet des Körpergewichts und der Körper-
länge neugeborener Kinder kennen, Mittelzahlen genügen nicht. Das Mittelgebiet lies
Verhältnisses zwischen dem Gehimgewieht und Körpergewicht (auf 1 g Gehimgewieht
bezogen) lag zwischen 7,5 und 8,5; d. h. auf lg Gehirn kamen 7,5 — 8,5g Körper.
Das Mittelgebiet war bei den Knaben günstiger als bei den Mädchen, vielleicht weil
die Knaben atrophischer als die Mädchen waren. Denn bei grosser Körpergewichts-
Abnahme nimmt das Gehimgewieht viel weniger ab. Das Mitt^lgebiet des Verhält-
nisses zwischen Gehimgewieht und Körperlänge lag zwischen 1,225 und 1,375 mm;
d. h. auf ungefähr 1^^ — 1^/3 mm kam lg Gehim. Die auch hier günstigere Stel-
lung der Knaben ist wegen der geringen Anzahl der Fälle noch nicht bewiesen.
Zum Schlüsse empfiehlt Vortragender das Verhältnias zwischen den (durch Ver-
drängung 4^0. warmen, destillirten Wassens bestimmten) Volumina des Gehirns und
Körpers zu berechnen. Dividirt man dann die auf lg Gehim kommende Köiper-
masse durch das auf ein Kubikcentimeter Gehim kommende Körpervolum, so erhält
man einen Quotienten, welcher angiebt, wie viel das spedfische Gewicht des Körpers
betrüge, wenn das specifische Gewicht des Gehirns gleich 1 gesetzt würde.
Samelsohn (Köln) spricht über eine seltene Affection des Sympathicns.
Die Details dieses Vortrags werden denmächst veröffentlicht.
Schluss der Sitzungen,
IV. Personalien.
Unser verehrter Mitarbeiter Herr Prof. Dr. Fr. Schnitze in Dorpat wurde zum
Prof. ord. und Director der med. Klinik in Bonn berafen und hat den Buf angenommen.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Heransgeber wird gebeten.
Einsendimgen für die Bedaction find zu richten an Prol Dr. £. Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20.
Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzgbb ft Wimo in Leipzig.
NeurologischesCentralblatt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geistesicranicheiten.
Heraasgegeben Ton
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter »boüii. Jahrgang.
MonaÜich exscheineii zwei Nmnmeni. Preis des Jahrganges 20 MarL Zu beziehen doroh
alle Bachhandlangen des In- and Aaslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direet von der Yerlagsbaohhandlang.
.; I '. : Tl.-' ■•■ VT ■'•' TT—T— r
1888. 15. Oetober. No:20.
Inhalt. I. Orlginalmltthenungen. l.üeber den Einfinss der Hirnrinde auf die Speichel-
aeeretion, Yon F^of. Dr. W. Bochtarew and Privatdocent Dr. N. Mlslawt ky. 2. üeb^ die Un-
gleichheit der Kniephänomene bei Tabes dorsalis» Yon Dr. 8. Goldflam (Schlass).
II. Referate. Anatomie. 1. Zar Frage Über den Ban des hinteren Längsbündels, Yon
lahowMko. 2. Sa aloani miglionmenti deUa tecnica della reazione al nitraio d'argento nei
centri ^ervosi per ottenerla sa pezzi di grandi dimensioni, pel Martlnoitl. -r- Experimen-
telle Physiologie. 8. üeber die VerandeniDgen des Centrainer vensystems in Abhängig-
keit von künstlich erzengter Hyperämie, von Kusnazow. 4. Inflaence des ezcitations simplea et
^Ueptog^nes .dn cerveaa sar Tappareil oircalatoire, par Fran^ols-Franck, 5. Ueber das Cen-
tnim ano-vesicale, Yon Rotenthal. 6. üeber eine Eeflexwirkang anf die Athmang bei Bleiznng
der ComearAeste des Trigeminns; Yon Qflttmann. — Pathologische Anatomie. 7. Les
Porenc^phalies, aar Audry. 8. Solle granalazioni deirependima» pel Baron^inl. 9. Beitrage
ZOT Maskelpathologie, Yon Krauss. 10. Veränderangen im Rückenmarke des Menschen nach
.nmiter Arsenveigiftcuig, Yon PopolT. — Pathologie des NerYensystems. 11. L'oj^-
thalmopl^e externe et les paralysiea des nerfs moteors balbaires dana leors rapporta ayeo
le goitre exophthalmiqtie et rhysterie, par Ballet. 12. Ophthsjmoplegia externa partialis, by
Slirr. 18. Notes of Ayo cases of Ophthalmoplegia, by Saguln. 14. Acnte compkte Aogen-
moskellähmang, Yon Thomsen. 15. Basale and oacleäre Aagenmaskellahmangen, Yon Berq-
hard. 16. Ophthalmoplegia externa. 17. Ophthsdmoplegia externa dae to Aloohol, by SimA-
ling. 18. Moltiple Sklerose bei 2 Knaben, Yon Westphai. 19. ProgresalYe ünskelatröphie,
yon Hitzig« 20. H^miatrophie cong^nitale de la langae, paralysie sp^tiqae des extr^mitös
inflrieores, üär Prancotte. 21. Observation de myopathie progresslYe primitive ä type fado-
-Kapolohamoral» par Spillmaim et Haiislialtar. 22. Hemiatrophia üftdalis progressiva, ron
Bachterew. 28. De la paralysie faciale des noavean-n^, par Stephan. 24. De la paralysie
faciale tardive dans les fractores da rocher, par Demoulln. 25. Contribato alle stadio della
localizzazione del riflesso patellare nel midollo spinale, pel Fornario. 7- Psychiatrie.
26. Cocain and Morphinismos, von Oberstsiner. 27. Üeber die Psychosen in der ^nzelhaft,
▼OD Kim, 28« La CatatoHie^ par 8<gUs et . Chailin. 29. Ueber KatatoDie^ yon Taaiburlnl.
SO. La gaarigione della pazzia . cronica» pel Gucci. 81, M^galomani^j; mort sabite par. rap-
tare ad coear, par MeTlhon.
Hl. Varmischtet.
Bariefctigung.
. tm^mmimmmmmmmmtkmmt^^mmtmmmmmmmm^t^mi^^mmm^m*'
L Qrlginalmittlieilungen«
- ►
iä '■
1. Ueber den Binflnss der Hirnrinde ftnf die
, i .'. j r i. 1 SpeicheJsecretioii, . fi
von Prof. Dr. W. Bepllterew'iind Pnvat-Dacent Dr.'Ä, Mislawsky.
üeber die Innervation 'der Spei6beldrd8e& säitmc^ d^^^!BErnnnde ha^^ wir
bis jetzt nur spärliche Eenntniss. Die ersten poätFVoh Ai^tien • tber den Ein-
82
T' l y
554 —
• *
&iss { 'b^fltiiiQiier Efezirbe fier Hirnrinde atif 4^e j^i^bettbaoaieintng! fiddeB mr
bei Lepine und Bochefontactb.^ Diese Autoren überzeugten sich, dass Reizung
3er -Toräereit Abschnitte der Hemispbärea mittelsi 'dnes sdliwackeil Saromtt
SpeiQhidtibsoiuiQntiig aäs-dien BttbmaziUaEdrfiseir hervorraft; häofig wird auf der
der Beizung entsprechenden Seite der Speichel in grosserer Menge abgesondert,
als auf der entgegengesetzten; der abfressende Speichel ist hell, durchsichtig
und bietet, laut der Bßinerbuiqr.derg^snnteai 4ntor«9ii| alle Eigentiiümlichkeiten
d^ «ü& den bei Beizung der Corda tympani abgesonderten Speichel kepcBeiohnfliL
Mit der Durdischneidung des genannten Nerven hört zugleich auch die durch
Eeizung der Hirnrinde herbeigeführte Speichelsecretion auf. Auf Grund ihrer
Untersuchungen geben die beiden Autoren keine abschliessende Antwort auf die
Frage; ob es in der Hirnrinde solche Punkte giebt, deren Beizung in der er-
wollten Beziehung besonders wirksam w&i-e. Ihrer Meinung nach wird Speiebel-
absonderung hervorgerufsn durch die Erregung sammtlicher Punkte L der nn-
ioittelbar hinter dem 8u)ö. cmciatus liegenden^ Begioli, '2. der Begioni weldie
sich von der genannten Furche nach vorw9;rt8 bis zum Lobus olfactorius erstreckt
md 8; der ?0n dem Sole, crnäatus nach abwärts liegenden Begion. Die Oo-
dpitalregionen dagegen haben in der fraglichen Beziehung einen sehr schwachen»
oder gar nur einen zweifelhaften Skiflass.^
In ihrer Mittheilung berücksichtigen die genannten Autoren auch die Ex-
perimente TOB KÜI4Z,' welcher bei eiaer in kurzen Zeitzwischenraomen wieder-
holten Beizung des Hitzig'schen Facialisceptrum keine Steigerung der Speichet-
secretiom aus den Submaxillardräsoi gesehen hatte. Gegenüber diesen Angaben
voii EüLz vertreten Böchefontaike und Lepimib die Ansicht^ dass der die
Speichdjsecretion beeinflussende Bindenbezirk sich von den vordersten Theilea
der Hemisphären nach rflckwärts bis einschliesslich des Hitäg'schen Fadalis^
eentrum erMrecke.
Es ist übrigens nicht überflüssig , hier noch beizufSgen^ dai^ Eülz söwoU
•wie auch Bbaun^ bei länger anhaltender Beisong der obeii erwähnten Binden-
^ Ia^inv». BpcHBFONTAura, Qaz, m^. 1875. .
' - "In einer meiner späteren Arbeiten gkibt Bo<»SFÖNfAiKB (Areh. de phy». norm. elpAlK.
1S76. p. 16 ij die Begionen der Hirnrinde genauer an, welche SpeicheUecretion henrorrafeo.
Seinen Experimenten znfolge sind die Ferrier'Bchen Pankte 1, ^, 8 and A (]U^sh der Zeich-
nung Ton Cabyillb und Dübet« Tgl. Arch. de phys. 1875), gleichwie der d«m FmMT'achen
Puiiktti'4"gegeull[ieiliegcune, hinter" den* 3ulcitB ciuviAiiu getegene "srnnit bbb veseinen' wira*
sam anzusehen. Etwas schwächer wirken auf die Speichelsecretion, zufolge BocHSFOirnnB,
die unmittelbar tot dem Gyr. sigmoideus liegenden Windungeif, gleichwie der dem Lob. ol«
factorius anliegende, supraorbitale Theil des Stimlappens. Ausserdem wurde in den Experi-
menten des. genannten fieobaehtarsSpeielMlaeQiftaettTielmakdiMvhMräig;^
Punkte 11 und 15 hervorgerufen und in zwei Fällen endlich erzielte der Autor eine merk-
liche Steigerung der Secretion aus der Submaiillardrtbe mit Hfilfe der Faradisation der
äusaereo-pbercn .und der änsseren-mittlereu Windungen (ciropuTo^i^t. ezte]::ne supdrieure et
externe ^oyenne), welche hinter den Ferrief'schen Centren 10 und 17 gelegen sind.
^ Kfli.2. Centnffl)]. L d. med« WisaeBaob. I815r p« 419. .
.[ *:lteKaAM)'» BritiMe. VIL «.
— 565 —
Tegion eiDe tob Anergischef BpeiebelseeTeiäon begleitete, sUrke Cott«
traction der Gedchtsmuskeln wie auch benachbarter Muskelgrappen beobachteten.^
TTnsere Sipemiiente wurden an oaratnirteti 'HmrdeDf ani^fAhtti 'denen
ßta^iB in die Wharton'scbön Gange/ in ihekreren l!zpenttie»teii aber aneseiteitf
noch deiche in den Btenon'sdien Gang« eiiigef&hrt waren« Tixet Beg&Mnm^dei
Speiehelstoetiom warde der Bpeiohd entweder in gradiai»n Glaeqylifidcan ixxP
getegieni an dessen Theänngen d«in die Qnantittt des binneii jeder litmrfi
abgesonderten Speichels abgelesen Wurde, oddr es wiirdeki die an» jeder dev
CamBen; lffind>Menden Tiepffan ge^ahtt; Die' letztere Me&ode' wandten wi^
fibfigens w^ seltener an, als die ersMbesekriebene. • ^ :. ' .;
Den Sehadel erdfiheten wir in nnseieil Yereoeben Jedesmal bi gtosser Äxa^
debauBg, nm datin die TecBchiedenen^ Punkte d^ Hbnobevflftobe nach einande»
btnäobtliab ihres EiaAussee auf die Spdcheiseeretiott zu fMeä. Zb diesem; Bs^
Imfe wurde mittdrt zweier nahe bei einander lisgenden Nadelelekirodeii ei»
eebwacher Strom, von der seeuadfaen, BoU» des du BoiSfBejbinniid'aehtfn 8driitlS0<
apparates dem betreffenden Punkte zugeleitet
I
;. t .,
vr
Aus unseren Versuchen. is)| erae^tliob, dass dßij^iga lieil d^c Tiertea Ur-
windung, welcher oberhalb der Sjlvi'sc)ien Furche und nach vom von derselben
liegt (s. A auf beigefügter Figui); betreffe der Speichelsecretion aus der Sub-
maxillaris am wirksamsten eflichiiuib YW/dctti gemmnten Himtheile aus ge-
lingt es, die Speichelsecretion mit Hülfe so schwacher Ströme hervorzurufen,
welche, an anderen Regionen der Hirnrinde angewandt, in betreffender Bezieh-
tnftg^'^vdläg wiittingdos erscbeitien. Webiger scharf aüsgesptt)c{ieik uhd nAr bei
etwas starketetis SliK>me faervertr^tend i^ der ffi^fluss, den der ganze vtfrdete
(nach vom von dem Sulc. cmdatus . gelegene) Abschnitt des Gyrus sigmoides,
sowie der äussere Theil des hinteren Abschnittes der genannten Windung, die
Wdereii IRieife * d^ zweiton und dritten tfrwindüng tmd tbeQweise auch nach
tmten von Äer; %hri^sbheii futehe liegende Abschnitt der tier^n'TTrwihdung
(s. B auf beigefegtdr Rgür) in der ÄügHchen Beziehung Äussern (die ÖteTle der
ZWidmung). ^ . " ' . .. .
Was die SpeibfieKecretiott aus der Parotis 1)etiifff> so äusserte sie sich in
^aiiUi^*^»««*kJaI
Dkr Teatt^ wardiii a» Viiiid^h öittd Naiicoie angett^nt-
32
— 656 —
miseren yersa(dien nur bei Beizung des oben erwähnten Abschnittes {J) der
vierten XJrwindung.
. Der Yordeiste Absohnitt der Hemisphären, namentlich der Stimlappen blieb,
trotz der gegentheiligen Angaben Ton Lepinb und BöOHBFOxrTAnray in unseren
Experimenten stets ohne merkliche Wirkung auf die Speiehelsecrelian. Ebenso
wirkungslos erwies sich gewöhnlich aach die Reizung der hinteren Abschnitte der
Hemisphären (der parietalen, ocdpitalen und des grössten Uieiles der tempo-
ralen Regionen der Hirnrinde). In einigen Experimenten folgte zwar auf Bdzang
der mehr nach rückwärts liegenden Hemispbärenabechnitte eine Termebrte Secre-
tion aus den SubmaxillardrüseU) allein es waren hierzu stets stärkere Staröme
erforderlich und auch in diesen Fällen trat die Secretion erst um vieles spater
eüXf als in den Yersudien mit Reizung der vorher erwähnten Bezirke der Him-
oberfläche. Die Speicbelabsonderung ging in unseren Versuchen gxdsstenüieils
auf der der Reizung entsprechenden Seite starker vor sich, als auf der ent-
gegengesetzten, obwohl wir in einigen Yersudien die umgekehrte Wirkung er-
hielten.
Was die Eigenschaften des von der Submaxillaris abgesonderten Speidiels
anlangt, so war letzterer bei Reizung der oben angegebenen wirksamen R^onen
der Hirnrinde stets dünnflüssig und zeigte alle Eigenthümlichkeiten des Chorda-
Speichels. Und in der That, die Durchschneidüng der Chorda tympani bewirkt
völlige Sistirung der Speichelabsonderung auf der operirten Seite. Dagegen
äusserte die Durchschneidung des Sympathicus in unseren Experimenten nicht
den mindesten Einfluss auf die Speichelabsonderung. Indess muss hier bemerkt
werden, dass die Sympathicusreizung bei Hunden überhaupt nur geringe Speichel-
secretion hervorruft.
Kasan, Juli 1888.
2. TIebfer die Ungleichheit der Klniephanomene bei
;1[abes doraalis.
Von Dr.; 8k GMdflaoi in VlTarsehan.
(SchluBs.).
• . Folgender Fall, zweifelloser .Tabes beweist, dass die Ungleidiheit der Enie-
phänomene ein Ueb^angssjinptom zu deren völligem j^rloschen bildet
' Fall ÖL [.',/'[' , ;\
Theophil B., 42 Jahre alt, kam im September 1883 in die Klinik. Vor
drei Jahren verspürte ex d^n Anfaiig des. jetzigen Leidens ,^ nämlich eine
Schwäche im Kreuze, die lait ^einer SchwerbewcgUchkeit der Wirbelsäule, und
Schmerz zwischen den Schulterblättern einherging. Er führte diese Symptome
auf Strapazc^n während einer Wagenreise zurück .uiid musste d^uial^ eine
Weiche im Bette liegen. Nach einigen Monaten fiel ihm sein ungeschickter
Gang auf, er merkte, dass. £iein.fW.imfSträi^ Diese
— 557 —
Stöningen wurden allmählich grösser, so dass er schon vor einem Jahre zum
Stocke Zuflucht nahm und das Gehen ihm überhaupt schwer wurde. Bald ge-
sellte sich Blasenincontinenz, zuerst bei Nacht, dann auch am Tage bei jeder
Muskelanstrengung und selbst beim Stehen, der Stuhlgang wurde sehr trage.
Im Februar 1883 litt er an starkem Brennen in den Handflächen, an Schlaf-
losigkeit^ was den ganzen Sonmier üihielt und erst mü&ngst vorbeiging. Während
dieser ganzen Zeit sass er im Lehnsessel, denn im Bette steigerte sich das Brennen
in den Händen und auch in den anderen, mit den Bettdecken sich berührenden
Hauttheilen. — Seit 16 Jahren ist er verheirathet, hat 9 Kinder, ron denen 5
am Leben sind (das jüngste zahlt 6 Jahre), venerische Krankheiten hat er nie
gehabt. Yor 10 Jahren hatte er dem Bacchus während 8 Jahren stark gehuldigt^
später trank er nur wenig. Nervöse Hereditat besteht nicht Seine Krankhat
fuhrt er auf moralische, deprimirende Einflüsse in Folge des Verlustes seiner
Stellung zurück.
Yen mittlerem Wuchs, mittelmässig gebaut und ernährt, vorzeitig altes Aus-
sehen, graues Haar. In den inneren Organen keine wahrnehmbaren Yeränderungen.
Füsse etwas geschwollen, zuweilen wird eine unwillkürliche Contraction bald in
diesem, bald in jenem Muskel der ünterextremitäten beobachtet. Passive Be-
w^fungen derselben sind ohne Widerstand, die activen energisch, doch mit aus-
gesprochener Ataxie, die sich durch eine, bei geschloissenen Augen sich nocb
steigernde, zickzackartige Bewegungen kund giebt Beim Aufidtzen geräüi der
ganze Körper in Wackeln (Ataxie des Stammes). Das Stehen und Oehen ist
nur mit Unterstützung möglich, atactisch, das Bombei;^sche Symptom stark
ausgesprochen. Die Kniephänomene sind vorhanden, das linke viel stärker als
das rechte und überhaupt stärker als normal. — Das Fussphänomen beiderseits
vorbanden, links aber viel stärker: Die Flantarreflexe sind vorhanden, die der
Cremasteren fehlen. — Der Tastsinn ist mit guter Localisation erhalten, das
Schmerzgefühl abgestumpft, besonders an den Füssen. Es kommt auch oft
vor, dass der Kranke einen Stich doppelt verspürt, zuerst als Berührung, dann
als Schmerz (Remak'sches Symptom). Temperatursinn auf beiden Füssen abge-
stumpft Der Druck- und MuskeMnn intact.
Beständiges Abträufeln des Harns, welcher wegen seiner Alcalescenz Böäiung
und Anschwellen der inneren Schenkelflächen und des Hodensacks hervorgerufen
hat Stuhl verstopft, Erectionen schwach.
Die gröbere Eraft ist. in den oberen Extremitäten erhalten, bei feineren
Bewegungen (Hemdzoknopfen, Nasenputzen etc.) tritt Ataxie, bescmdon in der
rechten Hand auf; Zittern nicht- vorhaoden. Beflexe des Triceps bracfaii.verstäckb
Passive Bewegungen ohne Widerstand. Sensibilität erhalten.
Seiteikd des Gesichts, Zunge, Sprache und Intelhgenz keine YeräoderungeiL
Die Augäpfel können bei den Seitenbewegungen nicht bis an die äusseren-
Eanten geföhrt werden, Doppelsehen besteht nicht Sehschärfe gering, Patient
imterscheidet nicht die Einger in einer EntEomung von 5 Schritten, sbeakA
Mjopifi, welche durch >concave Gläser nur wenig verbessert wird. Linke Pupille
— 558 —
tiel weiter Bis die rechte, beide reagiren weder saf licht, nöeh anf CioiiTer-
genz'uiid H^^itreize.
Dieser Fall gohört aweifellos zur Tabes^ es 8iH:ech0n dafar: die ansgeeprodiene
Ataiie der Extrooiitaten und des Stammes, die diarakteristisoben partidlen 8tö-
rangen der Sensibilität, die Blasenstömngen, die re&ectorische Papülenstarre, die
Parese dier ansehen Angenmnskeln jl s. w. Zum voUständigen Bilde fehl^i nur
£e eharakteristisQhen Bchmeraen, deren Stelle die Parasthmen nnd der Schnitz
zwisofaea den Soholterblättem yertreten. Und wie yersehieden sind doch die Sdmen-
Phänomene in diesem Falle im Yeigleich zum gewöhnlichen Yerhsdten derselben
bei Tabesl — Sie sind yerstiffld;, selbst Fassphänomene sind beiderseits vorhandeo,
^Aer.anf beiden Seiten ungleich, linkerseits and sie nämlich riel st&rker, als
tedUeneits. Diese paäiol(^^soha Erscheinnng der beiderseitigen Ungleichheit
der Sehnenphähomene ist nnr ein Uebergangsstadinm zn deren Tölligem Er-
löschen, wie der weitere Yerlauf des Falles beweist Am 24. XI. 1883 wurde
Folgendes yeizßiGbjiet : Bedeutende Ataxie der Unterextremitaten bei betrachtlicher
rober Kraft, Analgesie, an den Fusssohlen kommt oft das Remak'scbe Symptom
mit Terlängerter Dauer der Scbmerzempfindung vor, der Tastsinn ist aber überall
erbalten, ja sogar Hyperästhesie wird in den Yordertheilen der Fasssohlen con-
^tatirt; durch langer dauernde Einwirkung des Tasteindruckes wird seine Wahr-
nehmung abgeschwächt. — Fussphänomene ganz verschwunden, das linke Enie-
phanomen deutlich, das rechte sehr schwach. Andere Symptome wie früher,
I)as Allgemeinbefinden ist aber scblinmx^. Am 1. II. 1884. JDas reoh;te Knie-
phänoI^en gans geschwundeni das linke schwach. Incontinenz des Ham& Sonst
keine Aenderung.
Wir waren also Zeugen, wie in diesem Falle d«js West^al'sche Zeichen,
wenigstens auf einer Seite, zu Staikde kanu Die zuerst verstärkten Sehnen-
Phänomene verschwanden im, Laufe einiger lioikate. Bei der ersten Untersuchung
lirar das, linke Kniephänomen verstärkt und grösser ab das rechte, die Fussphäno*
mene existirteri beiderseits, das Unke war stärker als das rechte. Schon nach
2 Monaten versohwimden zuerst die Fnssphänomme, das rechte 3^ephäAQ(men
wurde bedeutend schwächer, das linke w^ noch gut an8geq>rQcheiu Kach weiteren
2 Monaten verschwand auch das rechte Kniephänomen, das linke wurd^ viel
schwächer.
Dieser Fäll beweist, dass in eiiiem gewissen Stadium der Tabes die Sehnen-
phänomene verstärkt, ja sogar das Fnssphänomen vorkommen kann und dass
dabei diese Symptome ungleich auf beiden Seiten auftreten, diese UngMehheit
id)er eine pathok^iische Ersehernung ist, die dein SxlösoheiL des Sniqphftnoniens
analog ist, und ein Uebeigangsstadium nun letateion bildet.
Folgender FaU stellt die beste Illustration zu unserer Anschauung dar, dass
JWalich zwischen normalen Kniephänomengp und deren Erlöschen Tersdnedene
Uebeigangsstadien vorkommen, unter denen deren UngleidUieit niid^i das Un-
wtehtlgste nnd Seltenste ist Letztgenanntee Symptopi kann schon in den frühesten
IMhesstadien auftreten nnd abdann eine fär die Diagnose dieser Krankheit wkfa*
Ug% dem vollkommenen Eiiöschen der JCniephänomene analoge Bedentong ge*
— 5M —
irinitötk Unser Bertrobea geht ja darauf Mnaos, die Symptome, welche eine Mba
DikgDoee ditoes «ohweren and der Thenipie solchen 'Widerstand bietenden Leidet^^
<rm$gtioheny so Mh als m^lioh wahnrnnehinen. Therapeutisch ist diesingofeiti
wichtagy als, wie bekannt, wir in den spateren Stadien die Tabes liidit heUeli,
j9 fid^t. einmal de^n prog^essiveii Yerlaiof aufhalten kön^en^wliureBd in den
frohesten Stadie^i mau yi^eioht durch. Aufmeaeksapimachm des Emnl^en atif
daa ihm drohende TJebel, dcQ^ch Begeliing seJAec Leben^wleiee, dnroh entspreofaeo.^
Hisilmethoden n« s. w. das Mden in seinem {Mtogres^v^m Yerlanfe a»&^halteu
liofbn darf. In derx letzten Zeiten wurde die Diagnostik der Tabes duKCh ein%e
sebr wiichtige Merkmale^ die bewts in frühen Stadiem i»s Leidens aoSsreMv.
iKKieioheart; daront^ ist zuerst das We^tphal'schQ; dann das Aig7U-£Qbei:t8oii'sch&
Slymptom m zahlen. Das Fehlen des Eniephanom^ns ist allerdings ein. sehr. oCb
imd s(d]iOQ sehr früh aulbcetendes Symptom, aber, wie obeii bemerljit, ist es nicht
daa einogo unter di^ pathologische Selmenpbänonbeqen. : -:
Bevor die Kniephanomene erlSschen) erleiden m yeischißclene Yeränderungen,
die wir vielleicht nicht . gen^icind zu beobachten verstehen, die viallejk^t bis jetet
mcfat wahigenonunen .worden sind, die jedoch vorhanden sein, mfissen« Sßbsm,
a prioiä ist es ja vtnm^ch anzunehmen, dass die normalen Kniephaiiomene
ohne alle IJebergangsstadien, mit einem Schlage, erloschen koKmen^ es inuaiieilt
nooh andexe . pathologische Yeranderungen der Sehnenphänomene auftreten, bevor
sie vollständig erlöschen. Eine deiselben wäre also, wie klinisch oben nachg^
wiesen worden ist, die Ungleichheit der Phänomene auf beiden Seiten^
Eolgend« Beobaditmg ist ein Fall von Tabes im Frühstadiumt
Fall IV.
H«rm 11, üntersuehungsrichter aus JitbaueU) sah ich zum ersten Male
im September 1886. Vor 3 J^ahren traten bei ihm Blasenstörungen, auf nöA swsr
sehr oftes Hameiv 4a&n Dysuiie. Gleichzeitig wurden «eine Beine sehwach, doeb
w»! das kein- bestbidigea Symptom. Dann kamen kmrzdauemde und i nicht all»
iustarke Schmerzen In den Beinen, iLrmen und im Stamme; jet&st strahlen die»
Sehmerzto besonders in^ die vorderen und äusseren Unterschenkdfläohen^ die als«^
dann auf BerOhrung sehr 0mp£ndlioh werden; auch klagt der Kranke üb^
Brennen in den Fasssohlen. S^it einer gewissen Zeit ffiesst ans der Harmröhre
während des Stiüilgangs eine dmr<Mehtigie, Uebiige Flttei^eit heraus, die Erec«
tionen sind schwaiA, Pollutiimen sehr freqnent Keine Ezcesse in venere. Yw
11 Jahren harter Sehank^^ ohne iäumthem, aber mit Begleitung, von Hahh
tduneirz; er wurde mit QueckiUberpillen behand^ Seit B^nn der Krankbiit
Sttthlveistopftmg, die seit einem Jahre m Neigung zu Diarrhoe Überging.
Patient,' 80 Jahre alt, ist gut gebaut und ernährt. . Atane und Bomberg**.
eelies Symgptom bestdien sieht, -üe gtobe Kmft der Extreeütäten gut erhalten«
KidejäUboen^na normal, I^mtar* und Gremasterreflede vorhanden. Hyperistbeaa
heim Berflihrsnder tTnterschenkel, sonst nonnaler Tafiftsimi,> der Sdmiecz vnrd
aU' den Fassen und Unterschenkeln doppelt, ab Berflhvung zuerst imd dann aU
Schmerz empfunden. Tahpeiatuii- 4md Muskelsinn gut erhalten. PiqnUe& etwas
— 560 —
eng, imgleiohy reagicen auf licht und Gonvergenz. Der Ejtanke ist moralisch
depnmirty weil er eine schwere Krankheit befurchtet Appetit sdiwacb. Im
häutigen Theile des Hamröhrenkanals eine geringe Stiictar; Samenßden wurden
im Harne nicht aufgefunden«
Die Schmerzen, über wetohe der Kranke klagte, entsprachen allerdings daien,
die bei Tabes yorzukommen pflegen^ es wurden zwar die bei diesem Leiden
charakteristischen (obgleich sie auch bei anderen Krankheiten, wie z. B. mul-
tipler Neuritis, Yorkommen) Yerandemngen der Schmerzleitnng angekrofifen, näm-
lich das Bemak'sche Symptom, die Pupillen waren ungleich, es war aber sehr
schwer, wegen Mangel anderer Symptome und namentbdi bei normalen Knie-
ph&nomenen, die Diagnose auf Tabes mit Sicherheit zu stellen. Wir waren zur
Annahme genöthigt, dass eine den Kranken erschöpfende Besehäfldgimg, ein
öfteres und ermüdendes Reisen auf Wagen, Ausfluss aus der Prostata etc., ehie
Störung des Nervensystems und eine psychische Depression verursacht hatten. Ich
habe, in üebereinstimmung mit mehreren anderen GoUegen, die Kiankheä; als
Neurasthenia sexualis (mit gewisser Beserve) bezeichnet und dem Patienten,
neb^ einer localen Behandlung der Hamröhrenstrictur, ein Zurückziehen von
seiner Beschäftigung und eine allgemeine roborirende Kur, hauptsäohlidi hydria-
ÜBcbß Proceduren, verordnet
Bald hatte ich aber Gelegenheit, mich zu überzeugen, dass mein Ver-
dacht auf Tabes, ein berechtigter war. Den Kranken habe ich zum zweiten
Mal im Juni 1887 gesehen. Es trat keine Besserung seines Zustandes ein, er
klagte über Schmerzen in verschiedenen Körpertheilen, der Patient fühlt sich
schwach und ist missgestinunt Bei der Untersuchung ist bei den Bew^^gen
mit geschlossenen Augen eine sehr geringe Ataxie in den unteren Extremitäten
bemerkbar. Das Bomberg'sche Symptom ist nicht vorhanden* Die Kniephäno-
mene sind ungleich^ das linke nämlich ist schwach, das re<dite stärker. Das
Tastgefühl ist mit ungenauer Localisation erhalten; Verdoppelung des Schmerz-
gefühls (Bemak'sches Symptom). Im Juli 1887 klagte Patient über Schmen
und unangenehmes Gefühl in den Augen. Die rechte Pupille ist bedeutend
weiter als die linke, beide reagiren auf Licht. Das Kniephänonuan ist beider-^
seits nicht vorhanden. Brennen in den Fusssohlen.
Der eb^ Fall, wie auch Beobachtung III beweisen, dass die Ungleich-
heit der Kniephänomene ein Uebeirgangssymptom zwischen dem normalen Zu-
sta]}de und dem völligen Verschwinden der Phänomene bildet Während noch
im September 1886 die Kniephänomene normal waren, und man nur den Be^
gixm eines Bückenmarksleidens .?ennuthen . konnte, waren dieselben 9 Monate
später ungleich auf beiden Seiten und hat sich die Dingnoße Tabes als wahr*
scheinlich herausgestellt. Einen Monat später hat das voUständigeVeischwInden
des Kniepbänom^s die Diagnpse bestätigt. D^ Sch,windeii des Kpi^phanomeos.
kann sich also in einer so kurzen Zeit vollziehen. — Dieser fall beweist^ da^
das Symptom der Ungleichheit in den frühen Stadien der Tabes, nocjh yor dem
Verschwinden dex Sehnenphänopiene, auftreten k^nn, dass . es a^p, eyentueU, als
ein wichtiges diagnostisches M,erkmdl beni^t werden l^ann. .. ,::, ,. ^ . ,
— 561 —
Sehr lehneich ist auch in dieser Hinsicht der folgende Fall, welchen ich
im Monat Mai d. J. za beobachten Oäegenheit hatte.
Fall V.
Herrn J. sah ich zum ersten Mal am 13. Y. 1888, er leidet seit 4 Jahren
an Beissen in verschiedenen Theilen der unteren Extremitäten, namentlich bei
Witterungsveranderungen und bei Ermüdung. Vor 2 Jahren war ein Brennen
in der rechten Achselhöhle nnd wahrend 8 Tagen ein Schmerz an einer um-
grenzten Stelle des Bumpfes yorhanden. Seit einem Jahre empfindet Patient
im AugenbliclTy wo er sich in's Bett legt, Ameisenkriechen in den Fusssohlen und
ein Steifigkeitsgefühl in den Fingern. Yor 10 Tagen erwachte Fat mit heftigen,
schiessenden Schmerzen, welche auf eine begrenzte Stelle, von der Grosse eines
Handtellers, in der Gegend der hinteren Fläche des linken Oberschenkels locaUsirt
waren: Patient musste das Bett während einiger Tage hüten. In der letzten
Nacht hat der Kranke ein sehr unangenehmes Brennen auf der inneren Fläche
des rechten Armes, in der rechten Achselhohle und in den angrenzenden Par-
tien des Brustkorbes empfunden; schon die Berührung des Hemdes verursacht
eine höchst unangenehme Empfindung, ein stärkerer Druck bringt in gewissem
Grade Erleichterung. Zeitweise wird dem Patienten dunkel vor den Augen
und sieht er dabei gelbe Flocken. Im Jahre 1874 hat Patient einen Schanker
gehabt, secundäre Sjrmptome waren nicht aufgetreten. Vorsichtshalber, wie sich
Patient ausdrückt, wurden 86 Frictionen genommen. Vor 9 Jahren hat Patient
geheirathet und 2 gesunde Kinder erzeugt, seine Frau hat nicht abortirt. Der
Kranke leistete während eines Jahres den Dienst im preussischen Heere. Yon
der mütterlichen Seite existirt eine Prädisposition zu Geisteskrankheiten.'
Patient ist ein Mann von 40 Jahren, gut gebaut und von guter Ernährung,
zeigt keine Symptome von Lues und keine Veränderungen in den inneren Or-
ganen. Der Gang ist vollständig normal, das Bomberg'sche Symptom nicht vor-
handen. Das rechte Knieph&nomen schwach, von ungleicher Intensität, tritt
nicht bei jedem Anschlagen mit dem Percussionshammef auf, das linke ist stärker^
aber nicht verstärkt. Das Taatgef&U ist an den untren Extremitäten erhalten^
das Schmerzgefühl stark herabgesetzt, der Kranke empfindet ziemlich starke
Einstiche nur als Berührung. An der inneren Fläche des rechten Armes ver«
ursachem schwache Berührungen eine unangenehme Empfindung.. Die rechte
Pupille weiter als die linke; die letztere ist oval, reagirt auf Liidit schwach und
erweitert ach sofort, ungeachtet weiterer Einwirkung der Lichtquelle; auch ist
die Beaotion der rechten, nicht ganz runden Pupille eine schwache. Die- Seh-^
kralfc ist gut^ Faarben werden g&t unterschieden.
Es unterli^ keinem Zweifel^ .dass wir es hier mit einem frühen Stadium
der Tabes zu tbon habep. Dafür sprechen die seit 4 Jahren andauerndem und
der Behandlung trotzenden s^tsiblen Symptome, wie ohaiaktesristisches Beissen
in deia Beio^en, sohieesei^de sehr heflage Schmejrzen^ Parästbesien, wie Brennen,
Ameisenkriecheia, PeMgsein, wie auch die Hyperästhesie der Haut, u; s. w«
Objectiv wnr4e gsfonden: Abstfmpfung der Schmarzempfindung in den unteren
Extremiitaten, wgleiohe und nicht runde, schwach auf licht rec^end^ fupillfin,
— 562 —
und ein fBr mich wicbtigeB, die Diagnose Tabes nnteistötzeDdes Syrnftlom —
die Ungleichheit der Eniephanoniene. IKese letzteren sind nicht alldn tm^ich,
aber das rechte ist, was Intensität anbetrifit, ausserdem nngleichmassigy und
tritt nicht bei jedem Hammersehlage auf, bei Bewahrung (leiselben Bedingungen
des Experiments (horizontale Lage, offener Winkel im Knie, Belaxation der
Muskehl, gleiches Au&chlagen auf dieselbe Stelle der Patellarsehne mit dem
Sammer u. & w.). Diese üngleiohmässigkeit würde yielleicht auf eine Yerande-
i\mg der Beizbarkeit des reflectorisehen CSentralapparats in der grauen Substanz
des Bückenmarks, oder, was viel wahrscheinlicher ist^ auf eineu sich YoUziehen-
den, aber noch nicht beendeten Dßgenerationsvorgang in den Nervenfasern an
der Stelle der Burdach'schen Strange hinweise];, der^ Degeneration nach Wssr-
PHAii das Verschwinden der Eniephanomene yerursacht (Wurzeleintrittszone,
bandelettes externes von Ghaboot). Man könnte annehmen, dass Z^all und
Schwund des Myelins eine Veränderung der Leitung in den Nerrenfasem und
eine rasche functionelle Erschöpfang hervorruft, die sich durch Ungleichmässig-
keit der Sehnenphanomene kundgiebt. Was die Ungleichheit der beiden £jne-
phanomene anbetrifft, sp war für mich ihre Bedeutung in dem obigen Falle
eine für die Diagnose Tabes entscheidende und beinahe von derselben Bedeu-
tung, als wenn das Westphal'sche Symptom vorhanden wäre.
Schliesslich will idi mir erlauben einen Fall von Tabes mitzutbeilen, welcher
beweist, dass man, mittels des Jendrassik'schen Verfahrens, das melu^xuüs er-
wähnte Symptom der Ungleichheit der Eniephanomene auch dort, wo bei ge-
w^nlichen Untersuchungsmethoden ein Fehlen des Kniephänomens auf einer
Seite vorhanden ist, hervorrufen kann. Dies kann als weiterer Beweis der Ver-
wandtschaft dieses Symptoms mit dem Westphal'schen Zeichen, dessen niederen
Stufe es büdet, dienen.
Fall VL
KoGB.kSki Ladislaus, 81 Jahre alt, Polizeibeamter, wurde im Februax d. J.
wegen hartimokigen Erbrechens in die EHnik angenommen. Im Juli voiigea
Jahres hat Patient an Uebelkeit und Magenkrajnpfen gelitten^ zum Erbieoben
kam es aber damals nidit; diese Symptome traten mehrmals auL Vor Weih-
nachten 1887 trat in Folge eines DiätMIeis zum ernten Male neben starkm
Schmereen in der Magengegend «sich Erbrechen von mefarstflnd^;er Daner wat
Im Laufe der 2 letzten Monate wiederholten' sieh ähnliche AnfiHe dmai, aber
unabhängig von den aufgenommenen Speisen. Es sind das seht heftige Scbidenen
in der Magengegend, verbunden mit sehr TridiliGhem Brbtechen von fiHkadgen,
gelben oder ungefärbten Massen, dieselben dauern emige oder mehrere Stunden
und verursaefaw eine sehr starke Erschöpfang, sa dass Patient nach dem AnM
geDotlugt ist im Bett zu bleiben. Wfthivnd des Anfidles ist der Kranke nicht
im Stande Speisen aufzundmien^ Er iet stark abgemagert.
Schon während semes ersten Militftrdienfates im Jahre :1S7& tmtphui Vtü
ein peinliches Ermüdung^efithl in den Beinen, wdehee im Jahre 1864 im
Charakter von Beissen, Stechen, Bohren sMitifthm- Diese Schmeraen hab^ im
vorigen Jahre ihre grSsste Intensität erreidit, als Patient an Uebelkeit an^
— 588 —
anfing und Tenusachten oft Sehlafloägkeit Es sind dies Sohmenen an veischi^
denen Partien der unteren Extrenutäten^ welche von Irarzer Dauer sind nnd
von einer Stelle auf die andere, ja sogar auf die oberen Extremitäten, den Rumpf
mid den Kopf flberspringen. Im Jahr^ 1879 will Patient nur eine Phimose
gdiabt hahen, es bildeten sich 2mal Lymphdr&sen-Anschwellungen in der Inr
guinalgegend, welche sich einmal spontan öSheten. Gin Oeschwflr un Penia
will Patient nicht gehabt haben, auch spUen keine SyQq^tome der In&ction
vorhanden geifesen sein; speoifisch wurde er nicht behandelt Vom 17. bis
29. LebeuQslure hat er täglioh bedeutende ^Bxcease in Baocho bis zu vollst&ndigQT
Trunkenheit gemacht Zur Zdt trinkt er nur mäs^ WeiUi raucht viel,
Die Mutter des Patienten starb, an Schwindsucht im 53, Leben^ahro» der
7at^ in demselben Lebensgahxe an Apoplexie. Der Bruder ist sehwächlich, drei
SohwOBtem sind gesund.
Patient ist von gutem Wuohs and Körperbau, aber von mfissiger Emati-
rang. Puls schwach, klein, 86—100 Schlüge in der Minute. Die Herzton0
lein, sohwadi. In der rechten Langenq>itz6 ist das Athmnngsgerausoh schwacher
als in der linken, rhonchi äbiluites äberall hörbar. Das Abdomen ist eingesunken^
auf Druck nicht schmerzhaft, Zunge rein. Im Momente der Untersuchung war
keiu Erbrechen mehr vorhanden, aber Durchfall. An der Qlans penis in der
Nähe des Frenulum sieht man auf der rechten Seite eine grosse, weiche Narbe.
Die Inguinaldräsen ve^össert und hart
Der Gang ist mit offenen und geschlossenen Augen normal, ktine Spur
von Ataxie. Hautsensibilitat vollständig normal. Fehlen des rechten Eniepiii^
nomens, das linke sehr schwach. Die AchiUessehnenphänomene beid^^ts vor-
handen. Gremasterreflexe könneu nicht hervc^rgerufen werden. Erectionen vcmv
banden« Eist seit d^m leisten MagenanM traten Störungen der Functi<Hi der
Harnblase auf, schweres Hamen, schwacher Strahl, eiimial kam es auch zum
mwillkfirlichen Harnlassen in der Nacht Atzophie und Schmenhaft^keit der
Muakdn nicht vorhanden«
Von Seite der Wirbelsäule, der oberen Extremität und des Oesichts ist
nichts Abnonoes vorhanden. Sprache, Oedäehtniss, Intelligenz normal Die reohte
Pupille ist xmiegelmässig rund und bedeutend weiter als die linke, diese letztere
ist schräg oval, mittelmässig eng, beide reagiren nicht auf Licht^ sondern nur
auf Aocommoi^itum. Die Bew^rangen der Augäpfel normal. Patient sah Flocken
iror d«Ei Augen und sogar eine Zeit lang doppelt Die ophtfaalmoskopiscbe Untar-
guohimg zeigt nichts Abnormes. Die Sehkrafk rechts ^ ^^/^y Unks ^/^o« Das
Gesichtsfeld normal.
3. m 1888. Patient flkhlt sich im ADgemeinen besser, der Darohfidl hat
nacfagriassen, über Beissen in den FQssen, namenttich in der Naoht^ wird aber
weiter geUagt Bei der gewSmlichen TJutosuchungsmethode kann man kein
Eniephftnomen redits hervorrufen, das linke ist schwach und tritt nicht bei
jedem Sddage auf. Bei d«r Anwendung des Jendrassik'schen Teifahiens er-
seliäflt i$3 rechte EmepfaSnomen schwach, das Unke ziemhefa stark aasgesprochsn.
In diesem falle von b^innender Tabes mit Magenanfälten (csises gastrique^
— 564 —
besonders beaehtenswerth das nnglddie Verhalten der Eni^ nnd AdiiQefr'
sehnenj^nomene/ Während die ersten geschwächt ersehemen, ja sogar bei der
gewöhnlichen üntersnchnngsmethode auf der einen Seite gar nidit anftreten,
sind im GegenfheQ die Achülessehnenphänomene beiderseitB gnt anßgespirochen
nnd gleich. Bekannflieh verhalten sicfa diese beiden Phänomene (Knie- und
AdiiUessehne) bei der Tabes gleich, namentUdi ist ihr Fehlen gewöhnlich der EalL
Dies nngleichmässige Verhalten der Knie- und Achülessehnenphänomene
würde auf eine ungleiche Intensität des krankhaften Processes auf yerschiedener
Höhe des Rückenmarks hindeuten« Ausserdem lehrt dieser Fall, dass, bei An-
Wendung des Jendrassik'schen Yer&hrens, eine Ungleichheit in dem Yerhalten
der Eniephänomene hervorgerufen werden kann dort^ wo dieselbe bei der ge-
wöhnlichen Methode nicht vorhanden war. Es trat nämlich bei dem Jendrassik^-
schen Verfahren ein schwaches rechtes Eniephänomen auf, das bei der gewöhnlichen
Methode nicht vorhanden war, und das Unke wurde verstärkt Dies bewäst,
dass das Westphal'sche Zeichen und die Ungleichheit der Eniephänomene in
einander übergehen können, dass dieselben verwandte Erscheinungen darstellen,
verschiedene Grade eines und desselben pathologischen Symptoms — Störungen
der Sehnenphänomene — bilden.
Den siebenten Fall von Ungleichheit der Eniephänomene fahre ich nidit
an, da er ohne besonderes Interesse ist
Aus der Beihe der obigen Beobachtungen ist ersichtlich, dass die Ungleich-
heit sowohl der Enie- wie der Achülessehnenphänomene gar nicht so selten in
den verschiedenen Stadien der Tabes vorkommt, denn in 7 Fällen auf die
ganze Zahl von 64 Beobachtungen (4,88 ^/q). Wir konnten uns überzeugen,
dass die Ungleichheit sowohl bei den versttrkten (Fall III) wie auch bei den
geschwächten Sehnenphänomenen auftreten kann; am häufigsten war ein Enie-
phänomen normal, das andere bedeutend schwächer.
In den 7 von mir beobachteten Fällen bot nur einer (Fall IQ) äne aus-
gesprochene Ataxie, die Mehrzahl der Patienten befand sieh im präataetischen
Stadium und die Fälle lY, Y und VI darf man als im An£Emgsstadium befind-
liche betrachtenu Drei Eranke haben ganz sieber Syphilis gehabt (Fall I, IV, V),
ein Fall ist zweifieUiafb (VI), in den drei anderen war Steher kerne Syi^iilis vor-
handen gewesen.
In den Fällen, welche wir eine längere Zeit zu beobachten Gelegenheit
hatten, kxmnten wir uns überzeugen, dass die Ungldchhdt der Sdmenphänomene
kein langdauemdes, oder gar coiistantes, sondern ein ziemlich rasch, in ^äaugen
Fällen schon nach Yerlauf von einigen Monaten, vorübergehendes Symptom bildet,
welches allmählich in Fehlen des Phänomens übergeht (Fall IH und IV). Wir
sahen, dass die Ungleichheit der beiderseitigen Phänomene aas: den. normalen
entsteht (Fall IV). Wir sind alsdann zur Ueberzeugung gekonmuen» ilaas die
Ungleichheit der Sehnenphänomene eine patboliogische Erseheinung. deiseibeB
Kategorie und Beihe darstellt, als das Fehlen derselben. Sie ibildet aomit einen
verschiedenen Grad eines und desselben pathologischen Symptoms^^ der Stöiungon
der SehnenjAiänomene« Bevor es zum vollständigen Schwinden :der normalen
— 666 —
Sehnenphanomene kommt, zeigen dieselbe verschiedene Abweichungen, dessen
niederste Stufe vieUeicht die tTugleichheit bildet In der That, trat die letztere
yor dem Westphal'schen Zeichen auf (Fall m, IV) und am häufigsten in den
sehr frühen Stadien der Tabes.
Die Ungleichheit der Sehnen-, namentlicb der Eniephänomene, kann also ein
sehr wichtiges diagnostisches Zeichen für die Tabes abgeben, nämlich zur früh-
zeitigen Diagnose dieses Leidens yerwerthet werden. Bei der Untersuchung der
Sehnenphänomene müssen wir unsere Aufmerksamkeit nicht nur auf das Vor-
handensein, oder ' Fehlen derselben richten, sondern auch, ob bei genauer Unter-
suchung und Beibehaltung aller Cautelen dieselben auf beiden Seiten gleich, oder
aber bedeutend verschieden in ihrer Grösse sind.
Ich will nicht behaupten, dass die Ungleichheit der Eniephänomene pa-
thc^omonisch für Tabes sei, denn es ist wahrscheinlich, dass man dieses Sym-
ptom auch bei anderen Krankheiten des Nervensystems finden wird. Lombboso^
hat bei hereditax belasteten Yerbrechem unter anderen Anomalien der Enie-
phänomene auch eine Ungleichheit derselben in einem grossen Prooentsatz (147o)
gefunden. Ceakp^ erwähnt einer Ungleichheit der Eniephänomene bei progressiver
Paralyse. Von dieser Anomalie bei Tabes habe ich in der mir zugänglichen
Litteratnr keine Angaben gefunden. Nur Gowebs' sagt: „Zu den grossen Selten-
heiten gehört ein Fall von wirklicher Tabes, wo die Eniephänomene erhalten
wären. Sehr selten durfte ein früher Fall vorkommen, bei welchem sie nicht
verschwinden, so doch vermindert^ und gewöhnlich ungleich auf beiden Seiten.^'
(Yery rarely an early case may be met with in which it is not lost, although
diminished, and commonly unequal on the two sides.)
Auch von dem Auftreten eines ungleichmässigen Kniephänomens auf einer
Seite fand ich keine Angaben; in unseren Fällen n, Y und TL war das Phä-
nomen bei gleicher Unteimichungsmethode einmal stärker, das andere Mal
söhwächer, ein anderes Mal wiederum konnte man es gar nicht hervorrufen.
Ich bin nicht im Stande, eine genügende Erklärung weder der Ungleichheit,
noch, der Ungleichmässigkeit der Sehnenphänomene zu geben. Die Frage der
Entstehung der Sehnenphänomene ist ja bis jetzt noch nicht endgültig entschieden,
ob dieselben einen refiectorischen Vorgang bilden, oder peripfaerischeü Ursprungs
sind, und zudem' ist keiner von den obigen Fällen zur mikroskopischen Unter-
suchung gelangt. Ich habe oben die Vermuthung ausgesprochen, dass die Un-
gleichmässigkeit von Veränderungen in der Nervenleitung abhängig, sein kann,
welche durch pathologische Froceoae in den Nervenfasern, wie Zerfall und
Sehwmid des Myelins, Verdünnung des Axeneylinders etc. hervorgerufen wer-
den, bevor es zur vollständigen Atrophie der Fasern kommt. Was die Un-
gleichheit der Sehnenphänomene anbetrifll, so ist es möglich, dass beide Hälften
des . Bückennoiarka ^i einoin ungleichen Grade von der Degeneration betrofien
warden* £9 ist selbstvWäiidlioh, dass dies nur Bypotbraen sind, und 4{U3s nur
aütoinisehe UnteimichungW'die Pftthotegie diescor Symptome aufklären kdttnen.
-j — -rjr-
1 i
\£ef^at> diesem Centralbl. 1884 S. 57. > Brain. 1885. S. 65—77.
' Mannal of diseaaes of the neryona. systexn. 1886. Vol. I. S. 296.
— 566
n. Beferate.
Anatomie.
1) Zur Ftc^e über den B^n, aoi UBteveii JAtitsA^deüB (famAoolvm
tudinalis posterior), you W. Jakowenko, Au^ dem Laboratoriom tod Prot
Flechsig in Leipzig. (Wjestnik psichiatrii i nevrQpatologii. 1888. Bossiscb^
' Die Arbeit des Terfassers beisteht in der mikroskopischen Untersuchang mm
menschlichen Gehirns, in welchem das hintere Längsbündel deg^nerirt war. . üeber
den klinischen Verlauf des Falles konnte nur ermittelt werden, dass Pat. an Sprach-
störung, linksseitiger Hemiplegie und epileptoiden Anf&üen gelitten hatte. Der makro-
skopische Befund am Gehirn bestand in Folgendem: Srweiohitdg dofljenigeü AbBehmili
der hinterea Hälfte der ersten TempoiJalwindaDg; waldnar an den Solcoa tempor. snp.
grenzt, und desjenigen Theils der zweiten Temporalwindung« welcher ZrWlscben den
hinteren Ende des Sulc. tempor. sup.^ und dem Sulc. occipii anter. 11^ — in der
linken Hemisphäre; femer Erweichung der dieser Windungen entsprechenden weissen
ISübstanz fast bis zur- äusseren Wand des Snterhoms. Die A. basilaris war beinalw
in 3irem ganzen Verianf antforysmalisch erweitert An Scbnittflil^hen ttmten in beite
Hemisphären an yielen Stellen punktförmige Heerdo hervoi', and die GapUbngefiwe
erschienen überall erweitert und sklerosirt Daa linke Pulvinar war deutsch atraphiri
J, fertigte eine fortlaufende Schnittreihe aus dem Himstamm an, vom hinteren
Ende der Sehhügel bis zur Pyramidenkreuzung. Die Präparate wurden nach Weigert-
Fal'soher Methode gefärbt. Es fanden sich an ihnen überall zahlreielie tnüiare Aneu-
rysmen, erweiterte Gapillaren und Hämorrhaglen, stellenweise auch Erw^inrngen. In
Folge 4e68en waren fast alle Faflersjsteme mehr oder weniger enterbrocben imd in
yerschiedenen Richtungen degenenri Die grOsste Menge degenerirter Fasern fand
sich in der rechten Fyramidenbahn, in dar rechten centralen Haubeabahn« femer im
inneren Abschnitt der linken SchleÜ'e, im linken Türck'schen Bündel des Himschenkels
und in beiden hinteren Längsbflndeln. Das Studium der Yeränderungen in letzteren
führte ZQ folgenden Etgefinissen:
Deutliche und. ausgeprägte Degeneration dar Fasecn des hinteren Ungsbettdeli
wurde nur an den Stellen angetroffen, wo die anliegende centrale graue Subataox und
die in ihr enthaltenen Kerne (Nncl. aquaeducti und der WestphaVsche Kern) oder
die Nucl. trochlear. und Oculomotörii lädirt waren. Yon diesen Stellen an setzt sich
die Degeneration in aufeteigender Sichtung fort und nimmt erst im ü^irean der top
deren Abtheümig der Ooulomotoriuskeine ete Ende, Im gegebenen Fisll waite zer-
glüki: ein geringer Theil des rechten Trocblearis und beiAnr OculeaatoriDskene^ die
rechte. Seite des Hucl. aquaeducti^' der linke Wes^al'sche KncL lateraüa und m
verschiedenen Stellen die centrale graue Substanz selbst. Dementsprechend schwankte
die Menge der atrophischen Ftoem, des hinteren Längsbündels liHBetändig an beiden
Seiten, je nach dem Mi?eau des Schnitten, nnd nur roxi der ä6he der Oeulomotorius»
kerne ab war die Degenentünm' umcnterbrochen bis- z\sr hinteren COmnilMir zu ver^
felgea. Weiter evdtreckte sie eich nichts imd. dann» zielbt. Yerf; den 3eh]Mii» dasH
die; Fasern 4^ hinteren Längsbündels, wel^e in den qeotrßjen Theil der hintena
Conimi^ur übergehen, nicht als Fortsetzung der unteren Abschnitte zu betsachtci
sind, sondern anderen UrE(prungs sein müssen. Femer nimmt er a.Tif GFrund seinem
Beflindes an, dass im hinteren Längsbünd^ in grösser Anzahl kurte iPaserlt entiialten
sind, Wfftchetfur Verbindong twUcheti y«irBclHeden#ii Aba<)hiiitfefi im eentnilen grance
Sobetanfe dieaed« und daas die langen Fasern A^ ita^mm. Itegebind^. — ' m i»
betracht ihrer aufsteigenden Degeneration — yielleicht sensibler Natur mnd.
V, Bwenfeach.
— 6ftT —
a> Sa «Icnuil migUorameiil} doU» teaiüe& d^a vem^on^ al nitrato d^arguntp
Uff 09nM MrvcüBi per ott«Aeyla au peasi 4i grandi dünmsloni» pd dotb
G. MartmoUL (Annali di FrenialrüL }8S8. L p. 36.) ■ ^
Die Metliöde taid die Vorzüge der (Jolgi'schen Schwarzfärbung mit MÜUertchet
Flüseiglteit und BGHensteinlQming sind schon öfters in diesem Centralblatt, ansfObt*
Heb z. 6. im Jabrg. Y. 1886, S. 299, besprochen worden. Dies jetzt zu erw&bneHde
Verfahren gew&hrt den Vortbeil, dass man grossere Objecte dei^ Sdiwarzfärbim^
nntenrerfen femn (z. B. nnzertheilte Gfehime von Himden, Kaninchen, die ganze Ob*
longsta nnd Pens, d — 3 cm dielte Qnersehnitte ganzer HMisph&ren vom Mensehen etc.).
Es ifird folgende Anweisung gegeben:
Das möglichst frische Oehim wird durch die Oarotiden im €huizen mitMfiller**-
scher LGsnng injicirh Nach erfolgter Zertheilnng kommen die einzeben Btflcke in
möglfehst grosse Mengen Müller*scher Lösung und bleiben im Sommer etwa S*!! onate^
im Winter etwa 3 Monate in derselben liegen. Gelegentliche Proben sind wünschens-
woth, um den Erfolg der H&rtnng- zn constatiren.
Für die sp&tere Versilbenmg der Objecto in toto sind beaditenswerth 1 . da^
grosse Quantum der Höllensteinlösung im Verh<niss zum Volumen der Stücke (z. B.
500 kern fftr einen Hemisphärenquerschnitt von 2 cm Dicke), 2. die lange Dauer det
Immersion (10— 20Tage)^ 8. die möglichst gleichmassige Erhaltung der Temperatur
der H(^ensteinlösung auf 20 — 25^0., wenn man die Ganglien, anf 36 — 40^, wenn
man die Neurogliii besonders färben will.
Ansserdem empfiehlt sich ein Znsatz von Glycerin (etwa 5^/^) in höchstem
Grade und eine gleichmässigere Färbung wird dadurch erzielt, dass man die einzelnen
Objeete mit einem plastischen Brei von zerstampftem Löschpapier einhtllt.
Zum Schluss theilt Verf. noch einige anatomische Entdeckungen mit; die er mit
HtUfe seiner neuen Technik, speciell flbei' Anastomosen zwischen Axencjlihderfortsätzen
nnd seüsstständigen Nervenfasern gewonnen hat. Sommer.
Experimentelle Physiologie.
3) TTeber die irerftnderungeii des Centralnerv^nsystidms üx Abhängigkeit
von künstlich erzeugter Hyperämie, von W. Kusnezow. (Dissertation. St.
Petersburg 1888 Bussisch.)
Die Untersnohniii^en desYerf. wurden auf YeranlasBUBg. Prof« Miervejewski's
in deasea klinis<&em Laboratosium aoqgef&hrt. Er stellte sie an Hunden und Kttnisr
chen an. Zur HerT(»*bringang von Hyperämie des Oehima benatete er die Versnoha^
anordnmg fen Mendel: Das Thier wurde anf «n nmdes Brett mit ca, 1 m langem
Dorohmesser, den Kopf zur Peripherie, aufgebunden, und das Brett mit beliebigeiv
genau bealämmbarer Geschwindigkeit gedreht. Wenn dieselbe 150-*^2(H) Drehungen
in dar Mkmte betrug, so gingen die Thiere meistens schon heim ersten Yersueh zn
Qnmds^ wobei die Seetion starke Gengestion zum Kopfende und^Blotungen im Gehirn
ergab» , Falls nur 90-t100 DrehungeQ in der Minute stattfanden,: und letztere mit
kurzen Unterbrechungen über eine Stunde fortgesetzt. wurden,- so stellten sieh verr
achiedene St<tareii^gfn ein«. (Puls-* und Bespirationsyerlangsamung» Njsta^u«, Pupillen-
iorweitemng, Krämpfe d^r Halsmuscolatnr), die nach Beendigung des Ezp^ments
T^sch wunden; doeh bei. Fortsetsung solcher. Yersuche im Laufe mehrera' Woi^hen
hegiunM» die 1 Thiere f^bzumagenii aie.verieren ibrai AppetiV wufdsH ^^ftthiseh und
trftge. ]fl«i ZnslBads allgemefneiv CoUapsfs exfolgte r der. Todr . dem saweflea AnflUl$
tonischer ivad kl(Hkischi|r.Kr^iiH»fe Timngiiigsa* Dumilr die .Thiere längere Zeit am
Leben blieben», wurden die Drebuiigan (90— ICfO Mal in i') nieht. lAnger aOs d bis
10 Minuten an Kaninchen und 15—30 Minuten an Hundeu, täglieh oder 3— *4 Mai
— 568 —
in def Woclie aosgeffOirt. Unter diesen Bedingungen trat der Tod eist nach melireren
(2 — 5) Monaten ein. Einige Yersnchsthiere wurden im Lanfe des ersten Monats
nach Beginn der Drehnngen getödtet. Die Autopsie ergab in diesen Fällen folgende
Yerandenmgen: Die Mnsculatur des Kopfendes ist feachter und ihre Blatfüllung
grösser, als am entgegengesetzten Eörpertheil, wo sie trocken und anämisch erscheint
Die Diploe der Schädelknochen sehr blutreich. Die Dura mater lässt sich sowohl
im Gehirn, als im Bückenmark frei abziehen; ihre venösen Sinus sind mit Blut über-
füllt. Pia cerebralis hyperänüsch, mit kleinen Blutungen, ohne Verwachsungen uid
Trübungen. Die Gehimsubstanz hjperämisch, auf ihren Schnittflächen treten kl^ne
punktförmige Blutungen hervor. In den Himventrlkeln bedeutende Flüssigkeitsmongen.
Im Wirbelkanal sind die Veränderungen des Halsmarks denen des Gehirns analog;
Dorsal- und Lendenmark dagegen sind blutleer. Femer wurden mehrmate kleine
Blutungen im Pleuralsack und hämorrhagische Infarcte in den Nieren gefunden.
In den Fällen mit chronischem Verlauf, wo die Versuchsthiere erst mehrere
Monate nach Beginn der Drehungen zur Autopsie gelangten, waren die nämliohen
Veränderungen in grösserer Intensität vorhanden. Ausserdem wurde hier Verwach-
sung der Schädolknochen mit der Dura mater, und Verwachsung letzterer mit der
Pia mater gefunden. Diese Verwachsungen betrafen am häufigsten die Umgebnng
des Sulcus cruciatus und erschienen in Gestalt dünner, iVi — 2 mm breiter, mit
Blutgeftoen versehener Bälkchen. Stellenweise, vorzüglich längs der Gefasse^ erschien
die Pia getrübt, und nicht überall liess sie sich frei von der Gehimsubstanz abziehen.
Die mikroskopische Untersuchung ergab folgende Veränderungen im Cential-
nervensystem der Versuchsthiere:
Sowohl im Bückenmark, als in den verschiedenen Gebieten des Gehirns (Hami-
sphären, Sehhügel, Kleinhirn), aus denen in üblicher Weise Schnitte mit Oarmintinc-
ticm gefertigt wurden,* erschienen zahlreidie mit Blutkörperchen angefüllte Go&ae;
letztere i^aren häufig von sog. „exsudat phismatique" umgeben, was auf Transsudation
des Plasmas hinweist; ebenso häufig fanden sich Ansammlungen von Blutkörperchen,
die per diapedesin ausgetreten waren, zuweilen auch echte kleine Hämorrhagien mit
Buptur der Gefässwände. Eine grosse Anzahl der Nervenzellen bot das bekannte
Bild degenerativer Atrophie * — Veränderungen der' Structur und des Tinctionsver-
mögens des Protoplasma, Vacuolisaüon,. Schwund der. Fortsätze, bis zti vollständiger
Zerstörung der Zelle. Viele Nervenfasern waren ebepfajUis im Degenerationszostand,
was sich durch Anschwellung und anderweitige Veränderung des Axencjlindera und
Zerfall der Mjelinscheide äusserte. Die Neurogliazellen erschienen z. Th. vermehrt,
z. Th. vergröBsert (hypertrophisch); auch die Neurogliabälkchen waren an vielen Stellen
verdiekt. Die subadventitialen lymphatischen Bäume waren erweitert, und die Ghmnd-
Bubstanz der Präparate selbst, besonders im Rückenmark/ hatte oft- ein verscSiwemmenes
Aussehen, als ob sie von trüber Flüssigkeit durohdetzt' wäre. Die Intenaitäl aSer
beschriebenen pathologischen Verändemngen war «n denjenigen Thieren am grGflslen,
die die Dreh versuche mehrere Monate lang eorträgen hatten; m den Fällen, iro die
Versuchsthiere nur einige Wochen gelebt hatten, wai* meistens an den Mementen der
Neuroglla und weissen Substanz im Gehirn und Rüclcenmarl: nidits AbncMmes zu
hemerken, während seitens der Blutgefiuse^ und Nervenzellen auch hier 'die Erschei-
nungen deutlich ausgeprägt waren:
Verfasser untersuchte auch das Centralnervensysteni einiger Tfaiefe, ' die in um-
gekehrter Lage -^ mit 'dem Kopf tvtm Centrum utid den Hinterftkdsen zur Periph^uie
■^~ gedreht waren. Hf4r fanden sich an den Präparaten aus <lehifh und RftckehiBiatk
auch einzelne Nervenzellen im Begenerationszustand, dooh sonst wat'eürlteint» Msite-
ibgischen Veränderungen -zu constatiren; Imbtbiöon * der Gtundstihsta^, Hyperfimie
-der Blutgefässe tmd^ Hypertrophie der NenrogHa-Elemetfte fehlten Vullst&n^g. Nur
ftti Letideiin^k wurdet in -der 'griiueb Substanz' ^erweiterte G^fässe und'«telldnwra9e
'lAmorrhagien abgetroffen.' '-
^ «89 ^
ireldi0D ' firelmig der TUere-tt&i äem> £opf ^ior 'Feripli^0^<itt0^t^^uAeb»MAyer-
änderantpen^ -b^twirkt £f gelku^ za.id^m iSobliigtl^'das»./^^ 0rdlMiaK«tt der
^,li|tdrpck i?i,d^, wm ?op( tüta^^rÖBf^Ä» .j|teigt,,.si^4^,.d|^ .wigleipb;4®T..A^fi^^
Lyippbe stattfindet,' WQdnxcb bei^öJäeiiürWie^^r^olgftg. 4^ Y?T§H^.ö. Wß 3Brp%roi&^
#ruflg..det Kvvßii^^menteMnjt.wir^,,;,;^^^^ ' ..'n :f :^:-..\i^:.P^^m^^9^r^
'.♦■-•■ '•.•i»''i .• t,' ./r -:..■.■ \\ r-i ■ ■>[ =' .:• ^'r.t» hiu -j '"i-j-:. ; ih \Li' L-Mh.iH w<f
-4)^ iDiliwiiGlQ vi:d68 eoBOitaByoHB ^implei'^a do^ eerveaut mir
;' 'irerf/liÄt seine Mltereü VerönChö übef den fönMs äet'^Ölriiifihäeft^^
'*fiert imd Gefesse iriedei*boll nncLzvailölinö diie'. Thiere init'Cyrare'zif'ittinobi^-
Vffeh. Es ergab tficli, dass iTäbren^ der lK)ni8fclien'^Ktäöe dös dmxib Birnirindfeltf^^
'ans^elCstöuijifaQes dbr nerz^Ua^'l^^ verlati^a&t'; dm lin 'kloniscbeüi^ Stadinä
'dentUcbe Bescbleunigang th zkgm. ' TbrUuft. ä^i ^yf^^^ASscblie^licii .klonisölj/ ]s^
''Wird Ijedigüüli ' eine Bescbleniiigtni^ des äerisrfblags beobäc^ötV' .'."' " ;^ ' ' '^ * . ^
^' * pass diiö in ' der AnÄÜeu 'stets eitotreterid0:Stefge^
wö&entUch auf einem central ausgelGst^n (j^ef&sSspasihtiä^benäiCergfd
dass bei atropinisirten Thieren wäbrend des Anfalls das Volum einer Pfote oder einer
Niere fortgesetzt abnimmt, während der arterielle Druck fortgesetzt steigt.
Fr. nimmt an, dass l moh: 4ift ^dti BpÜvpidgeitöb^ ^äss^eren Erregungen der
Hirnrinde einerseits von vasoconstrictoriscben Wirkungen und andrerseits je nach ihrer
Inte^Hftt^ ^' B«B<M6tuägttäg W^ ^CeMati^attiy|i des fieti^(^kgs"^^
Nur. Erregungen innerhalb der motorischen Zone wückiÄ ifi» ^idstsr-^eise. -Bk^der-
iaa^ni mn4 :kf$iM .bes^ei:^^ Cftat^^.r||rHaBB?-BftichJ#wi|gujigjHpi^ .^Verjia^gipmung
iWd itQjQekpsy^cmSWimE aRjBWihiWßn^, fiÖ0iv*f!?rn.^4ie uWto^€Sw?.^öfi..y^)ialt:M9l|tJ4j)r
wie eine sensible Flache und spielt die Bolle eines Ausgangspunktes,.f^ipyc^:^.jd^-4<)S
.IBffiBruiiggwb^dei^ ftl5g^D» Är.^ierßäpJWtatW^ i>iLT,l^ö2^j,9^)ien.
•im!) 'lVMa£toibä8plichtliZllelc9i^dietiUon>?^ad^^ eoqpietimeiilelljieiihältex^tti
iBrisaliMf tbet>^ftt0A mäixt^vMtxSbm^i^^BBrfi^i^^ auf iBlaäe aiold Mwiitftim.
'&js (BiBtrunr^lltt'iidiebeiJQDg&ne'iwliide inl'dir^ke «bto di^^i-Lendetairb^^^^äuid^.
inn6'<int6a'i)0uti^i]flhnflohbn--nalüdioli abdprsi^sfilipyiidiü dai ^üekieitBtai^ gi^öhiüiictijlxar
^)di|<:iz«m/^iIimid0n«iEbebji:rQi<Ait! »uNttiäiJ Iveiydteiii '^liaMutldie/JniQtdrisblianiiOBtasäo-
märyencjdniif 4otnf)'2i> u)|di<9. ILöMbalikeDviiii ites ?jM(dMnmai^. ilQh|lrcoikh]itfle0ti.d^
'ano^Mlcidei CtntDuir ia^dleioiite^ Ifiisibalffei^ibiu ^ad|^ einem FaUb iKirck&ofl/iS
müsste das fragHcherOeitriilm-iiy'JiBr lQ0gBiidid»ii9^^
.^dMitt.N (EL bdncJiieti ikhnl getiBmnmim s^fast beM»Q)rte8l6ii FalL aj)fiteed^ ^tftet ein
ctfenäoül LakmaqgBbüa dw^ fiefldxö6nt»6n;!4»iriS^^üMäreai x)hii0 jeglieheitiotiiia^
•Mbäfile: 'Bele&n^tfichiignnp id^rnGliBdii^^ Y^esf. .^^telfigb Initlfidrohhoff^jdtti
xSito !d4s' fisi^iohen 'CMntrosia« :i»i^eiHöbe des .AJiiutirit<t> der .Sacn±in0;5^^
:St&t2eM' 4i^er uAamäIhffl« ' be^i^aditett er #i:lExi)f«timeid;6 Fejiitpr'ifiuiid iArtbilüd'8-
ii' 'iviiilnstthrlifilil wicd noeb*^^ edahmeiidto yvlifamblase- evöriait. lU
83
— «76 --
#>^ire)>er eine Sefl6gK]8i^lcmis iauf die 'Aifihiniing belBaitfiutg daroornea-
.. A98te.<c|(9S.^Trigemliiua^ TDn.Dn P^ol'« ^Oititmaoii/ fintlidMiD Director te
1 .> st&dlitoaheiv ErankenbaoAes Moabit; in BevHfi. (Tffobov'a H^rcb. GSJH» ^)
'■ •; -'Birf tnab^'vbh 4'jabirenr'2 Iffonäteh liatfe ötwi'6,01 ^ Atropin. snlfc getrunlcen
tmd ^äf nlicÄ wernigeii ilGnaten «chwindlig, dann Iränümnien nnd nnrnhig geWorden,
"Bitte •'rtaxitniirertfeitörte' PtrpiHeln, einö Pulslrecjiuöiiz yoti 160—160 etc. bekommen
Aaatsten^kr^tbrl^ Hesse batte ibm Morpb.' mnr. Ö|0!l2 gege/ben« Excitantien etc.
Der Knabe lag in tiefem Coma da, ond in diesem Zustande wird die merkwürdige
Beobacbtnng gemacbt» dass bei jeder Berührung der Cornea, ja selbst schon beim
«jftidiaiiidMibr.derp^eii^'flQferti Mfltetoriscb.die.'rAthnmiig fitülatebtinnd vnwt^kk Rt-
spiffattonsriellmig d^s-Tboraxi Sie Dauer des AihmnngisSliiUfitBndes belr>T6«*H9 See
nnd der Wiedereintritt der Athmnng geschieht stets mit einer tiefen Inspiratidit^> Diese
«Erscheinung blieb e^i^wa 5 Stunde^ besteben und auch dann. noch» als bereits beider
JBerührung* der Comiaa , wieder ^ne, bis d^hin verschwundenei leichte ^Schliessang der
Augenlider refiQCtoriscb zu Stande kam. J^acb 8 — 9 Stunden w^r die Yergiftungs-
^efahr beseitigt. — 0. .^tellt die Beobachtungen und Experimente über Atbmungs-
refiiejse vom Trigeminus aus Zusammen (von Schiff, Kratschmer, Fr^d^ricq;
^. Falk, Öh'ristiani^ Harkwaldi Langendorff). In keinem Fall war ein solcher
^flex yon den Gomea-Aesten bisher beobachtet worden, und überhaupt handelte es
B\ch um den 1. Ast des Trigeminus nur bei Schiff. Hadlich.
t'') 'l • t '> 1 • l '.•.'• • ,1 ! I I »■■ . I I 1 « , r.
.., » > t ■
* • I
Pathologi^ehe Aaatomia
7> Xsee.PcMrenoj&pluaiea, par le Dr« Audry, de Lyon, .^vne de M^dedne. 1888.
, f. Juii. p. 4W. Julii p, 553.) v . , . . ,
"'' ' Die Arbät enthält süsser drei netten Beobachtungen eine sergÖItige nnd daher
'WMhVelle Zasammenstellung von 100 bub der Litteratu» gesammelten Fallen Yon
^orentepiftlie. . ; . .
" Von den drei eigenen Fftlien dea Yerf.- betrifft der e rate eilt 2^li^ht^seB Kind,
von welchem alle anamnestischen Daten fehlten. Das Kind erschien völlig blödsinnig,
in allen Gliedern spastische Starre, welche nur von h&ufigen convulsiven Anfallen
unterbrochen wird. Bei der,S.ection fanden sich fast die vorderen zwei Dritttheile
beider Hemi6i)h&ren fehlend. Tiefere Theile des Öehlms anscheinend normal. — Ifii
zweiten Falle handelte es sich um ein 2 V2 Jähriges Kitid, welche^ mit Masern ins
Sp&tkl kam. Das Kind hatte ;ein» reehteeitige Hemiplegie und starb bald ttnter Con-
TulnonetL Bie Section ergab einen grossen por^ieepbaUaeben Defect in der Unken
B^mispbfire, ixiabeBondere 4n der Gegend der vorderen Geatralvindong. Ancb hier
-leblü über <die SnistebüiBg: der Hemiplegie jede Angabe. — D^r dritte Fall betritt
•ein lOmonaüicbes Kiad,.bei welchem die Unteteucbntig auf beaeodere 'nervöse. Sjm-
ytome kaum möglioh v<»r. Geistig erschien: das Kind TöUig. znrückgebUebem Bei
lier Seotion fand man grosse Defeete beider Hemispb&ren,; yon^ weleben leixteren
fast nnr die Occipitallappen annähernd normal entwickelt waren.
Ana der Znaammeastellimg aller von. A< geaatarndten Fallen ergiebi sieh znoAobai,
däss unter 96 verwertbbaren Beobachtungen 88 Male, beide Heiai^b&rea..'Del^acle
zeigten, 88 Male die linke, 36. Male die rechte Hemiapbär:eu In 18 F&Uenfetdtea
b^de Heniflpbfiren fast voUst&ndig. Yon den einseitigen ParencepbalieD betr^en
7 I^Ue deb Stimläppen,' 4 den S^bl&fealappen» 17 Fälle dia «oitleren Partien, ncr
3 die hinteren Abschnitte. Eine Abgrenzung der Defecte nach Gef&ssgebiet«! ver-
mochte A. nicht festzustellen; In Betreff der sonstigen anatomiachen Sinxeljiheiten
vergl. Jnan die Originalabhandlung.
Was die Pathogenese der Porencephalie betrifft, so kommt auch A. zu der
AiiscbäiHing/'ättös? Tiie^M 'w^Weaene U in "BStracht kommen; Tör Allem
sind die örworbenien und'die congenitaTen PötencepMIifen äüs' Einander ta Haltönl
Die letzteren' sind "Äatn Tbeil gewiss dte' rtine' E^tWiclcMöngsanomäRen aufztifesseti:
In einzelneii Tiäleh kötinie'^ si^li 'vielleicM anch tim' eineä primären Hydrocepbalüs
mit' seonüd^rer Atrophie handeln (?), um fötale Gefässanomalien, Blntangen, Ence-
phalitiden n. dgl. Anch bei den erworbenen Porencephalien spielen sicher ver-
iehie^An9r>yqß^l|äiidib.^iqft B9^^ ^^^Chroiiib^isep^TEinboUejBi^nfiQQ^ph^^^ r^atitBgfiajn^dL
Unter 58 sr^rwerthb&reii< fallen! :sc]^ienen .^4, fötalen Un^rpngs an wify Ift .waren
entstanden während der ersten 2 Lebensjahre, 10 im Alter zwischen 3 und 1^ Jahren.
y9];bej^6h9nde acut^ ^2)raAkhe|te|ii. un^d. ^jcaui^i»]^ yArej? .i)^i.deii> erwqrhenep, j^oren-
eephajien einig^-Mal& nachweisbar, — Die kliijisichßu, Sjmpjtbmiö dar Porenc^hali^
werden vöji. A., ausführliclj besprochen.. Yiix.ißjmn auch^in Beziehung. hierauf ^i^
die Originalarbeit Y^rweisen« da das 'SjJoptqmenbUd theils- e^n zieI^lich unbestimmt^
(DemenZi spastische. Starre,. Gonvulsionei^) ist» th^ils ^er. hinläogli^ bekanntep.j^emi^'
plegia spa^tica* iuiaii,tilis entspricht, JDia biagnQ^e, der Fproncephalie ist .meist
keine ganz siph^eire^ da.Yerwechselungen n\it MikroioephaUe und inabesondere, mit diܫ
fuser Hirasklef ose leicht vorkommen. kOwefL . . V Strüi^p^ll.
8) Bulle granulaa4o^i fleirependima, .osseryazioni del doti.B. Barp^icinL .(Aroh.
, itaUan, per le.inakt,^e^ose,ecc*. 1888^ ;p^ .. ,• . . .^ ., .... ..
¥erf« hat die Frage nach dem Vorkommen der Ependymgfraniäatioiifiii an ddr
Hand eines reichen Untersnchnngsmaterials von Neuem bearbeitet und ist dabei zu
folgenden Ergebnissen gelangt
Ependymgranulationen t Ssäm mh. bei^ allen FoitnMn yon Geistesstörung^ aber* nicht
allzu häufig: bei 652 Autopsien wurden sie nur d2mal beobachtet Am häufigsten
ktmiinent acft bei PttslTtikeln von-i^on jene» i32'Fttlen*^Ment«üfFaffäl]iiklB(ir 2^7. 816
suid-aber durehanisi tüfiht.oenstaiii M diiesati/dernn ebenrnar 2? wieseiiVoii'tö-i^ara-
lytikem' diefte . Abnormität auf;- ■■'
Ihr. Yorko9imen häng^ aic^iif dir^ct von der Pa^er^^^i^^^j^si^eit a^, def^ die
letztere schwankte bei den Paralytikern mit Ependymgranulationen zwischen. 4 wi
19 Mopat Sie ^nden sich gewöl^nlich in. gleicher {Jäufigkeit und. Ausdehnupg in
alle^ Ventrikeln;, nur 2maJL waren ßie. ganz auf den 4. Ventrik^]i beschränkt . Ibr^
Äusbilduug scheint in geradem Verhalts jsijr Eptzjoindimg, der, Meningen etc. zu stehen*.
. , _. '_ ._^ ..; . Soipiii.er, ..,
0> Beiträge mx W[u8kelpatbo]logi6^ IvLstologiBeha imd obemiaclia. TJntw^
snohangen naoh Tenotom;!^ uqd Nourotomie^ (Aus dem physioh»g. Inatitiii
der. Qmirarfiu Bi^ealau.) Von Dr. £4. Kx»u«;i, Afiaisteozarzt der med, /Klinik in
. Bora.; (Viwhow'ft Ärch. CXIII. 2,)
Die Lebensvorgättfee im 'Muskel stehen unter demEinflüss mannigfachei" Bedin-;
gpingen: Üh&tigkeit oder Buhe, Spannung oder ErschlaffQhgi Hantreize und die un-
merkfiche beständige Ihnervatiort (,,chemischer Tonus'' naöh Böhrig und Züntz)'
odöT Trennung vom Nervön wirken verachieetenärtig. Verf. suchte die Bedingungen
einzeln zu studiren tmd «war zunächst in Bezug auf histologische Verhältnisse. Aber
die Tenotonfkie behufs Entspantiung^ des MuskiBls lieferte keine remeh Ergebnisse,
well die Ton der Sehnenwimde sich förtpflanzendö primäre Entzündung die beobach-
teten Atrophie-Ersch^nungen beelnflnsste. — Dio N'eurotomie' dagegen, deren Wir^
kungen auf das Oewebe des Muäkels bisher nicht studirt sind,' ergab „als primäre
Veränderung eine' Wufcheifuiig deif Sarfcoglia,' wodurch die Fibrillen comprimirt und
zur Atrophie gebracht werden. Da nun die Mnskelschläuche atrophiren, wuchst daä'
zur Atisfällung itniner Weite Binde- unä Fettgewebe/' '
38 •
.. /Pep^^emiapxDA des HiukQb,.b,QmiiflitfBt d^
teqUriie Viarf. ^im, Gly^gfeo^elialt , der .im. Allgem^nen,, , im , .uni^k^brton .yeäi<iua^
zÜr^TMU^keit fitebi. ^, f and, dase iwl^ l^^furq^oue imd Teuo^mi)», :der..Sto9^ed)8d
, • ,» 'I ) '• , . I ■.'•'•'.*• l'l ' ' ,->'.•'• ** •• ■". •' ' 1 . ■ / ^* •* '
M)) UetaV' die yetftnaerangexi dm iS(Miömiiatk»iki KttiuKfliiMrttäioli «i9iil»f
I' • ;> AMdsnrergtftiniff^ . van) IBfbi: K; Mi' Fnoi^off iii VWatwäiatt. (fkdfdW^ ArdüT.
•'■ '" irWÖfri« ü. A: Ilabeil ftätain1fi(* dW BWbailiÄihÄ^er^ ;pk)py.ff s ttber'Verände-
fm^iaä i^tn 6ebtrahierveftfi(jäeiii l-esp: Bf&ekeMärk; nach actitöfr^ii^ver^ifhiin IBr
fetoötßrodttctö' «ittil. ' ^Dito gpigientiW' ^iebt'¥^l^fr 'heiror; diw^ den
Be^^i^tibhisyör^g ^ der ' N^^b sücceksi^etr— '^äc& ider^^i^o^ und
Schwere der' Tergifiittj^ ^'^intf elenden • Probest ÄachgeWießW • Imbiö ; . tmd ' JR^raeh däsa
te^'^tfit gl^kihet' Bi»hkdIting'd^'Mb1^nthalrke'>^^ itmen zur
lÖWcheitmtifg' kamw, je^ tfachdfelh: eto' «cWör 'oft«? Itf^ht ' vergütet wkrth^. .
''F^-liät jÄzt einen an acnter Arsentiä^nbn^' gestorbenen -1^^
an dessen Bückenmark seine Beobachtongen an-Hnnden bestätigt gefanden: es fanden
sich „doch recht oft" Zellen mit trübem Protoplasma, ohne If^en^, rundlich und fast
ofe^ äiteläüfbi' n.''s;''Vl; Va^lifötWZrtl'eü ^^ff^^m'^ ^6Ö!M''^^»d'^8lss8
waren erweitert, in der I^She dbs* ^d^trall&naU ^hlreSdhe BlWte^essfoti^ nnd
ItowÄ» »iwöwlwi:sS»^ödi^ ■-: ■'-■:«.■•; vi-.,. 7 .,;.,,. .«-mm: ... i u'-, '.fla'dlibh.
;.rx i'»c:j."' fj ,'i:- i *-j *'»!.'•.' i..)-i .11;«. ".i^ r!">v ''J/.Jv>tri.".-\ -l''! '!j>.-: ,■!;: ) i>M'v.t l'^^',* ';..*'
l») X-^ldrtliAlffigp)^« Mt9ieM M fdMtilMfft tabtoua tlivl-i
par le Dr. Gilbert Ballet (Bevne de MMecinenJSj^v j|[aiii.p.'aafi.)iv . /
'•^- 'üöii ^^fcli^iAt'^Mibi3'^!ß^«kuiigön^^ft'^ fili'dÄ teiidä*'^ ihiW^ g^iAachta
V J » "
psyätUeh^n^' Reizbarkeit keine besonderen Erankheitserscheinnngen dar. Erst Ende
October stellte sich heftiges Herzklopfen ein. Gleichzeitig wurde der Hals dicker
undJxA inl^ntMlton iMKTki^ili^m^P^e^ iBSUh^kSkOi
hierbei zeigten sich sowohl ausgesprochene Hj4tii^i«^h«(^'l^mfir«tflfii9/j(allglifiiiine
Pfljcl^npne»), ^oW<*! de^tOi?^.: ;SwlW.^i?«*i!Wf<>,^H« 'B»'¥!iÄ.o^i^^^
h§f<;|^fi(; Hejrzyopfpft^i Tachycarjäio./^lSp^^iUft.,^ d^r Jß^ut^) wd ^hbl
l^ndlicli")^ . iiS:-?Wiifti^ . J.88a. .,mrtej:8uchte fl. .dea.JCraakei^,; Jrj ff^pd.4ifl€»l]^e^^hj|stei^
s(shen,$jm|)|tojDae,;i;isb.e^Q9d^esQlu' ^i^^gedehnte AftjgB^esiei^rlgf^ .^1^ de» j?^r|Bchs^
(J^qchmßßlJSi, Cfeh^». ete^ ,y<)s,,§yiigjtome|^..^p^ ¥^4» ^im^¥^ W^^ /«§]»J*fi^
g^f^9.,S;trxLma.....ui^d. b.ei. der JUscj^tion ifmÜHO^^.w^^^
P^^isfireguenz 140---lßO Sqlt^^ in . 4eE.. JiUautf^ HE^^igei; ]j^j^}i||;)if^^
*^^W!;P03seisyßWsph€t ESfregb^lf^itr ß^l^.Pajbraijie^(tÄgJiiijlM^^
mi ^tspreohender-Polxdip^ie, :...... 4. y ..j. . 'i j,a .ir; -m/ lü-rtd-c '^ii.. üA v.
Ausser den genannten Eisqbeipung^ j^el abeü ffr^era^ /^ Sf^ki^lRW^W^^
* (■,!
•^ j
— Aw —
ÜübewygHöhltWt &#iaeTr "Än^pfel. ' ö^'^fefilte-^kanntö einem VoHfel^
und bewogen 0]yj«)ae''äBcfi k<tfiier'^'ä^n^^fiicGiiJ^g-'«^ mii
gegen yölikommeli
wechflaüdfer* ' Wj^ite;
ebenfellB norniai;' Ini^i^r 'aieser''8fti^g;'a<^='A^ vbiif'B^
' Eine^-äer eben ÄltgAiheüW'^^'''&bnBcha* BöbBäc^dn^'Häbiil" Witnei' rinff
Brißtowfe 0tf^a:'fciiir/ir«iiöa<5fiönfl:'188S: >;#7'fiäd'^Brtin[l«^/ p:'«!*^^^
A^ci Mör ' lia;(dttte'^ 'sich'tii^' 'ife^ $äsedowäf Ai$^ÖiAii^(5)f0gia' e^ Äe!c^^
zeifig' mhiseftige' iivöttrisisliö ttemifttfiteöieä^'liysfötfeph^^^^ Ä. -a.' 'B^rftoif*
„ _, , . l^nntptömöOiilitKaiiböj^ldg^^ kanii;^'^lc}i9 züw%^ ,..
bii&den'' fit ' tmi iPateisen ' anderef 'Bbfb&hrött'iy'^^abfiai^/'tWt^^^ H^of-
glosaus). -^ '''"•""'' •'•>''^'i'"''f ''''-'»ii.'
• Was'^die'Wthö^enesö ,del^«f^^ bfeVrtffi/W'Tcänn' es-achlacft B. nnr
nw emiö' rtrfdeafö oder 'eine tbröcäle' Stirim^' hkMbfii^'^Ei^lpörtä '^(ihöi^it ihitf ^^alip'
öcliemfiÄ da • er ^überKadpt" «e^ "lisliMf M;Hü-'dVT''^qif\i:'h(im^
lydlliäre 'K^ürtiäe it: '•^Öef '^iiusfttrUthÖn^BegTftÄ'dfe^
letzte Äbsi^nift der irbU« gd^tbnei äa^htt^i ^Aij'lirtr^^^^
Hypotbesen ' ancb von B. anerkannt isi -Dagegen sucht B. zu beweisen, dass die
in der Oblöngata erklären lasst ubd . dass ^jicb^ al^e ubng^i^ Sym^
(Exophthalmus und Sti:nma durch^ ilä^^üng Yaso<M}nstricio'nscher Öentren/ ferner das
Cfr8fe*8fclie Symptöiti, •di^^^Polywieetd.) iiir'Me^
Zu den bulbären Störungen können sich aber unter Umständen' Filiale ün'd doMtiSif
Störung^ hiii*ug^eU0Ä;.»ViÄ-dyr\tf^^^ mk aji-
deren TTeürosöp' cHj^^^^ fi^llepsie, J*8fyci!p?^)' *verbiild(StI ifUÖ.dleisci tfeu^rosefa'e^^^
stehen besonders- leicTit' bei eioetii hereditär'* biereitä ^ro beanlagf{^ Ner^^ngysfetf ^
,. ■-■'.'..•.' ' i\ j •.•'. ;-' .^- /'♦'••.■'• >.t:J •,'.!■ \-.i...)'Vj:'-.;r it-An-n.//"' :•>. /.'i 'Wff'tt'iiiü^flJ'^^^'^
12) OphtbataioplQglft ^eartoima.ipaarlfiaiflj iKfDroAU'on Btti^i:!t;.<JoiinL'oftiemM
:Änd* üuental- dlseasej I8g8. XRi4)*'30i-()r i:.'- ;T:»i .^» Mir>t/o :iji:-.:0 .f.
' ' "Verf. beipricTit itijseiier'iesensweirthen jjlihanditing die öentn^eh Augeihnuikirf-^
lähmpngen tmd yeist dBrraüf hin, dasä eä neben den KeiUShmungen dieser Art auch^
soldie Fälle giebt, iii denrin 'iiuf'ehizelne''Aestid'^ ein^s Opi^lomotonüs erkrankt sind/
in denen ^Iso ein Theil der Wfirzelfasern ^desselben in' Ihrem Tetiänfe vom J^epi bis'
zuÄ Audtritt aus iieta Hirn zerstört dein 'mflsBeii.' '^ * Selbst ^^ebt dfe Schilderung
eines eigenen 'Falles voh,, Ophthalmoplegie externa' pattialis'^, irie'er diese' Form'
geg^nüb^ der totalen und fast stets, bili^teralen Klemlähmttn^ bezeichilei *' ;
Ehr A0jähr. ' Malni'' nut' Aort^enose und liätifigen' Mi^neanföllen ierrlitt ' eineii
plöülichen Anfall von Schwindel, Doppeltsehen ünfd In tichnellstem Tetlauf sich kn-
schließsender Somnolenz, , die 3 Tage anhielt.. Es blieb aber Schwindel und Diplonie
Äfück;'dle'genauer$ tTntersuöhapg' ergkb'aüfd^recttefa Äuge Pai^Jyse des* R
inferior, "und Parese des Eectus' internus,' 'auf dem linkön^aber .Paralysd des'Rectus
snp^rior tmd des inferior,. sowie' eine. Ungleichheit beider Pupillen (r>l),^e aber
ebenso wie die Parede'des rechten ^Internus -nach' weitidren ^ 'l^ageh schwand. Alle
mucde .au£. JBmbolie der ^^emen Aftemn, gestellt,, ,die in .^die ^^abstaatia perfprata
piosterjtpr, resp. io; d^8„ Tßgm^ntum .graris eindriiigai]* .aiid;(dL6ren Ters^blosa kleine
%weipbiuigab0erde im rptben.KQrn, bedingt babe« , jDarQb.ileijztere. sejien ^ einzelne der
Q^ulo^notoriuafasem in Uporepi yerlajol-dv^^b jl^n rotben Kern zerßt{^rt worden« Den
biirt^äcüigen ßcbwii^del jsacbii Yerf^^ im. ^orlicigeDden f^all dnrcb 4ie, anaiK)mi8che Yer-
bin^i^i^g d^r irotben.,, Kerrie.; ipiti;. den, /oberen. Eleinhirnscb^Q^ erkUrep, also alB
ein^n q^ebellareoi Scbwindel,'n])d bebt nocK benor^ dass ßcblnse der Angei^ . keinen
E)ijadQia88..anf d^: Int^nsiijät des Schwindels gebabt babe.
Znm Scbinss giebt Verf. np^b 4^1^ Yersncb,, alle Angenmnskelläbmungen nach
dei^ Sit9& der* o;i;ganificb^n Störiipg zi^ differenziiren. ..Ist die Iris allein ergrilGan, so
ist der.Erkmaknngsbe^rd kl^in.imd ;U^,eQtwe4er peripher» im Ganglion ciliare eto.
o4er,an der £inmfindT^)gasteUe. des Mnaedoctiiß Sjlvii in den dritten Ventrikel. Sind
alle ]([qskeln, sowobl die vQm Ocnlpmotorius» als aupti die yom Troßhlearis und Ab-
dncßnß versprgten^ ergriffen» die' Iris aber normal» so handelt.es sich, um eine Oph-
l^pjmoplegii^ ejKtema totalis nnd der Heerd liegt in der grauen Substanz am Boden
djSfii, 4. Ventrikels uod .des Aquaeductus; auch sind dann fajst immer beide Augen be-
fallen. Sind ^e Muskelui 4ie ypm Qcu^pmotoijius ;abb&i^pn» incL der Iris, ergriffen,
so iab die Lasipn fasj; immer nur ein^itig und peripher; häufig finden sich Störungen
anderer Himnerven vereinigt.
ßindnur einzelne der vom Oculoipotorius versorgten Muskeln erkrankt, so liegt
4er ^eerd im Tegmentum, j zwischen dem Oculomotoriuskem und dem Austritt des
^Qrvpn aus dem |Iim. Die Erkrankung, kann beideirseitig seiUi ist aber selten sym-
U|ie:^ph. Genau dasselbe Krankbeitsbild kann tbrigens durch postdiphtberische Läh-
mungen erzeugt werden, in welchen Fällen die Anamnese die Diagnose ergiebt.
. Sommer. .
lä) K'otea of five cases of Ophthalmoplegia, . bj E. C. Seguin. (Journal of
nervous and mental disease. 1888. XV. jj». 3^7.)
5 Krankengeschichteu , (ohne Sectionsbefund), die )iier im kurzen Auszuge wieder-
gegeben werden mOgen.
1« Ophthalmoplegia externa. et interna bilateralia« M., 31 J., luetisch;
beiderseitige Ptosis und Paralyse resp. Parese der von^ Ocubmotorius versorgten
AugenmuskeUi. Linke Pupille > r« Beiderseitige Pupillenstarre bei Accommodation
und Lichteinfall. Blasenbeschwerden, Steigerung der Kniereflexe. Später Blitzschmerzen,
Abnahme der Befiexe und fortschreitende Atrophie beider M. temporales und masseteres.
2. Ophth. externa et interna bilateralis. Frau, 20 J., progressive Parese
beider Levatores palpebr., gelegentliche Diplopie und Parese der linken Iris.
3. Ophth. externa et interna bilateralls. M., 40 J., luet., rechtsseitige
Parese und linksseitige Paralyse der Levatores palpebr. Beiderseitige Paralyse aller
Oculomotoriusmuskeln und Parese des linken Abducens. Pupillenstarre. Linksseitige
Facialparese. Steigerung der Sehnenreflexe. Anästhesie im Gebiet 4er oberen Aeste
des linken Trigeminus. Blasenbeschwerden.
.4. Ophth. externa bilateralls. M., 42 J., beiderseits Ptosis und Paralyse
resp. Parese der Oculomotoriusmuskeln und des linken Abducens. Anästhesie und
Analgesie im Gebiet des rechten Trigeminus.
5. Ophth. interna bilateralls. Frau, 35 J.» luet.? Mydriasis und Pupillen-
starre. Heilung durch Eserin und später Sublimat. Sommer.
14) Zur Pathologie und pathologisohon Anatomie der acuten oompleten
(alkoholischen) Augenmuskellfthmung (Polioenoephalitia acuta superior
Wemioke). Aus der psychiatr. Klinik der Charit^ (Prof. Westphal). Von
Dr. ß. Thomson, Berlin. (Arch. f. Psych, 1888. XIX. 1.)
-- 5SÖ- —
/■t Yerf.'glelA zireliEiHBkengoscihichtea'iiniiSectifMSefond.'^döb^^
die Angaben WernickeX tU).er dj^e cfeltenje. Kronjkl^eit.b^ilitig^n«, ün^ Lebest [ganz
acute Opl^tbalniople^ extedor. mit.Änd^scjtiiiißci dea Leyator ;palpeb|aQ ,und,Sp}iincjl(Q|.
iridis; taumelnder Gang (Steifheit mit Ataxie), Bewusstseinsstörungen ähnlich . d^ußE;
des Deljurium Jemens. Die übrige^. Hironerren aind ^r^i; ,i>.i;u: in 4el^ .e^nen, tFalle
fand sieb eine zweifelhafte einseitige JFacialislaJunung. An.Bumpf und Gliedern )£aup<e^
Lähmung, keine Anästhesie; Beflexe und Sehnenphäp^omene g^it erhalten. — . J^eid?^
Fälle' betrafen starke Trinkei*^ bpide f&hrt^n aehr schnßll t- in 12 resp. 2.Q Ts^gen,
— zum Tode. . , . vi
Die Section ergab beide Male braune Atrophie des Herzens und interstitielle
Nephritis. Am Gtohim Oedem und chronische Verdickung der Pia. — Das BQcken-
mark war. in allen Theilen noonal. AUe.fiisDBenrenat&inBiey aueb die 'defl^AugOdi
zeigten sich ganz normal, ebenso die Angenmuskeln, — Di» einzigen. Erkrankungen
der Gtohimsnbstanz waren folgende: >,
Im ersten Falle war das Bodengran de^ 4. Ventrikels, und um f^p Aquaer.
ductus Sjlyii herum stark hyperämisch und von massenhaften capillaren Blutungen
durchsetzt, ganz besonders zahlreich im Kerngebiete des Oculomotoriqs, abwärtia
weniger. Doch zeigten sich die eigentlichen Himneryenkeme und ihre Wurzelbünde),
selbst ziemlich unberührt; nur ihre Umgebung betroffen.
Im zweiten Falle hochgradige Hyperämie^ aber nur vereinzelte Blutungen;
dagegen starke Degeneration eii^elner Nervenkeme, ganz besonders de^ Al^ducenSi.
etwas weniger des Oculomotorius, am geringsten des Trochlearis, ausserdem aber in.
hohem Grade des Hypoglossus. Die austretenden Worzelbündel sind auch hier
ganz gesund.
Thomson meint, dass im ersten Falle die Ernährungsstörung in den Kernen
noch zu frisch war, um sichtbare Degenerationen zu veranlassen; iQi zweiten Falle^
wo der Verlauf sich auf 8 Tage länger ausdehnte, kam es bereits dazu. .
Mit der Bezeichnung „Ophthalmoplegia exterior acuta alcoholica" will Thom-
son andere ätiologische Momente (Wernicke sah die Erkrankung einmal nach Schwefel-
sänrevergiftung) nicht ausgesehloesen haben. — Aber Wernicke*s Ausdruck ;,süperior''
(d. b. nur bis zum Abducenskem inclusive die Aflfoction zu begrenzen) trifft in Fall 'S"
TlM>maen, wo der Hypoglossusk^m auch degenerirt war, nicht zu. Hadlich^
16) Beiträge 8ur Iiohire von den basalen und nuoleftren Augemnnskellfth«
mnngen, von Bernhard. (Arch. f. Psych. 1868; XIX. 2.)
1. Fall von einseitiger totaler basaler Augenmuskellähmung; es waren ausser
den 3 motorischen Augennerven auch noch der Trigeminus betheiligi Jodkali und
Galvanisation führten in 5 Wochen eine ziemlich vollständige Heilung herbei.
2. 3. 4. Fälle nucleärer Augenmuskellähmung. Fall 2 ist durch 9 Jahre be-
obachtet. Der in Bezug auf den Augenbefund sehr wechselnde Krankheitsverlauf mpss
im Original nachgelesen werden. Erst nach 9 Jahren treten Störungen des Allgemein-
befindens auf, die an Tabes denken lassen.
In Fall 3 bestand neben den Störungen in der Bulbusbewegung Schwäche des
motorischen Trigeminus. Fall 4 war vielleicht eine Blicklähmung nach rechts; auch
hier bestanden Störungen im Kauen und herabgesetzte Geschmacksempfindung der
vorderen Zungenpartien rechts. In Fall 3 trat vollständige, in Fall 4 fast vollständige
Heilung ein unter Galvanisation und Jodkaligebrauch.
Das Hauptinteresse der Fälle liegt an dem günstigen Verlauf, den sie genommen
oder in Fall 2 wenigstens durch Jahre beibehalten haben. Bemerkenswerth ist auch,
dass in keinem der Fälle von Nuclearlähmung SyphOis constatirt werden konnte.
Bruns.
— SittSi —
im f^hllMüato^^ jAfratLilfi^a $kn; 14^ j\ 81.)
über Ät^enschmerzeUi ,»SMd In
Belastung: äypliilis nicH nkcli-
üff^ÜeH: '■"'■'■ |-'' ••;'■■• -i--'-; ;^=';'- . •-'•"f^ • - ""'•'"'■■■;; '■'"■ . ;''"
sAÄttöts 'ititliiöitVdas' fi^^ Spin-, vpn AWrmitSt 'im Ange, nicM
Iföni^v>^;'!fiä W^^ 'äeiiiiacii eliie c6mj)t^ Z. IJeiYen' in, Folge
DoflQn von Jojäkaliam machten die Behandlung aus., L. Lehmann (OeynhJaufien).
.' '|.,, ii't-.-f.;«jff ] ,xj • .« -.•rnJ? .-.>-i '.• ■ ;•■• •' '^".. r " '. . / . • .■ •■ </« *> '* , - • i^^
-n'>"''"Ü:'i -••'! ■ - .1''' f-'« *.:•■•/' '• VV >M',.n!l.'l!f.- •, •;, ,-... ..; l . :>.* ,,:/, '-,\- /
S. theilt einen Fall, Tpn Op^ithalmoplegia epft? aSls "Folge yöaAlköbolmifisbrauch
M/;&^r'm^ j^s 'ijänien ja Augenlähmüngen bei qfriiikeni
Vor/ dbch^ hicUt gerade diese, lii^r' geu^^mte^ $1b Oi^thalmoplegia' ext. beiieichnete.
Sejid^' :^ugen '(lhijcs,''ir6nigei* Mark)' zeigen .^to^is/ rechts' ausserdem Stratüsinus ex-
lieitiitisi'diV Bewegung ^des Bhlbus nach ot>en un^ unten war apfgehobei^ die seitliche
Bewe^ng,war ungestört. Pupillen reagireii,' auf Ucht^ Vw-engi PatellarreflexWder-
8Ä^'yeröcbwTim'den,'¥laiitäm gfestelgerf^' Waden und eÜenöd" di^ hbit(^bn ^lal-
neryeii b^ Drück säÜr schmer^atT-V Das elektrische Terhälteh (^er Beinmuskeln normal
-|Ii t^lllgöni' 6% 'veirririgert., * '. ' .' ~ V',^, / ' .' ' '. ..' V '' ' ' .
'' ' Die Entziehnügsktir im äospitale Verbessä-iö die Augenlähmung' ansehnliciu
,, . ,,.,., L. LeJimann (Oevnhauisiin)'.
f.f >i ,it fl (j i;- }f ■ '•■f'"*,'i. V"^^)'' * « • ••■ /i ***** — tttifftj tut*' -»o •'• •. « '..">< IT ^ . y ,, , ^ '
i£i) XJei)er miii'tipie SM^^ 2 Knaben, ^on Brot C. W^atpl^aV j[Charit^.
^ ,. .,4^^lep. ;j88f ' Xin..Jfihrg;, — ScJilu^R.aus ^ri 18 S. 61.80..' .m ..i .».;-
^• .£d ^ilxd '0 UidJfi^M : fieob^hilingeii/ welohe W. bmgt, ttid' Ton* wqIoImi di»
di0< d^-Kflabeti' WiHi^lmilCeeatr, ll'JahreraUv die ic^^ito Oeoi^ Beikifaoldv' d ' Jalm-
idt; betrifft' Jtoi' beiden Snai»ei(biB8fiiÄdMolonB^ SclniAelie d«li/u«fcereB'tnd obii^äi
Ext]JBiA)tlLtfea, und zwarto'deiiimtereireiBimimsten faei'der B^ogii^
Kniegelenken; die Streckung im Knie war kräftiger als die Beugung. Spastische
Erscheinungen im Bereich des Oberschenkels bestanden bei dem ersten Knaben; bei
Mdtti?.^nen€eQiti9ctiii^ 'dMr? WadefarnnskrtAi^- Die^StimenphAnemeher! fnires M - b^ided
erhöht. Der Gking Wer fligenJMütilicbV ' bteltbäini^ uivd' unfiöeher, '«ü'-Krimngr des
Beckens, weil die Fü^se,. md. zwar mit, den S^itzenj,.auf depa Bode^i ^hleiften ;(Waden-
(voutractur)..— An'den oberen lEx^emitätp .wairen alle aptiyen Bewegungen ipögUch,,
aber mit geringer Kr^ft'; Sps^smein Jehi,ien« die..^eh^enpi)^nomQ][ie wi^^
I)ef ^te Knabe soll 'früher beim Schreiben ge^tteri ha|)e]),. . , ' *
^Sensibilität ungestört. .— ,])iee§3 zeigte keine iBlasenstÖrung; jj^emhoid lieeß Unn,
und Zoth', unter sich. ^— Pacialisgebiet frei, Zunge gut beweglich, Spwchp.vo^Luigsamt
Die Augen zeigten sich in mehrfacher Besiehung in das :Berei<^ der ELranikheit
gei^ogen, die Bewegungen djer Bujbi ifaren ,— jwmentlich bei Eeinbold 7- i^ach ver-
schiedenen Bichtungen hin bescApräivliLt resp. ^fifgel^pben .(dabei Jiy^tagiiuis)., Die Pu-
pillen waren bei Heinhold eng und r^sfirten tra^e auf .Licht; bei Meepis.wa^ m
weit. Bei beiden Knaben bestand Atrophie der, tjapi^en, bei. Heess eine beidei:e^tige
temporale (links stärker), bei Eeinhold eine totale (rechts stärker). ., !ßm JJteesa £^
schränkung des Gesichtsfeldes, namentlich für Farben. r-
, Die Intelligenz war ,bei beiden Kranken deutlich beeinträchtigt ..
'Meess hatte mit 6 Jahren, einen Krampfanfall, nachdem J^ am Tage ,Torber
ein Hund ins Bein gebissen hatte; mit 9 Jahren litt er viel an Schwindelanfällen.
W. hebt hervor, dass gegenüber der Schilderung von Gharcot, bei seinen
- mr --
stömngett, di^M tnaltipil^ 8kleto£^ sieh iAi(^ W. Iiätrfig^r ftnden/ w^nil rttai genatr
owtertuclit, Wüten.- • "•/•'' '-' ' • •'" •' '"''' "'^•••""' - ' ^ -' '■ •"•-•;^
'. ' IHe Biagnos« itt1;^c1seh ÄlleträhigB i!&d''aäalo^e FfilDef ^!me fllnatdmkcl»^ ^^^^
&ndenmg0n beöbtfdUt^ flbcnr iü Bdsmg: Mdk^tif kt dkB ^dBtdhM de^r'Fai^illehalarbpliils^^
flBiMheideiid' fQi' inBltijilo 19ld«r0se,' W&!u^ i]ür''F6liled Ifeln^ b^stiihmtdn B6hlii8s
Di« nur ton mtittipldr'^Sfeüe^ose' M'Kiridferti in der' LltteMni^' sMd ^«M l^ä^'
aellei imd zwar iat die^EiNinldii^«' 8«ftidn it!i^ Alt^ g^iid^'
Eine FbnüU^anlage — wie bei den FSIlen von Pelizäns n. A. — konnte W. hier
nicht nachweisen; doch war der Vater von Beinhold psychisch krank, durch Selbst-
moid ^^g^oÄMtir -^ AlJtoiAi^ iät'M^lii^i^ >Al^' ti#^'^11!^'«Ü^i9r"pyiGMr
PoHacVs' FmH 'seheint 1^^ dein K^aAklie(t8{»r6()e«e' dei< tanR^I^B-El^ 'nSSh'f %anz
zu entspi^diöÄ; ."..it-.'.'ir ■•' •. .-V M •..•'«•.i-.'r .',■•■.!$ .'.u-i.! . " -ffiiaiiicS.
19) Beittftge zar'Xelire von de^ pröfi^dsSiVen Ittitskelätirophie« vdii Ihrof.' Slj
• Hitzig. (Berl.'klui: ^ööh. ISSS. Nr.'SS ti. 85"^ " •" ' ' "" "V ' T' '
Dei: . TorUegende .BejLtrf^,))phaodeU..4^aU0 d^er mu^eMäüen Pornif der !pr>orf
gre>asiYAn jyLas kß Atrophie (ja¥enUeM«8keUF9tc99t^ aMh< Ev^)r.dereik 4imklei'
Wesen darcb. die hi^r. erfolgte ,nukrq8kopi|H3he..ifnfkaliii)d^i8 auch JceiaMr
Aufklanmg, so doc^ werthyoUe Belenchtang erf&hrt. AAfirdii^^iBaeteeii F&)lefeiQiRi7f
geheim wl^rde zn^w^it {Ah^ei^ r 4i^her. apllea^)iiarv.«iur:;die',we8entUc)Kflb9ii Biesiiltate
mitg^beUi werden. Dar.letat^.der pilgetheil^ F&Ue <4^ft)in HMiMaebeii9r)^e{Bito>
den bKaachboDsteii.Seftavd.. \: ......•." • t-.- .?• "'"ri • .1 •"'• ■: /• •••'• '••'••f
Aller Erfahrung nach hudelte eS: sieb hierium ^nen.F4lspUUitor.]lu«kelatiWlW
mit se^polphnmeraJ^m Tjpua^ Yer^fte^ aiu^bdieseDiasQiPB^bU.derim^
Befand aiisge^chiuttener MHskelstflcki^awesjbeipem'belahite:'«^ l^.b](perr
trophiaphe-FjuEwii, 2.]rondlioli%atcpphi8iveBde Fmor^^ 3» IJ^iifi^clie i^phiooreode Fi^m^j
Das geg^naeii^ YerhAltiMSS/.'dme^njm «a3aiidiBr-.{faiiie.,deiiiyei!t -tr^Mben den
Beobachtungen an,den.aD4e|:n Fällen iai. frühem Sta4ie|^hr<VEi folgeoteriAAfilsqun^
des iqtierein Forganges, welche cum grano salis fOr alle derartigen Fälle zu gelten
hätte: den Beginn im ErankheitsTerlauf machen Muskelfasern, welche durch innem
Bei7.,4&|dc.:h]Fjpe£trwhireB.;UQd »p. Bm^^ (haipi)^ ^»ichiRtigeis rBleMQto an^
rein; mchapia^bani. Wege ..wachsend, aict^.gegonsettigr.ilure FpitU' l^estiaitlwai'iDie
schwächeren Elemente werden erdrückt und atrophiren (primäre Atrophie i^^eiidger
Moskelfibr^len , ^oU z^cht ganz^ joi, Abrede. g;e{it^t. werden), ..\u|id nehmen Je,) nach
den 3edi]^ungen des ihi^en, zur YerfC^ung §]^^he^^9. Bai^Q^iS! ziuide. .oder ^^n^ohß.
Oestalt an^ .in beiden Fällen. siclx^u, gewissen 2^gea.Q4er Bajiken Qrdnenid. .Bipdo-,
und Fettgewebe spielt. bei dieser ^rankbe.itsfonn keine Bollen cane., etwaige yeanehr>
rang ist nur relativ^ (Vop d^ P9eßdobjpectrop^^,^jBpfe(d\en.^ awh Yßrf. in
einem späteren i^ufsat^/vorbebi^tQnO... . , .,» ...;; -r -i • . " r-
Dieser ^jaU IV bietet noch einige ai^dero recbti iuterfssante MQQ^te.. Yoz; Allem
ist es eine eigenthümliche Beziehung der Jtuskelat^qkur zip: elektrischen Erregbarkeit^
Der rechte Biceps, welcher sich im, Zustand jeiner atafrjw'.Conjbractnr.I^fand (upi lui-i
dem betheiligten Musliialn zeigte^ •slcji sehr, lebhafte totale. upd.fihriUto Zujt^ungen)
und dessen Musoulatur. ' in , dem obßngesc^^erte^^, Zustand ^lochiSfihr yiel quergen
streifter Substanz aufwies, war trotzdem iaraidis(^h direct. yollkomme^ indireiQt ,n|ir
ein wenig, desgleichen ^ai^cb .g^^vanisch nur m^ün^d Vregl^^». ,(D^e., Function flQsht^
also In diesem Falle, parallel der elektrischen ^eaction» ..Bef.) .. , . . . . , • .
Äucli . klinisch i^t dieser Fall ungewöhnlich, , 4äher. auch der Wechsel in d|BV
Diagnose,, welcher durch die anatomische /Untersuchung,. nothwex^g gemacht word^
Der Fall begann nicht chronisch, sondern subacut; ganz zuerst bestanden auch Par-
^ 578 —
ästbffion n9ben..dw YeiinderiingeDi 4e9 l(a8kdsjstoiQ0. la '/« Ahiea war- der Fori*
BcliriU if^x Kwikheit .so. weit gediehepu daas Pai. des .Gebrauchs der obeam Ex»
tremitäten Tollkommen beraubt war. Der Muskelschwrmd war anoh Auf die Haad
übeigegangßn. £s wgka^ «icb auch, motorieohe SeizersclieiiutDgeB in. Foarm Ton
^ßokui^^u vni KrämpfeB«. wogegen die Sehnenrefleza an den Armen fehlten. . .
. . Man wH ^03. dif^em Falle, swiesoihwer nnter.UmstSndsn die Diffetentialdiagnose.
werden kann, und daas diese sieb mancbmal — soweit beute das Wissen rwcbt —
npr anatXMQia<^ stallen l&set Oh m/cbt.anoh Fälle rein spinaler Muskelairopfaie die
g}^icb0n YerandenmgeA der ICiiacnlatar asAigen kennen, das ist. noch eina offene FVageu
....... ^ i . Sperling«
90) H&niatrophie ooQg^x^told . de Im laogoA, paralysie epaaUque des ak-
trömjLtäß inüirieiireat par.le.doctenr Xavier .Francatte, chaigiS de conrs k
rqniyei^it^ de Li^ge. (Li^ge, imprimerie H. Yaillaut-Carmanne. 1688.)
Die 17 jährige erblich unbelastete Patientin leidet an angeborener Atrophie der
linken ^ungenhälfte, welche; keinerlei. Beschwerden machte. Kindheit ,und Entwicke-
lung normal. Linke Zungenhälfte galvanisch und faradisch weniger erregbar als die
rechte. Die ganze linke Gesichtshälfte nicht so gut entwickelt als die rechte. Para«
lyse des linken Bectns eztemns, leichte Parese des linken Facialis. Vor 6 Jahren
trat langsam Lähmong der nnteren Bxtremitäten ein, die zur yollständigen spastischen
Paralyse ffthrte; die Sensibilität an den8elb\9n sdieint nur wenig herabgesetzt zu sem;
keine trophisöhen Störungen.
Yerf. oitirt ans der Litterator alle Fälle von Hemiatropbia linguae nnd findet
darunter keinen eongenitalen, ebensowenig einen mit spastischer Paralyse complicirten.
Ueber die Art der Erkrankung stellt er Terschiedene Möglichkeiten auf« ohne sich
fOr eine zu entoeheiden; den Sitz loeaüsirt er: die Erkrankung muss die beiden
Pyramiden im Balbbs treffen und zwar nur die Fasern fOr die unteren Extremitäten,
sie muss weniger nach rechts als nach links reichen, indem sie hier den Kern des
Hypoglossus und des äusseren Oculomotorius schädigt und deü Facialis afQciri
Während des Dmiekes der voriiegenden Arbeit wurde in diesem Centralblatti
1. August 1888, ein ähnlicher Fall von Fr. Schnitze beschrieben.
________ P. KronthaL
■
21) Observation de myopathie progresBive primitive 4 type flaoio-soapiilo-
hum^ral, par Spillmann et Haushalter. (Revue de M^edne. 1888. JnnL
p. 461.)
Klinisch beobachteter Fall ohne Autopsie. Beginn des Leidens bei dem zur Zeit
der Untersuchung 28 Jahre alten Manne, in der Kindheit. Familiäre Disposition nicht
nachweisbar. Pai konnte niemals, wie andere Kinder, pfeifen. Hit 13 Jahren wollte
er Comet ä pistons blasen lernen, war hierzu aber nicht im Stande, ungefähr um
dieselbe Zeit beginnende Schwäche in den Armen mit merklicher Abmagerung der-
selben. Im 18. Lebensjahr dieselben Erscheinungen an den Oberschenkeln.
Bei der Untersuchung fand sich: starke Lordose der Wirbelsäule. Watschelnder,
langsamer Gang. Unfähigkeit sich aus sitzender Stellung f^ei zu erheben. Fast völlige
Unbeweglichkeit der Qesichtsmuskeln. Atrophie der Stemocleidomastoidei, CucuUares,
Pectorales. Schulterblätter weit abstehend vom Thorax. Geringe Abplattung der
Fossae supra- und infraclaviculares. Deltoidei and Oberarm-Muskeln fast völlig ge-
schwunden. Atrophie der Strecker am Vorderarm. Kleine Eandmuskeln fast ganz
normal. Atrophie der Glutaei und der Oberschenkel, besonders an der Yorderfiäche.
Unterschenkelmusculatur kräftig. Keine fibriUären Zuckungen. Patellarreflexe fehlen.
Nirgends Entartungsreaction. In einem kleinen durch die Harpune entnommenen
Muskelstückchen fand sich nur einfache Atrophie. StrUmpell.
-- 579; -
,ii^en:opafcblqgü,,18§8. VI, Smaaisch.) . . , .....:.,,
. Die Beobachtnng heinfft ein yieij&hngea Hädehen. Die Atrophie war im Ver-
ästelupg^ebiet des. mitileren und unteren Trigeminusastes an der linken Gesichtslialfta
bcaUsirt.. Die TP'ange war entsprechend, der vorderen, Fläche des Oberkiefers etwas
eingesnnten, die. äaat hier ungemein dünn^ das Fettpolster verschwunden/ Muskeln
und Knochi^n , atrophiri;. Die nämlichen Verhältnisse bestanden auch In der Gegend,
der linken ünterhälfte. Ausserdem hatte sich am Kinn, V2 ^^ ^^^ ^^^ ^^^ Mittel-
linie, eine ziemlich tiefe verticale Rinne gebildet, in welcher die Haut narbenähnlich!
aussah, und stark pigmentirt war. Die linke ^ungenhälfte war ebenfalls atrophirt».
t)ie faradisch(9 .und galvanische Erregbarkeit der afficirten Muskeln erschien vermin-
dertf / Sensibilität überall ohne Veränderung. Die atrophische Wange zeigte eine*
auftauende bläuliche Verfärbung, wahrscheinlich in Folge Durchscheinens der Ge&»e.
Was die Aetiologie des Falles betrifft;, so sind Erblichkeit und traumatische
Einfiflsse auszuschliessen. Patientin war früher immer gesund gewesen. Kurze Zeit
vor Beginn der Atrophie, im Jahre 1B85, hatte* das Kind sich in der Badestube
stark erschreckt, und Verf. ist geneigt, diesem Umstand ätiologische Bedeutung bei;
zumessen. Bei Besprechung der Theorie der Krankheit Äiacht er ai^ die 'Wichtigkeit
des vor Kurzem von Mendel veröffentlichten Befundes aufmerksam.
' ■ ' ■ ■ P. Bosenbaeh.
23) De la paralysie fooiale des nouTeau-nös, par le Dr. B. H. Stephan, k
Zaandam, Hollande. (Bevue de MMecine. 1888. Juli. p. 548.)
Auaä^r den bekannten Facialislähmungen der Neugeborenen, welche durch Zangen«
dmek oder Drbck bei schweren Cteburten gegen das Becken u. dgl. entstanden, giebt
es noch eine dritte seltene Form, von welcher S. ein Beispiel mittheilt. Die Facialis-'
l&hmung wird gleioh nach der Gebart (beim Schreien des Kindes) bemerkt; sie hati
keine weiteren Folgen, ist aber unheilbar und stets vereinigt mit Abnahme des Q^
hdrs auf dwselben Seite. Das Trommelfell findet man intaci Wahrscheinlich handelt
es sich um irgendwelche noch nicht näher bekannte intra*uterine Affectionen des
Felsenbeins. Str timpell.
24) De la paralysie fiaciale tardlve daas les flraoturea du roober» par A,
DemouHn. (Gaz. möd. 1888. Nr. 27— 29.)
Verf. hat einen Fall von Basisfractur, in welchem die Facialisl&hmung sich erst
mehrere Tage nach dem Trauma einstellte, selbst beobachtet und 7 ähnliche Fälle
in der Litteratur gefunden. Zur Section kam es nur in einem Falle von Chauvel:
hier fiel die Untersuchung des N. facialis negativ aus. Eine Contusion des Nerven
mit langsamer nachfolgender parenchymatöser Neuritis kann nicht Ursache der Spät-
lähmung, des Facialis sein, da nie Zuckungen oder Contracturen in den gelähmten
Muskeln auftraten, die elektrische Erregbarkeit intact blieb und — statt rascher
Atrophie — meist Heilung eintritt. Eher könnte eine Perineuritis, vielleicht zu-
sammen mit einer periaxilen Neuritis, zu emer Schwellung des Nerven und so zu
einer Compression der Nervenfasern im Fallopischen Kanal führen. Als wesent-
liche Ursache der Lähmung ist jedoch die Schwellung des Periosts im Fallopischen
Kanal zu betrachten; dieselbe ist eine Theilerscheinnng des Bückbildungsprocessea
und comprimirfc den Facialis ähnlich, wie B ich et es für den Badialis dargethan.
Am häufigsten tritt die Spätlähmung am 5. Tage auf, zuweilen schon am 3.»
zuweilen erst am 8. Nach 2 Wochen beginnt die Heilung, nach 4 Wochen ist sie
vollendet Nach Schädeltraumen kommt sofortige Facialislähmung ohne Felsenbein-
fractur und diese ohne jene vor; die Spätlähmung des Facialis hingegen weist stets
direct auf Fractur des Felsenbeins hin. Th. Ziehen.
- m -
mldoUo spinale, pel Doti Fornariö.' (Lft 'J^dclSiiaiiria^^lSÖTJ'Vl'Jt^.WlO
". '. l^Quer Pail von Tabes mit Demätitia. iiaral^tica; indem ^e genaue Locaii^
derjemgen örganiflchen Störung miöglicli ;:war, * welche die Aufiebu^^ dßs 'fti!t^^
refiexea/beäingt. .Im Leben' halte neben' den anderen Smptomiaji des 'Gnmd^eidens
eme Steigerung ,des lEnierpüelxes Imks und,, eine. voUstSjidige^^
rechts .bestanclen: \äei der genaueiren Ü^ntehsüchung 'des 1S^
u. A.^e ilWürzeleintrittszone'/ tin&a unversehrt und rechts, wo derVBeiä^ez Temichfei
w^r, sMerosift, wie dies bereits We.'siphal h^te' anheben 'können. \'Be8ond^rs"4e^^^
Uch' trat diese ÖiffiBreni, mit Htllfe der Welgert'ä(^enj fe^
Die Würzelfasem selbst' wären beideriseits atröpmsöh auch aüsserbalh deö Btidkeni'
markes. . t . ' r r . / , .Sommer.
*iii • '■..'.:"■«! ]■ »!' w». i' '.' i* i ' ri.-. '"^^^ rnprrrn n'I'.'[ >,c«;> oM.-.'.ifro/ .-ir,,' r-i'/?^
.*: '.\ •• ■ . >i ; •. • j; >:' ■ et!-/.; riT,.'! •♦')»firf| T-;// i'" ■ i 'i:'-"'! .',;■*■' i-u' >:.;■■ Ay.::u' 0- ri-' :..i
•-•' : '■'•'[ «.•... .••• '-'lo •:!, Eßjr.pll-i'Ä^^i^' ;l. -i:: .•■ui-r-vA -?: ::'.;.-i'i •. /
* • 1 ' ■•' 'J •' .'•! ■. ■' '. !'•'".] 'II ••,■ il* ,Lj:''l '-' -^i J'-'' i.;' .,*■'■"• ••^' >'!••-
20) Cpof4?^ ymd .MorplimjüsimuB, .ypj^ P^f.. ,H,. OberfltcjiflP^i., (Wipw^ ?^^4^
■ Wochenschrift, ^;^.-%.l.?Ö.-i-:: ,:■.) i.jK'i.-.;!-.^ :;.m-';1 ,-', . .:s.j.;: rv ■•".
is>!d€r Aetiölogie des Gocalnismus handelt es sich fast ausnahmslos um Mor-
phinisten, die Ton der Meinung ausgehen, mit Hülfe dieses Mittels das Morphium
loswordto • KU kbnnbn.^ • Die ^tadi^doeniFofi|H|]^ndfiahkri«^deb'<)<^^ W
eine sehr verschiedeie'; ^giebt Moisclteii,' beKd^en'M'bienate
kovMWl^vmM. 0beiiSQ{.ist..fmoli difrlZMt,^'imeb;W^her <b6.:^SuiQräioM^
anftntir^^ewiet wecbfl0lqde.(o£i<s<AM^ ,mmtw 3?ac^[ -«mi.^e^ugfQ. CbsunMi^'
Uiit«r d^r .BulwirkvilgsTdM ;Ckic^&. laidfmi S4rp0r /up4 .Qeiak- m^gl^hdr WmsfL fitr^
pidlr. Verfiel .der' KOdteji Atmngßtm^e^ 9Q|n!6k9lAtt;tntli. b^irdem ;MQrf]|bii8(»ii\#^!
nachdem «rvCocain an iaiwwd«ng';eea»g9n;< < Yan .ßeitOA 46r,.rPfi^r)he»:flii»4«.4i& bv
s^mngen ral/we^r/ gtoictoäasis sotuitte^di odAc 'plcroiqrsiQcpveW 9tt
mehr -oder wenigaK freien Inter^ßUeK^fAnglKtgeNlilA» WalmT9i9tiUt||iigaRi (Yieiifo^^
ideen) px^ Hallucinationen (meist des Gesichts, Gefühls und Gehörs) tcelWraafiL
letztere meist mit unangenehmen Inhalt. Zwei Häuptarten von Cocain-Hallucinationen
kann man mitunter abwechselnd, an demselben Individuen beobachten. Bei de
Art schreckhafte Gestalten, fratzenhafi|9 G^^j^chter, OJLi^sionen, Werfen loidrS
nach den vermeintlichen Verfolgern, Angsrelc. . Wieder' zeigt sich die' zweite' Art
ödf f er&ndehin^n des' Hautgefühls .Otleine^Thiere ari Haut 'inM^ andere Arten, rer-
meintlifchö ' Läuse, • Müben • etc.). ' Schlaflosigkeit, • ÄppiEJtitmangel, ' Iifipcflctoi Tef+nfi*
ständigen dais Bild ' des Cocäinii^mus,' k&nnen aber 'meist'' äticfi' auT ^Becljfmn^ der
Horphiumgebrauchi^ geschiieben werden'. 'Die ISrdcheiüungen! der 'Cocabüabätinenz
können öich gelegentlich erst spät nach dein Aussetzen dW Cocairis^^l^'^age- und'
ihehr) geltend machen, ohne das^' irgend welche Abätinenzer^cheint^gen Tor^u^ge*
gangen sind; femer' sind diese Ahstinenzerscheinungen oft tiel hartnäckiger als nadf
Morpfalumentziehüngj sie' können Wochen, selbst Monate' läilg in* itahezu gleicher
Intensität fortbestehen. Das Verlangen nach O'öcaiii'wird gat' nicht oder tiiilder ge-
äussert, als bei Morphin. Angstznstätde, WahntorsteÜilngen, Hailucinaäonen 'treten
auch in der Abstinenzjperiode wie 'während des Oocaingebränchis niit SchwätAd^nder
Intensität auf; sie wechseln hier ' mit Perioden klarer feisicht' uhd 'ßnhe^ CoUaps^'
zustände treten oft plötzlich ein, und handelt' es sieh. nicht 'dabei tim'lfbrphittin-
cdllaps", da eine neue Morphium^abe kleiinerlei Erleioliterung* bringt. Die Eit^äirung
hebt sidh mitunter rasch nach' dem Aussetzen des Ööcains, meist' daideit eär aber
langiö, ehe die tiefgreifende Vetändörring des Organismus wieder* ausgegiichen ist —
Aus der" Moii)hiümentziehungskuf will Verf. die Cocaihtherapie' trotzdem nicht ganx
eliminirt sehen, doch soll man erst zum Cocain greif en, w^nn absoM keii ttbrphiinii
- m =
i24^8,Sti^9 i^\A^ lfrftrien:.lfojg)lg«wpbeX Feptaar ?oU ,4as,.Co^HW.iwwrl^l^,
jicijph;. DKi^Jt ^r^, ,0,5 ppoi dia, .Am?, o^w'?. THgfl/gobff nw mit dam Tog^
Hwyntpn ra0p> bnuptor .imi as^tze ^die Cpiifi^beliui^lipg. j^uch^ .Ungar .(^,.^-^6X4^
ßff*- 0 . SpMt*^^ «<5^. ' die , geriDjate», Jßi^i^A^gioiTL , emi Int<«ic^tioB zejgßAi so ,iqiw
^;i^Uel 4»!wiH.gSW^di b^ S^ite.gelwsepvweyÄWnrr-.^tdi^^
ffoja ^ jßttel 4<5bt:*^ Yerwerffl«^.4ÄWKdi^ifRwttJfc^^
ia)Bi4c(to^: i^,Sit^ , .... ^ :,....,..; . JaU^MA.
'! '^>^l31iiityitiJlM)h^fesp^^ M dSi^ TtaatäkcH^^bs« bei derft^iaft Bätt^lkei^
1(060' EbpfeS( Oeisleekranice ktoitnety; bei iQefangn^ii ttiaf ^000 S^pfa 30 -^
loi) i D^tt'Chmnd 'ffi^rAi^ HÜBbt ?0tf.^ in- Her^ ,,«^geii^' erbdhtMpsyohöpatUädiati Ptä*
difltNlBitfun ^i :^dl3li Y^^rbb^h^ft, ' W€lk3i& lhf<^ ' Eirttit^luigBfteit naäi bald alä €Üi6
iugribi«ro&e; bald aIb ti!M''«»iroHlm&e b^iars«^tei wclrdeii iDiiiss''r ' Dftbci^oU'niebk ^#-
iHaft- dle^Emriltif^ 'sehr 'f tffiM^b' nä6%> elriP^tgleT feünbp'ef rttnrg hefYorgehtfen: '•■
Die Gefangenscbaft zeitigt einige ihr ganz eigenilii'tiilic^&'''P8y'e1so9eii
m '<Aiyiürtdri^«ifl^e^'' B^iiA<-4nA-^yMfti£r/' \md 'zwm- 1)it(igt '^ f eliieiB8i6haftüch6
HilftiitiltfliiilsolM; MMbeM'>beilbä^''t'sir(AK)^li' Mti^iihde/dlige^^ 6inz^afl-d€lreii
tt^^itfiiJZahl/abW fteü«^ dftd'lekM'hd'SeilaV'übfati^elietäe.' '• ^' ' - '^'- ;'v
*'>2 1 ifJIrU^Meit^ i led^tem' ' Skid die' biliidgsl^iif a»(>ni^ li »litt «ii^ at d^r is <^h e* W^l^ iliilt^^l
U^^'i mc^hmwgeigkoill^^r 'V^&tM ifttd^Stbrati^ di^ M^etneiübefindeüä' tf^
itf^ a»lit^r #eid^^IMhc1näti»i^^':atif^'dl^ itnä Mleb
/M tt#Ftti'''ftWt6tör Q0ib«'^ ViÖlM^hiihtd^ Hdirtt^'d^rFlHl« -^"Mf^W"^ 6^^
sicÜtMliälti^äiationen, w&hrend die andern Sinne ir^d^'4)i«Ch»bigl^^8Md:^ \AngM
in Form Ton Präcordialangst sind meist Toihanden. Daner: wenige Wochen bis zu
Die zweite Fc(rj^ DAl^t.^^erY aiiptip, ,fla^.u.cjnft|(^y^l89l^^
unmittelbar mit Siniiesf&uscHungen, wobei die öeliöriBliailacinationeii überwiegen; die
Wi/^Msk m^^iÄ -d6^'>'b^ii^fblg^' ^d^r'-'HiinfitkMt' ^ös !A«f«i^nil^''Te^fblgang8-,
Qif^n^i-lreMgi^t) 'i^tteller' ^iltti.'^^Tk'M^'mt^Qr&Wfiic^ 'bis' tt'iridni^ 'Mmiatett.
-'>i^ TO^'le]4et^'T«»(^'ii^ di#''iä'eii^b'4«liubilyttW)jÜctifld'' Ha^i«r^,llo6^€lte
i^ri^g'%Qli >' tUf' -tje^tO^DDf «fi^Wüsiii^iü' tmiP 'idtitdö'mn^eli^flr ^ofi' HalMeiliätionök«
SUlfoetl^-^^ewtct^tri^' bi9^ a^n^'äölrd;^ mefet' kä^«i^ Abl^ tiiid'^TFeber'gan^ in -^ge
i{o:)iiJ^rP>}i^t- uHt^r'-lB^^itli' ]^bai^^^^!Md^^faii^8''%dOli4cMd^ti Äyeh^sM ^
»tflil '^rfPÄädöiB«'^ 'li'i'j.,:'./! -.'.: m1» ,'-':i d Mi'i: üm.'i ^ ...i'i !v,\ \-.A '•• •'jf^t^Hnfe'.'' f
^.I.,ji5 jK^^)^^'-AlJh«uJJWlg^•üb^^.dk,.J^ ]$9. Wir4,- zwiebat .ein
^h^.VV/c*J..frh^j?i,d?ß Jite^Wbajüup>phe .SphUderwig.geg^l>ffPi/8o4|iW,4ieiübftr:de« <J#gftir-
a^^oV<9;te^dpnf^iIii1rterahff, durp^icfetaii,. i^w^tis (Mg^llffl^iff^pfc, wrti HMpiw0ift»ng«i;
#Bf"/lffl<»iiM!y^ ^A^^^»!^m Ma^ b§^n4efi«w» fl#§ts*B4ige ÄJfwttöMsfiMmi 4^
<»<te»ifiß^, iftid^i};,^ter.,4m;^W^..KÄ*»*<>»»' b^rtfieb^ftw FUJair/nmr .Vwawtffli
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iMikatimt^r und TiellfescliridbeB^r TypML Die Anäljrse äet sp^iiÜMjll IslKlNHiisebeB
BreclMiiitmgen in der mötorlscheii ^liSre eiigiebt nmi, diiss ääe ehixelBen ilo'^^
fldiriebenen Symptome sieh bei den terscliiedensien 'FonneB d«r Psycheeen^ finden.
Bei 4eii Hyeteriecben/ Epileptisehen, denStaporOsen, llelflaicli<^clien,'bel tlehen trdi
Prftcordialaiigst und' bei Tielen Anderen finden sieii Baspiek. Solche werdtei eis
der eigenen BeobacMang ctor Yeil angefBhri Im üflA)rigen hai die Art OireB Attf>
tretene nichts Specifisches and mchts Be^elnäsfrigee, aneh nicht ihre räat^e Be-
dentnng gegenftber den peyeMseben Symptemen. Sie richten ei^h oit nach dmi t^afan-
ideen, diese können ^echmb mid andere mottniadhe Aeossarnngen herrtirrafen und
snggeiiren. Andererseits können sie unabhängig sein von Wadmideen nnd mxik M
Wiliensanssernngen als einfache, andi sonst beobachtete Anspannung zeigen, weLche
▼erschwinden, wenn man die Aufmerksamkeit der Kranken auf etwas Anderes richtet
In gleicher Weise lassen* sich die' als 'sj^clfiach "beftfhriei^en' psyijhisehen Sy^
ptome der Yerbigeration, des Hutisnras, dei* sisreotypen Oesten der pathetischen
AUitfiden imd des Wideistandes gegm Alles auch aoderswe beobachten and haben
nicht die klinische Bedeutung» welche ihnen beigelegt worden ist *^ Kndlich sdieiiii
den Yerff. auch der Verlauf der Krankheit nichts Charakten9ti8<^es in haben. 9k
meinen daher, dass eine Coexistenzr Aber nicht eine Associatiim oad Qombinatien der
Sjxpptome stattfindet, wie sie bei einer bestinunten Krankheit, vorhanden sein mvs^
wo Natur, Entstehung, nraftchliche^ Folge und ZosamaeDhang ein fest veiiiniidenflB
(GKinses sdiafiCen. Der . Tersnchte Hinweis auf die Analogie mit der Dementia pars:-
lytica sei hinfallig wegen der solidni Basis der letzteren in pathologisch-anatomischsr
und klinischer Beziehnng.
Somit Temeinen die. Yerff. die Existenz der Katatonie als einer Krankhwt sai
generis; sie sind unter den Hereditaheni und Degenerirten öfters dcp flguren be*
gegnet, auf welche die Beschreibung der Katatoma passt; besonders auch unter den
Systerisch^n; und sie meinen, dass in den als katatonis<shen von den Anteren Be-
schriebenen manche Hysterische stecken. Eine eigeixe liierhergehönge Beobachtmig
geben sie ausführlich. Sie halten dlQ Catatonie demnach für eine Art 4^ Stupors,
dcia einfachen .oder des symptomatiffchen, mit starker Beimengong degenecatiTor und
Jbesonders hysterischer Beziehungen. Siemens.
29) Ueber Katatonie, von Prof. A. Tamburini. Uebersetzt von Dr. J. Fra^nkel
tmd Dr. A. Cionini. (Der Irrenfretind. 1887. Nr. 8 u. 9.)
• • . ' ■ • ■
.Nach ^iner kurzen Litteratorangabe theilt T. 5 Fälle ^catatonischer SeoLenstörung
ans smer eigenen Beobachtung mit ausfOhrlicl^eo Krankengeschichten mit, J)tf^
derselben entsprechen dem fischen Bilde Kahlbaums^ G^meinsqhaftliQh .wansii die-
sen 5 Fällen: 4aa woibUcbe Geschlecht, das Alter (tlber 20 JAhre), die, erbliche B^
lastong, die Oligämie und d^ Amenorrhoe. Die Entwickelung der Kn^ikhett wap
in allen Fällen langsam, in zwei Fällen trat lethaler Ausgang durch Lungentuber-^
culose ein^ in pinem H^il^g, nach dem mamiakalischen< Stadivsp; in zweien hudelt
es äch um einen chroQi^hen Zustand (terminale Demenz?)^ AjDtf zwei Fr^en geht
Verf. sodann des Näheren ein. Gaben alle Fälle, die als Katatonie beschrieb^ sind«
das Becht, eine nosographische Gruppe für sich aufzustellen? Und welches ist die
Pathogenese der charakteristiBchen Läsion, die allen diesen Fällen gemeinsam ist^
^ämüch der motorischen centralen ^piumung? Dem Yerlauf nn4,de(%|aft^9i|it$lQgiS
nach ist die Katatonie in keine der gewöhnlichen Formen der Geisteskrankheiien
einzureihen, vielmehr stellt eöe ihehrereFoABen derselben iü ihrem Terlftnf dar^Mel,
Manie, Stupor, Demenz). Audererseits haben dte Autoren ' unter Katatdnie' Vet^hie«
den rerlaufende' Geisteskrankheiten beschrieben, die unmöglich %nt0r eine eigene
Form zu subsummiren sind und denen nur die katatonische ^rre gi^meinsam ürt»
In "fthnli^er Weise kommt aneh die mdtelHeohB Paralyse atiss6r> in' d«r typis(^ee
— B88 —
aUgeminnen progressiveii PnculTse auch bei anderes (Jeisteskrankbeiten vor (Alcoho-
lismits, hooB cerebl-aliB, 'coBgestive Yecrftclrtheit etc.). Nicbtsdestoweniger tnaclit di«
VerbiiidaBg gewisser Onippeti fwntytiBdbeF' ßrsebdntmgien mit der Aufdnanderfolge
p^ohopatfaisober Stadien (ICel.,iOr(ysseiKwahn, Dem^is) eine nosologisebe Form At
sieb aus. Ebenso nan, wie bei der progressiven Paralyse; ist <der tyiHSobe übamkto
der.YonJKablbaum festgestellten Krapkbeitsfonn n|cht so^sebr dnrcb die Anfeinander-
folge der mannigfaltig^ psycbopatbisohen l^rocesse bestiinmt^ wie anrcb die speciellen
begleitenden mo^riscben Pbäiiomenei^ Dei4 Yerlänfe nacb erinnert die Katatonie
einerseits an die von Guislain, Zeller etc. ' bescbiiebene typische Yesanie (wesbalb
sie aucb Arndt Yesanta typica <»ta>fx)nica nannte), anierenseits'äbitelt sie dem circu-
lären Irresein, das .mit dem motorischen katatonischen Phänomen vereinigt w&re. In
Folge des langwierigen Verlaufs, der erblichen Belastung und der hiufigen Unheil-
barkeit rechnet Verf. die JKatatonie weniger zu den Psychonenrosen als zu den de-
generativen Psychosen. Für die typische Form der Katatonie schlägt er den Namen
katatonisches circuläres Irresein vor, während er die einfache Melancholie, oder den
einfachen Stupor, der sich mir katatonischen Symptomen verbindet, katatonische He^
lancholie,, katatonischen Stupor nennt. Diin motorische Spannung sei durch die Theil;
nähme der corticalen psychomotorischen Centren bedingt, die gewissermaassen in einem
spasmodischen öder tetanischen. oder convulsivischen, Zustande sich befanden, zumal
sich der tetanische Zustand 'zuweilen mit einem klonischen Krampf verbindet oder
ablöst. In demselben Zustande befinden sich die psychischen (iorticalen Gentren, denn
zugleich mit der tetanischen Starre findet sieh Schweigsamkeit und Mangel jeder
psychischen A.eusserung, als wenp die Centren der Psyche tetanlsirt wären. . Wie
femer die motorischeh Erscheinungen zuweilen den Charakter der monotonen und
fortdauernden Wiederholung beschränkter Muskelbewegungen annehmen, so hört man
auch zaWeileii moiiotone, andauernd wiederholte Bedetisarten (Verbigeratton). Die
pathologische Hisliologie 'und die experimentelle Pliysfologie werden festzustellen liabdit;
ob dieser tetanische Zustand der eortioalet Centren durch einen Eeizungspröcess der-
selben oder durch krankhafte Erhöhung der in der Binde befindlichen' Hemmung^
centreti bedingt ^i; -Bei der Sumpfschildkröte hat Fano (Biv. di Fren. e Med. Leg.
1886) bereits in den lob. optilr. ein hebimendes, widerstanderregendes Centrum dach^
gewiesen für diis eentripetale und centriftigale Leitung. Eine Zerstörung dieses Cenl-
trums ruft ein Uebermaass automatisdier Acte hervor; während En-e^g desselben
mfittebi Ohlomatriüm eine Steigerung der Hemmung, üubeweglichkeit, Katatonie her^-
vorbrachte. Kalisc'hiör'. •
I ' • I
30) La gaarigione della pasBia oronioa, pel Doti B. Gucci. (Lo Sperimentälö.
1888. Aprü.)
Mit Bftcksicht auf die neneria. V«rt(tBiKtiiAuj]ge& über den späten und gewöhn-
lic]^; dann ganz unerwarteten Eintritt einer Heilung in veralteten Fällen von Psychose
bat, sich Yeirf^ der Kühe unterzogen,, s&nuntliohe Aaftiahmen in vdie Irrwaostalt ai
Flbreni von 1850 — 1887 auf ihren endlichen Ausgang* zu untersuchen.
Es sind in jenem Zeitraum aufgenommen 8048 M. und 6889 W^, von denöti
als genasen ^630 M. und, 2415 W* entlassen werden konnten. Kacli einem Aufent-
halte in der Anstalt von über 2 Jahren. sind nocb 73 M. «nd 97 W. geoesen. eat^
laaseii und zwar im . . '/
O.Jahr 10. Jahr übeilÖJ.
M. W. M. W. M. W.
— 1 — 2 5 3
-1 2^ 8
Von den 8 nach dem 10. Jahr Genesenen hatten die Männer 11, 13, 15, 20 und
32 Jahre, die. Fian&sk. 13, 16 ^und 23 , Jahre in der Anstalt zAgebEachi y
3. Jahr
4. Jahr
5. Jahr
6. Jahr
7. Jahr
S.Jahr
M. W.
M. W.
M. W.
M. W.
M. W,
M^ w.
19 34
18 27
12 14
10 8
'6 7
i 1
53
45 :
26'
^ ii3
13
3
— «»4 —
,. )MckiftUig.,g(BWj9r4w# 40 diu» .31$ . wi^dir MSgwmnm weidiiiiiiiiuBteii, Büd^üB
jAnen 1&9 vkiki.g»m^ ein Dritte, uämUcb SIM. und 30 yf* Benirkaiflwerth iil
nWr d^a/» w|lvrei|d bqb«^ Ha B&clrfaUe< in. den aaste» 2 Jabü^ naob der Eotlaainog
m Wofigstovi yoirzakommen pflc»gen^.die» bei, den »pM erfalgfem fieüongeii wenigar
)ier^4^triitt:.4dim eiu Beödif tca^i.eiii
nach: 6 Mon.' 1 J. '2 J. 3 J. 4 J. 5'J. "6 J. 7 J. 8 J, 9 J. 10 J.
bei M.:. 3 ' — '' 3 ^ 1 " , 4 2f * — ' 1 1 3 1
beiW.: 6/2 3 2 4 I i 2.1 2 2
11 J. 12 Jv^ laO. 14 X 20 J. «0 J.
- . . • ■ . :w. ^«- • • -1 • ••-. f- • ^ •' -a' • •••! • '■'
' Auf 'öriind seiner weiteren TTntersncliungen Kommt Verf. dann- zu dem Schlußs,
däss bei einer einfachen Seeleuistörung/dle ohjpe wesentliche Zeichen zunehmender
geistiger Schwäche chroniscli zu werden droht» die'.Hoffiiungen auf eine Yielleicbt
nöcli zu erwartende ^^späte" Genesung . beffflnstigt werden, wenn es aicli um einen
bepressioDS- oder Rxaltationszustand mit Bemij9sionen oder mit. langem Frodromal-
stadium handelt, wenn das ergriffene Individuum weiblich ist wenn ä&t Ausbrach
der Psychose erst iin reiferen Alter erfolgte, wenn Hereditat vorliegt und wenn m
schwerer' ^,Shok'' die. Teränlassung zum ^endlichen Ausbinich gegeben |iat.
^ . . . . Sommer.
M'-i» 4.......4.
Sl) Itägalomanfe; mort subitje par rupture du .poetur« par. Hellhon« (Annalas
,j "\ m^dico-psychologiques. 1888,. Arctives oUniqüeSv p. 230.). .*, .^'
,,.'. EÜD^ . 5S^iahrigf an«ohdiqeAd . körperlidi yöUig .g^eiwde, .robu^tQ; IkofBOHi waLdie
jin. ehrgeizigen Wahnvorstellongen^ .Utt, .nieou^B: .die. Ann^ermig der^ Aeisto- doldot«!
siäczte. .unt^r stark^..Qonge6Üp^se]:scbemuBlgeI^ ;9um Koßf.9(UWDmenJU]4 starb, knne
^.it:.nacbber plötzüchL.; ... j ^; . . . [ - •. , . .: »j ■■.■
^_. . i Pie/: S^ction /eigab «i^be^t ipif[e9entU4^ ßi^e^T^ ^ranl^fitsreeteii. %, die. zu-
liebe: Todesart die Brkl&nuag* in einer .jSpp^ur, des ^lypertro^hisfob^Q' Q^ fitark fettig
dc^enttdrt^n Heizens., inie hinteife W^nd^d^ Jcftum 1 ci^i^Stäffe^i'auf^is^ndeA .Ipd^
.yentrikels; war . eiiigei;isseo./, Der fiifß ^bräg* .veri^ai^d*. ^%:im We 9Bd eftt^.^.iain
J^e^ , diQ. ;^der« bucbtig:'U|iregelm&§9lg*i /i>id <4M0g^t^&^ Bliiiia||^9erf.:welQl»^ das
Per^^ardii^n)^ ji^d maximum gespannt hatte, wog 316 g. .o^ibrir
Das Gehirn zeigte sich in lebhaftester Hyperämie und wies in dem linken
^T^J^OaiPW. 9pt^cus _f>^<m ,,p.i, eu-.Mr.Jrsx'). ^?f ?f;j
(. :'.4/- >•".- r
^" ^^I iiöm! degli ÄÄe«at5/pÄi''doH.«:'Ötiic^:'tLo'äpöriU^ «toc. «tt^^ Bec!)
lat^edMtttAr AtafMz Obtf «e^dluAciMi«^ ^vAg^VtöhnllBhdl' ^«k- gatizl%xtiraVagttirt6r *)eimaiMR
bei GeiBteskrai^n, aad b^ßondtfnt-W oelmti nit'4e^ntea4dtMir.Foninji-,}alaar. bei<iBr)>Ufti
jBelastet^^^ vpn .63 iire^ .Mävsern,: die.ahentei^rliphe . Yo^ioi^n ,^tA^* iitte^. 47» ;ipd von
58 'grauen dbenfAlls 47 aq Degenerationspsychoseh * efc. -.•,., , V'' i,-"''- ■ ^
' ' (ta öeutschland kannmaft ttnabge Beöbachttingftn'ebArfans anBtelWff;' deih"Äf.'z; B.
iM^es^'Mtt' Duydhseh^xf'dsr liifÄiiiiiaiAbele^j fndoilildii'aacb dk Nkmeii dei^ Cfeioliwteter atf-
geftihrt zu werden pflegen, schon häufig aufgefaUen, welche nngew5h]ilichcjiri^O]M«iQa««fib
bei Kranken und bei deren Geschwistern vorfindQp.) , , Sommer.
Per in der .vorigen Nfimmer dieses Centralb^attes S..^50 Z. 22 Ton oben erwähnte KfifinlEe
des Herrn Golds t ein starb nicht, 4 Wochen/ sondern 4 ^onate nach der Operation.
Verlag von Vn» ds^Coli». ii^ L«Spzigi ^ ^Dhiik^ vDtt ülktzoia ai W]ffii!i«iln.i3gitiii^-
NEÜROLOGISCHESCENTRALBLAn.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter ^ ^^"^ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie
direct Ton der Verlagsbuchhandlung.
1888. 1. NoTember. Nä 21.
Inhalt. I. Origlnalmittheilungen. 1. üeber die Diffnsionselektrode von Adamkiewicz
und die Chlorofonnkataphorese, von Dr. J. Hoffmann. 2. Zur Darreichung und Wirkung des
Snlfonals, von Dr. H. Ruscheweyh. 3. üeber Yagusexstirpationen, von Dr. Dees.
il. Referate. Anatomie. 1. Ueber die Bestandtheile des vorderen Kleinhirnschenkels,
von Bechterew. — Experimentelle Physiologie. 2. Contribuidon a l'^tude du centre
c^röbrosensitif visuel chez le chien, par Vitzon. 3. ^e objective cause of Sensation. Part. III:
The sense of smell, by Haycrafft. 4. Report on some of the motor functions of certain cranial
nerves and of the three first cervical nerves in the monkey, by Beevor and Horsley. 5. Zur
Anatomie und Physiologie des Nervus vagus, von Dees. — Pathologische Anatomie.
6. Beitrage zur Pathologie des N. vagus, von Lewin. 7. Beitrag zur pathologischen Anatomie
der Gliose der Himrinife, von Buchholz. 8. Beitrag zur Golgi'schen Färbungsmethode der
nervösen Centralorgane, von Greppin. 9. Die progressive Paralyse, von FIschl. — Patho-
logie des Nervensvstems. 10. Ein Fall von Gehirntumor in der motorischen Region,
von Siemens. U. De la c^cite verbale, par Landolt. 12. Gase of motor Aphasia: Aphemia,
under the care of Suclcüng. 13. üeber das Gehirn eines Aphasischen, von Schidss. 14. Heerd-
erkrankung des unteren Scheitelläppchens, von Wernicice. 15. Cerebral tumour, by Franks.
16. Zur GehimlocalisatioD, von Renvers. 17. Gase of tumour in the floor of the fourth ven-
trikle with conjugate deviation of the eyes, due to paralysis of the sixth nerve, by Finlayson.
18. Statistische und casuistische Mittheilnngen fiber den Typhus abdomimüis, von Alexander.
19. Fall af nervstöringar af cerebral orsak efter tyfus, af Homin. — Psychiatrie. 20. Disturbi
psichici provocati o sostenuti dalle malattie auricolari, pel Cozzolino. 21. Insanity from Bright*s
disease, by Bremer. 22. Contributo allo studio delle malattie somatiche nei pazzi:'dia^osi
e cura della pleurite con versamento, memoria clinica del Venanzio. — Therapie. 23. La
galvanizzazione della tiroide negli epilettici, pel Sighiceill. 24. Die Elektrotherapie der Ge-
bärmutterkrankheiten, von Benedilit. 25. Einige Bemerkungen über die Wirksamkeit des
Sulfonals, von FrSnkel. 26. Ueber die Art der Darreichung und Verordnung des Sulfonals,
von Käst. 27. Hyoscine as a hypnotic, by Pittcairn. — Anstalt swesen. 28. Bericht über
die Verwaltung dier Provinzial-Irren-Anstalt zu Neustadt in Westprenssen für das Etatsjahr
1./4. 1887/88, von KrSmer.
ili. Bibliographie.
iV. Personalien.
V. Vermischtes.
I. Originalmittheilungen.
1. Ueber die Diffusionselektrode von Adamkiewicz und die
Chlorofonnkataphorese.
Von Dr. J. Hoftaann, Privatdocenten in Heidelberg.
Vor ca. '/^ Jahren befanden sich gleichzeitig zwei Fälle sehr hartnäckiger
Neuralgie auf der Abtheilung des Herrn Prof. Erb. Da die gewöhnlichen thera-
84
— 586 —
peatjschen Mittel im Stiebe liesseD, wurde beschlossen, die von Adamkiewicz
angegebene und wegen ihrer ausgezeichneten Wirkung von ihm so sehr gerühmte
DiflEiifiionselektrode^ zu versuchen. Ich will gleich hier vorausschicken, dass wir
auch damit keinen Erfolg erzielten und aus nachstehend angeführten Orunden
bald von der weitern Anwendung dieses Instruments absahen.
Adamkiewicz ging bei der Construction seiner DiflFusionselektrode von dem
ganz anerkennenswerthen Gedanken aus, die Wirkung der galvanischen Anode
mit derjenigen eines Antineuralgicum zu verbinden. Die Idee war nicht neu,
denn Wagneb hatte schon Cocain in gleicher Weise angewandt und mit ganz
gutem Erfolg. Adamkiewicz wählte das Chloroform, erstens weil es bei Weitem
billiger ist als Cocain und weil es ihm zweitens als Chloroformcompresse sehr
gute Dienste bei Gelenkneuralgien geleistet hatte. Er versuchte deshalb dieses
Medicament durch den galvanischen Strom von der Anode aus unter die Haut
überzufuhren, zu „kataphoresiren" und gedachte so eine grössere Gesammtwirkung
zu erzielen. Die Anode regelmässig mit Chloroform zu befeuchten, und zwar
öfters wegen der „schnellen Verdunstung des Mittels^', ging nicht, ohne die
continuirliche Stromwirkung zu alteriren. Er ersann deshalb eine besondere
Vorrichtung, die von ihm sogenannte Diffusionselektrode. Die Beschreibung,
Anwendung und Wirkung des Instruments und die Chloroformkataphorese findet
sich a. a. 0. — Die DiSusionselektrode, auf deren Construction ich später noch
zurückkommen werde, wird mit der Anode einer constanten Batterie verbunden,
damit der Eataphoresenstrom von der Oberfläche der Haut in die Tiefe geht.
„Man wartet nach Ladung des Reservoirs mit Chloroform, bis sich der Ueberzug
völlig mit Chloroform durchsogen hat und bei der Berührung mit der Kathode
einen Nadelausschlag giebf Man setzt dann die DifTusionselektrode (= An]
auf den Schmerzpunkt und lässt einen Strom von 8 — 7 M.-A. durchgehen; nach
ca. 5 Minuten lässt sich Abnahme des Schmerzsinns constatiren. Nach Adam-
S3EWI0Z besteht die schmerzstillende Wirkung der Chloroformkataphorese darin,
die schmerzhafte Partie, zumal den kranken Nerven direct zu anästhesiren. Bei
7 — 10 M.-A. Stromstärke sind in 5 Minuten 2 — 3 ccm Chloroform verschwunden
und zwar „in der Haut*'. Die Anästhesie ist nur von kurzer Dauer. Geringe
Verschorfung der Epidermis lässt sich zuweilen nicht vermeiden.
Auf diese Empfehlung des Chloroforms zur Kataphorese kam bald eine Er-
widerung von Paschkis und Wagnbb,* die bei Controlversuchen gefunden hatten,
dass Chloroform den elektrischen Strom fast gar nicht leitet. Sie fanden
seinen absoluten Leitungswiderstand 48^ j^ Millionen S. E. oder seinen specüBschen
Leitungswiderstand 4 Billionen S. E. Damit war festgestellt, dass Chloroform
geradezu ein Nichtleiter ist. Beide Autoren halten die Angaben von Adamkie-
wicz für unverständlich und schieben sie auf einen groben Irrthum. Wo der
Irrthum liege, darüber geben sie nichts an, lassen sogar zu, dass der elektrische
Strom am Chloroform doch vielleicht seine kataphorische Wirkung entfalten
könne. Anästhesie beobachteten auch diese beiden Autoren, führen sie aber anf
> Dieses Centralblatt 1886 S. 219.
* Dieses Centralblatt 1886 S. 413.
— 587 —
directe Chloroformwirkung auf die Haut zurück, da sie auch ohne Strom ent-
stehe und auch bei Ausschluss von Verdunstung. Die therapeutischen Erfolge
von Adamkievtigz bestreiten sie nicht, halten nur die Auffassung desselben
über ihre Entstehung für eine irrige.
Diesen Ausführungen gegenüber gab Adameiewicz^ eine mehr scharfe, als
sachliche Erwiderung. Er bleibt bei seiner Behauptung, dass das Chloroform
den elektrischen Strom nicht allein nicht unterbreche, sondern ihn nicht einmal
merklich beeinflusse. Er fügt nur jetzt hinzu, man müsse vorher die Elektroden
mit Wasser befeuchten und die Leinwand gut auspressen, damit die Poren der-
selben für das Chloroform offen seien. Dass Chloroform für sich allein das
Gefühl für Schmerz- und Temperatureindrücke herabsetze, giebt er zu, führt
aber die Steigerung dieser anästhesirenden Wirkung bei gleichzeitiger Anwendung
des galvanischen Stromes darauf zurück, dass der Strom das Chloroform in die
Gewebe „hineinzieht." Für die Richtigkeit seiner Angabe führt er dann noch
einen Versuch an, den er am Kaninchenohr mit Gentianaviolett gefärbtem
Chloroform anstellte. Unter seiner Difiusionselektrode war die Haut weniger
geßLrbt, wenn er keinen Strom durchgehen liess, als wenn er sie als Anode
eines galvanischen Stromes benutzte.
Damit mir Wiederholungen erspart bleiben, will ich kurz anführen, wie
Adajmeiewigz die Diffusionselektrode herstellte. Sie besteht aus folgenden Theilen:
einem Reservoir im Innern einer messingnen Röhre, nach unten durch poröse
elektrische Kohle abgeschlossen und 3 com Flüssigkeit fassend. Nach oben be-
findet sich in dem metallenen Schaft eine Schraubenmutter, womit die Elektrode
an das ebenfalls metallene untere Ende des Elektrodenhalters angeschraubt wird.
Sowohl der Schaft der Diffusionselektrode wie das untere Ende des Elektroden-
tragers sind durchbohrt; ihr Hohlraum setzt das Reservoir der Diffusionselektrode
dicht unter dem Stromunterbrecher durch eine verschliessbare Oeffhung mit der
äussern Luft in Communication und „verhindert es, dass während der Kata-
phorese im Reservoir der Diffusionselektrode ein Vacuum sich bildet, dessen
Entstehung der weiteren Diffusion der Kataphoresenflüssigkeit hinderlich sein
müsse." lieber die elektrische Kohle wird eine Leinwandkappe übei^estülpt,
die in Metall gefasst ist. Der Metallring liegt dabei der Messingwand der
p]lektrode direct an.
Zunächst war zu entscheiden, ob das Chloroform den elektrischen Strom
leite (Adamkebwicz) oder nicht (Pabohkis und Wagneb). Um darüber ins
Klare zu kommen, wiederholte ich den Versuch von Paschkis und Waqnbb,
goss Chloroform in eine Porzellanschale und leitete einen Strom von 30 El.-St
durch. Eß gab keine Spur von Nadelausschlag, so lange nicht die beiden in
das Chloroform eingetauchten Metallstifte der Leitungsschnur sich direct be-
rührten. Daraus konnte man schon schhessen, dass Chloroform den elektrischen
Strom schlecht leitet Sollte es in der ADAMKiEWicz'schen Elektrode seine
physikalischen Eigenschaften ändern? Das war kaum zu ei-warten und auch
1 Dieses Gentralblatt 1886 S. 497.
84'
' — 588 —
thatsächlich nicht der Fall, wie folgender einfache Versuch zweifellos beweist.
Ich fällte den Behälter der Diffdsionselektrode, nachdem ich ihn von dem Elek-
trodenträger abgeschraubt hatte, bis zum Band des Schaftes mit Chloroform, legte
unter die elektrische Kohle das metallene Ende des negativen Poles und tauchte
mit dem Stift des positiven Poles in das Chloroform ein, während die Batterie
in Action war. Die Galvanometemadel rührte sich nicht Berührte ich aber
die Messingwand des Behälters mit dem positiven Pol, so erhielt ich einen
stürmischen Nadelausschlag. Ebenso blieb die Galvanometemadel in Buhe, wenn
ich den den positiven Pol repräsentirenden Metallstift in das Chloroform tief
eintauchte, so lange ich nicht auf die innere Fläche der elektrischen Kohle aof-
stiess. Sobald ich diese berührte, bekam ich starke Nadelablenkung. Das
Besultat war den eben angefahrten analog, wenn ich über die elektrische Kohle
die mit Wasser angefeuchtete Leinwand überzog, d. h. man erhielt einen Nadel-
ausschlag, wenn man mit dem positiven Pol die Metallwand berührte, oder
keinen, wenn derselbe frei ins Chloroform des Behälters tauchte.
Pasohkis und Waqneb waren demnach im Becht, wenn sie behaupteten,
dass das Chloroform den elektrischen Strom nicht leitet. Aber Adam-
KiEwioz bekam doch einen Nadelausschlag von 10 M.-A. und mehr, wenn es
ihm beliebte, und schliesst daraus, dass das Chloroform in seiner Elektrode den
elektrischen Strom „nicht nur nicht unterbricht, sondern nicht einmal merklich
beeinflusst'^. Sehen wir, woher das kommt Er benetzt die Leinwand beider
Elektroden mit Wasser — in seiner ersten Publication sagt Adamktkvicz, man
soUe warten mit dem Au&etzen der Elektrode, bis das Chloroform die Leinwand
durchtränkt habe; daraus, dass Paschkib und Wagneb dies befolgten, macht
er ihnen später einen Vorwurf — , setzt sie auf den Körper auf und bekommt
einen Nadelausschlag. Das kann nun wahrlich nicht Wunder nehmen, sind
doch dem elektrischen Strome jetzt eigentlich zwei Wege frei, eiimial durch den
Messingbehälter über die elektrische Kohle und die angewässerte Leinwand und
dann noch über die Metallfassung und die Leinwand. Dass da der elektrische
Strom nicht allein nicht unterbrochen, sondern nicht einmal merklich beeinflusst
wird, ist leicht begreiflich. Aber' ebenso sicher steht nach bekannten physi-
kalischen Gesetzen fest, dass der elektrische Strom nicht seinen Weg durch das
so gut wie nichtleitende Chloroform nimmt, wenn ihm zur Passage eine metallene
Leitung zur Verfügung steht.
Als weiterer Beweis, dass Chloroform die Elektricität nicht leitet, diene
folgende Versuchsanordnung und ihr Ergebniss. Man nimmt zwei mit Leinwsuad
überzogene Elektrodenplatten, presst sie, während die Batterie in Thätigkeit ist,
gegen einander, indem man continuirlich so viel Chloroform auf dieselben giesst,
dass . der Ueberschuss abtrieft; selbstverständlich bleibt auch da ein Ausschlag
der Galvanometemadel aus. Befeuchtet man aber die eine Platte mit Wasser^
die andere mit Chloroform und presst sie alsdann aneinander, so reagirt die
Nadel, weil dabei ein Theil des Wassers in die Leinwand der chloroformbenetzten
Elektrode durch den Druck eingetrieben wird und dem elektrischQ^ Strom eme
passirbare Brücke schafft.
— 589 —
Dass nun ein Körper, der den elektrischen Strom nicht leitet, nicht durch
sich hindurchgehen ISsst, von demselhen mit fortgeschleppt, kataphoresirt werden
könne, ist a priori unwahrscheinlich. Der elektrische Strom wird ihn erst recht
unbeachtet liegen lassen, wenn ihm der Weg so bequem gemacht ist, wie in
der Diffusionselektrode. Ob das Chloroform überhaupt und wie viel davon
eventuell durch den Strom in die Haut übergeföhrt werden kann, wenn der
Versuch nach der AnAMEiEwicz'schen Angabe angestellt wird, darauf will ich
weiter unten eingehen.
Zunächst noch ein paar Worte über das „Vacuum" in dem Reservoir, das
bei der Thätigkeit des Stromes entstehen und durch eine eigene Vorrichtung
vermieden werden soll. Ich glaube, auch ohne die letztere wäre das Vacuum
nicht zu befürchten, nicht einmal in dem Falle, dass das Chloroform wirklich
durch den Strom in grösserer Menge weitergeführt würde. Dafür ist in dem
Bau der Diffusionselektrode schon genügend gesorgt, einmal durch die nicht
luftdicht schliessende Schraubenmutter, sodann durch die Porosität der elek-
trischen Kohle. Wenn aber der elektrische Strom das Chloroform nicht mit sich
aus dem Reservoir fortträgt, wie kommt es dann heraus. Denn dass es heraus-
kommt, darin hat Adamkiewicz zweifellos Recht. Man findet nämUch nach
einiger Zeit den Chloroformbehälter zum Theil oder vöUig leer. Aber man findet
ihn auch leer, einerlei ob die Elektrode m den Strom eingeschaltet war oder
nicht; man findet ihn leer, wenn man die Elektrode fuUt und einige Stunden
aufrecht stehen lässt. Nun das Chloroform kommt sehr einfach aus seinem
Behälter heraus. Es folgt dem Gesetz der Schwere und fliesst durch die Poren
der elektrischen Kohle durch, verdunstet dann u. s, w. Das riecht man nicht
nur, wie. schon Wagner und Faschkis erwähnen, das sieht man auch; man
braucht zu dem Zwecke nur ein Stück Schreibpapier unter die Elektrode zu
legen und zu beobachten. Es entsteht alsbald ein heller Fleck in dem Papier,
der rasch schwindet, sobald man die Elektrode in die Höhe hebt und der
Chloroformzufluss verhindert ist Es macht keinen Unterschied, ob die Eohle
nackt oder mit Leinwand überzogen dem Papier anliegt Entfernt man die
Leinwandkappe während dieses Versuchs rasch von der Elektrode und riecht
daran, so hat man in den ersten Momenten einen ebenso intensiven Chloroform-
geruch, wie von einer chloroformgetränkten Maske. Dieser Versuch beweist
ausserdem, wie problematisch das Vacunm ist. — Dass das Chloroform rasch
verdunstet, lehrt auch folgende Beobachtung. Ich hatte die mit Chloroform ge-
füllte Diffusionselektrode an einem der heissen Tage vor etlichen Wochen im
Schatten aufgestellt Nach Inirzer Zeit war die messingne Seitenwand mit einem
tropfenformigen Wassemiederschlag bedeckt, wie er von dem DanieU'schen Aether-
hygrometer her bekannt ist Dies konnte nur durch betrachtliche Abkühlung
des MetaUs in Folge der raschen Verdunstung des Chloroforms zu Stande ge-
kommen sein.
■
Was lehrt nun die Anwendung der Chloroformelektrode am Menschen? Die
dabei gemachten Beobachtungen und Resultate stimmen in ihren Hauptzügen
mit denjenigen von Pasohkis und Wagneb überein. Setzt man
— 590 —
1. die Diffosionselektrode mit oder ohne Leinwandüberzug, mit oder ohne
Durchfeuchtung der letztern mit Wasser, auf 'die Haut, so entsteht unter der-
selben nach Va — ^U Minute ein Gefühl von Kälte, nach 1 — 1V2 Minuten inten-
sives Brennen etc., das später nachlässt. Ist man im Stande, den Schmen
einige Minuten, zu ertragen, so findet sich an der betreffenden Stelle Abstom-
pfung des Schmerzsinns und, wie es scheint, auch des Temperatursinns. Der
Tastsinn ist vorhanden, aber nicht scharf. Dies Alles ohne Mithülfe des elek-
trischen Stromes.
2. Man applicirt beide Elektroden auf die Haut, durchfeuchtet die als in-
differente Elektrode dienende Ka mit Wasser, lässt aber die Leinwand der Dif-
fusionselektrode (= An), die mit Chloroform gefüllt ist, trocken und schliesst
jetzt den Strom. Dieselben Erscheinungen in der gleichen Zeit, wie sub 1, ohne
dass die Oalvanometemadel sich vom Platze rührt.
3. Man befeuchtet beide Elektroden mit Wasser und setzt sie auf die Haut
Jetzt erhält man aus weiter oben angegebenen Gründen einen Nadelausschlag.
Die anfängliche Kälte unter der Diffiisionselektrode (=An) geht in Brennen
über, das bei Zunahme der Stromintensität und des Nadelausschlags sich bis
zur Unerträglichkeit steigert. Später sind Temperatur- und Schmerzsinn abge-
stumpft Die Haut ist unter der Diffusionselektrode aufgelockert, hellroth und
die Papillen leicht opac; die Veränderungen sind jedenfalls stärker als nach
Versuch 2.
4. Versuchsanordnung wie bei 3, nur ist die Diffusionselektrode jetzt zur Ka
gemacht. Es lässt sich ein wesentlicher Unterschied von 8 in dem Effect nicht
erkennen.
5. Es wird statt des galvanischen Stromes der faradische Strom genommen.
Der Effect ist bei stärkerem Strom resp. geringerem Bollenabstand fast derselbe,
wie bei 2 und 3.
Die Epidermis verhält sich bei 3. — 5. wie bei Anwendung eines sehr starken
galvanischen resp. faradischen Stromes (Quellung, Böthung, Verschorfang oder
Bläschenbildung, langsame Heilung etc.), diese Symptome entstehen in der Haut
oft schon bei einer Stromstärke von 3 — 5 M.-A., sind weniger stark, wenn kein
Strom durchgeht, bleiben aber auch dann nicht aus, abgesehen von der Ver-
schorfung.
Diese Beobachtungen weisen darauf hin, dass das Chloroform vorwiegend
durch den einfachen Contact mit der Haut wirkt und dass die Eataphorese
derselben durch den galvanischen Strom nicht wesentlich dabei ist. Denn es
könnte sonst die Wirkung nicht fast die gleiche sein, wenn der Strom umge-
kehrt geht, d. h. die Bichtung, in der das Chloroform in die Haut übeigefohrt
werden soll, entgegengesetzt Dass die Wirkung eine intensivere ist, wenn
gleichzeitig die Haut durch den galvanischen Strom aufgelockert und hyper-
ämisch ist, als wenn man eine einfache Chloroformwirkung auf die normale Haut
hat, ist nicht besonders auffallend. Ist doch der Effect auch grosser, wenn man
die mit Chloroform gefüllte, nicht elektrisch durchflossene Diffusionselektrode auf
eine Hautpartie setzt, durch die vorher einige Zeit ein elektrischer Strom durch-
. — 691 —
ging. Es werden dadurch Yeränderaiigen der Haut geschafien, die dem mecha-
nischen Eindringen des Clilorofonns förderlich sind. In dieser Weise ist auch
wohl die Beobachtung von Adamkiewigz zu deuten, die er an dem Eaninchen-
ohr machte. Es fand sich mehr Gentianaviolett vor in der Haut des Ohres,
wenn gleichzeitig durch die aufgesetzte Elektrode ein galvanischer Strom floss,
als wenn sie ohne einen solchen aufgesetzt wurde. Ob das Gentianaviolett bei
diesem Versuch an das Chloroform gebunden, in die Haut eindrang oder in
dem Wasser der Elektrode gelöst, ist eine untergeordnete Frage. Jedenfalls
hatte aber dieser Versuch Adamkiewioz sehen lassen müssen, dass das Chloro-
form aus seinem Behälter einfach ausfliesst und nicht durch den galvanischen
Strom weiterbewegt wird.
Bis jetzt haben wir gesehen, dass das Chloroform den elektrischen Strom
nicht leitet und folglich in reinem Zustand von demselben auch nicht kata-
phoresirt werden kann. — Etwas complicirter scheint bei nicht genauer Be-
trachtung die Sache dadurch zu werden, dass Adameobwicz die Leinwandkappe
mit Wasser befeuchtete, wodurch Chlorofonn mit Wasser in Berührung kam,
in demselben gelöst und als Chloroformlösuug in die Haut kataphoresirt werden
konnte. Nach den physikalischen Gesetzen ist die üeberführung einer Flüssig-
keit vom positiven zum negativen Pole um so bedeutender, je grösser der
Leitungswiderstand der Flüssigkeit (Lösung) ist, immer vorausgesetzt, dass die
Flüssigkeit überhaupt leitet und auch durchflössen wird. Es könnte sich dies
mit der Chloroformlösung ebenso verhalten. IJm dies beurtheilen zu können,
muss man nothwendigerweise die Löslichkeit des Chloroforms in Wasser kennen.
Es lösen sich nun in 1000 Theilen Wasser 8 — 9 Theile Chloroform,
wie mir Herr Prof. Quinkb die Freundlichkeit hatte mitzutheilen; zur Befeuch-
tung des Leinwandüberzuges der DiSusionselektrode braucht man etwas mehr
als 1 com Wasser. Angenommen, es wären 2 ccm oder Gramm nöthig, wovon
nach der Sitzung mindestens die ELälfte in der Leinwand zurückbleiben wird,
so könnte günstigen Falls ein Gramm in Verbindung mit Chloroform getreten
und kataphoresirt worden sein. Dieses Gramm Wasser würde enthalten 0,008 bis
0,009 Chloroform, eine Quantität, der man einen grossen EfTect kaum zuzu-
schreiben geneigt sein dürfte.
Eine andere Möglichkeit, wie das Chloroform von dem elektrischen Strom
in die Haut „hineingezogen^' werden könnte, wäre die, dass es in dem Wasser
des Leinwandüberzuges suspendirt vorkäme. Lnmer frische Thälchen könnten
an die SteUe der alten treten, wenn diese der Strom forttrüge, so dass auf diese
Weise doch eine ganz genügende Quantität unter die Haut gelangte. Aber
auch gegen diese zu Gunsten der von Adamkiewioz angegebenen Kataphorese
gemachte Annahme sprechen physikalische Thatsachen. Jüb&bnsen wies namr
lieh schon im Jahre 1860 nach, dass feste Theilchen in einer Flüssigkeit
— und als solche haben wir Chloroformkügelchen, die in Wasser suspendirt sind,
zu betrachten — in der Richtung des negativen Poles sich bewegeA.
Dies Gesetz ist so feststehend, dass, wie du Bois-Rsymoio) sich ausdrückt,
„man so gewiss, wie aus der Ablenkung der Magnetnadel die Bicbtung des
- 592 -
negativen Poles aus seiner anaphorisohen Wirkung auf die festen Körperchen
würde bestimmen können." Herr Prof. Quincke, eine auf diesem Gebiete an-
erkannte Autorität, bestätigte mir dies und äusserte sich dahin, dass es sich
mit Chloroform nicht anders verhalten würde, wenn er auch gerade diesen
Körper nicht speciell untersucht habe; die Kügelchen würden vom negativen
zum positiven Pole geführt werden. Auf unsem Fall angewandt geht daraus
hervor, dass bei Anordnung der Elektroden und des Stromes, wie es Adahkie-
wioz that, das Chloroform, wäre es in suspendirtem Zustande gewesen, aus der
Leinwand nicht nach der Haut, sondern gegen die Elektrode hin durch den
Strom hätte transportirt werden müssen. Da es dies aber nicht that, sondern
ruhig auf die Haut floss, darf man wohl annehmen, dass sich das Chloroform
wenig an dem elektrischen Strom störte und dieser sich auf seinem bequemen
Wege über Metall und feuchte Leinwand wenig um das Chloroform kümmerte.
Einmal in oder unter die Haut gelangt — wie? haben wir bereits gesehen .
— kann Chloroform allenfalls in geringer Menge von der Gewebeflüssigkeit ge-
löst werden; daran trägt aber dann die Elektricität keine Schuld. Der gal-
vanische Strom selbst konnte im allergünstigsten Falle nicht mehr
als 0,008-— 0,009 Chloroform in Lösung kataphoresiren, alles andere ge-
schah, abgesehen von der Auflockerung der Haut, ohne ihn. So viel ist fest-
stehend, dass Adamkiitwioz die Diffusionselektrode für den Zweck,
zu dem sie dienen sollte, physikalisch falsch construirt hat und ein
Mittel wählte, das wegen seines Verhaltens gegen den elektrischen Strom
geradezu unbrauchbar ist.
Damit soll den therapeutischen Erfolgen, die Adamkikwigz mittelst seiner
Behandlungsmethode erzielte, gar kein Abbruch gethan werden. Die Anoden-
wirkung des galvanischen Stromes war ja da und die Reizung der Haut erkennt-
lich an deren Böthung, * Quellung, Bläschenbildung etc. kann ganz wohl ableitend
gewirkt haben, ebensogut, wie es ein trockner Schröpf köpf, Senfteig u. s. w. bei
Neuralgien thun und dadurch direct schmerzlindernd wie heilend wirken können.
Also an der Wirkung der A t) a mtcth vicz'schen Methode kann man nicht zweifeln;
falsch ist nur seine Erklärung dieser Wirkung. Empfehlen kann ich die Me-
thode w^n ihrer Schmerzhaftigkeit nicht.
Ist die Application des Nervinum subcutan m^lich, so würde ich, will man
absolut die beiden Heilmittel, Elektricität und Antineuralgicum , zusammen an-
wenden, folgende Methode der Anwendung entschieden praktischer finden: Man
injicirt das Antineuralgicum subcutan über dem Schmerzpunkte und soweit als mög-
lich in die Nähe desselben oder des Nerven, sucht die EinstichöShung möglichst
entfernt und seitlich von dem Nervenpunkt anzubringen und lässt dann d^ gal-
vanischen Strom in Action tretra, so dass die Anode direct über dem Nerven-
punkt aufsitzt. Dadurch erzielt man, dass dem Strom der Transport des Mittels
durch die sehr grossen Widerstand bietende Haut erspart bleibt und dass der
Strom das Mittel in möglichster Nähe des Nerven in ziemlich concentrbler
Lösung auf seinem Wege findet, was ihm die üeberführung desselben in den
Nerven erleichtem wird. Jedenfalls sind die Chancen, auf diesem Wege eine
593 —
combinirte Wirkung, eine grössere Gesammtleistung von Medicament und gal-
vanischer Anode zu erreichen, viel grössere.
Heidelberg, im August 1888.
2. Zur Darreichung und Wirkung des Sulfonals.
Von Dr. H. Busoheweyh.
(Aus der psychiatrischen Klinik zu Jena.)
Seit Kast's Aufsatz im Juliheft der therapeutischen Monatshefte „lieber
die Art der Darreichung und Verordnung des Sulfonals" sind weitere Arbeiten
über dieses neuste Hypnoticum nicht erschienen, wenigstens liegen keine Ver-
öffentlichungen vor, die der von Käst auf Grund von chemischen Experimenten
und Thierversuchen vorgeschlagenen Art der Verordnung des Sulfonals Rechnung
tragend, eine Bestätigung derselben in der Praxis aufwiesen. Kast empfahl in
Folge der Schwerlöslichkeit des Sulfonals und schweren Angreifbarkeit seines
Moleküls, infolge der aus beiden Factoren resultirenden unsicheren Wirkung
bezüglich Eintritt und Dauer des Schlafes, das Sulfonal fein pulverisirt mit
^venigstens 200 ccm womöglich warmer Flüssigkeit in den frühen Abendstunden
mit dem Abendessen darzureichen, wo also ein grösseres Flüssigkeitsquantum
mit gutem Salzsäuregehalt und reichlichen Mengen von Salzen und Peptonen
dem Sulfonal die günstigsten Bedingungen für eine rasche Lösung darbietet.
Wir haben diese Verordnung Kast's an unserer Klinik praktisch verwerthet,
und die besseren Resultate, die wir seitdem mit dem Sulfonal (stets Sulfonal
Bayeb) erzielten, sowie einige weitere Beobachtungen über dieses Hypnoticum
veranlassten mich, dieselben mitzutheilen.
Im Ganzen kam das Sulfonal 212mal an 34 Kranken zur Anwendung.
Die Einzeldosen variirten zwischen 0,5 — 4 g.
Von den 212mal versagte das Mittel nur 24mal, d. h. in ca. 11% der
Fälle. Es ist interessant, dass, wenn auch einige wenige Male Kleinheit der
Dosis oder äussere Momente, wie hochgradige Unruhe von Mitkranken, Ursache
einer negativen Wirkung waren, jedenfalls sämmtliche ausbleibende Erfolge in
die Zeit vor der Verabreichung des Sulfonals nach I^t's neuerer Vorschrift
fallen. Wir gaben vordem das Sulfonal, wie wir es aus der Fabrik direct er-
hielten . oder fein pulverisirt im Löffel oder Weinglase mit kaltem Wasser, un-
abhängig von dem Abendbrote. Nachdem stets wohl verrührt in ca. V2 ^^^
heisser Bouillon oder Milch zum Abendessen — und in letzter Verabreichung
liess uns das Mittel nie im Stich.
Wir hatten eine Maniaca, der wir wiederholt 8 g im Weinglase Wasser ohne
jeden Erfolg dargereicht hatten; und trotzdem ihre Erregung eher noch zuge-
nommen hatte, erzielten wir später auf Verordnung in Bouillon einen tiefen,
achtstündigen Schlaf. Ja, wir konnten sogar in den nächsten Tagen auf 2 g
heruntergehen und erreichten denselben Effect. Und so auch bei andern Kranken,
wo die vorherige Darreichung mit etwas kaltem Wasser erfolglos geblieben war.
— 694 —
Ein Naohtheil tritt dabei allerdings ins Spiel: die vielgerühmte Oesohmacklosig-
keit des Sulfonals kommt in Wegfall. IMe Bouillon oder die Milch bekommen
einen deutlich bitteren Oeschmack, der durch Gewürze oder Zucker nicht zu
beseitigen ist. Er ist aber nicht derartig unangenehm, dass deshalb das Mittel
von den Kranken verschmäht wurde. Jedenfalls ist dies kein einziges Mal vor-
gekommen. —
Ich kann also diese Art der Darreichung nur empfehlen. Sie bürgt am
besten für eine sichere Resorption und völlige intensive Wirkung des Sulfonals.
Eine aufTallende Beschleunigung des Eintritts des Schlafes habe ich nicht con-
statiren können. Während derselbe bei der früheren Verordnung binnen Va ^is
5 Stunden sich einstellte, so habe ich in der Verabreichung nach East doch
auch mehrere Fälle gesehen, wo die Wirkung erst nach 4 Stunden erfolgte. —
In einigen wenigen Fällen, wo Damiederliegen der Magenthätigkeit uns einen
Fingerzeig gab, verordneten wir einige Tropfen Salzsäure mit dem Sulfonal, was
ebenfalls eine sichere und auch schnellere Wirkung hervorrief.
Hand in Hand mit dem prompteren Erfolge des Sulfonals ging das Aus-
bleiben der Nachwirkung am nächsten Tage, ich meine insofern, als die Kranken
da nicht über Müdigkeit und Verlangen, weiter zu schlafen, klagten. Weitaus
die Mehrzahl betonte oft si)ontai), sich ausnehmend „erquickt und erfrischt" zu
fühlen. Dieselben Kranken hoben aber auch hervor, dass sie am Abend eher
müde wurden, denn sonst, sich zeitiger zu Bette legten und — ohne Sulfonal
die zweite Nacht vortrefflich schliefen. Hierunter befand sich auch eine Mor-
phinistin mit absoluter Agiypnie, die doch mindestens ihre 2 — 3 Stunden in
der zweiten Nacht nach dem Sulfonalgebrauch schlief. Ich hebe diese That-
sachen besonders hervor, weil diese Ausdehnung der Sulfonalwirkung auf die
zweite Nacht immer nur im Zusammenhang mit allgemeiner Müdigkeit am
Tage angeführt worden ist. Diese Beobachtung, dass nach einer auf Sulfonal
durchgeschlafenen Nacht die Kranken sich am Tage „wohlauf und frisch" be-
fanden, die nächste Nacht ohne Mittel auch gut schliefen, die dann folgende
Nacht aber ohne Sulfonal nicht mehr — ist ein interessanter Beleg für die
eigenthümliche Wirksamkeit dieses Hypnoticums. Offenbar circulirt dasselbe über
24 Stunden im Blute; und seine einschläfernde Wirkung kommt dem am zweiten
Abende eintretenden physiologischen Schlafbedürfnisse in der Weise zu Gute,
dass wirklicher Schlaf eintritt, während sie am Tage die corticalen Vorgänge
bis zur Schläfrigkeit nicht herabzustimmen vermag. Ich habe diese Wahrnehmung
sehf-^eÖLbestätigt gefunden, so dass ich bei vielen Kranken geradezu nur eine
Nacht um die anderejas Mittel verordnete. Nur bei sehr aufgeregten Para-
lytikern und acut Paranoißcjien — bei welch' letzteren nebenbei die Wirkung
des Sulfonals am wenigsten eciatant wsff — . war ich genöthigt, es täglich zu
verabreichen.
Schliesslich will ich noch einige besondere Fälle hervorheben, wo sich das
Sulfonal wider Erwarten hülfreich erwies. Zunächst bei einer Morphinistin.
Diese stand am Ende ihrer Entwöhnungszeit und wies die heftigsten Abstinenz-
erscheinungen auf, die sich neben denen von Seiten des Digestionstraotus nament-
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— 696 —
lieh in totaler Schlaflosigkeit, innerer Unruhe und Drang nach Bewegung kund-
gaben. Hier half das Sulfonal Abends in Dosen von 2 — 3 g gegeben yortheilhaft
über die fatalen subjectiven Beschwerden hinweg. Patientin gab an, neben dem
prompt erfolgenden erquickenden Schlafe stetig ein Schwinden der inneren Un-
ruhe dabei an sich wahrgenommen zu haben. Auch pries sie, dass der Schlaf so
völlig traumlos war, eine Beobachtung, die mir auch andere Kranke, die sonst von
bösen Träumen heimgesucht wurden, versicherten. — Sodann hatten wir zwei Herren
in Behandlung, die wegen Lues Calomelinjectionen erhielten. Dieselben hatten in-
folgedessen recht starke Schmerzen und schlaflose Nächte. Der Eine wurde oben-
drein von Asthma syphiliticum gequält. Beiden wurde 1 gr Sulfonal, dem Einen
als „Stomachicum" gegeben, und . sie schliefen vorzüglich, letzterer zu seiner
grossen Ueberraschung, so dass er mich am andern Morgen fragte, ob ich mich
nicht vergriffen und ihm aus Versehen ein Schlafmittel verabreicht hätte.
Ich will die Arbeit nicht abschliessen, ohne auf einige Folgeerscheinungen
des Sulfonals aufmerksam gemacht zu haben. Sie fallen allerdings vorwiegend
in die Zeit, wo wir es unabhängig vom Abendbrote als Pulver in wenig Wasser
darreichten, wo wir öfters am Morgen Gelegenheit hatten, die Kranken noch
unter dem Einflüsse des Sulfonals zu sehen. So habe auch ich das Verlangen der
Patienten gehört, am Tage noch weiter schlafan zu wollen, wo offenbar die Wir-
kung des Hypnoticums erst so recht zur Geltung zu kommen anfing. Drei
Melancholiker, die zugleich unter Meconbehandlung standen, sowie eine Dame
mit Zwangsvorstellungen (ohne jede weitere Medication) klagten wiederholt am
Morgen über Schwindel und deutlich objectiv wahrnehmbaren Taumel, der nicht
bloss als Schlaftrunkenheit zu deuten war. Ein Hypochonder endlich betonte
zweimal, dass er sich am Morgen „dösig" und „elend" (nach 1 resp. 1 Va g)
fühle, doch nahm er jedesmal mit Freuden wieder das Mittel wegen seiner
exact^n Wirkung. — Dieses „elende" Gefühl habe ich nun freilich auch später,
als wir das Sulfonal nach Eabt's Vorschrift gaben, wiedergefanden als Aeusse-
rung eines gestörten Digestionstractus. Eine Maniaca brach an zwei Morgen,
nachdem sie Abends vorher 3 resp. 4 g Sulfonal erhalten hatte; eine Paralytica
hatte nach einmaliger 3 g Dosis recht heftiges morgentliches Erbrechen, was wie
oben weder vorher noch nachher beobachtet ward, also nur dem Sulfonal zuge-
schrieben werden konnte.
Einmal — bei einer Maniaca, die das Sulfonal längere Zeit (10 Tage hinter-
einander) erhielt — war zugleich deutliche Abnahme des Appetits auffallend,
was sich äusserlich auch in bedeutender Abnahme des Körpergewichts (um
8 Pfund) documentirte. Nach Aussetzen des Mittels hob sich letzteres mit dem
Appetit wieder. Wiederholentüch habe ich auch Diarrhöen während der Sulfonal-
therapie beobachtet, die allein dem Mittel zuschreiben zu wollen ich nicht wage.
Es bleibt noch übrig der Controlversuche mit einigen Worten zu gedenken.
Der oben erwähnte Hypochonder bekam wiederholt abwechselnd (ohne sein Wissen)
Sulfonal und Kreide, gab aber jedesmal recht prompt an, wann es Sulfonal ge-
wesen war. Vergleiche mit Paraldehyd fielen fast stets zu Ungunsten des
letzteren aus. Die Maniaca z. B., die auf 3 und 2 g Sulfonal recht gut 8 Stunden
i hei eih
die heftifff>,
— 596 —
lang schlief y reagirte auf 4 g Paraldehyd absolut nicht; ebensowenig auf 3,5 g
Amylenhydrat. Eine Melancholica, die Abends 0,05 oder 0,1 Opium erhielt.
Schlief stets darauf schlecht, während 1 g Sulfonal Sstündigen Schlaf ihr yer-
schaflte. Ein Melancholiker, bei dem (neben Opium) 0,5 Sulfonal zu einem
Tstündigen Schlafe gent^, fand ebensogut auf 2 g Paraldehyd oder 0,25 He-
thylal Schlaf.
In refracta dosi als Heilmittel der Geisteskrankheiten selbst ist das Sulfonal
nicht in Anwendung gebracht worden. Die Manien etc., deren symptomatische
Schlaflosigkeit mit Erfolg durch Sulfonal bekämpft wurde, blieben selbst ganzlich
unbeeinflusst.
Auf Orund unserer Erfahrungen können wir aber das Sulfonal als „Hyp-
noticum^' nur durchaus empfehlen, namentlich in der von Käst empfohlenen
Verordnung in Dosen von 2 — 3 gr als ein sehr sicheres, nur höchst selten von
unangenehmen Folgeerschemungen (seitens der Yerdauong) begleitetes Mittel
3. lieber Vagusexstirpationen.
Von Dr. Deea in Eaufbeuren.
Nachtrag zu dem Aufsatz „Zur Anatomie und Physiologie des N. vagus^'
(Archiv für Psychiatrie. Bd. XX. H. 1).
Nachstehendes bezieht sich auf Exsürpationen des N. vagus, welche zu dem
Zweck gemacht wurden, die centralen Endigungen (Kerne) desselben kennen zu
lernen. Seinerzeit als ich den N. accessorius untersuchte (im Münchener Labora-
torium), erhielt ich von Güdden 2 Schnittserien der Med. obl. von E^aninchen,
die er gleich nach ihrer Geburt in der Weise operirt hatte, dass er nach Er-
öffnung des Foramen obturatorium cervicis mittels eines kleinen Häkchens die
Wurzeln des IX. — XTL Himnerven direct von der Medulia ausriss. Nach einer
durch Herrn Prof. Grashet auf Anfrage mir gütig gewordenen Mittheilung ist
über diese Präparate in dem nächstens erscheinenden wissenschaftlichen Nachlass
Gubden'b nichts enthalten; ich sehe es deshalb als Pflicht an, was mir darüber
bekannt ist, bekannt zu geben, w^nn ich auch die Präparate nidit alle genau
untersucht: In den Präparaten war zu erkennen ausser den Accessoriusatrophien
Atrophien im dorsalen und ventralen Vago-Glossopharyngeuskem, im Hypoglossns-
kem und im solitären Bündel. Die Atrophie des dorsalen und ventralen Vago-
Glossopharyngeuskems war jedoch namentlich in den capitalwärts goldenen
Partien nicht ganz vollkommen, was Güdden damit erklärte, dass er die ent-
sprechenden Wurzeln nicht gut habe erfassen können — eine Ansicht, die nach
dem durch meine Yagusdurchschneidung erzielten Ergebniss jedenfalls die rich-
tige ist
Während meines Aufenthaltes zu Zürich 1887 hatte Herr Professor Forel
ebenfalls die Güte, mir 2 Serien von Präparaten aus der Med. obl. von Meer-
schweinchen vorzulegen, die ebenfalls schöne Atrophien im dorsalen Yaguskem
zeigten; ich weiss leider nur, dass dieselben von Herrn Dr. Mayseb in Bezug
auf den Yagus operirt waren, doch nicht, wie die Operation ausgeführt wurde.
— 597 —
Da mir daran gel^n war, die begonnene Untersuchung zu beenden und
zwar, da ich nicht wie Oxtddbk eine Untersuchung des bezeichneten Nerven-
complexes im Allgemeinen, sondern eine solche jedes einzelnen dieser Nerven
bezweckte, machte ich die Yagusdurchschneidung, wie sie sammt dem Ergebnis»
im XX. Bd. H. 1 des Arch. f. Psych, beschrieben ist.^
II. Referate.
Anatomie.
1) Ueber die Bestandtheile des vorderen Klelnhimschenkels» von W. Bech-
terew. (Arch. f. Anat. u. Physiologie. Anat. Abth. 1888.)
Zuerst fasst B. das Wenige, was bisher über die Anatomie des vorderen Klein-
himschcDkels bekannt ist, zusammen. Er selbst hat seine Stadien nach der von
Flechsig angegebenen entwickelungsgeschichtlichen Methode angestellt und 4 ein-
zelne Bündel erkannt, deren Fasern zu verschiedeneu Entwickelungsperioden des Fötus
Markscheiden bekommen.
1. Das am frühesten — bei 27 — 28 cm langen Föten — entwickelte kleinste
Bündel liegt ventral (ventrales Bündel).
2. Ein weit grösseres, bei 33 cm langen Föten markhaltiges, liegt dorsal (dor-
sales Bündel).
3. Ein Bündel, das bei 35 — 38 cm langen Föten markhaltig wird. Es ist grösser
als das erste und kleiner als das zweite und liegt theils zwischen den Fasern
der beiden ersten, theils vermischt es sich mit den Fasern des zweiten (mitt-
leres Bündel).
4. Ein Bündel, welches das grösste ist und sich zu Ende des intrauterinen
Lebens entwickelt. Es liegt theils zwischen den Fasern der beiden vorher-
gehenden, theils innen von denselben (inneres Bündel).
Das ventrale Bündel tritt nicht in das Kleinhirn» sondern verliert sich in der
Gegend des Kerns des Hömerven (Bechterew); nach vom geht es bis zu dem oberen
Theile des Föns, verlässt den vorderen Kleinhimschenkel, zieht ventralwärts und nach
innen und tritt nach Art der Commissurfasem über die Mittellinie.
Die Fasern des dorsalen Bündels erreichen zum Kleinhirn hin theils den Dach-
kem, theils ziehen sie zur Binde des oberen Wurms der gleichen Seite.
Die Fasern des mittleren Bündels vertheilen sich hauptsächlich auf den Kugel-,
zum Theil auf den Pfropfkem. Nach vom hin enden die Fasem des zweiten und
dritten Bündels im rothen Kern. Das innere Bündel endet mit einem Theil der
Fasem im Corpus dentatum cerebelli, ein anderer Theil scheint direct zur Rinde der
Kleinhimhemisphäre zu ziehen. Nach vom hin kreuzt es sich zusammen mit Bündel 2
und 3 unter dem Vierhügel und geht darauf zum rothen Kern. P. Kronthal.
Experimentelle Physiologie.
2) c:k>ntribution a l'ötude du oentre oöribroseiiBitif visuel ohea le ohien,
par A. N. Yitzon. (Gomptes rendua. 1888. 23. Juli.)
Verf. entscheidet die Frage, ob nur der OccipitaUappen oder auch der Gyrus
angularis zur Sehsphäre zu rechnen sind, zu Gunsten Munk*s. Nach einseitiger
^ Cf. das Referat Nr. 5 in dieser Nummer.
— 698 —
Zerstörang der Binde der MunVschen Sebspbäre bei Hunden constatirte Verf. Blind-
beit des contralateralen Auges, welcbe sieb freilieb späterbin als eine nicbt absolute
erwies. Kacb beiderseitiger Abtrs^ng der Occipitallappen (in einer Sit&ung)
tritt eine vollständige und dauernde Blindbeit auf beiden Augen ein. In
einem vom Verf. genau bescbriebenen Yersucb blieb das Tbier 3 Monate leben, der
Tod erfolgte in Folge epileptiformer Anfölle. Die Section bestätigte, dass die bintere
Hälfte der 3 Parallelwindungen abgetragen worden war. Die Blindbeit war eine
absolute gewesen, Gebor und Berübrungsempfindlicbkeit verscbärft. Aucb bei dem
Affen bat der Gyr. angularis nicbts mit der Sebspbäre zu tbuu. Tb. Zieben.
3) The objeotive cause of Sensation. Part. m. The sense of smell, by
Haycrafft. (Brain. 1888. Juli.)
Die Arbeit scliliesst sieb eng an den 2. Tbeil: „Taste" (Brain. 1887. Juli. —
Dieses Ceutralblatt 1887 S. 544) an, auf den zum Tbeil verwiesen werden muss.
Aucb hier gebt H. von dem Gesetz der periodiscben Wiederkebr der Function oder
Eigenschaft der Elemente aus, einer Feriodicität, die sich bei Gruppirung derselben
nach ihren Atomgewichten zeigt (Mendelejeff'scbe Gruppen). Er zeigt, dass zunächst
anorganische Elemente einer und derselben nach diesem Gesetze gebildeten Gruppe
und ihre Verbindungen mit gleichen anderen Elementen, soweit sie überhaupt riechen,
ziemlich gleiche Gerüche hervorbringen. Es können dabei die Endglieder der betr.
Gruppen ziemlich verschiedene Geruchsempfindungen erregen, z. B. Chloroform und
Jodoform; immer aber sind Uebergänge da, hier z. B. das Bromoform. Ebenso ist
es, wie H. bewiesen, auch beim Geschmack (s. d. betr. Tab'eUen). Da nun nach
Oarnelley gleiche Verbindungen, z. B. die Chlor- und Jodsalze einer bestimmten
nach dem Gesetze der Feriodicität geordneten Gruppe, wenn sie auch nicbt die gleiche
Farbe haben, so doch in Bezug auf diese in gesetzmässiger Weise verschieden sind
(je höher das Atomgewicht des betreffenden Elementes der Gruppe ist, desto naher
dem rothen, je niedriger, desto näher dem blauen Ende des Spectrums wird Licht
resorbirt und demgemäss ändert sich die Farbe, wobei auch hier die Uebergänge
ganz allmählige sind), die Aenderungen in der Farbe aber sicher durch Aendenmgen
in den Molecularschwingungen der betreffenden Substanzen bedingt sind, so muss man
per analogiam annehmen, dass auch die Verschiedenheiten im Geruch auf solchen
Aenderungen in den Schwingungen beruhen; gleichscbwingende Moleküle werden auch
denselben Geruch hervorbringen.
Aehnlich ist es nun auch bei den organischen Verbindungen. Gehen wir in
den einzelnen Gruppen z. B. den einatomigen Alkoholen, den Fettsäuren etc. von den
Verbindungen niedrigsten zu denen höchsten Moleculargewichts, so finden wir auch
ganz allmähliche Aenderungen im Geruch von der einen zur anderen, während die
beiden Endglieder sehr verschieden riechen können. Dennoch kann man wohl von
dem „generellen'' Geruch einer Gruppe sprechen. Es ist nun constatirt, dass die
Absorptionsstreifen gewisser, nicht farbiger organischer Gruppen z. B. der Alkohole,
wenn man wieder von den niederen zu den höheren aufsteigt, bei den höheren all-
mählich mehr an das rothe Ende des Spectrums rücken. Man ist also auch hier
berechtigt, die Aenderungen im Geruch, die gerade so allmählich eintreten, wie die
Aenderung in der Stellung der Absorptionsstreifen, auf Aenderungen in den Schwin-
gungen der Substanzen zurückzuführen.
Verf. kommt schliesslich zu folgenden Schlüssen:
1. Geht man von den niederen zu den höheren Gliedern der Mendelejeff*schen Gruppen,
so wird nach den bisherigen Untersuchungsresultaten die Wellenlänge der Mole-
cularvibrationen eine niedrigere. Zur selben Zeit ändern sich die Farben-, Ge-
Bclimacks- und Geruchsempfindungen, wo sie überhaupt vorhanden sind.
— 599 —
2. Qehi man von den niedrigeren zu den höheren Gliedern organischer Beihen, z. B.
der Alkohole, so werden die Wellenlängen der Molecolarvibrationen, soviel wir jetzt
wissen, geringer. Farben-, Geruchs- und Geschmacksempfindungen ändern sich
dementsprechend in der angedeuteten Weise. Bruns.
4) Boport on some of the motor functions of oertain cranial nerves (V,
Vn, IX, X, XI, XIT) and of the three first cervical nerves in the
monkey (Maoacns sinieus), by Gh. Beevor and Yic. Horsley. (The Brit.
med. Journ. 1888. 4. Aug. p. 220.)
B. und H. haben an Affen die in der üeberschrift genannten Nerven auf ihre
motorische Function untersucht und einige bisher irrige Annahmen in Bezug darauf
richtig zu stellen gesucht Die genau beschriebene Untersuchungsmethode steckte
sich zum Ziel, die bezüglichen Nerven nach Trennung vom Bulbus an der Basis der
Schädelhöhle und auch in der Gegend des Nackens ausserhalb des Schädels vor und
nach ihrer Theilung zu reizen. Als Beizung diente der secundäre Inductionsstrom;
die Thiere waren narkotisirt.
Trigeminus. Die Beizung der motorischen Wurzel erzeugte kräftigen Eiefer-
schluss, doch wich der Unterkiefer, obgleich nur die Muskeln der einen Seite thätig
waren, ni^ht seitwärts ab.
(VII.) Man nahm bisher noch häufig an, dass der Gaumenheber vom Facialis
mittelB des N. petrosus superficialis innervirt werde. In diesen Versuchen wurde
gezeigt, dass die stärksten Ströme auf das peripherische Ende des im Meat. auditor.
int gekreuzten Nerven keinerlei Hebung des welchen Gaumens zur Folge hatte, das
Gesicht aber wurde in heftigen Krämpfen verzerrt. — Die Innervation des Levator
palati mollis geschieht durch den XI. Nerv.
(IX.) Niemals sahen die beiden Forscher Bewegung des weichen Gaumens,
wenn der N. glossopharyngeus innerhalb der Schädelhöhle gereizt wurde. Dass in
2 Fällen Reizung des Nerven vor der Durchschneidung unter dem Ligam. stylo-hyoi-
deum Hebung des Gaumens hervorbrachte, muss wohl als Beflexwirkung aufgefasst
werden.
(X.) Wurde der Vagus ausserhalb der Schädelhöhle gereizt, unterhalb seiner
Verbindung mit dem Hypoglossus, so erfolgten rhythmische Schluckbewegungen, 25 in
35 Secunden. In einem Falle folgte auf Reizung des peripherischen Endes (nach
Durchschneidung) Constriction der Pharynx, Wenn das peripherische Ende des durch-
schnittenen Nerven innerhalb der Schädelhöhle gereizt wurde, so entstand keine Be-
wegung, zum Beweise, dass die Schluckbewegungen Reflexwirkung waren. Der Ramus
laryngeus superior gab bei Reizung rhythmische Schluckbewegungen (17 in 15 See).
Wurde der Nerv durchschnitten und das peripherische Ende gereizt, so entstand im
Larynx nur unbedeutende Bewegung, augenscheinlich durch Contraction des M. crico-
thyreoideus.
(XI.) Der Gaumenheber wird gänzlich vom 11, Nerven innervirt (vgl. oben VII).
Wenn das peripherische Ende des durchschnittenen Nerven innerhalb des Schädels
gereizt wurde, so erfolgte ausnahmslos Hebung des weichen Gaumens. Die Wege dei-
Innervation liegen wahrscheinlich im oberen Theile des Plexus pharyngealis, Felix
Semon fand ähnliche Verhältnisse beim Hunde.
(XII.) Reizung des Hypoglossus unter seiner Verbindungsstelle mit dem ersten
Cervicalnerv erzeugte Nioderlegung der hinteren gleichnamigen Zungenhälfte und Vor-
Streckung der Zungenspitze. Niemals entstand ein Zungenberg. Zugleich wurde das
Zungenbein niedergedrückt und dadurch zuweilen das Vorstrecken der Zunge verhindert.
Wurde das peripherische Ende des durchschnittenen Nerven an derselben Stelle gereizt,
erfolgte derselbe Effect — Mit Bestimmtheit konnte erkannt werden, dass die Zungen-
— 600 —
beweguDgen unilateral vor sich gingen. Beizung des durchschnittenen Nerven innerhalb
des Schädels ergab: die Zunge hinten abgeflacht und nach derselben Seite vorgestreclLt^
aber das Zungenbein nicht hinabgedrückt..
Die Zungenbein-Niederdrücker erhalten ihre Innervation vom 1. und 2. Cervical-
nerven im Gegensatz zur gewöhnlichen Annahme, dass der Hy^oglossus diese Function
habe. Der Irrthum entstand dadurch, dass der Hypoglossus gereizt wurde an einer
Stelle, die unterhalb seiner Verbindung mit dem 1. Cervicalnerven liegt.
Die motorischen Functionen der 3 ersten Cervicalnerven wurden studirt durch
Beizung derselben innerhalb des Wirbelkanals, und dann durch Beizung nach ihrem
Austritt zwischen den Proc. transversi der Wirbel.
1. Cervicalnerv. Yerbindnngszweig zum Hypoglossus.
Beizung desselben erzeugt Contraction in den Depressoren des Os hyoideum
(besonders M. sterno-hyoideus und stemo-thyroideus), weniger stark ausgesprochen im
Omo-hyoideus (und in einigen Fallen hier gar keine Contraction).
2. Cervicalnerv. Beizung erregt Contraction im M. omohyoideus und nament-
lich in dessen hinterm Bauch. Die Betheiligung im Stemo-hyoideus und Sterno-
thyreoideus war dabei nicht so ausgesprochen und nicht ausnahmslos in allen Fällen.
— Die motorischen Fasern des absteigenden Astes des Glossophatyngeus nehmen
ihren Ursprung aus dem 1. und 2. Cervicalnerven. Die Depressoren des Zungenbeins
scheinen also allein von dem 1. und 2. Cervicalnerven innervirt zu werden.
L. Lehmann (Oeynhausen).
6) Zur Anatomie und Physiologie des Nervus vagus, von Dr. Otto Dees,
2. Assistenzarzt in der Heilanstalt f. Geistoskranke zu Kauf benren. (Arch. f. Psych,
u. Nervenkrankheiten. XX. 1.)
Nach einem Ueberblick über die einschlägige Litteratur schildert Verfasser die
eigenen Thierversuche und deren Ergebnisse. Der Vagus wurde in der Mitte des
Halses freigelegt, durchschnitten und das peripherische Ende ausgerissen. Auf der
operirten Seite fehlten sowohl der dorsale als auch der ventrale Vagoglossopharp-
geus-Eern, die Fasern des solitaren Bündels waren verringert. Dies beweist für den
dorsalen Kern: Die Axencylinder der Zellen dieses Kernes werden Nervenfasern des
gleichseitigen Vagus. Die Fortsätze dieser Zellen ziehen sämmtlich im Vagus ver-
einigt in die Brusthöhle. Die Geschmacksnerven gehen nicht aus diesem Kern henor.
Die aus diesem Kern entspringenden Nervenfasern sind keine sensiblen, denn der
N. glossopharyngeus, wie die Br. auricularis und laryngeus sup. N. vagi zeigten sich
unversehrt. Die Duval'sche Annahme, dass der N. intermedius Wrisbergii in diesem
Kern seinen Ursprung habe, besteht nicht zu Becht. Die Fasern dieses Kernes sollen
nur Vasomotoren sein. Der ventrale Glossopharyngeuskem ist das nächste Centram
für die Innervation der Kehlkopfmusculatur. Das solitäre Bündel ist die aufsteigende
sensible Wurzel des Vagus und Glossopharyngeus. Dafür, dass Fasern aus der Baphe
in die Vaguswurzeln übergehen, haben sich keine Anhaltspunkte ergeben. Die In-
tactheit des Funiculus teres bewies, dass aus ihm keine Vagusfasem entspringen.
P. KronthaL
Pathologische Anatomie.
6) Beiträge sur Pathologie des N. vagus ^ von A. Lew in. (Dissertation. Si
Petersburg 1888. Bussisch.)
Eine pathologisch -anatomische Untersuchung des Granglion irunci nervi vagi
(s. Gangl. nodosum) des Menschen. Das Material dazu lieferten mehr als 100 Ca-
daver aus den städtischen Krankenhäusern, von Subjecten, die an verschiedenen
inneren nnd Infectionskrankheiten verstorben waren. Die histologische Untersuchung
— 601 —
wurde sowohl an frischen Präparaten, als aach, und zwar hauptsächlich an Schnitten
aus erhärteten Präparaten mit verschiedener Tinction ausgeführt.
Die Arbeit enthält genaue Beschreibung des histologischen Befundes am Gangl.
nodosum n. vagi in 26 Fällen von Ileotjphus, 19 Fällen von Herzkrankheiten und
20 Fällen Lungenschwindsucht In allen Fällen wurden pathologische Veränderungen
vorgefunden, obgleich zwar in sehr verschiedener Intensität. Was die Natur der
Veränderungen anbetrifft, so bestanden sie vorwiegend in Infiltration des Stroma des
Ganglions mit lymphoiden Eörperchen, Proliferation des Endotheliums an den die
Nervenzellen umgebenden Kapseln nebst Verdickung letzterer, und degenerativen Vor-
gängen an den Nervenzellen selbst (Vacuolisation, körniger Zerfall, Atrophie). Die
Beschreibung ist durch überzeugende Zeichnungen illustrirt P. Bosenbach.
7) Beitrag sur pathologischen Anatomie der Qliose der Hirnrinde, von
Buchholz. (Arch. f. Psych. XIX. S. 590.)
B. untersuchte ein Gehirn, dessen Grosshimrinde eine Unzahl jener bis steck-
nadelkopfgrossen Höckerchen darbot^ welche Fürstner als Gliose beschrieben; die
Höckerchen erwiesen sich solide, nur in einem fand sich eine makroskopisch sicht-
bare, noch Innerhalb der Binde liegende Höhle. Die Hirnhäute zeigten auch makro-
skopisch die Zeichen chronischer Entzündung; die erste wenig tingirbare und stark
verbreitete Bindenschicht liess ein verschiedenmaschiges, bald mehr feines, bald derbes
Fasemetz mit Spinnenzellen in wechselnder Menge erkennen; ausserdem reichliche
Bundzellen besonders in der Nähe der Geisse, nebst zahlreichen üebergangsformen
zu jenen; stellenweise vorhandene derbere Faserzüge leitet B. von den Spinnenzellen
ab; die Gefasse und zwar vor Allen die der obersten Schicht zeigten Verdickung der
Wandung und starke Kemvermehrung; andere schienen in homogene schlauchartige
Gebilde oder in Stränge von parallelen Fasern verwandelt ; die mit diesem Untergang
von Gefässen in Widerspruch stehende Vermehrung der Geßi^e wird als eine schein-
bare, durch Schwund des Gewebes bedingte erklärt. An den den Hockerchen ent-
sprechenden Stellen erscheint das Gewebe der obersten Schicht in die tieferen hinein-
gewuchert, wahrscheinlich unter tbeilweisem Schwund und theilweiser Verdrängung
der betreffenden Gewebselemente, wodurch die untere Gontour ein vielfach gewundenes
Ansehen erhält; das Gewebe der Tubera, das im Allgemeinen die geschilderte Be-
schaffenheit zeigt, lässt wenig zellige Elemente, fast ausschliesslich Spinnenzellen,
daneben zahlreiche faserartige Gebilde erkennen; in der Mitte des Höckerchens liegt
häufig ein Gefäss oder GeHLssrudiment, wohl als Ausgangspunkt der Bildung zu
deuten; einzelne Tubera zeigen dicke, verschiedenartig gerollte, oft concentrische
Bindegewebszüge mit eingelagerten langgestreckten Kernen; das umgebende Gewebe
zeigt die vorher beschriebenen Veränderungen. In der Umgebung der vorerwähnten
Höhle reichen die Bindegewebszüge wohl entsprechend dem bedeutenderen Alter der
Bildung weiter in das umgebende Gewebe; die Wandungen der Höhle zeigten aussen
derbere, innen weichere Gewebslagen, in denen zahlreiche Kerne und einzelne Gefäss-
rudimente liegen.
In einzelnen Präparaten sieht man, wie von einer centralen als Rest eines de-
generirten Gefasses nachweisbaren Partie eine Beihe derber, radiärer Spinnenzellen
entstammenden Fasern ausgehen, die in circulär angeordneten verschwinden; in diesem
letzten Befunde sieht B. ein früheres Stadium der Bildung der Tubera.
Die Ganglienzellen der tieferen Schicht zeigten nur unsichere Veränderungen
aber deutliche Verminderung; die Nervenfasern waren nur an den den Tubera ent-
sprechenden Stellen vollständig geschwunden, sonst nicht auffallend vermindert; die
Optici zeigten deutliche, ziemlich hochgradige Atrophie. A. Pick.
35
— 602 —
8) Beitrag zur Gk>lgi'8ohen E&rbungsmethode der nervösen Centralorgane,
von Dr. L. Greppin, 2. Arzt an der Irrenanstalt Basel. (Arch. f. Psychiatrien.
Nervenkrankheiten. XX. 1.)
G. bediente sich znm Schneiden des Gefriermikrotoms und hält dies fQr nfitz-
licher, als die Härtung in Alkohol und darauffolgende Einbettung. Bei Paralytiker-
Gehirnen constatirte Verf. auch eine beträchtliche Anhäufung von Spinnenzellen, will
dies jedoch nicht fOr pathologisch gelten lassen, da auch in normalen Präparaten
manchmal sehr zahlreiche derartige Zellen in allen Schichten gefunden würden.
Ganglienzellen, wie sie der Ref. in diesem Centralblatt 1887 Nr. 14 aus der zweiten
StimwinduDg eines Paralytikers als pathologisch abgebildet hat, kann G. als solche
nicht anerkennen, „da man bei durchaus normalen Gehirnen regelmässig bald in
di^er, bald in jener Schicht nebst gut entwickelten Zellen die ganz gleich de-
generirt aussehenden Bilder findet/' Im angeblichen ferneren Gegensatz zu der oben
citirten Arbeit fand Verf. in einer atrophischen Windung eines Paralytikergehimes
Ganglienzellen, die weit mehr Fortsätze hatten, wie die in den Abbildungen des Bef.
als normal bezeichneten. Es folgen die Protokolle der Versuche.
Ob es nützlicher ist mit dem Gefriermikrotx)m zu arbeiten, oder die Stücke auf
24 Stunden in Alkohol zu legen und dann mit dem Basirmesser zu schneiden, ist
Ansichtssache. Die Einbettung, von der gesprochen wird, erscheint kaum erforderlich,
da die Präparate nach 24stündiger Alkoholhärtung vorzügliche Schnittconsistenz be-
sitzen und es obendrein für die Golgi'sche Methode gar nicht nothwendig ist, sehr
dünn oder sehr gleichmässig zu schneiden.
Bef. hat in normalen Präparaten Spiunenzellen auch an anderen Orten, als
dicht unter der Oberfläche oder an der Grenze der grauen und weissen Substanz
gesehen, wie aus den Worten seiner Arbeit Seite 2 unten „fast ausschliesslich''
hervorgeht Aber auch jetzt noch behauptet er, dass sie in Gehirnen von Paralytikern
weit zahlreicher sind. Natürlich ist ein Präparat nicht beweisend, sondern man muss
eine ganze Reihe von Schnitten desselben Gehirnes mustern.
Was die pathologisch veränderten Ganglienzellen betrifift, so ist der darauf be-
zügliche Ausspruch G.*s oben citirt. Seite 5 der angegriffenen Arbeit findet sich der
Satz: „Es kommen zwar auch im normalen Hirne Ganglienzellen von sehr verschie-
dener Grösse vor.'' Auch hier kann man also nur ein Urtheil fällen, wenn man
nicht, wie es Verf. thut, ans einem einzelnen Präparat, nämlich dem abgebildeten,
Schlüsse zieht, sondern sich die Serie anschaut. Es konnte natürlich nur ein Schnitt
als Muster gezeichnet werden.
Dasselbe gilt auch für die dritte Behauptung G.*s. Er fand in einer atrophischen
Windung eines Paralytikers Ganglienzellen mit mehr Fortsätzen, als dem in der mehr-
fach erwähnten Arbeit für normal abgebildeten. Dass Bef. nicht etwa glaubte, im
Paralytikergehim atrophiren alle Ganglienzellen, geht doch wohl daraus hervor, dass
in der Abbildung des pathologischen Gehirnes 2 Zellen ausdrücklich als normal be-
zeichnet sind. Von den normalen Schnitten wurde derjenige zur Zeichnung ausgewählt,
der in einem Gesichtsfelde möglichst viele und schöne Zellen enthielt. Ob in einem
andern eine Zelle noch mehr Fortsätze hatte, war für die Wahl des abzubildenden
Präparates nicht bestimmend.
Im Uebrigen war die vermittelst der Golgi*schen Methode constatirte Vermeh-
rung der Spinnenzellen und Atrophie der Ganglienzellen durchaus nichts Neues. Die
einfachen Garmin- oder NissPschen Präparate lehrten dies bereits längst und giebt
es wohl nur noch sehr wenige, die derartige Befunde nicht anerkennen zu müssen
glauben.
Leider hatte G., wie es scheint, bei Abfassung seines Aufsatzes noch keine
Kenntniss von der Arbeit Bossbach's und Sehrwaldt's, die für die Theorie der Golgi'-
schen Färbung von ungemeiner Bedeutung ist und ganz andere Anschauungen über
dieselbe verbreiten muss, Anschauungen, welche den Schlüssen des Herrn Greppin
— 603 —
den Boden entziehen. Dem Bef. ist diese Gelegenheit willkommen zu der ErUäning,
dass er die Angaben , die in seinem Artikel „Zur pathologischen Anatomie der pro-
gressiven Paralyse der Irren'' gemacht wurden, sofern dieselben lediglich durch diese
Methode begründet sind, nur so weit aufrecht erhalten kann, als sie sich mit den
von Bossbach und Sehrwaldt in ihrer Arbeit „Ueber die Lymphwege des Gehirns''
(Centralblatt für die medic. Wissenschaften. 1888. Nr. 25.) veröffentlichten Besultaten
vereinigen lassen. Die Durchsicht älterer Präparate sowie eine Reihe von Versuchen,
die zum Theil nach den Angaben dieser Autoren angestellt wurden, haben ihm die
Ueberzeugung aufgezwungen, dass dieselben mit ihrer Anschauung über das Zustande-
kommen der Tinction bei nach Golgi behandelten Organen das Richtige gefunden
haben. Er ist jetzt mit ihnen der Meinung, dass die körperlichen Gebilde in der-
artigen Präparaten überhaupt nicht tingirt sind, sondern die Methode darauf beruht,
dass in die Lymph- und Spaltr&ume des Centridnervensystems Metall abgelagert wird.
'_ P. Kronthal.
9) Die progressive Paralyse. Eine histologische Studie von J. Fischl. (Ztschr.
f. HeUkunde. 1888. IX.)
F. ergänzt zuerst seine in diesem Blatte 1886 S. 79 referirte Arbeit durch
Angaben über einige Färbungsmethoden und warnt vor Deutung nachstehender Be-
funde als pathologische: 1. Fehlen oder Ersetztsein der Eemkörperchen, namentlich
der kleineren Ganglienzellen durch Körner, die kleiner als das Eemkörperchen sind;
2. rudimentäre Kemkörperchen (Löwit bekam davon den Eindruck von Eemtheilungs-
figuren, doch konnte F. niemals einen doppelten Kern in Ganglienzellen finden);
3. zackige Contour des Kemkörperchens; 4. mangelhafte Abgrenzung des sonst nor-
malen Kerns gegen das Zellenprotoplasma; in der weiteren Darstellung der Befunde
an normalen Gehirnen hebt F. hervor das vorwiegend häufige Vorkommen eines ellip-
soidischen Kerns in den Ganglienzellen, das regelmässige, mit dem Alter zunehmende
Vorkommen von Pigment in den Ganglienzellen; die pericellulären Bäume fehlen
ebenso häufig besonders bei Alkoholhärtung wie sie vorkommen; in den vorhandenen
finden sich gelegentlich einzelne nicht immer als pathologisch anzusprechende Kerne.
Im Anschluss an einige die Ge^se betreffenden Bemerkungen bemerkt F., dass die
Neurogliaschicht den geringsten Kemreichthum aufweist und dass er an normalen
Gehirnen Spinnenzellen niemals nachweisen konnte.
An den Gehirnen Paralytischer constatirte F. folgendes: Bezüglich des Nerven-
faserschwundes in der Grosshimrinde bestätigt F. zuerst die diesbezüglichen Angaben
Zacher's, doch ist er geneigt, die von diesem beschriebene Knotenbildung und Quel-
lung der Nervenfasern, falls sie nicht hochgradig und an vielen Stellen vorkommt,
nicht für pathologisch zu halten; weiter schliesst er, dass es nicht gestattet ist,
jedesmal die entzündlicHen interstitiellen Veränderungen als Folge der Nervenfaser-
degeneration anzusehen; diese letztere als Folge der stellenweise vorhandenen Erkran-
kung der Piagefösse anzusehen» ist F. nicht geneigt.
Hinsichtlich der Ganglienzellen fand F. niemals mit Sicherheit Kemtheilungs-
figuren, häufig jedoch die oben beschriebenen Befunde an Kemkörperchen, niemals
Kemtheilungen, ziemlich häufig pigmentöse Degeneration, sowie fettige Entartung,
welch* letztere zu völligem Zerfall der Ganglienzellen zu führen scheint; Hypertrophie
von Ganglienzellen fand sich niemaLs; die von Einzelnen beschriebene Sklerose der-
selben fand sich bei Alkoholhärtung gleichfalls nicht; ebensowenig Verkalkung,
Vacuolenbildung und Einwanderung von Zellen in das Protoplasma. Die Zahl der
Ganglienzellen erscheint in vielen Fällen von Paralyse entschieden vermindert und
zwar vorwiegend in der 3. Schicht (nach Meynert); eine Regel hinsichtlich des
regionären Verhaltens dieses Zellschwundes liess sich nicht constatiren; die peri-
cellulären Bäume erscheinen erweitert, die Zahl der in denselben liegenden Kerne
vermehrt, Anhäufung gelblich-grauer Massen in denselben fand sich niemals.
85*
— 604 —
Hinsichtlich der Piagefässe fand F., regionär in der yerschiedensten Weise ver-
breitet: am häufigsten deutliche Entwickelung der Membrana fenestrata an etwas
grösseren arteriellen Gefasschen und colossale Anhäufung von Kernen in der Nähe
der Gefasse (Details siehe im Original); sonst noch: Massenzunahme an den Arterien,
bedingt durch Umwandlang der Media in eine hyaline Masse; an den Gefassen der
Himsubstanz war nur selten Kemvermehrung zu vermissen^ deren Sitz zumeist der
perivasculäre Baum war; neben dieser fanden sich sehr häufig in wechselnder Menge
fettig pigm^ntöse Massen; in einem Falle fand F. die von Binswanger beschriebenen
Kemanhäufungen; Eemtheilungsfiguren an den Gelassen der Pia und des Gehirns
beobachtete er niemals, ebensowenig Verdickung der Intima, hyaline Degeneration,
Verkalkung, amyloide oder colloide D^eneration an den Himgefässen, mehrfach jedoch
Sklerose der Capillaren der Neurogliaschicht; eine Entscheidung, ob bei reichlicher
Gefössanordnung Neubildung vorlag, war nicht zu fällen. Hinsichtlich der Zwischen-
substanz giebt F. folgende an: Am Spärlichsten ist die Zahl der Kerne in der 1. bis
3. Schicht, am reichlichsten in der 4. Schicht (Schwalbe), doch finden sich Aus-
nahmen von dieser Begel, Spinnenzellen fanden sich am häufigsten in der Neuroglia-
schicht, weder an ihnen noch an den andern Elementen der Glia konnten Kem-
theilungsfiguren gesehen werden; die von Andern als diffuse und disseminirte Skleroso
beschriebenen Befunde konnte F. nicht constatiren, einigemale fand er aber in nor-
malen Gehirnen deutliche fibrilläre Massen.
Die von F. beschriebenen Befunde von zwei untersuchten Bflckenmarken bieten
nichts Neues.
Am Schlüsse der Arbeit beantwortet F. die Frage, ob die vorliegenden Befunde
das Wesen der Paralyse erklären, mit Nein, und spricht die Vermuthung ans, da&)
jene sich als eine Gliederung in mehrere anatomische Formen herausstellen werden.
Die Litteratnr ist eingehend benützt und sehr vollständig zusammengestellt;
eine Doppel tafel illustrirt einige Befunde. A. Pick.
Pathologie des Nervensystems.
10) Ein Fall von Gehirntumor in der motorischen Region, von Med.-Batl)
Dr. F. Siemens in Lauenburg i. P. (Berl. klin. Woch. 1888. Nr. 15.)
Bei einer erblich nicht belasteten 53jähr. ledigen Dame tritt nach schwächenden
Momenten im Klimacterium eine Psychose in der Form des Grössen- und Verfolgungs-
wahns auf. Durchaus keine Heerdsymptome dabei. Nach einer kleinen Hantverletzung
am linken Knöchel entsteht, wahrscheinlich durch Infection mit Gartenerde, auf der
die Kranke häufig zu sitzen pflegte, eine ausgebreitete gangränöse Entzündung. ALs
daher im Verlauf derselben tetanieartige, von dem kranken (linken) Bein ausgehende,
zuerst die linke Körperseite betreffende und dann auch auf die rechte Qbergebende
Krämpfe auftreten, ohne dass Bewusstseins«, Motilitäts- oder Sensibilitäts-Störungen
wahrzunehmen sind, liegt der Gedanke nahe, dass die betr. Krämpfe dnrcli das gleich-
zeitig in den Körper gedrungene Virus des Tetanus veruilasst worden sind.
Nach dem an Pneumonie und Pleuritis alsbald erfolgten Tode wurde eine bac-
teriologische Untersuchung des pleuritischen Exsudates angestellt, wobei sich zwei
Golonien entwickelten, von denen die eine aus einem Eitercoccus bestand; die andere
„tiefe erwies sich als nur einen kurzen kleinen, sich im hängenden Tropfen lebhaft
bewegenden, die Gelatine nicht verflüssigenden, und in der Stichcultur ähnlich wie
der Typhusbacillus wachsenden Bacillus enthaltend.^'
Indess deckte die Section noch einen runden 8 cm im Durchmesser und 4 cm ui
der Dicke messenden Tumor der rechten Hemisphäre auf (Spindelsellensarcom), welcher
den hintern Theil der 1. Stimwindung, obem Theil der vordem Central Windung und
des Paracentralläppchens einnimmt
605 -
Demnach ist die Natur der Krämpfe als cortical-epileptisch erwiesen.
Die sehr geringen und dann erst kurz vor dem Tode als Krampf und Spannung
und Schwäche des linken Beines eintretenden Heerderscheinungen lassen auf ein sehr
langsames Wachsen des Tumors schliessen.
Eine Beziehung zwischen der Geschwulst und der Psychose ist nicht anzunehmen.
. Sperling.
II) De la oöcitö verbale. Lösion isolöe de rimage visuelle du mo(, dissö-
mination possible des centres visuels graphiques, et moteurs dann les
deux hömisphöres, looalisation oortioale du sens ohromatique, par E.
' Landolt. (Travail publik dans Touvrage d6di6 ä M. Donders ä Toccasion de
son jubüö, Utrecht 27. Mai 1888.)
I. 64jähr. gebildeter Mann, nach mehreren Anfallen von Eingeschlafensein des
rechten Beins und nach längerem Spaziergang Anfälle von Parästhesie in der recliten
Hälfte der Lippen, auf die Eingeschlafensein der rechten Extremitäten und vorüber-
gehende Schwäche des rechten Beins folgt; auch in den übrigen Abschnitten der
rechten Körperhälfte ähnliche Sensationen, Fehlen einzelner Worte, vielleicht leichte
Bewussüosigkeit; in den folgenden Tagen Steigerung der Erscheinungen» Parese der
rechten Extremitäten; nach 8 Tagen sind alle motorischen und sensiblen Erschei-
nungen geschwunden, es bleibt aber Gedächtnissschwäche und massige motorische
Aphasie; in den folgenden Tagen tritt Schriftblindheit auf; Oopiren von Buchstaben
erfolgt durch Nachzeichnen, Hypermetropie 1,5 D, S 7io> rechtäseitige incomplete
Hemianopsie. Gedächtniss und Sprache frei; Spontanschreiben später langsam, aber
correct, früher unregelmässig; einfache Zahlen werden erkannt^ grössere erst mit
Hülfe der Schrift; während Weiss auch bei indirectem Sehen erkannt, und auch in
der rechten Gesichtsfeldhälfte als grau erkannt wird, besteht rechtsseitige absolute
Hemiachromatopsie; Sensibilität frei, rechte Hand etwas schwächer. Anfalle von rechts-
seitigen Parästhesien, Papillen blass, Pupillen eng, früher angeblich weit, reagiren gut.
II. 52jähr. Mann, r. Hemianopsie, S B ^j^q, L 7io> Myopie 9 D, Staphyloma
post., Papillen normal; Farbensinn normal. Geringe Paraphasie, Schriftblindheit,
Copiren möglich. Erkennen der eigenen Schrift durch Buchstabiren bis zu dem zu
lesenden Buchstaben; beim Spontanschreiben hilft ebenfalls das Buchstabiren, ohne
dieses Paragraphie. Sensibilität und Motilität frei bis auf Anfalle linksseitigen Kopf-
schmerzes, die in der Folge sich steigern, ebenso wie die Paraphasie zunimmt.
m. 45jähr. Mann, 1884 plötzlicher Verlust der optischen Erinnerungsbilder,
Lesen ist unmöglich, linksseitige Hemianopsie, Parese des 1. Beines, 1885 1. Ptosis
und Lähmung des 1. Bectus intern. Der Verlust der optischen Erinnerungsbilder
besteht dauernd, linksseitige absolute Hemianopsie, normale centrale Sehschärfe, Schrift
und Sprache frei, Pat. ist rechtshändig, keine Spur von Hemiplegie.
In den epikritischen Bemerkungen betont L. für den dritten Fall, die Noth-
wendigkeit der Annahme des Sitzes der optischen Erinnerungsbilder der Worte in
der r. Hemisphäre, während die übrigen bei der Sprache in Betracht kommenden
Centren links liegen.
Im Anhange findet sich eine kurze Mittheilung Über den pathologisch-anatomischen
Befund in einem Falle von chromatischer Hemianopsie.
60jähr. Frau, mit den Erscheinungen einer Dyslexie, absolute r. Hemiachroma-
topsie, mit Verminderung des Lichtsinnes und der Sehschärfe in den entsprechenden
Retinahälften. Section: Ausser einer für den Tod verantwortlich zu machenden Blu-
tung im Balken, eine alte hämorrhagische Cyste im basalen Theil des 1. Hinterhaupts-
lappens; dieselbe liegt zwischen Basis des Hinterhoms und der Basalfläche des Lob.
occip. und beschlägt die weisse Substanz der 3. Occipitalwindung, theilweise des
Gyms lingualis und fusiformis, sowie der hinteren unteren Spitze des Gyr. cunei-
formis; gegen die Basis n&hert sie sich der medialen Fläche des Lob. ocdpii ohne
— 606 —
vollständig die Kinde zu durcli brechen; in ihrer grössten sagittalen Ansdehnung misst
sie 3^/a cm Länge, 1 cm Breite und 1^/^ cm Höhe. Verrey, dem die Beobachtimg
entstammt, schliesst, dass das Gentrum des Farbensinns in dem tiefsten Abschnitt
des Lob. occip., wahrscheinlich in der hinteren Partie des Gyr. lingaalis nnd fusi-
formis zu suchen ist. A. Pick.
12) Gase of motor Aphasia: Aphemia, under the care of C. W. Snckling. (The
Brit. med. Joum. 1888. 15. Sept. p. 618.)
Das 19jährige Mädchen hatte schon 9 Monate vor der Auhiahme ins Hospital
einen epileptischen Anfall gehabt mit hinterlassender Hemiplegie rechterseits, auch
des Gesichts. Sie war sprachlos; bei der Speisung Speichelfluss. — Solche AnMe
(Jackson*sche Epilepsie) traten mehrere ein, in Folge zweifellos bestehender corticaler
Läsion.
Bei ihrer Aufnahme bestand rechts Hemiplegie, Reflexe gesteigert, Fussklonus.
Rechte Gesichtshälfte paretisch, Zungenhälfte ausgestreckt nach rechts. Keine Sensi-
bilitätsstörung; Augonhintergrund normal, ebenso das Herz; keine Albuminurie. Das
Sprechen der Patientin bestand in den paar Wörtern „Mutter", ,ja", durch Geberden
aber bekundete sie, dass sie die richtigen Bezeichnungen kannte, kopfschüttelte, weno
sie selbst das falsche Wort gebrauchte, nickte, wenn sie das richtige hörte. Sie that
richtig, was man ihr sagte und verstand Geschriebenes. Sie konnte mit der linken
Hand ziemlich gut schreiben. Sie konnte Gesprochenes nicht nachsprechen, wohl
aber Dictirtes niederschreiben. Uebrigens war die Intelligenz ungestört. Zweifellos
bestand weder sensorische Aphasie, noch Worttaubheit, noch Agraphie; lediglich die
Wort- Articulation war ausgefallen ; Aphemie. — Während des Aufenthaltes im Kranken-
haus wurde nur wenig Besserung erzielt; es konnten einige Worte mehr, als bei der
Aufnahme hervorgebracht werden.
Zur Diagnose werden folgende Bemerkungen gemacht. Der plötzliche Ausbruch
der Krankheit spricht für Gefässläsion oder für Hysterie. — Gegen letztere sprechen
die Hemiplegie, die Theilnahme des Gesichts und der Zunge und die Gonstanz der
Symptome.
Die Anfalle von Partial-Epilepsie rechterseits (Gesichtshälfte) und BewnssÜosig-
keit sprechen für Geßlssverletzung, so dass Embolie, Thrombose oder Riss der linken
mittleren Gehimarterie bestanden haben mnss. — Embolie ist auszuschliessen, weil
nirgends eine Ursache dafür aufgefunden wurde. Blutung ist in solchen jungen Indi-
viduen sehr selten, da auch ein Aneurysma (Chorea und Rheumatismus fehlen in der
Anamnese) nicht vermuthet werden konnte. Bleibt Thrombose in Folge kranker Gehirn-
gefässe, obwohl Syphilis auszuschliessen. — Der Thrombus sitzt in der linken mitt-
leren Cerebralarterie vor Abgang der perforirenden Zweige, welche die innere Kapsel
versorgen. Da das Endäste sind, so kann der collaterale Kreislauf keine Abhülfe
schaffen, weshalb die Hemiplegie persistirt. — Da reine motorische Aphemie selten
Hemiplegie begleitet, so wird im Anfang auch sensorische Aphasie bestanden haben.
Die corticalen Arterien variiren bei verschiedenen Individuen und anastomosiren, wo-
durch die sensorische Aphasie allmählich beseitigt worden sein konnte. — Die Aphemie
hängt ab vom Verschluss des untern frontalen Zweiges der 1. mittl. Cerebralarterie;
der Fortbestand derselben beweist den Verlust des corticalen Centrums in dem hin-
tern Theil der dritten 1. Stimwindung. Agraphie ist meist mit Aphemie verbunden,
da die betreffenden Centren ganz benachbart liegen. Hier musste das Centrum für
das Schreiben (nach Exner im hintern Theile der zweiten 1. Stimwindung) unver-
letzt geblieben sein. L. Lehmann (Oeynhausen).
— 607 —
13) Ueber das Qehim eines Aphasisohen, von Dr. H. SchlGss, Secundararzt
der iL-ö. Landes-Irrenanstalt in Wien. (Jahrbflcher f. Psych. YIII. 1 n. 2.)
Ein 54 Jahre alter Tagelöhner, dessen Matter Fotatrix war nnd dessen Bruder
durch Selbstmord endete, war bis zum Jahre 1884 geistig normal. Im Herbst dieses
Jahres stürzte er vom Wagen und zwar mit dem Hinterhaupt auf einen Eckstein.
Nach dem Falle war er eine Stunde bewusstlos, dann kehrten Sprache und Bewusst-
sein wieder, doch war er seit damals verändert, arbeitete wenig, trank viel, trieb sich
umher und wurde wiederholt von der Polizei halb entkleidet aufgegriffen. Mai 1885
gab er auf alle Fragen die stereotype Antwort „no was denn'', was auch Mai 1886
bei seiner Untersuchung geschah. Dabei zeigte er rechtsseitige Ptosis, die Zunge
wich zitternd nach rechts ab; Dynamometer rechts 130, links 200; Patellarreflexe,
Hodenreflexe etc. waren beiderseits gesteigert; auch bestand beiderseits Hyperalgesie
am ganzen Körper. Bis auf die Fragen nach Geburtsort und Namen, die er richtig
angab, war die stereotype Antwort „no was denn", die meist von herzlichem Lachen
begleitet war. Handlungen, die man ihm auftrug, führte er aus; er schrieb seinen
Namen richtig, las ihn; vorgesprochene Worte sprach er bisweilen richtig nach; oft
sprach er dafür „no was denn'': Mai 1886 zeigte sich eine tuberculöse Infiltration
der Lungen, und unter Husten, Fieber, Abmagerung, Decubitus,* Marasmus erfolgte
im October der Exit. let. Die Section ergab Hydrocephalus extemus. Die innem
Hirnhäute waren diffus getrübt und verdickt, und in den beiden Stimlappen zu grau-
lichen sulzigen Geweben verwandelt; sie waren überall leicht abziehbar ausser an der
Orbitalfläche des Frontallappens und am Schläfenlappen. Stimlappen bis zur vorderen
Gentralfurche links und Schläfenlappen mit Ausnahme der 1. Schlaf enwindung waren
erheblich verkleinert; die Windungen, um ein Drittel kleiner, zeigen ein braungelbes
Golorit und sind, theils wenig veränderter Gonsistenz theils weich hohl und coUabirend.
Rechts begrenzt sich die Atrophie auch an der vorderen Gentralwindung, doch ist
sie im Bereiche der lateralen Stimwindung und der Insel nicht so bedeutend. Die
Ventrikel sind erweitert, das Ependym des linken verdickt, reicher vascularisirt und
von einzelnen Hämorrhagien gesprenkelt. Die Lungen zeigen tuberculöse Gavemen.
— Der Fall entspricht in Bezug auf die Localisation der aphasischen Störung den
Resultaten, die Naunyn aus seinen Beobachtungen gewonnen hat. (Ueber die Locali-
sation der Gehimkrankheiten, von Dr. Nothnagel und Dr. Naunyn. Wiesbaden
1887). — Was die Gontusion als Ursache anbetrifft, so kann nach Bergmann der
Ort der Gontusion, wenn der Körper mit breiter Angriffsfläche auf den Schädel ein-
wirkt, bald unter der Stelle des Anpralls, bald dieser gegenüber, bald an beiden
gleichzeitig liegen. Hier war der zweite Fall eingetreten. — Dass sich der Process
am ^yr. centralis anterior begrenzte, kann möglicherweise durch die Verschiedenheit
des Faserlaufs von den Gentralwindungen und den Partien vor denselben bedingt sein.
Kalischer.
14) Heerderkrankung des unteren Soheitelläppohens, von Wernicke. Aus
der psychiatr. Klinik zu Breslau. (Arch. f. Psych. XX. 1.)
Ein TOjähriger Mann, der seit ungefähr einem Jahre Zeichen allgemeiner cere-
braler Gircolationsstörungen bot, erkrankte am 27. Juni 1887 plötzlich ohne apo-
plectischen Insult bei ganz leichter Benommenheit mit folgenden Symptomen:
Gonjugirte Augenabweichung nach r. mit Unmöglichkeit die Bulbi nach 1. zu drehen:
linksseitige Hemianästhesie mit besonderer Beeinträchtigung des stereognostischen
Sinnes, des Lage- und Muskelgefühles. L. Hemianopsie und Herabsetzung der Hör-
schärfe 1. Nur ganz leichte linksseitige Parese ohne Ataxie.
Am 29. Juni weichen die Augen in der Ruhe zwar noch etwas nach r. ab,
können aber auch vollständig in den 1. Winkel gebracht werden.
In der Nacht zum 30. Juni neuer Anfall: jetzt ausgesprochene linksseitige Läh-»
608 -
muDg, vorwiegend der Extromitaten. Die übrigen Symptome dieselben. Die links-
seitige Lähmung kommt dem Fat. gar nicht recht zum Bewusstsein: er glaubt ihm
aufgetragene Bewegungen mit dem 1. Arme ausgeführt zu haben, und giebt sogar
mit der r. Hand an, wie hoch er nach seiner Meinung die 1. erhoben hat. Ohne
weitere besondere Aenderungen im Krankheitsbilde tritt am 6. Juli der Tod ein.
Die Section ergab ausser einigen kleinen Erweichungsheerden der 1. Hemisphäre:
1. einen frischen Erweichungsheerd des r. unteren Scheitelläppchens speciell des
Gjrus angularis; 2. einen, wie die mikroskopische Untersuchung ergab, noch frischeren
grösseren Heerd, dessen Centrum das dritte Glied des r. Linsenkemes bildete und
der die r. innere Kapsel nicht direct mitbetheiligte; 3. einen alten, zum Theil schon
verkalkten Heerd in der r. Brückenhälfte ungefähr an der Grenze zwischen oberem
und mittlerem Drittel der Brücke; hauptsächlich nur die tiefe Querfaserschicht der
Brücke einnehmend; also in einer Gegend, wo weder ein Nervenkem betroffen, noch
die Pyramidenbahn betheiligt ist, und von der auch das Fonscentrum für assodirte
Seitwärtsbewegungen der Augen weit genug entfernt ist. (Genaueres über die Loca-
lisation der Heerde muss im Original nachgesehen werden; von dem Fonsheerd ist
auch eine Abbildung beigegeben.)
W. hat in diesem Falle intra vitam die Diagnose auf einen Heerd im r. unteren
Scheitelläppchen gestellt aus folgenden Gründen:
1. Die am 27. Juni notirten Symptome waren ohne Insult eingetreten: in dieser
Weise entstandene Ausfallserscheinungen kann man nach klinischen Erfahrungen von
vornherein mit grosser Sicherheit als directe Heerdsymptome bezeichnen.
2. Ueber den Werth der Deviation conjugee als Heerdsymptom wissen wir bisher
sehr wenig, dennoch weisen, allerdings sehr geringe klinische (besonders Grasset),
aber übereinstimmende experimentelle Erfahrungen (Ferrier, Munk: übereinstimmend
wenigstens in den beobachteten Thatsachen, wenn auch nicht in den Folgerungen)
auf das untere Scheitelläppchen als corticales Centrum für die associirte Augen-
bewegung nach der gekreuzten Seite hin. Hier müssen wir also mit Wahrscheinlich-
keit auch den Sitz der Läsion suchen, wenn die Deviation conjugee directes Heerd-
symptom ist: das Symptom ist aber, trotzdem es directes Heerdsymptom ist, ein
vorübergehendes, weil die Augenbewegungen zu denjenigen gehören, die in jeder
Hemisphäre vollständig präsentirt sind.
3. Hemianästhesie kommt bei Läsionen des Carrefour sensitif und des Scheitel-
lappens zur Beobachtung, für letztere Localisation ist besonders die schwere Störung
des sogenannten Muskelgefühles charakteristisch. Deshalb und im Zusammenhang
mit der direct entstandenen conjugirten Deviation konnte nur der Scheitellappen in
Betracht kommen.
Die am 30. Juni eingetretene Hemiplegie ist indirectes Heerdsymptom des zweit-
erwähnten ganz frischen Heerdes. Auch die Existenz eines solchen war in vivo an-
genommen. Von dem Brückenheerde weist W. überzeugend nach, dass er für die
Deutung der beobachteten Symptome überhaupt nicht in Betracht kommt.
Zum Schluss beweist Verf. durch eine Casuistik von 42 Fällen noch folgende
Sätze:
1. In Fällen, in denen eine conjugirte Deviation der Augen, wie in dem seinigen,
als directes Heerdsymptom aufgefasst werden musste, war eine liision des betreffenden
unteren Scheitelläppchens resp. seiner Markstrahlung vorhanden. 4 Fälle.
2. Bei Heerden im unteren Scheitelläppchen ist stets, wenigstens vorübergehend,
Deviation conjugee nachzuweisen. 13 Fälle. Fälle, die längere Zeit nach dem Anfall
zur Beobachtung kamen und das Symptom nicht zeigten, beweisen nach den obigen
Ausführungen natürlich nichts. Auch andere scheinbare Abweichungen lassen, wie
Verf. ausführt, eine plausible Erklärung zu: doch muss in Bezog auf diese auf das
Original verwiesen werden* Nur ein ausdrücklich erwähnter Fall Reinhard 's passt
noch zu den entwickelten Ansichten. Bei chronischen Heerderkrankungen dieser
609 -
Region scheint es meist za fehlen: offenbar weil dann das contralaterale Centram
ganz allmählich die betreffende Function fibemimmi (Ref. hat» was er zu der letzten
Bemerkung hinzufügen möchte, in der letzten Zeit in einem Falle von Tumor der r.
motorischen Region, speciell des Armcentrums mit typischer cortialer Epilepsie und
allmählich eintretenden linksseitigen Lähmungen und Contracturen, Deviation conjug^e
nach r. hin, also nach der Seite des Heerdes beobachtet. Der Functionsausfall zeigte
sich namentlich bei der ophthalmoskopischen Untersuchung, die am r. Auge dadurch
erschwert war, weil dieses Auge immer nur einen Moment im inneren Winkel be-
harrte. Bei genauerem Zusehen fand man, dass die associirte Linksdrehung beider
Augen erschwert war und nur kurze Zeit erhalten werden konnte. In der Nähe
standen die Augen nur eine Spur nach r. von der Mittellinie. Das Symptom war
während einer Beobachtung von 8 Tagen gleich geblieben und fand sich überhaupt
erst bei der zweiten Untersuchung des Kranken mit gleichzeitiger Zunahme der Läh-
mungen und Contracturen im 1. Facialis und 1. Beine. Bei den Anfallen hatte die
sehr gut beobachtende Frau, auch nachdem sie besonders darauf hingewiesen war,
Nystagmus bemerkt. Die Kranke blieb später aus der Behandlung fort.)
3. Fälle von doppelseitiger Erkrankung der unteren Scheitelwindung scheinen
ein allerdings noch etwas unklares Bild totaler Ophthalmoplegie zu geben, die dann
also eine pseudonucleäre wäre. (3 Fälle.) Bruns.
15) Cerebral tumour, by Kendal Franks. (The Brit. med. Joum. 1888. 21. Jan.
p. 138.)
Die folgende Krankheitsgeschichte, welche F. in der irländischen med. Akademie
vorträgt, giebt Veranlassung zu einer eingehenden Discussion zwischen den consul-
tirenden Aerzten einerseits, und den Mitgliedern der Gesellschaft andererseits über
die Natur der Krankheit (Tumor; Abscess), und die Behandlung (Trepanation; an
welcher Stelle?). Auf das Detail wird hier verwiesen.
Die Patientin, immer gesund, bekam in heissem Wetter (Juni 1887) einen An-
fall von Bewusstlosigkeit, Hinstürzen, kalten Extremitäten, schwachem Pulse. Nach
einigen Stunden Herstellung. Einige Wochen hindurch folgten sich ähnliche Zufälle
und verschwanden. Sie wusste nach solchem Anfalle gut, was sie sagen wollte,
konnte aber die passenden Wörter nicht finden; auch konnte sie keinen Brief schreiben.
Bald entwickelte sich heftiger Kopfschmerz, Erbrechen, Halbbewusstsein, Verlust der
Stuhlcontrole, Ischurie. Puls 96 — 110; Respiration unter 24; Temperatur unter 100.
Nicht Neuritis optica; nicht Albumen im Urin. Herz gesund«
Die Autopsie ergab beim Durchsägen des Schädels eine nachgiebige Stelle im
Knochen hinter dem linken Ohr; die Säge drang plötzlich ein. Eine helle, seröse
Flüssigkeit drang aus der OefiEhung über und hinter dem Ohr. Die Gtohimmembranen
waren gesund. Die Cyste lag im Lohns temporo-sphenoidalis, die Entfernung der-
selben vom vorderen BÜuide der Fissura Sylvii betrug l^/j ZolL
Franks diagnoscirte einen linkerseits gelegenen Gehirntumor. Dafftr spreche
die Abwesenheit einer disponirenden Ursache, die allmähliche Entwickelung der Krank-
heit ohne Fieber (bis 3 Tage vor dem Tode) und Mangel aller anf Eiter hinweisen-
den Erscheinungen. Der Ort als Sitz des Tumors lasse sich nicht angeben. Broca's
Region, wie Wheeler wegen der den epileptoiden Anfällen folgenden amnestischen
und aphasischen Symptomen vermuthete, sei durch diese Symptome keineswegs ge-
kennzeichnet. — Der Letztgenannte hatte eine flüssige Ansammlung (auch Abscess)
im Gehirn vermuthet und schlug vor, über der Broca*schen Region zu trepaniren.
Der Tod erfolgte unter Ooma. L. Lehmann (Oeynhausen).
— 610 —
16) Zur Gtohimlooalisation. (Aus der Prof. LeydeB'schen Klinik.) Von Stabsarzt
Dr. Benvers, Berlin. (Deutsche med. Woch. 1888. Nr. 17.)
Ein 55 jähriger Mann bemerkte vor 3 Jahren zuerst eine anfallsweise Schwäche
im linken Arm mit ziehenden Schmerzen, später auch Schwäche und Parästhesien
im linken Bein, sowie Verschlechterung des Sehvermögens, Im October 1887 apo-
plectiformer Insult mit linksseitiger Hemiplegie und Taubsein auf dem linken Ohr;
die Hemiplegie besserte sich nur in Bezug auf das Boin. Der linke Arm blieb ge-
lähmt und magerte ab. Neben einem massigen Taubheitsgefühl der Haut an den
linken Gliedmassen bestand nur eine geringe Abschwächung sämmtlicher GefQhls-
qualitäten. Sensorium frei, Gedächtniss gut, aber weinerliches Wesen. An den
Augen ophthalmoskopisch nichts, aber Heroianopsia homonyma sinistra; Taubheit
links. Am Herzen nichts. An den Lungen beiderseits Spitzeninflltration.
Die Diagnose wurde auf rechtsseitige Bindenerweichung, durch multiple Throm-
bose, in der motorischen Zone und im Hinterhaupts-Schläfenlappen gestellt Patient
starb am 8. Januar 1888 nach einem neuen Insult, und die Section ergab die Richtig-
keit der Diagnose. Es waren erweicht die mittlare Hälfte der vorderen Central-
Windung, nach vom davon der hintere Theil der ersten und ^/j der zweiten Stiru-
windung; ferner Lob. pariet. inf. vollständig, von L. par. sup. nur ein kleines Stück,
dann der Gyr. occip. II und Gyr. tempor. II. Die Erweichung drang ün Scheitel-,
Schläfen- und Hinterhauptslappen bis tief in die Marksubstanz ein. — An den
basalen Ganglien, Himstamm u. s. w. nichts, bis auf eine secund&re absteigende
Degeneration der Pyramidenbahn. Ha d lieh.
17) Gase of tumour in the floor of the fourth ventrikle with ooQjugate
deviation of the eyes, due to paralysis of the sixth nerve, by Dr. J.
Finlayson. (The Glasgow Medical Journal. 1888. April.)
Ein 7^2 jähriges Mädchen, aus einer scrophulds und tuberculOs veranlagten
Familie stammend, litt nach einem Scharlach an heftigen Kopfschmerzen. Dazu trat
in wenigen Wochen Schielen auf dem rechten Auge und Doppeltsehen, Erbrechen
am Morgen, Schwindel beim Aufrichten, Taubheit auf dem rechten Ohre; nach einem
Anfall von Bewusstlosigkeit ohne Krämpfe war die rechte Wange und Cornea an-
ästhetisch, der Geruch fehlte rechts und das rechte Auge blieb im Schlaf ange-
schlossen, die Zunge wich nach rechts ab; das rechte Auge stand dicht an der
Nasenwurzel und konnte ophthalm. nicht untersucht werden; links ergab sich Papil-
litis und Prominenz des Sehnerven. Die Intelligenz blieb bis kurz vor dem Tode
ungetrübt. Nach starkeit Schluckbeschwerden erfolgte der Tod einige Monate nach
dem Beginn des Leidens in Folge von Bespirationslähmung. Bechts waren betroffen:
der Facialis, Olfactorius, Acusticus, sensible Trigeminusast, Abducens, Hypoglossus.
Auffallend in dem Verlauf war die conjugirte Deviation der Augen nach links. Eine
Lähmung des linken Oculomot. konnte höchtens partiell sein und allein den linken
Rect. internus betreffen, da sonst die Beweglichkeit des linken Auges, Pupille, Lid etc.
normal waren ; nur der Rect. intern, links war etwas paretisch und da der Beet ex.
überwiegte, standen in Ruhe beide Augen nach links gewandt. Aach wenn die
synerget. Function des rechten Kect. extern, und linken Kect. intern, durch Schliessen
des rechten Auges unterdrückt wurde, konnte das linke Auge nicht über die Mittel-
linie hinaus bewegt werden. Gaston Graux beschrieb Fälle, in denen eine einseitige
Lähmung des Kernes des Abducens conjugirte Deviation der Augen zur Fo^e hatte.
(De la paralysie du moteur oculaire externe avec deviation conjug^e. Paris 1878.)
Auch in unserem Falle wäre eine nucleäre Lähmung des rechten Abducens zu ver-
muthen; durch eine Verbindung dieses Kernes mit dem Oculomotoriuskerne der
anderen Seite würde die Schwäche und Parese des linken Beet, internus bedingt sein.
— 611 —
•
Ein Tamor tabercul Natnr wnrde am Boden des lY. Ventrikels vermothet. Die
postmortale Untersncbung ergab zonäcbst allgemeine Tubercolose der Lnnge, Leber,
Niere, Milz. Die Gebimventrikel waren mit Flfissigkeit erfüllt and erweitert. Becbts
im (}ebim befanden sieb drei tubercul. Heerde: 1) am hinteren Theil der rechten
mittleren Frontalwindung, 2) änsserste hintere Theil des Thal, opticus, 3) ein be-
trächtlicher Heerd in der rechten Hälfte der Med. oblongata, der vom lY. Ventrikel
ans sichtbar war, den Ped. cerebelli umfasste und im Ventrikel selbst die Mittel-
linie erreichte. Auch Pons und der Ped. cerebelli waren Yom von der Erweichung
betroffen. Kalischer.
18) StatifltiBohe und oasuistisohe Mittheilongen über den Typhus abdomi-
nalis, von Dr. Alexander, Secundärarzt an der med. Universitäts-Poliklinik zu
Breslau. (Breslauer ärztliche Ztschr. 1887. Nr. 20—24.)
Ein 17 Jahr alter Schreiber hatte in seinem 8. Lebensjahr eine grosse Geschwulst
am rechten Ellbogengelenk, die incidirt wurde. Im 9. Lebensjahre stellten sich an
der linken Hand unwillkürliche Greifbewegungen ein, welche in den nächsten zwei
Jahren zunahmen und dann stationär blieben. Die Bewegungen waren oft so stark,
dass die Nägel in die Vola manus einschnitten und an Zeigefinger und Mittelfinger
tiefe Excoriationen in Folge der Reibung entstanden. Aebnliche Beweguugon traten
auch am linken Fuss auf, dabei machten die Extremitäten drehende Bewegungen.
Die Bewegungen hörten auf, wenn sich Pat. in seine Beschäftigung vertiefte, ebenso
wie im Schlaf; nach Gemüthsaufregungen nahmen sie zu. Seit damals kann Pat.
das linke Handgelenk nicht mehr beugen und strecken, das linke Ellbogen- und
Schultergelenk weniger gut bewegen als das rechte; das linke Bein kann er bei
gestrecktem Kniegelenk nur wenig bewegen. November 1876 erkrankte er am
Typhus. In der Klinik zeigten sich eigenthümliche Bewegungen der linken Körper-
hälfte, Gesicht, Nasenflügel, Oberlippe, Mundwinkel, Unterarm, Finger, Bein, Fuss.
Der linke Facialis erscheint bei willküiiichen Bewegungen etwas paretisch im Vergleich
zum rechten. Die Bewegungen der Finger waren so krampfhaft, dass die Finger-
nägel sich in die Hohlhand einpressten und Schmerzen verursachten. Im Schlaf
hören die Bewegungen auf. Der linke Unterarm ist heisser und dicker als der
rechte; der Arm wird meist im Ellbogengelenk gestreckt und der Unterarm supmirt
gehalten. Auch das linke Bein ist wärmer und zeigt stärker entwickelte Venennetze,
als das rechte; das Bern ist gestreckt, setzt passiver Beugung leichten Widerstand
entgegen, der Fuss steht contractnrirt in Pes equinus-Stellung. Die Zehen befinden
sich in lebhafter Bewegung, Abduction, Adduction, Flexion, Extension. Patellar-
Sehnenreflex fehlt (nur links oder auch rechts?). Sensibilität des ganzen Körpers
normal. Stehen kaftn Pat. auch bei geschlossenen Augen, beim Gehen zeigt sich ein
deutliches Schleifen des linken Beines. Im Verlauf des Typhus wechselten die
choreatischen Bewegungen zwar an Intensität, hörten aber nur im Schlaf ganz auf;
in der Glutäalgegend links und rechts entstanden Decubital-Geschwüre und Abscesse;
der obere Lungenlappen war infiltrirt etc., nach ca. 4 Wochen trat der Exit. let.
ein. Im Gehirn fand sich ein haselnussgrosser verkalkter Herd im äusseren und
unteren Theile des Thalam. optic. dexter, der vielfach an die innere Kapsel heran-
reicht. Der Kalkherd ist an einzelnen Stellen deutlich abgekapselt; am härtesten
ist der Kern; am Rückenmark macht sich eine geringe Abnahme der Gewebselemente
der linken Hälfte, namentlich in den oberen Theilen bemerkbar. Nach Ijjrhärtung
des Gehirns in chromsaurem Kali und Alcohol sieht man bei einem dicht hinter dem
Ghiasma gellten Frontalscbnitt den Anfang der degenerirten Partien von der Mitte
der inneren Kapsel an sich nach innen und oben zu erstrecken; die Kalkeüilagerungen
sind in dieser gelblichbraun verfärbten Stelle weniger deutlich. Der Herd bleibt
Ton der Commiss. moU. 12 mm. entfernt, von der Oberfläche des Thalam. 5 — 6 mm.
612
Nach hinten ist er bis nahezu an die YierhQgel so verfolgen. Ob es sich um einen
verkalkten Tuberkel oder sonstige Neubildung handelt^ Hess sich nicht erniren. Pons
und MedoUa schienen normal. Das linke Vorderhom war schon im oberen Halsmark,
am auffälligsten aber in der Gegend der Cervicalanschwellung schmaler als das rechte.
(Differenz 1mm.). Im Dorsal- und Lendenmark verschwindet der Unterschied all-
mählich. Die Ganglienzellen der Vorderhömer der linken Seite schienen an Zahl
abgenommen zu haben. — In einem anderen Falle von Typh. abdominalis war ein
8 jähriger Knabe seit Beginn der Erkrankung mit totaler Aphasie behaftet; die In-
telligenz schien erhalten, wenn er auch erst spät und langsam auf Anrede reagirte.
Er sprach bis zu seinem Tode nach ca. 4 Wochen kein Wort. Section des Gehirns
wurde nicht vorgenommen. Ealischer.
10) Fall af xiervBt5ringar af cerebral orsak efter tyfas, af Dr. Homen.
(Finska läkaresällsk. handl. 1887. XXIX. 6. S. 338.)
Der Vater des 23 J. alten Kranken soll gesund gewesen, aber im Alter von
35 J. nach Auftreten von Krampf gestorben sein, die Mutter und eine Schwester
waren kränklich (Lungenleiden?). Fat selbst hatte als Kind eine fieberhafte Krank-
heit mit nachfolgendem Ohrenfluss gehabt und war auf dem linken Ohr taub; später
hatte er 2mal an fieberhaften Krankheiten, vor ungeföhr 4 J. 1^/, J. lang an Wechsel-
fieber gelitten. Ende 1886 erkrankte er an schwerem Abdominaltyphus, wobei er
mit Alkoholinjectionen in den rechten Arm behandelt worden war, denen Abscesse
und kleine gangränöse Heerde folgten. Schon während der Behandlung war Schwäche
in den rechten Extremitäten aufgetreten, die später zunahm und mit taubem Geffihl
und Anästhesie verbunden war. In der Folge traten unregelmässig, meist aber jeden
2. Tag, Frostanfalle mit folgendem Schweiss auf. Fat. klagte über Aprosexie. Die
Untersuchung der Augen ergab auf beiden Einschränkung des Sehfeldes, am meisten
rechts, die Pupillen reagirten auf Licht, aber etwas trag; der Lichtsinn war herab-
gesetzt, der Farbensinn normal. Auf dem rechten Ohr war das Hörvermögen be-
deutend herabgesetzt, das linke war ganz taub. Der Geschmack fehlte auf beiden
Seiten der Zunge, der Geruch auf der rechten Seite, links war er herabgesetzt Die
Sensibilität, sowohl die tactile, wie die faradocutane, auch die Schmerzempfindung,
fehlten auf der rechten Seite ganz, ziemlich genau bis zur Mittellinie, links war sie
herabgesetzt; auch das Muskelgefühl fehlte rechts und war links etwas herabgesetzt
Der Druck der Hand war rechts viel schwächer als links, die Muskelkraft war in
den rechten Extremitäten gering. Nerven und Muskeln reaguten normal bei gal-
vanischer und faradischer Reizung. Die Hautreflexe waren erhalten, die Sehnenrefiexe
gesteigert. Oefter trat ein einem Schüttelfrost ähnliches Zittern auf, das sich oft
über einen grossen Theil des Körpers ausbreitete. Später trat Gürtelgefühl auf, auch
auf der linken Seite nahm die Kraft ab und nach einiger Zeit war auch diese Seite
vollständig anästhetisch, die Muskelsensibilität und das Geruchsvermögen auf ihr voll-
kommen aufgehoben, das Sehfeld noch mehr eingeschränkt. Temperatursteigerungeu
wurden nicht beobachtet, die Pulsfrequenz nahm in der letzten Zeit zu. Die Be-
handlung hatte in allgemeiner Faradisation, Halbbädern und Anwendung von Jod-
kalium, später von Eisen, bestanden. Fat. wurde ungebessert entlassen. — Nach H.
liegt in diesem Falle eine cerebrale Hemianästhesie von nicht reiner Form vor, wahr-
scheinlich nur von functioneller Natur. Walter Berger.
Psychiatrie.
20) DiBturbi pelohici proTOoatl o sostenuti dalle malattie aorioolari, pel
Prof. V. Cozzolino. (La Psichiatria. 1887. V. p. 285.)
— 618 —
Historische and kritische Zasammenstellung der Aber den Gausalnexus zwischen
Ohrerkranknngen and Gehdrshallucinationen resp. Geistesstönmgen erschienenen Ar-
beiten mit endgültiger Aufstellnng folgender Sätze:
1. Erkrankungen des inneren Ohres sind bei Irren häufig, und in einer grösseren
Zahl der Fälle haben sie einen bedeutenden Einfluss auf die Entstehung der Gehörs-
hallncinationen.
2. Bei allen Irren mit Geh6rshallucinationen ist eine genaue Untersuchung der
Gehörorgane nothwendig, um wenigstens in einzelnen Fällen durch Beseitigung der
Ohrerkranknng die Ursache der Psychose zu entfernen und letztere auf diesem Wege
zur Heilung zu bringen. Sommer.
21) Insanity trotn Bright's disease, by Dr. Bremer. (Journal of nervous and
mental disease. 1888. XV. p. 374.)
Verf. weist darauf hin, dass sich nicht allzu selten Geistesstörungen bei Patienten
mit Morbus Brightii entwickeln, die bald mehr den Charakter eines heftigen Deliriums,
bald aber auch den einer wirklichen Psychose mit beginnender Systematisirung der
einzelnen Wahnvorstellungen haben. Sie pflegen nicht lange anzuhalten und enden
gewöhnlich mit dem Tode; doch ist auch eine Heilung, oft mit Amnesie an die Er-
krankung, möglich. Verf. möchte sie gewissermaassen als „psychische Aequivalente"
eines urämischen Anfalles angesehen wissen.
Der Ausbruch erfolgt gewöhnlich plötzlich und Verf. empfiehlt daher in allen
rapid entstandenen Geistesstörungen, sobald Alkoholismus, Epilepsie etc. auszuschliessen
sind, auf das Bestehen eines Morbus Brightii zu untersuchen. Für den Praktiker
ist dieser Bath von einer gewissen Wichtigkeit, da beim Nachweis einer „Urämie-
psychose" meistens von der Ueberführung in eine Irrenanstalt wird abgesehen werden
können.
Die klinische Form derartiger Psychosen hat nichts Typisches. Die Diagnose
stützt sich, abgesehen von dem psychischen Befunde, auf die Erkennung des Morbus
Brightii, auf die plötzliche Entwickelung, auf das Fehion von Voraitus, Convulsionen
und Fieber u. s. w.
Verf. theilt noch 7 Krankengeschichten mit, die er selbst beobachtet hat, und
die eine typische Krankheitsform allerdings nicht erkennen lassen. Sommer.
22) Contributo allo studio delle malattie somatiche nei pazzi: diagnosi e
cura della pleurite con versamento, memoria clinica del Dott. F. Venanzio.
(Archiv, italian. per le mal. nervöse ecc. 1888. XXV. p. 145.)
Auch für Kichtpsychiater lesenswerthe Schilderung der Symptomatologie und
Diagnose der exsudativen Pleuritis bei geisteskranken Individuen mit besonderer
Hervorhebung der grossen Vortheile einer operativen Behandlung des P^rgusses.
Sommer.
Therapie.
23) La galvanizEasione della Uroide negli epiletüci, pel Dott. G. Sighicelli.
(Bivista speriment. di Freniatr. e di Medicina legale ecc 1888. p. 393.)
Auf Grund der neueren Untersuchungen über die Functionen der Schilddrüse
und über den Eintritt der Cachexia strumipriva mit ihren epileptoiden Krämpfen,
wie sie besonders Albertoni beschrieben hat^ sowie gestützt auf zwei eigene Be-
obachtungen über einen anscheinend vorhandenen Zusammenhang zwischen Erkran-
kungen der Thyreoidea und schweren nenropsychopathischen Symptomen, kam Verf.
— 614 —
anf die Yermutliang, es könnten Fälle von Epilepsie ezistiren, die mit einer Er-
krankung der Thyreoidea in ursächlichem Zusammenhange stflnden. (Die ebenfalls
hierhergehörige Beobachtung Awtokratow's, dass nach Ezstirpation der Thyreoidea
bei Hunden die Erregbarkeit der motorischen Rindencentren erheblich gesteigert sei,
kam dem Verf. erst nachträglich zur Kenntniss.)
Verf. unternahm es, bei 7 Epileptikern eine elektrische Behandlung einzuleiten
und zwar durch Querleitung eines constanten Stromes von 2 — 10 Milliamperes durch
die Thyreoidea und auf die jedesmalige Dauw von 2 — 5 Minuten.
Nach mehreren Wochen konnte er constatiren, dass bei 3 Patienten der Verlauf
der Epilepsie allerdings unverändert geblieben war; bei den andern 4 zeigte sich
aber zunächst eine Steigerung und dann eine dauernde erhebliche Abnahme in der
Häufigkeit der Anfalle, femer ein fast völliges Schwinden der prä- und postparozys-
mellen Zustände, eine Abschwächung der Dauer und der Heftigkeit eines jeden An-
falles und eine günstige Beeinflussung des ethischen und psychischen Verhaltens der
Kranken.
Weitere Untersuchungen dürften daher wünschenswerth sein. Sommer.
24) Die Elektrotherapie der Gfrebärmutterkrankheiten, von Prof. Dr. Moritz
Benedikt in Wien. (Berl. klin. Woch. 1888. Nr. 30.' S. 597.)
Eine kurze ,,poliklinischs Vorlesung" in welcher 6. das Verfahren von Apostoli,
der auf diesem Gebiet die Wege geebnet hat, sowie die von ihm getroffenen Modi-
ficationen darstellt. B. braucht Ströme bis zu 300 M.-A. — ,,Seit Apostoli/' sagt
der Verf., „muss die Vernachlässigung der elektrolytischen Behandlung der Gebär-
mntterkrankheit als Kunstfehler und zwar als sträflicher angesehen werden." Zum
Schluss wird betont, einen wie mächtigen Einfluss die Elektricität auf die Hyper-
ästhesien des Genitalapparates übt. Verf. meint, dass man durch deren Anwendung
sich manche Castration hätte ersparen können. Sperling.
26) Einige Bemerkungen über die Wirksamkeit des Solfonals« von Dr. J.
Frank el, Arzt an der Dr. Bichter'schen Frivatirrenanstalt in Pankow. (BerL
klin. Wochenschr. 1888. Nr. 30.)
Das Präparat (aus der Biederschen Fabrik) kam nahezu lOOmal^ meist bei
Psychosen bald in Pulverform, bald in Tabletten zur Anwendung. Die Einzeldosis
betrug 2 — 3 g. Die Wirkung trat nicht immer gleichzeitig und gleichmässig ein.
Der Schlaf war meist ein ruhiger und fester. Bei einigen Kranken trat eine üble
Nachwirkung ein (Mattigkeit, Abgeschlagenheit der Glieder, .Benommenheit des Kopfes
während des ganzen folgenden Tages). Die Controlversuche wurden derart angestellt,
dass Sulfonal erst verabreicht wurde, wenn sich nach dem Aussetzen des gewohnten
Hypnoticum oder Narcoticum thatsächlich Schlaflosigkeit erweisen liess. Nach mehr-
maligem Gebrauch wurde es wieder ausgesetzt und erst wieder nach einer oder
mehreren unruhig und sclilaflos zugebrachten Nächten verabreicht. — Im Ganzen
wird die Wirkung des Mittels als eine sehr günstige bezeichnet. Kalischer.
26) Heber die Art der Darreiohung und Verordnung des Sulfonals, von
Prof. A. Käst, Freiburg. (Therapeutische Monatshefte. 1888. IL Jahrg. H. 7.)
Unter den Nachtheilen der Sulfonalanwendung machen sich hauptsächlich zwei
Umstände geltend. Einmal verzögert sich der Eintritt der schlafmachenden Wirkung
länger als 2 — 3 Stunden und ferner dehnte sich der Schlaf, Mattigkeit und Buhe-
bedürfniss noch in den nächsten Tag hinein aus, — eine recht üble Nachwirkunsr.
die auch Ref. bei den Versuchen in der Dr. Hichter'schen Anstalt zu Pankow wieder-
holt beobachten konnte. Die allmählich eintretende Wirkung, wie die unerwünschte
— 615 —
Nachdauer derselben in einzelnen Fällen beruht auf der ScbwerlGslichkeit des Solfonals
in Wasser and anf der schweren Angreifbarkeit seines Moleküls. Bei Bluttemperatur
sind 450 Theile Wasser zur völligen Lösung eines Theils Sulfonal erforderlich. Be-
günstigt wird die Löslichkeit durch Anwendung von Salzen und Peptonen. Drei
Versuche an Hunden, die 2— 6 Stunden, nachdem sie 2 g fein pulverisirtes Sulfonal
erhalten hatten, getödtet wurden — lehrten, dass zu einer Zeit» wo die Resorption
des Sulfonals aus dem Darmkanal bereits völlig abgeschlossen war, noch kleine Mengen
vom Sulfonal unzersetzt im Blute circulirten. Am besten wird das Mittel fein pul-
verisirt mit wenigstens 200 ccm, womöglich warmer Flüssigkeit in den frühen Abend-
stunden zwischen 7 und 8 Uhr gereicht, vielleicht in Suppe oder Thee zum Abend-
essen. Dies muss insbesondere in den Fällen geschehen, wo die Wirkung schnell
eintreten soll oder wo die Besorption erschwert ist, wie z. B. bei Herzkranken mit
gestörter Compensation. Schnelle Wirkung nach ^/^ Stande wurde unter anderen
auch * in einem Falle von Abdominaltyphus mit furibunden Delirien beobachtet, wo
Chloral, Bäder erfolglos waren (Bäum 1er). — Der ehem. Besistenzfähigkeit seines
Moleküls wird bei der verzögerten Wirkung des Sulfonals nur eine secundäre Bolle
zugeschrieben; auch die störende Nachdauer der Wirkung wird mehr durch die lang-
same Löslichkeit und Besorption bei unzweckmässiger Anwendung hervorgerufen, als
durch die ehem. Besistenzfähigkeit seines Moleküls. Denn die im Blute gefundenen
Beste von Sulfonal waren in obigen Versuchen nach 6 Stunden schon so unbedeutend,
dass spätere Symptome unmöglich darauf zurückgeführt werden können. Eine Be-
rücksichtigung der Löslichkeitsverhältnisse und individualisirende Bemessung der Dosen
(2 — 4 g) dürfte die Zahl der Fälle von protraMrter Nachwirkung sicher einschränken.
Anmerkang. In derselben Nummer der Therapeut Monatshefte berichtet Dr.
Schmey (Beuthen) über einen Fall, in welchem ein 61jähr. Mann, der in Folge von
Arteriosklerose an Angina pectoris und Schlaflosigkeit litt, erfolgreich mit Amylnitrit
und Amylenhydrat (3 g pro dos.) behandelt worden war. Da er das letztere Mittel
wegen seines unangenehmen G^cbmacks nicht weiter nehmen wollte, erhielt er 2 g
Sulfonal. Kurz nach dem Einnehmen traten die Anfälle von Angina pectoris sehr
heftig auf, und hielten die ganze Nacht mit kurzen Unterbrechungen an; Amylnitrit
wirkte nur vorübergehend. 2 Stunden nach Einnahme des Sulfonals trat ein zwei-
stündiger Halbschlummer ein, der durch häufige Anfölle unterbrochen war. Noch die
nächsten 2 Tage traten die AnföUe mit ungewöhnlicher Stärke und Häufigkeit auf,
so dass S. bei der Angina pectoris und Arteriosklerose vor Anwendung des Mittels
warnt. Das Herz sollte das Mittel nach Angaben Kast's nicht ungünstig beeinflussen.
Kalischer.
27) HyoBoine as a hypnotio, by Pittcairn. (The Brit. med. Journal. 1888.
14. Juli. p. 76.)
Verf. theilt 3 Krankheitsfälle mit (Delirium tremens bei einem 32jähr. Manne,
Insomnie bei einem älteren Manne, maniakalische Erregung bei einem 40jähr. Melan-
choliker), in welchen alle sonstigen Mittel (Bromide, Narkotica, verschiedene Seda-
tiva) vergeblich und erfolglos angewandt wurden, Hyoscin aber in Dosis von Vioo &ran
(»0,0006 g) subcutan von glänzendem Erfolg begleitet wurde. Schlaf trat manch-
mal für 19 Standen ein, und das Befinden war dann gut. — Die nachfolgenden
Anwendungen erfordern meist grössere Mengen, daher thue man gut, mit 150stel Gran
anzufangen, dann Vioo> Vto ^^* ^^ injiciren. An der Injectionsstelle entstehe kein
Schmerz. — Sollten unangenehme Folgen, was unwahrscheinlich, eintreten, so em-
pfehlen sich Coffein, Pilocarpin, Natr. salicylicnm.
Hierza vergleiche man einen Fall von Sinclair-Thomson (The Brit. med. Journ.
p. 421), in welchem ®/g^ gran vertragen wurde, Yio &ra^ jedoch Intoxicationserschei-
nungen beunruhigenden Grades hervorriefen. L. Lehmann (Oeynhausen).
— 616 —
Anstaltswesen.
28) Berioht über die Verwaltung der Provinzial-Irren- Anstalt su NenBtadt
in Westpreussen für das Etatsjahr 1./4. 1887/88. Director Dr. Erömer.
Krankenbestand am 1./4. 1887: 165 M. u. 190 Fr.
Aufgenommen 1./4. 1887— 1./4. 1888: 78 M. n. 62 Fr.
Summe der Verpflegten: 243 M. u. 252 Fr.
Aus der grossen Beihe von Tabellen sei erwähnt, dass in erfreulicher Weise
die Zahl der Aufnahmen der frisch erkrankten Personen steigt, dass die Trunksucht
als ausschliessliche Krankheitsursache nur bei 10 Männern und 1 Frau beobachtet
wurde, und dass hereditäre Anlage in 35,7 ^/q nachgewiesen werden konnte. Mit zu
lobender Offenheit erwähnt der Bericht auch, dass eine melancholische Frau in der
Anstalt sich das Leben nahm. Sie erhing sich an einer Thürklinke im Wohnraum,
fast in Gegenwart der übrigen Kranken bei offener Thür. Vereitelte SelbstmordTer-
suche kamen 11 vor. Die Tabellen 29 — 37 zeigen eine ausgedehnte Arbeitsleistung
der Kranken.
Durchschnittskosten per Kopf und Jahr 584,82 Mark. M.
IIL Bibliographie.
Bealencyolop&die der gesammten Heilknnde. Med.-obinuK« Handwörter-
buch für praktlsohe Aerzte, herausgegeben von Prof. Dr. Albert Eulenburg
in Berlin. 2. umgearbeitete und vermehrte Auflage. (Wien und Leipzig 1888.
Urban & Schwarzenberg.)
Der vorliegende XIV. Band (cf. d. Ctrlbl. 1888 S. 336) enthält folgende grossere
Arbeiten, welche für den Neuropathologen von besonderem Interesse sind, und far
deren Werth schon der Name der Autoren bürgt: Nerv (histologisch): Bardeleben
(Jena); Nerv (physiologisch): Gad (Berlin); Nervendegeneration und Regeneration:
Eichhorst (Zürich); Neurasthenie: Arndt (Greifswald); Neurectomie und Neurotomie:
Sonnenburg (Berlin); Neuritis: Bemak (Berlin); Neurotomia opticociliaris:' Hirschberg
(Berlin); Night terrors: Soltmann (Breslau); Nystagmus: Hock (Wien); Oocipital-
neuralgie: Seeligmüller (Halle); Ohnmacht: Samuel (Königsberg); Onanie: Fürbringer
(Berlin). M.
IV. Personalien.
An Stelle des zum Director der Irrenanstalt Frankfurt a. M. ernannten Dr. Sioli
ist Director Dr. Stöver-Brieg zum Director in Bunzlau ernannt; Dr. Petersen,
2. Arzt in Kreuzburg, ist als Director nach Brieg, Dr. Dornblüth, 2. Arzt in Brieg,
als 2. Arzt nach Kreuzburg (Oberschlesien) versetzt.
V. Vermischtes.
Eine Choleraepidemie in einer Irrenanstalt Als im Herbst 1887 in der Gegend von
Neapel Cholera herrschte, konnte trotz der sorgfältigsten Prophylaxe das Eindringen der
Krankheit in die bekannte Irrenanstalt zn Nocera nicht verhütet werden. Strengste Iso-
lirung, genaueste Desinfection aller Bäume, Möbel und Kleidungsstücke, SchÜeasung der
Abortc und der Brunnen — es wurden dafür täglich 15000 Liter Trinkwasser ungefähr
40 Kilometer weit von Neapel herbeigebracht — vermochten nicht den Eintritt und die Aus-
breitung der Cholera in der Anstalt zu hindern. Bei einem BcBtande von ca. 570 Insassen
erkranläen 81 Personen, und 46 von diesen starben, ein nicht ungünstiges Yerhaltniss. wenn
man bedenkt, dass es sich meistens um hinfallige und sieche Individuen handelte.
Die Pflichttreue des Anstaltspersonals war rühmend anzuerkennen. Ein Krankenwärter
starb, ein Arzt erkrankte, wurde aber wieder hergestellt. (II Manicomio. 1888. IV. p. 181.)
Sommer.
In Athen wurde die erste nach europäischem Muster eingerichtete Irrenanstalt eröffnet
Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mstzorb & Wittio in Ijeipzig.
NeürologischesCentralbuh.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
HeraUBgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter *" ^^^ Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nninmern. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zu beziehen durch
alle Bachhandlangen des In- und Aaslandes, die Postanstalten des Dentschen Reichs, sowie
direot von der Verlagsbachhandlang.
1888. 15. NoTember. M 22.
Inhalt. I. Originalmittheilung. Ein Fall von Cysticercus thalami optici, von Dr.
Wilhelm Manasse.
II. Referate. Anatomie. 1. La ghiandola pineaie e il terzo occhio dei vertebrati, pel
Cioaini. 2. L'entre-croisement incomplet des fibres nerveuses dans le cbiasma optiquo chez
le chien, note de Vllzou. 8. Verbreitungsweise der Hautnerven beim Menschen, von Eich-
hörst — Experimentelle Physiologie. 4. A Beoord of exi>erimentB npon the funotions
of the cerebral cortez, by Hortley and Schaefer. 5. An iavestigation into tiie functions of
the oocipital and temporal lobes of the monkey's brain, by Brown and Schaefer. 6. On olec-
trieal ezcitation of the ocoipital lobe and a^jacent parts of the monkey's brain, by Schaefer.
7. Experiments on the electrical excitation of the Visual area of the cerebral cortex in the
monkey, by Schaofer. 8. A comparison of the latencv period of the ocular moscles on ex-
citation 01 the frontal and occipito-temporal regions of the brain, by Schaefer. 9. On the
relative len^ of the neriod of latency of the ocular musdes etc., by Schaefer. 10. Einfluss
des Antipynn auf das Nervensystem, von Blumenau. — Pathologische Anatomie. 11. Bei-
trag zur Anatomie der cerebralen Kinderlähmung, von Hoven. 12. Pathologische Verände-
rungen der Hypophysis cerebri bei Erkrankungen des Qehirns und seiner Häute, histologische
Un^rsuchong von Wassiljew. 13. Diffuse Hirnsklerose, von Schmaus. — Pathologie des
Nervensystems. 14. Sudiun oaso dl lesione distruttiva del lobo temporosfenoidale si-
nistro in un mancino e^ilettico senz'alcuno disturbo della parola, per Blanchi. 15. Et Tilfiüide
af Tumor thalami optici et capsulae intemae med Hemianästesi, af Thue. 16. Gase of ab-
soess of the sella turcica and pituitary bod^, by Battiscombe. 17. Tumor der Yierhügel, von
Hoppe. 18. Qlio-Sarcoma of the Pens Yarohi, by Middleton. 19. Tumour of the Pons Varolii,
aMaccrogor. 20. Cysticercus cellulosae of brain. 21. Cysticercus cellulosae im Gehirn des
msehen, von Bolliagtr. 22. A fatal caae of tumour of the left auditory nerve, by Sbarkey.
23. Intra-cranial tumour, by Mallins. 24. Zur Aetiologie der Gehirnerweichung nacn Kohlen-
dunstveigiftung, nebst einigen Bemerkungen zur Hirnquetsohung, von Poelchen, 25. Gehirn-
symptome bei der eitrij^en Pleuritis, von de C^renvlllo. 26. Snlle paralisi da malaria, del
Saechl. 27. La percussione della rotula, contributo alla semeiotica delle uaralisi, nota pre-
vcntiva del Borghorini. 28. Gontribution a l'^tude des manifestations spinales de la blennor-
ragie, par Hayem et Parmontior. — Psvchiatrie. 29. Psychometrisohe Untersuchungen an
Geistesjcranken, von Walitzln|a. 30. Aonorm tiefe Körpertemperaturen bei Geisteskranken,
von SchSnfeldt. 31. Puerperale Geisteskrankheit und puerperale Infection, von Hansen. —
Forensische Psychiatrie. 32. Die Criminalpsychologie in ihrer Beziehung zum Gefiingniss^
wesen, von Kim. — Therapie. 33. Atronin und Hyoscyamin, von Will. 34. On poisoning
by Antipyrin, by Jennlngt. 85. De Temploi ae FHyosciamine comme hypnotique, par Lemolne.
IV. Bibliographie. Anthropologische Methoden. Anleitung zum Beobachten und Sammeln,
von Dr. Emil Schmidt.
S6
618
I. Originalmittheiliingen.
Ein Fall von Cysticercns thalami optici.
Von Dr. Wilhelm ManaBse,
Assistent an der int Poliklinik des jüdischen Krankenhanses zu Berlin.
Fräulein Marie B., 20 Jahre alt, ein etwas anämisches, aber kraftig gebautes
Mädchen, hat sich stets gesund gefühlt bis auf massige Eurzathmigkeit beim
Treppensteigen und bisweUen auftretende Mattigkeit in den Gliedern. Diese
Beschwerden waren indessen so geringfügiger Natur, dass Patientin bis kurz toi
ihrem Todestage anhaltend arbeitete und sich noch in der letzten Woche ihres
Lebens lebhaft an Tanzvergnügungen betheiligte.
Am 29. Mai h. a. madite Pat. einen Morgenspaziergang mit einer Freundin,
auf welchem sie derselben über ein eigenthümliches, prickelndes GefOhl in den
Händen klagte. Zwei Stunden später stellte sich heftiges Messen ein, das den
ganzen Tag über mit nur kurzen freien Intervallen andauerte.
Am 80. Mai klagte Marie B. über Eopfischmerz; und allgemeines Unbehagen,
am meisten quälte sie das wieder auftretende Kiesen; sie zählte an diesem Tage
112 einzelne Niesanfalle von solcher Vehemenz, dass ihr die Augen anschwollen
und der Eopf dröhnte, wie sie sich ausdrückte.
Dessenungeachtet aber konnte sie noch bis Abends 7 Uhr nahen mit einer ein-
stündigen Unterbrechung des Mittags.
Am 81. Mai vermehrten sich die Eopfischmerzen, sie stellte die Arbeit ein,
ass aber noch mit ihren Hausgenossen gemeinsam zu Mittag. Einige Stunden
später konnte sie sich nicht mehr „rühren''. Ich wurde consultirt und &nd
Abends 8 Uhr folgenden Zustand:
Die Patientin hatte eine Lähmung der Extremitäten linkerseits derartig,
dass sie den Arm und das Bein nur einige Gentimeter heben konnte. Auf mein
Verlangen mir die Hand zu drücken griff sie zu und bewegte die Finger, ohne
indess einen Druck ausüben zu können. — Beim Versuch zu stehen brach ae
zusanmien. Aehnliche Lähmungserscheinungen stellten sich kurz darauf rechts,
wenn auch in geringerem Maasse ein.
Dazu kam völlige Unfähigkeit auch nur einen Tropfen Flüssigkeit zu äA
zu nehmen. Sie konnte nicht schlucken und machte nach Darreichung einiger
Tropfen Wasser langandauemde heftige Würgbewegungen.
Die Sprache war völlig wie vor der Erkrankung, ebenso blieben die geistigen
Functionen ungestört
Die Sensibilität war normal.
Der Patellarreflex fehlte.
Die Lähmungen nahmen beiderseits an Stärke zu; bald kannte Pat d^
Eopf nicht mehr bewegen, sie rang nach Luft. In der Nacht an das Eiank^-
bett gerufen wurde ich durch häusliche Verhältnisse der Patientin genötiiigt^
die Uebeiführung derselben in das jüdische Krankenhaus anzuordnen.
— 619 —
Am Morgen des 1. Juni wurde der Transport vermittelst Tragbahre bewirkt
Bei der Ankunft im Erankenhanse war Fat. bereits todt
Die Obdaction, die auf Oehim, Lungen, Herz und Leber beschrankt werden
musste, ergab Folgendes:
Im Thalamus opticus linkerseits befindet sich in Mitten der Substanz ein
Tumor Yon der Grösse einer Weinbeere. Die mikroskopische Untersuchung der-
selben zeigte einen völlig ausbildeten Cysticercus. Bis auf geringe Böthung
und Infiltration der aUemächsten Umgebung des Tumors ist die SehhQgel-Suh-
stanz in normalem Zustande.^
Trotz genauer Untersuchung der übrigen HimtheUe finden sich nirgends
abnorme Verhältnisse.
Die linke Fleura und die linke besonders blutreiche Lunge ist durohsetzt
von einer grossen Zahl verkalkter Gysticercen. In der Haut sind nirgends Gysti-
cercen nachweisbar.
Leider war Ort und Zeit nicht dazu angetban, eine genauere Beobachtung
des Verlaufe der Krankheit und eine sorgfaltigere FrOfung jedes einzelnen Sym-
ptomes vorzunehmen. Wenn wir trotzdem den Fall der Oeffentiichkeit übergeben,
so geschieht dies in der Ueberzeugung, dass schon das Gebotene manches inter-
essante und theilweise der Aufklärung bedürftige Detail enthalten dürfte.
Zunächst ist es eine jedenfalls immer wieder hervorzuhebende Thatsache,
dass der in einem Stammganglion sitzende Tumor von der genannten Grösse
nichts als $nale Erscheinungen machte. Weder vorausgegangener Eopfischmerz,
noch Uebelkeit oder andere Vorboten eines cerebralen Tumors deutete auf ihn
hin, obschon er im Stande war, das Leben des kräftigen Mädchens innerhalb
48 Stunden zu beenden. Dazu tritt das immerhin seltene Vorkommen der bis
zur Schlusskatastrophe erhaltenen Intelligenz.
Ein weiteres auffallendes Moment liegt in der zuerst in Erscheinung treten-
den Parese der linken Extremitäten bei gleichseitigem Sitz des Tumors. Wir
verweisen diesbezüglich auf Webkioke,' der in seinem Lehrbuch über Gehim-
krankheiten auf die verhaltnissmässig oft publicirten Fälle von ungekreuzten,
auf der Seite des Tumors sitzenden Hemiplegien aufmerksam macht, welche
Fkxsdbbioh und Lebebt zur Aufstellung einer eignen Unterart der Hemiplegie
bewogen haben.
Wenn wir dann im weiteren Verlauf der Ejankheit auch die rechte Seite
von der Lähmung ergrifien sehen, so können wir diesen Umstand recht gut
mit einem einseitig sitzenden Tumor in Zusammenhang bringen, da derselbe
Autor es for eine besondere Eigenthümlichkeit der gerade durch Tumoren be-
wirkten Hemiplegien erklärt, dass leicht im weiteren Verlaufe beide Seiten sich
ergriffen zeigen, sodass HuGHLmas Jaokson' dieses Vorkommniss als dritten
Grad der Hemiplegie oder den über die Hemiplegie hinausgehenden Grad zu
bezeichnen sich veranlasst fühlte.^
1 Herr Prof. Dr. Mskdbl hatte die Gttte, die diesbesfigUehe UntenmchuDg yorzanehmen.
' V^EBKiCKB, Lehrbach der Oehirnkrankheiten. S. 307.
> British med. Jonrn. 1874. Jnly 25.
* Wbbnickb, ibidem. 86*
— 620 —
Ferner zeichnet sich unser Fall dadurch aus, dass wir es hier mit einem
isolirten Cysticercus in einem Stammganglion zu thon haben, wahrend die
Litteratur zumeist Fälle von multiplen Gysticeroen aufzuweisen hat (Nothkagsl,
Eüohenmeisteb), die gerade an der Oberfläche des Gehirns sitzen und schon
frühzeitig epileptische Anfälle auszulösen pflegen.
Ein derartig isolirter Tumor muss aber besond»« dazu auffordern, die
klinischen Erscheinungen zu durchmustern, um so ein Bild über die Functionen
des Organs, in dem er sich befindet, zu gewinnen.
Im Jahre 1866 sah sich Yttlpian^ 'noch zu dem Ausspruche veranlasst:
„Wir wissen gamichts über die specielle Function der Sehhügel/'
Man nahm an, dass die Zwangsbewegungen (tour de manj)ge etc.), die
Storuil^en des Eörpergleichgewichts von der Sehhügelzerstörung abhängig seien.
Andere Autoren wieder sahen den Sitz der sensiblen Function in der Seh-
hügelsubstanz und glaubten den Wirkungskreis dieses Ganglions auch auf die
höheren Sinnesoigane ausdehnen zu müssen.
Schliesslich gewann Nothnagel aus seinen Versuchen das Resultat, dass
weder Motilitäts- noch Sensibilitätsstörungen durch die Zerstörung der Sehhügel
ohne Verletzung benachbarter Theile gesetzt würden.
Den vorliegenden Fall betreffend interesdren uns ganz besonders die ?on
Bechterew und Mislawbkt' in neuester Zeit aus ihren Thierexperimenten ge-
wonnenen Schlüsse.
Ausser anderen für die Function der Sehhügel sprechenden Momenten, auf
die einzugehen wir leider nicht in der Lage sind, gelangten sie bei ihren Ver-
suchen zu der Ueberzeugung, dass die Beizung des Sehhügels von deutlicher
Wirkung auf die Herzthätigkeit begleitet ist, indem sie Verlangsamung und sogar
StiUstand der letzteren hervorruft;, was bei Beizung anderer Centraltheile des
Gehirns nicht beobachtet wird.
Wir fügen noch hinzu die späterhin von Bechterew^ erwähnte Thatsache,
dass bei einer beschränkten Verletzung der Sehhügel die Erscheinungen schwach
ausgeprägt waren, oder sogar vollständig fehlten.
Mit Hülfe dieser Beobachtung erklärt sich einerseits die lange Latenz des
Tumors. So lange derselbe von geringem Umfange war und im Sehhügel ohne
stärkere Bewegung eingebettet lag, war keine Wirkung nach aussen hin zn
spüren. Andererseits aber findet auch aus diesen durch exacte Thierexperimente
gefundenen Sätzen der sonst räthselhafte durch die Obduction nicht genügend
begründete plötzliche Tod der Fat eine ungezwungene Deutung, da wir nun-
mehr annehmen dürfen, dass der grösser gewordene und in lebhafte Bewegung
gerathene Sehhügel-Gysticercns eine momentane und totale Lähmung der Hen-
thätigkeit bewirken konnte.
' VuLPiAN, Iie9ons sur la phys. du systöme nenreux. Paris 1866. p. 659.
* Bechterew und Mislawskt, dieses Centralblatt 1S86.
* Beohtebew, Archiv f. klin. Med. 1886. S. 884.
— 621 —
n. Referate.
Anatomie.
1) lA ghiandola pineale e il terso ooohio dei yertobrati, pel dott Att.
CioninL . (Blvist speriment. di Freniatna ecc. 1888. XIY. p. 65.)
Verf., der in früheren Arbeits (tgL dieses GentralbUitfc 1885 S. 820 mid 1887
8. 476, sowie anch 1886 S. 262) den vollständigen Mangel an nervteen Elementen
in der Zirbeldrüse bewiesen zn haben glaubte, und daher zn dem Schlüsse gekommen
war, sie stelle ein mdimentftres Organ im Sinne der Descendenztheorie dar, giebt
nun auf Grund seiner neuesten Untersuchungen mit Hülfe der Weigert'schenUäma-
tozylinfarbung 2ti, dass wenigstens im Stide deS'Oonariums feine Nervenfasern ver-
laufen, die mit der hinteren Gommissur und indirect mit den Oculomotoriuskernen in
Verbindung stehen, die aber nicht, wie Darkschewitsoh behauptet^ durch die ganze
Zirbel zu verfolgen^ sind.
Bekanntlich wird in neuester Zeit das Oonarium der höheren Wirbelthiere als
Rudiment des „unpaaren Scheitelanges'', wie es bei niederen Vertebraten noch mehr
oder weniger deutlich ausgebildet ist, aufgefasst; zwei vom Verf. reprodndrte Abbil-
dungen über daa Scheitelauge bei Anguis fragüis (aus der Arbeit von H. ran Graaf)
und bei Hatteda punctata (ans der Arbeit von Spencer) sind allerdings in dieser
Hmsieht ausserordentlich überzeugend.
Verf. sieht nun in dem Zusammenhang der Nervenfasern des Gonariums mit den
Oculomotoriuskernen eine weitere Stütze für jene atavistische Theorie, doch möchte
er die Zirbeldrüse nicht dem ganzen „Soheitelauge'', sondern nur dem „Opticus" des-
selben gleichstellen. Sommer.
S) If'entre-oroisement inoomplet des flbrea nerveuaea dana Is ohiasma op-
tlque ohas le dhien. Note de M. Alexandre N. Vitzou, adress^e par M.
de Lacaze-Dnthiers. Acad^mie des seienoes. Stence du 17. Sept. 1888. (Joum.
des soci^tte sdentifiques. 26. Sept. 1888.)
E'mem Hunde wurde der linke OccipitaUappen entfernt. Es zeigte sich Hemi-
anopsia lateralis homonyma, welche die äusseren ^/^ des Gesichtsfelder des rechten
und das äussere Viertel des linken Auges einnahm.
Verfl schliesst daraus, dass beini Hunde keine vollständige Kreuzung im Chiasma
stattfindet, sondern ^/^ der Fasern aus dem OccipitaUappen zur Betina der entgegen-
gesetzten Seite gehen, während dais letzte Viertel die Betina derselben Seite innervirt.
P. Kronthal.
■ ' ' ■■ *■
3) VerbreitungsweiBe der Hautnerven beiin JCenaoben, von Prof. Dr. Herrn.
Eichhorst in Zürich. (Ztschr. f. klin. Med. XIV. 5 u. 6. S. 519.)
Die Untersuchung der Grenzen zwischen sensibler nnd anftsthelascher Zone bei
sehr abgegrenzten Krankheitsprocesseti im 'Bückenmark (untersucht sind 5 Ffilie) hat
zur Entdeckung einer charakteristischen Curve geführt; nidit im geradlinigen Verlauf
finden sich die Endausbreitungen der sensiblen Bückenmarksta^rven angeordnet, son-
dern sie baden eine Cürve, welche sieh durch eine „Veitebral-,' Scapulat- und Matnillar-
Etevaüon" iniszeichnet ^— die betraffenden Ausdrücke sind wohl verBt&ndHch. Gurven-
Zeichnungen sind beigegeben. Sperling.
— 622 —
Experimentelle Physiologie.
4) A Beoord of ezperiments upon the fünctions of the oerebral oortex»
by Victor Horsley and Edward Albert Schaefer, Professors etc. (From
the pbysiological laboratory, University College.) Philosoph. Transact VoL 179.
(1888.) B. Plates 1—7.
Die Yerff. theilen die Resultate einer Serie von Beizungs- und AbtragongsTer-
sneben mit, die sie am Qrosshim des Affen angestellt haben. Sie theilen für ihren
Zweck das Gehirn in 4 Regionen ein: I die präfrontale, II die centrale oder moto-
rische, III die OGcipitale, IV die temporo*sphenoidale nnd limbische Region.
I. Reizung der pr&frontalen Region blieb vor dem vorderen Ende des
sagittalen Schenkels des Sulcns praecentralis ohne Erfolg. Abtragung dieser Region
ergab gleichfalls ein lediglich negatives Resultat, sowohl was die Motilit&t, als was
die Intelligenz angeht. Nach den Abbildungen zu schliessen« sind die am weitesten
rückwärts liegenden Schnitte einige Millimeter vor den Schenkeln des Sulcus prae-
centralis geführt.
n. Motorische Region, a) Reizung der Gonvexität und der medialen
Fläche des Randwulstes. Hierüber ist bereits in Nr. 14 des Jahi^angs 1887
dieses Centralblattes berichtet worden.^ Es bleibt nur nachzutragen, dass die YeA
durch Reizung des „Gesichtsgebietes'' auch Bewegungen des oberen Theiles dsB
Nabrungsschlauches — Mund, Schlund und „Larynx" — auslosten. An der medialen
Fläche ist die Gegend bis zum Knie des Corp. <»U. unerregbar, dann folgen Gebiete,
welche von vom nach hinten der Reihe nach an GrOsse zonehmen .und bis zum hintern
Ende des Sulc. calL marg. reichen, für den Kop( den Arm, den Stamm und das Bein.
b) Abtragung der motorischen Gebiete der Gonvexität und des im
Raudwulste belegenen Theiles des Beingebietes bedingt (ast voUständige
Lähmung des entgegengesetzten Armes, Gesichtslähmung, Parese des Beins und der
Kopfbewegungen.
c) Doppelseitige Abtragung der motorischen Zone des Randwulstes
fährt zu vollkommener Lähmung der Muskeln des Stammes, hochgradigei Lähmung
der Muskehl der Beine und Schwäche der Arme. Haltung und Bewegung so operirter
Affen sind sehr charakteristisch; sie liegen auf dem Baudi und kOnnen sich fast nur
mit Hülfe der oberen Extremitäten fortbewegen. Die Operation, obwohl an sich
ziemlich geringfügig, wird den Thieren gleichwohl früher oder später, längstens inner-
halb 3 — 4 Wochen verhängniasvoll. Innerhalb dieser Zeit war aber von Besserung
der Lähmung, besonders in den Beinen, nichts zu bemerken. Bei einseitiger Ab-
tragung derselben Gegend sind die Erscheinungen, wenn auch gut erkennbar, doch
bei weitem weniger ausgesprochen, sQs bei doppelseitiger Operation. Die Verfo^er
erklären dies dadurch, dass die Bewegungen der unteren Extremitäten und des
Stammes vermuthlich mehr unter der Herrschaft secundärer Gentren stünden; sie er-
wähnen dagegen nicht die immerhin nicht weit abseits liegende Erklärung durch bi-
laterale cerebrale Innervation dieser Bewegungen.
d) Die Gonstatirung von SensibilitätsstOrungen in motorisch gelähmten
Theilen begegnet beim Affen, wie übrigens schon Munk hervorgehoben hat, den
grossesten Schwierigkeiten. Gieichwohl glauben die Yerff. sich überzeugt zu haben,
dass motorische Lähmungen durchaus nicht nothwendig von Anästhesie begleitet sein
müssen, also auch nicht auf ihr beruhen können.
IIL Occipjtale Region. Die hier angefahrten Versuche sind nicht zahlreich
und beweiskräftig genug, um zur Entscheidung der schwebenden Prägen etvn&s bei-
zutragen,
lY. Tempero-sphenoidale und limbische Region, Broca (Gyms hippo*
^ Ueber die motorischen Rindenoeotren dee Affengehüms, von E. A. Schaefer.
— 688 -
GUB]^ «Bd UMWBatiis). fis kam dea Verff. hanpMUsUieh auf Prtfmig der Angaben
Ferri«r*8^ an« naoh dmen auf Zem^ßmag des Hippocampne and des QjnB uicinataa
Heniaiiäatlie^e folgen eollte. SKe fanden bei nicht aDznaasgedehnten Zeratftnmgen
k^M Sensibilititatöningen, bei sehr groseen Zerstörungen wurde allerdings in ein-
zefaMA Fftllen aber nicht immer SensibilitftteBiOning beobachtet und diese war dann
weder ToUBÜndig noeb Ton längerer Daner; nriygiidierwmee war sie auf Behelligung
des Qjr* tomc. an beäehen. Auf HönMrungen wurde mehr nebenbei geachtet; Ton
einer unbedingten Abhfiogigkeit des HOrvermGgens von dem Beetande der Schlftfen-
lappen oder deren oberster Windnng im l^nne von Ferrier und Mtinlc vermochten
die ?erff. sich dabei nicht zu ftberseogen.
Bine doppelsMtige oder auch nur einsMÜge vollständige Abtragung des Gyrujs
forni«. gelang den Verfif. nicht. Hatten sie jedoch gr&ssere Partien dieeee Gyrus ent-
fernt, 80 ftnden sie stets eine, allerdings mehr oder minder ausgesprochene contra-
latoale AiAsthesie manchmal mit Yerinst der F&higkint au localisiren. Motorische
Störungen waren dabei gelegentlich vorhanden, die AnfietAieeie wurde aber auch wenn
sie fehlten beobachtet. Wurde erst der Gyr. hippocampi und dann der Gyr. fomic.
angegriffen, so war die Anfisthesie hochgradiger, w&hrend eine auf die Zerstörung des
Gyraa fomic folgende Verletzung des Gyr. hippoc. an den durch die erste Operation
gesetaten Erscheinungen nicht viel ftndeite.
Die Arbeit ist durch eine Anzahl von Krankengeschichten und durch 7 Tafeln
mit 86 Abbildungen iUastrirt. Hitzig.
5) An inT6itiga^n into the AmeÜoiiB of the oooipital and temporal lobea
of the moxikey's brain, by Sanger Brown and B. A. Schaefer. (Philos.
Tranaact. of the Royal Social^ of London. 1888. VoL 179. B. p. 303 — 327.)
6) On eleotrioal ezoitatlon of the oooipital lobe aad adjaoent parta of the
monkey'a brain, by £. A. Schaefer. (Proceedings of the Royal Society. 1888.
VoL 43.)
7) Experiments on the eleotrioal exoitation of the viaual area of the oere-
bral oortex in the monkey, by E. A. Schaefer. (Brain. 1888. April.)
8) A oomparison of the latenoy i>eriod of the ooular mnaoles on ezoitatlon
of the frontal and oooipito-temporal regiona of the brain, by E. A.
Schaefer. (Ebenda.)
0) Qn the relative length of the period of latenoy of the oonlar mnaotea eto.,
by E. A. Schaefer. (Internat. Monatsschr. f. Anat. u. Fhys. 1888. Bd. Y. H. 4.)
Ad 6) Die Yerft unternahmen Totalexstirpationen der Schiäfenlappen, Hinter-
hanptslappen und des Gyrus angularis des Affen in der Absicht, die widersprechenden
Angaben von Ferrier, Mnnk und Luciani-Tambnrini zu prüfen. Von 3 ge-
lungenen Versuchen an den Hinterhanptslappen ergab der eine mit halbseitiger
Ezstirpation dauernde homonyme bilaterale Hemianopsie, der zweite mit doppelseitiger
Exfltirpation vollständige and daaemde Blindheit beider Augen, der dritte, bei dem
ein kleines Stflck des rechten Tisppens erhalten geblieben war, zwar dauernde, aber
nicht vollständige Blindheit; der untere Theil beider Retinae war lichtempfindlich
geblieben. Die Yerff. stellen sich auf Grund dieser Erfahrungen auf die Seite Mnnk's
und sind auch geneigt, mit ihm eine Art von Localisation der einzelnen Theile der
Retina im Ocdpitallappen anzunehmen.
Die Versuche am Gyrus angularis gaben ein vollkommen negatives Resultat
Es war weder eine Affsetion der Sensibilität und der Motilität des Bulbus — wie
Mnnk wolHe — noch eine Beeinträchtigung des Sehvermögens — wie Ferrier
1 Vgl. dieees Centrftlbl. 1887 Nr. 8.
— 6j84 —
wollte — jni constatiren. Allerdings wnrtoi .iror^Ü>ergehende Sehgtteiagep beohüfctct,
diese sind aber darch die Nachbarsohaft des Lob. ocoipit. aogezwungen zu eddäreiL
Partielle Exstirpationen des Sch^äfenlappens gaben kein poedtiTeB BesoUit
Weder ging der Geruch und der Geachinack« mit der Spitze des Lappeus, uoeh auch
das Gehör oüt den beiden oberen Schlafenwindungen verlorien. (Merkwürdig genug
behauptete Ferrier, der mehrere der ersten SchULfenwindung beraubte Affm geseboi
und ihnen das HOnrermKgen zugestanden hatt^ dass der Affe der Beebachtong 5
taub sei, wahrend gerade diesem Affen — wie die Section eigab — UnkerBeits ver-
sehentlich die zweite an Stelle der ersten Schläfenwindung genommen worden war.)
indessen erlitten diese Sinne anch dann keine £inbQssei wenn beide Schlätadappen
gänzlich entfernt wurden, die Thiere schienen vielmehr ebensogut zu hören, zu riechen
und zu schmecken, als vor der Operation. Uier befinden sich die Y^rff. also im
Widerspruch sowohl mit. Mank als mit Ferrier. Zwei im Lob. tempor. operirte
Thiere liessen aber eine, l&ngere Zeit anhaltende hochgradige Demenz erkennen, welciie
Yerff. geneigt sind, auf die Beleidigung der Arter. fossae Sylvii zu beziehen. Drei
Tafeln mit 33 Abbildungen begleiten die Abhandlung.
Ad 6 und 7) Elektrische Beizung einer mittleren Zone des hinteren ThAÜes des
Affenhimes bewirkt reine gleichsinnige Ablenkung beider Angen nach der «itgegen-
gesetzten Seite. Trifft die Beizung den hinteren Schenkel des Gyrus angularis, die
oberen Enden der beiden ersten Sohl&fenwindungen und die unmittelbar hinter dem
Sulc. pariei occip. belegenen Theile, so combinirt sich mit dieser Bewegung eine sehr
deutliche Senkung beider Sehazen. Trifft die Beizung aber die nach hinten und
unten belegenen Theile des Lob. ocdp., so drehen sich die Sehaxen gleichzeitig nach
oben. In diesen, beiden letzteren F&Uen wird h&ufig eine eonsensoelle Senkung hezw.
Hebung des oberen Lides beobachtet.
Schaefer glaubt hieraus auf die Existenz identischer Punkte der Betina auf
der Hirnrinde im Sinne Munk's sohUessen zu dürfen, (Dieser Sehluss dfirfte noch
eine riel genauere Begründung, welche Schaefer übrigens in Aussicht. stellt, erfordern.
Zunächst scheint derselbe dem Beferenten mit den vorher berichteten Ausschaltungs-
versuchen nicht recht zu stimmen.)
Ad 8 u. 9) Gleichsinnige contralaterale Ablenkung der Augen ist durch Beizung
nicht nur der eben genannten Theile, sondern auch eines Bezirkes der motorischen
Begion zu 'erzielen. Jedoch wird eine L&hmung dieser Bewegung nur durch Aus-
schaltung dee letztgedabhten Gebietes bedingt. Daraus schloss Ferrier, dass hier
das motorische Bindencentrum fOr die Augenmuskeln belegen sei, während die Bei-
zung der ersterwähnten Gebiete indireot durch Erregdhg Von ^Gesidhts- oder- Gviiörs-
bildem wirksam würde. Um die Bichiigkeit' dieser Ansicht zu prüfen, bestimmte
Schaefer die Beactionszeit bei Beizung des Stimtheils im Yerhältniss zu derjenigen
jener anderen Theile und fand die Erstere um mehrere Hundertstel einer Secunde
kürzer als die letztere. Der Beiz muss deshalb in dem einen Falle mindeetena ein
Centrum mehr als in dem andern Falle passiren. Da die Beizung dei: sensuellen
Gebiete aber . auch noch nach den ausgiebigsten doppelseitigen Zerstörungen der
motorischen Theile wirksam bleibt, kann das supponirte Centrum nicht dort liegen;
vielleicht ist es in einem der Ganglien zu suchen. Hitzig.
10) tfeber den Sinfltuis des Antipsrriti auf das Ne^ehny stein » von L.
Blümenau. (Wjestnik psichiatrii i nevropatologii. 1888. Y^^YI. Bussisch.)
Yerf. suchte hauptsächlich die .Wirkung des Antipyrin auf das Yerhalten der
Bpinalreflexe, der Sensibilität und der Erregbarkeit der. Hirnrinde- zu ermitteln.
Seine Yersuche an Fröschen, denen das Bück^nmark unmittelbar unter, dem. ver-
längerten durchschnitten war, oder denen die Grosshimhemisphären vorsichtig abge-
tragen wurden, zeigen, dass Antipyrin auf das isolucte Btto^enmark. nur ül grossen
- 626 —
DoBOH (0^06 sabcataB) wirkt, indem es, älmlioh dem Stcycbnin» dieBeflexerregbarkeit
fftr taciile lud elekiriBobe Beise steigert, ohne diesribe tf^r chemijache Beiuu^ zn
verftndem« Wenn das Bflekenmark .in Zosammenhang mit dem Grosskim gelassen
wurde, so stellte sich bei der n&mlichen Dosis bei dentUcher Steigerang der tactilen
und elektrischen Seflexe eine nicht minder aasgepr>e Herabsetzung der chemischen
(8&ore^)BeflaKe ein; letztere liess sich flbiigens auch durch gerHugere Dosen (0,02
bis 0,03) bewirken.
Die Sensibilität wurde durch grosse Dosen herabgesetzt Dieses Resultat liess
sich an curarisirten Hunden vermittelst des Studiums der Blutdruckschwankungen bei
sensiblen Beizen (Applicatien deslnductionsstromes an den N. isduadicoa) copstatiren,
wenn die Dosis nidit weniger als 0,15 pro Kilo betrug. Was die Beeinflussung der
Sensibilität durch therapeutische Dosen betrifft^ so führte die Untersuchjong eines
Subjects« das 2 g Antipyrin eingenommen hatte, zu negativen Ergebnissen.
Die Experimente des Verf. mit elektrischer Beizung der motorischen Binden-
gegend an Hunden zeigten, dass intravenöse Injection von 0,2 Antipyrin pro Kilo
nach ungefnhr 10 Minuten deutliche Herabsetzung der Bindenerregbarkeit bewirkt
Auf Grund seiner Untersuchungen gelangt Verf. zu dem Schluss, dass Beein-
flussung des Nervensystems durch Antipyrin an gesunden Thieren und Menschen nur
bei verhältnissmässig grossen Dosen stattfindet. Er hält es jedoch für mOglich, dass
bei pathologischen Bedingungen die Nervencentren der Wirkung dieses Mittels leichter
unterliegen. Er selbst sah davon guten Erfolg bei Kopfschmerzen verschiedenen
Ursprungs, sogar in solchen Fällen, wo die Kopfschmerzen Symptom einer organischen
Gehimerkrankang waren. P. Rosonbach.
Pathologische Anatomie.
11) Beitrag sur Anatomie der oerebralen Kinderlähmung, von Th. Hoven.
(Arch. f. Petych. XIX. S. 563.)
H. unterstützt durch einen genau makro- und mikroskopisch untersuchten Fall,
in welchem die Binde völlig gesund ist und abgesehen von unbedeutenden Theilen
des Thal, opt., des Corp. striat. und der Vormauer nur das Marklager und ein kleiner
Theü der innem Kapsel erkrankt sind, die Ansicht derjenigen Autoren, welche sich
gegen die bekannte Aufstellung StrQmpeirs ausgesprochen; als die Ursache der
Läsion ist einö in frühester Kindheit eingetretene Hämorrhagie oder Erweichung an-
zusehei^, die Vielfältigkeit der Befunde in klinisch übereinstimmenden Fällen spreche
für die vorläufige Belassung der alten klinischen Benennung. A. Pick.
12) Die pathologiaehen Veränderungen der Hypophysia oerebri bei Sr-
krankimgen des Oehima und seiner Häuten «ine histologische Untersuchung
von A. Wassiljew. (Dissertation. St. Petersburg 1888. Buasisoh.)
Die Arbeit enthält zuvörderst eine Zusammenstellung der neuesten histologischen
Untersuchungen über den normalen Bau der Hypophysis. Darauf folgt eine kurze
Uebersicht der in der Litteratur beschriebenen' an der Hypc^hysis gemachten patho-
logischen Befunde. Die eigenen Untersuchungen des Verf. betreffen 14 Fälle von
Gehiraerkrankongen — meistens ' Meningitis und Mehingoencephalitis chron., einige
Meningitis purulenta und tuberculosa^ und 2 Apoplexia eerebri ohne «ntfcündliohe Ver-
änderung der Hirnhäute. Die mikroskopische Untersuchung der Hypophysis eerebri
wurde haupteächlich an Schnitten- des gehärteten Präparats angestellt, die jmi Häma-
tozylift und Eoain (nach Dostoje.wski*s Abgabe) behandelt waren. Das Ergebniss
der Untersuchung bestand darin, dass die Hypophysis in allen Fällen an der AUgemein-
erkrankung des Qehims und seiner Häute Theil nimmt. - Bei den .acuten Krankheiten
_ 626
(Meningitis puroienta und taberculosa) worden an den Sehnitten ans der Hypopbjsis
entzftndlicbe Hjper&mie, BlotextraTasate, Infiltration lymphoider Kdrperehen nnd fet^
Degeneration der Zellenelemente dee Parenchyms Yorgefnnden. Bei dien chronischen
(Meningo-encephalitis und Encephalitis chron.) waren anch die Ter&nderangern in der
Hypophysis chronisch- entzflndlicher Natur — es fiand sich Yermehmng der bmde-
gewebigen Elemente, Yerdiclcung der Ad?entitia der Geftsse und coUoide Entartong
des Epithels in den Follikeln. . F. Bosenbach.
13) Zur Kenntniaa der diflUsen Himaklerose. (Aus dem pathol. Institut und
dem Dr. von Hauner*schen fcinderspital zu München.) Von Dr. Hans Schmaus,
Assistenten am pathol. Institut zu Mflnchen. (Yirchow*s Archiv. 1888. CXTV.)
Dreü&hriges Mädchen, hereditär unbelastet; seit 1 Jahr Krämpfe; phobische
8t6rung. Arme in Beugecontractur mit pronirten Händen, Beine in ExtenBionscontractur
mit Yaro-equinus-Stellung; Strabismus divergens; linker Abducens paretisch; zweifel-
hafte Amaurose; Pupillen weit, reagiren träge auf Licht; Nystagmus horizontalis;
leichte Facialisparese links; beiderseits erhöhte Kniephänomene; Sensibilität and Haut-
reflexe normal; faradische Beaction erhalten. Temperatur in ano 38,5; Pals anter 40;
Bespiration 82.
Sectionsbefund: Dififuae Sklerose mit enormer Atrophie des Grosdiims, besonders
der Windungen. Hydrocephalusint. et ext ex vacuo. Pachymeningitis int. Hydro-
cephalus ext. Atrophie und Yorderseitenstrangsklerose des Bückenmarks. Gehini und
Bückenmark wogen 340 g (normaliter 1020 g).
Histologischer Befund des Gentralnervensystems: 1) Gehirn: Ganglienzellen in
der Form unverändert, näher aneinandergerückt als sonst; zwischen ihnen ein dichtes
fein granulirtes Fasemetz. Axencylinderfortsätze vielfach hakenförmig gekrümmt
Spärliche Spinnen-, zahlreiche Bfastzellen. Hirnrinde in toto und in den einzelnen
Schichten verschmälert. 2) Bückenmark: Hals- und Brustmark: Sklerose der Yorder-
seitenstränge; die ihnen anliegende Pia ^Jark verdickt; Hinterstränge intact Lenden-
mark: die Kleinhiniseitenstrangbahn wird normal von der Mitte des Dorsalmarkes ab.
Yerf. bespricht, anknüpfend an diesen Fall, die verschiedenen Arbeiten Aber die
Hirnsklerose und kommt zu dem Sohluss, dass dieselbe eine chronisch interstitielle
Entzündung darstellt und die Betheiligung der Nervenzellen seeundär ist — Die
Systemerkrankung des Bückenmarkes nach diffuser Hirnsklerose ist hier zum ersten
Male beobachtet
Als Symptom der in Bede stehenden Affeotion wurden angegeben: Eärscheinungen,
die für eine raumbeschränkende Erkrankung und Beizung der Hirnrinde sprechen;
Symptome, die von einer Läsipn der Pyramidenseitenstrangbahn herrühren; einfache
Atrophie; keine Entartungsreaction; erhöhte Beflexe; geringe Betbeiligung des sen-
siblen Systems; träge Pnpillarreaction; Nystagmus.
Der anregenden Arbeit ist eine erläuternde Tafel beigegeben.
P. Kronthal.
Pathologie-des Nervensystems.
14) 8a di un oaso dl leslone distruttiva del lobo temporoBfenoidale sinistro
in im manoiiio epUettioo senz'alouno distiirbo della parola, per il Dott
L. Bianchi. (La Psichiatria. 1888. VI.)
24jähriger Mann, psychopathisch veranlagt, seit Jugend epileptisch und mit dem
Häufigerwerden der Krämpfe von postparoxysmellen Dämmerzuständen ergriflen und
unter Zunahme der psychischen Beizbarkeit allmählich verbindend, wurde etwa im
17. Jahre einer Irrenanstalt fibergeben. Hier konnte u. A. constatirt werden: Plagio-
— 627
cephalie/ Makroceplialie, Linksh&ndigkeit (wobei aBerdings nicht mit Skiherheit fest-
»ttMleii war, ob diwe angeboren oder Tielleieht ent dnroh die GtobraocliBunf&higkflit
der rechten Hand in Folge einer schweren Verbimranng derselben erworben sei) und
endlich hochgradiger postepüeptischer Ködsimi mit Beizbarkeii Ohne dass irgend
ein Heerdsymptom , speeiell etwa eine Spraohstönmg, eingetreten wäre, starb Patient
im 28. Lebensjahre. Die Section ergab neben Hjper&mie der Meningen nnd kleinen
frischen Submeningealblntangen eine grosse apopleetlsche Gjste Ton etwa 3 <an L&nge,
2 cm Breite and fast 9 cm Tiefe, nach der beigegebenen Abbildong gemessen, die
auf der Convezitftt des linken Schlftfenlappens lag nnd das mittlere Drittel der sweiteu
nnd dritten Schläfenwindung, sowie önen Theil der ersten bis in das centrale Mark
zerstört hatte. Man hätte daher im Leben Worttanbheit oder wenigstens eine be-
trächtliche Sprächstömng erwarten müssen, wenn Patient rechtshändig gewesen wäre.
Da dies aber nicht der Fall, so kann diese Beobachtung als ein neuer Beweis fdr
die bekannte AnnahmjB, dass bei.„Link8em'' die rechte Hemisphäre in functioneller
Hinsicht prävalire, angesehen werden. Sommer.
15) Bt TUlUde af Tumor thalaml opttoi et oapsulae intemae med Henü-
BBästeai, af H. J. Thne. (Norsk. |lag. f. Lägevidensk. 1888. 4. B. UL 7. S. 566.)
Ein 42 J. alter Mann, der ?on Ole B. Bull im J. 1883 an vorübergehender
Sehschwäche aaf beiden Augen, doch zumeist auf dem rechten, mit G^ichtsfeldein-
schränkung nnd Störung des Farbensinns bebandelt worden war, hatte Ende Sept. 1887
ein dumpfes Gefühl im rechten Beine, das sich im Laufe von 8 Tagen über die ganze
rechte Körperhälfte verbreitete; gleichzeitig nahm das Sehvermögen auf beiden Augen
ab und später stellte sich Kopfschmerz ein. Die Zunge wich bei der Untersuchung
am 7. Oct. etwas nach rechts ab, beim Stehen! fiel Pat., wenn er die Augen schloss,
nach rechts zu, auf dem rechten Beine allein konnte er nicht stehen. Auf beiden
Augen war die Sehschärfe herabgesetzt, Pat. sah Gegenstände oft mehrfach, auch bei
Schluss eines der beiden Augen. Das Hörvermögen war auf dem rechten Ohr ver-
mindert Die Sensibilität für Berührung und Temperatur war auf der ganzen rechtjen
Körperhälfte herabgesetzt, die Schmerzempfindung erhalten. Der Pateüarreflez fehlte
rechts ganz, aber bei Schlag auf die rechte Patellarsehne stellte sieh Gontractlon des
linken Quadriceps femoris ein, links war der Patellarreflex etwas erhöht; Scrotal-
nnd Abdominalreflexe fehlten. Am nächsten Tage zwang heftiger KopfiKhmerz nnd
Erbrechen den Pat, sich zu Bett zu legen. Der Puls wurde immer langsamer und
hatte am 15. Oct. 42 Schläge in der Minute, das Sensorium wurde benommen und
Delurien stellten sich ein, beide Patellarreflexe waren verschwunden. Am 10. Oct.
hatte das Erbrechen aufgehört, der Kopfschmerz nachgelassen, aber unwillkürliche
Bntleemngen stellten sieh ein; die Pulsfrequenz nahm zu. Am 20. Oct. war kein
Kopfischmerz mehr vorhanden, das Sehvermögen fast erloschen, die rechte Pupille
etwas weiter als die linke, Strabismus begann, die rechten Extremitäten begannen
rigid zu werden, beide Patellarreflexe waren vorhanden und etwas vermehrt. In den
nächsten Tagen hatte der Puls 120 — 180 Schläge und wurde schliesslich unzählbar,
die Pupillen wurden immer kleiner, Patient verfiel immer mehr, Zuckungen in den
linken Extremitäten stellten sich ein und am ^9. Oct erfolgte der Tod. — Bei der
Section fand sich eine 7 cm lange, 4 cm breite und ebenso dicke, ziemlich scharf
begrenzte weiche GesohwuLst (Gliom), welche die hintere Hälfbe des linken Thalamus
opticus und ungefähr das hintere Drittel des hintern Schenkels der Capsula interna
einnahm, doch einen schmalen Band längs des hintern Bandes der Linse übrig lassend.
Das Unke obere Corpus quadrigeminum war auch etwas vergrössert, aber nicht durch
Oeschwulstmasse, sondern durch Vermehrung der Neurogliamasse.
Die Geschwulst hatte jedenfalls schon vor 4 J. sich zu entwickehi begonnen und
damals vielleicht nur den Thalamus opticus betroffen, nicht die Capsula interna, weil
— 628 —
dODBt' jedeniaSs Zeichen von BensiUen Störungen Mtten vorhanden sem aAasen. Da-
nach mfksste ein Thal, opi Einfloss auf das Sehvermögen beeidet Augen, . vorzugsweise
aber des entgegengesetxten, haboi; diese Beeinflussung brauchte aber, wie im vor-
liegenden Falle, nur vorübergehend vi sein, wenn man annimmt, dass ändere ffim-
tbeik, aunftchst der entgegengesetsie ThaWus ^ür den andern in Function treten
und vicanren köunträ. Dass im nätgetheihen Falle die Anästhesie nicht voUstandig
war, kann nach Th. vielleicht darauf beruhen, dass vom hintern Schenkel der Oap-
sula interna noch ein schmaler Band flbng war oder dass die Leitungs&aem von
der G^eschwntet nur gedrftekt oder infiltrirt, nicht zerstört worden waren. Muskel-
schwäche in den rechten Extremitäten, die Th. bei der ersten Untersuidimig fand,
kann wohl durch den Druck auf den die Pyramidenbahnen enthaltenden mitüeren
Theil der Capsula interna erklärt werden. Walter Berger.
16) Gase of absoess of the sella turoioa and pituitary body, by C. G. Battis-
combe. (The Lancet. 1888. Vol. I. Kr. 20.)
Eine 33jähr. gesunde, syphilitisch nie affidrte Frau klagte über Schwäche und
Unfähigkeit zu Gehen. Natiseä, Jucken der Kopfbaut, Schmerz am Scheitel und
Hinterhaupte, Ohrgeräusche, heftige Photophobie ohne Sehstörung, viel Durst^ Appetit-
losigkeit. Stechende Schmerzen in den Augen imd Schläfen. In einigen Tagen zeigte
sich Böthung der Conjjanctivae und Chemosis bulborum, welche letztere in kurzer
Mt so zunahm, dass sich die geschwollenen Bindehäute etwa ^4 ^^ ^^t zwischen
den Lidern vordrängten. Taubheit, Unlust zu sprechen; Protrusio bulborum. Plötz-
lich Oollaps. Tod im Conuu
Es fand sich bei der Obduction die Sella turcica mit fötidem Eiter und Stücken
der Hypophysis angefüllt, der Knochen blossgelegt. Die über den Föns Yarolli laufen-
den Gefässe waren stark ipjicirt. Der Abscess erreichte beiderseits die GaroUden und
war durch die Foramina optica gedrungen, die aus dem Schädel tretenden Optici
dicht umlagernd. J. Buhemann (Berlin).
X7) Ueber einoa Fall Ton Tumor der Vierhügel. Inaugural-Dissertation v(m
Otto Hoppe, prakt. Arzt aus Bielefeld. (Aus Prof. Hitziges Klinik. Halle, Juni
1B88. 34 Seiten.)
Nach kurzer Schilderung der Physiologie der Vierhügel folgt die Krankengeschichte.
Ein 19jähriger Mann, der Ende des ersten Lebensjahres und später wiederholt an
„Gehirnentzündung'' gelitten haben soll, hatte seit 3 Monaten periodisch auftretende
Schmerzen im Hinterkopf und anfallsweise sich zeigende tremorartigo Erschütterung
des ganzen Körpers. Eine Untersuchung ergab ausserdem, Coordinations- resp. Asse-
ciationslähmung des Blickes nach oben und Doppeltsehen in der ganzen Ausdehnosg
des Gesichtsfeldes. Die Bilder standen unter einander und die Distanzen wuchsen
nur im geringen Grade bei der Bestrebung nach i>hmi zu sehen. Die linke Pupille
4^2 mm, die rechte 5 mm; beide zeigen reflectorii»he PupiUenstacre. Der ophthalmo-
skopische Befund ergab beiderseits leichte Stautmgsneuritis. Rechts hochfj^ndige
Schwerhörigkeit; Schwingungen der Stimmgabel wurden bei AufiBetzmig letzterer auf
irgend einen Theil des Kopfes vorwaltend links gehört (rechtsseitige AcnsdenalähmaDg).
Links eine geringe Spur der gleichen Affection. Zuweilen zeigte sich Erbrechen umi
Kopfschmerz. Einen Monat später war auch die Oootdinationslähmung beim Blick
nach unten vorhanden, die Schwerhörigkeit links nahm zu, penedenweise heftige
Kopfschmerzen, Jactationen wechselnd mit somnölenten Ruhezuständen ^ zanehmender
Tremor namentlich in der rechten Köiperhälfte; Decubitus,. Abgang von Um und
Fäces, Dysphagia paralytica; f^eie Beweglichkeit der ' Extremitäten l»B.zam Ezit. iei,
der er. 4 Monate nach der ersten Untersuchung erfoigte; Die Section «rgab Dilata-
tion und Hydrops der Seltenventrikel und Uasige Vorstülpung des IH. Ventrikels.
— 629 —
An Stelle der.Lamin« corp. qaadngvm. fapid sich dn toub^eigrosser röibliclier Tttmor,
der den Balken etwas nach oben hebt und den Hirnstamm so nach aussen dringt,
dass in beiden Thalam. optic eine concave Ansbachtung entsteht. Aqu. Sylvii nur iu
der hintern Hälfte erhalten, die hintern Yierhügel noch, üemüch genau erkeimhar.
Der Tumor hatte nach 3monatlicher H&rtung in Hüller'scher Flüssigkeit eine liänge
von 4 cm, Breite von 2,8 und Höhe von 1,5 cm. An Stelle des herausgeschälten
Tumors findet man eine ebene weiche Fläche, die vom und hinten den Eingang in
die obliterirte Sylv. Wasserleitung zeigte. Von den Tierhfigeln ist rechts nichts mehr
zu erkennen, links sieht man die Form des hintern geschwellten Yierhügels. An der
vordem Schnittfläche des Präparats zeigt der Frontalschnitt einen kleineren Tumor
im Körper des Nucl. caudatus. Die mikroskopische Untersuchung zeigte ein Filz werk
feiner glänzender Fasern mit zahlreichen kurz ovalen kleinen Eemen und massen-
haften erweiterten Gefässen (Sarcoma telangiectaticum). Kervenfasera waren nicht
nachweisbar. — In der Gegend der Fyramidenkreuzung, die in eine Reihe feinerer
Querschnitte zerlegt wurde, zeigte sich auf dem 40. Schnitt (von unten nach oben
gezählt; die ersten Schnitte stammen aus der Gegend des IL Cervicalnerven) aoi
symmetrischen Stellen beider vorderen Wurzeln eine auf dem Querschnitt in der Form
oines gleichschenkligen Dreiecks sich zeigende, an Säurefuchsinpräparaten dunkler als
normale weisse Rückenmarkssubstanz gefärbte Stelle. Dieselbe bestand aus einem
feinen Filzwerk glänzender Fasern mit nicht sehr reichlichen Eemen und markhaltigen
Nervenfasern. Proximal nimmt die Intensität der Degeneration allmählich ab, links
langsamer als rechts. Die mit der Peripherie des Schnitts zusammenfallende Basis
des Dreiecks ist beiderseits 6 mm lang. Im 130. Schnitt sind die Stellen kaum noch
different. In den allerersten Präparaten dieser Serie (er. 1 — 5) zeigte sich die gleiche
Yeränderang an einer schmalen Ra^idzone der Yorderstränge in einer Breite von
0,8 — 1,0 mm, mit vermehrtem Bindegewebe und geringerer Anzahl von N.ervenfasem.
Das Verhalten entsprach einer partiellen ringförmigen Randsklerose. Dass symmetrische
Stellen betroffen waren, spricht für eine absteigende Degeneration; während der Um-
stand, dass die Degeneration nach oben weniger intensiv wird, für; eine zufällige
Sklerose spricht. — Es folgt nun eine Casnistik der seit 1880 pnblicirten 9 Fälle
von Yierhügeltnmoren (Nothnagel, Ferrier, Bristowe, Feilehenfeld, Pontoppidan, Fisher,
Bristowe, Schulz, Reinhold); hieran schliesst sich eine Betrachtung über die Patho-
logie der Yierhügel; auch in den erwähnten Fällen 'zeigten sich Stümngen des Ge-^
Sichtssinnes (Neuritis optic, Sehnervenatrophie), Ungleichheit der Pupillen, Augen-
muskellähmungen (Abdncens, Oculomotorius), Gehörleiden. Für die Annahme, da^ü
anderweitige Symptome wie Gleichgewichts- oder Coordinationsstörangen etc. durch
Erkrankung der Yierhügel bedingt seien, liefern die bis jetzt vorliegenden Erfahrungen
keinen zwingenden Beweis. In dem beschriebenen Falle, wo erst associhie ParalyBe
resp. Parese der Heber, dann auch der Senker der Augen bestand, lässt sich an-
nehmen, dass der Tumor sich in der Richtung von vom nach hinten ausgebreitet
hat; lie^ doch nach Heusen und Yölkers das Gentram für die Bewegung beider
Augen nach oben im hintern Theil des Bodens des UL Yentrikels^ während das
Oentram für die Bewegung beider Augen nach unten am Boden der Sylvi'sehen Wasser-
leitung gelegen ist. Reflectorische PupiUenstanre wurde in diesem Falle zum ersten
Male bei einem Tumor der Yierhügel beobachtet, was dafür spricht, dass. der vorderste
Theil der Yierhügel' Sitz des Gentrovs' für die reflectonsche Iriscentraction sei. Dodi
körnte die reflectorische • Starre auch diduish bedingt sein> dass die Leitung ddr
Optic. und Oculom. durch den Tumor unterbrochen und der III. Yentrikel durch den-
selben beschädigt war. Die AcusticusstOrung ist vielleicht einem ähnlichen Grunde
zuznsdnreiben, wie die bei 'tUniftttmdren so hftttfige Atrophie dos 0)^<^,vnnd^ han-
delt es sich wohl um Gompression des Nerv^ an der Basis, nicht um* eineti spe-
cifiaoihen Binflnss des Corp. qu,adrigem. auf das Gehör. ^ Die Sehstörungg hochgradige
Abnahme der Sehschärfe hatte wiiB meisti bei Tumoren der . Yierhflgql nichts für die
~ 6S0 -
BrlnraDkang derselben GharakteriatiBches. Der Tremor wird dareh Femwirkung sa
deoten gesucht. Kaliaeber.
■»■■ ^ I^IMIIl» Pia»
I
18) Oaae of Glio-Sarooma of the Fona Varolü, by Dr. G. Middleton. (The
Glasgow Medical JournaL 1888. ApriL)
Sin Knabe von 4 V« Jahren erlitt einen Fall, bei dem er sieb geringe Yer-
wundongen nnd Quetschungen von Stirn und Hinterhaupt zuzog. Als er sich erhob,
taumelte er» In der folgenden Nacht, wie auch an den späteren Tagen litt er an
heftigem Erbrechen. Am 12. Tage schielte das rechte Auge nach innen und Pal
fiel oft auf die Seite, häufiger nach links als nach rechts. Beim Sprechen stiess er
mit der schwer beweglichen Zunge an; dabei bestand Speichelfluss, leerer Gesichts-
ausdruck, taumelnder Gang, rechts Strabismus internus. Die PateUarrefiexe waren
auf beiden Seiten erhobt. Puls 100 Schläge. Temperatur normal. In den Armen
bestand zunehmende Muskelschwäohe ebenso wie in den Beinen. 2 — 3 Monate er.
nach dem Fall trat der Exii lei plötzlich ein. Man vermuthete eine Affection des
PoBs. In der Lunge fand sich ein theils käsiger, theils kalkiger Knoten. Die
HimTentrikel waren voU Flüssigkeit, Pens und zum Theil auch Med. oblongata waren
¥on einem diffusen Tumor fester Gonsiatenz durchsetzt;, rechts mehr als links. Die
mikroskopische Untersuchung wies ein feines Netzwerk mit zahlreichen Bnndzdlen
nach (Gliosarcom), Yirchow, Bastian und Andere sind der Ansicht, dass Gliome
in Folge von traumatischer Einwirkung entstehen können, indem sie von kleinen Zer-
reissungen der Himsubstanz ihren Ursprung nehmoi. Kali seh er.
19) Two 08868 of Tumour. of the Pona Vftrolii. by Maccregor. (The firit
med, Joura 1887. 14. Mai. p. 1046.)
M. berichtet unter Vorlegung von Präparaton über 2 Fälle von Tumoren, weldie
in der Yarolsbrflcke bei Kindern vorkommen. Diese 2 FiÜle waren lUustratioiMn fftr
eine ganze Reihe ähnlicher. Die Erkrankung verlief bei allen unter Nekrose der
Goniea mit Neuritis optica. Der eine Fall zeigte Kopfweh, Uebelkeil^ £rt)rechen,
gesteigerten Patellarreflez, linkerseits Exophthalmus. In keinem Falle motorische
Lähmung, wenn auch in dem einen leicht schwankender Gang. Es fand sieb in
beiden ein erbsengross^ Tumor links am Pens. Der Tumor zeigt eine weiehkäsige
Aushöhlung. Der 3. Fall war fftr die Untersuchung noch nicht genflgend gehärtet
L. Lehmann (OeynhansenX
20) A oaae of Cyattoerous oelluloaae of brain. (The Brii med. Joam. 188R
24. März. p. 643.)
Ein 23jähriger Kuli, dessen ananmestische Lebensgeschichte unbekannt, stirbt
in Madras unter den Erscheinungen von Imbecillität und häufig sich wiederholenden
epileptischen Anfällen und endlichem Coma. Bei der Autopsie findet sich BntsQndung
der Membranen an der Gehimbasis, adhärente Dura, auf der Ctohim- und Kkttnhim-
oberfiäche zahlreiche Cysten, desgleichen solche in den Ventrikeln und in der grauen
Rinde. Auch im linken Herzventrikel und an der Pleura der rechten Lunge fanden
sich Cysten, dieselben rfihrten nachgewiesenermaassen vom Cysticercus cell, her, ein
Wurm, der in Madras sehr selten vorkommt. L. Lehmann (OeynhanseD).
2L) Ueber Cyatloeroua oelluloaae Im Gtohlm dee Meneohen, von O. B(ollinger.
(Mfinch. med. Woch. 1888. Nr. 31. B. 516.)
Unter 25 vom Verf. in MOnchen beobachteten Fällen fand sich nur Imal Tunis
solium, I6mal Taenia suginata und 8mal Botriocephalus latus. Cysticercus cellulosae
— 681
wurde in Mfinchen zuerst Tom Yerf. beobachtet. Von den beiden FftUen boten w&hrend
dM Lebens der erste keine, der cweite sehr unbedeutende Symptome (Scbwindelanftlle
und Kopfechmerzen), obwohl hier der yierte Ventrikel dadurch ansgeflOlt war, während
sich dort der CysticercuB in der Qrösse eines Kirschkerns in die Grenze zwischen
mittlerer und unterer rechter Stimwindnng eingelagert hatte.
Yerf. erinnert an die von Küchenmeister gemachte Statistik: Unter 88 Fftllen
von Himcysticercen verliefen 16 (18%) symptomlos. 6mal wurden leichtere Affec-
tionen, 24mal Epilej^e, 6mal Krämpfe, 42mal Lähmungserscheinungen und 23mal
Geistesstörungen beobachtet.
Der C. cellulosae ist in Manchen selten (unter 14000 Sectionen die beiden
ersten Fälle — auch im Auge bisher nur in 3 Fällen), weil rohes Schweinefi0i8ch
wenig gegessen wird und die Schweine dort selten finnig sind. Sperling.
22) A üital oBBe of tumour of the loft auditory nerve, by Sharkey. (Brain.
1888. April.)
Der ausserordentlich interessante und wicht^;e Fall bot bei der ersten Unter-
suchung folgende Symptome: Die Krankheit hatte im Laufe des vorhergehenden Jahres
begonnen und zwar zuerst mit Taubheit und snbjectiven Geräuschen im linken Ohre
und Schwindelerscheinungen« die anfallsweise sich verstärkten« aber stets vorhanden
waren. In einzelnen Anfallen zeigte sich auch Zuuahme einer auch sonst vorhandenen
Sehschwäche und kurzdauernde Bewusstlosigkeit; das Ohrgeräusch nahm nicht gleich-
massig mit dem Schwindel während der Anfälle zu. Ausserdem bestand heftiger
Kopfischmerz in der Stirn- und Scheitelregion. Es fanden sich also alle Symptome
der Menidreschen Krankheit; nm: sollte gegen die Erkrankung des inneren Ohne nach
Dr. Glutton sprechen, dass Sehwindel und Geräusche in den AnfiUlen mcht gleich-
massig zunehmen. S. fand dann noch doppelseitige Stauungspapille, dieser Befund
machte die Cerebrale Natur der Affection sicher; man konnte schwanken zwischen
einem Tumor des N. acusticus und einem solchen in der corticalen HOrsphäre. Gegen
letzteren Sitz sprachen die ausgeprägten Schwindelanfälle. Im späteren Verlauf ent-
wickelte sich vollständige Blindheit; es trat leichte 1. Facialisparese und Anfälle
tonischer Krämpfe auf. Es fand sich ein Tumor von der Grösse einer Bosskaatanie,
der offenbar vom 1. Acusticus ausgegangen war, im Winkeil zwischen Gerebellum und
Föns sass, auf die Umgebung ziemlich stark gedrückt hatte, aber nirgends mit ihr
verwachsen war. Eine sehr gute Abbildung illustrirt den Befund.
Der Werth der Beobachtung liegt darin, dass sich hier der Meni^resche Sym-
ptomencomplex bei isolirter Erkrankung eines Hömerven, denn es fanden sich alle
Symptome schon im ersten Beginn der Erkrankung, voll ausgebildet gefunden hat.
!Nur der Befund der Stauungspapille ermöglichte die Diagnose. Freilich ist auch
hier nicht auszuschliessen, dass die Schwindelerscheinungen vom Druck auf das Klein-
hirn abhingen. * Bruns.
2S) Notas of a oase of intra-cranial tumour, by H. Mallins. (The Lancet.
1888. Vol. L Nr. 20.)
Bei einem 35jährigen Zimmermann, welcher im Jahre 1883 zur Untersuchung
kam, wurden in den letzten Jahren Nachlass der Energie und Hang zu Schläfrigkeit
bemerkt. Seine Klagen bezogen sich auf massig heftige Anfälle von rechtsseitiger
Sapraorbitalneuralgie. Das r. Auge zeigte Atrophie der Papille mit vollkommener
Amaurose, das 1. Auge beginnende Atrophie. Die Pupillen waren gleich und prompt
reagirend. Normale Reflexe, keine Störungen der Motilität und Sensibilität. Einige
Zeit später wurden neben Zunahme der Schläfrigkeit Verwirrtheit und Stupidität
constatirt. 40 Pulse in der Minute, zahlreiche Anfälle von Erbrechen und heftigen
- «82
OcdpitaLschmerzen. Die Diagnose lautete auf Cerebellartumor. Spftter aeigten eioh
torübergehend Strabiemua com^ergens und Stottern. Die Klagen des Fat bezogen
sich nebe» den SupraorbitalneunJgieii' Yorn&mlicb auf allgemeiue MoriLolachwädie.
Einige Wocben später eigab die Untersuchung Verlust der temporalen Geaichtafeld-
hälfte auf dem 1. Auge. Nach einem Stadium vorübwgeheQder Besserung, in wel<Aem
Kopfschmerz und Schwindel nachliessen, Kraft und Arbeitsf&higkibit wiederkehrten,
ze^en sich Sclid&frigkeit, Reizbarkeit, Gedächtnissschwäche, Muskelspasmen, welche
den ganzen Körper nach vom warfen, Nausea und Flatulenz. Betri^htUi^h spftter
trat die Tendenz, beim Stehen nach vom zu fallen, deutlich hervor, neben Indifferen-
tismus wurde beträchtliche Abstumpfung der Intidligenz bemerkbar. Zunahme der
allgemeinen Muskelschwäche, unsicherer Gang. Yölliga Erblindung auch auf dem
1. Auge. Anfalle von stertorOser Athmung mit krampfhafter Drehung des Nackens
nach der 1. Seite und Zusammenballen der 1. Hand. R. Ftose. Unter Zunahme der
Schwäche und Auftreten leichter Convulsionen Tod im Coma.
Die Section ergab ausser > Hyperämie der Schädelknoohen, Mraingen uud Gehirn-
Oberfläche, ausser starken Adhäsionen an der Basis ein 2^4 Zoll brtdtes, 3^^ Zoll
langes Rundzellensarcom, welches den mittleren Theil des vorderen Drittels der Gehirn-
basis einnahm und aus der cerebralen Masse auszuschälen war. Durch Compression
von Seiten des Tumors waren das Corp. callosum abgeflacht, die Yorderhömer der
Seitenventrikel verengt^ das Chiasma nervor. optic. völlig geschwunden. Die Bella
turcica, deren knöcherner Grund erweicht war, fQllten derbe fibröse Stränge aus.
Das Interesse des Falles knüpft sich an das Fehlen der Stauungspapille und
die Abwesenheit von Paralysen an. J. Buhe mann (Berlin).
24) Zur Aetiologie der Oehirnerweiohung nach Kohlendunstvergiftung,
nebst einigen Bemerkungen sur EUrnquetsohung. (Aus dem patholog.
Institut der Universität Greifswald.) Von Dr. R. Poeich en. (Virchow's Archiv.
CXII. 1.)
Verf. stellt 12 Fälle von Encephalomalacie nach Kohlendunstvergiftung zusammen.
Ein neuer Fall — aus der Mosler'schen Klinik, von Grawitz secirt — pebt
über die Entstehungsweise der Encephalomalacie nach des Verf.'s Untersuchungen
Aufschlüsse.
Es lag hier jederseits ganz symmetrisch im mittleren Gliede des Linsenkemes«
an das Mark der Capsula interna anstossend, ein Heerd vou graugelber Farbe, galler-
tiger Weichheit, etwa 6 mm breit und lang, nach hinten grade bis zur Frontalebene,
die das vorderste Ende des Thalanus opticus trifft, reichend. Die Gefässe und die
Hirnhäute erschienen vollkommen zart. Bei der mikroskopischen Untersuchung wurden
auch die feineren Verästelungen alle normal gefunden, bis die feinen Arterien,
welche als sog. Centralarterien in die Substantiae perforat. laterales eindringend den
entsprechenden Theil des Himstammes versorgen, und welche fast sämmtlich sehr
weit vorgeschrittene Verfettung der Intima und Muscularis, in letzterer auch Ver-
kalkung, zeigten; einen Thrombus konnte P. jedoch nicht finden. — Zufallig konnte
Verf. gleichzeitig einen Fall von Phösphorvergiftung untersuchen, niit eltiem ganx
ähnlichen gelben Erweichungsherd in den beiden inneren Gliedern des rechnen Linsen-
kemes. Auch hier fand sich Verfettung und Verkalkung der versorgende Arterien, so-
wie im Theilungswinkel zweier Arterien ein mikroskopischer Heerd aus KömchenzelleD.
F. meint nun für die Kohtenozydvergiftung, dass bei derselben cbs im Blute eirca-
Urende Gift die Gefässe zur Verfettung und Verkalkung bringt, den BlutsEofluas auf-
hebt und so einen Erweichungsherd erzeugt; die Gefässe der^ Substant perforat.
lateral, seien gleich* von ihrem Ursprung an ausserordentlioh eng und dabei^erhebiidt
länger, als die anderen Centralarterien: das sei wohl der Grund, warum sie zuers:
(vorerst nur sie) erkrankt seien; bei länget' dauernder Einwirkung 'der Noxe würdse
— 688' -
wobl «ach andere Territorien ergriffen woitien eein/ viedae ja M 4er Fhospfacr»
Tergiftnng schon beobachtet sei.
In einem Anhang spridit sich F.. dabin ans^ dass die von Gharoot so genannten
yj^laqnes jannes" der Hirnrinde« welche Gharcot nnd nach ihm Wernicke und
Garl Friedländer anf i6<dKftmisohe ürweichnng beziehen^ yidmehr Analoga deraog.
apoplectischen Gyste seien, d. h. ans einer Zerreiseung, Zerquetechnng der granen
Rinde mit secondärer Erweichung herrorgingen. Dies sei auch die Ton Yirchow
immer festgehaltene Auflassung der Plaques jaunes. Die wirkliche ischämisohe fir-
weichungy welche übrigens immer umfangreicher sei« graue Binde und Mark bis in
grössere Tiefen betreffe, zeige ein Tiel hellerea Gelb, häufig milchweisse Farbe, nicht
das Ockergelb der Plaques jannes. Kindlich.
25) Gehimaymptome bei der eitrigen PleuiriMs, von Dr. de G^renville in
Lausanne. (Bevue m^. de la Suisse roroande. 1888. 1 u. 2.)
Verf. behandelt sehr ausführlich auf etwa 40 Seiten eine bisher in Deutschland
noch wenig beobachtete (oder beschriebene?) Affection, nämlich das Auftreten von
epileptischen, resp. epileptoiden Anfällen nach Empyem-Operationen. Er stellt 21 Fälle
(Yon Aubonin, Martin, Zimmer in Aubonne und Billroth [2] sowie 6 von
Verf. selbst) zusammen, in welchen derartige Anfälle auftraten, und zwar Wochen
nach äer Operation: in 13 Fällen nur dreimal vor der 5. Woche, siebenmal zwischen
der 5. und 10. Woche, dreimal nach der 10. Woche post operationem. Meist ganz
plötzlich, während einer Ausspülung der Pleurahöhle, oder auch bei EinfQhrung eines
neuen Drains, oder gar bei blosser Sondirung der Wunde bricht ein vollständiger
epileptischer Anfall aus; selten gehen imangenehme Sensationen vorher, das Bewusst-
sein ist fast stets ganz erloschen, die Pupillen stark erweitert (Andere sahen eine
anfängliche Verengerung). Die Krämpfe treten meistens auf einer Seite stärker aul
als auf der anderen, doch ist die operirte Seite nicht immer die stärker betheiligte,
wie Aubouin und Martin angeben. In seltenen Fällen kommt es nur zu Schwindel
oder Ohnmacht. Sprachstörungen, Paresen einzelner Glieder, Schmerzen, vasomoto-
rische Störungen (rothe Flecke, Boseola, Urticaria der Haut) Amaurose und Gesichts-
störungen anderer Art (Flimmern, Funken) bestehen mehr oder weniger lange Zeit
nach den Anfällen. Während die Anfalle selbst von 5 Minuten bis Vj^ Stunden,
bis 16 Stunden, ja als intermittirende Anfalle bis 2 und sogar 6 Tage dauern,
haben die Folgerscheinungen eine Dauer von einigen Minuten bis Tagen; Fälle mit
bleibenden Symptomen (Monoplegien etc.) beruhen auf besonderen Störungen (sogen,
hemiplegiscfae Form). Während nämlich die Sectionen im Ganzen nur einen nega-
tiven (lehimbefond ergeben haben, dflrften in den Fällen bleibender Lähmungen mit
Atrophie u. s. w. doch palpable Yeiänderungen vorliegen. — Im Auge wurde einmal
Enge der Betinalgefässe, Blässe und Verschwommenheit der Papille, 2 mal (de C^ren*
ville und Dr. Seh netzler) Hyperämie mit Extravasaten längs der Gefässe gefun-
den und de G^re^nville möchte einen dem analogen Zustand der Gehirnrinde an«
nehmen.
Pathologisch nimmt Yerf. einen von der Pleura ausgehenden Beflexreiz an,
welcher auf die vasomotorischen Centren wirkt. — Bemerkenswerth ist mitunter eine
auffallende Berährungsempfindlichkeit der Operationswtmde, resp. der Pleura, wohei
die Pupillen sich erweitem oder ungleich werden. — Im Anfall sind Beizmittel am
Platze, bei anbaltend^en Couvulsionen Chlorofpreinathmuugen. . . v
Ton äen vom Verf. zusammengestellten 21 FäUen endeten 6 lethsl, doch zum
Hieil nicht direct in Folge der Gehimerscheinungen; in 4 dieser Fälle lagen Herz-
anomalien vor. Hadlich.
— 684 —
26) Solle pmnlM da maUtfi», del dott Bm. SacchL (BiTisia Vcneia di 8amio$
mediehe. 1888.)
Nach einer lAngeren geecbkhtlicben Rtoleitang Ober die enteD Beobachluigeii
Ton L&biDüDg im Ansdilius an iBtermittenaerlmuilnmgen (durch Ferne! in seiner
1667 erschienenen „Universa Ifedicina'' Lib. lY) grapiM^^ Verf. die TerBcbiedenen hier
zn berQcksichtigenden Lfthmungen folgendermaassen.
1. Paralysen, die w&brend eines Mnfachen Intermitiensaiifiüles eintreten, Bit
demselben wieder schwinden und b&nfig bei neuen Paroxysmen wiederkehren; das
Bewnsstsein ist dabei ungetrübt. Yerh<niasmftssig seltene Form.
2.. Paralysen, die sich an pemidöse WechselfieberanflUle anschliessen; sie sind
mit schwerer Congestion and mit Bewnsstseinsverlnst verbunden, dauern noch Ober
den eigentlichen Anfall hinaus und reddiviren sehr gem. Gelegentlich steigert sidi
die Congestion bis zur Apoplexie. Yerh<nissmässig die häufigste Form.
3. KOnnen sich in sehr seltenen Fällen Parafysen auf dem Boden einmr chro-
nischen Malariakachexie ohne sonstige weitere Yeranlassnng ausbilden.
Was die Malarialähmungen selbst betrifft» so können sowohl motorische als auch
sensible und sensorische Nerven gelähmt sein. Der häufigste Symptemencomplex ist
eine Hemiplegie mit oder ebne Aphasie; es kommen aber auch isolirte Paralysen dner
Extremität oder auch nur einer Muskelgruppe allein vor ohne Sensibilitätsstörungen.
Nicht gerade selten sind Fälle von intermittirender Taubheit und Blindheit, die
öfters das alleinige Zeichen eines Wechselfieberanfalles sein können, und die gewöhn-
lich einer rationellen Chininverordnung weichen. Ganz vereinzelt ist auch Yerlust
des Geruchs oder des Geschmacks im Gefolge eines Paroxysmns beobachtet worden.
Andauerndere Lähmungen der Sinnesnerven kommen, wie schon angedeutet, nur bei
pemiciösem Intermittens oder bei schwerer Kachexie vor.
Die Pathologie der transiterischen wie der chronischen Paralysen ist wenig be-
kannt, doch lässt nch aus dem spontanen oder durch Medication bewirkten Schwinden
derselben wohl schliessen, dass eine schwerere organische Läsion nicht anzunehmen
ist. Uebrigens haben alle Malarialähmungen einen centralen Charakter. Yerf. glaubt,
fär die transiterischen Formen eine mehr oder weniger genau localisirte (Kongestion
im Hirn annehmen zu dflrfen, während er die hartnäckigeren Zustände auf Pigment-
embolien oder auf Apoplexien in Folge schwerer Congestion, oder auf circumscripte
Erweichongsheerde zurückfahren möchte.
Die Diagnose einer Malarialähmung ist an und für sich meistens nicht schwer,
wenn sich die letztere im Gefolge eines Wechselfieberparoxysmus einstellt und einen
intermittirenden Yerlauf nimmt. In anderen Fällen werden die Anamnese und besondeis
die Symptome der chronischen Malariünfection und der Kachexie (die Hautfarbe, die
Milz- und Leberschwellung, die mikroskopisch erkennbaren Yeränderungen des Blutes
etc.) und zuletzt der Erfolg der Chinintherapie zur Diagnose herangezogen werden
müssen.
Die Prognose der paroxysmellen Lähmungen ist günstig, die der anderen F(Hfmen
immer zweifelbaft: wenn man auch von den Todesfallen bei pemiciösem Intermittens
absieht, so werden doch die functionellen Störungen nicht allzuselten unheilbar.
Die Therapie hat unter allen Umständen die Bekämpfung der Malariainfection
und der Kachexie zur Aufgabe. Bei heftigen Congestionen werden Blutegel, Pur-
gantien, Hautreize und andere Derivantien anzuordnen sein. Sommer.
27) La i>eroii88ione della rotala, oontributo alla senielotioa delle pacallai;
note preventiva del dott. A. Borgherini. (Bivist sperim. di Freniatria eoc
1888. XIV. p. 111.)
Yerf. macht darauf aufmerksam, dass die Percussion der Kniescheiben (mit dem
Hammer) einen eigenthümlichen Ton hervorruft, der als diagnostisches Hülfsmittel
— 636 -
öfters benntst werden kann. Besopdefs bei Hemiple^e und ancb bei Hemipareee soll
scbon in den ersten 24 Stunden dee Leidens eine deutliche Differenz im Ton auf der
gesonden und auf der kranken Seite zu TemduDen «ein. W&brend er auf der erstem
voll, bell und lang G^pieno, cbiaro e lungo^ ist^ wird er anf der letzteren noch heller,
l&nger und meistens tiefer. Yerf. sucht diese aufßlllige Differenz durch den verschie-
denen Tonus der die Patella auf dem Femur fixirenden Muskelmafiden zu erklären.
Bei Kindern ist der Fercussionsschall auch unter normalen Yerhftltnissen kflrzer
und leerer, als bei Erwachsenen. Sommer.
S8) Cöntribtitlon a Vitade des manlfcwtations spinales de la blennonagie»
par G. Hajem et Em. Parmentier. (Revue de HMecine. 18S8. Jain. p. 483.)
Ein 26jähriger Kutscher erkrankte im Mai 1883 an einer Gonorrhoe. Nach
3 Wochen hörte der Ausfluss auf; dafür stellteD sich aber ziehende Schmerzen in
der rechten Hüfte und Schalter, sowie im linken Fuss ein, welche indessen nach
einer 2monatlichen Hospitalbehandlung grösstentheils wieder verschwanden. Gegen
Ende des Jahres 1884 nahmen die Schmerzen in den Füssen, besonders in den
Hacken, wieder so zu, dass Pat. atbeitsunfähig wurde. Im Juli 1885 wurde sein
Gang unsicher, Schmerzen in den Nierengegenden und auf der Brust stellten sich
ein. Am 24. Mai 1886 wurde folgender Status praesens festgestellt: heftige Gürtel-
schmerzen, Schmerzen und Parästhesien in den Beinen. Hyperästhesie der Haut,
grosse Druckempfindlichkeit der Brost- und Lendenwirbelsäule. Gesteigerte Sehnen-
refiexe und deutliches Fassphänomen. Aeusserst lebhafte Hautreflexe. Gang mühsam,
schwankend. Grobe Kraft der Muskeln an den Beinen herabgesetzt. Keine Blasen-
und keine MastdarmstOrungen. Im Juli 1886 traten wieder schmerzhafte GMenk-
schwellungen im rechten Knie, in den Händen und Schultern auf. Danach ver-
schlimmerten sich auch die nervösen Symptome von Neuem. Mit mehrfachem Wechsel
zog sich die Krankheit so hin bis zum Frühling 1887. Insbesondere traten häufig
Becidive der Gelenksaffection ein. Wirbelgelenke, Hüfte, Kniee, Schultern, Füsse,
kleine F^gergelenke u. a. wurden wiederholt befallen. In den Muskeln trat deut-
liche Abmagerung ein. Erst im Mai 1887 besserte sich der Zustand andauernd und
gegen Ende des Jahres konnte der Kranke endlich seine frühere Beschäftigung wieder
aufnehmen. Die Behandlung hatte bestanden in der Darreichung von salicylsaurem
Natron, in Schwefelbädern, Dampfbädern, Massage u. dgl.
Der zweite vjon den Yerff. selbstbeobachtete Fall betrifft einen 29jährigen Mann,
welcher sich im September 1886 eine schwere Gonorrhoe zuzog. 2 Wochen später
heftige Schmerzen in den Beinen, darauf Anschwellung des rechten und später des
linken Knies. Innerhalb der nächsten Monate trat Atrophie der Muskeln ein. Die
Schmerzen dauerten fort, die Sehnenreflexe waren sehr erhöht. Häufiges Zittern der
Beine. Sphincteren vGllig normal, ebenso die Sensibilität. Pai konnte allein kaum
stehen. Erst nach einem halben Jahr trat langsam eine Besserung ein, welche erst
im April 1887 8o weit fortgeschritten war, dass der Kranke entlassen werden konnte.
Im Anschluss an die beiden ausführlicher referirten Fälle führen die Yerff. noch
einige ähnliche Beobachtungen aus der Litteratur an. Dass er sich in allen diesen
Fällen um schwere gonorrhoische Gelenkerkrankungen handelt, ist wohl im höchsten
Grade wahrseheinlich. Dasa die beschriebenen nervösen Symptome (Schmerzen, Hyper-
äethesie» gesteigerte Beflexempfindlichkeit, Muskelschwäche und Abmagerung) aber,
wie die Yerff. glauben, wirklich von einer gonorrhoischen Meningitis oder gar l^elitis
abhängen, kann schwerlich ohne Weiteres zugegeben werden, zumal ähnliche Erschei-
nungen zuweilen auch im Anschluss an andere chronische Gelenkaffectionen vorkommen
können. Strümpell.
— 686 —
Psychiftttie.
• • • * , , ' ■
29) JBur Fmge über psyohomeferisohe UnteniiohttAfleii mh OeistesknoikeB,
. von Marie Walitzkaja. (Wjestnik psichiatrii i nevropatolof^. 1888. YI.
Bnssisch.)
VerfasBerin ermittelte mit Hfdfe des Hipp'seben Chronoslcopa die Zeitdauer «n-
focher psychischer Vorgänge an 7 GttsteBkränken; unter denselben waren 8 F&Ue
Dementia paralytica primit., 1 Fall Paral. progr. maniiib. im Anfangsstadimn, 1 Fall
Remissio post ezalt. maniac., 1 Fall Remission vor dem Eintritt maniakaliacher £r-
reg^g, die sich während der Untersuohnng entwickelte, nnd 1 Fall Bemission im
Verlauf pnmärer Verrüdctheit Zum- Veigleich dienten ^hlen, die von der Verf. an
5 normalen Sabjecten (lüedicinem) in der nämlichen Weise erhalten worden. Die
Zeitdauer wurde für folgende Acte bestimmt:
Erstens fdr die einfache Beaction auf acustische Beize, in dem als Signal
der durch Aufschlagen einer fallenden Kugel hervorgebrachte Schall diente; ferner
für die einfache Wahl, indem von zwei acnstischen Reizen verschiedener Intensüat
nur einer (der stärkere) als Signal galt, der andere dagegen unbeachtet bleiben sollte;
dann für complicirtere Wahl, wobei der eine SchaJl mit der rechten, der andere
mit der linken Hand registrirt wurde. Endlich wurde durch mannigfaltige Versache
die Associationszeit ermittelt.
Die mittleren Zahlen, die Verfasserin an gesunden Menschen erhielt, stimmen
im Allgemeinen mit den Angaben anderer Autoren überein.
Was die Ergebnisse der Untersuchung an den Kranken betrifft, so fand sich
deutliche Veränderung, und zwar Verlängerung der einfachen Reacüonszeit nur in
den 3 Fällen von Dementia paralyt. primitiva; während sie in der Norm zwischen
Q,168 — 0,207" schwankte, betrug sie hier bei ausgeprägtem Schwächsinn meistens
über 0,300" und stieg sogar bis 0,491".
Die einfache Wahlzeit war ebenfalls bei Dementia paralyt. primitiva, ansserdem
aber auch bei maniakalischer Exaltation verlängeH; in Bemissionszuständen näherte
sie sich mehr den normalen Werthen, erschien aber doch noch verlangsamt Das
Nämliche bezieht sich in noch höherem Grade auf den complicirten Wahlact; letzterer
betrug z. B. bei 5 Gesunden durchschnittlich 0,351—0,406", bei den untersuchten
Paralytikern dagegen 0,707—0,943" und in einem Fall maniakalischer Exaltation
1,085". '
Die Associationszeit . wies die beträchtlichste Verlangsamung auf in einem F^
von Bemission mit melancholischer Verstimmung und bei Dementia {Muidyt.; in mania*
kaiischen Zuständen erschien sie verkürzt (0,194^-0,322" gegen die noimale Grösse
0,664—0,716").
Zum Schluss ist zu bemerken, dass die von der Verfasserin ermittelten Durch-
schnittswerthe für die einzelnen psychischen Vorgänge auf einer grossen Menge von
Versuchen beruhen, deren Gesammtzahl sich auf 18,000 belauft Der Hänptxweck
der üntersuchu^, welche auf Veranlassung von Prof. Bechterew in dessen Labo-
ratorium ausgefQhrt ist, bestand in der Prüfung der Angaben vOn Tschisch über
den nämlichen Gegenstand (vgl. dieses Ctrlbl. 1885 Nr. 10). F. Bosenbach.
30) Zur Onatitetik der abnorm ttefen Körperfeemperatoreii bei Ctoiatea-
^aemahea, von Dr. M. SchOnfeldt, Assistenzarzt der IrrenansAalt BothenbiBg-
Biga. (Si Petersbntger med. Woch. 1888. Nc 31«) .
Es werden 2 Fälle von subnormaler Körpertemperatur bei Geisteskranken mit
Angabe der Krankengeschichten und der Sectionsbefunde näher beschrieben (circa
30 derartige Fälle sind bereits seit der Arbeit von LOwenhardt in der AUgem. Ktechr.
f. Psych. Bd. XXV im Jahre 1868 von verschiedenen Autoren mitgetheilt). Die Ur-
— 637 —
Sachen der subnormalen Temperaturen bei (Geisteskranken wurden in den yerscbie-
densten Umständen gesucht, wie z. B. äussere Schädlichkeiten! gesteigerte Arbeits-
leistungen und Wärmeverluste, Erkrankungen im Pens, Lähmung des excitocalorischen
CentmmSy Affection der den Centralganglien benachbarten Territorien (Eulenburg und
Landois), Afifection des thermischen Centrums im Föns (Heidenhain) oder im oberen
Theil des Rückenmarks (Naunyn und Quincke), Blutungen unter die Pia etc. — Bei
dem ersten Kranken wird die Ursache hier in der andauernden, aufreibenden Unruhe,
der ungenfigenden Bekleidung zu suchen sein, welche im Verein mit der geringen
Nahrungsaufnahme und dem Säfteverlust in Folge der zahlreichen Furunkel die Er-
schöpfung des Kranken beschleunigt haben. Freilich kommt es unter gleichen Um-
ständen nicht immer zum Sinken der Körperwärme. In dem zweiten Falle mussten
die häufigen Bäder und Waschungen in kalter Jahreszeit und das vollständige Fehlen
einer schützenden Kleidung hochgradige Wärmeverluste zur Folge haben. Beide Fälle
haben mit vielen der sonst veröffentlichten Beobachtungen gemein: die Form der Er-
krankung (Dementia paralytica), frühes Potatorium, andauernde Unruhe, Steigerung
des Verbrauches an Körperwärme nach völligem Schwund des Fettpolst«^, und end-
lich als directe Todesursache Pneumonie. Letztere ist bei erheblicher Temperatur-
senknng eine so häufige Terminalerscheinung, dass Zenker der Ansicht ist, in Folge
der abnorm tiefen Körperwäime laufen „offenbar die Bespirationsorgane Oefahr zu
erkranken". In den erwähnten Fällen wird die Ursache für die lobuläre Pneumonie
in septischer Infection gesucht und zwar bei dem ersten Kranken durch Resorption
vom Decubitus aus, bei dem zweiten durch Aspiration von zersetztem, in den Kehl-
kopf herabgeflossenem Speichel etc. Die Pneumonie vermochte einmal die auf 29,5
gesunkene Körpertemperatur bis auf 37,2 zu erhöhen. Kali scher.
31) Ueber das Verhältniss zwischen der puerperalen Geisteakrankheit und
der puerperalen Infeotion, von Th. B. Hansen, Kopenhagen. (Zeitschr. f.
Qeburtshülfe u. Gjnäcologie. XV. l.)
49 Fälle von Geistesstörung, die in den ersten Wochen (4 — 6) nach einer Ge-
burt entstand, werden beschrieben; 21 Fälle davon hat Verf. selbst im städtischen
Krankenhaus zu Kopenhagen (auf der psychiatr. Abtheilung) und in der Gebäranstalt
beobachtet 42 der Kranken zeigten somatische Symptome puerperaler Infection; bei
40 derselben verlief re.^p. begann die Psychose als eine acute hallucinatorische Ver-
worrenheit; in den beiden andern Fällen handelte es sich um eine Manie von kurzer
Daner (hallucinatorische?). In 5 der 7 Fälle, wo sich keine puerperale Infection
nachweisen Hess, hatten die psychischen Symptome einen ähnlichen Charakter, bei
4 dieser Kranken waren epileptiforme Krämpfe unmittelbar vorausgegangen, bei der
5. fand sich eine acute Infectionskrankheit (floride Phthisis). In den 2 Fällen, wo
weder acute Infection noch Bdampsie vorausgegangen war, verlief die Psychose in
dem einen Falle als Manie, in dem andern als Melancholie. Der Name „puerperale
Geistesstörung" soll nur auf solche Psychosen beschränkt werden, die mit puerperaler
Infection in Verbindung stehen; wie bei andern Frauen, so können auch bei den
Wöchnerinnen Geistesstörungen durch andere Ursachen, wie psych. Affecte, Epilepsie,
Alkoholismus etc. entstehen, die nur eine zufällige Verbindung mit dem Puerperium
aufweisen und sehr selten sind. Tritt in den ersten Wochen des Puerperiums eine
Psychose in Form einer acuten hallucinator. Verworrenheit auf, ohne dass sich eine
andere (nicht puerperale) acute Infectionskrankheit findet und ohne dass Eclampsie
vorausgegangen ist, so liegt eine puerperale Infection vor, selbst wenn Fieber und
andere somatische Symptome durch eine gründliche Untersuchung nicht nachweisbar
sind. Bisher wurden die Ursachen für die puerperale Geisteskrankheit mehr in psych.
Affecten, Einfluss der hereditären und individuellen Disposition, Circulationsstörung,
Ernährungsstörung, Erschöpfung etc. gesucht; jedoch die meisten Autoren fanden unter
— 638 —
den geisteskranken Wöchnerinnen eine nicht geringe Anzahl mit ernstlichen Wochen*
bettkrankheiten. BerOcksichtigt man mehr das frische Material nnd sieht man von
den Erfahrungen der Irrenanstalten ab, so kann man die Paerperalpsychose als eine
kurze heilbare Geistesstörung betrachten (Tuke). Meist bietet die Erkrankong die
von Fflrstner beschriebene Form ,,hallucinatorisches Irresein der Wöchnerinnen" dar;
diese Form hält der Verfasser fflr identisch mit WestphaPs ,»aGute YerrUcktheit'',
Meynert's ,»acute hallucinatorische Verwirrtheit'', MendePs ,,Mania hallncinatoria",
V. Krafft-Ebing*s ,,hallucinatorischer Wahnsinn", Mayser's „acutes asthenisches
Delirium" und Konrad*s „acute hallucinatorische Verworrenheit" etc. Von deu
42 Kranken mit Puerperalpsychose starben 12, und zwar 3 Tage bis 3 Wochen
nach dem Begiim der Erkrankung. Alle 12 boten die Symptome einer heftigen
puerperalen Infection dar, die bei 7 erst nach dem Tode (Endometritis etc.) con-
statirt werden konnte. Bei ^3 der Wöchnerinnen, welche die Krankheit überlebten,
„abortirte" die psychische Störung mit einigen Tagen (meist 8) hallucinatorischer Ver-
worrenheit, bei 16 dauerte sie weniger als 1 Monat, bei 2 nur 1 Tag. In der
Mehrzahl dauerte die Geisteskrankheit nach Schluss des ersten Stadiums kitaere
oder l&ngere Zeit unter einer andern Form fort (Manie, Stupidität, Stupidität mit
Depression etc.); der Verlauf zog sich von einigen Wochen bis zu 1 — 2 Jahren hin.
Nur in einem Falle fand der Uebergang in wirkliche Manie statt (Mayser contra
Meynert); die Krankheit dauerte V2 J^hr bei einer Frau, die bereits vorher einmal
geisteskrank war und es später noch zweimal wurde; stets unter der Form der Manie.
Der Uebergang in hallucinatorische Tobsucht oder Stupidität nach der acuten Ver-
worrenheit fand häufiger statt, um mit Genesung zu enden. Jedenfalls bezeichnet
die acute hallucinatorische Verworrenheit am besten den Symptomencomplex, welchen
die puerperale Infection bei gewissen (disponirten) Individuen hervorruft Eine deut-
liche üebereinstimmung zwischen der Intensität der somatischen wie der psychischen
Symptome zeigten die einzelnen Fälle nicht; mitunter dauerte die Psychose nur kurze
Zeit, wo eine ernstliche somatische Manifesüition der Infection ihr folgte, und anderer-
seits dauerte die Psychose zuweilen bei weitem länger als die Symptome der Infection.
Bei 24 der Wöchnerinnen fand sich ernstliches Fieber zu Anfang der Geistesstörung
(Akmepsychose, Fieberpsychose); bei 4 begann die Psychose mit dem Sinken der
Fiebertemperatur (postfebrile Psychose). In 5 Fällen trat die Psychose einige Tage
vor dem Fieber auf (Prodromal- oder Incubationspsychose); diese 5 Falle verliefen
lothal. Der Symptomencomplex der Psychose war meist derselbe und die gemein-
schaftliche Ursache wird in der Infection zu suchen sein (Infectionsdelirien, Infeciions-
psychose). Tritt die Psychose, wie in der bei weitem geringeren Anzahl der Fälle,
zur Zeit des Incubations- oder postfebrilen Stadiums auf, so zeigt sie eine gewisse
Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von dem somatischen Leiden; im Akmestadium
hingegen, wo sie mit den somatischen Symptomen zusammen auftritt^ treten diese
oft in den Vordergrund und man bezeichnet die Psychose als Delirien; erreicht sie
eine besondere Stärke, so bezeichnet man sie als Akmepsychose. Die Prodromal-
psychosen treten bei ernstlicherer Infection auf als die Initial- resp. Akmepsychosen,
und diese wiederum bei ernstlicherer Infection als die postfebrilen Psychosen. Eme
scharfe Differentialdiagnose zwischen Delirien beim Wochenbettfieber mit längerer
Dauer und hallucinatorischer Verworrenheit und zwischen der Puerperalpsychose (acute
hallucinatorische Verworrenheit) selbst, hält H. nicht für durchführbar. Es handelt
sich da nur um Gradunterschiede. Auch sieht er das Delirium acutum bei Wöch-
nerinnen nicht als genuine, von der Infection unabhängige Gehimkrankheit an, son-
dern er betrachtet es als die heftigste Form des Infectionsdeliriums resp. der In-
fectioDspsychose; meist sind diese Fälle mit Pyämie resp. Septicämie verbanden. —
Bei den Psychosen, die im Puerperium spät entstehen, findet man häufig eine Infection
in Form von Mastitis. — Was die Disposition anbetrifft» so waren unter den 21 selbst
beobachteten geisteskranken Wöchnerinnen 7 schon fr&her geisteskrank gewesen, eine
— 689 —
war epileptiflch und 3 hysterisch. Von den 18 Frauen, die von diesen 21 an der
Infectionspsychose litten und sämmtlich im frühen Stadium das Bild der acuten
hallucinatorischen Verworrenheit zeigten, wnren 6 schon Yorher geisteskrank (3 im
früheren Puerperium) und 2 hatten an hysterischen Krämpfen gelitten. — Von den
7 geisteskranken Wöchnerinnen ohne Infection waren 3 so lange krank, dass sie als
unheilbar in die Provinzialanstalt überführt werden mussten. Ealischer.
Forensische Psychiatrie.
8S) Die GriminalpByohologie in ihrer Beziehung zum Gefängniaaweien, von
Prof. Dr. Kirn in Freiburg i. Br. (Sep.-Abdr. aus Handbuch des Gefangniss-
wesen von Prof. Y. Holtzendorff und Dr. v. Jagemann. 1888.)
Verf. behandelt nach einleitenden Bemerkungen die menschliche Willensfireiheit,
die Eintheilung der Verbrecher nach ihren psychischen Eigenschaften (Gelegenheits-
verbrecher, Gewohnheitsverbrecher), die Anthropologie und Pathologie der Verbrecher
nach den Forschungen der verschiedenen Culturländer und schliesst mit kritischen
Betrachtungen. Die knappe Diction, wie die in Gestalt von Thesen auftretenden
Ausführungen gestatten einen Auszug der iuhaltsreichen Schrift nicht, auf welche
hier nur hingewiesen werden soll.
Hervorheben als bezeichnend für den Standpunkt des Verf. wollen wir hier nur,
dass bei einer Classe von Verbrechern zum Theil vererbte, pathologische, körper-
lich bedingte Zustände vorbanden sind, welche in einem ursächlichen Verbältniss zu
der bei ihnen bestehenden Neigung zur Verübung gesetzwidriger Handlungen stehen,
dass dagegen die von mehreren Autoren geäusserte Anschauung, das Verbrecherthum
im Allgemeinen als eine pathologische Erscheinung aufzufassen, schon dadurch hin-
fallig wird, dass wir in den Strafanstalten, namentlich m den Gefängnissen, zahl-
reiche Individuen finden, welche auch bei genauer psychischer und anthropologischer
Untersuchung keinerlei Zeichen irgend einer Abweichung von der Norm bieten.
Ausführlich bringt Verf. zum Schluss noch eine sehr treffende Schilderung der
sog. Entartungszustände, deren Nachweis allein noch nicht zur Annahme einer voU-
kommnen geistigen Unfreiheit genügt. Er plaidirt für diese Zustände, soweit sie
nicht zu Geisteskrankheiten entwickelt sind, für mildernde Umstände. Mit vollem
Becht legt er aber den Hauptwerth hier auf den Strafvollzug, in die Strafanstalt,
welche eine dem Zustande entsprechende individualisirende Behandlung durchzuführen
habe. M.
Therapie.
33) Ueber Atropin und Hyosoyamin, Vortrag des Dr. W. Will. (Verhandlungen
der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin. 1888. Nr. 13—16.)
Schon lange war es bekannt, dass Belladonin, Daturin, Hyoscin etc. nur Gemenge
von Hyoscyamin und Atropin resp. Hyoscin seien, wie dass sich aus den Spaltungs-
producten des Hyoscyamins das Atropin wieder aufbauen lasse. Nun ergab sich in
der früher Schering'schen Fabrik bei Verarbeitung von Belladonnawurzel zu Alkaloid,
dass man aus derselben Wurzel um so weniger Atropin und um so mehr Hyoscyamin
erhielt, je sorgfältiger man arbeitete; bei richtiger Verarbeitung gut behandelter
Belladonnawurzel erhält man nur Hyoscyamin. Es gelang W., das Hyoscyamin anf
verschiedene Methoden glatt in Atropin überzuführen (Erhitzen auf 110^ im Eoch-
salsbad oder Zusatz von Natron oder Kalilauge in alkoholischer Lösung). Bei der
Verarbeitung der Belladonnawurzel wurd stets das Alkaloid durch ein Alkali in Frei-
heit gesetzt und die Zeitdauer der Berührung mit demselben, sowie die Concentration
eines, modiflciren das Verhältniss, in welchem Atropin und Hyoscyamin ausgebracht
werden. Kalischer.
-~ 640 —
34) On poisoning by Antipyrin, by 0. Jennings. (The Lancet). 1888. YoL 1.
Nr. 3365.)
Ein 67jähr. Fräulein mit rheumatiscben Gelenkaflfectionen nahm t&glioh 2^/, g
Antipjrrin ein. Am 9. Tage der Medication rothe Flecke an den Armen, Schlaflosig-
keit; eiskalte Füsse, am folgenden Tage starkes Oedem des Gesichts. Die nicht
jackenden rothen Flecke hatten die Grösse eines ^^threepenny^'-Stflcks und bedeckten
den ganzen Körper äusserst dicht, ohne aber zu verschwimmen. Conjunctivitis, Heiser-
keit; leichter Schnupfen und Appetitlosigkeit folgten. Puls 76, während er sonst 35
betrug (I), niedrige Temperatur, Haut kühl. Geringes Ohrensausen. Unter kleinen
Dosen von Belladonnatinctur verloren sich die Symptome; EältegefQhl und Hinfällig-
keit bestehen noch fort.
In einem anderen Fall trat am 2. Tag einer Medication von 5 g Antipyrin pro
die Verwirrtheit und Gedächtnissschwäche auf; es folgte eine schwere 6wöchentliche
Gastroenteritis und langsame Besserung der Intelligenz.
In einem dritten Falle Schwellungen auch im Halse, 68tündiger Erstickungsanfall,
nicht juckendes Exanthem und Hyperidrosis. Th. Ziehen.
35) De Temploi de rHyosoiamine comme hypnotique, par G. Lern o ine, Lille.
(Gaz. möd. 1888. Nr. 28 et 29.)
L. räth das Hyoscyamin nur in kleinen Dosen (1 — 5 mg) anzuwenden. 2 mg
genügten bei neurasthenischer Agrypnie meist zur HerbeifflhruDg eines Sstundigen
Schlafes binnen 1 — 2 Stunden. Bei dieser Anwendungsweise traten niemals unan-
genehme subjective oder objective Nebenerscheinungen auf. Eine Angewöhnung tritt
überhaupt nicht ein. Auch bei erregten Geisteskranken genügen die obigen Dosen.
Unter mehr als 120 Fällen versagte das Mittel nur lOmal. Es ist wirksamer als
Chloral und Bromkali. Bei Geisteskranken versagt es zuweilen in den ersten Nächten,
in der dritten beginnt seine Wirkung, welche nun fortgesetzt zunimmt bis zum Ver-
schwinden jeder nächtlichen Erregung. Alle Formen der Geistesstörung sind geeignet
Die Verabreichung kann statt per Injectionem auch in Granulös, die man in etwas
Wasser auflöst, erfolgen. Specielie Beeinflussung des Zerstörungstriebs sah L. nicht.
Th. Ziehen.
IIL Bibliographie.
Anthropologische Methoden. Anleitung ssum Beobachten und Sammeln,
von Dr. Emil Schmidt, Docent für Anthropologie an der Universität Leipzig.
(Veit & Comp. 1888. Preis 6 M.)
Die vorliegende Arbeit enthält, abgesehen von einer Reihe von Dingen von allge-
meinem Interesse, für den Neurologen und speciell für den Psychiater eine sehr gute
und praktische Anleitung zur Schädelmessung sowohl beim Lebenden, wie beim Todten.
Besonders die Craniometrie der letzteren ist mit grosser Sorgfalt ausgearbeitet Auch
der Ermittelung der topographischen Beziehungen zwischen Schädel- und Gehirn-
Oberfläche ist gedacht.
Da die Arbeiten, welche die Schädelmessung behandeln, in sehr verschiedenen
Zeitschriften veröffentlicht, und dieselben in der Kegel schwer zu eriangen sind, so
kann man dem Verf. nur Dank wissen, dass man hier eme übersichtliche Zosammen-
stellung des nach dieser Richtung hin Wissenswerthen bekommt. li.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel*
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20.
Verlag von Yxit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobb & WiTXia in Leipzig.
NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben Yon
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter »" ^m»- Jahrgang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zu besehen durch
alle Bnchhandlnngen des In- and Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs» sowie
direct von der Verlagsbuchhandlung.
1888. 1. December. M 23.
Inhalt. I. Origiimlmlttheilung. Oiiginalbericht der Gesellschaft für Psychiatrie und
NerTenkrankheiten zu Berlin am 12. November 1888, von UMhoff» BomharA, Remak, Mtrtius,
und OppMihoim.
II. Referate. Anatomie. 1. Eine neue Anwendung der Paraffin-Methode, von Krauss.
— Experimentelle Physiologie. 2. Toxikologisches über das Hydroxvlamin, von Blnz.
3. Des N^Txites proYoqu^ par le contact de Talcool pur ou dilu^ aveo les Ner& viTants,
par Pitros et Vaillard. — Pathologische Anatomie. 4. Sülle degenerazioni consecutive
alla estirpazione totale e parziale del cerveletto, del Marehl. 5. Untersuchungen über 458
nach Meynerfa Methode getheilte und gewogene Gehirne von geisteskranken Ostpreuaaen,
von Jenson. 6. Das Gewicht des Gehirns und seiner Theile bei Geisteskranken, von TIgqos.
— Patholof^ie des Nervensystems. 7. Neuritis, von Remak. 8. Mededeelingen uit net
beri-beri gestiebt te fiuitenzorg, door van Eecko. 9. Peripheral neuritis in enteric fever, by
Handford. 10. A case of double wrist drop apparently due to multiple neuritis of alcoholic
origin, by Buzzard. 11. Ueber apoplectiforraes Einsetzen neuritischer Erscheinungen, von
DMboif. 12. Wasting palsv of arm, by Barrt. 13. Fracture de la elavioule, cal vicieux ayant
d^teimin^ de la n^vnte du plexus bracMal, par Boaumd. 14. Sur une döformation partiouli^re
du trone causde par la sciatique, par Bablntki. 15. Peripheral neuritis in acute rheumatism
and the relation of muscnlar atirophy to affections of the joints, by Bury. 16. A contribution
on the tiieorv of the nervous ongin of rheumatoid Arthritis, by Garrod. 17. Degeneration
of the peripneral nerves in locomotor ataxia, by Shaw. 18. fiecherches cliniques sur les
troubles de la sensibilit^ cutan^e dans la Chlorose, par Laporto. 19. Ein Fall von spontaner
symmetrischer Gangran, von Stolnor. 20. Case of Baynaud's disease or symmetrical gannene,
by Smith-Shand. 21. Paramyoclonus multiplex nahestehendes Erankheitsbild, von Kny. 22. Para-
myocIonuB multiplex, by Fry. 28. Ueber Paramyoclonus multiplex -und idiopathische Muskel-
krämpfe, von Uterina. 24. Paramyoclonus, von SeollgmOllor. -- Psychiatrie. 25. Ueber
Simutation geistiger Störungen, von FOrstnor. 26. Erfahrungen über ^Simulation von Irrsinn
und das Zusammentreffen derselbem mit wirklicher geistiger Erkrankung, von Fritsch. 27. Di
an nuovo criterio diagnostico nella paralisi progressiva derivato daU'anallsi delle orine, del
Harro, -r Therapie. 28. Notes on the cause and treatment of fünctional insomnia, by
Sacht. 29. Permanganate of potasdum in the treatment of amenorrhoea assodated with
mental disease, by Macdonald. 80. The treatment of migraine with indian hemp, bvGroono.
31. Ueber Hyoscin und Hyoscvamin in der Psychiatrie, von Mloth. ^2. Beitrag zur Wirkung
des Aconitins, von Cohn. — Anstaltswesen. 88. Verslag omtrent het geneeskundig ffe-
sticht voor Krankzinnigen te Utrecht over het jaar 1887, door Moll. 84. Bericht über die
Provinzial-Irren-Anstalt zu Leubns in Schlesien, von AKor.
III. Aus den Gosellschaften. American Neurological Association, Washington. New York
Neurological Society.
IV. Perionallon.
87
— 642 —
I. OriginalmittheiluiLgen.
Originalbericht der Gesellschaft fär Psychiatrie und
Nervenkrankheiten zu Berlin am* 12, November 1888/
Herr Uhthoff stellt eine 27jälir. Patientin mit multipler Sklerose vor, die
seit ca. Vi Jahre auch an einer Sehstöning und pathologischen ophthalmoekopischen
Yeränderungen leidet Die Sehstöning begann auf dem rechten Auge plötzlich,
auf dem linken ganz allm&hlich. Zur Zeit besteht auf beiden Augen centrales
Ringskotom und zwar in der Weise, dass der Fixirpunkt frei; eine kleine, den
Fixirpunkt umgebende Zone jedoch eine Farbenstörung aufweist Eine solche
Form des Skotomes gehört bei Stammerkrankungen des Nervus opticus zu den
grossen Seltenheiten. U. schliesst an diesen Fall noch Bemerkungen über das
Auftreten der Sehstörung bei multipler Sklerose im Allgemeinen und über das
Vorkommen des centralen Skotoms dieser Erkrankung im Speciellen, femer über
das Yerhältniss vom ophthalmoskopischen Befund zur Oesichtsfeldstönmg.
Hierauf hält Herr Bebmhabdt den angekündigten Vortrag über Peroneus-
lähmungen (mit Erankenvorstellung).
Der erste Fall betraf einen früher gesunden Asphaltleger, welcher am
18. September 1888 nach mehrstündiger, in kniehockender Stellung vollbrachter
Arbeit sich mit einer vollkommen rechtsseitigen Lähmung im Oebiet des Nervus
peroneus erhob. Die Lähmung erwies sich bei der etwa 14 Tage später erfolgten
ersten Untersuchung als eine im elektrodiagnostischen Sinne leichte; subjective
Sensibilitätsstörungen bestanden hinten -aussen an der Wade etwa vom zweiten
Drittel ab, welche sich nach vom bis zur Schienbeinkante, nach abwärts bis
zur grossen Zehe hin erstreckten. — Redner macht auf die relative Seltenheit
der Dmcklähmungen an den unteren Extremitäten gegenüber solchen an den
oberen z. B. dem N. radialis aufmerksam, zugleich auf ähnliche schon 1883 von
Zbnkeb und Roth bei Eartoffelfeldarbeitem und im Jahre 1885 von Ott bei
einem Manne angestellte Beobachtungen hinweisend, wobei eben&Us der in hocken-
der kniegebeugter Stellung auf den N. peroneus ausgeübte Drack das ätiologische
Moment der beobachteten Fuss- (vorwiegend Peroneus-) Paresen abgab.
An zweiter Stelle wurde ein 22jähriger Mann vorgestellt, der vor 12 Jahren
durch einen herabfallenden schweren Ast eine tiefe Schädel- und Hirnverletzung
am hinteren oberen Winkel des rechten Scheitelbeins erlitten hatte. Zwei Tage
war der Kranke damals bewusstios und einige Zeit vollkommen linksseitig ge-
lähmt: die Paralyse der linken oberen Extremität besserte sich bald, die der
linken unteren erst nach Monaten. — Dann aber war der Pat bis vor 7 Wochen
gesund; seit dem hat sich neuerdings eine Parese des linken Beins und spedell
des linken Fusses eingestellt, dessen Dorsalflexion sehr behindert ist Diese bildet
zur Zeit das Haupthindemiss für das freie Fortschreiten. — Die elektrische Er-
regbarkeit ist auch im paretischen Gebiet wohl erhalten, desgleichen, was speciell
hervorgehoben wird, die Sensibilität Das Eniephänomen ist links ausgeprägter
^ Nach den Referaten der Herren Autoren.
643 —
als rechts, massiger Dorsalklonus des Fusses besteht nur links. Die linken Ex-
tremitäten, spedell die unteren, sind an Umfang im Vergleich zu den rechten
magerer. Dabei ist aber zur Zeit die linke obere Extremität vollkommen in-
tact Desgleichen sind Ungleichheiten im linken Facialisgebiet nicht zu con-
statiren.
P^che, Sinne, Sprache intact.
Zieht man eine Linie vom Eingang des rechten äusseren Gehörgangs zum
linken, so findet man in einer Höhe von 16 cm oberhalb des rechten äusseren
Gehörgangs und etwa 2 cm hinter dieser Linie eine tiefe Enochennarbe, welche
nach dem Vortragenden etwa der obersten Partie des rechten oberen Scheitel-
lappens oder dem rechten Lobulus paracentralis entspricht, derjenigen Stelle,
welche man nach neueren Forschungen als die Inuervationsstelle der contra-
lateralen unteren Extremität aufzufassen hat
Die hier zu beobachtende Parese im linken Peroneusgebiet ist also keine
peripherische, sondern eine centrale und nur eine Theilerscheinung, wenn
auch die hervorragendste der die gesammte linke Unterextremität betreffenden
Parese.
Des Weiteren bespricht B. einen Fall von partieller (nur den N. peroneus
profundus betreffender) aber im elektrodiagnostischen Sinne schwerer Peroneus-
lähmung, den er 1883 bei einem Manne beobachtete, welcher damals ausser
dem Westphal'schen Phänomen und massiger Behinderung der Blasenentleerung
kein weiteres Erankheitssjmptom darbot. Die Lähmung nahm fast ein Jahr
zu ihrer vollkommenen Heilung in Anspruch. Jetzt, im Jahre 1888, also 5 Jahre
seit dem Auftreten der Peroneuslähmung, sind unzweideutige Symptome
der Tabes vorhanden (crises laryng^es, crises gastriques, lancinirende Schmerzen,
Impotenz etc. etc.) ; es ist mithin bei sonst scheinbar ohne äussere Veranlassung
auftretenden Peroneuslähmungen auf Zeichen eines etwa vorhandenen tieferen
centralen Leidens zu fahnden, da derartige Lähmungen peripherischer Nerven
(speciell des Peroneus) auch schon im Frühstadium der Tabes zur Beobachtung
kommen und auf die Diagnose führen können.
Schliesslich macht B. mit Uebergehung der durch toxische Einwirkungen
(Alkohol, Blei, Arsenik) bedingten meist doppelseitig vorkommenden Peroneus-
lähmungen auf die einseitig nach Erkältung (Infection?) vorkommenden rheu-
matischen und die eim'gemale von ihm auch bei Wöchnerinnen beobachteten
Lähmungen im Bereich des Ischiadicus, speciell des Peroneus aufmerksam. In
leteteren Fällen war eine Dmckläsion des N. isch. im Becken durch den Kopf
des Kindes oder die Manipulationen des Geburtshelfers nicht immer nachzuweisen.
— Andere traumatische^ durch zufällige Verletzungen entstandenen Peroneus-
lähmungen sind bei dieser Betrachtung nicht berücksichtigt worden.
Herr Bemak will den zweiten Fall von cerebraler Monoplegie der Unter-
extremität als Peroneuslähmung ebensowenig gelten lassen, wie eine besonders
starke Betheiligung der Streckmuskeln am Vorderarm bei Hemiplegien als Radialis,
lähmung bezeichnet würde. Bezüglich der Frequenz der Peroneuslähmungen im
Verhältniss zu den Lähmungen an der Oberextremität kamen auf 105 periphe-
— 644 —
Tische Radialisparalysen (die Bleilähmungen nicht mitgerechnet) 20 peripheiische
Peroneuslähmungen zur Beobachtung, unter welchen 9 traumatisch entstanden
waren (Druck, Zerrung etc.). Ganz wie in dem zuerst vorgestellten Falle hatte
sich ein Tischler beim Abhobeln emes Fussbodens in der l^elage schon in den
ersten Tagen dieser ungewohnten Arbeit eine Peroneuslähmung zugezogen, weldie
unter elektrischer Behandlung in 8 Tagen heilte. Ein anderer Fall war plötz-
lich durch Zerrung beim Fehltreten auf einer Nothtreppe entstanden. Zweimal
war die Peroneuslähmung eine Folge von Extensionsversuchen bei Contractureu
des Kniegelenks aufgetreten, einmal bei einem Hemiplegiker. Hier bestand eine
schwere Form der partiellen Entartungsreaction und fehlte zuerst das Fuss-
phänomen, trat aber alsbald auf bei fortbestehender galvanomusculärer EaB der
Peroneusmusculatur, was fOr das Yerhältniss der Sehnenphänomene zur EaB
von Interesse scheint. 3 Fälle schwerer Peroneuslähmung kamen nach acuten
Krankheiten vor (Gelenkrheumatismus, Masern, Scharlach), die übrigen traten
unter neuritischen Erscheinungen oder dem Bilde einer Ischias auf einmal bei
einer Sechsgebärenden nach praedpitirter Geburt auf. Hier war noch eher an den
Druck des Kindskopfes auf den Plexus im Becken, als an die von Herrn B.
erwähnte puerperale Neuritis zu denken. Nachdem Redner schon 1874 gelegent-
lich Peroneuslähmung in einem Falle von Tabes beschrieben, hat er diese Com-
plication noch dreimal gesehen. Ein Patient, welcher wegen der partiellen
Localisation der degenerativen Lähmung im M. tibialis anticus, als Beobach-
tung XIX in der Arbeit „lieber die Localisation atrophischer Spinallähmungen etc.''
1879 beschrieben wurde, kam einige Jahre später mit ausgebildeten Symptomen
der Tabes. Da seine vorübergehende partielle Peroneuslähmung unter Kreuz-
schmerzen aufgetreten war, wurde seinerzeit eine partielle Plexuserkrankung
.ungenonunen.
Herr Mabtius: M. H.I Im Anschluss an den Vortrag des Heim Bkbn-
HABDT erlaube ich mir, eines Falles von Peroneus-Lähmung kurz Erwähnung zu
thun, den ich auf der H. med. Klinik beobachtete und der nach mehreren Rich-
tungen hin einiges Interesse beanspruchen dürfte.
Es handelte sich um einen 21jährigen Bäckergesellen, der im Nov. 1886
wegen eines linksseitigen Empyems aufgenommen wurde. 14 Tage nach der
Aufoahme wurde die Radicaloperation mit Rippenresection vorgenommen • nnd
eine grosse Menge dünnflüssigen^ stinkenden Eiters entleert Pat überstand
die Operation gut. Die Heilung nahm sehr lange Zeit in Anspruch. Etwa
ein Jahr nach der Operation, als Pat. noch mit oflfener, secemirender Fistel
im Bett lag, wurde eines Tages eine Lähmung des rechten Fusses bemerkt
Befragt erklärte Pat, seit etwa 4 Wochen eine zunehmende Schwäche des
rechten Fusses verspürt, aber, da sie ihn bei ruhiger Betüage nicht störte,
nicht weiter beachtet zu haben. Die objective Untersuchung ergab den typischen
Befund einer Lähmung der vom Ramus profundus des N. peron. versorgten
Huskeln: des M. tibial. ant, Extens. comm. und Ext hall. long.
Die elektrische Untersuchung ergab folgendes Resultat:
— 645 —
Nervus peroneus.
Links.
Rdaotion im ganzen | 60 Mm. B. A.
Peroneosgebiet
Zacknngen blitzartig
H
Farad. B.
64 Mm. B. A.
3 M. A.
8 M. A.
£l. ö. Z.
An. S. Z.
6 M. A.
8 M. A.
Bechts.
Tetanns des peron. longus.
Tibial. ant. und Extens. blei-
ben aach bei stärksten Strö-
men nnerregt.
INnr im Peron. long.
M. tib. antic. und Extensoren
bleiben vollkommen anerregt.
Musculus tibialis auticus.
Zuckungen blitzartig {
6 M. A.
8 M. A.
65
K. o. Z.
An. S. Z.
Farad. B.
6 M. A.
6 M. A.
35 Mm. B. A.
IZuckungen deutlich träge.
DieBeaction vorhanden,
aber exquisit träge.
Der Muskel schwillt
sehr allmählich teta-
nisch an.
Faradocutane Sensibilität und Schmerzhaftigkeit an der Aussenseite des
rechten Unterschenkels bedeutend herabgesetzt. Dieser Befund unterscheidet
sich von der typischen Entartungsreaotion nur dadurch, dass der Muskel,
anstatt unerregbar gegen den directen farad. Strom zu sein, auf denselben mit
einem ,ytragen'' Tetanus antwortete. Unser Fall zeigte also die von K Remak
zuerst als faradische Entartungsreaotion beschriebene Modification der E.A.
Die ,,indirecte Zuckungstragheit'' Ebb's fehlte dabei ganz. Man kann den Be-
fund am besten wohl kurz so charakterisiren, dass neben typischer gälvano-
mnskulärer Ea.B. ausgesprochene faradomuskuläre EaJK. bei völliger Unerreg-
barkeit des Nerven für beide Stromesarten bestand. (Yergl. über diesen Punkt:
E. Bebcak, über faradische Entartungsreaction. Tagebl. der 59. Naturt-Yers.
Berlin 1886. ä 218. Femer: M. Bebnhabbt, Beitrag zur Lehre von den
Modificationen der partiellen Entartungsreaction. GentnJbl. für Psych, etc. von
Eklenmbyeb. 1887. Nr. 7. S. 193, und Stinziko: Die Varietäten der Entar-
tungsreaction und ihre diagnostisch-prognostische Bedeutung. Deutsch. Arch. f.
klin. Med. 1886.)
Von einigem Interesse erschien es mir nun, den Fall dazu zu benutzen,
um genauer, als es durch die blosse Beobachtung möglich ist, mit Hülfe
graphischer Apparate den eigenthümlich trägen Ablauf der tetanischen Con-^
traction bei der faradomuskulären Ea.B. zu studiren. Folgende Vorrichtung
erwies sich als sehr geeignet für diesen Zweck.
Auf genau symmetrische Punkte der Sehnen des M. tibial. ant. wurde
beiderseits je die Pelotte eines Marey^schen Tambour enregistreur — genau
wie bei Polsuntersuchungen auf die betreffende Arterie — aufgebunden. Diese
Aufnahme-Trommeln standen durch gleich lange Schlauche mit den entsprechen-
den B^istrir-Trommeln des Grunmach'schen Polygraphion in Verbindung. Dann
wurden zwei Erhasche Normalelektroden (also von gleichem Querschnitt) auf die
einander genau entsprechenden motorischen Punkte der beiden M. tibial. ant.
au^esetzt. Bei DurcMeitnng eines constantea Stromes mossten also beide
Moskeln gleichzeitig add (da die HaotwiderstäDde an den beiden symmetrischen
Stellen als gleich angesehen weiden konnten) mit genau gleicher Stiom-
stärke nnd Stiomdichte gereizt werden, nur dass an dem einen Anoden-,
an dem andern Kathoden - Reizung Statt hat Ein&che Stromwendung im
metallischen Tbeil der Leitung bei unverrückten Elektroden gab das umgdtebrte
VerhälbiisB. So erhielt ich unmittelbar unter einander geschrieben die normalen
und die der Ea.R. eigenthümlichen Ka. und An.S- Zuckungen zrreier gleicher
Muskeln unter genau gleichen Bedingungen.
Da die galvanomuskuläie£a.B. schon verschiedentlich graphisch veizeicbnet
wurde (wenn auch meines Wissens noch nicht in der angegebenen, genaue
Vergleichnng ermöglichenden Form), so will ich auf die Analyse der so ge-
wonnenen interessanten Gurren nicht weiter eingehen. Wichtiger ist mir, dass
sich in derselben Welse nun auch der träge faradomuskuläre Tetanos gleich-
zeitig mit dem des gesunden Muskels aufschreiben liess.
In dem obenst«henden Gurvenabschnitt stammt die obere Cnrve von dem
degenerativ-atrophischen rechten, die untere von dem gesunden linken Muskel.
Die beiden vertioaleu Stücke bezeichnen isochrone Punkte der beiden Corven.
Zunächst fällt bei der Veigileichung der sehr viel grössere motorische Effect
des gesunden Muskels in die Augeu. Deutlich ist femer das schnellere An-
steigen und Abfallen der Gurve des normalen Muskels ausgeprägt Am aof-
ßUigsten ist aber die Thatsache, dass bei völliger Gleichzeit^keit des Einbrecliens
der Beize der kranke Muskel sich um eine bemerkbare Zeit später zu coutra-
hiren b^nnt, als der gesunde. Da gleichzeitig mit den Telauus-Gurven die
Zeit in Hundertstel-Secunden aufgeschrieben wurde, so lies sich die der Strecke
a — b ent^rechende Zeit leicht ermitteln. Sie beträgt, an mehreren Curven ge-
messen, Öbereinstimmend 10 Bnndertstel See. Um diese Grösse ist also dem
diiecten Beize tetanisirender Wechselströme gegenüber die Zeit der latenten
Reizung des erkrankten Muskels gewachsen.
Von weit«rem Interesse ist femer bei unserem Falle, dass die auf graphi-
— 647 —
sohem Wege gewissennaassen actenmassig festgestellten Veränderungen der
Err^barkeit auffallend schnell wieder verschwanden. Schon 4 Wochen nach
Entdeckung der Lähmung war die Willkürbeweglichkeit wiedergekehrt, bildeten
sich die normalen Erregbarkeitsverhältnisse zurück.
Derartig schnelle Rückbildungen eines ausgesprochen d^enerativ-atrophischen
Processes in einem gelahmten Nerv -Muskelgebiet kommen erfahrungsgemäss
wohl nur den Lähmungen bei peripherer Neuritis zu. Dass es sich um eine
solche gehandelt habe, dafür spricht neben der Abwesenheit jeder andern pal-
pabeln Ursache (Trauma etc.) wohl noch besonders die im Oebiete des Nerv,
comm. peron. nachgewiesene Sensibilitätsstörung. Dass im Anschluss an er-
schöpfende, namentlich auch an mit Eiterung einhergehende Krankheiten peri-
phere Neuritiden sich entwickeln können, ist eine bekannte Erfahrung. Nament-
lich an die im Verlaufe eines schweren Puerperiums sich entwickelnden
derartigen Fälle wäre zu erinnern. Hier handelte es sich offenbar um eine an
ein Empyem sich anschliessende periphere Neuritis, die zur degenerativ-
atrophischen Lähmung nur eines Zweiges des Peroneus-Gebietes geführt hat. —
Herr Rbmak bemerkt zu dem soeben mitgetheilten elektrodiagnostischen
Befunde, dass er in einem Vortrag „Ueber fetradische Entartungsreaction'' auf
der Berliner Naturforscherversamnüung 1886 (Tageblatt S. 618) mehrere Be-
obachtungen von faradischer EaB bei aufgehobener Nervenerregbarkeit mitgetheilt
und aus diesen gefolgert habe, dass seine foradische EaB der Muskeln und die
indirecte Zuckungstragheit (Ebb) auseinandergehalten werden müssen.
Herr Oppenheim: lieber einen Fall von combinirter Erkrankung
der Bückenmarksstränge im Eindesältef.
Die Beobachtung, die ich heute mittheilen werde, ist noch nicht ganz ab-
geschlossen, hat aber zu einzelnen Ergebnissen geführt, die an sich von Interesse
und der Besprechung würdig sind.
Das 15jährige Mäddien wurde im Mai 1886 zum ersten Male in die
Charit^ aufgenonmien. lieber die Entwickelung der damals bestehenden Krank-
heitserscheinungen konnte nicht viel Bestimmtes ermittelt werden. Angehörige
hatte die Fat. nicht und die eigenen Angaben derselben mussten mit Vorsicht
aufgenommen werden.
Nach denselben wax sie gesund bis zum zehnten Lebensjahre, überstand
dann die Masern, im Anschluss daran soll sich eine fortschreitende Sehstörung
auf dem rechten Auge entwickelt haben, die weiteren Ersdieinungen folgten aber
erst im zwölften Lebensjahre nach einem Sturze ins Wasser.
Die Symptome, welche sich während ihres damaligen Hospitalaufenthaltes
bot, möchte ich aus nachher zu erörternden Gründen in zwei Gruppen bringen.
In die erste gehören eigenthümliche, etwa als choreatische zu bezeichnende
Zuckungen in der linken Eörperhälfte, die G^chts-, Zungen-, Eiefer-
Musculatur und vor Allem den linken Arm, weniger das Bein betreffend. Die-
selben bestanden im geringen Grade fortwährend, steigerten sich bei Bewegungen
und besonders im Affect, so auch bei der Unterhaltung; man sah dann die
— 648 —
Zunge gegen den linken Mundwinkel stossen, Schmeckbewegungen der linken
Mundhälfte, der Unterkiefer wurde nach links geschoben und der linke Arm
ffihrte unwillkürliche Bewegungen aus, sodass die Fat häufig gezwungen war,
ihn mit der rechten Hand zu fixiren. Hand in Hand damit ging ein geringer
Grad von Schwäche und es bestand auch eine leichte Gontractur in den
Gelenken der linken Obereitremität.
Durch die Zuckungen, durch ein geringes Näseln, sowie durch eine be-
schleunigte, in ihrem Rhythmus wechselnde, zeitweise keuchende Respiration
war die Sprache etwas unyerständlioh, aber nicht in irgend einer charakteristi-
schen Weise verändert.
In die zweite Gruppe gehören Krankheitserscheinungen, die eine Verwandt-
schaft mit dem Symptomenbüde der Tabes dorsalis bekunden.
Es bestand eine beiderseitige Opticusatrophie, die rechts zu yölli-
ger Amauroee, auf dem linken Auge zu einer beträchtlichen Herabsetzung der
Sehschärfe gef&hrt hatte. Beide Pupillen von mittlerer Weite, absolut licht-
starr, ob Convergenzreaction vorhanden, liess sich nicht feststellen. Die Augen-
bewegungen im Wesentlichen frei; aber es bestand eine deutliche rechtsseitige
Ptosis.
Von weiteren Symptomen war das bemerkenswertheste das Westpharsche
Zeichen; das Eniephänomen war auf keine Weise zu erzielen.
Der Ghmg war etwas schwerfallig und in der R&ckenlage machten sich
eine massige Schwäche sowie eine spurweise Ataxie in den unteren Extremi-
täten geltend. Ausserdem stellten sich Mitbewegungen und selbst beim Er-
heben der Beine solche in den oberen Extremitäten ein. Keine Störung der
Sensibilität und der Blasenfunction , keine Schmerzen; dagegen deutliches
Schwanken bei Augenschlüss.
Hinzuzufügen bliebe noch, dass die Pat in ihrer geistigm Entwickelung
etwas zurückgeblieben war, ohne jedoch anfällige Symptome in dieser Hinsicht
2n bieten.
Sie wurde nach wenigen Monaten entlassen und von Neuem recipirt im
AprU 1887; sie war zu Hause offenbar sehr vernachlässigt worden, es hatte sich
ein tiefer Decubitus in der Kreuzgegend ausgebUdet Die Schwäche der un-
teren Extremitäten, welche in starker Beugestellung verharrten, hatte zugenonmien.
Die Kranke starb nach wenigen Tagen.
Die Obduction ei^b im Gehirn ausser einem leichten Hydrocephalus,
einem Oedem der Pia mater und einer Ependymitis am Boden des IV. Ven-
trikels nichts Pathologisches, speciell keine Heerderkrankung. Die Optici zeigten
•
eine graue Färbung. Im Rückenmark makroskopisch nichts Abnormes.
Einer mikroskopischen Prüfung habe ich bisher das Rückenmark, die Me-
dulla oblong., Pons- und Yierhügelgegend unterzogen und will ich die bemerkens-
werthesten Veränderungen in aller Kürze mittheilen. Im Rückenmark handelt
es sich um eine Erkrankung einzelner Fasergebiete, die sich durch das
^^anze Organ hindurch verfolgen liess und zwar sind betroffen die Pyramiden-
seitenstrangbahnen, die Pyramidenvorderstrangbahnen, die Goir-
— 649 -
sehen und Bardach'schen Stränge, doch so, dass in den Hintersträngen
die Atrophie am schwächsten ausgeprägt ist. Wenn man sich nicht streng an
das Flechsig'sche Schema bindet und geringe Irr^ularitaten in der Verbreitung
zulässt, so hat man wohl die Berechtigung; in diesem Falle von einer combi-
nirten Systemerkrankung zu sprechen, doch kommt es mir nicht darauf
an, nach dieser Richtung etwas Entscheidendes auszusagen — genug: eine Er-
krankung, die sich auf ein2;elne Fasergebiete beschränkt und im Ganzen nahezu
symmetrisch ausgeprägt ist und, was ich besonders betone, im Ganzen von sehr
geringer Intensität ist
Der Process charakterisirt sich als parenchymatöse Entartung. Gesund ist
die graue Substanz, in specie die Glarke'schen Säulen. An den Wurzeln nichts
Wesentliches. — Die Hinterstrangaffection erstreckt sich bis in die Gegend der
Kerne der zarten und Keilstränge, ist hier eben noch nachzuweisen. Die Er-
krankung der motorischen Bahnen lässt sich aber durch die Pyramidenkreuzung
hindurch in die Pyramiden der Oblongata bis hinauf zur Höhe des austretenden
Facialis und Abducens verfolgen, um sich hier allmählich zu verlieren.
An den Kernen des Bulbus nichts Pathologisches, ebensowenig an der auf-
steigenden Quintus Wurzel, dagegen finden sich im Pons und in der Yierhügel-
gegend einige sehr bemerkenswerthe Veränderungen: die absteigende Quintus-
wurzel ist nämlich in ihrer ganzen Ausdehnung atrophirt (Demon-
stration der Präparate), die Nervenröhren, die sie zusammensetzen, sind fast
vollständig untergegangen, von den Ganglienkugeln sind nur noch einzelne
wahrzunehmen. Auch die Zellen des Locus coerulens scheinen etwas in Mit-
leidenschaft gezogen.
Der Oculomotoriuskem ist in seinen hinteren (unteren) Abschnitten normal.
Der vordere (obere) Abschnitt scheint etwas ärmer an Ganglienzellen, als normal.
Sehr evident ist nun aber die Atrophie der von Westphal be-
schriebenen Zellgruppen im oberen Niveau des Oculomotoriuskemes, wie
die demonstrirten Präparate lehren. Die Ganglieiizellen sind in denselben fast
vollständig untergegangen, die Gerüstsubstanz ist verbreitert und es finden sich
in derselben zahlreiche Spinnenzellen.
Herr Geheimrath Westphal hat die Befunde bestätigt, ebenso College
StWMRRTjTNG.
Epikrise: Der Befund einer combinirten Erkrankung der Bückenmarks-
stränge im Kindesalter erinnert zunächst an die Friedreich'sche Krankheit, die
bereditäre Ataxie (Fktbpkktch, Sghxtltze, Bütimeyeb etc.). In diese Kategorie
gehört mein Fall jedoch nach seinem klinischen Verhalten nicht
Will man die Diagnose: Friedreich'sche Krankheit stellen, so muss man
sich strenge an die von demselben aufgestellten Ejiterien halten. Es fehlt die
ausgeprägte Ataxie, der Nystagmus, der Nachweis der Heredität; dagegen finden
wir eine Reihe von Symptomen, die der Friedreich'schen Krankheit nicht zu-
kommen: Opticusatrophie, Pupillenstarre, Ptosis etc.
Es ist aber der Fall in Parallele zu bringen mit den Beobachtungen über
«combinirte Erkrankungen der Bückenmarksstränge, wie sie von Westphal,
- 650
KAWT.TgTt u. Pick, Strümpell \l A. geschildert worden sindi und lasst sieb auch
symptomatologisch damit in KinMang bringen , wenn man in Racksieht zieht^
dass der anatonusche Process (namentlich die Hinterstrangaffection) sich noch
in einem sehr frühen Stadium befindet
Das Interesse liegt denn in dem frühzeitigen Anfbreten im SSndesalter,
sowie in den anatomischen Y erander ongen , die in der oberen Ponggegend
gefanden wurden.
Eine Atrophie, die sich auf die Westphal'schen Zellengruppen des Oculo-
motoriuskemes beschränkt, ist bisher noch nicht beschrieben worden.
Von einer Atrophie der absteigenden Trigeminuswurzel ist meines Wiss^is
nur die Bede in einem Falle von Tabes, welchen Boss mitgetheilt hat Boss ist
geneigt, die in seinem Falle bestehende Ophthalmoplegie in einen ZusammenhaDg
mit dieser Atrophie zu bringen. Ich bin überhaupt nicht im Stande, meinen
Befand klinisch zu deuten.
In Bücksicht auf die im vordersten Abschnitt des Oculomotoiiuskemes ge-
fundenen Veränderungen würde es allerdings sehr verlockend sein, im Hinblick
auf die Experimente von Hensen und Yoelkebs die Pupillenstane auf Bech-
nung dieser nudeären Erkrankung zu bringen.
Aber Westphal, der von dieser Vorstellung, dass seine Zellengruppen
vielleicht den Kern der Binnenmuskeln des Auges bilden, ausgeht, fand dieselbe
sehr schön ausgeprägt bei fehlender PupiUarreaction und ich selbst habe noch
jüngst einen Fall von Tabes dorsualis mitgetheilt, in welchem die PupiUarreaction
aufgehoben war und Augenmuskellähmung bestand, während der Nebenkem sich
sehr schön entwickelt zeigte. Man muss also vorläufig auf eine klinische Yer-
werthung dieses Befundes verzichten.
(Zusatz:) Ich möchte noch darauf hinweisen, dass in den letzten Jahren
mehrfach (besonders von B. Beicak) Fälle beobachtet worden sind, in denen
tabische Symptome im Eixidesalter (Opticusatrophie, Westphal'sches Zeichen
etc.) vomämlich bei congenitaler Lues hervortreten. Man muss freilich mit der
Deutung solcher Erscheinungen vorsichtig sein, da auch andere Erkrankungen,
besonders die syphilitischen der Hirn- und Bückenmarkshäute in einem Stadium
ihres Verlaufes zu solchen Symptomen führen können (wie in dem von Seemsb*
LiNG mitgetheilten von congenitaler Hirn- und Bückenmarkssyphilis).
Immerhin lehrt die heute geschilderte Beobachtung, dass auch tabische
Symptome auf Orund einer der Tabes sehr nahe verwandten Er-
krankung (der combinirten Erkrankung der Hinter- und Seiten-
stränge des Bückenmarkes) im Eindesalter vorkommen.
IL Referate.
Anatomie.
1) Eine neue Anwendung der Paraffin-Methode, von Dr. William C. Krau ss,
Attica, New York. (Portschritte der Medicin. 1888. Nr. 16.)
- 651 —
Verf. wandte im Menderschen Laboratorium die von Fredericq angegebene und
von Schwalbe später genau beschriebene Methode zur Härtung und trockenen Conser-
yirung ganzer G«hime fftr Durchschnitte an. Die in Alkohol gehärteten Objecto
kommen auf 8 Tage in Alkohol mit einem Zusatz von Chlorcalcium, fflr ebenso lange
Zeit in Ol. terebinth., dann auf 3 — 8 Tage in Paraffin und für 2—3 Tage auf Lösch-
papier ausgebreitet in den Brutofen. Statt des Ol. terebinth. hat Yerf. auch Benzin
angewandt. — Im Laboratorium von Prof. Mendel wird die Methode jetzt folgender-
maassen geübt: Die in Alkohol — der Zusatz von Chlorcalcium bringt keinen Nutzen
— gut gehärteten und gänzlich wasserfreien Präparate kommen auf 10 Tage in Ol.
terebinth. oder Benzin oder Petroleum oder irgend ein beliebiges Oel, hierauf für
2 Tage in Paraffin und bleiben dann 8 Tage auf Löschpapier im Brütofen. Die
schönste Zeichnung findet man jetzt erst, wenn man die oberste Schicht der Präpa-
rate abschneidet. P. Kronthal.
Experimentelle Physiologie.
2) Toxikologisches über das Hydroacylamin, von Prof. C. Binz in Bonn.
(Virchow's Archiv. CXIII. 1.)
B. hat die durch das Hydroxylamin bewirkte Narkose studirt, welche er a priori
aus der energischen BUdung Ton Methämoglobin, welche jener Stoff im lebenden
Körper bewirkt, vermuthete. — Er fand, dass Winterfrösche in 30 Minuten durch
0,005—0,05 Hydroxylamin so stumpf werden, dass sie sich die Bückenlage gefallen
Hessen. — Kaninchen wurden von 0,01 g benommen und schläfrig für 3—4 Stunden;
bei 0,1 g traten heftige Krämpfe auf, die in Lähmung endigten. — Ein Hund von
5200 g Gewicht zeigte bei einer Dosis von 1,5 g trägen Gkuig; er bekam nach '/^ Stun-
den noch 1 g, wurde danach wie betrunken, war am nächsten Tage wieder munter.
— Ein kleiner Hund war von 2,5 g nach 20 Minuten todt ohne vorherige Krämpfe.
— Mit der Bildung von Methämoglobin hat die narkotische Wirkung nichts zu thun.
B. findet die Erklärung der Wirkung des Hydroxylamins (wie er es analog bei Jodo-
form, jodsaurem Natrium, salpetrigsaurem Natrium, Chlor-, Brom- und Jod-Dämpfen,
ozonisirter Luft und WasserstofiGsuperoxyd nachgewiesen hat) im Disponibelmachen
von activem Sauerstoff oder von einem der drei Halogene innerhalb des Thieres: da-
durch wird die centrale Zellenlähmung bewirkt. — Therapeutisch dürfte es vielleicht
in der Dermatologie als Ersatz für Pyrogallussäure und Chrysarobin zu verwenden
sein; innerlich schwerlich. Hadlich.
3) Des Növrites provoquöes par le contact de l'aloool pur ou dllu6 avec
lee Nerfo vivants, par A. Pitres et L. Yaillard. (Extrait des Comptes rendus
de la Soci^t^ de Biologie. Juni 1888.)
Injidrt man in das subcutane Gewebe des Schenkels eines Meerschweinchens, in
die Gegend des Nerv, ischiadicus Vs ^^ Aethyl- oder Methylalkohol von 85 ^/q, so
entwickelt sich an der Injectionsstelle eine Schwellung und zuweilen ein Brandschorf;
meist jedoch vertheilt sich die Schwellung schnell, ohne Eiterung noch Necrose etc.
des Gewebes zur Folge zu haben. Einige Minuten nach der Injection kann man eine
motorische Lähmung des Beines und Fusses und vGUige Anästhesie aller oder der
beiden äusseren Zehen feststellen. Der Alkohol bewirkt also in dieser Goncentration,
ebenso wie der Aether, eine Leitungsunterbrechung der motorischen und sensiblen
Eindrücke. Die Lähmung wie Anästhesie dauern meist einige Wochen und sind oft
von trophischen Störungen (Oedem, Ulceration etc.) begleitet Die Structurveränderung
der betroffenen Nerven wurde nach Tödtung der verschiedenen Versuchsobjecte zu
den verschiedensten Zeiten mikroskopisch festgestellt. In den ersten 24 Stunden
— 652 -
nach der Injection zeigten die Nerven nach Behandlung mit Osminmsäore (1:150),
Pikrocarmin, Eosin etc. fast normale histologische Stmctur; nur der Axencylinder war
weniger gef&rbt nnd dflnner als bei den normalen Nerven. Nach 2 Tagen er. war
die Myelinmasse nicht mehr blauschwarz (wie normal mit Osminmsäure), sondern ganz
schwarz und opak, sodass der Axencylinder kaum noch in seinem Verlauf unter-
schieden werden konnte, die Kerne waren geschrumpft und f&rbten sich gar nicht
oder schlecht; es bot sich das Bild der Necrose dar. Derartige Fasern pflegen ab-
zusterben, allmählich resorbirt zu werden, und ihre peripherischen Enden degeneriien
meist. Bis zum 10. Tage ca. bleibt das Bild unverändert. Yom 10. bis zum 30. Tage
zerfällt das Myelin in Kugeln, der Axencylinder schwindet völlig, in der Schwann*-
schen Scheide sieht man Kerne auftreten, und man sieht nichts sonst, als Myelin-
kugeln und Yaricositäten. Gegen den 40. Tag bemerkt man die ersten Erscheinungen
der Regeneration an den degenerirten Fasern; es entstehen neue Fasern unter der.
Form grauer Fäden, die von einer dünnen Schicht transparenten Myelins umgeben
sind etc. — Demnach macht der concentrirte Alkohol ähnliche Erscheinungen der
Necrose, wie der Aether sulph. — Alkohol von 50^0 "^^ ähnlich; nur tritt der
Myelinzerfall und die Resorption früher ein, und die Regeneration beginnt bereits am
25. Tage. 25procentiger Alkohol zeigt weniger die Erscheinungen der Necrose, als
die der Irritation und nach der Injection bemerkt man nur Hypästhesie der Zehen
und leichte Parese resp. Schwäche des Beins. Injicirt man löprocentigen Alkohol
und noch schwächeren, so zeigt sich keine functionelle Störung noch Degeneration;
nur eine Yolumszunahme der Kerne macht sich bemerkbar. Man darf daraus nicht
schliessen, dass 15proc. Alkohol unschädlich ist; die Schädlichkeit desselben kann
man durch die Irrigation nachweisen, wie sie Ranvier am blossgelegten Iscbiadicos
am Kaninchen mit Wasser vornahm. Irrigirt man eine Wunde, in der der Ischiadicus
frei liegt, ca. 20 Minuten mit destillirtem Wasser von der Temperatur des betreffenden
Thieres, so verliert der Nerv seine motorische nnd sensible Erregbarkeit. Irrigirt
man beide Nn. ischiadici eines Kaninchen zu gleicher Zeit, nnd zwar den einen mit
Wasser, den andern mit lOproc. Alkohol, so verliert der letztere seine mechanische
Erregbarkeit bereits nach 5 Minuten, während der erstere erst nach 25 — 30 Minuten
der Irrigation unerregbar wird. Natürlich besteht zwischen der Injection und Irri-
gation eine erhebliche Differenz, da doch bei der ersteren ein Theil der Flüssigkeit
gleich resorbirt wird und der übrige Theil durch Mischung mit den Gewebss&ften in
seiner Stärke und Concentration abgeschwächt wird; auch die Dauer der Einwirkung
ist eine verschiedene. — Die angeführten Yersuche beziehen sich nur auf Aethyl-
und Methylalkohol. Die andern Alkoholarten (Amyl-, Fropyl-, Capryl-, Allyl- Alkohol etc.)
hatten eine bei weitem heftigere Wirkung; schon in 10 — Iproc. Lösungen greifen sie
die Nerven mehr an. Glycerin, das chemisch der Alkoholgruppe nahe steht, ist lange
nicht so . schädlich; bei der Injection bewirkt es nur leichte Neuritis — Erscheinungen,
die mehr dem Typus der Irritation, als dem der Necrose gleichkommen.
Kalischer
Pathologische Anatomie.
4) Sülle deg^nerasioni oonseoutive aUa estirpaaione totale e paniale dal
oerveletto, secunda communicazione preventiva del Dott. Y. Marchi. (Rivist.
speriment di Freniatria ecc. 1888. XIII. p. 446.)
•
In Ergänzung seiner früheren (auch in diesem Centralblatt 1886. Y. S. 559
besprochenen) Mittheilung über die Degenerationen nach Kleinhimexstirpationen giebt
Yerf. die folgenden Sätze als Resultat seiner neueren Untersuchungen an 7 Hunden:
1. Die Entfernung einer Kleinhimhälfte bedingt eine Degeneration des Bulbus,
nicht nur auf der Seite der Operation, sondern auch auf der entgegengesetzten, weim
schon in geringerem Grade; bei den Oliven ist das Yerhalten umgekehrt Dann er-
— 653 —
giebt sich, dass die oberen Kleinhimscbenkel sich nicht vollständig kreuzen, und dass
die mittleren .keine wahre Commissur zwischen beiden Kleinhimh&lften bilden, sondern
dass sie sich beide in der grauen Substanz der Brücke verlieren.
2. Die Entfernung einer Kleinhimhalfbe bedingt femer eine Degeneration im
Vorderseitenstrang, ind. der Flechsig*schen Eleinhiniseitenstrangbahn, und zahlreicher
Fasern des Pyramidenstranges der Operatioosseite; in der anderen Bückenmarkshalfte
sind nur vereinzelte Fasern degenerirt.
3. Endlich finden sich noch degenerirte Fasern in den Himnerven und in den
vorderen Bfickenmarkswurzeln der operirten Seite, sowie eine partielle fettige Ent-
artung der Musculatur der gleichseitigen Extremitäten. Sommer.
5) TJntersaohuiigen über 463 naoh Meynert'B Methode getheilte und ge-
wogene Qehime von geisteskranken Ostpreussen, von Dr. Julius Jensen,
Irrenanstaltsdirector zur Disposition (Archiv für Psychiatrie und Nervenkrank-
heiten. XX. Ir)
Die Theüung wurde nach den Angaben Meynert's mit der Modification vor-
genommen, dass das Qesammtencephaloa gewogen, dann in Mantel, Kleinhirn, Stamm
getheilt, abermals mit den Häuten gewogen, hierauf erst bei Theilung des Mantels
die Häute entfernt, swischen Flieespapier getrocknet, gewogen und aus der Düferenz
die Menge der abgeflossenen Flflssigkeit festgestellt wurde. Bei Paralytikern betrug
in jedem Krankheitegahre die Abnahme des Himgewichts etwa 20 g. Die Betrach-
tung der Qewicbtstabellen aus den einzelnen Jahren der Krankheit zeigt einen Him-
schwund, der vom Stimhim beginnt, Aber den Mantel zieht und auch noch den
Stamm energisch betheiligt. — Bei der Melancholie atrophirt gleichfalls der Him-
mantel Dei" Durchschnitt des Mantelpromille ergiebt normaliter 785,82 p. M. Bei
Melancholikern zeigte er fOr Männer 780,01, fflr Frauen 779,51. Bei dieser Atrophie
ist das Stimhim nicht betheiligt! — Es folgt nun eine grosse Reihe von Zahlen,
die die Schwere der einzelnen Gehimtheile bei sämmtlichen Geisteskrankheiten «fOr
Männer sowohl als auch fQr Frauen auf jedes einzelne Krankheitsjahr berechnet
angeben.
Becht bemerkenswerth ist noch ein Schluss, der aus der sehr ausfAhrlichen und
interessanten Arbeit gezogen werden muss, dass nämlich die rechte Hirahälfte schwerer
ist als die linke. P. Kronthal.
6) Das Gtowicht des Gtohims und seiner Theile bei Qehimkranken, von
Tigges, Düsseldorf. (Allg. Ztschr. f. Psychiatrie. 1888. XLV. 1 u. 2.) ^
T. hat nach Meynert*s Methode das Himgewicht von 250 Geisteskranken
(123 Männer, 127 Frauen) in Sachsenberg bestimmt. Es ergab sich ein durch-
schnittliches Himgewicht (mit Häuten) von 1362,3 g bei den Männern, 1243,6 g
bei den Frauen. Aus einem Vergleich mit den Zahlen anderer Autoren folgert T.,
dass wahrscheinlich die verschiedenen deutschen Bevölkerungen ein verschiedenes
durchschnittliches Himgewicht besitzen. Die Geisteskranken haben z. Th. ein höheres,
z. Th. ein niedrigeres Himgewicht als die Geistesgesunden; jedenfalls finden sich
grössere Schwankungen um das Mittelgewicht bei den ersteren. Das durchschnitt-
liche Gehimgewicht betrug bei den Männem fflr Melancholie 1392,8 g, Manie 1430,7 g,
primäre Formen im Allgemeinen 1402,3 g, secundäre Formen 1401,3 g, einfache
Geistesstörong 1401,7 g, Paralyse 1283,7 g, Epilepsie 1362,3 g. Bei den Frauen
zeigte umgekehrt die Melancholie ein höheres Gewicht als die Manie, die secundären
Formen stehen hinter . den primären an Himgewicht noch mehr zurfick als bei den
Männern. — Die secundären Formen theilt T. in Wahnsinn, Blödsinn und periodische
— 654
Seelenstörungen. Die letzten haben ein durchschnittliches Gewicht von 1400,3 resp.
1347,5 g. Die epileptischen Fraaen haben verhältnissmässig mehr schwere Gehine
als die epileptischen Männer; überhaupt aber weist die Epilepsie neben Yielen leichten
auch viele schwere und schwerste Gehirne auf. Bei der Paralyse stellen die Frauen
in höherem Maasse leichte Gehirne (Durchschnitt 1185,1 g) als die Männer.
Durch die Entfernung der Häute, Liq. cer. etc. erleidet das männliche Gehirn
meist einen geringeren durchschnittlichen Gewichtsverlust als das weibliche, diu secun-
dären Formen einen stärkeren als die primären, Epilepsie und Idiotie einen geringen.
Bei der Meynert'schen Zerlegung ergaben sich fQr die einzelnen Himtheile folgende
Procentantheile am Gesammtgewicht:
Mantel Kleinhirn Stamm
Männer 78,66 10,95 10,40
Frauen 78,50 11,05 10,45.
Das procentuale Uebergewicht der Frauen im Stammhim ist vorzugsweise auf
Streifenhügel, Insel, Sehhügel und Hirnschenkel zu beziehen. Vielleicht ist dabei
auch an die grössere Unmittelbarkeit, die geringere Beherrschung durch intellectnelie
Vorgänge beim Weibe zu denken. Die Gegensätze der einzelnen Psychosen in dem
durchschnittlichen Gesammthimgewicht sind wesentlich durch die des Mantelhims
bedingt. Das Kleinhirn hat im Ganzen ein gleichmässigeres Gewicht; bei Paralyse
und Idiotie steht es relativ hoch, bei Epilepsie und Manie niedrig. Auffällig niedrig
ist auch das Gewicht von Pons und Oblongata bei Epileptischen, während der Hirn-
stammrest unversehrt isi Ueberhaupt geht der Himstammrest dem Himmantel, hin-
gegen Pons, Oblongata und C!orpp. quadrigemina meist dem Kleinhirn im Gewicht
parallel. Die secundären Formen der Frauen stehen, wo sie im Gesammthim be-
sonders tief stehen, im Mantelhim noch tiefer als in den übrigen Himtheilen.
Aus der Mehrzahl der Beobachtungen von Meynert und Tigges oigiebt sich ein
Uebergewicht des weiblichen Stimhims, des männlichen Scheitelhiins und meist auch
Schläfenhinterhaupthims. Ausnahmslos gilt -dies auch nach den Sachsenberg^ Be-
obachtungen nicht
• Diejenigen Himmanteltheile, welche in den primären Seelenstörungen bei Männern
und Frauen mehr entwickelt sind als andere, erleiden in den secundären den grösseren
Verlust. Bei der Melancholie steht das Stimhim relativ hoch, bei der Manie rektiv
niedrig. Beim Wahnsinn (ind der Fälle primärer Verrücktheit) steht das Scheitel-
him und namentlich das Schläfenhinterhauptshirn hinter dem Stimhim zurück. T.
versucht auch, diese Befunde mit dem psychopathologischen Wesen dieser drei Geistes-
störungen in Einklang zu bringen. Beim secundären Blödsinn richtet sich das Hirn*
gewicht nach der Form, aus welcher derselbe entstanden isi Bei der Paralyse zeigt
das Stimhim den tiefsten Stand aller Himmanteltheile, bei der Epilepsie verhalten
sich die einzelnen Himmanteltheile sehr unregelmässig zu einander.
Bei Geisteskranken überwiegt die rechte Himhälffce über die linke in höherem
Maasse als bei Geistesgesunden. Von den' einzelnen Theilen überwiegt das Stimhim
rechts ausnahmslos, das Scheitelhim mit Ausnahme der primären Geistesstörungen
links. Am ausgesprochensten ist die Ungleichheit der beiden Hemisphären bei der
Idiotie, Epilepsie und Paralyse, auch wandert das Uebergewicht relativ häufig auf
die linke Seite. Die secundären Geistesstömngen haben eine geringere Ungleichheit
der Hemisphären als die primären.
Das männliche Himgewicht erreicht im Allgemeinen seine Höhe im 3. Jahrzehnt,
erst im 8. beginnt der Abfall. Bei den Frauen dauert die Höhe der Entwickelung
vom 4. bis in das 7. Jahrzehnt. Der Gewichtsverlust bei der Enthäutung nimmt
auf den höheren Altersstufen zu.
Bei der einfachen Geistesstörung hat die kürzeste Krankheitsdauer ein namhaft
höheres Himgewicht als das durchschnittliche. Bei längerem Verlauf ergeben sich
2 Minima des Gewichts, während die zwischenliegenden und nachfolgenden Stufffl
— 665 ~
der Krankheitsdauer wieder Erhebungen z. Th. über das Anfangsgewicht hinaus
zeigen. Auch die Paralyse zeigt ein Minimum nach einer Krankheitsdauer von ^/^ bis
2 Jahren bei den Männern, von 3 — 5 Jahren bei den Frauen; dann beginnt wieder
ein leichter Anstieg.
Mit der EGrperlange wächst das Hirngewicht, bei den Frauen mehr als bei den
Männern. Das relative Himgewicht (im Yerhältniss zur KGrperlänge) nimmt mit zu-
nehmender KGrperlänge ab.
Die äusserst inhaltsreiche Arbeit, in welcher stets auch Bezug auf die Messungen
anderer Forscher zur Gewinnung aUgemeiuerer Resultate genommen ist, verdient ein
eingehendes Studium im Original. Th. Ziehen.
Pathologie des Nervensystems.
7) Neuritis, von Docent Dr. Bemak, Berlin. (Sep.-Abdr. aus der Beal-Encjclo-
pädie der gesammten Heilkunde. 2. Aufl. Uerausgeg. von Prof. Dr. A. Eulen-
bürg. 1888.)
Eine sehr ooncise Darstellung des in neuester Zeit so ausserordentlich an Um-
fang gewachsenen und durch neue Thatsachen bereicherten Themas. Zu der einlei-
tenden Definition m6chte Bef. bemerken, dass ihm die Ausdehnung des Begriffes
^,Neuritis'' auf Veränderungen der Centralorgane, die Bezeichnung „Neuritis cen-
tralis'^ (Benedikt) nicht zweckmässig erscheint. Es trägt diese Bezeichnung jeden-
falls zum Verständniss der in Frage kommenden centralen Processe nichts bei und
wird besser durch die gewöhnliche Nomendatur ersetzt.
Die im Abschnitt „pathologische Anatomie" sich bietende Gegenüberstellung der
anatomischen Thatsachen und der klinischen Erscheinungsformen der „Neuritis" lässt
klar erkennen, wie wenig diese klimschen Formen nach pathologisch-anatomischem
Schema sich dassificiren lassen. Die im Ganzen wenig „entzündliche" Natur der
multiplen parenchymatösen oder degenerativen Neuritis wird genügend hervorgehoben.
Die vielßltige Aetiologie dieser multiplen Neuritisform ist so kurz wie vollständig
zusammengestellt.
In der Symptomalogie macht B. den Versuch, die Perineuritis (Neuritis no-
dosa) und die Neuritisdegeneration auseinanderzuhalten. Freilich ist diese
üntmcheidung namentlich fOr die localisirte degenerative Neuritis gegenüber
der Perineuritis nicht scharf durchzuführen, da erstere öfter zu der letzteren
hinzutritt. Doch gestattet sie, der multiplen degenerativen Neuritis oder „acuten
degenerativen amyotrophischen Polyneuritis" den gebührenden Platz anzu-
weisen. Die Charakteristik dieser letzteren wird in gedrängtester Kürze gegeben und
doch sind alle wichtigen und in der Pathologie dieser Erkrankung eine Bolle spie-
lenden Thatsachen (Sehnenphänomene, elektrisches Verhalten etc.) berührt.
Der genannten amyotrophischen Form der degenerativen Neuritis wird die
Neurotabes Dejerine^s oder die Pseudotabes der Alkoholiker (Erüche)
als sensible oder ataktische Form der multiplen degenerativen Alkoholneuritis
gegenübergestellt, dabei aber betont, dass auch eine Uebergangsform speciell auf
alkoholistischer Basis vorkommt.
Die diphtherischen Ataxien der Extremitäten dürften nach Ansicht des
Bef. mit um so grösserer Wahrscheinlichkeit ebenfalls auf peripherische dege-
nerative Neuritis zurückgeführt werden,, als dies für die überwiegende Mehrzahl
der diphtherischen Lähmungen zu geschehen hat.
Die Bubrik „Diagnose" giebt klar und bündig die Anhaltspunkte zur Unter-
scheidung der acuten Polyneuritis von verschiedenen Muskel- und Spinalerkrankungen.
Mit angemessener Betonung wird die Schwierigkeit der differentiellen Diagnose zwischen
der erstgenannten Affection und der Poliomyelitis anterior hervorgehoben, während
— 656 —
für die spinale Tabes und die sensible oder ataktische Form der Alkobolnenritis
sicherere Marken der Unterscheidung gezogen werden. Von Prognose nnd The-
rapie ist das Bekannte nnd KOthige gegeben. Die Litteratur ist in sorg^ügster
nnd vollständigster Weise zusammengestellt. Eisenlohr.
8) Mededeelingen uit het beri-beri gestioht te Buitenaorg, door J. W. J.
van Eecke. (Geneesk. Tijdschr. voor NederL Indid. 1888. XXVm. 1. S. 145.)
Im Anschluss an eine frfthere Mittheilnng (vgl. dies Gentralbl. 1888. S. 424)
giebt .van Eecke ausführliche Mittheilnngen über die Aetiologie der Beri-Beri. Die
Veränderungen der motorischen und sensiblen Nerven betreffen hauptsächlich die
Peripherie, wo sie constant vorkommen und oft so bedeutend sind, dass von einer
Nervenfaser weiter nichts übrig bleibt, als die Schwann*sche Scheide, nur hier und
da mit einer kleinen Detritusmasse als Ueberbleibdel der Markscheide, vielleicht auch
des Axencylinders. Mehr nach dem Centrum zu findet sich mehr Inhalt, der aus
unregelmässigen Klumpen eines fetthaltigen Stoffe besteht mit vielen kleinen Oeff-
nun^en (sogen, schaumige Degeneration). Noch weiter nach dem Centrum zu nehmen
diese Klumpen eine mehr umschriebene Form an, der abgebrochene Azencylinder
erscheint oder man sieht diesen in Bosenkransform und allmählich in den normalen
Zustand zurückkehrend; gleichzeitig nehmen die in der Peripherie seltenen normalen
Nervenfasern an Zahl zu, bis sich schliesslich das Nervenbündel unversehrt zeigt
Aber die Abnahme der pathologischen Veränderungen nach dem Centmm zu ist keine
regelmässige oder gleichmässige; oft finden sich in unmittelbarer NachbarBcbaft be-
trächtlich auseinanderliegende Stadien der Entartung. Wo und wodurch diesen Ver-
änderungen eine Grenze gesetzt wird, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen; für die
Hirn- und Bückenmarksnerven scheinen die Ghinglienzellen diese Bedeutung zu haben.
Ebenso ist die Frage, durch welchen pathologischen Process diese Veränderungen in
den Nerven zu Stande kommen, noch eine offene; Entzündungserscheinnngen hat ▼. E.
nicht wahrgenommen. — Die mullaple peripherische Nervendegeneration, welche das
pathologisch-anatomische Substrat der Beri-Beri ist, wird durch verschiedene Mikro-
organismen verursacht Drei solche Organismen hat v. E. untersucht (zwei sind
Kokken, die dritte scheint eine polymorphe Art zu sein), es kann aber noch mehr
geben. Walter Berger.
9) Feripheral neuritie in enterio fever, by Handford. (Brain. 1888. Juli.)
3 Fälle neuritischer Lähmung: zwei im 1., einer im rechten ülnarisgebiete im
Verlaufe von l^hus abdominalis. Verf. ist geneigt, der Ansicht *Go wer s* zuzu-
stimmen, der diese Localisation darauf zurückführt, dass die Pat, bei allgemein
schlechtem Ernährungszustände in Folge der Infectionskrankheit, ihren Ulnaris durch
Hyperflezion des Ellenbogengelenkes einer länger dauernden Zerrung aussetzen. Zwei
seiner Pat hatten längere Zeit so und zwar auf der entsprechenden Seite gelegen.
Er meint, man könne sich auf andere Weise die isolirte Erkrankung des Ubarls-
gebietes nicht erklären: erwähnt aber zugleich, dass in einem dieser Fälle, wie in
manchen anderen von ihm beobachteten, hochgradige Schmerzhaftigkeit der Zehen
bestanden habe, die er auch auf Neuritis zurückführt. Bruns.
10) A case of double wrist drop apparently due to multiple neuritls of
alcoholic origin, by Buzzard. (Brain. 1888. April.)
Die Affection des Pat. machte bei seiner Aufnahme 9 Monate nach Beginn der
Erkrankung zuerst den Eindruck einer Bleilähmong. Doch hatte Pat seit 7 Jahren
657 —
nichts mit Blei za thun gehabt, wohl aber sehr viel Whisky gelnmken. Auch waren
zwar die LähmongserscheiDimgen und die elektrischen Alterationen in den Extensores
Gomm. digit. am stärksten, aber anch der Sapinator longus bot beiderseits herabge-
setzte elektrische Erregbarkeit Bleisaum bestand nicht. Semon constatirte noch
eine Parese des 1. Thyreoarytaenoldeus internus. Qtegen. eine Poliomyelitis sprach,
dass im Anfang auch Sensibilitätsstömngen vorhanden gewesen waren. Auffallend
war der Fall dadurch, dass die Afifection der oberen Extremitäten hier eine sehr viel
stärkere war, als die der unteren, wie auch noch in einem anderen Falle ans B.'s
Privatpraxis. Pat. hatte nur kurze Zeit an Schwäche in den Beinen und schleichen-
dem Gange gelitten: bei seiner Aufnahme war hier nichts zu constatiren. Bruns.
11) Ueber apopleotiformeB EiiiBetzen neuritiBcher Srsoheinangen , von Dr.
Dubois, Bern. (Gorrespondenzblatt ffir Schweizer Aerzte. 1888. Nr. 14.)
So bekannt, wie das plötzliche Auftreten cerebraler, bulbärer und spinaler Läh-
mungen ist, so neu erscheint dem Verf. die Mittheilung plötzlich einsetzender peri-
pherischer Lähmungen und die Verbindung des Wortes apoplectiform mit dem Begriffe
Neuritis. Schon vor Jahren beobachtete er einen Fall, in welchem ein bisher ge-
sunder Mann plötzlich heftige Schmerzen im rechten Arm und sofortige Lähmung
bemerkte. Die Erkrankung betraf den Plexus brachialis in einem Punkte, wo die
Nervenstämme heraustreten und Ulnaria und Badialis bereits fertige Nervenstämme
bilden, da sämmtliche vom Ulnans und Badialis versorgten Muskeln betroffen waren.
In diesem wie in anderen Fällen neuritischer und traumatischer Lähmung beobachtete
Dubois excentrische Sensationen, welche von verschiedenen Hautstellen reflectorisch
ausgelöst werden konnten. Da weder Trauma noch sonst ein bekanntes ätiologisches
Moment vorausgegangen war, dürfte die plötzliche Lähmung wohl durch eine sub-
acute Entzündung der Nerven bedingt gewesen sein. Nach ca. l^/j Jahren trat
Heilung ein; die ausstrahlenden Schmerzen, Parästhesien, motorische und sensible
Lähmung, Entartungsreaction und trophische Störungen waren allmählich geschwunden.
In einem anderen Falle entstand eine Erkrankung des Plexus und der Nervenstämme
namentlich Med. und Ulnar, plötzlich nach einem Trauma unter dem Bilde der
Lähmung. Die Erkrankung wurde als Neuritis traumatica -rheumatica bezeichnet
Antipyrin brachte Besserung. Der Patient hatte schon früher wiederholt an rheu-
matischen Schmerzen gelitten. Femer wird ein dritter Fall erwähnt, in dem ein
Mann mit Erscheinungen heftiger Neuritis nerv. uln. dextr. erwachte. Die Erkrankung
ging secundär auf andere Nerven über. (Neuritis ascendens und descendens.) Dieser
Fall von Neuritis rheumatica betraf ebenso wie der zuerst erwähnte Leute, die längere
Zeit vor dieser Erkrankung an einer Erkrankung der grossen Zehe (gichtisch-rheu-
matisch) gelitten hatten. Wenn leichte Traumen so schwere Folgen haben, muss
man an eine Prädisposition denken; diese sucht Verf. in der bald ererbten, bald er-
worbenen rheumatischen Disposition (Diathese). Hier entstehen Neuritiden plötzlich,
theils spontan, theils traumatisch oder a frigore, analog wie TorticoUis, Hexenschuss,
Facialislähmung etc. Das Trauma bewirkt oft nur die Localisation des Uebels (Gicht
und Rheumatismus). Wie bei Bheumatismus und Gicht dürften sich auch bei chirur-
gischen Erkrankungen des Hüft- und Schultergelenks die nervösen Wirkungen häufiger
auf Neuritiden zurückführen lassen, wenn Motilität, Sensibilität, electrisches Verhalten
sorgfältig geprüft werden würden. Kalischer.
12) Wasting palsy of arm» by Barrs. (The British med. Joum. 1887. 3. Dec.
p. 1217.)
B. stellt in der Leeds and W. Biding med.-chir. Ges. einen 25jähr. Mann vor,
der eine acute amyotrophische Lähmung der oberen Extremität und der Scapula hatte.
38
— 658 —
•
Der Kranke, linksbändig, bekam diese Affecüon plGtzlicb nacb sebr scbwerer Tages-
arbeit unter allgemeinem Uebelbefinden, Uebelkeit, Pyrexie nnd Kopfvreb, keine An-
ästbesie, aber mebr oder weniger verscbwnndene fuüdiscbe Beaction. Der Vortragende
betrachtet den Fall als peripherischen Ursprungs namentlich wegen der anfänglich
bestehenden heftigen Schmerzen. L. Lehmann (Oejnhansen).
13) Fraotare de la olavioule, cal vioieux ayaat däterminä de la nivrite
du plexuB brachial, par M. Beaum6. (Arch. gen^r. de M^. 1888. Jnni.)
Die Calluswncherung einer geheilten Clavicolarfraktor führte zu einer Nenritis
des Plexus hrachialis. Die ersten Symptome traten nach etwa vier Wochen auf.
Allgemeine Atrophie der Armmusculatur, leichte Oontractur des M. biceps, Parese
der Flexoren der Finger, Hyperästhesie für Hautreize, keine spontanen Schmerzen,
Parästhesien in den Händen, Druckempfindlichkeit der Nervenstämme, Gelenkdefor-
mationen, glossy skin, Hyperidrosis, Krümmung und Furchung der Nägel, Haot-
temperatur der kranken Hand ^/^^^ tiefer. — Die Besection des Callas führte zu
langsamer Genesung. Tb. Ziehen.
14) 8iir une deformation parttoulldre da trono oausöe par la sciatique,
par Dr. Babinski. (Arch. de Neurol. .1888. XY, p. 1.)
Verf. beschreibt an der Hand von 5 Krankengeschichten die von Charcot bei
Ischias zuerst beobachtete eigenthümliche Körperhaltung. Indem sich die Kranken
vorzüglich auf die gesunde Extremität stützen und das schmerzhafte Bein schonen^
nimmt die Wirbelsäule eine gewisse Krümmung und das Becken eine abnorme Haltung
an. Die Haltung der Schultern ist verschieden und inconstant. Die Haltung des
Rumpfes aber ist stets dieselbe: Der Kumpf wird nach der gesunden Seite hin ge-
neigt, der untere Kippenrand derselben Seite dem Bande der Darmbeinschaufeln ge-
nähert, das Becken von der kranken Seite etwas gehoben. Die Wirbelsäule zeigt
demgemäss die entsprechenden Krümmungen. — Die Zeit der Entstehung der fehler-
haften Haltung ist verschieden; der Beginn scheint mit den Schmerzexacerbationen zu
coincidiren; auch im Verlauf lässt sie mit den schmerzfreien Zeiten nach. Gewisse
Eigenthümlichkeiten der Haltung daueni auch während der Bettruhe und des Schlafes.
Die Grade der Deformität sind verschieden und die Erklärung dafür, dass man sie
bisher nicht beobachtet hat, liegt darin, dass man die Kranken ganz nackt unter-
suchen muss, was z. B. bei Frauen doch nicht gebräuchlich ist. Charcot hält dies
übrigens bei jeder neuropathologischen Untersuchung für nöthig. Bei manchen Ischias-
Kranken fehlt die fehlerhafte Haltung, ohne dass man sagen kaim, warum.
In differentiell-diagnostischer Hinsicht muss man an Malum Pottii, an Wirbel-
fractur, an Rachitis denken; die bei Hysterischen zuweilen vorkommenden Krüm-
mungen sind eher zu verwechseln, doch zeigen diese Kranken meist nebenbei den
spastischen TorticoUis. Auch bezüglich der Coxalgie muss man Acht geben: hier
wird aber auf der kranken Seite der Bippenrand der der Darmbeinschaufel genähert —
Abdildungen einschlägiger Fälle illustriren die Abhandlung. Siemens.
?
16) Peripheral neuritis in acute rheumatism and the relation of mus-
cular atrophy to affeotions of the jointe, by Judson S. Bury, Assistant
Physician to the Clinical Hospital etc. Manchester. (Beprinted from The Medical
Chronicle. 1888. Juni.)
Einem kurzen historischen Ueberblick über die einschlägige Litteratur folgt die
ausführliche Beschreibung von 11 Fällen, die durch beigefügte Abbildungen der er-
— 659 —
krankten Gelenke Yeranschaulicht werden. Wie bei anderen Gelenkerkranknngeii,
finden wir auch beim Gelenkrheumatismus Mnskelatropbie und Parese. Die plötzliche
Entstehung dieser Symptome wird am besten durch einen Beflexmechanismus erklärt,
bei welchem der Beiz sich vom Gelenk durch die peripherischen Nerven fortpflanzt
und die functionelle Thätigkeit der motorischen Zellen in den Vorderhömem hemmt;
der progressive Charakter jedoch und die Dauer der Atrophie weisen auf organische
Veränderungen centraler oder peripherischer Natur hin. Die Gegenwart der ge-
steigerten Beflexe, Contracturen, wie die Thatsache, dass von einer arthritischen
Affection eine Lateralsclerose entstehen kann (Gowers* „Diseases of the Nervous System"
V6l I p. 330), beweisen, dass nicht nur in den motorischen Zellen Veränderungen
vorhanden sind, sondern wahrscheinlich auch in den Endigungen der Pyramidenstränge
oder in dem Netzwerk der Nervenfasern, durch welche dieselben mit den (Ganglien-
zellen in Verbindung stehen. Diese Veränderungen können vielleicht mehr als func-
tionell sein und doch durch das Mikroskop nicht erkennbar. Eine der häufigsten Er-
scheinungen des acuten wie subacuten oder chronischen Bheumatismus ist die Atrophie
der Interossei der Hand, und wenn auch dieselbe mitunter auf demselben Wege (reflec-
torisch) entstehen mag, wie die anderen Atrophien nach Geletikleiden, so ist es doch
unzweifelhaft, dass in einer grossen Zahl die Atrophie des Nervus ulnaris die Ursache
ist. Doch auch andere Muskeln der Hand wie der Adduct. poUicis und Abductor
indicis sind nicht selten befallen. Evident wird die ülnarisaffection oft durch die
herabgesetzte Sensibilität im Gebiete dieses Nerven; wie der Ulnaris werden auch
andere Nerven des Plexus brachialis, lumbar., sacral. etc. wenn auch seltener befallen.
Die peripherischen Nervenaffectionen können auch eintreten in der Beconvalescenz
von einem Bheumatismusfieber, bei welchem die Gelenke gar nicht afficirt waren, als
Paralyse, Atrophie, Anästhesie etc. Dieser Umstand lässt uns diese Symptome nicht
nur auf eine Neuritis, sondern auch auf eine Invasion des rheumatischen Giftes zu-
rückfahren. Dass derartige Neuritiden sehr oft latent verlaufen, nimmt nicht Wunder,
seitdem Pitres und Vaillard bei Phthisis, Tabes, Typhus etc. so häufig Neuritiden
nachwiesen, die sich gar nicht oder kaum bemerkbar gemacht hatten. Diese latente
Neuritis kann beim Bheumatismus mitunter viele Nervenstämme befallen und all-
gemeine Muskelabmagemng zur Folge haben. Wie weit derartige peripherische
Nervenaffectionen einen centralen Ursprung haben können, lässt Verf. unentschieden.
Zum Schluss weist er auf einige Sätze hin, die Graves vor ca. 40 Jahren in seinen
einleitenden Bemerkungen zu dem Buche „Diseases of the Nervous System" machte.
Dort hebt dieser geschätzte Autor hervor, wie wenig man bei den Nervenleiden und
dem Studium über die Ursachen derselben die Nervenstämme selbst und ihre peri-
pherischen Endigungen berücksichtige. Ealischer.
16) A contribation on the theory of the nervous origin of rheumatoid
Arthritifl, by Archibald E. Garrod. (The Brit: med. Journ. 1887. 26. Nov.
p. 1155.)
G. hielt in der königl. medicin.-chir. Gesellschaft einen Vortrag über die Wahr-
scheinlichkeit der Theorie, dass die rheumatische Arthritis nervösen Ursprungs ist,
auf Grundlage einer statistischen Prüfung von 500 Fällen. Die folgenden 3 Gesichts-
punkte wurden zunächst berücksichtigt: die Natur der Arthr. rheum. erzeugenden Ur-
sachen in ihrer Beziehung zum Nervensystem; die Vertheilung der bei A. rheum.
vorkommenden Affectionen; die Aehnlichkeit der Vertheilung dieser Affectionen hier
und bei spinalen Erkrankungen.
Zuerst lag Erblichkeit vor 216mal unter 500; Gicht 86mal; Bheumatismus
64mal; wahrscheinliche rheumatische Arthritis 84mal. — Die Zahlen konnten natür-
lich nur nach den Angaben der Patienten genommen werden und machen auf ab-
solute Sicherheit keinen Anspruch.
38*
— 660 —
Wurden die bezüglichen F&lle bei Franen nach dem Lebensalter nnd der Anfangs-
zeit der Krankheit betrachtet, so war die Zeit der Menopause bemerkenswerlh häufig
die Anfangszeit der Arthr. rheumatica, während nach dieser Periode die Häufigkeit
des Krankheitsanfangs abnimmt — Von den Kranken waren 411 Frauen, 89 Männer.
Weiter wurden Sorgen, Gemüthsafifecte, Kälte, Nässe als Ursachen bei Arthritis
rheum. nachgewiesen.
Weiter fiel die Symmetrie der Yertheilung der Gelenkaffectionen auf. — Femer
konnte festgestellt werden, dass die Gelenkkrankheit von der Peripherie nach dem
Stamm hin aufsteige, wenn das auch nicht ausnahmslos geschah. Am meisten er-
kranken die Hände, dann die Kniee.
Schliesslich wurde hingewiesen darauf, dass die Yertheilung der Gelenkkrankheit
hier ähnlich sei derjenigen, welche Rflckenmarkskrankheit in Folge von Erschfitfceruug
zu begleiten pflege. Bei Tabes sei mehr ein grosses Gelenk, auch wohl mehrere
grössere, Sitz der Läsion. Andere Erscheinungen, als: Muskelatrophie, Steigerung der
Sehnenreflexe etc. konnten auch als Folgen der Gelenkkrankheit aufgefasst» nnd daher
zur Begründung der Theorie vom nervösen Ursprung der Arthritis nicht herange-
zogen werden.
Eine an diesen Vortrag sich anknüpfende Discussion enthält nichts besonders
Bemerkenswerthes. L. Lehmann (Oeynhausen).
17) Degeneration of the peripheral nerves in locomotor ataxia, by Dr.
J. Shaw. (Joum. of nervus and mental disease. 1888. XHL S. 433.)
Verf. macht auf eine eigenartige pathologische Veränderung aufmerksam, die er
in den peripherischen Nerven eines an Tabes (und prc^essiver Himparalyse) ver-
storbenen Mannes gefunden hat Sie unterscheidet sich von der typischen Nerven-
degeneration durch das Fehlen der Kemschwellung und Vermehrung in der Schwann'-
sehen Scheide, durch das Erhaltenbleiben der Axencylinder und durch die Verwandlung
des Myelins in eine ganz fein granulirte Masse, die sich nur schwer durch üeber-
osminmsäure färben lässt. Daneben finden sich vereinzelte Fasern, die typisch de-
generirt sind, und recht häufig solche, in denen nur ein bestimmtes Segment in der
oben geschilderten Weise verändert ist, während die oberhalb und unterhalb gelegenen
Abschnitte normal oder auch typisch degenerirt sein können. Er erblickt in diesen
Verschiedenheiten nicht differente Stadien eines und desselben Vorganges, sondern
stellt seinen Befund der segmentären Neuritis zur Seite, wie sie Gombault auf
Grund seiner experimentellen Ergebnisse (chronische Bleivergiftung) beschrieben hat.
(Archives de Neurologie. 1880 u. 1881.) Sommer.
18) Beoherches oliniques sur les troubles de la senBibilitä outanöe dans
la Chlorose, par le docteur F. G. Laporte. (Bordeaux 1888. Imprimerie
J. Durand. 84 Seiten.)
Nach einer kurzen historischen Uebersicht theilt uns Verf., ein Schüler von
Pitres, 35 Fälle von Chlorose mit und ohne Hautanfisthesie mit; zahlreiche Ab-
bildungen veranschaulichen die Grenzen der anästhetischen Hautstellen. Dann werden
die Symptome einzehi besprochen und mit den Sensibilitätsstömngen bei Hysterie
verglichen. Dabei stellt es sich heraus, dass die Störungen der Hautsensibilität bei
Chlorose nervöser resp. hysterischer Natur seien und von einer functionellen Ver-
änderung der basilaren Centren herrühren. Die Chlorose, als schwächendes Moment,
begünstigt die Entwickelung dieser Symptome bei Individuen, die auffeilend hänfi?
durch die hereditären Antecedentien eine Disposition zu nervösen Affectionen auf-
weisen. Die Störungen der Hautsensibilität bei Chlorose bestehen in völliger An-
ästhesie, Analgesie, Hypoästhesie und Hyperästhesie. Selten sind sie allgemein oder
— 661 —
hemilateral verbreitet; hänfiger betreffen sie disseminirte Inseln» die weder dem Ver-
lauf der Nerven, noch dem der Gef&sse jener Gegend entsprechen. Sie können sich
sowohl spontan, wie durch äussere Einflösse (Gemüthsbewegangen, ästhesiogene Mittel,
Transfert etc.) verändern nnd sind meist mit keinerlei snbjectiven Beschwerden ver-
bunden. Zugleich mit den Störungen der Hautsensibilität finden sich bei Chlorose
solche der Sensibilität der Schleimhäute wie der Sinnesorgane und der tieferen Gewebe.
Kalischer.
19) Ein Fall von spontaner symmetrisoher Gangrän, von Ereiswundarzt Dr.
Steiner in Bosenberg O./S. (Dtsch. med. Wochenschr. 1888. Nr. 4.)
Der sehr interessante Fall betrifft ein 17 jähriges, erst seit einem Jahre men-
struirtes, leicht -chlorotisches Mädchen, das nach schwerer Gemüthsbewegung und
daraus entstandener allgemeiner Entkräftung mehrere Monate im Erankenhause zu-
gebracht hatte. Geheilt entlassen bekam sie nach einiger Zeit (10. December 1886)
eine gangränöse Stelle auf dem Dorsum der rechten Hand und nach 8 Wochen,
während jene heilte, eine oberflächliche Gangrän der ganzen Beugefläche des
rechten Vorderarmes, an welche sich nach 2 Tagen eine ebensolche Affection der
ganzen Streckseite des linken Vorderarmes anschloss. Kribbeln und Schmerzen an
den betreffenden Stellen gingen den ersten sichtbaren Veränderungen 12 — 24 Stunden
vorher. — Die Abstossung der brandigen Theile dauerte bis Ende Januar 1887,
die Vemarbung entsprechend länger.
Die grosse Ausdehnung, die Lokalität (Vorderarme — während sonst Gesicht,
Nates, Schamlippen u.s. w. meistens betroffen sind;, die Oberflächlichkeit des Fro-
cesses, der nirgends in die Tiefe ging, machen diesen Fall von Baynaud'scher
Krankheit (Asphyxie locale et gangr^ne symm^trique des extr^mit^) bemerkenswerth.
Hadlich.
20) Case of Baynaud'8 disease or symmetrioal gangrene, by J. W. F. Smith-
Shand. (The British med. Joum. 1888. 18. Febr. p. 343.)
Dieser Fall, auf dessen ausführliche Behandlung hier verwiesen wird, ist durch
beigegebene Holzschnitte, die linke und rechte Eörperhälfte der 20jähr. Patientin
darstellend, illustrirt. Er unterscheidet sich von den bekannten Fällen dieser Art
durch das vorhandene Fieber und durch die Oertlichkeit der Affection. Ohrläppchen,
Wange, Nasenspitze, Gesicht, Hals, Arme, Hände, Beine (oberhalb des Knies) wurden
nach und nach an symmetrischen Stellen afflcirt. Stanmi, Finger, FQsse blieben freL
Schwarze Blasen, mit Serum gefüllt, entstanden nach vorhergegangenem brennenden
GefühL Nach 10 Tagen schrumpften die Blasen und hinterliessen eine Borke.
Das Fieber blieb wohl 3 Wochen. Dysurie, Albuminurie und Diarrhoe begleiteten
die Krankheit und die Gonvalescenz. Auf der Höhe der Krankheit schien grosse
Gefahr für das Leben der Patientin vorhanden zu sein. (Puls 125^, Temperatur
104,4^ F.) L. Lehmann (Oeynhausen).
21) lieber ein dem Paramyoolonns multiplex (Friedreioh) nahestehendes
Krankheitsbild, von KKny, Strassburg. (Arch. f. Psychiatrie. 1888. XIX. 3.)
Verfasser berichtet über zwei Fälle, die er als Myoclonus fibrillaris multiplex
bezeichnen möchte. In dem zweiten genauer beschriebenen handelt es sich um einen
28 jährigen Landmann. Weder erbliche Belastung noch Syphilis noch Alkoholismns
nachweisbar. Ostern 1887 erlitt er einen Deichselstoss in die linke Leistengegend;
ein erheblicher Schrecken war nicht damit verbunden. Im Juli war er von der
Oontusion genesen. Acht Tage danach schmerzhaftes Klopfen erst in der rechten,
dann auch in der linken Wade, nach längerem Gehen Gefühl von Ziehen bis in die
— 662 —
Fusssoblen, allmählich auch Zuckungen in den Oberschenkeln» Schw&chegefühl auch
in den Armen und Kribbeln in den Fingerspitzen. Im August wurden continuirliche
massenhafte fibriUäre Contractionen constatirt: am stärksten in den Mm. gastrocnemü
und quadricipites, rechts noch mehr wie links. Die Zehen sind in fortwährender
spielender Bewegung, die zuweilen durch den Stiefel hindurch sichtbar ist.
Schwächere fasciculäre Contractionen finden sich in den Deltoidei und Streckmuskeln
des Arms sowie den Brust- und Rückenmuskeln. Das Tempo der Contractionen ist
wechselnd, stets sind mehrere, aber nie sämmtliche Bündel desselben Muskels gleich-
zeitig betroffen. Ausser an den Zehen kein locomotorischer Effect. Während actirer
Bewegungen nehmen die Zuckungen ab, in der Buhe nach einer activen Bewegung
zu. Im tiefsten Schlafe nur cessiren sie. Hautreize steigern die Zuckungen. Patellar-
reflexe stark, Hautreflex etwas verstärkt, idiomuskuläre Erregbarkeit gesteigert.
Leichter Tremor der Zunge und der ausgestreckten Hände. Dynamometer rechts 20,
links 33 kg. Sensibilität intact, Nervenstämme nicht druckempfindlich,* willkürliche
Bewegungen etwas unsicher und rasch ermüdend. Faradische und galvanische An-
spruchsiahigkeit der Gastrocnemü stark erhöht Bei Strömen von über 10 M. — A.
nach kurzer Ea — S ein Tetanus, der die Stromöffhung überdauert. Die elektrische
Erregbarkeit der Nerven vom Muskel aus ist normal. Bei Behandlung mit dipolaren
und monopolaren Bädern genas F. bis zum December völlig. Das Dynamometer
ergibt jetzt beiderseits 39 kg. Die directe faradische und galvanische Erregbarkeit
ist gegen früher deutlich vermindert.
Im ersten Fall bestanden auch tonische Wadenkrämpfe; derselbe ist sonst sehr
ähnlich. Auch hier jene Erb'sche myotonische elektrische Beaction, aber ohne
Zuckungsträgheit. Der fibrilläre Typus sowie die eigenthümliche elektrische Beaction
unterscheiden die beiden Fälle von Friedreich*s Paramyoklonus. Th. Ziehen.
22) A caae of paramyoclonus multiplex, reported by Frank B. Fry. (Jonm.
of nervous and mental diseases. 1888. XY. p. 397.)
Ein 30 jähr. Mädchen, ohne nervöse oder hysterische Antecedentien, das aber
seit mehr als 12 Jahren täglich 10—12 Stunden an einer Nähmaschine mit Fuss-
betrieb thätig war, wurde eines Tages während der Arbeit von einem eigenthüm-
lichen rhythmischen Zittern des linken besonders angestrengten Beines ergriffen, das
bald in ein regelmässiges Heben und Senken der linken Unterextremität im Hüft-
gelenk übergiug und das mehrere Stunden anhielt. Mit der Zeit wurden derartige
Anfölle häufiger oft täglich; manchmal wiederholten sie sich in kurzen Zwischen-
räumen, dauerten aber nur noch einige Minuten.
Bei der genaueren Untersuchung zeigten sich keine wesentlichen Abnormitäten:
es fehlten Paresen, Sensibilitäts- und Coordinationsstörungen. Die Muskelerregbarkeit
war gesteigert, und ebenso die Sehnenreflexe. Der Anfall selbst bestand in einem
sehr schnell sich wiederholenden und energischen Stampfen beider Füsse auf den
Boden, gewöhnlich eingeleitet durch einige tiefe Athemzüge und beendet durch
einige Zuckungen des rechten Arms und der rechten Schulter, und ebenfalls von
mehreren tiefen Inspirationen. Nach dem Anfall fühlte sich Patientin jedesmal
sehr erschöpft.
Medicamentöse Behandlung blieb ziemlich erfolglos; eine sehr bedeutende Bes-
serung — so dass der ganze Anfall auf leichte fibrilläre Zuckungen der betheiligtra
Muskeln beschränkt ist, — wurde durch methodische Ghilvanisation erzielt.
(Ob übrigens diese Erankenbeobachtung grade als ein Fall von Faramyodonas
betrachtet werden muss, scheint dem Eef. noch nicht ganz zweifellos: man würde
auch an eine functionelle Erampfform, wie sie in der Neuzeit so häufig zu seben
ist, zu denken haben.) Sommer.
— 663 .
23) Ueber FaramyoclontLs multiplex und idiopathisohe Muskelkrämpfe,
von Alessandro B. Marina, Triest. (Arch. f. Psychiatrie, 1888. XIX, 3.}^)
Verf. stellt ans der Litteratnr 20 Fälle von Paramyj^clonus multiplex zasammen
und fügt zwei eigene Beobachtungen hinzu. In der Zusammenstellung fehlt der
Rybalkin*sche Fall. Der Fall von Hughes Bennet, in welchem auch temporäre
Lähmung der befallenen Muskeln bestand, geWri wahrscheinlich gar nicht hierher.
Aus der italicBischen litteratur des Jahres 1887 citirt Verf. 3 neue Fälle von Lembo,
Feletti und Sllvestrini.
Der erste Fall Marina*s betrifffc einen 37jährigen, erblich belasteten Kaufmann.
Derselbe litt vor einigen Jahren an Intermittens und ist starker Baucher. Die
Zuckungen sind klonisch und rhythmisch und treten anfallsweise auf. Jeder Anfall
dauert 5 — 10 Minuten. Die Zuckungen betrefifen an den Oberschenkeln besonders
die Yasti und Glutaei, Bectus abdom., Pectoralis, Latissimus und Longissimus dorsi,
Masseteren und spurweise den Biceps brachialis. Die Yasti der linken Seite con-
trahiren sich tonisch und zwar etwa „60 Mal in der Minute". Die Yasti rechts
zeigen bis 120 klonische Zuckungen pro Minute. Kälte steigert die Zuckungen,
andere Hautreize sind einflusslos. Der Schlaf hebt die Zuckungen auf, Druck auf
die Domfortsätze der Lenden- und Brustwirbel, sowie auf einen braun plgmentirten
Fleck in der Gegend der Sacralwirbel vermindert sie. Die Krämpfe in den unteren
Extremitäten sind willkürlich in gewissem Maasse beherrschbar. Die Kniephänomene
sind sehr gesteigert, die Hautreflexe und die electrische Erregbarkeit normal. Unter
stabiler absteigender Galvanisation des Bückens und Bromtherapie völlige Heilung.
Im zweiten Fall — bei einem 27jährigen Lastträger — liegen als ätiologische
Momente oft recidivirende Darmkatarrhe und Kummer vor. Die Anfalle äusserten
sich zuerst in Angst, Kopfschwindel und Athemnoth; dann trat Schwäche in den
unteren Extremitäten hinzu. Die Musculatur des Abdomens hebt und senkt sich
unter Borborygmen ca. 60 Mal in der Minute; nach einer Weile (sofort bei Per-
cussion des Lig. patell.) beginnen clonische Zuckungen im rechten Quadriceps, während
der linke in tonischer Gontraction verharrt. Die Pectorales sind in tetanischem
Krampf. Im Anfall auch Globus, am Ende des Anfalls flrilläre Zuckungen in den
Intercostalmuskeln beiderseits. Die Quadriceps-Zuckuugen können vom Willen ein
wenig beherrscht werden und hören bei willkürlichen Bewegungen auf; die Krämpfe
der Bauchmuskeln cessiren nur in der Bückenlage und im Schlafe. Sehnenphänomen
und Hautreflexe gesteigert. Normale electrische Erregbarkeit. Bei faradischer Bei-
zung des motorischen Punktes des ObUquus abdominis rechts starker clonischer Krampf
im Abdomen und rechten Quadriceps und tetanischer im linken. Im Anfall und im
Buhezustand rhythmische Krämpfe des Yelum und der Uvula, Unbeweglichkeit des linken
Stimmbandes in der Medianlinie, rhythmische Krämpfe des rechten. Abweichung der
Epiglottis nach rechts und Senkung bei jeder Inspiration. Beide Gesichtsfelder con-
centriBch eingeengt. Bei der ersten Spiegeluntersuchung Hyperästhesie, bei der
folgenden Anästhesie des Yelum. Bei Bromtherapie und absteigender Galvanisation
keine Besserung, bei Bettruhe und Anodenbehandlung fast vollständige Heilung. Die
Unbeweglichkeit des linken Stinunbandes bezieht M. auf tonischen Krampf der Ad-
ductoren.
Yerf. erörtert alsdann das Wesen des Paramyoclonus in wesentlicher Ueberein-
siimmung mit dem Bef., meint aber, da in 8 von seinen 22 Fällen auch tonische
Contractionen vorhanden waren, die Bezeichnung Myoclonia verwerfen zu müssen und
bezeichnet die Krankheit als Myospasia. Bef. bemerkt hierzu nur, dass eine
60malige tonische Gontraction in der Minute, wie sie M. in seinem ersten Fall
beschreibt, in sich widerspruchsvoll erscheint und dass eine gelegentliche Summation
der clonischen Zuckungen zu einem kurzen Tetanus (Friedreich*s, Marie*s und Bech-
^ Cf. auch Biv. sperim. di Freniatria 1888. XIY, p. 40.
— 664 —
terew*s Fälle gehören wohl hierher) nichts zu thon hat mit jenem gewisBermaassen
primären tonischen Krampf, der als Myotonie bezeichnet wird. Dem Paramyodoniis
als der Myospasia simplex möchte M. denn eine Myospasia impolsiva gegenüberstellen,
bei welcher sich plötzlich oder mit steigender Intensität ein Krampf einer oder
mehrerer Muskelgrappen in der Weise entwickelt, dass bei einer gewissen Intensität
unwiderstehliche Dislocation der befallenen Theile eintritt Hierzu rechnet IL die
Chorea magna, die Maladie des Tics convulsifs, die Erinnerungs- und die statischen
Krämpfe. Th. Ziebeu.
24) ParamyoolonuB, von Prof. Dr. Seeligmüller, Halle. (Sep.-Abdr. aus der
Beal-Encyklopädie der gesammten Heilkunde. 2. Aufl. 7 Seiten.)
Die von Friedreich sogenannte Krankheit umfasst nach der vorliegenden neuen
Bearbeitung ungefähr 20 Fälle in der Litteratur. Die weitere Litteraturangabe über
dieses Thema enthält 26 Nummern.
Verf. hält den Namen „Myoclonie" für geeigneter, weil das symmetrische Auf-
treten der Zuckungen selten ist, stimmt aber Friedreich bei, dass der Krankheit
eine gesteigerte Erregbarkeit der motorischen Gfanglienzellen in den grauen Yorder-
säulen des Bückenmarks zu Grunde liegt.
Verf. beansprucht für die Myoclonie durchaus eine eigene Stelle unter den Krank-
heitsbildem; am meisten Aehnlichkeit hat sie mit der Chorea electrica; von der ge-
wöhnlichen Chorea, dem Tic non douloureuz, der Maladie des Tics, der Hysterie und
Athetose trennen sie genug Merkmale. Sperling.
Psychiatrie.
25) Ueber Simulation geistiger Störungen, von Prof. Fürstner. (Arch. f.
Psych. XIX. S, 601.)
F., der unter 31 zur Begutachtung zugewiesenen Fällen 12 als SimulatioB
nachweisen und in 9 derselben nachträglich den Ausspruch controliren konnte, be-
spricht zuerst die Gründe für die verschiedenen Anschauungen bezüglich der Häufig-
keit der Simulation, sowie er die für die Seltenheit derselben angeführten Gründe
als für die in der Gegenwart geänderten Verhältnisse nicht mehr stichhaltig nach-
weist. Er scheidet die Fälle in solche, wo geistig Gesunde simuliren und in solche,
wo bei Vorhandensein psychischer Anomalien diese hochgradig übertrieben oder mit
willkürlich producirten Symptomen combinirt dargestellt werden. In der Scala der
Häufigkeit steht obenan die Simulation des Blödsinns mit Apathie, Stummheit oder
auffallend verkehrter Reaction in Wort, Schrift und That; dann folgen abnorme Be-
wusstseinszustände, welche zur Zeit der That bestanden haben sollen, meist begleitet
von Sinnestäuschungen, in den Intervallen besteht gleichfalls die erwähnte auffallende
Beaction; in einer dritten Gruppe finden sich sehr verschiedene, unregelmässig wech-
selnde Symptomencomplexe, die keinem bekannten Erankheitsbilde entsprechen; eine
vierte Gruppe bilden Erregungszustände mit Verworrenheit und Gewaltth&tigkeit;
gelegentlich werden auch andere Formen simulirt; die differentialdiagnostischen Merk-
male dieser Gruppen werden eingehend dargestellt und durch Casuistik erläutert;
von ganz besonderem Interesse ist der ausführlich mitgetheilte Fall eines 17jährigen
Mädchens, das die verschiedensten, zum Theil an Hysterie erinnernden Erscheinungen
simulirte, um den Glauben an religiöse Wunder zu erwecken. A. Pick.
26) Erfahrungen über Simulation von Irrsinn und das Zusammentreffen
derselben mit wirklicher geistiger Erkrankung, von Frivatdocent Dr. J.
Fritsch. (Jahrbücher für Psychiatrie. 1888. VIII. 1 u. 2.)
— 665 —
Aus seiner 8jährigen Erfahrung über 200 geistefikranke Untersuchungsgefangene
theilt F. 10 Fälle von Simulation mit. Nur in 2 Fällen handelte es sich um geistig
intacte Individuen, die andern waren alle psychisch nicht unbelastet. 3 hatten eine
neuropathische Constitution, erregbare Natur, jähzorniges Temperament; die thatsäch-
lichen Störungen waren bei ihnen keineswegs derartig, dass annähernd von eigent-
licher Geistesstörung hätte gesprochen werden kOnnen. Die andern 6 Fälle zeigten
wirkliche psychische Alienation, deren Form Bilder darstellt, die als Ausdruck psycho-
pathischer Veranlagung und psychischer Degeneration angesehen werden müssen. Es
handelte sich um ausgesprochene hereditäre Belastung, epileptische Grundlage, originäre
Veranlagung, atypische (Gestaltung des Symptomenbildes, relative Intactheit der psych.
Verrichtungen, und einen minder prägnanten Charakter der Krankheitserscheinungen.
7 dieser Simulanten standen wegen Eigenthumsdelicte in Untersuchung, von den an-
dern dreien waren 2 bereits wegen Diebstahls bestraft. Verbrecher dieser Kategorie
zeichnen sich durch CharaktereigenthümUchkeiten aus, die sie für die Bolle des
Simulanten besonders geeignet erscheinen lassen (Kunstfertigkeit des Lügens, Ueber-
treibens und Vorstellens etc.). Es erhellt aus dieser Betrachtung, dass das Vor-
kommen der Simulation an sich auf gleichzeitiges Bestehen neuropath. Disposition und
Psychopath. Veranlagung hinweist und zu vorhandenen Zuständen sogenannter psych.
Entartung in Beziehung gebracht werden kann. Auch in den Fällen, wo zweifeUos
Irre simuliren und zu den bestehenden Symptomen neue hinzufügen, handelt es sich
nach Brosius meist um erblich veranlagte, defecte Individuen. Kalischer.
27) Dl un nuovo oriterio diagnoBtioo nella paralisi progressiva derivato
dall' analisi delle orine, del dott. A. Marro. (Annali di Freniatria. 1888.
I. p. 101.)
Ueber eine frühere Arbeit von Maccabruni, der Peptonurie als Zeichen
schwererer Ernährungsstörungen, latenter Eiterungen etc. etc. bei Irren häufig be-
obachtet hatte, ist in diesem Centralblatt bereits V. 1886, p. 114 referirt worden,
und ibid. VII. 1888, pag. 268 ist schon eine vorläufige Mittheilung Marro *s be-
sprochen.
Auf Grund seiner weiteren Untersuchungen, die an 22 Paralytikern angestellt
sind, hat nun Marro gefunden, dass Peptonurie ein constantes Symptom der pro-
gressiven Paralyse ist; er glaubt Peptonurie als ein so sicheres Zeichen ansehen zu
dürfen, dass er in zweifelhaften Fällen den Nachweis von Pepton im Urin für die
Dii^ose der Paralyse benutzt; fehlt dagegen Pepton im Urin eines Geisteskranken,
so liegt nach der Ansicht des Verf.s sicher keine Paralyse vor.
Die Untersuchung wird nach der Hofmeister'schen Methode vorgenommen,
und man muss, um sicher zu gehen, grössere Mengen Urin, 600 — 1000 cbcm. (am
besten Morgenham oder den Urin von vollen 24 Stunden) benutzen. Sommer.
Therapie.
28) Notes on the cause and treatment of Itmctional insomnia, by Dr. Sachs
(Medical News. 1887. May 28.)
Verf. berücksichtigt hier nur die Fälle von Schlaflosigkeit, die nicht von or-
ganischen Gehimerkrankungen, von Psychosen und Fieber etc. abhängen. Er betrachtet
die Schlaflosigkeit bei anämischen und oeurasthenischen Zuständen, um die es sich
hier hauptsächlich handelt, und die, welche gleichzeitig oder abwechselnd mit Migräne-
anfallen einhergeht, als Folge vasomotorischer Anomalien. Dem entsprechend empfiehlt
er für ihre Behandlung viel weniger Sedativa und Uypnotica, als Boborantia und
Tonica und besonders die Oertersche Kur gegen Herzschwäche, von der er die besten
Erfolge gesehen. Die passiven Bewegungen bei der Playfair-Mitchell'schen Methode
— 666 -
faUt er für weit weniger empfehlenswerth und hat während der letzteren einmal sogar
eine sehr betrachtliche Verschlimmerang der Schlaflosigkeit beobachtet
Sommer.
29) Permanganate of potassium in the treatment of amenorrhoea asao-
oiated with mental disease, by P. W. Macdonald. (The Practitioner.
1888. Juni.)
Gegen Amenorrhoe mit psychischen Anomalien wandte Verf. das 1883 von Binger
und Murell als Emmenagogum empfohlene Kall hypermanganicum mit gutem Erfolge
an (3mal taglich 1 Pille k 1 Gran == 0,06 Gramm). Von 9 beschriebenen Fälleu
wurden in 6 die geistigen Fähigkeiten, wie die Functionen des Uterus und Ovarium
völlig hergestellt, in 3 Fällen nur die letzteren ohne Bückkehr des psychischen
Gleichgewichts; in 2 derselben hörten die Menses wieder au^ sobald man die Pillen
fortliess. Dieselben müssen mindestens 3 Monate lang nach dem Erscheinen der
Menses gegeben werden. In Fällen, wo ein organisches Leiden der Amenorrhoe zu
Grunde liegt, bleibt das Mittel erfolglos. Die psychischen Störungen schwinden bei
dieser Behandlung bald vor, bald nach dem Erscheinen der Menses^ und will Verf.
das Mittel als Blut- und Nerventonicum betrachten. Von den 6 gebesserten Fällen
war die Amenorrhoe in 3 Symptom, in 3 Ursache der psychischen Störungen. Bei
jungen Mädchen ist sie häufiger die Ursache, bei Frauen meist Symptom der psy-
chischen Erkrankung. Die Behandlung ist für beide die gleiche. . Als begleitende
psychische Anomalien werden angeführt: Gharakterveränderungen, Wechselznstände
von Verstimmung und Erregung, moralische Verkehrtheit, impulsive Manie, Hystero-
Manie, stuporöse Melancholie, maniakalische Zustände etc. Kalischer.
30) The treatment of migraine with indian hemp, by B. Greene. (The
Practitioner. 1888. Juli.)
G. wandte Cannab. indica mit gutem Erfolge gegen Migräne an, ohne je üble
Nachwirkungen zu sehen. Meist eignet sich das alkoholische Extract am besten;
doch giebt er auch Pillen, die ^'g — V2 — ^/s ^^^ enthalten und von denen täglich
1 Pille gegeben wird. Die Anwendung geschieht continuirlich durch Wochen resp.
Monate. Mit Seguin vergleicht der Verf. die gute Wirkung des Cannab. indic. bei
Migräne mit den Erfolgen der Bromide bei Epilepsie. Die Anfälle werden weniger
stark, seltener, schwinden ganz. Bei Frauen wirkte es besser; vielleicht weil die
Migräne bei ihnen mit Anomalien in der Function des Uterus zusammenhängt und
Cannab. indic. als Speciflcum gegen Uterusleiden bekannt ist. Kalischer.
31) lieber Hyosoin und Hyoscyamin in der Psychiatrie. Inaugural-Disser-
tatiou von H. Mieth, Assistenzarzt der Provinzial-Irren-Anstalt Nietleben bei
Halle a. S. (Leipzig, April 1888. 60 Seiten.)
Nach einer ausführlichen Beschreibung der bisher in der Litteratur verzeichneten
Anwendungsweisen und Erfolge von Hyoscyamin und Hyoscin, folgen die eigenen
therapeutischen Versuche, die mit brom- und chlorwasserstofiDsaurem Hyoscin (Merck)
angestellt sind. Zur Beseitigung der Schmerzhaftigkeit der Injection empfiehlt sieb
eine L5sung des Hyoscins in '/«^/o Kochsalzlösung. Bei etwa 60 Kranken wurde
das Mittel in mehr als 300 subcutanen Gaben und fast ebenso vielen innerlichen
Gaben angewandt. Die niedrigste Dosis betrug 0,1 — 0,15 mgr, die höchste 0,75
bis 1,0 mgr. In grossen Dosen traten neben der beruhigenden Wirkung auch Beiz-
erscheinungen auf, und zwar können dieselben bei schwächlicher Constitution und
geringer narcotischer Capacität schon bei 0,5 mgr sich bemerkbar machen. Es sind
dies: Uebelkeit, Brechneigung, Erbrechen, Unruhe, Schlaflosigkeit, Ideenflucht bis
Delirien, Sinnestäuschungen. Die Depressionserscheinungen bestehen in ScbwiildeL
Ataxie, Müdigkeit, Schlaf, Parese bis Paralyse. Bei der chronischen Anwendung des
— 667 —
Hyoscins zeigte sich: Blässe und SprOdigkeit der Haut, kleiner weicher Puls, Ab-
nahme des Körpergewichts, Kopfschmerz, Schvrindel, Erbrechen und als schlimmste
Erscheinung Circulationsstörungen, wie Gyanose und Kühle der Extremitäten, Furunkel-
bildung etc. — Bei lebhaft haÜucinirenden Kranken wurden die Sinnestäuschungen
und namentlich die des Gesichts durch das Hyoscin gesteigert; bei hallucinatorisch
Verrückten bewirkte es mitunter eine Steigerung der Erregung. Bei Melancholie,
progressiver Paralyse und einfacher Manie eignete es sich nicht; am besten wirkte
es bei chronisch und periodisch verlaufenden Psychosen mit Auftegungszuständen ohne
besonders starke Sinnestäuschungen. Bei den Erregungen chronischer Manie erreicht
man durch eine einmalige Tagesdosis von 0,3 — 0,5 — 0,75 mgr nicht nur Nachts
Buhe und Schlaf, sondern auch am Tage Beruhigung. Da das Hyoscin eine ausge-
sprochen cumulirende Wirkung besitzt, ist es in seltenen Dosen (meist höchstens
Imal pro die) anzuwenden. Bei länger fortgesetztem Gebrauch steigern sich die
unangenehmen Nebenwirkungen zu sehr. Dem Hyoscyamin ist es jedenfalls vorzu-
ziehen, da die bei ersterem vorhandenen Uebelstände zum Theil fehlen, zum Theil
geringer sind. Kalischer.
32) Beitrag sur Wirkung des Aconitins. Inaugural- Dissertation von Alfred
Cohn. (Berlin, Mai 1888. 30 Seiten.)
Neue Versuche über dieses Mittel an Kaninchen, die C. unter Prof. Liebreich's
Leitung anstellte, lehrten, dass sich unter dem Einfluss des Aconitins in der Um-
gebung der Injectionsstelle allmählich eine Abschwächung der Sensibilität geltend
macht, die nach und nach in ein völliges Erlöschen derselben übergeht. Die injicirte
Flüssigkeit erregte heftige Schmerzen. Auch sich selber injicirte Verf. ^/^qq mgr.
0,00005 Aconit, nitric. (^/^ Spritze). Sofort entstand starkes Brennen im Umkreis
von 2 cm, nach 10 Minuten taubes Gefühl, nach 15 Minuten heftiges Brennen bei
völligem Schwinden der Empfindlichkeit für Nadelstiche, des Kälte-, Druckgefühls etc.
Nach 25 Minuten bestand vollständige Anästhesie, die einige Stunden anhielt. Im
weiteren Umkreis um den Stichcanal, ca. 3 — 4 cm, waren die Empfindungen unbe-
stimmt und stumpf. An dem Krankenmaterial der Nervenpoliklinik des Prof. Mendel
wurden fernere Versuche angestellt, jedoch nur bei der idiopathischen Neuralgie
(sogenannte rheumatische Neuralgie, Ischias, Gesichtsneuralgien etc,). Die Dosis be-
trug ^/]Qo — 7io ™^ Aconitin. nitric. Auch hier schmerzten und reizten die Injec-
tionen anfangs, jedoch es folgte bald locale Anästhesie und Analgesie und gehört
daher das Mittel zu den sogen. „Anästhetica dolorosa". Absolute Bemheit des Prä-
parates und idiopathische Natur der Neuralgie sind Vorbedingungen für die Ver-
wendbarkeit. — Laborde und Duquesnel, welche von ihrem crystallisirten Aconitin
Pillen anfertigten, hatten überraschende Besultate; freüich blieben den genannten
Beobachtern heftige Intoxicationserscheinungen nicht erspart. Dieselben treten nicht
auf, wenn man das Mittel in oben erwähnter Form und Dosis als locales Anästheticum
anwendet. Kalischer.
Anstaltswesen.
33) Verslag omtrent het geneeskundig gestloht voor grankginnigen te
TJtreoht over het jaar 1887. Door Dr. A. Th. Moll. Utrecht 1888. (Kemink
en Zoon. 8^ 138 Seiten.)
Der Krankenbestand betrug am 1. Jan. 1887 421 (224 M., 197 W.), neu auf-
genommen wurden 93 (44 M., 49 W.), im Ganzen verpflegt also 514 (268 M.,
246 W.). Davon sind 37 (24 M., 13 W.), gestorben, 38 (16 M., 22 W.) ungeheilt,
21 (10 M., 11 W.) geheilt entlassen worden, mithin betrug der Bestand am 1. Jan.
1888 418 (218 M., 200 W.). Unter den Verstorbenen waren 9 (5 M., 4 W.) das
I.Jahr in der Anstalt und schon in- hoffnungslosem Zustande aufgenommen worden;
— 668 —
eine Fi^au, bei deren Aufnahme Selbstmordneigung aosdrücklich in Abrede gestellt
worden war, erhenkte sich trotz Ueberwachnng in einem unbeobachteten Moment,
nachdem sie nur 1 Monat in der Anstalt gewesen war. Unter den YerstorbeneD
fanden sich femer 1 Frau, die 54^2» 2 Frauen, die 42 und 1 Frau, die 32 Jahre
in der Anstalt verpflegt worden waren, 4 Männer, die 16, 15 und 12 J. verpflegt
worden waren. Der Tod erfolgte bei 7 (6 M., 1 W.) an Pneumonie, bei 6 (5 M.,
1 W.) an Tuberculose, bei 2 Männern an Pleuritis, bei 1 M. an acuter Bronchitis,
bei 1 W. an Lungenlähmung, bei 2 W. an Herzlähmung, bei je 1 M. an Herzhyper-
trophie, Erstickung, bei 1 W. Erhenkung, bei 7 (4 M., 3 W.) an Marasmus, bei
3 W. an Apoplexie, bei 2 M. an Erysipel, bei je 1 M. an Urämie, Morbus Brightü,
bei 1 W. an allgemeinem Hydrops. — Unter den geheilt Entlassenen befand sich
ein Mann, der an Melancholia agitata litt und 5 J. lang in der Anstalt war, ein
erblich belasteter junger Mann, der nach Kopfverletzung an maniakalisclien Anfallen
litt, ein an Angstaniullen mit Hallucinationen Leidender und 2 an Puerperalpsychosen
Leidende.
Unter 50 Sectionen, die seit 1885 gemacht wurden, fanden sich grössere Heerde
im Gehirn in 4, kleinere Heerde (multiple Sklerose, Tuberculose, diffuse Sklerose) in
3 Fällen. Von 5 Fällen von Dementia senilis fanden sich in 4 bedeutend za grosse
Schädel, in allen die klassischen Erscheinungen. Bei Dementia paralytica (12 Fälle)
konnte M. den schon von Mendel und Andern aufgestellten Unterschied bestätigen,
dass sich in manchen Fällen die Pia von der Binde nicht ohne Verletzung der letz-
teren abziehen liess, in andern dagegen leicht, die Bindo war grau, bräunlich oder
hell rosa gefärbt, mitunter fleckig. Nicht ohne Einfluss auf den angegebenen Unter-
schied schien M. die Dauer der Krankheit zu sein; in beiden. Fällen aber hat M. nie
Anhäufung von Leukocyten längs der Gefässe vermissi Auch in der Binde fanden
sich immer (doch nicht immer leicht nachweisbare) Veränderungen (Anhäufung von
Ausläufern der Spinnenzellen, Verschwinden markhaltiger Nervenfasern, Vermehrung
der Spinnenzellen, Veränderungen in den kleinen GeiUssen und um dieselben herum;
progressive Veränderungen der Nervenzellen hat M. nie gesehen). Himödem fand
sich in 8 Fällen, Bildungsfehler in 9, Herzhyperämie in 2, Exostosen des Schädels
in 2 Fällen, in 4 Fällen wurde die Section des Gehirns nicht gest-attei
Walter Berger.
34) Bericht über die Frovinsial-Irren- Anstalt bu Leubus in Sohlesien 1887
und 1. Quartal 1888 vom Director Dr. Alter.
Bnde 1886 .... 90 M. 102 Fr.
1887 aufgenommen . 134 M. 165 Fr.
224 M. 267 Fr."
Es gingen ah . . . 145 M. 147 Fr.
Bestand Ende 1887 79 M. 120 Fr.; zusammen 199.
Erbliche Anlage bei 38,3 ^/^ der Aufgenommenen.
Als genesen wurden 31,5^0 ^^^^ ^^^lo ^™ Voijahre entlassen.
Durchschnittliche Behandlungsdauer der Genesenen 219 Tage.
7 Paralytiker wurden gebessert entlassen, die Behandlung derselben hatte i&
kräftiger Ernährung und kfihlen Bädern bestanden.
Unter einer grösseren Beihe interessanter forensischer Fälle, welche mitgetheüt
werden, verdient ein des Mordes angeklagter 22jähriger Schlossergeselle K. besondere
Erwähnung. A. hatte ihn für schwachsinnig erklärt, der Gefängnissarzt fOr gesund,
das MedicinalcoUegium zu Breslau fflr pathologisch schwachsinnig. Das. letztere
hatte aber ausgeführt, dass der Schwachsinn nicht so hochgradig sei, „dass der K. des
Unterscheidungsvermögens zwischen Becht und Unrecht ermangelt und zur Zdt dn
Strafthat in einem Zastande von B^wusstlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistes-
— 669 -
thätigkeit sieb befunden babe, dnrcb welcben seine freie Willensbestimniung ausge-
scblossen war." Ein solcbes Gutachten wird ebenso wie den Verf. des Berichts jeden
Psychiater in hohem Grade befremden. Die Fähigkeit, Recht vom Unrecht zu unter-
Bcheiden, als ein Kriterium von Zurechnungs- oder Unzurechnungsfähigkeit zu be-
trachten« ist ein Standpunkt, der zum Mindesten als obsolet bezeicbnet werden muss.
Der Kranke wurde zu 10 Jahr Zuchthaus verurtheilt M.
m. Aus den GresellschafteiL
Amerioan Neurologioal Assooiation.
Washington, 18. 19 u. 20. September 1888.
Dr. James J. Futnam (Boston) bespricht das h&ufige Vorkommen von Blei
im Harne gesunder sowohl wie kranker Menschen. Bei 23 darauf untersuchten
Studenten fand er Blei bei dreien, die sonst vollständig gesund waren. F. glaubt,
dass die Anwesenheit von Blei die Grundlage abgebe für manche sogenannte Keurose.
Knapp (Boston) bespricht Bailway Spina, Bailway Braln etc., und ist der
Meinung, dass nicht nur functionelle, neurasthenische und hysterische Zustände auf
diese Weise zu Stande kommen, sondern dass auch oft organische VeräKdeningen aus
Eisenbahnunfällen resultiren, die sich dann als chronische degenerative Processe am
Bückenmarke, als Neuritiden etc. kundgeben.
Seguin weist auf seine Fublication aus dem Jahre 1875 hin bezüglich des
gleichzeitigen Vorkommens von Hysterie und oi^nischen Erkrankungen des Bücken-
markes und des Gehirnes. Baüway Spine, Bailway Brain stellen eine ähnliche Com-
bination vor.
Ott (Easton): Die thermischen Centren des Menschen verlegt der Bedner
in das Corpus striatum und in die Umgebung des Sulcus Bolando. Hierfür werden
klinische und physiologische Beweise herbeigeführt.
Edes erö&et die Discassion über das Verhältniss swischen Erkran-
kungen der Nieren und des Nervensystems. Die hauptsächlichen nervösen
Erscheinungen, die auf chronische Nierenerkrankungen zurückzuführen seien, sind
Muskelzuckungen, Fupillenphänomene, Cephalalgien, Schlaflosigkeit, Stupor, Krämpfe.
Diese sind nicht immer als urämisch zu bezeichnen, sie mögen neurotisch, angio-
neurotisch, angio-hydrämisch, urotoxisch oder uroseptisch sein. Bedner weist beson-
ders auf Fälle von Urämie hin, bei denen die Hamabsonderung eine reichliche war.
Psychosen im Verlaufe von Nierenerkrankungen seien nicht urämischer Natur. Hemi-
plegien in Folge von Nierenerkrankungen seien auf Oedema cerebri zurückzuführen.
Der cum bespricht die Schwierigkeit der Diagnose zwischen den gewöhnlichen
Apoplexien und urämischen Gonvulsionen; verlässt sich auf die subnormalen Tempera-
turen bei Urämie.
Seguin betont, dass Cephalalgien urämischen Ursprunges sehr oft vorkommen
zu einer Zeit, in der Eiweiss noch nicht nachgewiesen werden konnte. Man finde
aber meistens schon vermehrte Arterien^annung und verstärkten Herzstoss. Nieren-
erkrankungen im Verlaufe von Dementia paralyüca habe er häufig bei der Autopsie
nachgewiesen, und er hält dafür, dass die epileptiformen und apoplectiformen Anfälle
der Paralytiker zum Theile ihre Erklärung hierin fanden.
Dana: Die Looalisation der Hautempflndungsoentren in der Binde.
Gestützt auf 137 genau durchsuchter Fälle von Bindenläsionen behauptet D., dass
die motorischen und sensorischen Gentren identisch seien.
Discussion: Mills hält dafür, dass motorische Centren öfters lädirt seien ohne
Anästhesie.
670 -
Starr und Seguin stimmen mit Dana überein. Ersterer weist dimiaf hin,
dasä Heerde im Gjrus Hippocampi von Heerden der Orura cerebri klinisch nicht
leicht zu differenziren seien, da der Gyr. H. auf dem Himschenkel läge.
Seguin betont die wichtigen Schlüsse, die aus der sensorischen Aura bei Binden-
epilepsie zu ziehen wären.
Der cum bespricht einen sehr interessanten Fall einer Dystrophie des sub-
cutanen Bindegewebes der Arme und des Bückens. Der Fall war in mancher
Hinsicht dem Myxödem ähnlich j die typischen Sprach- und Gtohimstörungen des
Myxödems waren nicht vorhanden; die histologischen Veränderungen der Haut hätten
schon auf Myxödem schliessen lassen.
Horsley, der die mikroskopischen Schnitte untersuchte, betrachtete den Fall
als dem Myxödem verwandt, ohne jedoch typisch zu sein.
G. W. Jacoby beschreibt in sehr ausführlicher Weise einen Fall von Poly-
myositis progressiva subacuta. Es wären aus der Litteratnr nur 3 ähnliche
Fälle aufzuweisen. J/s Fall ist als eine progressiv fortschreitende Muskelentzündung
aufzufassen, welche in den Beinen begann, und nach und nach fast alle Muskeln des
Körpers ergriffen hatte. Nach 2V2 Jahren tritt der Tod ein in Folge Ergriffensein
der respiratorischen Muskeln. Mikroskopisch war eine subacute parenchymatöse Myo-
sitis nachzuweisen. Bedner fasst den Process als eine acute primäre Myopathie auf,
die mit den chronischen Formen verwandt sei.
B. Sachs: Ueber progressive Muskelatrophien. Nach einer kritischen
Beleuchtung der ganzen Frage wird zuerst der Type*Duchenne-Aran besprochen,
dessen spinaler Ursprung zweifellos sei» doch glaubt S., dass die progressive Muskel-
atrophie (Duchenne) nur eine klinische Symptomengruppe darsteUe, dass der Process
nur selten auf die Vorderhömer beschränkt bleibt, und dass das Duchenne'sche Krank-
heitsbild nur ein Stadium oder eine Phase des Krankheitsprocesses repräsentire.
Wahrscheinlich verwandt mit dieser spinalen Form sei die sogenannte „peroneale
Form" von Charcot und Tooth, der Eedner das Wort spricht unter Beschreibung
eines einschlägigen typischen Falles. Es werden dann die primären Formen der
Muskelatrophien verhandelt; zu diesen rechnet S. die Pseudohypertrophie, die Erb'sche
juvenile Form, den Typus Landouzy- Dejerine und die hereditären Formen. Was die
Pseudohypertrophie anbetrifft, so stimmt S. mit den neueren Autoren überein, und
nach gründlicher Durchsuchung der neueren und älteren amerikanischen Litteratnr,
dass die Pseudohypertrophie mit Rückenmarkserkrankungen nichts zu thun habe. Die
Pseudohypertrophie sei mit der Erhaschen Form nahe verwandt, aber durchaus nicht
identisch, wie Erb das haben will. Redner meint, dass Erb und Andere viel zu
viel Gewicht auf die topographische Verbreitung von Atrophie und Hypertrophie ge-
legt hätten. Im Anschlüsse hieran werden 2 Fälle von eigenthümlicher Pseudohyper-
trophie besprochen, in denen die Atrophie sich auf die oberen Körpertheile verbreitete,
t)hne jedoch die Erb'sche Form der Verbreitung anzunehmen. In einem Falle von
ausgesprochener Pseudohypertrophie der Ober- und Unterschenkel ging die Atrophie»
auf den r. Serratus und auf die Interossei beider Hände über und dazu kam dann
eine gleichmässige Abmagerung der ganzen oberen Extremitäten.
Die hereditären Formen und Type Landouzy-Dejerine seien nicht als separate
Formen aufzufasseu. Manche hereditäre Formen gehörten zur peronealen Form, und
alle anderen Typen konnten hereditär sein.
Man solle anatomische Verschiedenheiten fallen lassen, dann könnte man als
primäre Myopathien solche Formen bezeichnen, in denen anfangs oder im Verlaufe
der Krankheit eine Hypertrophie vorgelegen habe, die niemals fibrilläre Zucknngen
noch Entartungsreaction aufzuweisen hätten. Diese seien die Cardinalsymptome, durc}:
die man die primären von den spinalen Muskeldystrophien trennen könnte.
(Discussion vor der New York Neurological Society, cf. Bericht derselben.)
- 671
Lloyd und Deaver besprechen einen Fall, von L. diagnostidrt und von D.
operirt. Es handelte sich um eine Bindenepilepsie, die zur Trepanation und Weg-
nahme des motorischen Gentrums führte. Keine An^le seit 3 Monaten.
An der Diacussion betheiligten sich Ferrier und Horsley ans London. Ferner
meint, man soll diese Fälle nicht früher als geheilt betrachten, bis Jahre darüber
verflossen w&ren. Er berichtet mehrere Fälle, in denen die Anfälle durch mehrfache
Operationen nicht geheilt wurden. Er rathet deshalb, recht früh nach geschehenem
Trauma zu operiren.
Horsley stimmt mit Ferrier überein, was die Operationsmethode anbetrifift, so
giebt er an, dass der Lappen mit der Gonvexität nach hinten präparirt werden soll,
er befürwortet auch hypodermatische Einspritzungen von Gocalu, und die Benutzung
eines antiseptischen Sprays während der ganzen Operation.
Dr. G. L. Wal ton (Boston) beschreibt 2 Fälle von Dislooation der Hals-
wirbel, die in Heilung ausgingen.
Aehnliche Fälle werden von Webber und Gray erzählt.
Dr. Blackburn demonstrirte eine neue Methode, um grosse Qehim-
sol^iitte zu erhalten. Das Gehirn oder irgend ein Gehimthei], nach einer der
üblichen Methoden gehärtet, wird gründlich entwässert und dann in eine Lösung von
japanesischem Wachs und Ghloroform gebracht, worin das Präparat 3 Tage verweilen
solL Es 'wird dann auf weitere Tage in geschmolzenem japanesischen Wachs aufbe-
wahrt; das Wachs wird durch ein Wasserbad geschmolzen erhalten. Das Präparat
wird nach Verlauf dieser Zeit entfernt und an der Luft getrocknet
Von Weir Mitchell wurde eine Arbeit verlesen über einen Fall von Aneu-
rysma einer anomalen Arterie, die eine Längstheilnng des Ghiasma opticum
und bitemporale Hemianopsie verursachte. Farbensinn war normal; keine weiteren
Grehimsymptome; Fundus 'bMder Augen normal. Das Aneurysma hatte die Grösse
einer Gitrone und lag in der erodirten Höhlung der Sella turcica.
Petersen (New- York) lieferte eine fleissige Arbeit über myographische Auf-
zeichnungen der verschiedenen Arten von Muskelzuckungen. Die Zuckungen be-
trügen durchschnittlich bei Paralysis agitans 3,7 — 5,8; bei multipler Sklerose 4,6 — 6,3;
bei Morbus Basedowii 8,7—12; bei Tremor hystericus 7,6 — 7,8; bei Tremor alco-
bolicus 8,5 — 11,2; bei Neurasthenie 7,4 und bei Delirium tremens 5,6 — 6,8 per
Secunde; während des Fussklonus fand P. 6 Zuckungen per Secunde.
Dr. £. G. Seguin wurde zum Vorsitzenden der nächstjährigen Versammlung
erwählt. Sachs (New York).
New York Neurologioal Society, 2. Ootober 1888.
Sachs stellt die 3 Patienten vor, deren Geschiebten er in seinem in Washington
verlesenen Aufsatze behandelte.
Fall I. Mädchen 12^2 Jalire alt. Im Alter von 10 Monaten grosser Schreck;
zu 4 Jahren Diphtherie. Im Alter von 6^2 Jahi'en ist die Vergrösserung der Waden
und Oberschenkel den Eltern erst aufgefallen. Als Patientin vor 2 Jahren in die
Beobachtung kam, war nur sehr ausgesprochene Pseudohypertroph ie beider Waden
und Oberschenkel zu constatiren. Nach 1^/^ Jahren konnte S. constatiren, dass die
Pseudohypertrophie im Abnehmen begriffen war und dass sich eine deutliche Atrophie
der Interossei beider Hände und eine sonst gleichmässige Abmagerung beider Ober-
extremitäten eingestellt hatte, so dass die grobe Kraft hier gleich Null war. Von
sonstigen Muskeln waren nur noch die Serrati atrophisch.
Man sieht also, dass wenn zu einer bestehenden typischen Pseudohypertrophie
Atrophie der Oberextremitäten hinzukommt, der Process sich nicht nothwendigerweise
der Erhaschen Form nach verbreitet.
- Ü72 -
Fall II. Knabe 10 J. alt; keine Hereditat. Hypertrophie hauptsächlich (fast
ausschliesslich) in der Muscnlator der Oberschenkel localisirt Es fand sich ausser-
dem nur Atrophie des rechten Serratus; fernerhin hatte auch das Gesicht einen sehr
verdächtigen Ausdruck, dem type Landouzy -Dejerine (facies myopathique) ähnlich.
Wirkliche Paresen der Musculatur waren nicht aufzuweisen.
Fall III. Mädchen, Russin, 12 Jahre alt, hat zu verschiedenen Zeiten Masern,
Blattern, Scharlach und Typhus durchgemacht; ist trotzdem kräftig aussehendes
Mädchen. Es stellte sich vor circa 8 Monaten eine sich sehr langsam verbreitende
Lähmung der rechten unteren Extremität ein, die evident im Extensor hallucis longus
ihren Anfang genommen und von dort aus auf die ganze untere Extremität inclusive
den Qlutaeis sich verbreitet hat.
Anfangs und im ganzen Verlaufe weder Fieber, Krämpfe noch Schmerzen, Enie-
pbänomeu rechts verschwunden, linkerseits etwas erhöht; kein Fussklonus. Fibrilläre
Zuckungen sind hier und da constatirt worden. Elektrische Beaction normal bis auf
den Tibialis anticus und Extensor hall, long., die rechterseits faradisch nicht erregbar
sind und deren galvanische Erregbarkeit stark herabgesetzt ist, mit Annäherung der
ASZ an die KSZ. Der Fall wird als peroneale Form der progressiven Muskelatrophie
diagnosticirt.
S. wiederholt in Kurzem die in Washington vertheidigten Ansichten bezüglich
der Muskeldystrophien.
Birdsall stimmt mit S. in der Beurtheilung des letzten Falles vollkommen
überein, glaubt aber, dass man nicht immer eine scharfe Trennungslinie ziehen könnte
zwischen den myopathischen und myelopathischra Dystrophien; ist auch bereit, wie S.
es gethan, die Aufstellung von Typen auf topographischer Verbreitung von Atrophie
und Hypertrophie beruhend fallen zu lassen.
Dana berichtet über einen typischen Fall von Pseudohypertrophie, in dem e8
zu ausgesprochener Hypertrophie der Vorderarme kam. Dana will doch einen Unter-
schied ziehen zwischen der typischen progressiven Muskelatrophie und der Poliomye-
litis anterior chronica; letztere hätte einen retrogressiven oder stationären Charakter.
Gray bespricht die Resultate der Behandlung in Fällen von progressiver Muskel-
atrophie und fasst sie im Ganzen als verhältnissmässig günstige auf; die primären Myo-
pathien seien der Behandlung durch Elektricität, Massage etc. viel zugänglicher als
die spinalen Formen.
Dr. M. D. Field: Ueber Othaematoms. Nach Besprechung der verschiedenen
Ansichten, die hierüber herrschen, machte F. eine sehr interessante Vorstellung zum
Beweise dafür, dass das Othaematoma rein traumatischen Ursprungs sein könnte. Er
präsentirte nämlich eine ganze Anzahl von Faustkämpfern (Pugilists), deren linke
Ohren (weil sie stets von der rechten Faust des Gegners getroffen werden) verschie-
dene Stadien des Othaematoma vorstellten. Unter diesen Kämpfern sei dies so häufig,
dass einer der 6 „Kämpfer'', der nicht an dem Abend kommen konnte, einen Stell-
vertreter in die Versammlung sandte. Das Othaematoma komme nicht häufig bei
denjenigen vor, die nur gelegentlich kämpfen, sondern bei denen, die fast allnächtlich
an solchen Kämpfen (mit gepolsterten Handschuhen) sich betheiligen — also chro-
nisches Trauma. Sachs (New York).
IV. Personalien.
Unser verehrter Mitarbeiter Herr Prof. Dr. Hitzig wurde zum Geheimen Me-
dicinahrath ernannt.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prot Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20.
Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobr & Wittio in Leipzig.
Neurologisches Centralblatt.
Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten.
Herausgegeben von
Professor Dr. E. Mendel
Siebenter " ß«'"° Jahry^ang.
Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 20 Mark. Zu beziehen durch
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie
direct von der Yeriagsbuchhandlung.
1888. 15. December. N^ 24.
I. Referate. Anatomie. 1. Ueber den Klangstab nebst Bemerkungen fiber den Acusticus-
ui Sprung, von Nussbaum. — Experimentelle Physiologie. 2. Uebcr das Verhältniss
zwischen der einseit'gen Wahrnehmung dos Diapason-Vcrtex, den functionellen Zuständen
und der elektrischen Erregbarkeit des Acusticus, von Gradenigo. — Pathologische Ana-
tomie. 3. Un cas de fibrome de la dure-märe spinale, par Francotte. — Pathologie des
Nervensystems. 4. Ueber die Entstehung von Entbindungslähmungen, von F. Schultze.
5. Unique case of bilateral athetosis, by Hughes. 6. Two cases of neculiar movements of
children, by White. 7. Uober Abscheidung neuer Formen nervöser Magenkrankheiten, von
JDrgensen. 8. Ueber die Neurosen des Magens, von Glax. 9. Ueber mechanische und elek-
trische Erregbarkeit der Nerven und Muskeln bei Tetanie, von v. Frankl-Hochwart. 10. Ein
Fall von Tetanie nach Scharlach, von Schotten. 11. Zur Casuistik des Morb^is Basedowii,
von Levin. 12. A case of epilepsy with exophthalmic goitre, neurotic history, by Oliver.
13. Elektrische Mnskelreactionen bei der Thomsen'schen Krankheit, von BlumMiau. 14. Note
sur un cas de maladie de Basedow. Amelioration remarquable des ph^nomenes de la serie
goitre exophthalmique sous l'influence d'ane grossesse, par Souza-Leite. 15. Zur Symptoma-
tologie und Pathofi^enese des Morbus Basedowii, von Huber. 16. AUochirie bei multipler
Him-BBckenmarkssklerose, von Huber. 17. Un cas de paralysie gän^rale spinale ant^rieure
Bubaigae suivi d'autopsie, par Pitres et Valllard. — rsychiatrie. 18. Ueber Intentions-
psychosen, von Meyer. 19. Delirium grave, by Spitzln« 20. Des anomalies des organes g4ni-
tanx chez les idiots et les äpileptiques, par Bourneville et Sollier. — Therapie. 21. Paralde-
hyde, by Keniston. — Anstaltswesen. 22. Bericht über die Verwaltung der Provinzial-
Irren-Heil- und Pflege-Anstalt zu Schwetz, von Grünau. 23. Ueber Wachtabtheilungen in
Irrenanstalten, von Scholz.
11. Aus den Gosellichaften.
Hl. Bibliographie.
iV. Zuschrift an die Redaction.
V. Register.
I. Referate.
Anatomie.
1) Ueber den Klangstab nebst Bemerkungen über den Aoosticusursprung«
von Dr. Julius Nussbaum, Secandararzt am k. k. Wiener allgem. Krankenhanse.
(Med. JahrbCicher. Neue Folge. Jahrg. 1888.)
Von den Striae acusticae hebt sich oft ein Faserzag durch seine stark cerebrale
Richtung ab. Bergmann machte zuerst auf ihn aufmerksam und nannte ihn Klang-
stab, Conductor sonorus. Später hat ihn Stilling genauer beschrieben und zwar
89
— 674 —
als hintere, inconstaute Wurzel des nnteren Trigeminus. — Verf. fand als Bestand-
theile des Klangstabes Längsfasem der Haube, Striae medulläres, die durch den dor-
salsten Tbeil der Raphe zum Boden des 4. Ventrikels der anderen Seite gelangen,
Fasern, die parallel der Eaphe auf derselben oder der gekreuzten Seite dorsalwärts
aufsteigen. Die Fasern unterscheiden sich mikroskopisch nicht von denen der Striae
acustic. und umfassen in ihrem Verlaufe eine rundliche GanglienzeUengmppe. Sie
wurden theils bis zum Boden der Bauten^ube, theils bis zum Loc. coemleus ver-
folgt. Die Frage, ob der Klangstab überhaupt zum Qebiete des Acustic. zu rechnen
sei, konnte Verf. nicht entscheiden.
In der Verlängerung der inneren Grenze der Corpora restiformia, (legend des
Deiters*schen Kernes, tritt im Bodengrau durch seine dorsale, isolirte Lage ein Bftndel
quer getroffener Fasern hervor, dem medial grosse Zellen anliegen. Es wächst cere-
bralwärts, rasch, ohne dass ein Zuzug sichtbar ist. N. zählt es wegen seines Ent-
stehens und Verlaufes der aufsteigenden VIII. Wurzel zu. Das Bflndel biegt dann
nach aussen in die laterale Vni. Wurzel um. Somit wäre eine Verbindung der
lateralen und aufsteigenden Acusticuswurzel hergestellt. P. Kronthal.
Experimentelle Physiologie.
2) Ueber das Verhältniss zwischen der einseitigen Wahrnehmung des
Diapason- Vertex, den functionellen Zuständen und der elektrisohen
Erregbarkeit des Aoustious, von Dr. Giuseppe Gradenigo, Docent fflr
Ohrenheilkunde a. d. Universität zu Padua. (Arch. f. Ohrenheilkunde. XVII.)
Verf. hat durch eine genaue elektrische Untersuchung, die allen Fordemngen
der Neuzeit entspricht, die Beaction für den Acusticus in solchen Fällen ermittelt,
in welchem auf einer Seite die Stimmgabelwahmehmung erhöht war — nach Stein-
brügge sollte diese Erscheinung durch Erregbarkeitssteigerung des Gtohörsnerven
veranlasst sein — und dann auch zur Gontrole in andern, bei welchen sich normale
Verhältnisse zeigten. Verf. fand, dass das Verhältniss der oben genannten Erschei-
nungen kein constantes ist, dass vielmehr vielfache Combinationen zwischen plus und
minus der einen oder der andern derselben sich geltend machen. Deshalb bedeutet
eine Steigerung der elektrischen Erregbarkeit des Acusticus nicht noth wendiger-
weise eine functionelle Steigerung desselben.
Auf viele recht interessante Einzelheiten kann hier leider nicht eingegangen
werden. Sperling.
Pathologische Anatomie.
3) Un oas de fibrome de la dure-m^re spinale, par le Dr. Xavier Fran-
cotte, charg^ de cours ä Fnniversit^ de Li^ge. (Extnüt des Annales de la soci^t^
mödico-chirurgicale de Li^ge. 1888.)
Patientin erkrankte unter den Erscheinungen einer Compressionsmyelitis und
ging an Decubitus zu Qrunde, nicht ohne dass vorher noch hypnotische Versuche
gemacht wurden. Die Section ergab zwischen dem 3. und 4. Dorsalnerven, rechts,
vom, von der Dura ausgehend einen Tumor, der die Mittellinie nicht überschritt
Auf dem Durchschnitt war er hellgrau, massig hart und erwies sich als Fibrom.
Nach Härtung zeigte das Bückenmark aufsteigende Degeneration der GolPschen Stränge,
der Eleinhimseitenstrangbahnen, der Gowers*schen Bündel, absteigende Degeneration
der gekreuzten Pyramidenbahnen. Die Ganglienzellen der Vorderhömer sind atrophisch,
ihre Fortsätze vom fixirt, das Protoplasma zeigt Zeichen von Degeneration mit) Pig-
mentanhäufung. Ein Theil der Zellen hat keine Kerne. In der Höhe des Tumors:
— 675 —
difihiBe Sklerose der weissen Substanz, reichliche Kern- und GefSsswachemngi Blut-
extravasale; die Gkinglienzellen vermindert an Zahl, atrophisch, degenerirt. In der der
Mitte des Tumors entsprechenden Gegend ist die Structur des Markes nicht mehr
zu erkennen. P. Eronthal.
Pathologie des Nervensystems.
4) Ueber die Entstehung von Entbindungslähmungen, Notiz von Prof. Dr.
F. Schnitze in Dorpat. (Arch. f. Gynäkologie. 1888. XXXII. H. 3.)
Verf. macht auf einen Fall aufmerksam, bei welchem bei der Geburt eine Erhasche
Lähmung vrahrscheinlich dadurch entstanden ist, dass bei Extraction der Schulter in
Steisslage mit nach rückwärts gerichtetem Oberarm die Clavicula gegen die seitliche
Halsgegend, den Plexus brachialis und im Besondem gegen den Erhaschen Punkt ge-
drückt hat Diese Lähmung besteht bei dem 2jährigen Mädchen noch — und zwar
noch immer mit EaB.
Verf. macht darauf aufmerksam, dass schon ein längeres Yerweüen der Schulter
in der angedeuteten ungünstigen Lage üble Folgen nach sich ziehen kann.
Der Prager Handgriff (mit Zeige- und Mittelfinger von hinten über den Nacken
nach der seitlichen und vorderen Halsgegend zur Extraction des nachfolgenden Kopfes),
welcher von Erb als diese Lähmung bewirkend angeschuldigt wird, ist hier nicht
angewandt worden. Sperling.
6) Uniqne oase of bilateral athetosis, by Dr. G. H. Hughes. (The Alienist
and Neurologist. 1887. VIII. p. 388.)
Ein 11 jähriger Knabe hatte in Folge eines Eisenbahnunglückes eine schwere
Himerschütterung mit allerdings nur kurzer Bewnsstlosigkeit, zwei Bippenfracturen
und eine heftige Contusion der Lendengogend davongetragen; für einige Wochen
blieb Parese beider Unterextremitäten und des linken Armes zurück. Ein Jahr
später Contractur des linken Armes und eine Erschwerung der Bewegungen des
rechten Armes, die aber beide allmählich wieder schwanden. Erst nach weiteren
4 Jahren stellten sich unregelmässige Zuckungen in den Fingern und in den Streckern
und Beugern der Arme ein, die dann bald in beiderseitige ausgesprochene Athetose
übergingen. Durch die Behandlung des Verf. wurde im 9. Jahre eine wesentliche
Besserung erzielt. Bemerkenswerth ist das beiderseitige Auftreten der Athetose, das
Fehlen vorausgegangener Epilepsie oder Apoplexie, die sehr protrahirte Entwicklung
auf Grund einer Himerschütterung und der endlich noch günstige Verlauf des Leidens.
Zwei Holzschnitte stellen den Patienten im Zustande der stärksten Extension der
Finger und Arme dar und lassen die Hypertrophie der betheiligten Muskeln erkennen.
Sommer.
6) Two oases of pdculiar movements of ohildren, by Haie White. (Brain.
1887. Juli.)
Im ersten Falle bestanden von Geburt an bei dem jetzt 14jährigen Patienten
unwillkürliche Bewegungen der rechten Seite, im Gesicht und an den Extremitäten,
die nach der Beschreibung am meisten choreatischen gleichen. Die linke Seite war
fast gar nicht betheiligt. Paresen oder Gontracturen bestanden nicht, wohl aber
beiderseitiger, allerdings nicht constanter Achillesclonus. Die Intelligenz war intact.
Im zweiten Falle bestanden neben Krämpfen, Gontracturen und Schwäche des
rechten Armes, Bigidität des rechten Beines mit Pes-equinus-Stellung im Liegen und
aufgehobenen Patellarreflexen, Parese des rechten unteren Facialis und des linken
89*
— 676
Levator palpebrae, und Behinderung der Sprache. In diesem Falle war die Krank-
heit erst im 9. Jahre deutlich in die Erscheinung getreten.
Ueber die anatomische Ursache dieser Erscheinungen will sich Verf. nicht aus-
sprechen, sondern erst etwaige Autopsien abwarten. (Die Krankheit erinnert ihren
Symptomen nach wohl am meisten an die als posthemiplegische Hemichorea und
Athetose beschriebenen KrankheitBbilder: ätiologisch würde sie wohl in das Gebiet
der cerebralen Kinderlähmung fallen, deren anatomische Ursache ja jedenfalls eine
sehr verschiedene nach Art und Localisation sein kann. Ref.) Bruns.
7) Ueber Absoheidung neuer Formen nervöser Magenkrankheiten, von
Dr. Christ. Jürgensen in Kopenhagen. (D. Arch. f. kl. Med. XLIII. 1888. H. 1.)
Verf. zeigt an der Hand der einschlägigen Litteratur, wie man in neuerer Zeit
bemüht gewesen ist, aus der grossen Gruppe der „nervösen Magenkrankheiten" ge-
wisse Kategorien auszuscheiden und als selbständige Formen hinzustellen. — So
nimmt Riegel an, dass bestimmte pathologische Magensymptome entstehen können,
je nachdem die sensible oder die motorische oder die secretorische Mageninnervation
erkrankt ist.
Bossbach beschrieb unter „nervöser Gastroxynsis" eine Magenaffection, welche
als eine auf nervösem Wege zu Stande kommende Störung aufzufassen ist.
Verf. theilt nun folgenden, dieser letzteren Form ähnlichen Fall mit:
Patient hatte einen Typhus durchgemacht, und seitdem Jahre lang an „schwachem
Magen'' gelitten. In letzterer Zeit traten aller 3 Wochen, früher aller 2 Wochen,
heftige Anfälle ein. Beim Erwachen am Morgen Kopfdruck, Uebligkeit, Gefühl von
Säure im Magen; nach der Morgenmahlzeit, die mit Appetit eingenommen wurde,
jede Esslust verschwunden. Gleichzeitig starker Kopfschmerz, anfangs den ganzen
Kopf, später nur eine Seite einnehmend, Lichtscheu, Augenschmerzen; Nachmittags
3 — 4maliges Erbrechen saurer Massen; Abends 8 Uhr Anfall vorüber. — Wohl-
befinden.
Mildere 2 — 4tägige AnföUe waren nicht von Himsymptomen (Kopfschmerz etc.)
begleitet.
Veranlasst wurden die Anfalle meistens durch stärkere Gemüthsbewegungen,
durch welche sie jedoch auch unterbrochen und abgekürzt wurden.
In den Zwischenzeiten litt P. bei vorsichtiger Diät nur an geringen dyspep tischen
Erscheinungen. Im Uebrigen ist P. nervös reizbar.
Die Untersuchung des erbrochenen Mageninhaltes ergab:
1. Portion (2 Stunden nach der Mahlaeit): gleichmässig breiig, braungelb.
Acidität = 79 ccm 7io Normalnatron auf 100 ccm Magenfiltrat.
Mit Methylviolett: Deutliches Blau violett.
Mit Eisenchloridcarbol: Entfärbung.
2. Portion zeigt 70 Aciditätsgrade.
Mit Methylviolett: Reines Blau.
Mit Eisenchloridcarbol: Vollständige Entfärbung.
Der Zustand des Patienten besserte sich wesentlich im Verlaufe einiger Monate
durch hydrotherapeutische Behandlung und Regelung der Diät.
Verfasser nimmt an, dass es sich im vorliegenden Falle um ein nervöses
Magenleiden handelt und dass dasselbe am meisten der Form von nervöser Dys-
pepsie ähnlich sei, welche von Bossbach als „nervöse Gastroxynsis", als eine
„Secretionsneurose des Magens" beschrieben wurde. P. Seifert (Dresden).
8) Ueber die Netirosen des Magens, von Prof. Jul. Glax. (Klinische Zeit-
und Streitfragen. Bd. I. Heft 6.)
— 677 —
In klarer, übersichtlicher Darätellung, unter Berücksichtiggsng der Bedürfnisse
des Praktikers, behandelt Verf. aaf etwa 30 Seiten sein Thema. Er beginnt mit
einer allgemeinen Besprechung der nervösen Dyspepsie, „weil wir in der That beinahe
nar combinirte Gastroneurosen beobachten'', geht dann aber auf die von Oser
and Rosenthal angenommene Eintheilung in Motilitäts- (I.), Sensibilitäts-
(II.) und Secretionsneurosen (III.) ein, in anerkennenswerther Weise dabei nach
Möglichkeit Wiederholungen vermeldend.
Unter I. werden als Hyperkinesen die peristaltische Unruhe des Magens, der
Ructus und der Vomitns nervosus abgehandelt, und der gastrische Krampf, letzterer
als Krampf des Pylorus, als Krampf der Gardia und als mediane Einschürung
unterschieden. — Aus ier Fülle practischer Bemerkungen sei hier nur hervorgehoben,
dass nach G. Kranke mit Ulcus ventriculi warme Mineralwasser ausserordentlich gut
vertragen, nicht danach erbrechen, während bei Patienten mit Reflexvomitus das
warme Wasser meistens sofort erbrochen wird. — Als Hypokinesen bespricht Verf.
die Atonie des Magens; dann die Insufficenz der Cardia und die des Pylorus, wobei
er dort die Buminatio humana erwähnt, hier auf Ebstein*8 und Oser 's bezügliche
Arbeiten besonders eingeht. Bei dem schwierigen Kapitel der Cardialgie theilt G.
diese in eine centrale und reflectorische Form und bespricht ausführlich die Gastral-
gie der Hysterischen und Neurasthenischen, die reflectorische Cardialgie (bei Uterus-,
Leber-, Nieren-, Darmleiden u. s. w.), die Cardialgie der Anämischen und Chloro-
tischen, endlich die intermittirende Malaria-Cardialgie. — Die Anomalien des Hui^er-
gefühls auf nervöser Grundlage — Anorexie, Hyperorexie und Bulimie resp. Poly-
phagie, Parorexie — und die Secretionsauuinalien (III.), die nervöse Gastroxynsis,
und als Gegensatz dazu die Saore-Insufficienz des Magens bilden den Schluss der
lesenswerthen Abhandlung. . Hadlich.
9) Ueber meohanisohe imd elektrische Erregbarkeit der Nerven tind
Muskeln bei Tetanie, von Dr. Loth. v. Frankl- Hochwart in Wien. (Deutsch.
Archiv f. kl. Med. B. XLIII. H. 1.)
Um über die anormalen Erregbarkeitsverhältnisse der Nerven und Muskeln bei
Tetanie ein Urtheil zu gewinnen, stellte Verfasser zuerst eine lange Beihe elektrischer
Untersuchungen an normalen Individuen an. In Bezug auf die Methode der Unter-
suchung schloss er sich hauptsächlich derjenigen Gärtners an. Verf. prüfte an
seinem eignen Nerv, ulnaris, welchen Erregbarkeitsschwankungen ein und derselbe
Nerv im Verlaufe einer längeren Beobachtungszeit (33 Tage) unterworfen ist und
fand bei galvanischer Reizung Schwankungen von 1 MA. und bei faradischer Beizung
Differenzen von 14 mm.
Auffallender Weise waren diese Schwankungen für beide Stromesarten nicht
immer gleichmässig parallel laufende, sondern differirten unter einander.
Sodann wurde an 53 Personen, von denen 19 ganz gesund und 34 an nicht
nervösen Krankheiten litten, die elektrische Reizbarkeit untersucht und zwar an
folgenden Nerven und Muskeln: Nn. facialis, medianus, ulnaris, radialis, peroneus,
den Mm. frontalis, flexor digitor. sublimis, extensor digitor. commun., biceps und
tibialis anticus.
Ein Vergleich dieser 10 gefundenen Normalwerthe mit denjenigen an 19 Tetanie-
kranken constatirten ergab folgendes Resultat:
1. Die galvanische Erhöhung der Nervenerregbarkeit ist ein fast constantes
Merkmal der Tetanie; doch sind nicht alle Nerven gleichmässig betheiligt.
2. Die Erhöhung erfolgte nur in 12 Fällen für beide Stromesarten gleichzeitig.
48 Mal bestand galv. Erhöhung ohne faradische, 4 Mal faradische ohne gleichzeitig
galvanische.
3. Bei Prüfung der oben bezeichneten Muskeln war die elektrische Reaction
— 678 —
unter 17 Individuen mit erhöhter Nervenerregbarkeit: 3 Mal eine normale, in
14 Fällen ebenfalls gesteigert.
4. Die mechanische Erregbarkeit der Nerven und Muskeln war in den meisten
Fällen von Tetanie ebenfalls deutlich verstärkt.
Am ausgeprägtesten zeigte sich dieses Phänomen — wie gewöhnlich — am
N. facialis (mittlerer und unterer Ast). —
Die mechanische Hyperexacitabüität fand sich jedoch — wie weitere Versuche
ergaben — auch ziemlich oft bei Individuen, die gar nicht an nervösen Zustanden
litten, femer bei einigen Nervenkranken, bei denen eine erhöhte elektrische Reiz-
barkeit der Nerven gänzlich fehlte.
Der Arbeit sind eine Anzahl Yersuchstabellen beigegeben, in welchen die
elektrischen Erregbarkeitsverhältnisse in übersichtlicher Weise zusammengestellt sind.
F. Seifert (Dresden).
10) Ein Fall von Tetanie nach Scharlach, von Dr. Ernst Schotten in Cassel.
(Berl. klin. Woch. 1888. Nr. 14. S. 273.)
Der auf die Extremitäten beschränkte tonische drei Tage dauernde Krampf
trat bei dem 8jährigen Knaben, der seit frfiher Kindheit „an ausgebildeten und rudi-
mentären Krampfanfallen'' gelitten, am 16. Krankheitstage einer mittelschweren Scarla-
tina auf, die sich jedoch durch eine ungemein starke, nässende Haut zurücklassende
Abschuppung auszeichnete, und zwar nachdem am Tage zuvor laue Abwaschungen
des Körpers vorgenommen worden waren.
Das Trousseau'sche Phänomen fehlte.
Die Muskelcontracturen verhielten sich wie es gewöhnlich bei Tetanie der Fall
zu sein pflegt. Auch die anfanglichen Farästhesien waren vorhanden. Angaben
über Sensibilität und Reflexe, desgleichen über elektrisches Verhalten fehlen.
Als ursächlich wird in erster Reihe die Scarlatina, in zweiter eine Erkältung
verantwortlich gemacht. (Sollte man nicht bei der ausgedehnten Uauterkrankung die
Tetanie hier als Reflexneurose auffassen dürfen? Ref.) Sperling.
11) Zur CasulBtik des Morbus BasedowlL Inaugural-Dissertation von Arthur
Lewin. (Berlin, Juli 1888. 30 Seiten.)
Fflr seine Betrachtungen standen dem Verf. 27 Fälle aus der Klinik der Proff.
Eulenburg und Mendel zu Gebote. . Das Yerhältniss der betroffenen Frauen zur
Zahl der Männer betrug 8:1. 2 Erkrankte waren unter 20 Jahren, 7 zwischen
20 und 30, 12 zwischen 30 und 40, 4 zwischen 40 und 50, 2 über 50 Jahraalt.
In 3 Fällen bestand in der Familie eine Disposition zu Nervenkrankheiten. In
2 Fällen trat ein plötzlicher B^inn des Leidens nach Aufregung auf. In 2 Fällen
entwickelte sich die Krankheit im Anschluss an Gravidität. Nie konnte voraufge-
gangene oder bestehende Syphilis constatirt werden. Am constantesten fanden sich
die Herzpalpitationen; deutliche Struma fehlte in 2^ Exophthalmus in 5 Fällen. Die
Pulsfrequenz war bis auf 2 Fälle immer erhöht, 120—150 Schläge. Das Graefe'sche
Symptom fand sich in 15 unter 22 Fällen. Ulcerationsprocesse an der Cornea etc.
waren in keinem Falle vorhanden. Tremor fand sich in 13 Fällen, und machte sich
zuweilen als erstes Symptom geltend. In einem Falle bei einem 9jährigen Knaben
entstand nach heftigem Schreck plötzliches Zittern und stotternde Sprache; ganz all-
mählich entwickelte sich sodann bis zum 17. Jahre dajs volle Bild des Morb. Base-
dowii. — Zweimal fand sich Mydriasis und dreimal Myosis. Einmal war die Myosiz»
mit einseitigem Schwitzen und einseitig besonders ausgebildeter Struma verbunden.
Auch zeigte in diesem Falle die rechte Gesichtshälfte und Hand höhere Temperatur
und erhöhte Schweisssecretion. Halbseitiges Schwitzen bei Morbus Basedowii wnrde
— 679 —
bisher nur zweimal beobachtet (Nitzelnadeli Ghyostek). — Objecüv liess sich
eine Temperatarerhöhung in einem Falle beobachten (d8|8 in der Axilla). In 9 Fällen
fand sich ein anderes vasomotorisches Symptom, das jedoch auch häufig bei gesunden
und anderweitig leidenden Personen vorkommt, Trousseau^s ,,Tache c^r^brale"; auch
Asphyxie locale wurde einmal an den Fingern beobachtet. In 3 Fällen bildete das
Erbrechen eine Hauptklage. Beschleunigte Athmung, Oppressionsgefühl, profuse
Diarrhöen etc. sind nicht beobachtet worden. In einem Falle bestand Polyurie, in
einem andern die Complication mit Diabetes mellitus. Femer wurden einmal braune
Pigmentirungen der Haut, und in einem Falle multiple Herpeseruption und starkes
Hautjucken festgestellt; eine andere Kranke klagte über starken Haarausfall. Kopf-
schmerzen, die in 2 Fällen halbseitig auftraten, Schwindel, Angst, Unruhe, Schlaf-
losigkeit, Gedächtnissschwäche, Yergesslichkeit, Wechsel der Gemüthsstimmung ge-
hörten zu den gewöhnlichen Klagen. In 5 Fällen bestand grosse Schmerzhaftigkeit
der Nacken- und seitlichen Halsgegend. Allgemeine Ernährungsstörungen, Anämie,
Abmagerung waren anch sehr häufig. — Es werden die 3 Cardinalsymptome der
Erkrankung auf eine einheitliche physiologische Störung (Affection des Halssympathicus)
zurückgeführt, und auch die anderen seltener bei Morb. Basedowii zu beobachtenden
Symptome als Lähmungserscheinungen des Sympathicus zu deuten gesucht. — Von
13 bisher zur Section gekommenen Fällen wurden neunmal Veränderungen im Hals-
sympathicus nachgewiesen. Kalischer.
12) A oase of epilepsy with exophthalmio goitre. lifeiirotio history. £y
Oliver. (Brain. 1888. Januar.)
Die an Morbus Basedowii leidende Patientin hatte bis zur Pubertätszeit nur
Anfälle von petit mal gehabt; später bildeten sich klassische epileptische Anfalle aus.
Der Vater ist ebenfalls epileptisch; ein Bruder hat wahrscheinlich einen Hirntumor.
Bruns.
13) lieber die eleotrischen Muskelreaotionen bei der Thomsen'sohen
Krankheit, voii L. Blumenau. (Mitgetheilt in der Septembersitzung der
St. Petersburger psychiatrischen Gesellschaft. 1888. Russisch.)
Der Patient^ an welchem die Untersuchungen des Verfassers angestellt wurden,
ein 30jähr. Bauer, ist ein typischer Repräsentant der Thomsen*schen Krankheit.
Bei allen willkürlichen Bewegungen, mit Ausnahme der Mimik und Sprache, ist die
Erschlaffung der Muskeln nach den ersten Gontractionen erschwert und verlangsamt.
Bei Wiederholung der Bewegungen, auch unter dem Einfiuss von Wärme oder ge-
ringen Alkoholdosen verschwindet die Störung, oder sie nimmt bemerkbar ab. Patient
leidet daran seit seiner Kindheit; auch einer seiner Brüder soll davon befallen ge-
wesen sein. Trotz athletischen Körperbaues ist seine Muskelkraft nicht gross.
Seitens der Sensibilität, Reflexe und psychischen Sphäre lässt sich nichts Abnormes
Gonstatiren.
Die mechanische Erregbarkeit der Muskeln ist in hohem Grade gesteigert:
Beklopfen derselben mit dem Percussionshammer bewirkt lang anhaltende Contraction;
Beklopfen der motorischen Nervenstämme dagegen bleibt ohne Erfolg. Ebenso ist
auch die faradische, besonders aber die galvanische Erregbarkeit der Muskeln erhöht,
während diejenige der Nervenstämme unverändert erscheint. Verf. untersuchte die
elektrischen Muskelreactionen an seinem Patienten vermittelst der graphischen
Methode and gelangte hierbei zu folgenden Ergebnissen:
Die Zuckungsformel der Muskeln bei galvanischer Reizung war im Allgemeinen
erhalten, indem bei schwachen Strömen zuerst KaSZ, dann bei Steigerung der
Stromsiärke AnSZ, AnOZ und schliesslich KaOZ eintrat. Doch war eine Abweichung
in der Hinsicht zu constatiren, dass KaSTe bereits \m solcher Stromstärke sich
— 680 —
einstellte, bei welcher noch nicht KaOZ ausgelöst wurde. Die ZackungacoiTeo
wiesen sogar bei schwachen Strömen (KaS) eine beträchtliche VerlängeruDg im Ver-
gleich zur Norm auf, und auch die Latenzpenode der Zuckung war yergröesert —
sie betrug 0,025 bis 0,030" anstatt der normalen 0,010". Zuweilen kamen an der
Curve einige secnndäre Zuckungswellen vor. Die Jjatenzperiode war anch an den-
jenigen Zuckungen yergrössert (0,025 — 0,030'') > welche durch einzelne Oeffiiongs-
schläge des Inductionsstroms ausgelöst wurden, während die Zucknngscunren selbst
in diesem Fall normal erschienen; gewöhnlich waren sie im Anfang der Untersnchung
(nach längerer Buhe des Muskels) etwas mehr ausgezogen, als später, bei nach-
folgender Wiederholung der Reizung. Falls letztere durch eine Reihe von Inductions-
schlagen ausgeführt wurde, so stellte sich die Curve nicht in Gestalt der üblichen
Tetanusform dar, sondern sie erschien als unregelmässige wellenförmige Linie.
P. Rosenbach.
14) Note aar un oaa de maladie de Basedow. — Amölioration remarquable
des phänomönes de la sörie goitre exophthalmique soua llnfluenoe
d'une grosaesae, par Souza-Leite. (Progr. m6d. 1888. Nr. 35.)
Bei einer 27jährigen Frauensperson, die an der Basedow*8chen Krankheit
litt, konnte etwa 4 Jahre nach Einsetzen der ersten Krankheitserscheinungen eine
sehr ausgesprochene wesentliche Besserung der Herzsymptome, des Zittems nnd eine
Verminderung der Exophthalmie und der strumösen Halsanschwellnng (um ein Drittel)
constatirt werden. Verf. führt diesen überaus günstigen Verlauf in der im Ganzen
selten zu bessernden Krankheit auf den Eintritt einer Schwangwschaft zurück. Die
Person ist im 6. Monate gravid. Gharcot hat schon i. J. 1856, als er noch Piorry^s
Assistent gewesen, auf den heilsamen Einfluss der Schwängerung auf die an Base-
dow'scher Krankheit leidenden Frauen aufmerksam gemacht. L aquer.
16) Zur Symptomatologie und Pathogenese des Morbus Basedowii, von
Dr. Armin Huber, Secundärarzt. (Aus der medic. Klinik zu Zürich.) (Deutsche
medic. Wochenschr. 1888. Nr. 36.)
Ein 20 jähriges Mädchen wurde im Januar 1888 aufgenommen, welches, schon
vorher bleichsüchtig gewesen, 1884 mit Krampfzuständen, Zittern und ganz allmäh-
licher Abmagerung und Schwäche im linken Arme, besonders der Hand, erkrankt
war; im Frühjahr 1887 trat stärkere Schwellung der früher geringen Struma ein,
und im Herbst 1887 Exophthalmus, noch später auch Schwäche und Zittern der
Beine. Bei der Aufnahme wurde ausserdem allgemeine psychische Erregtheit, links-
seitige Hemianästhesie, starke Herzhypertrophie und Tachycardie (112 — 120 Pols-
schlage, bisweilen bis 160) festgestellt Die Atrophie des linken Arms — der auch
kürzer ist, als der rechte — betrifft, ausser dem Deltoideus, besonders die Muskehi
des Vorderarms, des Thenar und Antithenar. An den atrophischen Muskeln des
linken Arms exquisite Entartungsreaction, an einzelnen völliges Erloschensein jeder
Beaction. — Der Tremor der Arme und Beine (von Charcot und Marie zuerst
beschrieben bei Morb. Based.) zeigt ganz die von den französischen Autoren ange-
gebenen Eigenschaften, 8 — 9 Zuckungen in der Secunde.
Was die atrophischen Lähmungen betrifft, so bietet die neuere Litteratnr doch
schon so viel Material, Lähmungen in Form von Mono-, Hemi- und Paraplegien,
Gesichtslähmung, mit oder ohne sensible Störungen (bei Ballet, Silva^ Dreyfas-
Brisac, Potain, Bosenthal, Gardarelli, Du Gazal, Jendrassik), dass Verf.
sich berechtigt hält, dieses Symptom dem Morb. Basedowii zuzuschreiben und auf
eine centrale Ursache (Med. oblong.) zurückzuführen. Das Wesen des Morb. Basedowii
bleibt bei alledem immer noch duiÜLoL Im vorliegenden Falle war noch bemorkens*
— 681 —
werth, dass zeitlich Tremor und Atrophien der Struma und Tachycardie vorangingen.
£b handelte sich also in den Jahren 1884 — 1887 nm eine „forme fruste'' im Sinne
von Charcot und Marie; letzterer diagnosticirt unter Umstanden den Basedow aus
der Tachycardie und dem charakteristischen Tremor, wenn auch Struma und Ex-
ophthalmus fehlen, resp. noch fehlen. Ha dl ich.
16) Alloohirie bei multipler Him-Bückenmarksaklerose, von Dr. Armin
Huber in Zürich. (Münch. med. Woch. 1888. Nr. 34 S. 663 u. N. 35 S. 586.)
Unter dem Namen Allochirie hat Obersteiner (Wiener med. Woch. 1885
Nr. 5) eine merkwürdige Sensibilitätsstörung beschrieben, die darin besteht, dass die
Kranken die Empfindung eines Reizes nicht in die gereizte Extremität, sondern in
die entsprechende der andern Seite verlegen. Er fand dieselbe bei Tabikem und
einmal bei einer Hysterischen. Die Litteratur weist auch noch andere diesbezügliche
Angaben auf, die Verf. alle anführt. Jedoch ist wohl die sogenannte „Gehörsaliochirie"'
bei der jungen Frau (Fall Gelle. Sociöte de Biolog. 14. I. 1888.), welche das „piep-
sende Geräusch" der rechten Carotis auf dem linken Ohre wahrnimmt — „sie hat
augenscheinlich Mittelohraffection, besonders heftig links" — wohl durch nichts an-
deres, als gerade durch diese Mittelohraffection und der damit verbundenen bessern
Knochenleitung, ähnlich wie bei dem Stimmgabelversuch, zu erklären.
In dem vom Verf. genau beobachteten und beschriebenen Falle von multipler
Hini- und Rückenmarkssklerose — auch durch Section erwiesen, wiewohl die totale
graue Entartung im Beginn der Lendenanschwellung und zum Theil der Seitenstränge
ein wenig darüber hinausgeht — findet sich diese Allochirie an den Beinen (jedoch
ist die Erfindung eines neuen Ausdrucks wohl unnöthig) und zwar für Tast- und
manchmal auch für Temperaturempfindung. Diese Erscheinung war vorübergehend.
Eine darüber aufgestellte Theorie rührt von Hammond her und bezieht sich
nur auf einseitige Rückenmarksverletzung.
Weitere Beobachtungen sind abzuwarten, auf die sich eine genügende Erklärung
gründen könnte. Sperling.
17) Un oas de paralysie gänärale spinale antörienre subaigue suivi d'au-
topsie, par Pitres et Yaillard. (Frogr. m^d. 1888. 35.)
Die von Duchenne i. J. 1853 unter dem vorstehenden Namen beschriebene
Spinal- Affection, welche sich aus folgenden Symptomen zusammensetzt: Rapid ein-
tretende Lähmung aller vier Extremitäten, völliges Erlöschen der faradischen Erreg-
barkeit und Massen- Atrophie der Muskeln, Erhaltenbleiben der Sphinkteren-Function,
— Fehlen jeder .sensiblen oder intellectuellen Störung, welche eine heilbare der
der Landry*schen Paralyse ähnliche Krankheit darstellt, ist in Bezug auf ihre Patho-
genie eine noch ziemlich dunkle Krankheit. Etwa 2 — 3 Fälle sind zur Section
gelangt (Verf. berücksichtigt» wie es scheint, nur die französische Litteratur) — und
diese haben nur theilweise die theoretische Annahme Dachenne*8, dass es sich um
eine Erkrankung der vorderen Partien des Bückenmarkes handle, bestätigt. — Lan-
douzy und Dejerine fanden in einem von ihnen i. J. 1882 genau beschriebenen
Falle leichte und diffuse Veränderungen der grauen Vorderhömer, die Nervenwnrzeln
und die peripherischen Nerven unversehrt. — Die Beobachtung der Verff. spricht
für die moderne Auffassung vieler Neurologen, welche die genannte und ähnliche
bisher als spinal verschriene, heilbare Symptomencomplexe in das weite Gebiet der
peripherischen multiplen Neuritis-Formen zu verweisen bestrebt sind.
Ein 43jähriger, bisher gesunder Mann, der in einem Zuaven-Begiment diente,
erkrankte nach einer argen Durchnässung an gastrointestinalen Erscheinungen, die
— 682 -
viele Monate lang dauerten, sich bald besserten, bald verschlimmerten, fieberlos ver-
liefen, schliesslich aber einen hochgradigen allgemeinen Schw&cheznstand herbeiffthrten,
dass die Aufnahme des Fat. in das Hospital du Yal de Grace nöthig wurde. —
Am 29. November 1886 traten die ersten Lähmungserscheinungen, zuerst in beiden
Armen, schon am 5. December auch in den Beinen auf, bis schliesslich fast alle
Muskeln des Körpers von einer schlaffen vollkommenen Lähmung ergriffen waren. —
Die faradische Erregbarkeit war in den betroffenen Muskelgruppen aufgehoben, die
Sensibilität aber, sowie Blase und Mastdarm blieben unversehrt. £nde Januar 1887
war das Volumen aller gelähmten Muskeln besonders an den oberen Extremitäten
erheblich vermindert. — Von März bis Mai desselben Jahres konnte man eine lang-
same Bückkehr der Beweglichkeit in den oberen Extremitäten feststellen. — Am
11. Mai 1887 erlag der Fat. einer Fnenmonie. Die genaue mikroskopische Unter-
suchung des 4 Monate lang in Chromsäure gehärteten Rückenmarks ergab nnr wenig
und dazu geringfügige Veränderungen in demselben. Die grauen Vorderhömer er-
schienen ganz verschont. Dagegen zeigten die peripherischen Nerven sehr bedeutende
degenerative Läsionen in den Nervenfasern, ebensowohl in den sensiblen wie in den
motorischen Nerven.
Epikritisch besprechen die Verff. die in den letzten Jahren oft ventilirte Frage
der primären, von den trophischen Centren der MeduUa abhängigen neuhtischen Ver-
änderungen. L aquer.
Psychiatrie.
18) Ueber IntentionspsychoBen, von L. Meyer. (Arch. f. Fsych. 1888. XX. H. 1.)
M. geht von einem Gesetze aus, welches er in einer Arbeit aus den Charite-
Annalen v. J. 1854 folgendermaassen formulirte: „Ist irgend ein Glied in der Kette
einer bestimmten psychischen Kategorie verändert, so modificiren sich die übrigen
selbst gesunden Glieder später oder früher, der entsprechenden Bichtung gemäss in
ihrer Keaction zur Aussenwelt." Die krankhafte Veränderung des Gemeingefühls
pflegt das erste Glied der Kette zu sein. Später kann der ganze krankhafte Vor-
gang oder Anfall sowohl von einer oft ganz accidentell angeregten Vorstellung oder
Handlungsintention wie von der ursprünglich krankhaften Sensation ausgehen. Ein
Gerichtsschreiber empfindet während der Führung eines Frotokolls einen plötzlichen
Schwindel mit Herzklopfen und Oppressionsgefühl. Bei jedem folgenden Versuch zu
Protokolliren wiederholte sich der Anfall, jedoch nur in Gegenwart Anderer. — Die
krankhaft gesteigerte Aufmerksamkeit (Intentio) auf eine gerade vorhandene Wahr-
nehmung fällt bei den Anfallen zumeist auf und hat neben einer gewissen Analogie
zum Intentionstremor M. zur Wahl des betreffenden Namens veranlasst. Auch viele
Fälle von Höhenschwindel und Flatzangst gehören hierher. Bei einem Kranken
knüpfte die Flatzangst besonders an gepflasterte Flätze und Strassen an, seitdem
derselbe einmal auf einem gepflasterten Alpensaumpfad ausgeglitten war, den Fuss
verstaucht und danach einen eigenthümlichen Drang hinzufallen empfanden hatte.
Auch manche impulsive Handlungen haben eme ähnliche Genese; so knüpfte die
Zwangsvorstellung die eigenen Kinder ermorden zu müssen in mehreren Fällen an
den gleichzeitigen Anblick eines Brodmessers und der Kinder an.
Auch bei Idioten ist zuweilen das Accidens festzustellen, welches bestimmend
auf die Bichtung der Erregungsanfalle gewirkt hat. So wurde bei einem 12jährigeD
Knaben, der in seinen Anfällen alles in seinem Bereich befindliche Qeschhrr zer-
trümmerte, festgestellt, dass vor dem ersten Anfall dieser Art der anfwartenden
Dienstmagd gerade eine Schüssel gefallen und zerbrochen war, so dass der Knabe
heftig zusammenschrak. Namentlich sind auch sexuelle Erregungsakte in ihrem ersten
Auftreten öfter an eine „Intention" gebunden. So bemerkt z. B. ein sonst peinlich
— 683 —
decenter Mensch, eben im Begriff auf einem Spas^iergang zu urinieren, Kinder in der
Nähe, welche seine Geschlechtstheile gesehen haben mflssten. Statt sich abzuwenden
fühlt er sich wie getrieben den Penis in der Hand auf die Kinder loszugehen. Seit-
dem trat anfallsweise die Neigung zur Entblössung der Genitalien immer wieder auf.
Auch den Fall eines Kranken, der in einem Anfall von Herzklopfen, Beklemmung
und Schwindel zuerst einmal eine Frauenunterhose wegnahm und seitdem stets von
Zeit zu Zeit Kleidungsstücke von Dienstmägden stahl, rechnet M. hierher.
Selbstverständlich will M. die Bezeichnung „Intentionspsychose" nur dann an-
wenden, wenn jene perversen psychischen Yoi^änge nicht als Symptom einer ander-
weitigen Psychose, namentlich der Paranoia auftreten. Zum Schlüsse macht er auf
die Analogie mit den normalen affectartigen Erregungen und mit ShockanföUen im
übrigen Nervengebiet aufmerksam. Th. Ziehen.
(In einem Nachtrag — S. 304 — berichtet Verf. über zwei weitere hierher ge-
hörige Fälle, welche sich bei Locomotivführem nach Schädeltraumen entwickelten. Bef.)
19) Delirium grave, by E. C. Spitzka. (Journal of the American Medical Asso«
ciation. 1887. 13. Aug.)
In einer Vorlesung über den Symptomencomplex, den man in Deutschland mit
dem Namen Delirium acutum zu bezeichnen pflegt, giebt Verf. einige statistische und
pathologische Daten, die hier mitgetheilt werden mögen.
Was hereditäre Veranlagung betrifft, so fand sich eine solche unter 30 Fällen
(5 M. u. 25 W.) überhaupt und unter 24 Fällen (4 M. u. 20 W.) mit genügender
Anamnese 16mal (2 M. u. 14 W.). In 3 Fällen hatte früher eine gewisse Geistes-
schwäche bestanden, in 7 Fällen war bereits früher einmal eine Geistesstörung be-
obachtet worden, 2mal bestand Trunksucht. Eine direct den Ausbruch des Deliriums
veranlassende Ursache war unter 18 anamnestisch bekannten Fällen ISmal angegeben,
meistens als Schreck oder kummervolle Gemüthserschütterung; 3mal wurde Insolation
und nur je einmal Ueberarbeitung und Trinkexcess beschuldigt. Auffallig häufig vor
dem definitiven Ausbruch ein schweres Krankheitsgefühl oder die geheimnissvolle
Empfindung, als drohe ein schweres (Ji^lück, öfters schon wochenlang vorausgegangen;
fast immer war über Verdauungsbeschwerden, oft über Schlaflosigkeit, Arbeitsunfähig-
keit und Gedankenverwirrung geklagt worden. 18 von 27 Fällen standen im Alter
von 26 — 37 Jahren; das jüngste Individuum war 18 und das älteste 50 Jahre alt.
Der Verlauf der Krankheit scheint etwas langsamer vor sich zu gehen, als man nach
früheren Angaben anzunehmen geneigt ist: in 12 genau beobachteten Fällen betrug
die Dauer 15 Tage (19 in max. und 6 in minimo). Der Ausgang war fast regel-
mässig der Tod.
Im Uebrigen glaubt Verf. das Delirium acutum als eine „Selbstrergiftung'' dem
Goma diabeticum an die Seite stellen zn können. Ob sich ein Ptomaln oder irgend
ein anderer toxischer Körper in Folge der vorausgegangenen mangelhaften oder ab-
normen Ernährung bildet, wagt er nicht zu entscheiden; die objectiyen Veränderungen
im Centralnervensystem betrachtet er als secundär und ihre verschiedene Ausbildung
daher als abhängig von der Dauer der Krankheit. Sommer.
20) Des anomaliea des organes gönitauz ohez les idiots et les äpileptiques,
par Bourneville et Sollier. (Progr. m^d. 1888. Nr. 7.)
Die Beobachtungen, welche sich auf die Anomalien im Bereiche der Urogenital-
Apparate erstrecken, sind an 728 Individuen, theils Idioten, theils Epileptischen in
der Anstalt Bic^tre angestellt worden. Die in Betracht kommenden Abnormitäten
waren die Fhimosis, die Hypospadie, die Varicocele, Entwickelungsmängel oder Atrophie
eines oder beider Hoden, die Hernien und Missstaltungen des Gliedes im Allgemeinen,
— 684 —
unter denen besonders die unverhältnissmässig grosse Entwickelung der Glans (Keulen-
und Elöpfelform des Penis) sehr häufig angetrofifen wird. — Ein ausführliches und
sorgfaltig geordnetes Tableau veranschaulicht die Details dieser statistischen Zusammen-
stellung: Es geht aus derselben hervor, dass von 728 Patienten 262 jene Störungen
entweder isolirt oder gepaart mit andern körperlichen Abnormitäten darbieten. —
Das ist eine ungeheuer grosse Zahl, wenn man sie mit Statistiken bei Gesunden
vergleicht. — Diejenigen Epileptiker, welche ihre Krankheit erst in einem gewissen
Alter, also nicht in dcfn ersten Lebensjahren acquirirt haben, zeigen die genannten
Anomalien weit seltener, als die einfachen Idioten. — Ihre Zeugungsfahigkeit scheint
seltener vermindert zu sein, als die der Idioten. Die physische und intellectuelle
Entartung, welche eine Folge der Epilepsie ist, scheint die Entwickelung der Yari-
cocele zu begünstigen, da letztere fast gar nicht bei Idioten ohne Epilepsie ange-
troffen wird. — Auch die von den ersten Lebensmonaten an bestehende Idiotie hat
grösseren Nachtheil auf die körperliche Entwickelung des Individuums, als diejenige,
welche in den Pubertätsjahren und später auftritt. Dies bezieht sich auch auf die
Entwickelung der, Genitalien. — Die ganze ziemlich ausführliche Betrachtang, auf
deren Details wir uns hier nicht einlassen können, erscheint den Yerff. ganz be-
sonders wichtig und der Nachprüfung werth von dem Gesichtspunkte aus, in wie
weit die geschilderten Abnormitäten der Sexualorgane die Potenz der betr. Individuen
nachtheilig beeinflussen. — Wenn das der Fall wäre, würde natürlich die Fort-
pflanzung derselben seltener und damit auch die Häufigkeit der hereditären Formen
der Idiotie und Epilepsie verringert werden. Laquer.
Therapie.
21) Faraldehyde, by J. M. Keniston. (American Jounial of Insanity. 1888.
XLV. p. 278.)
Verf. hat in der Irrenanstalt von Connecticut einen sehr ausgiebigen Gebrauch
von Paraldehyd als Schlafmittel gemacht und berichtet darüber in günstiger Weise.
Von 646 Dosen hatten 497 den gewünschten Erfolg, d. h. Schlaf von 4 — 8 Stun-
den Dauer; 39mal erfolgte nur ein kürzerer Schlaf und nur lOmal versagte das
Mittel vöUig. Die durchschnittliche Dosis betrug 1 Drachme = 3,75; das Maximum,
das aber nur zweimal zur Anwendung kam, betrug 3 Drachmen = 1 1,0.
Obschon Paraldehyd einigemal 20 selbst 40 Tage lang hintereinander gegeben
worden ist, war keine Steigerung der Dosis noth wendig; am wenigsten wirksam schien
es bei sehr hochgradiger motorischer Erregung, bei der Verl, in Zukunft eine Gom-
bination von Paraldehyd mit Hyoscin versuchen will.
Bei bestehendem Magenkatarrh etc. empfiehlt Verf. die auch in Deutschland
bereits angewendeten Suppositorien von Paraldehyd mit 20 ^/^ Paraffin im Wasser-
bade vereinig^. Sommer.
Anstaltswcsen.
22) Berioht über .die Verwaltung der Provinzial-Irreii-Heil- und Pflege-
anstalt zu SohwetB vom 1. April 1887 bis 1. April 1888, von Director
Dr. Grünau.
Bestand am 1. April 1887 . 166 M. 168 Fr.
Aufgenommen 39 M. 38 Fr.
205 M. 206 Fr.
Es schieden aus ... . 26 M. 24 Fr.
Bestand am 31. März 1888 179 M. 182 Fr.; in Summa 361.
685 -
Kranke kostet pro Tag 1,16 Mark.
Ausser den gewöhnlichen Tabellen der Berichte enthält der vorliegende noch eine
sehr sorgfältige über die Aetiologie der verschiedenen Krankheitsformen, lieber eine
Anzahl forensischer Fälle wird kurz referirt. M.
23) Ueber Waohtabtheilungen in Irrenanstalten, von Dir. Scholz, Bremen.
(Allg. Ztschr. f. Psychiatrie. XLV. H. 1 u. 2.)
Gegenüber Pätz, der v. Gudden die Priorität der Einrichtung von Ueber-
wachni^sstationen streitig machte, betont Scholz, dass er schon im Jahre 1876 —
4 Jahre vor Patz — Wachtabtheilungen eingerichtet hat. Die Bettbehandlung frisch
Erkrankter hat Seh. schon im J. 1869 im Bremer Irrenhause eingeführt. Die letztere
Maassregel führte bei dem Anwachsen der Zahl der frischen Fälle allmählich dazu,
mehrere in einem Baum zu vereinigen. So entwickelten sich also schliesslich die
Wachtabtheilungen aus praktischen Nothständen, nicht aus theoretischen Erwägungen.
Seh. hat mit den Wachtabtheilungen die besten Erfahrungen gemacht. Das
Bedenken, die Kranken könnten sich untereinander aufregen, fand er nicht bestätigt.
Auch Tobsüchtige dürfen nur stundenweise isolirt werden. Von den Narcoticis half
keines bei den Erregungszuständen der Manie. Bei melancholischen Angstanfallen
bewährte sich Morphium vor dem Höhestadium gegeben, bei Deliranten Cbloral, jedoch
erst im Abfallstadium der Erregung. Bromkali versagte oft. Seh. verwahrt sich
dagegen, dass man die so sehr wirksamen hydropathischen Ein Wickelungen dadurch
diskreditirt, dass man von einem versteckten Wiedereinführen des Eestraints spricht.
Die Indicationen für die Aufnahme in die Wachtabtheilung stellt Seh. fast genau
ebenso wie Patz. Für allzu störende Kranke wünscht Seh. einen besonderen Wach-
saal oder Einzelverpflegung (Krankenzimmer und Wärterin), keine Zellenisolirung.
Die Bettbehandlung in der Wachtabtheilung hat erst dann aufzuhören, wenn Still-
stand in der Körpergewichtabnahme oder, noch besser, Zunahme erzielt ist. Die
Bremer Anstalt hat 32 Betten auf der Wachtabtheilung bei einer Gesammtzahl von
174 Betten (18 ^/o!). Th. Ziehen.
II. Aus den Oesellschaften.
Aus der Sitzung der Berliner medioinisohen Qesellschaft vom 5. Dec. 1888.
Herr von Bergmann stellte einen Fall von geheiltem Gehirnabscess vor.
Er wies darauf hin, dass bei der Diagnose der Gehimabscesse die Aetiologie von
grosser Wichtigkeit sei. Unter 70 Fällen habe man 55 veranlasst gefunden durch
chronische Eiterung im Ohre, demnächst durch Traumen und Lungenaffectionen.
Nur sehr selten sei der Gehirnabscess aus einer acuten Otitis media herzuleiten,
wie in einem Falle, den v. B. beobachtete.
Auch bei dem vorgestellten Kranken, einem 29jährigen Arbeiter, handelte es
sich um eine seit 11 Jahren bestehende Eiterung aus dem rechten Ohre. Vor etwa
6 Wochen fing der Kranke an, an allgemeinem Unwohlsein und Yerdauungstörungen
mit Frösteln und abendlichen Fieberexacerbationen zu klagen. Da die Eiterung aus
dem Ohr unverändert dieselbe war wie früher, wo sie niemals Fieber erzeugt hatte,
auch kein Oedem hinter dem Ohre zu finden war, so musste der Verdacht auf Eite-
rung im Gehirn entstehen, denn der Kranke klagte auch über anhaltenden Kopf-
schmerz und hatte trotz des abendlichen Fiebers nur eine Pulsfrequenz von 50, also
eine Druckzunahme in cavo cranii. Von weiteren Symptomen war nur eine Herab-
setzung der Sensibilität der linken Körperhälfte und eine gewisse Muskelschwäche
— 686 -
nachzuweisen: der linke Arm konnte nur kurze Zeit horizontal erhoben gehalten
werden. Es bestand auch noch eine geringe rechtsseitige (sie!) Facialis-Parese.
Für die genauere Lokalisation gab es also nur geringe Anhaltspunkte, doch sprach
der Umstand für eine Affectiou im Schläfenlappen, resp. gegen eine solche im cere-
bellum, dass die Zellen des Processus mastoideus nicht von dem Eiteningsprocesse
betroffen waren.
y. Bergmann entschloss sich zur Operation, legte oben -hinten von der Ohr-
muschel eine grosse Oefifhung an (möglichste Erhaltung des Periostes) von etwa 3 cm
im Quadrat und legte die Himsubstanz bloss. Vom Funktiren derselben sieht v. B.
jetzt ab, weil er in zwei früheren Fällen von Uimabscess, wo er punktirte nnd keinen
Eiter entleeren konnte, von der Operation Abstand nahm, während entsprechende
Incisionen zur Entleerung des Eiters geführt haben würden.
V. B. machte also wiederholte, nach und nach tiefer dringende Incisionen und
bei der dritten entleerte er eine grosse Menge übel riechenden, grünen Eiters. Bei
entsprechender Behandlung, Drainirung etc. ist in 3 Wochen die Höhle des Gehirns
geschwunden und die Wunde verheilt; die rechtsseitige Facialis-Parese und die Stö-
rungen der linken Eörperhälfte sind verschwunden, doch ist es bisher leider nicht
gelungen, auch die Ohreneiterung zur Heilung zu bringen. Ha dl ich.
Berliner Gtosellsohaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung vom
10. December 1888.
Herr Sperling spricht über einen Fall von isolirter lifthmiing des Ner-
vus Buprascapularis (der Bericht darüber wird demnächst in extenso in d. Bl.
erscheinen) und stellt einen Fall von Peroneuslähmung vor.
Herr Westphal: Ich habe vor einiger Zeit hier einen Fall von Ophihalmo-
plegia externa besprochen und Ihnen die betreffenden Präparate deroonstrirt. Ich
machte dabei auf zwei neue Ganglienzellengruppen in der Gegend des vorderen Theiles
des Oculomotoriuskemes aufmerksam, welche ich dsn medialen und den lateralen Kern
nannte. Neuerdings habe ich gefunden, dass hier ausser diesen beiden soeben ge-
nannten Kernen noch eine weitere neue Ganglienzellengruppe existirt, nach aussen
und vom von den beiden ersten gelegen. Die Zellen sind in kreisförmiger Grup-
pirung angeordnet, und ich will sie deshalb „Kreisgruppe** nennen. Ich bin bei
der Untersuchung eines pathologischen Falles auf diese neue Kreisgruppe aufmerksam
geworden, habe sie aber auch an normalen Präparaten wiedergefunden. In normalen
Präparaten sind etwa 50 — 60 Ganglienzellen in der Kreisgruppe vorhanden; in einem
pathologischen Falle (Atrophie) dagegen nur 25. — Bemerkenswerth ist noch, dass
in einem Falle von Oculomotorius-Atrophie die Kreisgruppe mit von der Atrophie
ergriffen war, dagegen die beiden anderen neuen Kerne, der mediale und laterale,
nicht. (Demonstration.)
Herr Westphal demonstrirt sodann noch die Abbildung eines interessanten
Präparates: ein mikroskopischer Schnitt durch eine Abduoenswursel an der
Stelle, wo sie durch einen sklerotischen Fleck hindurchgeht: es ist genau zu sehen,
dass es identische Fasern sind, welche da, wo sie durch den sklerotischen Fleck hin-
durchgehen, lichtbraun üngirt sind, während sie ausserhalb dieser Stelle die normale
Schwarzfärbung zeigen.
Herr Siemerling: Es finden sich neuerdings in der Litteratur mehr Fälle vor,
wo klinischer und anatomischer Befund sich nicht zu decken scheinen. Westphal
z. B. und Thomson haben Fälle veröffentlicht, wo alle Erscheinungen auf Heerd-
erkrankungen hindeuteten, aber die Section nichts davon nachwies; Charcot umge-
kehrt glaubte in einem Falle nur eine Neurose vor sich zu haben, und fand eme
Sklerose der Pyramiden-Seitenstränge. — Um einen solchen Fall handelt es sich
— 687 —
aocli hier, und zwar ist er klinisch bereits von Thomsen und Oppenheim be-
Bchrieben.
Er betrifft ein 31jährigeS| nicht neuropathisch belastetes Dienstmädchen, deren
Vater an Phthise gestorben, und die sehr spät und stets nnregelmässig menstruirt
ist. Nach einem im 21. Jahre überstandenen schweren Abdominaltyphus blieb sie
kräoklich. Es entwickelte sich allmählich eine totale Anästhesie des ganzen Körpers,
in allen Qualitäten, auch an den Schleimhäuten. Es bestand starke concentrische
Einengung des Gesichtsfeldes für Weiss, Dyschromatopsie beiderseits (ophthalmosko-
pisch nichts). Der Geruch fehlte, das Gehör war beiderseits sehr herabgesetzt, der
Geschmack schwer zu prüfen, weil Fat. spontan bittem Geschmack hatte. Das Muskel-
gefühl fehlte g&nzlich. — Ausserdem bestand ein sehr auffälliges Wesen, eine schwere
Apathie: die Kranke sprach nichts, antwortete selten einige Worte, hatte die Augen
geschlossen, bewegte sich nicht, sank in sich zusammen, wenn sie aus dem Bett ge-
nommen wurde oder machte nur wenige langsame Schritte. Bei passiven Bewegungen
bemerkte man keinen Widerstand. —
Alle Therapie erwies sich fruchtlos.
Ende November 1888 machte Fat. eine Entbindung durch. Anfangs zeigte sie
etwas Theilnahme für ihr Kind, aber in der zweiten Woche traten halludnatorische
Delirien auf, sie glaubte sich verhöhnt u. s. w. Aber diese mit Erregungen einher-
gehenden Delirien, welche sich mehrfach wiederholten, waren doch nur vorübergehend,
sie blieb im Uebrigen apathisch, musste lange mit der Sonde gefüttert werden, wog
zuletzt 47 Pfund und ging an Inanition zu Grunde.
Die Section ergab: Fhthisis, sonst makroskopisch nichts. Dagegen lieferte die
mikroskopische Untersuchung Herrn Siemerling sehr merkwürdige Veränderungen:
Im Bückenmark Degeneration der Hinterstränge — Goll*sche und Burdach*sche
— im Hals- und oberen und mittleren Dorsaltheil; myelitische Processe in den me-
dialen Theilen der Hinterstränge. Leichte Degeneration auch in den Seitensträngen.
— Im unteren Dorsalmark war hiervon nichts zu sehen, wohl aber abnorme quer-
verlanfende Nervenfasern in den Hintersträngen und Seitensträngen, wo sie besonders
aus dem einen Yorderhom ausstrahlten. — Ausserdem Heterotopie grauer Substanz;
ferner Verlagerung der Clarke'schen Säulen, die an einer Stelle fast bis zur Berüh-
rung genähert sind. — Im Uebrigen die Ganglienzellen, die Wurzeln, die Häute
normal. In der Medulla oblongata fand sich ein merkwürdiger Querspalt, der da,
wo die Fyramidenkreuzung voUendet ist, die ganze Breite des Markes betrifiFt, aber
am Beginn des XII. Kernes nur noch in der Mitte vorhanden ist. (Demonstration
der Präparate.) — Ausserdem sind die motorischen Kerne alle degenerirt, am Hy-
poglossus-. Facialis- Abducenskem fehlen die Ganglienzellen fast ganz, am relativ
besten ist noch der Oculomotorius-Kem erhalten, aber auch er ist stark atrophirt.
Die Wurzeln und peripherischen Nerven sind dagegen ganz intact.
Um zu reaümiren: Es handelt sich also um eine schwere Hysterie mit Psychose
(chronische Paranoia), und diese ergiebt den geschilderten anatomischen Befund. Der
grösste Theil der Veränderungen ist wohl congenital, die querverlaufenden Fasern
(jwie sie ähnüch Hitzig beschrieben hat), die Verlagerung der Glarke*schen Säulen,
der Querspalt, die Heterotopie der grauen Substanz. — Viel von dem Befunde und
auch seiner Beziehung zu den klinischen Symptomen bleibt dunkel.
Herr Oppenheim betont im Anschluss an diesen Vortrag die Wichtigkeit con-
g'enitaler Veränderungen bei schweren Neurosen. So führt er einen Fall von Hemi-
anästhesie, später totaler Anästhesie mit Psychose an, in welchem sich Retinitis
pigmentosa fand: der Kranke stammte aus einer Ehe von Verwandten. Auch ein
Fall von Bnlbär-Paralyse dürfte hierher gehören, in welchem sich auffallend schmale
^W^urzeln der Nerven der MeduUa oblongata nachweisen Hessen, die wohl als conge-
nital mangelhaft entwickelt anzusehen waren. H ad lieh.
— 688 —
III. Bibliographie.
Pathologie und Therapie der Nervenkrankheiten für Aerzte und Studirende
bearbeitet. Von L. Hirt. (Erste Hälfte: Bogen 1 — 16. Wien und Leipzig,
* Urban & Schwarzenberg, 1888.)
Die vorliegende erste Hälfte des Hirt*schen Baches enthält die Darstellang der
Himkrankheiten, und zwar in 3 Hauptabschnitten: 1) Krankheiten der Hirn-
häute; 2) Krankheiten der Hirnnerven; 3) Krankheiten der Hirnsubstanz.
Im ersten Abschnitt werden, nach einer kurzgefassten anatomischen Einleitcmg,
die Entzündung der Dura und die der weichen Häute in 2 Oapiteln besprochen.
Der zweite Abschnitt bringt in 11 Gapiteln die Krankheiten des Olfactorius, des
Opticus, der motorischen Augennerven, des Trigeminus, Facialis, Acusticus, Glosso-
pharyngeus, Vagus, Accessorius, Hypoglossus und die gleichzeitige Erkrankung
mehrerer Himnerven.
Jedem Gapitel geht eine kurze anatomische Orientirang voraus, welche durch
in den Text eingeschaltete Holzschnitte unterstützt wird. Der Inhalt einzelner Ga-
pitel ist natürlich etwas bunt gemischt, namentlich derjenige über „Krankheiten"
des Opticus, des Trigeminus und Vagus. So wird unter den „peripherischen Quintus-
affectionen" Kopfschmerz und Migräne abgehandelt; anhangsweise auch der „Tnge-
minushusten'' als Beflexneurose des Quintus besprochen. Bei den Acusticnskrank-
heiten findet sich die Menidre*sche Krankheit, der eine Abhandlung „über Schwindel
im Allgemeinen'^ vorausgeht, welche man an dieser Stelle wohl nicht so leicht suchen
würde. Unter den „Vaguskrankheiten" wird ausser dem Bronchialasthma, der Angina
pectoris etc. auch die Basedow'sche Krankheit abgehandelt, wogegen doch wohl ent-
schieden Protest zu erheben sein dürfte. Wenn diese Krankheit schon mit dem
Hals-Sympathicus nichts zu thun hat, so jedenfalls noch viel weniger mit dem Vagus;
die vom Verf. citirte Sattler'sche Hypothese einer „circumscripten Läsion im Bereiche
des Vaguscentrums" ist ganz willkürlich und ohne jede anatomisch-physiologische
Basis; die Basedow'sche Krankheit gehört überhaupt nicht unter die Krankheiten
eines einzelnen Himnerven, sondern unter die allgemeinen Neurosen.
Im elften Capitel dieses Abschnittes (gleichzeitige Erkrankung mehrerer Him-
nerven) werden die Polioencephalitis sup. und inf. in ihren acuten und chronischen
Formen, namentlich die progressive Bulbärparalyse („Duchenne*sche Krankheit") be-
sprochen.
Dem dritten, den Krankheiten der Hirnsubstanz gewidmeten Hauptabschnitt
geht als Einleitung die „topische Diagnostik und Localisationslehre" voraus.
Es ist dies bekanntlich ein für die Darstellung ausserordentlich schwieriges Gebiet,
wobei es kaum möglich ist» allen Ansprüchen zu genügen; doch scheint mir beispiels-
weise der dem gleichen Thema gewidmete Abschnitt in dem kürzlich besprochenen
Seeligmüller*schen Buche an Anschaulichkeit und Klarlegung des Sachverhaltes die Hirt*-
sche Darstellung theilweise zu übertreffen. Die letztere ist auch von Generalifiirungon und
von inneren Widersprüchen nicht frei, welche auf den Anfänger verwirrend wirken
können (vgl. z. B. das, was p. 151 über die „Verwechselung einer corticalen mit einer
peripherischen Lähmung'' bemerkt ist, wo u. A. die „schnelle Entwickelung binnen
einigen Stunden" und der „ganz schmerzlose Verlauf als unterscheidende Griterien
corticaler Affectionen im Vergleiche zu peripherischen angeführt werden). — Die
diese Capitel illustrirenden Holzschnitte, zum Theil nach Edinger, sind reichlich nnd
gut gewählt; auch die Ausführung derselben ist eine vorzügliche. — Es folgen nun
„die Hirnläsionen nach ihrer pathologischen Natur betrachtet (Patho-
logische Diagnostik")! und zwar zuerst „die auf Gefässerkrankungen be-
ruhenden Affectionen der Hirnsubstanz. A. die Erkrankung der Hirn-
arterien und ihre Folgezustände (Hirnblutung, Embolie und Thrombose, End-
arteriitis syphilitca, Erweiterung, Neurosen der Hiraarterien); B. die Erkrankungen
- 689
der Hirnvenen (in der Inhaltsübersicht heisst es irrthümlich „Hirnnerven*') und
ihrer Sinus. Diese hier zum ersten Male durchgeführte Abzweigung der Gefasskrank-
heiten des Hirns und die Benutzung dieses Eintheilungszweiges überhaupt scheint
mir ein sehr glücklicher Griff des Verfassers zu sein; nur hätten dabei einzelne
Sonderbarkeiten, wie die Bezeichnung der Himanämie und -hyperämie als „Neurosen
der Himarterien'* vermieden werden können. Die Sinusthrombose gehört auch wohl
mehr in den Abschnitt über die Krankheiten der Hirnhäute. — Es 'folgen nun
weiter „die entzündlichen Processe der Hirnsubstanz", eitrige Ence-
phalitis, Hirnabscess, und die nicht eitrige Encephalits mit ihren Folge-
zuständen, wobei die cerebrale Einderlähmung und Athetose eine verhält-
nissmässig sehr eingehende, durch eigene Beobachtungen des Verfassers und durch
Abbildungen bereicherte Darstellung erfahren. Wenn nach Hirt 's Ansicht (p. 237)
„die Erkrankung der Binde für die Athetose unbedingt die Hauptrolle
spielt", so stimmt dies ganz überein mit dem, was Beferent zuerst schon vor langer
Zeit behauptet und ausführlich begründet; vgl. mein Lehrbuch der Nervenkrankheiten,
2, Aufl., II, p. 677 und 678. — Den Schluss machen die Hirntumoren (nebst
Hirnparasiten) und die angeborenen Erkrankungen (Hydrocephalus, Meningo-
cele, Porencephalie; Defecte einzelner Himtheile). — Die noch ausstehende zweite
Hälfte soll die Erkrankungen des Bückenmarkes und die des Gesammtnervensystems
umfassen.
Das Buch dürfte so wie es ist — einzelner kleiner Mängel ungeachtet — seiner
Bestimmung „für Studirende und für diejenigen Aerzte, welche sich ohne allzugrossen
Zeitaufwand über neuere pathologische Thatsachen informiren wollen^' vortrefflich ent-
sprechen; es wird ihm gevnss an zahlreichen Lesern nicht fehlen. Die Litteratur-
verzeichnisse, die ohnehin ziemlich willkürlich zusammengestellt sind, dürften wohl im
Interesse dieses Leserkreises ganz gut wegbleiben. Eulenburg.
IV. Zuschrift an die Redaotion.
Geehrter Herr Collegel
Mit Bezug auf das in der letzten Nummer (1. Dec. 1888)^ dieses Centralblatts
enthaltene Beferat des Herrn Siemens über die Arbeit von Dr. Babinski „sur
une d^formation particul. du tronc causee par ia sciatique" sehe ich mich im In-
teresse der historischen Gerechtigkeit veranlasst, darauf hinzuweisen, dass der Gegen-
stand bereits wiederholt anderwärts eine literarische Bearbeitung gefunden hat; und
zwar durch C. Nicoladon i. Die erste Mittheilung desselben findet sich in der
Wiener med. Fresse 1886 Nr. 26 u. 27 unter dem Titel „üeber eine Art des Zu-
sammenhangs zwischen Ischias und Scoliose" und in der Wien. med. Pr. 1887 Nr. 39
ist ein weiterer Fall mitgetheilt.
Die merkwürdige Körperhaltung bei Ischias (die ich selbst übrigens auch wieder-
holt und schon vor längerer Zeit beobachtet habe), ist also nicht von Charcot
zuerst gesehen worden, wie Herr Babinski meint; die erste Arbeit von Nicola-
doni war bereits erschienen, ehe Charcot überhaupt seine erste derartige Beobach-
tung machte (Sept. 1886).
Genehmigen Sie etc.
Heidelberg, 8. Dec. 1888.
Ihres ergebenen
W. Erb.
> Cf. S. 658.
40
Register 1888.
I. Originalaufsätze.
Saila
1. Cytisin gegen Migräne, von Prof. £. Eraepelin l
2. Doppelseitige Trochlearispareae, von Dr. ErnstBemaic 5
3. Znr Anatomie des Froschgehirns, von Dr. M. Koppen 10
4. Üeber einen Fall von hereditärer Chorea der Erwachsenen, von Dr. Zacher . . M
5. Ein Fall von Dyslexie (Berlin) mit Störungen der Schrift, von Dr. Ludwig
Bruns .38.68
6. Die histologischen Veränderungen in den peripherischen Nerven, deren Spinal-
ganglien und dem Kückenmarke in Folge von Amputation, von Prof. E. A. Hom^n 66
7. Üeber Heterotopie grauer Substanz im Rückenmark, von Dr. P. Kronthal . . 97
8. Progressive Paralyse mit Tabes bei einem ISjähr. Mädchen, von Prof. Dr. Adolf
Strümpell 122
9. Beitrag zu der Beziehung zwischen gewissen Formen von Epilepsie und der Aus-
scheidung von Harnsäure, von Dr. A. Ha ig 127
10. Eine Beooachtung über die Localisation der hypnagogischen Hallncinationen , von
Prof. Dr. Fr. Fuchs 131
11. Ueber die Erregbarkeit einzelner Faser bündel im Rückenmark neugeborener Thiere,
von Prof. W. Bechterew 154
12. Zur therapeutischen Verwerthung der Hypnose, von Dr. M. Nonne . . . 185. 226
13. Gesichtsstörungen in ihrem Abnängigkeitsverhaltniss von Occipitallappenerkran-
kung, von Dr. Mooren 218
14. Ein Kinesiästhesiometer, nebst einigen Bemerkungen über den Muskelsinn, von
Prof. E. Hitzig 249. 2b3
15. Isolirte peripherische Lähmung des Nervus suprascapularis sinister, von Dr. J.
Hoffmann 254
16. Einiges über Suggestion, von Dr. Ernst Jendrässik 281. 321
17. Einige thera|>eutische Versuche mit der Hypnose, von Dr. Sperling . 313. 373. 41S
18. Die Karminfarbung für Nervengewebe, von Dr. HenryS.Upson 319
19. Bemerkung zu Vorstehendem, von Dr. William C. Krauss 320
20. Zur Localisation der sensorischen Aphasie, von Dr. LeopoldLaqner . . . . 337
21. Ueber die Kosten des optischen Katnetometers in der Kraniometrie, von Prof. Dr.
Benedikt 352
22. Die Spondylarthritis synovialis, von A. Caspari 369
23. Zur Lehre von der Hemiatrophia facialis, von E. Mendel 401
24. Seltene Symptomencomplexe bei Nervenkranken, von Prof. Fr. Schnitze . 433. 400
25. Etwas über Schädel- Asymmetrie und Stirnnaht, von M. 0. Fraenkel . . . . 43t«
26. Ein klinischer Beitrag über den Verlauf des Geschmacks n erven , von Dr. Philip
Zenner 457
27. Ein Fall von Alexie mit rechtsseitiger homonymer Hemianopsie („subcorticale Alezie**
Wernicke), von Dr. L. Bruns und Dr. B. Stölting 481. 509
28. Anatomischer Befund bei einer diphtherischen Lähmung, von Dr. W. C. Krauss 490
29. Die Hirncentra für die Bewegung der Harnblase, von Prof. Dr. W. Bechterew
und Privatdocent Dr. N. Mislawsky 505
30. Ueber die Ungleichheit der Kniephänomene bei Tabes dors., v. Dr. S. Gol dflam 529. 556
31. Ueber den Einfluss der Hirnrinde auf die Speichelsecretion , von Prof. W. Bech-
terew und Privatdocent Dr. N. Mislawsky 553
32. Ueber die Diffusionselektrode von Adamkibwic:^ und die (^hloroformkataphorese, von
Dr. J. Hoff mann .jsj
33. Zur Darreichung und Wirkung des Sulfonals, von Dr. H. Ruscheweyh ... 593
691
Seite
34. üeber Vagaseistirpationen, von Dr. De es 596
35. Ein Fall von Cysticercus thalami optici, vod Dr. Wilhelm Manasse . . . . 617
36. Originalbericht der Qesellschaft für Psychiatrie and Nervenkrankheiten zu Berlin
am 12. November 1888: Verhandlung übier Peroneusl&hmang. von Uhthoff, Bern-
hardt, Bemak, Martins and Oppenheim 642
n. Namenregister.
(Die in Paranthesen eingeklammerten Zahlen bedeaten: Bemerkong in der Discossion.)
Abadie (455).
d'Abando: Nenritis 79.
Acker: Paralys. progr. 29.
Adam: Melancholie 172.
Adamkiewicz: combinirte De-
generation des Bückenmarks
272.
Aikman: Syphilis 148.
Alexander: Typhas and Him-
erkrankang 611.
Algeri: Trepanation 247.
Alt: Merycismos 470.
Alter: Anstaltsbericht 668.
Andry: Tabes 19. Porencepha-
lie 570.
Anfimow: Vacaolen der Gang-
lienzellen 261.
Annandale: Trepanation 114.
Armanni: progr. Paralyse 452.
Arndt: Othämatom 551.
d'Arsonval (308).
Arthaad : Physiologie des Va-
gus 808.
Aufrecht : Chloral u. Morphium
365.
Avellis: Aroylenliydrat 176.
Babinski: Paralysie pyocya-
niqae309. Deformität durch
Ischias 658.
Bäumler: Dystroph, muscul.
progr. 397.
Baülarger: Paralys. pellagrosa
u. Paralys. generalis 501.
Ball: Folie drotique 170.
Ballet: hereditär Degenerirte
445. Basedow'sche Krank-
heit 454. Spasmen u. chron.
Gelenkrheumatismus 456.
Ophthalmoplegie 572.
Barillot: Morphium 184.
Barlow: disseminirte Myelitis
52.
Baroneini : Ependymgranula-
tion 571.
Barrs: Neuritis 657.
Bartels: Wortnenbildung bei
Geisteskranken 312.
Bastelberger: mikrophotogra-
phische Präparate 549.
Bateman: Aphasie 237.
Batterham: Amnesie 240. Hä-
morrhagie der Med. oblong.
524.
Battiscombe: Abscess d. Glan-
dula pituitaria 628.
Baumgfl^n: Hemianopia tem-
poralis 241.
Beach: Syphilis 145.
Beale Clifford: Chorea 386.
Beaum^: Neuritis 658.
Bechterew : Hirnrinde 14. Er-
regbarkeit einzelner Bücken-
marksstrange 45. 154. hin-
tere Rückenmarkswurzeln
75. secundäre Degeneration
des Hirnschenkels 108. N.
vagus 294. Hirncentra für
Bewegung der Blase 505.
Hirnrinde u. Speichelsecre-
tion 553. Hemiatrophia fa-
cialis 579. Bestandtheile des
vordem Kleinhirnschenkelä
597.
Beevor: Rindencentren 76.
Erhasche Lähmung 109.
Hirnnerven, mot. Function
599.
Benda: (30) (432) Härtungs-
verfahren 432.
Benedikt: Kraniometrie 292.
352. Elektrotherapie der
Gebärmutterkrankheit. 614.
Bennett: Wortblindheit 236.
hypertonische Paralyse 270.
(272).
Bentzon: Hvpnotismus 209.
Berbez: Tabes 21.
Berg: Hirntumor 115.
Berger: Augenerkrankung bei
Tabes 455.
Bergmann v. E. : Chirurgische
Behandlung der Hirnkrank-
heiten 111. Himabscess 685.
Berkhan: Irrenwesen 312.
Berlin: Dyslexie 63.
Bernardini: Ganglienzellen bei
Paralyse und Epilepsie 452.
Bernhardt: (63) Rückenmarks-
localisation 334. (432). Ta-
bes 39 1 . 495. Augenmuskd-
lähmungen 575. Peroneus-
lähmung 642.
Bianchi: progr. Paralyse und
Vagus 452. Nervendegene-
ration 452. Zerstörung des
Lob. tempor. sphenoid. 626.
Binswanger : moral. Irresein
90. Hypnotismus 203. Epi-
lepsie 277.
Binz: Hydroxylamin 651.
Birdsall: (672).
Blackburn: Gehimschnitte
671.
Blanc-Fontenille : hysterisches
Delirium 198.
Blaschko: Herpes digitalis 88.
Bleibtreu: Eiweissumsatz 160.
Blin : doppelseitige Athetose
469.
Blocq: hysterische Arthralgie
199. Astasie u. Abadie 384.
doppelseitige Athetose 469.
Blocqu: Contracturen 297.
Blumenau: Antipvrin 624.
Thomsen'sche Krankh. 679.
Bodamer: Hirntumor 115.
Bötticher: Herpes zoster 87.
BolUnger: Tod aus Angst 475.
Cysticercus des Gehirns 630.
Bonnet: Paralys. progr. 29.
Bonomo: Verdoppelung des
Rückenmarks 136.
Borgherini : combinirte System-
erkrankung 300. Eniephä-
nomen bei Paralyse 634.
Borosdina - Rosenstein : circu-
läres Irresein 445.
Bouüheron: Ohr u. Psychosen
93.
Bourneville : Idiotie 57. Tem-
peratur bei Epilepsie 110.
Gen italorganeo. Idioten 683.
Bourru: Suggestion 204.
Bramwell: Ataxie 19. Him-
präparate 353.
Braun : combinirte Rücken-
markserkrankung 427.
Bremer: Psychose u. Nieren-
erkrankung 618.
Bri9on: Idiotie 57.
Brie : plötzliche Todesfälle bei
Psychosen 548.
Brieger : spastische Spinalpara-
lyse 142.
40*
692
Brocks: Medianuß 44S.
Brosius (547).
Brousse: Hypnotismns 212.
Brown Sanger: Hinterhanpt-
ond Schläfenlappenfanction
623.
Brown-S^qnard : Transfert 147.
Bruch: Porencephalie 831.453.
Braen: Porencephalie 453.
Branner: Spina bifida 142.
Brans: Dyslexie 38. 68. Hirn-
afTectionen 310.(312). Alexie
481. 50^. multiple Hirn-
nervenlähmung 549.
Brunton : Str jchnin als Schlaf-
mittel 175.
Buchholz: Gliose der Hirn-
rinde 601.
Bull: Idiotie 58.
Bullen: Tabes u. Paralyse 503.
Bum: Massage 175.
Bumm : Corpus trapezoides
547.
Burot: Suggestion 2( 4.
Burton : Osteophyten derArach-
noidea 48.
Bury: Neuritis 658.
Butakow: nicht progr. Muskel-
atrophie 473.
Butte : Physiologie des Vagus
308.
Buttersack: Synhilis des Cen-
tralnervensYstems 144.
Bazzard: Sennenreflexe 263.
(271). Neuritis 656.
Cantani: Wuthgift 279.
Cantarano: sexuelle Perversi-
tät 448.
Carlsen: Hypnotismns 210.
Caspar! : Spondylarthritis fv-
novialis 869.
Ceci: Trauma des Hirns 113.
C<$renville de: Gehimsymptoiue
bei eitriger Pleuritis 6H3.
Charcot : hysterischeArthra]*^ le
199. Hysterie u. Syphilis 201.
Charlin: Katatonie 581.
('harrin: Paralys. pyocyanique
309.
Chastaing: Morphium 184.
Christian: Paralys. progr. 27.
Othämatora 307.
Cionini: Hirnrinde bei Para-
lyse 452. Hirnrinde bei
Geisteskranken 539. Glan-
dula pinealis 621.
Clemon : hysterisches Fieber
201.
Coats: Hirnkrebs 468. 469.
Cobbold : Selbstmord bei
Schwachsinn 58.
Co6n B.: Sprechanomalien 119.
CoSn E.: Heilung von Stich-
wunden des Gehirns 17.
Cohu: Aconitin 667.
Collier: Tabes u. Gelenkaffec-
tion 498.
Combemale: Antipyrin 149.
Alkoholintoxication 310.
Cook: Chorea 886.
Cornelius: multiple Neuritis
423.
Coming: Subst. gelatin. Ro-
land. 442,
Cozzoli Qo : Ohrerkrankung* u .
GehÖrshallucination 61 2.
Cramer: Sulfonal 480. ADgio-
sarcom 467.
Cuy litis: criminelle Irre 180.
nana: Anencephalie261. com-
binirte Systemerkrankung
301. Thomsen'sche Krank-
heit 458. Hautempfindungs-
centren in Hirnrinde 660.
(672).
Darksche witsch : Leitungsbah-
nen im Ocalomotorius 380.
Deaver: Rindenepilepsie 671.
Dees: Accessorius 880. Vagus-
exstirpation 596. 600.
Ddiio : Einfluss von Coffein u.
Thein auf psych. Vorgänge
107.
Dejerine: Alkoholneuritis 83.
Cocainvergiftung 150. Kin-
derlähmung 471. Tab. cervi-
calis 496. (309).
Demoulin : Facialislähmung
579.
Derkum: Rheumatismus 269.
Cholesteatom 358. Hemi-
Chorea 389. (669). Dystro-
phie des subcutanen Binde-
gewebes 670.
Dessoir: Hypnotismus 216.
Diomidoff: chromolept. Sub-
stanz 331.
Dontrin (272).
Dreschfeld : Sklerose d. Rücken-
marks 302.
Drummond: Ataxie 248.
Dubois: Neuritis 657.
Dujardin-Beaumetz: (179)
Dupuy: Antipyrin boi See-
krankheit 96. Physiologie
des Kleinhirns 149. Rinden-
centren 880.
Durdufi: Morb. Basedow ii 137.
Dutil: progr. Muskelatrophie
140.
Kbstein: Hautentzündung u.
Lähmung auf infcctiöser
Basis 470.
Eccles: Schlaflosigkeit 865.
Edes: Nieren- und Nerven-
erkrankung 609.
Edgren: Urticaria factitia 86.
Edinger: Entwiekdung des
Hirumantels 428.
vanEecke: Beri-Beri 424. 656.
Eibe: Heredität bei Psychosen
448.
Eichhorst : Neuritis faacians
424. Verbreitungsweise der
Hautnerven 621.
Eisenlohr: acute Polvneuritis
80. centrale Kehlkopfläh-
mungen 162.
Erb: Akromegalie 858. Dys-
troph, rouscul. progr. 396.
Deformation u. Ischias 689.
Erlenmeyer : Morphiomsucht
94.
Escherich: Aphasie nach Ty-
phus 284.
Estor: Myelitis 141.
Eulenbnrg: galvanischer I^ei-
tongswiderstand 304. Beal-
encyolopädie 386. 616.
Exner: Rindenfeld des Facialis
43. Schablone des Gehirns
95.
Falchi: Histogenese der Re-
tina und des Opticus 466.
Farges: Aphasie 284.
Felkin: Trepanation 246.
F^r^ : Nystagmusschwindel bei
Epileptikern 148. sensorielle
Erregungen 149. Kn^ der
Epileptiker 150. EinbUdung
u. Delirium 806. Andifcion
color^e 807. Epilepsie 308.
Elektrisch. Widerstand 308.
Hysterische Hemianästhesie
398.
Ferri: criminelle Irre 183.
Ferrier: Trigeminuslahmung
167. cerebrale Hemianästhe-
sie 244. Trepanation bei
Himabscess 247. (271) (671).
Field: Othämatom 672.
Finkeinburg: (548). Phren*
asthenie 547!
Finlayson: Tumor der Med.
oblong. 610.
Fischl: Aphasie nach Typhus
284. Paralys. pvogr. 603.
Flatow: Tabes 499.
Flechsig: Leipziger Iirenkh'nik
151.
Flesch: Fissur, parieto-oceipit.
159. Qlandul. pineal. 537.
Forel: Hypnotismus 207. Al-
koholismns 895.
Fomaiio : Lokalisation des
Patellarreflexes 580.
FränkelB.: Sympathicuspara-
lyse 361.
Fränkel (Pankow): Sulfonal
614.
Fränkel M.O.: Verbreeher 39.^.
Schädelasymmetrie 438.
Fränkel (Slagelae): Hypnotis
mus 209.
— 693 -
Fnui^oiB'Franck : Einfloss des
Hirns auf Circalatdon 569.
Francotte : Hemiatropbie der
Zunge 578.
Fibrom, dar. matr. spinal.
674.
V. Frankl-Hochwart : Tetanie
677.
Franks: Himtamor 609.
Frew : Cerebrospinabneningitis
248.
Friedenreicb : Hypnotismos
211.
Frigerio: Sitophobie 445.
Riecbcentrom 452.
Fritsob: Simulation von Irre-
sein 664.
Fry: Paramyoklonas 662.
Fucbs: bypuagogische Halla-
cination 131.
Fürstner: Simulation geistiger
Stömng 664.
Fütterer: Glycogen in Gehirn-
rinde bei Diabetes 538.
Fanajoli: Follia a qnattro 172.
Futh: symmetrische Affection
d. Qliedmaassen b. Geistes-
kranken 548.
Gad: Beactionszeit für Erre-
gung und Hemmung 537.
G^tner: Therapie durch Mus-
kelarbeit 91.
Garrod: Arthritis 659.
Gasperini: Gesichtsneuralgien
452.
Gaule: Kleinhirn 92.
Gay: Tabes 495.
Gebhard: secundäre Degene-
ration 161.
Gerlier: Schwindel 262.
Gerstenberg: (812).
Gilbert: multiple Sklerose 51.
Gilles de la Toorette : Hysterie
Q. Syphilis ?81. hysterischer
Schlaf 479.
GioYanni: Hallucination 91.
Girard: Antipyrin 60.
Giuffrä : Erhasche Lähmung
108.
Glax: Neurosen des Magens
677.
Gley: trophische Störungen
nach Nervenreizung 420.
Gluck: Nervennaht 432.
Godlee: Acromegalie 359.
Qoldflam: Kniephänomen bei
Tabes 529. 556.
Goldscheider: Ataxie u. Mus-
kelsinn 16. Temperatursinn-
Srüfung 133. Einwirkung
er Kohlensäure 134.
Goldstein: complicirte Fractur
des Schläfebeins 550. 584.
Gottstein : Krankheiten d. Kehl-
kopfs 456.
Gowers: Tumor der Mednlia, | Hoche: Tuberculose des Cen-
Ooeration 93.
Graaenigo: Acusticus 674.
Grashey: geminderte Zurech-
nungsfahigkcit 543. (544).
Grasset: Myelitis 141. Hyp-
notismus 212. Solanin 504.
Giay: Syphilis des Nerven-
systems 174. (672).
Greene: Cannab. indica lei
Migräne 666.
Greidenberg: periodische spi-
nale L^mung 54.
Greppin: Gjigi'sche Färbungs-
methode 602.
tralnerveusystems 17.
HofiPmann August (Erlangen) :
Halbseitenläsion d Rücken-
marks 53.
Hoffmann (Heidelberg): Tabes
163. Lähmung des N. supra-
scapularis 254. Chorea 265.
progressive Muskelatrophie
427. Diffusionselektrode 585.
Hogbeu: Messingataxie 499.
Homen: Veränderung im Ner-
vensystem nach Amputation
66. Typhus und Nerven-
affection 612. *
Grödel: Herzaffection u. Tabes Hoppe: Tumor der Vierhügel
496.
Grünau: Anstaltsbericht 61.
684.
Gucci: Heilung chron. Psycho-
sen 583. Namen der Geistes-
kranken 584.
Guder : gerichtliche Medicin
183.
Guinon: mercurielle Hysterie
146. Maladie des tics 166.
Guttmann P.: Reflexwirkuug
auf Athmung seitens des
TrigeminuB 570.
Guyon: Neuralgie der Blase
85.
628.
Horslev: Laryngealmuskeln76.
Bindencentren 76. Tumor
* der Medulla. Operation 93.
Hirnchirurgie 177.247. Hirn-
nerven motor. Function 599.
Function der Hirnrinde 622.
(670) (671).
Hoven : cerebrale Kinderläh-
mung 625.
Huber: Chorea hereditaria 264.
Morb. Basedowii 680. Allo-
chirie 681.
Hü ekel: Suggestion 214.
Huet: Kinderlähmung 471.
Hughes: Athetosis bilateralis
675.
Hutchinson : Sphincterenläh-
mung 245.
Hytten: Hypnotismus 208.
Hadden : Acromegalie 859.
Sarcom der Pia spinalis 468.
Haig : Epilepsie u. Harnsäure-
ausscheidung 127.
Handford: Neuritis 656.
Hansen: puerperale Psychosen Jackson (Hugblings): Hirn-
637.- tumor 114. (200. 271).
Haushalter: Dystroph, musc. , Jacobi Rud.: Sensibilitätsphä-
progr. 578. | nomene 168.
Haycrafft: Geschmacksem pfin- i Jacoby (New York): Pseudo-
hypertrophie 383. 670.
Jakins: Migräne 248.
Jakowenko: hinteres Längs-
bündel 566.
Jappa: Neuritis 425.
im
düng 598.
Hayem : Bückenmarkssympt.
bei Blenorrhagie 635.
Hebold : Tabes 25.
H6ger: criminelle Irre 179.
Heiweg: vasomotor. Nerven ! Jastrowitz: Localisation
523. Grosshim 230.
Henschcn:Facialiskrampfl66. Jawenko: inducirtcs Irresein
Hermann: Magnetwirkung 364.
456. , Jegorow : Syiupathicus und
Herringham: Ataxie bei Katzen I Vogelpupille 160.
32. I Jehn: Psychosen und Kopf-
Herrmann G.: Bückenmarks- j Verletzung 548.
entwickelung 330. ' Jeudrässik : Saggestion 281.
Hess: multiple Sklerose 49. 321.
Heusser: Hypophysistumoren | Jennings: Vergiftung durch
136. •• Atropin 179. Vergiftung
Hill: Hirnnerven 520. i durch Antipyrin 640.
Hirsch: Biograph. Lexicon 336. ' Jensen: Narbe ioi Gehirn 48.
Hirt: Pathologie u. Therapie (334). Hirngewichte bei
der Nervenkrankheiten 688. Geisteskranken 653.
Hitzig Kinästhcsiometer 249. Jeffrey: amyotrophische Tabes
283.
577.
progr. Muskelatrophie
309.
Johansen: Hypnotismus 209.
- 694
Jnda: Tabes 23.
Jadee: Nerv eneinflass auf Spei-
chel 148.
Jürgensen: nervöse Magen-
krankheiten 676.
Kager : vasodilaiatorische Cen-
tren im Rückenmark 448.
Kahlden: Tabes 21.
Karewski : Erythrophlaem 1 50.
Kinderlähmung 472.
Karger: Tabes 22.
Käst: Aphasie 430. Snlfonal
449. 614.
Kaufmann: Balkcnmangel 47.
Kelp: Psychosen im Kindes-
alter 502.
Keniston: Paraldehyd 684.
KirD : Psychosen in Einzelhaft
397. 581. Crhninalpsycho-
logie 639.
Knapp: Railway Spine 669.
Knecht: Lehrbuch 93. Apha-
sie 298.
Knies: Angenbefunde bei Epi-
lepsie 394.
Kny: ParamyoklonuB 661.
Koch Paul: Chorea 387.
Koch P. D. : H^notismuB 211.
Hemiatrophie der Zunge 494.
Koppen : Froschgehirn 10.
Albuminurie bei Geistes-
kranken 428. Chorea bei
Geisteskranken 476.
Köster: Nervendegeneration u
Nerrenatrophie 418.
Kotlarewsky Anna: Nerven-
zellen 14.
Kowalewskv: Epilepsie 90.
Kräpelin: Cjftisin 1.
Y. Krafft-Ebing: Hypnotismus
214. Delirium tremens 307.
Psychosen durch sexuelle
Abstinenz 476. Bürgerliches
Gesetzbuch (544) 545.
Krauss (Attica): Nervensystem
von Corydalus cornutus 106.
Karminfarbung 320. diph-
therische LuiDiung 490.
Paraffinmethode 650.
Krauss Ed.: Muskelpathologie
571.
Krömer: Anstaltsbericht 60.
616.
Krönig: Tabes und Wirbeler-
krankung 497.
Kronthal: Heterotopie im
Bückenmark 97. Syringo-
myelie 832.
Kusnezow: künstliche Hyper-
ämie des Hirns 567.
Ijaborde: Vaguskern 444.
Ladame: Hypnotismus, foren-
sische Bedeutung 214.
Laffont: Cooainwirkung 149.
Landolt: Tabes 31. Wortblind-
heit 605.
LangendorfT 0. : Lidschluss
16. Athembewegungen 45.
Strychnindiabetes 184.
Langgaard: Sulfonal 451.
Lannois: Ohrenleiden u. psy-
chische Störung 58.
Laporte : Sensibilität bei Chlo-
rose 660.
Laauer: Aphasie 337.
Ledere: Hirntumoren 262.
Legal: Cephal. pharyngo-tym-
pan. 86.
Legrouz: AnÜpyrin gegen Cho-
rea 92.
Lemoine: Epilepsie 59. Anti-
pyrin 175. cerebrale Ble-
pnaroptose 245. Conts-ac-
turen bei Epileptikern 898.
Hyoscyamin 64U.
Lcntz: criminelle Irre 180.
Leven: Nervensystem und Er-
nährung 31.
Levin: hered. progr. Muskel-
atrophie 473.
Levinstein: Paralys. progr. 27.
Lewin: Hayagift 117.
Jjewin (Russland) : Nv. vagas
600.
Lewin A. : Morbus Basedowii
678.
Lcyden: Polyneuritis 421. Lo-
oalisation in Hirnrinde 525.
Liebreich: Erythrophlaein 118.
Anästhesie 276.
Linden: Hypnotismus 210.
Lion: multiple Sklerose 51.
Lloyd: Basedow'sche Krank-
heit 454. Bindenepilepsie
671.
Löwenfeld: Tabes 19.
Lombroso: Verbrecher 398.
Lothringer: Hypophysls 132.
Lucas-Championn^re: Hysterie
201. Schädeleröffnung 455.
Luokinger: Aphasie 238.
Lumbroso: hysterische Läh-
mung 197.
Lunz : Nervenaifection nach
acuten infectiösen Processen
80.
Luys: Opiophagie 173. Hypno-
tismus 206.
Lytken: Hypnotismus 208.
JHao- Donald: Criminalirren-
anstalten 367. Kali hyper-
manganicum bei Amenorrhoe
666.
Maccregor: Tumoren desPons
630.
I Mackenzie: Chorea 385.
Mairet: Antipyrin 149. Alko-
hol in toxication bei Hunden
310.
Mallins: intracranieller Tumor
631.
Manasse: Cysticercus Thalam.
opt. 618.
Manz: Neurit. opt. 393.
Marandon de Montyel: Pyro-
manie 59.
Marchi: Goll'sche Stränge 452.
Degeneration nach Entfer-
nung des Kleinhirns 652.
Marfan: Svncope locale 84.
Marie: Aphasie und Agraphie
232. Hemiatrophie der Zunge
494.
Marina: Paramvoklonus 663.
Marro: progr. Paralyse 268.
Peptonurie bei Paralyse 665.
Martmotti: Bückenmarksver-
änderung nach Kleinhirn-
affection 363. Mikroskop.
Technik 567.
Martins: Tabes 494. Hemi-
anopsie 526. Peroneusläh-
mung 644.
Mathieu: troj^h. Störungen 420.
May: Kleinhimtumor 117.
Mays: The'ln 366.
Meilhon: Megalomanie 584.
Mendel E.: Jackson'sche Epi-
lepsie 28. Hemiatrophia
facialis 401. Erkrankung des
Nervensystems bei zwei Ge-
schwistern 431. geminderte
Zurechnungsfabigkeit 542.
Bürgerliches Gesetzbuch 544
(334) (547).
Mendel F.: Ataxie 26.
Mcrcandino: Bücken marksver-
änderungen nach Kleinhim-
affection 383.
Meyer L.: Intentionspsychosen
682.
Meyer P. : Ophthalmoplegie
180.
Michel: Sehnervendegeneration
und Kreuzung 95.
Middleton: Pseudohypertropbie
474. Gliosarcom des rons
630.
Mierzejewski: Amblyopia cra-
ciata 240.
Mies: Gehirngewicht Neuge-
bomes 551.
Michl: Hyoscin n. Hyoscyaiuin
666.
Mills: Hirntumoren 115. 245.
Cerebrospinalmeningi^ und
multiple Neuritis 424.
Mislawsky : Hirnoentren f. Be-
wegung der Blase 505. fiir
Speichelsecretion 553.
Mitchell: Tabes oerricalis 497.
Aneurysma einer anomalen
Arterie 671.
Moeli: Lto Verbrecher Ibl.
(334).
695
Moll (Berlin): Hypnotismofi
269.
Moll (Utrecht) : Anstaltsbericht
667.
V. Monakow (92).
Monod: Morvan'sche Krank-
heit 541.
Mooren : Occipitallappen - Er-
krankung u. Qesichtsstörang
218
Morseili : Hirngewicht 857.
538.
Motet (307).
Mott: Pemphigus 426. Clarke*-
8che Säulen 520.
Müller Friedr.: Tetanie 526.
MüUer-Lyer: Amblyopie 466.
BTansen: Nervenstructur 521.
Nasse: Paranoia secundaria
268.
Naunyn: Syphilis des Nerven-
systems 394.
Neisser : Paranoia originär.
268.
Neumann H.: Tabes 24.
Neuraann (Paris): Facialisläh-
mung 168.
Nissl : centrale Nervenzelle 550.
Nonne: Tabes 163. Hypnotis-
mus 185. 226.
Nothnagel (277) (279).
Noyes: Typenphotographie
248.
Nussbaum : Ueber den Klang-
stab 673.
Obersteiner: Cocain und Mor-
phinismus 580.
Ohmann-Dumesnil : Hypertri-
chosis 540.
Oliver: Tumor der Gauda
equina 54. Epilepsie und
Basedow'soheKranKheit 679.
Ollivier (179).
Oppenheim : Morbus Basedowii
29. 63. Hemianopsie 243.
Tabes dorsalis 335. Erkran-
kung des Sacraltheils des
Rückenmarks 389. Hirn-
symptome beiCarcinomatose
527. musikalisches Yerständ-
niss bei Anhasie 527. juve-
nile Muskelatrophie 527.
combinirte Erkrankung der
Rückenmarksstrange im Kin-
desalter 647 (392) (432) (687).
Ormerod: hysterischer Tremor
200. Friedreich'sche Krank-
heit 302. Sarcom der Pia
spinalis 468.
Osler: Hirntumor 246. Epi-
lepsie 269. Raynaud'sche
Krankheit 453. Venöse Stau-
ung 454. Gliom der Med.
oblong. 524.
Oston: Aphasie 237.
Ott: Wärmecentrum 355. 669.
Paget: Aphasie 235.
Pal: Nervenfärbung 43. vaso-
dilatator.Centren im Rücken-
mark 443. Innervation der
Leber 444.
Paneth: Rindenfeld des Facia-
lis 43.
Parmentier: Rückenmarkssym-
ptome bei Blenorrhagie 635.
Pasteur: Sarcom der Pia spi-
nalis 468. bulbäre Kinder-
lähmung 471.
Pelman: bürgerliches Gesetz-
buch 545. Ministerialverord-
nung 546.
Penny: locale Schweisse 89.
Petersen: Hypnotismus 210.
Petersen : Muskelzuckungen
(myographisch) 671.
Petrazzoni: Schlafmittel 59.
Sitzungsbericht 451.
Pianetta: Idiotie 452.
Pichon: multiple Delirien 171.
Sebstörungen bei der Hyste-
rie 480.
Pick: Gutachten 174. Locali-
sation der Gehorshallucina-
tionen 477. epileptisches
Irresein 477. Reflexpsycho-
sen 478.
Picqu6 : Pupillenbewegung
455.
Pillich: Morphiumvergiftung
149.
Pitres- Tabes 31. Neuritis 79.
309. 426. hysterische An-
äsÜiesie 194. Pseudotabes
500. künstliche Neuritis 651.
Paralys. spinal, ant. 681.
Pittcairn: Hyoscin 615.
Pölchcn : Gehirnerweichung
nach Kohlendunstvergiftung
632.
Pomorski: Rankenneurome
135.
Popoff: Rückenmark nachAr-
sonvcrgiftung 572.
Porter: Tabes 20. Chorea 386.
Preston : atactische Lateral-
sklerose 499.
Preyer: Hypnotismus 202. Bo-
gengänge 261.
Pugibet: Lähmung bei Dysen-
terie 469.
Putnam: Blei-Pseudotabes498.
Blei im Urin 669.
I|,uincke: Muskelatrophie bei
Himerkrankungen 472.
ttabbas: Sulfonal 450.
Rabjw: Sulfonal 451.
Rählmann: sklerotische Ver-
änderungen der Netzhaut-
gcfasse 393.
Ran vier: Venen im Sympathi-
cus 260.
Raymond: Ephidrosis des Ge-
sichts 475.
Reboul: Morvan'sche Krank-
heit 541.
Reckless: Tabes 20.
R^gis: Intervalla lucida 172.
Paralyse und Syphilis 503.
Remak: Trochlearisparese 5.
Tabes 22. Bulbärkem-Er-
krankung 62. Pachymenin-
gitis ccrvicalis hypertrophica
299. Sympathicusparalyse
360. Athetosis 392. (391)
(392) (647). Peroneusläh-
mung 643. Neuritis 655.
Rendu: hysterische Monoplegie
200.
Renvers: Himlocalisation 610.
Rezzonico: Himporose 18.
progr. Paralyse 108.
Ribot: Psychologie 368.
Rieger: Hirnschädel 12. Elek-
tricitätslehre 95. Aphasie
239. Lähmungen und Con-
tracturcn 367. Bewegungs-
störungen 540.
Rolland: Jackson'sche Epilep-
sie 138.
Roller: Menstruation b. Opiuni-
und Morphiumgebrauch 312.
Rooseveldt: Morb. Basedowii
453.
Rosenbach P. : Nervenkrank-
heiten 118.
Rosenheim: multiple Neuritis
81.
Rosenthal (Erlangen): Wärme-
production 381.
Rosenthal (Wien): Hemiläsion
des Rückenmarks 52. Hyste-
rie 196. Centrum ano-vesi-
cale 569.
Ross: sensible Nervenverthei-
hing 257.
Rossbach : Lymphwege des
Hirns 465.
Rütimeyer: hereditäre Ataiie
25.
Rumpf: Syphilis 142. Phena-
cetin 451.
Rumschewitsch : Hemianopsie
242.
Ruscheweyh: Sulfonal 593.
ISacchi: Paralysen durch Ma-
laria 634.
Sachs: Idiotie 56. Schlaflosig-
keit 665. progr. Muskel-
atrophien 670. 671.
Saint-Martin: Einfl. d. Schlafe
auf Respiration 148.
696
Salomonsohn : Weg der Ge-
schmacksfasern 295.
Samelsohn: Sympathicns 552.
Sander W. (334).
Sandoz: Syphil. heredit. 143.
Sarda: Solanin 504.
Bangster: Pemphigns 426.
Sanndby: hypertonische Para-
lyse 308.
Savage: Lehrbuch 93. Psy-
chosen 178.
Scaravelli: Suggestion 213.
Schäfer (Leneench) (543).
Schäfer (London): Muskelsinn
135. Lokalisation in Hirn-
rinde 229. Function der
Hirnrinde 622. Hinterhaupt- i
u. Schläfelappen 623. Elektr.
Reizungen etc. 623.
Schaffer: Lyssa 78. ,
Schleisner: Hypnotismus 211.
SchlÖss : Amylcnhydrat 504.
Gehirn eines Aphasischen
607.
Schmalfuss (312).
Schmaus: diffuse Hirnsklerose
626.
Schmidt: anthropologische Me-
thoden 640.
Schnopfhageu: Faltung der
Grosshimrinde 549.
Schöler: Erythrophlaein 118.
Schönfeld A.: multiple Skle-
rose bei Kindern 499.
Schönfeldt M.: tiefe Körper-
temperaturen bei Geistes-
kranken 686.
Schötz: Riesenwuchs 360.
Scholz: Schlaf u. Traum 151.
Irrenanstalt 695.
Schotten: Tetanie 678.
Schrader : Physiolog. d. Frosch-
Gehirns 46.
Schröter: Corpus callosum587.
Schubert : Blepharospasmus
165.
Schule (544).
Schütz: acute Myelitis 141.
Aphasie 527.
Schnitze F.: 82. Syringomye-
lie 266. Nervenaffectionen
483. Ophthalmopleg. ext.
460. Entbindungsläbmungen
675.
Schwalbe: Sulfonal 450.
Schwarz: Chorea 388.
Schweder: Ueberosmiumsäure
bei Epilepsie 332.
S^e (179).
Seeligmttller: Intercostalneu-
ralgie 85. Lehrbuch 152.
Paramyoklonus 664.
Seglas : Melancholie 90. com-
binirte Psychosen 806. Ka-
tatonie 581.
Seguin: Hemianopsie 242.
Ophthalmoplegie 574. (669)
(669) (670).
Sehrwald : Lymphwege den
Gehirns 465.
Seil: Hypnotismus 211.
Semal: criminelle Irre 179.
Semon: Laryngealmuskeln 76.
Senator : periodische Oculo-
motoriuslähmung 55. Myo- I
sitis 422. Heerderkrankun- i
gen des Hirns 525.
Seppilli: Paramyoklonns 388. !
partielle Epilepsie 541.
Sharkey: Hemianopie 243. Tu-
mor des Acusticus 631.
Shaw: peripher. Nerven bei
Tabes 660.
Shore: Vagusnerv 521.
Sibley: Himabscess 248.
Siemens: Hirntumor 604.
Siemerling: Hirnsyphilis here-
ditäre 30. Paralyse d. Frauen
333. 528 (432). Hysterie mit
Psychose 686.
Sigaud: Wortblindheit 240.
Sigbicelli: progr. Paralyse 111.
Galvanisat der Thyreoidea
618.
Silcock: Syringomyelie 161.
Simon: Trauma, Hallucinatio-
nen etc. 172.
Singer: Bückenmark 356.
Skinner: Seekrankheit 177.
Smith-Shand: symmetr. Gan-
grän 661.
Suell: Paralys. progr. 502.
SoUier Alice: Zahne der Idio-
ten 57. Sugp^estion 213.
Genitalor^ane bei Idioten 683.
Souza-Leite: Chorea 169. Mor-
bus Basedowii 680.
Sperling: Hypnotismus 313.
373. 413. Lähmung des
Nerv, suprascapularis 686.
Peroneuslähmung 686.
Spillmann: Dystroph, musc.
progr. 578.
Spitzka: Delirium grave 683.
; Spronck: Rückenmark 857.
' Starr: Hirntumor 453. Oph-
' thalmoplejrie 573 (670).
; Steinach : Temperatur- und
Drucksinn 830.
Steiner: Pathogenese d. Kram-
pfes 550.
Steiner (Boseuberg): symmetr.
Gangrän 661.
Stephan: Tntentionstremor 49.
posthemiplegischer Tremor
169. Facialislähmung 579.
Stewart: Pachymeningitis in-
terna 114.
Stölting: Alexie 481.
Strümpell: progr. Paralyse u.
Tabes 122. Muskelatrophie
und amyotrophische Seiten-
strangsklerose 139.
Suckling: Migräne und Oculo-
motoriuslähmung 56. Kay-
naud'sche Krankn.85. Klein-
hirntumor 113. Aphemie285.
senile Chorea 386. multiple
Neuritis 424. Tabes acuta
497. McBsing^taxie 499.
Ophthalmoplegie 576. Apha-
sie 606.
Sutton: Nervensystem 352.
Tambi'oni: progress. Paralyse
110.
Tamburini: Katatonie 582.
Taubner: Himlipome 78.
Terrien: Trauma, Ep':l paie q.
Paralyse 502.
Thierscn: Himsyphilis 145.
Thomas: Strangurie 429.
Thompson : Hyoscin. hydrojod.
366.
Thomsen : traumatische Beflex-
paralvse 61. 528. retrobul-
bäre Neuritis 216. alcohol.
Augenmuskellähmung 574.
Thomson: Aphasie 233.
Thorbum: Cauda c<\^^^ ^^
Thue: Tumor des Thal. opt.
627.
Tigges : Hirngewicht b. Geistes-
kranken 658.
Toumeur: Bückenmarksent-
wickelung 330.
Treitel: Hemianop. temporal,
unilat. 241.
Trzebinski: Peripherische Ner-
ven-Bindegewebshyperplasie
418.
TukeHack: Folie ä deux 363.
Torner, Ch. : Syringomyelie 77.
Turner, J. : Urin bei Psychosen
89.
Uhthoff: Alcohol und Seli-
Organ 83. multiple Sklerose
und Auge 642.
ünger: multiple Sklerose im
Kindesalter 50.
Un verriebt: multiple Himner-
venlähmung 164. Atbem-
bewegungen 274 (279).
üpsou: Karminfarbung 819.
Taillard: Tabes 31. Neuritis
79. 309. 426. Künstliche
Neuritis 651. Paralys. spinal,
ant. 681.
Yenanzio : Pleuritis bei Geistes-
kranken 613.
Yenturi: transitorische Psy-
chosen 447.
(
697
Vigouroox : Morbus Basedowii
137. Eleotrischer Leitangs-
widerstand 303. Eleotrici-
tat; des meDschlichen Kör-
pers 308.
Vintscbgau: Temperatur- und
Drucksinn 330.
Vircho w, H. : Nervenzellen 29.
Vitzon : Sebsphare 597. Kreu-
zung des Sehnerven 621.
Vizioli: Hemiatrophia facialis
452.
Voisin: Suggestion 213.
Yolkmann : Gliom des Rücken-
markes 300,
Waetzold: Hirntumoren 525.
Walitzkaja: Psychometrie bei
Geisteskranken 636.
Wallenberg: cerebrale Kinder-
lähmung 382.
Wallich: Tabes und Knochen-
brüche 498.
Wälton : Dislocation der Hals-
wirbel 671.
Warner: Syphilis 145.
Wassiljew : Veränderungen der
Hypophysis cerebri 625.
Weizsäcker: Tabes 20.
Werner: psychische Contagion
365.
Wemieke : Heerderkrankung
d. unteren Scheitelläppchens
607.
Westphal: Augenmuskeln bei
Ophthalmoplegie 431. mul-
tipleSklerose 576 (334) (432).
Kreis^uppe des Oculomo-
toriuskems 686. skleroti-
scher Fleck 686.
Wetterstraud: Hypnotismus
208.
' White Haie : Aphasie 285
i (272).
Bewegungsanomalien bei
' Kindern 675.
Wiedersheim: Himmodelle
397.
Wiglesworth : Pachymeningi-
tis 500.
Wilda: Gesichtsschwitzen 88.
Wildermuth: Idiotie 547.
Will: Atropin u. Hyoscyamin
639.
Wille: Verwirrtheit 361.
Willers: Castration bei Neu-
rosen und Psychosen 60.
Wilson: Antipyrin 366.
Wising: Hirntumor 115.
Witkowski: Neurit. multipl.
82.
Wolfenden: Morb. Basedowii
138.
Wollenberg: psychische Infec-
tion 392.
Kacher: Chorea hereditaria
34.
Zenner: Geschinacksnerven-
verlauf 457.
Ziehen: ehem. Beizung der
GroBshimrinde 106. Knie-
Phänomen 264. Myoklonus
264. Physiologie der sub-
corticalen Centren 429.
Abasie 169. 384.
AccessoriuB: Anatomie 380.
— Physiologie 599.
— paralyse 360.
Aconitin 667.
Acusticus 631. 673. 674.
Addisonsche Krankheit 29.
Agraphie 232.
Akromegalie 358. 359 (2).
360.
Albuminurie bei Gtisteskran-
ken 428.
Alcoholiutoxication bei Hun-
den 310.
AlcoholismuB Therapie 395.
Alkoholneuritis 82. 83. 422.
656.
— und Sehorgan 83.
cf. Neuritis.
Alexie 481. 509.
Allochirie 681.
Amblyopia cruciata 240.
— exp. Untersuchungen 466.
Amenorrhoe und Psychose 660.
Amnesie 236. 240.
— des Gehörs 233.
— des Gesichts 233. 240.
— der Schrift 233.
— der Sprache 233.
Amputation, Veränderung da-
nach iin Nervensystem 66.
Amylenhydrat 60. 176.
Amvotrophie cf. Muskelatro-
phie.
in. Sachregister.
Amyotrophische Lateral Skle-
rose cf. Lateralsklerose.
Anaesthesie, locale 276.
— bei Chlorose 660.
Anaesthesia optica 224.
Anaestheticum : Aconitin 667.
Anencephalie 261.
Angina pectoris 260.
Angst, Tod durch 475.
Anstalt cf. Irrenanstalten.
Anthropolog. Methoden 640.
Antipyrin: Wirkung auf Ner-
vensystem 624.
— auf therm. Centren 60.
— auf Thierkörper 353.
— gegen Chorea 92.
— gegen Seekrankheit 96.
-> als Schlafmittel t49.
— bei Epilepsie 175.
— Vergiftung 179, 640.
~ als Analgeticum 366.
Aphasie 232. 233. 284 (2).
235 (2). 237 (2). 238. 239 (2).
240. 337. 397. 430. 527. 606.
607.
Aphemie 235. 606.
Arachnoidfa: Osteophyten 48.
Arsenik, Einfluss auf Rücken-
mark 572.
Arthralgie, hysterische 199.
Arthritis rheumatioa, nervöser
Ursprung 659.
Arthropathien bei Tabes 19.
20 (8). 21.
Asphyxie, locale cf. Raynauds
Krankheit.
Astasie 169. 384.
Ataxie beim Esel 248.
— und Muskelsinn 16. 19.
— hereditäre 25. 302.
cf. Friedreichsche Krank-
heit.
— bei Bulbärlähmung 26.
— cerebellare bei Katzen 32.
— spastische 801.
— und Lateralsklerose 499.
— nach Diphtherie 80.
— nach Scharlach 311.
— bei Bleivergiftung 498.
— bei Messingarbeiten 499 (2 ) .
— bei Thalamustumoren 526.
Atfaembewegungen , Innerva-
tion 45.
— Mechanismus 274.
Athetose bei Tabes 19.
— 392.
— doppelseitig. 469. 675.
Atropm 639.
Audition coloröe 307.
Auge, Lähmung der Convcr-
genzbewegung bei Tabes 31.
— und AlcohoUsmus 83.
Augenmuskeln bei AlcohoUs-
mus 84. 574. 576.
— bei Ophthalmoplegie 431.
cf. Ophthmaloplegie und ein-
zelne Augenmuskelner-
ven, Oculomotorius etc.
698 —
BalkeD, Maogel desselbeu 47.
— Erweichaog 47.
— abnorme Kürze 537.
Basedow'sche Krankheit 29.
137 (2). 138. 304. 453. 454.
455. 678. 679. 680 (2).
~ und Ophthalmoplegie 572.
Beri-Beri 424. 656.
BewegangsstÖmogen 540.
Biographisches Lexicon 886.
Blase, Neuralgie derselben 85.
— Himccntmm für Bewegun-
gen derselben 505.
cf. Sphincter.
Blei im Harn 669.
Bleiataxie 498.
Bleiintozication 427.
Bleilähmung 98.
Blepharoptose, corticale 245.
Blepharospasmus 165.
Bogengänge, Physiologie 261.
Brachialplexus, Lähmung 108.
109.
Brown • S^quard'schc Halb-
seitenläsion cf. Rücken-
marks-Pathologie.
Bulbärkemerkrankung 62.
Bulbärparalyse, acute 810.
Calorimetrischc Untersuchnn-
gen 381.
("annab. indica gegen Migräne
660.
('arcinom, Hirnsymptome da-
bei 527.
Cauda cquina Tumoren 54.
- Verletzungen 802.
(>entren, subcorticale 429.
cf. Lokalisation.
Centram, ano-vesicale 569.
(-ephalalgia und Hamsäure-
ausficheidung 130.
('ephalalgia pharyngo. tympa-
nica 86.
(*erebellum cf. Kleinhirn.
<'ervicalnerven Pbysiolog. 600.
— Lähmung des 5. u. 6. 109.
Chiasma, nerT. opt. 95. 242.
621.
— Längbtheilung durch Aneu-
rysma einer anomalen Ar-
terie 671.
Ohloralschlaf und Respiration
148.
— Anwendung 365.
Chloroformschlaf und Respira-
tion 148.
(Cholesteatom im Hirn 858.
(vhorda tympani 295. !
Chorea major 169.
C'horea 385. 387. 675.
— hereditaria bei Erwachse-
nen 84. 264. 265. I
-- imitatorische 888. i
— senile 886. i
— posthemiplegica 169.
Chorea, Aetiologie 886.
— schnell tödtliche 886.
— bei Geisteskranken 476.
— Antipyrin dagegen 92.
cf. Hemichorea, Paramyo-
olonus u. 8. w.
Chromoleptische Substanz 83 1 .
Circuläres Irresein 445.
Clarke'sche Säulen, Anatomie
75.
— comparative Anatomie 521.
Cocain, Wirkung 149.
— Vergiftung 150. 580.
Coffein : Einfluss auf psychische
Vorgänge 107.
Conjugirte Deviation cf. De-
viation, conjugirtc.
Conta^on, psychische 365
cf. Psychosen, iuducirte.
Contracturen 297.
— Behandlung 867.
Corpora quadrigemina Tumor
628.
Corpus callosum of. Balken.
Corpus striatum Sarkom 245.
— Wärmecentrum 355.
Corpus trapezoides 547.
Criminelle Irre 179. 180. 181.
183. 689.
cf. Irrenanstalten.
Cysticercus im Thalamus 618.
— im Hirn 630 (2).
Cytisin gegen Migräne 1.
egeneration, secundäre, des
Hirnschenkels 108.
— vom Pons aus 161.
— im Rückenmark 300.
Degenerative Qeistesstörung
90.
Degenerirte hereditäre 445.
Delirium, erotisches 170.
— grave 683.
— hystericum 198.
— der Negation 90.
— traumaticum u. nervosum
478.
— multiples bei denselben In-
dividuen 171.
— und Einbildaugskraft 306.
Delirium tremens, Methylal-
injection 307.
Dementia. Hirn dabei 48.
Deviation, conjugirte derAugen
607. 610. 624.
Diabetes insipidus 144.
— Glycogen m Grosshirnrinde
588.
Diapason Vertex 674.
Diffusionselectrode 585.
Diphtherie, multiple Sklerose
danach 499.
Diphtherische Lähmung 490.
Dispositionsfähigkeit 172.
cf. Forensische Fälle.
Drucksinn Zeitmessung 830.
Dura mater spinalis Fibrom
674.
Dysleiie 88. 63. 68.
Dystrophia musc. progr. 3b3.
396. 397. 473. 474. 527. 577.
578. 670. 671.
cf. Muskelatrophie und Po-
lymyositis progr.
Dystrophie des subcutanen
Binoegewebes der Arme und
des Rückens 670.
Kchinococous des Rfickenmar-
kes 303.
Electricitätslehre 95.
— - Acusticus 674.
— bei Morb. Basedowii 137.
— des menschlichen Körpers
308.
— bei Tetanie 677.
— bei Thomsen'scher Krank-
heit 679.
— Leitungswiderstand 803.
304. 808.
Electrotherapie 585. 613. 614.
Eucophalomalacie nachEohlen-
dunstvergiftung 632.
Entartungsreaction, faradische
645. 647.
Entbindungslähmungen 675.
Ependymgranulation 571.
Ephidrosis des Gesichts 475.
Epilepsie: physiol. Patho-
logie 277. 429. 550.
Symptomatologie.
— Perversion des Geschlechts-
sinns 90.
- Genitalien 688.
— centrale Temperatur 110.
— Nystagmus 148 (2).
— Dynamometer 150.
— Athmung 308.
~ Augenbefund 394.
— Contractur 398.
— - sensitive 477.
- Worttaubheit als Aura 477.
- Inesein 478.
Aetiologie.
- Herzaffection 59.
— HamsäureauBscheidnng
127.
— Basedow'sche Krankheit
679.
Path. Anatomie.
— Hirnrinde 452.
Therapie.
— Chirurg. Behandlung 113.
247.
— Antipyrin 175.
- Nitroglycerin 269.
— Ueberosmiumsääure 332.
— Galvanisation der Thyreoi-
dea 613
Epilepsie corticale cf. Jsck-
sonsche Epilepsie.
— 699
Epileptische AnföUe, Patho-
geoese 277.
Erb'sche LähmuDg 108. 109.
675.
Ergostat 91.
EriDDerangsfalschangen 268.
ErythrophlaeiD 117. 150.
Facialis, Rindenfeld 43.
— Ceotrum 245.
— Anatomie 599.
— iutracraniclle Verletzung
459.
— Krampf 165. 166.
— Lähmuog 168.
bei Felsenbeinfractui CD
579.
bei Neogebornen 579.
— Farbenempfindafigen 307.
Fieber, hysterisches 201.
Fissora parieto-occipitalis 159.
Folie ä deux cf. Psychosen in-
dncirte.
Forensische Mediciu und Hyp-
notismns 214.
Forensische Psychiatrie 172.
174. 180. 181. 183. 367.
398. 400. 542. 544.
— Simulation von Geistes-
krankheiten 664 (2)
Frledreich'sche Krankheit 25.
26. 273. 302.
Froschgehim, Anatomie 10.
Fussklonus 478.
cf. Sehnenreflexe.
i4unglienzelldn - Strnctnr 521.
550.
— in peripherischen Ganglien
14.
-- Vacuolisation 261.
— Granula in denselben 29.
— Gangrän, symmetrische cf.
Raynaud'sche Krankheit. |
(iaoltheriaol 269.
GühÖrshallucinationen u. Ohr-
erkrankung 612.
Geisteskranke , Namen der-
selben 584.
Genitalien bei Idioten n. Epi-
leptikern 684.
Ge.sohlechtssinn , Perversion
bei Epileptischen 90.
Geschraacksempfindnng 598.
Geschmacksfasern, Weg zum
Gehirn 295. 457. 549.
Gesetzbuch, bürgerliches 544.
Glandula pinealis 537. 621.
rUandula nituitana, Abscess
628. Adenom 248.
— Carcinom 262 (2).
Glossopharyngeus Physiologie
599.
Glycogen in Capi Ilaren der
Grosshirnrinde bei Diabetes
538.
Golgische - Färbungsmethode
602.
Goirsche Stränge, Erregbar-
keit 155.
— Faserverlauf 452.
Gonorrhoe : Rückenmarkser-
scheinungen danach 635.
Grave's Krankheit cf. M. Base-
dowii.
Gustation coloree 307.
Gyr. angularis 623.
— und Sehcentrum 229.
— und Blepharoptose 245.
— und Woilblindheit 351.
Gyr. centralis Tumoren 231.
Hallucination 91. 172.
— hypnagog. 131.
Halswirbel, Dislocation 671.
Harnsäure und Epilepsie ^ind
Kopfschmerz 127.
Hautnerven , Yerbreitungs-
weise 621.
Hayagift 117.
Hemiachromatopsie 605.
Hemianästhesie, cerebrale 244.
627.
— hysterische 398.
Hemianopsie 219. 232. 242.
243. 481. 509. 526.
— temporale 241. 242. 243.
~ bitemporale durch Aneu-
rysma 671.
Hemiatrophia facialis 401. 452.
579.
— der Zunge 494. 578.
Hemichorea 389.
Hemikranie 56. 248.
cf. Migräne.
Hemiläsion des Bückeumarkes
52. 53.
Hemiplegie : ^osthemiplegischo
BeizerscheinuDgen 169.
Heredität cf. Psychosen.
Herpcs digitalis 88.
Herpes zoster 87.
Hirn, Schablone 95.
Anatomie.
— Gewicht 48. 367. 538. 551.
cf. auch Psychosen.
— Präparirung 353. 650. 671.
— Härtung 432.
— Lymphwege 465.
— Mikrophotographie 549.
— Technik 567.
— Modelle 397.
— des Frosches 10.
Physiologie.
— des Froschgchims 46.
— Transfort 147.
Path. Anatomie.
— bei Idiotie 58.
— Lipome 78.
cf. Hirnabscess, Tumorcu,
Cysticercus etc.
Hirn: patholog. Anatomie.
— Brweichungsheide 610.
cf. Encephalomalacie.
— Plaques jaunes 633.
Therapie.
— Chirurgie der Hirnkrank-
heiten 111. 177.
cf. Trepanation.
Hirnabscess beim Schaf 248.
— Trepanation 112. 247. 685.
Hirndruck 112.
Hirnerkrankung und Mnskel-
atrophie 472.
Hirnmantel, Entwicklung 428.
Hirnnerven, Gruppirung 520.
Hirnner venlähmung, inultiple
164. 549.
Hirnporose 18.
Hirnrinde, motor. Feld 14 622.
— Gliose 601.
— Localisation in derselben
cf. Locali&ation.
— bei Idiotie 57.
— Dicke bei Geisteskranken
539.
— Faltung derselben 549.
— Reizung u. Einfluss
auf Circulation 569.
Himschenkel: secundäre De-
generation 108.
Hirnsklerose, diffuse 626.
Hirnstichwunde 17.
Hirnsymptome bei Carcinose
527.
— bei eitriger Pleuritis 633.
fiirnsyphilis 30. 145. 174. 243.
cf. Syphilis.
Hirntumoren 112. 114. 115.
116. 117. 245. 246. 262.
358. 453. 468. 469. 525.
604. 609. 631.
cf. die einzelnen Theile des
Hirns, Corp. striat. u.s.w.
Huntington'sche Chorea 264.
265.
Hydrooephalus internus 143.
Hydroxylamin 651.
Hyoscin 615. 666.
Hyoscyamin 639. 640. 666.
Hypertonische Paralyse 270.
308.
Hypertrichose 14^. 540.
Hypnotica' 59.
flypnotisraus 185. 202. 203.
206. 207 (2). 208. 2 12. 213(3).
214(3). 216. 226. 269. 281.
313. 321. 336. 373. 395. 413.
cf. auch Suggestion.
Hypoglossus, Physiologie 599.
— Atrophie 494.
— Paralyse 360.
Hypophysis, Anatomie 132.
— Tumoren 136. 358.
— pathol. Veränderungen 625.
Hysterie 212. 214.374. 414.
— Wesen derselben 196.
— 700 ~
Hysterie: Symptomatologie.
— Amaarose 149.
— SehstÖrangen 480.
— Anästhesie 194. 201.
- HemiaDästhesie 398.
— Aithralgie 199.
— Tremor 200.
— Maladie des tics 166.
— Lähmangen 197.
— Monoplegie 200.
— Ophtbalmoplcgie 572.
-- Ddirium 198.
— Fieber 201.
— Schlaf 479.
Aetiologie.
~ meronrielle 146.
— Syphilis 201.
— Bleivergiftung 202.
— beim Knaben 213.
— beim Manne 201.
— Iherapie 213(2).
— anatomischer Befnnd 687.
Hystero- Epilepsie 213 (2). 314.
372. 375. 377.
Jackson'sche Epilepsie und '
Psychose 28. 138. 541. 671. .
I
Idiotie, Psychosen dabei 452. i
— Musiksinn 547.
— Genitalien 683.
— Zähne 57.
— Aetiologie 58. ,
— pathol. Anatomie 56. 57. i
Imbccillität, Selbstmord dab<i i
58.
— - u. progr. Paralvse 111.
Psychosen dabei 452. i
Inducirtes Irresein
cf. Psychosen, indocirte. i
1 nfectionskrankbeiten , A fiec-
tionen d. Nervensystems 80. '
— Neuritis danach
cf. diese.
Intentionsnystagmus 437.
Inteutionspsychosen 682.
I utentionszittern, Genese 49. '
1 nterco8talnerven,Neuralgie85.
Intervalla lucida 172.
Irrenanstalten» Berichte 61(2).
64. 305(3). 812. 616. 667.
668. 684.
— criminelle 179. 180. 181. '
183. 867.
— Choleraepidemie in Irren-
anstalten 616.
— Wachtabtheiluugen 685.
Ischiadicus, Le wasche w'sches |
Experiment 421.
Ischias. Deformation des Stam- !
mes danach 658. 689.
Kali hypermangauicum bei
Psychosen mit Amenorrhoe ,
666.
Kataphorese 586,
Katatonie 581. 582.
Kathetometer bei Eraniometrie
352.
Kchlkopflähmung, centrale
162.
— und Nervenerkrankung 456.
Kephalometrie 292.
Kiiiästhesiometer 249. 283.
Kinderlähmung u. progr. Mus>
kelatrophie 140.
— bulbäre 471.
— cerebrale path. Anatomie
382. 625.
— spinale halbseitige 471.
— Gelenkcontracturen 472.
Klangstab 673.
Kleinhirn» Anatomie 92.
— Physiologie 149.
^ und Bewegungs Vorstellun-
gen 13^
— Tumoren 113. 117.
— Rückenmarksverändernn-
g< n bei Kleinhirn affectionen
383. 652.
Kleinhirnschenkel , vorderer,
Bestandtheile 597.
Kniephänomen 264.
cf. Sehnenrefleze^Westphar-
sches Zeichen.
— Ijokalisation 580.
— Percussionsschall dabei 635.
Körpertemperatur, tiefe, bei
Geisteskranken 636.
Kopfschmerz cf. Ccphalalgie.
Kiaftsinn 285.
Krampf, Pathogenese 550.
Kraniometrie 292. 812. 352.
Längsbündel, hinteres 566.
Laryngeus recurrens 76.
Larynxmuskeln 76.
LateraLiklerose , amyotrophi-
sche 140.
— atactißche 499.
Leber, Innervation derselben
444.
Leitungswideratand , electri-
schcr 303. 804. 308.
Leptomeningitis, tubercnlöse
17.
Lichtrciz, Leitungsbahn zum
.( )v'.ulomotoriu8 380.
Lidbcbluss, einseitig u. doppel-
seitig 16.
Lobi cf. auch Gyn.
L)bu8 frontalis, Tumor 231.
Lobus occipitalis 623.
— u. Gesichtsstörungen 218.
liob. parietalis infer. 240. 607.
li'>bus temporalis 628.
Hörcentrum 230. 626.
Worttaubheit 351.
- Gliom 115.
— Abscess 526.
— Tumor 262.
Localisation:
— im Hirn 525. 610.
für Wftrme 353. 355.
— in Hirnrinde 76. (622.
623. Affe).
för psychomotor. Cen-
tren 3H1.
für Arm (Affe) 76.
— — f. Bewegung der Harn-
blase 505.
— — für conjugirte Augen-
. ab weichung 607. 610. 624.
für FaciaUs 48.
— — für Farbensinn 605.
— — für GehörBhallncination
477.
für HautempfinduDgen
622. 623. 669.
fürHören230.526.626.
— — für Lev. palpebr. sup.
24'>
für Riechen 452.
für Sehen 218.229.232.
597.
f. Speichelsecretion 564.
für Sprache 234. 235.
337. 526. 607.
für Wortblindheit 240.
— im Rückenmark, Cen-
trum generandi 335. 389.
Centrum ano - yesicalc
569.
Kniephänomen 580.
Lymphwege des Gehirns 465.
Lyssa 78.
Riagenneurosen 676 (2).
Magnetwirkung 456.
Mal perforant 142.
Maladie des Tics 166.
Malaria, Paralysen danach 634.
Mania Hyosc. hydrob. 366.
Massage 175.
Mastzellen 422.
Medianus, Verästlung 443.
— Lähmung 169.
MeduUa oblongata, Hämor-
rhagie 524.
— Querspalt 687.
— Gliom 524.
cf. Bulbärparalyae.
Megalomanie 584.
Melancholie mit Delirium d«r
Negation 90.
— mit Nahrungsverweigerung
172.
Meniere'sche Symptomenconi-
plexe 631.
Meningitis cerebrospuialis 24 s
424.
— chronica 145.
cf. Leptomeningitis.
Menstruation bei Opium uod
Morphium beeinflnsst 311
MerydsmuB 470.
Mesaingataxie 499 (2).
701
Metalloscopie 206.
Meihylal 60. 307.
Migräne, Cytisin 1.
— Massage 176.
— Cannab. indica 666.
cf. Hemikranie.
Mikropbotographische Präpa-
rate 549.
Mikropsie bei Hysterie 480.
MoDoplegia bracblalis nach
Typhus 82.
— hysterica 200.
Moralisches Irresein 90.
Moria 231.
Morphinismus 94. 580.
Morphium, Chemie 184.
— EinfluBs auf Menstruation
312.
— Anwendung 365.
— Schlaf und Respiration bei
Morphium 148.
Morphiumvergiftung und histo-
logische Veränderungen 149.
Morvan'sohe Krankheit 541.
Motorische Kegion in Hirn-
rinde 231.
cf. Localisation.
Muscul. supraspinat. u. infra-
Spinat., Function 257.
Muskelarbeit als therapeuti-
sches Mittel 91.
Muskelatrophie 670. 671.
cf. Dystroph, musc, Kinder-
lähmung, Poliomyelitis.
— neuritische bei Tabes (cf.
Tabes) 22. 309.
— und piogr. Paralyse HO.
— progr. spinale 139. 427.
Diagnose 577 und Kinder-
lähmung 140.
— bei Gehirnerkrankungen
472.
— nicht progressive 473.
— hereditäre progressive 473.
— an oberer Extremität 657.
— nach Tenotomie und Neu-
rotomie 571.
— nach acutem Rheumatis-
mus 658.
— bei Morb. Basedowii 680.
Muskelkrämpfe idiopathische
663.
cf. Paramyocionus.
Muskelsinn 232. 249.
— und Ataxie 16.
— bei Tabes 19.
— Wahrnehmung eigner pas-
siver Bewegungen durch
denselben 135. 289.
MuskelzuckuDgen, Myographie
646. 671.
Hyelitis acuta 141.
— cervicalis 141.
— disseminata nach Masern
52.
— bei Lyssa 78.
Myoklonus 264.
cf. Paramyoklonus.
Myositis multiple, bei Neuri-
tis 422.
STahrungsverweigerung 96.
172. 445.
Nerven , peripherische , Ver»
änderung nach Amputation
66.
— trophische Störungen na -h
. Reizung 420.
— Inoculation mit Wuthgift
279.
— Bindegewebshyperplasie in
denselben 418.
— degenerative Atrophie 4 IH.
— Varicositäten 420.
Nerven, myästhetische 135.
— sensible, Einwirkung der
Kohlensäure 134.
— Vertheilung derselben 257.
cf. Hautnerven.
— vasomotorische 523.
cf. im Uebrigen unter Ac-
cessorius, Oculomotorius etc.
Nervengewebe,Karminfärbung
319.
Nervenkrankheiten, Pathologie
und Therapie 688.
Nervennetz 432.
Nervenröhren, Structur 521.
Nervensystem, centrales, Tu-
berculose 17.
— congenitale Veränderungen
687.
— und Ernährung des Kör-
pers 31.
— nach Infectionskrankheiten
80.
— desCorydalus comutus 106.
— und Darmcanal 352.
— bei Erkrankungen von Ge-
schwistern 431.
— Härtungsverfahren 432.
— Künstlich erzeugte Hyper-
ämie 567.
Nerven wurzeln, hintere, Ana-
tomie 75.
Nervenzellen
cf. Ganglienzellen.
Netzhautgefasse, sklerotische
Veränderungen 893.
Neuralgie der Blase 85.
— der Intercostalnerven 85.
Neuritis 655.
— durch Aetherinjection 79.
— durch Alkohol, künstlich
651.
— durch Bacilleninoculation
79.
— nach acuten infectiösen Er-
krankungen 80. 82. 656.
— bei Wundtetanus 809.
— multiple 80, 81. 419. 421.
423. 424 (2). 656.
Neuritis, multiple Alkohol- 82
83. 422. 656.
— Myositis dabei 422.
— bei Rheumatismus acutus
658.
— bei Rheumatismus chron.
426.
— bei Tuberculose 425.
— bei Pemphigus 426.
— bei Tabes ct. Tabes.
— retrobulbäre,hereditäre216.
— fascians 424.
— u. Rückenmarkserkrankung
427.
— des Vagus bei Paralyse 452.
— apoplectiformes Einsetzen
657.
~ interstitialis prolif. trigem.
405.
— optica 393.
— radialis 406.
— des Plexus brachialis 658.
Neurom, Rrankenneurom 135.
Neurose durch sexuelle Ab-
stinenz 476.
— des Magens 676 (2).
Neurotomie, Einfluss auf Mus-
keln 571.
Nierenerkrankung u. Nerven-
system 669.
Nodus cardiacus 444.
Nymphomanie 170.
Nystagmus 437.
— bei Epilepsie 148.
Oculomotorius, Bahn vom
Lichtreiz aus 380.
Oculomotoriuskem , Atrophie
der Westphal'schen Zellen-
gruppe 619.
— Kreisgruppe 686.
Oculomotoriuslähmung 55. HB.
88. 180.
cf. Ophthalmoplegie.
Olfaction color^e 307.
Olive, obere 5.
Onomatomanie 446.
Ophthalmoplegie 180.431.460.
572. 573. 574 (2). 575. 576 ( 2 ).
Opiophagie 173.
Opium, Einfluss auf Menstru-
ation 312.
Opticus, Atrophie 242.
— bei Geschwistern 431.
— Degeneration u. Kreuzung
95.
— Histogenese 466.
— bei chron. Alkoholismus 88.
— Faserkreuzung 621.
cf. Chiaama.
Othämatom 307. 551. 672.
Pachymenin^tis cervicalis
hypertrophica 299.
Pachymeningitis interna, Tre*
panat. 114.
702
Pachynieningitis bei Psychosen
500.
PanaritiTim analgeticnm 541.
Papilla nv. optici ef. Opticns.
Paraldebyd 684.
Paralyse, in Folge von Dysen-
terie 469.
— auf infectioser Basis 470.
— in Folge von Malaria 634.
— diphtherische 490.
— hypertonische 270.
— dnrch Mikroben 309.
Paralyse, progressive 29.
Symptomatologie.
— mit progressiver Muskel-
atrophie 110.
— - bei einem epilept-Imbecillen
111.
— Aphasie und Schriftblind-
heit 239.
— Peptonnrie 268. 675.
— Lungenentzündung 452.
Aetiologie 27.
— Syphilis 27. 503.
— bei Mädchen von 13 Jahren
122.
- bei 17 jähr. Knaben 145.
— bei Frauen 333. 528.
— Trauma 502.
— Häufigkeit 502.
— Tabes 503.
Path. Anatomie
108. 143. 145. 608. 668.
— mit Porencephalie 331.
— Ganglienzellen 452.
— Neuritis des Vagus 452.
— peripherische Nerven 452
— Hirnrinde 452. 540.
— Pachvmeningitis 500.
— Epenoymgranulationen 571
— Ganglienzellen 602.
— Diagnose, Paralyse progr
und pellagrosa 501.
— Ausgänge, Heilung 151.
Erstickung 29.
— bei Hunden durch Alkohol
intozication 310.
— durch künstliche Hyper
ämie 567.
Paralysis agitans, Pseudocon
tractur 298.
Paralysis periodica spinalis 55
Paralys. spinal, anter. 681.
Paramyoklonus 167. 264. 388
661. 662. 663. 664.
Paranoia originäre 268.
— secundäre 268.
— Wortneubildungen dab.312.
Paraphasie 847. 527.
cf. Aphasie.
Pellagra und Paralyse 501.
Pemphigus und Neuritis 426.
Peptonnrie 268. 665.
Peroneuslähmung 642 u.f. 686
Phenacetin 451.
Phrenasthenie 547.
Pia spinalis Angiosarkom 467.
— Sarkom 468.
Pleuritis bei Psychosen 613.
— Himsymptome dabei 633.
Polioenoephalitis acuta supe-
rior 574.
Poliomyelitis unilateralis 471.
Polydipsie 144.
Polymyositis progr. subacuta
670.
Polyneuritis cf. Neuritis mul-
tiplex.
Polyopie bei Hysterie 480.
Polyurie 144.
Pens Varolii, Tuberkel u.secun-
cundäre Degeneration 161.
— Gliom 311.
— Wärmecentrum 355.
— Gliosarkom 680.
- Tumoren 630(2).
Porencephalie 331. 453. 454.
570.
Posthemiplegische Reizerschei-
nungen 169.
Preisaufgaben 32. 184. 284.
Pseudohypertrophie path JLnat.
383.
cf. Dystrophia muse. progr.
Pseudotabes 498. 500.
Psychiatrie, Geschichte 400.
— Lehrbuch 93.
— forensische cf. Forensische
Psvchiatrie.
Psychologie 368.
Psychometrie 537. 686.
Psychosen 173.
cf. Delirium, Dementia,
Manie Melancholie, Para-
noia u. s. w.
Symptomatologie.
-- erotische 170.
— combinirte 306.
— Verwirrtheit 361.
— Umbildung einer Form in
eine andere 260.
— der Hexen 400.
— Chorea dabei 476.
— Sehstorungen 480.
— symmetrische Aifectionen
der Gliedmaassen 548.
— tiefe Körpertemperatur 636.
— Pleuritis 613.
Urin 89.
— Albuminurie 428.
Aetiologie.
— communicirte 172.
— inducirte 363. 364. 365. 392.
— degenerative 90.
— Heredität 448.
— hereditäre Degenerescenz
445.
— bei Idioten u. Imbecillen 452.
— sexuelle Abstinenz 476.
— Einzelhaft 397.
Psychosen: Aetiologie.
. - Ohrenleiden 58. 93. 613.
I — Beflexpsychooen 478. 528.
; — Epilepsie 478.
— Intentionspsychosen 682.
— Jackson'scne Epilepsie 28.
— puerperale 637.
— im Kindesalter 502.
— Kopfverletzung 548.
— Tabes 25.
~ Nierenaffectionen 613.
Path. Anatomie.
— Hirngewichte 357. 538.
653 (2).
— - Pachymeningitis 500.
— Nerveusvstem 524.
— Hirnrindendicke 539.
— Ependymgranulation 571.
— Verlauf: Lucida intervalla
172.
— Ausgänge: plötzIicheTodes-
falle 548. 584.
späte Heilungen 588.
— Diagnose: Simäation
664 (2).
Therapie:
— Castration 60.
— Antipyrin (als Schlafmittel
149.
— Hyoscin. hydrobr. 366. 666.
— Hyoscyamin 666.
— Sulfonal 450.
— Amylenhydrat 504.
— Kalihypermanganicnm 666.
Psychosen, circuläre 445.
— transitorische 447.
Puerperium u. Aphasie 237(2).
238.
— und Geisteskrankheit 637.
Pupillarreaction, conträre 108.
— nemiopische 242. 526.
Pupi llen, bei Alcoholisten 84.
— der Vögel u. Sympathicns
160.
— Bewegung 455.
— bei Tabes 455.
Pyramidenbahnen, Defect26l.
Pyromanie 59. 174.
^uecksilberintoxication bei
Hysterie 146.
Radialislähmung 169.
, Railway spine 669.
> Baynaud'sche Krankheit 84.
' 85. 453. 661 (2).
Reactionszeit für Erregung n.
Hemmung 537.
Bealencyolopädie 836. 616.
Reflexparalysen, traumatische
61.
I Respiration und Schlaf 148.
Retina, Histogenese 466.
i Rheumatische ErkrankuDgen
269.
— 703
Rheumatismus art. acutus und
Neuritis 658.
— art chron. u. Neuritis 426.
Rieseu wuchs 360.
cf. Akrome^alie.
Rindenepilepsie cf. Jackson'-
sche Epilepsie.
Rückenmark cf. Clarke'sche
Säulen, Canda equina, Mye-
litis u. s. w.
— Anatomie 43. 75. 357.
— Entwickelungsgeschichte
380.
— Subst. gelatinosa 442.
— Goll'sche Strange 452.
Physiologie.
- Athmungscentrum 45.
— Erregbarkeit bei neuge-
borenen Thieren 45. 154.
— Lokalisation 335.
cf. Lokalisation im Rücken-
mark.
— Yasodilatator. Centren 443.
— nach Verschluss d. Bauch-
aorta 356. 357.
— Transfert 147.
Pathologie.
— Syphilis 30.
— Hemiläsion 52. 53. 300.
— Tumor 54.
— periodische Lähmung 54.
— Affection des Sacraltheils
390.
> combinirte Erkrankung 427.
— Erscheinungen nach Gonor-
rhoe 685.
Pathol. Anatomie.
— Veränderung nach Ampu-
tation 66.
— Heterotopie der grauen
Substanz 77. 687.
— Verdoppelung desselben
136.
— combinirte Degeneration d.
Rückenmarksstränge 272.
300. 301. 647.
— Gliom 300.
— Sklerose 302.
— Echinococcus 303.
— Spindelzellensarkom 333.
— beiKleinhimafrectionen383.
— Angiosarkom der Pia spi-
nalis 467.
— Sarkom derselben 468.
cf. Dura mater spin.
— Einfluss von Arsenvergif-
tung 572.
Therapie.
— Entfernung eines Tumors
durch Operation 98.
Salol 269.
Satyriasis 170.
Schädel, Formen desselben 12.
— Asymmetrie 438.
Sohädelmessung 640.
Schädeleröffnung 455.
cf. Trepanation.
Schallrichtung, Wahrnehmung
261.
Scharlach, Ataxie danach 311.
— Tetanie danach 678.
Schläfelappen cf. Lob. tem-
poral.
Sonlaf, Einfluss auf Respira-
■ tion 148.
— Antipyrin als Schlafioaittel
149.
— HyoBcyamin 640.
— und Traum 151. 172.
-- hysterischer 479.
— Strychnin als Schlafmittel
175.
— Amylenhydrat 60. 176.
— Sulfonal cf. dieses.
-- Paraldehyd 684.
, Schlaflosigkeit 365. 665.
Schleife, secundäre Degenera-
tion 161.
Schriftblindheit 239.
Schriftstörungen 38. 68.
Schweiss, localisirter 88.
of. Ephidrosis.
Schwindel mit Lähmungen
268.
Seekrankheit, Antipyrin dabei
96.
— Behandlung 177.
Sehcentrum 218. 229. 597.
cf. Lokalisation.
Sehnenreflexe 263. 264. 271.
529. 556.
cf. Eniephänomeni Westphal-
sches Zeichen.
Sehnerv cf. Opticus.
Sehstörungen oei hysterischen
Psychosen 480. i
cf. Amblyopie.
Sensibilitätsphänomen 168. ^
cf. Anästhesie, Hemian- ;
ästhesie. !
SensibilitätsstörungenbeiChlo- '
rose 660. i
Sexualcentrum im Rücken- ,
mark 385. 389.
Sexualempfindungen^ conträre !
446. 448. i
Sexuelle Abstinenz 476.
Simulation geistiger Störungen
664 (2).
Sinnesorgane, Erregungen der-
selben 149.
Sitophobie cf. Nahrungsver-
weigerung.
Sklerose, multiple 49.
— AUochirie 681.
— Litentionszittern 49.
— im Eindesalter 50.499. 576.
— paralytische Form .01.
— Sehstörung 642.
— Solanin dabei 504.
Solanin bei Zittern 504.
Solitäres Bündel 294.
Spasmen und chron. Gelenk-
rheumatismus 456.
Spastische Spinalparalyse 142.
272.
Speichel, Einfluss des Nerven-
systems 148.
— und Hirnrinde 554.
Sphincterenlähmung bei Er-
krankung des Corp. stria-
tum 245.
Spina bifida occulta 142.
Spinalganglien, Veränderung
nach Amputation 66.
Splanchnicus 444-
Spondylarthritis synovialis 369.
Sprachanomalien 119.
Sprachoentrum 348.
cf. Aphasie u. Lokalisation.
Stirnnath 438.
Strafgesetzbuch, italienisches
400.
Strangurie, reflectorische 429.
Strychnin als Schlafmittel 175.
— Diabetes 184.
Substantia gelatinosa Rolandi
442.
Saggestion 204. 213 (3). 2 14 (3).
281. 321.
cf. Hypnotismus.
Sulfonal 430. 449. 450 (2).
451. 593. 614 (2),
Suprascapularis, Lähmung
254. 686.
Syrapathicus , Einfluss auf
Vogelpupille 160.
— Venen in demselben 260.
— Affection 552.
— Paralyse 360.
Syncope, locale cf. Raynaud-
sehe Krankheit.
Syphilis des Hirns u. Rücken-
markes 30. 144.
— des Hirns 145.
— des Rückenmarkes 302.
cf. Paralys. progr. u. Tabes.
— chron. Vergiftung 142.
— des Nervensystems 143.
174.
— u. Hydrocephalus int. 143.
— und chron. Meningitis 145.
— und Hysterie 201.
-- und Paralyse 503.
— Prognose 394.
Syringomyelie 77. 161. 266.
333.
Systemerkrankung d. Rücken-
markes 300. 301.
Tabes.
Sympto matologie.
— Initialsymptome 22.
- peripher. Nerven 163.
— Sensibilität 164.
704
Tabes : Symptomatologie. Ver.
lust des Moskelsinns 19.
— Lähmung der Convergenz-
bewegang 31.
— Ataxie des LarjDx 495.
— chorciforme Bewegungen
und Athetose 19.
— Bulbärsymptome 335. 391.
— vasomotorische und secre-
torische Störungen 23.
— gastrische und enterische
Störungen 163.
— Arthropathien 19. 20 (8).
21. 498 (2).
— Wirbelerkrankung 497.
— trophische Störungen 499.
Herzaffection 496.
— Augenerkrankung 455.
— neuritische Mnskelatrophie
22. 164.
— Muskelatrophie 163. 309.
— Hemiatrophie der Zunge
494.
— Psychosen 25.
— Kniephänoroen 529. 556.
Aetiologie.
— hereditäre Anlage 24.
— bei 13jähr. Mädchen 122.
— im Kindesalter 650.
— Syphilis 24.
— Blei Pseudo-Tabee 498.
— und Paralyse 503.
— Path. Anatomie 31. 274.
835. 422. 494. 660.
— Pseudotabes 500.
— Verlauf, acute Tabes 20.
497.
— Therapie 163.
Tabes cervicalis 495. 496. 497.
Tachycardie 83.
Temperaturempfindung 53. 54.
— Methode der Prüfung 133.
— Zeitmessung 830.
vi. Körpertemperatur.
! T
Tetanie bei Dilatat. veutr. 526.
— Erregbarkeit 677.
— nach Scharlach 678.
Tetanus, Neuritis dabei 309.
Thalam. opt, Function 618.
— Sitz des Intentionszittems
49.
— Tumor 245.
— Tuberkel 525.
— Heerd 611.
— Cysticercus 618.
— Gliom 627.
Thec: Einfiuss auf psychische
Vorgänge 107.
Tliein gegen Schmerzen 366.
Thomsen'scha Krankheit 453.
679.
Transfert 147.
Traum und Schlaf 151.
lYemor hystericus 200.
Trepanation 111. 112. 113.
114. 115. 116. 117. 177.
230. 246. 247 (2). 550. 584.
Trigeminu6,Anatoniie411.599.
— Refiexwirkung auf Ath-
mung 570.
— Neuralgie 452.
— bei Tabes 335.
— Lähmung 167.
Trigeminus, absteigende Wur-
zelatrophie 406. 650.
Trochlearisparesc , doppelsei-
tig 5.
Typenphotographien (Para-
lyse, Melancholie) 248.
Typhus und Aphasie 234.
— Hirnerkrankung 611.
— und Nervenaffection 612.
Ueberosmiumsäure bei Epi-
lepsie 332.
Urin bei Geiskranken 89.
— vom Vagus abhängig 808.
cf. Albuminurie, Polyurie etc.
' Urticaria facti tia 86.
. Usustatus 135.
Vacuolisation der Ganglien-
zellen 261.
Vagus von Corydalus comutos
106.
VagusexstirpatioD 596. 600.
Vaguskem 444.
Vagusnerv 521. 599.
— centrale Endigungen 294
— Physiologie 308.
— Pathologie 600.
Vagusneuritis bei ParalvM*
452.
Verbrecher
cf. criminelle Irre.
Verrücktheit
cf. Paranoia.
Verwirrtheit 861.
Wärmecentrum 353. 355. 869.
Wärmeproduction des Armes
381.
Weigert'sche Färbung 432.
Weingeist als Heilmittel 277.
Weir-Mitchell'sche Kur 160.
Westpharsches Zeichen 263.
264. 529. 556. 580.
Wortblindheit 63. 233. 236.
240. 351. 605. cf. Amnesie.
Wortneubildungen bei Geistes-
kranken 312.
Worttaubheit 236. 347. 477.
627.
WutLgifte 279.
Kähne bei Idiotie 57.
Zirbel cf. Glandula pinealis.
Zunge, Atrophie 438.
— Hemiatrophie 494. 578.
cf. Hypoglossus.
Zurechnungsfahigkeit. vermin-
derte 542.
cf. forensische Psychiatrie.
Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel,
Berlin, NW. Schiff bauerdamm 20.
Veriag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Metzübr & Wittio in lieipzig.
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