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Full text of "Neurologisches Centralblatt"

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UNIVERSITY  OF  CALIFORNIA 

MEDICAL  CENTER  LIBRARY 

SAN  FRANCISCO 


i^MWi 


■P^"^"^^»"'"'""^' 


NEUROLOGISCHES 


CENTRALBLATT 


ÜBERSICHT 


DER 

IjEISTUNGEN  auf  dem  gebiete  der  ANATOMIE. 
PHYSIOLOGIE,  PATHOLOGIE  UND  THERAPIE  DES  WERTEN 
SYSTEMS   EINSCHLIESSLICH  DER  GEISTESKRANKHEITEN. 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


1)R.  £.  MENDEL, 

PR0FR8S0R  AN  DER  UN[TEB8ITAT  BERLIN. 


SIEBENTER  JAHRGANG. 


LEIPZIG, 
VERLAG  VON  VEIT  &  COMP. 

1888. 


Drnek  TOn  Mati^rer  k  Wlttlf^  In  Ldpflff. 


•  ■  •  •» 


UebersicHt  darkeittiingeh  auf  dem  Clebiete  der  Anatomie^  Physiologtoy  Pathdlog»e 
und  Therapie  des  Kervensysiemes  einschliesslich  der  GeisteskrankhQltefiV 

..vHenmiigegebeD.Topi  . -. -«  ••    -i^ 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
SiMMmtei^  •  ^"^^  '    Jatrgang,; 

MonMUolL  «ncheiiieik  xwei  Nuimvieriu   Preis  4es  Jabrgui|^<  2Q:Mark^  t  Zu«  badebwftdiiToh 
AlJeJBii^hha]idliuig^.dfii.In-  iia4  Ämla^desi  4ie  PosUnst^tem  des  IXeutsoim  Qekhs»  sowie 

,  dkßist  .Ton ,  der  VOTlügsbuohhfipcUiBttg. . 

1888./.    '  ..,:     ,       :  ,  t  Jwmar.  :  : ;  :.\.Mi, 

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iDliali  I.  OriglhalmfltheiltiiigeiL  1.  Cytism  g^geii  Migräne^  von  Prof.  E.  Kraepel^o. 
2.  Doppelseitige  Trocldearisparese«  ron  Dr.  Ernst  Remak.  3.  Zur  Anatomie  dei»  Frosehgehmis, 
Tön  Dr.  n.  Kopien. 

M.  -RefiraW;  AMtomlek ..  Ir2ar  Keantnlss  der  iFormeOides  Hinwoh&dQls;  von'  Rragar. 
2.  Phjsiologisehe  uud,iiuk]X)ohemisclie  Beiü%e  zur  Kenntniss  der  Nerreazelien,  iq  den  peri- 
ph^l^h)r6n  GaDglien.  von  Itotlarewsky.  — '  Eizperimentelle' Physiologie.  B.  Die  Phy- 
siologie deft  motorischen  Feldes  dez*  Hirnrinde,  ton '  Bechterew.  4,  ITöber  einseitigen  und 
dopnel8aitiffen:LidBchluss,  Ton  Lanfendorlli  5.  üeber  Ataxie  andlftusköllanii,  Vo»  G^ldsdielddr. 
—  r  aihologi  B  oh  1^.  Anatomie«  6.  Zur  Lefaievon  der  Tuberetilose  des  CeBtralnerven^stems, 
TOD  Hoche.  7.  Ueber  HeiluDg  ToiL^tiohwunden  des  Gehinm,  von  Cj^e«,  ß*  Cerebroporoed 
da  congelamento,  del  Rezzonico.  —  j^athologie  des  ^erven^ystemsi  ^.,  A  case  pf  ataxie 
triih'loss  of  muscular  sense,  by  tir^mwelt.  10.  Des'möuveme'nis  choröifbrmes  et  de  l^ath^tose 
ohez  les  ataziqUe»)  par'AMry-  D*  UobM  einen  Fall  ron  Tabes  dorsalis  mit  Spoütanraptur 
der.  QandnQepsBehne  und  Aithxopathieni  von  kOwenfeld«  •  12.  Looomotor  ataxia.  Two  cases: 
one  a caae.ol so-caUed  spinal  fiithropathy ;  the  otber*  acute  tabes  dorsfUis,  .by  Porlaiu  13.  Char- 
cot^s  diseäse  of  Shoulder,  von  Reclitess.  14.  Die  Arthropathie  bei  Tabes,  yön  Weizttckefp 
15.  Ein  Fall  ton  Arthropathie  bei  Tabes,  ton  v.  Kabiden.  16.  0eber  neuritische  Muskel- 
atropiie  bei  Tabes  dOrsalife,  ton  Rämik.  17.  Di^  ItaitiaIs;]^ptom^  der  Tabes  dotsalis,  ton 
Kmfßfp  18s. .  Halbseitige  yasomoloiisehe  und.seeretorische  Storuageb  b^  Tabes  dovsualls.in- 
dpiens,  TOS  Mau  19.  Tabes  pr^ce  et  bär^tä  uerteuse,  parBtrbez.  20..  Zur  Frage  über 
die  Beziehungen  zwisoben  Tabes  und  Syphilis,  ton  Meumann,  21.  Zur  Casuistik  der  Fstchoseu 
bei  Tabes,  ton  Hebotd.  22.  tJeber  hefedit&re  Ataxie.  Ein  Beitrag  zu  den  primären  combinirten 
Systemarkrankungeo  des  RQokenmarkÄ,  ton  RDtiiiieyer.  29.  Zur  Lehre  tOn  der  Ataxie.  Acute 
BnHriMrl&hmnng*  Friedreich'sehe  Tabes»  ton  Hendel,  -r-  Psychiatrie,  24.  Reoherckes  aur 
l'töolegie  de  &  paralyßie  gi^^Bale  «hez  rfaonune,  par  Chrltlian.  25u  Beitrag-  zur,  Ajetiplogie 
und  Therapie  der  Dementia  paralytica,  ton  Levlqttflin.  26.  Ueber  Jacksoi^'sche  Epilepsie  und 
Psychose,  tön  Mendel;  ^.  Pairalysie  g^n^rale.  Boulimie^Asphyxie  pär  les  ahments,  par 
"      0t;  tSSi  Zur  Casuitftik  der  progtessitett  Paralyse  d^r  Irreü,  toHi  Acker.      ' 

m»  Am,  ^n  GetelMitfteik'  t 

JV^  l|Dt^ilini,an.don.lltraiiioelMr.  (. 

^V.  Persoi||llan. ,    .  t-       ,;..•..,.  - 


VI.  Temiffchiet. 


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I.  Öriginalmittlieilivaesiu 


1  .^•<.  ' 


1.   Cytisiii  JKegeii  Migfäne. 

iVoh  Prof.  M.'Sra0peliii.    ^ 


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if      ML>t    ''  r-*«    '.•    t»-'-  -   ',^.  •     '■  .  '    '  j       JJ  .,  »'  '    "  ■;■','- 


, '  pie  gel^vwiogerndeja .  EigejaschafteA  d^s  Qytiamt  weleli^ .,  mi  ,He^  ^College 
Kqbx^.  ^ov  tABsteUu^g  theinpeiiti^       Yergnche  übergab|.  l0gte^::9iir  'die  Vfr-* 


—    2    — 

muthung  nahe,  dass  dem  Mittel  unter  Anderem  gerade  bei  jener  Erkrankung 
eine  Heilwirkung  zukommen  werde^  als  deren  weeentliche  Grundlage  wir  eine 
Erschlaffung  der  Oefasswand  anzusehen  pflegen/  bei  der  sog.  paralytischen  Migranie. 
In  der  That  hat  mir  gleich  der  erste  derartige  Fall,  in  welchem  ich  das  Gytisin 
in  Anwendung  ziehen  konnte,  diese  Voraussetzung  in  befriedigender  Weise  bestätigt. 

I.  Frl.  S,,  21  J.,  warde  am  25.  III.  1887  wegen  einer  hysterischen  Contractnr 
des  rechten  Beines  und  mannichfacher  nerY(y8er  Beschwerden,  Herzklopfen,  Schlaf- 
losigkeit, Appetitstömng,  Verstopfung  u.  s.  £.  in  die  paychiatriache  Klinik  aufgenommen. 
Seit  mehreren  Jahren  leidet  Fat.  alle  2—3  Monate  an  heftigen  Anfallen  rechtsseitiger 
Kopfschmerzen,  die  seit  dem  Herbste  1886  häufiger  geworden  und  in  der  letzten  Zeit 
mehrmals  wöchentlich  aufgetreten  sind.  Dem  meist  gegen  Abend  sich  entwickelnden 
Anfalle  geht  regelmässig  starke  Unruhe,  OppreesionsgefUhl,  Schmerz  in  der  Herzgrube, 
Uebelkeit  voraus;  eine  fleckige  Böthe  zeigt  sich  auf  der  rechten  G^sichtshälfte,  während 
die  linke  Seite  blass  bleibt,  verbreitet  sich  immer  mehr  und  greift  nicht  selten  sogar 
bis  auf  den  Arm  hinüber;  die  rechte  Temporaiis  pulsirt  stark.  Nach  1 — 2  Stunden 
beginnt  dann  unter  heftigem,  häufig  wiederholtem  Erbrechen,  mit  Unruhe,  quälender 
Angst,  absoluter  Schlaflosigkeit,  Lichtscheu  und  Flfamnern  vor  den, Augen  der  die 
ganze  rechte  Schädelhälfte  einnehmende  Kopfschmerz.  Die  Dauer  des  Anfalles  be- 
trägt 12—24  Stunden;  nach  demselben  grosse  Mattigkeit,  starke  Erweiterung  der 
rechten  Fupille  und  häufig  eine  bald  vorübergehende  Sehstörung  auf  dem  rechten 
Auge,  Undeutlichkeit  und  Verschwommenheit  der  Qesichtseindrücke.  Als  therapeutisch 
unwirksam  hatten  sich  Coffein,  salicylsaures  Natron  und  die  gewöhnlichen  Schlafmittel 
erwiesen;  dagegen  hatten  Cocalneinloräufelungen  in's  Auge,  sowie  Morphiuminjectionen 
Linderung  bewirkt  und  wurden  von  der  Fat  lebbaft  verlangt. 

Am  10.  IV.  wurde  nach  vergeblicher  Anwendung  veirschiedener  anderer  BCittel 
beim  Beginne  eines  Anfalles  0,003  Cytisinum  nitricum  subcutan  injicirt.  Der  Erfolg 
war  überraschend.  Im  Laufe  einer  halben  Stunde  schwanden  die  Böthung,  das  Op- 
pressionsgefühl  und  der  Schmerz  bis  auf  einen  leichten  Kopfdruck;  ausserdem  gelang 
es  nunmehr,  durch  8  gr  Faraldehyd  mehrstündigen  Schlaf  zu  verschaffen.  Dasselbe 
Besultat  wurde  unter  Steigerung  der  Dosis  auf  0,005  im  Laufe  der  folgenden  Monate 
be|  jedem  der  zahlreichen  Anfälle  mit  der  grössten  Begelmässigkeit  erzielt;  nur  ein- 
mal, als  das  Mittel  innerlich  genommen  und  daher  vermuthlich  ausgebrochen  wurde, 
versagte  es  ganz.  Im  Uebrigen  erwies  es  sich  am  wirksamsten  bei  möglichst  früh- 
zeitiger Anwendung;  als  es  zweimal  erst  mehrere  Stunden  nach  Beginn  der  Schmerzen 
injicirt  worden  war,  trat  wohl  wesentliche  Erleichterung  ein,  doch  dauerte  ein  leichter 
Kopfschmerz  bis  in  den  folgenden  Tag.  Schlaf  konnte  durch  Faraldehyd  nicht  immer 
erzielt  werden.  Einmal  wurde  das  Gytisin  auch  in  einem  Anfalle  linksseitiger, 
spastischer  Migräne  angewandt,  wie  sie  sich  ganz  vereinzelt  beider  Fatientin  ein- 
stellten; hier  versagte  das  Mittel  nicht  nur  vollständig, ,  sondern  es  steigerte  nach 
Angabe  der  Kranken  sogar  noch  den  Schmerz.  Unter  dem  Einflüsse  einer  auf  das 
AUgemeinbeflnden  gerichteten  Behandlung  (Massage,  allgemeine  Faradisation,  Bäder, 
Ueberemährung)  wurde  neben  dem  Schwinden  der  Contractur,  Steigen  des  Körper- 
gewichts u.  s.  w.  nach  und  nach  auch  Sie  Anfangs  3— Imal  wöchentlich  auftretende 
Migräne  immer  seltener  und  stellte  sich  schliesslich  nur  noch  alle  9 — 10  Tage  ein, 
um  stets  sofort  coupirt  zu  werden. 

Ausser  dem  Gytisin  wurde  noch  die  „(Galvanisation  des  Sympathicus''  bei  der 
Fat.  versucht.  Einmal  schien  dieselbe  von  günstiger  Wirkung  zu  sein;  ein  anderes 
Mal  schwand  zwar  die  rechtsseitige  paralytische  Migräne,  aber  nur,  um  der  links- 
seitigen spastischen  Platz  zu  machen,  w&hrend  ein  drittes  Mal,  als  ans  Versehen  die 
Kathode  statt  der  Anode  an  den  Untefkieferwinkel  gesetzt  worden  war,  der  Anfall 
sich  gerade  an  die  €kilvanisation  anschloss.  Da  im  Uebrigen  jene  Manipulation  völlig 
wirkungslos  blieb,  müssen  wir  hier  wohl  dem  Spiele  des  Zuffdls  die  Hauptrolle  bei- 


meBBM.  AntifsbriD  (0,5)  wurde  im  Aognst  eiDmal  mit  gutem  Erfolge  angewandt. 
Am  10. 12.  trat  die  Fat.,  in  jeder  Beziehung  erheblich  gebessert,  aus  der  Kliöik  aus. 
Der  günstig  Erfolg  des  Gytisin  hat  sich,  wie  man  sieht,  im  Torlic^enden 
Falle  mit  der  Sicherheit  eines  ph^oiogischen  Experimentes  eingestellt  Aller- 
dings könnte  miui  mit  einer  gewissen  Berechtigung  einwendeo,  dass  bei  der 
hystfirisohen  Gnmdl^e  hier  möglicherweise  psfchisohen  Einflössen  ein  sehr  weiter 
Spielisom  zugeschrieben  werden  müsse.  Indessen,  al^esehen  von  der  Unwirk- 
samkeit mehrerer  anderer  der  angewandten  Mittel,  dürfte  gegen  diese  Anffiwsnng 
die  objectiT  nachweisbare,  sehr  deutliche  Veränderung  des  Pulsbildes  sprechen, 
welche  r^elmässig  dnrch  die  CytiäninjectioD  herbeigeführt  wurde.  Ton  den 
fdgenden  3  Curven,  die  leider  sämmtlich  w^en  eines  habituellen  Zitt«m8  der 
Hände  bei  der  Patientin  kleine  Unr^lmässigkeiten  zeigen,  aber  doch  die  wesent- 
Uchen  Eigenthfimlichkdten  der  Pulsbilder  deutlich  genug  erkennen  lassen,  wurde 

Fig.  1. 


die  erste  im  anfalls&eien  Zustande,  die  zweite  beim  Beginn  der  Migräne  und 
die  dritte  20  Minuten  nach  der  Cjtislaiujection  (0,004)  von  meinem  AÄsist^tea, 
Herm  Dr.  Dksio,  aufgenommen. 

Die  erste  dieser  Curven  zeigt  im  Allgemeinen  das  normale  Verhalten;  nnr 
ist  das  stfirke  Hervortreten  der  sig.  ersten  secnndären  Welle  anffiillend.  Wie 
schon  oftmals  betont  wurde,  und  wie  ich  nach  eigenen  Versuchen  mit  aller 
Sicherheit  bestätigen  kann,  ist  diese  Erscheinung  ein  Symptom  psychischer  Er- 
i^ong,  zu  deren  Auslösung  das  Sphygmognipbiren  bei  der  grossen  Rmboxiait 
der  Kranken  mehr  als  hinreidienden  Anlass  bot;-  daSir  ^richt  au^  die  ^öhte 
Frequenz  (9S).  ffit  dem  Herannahen  der  Mig¥äne  sehen  wir  die  erste  secimtfire 
Welle  soweit  hinaufirücken  (Pulsfrequenz  88),  dass  sie  höher  wird,  als  dieGipfel-"^ 
velle,  bis  sie  dann  upter  dem  Einflüsse  des  Gytisin  (Frequenz  6d)  wieder  herab- 
mnkt.  Auf  eise  Deutung  dieser  BiJder^wiU  loh  mich  bei  der  Stdiwiengkeit  der 


Frage  hier  nicht"  einlassen,  obgleich  ös-rielleicht  nahe  Uegt,  »bs  der' MigrÄne- 
Cmre  ein  langsameres  Ansteigen  der  Pülswelle  bei  niedrigem  Blhtdmcbe  und 
atis  "der  Cytisincaire'  eine^  Verengerung  und  stärkere  Spannong  des  Gt^asses 
heianszuieBöii;-mElg'es  genngen,  dass'die  hei  der  M^rSne  hervortretende  Ver- 
fbiderahg'  im  Piilsbilde  äcb  unter  der  Einwirkung  des  Cytiän  aoäeheinend  wieder 
rürt'fikljadSt'  Tön  InlCTesSe  ist  jedoch  ttcAI  noch  die  Bemerkung,  dass  die 
E!nihb:e'  deren  PulsbiM  schon-Witer  aormtleh -TethUtnisseu' eine ^msfr'iNeignng 
ftigfe,' Ü6h  der  „Migräneonrve'^  aozunÄhem,  thrtsäohliöh  gerade  in  Folge  pSy- 
c^h^'EtTBguög  Öbemiia-'leichtVon  der  JGgWne  befeilen  wtrde. 

■'*  ©id  negative  od^  gÄr  verschleehteriäde  'Wirkung  des  Cjöan  bei  apaatiacher 
J4ifer5n&  liiitte'  idi  in'  öoch'  zw«  wwterMi  Pälleo  zu  erproben  Gelegenheit,  io 
deieii'eineto  AnÖftbriü  atta  prompt  half.  -  Diese  ■Erffthning  steht  tait  nnewea 
soDstlgeri  'Kenntnissen  filier  das  Cytisia  in  gutem  Einklänge  und  spricht  eben* 
falls  dafür,  dase  es  sich  bei  unserer  Patientin  um  eine  pharmakologische,  nicht 

habe  loh  n<>Hi   in   <PHpw^|m'mQle    ?oö   part^ftischer    Milane   ^ 

\  ddfficn  Geäctii'.'Lt''  ;iMp|^9ie"-aadeien  Gfändsn'  em.  gewisses  Interesse  bietete 

!-;■■:   Ü. "  E.*  Btud.  ii.r.|;,'S8  J.,  anfgenoamen' 9.  IIL  1887.-   Hoöhgradlge  herediära 
:iouriijiiitIiisi'lic   ri',1.1  Hg',  ghte  intflfectuelle  Begabung,  grosse  psjxliische  Erregbar- 
keit.    Hit  11  Jahren  Singiütus;  seit  der  Jugead  seltene  rechtsaeitige  UigrÜneanflUle 
'-.«üt  Apatbia,   stiirkoi-    i^<;iUfi|i|^t|t|^<jiMMwii  ><^  «|». 

j'/r«niporaIartenmi)  Dauer  ß^^li'WS^K.  tm  Jahie  1881  diente  Fat  wiede.rhflti' 
i  a^  Ü«dL(iin  bCL  tiypiioijacliiä  Tersuclien,  werde  in  Folge  'deBasn  sehrnerrfis  and  Ter- 
rae! ecbUesslicli  so^t  <.<litie  ied^n  ifiamnn  Atilass  oft  in  stoodetilaBg  wftbrende  teta- 
V  lepljsclie  >[  u^^tAiidr  nji  loiiuften  Gesichte-  und  EleliOn[ba]IuciDa.tionen)  dabei  tratMi" 
''uili--i'i'',      "i;  :.-ut,'aowib   wechselnde   Hyperästhesien   ond   Schmorzen' anf. 

AUrnfthlicb  indeBseti  erholte  Pai  eich  ToUst&odig.     Im  ÄnsckloBBe  an  die  Nachricht, 

^^otaU^tic'  i.>ii  i...^-:..r-i.  ■•■  :o  pB&i  nra  dem  Erwägen  hefiige  Hinteräsupts^tn^^^ßj ^ 
Ot^e  kyr(iorii(;lio  Schn'.nl^-Vnd  gwstige  Enjifldatg.  Ende  October  nach  einft-'"o»- 
^aUticM^oi''''  Narliriuht  :ii:iBt1iche  ÄufTegting  .mit  stblreichen  SlnnesttUiBchungei)  osd  ' 
SjiifllertEaitäli  KrAinpf^i),  »>&)e.xiH'-0«bernhrUig.in  die  pajcjüatfteobe  KUnilE  fülüle,.. 
ans  der  Fat.  nach  3  Monaten  geheilt  entlassen  wurde.  Im  Mai  1886  nach  starker 
gfÜ^ei  .Xleheranstr^ngiin^  Selbstmordversuche,  tonische  und  klo^iBche  Krämpfe,  Eat«- 
LB^ie',1^änm) erzustände;  Be^eriing  in  einer  E alt wasserbeilaiistaU.  Ende  Februar  1887 
Vtin  'TIene'in  ^rstimkan^,  Aufregung  Ober  bin  bevorstehendes  FiatoIendueH,  wieder- 
holte Selbstmordversuche;  Ueberfflhmng  in  die  twy^biattistiM  IQiiiik;  Bxaltirtes 
Weeeoi^Sidhatv'onrArfa,  JifpaohmdDBohft  .y»raiieiflitDK;.fnt.  tftglich  ErajnpfiaBE&lle  von 
i(iiqhse^deffi':@^i4Bit'.'hjst<i;ischeia  Cb^akter;.  ihnen  g^igefi  nidit  selten  D^imer- 
j^^ifltijul^^  yqfijLii3(..,  4:^  d^Q^r^  ifat.  geordnet  handelt^,  Kartep  jBpi^ltß,  Fluchtversuche 
machte^  vor  sich  hinaprach,  einzelne  Antworten,  gab,  aber  seine  Umgebung  völlig 
visTkäniitä."  'Nach'äeiil- firwachen  keinerlei^  Erinnertrag;  Wtweite  HemianSsthesie, 
&^iAUp^e,'"!{«ä&ilBknäle:  "Alhia&Iiob  -BerabigOng,  t»Uges  TetMukän  «  ^Etf- 
sDfailig«nf)äd(fea;j.nad  .hoffiiDl9lQa»>:BwiKi]ftti<iii,  fiedbe'.^iiabiDe:' inn;^Itei^  wti 
ÜJKBfflgei^a^tj  t?«"8.  .ScJjl^fv  ^»f^g  3*"^  .»^UiR».  ^P^"^>1"^'^iwe'gennj,  Milte 
Jfflai;  ;W(^cJjaeiide.  än^lielifl  Au'''^egung,,4alUreiche  Hallucinatiopeu,  stf^gendp  yerwirrt- 
5eii^HelbB(m6i^lieimng.  Anfang'^  geringe  Beäserung;  am  7.' Juli  Seibstnjord 
'dnhjlJ\EWÄn'get''ain  FtmstergltfOT' in'stehmder  SteUiiB  ■ — 'Üit'der  Cfenpirong  deir 
VigribW^  ^Mt^^lä  'SO.'MairS'StBtadennadi  Begfmr  deiMlbeD«  «^  Tenndf  gemacht 


—    5    — 

worden.  Sdboa  eine  YiertelBtupde  nach  Injection  von  0,003  Cytisin  Hess  der  tScliiBjerz 
nach;  eine  halbe  Stunde  später  war  völliges  Wohlbefinden  eingetreten. 

Offenbar  haben  wir  es  hier  mit  einem  Falle  ausgesproclienster  mannlicher 
Hysterie  auf  degenerativer  Grundlage  zu  thnn.  Was  aber  demselben  eine  besondere 
Bedeutong  verleiht  und  mich,  abgesehen  von  der  Cytisinwirkung,  zu  seiner  An- 
fuhrung veranlasst  hat,  ist  die  Anknüpfung  der  Psychose  an  hypnotische  Versuche. 
Allerdinga  wird  man  diese  letzteren  wohl  mehr  als  eine  G<9legenheitsursache  an- 
zusehen haben;  inunerhin  aber  bleibt  es  in  hohem  Orade  beachtensjwerth^  dass 
die  Krankheit  von  vom  herein  in  Form  von  Dänunerzustanden  mit  Sinnes- 
täuschungen und  kataleptischen  Erscheinungen  auftrat,  ganz  analog  den  vorher 
bei  dem  Fatb  experimentell  erzeugten.  Dass  durch  die  ^häufigen  hypnotischen 
Versuche  die  schon  bestehende  psychopathische  Disposition  erheblich  gesteigert 
und  derselben  die  bestimmte  Richtung  angewiesen  worden  ist,  kann  somit  kaum 
bezweifelt  werden.  Sicherlich  ist  der  Fall  geeignet,  uns  bei  der  Anstellung 
hypnotischer  Versuche  zu  grosser  Vorsicht  zu  mahnen  und  uns  die  alte  Grund- 
regel ärztlichen  Handelns,  das  „non  nocere'',  energisch  in's  Gedächtniss  zurück- 
zurufen. 


2.    Doppelseitige  Trochlearisparese. 

(Nach  einer  Erankenvorstellung  in  der  Berliner  Gesellsdiaft  für  Psychiatrie  und 

Nervenkrankheiten  am  14.  November  1887.) 

Von  Dr.  Ernst  Bemak,  Privatdocent. 

Der  26  jährige  Sattler  St,  dessen  Eltern  und  Geschwister  gesund  sindi  wurde 
am  10.  September  d«  J.  in  die  Poliklinik  au^enonmien,  nachdem  er  schon  seit 
einigen  Jiüiren  Schwindel  bäm  starken  Aufwärtsblicken  gefühlt  hatte,  der  sich 
seit  etwa  einem  Jahre  auch  beim  Treppensteigen  und  beim  Gehen  auf  ebener 
Erde  geltend  gemacht  hatte.  Dazu  hatten  sich  seit  zwei  Monaten  unregelmässig 
intermittirende  Hinterkopfsschmerzen  und  taumeliger  Gang  allmählich  gesellt, 
während  er  schon  seit  etwa  fünf  Monaten  den  Urin  schwerer  entleeren  kann 
und  seit  noch  längerer  Zeit  (angeblich  seit  Frühling  vorigen  Jahres)  beim 
Schlucken  von  Flüssigkeiten  namentlich  vom  Löffel  sich  anstrengen  niuss.  Er 
war  nie  syphilitisch,  hat  überhaupt  keinen  sexuellen  Verkehr  gehabt.  Frühjahr 
vorigen  Jahres  will  er  die  letzte  Pollution  gehabt  haben.  Erectionen  sollen  nicht 
eintreten.  Erst  durch  die  Untersuchung  in  einer  Augenklinik  ist  er  vor  kurzer 
Zeit  aufmerksam  ds^rauf  geworden,  dass  er  doppelt  sieht 

Die  Untersuchung  der  inneren  Organe  des  etwas  blassen,  aber  leidlich 
genährten  Individuums,  das  im  Ganzen  während  der  Beobachtung  etwas  herunter- 
gekommen ist,  ergab  ein  negatives  Besultat  in  Bezug  auf  die  Lungen,  das  Herz 
(90 — 96  Pulse)  und  den  Urin,  welcher  frei  von  Eiweiss  und  Zucker  ist  Ab- 
gesehen, von  den  ocularen  Erscheinungen  sind  schwerere  Störungen  cerebraler 
Nerven  nicht  n^hzuweisen.  Es  schien  anfanglich,  als  wenn  bei  weitem  Oeflhen 
des  Mundes,  der  rechte  Mundwinkel  etwas  hing,  und  bei  der  Phonation  die 


—    6    — 

rechte  Hälfte  des  Yelum  etwas  tiefer  stand.  Es  ist  das  aber  jetzt  kaum  noch 
nachzuweisen.  Psychische  Störungen  fehlen.  Das  Gehör  ist  gut  Die  Sprache 
ist  intact,  die  Zunge  devürt  nicht.  Keine  Sensibilitatsstörungen  im  Trigeminus- 
gebiete.  Kehlkopfsymptome  fehlen.  Beim  Schlucken  von  Flüssigkeiten  beobachtet 
man,  nicht  immer  gleichmässig,  eine  gewisse  Anstrengung  des  Schlingactes  und 
Mitbewegungen  des  Platysma  myoides.  Dem  im  Hinterkopf  localisirten  Kopf- 
schmerz entspricht  keine  besondere  Empfindlichkeit  des  Schädels  für  die  Per- 
cussion.  Niemals  Uebelkeit  und  Erbrechen.  Es  bestehen  keine  Lähmungs- 
erscheinungen der  Oberextremitäten ,  nur  eine  leichte  Paraesthesie  im  linken 
Ulnarisgebiete,  welche  Pat.  mit  Bestimmtheit  auf  einen  Sturz  von  der  Treppe 
in  Folge  des  Schwindels  im  December  v.  J.  zurückführt,  bei  welchem  er  gleich- 
zeitig sich  einen  Zahn  ausschlug.  Pat.,  welcher  niemals  im  Liegen  schwindelig 
ist,  nur  beim  Gehen  über  Schwindel  und  zwar  nicht  nach  einer  Seite  besonders 
klagt,  schwankt  bei  geschlossenen  Augen  nicht,  geht  aber  auch  mit  oflenen 
Augen  taumelig,  breitbeinig,  jetzt  eher  etwas  besser  als  bei  der  Aufnahme,  bei 
welcher  das  Taumeln  noch  stärker  war,  nach  Art  eines  Betrunkenen.  Niemals 
konnte  aber  der  statische  Schwindel  etwa  auf  die  Augenmuskelläbmungen  allein 
zurückgeführt  werden,  da  er  bei  geschlossenen  Augen  sehr  viel  unsicherer  geht 
und  nicht  im  Stande  ist,  eine  gerade  Richtungslinie,  z.  B.  die  Fuge  zwischen 
zwei  Dielen  einzuhalten.  Ausserdem  klagt  er  über  leichte  Ermüdbarkeit  der 
Unterextremitäten,  welche  vielleicht  eine  leichte  motorische  Schwäche,  aber  keine 
Lähmung,  keine  Muskelatrophie,  keine  Sensibilitätsstörungen  darbieten.  Sehr 
auffällig  aber  und  stets  nachweisbar  ist  die  excessive  Steigerung  des  Knie- 
phänomens beiderseits,  so  dass  es  bei  Percussion  der  Patellarsehne  meist  zu 
wiederholten  Gontractionen  des  Extensor  quadriceps  kommt.  Das  Fussphänomen 
ist  vorhanden,  bald  rechts,  bald  links  stärker,  lässt  aber  nach  einigen  Gontrac- 
tionen bei  f(Hrtgesetzter  Dorsalflexion  nach.  Die  Störungen  der  Urinentleening 
und  des  Geschlechtstriebes  (Mangel  an  Erectionen)  wurden  bereits  erwähnt 

Es  sei  an  dieser  Stelle  erledigt,  dass  unter  Jodkaliumgebrauoh  und  jedesmal 
euphorisirend  wirkender  subauraler  und  orbitaler  Galvanisation  der  objective  und 
subjective  Schwindel  und  Hinterkopfsschmerz  sich  gebessert  haben,  während  die 
Deglutitionsstörungen,  Störungen  der  UrinenÜeerung  und  namentlich  die  ocularen 
Symptome  für  die  objective  Untersuchung  eher  zunehmen. 

Bei  der  Aufiiahme  constatirte  ich  bereits  bei  kräftiger  Action  der  Augen- 
schliessmuskeln,  der  Lidheber,  mittelweiten  Pupillen  mit  guter  Lichtreaction 
und  normalem  ophthalmoskopischen  Befunde  als  pathologisch  leichte  nystagmus- 
artige  Zuckungen  bei  seitlicher  Blickrichtung  beiderseits,  gleichnamige  Doppel- 
bilder beim  Blick  nach  abwärts  im  Sinne  einer  rechtsseitigen  Trochlearisparese, 
welche  Herr  Professor  Dr.  Schoeleb  bei  einer  Untersuchung  am  14.  September 
bestätig.  Vom  30.  September  ab  hat  Herr  College  Uhthoff  den  Fall  sehr 
au&nerksam  verfolgt,  und  nachdem  er  zuerst  ebenfalls  eine  rechtsseitige 
Trochlearisparese  constatirt  hatte,  etwa  um  Mitte  October  insofern  eine  Aenderung 
des  Befundes  entdeckt,  als  nun  doppelseitige  Trochlearislähmung  aUmählich 
immer  mehr  wahrscheinlich  wurde.     Sein  Bericht  vom  22.  October   lautet: 


„Ophthahnoskopisefa  nonnal.  Pnpillarreactioii  gut,  Gesichtsfeld  frei,  dagegen 
Gilt  schon  im  Sinne  beider  Becti  extemi  eine  denüiohe  leidite  BeweglichJcäts- 
stornng  auf,  auch  stellen  sieh  in  den  horizontalen  Endstellangen  ausgesprochene 
nystagmnsartdge  Znckangen  ein,  die  nach  beiden  Richtungen  wohl  als  ziemlich 
gleich  intensiv  zu  betradliten  sind.  Beim  Blick  gerade  nach  unten  bestehen 
jetzt  gleichnamige  Doppelbilder,  deren  seitlicher  Abstand  beim  *  weiteren  Blick 
nach  unten  stetig  zunimmt  ohne  wesentliche  Höhenunterschiede.  Anfangs  bestand 
eni  for  rechtsseitig  Trochlearislähmung  typische  gleichnanüge  Diplopie  beim 
Blick  nadi  nnt^,  mit  wachsendem  Höhen-  und  Seitenabstand.  Diese  Zunahme 
des  Höhenunterschiedes  ist  jetzt  nicht  mehr  vorhanden,  und  möchte  ich  zur 
Zeit  mit  aller  Beserve  an  eine  doppelseitige  Parese  der  Nn.  trochleares  denken/' 
Auch  Mchter  Schiefistand  des  verticalen  Meridians  beider  Augen  beim  Abwäxts- 
blicken  macht  fOr  die  einfache  Betrachtung  dieses  Verhalten  wahrscheinlich, 
welches  noch  vor  einigen  Tagen  von  Herrn  Uhthoff  wieder  bestätigt  wurde. 
Neben  der  doppelseit^n  Trochlearisparese  constatirte  er  wiederum  eine  leichte 
doppelseitige  Abducensparese  mit  njstagmusartigen  Zuckungen. 

Da  die  Locahsationsdiagnose  der  Affection  zunächst  von  diesem  an  und  für 
sich  gewiss  seltenen  Befunde  einer  erst  einseitige,  dann  allmählich  doppelseitigen 
Trochleariserkrankung  auszugehen  hat,  so  sind  die  eigenthümlichen  anatomischen 
Yerhaltnisse  dieses  Augenmuskelnerven  besonders  zu  berücksichtigen.  Der  Troch- 
leariskem  li^  bekanntlich  beiderseits  im  Bereiche  des  hinteren  Yierhügelpaares 
in  dem  den  Aquaeductus  Sylvii  umgebenden  Höhlengrau  seitlich  und  unterhalb 
desselben,  nach  aussen  begrenzt  von  der  absteigenden  Qnintuswurzel  und  dem 
hinteren  LangsfoündeL  Er  bildet  nach  Meynsbt  das  hintere  Ende  derselben 
Oanglienzellenanhäufung,  welche  den  langgestreckten  Oculomotoriuskem  darstellt, 
und  ist  also  als  unmittelbare  Fortsetzung  desselben  zu  betrachten.^  Gegenüber 
dieser  anatomischen  Gontinuität  der  Oculomotorius-  und  Xrochleariskeme  haben 
die  ans  ihnen  entspringenden  Wurzelfasem  einen  verschiedenen  Verlauf.  Während 
die  Ocnlomotoiiuswurzeln  nach  abwärts  ziehen,  verlaufen  die  Trochleariswurzel- 
ftsem  nach  hmten  innen  und  oben,  um  mit  denjenigen  der  anderen  Seite  im 
l^ehim  medulläre  anterius  die  sc^enannte.  Trochleariskreuzung  zu  bilden,  welche 
nach  der  Angabe  der  meisten  Anatomai  (SmiUNa,  v.  EöiiLncEB,  Stieda, 
Wkrnioitb,*  EniKaEB')  und  experimentellen  Befunden  von  v.  Güdden^  eine 
totale  ist,  während  Henle  partielle  Verflechtung  annimmt  und  Mauthkbb^  aus 
klinischen  Gründen  und  auf  Grund  von  Vermichen  von  Exmeb  die  Kreuzung 
überhaapt  ablehnen  möchte.  Wie  dem  auch  sei^  so  treten  beide  Nn.  trochleares 
zusammen  nur  an  der  oberen  Fläche  des  Velum  medulläre  hervor,  divergiren 
dann  sofort  und  schlagen  sich  in  nahezu  querem  Verlaufe  um  die  laterale  Seite 


^  Vgl  XL  A.  Wbbrickb,  Lehrbach  der  Gehimknunkheite]).    1881.    Bd.  I.    S.  99.  107. 
109.  111  IL  ff. 

*  a.  a.  O.  S.  119. 

*  Arch.  f.  Psych.  Bd.  XVI.  8.  868  and  dieses  Cbl.   18Sd.   S.  809. 

^  Tageblatt  der  NatarfarseberTersaaakml  2a  Salzbarg  S.  186;  vgL  dieses  Cbl.  1882.  S.  9. 

*  Die  Naclearlähmang  der  AogenmoskelD.    1885.    S.  868. 


—    8    — 

der  GrosshinrscheBkel  hemm,  um  dann  beiderseits  an  der  basalen  Fläche  der- 
selben znr  Perforationsstelle  der  Dnra  mater  unter  dem  Ansatzpunkte  des  Ten- 
torium  cerebeUi  an  dem  Processus  clinoideus  posterior  zu  yeriaufen  und  endlich 
durch  die  Fissura  orbitalis  superior  den  M.  obliquus  superior  zu  melcihen. 

Es  bedarf  wohl  keiner  ac^hrlichen  Auseinandersetzung,  dass  die  Duplidtat 
einer  an  und  für  sich  schon  seltenen  Trochlearisparese  ungezwungai  weder  durch 
eine  peripherische  noch  basale  Localisation  der  Erkrankung  erklart  werden  ksnn^ 
um  so  weniger,  als  die  doppelseitige  Abducensparese,  die  Stfirungen  des  Gleich- 
gewichtes, der  Deglutition,  femer  die  spastische  Partie  der  IJnterextremitaten  und 
die  Blasen-  und  Oenitalsymptome  auf  eine  centrale  Affeetion,  etwa  des  Cerebdlom 
und  des  Pons  deuten.  An  eine  doppelseitige  Eemerkrankung  des  Trochlearis- 
kemes  etwa  als  abnormen  Beginn  einer  nudearen  externen  Ophthalmologe 
kann  aber  auch  nicht  wohl  gedacht  werden,  weil,  was  aus  der  Gontinuit&t  mit 
dem  Oculomotoriuskem  einleuchtet,  sie  isolirt  selbst  einse^g  nach  Wbbnicke^ 
nicht  vorkommt.  Dass  übrigens  der  Trochleariskem  zusammen  mit  dem  Octüo- 
motoriuskem  erkrankt  sein  kann,  ist  far  die  chronische  Ophthalmoplegia  externa 
erst  kürzlich  von  Westphal^  für  die  acute  haemorrhagische  Polioencephalitis 
der  Potatoren  von  Thomsek'  gezeigt  worden.  Eine  doppelseitige  schleichende 
Trochlearisparese  wird  als  fasciculare  Lähmung  nach  Maüthkeb^  wohl  am  ersten 
durch  eine  das  Trochlearischiasma  im  Yelum  medulläre  anterius  langsam  direct 
ergreifende  Affeetion  bewirkt  werden,  welche  die  übrigen  in  Betracht  kommenden 
Himabschnitte  unmittelbar  oder  durch  Femwirkung  in  Mitleidenschaft  gezogen 
hat,  ohne  jedoch  bisher  so  schwere  Allgemeinerscheinungen  herrorzubiingen, 
dass  Stauungspapille,  Pulsverlangsamung,  Erbrechen  u.  s.  w.  einzutreten  brauchten. 
Selbst  eine  gewisse  Remission  des  schleichenden  Processes  ist  aus  dem  Verlauf 
wahrscheinlich. 

Welche  anatomisch  festgestellten  Affectionen  haben  nun  erfahmngsgemäss 
ähnliche  Symptomencomplexe  verschuldet? 

Ton  NtEBEN"  wurden  bei  einer  35jährigen  Frau,  als  Anfangssjmptome 
eines  tödtlichen  Cerebralleidens,  Occipetalkopfschmerz,  Schwindel  und  rechts- 
seitige Trochlearisparese  beobachtet.  Die  Obduction  ergab  einen  wallnussgrossen 
cystischen  Tumor  der  Glandula  pinealis,  welcher  den  ganzen  dritten  Yentrikel  aus- 
fällte. Diese  Beobachtung  haben  sowohl  Nothnagel*  als  besonders  BEHNHAnnT^ 
berücksichtigt,  welcher  die  Trochlearislähmung  als  einen,  wie  ihm 
schiene,  für  Geschwülste  dieser  Gegend  entschieden  charakteristi- 
schen Befund  hervorhebt  Maüthkeb^  hält  es  ebenMls  f&r  möglich,  dass 
ein  Tumor  der  Zirbel,  wenn  er  sich  rückwärts  ausdehnt,  die  Trochleariskreuzung 


1  a.  a.  O.  S.  351. 

•  Arch.  f.  Psych.  Bd.  XVm.  S.  858. 

»  Arch.  f.  Psych.  Bd.  XIX.   S.  195  u.  198. 

^  Die  nicht  nnclearen  Lahmangen  der  Augenmaskeln.   1886.  S.  419. 

^  Centralblatt  für  NenrenkrankheiteD.   1879.   Nr.  8.  S.  168. 

*  TopiBche  Diagnostik  der  Gehimkrankheiten.   1879.   S.  555. 

^  Beiträge  zur  Symptomatologie  nnd  Diagnostik  der  Hirngeschwülste.  1881.  S.  178. 
"  a.  a.  O.   S.  419. 


—    9    — 

I&diren  kaim,  macht  aber  fernei  auf  Grund  von  in  Bezog  auf  die  Thatsache  der 
Trochlearislähmung  selbst  übrigens  zweifelhaften  Beobachtangen  von  y.  Pfunqbn 
darauf  aufmerksam ,  dass  die  Trochleares  auoh  als  peripherische  Nerven  noch 
im  Querschlitz  des  grossen  Gehirnes  zwischen  den  Corpora  qnadrigemina  und 
dem  Splenium  corporis  callosi  durch  das  Exsudat  einer  tuberculösen  Meningitis 
afidrt  werden  können.  Hieran  zt  denken  bat  man  im  vorliegenden  Fall  keinerlei 
Yeianlassung.  Aber  auch  g^n  die  Annahme  eines  Zirbeldrüsentumors  lässt 
sich  schon  a  priori  geltend  machen,  dass  wenn  die  durch  ihre  vordere  Basis 
mit  der  hinteren  Commissur  zusammenhängende,  dem  vorderen  Yierhügelpaare 
unter  dem  Bailkenwolst  aufliegende  Zirbel  zu  einem  Tumor  anschwillt,  welcher 
das  Yelum  medulläre  nach  hinten  erreicht,  es  schwer  verstandlich  ist,  dass  nicht 
aüch  die  Oculomotoriusr^on  in  Mitleidenschaft  gezogen  werden  sollte. 

In  der  That  sind  auch  in  den  seitdem  veröfGdnUichten  Fällen  von  Zirbel- 
drüsentumoren, wenn  wir  aus  ihrer  Symptomatologie  nur  die  Augenmuskel- 
symptome berücksichtigen,  zwar  von  FtoIiChenfeu)  ^  vollständige  Lähmung  der 
vom  Oculomotorias  versorgten  Augenmuskeln,  von  Pontoppidan^  starrer  Blick 
und  beschränkte  Beweglichkeit  nach  allen  Richtungen,  von  BeinhoijD  '  nystag- 
musartige  Bewegungen  beim  Blick  nach  oben,  doppelseitige  Ptosis  und  doppel- 
seitige Abduoenslähmung,  von  IL  Schulz^  Insufdcienz  des  M.  rectus.  int.  oculi 
dextri,  von  Dalt  '^  nicht  bestimmter  charakterisirte  Störungen  beobachtet  worden, 
niemals  aber  eine  einseitige  oder  gar  doppelseitige  Trochlearisparese.  Beiläufig 
sei  bemerkt,  dass  der  B.  SctoüLz'sche  Fall  sonst  durch  Hinterkopfischmerz,  breit- 
beinigen  taumeligen  Gang,  gesteigerte  Sehnenphänomene  mit  Fussolonus,  als 
deren  anatomische  Basis  Hydrocephalus  internus  anzusehen  war,  Deglutitions- 
stonmgen  die  allergrösste  Aehnlichkeit  mit  diesem  Falle  darbot 

Es  muss  also  dahingestellt  bleiben,  ob  hier  wirklich  eine  Zirbeldrüsenaffection 
auch  nur  vermuthet  werden  darf,  oder  ob  primär  oder  von  ii^end  einer  anderen 
Stelle  aus  das  Yelum  medulläre  secundär  ergriffen  worden  ist 

Obgleich  die  Gleichgewichtsstörungen  doch  erst  in  letzter  Zeit  stärker  auf- 
getreten sind,  Uebelkeit  und  Erbrechen  stets  gefehlt  haben,  so  hat  Herr  Menpel 
in  der  Discussion  die  Yermuthung  ausgesprochen,  dass  eine  EleinhimafEiection 
vorliegen  möchte,  weil  durch  eine  Geschwulst  des  Oberwurmes  ebenfalls  ein  Druck 
von  hinten  auf  d^  benachbarte  Yelum  medulläre  ausgeübt  werden  könnte. 
Indessen  ist  in  90  von  Bbrnhabbt  zusammengestellten  Fällen  von  Tumoren 
des  Eleinhims  niemals  eine  doppelseitige  Trochlearislähmung  beobachtet  worden 
und  gerade  für  diejenigen  Fälle,  in  welchen  Schlingbeschwerden  auftreten,  von 
Bkmhhawdt^  hervorgehoben,  dass  dann  die  Neubildung  meist  im  Unterwurm  sass. 

Unter  diesen  Umständen  glaube  ich  die  Discussion  über  den  hier  vor- 
Ueg^doi  anatomischen  Process  nicht  weiter  fahren  zu  sollen ,  als  sie  durch 

^  IMwes  Centralblatt   1885.  S.  409. 

*  Diesei.  Gentralblatt.   1885.  S.  553. 

*  Deutsches  Arehiv  t  kUn.  Med.  Bd.  XXXIX. 

*  Dieses  Centralblatt.   1886.   S.  489. 
•BaADT.   1887.  July. 

*  a.  a.  0.  8.  240. 


—     10    — 

bekannte  Thatsachen  begründet  ist,  babe  aber  die  Beobachtung  an  und  für  aich 
wegen  ihrer  Seltenheit  ^  trotz  des  aasstehenden  erklftrendea  ObdnctionsbefandeSy 
der  Mittheilung  für  werth  erachtet. 


3.    Zur  Anatomie  des  Froschgehims. 

Von  Dr.  M.  Koppen,  I.  Assistenten  an  der  psychiatrischen  Klinik  Strassburg  L  E. 

(Aus  dem  Laboratorium  von  Prof.  Schwalbe.) 

Auf  den  Rath  meines  hochverehrten  Lehrers,  Herrn  Prof.  Schwalbe,  beschäf- 
tigte ich  mich  seit  einiger  Zeit  mit  einer  Untersuchung  des  Centralnervensystems 
des  Frosches.  Wenn  ich  an  dieser  Stelle  einige  Ergebnisse  dieser  Untersuchung 
yeröffentliche,  so  geschieht  es  in  der  Meinung,  dass  die  Verhältnisse  bei  niederen 
Wirbelthieren  uns  wichtige  Fingerzeige  geben  für  die  Untersuchung  des  Central- 
nervensystems höherer  Wirbelthiere,  insbesondere  auch  des  Menschen.  Bei  den 
Untersuchungen  in  dieser  Richtung  hat  es  sich  herausge^Ut,  dass  die  Verhältnisse 
bei  allen  Thieren  eine  grosse  Aehnlichkeit  besitzen  und  dass  Befunde  bei  einem 
Thier  ähnliche  Befunde  bei  einem  anderen  erwarten  lassen.  Man  wird  allerdings 
ticht  hoflFen  dürfen,  bei  niederen  Thieren  dieselben  Dinge  nur  einfacher  wieder- 
zufinden, die  man  zum  Beispiel  beim  Menschen  findet.  Es  ist  vielmehr  offenbar, 
dass  bei  dem  einen  Thier  jener,  bei  einem  anderen  dieser  Gehimtheil  eine  be- 
sonders hohe  Ent Wickelung  zeigt,  so  dass  zum  Beispiel  ein  Gehimtheil  eines 
niederen  Tbiieres  eine  höhere  Entwickelung  zeigen  kann,  als  derselbe  Theil  bei 
einem  Thier  höherer  Ordnung.  So  zeigt  zum  Beispiel  der  Lobus  opticus  des 
Frosches  eine  reichere  Entwickelung  seiner  Rinde,  als  die  Vierhügel  des  Men- 
schen, und  die  Medulla  oblongata  des  Frosches  scheint  an  hoher  Ausbildung 
der  des  Menschen  näher  zu  stehen,  als  man  es  annehmen  würde. 

Ich  untersuchte  das  Centralorgan  des  Frosches  mit  der  WBiGEBx'schen 
Methode  und  vergleichsweise  mit  Garminßrbungen ,  indem  ich  nach  Art  der 
Embryologen  aus  meinen  in  Paraffin  eingebetteten  Präparaten  Serien  verfertigte. 
Folgende  Ergebnisse  möchte  ich  hervorheben:  Die  aus  der  Medulla  oblongata 
entspringenden  Nerven,  Vagus,  Trigeminus,  Acusticus  zeichnen  sich  aus  durch 
grosse  aufsteigende  Wurzeln.  Vagus  und  Trigeminus  haben  zwei  aufsteigende 
Wurzeln.  Die  grösste  aufsteigende  Wurzel  des  Vagus  entstanmit  dem  Seiten- 
strang, der  fast  ganz  in  diese  Wurzel  aufgeht,  die  grösste  aufsteigende  Wurzel 
des  Trigeminus  wird  gebildet  von  dem  Dorsalstrang.  Ausserdem  gehen  in  beide 
Nerven  über  aufsteigende  Fasern,  die  in  einer  Substantia  gelatinosa  innerhalb 
der  Dorsalhömer  der  grauen  Substanz  verlaufen  und  somit  den  longitudinalen 
Fasern  des  Hinterhoms  beim  Menschen  entsprechen.  Der  motorische  Bestand- 
fheil  des  Trigeminus  entspringt  ungeföhr  in  gleicher  Höhe,  in  welcher  der  ganze 
Nerv  austritt,  aus  einer  Gruppe  grosser  Zellen.  Besonderes  Interesse  bieten  die 
Verhältnisse  des  Acusticus.  Derselbe  hat  einen  dreifachen  Ursprung:  1.  ent- 
springt er  aus  der  allgemeinen  Eemmasse  der  grauen  Substanz,  ohne  dass  man 
diesen  Ursprungsfasem  einen  abgesonderten  Kern  zuertheilen  ktonte;  2.  hängt 


—   11   — 

er  mit  grossen  ZeDen  zusammen  in  der  grauen  Substanz ,  die  wir  d^  Zellen 
des  DEiTEB'schen  Kernes  beim  Menschen  gleichstellen  können,  und  8.  finden 
wir  im  dorsalen  Theil  der  grauen  Substanz  noch  ein^  runden  Kern,  aus  dem 
ihm  Easem  zuströmen.  Jene  gh)6sen  Zellen  scheinen  femer  mit  Fasern  grössten 
Oalibers  zusammen  zu  hängen,  welche  in  der  ganzen  Medulla  bis  zur  Lenden- 
anschw^ung  in  den  Yentralsträngen  gefunden  wurden.  Sicher  ist,  dass  diese 
aofialligen  Fasern,  nachdem  der  Aeusticus  die  Medulla  oblongata  verlassen  hat, 
im  Yentralstrang  fehlen  und  median  von  der  Acusticuswarzel  in  der  N&he  der 
grossen  Zellen  und  in  der  ventralen  Gommissur  zu  finden  sind.  Der  austretende 
Nerv  theilt  sich  zuweilen  gleich  nach  seinem  Austritt  in  einen  dorsalen,  mehr 
cranial  gelegenen  und  einen  ventralen,  mehr  caudal  gelegenen  Theil.  Beide 
Theile  enthalten  besonders  starke  Nervenfasern,  der  ventrale  mehr,  als  der  dor- 
sale. Ich  hege  nach  allen  Beobachtungen  die  allerdings  kühne  Yermuthung, 
dass  wir  in  jenen  grossen  Zellen  ein  Qleichgewiohtscentrum  vor  uns  haben, 
von  dem  aus  einerseits  Fasern  in  den  Aeusticus  zu  den  halbcirkelförmigen 
Ganälen,  anderersmts  Fasern  in  die  ventralen  Bückenmarkswurzeln  gehen.  Dies 
letztere  konnte  ich  beobachten.  Femer  sind  entschieden  jene  grossen  Fasern 
den  MüXiiiEB'sGhen  Fasern  gleichzustellen,  da  sie  genau  an  derselben  Stelle  wie 
diese  auftreten.  LAKaESHANS  und  Ahlbobn  beobachteten  schon  bei  den  Neun- 
augen, dass  der  grösste  Theil  der  MüMiEB'schen  Fasem  in  sehr  grosse  Zellen 
im  Qebiet  der  Acusticuswurzel  übergeht,  und  Ahlbosk  betrachtete  anderer- 
seits diese  grossen  Zellen  als  Ursprungszellen  des  Aeusticus.  Bei  höhereu 
Wirbelthieren  würden  wir  das  Analogen  der  MüUiXSB'schen  Fasem  in  Fasem 
der  Substantia  reticularis  zu  suchen  haben.  Weiter  als  jene  Fasem  ist  eine 
Ghruppe  grosser  Fasem  zu  verfolgen,  welche  über  und  zwischen  der  ventralen 
Gommissur  liegt  und  als  hinteres  Längsbündel  au&ufassen  wäre.  Diese  Gmppe 
von  Fasem  liegt  an  derselben  Stelle,  wo  sich  die  MAUTHKEB^schen  Fasem 
bei  den  Fischen  befinden.  Die  hinteren  Längsbündel  sind  bis  zum  Austritt 
des  Oculomotorius  zu  verfolgen.  Ein  Strang,  welcher  dem  Pyramidenstrang 
höherer  Thiere  gleichkäme,  konnte  beim  Frosch  nicht  beobachtet  werden.  Alle 
Bahnen  des  Bückenmarkes  und  der  Medulla  oblongata  finden ,  wenn  sie  nicht 
schon  früher  auslaufen,  ihr  letztes  Ende  im  Lobus  opticus  und  im  Zwischenhim. 
Im  Lobus  opticus  und  Zwischenhim  entspringen  dann  neue  Bahnen,  welche  im 
Orosshim  endigen.  Durchgehende  Bahneu  giebt  es  nicht  Die  Verbindung 
entfemt  liegender  Centren  ist  nicht  in  der  Weise  entwickelt,  wie  bei  höheren 
Thieren.  Die  Bahnen  des  Orosshims  bleiben  bei  der  WEiOEBT'schen  Färbung 
im  Wesentlichen  nicht  blau,  die  Bahnen  aus  dem  Bückenmark  und  der  Medulla 
oblongata  haben  dagcigen  bei  dieser  Methode  eine  schön  blau  geßurbte  Mark- 
hülle. Die  Bahnen  des  Grosshims  haben  auch  keine  gut  von  einander  getrennten 
Fasem,  sondem  bilden  an  einigen  Stellen  äne  Masse,  die  ich  Nervenfinser- 
conglomerat  nannte. 

•  * 

Die  Medulla  obl(»igata  ist  ausgezeichnet  durch  ihre  stark  ausgebildete  ven- 
trale Ereuziingseommissur,  deren  Fasem  in  Gruppen  aas  den  Ventratsträngen 
heraustreten,  bis  in  die  dorsalen  TheOe  der  graueti  Substanz  verlaufen  und  in 


—    12    — 

die  ZeUenkenimasse  ausBbalileii.  Sie  enthält  somit  Fasern,  w^lohe  aas  denselbai 
Keinen  entspringen,  denen  die  Nerven  ibren  Ursiming  yerdank^  nnd  welche 
dann  in  die  Yentralstränge  äbergehen.  Diese  Fasßrp  verbinden  zu  eioBni  Th^ 
gleiobnamige  Oentren  nüteinandet  (centrale  sonsojieUe  Bahnen,  ÜDmexa),  zom 
anderen  Theil  ist  zu  rermatben,  dasa  in  diesen  Bahnen  die;  Beize  sensibler 
Gentren  sich  auf  die  mototisoben  Nerven  übertragen.  Diesen  Theil  der  Fasern 
würden  wir  Beflexbahn^i  nennen.  Eine  untere  Olive  ist  an  richtiger  Stelle 
zu  finden,  doch  besteht  sie  ans  einer  kleinen  wbedeutenden  Eenunassa  Das 
Kleinhirn  ist  nur  wenig  entwickelt  und  wir  haben  daher  am  Frosohgehim  kein 
gfinstiges  Object  for  das  Stadium  von  Kleinhimbahnen.  Der  Lohns  opticus  ist 
dagegen  sehr  entwickelt  Zwei  Wnizelucq^rünge  des  N.  opticus  sind  hier  nach- 
zuweisen, die  eine  entspringt  aus  dem  Theil  des  Lobus  opticus,  welcher  am 
weiteste  caudal  gelegen  ist  Eine  dritte  Wurzel  des  N.  opticus  entspringt  aus 
dem  Zwiachenhim.  In  dem  Bereich  des  Chiasma  nervi  optici  finden  wir  ausste 
der  Kreuzung  der  Nerven&sem  eine  Conunissur,  welche  ventral  von  dem  Chiasma 
die  Wurzelbändel  beider  Seiten  verlandet.  Auch  eine  Commissura  arcuata  an- 
terior ist  vielleicht  vorhanden.  Der  Behauptung  Osbobns's,  dass  d&c  Frosch  auch 
ein  Corpus  eallosum  besitze,  kann  ich  zustiminen.  Die  Yerbindungen  der  Com- 
missura anteriora,  welche  derselbe  Autor  beschreibt,  schienen  mir  dagegen  nicht 
sehr  deutlich.  Das  Fasersystem  des  Grosshims  ist  viel  reichhaltiger  als  man 
erwartet    Die  genauere  Besehreibung  desselben  würde  hier  zu  weit  führen. 

Der  Biechnerv  entspringt  ans  Gfebilden,  welche  Olomemli  b^utnnt  wurden. ' 
Der  Bau  dieser  Korper  ist  aber  beim  Frosch  nicht  so,  wie  er.  bei  anderen  Thieren 
beschriebe  wurde.  In  diesen  Olomeruli  des  Frosches  befinden  sich  keine  ZeUen, 
sondern  dieselben  bestehen  aus  feinen  Fasern  und  Massen  von  solchen  Fasern, 
die  zu  stärkeren  verschmolzen  sind.  Die  einzelnen  Fasern  des  N.  olEactorius 
setzen  sich  aus  den  Fasern  vieler  Glomeruli  zusammen  und  es  entspringen  die 
Fasern  eines  N.  olfoctorius  zum  Theil  auch  aus  Qlomeruli  der  anderen  Gehirn- 
hälfte, so  dass  eine  Olfactoriuskreuzung  besteht 

Die  genauere  Ausführung  der  hier  kurz  mitgetheilten  Thatsachen  und  die 
Mittheilung  noch  anderer  Ergebnisse,  welche  die  Unteisuchung  lieferte,  wird  m 
einer  ausführlichen  Arbeit  erfolgen. 


n.  Referate. 


Anatomie. 

• 

1)  Zur  EenntniSB  der  Formen  des  BlmsoUdels,  von  Dr.  C.  Bieger,  Professor 
in  Würzbarg.  (Sep.-Abdr.  aus  der  Festschrift  zur  BegrOssung  des  Xyni.  Oon- 
gresses  der  deutschen  Anthropologischen  GeseDschaft  in  Nämberg  1887.  — 
V.  Ebner*sche  Buchhandlung.    NQmberg  1887.) 

Bezugnehmend  auf  seine  beiden  Schriften  „Eine  ezacte  Methode  der  Craoio- 
graphie"  (Jena  1885,  Fischer)  und  ,,Ein  neuer  Projections-  und  Coordinatenapparat 
TQr  geometrische  Aufnahme  von  Schädeln  etc.^  (im  Cenkalblatt  fttr  Nervenheilkunde 
1886)  giebt  hier  der  Verf.  seine  Unteranchungen  an  191  Schftdehi  (177  flMt  aoa- 
schliesslich  Unterfranken,  14  Sicilianer)  in  35  Zahlentabellen  und  5  Tafeln  in  Farben- 


—    18    — 

^naek;  aiiBii  waf  3(K  Seiten  die  Bespraciiing  ■  eines .  Th^ilfl  der  atis  diesen  Tab^Uea 
IremtiazüleseBden  oder  lierausznseclmendeii  Thiisadnu  —  nnr  ^iaes  Tbeiter  denn  man 
mvm  d«tti'V«rf.  mgelMii,  daes  hi-dienn  arit^  eiftaxmHehem  iPleisse  iMgeeteUten 
tabelkn^  „m  iMit  leicht  2n  erediftpfebdea  Mfttenäl  für.. weitere  Slo^eii  entbaUen 
i0t|^;'iä^d — wollen ^"Wir^bimnifhgen  ^^eih  tmdit  za^  vei^cktbndes  txate  Beniediot's 

J¥tö  'Grtfa8himkiq)flel  wnrder  >  giB|llüBolL  (mit  abkabaxMi  Maäaeen)  daigeetülH  ii^ 
fonf  Horizontalebenen  nnd  einer  (medianen)  Sagittalcnrve.  Die  unterste  Horizontal- 
ebene wird  gelegt  durch  die  oberen  Augenränder  und  die  Protuberantia  occipii  interna, 

Sonzonbü^lieiSBA  liegt  Idinln  Hber  dev^sodxfisen^t^afiaaB  «lA;di6<t)benBte  ttnflü^jBdiDm 
über  der  untersten  liegt.  /."   -/    .  •         .    ; ,,..—  \-..-.-^.. 

.-  &fj>eet^mte  fon  ,fV  jede  Ho/|zentale^ene.  die  .median^  LAng9ai:e>  und  ihre 
vorder^  ^^  luntere.thcoUäqge«^  I)W  tipgsaxe.,  wird  ^nämlich  getheilt.dorcli  eine 
iQni^rate,  diwcl^.^n  vorderen. Sand. 4^  Condjien  4^s  Blnterhauptbeiiis  gelegt  (Äire  b); 
aiiss^  dieser  ^Cwdjlen^'^,  ^''^urde  noch  eiiie  ]  Quer-Axe  a,  die  5Ö  mm  ,  vor,  und  eine 
Qaer-^xefC,  die  ^Sp  nu9  hinter  der  ^e  b  liegt^  in'  ien  untersten  £^orizontalebenen 
buil'^eh  'no$)jkeijie,.A^e,a'  (^e- kürzeßie  Quer-^e  des.  Schädela)  zur  Bestimmung. 
. ;  '  /Wif>  B^  fm  diesig  ^hlreicbea  Messpbgen  seine  Tabellen  und  aus  ihnen  aeind 
Cpnw .  entwirf t,  ijpd  mit  fiüWe.det.W^rsßbeinüch^  Iheoretiephe^  Curven 

ber^^ft^  IÄU9S  im  priginal  n^  ,  ', 

.gier. mögen  npr. einige/ der, Ergebnisse  der  Aji^beit  des  Yerf.  Iliittheilüng  finden. 

IL  hatte, i^eine  i7.7,][Jnterfranken-Schädel  in  normale  (i07J  und  mehr  oder  weniger 
abnome  (70)  getheilt  ^r.  fapd,  dass.  für  diese^^  wie  jene  ein  aueii^ich  gleiä^es  Lan^en- 
maass  (uateirate  HQ.rizont.a]eVene)  und  gleich  grosse' Extreme  nach  obeii  und 
unten  bestel)^n;  dasselbe  gilt  für  die  vorderen  und  hinteren  TheÜlängen.  Das  Mittel 
der  ganzen  Länge  liegt  bei  172  mm,  das  der  vorderen  Theill&ngen  bei  103  nnd  104, 
das  der  hinteren  bei  68  und  70,  doch  kann  letzteres  Maass  bis  92  hinauf-,  die 
vordere  Theillange  bis  75-h6räbg6h^ii,  an  denaßelben  1ScMdcil<^rde  jedoch  als  Extrem 
nur  b^baphtet;  vp]rdere  Theillange  96,  h|ntere,  92. 

Die  Condyleniö:V''fetn^V^*^'^^^^  Bhenen; 

die  kleinste  Breitenaxe  (ä')  zeigte  eine  bemerkenswerthe  Constanz,  sodass  jeder  unter- 
Buebie  ficUftd^  nioht  viel  mehr  tnidMchi-vid;  weniger  aki^Oinm^gedngfte  Sk^äfen- 
brtete  hai;  das  Miltei  der  :€öndjleii8xe  ist  140;  das  «on  A:ie  at<dO  mm^  weiter  rem) 
110,  das  von  Axe  c  (30  mm  weiter  hinten)  120  mm. 

IH«' «Bdeven:  HoiizeBitäle]MBen''(2-i-6)  zeigto  eharBktdris&cAie  Untonichiede  von 
der  ttiterttteti;  wobei  die  rBOh^tdes  :8^bftdek(Diifo1i8(chBitt  96(bei  Qüdrazia  b^^8S  bei 
(^ei^PaSl»  a,  85  iNDi  Qt»raxe  c):  stin' befitiinmeiid  iak    ^         :!  \  .     .  Vr 

'■  Die  Milstua  dör  Ungn  lUkn  bei  9d -v^^^ 
49'attf  die'  mitertte  Qpiiniiiteiey  herM;rauf  :die;dri(^r^b^^^ 
sind  die  Besnltate  wieder  in  charakteristischer  Weise  abwMChend«^  i  < 

''Waa^^  ^ie  ' MiMelAiileii'  für  die.  gf^te  Lfhige^  iBreitfl[..u.  4i»,'w^.b0t  de^« unter- 
(räckiw  43clM«lB' beitnin^  1^^^^  für  die  iLänge  175  mm  mtt  JSxtrMan  Ar 

die  ,4iohnalfe'*  ScIiaM  ^^n  1404^1%.  &  die  abnormen  .v(m:i30r-220(.  j&tadie 
BMte^  149^  tübd  i44imn;. lalt  EttcBlnen  v«a  110^^180bW'<  ^  ,.  z   .. 
;'-'<  Üttr^Iitagwt^Brefeletiaiiiex  betrug . im  Mittal  8%  bei  «UeK  ym  «(tpemeP  Do}iche- 
eij^ludM: ittH^iefteitt  Üntac  n^^ &Jl  und i extremer »Bnu^ceiAalia  m^teiiivmi'^aolAhen 

'-'  Mm:  dm'l4  SIeäiaQeraehftdain  seigte  sichLiaSezog  atf:die  Lapgemaftiise  eane 
tMIgento  WiereinstlnMngrmll'  dem  Mittel  obn^e^  177'>fi(AMel:«iis  .UQterfnuikeii; 
imb^hBgbkr4i^muäamj^^  LftUBea  nur  bei  4  fieb&dAi  in;  derrOTe^fln,  .bei  2  auf 
4tr'iweitelfBii;-dill4en.iQgftflRsb^^bd'8^       dar.driUfo  aUein,  bei'ke«iem:'ewiizig!eB.  «flif 

der  untersten:  die  Sicilianischen  Schädel  wölben  sich  also  im  SagittalbogeniBucb^obep 


—    14    — 

mehr  ans.  Diese  Eigenschaft  rührte  wie  eine  Früftmg  der  TheiUfingen  ergiebt»  haaj^t- 
s&chlich  von  der  relativ  grösseren  L&nge  der  hinteren  Theillängen  in  der  3  oberen 
Honzontalebenen  her.  —  Grössere  Abweichung  zeigen  die  Queraxen,  welche  im  Durch- 
schnitt 12 — 14  mm  kürzer  sind,  als  die  UnterMnldsohen,  und  zwar  so«  dass  auch 
hier  in  den  Maassen  der  Queraxen  aller  5  Horizontalebenen  sowohl,  wie  der  3  Quer- 
axen  unter  sich  eine  grössere  Uebereinstimmung  sich  zeigte  als  }m  jenen  177.  Die 
Sidlianiflchen  Sch&del  haben  also  mehr  eine  Walzenlorm.  Hadlich. 


2)  PhysiologlBohe  und  mikroohemiaohe  Beitrftge  Bur  Eenntniss  der  Nerven- 
2sellen  in  den  peripher(isoh)en  Ganglien,  von  Anna  Kotlarewsky.  (In- 
augural-Dissertation.    Bern  1887.) 

Yerf.  knüpft  an  die  Arbeiten  von  Flesch  und  Koneff  an.  Sie  folgt  dem 
Beispiele  Ehrlichs,  die  Ganglien  im  lebenden  Thiere  zu  firben,  doch  weicht  sie 
darin  ab,  dass  sie  die  Injectionen  in  die  Lymphr&ume  macht.  Das  Resultat  war, 
dass  die  kleinen  Zellen  viel  intensiver  gefirbt  wurden  als  die  grossen.  Versuche 
mit  Alizarinnatriumlösung  über  die  Beaction  der  Zellen  blieben  ohne  Ergebniss,  hin- 
gegen wurde  aus  Färbungen  mit  Phenolphthalein,  Lakmoid,  Gyanin  geschlossen,  dass 
die  Beaction  neutral  oder  ganz  schwach  alkalisch  sei.  Experimente  über  den  Nach- 
weis freien  Sauerstofb  misslangen.  Härtungsversuche  ergaben,  dass  die  verschiedenen 
Formen  der  Nervenzellen  ihren  verschiedenen  Charakter  immer  wahrnehmen  lassen, 
femer  dass  die  chromophilen  Zellen  ausnahmslos  eine  grössere  Affinität  zu  den  Metall- 
lösungen zeigen  als  die  chromophoben.  Tinctionsversuche  lassen  die  Verf.  als  charak- 
teristisch für  die  Nervenzellen  aufstellen:  Armuth  des  Nervenkems  an  Chromaün- 
bestandtheilen,  Färbbarkeit  des  Protoplasmas  durch  verschiedene  Agentien. 

Eronthal 

Experimentelle  Physiologie. 

8)  Die  Physiologie  des  moXbrisohen  Feldes  der  Hirnrinde,  von  W.  Bech- 
terew.    (Archiv  psychiatrii,  neirologii  etc.  1887.  Bussisch.) 

Die  über  5  Druckbogen  enthaltende  Schrift^  welcher  zahlreiche,  bereits  im  Jahre 
1881  begonnene  Versuche  des  Verfassers  zu  Grunde  liegen,  zerfällt  in  mehrere  Ab- 
schnitte. 

Der  erste  trägt  die  Ueberschrifb:  Ist  es  bewiesen,  dass  der  durch  Beiznng  das 
motorischen  Feldes  bedingte  Effect  von  Erregung  der  Binde  und  nicht  von  Strom- 
schleifenwirkung auf  tieferliegende  motorische  Centren  abhängt?  Zur  Beantwortung 
dieser  Streitfrage  stellt  Verf.  die  verschiedenen  Angaben  der  Autoren  pro  et  contra 
zusammen  und  spricht  sich  auf  Grund  eigener  Untersuchungen  zu  Gunsten  des  Vor- 
handenseins corticaler  Centren  aus. 

Der  zweite  Abschnitt  behandelt  die  Topographie  des  motorischen  Feldes  an  der 
Gehimoberfläche.  Da  die  bei  Beiznng  der  Binde  entstehenden  Impnlse  durch  die 
Fasern  der  Pyramidenbahn  zur  Peripherie  gelangen,  hält  es  Verf.  für  das  Sicherste, 
die  Grenzen  des  motorischen  Feldes  durch  den  Ausbreitungsbezirk  der  Pyramidenbahn 
in  den  Hemisphären  zu  ermitteln;  dieser  Weg  wird  besonders  dadurch  erleichtert, 
dass  bei  Hunden  die  Pyramidenfasem  am  10. — 12.  Tage  nach  der  Geburt  ihre  volle 
Entwickelung  erreichen,  zu  einer  Zeit,  wo  die  anderen  Systeme  der  Markanb^tanz 
noch  marklos  Bind.  Die  auf  diesem  Verhalten  basirten  Untersnchungen  dee  Verl 
ergeben,  dass  das  betreffende  Gebiet  vorzüglich  der  sigmoiden  Windong  entspricht, 
sowohl  vor  als  hinter  dem  Sulcus  cruciatus;  ausserdem  treten  Fasern  des  Pyouniden- 
bündeler  noch  zu  dem  unmittelbar  nach  aussen  anliegenden  Abschnitt  der  sweitefi 
ürwindnng. 


—    15    — 

ReiznngSTersache  an  der  Gebimoberfläclie  zeigen»  dass  die  erregbaren  Punkte 
In  zwei  Kategorien  zerfallen:  die  im  Ausbreitungsgebiet  des  Pyranüdenbflndels  ge- 
legenen sind  leicht  erregbar,  und  ihre  Abtragung  hat  deutliche  Bewegungsstörungen 
an  den  Gliedern  zur  Folge;  andere  sind  mehr  einzeln  zerstreut,  und  ihre  Zerstörung 
wird  weder  von  Symptomen  seitens  der  Motilität,  noch  Yon  secundärer  Degeneration 
der  Fyramidenbahn  begleitet.  Was  die  Dififerenzirung  der  Gentren  anbelangt,  von 
welchen  ans  bestimmte  Bewegungen  heryorgemfen  werden  können,  so  fand  Verf.  am 
Hand  16  solche  Punkte,  an  der  Katze  11  (im  nftmlichen  Gebiet),  am  Kaninchen 
ond  Bichhömchen  6,  am  Meerschwein  4 — 5  (im  vorderen  Theil  der  Himoberfläohe). 
fieizung  dieser  Punkte  beeinflusst  an  allen  Thieren  auch  die  Atbembewegungen. 
Schwer  erregbare  Punkte,  d.  h.  solche,  zu  deren  Beizung  stärkere  Ströme  erforderlich 
sind,  fand  Verf.  an  Hunden  und  Katzen  vier:  1)  Beizung  der  zweiten  Urwindung 
ungefähr  in  der  Mitte  zwischen  dem  hinteren  Band  des  Gyrus  sigmoides  und  der 
Spitze  des  Hinterhauptlappens  bewirkt  Ablenkung  der  Augäpfel  zur  gegenüberliegenden 
Seite,  Verengerung  der  Pupillen  und  leichten  Verschluss  der  Augenlider;  2)  Beizung 
der  nämlichen  Windung  in  der  Entfernung  einiger  Ifillimeter  hinter  dem  Gyrus  sig- 
moides —  Bflmpfong  der  contralateralen  Hälfte  der  Nase  und  Backe,  so  dass  die 
Zähne  entblösst  werden;  3)  Beizung  der  dritten  Urwindung  nach  hinten  und  aussen 
vom  Gyrus  sigmoides  —  Erhebung  und  Aufrichtung  des  contralateralen,  zuweilen 
auch  des  gleichseitigen  Ohres;  4)  Beizung  etwas  nach  aussen  von  diesem  Punkt  — 
Anlegen  des  contralateralen  Ohres  an  den  Kopf,  wie  es  die  Thiere  thun,  wenn  sie 
erschrecken.  Was  die  Erklärung  dieser  Bewegungen  anbetrifft,  die  bekanntlich  bereits 
von  Ferrier  beschrieben  wurden,  so  bestreitet  Verf.  die  Ansicht,  dass  sie  durch 
reflectorische  Erregung  sensibler  Centren  entstehen;  seiner  Meinung  nach  widersprechen 
derselben  1)  der  Umstand,  dass  die  angegebenen  Punkte  durchaus  nicht  im  Terri- 
torium sensibler  Centren  liegen  und  2)  der  stereotype  Charakter  der  Bewegungen, 
die  keine  Aehnlichkeit  mit  allgemeinen  reflectonschen  besitzen.  B.  stellt  dagegen 
die  Behauptung  auf,  dass  die  in  Bede  stehenden  Punkte  Endstationen  selbstständiger 
motorischer  Leitungsbahnen  repräsentiren,  und  zwar  solcher,  die  in  den  Sehhügeln 
unterbrochen  werden. 

Die  Beziehung  der  motorischen  Centren  zu  den  einzelnen  Körperhälften  be- 
sprechend, unterscheidet  Verf.  1)  solche,  die  hauptsächlich  die  gleichseitige  Musculatur 
innerviren,  2)  die  fast  gleichmässig  bilateral  wirlcen  und  3)  die  vorwiegend  mit  der 
contralateralen  Musculatur  verbunden  sind.  Zur  ersten  Gruppe  rechnet  er  am  Hunde 
die  Centren  fQr  das  Platysma  myoides  und  für  die  seitliche  Biegung  des  Bumpfes; 
zur  zweiten  die  Centren  fQr  Bewegung  des  Unterkiefers  und  der  Zunge  (mit  Aus- 
nahme des  M.  genioglossus).  Fast  alle  anderen  motorischen  Centren  stehen  vor- 
wiegend zur  coniralateralen  Musculatur  in  Beziehung,  wenigstens  an  Hund  und  Katze, 
während  an  niederen  Thieren  die  bilaterale  Innervation  seitens  des  Gehirns  ver- 
breiteter ist 

Besonderen  Werth  legt  Verf.  auf  die  Thatsache,  dass  nach  Zerstörung  des  mo- 
torischen Bindenfirides  die  sogenannten  affectiven  Bewegungen,  durch  welche  Gemttths- 
stimmnngen  ansgodrücict  werden  (Freude,  Zorn  etc.)  vollkommen  erhalten  bleiben. 
Auch  Geben  und  Lsnfen  bleiben  sogar  nach  beiderseitiger  Zerstörui^  der  motorischen 
Gentren  unbeeinträchtigt.  Eine  unbedeutende  Schwäche  der  Extremitäten  ist  die 
^mdge  Lähmongserscheinung,  welche  sich  constatiren  lässt,  und  auch  diese  ver- 
schwindet nach  einiger  Zeit  Nach  bilateraler  Exstirpotion  nur  wird  die  Gangart  in 
chankteristischer  Weise  verändert  (Hahnentritt),  wahrscheinlich  in  Folge  secundärer 
DegeneratioB  der  Bflckenmarksseitenstränge.  Dagegen  sind  die  Extremitäten  untaug- 
lich zu  complieirten  willkürlichen  Bewegungen,  und  diese  Folge  der  Operation  gleicht 
sich  auch  nach  langer  Zeit  nicht  völlig  aus;  nach  bilateraler  Bindenexstirpation  be- 
Mt- diese  Störung  beide  Körperhälften  find  bleibt  stationär.  Da  Abtragung  der 
motorischen  Oentren  das  Laufen   und  Gehen  nicht  beeinflusst^   so  nimmt  Verf.  das 


—     16    — 

yorhandenflein  eines  beBonderen  Loc<»notionscentram8  ausserhalb  des  erregbaren  Binden- 
feldes, vielleiclit  im  HirnstamiQ,  an.  Die  früher  besprochenen  schwer  erregbaren 
Punkte  der  Hirnrinde  halt  er  ffir  Centren,  aus  welchen. die  In4)ul8e  Eur  unwiUkfir« 
liehen- Innervation  bei  Gemütiisbewegungen,  Tenrnttctlat  der  Sehhüge^  entspring^. 

St6rpflgen.  der  Sensibüit&t  Hessen,  sioh.bei  oberflJLchliche];!  Lftslonen.iin  Oebiet 
des  Gyrussigmoides.,  nicht  constatireofc  Nur  beki/ZerstöriO^  des -hintere^,  änsser^n 
Abschnitts  dieser  Windung  tiiat  Än&sthasie  an  der  .contrab^ter«^leii.H|iJfte  des  Kopfes 
und  Qesichta  auf;  .das  Gebiet  der  motonschen  Qent^en  blieb,  dabei  unfei^ehft.  Bei 
tiefer  Zerst(^rni^g...des  jotetoriscben.  Kind^feldes  wnrd^  .anpgepragte  G^ichtsschwache 
axn  gegenüberliegenden  Auge  beobachtet«..  Das  Yorkpnnnen  verschiedener. Bcnsibilitäts» 
Störungen  bei  Läsionen, der  motonschen  :,Centre^  erklärt.  V^rf»  dadurch,  daßs  d!ie  in 
der  Nachbarschi^t  gelegenen  sensiblen  Centren«  fiichr  zum\Iheil..  auf  jlie  ,sigmoide 
iVindimg,  insbesondere,  derim  hintuen,  äusseren  Ab8cbi|itt.eraireQ)ien,..  ,.  ,. 

. ,     .    Pi,|lo4e^i>a^h".  . 


_  1  <  * 


4),Uebex  eiiiiseitig^.  hj(i4  <topp,elB€4tigeD,  IiidifiolUusa«  von  O^^  Langen^or/f, 
;  königsbcirg^    (ArcL  f.  Anat.  u.  Phjsiolj   1887. .  Physiol..AbtL  .H.  X  u.  2.)    \ 

L.  tischt  auf  die  E^seitigkeii  des  Lidreflezes  nath  Hantreiien  im  TrigeminusN 
gebiet  bei  Sanincheh  aufmerksam;  nur  bei  starkeii  Hälutreizen  betiteiligt  sich. der 
gekreuM  OrbicuIatifiT  oculi,  Meerschweinchen,  Vögel  und  -  Frösche  verhalten  sich 
ebenso.  Hunde  und  Kat^n  eeigen  oftj  der' Mensch*  stets  doppelseitigen- LidscUusS. 
Er  erklärt  das  letztere  aas  der' grossen  Kaohbarschaft;  beider*  Augerif  eine  Gviafac, 
dicf  eiäem  Auge  droht)  bedroht  auch  das  andere  (,»S^i>>®^^lifl^^))^  Giofahrfeld^). 
Daher  hat  der  Mensch  ^e  iniercentrale  Bahn  der  beiden  BHns^lreflexcentrer  so  ein- 
geschliffen/  dassder  Befle^K  üb^haupt  nie  mehr  einseitig  bleibt  Die  Schwierigkeit, 
ein-  Auge  ohne  das  andere  zu  scbliessen,  sowie  die  seltene  Mitbetfaeiligüng  des  Augen« 
fndalis-  bei  centblen  Pacialisl&hmnngen  möchte  L.  hieraus  erklären.  -^  Bindenreizung 
führt  bMm  Eanüichen  stets  nur  zu  einseitigen  >(ge'kreu2tem)'0rbicularisschlii88,  beim 
Hund  oft  zu  doppelseitigem.  '  Th.  Ziehen. 


6)  ITeber  Ataaäe  iind  XuskelBlnn,  von  Goldscheider.   (Yirhandl.  cier  Physio- 
logischen Geöellschaft  zu  Berlin:     Sitzung  den  15,  Juli  1887.) 

Die  spinale  Ajtaxie  wiird  bekanntlieh  von  Leyden  auf  Störungen  der  sensiblen 
Leitungsbahneuj .  vop  Friedr.Qich,  £rb  .auf  isolche  besonderer  Goordinationsfasem 
zorückgeführjb.  En^cheidend  .  dürfte  das .  Verhalten  des  sogenannten  Mi^sk^lsinns 
(Wahrnehmung  d^r  Lageveränderung  mfus  Qliedes  und  Bmpfi^](iag.der?)Bchwere)  sein. 

iO.  prüfte  -daher,,  ob  der  sog.  JMtuskelsinn.^uf  dav  bewegenden  Kerven-J))Dnskel- 
Apparat  o^er  auf  das  bewegte  Glied  selost  zurückzuführen  ist..  J^  machte: mittelst 
des  secundären  Inductionsstromes  einen  Finger  anästhetiscli  (starke  Strön^e)./r^p. 
herabgesetzt  e9ipQncUich  (schwache  Ström^X  ^Q^d  st^te  nun.  fest»  w^che  geringste 
Bewegi^ng  in^  ersten  faterphälaiiiigfMlgelenk  noch  eben  die^mpfinduog  einerrBe.w«gfvig 
hervorruft . .  Der  d^|cch .  d0n  Indnctionsstrpm .  jui(lst)iatisc)ie .  Fäiffer  musste.  eine  f^ 
grössere.  Bewegung  .macheu^.als  der. nonpiJiQr  besQ9dec8^  wenn  specieU.das  betreffende 
Gelenk  vondeminducirten  ätrope...dun^i]aufen,  d.  hv  uiiempflndlkb,  gQ.macht  wurde, 
.  Ausserdem  aber  geigte  der  vom  far^di^chen  Strome  darohflosÄenf 
Fi4ger  e^ne  abgesetzte,  stoss weise  -^< der  ataotisc^en  gleiche. -r-Be|re|gdng, 
eine  AbnprmitlU^y  wolci^e  lu^r  4er  Conl^^  Auges  zwar,  jrenein^ert,  aber  niclit 
beseitigt  wird;,  we|che,  andererseits,. dadur^  das^  m4Q  die^  Bewejgung  nach  der  — 
(KB.  beeinträchtigt^^,  r^rE^mpfinilung  der  Fortbewegwf^  .^a^.Fi^epS'Zu.QQntrolIren 
sucht,  np^h, starker  in  die  ^cheinnng  fctt.  .?: 

Die.Wiohtijgkeit  der  Sensibilität,,  speciell  die  der  Gelenke,  füx.  die  a^ctischen 
Esscheiniungen.  gehjb  hieraus,  her  vor.  .  Die.  Empfindung  der  Lageverände^uig  i:egt.i 


—    17    — 

Goordinatioiis- Centram  die  antagonistischen  Moskelcontractionen  nnd  die  nöthigen 
Mofikel-Synergien  an:  bei  fehlerhafter  resp.  herabgesetzter  Empfindang  werden  diese 
auch  fehlerhaft  Bei  absoluter  An&sthesie  föllt  der  Anlass  zu  falscher  Coordination 
fort,  da  das  Coordinationscentram  gar  keine  Bewegongseindrücke  mehr  bekommt^  and 
das  erklfirt  die  klinischen  Beobachtungen  Ton  Fehlen  der  Ataxie  bei  gewissen  F&llen 
?on  totaler  An&sthesie.  Hadlich. 


Pathologische  Anatomie* 

6)  Zur  Lehre  von  der  TuberotQose  des  Centrainer  vensystems,  von  A.  Ho  che, 
Heidelberg.     (Awh.  f.  Psychiatrie.   1887.  XK.  1.) 

H.  berichtet  über  2  Fälle  aus  der  Erhaschen  Klinik.  Besonders  werthvoll  ist 
der  erste,  in  welchem  eine  complete  schlaffe  Lähmung  beider  Beine  unter  den  Symp- 
tomen bemerkenswerth  ist.  Die  3^2  Stunden  p*  m.  ausgeführte  Section  ergab  neben 
Miliartuberculose  in  Lungen,  Leber,  Milz  und  Nieren  eine  cerebrospinale  tuberculöse 
Leptomeningitis,  eine  acute  aufsteigende  Myelitis,  sowie  einen  solitärcn  Tuberkel  in 
der  Oblongata  (im  Gebiet  der  linken  aufsteigenden  Trigeminuswurzol).  Die  mikro- 
skopische Untersuchung  (Carmindoppelfärbung,  Weigert-Farsche  Methode)  bestätigte 
die  Existenz  einer  eitrig-fibrinOsen  tuberculOsen  Meningitis.  Tuberculöse  Yasculitis 
der  sobarachnoidalen  Arterien  und  Venen.  An  den  Nervenwurzeln  Fori-  und  Endo- 
Nenritis,  kleine  Hämorrhagien,  Injection  des  ganzen  Wurzelquerschnitts  mit  einer 
homogenen  Exsudatmasse,  welche  überall  die  Schwann*8che  Scheide  respectirt.  In  den 
hinteren  Wurzelbündeln  des  Lendenmarks  regellos  vertheilte,  hellere  Flecke,  die  eine 
feingekömte  Masse  mit  einzelnen  Kernen  und  Besten  von  Nervenfasern  enthalten  und 
von  feinen  Lamellen  mit  platt  ovalen  Kernen  gleich  denen  des  Stützgewebes  begrenzt 
Verden.  Auf  Längsschnitten  stellen  diese  Grebilde  Streifen  entsprechend  dem  Verlauf 
der  einzelnen  Wurzeln  dar.  Das  Mark  selbst  zeigt  ausgedehnte  diffuse  Bundzellen- 
anhäufongen  und  Zerfall  von  Nervenfasern  und  zum  Theil  inself5rmige  Zerfallsheerde 
ohne  KOmchenzellen.  Die  graue  Substanz  ist  relativ  intaci  Das  Gehirn  ward  nicht 
untersucht. 

H.  nimmt  acute  „Autoinfection"  des  Oentralnervensystems  von  dem  Solitärtuberkel 
ans  an.  Die  Veränderungen  in  den  hinteren  Lendenwurzeln  sind  dieselben,  wie 
Kahler  sie  kürzlich  beschrieb.  Aber  H.  hält  die  fraglichen  Gebilde  nicht  wie 
Kahler  für  ein  von  aussen  in  die  Nervenwurzel  hineingelangtes  Exsudat,  sondern 
fQr  die  mit  Lymphe  oder  Exsudat  gemischten  Zerfallsproducte  abgegrenzter  Nerven- 
faserbündel. 

Im  zweiten  Fall  Hoche*s,  in  welchem  Parese  beider  Beine  bestand,  fanden  sich 
p.  m.  ausser  der  tuberculösen  Leptomeningitis  Heerde  von  20 — 70  gequollenen 
Axencylindem,  namentlich  im  Dorsalmark,  femer  eine  von  der  Neuritis  der  hinteren 
Worzehi  abhängige  aufsteigende  secundäre  Degeneration  in  den  Goll'schen  Strängen. 
Die  Axencylinderquellungen  unterscheidet  Verf.  von  der  peripherischen  „Myelitis" 
als  eine  nicht-entzündliche,  durch  Ischämie,  Stauung  und  Compression  bedingte  „Er- 
weichung". H*  vermuthet,  dass  überhaupt  bei  Myelitiden  die  nervösen  Elemente 
seltener  einem  primären  sie  selbst  betreffenden  entzündlichen  Beize,  sondern  secundär 
einer  —  z.  B.  durch  interstitielle  Myelitis  gesetzten  —  Circulationsbehinderung  im 
^inn  der  Kahler*schen  Experimente  zum  Opfer  fallen.  Th.  Ziehen. 


'7)  Ueber  Heilung  von  Btlohwiinden  des  Gehirns,  von  Dr.  Edmondo  Coen, 
Bologna.  (Beiträge  zur  pathol.  Anatomie  u.  Physiologie,  herausgegeben  von  Ziegler 
u.  Nauwerck.   1887.  Bd.  IL   8.  109.) 

0.  hat  in  dankenswerther  Weise  eine  Neubearbeitung  der  Versuche  von  Ziegler 
und  Kammerer  (vergl.  d.  ersteren  Lehrbuch  d.  pathol.  Anatomie,  Bd.  IL^  5.  Aufl., 


-     18    — 

S.  358)  Aber  die  entzflndlichen  YMünderungen  des  Gehirns  nach  (aseptischen)  Stich- 
wunden übernommen.  Die  Methode  bestand  im  Einstechen  einer  starken  gltthenden 
Nadel  dnrch  den  Sch&del  in  das  Gehirn  von  Kaninchen  und  Meerschweinchen,  Ent- 
nahme des  Gehirns  nach  einer  Zeit  von  1 — 62  Tagen  von  dem  lebenden  narkotisirten 
Thier,  darauf  Einbringen  in  das  Fiemming'sche  Ghrom-Osmium-Essigs&nregemisch, 
Färbung  mit  Safhinin. 

Die  Reihe  der  um  den  Stichkanal  entstehenden  Veränderungen  fand  er  darnach 
in  den  ersten  Tagen  (wie  Bef.)  in  drei  Zonen  geschieden:  zunächst  eine  nekrotische, 
darauf  eine  fettig  degenerirte  und  nach  aussen  davon  eine  entzündliche.  Die  letztere 
greift  aber  an  den  späteren  Tagen  auf  die  beiden  inneren  Zonen  über,  wenn  auch 
einzelne  abgestorbene  Gewebsinsein  noch  am  62.  Tage  nachweisbar  waren.  Unter 
den  activen  Erscheinungen  unterscheidet  G.  die  eigentliche  Entzündung,  die  sich 
namentlich  durch  das  Auftreten  von  Leucocyten  charakterisirt,  von  der  Froliferation 
der  Gewebszellen;  die  erstere,  anfangs  ziemlich  lebhaft,  nimmt  schon  am  6.  Tage 
wieder  wesentlich  ab,  ihre  zelligen  Producte  scheinen  wesentlich  nur  an  der  Bildung 
von  Fettkömchenzellen  betheiligt»  dagegen  nicht  an  dem  Aufbau  der  Narbe.  Die 
gewebliche  Wucherung,  die  durch  das  Auftreten  reichlicher  indirecter  Kemtheilnngen 
und  Neubildung  grosser  verschiedenfach  geformter  Zellen  nachgewiesen  wird,  ist  vom 
vierten  Tage  an  ausgeprägt  und  etablirt  sich  sowohl  an  dem  perivasculären  Gewebe 
(spedell  auch  in  der  Pia  Mater),  als  an  den  Gliazellen,  wie  auch  namentlich  an  den 
Ganglienzellen;  an  den  letzteren  wird  der  Befund  sehr  häufiger  Karyokinesen  ange- 
geben. Gtogen  den  12.  Entzündungstag  lässt  in  dem  jungen  grosszelligen  Keimgewebe 
die  Proliferation  wieder  wesentlich  nach;  an  Präparaten  vom  32.  Tage  zeigt  sich 
die  Wucherung  hauptsächlich  um  die  Gefasse  entwickelt,  zugleich  findet  man  in  ihr 
sehr  feine  verflochtene  Bindegewebsfasern,  während  die  Kömchenzellen  fast  völlig 
geschwunden  sind.  Es  kommt  so  eine  regelrechte  Narbe  zu  Stande,  während  von 
einer  Regeneration  nervösen  Gewebes  Nichts  zu  sehen  ist. 

Ein  grosser  Theil  der  präexistenten  Zellen  wird  dabei,  namentlich  innerhalb  der 
ersten  12  Tage,  durch  Verfettung  dem  Zerfall  und  der  Resorption  entgegengeführt; 
an   den   Nervenfasern  wurden  ausschliesslich  rückgängige  Veränderungen  beobachtet. 

Der  Arbeit  sind  zwei  schön  ausgeführte  Tafeln  beigegeben.  (Abgesehen  von 
einer  Reihe  interessanter  Einzelheiten  liegt  der  Hauptwerth  der  Arbeit  dann,  dass 
der  Ablauf  der  entzündlichen  Vorgänge  durch  eine  wesentlich  längere  Zeitdauer  als 
bisher,  bis  zum  Beginn  der  Narbenbildung  verfolgt  wurde.  Dagegen  ist  durch  die 
ausschliessliche  Anwendung  des  Flemming'schen  Untersuchungsverfahrens  auch 
Manches  entgangen,  so  der  durch  Weigert- Färbung  zu  führende  Nachweis,  dass  die 
anscheinende  Verfettung  zahlreicher  Zellen  nur  auf  der  Aufnahme  massenhafter  Mark- 
tröpfchen beruht,  femer  die  Betheiligung  der  Randzellen  der  pericellulären  Räume 
an  der  Proliferation,  endlich  ist  der  Nachweis  der  Kaiyokinese  an  noch  wohl  charak- 
terisirten  Ganglienzellen  als  vom  Verf.  nicht  vollkommen  sicher  erbracht  anzusehen, 
wie  Ref.  anderweit  ausgeführt  hat.)  Friedmann. 


8)   Oerebroporosi  da  oongelamento,   studio  del  Dott.  G.  Rezzonico.     (Rivista 
sperim.  di  Freniatr.  ecc.  1887.  XIII.  p.  112.) 

Obschon  sich  der  Inhalt  der  angezeigten  Arbeit  nicht  zu  einem  Referat  für 
dieses  Centralblatt  eignet,  so  sei  hier  wenigstens  die  Veranlassung  zu  derselben  hervor- 
gehoben: Verf.  untersuchte  einige  Irrengehime  und  fand  besonders  in  der  Rinde  sehr 
zahlreiche,  dem  blossen  Auge  noch  erkennbare  Hohlräume,  die  er  anfänglich  genei^ 
war,  für  pathologisch  zu  halten.  Der  Mangel  atrophischer  Vorgänge  etc.  rief  jedoch 
Zweifel  hervor  und  die  Poröse  stellte  sich  als  ein  Kunstproduct  heraus:  zur  Oonser- 
virung  waren  die  Hirne  in  Müller*sche  Flüssigkeit  gelegt  und  zufällig  bei  der  (für 
Italien  allerdings  uDgewöhnliehen)  Temperatur  von  — 8"  in  einem  ungeheizten  Räume 


—    19    — 

aafbewahrt  worden  und  mit  der  H&rtungsflQssigkeit  gefroren.  Controlversnche  er- 
wiesen, dass  dnrch  den  €toMerangsprocess  derartige  Porösen  regelmässig  erzeugt 
werden  konnten.  Sommer. 

Pathologie  des  Nervensjatems. 

9)  A  case  of  ataxie  wlth  Iobb  of  miisotdar   senBO,  by  Byron  Bramwell. 
(Brain.  1887.  July.) 

Tabes  dorsalis  seit  8  Jahren:  vollständige  Incoordination  und  totale  Vernichtung 
des  Muskelfiinns  in  den  Untereztremitäten,  während  das  Tastgefflhl  derselben  nur  in 
ganz  geringem  Grade,  wenn  überhaupt,  gestört,  das  Gefühl  für  Kälte  und  schmerz- 
hafte Beize  erhöht  war.  Aortenaneurysma.  Der  FaU  wird  hauptsächlich  im  Anschlnss 
an  den  Tortrag  Bastians  über  den  Muskelsinn  in  der  Londoner  Neurolog.  Geeell- 
schafk  (siehe  das  Bef.  dieser  Zeitschr.  1887  S.  283)  mitgetheilt:  er  dient  zur  Stütze 
der  Ansichten  Bastians  gegen  die  von  Ferrier  erhobenen  Einwände.      Bruns. 


10)  Des  mouvements  ohorölfoimea  et  de  l'athötose  ohes  lea  atoTlqueii,  par 

le  Dr.  Andry  de  Lyon.    (Revue  de  M^decine.  1887.  Janvier.) 

Im  Anschlnss  an  mehrere  ältere  Beobachtungen  berichtet  der  Verf.  über  einen 
Fall  von  „Tabes",  bei  welchem  in  den  oberen  Extremitäten  Athetose-Bewegungen,  in 
den  Beinen  häufige  kurze  spontane  Zuckungen  auftaraten.  Leider  sind  aber  die 
klinischen  Angaben  so  wenig  vollständig,  dass  man  über  die  Diagnose  des  Falles 
kein  sicheres  Urtheil  fällen  kann.  Es  fehlt  z.  B.  jede  Angabe  über  das  Verhalten 
der  PnpiUenreaction  und  der  Sehnenreflexe! 

Verf.  ist  der  Meinung,  dass  die  choreiformen  Bewegungen  bei  der  Tabes  von 
einem  Mitergriffensein  der  Seitenstränge  abhängen.  Strümpell. 


11)  Ueber  einen  Fall  von  Tabes  dorsalis  mit  Spontanruptur  derQuadrioeps- 
sehne  nnd  Arthropathien,  von  Dr.  L.  L  5  wen  fei  d.  (Münch.  med.  Woch.  1887. 
Nr.  20.) 

Ein  41jähriger  Mann,  der  sich  im  27.  Lebensjahre  beim  Tanzen  eine  partielle 
Ruptur  der  rechten  Achillessehne  acquirirt  hatte,  und  der  im  Alter  von  18  Jahren 
ein  Ulcus  mit  vereiternden  Bubonen  gehabt,  (dass  Verf.  auch  in  diesem  Falle  Lues 
annimmt,  da  es  „zur  Genüge  bekannt  ist,  wie  leicht  gewisse  „secundäre"  Symptome 
[insbesondere  Exantheme  wie  Anginen]  übersehen  werden  oder  in  Vergessenheit  ge- 
rathen,  ist  doch  zu  weit  gegangen;  hier  handelt  es  sich  doch  offenbar  um  Ulcus 
molie)  —  fühlte  im  J.  1878  nach  einer  anstrengenden  Bergtour  neben  hochgradiger 
Schwäche  Kältegefühl  und  Taubsein,  in  den  Beinen,  Erscheinungen,  die  im  Laufe  von 
2  Jahren  sich  erheblich  steigerten.  1880  fühlt  Fat.  beim  Spaziergange  im  Garten 
einen  „Knacks"  und  heftigen  Schmerz  im  linken  Kniegelenk,  worauf  er  zusammen- 
brach. Es  konnte  eine  Ruptur  der  Quadricepssehne  dicht  über  der  Fatella  constatirt 
werden,  welche  in  5  Monaten  unvollkommen  heilte,  sodass  man  in  der  Tiefe  der 
Narbe  das  Femur  durchfühlen  konnte.  Das  Ligamentum  patellae  fehlte  späterhin 
auch.  Bewegung  im  Kniegelenk  natürlich  unvollkommen.  Gehen  nur  mit  Hülfe  eines 
Apparates  möglich. 

1881  plötzliche  tumorartige  Anschwellung  zuerst  an  der  Innen-,  dann  an  der 
Aussenseite  des  rechten  Oberschenkels,  die  in  4  Wochen  verschwanden.  Unmöglich- 
keit zu  gehen  oder  zu  stehen,  dabei  grobe  motorische  Kraft  sehr  erheblich.  I^äter 
Nephritis,  die  den  Fat.  bis  1883  an*s  Bett  fesselte;  langsame  GFenesung.  Dysurie 
laneinirende  Schmerzen. 

2* 


—    20    — 

Auf   trophische    Störungen    ist   zu   beziehen   eine   Spontanfractur   des   rechten  | 

Schlüsselbeins,   sowie  eine  auftretende  Schlaffheit  (Atrophie)  der  Glut&en;   auch  der  i 

beiderseits  bestehende  Hallux  valgus  wird  auf  tabische  Aetiologie  zurückgeführt   Die 
Anschwellungen  am  rechten  Oberschenkel  werden  als  tabische  Arthropathien  gedeutet 

Verf.  erörtert  noch  die  FragCi  ob  die  Sehnenruptur  der  Tabes  oder  eventuell 
der  (fraglichen)  Syphilis  zugeschrieben  werden  musste;  er  bejaht  erstere  Annahme 
und  bezieht  sich  auf  einen  Fall  von  Ruptur  der  Achilles-Sehne  bei  einem  Tabiker, 
der  aus  der  Erhaschen  Klinik  stammt 

Merkwürdig  ist  die  gleichzeitige  Ruptur  resp.  der  Schwund  des  Ligam.  patellae, 
wofür  eine  durchaus  genügende  Erklärung  nicht  gegeben  werden  kann. 

In  Frankreich  sind  Arthropathien  bei  Tabikem  öfter  beobachtet  worden  als  bei 
uns  und  in  England;  zur  Erklärung  dafür  mag  dienen,  dass  dieselben  in  einer  Zeit 
auftreten,  wo  andere  Symptome  der  Tabes  noch  fehlen  und  daher  h&ufig  übersehen 
werden  dürften. 

üebrigens  ist  in  dem  vorliegenden  Falle  an  der  Diagnose  Tabes  kein  Zweifel. 

_        Sperling. 

12)  laooomotor  ataxia.  Two  oases:  one  a  oase  of  so-oalled  spinal  arthro- 
patfay;  the  other,  acute  tabes  dorsalis,  by  W.  H.  Porter.  (Journal  of  ner- 
vous  and  mental  diseases.  1887.  April.) 

Der  erste  Fall  betrifft;  eine  40jähr.  Frau,  die  wahrscheinlich  von  ihrem  luetisch 
erkrankten  Gatten  inficirt,  früh  verwittwet,  seit  2  Jahren  an  leichten  Schwindel- 
anfallen gelitten  hatte  und  dann  bald  die  gewöhnlichen  Symptome  der  Tabes  darbot : 
Ataxie  bei  erhaltener  Muskelkraft,  Myosis  und  Pupillenstarre  bei  Lichteinfall,  Sensi- 
bilit&tsstörungen  etc.  Nach  allmählicher  Schwellung  der  Füsse  bis  zu  den  Knien 
Entwickelung  einer  schmerzlosen  suppurativen  Arthropathie  mit  hochgradigster  Knorpel- 
nekrose  zuerst  im  Unken,  dann  im  rechten  Kniegelenk,  und  ziemlich  plötzlich  ein- 
setzende Phlegmone  beider  Oberschenkel;  Tod  an  Septikämie. 

Der  andere  Fall  ist  wegen  seines  rapiden  Verlaufes  bemerkenswerth.  Ein  53jähr., 
wahrscheinlich  ebenfalls  luetisch  inficirter  Mann,  war  seit  6  Wochen  unter  Parästhesien 
und  Blitzschmerzen  der  unteren  und  oberen  Extremitäten  erkrankt.  Bei  der  Unter- 
suchung zeigte  er  (am  26.  August)  ausserdem  starkes  Schwanken  bei  geschlossenen 
Augen,  deutliche  Ataxie,  Fehlen  der  Reflexe  etc.  Schon  am  10.  Sept.  traten  plötz- 
lich Delirien  auf,  denen  sich  bald  Bewusstlosigkeit  und  unter  Convulsionen  am  18.  Sept 
der  Exitus  anschloss.  Die  Section  ergab  u.  A.  chronische  Meningitis  der  Pia  cere- 
bralis  und  Sklerose  der  Hinterstrange.     (Paralysis  generalis?)  Sommer. 

13)  Oharcot'B  disease  of  Shoulder,  von  Reckless.  (The  British  med.  Journal. 
1887.  Nov.  12.  p.  1062.) 

In  der  medic.  Chirurg.  Gesellschaft  Sheffield-  stellte  R.  einen  47jährigen  Mann 
vor,  der  in  den  letzten  8  oder  9  Jahren  an  Ataxie  locomotrice  litt.  Die  oberen  Ex- 
tremitäten waren  nie  atactisch  gewesen.  Seit  6  Monaten  traten  Schmerzen  in  der 
Schulter  auf.  Die  Ataxie  nahm  zu.  Patellarreflex  verschwunden;  Pupillen  sehr  eng. 
Die  linke  Schulter  sah  relativ  voller  aus;  sie  war  unter  dem  Akromion  abgeflacht, 
so  dass  die  Finger  unter  den  Process  geschoben  werden  konnten,  der  Kopf  des  Humerus 
war  deutlich  unter  der  Clavicula  zu  sehen.  Wurde  der  Arm  extendirt  und  rotirt, 
so  schlflpfte  der  Kopf  unter  hörbarem  Krachen  in  die  Achselhöhle,  konnte  aber  leicht 
wieder  zurflckgebracht  werden.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

14)  Die  Arthropathie  bei  Tabes,  von  Dr.  Th.  Weizsäcker.  Mittheilung  aus 
der  Chirurg.  Klinik  zu  Tübingen.  (Sep.-Abdr.  aus  Bruns:  Beiträge  zur  klinischen 
Chirurgie.    1887.   Verlag:  Laupp'sche  Buchhandlung  in  Tübingen.     64  Seiten.) 


—    21     — 

Eine  erschöpfende  Casuistik  aller  bis  heute  in  der  Litteratur  verzeichneten  Fälle 
von  Arthropathie  bei  Tabes  (109)  nebst  ausfOhrlicher  Litteraturangabe  (8  Seiten). 

Hier  soll  nur  Weniges  von  den  Angaben  und  Schlüssen  des  Terf.s  hervorgehoben 
werden. 

Unter  den  109  Fällen  betreffen  72  das  männliche  und  87  das  weibliche  Ge- 
schlecht; den  letztem  gehören  auch  die  schwersten  Fälle  an.  Fast  in  der  Hälfte 
der  Fälle  ist  das  Kniegelenk  afficirt,  der  Frequenz  nach  folgt:  Hüfte,  Ellbogen^  Schulter 
u.  8.  w.  In  den  meisten  Fällen  (66)  ist  nur  ein  Gelenk  erkrankt,  2  Gelenke  ca.  34mal, 
3  und  mehr  Gelenke  etwa  lOmal. 

Das  Charakteristische  von  Beginn  und  Verlauf  solcher  Arthropathien  wird  durch 
eingestreute  Krankengeschichten  illustrirt.  Nach  plötzlichem  Eintritt  erreicht  die 
Affection  in  wenigen  Tagen  ihr  Maximum.  Man  kann  zweckmässig  leichte  (der 
Rückbildung  fähige)  und  schwere  Formen  unterscheiden. 

Pathologisch-anatomisch  betrachtet  giebt  es  Fälle,  welche  durch  rege  Wachs- 
thumsverhältnisse  (Osteophytbildung)  bei  mehr  oder  weniger  vorgeschrittener  Destruc- 
tion  der  Arthritis  deformans  ähnlich  sind;  dies  sind  die  seltneren.  Der  Charakter 
der  tabischen  Arthropathie  ist  Atrophie  und  zwar  Atrophie  der  Knochen,  was 
wohl  das  Primäre  ist  (im  Gegensatz  zu  Yirchow,  der  den  Process  vom  Gelenk- 
knorpel ausgehen  lässt).  So  entstehen  intrakapsuläre  Usuren,  intra-  und  extra- 
kapsuläre Fracturen  (Spontanfracturen;  beiden  Affectionen  liegt  also  derselbe  Process 
zu  Grunde). 

Syphilis  ist  unter  den  109  Fällen  uur  ISmal  (8,5  7o)  f»^^  Sicherheit"  con- 
statirt;  auf  Grund  dessen  wird  die  specifisch  syphilitische  Natur  dieser  (zelenkleiden 
(Strünrpell)  in  Abrede  gestellt.  Der  Schluss  wird  von  einer  längeren  Abhandlung 
„über  das  Wesen  der  Krankheit''  gebildet,  woraus  folgendes  Besumd  hervorzuheben 
ist:  1.  Die  grösste  Anzahl  der  Fälle  zeigt  Arthropathien  im  präatactischen  Stadium, 
woraus  folgt,  dass  deren  Zustandekommen  auf  rQin  mechanischem  Wege  nicht  denkbar 
ist  (Sensibilitätsstörungen  müssen  dann  aber  auch  ausgeschlossen  sein!).  2.  Eine 
Identiflcirung  mit  Arthritis  deformans  ist  nicht  möglich,  freilich  scheinen  einige  der 
citirten  Fälle  Arthritiden  bei  Tabes  darzustellen.  3.  Pathologisch-anatomische  Nach- 
weise, dass  die  Affectionen  nervöser  Natur  sind  und  mit  der  Eigenheit  der  Krank- 
heit in  directem  Zusammenhang  stehen,  sind  bis  heute  nicht  geliefert,  jedoch  ist  es 
nach  anatomischen  und  klinischen  Analogien  wahrscheinlich,  dass  die  Gelenkleiden 
bei  Tabes  durch  peripherische  Neuritis  hervorgerufen  werden.  4.  Die 
Annahme  eines  nervösen  Centrums  für  die  Gelenke  (Buzzard)  ist  durchaus  nicht 
gerechtfertigt^  da  durch  keinen  Fall  bewiesen.  Sperling. 


15)  E£d  Fall  von  Arthropathie  bei  Tabes»  von  Dr.  von  Kahlden,  Assistenz- 
arzt am  pathol.  anatom.  Institut  in  Freiburg.  (Virchow's  Arch.  1887.  CIX.  2.) 
Ein  59jähriger  Pflegling  des  Spitals  erlitt  im  September  1886  eine  Spontan- 
fractur  des  rechten  Oberschenkels  in  der  Nähe  des  Hüftgelenks,  welcher  er  nach 
27:  Monaten  erlag.  Bei  der  Section  fand  sich  im  Bückenmark  eine  graue  Degene- 
ration der  Hinterstränge  in  ihrer  ganzen  Länge.  Die  rechte  Hüftgelenksgegend  bis 
incL  Trochanter  major  war  in  einen  grossen  Knochentumor  verwandelt  mit  atrophischen 
Processen  am  Knorpel,  mit  Wucherungen  in  anderen  Theilen  des  Knorpels  und  des 
Knochens;  der  abgebrochene  und  nur  theilweise  consolidirte  Oberschenkelschaft  ragte 
in  die  geschwulstartige  Knochenmasse  hinein.  —  K.  meint,  dass  die  bedeutende 
Gelenksveränderung,  welche  der  Arthritis  deformans  zuzuzählen  sei,  zum  grössten 
Theile  schon  vor  der  Spontanfractur  bestanden  habe;  sie  stelle  einen  Fall  von  Arthro- 
pathie der  Tabiker  dar,  deren  gewöhnlicher  Verlauf  durch  die  Fractur  unterbrochen 
sei.  —  Bemerkenswerth  sei  das  vorgeschrittene  Stadium  der  Bückenmarksaffection, 
während  sonst  die  Arthritis  in  einem  frühen  Stadium  der  Tabes  aufzutreten  pflegt. 

Hadlich, 


—    22    — 

16)  lieber  neuritilBohe  Muskelatrophie  bei  Tabes  dorsalis,  von  E.  Bemak. 
(Berl.  klin.  Woch.   1887.   Nr.  26.) 

Es  wird  ein  Fall  von  Tabes  angeführt  mit  schleichend  aufgetretener  Medianus- 
neuritis. Bei  der  völligen  Congruenz  der  atrophischen^  motorischen,  sensiblen  und 
electro-diagnostischen  Störungen  deutete  der  Befand  mit  Sicherheit  auf  eine  periphe- 
rische Degeneration  lediglich  des  rechten  N.  medianus  hin,  ohne  dass  irgend  welche 
eigentliche  tabische  Erscheinungen  der  rechten  oberen  Extremität  vorhanden  waren. 
Dieser  Fall  dient  aufs  Neue  als  Beweis,  dass  nicht  jede  degenerative  Muskelatrophie 
bei  Tabes  spinalen  Ursprungs  zu  sein  braucht.  Ein  besonderes  Causalmoment  für  die 
Entwickelung  dieser  Medianusneuritis  hat  Terf.  bei  seinem  Patienten  darin  ermitteln 
können,  dass  derselbe  als  Cigarrenarbeiter  bei  dem  Bollen  des  Deckblattes  und  dem 
Drehen  der  Spitzen  die  drei  ersten  Finger  der  rechten  Hand  seit  vielen  Jahren  ein- 
seitig angestrengt  hat.  Auf  diese  Ueberanstrengung  allein  aber  die  Medianusneurüas 
zurückzuführen,  sie  also  als  eine  ganz  zuföllige  Gomplication  der  Tabes  aufzufassen, 
erscheint  unstatthaft.  Denn,  sind  auch  Paraesthesien,  Anaesthesien,  Paresen  bei  Gi- 
garrenarbeiterinnen  beobachtet,  so  ist  doch  eine  ausgesprochene  degenerative  Nenhtis 
auf  Grund  der  Gigarrenarbeit  allein  nicht  bekannt.  In  der  professionellen  lieber* 
anstrengung  wird  daher  nur  die  Gelegenheitsursache  gesehen,  schon  vorhandene,  der 
Tabes  eigenthümliche  peripherische  Alterationen  zu  einer  derartigen  Aouit&t  zu  ste^^em, 
dass  hier  eine  degenerative  Muskelatrophie  mit.  Sensibilitatsatörung  sich  entwickelte. 

- Kalischer. 

17)  Die  Initialsymptome  der  Tabes  dorsalis,  Inaugural-Dissertation  von  Max 
Karger.    Berlin  1887.     (41  Seiten.) 

Verf.  studirte  die  Initialsymptome  der  Tabes  an  117  Fällen  aus  der  Poliklinik 
des  Prof.  Mendel.  Auffallend  erschien  vorerst  der  relativ  hohe  Procentsatz  der 
Frauen,  29  an  Zahl,  also  25%  (nach  Erb  11  Vo)*  ^^®  Erkrankung  trat  nur  aus- 
nahmsweise vor  dem  20.  und  nach  dem  50.  Lebensjahre  ein.  Dauernd  einwirkende 
Unbilden  der  Witterung  verbunden  mit  körperlichen  Strapazen  riefen  dieselbe  oft  bei 
Ingenieuren,  Soldaten,  Erdarbeitern,  Eisenbahnbeamten  hervor.  62  der  Tabiker,  also 
63  ^/q,  gaben  eine  syphilitische  Infection  zu.  Als  erstes  Zeichen  im  Initialstadium 
traten  meist  Störungen  der  Sensibilität  auf,  lancinirende  Schmerzen  in  den  Unter- 
eztremitäten;  folgen  dieselben  bestimmten  Nervenbahnen,  so  geben  sie  leicht  zu  Ver- 
wechselung mit  Neuralgien  (Ischias)  Veranlassung;  sitzen  sie  mehr  in  der  Tiefe,  den 
Weichtheilen  und  Knochen,  so  tritt  eine  Verwechselung  mit  Bheumatismus  nicht  selten 
ein.  Die  lancinirenden  Schmerzen  konnten  in  den  117  Fällen  nur  24  mal  nicht  con- 
statirt  werden  und  gingen  in  einigen  Fällen  bis  zu  20  Jahren  den  andern  Symptomen 
voraus,  in  der  Mehrzahl  aber  nur  3  bis  5  Jahre.  Meist  gesellten  sich  zu  ilinen 
Paraesthesien  aller  Art,  GürtelgefQhl,  Formication  etc.  in  den  unteren  Extremitäten, 
selten  an  den  oberen  (ülnarseite).  Anaesthesien  sind  im  frühen  Stadium  der  Tabes 
selten,  häufiger  kommt  eine  Verlangsamung  der  Empfindungsleitung,  besonders  für 
Schmerzeindrücke  vor,  und  oft  zeigt  sich  schon  früh  ein  starkes  Ermüdungsgefühl 
(Spaeth:  Paraesthesie  der  sensiblen  Muskeberven).  Das  Bomberg'sche  Symptom, 
das  nicht  zu  dem  Grade  der  Ataxie,  sondern  zu  dem  der  Sensibilitätsstöning  in 
directer  Beziehung  steht,  tritt  auch  oft  schon  früh  hervor.  Relativ  selten  sind  Stö- 
rungen der  Motilität  im  Initialstadium  der  Tabes,  sie  treten  häufiger  zu  dem  zweiten 
Stadium  (Ataxie)  hinzu.  Was  den  nervösen  und  musculösen  Apparat  des  Auges 
angeht,  so  äussert  sich  der  chronisch  verlaufende  pathologische  Process,  der  schliess- 
lich zu  Amaurose  führt,  oft  schon  im  Initialstadium  als  Abnahme  der  Sehschärfe, 
Verdunkelung,  concentrische  Einengung  des  Gesichtsfeldes,  Amblyopie,  Farbenblind- 
heit, Amaurose  etc.  41  Tabiker,  also  35^/^,  hatten  Sehstörungen  und  abnormen 
ophthalmoskopischen  Befund  (Erb  ll7o>  ^^^^  ^^Vo)-  Häufiger  noch  zeigt  sich 
Lähmung  oder  Parese  der  Augenmuskeln,  Ptosis,  Diplopie,  Strabismus,  Mydriasis. 


—    28    — 

Nächst  dem  Ocnlomotoriiis  und  dessen  Zweigen  ist  der  Abducens  am  häufigsten  be- 
troffen, sehr  selten  der  Trochlearis.  Dauernde  Paresen  gehören  besonders  den  späteren 
Stadien  der  Krankheit  an,  während  unbedeutende,  vorübergehende,  leicht  reddivirende 
Lähmungen  dem  Initialstadium  eigen  sind.  Befl.  Pupillenstarre  trat  in  ^/^  der  Fälle 
auf,  und  mitunter  sehr  frühzeitig.  Die  Kniephänomene  vermisst  man  meist  schon 
früh,  im  Beginn  der  subjectiven  Klagen.  Unter  den  117  Fällen  war  bei  einem  der 
Fatellarreflex  links  ungewöhnlich  stark,  während  er  rechts  fehlte;  in  3  waren  die 
Beflexe  beideraeits  erhalten,  in  4  Fällen  fehlte  er  auf  der  einen  Seite,  während  er 
auf  der  andern  erhalten  war.  Die  Blasenstörungen  gehören  sicher  zu  den  frühzeitigen 
Symptomen  und  bestanden  68 mal,  also  in  bS^I^;  als  isolirtes  Leiden  gingen  sie  in 
einigen  Fällen  Jahre  lang  den  andern  tabischen  Beschwerden  voraus  (15  derartige 
Falle  beschrieb  Berger).  Zu  den  Seltenheiten  gehören  die  Störungen  des  Sexual- 
reflezes  im  Initialstadium  der  Tabes,  noch  seltener  sind  migraineähnliche  Kopf- 
nearalgien,  gastralgische  Anfälle,  Arthropathien,  Spontanluxationen,  Arthritis  defor- 
mans  etc.    Kurze  Krankenberichte  über  70  der  beobachteten  Fälle  werden  angeführt. 

Kalischer. 

18)  Halbseitige  vasomotorisohe  tind  seoretorisohe  Störungen  bei  Tabes 
dorsualis  inoipiens»  Inaug.-Diss.  von  Isidor  Juda.    Berlin  1887.  (35  Seiten.) 

Nachdem  aus  der  Litteratur  zahlreiche  Fälle  zusammengestellt  sind,  wo  Störungen 
vasomotorischer  oder  secretorischer  Natur  sich  im  Verlauf  der  Tabes  zeigten,  berichtet 
Verf.  über  einen  in  der  Poliklinik  des  Prof.  Mendel  beobachteten  Fall  von  Tabes. 
In  diesem  trat  schon  im  praeatactischen  Stadium  auf  der  ganzen  rechten  oberen 
Eörperhälfte  halbseitige  Hyperhidrosis  auf,  die  später  in  stationär  bleibende  Anidrosis 
überging.  Selten  tritt  diese  Secretionsanomalie  so  früh  bei  Tabes  auf,  während  uni- 
versale oder  regionäre,  einseitige  oder  doppelseitige  Hyperhidrosis  gewöhnlich  erst 
im  Verlaufe  der  Erknmkung  sich  zu  zeigen  pflegen.  Hier  handelt  es  sich  wahr- 
scheinlich um  einen  Uebergang  der  Beizung  der  Schweissfasem  im  Sympathicus  in 
einen  lähmungsartigen  Zustand  (Anidrosis).  Gleichzeitig  fand  sich  auf  der  rechten 
oberen  Korperhälfte  Kältegefühl,  Herabsetzung  der  Temperatur  um  0,8^  C.  und  Myosis. 
Später  erst  traten  die  Symptome  der  Tabes  hinzu,  lancinirende  Schmerzen,  Erbrechen, 
Durchfalle,  Gürtelgefühl,  reflector.  Pupülenstarre,  Fehlen  der  Patellarreflexe,  Bom- 
berg*sches  Phänomen  etc.  Die  halbseitige  Localisation  der  Störung  in  der  Innervation 
der  Iris,  der  Blutgefiusse  und  Schweissdrüsen,  das  Fehlen  der  Läsion  des  Bücken- 
marks in  derselben  Höhe  (Ataxia  cervicalis)  und  die  verschiedene  Zeit  des  Entstehens 
dieser  und  der  tabischen  Symptome  schienen  dem  Verf.  gegen  eine  Affection  der 
Bückenmarkscentren  zu  sprechen;  er  nahm  eine  primäre,  spontan  entstandene  Sym- 
pathicnsafiEection  an,  die  sec.  durch  Uebergreifen  des  Processes  auf  die  Bami  com- 
munic.  und  die  vorderen  Wurzeln  des  Bückenmarks  zu  einer  typ.  Tabes  dorsualis 
gefOhrt  hat  Das  entgegengesetzte  Verhalten  der  oculopupillären  und  secretorischen 
Fasern  (Myosis  und  Anidrosis)  einerseits,  gegenüber  den  Vasomotoren  (Kältegefühl, 
Herabsetzung  der  Temperatur)  andererseits,  erklärt  er  in  dem  Sinne,  dass  die  vaso- 
motorischen Fasern  des  Sympathicus  grössere  Besistenz  besitzen,  so  dass  Schädlich- 
keiten, die  bei  den  einen  Fasern  bereits  zu  Lähmungserscheinungen  führen,  bei  den 
andern  nur  Irritationszustände  hervorrufen;  eine  Analogie  findet  sich  bei  der  Er- 
krankung peripherer  Nerven,  wo  herabgesetzte  Empfindlichkeit  in  den  sensiblen  Fasern 
neben  Beizungszuständen  in  den  motorischen  zuweilen  auftritt.  Femer  fanden  sich 
als  frühzeitiges  Symptom  der  Tabes  bei  diesem  Kranken  chron.  DurchMe  (Diarrhoe 
tab^tique),  die  bald  contmuirlich,  bald  anfallsweise,  bald  auf  psych.  Erregung,  bald 
ohne  solche  auftraten,  jeder  Behandlung  widerstehen  etc.  Ein  Milztumor,  der  im 
Beginn  der  Erkrankung  auftrat  und  subacut  schwand,  wird  ebenso  wie  die  beobachtete 
Haematemesis  auf  vasomotor.  Störungen  zurückzuführen  gesucht.  Kalischer. 


—    24    — 

18)  Tabes  pröoooe  et  hiröditö  nenreuse,  par  Berbez.  (Progr.mM.  1887.  Nr.  30.) 

B.  giebt  auf  Gnind  von  eigenen  Beobachtungen  während  seiner  Assistentenzeit 
bei  den  Incurables  dlvry,  bei  den  Incurables  de  Laennec  und  in  der  Salpätriere  sehr 
werthvolle  Mittheilungen  über  die  Wichtigkeit  neuropathisch-hereditärer  Momente  für 
die  Aetiologie  der  Tabes  dorsalis.  Von  150  Tabikem  gaben  61  Individuen  an,  dass 
ihre  Eltern  oder  deren  Geschwister  von  Nervenleiden  heimgesucht  gewesen  seien  und 
zwar  von 

Geisteskrankheit 15  Fälle 

Tabes 8     „ 

Dementia  paralytica 7      „ 

Epilepsie 4     ,, 

Hysterie 6      „ 

Alkoholismus  mit  nervösen  Erscheinungen  ...     7     „ 

Paralysis  agitans 2      „ 

Neurasthenie,  Psychopathien  etc 12     „ 

Total  61  Fälle. 

In  36  von  diesen  Fällen  waren  Mutter  oder  Vater  resp.  Beide  nervenkrank. 
Ferner  sind  folgende  Notizen  des  Verfassers  von  Werth: 

3mal  traten  die  ersten  Tabessymptome  auf  nach  dem  60.  Lebensjahre, 
8  mal  traten  die  ersten  Tabessymptome  auf  zwischen  dem  50.  u.  60.  Lebensjahre 
54   „        „        „      „  „  „  „  „     40.  .u.  50. 

42      „  ,y  it  „  ff  ff  ff  ff        Ov.    U.    4:ü. 

28    „        „        }|       ,1  I,  ff  ff  >i     20.  u.  30. 

ö    ff        ff        ff       ff  ff  yj  ff  f»     •ib»  u.  Ä\)* 

2  f,    ist  unbekannt,  wann  die  ersten  Tabessymptome  auftraten. 

Die  Tabes  praecox  (darunter  versteht  B.nach  Charcot  die  vor  dem  30.  Lebens- 
jahre einsetzende  Tabes)  tritt  zumeist  bei  sehr  schwer  belasteten,  von  Tabikem  and 
Paralytikern  herstammenden  Individuen  ein  und  zeichnet  sich  durch  die  Intensität 
und  die  Mannigfaltigkeit  der  tabischen  Symptome  aus.  Dieselbe  unterscheidet  sich 
aber  sehr  wesentlich  von  der  hereditären  Tabes,  der  Friedreich'schen  Krankheit, 
welche  Charcot  in  der  Nr.  23  u.  24  des  Progrds  abgehandelt  und  worüber  auch 
in  dieser  Zeitschrift  referirt  worden  ist.  14  mehr  oder  minder  ausführliche  Kranken* 
geschichten  illustriren  die  Behauptungen  des  Verfassers,  welche  die  Tabes  praecox 
betreffen.  Laquer. 


n 


aO)  Zur  Frage  über  die  Besiehungen  BwiBohen  Tabes  und  Syphilis»  von 

Dr.  H.  Neumann.    Aus  dem  städtischen  Krankenhause  Moabit.     (Berliner  klin. 
Wochenschr.     1887.    Nr.  43.) 

N.*s  Statistik  entstammt  dem  Material  des  Berliner  Krankenhauses  Moabit,  ein 
Material,  das  ein  gleichmässig  gemischtes,  und  In  dem  keine  Krankheitsform,  welche 
die  Entscheidung  einseitig  beeinflussen  könnte,  vorwiegt.  Die  Ermittelungen  erstrecken 
sich  nur  auf  Männer  (vom  18.  Lebensjahre  an),  meist  dem  Arbeiterstande  angehörig. 
Die  Resultate,  die  Verf.  bei  möglichst  sorgfältiger  Erhebung  erhielt,  sind:  Von 
861  Männern  war  bei  147  =  17,2^0  früher  Syphilis  oder  Ulcus  moUe  vorhanden; 
bei  76  =  8,8  ^/o  von  diesen  147  Kranken  war  secundäre  Syphilis  sicher  oder  selir 
wahrscheinlich  vorhanden  gewesen.  —  In  der  Annahme,  dass  dieser  Procentsatz  der 
syphilit.  Erkrankungen  eher  zu  niedrig,  als  zu  hoch  sei,  versuchte  N.  dem  wahren 
Procentsatz  der  Syphilis  möglichst  nahe  zu  kommen  durch  eine  besondere  statistische 
Methode,  die  von  der  Erwägung  ausgeht,  dass  mit  jedem  Jahrzehnt  des  Lebens  die 
Zahl  der  inficirten  gegenüber  den  nicht  inficirten  eine  grössere  werden  muss^  während 


—    2ö    — 

ifr  seinen  Tabellen  der  Procentsatz  mit  zunehmendem  Alter  sank,  —  was  wobl  da- 
darch  bedingt  sein  mfisse,  dass  die  Kranken  im  späten  Alter  sich  ihrer  Jugendsünden 
z.  Tb.  nicht  mehr  entsinnen  können  oder  wollen.  Aus  den  von  diesem  Gesichtspunkt 
aosgehenden  Tabellen,  in  denen  neben  den  absoluten  Zahlen  der  Inficirten  das  pro- 
centische  Yerhältniss  zur  Gesaihmtzahl  der  betrefifenden  Altersclasse  ersichtlich  ist, 
gelangte  N.  zu  dem  Resultate,  dass  mindestens  22,4^0  seiner  861  Kranken  Lues 
reep.  Ulcus,  10  ^/^  secundäre  Syphilis  gehabt  haben. 

N.  untersuchte  nun  auch  bei  semem  Materiale  die  Häufigkeit  der  Tabes  bei 
Syphilitischen  und  Nicht-Syphilitischen.  (Tabes  wurde  nur  nach  genauer, 
sicherer  Untersuchung  diagnosticirt,  Paralytiker  wurden  ausgeschlossen.)  Es  Mden 
flieh  unter  den  861  Kranken  überhaupt  an  Tabes  erkrankt  17  a  2,0  ^/q,  und  zwar 
stellten  hierzu  die  671  Nicht-Inficirten  0,9%^  ^^^  ^^7  mit  weichem  oder 
hartem  Ulcus  8,2%,  die  sicher  Syphilitischen  11,8%.  —  Die  Häufigkeit 
der  Syphilis  bei  Tabes  anlangend,  fand  N.  unter  20  Fällen  7  =»  80,5%,  bei 
denen  jede  syphilitische  Ansteckrmg  geleugnet  wurde,  13  »  66%  mit  Ulcus,  von 
denen  10  s  60  ^/^  sicher  syphilitisch  waren.  „In  der  Mehrzahl  der  Falle  Ton  Tabes 
ist  eine  syphilit^he  Durchseuchung  des  Organismus  vorausgegangen  und  für  diese 
Fälle  ein  enger  Znsammenhang  zwischen  beiden  Erkrankungen  höchst  wahrscheinlich." 

Schoenthal. 

21)  Zur  OaauiBtik  der  Faychosen  bei  Tabee,  von  Dr.  0.  Hebold,  Sorau.  (Allg. 
Ztschr.  f.  P^chiatrie.   1887.  Bd.  XLIY.  H.  1.) 

H.  .schildert  eingehend  zwei  Fälle,  in  denen  sich  neben  einer  Degeneration  der 
Hinterstränge  und  unabhängig  von  derselben  eine  Geistesstörung  entwickelte.  Im 
ersten  Fall  handelte  es  sich  um  eine  hinzukommende  Manie  (oder  vielmehr  eine 
hftllacinatorische  Paranoia.  £ef.)  mit  Hallucinationen  und  Zwangsvorstellungen  ohne 
geistige  Schwäche.    Die  Psychose  heilte,  seit  1^/^  Jahren  ist  Fat.  geistig  gesund. 

Im  zweiten  Falle  lag  der  hinzutretenden  Psychose  ein  Stirnhirnsarcom,  welches 
die  beiden  oberen  Gyri  front  sin.  einnahm,  zu  Grunde.  Die  Krankheit  verlief  unter 
dem  Bild  einer  Taboparalyse.  Pat.  schwankte  nach  rechts  und  hatte  ausser  den 
tabischen  Symptomen  eine  Parese  des  rechten  Facialis  und  Hypoglossus  sowie  hesi- 
tirende  Sprache  und  epileptische  Krämpfe  mit  Augen-  und  Kopfdrehung  nach  linkä 
und  schlaffem  rechten  Arm.  Th.  Ziehen. 

22)  Ueber  hereditäre  Ataxie.  Ein  Beitrag  bu  den  primären  oombinirten 
Systemerkrankungen  des  Büokenmarks,  von  Dr.  L.  Bütimeyer,  Basel. 
(Virchow's  Arch.  1887.  Bd.  CX.   Heft  2.) 

Yerf.  hat  jetzt  die  genaue  mikroskopische  Untersuchung  von  zwei  der  von  ihm 
im  Jahre  1882  mitgetheilten  Fälle^  von  hereditärer  Ataxie  machen  können,  von 
Heinrich  Kern  (Fall  9)  und  Bertha  Kern  (Fall  11),  und  berichtet  darüber  in 
der  vorliegenden  Arbeit.  Beide  Fälle  ergaben  ein  fast  vollkommen  gleiches  Resultat: 
Gehirn  ohne  wesentliche  Abnormität  (die  atrophirte  Medulla  oblongata  ist  nicht  genauer 
untersucht).  Am  Bückenmark  eine  strangweise  Entartung,  welche  ganz  dem  Bilde 
der  gewöhnlichen  Tabes  entsprach.  Diese  hatte  in  den  Seitensträngen  genau  das  Gebiet 
der  Pyramiden-Seitenstrangbahneu  und  der  Kleinhim-Seitenstrangbahnen  ergriffen;  in 
den  Hintersträngen  die  Goirschen  Keilstränge  (am  hochgradigsten,  resp.  den  diesen 
entsprechenden  Theil)  und  die  ihnen  angrenzenden  Partien,  während  die  lateralsten 
TheUe  der  Hinterstränge  ziemlich  frei  geblieben  waren.  Femer  waren  die  Clark  er- 
sehen Säulen  durchaus  degenerirt  und  zwar  nicht  nur  ihre  Fasern,  sondern  auch  ihre 
Ganglienzellen.  An  der  grauen  Substanz  überhaupt,  speciell  der  Hinterhörner,  zeigte 
sich  senst  keine  Yeränderung,  auch  nicht  in  der  Biandzone  der  Hinterhörner.    Auch 

^  ef.  d.  Centralbl.  1888.  S.  114. 


—    26    — 

die  Pyramiden-Yorderstrangbahnen  waren  ganz  intact,  die  hinteren  Wurzeln  dagegen 
degenerirt 

Indem  Verf.  seine  Befunde  mit  den  früher  mitgetheilten  vergleicht,  constatirt 
er  die  ziemlich  genaue  Uebereinstimmung  mit  den  Friedreich'schen,  von  Schnitze 
untersuchten  Fällen.  Die  von  Letzterem  gefundene  Banddegeneration  des  Bücken- 
marks (die  der  Pia  anliegende  Peripherie)  möchte  B.  als  etwas  Accessorisches  ansehen 
und  auf  das  Alter  der  Friedreich*schen  Fälle  schieben:  sie  wurden  nach  23- resp. 
30jähriger  Krankheitsdaner  untersucht,  die  B/schen  F&lle  dagegen  nach  13-  resp. 
9jährigem  Bestehen  des  Leidens  (Heinrich  Kern  war  20,  Bertha  Kern  nur  14  Jahre 
alt  geworden). 

Von  den  sogenannten  combinirten  Systemerkrankungen  des  Bückenmarkes  unter- 
scheiden sich  B.'s  Fälle  klinisch  sowohl  wie  anatomisch,  wenn  auch  mancherlei  auf- 
fallende Aehnlichkeiten  des  anatomischen  Befundes  vorhanden  sind. 

Was  die  Tabes  (sog.  „classische''  Tabes)  betrifft,  so  stimmt  mit  dieser  Art  daä 
Befallensein  der  Hinterstränge  bei  den  B.*schen  Fällen  von  hereditärer  Ataxie  ganz 
gut  überein,  aber  daneben  sind  hier  Fasern  und  Zellen  der  Clarke'schen  Säulen  degene- 
rirt, die  Bandzone  der  Hinterhömer  ist  frei;  bei  der  Tabes  dag^en  sind  die  Zellen 
der  Ciarke'sohen  Säulen  unbetheiligt,  Bandzone  der  Hinterhömer  entartet;  und  bei 
Tabes  findet  sich  auch  nicht  die  streng  systematische  Degeneration  der  Pyramiden- 
und  Kleinhim-Seitenstrangbahnen. 

Auf  die  interessanten  Bemerkungen  des  Yerfs.,  auf  Grund  seiner  Befunde,  über 
das  Yerhältniss  der  einzelnen  Stränge  und  grauen  Säulen  des  Bückenmarkes  zu  ein- 
ander, über  ihre  Beziehungen  zur  Sensibilität  und  motorischen  Kraft,  zur  Ataxie  u.  s.  w. 
kann  hier  nur  hingevriesen  werden.  Erwähnt  sei  nur  noch,  dass  B.*s  Befunde  die 
Westpharsche  Annahme  von  der  Abhängigkeit  des  Patellarphänomens  von  der  sog. 
Wurzeleintrittszone  im  Uebergangstheil  des  Dorsalmarkes  in  die  Lendenanachwellung 
durchaus  stützen. 

„Die  hereditäre  Ataxie  ist  eine  selbständige  und  einheitliche  Krankheitsgruppe, 
eine  combinirte  primäre  (parenchymatöse,  nicht  interstitielle)  Systemerkrankung  auf 
hereditärer  Grundlage."  Hadlich. 

23)  Zur  Lehre  von  der  Ataxie.  Acute  Bulbärlähmung.  —  Friedreioh'- 
8ohe  Tabes«  von  Dr.  med.  F.  Mendel  in  Essen  a.  d.  Buhr.  (Berl.  klin.  Wocb. 
1887.   Nr.  41.) 

1.  Fall  von  Bulbär-Apoplexie  bei  einem  61jährigen  Manne  mit  Lähmung  des 
rechten  Facialis  und  Parese  des  linken  Armes;  Sprache  anfangs  ganz  unverständlich, 
später  sehr  verwaschen,  da  die  Gonsonanten  nur  undeutlich  oder  gar  nicht  aus- 
gesprochen werden;  starke  SaUvation,  Schlingstörungen;  Sensibilität  vollkommen  intact, 
am  rechten  Arm  und  an  beiden  Beinen  keine  Spur  von  Lähmung,  Haut-  und  Sehnen- 
reflexe normal,  aber  hochgradige  Ataxie  aller  vier  Extremitäten.  Verf. 
diagnostidrt  eine  Blutung  in  der  rechten  Hälfte  des  Pons  unterhalb  der  Facialis-, 
oberhalb  der  Pyramidenkreuzung,  und  betrachtet  den  Fall  als  eine  Bestätigung  für 
das  Bestehen  einer  bulbären  centralen  (ein  Coordinationscentrum  betreffenden)  Ataxie. 
Charakteristisch  für  solche  sieht  er  das  Symptom  an,  dass  bei  Augenschluss  die 
Ataxie  nicht  vermehrt  wird,  wie  bei  der  sensorischen  Ataxie. 

2.  Fall  von  Friedreich 'scher  hereditärer  Tabes  bei  einem  4t^l  ^i^hr.  Mädchen, 
dessen  älterer  Bruder  4^2  Jahre  alt  an  derselben  Krankheit  gestorben  war.  Bei 
beiden  Kindern  Hess  sich  der  Beginn  des  Leidens  in  der  ersten  Hälfte  des  zweiten 
Lebensjahres  feststellen.  Eltern  blutsverwandt.  —  Hier  besteht  Strabismus  con- 
vergens,  leichtes  Oscilliren  der  Augen  beim  Fixiren,  Hin-  und  Herfahren  der  Zunge 
beim  Herausstrecken,  leichte  Ataxie  der  oberen  Extremitäten,  Sprache  langsam, 
monoton,  undeutlich,  tief.  Keine  Lähmungen,  keine  sensiblen  Störungen  der  Extremi- 


—    27     — 

täten,  Fehlen  des  Kniephänomeus  beiderseits»  starke  Ataxie  der  unteren  Ex- 
tremitäten ohne  Beeinflussung  durch  den  Augenschluss,  also  centrale 
Ataxie.  Auf  diese  abweichende  Art  der  Ataxie  von  der  tabischen,  die  immer 
(immer?  Bef.)  sensorisch  ist,  gründet  Verf.  die  Ansicht,  dass  die  Friedreich'sche 
Tabes  eine  Krankheit  sei  generis,  nicht  eine  gewöhnliche  Tabes  dorsalis  der 
Kinder  sei.  Hadlich. 


Psychiatrie. 


24)  Aeoherohes  sur  l^ötiologie  de  la  paralysie  gänörale  ohes  lliomme,  par 

J.  Christian.    (Arch.  de  Neurol.    1887.   Bd.  XIY.   p.  205.) 

Verf.  zieht  seine  Schlüsse  aus  340  Beobachtungen  paralytischer  Männer.  Er 
bemerkt  einleitend,  dass  die  Paralyse  schon  in  ältester  Zeit  existirt  habe,  wenn  sie 
auch  erst  seit  1822  beschrieben  sei;  wenn  sie  auch  jedenfalls  gegen  frühere  Zeiten 
an  Frequenz  zugenommen  habe,  so  sei  doch  eine  wesentliche  Steigerung  in  Paris  im 
letzten  Jährzehnt  nicht  zu  constatiren.  Das  Lieblingsalter  sei  zwischen  30  und  50; 
in  der  Hehrzahl  trifft  die  Paralyse  Yerheirathete.  Sie  beföllt  Angehörige  aller  Glassen 
und  Schichten  der  Bevölkerung;  das  Militär  erscheint  bevorzugt,  in  erster  Linie  die 
Officiere,  besonders  nach  dem  Feldzuge  1870 — 71.  In  Ansehung  der  Heredität 
weicht  die  Paralyse  nicht  erheblich  von  den  anderen  Psychosen  ab.  Dem  Alkohol 
kann  Ch.  nur  eine  sehr  beschränkte  Bolle  zuerkennen;  auch  die  Excesse  in  venere 
betrachtet  er  nur  als  Nebenursache.  Dem  Tabaksmissbrauch  streitet  er  ebenfalls  den 
Platz;  desgleichen  der  Syphilis.  Kopfverletzungen  bewirken  an  und  für  sich  auch 
keine  Paralyse;  Insolation,  strahlende  Wärme  bei  verschiedenen  Handwerkern  und 
Kälte  stellen  ein  geringes  Gontingent.  Wichtig  sind  Yorkrankheiten,  insbesondere 
des  Nervensystems,  welche  „einen  Stachel'',  einen  Locus  minoris  resistentiae,  im 
Centnüapparat  zurücklassen.  —  Epileptiker  werden  selten  paralytisch;  etwas  häufiger 
die  Tabiker,  welche  aber  auch  an  anderen  Psychosen  erkranken  können.  Gesichtsrose 
bat  nur  einer  seiner  Kranken  gehabt,  der  auch  noch  andere  Ursachen  zur  Paralyse 
aufwies.  In  Summa:  Die  Wirkung  acuter  oder  chronischer  Krankheiten  zur  Ent- 
stehung der  Paralyse  ist  eine  geringe.  Kummer  und  Schreck  sind  auch  nicht  in 
höherem  Grade  als  wirksam  nachzuweisen;  es  ist  ein  Zusammenwirken  vieler 
Ursachen  nöthig,  welche  an  Einzelnen  nichts  Specifisches  haben.  Was  Gh.  ge- 
funden zu  haben  glaubt,  ist  dieses:  Fast  alle  seine  Paralytiker  waren  von  mittel- 
mässiger  B^abung;  die  brillant  Beanlagten  hatten  zugleich  einzelne  Defecte,  keiner 
zagte  gleichmässig  hohe  Intelligenz.  Solche  Naturen  ertragen  den  Kampf  um's 
Dasein  schwerer  wie  Andere;  die  Anforderungen  des  Lebens  und  ihre  Stellung  be- 
wirken im  Verein  mit  den  oben  erwähnten  Nebenursachen  die  Erkrankung  an  Paralyse. 
Es  ist  daher  die  Ueberanstrengung,  das  Missverhältniss  zwischen  Fähigkeit  und 
verlangter  Leistung,  welche  in  letzter  Linie  bei  Prädisponirten  die  Paralyse  herbei- 
führt In  demselben  Maasse,  wie  die  Ueberangestrengten  zunehmen,  wird  auch  die 
Paralyse  häufiger  werden.  Siemens. 


25)  Beitrag  zur  Aetiologie  und  Therapie  der  Dementia  paralytioa,  Inaugural- 
Dissertation  von  Walter  Levinstein.    Berlin  1887.     (29  Seiten.) 

In  Hinsicht  auf  die  Lehre  über  den  Zusammenhang  zwischen  Paralyse  und  Lues 
hat  der  Verf.  die  seit  ekdk  25  Jahren  in  der  Maison  de  sant^  zu  Schöneberg 
behandelten,  geeigneten  Fälle  von  Paralyse  in  Betrachtung  gezogen,  indem  er  hanpt- 
sichlich  die  Behandlungsweise  der  voraufgegangenen  Syphilis  und  die  Erfolge  der 
nach  dem  Ansbrnch  der  Paralyse  eingeleiteten  spedfischen  Cur  in*s  Auge  fasste.  In 
der  einschlägigen  Literatur  hat  der  Nutzen  derartiger  therapeutischer  Maassregeln 


—    28    — 

eine  sehr  verschiedene  Beurtheilung  gefanden.  Den  Eintritt  von  Remissionen  auf 
Bechnnhg  der  angewandten  Therapie  zu  setzen,  erscheint  unstatthaft,  da  dieselben 
auch  spontan  bei  vielen  Paralytikern  auftreten.  Auch  dürfte  bei  der  Beurtheilung 
der  Heilerfolge  eine  Verwechselung  mit  Lues  cerebri  zuweilen  untergelaufen  sein,  da 
dieselbe  im  Beginn  ähnlich  wie  die  progressive  Paralyse  auftritt  (Augenmuskel- 
lähmungen, psych.  Störungen,  apoplectlforme  Anfälle  etc.).  Verf.  führt  32  Kranken- 
geschichten in  tabellarischer  Form  an,  mit  Angabe  der  Zeit  der  Infection,  des  Aus- 
bruchs und  Aui^angs  der  Paralyse  und  der  Behandlung  vor  und  nach  dem  Ausbruch 
derselben.  Einige  wenige  Remissionen  neben  zahlreichen  ungünstigen  Ausgängen 
wurden  festgestellt.  Trotz  schneller,  langdauernder  und  gründlicher  Behandlung  der 
Syphilis  erfolgte  in  vielen  Fällen  von  Lues  späterhin  dennoch  der  Ausbrach  der 
Paralyse;  ebenso  waren  die  mannigfaltigen  Curversuche  bei  den  bereits  psychisch 
Erkrankten  erfolglos.  Schliesslich  sieht  Verf.  eine  Hülfe  gegen  die  Paralyse  auf 
syphilitischer  Grundlage  nur  in  der  Verhinderung  der  Weiterverbreitung  der  Syphilis. 

Kalischer. 

26)  Ueber  Jaokson'sohe  Epilepsie  und  Psychose,   von  Prof.  £.  Mendel. 
(Allg.  Ztflchr.  für  Psychiatrie,  1887.  Bd.  XLIV.   H.  1.) 

Ein  32 jähriger  Kaufmann,  bei  dem  ätiologisch  nur  Excesse  im  Rauchen  nach- 
zuweisen waren,  erkrankte  Juni  1882  unter  den  Erscheinungen  cerebraler  Meningitis 
(Kopfschmerzen,  Fieber,  Erbrechen,  Fieber  bis  zu  40,5  ^  120  Pulse,  allgemeine  Gon- 
vulsionen  und  Delirien  und  Albuminurie).  Nach  14  Tagen  liessen  die  Erscheinungen 
nach.  Es  blieb  zurück  eine  constante  Percussionsempfindlichkeit  einer  etwa  Mark- 
stück grossen  Stelle  auf  dem  Tub.  parietale  dextr.,  femer  linksseitige  Pupillen- 
erweiterung und  -Trägheit  und  linksseitige  Facialisparese.  Dazu  kamen  häufige 
Anfalle  Jackson'scher  Epilepsie:  Kaltwerden  der  Finger  der  linken  Hand,  dann 
taubes  Gefühl  und  leichte  Fingerbeugung,  dann  Aufsteigen  des  Taubheitsgefühls  zum 
Arm,  zur  linken  Gesichts-  und  Zungenhälfte,  ^darauf  momentanes  SchwindelgefQhl. 
Zwischen  diesen  Anfallen  kam  es  dreimal  zu  einem  völlig  ausgebildeten  epileptischen 
Anfall  mit  psychischen  Störungen. 

Im  Juli  1884  trat  im  Anschluss  an  heftige  Gemüthsbewegungen  tobsüchtige 
Erregung  ein.  Der  Fall  verlief  nun  äusserlich  unter  dem  Bild  einer  progressiven 
Paralyse.  Epileptische  Anfalle  (nicht  corticaler  Natur)  wiederholten  sich  noch  öfter. 
Im  April  1885  erfolgte  der  Tod. 

Die  Section  bestätigte  die  diagnostische  Annahme  einer  Schwarte  als  Residuums 
einer  acuten  diffusen  Meningitis  über  der  mittleren  und  unteren  Partie  beider  rechts- 
seitigen Gentralwindungen.  Dieselbe  hatte  eine  Dicke  von  2,5  mm  und  eine  Aus- 
dehnung von  2qcm.  Nur  hier  haftete  die,  namentlich  rechts,  auch  sonst  verdickte 
Pia  an  der  Hirnrinde  an.  Nur  hier  Verschmälerung  der  Windungen,  sonst  normaler 
makroskopischer  und  mikroskopischer  Befund  in  der  Hirnrinde.  Von  der  Schwarte 
aus,  die  selbst  für  die  AnßJle  corticaler  Fpilepsie  und  die  Constanten  Paresen  ver- 
antwortlich zu  machen  ist,  entwickelte  sich  gelegentlich  eine  allgemeine  Reizung  der 
Himsubstanz,  die  zu  epileptischen  Anfö.llen  führte,  und  schliesslich  eine  weitere 
Beeinträchtigung  der  Kindenfunction,  die  mittelst  chronischer  Meningitis  zu  den 
Symptomen  der  progressiven  Paralyse  führte. 

Da  keine  Encephalitis  interstit.  cortic.  bestand,  trennt  M.  den  Fall  von  der 
Paralyse.  Er  führt  dann  drei  weitere  ähnliche  Fälle  an,  in  denen  gleichfalls  corticale 
Epilepsie  das  Bild  einer  Paralyse  einleitete,  aber  die  Section  nicht  gemacht  werden 
konnte.  Auch  in  diesen  war  der  Heerd  rechtsseitig.  Zum  Schluss  wird  ein  Fall 
angeführt,  in  dem  im  Anschluss  an  eine  Jacks on'sche  Epilepsie  mit  Ausgangspunkt 
in  der  linken  Hemisphäre  ein  Zustand  von  Paranoia  sich  entwickelt. 

Th.  Ziehen. 


—    29    — 

27)  Paralysie  gdnörale.    BouHmie-ABphyzie  par  les  aliments,  par  Bonn  et. 
(Progr.  m6d.     1886.    Nr.  50.) 

Ein  gefrässiger  Paralytiker  starb  in  vorgerficktem  Erankheitsstadinm  an  Er- 
stickung; bei  der  Autopsie  fand  sich  die  Trachea  bis  zur  Bifurcation  mit  Speiseresten 
angeffilli  —  B.  versucht  das  Hineingleiten  von  Speisen  in  die  LuftrOhre  bei  Para- 
lytikern nicht  bloss  durch  die  schwachsinnige  Art,  mit  der  solche  Patienten  zu  kauen 
and  zu  schlucken  pflegen,  zu  erklären,  sondern  er  ist  auch  geneigt,  eine  Becurrens- 
lähmnng  anzunehmen,  welche  die  Wirkung  des  M.  corytemoideus  aufhob.  —  Durch 
eine  Lähmung  dieses  Muskels  werde  der  Verschluss  der  Epiglotte  beim  Schluckact 
zur  Unmöglichkeit.  Die  Gefrässigkeit  bei  Paralytikern  soll  nach  einer  weiteren  Hypo- 
these Bonne t*s  auf  einer  Yaguslähmung  beruhen;  die  betreffenden  Erscheinungen  der 
Boulimie  wären  dann  den  bekannten  Glaude-Bernard'schen  Experimenten  (Yagus- 
darchschneidung  in  der  Mitte  des  Halses)  analog  zu  deuten.  L aquer. 


28)  Zur  OMoiBtik  der  progressiven  Paralyse  der  Irren,  von  Dr.  L.  Acker, 
Mosbach.     (AUg.  Ztschr.  f.  Psychiatrie.   1887.   Bd.  XLIY.   H.  1.) 

14  Fälle  werden  kurz  geschildert  und  mit  den  herrschenden  Ansichten  Aber 
Paralyse  zusammengestellt.  In  einem' FalT  weiblicher  Paralyse  lag  anamnestisch 
eine  in  der  Jugend  überstandene  Melancholie  vor;  der  Ehemann  war  ebenfalls  Para- 
lytiker und  die  Kranke  hatte  dreimal  abortirt.  In  einem  andern  Fall  (Mann)  trat 
nach  4jähriger  Erankheitsdauer  2jährige  Remission  ein,  die  Gesammtdauer  betrug 
8  Jahre;  interessant  ist  ein  an  Chorea  magna  erinnernder  paralytischer  Anfall  (Ro- 
tationen und  Stampfbewegungen).  Th.  Ziehen. 

III.   Aus  den  Oesellsohaften. 

Berliner  Gtosellsohaft  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.    Sitzung  vom 

12.  Dec.  1887. 

1.  Herr  Oppenheim  stellt  einen  Kranken  vor,  bei  welchem  das  gleiphseitige 
Bestehen  von  Morbus  BasedowU  und  Morbus  Addisonii  wohl  ein  Unicum 
darstellt  Es  besteht  ad  I:  1.  Starker  Exophthalmus;  die  Oberlider  blieben  zurück 
bei  der  Blickrichtung  nach  unten;  sonst  an  den  Augenmuskeln  nichts  Abnormes. 
2.  Beträchtliche  Struma.  3.  Pulsfrequenz  160 — 180;  bei  sehr  starker  Herzhyper- 
trophie ein  schwacher  und  unregelmässiger  Puls.  —  Es  besteht  femer  deutliches 
Zittern,  das  bei  Bewegungen  zunimmt,  sowie  auch  die  Mehrzahl  der  Nebensymptome, 
die  bei  Morb.  Basedowii  beschrieben  sind;  alles  seit  langer  als  10  Jahren. 

Daneben  findet  sich  nun  ad  U  eine  deutliche,  z.  Th.  recht  starke  Bronzefarbung 
der  Haut,  namentlich  an  der  Glans  penis,  am  Fraeputium,  am  Scrotum  und  Abdomen; 
Oberschenkel-Innenfläche,  Waden,  Stellen  der  Hände  zeigen  es  deutlich,  wobei  die 
Erscheinung  besonders  dadurch  auffallend  wird,  dass  neben  den  dunkeln  scharf  ab- 
gesetzt helle  Hautstellen  stehen.  Auch  die  Schleimhäute,  Lippen,  Gonjunctiva  haben 
dunkle  Stellen.  Dabei  allgemeine  Schwäche,  Apathie,  Gedächtnissschwäche,  Sensi- 
bilitatsstdruugen,  Erbrechen  u.  s.  w.  —  0.  erinnert  daran,  dass  man  ätiologisch  fflr 
beide  Krankheiten  Störungen  am  Sympathicus  beschuldigt  resp.  nachgewiesen  hat. 

(0.  macht  nachträglich  folgenden  Zusatz:  Im  British  med.  Joum.  hatDrummond 
am  14.  Mai  1887  Ober  abnorme  Pigmentirungen  bei  Morbus  Basedowii  Mittheilungen 
gemacht  und  ausser  Yitiligo  besonders  Bronzefarbung  hervorgehoben.) 

2.  Herr  Hans  Yirchow:  „Heber  grosse  Granula  in  Nervensellen  des 
Kaoinohenrackenmarks."  Da  Altmann  neuerdings  die  Granuhi  der  Neryenzellen 
^  herrorgehoben  und  ihnen  eine  so  wichtige  Bolle  zugesprochen  hat  —  eine  Frage, 


—     80    — 

auf  die  der  Vortragende  hente  nicht  eingehen  will  —  so  glanbt  Y.  Aber  das  Vor- 
kommen solcher  grossen  Granula  in  den  Ganglienzellen  des  Bückenmarks  von  Kaninchen 
und  Meerschweinchen  berichten  zu  sollen.  Sie  sind  theils  rund  und  eckig,  theils  — 
nämlich  gegen  die  Fortsätze  hin  und  in  denselben  —  lang  gestreckt,  und  liegen  in 
einer  Schicht  etwas  unterhalb  der  Zellenoberfläche.  Ben  da  uud  Tannhofer  haben 
dies  beschrieben.  V.  möchte  besonders  seine  Darstellnngsmethode  dieser  zarten  Ge- 
bilde betonen:  er  injicirte  1^/^  blutwarme  Ghromsäurelösung  den  Thieren  und  härtete 
d^n  mit  Alkohol.  Die  Färbung  gelang  am  besten  mit  Hämatoxylin  und  dem  vom 
Vortragenden  schon  seit  längerer  Zeit  benutzten  Chinolin-Both. 

Herr  Ben  da  findet  in  den  Angaben  des  Vortragenden  die  Bestätigung  seiner 
früheren  Mittheilungen  und  stellt  eine  grössere  Arbeit  über  diesen  Gegenstand  in 
Aussicht.  Eine  bestimmte  Erhärtungs-  und  Färbungsmethode  hält  er  nicht  für  noth- 
wendig  oder  maassgebend,  aber  es  scheint  das  Vorkommen  der  Granula  an  eine  be- 
stimmte Entwickelung,  ein  gewisses  Alter  der  Thiere  gebunden  zu  sein.  B.  sali  sie 
bei  Adamkiewicz  an  Präparaten  von  einem  jugendlichen  Menschen;  femer  gut  an 
Katzen.  B.  glaubt  nicht,  dass  sie  mit  den  Altmann*schen  Granula  etwas  zu  thun 
haben. 

3.  Herr  Kronthal:  „Ueber  Heterotopie  grauer  Substana  im  Bücken- 
mark."    (Der  Vortrag  erscheint  demnächst  in  dieser  Zeitschrift  in  extenso.) 

4.  Herr  Siemerling:  Ein  Fall  von  hereditärer  Hirn-  und  Büokenmarks- 
Syphilis.     (Mit  Demonstration  von  Präparaten.) 

Das  12jährige  Mädchen  wurde  im  November  1886  in  die  Charit^  aufgenommen. 
Der  Vater  hat  Lues  gehabt,  die  Mutter  war  gesund,  machte  5  Entbindungen  und 
1  Abort  durch.  Fat.  ist  das  älteste  Kind.  Ein  Bruder  leidet  an  Schwindel  und 
Kopfschmerzen.  Die  Fat.  erlitt  im  4.  Jahre  einen  Schlaganfall  mit  Sprachverlust 
und  rechtsseitiger  Parese.  Die  Sprache  kehrte  wieder,  rechtsseitige  Schwäche  blieb 
bestehen.  Im  6.  Jahre  wurde  hochgradige  Schwäche  der  Beine,  Ataxie,  beiderseits 
weisse  Papillen  constatirt;  Kniephänomene  waren  vorhanden;  keine  erheblichen  Sensi- 
bilitätsstörungen. —  Im  April  1886  Erbrechen  und  Schwindelanfälle,  im  Juni  1886 
epileptoide  Anfälle,. die  alle  8 — 14  Tage  wiederkehrten.  Ende  October  Schwerhörig- 
keit beiderseits.  Im  November  Blindheit  und  fast  vollständige  Taubheit.  Bei  der 
Aufnahme  in  die  Charit^  fand  man  ausgesprochene  Opticus-Atrophie,  Nystagmus; 
Sprache  laut  und  gellend,  rechter  Mundwinkel  etwas  tiefer  stehend ;  Pai  ging  noch, 
aber  atactisch  und  über  Schwindel  klagend.  Kniephänomene  vorhanden.  Intelligenz 
nicht  erheblich  herabgesetzt.  Es  kam  dann  vor  dem  Exitus  noch  oft  zu  epileptoiden 
Anföllen  mit  Bewusstseinsverlust,  Urinentleerungen  u.  s.  w. 

Die  Obducüon  ergab  ein  stark  hydrocephalisches  Gehirn.  Dura  ganz  dünn, 
auch  der  Schädel  stellenweise  papierdünn.  Die  Arachnoidea  lässt  sich,  mit  der  Pia 
verwachsen,  stellenweise  nicht  abziehen,  und  zeigt,  besonders  an  der  Basis,  grosse, 
dicke  Wucherungen.  Auch  das  Bückenmark  ist  in  eine,  von  der  Pia  ausgehende, 
verschieden  dicke  Schwarte  eingehüllt. 

Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  fand  S.,  dass  von  der  Pia  zapfenförmige 
Fortsätze,  stark  mit  Bundzellen  durchsetzt,  in  die  weisse  Substanz  des  Rückenmarks 
eindringen;  die  graue  Substanz  wird  dadurch  zurückgedrängt,  aber  nicht  von  den 
Zapfen  erreicht.  —  Die  Heubner'schen  Gefässveränderungen  sind  am  Gehirn  besser 
zu  sehen,  als  am  Bückenmark.  Die  Bückenmarks- Wurzeln  sind  dabei  ziemlich  intact 
geblieben. 

Was  die  Bildung  dieser  syphilitischen  Granulationsgeschwülste  anbetrifft;,  so 
schUesst  sich  S.  der  Ansicht  an,  welche  Schnitze  vertritt,  dass  nämlich  der  Process 
in  den  Meningen,  Gefässen  und  dem  Bindegewebsgerüst  der  Nervensubstanz  seinen 
Ausgang  nimmt  und  das  eigentliche  Nervengewebe  nur  secundär  in  Mitleidenschaft 
gezogen  wird.  Hadlick. 


—     81     — 

SaoiM  de  Biologie,  Paus.    Sitzung:  vom  22.  October  1887. 

Zur  Frage  der  Lähmungen  neuritisoher  Natur  bei  Tabes,  von  A.  Pitres 
und  L.  Vaillard. 

Bei  einem  Tabischen  trat  8  Monate  vor  dem  Tode  eine  Paralyse  des  M.  levator 
palpebrae  sap.  and  mehrerer  anderen  Aagenmuskeln  linkerseits  ein.  Bei  der  Section 
fand  sich  —  ausser  der  grauen  Degeneration  der  Hinterstränge  und  der  hinteren 
Woneln  —  eine  Atrophie  der  gelähmten  Augenmuskeln  und  ihrer  Nerven.  Da 
niclit  alle  Aeste  des  Oculomotorius  atrophirt  waren,  die  betheiligten  aber  in  recht 
verschiedenem  Grade,  so  scbliessen  die  Yerff.,  dass  hier  keine  nucleare  Lähmung 
vorliegt  (untersucht  haben  sie  den  Kern  nicht),  sondern  eine  Neuritis. 

lieber  die  Beziehungen  des  Nervensystems  zur  Ernährung  des  Körpers, 
von  Dr.  Manuel  Leven. 

Verf.  hat  durch  lange  fortgesetzte  Untersuchungen  gefunden,  dass  bei  „Erkran- 
kmigen  des  Nervensystems"  die  Hamstoffausscheidung  sehr  herabgesetzt  (auf  ^1^ — ^j^), 
dass  die  Zahl  der  rothen  Blutkörperchen  um  mehrere  Millionen  verringert  wird,  dass 
das  Fettgewebe  entweder  stark  vermehrt  oder  stark  vermindert  wird. 

Hadlich. 

IV.  Mittheilung  an  den  Herausgeber. 

Hochverehrter  Herr  College! 

Nummer  10  (15.  Mai  1887)  Ihres  geschätzten  Centralblattes  filr  Neurologie 
enthält  einen  Artikel  von  Dr.  de  Watteville  „über  die  Lähmung  der  Convergenz- 
bewegnng  des  Auges  im  Beginne  der  Tabes  doröalis". 

Ich  bedauere,  dass  dem  Autor  eine  wohl  ein  Jahr  ältere  Publication  von  mir 
über  dasselbe  Thema  entgangen  ist.  Dieselbe  findet  sich  auf  p.  504  meines  Werkes, 
über  „The  Refraction  and  Accommodation  of  the  Eye''  (Publ.  by  Young  J.  Pentland. 
Edinbnrgh  1886). 

Dann  ist  die  Insuffidenz  des  Convergeozvermögens  sehr  eingehend  behandelt, 
and  als  Symptom  verschiedener  neuropathischer  Zustände,  namentlich  aber  der  Tabes 
dorsalis  deutlich  angegeben.  Als  Beleg  führe  ich  zwei  Fälle  von  Tabes  an,  die  mein 
damaliger  Assistent,  Herr  Dr.  Hübscher,  beobachtet  hat. 

Dürfte  ich  bei  dieser  Gelegenheit  vielleicht  noch  auf  eine  andere  einschlägige 
Arbeit  verweisen,  die  ich  im  Jahre  1885,  unter  dem  Titel:  die  Insufficienz  des  Con- 
vergenzvermögens,  der  Heidelberger  Ophthalmologen-Versammlung  vorgelegt  habe. 

Sie  würden  mich,  hochverehrter  Herr  College,  sehr  verpflichten,  wollten  Sie 
diesen  Zeilen  die  Aufnahme  in  Ihr  Centralblatt  gestatten.  Empfangen  Sie  dafür  zum 
Voraus  meinen  herzlichen  Dank,  und  die  Versicherung  der  Hochachtung  Ihres  ergebenen 

Paris,  7.  Dec.  1887.  Dr.  E.  Landolt. 

Berichtigung. 

In  dem  Beferate  über  die  12.  Wanderversammlung  der  südwestdeutschen  Neuro- 
logen und  Irrenärzte  im  Arch.  f.  Psychiatrie  findet  sich  Seite  7  (des  Separatabdruckes) 
die  Notiz,  dass  ich  in  der  Discussion  über  den  Rumpf 'sehen  Vortrag  behauptet  haben 
»oll,  dass  „die  Veränderungen  bei  Dementia  paralytica  keine  syphilitischen'^  sind.  Ich 
würde  sehr  bedauern,  wenn  ich  meine  Meinung  über  diese  Angelegenheit  in  so  un- 
klarer Form  gesagt  hätte,  dass  die  Herren  Referenten  mich  so  verstehen  mussten, 
wie  sie  es  gethan  haben. 

Ich  glaube  im  Gegentheil  durchaus  an  nähere  Beziehungen  zwischen  der  De- 
mentia paralytica  und  der  Syphilis,  wie  ich  das  auch  an  die  Spitze  meiner  Bemer- 
kongen  stellte.  Die  Rumpf* sehen  Präparate  und  die  anatomischen  Befunde  bei 
Dementia  paralytica  überhaupt  scheinen  mir  nur  nicht  zu  beweisen,  dass  es  sich 


—    32    — 

um  specifisch  syphilitische  Ver&nderuDgen  handelt;  das  Gegentheil  wird  aber  durch 
sie  ebenfalls  nicht  bewiesen. 

Dorpat,  den  25.  December  1887.  Prof.  Schnitze. 


V.  Personalien. 

Am  1.  December  1887  starb  zu  Berlin  Prof.  Arthur  Christian!  im  Alter 
von  44  Jahren.  Auch  die  Neurologie  verliert  in  ihm  einen  hervorragenden  Arbeiter. 
Bekannt  nach  dieser  Bichtung  ist  besonders  seine  im  Jahre  1885  erschienene  Mono- 
graphie: „Zur  Physiologie  des  (Jehims." 

In  Paris  starb  im  Alter  von  57  Jahren  Achille  Foville,  einer  der  Bedacteure 
der  Annal.  m^d.  psychologiques,  auch  in  Deutschland  wohl  bekannt  durch  eine  BeihB 
trefflicher  psychiatiischer  Arbeiten,  die  zum  Theil  im  Dictionnaire  de  m^d.  et  Chirurg. 
pratiqueSi  zum  grössten  Theil  in  den  Annal.  m^d.  psycholog.  erschienen  sind,  und 
besonders  sich  mit  der  progressiven  Paralyse  beschäftigten. 


VI.  Vermischtes. 

Im  Bicdtre  bei  Paris  wurde  am  3.  August  1887  eine  Marmojtafel  von  dem  Prafecten 
der  Seine  feierlich  enthüllt  zu  Ehren  J.  B.  Pussin's,  eines  früheren  Kranken  and  spateren 
Wärters  der  Anstalt,  welchen  Pinel  „seinen  besten  Mitarbeiter"  genannt  hat.  Derrräfect 
hielt  eine  warme  Ansprache  an  das  Wartpersonal ,  welche  mit  den  Worten  schloss:  „Wir 
hoffen,  unter  Ihnen  Nachfolger  Possin's  za  finden,  welche  verdienen ,  ihren  Namen  auf  die 
Steinblä^r  des  Buches  einzugraben,  das  wir  heute  eröffnen."  Siemens. 

Gase  of  oerebellar  Ataxia  in  kitten.    (The  British  med.  Joum.  Nov.  5.  1887.  p.  997.) 

Herringham  brachte  in  die  Londoner  medicinische  Gesellschaft  eine  Junge  Katze  mit, 
welche  eine  bemerkenswerthe  Form  von  Störung  der  Coordination  zeigte.  Sie  war  eine  vod 
vier  gleichzeitig  geworfenen,  die  alle  gleicherweise  afficirt  waren.  Es  bestand  keine  eigent- 
liche Lähmung,  sondern  nur  Unfähigkeit,  das  Gleichgewicht  zu  halten.  Die  Antojwie  bei 
einer  dieser  Katzen  ergab  Degeneration  der  Bumpfstreckmusculatar  und  Atrophie  des  mittleren 
Lohns  des  Cerebellnm.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

Preisanfgaben. 

Die  Acad^mie  de  M^ecine  zu  Paris  hat  für  1888  u.  A.  folgende  Preisaafgaben  gestellt: 

Preis  Civrieui  (800  frs.):  Die  Gefaörshallacinationen. 

Preis  Falret  (1500  frs.):  Ueber  die  Beziehungen  zwischen  der  allgemeinen  Paralyse 
und  der  Gehumsvphilis. 

Preis  für  die  Hygiene  des  kindlichen  Alters  (1000  frs.):  Ueber  Paralysen  in  den  beiden 
ersten  Lebensjahren,  ihre  Ursachen  und  ihre  Natur  sind  durch  klinische  Beobachtungen 
festzustellen. 

Für  das  Jahr  1889: 

Preis  der  Academie  (1000  frs.):  Physiologie  des  Nervus  pneumogastricus. 
Preis  Oivrieux  (800  frs.):  Ueber  die  Sensibilitätsstömngen  bei  Tabes. 

Für  das  Jahr  1890: 

Preis  Falret  (1000  frs.)!  Ueber  diathesische  Psychosen. 
Preis  Lef^vre  (1800  frs.):  Die  Melancholie. 
Preis  Portal  (600  frs.):  Das  Mal  perforant. 

Preis  P curat  (900  frs.):  Durch  präcise  Experimente  ist  zu  bestimmen,  ob  es  ein  oder 
mehrere  respiratorische  Centren  giebt 

Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 


Einsendungen  für  die  Bedaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel, 

Berlin,  NW.   Schiffbauerdamm  20. 


Verlag  von  Veit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzgbb  &  Wittio  in  Leipzig. 


iüROLOGISCHESCENTRALBLAn. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskranicheiten. 

Herausgegeben  yon 

Professor  Dr.  E.  Mendel 

Siebenter  *"  ^'"**-  Jahrgang. 

Monitlieh  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  20  Mark.   Zn  beziehen  durch 
alle  Boehhandlangen  des  In*  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Beichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 

m 15.  JanMr. m2, 

Inhalt  I.  OriginalmiHhellungen.  1.  üeber  einen  Fall  yon  hereditärer  Chorea  der  Er- 
wachsenen, Ton  Dr.  Zacher.  2.  Ein  Fall  yon  Dyslexie  (Bbblin)  mit  Störungen  der  Schrift, 
TOD  Dr.  Ludwig  Brunt. 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  Notiz  zur  Ner?enfarbung.  üeber  2  gesonderte  Nerven- 
bfiodel  in  der  grauen  Axe  des  menschlichen  Bückenmarkes,  von  Pal.  —  Exn  crimen  teile 
Physiologie.  2.  Das  Bindenfeld  des  Facialis  u.  seine  Verbindungen  bei  Huna  u.  Kaninchen, 
Ton  Exner  und  Paneth.  8.  Studien  über  die  Innervation  der  Athembewegungen,  von  Langen- 
M.  4.  Untersuchung  der  Erregbarkeit  einzelner  Bückenmarksstr&nge  an  neugeborenen 
Thieren,  von  Bechterew.  5.  Zur  rhysiologie  des  FroBchgehirns,  von  Schrader.  —  Patho- 
logische Anatomie.  6.  Ueber  Mangel  des  Balkens  im  menschlichen  Gehim,  von  Kaufmann. 
7.  Gase  of  osteophytes  of  the  arachnoid,  by  Burton.  8.  Darstellung  und  Beschreibung  einer 
intraaterin  entstandenen  Narbe  in  der  rechten  Hemisphäre  des  Gemrns  einer  chronisch  B15d- 
smDJgen,  von  Jensen.  —  Pathologie  des  Nervensystems.  9.  Zur  Genese  des  Intentions- 
tremors«  von  Stephan.  10.  Ueber  einen  Fall  von  multipler  Sklerose  des  Centralnervensystems, 
von  Hess.  11.  lieber  multiple  inselförmige  Sklerose  des  Gentralnervensystems  im  Eindes- 
alter, von  Unger.  12.  Contribution  ä  Tötude  de  la  scl^rose  en  plaques  ä  forme  paralytique, 
par  Gilbert  et  Llon.  18.  On  a  case  of  early  disseminated  myelitis  occurring  in  the  ezanthem 
stage  of  measles  and  fatal  on  the  11^^  day  of  that  disease,  by  Barlow.  14.  Ueber  neuere 
gnostige  Formen  von  Hemiläsion  des  Bückenmarks,  von  Rosenthal.  15.  Klinische  Beiträge 
w  Kenntniss  der  Halbseitenläsion  des  Bückenmarks  und  der  Spinalapoplexie,  von  NofVmann. 
16.  A  case  illustrating  the  differential  diagnosis  of  tumour  of  the  cord  and  tumour  of  the 
caada  equinus,  by  Oliver.  17.  Ein  Fall  periodischer  spinaler  Lähmung,  von  Greidenberg. 
16.  Ueber  periodische  Oculomotoriuslähmunff,  von  Senator.  19.  Migrame  attacks  followed 
by  temporary  paralysis  of  the  third  nerve,  oy  Suchlinfj.  —  Psychiatrie.  20.  On  arrested 
cerebral  development  with  special  reference  w  its  corncal  pathology,  by  Sachs.  21.  De  T^tat 
de  la  dentition  chez  les  enfants  idiots  et  arri^r^  par  Sollier.  22.  Idiotie  complöte  symp- 
tomatique  d'une  atrophie  c^r^brale  double,  par  Bourneville  et  Brilon.  28.  Gases  of  suicidal 
intent  in  congenital  imbeciles,  by  Cobboio.  24.  Tunghörte,  Dove  og  Aandssvage,  af  Bull. 
25.  Läsionen  des  Gehöianparates  und  psychische  Störungen,  von  Lannois.  —  Forensische 
Psychiatric.  26.  Du  aiagnostic  m^dico-l^al  de  la  Pyromanie  par  Texamen  indirect,  par 
lontyel.  —  Therapie.  27.  De  l'^pilepsie  d^ongine  cardiaque  et  de  son  trutement,  par  Georges. 
28.  Nuovi  ipnogem  (metilalo  e  idrato  d'amileue),  del  Petrazzani.  29.  Ueber  die  Berechtigung 
der  Csstnition  der  Frauen  zur  Heilung  von  Neurosen  und  Psychosen  bei  intactem  Sexual- 
system,  von  Wiilers.  80.  De  Taction  de  l'antipyrine  sur  Tun  des  centres  thermiques  enc^pha- 
liques,  par  Girard.  —  Anstaltswesen.  81.  Bericht  über  die  Verwaltung  der  Provinzial- 
IrrenHeil-  und  Pflege-Anstalt  zu  Neustadt  in  Westpr.  für  das  Etatsjahr  1.  April  1886/87» 
Too  Kroemer.  32.  Bericht  Über  die  Verwaltung  der  Provinzial-Irren-Heil-  und  lolege-Anstalt 
zu  Schwetz  für  das  Etatijahr  1.  April  1886/87,  von  Grünau. 

IIL  Aus  den  Gesellschaften. 

IV.  Bibliographie. 

V.  Psrsonallofl. 

VI.  Vermischtes. 


—    34    — 

I.  Originalmittlieilungen. 

1.    üeber  einen  Fall  von  hereditärer  Chorea  der 

Erwachsenen. 

Von  Dr.  Zaoher  in  Stephansfeld. 

In  der  neuesten  Auflage  seines  Handbuches  der  speciellen  Pathologie  und 
Therapie  stellt  Eichhobst  gewisse  Fälle  von  choreatischer  Bewegungsstörung 
als  eine  besondere  Oruppe  unter  dem  Namen  hereditäre  Chorea  der  Erwachsenen 
zusammen.  Diese  Form  der  Chorea  ist  hauptsächlich  dadurch  charakterisirt, 
dass  sie  in  gewissen  Familien  erblich  ist,  erst  im  späteren  Leben  der  betreffen- 
den Individuen  zur  Entwickelung  gelangt  und  unheilbar  ist;  femer  noch  da- 
durch,  dass  die  choreatischen  Bewegungen  im  Gegensatze  zur  gewöhnlichen 
Chorea  durch  den  Willen  vorübergehend  unterdrückt  werden  können.  Reine, 
derartige  Fälle  sind  bis  jetzt  sehr  selten  und  ausser  dem  in  letzter  Zeit  auf  der 
Züricher  Klinik  beobachteten  und  von  Hübeb  näher  beschriebenen  FsJle  sind 
nur  noch  8  oder  4  Fälle  genauer  bekannt  geworden,  welche  bereits  Pebetti^ 
angeführt  hat  In  Folge  dessen  dürfte  die  Mittbeilung  des  folgenden  Falles  von 
Interesse  sein. 

W aus  Bufach,  zur  Zeit  45  Jahre  alt,  wurde  am  28.  Juni  d.  J.  in 

die  hiesige  Anstalt  aufgenommen.  Anamnestisch  ergab  sich,  dass  der  Kranke 
eine  schlechte  Erziehung  genossen  hat,  nicht  lesen  und  nur  seinen  Namen 
schreiben  kann.  Er  ist  früher  stets  gesund  gewesen  bis  vor  4  Jahren,  um 
welche  Zeit  die  jetzt  bestehendo  Bewegungsstörung,  von  der  weiter  unten  die 
Bede  sein  wird,  anfing  sich  zu  entwickeln.  Seit  etwa  2  Jahren  ist  er  arbeits- 
unfähig; seitdem  soll  er  öfter  sehr  erregt  und  sehr  reizbar  sein,  seine  Frau  miss- 
handeln, gelegentlich  in  der  Aufregung  Alles  zerreissen  und  zerstören,  vras  ihm 
zwischen  die  Finger  komme  und  eine  sehr  starke  Esslust  zeigen.  Später  kam 
er  in*s  städtische  Spital,  zeigte  auch  dort  gelegentlich  stärkere  Erregungszustände 
mit  Neigung  zum  Zerreissen  und  kam  schliessUch,  da  er  bereits  mehrere  Male 
entwichen  war,  in  unsere  Anstalt. 

W.  ist  ein  mittelgrosses,  ziemlich  gut  genährtes  Individuum,  dessen  Schädel 
und  Gesichtsbildung,  abgesehen  von  einer  relativen  Schmalheit  der  Stirn,  nichts 
Abnormes  erkennen  lässt  In  seiner  äusseren  Erscheinung  fallen  sofort  eigen- 
thümliche,  ungeordnete  und  zwecklose  Bewegungen  auf,  die  sich  anscheinend  in 
seiner  gesammten,  willkürüch  innervirten  Musculatur  abspielen«  Der  Kopf  wird 
bald  hierhin,  bald  dorthin  gedreht,  das  Gesicht  auf  das  Wunderlichste  verzerrt, 
indem  bald  diese,  bald  jene  Muskeln  in  Action  traten;  die  Arme  und  Beine 
vollführen  allerhand  schleudernde  und  zappelnde  Bewegungen,  während  der 
Bumpf  bald  nach  vorne,  bald  nach  hinten  oder  nach  den  Seiten  hin  bew^ 
wird.  Dabei  sind  im  Allgemeinen  die  Bewegungen  an  den  Extremitäten  inten- 
siver und  häufiger  als  im  Gedchte.  Die  Athmung  ist,  soweit  sie  durch  das 
Zwergfell  bedingt  wird,  regelmässig,  doch  kommen  nicht  selten  allerhand  schluch- 
zende und  schlürfende  Athemgeräusche  vor.    Der  Gang  wird  durch  die  Be- 

^  Berliner  klin.  Wochenschrift.  1885.  Nr.  50. 


—    35    — 

wegosgen  ganz  erheblich  gestört  Patient  vermag  sich  allerdings  ohne  Unter- 
stützung allein  fortzubewegen,  doch  geschieht  dies  in  sehr  auffälliger  und  müh- 
seliger Weise.  Bald  macht  er  kürzere,  bald  längere  Schritte,  bald  muss  er 
auc^  mitten  im  Gehen  stehen  bleiben,  um  unter  den  bestandig  zappelnden  und 
schleademden  Bewegungen  der  Gliedmaassen  und  des  Oberkörpers  das  Oleidi- 
gewieht  zu  behalten.  Versucht  man  ihn  mit  geschlossenen  Augen  und  Füssen 
stehen  zu  lassen,  so  tritt  keine  Verstärkung,  eher  eine  Verminderung  der  Be- 
w^uDgoi  auf. 

Bei  intendirten  Bewegungen,  z.  B.  beim  Ergreifen  eines  Gegenstandes  ver- 
mag Fat.  vorübergehend  die  Muskelunruhe  in  den  betreffenden  Muskelgebieten 
za  unterdrücken  und  die  gewollte  Bewegung  ziemlich  prompt  und  sicher  aus- 
zufahren, doch  ffillt  hierbei  auf,  dass  er  inmier  eine  gewisse  Zeit  gebraucht,  ehe 
er  die  Bew^;ung  vollführt  Sind  die  Bewegungen  complicirter  und  nehmen  sie 
längere  Zeit  in  Anspruch,  wie  z.  B.  das  Aus-  und  Ankleiden,  so  werden  die 
Eiozelbewegungen,  die  mehr  oder  weniger  in  Absätzen  geschehen,  öfter  von 
ungeoräneten  Bewegungen  unterbrochen.  Heisst  man  ihn  seinen  Namen  schreiben, 
so  gelingt  dies  ziemlich  gut;  lässt  man  ihn  aber  denselben  gleich  darauf  zum 
zweiten  Male  schreiben,  so  gerathen  die  Buchstaben  in  einander  und  die  Schrift 
erhält  einen  choreatischen  Charakter.  Die  Zunge  kann  nur  schlecht  vorgebracht 
werden;  hie  und  da  gelingt  es  dem  Kranken,  zumal  in  seinen  besseren  Zeiten, 
dieselbe  ziemlich  gerade  vorzustrecken,  zumeist  aber  macht  er  beim  Hervor- 
strecken aUerhand  ungeordnete  Bewegungen  und  gelegentlich  bringt  er  sie  über- 
haupt nicht  über  die  Lippen  heraus,  sondern  wälzt  sie  vergeblich  im  Munde 
herum.  Die  Sprache  ist  ziemlich  monoton ;  die  einzelnen  Worte  kommen  meist 
weoig  artieuürt,  verschwommen  heraus  und  lässt  der  Kranke  beim  Sprechen 
öfter  Pausen  zwischen  den  einzelnen  Worten  eintreten.  Die  intendirten  Augen- 
bewegungen geschehen  zumeist  prompt,  doch  werden  auch  sie  gelegentlich  durch 
unwülkürliche  Bewegungen  gestört.  Fühlt  der  Kranke  sich  beobachtet,  so  tritt 
nur  eine  geringe  Verstärkung  der  choreatischen  Bewegungen  auf,  dagegen  ist 
dieselbe  sehr  ausgesprochen,  sowie  der  Kranke  in  Erregung  geräth.  Versuche 
die  Aufmerksamkeit  des  Kranken  auf  G^nstände  zu  concentriren  oder  aber 
die  gdstige  Thätigkeit  desselben  sonstwie  in  erhöhtem  Maasse  in  Anspruch  zu 
nehmen,  lassen  keine  merkliche  Absohwächung  der  Bewegungen  erkennen.  Im 
Schlafe  hören  dieselben  vollkommen  auf.  Zeitweise  scheinen  jedoch  aus  unbe- 
kannten Gründen  Unterschiede  in  der  Stärke  und  Ausbreitung  der  Bew^ungen 
TOTzukommen,  wenigstens  beobachtete  man,  dass  zeitweise  die  Bewegungen  ohne 
nachweisbaren  Grund  viel  schwächer  und  wenige  ausgebreitet  waren,  als  an 
anderen  Tftgen.  Die  Musculatur  ist  durchw^  gut  entwickelt,  die  grobe  moto- 
rische^ Kraft  nicht  vermindert.  Die  Patellimr^exe  sind  beiderseits  nicht  ver- 
stärkt, eher  noch,  wenigstens  rechts  schwächer  als  normal.  Sonstige  Sehnen- 
reflexe sind  nidit  hervorzurufen.  Die  mechanische  und  reflectorische  Muskel- 
erregbarkeit ist  nicht  gesteigert  Die  elektrische  Untersuchung  ergiebt  keine 
abweichenden  Besultate.  Die  Sensibilität  scheint  vollständig  intact  zu  sein,  soweit 
sich  dies  bei  dem  wenig  aufinerksamen  Kranken  feststellen  lässt  Im  XJebrigen 


—    36    — 

bietet  der  Kranke  wenig  AuffiLlliges  in  seinem  äusseren  Verbalten  dar.  Er  hält 
sich  rahig  und  geordnet,  schläft  ziemlich  gut,  entwickelt  aber  immer  noch  einen 
sehr  guten  Appetit,  den  er  seiner  eigenen  Angabe  nach  sät  dem  Beginne  des 
„Zittems^^  hat  Eine  stärkere  Reizbarkeit  und  großsere  Erregbarkeit  wurde  nur 
zeitweise  bei  dem  Patienten  bemerkt,  doch  kamen  eigentliche  Aufiregungszustände 
nicht  vor.  Dagegen  Mt  bei  demselben  eine  gewisse  Uneinsichtigkeit  und  Kritik- 
losigkeit hinsichtlich  seines  eigenen  Zustandes  auf.  Er  behauptet  beständig,  zur 
Arbeit  fähig  zu  sein,  trotzdem  er  daheim  bereits  2  Jahre  nicht  mehr  gearbeitet 
hat  und  sich  auch  hier  mehrere  Versuche,  einfache  leicht«  Beschäftigungen  aus- 
zuführen, als  unmöglich  erwiesen.  Trotzdem  kommt  er  immer  wieder  darauf 
zurück,  erklärt  die  Angaben,  dass  er  daheim  nicht  gearbeitet  habe,  für  Lügen, 
die  absichtlich  gemacht  worden  wären,  um  ihn  hierher  bringen  zu  können. 
Daneben  deutet  er  auch  noch  sonstige  Beeinträchtigungsideen  an,  von  denen  er 
beherrscht  zu  sein  scheint  Der  Maire  und  andere  Leute  hätten  ihm  allerhand 
üebles  zugefügt,  hatten  ihn  von  Hause  fortgenommen  und  in's  Spital  gesteckt 
und  seien  überhaupt  Schuld  daran,  dass  er  „zittre"  etc.  Sowie  er  auf  »dieses 
Thema  zu  sprechen  kommt,  geräth  er  allemal  in  eine  gewisse  Err^^ng  hinein, 
wobei  dann  der  ganze  Körper  durch  die  choreatischen  Bewegungen  hin  und  her 
geschüttelt  wird.  Seine  Litelligenz  ist  eine  sehr  massige,  doch  lässt  sich  nicht 
genau  feststellen,  in  wie  fern  die  höchst  mangelhafte  Erziehung  daran  Schuld  tragt. 

Nachforschungen  über  die  erblichen  Verhältnisse  des  Patienten  haben  nun 
das  überraschende  Resultat  ergeben,  dass  die  gleiche  Bewegungsstörung  sich 
bereits  in  mehreren  Generationen  bei  verschiedenen  Familienmitgliedern  gezeigt 
hat  Leider  sind  die  erhaltenen  Nachrichten  trotz  mehrfacher  Bemühungen 
ziemlich  mangelhafte  und  hatte  ich  auch  persönlich  keine  Oelegenheit,  noch 
andere  von  der  Erkrankung  ergriffene  Familienmitglieder  zu  sehen.  Die  sicheren 
anamnestischen  Erhebungen,  welche  gemacht  werden  konnten,  reichen  zurück 
bis  auf  die  Grosseltem  des  Patienten  und  da  ergiebt  sich,  dass  der  Grossvater 
mütterlicherseits,  sowie  zwei  seiner  Brüder  die  gleiche  y,ZitterkTankheit''  gehabt 
haben,  während  eine  Schwester  desselben  geisteskrank  in  einer  Lrrenanstalt  starb. 
Ob  Letztere  auch  die  gleiche  Erkrankung  hatte,  liess  sich  nicht  mehr  feststellen. 
Von  diesem  Grossvater  stammten  3  Kinder  ab,  zwei  Söhne  und  eine  Tochter. 
Der  eine  Sohn  lebt  noch  und  hat  dieselbe  „Zitterkrankheit'S  während  der  andere 
draussen  in  der  Fremde  verstorben  ist,  ohne  dass  man  etwas  Näheres  über  sein 
Schicksal  anzugeben  weiss.  Die  Tochter,  die  Mutter  unseres  Patienten,  errachte 
ein  Alter  von  etwa  45  Jahren  und  hat  mehrere  Jahre  vor  ihrem  Tode  gleich- 
falls an  derselben  Erkrankung  gelitten.  Auch  von  den  Nachkommen  der  Brüder 
des  Grossvaters  sollen  verschiedene  die  „Zitterkrankheit''  gehabt  haben,  doch 
liess  sich  Genaueres  darüber  nicht  erfahren.  Patient  selbst  hat  zur  Zeit  noch 
zwei  lebende  Geschwister,  nämlich  eine  47  Jahre  alte,  verbeirathete  Schwester, 
welche  seit  einigen  Jahren  von  derselben  Krankheit  befallen  ist  und  einen  zur 
Zeit  42  Jahre  alten  Bruder,  bei  dem  sich  vor  Kurzem  die  ersten  Spuren  des- 
selben Leidens  eingestellt  haben.  Die  vier  Kinder  des  Patienten  sollen  bis  jetzt 
wenigstens  gesund  sein,  doch  soll  das  älteste,  ein  12jähriges  Mädchen,  gelegent- 


—    37    — 

lieh  Zucken  im  Oesichte  haben.  Leider  haben  wir  keine  näheren  Nachrichten 
darüber  erhalten  können,  ob  bei  dem  noch  lebenden  Onkel  des  Patienten,  sowie 
bei  dem  Grossvater  und  dessen  Geschwistern  die  Bewegungsstörung  auch  erst 
im  späteren  Alter,  beziehungsweise  nach  dem  40.  Lebensjahr  aufgetreten  ist, 
doch  lässt  wohl  der  Umstand,  dass  die  Betreffenden  sich  verheirathet  haben, 
darauf  schliessen,  dass  auch  bei  ihnen  die  Störung  erst  im  späteren  Leben  sich 
entwickelt  hat.  Wir  können  also  in  unserem  Falle  die  gleiche  Erkrankung 
durch  3  Generationen  hindurch  yerfolgen  und  finden  dabei  die  bemerkenswerthe 
Thatsache,  dass  bei  denjenigen  Familienmitgliedern,  von  welchen  wir  genau 
anamnestische  Daten  besitzen,  die  Erkrankung  anscheinend  genau  in  demselben 
Lebensalter,  zwischen  dem  40.  und  42.  Lebensjahre  zur  Entwickelung  kam. 
Ein  ganz  analoges  Verhalten  fand  sich  in  den  Fällen  von  Ewald  und  in  dem 
fiiCHHOBST-HuBEB'schen  Falle,  da  in  dem  ersteren  das  35—37.,  in  dem  letzteren 
das  30.  Lebensjahr  die  kritische  Zeit  war,  in  der  die  Bewegungsstörungen  bei 
den  einzelnen  Familienmitgliedern  auftraten. 

Nach  der  obigen  Darstellung  kann  es  wohl  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass 
es  sich  in  unserem  Falle  genau  um  die  gleiche  Störung  handelt,  wie  sie  Pesetti, 
Ewald  etc.  beschrieben  haben  und  die  Eiohhobst  mit  Recht  als  eine  Neben- 
form der  gewöhnlichen  Chorea  hinstellt.  Denn  das  inmierhin  auffallige  Symptom, 
dass  die  betreffenden  Kranken  im  Stande  waren,  vorübergehend  die  ungeordneten 
Bewegungen  zu  unterdrücken,  dürfte  allein  kaum  genügen,  um  einen  wesent- 
lichen Unterschied  zwischen  den  beiden  Erankheiteformen  zu  bedingen.  Es 
dürfte  dies  umsoweniger  der  Fall  sein,  wenn  man  bedenkt,  dass  jene  Fähigkeit 
vorübergebend  die  Bewegungen  zu  unterdrücken  ganz  erhebliche  Schwankungen 
erkennen  lässt  und  zeitweise  sogar  vollständig  verloren  gehen  kann.  Wenigstens 
worden  bei  unserem  Patienten  derartige  erhebliche  Schwankungen  beobachtet 
and  zeigte  es  sich,  dass  Fat  um  so  leichter  und  sicherer  die  choreatischen  Be- 
wegungen unterdrücken  konnte,  je  schwächer  und  vereinzelter  dieselben  auf- 
traten, dass  er  aber  alle  oder  fast  alle  Herrschaft  über  dieselben  verlor,  wenn 
sie  h^tig  und  möglichst  allgemein  verbreitet  waren.  Eine  Ursache  für  diese 
auf  läi^ere  Zeit  hin  auftretenden  Unterschiede  in  der  Jn-  und  Extensität  der 
Bewegungen,  denen  man  ja  auch  bei  der  gewöhnlichen  Chorea  begegnet,  Hess 
sich  nicht  nachweisen,  dagegen  beobachtete  man,  dass  jeder  Affect  vorübergehend 
die  Bewegungen  verstärkte.  Für  den  innigen  Zusammenhang  der  uns  hier 
interessirenden  Fälle  mit  der  gewöhnlichen  Chorea  spricht  femer  der  Umstand, 
dass  ähnlich,  wie  in  dem  einen  Falle  von  Pebetti,  unser  Patient  in  jenen 
Perioden,  wo  die  choreatischen  Bewegungen  sehr  stark  und  verbreitet  waren, 
anch  psychisch  reizbarer,  empfindsamer  und  heftiger  war,  nirgendwo  Buhe  fand 
ond  ungestümer  nach  Hause  verlangte.  Dieses  parallele  Zusammengehen  von 
motorischen  und  psychischen  Erscheinungen  findet  man  bekannüich  auch  nicht 
selten  bei  der  gewöhnlichen  Chorea  und  sind  es  bei  der  Letzteren  im  grossen 
Ganzen  die  gleichen  psychischen  Symptome,  wie  stärkere  Reizbarkeit,  Yerdriess- 
Mkeit,  Neigung  zu  zornigen  Ausbrüchen  etc.,  die  analog  wie  in  diesem  Falle 
in  Perioden  stärkerer  Muskelunruhe  sich  bemerkbar  machen. 


—    38    — 

2.    Ein  Fall  von  Dyslexie  (Berlin)  mit  Störungen  der 

Schrift. 

Von  Dr.  Ludwig  Bruns,  Specialarzt  für  Nervenkranke  in  Hannover. 

Unter  der  Bezeichnung  Dyslexie  hat  Prof.  Beblin*  in  Stuttgart  6  Fälle 
eines  Erankheitsbildes  beschrieben,  das  sich  in  Kürze  etwa  folgendermaa^en 
charaktensiren  lässt: 

Zunächst  und  vor  allem  besteht  eine  Erschwerung  des  Lesens  (Dys-lexia), 
die  es  dem  Kranken  unmöglich  macht,  ^ine  grössere  Anzahl  von  Worten  hinter- 
einander zu  lesen;  vielmehr  tritt  meist  schon  beim  4.  oder  5.  Worte  eine  Un- 
fähigkeit weiter  fortzufiihren  ein.  Meist  sind  den  Patienten  diese  Leseversache 
äusserst  unangenehm  und  mit  deutlichen  Zeichen  des  Widerwillens  legen  sie 
die  Leseproben,  nachdem  die  Unmöglichkeit  weiter  zu  lesen  eingetreten  ist,  aus 
der  Hand.  Nach  einiger  Zeit  der  Buhe  kann  ungeMr  die  gleiche  Anzahl  von 
Worten  wieder  gelesen  werden.  Kie  kommt  es  vor,  dass  die  Patienten  sich 
verlesen.  Störungen  an  den  äusseren  Sehorganen  sind  entweder  überhaupt  nicht 
vorhanden  (namentlich  fehlen  immer  die  Orundlagen  der  sogenannten  Hebetudo 
Visus  wie  nervöse,  accommodative  oder  musculäre  Asthenopie)  oder  dieselben  (es 
bestand  z.  B.  Cataracta  incipiens,  Presbyopie,  einmal  auch  r.  Hemianopie)  ver- 
mögen das  Symptom  nicht  zu  erklären.  Die  Krankheit  tritt  meist  plötzlich, 
apoplectiform  auf;  manchmal  ohne  besondere  Vorboten:  nicht  selten  sind  aber 
ernstere  cerebrale  Störungen,  Kopfechmerzen,  Schwindelerscheinungen,  äpoplecti- 
forme  Anfalle,  auch  aphatische  Störungen  vorhergegangen.  In  der  Anamnese 
wird  öfter  Lues  erwähnt  Das  Symptom  der  Dyslexie  ist  von  ernster  prognostischer 
Bedeutung:  es  weist  jedesmal  auf  ein  schweres  cerebrales  Leiden  bin,  welches 
progressiv  verläuft  und  in  absehbarer  Zeit  zum  Tode  führt  Es  konmit  im 
späteren  Verlaufe  meist  noch  zu  erneuten  apoplectischen  oder  epileptiformen 
Anfallen  mit  nachfolgenden  Lähmungs-  oder  Beizerscheinungen:  Fadaliszucken, 
Hemiparesen,  Pelzigsein  der  Extremitäten,  welche  Erschemungen  immer  die 
r.  Körperhälfte  betreffen.    In  einem  Falle  entwickelte  sich  progressive  Fiaraljse 

Bei  4  Sectionen  fand  sich  einmal  ein  linksseitiger  Erweichungsheerd,  zwei- 
mal Arteriosklerose,  besonders  links,  einmal  der  gewöhnliche  Befund  der  allge- 
meinen Paralyse:  es  waren  also  stets  Läsionen  der  linken  Hemisphäre  zu  finden. 
Bebun  glaubt  berechtigt  zu  sein,  die  Krankheit  als  eine  unvollkommene,  isolirte 
Wortblindheit  zu  bezeichnen  und  die  Hypothese  aufzustellen,  dass  der  anatomische 
Heerd  der  dyslectischen  Störung  möglicherweise  im  unteren  Parjetalwulst  der 
linken  Hemisphäre  zu  suchen  sei.  Ein  diese  Annahme  stützender  Sectionsbefund 
wird  durch  eine  Tafel  erläutert,  doch  warnt  B.  in  letzter  Beziehung  selbst  vor 
zu  grosser  Sicherheit. 


^  WanderverBMDmliing  südwestdentsoher  Neurologen  nnd  Irrenärzte  18S8.  Beferat  im 
Archiv  f!lr  Psychiatrie  XY.  S.  276  nnd  Medecinisches  Coirespondenzblatt  des  Württemberg. 
ärztL  Landesvereines  LIIL  209.  Ferner:  Eine  besondere  Art  von  Wortblindheit  (Dyslexie). 
Wiesbaden.  Bbbghann.    Cf.  Beferat  am  Schlosse  dieser  Nummer. 


—    39    — 

Die  Schiift  hat  Berlin  nicht  untersucht.  Nieden^  fand  in  einem  sonst 
gleichen  Falle  (3  apoplectische  Heerde  im  linken  (Corpus  striatum)  keine  Störung 
des  Schreibens  nach  Dictat;  die  übrigen  Schreibarten  wurden  nicht  untersucht. 
In  diesem  Falle  traten  die  TJnlusterscheinungen  bei  Leseversuchen  so  stark  auf, 
dass  KiBDEM  yon  Lesescheu  (in  Analogie  zu  Wasserscheu)  spricht 

Ich  werde  nun  zunächst  Krankengeschichte  und  Sectionsbefand  meines 
Falles  so  kurz  wie  möglich  mittheilen.  Die  YeroflFentlichung  wird  sich,  wie  ich 
glaabe,  dadurch  rechtfertigen,  dass  hier  zum  ersten  Male  in  einem  Falle  von 
Dyslexie  die  Spontanschritt  und  die  Schrift  nach  Vorlage  geprüft  ist  und  dass 
sie  gewisse  Abweichungen  bot,  die  von  allgemeinerem  Interesse  sind. 

W.  W.,  Eanfmaim  aus  Hannover,  46  Jahre  alt.  In  hereditärer  Beziehung  kerne 
Besonderheiten;  der  Yater  starb  am  Gehirnschlag.  Vor  20  Jahren  Lues,  ohne  be- 
sonder schwere  secundäre  Erscheinungen.  Seit  7  Jahren  in  jedem.  Frühjahr  wieder- 
kehrende Anfalle  von  Gelenkrheumatismus,  der  nach  Angabe  des  Hausarztes  auch  das 
Herz  in  Mitleidenschaft  gezogen  haben  soll.  Massiger  Abnsus  spirituosorum.  Fat. 
war  zweimal  verheirathet;  ans  erster  Ehe  stammen  zwei  noch  lebende,  taubstumme 
Kinder,  in  zweiter  Ehe  sind  zwei  Kinder  nach  einigen  Tagen  gestorben,  emes  wurde 
todtgeboren,  zwei  noch  lebende  Kinder  sind  anscheinend  gesund,  das  jüngste  erst 
einige  Monate  alt.  Seit  zwei  Jahren  leidet  Fat.  an  heftigen  Schwindelanfällen,  die 
im  Laufe  eines  Jahres  5 — 6mal  eintreten,  meist  gegen  Mittag.  Der  Schwindel  ist 
so  heftig,  dass  Fat  nmfällt:  dabei  tritt  Schwarzsehen,  hinterher  auch  Fhotopsien  auf. 
Nach  den  Anfällen  heftiger  Stimkopfschmerz,  Erbrechen  und  Gedächtnissschwäche. 
Am  13.  Juni  1886,  nachdem  sich  Fat.  schon  längere  Zeit  sehr  schlecht  befanden 
hatte  (häufiges  Erbrechen,  Kopfschmerz,  Schwindel,  schwankender  Gang),  trat  un- 
mittelbar nach  einem  stärkeren  excessus  in  potu  ein  Schlaganfall  auf.  Dabei  bestand 
zwei  Tage  Bewusstlosigkeit,  die  linke  Seite,  auch  Gesicht  und  Zunge,  waren  gelähmt. 
Zunächst  bestand  auch  motorische  Aphasie:  das  SprachverständnJss  war  erhalten. 
Hemiplegie  und  Aphasie  besserten  sich  rasch  und  Fat.  konnte  bald  wieder  seinen 
Geschäften  nachgehen.  Dafllr  traten  dann  aber  sehr  bald  unter  steter  Wiederholung 
der  oben  beschriebenen  SchwindelanföUe  Störungen  im  Lesen  ein,  die  uns  unten  näher 
beschäftigen  werden  und  äusserst  heftige  SchmerzanföUe,  die  von  der  Höhe  der 
6.  Bippe  links  dicht  neben  der  Wirbelsäule  ausgingen,  zum  Kopfe  aufstießen,  in 
beide  Arme  ausstrahlten  und  sich  fast  stündlich  wiederholten,  sodass  Fat.  beabsich- 
tigte, sein  Geschäft  aufzugeben  und  nur  der  Behandlung  seines  schweren  Leidens  zu 
leben.  Diese  SchmerzanfäUe  waren  es,  die  den  Hausarzt  Herrn  Dr.  Jükes  veranlassten, 
mir  den  Fat  zu  überweisen:  derselbe  hat  dann  die  weitere  Behandlung  und  wissen- 
schaftliche Yerwerthung  des  Falles  in  liebenswürdigster  Weise  mir  ütwrlassen. 

Am  12.  März  1887  Mittags  nahm  ich  unter  gütiger  Hülfe  des  Augenarztes 
Herrn  Dr.  Stöltikq  von  hier  bei  dem  Fat.  folgenden  Status  auf:  Am  Schädel  äusser- 
lich  keine  Abnormität;  das  Beklopfen  besonders  am  Scheitel  schmerzhaft,  Schütteln 
erregt  lebhaftes  Schwindelgefühl. 

Aagen  (Herr  Dr.  Stöltino):  die  Beweglichkeit  der  Bulbi  ist  in  keiner  Weise 
beeinträchtigt,  die  motorische  Kraft  der  einzelnen  Muskeln  gut,  keine  Insufficienz  der 
Mm.  recti  intemi.  Die  FupiUen  gleich  woit,  sämmtliche  Arten  der  F.  B.  normal.  Es 
besteht  beiderseits  Cataracta  incipiens,  links  etwas  weiter  vorgeschritten.  S=®/g  B. 
=*/23  L,  in  der  Nähe  wutL  Sn  I  ^/^  in  richtiger  Entfernung  ohne  Convezglas  gelesen. 
Die  Papillen  sind  beiderseits  etwas  hyperämisch,  ihre  Grenzen  etwas  verwischt,  doch 
besteht  jedenfalls  keine  Stauungspapille.     Eine  Neuritis  ^optica  ist  nicht  sicher  aus- 

^  Tagebl.  der  NatarforaeherverBammliing.  BerUn  1886.  S.  156  und  Arch.  f.  AugenheUk. 
Bd.  XVn  S.  162.    Cf.  d.  GtrlbL  1887.  S.  105. 


Euschliessen,  dodi  uauh  dem  übrigen  Befunde  (soiris  dem  weiteren  Verlaufe  ond  den 
'     ~  der  Autopsie:   Dr.  STöi<TiNa)  nicht  wKiuscheinlicb.    Di«  Geaiclitafeldei 

für  Weiss  und  Farben  intact.  Aus- 
gespiocliene  fieriin'gche  Dyslexie:  mit 
Sn  VI  tritt  nach  dem  Lesen  von 
einigen  wenigen  Worten  die  Unmög- 
lichkeit weiter  fortzatahren  ein.  Pat. 
wendet  plötzlich  den  Kopf  sb,  wird 
offenbar  erregt  und  sucht  die  Lese- 
probe geradezu  mit  einer  gewissen 
ängstlichen  Ungeduld  dem  Ante  wie- 
der einznh&ndigen.  AnsdrflcUich  con- 
statirt  er  auf  Befragen,  dass  nicht 
etwa  Verdunkelungen  des  Gesichts- 
feldes, Verschwimmen  der  Buchstaben 
ihm  am  Weiterlesen,  hindere:  es  be- 
stand also  keine  sog.  Hebetudo  visua, 
wie  ja  übrigens  schon  aus  dem  Status 
hervorgeht.  Nach  einiger  Zeit  der 
Rnhe  vermag  PaL  wieder  dieselbe 
Arbeit  zu  leisten.  Diese  Lesestdnmg 
war  bei  mehrfach  wiederholten  Ver- 
snoben, die  immer  in  dieselbe  T^:es- 
züt  fielen,  stets  in  derselben  Weise 
vorhanden. 

Von  der  Schritt  (Fat.  ist  rechts- 
händig) wnrde  eine  Probe  der  spon- 
tanen und  eine  solche  nach  Vorlage 
angefertigt.  Während  die  Spontan- 
schrift ii^end  welche  Besonderheiten 
nicht  bietet,  sogar  kaufmännisch  ele- 
gant ist  von  Anfang  bis  zu  Ende,' 
tritt  bei  der  Schrift  nach  der  Vor- 
lage, die  gleich  hinter  der  ersteren 
angefertigt  wurde,  sofort  eine  Aende- 
mng  der  SchriftzQge  ein.  Die  Schrift 
verliert  ihre  Eleganz,  die  Grundstriche 
erheben  sich  nur  wenig  Aber  die  Linie, 
die  Haarstriche  werden  so  dick  wie 
die  Gnindsbiehe.  Schliesslich  sieht 
die  ganze  Schrift  ans,  „wie  mit  dem 
Besensüel  geschrieben".  Pat  klagt 
dabei,  dass  ihm  der  Arm  immer  steifer 
werde,  zuletzt  entölt  die  Feder  seiner 
Hand.  Das  Ganze  macht,  isolirt  be- 
trachtet, entschieden  den  Eindruck,  als 
wenn  Pat  an  Schreitwkrampf  litte. 
Eine  Probe  der  Dictatschrift  die  such 
beabsichtigt  war,  wurde  bei  der  hoch- 
gradigen  EnnftduDg   des   Fat  nicht 

1  In  die  umstehende  Nachbildung  ist  der  Raamenparnias  wegen  nni  ein  Theil  der 

DutanBehriftprobe  auf^nonuueo. 


—    41     — 

angeBtellt  Ich  werde  weiter  unten  im  Zusammenhange  mit  den  übrigen  epikritiechen 
Bemerkungen  yersuchen^  meine  Ansicht  über  diese  Art  von  Schreibstömng  darzulegen, 
lieber  die  Zeit,  wann  die  schweren  Störungen  des  Lesens  eingetreten  sind,  weiss  Fat. 
Genaues  nicht  anzugeben.  Sie  haben  sich  langsam  seit  der  Zeit  des  Schlaganfalles 
bis  zu  ihrer  jetzigen  Höhe  entwickelt.  Uebrigens  sind  sie  so  hochgradig  erst  von 
der  Mitte  des  Tages  an,  wenn  Fat.  schon  einige  Stunden  im  Geech&ft  th&tig  gewesen 
ist;  des  Mozgens  unmittelbar  nach  der  Nachtruhe  vermag  Fat.  eine  ganze  Seite  seiner 
ziemlieh  grossen  Zeitung  zu  lesen.  Dadurch  unterscheidet  sich  mein  Fall  in  etwas 
von  den  Berlinischen;  im  Nieden'schen  Falle,  treten  allerdings  bei  offenbar  fort- 
schreitender Besserung,  auch  Schwankungen  im  Grade  der  Lesestörung  auf;  die 
charakteristische  Störung  seiner  Schrift  schien  dem  Fat.  bisher  überhaupt  entgangen 
zu  sein;  er  hatte  wohl  Abschriften  seit  längerer  Zeit  nicht  mehr  gemadit. 

Die  weitere  Untersuchung  ergab  noch  kurz  Folgendes:  Eine  deutliche  Be- 
hinderung der  Sprache  ist  nicht  vorhanden,  auch  schwierige  Worte  werden  gut 
nachgesprochen.  Keine  Spur  sonstiger  aphatischer  Störungen.  Die  übrigen  Sinne 
bieten  normalen  Befund,  nur  der  Geruch  ist  auf  dem  rechten  Nasenloche  etwas 
herabgesetzt.  In  den  Facialisgebieten  bei  mimischen  Bewegungen  leichtes  Zittern; 
die  linke  Nasolabialfalte  etwas  flacher  als  die  rechte,  der  rechte  Mundwinkel  etwas 
nach  unten  verzogen.  Die  linke  H&lfte  des  Gaumenthores  etwas  kleiner  als  die 
rechte;  das  Gaumensegel  hebt  sich  bei  Fhonation  links  etwas  weniger  als  rechts.  Die 
Zunge  wird  gerade  hervorgestreckt,  zittert  etwas. 

Die  grobe  Kraft  der  linken  Extremitäten  ist  viel  geringer  als  die  der  rechten. 
An  den  oberen  Extremitäten  sind  sonst  alle,  auch  die  feineren  Bewegungen  intact» 
es  besteht  keine  Ataxie.  Der  Gang  zeigt  nichts  Abnormes,  die  linke  Unterextremität 
wurd  nicht  nachgeschleppt.  Die  Fatellarreflexe  sind  gleich,  nicht  erhöht.  Es  besteht 
leichtes  Bomberg'sches  Symptom.  Die  Sensibilität,  auch  Muskelsinn  und  Lagegefühl, 
im  Uebrigen  intact;  die  Algesie  ist  aber  links  entschieden  gegenüber  rechts  herab- 
gesetzt Die  Intelligenz  ist  im  Wesentlichen  intact,  doch  will  Fat  selber  eine  Ab- 
schwächnng  des  Gedächtnisses  bemerkt  haben  und  fSAli  ihm  das  Rechnen  schwer. 
Die  Stimmung  ist  eine  deprimirt  apathische. 

Die  Untersuchung  der  übrigen  Organe  ergab  schliesslich  noch  Folgendes:  Kachek- 
tischer  Habitus.  Leichte  Arythmie  des  Fulses.  Starke  Schlängelung  der  Temporal- 
gefässe;  kein  deutlicher  Befund  am  Herzen.  Im  Urin  weder  Eiweiss  noch  Zucker. 
Suspectes  Exanthem  der  Stirn.  Grosser  Defect  der  Glans  penis  am  Sulcus  retro- 
glandularis.  Wirbelsäule  für  gewöhnlich  auf  Druck  nicht  schmerzhaft;  während  der 
m  der  Anamnese  erwähnten  Schmerzanfälle  Druckschmerzhaftigkeit  des  5.  und  6.  Brust- 
wirbels. 

Eine  sichere  Diagnose  war  in  diesem  Falle  nicht  zu  stellen.  Manche  Symp- 
tome legten  den  Qedanken  an  einen  Tomor  nahe,  der  dann  wohl  ein  Gumma 
mit  rechtsseitigem  Sitze  war;  andererseits  konnte  man  w^en  der  Sohmerzanfalle 
an  eine  spedfische  Meningitis  der  Medulla  spinalis  und  des  Gehirns  denken, 
wogegen  allerdings  der  Mangel  einer  schweren  Afiection  irgend  welcher  Gehim- 
nerven  sprach;  am  nächsten  lag  wohl  die  Annahme  einer  syphilitischen  Erkran- 
kung der  Himgefasse  und  in  Folge  dessen  mehrfacher  kleinerer  und  eines 
grösseren  Erweiohungsheerdes.  Der  letztere  war  dann  die  Ursache  der  linken 
Hemiplegie,  hatte  deutliche  linke  Hemiparese  zurückgelassen  und  musste  also 
seinen  Sitz  in  der  rechten  Hemisphäre  haben. 

Die  Behandlung  des  Fat  bestand  zunächst  in  der  Verordnung  grösserer  Dosen 
von  Jodkali.  Daneben  wurde  eine  galvanische  Behandlung  der  schmerzhaften  Bücken- 
und  Wirbelsäulenpartien   vorgenommen.    Im   Anfang   April  war  ich   genöthigt,   auf« 


—    42    — 

längere  Zeit  zu  yerreisen;  doch  setzte  Herr  Dr.  Jukes  die  galvanische  Behandlang 
fort,  die  dann  auch  den  Erfolg  hatte,  die  Schmerzanf&lle  vollständig  zu  vertreiben. 
Aach  die  übrigen  Symptome  hatten  sich  gebessert,  als  im  Mai  wieder  Erscheinungen 
von  Seiten  des  Herzens  auftraten. 

Allgemeines  Oedem,  Eiweiss  im  Urin,  hochgradigste  Athemnoth,  Krampfhasten 
und  Präcordialangst,  alles  besonders  schlimm  m  der  Naht,  sodass  an  Schlaf  gar  nicht 
za  denken  war,  quälten  den  armen  Kranken  auf*s  Furchtbarste.  Nur  grosse  Dosen 
Chloral  und  der  Aufenthalt  im  Lehnstuhl,  auch  Nachts,  verschafften  einige  Linderung. 
In  den  letzten  Wochen  traten  dazu  auch  heftige  ängstliche  Delirien.  Lesen  und 
Schrift  wurde  in  dieser  Zeit  nicht  wieder  geprüft. 

In  der  Nacht  vom  6.  zum  7.  Juli  apoplectischer  Anfall.  Eine  Stunde  später 
totale  linksseitige  Lähmung  (auch  Stimaugenast  des  Facialis  und  der  Zunge),  links 
Blindheit  Vollständige  Besinnungslosigkeit  war  überhaupt  nicht  eingetreten,  eine 
Stunde  nach  dem  Anfall,  antwortete  Pat.  auf  Fragen  des  Arztes,  den  er  sofort  kannte, 
ganz  verständig. 

Am  8.  Juli  war  Pat.  soporös  und  delirirte.  Er  machte  automatische  Greif- 
bewegungen mit  der  rechten  Hand  und  es  bestanden  klonische  Zuckungen  im  rechten 
Arm  und  Bein  (Adductionsbewegungen  des  Oberarmes,  Pronationsbewegungen  des 
Unterarmes,  Adductionsbewegungen  des  Oberschenkels).  Die  linksseitige  schlaffe  Para- 
lyse bestand  fort.  Der  linke  Patellarreflex  fast  erloschen,  der  rechte  massig  stark. 
Urinretention,  Schlingbeschwerden. 

9.  Juli:  Blasen-  und  Mastdarm-Lähmung.  Unmöglichkeit  zu  Schlucken.  Bul- 
bäre  Sprache  des  delirirenden  Patienten.  Die  klonischen  Zuckungen  rechts  bestehen 
ohne  Pause  und  nehmen  zu.  Am  10.  Juli  rechts  charakteristische  Contractur  des 
Armes  und  Beines  und  bei  Bewegungen  des  Armes  (Pat.  griff  z.  B.  nach  einer  Fliege 
im  Gesicht)  Intentionszittem.  Links  schlaffe  Lähmung,  Westpharsches  Zeichen,  rechts 
lebhafter  Patellarreflex.  Acuter  Decubitus  der  linken  Hinterbacke  und  der  linken  Seite 
der  Glans  penis,  der  in  einer  Urinflasche  lag.  Lautes  diastolisches  Aortengeräusch. 
Temperatursteigerung  bis  39,2.     Am  11.  Juli  472  U^f  Morgens  Exitus  letalis. 

Die  Section  wurde  am  12.  Juli  3lVs  Stunde  p.  m.  unter  gütiger  Assistenz 
der  Herren  Dr.  Haoemakn  und  Dr.  Stölting  ausgeführt.  Die  betreffenden  Tage 
herrschte  grosse  Hitze.  Nur  die  Eopfsection  war  gestattet;  auch  war  es  nicht  mög- 
lich, genügendes  Material  zur  Härtung  und  mikroskopischen  Untersuchung  mitzunehmen, 
weshalb  auf  eine  solche  ganz  verzichtet  wurde.  Die  Section  ergab  folgenden  Befund: 
Das  Schädeldach  mit  der  Dura  namentlich  in  der  Gegend  des  Stirnbeines  ziemlich 
fest  verwachsen.  Das  Schädeldach  ziemlich  schwer,  Spongiosa  gering,  kein  Defect. 
Auf  Innen-  und  Aussenfläche  der  Dura  keine  Auflagerungen.  Die  Gefösse  der  Basis 
stark  atheromatös  degenerirt,  so  beide  Art  carotid.  intern.,  die  Arteria  basilaris, 
beide  Vertebrales,  dagegen  nicht  die  Artt.  fossae  Sylvii.  Eine  Embolie  oder  Thrombo- 
sirung  irgend  eines  grösseren  Q^fässes  nicht  vorhanden.  Die  Nerven  an  der  Him- 
basis  makroskopisch  normal.  Keine  circumscripte  Meningitiden;  dagegen  Trübung 
der  ganzen  Pia  und  Arachnoidea  an  der  Convexität»  besonders  die  Sulci  entlang. 
Die  Gyri  nirgends  abgeflacht.  Die  ganze  rechte  Hemisphäre  fast  breiig  weich,  die 
linke  von  guter  Consistenz;  die  Ventrikel  enthalten  weder  Blut  noch  grössere  Mengen 
Flüssigkeit;  das  Ependym  ist  glatt.  Auf  Frontalschnitten  sieht  man  rechts  in  der 
Substanz  des  Linsenkemes  und  nach  aussen  davon  einen  grösseren,  frischen  Er- 
weichungsherd, doch  ist  eine  genauere  Umgrenzung  desselben  bei  der  Zerflieasbar- 
keit  der  gesammten  rechten  Hemisphäre  nicht  zu  machen.  Die  innere  Kapsel  scheint 
jedenfalls  in  Mitleidenschaft  gezogen  zu  sein;  die  Wände  des  rechten  Seiten  Ventrikels 
sind  aber  intact  geblieben.  Ein  isolirter  älterer  Erweichungsheerd  wurde  nicht  auf- 
gefunden. Die  linke  Himhälfte,  wie  auch  Kleinhirn  und  Himstamm  zeigen  makro- 
•skopisch  keinen  Befund. 


—    43    — 

Die  anatomische  Diagnose  war  also,  soweit  sie  zu  stellen: 

Ausgesprochene  Atheromathose  der  meisten  grosseren  Hirn- 
arterien. Erweichungsheerd  im  rechten  Linsenkernes  und  in 
der  rechten  Capsula  externa. 

(Schluss  folgt.) 


n.  Referate. 

Anatomie. 

1)  Notia  zur  Nervenfttrbung.  —  Ueber  2  gesonderte  Nerrenbündel  in  der 
grauen  Axe  des  menBOhliohen  Büokenmarkes,  von  Dr.  J.  Pal.  (Sep.-Abdr. 
aus  den  medizinischen  Jahrbüchern.    Neue  Folge.    Jahrg.  1887.) 

Anknüpfend  an  seine  Veröffentlichung:  ,,Ein  Beitrag  zur  Ner?enfarbetechnik" 
(Medizinische  Jahrbücher.  Neue  Folge.  Jahrgang  1886.)^  giebt  der  Verf.  zuerst  eine 
Verbesserung  seiner  Methode  an.  Er  empfiehlt  nämlich  jetzt:  1)  Die  Stücke  sollen 
in  eben  schnittfahigem  Zustande  aus  der  Müller*schen  Flüssigkeit  zur  weiteren  Be- 
arbeitung entnommen  werden.  2)  Man  bereite  die  '/^^/o  Hämatozylinlösung  heiss 
und  setze  nach  dem  Erkalten  etwas  (wie  viel?)  Alkohol  zu.  Die  Lösung  sei  frisch 
und  werde  nicht  dem  Sonnenlicht  exponirt,  das  Lithion  carbonicum  werde  derselben 
erst  unmittelbar  vor  dem  Gebrauch  zugesetzt  und  zwar  2 :  100.  3)  Die  Schnitte 
bleiben  nur  5 — 6  Stunden  im  Farbstoff;  in  das  zum  Auswaschen  dienende  Wasser 
giesse  man  einige  Tropfen  Lithion  carbonicum.  Das  Entfärbungsverfahren  blieb  un- 
verändert.    Zur  Nachfarbung  wird  Alauncarmin  empfohlen. 

Diese  Methode  verwendete  Verf.  bei  einem  Bückenmark,  das  3  Stunden  post 
mortem  der  Leiche  entnommen  wurde.  Er  beobachtete  2  bisher  nicht  beschriebene 
Bündel.  Das  eine,  welches  im  IJebergangstheil  vom  Brust-  zum  Lendenmark  liegt, 
läuft  aus  dem  Hinterhom  in  den  Vorderstrang  und  senkt  sich  in  diesen  ein;  es  soll 
mit  keinem  der  schon  früher  beschriebenen  identisch  sein.  Das  zweite  wurde  auf 
der  Höhe  der  Halsanschwellung  gefunden.  Es  entsteht  in  der  äussersten  Spitze  des 
Seitenhoms,  passirt  die  seitliche  Ganglienzellengruppe,  giebt  an  die  Commissuren 
keine  Fasern  ab  und  scheint  auf  dem  Niveau  der  hinteren  Commissur  abzubiegen. 
Die  Fasern  sollen  von  mittlerer  Stärke  sein  und  sehr  dicht  liegen.  Die  Dicke  des 
Bündels  wird  auf  mindestens  ^/,  mm  geschätzt;  es  soll  von  vom  lateral  nach  hinten 
medial  aufsteigen  und  durch  Schiefstellung  des  Messers  getroffen  sein.  Ein  parallel 
zu  diesem  Bündel  verlaufendes  kürzeres  hat  Verfasser  in  den  grauen  Vordersäulen 
gesehen.  F.  Eronthal. 

Experimentelle  Physiologie. 

2)  Das  Bindenfeld  des  Facialis  und  seine  Verbindungen  bei  Hnnd  und 
Kaninchen,  von  Prof.  Sigm.  Exner  und  Dr.  Th.  Paneth.  (Pflügefs  Archiv. 
Bd.  XLI.) 

Paneth  hatte  bei  früheren  elektrischen  Beizversuchen  an  dem  „Bindenfeld  des 
Facialis''  unregelmässiges  Auftreten  gleichseitiger,  neben  dem  regelmässigen  Auftreten 
gekreuzter  Zuckungen  beobachtet.  Die  gegenwärtige  Untersuchung  lehrte,  dass  die 
damals  hauptsächlich  in  Betracht  kommende  Gontraction  des  gleichseitigen  Orbiculans 
palpebrarum  durch  Stromschleifen  zu  den  Besten  der  Dura  ausgelöst  worden  war. 
Denn  ebenso  wie  die  elektrische  Beizung  der  Dura  selbst,  brachte  nunmehr  auch  jede 
Art  von  mechanischer  Beizung  derselben  den  gleichen  Beizefifect»  nämlich  BMnzeln 
des  gleichseitigen  Auges  hervor.  War  dagegen  für  isolirte  Beizung  der  Binde  Sorge 

*  Cf.  d.  Ctrlbl.  1887.  S.  53. 


—    44     — 

getragen,  so  erschien  die  gleichseitige  Contraction  nur  ausnahmsweise,  l^ichtsdesto- 
weniger  musste  aus  einer  Reihe  Ton  Gründen^  die  Annahme  einer  directen  Beziehung 
der  Hirnrinde  einer  Seite  zu  dem  Facialisgebiete  beider  Seiten  angenommen  werden. 
Der  letztgedachte  Umstand  machte  es  den  Verfassern  aber  unmöglich,  den  örtlichen 
Verlauf  des  Reizvorganges  bis  zur  Peripherie  am  Hunde,  an  dem  jene  Versuche  an- 
gestellt worden  waren,  zu  verfolgen.  Sie  wandten  sich  deshalb  an  das  Kaninchen, 
dessen  Hirn  thatsächlich  bei  einseitiger. Reizung  mit  doppelseitiger  Contraction  vor- 
nehmlich der  Muskeln  der  Oberlippe  antwortet;  denn  Reizung  der  Dura  bleibt  in 
dieser  Beziehung  ohne  Erfolg  und  „Unterschneidui^"  des  gereizten  Feldes  hebt  den 
vorher  vorhandenen  doppelseitigen  Reizeffect  auf.  Bei  diesen  Versuchen  gelangten  S. 
und  B.  rücksichtlich  des  Facialis  auf  einem  ähnlichen  Wege  wie  Lewasch ew  (Heiden- 
hain)  zu  dem  gleichen  Resultate,  wie  dieser  Forscher  rücksichtUch  der  gleichseitigen 
Innervation  der  Extremitäten.  Unterschneidung  des  entsprechenden  Rindenfeldes  der 
anderen  Seite  und  longitudinale  Spaltung  des  Commissurensystems  ändert  nämlich 
nichts  an  den  Reizefifecten;  wenn  aber  die  Oblongata  median  gespalten  wird,  so  hören 
die  Zuckungen  beiderseits  von  beiden  Hemisphären  aus  gänzlich  auf.  Daraus  geht 
hervor,  dass  die  andere  Hemisphäre  bei  dem  Zustandekommen  des  Reizeffects  unbe- 
theiligt  ist  und  dass  eine  totale  Kreuzung  der  Fasern  stattfindet.  Die  Rückkreuzung 
vollzieht  sich  wahrscheinlich  im  Gebiete  der  Facialiskeme  und  zwar  sowohl  beim 
Hunde  als  beim  Kaninchen  in  oberhalb  der  Spitze  des  Galamus  scriptorius  belegenen 
Ebenen;  denn  in  dieser  Höhe  durch  die  Oblongata  gelegte  Frontalschnitte  veränderten 
den  Reizeffect  nicht,  während  derselbe  sofort  aufhörte,  wenn  der  Schnitt  2 — 3  mm 
höher  geführt  wurde.  — 

Anlässlich  der  kurzen  Litteraturübersicht  bemerken  die  Herren  Verfasser,  schon 
Referent  habe  Beobachtungen  über  doppelseitige  Reizeffecte  bei  einseitiger  Reizung 
und  zwar  betreffend  die  Nackenmusculatur  gemacht.  Ihnen  wie  ihren  Vorgängern 
auf  diesem  Gebiete  scheinen  dabei  mehrere  Stellen  des  citirten  Buches^  gänzlich  ent- 
gangen zu  sein.  Auf  den  Seiten  87,^  88,^  89,  132^  und  134  des  letzteren  wird 
nämlich  das  Auftreten  dieser  doppelseitigen  Reizeffecte  auch  für  den  grösseren  Theil 
der  mimischen  und  masticatorischen  Musculatur  (incl.  der  Zungenmuskeln)  des  Hundes, 
der  Katze  und  des  Affen  nachgewiesen.  Uebrigens  findet  sich  auch  auf  S.  97  eine  Notiz, 
aus  der  hervorgeht,  dass  das  Auftreten  gleichseitiger  Zuckungen  in  dem  Facialisgebiet 
der  Katze  als  abhängig  von  einer  Brücke  Flüssigkeit  zwischen  Reizpunkt  und  Dura 
erkannt  worden  ist  Hitzig. 


^  Zu  diesen  Gründen  dürften  auch  die  schon  vor  14  Jahren  angestellten  Versuche  des 
Referenten,  bei  denen  wirksame  Stromschleifen  zur  Dura  ausgeschlossen  waren,  zu  rechnen 
sein.    Näheres  über  dieselben  folgt  am  Schlüsse  des  Referats. 

*  Hitzig,  Üntersnchangen  über  das  Gehirn. 

^  „Eine  Ausnahme  macht  der  (mit  einem  Kreis)  bezeichnete  Punkt  (beim  Hunde),  welcher 
auf  den  Werth  des  Zuckangsminimums  regelmässig  mit  einer  doppelseitigen  Zangen- 
bewegung, bei  stärkeren  Inductionsströmen  mit  Herausstrecken  der  Zunge  antwortet  etc." 

*  „Aber  abgesehen  davon,  dass  wie  erwähnt  die  erforderlichen  Stromintensitäten  (beim 
Hunde)  variabel  sind,  fallen  auch  alle  von  hier  aus  resultirenden  Bewegungen  (Zunge,  Kiefer, 
unterer  Theil  des  Facialis,  vordere  Halsgegend)  selbst  auf  die  für  diese  Theile  gdtende 
Stromstärke  des  Zuckungsminimums  doppelseitig  aus.  Die  Contractionen  sind  dabei  auf 
beiden  Seiten  gleichstark.  Eine  Ausnahme  von  dieser  Regel  machen  die  Zygomatlci,  insofern 
als  dieselben  manchmal  sogar  auf  der  Seite  der  Reizung  viel  stärker  innervirt  werden." 

^  „Ging  man  nun  noch  weiter  lateralwärts  (zwischen  Punkt  3  und  4  des  Affenhims), 
so  gesellten  sich  zu  den  Ohrbewegungen  noch  Contractionen  der  Masseteren,  endlich  Lippen- 
bewegungen  und  an  der  Stelle  unmittelbar  über  der  Fossa  Sylvii  auf  den  Inductionsstrom 
intensives  Aufsperren  des  Mundes.  Etwas  höher  als  dieser  Centralpunkt,  jedoch  noch  mit 
ihm  zusanmiennängend  trat  Retraction  der  Mundwinkel  und  in  einer  ebenfalls  sehrbenach* 
ba^n  Gegend  traten  Bewegungen  der  Zunge,  sowie  der  Übrigen  zwischen  Kiefer,  Zungen- 
bein und  Stemum  belegenen  Motoren  ein.  Die  um  den  Punkt  4  gruppiiten  Bewegungen 
waren  sämmtlich  doppelseitig." 


—    45    — 

8)  Stadien  über  die  Innervation  der  Athembeweenuigen,   von  0.  Langen- 
dorff,  Königsberg.  (Arch.  f.  Anat.  u.  PhysioL  Physiolog.  Abth.   1887.   H.  3  u.  4.) 

Verf.  setzt  Mittheilungen  aus  den  Jahren  1880 — 1883  fort.  Er  hatte  dar- 
gethan,  dass  die  Oblongata  kein  einheitliches  Athemcentram  enthalte,  sondern  nur 
einen  regulatorischen  Apparat,  der  die  von  den  eigentlichen  Athemcentren  ausgesen- 
deten Impulse  zweckmässig  zeitlich  vertheilt  und  Tiefe  und  Frequenz  der  Athem- 
bewegungen  modificirt.  Die  Ursprünge  der  Kopfathmungsnerven  und  der  Kehlkopf- 
nerren  in  der  Oblongata  sowie  die  spinalen  Centren  der  Athemnerven  bilden  zusammen 
das  automatische  Athemcentrum,  das  danach  nur  eine  physiologische  Einheit  dar- 
stellt L.  kritisirt  jetzt  die  hiergegen  von  Frdd^ricq,  Mislawsky,  Enoll,  Mark- 
wald u.  a.  erhobenen  Einwände.  Er  thut  dann  durch  neue  Versuche,  in  welchen 
er  bei  Fröschen  nach  Entfernung  von  Gross-  und  Mittelhim,  Lungen  und  Herz,  nach 
Durchschneidung  des  Bückenmarks  unter  dem  Athemcentrum  und  Zerquetschung  des 
peripherischen  Theils  des  Bückenmarks  öfter  noch  stundenlang  regelmässige  Bespiratiou 
fortbestehen  sah,  nochmals  die  automatische,  nicht  reflectorische  Natur  der  Athem- 
bewegungen  dar. 

Den  nach  Zerstörung  der  Oblongata  eintretenden  Athemstillstand  hatte  L.  nicht 
immer  erfolgen  sehen  und  sein  häufiges  Auftreten  auf  Hemmungswirkung  zurück- 
geführt Er  zeigt  jetzt,  dass  halbseitige  Zertrennung  der  Oblougata  die  Athmung 
der  entsprechenden  Körperhälften  nur  zeitweilig,  nicht  dauernd  lähmt  und  dedu- 
drt  hieraus  ein  neues  Argument  dafür,  dass  der  Athmungsantrieb  von  spinalen 
Athmnngscentren  ausgeht.  Der  anfängliche  einseitige  Stillstand  ist  auch  hier  durch 
Hemmungswirkung  zu  erklären.  Th.  Ziehen. 


4)  Untersuchung  der  Erregbarkeit  einzelner  Büokenmarksstränge  an  neu- 
geborenen Thieren,  von  W.  Bechterew.     (Wratsch.  1887.  Nr.  22.  Bussisch.) 

In  Anbetracht  des  Umstandes,  dass  marklose  Fasersysteme  im  Gentralnerven- 
system  für  elektrische  Beizung  unerregbar  sind,  hält  Verf.  es  für  angezeigt,  die  Er- 
regbarkeit der  einzelnen  Bückenmarksstränge  durch  elektrische  Untersuchung  an  neu- 
geborenen Thieren  zu  ermitteln,  an  welchen,  ebenso  wie  am  Menschen,  die  Myelin- 
bekleidung der  Nervenfasern  nur  zum  Theil  ausgebildet  ist.  Er  benutzte  zu  seinen 
Experimenten  neugeborene  und  mehrere  Tage  alte  Hunde,  und  stellte  an  ihnen  folgende 
Thatsachen  fest: 

An  soeben  geborenen  Hunden  sind  die  Hinterstränge  des  Bückenmarks  noch 
zum  grössten  Theil  marklos;  myelinhaltig  erscheinen  nur  die  hinteren  Wurzeln  und 
der  vordere  laterale  Abschnitt  der  Burdach*8chen  Stränge;  Beizung  dieses  Gebiets 
bewirkt  Oontraction  der  vom  betreffenden  Bückenmarkssegment  innervirten  Muskeln, 
wie  es  auch  bei  directer  Beizung  der  hinteren  Wurzeln  der  Fall  ist.  Die  Goirschen 
Stränge  erreichen  ihre  volle  Entwickelung  erst  vom  5.  Tage  nach  der  Geburt  an, 
und  von  diesem  Termin  an  bewirkt  Beiznng  der  Hinterstränge  allgemeine  reflectorische 
Bewegungen,  wie  an  erwachsenen  Thieren.  Hieraus  ist  die  selbstständige  Erregbar- 
keit der  Hinterstränge  (abgesehen  von  den  darin  enthaltenen  hinteren  Wurzelfasem) 
ersichtlich,  und  die  entgegengesetzte  Ansicht  Stilling*s,  van  Deen*8  u.  A.  erhält 
hierdurch  eine  neue  Widerlegung. 

Li  den  Yorderseitensträngen.  sind  an  neugeborenen  Hunden  nur  das  Grund- 
bündel  und  die  directe  Eleinhimseitenstningbahn  markhaltig  und  erregbar.  Beizung 
dieses  Gebietes  des  Querschnitts  im  Halsmark  und  oberen  Theü  des  Brustmarks  ^rgab 
Oontraction  sowohl  der  vorderen,  als  hinteren  Extremität  an  der  entsprechenden  Seite 
und  Bewegung  des  Schweifes;  der  n&mUche  Erfolg  trat  auch  nach  Durchschneidung 
der  benachbarten  Bückenmarkswurzein  ein.  Dagegen  blieb  Beizung  der  hinteren 
Hälfte  der  Seitenstränge,  im  Gebiet  der  noch  marklosen  Pyramidenbündel,  ohne  Effect. 


—    46    — 

Dieses  Verhalten  nöthigt  %u  der  Annahme  selbststandiger  Erregbarlceit  des  Grand- 
bündeis  der  yorderseitenstränge,  indem  dadurch  die  Möglichkeit  ausgeschlossen  wird, 
die  Wirkung  der  Erregung  des  Grundbündels  durch  Ausbreitung  des  Stromes  auf 
benachbarte  Querschnittspartien  zu  erklären.  Bei  Application  der  Elektroden  an  das 
Gebiet  der  directen  Eleinhirnseitenstrangbahn  stellte  sich  in  stereotyper 
Weise  Drehung  des  Körpers  und  seitliche  Bewegung  des  Kopfes  ein. 

Am  10. — 12.  Tage  nach  der  Geburt  werden  an  Hunden  die  Fasern  der  Pyra- 
midenbündel markhaltig,  und  dann  bewirkt  Reizung  derselben  Bewegung  der  Ex- 
tremitäten. 

Es  ist  zu  bedauern,  dass  Verf.  in  seiner  Mittheilung  über  die  Details  seiner 
Versuchsanordnung,  Gestalt  und  Grösse  der  benutzten  Elektroden  etc.  Nichts  erwähnt. 

P.  Bosenbach. 

6)  Zur  Physiologie  des  Frosobgehims,  Ton  Dr.  M.  E.  G.  Seh  rader,  Assistent 
an  dem  Institut  für  Experimental- Physiologie  in  Strassburg  (Prof.  Dr.  Goltz). 
(Arch.  f.  d.  ges.  Phys.  Bd.  XLI.  S.  15.) 
Zunächst  konnte  der  Verf.  nach  völliger  Entfernung  des  Vorderhims  (beider 
Grosshimhemisphären)  mit  möglichster  Schonung  des  Thal.  opt.  durchaus  nicht  jenes 
bisher  angenommene  Versinken  in  nahezu  absolute  Bewegungslosigkeit,  Verlust  der 
Spontaneität  feststellen.  Dagegen  entsprechen  Frösche,  welchen  das  Grosshim  unter 
ausgedehnterer  Verletzung  des  Thal.  opt.  entfernt  ist,  dem  Bilde,  welches  bisher  für 
die  reine  Ezstirpation  der  Hemisphären  aufgestellt  war.  Das  Mittelhim  (Thal,  und 
Lob.  opt.),  in  das  Goltz  das  Gleichgewichtscentrum  verlegte,  enthält  hauptsächlich 
sensible  Elemente;  seine  Zerstörung  ruft  Störung  der  Sensibilität  und  infolge  dessen 
auch  solche  der  Bewegung  hervor.  Den  Quakreflez  konnte  Verf.  noch  erzeugen  bei 
möglichster  Integrität  des  Kopfmarks  (Med.  obl.,  Nachhim);  sein  Centrum  befindet 
sich  nicht  in  den  Lob.  opt.,  sondern  in  der  Med.  oblong.  Femer  erhellt  aus  den 
Versuchen,  dass  es  keine  Stelle  in  der  Med.  oblong,  giebt,  nach  deren  Verletzung 
nothwendig  die  coordinirte  Bewegung  aufhört.  Bün  „Krampfcentnun"  würde  der 
Gegend  entsprechen,  bis  zu  welcher  man  das  Gehirn,  ohne  die  Coordination  ausiu- 
löschen,  abtragen  kann  (Med.  oblong,  in  Gegend  der  Spitze  des  CaL  Script).  Das 
Beflexcentrum  für  den  Press-  und  Sohluckact  liegt  in  dem  centralen  Ursprungsgebiete 
und  zwischen  den  Wurzeln  der  Nn.  fac,  trig.  und  vag.  Das  Centmm  des  Um- 
klemmungsreflexes  liegt,  wie  Goltz  nachwies,  in  dem  Wurzelgebiete  des  Plex.  brachialis. 
Die  Herausnahme  der  häutigen,  halbzirkelförmigen  Kanäle  rief  analoge  Bewegungs- 
störungen hervor,  wie  bei  den  Vögeln;  es  handelt  sich  dabei  um  einen  sensorischen 
Beflex,  für  den  der  Beiz  in  den  halbzirkelförmigen  Kanälen  entsteht  und  das  Centmm 
im  Ursprungsgebiete  des  Acusticus  liegt.  Das  Beflexcentrum  für  die  Herzbewegnng 
ist  zwischen  den  Vaguswurzeln  zu  suchen.  Für  die  automatische  Athembewegong 
wäre  die  Gehimpartie  in  Anspruch  zu  nehmen,  welche  zwischen  dem  Querschnitt 
parallel  dem  hinteren  Band  der  Kleinhimleiste  und  dem  Niveau  der  Spitze  des  CaL 
Script,  gelegen  ist.  Wie  Goltz,  gelang  es  auch  dem  Verf.,  durch  Quertrennung  des 
Centralnervensystems  die  selbstständige  Function  einzelner  Bückenmarksabschnitte 
nachzuweisen;  man  kann  so  den  Frosch  in  3  für  die  Bewegung  und  Empfindung 
selbstständige  Thiere  zerlegen  (Kopf-,  Vorderbein-,  Hinterbein-Segment).  So  lehrt 
die  Versuchsreihe,  dass  man  das  Centralnervensystem  des  Frosches  theilen  kann  in 
eine  Beihe  von  Abschnitten,  welche  einer  selbstständigen  Function  fähig  sind  und 
den  Ganglienknoten  niederer  Thiere  in  ihrer  functionellen  Selbstständigkeit  gleich- 
kommen. Es  handelt  sich  nicht  um  die  Alleinherrschaft  eines  einheitlichen  Apparates, 
sondern  um  eine  vielseitige  Verkoppelung  relativ  selbststandiger  Stationen.  Die  Be- 
deutung des  Grosshims,  die  durch  die  Versuche  eine  Einsdiränkuttg  erlitt,  gewinnt 
in  der  aufsteigenden  Thierreihe  in  morphologischer  wie  in  physiologischer  Hinsicht. 

Kalischer. 


—    47     — 


Pathologische  Anatomie. 

6)  Heber  Kangel  des  Balkens  im  mensohliohen  Oehim,  von  Dr.  Ed.  Kauf- 
mann, Breslau,  Pathol.  Institut.  (Arch.  f.  Psych.  Bd.  XVIIL  H.  3  und  XIX.  H.  1.) 

Verf.  erkennt  bis  jetzt  erst  19  Fälle  von  Balkenmangel  beim  Menschen  in  der 
Litteratnr  an,  gegenüber  Anton,  der  21  resp.  22  aufzählt 

[Onnfrowicz  (Arch.  f.  Psych.  XVIU.  2)  zählt  27  Fälle,  allerdings  dürfte  sein 
Fall  13  und  15  ein  und  derselbe  sein;  Fall  16  und  17  bei  Onufrowicz  betreffen 
nar  eine  au£fallende  Dünnheit  des  Splenium,  seine  Fälle  22,  24  und  27  nennt  er 
selbst  unklar;  nach  Abzug  dieser  letzten  5  Fälle  bleiben  also  auch  bei  Onufrowicz 
nur  21,  dazu  sein  eigener  und  der  obige  neue  von  Kaufmann,  endlich  der  von  H. 
Virchow  (s.  d.  Centralbl.  1887.  S.  263),  macht  24.  In  Kaufmannes  Aufzählung 
fehlen  die  Fälle  von  Ward  und  von  Gausser.    Bef.] 

Kaufmannes  Fall  betrifft  ein  seit  einem  Sturz  im  4.  Lebensjahre  geistig  zurück- 
gebliebenes Mädchen  von  24  Jahren,  Luise  Hubrich.  —  Der  Balken  fehlt  vollständig, 
den  Yentric.  ni  bedeckt  eine  durchsichtige  Membran,  welche  sich  vom  und  hinten 
in  die  Pia  fortsetzt.  Diese  bedingt  an  der  medialen  Fläche  eine  ziemlich  feste  Yer- 
klebung  beider  Stimtheile;  eine  Falte  der  Pia  bildet  femer  die  vordere  Begrenzung 
des  Yentric.  Ill  und  enthält  eine  rudimentäre  Commissura  anterior;  unter  ihr  liegt 
das  Chiasma  nerv.  Optic;  die  Seh-  und  Riechnerven  sind  normal.  —  Keine  Commissura 
media,  aber  deutliche  Commissura  posterior.  ^-  Zwei  weite  Foramina  Monroi,  deren 
vordere  Begrenzung  die  Crura  fomicis  bilden,  fQhren  in  die  Seiten  Ventrikel;  nur  die 
Oolumnae  fomicis  stehen  in  Continuität  mit  grauer  Bindensubstanz,  der  übrige  Theil 
des  Gewölbes  grenzt  an  eine  frei  daliegende  Schicht  weisser  Substanz  mit  deutlicher 
Faserrichtung,  das  Associationssystem  des  Gyrns  fomicatus,  wegen  der  fehlenden 
Balkendurchkreuzung  so  deutlich  daliegend.  —  Beiderseits  ist  der  Sulcus  calloso- 
marginalis  und  eine  Balkenwindung  vorhanden,  ersterer  wendet  sich  aber  schon  sehr 
weit  vom  (besonders  rechterseits)  nach  oben,  sodass  der  Praecuneus  sehr  gross  wird. 
—  Die  Furchen  und  Windungen  sind  übrigens  sowohl  an  der  medialen  wie  an  der 
convexen  Fläche  der  Hemisphären  vielfach  sehr  unregelmässig. 

Eine  Zerlegung  des  erhärteten  Gehirns  in  Frontalschnitte  erwies,  dass  das  dem 
Fomix  benachbarte  Markbündel  nicht  als  Associationssystem  des  Gyr.  fomicatus,  son- 
dern als  das  von  Onufrowicz  beschriebene  grosse  fronto-occipitale  Associations- 
bündel,  auch  Fasciculus  Ibngitudinalis  superior  genannt,  darstellt.  K.  bestätigt  voll- 
kommen die  Angaben  von  Onufrowicz,  auch  dass  das  Tapetum  gar  nicht  dem 
Balken,  sondern  jenem  oberen  Längsbündel  0.  angehört  —  K.*s  Fall  beweist,  dass 
auch  bei  vollständigem  Balkenmangel  Gyrus  fomicatus  und  Sulc.  calloso-marginalis 
vorhanden  sein  können. 

Etwas  ganz  Besonderes  fand  sich  am  Kleinhirn:  ein  grosser  Defect  des  hinteren 
Theils  des  Oberwurms  und  des  Unterwurms  mit  Yerbildung  der  medialen  Theile  der 
Hemisphären.  Dies  war  offenbar  zurückzuführen  auf  einen  Hydrops  des  Yentric.  lY, 
welcher  zur  Bildung  einer  Cyste  geführt  hatte,  die  sich  an  der  Stelle  des  Defectes 
befand. 

Hieran  schliesst  K.  die  Beschreibung  eines  sehr  interessanten  Falles  von  totaler 
Erweichung  des  Balkens  durch  Embolie,  ausgehend  von  einem  Aneu- 
rysma der  Arteria  corporis  callosi  dextra.  Es  bandelt  sich  um  einen 
45jährigen  Mensehen,  der  an  einer  Pneumonie  mit  eitriger  Meningitis  gestorben  war, 
imd  an  dem  in  den  Wochen  resp.  Monaten  vor  dem  Tode  keinerlei  psychische  Ab- 
normitäten, Coordinationsstörungen  oder  Lähmungen  n.  s.  w.  beobachtet  sein  sollen. 

Das  Aneurysma,  kirschkemgross,  sass  unmittelbar  am  Abgang  der  A.  communi- 
cans  anterior;  aus  ihm  waren  viele  kleine  Emboli  in  die  Yerästelungen  sowohl  der 
rechten  wie   der  linken  Art.  corp.  callosi  getrieben   und  hatten  sehr  umfangreiche 


—    48    — 

ErweichuBgen  erzeugt,  ihres  verschiedenen  Alten  wegen  von  mannigfacher  Beschaffen- 
heit. Der  Baiken  selbst  ist  in  seinem  vorderen  Theil  in  eine  glasige,  braungelbe 
Masse,  hinten  in  weichen  weisslichen  Brei  verwandelt;  ebenso  die  Hirnwindungen  in  der 
Umgebung  des  Knie  und  Schnabels  des  Balkens,  rechts  auch  der  Kopf  des  Nucleus 
candatus  u.  s.  w.  —  Weit  in  die  Balkenfaserung,  stellenweise  bis  an  die  Hirnrinde 
heran,  liess  sich  die  Erweichung  verfolgen.  —  Das  Tapetum  im  Unter*  und  Hinter- 
hom  war  ganz  intact;  die  Capsula  interna  beiderseits  ganz  normal. 

K.  stellt  diesen  Fall  neben  den  Erhaschen  (totale  Zerstörung  des  Balkens  durch 
eine  Hämorrhagie),  in  welchem  auch  keinerlei  Symptome  zu  bemerken  waren. 

Hadlich. 

7)  Gase  of  osteophytes  of  the  arachnoid,  by  F.  H.  M.  Burton.  (The  Lancei 
1887.  28.  Mai.) 

Bei  einem  27jährigen  Soldaten,  der  über  6  Jahre  lang  in  Indien  gedient  und 
mehrfach  an  Wechselfieber  erkrankt  war,  zeigte  sich  bei  erneuter  Intermittensattacke 
Bewusstlosigkeit  bei  gut  reagirenden  Pupillen  und  Erhaltensein  der  conjuncüvalen 
Empfindung,  femer  spastische  Rigidität  der  rechten  Oberextremität  bei  Schlaffheit 
der  übrigen  Glieder.  Zeitweise  tmten  Spasmen  in  beiden  Armen  auf.  Leicht  sterto- 
röse  Athmung,  profuser  Schweiss,  galliges  Erbrechen.  Am  2.  Tage  nach  der  Auf- 
nahme des  Fat.  in  das  Krankenhaus  trat  bald  nach  dem  Ausbruch  von  sehr  heftigen 
klonischen  Convulsionen,  welche  mehr  als  2  Stunden  andauerten,  Exitus  letalis  ein. 

Bei  der  Section  fand  sich  eine  ganze  Anzahl  spitziger  Osteomata,  die  von  der 
Pia  mater  ausgingen  und  Bohnengrösse  erreichten.  Die  meisten  sassen  an  der  Innen- 
seite des  Stirnbeins  und  an  den  Seitenwandbeinen.  Ein  sehr  spitzer  Stein  drückte 
auf  die  linke  aufsteigende  Parietalwindung.     Reichliche  Adhäsionen  der  Pia. 

Das  Interesse  des  Falles  knüpft  sich  an  das  Vorhandensein  der  seltenen  ossi- 
ficirenden  Leptomeningitis,  während  Pachymeningitis  extern,  ossificans  keine  so  rare 
Erscheinung  bildet.  Syphilis  wurde  anamnestisch  nicht  festgestellt  Bis  zu  der  oben 
beschriebenen  Attacke  waren  keine  Symptome  seitens  des  Gehirns  vorhanden. 

J.  Ruhe  mann  (Berlin). 

8)  Darstellung  und  Beschreibung  einer  intrauterin  entstandenen  Narbe 
in  der  rechten  Hemisphäre  des  Gehirns  einer  chronisch  Blödsinnigen, 

von  J.  Jensen,  Charlottenbui^.     (Arch.  f.  Psychiatrie.  XIX.   1.) 

Die  Obduction  des  klinisch  nicht  bemerkenswerthen  Falles  (Entwickelungshemmung 
mit  Contractur  und  Lähmung  in  Hand  und  Fuss  linkerseits,  vorübergehend  epilep- 
tische AnHllle,  Imbecillität  mit  Erregungszuständen)  ergab: 

Gewicht  des  Gesammthims  .  .  .  975  g 
Gewicht  der  linken  Hemisphäre  490  g 
Gewicht  der  rechten        „  335  g 

Die  rechte  Hemisphäre  zeigt  einen  Defect,  welcher  den  medialen  Theil  des  G.  cenir. 
ant.  und  den  lateralen  Theil  des  G.  centr.  post.  umfasst  und  durch  den  hinteren 
Ast  der  Sylvi*schen  Furche  bis  in  das  hintere  Drittel  des  Schläfenlappens  und  bis 
in  den  Stammlappen  reicht.  Septum  cerebri  rudimentär.  Die  Forchen  der  Medial- 
fläche münden  zum  grössten  Theil  in  den  Defect  Mittlere  Furchentiefe  links  7,4  mm, 
rechts  6,9  mm;  mittlere  Bindendicke  links  2,34  mm,  rechts  2,26  mm;  freie  Binden- 
Oberfläche  links  7230  qmm,  rechts  4800  qmm.  Bechts  starker  Hydrocephalns  int. 
Die  sehr  genauen  weiteren  Zahlenangaben  und  Abbildungen  sind  im  Original  nach- 
zusehen. Th.  Ziehen. 


—    49    — 


Pathologie  des  Nerveusystems. 

9)  Zur  Genese  des  IntentioiistremorB,  von  B.  H.  Stephan,  Zaandam.    (Arch. 
f.  Psychiatrie.   XVm.  3  und  XIX.  1.) 

Eine  KritilE  der  Mheren  Ansichten  führt  Verf.  zunächst  zu  dem  Schluss,  dass 
die  cerebrale  Localisation  sklerotischer  Heerde  für  das  Zustandekommen  des  Zittems 
der  multiplen  Sklerose  nothwendig  ist.  Beine  Ausfallsheerde  im  Cerebellum  oder  in 
der  Oblongata  machen  kein  Intentionszittem.  Dasselbe  ergiebt  ein  Ueberblick  über 
die  Pons-Erkrankungen.  ^ 

Si  l&8st  hier  die  Krankengeschichten  und  Sectionsbefunde  zweier  eigener  Fälle 
folgen,  in  welchen  während  des  Lebens  kein  Zittern  bestand,  die  Section  aber  ausser 
in  Rückenmark  und  in  Oblongata  nur  im  Pons  sklerotische  Heerde  nachwies.  Auch 
der  Pons  ist  also  nicht  ürsprungsstätte  des  Intentionszittems.  Aus  der  Betrachtung 
derpost-  und  prähemipiegischen  Bewegungsstörungen  glaubt  St.  schliessen  zu  können, 
das8  die  verschiedenen  Formen  derselben  (Hemichorea,  Hemiathetose,  Hemiataxie, 
Hemiparalysis  agttans,  Hemitremor  intentionalis)  klinisch  nicht  scharf  zu  trennen  sind 
und  wahrscheinlich  von  der  Läsion  derselben  Stellen  im  (Gehirn  abhängig  sind. 

St  stellt  dann  35  klinisch  gut  beobachtete,  von  Autopsie  gefolgte  Fälle  von 
Ueerderkrankungen  mit  hemiplegischen  Tremorformen  zusammen.  In  20  dieser  Fälle 
war  sicher,  in  3  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  der  Sehhügel  mit  in  den  Process 
bezogen,  in  einigen  wenigen  Fällen  ist  der  Sehhügel  intact,  hingegen  der  Fuss  des 
Stabkranzes  im  hinteren  Abschnitt  der  inneren  Kapsel  lädirt.  Nach  eingehender 
kritischer  Besprechung  der  gegentheiligen  Ansichten  kommt  St.  mithin  auf  Noth- 
nagePs  bekannte  Schlüsse  zurück. 

Ein  eigener  Fall  von  multipler  Sklerose  bestätigt  dem  Verf.  auf*s  Neue,  dass 
an  den  Oberextremitäten  sehr  typisches  Intentionszittem  bei  normaler  Muskelkraft, 
elektrischer  Beaction,  Sensibilität  und  normalem  trophischen  und  vasomotorischen 
Zustand  bestehen  kann.  Obduction  fehlt.  Der  Intentionstremor  der  multiplen  Sklerose 
ist  den  posthemiplegLschen  Bewegungsstörungen  verwandt,  wie  denn  in  der  That  bei 
ihr  zuweilen  auch  die  übrigen  Formen  jener  Bewegungsstörungen  vorkommen.  Der 
Sitz  des  Intentionstremors  der  multiplen  Sklerose  ist  also  wahrscheinlich  gleichfalls 
der  Thalamus  opt.  Unsere  physiologischen  Anschauungen  über  den  Thal.  opt.  und 
die  Obductionsberichte  lassen  sich  hiermit  vereinigen. 

Den  IijLtentionstremor  führt  St  auf  eine  Coordinationsstörung  zurück.  Den 
psychomotorichen  Bindencentren  glaubt  er  das  Coordinationsvermögen,  wie  es  bei 
intendirten  Bewegungen  erforderlich  ist,  absprechen  zu  müssen.  Auch  hierdurch  sind 
wir  also  auf  subcorticale  Genese  des  Intentionszittems  hingewiesen.  Zum  Schluss 
hebt  Si  selbst  hervor,  dass  er  mit  seinen  Auseinandersetzungen  die  Abhängigkeit 
des  Intentionszittems  von  sklerotischen  Heerden  im  Sehhügel  nicht  erwiesen,  sondem 
nur  wahrscheinlich  gemacht  zu  haben  glaubt.  Die  einschlägige  Litteratur  ist  sehr 
vollständig  verwerthet.  Th.  Ziehen. 

10)  üeber  einen  Fall  von  multipler  Sklerose  des  Centralnervensystema, 

von  K.  Hess,     (Arch.  f.  Psych.   XIX.   S.  64.) 

Der  intra  vitam  nicht  diagnosticirte  Fall  bot  folgendes  Bild:  Nach  kurzen  Pro- 
dromen apoplectiformer  Anfall,  mit  zurückbleibender  linker  Hemiplegie  und  Sensi- 
bilitätsstöning  am  ganzen  Körper;  zwei  Wochen  später  plötzliche  Herabsetzung  des 
Hönrermögens,  Sprache  nur  wenig  gestört;  allmählige  Bflckbildnng  der  Lähmung 
und  Sensibilitatsstörung,  sodass  erstere  vorwiegend  auf  das  linke  Bein  beschränkt 
bleibt  Nach  mehrjährigem  stationären  Verhalten  Zunahme  des  Processes,  hochgradige 
spostaseh-paretische  Zustände  der  Beine,  Abnahme  der  Sehschärfe,  Yerlangsamnng  der 

2 


—    50    — 

Sprache,  Störungen  der  Digestion,  der  Blase,  schliesslich  Decubitus,  Tod  nach  acht- 
jähriger Dauer. 

Die  Section  zeigte  eine  auffallend  derbe  Beschaffenheit  des  nicht  weiter  unter- 
suchten Qehims;  das  gehärtete  Bückenmark,  Med.  obl.  und  Pons  zeigten  eine  multiple 
Sklerose,  daneben  jedoch  besonders  die  beiden  letzteren  eine  diffuse  Sklerose. 

Aus  der  genauen,  ausführlich  mü^etheüten  histologischen  Untersuchung  hebt 
H.  zuerst  hervor  die  Persistenz  der  grossen  Mehrzahl  der  Axencylinder  in  den 
sklerotischen  Heerden,  welche  die  Ursache  des  Ausbleibens  der  secundären  Degene- 
ration ist  Die  Gefasse  in  den  Heerden  zeigten  das  Terschiedenartigste  Verhalten, 
ein  normales  an  vielen  kleineren  Gefassen,  besonders  an  den  Capillaren,  Verdickung 
der  Wand,  besonders  an  den  grösseren  Gefassen,  Gefassvennehrung,  Erweiterung  oder 
Verengung  und  selbst  Obliteratioii  des  Gefasslumens. 

Die  diffuse  Sklerose  zeigte  namentlich  zwei  wichtige  Erscheinungen,  einmal  Er- 
haltung der  meisten  Markscheiden,  dann  eine  starke  kleinzellige  Infiltration  im  Pons 
und  Med.  oblong,  und  an  einer  Stelle  im  Lendenmark.  Da  diese  Infiltration  wahr- 
scheinlich in  Zusammenhang  mit  der  Sklerose  steht  und  ihr,  da  sie  in  den  älteren 
Heerden  des  Rückenmarks  fehlt,  wohl  vorangeht  und  ihrerseits  wieder  von  Gefaas- 
veränderungeu  bedingt  ist»  so  nimmt  H.  zur  Erklärung  des  Gesammtbefnndes  folgende« 
an:  Bei  der  diffusen  Sklerose  ist  die  Gefössveränderung  nur  eine  derartige,  dass  sie 
Emigration  weisser  Blutkörperchen  veranlasst,  die  ihrerseits  Gliawucherung  und  nur 
geringen  Markscheidenschwund  bedingt;  bei  der  multiplen  Sklerose  ist  die  Gefäss- 
veränderung  eine  so  bedeutende,  dass  es  ausser  zur  Gliawucherung  in  Folge  der  Er- 
nährungsstörung zu  Markscheidenschwund  und  schliesslich  zum  Schwund  der  Axen- 
cylinder kommt  Doch  betont  H.  selbst  das  vorläufig  hypothetische  seiner  Anschau- 
ung; indem  er  mit  Schnitze  und  Babinsky  die  multiple  Sklerose  als  eine  durch 
primäre  Veränderungen  der  Gefässe  bedingte  Entmarkung  der  Nervenfasern  und  Glia- 
wucherung bezeichnet,  wendet  er  sich  gegen  die  Ansicht  Adam kiewicz',  dass  Mark- 
scheidenveränderungen das  Primäre  seien. 

Schliesslich  bespricht  er  die  Eigenthümlichkeiten  des  klinischen  Bildes,  das  die 
typischen  Erscheinungen  der  Herdsklerose  vermissen  Hess.  A.  Pick. 


11)  Ueber  multiple  inselförmige  Sklerose  des  Centralnervensystems  im 
Kindesalter,  von  Dr.  L.  Unger.  Wien  1887.  (Verlag  von  Toeplitz  &  Deuticke. 
82  Seiten.) 

Eine  eigene  Beobachtung  von  multipler  Sklerose  bei  einem  6jährigen  Knaben 
hat  den  Verf.  zum  genauem  Studium  des  betr.  Erankheitsbildes  veranlasst.  Aus  der 
Litteratur  Hessen  sich  noch  18  Fälle  zusammenstellen.  Man  sieht  daraus,  dass  der 
Verlauf  der  Sklerose  der  Kinder  im  grossen  ganzen  mit  der  der  Erwachsenen  über- 
einstimmt; dasselbe-  vielfarbige  Bild  von  den  Krankheitssymptomen  erscheint  auch 
hier;  ein  gleiches  Dunkel  schwebt  über  der  Aetiologie  und  den  eigenthümlichen 
Localisationen  der  Heerde,  durch  welche  bald  die  cerebralen,  bald  die  bulbären,  bald 
die  spinalen  Erscheinungen  in  den  Vordergrund  treten. 

Dessen  ungeachtet  dürfte  eine  kurze  Skizze  des  Krankheitsverlaufes  hier  wohl 
am  Platze  sein:  Der  Beginn  ist  entweder  stürmisch  mit  Convulsionen  und  apoplecti- 
formen  Anfällen  (letztere  meist  ohne  Bewusstseinsverlust),  denen  dann  sehr  rasch 
Schwäche  in  den  Beinen,  Tremor  und  die  übrigen  Erscheinungen  der  gestörten  Co- 
ordinatiou  folgen,  oder  die  ersten  Erscheinungen  treten  langsam  und  schleichend  auf, 
entweder  in  Form  psychischer  Verstimmung,  Sehstörungen  und  schwankendem  Gang 
oder  mit  Schwindel,  Kopfschmerzen  und  Tremor,  oder  auch  ganz  einförmig  mit  Nach- 
schleppen des  einen  oder  andern  Beines,  worauf  nach  längerer  Pause  von  ein  oder 
zwei  Jahren  erst  der  charakteristische  Tremor  und  andere  Symptome  auftreten.  Apo- 
plectiforme  AnfUle  unterbrechen  häufig  den  gewöhnlichen  Gang,  der  remittireiidy 


—    51     — 

zuweilen  stationär,  im  AUgemeineB  aber  ein  unanfhaltsam  progreasiver  ist.  Der 
Exitus  letalis  wird  nicht  selten  durch  Lähmung  der  bulbären  Kerne  herbeigeführt» 
nachdem  schon  vorher  Contractureii  der  paraljsirten  Qlieder,  Lähmung  der  Schlund* 
und  Kaumnsculatur  sowie  Lähmung  der  Sphiuktorou  eingetreten  war. 

In  andern  Fällen  nähert  sich  das  Bild  dem  der  Tabes,  der  chronischen  Myelitis, 
der  spastischen  Spinalparalyse,  der  progressiven  Paralyse,  der  Bulbärparalyse;  auch 
mit  der  progressiven  Muskelatrophie  kann  diese  Krankheit  eventuell  verwechselt 
werden.  Keines  der  oben  angeführten  Symptome  ist  für  sich  allein  der  Krankheit 
pathognomoniscb.  In  vielen  Fällen  sind  die  Symptome  so  vag  und  wenig  distinct, 
dass  die  Diagnose  in  der  That  erhebliche  Schwierigkeiten  bietet. 

Bemerkensworth  sind  noch  diejenigen  Fälle,  welche  ganz  unter  dem  Bilde  der 
multiplen  Sklerose  verlaufend  (eine  Diagnose  rührt  von  Charcot  her,  die  beiden 
andern  bekannten,  sog.  „formes  frustes"  stammen  aus  der  französischen  und  englischen 
Litteratur)  der  Heilung  zugeführt,  sind,  während  sie  gewöhnlich  letal  enden. 

Die  Deutung  der  vielgestaltigen  Symptome  aus  den  übrigens  sehr  raren  Obduc- 
iions-Befunden  stösst  naturgemäss  auf  nicht  geringe  Schwierigkeiten.  Während  bisher 
das  Intentionszittem  aus  einer  Ponsaffection  erklärt  wurde,  hält  Verf.  es  für  am 
wahrscheinlichsten,  dass  es  auf  Verletzung  der  Pyramidenbahnen  in  ihrem  Verlaufe 
durch  den  Stabkranz  zurückzuführen  sei.  Einige  Beobachtungen  scheinen  in  der 
That  diese  Ansicht  zu  stützen.  Die  Natur  des  Sklerosirungsprocesses,  welcher  ein 
langes  Erhaltensein  der  nervösen  und  leitenden  Elemente  gestattet,  macht  die  be- 
sondere Erscheinung  des  Intentioustremors  möglich,  während  er  bei  andern  Affectionen 
des  Stabkranzes  fehlt.  Die  Erklärung  der  paretischen  Erscheinungen  ist  verhältniss- 
massig einfach,  weniger  schon  die  der  atactischen;  auch  hierbei  ist  Ataxie  ohne 
Störung  der  Sensibilität  beobachtet  worden.  Den  Nystagmus  stellt  Verf.  in  eine 
Kategorie  mit  dem  Intentionszittem,  für  manche  Fälle  hält  er  jedoch  auch  die  Auf- 
fassung desselben  als  atactischen  für  berechtigt. 

Die  Verbreitung  der  sklerotischen  Heerde  ist  im  Allgemeinen  sehr  ungleich, 
jedoch  giebt  es  Prädilectionsbezirke,  so  vor  allem  die  Marksubstanz  des  Gehirns  und 
die  weissen  Stränge  des  Kückenmarks;  des  Weiteren  findet  man  sie  häufig  in  der 
Oblongata,  den  Kleinhimstielen,  der  Brücke,  in  den  Himschenkeln  und  im  Centrum 
ovale.  Aber  auch  die  Himnerven  und  die  Wurzeln  der  Rückenmarksnerven  sind  dieser 
Erkrankung  ausgesetzt. 

In  die  pathologische  Anatomie  der  Sklerose  ist  durch  Adam kie wie z  neues 
Leben  hereingebracht  worden.  Freilich  ist  es  noch  abzuwarten,  inwieweit  sich  seine 
Untersuclimigen  bestätigen.  Verf.  giebt  die  Resultate  des  genannten  Autors  ziemlich 
genau  wieder;  wir  erwähnen  davon  nur  in  Kürze,  dass  Adamkiewicz  das  Safranin 
als  ein  scharfes  und  empfindliches  Reagens  für  Degenerationen  herausgefunden  hat. 
Bei  der  multiplen  Sklerose  handelt  es  sich  um  eine  primäre  Erkrankung  der  Nerven 
O^rfall  der  sog.  chromoleptischen  Substanz  der  Markscheide)  und  um  eine  secundäre 
Veränderung  der  Nenroglia.  Die  letztere  besteht  in  einer  Wucherung  von  Glia- 
elementen,  ans  denen  sich  jedoch  niemals  fibrilläres  Bindegewebe  bildet;  schliesfilich 
tritt  noch  eine  Wucherung  von  Gefassen  hinzu,  deren  Wandungen  sich  später  ver- 
dicken. Während  dessen  erfahrt  der  Axencylinder  zuerst  eine  Quellung,  der  dann 
eine  Sdirnmpfnng  folgt 

Dies  ungefähr  das  Wichtigste  aus  «der  langen  Arbeit,  bei  der  auch  die  ausführ* 
liehe  Wiedergabe  der  Krankei^^eschichten  besondera  hervorgehoben  zu  werden  verdient. 

Sperling. 

12)  Contribution  a  Tötude  de  la  solörose  an  plaques  4  forme  parolytigue, 

par  A.  Gilbert  et  Gaston  Lion.  (Arch.  de  PhysioL  norm,  et  pathol.  1887.  Nr.  5.) 

Der  Yaü  multipler  Sklerose  mit  hemiplegischen  Symptomen,  den  die  Verff.  be- 
schreiben, ist  namentlich  interessant  wegen  der  Sensibilitätsstörungen  auf  der  Seite 

2» 


—    52    — 

der  Lähmung  und  eines  acuten  Decubitus  auf  der  nicht  gelähmten  Seite.  Die'  Verff. 
beziehen  den  letzteren  auf  einen  der  bei  der  Section  gefundenen  Heerde,  welcher  das 
linke  Hinterhom  einnimmt.  Die  rechtsseitige  Hemiplegie  erklärte  sich  gut  aus  der 
Localisation  der  Heerde,  die  Hemianästhesie  hingegen  nicht  in  eindeutiger  Weise. 

Th.  Ziehen. 

13)  On  a  oaee  of  early  disseminated  myelitis  oooiunrlng  in  the  exanthem 
Btage  of  meaeles  and  fatal  on  the  11^  day  of  that  dlseaee,  by  Thomas 
Barlow.     (The  Brit.  medic.  Joum.  1886.   13.  Nov.  p.  923.) 

Der  23jährige  Polizist  kam  am  2.  Tage  der  Eruption  in's  Hospital.  Kotirt 
wurde  Schmerz  längs  des  Stemum  und  im  Epigastrium.  —  Nachts  Urinverhaltuug. 
Folgenden  Tags  leichter  Sopor,  Lähmung  der  untern  Extremitäten,  Knie-  und  Plantar- 
reflex fehlend,  Empfindung  ziemlich  erhalten.  Der  Druck  der  Hand  schwach.  Läh- 
mung der  Intercostalmuskeln.  Geist  klar.  Husten  effectlos,  Abweichen  der  Zunge 
nach  links.     Sprechen:  ein  Flüstern.     Cyanose:  Tod  am  11.  Tage. 

Die  Autopsie  ergab  ausser  Verdichtung  des  unteren  Lappens  der  linken  Lunge 
und  intensiver  Congestion  und  Ekchymosen  auf  Tracheal-  und  Bronchial-Schleimhaut 
in  Brust  und  Bauch,  sonst  nichts  Abnormes.  —  Die  graue  Substanz  der  Hirnwin- 
dungen dunkel,  Gehirn  weich,  Ependym  der  Seitenventrikel  leicht  abgehoben.  —  Im 
oberen  Dorsalmark  intensive  Erweichung,  in  der  Gegend  des  5.  Br.-W.  zerfliessend. 
In  der  Lumbargegend  rothe  Erweichung,  namentlich  in  den  grauen  Hörnern,  welche 
stellenweise  gehöhlt.  Das  Mikroskop  erwies  Gefässanschoppung ,  Infiltration '  des 
Nachbargewebes  mit  weissen  Blutkörperchen  und  interstitiellem  Extravasat.  In  Nerven- 
zellen, Fasern  und  dem  Stützgewebe  keine  Veränderung.*  Aehnliche  Befunde  in  der 
Med.  oblongata,  jedoch  ohne  Blutung.  Die  Hauptstörung  schien  die  Hypoglossus- 
und  Vaguskeme  getroffen  zu  haben. 

Der  Fall  ähnelt  dem  von  W^estphal  nach  Pocken  gesehenen.  —  Eine  sehr 
eingehende  Discussion,  welche  sich  an  diesen  Fall  knüpfte  (Cheadle,  Ormerod, 
Poore  u.  a.)  Hess  noch  folgende  Fragen  unbeantwortet,  ob 

1.  solche  Erkrankung  die  Folge  eines  besonders  intensiv  auftretenden  Masern- 
Virus  sei; 

2.  ob  solche  Erkrankung  nach  Masern  eine  hereditäre  Disposition  erkennen  lasse; 

3.  ob  ein  den  Masern  voraufgegangenes  Trauma  dabei  mit  wirksam  gewesen  sei. 

L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

• 

14)  Ueber  neuere  günstige  Formen  von  Hemiläsion  des  Bückenmarka,  von 

Prof.  M.  Rosenthal,  Wien.     (Sep.-Abdr.  aus  der  Wiener  med.  Presse.  1887.) 

3  Fälle  spondylitischer  Hemiläsion  werden  ausfCihrlich  geschildert.  Im  ersten 
Fall  deckten  sich  die  Ausfallsgebiete  von  Schmerz-  und  TemperaturgefQhl  nicht 
Bei  der  Heilung  erholte  sich  die  Sensibilität  in  centrifugaler  Richtung;  zuerst  kehrte 
Gontact-,  Kitzel-,  dann  Schmerzgefühl,  erst  nach  5  weiteren  Tagen  Temperatur- 
sinn und  Tempieratur-Schmerzempfindung  (beide  fOr  Wärme  frfiher  als  fftr  Kälte) 
zurück.  Die  (gekreuzte)  Hemiplegie  mit  Mnskelatrophie,  sowie  die  vasomotorischen 
Störungen  gingen  vor  der  Hemianästhesie  zurück.  Halbseitige  Gompreseion  des 
Bückenmarks  durch  Pachymeningitis  cervic.  ext.  lag  vor. 

Der  2.  Fall,  eine  traumatische  Spondylitis,  heilte  unter  Application  von  6  points 
de  feu,  Elektrisation  und  Jodkalium. 

Im  3.  Fall  (tuberculöse  Halswirbel-Garies)  ging  die  halbseitige  Druck-Myelitis 
in  eine  transversale,  tödtliche  über.  Beflexsteigerung  auch  auf  der  anästhetischen 
Seite  leitete  die  Verbreitung  der  Myelitis  auf  die  andere  Hälfte  ein. 

Fall  4.  25jährige  Hysterica:  links  Hemiparese,  Ovarie,  leichte  Steigerung  des 
Patellarreflexes,   leichter  hyperästhetischer  Seitenstreifen;   rechts  Analgesie,  Motilität 


—    58    — 

und  MnskelgefBhl  intact  Ab  und  zu  Streokkrämpfe  der  Arme  und  Singultus,  Car- 
dialgie.  Unter  elektrischer  Behandlung  binnen  2  Monaten  Heilung.  Dieser  einzig 
dastehende  Fall  des  Auftretens  der  Hysterie  unter  dem  Bilde  der  Halbseitenläsion 
Brown-S^quard*8  weist  nach  B.  wieder  darauf  hin,  dass  die  behauptete  Bizarrerie 
der  hysterischen  Symptome  sich  als  Leitungsstflrung  bestimmter  anatomischer  (hier 
spinaler)  Bahnen  auflöst.  Th.  Ziehen. 

16)  Eliiiisohe  Beiträge  zur  Kenntniss  der  HalbBeitenläslon  des  Büoken- 
marks  nnd  der  Spinalapoplexie,  von  Dr.  Aug.  Hoff  mann,  Erlangen.  (Münch. 
med.  Woch.  1887.  S.  409.) 

I.  Fall.  16j&hr.  Tischlerlehrling  verspürte  1  Stunde  nach  dem  Tragen  relativ 
ZQ  grosser  Last  auf  dem  Bücken  vorübergehende  Schmerzen  von  dem  letzten  Brust- 
bis  zu  den  Kreuzwirbeln.  4  Stunden  später  heftiger  Stich  in  den  letzten  Brust- 
wirbeln; zugleich  fiel  Fat.  bei  vollem  Bewusstsein  zu  Boden.  Danach  war  das  linke 
Bein  paralytisch,  im  rechten  Bein  lebhaftes  Hitzegefühl.  In  5  Wochen  allmähliche 
motorische  Besserung  des  linken  Beines.  Doch  bestand  noch  immer  Parese  und 
Schwäche.     Sensibilität  normal. 

lankes  Thoraxsegment  von  der  5.  Rippe  bis  Rippenbogen  anästhetisch.  Rechtes 
Bern  total  anästhetisch,  ebenso  aufwärts  bis  zur  7.  Rippe.  Beim  Beugen  des  Knie- 
gelenks tritt  Mitbewegui^  in  dem  activ  total  unbeweglichen  Fussgelenk  ein  (Contraction 
des  M.  tibialis  ant.  und  extensor  hallucis  longus),  öfters  Mitbewegung  im  linken 
Cremaster  beim  Anziehen  des  linken  Beins  an  den  Rumpf.  Hautreflexe  rechts  leb- 
hafter als  links.  Nach  5monatlicher  (elektrischer)  Behandlung  trat  allmählich  Besse- 
nmg  ein  bis  auf  restirende  Yaro-equinus-Stellung  des  linken  Fusses  beim  Liegen; 
femer  fehlte  dauernd  die  Kälteempfindung  im  rechten  Bein  und  in  der  linken 
grossen  Zehe  traten  ab  und  zu  von  selbst  Dorsalflexionen  ein,  die  langsam  wieder 
zurückgingen. 

H.  nimmt  als  anatomische  Grundlage  eine  Rückenmarksblutung  an  wegen  des 
ätiologischen  Moments  und  dadurch  „veranlasster  activer  Gongestion  zum  Rücken- 
mark", wegen  des  acuten  Auftretens  und  der  raschen  Besserung  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade. 

IL  Fall.  56jähriger  Oekonom  wurde  von  2  Ochsen  im  Bereich  des  ganzen 
Rückens  getreten,  wobei  er  das  Bewusstsein  verlor.  Darauf  entwickelte  sich  folgen- 
der Zustand:  Hirn-  und  Bulbämerven  intact.  Schmerzen  im  Nacken,  die  in  den 
linken  Arm  ausstrahlten.  Bewegung  der  Halswirbelsäule  behindert  und  schmerzhaft. 
5.  Halswirbel  nach  innen  vorspringend.  Linker  Arm  total  paralytisch  bis  auf  mini- 
male Bew^n^ngen  im  Daumen  und  Zeigefinger.  Sensibilität  normal  bis  auf  fehlende 
Schmerz-  und  perverse  Temperatnrempfindung,  so  dass  Kältereize  Wärme- 
gefühl hervorrufen.  Das  rechte  Bein  ist  motorisch  normal;  seine  Sensibilitätsver- 
hältnisse wie  im  linken  Arm.  Das  linke  Bein,  anfangs  total  gelähmt,  wurde  im 
Hfift-  und  Kniegelenk  bald  beweglich.  In  Fussgelenk  und  Zehen  Unbeweglichkeit; 
trotzdem  tritt  beim  Beugen  im  Hüft-  und  Kniegelenk  deutliche,  nicht  unterdrückbare 
Dorsalflexion  im  Fussgelenk  als  Mitbewegung  ein.  Im  linken  Bein  Hyper- 
ästhesie. Anfangs  Blasenlähmung  und  Obstipatio  alvi,  die  nach  14  Tagen  schwanden, 
in  8  Wochen  war  der  gesammte  Zustand  bedeutend  gebessert.  Die  Sensibilitäts- 
störungen des  rechten  Beines  dauern  aber  fort  neben  einem  jetzt  vorhandenen  sub- 
jectiven  Hitzegefühl.  Sehnenreflexe  auf  der  linken  Seite  jetzt  gesteigert,  anfangs 
normaL 

Bezüglich  der  anatomischen  Diagnose  dieser  traumatischen  Läsion  des  Cervical- 
marks  neigt  H.  eher  zur  Annahme  einer  Compression  der  linken  Cervicalhälfte  durch 
ein  Blutextravasat  als  durch  Wirbellnxation,  wegen  der  schnellen  Besserung. 

III.  erwähnt  H.  einen  nicht  ganz  reinen  Fall  von  Halbseitenläsion  des  Rücken- 
marks  mit   der   Dii^ose   Syringomyelie,   bei   dem   rechter  Arm  und  rechtes   Bein 


—    64    — 

motorisch  gelähmt  sind,  während  die  Sensibilität  im  rechten  Arm  theilweise,  im  linlcen 
Bein  total  erloschen  ist.  Am  rechten  Bein  ebenfalls  Mitbewegung  im  Fassgelenk. 
Am  rechten  Vorderarm  und  Handrücken  partielle  Wärmeanästhesie,  indem  Fat. 
kalte  Gegenstände  als  kalt,  bei  Berührung  mit  warmen  und  heissen  gar  keine  Tem- 
peratur empfindet. 

Beachtung  verdienen  die  ,,Mitbew6gungen"  in  diesen  Fällen,  die  in  neuerer  Zeit 
bei  cerebraler  Hemiplegie,  spastischer  Spinalparalyse  etc.  häufig  beobachtet  wurden. 
Die  Hyperästhesie  auf  der  Seite  der  Verletzung,  wie  sie  in  typischen  Fällen  Brown- 
S6quard*scher  Spinallähmung  gefunden  wird,  zeigt  nur  Fall  II.  Diese  nach  Woroschi- 
loff*8  Vorgange  aus  dem  Wegfalle  schmerzhemmender,  mit  den  motorischen  Bahnen 
im  Seitenstrang  ungekreuzt  aufsteigender  Fasern  zu  erklären,  möchte  H.  nicht,  da  wir 
sonst  diese  Hyperästhesie  in  Fall  I  (mit  vermuthlich  starker  Seitenstrangläsion)  gewiss 
erwarten  müssten.  H.  zieht  deswegen  die  Annahme  einer  reactiven  Entzündung  des 
Marks  vor. 

Die  verschiedenen  Sensibilitätsarten  verhalten  sich  nicht  immer  gleich.  Die 
Tastempfindung  kehrt  zurück  und  die  Schmerzempfindung  bleibt  ofb  gestört  (Fall  I 
und  II).  Der  Temperatursinn  ist  entweder  herabgesetzt  oder  aufgehoben  und  zwar 
für  „Warm"  und  „Kalt"  in  gleicher  Weise  (dies  dau  Häufigste);  oder  es  findet  sich 
partielle  Temperatursinnlähmung  (Fall  III);  oder  perverse  Temperaturempfindung,  so 
dass  alle  thermischen  Reize  dieselbe  Temperaturempfindung  bewirken  (Fall  I  n.  II). 
Letztere  Erscheinung  spricht  für  die  Annahme  getrennter  „Wärmenerven"  und  „Kälte- 
nerven" Popper. 


16)  A  oase  illustrating  the  differential  diagnoais  of  tumour  of  the  cord 
and  tumour  of  the  cauda  equinus,  by  Oliver.    (Brain.  1887.  Januar.) 

Die  differeutialdlagnostischeu  Momente,  die  nach  der  Ansicht  des  Verf.  zwischen 
einem  Tumor  der  Meüulla  in  der  Lumbarregion  und  einem  solchen  der  Cauda  equina 
bestehen,  lassen  sich  in  folgender  Weise  iu  ein  Schema  bringen. 

Tumor  der  Medulla.  Tumor  der  Cauda  equina. 

1.  Im  Beginn  meist  Erscheinungen   der     1.  Wenn  halbseitige  Erscheinungen,  dann 
Halbseitenläsion.  motorische  und  sensible  Störungen  auf 

derselben  Seite. 

2.  Keine  trophischen  und  elektrodiagnosti-     2.  Muskelatrophien  u.  Entartungsreaction. 
sehen  Störungen  der  Muskeln. 

3.  Starker  Kniereflex  und  Achillesclonus.     3.  Weder  Patellar-  noch  Achillessehnen - 

reflex. 

4.  Blasenstörungen.  4.  Keine  Blasenstörungen. 

Bruns. 


17)  Ein  Fall  periodisoher  spinaler  Lähmung,  von  B.  Greidenberg.  (Wratsch. 
1887.  Nr.  48.  Russisch.) 

Ein  22jähriger  Soldat  klagte  über  periodisch  auftretende  Lähmung  des  ganzen 
Körpers,  wodurch  er  mehrere  Male  monatlich  im  Laufe  von  1 — 2  Tagen  verhindert  sei 
sich  zu  rühren;  die  Krankheit  soll  seit  10  Jahren  bestehen  und  der  erste  Anfall 
nach  einem  heftigen  Schreck  entstanden  sein.  Erbliche  neuropathische  Disposition 
ist  nicht  vorhanden.  In  Folge  seiner  Angaben  wurde  er  zur  Exploration  in  die  vom 
Verf.  geleitete  Anstalt  geschickt,  wo  er  zwei  Monate  lang  unter  spedeller  Beobach- 
tung verblieb. 

Die  objective  Untersuchung  ergab  keine  Abnormitäten  seitens  des  Nervensystems. 
Es  erwies  sich,  dass  er  2 — 3mal  wöchentlich  von  einem  stereotypen  Lähmungszustand 


—    55    — 

folgenden  Charakters  befallen  wurde:  Noch  am  Abend,  beim  Schlafengehen  fühlte 
sich  Patient  vollständig  gesnnd,  am  nächsten  Morgen  aber  erwachte  er  mit  dem 
Oef&hl  einer  Gebundenheit  des  ganzen  Körpers,  konnte  sich  weder  umdrehen,  noch 
setzen,  noch  überhaupt  ein  Glied  bew^en,  und  nur  die  Muscnlatur  des  Gesichts  und 
der  Zunge  erschien  ungelähmt.  Einige  Muskelgruppen,  yorzüglich  an  den  Unter- 
dxtremit&ten,  boten  deutlich  ausg^rägte  Spannung  und  fühlten  sich  hart  an.  Haut- 
and Sehnenrefiexe  fehlten.  Die  elektrische  Erregbarkeit  der  Nerven  und 
Maskeln  war  vollständig  verloren.  Sensibilität  erhalten,  Temperatur  normal, 
Bewuastsein  frei.  Puls  etwas  beschleunigt.  Die  Läbmung  mitsammt  ihren  Attributen 
befiel  stets  zuerst  die  Unterextremitäten  und  breitete  sich  dann  im  Verlauf  mehrerer 
Stünden  auf  die  Bumpftnusculatur  und  Oberextremitäten  aus;  mehrmals  beschränkte 
sie  sich  auf  die  Unterextremitäten  allein.  Die  Rückkehr  der  Beweglichkeit  geschah 
in  umgekehrter  Richtung,  indem  Patient  zuerst  im  Stande  war,  die  Handfinger  zu 
bewegen,  dann  die  Arme,  weiter  sich  setzen  konnte,  und  erst  zuletzt  die  L&hmung 
der  Fflsse  verschwand;  zu  gleicher  Zeit  und  in  der  nämlichen  Reihenfolge  stellte 
sich  auch  die  elektrische  Erregbarkeit  wieder  ein;  die  Sehnenreflexe  kehrten  erst 
bedeutend  später  zurück.  Die  Restitution  dauerte  gewöhnlich  mehrere  Stunden,  die 
Lähmung  selbst  hielt  von  mehreren  Stunden  bis  zu  einigen  Tagen  an. 

Verf.  macht  auf  die  frappante  Aehnlichkeit  seiner  Beobachtung  mit  der  von 
Westphal  (Berliner  klin.  Wochenschr.  1885.  Nr.  31  u.  32)  beschriebenen  aufmerksam 
und  gesellt  sich  zu  dessen  Ausspruch  zu:  „Wir  stehen  dem  geschilderten  Krankheits- 
fall als  einem  Räthsel  gegenüber."  P.  Rosenbach. 

18)  Ueber  periodische  OoiüomotoriuBläbmiuig,  von  Prof.  Dr.  H.  Senator. 
(Zeitschr.  f.  klin.  Med.   Bd.  XHI.   H.  3.) 

Eine  22jährige  Frau  litt  ihrer  Angabe  nach  seit  ihrem  8.  Lebensjahre  an 
periodisch  auftretenden  Anfällen  von  rechtsseitigem,  heftigem  Kopfschmerz,  Frost, 
Müdigkeit  und  Erbrechen;  dieselben  dauerten  in  der  Regel  3 — 4  Tage  und  wieder- 
holten sich  alle  4  Wochen.     Ursache  unbekannt. 

Im  12.  und  16.  Lebensjahre  trat  während  der  Dauer  zweier  derartiger  Anfälle 
auch  Doppeltsehen  und  Ptosis  des  rechten  Auges  hinzu.  Dieselbe  Complication  zeigte 
sich  ein  3.  Mal  im  22.  Jahre  und  kam  diesmal  zur  genauem  Beobachtung  des  Ver- 
fassers. Am  4.  November  1886  wurde  neben  rechtsseitigem  Kopfschmerz  eine 
eomplete  L&hmung  sämmtlicher  Zweige  des  rechten  N.  oculomotorius,  einschliess- 
lich der  Iris-  und  Ciliarzweige,  constatirt.  Reaction  auf  Licht  und  Accommodation 
rechterseits  erloschen.  Augenhintergrund  normal.  Sonstige  Störungen  an  den  Augen, 
oder  von  Seiten  des  Nervensystems  fehlten  vollständig.  Nach  6tägigem  Bestände 
war  die  Lähmung  wieder  völlig  verschwunden  und  der  Augenbefund  ein  gänzlich 
normaler.  Patientin  fühlte  sich,  wie  auch  nach  den  früheren  Anf&Uen  wieder  voll- 
kommen gesund. 

Während  einer  weiteren  langem  Beobachtung  der  Patientin  wiederholten  sich 
diese  Migräneanf&lle  in  unregelmässigen  Zwischenräumen  mit  3,  6,  9wöchentlichen 
Pansen;  eine  Betheiligung  des  N.  oculomotorius  fand  nicht  wieder  statt. 

Die  Angabe  der  Patienian,  dass  stets  die  Anfälle  alle  4  Wochen  und  kurz  vor 
oder  mit  der  Menstraation  eingetreten  sein  sollen,  bestätigte  sich  also  in  letzterer 
Zeit  nicht  und  macht  einen  Zusammenhang  zwischen  den  An^en  und  der  Menstrua- 
tiott  unwahrscheinlich. 

In  Anschluss  an  vorstehenden  Fall  periodischer  Oculomotoriuslähmung  bespricht 
Verf.  ausfdhriich  diese  sehr  interessante  und  eigenartige  Krankheitserscheinung  mit 
Berücksichtigung  der  einschlägigen  Litteratur. 

Es  handelt  sich  in  allen  diesen  Fällen  um  eomplete,  sämmtliche  Zweige  eines 
N.  oculomotorius  betreffende  Lähmungen,  die  in  verschieden  langen  Zeitintervallen 
immer  wieder  ein  und  denselben  Nerven  befaUen. 


—    66    — 

Verf.  unterBcheidet  2  Gruppen:  die  eiste  umfasst  diejenigen  L&hmiingen,  welche 
nur  periodisch  exacerbiren  und  bei  welchen  in  den  Zwischenzeiten  Reste  der  Läh- 
mungen doch  noch  nachw^har  sind;  in  die  zweite  rechnet  er  die  rein  periodischen 
L&hmungen  mit  vollkommen  freien  Intervallen,  deren  Vorkommen  durch  den  mitge- 
theilten  Fall  von  Neuem  bestätigt  wird. 

Bei  Besprechung  des  Wesens  und  der  Ursache  dieser  Lähmungen  kommt  Verf. 
zu  dem  Schlüsse,  dass  die  periodisch  exacerbirenden  Oculomotoriuslähmungen  in 
einigen  Fällen  mit  Sicherheit,  in  andern  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  auf  eine 
Läsion  des  Nervenstammes  an  der  Schädelbasis  zurückzuführen  und  durch  vorüber- 
gehende odematöse  Schwellungen  und  entzündliche  Reizungen  von  einem  bestehenden 
Erkrankungsherd  aus  secundär  bedingt  sind. 

Schwieriger  ist  die  Beurtheilung  dieser  Frage  bei  der  2.  Gruppe,  den  rein 
periodischen  Lähmungen,  und  ist  Verf.  geneigt  anzunehmen,  dass  es  sich  hier  um 
schnell  vorübergehende,  leicht  ausgleichbare  Störungen  handelt^  dass  grObere  ana- 
tomische Läsionen  auszuschliessen  sind  und  dass  dieselben  mit  Wahrscheinlichkeit 
als  sogenannte  functionelle  Lähmungen,  als  hysterische  oder  als  Reflezlähmungen  auf 
hysterischer  Grundlage  aufzufassen  sind.  P.  Seifert 


19)  Migraine  attaoka  followed  by  temporary  paralysis  of  the  third  nerve, 

by  Suchling.     (Brain.  1887.  July.) 

Totale  recidivirende  Paralyse  des  linken  Oculomotorius  nach  Migräneanfällen. 
Die  Migräne  dauerte  gewöhnlich  48,  die  Lähmung  24  Stunden,  doch  war  auch  in 
der  Zwischenzeit  die  Function  des  Nervus  III  keine  ganz  normale.  Verf.  will  nur 
den  Fall  von  Saundby  (Lancet.  1885.  10.  Jan.)  dem  seinigen  gleichstellen.  (Die 
Fälle  von  MObius,  Oppenheim,  Thomsen  und  Manz  hatten  zwar  alle  auch 
migräneartige  Anfälle  vor  Eintritt  der  Lähmung,  letztere  aber  war  von  weit  längerer 
Dauer,  als  in  des  Verfossers  Fall    Ref.)  Bruns. 


Psychiatrie. 

20)  On  arrested  cerebral  development  with  special  reference  to  its  cortical 
pathology,  by  B.  Sachs.  (Joum.  of  nervous  and  mental  diseases.  1887.  XIY. 
p.  641.) 

Bemerkenswerther  Fall  von  hochgradigster  Idiotie  bei  einem  sonst  wohlentwickelten 
Mädchen  von  2  Jahren.  Die  Eltern  waren  frei  von  Lues  etc.,  dagegen  psychopathisch 
belastet;  die  Mutter  hatte  im  6.  Monat  der  Gravidität  eine  schwere  Erschütterung 
durch  Sturz  aus  dem  Wagen  erlitten.  Das  Kind  hatte  sich  in  normaler  Weise  ent- 
wickelt» doch  fiel  seit  dem  3.  Monat  sein  Mangel  an  Aufmerksamkeit  und  an  activen 
Bewegungen  auf.  Er  lernte  auch  später  nicht,  eine  Person  erkennen,  eine  spontane 
Bewegung  zu  machen  und  einen  Ton  von  sich  zu  geben.  Gehör  und  Gefühl  schienen 
sehr  ausgebildet^  das  Sehvermögen  fehlte  aber  völlig.  (Eine  von  Knapp  vorgenom- 
mene ophthalmoskopische  Untersuchung  ergab  das  von  ihm  bereits  auf  der  XVII.  Oph- 
thalmologen-Yersammlung  zu  Heidelberg  mitgetheilte  eigenartige  Resultat,  dass  neben 
Nystagmus  und  normalen  Augenmedien  Abblassung  beider  Sehnervenpapillen  und  inten- 
sive kirschrothe  Färbung  der  Fovea  centralis,  die  beiderseits  von  einem  grauweissen 
und  allmählich  in  die  normale  RetinaUärbung  übergehenden  Ringe  umgeben  war, 
bestand.)    2  Jahr  alt  erlag  das  Kind  einer  Bronchopneumonie. 

Die  Section  ergab  einen  fast  symmetrischen  hyperostotischen  Schädel  und  keine 
wesentlichen  Abnormitäten  der  Hirnhäute.  Das  Gehirn  selbst  irog  1000  Gramm; 
alle  Furchen  waren  tief  und  dabei  wenig  complicirt,  besonders  in  den  Stimlappen. 
Die  linke   Insel   lag  ziemlich  frei,  während  die  rechte  fast  ganz  verdeckt  war.     Im 


—    67      - 

Hini  and  speciell  in  der  —  dem  Gefühl  nach  —  härten  Hirnrinde  lieesen  sich  keine 
Spuren  eines  älteren  encephalitischen  Processes  nachweisen:  die  Neuroglia  war  überall 
gans  normal.  Weder  Sklerosen,  noch  Kemwucherongen  oder  Verändernngen  der 
Blntgefösse  waren  irgendwo  zu  entdecken;  auch  die  Zahl  der  (befasse  aaf  einer 
Flächeneinheit  entsprach  durchaus  dem  normalen  Verhalten.  Dagegen  war  die  Zahl 
der  Qanglienzellen  nnd  besonders  der  grossen  Pyramidenzellen  zweifellos  verringert 
und  die  Zellen  selbst  mangelhaft  entwickelt:  die  Contour  und  der  protoplasmatische 
Inhalt  derselben  boten  ganz  von  der  Norm  abweichende  Bilder.  Hervorzuheben  ist 
hier  speciell  der  eigenthümliche  Befund,  dass  viele  der  Vertreter  der  grossen  Pyra- 
mideniellen  nngewöhnlich  gelagert  waren,  also  z.  B.  mit  der  Basis  nach  aussen  lagen. 
Eme  ähnliche  abnorme  Lagerung  hat  übrigens  auch  Brückner  (und  ganz  neuerdings 
Bernardini,  Bef.)  bei  Idiotie  beschrieben. 

Die  Zellenfortsätze  nnd  Nervenfasern  schienen  normal  zu  sein,  doch  Hessen  sie 
sich  bei  den  angewandten  Färbemethoden  nicht  weit  in  ihrem  Verlaufe  verfolgen. 

Eine  Erkrankung  der  Ganglienzellen,  etwa  mit  secundärer  Degeneration  und 
Atrophie  derselben,  glaubt  Verf.  aosschliessen  zu  müssen;  er  nimmt  daher  einen 
(▼ielleicht  im  5.  Fötalmonat  in  Folge  des  Traumas  eingeketenen)  Stillstand  in  der 
weiteren  Entwickelung  der  Bindenzellen  als  Ursache  der  Idiotie  au. 

Eine  Beproduction  der  linken  Hemisphäre  durch  Lichtdruck  und  einige  Abbil- 
dungen mikroskopischer  Präparate  aus  der  Rinde  vervollständigen  die  anatomische 
Beschreibung  des  Falles.  Sommer. 

■  

21)  De  rötat  de  la  dentition  ches  las  enfants  idiots  et  arriärös,  par  Alice 
Soll i er,  n^  Mathieu-Dubois,  Docteur  en  M^decine  etc.  Paris.  (Publications 
du  Progrte  medical.  1887.  p.  179.) 

Mehr  als  hundert  Beobachtungen  an  idiotischen  und  epileptischen  Kindern  des 
„Hospice  de  Bicetre"  werden  ausführlich  mitgetheilt  und  die  Angaben  durch  zahl- 
reiche Abbildungen  der  Kiefer  und  Zahnreihen  anschaulich  gemacht.  Die  Idiotie  mit 
oder  ohne  Epilepsie  giebt  in  91^/^  eine  Prädisposition  zu  Verzögerungen  in  der 
Entwickelung  und  zu  andern  Anomalien  der  Zähne.  Unter  60  Idioten  zeigten  8  eine 
verfrühte  erste  Dentition,  der  4.  Theil  sämmtlicher  Idioten  und  Epileptiker  hatte 
eine  verspätete  erste  Dentition.  Vorzeitiges  Ausfallen  der  Zähne  der  ersten  Dentition 
&nd  sich  selten  (I^Iq),  verspätetes  Schwinden  derselben  in  H^/q  der  Fälle.  Die 
Verspätung  der  2.  Dentition  erfolgte  in  36%.  Bei  14%  fand  sich  Zwergwuchs  der 
Zähne,  in  11  ^/q  Biesenwuchs  derselben;  andere  Missbildungen  der  Zähne  treten  bei 
53%  auf.  Das  Fehlen  von  Zähnen  kam,  abgesehen  von  der  Verzögerung  der  zweiten 
Dentition,  in  11%  ^^h  ^^  Ueberschnss  in  2^/^.  In  dem  Sitz  der  Zähne  sind  die 
Anomalien  häufig  (34  ^/q)  und  betreffen  namentlich  die  Richtung  der  Eck-  und  Schneide- 
zähne. Längsfurchen  und  Streifen  wurden  bei  41"/^)  beobachtet,  Einkerbungen  und 
Zacken  in  58  ^/g.  Caries,  Weinsteinbildung  etc.  haben  keine  besondere  Beziehung 
zQr  Idiotie  und  Epilepsie.  Erosionen  wurden  bei  Idioten  mit  und  ohne  Epilepsie 
beobachtet,  häufiger  kamen  sie  ohne  Gonvulsionen  vor.  In  43  ^/^  war  die  Articulation 
eme  mangelhafte.  In  38 ^/^  zeigte  der  harte  Gaumen  Anomaüen  (Ungleichheit  im 
Nifeau  etc.),  der  weiche  Gaumen  war  in  45  ^,(,  der  Fälle  missgebildet.  Doch  fand 
sich  anch  völlige  Idiotie  ohne  ii^end  eine  dieser  Störungen.  Kali  scher. 


22)  Idiotie  oompldte  symptomatique  d'une  atrophie  oäröbrale  double,  par 

Bonrneville  et  Bri9on.    (Progr.  mäd.   1886.  Nr.  34.) 

Das  4jährige  vollkommen  idiotische  Kind  kam  in  der  Pflegeanstalt  in  Bicötre 
zur  Beobachtung,  es  starb  nach  einem  Aufenthalt  von  4  Monaten  an  chronischer 
Bronchitis.  —  Der   Knabe   stammte   aus   einer  mit  Geistes-  und  Nervenkrankheiten 


—    68    — 

sehr  belasteten  Familie,  und  wurde  erzeugt  in  einer  Zeit,  da  Vater  und  Mutter  in 
einer  Eautscbukfabrik  arbeiteten  und  viel  Schwefelkohlenatofif  einathmeten.  Im 
8.  Monate  seines  Lebens  wurde  die  mangelhafte  Entwickelung  desselben  zuerst  be- 
merkt. Er  lernte  nicht  sprechen,  erst  im  4.  Jahre  üng  er  an  zu  laufen,  schlief 
wenig  und  stiess  in  der  Nacht  heftige  Schreie  aus,  war  dabei  von  allen  möglichen 
Krankheiten  und  Bildungsanomalien,  Impetigo,  Ophthalmie,  Strabismus,  Phimosis  etc. 
heimgesucht  —  Es  wurde  complete  Idiotie  constatirt.  —  Das  Kind  knirschte  fast 
fortwährend  mit  den  Zähnen  und  wiegte  sich  von  hinten  nach  vom. 

Die  Autopsie  ergab  verschiedene  atrophirende  Processe  im  Grosshim,  welche  die 
Verff.  auf  eine  entzündliche  Erweichung  zurückzuführen  geneigt  sind.  —  An  Stelle 
der  besonders  atrophirten  Lobi  frontales,  temporales  und  parietales  waren  theilweise 
Pseudokysten  getreten.  —  Die  linke  Hemisphäre,  welche  91  Gramm  wog,  war  weniger 
betheiligt  als  die  rechte.  Laqner. 


23)  Cases  of  suioidal  intent  in  oongenital  imbeciles,  by  C.  S.  W.  Cobbold. 
(Joum.  of  ment.  science.  1886.  Oct.) 

G.  theilt  6  Fälle  von  Selbstmordversuchen  bei  angeborenem  Schwachsinn  mit. 
Solche  Fälle  kommen  wohl  öfters  zur  Beobachtung,  die  hier  mitgetheilten  zeichnen 
sich  aber  durch  das  Missverhältniss  zwischen  dem  stattgehabten  geringfügigem  Yer- 
druss  und  der  Schwere  der  geplanten  That  aus,  ja  in  einzelnen  fehlt  sogar  jede 
äussere  Ursache,  der  Versuch  entspringt  rein  einem  momentanen  Impuls,  und  in 
diesen  Fällen  ist  auffallend,  wie  rasch  der  Impuls  vergeht  und  dann  auch  vergessen  ist 

Zander. 

24)  Tunghörte,  Böve  og  Aandssvage,   af  Dr.  med.  Ole  Bull.    (Norsk.  Mag.  f. 
Lägevidensk.   1887.   4.  B.  II.  6.  7.  S.  438.  633.) 

B.  untersuchte  die  Zöglinge  mehrerer  Institute  für  geistig  Zurückgebliebene  in 
Bezug  auf  das  Hör-  und  Sehvermögen,  in  der  Absicht,  das  gewonnene  Material  fQr 
die  Aetiologie  der  Geistesschwäche  zu  verwerthen.  Er  fand  dabei  die  Yermuthung 
bestätigt,  dass  Ohrenleiden  oft  Schuld  sind  am  Zurückbleiben  in  der  geistigen  Ent- 
wickelung. Auch  für  Augenleiden  konnte  B.  dasselbe  in  einer  nicht  unbedeutenden 
Anzahl  von  Fällen  feststellen.  Er  fordert  deshalb,  dass  bei  geistig  Zurückgebliebenen 
mehr  auf  das  Verhalten  der  Smnesorgane  geachtet  werde.  Walter  Berger. 


26)  liäsionen  des  Gehörapparates  und  psychische  Störungen,  von  Lannois, 
Lyon.     (Pariser  Congress  für  Laryngologie  und  Otologie.     October  1887.) 

L.  hat  seine  Untersuchungen  bei  46  Frauen  angestellt  und  unterscheidet  unter 
ihnen  die  vollständig  tauben  und  die  an  Hallucinationen  leidenden  Patienten.  Die 
erste  Gruppe  (19  Fat.)  umfasst  14  mit  und  5  ohne  HaUucinationen.  Die  zweite 
Gruppe  (26  Fat.)  umfasst  12  ohne  Ohrenläsionen,  14  mit  Gehörsstörungen  und 
Ohrenläsionen.  Daraus  folgt,  dass  mehr  als  die  Hälfte  der  FäUe  ohrenleidend  ist 
L.  kommt  zu  folgenden  Schlüssen:  1.  Die  Ohrenläsionen  sind  bei  den  Irren  häufig 
und  in  einer  Anzahl  von  Fällen  die  prädisponirende  Ursache  der  Hallucinationen  und 
psychischen  Störungen.  2.  Bei  allen  an  Hallucinationen  leidenden  Patienten  muss 
man  zuerst  immer  die  Ohren  untersuchen,  da  eine  rechtzeitige  Behandlung  eines  be- 
stehenden Ohrenübels  die  Krankheit  zuweilen  zu  heilen  vermag. 

(D.  M.  Zeitg.  1887.  S.  1050.) 


—    5fl    — 

Forensische  Psychiatrie. 

26)  Du  diagnostic  mädico-l^al  de  la  Pyromanie  par  Tezamen  indirect, 

par  Marandon  de  Montyel.    (Arch.  de  Neurologie.   1887.   VoL  XIII.  p.  19.) 

In  weiterer  Ansftlhrang  seiner  früheren  Mittheilong  über  die  geistesgestörten 
Brandstifter  (Arch.  de  Neor.  1885.  X.)  behandelt  M.  solche  Schwachsinnige,  welche 
Dicht  wie  andere  Irre  ihren  Wahnideen  gehorchend  Feuer  anlegen,  sondern  welche 
von  Zeit  zu  Zeit  durch  einen  unwiderstehlichen  Trieb  hierzu  getrieben  werden.  Sie 
sind  Yerschmitzt  und  im  Lügen  gewandt  und  es  gelingt  nur  durch  indirecten  Beweis, 
sie  zu  überführen,  weil  sie  vorzüglich  zu  dissimuliren  wissen:  Manche  wissen  auch 
in  ihrem  Schwachsinn  nicht,  über  das  was  in  ihrem  Innern  bei  der  That  vorging, 
Auskunft  zu  geben.  Der  indirecte  Beweis  wird  erbracht  durch  verschiedene  Um- 
stände: sonächst  sind  es  Brände  von  leicht  entzündbaren  Stoffen,  zu  denen  ein  Streich- 
hölzchen genügt;  dann  sind  es  immer  mehrere  Brande,  auf  dem  Lande,  und  stets 
Sonntags  oder  Festtags,  nach  Schlnss  der  Wirthsbäuser.  Den  Brandstifter  charak- 
terisirt  das  Fehlen  jeden  Motivs,  sein  Schwachsinn,  sodann  gewisse  Störungen  seines 
Befindens  kurz  vor  oder  bei  der  That:  Kopfschmerzen,  Herzklopfen,  Luftmangel,  Ab- 
geschlagenheit und  Schwächegefühl,  schweigsames,  trauriges  Wesen,  bereits  früher 
bemerkte  Neigung  zum  Brandstiften.  Er  h^t  in  der  Kindheit  an  Convulsionen  ge- 
litten, oder  an  andern  nervösen  und  intellectuellen  Störungen,  er  ist  erblich  beanlagt, 
er  ist  in  der  Zeit  der  Pubertätsentwickelung,  Frauen  in  der  Menopause  oder  in  Zu- 
ständen von  Menstruationsstörungeu.  Meist  sind  sie  eifrig  beim  Löschen  des  Brandes. 
Die  That  ist  verschmitzt  und  mit  Vorbedacht  ausgeführt;  in  der  Untersuchung  sind 
die  Thätw  verschlagen  und  lügnerisch;  die  öffentliche  Meinung  hält  sie  für  geistig 
gesund.     Es  sind  stets  Landleute. 

Auf  diese  den  Thäter  betreffenden  Indicien  1^  M.  das  Hauptgewicht;  manche 
Fälle  bieten  Abweichungen,  doch  stets  muss  das  Fehlen  eines  jeden  Motivs  fär  die 
That  Gonstatirt  sein. 

In  den  mitgetheilten  Fällen  gelang  es  M.,  die  Bichter  von  dem  Vorhandensein 
der  „Pyromanie''  zu  Überzeugen.  [Es  dürfte  sich  aber  nicht  empfehlen,  diesen  Be- 
griff in  die  gerichtliche  Medicin  wieder  einzuführen.]  Siemens. 


Therapie. 

27)  De  l'dpilepsie  d*origine  cardiaque  et  de  son  traitement,   par  Georges 
Lemoine.     (Revue  de  M^decine.    1887.  Mai.  p.  365.) 

Verf.  berichtet  über  einige  Kranke  mit  organischen  Herzfehlern  (Mitralstenose, 
Aorteninsuflicienz),  bei  welchen  anscheinend  erst  im  Anschlüsse  an  den  Klappenfehler 
sich  zeitweise  stärkere  oder  schwächere  epileptische  Anfälle  einstellten.  Letztere 
hängen  wahrscheinlich  mit  den  Oirculationsstörangen  zusammen.  Denn,  sobald  es 
gelang,  durch  Coffein,  Digitalis  und  ähnliche  Mittel  eine  völlige  Compensation  des 
Herzfehlers  herbeizuführen,  blieben  auch  die  Anfälle  weg,  während  ihre  Häufigkeit 
zunahm  bei  jeder  Verschlimmerung  des  sonstigen  Zustandes.  Von  welcher  Art  die 
Circulationsstörung  ist,  welche  den  epileptischen  Anfall  hervorruft,  ist  nicht  leicht 
in  entscheiden.  Es  scheint,  dass  hierbei  sowohl  die  Anämie,  als  in  anderen  Fällen 
auch  die  active  Congestion  des  Gehirns  in  Betracht  kommt.  Strümpell. 


^S)  Nuovi  ipnogeni  (metilalo  e  idrato  d'amilene),  note  preventive  del  dott.  P. 
Petrazzani.     (Bivist.  speriment.  di  Freniatr.  ecc.   1887.   XIII.   p.  206.) 

Untersuchungen  über  die  Wirksamkeit  zweier  neuer  Schlafmittel,  von  denen 
indess  nur  das  zweite,  Amylenhydrat,  eine  wesentliche  Bereicherung  des  Arzenei- 
s^^hatzes  darzustellen  scheint. 


—    60    — 

1.  Methylal  (Methylendioxymetfayl)»  Yon  der  Zusammenfietzong  CI^HgOj  = 
(GH30),CH2,  Ton  Malagati  bereits  1839  entdeckt,  aber  erst  1886  von  Personali 
und  dann  von  Lemoine,  Mairet  ond  Gombemale,  Motrokin  u.  A.  therapeutisch 
angewendet  Es  wurde  vom  Verf.  gegen  hartnäckige  Schlaflosigkeit,  besonders  gleich- 
zeitiger psychischer  oder  motorischer  Erregung,  innerlich,  in  Wasser  gelöst,  gegeben 
und  zeigte  sich  in  Dosen  von  5 — 8gr  nur  bei  etwa  28%  der  Fälle  wirbanu 

2.  Amylenhydrat  (Pseudoamylalkohol,  Dimethyläthylcarbinol)  von  der  Zu- 
sammensetzung C5H|20s=(CH3),C(C2H5)OH,  von  Würtz  entdeckt  und  von  Hering 
1887  als  Schlafmittel  empfohlen.  Es  ist  eine  ungefärbte,  nach  Aether  und  Kampher 
schmeckende  Flflssigkeit  vom  spec.  Gewicht  0,81  und  Itet  sich  in  Wasser  im  Yer- 
hältniss  von  1:8,  in  Alkohol  aber  in  jedem  Yerhältniss.  Die  Dosis  beträgt  3,5  bis 
5,0  gr  und  ist  bei  Schlaflosigkeit  auf  Grund  tobsüchtiger  oder  ängstlicher  Erregung  ^ 
fast  ausnahmslos  wirksam,  indem  sie  einen  festen,  ruhigen  und  4 — Sstflndigen  Schlaf 
hervorruft.  Leider  versagt  sie  aber  schon  nach  4 — 6maliger  Anwendung;  subjective 
Unannehmlichkeiten  sind  unter  einigen  70  Einzelfällen  nur  zweimal  geklagt  worden 
und  haben  auch  hier  keinen  höheren  Grad  erreicht  Weitere  Versuche  mit  diesem 
Mittel  sind  daher  wohl  zu  empfehlen.  Sommer. 


29)  Uebor  die  Berechtigung  der  Castration  der  Frauen  sur  Heilung  von 
Neurosen  und  Psyohoaen  bei  intaotem  Sezualsystem,  von  Gustav  Willers. 
Inaugunü-Dissertation.    Freiburg  i.  B.  1887. 

Eine  sehr  fleissige  tabellarisch  geordnete  ZusammensteUung  einer  grösseren  Seihe 
von  Castrationen  kommt  zu  dem  Schluss,  dass  die  Annahme,  dass  die  Castration  bei 
vollständig  intactem  Senalapparat  angezeigt  sein  könne,  in  der  Zusammenstellung 
wenig  Stutze  findet  M. 


aO)  De  raotion  de  raatipyTlne  sur  l'un  des  oentres  therrniquee  enoäpha- 
liquee,  par  le  Dr.  H.  Girard.  (Revue  m^c.  de  la  Suisse  romande.  1887.  Nr.  11.) 

Zu  den  seit  längerer  Zeit  bekannten  Wärme-Erregungscentren  in  MeduUa  cer- 
vicalis,  Bulbus,  resp.  Pons  und  Thalamus  opticus  haben  wir  durch  neuere  Forschungen 
(von  Schreiber,  Ott,  Ch.  Riebet,  Aronsohn  und  Sachs,  Girard)  Eenntniss 
bekommen  von  einem  im  vorderen  Theile  des  Gehirns  gelegenen  Wärmecentrum,  dessen 
Ort  verschieden  angegeben  wird.  G.  beschreibt  eine  einfache  Operation,  durch  welche 
er  mit  Sicherheit  eine  Stelle  am  Innenrande  des  Corpus  striatum  beim  Kaninchen 
trifift  und  jedesmal  eine  starke  Temperatursteigerung  von  24  bis  48  Stunden  Dauer 
erzeugte.  —  Nachdem  er  die  Wirkung  von  subcutaner  Injection  von  Antipjrin  bei 
unverletzten  Kaninchen  vorher  studirt  und  den  entsprechenden  Temperaturabfall  fest- 
gestellt hatte,  injidrte  er  das  Antipyrin  bei  solchen  Kaninchen,  denen  durch  die  oben 
angegebene  Operation  (piquüre  du  corps  strie)  eine  Temperatursteigerung  beigebracht 
war.  In  allen  Fällen  trat  auch  hierbei  eine  deutliche  Temperaturabnahme  nach  Anti- 
pyrin auf,  woraus  G.  schliesst,  dass  dieses  Mittel  zu  den  Nervinis  gehört,  welche 
durch  Einwirkung  auf  das  Gehim-Wärmecentrum  die  Temperatur  herabsetzen. 

Hadlich.  ' 


Anstaltswesen. 

81)   Bericht  über  die  Verwaltung  der  Provinsial- Irren -Heil-  und  Pflege- 
Anstalt  SU  Neustadt  in  Westpr.  für  das  Btatigahr  1.  April  1886/87.   Kr- 

stattet  vom  Director  Dr.  Kroemer. 


61 


1.  April  1886  164  M.  177  Pr. 

Aufgenommen  61  M.     66  Fr. 

Verpflegt  215  M.  243  Fr. 

Abgang  49  M.     55  Fr. 


Bestand  am  1.  April  1887     166  M.  188  Fr.,  Summa  354. 

Von  den  Aufgenommenen  waren  13  mit  dem  Strafgeeetz  in  Conflict  gerathen; 
ein  ausffihrliches  Gutachten  über  einen  der  Brandstiftung  angeklagten  Paralytiker 
findet  sieb  im  Bericht,  der  ausserdem  33  sorgföltig  ausgearbeitete,  sehr  instructive 
Tabellen  enthält  Wir  heben  unter  den  letzteren  noch  besonders  die  über  die  Arbeits- 
tage der  Männer  und  Frauen  hervor,  welche  ein  erfreuliches  Bild  von  den  erzielten 
Resultaten  in  Bezug  auf  die  Beschäftigung  der  Kranken  bieten.  M. 


32)  Bericht  über  die  VerwaXtung  der  Frovinsial-Irren-Heü-  und  Pflege- 
Anstalt  zu  Sohwetz  ffir  das  Etatflijahr  1.  April  1886/87.  Erstattet  von. 
dem  Director  Dr.  Grünau. 

Bestand  am  1.  April  1886     177  M.   165  Fr.,   zusammen  342. 

Aufgenommen      32  M.     30  Fr.,   zusammen     62. 


Zusammen    209  M.   195  Fr.,  zusammen  404. 
Es  schieden  aus      43  M.     27  Fr.,  zusammen    70. 

Bestand  am  31.  März  1887     166  M.    168  Fr.,   zusammen  334. 

Von  den  Aufgenommenen  litten  21  M.  22  Fr.,  zusammen  43  an  einfacher  Seelen- 
atorung. 

Die  Kosten  der  Verpflegung  betrugen  pro  Kopf  0,66  Mark. 

Von  Interesse  ist  besonders  der  Bericht  wegen  einiger  forensischer  Fälle,  speciell 
der  über  eine  Frau,  welche  im  Jahre  1879  wegen  Mordes  ihrer  zwei  Kinder  zum 
Tode  verurtbeüt,  jedoch  zu  lebenslänglicher  Zuchthausstrafe  begnadig^  worden.  Ob- 
gleich schon  während  des  Stra^rocesses  Zweifel  an  ihrer  Zurechnungsföhigkeit  vor- 
handen waren,  die  sich  im  Laufe  der  Strafvollstreckung  noch  mehrten,  wurde  sie 
doch  erst  nach  7  Jahren  und  zwar  nach  einer  6wöchentlichen  Beobachtungszeit  in 
einer  Irrenanstalt  und  entgegen  der  Ansicht  des  betreffenden  Zuchthausarztes  definitiv 
als  geisteskrank  erkannt  und  f&r  blödsinnig  erklärt.  Sie  leidet  an  Schwachsinn,  ver- 
bunden mit  Erregungszuständen.  M. 


ni.  Aus  den  Gtosellsohaften. 

0 

Berliner  GtoeeUechaft  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.   Sitzung  vom 

9.  Januar  1888. 

Herr  Thomson:  Vorstellung  eines  Falles  von  traumatischer  Beflex- 
paralyae.  Ein  jetzt  45jähriger  Mann,  dessen  Yater  Potator,  von  dessen  Brfldem 
der  eine  auch  Potator,  der  andere  taubstumm  ist,  der  selbst  im  Wesentlichen  gesund 
gewesen  ist,  nur  einmal  als  Soldat  einen  leichten  Schwindelanfall  gehabt  hat,  wurde 
im  Feldzuge  1870/71  durch  einen  Schuss  in  den  rechten  Oberarm  verwundet.  Seit 
1885  traten  Schmerzanfölle  auf,  welche  von  der  Narbe  des  rechten  Arms  ausgehen 
und  sieb  mit  Hallucinationen  und  psychischen  Störungen  verbanden,  die  nach  und 
nach  heftiger  wurden,  in  immer  kürzeren  Intervallen  wiederkehrten  und  am  5.  Nov. 
1887  die  Aufoahme  in  die  Charit^  nöthig  machten.  —  Die  An^e  treten  immer  in 
dersellien  Weise  auf:  erst  beginnen  die  Schmerzen  im  Arm,  zunehmend  an  Stärke; 
zu  ihnen  treten  Hallucinationen,  Bilder  von  Büffeln  und  Hunden,  von  rothen  oder 
blutigen  („abgehäuteten")  Menschen,  Pat.  glanbt,  seine  Frau  greife  ihn  an,  werfe  ihn 


—    62    — 

aus  dem  Bette  eic.  —  Der  Fat  wird  dann  erregt»  gewaltthätig.  In  den  nächsten 
Tagen  tritt  deprimirte  Stimmung  ein,  er  sagt,  er  wolle  sich  aufhängen;  diese  Stim- 
mung wechselt  mit  einer  entgegengesetzten,  er  renommirt,  bramarbasirt  und  endlich 
folgt  normales  Verhalten,  das  jedoch  zuletzt  von  krankhaften  Erscheinungen,  ängst- 
lichen Träumen,  Benommenheit,  getrübt  war.  Fat  selbst  hat  bei  den  Anfallen  auch 
Kopfschmerz,  Sehschwäche,  schlechten  Geschmack  und  Gefühllosigkeit  im  rechten 
Arm  und  Bein  wahrgenommen. 

Die  Untersuchung  (5.  Nov.  1887)  ergab:  kräftiger,  intelligenter  Mann.  Am 
rechtep  Arm  —  ausser  den  Narben  —  nichts  Abnormes  an  den  Nerven  und  Muskeln. 

Am  8.  November  ein  Anfall,  Schmerz,  Hallucinationen  etc.  Das  rechte  Bein 
zeigte  deutliche  Farese,  keine  Ataxie.  Aber  es  bestand  eine  totale  Hemianaesthesia 
dextra,  die  sich  auch  auf  Cornea,  Nasen-,  Mund-  und  Bachenschleimhaut  und  äusseren 
Gehörgang  erstreckte,  und  Geruch,  Geschmack,  Gesicht  rechterseits  betraf,  während 
das  Gehör  links  beeinträchtigt  war.  —  Muskelsinn  intact. 

In  ähnlicher  Weise  traten  noch  mehrere  Anfälle  ein,  wobei  sich  zunehmende 
Einschränkung  des  Gesichtsfeldes  und  Dyschromatopsie  —  sodass  zuletzt  nur  noch 
im  Fixirpunkt  Farben,  und  zwar  lediglich  rotb,  gesehen  wurden  —  zeigte. 

Vom  19.— 31.  December  freies  Intervall,  das  benutzt  wurde,  um  (27.  Dec.)  die 
Narbe  zu  reseciren,  welche  sich  übrigens  nicht  mit  dem  Knochen  vorwachsen  zeigte, 
auch  nicht  einen  nennenswerthen  Nervenast  betheiligte.  —  Nur  am  1.  Januar  d.  J. 
noch  ein  ganz  leichter  Anfall  von  24  Stunden;  seitdem  ist  Fat.  bis  heute  ganz  ge- 
sund geblieben,  zeigt  psychisch  ganz  normales  Verhalten,  die  Hemianästhesie  ist  voll- 
ständig verschwunden. 

Wir  haben  also  15  Jahre  nach  einer  Verwundung  das  von  der  Narbe  ausgehende 
Leiden.  Fat.  hat  niemals  epileptische  oder  epileptoide  AnHille  gehabt.  Offenbar  löst 
die  Narbe  des  rechten  Armes  die  Anfälle  aus,  wobei  es  merkwürdig  ist,  dass  die 
Anästhesie  sowohl,  wie  die  Hallucinationen  rechtsseitig  auftreten,  nur  die  Gehörs- 
affection  sich  —  übrigens  auch  nicht  regelmässig  —  links,  also  gekreuzt»  stärker 
zeigte.  —  Von  Uysterie  ist  hier  nicht  zu  reden,  auch  erwies  sich  gegen  die  Anäs- 
thesie sowohl  der  Magnet  wie  der  galvanische  Finsel  etc.  ganz  machtlos.  Es  ist 
offenbar  eine  Beflex-Fsychose. 

Herr  Bemak:  Ueber  einen  Fall  von  Bulbärkernerkrankung.  Eine 
48jährige,  schlecht  genährte  Frau,  welcher  6  Jahre  vorher  wegen  Tumoren  die  Ovarien 
entfernt  waren,  erkrankte  am  10.  Nov.  1886  ganz  plötzlich,  indem  ihre  Sprache  be- 
hindert wurde.  Dies  ging  zwar  bald  vorüber,  trat  aber  wiederholt  von  Neuem  auf, 
es  gesellten  sich  Schlingbeschwerden  hinzu,  sie  war  nicht  mehr  im  Stande  zu  pfeifen 
u.  a.  m.  Als  B.  sie  am  15.  December  untersuchte,  fand  er  eine  leichte  Struma,  sehr 
unregelmässige  Herzthätigkeit;  Oberlippe  auffallend  dünn,  Mund  breit  und  schlaff, 
Nasolabialfalten  verstrichen,  das  ganze  Gesicht  maskenartig;  Augenschluss  unvoll- 
kommen. —  Sensibilitätsstörungen  fehlen,  keine  Augenmuskellähmung,  Fupillen  reagiren 
auf  Licht*  Zunge  schwer  beweglich,  aber  ohne  Atrophie;  überhaupt  nii^ends  Muskel- 
atrophien. Das  Schlucken  geschieht  mit  sichtlicher  Anstrengung.  —  Die  Sprache 
war  nicht  erheblich  gestört,  kaum  nasal  klingend,  beim  Lesen  trat  erst  nach  und 
nach  Undeutlichkeit  und  Verlangsamung  der  Sprache  ein,  wobei  Mitbewegungen  des 
Stimmuskels  sich  zeigten.  Der  Facijdis  war  sowohl  im  Stamm  wie  in  den  meisten 
Aesten  elektrisch  gut  erregbar,  schlecht  jedoch  der  zum  Sphincter  oris  gehende  Ast; 
nirgends  Entartungsreaction. 

Es  hatte  sich  hier  also,  anscheinend  in  apoplectischer  Weise  auftretend,  eine 
Faralysis  glosso-Iabio-pharyngea  entwickelt.  Gegen  eine  ursächliche  Embolie  sprach 
der  normale  Zustand  des  Herzens,  dessen  unregelmässige  Thätigkeit  auf  Nerven- 
störung beruhte.  —  Offenbar  lag  eine  Kernläsion  vor;  bemerkenswerth  war  die  Ab- 
wesenheit jeder  Zungenatrophie,  des  Speichelflusses  u.  a. 


—    63    -^ 

Der  Zasland  versohlechierte  sich  ziemlich  rasch ,  es  trat  Erbrechen  und  Stirn- 
kopfschmerz  auf,  eine  Ptosis  worde  nach  und  nach  deutlich  und  zwar  links  etwas 
slirker  als  rechts.  Im  Februar  1887  zeigt  der  Frontalis  keine  Reaction  mehr  und 
em  am  16.  Februar  eintretender  Anfall  von  Schlingbeschwerden  mit  Dyspnö  machte 
die  Aufnahme  in  die  Charit^  nothwendig,  wo  schon  am  18.  Februar  der  Tod  an 
Schludc-Pnenmonie  erfolgte. 

Die  Section  ergab  keinerlei  üerderkrankung  im  Gehirn,  keine  meningitischen 
Erscheinungen,  keine  GtofössTerdickungen.  —  Herr  Oppenheim  machte  die  mikro- 
skopische Untersuchung  der  Med.  oblongata.  Er  fand  in  der  Gegend  der  Fyramiden- 
kreuzung  noch  nichts  Pathologisches;  aber  sofort  mit  dem  Erreichen  des  Hypoglossus- 
Kernes  traf  er  auf  die  Erkrankung:  zahlreiche  Spinnenzellen,  Yerdickte  Gefisse, 
Schwund  der  Zellen,  und  zwar  am  st&rksten  in  der  oberen  Hälfte  des  XII.  Kernes; 
auch  die  Kerne  des  Yago-Accessorius  und  Glossophaiyngeus  waren  erkrankt,  des- 
gleichen der  Fadalis-Kem,  dieser  besonders  in  seiner  unteren  H&lfte.  —  Am  Abdu- 
cens-  und  Qnintus-Kem  nichts  Abnormes;  auch  die  Wurzeln  aller  Gehimnerven  intact; 
am  Ocnlomotorius-Kem  nichts  Krankhaflies  zu  erkennen.  Dieser  letztere  Umstand 
spricht  nach  Bemak  nicht  daf&r,  dass  es  beim  Menschen  sich  so  verh&lt,  wie  es 
Mendel  bei  seinen  Experimenten  an  Thieren  gefunden,  dass  n&mlich  der  Kern  des 
oberen  Facialis  —  welcher  hier  mit  afficirt  war  —  im  Oculomotorius-Kenie  gelegen  sei. 

Herr  Oppenheim  kann  sich  der  Angabe  Bemak^s  insofern  nicht  anschlieesen, 
als  er  in  dem  negatiYen  Befund  im  Oculomotoriuskem  einen  Beweis  gegen  die 
Mendersche  Lehre  vom  nuclearen  Ursprung  des  Augenfadalis  im  Kemgebiet  des 
Oculomotorius  nicht  erblickt.  Denn  gerade  die  Untersuchung  des  Oculomotoriuskems 
konnte  im  Torliegenden  Fall  keine  vollständige  sein,  weil  das  Präparat  bei  der  Seotion 
an  dieser  Stelle  durchtrennt  war  und  somit  eine  lüclsenlose  Serie  keineswegs  gewonnen 
werden  konnte.  0.  hat  nur  in  den  Portionen,  die  ihm  noch  zu  Gebote  standen, 
etwas  Pathologisches  nicht  entdecken  können. 

Herr  Mendel  glaubt,  dass  er  nach  der  Erklärung  des  Herrn  Oppenheim  kaum 
noch  etwas  in  Bezug  auf  den  Zweifel  des  Herrn  Bemak  zu  erwidern  brauchte.  Er 
möchte  aber  fQr  den  vorliegenden  Fall  doch  noch  auf  Folgendes  aufmerksam  machen. 
Betheiligt  war  in  demselben  auch  der  Oculomotorius  (Ptosis),  und  zwar  musste  man 
nach  der  ganzen  Sachlage  annehmen:  in  Folge  von  Kemaffection.  Hätte  nun  in 
der  That,  was  hier  nicht  der  Fall,  die  vollständige  Untersuchung  einen  negativen 
Befand  im  Oculomotoriuskem  ergeben,  dann  hätte  Herr  Bemak,  wenn  er  Schluss- 
folgerungen in  seiner  Weise  ziehen  wollte,  schliessen  müssen:  Weder  der  obere 
Facialis,  noch  der  Ast  des  Oculomotorins,  welcher  zum  Levat.  palp.  super,  geht,  hat 
seinen  Kern  im  Oculomotoriuskem,  denn  obwohl  beide  Nerven  af&cirt  waren,  hat  der 
Kern  nichts  Pathologisches  gezeigt.  Einen  solchen  Schluss  in  Bezug  auf  den  Lev. 
palp.  sup.  hatte  aber  Herr  B.  doch  gewiss  nicht  ziehen  wollen.  Der  geschilderte 
klinische  Verlauf  spricht  übrigens  für  den  Zusammenhang  von  obem  Facialis  und 
Ast  des  Oculomotorius  für  den  Lev.  palp.  sup. 

Herr  Bernhardt  hat  unter  seinen  Fällen  von  Bulbärparalyse  einmal  die  Be- 
theiligung der  oberen  Facialis- Aeste  gesehen;  es  waren  aber  hierbei  keinerlei  klinische 
Störungen  im  Gebiete  des  Oculomotorius  zu  bemerken.  Hadlich. 


IV.  Bibliographie. 

Bine  besondare  Art  der  Wortblindheit  (Dyslexie),  von  Prof.  Dr.  B.  Berlin 
in  Stuttgart    (Wiesbaden  1887.    J.  F.  Bergmann.    Mit  einer  Tafel.   74  Seiten.) 

B.  hat  seit  dem  Jahre  1863  in  6  Fällen  ein  eigenthümliches  Symptom  beobachtet, 
das  er  als  eine  Art  von  Wortblindheit  betrachtet.  Der  betreffende  Patient  kann 
—  meist  plötzlich  —  beim  Lesen  nur  wenige  Worte  hinter  einander  herausbringen; 


—    64     - 

er  giebt  danach  mit  einer  gewissen  Unlust,  einem  gewissen  WiderwiUen  das  Buch 
aus  der  Hand  und  kann  absolut  nicht  weiter  lesen.  Nach  kurzer  Zeit  zu  einem 
neuen  Versuch  aufgefordert,  macht  er  es  nach  3 — 5  Worten,  die  er  ganz  oorrect  liest 
(gleichgültig  ob  grosse  oder  kleine  Schrift),  wieder  ebenso  etc.  Dabei  besteht 
keinerlei  Affection  des  Sehorgans,  wohl  aber  begleitende  Erscheinungen  — 
Zuckungen  im  rechten  Facialis,  Farästhesien  in  einer  rechtsseitigen  Extremit&t,  rechts- 
seitige Hemianopsie  (Imal),  Aphasie  (3mal):  Alles  Zeichen  einer  linksseitigen  Oehim- 
affection.  Ausserdem  können  Kopfweh  und  Schwindel  vorhergehen,  apoplectische  and 
epileptiforme  AnföUe  folgen,  und  in  allen  bisher  bekannten  F&llen  trat  in  Folge  des 
zu  Grande  liegenden  Leidens  der  Tod  ein.  Die  Sprache  braucht  nicht  im  Geringsten 
gestört  zu  sein.  Verf.  theilt  ausführlich  die  6  Krankengeschichten  mit,  bei  denen 
4mal  der  Obducüonsbefund  ihm  bekannt  geworden  ist.  Es  handelt  sich  in  den  ein- 
zelnen Fällen  um  Atherose  der  Art.  fossae  Sylvii  sin.,  um  Encephalo-Meningitis  dififasa 
(Paralys.  progress.),  um  eine  ältere  Thrombose  der  Arteria  cerebri  posterior  und 
Communicans  posterior  linkerseits  neben  einer  tödtlichen  Hirnblutung  bei  atheromatösen 
Geflssen;  endlich  am  einen  Erweichungsheerd,  der  am  aufsteigenden  Ast  der  Fossa 
Sylvii  beginnt»  den  vor  demselben  gelegenen  Theil  der  dritten  Stimwindung  noch 
einige  Millimeter  breit  betheiligend,  und  sich  bis  zum  hinteren  Ende  der  Sylvi'schen 
Grube  erstreckt,  in  der  Breite  von  etwa  1cm  (von  oben  nach  unten);  daneben  be- 
standen noch  3  Heerde:  im  rechten  Corpus  striatum,  im  linken  Kleinhirn  und  der 
linken  dritten  Schläfenwindung. 

Verf.  leitet  in  sehr  eingehender  Weise  aus  diesen  Beobachtungen  und  ans  zwei 
weiteren  aus  der  Litteratur  (Dr.  Nieden  und  Dr.  Steiner)  als  anatomische  Grund- 
lage der  Dyslexie  eine  linksseitige  Heerdaffection  des  Gehirns  her,  welche  nahe  topo- 
graphische Beziehungen  zu  der  Broca*schen  Windung  hat.  Das  anatomische  Material 
ist  in  dieser  Hinsicht  allerdings  noch  sehr  gering  und  wenig  beweiskräftig. 

Die  Dyslexie  ist  in  diagnostischer  Beziehung  wichtig,  insofern  sie  ein  Anfangs- 
symptom  einer  bisher  noch  immer  tödtlich  verlaufenden  Himerkrankung  darstellt, 
wenn  auch  in  den  meisten  Fällen  das  Symptom  selbst,  die  Lesestörung,  sich  nach 
einigen  Wochen  besserte  oder  ganz  verschwand. 

Das  Verhalten  der  Patienten  beim  Schreiben  ist  noch  nicht  genügend  ermittelt; 
Dr.  Nieden  fand  in  dieser  Beziehung  keine  Störung.  Hadlich. 


V.  Personalien. 

Herr   Dr.  Otto   Snell  trat  als  Assistenzarzt  an   der  Kreis-Irren-Anstalt  zu 


München  ein. 


VI.  Vermischtes. 


In  Bezuff  auf  das  Anstaltswesen  in  Schlesien  hören  wir  Folgendes:  Rybnik  (Director 
Dr.  Zander)  nat  jetzt  870  Patienten,  200  mehr  als  bei  Beginn  des  Jahres  1887.  Da  die 
Banten  fast  alle  fertig  sind,  wird  die  Anstalt  in  kurzer  Zeit  voll  belegt  sein  (600  Patienten); 
die  Hälfte  der  Kranken  wohnt  in  freien  Abtheilnngen,  welche  sich  aber  in  onmittelbarer 
Nähe  der  geschlossenen  Central-Anstalt  befinden,  nur  ein  Meierhof  —  Bademühle  —  ist 
IVs  Kilometer  entfernt,  dort  werden  40  männliche  Patienten,  auch  1  Arzt»  wohnen;  dert 
befindet  sich  die  eigentliche  Oeconouiie.  Rybnik  ist  Heil-  und  Pflegeanstalt;  in  Zukunft 
sollen  dies  übrigens  alle  schlesischen  Anstalten  sein,  doch  soll  Leubus  bis  nach  Ankauf  ge- 
eigneter Ländereien  vorwaltend  den  Charakter  der  Heilanstalt  behalten.  Kreuzburg  war, 
wie  Rybnik,  von  vornherein  als  Heil-  and  Pflege-Anstalt  errichtet. 

Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Heransgeber  wird  gebeten« 


Einsendungen  f&r  die  Redaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel, 

Berlin,  NW.  Schiffbanerdamm  20. 


Verlag  von  Vht  &  Goiip.  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzobb  &  Wittio  in  Leipzig. 


NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn. 

Uebersieht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie^  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  Ton 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  «°  ^**"-  Jahrgang. 

Monatiich  enoheiiiea  zwei  NununenL   Preis  des  Jahrganges  20  Mark.   Za  beriehen  durch 
alle  BnchhaBdlnngen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  tou  der  Verlagsbuchhandlung. 

1888. L  Februar. M3» 

Ishalt.  I.  Orlflnalnftthellinigen.  1.  Die  histologischen  Veränderungen  in  den  peri- 
pherischen Nerven»  deren  Spinalganglien  und  dem  Bückenmarke  in  Folge  von  Amputation, 
Ton  Prof.  E.  A.  Homln.  2.  Ein  Fall  von  Dyslezie  (Berlin)  mit  Störungen  der  Schrift,  von 
Dr.  Ludwig  Bmn«.    (Sehlnss.) 

IL  IMorftto.  Anatomie.  1.  Ueber  die  hintorm  Nerveuwnrzeln»  ihre  Endigung  in  der 
giaaen  Substanz  des  Bückenmarkes  und  ihre  centrale  Fortsetzung  im  letzteren,  von  Bechterew. 
2.  Cells  of  Clarke's  column,  von  Hott«  —  Experimentelle  Physiologie.  3.  On  an  ap- 
pirenUy  peripheral  and  differential  aetion  upon  the  larvngeal  museles,  by  Semon  and  Horsley. 
4.  A  minnte  analysis  of  the  various  movements  produced  by  stimulating  in  the  monkey 
diffiorent  regions  of  the  cortical  centre  for  the  upper  limb  as  defined  by  Prof.  Ferrier,  by  Beevor 
andRorsloy.  —  Pathologische  Anatomie.  5.  Syrin^myelia,  von  Turner.  6.  Histologische 
üntersnohang  von  Lyssa^  von  Schaffer.  7.  Zur  Casuistik  und  Entwickelung  der  Himlipome, 
von  Taubner.  —  Pathologie  des  Nervensystems.  8.  Des  n^vrites  provoqu^es  par  las 
injeetions  d'^tfaer  au  voisinage  des  troncs  nervenz  des  membres,  par  Pitres  et  Wiillard. 
9.  Sülle  nevriti  perferiche  infektive  sperimentali:  Nevriti  determinate  da  inoccdazioni  del  bacillo 
del  tifo  e  dello  pneumococco  di  Friedländer,  pel  D'Abuqdo.  10.  (Jeher  die  Affection  des  Ner- 
ven^fstems  nach  acuten  infectiösen  Processen,  von  Lunz.  11.  üeber  acute  Polyneoritis  und 
verwandte  Krankheitsformen  mit  Bücksicht  auf  ihr  zeitliches  und  örtliches  Auftreten,  von 
Eisenlohr.  12.  Zur  Eenntniss  der  acuten  infectiösen  multiplen  Neuritis,  von  Rosenhefm. 
18.  Zar  Klinik  der  multiplen  Alkoholneuritis,  von  WitkowskL  14.  Brachial  monoplegia,  oom- 
plieating  a  case  of  entenc  fever.  15.  Contribntion  ä  Tötude  de  la  nävrite  alcoolique,  par 
Dejerlne.  16.  Einfluss  des  chronischen  Alkoholismus  auf  das  menschliche  Sehorgan,  von 
UrtiKifl.  17.  Synoope  locale  des  extr^mitäs  sup^rieures  a  la  suite  d'une  commotion  mödullaire» 
par  ■arfan.  18.  Baynaud's  Disease,  von  Suckllng.  19.  Növralgie  väsicale,  par  Guyon. 
20.  Zur  Diagnose  una  Therapie  der  Intercostalneuralgien,  von  SeeligmDller.  21.  rl&gra  ord 
om  den  sakaMia  Urticaria  faotitia,  af  Edf ren.  22.  üeber  eine  öftere  Ursache  des  Schläfen« 
und  Hinterhauptkop&chmerzes,  von  Legal«  23.  Ueber  den  Herpes  zoster,  von  BoottJcher. 
24.  Herpes  digitalis,  von  Blaschko.  25.  Periodically  occuning  Oculo-Motor  Piffalysis.  26.  Loca- 
hsed  Facial  sweating,  by  Wilde  und  Localiaed  Inguinal  sweating,  by  Ponny.  —  rsychiatrie. 
27.  On  the  oocurrence  of  albumen  in  the  urine  of  the  insane,  by  Turner.  28.  M^lancolie 
anziense  avec  d^lire  des  negations,  par  S^glas.  29.  Üeber  Perversion  des  Geschlechtssinnes 
bei  Epileptikern,  von  Kowelewsky.  80.  Ueber  die  Besiehungen  des  moralischen  Irreseins  zu 
der  erblich  degenerativen  Geistesstörung,  von  Binswanger.  31.  Sopra  un  singolare  fenomeno 
allueinatorio  presentato  da  una  nevrosica,  Nota  del  De  GlovannL  —  Thera|)ie.  82.  Ueber 
die  therapeutische  Verwendong  der  Muskelarbeit  und  eiuen  neuen  Apparat  zu  ihrer  Doeinuig, 
von  Birtner«    33.  Gn^rison  rapide  de  la  chor^e  par  l'antipyrine,  par  Legroux. 

III.  Aus  den  Gesellschaften. 

IV.  Bibliographie. 
V.  Vennisclileg, 


66 


X. .  Oviglnaimitth^iaij$0n. 


•w    * 


1.    Die  histologischen.  Y^ränclenmg^a  in  dexi  peripherischen 
Nerven,   den  Spinalganglien   und   dem  Eückenmarke    in 

Folge  von  Amputation. 

Von  FrofeaBor  B.  A.  Homte  in  Hdsingfors  (Finland). 
(Nach  einem  anf  dem  internationftleii  Congress  in  Washington,  Sept.  1887,  gehaltnen  Vortrage.) 

Der  Verfasser  hebt  zuerst  die  theoretische  Bedeutung  der  Ver&ndeningen 
des  Nervensystems  in  Folge  von  Amputationen  hervor,  und  'Wie  die  Ansichten 
der  Autoren  über  diese  Veränderungen  bis  hierher  ganz  verschieden  gewesen 
^d.  —  Verf.  hat  im  pathologischen  .Institute  in  Helsingfors  eine  experiment^e 
Studie  darüber  gemacht,  und  daf&r  circa  SO  Hunde  gebraucht  von  verschiedenem 
Alter  (von  einer  Woche  alt  bis  zum  Erwachsenen),  Er  hat  meistens  Exarticnlationen 
gemacht,  zuweilen  im  Hüftgelenk,  zuweilen  im  Kniegelenk  des  Hmterbeines,  bis* 
weilen  auch  des  Vorderbeines.  Die  Thiere  hat  Verf.  leben  lassen  1,  2,  3  Tage  etc. 
\m  zu  8^/2  Jahr  nach  der  Operation  (die  ersten  Thiere  sind  schon  im  Januar 
1884  operirt). 

Die  Präparate  waren  in  Müller'scher  Lösung  gehärtet  und  nachher  in  Alkohol 
conservirt,  für  die  peripherischen  Nerven  hat  Verf.  auch  Osmiumsäure  angewendet 

Um  gleich  die  Besultate  der  Amputation  im  Bückenmark  mit  den  aecun- 
dären  Degenerationen  vergleichen  zu  können,  hat  Verf.  bei  einigen  Thieren  zwei 
hintere  Wurzeln  der  Lumbalnerven  auf  der  gesunden  Seite  abgeschnitten  und 
so  eine  au&teigende  secundäre  Degeneration  in  dem  correspondirenden  Hinter- 
strang hervorgerufen. 

Verf.  giebt  zuerst  eine  Beschreibung  seiner  Besultate  bei  kleinen  Hunden, 
welche,  eine  WochiB  alt,  im  Hüftgelenk  ejarticuhrt  worden  sind  und  wenigstens 
5 — 6  Monate  nach  der  Operation  gelebt  haben;  etwa  nach  dieser  Zeit  scheint 
nämlich  der  weitere  Fortschritt  des  Processes  sehr  gering  zu  sein.  Im  Bücken- 
mark giebt  es  eine  bedeutende  Atrophie  gewisser  Partien  auf  der  operirten 
Seite,  welche  Atrophie  in  der  Mitte  der  Lendenanschwellung  am  meist^i  aus- 
gesprochen ist;  in  dieser  Gegend  ist  der  Hinterstrang  und  beinahe  auch  das 
Hinterhom  kaum  mehr  als  die  Hälfte  derselben  Partien  auf  der  gesunden  Seite; 
im  Vorderhom  giebt  es  auch  eine  geringe  Atrophie.  Ln  Vorderseitenstrang  hat 
Verf.  keine  Atrophie  constatiren  können.  Eine  Atrophie  und  Verminderung  der 
hinteren  Wurzeln  im  Bückenmark  auf  der  operirten  Seite  ist  auffallend,  ebenso 
eine  Eemvermehrung  in  dem  Hinterstrang,  ungefähr  entsprechend  der  Atrophie. 
Aber  eine  Differenz  in  der  histologischen  Structur  der  beiden  Seiten  ist  nicht 
zu  finden.  —  Li  dem  Vorderhom  hat  Verl  eine  geringe  Atrophie  und  Ver- 
minderung der  GangUenzellen  constatirt;  diese  Alteration  ist  nicht  so  ausschliess- 
lich und  so  prononcirt,  wie  VbiediiAXDbr  und  Ebaüse  es  beim  Menschen  ge- 
funden  haben   (Fortschritte  der  Medicin   Bd.  IV),   aber   doch   hauptsächlich 


—    67    — 

eiDgeseliiiiikt  anf  4i6  hmtere  latorato  ZeUangruppe;  etwa  ein  Yiertel  von  dies^ 
Zdln  soheiiity  im  :YergleiolL  aul  der  geswden  Seite^  verloreii  gf^^aogen  zu  seiiu 

Die  besdmeb^Mii  Yer&ndenmgen  nehmen  eehr  schnell  in  der  Sichtung 
naoh  oben  ab  (resp.  vorwärts),  die  Atrophie  des  Hinterhoms  und  des  Hinter- 
sbanges  ist  kamn  bis. zur  Mitte  des  Dorsalmarloa  zu  verfolgen.  In  den  untersten 
Partien  des  Dorsahnarks  und  obersten  des  Lendenmarks  hat  auch  Yer£  eine 
adff  geringe  Yeiminderung  der  Zdl^n  der  Glarke'schen  Säulen  auf  der  opezirten 
Seite  ooQstatirt 

Bei  den  eine  Woche  alten  Hunden,  welche  Yerf.  im  Kniegelenk  ezarticulirt 
haty  bat  er  dieselben  Yeranderungen  gefunden,  aber  in  entschieden  geringerem 
Gnide. 

Bei  den  erwaohseaen Thieien  sind  die  Yerandervmgen  noch  minderhervor« 


Nach  ExürtiQiIatioii  des  Yorderbeines  hat  Yerf.  eine  ebenso  grosse  Atrophie 
des  Hinterstranges  und  des  Hinterhoms  der  Gervicalansch wellung  gefcmden  als 
in  der  Lendenanschwdlung  nach  Ezarticulation  des  Hinterbeinea  Auch  eine  sehr 
geringe  Yerkteinerung  des  Yorderhoms,  wie  auch  eine  ganz  unbedeutende  Atrophie 
und  Yermindenmg  der  Ghmglienzellen,  besonders  in  der  posterg^Iateralen  Gruppe, 
ist  zu  constatiren. 

In  den  pmphenschen  Nerven  hat  Yerf.  ungefähr  dieselben  Yeranderungen' 
gefimden  wie  EniHDiiÄiinDBB  und  Ehause,  doch  nicht  in  ganz  so  hohem  Grade 
(Verf.  hebt  hervor,  dass  es  nothig  ist»  bei  iei  Hämatoxylinmethode  nach  Weigbbt 
die  Entfirbungsflössigkeit  sehr  verdünnt  zu  haben).  Durch  transversale  Schnitte, 
unmittelbar  unter  den  Spinalganglien,  wo  die  motorischen  und  sensiblen  Fasern 
noch  getrennt  sind,  hat  Yerf.  gezeigt,  dass  nur  die  sensiblen  Fasern,  doch  nicht 
aUe,  alterirt  sind,  während  in  den  motorischen  Fasern  keine,  wenigstens  keine 
deutliche  Yeranderung  zu  constatiren  ist,  natürlich  auch  nicht  in  den  vorderen 
Wurzeln.  Dagegen  glaubt  Yerf.  in  den  hinteren  Wurzeln  eine  ganz  geringe 
Veränderung,  ähnlich  der  der  Nerven,  gefunden  zu  haben. 

Bei  den  Spinalganglien  hat  Yerf.  durch  Yergleich  mit  der  gesunden  Seite, 
eine  geringe  Atrophie  und  Yerminderung  der  Fasern  gefunden,  vielleicht  auch 
eine  geringe  Atrophie  der  Zellen.  (Yerf.  wird  seine  Untersuchungen,  spedell 
über  diesen  Punkt,  noch  fortsetzen.) 

Um  den  An&ng  und  die  nähere  Natur  dieser  Yeranderungen  zu  studiren, 
hat  Yerf.  eine  mikroskopische  Untersuchung  der  Präparate  der  Thiere  gemacht, 
welche  1,  2,  3  Tage  etc.  nach  der  Operation  gelebt  haben,  und  dabei  sich  der 
aUergebraucfalichsten  histologischen  Methoden  bedient  Durch  keine  von  diesen 
Methoden  ist  es  gelungen  eine  qualitative  Difierenz  der  beiden  Seiten  zu 
constatiren,  weder  in  den  Nerven,  noch  im  Bückemnark.  Aber  etwa  nach  acht 
Tagen  fingt  man  bei  den  kleinen,  eine  Woche  alt  operirten  Thieren  an,  eine 
Ueme  quantitative  Differenz  an  den  peripherischen  Nerven  der  beiden  Seiten 
zu  constatiien,  indem  man  in  den  Nerven  des  Amputationsstnmpfes  eine  relativ 
grosse  Anzahl  ganz  feiner  Fasern  findet  und  solche,  deren  Myelinscheiden  sich 
nidit  so  gnt  wie  normal  mit  H&matoxylin  färben;  diese  Yeranderung  ist  über 


r 
—    68    — 

den  ganzen  Nerv  verbreitet  Nach  2 — 3  Wochen  ist  die  Yeraiideniiig  e^dent, 
wie  ancb  eine  Atrophie  des  Hinterstranges  nnd  des  Hinteriioms  auf  der  opeiiiten 
Seite.  Allmählich  beginnt  man  dann  aach  die  übrigen,  oben  beschriebenen  Ver- 
änderungen zu  constatiren. 

Bei  den  erwachsenen  Thieren  findet  man  erst  nach  etwa  1  oder  2  MiMiaiten 
die  ersten  deutlichen  Yeranderungen. 

Auf  Grund  dieser  Untersuchungen  zieht  Verf.  den  Schluss,  dass  es  sidi 
hier  um  einfache  Atrophie  ohne  eigentliche  Veränderung  der  histokgisGhen 
Structur  handelt,  und  ganz  verschieden  von  der  WALiiEB'schen  DegeneEation 
der  Nerven  und  der  secundären  Degeneration  des  Rückenmarks;  diese  letztge^ 
nannte  Differenz  hebt  Verf.  besonders  hervor  durch  Vergleichung  mit  der  durch 
die  Section  der  hinteren  Wurzeln  hervorgerufenen  aufsteigenden  Degeneration 
und  auf  Grund  seiner  früheren  Arbeiten  über  die  secundare  Degeneration  (siehe 
Virchow's  Archiv  Bd.  LXXXVIII H.  1  und  Gontribution  eip6iimentale  ä  la  patho- 
logie  et  ä  Tanatomie  pathologique  de  la  mobile  opinis.    Helsingfors  1885). 

Was  die  Erklärung  der  Thatsache  betrifft,  dass  nur  ein  Theil  da:  sensiblen 
Fasern  alterirt  werde,  so  will  Verf.  noch  keine  Hypothese  aufstellen,  findet  auch 
die  FniEDLijNDEB'sche  Hypothese,  „dass  nur  die  NervenfiE^em  atrophiren,  welche 
in  specifischen  Endapparaten  enden'^,  wenig  wahrscheinlich,  schon  deswegen^ 
weil  er  eine  Differenz  in  dem  Grade  der  Veränderungen  gefunden  hat,  ob  er 
die  Section  mehr  central  oder  mehr  peripher  machte.  Auf  der  andern  Seite 
glaubt  Verf.,  wie  FBiBDLAia>EB,  dass  die  am  meisten  alterirten  Partien  des 
Bückenmarks,  so  auch  die  Zellen  der  hinteren  lateralen  Gruppe  des  Vorderhoms, 
sensible  Functionen  besitzen. 

(Der  Vortrag  war  b^leitet  von  Demonstration  mikroskopischer  Präparate 
und  Photographien  von  solchen.) 


2.    Ein  Fall  von  Dyslexie  (Berlin)  mit  Störungen  der 

Schrift. 

Von  Dr.  Ludwig  Bruns»  Spedalarzt  für  Nervenkranke  in  Hannover. 

(Schloss.) 

Bei  der  Vergleichung  des  oben  kurz  skizzirten  BsRLiN'schen  Symptomen- 
complexes  mit  der  Beschreibung  meines  Falles  wird  ein  Zweifel  an  der  Zuge- 
hörigkeit des  letzteren  zur  BEKUN'schen  Dyslexie  wohl  nicht  erhoben  werden 
können.  Ich  glaube,  mein  Fall  bestätigt  vielmehr  auf's  Vollkommenste  die 
Beobachtungen  BebiiIn's,  dessen  grosses  Verdienst  es  bleibt,  die  Neurologen  auf 
das  wohl  im  Ganzen  seltene  und  ausserdem  seiner  Art  nach  häufig  zunächst 
dem  Ophthalmologen  begegnende  Erankheitsbild  aufinerksam  gemacht  zu  haben. 

Abgesehen  von  dem  Symptom,  das  der  Krankheit  den  Namen  gegeben, 
entsprechen  sich  ätiologische  Momente,  die  übrigen  klinischen  Symptome^  der 
die  schlechteste  Prognose  bestätigende  Yerkuf  und  der  anatomische  Befund 
auf's  Beste;  warum  ich  das  auch  fOr  den  anatomischen  Befund  behaupte,  wird 


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später  nocli  naher  begründet' werden;  hier  genüge  znnftchst,  dass  anatomisch 
eine  schwere  organische  Himläsion  nachgewiesen  wurde. 

Ich  glaube  nicht,  dass  darin,  dass  in  meinem  Falle  die  Dyslexie  sich 
nicht  apoplectiform,  scndem  allmählich  entwickelte,  em  Onmd  liegt,  denselben 
anders  anfzniässen;  anch  dass  Fat  am  Morgen  mit  ausgerahtem  Gehirn  längere 
Zeit  lesen  konnte  nnd  die  schweren  Sympt^nne  der  Dyslexie  erst  gegen  Mittag 
nach  längerer  Arbeit  za  constatiren  waren,  ändert  an  der  Qualität  des  ganzen 
Symptomes  nichts,  sondern  kann  nur  dazu  berechtigen,  den  Fall  als  einen 
geringeren  Grad  der  Erkrankung  an£E0&8sen.  Dass  dieser  umstand  auch  für  die 
Deutung  des  ganzen  Erankheitsbildes  von  Wichtigkeit  ist,  wird  später  noch 
hervortreten* 

Was  die  peripherischen  Störungen  der  Augen  anbetraf,  so  brauche  ich  kaum 
zn  erwähnen,  dass  me,  selbst  wenn  die  zweifelhafte  Neuritis  optica  wirklich  be- 
standen hätte,  das  Symptom  der  Dysleiie,  das  seiner  ganzen  Art  nach  sicher 
ein  cerebrales  ist,  nicht  würden  erklären  können. 

Nachdem  das  constatirt  ist,  möchte  ich  die  Aufinerksamkeit  des  Lesers 
noch  eine  kurze  Zeit  für  die  Besprechung  der  einzelnen  hervorragendsten  Erank- 
heitssymptome  in  Anspruch  nehmen,  um  zum  Schluss  meine  Ansicht  über  Natur 
nnd  Art  des  ganzen  Krankheitsbildes,  soweit  sich  nach  dem  vorliegenden  Material 
mit  einiger  Sicherheit  darüber  reden  lässt,  auseinanderzusetzen. 

Heber  die  dyslectischen  Störungen  an  sich  brauche  ich  mich  weiter  nicht 
auszulassen,  sie  entsprechen  bei  mir  ganz  den  von  Bebun  beschriebenen  und 
kann  ich  dem  oben  Ausgeführten  nichts  hinzufügen.  Au&llend  war  auch  in 
meinem  Falle  die  hochgradige  Unlust,  die  Fat.  bei  Leseversuchen  empfand  und 
für  die  ich  den  NiEDEN'schen  Ausdruck  Lesescheu  ganz  zutreffend  finde.  In 
den  BEBUN'schen  Fällen  scheint  diese  Scheu  so  hochgradig  nie  gewesen  zu  sein. 
Uebrigens  ist  dieselbe  für  den  Neurologen  kein  besonders  auffalliges  Symptom; 
in  sehr  vielen  Fällen  von  Aphasie  z.  B.  ist  den  Fat.  die  Prüfung  der  durch  die 
cerebrale  Erkrankung  gesetzten  Functionsstörungen,  z.  B.  gerade  solche  des 
Lesens  und  Schreibens  äusserst  unangenehm,  sie  suchen  sich  derselben  in  jeder 
Weise  zu  entziehen  und  verweigern  eine  wiederholte  Untersuchung  manchmal 
in  erregter,  ärgerlicher  Weise.  Das  Benehmen  der  Kranken  ist  dabei  ein  um 
so  auffälligeres,  als  sie  auch  sonst,  wenigstens  in  der  ersten  Zeit  nach  dem  Ein- 
tritt der  Aphasie  meist  an  ihrer  Litelligenz  gelitten  haben. 

Am  interessantesten  sind  in  meinem  Falle  die  Störungen  der  Schrift  und 
zwar,  wie  ich  glaube  nicht  nur  deshalb,  weil  solche  hier  zum  ersten  Male  bei 
Dysiexie  constatirt  wurden. 

Wir  sehen,  dass  während  die  Spontanschrift  irgend  welche  Abweichungen 
von  der  Norm  nicht  bietet,  die  Schrift  nach  Vorlage  sofort  in  der  aus  der  bei- 
gegebenen Probe  ersichtlichen  und  schon  oben  kurz  erläuterten  Weise  verändert 
wird.  Die  Schrift  nach  Vorlage  ähnelt  vollständig  der  Schrift  mancher  an 
Schreibekrampf  leidenden  Kranken,  und  Fat  äusserte  spontan  während  der 
Probe,  dass  sein  Arm  ihm  steif  würde.  Ich  glaube,  man  kann  sich  diesen 
merkwürdigen  Befund  nur  in  einer  Weise  erklären:    Man  muss  annehmen. 


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dass  die  beim  Lesen  der  Vorlage  entstehenden  dyaleotisohea  £r- 
scheinnngen,  die  Unlust-  n.  Hemmungsgefühle,  auf  associatorisojien 
Bahnen  ähnliche  Hemmnngen  in  den  Sohreibbewegnngsoentiem  her- 
vorgerufen haben,  die  schliesslich  so  stark  wurden,  dass  sife  im 
Stande  waren,  direct  die  Schreibbewegungen  des  Armee  und  der 
Hand  unter  einem  deutlichen  Gefühle  des  krampfhaften  Zusammen- 
ziehens aufzuheben. 

Diese  Beobachtung  lastet  zugleich  ein  intsressantes  Material  for  die  Be- 
urtheilung  der  Frage,  in  wie  weit  bei  der  Spontanschrift  eii)es  im  Sohräben 
geübten  Individuums  die  Gontrole  d^  Schrift  durch  die  Augen  nothwttMÜg  ist 
und  ausgeübt  wird.  In  den  mir  zugänglichen  Schriften  über  Aphasie  habe  ich 
über  diese  Frage  Genaueres  nicht  auffinde  können.  EussKAUxi  spricht  sich 
über  das  betreffende  Verfaältniss  nicht  aus,  aber  er  erwähnt  zwei  Fälle  (Bboab- 
B>MT  und  Westshal)  '  bei  denen  beiden  vollständige  Alexie  bei  Intsctbat  des 
Spontan-  und  Dictatschreibens  bestand*  Wbbnioks^  gruppirt  diese  selben  Fälle 
unter  dem  Titel  subcorticale  Alexie;  er  nimmt  an,  dass  bei  ihnen  jedesmal  rechts 
Hemianopsie  bestehe  und  bestreitet,  dass  es  for  die  optischen  Erinnerungsbilder 
der  Buchstaben  andere  Centren  gäbe,  wie  für  die  übrigen,  id  est  die  Ocdpital- 
lappen.  Aus  Lxohthehi's^  Schema  geht,  wie  auch  Bsbion  hervorhebt^  nur  so 
viel  hervor,  dass  bei  ihm  Alexie  bei  Frhaltensein,  der  Spontan-,  Dictat-  und 
Abschrift  (?)  möglich  ist.  In  letzterer  Hinsicht  muss  man  nach  meiner  Ansicht 
scharf  zwischen  einer  wirklichen  mit  Yerständniss  erfolgenden  Abschrift  und 
einem  mechanischem  Nachzeichnen  der  Vorlage  unterscheiden,  was  nicht  inmier 
leicht  sein  dürfte,  weil,  wie  einige  Beobachtungen  lehren,  alectische  Patienten 
manchmal  durch  dieses  Nachzeichnen  Yerständniss  für  die  Schrift  gewinnen; 
bei  solchen  Patienten  bemerkt  man  dann  auch  wohl  einen  Unterschied  in  dem 
Yerständniss  für  Gedrucktes  und  Geschriebenes;  letzteres  wird  leichter  aufgefasst, 
weil  das  Nachzeichnen  rascher  und  leichter  von  Statten  geht  Beblin,  der, 
wie  schon  erwähnt,  die  Schrift  seiner  Kranken  in  keinem  Falle  untersucht  hat, 
entschuldigt  diesen  Mangel  unter  anderem  damit,  dass  er  aus  den  Aussagen 
einzelner  Kranken  den  Eindruck  gewann,  „dass  die  von  ihnen  spontan  angegebene 
Erschwerung  des  Schreibens  positiv  auf  das  erschwerte  Lesen  des  von  ihnen 
Geschriebenen  zurückzufahren  sei''  und  weil  er  es  femer  in  anderen  Fällen  for 
kaum  ausfahrbar  hielt,  „zu  entscheiden,  ob  eine  vorübergehende  Unßhigkeit  im 
Schreiben  fortzufahren,  durch  eine  Störung  des  Schreibactes  als  solchen,  oder 
durch  eine  Störung  der  gleichzeitig  dabei  stattfindenden  Lesearbeit  hervorgerufen 
werde.''  Beblin  scheint  also  anzunehmen,  dass  beim  Spontanschreiben  auch 
des  geübten  Schreibers,  wenigstens  wenn  er  nicht  blind  oder  schriftblind  ist, 
eine  genaue  Controle  der  Schrift  durch  das  Auge  erfolgt  und  nothwendig  ist 
Man  kann  durch  Selbstbeobachtung  zu  einem  sicheren  Besultat  darüber  nicht 
kommen,  in  wie  weit  man  bei  offenen  Augen  die  eigene  Schrift  durch  den  Blick 

^  Fortsohritte  der  Medicin.  1886.  S.  478. 

*  Yen.  sAdwestdeataoher  Neurol.  o.  Iiren&nte.  Baden-Baden  1884.  Bei  im  AnshiT 
ftr  Psychiatrie.  Bd.  XY.  S.  822. 


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oontan)lirt^  da  die  CkmtroUe  sofinrt  eine  eoharfe  wiid,  wenn  man  die  Anfinerkaam- 
kät  auf  ihr  eventoelles  Yorliandensein  riolMiet  Daas  aber  unter  gewissen  Um» 
gtänden  tär  den  geübten  Schreiber  die  Gpntnde  der  Schrift  dmeh  die  bei  den^ 
selben  stattfindenden  Mnskd-  nnd  Bewegongogefühle  genügt,  kann  man  sdiOB 
daraus  sehen,  dass  Erblindete  sohieiben  und  dasa  man  selbst  nüt  gescUosseneii 
Augen,  wenn  anoh  weniger  gut^  doch  richtig  m  schreiben  im  Stande  ist  Noch 
viel  intereesanter  ist  eine  schon  oben  gestreifte  Beobachtung  Wbstphal's,  oitirt 
in  EuBOULim's  {^Störungen  der  Sprache^'  S.  180.  Sie  betraf  einen  aphasischen 
Kranken,  der  an  Yollständiger  Alezie  Utt.  Derselbe  konnte  Dictirtes  ganz  gut 
sdireLben,  seine  Sdinft  nachher  aber  selber  nicht  lesen.  Nur  weim  er  das 
Dictat  mit  den  Fingern  wieder  nach  zog,  also  durch  Vermittlung  der  Muskel- 
und  Bewegungsgefuhle,  konnte  er,  wie  man  das  ausdrückt,  schreibend  lesen. 
Auch  hier  fehlte  also  bei  der  Alexie  des  Kranken  die  Ckmtrole  der  Schrift  durch 
glaidizeitigee  Lesen. 

Immerhin  sind  diese  YerhUtnisse,  wenn  sie  auch  deutlich  zeigen,  dass  die 
Omtrde  des  Auges  ftir  die  Schrift  nicht  nothwendig  ist,  (eine  Thatsache,  die 
natürlich  Bsiumr  ebenso  bekannt  ist  wie  mir)  besonders  geartet,  da  sie  die 
Veberwachung  der  Schrift  durch  das  Auge  unmöglich  machen  und  die  Kranken 
deshalb  zur  besseren  BSinübung  anderer  Gontrolverrichtungeu  zwingen,  und  sie 
entscheiden  nichts  in  der  Frage,  ob,  wenn  die  Möglichkeit  einer  üeberwaehung 
der  Schrift  durch  das  Auge  vorhanden  &ty  eine  solche  stets  ausgeübt  wird  und 
nothwendig  ist  Und  da,  glaube  ich,  beweist  mein  Fall  mit  Sicherheit, 
dass  auch  unter  solchen,  allerdings  etwas  eingeschränkten  Ver- 
hältnissen, bei  der  Spontanschrift  eines  im  Schreiben  geübten  Indi- 
viduums, zum  mindesten  eine  aufmerksame  visuelle  Gontrole  der 
Schriftzüge  nicht  stattfindet  Denn  sonst  müssten  dieselben  Stö- 
rungen, wie  sie  die  Schrift  nach  Vorlage  hemmen  und  schliesslich 
unmöglich  machten,  auch  bei  der  Spontanschrift  nach  2 — 3  Worten 
eingetreten  sein  und  beide  Schreibarten  sich  gleichen,  was  nicht 
der  Fall  ist  Sie  unterscheiden  sich  vielmehr  auf's  schärfste  von 
einander. 

Was  schliesslich  die  Auffassung  der  Dyslexie  als  Erankheitsbild  und  seine 
SteDung  im  System  anbetrifft,  so  schliesse  ich  mich  Berlin  in  der  Beziehung 
vollständig  an,  dass  auch  ich  annehme,  dass  die  Dyslexie  der  grossen  Krank- 
heitsgruppe der  Aphasie  angereiht  werden  muss.  Ich  glaube  auch,  dass  man 
sie  mit  Becht  als  eine  „unvollständige  isolirte  Wortblindheit''  bezeichnen  kann. 
Dagegen  möchte  ich  noch  mehr,  als  das  schon  Besmn  thut>  vor  zu  weit  gehen- 
den Schlüssen  in  Bezog  auf  die  Localisation  des  Symptomes  warnen,  vor  allem 
davor,  das  Symptom  ohne  weiteres  zur  Stütze  einer  Localdiagnose  herbeizuziehen. 
B.  g^t  doch  in  dieser  Beziehung  wenigstens  soweit^  dass  er  erstens  die  Dyslexie 
stets  für  ein  Symptom  einer  schweren  oigamschen  Himläsion  erklärt,  zweitens 
annimmt^  dass  diese  Lasion  stets  in  der  linken  Hemisphäre  sitzen  müsse  und 
dass  es  ihm  drittens  nach  seinem  4.  Sections£älle  nicht  unwahrscheinlich  ep- 
scheint,  als  die  Region,  deren  Erkrankung  die  Dyslexie  hervorruft,  den  linken 


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tmteren  ParietaUappen,  also  eme  Qegend  zwischen  den  präsumirten  optischen 
Oentnun  im  Occipitallappai  und  dem  wahrscheinlichen  Laatbildcentram  in  der 
■ersten  Temporalwindnng  anzusprechen.  Ich  gebe  zn,  dass  diese  Annahmen 
nach  der  Betrachtang  der  ^BUN'schen  Beobachtnngen  und  Secttonsergehnisse 
viel  Yerfnhrerisches  haben;  das  Lesen  ist  jedenMls  an  bestimmte  Bahnen  nnd 
Gentren  im  Gehirn  gebunden,  die  in  letzter  Instanz  bei  der  Djrslexie  natürlidi 
jedesmal  in  ihren  Functionen  beeinträchtigt  sein  müssen;  es  ist  wohl  mit  Sicher- 
heit anzunehmen,  dass  diese  Bahnen  bä  Beohtshandem  zum  grössten  Hieil,  das 
Gentrum  und  seine  associatorischen  Verbindungen  mit  den  Gentren  fOr  die 
Lautbilder,  für  die  Sprach-  und  Schreibbew^ngsrorstellungen  total  in  der 
linken  Hemisphäre  ihren  Sitz  haben  werden.  Auch  für  die  Localisation  der 
optischen  Schriftbilder  im  linken  unteren  Parietallappen  dürfte  manches  sprechen, 
vor  allen  anatomische  Verhältnisse  und  physiologische  Erfahrungen,  wenn  ich 
mich  für  meine  Person  auch  mehr  der  Ansicht  Webihcee's  zuneige,  der  einen 
besonderen  Bezirk  für  die  Deponirung  der  optischen  Schriftbilder  yerwirft  und 
sie  mit  den  übrigen  visuellen  Erinnerungsbildern  in  den  Ocdpitallappen  verlegt. 
Trotz  alledem  kann  ich  zunächst  nicht  einsehen,  weshalb  die  Dyslexie  nicht 
auch  einmal  bei  rein  functionellen  Erkrankungen  des  Gehirns  vorkommen  sollte. 
Gerade  für  aphatische  Symptome  ist  es  längst  bekannt»  dass  sie  bei  allgemeinen 
Ernährungsstörungen  nicht  selten  eintreten;  solche  Erschöpfungs-  resp.  Ennüdugs- 
aphasien  sind  mehrfach  beschrieben,  besonders  hat  auch  BiNBWAvaBB  auf  der 
Berliner  Naturforscherversammlung  auf  sie  die  Aufinerksamkeit  gelenkt  und  wie 
ich  aus  einer  personlichen  Mittheilung  desselben  Autors  weiss,  die  derselbe  mir 
in  liebenswürdigster  Weise  zu  veröffentlichen  gestattete,  hat  er  noch  in  letzter 
Zeit  eine  rein  motorische  Aphasie  in  Folge  von  Inanition  bei  einer  Morphium- 
abstinenzkur beobachtet,  die  in  vollkommene  Heilung  überging.  Es  wäre  des- 
halb auch  ^ar  nichts  Aufialliges,  wenn  durch  eine  allgemeine  Ernährungsstörung 
gerade  eine  so  spedelle  Function,  wie  das  Lesen,  gestört  würde.  Bbruk,  dem 
solche  Fälle  wohl  bekannt  sind,  und  der  hervorhebt,  dass  sie  der  Dyslexie 
manchmal  sehr  ähneln,  will  doch  von  dieser  Erklärung  für  sem  Symptom  nichts 
wissen.  Die  Dyslexie  ist  ihm  immer  ein  Zeichen  far  eine  schwere  organische 
Himerkrankung,  denn  sie  tritt  plötzlich,  apoplectiform  auf,  keiner  der  Patienten 
hatte  kurz  vorher  eine  den  Körper  schwächende  Krankheit  und  die  vorhergehen- 
den Störungen  des  Allgemeinbefindens  waren  unbedeutend. 

Ich  muss  gestehen,  dass  ich  diese  Angaben  Bebuk's  nicht  ganz  verstehe. 
In  seinem  Falle  4  und  6,  wie  in  dem  meinigen,  waren  die  Kranken  syphilitisch, 
also  doch  wohl  allgemein  geschwächt,  in  anderen,  wie  auch  bei  mir,  bestanden 
heftige  Schwindelanfalle,  in  B.'s  Fall  HI  langjähriger  Kopfechmerz,  im  Niedsk'- 
schen  Falle  gingen  der  Dyslexie  Blutungen  in  das  linke  Corpus  striatum  und 
ein  dadurch  bedingter  KrampÜEuifall,  in  dem  meinigen  eine  linksseitige  Hemi- 
plegie voraus.  Das  sind  doch  keineswegs  unbedeutende  Störungen  des  Allgemein- 
befindens. Als  Hauptgrund  gegen  die  Annahme  rein  functioneller  Störungen 
bei  der  Dyslexie  lässt  sich  jedenfalls  geltend  machen,  dass  alle  bisher  beobadi- 
teten  Fälle  unter  schweren  Himerscheinungen  zum  Tode  geführt  haben  und 


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dass  in  allen  zor  Section  gekommenen  Fällen  auch  organische^  LSsionen  des 
Schädelinhaltes  anfgefunden  worden  sind.  Ich  will  aus  diesem  Grunde  zuge- 
stehen, dass  das  Symptom  der  Dyslexie  mit  Wahrscheinlichkeit  eine  rein  fnnc- 
tiondle  Erkrankung  des  Cerehrum  ausschUessen  lässt  Aber  damit  sind  wir 
wenigstens  für  die  Localisation  der  Erkrankung  noch  nicht  viel  weiter.  Im 
giossten  Theile  der  bisher  zur  Section  gekommenen  Fälle  fand  sich  verbreitete 
Atheromatose  der  Himgefasse.  Diese  bedingt  doch  jedenfalls  eine  schlechtere 
Emähraiig  und  deshalb  grössere  Erschöpfbarkeit  des  Gehirnes,  und  es  wäre  also 
sehr  wohl  denkbar,  dass  die  organische  Erkrankung  der  Himgefösse  durch  die 
durch  sie  bedingte  schlechte  Ernährung  eine  fnnctionelle  Btörung  des  Lesens, 
in  specie  die  Dyslexie  hervorrufe.  Dann  ist  die  Allgemeinerkrankung  zwar  eine 
organisehe,  das  Symptom  der  Dyslexie  aber  ein  fiinctionelles,  und  es  wäre  im 
solchen  Falle  wohl  kaum  nöthig,  dass  die  Erkrankung  der  Himgefasse  in  der 
linken  Hemisphäre  stärker  ausgeprägt  wäre,  wie  rechts. 

Kann  man  die  bisher  besprochenen,  eine  Localdiagnose  überhaupt  unmög- 
lich machenden  Umstände  äusschliessen,  was  f&r  den  ersten,  zugegeben  bisher 
noch  nicht  beobachteten,  Fall  leichter,  für  den  zweiten  jedenfalls  sehr  schwer 
sein  wird;  dann  wird  man  wohl  nicht  fehlgehen,  bei  dem.  Symptom  der  Dyslexie 
eine  organische  Erkrankung  der  linken  Hemisphäre  anzunehmen,  besonders 
natürlich  dann,  wenn  noch  andere  Symptome  linker  Cerebralerkrarikung  vor- 
handen sind.  Die  für  die  cerebrale  topische  Diagnostik  überhaupt  gültigen 
Begeln,  wie  sie  namentlich  von  Nothnagel  präcisirt  sind  und  die  ich  hier 
nicht  auseinanderzusetzen  brauche,  müssen  uns  dann  Aufschluss  geben,  ob  wir 
in  unserer  Diagnose  noch  weiter  gehen,  ob  wir  mit  einem  Worte  die  Dyslexie 
ab  im  gegebenen  Falle  directes  oder  indirectes  Heerdsymptom  ansehen  können. 
Auch  hier  können  die  Begleitsymptome  uns  sehr  grosse  Hülfe  gewähren,  nament- 
h'ch  wenn  sie  so  relativ  sicher  zu  localisiren  sind  wie  die  rechte  Hemianopie  in 
einem  BEMiiN'schen  Falle.  Wie  schwierig  aber  gerade  bei  der  Dyslexie  die 
Sache  auch  dann  noch  sein  wird,  leuchtet  noch  deshalb  besonders  ein,  ^eil  wir 
gar  nicht  wissen,  ob  nur  die  Affectionen  des  Centrums  und  der  directen  Bahnen 
des  Lesens,  oder  auch  solche  der  selbst  noch  hypothetischen  Associationsbahnen 
zwischen  diesem  und  den  übrigen  Centren  der  Sprache  und  Schrift  das  Symptom 
der  Dyslexie  hervorzurufen  im  Stande  sind. 

Meine  Ansicht  weicht  also  nur  insofern  etwas  von  der  BEBLiN'schen  ab, 
dass  ich  doch  die  Möglichkeit  des  Vorkommens  der  Dyslexie  bei  rein  functionellen 
Störungen  nicht  ganz  in  Abrede  stellen  möchte;  im  üebrigen,  glaube  ich,  zeigen 
die  obigen  Erörterungen  auf's  Deutlichste,  wie  sehr  Bebun  recht  hatte,  vor 
einer  allzu  sicheren  Localdiagnose  bei  der  Dyslexie  zu  warnen.  Darf  ich  noch 
einer  mehr  persönlichen  Empfindung  Ausdruck  geben,  so  möchte  ich  sagen, 
dass  ich  mir  das  Symptom  der  Dyslexie  eher  bei  einer  nicht  ganz  directen 
Lääon  der  Lesebahnen  und  -Centren  vorstellen  kann  und  dass  eine  solche  directe 
Läsbn  wohl  eher  Alexie  hervorrufen  würde;  besonders  auch  in  meinem  Falle 
lässt  der  grosse  Gradunterschied  der  betreffenden  Functionsstörung  zu  verschie- 
denen Tageszeiten  die  Annahme  einer  directen  Läsion  wohl  kaum  zu.   Auch  im 


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NiEDEN'schen  FäUe  spricht  die  Besseroog  des  Symptoms  im  Laufe  d^  Beobach- 
tung für  die  Annahme  einer  indirecten  Heeiderscheinung. 

Ich  brauche  nach  obigen  Deductionen  wohl  kaum  besonders  hervorzuheben, 
dass  ich  keinesw^s  in  Versuchung  gerathen  hin,  meinen  Fall,  in  dem  eine 
Lasion  dei  Hirnsubstanz  nur  rechts  nachgewiesen  wurde^  g9gen  die  Annahme 
der  Localisation  der  centralsten  Behnen  und  des  Centrums  fär  das  Lesen  in  der 
linken  Hemisphäre  in's  Feld  zu  fuhren.  Die  bisherigen  Sectionen  bei  BjsiexiB 
haben  stets  eine  linksseitige  Läsion  des  Cerebrum  ergeben;  ausserdem  ist  der  Zif 
sanmienhang  aphatischer  Symptome  mit  linksseitigen  Heerden  bei  Bechtshandem 
eine  so  wohlconstatirte  Thatsache,  dass  man  bei  einiger  Kritik  sich  hüten  wird,  an- 
vollständige  Section^  dagegen  in's  Feld  zu  führen.  Wie  unvollständig  die  Section 
meines  Falles  aber  war,  wird  erst  recht  klar,  wenn  man  die  Besohreibong  eines 
Falles  liest,  wie  ihn  Siehebiino^  im  letzten  Hefte  des  Archivs  für  Psychiatrie  be- 
schrieben hat.  Hier  stimmten  die  makroskopischen  Befunde  nicht  im  Geringsten 
mit  den  klinischen  Symptomen  und  erst  die  genaueste  mikroskopische  Unter- 
suchung Hess  eine  ganze  Anzahl  kleiner  Erweichungsherde  entdecken,  die  dann 
zur  Erklärung  der  Symptome  nach  den  Lehren  der  Himlocalisation  mehr  als 
ausreichten.  Solche  Fälle  sind  von  principieller  Bedeutung;  nur  wenn  man  in 
dieser  Weise  untersucht  hat,  hat  man  im  gegebenen  Falle  m.  Recht,  sonst  gut 
fundirte  Lehren  der  Himphysiologie  anzugreifen.  Ich  glaube  deshalb  auch  in 
meinem  Falle  solche  kleine,  makroskopisch  nicht  kenntliche  Erweichungsheerde 
in  der  linken  Hemisphäre  annehmen  zu  sollen,  die  dann  auch  wohl  die  Ursache 
der  Dyslexie  gewesen  sind.  Die  schwere  Atheromatose  fast  sämmtlicher  Him- 
gefasse  und  die  in  der  Ejrankengeschichte  erwähnten  häufigen  heftigen  Schwindel- 
anfalle mit  Niederstürzen,  Erbrechen  und  Benommenheit  machen  diese  Axmahme 
noch  wahrscheinlicher.  Ebenso  glaube  ich  die  sub  finem  auftretenden  reäiten 
klonischen  Krämpfe  in  die  rechte  Gontractur  auf  solche  mikroskopische  Er- 
weichungsheerde zurückführen  zu  müssen;  sie  boten  mit  der  linksseitigen  schlafTen 
Lähmung  ein  Erankheitsbild,  wie  ich  es  sonst  nur  einige  Male  bei  Paralytikern 
in  und  nach  einem  Anfalle  gesehen  habe,  ionische  Krämpfe  sind  sonst  mehr- 
ÜEkch  bei  Blutungen  auf  die  Oberfläche  und  in  die  Ventrikel  beobachtet  worden 
und  Webnicke^  beschreibt  einen  dem  meinigen  ganz  gleichenden  Fall  rechts- 
seitiger -  schlaffer  Lähmung  und  linksseitiger  Contractur,  bei  iem  die  Section 
eine  Blutung  in  den  linken  Seitenventrikel  und  an  die  Basis  der  linken  Seite 
bei  negativem  Befund  an  der  rechten  Seite  darbot  Auch  hier  bestand  starke 
Atheromatose  der  Basalgefasse,  die  Antecedentien  der  Patientin  waren  nicht 
bekannt.  Eine  mikroskopische  Untersuchung  fand  nicht  statt,  ich  glaube,  sie 
würde  auch  in  der  rechten  Hemisphäre  Befunde  ergeben  haben,  die  die  links- 
seitigen Symptome  besser  als  eine  gleichseitige  Ventrikelblutung  erklärt  hätten« 


^  CasTiistiBoher  Beitrag  znr  Lehre  von  der  LocaUsatioii  im  Qrosshun.    Arch.  f.  Psych. 

xvm.  H.  3. 

'  Lehrbuch  der  Gehimkrankheiten.  Bd.  U.  S.  46. 


—    To- 


ll.  Referate. 


Anatomie. 

1)  ITeber  die  hinteren  Kervenworzeln,  ihre  Bndignng  in  der  grauen  Sub- 
stans  des  Bückenmarkes  und  Ihre  centrale  Fortsetsrang  im  letsteren, 
Ttm  W.  Bechterew.  (Sep.-Abdr.  ans  dem  Archiv  für  Anatomie  n.  Physiologie. 
1887.    Anat.  Abth.) 

Verf.  benutzte  das  Bückenmark  von  Föten  und  Neugeborenen.  Die  Präparate 
wurden  nach  Weigert  nnd  mit  Chloigold  nach  Freud  gefärbt.  Es  zeigte  sich,  dass 
der  Entwickelung  nach  die  hinteren  Wurzeln  in  2  streng  differenzirte  Bündel  zer- 
fallen, die  sich  im  Quers<^nitt  als  gleichmässig  vermischt  erwiesen.  Von  dem  zuerst 
entwickelten  Bündel  mit  stärkeren  Wurzelfasem  geht  der  grösste  Theil  in  das  Wurzel- 
gebiet der  Burdach'schen  Strange,  der  kleinere  direct  in  die  gelatinOse  Substanz, 
ond  zwar  mit  den  meisten  Fasern  in  den  inneren,  mit  den  übrigen  in  den  äusseren 
Abschnitt  derselben.  Das  später  sich  entwickelnde  Bündel  mit  sehr  feinen  Fasern 
bi«gt  mii  der  MetoaU  dsraeUmmach  dem  Eintritt  in's  BüdEsnmBark  naeh  attssen 
ab^  geht  in  deir  hintemten  Abschnitt  der  Seitenstaränge  und  in  ihnen  aafwftrts^.  die 
Minderzahl  geht  theils  direct  in  die  Subst  gelatin.,  theils  zwischen  den  Fasern  des 
zuerst  entwickelten  Bündels  in  die  Höhe.  In  der  Lumbalanschwellung  und  dem 
aateren  Dorsalmark  zieht  die  Minderzahl  der  Fasern  des  zuletzt  enistaudenen  BQndels 
mehr  nach  innen,  um  die  äusserste  Partie  der  BurdacK^schen  Stränge  einzunehmen. 
Terf.  bezeichnet  die  Bündel  als  „innere  starke''  und  „äussere  feine  Wurzelfasem". 

Sämmtliche  Fasern  der  hinteren  Wurzeln  sollen,  indem  sie  in  die  graue  Sub- 
stanz eintreten,  die  sich  dort  befindenden  Zellen  passiren.  Was  die  Endigungen 
betrifft»  so  beobachtet  Verf.,  dass  die  inneren  starken  Wurzelfasem  nach  ihrem  Ein- 
tritt in  das  Hinterhom  einerseits  —  und  zwar  die  mehr  nach  innen  gelegenen  — 
—  sich  zwischen  den  Zellen  der  Clarke^schen  Säulen  vertheüen,  andererseits,  nach- 
dem sie  tiefer  in  die  graue  Substanz  eingedrungen  sind,  sich  mit  den  Zellen  des 
mittleren  Theils  der  Substanz  verbinden  oder  in  das  Vorderhom  gehen.  Eine  Partie 
dieses  Bündels  passirt  die  vordere  Commissur,  um  zum  Vorderhom  der  anderen  Seite 
za  gelangen.  Die  äusseren  feinen  Wurzelfasem  ziehen  in  dem  hinteren  Abschnitt 
der  Seitenstränge  nach  oben  und  treten  wieder  in  die  graue  Substanz  des  Hinter- 
boms,  um  sich  mit  den  Zellen  vor  der  Subst.  Bolandi  zu  verbinden.  Einige  dieser 
Fasern  gehen  direct  zu  den  lateralen  Zellen  des  Vorderhoms. 

Aus  den  Clarke'schen  Säulen  kommen  3  Faserzüge:  1)  Fasem  zu  den  Kleinhim- 
seitenstrangen;  2)  Fasem  zu  den  Burdachschen  und  Goll'schen  Strängen;  3)  Fasem 
zum  Vorderhom  und  dßr  vorderen  Commissur.  Aus  den  Zellen  vor  der  Subst.  Bolandi 
gehen  Fasem  zur  grauen  Commissur  und  weiter  in  die  Seitenstränge  als  besondereß 
System  zwischen  dem  hinteren  Theile  des  Seitenstrangrestes  und  dem  inneren  des 
Pyramidenseitenstranges.  Aus  den  zerstreuten  Zellen  des  Hinterhoms  sollen  die 
Fasem  der  Goll'schen  Stränge  ihren  Anfang  nehmen,  längs  des  inneren  Hinterhom- 
randes  in  die  graue  Substanz  der  hinteren  Comnussur  eintreten,  vor  der  Mittellinie 
scharf  nach  hinten  abbiegen  und  bis  zur  Mitte  der  EQnterstränge  gehen,  wo  man  die 
GoU'schen  Stränge  zuerst  sieht. 

Aus  Dnrchschneidungen  schliesst  Verf.,  dass  die  äusseren  feinen  Wurzelfasem 
die  sensiblen  Eindrücke  der  Haut,  und  aus  den  anatomisch-pathologischen  Erscheinungen 
der  Tabes  doFsalis,  dass  die  inneren  starken  das  Muskelgefühl  leiten. 

Die  hintere  Commissur  des  Bückenmarks  soll  nur  Fortsetzungen  der  äusseren 
feinen  Wurzehi  und  Verbindungsfasem  für  die  Zellen  der  beiden  Hälften  der  grauen 
Substanz  führen.  Kronthal. 


_    76    — 

2)    Cells  of  Glarke'8  oolurnn,    von  F.  W.  Mott.    (The  Brit  med.  Jonrn.  1887. 
Dec.  3.  p.  1218.)  '  « 

M.  zeigte  in  der  grossbrittanischen  anatomischen  Gesellschaft  mikroskopische 
Präparate  nnd  Mikrophotographien,  am  Form  und  Grösse  der  Zellen  der  Clarke*8chen 
ßkoie  beim  Hunde,  Affen  und  Menschen  zn  illnstriren.  £s  waren  vertikale  und  trans- 
versale Schnitte  abgebildet  Die  Zellen  waren  entweder  deutlich  bipolar,  oder  vesi- 
cular,  mit  grossen  und  deutlichen  Axencjlindem  und  Fortsätzen.  Die  Längsaxe  der 
Zelle  lag  vertikal.  Die  Zellen  standen  unten  mit  Fasern  der  Colomna  postero-extema, 
oben  mittelst  Fasern,  welche  in  vertikalen  Schnitten  nach  oben  und  aussen  verfolgt 
werden  konnten,  mit  dem  Tractus  cerebellaris  in  Verbindung.  —  Auch  Abbildungen 
pathologischer  Befunde  thaten  dies  dar,  in  welchen  je  nach  der  Druckrichtung  in 
Beziehung  zur  Clarke*schen  Säule  Degenerationen  entweder  der  oberen  oder  unteren 
Segmente  von  Nervenfasern  stattgefunden  hatten.        L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


Experimentelle  Physiologie. 

d)  On  an  apparently  peTipheral  and  dlflbfential  aotlon  upon  the  laryngaal 
muaolea,  by  Felix  Semon  and.  Vietor  Horsley^  (London  1886.     20  Seiten.) 

Die  Yerff.  knüpfen  an  die  Experimente  Hooper*s  an,  welcher  bemerkt  hatte, 
dass  bei  Thieren,  deren  Willenseinfluss  durch  Aether-  oder  Ghloroform-Einathmung 
aufgehoben  war,  eine  elektrische  Beizung  des  Nervus  laryngens  recurrens  eine  Ab- 
duddon  des  entsprechenden  Stimmbandes,  eine  Oeffiiung  der  Glottis  bewirkte.  Diese 
Erscheinung  erklärte  er  sich  durch  eine  specifische  locale  Einwirkung  des  Anaestheti- 
cum  (Aether)  auf  den  M.  cricoaiytaenoideus  posticus  oder  auf  die  peripherischen 
Nervenenden  in  ihm.  Da  nach  Durshschneidung  des  Nerven  der  Beiz  des  periphe- 
rischen Endes  dasselbe  Besultat  gab,  schien  der  Einfluss  der  Centren  und  die  Ein- 
wirkung des  Aethers  auf  die  centralen  Nervenkeme  dabei  ausgeschlossen.  Die  Yerff. 
wiederholten  diese  Versuche  und  kamen  zu  demselben  Besultate.  Eine  Differenz  in 
den  histologischen  und  nutritiven  Zuständen  der  verschiedenen  Larynxmuskeln  war 
tereits  von  Semon  und  Krause  auf  pathologischem  Gebiete  und  von  Grützner  und 
Simanowski  anatomisch  nachgewiesen.  Dieselbe  bestätigend,  fanden  die  Yerffl,  dass 
nach  Exstirpation  des  Larynx  bei  Affen,  Hunden,  Katzen,  Kaninchen  (20  Thiere, 
.32  Yersuche)  unmittelbar  nach  dem  Tode  der  M.  cricoarytaenoideus  posticus  auf 
elektrische  Beizung  seine  Erregbarkeit  stets  früher  verliere,  als  die  andern  Larynx- 
muskeln. Diese  Besultate  stimmen  auch  mit  denen  überein,  die  Onimus,  und  Jean- 
selme  und  Lermoyez  bei  ähnlichen  Yersuchen  an  Muskeln  nach  dem  Tode  hatten. 
So  scheint  die  Differenz  in  der  histologischen  Zusammensetzung,  wie  in  den  Stoff- 
wechsel-Processen  der  Abductoren  und  Adductoren  des  Kehlkopfs  begründet.  Yon 
der  Bewegung  der  Stimmbänder  bei  den  ersteren  Yersuchen  sind  graphische  Curven 
aufgenommen.  Zum  Schluss  wird  auf  die  verschiedenen  Abweichungen  und  Fehler- 
quellen hingewiesen,  die  hervorgerufen  werden  durch  die  Basse  der  Thiere,  durch 
die  Individualität  der  Thiere  derselben  Basse,  durch  das  Alter  der  Thiere,  durch 
Stromschleifen,  durch  die  Stärke  des  Stromes  und  endlich  durch  die  Tiefe  der 
Narcose.  Kalischer. 

4)  A  minute  analysis  (experimental)  of  the  various  movements  produoed 
by  Btimalating  in  the  monkey  different  regions  of  the  oortioal  oentre 
for  the  Upper  limb  as  deflned  by  ProfesBor  Ferrier,  by  Charles  E.  Bee- 
vor  and  Yictor  Horsley.   (Phüosoph.  Transact.  1887.  [Yol.  178]  p.  153— 167.) 

Der  Umfang  des  Armcentrums   beim  Affen,   welches   die  Yerff.  einer  Unter- 
suchung unterziehen,  wird  von  ihnen  noch  etwas  grösser,  als  von  Ferner  angegeben. 


—    77    — 

Dflflselbe  leiiM  nfinüloh  nach  ihiiea  mddial  in  daa  Gebiet. vou  Femer's Beinoeatrom, 
ktenl  imd  Tom  in  das  Gebiet  von  dessen  FaßiaiiBoentrttm  hinein.  Die  hintere  Oentral- 
windong  hat  (entqureohend  Mheren  Angaben  des  Beferenten)  ,, weniger  Anspmeh  nie 
die  vordere   Gentralwindung  als  ein  aosgesprochenes  Bewegangsgebiet  betrachtet  zu 
werden.'^    Innerhalb   des   Gesammtareais   folgen   die   Specialcentren  fOr  die  ein- 
lelnsn  Gelenke  und  Bevegnngaformw  derart  aofeinanderi  dass  die  grösseren  Gelenke 
QDd  die  Extension  mehr  medial,  die  klmneren  Gtolenke  und  die  Flexion  mehr  lateral 
TU  suchen  sind.    Als  recht  eigentlichen  Bewegungskem  des  Anacentnims  betrachten 
die  Yeiff.  die  nnmittelbar  medial  des  horizontalen  Schenkels  des  Snlcus  praecentralis 
bis  zur  Bolando'schen  Furche  gelegene  Partie.     Bücksichtlich  der  Art  der  Beizer 
effecte  ist   zu   bemerken,   dass   sie  bei  längerer  als  momentaner  Beizung  ein  und 
defiselben  Punktes  Bewegungen  verschiedener  Muskeln  und  Muskelgruppen  hinter« 
einander  auftreten  sahen,  die  sie  als  primäre,  secundäre  etc.  Bewegungen  bezeichnenr 
Beispielsweise  erfolgte  bei  Beizung  ihres  Punktes  2  Flexion  und  Extension  des  Dau- 
mens, Flexion  und  Extension  der  Finger,   Extension,   Pronation  und  Supination  inx 
Handgelenk,   Flexion   im   Ellbogengelenk,   Botation,   Adduction   und   Abduction   in\ 
Schnltergelenk.    Die  primäre  Bewegung  bringen  sie  in  besondere  Beziehung  zu  dem. 
betreffenden  Beizpunkt.  Die  Beibenfolge,  in  der  die  einzelnen  primären,  secundären  etc. 
Bewegungen  nach  einander  auftreten,  finden  sie  entsprechend  der  von  Hughlings  Jack- 
son aufgestellten  Begel,   nach   der  corticale  Krämpfe,  wenn  sie  in  der  Schulter  be« 
ginnen^  sicli  gradatim  nach  der  Peripherie  ausbreiten  und  wenn  sie  in  den  Fingern 
beginnen,  sich  gradatim  nach  oben  hin  ausbreiten.   Uebrigens  ist  es  dem  Beferenten 
nicht  durchweg  geglückt,   die  Unterlagen  für  diese  allgemeinen  Sätze  in  den  beige- 
gebenen  Tabellen   wiederzufinden.     Wegen   letzterer   und   zahlreicher  Einzelnheiten 
moas  auf  das  Original  verwiesen  werden. 

Bei  diesen  Versuchen  bedienten  sich  die  Yerfif.  des  inducirten  Stromes  eines^. 
mit  einem  Paniell  armirten  Schlittenapparates,  Wenn  wir  erfahren,  dass  ihre  „pri- 
mären Bewegungen''  schon  bei  einem  Bollenabstand  von  10  cm  auftraten,  dass  sie 
aber  in  der  Begel  hei  einem  Bollenabstand  von  8  cm^  reizten,  so  wird  die  grosse 
Ausdehnung  ihres  Armcentrums,  sowie  die  MannigfiEdtigkeit  der  bei  den  einzelnen 
Versuchen  auftretenden  Bewegungen  verständlich.  Es  befremdet  jedoch,  dass  sie 
weder  von  dem  Vorkommen  von  Zuckungen  im  Gebiete  des  Facialis,  noch  von  dem 
Auftreten  epileptiformer  Anfälle  bei  diesen  Versuchen  etwas  erwähnen.  In  dem  untern 
Theile  jenes  Armcentrums  sahen  nämlich  andere  Autoren,  Beferent  bei  viel  schwächeren 
Strömen  und  sogar  Horsley  selbst  bei  seinen  mit  Schaefer  ausgeführten  Versuchen 
regelmässig  Facialis-Bewegungen  erscheinen  und  ohne  die  gerade  bei  solchen  Ver- 
suchen nnd  Schlussfolgerungen  gewiss  nicht  gleichgültigen  Erampfanfalle  dürfte  es 
unter  der  angewandten  Methode,  wohl  nicht  abgegangen  sein.  Hitzig. 


Pathologische  Anatomie. 

6)   Syringoxnyelia,   von   Charlewood   Turner.     (The  Brit.  med.  Joum.    1887, 
Dec  10.    p.  1281) 

F.  zeigt  in  der  Londoner  pathologischen  Gesellschaft  das  betreffende  Präparat 
vor.  Es  stammte  von  einem  Patienten,  der  zu  Erampfanfällen  neigte.  Brandwunden, 
während  eines  solchen  entstanden,  führten  den  Tod  herbei. 

Die  centrale  Höhlung  ging  von  der  Med.  oblongata  nach  unten  durch  das  ganze 
Bückemnark.    Die   Höhlung   varürte   an  Grösse  und  Form  in  verschiedenen  Theilen 


^  Im  Widersprach  mit  diesen  Angaben  steht  freilich  die  Bemerkung  der  Verff.,  dasq 
S  cm  B.  A.  der  Stromstärke  des  Zuckui^minimums  entsprach. 


—    78    — 

am  ItttokaanarlaL  Die  HOUnngea  emm  waagegngm  ton  Cjitn  in  4er  gUMii 
SobetMkz  des  SlkelBeiuiierla;  Die  BUdmig  sei  aiHÜog  te*  ejstieciien  Degencntioii  in 
gmaen  Snbetans  dee  GehiniB.  L.  Lehmen»  (Oeynhnaiwn). 


0)  lÜMtologfaohe  Uhfeenooluiiig  efaee  Fallen  toh  Lyena»  ton  Karl  Schaff  er, 
ettid.  med.  Ane  dem  Laborntorinm  der  peyofaiaftr.  Klinik  der  UniwBttftt  Badapeit 
(IrdL  £  Pqrehisfrie.  XIX.  1.) 

Der  Fdl  betrifft  eine  40jShr.  Frau,  die  am  15.  Sept  1886  in  die  rechte  lEtand 
gebissen  wnrde.    Am  16.  Nov.  Ausbrach  der  Lyssa,  am  19.  Not.  Tod. 

IMe  Untersnchong  dds  Verf.  konnte  sich  nur  auf  das  BUckenmark  erstrecken. 
Sie  ergab  eine  acute  Myelitis,  welche  von  oben  nach  nnten  an  Intensit&t  abnahm. 
Auffallend  war  eine  diffuse,  besonders  die  grane  Substanz  betreffende  Infiltration  mit 
emigrirten  weissen  Blutkörperchen.  Ausser  der  Umgebung  der  Gefässe  zeigten  sich 
gruppenförmige  Anhäufungen  farbloser  Blutkörperchen  im  Yorderhom,  den  Ganc^ien- 
zellengruppen  resp.  dem  Gefässreichthum  entsprechend.  —  Der  Centialkanal  war  in 
seiner  ganzen  Länge  von  den  ausgewanderten  Zellen  obliterirt. 

Als  Folgen  der  entzfindlichen  Ernährungsstörungen  beschreibt  Yerf.  sodann:  die 
grossen  Ganglienzellen  der  Vord erhör n er  waren  vielfach  von  massenhaftem  Pigment 
erfüllt^  einzelne  dabei  atrophisch,  alle  von  weiten  pericellulären  Bäumen  umgeben. 
—  Die  feinen  Fibrillen  der  Vorderhömer  auch  nach  Weigert*scher  Färbung  un- 
deutlich. 

In  den  Hinterhörnern  finden  sich  nur  spärliche  NervenzeUen,  gewisse  Nerven- 
faserbflndel  sind  von  Myelin  entblösst  und  ihre  Axencylinder  degenerirt  („spiralig 
zusammengerollt'').  An  einer  Stelle  ein  umschriebener  apoplectischer  Heerd.  —  Die 
Hinterstränge  zeigten  rundliche  Gewebslficken,  welche  den  vorderen  Theilen  der- 
selben ein  fast  siebförmiges  Aussehen  gaben.  Aehnliches  fand  sich  in  der  Umgebung 
der  grauen  Säulen  in  den  Seiten-  und  Yordersträngen.  —  Die  Neuroglia  ist  stellen- 
weise deutlich  hyperplastisch.  —  Noch  fanden  sich  diffus  zerstreut  eigenthfimliche 
Körperchen  „ZerfaÜsproducte'',  die  keine  Corpora  amylacea  waren. 

Auffedlend  ist,  entgegen  den  bisherigen  negativen  Befunden,  die  Menge  und 
Intensität  der  Yeränderungen  des  Nervensystems  bei  einer  Krankheit  von  drei 
Tagen.  —  Yerf.  will  auch  an  3  weiteren  Fällen,  welche  er  z.  Z.  untersucht,  „einen 
scharf  ausgeprägten  myelitischen  Process"  gefunden  haben.  Hadlich. 


7)   Zur  Oaeuistik  und  Entwiokelusg  der  Hlmlipome»  von  Dr.  Taubner  in 
Neustadt  in  Westpreussen.     (Yirchow's  Arch.  CX.  1.) 

Bei  einem  23jähr.  Geisteskranken,  1^/,  Jahr  vor  seinem  Tode  erkrankt,  erwies 
die  Section  auf  der  Grenze  des  rechten  Yierhügelpaares  und  der  Proc.  cerebelli  ad 
corp.  quadrig.  eine  haselnussgrosse  gelbliche  Geschwulst  von  praller  Gonsistenz,  ein 
Lipom,  das  der  Untersuchung  nach  seinen  Ausgangspunkt  genommen  hatte  von  der 
hinteren  Grenze  des  rechten  hinteren  Yierhügels,  da,  wo  die  Spitze  des  Bindeanns, 
die  des  hinteren  Längsbfindels  und  der  graue  Bekg  des  Yentricul.  lY  (obere  Hälfte) 
zusammentreffen. 

Es  hatte  während  der  Krankheit  beständig  eine  bald  mehr  bald  weniger  inten- 
sive Hyperämie  des  Kopfes  (resp.  des  Gehirns  —  diese  auch  bei  der  Section  gefunden) 
bestanden,  in  XJebereinstimmung  mit  den  experimentellen  Beobachtungen  von  Ows- 
jannikoff,  der  ein  vasomotorisches  Centrum  im  Boden  des  oberen  Yentricul.  lY  ge- 
funden hatte,  nach  dessen  Zerstörung  eine  sichtliche  Erweiterung  der  kleinen  Körper- 
arterien eintrat  Hier  hatte  der  Tumor  gerade  diesen  betr.  Theil  des  YentricoL  lY 
rechterseits  comprimirt 


—    79    — 

Yol  staQt.  dia  riomlicli  beedir&Dkten  FrfidileetioDsstolien  der  Himlipome  fest 
and  mmk,  daas  an  diaseii  wsfarsclieiiiliöh  die  HitnzwiBclieiiSftbslaius  (Nenroglia)  eme 
nr  fintnioUiuig  emes.  lipon»  eigeiuurtig  präformirte  .  BesöhaftDheii  (mehr  dtm 
Bindegeirabe  der  Himb&ote  ähalicli)  habe.  Hadlich. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

8)  Des  n^TriteB  proYoquöes  par  las  iojeotions  d'Mier  «a  volBixiAgd  des 
tronos  net^euK  des  membreB»  par  A.  Pitres  et  L.  Vaillard.  (Sep.-Abdr. 
der  Yerh.  der  8oc.  de  Biologie.  1887.  14.  M&rz.) 

Die  Yerff.  ergänzen  die  Arbeiten  von  Amozan  und  Sf^vat.  Sie  fanden,  dass  die 
Wirkung  des  Aetbers  auf  einen  'Nervenstamm  dieselbe  ist,  wie  die  einer  Dnrcb- 
fichneidiuig.  Am  Orte  der  Einwirkung  zeigt  sich  nach  einigen  Stunden,  dass  der 
Axeocflinder .  sowohl«  wie  die  seitlichen  Incisionen  des  Nerven,  und  die  Kerne  der 
interannolaren  Segmente  undeutlich  resp.  unerkennbar  geworden  sind ;  erst  nach 
14  Tagen  beginnt  der  Zerfall  des  Myelins  und  seine  Besorption,  spätejr  erst  treten 
BegenerationsYorgänge  auf.  Unterhalb  der  getroffenen  Stelle  kommt  es  zu  einer 
typischen  Kenrendegeneration  und  zwar  vom  4.  Tftge  an. 

Die  Einwirkung  des  Aethers  ist  also  die  einer  unmittelbaren  Nekrose  der  be- 
troffenen Stelle,  doch  geechieht  der  Zerfi^  hier  langsam  und  ganz  allmfthlich.  — 
Wie  Schwefeläther  wirken  ademlich  gleich  auch  andere  Aetherarten.        Hadlich. 


9)  Stille  jMvtM  periferlohe  inf aktive  spevimentali:  Hevriti  detamdnste  da 
inooulanoxii  dal  bacillo  del  tifo  e  dello  pneumoooooo  di  Friedlftnder« 
pel  Dott  G.  D'Abundo.    (La  Biforma  medica.  1887.  Agosto.    Sep.-Abdr.) 

Bekanntlich  sind  Neuritiden  als  Folgezustande  acuter  Infectionskrankheiten  durch- 
aus nicht  selten  und  es  liegt  die  Yermuthung  nahe,  sie  auf  die  Einwirkung  der 
pathogenen  Bacülen  zurückzufahren.  Yerf.  hat  nun  in  diesem  Sinne  zu  experimen- 
tiren  versucht:  er  hat  bei  Kaninchen  und  Hunden  kleinere  Mengen  einer  Typhus- 
bacilJen  oder  Pneumoniecoccen  enthaltenden  Beinculturflüssigkeit  theils  in  das  den 
Ischiadicus  umgebende  Gewebe,  theils  unter  das  Perineurium  desselben  (unter  mög- 
lichster Schonung  der  Nervenfasern  selbst)  eingespritzt.  Dass  übrigens  Einspritzungen 
iMMdllenfreier  sterilisirter  Nährflüssigkeit  keine  fnnctionellen  oder  organischen  Störungen 
in  den  operirten  Nerven  hervorriefen,  hatte  Yerf.  durch  Yersuche  an  15  Kaninchen 
imd  Hunden  vorher  festgestellt. 

1.  Typhusbacillus. 

Einspritzungen  in  das  den  Ischiadicus  umgebende  Gewebe  brachten  bei  6  Hunden 
einmal  und  bei  9  Kaninchen  dreimal  positive  Besultate:  perineuritische  und  (einmal 
asch)  endoneuritische  Processe. 

Einspritzungen  unter  die  Nervenscheide  waren  bei  Hunden  stets,  bei  6  Kaninchen 
nicht  regelmässig  von  functionellen  Störungen  begleitet.  Anatomische  Yeränderungen 
waren  aber  nur  bei  einem  Hunde  (nach  27  Tagen)  und  bei  2  Kaninchen  (nach  50 
resp.  60  Tagen)  noch  im*  Ischiadicus  nachweisbar. 

Allgemeininfection  wurde  niemals  beobachtet  und  nie  glückte  eine  Wiedercultur 
des  Badllus. 

Es  waren  übrigens  2  Jahr  alte  Beinculturen  aus  Mangel  an  irischeren  zur 
ImpfoDg  benatzt  worden. 

2.  Pneumoniecoccus  von  Friedländer, 

Hier  konnten  ganz  frische  Beinculturen  benutzt  werden,  und  sänuntlichen  Impfungen- 
mter  die  Nmrvenscheide  bei  Kaninchen  wie  bei  Hunden  folgten  functionelle  und  meistens 


—    80    — 

aach  (NFganiflcke  Stftroiigen  des  iBchiadiciiB  —  soweit  die  Herren  ftberhaüpt  aiuitomisch 
Tcatersacht  werden  konaien,  da  mehrere  Hunde,  deren  fanctionelie  StGno^^  sich 
einige  Wochen  nach  der  Injection  yollst&ndig  zurflckgebiidet  hatten,  am  Leben  er- 
halten worden.  Zeichen  von  Allgemeininfeotion  —  abgesehen  von  Temperatorsteige* 
rongen  von  0,5^  bei  Kaninchen  —  fehlten  stets  nnd  auch  der  Versuch  einer  Wieder* 
Züchtung  der  Coccen  erwies  sich  als  resultatlos. 

Einspritzungen  in  das  den  Ischiadions  umgebende  Gewebe  können  beim  Pneu- 
moniecoccus  nicht  besprochen  werden,  da  Verf.  mit  seinen  Untersuchungen  noch  nicht 
zum  Abschluss  gelangt  ist. 

Fest  steht  es  jedenfalls,  dass  Symptomencompleze,  wie  sie  den  Neuritiden  nach 
Typhus  und  Pneumonie  entsprechen,  durch  Injectionen  der  betreffenden  Spaltpilze  in 
den  Ischiadicus  erzeugt  werden  können.  Ueber  ähnliche  Ergebnisse  mit  Tuberkel- 
und  Erysipelbacillen  wird  Verf.  in  einer  nächsten  Arbeit  berichten.         Sommer. 


10)  Ueber  die  Affeotion  des  Kervensystems  nach  acuten  infectidsen  Pro- 
cessen, von  Dr.  N.  Lunz,  Ordinator  am  Stadtkrankenhause  zu  Moskau.  (Arch» 
f.  Psych.  XVni.  S.  882.) 

Unter  den  kurz  beschriebenen  FäUen  (13  Beobachtungen)  ist  besonders  be- 
merkenswerth:  1)  ausgebildete  Ataxie  nach  Diphtherie  (neben  Diplopie,  Gaumen- 
segeUähmung  etc.)  bei  einem  17  Jahre  alten . Gymnasiasten  und  2)  doppelseitige 
Facialis-Paralyse  (neben  Schwäche  der  obem  und  untern  Extremitäten,  Ataxie, 
Sensibilitätsstörungen,  fehlenden  Beflexen)  nach  Typhus  exanthematicus  bei  einem 
i  6jährigen  Manne. 

Je  nach  der  Schwere  des  Falles  werden  die  Beobachtungen  in  4  Gruppen  ein- 
getheüt: 

1)  Auftreten  der  Kervenstörungen  am  Ende  der  Krankheit  oder  in  der  Becon- 
valescenz.  Besserung  im  gleichen  Schritt  mit  der  Hebung  des  Allgemeinbefindens. 
Ursache  derselben  in  Anämie  und  Erschöpfung  der  Nervencentren  zu 
suchen. 

2)  Anhaltendere  Störungen,  die  indessen  verhältnissmässig  schnell  in  Heilung 
übergehen  und  daher  als  functionelle  angesehen  werden  mflssen  (z.  B.  der  oben 
angedeutete  Fall  von  postdiphtherischer  Ataxie,  welche  durch  Galvanisation  des 
Bückenmarks  in  2^/,  Monaten  beseitigt  wurde). 

3)  Entzündliche  Veränderungen  in  Form  von  peripherischen  Neuritiden, 
Meningitis,  Meningitis  cerebrospinalis,  multipler  Sklerose  etc. 

(4  Beobachtungen,  von  denen  3  nach  Typhus  exanthematicus,  1  nach  Becurrens, 
kein  Sectionsbefund.) 

4)  In  Folge  der  Gefässveränderungen  (nachgewiesen  insbesondere  bei  Typhus 
von  Abbers,  Popoff,  Iwanowsky,  Bosenthal  etc.)  Hämorrhagien,  Embolien, 
Thromben  im  Centralnervensystem. 

(2  Beobachtungen:  1.  Hemiplegia  dextra  mit  Aphasie  nach  Typhus  exanthematicus, 
2.  Hemiplegia  dextra  nach  Typhus.)  Sperling. 


11)  Ueber  acute  Polyneuritis  und  verwandte  Krankheitaformeu  mit  Bück- 
Bioht  auf  ihr  zeitliches  und  örtliches  Auftreten,  aus  dem  allgemeinen  Kranken- 
hause in  Hamburg  von  Dr.  Eisenlohr.  (Berl.  klin.  Woch.  1887.  Nr.  42.  S.  781.) 

Die  Häufung  von  Fällen  acuter  Polyneuritis  im  Jahre  1886/87  gegenüber  den 
Vorjahren,  der  fast  bei  allen  evidente  Mangel  einer  plausiblen  Entstehungsarsache, 
die  bei  einigen  hervortretenden  ganz  an  eine  acute  Infectionskrankheit  erinnemden 
Initialerscheinungen  —  alle  diese  Momente  veranlassten  den  Verf.,  die  beobachteten 


—    81     — 

9  FUle  Yon  Poljiieiiritis  als  den  Ausdruck  einer  kleinen  Epidemie  aufanfassen. 
Zwei  in  doi  Jahren  1883  nnd  1885  beobachtete,  im  Beginn  und  Yerlanf  von  den 
andern  abweichende  Falle  betrachtet  er  als  Vorläufer  derselben  und  rechnet  der  fipi* 
demie  zwn  weitere  F&Ue  zn,  bei  denen  eine  Betheilignng  des  Bückenmarks  nicht 
ansgoechlossen  ist»  die  aber  der  zeitlichen  Goincidenz  wegen  auch  entstanden  gedacht 
werden  können  dnrch  die  gleiche  Noxe,  die  sich  ebm  an  verschiedenen  Funkten, 
besonden  in  den  motorischen  Bahnen  des  Nervensystems  etabürt  hat. 

Bemerkenswerth  ist  der  dem  Verf.  von  Dr.  Gurschmann  mündlich  mitgetheilte 
Gedanke,  dass  diese  Formen  acuter  trophischer  LiUunung  vielleicht  in  ätiologischem 
Zasanuaenhang  stehen  k({nnten  mit  den  ebenfiEtlls  in  den  letzten  Jahren  in  grösserer 
Häufigkeit  in  Hamburg  auftretenden  Fällen  von  epidemischer  Cerebrospinalmeningitis. 

Die  genannten  9  Fälle  betreffen  6  männliche  und  3  weibliche  Personen  im 
Alter  von  15 — 40  Jahren  und  vertheilen  sich  der  Zeit  nach  so,  dass  im  September 
1886  3,  im  October  und  November  je  2,  im  December  und  Febmar  1887  je  1  Fall 
vorkommt  Sämmtliche  Erkrankungen  fanden  in  Hjunbnrg  selbst  statt  nnd  andere 
Infectionen  lagen  nicht  vor,  worauf  dieselben  hätten  bezogen  werden  können. 

Die  Initialsymptome  bildeten  2mal  acute  gastrointestinale  Erscheinungen,  2mal 
leichter  Icterus,  Imal  während  7  Wochen  vorher  cholerinartige  Diarrhoe  nnd  Car- 
dialgien;  in  anderen  waren  Symptome  von  Seiten  des  Nervensystems  die  ersten: 
Mattigkeit^  allgemeines  Uebelbefinden,  Kopfschmerz,  Schwäche  der  Arme  und  Beine  etc. 
Bei  3  Fällen  kurzdauernde  massige  Temperatursteigerung. 

Auf  die  weiteren  Symptome,  die  in  der  Gesammtheit  besprochen  werden,  Thera- 
pie etc.  soU  hier  nicht  weiter  eingegangen  werden,  da  Yerf.  eine  genaue  Beschrei- 
bung der  einzelnen  Fälle  in  Aussicht  stellt. 

Sehr  bemerkenswerth  ist  die  zum  Schluss  gemachte  Bemerkung,  dass  Fälle  von 
Trichinosis  in  gewissen  Stadien  genau  dieselben  Symptome  bieten  können,  wie  die 
acute  Polyneuritis  und  daher  diagnostische  Zweifel  auftauchen  können.  Selbst  die 
elektrische  Erregbarkeit  bietet  in  beiden  Fällen  Aehnlichkeiten.  Die  Beflexe  fehlen 
bei  Trichinosis  nicht  selten,  die  Schmerzhaftigkeit  und  Schwellung  der  Muskeln 
braucht  nicht  vorhanden  zu  sein.  Der  Verlauf  beider  Krankheiten  gestaltet  sich 
natfirlich  ganz  verschieden.  Sperling. 


12)  Zur  KenBtniflS  der  aouten  infeotiösen  multiplen  Neuritis«  von  Dr.  Th. 
Bosenheim,  Assistenzarzt  im  „Friedrichshain",  Berlin.  (Arch.  f.  Psych.  XVUL  3.) 

Ein  gut  beobachteter  nnd  genau  beschriebener  Fall  von  Neuritis  multiplex  in- 
fectiosa  acuta  bei  einem  35jährigen,  tuberculösen,  aber  weder  luetischen  noch  alko- 
holischen Kutscher,  welcher  in  17  Tagen  letal  endete.  Zuerst  traten  plötzlich  Läh- 
mnngserscheinungen  an  den  Unterschenkeln  auf,  nach  einigen  Tagen  an  den  Armen, 
späterhin  im  Gebiet  der  Grurales  und  Obturatoril,  an  Schulter,  Bücken  und  Brust. 
Die  Lähmung  wird  fernerhin  vollkommen  und  geht  mit  Atrophie  nnd  Entartungs- 
reaction  einher.  Sensible  Beizerscheinungen:  Kribbeln,  Hyperästhesie  nebenbei;  die 
letztere  geht  in  Herabsetzung  der  Function  der  sensiblen  Nervenfasern  Aber.  Vaso- 
motorische Störungen.  Patellarreflexe  fehlen  von  Anfang  an;  Hautreflexe  erlöschen 
später.  Ungleichheit  und  träge  Beaction  der  Pupillen.  Sphincteren  frei.  Am  15.  Tage 
Respirationsstömng  und  Beschleunigung  des  Pulses.  Einige  Stunden  vor  dem  Tode 
Temperaturerhöhung.    Tod  unter  Erscheinungen  der  Atheminsufficienz. 

Für  die  Diagnose  ist  Art  nnd  Verlauf  der  Lähmung  in  Verbindung  mit  den 
sensiblen  Störungen  maassgebend.  Ein  Analogen  in  der  Litteratur  existirt  nur  in 
einem  von  Eichhorst  mitgetheilten  Falle. 

Bei  der  Section  findet  sich  in  der  linken  Lunge  ein  tuberculöser  Heerd.  Bücken- 
mark ist  intaet  Im  Verlauf  der  peripherischen  Nerven,  auch  längs  des  Vagus,  finden 
sich  zahlreiche  Hämorrhagien  im  Perineurium;  die  Gefässe  siud  strotzend  gefdUt  und 

6 


—    82    — 

gesehlSngelt,  mn  dieselben  KeniTeniiehniiig,  wdche  sich  in  dss  interstitielie  Qewebe 
fortsetzt  Im  Endonenrivm  bedeutende  Yennehnmg  der  Masfaellen,  anf  deren  Be- 
deatnng  an  dieser  Stelle  Yerf.  xnerst  die  Aufmerksamkait  gelenkt  bat  Die  Narren- 
Cssem  selbst  sind  znm  Theil  intaet  vom  Theü  fehlt  mehr  oder  weniger  das  Mark. 
Die  intermasenliren  Nerren  sind  intact  (Entartnngsreaction  also  nnr  in  Folge  der 
degenerativen  Atrophie  der  Mnskidnl).  (Znr  BrUämng  der  Un^eichheit  ond  tragen 
Beaction  der  Pupillen  ist  wohl  eine  gleidiartige  Affection  des  Oculomptoiius  mit 
Sicherheit  anzunehmen;  leider  ist  doselbe  nicht  untersucht  worden). 

Verf.  hat  ach  der  dankenswerthen  Au^be  untenogen,  die  am  schwersten  affi* 
drten  Stellen  der  Nerven  nach  allen  Begeln  der  Kunst  auf  Mikroorganismen,  spectell 
Tubeikelbacillen  zu  unteisuchen.  Trotz  des  negativen  Besultates  spricht  er  von 
infectiöser  Neuritis,  weil  er  in  den  Umsetznngsproducten  des  in  der  linken  Lunge 
wuchernden  tuberculteen  Yvrus  das  ätiologische  Moment  dieses  Krankheitsfalles  erfaückt 

Zu  erw&hnen  sind  noch  die  in  den  Ischiadici  entdeckten  eigenthfimlichen  Parenchjm- 
defecte,  welche  als  EntwickelungsstOrungen  auftufassen  sind. 

Den  Schlnss  der  zur  LeetOre  bestens  empfohlenen  Abhandlung  bildet  «in  aus- 
ffthiliches  LittMaturverzeichniss.  Sperling. 

13)  Zur  EUnik  der  multiplen  Alkoholneuritis,  von  Dr.A.Witkowski,  Assistenz- 
arzt am  städtischen  allgem.  Krankenhause  ,,Friedrichshain",  Berlin.  (Arch.  f.  Psych. 
XVni.  S.  809.) 

An  die  Mittheilnng  von  2  Fällen  ziemlich  weit  vorgeschrittener  Alkoholneuritis, 
die  auch  in  den  Einzelheiten  Interesse  bieten)  schliesst  sich  eine  kurze  chronologische 
Darstellung  das  klinischen  Bildes  genannter  Krankheit,  welche  von  der  mancher  Autoren 
in  diesem  und  jenem  Punkte  abweichen  dürfte: 

Der  Beginn  der  Krankheit  findet  klinisch  in  den  Muskeln  statt,  oder  vielleicht 
in  den  nervösen  Endapparaten  derselben;  als  die  Folge  davon  treten  motorische 
(Tremor)  und  sensible  Beizerscheinungen  (Beissen,  Stechen  in  den  Muskeln, 
Schmerzhaftigkeit  derselben  bei  Druck  auf;  Druck  der  Nervenstämme  ist  in  diesem 
Stadium  noch  nicht  schmerzhaft).  Allgemeine  Zeichen  der  Intozication  sind  nebenbei 
vorhanden.    GefQhl  von  Mattigkeit,  Schwäche  in  den  Gliedern,  Unlust  zur  Arbeit 

Schreitet  der  Process  fort,  so  kommt  es  zu  Atrophien  der  Muskeln  mit  herab- 
gesetzter quantitativer  elektrischer  Erregbarkeit  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  und 
andern  unmittelbaren  Folgeerscheinungen.  In  diesem  Stadium  kann  sich  die  Krank- 
heit Jahre  lang  erhalten,  ohne  dass  die  Hautsensibilität  und  die  Be- 
flexe  wesentliche  Aenderungen  erleiden  (Gegensatz  zu  Strümpell). 

Genannte  Symptome  finden  sich  zuerst  an  den  Unterextremitäten;  Gesicht-,  Brust- 
und  Bückenmusculatur  sind  am  widerstandsfähigsten  dagegen. 

Entsprechend  der  fortschreitenden  Muskelatrophie  erleidet  die  Muskelsensi- 
bilität Störungen  und  es  tritt  Ataxie  auf  und  Bomberg'sches  Symptomu 

Späterhin  folgen  die  klinischen  Zeichen  für  die  Verbreitung  des  Frocesses  auf 
die  Nervenstämme:  Schmerzhaftigkeit  derselben,  Entartnngsreaction,  ge- 
störte Hautsensibilität,  Abnahme  und  Erlöschen  der  Sehnenreflexe. 

In  dieses  Schema  lassen  sich  die  meisten  Fälle  einreihen. 

Hoffentlich  bringt  die  vom  Verf.  in  Aussicht  gestellte  ausführlichere  Arbeit  über 
die  Alkoholneuritis  recht  viele  pathologisch-anatomische  Beweise  der  vorstehen- 
den Auffassung.  Sperling. 

14)  Brachial  monoplegia,  oomplioatiiig  a  oase  of  enteric  fever.  (The-Brit 
medical  Joum.  1887.  April  2.  p.  727.) 

Im  Liverpooler  Fieberhospital  kam  ein  genau  beschriebener  Typhosftdl  bei  einem 
32jähr.  Manne  vor,  in  welchem  sich  in  der  2.  Krankheitswoche  schon  Schwäche  des 


—    88    — 

nditeii  Aimm  einstellii^  vfthrend  am  28.  Knmkheitstage  heftige  Sehnitt^liliftigkeit 
imd  6rli6hte  Wfime  daaälbst  notiii  wurde.  Abmagennig  des  Ober-  und  VordeFanns; 
8  Eilognimm  am  Dynamometer  gegen  40  links.  Allmählich  stellten  sieh  zwar  die 
Bewegungen  wieder  hör,  jedoch  nur  in  geschw&ehtem  Maasae;  feinere  Bewegung  der 
Finger  (Schieiben  etc.)  waren  in  der  11.  Knmkheiiswoche  noch  nicht  möglich.  Eine 
TöQige  Herstellnng  war  wahrscheinlich.  Die  Diagnose  nahm  eine  Nenritis  f&r  den 
Bracbialplezus  an,  soweit  die  betroffenen  Muskeln  dnrdh  denselben  yersorgt  werden. 
Entgegen  der  allgemeineren  Erfahmng,  dass  solche  Affedionen  meist  in  der  Ck>nyalefl- 
c«nz-Periode  anffcreten,  war  hier  der  Beginn  in  der  2.  Eiankheitswoche  schon  bemerkbar. 

L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

16)  Contribation  ä  l'ötude  de  la  nö^rite  alooolique,  par  J.  Dejerine.  (Arch. 
de  Physiol.  norm,  et  pathoL  1887.  Nr.  6.) 

In  einer  übersichtlichen  Zosammenstellang  der  einschlägigen  Litteratnr  betont 
D.  namentlich,  dass  anoh  bei  der  paralytischen  Form  der  multiplen  Neuritis  der 
Potatoren,  wenn  auch  keine  Ataxie  besteht,  so  doch  das  Muskelgefühl  gestört  ist; 
dahtf  fehlt  auch  das  Bomberg*sohe  Symptom  selten.  D.  hält  daran  fest,  dass  bei 
der  atactischen  Form  die  pathologischen  Veränderungen  der  Hautnerven  tüber  die  der 
MnskefaierYen  stark  tüberwiegen. 

Alsdann  wird  über  2  Fälle  der  multiplen  Neuritis  der  Potatoren  berichtet,  in 
welchen  ausgesprochene  Tachyoardie  bestand.  Im  ersten  war  dieselbe  am  letalen 
Ausgang  wesentlich  betheüigt;  die  Untersuchung  der  Nn.  vagi  ergab  die  tn>i^9<^^ 
parenchymatösen  Veränderungen.  Im  zweiten  Fall,  der  mit  Melancholie  und  Gedächtniss« 
defecten  complicirt  war,  trat  Heilung  ein.    Die  Zahl  der  Pulse  stieg  bis  auf  160. 

Th.  Ziehen. 

16)  «jwnwaui  des  ofaroBiBohen  Alkoholiamiui  auf  das  mensohliohe  Behoi^gaa« 
TOD  Dr.  W.  Uhthoff,  Berlm.  (Arch.  f.  Ophthalmologie.  Bd.  XXXYT  Abth.  4  und 
Bd.  XXXm  Abth.  1.) 

Die  nmfongreiche  Arbeit  des  Verf.  beruht  auf  zahlreichen  Untersuchungen  von 
Alkoholisten  der  Charit^,  der  DaUdorfier  Irrenanstalt  und  des  6jährigen  Materials  der 
Sehdler'schen  Augenklin^;  die  Kranken  wurden  oft  jahrelang  beobachtet.  —  7  Fälle 
mit  Sectionsbefnnd  hat  Verf.  gesammelt  und  untersucht,  darunter  6  reine  Alkoholismus- 
iWe  und  einen  mit  Tabes  complicirten,  ätiologisch  unbestimmten.  Die  Zahl  der 
ophthalmoskopisch  untersuchten  Fälle  von  schwerem  Alkoholismus  beträgt  1000;  in 
der  Schdler*schen  Klinik  wurden  100  Fälle  von  Intoxications-Amblyopie  untersucht. 
Es  können  hier  nur  kurz  die  Hauptresultate  der  äusserst  fleissigen  und  sorgfältigen 
Arbeit  wiedergegeben  werden. 

Wenn  wir  zunächst  die  Ergebnisse  der  ophthalmoskopischen  Untersuchungen  der 
1000  Alkoholisten  berücksichtigen,  so  fand  U.  in  13,9  ^/^  die  charakteristische  tem- 
porale Abblassung  der  Papille,  mit  theils  scharfer,  theils  yerwaschener  Be- 
grenzung gegen  das  Grunde.  Freilich  bestand  bei  66  Ton  diesen  139  Kranken  keine 
weeentliche  Functionsstörung,  doch  erwies  die  Section  selbst  bei  8  derartigen  Kranken 
ansgesprochene  anatomisdie  Veränderungen.  —  Dass  umgekehrt  Sehstörungen  bestan« 
den  ohne  Augenspiegelbefund,  konnte  nur  9mal  unter  den  1000  Kranken  bemerkt 
werden,  und  zwar  waren  hier  die  Fnnctionsstörungen  nur  leichte  oder  jfingeren  Datums. 

Eine  leichte  aber  deutliche  pathologische  Trftbung  der  Papille  (die  jedoch 
mdits  mit  der  temporalen  Abblassung  zu  thun  hat),  fand  U.  in  55  Fällen  unter 
seinen  1000  und  zwar  unter  Ausschluss  aller  zweifelhaften  Fälle  und  solcher,  die 
auf  eine  andere  Ursache,  als  den  Alkoholismus,  zu  beziehen  waren.  Da  3  derartige 
Fälle  zur  Secüon  kamen,  so  konnte,  aber  nur  in  einem  Falle,  eine  interstitiell  neu« 
ritische  Degeneration  unmittelbar  retrobulbär  festgestellt  werden.  Kleines  Angaben 
in  betreff  seiner  „Betinitis  paralytica"  konnte  U.  nicht  bestätigen. 

6* 


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Was  die  Papillen  angeht»  so  zeigten  6^/^  Abnonnit&ien:  25  FftUe  Pupillen- 
nngldchheit,  25  F&Ue  sehr  geringe,  resp.  minimale  Lichtreacüon»  10  Fälle  refleefcorisdie 
Fnpillenstarie  auf  Licht  (bei  Beaction  auf  Convergena). 

Selten  waren  die  Augenmuskelstörangen.  Bei  13  von  den  1000  Kranken 
&nden  sich  nystagmosartige  Contractionen,  namentlich  bei  stark  seitlicher  Blickrich- 
tnng;  nur  2mal  wirklicher  Nystagmus  (zugleich  mit  multipler  Neuritis).  —  Ausge- 
sprochene Augenmuskeli&hmnngen  hatten  nur  3  Kranke  und  zwar  jedesmal  doppel- 
seitige Abducensparese  (neben  multipler  degenerati?er  Neuritis),  wie  2  analoge  F&lle 
von  Lilienfeld ^  und  B.  Schulz'  1886  mitgetheilt  sind. 

In  100  Fällen  von  Litoxications-Amblyopie  aus  der  Schöler'schen  Klinik  fand 
sich  63mal  die  temporale  Abblassung  der  Papille,  8mal  deutliche  Trübung  der  Pa- 
pille, Imal  Betinalblutung. 

Die  7  Fälle  mit  Sectionsbefund  werden  eingehend  beschrieben  und  mit  firflheren 
Beobachtungen  verglichen,  die  anatomischen  Processe  auf  *s  Genaueste  erfoischt  Qyphilis 
lag  in  keinem  dieser  Fälle  vor,  noch  wurde  Eiweiss  oder  Zucker  im  Harn  constatiri 
U.  setzt  auseinander,  dass  die  früheren  analogen  Fälle,  selbst  die  von  Erisman, 
Vossius,  Bunge,  nicht  reine  alkoholistische  waren,  wie  seine  6,  obwohl  U.*s  Beeul- 
täte  die  betreffenden  Angaben  von  Samelsohn,  Vossius,  Nettleship  und  Bunge  fast 
vollständig  bestätigen.  U.  fand  in  allen  Fällen  eine  intcurstitifille  neuritische  Degene- 
ration des  Opticus,  wenn  auch  in  verschiedener  Ausdehnung  an  Intensität,  doch  immer 
entsprechend  der  temporalen  Abblassung.  Der  Degenerationsheerd  im  Opticus  zeigt 
dabei  (von  vom  nach  hinten  gerechnet)  anfangs  eine  dreieckige,  dann  mehr  in  die 
Breite  gehende,  meist  mondsichelförmige,  später  flach-rundliche  Form  und  tritt  dabei 
von  aussen-unten  nach  und  nach  ganz  an  die  Unterseite  des  Opticus. 

Dunkel  bleibt,  warum  die  alkoholistische  Veränderung  im  Opticus  eine  wohl 
charakterisirte  interstitielle  Neuritis  ist^  keine  einfache  atrophische  Degeneration  wie 
bei  den  peripherischen  Nerven;  femer,  wamm  der  Process  so  typisch  eine  bestimmte 
Fasergruppe,  einen  bestimmten  Betina-Quadranten  ergreift 

Im  3.  und  4.  Theile  seiner  Arbeit  geht  U.  näher  auf  ätiolog^he  Fragen  zur 
Alkohol-  resp.  Intoxicationsamblyopie  ein.  Es  sei  hier  nur  erwähnt,  dass  Verf.  keine 
durchgreifenden  differentiell-diagnostiBchen  Merkmale  zwischen  der  Alkohol-  und  der 
Tabak- Amblyopie  auffinden  kann.  Von  188  Fällen  mit  Intoxications-Amblyopie  (aus 
30000  Augenkranken)  waren  64  Alkohol- Amblyopien,  23  Tabak- Amblyopien,  45mal 
lag  gleichzeitiger  Missbrauch  von  Alkohol  und  Tabak  vor.  Sonst  sah  U.  noch  1  Fkll' 
von  Blei-,  2  FäUe  von  Schwefelkohlenstoff-Amblyopie. 

Die  eigentliche  retrobulbäre  Neuritis  hält  U.  von  den  Intoxications-Amblyopien 
auseinander.  Hadlich. 

17)  Synoope  looale  des  eztrömitös  supörieures  a  la  suite  d'une  oommotion 
mödullaire,  par  A.  B.  Marfan.    (Arch.  gänär.  de  med.  1887.  Oct.) 

Eine  39jähr.,  schon  lange  mit  wechselnden  Neuralgien  behaftete  Frau  erleidet 
einen  Sturz  mit  Erschütterung  der  Wirbelsäule.  Die  nächsten  Menses  blieben  aus. 
Innerhalb  4  Tagen  traten  lancinirende  Schmerzen  zugleich  mit  Abstumpfung  der 
Sensibilität  in  beiden  Händen  auf.  Letztere  fQhlten  sich  kflhl  an  und  waren  sehr 
biass.  Dazu  kam  eine  beiderseitige  Intercostalneuralg^o  und  Spinalirritation  vom 
6.  Halswirbel  bis  zum  11.  Brustwirbel.  Am  5.  Tag  entwickelt  sich  ein  Oedem  beider 
Hände.  Am  8.  Tag  waren  bis  auf  die  Intercostalneuralgie  und  die  Spinalirritafion 
alle  Symptome  bereits  wieder  geschwunden. 

M.  glaubt  den  Fall  der  Baynaud'schen  Krankheit  (forme  syncopale)  zurechnen 
zu  können.  Th.  Ziehen. 

1  Cf.  d.  Ctrlbl.  1886.  S.  352.  >  Cf.  d.  Ctrlbl.  1885.  S.  4S7. 


—    85    — 

18)  Baynand's  Diseaae,  yon  Sackling.    (The  British  med.  Journ.  1887.  Nov.  5. 
p.  998.) 

8.  stellte  in  der  Midland  medicinischen  Gesellschaft  ein  12j&hr.,  strnmOs  aas- 
sehendes Mädchen  ?or,  welches  an  symmetrischer  Gangrän  seiner  Finger  und  Zehen 
leidet  In  der  Familie  kommt  Stmma  nicht  yor;  das  Mädchen  aber  ist  schwächlich, 
schlecht  genährt.  2  Jahre  alt  biss  ein  Kaninchen  in  den  rechten  Zeigefinger  des 
Kindes.  3  Monate  nachher  wnrden  die  Finger  wnnd.  Seitdem  war  Patientin  nicht 
länger  als  einen  Monat  frei  von  wnnden  Fingern  nnd  Zehen.  Die  paroxysmenweise 
aoftretenden  Fingerimtzündnngen  machten  heftige  Schmerzen.  Die  Endphalangen  nnd 
die  daranstossenden  Hälffcen  der  mittleren '  an  den  Zeige-,  Bing-  und  kleinen  Fingern 
waren  fort  Die  Beste  der  Finger  geschwollen,  roth,  an  den  Enden  geschwürig.  Der 
Danmen  entzündet,  die  Endphalanz  nekrotisirt.  Hier  war  kein  Schmerz,  keine  An- 
l&sihesie.  Die  Hant  des  Beines  hläolich,  dünn,  geschwürig  hier  nnd  da.  Die  geringste 
Verletzung  macht  ein  hartnäckiges  (xeschwür.  Die  Endphalangen  der  beiden  kleinen 
Zehen  nekrotisirt  —  Eniephänomen  besteht;  Plantarreflex  nicht  yorhanden.  Kaltes 
Wetter  yerschlimmert  den  Zustand.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


19)  Nivralgie  vösicale,  par  Prof.  Guyon.    (Progr.  mäd.  1887.  Nr.  27.) 

Die  yon  Fotherat  wiedergegebene  Vorlesung  G.'s  behandelt  die  essentielle 
Blasen-Keuralgie,  d.h.  diejenige,  welche  bei  hereditär  belasteten,  weder  an  einer 
Tabes,  noch  an  einer  Cystitis,  noch  an  Nierenkoliken,  noch  an  Blasensteinen  leiden- 
den neryösen  Menschen  -  und  bei  Hypochondern  yorkommt.  Die  Schmerzen  treten 
beim  Urinlassen  auf,  strahlen  yon  der  Analgegend  bis  zur  Glans  aus,  sind  aber  lange 
nicht  so  intensiy  wie  bei  echten  tabischen  Neuralgien,  und  bei  Sensationen,  die  secun- 
där  yon  einer  Cystitis  abhängen.  —  Die  Patienten  haben  gewöhnlich  ausser  den 
Blasenschmerzen  noch  Sexualerscheinungen,  namentlich  Symptome  einer  reizbaren 
Schwäche  in  der  genitalen  Sphäre.  —  Die  Blase  selbst  ist  bei  bimanueller  Unter- 
suchung nicht  druckschmerzhaft,  die  Kranken  müssen  häufig  und  unter  Schmerzen 
Urin  lassen,  derselbe  ist  aber  klar.  —  Eine  gewisse  Besistenz  nnd  üeberempfind- 
lichkeit  zeigt  nur  die  Urethralschleimhaut,  ohne  dass  es  dem  Untersucher  gelingt, 
wirkliche  Stricturen  ausfindig  zu  machen.  —  Eine  genaue  Diflferentialdiagnose  be- 
sonders myelitischen  und  cystitischen  Processen  gegenüber  ist  dringend  geboten.  — 
Die  Therapie  soll  sich  yor  Allem  auf  die  allgemein-neryGsen  Erscheinungen  erstrecken. 
—  Eine  sehr  allmähliche  sanfte  Dilatation  der  Harnröhre  regelmässig  mit  immer 
stärker  werdendem  Bongie  ausgeführt  soll  häufig  Besserung  und  Heilung  der  Blasen- 
schmerzen bei  den  echten  Yesical-Neuralgien  herbeiführen.  L aquer. 


aO)   Zur   Diagnose  und   Therapie  der  Interoostalneuralgien,   yon  Prof.  Dr. 
Seeligmüller  in  Halle  a.  d.  S.    (Deutsche  med.  Woch.  1887.  Nr.  45.) 

Yerf.  hat  in  gewissen  Fällen  yon  traumatischen  Intercostalneuralgien  den  Bauch - 
reflex  gesteigert  gefunden.  Es  wäre  dies  als  objectiyes  Symptom  yon  hoher  Be- 
deutung in  den  yielen  Fällen  yon  Interco8tal-„Schmerzen",  über  die  nach  Verletzung 
geklagt  wird  und  die  so  häufig  dem  behandelnden  Arzt  simulirt  erscheinen. 

In  manchen  Fällen  soll  die  Pupille  der  yerletzten  Seite  erweitert  sein. 

Was  die  Behandlung  eines  Falles  sehr  heftiger  und  inyetenrter  Intercostal- 
neuralgie  mit  Injectionen  yon  10^/oiger  Osmiumsäure  anlangt,  so  lehrt  die  Kranken- 
geschichte, dass  nach  der  ersten  Injection  tief  in  die  Musculatur  an  der  schmerz- 
haftesten Stelle  in  der  Nähe  der  Wirbelsäule  eine  fast  sofortige  Bemission  der 
Schmerzen  erfolgte,  die  imgefahr  86  Stunden  dauerte.  In  den  yier  darauf  folgenden 
Tagen  äusserten  sich   die   Schmerzen   wieder  heftig  und  traten  zurück  nach  2  an 


—    86    — 

2  aufeinander  folgenden  Tagen  gemachten  I^jeetionen.  In  den  nftehelen  4  Monaten 
traten  zuweilen  gelinde  Schmerzanfälle  auf  (zu  gleicher  Zeit  Parftsthesien  in  Armen 
und  Beinen),  bis  sich  nunmehr  wieder  sehr  starke  Exacerbationen  einstellten* 

Ein  Erfolg  der  Medication  ist  nach  allen  andern  vergeblich  gewesenen  Yersnchen 
unverkennbar;  sehr  glänzend  und  ermntbigend  scheint  er  in  Anbetracht  der  enormen 
Schmerzhaftigkeit  gerade  nicht,  abgesehen  von  dem  colossalen  Preise  des  Mittels 
(Lösung  von  (1»0)  10,0  kostet  10  Mark).  (Sollte  man  nicht  in  ähnlichen  hartnäckigen 
Fällen  auch  mit  Injectionen  einer  Lösung  von  Acid.  muriai  2,0 :  100,0  zum  Ziele 
kommen?  —  So  sehr  gross  ist  der  Schmerz  dabei  nicht,  und  schöne  Erfolge  sind 
auch  von  diesem  Mittel  berichtet  worden^    Ref.)  Sperling. 


21)  Nd^ppa  ord  om  den  sakaldia  uiüoaria  fthoütia,  af  Dr.  J.  G.  Edgren. 
(Hygiea.  1887.  XLIX.  9.  S.  513.) 

E.  theilt  2  F&Ue  von  Urticaria  factitia  mit,  die  er  zu  beobachten  Gelegenheit 
hatte.  Der  1.  Fall  betraf  einen  17  Jahre  alten  Menschen,  der  als  Kind  die  Masern, 
im  Frühjahr  1886  Scharlachfieber  gehabt  hatte,  sonst  stets  gesund  gewesen  war.  Das 
abnorme  Verhalten  seiner  Haut  bemerkte  er  gegen  Mitte  Dec.  1886,  nachdem  er 
einige  Tage  vorher  an  allgemeinem  Unwohlsein,  Kopfischmerz  und  Ifottigkeit  mit 
geringer  Albuminurie  gelitten  hatte.  Wo  Falten  der  Kleider  mit  der  Haut  in  Be- 
rührung kamen,  entstanden  Urticariakuötchen.  Bei  schwacher  Beizung  der  Haut  mit 
einer  stumpfen  Spitze  wurden  die  gereizten  Stellen  erst  weiss,  dann  lebhaft  gerötbet; 
nach  etwas  stärkerer  Beizung  bemerkte  man  nach  15 — 20  Secunden  erst  einen 
weisslichen  Streifen,  nach  25  weitem  Secunden  lebhaftere  Böthung,  die  sich  unge- 
fähr 1  Minute  nach  der  Beizung  seitlich  ausbreitete,  2 — 3  Minuten  nach  der  Beizung 
bildeten  sich  an  den  gereizten  Stellen  leistenf5rmige  Erhabenheiten  von  2 — 3  mm 
Höhe,  von  blasser  Farbe,  die  von  der  gerötheten  Umgebung  scharf  abstach.  Nach 
ungefähr  10  Minuten  begann  allmählich  die  Böthung  und  die  Hervorragung  zurück- 
zugehen, aber  noch  nach  Stunden  bezeichnete  ein  rother  Streifen  die  Stelle  der  Beizung. 
Nnr  mechanische  Beizung  brachte  diese  Erscheinung  hervor;  Kälte,  verdünnte  Sal- 
petersäure, Faradisation  und  solche  Ingesta,  die  erfahrungsgemäss  öfter  Urticaria  er- 
zeugen, hatten  keine  Wirkung,  nur  der  galvanische  Strom. rief  eine  Eruption  hervor, 
sowohl  am  positiven,  wie  auch  am  negativen  Pole,  an  letzterem  intensiver.  Nach 
ungefähr  7a  J&hre  hatte  die  Intensität  und  die  Dauer  der  Erscheinungen  nach  Bei- 
zung der  Haut  abgenommen,  die  weissen  Streifen,  die  unmittelbar  auf  die  Beizung 
folgten,  konnten  nicht  mehr  wahrgenommen  werden,  weil  die  Böthung  rascher  auftrat, 
die  jetzt  auf  beiden  Seiten  von  weissen  Streifen  eingeschlossen  war,  diese  aber  bald 
verdrängte.  Die  Behandlung  hatte  in  Anwendung  verschiedener  Mittel,  auch  von 
Chinin  und  Atropin,  bestanden,  die  aber  keine  nennenswerthe  Einwirkung  auf  die 
Affection  ausübten,  dem  Fat  schien  es,  als  ob  kalte  Waschungen  wohlthätig  wirkten. 
—  In  dem  2.  Falle,  der  einen  24  Jahre  alten  Schuhmacher  betraf,  begann  die  Er- 
höhung sich  ungeföhr  1  Min.  nach  der  Beizung  zu  bilden,  wurde  aber  nie  über  1  cm 
hoch  und  begann  5 — 6  Minuten  nach  der  Beizung  wieder  zu  ven^hwinden.  —  E. 
nimmt  an,  dass  ein  Mechanismus  peripherischer  Befleze  bestehe,  der  auf  die  Haut- 
gefässe  wirke,  und  dass  bei  der  erwähnten  Affection  die  Beizbarkeit  dieser  Beflez- 
apparate  erhöht  sei.  In  Bezug  auf  die  Behandlung  verwirft  E.  jede  innerliche  Be- 
handlung gänzlich,  nach  ihm  können  nur  locale  Behandlung  und  vor  allen  Hydrotherapie 
in  geeigneter  Form  gute  Besultate  liefern.  Walter  Berger. 


22)  XTeber  eine  öftere  Ursache  des  Sohlftfta-  und  HInterhaaptkopftiobmerBes 
(Oephalalgia  pharyngo-tympanioa),  von  Dr.  E.  Legal,  Breslan.  (Deatschee 
Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  XL.  H.  2) 


—    87    — 

Unter  der  BeieichnuBg:  „Cepluüalgia  pharyngo-l^mpaiiica''  bespricht  Verf.  eine 
Dennügieche  Afifectioii,  welclie  durch  einen  gleichzeitig  bestehenden  Pharynx-  oder 
Mittelohrcatarrh  Yenuilassty  durch  eine  erfolgreiche  Behandlung  des  Grundleidens 
geheilt  wurde. 

Auf  Grund  von  10  Erankenbeobachtungen,  die  er  ausführlich  mittheili^  be- 
schreibt L.  das  Leiden  folgendermaassen:  Es  treten  im  Bereiche  des  Nerv,  auriculo- 
temporalis  major  anfallsweise  starke  Schmerzen  von  echt  neuralgischem  Charakter 
auf,  welche  sich  zeitweise  zu  solcher  Intensität  steigern  können,  dass  der  Patient  zu 
jeder  Th&tigkeit  unfähig  und  Nachts  schlaflos  ist  —  Dabei  besteht  eine  deutliche 
Druckempfindlichkeit  der  betreffenden  Nervenstämme  (Druckpunkt  0,5  cm  vor  dem 
oberen  Ende  des  Tragus;  ein  zweiter  direct  unterhalb  der  Ohrmuschel)  und  eine 
Hyperaesthesie  der  von  den  genannten  Nerven  versorgten  Kopfhaut. 

Die  Occipitalneuralgie  bringt  Yerf.  mehr  zum  Pharynx  in  Beziehung,  da  er 
dieselbe  öfters  nach  Heilung  von  Pharynxcatarrhen  verschwinden  sah;  die  neural^- 
schen  Schmerzen  in  der  Schläfengegend  (nerv,  auricul.  temporal)  dagegen  beobachtete 
er  dami,  wenn  die  catarrhal.  Entzflndung  sich  durch  die  Tuben  nach  dem  Mittelohr 
ausgebreitet  hatte. 

In  letzteren  Fällen  waren  mehrmalige  Lnfteinblasungen  nach  Politzer's  Yer- 
fahren  oder  mittelst  Tubencatheters  von  ausgezeichnetem,  oft  fiberraschendem  Erfolge, 
indem  die  neuralg^hen  Schmerzen  sich  schnell  verminderten,  resp.  verloren.  Verf. 
giebt  deshalb  den  Bath,  bei  jedem  Patienten,  welcher  an  Kopfschmerzen  in  der 
Schläfen-  und  Hinterhauptsgegend  klagt  und  schmerzhafte  Druckpunkte  zeigt,  auch 
eine  genaue  Untersuchung  des  Pharynx  und  Hittelohrs  vorzunehmen,  ausserdem  eine 
Lofteinblasung  nach  Politzer  zu  versuchen,  und  wenn  dadurch  eine  Milderung  der 
neuralgischen  Schmerzen  eintritt,  einjs  weitere  Behandlung  der  Phaiynx-  und  Mittel- 
ohraffection  einzuleiten.  P.  Seifert. 

23)  Ueber  den  Herpes  zoster»  Inaugural- Dissertation  von  Eng.  Boetticher. 
(Berlin.  Januar  1887.  28  Seiten.) 

Ein  kurzer  historischer  üeberblick  klärt  uns  über  die  verschiedenen  Ansichten 
über  die  Pathogenese  dieser  Krankheit  auf;  so  scheint  es  nach  dem  heutigen  Stand 
der  Wissenschaft  nicht  sicher  festgestellt,  ob  die  Veränderung  der  Spinalganglien 
oder  die  Laesion  der  trophischen  Nervenfasern  Ursache  oder  Folge  des  Zoster  sind, 
ond  ob  es  sich  in  manchen  Fällen  nur  um  ein  einfaches  Zusammentreffen  handelt. 
Wo  sich  eine  bestimmte,  die  Erkrankung  des  Nervensystems  bedingende  Ursache 
nicht  eruiren  Hess,  sah  man  den  Zoster  als  acute  Infectionskrankheit  an,  die  cykHsch 
verläuft  und  von  einer  specifischen  Nervenaffection  abhängt.  Allein  die  Stützen 
dieser  Hypothese,  das  epidemieartige  Auftreten  und  der  Umstand,  dass  ein  Indivi- 
duum meist  nur  einmal  im  Leben  von  Zoster  befallen  werde,  wurden  bald  widerlegt. 
Was  das  doppelseitige  Auftreten  des  Herpes  zoster  anbetrifft,  so  ist  dasselbe  nicht 
abzuleugnen,  wenn  man  auch  zugeben  muss,  dass  diejenigen,  keineswegs  seltenen 
Fälle,  bei  denen  ein  halbseitiger  Zoster  die  vordere  oder  hintere  Mittellinie  um  ein 
geringes  überschreitet,  unmöglich  als  Zoster  bilateralis  aufgefasst  werden  können. 
Vielfach  liegt  bei  der  Beschreibung  eines  doppelseitigen  Herpes  die  Verwechslung 
mit  Erysipel  vor  und  namentlich  mit  Eiysipelas  phlyctaenodes  und  impetiginodes. 
Yerf.  beschreibt  einen  auf  Lewin's  Abtheilung  für  Hantkranke  in  der  Charit^  beob- 
achteten Fall,  der  bei  oberflächlicher  Betrachtung  den  Eindruck  eines  doppelseitigen 
Herpes  zoster  machte;  allein  die  Affection  folgte  keinen  Nervenbahnen  und  wurde 
als  Lupus  superficialis  (Lewin)  oder  syphilitische  Hautaffection  angesehen.  —  Das 
kindliche  Alter  gewährt  keine  Immunität  gegen  Herpes  zoster,  wenn  auch  das  Alter 
von  20 — 40  Jahren  das  grösste  Contingent  der  Erkrankten  stelli        Kalischer. 


—    88    — 

M)  Herpes  Mj^um^  yon  Dr.  A.  Blaschko^  B^'liit    (Dentsdie  Med.  Wochenschr. 
1887.  Nr.  27.) 

Es  handelt  sich  nm  einen  Herpes,  der  seit  2  Jahren  in  immer  kürzeren  Pausen 
(6 — 8  Wochen)  sich  wiederholt  und  ansschliesslich  auf  den  Zeigefinger  der  rechten 
Hand  localisirt  ist  Dem  Ausbruch  des  Exanthems  gehen  neuralgische  Schmerzen 
im  rechten  Arm  und  Zeigefinger  Yoran,  die  nur  kurze  Zeit  andauern  und  nach  deren 
Schwinden  stets  mehrere  Tage  vergehen,  ehe  die  Blasen  auftreten.  Impfangen  mit 
den  im  Serum  enthaltenen  vereinzelten  kleinen  Coccen  blieben  erfolglos.  Der  Fall 
wird  in  die  Gruppe  des  schon  bekannten  Herpes  labialis  (facialis)  und  progenitalis 
eingereiht  und  somit  auf  eine  trophoneurotische  Basis  zurfickgefOhri    Kalischer. 


25)  Periodically  ooonrring  Oculo- Motor  Paralysis.  (The  weekly  medical 
Review.  1887.) 

Ein  17  jähriges,  aus  gesunder  Familie  stammendes  M&dchen  erwacht  eines  Mor- 
gens nach  guter  Nachtruhe,  ohne  dass  sie  das  linke  Auge  6ffiien  kann;  reisst  sie 
es  auf,  so  sieht  sie  das  linke  Auge  nach  aussen  gerichtet  stehen.  Nach  3 — 4  Tagen 
war  alles  wieder  normal  und  blieb  ca.  2  Monate  so.  Dann  litt  sie  2  Tage  an 
heftigem  linksseitigen  Kopfschmerz,  Schwindel  und  Erbrechen;  aUes,  was  sie  zu  sich 
nahm,  gab  sie  wieder  durch  Erbrechen  von  sich;  am  dritten  Morgen  bemerkte  sie 
wieder  die  Lähmungserscheinungen,  bei  deren  Auftreten  Schmerz,  Schwindel«  Erbrechen 
schwanden;  dieses  Mal  war  auch  der  linke  Arm  paretisch  und  die  Articulation  er- 
schwert In  ca.  1  Woche  war  sie  wieder  vOUig  beigestellt  und  blieb  3  Monate 
gesund.  Dann  hatte  sie  den  dritten  Anfall,  bei  dem  Arm  und  Articulation  weniger 
betroffen  waren;  bei  dem  nach  4  Monaten  eingetretenen  vierten  Anfall  bestand  neben 
Kopfschmerz,  Erbrechen,  noch  linksseitiges  Ohrensausen  und  Taubheit.  Dann  traten 
die  AnfUle  jährlich  1 — 2  Mal  auf;  die  Intervalle  waren  rein  und  frei.  Die  AnfiUle 
hatten  keine  Beziehung  zur  Menstruation.  In  ihrem  20.  Jahre  hatte  sie  einen 
Anfall,  in  dem  Schmerz  und  Erbrechen  3  Tage  und  die  folgende  Lähmung  über 
einen  Monat  dauerte.  In  den  nächsten  6  Monaten  hatte  sie  4  Anfalle,  die  Läh- 
mungserscheinungen hielten  länger  an,  schwanden  weniger  vollständig,  bis  nach  dem 
letzten  Anfall  links  Strabismus  divergens,  weite  unbewegliche  Pupille,  Lähmung  der 
Accomodation  und  aller  vom  Oculom.  versorgten  Muskeln  zurfickblieb;  femer  bestand 
Amblyopie,  ohne  dass  die  ophthalmoskopische  Untersuchung  irgend  welche  Anomalie 
nachweisen  konnte.  Das  rechte  Auge  war  emmetropisch  und  zeigte  keinerlei  Stö- 
rungen. Ebenso  war  die  Articulation,  die  Innervation  der  anderen  Himnerven,  Beflex- 
erregbarkeit  etc.  intact.  Die  Ursache  dieses  Leidens  wird  bald  in  functionellen 
Störungen,  bald  in  organischen  Läsionen  gesucht;  unter  den  letzteren  glauben  die 
einen  an  eine  peripherische  Läsion  des  Nerven  (basilare  Meningitis  etc.),  andere  an 
einen  centralen  Ursprung,  Affection  des  Kernes.  Drei  Sectionsbefunde  liegen  vor, 
Gubler,  Weiss  und  Thomsen-Richter.  In  allen  dreien  war  die  Läsion  periphe- 
risch  und  der  Kern  intact.  Nichts  desto  weniger  glaubt  Verf.  nach  genauer  Durch- 
sicht der  Litteratur,  dass  das  Leiden  einen  centralen  (nudearen)  oder  peripherisch 
organischen  oder  einen  functionellen  Ursprung  haben  könne.  In  seinem  Fälle  ver- 
muthet  er  eine  Läsion  des  Kernes  und  seiner  Umgebung,  nachdem  congestive  Hyper- 
aemien  vorangegangen  waren.  Die  Prognose  ist  ungünstig;  nur  in  einem  Falle  ist 
von  einer  Besserung  die  Bede.  Kalischer. 

26)  Localised  Faoial  sweating,  bj  B.  G.  Wilde  und  Locallsed  TwgnJTift) 
sweating,  by  W.  J.  Benny.  (The  British  medical  Journal,  24.  Sept.  1887. 
p.  675.) 

Der  Fall  von  W.  betrifft  einen  jetzt  22  j&hrigen  Mann,  der  vor  20  Jahren  einen 


—    89    — 

Typlnu  mit  folgender  Parotitis  sappnratiya  dnrchmachte.  Drei  kLeine  Narben  (ob- 
zygomai,  unterhalb  des  ünterldeferwinkels  mid  an  der  vorderen  Wand  des  meat.  andi- 
torins  ext.)  bezeichnen  die  Stellen  der  Abscessöfhungen.  In  der  Mitte  der  linken 
Wange  zeigt  sich  ausnahmslos  beim  Kauen,  oder  wenn  Säare  genommen  wird,  aber 
sonst  nie,  eine  Stelle  von  einem  Zoll  Durchmesser,  welche  profus  schwitzt  Niemals 
bestand  daselbst  ii^end  welche  Sensibilitätsstörung.  Diese  Aflfection  besteht  seit 
20  Jahren. 

2  andere  Fälle  erzählt  P.  Bei  seinem  erstem  Falle  trat  dieser  locale  Schweiss 
rings  um  die  Narbe  eines  vor  5  Jahren  geheilten  Bube  auf,  und  dauerte  auch  jetzt 
noch  fort,  während  die  andere  Inguinalgegend  nie  schwitzt. 

In  dem  zweiten  Falle  schwitzt  die  linke  Inguinalgegend  nach  der  Genesung  von 
einer  acuten  Gomorrhoe.    Der  Samenstrang  war  bei  Druck  schmerzhaft 

L.  Lehmann-Oeynhausen. 


Psychiatrie. 

27)  On  the  ooouürrenoe  of  albumen  in  the  urine  of  the  insaae»   by  John 
Turner.     (The  Brit  med.  J.  1887.  17.  Dec.) 

200  männliche  Irre  wurden  auf  Ürin-Eiweiss  (Salpetersäure,  Pikrinsäure)  unter- 
suchty  und  zwar  zwischen  6 — 7  Yorm.  (beim  Aufstehen),  gegen  9  (^/j  Stunde  nach 
dem  Frfihstück)  und  gegen  1  (V4  Stunde  vor  dem  Mittagessen).  Die  Diät  war  bei 
allen  ziemlich  dieselbe.  —  Es  fand  sich  in  81  Fällen  (40,5  Proc.)  Eiweiss,  vor 
Frflhstfick  in  22,3;  nach  Frühstück  24,5,  vor  Mittag  24,4  Proc.  —  Die  Untersuchten 
arbeiteten,  oder  arbeiteten  nicht.  Unter  den  Arbeitern,  115  an  Zahl,  kam  45  Mal 
(39  Proc.)  Albumen  vor.  —  Nichtarbeiter,  85  an  Zahl,  hatten  Albumen  36  Mal 
(42,3  Proc.)  — 

Getrennt  nach  den  oben  bezeichneten  Morgenstunden  zeigten  die  Arbeiter  und 
Nicht- Arbeiter,  die  Ziffer  der  letzteren  in  Paranthesen,  feigende  Verhältnisse: 

24,4     (32,8);         28,9     (32,2);         30,0     (31,3); 
dem  Lebensalter  nach  ergab  sich  die  folgende  Reihe: 


Jahre  Falle 
Von  50  —  55  =  6 
65  —  60  ==  6 
60  —  65=  3 
65  —  70  =  11 
70  —  75=  4 
75  —  87=    3 


Jahre       Fälle 

Von  15  —  20=  5 
20  —  25  =  13 
25  —  30=  3 
30  —  35  =  10 
35  —  40=  7 
'  40  —  45  =  4 
45  —  50=    6 

Die  Anschwellung  der  Beihe  zwischen  dem  20  —  25.  Lebensjahre  rührt  von 
Epileptischen  (deren  Anzahl  7  imter  13)  her,  die  relativ  oft  Albumen  im  Urin  haben. 
1  Epüepticus  hatte  nach  dem  Anfall  kein  Albumen,  vor  dem  Mittagessen;  vor  dem 
Anfall  wurde  Albumen  gefunden. 

Femer  fand  sich  Albumen  bei: 

Mania (60  FäUe)  23  Mal  (38,3  Proc.), 

secund&re  Dementia  (40    ,,    )  21     „    (52,5    „    ), 

senile  Dementia      .  (11     „    )     7    „    (63,6    „    ), 

Epüepsie  .    .     .    .  (30    „    )  11    „    (36,6     „    ), 

allgem.  Paralyse     .  (13    „    )     1     „    (  7,6    „    ). 

Von  den  Epileptikern  waren  7  zwischen  dem  20.  und  25.  Jahre,  2  waren  34, 
je  eiiner  18  und  54  Jahre  alt.  L.  Lehmann  (Oejnhausen). 


—    90    — 

as)  MÄla&ooUe  anzleaM  stoo  dälire  dos  nögatlonB,  par  Säglas.  (Ftogr.  in6d. 
1867.  Nr.  46.) 

60j&hrige  Frau  inirde  zur  Zeit  der  Menopause  melancholisch,  machte  einen 
Selbstmordversuch;  später  traten  Yerfolgungsdelirien  und  Bache-Ideen  auf,  auf  Grund 
deren  sie  glaubt,  dass  sie  selber  nicht  mehr  existirte,  l&ngst  gestorben  sei, 
keine  Zunge,  noch  irgend  ein  anderes  Organ  besitze;  sie  erkennt  ihre  Eltern  nicht 
mehr  an  u.  s.  w.  —  Der  unter  dem  Namen  Dälire  des  nägations  von  den  Fran- 
zosen, besonders  yon  Cotard,  beschriebene  Symptomencomplex  stellt  sich,  wie  S. 
am  Schlüsse  selbst  angiebt,  als  das  dar,  was  die  Deutschen  secund&re  Verrückt- 
heit nennen  würden.  Laquer. 


29)  tJeber  Perversion  des  Ctoscbleohtssinnes  bei  Epileptikern,  von  P.  S.  Ko- 

walewsky,  Prof.  d.  Psych,  u.  Nervenkrankheiten  in  Cha,)rl^ow.     (Sep.-Abdr.  aus 
Jahrb.  d.  Psych.  Vn.) 

Der  beschriebene  Fall  betrifft  einen  40jährigen,  von  trunksüchtigen  Eltern  ab- 
stammenden Bauern,  der  nebeneinander  drei  Degenerationszeioheii  des  Nervensystems 
aufweist: 

1)  epileptische  Anfalle,  seit  dem  5.  Jahre, .  zuerst  monatlich  einmal,  später 
mehrere  Male  in  der  Woche. 

2)  Perversion  des  Geschlechtstriebes  seit  dessen  Erwachen  im  17.  Jahre;  keine 
Zuneigung  zum  weiblichen  Geschlecht,  Impotenz  bei  einmal  beim  Weibe  versuchten 
Coitus,  dagegen  Trieb,  Potenz,  Wollustgefühl  beim  Geschlechtsakt  an  Thieren. 

3)  Religiöse  Extase  beim  Beten  zum  Bilde  der  Mutter  Gottes,  fOr  welche  er 
zuerst  ein  unsagbares  Mitleid  empfindet,  das  dann  in  den  Zustand  der  höchsten 
Wonne  und  Glückseligkeit  übergeht 

Neben  Schwäche  des  Gedächtnisses  und  der  Intelligenz  seien  sonst  noch  von 
Erscheinungen,  die  Pat.  bietet,  Gesichts-  und  Gehörshallucinationen^  sowie  Grössen- 
delirien  erwähnt. 

Yerf.  fasst  Epilepsie  und  Geschlechtsperversion  als  nebeneinander  bestehende 
Zeichen  nervöser  Degeneration,  von  der  hereditären  Anlage  abhängig,  auf  und  tritt 
entschieden  dafür  ein,  dass  die  Anomalie  des  Geschlechtssinnes  bereits  ab  ovo  ent- 
standen ist.  Sperling. 


30)  Ueber  die  Beadehnngen  des  moralisohen  Irreseins  su  der  erblich  de- 
generativen GtoisteBst5rung,  von  Otto  Binswanger.  (Sammlung  klin.  Vor- 
träge von  Richard  v.  Yolkmann.    Breitkopf  &  HärteL  Leipag  1887.) 

Nach  einem  kurzen  historischen  Rückblick  auf  die  Entstehung  des  Begriffes  der 
Moral  insanity  zeigt  Verf.,  wie  die  verschiedensten  psychischen  Krankheiten  vorüber- 
gehend oder  dauernd  unter  dem  Bilde  „verschiedener  Ausschreitungen^'  verlaufen 
können,  dass  aber  das  moralische  Irresein  als  solches  nur  „eine  Spielart  des  Schwach- 
sinns" ist.  Das  Unterscheidende  zwischen  dem  gewöhnlichen  und  dem  moralischen 
Schwachsinn  liegt  in  dem  Nachweis  der  erblichen  Belastung,  zweitens  in  dem  Nach- 
weis der  erblich  degenerativen  Geistesstörung  sowohl  in  psychischer  wie  in  physischer 
Beziehung.  Um  dieses  erblich  degenerative  Moment  klar  zu  legen,  geht  Yerf.  näher 
auf  die  Aufstellungen  MorePs  ein,  und  verwahrt  sich  mit  Recht  gegen  die  Verall- 
gemeinerung der  Morerschen  Ausführungen:  „Es  Issam  wohl  eine  fortschreitende 
degenerative  Ausbildung  neuropathologischer  Zustände  in  der  Descendenz  stattfinden, 
aber  ein  für  alle  Fälle  zwingendes  Naturgesetz  existirt  in  dieser  Beziehung  nicht'' 
Nicht  übei^ehen  wollen  wir  übrigens  bei  der  Frage  der  Erblichkeit  die  interessante 
Angabe  des  Verf.,   dass  er  in  den  ersten  4  Jahren  seiner  Jenaer  Wirksamkeit  35 


—    91    — 

biB  40  Proc.  Heradit&t  bei  fieinen  Kianken  fand,  dass  aber  seine  soigMtigeti  Naoli- 
forsebiingen  nach  d^  Antecedeniieii  im  Jabre  1886  die  ProoentKabl  auf  60 — 65  Proc. 
•teigea  lieesi.  Drei  aaef&hrlicfae  StammbAame  und  eine  sehr  duurakterietiecbe  Kran- 
kengeecbiehte  illBstriren  die  sehr  lesenswerühen  and  nach  vieler  Bichtnng  hin  inter- 
Msantoi  AnsfUhningen»  wel^  zu  dem  Schloese  führen,  dass  ,,man  in  Zokimft  erstens 
den  eoglisehen  Ansdrack  ,»moral  insanitj"  ganz  meiden  sollte;  dass  man  zweitens 
alle  erworbenen  moralischen  Irreseinsbilder  einfach  aof  ihre  Grundursachen  zorück- 
führen  and  sie  nach  den  Krankheitsformen,  denen  sie  zugehteen,  benennen  sollte, 
and  dass  drittens  der  angeborene  moralisciM  Schwachsinn  der  erblich  degenerativen 
Qeistesstörong  nntergeordnet  werden  sollte".  Beferent  schliesst  sich  diesem  Appell  an 
die  Psychiater  and  Gerichtefirzte  —  wenigstens  in  Bezng  auf  die  beiden  ersten 
Pnnkte  —  voll  und  ganz  an,  und  hat  denselben  Standpunkt  in  Washington  bei 
Gelegenheit  des  dortigen  Oongresses  vertreten.    (Cf.  d.  GentralbL  1887.  S.  464.) 

______  M. 

31)  Sopv»  un  singolare  fenomeno  allacdnatorio  preaentato  da  ima  nevrosica. 

Nota  del  Prof.  A.  De  Giovanni.    (Bivista  sperim.  di  freniatr.  ecc.     1887. 
Xn.    p.  369.) 

Die  Eigenthlbnlidikeit  des  Falles. besteht  darin,  dass  bei  einer  hysterissh-epilep- 
tisdim  Dame  mit  den  verschiedensten  Störungen  auf  sensiblem,  motorischem  und 
trophischem  Getnet,  die  besonders  h&ufig  über  lebhafte  Gesichtshallucinationen  bei 
klarem  Bewusstsein  klagte,  jede  Zuckung  ihrer  GFesichts-  oder  Halsmusculatur  auch 
in  den  wechselnden  Phantasmen  menschlicher  Gestalten,  die  dauernd  vor  ihren  Augen 
schwebten,  regelmässig  wiedeiholt  wurde:  verzerrte  sich  z.  B.  ihr  Mund,  so  that  es 
auch  sofort  der  Mund  aller  halludnirten  Gestalten  n.  s.  w.  So  interessant  auch  diese 
Beobachtnng  an  sich  ist,  so  schwer  ist  sie  zu  erklären;  die  Annahme  des  Verf.,  es 
handele  sich  um  eine  „automatische,  indirecte  Suggestion  im  wachenden  Zustande", 
erscheint  beachtenswerth,  dürfte  aber  doch  auf  manche  Zweifel  stossen. 

Sommer. 

Therapie. 

32)  lieber  die  therapeutbohe  Verwendung  der  Muskelarbeit  und  einen 
neuen  Apparat  au  ihrer  Dosirung,  von  Dr.  G.  Gärtner,  Wien.  (Sep.-Abdr. 
d.  Allg.  Wien.  med.  Zeitg.  1887.  Nr.  49  u.  50.) 

Die  Wichtigkeit  der  Muskelarbeit  in  der  Therapie  verschiedener  Krankheiten 
(Fettleibigkeit,  Neurasthenie  u.  s.  w.)  ist  unbestritten.  Die  von  Oertel  für  solche 
Fälle  eingeführte  Behandlungsmethode  des  Bergstergens  ist  um  so  rationeller,  weil 
me  praktisch  ist,  d.  h.  das  Angenehme  mit  dem  Nützlichen  verbindet.  Dieselbe  ist 
aber  nach  der  Ansicht  des  Verf.'s  —  der  sich  Bef.  vollkommen  anschliesst  —  durch 
jede  andere  zweckmässig  gewählte  Muskelarbeit  zu  ersetzen. 

Der  Werth  jeder  Körperbewegung  für  die  Entfettung  geht  mit  der  Anzahl  der 
geleisteten  Kilogramm-Meter  parallel,  d.  h.  die  Muskelarbeit  muss  so  eingerichtet 
werden,  dass  in  Folge  sparsamen  Kräfteaufwandes  bis  möglichster  Hintenanhaltung 
der  Ermüdung  möglichst  viel  Kilogramm-Meter  geleistet  werden.  Von  diesem  Ge- 
sichtspunkte aus  findet  Verf.,  dass  das  deutsche  und  schwedische  Turnen,  das  Budem 
und  Schwimmen  allen  Anforderungen  genügen.  Das  Turnen  mit  Hanteln,  das  Trep- 
pensteigen, das  Gehen  auf  ebenem  Lande,  Beiten,  Holzspalten,  Holzsägen  u.  s.  w.  sind 
Arbeiten,  die  aus  verschiedenen  vom  Yerf.  genauer  angegebenen,  sehr  stichhaltigen 
Gr&nden  nur  unvollständig  ihrem  Zweck  dienen. 

Deshalb  hat  Yerf.  einen  Apparat,  „Ergostat"  genannt,  construiren  lassen,  bei 
d«n  die  erforderliche,  dem  Patienten  durch  besondere  Vorrichtung  in  Kilogramm- 
Metern  zu  dosirende  Arbeit  durch  Drehen  einer  Kurbel  verrichtet  wird.     Verf.  hat 


—    92    — 

das  Prinoip,  welches  der  Oonstraction  des  Eigostaten  zn  Grande  liegt,  der  in  Ge- 
werbe und  Technik  aUgemeinen  Erfahrung  entlehnt,  dass  die  Knrbeldrehnng  sn  den 
am  w<niigsten  ermüdenden  Arbeiten  gehört,  weshalb  anch  die  fOr  Menschenbetrieb 
bestimmten  Maschinen  stets  anf  Enrbeldrehnng  eingerichtet  werden.  Interessant  ist 
das  von  dem  bekannten  rassischen  Dichter  Dostojewski  in  seinem  Roman  „aus 
dem  todten  Hanse"  der  Earbelarbeit  als  trefflicher  Bewegung  gespendete  Lob,  za 
zu  welchem  er  in  Sibiriens  Gefängnissen  verartheilt  war. 

Die  Vorzüge  des  Ergostaten  giebt  Verf.  in  mehreren  Punkten  selber  an: 

1)  Der  Apparat   ist   dem  Patienten   stets,  bei  jeder  Jahreszeit  und  Tageszeit 
zur  Hand. 

2)  Er  beschäftigt  die  grossen  Muskelmassen  des  Eflrpers;  die  Arbeit  ist  daher 
die  rationellste  und  ergiebigste. 

3)  Er  erfordert  keine  Geschicklichkeit  und  Intelligenz. 

4)  Es  erfolgt  eine  förmliche  Lungengymnastik. 

5)  Der  Unterleib   wird   rhytmisch  comprimirt,  der  Pfortaderkreislauf  angeregt. 

6)  Der  Ergostat  gestattet  eine  genaue  Dosirung  der  Kilogramm-Meter. 

7)  Ermöglicht  er  es  dem  Arzte,  den  Fleiss  seines  Patienten  zu  controlliren. 
Abgesehen  von  vielen  wissenschaftlich  interessanten  Fragen,  die  mit  Hülfe  dieses 

Instrumentes  vielleicht  entschieden  werden  können,  z.  B.  über  das  Yerhältniss  der 
verbrauchten  Kohlehydrate  und  Fette  (Yoit  und  Pettenkofer)  zur  Grösse  der  Mus- 
kelarbeit, dürfte  es  jedem  Arzte  als  willkommener  Beitrag  zur  Therapie  mancher 
Krankheiten  dienen.  Sperling. 

33)  Guörison  rapide  de  la  ohoröe  par  l'antipsrrüie,  Acad.  de  M6decine 
S^ance  du  27.  Dec.  1887.  (Progr.  m6d.  1887.  Nr.  53.) 
Legroux  berichtet  über  sechs  Fälle  von  gewöhnlicher  Chorea,  die  er  mittelst 
Antipyrin  geheilt  habe.  Er  hält  dasselbe  für  das  wirksamste  und  am  wenigsten  den 
Organismus  schädigende  aller  Hedicamente  gegen  Chorea.  —  Es  bedurfte  nach  L.*8 
Mittheilung  nur  einer  Zeit  von  6 — 27  Tagen,  um  mit  Dosen  bis  3  Gramm  pro 
die  die  Krankheit  völlig  zu  beseitigen,  wührend  nach  Säe  und  Roger  die  Krankheit 
gewöhnlich  durchschnittlich  64  Tage,  nach  Cadet  de  Gassicourt  sogar  90  Tage 
zu  dauern  pflegt.  —  1  Gramm  Antipyrin  wird  in  20  Gramm  Pommeranzensyrup 
gelöst  und  mit  oder  ohne  Wasserzusatz  angewendet.  La  quer. 


m.  Aus  den  Gesellsohaften. 

In  der  Sitzung^  der  y^Gtesellsohaft  der  Aerzte  des  Cantons  Zürich"  vom 
10.  Mai  1887  sprach  Prof.  Gaule  über  das  Eleinhim.  Unter  Darlegung  der 
Ergebnisse  der  6 ee veraschen  Arbeit  schloss  sich  G.  denselben  an,  indem  er  meinte, 
dass  die  verzweigten  Fortsätze  der  Purkinje'schen  Zellen  entweder  blind  endigten 
oder  in  das  Beevor*sche  Nervenfasemetz  der  molecularen  und  Körner-Schicht  über- 
gingen. G.  meint,  dass,  wo  Ganglienzellen  auftreten,  die  Neuroglia  der  Markscheide 
der  markhaltigen  Nervenfasern  entspräche,  während  die  Ganglienzellen  aus  dem  Axen- 
cylinder  hervorgehen.  Die  Neuroglia  sei  also  nicht  bindegewebigen,  sondern  epithelialen 
Ursprungs  und  demnach  nervöser  Natur;  die  Körner  der  Kömerschicht  des  Cerebellum 
entsprächen  den  Kernen  der  Markscheide,  die  zwar  nicht  Ganglienzellen  seien,  aus 
denen  sich  aber  Ganglienzellen  entwickeln  können.  Letzteres  habe  Lahousse  in 
einer  unter  G.'s  Leitung  gefertigten  Arbeit  wahrscheinlich  gemacht. 

In  der  Discussion  trat  v.  Monakow  für  die  Golgi*sche  Auffassung  des  Klein- 
hirns ein.  Hadlich. 


^  cf.  Correspondenz-Blatt  für  Schweizer  Aerzte.  1887.  Nr.  21. 


—    93    — 

Aioad&nie  des  soienoeB,  Paris.    Sünrng  Tom  24.  October  1887. 

.  Boncheron  hat  beobachtet»  dass  die  durch  eitrige  Entzandungen  des  Gehör- 
organs gesetzte  Beiznng  des  N.  acosticas  die  Erregung  auf  verschiedene  Gehimtheile 
übertragen  kann,  nnd  zwar  1.  auf  die  Medolla  oblong,  und  spinalis,  Epilepsie  und 
andere  Krämpfe  erzeugend.  —  2.  auf  das  Gerebellum:  Schwindel  und  andere  Gleich- 
gewichtsstörungen. —  3.  auf  das  Grosshim:  leichte  oder  auch  schwere  psychische 
Affectionen  mit  dem  Charakter  der  Depression,  Melancholie,  Hypochondrie,  Yerfolgungs- 
wahn  u.  s.  w.  —  Es  sind  oft  rehitiv  leichte  Ohrerkrankungen,  welche  diese  Geistes- 
störungen verursachen;  sind  sie  noch  frisch,  so  schwinden  mit  Heilung  des  Ohrleidens 
auch  die  p^chischen  Alterationen.  Hadlich. 


In  der  Sitzung  der  Royal  medioal  and  ohirorgioal  society  zn  Iiondon 
Tom  24.  Januar  1888  stellten  Gowers  und  Horsley  einen  Mann  vor,  der  3  Jahre 
lang  an  Schmerzen  nach  unten  und  innen  von  dem  untern  Winkel  der  linken  Scapula 
gelitten.  Unterhalb  des  5.  Dorsalnerven  bestand  fast  vollständige  Anästhesie  und 
Paraplegie.  Die  Diagnose  wurde  auf  Tumor  der  Medulla  spinalis  gestellt,  am  9.  Juni 
1887  die  Eröfi&iung  des  TVirbelkanals  in  der  Höhe  des  3. — 5.  Bückenwirbels  gemacht^ 
mid  ein  Myxom  von  der  Gestalt  einer  Lambertnuss  entfernt.  Während  in  den  ersten 
Wochen  nach  der  Operation  die  Beschwerden  wenig  vermindert  waren,  verschwanden 
die  Schmerzen  allmählich  in  den  nächsten  Monaten  und  jetzt  nach  7  Monaten  er- 
scheint der  Gebrauch  der  untern  Extremitäten  fast  normal,  wenn  sie  auch  etwas 
steif  sind.     (Brit.  med.  Journal.  1888.  28.  Jan.)  M. 


IV.  Bibliographie. 

Eliniflohes  Iiehrbuoh  der  Qeiateskraakheiten,  von  Dr.  George  H.  Savage. 
Deutsche  antorisirte  Ausgabe  von  Dr.  A.  Knecht.     (Leipzdg  1887.    Amdd.) 

Das  uns  in  deutscher  Bearbeitung  vorliegende  Buch  des  bekannten  Directors 
von  Bethlem  Boyal  Hospital  und  klinischen  Lehrers  zn  London  weicht  nach  Inhalt 
imd  Form  von  dem,  was  wir  Deutschen  unter  einem  klinischen  Lehrbuch  verstehen, 
nicht  unwesentlich  ab.  Der  Verfasser  hat  den  Gegenstand  nicht  nur  eigenartig  auf- 
gefasst,  sondern  hat  auch  eine  Form  der  Darstellung  gewählt,  welche  an  manchen 
Stellen  einen  gewissermaassen  feuilletonistischen,  ja  hier  und  da  fast  laienhaften  An- 
strich hat  Dabei  ist  die  Schreibweise  jedoch  in  hohem  Maasse  unterhaltend  und 
lebendig,  die  Gesichtspunkte,  von  denen  aus  der  Yerf.  die  Sache  betrachtet,  sind 
▼ielüach  originell  und  zum  Nachdenken  anregend.  So  die  Ausführungen  über  das 
Wesen  der  Geistesstörungen,  ihre  Ursachen,  ihre  Entwickelung,  ihre  Grenzgebiete. 
Manches  fordert  auch  lebhafb  zum  Widerspruch  heraus,  neben  vielem  eigenartig 
Treffendem.    Auf  Einzelheiten  mich  hier  einzulassen  verbietet  der  Baum. 

Die  „ideale  Eintheilung''  der  Geistesstörungen  ist  klmisch  unzweifelhaft  die 
richtige  (8.  14),  wenn  sie  auch  nicht  ganz  vollständig  ist.  Dass  Savage  einzelne 
Formen,  wie  z.  B.  das  circuläre  Irresein,  nicht  zu  kennen  behauptet,  ist  eine  der 
Sonderbarkeiten  des  Buches.  Diese  und  ähnliche  Lücken  hat  Knecht,  der  deutsche 
Bearbeiter,  auszufUlen  gesucht;  er  hat  dafür  solche  Ausführungen  des  Originals, 
welche  sich  speciell  auf  englische  Verhältnisse  beziehen,  sowie  einige  Kranken- 
geschichten weggelassen. 

Aües  in  Allem  ist  es  für  den  Fachmann  ein  Buch,  welches  er  nicht  ohne  leb- 
hafte Anregung  aus  der  Hand  legen  wird.  Ob  es  gerade  das  geeignete  Lehrbuch 
für  den  deutschen  Studenten  bei  seiner  Einführung  in  die  Psychiatrie  ist,  dürfte 
bezweifelt  werden. 

Die  Ausstattung  des  Buches  ist  eine  gute.  Siemens. 


—    94    — 

Die  Morphiunumoht  «ad  Ihre  Bebandlmig,  von  Dr.  Albrecht  Srlenmeyer. 
(Heuser*8  Verlag  in  Neuwied.  1887.  3.  yermehrte  u.  Terbesserte  Aufl.  463  S^ten 
Hüi  22  Holzschnitten  im  Text) 

E.  giebt  auf  Gnmd  langjähriger  Erfahning  nnd  präoiMr  wiaseDScfaafÜieher  Be« 
obachtnng  in  der  vollständig  neu  bearbeiteten  Auflage  sdnes  Werkes  eine  aUseitig 
erschöpfende  Darstellung  der  Morphiumsucht  und  ihrer  Behandlung. 

Das  Eingehen  auf  die  einselnen  Capitel,  so  anregend  und  belehrend  auch  jedes 
derselben  behandelt  ist»  wflrde  hier  zu  weit  führen  und  seien  im  Folgenden  nur  die 
Haupipunkte  hervorgehoben. 

E.  vertritt  den  aus  längerer  klinischer  Erfahrung  nothwendig  reaultirenden 
Standpunkt,  dass  bei  der  chronischen  Morphiumvergiftung»  die  Wirkung  des  Morphiums 
als  die  eines  Nervengiftes  und  nicht  als  die  eines  Herzgiftes  aufzufassen  ist. 
Unter  reservirter  Ablehnung  der  Marm^'schen  Hypothese  erklärt  E.  die  unmittel- 
baren Abstinenzsymptome  als  Folgen  „der  durch  Entziehung  des  gewohnten  Beiz- 
mittels eintretenden  reactiven  Lähmung.'' 

Der  erfolgreichen  Behandlung  der  Morphinmsucht  stellt  E.  eine  dreifache  Auf- 
gabe: 1)  Entziehung,  2)  Bekämpfung  der  dadurch  bedingten  krankhaften  Störungen, 
3)  Verhütung  der  Becidive. 

Nach  objectiver  Besprechung  der  verschiedenen  Entwöhnungsver&hren  empfiehlt 
Verf.  seine  „Methode  der  möglichst  schnellen  Entziehung.^  Thatsächlich  hat  sich 
diese  auch  verdientermaassen  die  meisten  Anhänger  erworben,  denn  1)  gewährt  sie 
völlige  Sicherheit  des  Gelingens,  da  durch  Isolirung  der  Patienten  jede  heimliche 
Morphiumzufuhr  unmöglich  (?)  gemacht  ist. 

2)  Absolute  Gefahrlosigkeit,  da  durch  das  Nichtauftreten  des  Collapses  das 
Leben  nicht  bedroht  wird. 

3)  Sehr  kurze  Dauer  der  Entziehungserscheinungen. 

4)  Yerlängerung  der  Beconvalescenzzeit 

Zur  Vornahme  sicherer  Entwöhnungskuren  empfehlen  sich  nur  „geschlossene 
eigens  dazu  eingerichtete  Anstalten.  Offene  Anstalten  wirken  schä- 
digend und  eher  fördernd  auf  die  Ausbreitung  der  Morphiumsuchf 
Es  wäre  lebhaft  zu  wünschen,  dass  diese  Worte  Erlenmeyer*s  von  allen  Aerzten» 
die  Morphiumsüchtige  behandeln,  oder  an  Anstalten  empfehlen,  genau  berücksichtigt 
würden.  Gleiche  Beachtung  verdient  das  vorzüglich  dargestellte  Capitel  über  die 
Cocainbehandlung  und  die  Cocainsucht.  Auch  mich  heissen  meine  Erfahrungen  und 
Beobachtungen  auf  diesem  Gebiete,  ungeachtet  mancher  Abweichung,  Erlenmeyer 
rückhaltlos  beistimmen,  „dass  ausser  dem  Cocain  nur  noch  der  Schnaps  die  gleiche 
physisch  und  psychisch  moralische  Zertrümmerung  des  Menschen  hervorzurufen 
vermag." 

Von  Morphiumsüchtigen,  denen  das  Morphium  nicht  ganz  und  für  immer  ent- 
zogen werden  kann,  unterscheidet  E.  drei  Gruppen: 

1)  Bei  denen  die  veranlassende  Krankheit  nicht  zu  heben  ist  (z.  6.  heftige 
Neuralgien,  Blasenleiden). 

2)  Wenn  die  mächtigen  Leiden  nur  durch  Mittel  bekämpft  werden  können,  die 
entschieden  nachtheiliger  als  Morphium  wirken  (Opium,  Chloral,  Alkohol,  Nicotin). 

3)  Kranke,  welche  Morphium  schon  über  10  Jahre  brauchen  und  wiederholte 
Entziehungen  durchgemacht  haben. 

Eine  ausführliche  Erörterung  ist  noch  den  rechtlichen  Fragen  gewidmet,  welche 
sich  bei  der  Morphiumsucht  entwickeln  können.  50  lehrreiche  KrankeDgeschichten, 
sowie  ein  reiches  Litteraturverzeichniss  mit  kurzer  Inhaltsangabe  der  einzelnen  Ar- 
beiten schliessen  in  würdiger  Weise  das  verdienstvolle  Werk  ab.  —  Die  Ausstattung 
des  Buches  ist  in  jeder  Beziehung  eine  ausgezeichnete.  Hügel  (München). 

^  Früher  „modificirt  langsame  Entwöhnung"  geheissen. 


—    96    — 

Ovondrias  der  medleinifloiien  Mektiioitfttilelire  für  Aanrte  und  Stndimde, 
von  Bieger.     (Zweite  Auflage.    Jen»  1887.    Gustay  Fischer.) 

Dass  das  Bieger'sche  Bach  bereits  nach  anderthalb  Jahren  in  zweiter  Auflage 
yorliegt,  ist  wohl  ein  Beweis  seiner  Nützlichkeit,  welche  von  mir  bei  der  eingehen- 
deren Besprechung  der  ersten  Auflage  (Neurol.  Centralbl.  1886.  S.  496)  ausdrflclclich 
anerbmnt  wurde.  Im  Uebrigen  kann  ich  mich  auf  diese  Besprechung  um  so  mehr 
zurfickbeziehen ,  als  das  Buch  —  von  unwesentlichen  kleinen  Gorrecturen  abgesehen 
—  keine  Veränderung  erfahren  hat.  Vielleicht  berichtigt  der  Verfasser  gelegentlich 
einer  dritten  Auflage  seine  bisher  festgehaltene  Meinung,  dass  ,,die  Beibungselek- 
triciiät —  in  der  heutigen  ärztlichen  Praxis  nicht  in  Verwendung  gezogen"  werde. 

A.  Eulenburg. 

Schablone  des  menschlichen  Gtehims  zur  Bintragung  yon  Seotionsbefiinden, 
herausgegeben  von  Prof.  Sigmund  Exner.  In  2  Tafeln  mit  12  Abbildungen. 
(Wien  1888.    Braumfiller.    Preis  für  6  Doppeltafeln  1  Mark.) 

Wir  machen  auf  das  im  Wesentlichen  aus  dem  £xner*schen  Buche  über  «^Locali« 
sation  der  Functionen  in  der  Orosshimrinde  des  Menschen"  entnommene  Schema  ganz 
besonders  die  Kliniker  aufmerksam.  *         M. 


Ueber  Sehnerven -Degeneration  und  Sehnerven- Kr eiurang.  Festschrift  der 
med.  Facultät  der  Uniyersit&t  Würzburg  zur  Feier  des  LXX.  Geburtstages  des 
Herrn  Geh.-Bath  Prof.  Dr.  Albqrt  von  Kölliker,  verfasst  von  Prof.  Dr.  Julius 
MicheL  Würzburg,  6.  Juli  1887.  (Verl.  v.  J.  F.  Bergmann,  Wiesbaden.  91  Seiten 
und  IV  Tafeln.) 

Die  unvollständige  Kreuzung  der  Sehnervenfasern  im  Ohiasma,  wie 
sie  fast  allgemein  angenommen  wird,  existirt  nicht,  sondern  es  findet  auch 
beim  Menschen  eine  vollständige  Kreuzung  statt.  Dies  zu  beweisen,  und 
daDiit  die  beinahe  isolirte  Stellung  des  Verf.  in  dieser  Frage  zu  rechtfertigen,  ist 
der  Zweck  der  Arbeit. 

Zum  Beweise  soll  einmal  das  physiologische  Experiment,  resp.  die  Beobachtung 
an  Thieren,  auf  der  anderen  Seite  die  pathologische  Erfahrung  beim  Menschen  dienen, 
worüber  Verf.  im  Einzelnen  berichtet,  nachdem  er  in  ausführlicher  Weise  die  Litteratur 
dee  Gegenstandes  (auf  den  ersten  43  Seiten)  kritisch  besprochen. 

Was  zuerst  die  Experimente  und  Untersuchungen  am  Thiere  betrifft,  so  betrafen 
dieselben  eine  erwachsene  Sperlingseule,  welche  eine  Linsentrübung  hatte,  8  erwach- 
sene Meerschweinchen,  denen  ein  Bulbus  oder  beide  Bulbi  enucleirt  wurden,  6  er- 
wachsene Kaninchen,  femer  neugeborene  Katzen  und  ein  neugeborener  Hund,  bei  denen 
meisten  Theils  die  gleiche  Operation  vorgenommen  wurde. 

Die  Thiere  wurden  nach  längerer  Beobachtungsdauer  (ein  bis  viele  Monate) 
getödtet,  dann  das  Ghiasma  und  die  beiden  Tractus  in  beinahe  horizontaler  Schnitt- 
richtung serienweise  mittelst  des  Mikrotoms  geschnitten,  und  nach  Weigert  gefärbt. 
Die  Untersuchung  ergab  folgendes  übereinstimmende  Besultat: 

Die  Degeneration,  welche  sich  in  dem  Sehnerv  des  enucleirten 
Auges  zeigt,  setzt  sich  in  aufsteigender  Weise  durch  das  Ghiasma  nur 
in  den  entgegengesetzten  Tractus  fort  (bei  jüngeren  Thieren  pflanzt  sie  sich 
langsamer,  bei  erwachsenen  Thieren  in  höherem  Grade  fort). 

Bei  zwei  Kaninchen,  bei  denen  die  mediane  Durchschneidung  des  Ghiasma  ge- 
lang, degenerirten  beide  SehnerTen  und  beide  Tractus,  was  bei  einer  unvollständigen 
Kreuzung  nicht  müglich  wäre. 

Die  4  Untersuchungen  beim  Menschen  betrafen  1.  einen  67  jährigen  Mann,  der 
das  rechte  Auge  durch  eine  Entzündung  in  sehr  früher  Kindheit  verloren,  2.  einen 


—    96    — 

66j&hngen  Maim,  der  das  linke  Aage  im  20.  Jahre  eingebfiBst,  3.  ein  löjUmges 
M&dchen,  dem  6  Jahre  vor  ihrem  Tode  das  rechte  Aage  enndeirt  worden »  nnd 
4.  ein  Kind  mit  einseitigem  Anophthalmos. 

Fall  1  u.  2  geben  das  anzweifelhafte  Besoltat,  dass  die. Degeneration  nur  auf 
den  entgegengesetzten  Tractus  fortgeschritten  war. 

Die  Frage,  wie  sich  die  Hemianopsie  erklären  lasse,  wenn  jene  Semidecossation 
im  Chiasma  fehlt,  beantwortet  Verf.  mit  Schön  dahin,  dass  die  identischen  Stellen 
der  Netzhaut  die  Endpunkte  zweier  correspondirender  Nervenfasern  cind,  welche  in 
einem  Punkte  des  Sensoriums  zusammentreffen.  Dieser  liegt  in  der  gegenftberliegen- 
den  Grrosshimhemisphäre.  Die  rechte  Hemisphäre  sieht  nach  rechts,  die  linke  nach 
links.  Es  muss  allerdings  eine  Semidecussation  stattfinden,  aber  nicht  nothwendiger 
Weise  im  Chiasma.  Yom  physiologisch-klinischen  Standpunkte  ist  es  gleichgültig, 
ob  eine  Semi-  oder  Totaldecussation  des  Sehnerven  im  Chiasma  stattfindet. 

Wäre  das  Qudden'sche  Schema  richtig,  wonach  das  lateral  im  Tractus  gelegene 
ungekreuzte  Bündel  im  Opticus  eine  mediale  Lage  einnimmt,  so  würde  z.  B.  eine 
rechtsseitige  Hemianopsie  bei  linksseitiger  Tractusläsion  unmöglich,  sie  würde  nur 
durch  eine  rechtsseitige  Tractuszerstörung  zu  erklären  sein,  was  den  klinischen  Er- 
fahrungen und  den  anatomischen  Befunden  widersprechen  würde. 

Wir  haben  damit  einige  Hauptpunkte  aus  dem  Werke  hervorgehoben,  das  ausser- 
dem reich  ist  an  anatomischen  Einzelheiten,  die  im  Original  nachgelesen  werden 
müssen. 

Dass  nun  endgültig  die  Semidecussation  aus  der  Welt  geschaffb  sei,  ist  aller- 
dings fraglich;  jedenfaUs  wird  aber  die  Arbeit  den  Ausgangspunkt  neuer  CTnter- 
suchungen  bilden,  bei  denen  dann  auch  andere  Methoden  herangezogen  werden  müssen, 
denn  dies  scheint  doch  nach  neueren  Erfahrungen  nicht  fraglich,  dass  die  Weigert'sche 
Methode,  welche  uns  ja  so  ausgezeichnete  Dienste  leistet,  wenn  sie  positive  Ergeb- 
nisse giebt,  doch  eine  gewisse  Vorsicht  erheischt,  wenn  die  mit  ihr  gewonnenen 
Besultate  negativ  sind. 

Die  Ausstattung  des  Werkes,  wie  die  Abbildungen,  können  nur  mit  dem  Prä* 
dicate  „vorzüglich"  bezeichnet  werden.  M. 


V.  Vermisohtes. 

Die  Archives  de  Neurolog.  reprodncireD  (1887.  Bd«  XIY.  p.  107  £)  die  Berichte  des 
BucoldianuB  U.A.  über  die  wunaerbare  Fasterin  Margarethe  ans  Boed  bei  Speyer,  welche 
Kaiser  Ferdinand  1542  besuchte.  Dieses  12jährige  Mädchen  genoss  Jahre  lang  weder  Speise 
noch  Trank  und  die  Gelehrten  erschöpften  sich  in  schar&innigen  HypoUiesen  über  den  Yorguig. 

Bei  dieser  Gelegenheit  sei  einer  Notiz  in  Hufeland 's  Makrobio  tik  gedacht.  Der  Yen. 
citirt  ans  der  Hist.  de  Tacad^mie  fran9.  vom  Jahre  1769  einen  Fall,  in  welchem  ein  geistes- 
kranker Offider  46  Ta^  nicht  die  geringste  Speise  genoss.  Er  trank  nur  Wasser  mit  einigen 
Tropfen  Anisbranntwem  darin,  in  den  letzten  8  Tagen  nahm  er  auch  kein  Wasser  mär. 
Vom  36.  Tage  an  mnsste  er  liegen.  Der  Foetor  ex  ore  der  Hunj^ernden  wurde  auch  bemerkt 
Er  fing  nach  46  Tagen  plötzlich  wieder  an  zu  essen,  als  er  em  Kind  mit  einem  Butterbrode 
hereintreten  sah,  und  ernolte  sich  vollständig  wieder.  Sieme'ns. 


£.  Dupny  sah  zuverlässige  Erfolge  von  Antipyrin  bei  Seekrankheit  Er  gab  taglich 
3,0  g  und  begann  schon  drei  Tage  vor  der  Einscbifiung  mit  dieser  Medication.  Auch  Indivi- 
duen mit  Dilatatio  ventriculi  und  dyspeptischen  Symptomen  blieben  verschont  (Compt  rend. 
14.  November  1887).  Th.- Ziehen. 


Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 

Einsendungen  für  die  Bedaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel, 

Berlin,  NW.   Schiffbauerdamm  20. 

Verlag  von  Vst  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mxtmxe  ft  Wittio  in  Leipsig. 


NEÜROLOGISCHESCENTRALBLAn. 

Uebereicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie^  Phydiolegie^  Ptthölegte 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschlr^llbh  der  Gk^l^eskfähkh^lten. 

Heraoflgegeben  von 

Professor  üt*  B4  Mendel 
Siekelter  ">  ^^  Jahrgang« 

if  onaüich  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  20  Mark.   Zu  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  l^ostanstalten  des  Üeutschen  tteichs,  sowie 

direeii  von  der  TeflAgsbüc^hhahdlung. 


3C 


1888. 15.  Febrnan ^4. 

Inhalt.  I.  Originalmittheilung.  Ueber  Heterotopie  grauer  Substanz  im  Bückenmark, 
Ton  Dr.  P.  Kronthal. 

II.  Rtfarttej  Aaatomie.  h  On  tko  nerrcms  mtem  of  the  head  cf  tbe  htrra  cf  Cory- 
daluB  cornutns  Linn,  by  Krauss.  —  Experimentelle  Physiologie.  2.  Ueber  die  Landois'- 
sehen  Versuche  der  chemisdaen   Beizung  der  Grosshimrinde,  von  Letllkliichei^  und  ZiUhdti, 

8.  Untenmehiagen  Über  den  Einfloss  des  Coffeins  und  Thees  auf  die  Dauer  einfacher  psy- 
chischer Yoreänge,  von  Dehio.  —  Pathologische  Anatomie.  4.  Osseryazioni  d'anatomia 
patdogica  smfa  paralisi  ptogressira  deg^  atletiati,  del  flettonicd.  5.  Zur  Fhtgc^  Über  die 
seeun&reB  Degenerationen  des  Himschenkd«,  von  Bechtertw.  —  Pathologie  des  Nerrefl- 
systems.  6.  Contribuzione  allo  studio  della  paralisi  radicolare  superiore  del  Plesso  brachiale, 
per  SiiitM.  7.  A  6ase  of  päradysis  fh)m  nressure  en  the  fifth  Atd  sizth  cerYlcid  nei^es, 
py  Beevor.    8.  De  la  tempmtere  oentrale  aans  FäpQepsie»  paar  BMmeville«  ^  Psychiatrie. 

9.  Sopra  un  caso  di  demenza  paralitica  in  individuo  affetto  da  atrofia  muscolare  progfessiya, 
pel  Tanttroni.  itf.  t>emexitsk  pätaütica  in  tin  imbedUe  epüettico  pel  fiftghieelll.  —  Thef&pi6. 
11.  Die  ehirurgische  BehandluBg  von  Hinkrankheiten,  von  v.  Borgntami.  12L  Emipareei  pro- 
gressiva sinistia  iniziatasi  due  mesi  depo  di  un  trauma  alla  regione  parietale  destra  e  giunta 
ad  emiplegia  completä,  pel  Cod.  l8.  Gase  of  cefebelfiar  tumour;  opei'ation;  death  ttbist  shock, 
by  9mMlngi  14.  Bemo^  of  cerebral  tumoiffi  by  toduML  15.  Gase  of  PaehymeiinfiitiB  in- 
tona  wiih  haemorrhage  and  temporary  relief  by  trephining.  16.  Glioma  of  the  rignt  tem- 
poral k/be  with  interctirtent  hiiemorthage.  A  case  in  wU6h  läief  questtdü  of  f fephift^g  tihis 
eonsidered  and  deeided  agiinst,  by  INillt  and  Bodtmer.  17.  FaU  af  tumör  i  ajermitti  Hiod 
ÜUfallig  förbättring  öfter  f5rsökt  exstirpation,  medd.  af  Wising  och  Berg.  18.  Gase  of  excision 
of  tumour  of  cerebellum,  by  INay. 

III.  fm%  den  eMelMMeii. 

IV.  Bibliographie. 


1  Oftl^titLaltüittlldflungeitl. 


(An0  dem  Labortftarhim  ^  Prof.  VbsttDmj.) 
üeber  Heterotopie  grauer  Substanz  im  Rückenmark. 

(Nach  einem  Vortrag,  gekalten  in  der  Berliner  Gesellschaft  für  Psychiatrie  und  Nerven- 
krankheiten am  12.  December  1887.) 

Yon  IM.  F.  Utom^Ai  AssiBtent  am  Prof.  Hlonderschon  Labortttofmitl. 

Bei  dem  Wideisprndi  der  Ansehaumngen  über  die  WirkdngeDl  des  Bleiee  aof 

das  GeirtratneiTeiiErf stem  erregen  die  FUM  voa  tödtiicfaem  SMiindsmtig  chr^c^ 

7 


—    98    — 

immer  in  hohem  Orade  die  Aufinerksamkeit  des  Pathologen«  Der  Güte  des 
Herrn  Director  P.  Gitcthakn  verdanke  ich  das  Material  und  die  Erlaubniss 
zur  Veröffentlichung,  der  Freundlichkeit  des  Herrn  Dr.  Nbümank  die  Kranken- 
geschichte und  den  Sectionsbefund  eines  unter  den  Erscheinungen  schwerer  ßlei- 
yergiftnng  verstorbenen  fiohrlegers. 

Der  22jähr.  Fat.  war  innerhalb  zweier  Jahre  yiermal  an  typischer  Bleikolik 
und  Bleilähmung  im  Erankenhause  behandelt  und  dreimal  gebessert  entlassen 
worden.  Zum  4.  Male  wurde  der  Kranke  am  80.  März  d.  J.  im  städtischen 
Krankenhaus  zu  Moabit  aufgenommen.  Er  war  vorher  wieder  als  Bohrleger 
thätig  gewesen.  Die  lebhaften  Leibschmerzen  liessen  bald  unter  Opium  nach, 
doch  konnte  Patient  am  31.  die  Finger  nur  schlecht  strecken  und  es  entwickelte 
sich  schnell  beiderseits  die  typische  Badialislähmung.  Vom  1.  April  an  b^ann 
Patient  zu  halluciniren  und  gab  Antworten,  welche  auf  mannigfaltige  Halluci- 
nationen  des  Gesichts  und  Gehörs  deuteten.  Am  2.  klagte  Patient  über  Taub- 
heit in  der  Unken  Glutäalgegend  und  über  ein  schwirrendes  Gefühl  über  dem 
Damm. 

Die  Aufnahme  des  Status  praesens  an  diesem  Tage  ergab  mittleren  Er- 
nährungszustand, blassgelbliche  Gesichtsfarbe,  Bleisaum;  die  Zunge,  bräunlich 
belegt,  wird  zitternd  herau^estreckt.  Die  Pupillen  reagiren  lebhaft  reflectorisch 
und  accommodatorisch.  Keine  Facialislähmung.  Hände  in  charakteristischer 
Stellung  der  Badialislähmung;  bei  dorsalflectirter  Hand  ist  der  Druck  kräftig. 
Die  Beine  können  nur  andeutungsweise  gebeugt  werden.  Wird  Patient  aufge- 
stellt, so  klappt  er  zusammen.  Patellarreflex  fehlt  beiderseits  vollkommen.  Sensi- 
bilität überall  scharf  erhalten.  Innere  Organe  normal,  links  vom  Sternum  ein 
systolisches  Geräusch  angedeutet,  Abdomen  wenig  druckempfindlich.  Weiterhin 
wurde  der  Kranke  mehr  benommen  trotz  warmer  Bäder  mit  kalter  Uebergiessung 
und  Jodkälium.  Drei  Tage  später  besteht  allgemeine,  wenngleich  nicht  absolute 
Lähmung  des  Halses,  Rumpfes  und  der  Extremitäten.  Tod  am  5.  April  Moi^gens. 
Die  Temperatur  bewegte  sich  zwischen  86,5  und  88,4,  Respiration  war  ruhig. 
Puls  um  100,  voll. 

Die  Tags  darauf  gemachte  Section  zeigte  das  Gehirn  und  seine  Häute 
makroskopisch  ohne  Besonderheit,  leichte  Yerdickung  an  den  Klappen  der  Aorta 
und  Mitralis,  Oedem  der  Lungen;  Milz,  Nieren,  Leber  normal.  Das  Gehirn  und 
Bückenmark,  sowie  der  Nervus  radialis,  ulnaris,  medianus  und  Stücke  des  Muse, 
triceps  wurden  sogleich  in  3^/^  Kalium-bichromicum-Lösung  gebracht 

-Was  zuerst  den  Muskel  anbetrifft,  so  zeigte  er  sich  mikroskopisch  bis  auf 
eine  leichte  Kemvermehrung  durchaus  normal.  Die  Querstreifung  war  scharf 
erhalten,  keine  fettige  Degeneration,  keine  Verschmälerung  der  Fasern.^ 

'  Der  Versuch,  die  Nervenendplatten  in  diesem  Muskel  darzastellen,  wurde  gemacht 
trotz  der  Erfahrung,  dass  im  Muskel  des  Erwachsenen  diese  Gehilde  äusserst  selten  gesehen 
werden  können.  Von  der  Anschauung  ausgehend,  dass  die  pathologisch  veränderte  Nerven- 
endigung TieUeicht  resistenter  und  weniger  zart  als  die  normale  sei,  vielleicht  auch  durch 
Imprägnation  mit  Blei  leichter  darsteUbar  wäre,  wurden  kleine  Partikel  des  Muskels  nach 
der  bekannten  Methode  mit  Goldchlorid  und  Ameisensäure  behandelt  Dass  der  Muskel  vor- 
her kurze  Zeitt  in  Kalium  bichromicum  gelegen  hatte,  ist  für  diese  Methode  nach  neueren 


_    99    — 

Der  Nervus  radialis  zeigte  die  schon  öfters  bei  Bleilahmting  beschriebenen 
y erändeningen ,  Degeneration  und  Zerfidl  der  Axencylinder  und  Markscheiden. 
Der  Nervus  nlnaris  und  medianus  kann  normal  genannt  werden.  Yon  höchstem 
Interesse  war  es  nun,  sich  über  die  Bescha£Penheit  des  Bückenmarks  zu  Orien- 
talen. Dasselbe  war,  wie  üblich,  4  Wochen  in  Kalium  bichronücum  gehärtet 
und  dann  mit  Alkohol  im  Dunkeln  extarahirt  worden.  Es  zeigte  schon  ausser- 
li^h  insofern  ein  ungewöhnliches  Verhalten,  als  es  an  zwei  Stellen,  nämlich  etwa 
2  cm  von  seinem  oberen  Ende  entfernt  1V2<^1^  ^^^  ^^^  28  cm  weiter  unten 
etwa  2  cm  weit  eine  fast  flüssige  Gonsistenz  darbot,  so  dass  die  sonst  vor  dem 
Härten  üblichen  Einschnitte  an  diesen  Stellen  aus  Vorsicht  unterlassen  wurden. 
Auch  das  übrige  Bückenmark  war  weicher  als  gewöhnlich.  Ausserdem  fiel  noch 
auf,  dass  etwa  in  einer  Länge  von  4  cm  oberhalb  der  unteren  sehr  weichen 
Partie  das  Organ  äusserst  umfangreich  erschien.  Die  Färbungen  wurden  theils 
mit  Ammoniakoarmin,  theils  mit  Pikrocarmin,  theils  mit  Nigrosin,  theils  nach 
Weigebt  gemacht  Das  Bückenmark  wurde,  nachdem  es  erhärtet  war,  in  Par- 
tien von  etwa  1 — P/^cm  Höhe  zerlegt,  in  Celloidin  eingebettet  und  aus  jedem 
Stück  etwa  30  Schnitte  angefertigt,  so  dass  eine  Schnittserie  von  gegen  900  Prä- 
paraten ein  recht  vollständiges  Bild  darbot.  Das  erste  Stück,  das  behandelt 
wurde,  war  etwa  Com  vom  Anfang  des  Bückenmarks  entfernt  und  erweckte 
makroskopisch  den  Verdacht,  dass  man  es  mit  einem  Tumor  zu  thun  hätte. 
Das  linke  Vorder-  und  Hinterhoru,  das  wie  immer  nach  Chromhärtung  hellgrün 
erschien,  vmrde  durch  eine  gleichfalls  heller  gefärbte  Masse,  die  etwa  Bimen- 
fonn  hatte,  nach  rechts  gedrängt  und  schien  sehr  stark  verschmälert.  Die 
mikroskopische  Betrachtung  des  ersten  Schnittes  klärte  den  Lrrthum  bereits  auf 
und  zeigte,  dass  es  sich  um  eine  Heterotopie  grauer  Substanz  handle,  denn  in 
einem  Gewebe,  das  histologisch  theils  an  die  Substantia  gelatinosa  Bolandi  er- 
imierte,  theils  aus  Sonnenbildchen  bestand,  lagen  zahlreiche  grosse,  schön  ent- 
wickelte (Ganglienzellen.  Das  erste  Stück,  wie  auch  die  MeduUa  oblongata  zeigten 
normale  Verhältnisse.  Ebenso  das  zweite  Stück.  Bald  jedoch,  je  weiter  man 
schnitt,  verlor  die  graue  Substanz  ihre  Form  sehr  schnell  und  hier  in  diesem 
Präparat,   das  also  etwa  aus  der  Höhe  des  zweiten  Halsnerven  stammt,  kann 


UnteirachimgeD  sogar  vortheiUiaft.  Es  Hessen  sich  auf  den  Fibrillen  kleine»  sehr  feine,  schwane 
Fidchen  erkennen,  die  zn  kleinen,  theils  runden,  theils  ovalen,  theils  polygonen,  dunkel  oon- 
toiirten  Flächen  führten,  auf  denen  man  Punkte  und  Strichelchen  imterscheiden  konnte. 
Diese  Gebilde  konnten  dreierlei  sein.  Entweder  Nervenendplatten  mit  den  zuf&hrenden  Nerven, 
oder  elastische  Fasern  ->  denn  diese  färbt  das  Gk>ld  auch  schwarz  —  oder  endlich,  was 
zuerst  bei  Weitem  das  WahiBcheinlichste  war,  Eunstprodncte,  die  ja  gerade  bei  den  Gold- 
methoden  so  angemein  hftnflg  sind.  Die  Durchmusterung  einer  grösseren  Anzahl  von  Prä- 
paiaten  liess  immer  wieder  diese  selben  Gebilde  erkennen.  Es  wäre  nicht  zu  verwundem, 
wenn  dieselbe  Methode  auch  immer  dieselben  Eunstproducte  giebt.  Man  musste  deshalb 
TerBuchen,  ob  mit  einer  andern  Methode  auch  diese  Figuren  sich  zeigen  wftrden.  Die  Prä- 
parate wnrden  nach  der  von  Saiidicank  angegebenen  Methode  hergesteUt  und  zeigten  die- 
sdben  Formationen.  Trotzdem  möchte  ich  doch  noch  nicht  mit  Sicherheit  behaupten,  dass 
diese  Gebilde  Nervenendplatten  seien,  obgleich  man  ja  elastische  Fasern  unzweifelhaft  wegen 
der  gleichmässig  wiederkehr^ndeo'  formen  arssQhliessen  kann  und  die  Wahrscheinlichkeit^ 
dsH  verschiedene  Methoden  'diesofbac  KrJistpro^uote  geben'  elften,'  ttth  eine  sehr  geringe  ist 

7* 


—    100    — 

man  v<m  der  aoiirt  ablieben  Configuiation  Nichts  mehr  erkennen.  Wirr  nnd 
planlos  liegt  graue  nnd  weisse  Masse  durcheinander^  der  Gentralkanal  ist  nicht 
mehr  zu  finden,  keine  vordere  Conunissnr  zu  entdecken,  ebaisowenig  wie  die 
hintere,  kein  Sulcus  longitadinalis  anterior,  kein  posterior.  Ob  die  graue  Sub- 
stanz hier  in  absolut  grosserer  Masse  vorhanden  ist  als  sonst,  muss,  glaube  ich, 
im  bejahenden  Sinne  beantwortet  werden.  Sicher  wenigstens  ist,  dass  in  vielen 
Schnitten  zinsohen  80  und  100  Ganglienzellen  gezahlt  wurden,  so  in  dem  vor* 
liegenden  zum  Beispiel  87.  —  Das  nächste  Stack  lässt  wenigstens  das  rechte 
Yof  der*  und  Hinterhom,  wenn  auch  noch  sehr  abnorm  gestaltet,  erkennen, 
während  die  linke  Hüfte  der  grauen  Substanz  noch  ganz  ungeordnet  umherliegt 
Xbe  änzelnen  Bündel  hier  zu  construiren  dürfte  wohl  grosse  Schwierigkeiten 
haben.  Die  geordnete  rechte  Seite  löst  ach  auch  bald  wieder  auf  und  die 
niofasten  Serien  zeigen  wieder  die  wild  herumliegende  graue  Substanz.  Ein 
rechtes  Yorderbom  ist  vorhanden  und  scheint  auch,  als  ob  man  eine  von  ihm 
aopgehende  Zunge  als  C!ommis8ur  ansprechen  könnte«  Jetzt  in  der  Höbe  also 
etwa  des  6.  H^dsnerven  ordnet  sich  die  graue  Substanz,  wenngleich  sie  auch 
noch  lange  nicht  die  Form  der  normalen  hat  Die  Yorderhömer  sind  sehr 
kurz,  gedrungen,  die  Gonmxissur  ungemein  lang,  ein  linkes  Hinterhom  existirt 
nioht,  wohingegen  das  rechte  Hinterhom  sehr  kräftig  entwickelt  ist  IStwas 
Neues  tritt  aber  jetzt  noch  hinzu.  Von  der  Spitze  des  linken  Hinterhoms  aus- 
geh^d  zieht  ein  Streifen  schmaler  grauer  Substanz  schräg  herüber  zum  Vorder* 
hom,  indem  er  am  Ende  stark  kolbig  anschwillt  In  den  nächsten  Stücken 
siebt  man  diesen  Streifen  stärker  anschwellen  und  seinen  Zusammenhang  init 
dem  linken  Hinterhom  verlieren,  wohingegen  das  linke  Yorderhon  schmäler  und 
schmäler  wird,  um  schliesslich  als  ganz  schmaler  dünner  Streifen  die  neu  auf- 
getretene graue  Substanz  zu  umfassen.  Spater  dann  wird  das  linke  Yorderbom 
wieder  starker,  die  heterotopische  Substanz  nimmt  an  Mächtigkeit  ab  und  hier 
sieht  man  annähernd  normale  Yerhältnisse,  Ganz  normal  erschemt  die  Figur 
der  grauen  Substanz  im  ganzen  Bückexunark  überhaupt  nicht,  bald  ist  es  das 
Unke  Yofdwhcnm,  bald  das  rechte  Hinterhom,  das  an  Grösse  gegen  daa  der 
andem  S^te  weit  zurückbleibt  Die  Gonfiguration  ist  überall  eiue  absonderliche, 
so  geht  es  mit  mannigfachen  wechselnden  Bildem  bis  zu  der  Stelle,  wo  bereits 
früher  die  Yerdickong  des  Organs  beobachtet  war.  Es  ist  dies  das  Stück  Nr,  22 
der  Serie.  Man  sieht  hier,  dass  an  der  linken  Seite  die  wrisse  Substanz  eine 
kleine  Hervorraguug  hat  Dieser  Yorsprung  wächst  mehr  und  mehr  und  zwar 
recht  schnell  und  ist  bereits  im  nächsten  Stück  als  eine  grosse  Platte  weisser 
Substanz,  die  an  Grösse  etwa  gleich  einem  Drittel  des  Büokenmarks  ist,  abge- 
schnürt und  hängt  nur  noch  durch  einige  lockere  bindegewebige  Yerbindungen 
mit  dem  Hanptorgan  zusammen.  An  der  lateralen  Seite  trägt  das  nengebildeta 
Stück  zwei  Flecken,  die  dunkler  tingirt  sind  und  die  sich  als  graue  Substanz 
erweisen,  so  dass  man  es  also  hier  mit  einem  zweiten  rudimentären  Bücken- 
mark zu  tbun  hat  Diese  Ansicht  bestätigen  die  nächsten  Schnitte  vollkommen« 
Das  neu  angetretene  Stück  wird  grosser  und  grösser,  ist  hier  ungeflUir  gläch 
einer  Hälfte  des  Bückeqmarks  und  zeigt  an'  Seiinor^  lateralen  Seite  eine  grosse 


—     101     — 

Masse  grauer  Substanz,  die  die  Form  etwa  mer  Sanduhr  hat  Es  sind  schöne 
zaUreiohe  grosse  Oanglienzellen  in  ihr  und  treten  die  Nervenfasern  medialwärts 
ans.  Die  Verbindung  mit  dem  Bückenmark  ist  eine  innigere  wie  vorher,  indem 
ein  breiter  Streifen  weisser  Substanz  hinüberzieht  Dieser  Streifen  ninmit  schnell 
za  und  findet  man  bald  beide  Anlagen  zu  einer  einzigen  vereinigt  und  in  einer 
zosammenhangenden  Fläche  von  Sonnenbildchen  rechts  oben  schief  gestellt  eine 
annähernd  normale  Figur  grauer  Substanz,  links  ziemlich  am  Bande  eine  der 
froheren  ähnliche  Figur  mit  einem  langen  Auswuchs  nach  oben  und  einer  gut 
zu  erkennenden  Substantia  gelatinosa  an  dem  dünnen  Mittelstück.  Sehr  rasch 
wechsebi  jetet  in  den  nächsten  Schnitten  die  Bilder,  indem  die  heterotopische 
linke  graue  Substanz  ihre  schlanke  Form  in  eine  kürzere  dickere  umwandelt 
und  zugleich  mehr  nach  der  Mitte  herüberdrängt,  wobei  das  linke  Hinterhom 
nicht  mehr  zu  entdecken  ist  An  der  linken  Seite  trägt  die  weisse  Substanz 
am  Bande  eine  Einbuchtung,  in  der  austretende  Wurzeln  liegen.  Sehr  schnell, 
fast  plötzlich  verschwindet  jetzt  mehr  und  mehr  graue  Substanz  aus  den  Schnitten 
und  V/^  cm  tiefer  ist  alles,  was  überhaupt  noch  von  grauer  Substanz  vorhanden 
ist,  hi^  an  der  rechten  Seite  des  Querschnitts  ein  schmaler  hakenförmig  ge- 
bogener Best  mit  einem  langen  dünnen  Zipfel.  Doch  dürfte  wohl  kaum  diese 
Masse  die  Hälfte  der  sonst  vorhandenen  Menge  grauer  Substanz  reprasentiren. 
Bald  tritt  wieder  etwas  mehr  Ganglien  tragende  Masse  auf,  die  so  vielfach  ge- 
wunden gewesen  ist,  dass  fast  jeder  Schnitt  eine  andere  Figur  darstellt  Was 
man  als  Yorderhom,  was  als  Hinterhom  in  diesem  sehr  kleinen  Querschnitt  der 
früher  stark  erweichten  Stelle  ansprechen  soll,  ist  nicht  mit  Sicherheit  zu  sagen. 
Bald  ändert  sich  wieder  das  Bild  und  hier  das  nächste  Stück  stellt  einen  fast 
bereits  normalen  Querschnitt  des  Lendenmarks  dar,  der  sich  nur  noch  durch 
die  Kleinheit  des  rechten  Hinterhoms  auszeichnet  Gleich  darauf  wird  die  Figur 
eine  ganz  normale. 

Wir  haben  es  also  nicht  nur  mit  einer  Heterotopie  der  grauen  Substanz, 
sondern  auch  mit  einem  rudimentär  au^ebildeten  zweiten  Bückenmark  zu  thun, 
ein  Fall,  der  nur  noch  von  den  von  Fübstneb  und  Zaoheb  im  Archiv  für 
Psychiatrie  Bd.  XU  veröfifenüichten  übertrofifen  wird. 

Das  ganze  Bückenmark  zeigte,  und  zwar  genau  von  der  Stelle  an,  wo  zuerst 
die  Missbildung  auftritt,  bis  zu  der  Stelle,  wo  die  graue  Substanz  beinahe  ihre 
normale  Form  wieder  annimmt,  zahlreiche  sklerotische  und  myelitische  Heerde 
verschiedenen  Alters.  Die  Partien,  die  zwischen  den  beiden  Stellen  liegen,  wo 
die  heterotopischen  Formationen  am  stärksten  ausbildet  sind  und  die,  wie 
bereits  erwähnt,  auch  nicht  als  normal  in  Bezug  auf  die  Form  der  grauen  Sub- 
stanz bezeichnet  werden  können,  zeigen  nur  sehr  kleine  zerstreute  myelitische 
Heerde  meist  frischeren  Datums.  Die  beiden  Partien,  die  sich  früher  durch  ihre 
relativ  weiche  Gonsistenz  ausgezeichnet  hatten,  bieten  das  Bild  der  schwersten 
pathologischen  Veränderung  dar.  In  vielen  Querschnitten  sind  nur  noch  ganz 
wenige  Sonnenbildchen  zu  sehen,  die  meist  randständig  sitzen.  Zahlreiche  grosse 
Spinnenzellen,  Yermehrung  des  Bindegewebes,  Yerdickung  der  (befasse,  charak- 
terisuren  ältere  myelitische  Heerde,  während  ausgewanderte  Blutkörperchen,  zahl- 


—     102    — 

reiche,  vielfach  geschläugelte,  erweiterte  Capillaren,  aufgequollene  Markscheiden, 
ondeutliche  Axenoylinder  auf  einen  frischeren  Entzündongs^rocess  hindeuten. 
Andere  Stellen  zeigen  die  nackten  Axencylinder,  dabei  Wucherung  und  Ver- 
dickung des  interstitiellen  Gewebes,  so  dass  man  hier  einen  bereits  längere  Zeit 
bestehenden  Process,  der  zur  Sklerose  gefahrt  hat,  anzunehmen  berechtigt  ist 
Was  die  Ganglienzellen  und  speciell  die  der  Yorderhömer  betrifit»  so  haben  sie 
ein  weniger  klares  Aussehen  als  gewöhnlich.  Stellenweise  enthalten  sie  etwas 
Pigment  Im  Ganzen  sind  die  Zellen  der  heterotopischen  Substanz  grösser  und 
durchsichtiger  als  die  des  anderen  Gewebes.  Ausserdem  finden  sich  mehrfach 
Spalten  im  Bückenmark,  so  eine  besonders  grosse  an  der  Stelle,  wo  beide  An- 
lagen in  einer  Fläche  weisser  Substanz  liegen.  Die  Höhlen  tragen  nirgends 
Epithel. 

Dass  die  Missbildung  der  grauen  Substanz  nicht  etwa  ein  durch  ungeschickte 
Manipulationen  herYorgebrachtes  Eunstproduct  ist,  dagegen  spricht,  dass  das 
Mark,  bevor  es  erhärtet  worden  ist,  überhaupt  nicht  durchschnitten  wurde  und 
dass  femer  eine  zweite  Anlage  vorhanden  ist.  Die  Idee,  dass  vielleicht  im  Ge- 
hirn oder  Kleinhirn  eine  ähnliche  Missbildung  wäre,  lag  nahe  und  wurde  des- 
halb die  Section  dieser  Organe  auch  erst,  nachdem  sie  vollkommen  erhärtet 
waren,  möglichst  genau  vorgenommen.  Es  zeigte  sich  von  Abnormitäten  weiter 
gar  nichts,  als  dass  der  linke  Gyrus  centralis  anterior  am  Ende  des  oberen 
Drittels  darchbrochen  war,  ein  immerhin  nicht  häufiger  Fall  und  dass  im  Klein- 
hirn die  Menge  der  weissen  und  grauen  Substanz  auf  den  beiden  Seiten  eine 
ungleiche  ist    Die  mikroskopische  Untersuchung  bot  nichts  Bemerkenswerthes. 

Die  Frage,  die  jetzt  nun  das  hauptsächlichste  Interesse  darbietet,  ist  die 
über  den  Zusammenhang  der  Bleivergiftung  mit  den  schweren  pathologischen 
Veränderungen  des  Bückenmarks. 

Die  Durchsicht  der  litteratur  zeigte,  dass  überhaupt  nur  10  Fälle  von 
Heterotopien  grauer  Substanz  im  Bückenmark  nebst  genauem  Befunde  veröffent- 
licht sind.    Diese  Fälle  sind: 

1.  Bbamvtell-Weisb,  Krankheiten  des  Bückenmarkes.  (Wien  1883.  ToepUtz  & 

Deuticke.)  S.  199.) 
Z  In  demselben  Werke  (S.  200)  ein  Fall  von  Dbttmmokb. 

3.  Pick,  Prager  medicimsche  Wochenschrift.  1881.  S.  93. 

4.  PiOK,  ebendort  S.  96. 

5.  PiOK,  ebendort  S.  195. 

6.  FüESTHBB  und  Zaohbb,  Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  XII.  S.  373. 

7.  FüBSTNEB,  ebendort  S.  391. 

8.  Sghieixbdeckeb,  Archiv  far  mikroskopische  Anatomie.  Bd.  XII. 

9.  Kahleb  &  Pick,  Vierteljahrsschrift  für  Heilkunde.  1879.  Bd.  IL  &  17. 
10.  Pick,  Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  Vffl. 

Es  ist  zu  untersuchen,  woran  diese  10  Fälle  gestorben  sind  und  ob  resp. 
welche  pathologischen  Yeränderungen  das  Bückenmark  zeigte.  —  Pick  sagte 
zuerst,  dass  ihm  das  Bückenmark,  welches  heterotopiscbe  Heerde  beherbergte, 
ein  Locus  nünoris  resistentiae  für  alle  Schädlichkeiten,  die  den  Körper  trafen, 


—     103    — 

zn  sein  schiene.  Man  kann  den  Satz  unter  Berücksichtigung  der  letzten  Ver- 
öffentlichungen jetzt  sicherer  fassen  und  behaupten,  dass  ein  Rückenmark  mit 
heterotopischer  grauer  Substanz  der  Ort  allergeringsten  Widerstandes  ist.  — 
Mit  Ausnahme  nämlich  des  ScHiEFEBDEGKEB'schen  Falles,  bei  dem  der  Unter- 
suchende die  Sache  mehr  vom  physiologischen  Standpunkte  aus  beleuchtete  und 
sowohl  über  Todesursache  als  auch  über  pathologische  Veränderungen  in  seiner 
Veröffentlichung  nichts  sagt,  erwähnen  alle  übrigen  Autoren  die  mehr  oder 
weniger  hochgradigen  Veränderungen  des  Organs.  Die  Fälle  1  und  2  starben 
an  Paralysis  pseudohypertrophica  und  zeigten  Spalten  und  Erweichungsheerde 
um  die  Gefasse.  In  Fall  3,  der  einen  Blödsinnigen  betraf,  war  eine  Myelitis 
vorhanden.  Fall  4  starb  an  Phtisis  pulmonum,  zeigte  im  Bückenmark  Spalten, 
transversale  Myelitis  und  Vacuolen  in  den  Ganglienzellen.  'Fall  5  ging  an  einem 
Trauma  der  Wirbelsäule  und  Gompression  der  Medulla  zu  Grunde  und  niuss 
deshalb  als  unrein  aus  unserer  Betrachtung  ausgeschlossen  werden.  Fall  6  starb 
an  Paralysis  progressiva  und  zeigte  neben  älteren  Processen  eine  frische  Ent- 
zündung des  Bückenmarkes.  Fall  7  endete  gleichfalls  durch  progressive  Para- 
lyse und  zeigte  das  Bückenmark  neben  Tabes  Myelitis.  Der  9.  Fall  zeigte 
gleich&Us  Tabes.    Der  10.  ging  an  progressiver  Muskelatrophie  zu  Grunde. 

Es  ist  also  klar,  dass  all'  diese  Fälle,  obgleich  sie  zum  Theil  durch  Krank- 
heiten endeten,  die  mit  dem  Bückenmark  in  keiner  näheren  Beziehung  stehen, 
80  z.  B.  der  durch  Lungenschwindsucht  zu  Grunde  gegangene,  auf  dem  Sections- 
tisch  Veränderungen  des  missgebildeten  Organes  zeigten.  Sind  ^vir  nun  berech- 
tigt für  die  verschiedenen  Processe,  die  wir  in  dem  von  uns  obducirten  Bücken- 
mark gefunden  haben,  die  Bleivergiftung  als  Ursache  anzusprechen? 

Ich  glaube  nicht,  denn  es  ist  höchst  wahrscheinlich,  dass,  wenn  dieser  Mann 
an  ii^end  einem  andern  Leiden  zu  Grunde  gegangen^  wäre,  auch  das  Bücken- 
mark einen  pathologischen  Befund  darbieten  würde.  Deshalb  trägt  dieser  Fall 
zur  Losung  der  Frage  über  die  Wirkung  des  Bleis  auf  das  Gentralnervensystem 
Nichts  bei. 

Nicht  unbemerkt  möchte  ich  lassen,  dass  von  den  10  Fällen  bei  zweien  in 
den  Krankengeschichten  ausdrücklich  hervorgehoben  ist,  dass  die  Patienten  links- 
händig waren. 

Die  Bearbeitung  eines  derartigen  heterotopischen  Bückenmarks  bietet  sehr 
grosse  Schwierigkeiten  dar.  Dünne  Schnitte  zu  erhalten  war  an  den  stärker 
veränderten  Partien  fast  unmöglich  und  auch  die  Färbung  eine  immer  wech- 
selnde und  unberechenbare.  Pick  konnte  z.  B.  auch  in  Fall  6  aus  einem  Theil 
des  Organs  keine  brauchbaren  Schnitte  erhalten.  Li  Fall  6  ist  ein  Theil  der 
verdünnten  Partie  ausgelaufen.  Die  anderen  Autoren  berichten  Nichts  über  die 
Bearbeitungsfahigkeit  ihres  Materials. 


** 


I 


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9 


-      105    — 

Erläatemng  der  Abbildungen. 

Fig.  L  Nr.  3.  Höhe  des  2.  GerTicaloerren.  In  a  2  Qanglienzellen,  b  S,  c  49,  d  4,  e  2, 
f  13,  g  13,  h  6.  Der  ganze  Querschnitt  zeigt  ältere  nnd  frischere  myelitische  Heerde, 
sowie  anch  nackte  Axencylinder.    Die  grane  Substanz  liegt  planlos  umher. 

Fig.  II.  Nr.  4.  1  cm  tiefer  als  das  vorige  Präparat.  Zahlreiche,  disseminirte,  kleinere 
myelitische  Heerde.    a  rechtes  Yorderhom,  b  rechtes  Hinterhom. 

Fig.  in.  Nr.  6.  Höhe  des  3.  CervicalnerTen.  In  a  8  Ganglienzellen,  b  zahlreiche  grosse, 
e  zahlreiche  kleine,  dB,  e  B,  f  1,  g  zalreiche  kleine,  h  spärliche  kleine;  abe  ist  als 
rechtes  Yorderhom  anzusehen,  %  als  Commissnr. 

Fig.  lY.  Nr.  6.  Annähernd  normale  Rfickenmarksfigur,  rechtes  Yorderhom  grösser  als 
linkes,  ebenso  rechtes  Hinterhom,  sehr  lange  Comroissur,  ab  heterotopische  graue  Sub- 
stanz mit  zahlreichen  grossen  Ganglienzellen  in  ö. 

Fig.  Y.  Nr.  7.  Rechte  Seite  mehr  entwickelt  als  linke,  sehr  breite  Commissur,  schmaler 
bindegewebiger  Zusammenhang  des  rechten  Yorder-  und  Hinterhoms,  linkes  Hinterhom 
sehr  dünn;  a  heterotopische  graue  Substanz. 

Fig.  YL  Nr.  8.  Linkes  Yorder-  und  Hinterhom  nur  noch  als  ganz  schmaler  Streifen  Tor- 
handen,  rechte  Hälfte  abnorm  conftguriri  a  birnenförmige  heterotopische  graue  Sub- 
stanz; zahlreiche  Spalten  im  Präparat. 

Fig.  YH.  Nr.  9.  Zunehme  der  normalen  grauen  Rfickenmarksfigur  auf  der  linken  Seite, 
starke  Ausbildung  eines  rechten  Seitenhoras,  Yerschmälerang  der  heterotopischen  grauen 
Substanz. 

Fig.  YHI.  Nr.  17.  Rechtes  Yorderhom  länger,  schmäler,  stärker  auswärts  biegend  als  linkes, 
dieses  kurz,  gedrungen  mit  stark  ausgeprägtem  Seitenhom,  rechtes  Hinterhom  normal, 
linkes  äusserst  dfinn. 

Fig.  IX.  Nr.  22.  Rechtes  Yorderhom  schmal,  Hinterhom  sehr  dick  stark  nach  auswärts 
gelegen,  linkes  Yorderhom  kurz  und  dick,  Hinterhom  sehr  schmal.  Bei  a  eine  Aus- 
buchtung der  weissen  Substanz. 

flg.  X.  Nr.  23.  Normale  R&ckenmarksflgur.  Durch  bindegewebige  Sträng^  d,  h  mit  dem 
R&ckenmark  eine  Platte  weisser  Substanz  a  yerbundcn,  die  bei  b  und  e  kleine  Stöcke 
graue  Substanz  mit  zahlreichen,  schönen  Ganglienzellen  trägt.  Bei  e  und  /  Nerven- 
bfindel. 

Fig.  XL  Nr.  24.  Die  zweite  Anlage  a  hängt  durch  den  Streifen  weisser  Substanz  b  mit 
dem  Hauptorg^  zusammen,  eed  sanduhrförmige,  graue  Substanz,  bei  e  Substantia 
gelaiinosa  Rolandi. 

Fig.  XII.  Nr.  25.  In  einer  Platte  weisser  Substanz  a  eine  annähernd  normale  graue  Rücken- 
marksfigur,  bed  heterotopische  graue  Substanz,  bei  c  deutliche  Subst.  gelatinosa  Rolandi. 

Fig.  XIII.  Nr.  26.  Rechtes  und  linkes  Yorderhom  ziemlich  gleich,  rechtes  Hinterhom  sehr 
stark  und  bei  a  plötzlich  nach  auswärts  abbiegend,  linkes  Hinterhom  nicht  Torhanden. 
b  und  e  heterotopische  graue  Substanz. 

Fig.  XIY.  Nr.  27.  Sehr  wenig  graue  Substanz  im  Querschnitt  Was  a  Torstellt,  ist  nicht 
sicher  zu  sagen,  ein  schmaler  dfinner  Streifen  b  f&hrt  noch  zu  etwas  stark  gewundener 
GangUenzellen  föhrender  Masse  c,  ebensolche  bei  d, 

Fig.  XY.    Nr.  28.    Sehr  Tiele,  planlos  heramliegende  graue  Substanz. 


-     106    - 

n.  Referate. 


Anatomie. 

1)  On  the  nervouB  System  of  the  head  of  the  larva  of  Ck>rydalus  oomutas 
Linn,  by  William  C.  Krause.  Extract;  from  a  thesis  in  Entomology  presented 
to  the  faculty  of  Gorneil  University  for  the  Baccalaureate  in  Science.  (Cambridge.) 

Nach  den  Untersuchungen  von  Erauss  besteht  das  Nervensystem  des  Kopfes 
von  Corydalus  comutus  Linn  aus  folgenden  Theilen:^ 

1)  Ein  Supra-oesophagealganglion  oder  Grosshim  mit  seinem  Nerven.  Dasselbe 
liegt  auf  dem  Oesophagus  in  der  Mitte  zwischen  Labrum  und  Eopfgelenk  dicht  unter 
der  Schale,  von  derselben  nur  durch  Fettgewebe  getrennt  Es  besteht  aus  2  Gang- 
lien und  ist  als  Grosshim  anzusprechen.  Die  beiden  Ganglien  hängen  durch  eine 
kurze  dicke  Nervencommissur  zusammen  und  sind  öfter  als  1  Ganglion  beschrieben 
worden.  Diese  Körper  sind  oval,  ihre  Dicke  von  vom  nach  hinten  beträgt  etwa 
'/^  mm,  ihre  Länge  etwa  2  mm,  lateral  treten  je  2  Nervenpaare  aus.  Von  der  unteren 
Fläche  entwickeln  sich  2  dicke  Commissuren,  die  zum  Subösophagealganglion  gehen. 
Die  Aorta  erweitert  sich  nach  dem  Supraösophagealganglion  zu  und  aus  ihrem  offenen 
Lumen  umspült  das  Blut  frei  das  Gehim,  um  nach  unten  zu  fliessen  nnd  auf  die- 
selbe Art  das  Subösophagealgangiion  zu  ernähren.  Die  doppelte  Trachea  tritt,  nach- 
dem sie  sich  in  mehrere  Zweige.gespalten,  in  das  Grosshim  ein.  Von  den  beiden 
lateral  aus  diesem  austretenden  Nervenpaaren  ist  das  vordere  ein  gemischtes,  und 
zwar  geht  der  vordere,  wahrscheinlich  sensible  Ast  zum  Fühlhorn,  der  hintere,  wohl 
ein  motorischer,  zu  den  Muskeln  desselben,  die  am  Rumpfe  liegen.  Das  hintere  Paar 
ist  der  Sehnerv,  welcher  sich  in  7  Aeste  theilt,  obwohl  das  Thier  nur  6  entwickelte 
Augen  hat.  Von  jeder  Cerebralhälfte  treten  nach  vom  hin  2  Nerven  aus;  der  eine 
geht  zum  Clypeus  und  Labmm,  der  andere  —  Vagus  —  bogenförmig  zu  einem  etwa 
1  mm  weiter  nach  vom  auf  der  Mittellinie  liegenden  sehr  kleinen  Ganglion. 

2)  Die  Crura  cerebri  umfassen  den  Oesophagus  und  gehen  zum  Subösophageal- 
Ganglion  oder  Cerebellum.  Den  Cmra  cerebri  liegt  als  dicke  Leiste  in  der  Mitte 
noch  eine  Commissur  auf. 

3)  Das  Cerebellum  liegt  unter  dem  Oesophagus  auf  der  Mittellinie  senkrecht 
unter  dem  Cerebrnm;  es  besteht  aus  1  Ganglion  von  etwa  herzförmiger  Gestali  Von 
diesem  verläuft  jederseits  eine  Nervenfaser  nach  hinten  und  verbindet  die  auf  dem 
Bauch  zu  beiden  Seiten  der  Mittellinie  liegenden  Ganglienreihen.  Auch  in  das  Cere- 
bellum senken  sich  Luftröhren  ein.  Seitwärts  und  nach  oben  entsendet  das  Cere- 
bellum 1)  Labialnerven,  2)  Nerven  zur  Zunge,  3)  zum  Oberkiefer,  4)  zum  Unter- 
kiefer. 

4)  Der  Vagus  geht  vom  Cerebrum  zum  Frontal-Gangljon  und  von  diesem  unter 
dem  Cerebrum  zwischen  Aorta  und  Oesophagus  bis  2  mm  hinter  das  Cerebrum,  wo 
er  in  ein  anderes  Ganglion  eintritt.  Von  diesen  gehen  2  Zweige^  jederseits  des 
Oesophagus  einer,  bis  zum  Vormagen,  wo  sie  in  viele  Aeste  zerfallen.  Auf  seinem 
Verlauf  giebt  der  Nerv  zahlreiche  Zweige  an  Aorta  und  Oesophagus  ab. 

Kronthal. 

Experimentelle  Physiologie. 

2)  Ueber  die  Landois'schen  VerBuche  der  ohemisohen  Reizung  der  Gross- 
himrinde,  von  G.  Leubuscher  und  Th.  Ziehen,  Privatdocenten  in  Jena. 
(Centralbl  f.  klin.  Med.  1888.  1.) 

Verff.  haben  die  Landois*schen  Vercuche^  wiederholt  und  konnten  dieselben  im 
Allgemeinen  durchaus  bestätigen.     Sie  schlössen  bei  ihren  Beobachtungen  diejenige 

*  S.  d.  Centralbl.  1887.  S.  270. 


107    — 

WirkuBg,  welche  schon  das  blosse  Freilegen  eines  Theils  der  motorischen  Zone  des 
Grossbinis  auf  die  contralaterale  Seite  hat»  durch  gleichzeitige  Trepanirung  auch  der 
anderen  Seite,  welche  nicht  chemisch  gereizt  wurde,  aus.  Ghlomatrium  erzeugte  keine 
andere  Wirkung,  als  die  Freilegung  allein;  schwach  wirkten  Chlorkalium  und  harn- 
saures  Natrium.  Am  besten  lösten  saures  phosphorsaures  Kalium  und  Kroatin  die 
Kr&mpfe  ans. 

In  einigen  Einzelheiten  weichen  die  Ergebnisse  der  Verff.  von  Landois  ab: 
die  Kloni  im  Facialisgebiete  und  den  Yordereztremit&ten  traten  oft  beiderseitig  (bei 
einseitiger  Beiznng)  auf;  Nystagmus  trat  auch  bei  Grosshimreiznng  auf;  die  Reihen- 
folge der  Krämpfe  war  etwas  anders  und  es  liessen  sich  die  Anfälle  so  lange  hinter- 
einander, wie  Landois  es  angiebt  (bis  2  Tage),  nicht  herrorrufen,  sondern  meist  nur 
einige  Stunden  lang. 

Auch  die  Yerff.  finden,  dass  Landois*  Vermuthungen  in  Bezug  auf  eine  chemische 
Theorie  der  Urämie  ausserordentlich  yiel  Plausibles  haben,  wenngleich  noch  manche 
Einwände  übrig  bleiben.  Hadlich. 

3)  Uiitenuohungen  über  den  Einflass  des  Ck>ffelns*  und  Thees  auf  die 
Dauer  eixifiioher  psyohisoher  Vorgänge,  Inaugural-Disserlation  von  Heinrich 
Dehio,  Assistenzarzt  der  psych.  Klinik  zu  Dorpat  1887.  (55  Seiten.) 
Im  Anschluss  an  Kraepelin*s  Untersuchungen  über  die  Einwirkung  einiger  medica* 
roentdser  Stoffe  (Aether,  Ghloroform,.Alkohol  etc.)  auf  die  Dauer  einfacher  psychischer 
Vorgänge,  stellte  Verf.  seine  Versuche  mit  Coffein  und  Theo  an,  indem  er  dabei  der 
Technik  der  gebräuchlichen  Methoden  sich  bediente,  wie  sie  ausführlich  beschrieben 
werden.  Coffein  wurde  subcutan  als  Coffein,  natrobenzoicum  in  Qaben  von  0,5  auf 
Coff.  pur.  berechnet»  angewandt.  In  der  andern  Versuchsreihe  wurde  Theeinfus.  10,0 
mit  er.  200,0  kochenden  Wassers  h'  lang  auf  dem  Heerde  digerirt,  getrunken.  Der 
Theo  enthielt  1,49  ^/^  Theln.  Geprüft  wurden:  die  einfache  Beaction,  die  V7ortreaction, 
die  Wahlreaction  und  höhere  Beactionsformen,  wie  urtheilen,  rechnen  etc.  Bei  der 
einfachen  Beaction  ergab  sich  die  Neigung  zum  Kürzerwerden  der  Beactionszeit.  Die 
Wahlreaction  ergab  negative  Besultate.  Bei  der  Wortreaction  und  den  höheren 
Beactionsformen  bewirkte  Coffein  eine  geringe  Verkürzung  der  Beactionszeit  und  ent- 
schiedene Abnahme  der  Schwankungen.  Nach  Thee  machte  sich  .eine  anfängliche 
Verkürzung  der  Beactionszeit  geltend,  welcher  nach  einiger  Zeit  eine  Verlängerung 
zu  folgen  pflegte.  Demnach  wirken  Thee  und  Coffein  verkürzend  auf  die  Beactions- 
zeit und  machen  die  Beactionen  regelmässiger;  während  Thee  mehr  den  Ablauf  der 
Reactionen  beschleunigt,  tritt  bei  Coffein  die  regulirende  Wirkung  mehr  hervor;  die 
Verkürzung  durch  den  Thee  bedingt  wahrscheinlich  ein  anderer  Stoff  in  demselben. 
Bei  der  Prüfung  des  normalen  Verhaltens  bei  den  beiden  Versuchspersonen,  zeigten 
sich  schon  bei  den  niederen  Beactionen  erhebliche  Unterschiede,  die  auf  tiefgreifende 
Verschiedenheiten  der  psychischen  Persönlichkeit  hindeuten  und  vor  einer  übereifrigen 
Anwendung  der  Methode  auf  pathologischem  Gebiete  warnen.  Endlich  wird  auf  die 
Uebereinstimmung  mit  der  Alkoholwirkung  bei  der  Wirkung  des  Thees  hingewiesen; 
auch  nach  Alkohol  treten  2  Phasen  auf,  Verkürzung  der  Beactionen  mit  folgender 
Verlängerung.  Allein  die  verkürzende  Wirkung  des  Alkohols  beschränkt  sich  haupt- 
sächlich auf  die  Willenszeit,  die  durch  Thee  fast  gar  nicht  beeinflusst  wird.  Die 
Wirkung  anf  die  Apperceptionszeit  ist  bei  beiden  gemeinsam;  allein  die  durch  Thee 
hervorgerufene  Verkürzung  ist  dauernder  und  intensiver  als  die  nachträgliche  Ver- 
längerung, während  beim  Alkohol  auf  eine  schnell  vorübergehende  Verkürzung,  die 
bei  hohen  Dosen  sogar  ganz  fehlen  kann,  eine  beträchtliche  und  lange  anhaltende 
VerläDgemng  folgt  Während  schliesslich  Alkohol  zu  einer  tiefgreifenden  Störung 
des  Apperceptionsvorgangs  (Berauschung)  führt,  finden  wir  nach  Thee  nur  einfache 
massige  Verlängerung  des  Auffiassungsprocesses  (als  zweite  Phase),  wie  sie  in  ähn- 
licher Weise  dnrch  leichte,  rasche  Ermüdung  bedingt  wird.  Kalischer. 


—     108    — 

Pathologische  Anatomie. 

4)  Osservazioni  d'anatomia  patologioa  sulla  paraliai  progressiva  degli  alie- 
nati,  studio  del  Dott.  G.  Bezzonico.  (Archiv,  ital.  per  le  mal.  nervös,  ecc.  1887. 
XXIV.  p.  499.) 

Bei  der  Section  eines  Patienten,  der  im  Verlauf  der  progressiven  Paralyse  unter 
den  Symptomen  der  Himcongestion  gestorben  war,  fand  Verf.  in  allen  Qefässen  des 
Gehirnes  eigenthflmlicbe  Körper  von  kugeliger  oder  auch  cylindrischer  Gestalt»  ge- 
wöhnlich von  der  Grösse,  dass  sie  das  ganze  Lumen  des  Gef&sses  einnahmen;  ein- 
zelne waren  indess  auch  von  geringerem  Durchmesser.  Dem  Aussehen  nach  hätte 
man  sie  fOr  Fett-  oder  Amyloidmassen  halten  können,  doch  widersprach  einer  solchen 
Annahme  das  Ausbleiben  einer  jeden  der  bekannten  Beactionen.  Sie  hingen  in  keiner 
Weise  mit  den  Wänden  der  Gefösse  zusammen,  Hessen  weder  eine  Structur  noch  Reste 
etwa  eingeschlossener  Blutkörperchen  erkennen  und  waren  durch  Carmin,  aber  auch 
nur  durch  dieses  eine  Färbemittel,  zu  tingiren. 

Verf.  entwickelt  noch  emige  Hypothesen  Aber  die  prä-  und  postmortale  Ent- 
stehung dieser  Gebilde 'und  Aber  ihre  Zusammensetzung,  ohne  indess  zu  einem  be- 
stimmten Resultat  zu  gelangen. 

Der  Patient,  um  den  es  sich  in  der  referirten  Arbeit  handelt,  hatte  Abrigens 
im  Leben  das  auffällige  Symptom  conträrer  PupiUenreaction  dargeboten  (Erweiterung 
bei  Lichteinfall)  und  ist  in  dieser  Hinsicht  bereits  von  A.  Rag  gl  1886  besprochen 
worden.  Sommer. 

6)   Zur   Frage  über   die   seoxaidären  Degenerationen  des  Himsohenkels, 

von  W.  Bechterew.    (Arch.  f.  Psych.  XIX.   S.  1.) 

Die  vorliegende  Arbeit  ist  die  Uebersetzung  zweier  schon  frAher  in  diesem  Blatte 
referirten  Arbeiten  (1885  Nr.  17  und  1886  Nr.  8).  Unter  Verweisung  auf  das  dort 
Mitgetheilte  seien  folgende  Details  referirt: 

Zuerst  hebt  B.  hervor  die  in  der  Richtung  vom  Kniehöcker  zum  VierhAgel  ab- 
steigende Degeneration,  femer  die  Degeneration  des  medialen  Abschnitts  der  Schleifen- 
schicht, die  bis  in  den  ventralen  Theil  des  Nucleus  reticularis  (Bechterew)  im 
unteren  BrAckengebiet  sich  fortsetzte,  was  g^en  die  von  Meynert  angenommene 
Endigung  dieses  Schleifenantheils  in  der  Olivenzwischenschicht  spricht  Die  gleich- 
falls vorhandene  Atrophie  des  äusseren  Theils  der  Hanptschleife  ist  B.  geneigt,  mit 
der  Atrophie  des  anderseitigen  Keilstrangkemes  in  Beziehung  zu  bringen;  ebenso 
vertritt  er  unt«r  Leugnung  der  Beweiskräftigkeit  der  Gudden*schen  Experimente  fOr 
den  unmittelbaren  Rindenursprung  der  genannten  Schleifenantheile,  die  Anschauung, 
dass  ersterer  in  den  basalen  Himganglien  (Nucleus  lent.?),  letzterer  im  Globus  pallidus 
des  Linsenkems  vorläufig  endigen. 

Klinisch  zieht  B.  aus  seinen  Fällen  den  Schluss,  dass  zur  Leitung  der  nnwill- 
kArlichen  mimischen  Gesichtsbewegungen  in  der  Haube  verlaufende  Fasern  dienen. 
(Siehe  dieses  BlaU  1886  S.  371.)  A.  Pick. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

6)  Contribiusione  allo  studio  della  paralisi  radioolare  superiore  del  Plesso 
brachiale  (tipo  Duchenne-Erb),  per  il  Dott.  L.  Giuffr^.  (Giomale  di  Neuro- 
patol.  1887.  V.  Fase.  3.) 

Nach  einem  historischen  Ueberblick  Aber  die  Litteratur  der  Dnchenne-Erb*- 
schen  Plexus-Lähmung  theilt  Verf.  zunächst  eine  eigene  Beobachtung  dieser  seltenen 
Erkrankung  bei  einem  Erwachsenen  mit 


-      109    — 

Der  28j&lirige  Patient  war  im  Mai  1886  anf  die  linke  Schulter  gestfirzt  und 
hatte  gleich  nachher  motorische  und  sensible  L&hmungserscheinungen  im  ganzen 
Anne  bemerkt  Bei  einer  genaueren  Untersuchung  einige  Tage  später  Hess  sich 
dann  constatiren,  dass  beide  Supinatoren,  der  Biceps,  der  Brachialis  und  der  Deltoi- 
deus  gel&hmt  und  auch  bereits  etwas  qjtroplüsch  waren,  während  die  anderen  Mus- 
kehiy  sowie  die  Knochen  •  und  die  Gelenke  normal  erschienen.  Faradische  Beizong 
Yom  Erhaschen  Funkte  aus  ergab  Herabsetzung  der  indirecten  Erregbarkeit;  directe 
Heizung  ergab  ebenfalls  schwächere  Beactionen  über  den  gelähmten  Muskeln  als  rechts; 
galvanische  Beizung  löste  bereits  Entartungsreactionen  aus.  Die  Sensibilität  zeigte 
sieh  nur  auf  der  oberen  äusseren  Seite  des  Oberarms  in  einem  nicht  das  ganze  Ver- 
theilungagebiet  der  Hautäste  des  Axillaris  einnehmenden  Gebiet  herabgesetzt  resp. 
aufgehoben.  Druck  auf  die  Fossa  supraclavicularis  in  der  Bichtung  auf  den  Quer- 
fortsatz dos  sechsten  Halswirbels  war  schmerzhaft,  sonst  Alles  normal. 

Die  Behandlung  bestand  in  den  ersten  Tagen  in  galvanischer  Einwirkung  auf 
den  Plexus  und  in  Faradisation  der  Muskeln,  dann  nur  in  letzterer  und  in  Massage 
und  passiver  Gymnastik.  Nachdem  unter  dieser  Therapie  mehrere  Monate  vergangen, 
die  Atrophie  sogar  noch  zugenommen  hatte,  trat  eudlich  eine  Besserung  und  nach 
2  Monaten  vollständige  Wiederherstellung  der  Fnnctionsfähigkeit  ein. 

Eine  centrale  Läsion  war  mit  Bücksicht  auf  die  eingetretene  Atrophie  und  Ent- 
artungsreaction,  eine  Erkrankung  der  Armnervenstämme  aus  anatomischen  und  ätio- 
logischen Gründen,  eine  Poliomyelitis  wegen  der  verhältnissmässig  doch  nicht  bedeu- 
tenden Atrophie  und  wegen  der  Mitbetheiligung  sensibler  Nervenäste  auazuschliessen. 
Bs  blieb  also  als  Ursache  der  Lähmung  nur  eine  Läsion  des  Plexus  resp.  eines 
Theiles  der  zu  seiner  Bildung  zusammentretenden  Bückenmarksnerven  übrig  und  da 
Erb  (bekanntlich  zuerst)  gefunden  hat»  dass  man  von  einer  circumscripten  Stelle  in 
der  Fossa  supraclavicularis  (dem  Austritt  des  Cervicalis  VI  zwischen  den  beiden 
Scalenis  entsprechend)  den  Deltoideus,  Biceps,  Brachialis  und  die  Supinatoren  zu 
reixen  vermag,  ohne  dass  irgend  ein  anderer  Muskel  mit  in  Zuckung  versetzt  würde^ 
80  muss  sich  der  Sitz  der  Läsion  im  vorliegenden  Falle  an  einer  dem  Erhaschen 
Punkte  benachbarten  Stelle  des  Plexus  brachialis  befinden. 

Hoedemaker,  ¥6r6  und  in  neuester  Zeit  Herringham  haben  denn  auch  den 
anatomischen  Nachweis  geführt,  dass  die  in  Frage  kommen  könnenden  Nerven  sämmt- 
lieh  dem  5.  oder  6.  Cervicalis  entstammen.  Die  Diagnose  einer  Lähmung  in  Folge 
traumatischer  Neuritis  in  den  Plexuswurzeln  aus  dem  5.  und  6.  Cervicalnerven,  also 
einer  sogenannten  oberen  Plexuslähmung,  dürfte  daher  keinem  Zweifel  unterligen. 

Zum  Schluss  führt  Verf.  noch  2  Beobachtungen  von  Plexuslähmung  in  Folge 
von  Verletzung  bei  der  Geburt,  was  ja  die  häufigste  Entstehungsursache  ist,  und 
einen  dritten  (Nr.  U)  an,  in  dem  die  Veranlassung  zur  Lähmung  nicht  ganz  klar 
ist,  da  die  Geburt  des  kleinen  Patienten  angeblich  ohne  besondere  Schwierigkeiten 
vor  sich  gegangen  war,  so  dass  an  eine  rheumatische  oder  reflectodsch  bedingte 
Lähmung  gedacht  werden  könnte.  Sommer. 


7)  A  caae   of  paralysis  from  pressure  on  the  flfth  and  slxth  oervical 
nerves,  by  C.  E.  Beevor.    (The  Brit.  med.  Joum.  1887.  July  23.  p.  177.) 

Eäne  36jährige  Frau  schläft  auf  dem  linken  Arm,  der  auf  einem  Tisch  liegt, 
5  Stunden  lang.  Der  Arm  sinkt  herab,  und  nun  liegt  die  linke  Qalsfläche  auf  einer 
scharfen  Tischkante.  Beim  Erwachen  ist  der  Arm  eingeschlafen,  Formication  darin. 
Finger,  Daumen,  Handgelenk  können  bewegt  werden,  aber  Flexion  des  Vorderarms, 
Botation  desselben.  Ab-  und  Adduction  des  Humerus  sind  gelähmt.  —  5  Tage  nachher 
zeigt  die  Untersuchung  leichte  Anästhesie  des  Daumens,  am  Deltoideus  und  der  hintern 
Schulter,  auch  vom  an  der  Brust;  nach  oben  ist  vom  die  Grenze  der  Band  des 
St.  cl.  mastoideus,  nach  hinten  der  Trapezius.  Der  durch  die  Tischkante  verursachte 


110    - 

Drack  hatte  stattgefonden  2^1^  Zoll  oberhalb  der  Clavicnla  längs  dem  hinteren  Bande 
des  St  cL  mastoidens.  Paralysirt  waren:  Sapinator  longas  und  brevis,  Biceps,  Brachialis 
intern.,  Deltoid.,  Snpra-  und  Infraspinatns,  Teres  roinor,  die  claviculare  Portion  des 
Fectoralis;  paretisch  waren:  Trapezius,  Bhomboidei,  Teres  major,  Subscapularis.  Nicht 
betbeiligt:  Triceps,  Serratas  magnus,  Latissimus  dorsi  nnd  der  Best  des  Fectoralis 
major.  —  Faradische  Erregbarkeit  gänzlich  fehlend  im  Sap.  longas,  herabgesetzt  im 
Biceps,  Brach,  int.,  Deltoidens.  (Die  detaillirten  Untersachnngsangaben  werden  hier 
fibergangen.)  Kach  3  Monaten  schwindet  allmäblich  die  Anästhesie.  Alsdann  stellt 
sich  allmählich  wieder  Contraction  der  Muskeln  (Flexion)  ein,  diese  aber  schwach 
und  unter  Mitbewegung  sonst  nicht  nöthiger  Nachbarmuskeln.  Nach  7  Monaten  be- 
stand noch  eine  Schwäche  bei  der  Humerus-Abduction.  Die  faradische  Erregbar- 
keit war  alsdann  zurQckgekehrt 

Nach  B.  ist  dieser  Fall  der  erste  in  England  beobachtete,  in  Anschloss  an 
mehrere  der  Art,  welche  deutsche  Autoren  (Erb,  Hoedemaker,  Bernhardt, 
Bemak  u.  A.)  publicirt  haben.  Die  Aetiologie  in  diesen  Fällen  der  gen.  Autoren 
wies  auf:  Trauma  durch  Fall,  peripherische  Neuritis,  Carcinom  der  Drfisen  nnd 
Wirbel,  ein  Band  über  die  Schulter,  an  welchem  ein  schweres  Gewicht  hing;  aber 
in  keinem  dieser  Fälle  war  der  Ort,  wo  der  Druck  wirkte,  so  scharf  gekennzeichnet 
und  abgegrenzt,  wie  in  diesem  hier  referirten,  da  die  scharfe  Tischkante  ausschliess- 
lich den  5.  und  6.  Cervicalnenren,  mit  völliger  Integrität  der  unterhalb  befindlichen 
Wurzeln,  gedrückt  und  getroffen  hatte.  Die  Wichtigkeit  des  Falles  liege  darin,  dass 
die  Wirkung  einer  Verletzung  der  cerricalen  Wurzeln  des  Bflckenmarks  vor  ihrem 
Eintritt  in  den  Plex.  brachialis  dadurch  demonstrirt  werden  könne.  Auch  könne 
daraus  erschlossen  werden,  dass  jeder  vordere  spinale  Nerv  dieselbe  Function  trage, 
als  derjenige  Bflckenmarks- Abschnitt,  welcher  dessen  motorische  Zellen  in  dem  Yorder- 
hom  der  grauen  Substanz  enthalte.  Man  wird  daraus  auf  die  motorische  Function 
jener  verschiedenen  Bückenmarks-Abschnitte,  welche  die  Verbreiterung  des  Cervical- 
theiles  des  Bückenmarks  bewirken,  weiter  schliessen  dflrfen. 

Die  Behandlung  bestand  in  täglicher  Galvanisation;  der  negative  Pol  auf  die 
afficirten  Muskeln.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

8)  De  la  tempiratore  centrale  dans  röpilepsle,  par  Bourneville.  (Arch. 
de  Neurol.  1887.  XIII.  p.  209.) 

B.  wendet  sich  gegen  Witkowski,  welcher  (Berl.  klin.  Woch.  1886.  Nr. 43  n. 44)^ 
die  Angaben  der  Pariser  auf  Grund  seiner  Beobachtungen  angefochten  hat  Während 
Witkowski  fand,  dass  in  den  einzelnen  Anfällen  der  Epileptiker  die  Temperatur  fflr 
gewöhnlich  nicht  erhöht  sei,  nur  im  Stadium  der  gehäuften  Anfälle  (6tat  de  mal), 
sucht  B.  auf  Grund  neuer  Tabellen  darzuthun,  dass  die  einzelnen  Anfälle  der  Epi- 
leptiker die  Temperatur  sehr  wohl  erhöhen  und  dass  diese  Erhöhung  zwischen  ^/^^ 
und  1V2  ^fskd  schwankt,  im  Mittel  5 — 6  Decigrade  beträgt,  dass  aber  Ausnahmen 
und  Irregularitäten  bei  dem  Verhalten  der  Temperatur  vorkommen.  (Die  Arbeit  ist 
ein  Theil  aus  dem  Jahresbericht  über  die  Abtheilung  der  Epileptiker  im  BicStre 
pro  1886.)  Siemens. 

Psychiatrie. 

9)  Sopra  un  oaso  di  demenza  paralitioa  in  individuo  affetto  da  atrofla 
mascolare  progressiva,  per  il  Dott.  B.  TambronL  (Bivista  sperimentale  di 
Freniatria  ecc.  1887.  XIII.  p.  184.) 

Ein  bemerkenswerther  Krankheitsfall,  in  dem  zu  einer  seit  2  Jahren  bestehen- 
den progressiven  Muskelatrophie  als  terminale  Erkrankung  paralytisches  Irresein 
hinzugetreten  ist. 

»  Cf.  d.  Ctrlbl.  1887.  S.  60. 


-   111     - 

■ 

Seit  2  Jahren  hatten  sich  bei  dem  zur  Zeit  der  Aafnahme  46j&hrigen  Patienten 
die  ersten  Zeichen  von  Maskelatrophien  an  der  linken  Hand  gezeigt  nnd  allmäblich 
80  bedeutende  Fortschritte  gemachti  dass  er  in  seinem  Berafe  nicht  mehr  thätig  zn 
sein  vermochte;  bald  war  ihm  auch  eine  allgemeine  Einbusse  der  Körperkräftei  be- 
sonders anf  der  linken  Körperh&lfte,  aufgefallen.  6  Monate  vor  der  Aufnahme  wurde 
er  plötzlich  von  einer  fieberhaften  Erkrankung  mit  heftigen  cerebralen  Symptomen 
ergriffen,  nach  wenigen  Tagen  allerdings  wieder  hergestellt,  aber  eine  geistige  Schwäche 
ond  allgemeine  Arbeitsunfähigkeit  war  doch  unverkennbar.  Nach  einigen  Monaten 
brach  ein  neuer  Fieberanfall  mit  ähnlichen  Symptomen  und  demselben  kurzen  Verlauf 
aus,  der  aber  diesmal  eine  so  bedeutende  geistige  Störung  hinterliess,  dass  die  Auf- 
nahme des  Patienten  in  eine  Irrenanstalt  nothwendig  wurde.  Hier  konnte  bedeutende 
geistige  Schwäche  mit  Erinnerungsdefecten,  Verwirrtheit  und  Reizbarkeit,  sowie  Sprach- 
störung, Pupillendifferenz  (l.>r.),  rechtsseitige  FacialisparesOy  Tremor  der  (Gesichts- 
und  Zongenmusculatur  und  endUch  Atrophie  des  linken  Stemocleidomastoideus,  der 
Interossei  und  der  Daumenmuskeln  mit  Herabsetzung  der  faradischen  und  galvanischen 
Huskelerregbarkeit  und  mit  Andeutungen  von  Entartungsreaction  constatirt  werden. 
Ohne  dass  noch  besondere  Veränderungen  eingetreten  wären,  starb  Patient  2  Monate 
später  in  einem  paralytischen  Anfall. 

Die  Section  ergab  chronische  Meningitis  und  Periencephalitis  der  Convexität, 
sowie  Atrophie  der  motorischen  Zellen  der  Vorderhömer,  besonders  ausgesprochen  im 
linken  Cervicalmark  mit  sklerotischen  Processen  und  Amyloideinlagerungen  in  der 
grauen  Substanz,  und  ausgebreitete  Bindegewebswucherungen  und  Sklerosen  in  den 
vorderen  Seitensträngen;  die  Hinterstränge  waren  frei  geblieben.  Es  entsprach  also 
der  Sectionsbefund  vollkommen  der  Diagnose  einer  (zeitlich  secundären)  Dementia 
paralytica  und  (primären)  Mnskelatrophie.  Sommer. 


10)  Demensa  paralitica  in  un  imbecille  epilettico,  pel  Dott.  C.  Sighicelli. 
(Archiv,  ital.  per  le  mal.  nervös,  ecc.  1887.  XXIV.  p.  486.) 

Fall  von  terminaler  Paralyse  (classische  Form  mit  ausgebildetem  Grössenwahn 
und  mit  den  charakteristischen  Störungen  der  Motilität  und  der  Sprache)  bei  einem 
von  Kindheit  an  imbecillen  Menschen,  der  ausserdem  noch  lange  Zeit  hindurch  epi- 
leptisch gewesen  war.  Bemerkenswerth  ist  es,  dass  sich  im  vorliegenden  Fall  der 
Patient  bereits  6  Jahre  in  der  Irrenanstalt  befunden  hatte,  ehe  sich  die  paralytischen 
Symptome  zu  entwickeln  begonnen  hatten;  einen  ähnlichen  Fall  (Paranoia  und  Para- 
lyse) hat  übrigens  Bef.  in  der  Allg.  Ztschr.  f.  Psych.  Bd.  XLII  mitgetheili 

Hereditäre  Belastung  war  auszuschliessen;  leider  hat  Verf.  weder  das  genaaere 
Alter  des  Patienten,  noch  die  Frage,  ob  eine  frühere  luetische  Infection  nachzuweisen 
gewesen  sei,  erwähnt.  Sommer. 


Therapie. 


11)  Die  otonirgische  Behandlung  von  Himkrankheiten,  von  Prof.  Dr.  Ernst 
V.  Bergmann.    (Sep.-Abdr.  aus  v.  Langenbeck^s  Arch.  1888.  Bd.  XXXVI.  H.  4.) 

Die  vorliegende  Arbeit  erscheint  uns  als  Markstein  in  der  in  der  neueren  Zeit 
praktisch  so  hochwichtig  gewordenen  Frage  von  dem  Eingreifen  des  Chirurgen  in 
das  verletzte  Gehirn.  Nicht  der  chirurgische  Specialist  ist  es,  der  jenen  Markstein 
setzt,  sondern  der  Arzt,  der  mit  der  genauesten  Kenntniss  der  Physiologie  und  Patho- 
logie des  Hirns  die  Kunstfertigkeit  verbindet,  das  fest  verschlossene  Organ  dem  Auge 
biossiegen  zu  können.  So  nimmt  es  nicht  Wunder,  dass  der  Verf.  sowobl  dem  Neuro- 
pathologen  gegenüber,  der  mit  der  sicheren  oder  vermeintlich  sicheren  Diagnose  des 
Krankheitsheerdes  im  Gehirn  dem  Chirurgen  Trepan  und  Meissel  in  die  Hand  drOcken 


-     112     - 

will,  wie  dem  Chirurgen  gegenüber,  der  die  Eröfihung  der  Höhle  der  Dura  maier 
als  etwas  Irrelevantes  bezeichnet  und  zufrieden  ist,  wenn  der  Kranke  nicht  der  Ope- 
ration oder  ihren  unmittelbaren  Folgen  erliegt^  klar  und  scharf  die  Indicaüonen  pr&- 
cisirt,  unter  denen  bei  dem  jetzigen  Stande  unserer  Kenntnisse  von  den  krankhaften 
Vorgängen  im  Hirn  und  ihrem  Sitze,  wie  bei  den  augenblicklichen  Verhältnissen  der 
chirurgischen  Technik  die  Himchirurgie  berechtigt  ist 

Nur  wenige  und  ausgewählte  Fälle  empfiehlt  er  zur  Zeit  ihrer  Thätigkeit,  wenn 
er  auch  für  die  Zukunft  Vieles  und  Grosses  von  ihr  hofft. 

Die  Arbeit  behandelt  nach  einander  1.  die  tiefen  Himabscesse,  2.  die  (Geschwülste 
des  Gehirns,  3.  die  Epilepsie. 

Was  die  ersteren  betrifft,  so  ist  gegen  die  Trepanation  zum  Zwecke  der  Ent- 
leerung der  intracraniellen  Eiteransammlung  nur  die  Schwierigkeit  der  Diagnose  anzu- 
führen. Die  letztere  inrd  vor  Allem  begründet  durch  die  Aetiologie,  und  nur  „bei 
den  traumatisch  bedingten  und  den  durch  eine  Ohren-  oder  anderweitige  Knochen- 
eiterung erzeugten  Fällen  ist  auf  Erfolg  zu  rechnen."  Die  Symptome,  welche  für 
die  Diagnose  von  Wichtigkeit  sind,  können  sein 

1.  solche,  welche  von  der  Eiterung  abhängig  sind  (besonders  anfallsweise  auf- 
tretendes Fieber); 

2.  solche,  die  einen  gesteigerten  intracraniellen  Druck  und  störende  intracranielle 
Verschiebungen  anzeigen  (Kopfschmerz  mit  regelmässigen  Exacerbationen 
während  der  Fieberzeiten  des  Kranken,  zuweilen  fixirt  und  an  der  Stelle 
des  Abscesses  localisirt;  die  übrigen  Druck-  und  Stauungserscheinungen,  auch 
die  Stauungspapille  sind  seltener  und  wechseln  häufig); 

3.  die  Heerdsymptome,  welche  letztere  sowohl  für  die  Diagnose,  wie  für  den 
Ort  des  operativen  Eingriffs  selbstverständlich  von  grösster  Bedeutung  sind. 
Hier  behandelt  nun  der  Verf.  die  einzelnen  Lappen  der  Hirnrinde  und  ihre 
Bedeutung  für  die  Localisation,  berücksichtigt  auch  das  Kleinhirn;  entsprechende 
Fälle  werden  eingefügt. 

Aber  auch  ohne  Heerdsymptome  kann  aus  dem  vorangegangenen  Trauma  und 
der  Reihenfolge  in  der  Entwickelung  der  secundären  Erscheinungen  die  Diagnose 
zuweilen  gestellt  werden;  zwei  Fälle  aus  der  Litteratur  wie  eine  eigene  Beobachtung 
des  Verf.  beweisen  dies. 

Was  die  Geschwülste  des  Gehirns  betrifft,  so  glaubt  Verf.,  „dass  die  Chirurgie 
derselben  weniger  Aussicht  auf  Erfog  und  deswegen  eine  schlechtere  Zukunft  hat, 
als  die  der  endocraniellen  Eiterungen."  Sehr  interessant  ist  die  diesen  Schluss 
begründende  kritische  Zusammenstellung  von  11  Fällen,  in  welchem  die  Eröffnung 
der  Schädelhöhle  ausgeführt  wurde,  um  eine  intracranielle  Geschwulst  zu  entfernen. 
Drei  davon  (zwei  von  Mac  Ewen  und  einer  von  Birdsall)  waren  nicht  gehörig 
begründet  und  hätten  unterlassen  werden  müssen,  bei  den  übrigen  acht  ist  nur  in 
einem  Falle  (Horsley)  eine  noch  nach  4  Monaten  vorhandene  Genesung  zu  con- 
statiren  gewesen.  Von  den  4  Horsley*schen  Patienten  ist  einer  dem  operativen  Ein- 
griff erlegen,  dagegen  sind  die  von  Bennett,  Godle,  Hirschfelder  und  Birdsall  s&mmt- 
lich  an  den  Folgen  der  Operation  gestorben. 

Als  Gefahren  derselben  werden  besonders  hervorgehoben  1.  die  Blutung,  2.  ein 
acutes  und  schnell  tödtliches  Himödem. 

Für  die  Lehre  vom  Himdruck  mag  hier  noch  ein  von  dem  Verf.  erwähntes 
Symptom  besonders  hervorgehoben  werden.  Man  findet  bei  Hirntumoren  mitunter 
Verdünnung,  ja  wirkliche  Lücken  und  Defectbildungen  in  den  Schädelknochen,  welche 
nicht  durch  Usurirung  des  Knochens  durch  die  Geschwulst  entstanden  sind,  da 
zwischen  Schädel  und  Geschwulst  noch  Himsubstanz  lag;  sie  sind  Folge  der  Zunahme 
der  Spannung  des  Liquor  cerebro-spinalis,  welche  einzelne  Knochenabschnitte  beson- 
ders schädigen  kann. 


—     113    — 

Was  endlich  die  Epilepsie  betrifft,  so  trennt  Yerf.  die  Fälle  von  reiner  trau- 
matischer Bindenepilepsie  von  denen,  in  welchen  das  klassiBche  Bild  der  Epilepsie  vor- 
handen ist  Nnr  fttr  erstere  hält  er  die  chirurgische  Hfllfe  für  indidrt,  wenn  auch 
in  einem  eigenen  und  einem  Fall  von  Horsley  ein  Erfolg  nicht  eintrat 

Wir  stimmen  dem  Verf.  vollständig  bei,  wenn  er  ausspricht,  dass  der  grteste 
Theil  jener  Mittheilungen,  die  sich  auf  Heilung  eines  Epileptischen  durch  die 
Trepanation  beziehen,  jedenfalls  niedergeschrieben  worden  ist,  ehe  noch  die  Wunde 
geheilt  war. 

Bei  Arbeiten,  wie  der  vorliegenden,  hat  der  Referent  nur  die  Pflicht,  auf  sie 
aufmerksam  zu  machen;  deswegen  die  vorstehenden  kurzen  Bemerkungen.  Ein  Aus- 
zog soll  und  kann  auch  nicht  des  Lesens  der  Schrift  selbst  überheben.  In  diesem 
Falle  kommt  noch  dazu,  dass  eine  blühende  Sprache,  nie  sie  nur  sehr  selten  eine 
medicinische  Arbeit  auszeichnet,  die  Leetüre  zu  einem  Genuss  macht  M. 


12)  Emiparesi  progressiva  sinistra  inisiatasi  due  mesi  dopo  di  un  trauma 
alla  regione  parietale  destra  e  giunta  ad  emiplegia  completa,  pel  Prof. 
Änt  Ceci,  Genova.    (Rivista  diu.  1887.  Settembre.) 

Ein  52jähriger  Mann  stürzte  einige  Meter  hoch  herab  mit  dem  rechten  Scheitel- 
bein auf  einen  spitzen  Stein;  er  war  2  Stunden  bewusstlos.  Eine  oberflächliche 
Qoetschwunde  heilte  rasch  und  bis  auf  einen  vorzugsweise  rechtsseitigen  Stimkopf- 
schmerz  fühlte  sich  Pat.  2  Monate  lang  wohl.  Dann  stellte  sich  Schwäche  der  linken 
Hand  ein,  der  bald  linksseitige  Hemiparese  folgte.  Auf  sensiblem  Gebiet  war  nur 
die  Berührongsempfindlichkeit  im  linken  Arm  etwas  vermindert  9  Tage,  nachdem 
die  Schwäche  der  Hand  bemerkt  worden  war,  bestand  bereits  eine  absolute  halb- 
seitige Lähmung.  Zunge,  Zäpfchen  und  Gesicht  waren  betheiligt,  der  Urin  ging 
unwillkürlich  ab,  der  Pols  war  verlangsamt,  die  Temperatur  normal,  Cheyne-Stocke*- 
sches  Athmen,  das  Schlucken  erschwert;  Pat  lag  in  tiefem  Sopor,  ab  und  zu  bewegt 
er  die  rechten  Glieder. 

Die  Diagnose  ward  auf  Himabscess  in  Folge  von  Splitterfractur  der  Lamina 
Titrea  gestellt  und  Trepanation  vorgenommen  an  der  Stelle  einer  palpabeln  Knochen- 
depression auf  dem  rechten  Scheitelbein.  Die  Lamina  vitrea  erwies  sich  intact, 
die  Dura  war  schwarzroth  durchscheinend,  Pulsationen  fehlten.  Nach  Anlegen  einer 
zweiten  Trepanöffhung  spaltete  C.  die  Dura.  Ein  Löffel  voll  flüssigen,  zum  Theil  ge- 
ronnenen Blntes  entleerte  sich.  Darunter  zeigten  sich  Pia  und  Himoberfläche  suf- 
fondirt  Immer  noch  in  der  Erwartung,  einen  Abscess  zu  finden,  machte  P.  erst 
4  Probepunktionen  mit  der  Pravaz*schen  Spritze,  dann  6  mit  einem  feinen  Trokar 
bis  zu  3  cm  Tiefe:  Kein  Eiter  fand  sich.  Die  Wunde  ward  geschlossen.  Höchste 
Temperatur  38,3  am  4.  Tage,  ab  und  zu  noch  comatöse  Zustände,  bis  auf  ein 
Drainageloch  prima  intentio.  Nach  13  Tagen  konnte  Pat  das  linke  Bein,  nach 
15  Tagen  den  linken  Arm  wieder  etwas  bewegen.  Nach  einem  Jahre  war  höchstens 
noch  im  linken  Zeigefinger  eine  leichte  Schwäche  und  Unbeholfenheit  bemerklich. 

Die  erste  Trepanöfifhung  entspricht  dem  mittleren  Drittel  des  G.  centralis  ant 
(4,8  cm  von  der  Pfeilnaht  entfernt),  die  zweite  dem  Fnss  der  zweiten  Stimwindung. 
C.  umfasst  den  Fall  als  „chronische  hämorrhagische  Pachymeningitis  mit  Betheiligung 
der  tieferliegenden  Membranen."  Intra  vitam  musste  ein  Abscess  angenommen  werden. 
Speciell  macht  C.  noch  auf  die  Berechtigung  multipler  Probepunktionen  mit  dem 
Trokar  statt  der  Pravaz*schen  Spritze  aufmerksam.  Th.  Ziehen. 


13)  Gase   of  oerebellar  tumour;  Operation;  death  trom  shook»  by  C.  W. 

Suckling.     (The  Lancet  1887.  VoL  IL  Nr.  14.) 
Bei  der  geringen  Anzahl  von  (}eschwulstoperationen  des  Kleinhirns  (Bennett, 
Victor  Horslej)  verdient  vorliegender  Fall  der  Erwähnung. 


—    114    — 

Bei  einem  12jährigen  hereditär  belasteten  Mädchen  zeigten  sich  ca.  2  Jahre 
vor  seinem  Tode  Kop&chmerz  und  häufiges  Erbrechen  am  Morgen;  dann  trat  Schwäche 
im  rechten  Arm  und  Bein  auf,  und  der  nun  über  dem  rechten  Auge  localisirte  Kopf- 
schmerz nahm  an  Intensität  zu.  Es  stellten  sich  weiterhin  Pupillendifferenzen,  Läh- 
mung  der  Abducentes,  Diplopie,  Sehschwäche,  Schwindelerscheinungen,  schwanlkender 
Gang,  Intentionszittem  der  rechten  Hand  ein. 

Die  motorische  Kraft  ist  im  rechten  Arm  herabgesetit.  Parese  des  rechten 
Beines.  Der  linke  Conjunctivalreflex  fehlt.  Linksseitige,  peripherische  Fftcialisparese, 
Entartungsreaction  nachweisbar.  Deviation  der  herausgestreckten  Zunge  nach  rechts. 
Beiderseits  intensive  Neuroretinitis,  Nystagmus  bei  Bewegungen  des  Bulbus.  Die  Be- 
wegung des  linken  Auges  nach  aussen  ist  beschränkt,  die  Abduction  des  rechten 
unmöglich.  Erdphosphate  im  Urin  vermehrt.  Man  nahm  auf  diese  Symptome  hin 
einen  Tumor  cerebelli  und  zwar  bei  dem  mangelnden  Nachweis  von  Syphilis  und 
Scrofulose  ein  Gliom  an,  welches  durch  Druck  auf  den  linken  Theil  des  Pens,  auf 
den  linken  Facialis  und  die  beiden  Abducenten  die  geschilderten  Paresen  hervor- 
brachte. Bei  der  Operation  fand  sich  eine  verbreitete  Erweichung  im  linken  Klein- 
himlappen,  von  der  ein  Theil  entfernt  wurde.  Pat.  starb  48  Stunden  nachher  im 
Collaps.  Bei  der  Section  ergab  sich  die  Erweichungshöhle  mit  frischen  Blutcoagulis 
erftOlt  und  von  weichem,  vascularisirtem,  fleischrothem  Gewebe  umgeben,  das  sich 
mikroskopisch  als  Gliom  ergab.    Dajsselbe  erreichte  auch  die  Mittellinie. 

J.  Ruhemann  (Berlin). 

14)  Bemoval  of  cerebral  tumour,  by  J.  Hughlings  Jackson.  (The  Brit  med. 
Joum.  1887.  Nov.  5.  p.  997.) 

J.  stellt  in  der  Londoner  med.  Gesellschaft  einen  21jährigen  Patienten  vor,  der 
seit  1884  an  schweren  und  leichten  epileptischen  Anfällen  litt,  die  im  linken  Daumen 
anfingen.  Zwar  war  kein  auf  Gehinitumor  weisendes  Anzeichen  vorhanden,  aber 
dennoch  wurde  ein  solcher  vermuthet  und  der  Schädel  geöffnet  Victor  Uorsley, 
der  voriges  Jahr  die  betreffende  Operation  ausführte,  fand  einen  Tumor  in  der 
rechten  Hemisphäre,  entfernte  denselben  und  ebenfalls  einen  Theil  des  „Daumen- 
Centrums". 

Die  epileptischen  Anfalle  haben  seitdem  an  Zahl  und  Intensität  abgenommen. 
Tor  der  Operation  hatte  Patient  16  Anfalle  in  13  Tagen;  seit  der  Operation  über- 
haupt nur  11  und  zwar  nur  schwache,  worunter  nur  einen  mit  Bewusstseinsverlusi 

L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

16)   Oase  of  Paehymeningitis  interna  with   haemorrhage  and  temporary 
reUef  by  trephining.     (The  Brit.  med.  Joum.  1887.  AprO  23.  p.  877.) 

Im  Edinburger  Hospital,  Abtheilung  von  Grainger  Stewart,  wurde  der  44jähr. 
Eohlenträger,  der  über  Kopfweh,  Schwäche  in  den  Gliedern  und  Unfähigkeit  zu  gehen 
klagte,  aufgenommen.  7  Wochen  vor  der  Aufnahme  war  er  mit  dem  Hinterkopf  auf 
einen  harten  Gegenstand  aufgeschlagen,  für  Augenblicke  bewussüos,  doch  rasch  er- 
holt, wenn  auch  etwas  schwindelig.  Er  arbeitete  noch  14  Tage,  konnte  dann  aber 
nicht  mehr  wegen  heftigen  Kopfschmerzes  und  Schwindel.  Am  Kopf  war  nichts  zu 
sehen.  Rechte  Pupille  etwas  grösser  als  linke.  In  beiden  Augen  Neuritis  optica. 
—  Stehen  auf  einem  Beine,  oder  Gehen  in  gerader  Linie  war  nicht  ausführbar.  Die 
Diagnose  wurde  gestellt:  Trauma  und  Verletzung  des  Kleinhirns  durch  directe  Gewalt 
und  der  Stimlappen  durch  Contrecoup.  —  Es  trat  alsbald  Erbrechen  ein,  schlechte 
Nächte,  Coma,  Aphasie  und  rechtsseitige  Hemiplegie. 

Annandale  trepanirte  über  dem  hinteren  Theile  der  3.  linken  Stirn  Windung. 
Die  Dura  zeigte  sich  adhärent  an  dem  Knochen,  wurde  mit  dem  erhobenen  Knochen- 
stücke geöffnet,  und  eine  Menge  anfangs  braunröthlicher,  dann  dunkelröthlicher  seröser 


—    115    — 

Fluflsigkeit  entleert  Diese  Flüssigkeit  lag  zwischen  Dura  und  Arachnoidea  und  er- 
wies  sich  als  Hämorrhagie  (mit  ungünstigerer  Prognose,  als  wenn  ein  Abscess  vor- 
handen gewesen  wäre). 

Zwar  trat  grosse  Besserung  in  Beziehung  auf  Intelligenz,  Sprache,  motorischQ 
Function  bei  dem  Patienten  ein.  Indessen  machte  die  bestehende  Entzündung  Fort- 
schritte, Erbrechen,  Coma,  Lähmung  traten  wieder  ein  und  7  Tage  nach  der  Opera- 
tion Tod.  —  Ein  ausführlicher  Obductionsbericht,  der  hier  übergangen  wird.  Lepto- 
meningitis  war  der  Entzündung  der  Dura  gefolgt.  In  der  Epikrise  wird  dis  Berech- 
tigung der  Operation  naher  motivirt.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


16)  Glioma  of  fhe  right  temporal  lobe  with  interourrent  haemorrhage.  A 
oase  in  whioh  the  question  of  trephining  was  oonsideved  and  decided 
against,  by  Dr.  Ch.  K.  Mills  and  G.  A.  Bodamer.  (Jonmal  of  nervous  and 
mental  disease.  1887.  XIY.  pi  716.) 

Ein  12jährige8  Mädchen  stürzte  im  September  1886  von  einer  Treppe,  so  dass 
es  10  Minuten  bewusstlos  liegen  blieb.  Bald  darauf  klagte  sie  über  Kopfschmerzen 
und  gelegentlich  über  Nasenbluten  und  zweimal  litt  sie  in  dem  folgenden  Winter 
an  Ohrenentzündung.  Im  April  1887  wurde  sie  der  zunehmenden  Kopfschmerzen 
wegen  einem  Krankenhause  überwiesen.  Hier  konnte  constatirt  werden  spontaner 
sowie  durch  Druck  oder  Percussion  leicht  hervorzurufender  Schmerz  in  der  rechten 
Schläfe,  Dilatation  der  rechten  Pupille,  rechtsseitige  Stauungspapille,  sowie  Herab- 
setzung der  Seh-  und  Hörschärfe,  die  indess  nicht  genauer  bestimmt  werden. 

Als  ganz  unerwartet  am  29.  April  Benommenheit,  Paralyse  der  linken  Extremi- 
täten, rechtsseitige  Facialisparese  (oder  linksseitiger  Facialiskrampf )  und  Andeutungen 
einer  Articulationsstömng  der  Sprache  eintraten,  wurde  zunächst  an  das  Vorhanden- 
sein eines  Tumors  oder  Abscesses  etc.  und  an  die  Ausführbarkeit  einer  Trepanation 
gedacht^  aber  in  Folge  der  Unmöglichkeit,  alle  Symptome  auf  einen  und  dazu  einer 
Operation  zuganglichen  Heerd  zu  beziehen,  wieder  aufgegeben.  Schon  am  2.  Mai 
trat  der  Tod  ein. 

Die  Section  ergab  ein  grosses  gefässreiches  Gliom  im  Mark  des  rechten  Temporal- 
lappens mit  einer  frischen  Blutung  in  dasselbe.  Sommer. 


17)  Fall  af  tumör  i  hjerman  med  tlllf&Illg  f5rbftttring  efter  fSrsökt  ezstlr- 
paüon,  medd.  af  prof.  P.  J.  Wising  och  prof.  John  Berg.  (Hygiea.  1887.  XLIX. 
2.  3.  Sy.  läkaresälk.  fOrh.    S.  15.  17.) 

Ein  52  Jahr  alter  Mann  bekam  Ende  Mai  1886  plötzlich  Zuckungen  im  rechten 
Foss,  die  rasch  Yorübergingen,  danach  Gefühl  von  Taubheit  in  der  rechten  Hand, 
das  fortbestand.  Aehnliche  Anfälle  kehrten  in  den  nächsten  Tagen  wieder;  am  2.  Juli 
stellten  sieb  nach  einem  kitzelnden  Gefühle  am  ganzen  Körper  Zuckungen  in  der 
ganzen  recbt.en  Körperhälfte  ein,  Pat  verlor  das  Bewusstsein  und  bekam  ausgebreitete 
allgemeine  Krämpfe.  Solche  Anfalle  wiederholten  sich;  nach  einem  konnte  Pai  eine 
Zeit  lang  nicht  reden  und  den  rechten  Arm  nicht  bewegen,  in  dem  auch  einige  Male 
isolirter  Krampf  auftrat.  Das  rechte  Bein  wurde  paretisch,  sonst  aber  fanden  sich 
am  20.  Joli  keine  weiteren  Lähmungserscheinungen,  besonders  nicht  im  rechten  Arme; 
in  den  nächsten  Tagen  aber  stellte  sich  auch  an  diesem  Lähmung  ein  und  am 
1.  Angost  begann  Parese  des  rechten  N.  facialis,  auch  an  den  Muskeln  der  linken 
Bompfhalfte  zMgten  sich  Lähmungserscheinungen.  Seit  Beginn  der  Erkrankung  hatte 
Fat  fortwährend  an  Kopfschmerz  gelitten,  später  trat  wiederholt  dabei  Erbrechen 
auf.  Sensibilitätsstörungen  waren  nicht  nachweisbar.  Die  Krämpfe  wiederholten  sich, 
später  waren  auch  Zuckungen  in  der  rechten  Gesichtshälfte  vorhanden.    Das  Sen- 


—    116    - 

Burium  wurde  immer  mebr  benommen,  die  Sprache  gestört  und  am  1.  October  war 
vollständige  Aphasie  vorhanden.  Das  rechte  Ange  wich  nach  aussen  ab,  seine  Papille 
war  erweitert,  im  linken  bestand  Stauungspapille,  im  rechten  war  die  Papillengrenze 
nach  innen  verwaschen. 

Dass  es  sich  um  eine  Geschwulst  handelte,  konnte  nicht  zweifelhaft  sein.  Der 
Umstand,  dass  der  Krampf  in  den  beiden  ersten  Anf&llen  auf  die  rechte  ünterextre- 
mit&t  beschränkt  war  und  auch  in  den  späteren  Anfällen  in  dieser  zu  beghmen  pflegte, 
sowie  die  Lähmung,  die  zu  Anfang  im  rechten  Beine  isolirt  bestand,  sprachen  fOr 
Localisation  im  motorischen  Bindencentrum  für  die  untere  Extremität  oder  in  dessen 
nächster  Nähe  und,  nach  den  übrigen  Symptomen  zu  schliessen,  hatte  sich  der  Tumor 
wahrscheinlich  an  der  Stimoberfläche  ausgebreitet.  Die  Wiederholung  der  Krampf- 
anfälle und  mitunter  eintretende  geringe  Besserung  der  paralytischen  Symptome 
schienen  dafür  zu  sprechen,  dass  die  Leitung  von  der  Binde  aus  durch  die  corti- 
comusculären  Nervenbahnen  nicht  oder  wenigstens  nicht  vollständig  zerstört  war.  Da 
nun  der  Sitz  der  Geschwulst  sich  mit  sehr  grosser  Wahrscheinlichkeit  g^enaa  be- 
stimmen Hess  und  der  Zustand  des  Kranken  immer  schlechter  und  hofifoungsloser 
wurde,  schien  es  Wising  vollkommen  berechtigt,  einen  operativen  Eingriff  in  Er- 
wägung zu  ziehen,  der,  wenn  es  auch  nicht  dadurch  gelang,  die  Geschwulst  wirk- 
lich zu  ezstlrpiren,  doch  durch  Verminderung  des  Druckes  in  der  Schädelhöhle  die 
unmittelbar  drohende  Gefahr,  die  für  den  Fat.  vorlag,  abwehren,  die  Symptome  mil- 
dem und  das  Leben  verlängern  konnte. 

Die  Operation  wurde  am  3.  October  von  Prof.  Berg  ausgeführt  Mit  dem 
Meissel  wurde  ein  6  cm  langes  und  3  cm  breites  Stück  von  der  Hirnschale  entfernt, 
wodurch  ungefähr  die  oberen  zwei  Drittel  des  Sulcus  Bolandi  blossgelegt  wurden. 
Die  Dura  mater  erschien  vollkommen  normal  und  buchtete  sich  nicht  vor  in  die 
Operationsöfibiung;  nach  Durchschneidung  derselben  zeigten  sich  auch  die  weichen 
Hirnhäute  gesund,  die  Hirnrinde  aber  war  gelblich  grauroth  verfärbt  und  die  Gyn 
waren  nicht  deutlich  zu  erkennen,  die  Consistenz  war  vermehrt;  die  Veränderung 
erschien  sowohl  nach  den  Seiten  als  in  die  Tiefe  diffus,  ohne  deutliche  Begrenzung. 
Durch  wiederholtes  Abtragen  von  Himmasse  in  dünnen  Schnitten  wurde  die  weisse 
Substanz  blossgelegt,  die,  wenigstens  im  unteren  Theile  der  Wunde,  ein  gesundes 
Aussehen  hatte;  auch  davon  wurde  etwas  abgetragen,  ohne  dass  man  eine  Grenze 
zwischen  gesundem  und  krankem  Gewebe  entdecken  konnte.  Die  Blutung  war  un- 
bedeutend; aus  der  Gehimmasse  erfolgte  nur  parenchymatöse  Blutung,  die  mit  dem 
Thermokauter  gestillt  wurde,  aber  es  sehr  erschwerte,  zu  erkennen,  ob  gesundes  oder 
krankes  Gewebe  vorlag.  Da  sich  durchaus  keine  bestimmte  Grenze  des  krankhaften 
Gewebes  erkennen  Hess,  wurde  von  weiterer  Operation  abgestanden,  die  Durawunde 
zum  Theil  mit  Catgutsuturen,  die  Hautwunde  mit  Seidensuturen  vereinigt  Während 
der  ganzen  Operation  wurden  Irrigationen  mit  schwacher  (1:5000),  lauer  Snblimat- 
lösung  gemacht 

Schon  am  Abend  nach  der  Operation  zeigte  sich  deutliche  Besserung,  die  wei- 
tere Fortschritte  machte.  Die  motorischen  wie  die  psychischen  Störungen  nahmen 
allmählich  ab,  so  dass  Fat  am  20.  October  gut  sprechen  und  das  rechte  Bein  be- 
wegen konnte,  auch  der  Arm  erlangte  wieder  etwas  Beweglichkeit  Am  2.  Deoember 
war  die  Operationswunde  vollständig  geheilt  Anfang  December  begann  aber  die 
Sprache  wieder  schlechter  zu  werden,  Mitte  Deoember  war  Fat  wieder  vollständig 
aphaüsch,  die  rechten  Glieder  wurden  wieder  vollständig  gelähmt,  Sopor  stellte  sich 
ein,  schliesslich  innehmendes  Fieber  und  am  26.  December  erfolgte  der  Tod. 

Bm  der  Section  fand  sich  in  der  Operationsöl&iang  im  Schädel  eine  Feriost  mit 
Dara  vereinigende  Bindegewebsmembran,  unter  derselben  an  der  Oberfläche  des  Gehirns 
die  Geschwulst»  die  aus  dem  Sulcns  centralis,  nngeftbr  3  cm  von  dessen  unterem  Ende 
enIfiNmt,  hervordrang,  die  Gyn  centrales  nach  vom  und  hinten  ansttnander  dr&ngte 
und  deren  Snbstani  zerstört  hatte,  doi  oberen  Theü  des  vorderen  last  vollständig. 


—    117    ~ 

Difl  GesohinilBfc  hatte  m  der  Bicbtaag  von  vorn  nach  lünten  me  Ansdehnong  von 
5  cm,  weiter  mueh  unten  su  wurde  ilir  Umfimg  geringer;  immer  drang  sie  ans  dem 
SdcDs  centralis  hervor,  den  Lobniue  centralis  zusammendrückend,  sie  reichte  bis  zum 
Dach  des  Seiteoventrikels,  vcm  dem  sie  nur  durch  das  rOthlicb  verfärbte  lockere 
Ependjm  getroioit  war,  ihre  gesammte  Höhe  betrug  7  cm.  Bis  zur  Tiefe  von  1  cm 
TOB  der  Hhmoberfläche  aas  konnte  die  Geschwulst  in  ihrem  ganzen  Umkreis  mit 
Leichtigkeit  von  der  umgebenden  Himsubstanz  lospräparirt  werden,  weiter  nach  innen 
war  sie  intim  mit  dwsdben  vereinigt  Nach  der  mikroskopischen  Untersuchung  war 
die  Geschwulst  ein  Oliosarkom. 

Wising  hebt  in  der  Epikrise  hervor,  dsss  bei  der  Operation  die  Geschwulst 
an  der  schon  bestimmten  Stelle  gefunden  wurde,  aber  nicht  operirt  werden  konnte, 
dan  die  Operation  dem  Fat.  keinen  Schaden  brachte,  dass  vielmehr  die  Symptome 
danach  emo  lange  Zeit  bedeutend  gebessert  waren.  Die  Geschwulst  war,  als  die 
Operation  vorgenommen  wurde,  schon  so  ausgedehnt,  dass  sie  schwerlich  hätte  exstir- 
pirt  werden  können,  doch  ist  Wising  geneigt  zu  glauben,  dass  dies  zu  einer  früheren 
Zeit  vielleioht  möglieh  gewesen  sein  würde.  Walter  Berger, 


18)  Gase  of  exoiakm  of  ttunour  of  oeMbeUnm«  by  Bennet  May.  (TheLancet. 
1887.    Vol.  I.    No.  16.) 

Ein  7Jähriger  Knabe.  Aus  der  Familiengeschichte  ergab  sich  nur,  dass  ein 
Onkel  seines  Vaters  an  Fhthise  gelitten  hatte.  Die  Krankheit  des  Kindes  begann 
mit  dauerndem  Frontalkopfschmerz,  Erbrechen  und  gradueller  Abnahme  der  Sehkraft. 
Die  Untersuchung  ergab  nach  einigen  Monaten  Pnpillendifferenz,  prompte  Beaction 
des  Sphincters  auf  Licht  und  bei  Accommodation,  Deviation  conjugu6e  der  Augen  nach 
links,  Nystagmus,  Paralyse  des  rectus  extemus  dexter,  beiderseitige  Neuroretinitis 
mit  beinahe  absolutem  Verlust  der  Sehkraft,  schwankender  Gang,  Fehlen  des  recht- 
seitigen  Kniephänomens.  Sprache  verständig  und  klar,  Lungen  gesund.  Der  Gang 
wurde  immer  schlechter,  das  Stehen  unmöglich,  die  Blindheit  vollkommen. 

Die  Diagnose  lautete  anf  einen  tuberculösen  Tumor  der  rechten  Kleinhim- 
hemisphäre,  der  den  N.  abducens  comprimirt  hatte. 

Unter  strengen  antiseptischen  Maassnahmen  und  Ghloroformnarcose  begann  die 
Operation  mit  einem  nach  dem  Scheitel  zu  convex  verlaufenden  Schnitt,  welcher  von 
einem  Proc.  mastoid.  zu  dem  anderen  oberhalb  der  Frotuberantia  occipitalis  externa 
lief.  Befreiung  der  Schädelknochen  von  den  Welchtheilen,  Trepanation  eines  vier- 
seitigen Stückes  des  Knochens  oberhalb  vom  Foramen  occip.  magnum  und  rechts  von 
der  crista  occipital.  externa.  Oellhung  der  sich  extrem  vorbauschenden  Dura  mater. 
Die  gesund  aussehende  Kleinhimoberfläche  zeigte  an  einer  Stelle  eine  unbestimmte 
HIrte.  Daselbst  wnrde  mit  dem  Tenotom  eingeschnitten  und  mit  dem  Finger  ein 
Tumor  gefühlt,  der  sich  nach  der  Entnahme  eines  kleinen  Stückchens  als  tuberculös 
erwies.  Ansschälnng  der  mehr  als  Taubenei  grossen  Geschwulst  mit  dem  Stiel  eines 
Theelöfifels.  Keine  wesentliche  Blutung,  keine  Läsion  oder  Functionsstörung  des  Ge- 
hirns. Schlnss  der  Wunde,  Tod  durch  Shock  wenige  Stunden  nach  der  Operation. 
Kerne  Sedion.  J.  Buhe  mann  (Berlin). 

in.  Aus  den  Oesellsohaften. 

Aus  der  Berliner  modtoioiaQheii  Gtosellsohaft. 

Herr  L.  Lewin  hat  am  11.  und  25.  Januar  d.  J.  Mittheilungen  über  ein  neues 
Anästheücnm,  das  Hayagüt  resp.  das  Brythrophlaeln  gemacht,  welche  ein  be*> 
rechtigtes  Anftwhen  erregten.  Die  interessante  GFeschichte  der  Auffindung  des  Mittels 
flbeargehend  wollen  wir  nur  hervorheben,  dass  bisher  das  Erythrophlaein  hydrochlor. 
Merck  nur  ala  ein  Alktdoid  bekannt  war»  welohee  eine  der  Digitalis  ähnliche  Wir* 


—    118    — 

knng  besitzt,  Krämpfe  erzeug  und  in  einer  Dosis  von  0,02  gr  einen  Hnnd  tödtet. 
L.  fand  nun,  dass  eine  0,2  ^/^  Lösung,  bei  Kaninchen,  Katzen  nnd  anderen  Thieren 
in*s  Auge  gebracht,  eine  gewisse  Reizung  nnd  in  15 — 20  Minuten  eine  1 — 2  Tage 
anhaltende  Anästhesie  erzeugt;  stärkere  Lösungen  rufen  intensive  Keratitis  hervor. 
—  Wenn  man  Fröschen  im  Strychnin-Tetanus  eine  subcatane  Injection  einer  0,05 
bis  0,2^/(1^  Lösung  macht,  so  kann  man  von  dieser  Stelle  her  keinen  Anfall  mehr 
auslösen.  —  Nach  subcutenen  Injectionen  kann  man  die  Thiere  an  der  betreffenden 
Stelle  und  in  grosser  Tiefe  auf's  Aergste  misshandehi,  ohne  dass  sie  Schmerz  äussern, 
selbst  das  Peritoneum  anschneiden.  Bei  einem  grossen  Hunde  bewirkte  eine  0,05  ^/^ 
Lösung  eine  vollkommene  ünempfindlichkeit  der  Cornea  und  Conjunctiva;  die  Pupille 
wird  nicht  erweitert,  wenn  das  Präparat  rein  (ohne  Säure)  isi 

In  der  Sitzung  vom  8.  Februar  trat  Herr  Liebreich  den  Versuchen  und 
Resultaten  L.  Lewin's  entgegen.  Die  Winterfrösche  sind  häufig  inert;  locale 
Anästhesie  könne  man  in  der  von  Lewin  geschilderten  Weise  durch  Injection  zahl- 
reicher Stoffe  erzeugen,  z.  B.  mit  Eisenchlorid,  Ferrum  dialysatum,  Resorcin,  Aconitin. 
Der  Ausfall  reactiver  Bewegungen  werde  wahrscheinlich  nicht  durch  eine  entstandene 
Anästhesie,  sondern  durch  Paresen  bedingt.  —  Herr  Liebreich  hat  bei  4  Menschen 
Injectionen  von  0,005—0,0075  Erythrophlaein  gemacht,  und  wohl  Röthung  und  Ent- 
zündung, aber  keine  Anästhesie  danach  bemerkt,  resp.  nur  eine  ganz  geringe;  er  lasse 
eine  gewisse  anästhetische  Wirkung  dahingestellt;  aber,  wie  ihm  mitgetheilt,  haben 
Tweedy  und  Collins  in  England  bei  Applikation  auf  das  Auge  negative  Resultate 
gefunden. 

Herr  Lewin  wies  diese  Entgegnungen  unter  Berufung  auf  seine  zahlreichen 
xmd  sorgfältigen  Versuche  und  deren  positive  Ergebnisse  zurück. 

In  sehr  wirksamer  Weise  kam  ihm  hierbei  Herr  Schöler  zu  Hülfe,  der  Ver- 
suche am  menschlichen  Auge  mit  einer  0,2  ^/^  Erythr.-Lösung  (1 — 2  Tropfen)  ge- 
macht hat.  Er  fand  in  einem  Falle  schon  nach  5  Minuten,  im  Mittel  nach  15  bis 
23  Minuten  eine  vollständige  Anästhesie  der  Cornea  und  Conjunctiva,  welche  8  bis 
9  Stunden  anhielt;  anfängliche  Reizerscheinungen,  Brennen,  Hyperämie  etc.  verlieren 
sich  nach  35 — 40  Minuten,  aber  nach  etwa  2  Stunden  tritt  ein  leichter  Schleier, 
Interferenzerscheinungen,  leichte  Trübung  der  Cornea  auf,  Erscheinungen,  die  nach 
einigen  Stunden  nachlassen,  nach  9 — 11  Stunden  ganz  verschwunden  sind.  —  Bei 
Prüfung  mit  Nadeln  wird  jedoch  ein  geringer  Stichschmerz  gespürt.  —  Bei  Kanin- 
chen bleibt  die  Nickhaut  empfindlich,  während  Cornea  und  Conjunctiva  ganz  unem- 
pfindlich werden.  Herr  Schöler  erklärt  das  Erythrophlaein  im  Vergleich  zum  Cocain 
für  viel  stärker  und  anhaltender,  während  dieses  schneller  wirke.  —  Sphincter  pu- 
pillae und  die  Accommodation  bleiben  unbeeinfiusst.  Eingehend  setzt  Seh.,  entgegen 
einer  Bemerkung  von  Liebreich,  auseinander,  dass  eine  Beeinflussung  des  Sym- 
pathicus  durch  das  Erythrophlaein  nicht  stattfindet.  Er  vergleicht  die  Summe  der 
verschiedenen  von  ihm  gefundenen  Wirkungen  des  Erythrophlaein  auf  das  Auge  mit 
den  Anfängen  einer  Keratitis  neuroparalytica.  —  Uebrigens  meint  Seh.,  dass  für  den 
Augenarzt  die  Reizwirkungeu  des  Erythr.  nicht  in*s  Gewicht  fallen,  zumal  er  bei 
einer  Combination  von  Erythr.  mit  Cocain  ausgezeichnete  Erfolge  erzielt  habe,  vor- 
zügliche Anästhesie  ohne  Reiz  und  Schmerz  und  ohne  Schleier.  Auch  die  Iris  scheine 
besser  anästhesirt  zu  werden  von  Erythrophlaein  als  von  Cocain.  H  ad  lieh. 


lY.  Bibliographie. 

Grundlage  der  Diagnostik  der  Nervenkrankheiten,  von  P.  Rosenbach.   Mit 
58  Illustrationen.    (St.  Petersbui^.    Carl  Ricker 's  Verlag.    Russisch.) 

Das  unter  obigem  Namen  erschienene  Lehrbuch  ist  bestimmt,  Studirenden  und 
Aerzten  zur  Einführung  in  das  Studium  der  Nervenkrankheiten  zu  dienen.^  Es  ent- 


—    119    — 

hält  in  gedrftDgier  Fonn  eine  systematische  Darstellung  deijenigen  Thatsachen  ans 
der  Anatomie  nnd  Physiologie  der  nervösen  Gentralorgane  nnd  der  Semiotik  der 
Nerrenkrankheiten,  auf  welchen  die  klinische  Diagnose  letzterer  beruht.  Demgem&ss 
zerfallt  das  Bnch  in  drei  selbstst&ndige  Abschnitte. 

Der  erste  über  8  Bogen  starke  Abschnitt  enthält  die  Lehre  yom  Bau  des  Central- 
uervensystems  nebst  einer  kurzen  einleitenden  Schilderung  der  neurologischen  Forschungs- 
methoden. Das  anatomische  Material  ist  derartig  geordnet,  dass  in  jedem  einzelnen 
Capitel  (Rückenmark,  Terl&ngertes  Mark,  Brücke,  Tierhügel  u.  s.  w.)  Morphologie, 
histologischer  Bau  und  Verlauf  der  Leitungsbahnen  nacheinander  besprochen  werden. 
Hinsichtlicb  letzterer  Frage  folgt  Verfasser  vorzüglich  den  Angaben  Flechsig*8  mit 
Berücksichtigung  der  neuesten  Untersuchungen  in  diesem  Gebiete  von  verschiedenen 
Autoren,  anch  von  dem  Referenten. 

Die  anatomische  Beschreibung  ist  durch  42  Figuren  iUnstrirt;  unter  anderen 
ist  der  innere  Bau  des  Himstammes  durch  9  neue  halbschematisch  gehaltene  Ab- 
bildungen veranschaulicht. 

Der  zweite  Abschnitt  behandelt  auf  4  Druckbogen  die  Functionen  des  centralen 
Nervensystems.  Letzteres  ist  auch  hier  in  seine  einzelnen  Theile  zergliedert,  und  über 
jeden  derselben  sind  die  neuesten  wissenschaftlichen  Ergebnisse  sowohl,  als  die  ver- 
schiedenen herrschenden  Anschauungen  mitgetheilt.  Die  Resultate  der  Thierexperi- 
mente  finden  hauptsächlich  in  soweit  Erwähnung,  als  sie  zum  Verständniss  und  zur 
Verwerthnng  pathol(^ischer  Beobachtui^en  dienen  können. 

Das  Capitel  über  die  Function  der  Grosshimhemisphären  enthält  eine  ziemlich 
ausführliche  Begründung  der  Localisationslehre  nebst  Erörterung  der  Bedeutung  letz- 
terer für  die  Diagnostik  der  Gehimkrankheiten. 

Den  dritten  Theil  des  Boches  bildet  die  „Semiotik  der  Nervenkrankheiten  nebst 
den  klinischen  Untersuchungsmethoden  der  Nervenfunctionen".  Hier  werden  die 
Störungen  der  Sensibilität,  Reflexe,  Motilität,  elektrischen  Erregbarkeit,  Haut-  und 
Mnskelernfthrung,  Sprache  und  des  Bewusstseins  besprochen.  Bezüglich  jeder  Function 
siQd  ihr  normales  Verhalten,  die  Mittel  zu  ihrer  klinischen  Prüfung  und  die  diag- 
nostische Verwerthnng  ihrer  pathologischen  Zustände  kurz  auseinandegesetzt,  mit  Zu- 
grundelegung der  betreffenden  anatomischen  und  physiologischen  Daten. 

Li  einem  kurzen  Schlusscapitel  sind  die  vegetativen  Störungen  aufgeführt,  die 
für  die  Diagnose  von  Nervenkrankheiten  in  Betracht  kommen. 

Im  Allgemeinen  macht  das  Buch  einen  sehr  angenehmen  Eindruck.  Zum  beson- 
deren Verdienst  des  Autors  muss  die  musterhafte  Ausführung  gerechnet  werden. 

Bechterew. 


Pathologie  und  Therapie  der  Spraohanomalien,  für  Aerzte  und  Studirende,  von 
Bafael  Coön.    (Wien  und  Leipzig,  ürban  k  Schwarzenberg,  1886.) 

Der  erste  Versuch  einer,  allerdings  nur  partiellen,  monographischen  Bearbeitung 
dieses  schwierigen  Gebietes  seit  dem  klassischen,  durch  Eintheilung  und  Beherrschung 
des  Stoffes  für  immer  mustergültigen  Werkes  von  Kussmaul  (1877).  Des  Letzteren 
„Versuch  einer  Pathologie  der  Sprache"  gegenüber  hat  das  Co ö nasche  Buch  freilich 
einen  wesentlich  geringeren  Inhalt,  denn  es  fasst  vorzugsweise  nur  die  functionellen 
Dysarthrien  und  Dyslalien  in*s  Auge,  denen  nach  Plan  und  Umfang  des  Kuss- 
mauFschen  Werkes  daselbst  eine  verhältnissmässig  geringere  Berücksichtigung,  zumal 
in  praktisch-therapeutiBcher  Hinsicht,  geschenkt  wurde.  Innerhalb  dieses  engeren, 
die  eigentlichen  „Anomalien  der  Sprache"  in  sich  begreifenden  Abschnittes 
der  Sprachstörungen  verbreitet  sich  der  Verf.  des  vorliegenden  Buches  mit  grosser, 
auf  Tieljährigen  Specialstudien  nnd  Erfahrungen  beruhenden  Sachkenntniss.  Er  unter- 
scheidet zwei  Hauptklassen  der  eigentlichen  Sprachanomalien,  nämlich  Articulations- 
Btörungen  und  Functionsst6rungen  der  Sprache.  Zu  ersteren  rechnet  er  das 


—    120    — 

Lispelti,  Schnarifeii,  DcihleB,  den  Laifibdaoismns  mid  das  Stammeln;  zu 
letzteren  das  Foltern,  Gaxen,  die  Aphthongie  und  Lalophoble,  nnd  schliess- 
lich das  Stottern.  Ansserdem  w^en  im  sweiten  kleineren  Thefle  des  Buches  die 
Sprachlosigkeit,  resp.  ihre  beiden  Hauptfotmen :  Hörstummheit  (d.  h.  das 
meist  angeborene  IJnyetmGgen  articnlirter  Lantbüdungi  bei  normalem  Geh<^r)  und 
Taabstummheit,  erörtert.  —  Es  ist  natürlich  nicht  möglieh,  hier  anf  BinMlnes 
n&her  einzugehen;  doch  sei  ganz  besonders  der  den  Hauptlheil  des  Ganzen  bildende 
Abschnitt  über  Stottern  (S.  60 — 224)  hervorgehoben,  welcher  eine  sehr  eingehende 
nnd  minutiöse,  mit  zahlreichen  graphischen  Taföln,  Leseproben  etc.  ausgestaltete 
Darstellung  der  vom  Verf.  geübten  Stotterheilmethode  bietet 

Derselben  geht  eine  Casuistik,  ein  Abschnitt  über  Prophylaitis  nnd  eine  Ueber- 
sicht  der  bekanntesten  älteren  Stotterheiknethoden  Toranf.  G.  selbst  stellt  folgende 
Indicatioden  auf:  1.  Kr&ftigang  nnd  Regelung  der  Respiration,  Regelung  des  Stimm- 
nnd  Sprachapparates;  2.  Bekämpf ong  der  Innerrationsstörung,  d.  h.  bei  mögliohator 
Beseitigung  der  diese  unterhaltenden  Momente  Herabsetzung  der  gesteigerten  Erreg- 
barkeit des  Nerrensystems  und  der  erhöhten  Reflexthätigkeit  der  Sprachmnscolatur; 
9.  Hebung  und  Stärkung  dc*r  Willenstiiätigkeit;  4.  allgemeine  Belebung  und  Toni- 
cArung  des  Organismus.  —  Der  ersteren  Indication  entspricht  eine  für  diesen  Zweck 
geschaffene  Athem-,  Summ-  und  Sprachgymnastik.  Für  die  Athemgymnasük  (In- 
spiration, Zurückbalten  der  inspirirten  Luft  in  den  Lungen,  Exspiration)  bedient  sich 
0.  eines  Secunden-Metronoms  und  eines  selbst  erfundenen  (durch  Abbildung  und  Be- 
schreibung erläuterten)  Bespirationsapparates.  Hierzu  dienen  die  vier  ersten  Behand- 
lungswochen ausschliesslich;  dann  tritt  während  der  vier  nächsten  Wochen  die  Stimm- 
gymnastik hinzu  (reine  und  kräftige  Betonung  der  Yocale,  sowohl  für  sich  wie  in 
Verbindung  mit  anderen);  endlich  von  der  neunten  Woche  bis  zum  Schlüsse  der  Be- 
handlung die  Sprachgymnastik,  in  Silbenübungen,  Leseübongen,  gebundenen  Sprach- 
übungen, freien  Sprachübungen  bestehend.  —  Für  die  Erfüllung  der  zweiten  obigen 
Indication  empfiehlt  0.  Elektridtät  (Phrenicus,  Sympathicus),  emige  Arzneimittel  (bes. 
Natrium  bromatum  innerlich  oder  inhalirt  mit  Zerstäubungsapparat)  nnd  hydriatische 
Proceduren.  Die  dritte  Indication  erheischt  ein  wesentlich  psychisches  Eingreifen  von 
Seiten  des  Arztes;   die  vierte  besonders  hydropathische  und  hellgymnastische  Kuren. 

A.  Eulenburg. 

Y.  Vermischtos. 

Der  siebente  Coogress  füt  intiere  Mediein  findet  vom  9.  Ms  12.  April  1887  zu 
Wiesbaden  statt  Das  Präsidium  desselben  Übernimmt  Herr  Leube  (Würzbuig).  Folgende 
Themate  sollen  zur  Yerhandlunff  kommen:  Montag  den  9.  April:  Die  chronischen  Herz- 
muskelerkrankongen  und  ihre  Behandlung.  Referenten:  Herr  Oertel  (München)  und  Herr 
Licütheim  (Bern).  ~  Dienstag  den  10/  April:  Der  Wei^eitt  als  Heilmittel.  Beferenten: 
Herr  Binz  (Bonn)  und  Herr  von  Jaksch  (Graz).  —  Mittwoch  den  11.  April:  Die  Vor- 
htttong  und  Behandlung  der  asiatischen  Cholera.  Beferenten:  Herr  Cantani  (Neapel)  und 
Herr  August  Pfeiffer  (Wiesbaden).  —  F<^ende  Vorträge  sind  boreits  an^meldet?  Herr 
Bumpf  (Bonn):  Ueber  das  Wanderherz.  —  Herr  Un verriebt  (Jena):  fixpenmentelle Unter- 
suchungen über  deiii  Mechanismus  der  Athembewegungen.  —  Herr  Liebreich  (Berlin): 
Thema  vorbehalten.  —  Herr  AdamkiewiciS  (Krakau):  tJebita'  combinirte  Degenetütion  des 
Rüekeamsrkes.  -—  Herr  Jaworski  (Krakan):  Experimentedle  Beiträge  zur  Diätetik  derVer- 
dauungsstdruDgen.  —  Derselbe:  Thema  vorbehalten.  —  Herr  Stiller  (Budapest):  Zur  Thera- 
pie des  Morbus  Basedowii.  —  Derselbe:  Zur  Diagoostik  der  Nierentumoren.  —  Herr  Emil 
Pfeiffer  (Wiesbaden):  Harnsäureaasscheidang  und  Hamsanrelosong.  —  Herr'  BinsWanger 
(Jena):  Zur  Pathogenese  des  epileptischen  AnmUs.  —  Herr  v.Jürgeiisen  (Tübingen):  Ueber 
kryptogenettgefae  Sepüko-Pyämie. 

Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 

Einsendniifen  flbr  die  Bedadäon  sind  au  richten  «n  Prot  Dr«  B.  Merndel^ 

Berlin.  NW.  Sohiffbauerdamm  90. 

Yeilag  von  Vbit  &  Coup,  in  Leipzig.  ^  Drtick  von  MB^zuan  &  Witna  i^  Leipzig. 


NEUROLOGISCHESCENTRALBUn. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben  yon 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  »°  ^^^  Jahrgang. 


Monatlich  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  20  Mark.   Zu  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Fostanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  yon  der  Verlagsbuchhandlung. 

m  1.  März!  Ss". 


Inhalt  I.  Oriflinalmittheilungen.  1.  Progressive  Paralyse  mit  Tabes  bei  einem  ISjfthr. 
Madeben,  Ton  Prof.  Dr.  Adolf  Strümpell.  2.  Seitrag  zu  der  Beziehung  zwischen  gewissen 
Formen  ron  Epilepsie  und  der  Ausscheidung  von  Harnsäure,  von  Dr.  A.  Halg.  3.  Eine  Be- 
obachtung über  die  Localisation  der  hypnagogisohen  Hallucinationen ,  von  Dr.  Fr.  Fudis» 
Professor  der  Jatrophysik. 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  Untersuchungen  an  der  Hypophyse  einiger  Säugethiere 
und  des  Menschen,  von  Lothringer.  —  Experimentelle  Physiologie.  2.  Eine  neue  Me- 
thode der  Temperatursinnprüfang,  von  Goldscheider.  8.  Die  Einwirkung  der  Kohlensaure, 
von  QoldscfeeMer.  4.  üeber  die  Wahrnehmung  eigener  passiver  Bewegungen  durch  den 
MüskeLdnOp  von  Scbaefer.  —  Pathologische  Anatomie.  5.  Ein  Fall  von  Banken- 
neurom  der  Intercostalnerven  mit  Fibroma  molluscum  und  Neurofibromen,  von  PomorsM. 
6.  Di  UB  caso  raro  di  odoppiamento  parziale  del  midollo  spinale,  pel  Bonome.  —  Patho- 
logie des  Nervensystems.  7.  Ein  Beitrag  zur  Casuistik  der  Hypophysis-Tumoren,  von 
ffoUMOr.  8.  Zur  Pathogenese  des  Morbus  Basedowii,  von  Durdufi.  9.  Sur  le  traitement  et 
sur  quelques  particulariti^  cliniques  de  la  maladie  de  Basedow,  par  VIgouroux.  10.  A  new 
point  in  the  Diagnosis  of  Graves*  Disease,  by  Wolfenden.  11.  De  l'^pilepsie  Jacksonienne, 
par  Rolland,  Monod  et  Arnozan.  12.  Ueber  spinale  progressive  Muskelatrophie  und  amyo« 
troplüaclie  Seitensi^angsklerose,  von  SfrOmpell.  18.  Note  sur  nn  cas  d'atrophie  musculairo 
progresvive,  secondaire  d^välopp^  ohez  un  siget  primitivement  atteint  de  paralvsie  infantile, 
par  Dutil.  14.  Acute  Myelitis  mit  Ausgang  in  Heilung,  von  SchDtz.  15.  Myelite  cervicale 
fanssement  attribu^e  k  un  traumatisme  peiiph^rique  et  produite  en  r^lit4  par  un  mal  de 
Pott  möoonnu,  par  Qrassot  et  ^tor.  16.  Ein  Fall  von  Spina  bifida  oeculta  mit  congenitaler 
lumbaler  Hypertrichose,  Pes  varus  und  „Mal  perforant  du  pied",  von  Brunner.  17.  Beitrag 
zur  Lehre  von  der  spastischen  Spinalparalyse,  von  Brieger.    18.  Zur  Frage  der  chronischen 


nervensyatems  nebst  einigen  Bemerkungen  über  rolyurie  und  Polydipsie,  von  Buttortack. 
22.  A  caa«  of  chronic  Meningitis,  probably  syphilitic,  and  causing  progressive  dementia,  von 
Wamor,  Boaeh,  Monoy.  28.  Zur  Casuistik  der  Himsypbilis,  von  Thlersch.  24.  Hysterie  mer- 
enrieUe,  par  Quinon. 

III.  Aus  don  Qesollschaften.  Acad4mie  des  sciences,  Paris.  —  Soci4t^  de  Biologie,  Paris. 
—  Bertiner  medicinische  Gesellschaft. 

IV.  Bibliographie.  Die  Irrenklinik  der  Universität  Leipzig  und  ihre  Wirksamkeit  in  den 
Jahren  1882—1886,  von  Flechsig.  —  Schlaf  und  Traum,  eine  popular-vrissenschaftliche  Dar* 
Stellung  von  Scholz.  —  Lehrbuch  der  Krankheiten  des  Rückenmarks  und  Gehirns  sowie  der 
aUgemeinen  Neurosen,  von  Seeligmttllor. 

V.  Porsonallon. 

VI.  Vermischtes. 


—    122 


I.  Originalmittlieilungen. 


1.  Progressive  Paralyse  mit  Tabes  bei  einem  ISjähiigen 

Mädchen. 

Von  Prof.  Dr.  Adolf  Strümpell  in  Erlangen. 

Der  Zosammenhang  der  Tabes  und  ebenso  der  progressiven  Paralyse  mit 
einer  vorhergehenden  Syphilis  wird  nicht  nur  dargethan  durch  den  statistischen 
Nachweis,  dass  die  beiden  erstgenannten  Krankheiten  vorzugsweise  bei  solchen 
Personen  auftreten,  welche  früher  syphilitisch  inficirt  waren,  sondern  ausserdem 
auch  durch  die  Beobachtung  einzelner  Fälle,  bei  welcher  der  Zusammenhang 
der  beiden  Krankheiten  in  besonders  überzeugender  Weise  hervortritt  So  unter- 
suchte ich  z.  B.  vor  einiger  Zeit  ein  Ehepaar,  dessen  beide  Hälften,  Mann 
und  Frau,  an  typischer  Tabes  litten.  Die  näheren  Erkundigungen  und  die  Mit- 
theilungen des  schon  seit  Jahren  in  der  Familie  bekannten  Hausarztes  ergaben, 
dass  der  Mann  sich  vor  ca.  12  Jahren,  bereits  verheirathet,  eine  Lues  mit 
massigen  Secundärerscheinungen  (Roseola  u.  A.)  zugezogen  hatte.  Drei  Jahre 
später  trat  bei  ihm  ziemlich  plötzlich  eine  Oculomotorius-Lähmung  auf,  welche 
nach  einiger  Ztiti  wieder  verschwand.  Bald  darauf  zeigten  sich  aber  auch  lanci- 
nirende  Schmerss^n  in  den  Beinen  und  allmählich  entwickelte  sich  eine  ausge- 
sprochene Tabes  (fehlende  Patellarreflexe,  Pupillenstarre,  Ataxie  u.  s.  w.).  Einige 
Jahre  später,  als  der  Mann,  erkrankte  auch  die  Frau  mit  Schmerzen  und  Un- 
sicherheit in  den  Beinen.  Die  Untersuchung  ergab,  dass  auch  sie  zweifellos  an 
Tabes  leidet  Ausserdem  fand  sich  aber  bei  ihr  an  der  Beugeseite  des  rechten 
Vorderarmes  ein  ganz  charakteristisches  tertiäres  serpiginoses  Syphilid,  als  sicheres 
Zeichen,  dass  auch  die  Frau,  jedenfialls  durch  den  Mann,  inficirt  worden  war. 

Auch  die  seltenen  Falle,  wo  die  Tabes  oder  die  progressive  Paralyse  bei 
auffallend  jungen  oder  bei  ungewöhnlich  alten  Personen  auftritt»  sind  häufig 
geeignet,  uns  die  Abhängigkeit  der  nervösen  Erkrankung  von  einer  früheren 
Syphilis  in  besonders  deutlicher  Weise  zu  zeigen.  So  hat  bekanntlich  BEsasB 
die  Beobachtung  einer  Tabes  bei  einem  72jährigen  Manne  veröffentlicht  Dieser 
Kranke  hatte  sich  noch  in  seinem  70.  Lebensjahre  eine  Lues  zugezogen.  Um- 
gekehrt hat  Dr.  B.  Bemak^  drei  Fälle  von  Tabes  bei  Kindern  beschrieben,  bei 
denen  allen  eine  hereditäre  Syphilis  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  angenommen 
werden  durfte. 

An  die  B.  BEMAK'sche  Mittheilung  schliesst  sich  eine  Beobachtung  an, 
welche  ich  im  vorigen  Sommer  zu  machen  Gelegenheit  hatte.  Es  handelt  sich 
um  das  Auftreten  einer  mit  tabischen  Erscheinungen  verbundenen  progressiven 
Paralyse  bei  einem  13jährigen  Mädchen,  dessen  Vater  zwei  Jahre  vor  der  Geburt 
des  Kindes  sicher  an  secundärer  Syphilis  gelitten  hatte.    Diese  Thatsache,  sowie 


Berliner  klinische  Wochensohrifb.  ISSö.  Nr.  7. 


—    128    — 

der  Umstand,  dass  die  progressive  Paralyse  bisher  überhaupt  erst  sehr  selten^ 
im  Eindesalter  beobachtet  worden  ist,  veranlassen  mioh,  die  betreffende  Kranken- 
geschichte im  Folgenden  etwas  ausführlicher  zu  veröffentlichen. 

Babette  W.  wurde  am  6.  Juni  1887  in  die  medicinische  Klinik  zu  Erlangen 
angenommen.  Der  Vater  der  Patientin  inficirte  sich  wahrend  des  Feldzuges 
1870.  Er  erinnert  sich  genau,  ausser  an  einem  anfanglichen  Geschwür  am 
Penis  spater  auch  an  „breiten  Condylomen'^  am  After  gelitten  und  damals  auf 
Anordnung  des  Militärarztes  eine  mehrwöchentliche  methodische  Schmierkur  mit 
grauer  Salbe  durchgemacht  zu  haben.  Die  Krankheitserscheinungen  verloren 
sich  bald,  so  dass  Pat.  sich  nicht  weiter  behandeln  liess  und  sich  im  folgenden 
Jahre  1871  verheirathete.  Als  erstes  Band  in  dieser  Ehe  wurde  unsere  Patientin 
Babette  im  Jahre  1872  geboren.  Sie  war  Anfangs  ein  sehr  schwächliches  Kind 
and  Utt  längere  Zeit  an  Hautausschlägen,  welche  für  „scrophulös"  gehalten 
wurden.  Allmählich  erholte  sie  sich  aber,  bekam  zur  richtigen  Zeit  die  Zähne 
und  lernt«  im  Alter  von  zwei  Jahren  das  Gehen.  In  ihrem  7.  Jahre  machte 
sie  eine  Augenentzündung  durch,  über  deren  Natur  jetzt  nichts  Näheres  zu  er- 
fahren ist  Im  Uebrigen  befand  sie  sich  aber  ganz  wohl,  war  in  geistiger 
Beziehung  völlig  «normal  und  besuchte  die  Schule  mit  gutem  Erfolg.  Er- 
wähnenswerih  ist  noch,  dass  die  Mutter  ein  Jahr  nach  der  Geburt  der  Babette, 
also  im  Jahre  1873,  ihr  zweites  Kind  todt  auf  die  Welt  brachte.  Ein  später 
geborenes  drittes  £[ind  blieb  leben  und  ist  gesund. 

Im  Herbst  1885,  als  Babette  13  Jahr  alt  geworden  war,  trat  zum  ersten 
Mal  ein  eigenthümlicher  Anfall  ein.  Das  Kind  rief  plötzlich  aus:  „Mutter, 
&S8  meinen  rechten  Arm  an.''  Dabei  wurden  der  rechte  Arm  und  ebenso  auch 
das  rechte  Bein  völlig  steif  und  unbeweglich,  kalt  und  empfindungslos.  Nach 
einer  halben  Stunde  waren  diese  Erscheinungen  aber  wieder  völlig  verschwunden« 
Nach  14  Tagen  jedoch  erfolgte  plötzlich  ein  zweiter  derartiger  Anfall  mit  Be- 
wegungslosigkeit der  rechten  Körperhälfte.  Dieses  Mal  verlor  das  Kind  dabei 
auch  vorübergehend  die  Sprache:  es  machte  vergebliche  Bewegungen  mit  dem 
Munde  und  mit  der  Zunge,  brachte  aber  kein  Wort  hervor.  Nach  einer  Stunde 
war  indessen  Alles  wieder  vorüber.  Aehnliche  Anfalle  wiederholten  sich  nun 
in  der  folgenden  Zeit  noch  häufig.  Sie  traten  etwa  alle  3—4  Wochen  auf  und 
dauerten  jedes  Mal  ungefähr  V2 — ^  Stunde.  Im  Herbst  1886  hörten  die  An- 
falle auf. 

Schon  seit  dem  ersten  Anfalle,  im  Herbst  1886^  ja  vielleicht  sogar  noch 
etwas  früher,  hatten  die  Eltern  bemerkt,  dass  das  Kind  sich  in  seinem  Betragen 
ond  in  seinen  geistigen  Fähigkeiten  auffallend  änderte.  Es  wurde  träge, 
unaufmerksam,  kindischer  und  lernte  schlecht.  Bald  nach  den  ersten  Anfällen 
war  aach  eine  deutliche  andauernde  Sprachstörung  eingetreten.  Der  Gang 
des  Kindes  wurde  ebenfalls  unsicher.  Zuweilen  klagte  es  über  Schmerzen  im 
Leib  und  in  den  Seiten  (Gürtelschmerzen?).    Die  geistige  Schwäche  nahm  all- 

'  Man  vergleiche  die  wenigen,  hieraaf  bezüglichen  Angaben  von  EMHiNanAUS  in  seiner 
Bearbeitang  der  Geistesstomngen  im  Eindesalter  (Gsbhabdt's  Handbnch  der  Einderkrank- 
heiten. 

8* 


—     124    — 

mählich  immer  mehr  und  mehr  za.  Wiederholt  kam  es  vor,  dass  Harn  mid 
Stahl  in's  Bett  entleert  wurden.  Im  Juni  1887  wurde  das  Kind,  wie  gesa^ 
zu  mir  in  die  medicmische  Klinik  gebracht 

Die  Untersuchung  und  Beobachtung  der  Kranken  ergaben  Folgendes. 

Die  Patientm  ist  ein  ihrem  Alter  entsprechend  grosses,  gut  genährtes  Mad- 
chen, dessen  geistige  Schwäche  sich  aber  sofort  in  dem  ganzen  Benehmen  aus- 
spricht Ihr  G^ankenkreis  bewegt  sich,  wie  bei  einem  kleinen  Kinde,  nur  in 
den  alltäglichsten  Dingen.  Sie  wiederholt  oft  zwecklos  dieselben  Sätze  und  die- 
selben Handlungen,  auf  die  einfachsten  Fragen  giebt  sie  ungenügende  Antworten 
oder  sagt:  ,4  weiss  nef  Sie  vergisst  sehr  leicht  das  vor  Kurzem  (rehörte  oder 
Erlebte  und  madit  Fehler  bei  den  leichtesten  Bechnungen,  die  sie  früher  ohne 
die  geringste  Schwierigkeit  ausführen  konnte.  Das  früher  von  ihr  auswendig 
Gelernte  haftet  noch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  in  ihrem  Gedächtnisse  zu- 
sammen, fällt  aber  doch  leicht  auseinander,  zumal  das  Gesagte  nicht  mdir  vom 
Denken  controlirt  wird.  Auf  die  Frage  z.  B.,  wie  viel  7  mal  8  sei,  antwortet 
sie  zuerst  ganz  richtig  66.  Gleich  darauf  sagt  sie  aber  auf  dieselbe  Frage  86, 
dann  66  und  wiederholt  nun  mehrere  Male  „Sechsundsechzig,  sechzig,  sechzig^, 
bis  sie  schliesslich  ganz  verwirrt  ist  Die  rein  lautlichen  Associationen  der 
Zahl  6  treten  in  diesem  Beispiele '  deutlich  hervor. 

Manchmal,  bei  besonderen  Veranlassungen,  kann  das  Kind  sehr  err^ 
werden.  Es  weint  und  schreit  dann  laut  in  der  unverständigsten  Weise.  Ge- 
wöhnlidi  beruhigt  es  sich  aber  bald  wieder  und  die  heftigste  psychische  Erregung 
ist  rasch  spurlos  verschwunden.  Im  Allgemeinen  ist  das  Mädchen  meist  in  zu- 
friedener Stimmung  und  hat  offenbar  kein  ausgesprochenes  subjectives  Krank- 
heitsgeftÜiL 

Die  Sprache  ist  deutlich  gestört  und  zwar  ganz  in  der  für  die  progressive 
Paralyse  charakteristischen  Weise.  Kurze  einsilbige  Worte  werden  meist  noch 
ziemlich  gut  ausgesprochen.  Bei  jedem  etwas  längeren  und  schwierigeren  Worte 
tritt  aber  das  „Silbenstolpem^^  (die  literale  Ataxie)  deutlich  zu  Tage.  Statt 
„dritte  reitende  Artilleriel»igade'<  sagt  die  Kranke  „drittribritteriade'^  oder  etwas 
dem  Aehnliches.  Um  den  Mund  herum,  in  den  Gesichtsmuskeln  und  zuweilen 
sogar  an  den  Augenlidern  zeigt  sich  beim  Sprechen  ein  deutliches  Zucken  und 
Zittern,  genau  wie  bei  den  Paralytikern. 

Charakteristisch  und  interessant  ist  die  Störung  der  Schrift  Die  ein- 
zelnen Buchstaben  werden  etwas  steif  und  ungeschickt  geschrieben,  wie  von 
einem  Kinde,  welches  noch  in  den  ersten  Schreibübungen  b^riffen  ist  Immerhin 
ist  das  Geschriebene  an  sich  aber  noch  vollkommen  leserlich.  Sehr  hervortretend 
ist  aber  die  von  der  psychischen  Schwäche  abhängige  Sdireibstörung:  das  häufige 
Auslassen  einzelner  Buchstaben  oder  ganzer  ^ben  und  Wörter,  das  leichte 
Abgelenktwerden  in  ungehörige  Fehler  und  Zusätze,  wobei  sich  der  Emflnaa 
unbewusst  wirkender,  vom  Verstände  nicht  corrigirter  psychischer  Associationen 
in  sehr  bemerkenswerther  Weise  geltend  macht  Von  den  vielen  von  mir  ge- 
sammelten Beispielen  kann  ich  hier  natürlich  nur  wenige  anführen.  So  soll  die 
Kranke  z.  B.  das  Vaterunser  aufschreiben,  welches  sie  sicher  früher  sehr  gut 


—     125     — 

gekannt  hak  Sie  schreibt:  „Vater  unser  der  bist  geheilte  dein  Name  geheit 
fm  Yersichung  mid  uns  aus  böse  aus  Uebel.  Amen.^'  Man  erkennt  noch  in 
diesen  Trümmern  deutlich  die  wenigen  übrig  gebliebenen  Bestandtheile  des 
ursprünglichen  Qebets.  Beachtenswerth  sind  die  mehrfachen  Wiederholungen 
deäelben  Wortes:  ^ygeheilte'^  und  ,^heit'<  (anstatt  ,,geheiligt^'),  ferner  „aus  böse 
ans  UebeV^ 

Als  zweites  Beispiel  führe  ich  an,  was  die  Kranke  schrieb^  ab  man  ihr 
langsam  das  bekannte  kleine  Heine'sche  Frühlingslied  dictirte:  „Leu  duch  mein 
Gebet  lieliches  Gelaute,  klinge  kleines  frohlichs  Lied  kling  hinaus  weite/^  Hier 
sind,  abgesehen  von  den  zahlreichen  Auslassungen,  besonders  interessant  die 
Worte  „Gcbet^'  anstatt  „Gemüth'^  und  „fröhliohs^^  statt  „Frühlings^  beides 
Fehler,  welche  sicher  unter  dem  Einflüsse  lautlicher  Associationen  entstanden 
sind.  —  Viel  besser,  als  das  Dictatschreiben,  gelingt  der  Kranken  das  Ab- 
schreiben von  vorgeschriebenen  Sätzen.  Hierbei  macht  sie  nur  vereinzelte 
klane  Fehler.  Ihre  Fähigkeit,  schriftliche  Rechnungen  auszuführen,  hat  sehr 
abgenonmien.  Schon  bei  kleinen  leichten  Exempeln  wird  sie  leicht  verwirrt 
und  macht  die  gröbsten  Fehler. 

Die  körperliche  Untersuchung  der  Kranken  ergab  femer:  am  Schädel 
ist  nichts  Abnormes  bemerkbar.  Beide  Pupillen  sind  nicht  verengt,  die  rechte 
ist  aber  deutUch  noch  etwas  weiter,  als  die  linke.  Beide  Pupillen  sind  nicht 
▼öQig  kreisrund,  sondern  oval  und  zeigen  eine  vollkommene  reflectorische 
Starre,  während  sie  bei  wechselnder  Gonvergenzstellung  der  Bulbi  deutliche 
Ißtbewegungen  machen.  Das  Sehvermögen  ist  normal,  das  Gesichtsfeld  nicht 
eingeschränkt  Die  ophthalmoskopische  Untersuchung  des  Augenhinter- 
grondes  ergiebt  blasse  Papillen,  enge  Arterien,  eine  geringe  physiologische  £x- 
cavation,  sonst  nichts  Besonderes.  Die  herausgestreckte  Zunge  zittert  deutlich. 
Die  Mitbewegungen  und  das  Zittern  in  den  Gesichtsmuskeln  beim  Sprechen  sind 
schon  oben  erwähnt.  In  den  oberen  Extremitäten  sind  keine  aufiEBdlenden 
Störungen  vorhanden,  abgesehen  von  einer  gewissen  Unsicherheit  aller  Bewe- 
gongen.  Die  Haut  der  Arme  zdgt  eine  im  Ganzen  normale  Sensibilität;  nur 
gegen  Schmerzeindrücke  ist  sie  auffallend  wenig  empfindlich.  In  den  unteren 
Extremitäten  besteht  keine  Parese,  aber  beiderseits  eine  sehr  deutliche,  ziem- 
lich starke  Ataxie.  Dem  entsprechend  ist  auch  der  Gang  der  Kranken  aus- 
gesprochen atactisch  und  unsicher.  Das  Treppensteigen  ist  nur  noch  mit  Zu- 
hölfenahme  der  Arme  möglich.  Eine  genauere  Sensibilitätsprüfung  ist  bei  der 
mangelhaften  Intelligenz  der  Kranken  unausführbar.  Tastsinn,  Temperatursinn 
nnd  Muskelsinn  scheinen  normal  zu  sein,  während  die  Schmelzempfindlichkeit 
der  Haut  entschieden  herabgesetzt  ist  Hautreflexe  sind  vorhanden,  aber 
schwach.    Dag^en  fehlen  die  Patellarreflexe  vollständig. 

Das  Kind  blieb  bis  zum  3.  Juli  1887  in  meiner  Klinik.  Es  erhielt  Jod- 
kaUum.  Das  Gehvermögen  und  die  Sprache  schienen  etwas  besser  zu  werden; 
eine  wesentliche  Veränderung  des  Zustandes  trat  jedoch  nicht  ein.  Nach  der 
Entlassung  der  Kranken  ist  bis  jetzt  eine  deutliche  langsame  Verschlimmerung 
des  Leidens  eingetreten.    Insbesondere  haben  die  geistigen  Fähigkeiten  noch 


—    126    — 

weiter  abgenommen.    Mitte  October  1887  ist  noch  einmal  ein  heftiger  para- 
lytischer Anfall  eingetreten,  welcher  über  V3  Tag  lang  anhielt 

Der  soeben  mitgetheilte  Fall  scheint  mir  zunächst  in  klinischer  Beziehung 
interessant  zu  sein,  weil  er  eine  der  ersten  sicheren  Beobachtungen  über  das 
Vorkommen  der  progressiven  Paralyse  im  Kindesalter  darstellt.  An  der  Diagnose 
scheint  mir  in  der  That  kaum  ein  Zweifel  mögUch  zu  sein.  Das  Erankheits- 
bild  stimmt  in  allen  Einzelnheiten  vollkommen  mit  den  Erscheinungen  der  pro- 
gressiven Paralyse,  wie  wir  sie  bei  Ervrachsenen  so  häufig  beobachten,  überein. 
Ich  wüsste  auch  in  der  That  keine  einzige  andere  Krankheit  zu  nennen,  bei 
welcher  die  beobachteten  Symptome  gerade  in  dieser  eigenartigen  Verbindung 
vorkommen  könnten.  Die  psychische  Demenz,  die  hiermit  zum  Theil  zusammen- 
hängenden charakteristischen  Störungen  der  Schrift,  die  Veränderung  der  Sprache, 
die  Mitbewegungen  in  den  Gesichtsmuskeln  beim  Sprechen,  die  eigenthümlichen 
„paralytischen^^  Anfälle,  die  Ungleichheit  und  reflectorische  Starre  der  Pupillen 
und  endlich  die  mit  diesen  cerebralen  Symptomen  verbundenen  selbstständigen 
spinalen  Erscheinungen,  das  Fehlen  der  Patellarreflexe,  die  Ataxie  der  Beine, 
die  leichten  Blasenstörungen  und  die  Analgesie  der  Haut  —  alles  dies  macht 
die  Erkrankung  geradezu  zu  einem  typischen  Schulfall  von  progressiver  Paralyse, 
an  dem  eben  nichts  Anderes  auffallend  ist,  als  seine  Ehitstehung  bei  einem 
Madchen  von  dreizehn  Jahren.  Ist  die  progressive  Paralyse  aber  eine  wirklich 
einheitliche  Krankheitsform  und  hängt  sie,  wie  dies  ja  eigentlich  kaum  mehr 
bezweifelt  werden  darf,  meist  von  einer  vorhergehenden  Syphilis  ab,  so  muss  auch 
in  dem  vorliegenden  Falle  nach  letzterer  als  der  eigentlichen  Krankheitsursache 
gesucht  werden.  Dass  es  sich  hierbei  nur  um  hereditäre  oder  in  frühester 
Kindheit  erworbene  Syphilis  handeln  kann,  liegt  auf  der  Hand.  Und  in  dieser 
Hinsicht  ist  es  nun  gewiss  kein  Zufall,  sondern  eine  bedeutungsvolle  ätiologische 
Thatsache,  dass  der  Vater  des  Kindes  sich  mit  aller  Sicherheit  zwei  Jahre  vor 
der  Geburt  des  letzteren  syphilitisch  inficirte,  so  dass  seine  Krankheit  zur  Zeit 
der  Zeugung  des  Kindes  sicher  noch  übertragbar  und  vererblich  war.  Wir 
sehen  somit,  dass  Tabes  und  Paralyse  sich  als  postsyphilitische  Degenerations^ 
processe  des  Nervensystems  nach  hereditärer  Lues  ebenso  entwickeln  können, 
wie  nach  der  gewöhnlichen  erworbenen  Syphilis.  Vielleicht  werden  die  hierher 
gehörigen  Beobachtungen  sogar  etwas  häufiger  werden,  sobald  man  diesem 
Gegenstande  mehr  Beachtung  schenkt,  als  es  bisher  geschehen  ist.  Dass  die 
Häufigkeit  der  Tabes  und  der  Paralyse  bei  Kindern  im  Verhältniss  zur  Häufig- 
keit der  hereditären  Lues  so  gering  ist,  hängt  wohl  zum  Theil  auch  damit  zu- 
sanmien,  dass  ein  nicht  unbeträchtlicher  Theil  der  Kinder  nüt  hereditärer  Syphilis 
frühzeitig  zu  Grunde  geht. 


—    127    — 

2.  Beitrag  zu  der  Beziehung  zwischen  gewissen  Formen 
von  Epilepsie  und  der  Ausscheidung  von  Harnsäure. 

Von  Dr.  A.  Haig,  London, 
(üebersetzung  des  englischen  Mannscriptes  von  Dr.  Bperli&g.) 

Bei  dem  Studium  der  Pathologie  und  Therapie  einer  Form  des  Eopf- 
schmeizes,  welcher  zur  Klasse  der  Migräne  zu  zählen  ist  (Praotitioner  Aug.  1884 
und  März  1886)  wurde  ich  durch  dessen  auffallende  klinische  Beziehung  zur 
Gicht  zur  Untersuchung  des  Urins  veranlasst:  zuerst  erhielt  ich  keine  sichtbaren 
Resultate;  aber  nach  der  sorgföltigen  Trennung  des  während  der  Kopfschmerz- 
Periode  gelassenen  Urins  von  dem  vor  und  nach  derselben  gewonnenen,  fand 
ich  zu  meiner  Ueberraschung,  dass  dieser  Kopfschmerz  stets  von  einer 
reichlichen  Ausscheidung  von  Harnsäure  begleitet  war,  während  die- 
selbe vorher  und  nachher  nicht  erhöht  war,  so  dass  eine  Mischung  des  Urins 
der  verschiedenen  Perioden  nichts  Bemerkenswerthes  zeigte  (Abhandlung  in  Med. 
Chirurg.  Transact  Vol.  70). 

Die  Anwendung  verschiedener  Medicamente  zeigte  mir,  dass  es  in  gewissen 
Grenzen  möglich  war,  die  Harnsäure-Ausscheidung  zu  controliren  (Joum.  of 
Physiol.  Bd.  Yin  Nr.  8  u.  4),  und  ich  fand  bald,  dass  Mittel,  welche  dieselbe 
verminderten,  auch  den  Kopfschmerz  beseitigten,  dagegen  Mittel,  welche  sie  er- 
höhten, den  Kopfschmerz  herbeiführten  oder  verstärkten:  so  dass  ich  nunmehr 
un  Stande  bin,  in  gewissen  Grenzen  die  Harnsäure-Ausscheidung  nach  Belieben 
zn  vermehren  oder  zu  vermindern  und  bei  Personen,  welche  an.  dieser  Form 
von  Kopfschmerz  leiden,  denselben  herbeizufuhren  oder  zu  beseitigen. 

Ich  hatte  schon  früher  erwähnt  (Practitioner),  dass  eine  Diät,  aus  welcher 
Fleischspeise  vollkommen  ausgeschlossen  war,  die  Häufigkeit  und  Heftigkeit  der 
Kopfschmerzen  verminderte;  und  meine  Harnsäure-Untersuchungen  erklärten 
dies  Resultat)  da  Fleischspeise  die  Bildung  von  Harnstoff  sowohl  wie  von  Harn- 
säure vermehrt;  und  femer  verursachen  ihre  Phosphate  und  Sulfate  durch  Ver- 
mehrung der  Säure  eine  Retention  von  Harnsäure,  so  dass  in  Folge  der  so 
entstandenen  Anhäufui^  späterhin  eine  gewisse  Menge  im  Blut  zurückbleibt, 
welche  den  Kopfschmerz  hervorbringt. 

Nach  einer  Theorie  von  Sir  A.  Qabbod  (Lectures  on  Brit.  Med.  Joum. 
Vol.  I.  1883  und  meine  Mittheilung  im  Joum.  of  Physiol.)  wird  die  Harnsäure 
m  der  Niere  gebildet,  geht  zum  Theil  durch  die  Nierenvene  in  den  allgemeinen 
Kreislaaf  über  und  wird  dann  mehr  oder  weniger  in  der  Milz,  Leber  etc.  zurück- 
gehalten. Ich  habe  diese  Theorie  in  Ansprach  genommen,  um  meine  Resultate 
zu  erklaren,  und  sie  passt  dazu  sehr  gut. 

Der  in  Rede  stehende  Kopfschmerz  ist  immer  von  einer  vermehrten  Harn- 
säure-Ausscheidung begleitet,  und  ich  behaupte,  dass  dies  bedingt  wird  durch 
vermehrte  Ansammlung  im  Blut  und  dass,  gemäss  jener  Theorie,  das  Plus  von 
Harnsäure  von  einer  Niederlage  in  der  Milz   herkommt^   dass   während   der 


128      - 

geringeren  Ausscheidnng  dagegen  sich  deshalb  ein  Minus  von  Harnsaure  im 
Blat  befindet^  weil  dieselbe  in  der  Milz  aofgespeichert  ist 

Wenn  diese  oder  eine  ähnliche  Theorie  als  Erklärung  aller  meiner  Erfolge 
mit  Arzneimitteln  und  für  das  Zustandekommen  des  Hamsäure-Eop&dmierzes 
angenommen  wird^  so  glaube  ich,  dass  auch  die  Ursache  der  Anfalle  in  manchen 
Fällen  von  Epilepsie  sehr  einÜBU^h  ist.  Es  sei  hier  daran  erinnert^  dass  bei  allen 
meinen  Besultaten  und  in  der  beigegebenen  Tabelle  ich  es  nur  mit  dem  Ver- 
halten von  Harnsäure  und  Harnstoff  in  Bezug  auf  die  Ausscheidung  allein 
zu  thun  haben  will;  ich  spreche  nicht  von  der  Bildung  von  Harnsäure.  Aber 
beiläufig  will  ich  sagen,  dass  ich  bei  keinem  meiner  Experimente  etwas  gesehen, 
was  mich  hätte  glauben  machen  können,  dass  Harnsäure  gewöhnlich  in  höherem 
Maasse  als  im  Yerhältniss  von  1 :  33  Harnstoff  gebildet  wird,  obwohl  bei  der 
Ausscheidung  sich  häufig  das  hohe  Yerhältniss  von  1:18  oder  das  niedrige 
von  1 :  50  zeigt.  Aber  wenn  man  die  Ausscheidung  während  einer,  langem 
Periode  in  Betracht  zieht,  so  findet  man,  dass  die  Schwankungen  sich  ausgleichen 
und  meist  ein  Yerhältniss  von  1 :  33  resultirt,  welches  nur  individuell  ein  wenig 
variirt.  Allgemein  gesprochen  heisst  dies,  dass,  wenn  bei  einer  Person  die  Säure 
des  Harns  steigt,  die  Harnsäure-Ausscheidung  fallt  und  umgekehrt,  dass  aber 
bei  einer  Zeit  von  einigen  Tagen  sich  beides  ausgleicht 

Es  ist  schon  lange  bekannt,  dass  die  Harnsäure-Ausscheidung  nach  den 
verschiedenen  Tageszeiten  variirt;  aber  es  war,  wie  ich  glaube,  noch  nicht  be- 
kannt, was  ich  zuerst  ausgesprochen  habe  (Y.  Joum.  of  Physiol.),  dass  die  Aus- 
scheidung nach  Belieben  zu  gewissen  Zeiten  durch  Säuren  vermindert  und  durch 
Alkalien  vermehrt  werden  kann« 

Jetzt  weiss  ich  auch,  dass  abgesehen  von  den  Säuren  und  Alkalien  auch* 
noch  andere  Arzneimittel  die  Ausscheidung  beeinflussen,  von  denen  die  Salicylate 
am  meisten  interessiren,  über  welche  ich  der  nächsten  Versammlung  der  Medico- 
Gbirurgical-Society  (10.  Januar)  eine  Mittheilung  unterbreiten  werde,  und  deren 
Wirkung  weitgehende  und  wichtige  Beiträge  zur  Pathologie  und  Therapie  aller 
Harnsäure-Erkrankungen  bietet 

Bei  diesem  Standpunkt  in  Bezug  auf  den  in  Bede  stehenden  Eop£9chmeiz 
richtete  ich  wieder  mein  Augenmerk  auf  seine  klinischen  Beziehungen  in  Hin- 
blick auf  eme  fär  die  St  Bartholom.  Hosp.  Beports  geschriebene  Mittheilung 
über  Symptome  und  Diagnose,  als  mir  die  nahe  Beziehung  desselben  zur  Epi- 
lepsie in  die  Augen  fiel  (Dr.  Lisbino  „Megrim  and  headache^  Churchill 
1873),  zumal  da  zwei  meiner  Fälle  an  Kopfechmeiz  und  Epilepsie  zugleich 
litten,  und  ich  bemerkt  hatte,  dass  beide  Krankheiten  unter  dem  Einfiuss  der 
diätetischen  Behandlung  und  der  angewandten  Arzneimittel  zu  heilen  sdiienen. 
Danach  sah  ich  bald  eine  ähnliche  Hamsäure-Beaction  in  Fällen  von  Epilepsie, 
imd  es  dauerte  nicht  lange,  so  fand  ich  einige  Thatsachen,  die  diese  Beziehung 
bestätigten.  In  verschiedenen  Fällen,  die  als  Aussen-Patienten  unter  meiner 
Behandlung  standen,  fand  ich,  dass  der  immittelbar  nach  dem  Anfiül  gelassene 
Urin  eine  Sterke  Vermehrung  der  Harnsäure  (1 :  20)  aufwies,  und  ich  fond  auch, 
dass  vor  und  nach  dem  An£Bdl  ein  Minus  von  Ausscheidung  erfolgte,  so  dass 


~     129     ^ 
wib  in  jeder  Beziehung  zwischen  Anfall  und  Kopfschmerz  analoge  VerbUtniBae 


Die  bdgegebene  Figur  zeigt  die  in  einer  Periode  von  31'/^  Stunden  hinter 
einander  erhaltenen  Beanltate  bei  einem  Kinde,  M.  H.  13  Jahre  alt  Dasselbe 
hat  seit  dem  10^  eine  ältere  Schwester  von  30  Jahren  seit  ihrem  7.  Jahre  an 
epüeptisohen  AnfiUlen  gelitten. 

Die  Aoßlle  stellen  sich  morgens  ein,  wenn  es  aufwacht  oder  ao&teht,  es 
ist  bewDSstlos  ßr  etwa  30  Minuten,  nnd  zuweilen  erfolgt  unfreiwilliger  Urin- 
at^ang.  Sein  Urin,  schon  crftmals  Mher  unt^sucht,  zeigte  Vermehrung  tod 
Hamsiure  zur  Zeit  dee  Anfalls,  eine  gerii^ere  Quantität  vor  demselben. 


Vot  irgend  einem  Anfalle 


Nach  dem  1.  ÄnMIe 


Zwischen  dem  1 .  n.  2.  Anfalle 


Nach  dem  2.  Anfalle 


Vorm.  bis  3  Nachm. 


3  Nachm.  bis  4,15  Nachm. 


15  Nachm.  bis  9  Naobm. 


9  Nachm.  bie  1 1  Nachte. 


11  Nachta  bis  12,20  Vom. 


^^^^—^,^^—.      ^2,20  Vom.  bis  10  Vonn. 

Nach    allen   AdKIIbd,    sehr 
Nhlifrig 

ToUl:  HUTistoff    26,6  gl 
Honuänre    0,78  gr 
VerhältnisB:  1 :  31. 

Die  ganze  Hamstc^nenge  während  der  Sl'/i  Standen  betrog  411  gr  und 
die  Harnsäure  12,1  gr,  was  einem  nahezu  normalen  Yerhältniss  von  1:34  ent- 
sphdit.  Die  Figur  spricht  für  sich  selbst^  und  mit  Ausnahme  von  Golunme  5, 
welche  eine  Mischung  von  Urin  zwischen  and  während  eines  Anfalls  ergiebt, 
sind  die  Resultate  klar  genug.  Aber  es  ist  mir  nicht  zweifelhaft,  auf  Qruud 
meiner  früheren  Experimente  aber  den  Kopfechmerz,  dass  dieselben  noch  klarer 
ansg^iELllen  wären,  wenn  es  möglich  gewesen  wäre,  den  dem  Anfall  entsprechenden 
Urin  gensaer  zu  sondern.  So  bezeichnet  Colnmne  2  einen  Urin,  der  znm  Theil 
der  Zeit  vor  dem  Anfall  mit  sehr  wenig  Harnsäure -Qehalt  (1:50)  enteprieht, 
zum  Theil  dem  Anfalle  selbst,  welcher  sorg&ltig  geschieden  wahrscheinlich  ein 
Veritälbuss  von  1 :  20,  odra  so  ongaßthr  daigeboten  haben  wärde,  nnd  die  That- 


_     180    — 

Sache  wäre  mehr  in  die  Augen  gesprungen.  Das  ist  es  auch  genau,  was  ich 
beim  Kopfschmerz  &nd:  je  schärfer  der  demselben  entsprechende  Urin  von  dem 
von  vorher  und  nachher  gesondert  worden  war,  um  so  klarer  stellte  sich  die 
Vermehrung  der  Harnsäure  dar.  Aber  bei  der  Epilepsie  kann  oft  der  Anfall 
auf  keine  Weise  vorhei^esehen  werden,  und  man  muss  sich  mit  dem  mehr  oder 
weniger  gemischten  Urin  begnügen,  der  während  des  An&lls  abg^angen  oder 
nach  demselben  gelassen  ist 

Sehr  bemerkenswerth  ist  Golumne  6  in  mancher  Beziehung,  denn  die  Harn- 
säure-Ausscheidung steht  auf  höchster  Höhe,  und  die  Anfalle  gehören  zu  den 
schlimmsten.  In  Bezug  auf  die  Stunden  ist  es  erwähnenswerth,  dass  die  Zeit 
von  10  Uhr  Abends  bis  zum  frflhen  Morgen  gerade  die  Zeit  ist,  zu  welcher  der 
„Harnsäure-Kopfschmerz''  oft  am  heftigsten  und  unerträglichsten  ist;  und  dies 
schliesst  auch  die  Zeit  ein,  in  welcher  Gichtische  gewöhnlich  ihren  ersten  Podagra- 
Anfall  bekommen;  es  ist  schon  bemerkt  worden,  dass  erste  epileptische  Anfalle 
oft  zur  Nachtzeit  eintreten.  Und  dies  ist  noch  eine  fernere  Parallele  zwischen 
Kopfschmerz  und  Epilepsie,  welche  zu  wichtig  ist,  um  übergangen  zu  werden, 
zumal  ich  in  der  Lage  bin,  eine  wahrscheinliche  Erklärung  für  das  Symptom 
zu  geben,  welche  für  beide  Fälle  passt. 

Personen,  welche  an  diesem  Kopfschmerz  leiden,  haben  angegeben  (Dis- 
cussion  über  meine  Mittheilung  über  Kopfschmerz:  Proceedings  of  the  Medic 
Chirurg.  Society.  März  bis  Juni  1887  p.  272),  dass  solche  Attacken  oft  durch 
ein  Oefühl  des  Wohlseins  oder  der  Erheiterung  eingeleitet  werden,  und,  obwohl 
ich  dies  nicht  in  meiner  Notiz  erwähnt,  —  ich  oft  bemerkt  hatte,  dass  mit 
einem  um  Mittag  herannahenden  Kopfschmerz  sich  bis  zu  dieser  Zeit  das  Ge- 
fühl verband,  dass  ich  niemals  im  Leben  mein  Tagewerk  so  gut  und  sorgßltig 
vollbracht  habe,  wie  heute;  genau  dasselbe  geschieht  bei  der  Epilepsie,  wie  es 
Dr.  Boss  (Krankheiten  des  Nervensystems.  Vol.  IL  p.  916)  von  einem  seiner 
Patienten  wie  folgt  beschreibt:  ,Jch  erwarte  heute  z.  B.  einen  Anfall;  ich  fühle 
mich  so  glücklich  und  freudig,  und  doch  ist  nichts  in  meiner  Situation,  was 
mich  dazu  veranlasste,  da  ich  gerade  durch  diese  Anfalle  meine  Stellung  ver- 
loren habe.''  Mein  Erklärungsversuch  dafür  ist  folgender:  In  beiden  Fällen,  bei 
dem  Kopfschmerz  sowohl  wie  bei  dem  epileptischen  Anfall,  vollzieht  sich  eine 
erhebliche  Betention  von  Harnsäure  (vgl.  die  Tabelle,  ebenso  die  meiner  Mit- 
theilung über  Kopfschmerz)  und  eine  Verminderung  derselben  im  Blut;  und  ich 
bin  im  Stande,  durch  künstliche  Zurückhaltung  von  Harnsäure  annähernd  dies 
freudige  Gefühl  hervorzubringen,  während  andererseits,  wenn  der  Kopfechmerz 
und  die  vermehrte  AusscheiduDg  begonnen  haben,  das  G^f&hl  nichts  weniger 
wie  freudig  ist 

Alle  Arzneimittel,  soviel  ich  weiss,  und  ich  habe  eine  sehr  grosse  Zahl  ge- 
prüft^ welche  beim  Kopftchmerz  als  günstig  wirkend  befunden  worden  sind, 
wirken  entweder  durch  Entfernung  von  Harnsäure  aus  dem  Blut,  und  durch 
Yerminderung  ihrer  Ausscheidung  im  Urin,  oder,  wie  Bromsalz  und  Strychnin, 
durch  Verhinderung  der  nervösen  Gentren  an  der  Beaction  auf  die  Beizquelle. 
Ich  zweifle  nicht,  dass  dasselbe  für  diese  Fälle  von  Epilepsie  gilt,  so  dass 


_    181    — 

ich  bedeutendes  Yertraiien  habe,  epileptische  Anf&lle  gerade  so  wie  Kopfschmerz 
nach  Belieben  hervorrufen  und  hemmen  zu  können.  Aber  da  ein  epileptischer 
Anfall  nicht  frei  von  Gefahr  ist,  so  habe  ich  mich  an  ein  derartiges  Experiment 
nicht  gewagt  Immerhin  habe  ich  meine  Fälle  auf  die  bei  Kopfischmerz  so 
günstige  Diät  gesetzt  und  auf  die  Arzneimittel,  welche  die  Anhäufung  von  Harn- 
säure verhindem,  und  ich  erwarte  die  günstigsten  Besultate,  ja  sogar  voUkommene 
Heilung  von  der  Diät  Aber  dies  erfordert  Zeit;  da  meine  Resultate  indess  von 
grosser  Wichtigkeit  sind,  so  mache  ich  sie  bekannt,  damit  Andere  mit  mehr 
Material,  als  ich  es  habe,  sie  prüfen  mögen,  und  wenn,  wie  ich  sicher  erwarte, 
dieselben  den  Thatsachen  entsprechen  und  einen  Theil  der  wirklichen  Erank- 
heitsbedingungen  bilden,  dass  dann  die  mit  gichtischen  Erscheinungen  ver- 
knüpfte Epilepsie  nicht  länger  eine  relativ  hoffnungslose  Krankheit  sein  wird, 
sondern  eine,  welche  durch  zweckmässige  Diät  fast  sicher  sich  vermindern  lässt 
nnd  klinisch  ein  Glied  mehr  in  der  schon  festen  Kette  bilden  wird,  welche  die 
Gicht  mit  der  Epilepsie  verbindet 

Anmerkung. 

Harnstoff  ist  bei  diesen  Untersuchongen  nachgewiesen  durch  den  Hypromid- 
Process  mit  dem  Appa*nit  von  Dupr^,  bestehend  aus  2  Glastuben,  einer  äussern, 
die  Wasser  enthält  und  einer  innem,  die  gradnirt  und  mit  der  Reactionsflasche  ver- 
bunden ist;  die  entstehende  Stickstoffmenge  wird  an  den  Gradstrichen  des  innem 
Tnbns  abgelesen.  Temperatur  und  Druck  werden  notirt  und  Regelungen  des  Volums 
nach  dessen  Schwankungen  ausgeführt. 

Harnsäure  wird  bestimmt  durch  den  Process  nach  Prof.  Haycraft  (Brit  med. 
Joam.  1885.  Nov.  p.  1100):  die  Harnsäure  wird  als  Sflber-Ürat  niedergeschlagen, 
welches  als  eine  gelatinöse  Masse  auf  einen  Asbest-Filter  geworfen  und  ausgewaschen 
wird.  Dann  wird  der  Silber- Ürat-Niederschlag,  der  auf  dem  Filter  verbleibt,  aufge- 
löst und  mit  Salpetersäure  gewaschen.  Das  in  Lösung  befindliche  Silber  wird  nach 
Yolhard's  Methode  und  die  Harnsäure  ans  jenem  berechnet  Eine  Qoecksilber- 
Lnftpumpe  ist  nothwendig. 

Säure  ist  als  Oxalsäure  durch  eine  Phenol-Phthalein-  und  eine  graduirte  Soda- 
lösung  berechnet  worden. 

Ich  habe  diese  Prüfungen  zwei  Jahre  lang  fast  jeden  Tag  und  manchmal  öfters 
am  Tage  ausgeführt,  manchmal  all'  meinen  Urin  gesammelt  und  die  oben  geschil- 
derten und  andere  Zusammensetzungen  fQr  2  bis  3  Monate  ohne  Unterbrechung 
berechnet. 

Bei  einigen  wenigen  Yorsichtsmaassregeln,  so  um  sicher  zu  sein,  dass  alle  Harn- 
aänre  in  Lösung  ist,  and  andern  weniger  wichtigen  Momenten,  habe  ich  das  Recht, 
mit  der  sich  ergebenden  Genauigkeit  meiner  Resultate  zufrieden  zu  sein. 


3.   Eine  Beobachtung  über  die  LocaUsation  der 
hypnagogischen  Hallncinationen. 

Von  Dr.  Fr.  Faohs,  Professor  der  Jatrophysik  in  Bonn. 

Als  ich  neulich  mit  dem  Nachtzuge  von  Wien  nach  Berlin  fuhr,  machte 
ich  eine  Beobachtung ,  welche  ich  weniger  wegen  ihres  Inhaltes  als  wegen  der 


—     182    — 

Seltenheit,  mit  der  die  zur  AnstelluBg  derselben  erforderlichen  Bedingungen  zu- 
sammentreffen,  mir  mitzutheilen  gestatte. 

In  der  Seitenlage,  mit  dem  Kopf  auf  emem  Keisesack  ruhend,  erwartete 
ich  den  Schlaf.  Yor  dem  Eintritte  desselben  hatte  ich,  wie  es  oft  bei  mir  der 
Fall  ist,  kurzdauernde  Gesichtshallucinationen. 

Die  im  Sehfelde  auftauchenden  Figuren  machten  diesmal  aber,  abweichend 
von  ihrem  gewöhnlichen  Verhalten,  hin-  und  hergehende  Bewegungen,  deren 
Rhythmus  mit  der  Periode  übereinstimmen  mochte,  in  der  mein  Kopf  durch 
den  stark  schlagenden  Wagen  erschüttert  wurde. 

So  sah  ich  einmal  einen  auf-  und  niedertanzenden  Korb,  ein  anderesmal 
eine  Weinflasche,  welche  mit  grossen  Excursionen  um  eine  etwa  durch  ihren 
Boden  gehende,  ideelle  Axe  hin  und  her  pendelte. 

Ans  dieser  Beobachtung  geht  hervor,  dass  das  Lag^efühl  des  Kopfes  zur 
Zeit,  wo  die  hypnagogischen  Hallucinationen  sich  einstellen,  noch  nicht  erloschen 
ist  Denn  die  aus  der  inneren  Himerregung  stammenden  Bilder  verhalten  sich 
in  Bezug  auf  ihre  Localisation  den  Augen-  und  Kopfbewegungen  gegenüber 
offenbar  wie  die  Nachbilder  reeller  Objecto,  welche  bei  Lageanderungen  des 
Kopfes  bewegt  oder  ruhend  erscheinen,  je  nachdem  diese^mit  einer  Aendemng 
des  Lagegefuhls  verbunden  sind  oder  nicht 


IL   Referate. 


Anatomie. 

1)  Untersuchungen  an  der  Hypophyse  einiger  Säugethiere  und  des  Men- 
schen, von  Salomon  Lothringer.    (Arch.  f.  mikroskop.  Anatomie.   Bd.  XXVIII). 

Verf.  hat  im  anatomischen  lustitut  von  Prof.  Flesch  in  Bern  die  Hypophyse  des 
Menschen  (5  resp.  7  Stunden  nach  dem  Tode)  und  verschiedener  Thiere  untersucht. 
Da  bei  letzteren  oft  nicht  von  Vorder-  and  Hinterlappen  wie  beim  Menschen  ge- 
sprochen werden  kann,  weil  der  erstere  bald  vor,  bald  unter,  bald  hinter  dem  letzte- 
ren liegt,  so  gebraucht  der  Verf.  nur  die  Bezeichnungen:  Epitheüaltheil  und  Himtheil. 

Die  Grösse  der  Hypophyse  hängt  in  keiner  Weise  von  der  Grösse  des  Gehirns 
ab,  wohl  aber  besteht  eine  directe  Beziehung  der  Hypophyse  zur  Körpergrösse.  Die 
Hypophyse  des  Rindes  ist  von  den  untersuchten  die  grösste,  danach  die  des  Pferdes, 
und  zwar  bei  beiden  weit  grösser  als  beim  Menschen.  Bei  den  Fleischfressern  war 
die  Reihenfolge  der  Grösse:  Löwe,  junger  Bär,  Hund,  Fuchs,  Katze.  Von  den  meisten 
dieser  Thiere  giebt  Verf.  genaue  Beschreibungen  der  Hypophyse. 

Nachdruck  legt  Lothringer  auf  die  Bestätigung  der  Existenz  zweier  verschie- 
dener Zellenarten  iu  den  Hypophysen-Schläuchen,  von  denen  die  eine  Art  die  „chro- 
mophilen"  darstellt  und  in  den  Rindenschichten  vorwiegt.  Sie  zeigen  im  Gegensatz 
zu  der  zweiten  Art  der  Färbung  durch  Eosin,  braune  bis  schwarze  Tinction  durch 
Haematoxylin  nach  Weigert,  durch  Ueberosmiumsäure  u.  s.  w.  —  Die  chemischen 
Eigenschenschaften  der  chromophilen  Hypophysen-Zellen  weisen  auf  eine  sehr  nahe 
Verwandtschaft  derselben  mit  den  colloiden  Substanzen  hin;  letztere  dürften  aus  Um- 
wandlung der  ersteren  hervorgehen.  Lothringer  nimmt  an,  dass  den  chromophilen 
Zellen  eine  active  chemische  Function  zukommt,  der  Reactionen  wegen,  die  sie,  wie 
gewisse  Elemente  der  Nebennierensubstanz,  mit  den  Belegzellen  der  MagendrOsen 
theilen.     Die  innige  Dnrcbflechtung  mit  äusserst  zartwandigen  Geftssen  spricht  auch 


—    133    — 

für  eiiie  secretorische  Thäü^keit  d€6  fipithelialtheils  der  Hypophyse.     Das  Secret 
mflsste  der  Resorption  in  den  Hoblräamen  des  Organs  anheimfallen. 

Die  Hypophysen-Höhle  hat  mit  der  Infundibolar-Höhle  nichts  zn  thun.  —  Br- 
w&hnenswerth  sind  seitliche  Aasbuchtangen  derselben  beim  Hunde.  —  Ausgebildete 
Flimmerepithelien  hat  Lothringer  nur  in  der  Hypophyse  des  Kaninchens  gesehen,  aber 
mehrfach  sonst  Bildungen  getroffen,  die  an  den  Cuticularsaum  der  Darmepithelien 
erinnerten.  Hadlich. 

Experimentelle  Physiologie. 

2)  Eine  neue  Methode  der  Temperatursinnprüfong,  von  Dr.  Alfred  Gold- 
scheider  in  Berlin.     (Arch.  für  Psych.  1887.    XVm.    Heft  3.    4  Tafeln). 

^ne  Meisterarbeii  Die  nütgetheilte  neue  Methode  ist  nicht  so  umständlich, 
als  sie  aaf  den  ersten  Blick  scheinen  mag;  jedenfalls  ist  sie  practisch  und  für  genaue 
Untersuchungen  so  wichtig,  dass  sie  nicht  allein  dem  Specialisten  unentbehrlich,  son- 
dern auch  dem  practischen  Arzte,  wenigstens  in  den  gröbsten  Zügen,  bekannt  zu 
werden  verdiente. 

Die  Temperaturempfindlichkeit  ist  nicht  gleicbmässig  auf  der  ganzen  Köperober- 
fläche vertheilt;  sie  folgt  im  Allgemeinen  der  Ausbreitung  der  sensiblen  Nerven  in 
der  Weise,  dass  sie  an  Stellen  grössten  Nervenreichthums  am  höchsten  ist.  Wärme- 
8inn  und  Kältesinn  bestehen  gesondert  nebeneinander,  so  dass  für  Wärme  höchst 
empfindliche  Körperstellen  dies  nicht  auch  etwa  für  Kälte  sind  und  umgekehrt. 
Andererseits  kommt  jeder  Stelle  eine  bestimmte  Empfindungsintensität  für  Tempera- 
turen zu,  über  welche  hinaus  auch  die  stärksten  Beize  dieselbe  nicht  zu  steigern  ver- 
mögen, oder  mit  anderen  Worten:  jede  Stelle  der  menschlichen  Haut  hat  für  sich 
eine  „absolute  Empfindlichkeit".  Läset  sich  dieselbe  für  die  verschiedenen  Stellen 
und  Regionen  des  Körpers  bei  gleichbleibender  Wärmequelle  dem  Grade  nach  be- 
stimmen, and  stellt  sich  dann  ein  mehr  oder  weniger  constantes  Yerhältniss  zwischen 
der  Empfindlichkeit  jener  heraus,  so  gewinnt  man  sichere  Merkmale  für  Herabsetzung 
oder  Erhöhung  derselben  unter  physiologischen  und  pathologischen  Bedingungen.  Und 
dies  ist  es,  was  eine  objective  Sensibilitätsprüfung  als  Resultat  verlangen  muss. 

Von  diesen  Erwägungen  ausgehend  versuchte  Verf.  die  topische  Ausbildung  des 
Temperatarsinns  an  der  gesammten  Körperoberfläche,  zunächst  an  sich  selber,  zu  be- 
stinmien,  indem  er  mit  einem  Metallcylinder  von  1  cm  Durchmesser,  der  entweder 
bei  luftkaltem  Zustand  die  Temperatur  von  ca.  15^  C.  hatte,  oder  bis  auf  45 — 49^  C. 
erwärmt  wurde  (derselbe  erregt  in  der  Hohlband  ein  leidlich  warmes,  am  Oanthus  ext. 
des  Auges  ein  soeben  heisses  Gefühl)  alle  Körperstellen  durchprüfte.  Indem  er  nun 
die  verschiedenen  Gefühlsquantitäten  als  eben  fühlbar,  schwach,  kühl,  schon  etwas 
kalt,  kalt^  „sehr  kalV  u.  s.  w.  oder  in  dementsprechenden  Ziffern  zunächst  auf  dem 
Körper  notirte  und  dann  in  Lebensgrösse  abzeichnete,  gewann  Verf.  auf  den  einen 
nach  den  andern  vorgenommenen  Körpertheilen  ungeAhre  Bilder  von  der  Yertheilung 
des  Kälte-  und  Wärmesinns,  die  er  später  wieder  nachprüfte,  an  andern  Personen 
aufs  Genaaeste  oontrolirte  etc.,  bis  die  Darstellung  des  Gegenstandes  in  der  Art  möglich 
wurde,  wie  es  in  den  der  Arbeit  angehängten  4  Tafeln  geschehen  ist,  von  denen  die  beiden 
ersten  die  Empfindlichkeit  des  Kältesinns  in  12,  die  des  Wärmesinns  in  8  Stufen, 
bezeichnet  durch  verschiedenartige  Schraffirungen,  im  Schema  des  menschlichen  Körpers 
landkartenartig  eingetragen  enthalten,  während  in  den  beiden  andern  die  Zahlen  von 
1 — 12  bezw.  1 — 8  die  Empfindungsintensität  der  betreffenden  Stellen  bezeichnen. 

Zwei  Tabellen  enthalten  als  Erklärung  zu  den  Zeichnungen  die  Prüfungsstellen 
für  Kälte-  und  Wärmemessung  unter  Angabe  ihrer  Dignität,  während  dieselben  in 
zwei  andern  nach  dem  Nervengebiete  geordnet  sind. 

Die  AoÜBteUung  von  12  bezw.  8  Stufen  ist  empirisch  erfolgt;  die  Uebergänge 
zwischen  denselben  sind  als  practisch  unwichtig  und  complicirend  vernachlässigt. 


—     1S4    — 

Did  Untersachnng  in  Bezug  anf  den  Temperatarsinn  erfolgt  in  der  Weise,  dass 
man  den  Metallcylinder  anf  Stellen,  welche  bekannt  sind  als  am  meisten  empfindliche 
(Maximumstellen;  am  Kopf  z.  B.  Canthus  ext.,  an  der  Hand  Spat  inteross.  I  and 
unterer  Theil  des  Oss.  metacarp.  Y,  am  Fuss  Mitte  des  inneren  Fassrandes  und  Mitte 
der  Fasssohle  u.  s.  w.)  aufsetzt.  Erfolgt  hier  keine  Temperatarangabe,  so  muss  eine 
grobe  Störung  vorliegen;  ist  dieselbe  unsicher,  so  lässt  sich  Abschwächung  vermuthen, 
und  nun  muss  durch  Yergleichung  mit  gleich  empfindlichen  Stellen  derselben  oder 
entfernter  Regionen  (interne  und  externe  Prüfung)  festgestellt  werden,  wie  hochgradig 
die  Störung  ist  u.  s.  w. 

Es  ist  zu  beachten,  dass  die  Empfindlichkeit  für  Kälte  grösser  ist  als  für  Wärme 
(Verf.  hat  hierfür  eine  genügende  Erklärung),  desgleichen  an  der  linken  Hand  grössser 
als  an  der  rechten  (aus  naheliegenden  Gründen). 

Ein  Unterschied  von  2 — 3  Stufen  in  der  Angabe  des  Fat.  von  den  tabellarisch 
festgestellten  steht  noch  in  physiologischem  Bereich,  obwohl  individuell  sowohl  wie 
symmetrisch  die  Schwankungen  nicht  so  erheblich  sind.  Giebt  der  Fat.  dagegen  z.  B. 
an,  dass  er  am  Canthus  ext.  (Stufe  7)  ebenso  fühlt  wie  an  der  Spitze  eines  kleinen 
Fingers  (Stuf  1),  so  ist  eine  pathologische  Störung  sicher. 

Fehlerquellen,  die  ausführlich  erörtert  werden,  liegen  einmal  bei  dieser  Methode 
in  der  von  der  untersuchten  Person  verlangten  psychischen  Leistung.  Deshalb  thnt 
man  gut,  die  Intelligenz  des  Fat.  darch  eine  Vorprüfung  am  Gesicht,  wobei  man  ihm 
sagt,  worauf  es  ankommt,  auf  die  Probe  zu  stellen. 

Weiterhin  ist  es  die  Ermüdung  des  Temperatursinns,  welche  ungemein  leicht 
eintritt  und  zu  Irrthümem  Veranlassung  geben  kann,  und  schliesslich  die  Abkühlung, 
die  Verminderung  der  Eigentemperatur,  welche  die  Empfindlichkeit  für  Temperaturen 
erheblich  schädigt  und  deshalb  leicht  pathologische  Störungen  vortäuschvin  kann.  In 
dieser  Hinsicht  ist  zu  erwähnen,  dass  eine  physiologische  Herabsetzung  des  Tem- 
peratursinns sich  genau  so  äussert  wie  eine  pathologische.  Wie  sehr  diese  Thatsache 
in*s  Gewicht  fällt,  erhellt  aus  der  Angabe  des  Verf.'s,  dass  bei  einer  Hauttemperatur 
von  23 — 24^  C.  die  Kälteempfindlichkeit  um  5 — 6,  die  Wärmempfindlichkeit  um 
3 — 4  Stufen  differi]:en  kann. 

Den  Schluss  der  Arbeit,  deren  sehr  viele  interessante  Einzelheiten  sich  hier 
natürlich  der  Wiedergabe  entziehen,  bildet  eine  Reihe  von  Beispielen,  die  zugleich 
den  Gang  der  Untersuchung  veranschaulichen. 

Die  Forderung  des  Verf.'s,  dass  die  Temperatursinnprüfung  nicht  nur  als  Finesse 
zu  behandeln,  sondern  der  Sensibilitätsprüfung  als  ebenbürtig  einzureihen  sei,  begründet 
sich  allein  schon  durch  seine  Beobachtung,  die  er  bei  der  diesbezüglichen  Prüfung  von 
120  pathologischen  Fällen  gemacht  hat,  dass  die  Temperatursinn-Störungen  nicht  etwa 
bloss  als  rara  avis  vorkommen,  sondern  als  integrirender  Bestandtbeil  an  den  Ver- 
änderungen der  Hautsensibilität  und  oft  sogar  mehr  in  die  Augen  fallen  als  die 
Störungen  der  sonstigen  Sensibilität. 

Die  topischen  Differenzen  der  Innervation  scheinen  auch  den  andern  Qualitäten 
der  Hausensibilität  gegenüber  eine  Bedeutung  zu  haben. 

Das  Material,  an  dem  Verf.  seine  schönen  Untersuchungen  gemacht  hat,  stammt 
aus  der  Poliklinik  der  Proff.  Mendel  und  Eulenburg. 

Die  vorliegende  Arbeit  kann  nicht  angelegentlich  genug  zur  Leetüre  und  zum 
Studium  empfohlen  werden.  Sperling. 

3)   Die  Einwirkung  der  Kohlensäure  auf  die  sensiblen  Nerven  der  Haut, 

von  Dr.  Goldscheide r.  (Verhandlungen  der  Physiologischen  Gesellschaft  zu  Berlin 
vom  25.  Nov.  1887.) 

Kohlensäure  bewirkt  in  der  Haut  ein  deutliches  Wärmegefühl,  an  der  Hand 
eine  Erhöhung  wie  um  2 — 3^  nach  G.,   im  Kohlensäure -Vollbade  von  +12^  nach 


—    136    — 

Eisch  wie  eine  Temperatur  von  45®.  —  Q,  erörtert  nun,  dass  weder  der  grössere 
FeachtigkeitBgehalt  der  Eohlens&ore^  noch  ihre  Wärmecapacit&t  oder  ihr  Wärme- 
leitongsvermögen,  noch  andere  physikalische  Eigenschaften  dies  bewirken  können.  — 
Eine  thatsächliche  Temperaturerhöhung  der  betreffenden  Hauttheile  findet  auch  nicht 
stattp  Tielmehr  an  der  Ton  Epidermis  befreiten  Haut  eine  geringe  Abkühlung.  Das 
fragliche  Wärmegefflhl  entspricht  vielmehr  einer  directen  chemischen  Erregung 
der  Wärmenerven,  denn  es  tritt  mit  dem  Wärmegefühl  eine  Wärmehyperästhesie 
auf  neben  einer  Gefühlshyperästhesie  und  bei  der  nach  längerer  Kohlensäure-Ein- 
wirkung sich  einstellenden  Hypästhesie  ist  die  Herabsetzung  der  Empfindlichkeit  bei 
den  Wärmenerven  weniger  ausgesprochen,  als  bei  den  Kältenerven;  endlich  ist  die 
ganze  Erscheinung  an  Hautstellen  mit  besonders  guter  Wärmeempfindlichkeit  viel 
deutlicher  als  an  anderen.  Hadlich. 

4)   üeber  die  Wahrnehmung  eigener  passiver  Bewegnngen   durch  den 
MuakelsinD,  von  K.  Schaefer,  Jena.    (Arch.  f.  d.  ges.  Phys.   Bd.  XLL). 

Die  Bewegungsvorstellungen,  welche  bei  passiven  Bewegungen  auffcreten  und 
namentlich  von  Mach  und  Delage  studirt  worden  sind,  werden  nach  Schaefer  aus- 
gelöst durch  die  specifischen  Spannungsänderungen  der  Muskeln  während  der  Bewe- 
gmig.  Die  nachfolgenden  (compensatorischen)  Zwangsbewegungen  beruhen  auf  einem 
Beflexmechanismus,  durch  welchen  die  gewöhnliche,  normale  Körperhaltung  immer 
wieder  hergestellt  wird.  Die  letztere,  welche  Yerf.  treffend  als  Usustatus  bezeichnet, 
isfc  fOr  jedes  Thier  verschieden;  für  den  Menschen  ist  es  z.  B.  die  Verticalstellung 
auf  den  Füssen. 

Yerf.  spricht  sich  gegen  eine  Betheiligung  der  halbzirkelförmigen  Canäle  beim 
Zustandekommen  der  Bewegungsvorstellungen  bei  passiver  Aenderung  des  Usustatus 
ans.  Vielmehr  werden  die  Muskeln  durch  passive  Bewegungen  mehr  gedehnt,  als  sie 
es  vorher  waren.  Diese  Spannungsänderungen  werden  durch  myästhetische  Nerven 
einem  Gentralorgan  —  wahrscheinlich  dem  Kleinhirn  —  gemeldet  und  von  dort  aus 
reflectorisch  eine  Wiedercontraction  des  passiv  gedehnten  Muskels  bewirkt,  welche 
den  Usustatus  wieder  herstellt.  Dass  dieser  Beflexvorgang  nur  bei  Gefährdung  des 
Usustatns  in  vollem  Umfang,  hingegen  bei  passiven  Bewegungen  eines  einzelnen 
Gliedes  sowie  bei  allen  activen  Bewegungen  nur  andeutungsweise  eintritt,  erklärt  sich 
daraus»  dass  derselbe  in  den  beiden  letzteren  Fällen  seit  unendlich  vielen  Genera- 
tionen vom  Willen  unterdrückt  worden  ist.  Th.  Ziehen. 


Pathologische  Anatomie. 

5)  Ein  Fall  Yon  Bankenneurom  der  Intercostalnerven  mit  Fibroma  moUus- 
oom  und  Neurofibromen,  von  Dr.  J.  Pomorski,  Assistenten  am  pathol.  In- 
stitut zu  Greifswald.    (Virchow's  Arch.  Bd.  CXI.   1.) 

Seit  Bobin  zuerst  im  Jahre  1851  die,  später  (1861)  von  Verneuil  „Neu- 
roma plexiforme",  von  Bruns  1870  „Bankenneurom"  genannte,  eigenthümliche  (}e- 
schwulstform  beschrieben  hat,  sind  19  Fälle  beschrieben  worden,  auch  ihr  Zusammen- 
vorkommen  mit  multiplen  Fibromen  und  Neurofibromen  constatirt  (Winiwarter).  — 
P.  besehreibt  einen  Fall,  in  welchem  sich  1.  ein  Fibroma  molluscum'in  Gestalt  von 
2  mit  einander  zusammenhängenden  kindskopfgrossen  Tumoren  in  der  rechten  Thorax- 
büfte  fand,  sowie  mehrere  kleinere  Knoten,  2.  im  Bereiche  der  ganzen  rechten  Pleura 
costalis  eine  Geschwulst  aus  zahlreichen  rankenartig  gewundenen  Strängen  und  Wülsten 
von  cylindriseher  oder  variköser  G^talt,  von  lockerem  Bindegewebe  theils  verbunden, 
theils  80  umhüllt,  dass  die  Banken  in  glattwandigen  Taschen  zu  liegen  kommen.  Die 
Interoostalnerren  sind  unregelmässig  spindelförmig  verdickt  und  ihre  bindegewebige 
zu  Fibromen  verdickte  Scheide  geht  in  die  Ranken  und  Wülste  über.   3.  Neurofibrome 


—    136    — 

der  Nn.  vagi  und  der  Nerven  beider  Arme  (median^  radial,  ulnarO  —  Der  Kranke 
war  an  hämorrhagischer  Pleuritis  zu  Grunde  gegangen.  —  Es  gelang  dem  Verf. 
nachzuweisen,  dass  nicht  nur  die  beiden  Geschwulstarten  (Fibroma  moU.  und  Neuro- 
fibrome) durch  den  Nachweis  von  Nervenfasern  unter  einander,  sondern  auch,  dass 
die  beiden  mit  dem  Bankenneurom  der  Pleura  in  einem  engen  Znsammenhange  stehen, 
indem  alle  von  Nerven  resp.  dem  in  und  um  die  Nerven  liegenden  Bindegewebe  ge- 
bildet werden.  Hadlich. 

6)   Di  un  oaso  raro   di  odoppiamento  paandale  del  midoUo  aplnale,   pel 

A.  Bonome,  Torino.     (Arch.  per  le  scienze  mediche.    1887.    XL    4.) 

Bei  einem  2  jährigen  Kind  fand  sich  der  linke  Fuss  nur  als  knochenloser  rudi- 
mentärer Anhang  des  Beins;  der  rechte  Fuss  hatte  die  doppelte  Grösse  des  linken, 
Talus  und  Calcaneus  waren  missbildet  Keine  Spina  bifida.  Im  unteren  Dorsalmark 
erwies  sich  der  linke  Hinterstrang  erheblich  kleiner  als  der  rechte.  In  der  Lenden- 
anschwellung erschienen  die  Hinterhömer  nach  aussen  verschoben,  rechts  und  links 
erscheint  an  der  Peripherie  der  Goll'schen  Stränge  ein  Keil  heterotopischer  grauer 
Substanz.  Letztere  nimmt  nach  unten  zu  und  verschmilzt  mit  der  hinteren  grauen 
Commissur.  Die  vordere  weisse  und  graue  Commissur  schwinden;  statt  eines  Cen- 
tralorgans  treten  zwei  auf.  Die  mit  der  hinteren  Commissur  verschmolzenen  heteroto- 
pischen  Keüe  treten  auseinander  und  bilden  jederseits  ein  neues  Hinterhom.  Zwischen 
die  beiden  nun  getrennten  Bückenmarkshälften  drängt  sich  eine  Bindegewebsmasse, 
welche  ihrerseits  e'men  Strang  aus  Knorpelgewebe  enthält 

Die  Reste  grauer  Substanz  rechts  und  links  nehmen  weiterhin  mehr  und  mehr 
auf  jeder  Seite  die  charakteristische  Form  der  Subst.  grisea  des  Bflckenmarks  an. 
Gleichzeitig  findet  eine  Drehung  statt,  so  dass  das  Bückenmark  jeder  Seite  die  Yor- 
derhömer  medialwärts,  die  Hinterhömer  lateralwärts  richtet.  Das  linke  Bückenmark 
ist  kleiner.  Die  totale  Verdoppelung  des  Bückenmarks  erstreckt  sich  2  cm  weit 
Noch  weiter  caudalwärts  verkleinert  sich  das  linke  Bückenmark  fortgesetzt,  schliess- 
lich bleibt  nur  das  rechte  übrig.  Th.  Ziehen. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

7)  Ein  Beitrag  sur  Casuistik   der  Hypophysis-Tumoren.    Aus  dem  pathol.- 
anat  Institut  in  Heidelberg.    Von  Dr.  Job.  Heusser.     (Yirchow's  Arch.  CX.  1.) 

Eine  64jährige  Frau  mit  Carcinoma  recti  wurde  wegen  dieses  Leidens  operirt 
und  starb  am  nächsten  Tage.  Sie  litt  an  bedeutender  Sehschwäche  des  linken  Auges 
und  vollständiger  linksseitiger  Ptosis,  die  sich  während  der  letzten  -4  Wochen  ent- 
wickelt hatte;  dabei  heftige  linksseitige  Gesichtsschmerzen,  ab  und  zu  Kopfschmerzen, 
Schwindel  und  Uebelkeit 

Die  Section  ergab  —  von  dem  Uebrigen  abgesehen  —  eine  Geschwulst  der  Hypo- 
physis,  beinahe  pflaumengross,  röthlich,  ziemlich  derb,  welche  stellenweise  die  Dura  ab- 
gehoben und  den  Knochen  usurirt  hatte:  ein  malignes  Lymphosarkom,  das  seinen  Ur- 
sprung im  vorderen  Lappen  der  Hypophysis  genommen  hat.  —  Zu  Breitner's  und  Bern- 
hardts Litteraturangaben  bringt  Verf.  noch  zwei  ältere  und  zwei  neuere  Fälle  von 
Hypophysistumoren  bei  (von  Petrina  und  Hayet,  bezw.  von  H.  Beck  und  Lawson.) 

Aus  einer  Zusammenstellung  von  20  Fällen  leitet  er  sodann  die  Symptomato- 
logie dieser  Geschwulst  ab,  die  allerdings  manchmal  (bei  sehr  langsamem  Wachs- 
thum)  gar  keine  Erscheinungen  machen;  oder  nur  allgemeinere;  treten  aber  Heerd- 
erscheinungen  auf,  so  wird  die  Diagnose  eines  Tumors  der  Hypophyse  wahrscheinlich 
bei:  Kopfschmerzen,  Apathie  und  Abnahme  der  geistigen  Kräfte,  Amblyopie  bis  zur 
Amaurose,  nebst  Ptosis  oder  (seltener)  Strabismus,  Pupillenträgheit  oder  PupiUenstarre; 
dazu  kommen   noch   bisweilen  Trigeminusneuralgie  (meist  einseitig),  Protrusio  bulbi 


—    187    — 

und  PareBen   der  Extremitäten.  —  Verf.    stimmt  also   hierin  mit  Bayer,  Petrina, 
Bernhardt  überein.  HadUch. 

8)  Zur  Pathogenese  des  Morbus  Basedowü,  von   G.  N.  Dardufi.     (D.  Med. 
Wochenschr.  1887.    Nr.  21.) 

Im  Anschluas  an  Filehne's  Experimente  worden  nene  Untersuchungen  an  Kanin- 
chen angestellt.  Verf.  machte  im  verlängerten  Marke  am  unteren  Bande  resp.  unter- 
halb des  sogenannten  Tuberculum  acnsticum  (Tuberculum  laterale,  Stieda,  tubercule 
de  Wendel)  mit  einem  feinen  Messer  einen  Schnitt,  lateralwärts  vom  genannten  Tuber- 
cnlam  in  transversaler  Bichtung  2 — 2^/^  mm  lang  und  nicht  über  1  — 1^2  o^ni  tief. 
Wurde  die  beschriebene  Operation  beiderseits  ausgeführt,  so  Hess  sich  eine  Beschleu- 
nigmig  der  Herzthätigkeit  (?),  Protusion  der  Augen  und  Erweiterung  der  Pupillen 
feststellen.  Die  Kaninchen  erholten  sich  gleich  nach  der  Operation  und  ^ngen,  nach- 
dem sie  1 — 2  Wochen  sonst  keinerlei  Veränderung  zeigten,  nach  3 — 4  Wochen  apa- 
tisch und  abgemagert  zu  Grunde.  Die  Pupillen  waren  am  Cadaver  immer  bedeutend 
erweitert  Wurde  die  Operation  nur  einerseits  gemacht,  so  war  der  Verlauf  derselbe; 
nar  war  der  Exophthalmus  und  die  Pnpillenerweiterung  unilateral  (auf  der  Seite  der 
Verletzung)  und  beide  Symptome  zeigten  die  Neigung  zu  progressiren,  wie  sie  auch 
am  Cadaver  deutlicher  hervortreten.  Mit  Berücksichtigung  der  Arbeiten  von  Ferner 
und  von  Kotschanowski  nimmt  Verf.  an,  dass  von  der  Stelle  der  Verletzung  in  der 
Oblongata  ein  Degenerationsprocess  von  Nervenfasern  beginnt,  welche  die  Impulse 
vom  Centrum  aus,  zu  den  glatten  Muskeln  des  Auges  (M.  dilatator  pupillae,  M.  or- 
bitalis  H.  Müllen,  Ss^per)  durchleiten;  infolge  dessen  beobachtet  man  bei  Doppel- 
wie  auch  einseitiger  Verletzung  der  betreffender  Partie  Bulbusprotusion  und  Pnpillen- 
erweitemng.  Kalischer. 

9)  SuT  le  traitement  et  sur  quelques  partioularitäs  oltniques  de  la  xnala- 
die  de  Basedow  (Goltre  exophthalmique) ,  par  Vigouroux.  (Progr.  med. 
1887.  Nr.  43.) 

V.  rühmt  die  Behandlung  der  Basedow*schen  Krankheit  mit  dem  faradischen 
Strom  in  .ähnlicher  Weise,  wie  bereits  Przewoski  es  gethan:  Das  Verfahren,  das 
V,  dabei  einschlägt,  besteht  aus  folgenden  vier  Applicationen:  1)  Eine  Electrode  von 
7—8  cm  im  Durchmesser  setzt  er  auf  den  unteren  und  hinteren  Theil  des  Ha]ses,  die 
andere  kleinere  schmale  und  glatte  von  Olivenform  (1  cm  im  Durchmesser)  an  die 
Innenseite  des  Stemocleidomastoideus  in  der  Gegend  des  Zungenbeins.  —  Er  drückt 
dieselbe  stark  hinein,  sodass  die  Pulsation  der  Carotis  deutlich  fühlbar,  —  der  mit 
dieser  verbundene  Pol  ist  der  negative.  —  Dauer  der  Application  beiderseits  je 
iVs  Minuten.  —  Der  Strom  soll  so  stark  genommen  werden,  dass  er  auf  dem  moto- 
rischen Punkte  des  Stemodeidomastoideus  eine  deutliche  Contraction  auslost  2) 
Electrisation  des  muscul.  orbicular.  palpebrarum,  des  muscul.  frontalis;  Bestreichen 
der  Augenlider  von  aussen  nach  innen  bei  gleicher  Lage  der  positiven  Electrode,  wie 
bei  der  ersten  Application.  —  3)  Statt  der  kleinen  olivenförmigen  wird  nunmehr 
eine  flache  von  4  cm  im  Durchmesser  genommen  und  der  Kropf,  sowie  die  oberfläch- 
lichen und  tiefen  Halsmuskeln  faradisirt.  4)  Jetzt  wird  der  Strom  gewendet  und 
ZOT  Faradisation  der  Präcordial-Gegend  geschritten.  Die  betreffende  Electrode  sitzt 
links  vom  Stemum  im  UI.  linken  Intercostalraum;  es  werden  nur  leichte  fibrilläre 
Zackungen  im  Pectoralis  hervorgerufen.  Dieser  Ansatz  soll  2 — 3  Minuten,  die  ganze 
Behandlung  10 — 12  Minuten  dauern,  täglich  soll  eine  Sitzung  stattfinden  und  die 
Kur  muss  nach  V.  mit  Consequenz  Monate  lang  durchgeführt  werden.,  V.  hat  Besse- 
rung und  Heilung  der  wesentlichsten  Symptome  des  Morb.  Basedowii  durch  den 
faradischen  Strom  gesehen,  —  mehr  Erfolg  jedenfalls  als  mit  medicamentösen  und 

9 


—     188    — 

hydrotherapoutiflchen  Proceduren.  Ueber  die  physiolog^he  Wirkungsweise  der  be- 
ireffenden faradischen  Applicationen  erlaubt  sich  V.  kein  Urtheil,  er  hält  die  Ein- 
wirkung auf  Sympathicus  und  Vagus  fttr  wahrscheinlich,  die  Modification  der  Cir- 
cnlation  im  Sch&del  fCür  eine  Thatsache.  Einige  kurze  Daten  aus  Krankengeschichten 
illustriren  die  therapeutischen  und  physiologischen  Bemerkungen  des  Verfassers. 

Lähmungen  und  Muskelatrophien  und  Herabsetzung  der  Erregbarkeit  will 
Vigouroux,  wie  Potain  besonders  im  Gebiete  der  N.  facialis  und  im  Stemocleido- 
mastoideus  beobachtet  haben.  V.  wiederholt  femer  seine  schon  früher  gemachten 
Angaben  Ober  die  Veränderung  das  electrischen  Leitungswiderstandes  der  Haut  bei 
Morb.  Basedowü.  Laquer. 

10)  A  new  point  in  the  DiagnoBis  of  Graves'  Disease,  by  B.  Norrie  Wolf  en- 
den (Cantab).    (The  Practitioner.  1887.  Nr.  234.  S.  8.) 

Schon  Charcot  wies  darauf  hin,  wie  schwierig  es  sei,  die  Basedow'sche 
Krankheit,  so  lange  sie  noch  nicht  ganz  entwickelt  oder  überhaupt  zweifelhaft  ist, 
zu  diagnosticiren.  Drei  Punkte  seien  in  diesen  Fällen  zu  beachten:  Die  Palpation, 
der  Tremor,  und  die  Verringerung  des  Leitungswiderstandes  gegen  die  elektrischen 
Str/)me.  Die  letzte  Erscheinung,  eines  der  ft*flhesten  Symptome,  konnte  Verf.  an 
20  Fällen  bestätigen.  Seine  Untersuchungsmethode  nach  Thisleton  und  De  Watte- 
Tille  wird  ausführlicher  beschrieben.  Bei  einem  massigen  Strom  von  15  Volts  EMF. 
betrug  der  Leitungswiderstand  bei  Gesunden  4000—5000  Ohms.  In  8  Fällen  von 
ausgesprochenem  Morb.  Basedow,  betrug  der  Leitungswiderstand  300 — 900  Ohms, 
in  12  unentwickelten,  resp.  unvollständigen  Formen  dieser  Krankheit  betrug  er  1000 
bis  1500  Ohms.  Charcot  fand  in  einem  Falle  900,  in  einem  anderen  1170  Ohms. 
Zur  GontroUe  untersuchte  Verf.  gewöhnliche  Kopfkranke,  und  fand  einen  Leitungs- 
widerstand von  5000 — 6000  Ohms;  in  7  Fällen  von  Hemiplegie  fand  er  1300  bis 
4000,  in  7  Fällen  von  Epilepsie  1000—4000,  in  3  Fällen  von  Gehirnerweichung 
3000,  in  2  Fällen  von  Paraplegie  3000,  in  1  Fall  allgemeiner  Paralyse  6500,  in 
1  Fall  von  Kinderlähmung  2600,  in  1  Fall  von  Hysteroepilepsie  1600  Ohms  und 
endlich  in  1  FaU  schwerer  Chorea  bei  einem  37  jährigen  Manne  350  Ohms  bei  einer 
Stromstärke  von  15  Volts  EMF.  In  einem  Falle  Spicer*s  von  Morb.  Basedowü 
betrug  der  Leitungswiderstand  nur  250  Ohms  bei  einer  Stromstärke  von  13  Volts  EMF. 
die  Ursache  dieser  erheblichen  Vermindemng  des  Leitungswiderstandes,  schon  in  den 
frühesten  Perioden  des  Morb.  Basedowü  sucht  Verf.  in  der  vasomotorischen  Dilatation 
der  Hautcapülaren,  welche  die  Haut  mit  Flüssigkeit  sättigt  und  die  Trockenheit 
der  schlecht  leitenden  Haut  auf  ein  Minimum  redncirt  Die  Angabe  Silva*s,  dass 
in  drei  FäUen  von  Morb.  Based.  durch  die  Prüfung  und  Behandlung  der  Leitungs- 
widerstand von  1000  bis  zu  5000  Ohms  anwuchs,  konnte  W.  in  seinen  Fällen  be- 
stätigen; auch  hier  erreichte  bei  längerer  Behandlung  der  Leitungswiderstand  das 
normale  Maass  von  ca.  5000  Ohms.  Kalischer. 


11)  De  l'äpilepsie  Jaoksoiiieime.  M^m.  couronn^  par  la  soc.  de  mM.  et  de  chir. 
de  Bordeaux»  revue  et  considirablement  augment^  par  le  Dr.  E.  Rolland,  m^  des 
asües  „John  BosV*  de  Laforce  (Dordogue).  Pr^cMfe  d*une  notice  sur  les  asUes 
»John  BosV*  par  le  Dr.  E.  Monod  et  d'une  mtroduction  par  le  Dr.  X.  Amozan. 
Paris  1888.    (192  Seiten.) 

Die  vorliegende  Schrift  als  Beantwortung  einer  von  der  in  der  Aufechrift  ge- 
nannten Qesellschaft  gestellten  Preisfhtge  entstuiden,  kommt  gerade  jetzt»  wo  die  in 
den  Vordergrund  tretende  chirurgische  Behandlung  der  Gehimkrankheiten  an  den 
Symptomen  der  sog.  Jaökson^schen  fipüepsie  einen  wichtigen  Anhaltspunkt  für  ihr 
Handeln  gewonnen,  einem  entschiedenen  Bedürfbiase  entgegen,  xumal  da  trotz  der 


—    189    — 

lahlreichen  Litieratur  eine  nach  jeder  Bichtong  hin  zuaaminenfiissende  Darstellung 
des  Gegenstandes  bisher  noch  nicht  vorliegt. 

In  einem  Einleitungscapitel  giebt  BoUand  einen  kurzen  Abriss  über  makrosko- 
pische und  mikroskopische  Anatomie  der  Grosshimrinde,  der  sich  inhaltlich  sowohl  wie 
hinsichtlich  der  beigegebenen  Abbildungen  in  den  bekannten  Geleisen  der  zahlreichen 
einschlägigen  Arbeiten  bewegt  und  in  der  Beschreibung  der  feineren  Structnrverhält- 
nisse  der  Grosshimrinde  direct  als  unzureichend  bezeichnet  werden  muss;  das  gleiche 
darf  wohl  auch  von  dem  physiologischen  Besum^  behauptet  werden,  was  jedoch  im 
Hinblick  auf  die  kürzlich  erfolgte  grosse  YeröfiTentlichung  Fran^is-Frank's  nicht  so 
sehr  in's  Gewicht  fällt. 

Um  so  eingehender  sind  die  einer  kurzen  historischen  Einleitung  folgenden 
Capitel  der  Symptomatologie^  patholc^ischen  Anatomie  und  Physiologie  abgehandelt, 
die  weit  über  die  Hälfte  des  Buches  ausmachen;  die  erstere  stützt  sich  in  erster 
Linie  auf  109  mit  Sectionsbefunden  versehene  Fälle  (darunter  mehrere  sehr  inter- 
esBante  eigener  Beobachtung),  deren  graphische  Darstellung  auf  einer  Himschablone 
eine  interessante  Ergänzung  der  kürzlich  von  Naunyn  gegebenen  Topographie  der 
Sprachstörungen  bildet. 

In  gleich  erschöpfender  Weise  finden  sich  weiter  die  Diagnose  und  die  Therapie, 
diese  namentlich  unter  besonderer  Berücksichtigung  der  Arbeiten  Horsley*s  abgehandelt. 

Die  Anführung  der  Conclusions  des  Verfassers  können  wir  uns,  da  sie  wie  das 
Bach  überhaupt,  nur  den  gegenwärtigen  Stand  der  Frage  darstellen,  versagen,  nur  die 
erste  sei  zur  Präcisirnng  seines  Standpunktes  hierhergesetzt,  indem  er  sich  dahin  aus- 
spricht^ dass  die  Jackson'sche  Epilepsie  absolut  nichts  mit  der  Epilepsie  gemein  habe. 

Am  Schlüsse  unserer  Anzeige  dürfen  wir  es  nicht  unterlassen,  der  Einleitung 
Monod's  den  Hinweis  auf  ein  Werk  der  Barmherzigkeit  zu  entnehmen,  das  unseres 
Wissens  selbst  in  den  Fachzeitschriften  weder  Erwähnung  noch  auch  entsprechende 
Würdigung  gefunden;  es  handelt  sich  um  ein  im  Jahre  1848  von  John  Bost,  damals 
Pastor  in  Laforce,  mit  Hülfe  von  Schenkungen  gestiftetes  Heim  für  verwaiste  und  ver- 
lassene Mädchen,  an  welches  sich  allmälig  noch  8  weitere  Heimstätten  angliederten, 
von  denen  6  (je  3  für  Knaben  und  Mädchen)  für  Sieche,  Unheilbare,  Blinde,  Idioten 
and  Epileptische  jugendlichen  Alters,  bestimmt  sind.  Diese  6  Abtheilungen  beher- 
bergen 360  Zöglinge,  von  denen  150  Epileptische  sind.  BoBand  ist  Arzt  der  ver- 
einigten Anstalten.  A.  Pick. 

12)  Ueber  spinale  progressive  Muskelatrophie  und  amyotrophiscbe  Seiten- 
Strangsklerose,  von  Adolf  Strümpell.  (Sonderabdr.  aus  der  Festschrift  zur 
Feier  des  25jährigen  Professoren-Jubiläums  F.  A.  v.  Zenker's  1887.) 

Bei  der  bisherigen  Seltenheit  genauer  Beobachtungen  von  Fällen  reiner  spinaler 
progressiver  Mulkelatrophie  theilt  Strümpell  ausführlich  einen  Fall  mit,  der  s.  Z.  schon 
auf  der  Wnnderlich'schen  Klinik  als  Typus  vorgestellt  wurde.  Frau  Erbs,  1820  ge- 
boren, als  Waschfiau  viele  Jahre  sehr  angestrengt  körperlich  thätig,  merkte  seit 
1874  Schwäche  der  Arme,  welche  sie  1875  in  die  Klinik  führte.  Hier  fand  man 
eme  Atrophie  der  Deltoidei,  Supra-  und  Infraspinati;  an  den  Armen  war  Biceps  und 
Brachials  int.,  femer  Supinator  longus  betroffen.  Qanz  langsam  schritt  das  Leiden 
fort  auf  die  Pectorales,  Latissimi  dorsi,  Serrati  ant.  m^ora;  femer  Gucullaris,  Triceps 
und  Teres  mijor;  spät  erst  Bhomboidei  und  Handmuskeln,  insbesondere  des  linken 
Daumenballens.  Noch  nach  6  Jahren  waren  nur  die  Schultern  und  Arme  ei^riffen, 
«rst  in  den  3  letzten  Jahren  (Tod  am  1.  Mai  18^3)  auch  gewisse  Muskelgebiete 
an  den  Beinen  (Quadrioeps,  Adductores,  Peronei).  Die  Bulbämerven  scheinen  bis  zu- 
letit  frei  geblieben  zu  sein.  —  Nebenher  geht  ein  thrombotischer  Cortikalheerd  links 
mit  späterer  sekundärer  rechtsseitiger  Pyramidenstrangdegeneration.  —  Die  Sensibi- 
lität war  ganz  normal;  nicht  die  geringsten  spastischen  Erscheinungen.    Sehnenreflexe 

e* 


—    140    — 

an   den  Armen  niehl  vorbanden,   an   den  Beinen   nicht   erhöht;    reichlich  fibrilläre 
Zuckungen. 

Es  fand  sich  eine  hochgradige  Degeneration  der  motorischen  Nerven,  der  (Gang- 
lienzellen, der  Yorderhömer  im  Halsmark  —  eine  viel  geringere  im  Lendenmark  — 
und  eine  degenerative  Atrophie  der  betroffenen  Muskeln.  —  Wo  das  eigentliche  Agens 
der  Krankheit  zuerst  wirksam  ist,  ob  in  den  Ganglienzellen  oder  peripher  —  in  letz- 
terem  Falle  nach  Strümpell  doch  wohl  in  den  Nervenend&sten,  nicht  im  Muskel  — 
ist  noch  nicht  zu  sagen.  —  Der  Begriff  der  „Systemerkrankung''  ist  übrigens  selbst 
hier  nicht  allzu  schematisch  festzuhalten,  denn  das  Gebiet  der  Seitenstränge  vor  den 
Pyramidensträngen  und  am  Bande  des  Bückenmark  war  auch  nicht  intact 

Hieran  schliesst  Strümpell  die  Mittheilung  zweier  Fälle  von  amytrophischer 
Lateralskierose,  den  Charcot'schen  Angaben  grüsstentheils  entsprechend,  aber  auch 
in  manchen  Beziehungen  abweichend.  So  war  die  Lähmung  in  den  Armen  keine 
diffuse,  sondern  das  Vorwiegen  der  Alrophie  in  einzelnen  Muskeln  (Daumenballen, 
Interofisei,  Deltoidei)  war  deutlich  ausgesprochen.  Yerhältnissmässig  erst  spät  —  nach 
3  Jahren  —  traten  Bulbärerscheinungen  auf.  Auch  ging  nicht  immer  die  Lähmung 
der  Atrophie  voran  (Chacrot),  sondern  beides  war  —  an  den  oberen  Extremitäten  — 
nicht  auseinanderzuhalten. 

In  dem  einen  Falle  waren  die  spastischen  Erscheinungen  kaum  nachzuweisen, 
hier  war  aber  die  Erhöhung  der  Sehnenreflexe  von  entscheidender  Bedeutung  für  die 
Seitenstrangaffection;  doch  war  letztere  nur  eine  relativ  geringe  und  so  ein  Fall  vor- 
handen, der  als  Mittelglied  zwischen  reiner  spinaler  Muskelatrophie  und 
amyotrophischer  Seitenstrangsklerose  angesehen  werden  kann;  die  chro- 
nische Bulbärparalyse  tritt  als  dritte  Unterart  des  gleichen  Erankheitsprocesses  hinzu 
(Kussmaul).  —  Untersuchungen  der  Bnlbärkeme  und  ihrer  Verbindungen  mit  der 
Binde  müssen  künftig  genauer  ausgeführt  werden,  da  spastische  Erscheinungen 
im  Gebiete  der  Bnlbärnerven  auf  Ergriffensein  dieser  Verbindungen  hindeuten. 

Hadlich. 


13)   Kote  Bur  un  oas  d'atrophie  muBOulaire  progressive,  secondaire  döve- 
lopp6e  ohes  un  SQjet  primitivement  atteint  de  paralysie  infiantile.    Far 

A.  Dutil.     (Gazette  m^dic.  de  Paris  1888.    1.) 

Bei  Individuen  mit  spinaler  Einderlähmung  können  gewisse  Schädlichkeiten  (In- 
fectionskrankheiten,  Erkältungen,  Ueberanstrengungen)  sowohl  acute  als  subacute  wie 
chronische  Myelitiden  hervorbringen,  die  letzteren  unter  dem  Bilde  der  progressiven 
Muskelatrophie.  Einen  solchen  Fall  theilt  Dutil  mit.  Ein  39 jähriger  Eranker,  der 
seit  seiner  Eindheit  eine  Parese  des  rechten  4rmes  und  linken  Beines  besass,  übri- 
gens ein  geschickter  Handwerker  geworden  wiy,  hatte  nur  in  dem  Alter  von  30  bis 
23  Jahren  einen  massigen  Abusus  spirituos.  getrieben.  AuffiQlend  war,  dass  er  im 
14.,  32.  und  35.  Jahre,  und  zwar  z.  Thl.  auf  recht  geringfügige  Veranlassungen  hin, 
Enochenbrüche  sich  zugezogen  hatte,  sodass  er  selbst  meinte,  er  habe  sehr  brüchige 
Enochen.  Seit  3  Jahren  bemerkte  er  zunehmende  Schwäche  der  kranken  sowohl,  wie 
der  bis  dahm  gesunden  Glieder  und  musste  vor  IV2  Jahren  die  Arbeit  ganz  auf- 
geben. Im  October  1887  constatirt  Dutil  an  beiden  oberen  Extremitäten  eine  starke 
Atrophie  und  besonders  an  Schulter  und  Oberarm  (am  meisten  Mm.  triceps,  deltoides 
und  die  Schulterblattmuskeln),  weniger  am  Vorderam;  die  Hände  erscheinen  normal. 
Der  rechte  Arm  bot  Alles  in  stärkerem  Masse  dar.  Die  electrische  Erregbarkeit  war, 
dem  Grade  der  Atrophie  entsprechend,  vermindert  resp.  erloschen,  im  übrigen  gut 
Am  Rumpf  sind  die  Mm.  pectorales  und  rhomboidei  atrophirt.  —  An  den  unteren 
Extremitäten  sind  besonders  die  Unterschenkel  in  allen  ihren  Muskeln  betroffen,  femer 
der  triceps  femoris;  da  die  Füsse  und  in  der  Hauptsache  auch  die  Unterschenkel  im 
Kniegelenk  flast  gar  nicht  bewegt  werden  können,  so  ist  der  Gang  des'  Eranken  ein 


w^ 


—     141     — 

sehr  eigenthümlioher,  indem  er  fast  nur  durch  die  Yorwärtfibewegung  der  Hüften  zu 
Stande  kommt.  —  Das  Eniephänomen  ist  links  fast  erloschen,  rechts  sehr  schwach.  — 
Nie  bestanden  Sensibilitatsstörungen,  Blasen«  oder  Mastdarmlähmung;  keine  Störungen 
im  Gebiete  der  Himnerven. 

Das  Ganze  ist  also  unzweifelhaft  eine  Afifection  der  grauen  Vordersäulen  des 
Bückenmarks.  —  Die  Brüchigkeit  der  Knochen  dürfte  als  eine  trophische  Störung 
anch  auf  diese  Affection  zurückzuführen  sein.  Hadlich. 


14)  Acute  Myelitis  mit  Ausgang  in  Heilung,  von  E.  Schütz.     (Prager  med. 
Wochenschr.  1887.   Nr.  38.) 

15  jähr.  Schüler^  hereditär  nicht  belastet,  nach  längerer  Fusstour  in  der  Hitze 
und  Liegen  auf  feuchter  Erde,  Harnverhaltung,  Schmerzen  in  den  Beinen;  am  folgen- 
den Tage  die  beiden  rechten  Extremitäten  paretisch,  Kniephänomen  rechts  schwach, 
dauernde  Stuhl-  und  Harnverhaltung;  am  folgenden  Tage  Paraplegie,  partielle  Läh- 
mung des  rechten  Armes:  Sensibilität  frei.  Verlauf:  Kein  Fieber,  Parese  des  linken 
Armes,  Lähmung  der  Bauchmuskeln,  Sehnenreflexe  erloschen,  Herabsetzung  derSchmerz- 
empfindong,  Störung  der  Temperaturempfindung,  Schmerzhaftigkeit  des  2 — 6.  Hals- 
wirbelfortsatzes; Besserung  der  Beweglichkeit  der  Arme,  fleckweiser  Verlust  des  Tast- 
empfindung an  den  Beinen  und  an  der  unteren  Bauchhälfte,  Verlust  der  Kälteeijüpfin- 
dung  in  den  Beinen,  Steigerung  derselben  an  den  Bauchdecken,  heftige  Schmerzen 
in  den  Beinen  die  nur  bei  constanter  Flexionsstellung  derselben  sistiren;  bedeutende 
Abmagenuig  der  Beine,  handgrosser  Decubitus,  Gürtelschmerz,  Hamträufeln;  vom 
17.  Tage  der  Krankheit  ab  Bückkehr  der  Tastempfindung  an  den  Beinen,  Schmerz- 
empfindlichkeit  daselbst  gesteigert;  Besserung  der  HamenÜeernng,  allmälige  Besse- 
rung der  Motilität,  zuletzt  der  der  Bauchmuskeln;  Wiederkehr  der  Sehnenreflexe,  links 
kurzdanemdes  Fuasphänomen;  3^2  Monate  nach  Beginn  der  Erkrankung  restitutio 
ad  integrum. 

Seh.  nimmt  eine  Myelitis  acuta  disseminata  an.  A.  Pick. 


15)  ICyAite  oervioale  flaussement  attribute  a  un  traumatisme  pöxiphörique 
et  produite  en  röalitd  par  un  mal  de  Pott  möconnu,  par  J.  Grasset  et 
E.  Estor.     (Bevne  de  m^d.  F^vrier  1887.  p.  113.) 

Zwei  Monate  nach  einem  Fall  mit  nachfolgender  starker  traumatischer  Entzün- 
dung des  rechten  Handgelenks  traten  bei  einem  37jährigen  Kellner  neuralgische 
Schmerzen  im  rechten  Schultergelenk  auf.  Einige  Monate  später,  im  Mai  1886, 
wurde  der  rechte  Arm  fast  völlig  gelähmt,  später  auch  der  linke.  In  den  Beinen 
erhaltene  Motilität,  erhöhte  Patellarreflexe.  Sensibilität  besonders  am  rechten  Arm 
herabgesetzt,  in  der  Schultergegend  Hyperästhesie.  Halswirbel  auf  Druck  und  bei 
Bewegungen  des  Kopfes  sehr  schmerzhaft,  zeigen  aber  keine  Deformität.  Rechte 
PnpiUe  weiter,  als  die  linke.  Ausserdem  starke  schmerzhafte  Anschwellung  der 
Schilddrüse.  Unter  Zunahme  der  erwähnten  Erscheinungen  (nähere  Einzelnheiten 
siehe  im  Original)  erfolgte  der  Tod  im  November  1886,  nachdem  zuletzt  auch  die 
Beine  gelähmt  wurden. 

Die  Diagnose  war  auf  Myelitis  cervicalis  gestellt,  entstanden  durch  „aufsteigende 
Neuritis"  von  der  Verletzung  des  Handgelenks  ans.  Die  Autopsie  ergab  dagegen 
eine  Garies  der  Halswirbel  mit  Compression  der  Nervenwurzeln  und  des  Halsmarks. 
Daneben  Tuberculose  der  Schilddrüse  und  der  Lungen. 

Die  mitgetheilte  Beobachtung  trägt  hofiTentlich  dazu  bei,  von  Neuem  das  bisher 
völlig  Unbegründete  der  Lehre  von  der  durch  aufsteigende  Neuritis  entstehenden 
Myelitis  darzuthun.  Strümpell. 


—    142    — 

16)  Ein  Fall  von  Spina  bifida  occulta  mit  oongenitaler  lumbaler  Hypei^- 
trioboBe,  Pos  varus  und  „MbI  i>erforant  du  pied*',  von  Dr.  0.  Brnnner, 
Zürich.     (Virchow's  Arch.  CVII.   H.  3.) 

Fat.  ausser  der  Hypertrichose  und  rachitischem  Habitus  bis  zum  7.  Jahr  normal 
entwickelt,  dann  gelegentlich  einer  leichten  Verletzung  des  rechten  Fusses  jahrelang 
Ulceration  an  diesem,  Verbildung  desselben  und  Atrophie  des  rechten  Beins.  Im 
20.  Jahr  ward  normale  electrisch  Erregbarkeit  der  rechten  Beinmuskeln,  fast  völlige 
Aufhebung  des  Patellarrefiexes  rechts  und  Herabsetzung  der  Sensibilität  der  rechten 
Planta  pedis  sowie  eine  flache  Grube  in  der  Lumbosacralgegend  an  Stelle  der  Proc. 
spin.  constatirt.  Wegen  fortgesetzter  Ulceration  Amputation  nach  Lisfranc  mit  Erfolg. 
1  Jahr  danach  wegen  Rezidivs  des  Mal  perforant  im  Stumpf  (abermals  mit  An- 
aesthesie)  Amputation  nach  Pirogo£f.  Der  abgetragene  Theil  (von  Klebs  untersucht) 
zeigte  neben  typischen  zur  Nekrose  führenden  Granulationsgewebsbildungen  hyper- 
plastische Neuritis  mit  reichlicher  Neubildung  markloser  Nervenfasern  von  embryo- 
nalem Typus  und  Degeneration  des  markhaltigen.  Klebs  macht  die  hyperplastische 
Gewebsentwickelung,  die  zu  Mal  perforant  führte,  von  der  hyperplastischen  Neuritis 
und  letztere  von  einem  Ausfall  centraler  auf  trophische  Vorgänge  bezüglichen  Hem- 
mungsvorrichtungen abhängig.  Th.  Ziehen. 

17)  Beitrag  but  Lehre  von  der  spastlBchen  Spinalparalyse,  von  Prof.  Dr. 
Brieger.    (Charitö-Annalen  1887.    XII.  Jahrg.    S.  140—145.) 

Verf.  fflgt  zu  den  beiden  Fällen  von  v.  d.  Velden  und  Heuck  einen  neuen  hinzu, 
bei  dem  trotz  des  bestehenden  Symptomencomplexes  der  spastischen  Spinalparalyse 
der  Beginn  und  Verlauf  des  Leidens  unzweifelhaft  darauf  hinweisen,  dass  überhaupt 
keine  schwere  Alteration  des  Nervensystems  insbesondere  keine  Sklerose  des  Bflcken- 
marks  bestand.  Der  Pat.,  der  wiederholt  Bleikoliken  und  zuletzt  sogar  eine  Ijäh- 
mung  des  einen  Arms  infolge  von  Bleiintoxication  überwunden  hatte,  flbte  trotzdem 
seinen  Beruf  ohne  jede  Yorsichtsmassregel  weiter  aus,  bis  er  inmitten  eines  Zech- 
gelages plötzlich  in  kurze  Ohnmacht  verfiel.  Sofort  nach  dem  Erwachen  aus  der 
Syncope  trat  das  typische  Bild  der  spastischen  Spinalparalyse  entgegen.  Nur  die 
unmittelbar  nach  der  Att<aque  wahrgenommene  vollständige  Anaesthesie  der  Haut,  die 
sich  bis  zum  oberen  Drittel  des  Oberschenkels  hinauf  erstreckte,  entsprach  dem  Typus 
der  Krankheit  nicht;  da  jedoch  dieses  Symptom  in  kurzer  Zeit  schwand,  so  wurde  es 
nicht  weiter  in  Betracht  gezogen.  Die  spastischen  Symptome  wurden  als  durch  Blei- 
vergiftung veranlasste  angesehen,  zumal  eine  rasche  Besserung  erzielt  wurde,  nach- 
dem man  für  schleunige  Elimination  des  einverleibten  Bleis  gesorgt  hatte.  (Jodkali 
und  Schwefelbäder.)  Die  Aetiologie,  die  acute  Entstehung  und  rasche  Besserung  der 
spastischen  Symptome  legten  es  nahe,  das  Leiden  in  einer  Erkrankung  der  periphe- 
ren Organe,  Muskeln  oder  Nerven  zu  suchen.  Es  sind  überdies  die  functionellen 
Störungen  infolge  von  Bleiintoxication  nach  thatsächlichen  Ergebnissen  durch  Ver- 
änderungen entzündlicher  Natur  in  den  peripherischen  Nerven  und  Muskeln  bedingt 
(Zunker,  Friedlaender).  Somit  wird  auch  für  diesen  Fall  jede  schwere  anatomische 
Schädigung  des  Rückenmarks,  insbesondere  eine  Sklerose  der  Seitenstränge  ausge- 
schlossen. Ealischer. 


18)   Znr  Frage  der  chronischen  Vergiftung   durch  Syphilis,  von  Prof.  Dr. 

Th.  Rumpf  in  Bonn.    (Deutsche  med.  Wochenschr.  1887.    Nr.  36.) 

Rumpf  schliesst  sich  der  Ansicht  Strümpell's,  dass  die  Tabes  und  die  pro- 
gressive Paralyse  der  Einwirkung  eines  chemischen  durch  den  Syphilisprocess  erst 
secundär  erzeugten  Qiftes  ihre  Entstehung  verdanken,  nicht  an.  Die  Lues  mache 
die  allergeringsten  Allgemeinerscheinungen;   auch  habe  man,   was   man  früher  fQr 


n 


—    143    — 

Intozication  hielt,  nenerdiiigs  schon  mehrfach  als  directe  Wirknng  des  Infections- 
tnigers  (Carschmann  fand  Typhnsbacillen  in  der  medalla  obl.)  oder  als  anatomische 
Yeränderang  (Bnmpf)  erkannt  Was  die  Dementia  paralytica  anbetrifft,  so  sah  Rumpf 
in  3  Fällen  anatomische  Veränderungen  syphilitischer  Natur:  1  Mal  ein  Gumma  der 
Arteria  basilaris;  1  Mal  eine  diffuse  gummöse  Infiltration  der  Hirnrinde  „wobei  die 
eigentliche  nervöse  Hirnrinde  ersetzt  war  durch  ein  Gewebe  reich  an  verdickten  mit 
Bundzellenanhäufung  umgebenen  Gefässen'S  wie  Rumpf  es  ähnlich  am  Rückenmark 
eines  luetischen  Individuums  schon  früher  gesehen  hatte;  endlich  1  Mal  eine  durch 
das  ganze  Gtehim  gehende  Verdickung,  Verengerung  und  Verkalkung  der  kleinen  und 
kleinsten  Gefasse,  bei  intacten  grossen  Gefässen.  —  Hiemach  scheint  Rumpf  die 
Qefässerkrankung  der  primäre,  zu  dem  fi[rankheitsbilde  der  Dementia  paralytica 
f&hrende  Process  zu  sein.  —  Aebnliches  sucht  Rumpf  für  die  Tabes  wahrscheinlich 
zu  machen ;  es  seien  die  luetischen  Erkrankungen  des  Nervensystems  wirkliche  Loca- 
iisationen  des  Virus  im  Nervensystem.  Hadlich. 


19)  IlltuitrationB   of  syphüitio  Disease   in   the  nervous   System,   by  John 
Aikmau.     (The  Glasgow  Medical  Journal.    1887.   Oct.    p.  4.) 

Die  angeführten  drei  Fälle  sollen  die  Behauptung  stützen,  dass  die  groben  Lae- 
sionen  des  Nervensystems  eher  durch  eine  antisyphilitische  Cur  beeinflusst  werden, 
als  die  feineren;  während  die  ersteren  meist  das  Bindegewebe  etc.  betreffen,  haben 
die  letzteren  mehr  in  der  wirklichen  Nervensubstanz  ihren  Sitz.  Die  Ursache  für 
die  bestimmte  Localisbrung  des  Giftes  ist  unbekannt.  Eine  40  Jahre  alte  Frau  wird 
halb  bewnsstlos  und  gelähmt,  in  Behandlung  genommen.  Vor  15  Wochen  hatte  sie 
heftige  Kopfschmerzen  an  Stirn,  Nacken  etc.  Die  geistigen  Fähigkeiten  nahmen  seit 
jener  Zeit  ab;  man  dachte  an  einen  Hirntumor.  Nunmehr  lag  sie  somnolent  da,  das 
Gesicht  nach  rechts  verzogen;  rechts  fand  sich  Ptosis,  während  das  linke  Auge  nicht 
ganz  geschlossen  werden  konnte.  Linke  Arm  und  Hand  waren  paretisch  und  die 
Empfindung  daselbst  herabgesetzt.  Beiderseits  fehlten  die  Patellarreflexe  und  es  be- 
stand ein  geringer  Fussklonus.  Dabei  bestand  Incontinentia  ani  et  vesicae.  Kein 
Zeichen  von  Lues  war  nachweisbar.  Die  Frau  hatte  4  Fehlgeburten  gehabt  und  vor 
2  Jahren  an  einer  Paraplegie  gelitten.  Vor  20  Jahren  wurde  sie  inficirt  und  hatte 
damals  Hautausschläge  und  Larynxgeschwüre.  Die  Symptome  wiesen  auf  gröbere 
Laesionen,  Tumor,  Arterienaffection  etc.  hin;  schon  eine  lOtägige  Jodkali-Behandinng 
bewirkte  ein  erhebliche  Besserung.  Seit  3  Monaten  ist  Pat.  völlig  hergestellt.  — 
Die  feineren  Laesionen  des  Nervensystems  bei  Syphilis  äussern  sich  häufig  in  Ataxie, 
Chorea,  nutritiven  Störungen  etc.  Die  beiden  folgenden  Fälle  gehören  hierher.  Ein 
33 jähr.  Mann  hatte  sich  im  Jahre  1867  inficirt,  und  1869  secundäre  Syphilis.  Im 
Jahre  1880  litt  er  an  remittirendem  Fieber,  Torticollis,  Unfähigkeit,  seine  Aufmerk- 
samkeit auf  seine  Arbeit  zu  concentriren,  Abmagerung,  Gewichtsverlust.  Im  Verlaufe 
von  6  Monaten  schwanden  diese  Symptome  ohne  jede  Behandlung.  1881  litt  er  an 
Ataxie,  Mangel  der  Patellarreflexe,  Impotenz,  Torticollis  etc.  Eine  strenge  antisyphi- 
iitische  Cur  abwechselnd  mit  Tonica  etc.  war  erfolglos.  Die  Ataxie  nahm  zu.  In 
einem  anderen  Falle  litt  ein  30jähr.  Arzt,  der  sich  am  Finger  inficirt  hatte,  an  Ab- 
magerung, Temperaturerhebungen  und  Atrophie  des  linken  Armes  und  Beines.  Nach 
Jodkali  trat  Besserung  ein.  Von  den  feineren  Laesionen  des  Nervengewebes  scheinen 
dem  Verf.  die  trophischen  Störungen  weit  leichter  der  Therapie  zugänglich  als  die 
hoffnungslose  Ataxie,  Chorea  und  andere,  bei  denen  es  sich  vielleicht  um  amyloide 
Umwandlung  des  Nervengewebes  handelt.  Kali  seh  er. 


aO)  Contiibution  4  l^ötude  de  l'hydrooöphalie  interne  dans  la  Syphilis 
hiriditaire,  par  la  Dr.  Georges  Sandoz.  (Revue  mädicale  de  la  Suisse  Bo- 
mande.    1887.   Nr.  12.   p.  713.) 


-    144    — 

Die  vier  Fälle  eigener  Beobachtung  sind  gut  gewählt.  Die  Syphilis  ist  ent* 
weder  ans  der  Vergangenheit  von  Vater  oder  Mutter,  oder  durch  Pemphigus,  weiter- 
verbreitete Erytheme,  Papeln  u.  dergl.  des  Kindes  als  unzweifelhaft  constatirt.  Andere 
Krankheiten,  auf  deren  Basis  sich  der  Hydrocephalus  internus  hätte  entwickeln 
können,  sind  ausgeschlossen. 

Beigefügt  sind  noch  5  ähnliche  Fälle  aus  den  Beobachtungen  von  Bärensprung, 
die  indess  nur  sehr  skizzenhaft  veröffentlicht  worden  sind. 

Von  den  Resultaten  welche  sich  daraus  ergeben,  ist  folgendes  bemerkenswerth: 

Der  Hydrocephalus  internus  syphiliticus  kann  schon  intrauterin  auftreten.  In 
den  Bärensprung*schen  Fällen  sind  ^es  Kinder,  die  im  7.,  8.,  9.  Monat  daran  zu 
Grunde  gehen;  bei  den  selbstbeobachteten  gehen  syphilitische  Hauterkrankungen  den- 
selben voraus,  und  der  Hydrocephalus  entwickelt  sich  im  1.,  2.,  3.  Monat,  während 
der  Tod  1,  3  resp.  4  Monate  später  erfolgt 

Die  Symptome  des  syphilitischen  Hydrocephalus  bieten  nichts  besonderes. 

Bei  der  Obduction  hat  Verf.  bei  im  Allgemeinen  verdickten  Schädelknochen  eine 
mehr  oder  weniger  hochgradige  Entzündung  des  Ependyms  und  der  plexus  chorioidei 
gefunden,  die  Ventrikel  sämmlich  stark  durch  Flüssigkeit  ausgedehnt,  ihre  Wände 
dünn  etc. 

Verf.  betont  zum  Schluss  noch  einmal,  dass  es  einen  Hydrocephalus  internus 
giebt,  der  durch  hereditäre  Syphilis  allein  erzeugt  ist.  Sperling. 


21)   Zur  Lehre  von  den  Byphilitisohen  Erkrankungen  des  Centralnerven- 
syBtems  nebst  einigen  Bemerkungen  über  Polyurie  und  Polydipsie,  von 

Dr.  P.  Buttersack.   Aus  der  med.  Klinik  des  Prof.  Erb  in  Heidelberg.  (Archiv 
f.  Psychiatrie.  Bd.  XVII.  H.  3.) 

Verf.  theilt  in  sehr  ausführlicher  Weise  einen  Fall  von  syphilitischer  Erkran- 
kung des  Gehirns  und  Bückenmarks  mit. 

Es  handelt  sich  um  eine  31jährige  Frau,  weiche  Nachts  plötzlich  mit  einem 
intensiven  Durstgefühl  erwachte.  Dazu  traten  in  der  nächsten  Zeit  Schwindel,  nächtlich 
exacerbirende  Kopfschmerzen,  Erbrechen,  Nackenschmerzen,  Abnahme  des  Gehörs  und 
Denkvermögens;  Lähmungen  des  rechten  Nerv,  oculomotorius,  abducens,  facialis,  Am- 
blyopie, Abweichen  der  Zunge  nach  rechts. 

Zeichen  von  durchgemachter  Lues  fehlten  gänzlich,  auch  Patientin  wusste  nichts 
darüber  anzugeben. 

Während  der  11  Monate  dauernden  Krankheitsperiode  traten  nach  zweimaligen 
starken  Jodkaliumkuren  wesentliche  Besserungen  aller  Erscheinungen  ein;  auch  die 
Polyurie  und  Polydipsie,  welche  von  Anfang  an  bestanden  hatten,  verschwanden  nach 
einiger  Zeit  unter  der  Einwirkung  dieses  Arzneimittels. 

Später  wieder  Verschlimmerung.  14  Tage  vor  dem  Exitus  letalis  deutliche 
Hemiparese,  Hyperästhesien  der  Arme  und  des  Rumpfes,  Nackensteifigkeit.  Tod 
durch  Pneumonia  acuta. 

Die  klinische  Diagnose  wurde  durch  die  Section  bestätigt.  Es  fand  sich  eine 
Leptomeningitis  chronica  syphilitica  des  Gehirns  und  Rückenmarkes.  Syphilisbacillen 
waren  nicht  nachzuweisen. 

Vorliegender  Fall  ist  insofern  interessant  und  ungewöhnlich,  als  sich  die  luetische 
Erkrankung  auch  auf  das  Rückenmark  erstreckte.  Vorzugsweise  waren  die  Nerven- 
wurzeln des  Halsmarkes  knollig  verdickt,  mit  Rundzellen  infiltrirt,  die  Meningen  diffus 
entzündet,  die  Gefasse  in  typischer  Weise  verändert  und  die  Rückenmarksnerven  zum 
Theil  im  Zustande  exquisiter  Perineuritis. 

Verf.  bespricht  femer  den  causalen  Zusammenhang  der  Lues  mit  dem  Diabetes 
insipidus  und  das  Verhältniss  der  Polyurie  und  Polydipsie.  Ob  die  Polydipsie  oder 
Polyurie  als  primäre  Erkrankung  aufzufassen  sei,  lässt  B.  unentschieden. 


—    145    — 

fieim  Polydiptiker  ist  die  Zufuhr  der  Flüssigkeit  eine  pathologisch  gesteigerte, 
deshalb  muss  er  auch  schwitzen,  um  die  Flftssigkeitsmenge  neben  der  Hamausschei- 
dang  aus  dem  Körper  wieder  zu  entfernen.  —  Beim  Polyuriker  ist  die  Abfuhr 
abnorm  erhöht,  deshalb  keine  Hautperspiration. 

Die  Richtigkeit  dieser  Satze  weist  B.  an  zwei  Kranken  durch  genaue  Mes- 
sungen nach. 

In  Bezug  auf  die  der  Arbeit  beigegebenen  umfangreichen  Litteraturangaben, 
mikroskopischen  Untersuchungen  etc.  muss  auf's  Original  Terwiesen  werden. 

P.  Seifert. 

22)  A  oase  of  ohronio  Meningitis,   probably  syphilitio,  and  oausing  pro- 
greaaiYe  dementia.    (The  Brii  med.  Journ.  1887.  p.  935.) 

Francis  Warner  und  Fletcher  Beach  berichten  über  den  Sectionsbefund 
bei  einem  7jährigen  Knaben  und  dessen  yorhergegangene  Krankengeschichte.  Bis 
8  oder  9  Mos.  vor  der  ärztlichen  Beobachtung  war  derselbe  gesund.  Bei  der  Unter- 
suchung: Kopfweh,  Weinerlichkeit,  gewisse  locomotorische  Störung;  dann  zunehmende 
geistige  Schwäche,  Tod. 

Die  Dura  adhärent  an  einer  falschen  Membran,  von  welcher  sie  jedoch  leicht 
ablösbar.  Hier  und  da  ebenfalls  mit  der  Pia  verwachsen.  —  Meningitis  chronica, 
wahrscheinlich  syphilitischen  Ursprungs  unter  hereditärer  Belastung.  —  Aehnliche 
Fälle  werden  hieran  anschliessend  von  Angel  Money  nütgetheilt.  —  Beach  hatte 
3  ähnliche  Fälle  unter  1600  aufgezeichnet.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


23)  Zar  Gasuistik  der  HimsyphiliB,  von  Dr.  Justus  Thiersch.    (Münch.  med. 
Zeitschr.    1887.    Nr.  23.) 

1.  Fall.  12jähr.  Mädchen;  hereditäre  Lues:  Monate  lang  Kopfschmerzen,  die  seit 
Jahren  schon  vorübergehend  auftraten.  11..  September  1886  einige  Stunden  nach 
einem  Fall:  Erbrechen,  Schwindel,  Empfindlichkeit  der  Kackenmuskulatui*  ohne  Fieber. 
Parese  des  rechten  oberen  Lids  und  linken  Gaumensegels,  starker  Stimschmerz. 
14  Tage  Status  idem.  Dann  innerhalb  5  Tagen  folgende  Verschlechterung:  Links- 
seitige Ptosis,  Abducensparese,  dann  Paralyse;  Facialis-Paralyse.  Entzündung  der 
linken  Conjunctiva,  erst  nach  einigen  Tagen  Anästhesie  im  Gebiet  des  linken  Trige- 
minus.  Böthang  und  Blasenbildung  an  der  linken  Backe,  dann  ülcera  am  Zungenrand 
und  Mundschleimhaut,  Nystagmus  rotatorius.  Verminderung  der  Hautsensibilität  am 
rechten  Arm  und  Unterschenkel,  später  an  wechselnden  Stellen  der  rechten  Bumpf- 
häUle  mit  leichter  motorischer  Schwäche  rechts. 

Während  monaüanger  antiluetischer  Behandlung  schwanken  die  Symptome,  erst 
nach  3  Monaten  schwand  der  Schwindel  und  besserten  sich  die  Heerdsymptome. 

Von  Interesse  sind  die  trophischen  Störungen  im  Gebiet  des  linken  Trigeminus,  die 
der  Anästhesie  vorangingen  und  unabhängig  von  dieser  auch  schwanden  (Anästhesie 
bestand  noch  weiter).  Als  anatomische  Ursache  wird  eine  Affection  des  Gangl. 
Gasseri  angenommen.  Localdiagnostisch  musste  die  Annahme  eines  intracerebralen 
Heerdes  wegen  der  grossen  Zahl  der  z.  Th.  auch  doppelseitigen  Lähmungen  zurück- 
gewiesen werden.  Ein  Ponsheerd  (wegen  gekreuzter  Facialislähmung)  müsste  sehr 
klein  sein,  da  die  Extremitätenaffeotion  sehr  gering.  Zudem  ist  die  Affection  acut 
entstanden  und  dann  die  Facialis-  und  Extremitätenparalyse  nicht  zugleich.  Das 
Ueberwiegen  der  sensiblen  Erscheinungen  weist  auf  den  Himschenkel.  Die  Affection 
wird  daher  in  die  Dura  verlegt,  und  ist  ihre  Ausdehnung  durch  die  afficirten  Nerven 
and  das  Uebergreifen  auf  das  Gangl.  Gasseri  und  den  Pedunculus  genau  bestimmt.  — 
Durch  den  Ausschluss  von  Tuberculose  und  mit  Hülfe  der  Anamnese  wurde  die 
Affection  als  luetische  erkannt.  Nur  bleibt  das  acute  Auftreten  mit  der  „diffusen  In- 
filtration der  BindegewebscapiUaren"  der  Hirnhaut  schwer  vereinbar. 


—    148    — 

2.  Fall.  32jäl]r.  Mann.  1876  laetisch  inficirt  ohne  secund&re  Erscheinnngen. 
1884  Haatsypbilid,  Kopfschmerzen.  Anfang  1885  Erbrechen.  Vom  2. — 4.  April 
folgende  Erscheinungen:  Rechtsseitige  Schwäche,  dann  Paralyse  in  Arm  und  Bein, 
rechts  Mnndfacialis  paretisch.  Bewnsstsein  intact,  Schlingbeschwerden,  Dysarthrie, 
keine  Aphasie,  Sensibilität  intact,  Sehnenreflexe  beiderseitig  schwach.  Zongenbewe- 
gang  fast  Null.  Sprechen,  Schlacken  anmöglich.  Zuletzt  Parese  des  linken  Beins, 
Paralyse  des  linken  Arms.  Aushusten  unmöglich,  Ernährung'  durch  Schlundsonde. 
Dann  keine  neuen  Lähmungen  mehr,  allmähliches  Zurückgehen  derselben  bis  von  Ende 
Juni  an  der  Zustand  stationär  wird:  Gang  jetzt  spastisch,  Sehnenreflexe  erhöht  Am 
linken   Oberschenkel   anästhetische    Zone.     Sprache   skandirend;   zeitweise   Aphonie. 

Therapeutisch  wurden  bis  Ende  Juni  330  Gramm  Ungu.  ein.  und  300  Gramm 
Jodkali  gebraucht,  wonach  zwar  noch  das  Allgemeinbefinden  gebessert,  sonst  aber 
keine  Besserung  erreicht  wurde.  —  Thiersch  nimmt  als  Ursache  der  als  apoplectische 
Bulbärparalyse  yerlaufenden  Affection  eine  Thrombose  der  Art.  basilaris  und  deren 
Verzweigungen  in  der  MeduUa  obiongata  an,  dessen  luetische  Basis  durch  den  Mangel 
You  Arteriosklerose  und  das  Bestehen  des  Hautsyphilids  wahrscheinlich  gemacht  wurde. 

3.  Fall.  27jähr.  Fabrikarbeiterin.  1883  und  84  wiederholt  an  Lues  behan- 
delt Seit  Januar  1887  Polyurie.  März  1887  kurz  nach  einander  2  Anfalle  Yon 
Extremitätenlähmui^  (ohne  Bewusstseinsstörung).  Seitdem  rechts  Facialis-  und  Hypo- 
glossus-Parese,  keine  Aphasie.  Rechter  Arm  total  schlaff  gelähmt,  rechtes  Bein  etwas 
beweglich.  Incontin.  urinae.  Sensibilität  intact  —  Antiluetische  Kur.  Die  Läh- 
mungen gehen  in  14  Tagen  zurück.  Polyurie  bleibt  dauernd.  —  Thiersch  nimmt 
hier  durch  Thrombosirung  infolge  luetischer  Gefösserkrankung  eine  Affection  am  Boden 
des  4.  Ventrikels  an.  Die  3  Fälle,  in  denen  Hg.  und  Jod  zugleich  applicirt  wurden, 
sollen  bestätigen,  dass  auch  schwere  Formen  von  Gehunsyphilis  durch  energische 
antiluetische  Therapie  gebessert  werden  können.  Popper. 


24)  Hystörie  merourielle,  par  M.  Louis  Guinon,  interne  des  höpitaux.  (Gazette 
m6d.  1887.  Nr.  48.) 

• 

Ein  öOjähriger  Mann,  der  von  Jugend  auf  in  Spiegelfabriken  gearbeitet  hatte, 
ohne  hereditäre  Belastung,  ohne  Syphilis,  bis  dahin  nur  an  vorübergehender  Salivation 
erkrankt,  bekam  1880  eine  heftige  Quecksilberintoxication,  dabei  leichtes  Zittern  der 
Glieder,  besonders  links,  mit  linksseitiger  Schwerhörigkeit  und  taubem  Gefühl  in  den 
Fusssohlen.  —  Bei  Landaufenthalt  trat  nach  6  Monaten  Heilung  ein.  —  1888  neuer 
Anfall  von  viel  schwererer  Art  mit  Paralyse  resp.  Parese  des  rechten  Beines  und 
linken  Armes,  Anästhesie  an  den  Beinen  und  am  linken  Arm  u.  s.  w.  (ähnlich  dem 
späteren  dritten),  war  von  1884 — 86  in  Krankenhäusern  und  konnte  erst  Ende  1886 
wieder  arbeiten.  Doch  traten  bald  wieder  Intoxicationserscheinungen  auf,  zumal  da 
Patient,  gegen  das  lästige  Zittern,  ziemlich  viel  Alkohol  trank.  Ganz  plötzlich  kam 
es  zu  einem  heftigen  Anfall  allgemeiner  Krämpfe  und  März  1887  wurde  in  Folge 
dessen  Patient  im  Hotel  Dieu  aufgenommen. 

Status  praes.  Kräftiger,  aber  sehr  magerer  Mann  mit  guter  Intelligenz,  aber 
ungemein  grosser  Erregbarkeit:  er  geräth  in  heftiges  Zittern,  wenn  ihn  Jemand  nur 
ansieht,  und  auf  der  Strasse  ängstigt  er  sich  so,  dass  er  mehrmals  vor  Zittern  und 
Schwäche  umgefallen  ist  Wenn  Pat  allein  ist,  zittert  er  nicht,  aber  beim  Sprechen 
alsbald  so  stark,  dass  der  Unterkiefer  und  die  Zunge  nebst  allen  Gliedern  in  heftiges 
Zucken  geräth.  Gehen  und  Stehen  ist  fast  unmöglich.  Mit  der  linken  Hand  (Pat. 
ist  linkshändig)  kann  er  Nichts  greifen  oder  halten,  mit  der  rechten  Hand  dagegen 
ziemlich  gut.  Dabei  bestand  complete  linksseitige  sensible  und  sensorielle  Anästhesie, 
rechts  herabgesetzte  Sensibilität;  Hyperästhesie  der  Wirbelsäule,  des  Nackens  und 
des  Scheitels.  —  Keine  spontanen  Schmerzen.  Pupillen  normal.  Einengung  des 
Gesichtsfeldes  und  centrales  Scotom  für  grün  und  gelb:  Alles  stärker  links  wie  rechts. 


—    147    — 

—  Durch  YerBChiedene  Anlässe  kann  man  heftige  Rrampfanfalle  bei  dem  Fat.  her  vor- 
rufen, die  jedoch  den  rechten  Arm  ziemlich  frei  lassen.  —  Seit  1880  bestand 
Impotenz. 

Vom  April  bis  August  wurde  Fat.  mit  Hypnotisirnng  (Suggestion)  und  Appli- 
cation eines  Magneten  behandelt,  wobei  die  Anästhesie  anfangs  durch  lYansfert  ver- 
ändert, dann  ganz  beseitigt  und  aUe  Symptome  so  sehr  gebessert  resp.  geheilt  wurden, 
dass  im  Anglist  der  Kranke  kaum  wiederzuerkennen  war. 

Hervorzuheben  ist,  dass  Verf.  entgegen  der  Ansicht  Charcot*s  und  Anderer, 
wonach  die  merkurielle  (und  satumine,  alkoholische  etc.)  Hysterie  eine  latente  gewöhn- 
liche Hysterie  ist,  welche  nur  durch  die  Gtolegenheitsursache  der  Quecksilber-Intoxi- 
kation  manifest  wird,  dass,  sage  ich,  dem  gegenüber  Verf.  behauptet:  „Diese  Hysterie 
ist  das  directe  Resultat  der  Intozication  allein;  sie  existirt  ganz  für  sich  ohne 
irgend  welche  hysterische  nervöse  Prädisposition;  sie  ist  rein  toxisch,  symptomatisch.'' 

(Sie  hat  dann  allerdings  nur  noch  den  Namto  mit  dem  sonst  Hysterie  genann- 
ten Symptomencomplex  gemein  und  es  dürfte  richtiger  sein  —  wie  es  in  Deutsch- 
land geschieht  —  die  Bezeichnung  „Hysterie"  auf  diese  Intoxications-Neurosen  nicht 
anzuwenden.     Ref.)  Hadlich. 

in.   Aus  den  Oesellsohaften. 

Aoadömie  des  scienoes,  Paris.     Sitzung  vom  17.  October  1887. 

Brown-S6quard:  Dualitö  du  oerveau  et  de  la  mobile  öpinidre,  d'aprte 
des  ftdts  montrant,  que  l'anösth^ie,  rhyperästhöaie,  la  paralysie  et  des 
etats  ▼ariös  d'hypothennie  et  d'hyperthermie  dus  4  des  lösions  organiques 
du  centre  cöräbrospinal,  penvent  dtre  traasfirös  d'un  oötä  4  l'autre  du 
oorpe.  —  B.-S.  hat  schon  seit  Jahren  auf  Erscheinungen  hingewiesen,  die  obigen 
Satz  erweisen  sollen,  und  stellt  jetzt  folgende  Thatsachen  zusammen:  I.  Wenn  man 
(bei  Hunden)  eine  halbseitige  Durchschneidung  des  Fedunculus,  Pens  oder  der  Me- 
dulla  oblongata  ausführt,  bekommt  man  Anästhesie  der  entgegengesetzten,  Hyperästhe- 
sie der  gleichseitigen  Extremitäten;  macht  man  hierauf  eine  halbseitige  Durchschnei- 
dung des  Dorsalmarks  auf  der  der  Himbasisoperation  entgegengesetzten  Seite,  so 
wird  das  vorher  anästhetische  Glied  nicht  bloss  wieder  empfindlich,  sondern  hyper- 
ästhetisch, während  das  hyperästhetische  mehr  oder  weniger  vollständig  anästhetisch 
wird.  —  Ein  „Transfert"  analoger  Art  findet  statt,  wenn  man  den  hinteren  Theil 
der  Capsula  interna  (rechts)  durchschneidet  (Anästhesie  links),  und  dann,  da  hier- 
nach nur  selten  Hyperästhesie  der  gleichseitigen  Extremitäten  (rechts)  auftritt,  ent- 
weder an  der  Basis  cerebri  oder  im  Oervicalmark  eine  zweite  halbseitige  (rechts) 
Durchschneidung  macht;  dies  führt  fast  immer  zu  rechtsseitiger  Hyperästhesie  der 
Extremitäten.  Führt  man  nun  eine  halbseitige  Durchschneidung  linkerseits  in  der 
Höhe  des  neunten  oder  zehnten  Dorsal  wirbeis  aus,  so  tritt  Transfert  ein:  die  An- 
ästhesie erscheint  rechts,  die  Hyperästhesie  links  an  den  Extremitäten. 

II.  In  ganz  entsprechender  Weise  wird  dorch  einen  solchen  zweiten  Schnitt 
durch  die  andere  Hälfte  des  Rückenmarks,  die  durch  einen  ersten  halbseitigen  Quer- 
schnitt erzeugte  Paralyse  umgekehrt.  —  Bei  Fröschen  sah  B.-S.  femer,  wenn  er 
erst  die  eine  Grosshimhälfte  (rechts)  abtrug  und  damit  Paralyse  (Parese)  der  linken 
Extremitäten  sowie  eine  Erafbzunahme  der  rechten  Seite  erzeugt  hatte,  diese  Erschei- 
nungen sich  ausgleichen,  wenn  er  danach  die  linke  Grosshimhälfbe  entfernte. 

m.  Nach  Durchschneidung  der  einen  Hälfte  des  Cervicalmarks  (rechts)  tritt 
Hyperthermie  der  gleichseitigen  Extremitäten  (rechts),  Hypothermie  der  anderen  Seite 
(links)  auf;  wird  hierauf  die  linke  Rückenmarkshälfte  (Höhe  des  sechsten  Dorsal- 
wirbels) durchschnitten,  so  tritt  Transferi  der  Temperaturverhältnisse  ein. 

B.-S.  glaubt,  dass  diese  Beobachtungen  es  nicht  gestatten,  noch  femer  anzu- 
nehmen, dass  die  rechte  HimhSlfte  für  die  linke  Körperseite,  die  linke  für  die  rechte 


—     148    — 

Körperseite  die  Functionen  der  Bewegungi  Sensibilität  und  der  vaso-motoriacben  Er- 
scheinungen vermittle,  sondern  dass  jede  der  beiden  Uimhälften  allen  beiden  Körper- 
hälften  fflr  jene  Functionen  dienen  könne;  dasselbe  gilt  entsprechend  für  das  Blicken- 
mark, d.  h.  in  Bezug  auf  Sensibilität  und  Taso-motorische  Erscheinungen.  Und 
femer  glaubt  B.-S.,  dass  die  durch  eine  halbseitige  Durchschneidung  gesetzten  Fonc- 
tionsstörungen  nicht  durch  die  Zerstörung  der  jenen  Functionen  dienenden  Theile 
hervorgerufen  werden,  sondern  durch  eine  ,,Inhibition'',  welche  auf  andere  Theile  des 
Gehirns  oder  Bückenmarks  ausgeübt  wird;  die  Inhibition  in  Folge  der  zweiten  Ope- 
ration (halbseitige  Durchschneidung  anf  der  anderen  Seite)  mft  dann  den  Transfert 
hervor. 

Sitzung  vom  7.  November  1887. 

Jud6e:  Aotion  du  systdme  nerveux  aur  la  produotion  de  la  salive. 

Yulpian  und -Gley  haben  unter  verschiedenen  Umstanden  reichliche  Salivation  be- 
obachtet bei  Beizung  des  centralen  Endes  des  N.  ischiadicus:  ersterer  durchschnitt 
vorher  die  Chorda  tympani  und  erzeugte  eine  reichliche  Absonderung  von  dicklichem, 
fadenziehendem  Speichel  (sympathischem  Speichel).  Gley  dagegen  entfernte  das 
(Ganglion  cervicale  superius,  liess  aber  die  Chorda  intact  und  sah  bei  darauf  folgen- 
der Ischiadicus-Beizung  reichlichen  wässrigen  Speichelfluss  (normalen  Speichel).  Bei 
letzterem  Versuch  wird  von  der  MeduUa  aus  das  Ganglion  submaxillare,  welches  der 
eigenüiche  Erreger  der  Drüsentbätigkeit  ist,  in  Action  gesetzt,  resp.  durch  Inhibition, 
„ohne  welche  es  keine  normale  Secretion  giebt",  eine  Dilatation  der  Drüsenzellen 
und  dadurch  die  gewöhnliche  Speicbelabeonderung  bewirkt.  Bei  Ynlpian's  Versuch 
bringt  die  anf  den  Sympathious  —  vom  Ischiadicus  her  durch  die  Mednlla  *-<•  über- 
tragene Beizung  durch  excito-motoriscbe  Nerven  eine  Contraction  der  Drüsenelemente 
—  schleimig-dicker  Speichel  —  zu  Stande. 

Sitzung  vom  5.  December  1887. 

L.  de  Saint-Martin:  Binfliiss  des  natürlichen  und  des  künstlichen 
Schlafes  auf  die  Bespiration.  Nach  einer  im  Laboratorium  des  Professor  Beuget 
ausgeführten  Arbeit  hat  Verf.  gefunden,  dass  1)  während  des  natürlichen  Schlafes  — 
und  unabhängig  von  dem  Zustande  des  Fastens  —  die  Menge  der  ezhalirten  Kohlen- 
säure etwa  um  Vs»  ^^^  des  absorbirten  Sauerstoffs  nur  um  ^/]^  erniedrigt  ist; 

2)  während  des  Morphium-Schlafes  die  Kohlensäure-Exhalation  auf  die  Hälfte, 
während  des  Chloral-  und  Chloroform-Schlafes  auf  Vs  ^^^  derjenigen  des  normalen 
Zustandes  fallt; 

3)  während  einer  genügend  langen  Chloroform-Narcose  das  Blut  an  Sauerstoff 
verarmt  und  sich  mit  Kohlensäure  überladet.  Uadlich. 


Sooiötö  de  Biologie,  Paris.     Sitzung  vom  15.  October  1887. 

Ch.  F^r^:  Ein  Fall  von  Nystagmus-Sohwindel  bei  einem  Epileptiker. 
Ein  55jähriger  Mann,  der  seit  seinem  43.  Jahre  an  Epilepsie  leidet,  hat  nach  den 
Anföllen  lateralen  Nystagmus  nach  rechts,  der  sich  in  den  Intervallen  verliert. 
Ausserdem  aber  hat  er  sowohl  bei  seiner  Arbeit  (er  ist  Schneider),  wie  auch  beim 
Spazierengehen,  wenn  er  seine  Aufmerksamkeit  auf  einen  bestimmten  Funkt  richtet, 
Nystagmus- Anfälle,  wie  er  glaubt  nach  rechts,  bei  denen  Schwindel  und  ein  Gefühl 
von  Schwingungen  (nicht  Drehungen)  im  ganzen  Körper  auftritt,  dass  er  sich  fest- 
halten und  die  Augen  schliessen  muss,  um  nicht  zu  fallen.  Niemals  verliert  Patient 
dabei  das  Bewusstsein,  und  unterscheidet  genau  diese  Anfalle  von  dem  epileptischen 
Schwindel,  an  welchem  er  auch  leidet  —  F6re  möchte  diese  eigenthümlichen 
Nystagmus-Anfälle  in  eine  Beihe  stellen  mit  den  anfallsweisen  Muskelzucknngen, 
welche  man  bei  manchen  Epileptikern  beobachtet.  (Man  vergl.  auch  dies.  Centralbl. 
1887  Nr.  20.  S.  487.) 


—    149    — 

Sitsung  vom  5.  November  1887. 

Eng.  Dupny:  Zur  Physiologie  des  Kleinhirns.  Wenn  man  das  ganze 
Cerebellnm  ganz  symmetrisch  fortnimmt,  so  treten  weiter  keine  motorischen  Erschei- 
nungen anf,  als  eine  sehr  bedeutende  Abnahme  der  motorischen  Kraft,  eine  viel  be- 
deutendere, als  nach  Abtragung  der  Grosshimhemisphären;  es  dürfte  dies  vielleicht 
dadurch ^  zu  erklären  sein,  dass  die  CirculationsstGrungen  in  der  Medulla  oblongata 
nach  der  Abtragung  des  Cerebellum  grössere  sind,  als  nach  Entfernung  des  Grosshims. 

Sitzung  vom  12.  November  1887. 

Pilliet  Histologische  Verttnderungen  nach  sabacuter  Morphiomver* 
giftnng  fand  F.,  indem  er  drei  Wochen  lang  Hunden  Morphium  injicirte  und  zwar 
jeden  zweiten  Tag  um  0,01  mehr:  es  waren  Yerfettungsprocesse  im  Grehim-  und 
Lebergewebe,  welche  etwas  Specifisches  nicht  hatten. 

Sitzung  vom  26.  November  1887. 

Mairet  und  Combemale  haben  Antipyrin  als  Schlafmittel  bei  (Geistes- 
kranken versucht;  unter  4  g  keine  Wirkung,  doch  versuchten  sie^  Dosen  bis  6  und 
bis  8  g.  Der  Erfolg  war  ziemlich  negativ,  besonders  bei  aufgeregten  Kranken,  bei 
seniler  Dementia  und  bei  allgemeiner  Paralyse;  einige  Erfolge  sahen  die  Vortragen- 
den bei  Alkoholisten  und  ziemlich  gute  bei  Epilepükern,  aber  doch  weniger  sichere 
als  nach  Chloral  mit  Digitalis. 

Sitzung  vom  10.  December  1887. 

F6r^:  „Ueber  die  allgemeinen  Wirkungen  der  Erregungen  der  Sinnes- 
ozgane,  und  die  rückwirkenden  Binflüsse  der  sensoriellen  Erregungen.*^ 
Wie  Daval  gezeigt  hat,  giebt  es  amaurotische  Hysterische,  die,  wenn  man  jedes 
Auge  pr&ft,  total  blind  und  ohne.  Farbenempfindung  sind,  die  aber,  wenn  man  beide 
Augen  gleichzeitig  öfoen  Iftsst,  noch  nothdürftig  sehen  und  alle  oder  fast  alle  Farben 
onterscbeiden  können.  Diese  Verstärkung  des  Sinnesorgans  einer  Seite  durch  das 
der  anderen  findet  sich  auch  bei  normalen  Personen,  wenn  auch  in  viel  geringerem 
Grade  als  bei  Hysterischen;  und  es  findet  sich  ausserdem,  dass  die  Thätigkeit  des 
einen  Sinnes  die  eines  anderen  verfeinert,  wie  z.  B.  bei  Affection  des  Muskelsinns 
die  Bewegongen  richtiger  werden  durch  einfaches  Augenöffiien  (ohne  Blickcontrole), 
schlechter  bei  Augenschluss  (Duchenne  und  Charcot)  und  Aehnliches.  —  F6ri 
hat  nun  folgondes  merkwürdige  Schauspiel  vcm  rückwirkender  Versch&rfuBg  der 
Sinnesempfindung  beobachtet.  Er  brachte  —  mit  entsprechenden  Yorsichtsmassregeln 
—  Schriftzeichen  auf  weissem  Papier  an  und  stellte  sie  in  so  grosser  Entfernung 
auf,  dass  die  Beobachtungsperson  sie  sicher  nicht  mehr  erkennen  konnte;  wenn  er 
nun  gleichzeitig,  indem  er  die  Schriftzeichen  bedeckte,  eine  andere  sensorielle  Er- 
regung (des  Gehörs,  Geruchs,  oder  eine  Bewegung)  verursachte,  so  konnte  nun  nach- 
träglich die  Versuchsperson  angeben,  welche  Schriftzeichen  auf  dem  jetzt  bedeckten 
Papier  standen,  obwohl  sie  die  unverdeckten  nicht  erkennen  konnte.  Die  betreffenden 
Hfilfs-Sinneserregungen  dürfen  aber  nur  von  massiger  Intensisät  sein;  heftige  Er- 
regungen wirken  umgekehrt  abschwächend,  selbst  ganz  vernichtend  auf  die  zur  Unter- 
suchung stehende  Sinnesempfindung,  ja,  sie  können  sogar  (Choc  bei  Wunden  z.  B,) 
rückwirkend  Sinnes-Amnesie  erzeugen. 

Sitzung  vom  17.  December  1887. 

Laffont:  Ck>oaIn-Wirknng.  —  Vasoulftrer  Antagonismus  des  Cocains 
und  PQooariiins.  Die  Besnltate  seiner  Arbeiten  veranlassten  L.,  das  Cocain  mit 
dem  Curare  zu  vergleichen:  beide  wirkten  exdto-medull&r,  beide  liesseu  die  Nerven 
in  ihrem  Yerlanfe  intact;  dieses  lähme  die  motorischen  Endplatten  und  die  GeHus- 
nerven,  jenes  die  sensiblen  Nervenendigungen  und  errege  die  Gefässnerven  und  die 
platten  Muskelfasern. 


—    150    — 

J.  DejeriBe:  Bin  Fall  von  Oooaln-Vergiftong.  Ein  26j&hriger  Zahnarzt 
hatte  sich  6  Wochen  lang  Cocain  injicirt,  von  0,01  pro  dosi  bis  zn  0,5  steigend. 
Eines  Abends  hatte  er  sich  1  grm  auf  ein  Mal  injicirt  and  war  danach  alsbald  wie 
vom  Blitz  getroffen  umgefallen.  D.  fand  ihn  in  starker  allgemeiner  Mnskelstarre,  Pnlfi 
120,  Athmnng  etwas  beschleunigt,  Augen  geschlosseu,  Papillen  dilatirt  und  reactions- 
los,  vollständige  Hautanästhesie,  Bewusstlosigkeit.  Ziemlich  plötzlich  kam  er  wieder 
zu  sich,  war  dabei  leicht  erregt,  zeigte  Photophobie,  die  einzelnen  Erscheinungen  ver- 
loren sich  dann  nach  und  nach  and  es  trat  (Zeitfrist?)  normaler  Zustand  ein.  Der 
Cocalnomane  gab  an,  ein  besonderes  Wohlgefühl  und  wollüstige  Empfindungen,  die 
bisweilen  von  einer  Ejaculation  gefolgt  wurden,  nach  jeder  Iigection  zu  haben. 

Sitzung  vom  16.  Januar  1888. 

Ch.  F^r^:  De  l'ötat  des  foroes  ehez  les  öpileptiques.  Bei  100  Gresun- 
den  fand  F^r^  dynamometrisch  den  Druck  der  rechten  Hand  (Durchschnitt)  63,  bei 
linken  Hand  48;  bei  100  Epileptischen  dagegen  36  resp.  32.  —  Die  postepilep- 
tische transitorische  Paralyse  ist  häufig  beobachtet.  F6r^  hat  nun  weiter  Folgendes 
ermittelt:  1.  Bei  13  Epileptischen  fand  er  eine  Herabsetzung  der  Kraft,  wenigstens 
auf  einer  Seite,  während  der  Aura,  und  zwar  um  19^/^  rechterseits,  um  22^/^  linker- 
seits. —  2.  Nach  den  Anfällen  fand  er  —  bei  75  Epileptischen  —  im  Mittel  eine 
Schwächung  der  Kraft  um  21%  rechts,  um  23^/^  links;  bei  einigen  Kranken  betrug 
sie  bis  70%;  bei  solchen,  die  sehr  schnell  nach  dem  Anfall  wieder  zu  sich  kamen, 
ist  sie  am  geringsten,  2 — 3^/^.  —  31  Mal  war  sie  rechts.  44  Mal  links  stärker.  — 
3.  Auch  nach  Schwindel-  und  Ohnmachtsanfallen  ohne  Krämpfe  war  eine  Vermin- 
derung der  Kraft  zu  constatiren,  im  Mittel  um  30  (rechts)  resp.  27  ^/^  (links)  sofort 
nach  dem  Anfall,  um  18  resp.  14  ^/^  eine  Viertelstunde  später.  Bei  einem  Kranken, 
der  nach  dem  Anfall  an  Hallucinationen  litt,  fand  sich  eine  Vermehrung  der  Kraft 
um  15  resp.  24  ^Z^;  dagegen  eine  Verminderung  um  30  resp.  50  ^Z^,  wenn  diese 
psychischen  Störungen  ausblieben.  —  Etwas  geringer  ist  die  postepileptische  Einbnsse 
an  Kraft  bei  Krampfanfällen  ohne  Verlust  des  Bewusstseins.  —  5.  Frühestens 
^Zs  Stande  nach  dem  Anfall  hat  sich  der  anfängliche  Kräffceverlust  wieder  ausge- 
glichen, mitunter  aber  erst  nach  24  Stunden.  Hadlich. 


Berliner  medioinisohe  GlesellBohaft.    Sitzung  vom  15.  Februar  1888. 

Herr  Karewski  „über  die  praktiaohe  Verwendbarkeit  der  Erythro- 
phlöin- Anästhesie.'' ^  Bei  gesunden  Menschen  rufen  subcutane  Iiyectionen  eine 
locale  Anästhesie  hervor,  die  jedoch  individuell  etwas  verschieden  ist,  bei  0,0005  gr 
unsicher,  bei  0,0025 — 0,005  gr  sicher  ist,  nach  20—40  Minuten  eintritt,  3—12 
Stunden  anhält,  mit  recht  unangenehmem  Schmerz  und  ziemlich  heftigen  localen  Beiz- 
erscheinungen einhergeht.  Es  tritt  jedoch  keine  vollständige  Empfindungslosigkeit 
ein,  sondern  die  Berührungen  u.  s.  w.  werden,  wenn  auch  ungenau,  gefühlt,  sind  aber 
vollkommen  schmerzlos,  selbst  tiefe  Nadelstiche;  es  handelt  sich  also  um  eine  Anal- 
gesie. —  Allgemeinerscheinungen  hat  Karewski  bei  obigen  Dosen  nicht  beobachtet» 
der  Puls  war  ganz  unverändert.  Die  Analgesie  reichte  kaum  etwas  —  0,5  cm  — 
über  den  Umfang  der  von  der  Injectionsflüssigkeit  getroffenen  Stelle  hinaus. 

Herr  Karewski  hat  femer  die  Erythrophlöin-Anästhesie  bei  kleinen  Operationen 
versucht  und  gefunden,  dass  in  acut  entzündeten  Gewebe  (z.  B.  bei  einem  Furunkel) 
das  Mittel  nicht  wurksam  ist;  im  übrigen  ist  die  Wirkung  mutatis  mutandis  gleich 
der  des  Cocains  d.  h.  die  Patienten  fühlen  alle  Angriffe  der  Instrumente,  empfinden 
aber  gar  keinen  Schmerz,  besonders  bei  künstlicher  Anaemie  des  betreffenden  Theils. 


»  Cf.  d-  Ctrlbl.  1888.  Nr.  4.  S.  117. 


—    161     - 

M  Neuralgien  hat  Karewski  von  0,0025 — 0,005  gr  1  Mal  oder  2  Mal  paren- 
chjmatds,  nicht  subcutan,  injicirt,  recht  gute  Erfolge  gesehen;  für  Operationen  scheint 
08  ihm  wegen  der  Schmerxhaftigkeit  der  Injection  selbst  wenig  verwendbar. 

Hadlich. 

IV.  Bibliographie. 

Die  Irreaklinik  der  Universitftt  Leipsig  und  ihre  Wirkaamkeit  in  den 
Jahren  1882—1886,  von  Prof.  Dr.  Flechsig.  Mit  2  Planen.  (Leipzig  1888. 
Veit  k  Comp.     66  Seiten.) 

Die  vorliegende  Schrift  hat  insofern  ein  erhebliches  historisches  Interesse  für 
die  deutsche  Psychiatrie,  als  sie  das  GrieBinger*sche  „Stadtasyl"  betrifft,  dessen 
beabsichtigte  Ausführung  die  deutschen  Irrenärzte  1868  beinahe  einstimmig  (nur 
Kinecker,  Leidesdorf,  Westphal  und  der  Bef.  bildeten  die  opponirende  Minorität) 
verworfen  hatten. 

Auf  die  Einrichtung  der  Klinik,  die  ja  wohl  der  grössten  Zahl  der  Psychiater 
aas  eigner  Anschauung  bekannt  ist,  brauchen  wir  hier  nicht  näher  einzugehen;  ihre 
Beschreibung  umfasst  die  ersten  28  Seiten  der  Schrift. 

Was  die  Leistungen  der  Klinik  betrifft,  so  bespricht  Verf.  gesondert  diejenigen 
als  Irrenanstalt  und  diejenigen  als  Klinik.  Wir  heben  in  erster  Beziehung  hervor, 
dasB  in  dem  Zeiträume  vom  17.  April  1882  bis  31.  December  1886  1894  Kranke 
aufgenommen  worden  sind,  worunter  220  M.  und  64  Fl*,  an  Dementia  paralytica 
leidend,  306  M.  13  Fr.  an  Alkoholismus,  5  M.  an  Bleüntoxication,  5  Fr.  au'Schwefel- 
kohläistoffvergiftung. 

Auffallend  erscheint  die  grosse  Zahl  der  geheilten  Paralytiker;  es  sind  7;  eine 
Zahl,  die  mit  den  bisherigen  Erfahrungen  nicht  übereinstimmt.  Wir  werden  uns  aber 
in  dieser  Beziehung  erst  ein  Urtheil  bilden  können,  wenn  der  Verf.  die  FäUe,  wie 
wir  hoffen,  ausführlicher  mittheilen  wird. 

Wir  müssen  übrigens  auf  die  Leetüre  des  Abschnittes  über  „die  Kritik  der 
Behandlungs-Besultate"  besonders  hinweisen,  die  nach  mehrfacher  Bichtung  Beher- 
agenswerthes  enthält. 

Auch  der  folgende  Abschnitt  über  das  „Klinische'',  der  in  gedrängter  Kürze 
neben  den  äusseren  Verhältnissen  den  Plan  des  Unterrichts  und  die  Aufgaben  des- 
selben in  der  Psychiatrie  entwickelt  und  eine  Beihe  von  anregenden  Gedanken  und 
Andeutungen  in  Bezug  auf  die  Bedeutung  der  Gefössvertheilung  im  Hirn  für  die 
Entstehung  von  psychischen  Erkrankungen  enthält,  entzieht  sich  dem  Beferat;  er 
soll  gelesen  werden. 

Der  Gedanke  Griesinger*s  war  gut  und  fruchtbar;  dafür  spricht  die  Erfahrung, 
wie  sie  in  diesem  Bericht  niedergelegt  ist! 

Die  Auisstattung  ist  gut,  die  Tafeln,  welche  den  Grundriss  der  Irrenklinik  dar- 
stellen, sind  wohlgelungen.  M. 


Schlaf  und  Traum.  Eine  populär  wissenschaftliche  Darstellung  von  Dr.  Friedrich 
Scholz,  Director  der  Kranken-  und  Irrenanstalt  zu  Bremen.  (Leipzig  1887. 
Verlag  von  Ed.  Heinr.  Mayer.     70  Seiten.) 

Der  „Diätetik  des  Geistes"  des  Verf.,  auf  die  wir  im  vorigen  Jahre  (d.  Ctrlbl. 
1887.  S.  239)  aufmerksam  machten,  ist  jetzt  eine  andere  Schrift  gefolgt,  die  zwar  auch 
in  erster  Beihe  für  Laien  bestimmt,  aber  auch  für  den  Fachmann  von  Interesse  ist 
und  schon  wegen  der  anziehenden  Sprache  mit  Vergnügen  gelesen  wird.  Der  dritte 
Abschnitt:  die  Schlaflosigkeit  und  ihre  Verhütung,  enthält  viele  beherzigenswerthe 
Winke.     Die  Ausstattung  ist  gut.  M. 


—    152    — 

Lehrbuch  der  Erankeiten  des  Bückenmarks  und  Gtohims  sowie  der  all- 
gemeinen  Neurosen,  von  Seeligmflller.  (Erste  Abtbeilang  1886,  zweite  Ab- 
theilüng  1887.    Braonschweig^  Verlag  Yon  Fr.  Wreden). 

Das  obige  Werk  bildet  einen  Bestandtheil  der  bekannten  Wreden*schen  ,,Samm- 
lang  kürzer  mediciniccher  Lehrbücher'S  wodurch  Umfang  und  Art  der  Dar- 
stellung yon  vornherein  in  gewisse  Grenzen  gebannt  waren.  Innerhalb  dieser  Grenzen 
leistet  das  Buch  ganz  Vortreffliches  und  ist  zur  Orientirung  für  Aerzte  und  Studi- 
rende  auf  dem  neurologischen  Specialgebiete  in  hervorragender  Weise  geeignet.  Es 
beginnt  mit  einer  ^^allgemeinen  Uebersicht  über  Bau  und  Function  des 
Cerebrospinalsystems",  darauf  folgen  die  Krankheiten  des  Bückenmarks 
(physio-pathologische  Einleitung;  Krankheiten  der  Bückenmarkssubstanz)  —  Krank- 
heiten des  verlängerten  Marks  —  Krankheiten  des  Gehirns  (physio-patho- 
logische Einleitung  und  topische  Diagnostik;  Erkrankungen  der  Gehirnhäute,  Krank- 
heiten der  Gehimsubstanz)  —  und  endlich  die  allgemeinen  Neurosen.  Letztere 
sind  mit  besonderer  Ausführlichkeit  abgehandelt;  wir  finden  hier  ausser  der  Neu- 
rasthenie und  Hysterie  mit  ihren  besonderen  Formen  noch  Katalepsie,  Hypno- 
tismus,  Epilepsie  und  Eclampsie,  Chorea,  Myoclonie,  saltatorischen 
Reflexkrampfy  Tremor,  Paralysis  agitans,  Tetanie,  Myotonie,  und  als 
Anhänge  die  toxischen  und  syphilitischen  Nervenerkrankungen.  Man  könnte 
diese  Zusammenstellung  vielleicht  etwas  bunt  finden;  allein  wer  sich  jemals  an  einer 
rationellen  Eintheilung  und  Classification  der  Nervenkrankheiten  versucht  hat,  der 
weiss,  dass  die  Schwierigkeiten  hier  geradezu  unüberwindlich  sind  und  dass,  wie  man 
es  auch  anfange,  stets  ein  nicht  aufgehender  Best  bleibt,  der  im  Interesse  erwünsch- 
ter Vollständigkeit  schliesslich  irgendwie  und  irgendwo  unfeergestopft  wird. 

Einzelnes  hervorzuheben,  ist  an  dieser  Stelle  kaum  möglich;  doch  sei  auf  die 
ganz  angezeichneten  Abschnitte  über  allgemeine  Symptomatologie  und  Ge- 
hirnkrankheiten und  über  Hirnlocalisation  hingewiesen,  welche  diese  schwie- 
rige Materie  vollständig  beherrschen  und  bei  aller  gebotenen  Kürze  doch  nichts  prac- 
tisch  Wichtiges  und  Brauchbares  vermissen  lassen.  Wie  hier,  so  ist  auch  in  allen 
übrigen  Theilen  des  Werkes  dem  Bedürfnisse  der  grossen  Mehrzahl  ärztlicher  Leser 
in  verständnissvoller  Weise  Rechnung  getragen.  Ueberdies  zeichnet  sich  das  Seelig- 
müll er'sche  Buch  durch  eine  grosse  Klarheit  und  nicht  selten  durch  herzerfreuende 
Frische,  ja  man  kann  sagen  durch  eine  gewisse  Naivetat  der  Darstellung  aus  — 
eine  in  unserer  Zeit  und  bei  einem  wissenschaftlichen  Stoffe  doppelt  seltene  Erschei- 
nung; es  bietet,  von  der  Belehrung  ganz  abgesehen,  in  manchen  Abschnitten  eine 
wahrhaft  angenehme  Leetüre,  wie  etwa  ehedem  Niemeyer*s  berühmtes  Lehrbuch,  an 
welches  Seeligmüller  auch  mit  Recht  in  seiner  Vorrede  erinnert.  —  Zahlreiche  Holz- 
schnitt-Illustrationen, ein  die  wichtigsten  Quellen  umfassendes  Litteratur-Verzeichniss 
und  ein  beigegebenes  Sachregister  erhöhen  die  Brauchbarkeit  des  gut  ausgestatteten 
Buches.  A.  Eulenburg. 

V.  Personalien. 

Dr.  Anton  Bumm,  bisher  Director  der  Kreisirrenanstalt  Deggendorf,  wurde 
zum  Director  der  Kreisirrenanstalt  Erlangen  ernannt. 


IV.  Vermischtes. 

Die  ophthalmologische  GesellBchaft  (Heidelberg)  wird  in  der  zweiten  Angnetwoche  d.  J. 
ihr  25jährigeB  Bestehen  dadurch  feiern,  dass  sie  die  Augenärzte  aller  Länder  auffordert»  ihren 
Sitzungen  beizawohnen,  um  dadurch  den  Congress  zu  einem  internationalen  zu  erweitem 
(der  letzte  internationale  ophthalmologische  Congress  war  1880  in  Mailand).  GeBehäftsführer 
sind  die  Herren  Becker  (Heidelberg),  Hess  (Mainz),  Stilling  (Stnunburg). 

Verlag  von  Veit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzobb  &  Wittig  in  Leipzig. 


Neurologisches  Centr  alblah. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  ""  ^^  Jahrgang. 

■ ^^^^^^^mm,  ■  ■  ^  ■    »  —  ^       I  I     ^^^■—  .■■■■■■■■I  1M|.  -■  -  -■■■■-. —■■■■»■  -_  ■■■— -^  Mll^ 

Monatlieh  erscheinen  zwei  Kammern.   Preis  des  Jahrganges  20  Mark.   Zn  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 


1888.  15.  Mftrz.  M  6. 


Inhalt.     I.  Originalmittheilung.    Ueber  die  Erregbarkeit  einzelner  Faserbündel  im 
Rückenmark  neugeborener  Thiere,  von  Prof.  W.  Bechterew. 

tl.  Refferate.  Anatomie.  1.  Versuch  zur  Ermittelung'  der  Homologien  der  Fissura 
parieto-occipitalis  bei  den  Carnivoren,  von  Flesch.  —  Experimentelle  Physiologie. 
2.  tftber  den  Einfluss  des  Sympathicus  auf  die  Vogelpupille,  von  Jegorow.  3.  Ueber  die 
Grösse  des  Eiweissumsatzes  bei  abnorm  gesteigerter  Nahrungszufuhr,  von  Bleibtreu.  —  Pa- 
thologische Anatomie.  4.  Secundäre  Degenerationen  nach  tuberculöser  Zerstörung  des 
Pons,  Yon  Gebhard.  5.  Syringo-Myelia,  von  Silcock.  —  Pathologie  des  Nervensystems. 
6.  Zur  Pathologe  der  centralen  £ehlkopflähmungeii,  von  Elsenlohr.  7.  Beitrag  zur  Aetiologie, 
Symptomatolog'le  und  Therapie  der  Tabes  dorsaUs,  von  Hoffmann.  8.  Zur  Gasuistik  der  6e- 
theihgung  der  peripherischen  Nerven  bei  Tabes  dorsualis,  von  Nonne.  9.  Ueber  multiple 
Himnervenlähmung,  von  Unverricht.  10.  Ein  Fall  von  Blepharospasmus,  von  Schubert. 
11.  Beumatisk  tic  convnlsif  med  förijockning  af  nervi  facialis  stam,  af  Menschen.  12.  Tics 
eonvnlsifs  et  bjst^e,  par  Quinon.  13.  Paralysis  of  the  fifth  cranial  nerve,  bv  Ferrier.  14.  Du 
röle  de  la  pr^disposition  nerveuse  dans  l'^tiologie  de  la  paralysie  faciale  dite  „a  frigor6", 
par  NeunMiiin.  15.  Ein  merkwürdiges  Sensibilitätsphänomen,  von  Jacobl.  16.  Les  tremblements 
prae-  et  posth^mipl^giques  et  leurs  rapports  aveo  les  affections  c^r^brales,  par  Stephan. 
17.  B^flexions  etc.,  par  Souza-Leite.  —  Psychiatrie.  18.  La  folie  ^rotique,  par  Ball.  19.  Des 
däires  mnltiplea  et  des  intoxications  d'origine  differente  chez  le  mcme  individu,  par  PIchoh. 
20.  Monde  dee  r^ves,  le  rdve,  Thallncination,  le  Soronambulisme,  et  PHypnotisme,  riUusion, 
les  Paradies  artificiels,  le  Bagle,  le  (^erveau  et  le  B6ve,  par  Simon.  2t.  Des  intervallcs 
hicides  eonsid^res  dans  lenra  rapports  avec  la  capacit^  civile  des  sAÜn^s,  par  R^gis.  22.  Di 
nn  caso  di  follia  communicata,  pcl  Funa|oli.  23.  A  case  of  Melanoholia  presenting  some  ex- 
ecptional  festnres,  prolonged  rerosal  of  food  and  forced  alimentation,  by  Adam.  24.  Preai- 
dential  addreas  at  the  annual  meeting  of  the  medico  psychological  association,  by  Savage. 
25.  Iropressiona  d'un  buveur  d'Opium,  par  Luys.  —  Forensische  Psychiatrie.  26.  Be- 
fund und  Gutachten  über  den  der  Brandlegung  angeklagten  L.  Fr.,  18jährigen  Wirthschafts- 
gehfilfen  aus  M.,  von  Pick.  —  Therapie.  27.  SyphiBs  of  the  nervous  system  and  its  treatment, 
by  Gray.  28.  De  l'action  de  l'antipyrine  dans  T^pilepsie,  par  Lemolne.  29.  On  the  use  of 
Stryehnine  as  a  Hypnotic,  by  Brunton.  80.  Die  Massage  in  der  Neuropathologie,  von  Bum. 
31.'üeber  Amylenhydrat  als  Schlafmittel,  von  Avellis.  82.  Tbc  treatment  of  sea-sickness,  by 
SkiBMr.  83.  Kemarks  on  ten  consecutive  cases  of  Operations  upon  the  brain  and  cranial 
cavity  to  iltnstrate  the  details  and  safety  of  the  method  employed,  by  Horsley. 

in.  Ans  den  Gesellschaften.  Academie  de  m^declne,  Paris.  —  Medicinische  Gesellschaft 
in  Stnaebni^.   —   Aneserordentlidie  Sitzung  der  Soci^  de  m^decine  mentale  de  Belgique. 

IV.  Bibliographie.  Ueber  irre  Verbrecher,  von  Moeli.  —  Compendium  der  gerichtlichen 
Medicini  Ton  Guder. 

V.  VermiscMes. 


10 


—    154    - 


I.  Originalmittheilungen. 


üeber  die  Erregbarkeit  einzelner  Faöerbündel  im 
Rückenmark  neugeborener  Thiere. 

Von  Prof.  W.  Bechterew  in  Kasan. 

Bekanntlich  zählt  man  die  Anwendung  des  elektrischen  Stromes  zu  den 
besten  Mitteln,  um  die  Erregbarkeit  verschiedener  Himtheile  zu  bestimmen; 
nur  erschwerte  bis  jetzt  die  Untersuchung  einzehier,  besonders  tief  gelegener 
Theile  des  GentralnerTensystems  der  Umstand,  dass  es  fast  unmöglich  war,  den 
Einfluss  des  Stromes  auf  seine  anatomisch  scharf  b^renzten  Gebiete  zu  be- 
schränken. Diese  Bemerkung  ist  nicht  ohne  Bedeutung,  auch  in  dem  Fall, 
wenn  man  die  Erregbarkeit  der  weissen  Substanz  des  Rückenmarks  unter- 
suchen will. 

Erwägend,  dass  die  Untersuchungen  über  die  Erregbarkeit  einzelner  Theile 
der  weissen  Substanz  des  Rückenmarks  nur  unter  der  Bedingung  auf  besondere 
Genauigkeit  Anspruch  machen  können,  wenn  man  im  Stande  ist,  am  lebenden 
Thiere  schon  die  Wirkung  des  Stromes  auf  die  einzelnen  Faserbündel  irgend- 
wie zu  begrenzen,  unternahm  ich  diesbezügliche  Versuche  an  neugeborenen 
Thieren,  deren  Rückenmark  sich  noch  in  der  Entwickelungsperiode  befindet 

Schon  die  bei  der  Entwickelung  der  psychomotorischen  Centra  neugeborener 
Thiere  constatirten  Thatsachen  beweisen,  dass  die  Erregbarkeit  dieser  Centra,  sowie 
der  unterliegenden  weissen  Substanz  mit  der  Markscheidenbildung  der  Nerven- 
fasern des  Pyramidenbündels  eng  zusammenhängt^  Ein  gleiches  Abhängigkeits- 
verhältniss,  wie  ich  mich  durch  zahlreiche  Versuche  überzeugen  konnte,  findet 
man  auch  in  Bezug  auf  die  Erregbarkeit  anderer  Theile  des  Centralnerven - 
Systems  bei  neugeborenen  Thieren.  Auf  Grund  dieser  Versuche  kann  ich  end- 
gültig behaupten,  dass  alle  bei  erwachsenen  Thieren  erregbaren  Theile 
des  Centraluervensystems  bei  neugeborenen  unerregbar  sind,  so 
lange  sie  noch  keine  Markscheide  besitzen. 

Es  ist  also  klar,  dass  bei  neugeborenen  Thieren  die  Bewegungserscheinungen 
während  der  Reizung  mitteist  des  Stromes  dieses  oder  jenes  Nervensystem- 
gebietos  mit  deu  Leitungsbahueu  in  Verbindung  zu  bringen  sind,  welche  schon 
myelinhaltige  Fasern  aufweisen.  Da  ich  mich  andererseits  überzeugt  habe,  dass 
bei  Thieren,  wie  auch  beim  Menschen,  die  Markscheidenbildung  bündelweise, 
und  bei  den  verschiedenen  Fasersystemen  in  verschiedenen  Entwickelungsperioden 
vor  sich  geht,  so  wird  es  verstandlich,  welche  wichtige  Bedeutung  die  Unter- 
suchung der  Erregbarkeit  der  verschiedenen  Theile  der  weissen  und  grauen  Snb- 

*  Vgl.  meine  Arbeit  „Ueber  die  Erregbarkeit  der  motorischen  Zone  der  Grosshimrinde 
bei  den  neogeborenen  Thieren"  im  Wratsch  (russiscb)  und  im  Arch.  Slaves  de  Biologie  1886. 
S.  aach  die  Arbeiten  von  Soltmamn  (Jahrb.  f&r  Kinderheilkunde.  1876.  Bd.  IX)  and  von 
Tabchahoff  (Bevne  mensaelle.  1876^. 


—     166    — 

stanz  neugeborener  Thiere  bei  gleichzeitiger  anatomischer  Erforschung  der  ent- 
sprechenden Himgebiete  erhält  Die  experimentelle  Physiologie  gelangt  hierdurch 
za  einer  bis  jetzt  fehlenden  Methode  zur  Bestimmung  der  Erregbarkeit 
einzelner«Faserbündel  des  Centralnervensystems. 

Zur  Erläuterung  der  Bedeutung  dieser  Methode  lege  ich  hier  kurz  die 
Resultate  meiner  Untersuchungen  über  die  Erregbarkeit  verschiedener  Faser- 
bündel des  Bückenmarks  vor.    Beginnen  wir  mit  den  Hintersträngen. 

Ein  bedeutender  Theil  der  Hinterstränge  des  Bückenmarkes  ist  bei  soeben 
geborenen  Welpen  myelinlos.  Nur  die  Burdach'schen  Eeilstränge,  vorzüglich 
der  äussere  und  vordere  Theil  derselben  oder  die  sogenannte  Wurzelpartie,^ 
welche  an  die  graue  Substanz  des  Hinterhoms  stoest,  ebenso  wie  die  hinteren 
Wuizeln,  enttialten  markhaltige  Fasern,  während  die  zarten  (Goll'schen)  Stränge 
durchaus  marklose  Fasern  besitzen.  Dementsprechend  finden  wir  auch  bei  eben 
geborenen  Welpen  den  Theil  der  Hinterstränge  erregbar,  welcher  an  die  graue 
Substanz  des  Bückenmarks  stösst,  also  die  Keilstränge,  ><  während  die  OoU'schen 
Stränge  noch  gar  nicht  erregbar  sind.^ 

Bei  solchen  Welpen  treten  auf  Beizung  der  Keilstränge  des  centralen  Bücken- 
marksstumpfes krampfhafte  Gontractionen  der  vom  entsprechenden  Bückenmarks- 
segment innervirten  Muskeln  auf;  man  erhält  somit  dasselbe  Besultat,  welches 
die  Beizung  der  hinteren  Wurzeln  an  gleicher  Stelle  giebt,  weshalb  die  ange- 
fahrten motorischen  Erscheinungen  zweifellos  auf  Beizung  des  intramedullären 
Theiles  der  hinteren  Wurzeln  zurückzuführen  sind. 

Es  muss  hier  erwähnt  werden,  dass  nicht  nur  die  Beizung  der  Keilstränge 
des  centralen,  aber  solche  des  peripherischen  Bückenmarksstumpfes  ebenfalls 
Muskelcontaractionen  zur  Folge  hat  und  zwar  derjenigen  Muskeln,  deren  Nerven 
aus  dem  Bückenmark,  gleich  hinter  dem  Schnitt,  hervortreten.  Diese  Thatsache 
beweist  klar,  dass  die  hinteren  Wurzeln,  nach  dem  Eintritt  in  das  Bückenmark 
ihre  Bicbtnng  verändernd,  sowohl  nach  oben,  wie  nach  unten  ziehen,  was  ja 
bekanntlich  zur  Zeit  in  der  Anatomie  anerkannt  wird. 

Zwei  oder  drei  Tage  nach  der  Geburt  finden  wir  bei  den  Welpen  schon 
die  Keilstrange  ganz  markhaltig,  während  die  zarten  Stränge  noch  marklos  sind. 
Dementsprechend  sind  bei  Thieren  von  diesem  Alter  alle  Theile  der  Hinter- 
stränge mit  Ausnahme  ihrer  innersten  Abschnitte,  der  zarten  oder  GoU'schen 
Stränge,  err^bar.  Letztere  können,  sowohl  mechanisch  wie  elektrisch,  erst  vom 
ca.  5.  Tage  nach  der  Geburt  an  erregt  werden;  gleichfalls  gelingt  schon  jetzt 
in  ihnen  der  Nachweis  markhaltiger  Fasern.  Bei  Thieren  von  eben  angegebenem 
Alter  ist  das  Besultat  der  Beizung  der  innersten  Theile  der  Hinterstränge,  bezw. 
der  zarten  Stränge,  identisch  mit  solchen  bei  erwachsenen,  d.  h.  es  besteht  in 
verschiedenen  reflectorischen  Muskelcontractionen  am  Bumpf,  Kopf  und  den 
Extremitäten,  jedoch  ohne  Aeusscrung  von  Schmerz. 


^  Ueber  die  Eintheilimg  der  Fasern  der  Burdach'schen  Stränge  nach  ihrer  Entwickelang 
vgl.  meine  Arbeit  in  Nr.  5  des  „Wratsoh"  (russisch)  und  auch  dies  Gentralblatt  Nr.  2.  beide 
Jahrgang  1S85. 

'  AUe  Versuche  sind  an  nicht  narkotisirteu  Thieren  ausgeführt  v^orden. 

10* 


—    156    — 

Die  Thatsache,  dass  bei  soeben  geborenen  Welpen  die  zarten  Strange^  wie 
wir  gesehen,  nnerregbar  sind,  während  bei  solchen  Thieren,  welche  den  5.  Lebens- 
tag hinter  sich  haben,  die  Heizung  derselben  von  reflectorischen  Bewegongs- 
erscheinnngen,  wie  bei  erwachsenen,  begleitet  ist^  beweist  klar,  dass  diese 
Stränge  eine  selbstständige  Erregbarkeit  besitzen. 

Somit  erföhrt  die  Ansicht  von  Stilukg,  Yan-Deen,  Chaüteau  u.  A., 
welche  den  Hinterstrangen,  mit  Ausnahme  der  in  ihnen  befindlichen  hinteren 
Wnrzeliasem,  jedwede  Erregbarkeit  absprechen,  eine  schwer  in's  Gewicht  fallende 
Widerlegung. 

In  den  Vorder-  nnd  Seitensträngen  des  Rückenmarks,  äusseres  Hinter- 
wurzelgebiet oder  Randzone  ^  ausgenommen,  finden  wir  bei  soeben  geborenen 
Welpen  nur  zwei  Bündel  markhaltig:  1)  Vorder-  und  Seitenstranggrundbündel, 
welches  bei  Hunden  den  ganzen  Vorderstrang  und  den  vorderen  Theil  des  Seiten- 
stranges einnimmt,  und  2)  directes  Eleinhimseitenstrangbündel,  welches  sich 
an  der  Peripherie  der  hinteren  Hälfte  des  Seitenstranges  befindet. 

Untersuchen  wir  mittelst  des  elektrischen  Stromes  die  Err^barkeit  ver- 
schiedener Theile  des  Vorder-  und  Seitenstranges  am  peripheiisohen  Stumpf  des 
Rückenmarks,  so  sehen  wir  in  diesem  Alter  nur  den  Vorderstrang  und  die 
vorderen  Theile  des  Seitenstranges  erregbar,  d.  h.  diejenigen  Theile,  welche 
ihrer  Lage  nach  dem  Vorder-  und  Seitenstranggrundbündel  entsprechen. 
Die  Application  des  elektrischen  Stromes  an  die  hintere  Hälfte  des  Seitenstranges 
bleibt  ohne  Effect.  Bei  meinen  Versuchen  hatte  die  Reizung  der  Vorderstränge 
und  der  vorderen  Seitenstrangtheile  am  unteren  Stumpf  des  Halsmarks  nicht 
nur  Gontractionen  an  der  Vorderpfote,  sondern  auch  solche  der  Hinterpfote  und 
des  Schwanzes,  nach  der  entsprechenden  Seite  hin,  zur  Folge.  Ebenfalls  traten 
Bewegungserscheinungen  an  der  Hinterpfote  und  des  Schwanzes  bei  der  Reizung 
der  entsprechenden  Theile  am  oberen  Brustmark  auf,  auch  dann  noch,  wenn 
einige  nächstliegende  Wurzelpaare  vordem  durchschnitten  worden  waren. 

Bekanntlich  existirt  über  die  Erregbarkeit  der  Vorderstränge  zur  Zeit  unter 
den  Autoren  grosse  Uneinigkeit  Einige,  wie  Van-Deen,  Ghaitveau,  Hüizinga, 
AiiADOFF  und  SoHiFF  nehmen  an,  dass  diese  Rückenmarkstheile  gar  nicht  er- 
regbar sind,  während  Fick,  Engelkek  und  Vulpiak  für  dieselben  selbstständige 
Erregbarkeit,  unabhängig  von  den  Vorderwurzelfasem,  in  Anspruch  nehmen. 

Die  Thatsache,  dass  bei  meinen  Versuchen  an  neugeborenen  Welpen  die  Reizung 
der  Vorderstränge  und  vorderen  Seitenstrangtheile  im  unteren  Hals-  und  oberen 
Brustmark  Gontractionen  an  der  Hinterpfote  und  des  Schwanzes  hervorrief,  er- 
laubt entschieden  nicht  dieses  Ergebniss  durch  Ausbreitung  der  Reizung  auf  die 


*  Vgl.  über  dieses  Gebiet  meine  Arbeit  ,,üeber  einen  besonderen  Bestandtheil  der  Seiten- 
stränge des  Rückenmarks  nnd  über  den  Anfang  der  grossen  aufsteigenden  Trlgeminoswnrzel" 
in  Nr.  26  des  „Wratsch"  (russisch)  pro  1885  und  im  Arch.  f.  Anat.  n.  Physiol.,  anat.  Abth., 
1886;  nnd  „Ueber  die  hinteren  Nerven  wurzeln,  ihre  Endignng  in  der  granen  Substanz  des 
Kückenmarks  nnd  ihre  centrale  Fortsetzung  im  letzteren"  im  Wiestnik  klin.  phych.  u.  Neu- 
rologie 1886  und  Arch.  f.  Anat.  n.  Phys.,  anat.  Abth.  1887.  S.  auch  die  Arbeit  von  Ldsaubb 
iro  Neurol.  Ccntralbl.  1885.  Nr.  11  und  im  Arch.  f.  Psychiatrie  1886. 


—    157    — 

ToTderwnTzelfiEtöem  zn  erUären.  Die  Gegner  der  Erregbarkeit  der  Yorderstrange 
des  Räokenmarks  aber  weisen  oft  auf  die  Möglichkeit  eines  Uebergangs  der 
Reizung  auf  die  Hinterstränge  hin,  nnd  erklären  die  Muskelcontractionen  an 
entfernten  Eörpertheilen  eben  durch  eine  solche  Beizung  der  Hinterstränge. 

Meine' Versuche  an  neugeborenen  Welpen  erlauben  aber,  diese  Erklärung 
entschieden  zurückzuweisen.  Die  Verbreitung  des  Reizes  in  querer  Sichtung  des 
Räckenniarksdurchschnittes  geht  gar  nicht  so  leicht  vor  sich,  wie  die  Autoren, 
welche  gegen  die  Erregbarkeit  der  Vorderstränge  plaidiren,  es  zulassen.  Wie  oben 
erwähnt,  konnte  ich  bei  meinen  Versuchen  au  neugeborenen  Welpen  folgende  auf- 
fallende Thatsache  constatiren:  dieselbe  Beizung,  welche  am  Vorderstrang  und 
an  den  vorderen  Seitenstrangtheilen  die  Bewegungserscheinungen  zur  Folge 
hatte,  rief  bei  Application  auf  die  hintere  Hälfte  des  Seitenstranges  (also  der 
Lage  des  Pyramidenbündels  entsprechend)  gar  keine  Bewegungen  des  Thieres 
hervor.  Sogar  eine  bedeutend  stärkere  Beizung  blieb  in  diesem  Falle  ganz  er- 
folglos; unterdessen  es  leicht  verständlich  ist,  dass  ein  üebergang  der  Beizung 
Ton  der  hintere  Hälfte  des  Seitenstranges  auf  den  Hinterstrang  leichter  zu 
Stande  gekommen  wäre,  als  von  den  entfernteren  Vordersträngen  und  vorderen 
Seitenstrangtheilen. 

Dasselbe  erfahren  wir  an  der  Err^barkeit  der  Hinterstränge  des  Bücken- 
marks.  Wie  wir  gesehen,  erwiesen  sich  hier,  bei  neugeborenen  Welpen,  die 
inneren  Theile  vollkommen  unerregbar,  während  die  Beizung  der  Wurzelpartie 
der  Keilstränge  Bewegungserscheinungen  auslöste.  Augenscheinlich  müsste  die 
Nachbarschaft  dieser  Theile,  gemäss  der  Annahme  von  Schiff  u.  A.,  einen 
Üebergang  der  Beizung  der  inneren  Theile  der  Hinterstränge  auf  die  äusseren 
err^baren  Theile  der  Eeilstränge  bedingen  und  entsprechende  Bewegungs- 
erscheinungen  zu  Stande  bringen ;  directe  Versuche  zeigen  jedoch  das  G^gentheil. 

Endlich  spricht  gegen  einen  üebergang  der  Beiz^g  von  den  Vordersträngen 
auf  die  Hinterstränge  des  Bückenmarks  in  oben  beschriebenen  Versuchen  noch 
der  Unterschied  in  den  Bew^fungserscheinungen  bei  der  Beizung  dieser  oder 
jener  Bückenmarkstheile  neugeborener  Thiere.  Wir  sahen,  dass  durch  die 
Beizung  der  Eeilstränge  bei  eben  geborenen  Welpen  Bewegung  nur  in  den 
Muskeln  ausgelöst  wurde,  welche  von  den  nächsten  Wurzelpaaren  ihre  Kerven 
beziehen,  während  die  Beizung  der  Vorderstränge  und  der  vorderen  Seitenstrang- 
theile  bei  ihnen  Bewegungserscheinungen  nicht  nur  an  den  nächsten,  sondern 
auch  an  entfernten  Eörpertheilen  zur  Folge  hatte. 

Alles  das  zwingt  mich  nothwendig,  die  angeführte  Erklärung  der  Bewegungs- 
erscheinongen,  welche  man  bei  neugeborenen  Welpen  auf  Beizung  der  Vorder- 
strange nnd  der  vorderen  Seitenstrangtheile,  resp.  ihrer  Grundbflndel,  zu  be- 
obachten Gelegenheit  hat,  zurückzuweisen.  Diese  Erscheinungen  können,  meiner 
Meinung  nach,  nicht  anders,  als  durch  Annahme  einer  selbstständigen  Er- 
regbarkeit des  Grundbündels  der  Vorder-  und  Seitenstränge  des 
Rückenmarks  erklärt  werden. 

Die  Versuche  an  eben  geborenen  Welpen  zeigen  femer,  dass  bei  denselben 
die  Erregbarkeit  bestimmter  Seitenstrangtheile  nicht  nur  am  peripherischen. 


-     158     — 

sondern  auch  am  centralen  Bückenmarksstumpfe  nachzuweisen  ist  Diese  Ver- 
suche wurden,  wie  folgt,  angeführt.  Nachdem  das  untere  Brustmark  quer 
durchschnitten  war,  wurden  die  nächsten  Nervenwurzehi  am  oberen  Stumpfe, 
an  einer  Strecke  von  wenigstens  2 — 3  cm  ebenfalls  durchtrennt,  und  nun  er- 
folgte die  Application  der  Elektroden  eines  vschwachen  Inducüonsstroines  an  die 
meisten  peripher  gelegenen  Theile  der  hinteren  Seitenstranghälfte  des  oberen 
Stumpfes,  oder  an  den  äusseren  Band  des  letzteren.  Sofort  traten  charakteristische 
Kopf-  und  Bumpfbewegungen  auf:  der  vordere  Theil  des  Körpers  machte  eine 
leichte  Drehung  um  die  Langsaxe  zur  widerliegenden  Seite  hin,  wahrend  der 
Kopf  ebenfalls  zur  Schulter  der  gereizten  Seite  abgebogen  wurde.  Diese  Be- 
wegungen wiederholten  sich  beständig  und  stereotyp,  sowohl  auf  die  Beizung 
der  einen,  wie  auf  die  der  anderen  Seit«  des  Bückenmarks.  Nach  der  Lage  zu 
urtheilen,  hatten  wir  es  mit  der  Erregung  des  directen  Kleinhirnbündels 
der  Seitenstränge  zu  thun,  welches  bei  Welpen  schon  bei  der  Geburt  mark- 
haltig  ist 

Bei  B — 4  Ts^e  alten  Welpen  finden  wir  schon  den  ganzen  sogenannten 
Seitenstrangrest  markhaltig,  —  folglich  triflR;  man  bei  Welpen  von  diesem  Alter 
markhaltige  Fasern,  ausser  im  Grund-  und  directen  Kleinhimbündel,  auch  schon 
in  der  Grenzschicht  der  grauen  Substanz,  sowie  in  dem  von  mir  beschriebenen 
peripherischen  Bündel  des  Seitenstrangrestes.^ 

Als  ich  in  dieser  Periode  die  Erregbarkeit  der  Seitenstränge  am  peripherischen 
Stumpf  untersuchte,  fand  ich  keinen  Unterschied  im  Besultat,  welches  man  bei 
soeben  geborenen  Welpen  bei  gleicher  Versuchsanordnung  erhält;  wohl  aber 
verändert  sich  die  Erregbarkeit  der  Seitenstränge  am  centralen  Stumpfe  im  an- 
gegebenen Alter.  So  finden  wir  am  durchschnittenen  Brustmark  -  nicht  nur  die 
äussersten  Theile  der  hinteren  Seitenstranghälfte  des  centralen  Stumpfes  (ent- 
sprechend der  Lage  des  directen  Kleinhirnbündels)  erregbar,  sondern  auch  die 
vorderen  Theile  derselben,*  deren  Beizung  von  eigenartigen  Bewegungen  des 
Bumpfes  und  der  Vorderextremitäten  begleitet  werden.  Diese  Thatsaohe  beweist 
augenscheinlich,  dass  im  vorderen  Theil  der  Seiteustränge  des  Backen- 
marks centripetal  leitende  Fasern  vorhanden  sind.  Aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  gehören  diese  Fasern  zu  einem  von  den  obenerwähnten  Bündeln 
(vielleicht  dem  peripherischen  Bündel  des  Seitenstrangrestes  des  Bücken- 
marks?). 

Erst  10—12  Tage  nach  der  Geburt  findet  man  bei  Welpen  Myelin  auch 
in  den  Fasern  des  Pyramidenbündels.  Zu  derselben  Zeit  (nicht  vor  dem  11.  bis 
13.  Tage)  treten  bei  ihnen  auch  Bewegungen  der  Extremitäten  bei  der  Beizung 

^  Die  Fasern  des  letzteren  Bündels  sind  beim  Uande  grösstentheils  zwischen  den 
Fasern  des  hinteren  Theils  des  Seitenstranggmndbündels  zerstreat,  während  beim  Menschen 
dieses  Bündel  mehr  compact  ist  und  nur  theilweise  aus  zerstreuten  Fasern  besteht.  Vergl. 
meine  Arbeit  „üeber  die  Bestan<itheile  des  sogenannten  Seitenstrangrestes  des  Bückenmarks*' 
in  Nr.  29  des  Wratsch  (rassisch)  1885;  und  „Ueber  liängsfaserzügc  der  Formatio  reticalaris 
medollae  oblongatae  et  pontis"  in  diesem  Centralblatt.  1885.  Kr.  15.  S.  auch  Gowsrs  „Be- 
merkungen über  die  antero- laterale  aufsteigende  Degeneration  im  Bfickenmark.'*  Dieses 
CenfcralbL  1886. 


-     159    — 

der  hinteren  Seitenstrangtheile  des  peripherischen  Räckenmarksstumpfes  auf. 
Diese  Erscheinung  ist  ohne  Zweifel  abhängig  vom  Auftreten  der  Erregbarkeit 
in  den  Pyramidenbündelfasern. 

Schliesslich  sei  bemerkt^  dass  die  Entwickelung  der  einzelnen  Bändel  im 
Rückenmark  bei  verschiedenen  Thiergattungen  nicht  zu  derselben  Periode  des 
extrauterinen  Lebens  vor  sich  geht,  weshalb  die  XTntersuchungsresuItate  an 
Welpen  nicht  auch  für  andere  Thiere,  z.  B.  Kaninchen  und  Katzen,  bedingungs- 
lose Geltung  haben  können.  Ferner  muss  noch  angeführt  werden,  dass  die  be- 
schriebene TTntersuchungsmethode  der  Erregbarkeit  einzelner  Faserbündel  mit 
gleichem  Erfolg  auch  auf  andere  Gebiete  des  Centraluervensystems  ausgedehnt 
werden  kann.  Die  Mittheilung  der  Resultate  meiner  Versuche  in  dieser  Rich- 
timg wird  bald  erfolgen. 


II.  Referate. 


Anatomie. 

1)  Versuoli  sur  Ermittelung  der  Homologien  der  Fissura  parieto-oooipi- 
talia  bei  den  Camivoren»  von  Max  Flesch.  (Sonder- Abdruck  aus:  Festschrift 
für  Albert  v.  Kölliker.     lieipzig  1887.     Verlag  von  Wilhelm  Engelmann.) 

Nachdem  Verf.  in  einigen  einleitenden  Worten  auf  die  Schwierigkeit  seines  Themas 
hingewiesen  hat»  giebt  er  der  Hoffoung  Ausdruck,  dass  es  gelingen  werde»  den  Ur- 
sachen für  die  Ausbildung  der  Furchen  und  Windungen  näher  zu  kommen,  wenn 
man  deren  di£ferente  Gestaltung  bei  weit  von  einander  gelegenen  Formen  aus  einer 
gemeinsamen  Grundlage  erklären  könne.  Die  Parieto-Occipital-Spalte  wird  als  Unter- 
suchungsobject  herangezogen  und  soll  bewiesen  werden,  dass  diese  an  dem  Primaten- 
Gehirne  so  charakteristische  Spalte»  die  den  meisten  Camivoren  fehlt,  bei  dem  am 
weitesten  ausgebildeten  Carnivoren-Gehirne,  dem  des  Bären  angelegt  ist.  Die  Parieto- 
Occipital-Furche  ist  wie  die  Fissura  Hippocampi,  calcarina,  Sylvii  bereits  im  embryo- 
nalen Gtehime  als  Furche  angelegt  und  wird  als  solche  in  die  spätere  Entwickelungs- 
zeit  übernommen  und  fehlt  ihr  im  embryonalen  Organe  jede  Beziehung  zur  Fissura 
calcarina.  Eine  Uinterhauptsspalte  des  Thiergehims  zu  beschreiben  haben  nur  wenige 
und  mit  Unglück  versucht,  wie  Meynert,  der  eine  vom  Sulcus  calloso-marginalis 
aasgehende  Zweigfurche  als  Fissura  parieto-occipitalis  beschrieb;  diese  Furche  fällt 
aber  vor  das  Splenium  corporis  callosi,  statt  hinter  demselben  an  die  Basalfläche  zu 
gelangen.  Beim  (Gehirn  des  Orang  und  Chimpanse  ist  die  Parieto-Occipital-Spalte 
von  der  Fissura  calcarina  durch  eine  schmale  Windung  geschieden.  Das  Gehirn  von 
Cynocephalus  zeigt  dieselbe  Verbindung  beider  Spalten  wie  beim  Menschen,  doch 
kommen  hier  Variationen  vor.  Die  verticale  SteUung  der  Spalte  stimmt  annähernd 
mit  der  menschlichen  überein;  nicht  mehr  so  bei  Macacus,  wo  auch  der  Abstand 
zwischen  Fissura  parieto-occipitalis  und  calcarina  grösser  wird.  Bei  der  Betrachtung 
von  oben  sieht  man  beim  Menschen  gewöhnlich  die  Fissura  parieto-occipitalis  und 
calloso-marginalis  als  kurze,  von  der  medialen  Fläche  einschneidende  Spalten.  Die 
Centralspalte  kreuzt  als  transversaler  Einschnitt  das  longitudinale  Fnrchensystem,  die 
Fnrchenbogen  um  die  Sylvische  Spalte  sind  zu  Längsfnrchen  gestreckt.  Verf.  be- 
spricht nun  genauer  die  G^ichtsponkte,  die  beim  Aufsuchen  der  Parieto-Occipital- 
Spalte  an  nicht  dem  Primatenkreise  angehörigen  Gehirnen  bieten  müssen.  — 

Die  mediale  Fläche  des  Bärengehimes  zeigt  keine  Forche,  die  als  Parieto-Occi- 
pital-Spalte gedeutet  werden  kann.     Bei  der  Betrachtung  von  oben  sieht  man  zwei 


—     160    — 

Bogenforchen  die  äylvische  Spalte  umkreisen;  die  obere  Bogenfurche  ist  versch wanden; 
die  aus  dem  Sulcus  suprasylvius  abzweigenden  Aeste  entsprechen  topographisch  der 
Farieto-Occipital-Spalte  der  niederen  Affen.  Das  Auftreten  der  Fissura  parieto-occi- 
pitalis  scheint  zusammenzufallen  mit:  Beduction  der  oberen  Bogenfurche,  Umgestal- 
tung der  medialen  Hauptfurche,  Verschiebung  des  Sulcus  suprasylvius  gegen  die 
Mittelebene.  Auch  beim  Bärengehinie  kann  man  eine  Abzweigung  der  oberen  Haupt- 
furche  als  Sulcus  parieto-occipitalis  ansprechen,  bei  Felis  catus  domesticus  entspringt 
auch  zuweilen  aus  der  oberen  Bogenfurche  em  kurzes  Querastchen.  — 

Am  Ende  der  vorzüglichen  Studie  meint  Flesch,  dass  schliesslich  das  letzte 
Wort  über  die  Identität  der  einzelnen  Gehimabschnitte  die  mikroskopische  Forschung 
sprechen  würde;  das  Ergebniss  seiner  Arbeit  fasst  er  in  folgenden  S&tzen  zusammen: 

1.  Die  Faheto-Occipital-Spalte  erreicht  bei  den  niederen  Affen  ihre  grösste  Aus- 
dehnung auf  der  Convezitat  des  Gehirns. 

2.  Am  Gehirn  des  Bären  ist  die  Parieto-Occipital-Spalte  als  Abzweigung  der 
mittleren  Bogenfurche  angelegt. 

3.  An  Gamivoren- Gehirnen  mit  vollständiger  Ausbildung  der  3  Bogenfurchen 
fehlt  die  Fissura  parieto-occipitalis. 

4.  Die  Ausbildung  der  Parieto-Occipital-Spalte  steht  in  directer  Wechselbezieh- 
ung zu  dem  Schwinden  der  oberen  Bogenfurche,  zu  der  Umbildung  eines  Theiles 
derselben  zur  Centralspalte  und  zu  einer  Bückbildung  des  Sulcus  cruciatus. 

Eronthal. 


Experimentelle  Physiologie. 

2)  Ueber  den  ElnflusB  des  SympathiouB  auf  die  VogelpnpUle,  von  J.  Jego- 
row,  Kasan.    (Arch.  f.  d.  ges.  Physiol.  XLI.  7  u.  8.) 

Mit  Budge,  Yulpian  und  Jeglinski  und  gegen  Hirschmann,  Bosenthal 
und  Gruenhagen  findet  Verf.,  dass  weder  Durchschneidung  noch  Reizung  des  Sym- 
pathicus  oder  seines  obersten  Ganglions  bei  Vögeln  die  Papülenweite  beeinflusst  Die 
von  anderen  bei  Sympathicusreizung  gesehenen  Veränderungen  der  Pupillenweite 
kamen  zum  grössten  Theil  durch  Stromschleifen  auf  die  pupillenerweitemden  Nerven- 
fasern im  Trigeminus  zu  Stande.  Auch  das  dritte  Augenlid  der  Vögel  bewegt  sich 
unabhängig  vom  Sympathicus.  Th.  Ziehen. 


3)  Ueber  die  Grösse  des  Eiweissumsatses  bei  abnorm  gesteigerter  Nahrungs- 
zufuhr  (Weir-MltchelPsohe  Kur),  von  Dr.  L.  Bleibtreu,  Bonn.  (Arch.  f.  d. 
ges.  Physiol.  XLI.  7  u.  8.) 

Vor  Beginn  der  Kur  wurde  bei  der  schwemervösen  Patientin  ein  Körpergewicht 
von  44,75  kg  und  ein  täglicher  Eiweissumsatz  von  nur  0,629  gr  fOr  1  kg  Körper- 
gewicht nach  der  Pfläger-Bohland'schen  Modification  der  Kjeldahrschen  Stickstoff- 
bestimmungsmethode ermittelt.  Nach  44tägiger,  erfolgreicher  Kur  hatte  das  Körper- 
gewicht um  15,84  kg  zugenommen,  der  mittlere  tägliche  Eiweissumsatz  während  der 
Kur  betrug  2,763  gr  für  1  kg  Körpergewicht.  Der  Stickstoffgehalt  des  Koths  war 
nicht  über  die  Norm  erhöht:  7,57  "/q  des  Eiweisses  der  Nahrung  verliessen  mit  den 
Fäces  den  Körper.  Von  der  Gesammtgewichtszunahme  ist  etwa  die  Hälfte  auf  An- 
satz ei  weiss  haltiger  Substanz  zu  rechnen,  da  von  den  8419,43  gr  Ei  weiss  in  der 
Nahrung  nur  7233,11  gr  in  Koth  und  Harn  wieder  abgegeben  worden  sind. 

Den  gesteigerten  Eiweissumsatz  führt  B.  namentlich  auf  die  passiven  Muskel- 
bewegungen bei  der  Massage  zurück.  Nach  Beendigung  der  Kur  ging  der  Eiweiss- 
umsatz wieder  auf  die  Norm,  d.  h.  circa  IV2  g^  pro  Tag  und  1  kg  Körpergewicht 
zurück.  TL  Ziehen. 


—    161     — 

Pathologische  Anatomie. 

4)  Seoundäre  Deganerationan  nach  tuberoulöser  ZerBtörung  des  Föns,  von 
Franz  Gebhard.    (Inaugaral-Dissertation.     Halle-Wittenberg  1887.) 

In  diesem  Centralblatte  (1886.  Nr.  7  u.  8)  veröfifentlicbte  Dr.  Bruns  Kranken- 
geschichte  und  Sectionsbefund  eines  272Jäbrigen  Patienten,  der  unter  den  Erschei- 
nungen eines  intracraniellen  Tumors  zu  Grunde  gegangen  war.  Haupts jmptome: 
Coordinirte  AngenmuskeUähmung  nach  links,  Anästhesie  der  Cornea  und  Gonjunctiva 
bei  erhaltener  Schmerzempfindung  im  übrigen  Gebiete  der  Trigemiui,  Schwäche  der 
Kau-,  Hals-  und  Nackenmuskeln,  Parese  mit  Contractur  und  erhöhten  Sehnenreflexen 
der  rechten  Extremitäten  ohne  Sensibilitätsstörungen,  Kopfschmerzen,  Sopor,  allge- 
meine Schwäche,  Stauungspapille.  Section  des  Gehirns:  Hervorwölbung  des  Bodens 
des  3.  Ventrikels  zwischen  den  hinteren  Ghiasmaschenkeln,  linke  Ponshälfte  sackartig 
ausgebuchtet,  an  mehreren  Stellen  gelbe  Yerkäsung  der  Binde;  ein  Tumor  von  etwa 
Eastaniengrösse  nimmt  fast  den  ganzen  Querschnitt  des  Föns  ein,  erstreckt  sich  nach 
vorn  bis  3  mm  abwärts  vom  Eingang  des  Aquaeductus  Sylvii,  nach  hinten  bis  an  die 
Tordersten  Striae  medulläres.  Er  erweist  sich  analog  den  Bindenheerden  als  Solitär- 
tnberkel.  Die  vorliegende  Arbeit,  die  unter  Prof.  Hitzig's  Leitung  gemacht  ist, 
befa^  sich  hauptsächlich  mit  der  histologischen  Untersuchung  dieses  interessanten 
Falles  und  zeigten  die  Präparate:  partielle  absteigende  Degeneration  beider  Pyramiden, 
Endigang  derselben  im  gleichnamigen  vordergekreuzten  Seitenstrang;  theilweiser  Ur- 
sprang der  Pyramidenfasem  aus  Kleinhirn  mittelst  Brückenarmfasem,  Fibrae  arciformes 
extemae  anteriores  und  Fibrae  rectae;  Uebergang  von  Fasern  der  rechten  Pyramide 
in  den  gleichnamigen  Seitenstrang;  absteigende  Entartung  beider  Schleifenbahnen, 
Endigung  dieser  in  den  gekreuzten  Hinterstrangskemen;  Ursprung  eines  erheblichen 
Theiles  der  Bahnen  aus  Kernen  der  Brücke;  absteigende  Degeneration  eines  Theiles 
der  Formatio  reticularis  resp.  nicht  der  Schleife  zugehörigen  Längsfasem  der  Haube, 
Endigung  dieser  theils  in  der  Oblongata,  theils  im  Bückenmark  in  Abschnitten  der 
Vorderseitenstrangreste,  in  welchem  sie  bis  zum  unteren  Dorsalmark  zu  verfolgen  ist 
Anknüpfend  an  diesen  Befund  setzt  Verf.  in  genauer  Weise  die  Anschauungen  der 
verschiedenen  Forscher  über  die  Bahnen  in  diesen  Gebieten  auseinander. 

Kronthal. 

5)  Syrinso-Myelia,  von  Silcock.    (The  British  med.  Joum.  1888.  Jan.  7.  p.  21.) 

S.  seigte  in  der  Londoner  pathologischen  Gesellschaft  Präparate  eines  Falles 
von  g^ringomyelie.  Ein  23jähriger  Mann  hatte  stürzend  den  Halstheil  der  Wirbel- 
säule gebrochen.  Der  Körper  des  5.  Wirbels  war  zermalmt  und  nach  hinten  etwas 
dislocirt,  wodurch  eine  Eindrückung  in  dem  Bflckenmarkskanal  entstand.  Dort  war 
das  Bückenmark  abgeflacht  Schnitte  in  der  Höhe  des  2.  HaLswirbels  zeigten  eine 
längUche,  spaltfömüge  Höhle  nach  innen  von  der  hinteren  Würz  Aund  parallel  mit  dieser. 
Allgemeine  Sklerose,  besonders  ausgesprochen  in  der  Nachbarschaft  der  Höhle,  also 
in  der  rechten  hinteren  Säule.  Die  Wände  der  Höhle  sind  von  Bindegewebe,  welches 
ein  feines  Netzwerk  darstellt  und  reichlich  Kerne  zeigte,  gebildet,  ohne  auskleidende 
Membran  9  rauh.  Der  Centralkanal  steht  mit  der  Höhle  nicht  in  Verbindung.  Von 
dem  Bindegewebe  rings  um  den  Centralkanal  gehen  faserige  Züge  zur  Innern  Wurzel 
der  centralen  grauen  Substanz  und  der  Nachbarschaft  der  hintern  Säule.  In  der 
Höhe  des  6.  Wirbels  ist  die  Höhle  beträchtlich  kleiner;  sie  endet  unten  in  eine 
Masse  gefalteten  Bindegewebes.  —  Der  hier  mitgetheilte  Fall  könne  nicht  in  eine 
Gruppe  mit  den  ähnlichen  gebraucht  werden,  welche  als  eine  Fortsetzung  der  em- 
bryonalen Spalte  zwischen  den  hinteren  Säulen  und  der  Peripherie  des  Bückenmarks 
betrachtet  würden,  denn  hier  handle  es  sich  um  eine  secundäre  Bildung,  eine  Höh- 
loog  in  neugebildetem  Bindegewebe  in  Folge  von  Trauma. 

L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


—     162    — 

Pathologie  des  Nervensystems. 

6)  Zur  Pathologie  der  oeiitralen  Kehlkopf Ifthmnngen,  von  Eisenloh r.  Aus 
dem  allgemeinen  Krankenhause  in  Hamburg.    (Arch.  f.  Psych.  1888  Bd.  XIX.  H.  2.) 

Der  klini«ich  und  pathologisch-anatomisch  gleich  sorgfaltig  untersuchte  Fall  bot 
folgende  Erscheinungen:  Unvollständige,  aber  alle  Gefflhlsqualitäten  betheiligende 
Anästhesie  im  Gebiete  der  8  Aeste  des  Trigeminus  und  der  obersten  Cervicalnerven 
links,  ohne  Betheiligung  der  Mund-,  Wangen-  und  Zungenschleimhant  und  ohne  Störung 
des  Geschmackes  an  der  Zungenspitze.  Störungen  der  Sensibilität  der  linken  Gaumen- 
und  Rachenhälfte;  dagegen  Erhaltenbleiben  des  Geschmackes  auch  auf  den  hinteren 
Zungenpartien  links.  Tiefstand  des  linken  vorderen  und  hinteren  Gaumensegels, 
Uvula  steht  mit  der  Spitze  nach  links:  völliger  Ruhestand  des  linken  Gaumensegels 
beim  Intoniren.  Keine  Abnormitäten  der  elektrischen  Erregbarkeit  desselben.  Schwierig- 
keit beim  Schlucken.  Totale  Lähmung  und  Anästhesie,  sowie  Verlust  der  Reflex- 
erregbarkeit der  linken  Kehlkopfhälfte.  Bei  Seitwärtswendung  des  Blickes  Nystagmus 
rotatorius.  Subacute  Entstehung  des  ganzen  Krankheitsbildes,  das  durch  3  Jahre 
stationär  bleibt  Exitus  letalis  durch  Ausbildung  von  Lungenabscessen  und  Bronchi- 
ectasien  und  eines  peripleuritischen  Abscesses.  Die  Lungenerscheinungen  traten  eben- 
faUs  zuerst  links  auf. 

Pathologisch-anatomisch  fand  sich  ein  alter  myelitischer  Heerd  der  linken  Seite 
der  MeduUa  oblongata,  der  sich  in  der  Längsaxe  von  der  1.  Oervicalwurzel  bis  zum 
unteren  Ende  des  Abducenskemes  erstreckte  und  in  der  Breite  eine  wechselnde  Aus- 
dehnung hatte  (s.  die  Abbildungen).  Er  betheiligte  von  unten  nach  oben  folgende 
Elemente  des  verlängerten  Markes:  Am  weitesten  nach  unten  das  Tubercnlum  Ro- 
land i,  die  gelatinöse  Substanz  des  Hinterhomes,  die  Wurzein  des  Accessorius,  den 
hinteren  Yaguskem,  die  Vaguswurzeln,  das  solitäre  Bündel  und  den  vorderen  mo- 
torischen Vagttskem,  die  mehr  nach  aussen  liegenden  Theile  des  Glossopharyngeus- 
kemes,  die  aufsteigende  Trigeminuswurzel  zum  Theil,  die  innersten  Abschnitte  des 
Kernes  der  Seitenstränge.  Im  Gebiete  der  Acusticuskeme  einen  Theil  der  innersten 
Partien  des  Corpus  restiforme,  einen  Theil  des  sogenannten  inneren  Acusticuskemes 
und  vielleicht  auch  einige  der  aus  dem  Kleinhirn  zum  Acusticus  ziehenden  Fasern. 
Der  RoUer'sche  Accessoriuskem,  der  Hypoglossus-,  Facialis-  und  motorische  Trigeminus- 
kern,  sowie  die  absteigende  Trigeminuswurzel  waren  intact  geblieben. 

Verf.  knüpft  an  den .  Fäll  noch  einige  sehr  interessante  epikritische  Bemerkungen. 
Die  sensiblen  Fasern  für  die  Schleimhaut  der  Zunge,  Wange  und  des  Mundes  müssen 
aus  dem  oberen  intrapontilen  Theil  der  Radix  V  ascend.  stammen:  ebenso,  wenn  sie 
überhaupt  vom  Trigeminus  kommen,  die  Geschmacksfasem  des  Lingualis.  Trophische 
Faseiii  führt  die  aufsteigende  Trigeminuswurzel  niclit. 

Das  Gaumensegel  muss  z.  Th.  wenigstens  von  dem  motorischen  Vagus,  resp. 
Accessorius,  innervirt  werden:  vielleicht  beruhte  das  Nichtgestörtsein  der  elektrischen 
Erregbarkeit  auf  dem  Erhaltenbleiben  der  Gaumenäste  des  Facialis  resp.  Trigeroinos, 
vieUeicht  aber  auch  auf  Faseraustausch  im  Plexus  pharyngeus. 

Ueber  die  Frage,  ob  die  motorische  Innervation  des  Kehlkopfes  vom  motorischen 
Vagus-  oder  vom  Accessoriuskem  ausgeht,  entscheidet  der  Fall  nichts,  da  der  Vagus 
total  zerstört  war,  vom  Accessorius  aber,  wenn  auch  nicht  sein  bulb&rer  Kern,  so 
doch  seine  Wurzelfasem. 

Den  Nystagmus  rotatorius  führt  Verf.  auf  die  Betheiligung  der  inneren  Partien 
des  Corpus  restiforme  zurück. 

Von  Störungen  des  Gehörs  an  der  linken  Seite  ist  nichts  gesagt:  bei  der  sonst 
80  genauen  Beobachtung,  möchte  Ref.  daraus  schliessen,  dass  sie  nicht  vorhanden 
waren:  dann  würde  der  Fall  auch  dafür  sprechen,  dass  der  sogenannte  innere  Acusticus- 
kem  mit  dem  Hören  nichts  zu  thun  hat,  was  ja  auch  neuere  experimentelle  und 
anatomische  Erfahrungen  (Onnfrowicz,  Forcl,  Flechsig)  sehr  wahrscheinlich 
machen.  Bruns. 


—     163    — 

7)  Beitrag  aiir  Aetiologie,  Symptomatologie  und  Therapie  der  Tabes  dor- 
salis.  (Aus  der  med.  Klinik  des  Herrn  Prof.  Erb  in  Heidelberg.)  Von  Dr.  .J. 
Hoffmann.     (Arch.  f.  Psych.  1888  Bd.  XIX.  H.  2.) 

Die  5  Fälle,  welche  H.  ausführlich  mittheilt,  sind  ausgezeichnet  durch  das  Auf- 
treten von  gastrischen  und  enterischen  Anfallen,  von  denen  die  ersteren  bis  zu  vier 
Wochen  ununterbrochen  anhielten.  H.  konnte  in  Bestätigung  der  Sahli'schen  An- 
gaben eine  Hyperacidität  und  Uypersecretion  des  Magensaftes  während  der  Anfälle 
feststellen;  daneben  fanden  übermässige  Speichelabsonderung  und  Secretion  der  Darm- 
scbleimhaut  statt.  —  Eigenthümliche  Fieberorscheinungen  glaubt  H.  auf  einen  cen- 
tralen Ursprung  —  Medulla  oblongata  —  zurückführen  zu  dürfen,  um  so  mehr,  da 
in  einem  dieser  fieberhaften  Fälle  gleichzeitig  epileptische  Anfälle  —  wie  auch  noch 
in  einem  weiteren  FaUe  —  auftraten.  — 

ßine  plötzlich  aufgetretene  Parese  des  rechten  N.  radialis  bei  dem  einen  Kranken 
sieht  H.  als  „wohl  durch  Druck  entstanden''  an;  und  eine  mit  EaR  verbundene 
Parese  und  Atrophie  der  kleinen  Handmuskeln  beiderseits  bei  einem  anderen  Kranken 
als  auf  centraler  Ursache  beruhend,  im  Anschluss  an  ähnliche  Beobachtungen  Eulen - 
borg's,  die  dieser  als  central  bedingt  betrachtet.  — 

In  therapeutischer  Hinsicht  hat  bei  gastrischen  Anfällen  Antifibrin  0,5 — 0,75 
2—3 mal  tagÜch  gute  Dienste  geleistet;  in  verzweifelten  Fällen  jedoch  ist  ohne 
Morphium  nicht  ausz\}kommen.  Hadlich. 


8)  Zur  Casuiatik  der  Betheiligung  der  peripherischen  Nerven  bei  Tabes 
dorsualiB»  von  Dr.  Nonne.  (Aus  dem  allgem.  Krankenhause  zu  Hamburg,  Ab- 
theilung des  Herrn  Dr.  Eisenlohr.)     (Arch.  f.  Psych.  1888  Bd.  XIX.  H.  2.) 

1.  Bei  einem  Manne,  der  sich  1870  ein  Ulcus  durum  zuzog,  trat  1872  unter 
leichten  Schmerzen  eine  Atrophie  der  rechten  Hand  auf:  eine  schleichende  Neuritis 
specifica.  Erst  nach  weiteren  4  Jahren  stellten  sich  die  ersten  Symptome  einer 
stetig  fortschreitenden  Sklerose  der  Hinterstränge  ein,  während  die  Atrophie  der 
rechten  Hand  absolut  stillstand.  Letzterer  Punkt,  sowie  die  Einseitigkeit  der  Affec- 
tion  sprechen  für  die  peripherische  Natur  derselben.  Ob  hier  aus  der  Neuritis  sich 
eine  Tabes  entwickelt  habe  (Leyden),  scheint  N.  wegen  der  langen  Zeitdauer  von 
4  Jahren  fraglich. 

2.  Ein  47jähriger  Mann  —  keine  Syphilis  nachweisbar  —  seit  4  Jahren  an 
Tabes  dorsalis  incipiens  leidend,  bekam  plötzlich  in  der  Nacht  vom  13.  zum  14.  Sep- 
tember 1880  eine  Lähmung  des  linken  Radialis  mit  typischer  EaB;  bis  23.  October 
fast  vollständige  Besserung  (ganz  analog  dem  StrümpelTschen  FaUe). 

3.  Mann  von  33  Jahren,  vor  10  Jahren  syphilitisch  inficirt,  seit  5  Jahren 
Zeichen  beginnender  Tabes  darbietend,  seit  kurzem  Unsicherheit  des  Ganges  und 
leichtes  Schleudern.  Am  28.  November  1881  plötzlich  Parese  des  linken  N.  peroneus, 
die  sich  Januar  1882  fast  verliert.  —  Vom  Juni  bis  September  1882  die  gleiche 
Affection  rechterseits.  —  Im  Juli  1883  zeigen  beide  Füsse  kräftige  Dorsalflexion. 
Die  Lähmangen  verliefen  ohne  Sensibilitätsstörungen. 

4.  Ein  49jähriger  Tischler,  der  sich  1873  ein  Ulcus  durum  holte,  leidet  seit 
3  Jahren  an  beginnender  Tabes,  hat  1886  leichte  Ataxie,  Bomberg*sches  Phänomen, 
1887  Yiel  Sensibilitätsstörungen  im  Ulnaris-Gebiete.  Ende  Juli  1887  machte  sich 
eine  leichte  Abmagerung  einzelner  Partien  der  Hände  bemerkbar,  besonders  im  Hypo- 
thenar,  beiderseits  ungefähr  gleich,  mit  qualitativer  Anom^e  der  elektrischen 
Erregbarkeit. 

5.  Ein  48jähriger  Tischler,  ohne  Lues,  seit  2  Jahren  leichte  tabische  Symp- 
tome zeigend,  die  bis  September  1886  zu  leichter  Ataxie  geführt  hatten,  April  1887 
zu  hochgradiger  Ataxie  und  erheblichen  Seusibilltätsstörungen  der  unteren  Eztremi- 


—    164    — 

taten,  bekam  Mitte  Juli  1887  in  wenigen  Tagen  eine  erhebliche  Verschlechteixing 
der  Motilität  in  den  unteren  Extremitäten  bis  fast  znr  völligen  Paralyse;  im  August 
und  September  trat  merkliche  Besserung  ein;  dabei  quantitative  Herabsetzung  der 
elektrischen  Erregbarkeit  resp.  EaB,  während  in  den  oberen  ExtrjBmitäten  (Eland- 
muskeln)  qualitative  Veränderungen  der  Beactionsform  in  dem  Auftreten  theils 
intermittirender  vibrireuder,  theils  geradezu  tonischer  Contractionen  sich  zeigten. 

In  Bezug  auf  Alterationen  peripherischer  motorischer  Nerven  bei  Tabes  macht 
N.  noch  darauf  aufmerksam,  dass  sich  die  bisher  publicirten  Fälle  ziemlich  gleich- 
massig  auf  Tabes  mit  Syphilis  und  auf  Tabes  ohne  Syphilis  vertheilen. 

Im  Fall  5  konnte  N.  durch  die  Section  die  Diagnos\3  auf  Neuritis  der  peri- 
pherischen motorischen  Nerven  bestätigen  (neben  grauer  Degeneration  der  Hinter- 
stränge) —  was  N.  besonders  wichtig  erscheint,  da  Eulenburg  kürzlich  eine  An- 
zahl ähnlicher  Fälle  auf  Atrophie  der  Yorderhömer  neben  Tabes  zurückführen  will. 

N.  hat  endlich  noch  Gelegenheit  genommen,  die  Angaben  von  v.  Benz  zu 
prüfen,  dass  in  den  Stämmen  der  III.  und  IV.  Sacralnerven  der  Ausgangspunkt  der 
tabischen  Degeneration  gesucht  werden  müsse,  dass  die  Hypästhesie  des  Plexus  pu- 
dendo-haemorrhoidalis  et  coccygeus  „eines  der  ersten,  wenn  nicht  geradezu  das  erste 
Symptom  der  Tabes  dorsalis"  sei.  —  N.  untersuchte  daher  in  20  Fällen  (3  Frauen) 
die  Sensibilitätsverhältnisse  des  Perineum,  Penis  mit  Glans,  Scrotum,  Begio  pubica 
und  Nates,  und  fand  in  der  That  das  fragliche  Gebiet  ganz  frei  nur  in  einem  Falle, 
das  ganze  Gebiet  betroffen  3mal,  partiell  16mal.  —  Aber  dih  gleichzeitige  genaue 
Prüfung  der  Sensibilität  des  übrigen  Körpers  ergab,  dass  in  den  Extremitäten  die 
Herabsetzung  des  Schmerzsinnes  in  14  Fällen  grösser  war,  als  im  Gebiete  des 
3.  und  4.  Sacralnerven,  in  6  Fällen  eine  gleiche;  die  Herabsetzung  des  Temperatur- 
sinnes in  den  Extremitäten  in  12  Fällen  erheblicher  u.  s.  w.  —  Die  sensiblen  Stö- 
rungen an  den  Extremitäten  überwiegen  also  bei  weitem  diejenigen  im  Gebiete  des 
Plex.  pudendo-haemorrhoid.  et  coccyg.,  und  letztere  zeigen  sich  ausserdem  auch  erst 
in  vorgeschrittenen  Fällen  von  Tabes  in  ausgesprochener  Weise.  —  Ob  Lues 
vorherging  oder  nicht,  macht  keinen  Unterschied.  —  Herr  Dr.  Eisenlohr  ist^  wie 
N.  mittheilt,  durch  Mhere  Untersuchungen  zu  gleichen  negativen  Ergebnissen  in 
Betreff  der  v.  Benz'schen  Angaben  gekommen.  Hadlich. 


9)   Ueber   multiple  Himnerveiilähinung,  von  Prof.  Dr.  Un verriebt  in  Jena. 
(Fortschr.  d.  Med.  1887.  Nr.  24.) 

Ein  38jähriger  Landwirth  —  mit  20  Jahren  Ulcus  syphil.,  niemals  spätere  Er- 
scheinungen von  Lues;  mit  29  Jahren  Gelenkrheumatismus  —  bemerkt  um  den 
10.  Juli  1887  eine  Schwäche  des  linken,  dann  des  rechten  Mundwinkels,  nach  wenigen 
Tagen  vollständige  Gesichtslähmung  mrt  Unmöglichkeit,  die  Augen  vollständig  zu 
schliessen;  dann  Schluckbeschwerden,  Ophthalmie,  Doppelbilder,  grosse  Mattigkeit. 
Eine  Schmierkur  war  ohne  Erfolg. 

Am  24.  August  fand  U.  eine  beiderseitige  Facialis -Lähmung  in  s&mmtlichen 
Aesten,  mit  completer  Entartungsreaction;  femer  beiderseits  Abducens- Lähmung, 
rechts  ausserdem  Schwäche  im  Oculomotor ins- Gebiete,  leichte  Ptosis;  Pupille  rechts 
weiter  als  links,  dort  träge,  hier  gute  Beaction.  —  Im  Trigeminns-Gebiete  An- 
ästhesia  dolorosa  mit  Wegfall  der  Beflexe.  —  Velum  palat.  ist  schlaff  und  wird, 
ebenso  wie  die  ganze  hintere  Bachenwand,  bei  der  Phonation  nach  links-oben  ver- 
zogen; Uvula  nach  links  gerichtet.  Trinkflüssigkeit  regurgitirt  durch  die  Nase.  — 
An  Bumpf  und  Extremitäten  keine  Störung.  Erst  vom  4.  September  an  trat  eine 
merkliche  Schwäche  der  oberen  wie  unteren  Extremitäten  auf,  die  Sehnenphänomene 
blieben  normal. 

Später  gesellte  sich  Schwerhörigkeit  hinzu,   Lähmung  des  rechten  Trochlearis, 


—    165    — 

b«der  Oenlomotoni;  die  Geschmacksempfindung  erlosch  gänzlich,  leichte  Lähmnngs- 
erseheinnngen  im  XI.  nnd  XII.  (Zungenspitze  kann  kaum  vor  die  Zähne  gebracht 
werden,  weicht  ab)  sind  zn  bemerken,  am  6.  Sept  anch  Lähmungen  der  Eehlkopf- 
mnskeln;  der  Pnls  stieg  bei  geringer  Fieberbewegung  vom  2. — 14.  September  von 
88  bis  auf  140  Schläge.  —  Bei  grossen  Dosen  Jodkalium  rapider  Verfall,  Schluck- 
pnenmonie,  Tod  am  14.  September.  Nur  an  den  Opticis  und  am  linken  Trochlearis 
war  keine  Störung  nachzuweisen  gewesen;  das  Gehör  war  zuletzt  fast  ganz  verloren. 

Eäne  Diagnose  war  schwer.  Multiple  Apoplexien  der  Medulla  und  Bulbärpara- 
lyse  waren  abzuweisen,  letztere  besonders  wegen  des  completen  und  gleichmässigen 
BefallenseiDS  beider  Fadales  und  Oculomotorii,  wegen  der  gleichmässigen  Entartungs- 
reaction  in  allen  Facialis-Aesten  etc.  Aber  welche  peripherische  Affection  an  der 
Schädelbasis  war  es,  da  eine  syphilitische  bei  dem  therapeutischen  Misserfolg  kaum 
festzuhalten  war? 

Die  Secüon  (Geh.  Bath  Müller)  ergab  anfangs  ausser  grau-weisser  Verfärbung 
verschiedener  Nerven  nichts  Bemerkenswerthes.  Erst  wiederholte  genaue  Betrach- 
tung zeigte,  dass  die  Dura  an  einigen  Stellen  ein  weisslich  trübes  Aussehen  und 
eine  leichte  Vorwölbung  darbot;  und  es  ergab  sich  hier  die  Einlagerung  grau-weisser 
Geschwulstmassen  zwischen  Dura  und  Schädel,  welche  auch  namentlich  die  Schädel- 
öffhnngen  verengt  hatte.  Diese  Neubildungsmassen  fanden  sich  nun  an  der  ganzen 
Schädelbasis  von  der  Fissura  orbitalis  bis  zum  Foramen  jugulare,  das  nur  noch 
schwach  betrofifen  war.  —  Im  hinteren  Mediastinum  lag  ein  apfelgrosser  elastisch- 
resistenter  Tumor,  in  den  die  Brustäste  des  Vagus  eingebettet  waren:  ein  Bundzellen- 
sarcom.    Lymphdrüsen  vielfach  infiltrirt. 

Von  den  Erscheinungen,  welche  der  äusserst  interessante  Fall  bot,  hebt  U.  noch 
hervor,  dass  die  Trinkflüssigkeit  nur  so  lange  regurgitirte,  wie  die  halbseitige 
Gaumen-  und  Bachenwandlähmung  bestand;  als  volle  Unbeweglichkeit  der  Bachen- 
muficulatur  eintrat,  floss  nichts  mehr  durch  die  Nase  zurück.  —  Die  seitliche  Ver- 
ziehung der  hinteren  Bachenschleimhaut  hat  U.  noch  nirgends  verzeichnet  gefunden. 

U.  bespricht  schliesslich  die  Beziehungen  seines  Falles  zu  der  „multiplen  syphi- 
litischen Wurzelneuritis''  Kahleres,  glaubt  jedoch  genügende  Unterschiede  zwischen 
beiden  Afifectionen  feststellen  zu  können.  Hadlich. 


10)  Ein  Fall  von  Blepharospasmus,  von  Dr.  Schubert,  Nürnberg.    (Münchener 
med.  Wochenschr.  1887.  Nr.  28.) 

Blepharospasmus  entsteht  nach  der  Ansicht  des  Verf.  fast  ausnalimslos  auf  dem 
Wege  des  Reflexes.  Sowohl  jene  überaus  häufigen  fibrillären  Zuckungen  im  Orbi- 
cularis,  welche  ohne  Verengerung  der  Lidspalte,  meist  im  ünterlide,  oft  nur  im 
medialen  oder  temporalen  Abschnitt  erfolgen,  und  nur  durch  die  damit  verbundene 
Empfindung  belästigen,  als  auch  die  mit  Blinzeln  bezeichneten  clonischen  Contractionen 
des  Muskels,  sowie  endlich  die  seltneren  tonischen  Krämpfe  mit  vollkommenem  Ver- 
schluss eines  oder  beider  Augen  (Blepharospasmus  im  engeren  Sinne)  finden  sich 
meist  bei  Individuen,  deren  Befiexerregbarkeit  in  Folge  erblicher  Belastung  oder 
dnrch  Anämie,  TJeberbürdung  und  andere  die  Nerventhätigkeit  schädigende  Potenzen 
derart  erhöht  ist,  dass  durch  gewisse  geringfügige,  aber  länger  wirkende  Reize  (meist 
im  Gebiet  des  Trigeminus)  eine  Erregung  der  zum  Orbicularis  führenden  Facialis- 
zweige  ausgelöst  werden.  Der  Lidkrampf  ist  meist  clonisch,  doch  kommen  auch 
tonische  Contractionen  vor,  deren  reflectorische  Entstehung  ausser  Zweifel  steht.  Ge- 
wöhnlich beschränkt  sich  der  Krampf  auf  den  Orbicularis,  seltener  sind  noch  andere 
Zweige  des  Facialis  befallen  und  nur  ausnahmsweise  greifen  die  Krämpfe  auf  ent- 
ferntere physiologisch  associirte  Nervengebiete  über.  Die  Behandlung  mit  dem  con- 
stanten  Strom  neben  Bekämpfung  der  sensiblen  Beizquelle  und  Berücksichtigung  des 
Allgemeinbefindens  wird  warm   empfohlen.    Sodann  beschreibt  Verf.  einen  Fall,  bei 


—    166    — 

dem  die  Badicalheilung  durch  Morphiuminjectionen  erfolgte.  Es  handelte  sich  um 
toniachen  Blepharospasmus  bei  einem  13jährigen,  neuropathisch  belasteten  M&dchen. 
Der  Krampf  ging  secundär  aus  halbseitiger  Hyperästhesie  der  ganzen  rechten  Kopf- 
und  Gesichtshälfte  hervor.  5  Jahre  nach  der  definitiven  Heilung  entstand  dieselbe 
Affection  auf  der  linken  Seite  (Hauthyperästhesie,  Blepharospasmus).  Auch  dieses 
Mal  erfolgte  die  Heilung  durch  wenige  Morphiuminjectionen.  Die  zeitweise,  nament- 
lich kurz  nach  dem  Schwinden  des  Krampfes  aufgetretene  schwache  Ptosis  sucht 
Verf.  auf  Lähmung  der  von  Müller  als  Muse.  palp.  sup.  beschriebenen,  glatten,  vom 
Sympathicus  versorgten  Muskelfasern  zu  beziehen;  auch  die  Hyperästhesie  der  Haut, 
wie  eine  trophische  Störung  (Herpes)  an  der  erkrankten  Gresichtshälfte  wird  auf  eine 
Sympathicusaffection  zurückzuführen  gesucht  Endlich  wird  der  Fall  als  Hysterie 
bezeichnet,  zumal  sich  in  dem  Gebiete  der  Hyperästhesie  jene  für  Hysterie  charak- 
teristische Insel  normaler  Empfindlichkeit  fand.  —  In  anderen  Fällen  von  tonischem 
Blepharospasmus  versagte  dem  Verf.  auch  das  Morphium  den  Dienst    Kalischer. 


11)  BetimatiBk  tio  oonvulsif  med  förtjookning  af  nervi  flEKsialiB  stam,  af 

S.  E.  Henschen.     (Upsula  läkarefören.  förh.  1887.  XXIII.  3.  S.  219.) 

Eine  27  J.  alte  Lehrerin  litt  schon  seit  der  Kindheit  oft  an  Kopfschmerz,  der 
mit  Erbrechen  abschloss.  Im  J.  1876  hatte  sie  einen  Ohnmachtsanfall  mit  Krampf 
und  Verlust  des  Bewusstseins,  im  J.  1882  litt  sie  an  Schwindel  und  Ohnmachts- 
anwandlungen, ohne  Krampf,  doch  bisweilen  mit  Erbrechen  und  Erstickungsgefühl. 
Im  August  1883  begannen  Zuckungen  im  linken  Augenlid,  im  November  breitete 
sich  der  Krampf  bis  zur  linken  Seite  der  Nase  und  auf  die  linke  Oberlippe  aus. 
Die  Zuckungen  traten  in  einer  Stunde  mehrere  Male  auf  und  dauerten  jedesmal 
mehrere  Minuten.  Nach  vorübergehendem  Nachlass  traten  diese  Symptome  im  Früh- 
jahr wieder  heftiger  auf,  Hessen  nach  Anwendung  von  Eisen  im  Sommer  wieder  nach, 
werden  aber  im  December  sehr  heftig,  so  dass  Fat.  am  31.  Dec.  in  dem  Kranken- 
haus zu  Upsala  aufgenommen  werden  musste.  Es  fanden  sich  die  Zeichen  von  Bleich- 
sucht und  Blutmangel,  die  Zuckungen  nahmen  bei  psychischer  Erregung  zu  und 
waren  besonders  beim  Sprechen  bemerkbar.  Der  N.  facialis  sin.,  der  bedeutend  dicker 
und  empfindlicher  als  der  rechte  war,  bildete  einen  dicken,  sehr  deutlichen  Strang, 
auch  an  der  Stirn  fanden  sich  die  Zweige  des  Trigeminus  verdickt  und  empfindlich. 
Schon  nach  14  Tage  langer  Behandlung  mit  Massig,  Elektricität  und  pyrophosphor- 
saurem  Eisenwasser  trat  bedeutende  Besserung  ein  und  der  N.  facialis  war  wenig 
geschwollen  und  empfindlich  geworden.  Ende  Januar  hörten  die  Zuckungen  auf,  am 
13.  Februar  wurde  die  Kranke  geheilt  entlassen;  bei  einem  Anfall  von  schwerem 
Kopfschmerz  am  7.  Februar  waren  die  Nervenzweige  an  der  Stirn  mehr  geschwollen 
als  gewöhnlich.  Die  Kranke  hatte  vor  Beginn  des  Leidens  in  einer  kalten  Wohnung 
gewohnt  und  meist  mit  der  kranken  Seite  api  Fenster  gesessen.  Danach  war  der 
Krampf  aufgetreten,  er  nahm  bei  Anstrengung  zu,  bei  Ruhe  und  beim  Gebrauch  von 
Eisen  ab.  H.  nimmt  an,  dass  durch  die  Erkältung  ein  entzündlicher  Proc^ess  im 
N.  facialis  entstand,  durch  den  der  Krampf  bedingt  wurde;  auch  bei  rheumatischer 
Facialislähmung  fand  H.  wiederliolt  Verdickung  dieses  Nerven.  In  dem  mitgetheilten 
Falle  kommen  noch  in  Betracht  hereditäre  Anlage  und  deutliche  nervöse  Constitution. 
Wie  bei  der  Migräne  nimmt  H.  auch  für  den  Tic  convulsif  an,  dass  er  aus  2  Mo- 
menten resultire,  einem  constitutionellen  und  einem  localen,  und  dem  entsprechend 
muss  auch  die  Behandlung  eine  constitutionelle  und  eine  locale  sein. 

_  Walter  Berger. 

12)  Tics  oonvulsift  et  hystörie,   par  Georges  Guinon.    (Bevue  de  M^ecine. 
1887.  Juin.  p.  509.) 


—    167    — 

Gninon  hat  ^her  mit  dem  Namen  ,,Maladie  des  tics''  (cf.  dieses  Gentralblatt 
1886,  S.  489)  jene  eigenthümliche  Neurose  bezeichnet,  welche  vorzugsweise  durch 
das  Auftreten  krampfartiger  Zwangsbewegnngen  in  einzelnen  Muskelgebieten,  durch 
Echolalie,  Koprolalie,  Echokinesie  und  durch  Zwangsvorstellungen  (fixe  Idee)  charak- 
terisirt  ist.  In  der  vorliegenden  Arbeit  weist  Verf.  darauf  hin,  dass  Zwangs- 
bewegungen, genau  in  der  Form  wie  bei  der  Maladie  des  tics,  auch  bei  der  Hysterie 
vorkonunen.  Der  hysterische  Nustus,  der  Singeltus,  der  hysterische  Bullar,  femer 
zwangsmassige  Bewegungen  im  Qesicht,  in  den  Hals-  und  Extremitätenmuskeln  ge- 
hören hierher.  In  solchen  Fallen  ist  die  Diflferentialdiagnose,  ob  Hysterie  oder 
Maladie  des  tics  vorliegt,  oft  sehr  schwierig.  Von  entscheidender  Bedeutung  ist  die 
genaue  Beachtung  der  sonst  vorhandenen  Symptome.  Hysterische  Stigmata  (hyste- 
rogene  Zonen,  Hemianästhesie,  Einengung  des  Oesichtsfeldes  u.  dgl.)  sprechen  für 
Hysterie,  während  die  gleichzeitige  Anwesenheit  von  Echolalie,  Eoprolalie,  von  fixen 
Ideen  n.  s.  w.  fOr  Maladie  des  tics  spricht  Einige  Krankengeschichten,  die  Verf. 
mittheilt,  erlautem  das  Gesagte.  Die  eine  betrifft  eine  Hysterie,  die  andere  eine 
Maladie  dee  tics.  In  einem  dritten  Fall,  Aber  den  Verf.  berichtet,  fanden  sich  neben 
den  Zwangsbewegungeli  sowohl  deutliche  Zeichen  von  Hysterie,  als  auch  charak- 
teristische Symptome  der  Maladie  des  tics.  Verf.,  welcher  an  der  principiellen  Ver- 
schiedenheit der  beiden  Krankheiten  festhält,  nimmt  an,  dass  es  sich  in  diesem  Falle 
um  eine  Combination  der  beiden  Neurosen  handelt,  etwa  ebenso,  wie  Hysterie  und 
Epilepsie  bei  derselben  Person  vorkommen  können.  Wichtig  soll  die  Unterscheidung 
der  beiden  Krankheiten  namentlich  auch  in  prognostischer  Hinsicht  sein.  Die  Fälle 
von  Hysterie  mit  Zwangsbewegungen  sind  bei  geeigneter  Behandlung  oft  rasch  heil- 
bar, während  die  Maladie  dee  tics  stets  eine  sehr  schlechte  Prognose  quod  sanationem 
geben  soll. 

(Bef.  ist  durch  die  Ausführungen  des  Verf.  nicht  überzeugt  worden,  dass  die 
„Maladie  des  tics"  von  der  Hysterie  grundsätzlich  zu  trennen  sei.  Beide  Krank- 
heiten scheinen  ihm  offenbar  eng  zusammen  zu  gehören  und  gehen  in  einander  über. 
Hier  mag  bemerkt  werden,  dass  auch  die  als  „Paramyoclonus  multiplex''  in 
Deutschland  mehrfach  beschriebene  Krankheitsform  offenbar  auch  hierher  gehört,  dass 
der  Paramyoclonus  demnach  nach  der  Ansicht  des  Bef.,  welche  sich  auf  eigene  Be- 
obachtungen stützt,  weiter  Nichts,  als  eine  besondere,  keineswegs  sehr  seltene  Form 
der  Hysterie  ist.  Zu  derselben  Auffassung  des  Paramyoclonus  ist  neuerdings  auch 
Möbins^  gekommen).  Strümpell. 


13)    Faralysia  of  the  flfth  cranial  nerve,   by  David   Ferrier.     (The  Lancet. 
1888.  Vol.  I.  Nr.  1.) 

Verf.  schildert  eine  uncomplicirte,  wie  durch  ein  physiologisches  Experiment 
erzeugte  rechtsseitige  Trigeminusparalyse  bei  einem  48jährigen  Eisenbahnschafher, 
welcher  nach  einem  vor  3  Jahren  erlittenen  Falle  von  einem  Eisenbahnwagen  eine 
Viertelstunde  lang  bewussüos,  etwa  3  Monate  arbeitsunfähig  war  und  seit  dieser 
Zeit  von  Schmerzanfällen  der  rechten  Kopf-  und  Gesichtsseite  heimgesucht  wurde. 
9  Monate  vor  seiner  Untersuchung  empfand  er  bei  einer  Zahnextraction  keine  Schmerzen, 
obwohl  Anaesthetica  nicht  angewendet  wurden.  Es  entwickelte  sich  Entzündung  und 
Abnahme  der  Sehkraft  auf  dem  rechten  Auge.  Die  Bewegungen  des  Bulbus  waren 
ongestött  Der  Mund  konnte  nicht  weit  geöffnet  werden,  wobei  alsdann  das  Kinn 
nach  rechts  abwich. 

Seitlich  und  nach  vom  sind  Kinnbewegungen  nicht  möglich.  Beim  Schliessen 
dee   Mundes    werden   rechts   Mm.  temporalis   und  masseter  nicht  so  hart  wie  links. 


^  S.  dessen  Zufiammenstellnng  über  ParamycolonaB  iu  Schmidt's  Jahrbüchern  der 
Medicin,  1888,  Nr.  2.  S.  147. 


—    168    — 

Faradische  Beizrmg  jener  Muskeln  bewirkt  bei  den  stärksten  StrGmen,  die  ertragen 
werden  können,  keinen  Schlnss  des  Mundes.  Die  Zunge  wird  gerade  faeransgestreckty 
reagirt  beiderseits  gleicbmässig  auf  den  luductionsstrom.  Uvula  ist  perforirt  und 
daher  nach  links  gerichtet.  Ea  besteht  keine  Yelamparese,  dagegen  complete  Anästhesie 
and  Analgesie  der  rechten  Yorderkopfseite,  Temporalregion ,  des  rechten  Angenlides, 
des  rechten  Bnlbns^  der  rechten  Nasen-  und  Nackenhälfte,  des  rechten  Nasenloches 
und  der  Schleimhaut  der  entsprechenden  Mundhöhlenpartie  bis  zu  der  rechten  Ton- 
sille hin,  der  rechten  Zungenhälfte,  der  rechten  Rachenhälfte  und  nicht  ganz  voll- 
kommen auf  der  den  rechten  ünterkieferbogen  bedeckenden  Hautpartie.  Der  Geruch 
ist  rechts  in  geringem  Grade  herabgesetzt.  Bei  Verstärkung  des  Tonus  auf  dem 
rechten  Auge  findet  sich  leichte  Gomeatrflbung  desselben,  circuläre  Synechie  und 
absolute  Anästhesie  der  rechten  Hornhaut  und  Conjunctiva.  In  der  Tiefe  des  Auges 
treten  anfallsweise  Schmerzen  von  brennendem  Charakter  ein.  Der  ophthalmoskopische 
Befund  ist  negativ.  Auf  den  vorderen  zwei  Dritteln  der  rechten  Zungenhälfte  fehlt 
jegliche  Geschmacksunterscheidung  (Salz,  Zucker,  Citronensäure,  Chinin),  welche  im 
hinteren  Drittel  erhalten  ist. 

Unter  faradischer  Behandlung  der  rechten  Gesichtsseite  und  Jodkali  trat  fort- 
schreitende Besserung  ein. 

Es  handelt  sich  in  diesem  Falle  um  eine  durch  Trauma  entstandene  peripherische 
Läsion  beider  Trigeminusportionen,  zu  welcher  Syphilis  vielleicht  das  disponirende 
Moment  abgab. 

Im  Falle,  dass  der  gesammte  motorische  Theil  des  Quintus  ergriffen  war,  liegt 
in  dieser  Beobachtung  Beweismaterial  gegen  die  Lucae*sche  Ansicht,  nach  welcher 
Lähmung  des  Tensor  tympani  Ueberempfindlichkeit  gegen  hohe  Töne  und  ausserdem 
subjective  tiefe  dröhnende  Töne  erzeugt;  denn  da  sich  hier  nichts  derartiges  fand, 
glaubt  Verf.  schliessen  zu  müssen,  dass  entweder  der  Tensor  tympani  nicht  von  dem 
Trigeminus  versorgt  werde  oder  andererseits  das  Lucae*sche  Phänomen  nicht  noth- 
wendig  in  solchen  Fällen  in  die  Erscheinung  trete. 

Für  die  Aetiologie  der  sogenannten  paralytischen  Keratitis  macht  Verf.  nicht 
trophische  Elemente  verantwortlich,  sondern  irritative  und  inflammatorische  Zustande 
der  Nerven. 

Den  Verlauf  der  Gecchmacksnerven  betreffend  schliesst  sich  Verf.  der  CarFschen 
Ansicht  an,  dass  sie  alle  pnmär  dem  Glossopharyngeus  entstammen  und  zwar  die 
der  Basis  der  Zunge  angehörigen  direct  im  9.  Gehimnerven  verlaufen,  die  für  die 
vordem  zwei  Drittel  der  Zunge  bestimmten  durch  die  Anastomosen  des  N.  tympanicus 
oder  Jacobsonii  mit  dem  Facialis  und  durch  das  Ganglion  oticum  mit  dem  Lingualis 
in  Verbindung  stehen.  J.  Buhemann  (Berlin). 

14)  Du  röle  de  la  prödisposition  nerveuse  dans  l'ötiologie  de  la  paralysie 
faoiale  dite  „a  frigore"»  par  Neumann.    (Arch.  de  Neni:ol.  1887.  XIV.  1.) 

Die  bisher  angeblich  unbewiesenerweise  der  Eälteeinwirkung  allein  zugeschriebenen 
peripherischen  Faciallslähmungen  beruhen  nach  der  Behauptung  des  Verf.  in  erster 
Linie  auf  hereditärer  nervöser  Prädisposition,  zu  welcher  der  kalte  Wind  nur  als 
Gelegenheitfiursache  hinzukommt,  wie  et«a  noch  Schreck,  psychischer  Insult  oder 
Aehnliches.  Eine  genaue  Anamnese  ergiebt  nach  N.  jedesmal  diese  nervöse  Prädis- 
position, zu  welcher  jene  zufällige  Einwirkung  hinzutritt,  welche  bisher  als  die  alleinige 
Ursache  der  Facialislähmung  angesprochen  wurde.  Diese  Ausführungen  sucht  N.  an 
einer  Reihe  von  eigenen  und  fremden  Beobachtungen  zu  beweisen.  [Viel  weiter  kommt 
die  rationelle  Pathologie  der  Facialisparalysen  dadurch  auch  nicht]        Siemens. 


15)  Ein  xaerkwürdiges  SensibiUt&tBphaiKiomen,  von  Dr.  Bud.  Jacob i.    (Berl. 
klin.  Woch.  1887.  Nr.  23  u.  25.) 


—    169    — 

Die  Theorie  der  OoUateralinnervation  der  Haut  bespricht  Verf.  im  Anschluss  an 
seine  Dissecfcation  „Fall  von  schwerer  traumatischer  Paralyse  der  Nn.  radialis  und 
medianns"  (Marburg  1877)  und  im  Hinweise  auf  seine  im  Westphal'schen  Archiv 
(Bd.  XV)  niedergelegte  Arbeit  Sie  soll  uns  über  die  mannigfachen  Erscheinungen 
bei  der  Begeneration  durchtrennter  und  wieder  zusammenheilender  peripherischer 
Nerven  Aufkl&rnng  geben,  wie  auch  verschiedene  anatomisch-histologische  Thatsachen 
über  die  Endigungen  der  Nerven  in  der  Peripherie  der  Haut  physiologisch  deuten. 
Auch  die  Resultate  der  Thierexperimente  von  Arloing  und  Tripier  werden  durch 
das  neue  Schema  der  Theilung  und  Gruppirung  der  peripherischen  Nerven  erklärt. 
Dasselbe  laset  sich  nicht  in  wenigen  Worten  wiedergeben  und  beruht  darauf,  dass 
jeder  Finger  resp.  Zehe  von  den  Aesten  verschiedener  Nertren  versorgt  wird,  indem 
jeder  der  4  Finger  resp.  Zehennerven  Fasern  enthält,  welche  mit  Fasern  aus  dem 
Verbreitungsgebiete  eines  jeden  der  drei  anderen  anastomotisch  verbunden  sein  müssen. 

■     Ealischer. 

le)  laes  tremblementB  prae-  et  posthömiplegiques  et  leurs  rapports  aveo 
lee  affeetions  oäröbrales,  par  le  Dr.  Stephan,  Zaandam-HoUande.  (Bevue  de 
m6d.  Mars  1887.  p.  204.) 

Die  Arbeit  enthält  eine  Besprechung  der  posthemipiegischen  Beizerscheinungen 
auf  Grund  einer  Zusammenstellung  von  43  Fällen  aus  der  Litteratur  mit  brauch- 
baren Sectionsbefunden.  Keine  eigenen  Beobachtungen.  Yerf.  kommt  zu  dem  Schlnss, 
dass  die  posthemiplegische  Chorea  fast  immer  abhängig  ist  von  einer  Verletzung  des 
hinteren  Abschnitts  der  inneren  Kapsel  oder  vielmehr  des  anliegenden  Thalamus  op- 
ticus.   Letzterer  sei  ein  Centrum  für  die  Goordination  der  Bewegung. 

Strümpell. 

17)  BMexions  ä  propos  de  oertaines  maladies  nerveuses  observäes  dans 
la  ville  Salvador  (Brasil).  Faits  d'astasie  et  d'abadie  (Blocq)  c'est-a-dire 
de  raffeotloii  dänomznee:  Inooordination  znotrice  poor  la  Station  et  la 
marohe.  Frätendue  öpidemie  de  choröe  de  Sydenham,  par  Souza  Leite. 
(Progr.  möd.  1888.  Nr.  8.) 

Sehr  ausführliche  Schilderung  von  2  zur  Chorea  major  gehörigen  Krankheits- 
fallen, die  S.  in  Salvador,  einer  Stadt  Brasiliens  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte, 
and  die  nach  seiner  Meinung  um  so  grösseres  Interesse  erheischen,  als  sie  einer 
Uemen  Epidemie  angereiht  werden  müssen,  die  in  jener  Stadt  geherrscht  und  bei  den 
Aerzten  den  Eindruck  einer  „Chorea  minor  Epidemie"  hervorgerufen  hatte,  —  Der 
erste  der  geschilderten  Fälle  betrifft  eine  38jährige  Negerin,  eine  Köchin,  von  mangel- 
hafter Erziehung,  die  eine  ganze  Reihe  der  gewöhnlichen  hysterischen  Charaktere  bot, 
aber  ausserdem  ganz  besonders  ausgesprochene  saltatorische  Beflexkrämpfe  zeigte, 
welche  Gehen  und  Stehen  fast  unmöglich  machten;  es  waren  rythmisch  eintretende 
Bewegungen,  Streckungen,  Verdrehungen  der  unteren  Extremitäten,  hervorgerufen 
beucnders  durch  intendirte  Bewegungen  der  Füsse,  Erhebung  der  Ferse  vom  Boden  etc. 
Diese  Erscheinungen  waren  zwar  zuerst  in  direktem  Anschluss  an  eine  grössere  Er- 
müdung aufgetreten,  waren  aber  im  Wesentlichen  als  Folgeerscheinungen  einer  Imi- 
tation GfAuto-Suggestion'O  aufzufassen.  —  Die  Fat.  hatte  nämlich  ähnliche,  chorea- 
üsche  Bewegungen  bei  einer  Mulattin  auf  öffentlicher  Strasse  bemerkt  und  war  von 
tiefem  Mitgefühl  mit  der  Betreffenden  ergriffen  worden.  —  Die  saltatorischen  Krämpfe 
dauerten  im  Ganzen  nur  7  Tage. 

In  dem  zweiten  Falle  handelt  es  sich  um  eine  12jährige  Weisse,  mit  stark 
neoropathischw  Disposition  väterlicher-  und  mütterlicherseits.  —  Dieselbe  war  in 
einer  überaus  bigotten  Familie  untergebracht;  ihr  Geist  stand  unter  dem  Eindrucke 
baofiger  kirchlicher  Ceremonieen,   Messelesungen   etc.     Ausserdem   hatten   2   Mit- 

11 


—     170    - 

scbfllerinnen  des  PeDsionais  kurz  vorher  dasselbe  wegen  Veitstanz  verlassen  müssen; 
es  war  viel  über  diese  Affection  im  Kreise  der  Familie  gesprochen  worden.  —  Aach 
bei  diesem  Mädchen  traten,  nachdem  eine  Veränderung  im  Charakter,  eine  Vergess- 
lichkeit  und  eine  melancholische  Verstimmung  vorhergegangen  war,  beim  Gehen  und 
Stehen  klonische  Zuckungen  in  Armen  und  Beinen  und  Verdrehungen  des  Kopfes  auf, 
welche  die  Locomotion  sehr  erschwerten.  Die  Phänomene  verschwanden,  nachdem 
sie  25  Tage  angedauert  hatten,  und  zwar  in  Folge  einer  religiösen  Ceremonie,  an 
der  sich  die  kleine  Pat.  betheiligte. 

Alle  6  Kranken,  1  Mulatte,  1  Negerin  und  3  Weisse,  die  S.  in  Salvador  ge- 
sehen, oder  von  denen  er  gehört,  sollen  nach  Verf.  von  einer  Epidemie  ergriffen 
gewesen  sein.  Er  wünscht  bei  dieser  Gelegenheit  dem  Irrthum  zu  begegnen,  der  in 
der  That  unter  vielen  Aerzten  verbreitet  zu  sein  scheint,  dass  die  sogenannten  Chorea- 
Epidemien  Fälle  von  Chorea  minor  seien;  gewöhnlich,  meint  S.,  handelt  es  sich  um 
Chorea  major  ähnliche  Zustände  oder  um  andere,  niehr  oder  minder  schwere  Aeusse- 
rungen  und  Phasen  der  Grande  Hysterie. 

(Auch  Bef.  sah  im  vorigen  Sommer,  allerdings  nur  vorübergehend,  6  kleine 
Mädchen,  die  aus  einer  Dorfschule  in  Schwanheim  bei  Frankfurt  a.  M.  stammten 
und  von  „Veitstanz",  der  dort  bei  im  Ganzen  14 — 15  Kindern  epidemisch  aufge- 
treten, befallen  sein  sollten.  Auch  die  Erscheinungen,  welche  diese  kleinen  Patienten 
boten,  waren  keine  choreatischen  Bewegungen  von  dom  gewöhnlichen,  bizarren  Charakter, 
sondern  sie  bestanden  vomämlich  in  leichten  halbseitigen,  rhythmisch  -  klonischen 
Zuckungen  im  Bereiche  des  Facialis,  der  oberen  und  unteren  Extremität.) 

Laquer. 

Psychiatrie. 

18)  La  folie  örotique,  par  B.  Ball.     (KEnc^phale.  1887.  Nr.  2—4.) 

B.  hat  seit  Jahren  seine  Schüler  auf  das  Studium  der  partiellen  Delirien  und 
die  physiologische  Entstehung  dieser  auf  bestimmte  Gebiete  begrenzten  Wahnideen 
hingeführt  So  hat  er  den  Mechanismus  der  Ideenbildung  bei  der  Zweifelsucht,  dem 
moralischen  Irresein,  dem  Ueberschätzungswahn  etc.  verfolgt,  nun  bespricht  er  in 
eingehender  Weise  die  erotischen  Irreseinsformen.  Nach  dem  Vorgange  EsquiroTs 
unterscheidet  B.: 

I.  eine  erotische  Irreseinsform  der  keuschen  Liebe; 
IL  eine  sexuelle  Erregungsform: 

1.  aphrodisiatische  Form, 

2.  obscöne  Form, 

3.  hallucinatorische  Form, 

4.  Satyriasis  und  Nymphomanie; . 
III.  eine  sexuelle  Perversiou: 

1.  Lustmörder, 

2.  Leichenschänder, 

3.  Päderasten, 

4.  geschlechtliche  Zuneigung  gegen  das  eigene  Geschlecht. 

Die  Personen  der  ersten  Klasse  sind  wohl  ausnahmslos  erblich  stark  belastet. 
Doch  sind  sie  keineswegs,  wie  andere  Autoren  sie  bezeichnet  haben,  alle  schwachsinnig, 
wenn  schon  viele  es  wirklich  sind  und  manche  noch  neben  der  Erotomanie  andere 
geistige  Defecte  aufweisen.  Gewöhnlich  fassen  derartige  Kranke  zu  einer  Person, 
die  social  auf  weit  höherer,  unerreichbarer  Stufe  steht,  heftige,  plötzliche  Zuneigung, 
oft  ohne  die  Persönlichkeit  selbst  jemals  gesehen  zu  haben,  oder  sie  haben  jene  so 
flüchtig  erblickt,  dass  sie  nicht  wissen,  ob  jene  blond  oder  brflnett  seien.  B.  möchte 
so  auch  den  Mariencultus  vieler  Theologen  erklären.  Die  Erotomanen  werden  nur 
selten  für  ihre  Mitnieiischen,  namentlich  den  Gegenstand  ihrer  Zuneigung  unbequem. 


—    171    — 

zuweilen  jedoch  selbst  geföbrlicb.  Die  bei  jenen  Kranken  oft  sieb  einstellenden 
Gehörstäoschnngen  bringen  dann  oft  Yerfolgungsideen  beryor,  wonach  dann  die  Symp- 
tome der  Paranoia  vorwiegen.  Die  sexuelle  Erregungsform  bildet  einen  schweren 
Grad  der  Folie  6rotiqae;  die  Unterabtheünng  der  hallucinatorischen  Form  stellt  sich 
meist  nur  bei  Kranken  ein,  welche  überhaupt  an  hallucinatorischem  Irresein  leiden, 
bei  denen  sich  aber  die  perversen  Sensationen  auf  die  sexuelle  Sphäre  concentriren. 
Die  aphrodisiatische  Form  nennt  B.  jene  oft  in*s  Ungeheure  übertriebene  Steigerung 
der  sexuellen  Gelöste.  Die  davon  befallenen  Kranken  bieten,  wenn. hierin  allein  ihre 
Krankheit  besteht,  durchaus  keine  weitere  Störung  der  Intelligenz,  obwohl  gerade 
auch  im  Beginn  der  Dementia  paral.  eine  hochgradige  Steigerung  des  Geschlechtstriebes 
eintritt.     Eine  Krankengeschichte  nach  Trelat  bietet  hierzu  eine  gute  Illustration. 

Als  obscöne  Form  bezeichnet  B.  jene  FäJle,  in  denen  der  Kranke  fortwährend 
Kedensarten  aus  der  sexuellen  Sphäre  im  Munde  führt,  obwohl  die  geschlechtliche 
l^istungsfähigkeit  bei  ihnen  meist  stark  herabgemindert  ist,  wir  finden  sie  bei  Para- 
lytikern und  Greisen.  Doch  gehört  aucb  hierher  jene  oigenthümliche  Sucht  noch 
junger  Leute,  die  physisch  normal  erscheinen,  welche  fortwährend  sich  getrieben 
fühlen,  ihre  Geschlechtstheile  vor  den  Augen  junger  Frauen  und  Mädchen  zu  ent- 
blössen.  Unter  der  nymphomanischen  Form  oder  Satyriasis  begreift  B.  jene  auf 
physischer  Degeneration  beruhenden  Fälle,  in  denen  das  sexuelle  Begehren  auch  un- 
mittelbar nach  dem  Genüsse  nicht  aufhört;  dadurch,  dass  solche  Kranke  mit  äusserster 
Gewaltthätigkeit  die  Befriedigung  ihrer  Begierden  zu  erzwingen  suchen,  werden  sie 
höchst  gemeingefährlich.  Die  4  Unterabtheilungen,  welche  B.  bei  der  sexuellen  Per- 
version macht,  sind  durch  ihre  Ueberschriften  hinreichend  charakterisirt,  bei  den 
Lostmördem  drückt  B.  selbst  den  Zweifel  aus,  ob  nicht  in  vielen  Fällen  das  zweite 
Verbrechen  nur  geschehe,   um   das  erste  der  Nothzucht  vor  Entdeckung  zu  sichern. 

Im  Ganzen  erreicht  die  interessante  Studie  B.'s  die  Gründlichkeit  Beard*s  und 
auch  die  deutscher  Arbeiten  nicht.  Zander. 


19)  Des  dölires  multiples  et  des  intoxioations  d*origine  dilfärente  ohez  le 
meme  individu,  par  M.  G.  Pichon.     (L*Enc^phale.  1887.  Nr.  4,  5,  6.) 

P.  beweist  in  einer  sehr  ausführlichen  und  durch  viele  Krankengeschichten  er- 
läuterten Arbeit,  dass  bei  einem  und  demselben  geisteskranken  Individuum  gleich- 
zeitig mehrere  Krankheitsformen  auftreten  und  nebeneinander  ihren  Verlauf  haben 
können,  jede  für  sich,  dabei  aber  doch  das  Gesammtbild  durch  ihre  Coexistenz  in 
besonderer  Weise  färbend,  aber  ohne  sich  doch  zu  einer  Einheit  zu  vermischen.  Diese 
Analyse  ist  natürlich  klinisch  und  prognostisch  sehr  wichtig,  denn  zu  mancher  un- 
heilbaren Form  kann  sich  noch  eine  heilbare  Psychose  einstellen,  die  auch  für  sich 
unabhängig  von  der  primären  Erkrankung  abläuft,  während  die  erstere  nach  wie  vor 
weiterbesteht,  also  nicht  etwa  wie  Ueberschätzungsideen  und  Verfolgungswahn  neben 
einander  hergehen.  Diese  beiden  sind  nicht  als  coexistirend,  sondern  als  miteinander 
combinirt  aufzufassen.  So  kann  ein  und  dasselbe  Individuum  eine  Alkoholvergiftung 
und  daneben  auch  Symptome  von  Morphinismus  zeigen.  Absynthismus  und  Ghloral- 
vergiftnngy  Chloralismus  und  Cocainomanie.  Sehr  häufig  findet  sich  eine  Coexistenz 
multipler  Delirien  bei  Paralytikern  und  zwar  mit  acutem  Alkoholismus,  also  Fälle, 
in  denen  die  Paralyse  vollständig  ausgebildet  ist,  der  Kranke  nun  Alkoholismus  treibt 
und  eine  Alkoholpsychose  acquirirt,  in  der  also  die  Excesse  in  baccho  durch  die 
Paralyse  veranlasst,  nicht  die  Paralyse  der  Effect  des  fortgesetzten  Alkoholmissbrauches 
ist  Die  schreckhaften  Gesichtshallucinationen  geben  immer  das  sichere  Zeichen,  dass 
im  betreffenden  Falle  der  AlkohoHsmus  seine  Bolle  gespielt  hatte.  Nach  einigen 
Wochen  der  Anstaltsbehandlung  vergehen  alle  Symptome  des  Aikoholismus,  die  Para- 
lyse geht  ihren  Gang  weiter.  P.  fast  nun  die  Paralyse  selbst  noch  als  eine  dua- 
listische auf  und  trennt  sie  in  den  paralytischen  Blödsinn  und  das  paralytische  Irre- 

11* 


—    172    — 

sein,  za  denen  noch  alle  möglichen  Formen  der  erblichen  Degeneration  als  coezistirend 
hinzutreten  können.  Femer  kann  sich  die  Paranoia  mit  Alkoholismos  zu  einem  mul- 
tiplen Delirium  yergesellschaften  oder  auch  mit  dem  Zustande  erblicher  Degeneration 
und  schliesslich  mit  der  Epilepsie.  Am  häufigsten  findet  man  bei  Epileptikern  diese 
multiplen  Delirien,  sie  sind  oft  Trinker,  vielfach  ausserdem  erblich  belastet  und  auch 
systematischer  Verfolgnngswahnsinn  oder  Hallucinationen  sind  bei  denselben  nicht 
selten,  ja  oft  finden  wir  alle  diese  yerschiedenen  Irreseinsformen  in  einem  Individuum 
vertreten.  Zander. 

20)  Monde  des  rdves»  le  rdve»  Iliallnoinstion,  le  SonmambiiliBme,  et  l'Hyp- 
notisme,  llllusion»  las  Fsradis  srtiflciels,  le  Bagle  (on  Hslluoinatlon 
du  Bösert),  le  Cerveau  et  le  B^ve,  par  Max  Simon,  M^decin  en  chef  k  FAsile 
public  d'ali^n^  de  Bron,  M^decin-Inspecteur  du  Asiles  priv^  du  Bhöne.  Deuxi^me 
M.    (Paris  1888.    Baillidre  &  fils.     825  Seiten.) 

Der  Titel  dieses  in  der  Biblioth^que  soientifique  contemporaine  erschienenen  Buches 
giebt  den  Inhalt  an.  In  einer  anziehenden,  auch  ffir  Laien  leicht  verständlichen 
Weise  werden  die  geistigen  Vorgänge  geschildert,  wobei  Verf.  zu  dem  Schluss  kommt, 
dass  der  Erinnerung,  dem  Traum  und  der  Hallucination  dieselben  Vorgänge  im  Ge- 
hirn zu  Grunde  liegen,  welche  nur  gradweis  von  einander  verschieden  sind.  Wir 
können  die  Leetüre  empfehlen.  M. 

21)  Des  intervallee  luddefl  oonsiddrös  dana  leurs  rapports  sveo  la  oapaoitö 
oivile  des  aliänis,  par  B^gis.     (L*Enc^phale.  1887.  Nr.  2.) 

B.  stellt  die  wirkliche  Existenz  der  Intervalla  lucida  perfectissima  sowohl  bei 
periodischen  Irreseinsformen  mit  typischem  Verlauf  als  bei  cyclischen  Formen  wissen- 
schaftlich fest  und  knüpft  dann  daran  die  Forderung,  dass  auch  gesetzlich  diese 
Intervalle  als  das,  was  sie  sind,  anerkannt  werden,  nämlich  als  zeitweise  Genesungen. 
Während  dieser  Intervalle  sollen  die  bevormundeten  Kranken  ihre  volle  Dispositions- 
Migkeit  wieder  erlangen,  wie  dies  auch  andere  Gesetzgebungen,  namentlich  das 
römische  Becht,  zogegeben  haben.  Sehr  interessant  ist  die  in  der  Arbeit  enthaltene 
Beschreibung,  welche  eine  an  periodischem  Irresein  leidende  Dame  von  ihren  eigenen 
Krankheitsattacken  gegeben  hat.  Zander. 

22)  Di  un  oaao  di  follia  oommunioata  (foUia  a  quattro)«  pel  doti  F.  Funajoli. 
(Archivio  per  le  mal.  nervös,  ecc.  1887.  XXIV.  p.  469.) 

Ein  neuer  Fall  von  „Folie  ä  quatre"  (cfr.  dieses  Ctrlbl.  1885.  S.  186),  in  dem 
ein  25jähriges  Mädchen,  das  die  active  Rolle  spielte,  in  nur  wenigen  Monaten  ihre 
drei  älteren  mit  ihr  unter  denselben  Verhältnissen  zusammenlebenden  Brüder  in  einen 
ähnlichen  Erregungszustand  mit  denselben  unangenehmen  Sinnestäuschungen  und  Ver- 
folgungswahnvorstellungen versetzte,  wie  die  waren,  an  denen  sie  selbst  litt 

Alle  4  Patienten  wurden  gleichzeitig  der  Irrenanstalt  übergeben  und  sofort  von 
einander  getrennt.  Die  3  Brüder  genasen  in  4—8  Wochen  vollständig;  die  Schwester 
hingegen  scheint  nur  noch  geringe  Aussichten  auf  eine  noch  zu  erhoffende  Heilung 
darzubieten.  Sommer. 

23)  A  case  of  Melanoholia  presenting  some  exoeptional  features,  prolonged 
refasal  of  food  and  forced  alimentation,  by  James  Adam.  (The  British 
med.  Joum.   1888.   Febr.  18.   p.  349.) 

25jährige,  unverheirathete  Dame,  bleich,  mager,  mit  erweiterten  Pupillen, 
zuckenden  Augenlidern;   Lippen,  Zähne  und  Ztunge  trocken,  mit  schmutzigem  Belag; 


—    173    — 

eigenthflmlich  riechender  Athem,  wie  er  langdauenideD  Hunger  begleitet.  Seit  123  Tagen 
—  und  auch  beute  noch  andauernd  —  besteht  völlige  Nahrungsverweigerung;  und 
nur  Sondenfftttenmg  hat  die  ganze  Zeit  hindurch  das  Leben  gefristet.  345  mal 
hintereinander  ist  die  forcirte  Ernährung  ausgeführt  worden.  Bei  Beginn  der  Be- 
handlung war  das  Eraftmaass  schon  auf  das  Aeusserste  gesunken.  Keine  Katalepsie, 
kein  Stupor.  Verstand  im  Uebrigen  klar;  doch  glaubte  die  Kranke,  Gott  habe  Hunger 
ihr  anbefohlen.  —  Menses  während  der  ganzen  Zeit  nicht  vorhanden.  —  Während 
der  Behandlung  ist  das  Körpergewicht  gewachsen,  Zunge  ist  rein,  Schleimhäute  nor- 
mal, der  Athem  hat  den  beissenden  Geruch  verloren.  Der  Autor  stellt  eine  gute 
Prognose;  die  Kranke  werde  genesen.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


24)  Presidential  address  at  the  annual  meeting  of  the  medico  psyoho- 
logioal  aasooiation,  Aug.  9,  by  G.  H.  Savage.  (Joum.  of  ment.  science.  1886. 
October.) 

S.  bespricht  in  fesselndem  Vortrage  die  Pathologie  des  Irreseins. 

Die  mikroskopischen  Schnitte  durch  die  Oentralorgane  des  Nerversystems  er- 
Idart  S.  für  Bausteine  eines  Zukunftsgebäudes,  noch  sei  unsere  Kenntniss  nicht  reif 
genug,  um  aus  ihnen,  und  wenn  man  auch,  wie  er  selbst,  ihrer  viele  Tausende  fer- 
tige, die  wahre  Pathologie  des  Irrseins  zu  erkennen.  Vom  Lebenden  sollen  wir 
lernen,  weil  die  Modificaüonen  am  Lebenden  bis  in's  Unendliche  gehen.  Alsdann 
▼endet  sich  S.  gegen  das  Bestreben,  bestimmte  Krankheitsformen  zu  definiren,  weil 
bei  jedem  Kranken  die  Form  eine  abweichende  vom  vorhergehenden  Falle  sein  wird, 
er  möchte  jede  Classification,  wie  Epilepsie  und  Manie,  verwerfen,  um  dafür  Gruppen 
von  vitalen  Beziehungen  zu  bilden.  Danach  möchte  er  die  Pathologie  des  Irreseins 
eintheilen  in  Irresein  1.  veranlasst  durch  Erkrankung  des  Oentralorgans,  2.  resul- 
tirend  aus  Erkrankung  anderer  Körperorgane,  3.  Störungen  der  psychischen  Functionen. 
Fast  alle  Fälle  von  Gehimerkrankungen,  welche  überhaupt  Geisteskrankheiten  be- 
dingen, führen  zum  völligen  Verfall  und  deswegen  hält  S.  es  für  wenig  förderlich, 
wenn  minutiöse  ünterabtheilungen  für  die  Paralyse  aufgestellt  sind.  Die  Paralyse 
sei  ein  beständig  fortschreitender  Process,  der  aber  je  nach  Perdon  und  specieller 
Ursache  unendlich  abwechsele.  Die  grösste  symptomatische  Aehnlichkeit  mit  den  zum 
Verfall  führenden  eigentlichen  Gehimerkrankungen  bieten  die  Vergiftungen  des  Ge- 
hirns durch  Blei,  Alcohol  und  Syphilis.  Nach  Verf.  Ansicht  resultirt  die  Paralyse 
aus  Ueberanstrengung,  die  je  nach  dem  verschiedenem  Maass  der  ursprünglichen 
Potenz  und  der  möglichen  Erholung  leichter  oder  schwerer  den  Verfall  herbeigeführt. 
In  der  zweiten  Gruppe  mache  sich  in  fast  allen  Fällen  bei  den  verschiedenartigsten 
körperlichen  Leiden  die  krankhafte  Erklärung  von  allen  möglichen  Sensationen  gel- 
tend, gerade  hier  spiele  aber  auch  die  Vererbung  eine  grosse  Rolle,  auch  werde  oft 
ein  Altemiren  zwischen  körperlichen  Leiden  und  Psychose  beobachtet.  In  die  dritte 
Gruppe  reiht  S.  vor  Allen  die  auf  Sinnestäuschungen  beruhenden  Irreseinsformen. 
Bemerkenswerth  ist,  dass  Verf.  hier  empfiehlt,  den  Patienten,  welche  an  Sinnes- 
täuschungen leiden,  durch  Vemunftgründe  ihre  Irrthümer  zu  beweisen,  er  führt  meh- 
rere FäUe  Yon  so  erzielten  Heilungen  an.  Zander. 


25)  Impressions  d'unbuveur  d'Opium,  par  Luys.  (L'Enc^phale.  1887.  Nr.  3.) 

L.  giebt  die  von  einem  Opiophagen  selbst  niedergeschriebene  Leidensgeschichte 
wieder;  diese  Aufzeichnungen  sind  sehr  interessant  zu  lesen,  eignen  sich  aber  nicht 
za  einem  aosf&hrliohen  Referat,  da  eigentlich  Neues  doch  nicht  darin  enthalten. 

Zander. 


—     174    — 

Forensische  Psychiatrie. 

26)  Befund  und  Gutachten  über  den  der  Brandlegung  angeklagten  L.  Fr., 
ISjährigen  Wirthschaftsgehülfen  aus  M.,  von  Prof.  A.  Pick,  Prag.  (Prager 
med.  Wochenschr.  1887.  Nr.  60.) 

Ein  yon  Hanse  aus  schwachsinniger  junger  Mensch,  bis  dahin  harmlos,  hat  kurz 
hintereinander  2  Brandlegungen  ausgeführt,  ohne  nachweisbaren  Anlass  „es  sei  ihm 
der  Gedanke  gekommen  und  er  musste  es  thun".  In  klarer  und  fiberzeugender  Aus- 
einandersetzung führt  P.,  ausser  der  angeborenen  Schwachsinnigkeit,  die  Erscheinungen 
yon  Petit-mal,  sowohl  zu  Hause,  wie  auch  in  der  Klinik  beobachtet,  auf  und  bringt 
eine  wechselnde  Gesichtsfeldeinschränkung  hiermit  in  Verbindung.  Pat  war  ausser- 
dem hereditär  belastet  (Ohrläppchen  auch  angewachsen).  Dazu  kommt,  dass  die 
That  in  die  Zeit  der  Pubertät  fallt;  Penis  und  Testes  waren  relativ  unentwickelt; 
endlich  war  eine  Schädelverletzung  nachzuweisen  und  das  Ueberstehen  eines  Typhus. 
Alle  Umstände  der  That,  das  Verhalten  des  Pat.  nach  derselben,  die  Mehrzahl  der 
Brandstiftungen  etc.  —  Alles  spricht  nach  analogen  Erfahrungen  dafür,  dass  die 
That  unter  dem  Zwange  eines  krankhaften  Impulses  vollführt  wurde.      Hadlich. 


Therapie. 

27)  Syphilis  of  the  nervous  System  and  its  treatment,  by  Landon  Carter 
Gray.     (Medical  News.  1887.  9.  July.) 

Für  Himlues  sprechen  nach  den  Erfahrungen  des  Verf.  und  Anderen  folgende 
Symptomencomplexe:  periodisch  einsetzende  Kopfschmerzen,  die  oft  nach  Chinin 
vorübergehend  gehoben  werden;  Hemiplegien  vor  dem  vierzigsten  Lebensjahre,  und 
besonders  solche,  welche  durch  heftigen  Kopfschmerz  eingeleitet  werden,  der  sich 
aber  nach  der  Katastrophe  nicht  mehr  wieder  einstellt;  Krämpfe  bei  Erwachsenen 
ohne  vorausgegangenes  Kopftrauma,  ohne  Nierenerkrankung,  ohne  Gravidität  etc., 
und  länger  anhaltende  Bewusstlosigkeitszustände,  ohne  dass  Trauma,  Meningitis, 
Typhus,  Diabetes  oder  Morbus  Brightii  nachzuweisen  wäre.  Der  Hinzutritt  basaler 
oder  spinaler  Symptome  zu  bereits  vorhandenen  Himsymptomen  soll  ebenfalls  sehr 
für  Syphilis  verdächtig  sein. 

In  Bezug  auf  die  Therapie  der  Himlues  ist  allein  Jodkalium  von  wirklichem 
Einfluss.  Verf.  giebt  anfänglich  je  20  Gran  =  1,2  dreimal,  um  dann  jede  Dosis 
täglich  um  je  2 — 3  Gran  zu  vergrössem.  Sobald  Jodismus  eintritt,  lässt  er  die 
Einzelgaben  noch  bedeutend  (um  Ys)  verstärken,  da  er  häufig  gesehen  hat,  dass  mit 
der  Einverleibung  grösserer  Dosen  die  Vergiftungserscheinungen  schnell  schwinden. 
Ist  dies  letztere  aber  nicht  der  Fall,  so  geht  er  auf  die  halbe  Menge  zurück,  die 
unmittelbar  vor  dem  ersten  Ausbruch  des  Jodismus  verordnet  war,  und  bleibt  auf 
dieser  so  lange  stehen,  als  noch  eine  Intoxication  zu  beobachten  ist  Erst  dann  be- 
ginnt er  wieder  mit  dem  Jodverbrauch  zu  steigen. 

Fälle,  in  denen  durch  keine  dieser  beiden  Methoden  der  Jodismus  schwindet, 
sind  als  prognostisch  sehr  ungünstig  zu  betrachten.  Verf.  hat  übrigens  bis  zu 
800  Gran  &=  50  Gramm  Jodkalium  in  24  Stunden  mit  gutem  Erfolge  gegeben! 

Die  Jodkaliumlösung  soll  nach  der  Mahlzeit  in  einem  Glase  Eiswasser  oder 
noch  besser  Giesshübler,  event.  auch  Vichy-Brunnen,  genommen  werden.  Gleichzeitig 
wird  eine  Kur  nach  Playfair-Mitchell  dringend  angerathen. 

Auch  nach  erfolgter  Heilung  lässt  Verf.  noch  Jahre  lang  kleinere  Mengen  Jod- 
kalium fortnehmen,  ähnlich  wie  man  dies  mit  Bromkalium  bei  Epileptikern  zu  thun 
pflegt.  Sommer. 


—     176    — 

88)  De  l'aotioii  de  Tantipyrlne  dans  l*öpilepsie,  par  M.  Georges  Lemoin.e, 
aggr^,  m^deciii-adjoint  ä  Tasile  de  Baillenl.  (Gazette  mM.  de  Paris  1887.  Nr.  62.) 

Verf.  hat  das  Antipyrin  nur  bei  gewissen  Formen  der  Epilepsie  nützlich  gefanden 
und  zwar  1.  hei  solchen  Kranken,  deren  Anfalle  besonders  unter  dem  Einflüsse  der 
Menstruation  auftreten;  2.  bei  Epilepsia  larvata  und  3.  bei  Epileptischen  mit  Migräne- 
anfallen. —  Es  genügten  fast  immer  2  Gramm  pro  die,  eine  Medication,  die  man 
beliebig  lange  fortsetzen  kann  ohne  schädliche  Nebenwirkungen;  doch  tritt  bei  längerem 
Gebrauche  (Gewöhnung  ein,  und  aus  diesem  Grunde  empfiehlt  es  sich,  von  fortgesetzter 
Anwendung  des  Mittels  abzusehen.  Hadlich. 


29)  On  the  ose  of  Stryohnine  as  a  Hypnotio,  by  T.  Länder  Brunton.  (The 
(Practitioner.  1888.  Jan.  Nr.  235.) 

fiei  der  Behandlung  der  Schlaflosigkeit  in  Folge  der  Ueberanstrengung  von 
Körper  und  Geist  sind  Opium  und  die  Narcotica  zu  verwerfen;  denn  einerseits  liegt 
die  Gefahr  der  Grewöhnung  an  diese  Mittel  zu  nahe,  und  andrerseits  werden  viele 
nach  der  Anwendung  derselben  am  nächsten  Tage  stumpf  und  arbeitsunföhig,  während 
sie  gerade  Stärkung  und  Frische  für  den  nächsten  Tag  erzielen  wollten.  Ohloral 
beeinflusst  zwar  den  geistigen  Zustand  am  nächsten  Tage  weniger  ungünstig,  allein 
auch  an  dieses  Mittel  gewöhnt  man  sich  bald,  und  bei  längerer  Anwendung  stellt 
sich  Schwäche  dee  Herzens  ein.  Einmal  sah  Verf.  sogar  nach  langem  Ghloralgebrauch 
Manie  entstehen,  die  mit  dem  Aufhören  der. Anwendung  des  Mittels  schwand.  Brom- 
kalium ist  in  den  meisten  Fällen  von  Schlaflosigkeit  in  Folge  von  geistiger  Ueber- 
anstrengung ohne  hypnotische  Wirkung.  Bei  einigen  geistig  angestrengten  Menschen, 
die  an  Schlaflosigkeit  litten,  suchte  Verf.  den  Zustand  der  Uebermüdung,  Ueber- 
r^zung,  in  den  einfacher  Ermüdung  mit  folgendem  natürlichen  Schlaf  zu  verwandeln. 
Dies  will  er  erreicht  haben  durch  beef-tea,  Yalentine's  Fleischsaft,  kleine  Dosen 
Alkohol  etc.  Durch  diese  Mittel  würde  in  Folge  von  Erweiterung  der  Magengefässe 
das  Blut  vom  Kopfe  abgeleitet  und  zugleich  eine  stimulirende  Wirkung  auf  das 
Nervensystem  selbst  erreicht.  Diese  letztere  Wirkung  kommt  auch  in  hervorragendem 
Maasse  dem  Stiychnin  zu,  und  eine  kleine  Dosis  dieses  Mittels  soll  das  Nervensystem 
von  dem  Zustande  der  Uebermüdung  in  den  einfacher,  schlafbringender  Ermüdung 
umwandeln.  Der  Schlaf  sei  gesund  und  ohne  üble  Folgen  für  den  nächsten  Tag. 
Tinct  noc  vomic.  in  Dosis  von  6 — 10  Minims  (1  Minim  »  0,06  Gramm)  oder 
Scbieffelin*8  Pillen  (1  Pille  =  V200  ^^^  Strychn.  sulph.)  werden  empfohlen;  von 
letzteren  wurden  1 — 2  und  mehrere  zur  Schlafzeit  gegeben,  und  die  gleiche  Dosis 
wiederholt,  falls  der  Schlaf  nach  1 — 2  Stunden  wieder  wich.  Ob  Strychnin  in  andern 
Fällen  von  Schlaflosigkeit  als  bei  Ueberarbeitung  dieselbe  Wirkung  habe,  ist  zweifel- 
haft. In  einem  Fall  von  Anämie  erzielte  Verf.  auch  gute  Erfolge, '  doch  lässt  er 
dahingestellt^  in  wie  weit  Suggestion  und  Einbildung  dabei  mitwirkten. 

Kalischer. 

30)  Die  Maeeage  in  der  Nenropathologie,  von  Dr.  Anton  Bum  in  Wien. 
(Wiener  Klinik.  1888.  Januar.) 

Nach  einer  kurzen  Einleitung,  in  welcher  die  Wichtigkeit  der  Massage  für  die 
Therapie  der  Nervenkrankheiten  betont  wird,  spricht  Verf.  unter  den  beiden  Hanpt- 
nibriken  „directe  Massagewirkung''  und  „indirecte  Massagewirkung''  alle 
Nervenkrankheiten  durch,  bäi  welchen  ein  Erfolg  dieser  Therapie  mehr  oder  weniger 
anerkannt  ist. 

Der  Sinn  jener  beiden  Gapitel-Ueberschriftien  erklärt  sich  von  selbst.  Unter 
d«r  ersten  werden  die  Neuralgien  besonders  berücksichtigt  Yerf.  scheint  bei  idio- 
pathischen,  nicht  veralteten  Trigeminus-  und  anderen  Neuralgien  gute  Erfolge  gehabt 


—    176    — 

zn  haben.  Das  Verfahren  dabei  wird  ziemlich  genau  beschrieben.  Die  Kranken- 
geschichte eines  an  sogenannter  Ischias  leidenden  Mädchens  ist  lehrreich:  Die  genaue 
Beckenuntersuchung  nach  längerer  erfolgloser  Massage  ergab  eine  Aufblähung  des 
€olon  descendens  in  Folge  chronischer  Obstipation,  nach  deren  Beseitigung  die  Ischias 
verschwand.  (Im  Uebrigen  werden  die  glänzenden  Resultate  der  Massage  bei  chro- 
nischer Obstipation,  die  doch  so  häufig  Nervenleiden  vortäuscht,  nicht  erwähnt.) 

Genauer  besprochen  wird  auch  die  Massage  bei  Migräne.  Hier  ist  es  nur  die 
myopathische  Form,  bei  welcher  man  schmerzhafte  Funkte  und  Anschwellungen  in 
den  Halsmuskeln  findet,  die  auf  Heilung  durch  dieselbe  rechnen  lässt.  Verf.  erwähnt 
mehrere  günstig  verlaufene  Fälle  und  theilt  eine  Krankengeschichte  (Heilung  einer 
veralteten  Form  in  90  Sitzungen)  des  Nähern  mit. 

Sehr  gute  Resultate  soll  auch  die  Massage  der  Gelenkneurosen  (hysterischen) 
ergeben.  Freilich  kann  sie  dabei  der  allgemeinen  und  besonders  psychischen  Be- 
handlung von  Seiten  eines  energischen  Arztes  nicht  entbehren  (eine  lehrreiche  Kranken- 
geschichte). Die  Diagnose,  meint  Verf.,  wäre  nur  in  der  Chloroformnarcose  zu  stellen 
möglich. 

Unter  den  motorischen  Störungen  wird  neben  dem  Facialiskrampf,  dem  Blepharo- 
spasmus u.  a.,  die  bei  Berücksichtigung  der  werthvollen  Schmerzpunkte  der  Massage 
durchaus  zugänglich  sind,  besonders  der  Schreibekrampf  berücksichtigt.  Verf.  hat 
mehrere  Fälle  des  spastischen  Schreibekrampfes  zur  Verfügung,  die  durch  die  mecha- 
nische Therapie  erheblich  gebessert  worden  sind  (die  Behandlungsmethode  wird  genau 
angegeben).  Eine  vollkommene  Heilung  dieser  Form  hält  Verf.  fOr  ausgeschlossen, 
dagegen  hat  er  eine  bei  der  paralytischen  Form  durch  dieselbe  Methode  zu  verzeichnen. 
Auch  die  übrigen  Beschäftlgnngsneurosen  (der  Musiker,  Tänzerinnen,  der  Melker,  der 
Radfahrer  u.  s.  w.)  sind  derselben  zugänglich. 

Die  Lähmungen  sind  dann  besonders  dankbare  Objecto  fOir  diese  Behandlung, 
wenn  sie  rheumatischer  Natur  und  frühzeitig  derselben  unterbreitet  werden. 

Die  unter  Oapitel  U  besprochene  indirecte  Massagewirkung  ist  natürlich  von 
viel  geringerer  Bedeutung  als  jene,  bei  welcher  die  kranken  Nerven  etc.  der  massirenden 
Hand  direct  zugänglich  sind.  Dennoch  giebt  es  einige  Affectionen,  wo  sie  zweck- 
mässig verwandt  wird.  Hyperämische  Zustände  des  Hirns  werden  durch  die  Massage 
des  Halses,  welche  depletorisch  auf  jenes  wirict,  beseitigt  (Methode  von  Gerst),  und 
so  kann  dieselbe  auch  prophylactisch  bei  apoplectischer  Disposition  verwandt  werden. 

Bei  den  sehr  kurz  abgehandelten  Rückenmarkskrankheiten  sei  besonders  der 
Massage  bei  Dystrophia  muscularis  progressiva,  welcher  Hühnerfauth  (Handbuch 
der  Massage,  Leipzig  1887)  das  Wort  redet,  erwähnt. 

Von  den  functionellen  Neurosen  hat  die  Chorea  schon  im  Jahre  1850  durch 
S^e  eine  mechanische  Behandlung  erfahren.  Verf.  bestätigt  das  derselben  zu  Grunde 
liegende  Frincip:  „il  faut  rendre  les  contractions  sous  la  puissance  de  la  volonte'*. 
Dies  soll  gescliehen  durch  Combination  von  Massage  und  Gymnastik. 

Bei  Nearasthenie  und  Hysterie  kann  die  Massage  eventaell  auch  mdidrt  sein. 

lieber  die  Wirkung  der  Massage  bei  Neuritis  hat  Verf.  keine  eigene  Erfahrung. 

Sperling. 

31)   Ueber  Amylenhydrat  als  Sohlaftnittel.    Aus   der  med.  Klinik  des  Herrn 
Prof.  Riegel  in  Giessen.  Von  Georg  Avellis.  (Dtsch.  med.  Wochenschr.  1888.  1.) 

Das  Mittel  wurde  in  Gelatinekapseln  oder  in  Mixtur,  mit  Bothwein  oder  mit 
Wasser  und  Syrup  gegeben,  auch  im  Klystier,  und  zwar  zu  3  gr  in  Aq.  dest.  und 
Gummi  arab.  iok  25,0.  —  Die  Dosis  war  0,8—3,2  gr,  meistens  2 — 2,4.  —  Nach 
letzteren  Dosen  trat  6 — 8  stündiger,  nach  kleineren  Gaben  2 — 3  stündiger  Schlaf  ein, 
und  zwar  meist  schnell,  nach  einigen  bis  15,  längstens  45  Minuten.  Es  wurden  so 
gut  wie  niemals  unangenehme  Nebenwirkungen  beobachtet,  und  nur  bei  3  Patienten 


—     177     — 

unter  40,  die  mit  den  yerschiedensten  Krankheiten  behaftet  waren,  yersagte  das 
Mittel,  das  dem  Faraldehyd  entschieden  Tonsnziehen  ist.  —  Hofifentlich  wird  es  bald 
billiger.  -    Hadlich. 

• 

32)  The  treatment  of  sea^siokness,  by  W.  W.  Skinner.  (The  Brit.  med.  Jonm. 
1887.    Oct  8.    p,  768.) 

Nach  Skinner,  der  als  Schi&arzt  Gelegenheit  hatte,  Seekrankheit  zu  stndiren, 
ist  dieselbe  zn  erklären  durch  Nervenreiznng  sowohl  der  Bauch-,  als  der  Sinnes- 
organe (Gesicht,  Gerach),  welche  Lähmung  der  motorischen  Functionen  des  grossen 
Sympathicus  durch  Reflexaction  hervorrufe.  Von  dieser  so  erzeugten  Sympathicus- 
lahmung  rfüiren  dann  im  Allgemeinen  Herabsetzung  des  Blutdruckes  und  alle  damit 
verbundenen  Folgeerscheinungen  her,  —  daher  vrurden  Medikamente  gesucht,  welche 
der  Blutdruckverringerung  entgegenwirken.  Verf.  findet  dafOr  die  Alkaloide :  Atropin, 
Strychnin,  Coffein  (erstere  beide,  gleichzeitig  angewandt,  nützlich,  sowohl  durch  mano- 
metrische, an  kleineren  Thieren  angestellte  Versuche,  als  hauptsächlich  durch  directe 
Behandlung  Seekranker.    Die  angewandte  Formel  war: 

Atropini  sulfurici 

Strychnini  sulfurici  ää  0,04 

Aq.  Menthae  40,0 

1  gr  enthält  also  1  mgr  von  je  beiden  Alkaloiden.  —  In  warmen  Klimaten  muss  die 
Mixtur  frisch  gemacht  werden.  Nie  sah  Sk.  einen  Nachtheil  von  dieser  Medikation. 
Wenn  2  Stunden  nach  der  ersten  Injection  noch  nicht  Genesung  eintritt,  so  muss 
eine  zweite  —  mehr  aber  nicht  —  gemacht  werden.  Bei  einem  2^/,  jährigen  Mädchen, 
welches  bereits  14  Stunden  krank  war,  half  pünktlich  der  sechste  Theil  dieser  Dosis 
=  0,00016  (IGcmgr);  ein  6 jähriger  Knabe  erhielt  eine  viertel  Dosis.  In  der  Mehr- 
zahl der  FäUe  hört  nach  Igr  der  Lösung  das  Erbrechen  auf,  alsdann  verliert  sich 
üebelkeit,  Kopfweh,  Schvnndel.  Meist  stellt  sich  halb-  oder  dreiviertelstündiger  Schlaf 
ein;  nach  Injection  zur  Nachtzeit  steUt  sich  erfrischende  Nachtruhe  ein. 
Die  Formel  für  Coffein  war: 

Ooffeini  4,0 

Natr.  salicyl.  3,0 
Aq.  dest.  q.  d.  ad  cc.  10,0,  in  milder  Wärme  zu  lösen.  Jeder  cc.  enthält  dem- 
nach 0,4  (4  Decigr.)  Coffein.  —  Eine  einzige  Injection  von  0,3  Coffein  heilte  in 
7  Stunden  einen  bereits  3  Tage  Leidenden;  einen  zweiten  in  5  Stunden.  —  Kleine 
Nachtheile :  Trockenheit  im  Halse,  Hautröthe,  Amblyopie,  auch  einmal  inflammatorische 
Reizung  an  der  Einstichstelle  traten  zuweilen  ein,  waren  aber  nicht  von  Belang. 
Bei  organischen  Herzfehlem  blieb  dieser  wohlthätige  Effect  aus.  —  Pillen,  bereitet 
von  den  beiden  Alkaloiden,  die  sofort  beim  ersten  Eintritt  der  Symptome  genommen 
wurden,  verhindern  die  Entwickelung  der  Seekrankheit. 

L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

33)  Bemarks  on  ton  oonseoutive  oaaes  of  Operations  upon  the  brain  and 
oxanial  cavity  to  illiiBtrate  the  detaila  and  safety  of  the  method  em- 
ployed,  by  Victor  Horsley.  (The  Brik  med.  Joum.   1887.  April  23.  p.  863.) 

Eine  Mittheüimg  in  Tabellenform  über  10  wegen  verschiedener  Diagnosen  von 
Gehinikrankheit  vorgenommener  Trepanationen  mit  mehreren  die  chirurgische  Behand- 
luig  betreffenden  Bemerkungen,  fflr  welche  auf  die  Arbeit  selbst  hingewiesen  werden 
mosB.     Die  Fälle  sind  die  folgenden: 

1.  Siin  22jähriger  Mann  mit  rechter  Hemiparese  und  epileptiformen  Anfällen, 
welche  im  rechten  Bein  beginnen,  und  benommenem  Kopf.  Alte  Schädelfractur  mit 
Depression.  Wegnahme  der  Narbe,  die  sich  bis  in's  Gehirn  erstrecki  —  Hemi- 
parese bleibt;  epileptiforme  Anfälle  hOren  auf. 


—     178    — 

2.  Ein  20jähriger  Mann  mit  epileptischen  Anfällen  nnd  constanten  Spasmen. 
Parese  des  linken  Armes.  —  3  Monate  lang  nach  der  Operation  keine  Anfälle; 
dann  8  Anfälle  auf  Arm  und  Schulter  beschrankt     Nachher  kein  weiterer  Anfall. 

3.  Ein  24 jähriger  Mann  mit  alter  Schadelfractur,  benommenem  Kopf  nnd 
häufigem  Kopfschmerz,  Parese  des  rechten  Armes  und  Gesichts.  Schwere  epileptische 
Anfälle  alle  3  Wochen  oder  weniger.  —  Nach  der  Operation  nur  3  kleine  AnflUle 
j.petit  mal". 

4.  Ein  38 jähriger  Mann  mit  linker  Hemiplegie ,  Coma,  und  epileptischen,  in 
der  linken  Schulter  beginnenden  Anfällen.  10  Tage  vor  der  Operation:  Semicoma- 
tose  und  links  Hemiparalyse.  —  Nach  der  Wegnahme  eines  Tumor  (Glioma)  —  das 
weggenommene  Stück  wiegt  4^2  Unzen  —  3  Monate  lang  kein  Anfall  mehr;  6  Monate 
nach  der  Operation  Becidiv;  Tod. 

5.  Ein  lOjähriger  Knabe,  der  schwachsinnig»  epileptiforme,  am  linken  Mund- 
winkel beginnende  AnföUe  (täglich  3 — 6),  Parese  des  Gesichts,  der  Zunge  etc.  hat. 
—  Nach  der  Operation  in  der  zweiten  Nacht  am  linken  Mundwinkel  Zucken,  in  der 
dritten:  Anfälle.  Nachher  nur  die  Hälfte  der  Anzahl  von  Anfällen  wie  vorher.  Als- 
dann 3  Nächte  ohne  Anfall. 

6.  Ein  37 jähriger  Mann,  hatte  vor  15  Jahren  einen  Stoss  auf  den  Kopf  be- 
kommen, mit  benommenem  Kopf,  Hemiparese,  auch  halbsseitiger  Anästhesie.  Nach 
Incision  der  Dura  eine  grosse  cystisch  entartete  Narbe  vom  Gortex  entfernt  — 
Wegen  drohenden  CoUapsus  Fortnahme  der  Narbe  unvollkommen.  Bewegung  und 
Sensibilität  verbessert.  4  Anfälle  einen  Tag,  2  Anfälle  am  sechsten  Tage  nach  der 
Operation.  —  Bewusstsein  nicht  gestört. 

7.  Ein  37jähriger  Mann  mit  örtlichem,  arbeitsunfähig  machendem,  heftigem 
Kopfschmerz,  von  bereits  dregähriger  Dauer.  Ein  Stück  der  inneren  Platte  des  Os 
parietale  wird  weggenommen.  —  Aufhören  des  Schmerzes  nach  der  Operation. 

8.  Ein  4 jähriger  Knabe,  halbcomatös  zur  Zeit,  mit  Hemiparalyse  rechts  und 
3 — 14  epileptischen  Anfällen  täglich.  —  Nach  der  Operation  einen  Monat  keine 
Anfälle,  dann  6  leichte,  und  endlich  keine  mehr. 

9.  Ein  37jähriger  Mann  mit  beständigem  Kopfweh,  mit  Paralyse  der  rechten 
Hand  und  des  rechten  Antibrachium,  Parese  des  rechten  Beines,  mangelhafter  Sprache 
und  epileptischen,  im  rechten  Zeigefinger  beginnenden  Anfällen.  Wegnahme  eines 
Tumor  von  4^/,  Unzen  Gewicht.  —  Nach  der  Operation  hören  Kopfschmerz  und 
AnföUe  auf. 

10.  Ein  ISjähriger  Mann  mit  Parese  aUer  4  Gliedmaassen  (besonders  links), 
Sphincteren  geschwächt,  Kopfweh,  mit  Brechanfällen,  Neuritis  optica,  epileptischen 
Anfällen  (unter  Kopfdrehung  nach  rechts).  —  Operation.  Vom  rechten  Lohns  oere- 
belli  wird  ein  tuberkulöser  Tumor  von  7  Drachmen  Gewicht  weggenommen.  —  Tod 
nach  19  Stunden.     Post  mortem:  Allgemeine  chronische  Tuberkulose. 

L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

m.  Aus  den  Oesellsohaften. 

Aoadämie  de  mödeoine,  Paris.    Sitzung  vom  27.  December  1887. 

Legrouz:  Sohnelle  Heilung  der  Ohorea  durch  AnÜpjrrin.  Ein  Knabe, 
der  seit  Mai  1887  an  leichter,  seit  August  an  heftiger  Chorea  litt,  bekam  — 
nachdem  schwächere  Dosen  sich  wirkungslos  gezeigt  hatten  —  vom  7.  September 
au  3  g  Antipyrin  pro  die  und  war  am  12.  September  dauernd  geheilt,  sodass  das 
Mittel  ausgesetzt  wurde.  —  Aehnlich  war  die  Wirkung  in  fünf  anderen  Fällen,  wenn 
auch  nicht  so  schnell,  denn  die  Frist  bis  zur  Heilung  schwankte  zwischen  6  nnd 
27  Tagen.  Immer  musste  die  Dosis  auf  3  g  pro  die  (in  Einzelgaben  von  1  g  mit 
20  g  Syrup  und  Wasserzusatz)  erhöht  werden,  wenn  Wirkung  eintreten  sollte. 

Hadliclu 


—     179    — 

Aoadömie  de  mödeoine,  Paris.    Sitzung  yom  14.  Februar  1888. 

üeber  Vergiftung  durch  Antipyrin,  von  Dr.  Jennings.  Eine  junge  Dame 
nahm  8  Tage  lang  taglich  2,50  gr  Antipyrin :  danach  erythematöse  Flecke,  dann 
allgemeiner  Ausschlag  (rash)  mit  Nasen- Augen-Catarrh;  hinterher  grosse  Schwäche 
Andere  Aerzte  (Dr.  Barber,  Dr.  Whitehouse,  Dr.  Allen  Sturge)  sahen  nach  1  gr,  resp. 
0,5  gr  (bei  einem  Kinde)  resp.  0,25  gr  theils  am  anderen  Tage,  theils  nach  wenigen 
Minuten  Urticaria-artigen  Ausschlag  mit  catarrhalischen  Symptomen  auftreten;  bei 
dem  Kinde  trat  zugleich  Schwund  des  Bewusstseins  ein. 

Germain  S6e  bemerkt  hierzu,  dass  er  dergleichen  häufig  gesehen  hat,  aber 
kaum  jemals  bei  so  kleinen  Dosen,  sondern  wenn  man  fortgesetzt  mehrere  Gramm 
taglich  giebt.  Besonders  Frauen  disponiren  zu  diesen  Nebenwirkungen,  die  übrigens 
niemals  einen  bedenklichen  Charakter  annahmen  und  für  die  das  Wort  „Vergiftung" 
kaum  passend  sein  dürfte. 

Dujardin-Beaumetz  schliesst  sich  durchaus  der  Auffassung  See's  an;  er 
möchte  eher  die  gastrischen  Störungen,  welche  das  Antipyrin  bei  längerem  Gebrauche 
macht,  beklagen,  zumal  das  Mittel  bei  subcutaner  Anwendung  heftige  Schmerzen 
macht  — 

Germain  S6e  empfiehlt  Zusatz  von  doppelt-kohlensaurem  Natron  oder  Seltera- 
wasser,  und  bei  subcutanen  Einspritzungen  möglichste  Verdünnung.  Uebrigens  werde 
das  Präparat  wohl  oft  unrein  dargestellt. 

Ollivier:  „Vielleicht  sind  die  meisten  Wirkungen  des  Mittels  auf  seine  Un- 
reinheit zu  schieben;  wenigstens  scheinen  mir  seine  Wirkungen  bei  Chorea  mit  all- 
zuviel Enthusiasmus  gerühmt  zu  werden."     (Hört!  hörti     Ref.)  Ha d lieh. 


Ausserordenüiohe  Sitzung  der  „Sooiötä  de  mödeoine  mentale  de  Belgique»** 

am  26.  November  1887  zu.  Brüssel. 
(Bulletin  de  la  Sod6t6  de  M^decine  mentale  de  Belgique.  1887.  Nr.  47.  p.  17^94.) 

Auf  die  Tagesordnung  für  diese  ausserordentliche  Sitzung  war  die  Frage  gesetzt 
worden,  was  in  Belgien  für  die  Unterbringung  crimineller  Irrer  zu  geschehen  habe, 
um  die  öffentlichen  Irrenanstalten  möglichst  zu  entlasten. 

Der  Präsident  Dr.  Höger  eröfibet  die  Sitzung,  indem  er  zur  Begründung  jener 
Tagesordnung  ausführt,  dass  in  der  belgischen  Kammer  schon  1873  die  Errichtung 
einer  Specialanstalt  für  criminelle  Irre  für  noth wendig  erklärt  worden  sei,  und  dass 
jetzt  Strafvollzugsbeamte  wie  Aerzte  über  die  grossen  Misastände  des  bisherigen  Ver- 
pflegungssystems einig  seien.  Verbrecherische  Irre  (im  engeren  Sinne)  kommen  ge- 
wöhnlich in  eine  der  öffentlichen  und  ungenügende  Sicherheit  gegen  Ausbrüche  etc. 
bietenden  Irrenanstalten,  und  von  den  irren  Verbrechern  wird  nur  ein  Theil  in  die 
»Specialqnartiere"  bei  den  Staatsirrenanstalten  zu  Toumay  (für  Männer)  und  Mona 
(für  Franen)  überführt;  die  meisten  bleiben  in  der  Strafanstalt,  so  lange  dies  irgend 
möglich  ist.  Er  selbst  spricht  sich  für  eine  Specialanstalt,  etwa  für  ein  „Prison- 
asile"  unter  der  allgemeinen  Verwaltung  der  Justizbehörden  und  unter  besonderer 
Direction  eines  Irrenarztes  aus,  und  fordert  die  Versammlung  auf,  sich  über  die 
technischen  und  administrativen  Grundlagen  einer  solchen  Anstalt  zu  äussern. 

Es  entwickelt  sich  dann  eine  sehr  lebhafte  Debatte,  die  besonders  zu  längeren 
Auseinandersetzungen  zwischen  den  Dr.  Semal  und  Lentz,  der  Directoren  der  beiden 
Staatsirrenanstalten,  denen  je  eine  Verbrecherabtheilung  angehängt  ist,  über  die  Mit- 
berftcksichtigung  der  sogenannten  „crinünels  instinctifs"  führt;  ein  Beiferat  über  diese 
interessante  Discussioii  ist  leider  an  dieser  Stelle  nicht  zu  geben. 

Dr.  Semal  stellt  dann  folgende  Thesen  auf: 


—    180    — 

1.  Es  ist  eine  Specialanstalt  zu  errichteii  für 

a)  die  criminellen  Irren  aus  der  Klasse  der  gemeingefährlichen  Irren  O,homi- 
cides,  incendiaires,  violateurs  etc/^  und 

b)  für  die  sogenannten  „criminels  instinctifs''  („ni  intellectuellement  ali^n^ 
ni  moralement  coupables''). 

2.  Provisorisch  können  diese  beiden  Kategorien  in  einer  Irrenabtheilung  bei 
einer  Strafanstalt  oder  in  einem  ad  hoc  adaptirten  Gefangniss  etc.  unter- 
gebracht werden. 

4.   Alle  criminellen  Irren,  die  nicht  unter  die  Bestimmung  in  1  fallen,  können 

in  den  öffentlichen  Irrenanstalten  bleiben. 
(3.  und  5.  enthalten  Ausführungsbestimmungen  auf  Grund  der  belgischen  Gesetz- 
gebung etc.) 

Dr.  Lentz  macht  folgende  Vorschläge: 

1.  Gründung  einer  Specialanstalt  für  sämmtliche  criminelle  Irre,  welcher  Kate- 
gorie sie  auch  angehören  mögen.  Bis  zur  Fertigstellung  dieser  Anstalt  sind 
die  gefährlichsten  dieser  Irren  in  einem  sofort  (im  Anschluss  an  die  Irren- 
anstalt zu  Toumay)  zu  erbauenden  „Sicherheitsquartier"  unterzubringen. 

2.  Anscheinend  gemeingefährliche,  aber  noch  nicht  mit  dem  Strafgesetz  in  Con- 
flict  gerathene  Irre  sollen  aus  den  übrigen  belgischen  Anstalten  in  jenes 
Sicherheitsquartier  überführt  werden,  sobald  die  Specialanstalt  eröfi&iet  ist. 

Endlich  beantragt  Dr.  Cuylits  die  Gründung  von  Sicherheitsquartieren  (^^qxiBX' 
tiers  de  s^curit^")  bei  mehreren  Irrenanstalten  mit  der  Bestimmung,  aufzunehmen: 

a)  alle  von  einem  Verbrechen  freigesprochene  oder  ausser  Verfolgung  gesetzte 
Irre, 

b)  alle  geistig  erkrankten  Sträflinge,  und 

c)  einzelne  besonders  gemeingefährliche  „unbescholtene"  Irre. 

Zum  Schluss  resumirt  der  Präsident  noch  einmal  die  verschiedenen  ausgesprochenen 
Ansichten  und  glaubt  constatiren  zu  können,  dass  alle  Differenzen  nur  auf  formellen, 
nicht  aber  auf  wesentlichen  materiellen  Bedenken  beruhen. 

Alsdann  werden  von  der  Versammlung  folgende  Thesen  zum  Beschluss  erhoben: 

I.  Es  ist  nothwendig,  eine  oder  mehrere  Specialanstalten  für  criminelle  Irre  zu 
errichten. 

Criminelle  Irre  sind  1.  alle  Angeklagte  und  Untersuchungsgefangene,  die  wegen 
Geistesstörung  freigesprochen  oder  ausser  Verfolg  gesetzt  sind;  2.  aUe  Sträflinge, 
die  geistig  erkrankt  sind,  und  3.  diejenigen  Irren,  die  in  einer  Irrenanstalt  ein 
schweres  Verbrechen  begangen  haben  („acte  qualifi^  de  crime"). 

n.  Bei  der  Dringlichkeit  der  Sachlage  ist  bei  den  beiden  Staatsirrenanstalten 
sofort  eine  Sicherheitsabtheilung  aber  nur  als  provisorisches  Hülfsmittel  zu  errichten. 

III.  Sobald  die  Specialanstalt  (oder  die  Specialanstalten)  eröffiiet,  sind  in  die 
Sicherheitsabtheilungen  zu  Toumay  und  Mens  die  besonders  gemeingeföhrlichen  Irren 
aus  allen  änderen  Anstalten  aufzunehmen. 

Diese  Beschlüsse  der  Gesellschaft  sollen  dem  Jujstizminister  übermittelt  werden. 

Sommer. 

Medicinisohe  Gesellsohaft  in  Strassburg.     Sitzung  vom  5.  Januar  1888. 

Ueber  Ophthalmoplegie.  P.  Meyer  beobachtete  bei  einem  62jährigen,  durch 
eine  Bronchitis  chronica  mit  Bronchiectasie  etc.  sehr  geschwächten  Manne  eine  Läh- 
mung aller  Augenmuskeln  ind.  Levator  palpebrae,  doph  ohne  Betheiligung  der  Pupille. 
Es  gesellten  sich  hi  den  nächsten  Tagen  hinzu  Dysphagie,  Anästhesie  der  Conjnnc- 
tiva,  Parästhesien  in  Bumpf  und  Gliedern,  und  bald  darauf  trat  Exitus  letalis  ein. 
—  Die  Section  ergab  eine  auch  bei  genauester  mikroskopischer  Durchforschung  intacte 


—    181     — 


Hedolla  oblongata,  alle  Kerne  normal.  Dagegen  fand  sich  eine  sehr  aasgebreitete 
multiple  Neuritis:  alle  Augenmuskelnerven  vollkommen,  Facialis,  Hypoglossus,  Glosso- 
pharyngens  u.  a.  partiell  degenerirt,  auch  zahlreiche  spinale  Nerven.       Hadlich. 


IV.  Bibliographie. 

üeber  irre  Verbrecher,  von  Dr.  C.  Moeli,  dirigirender  Arzt  der  Irren-Siechen- 
Anstalt  zn  Dalldorf,  Docent  an  der  Universität  Berlin.  (Berlin  1888.  Fischer*s 
med.  Buchhandlung.     180  Seiten.) 

Nicht  ein  erschöpfendes  Werk,  sondern  die  Besprechung  einzelner  wichtiger 
Fragen  an  der  Hand  4^2  jähriger  Beobachtungen  und  auf  Grund  des  reichen  Dall- 
dorfer  Materials  gemachter  eigener  Erfahrungen  will  Verf.  bieten.  —  Wie  reich  und 
interessant  dieses  Material  ist^  ergiebt  sich  aus  den  im  ersten  Abschnitt  mitge- 
theilten  Krankengeschichten,  welche  die  Hälfte  des  Buches  einnehmen  und  nach  der 
Art  der  strafbaren  Handlungen  in  14  Gruppen  mitgetheilt  sind:  Betteln;  Ruhestörung, 
Widerstand  etc.;  Körperverletzung,  Mord,  Todtschlag  etc.;  Verbrechen  und  Vergehen 
gegen  die  Sittlichkeit;  Beleidigui^;  Gotteslästerung;  Mtgestatsbeleidigung;  Insubordi- 
nation; Brandstiftung;  Diebstahl  (78  Fälle);  schwerer  Diebstahl  (76  Krankengeschich- 
ten!); Betrug;  Raub.  —  Ueberall  werden  die  Beziehungen  zu  den  Formen  der  Geistes- 
störung hervorgehoben  und  besonders  eingehend  schon  hier  die  an  Zahl  der  Fälle 
auffallend  überwiegenden  Gruppen  des  einfachen  und  des  schweren  Diebstahls  be- 
sprochen. —  Bei  der  Erörterung  des  „Zusammenhangs  von  Geistesstörung  und  Ver- 
brechen" (zweiter  Abschnitt)  hebt  Verf.  zunächst  hervor,  dass  es  sich  bei  seinen 
Kranken  nicht  nur  um  irre  Verbrecher,  sondern  nachweislich  vielfach  um  verbreche- 
rische Irre  handele,  während  bei  einer  gewissen  Anzahl  die  Entscheidung  der  Frage 
ansicher  bleibt.  Bei  den  Bettlern  und  Arbeitsscheuen,  bei  den  wegen  Beleidigung, 
Körperverletzung,  Mord  und  Todtschlag,  Migestätsbeleidigung,  Insubordination,  Brand- 
stiftung, unsittlicher  Handlungen  in  Untersuchung  beziehungsweise  Strafe  genommenen 
und  später  nach  Dalldorf  gebrachten  Individuen  findet  M.  ein  ganz  ausserordent- 
liches Ueberwiegen  der  sicher  bereits  z.  Z.  der  Strafthat  Kranken;  sie  handelten 
meist  unter  Antrieb  von  Affectzuständen,  die  wegen  Strafthaten  gegen  die  Sittlich- 
keit Angeschuldigten  waren  jedoch  fast  alle  Schwachsinnige.  —  Schwieriger  liegt  die 
Frage  bei  den  wegen  Verbrechen  gegen  das  Eigenthum  Beschuldigten  resp.  Bestraften 
and  hier  widmet  der  Verf.  besonders  den  gewohnheitsmässigen  Eigenthumsverbrechem 
eingehende  Untersuchungen.  Die  psychische  Beschaffenheit  ist  auch  hier  natflrlich 
nur  ein  Factor  für  das  Handeln  des  Individuums;  Unwissenheit,  Verwahrlosung  und 
Koth  sind  im  Allgemeinen  Hauptursachen  des  Verbrechens.  Unverkennbar  treten 
aber  gerade  bei  den  Gewohnheitsdieben,  Einbrechern  etc.  1.  eine  psychische  Schwäche, 
2.  allerlei  krankhafte  Eigeuthümlichkeiten :  abnorme  Erregbarkeit,  wahnhafte  Auf- 
fassung der  Verhältnisse  etc.  in  entscheidender  Weise  hervor.  Diese  Unglücklichen 
sind  sehr  oft  Verbrecher  von  Jugend  her,  die  meisten  vor  dem  20.  Jahre  schon 
mehrfach  bestraft  und  enden  nun  in  Dalldorf.  Bei  79  dieser  Eigenthumsverbrecher 
wurde  Geistesstörung  oder  Epilepsie  bei  Familienangehörigen  41mal  angegeben 
(gewiss  noch  öfter  vorhanden).  Im  Einzelnen  fand  sich  bei  23  ^/^  keine  erbüche 
Belastung;  bei  15  ^/^  war  in  der  Familie  Nervosität,  Selbstmord,  Verbrechen  oder 
Trunksucht  nachweisbar;  bei  21  ^/^  zweifellos  Geistes-  und  Nervenleiden  bei  Ge- 
schwistern und  andern  Famüiengliedem;  bei  40^/0  in  der  directen  Ascendenz 
Geistesstörung  oder  Epilepsiel  —  Vorhergegangene  Kopfverletzungen  lagen 
häufig  vor.  Im  Ganzen  fand  M.,  dass  von  74  jetzt  geisteskranken  gewohnheits- 
mässigen Eigenthumsverbrechem  von  jeher  (d.  h.  schon  vor  den  Strafthaten)  geistig 
abnorm  waren  28,  bedenklich  in  dieser  Hinsicht  (d.  h.  mit  geistigen  Abnormi- 
täten massigeren  Grades)  18,  ohne  nachweisbare  frühere  Abnormität  28. 


—     182    — 

An  der  Hand  der  Ergebnisse  vorstehender  mid  ähnlicher  Untersnchnngen  be- 
spricht M.  sodann  die  ,,Pe8tstellang  des  Geisteszustandes*',  and  beklagt,  dass 
bei  Gericht  zn  oft  die  Frage  nach  der  Geistesbeschaffenheit  des  Angeklagten  gar 
nicht  aufgeworfen  wird;  wurde  —  in  M/s  Fällen  —  der  ärztliche  Sachverständige 
überhaupt  zugezogen,  so  wurde  auch  eine  genflgende  Aufklärung  gewonnen. 

In  Abschnitt  IV:  „Ueber  Simulation  von  Geistesstörung"  tbeilt  Verf. 
eine  Reihe  höchst  interessanter  Fälle  mit;  er  constatirt,  dass  zwar  bei  einer  Anzahl 
von  Personen  auch  wirkliche  Sachverständige  sich  insofern  irrten,  als  sie  entweder 
Simulation  fökchllch  angenommen,  oder  das  Bestehen  einer  Geistesstörung  neben 
Simulation  Obersehen  haben,  dass  aber  in  keinem  einzigen  Falle,  in  welchem 
Geisteskrankheit  von  dem  Sachverständigen  behauptet  war,  sich  diese  als  Simulation 
erwiesen  hat. 

Besondere  Beachtung  verdient  u.  E.  der  letzte  Abschnitt,  Aber  die  Behand- 
lung und  Unterbringung  geistesgestörter  Verbrecher.  Leider  verbietet 
uns  der  Baum  ein  genflgendes  Eingehen  auf  die  Auseinandersetzungen  des  Verf.,  die 
uns  doppelt  werthvoll  erscheinen,  weil  sie  einerseits  überall  auf  eigener  reicher  Er- 
fahrung beruhen,  andererseits  sowohl  einer  echten  Humanität  wie  den  Erfordernissen 
der  Praxis  Rechnung  tragen.  —  Nach  einer  kurzen  Darlegung  der  betreffenden  Ver- 
hältnisse im  Auslande  und  der  Entwickelung,  welche  dieselben  bisher  in  Deutschland 
durchgemacht  haben,  giebt  die  Besprechung  der  Gründe,  welche  gegen  eine  Aufnahme 
der  irren  Verbrecher  in  die  IrrenauHtalten  vorgebracht  werden,  M.  Gelegenheit,  sich 
über  die  zahlreichen  Entweichungen  auszulassen,  die  früher  in  Dalidorf  vorkamen; 
sie  betrafen  fast  ausschliesslich  die  gewohnheitsmässigen  Eigenthumsverbrecher. 

Bei  entsprechenden  baulichen  Einrichtungen,  Sorge  f&r  gutes  Personal,  für 
passende  Beschäftigung  der  Kranken,  erziehlicher  und  unterhaltender  Art;  bei  rich- 
tiger Vertheilung  der  Patienten,  besonders  in  isolirte  Schlafräume  ist  man  in  Dall- 
dorf  nicht  nur  ganz  gut  ausgekommen  mit  diesen  verbrecherischen  Irren,  sondern 
hat  sie  z..  Th.  sogar,  nach  langer  Behandlung  in  der  Anstalt,  entlassen  (4  Kranke) 
oder  in  die  gewöhnlichen  Abtheilungen  verlegen  können  (7  Kranke).  —  M.  hält 
indess  besondere  Abtheilnngen  für  die  betreffenden  Kranken  für  besser,  als  ihre 
Unterbringung  in  die  Abtheilung  für  unruhige  und  gefährliche  Kranke,  was  Sander 
für  genügend  erklärt.  —  Den  Streit  über  die  Frage,  ob  irre  Verbrecher  in  besondere 
Anstalten,  ob  in  Annexe  an  die  Strafanstalten,  ob  einfach  in  die  Lazarethe  derselben 
u.  s.  w.  verlegt  werden  sollen,  hält  M.  mit  vielen  anderen  Aerzten  (z.  B.  Mendel, 
Sander,  Baer)  für  nicht  so  wichtig,  wie  die  Herstellung  einer  erhöhten  psychiatrischen 
Bildung  der  Gef&ngnissärzte,  um  bessere  und  schnellere  —  rechtzeitige  —  Fürsorge 
für  geisteskranke  Gefangene  zu  erreichen. 

Zum  Schluss  bringt  der  Verf.  einen  neuen  beachtenswerthen  Vorschlag:  wenn 
schon  die  geminderte  Zurechnungsfähigkeit  bei  der  Strafabmessung  im  Strafgesetz- 
buch nicht  zugelassen  sei,  so  soUe  man  doch  wenigstens  beim  Strafvollzuge  auf 
gemindert  Zurechnungsflihige  Bücksicht  nehmen.  Und  da  Prophylaxe  auch  auf 
diesem  Gebiete  in  erster  Linie  stehen  muss,  so  könne  man  hier  und  zwar  besonders 
iu  den  Fällen  der  gewohnheitsmässigen  Eigenthumsverbrecher,  die  meistens  schon  in 
jugendlichem  Alter  der  Verurtheilung  anheimfallen,  dadurch  ihrer  wdteren  traurigen 
Entwickelung  entgegenarbeiten,  wenn  man  sie,  ähnlich  wie  strafl&llige  Kinder  unter 
12  Jahren,  in  Besserungsanstalten  verwiese  (bis  zum  20.  Jahre),  auch  nach  ab- 
gebüsster  Strafe;  während  man  jetzt  nur  jugendliche  Freigesprochene  von 
12 — 18  Jahren,  die  wegen  mangelnder  Einsicht  straffrei  blieben,  so  behandele.  So 
könne  man  diese  meist  schwachsinnigen  Menschen  vor  Rückfällen  bewahren. 

Der  reiche  Inhalt  des  Moeli'schen  Buches,  den  wir  hier  nur  kurz  skizziren 
konnten,  rechtfertigt  den  Wunsch  und  die  Erwartung,  dass  es  recht  viele  Leser 
Anden  möge.  Hadlich. 


—     188    — 


Compendium  der  geriohtlioben  Medioin,   von» Dr.  P.  Guder.     (Leipzig  1887. 
Ambr.  Abel.) 

Das  vorliegende  Compendium  will  eine  gedrängte  Uebersicbt  des  Materials  sein, 
über  welches  der  Gtorichtsarzt  verfdgen  soll;  es  soll  ,,als  ein  Leitfaden  fflr  den 
Studirenden,  als  Mittel  za  schneller  Orientirung  fflr  den  praktischen  Arzt  und  als 
Bepetitorinm  für  den  Physicats-Candidaten"  dienen.  In  Ansehung  des  letzteren 
Zweckes  ist  das  Buch  vornehmlich  für  preussische  Examenverbältnisse  zugeschnitten. 

—  Der  Yerf.  hat  das  Material  mit  Fleiss  zusammengetragen  und  Qbersichtlicb  grup- 
pirt  Einige  kleinere  Irrthümer  und  manche  Härten  des  Ausdrucks  werden  bei  einer 
weiteren  Auflage  ausgemerzt  werden  müssen. 

Was  die  auf  100  Seiten  abgehandelte  gerichtliche  Psychopatboiogie  betrifft,  so 
sind  nach  Absolvirung  des  formellen  Theils  kurze  Beschreibungen  der  klinischen 
Bilder  der  Geisteskrankheiten  gegeben,  insoweit  dieselben  für  den  (rerichtsarzt  be- 
sonderes Interesse  haben.  Unter  Benutzung  des  Eintheilungsprincips  der  Entwickelung 
der  Geisteskräfte,  wie  es  jetzt  die  meisten  Kliniker  anwenden,  werden  zunächst  die 
angeborenen  oder  in  der  Kindheit  bezw.  in  der  Zeit  der  Pubertätsentwickelung  er- 
worbenen Hemmungen  und. Entartungen  der  Psyche  besprochen.  Bei  den  Entartungs- 
zustanden  wie  beim  moralischen  Irresein  hätte  die  angeborene  bezw.  erworbene 
geistige  Schwäche  als  die  Grundlage  des  krankhaften  Zustandes  mehr  in  den 
Vordergrund  gestellt  werden  müssen,  anstatt  dass  der  alte  schiefe,  den  Gerichtsarzt 
verwirrende  Vergleich  von  der  Farbenblindheit  („Mangel  moralischen  Sinnes,  während 
die  Intelligenz  scheinbar  ganz  intact  oder  nur  wenig  gestört  erscheint'')  reproducirt 
wird.  Wh*  empfehlen  dem  Verf.  zur  Klärung  der  Anschauungen  bei  einer  Neubearbei- 
tung dieses  Oapitels  Binswanger^s  Vortrag  (Nr.  299  der  Volkmann'schen  Sammlung). 

—  Im  Weiteren  werden  die  Geistesstörungen  bei  vollentwickelten  Individuen  an  der 
Hand  der  üblichen  Krankheitsbilder  besprochen,  also  die  einfachen  primären  Psychosen, 
die  erworbenen  psychischen  Schwächezustände  und  die  complicirten  Geistesstörungen. 
Zu  den  letzteren  rechnet  der  Verf.  neben  den  auf  Neurosen  und  toxischen  Einwir- 
kungen beruhenden  Geistesstörungen  auch  die  auf  organischer  Gehimerkrankung  be- 
ruhenden. Ganz  mit  Becht;  .wesshalb  er  aber  die  Letzteren  nicht  hier,  sondern  bereits 
vorher,  unter:  primär  erworbene  geistige  Schwächezustände  bespricht,  dafür  liegt  wohl 
kein  anderer  Grund  vor  als  vielleicht  das  Bestreben,  auch  einige  selbstständige  Ab- 
ändMTingen  an  dem  üblichen  Schema  vorzunehmen.  —  Zum  Schluss  wird  noch  Einiges 
über  Bewnsstlosigkeit,  Taubstummheit,  Aphasie  gesagt. 

Im  Ganzen   ist   das    Buch  mit  Fleiss  und  praktischem  Blick  geschrieben.     Die 
Ausstattung  ist  eine  gefällige.  Siemens. 


y.  Vermischtes. 

Italienische  Anstalt  für  criminelle  Irre.  Bekanntlich  ist  im  Jahre  1886  eine 
Staataanstalt  fUr  criminelle  Irre  in  Italien  eröffnet  worden.  Bei  der  hervorragenden  Wichtig- 
kdt,  die  die  Frage  nach  der  besten  Unterbringung  derartiger  Individuen  augenblicklich  für 
sieh  in  Ansprach  nimmt,  sei  es  gestattet  aus  einem  Berichte  Ferri's  folgende  Daten  hier 
mitzutheilen. 

Im  Jahre  1884  beanftragte  der  verdienstvolle  Generaldirector  aller  Gefangnisse  Beitrau i- 
Scalia  den  Dr.  Ponti colli,  der  bereits  eine  Ackerbauoolonie  f&r  Sträflinge  geschaffen  hatte, 
das  unter  dem  Namen  Ambrogiana  bekannte  und  von  Francesco  III.  von  Medici  1586  er- 
baate  Schloss  bei  Montelupo  (25  Kilometer  von  Florenz)  für  eine  Criminalirrenanstalt  ein- 
zurichten. Da  das  Schloss  schon  seit  1855  zu  Detentionsz wecken  verschiedener  Art  benutzt 
worden  war,  so  konnte  die  neue  Anstalt  bereits  am  12.  Juni  1886  eröffnet  werden.  Sie  be- 
steht abgesehen  von  den  Yerwaltungs-  und  BeamtenwohngelNluden  aus  2  Hanptabtheilun^en, 
einer  ^^l^zione  giudiziaria"  für  zu  beobachtende  üntersuchungsgefangene  und  aus  emer 
„Schone  penale"  für  psychisch  erkrankte  Sträflinge;  die  erstere  enthält  52  Einzelzellen,  die 
andere  vermag  ca.  200  irre  Verbrecher  aufzunehmen  und  besitzt  für  aufgeregte  Patienten 
natüilieh  auch  einige  Zellen.  Zu  jeder  der  beiden  Abtheilungen  gehurt  ein  besonderes  Lazareth, 


—    184    — 

in  dem  das  ärztliche  Regime  einäg  herraeht,  während  auf  den  Abtheiliingen  selbst  eins  den 
Strafanstaltebestimmiiogen  entsprechende  Verpflegong  etc.  vorgeschrieben  isl  Das  Wart- 
personal  besteht  daher  ans  nnr  8  wirklichen  Kranken wiutem  nnd  ans  18  Anüsehem.  Die 
Beschäftigung  der  Insassen  scheint  sich  ansachliesslich  auf  Blumen«,  Gemflse-  nnd  Weinbau 
zu  erstrecken.  Eine  hohe  Mauer  umschliesst  die  ganze  Anstalt  (ob  auch  die  Gärten?);  trotz- 
dem ist  es  einem  Insassen  gelungen,  fiber  die  Mauer  zu  entkommen  und  sich  im  vorbei- 
fliessenden  Arno  zu  ertranken. 

Seit  der  ErMfhung  sind  aufgenommen  112  Personen,  von  denen  7  gestorben,  7  den  Ge- 
richten zur  weiteren  Veranlassung  übergeben  und  5  nach  Ablauf  ihrer  Strafzeit  in  andere 
Irrenanstalten  überfuhrt  worden  sind.  Zur  Zeit  des  Besuches  von  Ferri  befanden  sich  6  in 
der  üntersuchungs-  und  90  in  der  Strafabtheilung. 

Als  noch  zu  beseitigende  üebelstande  betrachtet  Ferri  die  Anwesenheit  der  Aufseher 
(an  Stelle  von  Krankenwärtern),  den  Mangel  absoluter  Selbstständigkeit  und  Autorität  des 
Directors  reep.  des  Arztes  und  das  Fehlen  der  (gewiss  nothwendigen)  Abtheilung  ffir  wegen 
Irrsinns  freigesprochene  Angeklagte. 

Dass  allcD  nicht  im  Lazareth  befindlichen  Insassen  die  übliche  Sträflingskost  gegeben 
wird,  und  ganz  besonders,  dass  die  Abbüssung  der  Strafe  unter  allen  Umständen  die  sofor- 
tige Entlassung  zur  Folge  haben  muss,  düiften  allerdings  noch  weitere  Uebelstände  sein, 
deren  Abschaffung  allerdings  auch  wieder  grosse  Bedenken  gegenüberstehen  würden. 

.  (Cfr.:  Manicomio  criminale  di  Montelupo,  im  Arohivio  di  Psichiatria,  Scienze  penaU  ed 
Antropologia  crimin.  1887.  YIII.  p.  523.)  Sommer. 


Chastaing  und  Barillot  haben  aus  dem  Morphium  einen  Körper  C,qH,,N,04  dar- 
gestellt, den  sie  „Morphiumblau"  nennen.  Seine  Krjstalle  sind  roth  im  durchscheinenden, 
blau  im  auffallenden  Lioht  und  lösen  sich  leicht  in  Aether  und  Chloroform,  in  letzterem  zu 
einer  blauen  Flüssigkeit.  Morphinmblau  entsteht  durch  eine  langsame  Oxydation  aus  allen 
den  Morphiumdcrivaten,  welche  sich  bei  Einwirkung  von  Oxalsäure,  Bemsteinsäure  u.  a.  in 
Gegenwart  von  Schwefelsäure  aus  Morphium  bilden.  Diese  Entstehung  von  Morphiumblau 
ist  ein  ausserordentlich  feines  Reagens  auf  Morphium  auch  in  Gegenwart  organischer  Sub- 
stanzen.   (Comptes  rendus.  1887.  Nr.  21.)  Th.  Ziehen. 


•Langender ff  hatte  an  Fröschen,  bei  welchen  er  mit  Strychnin  Glycosurie  erzeugt 
hatte,  einen  sehr  geringen  Glycogengehalt  der  Leber  gefunden,  woraus  sich  eine  wesentliche 
Betheiligung  des  Leberglycogens  am  Strvchnindiabetes  ergebt.  Für  die  experimentelle  Curare- 
Glycosurie  zeigt  L.  das  Gegentheil.  Dieselbe  tritt  auch  ein.  nach  Exstirpation  der  Leber. 
Der  Piqürediabetes  verhält  sich  wie  der  Stryohnindiabetes;  hingegen  kommt  der  Fhloridzin- 
diabetes  auch  bei  enüeberten  Fröschen  wie  der  Curarediabetes  zu  Stande.  (Arch.  f.  Anat. 
u.  Physiol.   1887.  Physiol.  Abth.  H.  1  u.  2.)  Th.  Ziehen. 


Preisaufgaben. 


Das  „Reale  Istituto  liombardo  di  scienze  e  lettere''  in  Muland  stellt  folgende  Preis- 
anfgaben  *. 

1.  Geschichte  des  Hypnotismus,   kritische  Studien  mit  eigenen  Versuchen.    Termin: 
80.  April  1889.    Preis:  1500  fr.  und  goldene  Medaille  im  Werthe  von  500  fr. 

2.  Eine   makro-  oder  mikroskopisch-anatomische  Untersuchung   über   einen  Theil   des 
menschlichen  Gehirns.    Termin:  1.  Juni  1889.    Preis:  2000  fr. 

3.  Untersuchungen   über  die   Entwickelungsgeschichte  des  Nervensystems  oder  eines 
Theiles  desselben  bei  den  Säugethieren.    Termin:  80.  April  1889.    Preis:  2000  fr. 

4.  Historisch-kritische  ^udie  über  die  Veröffentlichungen  des  menschlichen  Craninm 
seit  Gall.    Termin:  1.  Juni  1888.    Preis:  2000  fr. 


Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 


Einsendungen  für  die  Redaction  sind  zu  richten  an  Prol  Dr. E.Mendel, 

Berlin,  NW.  Schiffbauerdamm  20. 


Verlag  von  Vbit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzobb  &  Wittig  in  Leipzig. 


Neurologisches  CENTRALBLAn. 

'  s 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  toh 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebentor  ■»  ^^^  Jahrgang* 

Monatlich  eTBcheineii  zwei  Nnmmern.  Preis  des  Jahrganges  20  Mark.  Zn  beziehet  dorch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  nnd  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deatschen  Beichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbnchhandlang. 

1888,  1.  ^ril.  mY, 

Inhalt  I.  Origlnalmlttbeflung.  Zur  therapeutischen  Verwerthung  der  Hypnoe^  von 
Dr.  ■•  Noime. 

IL  Referate*  Pathologie  des  Nervensystems.  1.  Des  anösthMes  hTst^ques,  par 
PHres.  2.  Zur  Charakteristik  der  Hysterie,  Yon  Resenthal.  8.  Contributo  alla  diagnod  ed 
alla  cura  delle  paralisi  isteriche,  del  Lumbroso.  4.  Etüde  sur  une  forme  particuli^re  ae  d^lire 
hyst^qoe,  par  Blanc-Fontenllle.  5.  Arthralgie  hTstdro-tranmatique  du  geoou,  par  Charcet. 
6.  Contribution  k  Thiatoire  des  monoplägies  partielles  du  membre  sup^rienr,  d'origine  hyst^ro* 
traumati^e.  par  Rendu.  7.  Gase  of  nysterical  tremor  and  contractures,  von  Ormerod.  8.  Gase 
of  hystencal  hyperpyrexia»  von  Giemen.  9.  Contribution  a  Tötnde  de  ThTst^rie  chez  IHiomme. 
Troubles  de  la  sendbüit^  chez  les  orientaux.  Les  Aissana,  par  Lucu-ClianipionniAre.  10.  Hysterie 
et  syphiUs:  De  Pinfluence  d'une  maladie  ou  d'nne  inWication  anterieure  sur  le  mode  de 
locafisation  et  sur  la  forme  des  aocidents  hyst^riques,  par  Charcof.  11.  Hypnotismus,  von 
Preyer  und  Bknwanger.  12.  La  Suggestion  mentale  et  Faction  k  distance  des  substances 
toxiquee  et  m^dioamentenses,  par  Bourru  et  BureL  18.  Les  ^motions  ches  les  siriets  m  ^tat 
dliypnotume,  par  üiya.  14.  Einige  therapeutische  Versuche  mit  dem  Hypnotismus  bei  Geistes* 
kraiilen«  von  Forel.  15.  Einige  Bemerkungen  über  den  ^ogenwärtigen  Stand  des  Hypnoiaa- 
mus  nebst  eignen  Erfahrungen,  von  Forel.  16.  MittheiluDgen  Über  Hypnotismus  aus  der 
akandinaTischen  litterator.   17.  Histoire  d'une  hystärique  hypnotisable,  par  Grasset  et  Brousie. 

18.  Spasmo  esafisgeo  in  giovinetto  isterico  guanto  coUa  suggestione  ipnotica,  del  Söaravelll. 

19.  Du  traitement  de  l'am^Dorrhäe  par  la  Suggestion  hypnotique,  par  Vetein.  20.  Attaques 
d^yst^ro-epile^sie  suppximdee  par  Suggestion  hypnetique,  par  Seliler.  21.  Die  Bolle  der 
Suggestion  bei  gewissen  Erscheinungen  der  Hysterie  und  des  Hypnotismus,  von  HUeliel. 
22.  Ueber  Hypnotismus,  von  v.  KrafH-EbIng.    28.  L'hypnotisme  et  la  m^deoine  legale,  par 

iU.  Aus  den  GeseUschaften. 
IV.  Vemlscbtes. 


I.  OriginalinittlieilTmgen. 


Zur  therapentischen  Verwerthung  der  Hypnose. 

Von  Dr.  K.  Nonne,  Assistenzarzt^   . 
Ans  dem  aUgemeinen  Krankenhause  zu  Hamburg. 
(Abtheünng  des  Herrn  Dr.  Eisenlohb) 

Wahrend  die  therapeutische  Verwerthung  des  Hypnotismus  und  der  Sug- 
gestion bisher  nur  in  Frankreich  geübt  wurde  —  einen  guten  Ueberblick  über 

*  Nach  einem  Vortrag  mit  ErankeuTorsteUung  im  ärztlichen  Verein  am  24.  Jan.  1888. 

12 


—     186    — 

die  mannigfache  und  oft  erfolgieiche  Anwendnng  der  Methode  bekommt  man 
bei  der  Leetüre  der  erst  neuerdings  von  Qbbbsteineb^  yeröfifenüichten  Zusammen- 
stellung —  hat  der  letzte  Sommer  auch  aus  Deutschland  drei  einschlägige  Falle 
gebracht;  Mendel,'  SpEBUNa'  und  SchuiiZ^  hatten  Besultate  erzielt,  die  sie 
der  Anwendung  der  Hypnose  und  Suggestion  zuschrieben.  Die  Fälle  sind  den 
Lesern  dieses  Blattes  noch  in  frischer  Erinnerung.  Seither  ist  aber  die  Frage, 
ob  die  in  Deutschland  neue  Methode  einer  weiteren  Pfi^  werth  ist,  wiederholt 
besprochen  worden.  Dass  man  dem  Vortrage  Moll's  g^enüber  in  Berlin  eine 
vorwiegend  abweisende  Haltung  einnahm,  ist  bekannt,  ebenso,  dass  sich  Bikb- 
WANOEB  und  Andere  in  Wiesbaden  im  Frühjahr  1887  im  Grossen  und  Ganzen 
ablehnend  verhielten;  inzwischen  war  die  Methode  durch  referirende  Aufeatze  in 
verbreiteten  Blättern®  dem  grösseren  äiztlichen  Publikum  bekannt  geworden, 
in  alleijüngster  Zeit  findet  sie  in  Fobel  wieder  einen  Yerfechter;^  besonders 
sucht  letzterer  auf  Grund  eigener  Erfahrungen  die  Einwände  Menbel's  und 
EwaiiD's  zu  entkräften. 

In  einer  Frage,  die  immerhin  noch  so  wenig  spruchreif  ist,  ist  die  Mit- 
theüung  einer  genauen  und  vorurtheilsfreien  Beobachtung  wohl  berechtigt  Der 
Patient,  dessen  Krankengeschichte  hier  mitgetheilt  werden  soll,  befiemd  sich  von 
Anfang  Mai  1887  bis  zu  den  ersten  Tagen  des  Januar  1888  auf  Herrn  Dr. 
EisENiiOHB's  Abtheilung  im  hiesigen  allgemeinen  Erankenhause. 

Gideon  Knabe,  29  Jahre  alt,  Schriftsetzer.  Die  Eltern  sind  angeblich  nicht 
neuropathiscb,  Pat.  hat  16  Geschwister,  von  denen  nur  eine  Schwester  an  Phthisis 
pulmon.  starb;  die  übrigen  sind  gesund  und  leiden  speciell  nicht  an  Nervenkrank- 
heiten. Pat.  litt  als  kleines  Kind  nicht  an  Krämpfen,  war  im  Wesentlichen  immer 
gesund,  auch  kräftig.  In  seinem  siebenten  Jahre  bekam  er  unter  Krampf-Erschei- 
nungen ziemlich  rasch  eine  vollkommene  Lähmung  aller  Extremitäten  mit  Contrac- 
turen,  die  später  auch  auf  die  Halsmuskeln  übergingen;  auch  Verlust  der  Sprache 
und  des  GehOrs  stellte  sich  damals  ein;  ebenso  war  das  Geftlhl  wesentlich  beeinträchtigt; 
diese  Lähmung  dauerte  bis  zum  13.  Jahre;  dann  kam  die  Motilität  während  einer 
elektrischen  Behandlung,  und  zwar  recht  rasch,  wieder;  an  einem  Abend  wurde  er 
zum  Galyanisiren  zum  Arzt  getragen,  und  während  der  Sitzung  bekam  er  den  Ge- 
brauch seiner  Glieder  wieder;  auch  Sprache,  GehOr  und  Senmbilität  stellte  sich 
rasch  wieder  her.  Seitdem  im  Wesentlichen  gesund;  vor  7  Jahren  eine  Attacke  von 
Bleikolik,  die  spontan  vorftberging;  keine  Lähmungen;  seitdem  keine  Krankheits- 
erscheinungen. 

Am  25.  Mai  1883  stellte  sich  nun  plötzlich,  ohne  irgend  welche  Vorboten,  ein 
Taubheitsgefühl  in  den  Endgliedern  der  Finger  ein;  diese  Farästhesien  breiteten  sich 
am  nächsten  Tage  nach  oben  über  den  Vorderarm  und  das  Ellenbogengelenk  aus; 
die  Hand  wurde  vOllig  gelähmt,  während  der  Arm  noch  beweglich  blieb;  einige  Zeit 
später  auch   Farästhesien   im   rechten  Bein,   ohne   eigentliche  Schwäche.    Dagegen 


*  Elmische  Zeit-  und  Streitfragen.  Bd.  L  H.  2. 

*  Neurolog.  Ctrlbl.  1887.  Nr.  18. 

*  Dentache  Medioinalzeitg.  1887.  Nr.  84. 

*  Neurolog.  Ctrlbl.  1887.  Nr.  22. 
»  BerL  klin.  W.  1887.  Nr.  40. 

*  Münch.  med.  W.  1887.  Nr.  84.  —  Berl.  klin.  W.  1887.  Nr.  46. 
'  Münch.  med.  W.  1888.  Nr.  4. 


—    187    — 

öfter  Anfälle  von  Schwindel,  wodurch  Unsicherheit  beim  Gehen.  —  Lnes  nnd  Abusus 
spintos  ist  ansznschliessen. 

Am  4.  Juni  1883  constatirte  Dr.  Eissnlohb  bei  dem  etwas  anämischen,  sonst 
ganz  gut  genährten  Manne  betreff  sämmtlicher  Gehirn -Nerven,  der  Sprache, 
Intelligenz  nnd  Psyche  keine  Anomalie. 

Pupillen  in  jeder  Beziehung  normal. 

Die  rechte  Hand  nnd  ihre  Finger  waren  vOUig  gelähmt,  die  Bewegpmgen 
im  rechten  Ellenbogengelenk  nur  mit  Terminderter  Erafl^  im  rechten  Schulter- 
gelenk mit  normaler  Kraft  möglich.  Die  linke  obere  Extremität  vollkommen  frei; 
ebenso  beide  untere  Extremitäten.  Gehen  und  Stehen  ganz  intact,  auch  bei 
Angenschluss. 

Die  Haut-  und  Sehnenreflexe  waren  rechts  eher  etwas  herabgesetzt  gegen 
links.    Beflexerregbarkeit  des  Gaumens  und  Zungengrundes  sehr  beträchtlich. 

Die  Sensibilität  war  auf  der  ganzen  rechten  Körperhälfte,  vom  Scheitel  bis 
zu  den  Zehen,  mehr  oder  weniger  herabgesetzt  gegen  Tast-,  Schmerz-,  Temperatur- 
Ebdrflcke  und  den  faradischen  Strom;  am  stärksten  ist  die  Herabsetzung  am  peri- 
pherischen Abschnitt  der  rechten  oberen  Extremität  und  am  rechten  Knie.  Die 
halbseitige  Sensibilitätsstörung  erstreckt  sich  auch  auf  die  Schleimhaut  der  Nase,  der 
Ober-  und  Unterlippe^  das  äussere  Ohr,  die  rechte  Zungenhälfte,  den  weichen  Gaumen. 
GefOhl  für  passive  Stellungsveränderungen  der  rechten  Hand  und  des  rechten 
Vorderanns  absolut  erloschen,  fQr  passive  Bewegungen  in  der  rechten  Schulter  er- 
halten, fOr  die  rechte  untere  Extremität  erhalten. 

Das  Gehör  ist  rechts  erheblich  herabgesetzt 

Das  rechte  Auge  ermüdet  sehr  rasch,  die  Buchstaben  verschwimmen  dann 
beim  Lesen;  Farben  werden  links  richtig  erkannt,  rechts  hält  er  roth  für  braun, 
hochgradige  concentrische  Einei^ng  des  GMchtsMdes  rechts,  links  Grenzen  für 
weiss  normal,  für  die  Farben  ziemlich  hochgradig  verengt. 

Geruch  rechts  sehr  stark  herabgesetzt  (Aether,  aq.  carbolis). 

Geschmack,  mit  dem  galvanischen  Strom  geprüft,  erglebt  auf  der  rechten 
Seite  Aufhebung  der  G^chmacks-Beaction. 

Pereussion  des  Schädels  nirgends  empfindlich. 

Die  faradische  und  galvanische  Erregbarkeit  der  Nerven  und  Muskeln 
der  rechten  obem  Extremität  bietet  weder  quantitative  noch  qualitative  Anomalien. 

Diagnostisch  schien  die  Annahme  einer  organischen  Läsion  der  linken  Grosshim- 
hälfte  mit  Betheiligung  des  hinteren  Theils  der  inneren  Kapsel,  auf  Basis  von  satur- 
ninen Gefässveränderungen,  die  grösste  Wahrscheinlichkeit  für  sich  zu  haben. 

Eine  Woche  später  wurde  eine  deutliche,  wenngleich  nicht  hochgradige,  Herab- 
setzung der  indirecten  faradischen  und  galvanischen  Erregbarkeit  fOr  die  rechte 
obere  Extremität  constatirt 

Es  traten  tn  den  nächsten  Tagen  erhebliche,  bohrende  Schmerzen  im  rechten 
Bein  auf,  die  in  der  Nacht  zum  18.  Juni  besonders  heftig  waren. 

Am  Morgen  des  18.  Juni  bestand  eine  Lähmung  des  rechten  Beins.  Bei  der 
Untersachong  war  ausser  der  completen  motorischen  Lähmung  keine  Yeränderung 
des  Status  zu  constatiren  (s.  o.). 

Diese  Lähmung  bestand  mehrere  Monate  und  ging  dann  langsam  wieder  zurück, 
während  die  Lähmung  der  oberen  rechten  Extremität  bestehen  blieb. 

September  1885  (nach  2V4  Jahr).    Die  Lähmung  der  rechten  unteren  Ex^ 
tromität  ist  zurückgegangen,  auch  keine  Schwäche  mehr  zurückgeblieben;   dagegen 
besteht  noch  völlige  Lähmung  der  rechten  Hand  und  des  rechten  Arms  mit  voU- 
kommen  schlaffem  Charakter. 

Patient  war  nim  in  den  letzten  Jahren  immer  gesund,  hatte  speciell  gar 
keine  nervösen  Symptome.    Vor  9  Tagen  machte  er  gegen  Abend  einen  circa 

12* 


Kg.  1. 


—     188    — 

emstAndigen  Spazierguig,  wobei  «r  ä<^  „Ywätätbi  etwas  übwaBitzengte";  one 
sonstige  physische  oder  psychische  Uisache  fär  seme  Erkiwi^img  ist  iiaa  mniii 
bekannt;  am  selben  At)end  stellte  sich  Kribbeln  in  beiden  F^sen  tmd  'Sehen 
ein;  im  Bett  traten  dorchsohiessende  Schnenep  iji  den  Unterschenkeln  (l?^; 
am  nächsten  Morgen  waren  Füsse  and  3etne  boohgndig  |»retisch,  und  noch 
im  Laofe  des  (Tages  tnldete  ach  eine  faM  eomplete  Faraplegie  aus;  dabei  absolut 
kcöne  Sphincteren- Erschänni^en;  keine  KUckenschmerflen,  keine  motiuiBeheB 
Reizeischeinnogen,  kein  'Fieber.  AppeUt  ist  seither  schlecht,  sonst  bestehen  keine 
AUgemein-Stömngen. 
Status  praeaens: 

Falinit  «twas  BnatniaDh,  gut  {lenfihrt;  knn  Blaisanm. 

Innere  Organ«  ohufl  nsiAwsiafaare  AiuHnalia,  apeciall  Herz  und  Urin  nonnaL 
Beeilte  obere  ExtremitU: 

Bewegungen  im  Baulgdenk  und  Fingern  absolnt   angehoben,   im   EUenbefpen- 
gelenk  fiengang  za  ca.  120'*  mßglieh,  ohne  j*de  £raft,  im  Scbaltngeleak  eine  Spur 

von  Hebung  des  Anne  mO^c^ 
Utah  obne  jadfi  Kraft,  Adduc- 
ÜOD  und  Botation  dea  Anna 
nioht  mSglicfa. 

Tficepsreflez       rechts 
sehr  «cbnch,  links  nninaL 
Vorderarm reflez  rechts 
fehlend,  links  schwach. 

Seosibilttät  anderganien 
ExtremitU  fOr  Stdimers-  imd 
Temperatur  -  Applicationen  in 
gmingem,  aber  dooh  recht 
deoUichem  Grade  abgeetnmpft, 
vom  Handgelenk  abw&rte  hoch- 
gradig geschw&oht. 

Ebenso  besieht  derselbe  Grad 
von  äyperäatheaie  fBr  alle 
Qaalitaten  der  SenaibilitU  an 
Xopf,  Gesicht,  Hals,  Nacken, 
Bfioken,  Brost,  Abdomen,  Aber* 
all  bis  znrlle^anlinie  reiidiend; 
anf  d«i  Schleimh&nten  ist  die 
Senaibilitftt  nicht  mit  fficher- 
helt  herabgesetet. 

An  den  Gebirnnerv^n  ist 
keine  einiige  sichere  Anomalie 
zn  constatiren. 
Die  Pupillen  sind  in  jeder  Beuehnng  gans  normal.   Die  eensoriscben  Func- 
tionen sind  rechts  wie  links  intaet 

Das  Gesichtsfeld  fllr  eine  grobe  Untersnchung  nicht  eingeengt.  Fubensiiui  intaet. 
Ophthalmoskopisch  wird  oonstatirtr  Beide  Papillen  etwas  g«4thet,  Orenian  der 
Fspille  flberall  scharf,  Qeffisse  von  nonoaler  Weite,  Adventiaa  als  breiter,  glftnieoder 
Streifen  zn  erkenuen. 

Untere  Extremitäten: 

Complete  motorische  Paraplegie;    nnr   noch   ganz   minimale   Dorsalflexion    der 
linken  grossen  Zelle  und  des  linken  Fnasgelwka  ist  mOglicb. 


Mai. 


An  den  hellBchrafOxten  Partiep  «iad  die  erwftlmteii 

QnalitUen  der  Sensibilität  mäsai^,  an  den  dnnklen 

Partien  sehr  ilwk  beraDj^etzt. 


—    IS»    — 

86&8ibilii&t  am  ganBen*  UntersQkenkaL'  be&dArseitB:  heiabgBsetet  f&r  UnteisGllei*' 
duDg  Yon  spitz  und  stomp^  Schmerz-lppliGiitioii  nad  Traipeniiiur-UBtersehiede;  feine 
fiertthnuigen  werden  gefiUilt  und  richtig  localisirt;  paesive  Stellangsyerändenmgen 
der  Gelenke  werden  ^t  erkannt  An  den  Oberschenkeln  und  fassen  ist  beiderseits 
die  Sensibilität  in  allen  QüaÜtät^n  itttäct  geblieben^  (s.  %.  t), 

Aie  EiftremitMeii'  sind  absolut  ^tUkVatt,  ohne  eine  Spnk*  ton  Spannung  bei  passiven 
Bevr^giUigeB. 

Pi^teilar-Befle»  beideraeits  sehr  lebhaft»  zftwe^n  aum  Fatellar-'Cloniis  ge- 
steigert 

Achilles-Clonns  beiderseits. 

Addnctoren-Beflex  beiderseits  lebhaft 

Plantar-      | 

Cremaster-  >  Reflex  normal. 

Bauch-       j 

Die  passiven  Bewegungen  yerursachen  ziemlich  lebhafte  Schmerzen;  Druck 
auf  die  Gegend  der  grossen  Nervenstämme  sowie  auf  die  Waden-Musculatur 
beiderseits  ziemlidi  empfindlich. 

Die  Wirbelsäule  ist  etwas  druckempfindlich  von  B.-W.  VIII — X;  bei  activen 
mid  passiven  Bewegbngen  des  Bnmpfes,  welMie  durchaus  erMten-  sind,  treten  keine 
Schmerzen  auf. 

Sphincteren  ohne?  jede  Störung.    Bl&gends  trophische  Störungen« 

Ordination: 

Bettruhe,  Kai.  jodat  2,0  täglich. 

In  d«i  nächsten  Tagen  bestendeü  zieadich  heftige  spontane  Schmerzen  in 
den  Fnssgelenken  und  Unterschenkeln;  passive  Bewegungen  der  Gelenke  waren 
empfindlich;  eine  GfelenksafFeotion  konnte  mit  Sicherheit  ausgeschlossen  werden; 
niemals  Fieber. 

Eine  entschiedene  Hyperästhesie  bei  Berfihren  der  Ffisse  und  ünteiBchenkely 
weniger  der  Oberschenkel  blieb  in  den  nächsten  Tagen  constant^  doch  war  die- 
selbe jetzt  keineswegs  auf  die  Nervenstämme  beschränkt«  Nach  einer  weiteren 
Woche  hatten  die  spontanen  Schmerzen  aufgehört,  die  Hyperästhesie  bei  Be- 
röhmngen  war  nur  noch  gering.  Die  motorische  Paraplegle  war  jetzt  eine  totale; 
im  üebrigen  war  keine  Veränderung  eingetreten. 

Die  elektrische  Untersuchung  ergab  jetzt  (2V9  Wochen  nach  den» 
B^^  der  Lahmung)  für  beide  Stromesarten  normale  qjoantitative  und  qpaä-^ 
tative  Err^arkeit  für  Nerven  und  Muskeln. 

Die  Diagnose  war  eine  unsichere;  gegen  eine  acute  Myelitis  oder  eine 
irgend  umfiinglichere  Blutung  sprach  durchaus'  das  IVeibleiben  der  S^uncteren 
för  eine  peripherische  Affection  Hessen  sich  die  spontanen  Schmerzen  sewie  die 
Hyperästhesien  auf  Druck  und  bei  passiven  Bewegungen  verwerthen;  die  Leb- 
haftigkeit der  Sehnenrefleze  war  kein  zwingend«  Beweis  g^en  diese  Abnahme, 
sdtdem  Stbümpell  und  Mömus  einschlägige  Fälle  veröffentlioht  haben.  Immer«» 
bin  war  doch  die  Rigidität  und  Hochgradigkeit  der  Lähmung  für  eine  peri* 
pheosche  Affection  eine  sehr  aufblleade.    Als  nach  mehr  ala  2  Woohea  die 


*  Bei  allen  späteren  Unteisnohungen  fand  aich  ebenfaUfr  nur  der  Sehmerz-  (darunter 
auch  das  tTnterBcheidnngBYennogen  f&r  Spitze  und  Knopf  der  Nadel  verstanden)  und  Temperatur- 
nM  heralbgesetzt. 


—     190     — 

elehtrische  Erregbarkeit  aber  sich  noch  alB  völlig  normal  erwies,  muaste  man 
den  Oedanken  an  eine  peripherifiche  Oenese  ganz  follen  lassen. 

Dag^n  konnte  wohl  an  kleine  —  miliare  —  Heerde  im  Anschlnss  an 
verbreitete  Gefässd^eneiaüoneo  im  Rückenmark  gedacht  werden,  wie  solche  ja 
in  einzelnen  Obductionsbefondeo  von  complicirteren  Bleilähmangen,  so  frfiber 
von  Monakow,  neaerdings  von  Yibbobi>i,  nad^wiesen  sind.  Der  c^thalmo- 
Bkopisohe  Befand  bot  för  diese  Annahme  eine  gewisse  StAtze.  Gerade  die  sicht- 
baren Gflfässverändenmgeu  des  Augenhintergrundes  schienen  auch  die  Annahme 


Fig.  2. 


einer  foucücnellen  Lähmung  zn 
verbieten,  obwohl  uds  die  Ansicht 
Chaboot'b,  dass  ein  Theil  der  Blei- 
lähmungen  und  Anästhesien  (spe- 
ciell  mit  centralem  Charakter)  als 
hysterische  an&ofossen  seien,  wohl 
bekannt  war. 

Points  de  fen  längs  der  Wirbel- 
sätile  blieben  ohne  Effect  anf  die 
motorische  Lähmoi^  der  Beine; 

eben  so  wenig  hatten  Seesalzbäder  und  Galvanisiren  des  Rückens  einen  Erfolg 
ao&Qweiaen;  auch  die  Sensibilitätsstörungen  waren  Mitte  Jnli  im  Wesentlichen 
noch  die  gleichen. 

Jetet  traten  aaoh  noch  ziemhch  heft^e,  anf  die  Tibien  beschränkte  Schmerzen 
aof;  dieselben  wurden  aach  empfindlich  auf  Druck,  ohne  dass  eine  locale  Ano- 


—    191    — 

malie  nachzaweisen  war;  dieselben  dauerten  ca.  1  Monat,  widerstanden  einer 
localen  Behandlung  und  verschwanden  von  selbst  wieder. 

Immer  noch  bestand  eine  erhebliche  Erhöhung  der  Sehnenreflexe  bei  voll- 
kommen schlaffer  Lähmung,  Fehlen  jeglicher  trophisoher  Störungen,  jeglichen 
Decubitus  und  jeghcher  Sphincteren-Erscheinungen;  Anfang  September  hatte 
sich  die  Senaibilitatsstörung  am  Unterschenkel  beiderseits  bis  auf  einen  schmalen 
Streifen  zur&ckgebildet;  dafSr  war  an  der  Aussenseite  der  Oberschenkel  beider- 
seits eine  deutliche  Oefahlsstörung  im  Verlauf  eines  schmalen  Streifens  aufge- 
treten (s.  flg.  2). 

Während  des  Septembers  bestanden  dumpfe  Schmerzen  über  den  Augen, 
Nebel-  und  Funkensehen,  ohne  dass  ophthalmoskopisch  von  spedalistischer  Seite 
eine  Erklärung  dafOr  gefunden  wurde.  Auch  tagliche  Faradisation  der  unteren 
Extiemitaten  während  des  ganzen  Septembers,  sowie  ca.  1  Monat  hindurch  dar- 
gereichte Strychnindosen,  beeinflussten  die  Lähmung  da:  Beine  nicht;  seit  An- 
fimg  September  konnte  Patient  auch  den  Ellenbogen  gar  nicht  mehr  beugen; 
eine  Aendenmg  des  objeotiyen  Beftindes  war  im  TJebrigen  an  der  rechten 
oberen  Extremität  nicht  eingetreten;  nur  eine  öfter  wiederholte  Untersuchung 
der  Sensibilität  (s.  Fig.  3)  ergab  jetzt  eine  überraschende  Veränderlichkeit  und 
Launenhaftigkeit  der  Verhältnisse  (s.  beistehende  Figuren).  Eine  jetzt  wieder- 
holte elektrische  Untersuchung  ergab  wieder  normale  Verhältnisse  fOr  beide 
Stromesarten. 

Jetzt  mussten  wir  aUerdings,  mit  Bücksicht  auf  den  gesammten  bisherigen 
Verlauf,  die  Diagnose  auf  eine  functionelle  Lähmung  und  Anästhesie 
steUen,  wobei  freilich  die  Möglichkeit  gleichzeitig  exisürender  organischer  Ver- 
änderungen nicht  ganz  aui^eschlossen  blieb  —  ein  Verhältniss,  wie  wir  es  aus 
den  Mittheilungen  von  Oppenheim  und  Thomsen,^  sowie  aus  eigenen  Beobach- 
taugen  kennen. 

Zu  derselben  Zeit  kam  uns  ein  Beferat  über  einen  Vortrag  Chabcot's'  zu 
Gresicht;  derselbe  hatte  mehrere  Kranke  mit  chronischem  Satumismus  vorgestellt, 
die  an  hysterischen  Lähmungen  litten;  sie  waren  geheilt  worden;  Ghabcot  hatte 
bei  dieser  (Gelegenheit  betont,  das  die  chronische  Bleivergiftung  den  Organismus 
zu  derglachen  Lähmungen  nach  seiner  Erfohrung  disponire.  Damals  kamen 
auch  die  Fälle  von  Mendel,  Schulz  und  SPEBLma  zu  unserer  Eenntniss,  die 
durch  Suggestion  in  der  Hypnose  therapeutische  Erfolge  erzielt  hatten. 

Ich  fing  dskher  nach  Zustimmung  meines  verehrten  Ghe&  an,  die  Hypnose 
bei  unserem  Patienten  zu  versuchen.  Schon  in  der  ersten  Sitzung  gelang  es 
mir,  durch  Fixirenlassen  eines  glänzenden  Metallknopfs  in  ca.  5  Minuten  einen 
massig  tiefen  Schlaf  zu  erzielen;  am  2.  Tage  ging  es  schon  schneller,  am  8.  Tage 
fiel  der  Kranke  schon  durch  Fixiren  meiner  Augen,  ebenso  durch  Hinhören 
auf  das  ücken  einer  Uhr  in  Schlaf.    Auch  durch  Suggestion  war  er  leicht  in 


^  Thohssn  und  Oppbvhbix.  Arch.  f.  Psych.  1SS4.  Bd.  XV.  H.  3  a.  8.  —  TnoMSBir. 
Areh.  £.  Psych.  1886.  Bd.  XVII.  üeber  das  Vorkommen  nnd  die  Bedentong  der  gemischten 
Anästhesie  bei  Geisteskranken. 

'  Bulletin  m^cü.  1887.  Nr.  25. 


—    192    — 

Schlaf  zu  veraetzen,  d.  b.  durch  die  jetzt  wohl  schon  als  allgemein  bekaimt 
vorauszusetzende  Methode,  dem  Kranken  die  Symptome  des  Ermüdens  und  Ein- 
schlafens zu  schildem;  schliesslich  bediente  ich  mich  ausschliesslich  dieeeor  Me- 
thode. TJebrigens  genägte  bei  dem  f&r  die  Hypnose  immer  empßngludier 
werdenden  Patienten  schon  nach  ca.  3  Wochen  ein  sanftes  Zudrücken  und  Bmben 
der  Augenlider,  sowie  der  Befehl:  ,,Schlafen  Sie^',  um  ihn  in  Lethargie  zu  Ter- 

setzen* 

Am  22.  September  suggurirte  ich  ihm  dann  zum  ersten  Male  in  der  Hyp- 
nose, er  werde  am  nächsten  Morgen,  wenn  ich  bei  der  Visite  an  sein  Bett  kirne, 
die  linke  grosse  Zehe  bewegen  können.  In  der  That  war  er  am  n&chsten 
Morgen  dazu  im  Stande;  jeden  Abend  nahm  ich  denn  eine  weitere  Zehe  vor, 
und  am  nächsten  Moigen  war  der  Erfolg  ein  prompter;  die  Dorsalflexion  des 
Fusses  gelang  nicht  gleich;  ich  wiederholte  die  Suggestion  noch  2  Abende,  und 
erst  am  Morgen  nach  der  8.  Suggestion  gelang  die  Bew^fung.  Ich  fOge  gleidi 
hier  hinzu,  dass  ich  zuweüen  dem  Patienten  vor  der  Hypnose  sagte,  was  er 
morgen  Früh  können  werde,  es  meistens  aber  nicht  that;  dadurdi  schien  mir 
ein  „psychischer^  oder  „moralischer^  Einfluss  ausgeschlossen  zu  sein.  Weitere 
Gontrolyersuche  werde  ich  später  noch  anführm. 

Ich  ging  nun  langsam  weiter;  die  Beugung  des  Knie's  setzte  mir  audi 
8  Tage  lang  Widerstand  entgegen,  während  die  Bewegungen  im  Huflgelenk 
schneller  erfolgten.  Nach  ca.  2  Wochen  war  Patient  zu  sämmtlichen  Bewegungen 
in  der  linken  unteren  Extremität  im  Stande;  die  rechte  Extremität,  die  ich 
bisher  bei  der  Suggestion  unberücksichtigt  gelassen  hatte,  war  noch  oomplet 
gelahmt,  und  alle  bei  der  Visite  an  den  Patienten  gerichteten  Aufforderungen, 
dieselbe  doch  jetzt  ebenso  zu  gebrauchen,  waren  erfolglos.  In  ung^hr  dem- 
selben Ablauf  kam  aber  auch  hier  die  Bewegungs-Möglichkeit  wieder,  als  ich 
dieselbe  Schritt  für  Schritt  vorgehende  Methode  für  diese  Extremität  anwandte. 
Nadi  ungefähr  6  Wochen  war  die  Lähmung  der  Beine,  Füsse  und  Zehen  ver- 
schwunden. Trotzdem  konnte  Patient  noch  nicht  stehen;  auch  wenn  ihn  zwei 
Wärter  hielten,  knickte  er  zusammen.  Nachdem  ihm  dann  in  einer  Sitzung 
auch  die  Möglichkeit  zu  stehen  suggerirt  war,  war  er  dazu  im  Stande;  ebenso 
konnte  er  erst  nach  einer  Suggestion  den  ersten  Schritt  ansetzen;  das  weitere 
Oehen  übte  er  sich  dann  selbst  ein;  ungefähr  2  Monate  nach  An&ng  dieser 
Behandlung  konnte  er  im  Saal  und  bald  im  Garten,  zuerst  noch  am  Stock, 
später  ohne  Stütze  spazieren  gehen. 

Schon  2  Wochen  vorher,  also  Ende  October,  fiand  sich,  dass  die  Sensi- 
bilität der  unteren  Extremitäten  für  sämmtliche  Qualitäten  normal 
geworden  war.  Die  Sehnenreflexe  waren  noch  sehr  lebhaft  Die  Sensibilitats- 
verhältnisse  boten  jetzt  folgendes  Bild  (s.  Fig.  4): 

Nach  dem  bisherigen  Erfolg  glaubten  wir  uns  nun  berechtigt,  auch  einen 
therapeutischen  Versuch  mit  der  rechten  oberen  Extremität,  die  nunmehr  seit 
5  Jahren  gelähmt  war  und  allen  bisherigen  Heilungs-Bemühungen  widerstanden 
hatte,  zu  machen;  die  Methode  sollte  zugleich  gewissermaassen  als  Prüfiätein 
dienen,  ob  die.Affection  des  Arms  auch  nur  eine  functionelle  sei. 


—    193    — 

loh  begann  in  derselben  Art  nnd  Weise,  dem  Patienten  znnfiehst  die  Beu- 
gting  dee  rechten  Zeigefingers  zn  soggeiiren;  es  trat  kein  Erfolg  ein,  auch 
nach  3  weiteren  Sitenngen  nicht;  eben  so  wenig  reagirten  zon&ohat  die  übiigen 
Fh^er.  Ich  probitte  es  darauf  mit  der  Flexion  des  EUenbc^ns,  von  dem  Ge- 
danken ao^eheDd,  daas  diese  Bew^tmg  bis  tot  wenigen  Monateo,  wenn  auch  in 
geringem  Grade,  wenigstens  noch  möglich  gewesen  war.  Und  nadi  der  ersten 
Stzong  gelang  ee  dem  Patienten,  den  M.  bioepa  etwas  anzuspannen;  er  brachte 
öne  ContraetioQ  des  HoeA^  allerdinga  noch  ohne  motorischen  Effect,  zu  Stande; 
aber  schon  nach  der  3.  Sitzni^  gelang  eine  schwache  Beugung  dee  Arms  im 
Ellenbogen,  die  dann  ohne  weitere  Nachhülfe  schnelle  Fortfichritte  machte; 
weniger  Widerstand  fand  idi  bei  der  Fionation  und  Supination  des  Yordaisims, 
edieÜiohere  MfUie  kostete  wieder  die  Dorsalflexion  der  Hand.  Jetit  machte  uüi 

Fig.  4. 


mich  wieder  an  die  Bew^piitgen  der  Finger,  and  nun  reagirten  dieselben  ganz 
pimnpt;  nat^  5  Sitzungen  war  Patient  im  Stande,  alle  6  Finger  zu  bew^n; 
nachdem  Patient  den  Daumen  flectiren  konnte,  kamen  die  anderen  Bew^^ongen 
des  Damnens  allmählich  von  selbst  zurück;  tod  den  Bewegungen  des  Anus  im 
Schultergelenk  suggerirte  ich  dem  Patienten  nur  die  Erhebong  bis  zur  Horizon- 
taten,  die  nach  2  SitEui^;ett  gelang;  alle  weiteren  Bewegungen  im  Schulter- 
gdeok  lernte  er  ebenfalls  spontan.  An  dieser  Stelle  will  ich  hinzufügen,  dass 
sämmtlicbe  Bewegungen,  ;renn  sie  zum  ersten  Male  gelangen,  nur  schwach  und 
sehr  wenig  ausgieb^f  ausfielen;  die  weitere  Uebung  wurde  dem  Patienten  selbst 
überlassen,  nnd  schon  nach  kazzer  Zeit  konnte  ich  mich  dann  von  den  &8t 
oder  ganz  noimaleB  Exoiusionen  der  Bew^nngen  überzeugen. 
(SohliiM  folgt) 


—    194    — 


n.   Referate. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

1)   Des  anösthäsies  hystäriqueB»   par  le  Dr.  A.  Fitres,  Professeur  ä  la  Facult^ 
de  M^decine  de  Bordeaux.  (Bordeaux  1888.  Imprimerie  G.  Goanooilhoa.    162  S.) 

Die  erste  seiner  9  Vorlesungen  beginnt  der  Verf.  mit  einem  historischen  Ueber- 
blick  über  die  einschlägige  Litteratur,  woran  sich  die  Eintheilnng  der  yerschiedenen 
Formen  der  Hautanästhesie  anschliesst.  Die  totale,  die  sich  auf  alle  Arten  der  Haut- 
sensibilität bezieht,  ist  complet,  wenn  die  stärksten  Beize  und  Erregungen  ebne  Wahr- 
nehmung und  Empfindung  erfolgen;  andem&lls  ist  sie  inoomplet  (Hypoästbesie). 

Zur  partiellen  Anästhesie  gehören ^  1.  die  Analgesie;  3.  Thermo^AnästheBie, 
3.  Anästhesie  mit  Thermo- Aesthesie;  4.  Elektro-Aesthesie;  5.  Anästhesie  mit  Elektro- 
Aesthesie.  Der  isolirte  Verlust  der  Tastempfindung,  Verzögerung  oder  Verdoppelung 
der  Empfindung,  falsche  Localisation  etc.  kommen  bei  Hysterie  nicht  vor,  dagegen 
oft;  bei  organischen  Läsionen  des  Bückenmarks  oder  der  peripherischen  Nerven.  Nur 
bei  Hysterie  findet  sich  die  „Alphalg^sie"  (aXq)^  und  aX^og),  eine  Form  der  Far- 
ästhesie,  bei  der  die  einfache  Berührung  mit  gewissen  Gegenständen  (Metallen,  Por- 
zellan etc.)  die  heftigsten  Schmerzen  henrorruffc,  während  Stechen,  Brennen  etc.  nicht 
empfunden  wird.  Die  Beflexe,  die  durch  Kitzebi  der  Haut  hervorgerufen  werden, 
fehlen  bei  der  hysterischen  Anästhesie;  nur  der  Bosenbach^sche  Bauchreflex  ist 
meist  vorhanden,  wenn  auch  zuweilen  auf  der  anästhetischen  Seite  abgeschwächt 
Femer  sind  die  organischen  Befiexe  (vasculäre  und  sekretorische)  und  der  sensitive 
FupiUarreflex  stets  erhalten.  Vesicatore,  Kälte,  Hitze  (Schweiss  und  Frostbeulen) 
wirken  auf  der  anästhetischen  Seite  ebenso,  wie  auf  der  gesunden.  Die  cardialen 
und  respiratorischen  Beflexe,  die  Erection  der  Brüste,  die  Erweiterung  der  Pupillen, 
treten  bei  Beizung  der  anästhetischen  Haut  auf,  ohne  dass  Schmerz  dabei  empfunden 
wird.  Charakteristisch  ist  die  Abwesenheit  subjectiver,  unangenehmer  Empfindungen 
und  Beschwerden  bei  der  hysterischen  Anästhesie,  von  der  die  Kranken  meist  nichts 
wissen.  Zugleich  mit  der  Anästhesie  bestehen  oft,  doch  nicht  immer:  Erniedrigung 
der  localen  Temperatur,  Verlangsamung  der  capillaren  Circulation,  veränderte  vaso- 
motorische Beaction  und  Muskelschwäche  an  den  anästhetischen  Stellen.  Häufig  sind 
die  Anästhesien  der  Schleimhäute  (Conjunctiva,  Zunge,  Pharynx,  Epiglottis,  Larynx, 
Nase,  äusserer  Gtohörgang,  Geschlechtsorgane,  Anus  etc.).  Die  Thermo-Anästhesie 
ist  selten,  die  andern  Arten  der  partiellen  Anästhesie  gar  nicht  auf  Schleimhäuten 
beobachtet;  wohl  aber  die  „Alphalgesie".  Auch  auf  den  anästhetischen  Schleimhaai- 
stellen  findet  man  Verlust  der  Beflexe  beim  Kitzeln  und  Erhaltung  der  organischen 
Beflexe.  Die  Kranken  haben  von  dieser  Anästhesie  meist  ebenso  wenig  Bewusstsein, 
als  von  der  ihrer  Haut.  Der  Verlust  des  Geschmacks  ist  sehr  häuflg,  und  zwar 
bald  total  und  überall,  bald  auf  gewisse  Stellen  und  gewisse  Geschmacksempfindungen 
beschränkt;  ebenso  oft  finden  sich  Geschmacksperversionen.  Seltner  ist  die  Anosmie. 
Der  Geschmack  wie  der  Geruch  kann  sowohl  auf  empfindenden  wie  auf  anästhetischen 
Schleimhautstellen  fehlen  resp.  vorhanden  sein.  Die  hysterische  Taubheit  ist  meist 
incomplet  und  auf  eine  Seite  beschränkt;  der  Binne'sche  Versuch  giebt  meist  posi- 
tive Besultate;  auch  am  Ohr  zeigt  sich  die  Unabhängigkeit  der  sensoriellen  An- 
ästhesie von  der  sensiblen  des  Trommelfells,  der  äussern  Schleimhaut  etc.  Totale 
und  complete  Blindheit  kommt  bei  Hysterie  zuweilen  plötzlich  und  vorübergehend 
vor;  häufiger  jedoch  tritt  die  hysterische  Amblyopie  mit  ihrem  bestimmten  Symptomen- 
complex  auf:  Achromatopsie  und  Dyschromatopsie  (complete  und  incomplete  chroma- 
tische Anästhesie),  concentrische  Einengung  des  Gesichtsfeldes,  centrales  Scotom, 
laterale    Hemianopie,   Abschwächung   der  Sehschärfe,   Asthenopie,   Accommodations- 


„    195    — 

st^noigen.  Unter  den  letzteren  ist  die  „Polyopie  monocalaire''  (Parinaud)  die 
h&o^SBle.  Ein  Gegenstand,  den  man  yertical  vor  das  Auge  h&lt^  wird  in  der  Nähe 
deatlidh  erkannt,  hei  langsamer  Entfenrnng  in  er.  10 — 20  cm  wird  er  doppelt  ge* 
sehen«  bei  noch  weiterer  Entfernung  dreifach  etc.  Oewöhnlich  sitzt  die  hysterische 
Amblyopie  unilateral  und  ist  mit  einigen  der-  angeführten  Symptome  combinirt.  Yerf. 
fUirt  noch  andere  SehstOmngen  an,  aus  denen  er  die  Multiplicität  der  percipirenden 
Sehcentren,  die  Unabhängigkeit  der  percipirenden  Gentren  bei  dem  monoculären  und 
binocol&ren  Sehen  zu  beweisen  sucht  Sodann  bespricht  er  die  Anästhesie  der  tieferen 
Gewebe  und  Eu^eweide  (Knochen,  Ligamente,  Nenrenstämme,  Muskeln  etc.).  In 
önem  Fälle  hysterischer  Anästhesie  beobachtete  er  auch  Duchenne*s  „Paralysie  de 
la  consdenoe  musculaire  ou  de  Taptitude  motrice  indipendante  de  la  vue'^  ein  Symp- 
tom, das  Verf.  nicht  als  directen  Effect  der  hysterischMi  Anästhesie  der  Muskeln 
ansieht^  sondern  als  eine  Form  motorischer  Paralyse  betrachtet  Das  Oeftthl  von 
der  Lage  unserer  Glieder,  das  bei  völliger  Anästhesie  der  Muskeln  und  Verlust  der 
Empfindung  von  der  Muskelthätigkeit  erhalten  sein  kann,  ist  bei  Hysterischen  ge* 
wohnlich  gestört,  wenn  die  Haut  und  die  Muskeln  der  Tiefe  insensibel  sind.  Das 
Epigastrium,  Ovarium  etc.  ist  bei  Hysterischen  gewöhnlich  unempfindlich.  In  5^/o 
der  Fälle  von  Hysterie  fehlt  jede  Störung  der  Sensibilität  Noch  seltener  ist  die 
Anästhesie  auf  einzehie  Punkte  der  Haut,  Schleimhaut  oder  Sinnesorgane  beschränkt 
In  90  %  finden  sich  vielfache  Störungen  in  der  Sensibilität  der  Haut,  Schleimhäute, 
Sinnesorgane^  tiefen  Gewebe.  Dabei  unterscheiden  wir:  die  allgemeine  Hautanästhesie 
m  20  ^/o>  die  hemilaterale  Anästhesie  in  45  ^/^  und  die  Anästhesie  in  disseminirten 
Inseln  in  25  ^/q.  Die  allgemeine  Hautanästhesie  ist  nicht  überall  gleich  stark,  hat 
mitunter  einzelne  intacte  Inseln  und  ist  mit  der  Anästhesie  einiger  Schleimhäute  und 
Sinnesoigane  verbunden.  Die  hemilaterale  Hautanästhesie  ist  die  häufigste  Form, 
wenn  anch  nicht  immer  die  Grenze  genau  eingehalten  ist^  und  nicht  alle  Stellen 
derselben  Seite  in  gleichem  Grade  anästhetisch  sind.  Die  Anästhesie  der  Schleim- 
häute und  Sinnesorgane  findet  sich  nicht  absolut  nur  auf  der  anästhetischen  Seite, 
sondein  nur  vorwiegend  auf  ihr.  Einen  reinen  Fall  der  classischen  sensitiv-senso- 
riellen  Hemianästhesie  hat  P.  in  Uebereinstimmung  mit  Thomsen  und  Oppenheim 
nie  beobachtet  Das  Gesichtsfeld  ist'  meist  auch  auf  der  nicht  anästhetischen  Seite 
ein  wenig  eingeengt;  das  Gehör  ist  oft  auf  beiden  Seiten  betheiligt  oder  frei;  uni- 
laterale Anästhesie  der  Larynxschleimhaut  kommt  nie  vor  etc.  Die  Anästhesie  in 
disseminirten  Inseln  erstreckt  sich  bald  auf  alle  Körpertheile,  bald  nur  auf  eine  Seite. 
Die  Inseln  liegen  zuweilen  symmetrisch,  haben  unregelmässige  Grenzen  und  keine 
Beziehung  zur  Vertheilung  der  sensiblen  Hautnerven,  noch  der  Gefässe.  Die  Hemi- 
anästhesie sitzt  häufiger  links  als  rechts.  Charakteristisch  fflr  die  hysterische  An- 
ästhesie ist  femer  ihr  brüskes  Auftreten  und  ihre  Veränderlichkeit,  theils  durch 
künstlich  hervorgerufene  Vorgänge  (wie  Faradisation,  Gkdvanisation,  mechanische  Vibra- 
tion, Berfkhrung  mit  bestimmten  Metallen,  Sinapismen  etc.).  Verf.  erzielte  diese  Ver- 
änderungen (temporäres  Schwinden  der  Anästhesie,  Transfert  etc.)  nicht  nur  durch 
feste,  sondern  auch  durch  flüssige  und  gasartige  Metalle  (flüssiges  Quecksilber  und 
Quecksilberdämpfe).  Bei  Versuchen  mit  4  andern  Gasen  (Sauerstoff,  Kohlensäure, 
LeudliigBS  und  Wasserstoff)  gelangen  die  Versuche  nur  bei  dem  letzten,  das  den 
Metallen  am  verwandtesten  ist.  Bei  der  Einwirkung  der  verschiedenen  Metalle  zeigen 
die  Kranken  eine  Idiosyncrasie  m^talliqne.  Zwei  verschiedene  Metalle,  die  zugleich 
angewandt  werden,  können  gegenseitig  ihre  Wirkung  aufheben  resp.  neutraUsiren; 
auch  zwei  gleiche  Metalle,  die  auf  symmetrische  Körperstellen  gelegt  werden,  können 
dasselbe  thun.  Bei  genesenden  Hysterischen  kann,  so  lange  die  hysterische  Diathese 
fortbest^t  und  die  Anästhesie  sich  im  labilen  Gleichgewicht  befindet,  ein  Metall, 
das  früher,  auf  der  Höhe  der  Erkrankung,  die  Sensibilität  wieder  erweckte,  nunmehr. 
Anästhesie  erzengen.  Von  den  Theorien  des  Transferts  werden  besprochen:  die  der 
elektrischen  Ströme,   die  der  elektrischen  Polarität,  die  der  moleculären  Vibrationen 


—    196    — 

Bild  die  der  psychisdien  BeeinfluBgD&g.  Nach  P.  wirken  Weder  die  physiscbeii'  Krttfte 
BOck  die  p^ckificke*  Beeinflossimg  exclnsiv ;.  beide  können  die^  Sensibilit&t»  yA9  Mck 
andeM  SörperfanetLonen  (Herzsckkig,  Athttan(f,  Erbrecken  ete.)  modifiekfen.  Yildieickt 
erklflvt  sick  auck  der  Trensfeiii  durek  Steigerung'  der  gewöknU^en  pkysiologincken 
Brsokekmng,  bei  der  darck*  den  Belar  einer  SMle  der  einen  Ek^rperkAlfte  die  enH- 
ipreokende  Stolle  der  andern  eine  Veitedwung  der  Senmbilit&t  erf&krt  (Seppe, 
Rumpf,  A'dler,  Adankiewiez,  Westpkal  etc.).  Dle^  ÜMMske  der  kysteMacken 
iaitetiiesie  sackt  Verl.  in  einer  maitedellen  oder  d^pnaniecken«  Yerandlnning;  iHf  einer 
fiinctionellen  Lftkmang  der  cen#alen'  Orgnae'  fta  die  sinnücke  Watoiekttinng  (seil- 
satione  brutes).  IMeseiH)en  besteken  aiuh  der  Asikäiifttng  der  Ganglienseilen  der  Him^ 
bafflg,  in  denen'  die  erste  Transformmtion  der  sensiblen*  EindrOcke  Yor  siek  gekk.  P. 
bezeiobnet  diese  Form  der  Antetk(teie  als  basilfire,  bei  der  kn  Gegensats  zu  der 
pehpkeiiscken:  nnd  oortioalen  Anftstkesie  die  vom  BQckenmartc,  Med.  oblongata'  etc. 
ausgebenden  Empfindmugsreaetionen  und  Reflexe  erkalton  i^d  nnd>  die  bewnsste 
Perception  der  sinnlicken  Empfindung  feUt.  Die*  basilBi«  Ünästkesie  kommt  anck 
bei  organiBoken  L&sioBen  in  der  Ea^elgegend  vor  nnd^  kann»  dieedben  Symptome^ 
wie  die  kystejfiseke'  anfweisen)  Hemianastkesie  der  Haut  nnd  SinnesorgMM,  Beein« 
flnssnng  durok  MetallberOkrang  etc.  Ilfack  P.  wiitt  die  Laslon>  der  sensiblen'  Sasem 
der  Kapselgegend  nur  indirect  auf  die  Sensibilität,  indem'  sie  Verluet  oder  SdiWAoknng 
dar  darunter  liegenden  basiifiren»  Gentren  and  ftindioneUe  Lftkmang  cKeser  Centren 
bewirkt;  die  ästkesiogene  Wirkung  der  Metfedlberfikrung  erweckt  ihre^  TkfttfglDeiC 
wiedinr.  Pemer  giebt  es  basiläre  Anftstkesien*  toxiseken  Ursprungs  (Alkokol«  Blei» 
Qaecknibm-,  Arsen,  Sckwefelkoklenstoff  etc.).  B^i  iüsokolisten  findet  ^k  ^^pefr* 
ftstiiesie,  Anaigfesie  oder  Anfistkesie  in  denselben  Formen  and  Clestattungw,  wie*  bei 
der  Hysterie;  Meist  ist  sie  aof  diseemintrte  Inseln  localisirCy  a»  detf  Beinen  als 
anftetketiscke  Stiefel,  an  den»  Amnen  in  Armbandfbrm,  am  Bnmpf  als  fiOiws  ete.| 
auck  die  Sckleimk&ute  und  Sinnesorgane  sind  betroffen;'  Dock  besteken  kier  im 
Oegensats  zur  Hysterie  subjectiira  Besokwerden;  dabd  findet  sick  eki  sckaeller  Weeksel 
der  Symptome  tkeils  spontan,  tkeis  durck  ft^mde  SinftiBse  (pqrckiscke  und  meckBK 
■isoke  Elektricit&t,  Metalle,  Sinapismen*  eto.)i  Aeknlicke  Ersckeiiinttgev  bieten  die 
Formen  der  Anftstbesie  bei  ^üntoxication.  Tiele  erklfli^  diese  itttadbalions- 
anftstkesien  durck  die  kysteriscke  und  nenropatbisoke  Anlage  der  Erkmaiiten;  Naek 
P.  modificirt  das  Gift  die  Eiregbarkeit  der  nmi^tOsen*  Centren,  und  bewirkte  nutiar 
a&dttn  Ersckeinungte  eine  ftmotlonellr  Lftkmang  der  senmbien  Centreny  die*  sick 
klinisck  in  Art  der  baBÜftreU'  Anftstkesie  äussert^  wie  sie  bei'  ^^terie'  so  kfimfig  Yor«^ 
konmt  Nur  auanakmsweise  weckt  das  €^ift  bei  prftdispomrten  Mdi^duen  die<  latonde 
Hysterie.  Neben  den  functionelien  Anftstkesien  giebt  es  bei  Blei-*  nnd  Aikokol«' 
intoaacation  nickt  wenige,  die  auf  organiscke  Lfteion*  der  nervOsen  Centren  und  dw 
peripkeriscken  Nerven  beruben  und  die*  diesen  Störungen  zukommenden  Symptome 
aeigen.  Was  die  Anftstkesien  bei  Sypkiü»  und  Ckiorose  anbetrifft,  so  fond  sie  P.  nur 
bei  Frauen,  die  an  Hysterie  litten  oder  zu  Hysterie  pv&disponirt  waren,  abgeseben 
ton  jenen  Fällen,  in  denen  organiscke  Lftsionen  der  Centren  oder  peripkeriseber 
Nerven  in  Folge  der  Sypküis  ürsacke  der  basüftren  Anftstkesien  waren. 

KaÜBcker^ 


2)   Zur  Charakteristik  der  Hysterie,   von   Prof.  Dr.  M.  Bosentkal.     (Allgem. 
Wiener  med,  Ztg.  1887.  Nr.  46  u.  47.) 

Durck  genauere  Beobacktung  der  Entstekung  und  fintwickelungsfolge  der  sick 
langsam  entwickelnden  kysteriscken  Krampfanfalle  kommt  B.  zu  dem  Scklctes,  dass 
es  sick  kierbei  am  Beizzustände  der  corticalen  Centren  bändeln  kann. 

Fftr  diese  Auffisussang  sprecken  einmal  die  den  Krampf  einleitenden  resp.  be- 
gleitenden Symptome:  psyckiscke  Verstimmung,  Leickenbl&sse  des  Geeicktei^  optiseke 


—    197    — 

oder  acostiBclie  fiisperasthesie,  Tachycardie,  abncowe  iBeizzaständei  nnd  bei  achinereren 
Fonnen:  BevoflBttesigkeit,  HaUncüiationen  und  Delkien. 

Ferner  sind  es  die  in  neuerer  Zeit  mehr  gewürdigten  Ereoheiaangen  der  Hyp- 
nose und  Suggestion,  irelche  »uf  güeich^  Ursprung  zuröckzulüluren  sind.  So  wird 
am  vom  Verf.  beobaabteter  by^rischer  Tremor  bei  einem  20jlil^igen  Mädchen  durch 
Saggesüou  geheilt  und  die  Wirkung  derselben  als  in  einer  Beruhigung  der  corticalen 
Centren  reep.  in  einer  Auslosung  von  Hemmungsprocessen  in  denselben  bestehend 
gedacht  Dasselbe  gilt  fflr  den  von  Sperling  in  der  medicinischen  Gesellschaft  am 
12.  October  d.  J.  vorgestellten  Fall  von  »»hysterischer  Lähmung"  bei  einem  Manne. 

Bisher  ist  es  nicht  gelungen,  in  solchen  Fällen,  die  zur  Autopsie  kamen»  ana- 
tomische Yeränderungen  nachzuweisen.  Auch  '7erf.  fand  bei  einem  26jähr.  Mädchen, 
die  zu  einer  gewissen  Zeit  ihres  vielgestaltigen»  sechs  Jahre  dauenden  hysterischen 
LeidfiDB  das  h<k)bst  seHene  BiUL  von  l^stMischar  lAhmung  und  Anästhesie  aller  vier 
Extremitäten  nebst  beideneitiger  Amblyopie  dacbot»  und  die  ischUesslich  an  Phthisis 
am  Grninde  ging»  nur  seröse  Durchfeuchtong  und  Blutleere  des  Hirns. 

So  ist  09  erklärlich»  dass  durch  Oebtauch  von  Amylnitrit  zeitweilige  Besse- 
rungen erzielt  wurden.  Interessant  ist  es  auch»  dass  geschlechtliche  Befriedigung 
die  Gonvnlsionen  verminderte. 

Schliesslich  warnt  Verf.  vor  leichtsinniger  Anwendung  der  Hypnose»  die  nur  in 
der  Hand  des  umsichtigen  Arztes  und  nur  in  ganz  bestimmten  F^len  von  Hysterie 
Erfolge  erzielen  kann.  Ueberreisung  der  Centren  durch  forcirte  Hypneae  kann  sehr 
mMngeiielime  Zwischenf&lle  herbeifCOiFen  (in  einem  Falle  des  Verf.  vomitas).  Oeffent- 
liche  Schaustellungen  hypnotischer  Experimente  sollen  allein  deshalb  verboten  werden» 
weil  der  fizperimentator  aber  Aea  Zustand  des  JSenens»  des  Gtoftasapparates  und  des 
ganzen  Nervensystems  der  betr.  Personen  nicht  im  Gkuringsten  unterrichtet  ist. 

Die  Therapie  darf  sich  nicht  auf  einige  Suggestionen  beschränken.  Eine  allge- 
mein kräftigende  Behandlung  des  hysterischen  Grundleidens  muss  sich  denselben  an- 
flchliessen»  und  hier  leistet  die  Weir-Mitcheirsche  Kur  besonders  gute  Dienste. 

Sperling. 

3)  Gontrlbuto  alla  diagnosi  ed  alla  cura  delle  paralisl  isteriche,  studio 
clinico  del  dott.  G.  Lumbroso.  (Sep.-Abdr.  aus  ,»Lo  Sperimentale".  Firenze  1887. 
46  Seiten.) 

Verf.  giebt  eine  übersichtliche  Zusammenstellung  der  für  die  Differentialdiagnose 
der  hysterischen  Lähmungen  wichtigen  Einzelheiten  der  Symptomatologie.  Sie  seien 
hier  auszugsweise  mitgetheilt. 

1.  Lebensalter  zwischen  15 — 80  Jahren. 

2.  Bedeutendes  Vorherrschen  des  weiblichen  Geschlechtes. 

3.  Plötzliche  Entwickelung  der  Lähmung»  die  bei  spinaler  Ursache  gewöhnlich 
allmählich  vor  sich  geht»  bei  cerebraler  Veranlassung  meistens  apoplectiform 
einsetzt  und  von  Temperatursteigerungen  und  von  trophischen  Störungen  be- 
gleitet zu  sein  pflegt. 

4.  Lähmuj^en  einer  Extremität  oder  eines  Muskels  allein  sind  bei  cerebraler 
Veranlassung  extrem  selten;   ebenso  Paraplegien.    Gegen  Poliomyelitis  und 

I  peripherische  Neuritis   spricht   aber  das  Ausbleiben  der  Eutartungsreaction. 

(Verf.  hat  übrigens  2  Fälle  hysterischer  Facialislähmung  veröfifentlichi) 

5.  Während  »»Oerebral-!^miparetiker"  (wenn  man  diesen  Ausdruck  gebrauchen 
darf)  bei  ihren  Gehversuchen  mit  dem  gelähmten  Bein  eine  Art  Kreisbogen 
beschreiben,  ziehen  Hysterische  das  Bein  in  gerader  Linie  nach  vorwärts. 
(»». . .  in  luQgo  di  far  eeeguire  all*arto  affetto  un  arco  di  cerchio»  lo  trascinano 
in  avanti  direttamente.") 


—    198    — 

Bei  Hysterischen  ist  es  manchmal  zu  beobachten,  dass  in  gewissen  Lagen  ge* 
lähmte  Mnskeln  willkürlich  bewegt  werden  können,  in  anderen  Lagen  aber,  z.  B.  im 
Bett  oder  beim  Stehen,  nicht. 

6.  Frühzeitiges,  gewöhnlich  fast  mit  der  Lähmung  gleichzeitiges  Eintreten  einer 
Contractur;  der  Widerstand  gegen  passive  Bewegungen  ist  bei  cerebralen 
Lähmungen  höclistens  nach  sehr  langer  Dauer  so  gross  wie  bei  hysterischen. 

7.  Fehlen  der  Blasenlälimungen;  Strangurie  im  engeren  Sinne  ist  allerdings 
nicht  selten. 

8.  Schwere  Beeinträchtigung  und  selbst  ?ollständige  Aufhebung  der  Sensibilität 
(und  z.  Th.  auch  der  specifischen  Sinnesfunctionen). 

9.  Aufhebung  des  Muskelgefühls. 

10.  Das  Vorhandensein  wie  das  Fehlen  der  Schmerzen  kann  unter  Umständen 
Yon  differential-diagnostischem  Werthe  (im  Gegensatz  zu  spinalen  und  cere- 
bralen Erkrankungen)  sein. 

11.  Steigerung  der  Sehnenrefiexe  und  Abschwächung  der  Hautreflexe. 

12.  Fehlen  der  Muskelatrophie  in  den  meisten  Fällen,  jedenfalls  aber  der  fibrillären 
Zuckungen  und  der  gesteigerten  idiomusculären  Erregbarkeit. 

13.  Fehlen  der  Entartungsreaction. 

14.  Gelegentlich  findet  man  bei  Hysterischen  das  auffällige  Symptom,  dass  ein 
contrahirter  Muskel  auf  Grund  einer  energischen  Willensbewegung  oder  eines 
Befehles  vorübergehend  auf  einen  Augenblick  zu  fonctioniren  vermag. 

Wegen  der  interessanten  Krankengeschichten  und  der  therapeutischen  YoTBChläge 
muss  auf  das  Original  verwiesen  werden.  Sommer. 


4)   Etüde  sur  une  forme  partioulidre  de  dälire   hystörique  CDelire  aveo 
eoninösie),  par  le  docteur  Henry  Blanc-Fontenille.    (Bordeaux  1887.) 

Die  unter  der  Aegide  von  Fitres  in  Bordeaux  gemachte  Studie  zeichnet  sich 
durch  klare,  sachliche  Sprache  und  kritische  Auffassung  aus. 

Unter  „ecmn^sie"  (ix  aus  und  fipf;aig  Gedächtniss)  versteht  Verf.  „eine  Form 
von  Amnesie,  in  welcher  das  Gedächtiüss  vollkommen  bewahrt  ist  für  alle  einer  be- 
stimmten (abgegrenzten)  Lebensperiode  des  betr.  Individuums  vorausgehenden  Ereig- 
nisse, dagegen  vollkommen  aufgehoben  für  diejenigen,  welche  dieser  Periode  folgen.** 

Des  bessern  Verständnisses  halber  möge  hier  der  eine  der  beiden  vom  Yerf. 
beschriebenen  Fälle  ganz  kurz  angeführt  werden  : 

Eine  32jährige  Frau  (Albertine  M.)  mit  einer  längeren  Krankbeits- Vorgeschichte 
wird  nach  einer  heftigen  psychischen  Erregung,  in  welcher  sie  ihren  damaligen  Lieb- 
haber mit  einem  Revolver  bedroht,  von  heftigen  Convulsionen  befallen,  die  mit 
Schmerzen  der  linken  Weiche  beginnen  und  von  Delirien,  in  welchen  sie  mit  Herrn  X 
discutirte,  begleitet  werden.  Ein  halbes  Jahr  hindurch  wiederholen  sich  diese  mit 
Delirien  vereinten  Krämpfe  mehrmals  täglich,  um  dann  seltener  zu  werden.  Nunmehr 
gelingt  es  im  Hospital,  als  fingirter  Herr  X  in  die  Delirien  einzutreten  und  die 
Unterhaltung  in  Bezug  auf  die  bekannten  Zustände  von  damals  weiterzuspinnen.  Da- 
gegen ist  es  unmöglich,  eine  Taste  der  Erinnerung  aus  der  darauf 
folgenden  Zeit  anzuschlagen,  d.h.  sie  glaubt  mit  Herrn  X  zu  sprechen, 
glaubt  sich  in  seinem  Hanse,  lacht  über  die  Bemerkung,  dass  sie  jetzt 
im  Hospital  sei,  negirt  Herrn  Pitres  zu  kennen  u.  s.  w. 

Diesem  Zustand  kann  man  durch  Ck)mpression  der  linken  Ovarialgegend  ein 
Ende  machen. 

Aehnliche  Delirien  mit  Ecmnesie  traten  nach  Anföllen  spontanen  Schlafes  auf; 
dieselben  beziehen  sich  auf  bestimmte  Scenen  ihres  Verhältnisses  mit  Herrn  X  oder 


—    199    — 

ihrer  diesem  folgende  Ehe,  kehren  h&nfig  in  derselben  Form  wieder  und  sind  noch 
willkfirlich  benrorzarufeu  (par  Suggestion).  So  kann  sie  in  die  Situation  der  im 
Alter  von  7  Jahren  überstandenen  Tracheotomie  zurückversetzt  werden:  sie  ist  wieder 
Kind,  erinnert  sich  nicht  der  späteren  Zeit,  ist  auch  nicht  —  wie  gewöhnlich  — 
hemianasthetisch;  sie  wird  durch  Anblasen  der  Augen  erweckt,  es  besteht  voUkommne 
Anmesie  fOr  das  eben  Erlebte. 

In  einem  solchen  Zustande  ist  es  nicht  mOglich,  ihr  etwas  zu  suggeriren,  weil 
sie  als  Kind  fOr  die  Hypnose  nicht  empfänglich  war  —  so  übertragen  sich  alle 
Charaktere  der  damaligen  Epoche  auch  auf  diesen  künstlich  hervorgebrachten  Zu- 
stand, welchen  man  den  Erscheinungen  des  Somnambulismus  zurechnen  würde;  zwischen 
dem  Delirinm  mit  Ecmnesie  und  dem  hypnotischen  Zustand  bestehen  Unterschiede; 
letzterer  kann  aus  ersterem  hervorgerufen  werden. 

Wie  zu  erwarten,  finden  sich  auch  in  diesem  Falle  Zonen,  durch  deren  Druck 
man  mannigfache  Erscheinungen  bei  der  Kranken  hervorrufen  kann;  es  genügt  wohl 
die  Namen  zu  nennen:  spasomogene,  hypnogene,  lethargogene  Zone.  In  einer  andern 
Kategorie,  die  zugleich  noch  ein  erhöhtes  Interesse  bietet,  stehen  dann  die  ideo- 
eknmetischen  Zonen:  ein  Druck  auf  die  Gegend  der  Submaxillardrüsen  beiderseits 
versetzt  Albertine  zurück  in  die  Situation  eines  früher  erlebten  ehelichen  Conflictes, 
in  der  sie  zu  heftigen  Wuthausbrüchen  veranlasst  wird;  Druck  auf  das  mediale  Ende 
beider  Schlüsselbeine  lasst  sie  eine  Scene  wieder  erleben,  in  der  sie  aus  einem  fHlheren 
Dienst  entlassen  werden  sollte;  Druck  des  Mens  veneris  endlich  führt  sie  zurück  zu 
den  Freuden  des  mit  Herrn  X  genossenen  Liebesglücks. 

Schon  von  Braid  ist  die  Existenz  solcher  Zonen  festgestellt  worden;  er  brachte 
dieselben  in  Verbindung  mit  der  GalFschen  Schädellehre. 

Weitere  interessante  Einzelheiten  können  hier  nicht  angeführt  werden.  Das  für 
diesen  Gegenstand  allgemein  erwachende  Interesse  mag  die  Länge  des  Referates  ent- 
schuldigmi.  Sperling. 

5)  Arthralgie  hyst^ro-traumatique  du  genou.    Le9on  de  Charcot,  recueillie 
par  M.  Paul  Blocq.     (Progr.  m6d.    1888.  Nr.  4.) 

An  der  Hand  eines  Falles  von  hysterischer  Eniegelenks-A£fection  traumatischen 
Ursprungs  bei  einem  22jährigen  Mädchen,  welches  durch  einen  Fall  sich  eine  Reihe 
von  Entzflndungserscheinungen  im  linken  Knie  zuzog,  die  einige  Monate  von  ver- 
schiedenen Aerzten  für  Symptome  einer  schweren  chronischen  Arthritis  gehalten  und 
dementsprechend  behandelt,  unter  Gharcot's  Aegide  erst  in  ihrer  wahren  Bedeutung 
—  als  rein  funetionelle  erkannt  wurden,  nimmt  Ch.  wiederum  Gelegenheit,  auf  die 
praktische  Wichtigkeit  gerade  dieser  hysterischen  Affeddonen  aufknerksam  zu  machen, 
wie  er  es  bereits  in  den  in  dieser  Zeitschrift  mehrfach  referirte  Vorlesungen  über 
hysterische  Coxalgie  gethan. 

In  dem  vorliegenden  Falle  hatte  erst  7  Monate,  nachdem  die  Verletzung  passirt, 
die  Chloroformirung  der  Patientin  zu  der  nothwendigen  diagnostischen  Gewissheit 
geführt,  dass  die  Localerscheinungen  an  dem  erkrankten  Knie:  Contracturstellung  und 
Atrophie,  sowie  Immoliration  und  Druckschmerzhaftigkeit  rein  funetionelle,  die  Schwel- 
lung, Röthung  und  Eczem  der  Haut,  die  Infiltration  im  Unterhautzellgewebe  — 
Kunstproduct  —  durch  die  Application  der  verschiedensten  Heilmittel  hervorgerufen 
worden  seien.  —  Eine  Reihe  der  bekannten  hysterischen  Stigmata,  Einschränkung 
des  Gesichtsfeldes,  Anästhesie  des  Pharynx,  hystero-epileptische  Attacke  leichterer 
Art  u.  s.  w.  wären  ebenfalls  bei  genauerer  Prüfung  aufgefunden  worden.  —  Der  in 
der  Epikrise  an  die  nichtfranzösischen  Aerzte  gerichtete  Appell,  doch  ohne  Vorein- 
genommenheit den  Studien  der  Hysterie  näher  zu  treten  und  sich  nicht  beirren  zu 
lassen  durch  das  Gespenst  der  Simulation,  welches  Charcot  auch  hier  wieder  „un 
produit  de  l'ignorance  des  mädecins"  —  nennt,   findet  lauten  Widerhall   selbst   im 


—    200    — 

Herzen  derjenigen  Awzte,  die  wegen  ihres  Skepticismns  jüngst  beinahe  dem  kritLschen 
Bichtsehwert  eines  bekannten  sehr  verdienten  deutschen  Neoropathologen  znm  Opfer 
gefellen  wären.  Laqner. 

6)  Contribution  a  rhistoire  des  monoplögies  partiellee  du  membre  supörieur, 
d'origi^e  liyst^ro-traumatiqua,  par  Benda.  (Arch.  de  NeuroL  1887.  XIY.  177.) 

Gewisse  nerrös  prädisponirte  Individum  reagiren  auf  einen  manchmal  geringen 
traumatischen  Choc,  welcher  eüien  Körpertheil  trifft,  theils  mit  fixem  Schmerz  der 
Gelenke,  theils  mit  rigider  Contractor,  sehr  oft  mit  em«r  schlaffen  Lfthmnng.  Diese 
rein  psychischen  L&hmnngen,  welche  man  in  Verbindung  mit  der  Hysterie  findet, 
betreffen  häufig  die  Oberextremität  und  spedeU  den  Yorderann.  Die  Störungen  der 
Motilität  und  Sensibilität  erstrecken  sich  meist  ohne  Bflcksicht  auf  den  anatomischen 
Bezirk  der  Nerven  Manschetten-  oder  Segment-artig  auf  beliebige  Abschnitte  des 
Gliedes,  und  weiter  findet  sich  keinerlei  Veränderung  der  elektrischen  Beizbarkeit 
auch  nach  längerem  Bestehen  des  Leidens;  zwei  Symptome,  welchen  Charcot  pa&o- 
genetisohe  Bedeutung  zuweist.  Meist  finden  sich  daneben  andere  Stigmata  der  Hysterie; 
das  Leiden  wird  bei  männlichen  und  weiblichen  Individuen  beobachtet 

Nachdem  Verf.  aus  der  Litteratur  einige  Vorgänge  referirt,  auch  einen  neuen 
Fall  aus  Charcot's  Klinik  beschrieben,  berichtet  er  tbet  den  von  ihm  beobachteten 
Fall.  Er  betraf  eine  junge  Dame,  welche  nach  einem  Falle  auf  den  rechten  Daumen 
allmählich  erschwerte  Bewegungsfähigkeit  des  Daumens,  leichtere  Ermüdung  beim 
Klavierspiel  etc.  bemerkte.  Die  Beschwerden  bestanden  etwa  ein  Jahr  lang,  nahmen 
dann  bei  Gelegenheit  einer  anderweiten  Störung  des  Befindens  (Anämie,  Menstmations- 
stömngen  etc.)  zu;  die  Müdigkeit  erstreckte  sich  auf  die  ganze  Hand  und  den  Vorder- 
arm, es  traten  Grampi  und  lebhafte  Schmerzen  auf.  Absolute  Buhe  bewirkte  Nach- 
lass  der  Schmerzen,  die  Kranke  glaubte  sich  geheilt,  fing  wieder  an  Klavier  zu 
spielen,  aber  nach  6  Wochen  nahmen  die  Schmerzen  und  die  Müdigkeit  wieder  zu 
und  es  bildete  sich  bald  eine  schlaffe  Lähmung  der  Hand  und  des  Vorderanns  aus, 
sowohl  fOr  BewegUDgen  als  für  das  Gefdhl  und  besonders  den  Muskelsinn.  Die  Grenze 
der  krankhaften  Störung  umzog  manschettenartig  den  Vorderarm  in  halber  Höhe  des 
Gliedes.  Sonstige  nervöse  Störungen,  insbesondere  die  gewöhnlichen  Zeichen  der 
Hysterie,  fehlten.  Doch  war  die  Kranke  erblich  belastet.  Verf.  stellte  die  Diagnose 
trotz  Fehlens  sonstiger  Zeichen  der  Hysterie  auf  psychische  Lähmung  auf  hysterischer 
Basis.  Unter  der  Behandlung  mit  Einreibungen,  Elektricität,  Magnet»  Tonids,  Hydro- 
therapie, psychischer  Einwirkung  und  Uebnng  besserte  sich  der  Zustand. 

In  einem  Nachtrage  polemisirt  Verf.  gegen  Adamkiewicz,  welcher  in  seinen 
Fällen  die  wahre  Natur  der  Aflidction,  die  rein  functionelle,  psychische  Lähmung  auf 
hysterischer  Basis,  verkannt  und  eine  imaginäre  Läsion  der  hinteren  Wurzeln  und 
Intervertebralgangüen  angenommen  habe  (Wiener  med.  Presse,  Wiener  Blätter,  1887). 

Siemens. 

7)  Caae  of  hysterioal  tremor  and  oontraotures,   von  Ormerod.    (The  Brii 
med.  Joum.  1887.  Dec.  3.  p.  1216.) 

0.  berichtet  in  der  Londoner  med.  Gesellschaft  über  eine  29jährige  Frau,  welche 
nach  einem  Krampfanfalle  vor  6  Monaten  Tremor  der  Hände  und  tonische  Contrac- 
turen  der  Finger  und  Zehen  bekauL  Vor  den  Contracturen  bestand  auch  in  den 
Fingern  Zittern,  wie  bei  Paralysis  agitans.  In  der  letzteren  Zeit  wurde  auch  das 
Gehen  erschwert.    Kein  Nystagmus.    Faradisation  ohne  Erfolg. 

Hughlings  Jackson  bemerkt  zu  dieser  Mittheüung,  dass  rhythmisches  Zittern 
ohne  erkennbare  Ursache  oft  hysterischen  Ursprungs  sei. 

L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


—    201    — 

8)  CaM  of  hyiterioal  hjperpyxttdai  von  A.  H.  Glemon.   (The  Brit.  med.  Joum» 
1887.  Dec.  3.  p.  1211.) 

G.  macht  in  der  Londoner  klmiacben  QeeeUschaft  Mittheilnng  über  eine  23j&hr. 
Wäscberin,  welche  vom  22.  Ooi  1888  bis  zam  1.  April  1884  im  Edinburger  HoS" 
pitale  beobachtet  worden  war.  Dieselbe  bot  eine  solch'  bemerkenswerthe  Variation 
im  VerhaiteD  der  Körpertemperatar,  wie  sie  bis  jetzt  durch  unsere  Kenntniss  von 
„Wännecentren''  kaum  genfigend  erkl&rt  werden  kann.  In  der  Discnssion  wurde 
daher  auch  die  Möglichkeit  emer  T&nschung  ansgesprochenf  welche  jedoch  yom  Vor*» 
tragenden  als  ausgeschlossen  in  diesem  Falle  dargethan  wurde.  Die  detaillirt  mit- 
getheiUen  Zahlen  über  die  Temperatur  müssen  hier  übergangen  werden.  Es  genügt, 
wemi  ich  angebe,  dass  Monate  lang  Achseltemperaturen  zwischen  111  und  98^  F. 
(43,5—36,5^  G.)  beobachtet  werden  konnten,  dass  sich  zuweilen  rechts  108,8  ^  links 
99,8^  Yorfimden  und  dass  sich  jetzt  110^  und  kurze  Zeit  darauf  98,4<>  am  Thermo- 
m^r  in  derselben  Achsel  ablesen  liessen.  —  Die  Klagen  der  Patientin  im  Uebrigen 
bezogen  ach  auf  Schwindel,  Schmerz  in  der  linken  Seite;  und  objectiv  fand  sich 
eine  purpurfarbene  Böthe  über  die  untern  Extremitäten  verbreitei  Im  Verlauf  des 
Hospitalanfenthalts  zeigte  die  Kranke  allerlei  krampfhafte  Erscheinungen,  als:  ver- 
lingerte  Beaetion  der  rechten  Pupille  auf  Licht,  links  Strabismus  ini,  klopfender, 
bei  Druck  gesteigerter  Schmerz  im  Scheitel,  der  selbst  pseudo-tetanische  Anfälle 
herforbringen  konnte.  Delirium  kam  hinzu,  Bewusstlosigkeit,  Ruhelosigkeit  etc. 
Plantar-  und  Patellarrefleze  fehlten;  An&sthesie,  Incontinentia  urinae  et  faecium. 
Allmählich  kehrten  Bewusstsein  und  Gontrole  über  Blase  und  Darm  zurück.  Nach 
einigen  Tagen  kam  ein  Bück&ll,  zwischendurch  Erythem  über  die  Arme  und  so 
fortwährend  wechselnd  bis  zu  einer  stetig  zum  normalen  Befinden  fortschreitenden 
Beesemng.  Aber  auch  dann  zeigt  die  erste  Temperaturmessung  110^,  und  dieselbe 
Stelle  kurz  nachher  gemessen:  98,4 ^  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


8)  GonMbutloii  k  V6tfade  de  lliystörle  ohez  lliomme.  —  Troublos  de  la 
seiudlifllti  ohez  lee  orlentanz.  —  lies  Alsaana,  par  Lucas-Ghampionni^re. 
(Arch.  de  Neurolog.  1887.  XIV.  p.  15.) 

Unter  Beibringung  zweier  kurzer  Krankengeschichten  bestätigt  Verf.  die  nicht 
mehr  angezweifelte  Thatsache  von  dem  Vorkommen  der  Hysterie  beim  männlichen 
Geschlecht,  auch  das  Vorkommen  des  sog.  Ovarialschmerzes  bei  demselben.  Er  be- 
lichtet auch,  dass  er  wiederholt  bei  hysterischen  Weibern  die  Ovarien  entfernt  habe, 
ohne  dass  der  Bauchschmerz  yerschwunden  sei  —  Im  Besonderen  geht  Verf.  auf 
die  Anästhesie  bezw.  Analgesie  der  Hysterischen  ein  und  führt  hier  auf  manche 
fionderbaren  Beobachtungen  von  Ertragen  des  Schmerzes  zurück.  Er  schildert  aus- 
f&hrlich  eine  Arabersecte,  bei  deren  Productionen  die  Einzelnen,  durch  Musik,  An« 
starren  glänzender  (Gegenstände  und  Aehnliches  in  eine  Art  Hypnose  versetzt,  in 
dem  Ertragen  schmerzhafter  Manipulationen  Erstaunliches  leisten.  Verf.  hat  bei 
zweien  der  Leute  auch  Gonvulsionen  gesehen,  welche  der  Ghef  der  Truppe  lege  artis 
durch  Bauchcompression  unterbrach.  Die  Leute  sind  übrigens  meist  nervös  belastet, 
ausschweifend  und  haben  auch  ausserhalb  der  Vorführungen  Störungen  des  Nerven- 
systems, Anästhesie  u.  dgl.  Diese  Verhältnisse  sind  bei  den  Orientalen  und  bei  halb- 
wilden Völkerschaften  vielfach  anzutreffen.  Siemens. 


10)  Hysterie  et  Syphilis:  De  l'influenoe  d'une  nmladie  ou  d'une  intozi- 
catlon  antärieure  sur  le  mode  de  looalisation  et  sur  la  forme  des  acoi- 
dents  hystöriques.  Le9on  de  Gharcot,  resum^e  par  Gilles  de  la  Tourette. 
(Progr.  mM.  1887.  Nr.  51.) 

Die  Hysterie  bleibt  oft  sehr  lange  latent  und  pflegt  sich  bei  vielen  Individuen 
erst  auf  Grund  oder  in  Folge  von  bestimmten  Gelegenheitsursachen  zu  äussern.   Diese 

18 


—    202    — 

sind  entweder  Infectionskrankheiten,  wie  Pneumonie,  Typhns  oder  Intoxicationen,  wie 
Alkoholismus,  Blei-  und  Quecksilbervergiftung,  oder  aber  traumatische  Ursachen.  — 
Endlich  kann  auch  die  Syphilis  in  der  genannten  Weise  die  ersten  deatlichen  hysteri- 
schen Erscheinungen  hervorrufen,  und  von  dieser  Thatsache  zeugt  ein  Fall«  auf  den 
Ch.  später  n&her  eingeht.  —  Festzuhalten  ist  dabei,  dass  der  allgemeine  Charakter 
der  Krankheit  selbst  unbeeinflusst  bleibt  von  den  erwähnten  Momenten,  dass  allerdings 
die  Localisaüon,  die  Form  der  hysterischen  Attacken  modificirt  werden  kann  durch 
Trauma,  Alkoholismus,  Syphilis  u.  s.  w.  —  Der  Kranke,  den  Charcot  vorstellt» 
steht  im  Alter  von  26  Jahren,  acquirirte  Lues  vor  10  Jahren,  wurde  aber  nicht 
sorgfältig  behandelt  Am  1.  Jan.  1884  erlitt  er  einen  apoplectiformen  Insult  mit 
Verlust  des  Bewusstseins.  Es  wurde  eine  rechtsseitige  Hemiplegie  mit  Contracturen 
(Arm,  Bein  und  Zunge)  constatirt  und  Hemianästhesie.  —  Einige  Tage  später  trat 
heftiges  Kopfweh  besonders  Nachts  auf,  auch  machten  sich  Zuckungen  von  epilepti- 
formen  Charakter  bemerkbar.  Es  wurden  Jod  und  Mercur  angewendet,  aber  die 
Lähmung  und  die  Kopfschmerzen  wollten  nicht  heilen;  auch  traten  zwischenzeitlich 
zwei  neue  apoplectiforme  Insulte  ein.  —  Aber  da  die  Hemianästhesie  eine  complete, 
und  von  Störungen  im  Bereiche  des  Muskelsinns  begleitet  war,  da  sich  die  rechts- 
seitige Zungenlähmung  nicht  als  paretische,  sondern  als  spasmodische  Erscheinung 
erwies,  da  femer  auch  die  sog.  epileptiformen  Attacken  und  die  Cephalaigia  nocturna 
mit  hochgradiger  Hyperästheme  der  behaarten  Kopfhaut  eher  für  hysterische  als  fflr 
syphilitische  Erscheinungen  anzusehen  waren,  so  war  Charcot  geneigt,  die  langsame 
Heilung  mehr  auf  Kosten  der  Hysterie,  als  auf  die  der  Syphilis  zu  setzen.  Auf 
dem  Boden  der  letzteren  hatte  sich  die  Hysterie  unter  einer  von  ihren  sonstigen 
Erscheinungsarten  abweichenden  Form  von  Neurose  entwickelt. 

In  ähnlicher  Weise  hatte  Potain  bei  einer  Bleilähmung  feststellen  können,  dass 
das. betreffende  Individuum  zwar  eine  rechtsseitige  Extensorenlähmung  darbot,  dass 
aber  der  betr.  Arm  auch  völlig  hemianästhetisch  war  und  die  Entartungsreaction  in 
den  Muskeln  fehlte.  Aus  diesem  Grunde  musste  auch  dieser  Symptomeneomplex  als 
hysterischer  angesprochen  werden.  —  Es  gäbe  also  keine  syphilitische,  keine  satumine 
und  keine  typhöse  Hysterie,  man  brauche  die  Arten  nicht  zu  vermehren,  —  man 
werde  immer  die  hysterischen  Eigenthümlichkeiten  wiederfinden,  auf  welchem  Boden 
die  Krankheit  sich  auch  entwickele.  La  quer. 

11)  HypnotiBmus,   physiologischer  Theil  von  Prof.  Preyer,   pathologischer  Theil 
von  Prof.  Bins wanger.  (Eulenburg's  Bealencydopädie  der  gesammten  Heilkunde. 
2.  Aufl.  1887.) 
Preyer   definirt  die  Hypnose  dahin,   dass   sie  „ein  künstlich  erzielbarer,   dem 
Schlaf  verwandter  Zustand  sei  mit  Veränderungen  der  Functionen  des  Gehirns,  welche 
zwar  eine  grosse  Mannigfaltigkeit  der  Erscheinungen  darbieten,  in  dem  einen  Punkte 
aber  mit  einander  übereinstimmen,   dass  sie  nach  einer  anhaltenden,   gleichförmigen, 
nicht   ungewöhnlich   starken  und  nicht  aufregenden  Beizung  von  Sinnesorganen  ein- 
treten, wenn  die  Aufmerksamkeit  nicht  abgelenkt  ist  und  eine  gewisse  willige  Stim- 
mung  vorherrscht."    Die   Hypnotisirbarkeit  Schlafender  ist  noch  sehr  fraglich.     Die 
Verzückungszustande  der  Derwische  und  tunesischen  Sectirer  mit  Analgesie  sind  den 
hypnotischen   Zuständen   nur  verwandt.    Die  Disposition  zur  Hypnose  liegt  weniger 
in  einer  grösseren  Erregbarkeit,  als  in  einer  grösseren  Ermüdbarkeit  der  sensorischen 
und  motorischen  Nerven. 

In  knappen,  klaren  Zügen  wird  alsdann  die  Symptomatologie  besprochen.  Die 
motorischen  Symptome,  speciell  die  excitomotorischen  (gegenüber  den  Ausfallserschei- 
nungen) werden  durch  Stein  entlehnte  Abbildungen  veranschaulicht.  Die  Möglichkeit, 
Hallucinationen  bei  hypnotisirten  Gesunden  durch  Suggestion  zu  erzeugen,  bezweifelt 
Preyer;  es  dürfte  sich  meist  um  Wahnvorstellungen  (ohne  excentrische  Localisation 
und  Objectivirung)  handeln. 


—    203    — 

Unter  den  Folgen  wiederholter  Hypnosen  betont  P.  den  Werth  der  Autohypnose 
bd  hartnäcldger  Schlaflosigkeit.  Die  Unzutr&glichkeit  wiederholter  Eataleptisinuig 
für  einen  Gesunden  steht  fest. 

In  der  düferentiellen  Diagnostik  werden  die  Yerwandtschaffc  mit  dem  Schlaf  und 
die  Unterscliiede  von  der  Kaiaplezie  scharf  hervorgehoben. 

Das  Symptom  der  hypnotischen  Abalie  und  Inactivit&t  veranlasst  P.  in  theo- 
retiflcber  Beziehung  eher  Heidenhain*s  Annahme  eines  Fortfalls  corticaler  Hem- 
mung den  Yonog  zu  geben  zur  Erklärung  der  gesteigerten  Beflexerregbarkeit. 
Gegenüber  der  Unsicherheit  der  übrigen  bisher  versuchten  Hypothesen  kommt  P.  auf 
seine  Yermuthung  zurück,  dass  in  der  Hypnose  die  Bindenfnnetionen  z.  Th.  in  Folge 
rascho-  Anhäufung  von  Ermüdungsstoffen  erloschen,  und  die  übrigen  alsdann  einer 
Steigening  um  so  zugänglicher  sind.  Eine  Yergleichung  des  Hypnotisirten  mit  einem 
gewissen  Rindentheile  experimentell  beraubten  Thieres  wird  angeregt.  Die  erhöhte 
Concentration  der  Aufmerksamkeit  erklärt  wenigstens  psychologisch  die  auffallende 
Steigerung  des  sensorischen  Unterscheidungsvermögens. 

Auch  der  forensischen  Bedeutung  des  Hypnotismus  wird  kurz  gedacht.  Der 
geschichtliche  Abschnitt  stellt  zum  ersten  Mal  die  Genese  der  Lehre  vom  Hypnotismus 
völlig  klar.  Eine  sehr  vollständige  Litteraturflbersicht  ergiebt,  wie  viel  Material  die 
knappe  Darstellung  bewältigt  hat. 

Für  den  pathologischen  Theil,  dessen  Bearbeitung  Binswanger  übernommen 
hat,  fehlten  irgend  zusammenfaasendere  Yorarbeiten  ganz.  Etwa  150  Einzelarbeiten 
äusserst  verschiedenen  Werthes  liegen  vor.  Uebertriebener,  sich  selbst  neue  Erkennt- 
nisswege versperrender  Skeptidsmns  einerseits  und  bis  in  die  wissenschaftlichen  Kreise 
eingedrungene  Leichtgläubigkeit  andrerseits  kämpften  miteinander.  Mit  sicherer  Kritik 
hat  B.  das  zahlreiche  Material  gesichtet  und  geordnet.  Namentlich  sei  erwähnt,  dass 
zahlreiche  werthvoUe,  in  Deutschland  nicht  einmal  in  Referaten  bekannt  gewordene 
Arbeiten  besonders  französischer  Forscher  uns  hier  zum  ersten  Mal  näher  gerückt 
werden. 

Nachdem  die  Erscheinungen  des  Hypnotismus  im  Allgemeinen  durchaus  als 
pathologische  Yorgänge  bezeichnet  worden  sind,  behandelt  der  erste  naturgemäss 
durchaus  überwiegende  Abschnitt  die  hypnotischen  Erscheinungen  bei  der  Hysterie. 
Die  3  Formen  des  hypnotischen  Zustandes  (kataleptischer,  lethargischer,  somnambuler 
Zustand)  werden  nach  Gharcot  und  P.  Sicher  geschildert,  und  die  fundamentale 
Bedeutung  dieser  wenn  auch  nicht  ganz  ausnahmslos  festzuhaltenden  Eintheilung  fOr 
die  Orientirung  in  dem  Wirrsaal  der  Beobachtungsthatsachen  hervorgehoben.  Die 
Differenz  zwischen  Gharcot  und  Sicher  einerseits  und  Dumontpallier  und 
M agnin  andrerseits,  die  darin  gipfelt,  ob  die  Contraeture  provoqn^e  im  lethargischen 
Zustand  nur  durch  mechanische  Seizung  subcutaner  Theile,  im  somnambulischen 
nur  durch  Hautreize  oder  in  beiden  Zuständen  allein  durch  Hautreize  entsteht, 
wird  im  Ganzen  zu  Gunsten  Gharcot*s  entschieden.  Die  excessive  Steigerung  der 
Apperceptionsföhigkeit  für  Sinnesempfindungen  und  des  Gedächtnisses  bei  Hysterischen 
ist  sicher  erwiesen. 

Die  Bedeutung  der  Suggestion  zur  Erzeugung  der  Hypnose  ist  durch  die  Schule 
von  Nancy  (Li^bault  und  Bernheim)  überschätzt  worden.  Binswanger*s  eigne 
Yersuche  beweisen,  dass  zuweilen  die  Suggestion  nicht  ausreicht  und  nur  die  Zu- 
hfllfenahme  anderer  hypnogener  Mittel  die  Hypnose  erzeugen  lässt.  Die  Suggestibilität 
sensibler  und  sensorischer  Lähmungen,  wie  sie  namentlich  von  Oh.  Sichet  beschrieben 
worden  sind,  kann  B.  bestätigen,  nicht  hingegen  nach  den  bisherigen  Erfahrungen 
die  posthypnotische  Nachwirkung  von  Suggestionen,  wie  sie  Sichet,  Li^bault, 
Bernheim  und  Färö  sich  namentlich  in  Zwangsvorstellungen  oder  Zwangshandlungen 
äussern  sahen.  Ebenso  ist  gegenüber  den  Yersachen  über  Beeinflussung  der  vege- 
tativen Functionen  durch  Suggestion  noch  einige  Seserve  geboten.  Festzuhaken  ist, 
dass  überhaupt  die  suggestiv  erzeugte  Hypnose  von  der  physikalisch  erzeugten 

IS* 


—    204    — 

Yonchieden  ist  Insbesondere  ist  fflr  die  Reihe  der  hypnotischen  Eisdieinnngen  bei 
Hysterischen  maassgeb^id,  ob  die  erstmalige  Erzeagong  der  Hypnose  aof  snggestiTein 
oder  physikalischem  Wege  vorgenommen  wurde. 

Die  Uebweinstimmnng  des  Hypnotismns  als  einer  experimentellen  Neurose  mit 
den  spontanen  Erankheits&nsseningen  der  Hysterie  ist  frappant  Gegenüber  der  Aus- 
sage fast  aller  Beobachter,  dass  Geisteskranke  zu  hypnotischen  Versuchen  sehr  un- 
geeignet seien,  betont  B.  auf  Grund  einer  eignen  Yosuchsreihe,  dass  es  bei  einer 
grossen  Zahl  ?on  Geisteskranken,  inclusive  Epileptikern  —  Melancholie,  Manie  und 
acute  Demenz  nach  den  seitherigen  Versuche  ausgeschlossen  —  gelingt»  entweder 
die  völlige  Hypnose  oder  aber  rudimentäre  Zustände  derselben  hervorzurufen.  Letztere 
findm  sich  namentüch  bei  primär  Yerrftckten.  Die  „Fascination"  Bremaud*8  und 
„Captation"  Descourtis*  gehören  hierher.  Auch  sind  diese  rudimentären  oder  abor- 
tiven Formen  durchaus  den  posthypnotischen  Delirien  ähnlich,  welche  oft  erst  mehrere 
Stunden  nach  Ablauf  der  Hypnose  bei  Geisteskranken  zu  Stande  kommen  können. 
B.  hat  diese  Erscheinungen  schon  1880  demonstrirt.  Das  hervorstechendste  Merk- 
mal ist  die  heftige  psychische  Erregung.  Dabei  werden  niemals  andere  Erscheinungen 
(Wahnideen,  Hallucinationen'etc.)  gezeitigt  als  solche,  die  auch  im  wachen  Zustand 
augenblicklich  oder  früher  für  die  Psychose  charakteristisch  waren. 

Die  Zulässigkeit  und  der  Werth  der  therapeutischen  Anwendung  der  Hypnose 
beschränkt  sich  auf  nervöse  Schlaflosigkeit  und  hysterokataleptische  und  somnam- 
bulische Zustände.  Das  Bernheim'sche  Verfahren  0^i<^l^^  Streichen  des  Kopfes 
ohne  jede  Suggestion)  wird  hier  empfohlen.  Th.  Ziehen. 


12)  La  Buggestion  mentale  et  Taotlon  ä  dlstanoe  des  substanoes  toziques 
et  mödioamenteuses,  par  les  docteurs  H.  Bourru  et  P.  Burot,  professenrs  ä 
r^cole  de  m^decine  de  Bochefort.    (Paris  1887.    Baillike  &  Fils.     308  Seiten.) 

Das  interessanteste  Capitel  der  umfangreichen  Schrift  ist  das  erste,  welches  die 
Entstehungsgeschichte  der  hier  geschilderten  Entdeckungeii  erzählt:  an  einem  hystero- 
epileptischen  Manne  (V.)  mit  Hemiparese  und  sensitivsensorieller  Hemianästhesie 
wurde  die  Wirkung  der  Metalle  studirt  und  gefunden,  dass  Gold  und  Quecksilber  — 
um  von  den  andern  gar  nicht  zu  sprechen  —  mit  der  Haut  in  Berührung  gebracht 
ein  intensives  brennendes  Gefühl  und  sogar  bei  innigem  Contact  Brandwunden  ver- 
ursachten. Erstaunlich  war  es,  dass  unter  gleichen  Bedingungen  auch  ein  Thermo- 
meter —  mit  in  Glas  eingeschlossenem  Quecksilber!  —  denselben  Effect 
hervorbrachte,  und  mochte  er  auch  den  Blicken  des  Kranken  durch  Einhüllung  in 
ein  Tuch  entzogen  sein.  Ein  zufallig  auf  der  Haut  des  Kranken  in  Berührung  ge- 
kommener Goldring,  eine  in  seinem  Bette  versteckte  Goldmünze  etc.  lösten  gleiche 
Erscheinungen  aus.  Wasserstoff  auf  die  Haut  geblasen,  versetzte  den  Patienten  in 
einen  Zustand  von  geschlechtlicher  Erregung,  ein  auf  den  Unterarm  gelegter,  in  Pa- 
pier gehüllter  Krystall  von  Bromkali  brachte  Gähnen  und  Niesen  hervor. 

Ein  Stück  Opium  auf  y.*s  Kopf  gelegt  (im  wachen  Zustande)  führt  in  einer 
Minute  Schlaf  herbei,  Jaborandi-Blätter,  unter  seinem  Kopfkissen  versteckt,  Schweiss 
und  Speichelfluss,  und  Y.  klagt  nach  dem  Erwachen  über  einen  süssen  Geschmack 
im  Munde  (diese  den  Speichel  süssmachende  E^enschaft  des  Pilocarpins  ist  bekannt). 

Aehnliche  Erscheinungen  konnten  bei  einer  hysterischen  Frau  (M.)  mit  rechts- 
seitiger Analgesie  und  linksseitiger  Hyperästhesie  constatirt  werden. 

Solche  zum  Theil  dem  Zulall  zu  verdankende  Beobachtungen  führten  die  Yerff. 
zu  systematischen  Prüfungen  auf  das  Verhalten  dieser  beiden  Yersuchsobjecte  gegen- 
über der  äussern  Einwirkung  (Femwirkung,  acüon  ä  distance)  aller  gebräuchlichen 
Arzneistoffe. 

Es  zeigte  sich  hierbei  bald,  dass  dieselben  um  so  stärker  wirken,  je  weniger 
sie  eingeschlossen  sind,  jedoch  können   auch  mit  sehr  indifferenten  Stoffen  in  ver- 


—    205    — 

siegelten  Glasröliren  Wirkungen  ausgelöst  werden.  Die  Stelle  für  die  Anlegung  am 
Körper  bleibt  der  Wahl  überlassen  und  spielt  keine  Bolle»  die  Entfernung  der  Sub- 
stanz Tom  KOrper  kann  bis  auf  10  cm  -verlängert  werden,  die  mittlere  Entfernung 
bleibt  5  cm.  Toxische  Substanzen  werden  am  besten  in  Lösungen  angewandt.  In 
Bezug  auf  die  anzuwendenden  Dosen  l&sst  sich  kein  (besetz  aufstellen,  desgleichen 
unterliegt  auch  die  Dauer  der  Application  individuellen  Schwankungen.  S&mmtliche 
Experimente  gehen  -vom  wachen  Zustand  aus,  und  eine  Beseitigung  der  dadurch  her- 
Torgemfenen  Erscheinungen  mittelst  Hypnose  und  Suggestion  ist  unmöglich. 

Jeden&lls  wird  es  interessiren,  einige  der  constatirten  Wirkungen  kennen  zu 
Itfnen. 

Morphium  bewirkt  Schlaf  und  beschleunigte  Athmung;  Atropin  zeigt  sich  als 
Antidot.  (Aus  der  Angabe  tber  die  Pupillen -Yerhältoisse  lässt  sich  kein  Schlnss 
ziehen.    Bef.)    Auch  Codein,  Thebain  und  Chloral  ffthren  Schlaf  herbeL 

Apomoiphin  und  Ipecacuanha  verursachen  Uebtilkeit  und  Erbrechen,  Podophyllin 
dasselbe  und  Salivation. 

Alkohol  führt  einen  Zustand  von  Trunkenheit  herbei,  gegen  welchen  sich  Am- 
moniak als  Antidot  erweist  Aethyl-  und  Amyl-Alkohol  haben  Terschiedene  Wirkungen. 
Champagner  führt  zu  geschlechtlicher  Erregung. 

Eine  eigenthümliche  Wirkung  hat  Aqua  laurocerasi:  zuerst  wird  eine  religiöse 
Exstase  bei  der  genannten  Frau  M.  ausgelöst,  die  im  zweiten  Stadium  zur  Position 
einer  Betenden  führt,  im  dritten  zur  religiösen  Zerknirschung,  die  sich  in  Haltung, 
Mienen  u.  s.  w.  ausdrückt;  ein  weiteres  Stadium  lässt  die  Betende  hinsinken  und 
es  ist  dasselbe  von  leichten  Conyulsionen  begleitet,  worauf  Buhe  mit  Schlaf  folgt. 
Wird  M.  nunmehr  in  Somnambulismus  versetzt,  so  giebt  sie  die  Hallacination,  welche 
sie  während  dieses  Zustandes  gehabt  und  die  sich  an  die  heilige  Juugfrau  knüpfte, 
zum  Besten.  Unter  dem  Einfluss  von  Aqua  laurocerasi  soll  sich  dies  Phänomen 
immer  in  gleicher  Weise  abspielen.  Photolypen  veranschaulichen  die  einzelnen  Stadien. 

Für  die  Wirkung  von  Valeriana  ist  neben  andern  das  Eratzen  der  Erde,  wie 
es  auch  Baldrian  riechende  Katzen  thun,  charakteristisch. 

Eine  beruhigende  und  krampfstillende  Wirkung  hat  das  Ammoniom  valerianicum 
(Dosis  0,15),  desgleichen  der  Campher. 

Nux  Yomica  führt  zu  tonischen  Convulsionen  mit  Opistothonus,  Aconitin  zu  Con- 
gestion  des  Kopfes  und  Thränenlaufen  u.  s.  w. 

Die  Wirkungen  Ton  Aqua  laurocerasi  (Hallucinationen  religiösen  Inhalts  u.  s.  w.) 
konnten  auch  an  einer  nicht  hysteris<dien  Dame  im  hypnotischen  Zustand  hervor- 
gebracht werden,  ebenso  die  des  Alkohols  durch  die  bezeichnete  Methode  bei  einem 
Matrosen. 

üebrigens  soll  noch  bemerkt  werden,  dass  die  Beactionsfahigkeit  der  gedachten 
Personen  in  den  verschiedenen  Stadien  ihrer  Krankheit  nicht  immer  die  gleiche  war. 

Als  Gewährsmänner  für  die  Bichtigkeit  ihrer  Beobachtungen  führen  die  Yerfif. 
zuerst  M.  Ch.  Bichet  an,  der  dieselben  in  der  That  bestätigt  und  auch  die  Meinung, 
es  wären  diese  Phänomene  durch  die  natürliche  Wirkung  flüchtiger  Substanzen  zu 
erklären,  mit  gaten  Gründen  zurückweist:  die  Experimente  gelingen  mit  durchaus 
nicht  flüchtigen  Substanzen  und  es  gelingt  auch,  bei  Unbekanntschaft  des  Experi- 
mentators und  der  Yersuchsperson  mit  der  betreffenden  Substanz  aus  den  durch  die 
Wirkung  derselben  ausgelösten  Symptomen  die  betreffende  Substanz  zu  erkennen. 
Femer  führen  die  Yerff.  Luys  (v.  folgend.  Beferat),  M.  Ch.  Döcle  in  Paris,  Cha- 
zarin,  Dufour  und  Bochas  als  Autoren  an,  die  gleiche  Besultate  bei  ihren  Ver- 
suchen erhalten  haben,  während  sie  die  Versuche  von  Voisin  als  nicht  maassgebend 
bezeichnen,  weil  derselbe  an  ihrem  Versuchsobject  V.  zu  einer  Zeit  operirt  habe,  als 
dasselbe  andere  Krankheitserscheinungen  bot  und  gerade  weniger  empfänglich  war. 

Der  zweite  TheU  ist  einer  umständlichen  Abhandlung  über  Suggestion  und 
Metalloscopie  gewidmet»  über  erstere,  um  darzulegen  (insbesondere  auch  gegen  Voisin), 


—    206    — 

dasB  die  Fdmwirinmg  der  Medikamente  auf  Personen,  deren  €Heicligewicht  des  Nerven- 
systems gestört  ist  (d^^qnüibrto),  dorchaus  nichts  mit  der  Suggestion  za  thon  hat, 
dass  man  sich  bei  den  Experimenten  speciell  vor  Suggestion  mit  Worten  gehütet  hat^ 
und  dass  die  Suggestion  mentale  (Ideen-Suggestion)  zum  mindesten  eine  zweifelhafte 
Sache  ist. 

Die  Metalloscopie  wird  herangezogen,  nm  über  die  Analogien  in  ihr  mit  den 
vorliegenden  Erfahrungen  zur  Entwickelung  einer  ErU&mng  derselben  überzugehen: 
Alle  lebenden  Wesen  besitzen  in  sich  eine  gewisse  Menge  magnetischer  Kraft  oder 
Elektricität,  wie  es  für  bestimmte  Individuen  unzweifelhaft  dargethan  ist  Aehnüch 
einem  Magneten  schafft  sich  diese  Kraft  um  das  Individuum  herum  eine  magnetische 
Sph&re  (champ  magn^tique),  in  deren  Bereich  sich  ähnliche  Erscheinungen  auslösen 
können  wie  in  nnmittelbarem  Gontact  mit  der  magnetischen  Quelle.  Die  betreffenden 
Medikamente  communidren  mit  diesem  champ  magn^tique  durch  Vibrationen  ihrer 
Molecüle.  Das  Weitere  ist  Beflezvorgang.  Dies  ungeföhr  die  Hypothese  der  YerfT. 
über  die  wunderbaren  Phänomene. 

Der  dritte  Theil  beschäftigt  sich  mit  der  Anwendung  der  einen  Entdeckung: 
zu  weitläufig,  um  näher  darauf  eingehen  zu  können,  sei  es  dem  Leser  überlassen, 
aus  Yorstehendem  sich  selber  die  Indicationen  zu  jener  zurecht  zu  stellen.  Ein  de- 
finitdves  zustimmendes  oder  ab^iges  Urtheil  über  diese  „Neuheit"  ist  jetzt  zu  fallen 
unmöglich.  Die  Zeit  muss  die  Entscheidung  darüber  bringen.  Vielleicht  lässt  sich 
Altmeister  Gharcot  zu  einem  Wort  in  dieser  Sache  herbei.  Sperling. 


13)  IiOB  ämotionB  ohes  les  snjets  en  ötat  dliypnotisme,  par  J.  Luys,  mMecin 
de  rhöpital  de  la  Charit^.  (Paris  1887.  Bailli^e  &  Fils.  98  Seiten,  28  Photo- 
glyptien.) 

Verf.  bestätigt  im  Allgemeinen  die  Berichte  und  Beobachtungen  von  Bourru 
und  Burot.  L.  hat  etwa  87  medicamentöse  Stoffe  in  Bezug  auf  ihre  Femwirkung 
auf  Hypnotisirte  untersucht  und  legt  besonderes  Oewicht  auf  die  dabei  zu  Tage  ge- 
tretenen Aensserungen  des  Gkmüths,  sowie  auf  vasomotorische  und  trophische  Er- 
scheinungen. 

L.  giebt  eine  genaue  Beschreibung  seiner  Methode.  Die  Medicamente  befinden 
sich  sämmtlich  in  gepfropften  und  versiegelten  Glastuben.  Die  beiden  Versuchsobjecte 
(Esther  und  Gabrielle),  von  denen  besonders  die  erstere  sich  auszeichnet,  sind  hystero- 
epileptisch;  Esther  hat  eine  lange  Krankengeschichte.  Im  Zustand  von  Hemianästhesie 
rufen  Glastuben,  die  mit  Medicamenten  gefüllt  sind,  an  verschiedenen  Körperstellen 
und  über  gleichnamigen  Stellen  beider  Körperhälften  verschiedene  Symptome  hervor. 
(Widerspruch  mit  Bourru  und  Burot.)  Dieselben  hier  aufzuzählen,  würde  zu  weit 
fähren.  Erwähnt  soll  nur  werden,  dass  L.  durch  Femwirkung  einer  einfachen  Glas- 
tube hallucinatorische  Erscheinungen  und  Gontraction  der  Arme  auslöste,  sowie  durch 
Femwirknng  des  Wassers  (sie!)  Symptome  von  Hydrophobie!  Im  üebrigen  stimmen 
die  Resultate  mit  denen  von  Bourm  und  Burot  ziemlich  überein.  Originell  ist  L. 
die  Anwendung  der  Thymian-Essenz:  Hallucinationen  heitern  und  traurigen  Inhalts 
resultiren  daraus,  Anschwellung  der  Thyreoidalgegend  des  Halses  und  Exophthalmus. 
Hallucinationen  traten  bei  diesem  und  andern  Mitteln  mit  oder  ohne  Betheiligung 
der  Sprache  auf;  mit  der  Wegnahme  des  Medicaments  schwinden  die  Erscheinungen, 
um  mit  Annäherong  desselben  sich  wieder  einzustellen. 

Die  hervorragendsten  Phänomene,  welche  die  beiden  genannten  Personen  dar- 
boten, sind  durch  25  Photographien  fixirt. 

Verf.  hält  die  geschilderten  Vorgänge  für  reflectorischer  Natur,  er  erklärt  aber 
nicht,  wie  er  sich  die  erste  Phase  des  Reflexes,  die  Wirkung  des  Medicamentes,  des 
Glases,  des  Wassers  auf  die  peripherischen  Nerven  zu  Stande  gekommen  denkt. 

Die  praktische  Seite   dieser  Experimente   erleuchtet   Verf.   durch   „erhebliche 


—    207    — 

6€fi86nmg''    Yon   zwei  bjsteroepileptiacben   Mädchen  in  Folge  von  Fernwirknng  von 
Bromkaliy  nachdem  alle  andern  Heilversache  fehlgeschlagen  hatten.^       Sperling. 

14)  Slnlge  therapeutisohe  Versuche  mit  dem  Hsrpnotismas  bei  GMatea- 
kranken,  von  Prof.  Dr.  Aug.  Forel  in  Zürich.  (Gorresp.-Bl.  f.  Schweiz.  Aerzte. 
1887.  Nr.  16.  S.  481.) 

Es  mehren  sich  die  Beohachkingen,  welche  den  HypnotismnB  auch  in  der  wissen- 
schaftlichen medidnischen  Welt  zu  seinem  Becht  verhelfen  zu  wollen  scheinen! 

Prof.  Forel  ist  nach  Nancy  gereist,  um  sich  hei  Bernheim,  dem  Director 
einer  Abtheüung  der  dortigen  innem  Klinik  und  wohl  augenhlicklich  dem  vielerfahrensten 
anf  dem  Gebiete  des  HypnotLsmus,  persönlich  von  dem  zu  überzeugen,  was  er  in  dessen 
—  übrigens  zur  Lectflre  sehr  lesenswerthem  Buche:  „De  la  Suggestion  et  de  ses 
appücations  ^  la  th^rapeutique."  Pans  1886  —  416  Seiten  —  gelesen  hatte. 

Zorflckgekehrt  vwsuchte  er  es  selber  zu  hypnotisiren.  F.  bediente  sich  der  in 
Nan<7  angewandten  Methode:  par  Suggestion;  was  ihm  vorher  misslungen,  glückte 
jetzt  vollständig.  Die  angestellten  Versuche  sind  um  so  interessanter,  als  sie  an 
Cknsteskranken  gemacht  sind. 

Bei  41  Personen  (21  Männern  und  20  Frauen)  konnte  F.  27mal  eine  mehr  oder 
minder  hochgradige  Hypnose  hervorrufen. 

Die  einzehien  Fälle  sind  mit  ihrem  Erfolg  oder  Misserfolg  kurz  geschildert. 
Sehr  auffallend  ist  die  Wirkung  der  Suggestion  in  der  Hypnose  bei  mehreren  Alko- 
holikern, welche  sich  dann  später  in  den  Mässigkeitsverem  aufnehmen  Hessen! 

Ein  Morphinist  konnte  durch  Hypnose  sowohl  vom  Morphiumhunger  als  von 
den  sehr  quälenden  Neuralgien  befreit  werden. 

Ein  Fall  von  periodischen  submaniakalischen  Aufregungen  wurde  aufEEdlend  g^t 
beeunflnsst  Der  rohe  und  angeregte  (congenital  schwachsinnige)  Mann  wurde  bald 
mhig,  ernst  und  viel  fleissiger  als  vorher. 

Zwei  schwere  Hysterien  wurden  erheblich  gebessert. 

Bei  angeborenen  Psychosen  (3  Fälle)  missglückte  jeder  Versuch  zu  hypnotisiren; 
ebenso  Hessen  sich  „unheilbare  Psychosen"  wenig  beeinflussen. 

Bei  acuten  Melancholien  und  Manien  sind  einige  Erfolge  zu  verzeichnen. 

Ein  Panacee  gegen  alle  Leiden  darf  natürlich  auch  in  dem  Hypnotismus  nicht 
gesucht  werden.  Jedenfalls  ist  es  sehr  häufig  der  Mühe  w^h,  ihn  anzuwenden, 
wenn  andere  Mittel  im  Stich  lassen.  Sperling. 


15)  Einige  Bemerkungen  über  den  gegenwärtigen  Stand  des  Hypnotismus 
nebst  eignen  ErflAhrangen,  von  Prof.  Aug.  Forel  in  Zürich.  (Münch.  medic. 
Woch.  1888.  Nr.  6.  S.  71.) 

Ein  Aufsatz,  welcher  durch  die  Erörterungen  dieser  Frage  in  der  Berliner  medi- 
cinischen  Gesellschaft  im  November  v.  J.  gelegentlich  eines  Vortrages  von  Dr.  Moll 
hervorgerufen  worden  ist. 

F.  wendet  sich  sehr  entschieden  gegen  die  dort  von  Ewald  vertretene  Ansicht, 
dass  die  Hypnose  kein  Mittel  sei,  welches  in  den  Dienst  der  Heilkunde  gestellt  zu 
werden  verdiene,  weil  sie  jeder  Schäferknecht  hervorrufen  könne:  zur  richtigen  An- 
wendung derselben  gehört  „medicinisches  Wissen  und  psychologische  Kenntnisse»  ge- 


^  Die  Acad^ie  de  MMecine  in  Paris  hat  eine  Commission  zur  Prüfung  der  von  Luys 
berichteten  Veranche  über  die  Wirkung  von  Heilmitteln  auf  Distanz  eingesetzt  Die  von 
Dujardin-Beaumetz  mitg^etheilten  Kesultate  lauten  dahin,  „dass  die  durch  Medikamente 
auf  Entfernung  bei  hvpnotisirbaren  Personen  erzielten  Wirkungen  mehr  von  Launen  der 
Phantasie  und  des  Gedächtnisses  der  betreffenden  Personen,  als  von  den  in  diesen  Fällen 
gebrauchten,  in  Glastnben  eingeschlossenen  medikamentösen  Substanzen  abzuhängen  schei- 
nen." —  Luys  hat  für  eine  der  nächsten  Sitzungen  das  Wort  gebeten,  um  die  Gründe  und 
Anschauungen  der  Commission  zu  vnderlegen.    (Gaz.  m^d.  de  Paris.  1888.  10.  März.) 


—    208    — 

liört  Tor  Allem  die  F&liigkeit,  Diagnosen  zu  machen,  gehört  aueh  Uebnng".  Deshalb 
ist  der  Arzt  zn  ihrer  Anwendung  nicht  nur  berechtigt,  sondern  yerpfliditet,  ein  Heil- 
mittel der  ruchlosen  Hand  des  Eurpftischers  zu  entziehen,  mit  welchem  von  äntüchen 
Autoritäten  unbestreitbare  Erfolge  erzielt  worden  sind.  „Es  ist  nun  allerhöchste  Zeit» 
einer  Erscheinungsreihe,  welche  im  höchsten  Grade  unsere  Anschauungen  HbM*  die 
Physiologie,  über  die  Physiologie  des  Grosshims  zu  yervollstindigen  im  Stande  ist, 
unser  volles  Augenmerk  und  eine  streng  wissenschaftliche  Prüfung  zu  widmen/'  — 

Mendel  gegenüber  betont  F.,  dass  die  nach  Anwdsung  der  Schule  von  Nancy 
(Bernheim,  Liäbault)  geübt«  Hypnose  niemals  von  üblen  Nebenerscheinungen  be- 
gleitet sei  wie  die  Braid*sche  Methode,  die  M.  wohl  allein  angewandt  habe.  Heilungen 
würdoi  nicht  vorzugsweise  bei  Hysterischen  orzielt,  gerade  im  Gegentheil  seien  die 
„geistig  Gesunden  mit  gesundem  Schlaf,  die  einfachen  Leute  aus  dem  Volke  am 
leichtesten  zu  hypnotisiren  und  durch  Suggestion  zu  beeinflussen,  und  zwar  Männer 
so  gut  als  Frauen".  Die  Au£GuBsung  der  Hypnose  als  Neurose  ist  mit  Yorf.'s  Er- 
fahrungen nicht  vereinbar;  auch  Bernheim  und  Li^bault  widersprechen  derselben. 
Die  Hypnose  bietet  viel  Analogien  mit  dem  normalen  Schlaf. 

Zu  den  früheren  Mittheilungen  fügt  L.  noch  einige  neue,  durch  Suggestion  günstig 
beeinflusste  resp.  geheilte  Fälle:  Ein  30jähr.  Mädchen,  die  zuerst  von  einer  Quintus- 
neuralgie,  dann  von  ihrer  Alkoholsucht  und  schliesslich  von  ihrer  unregelmässigen 
Menstruation  befreit  wurde.  Ein  zweiter  Fall  betrifft  einen  Rheumatiker,  der  durch 
Suggestion  seine  Schmenen  verlor;  ein  dritter  eine  Paranoica,  der  die  „Stimmen" 
wegsuggerirt  wurden;  ein  vierter  und  fünfter  eine  Ischias  resp.  Schlaflosigkeit,  die 
unter  dem  Einfluss  der  suggestiven  Hypnose  schwanden. 

„Das  Feld  der  Psychosen  ist  für  die  therapeutische  Wirkung  der  Suggestion 
äusserst  nngünstig." 

Das  Buch  Bernheim's  „De  la  Suggestion  et  de  ses  appllcations  ^  la  th^rapeu- 
tique",  das  eben  in  2.  Auflage  erschienen,  wird  jedem  Arzte  zum  Studium  empfohlen. 

Sperling. 

16)  Mittheiliuigen  über  Hypnotlamus  aus  der  Bkandinavisohen  laittaratur. 

Unter  718  Personen,  die  Dr.  Otto  Wetterstrand  (Hygiea  L.  1.  S.  28.  1888) 
im  Laufe  des  Jahres  1887  hypnotisirte,  zeigten  sich  nur  19  unempfüiglich;  oft  ist 
Unempfönglichkeit  nur  temporär  vorhanden,  denn  dieselbe  Person  kann  an  dem  einen 
Tage  empfänglich  sein,  an  einem  andern  nicht,  Leute,  die  vorher  wiederholt  leicht 
hypnotisirt  werden  konnten,  können  später  unempfänglich  werden.  George  Lytken 
(Ugeskr.  f.  Läger  4.  B.  XYI.  34.  35.  1887)  hat  die  Erfahrung  gemacht,  dass  man 
mit  Geduld  und  Ausdauer  oft  Hypnose  bei  Personen  hervorzubringen  vermag,  die 
sich  nach  den  ersten  Versuchen  als  unempfänglich  darstellten.  Einen  Unterschied 
der  Temperamente  und  des  Geschlechts  in  Bezug  auf  die  Empfänglichkeit  hat  Wetter- 
strand nicht  gefunden,  nach  ihm  sind  nerv5se  Personen  oft  besonders  schwer  zu 
hypnotisiren;  die  Ansicht,  dass  der  Hypnotismus  in  den  meisten  Fällen  mit  Hysterie 
verbunden  sei,  hält  W.  für  unbegründet;  die  am  besten  hypnotisirbare  Person,  die 
W.  gefunden  hat,  war  ein  17  J.  altes,  ganz  gesundes  Mädchen  von  blühendem  Aus- 
sehen,  ohne  jede  Spur  von  Nervosität,  sie  war  nie  krank  gewesen.  Wohl  aber  hat 
nach  W.  der  Charakter  eine  gewisse  Bedeutung;  Egoisten,  Skeptiker,  Leute,  die  Alles 
bekritteln,  sind  nach  seiner  Erfahrung  weniger  empfänglich.  Alle  Kinder,  vom  3.  oder 
4.  J.  an  bis  zum  15.,  sind  empfänglich;  bis  zum  Alter  von  30  J.  ist  die  Emp^g- 
lichkeit  besonders  gross,  von  da  an  nimmt  sie  ab,  ohne  jedoch  vollständig  zu  ver- 
schwinden, noch  sehr  alte  Leute  können  hypnotisirbar  sein. 

Nach  hypnogenen  Zonen  hat  8.  Hytten  (Ugeskr.  f.  Läger  4.B.  XYI.  36.  1887) 
in  vielen  Fällen  gesucht,  aber  nur  in  3  Fällen  solche  gefunden:  im  Nacken  am 
1.  Halswirbel,  am  rechten  Ohrläppchen  und  längs  des  Bippenbogens  auf  beiden  Seiten. 

Hytten  hat  sich  wiederholt  überzeugt,  dass  vollständige  Hypnose  nicht  noth- 


—    209    - 

wendig  ist,  um  wirksame  therapeutische  Suggestionen  zu  geben,  sondern  dass 
dazu  schon  Fasdnation  und  Lethargie  genügen,  in  beiden  Fällen  sind  aber  dann 
noch  Str^diiuig«!  nothwendig.  In  einem  Falle  extrahirte  H.  einen  Zahn,  nachdem 
er  nur  dmal  über  den  Alveolarfortsatz  des  Oberkiefers  gestrichen  und  die  Stelle  für 
gefühllos  erklärt  hatte,  ohne  dass  die,  offenbar  dadurch  fascinirte  Kranke  Schmerz 
bei  der  Extraetion  empftmd. 

Die  therapeutische  Wirksamkeit  der  Suggestion  sucht  Lütken  (a.  a.  0.)  darin, 
dass  die  znerst  durch  Suggestion  eingegebenen  Ideen  und  Qedankenjgänge  dem  Hjp- 
notisirten  allmählich  selbst  eigen  werden,  so  dass  z.  B.  ein  Trinker  im  Laufe  der 
Zeit  enthaltsam  wird  nicht  in  Folge  des  Befehls,  sondern  aus  eigenem  Trieb. 

Ausser  Wetterstrand  in  Stockholm,  der  die  ausgedehnteste  Anwendung  der 
hypnotischen  Suggestion  zu  therapeutischen  Zwecken  gemacht  und  eine  reichliche 
Auswahl  Yon  Fällen  ausführlich  mil^etheilt  hat,  dessen  Aufsatz  jedoch  zur  Zeit  noch 
nicht  Tollständig  erschienen  ist^  haben  yerschiedene  Aerzte  in  Dänemark  die  Sug- 
gestion zu  Heilzwecken  verwendet.  Fraenkel  in  Slagelse  (Ugeskr.  f.  Läger  4.  B. 
XV.  17,  —  NeuroL  Centralbl.  VI.  18.  p.  427.  1887)  wandte  sie  in  2  Fällen  an. 
L.  Bentson  (Ugeskr.  f.  Läger  4.  B.  XVI.  81.  32.  1887)  heilte  in  je  1  Falle  neu- 
ralgische Schmerzen  in  den  Gliedern  bei  einer  wahrscheinlich  hysterischen  Frau  und 
rheumatische  Schmerzen  in  Kreuz,  Bücken,  Nacken  und  beiden  Gesichtshälfben  bei 
einer  Frau,  die  durchaus  ohne  jede  hysterische  Anlage  war.  Lütken  (a.  a.  0.)  theilt 
20  FäUe  mit,  Hypochondrie,  Keurasthenie,  Hysterie,  Geistesstörungen,  Chorea,  Neu- 
ralgien, Lähmungen  und  Stottern  betreifend;  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  von 
Ftllen  wurde  Tollständige  Heilung  erzielt.  Hytten  (a.  a.  0.),  der  8  Fälle  von  ver- 
schiedenen Nerrenkrankheiten  mittheilt,  in  denen  hypnotische  Suggestion  mit  guten 
Besultaten  angewendet  wurde,  hatte  ebenfalls  guten  Erfolg  bei  Behandlung  des  Stottems, 
wie  auch  Wetterstrand.  In  einem  Falle  benutzte  Hytten  die  Hypnose  statt  der 
Chloroformnarkose  behufs  Ausschabung  des  Uterus.  Als  Curiosa  theilt  Hytten  zwei 
FlUe  mii  In  dem  einen  ernüchterte  er  durch  hypnotische  Suggestion  einen  in  leichtem 
Rausche  Befindlichen,  im  andern  hatte  sich  ein  junger  Mann  unfreiwillig  selbst  hyp- 
notisirt  dadurch,  dass  er,  in  Gedanken  auf  einem  Stuhle  sitzend,  auf  ein  kleines, 
stark  lacht  reflectirendes  Bild  gestarrt  hatte;  der  junge  Mann  gerieth  leicht  in  der- 
artige Zusiäide. 

Eine  Methode,  sich  selbst  zu  hypnotisiren,  theilt  J.  P.  G.  Johansen 
(ugeskr.  f.  Läger  4.  B.  XVI.  1.  2.  1887)  mit,  der  an  sich  selbst  versucht,  mittelst 
hypnotischer  Suggestion  Morphiumsucht  zu  überwinden.  J.,  in  dessen  Familie  sich 
starke  Disposition  zu  Nerrenkrankheiten  findet,  war  in  Folge  einer  hartnäckigen 
Kardialgie  Morphinist  geworden  und  nach  Entziehungskuren  rückfällig  geworden. 
Gegen  den  Hypnotismus  war  J.,  von  Haus  aus  ein  sehr  kräftiger  Mann,  anfangs 
schwer  empfänglich  und  selbst  einem  Hypnotiseur  von  Fach  gelang  es  nicht,  ihn  in 
vollständige  Hypnose  zu  versetzen,  sondern  nur  in  einen  leichten  somnambulen  Zu- 
stand, der  indessen  fär  J.*s  Zwecke  genügte.  Diecen  Zustand  lernte  J.  in  folgender 
Weise  an  sich  selbst  hervorrufen.  In  einem  mittelwarmen,  verdunkelten,  möglichst 
rahigen  Zimmer  setzt  er  sich  auf  einen  bequemen  Stuhl,  den  Kopf  stark  auf  die 
Brust  gebeugt,  in  der  Hohlhand  dicht  vor  die  Brust  einen  schwarz  lackirten  Knopf 
haltend,  der  in  der  Mitte  einen  Eupferpunkt  von  der  Grösse  einer  Pupille  hat;  diesen 
Knopf,  der  von  einer  hinter  dem  Bücken  des  Stuhles  stehenden  Lampe  beleuchtet 
wird,  fizirt  er  mit  den  Augen.  Anfangs  konnte  er  den  Knopf  30 — 40  Minuten  lang 
betrachten  ohne  andere  Wirkung  als  Schmerz  in  den  Augen,  durch  Uebung  soll  man 
aber  bald  lernen,  die  Gedanken  auf  den  Schlaf  und  dessen  Vorläufer  zu  concentriren. 
Man  soll  den  Knopf  mit  weit  geöfi&ieten  Augen  betrachten  und  gut  accommodiren, 
80  dass  man  ihn  einfach  sieht.  Wenn  man  etwa  16  Minuten  lang  so  gesessen  hat, 
soll  man  einige  leichte  Streichungen  machen,  welche  die  Luft  über  die  Augenlider 
abwärts  nach  dem  Gesicht  bewegen  und  bald  sollen  die  Augenlider  zufallen  mit  dem 


—    210    — 

Gefühl,  als  ob  man  sie  nicht  wieder  öfifoen  könne.  Einige  leichte  Striche  längs  des 
Körpers  sind  nnn  hinreichend,  das  Gefühl  zn  erzengen,  als  ob  man  an  den  Stuhl 
festgebannt  wäre,  nnd  man  Terfällt  in  Schlaf,  der  erquickend  wirkt,  wenn  er  auch 
nicht  fest  genug  ist,  um  alle  äussern  Eindrücke  fernzuhalten.  Wenn  man  erwachen 
will,  soll  man  sich  von  einem  Andern  auf  die  Augen  blasen  oder  die  Aug^fel  leicht 
reiben  lassen;  wenn  man  mit  dem  festen  Vorsätze  einschläft,  eine  gewisse  Zeit  zu 
schlafen,  erwacht  man  nach  Ablauf  derselben  von  selbst  Durch  Uebung  wird  der 
Schlaf  leichter  erzeugt  und,  wenn  man  beim  Einschlafen  die  Gedanken  auf  einen 
bestimmten  Punkt  concentrirt»  kann  man  sich  selbst  die  Suggestion  geben. 

Ueble  Zufälle  will  Lütken  (a.  a.  0.)  bei  oder  nach  der  Hypnotisation  nicht 
beobachtet  haben,  doch  giebt  er  zu,  dass  er  einmal  in  tiefer  Hypnose  die  Beq^iration 
hat  aussetzen  sehen,  wie  es  bei  der  Ghloroformnarkose  manchmal  geschieht,  indessen 
war  sie  leicht  wieder  in  Gang  zu  bringen;  ein  anderes  Mal  stellte  sich  bei  einer 
Patientin  ein  hysterischer  Anfall  ein,  der  durch  energisches  Zureden  bald  abgebrochen 
wurde.  Plötzliches  Erwachen  zieht  leicht  Kopfschmerz  nach  sich.  Hytten,  der 
ebenfalls  keine  üblen  Zufälle  beobachtet  hat,  ist  überzeugt,  dass  das  Hypnotisiren 
unschädlich  ist,  wenn  es  mit  hinreichender  Einsicht  zu  rein  therapeutischen  Zwecken 
verwendet  wird.  Ueber  die  Verwerflichkeit  des  Unfuges,  der  mit  den  öffentlichen 
Schaustellungen  sog.  Magnetiseure  getrieben  wird,  stimmen  Alle  überein.  J.  Carlsen 
(Ugeskr.  f.  Läger  4.  B.  XV.  6.  7.  1887)  theilt  folgenden  in  dieser  Beziehung  inter- 
essanten Fall  mit  Ein  Mann,  der  die  Vorstellungen  des  Magnetiseurs  Hansen  be- 
sucht hatte,  versuchte,  seinen  Schwager  zu  hypnotisiren,  was  zu  seiner  üeberraschung 
gelang,  es  gelang  ihm  auch,  den  Hypnotisirten  wieder  zu  erwecken;  bei  einem  zweiten 
Versuche  kurz  darauf  gelang  das  Hypnotisiren  eben  so  leicht,  aber  das  Erwachen 
nicht.  Der  Hypnotisirte  verbrachte  die  Nacht  ruhig,  Mh  stand  er  auf,  kleidete  sich 
an  und  genoss  sein  Frühstflok,  aber  nur  auf  Befehl  seines  Schwagers.  Die  Ange- 
hörigen, durch  das  eigenthümliche  automatische  Wesen  des  Hypnotisirten  in  die  höchste 
Angst  versetzt»  schickten  nach  C;  ehe  dieser  aber  ankam,  gelang  es  bei  erneuten 
energischen  Versuchen,  den  Hypnotisirten  zu  erwecken.  Schwere  und  lange  dauernde 
Folgen  beobachtete  Dr.  Linden  (Finska  läkareeällsk.  handl.  XXIX.  6.  S.  281. 1887) 
an  einem  18  J.  alten  Schüler,  der  vom  Magnetiseur  Hansen  hypnotisirt  worden  war. 
Nach  dem  Erwachen  aus  der  Hypnose  blieben  körperliche  Schwäche  mit  anhaltendem 
Kopfschmerz,  Gleichgewichtsstörungen,  Mangel  der  Esslust  zurück,  es  stellte  sich 
psychische  Schwäche  und  Trägheit  ein,  der  Charakter  des  Kranken  veränderte  sich 
und  er  musste  seine  Studien  unterbrechen.  Erst  bei  Landaufenthalt  und  Vermeiden 
aUer  geistigen  Thätigkeit  besserte  sich  der  Zustand  ganz  allmählich. 

In  Bezug  auf  die  therapeutische  Anwendung  der  Hypnose  und  hypno- 
tischen Suggestion  sind  die  Meinungen  sehr  getheilt.  Dr.  Julius  Petersen  (ügeskr. 
f.  Läger  4.  B.  XVI.  34.  36.  38.  1887)  spricht  sich  gegen  die  Benutzung  der  Hyp- 
nose zu  Heilzwecken  durch  Aerzte  aus,  die  nicht  ganz  speciell  in  der  Neuropathologie 
bewandert  sind;  er  fordert,  dass  solche  therapeutische  Versuche  nur  unter  der  sichern 
Controle  angestellt  werden,  die  nur  iq^ecieU  in  der  Neuropathologie  theoretisch  und 
praktisch  erfahrene  Aerzte  zu  bieten  vermögen.  Er  verkennt  nicht  die  grosse  Be- 
deutung und  Tragweite  der  psychischen  Therapie,  hält  aber  eine  Durchführung  der- 
selben mittelst  des  Hypnotismus  fflr  eine  sehr  zweifelhafte  und  misaliche  Form. 
Fraenkel  in  Slagelse  dagegen  (a.  a.  0.)  will  diese  Beschränkung  nicht  zugeben  und 
hält  eine  eingehende  Beschäftigung  mit  dem  Hypnotismus  für  geboten.  A.  Seil  in 
Terslöse  (a.  a.  0.  37)  hält  die  hypnotische  Suggestion  für  eine  Heilmethode  von 
ausserordentlich  grosser  Bedeutung,  glaubt  aber,  dass  eine  Gefahr  unter  Umständen 
aus  dem  Inhalte  und  der  Form  der  Suggestion  entspringen  könne;  man  darf,  wie 
S.  hervorhebt,  nicht  ausser  Acht  lassen,  dass  man  mit  einem  Mittel  arbeitet^  das 
in  seiner  Dosirung  und  seinem  Inhalte  mit  Vorsicht  und  Bedacht  angewendet  werden 
muss,  wie  das  stärkste  toxische  Medikament;   der  Arzt  muss  das  Seelenleben  seines 


—    211     — 

Patienten  genau  kennen  und  danach  die  Suggestion  einrichten.  Scavenins-Nielsen 
(a.  a.  0.  39)y  der  selbst  nie  nachtheilige  Folgen  des  Hypnotisirens  beobachtet  hat^ 
meint»  dass  diese  tberapeatische  Methode  auch  dann  noch  nicht  zu  Terwerfen  sei, 
wenn  sie  mehr  oder  weniger  bedeutende  Uebelstände  mit  sich  brachte,  wenn  nur  der 
Yortheil,  der  durch  sie  erreicht  werden  könnte,  den  Nachtheil  tiberwöge. 

Nach  J.  Carls en*s  Meinung  (a.  a.  0.  38)  muss  die  Empfänglichkeit  ftir  hyp- 
notische Einwirkung  als  Ausdruck  fflr  ein  abnormes  Nervensystem  betrachtet  werden 
und  dieser  Empfänglichkeit  muss  als  einer  krankhaften  Erscheinung  bei  dem  einzelnen 
Individuum  möglichst  entgegengearbeitet,  es  muss  danach  gestrebt  werden,  die  Zahl 
der  empfänglichen  Individuen  einzuschränken.  Versuche  mit  hypnotischen  Kuren 
aber  können  nicht  nur  die  Empfänglichkeit  des  einzelnen  Individuums,  sondern  auch 
die  Zahl  der  empfänglichen  oder  abnormen  Individuen  vermehren.  Dr.  F.  D.  Koch 
(a.  a.  0.  Xyn.  1.  2.  1888)  erinnert  daran,  dass  bei  reconvalescenten  Geisteskranken 
BflckfäUe  durch  die  Hypnose  veranlasst  werden  können,  und  hält  es  durchaus  nicht 
fOr  sicher,  dass  nicht  auch  Ezaltationszustände  und  psychische  Störungen  bei  Leuten 
mit  einem  leicht  enegbaren  Nervensystem  eintreten  können,  auch  wenn  sich  vorher 
ähnliche  Zustände  bei  ihnen  nicht  gezeigt  haben.  Besonders  hebt  K.  die  Neigung 
zu  spontanem  Somnambulismus  hervor,  die  bisweilen  schon  nach  einmaligem  Hypnoti- 
siren  auftreten  kann,  sowie  die  Möglichkeit,  dass  Gefallen  an  dem  hypnotischen  Zu- 
stande zum  Selbsthypnotisiren  und  zum  Missbrauch  ftihren  kann.  Das  hauptsächlichste 
Feld  der  Wirkung  des  Hypnotismus  sind  functioneUe  Neurosen  aller  Art,  gerade  darin 
aber  liegt  nach  £.  eine  bedeutende  Gefahr,  weil  man  es  hier  immer  mit  Patienten 
n  thnn  hat,  deren  Nervensystem  sich  in  einem  sehr  labilen  Gleichgewichte  befindet 
und  sehr  empfänglich  fOr  körperliche  und  psychische  Einflüsse  ist,  so  dass  auch  die 
möglichen  schädlichen  Folgen  in  verstärktem  Maasse  auftreten  können.  Im  Allge- 
meinen ist  nach  E.  von  der  Anwendung  des  Hypnotismus  abzurathen,  nur  in  einzelnen 
Fällen  mag  er  als  ultimum  refugium  versucht  werden,  wenn  die  andern  gebräuchlichen 
Mittel  ohne  Erfolg  angewendet  worden  sind;  jedenfalls  ist  dabei  ausser  genauer  Fest- 
stellnng  der  Diagnose  und  Prognose  au6h  die  sorgfältigste  Abwägung  der  individuellen 
YerhSltnisse  erforderlich.  Nach  Dr.  Friedenreich  (a.  a.  0.  XVI.  39.  1887)  ist  ein 
Individuum,  dass  häufig  hypnotisirt  worden  ist,  durchaus  nicht  als  normal  zu  be- 
trachten; wenn  auch  andere  Abnormitäten  an  ihm  nicht  nachgewiesen  werden  könnten, 
so  bleibt  es  doch  leicht  hypnotisirbar  und  dadurch  dem  Einfluss  einer  andern  Person 
leicht  unterworfen.  Obgleich  F.  glaubt,  dass  mit  andern  Mitteln  dasselbe  erreicht 
werden  könne  als  mit  dem  Hypnotismus,  meint  er  doch,  dass  dieser  die  prompteste 
ond  wirksamste  Anwendungsweise  der  psychischen  Therapie  ist  und  wohl  angewendet 
werden  soll,  aber  mit  Vorsicht  und  nur  dann,  wenn  schon  jede  andere  rationelle 
Behandlung  ohne  Erfolg  versucht  worden  oder  unmöglich  ist. 

Districtsarzt  Dr.  G.  Schleisner  (a.  a.  0.  XVU.  1.  2.  1888)  theilt  ein  „Kanzlei- 
Circolar"  vom  14.  Jan.  1817  mit,  nach  dem  eine  Kur  mit  „thierischem  Magnetismus'' 
nicht  vorgenommen  werden  durfte,  ohne  das  GesundheitscoUegium  davon  in  Kenntniss 
zu  setzen  und  von  dem  Yerlaufe  zu  benachrichtigen;  wenn  die  „Operation"  von  einem 
Andern  als  dem  Arzte  selbst  ausgeführt  wurde,  musste  sie  doch  unter  des  letzteren 
Aufsicht  geschehen  und  dieser  hatte  die  volle  Verantwortung  dafür.  Schleisner 
hebt  femer  (a.  a.  0.  4.  5.)  hervor,  dass  diese  Verordnung  vom  Jahre  1817  noch  volle 
gesetzliche  Kraft  besitze  in  Hinsicht  der  therapeutischen  Anwendung  des  Hypnotis- 
mus. In  Bezug  auf  die  experimentelle  Anwendung  des  Hypnotismus  dürfte  nach  S. 
eine  Beschränkung  berechtigt  sein,  da  es  sich  dabei  um  eine  Veränderung  (um  nicht 
zu  sagen:  Aufhebung)  der  Individualität  handelt.  S.  hält  deshalb  die  Forderung  für 
nchtig,  dass  solche  Versuche  nur  von  competenten  wissenschaftlichen  Specialitäten 
ansgefOhrt  werden,  und  zwar  nicht  ohne  bestimmten  Zweck  und  mit  aller  Sicher- 
BteUnng  gegen  Missbrauch  und  Nachtheile;  nicht  alle  Aerzte  hält  Schleisner  für 
gleich  berechtigt.  Walter  Berger. 


—    212    — 

17)  HIfltoire  d'nne  hystärique  hypnotisable,  par  Grasset  et  Bronsse  (de 
Montpellier).    (Arch.  de  Neurol.  1887.  UV.  p.  321.) 

Die  FeststeUnng  der  nuTeränderlichen  körperlichen  Begleiterscheinongen  des 
hypnotischen  Znstandes  betrachten  die  YerfiF.  mit  Recht  als  die  Hanptanfgabe  des 
Forschers  nnd  Beobachters.  Welches  ist  der  natürliche,  f^iwillige,  normale  Zustand 
der  Hanptnervenfanctionen  im  hypnotischen  Schlaf,  wenn  alle  Suggestion  und  alle 
künstliche  Erziehung  ausgeschlossen  werden  kann?  Es  stehen  sich  hier  die  Auf- 
fassungen der  Gharcot'schen  Schale  in  der  Salp6tri^re  und  die  der  Kauziger  Schule 
gegenüber.  Die  Einen  kennen  gesetzmässige  Erscheinungen,  die  Andern  machen  Alles 
von  der  Suggestion  abhängig.  —  Q.  und  B.  studirten  diese  Fragen  an  einer  beson- 
ders geeigneten  Kranken,  und  die  Ergebnisse  der  Beobachtung  sprechen  einmal  gegen 
die  Kanziger,  insofern  als  feststehende  körperliche  Symptome  beobachtet  wurden,  zum 
zweiten  gegen  die  Auffassung  der  Salpötri^re,  insofern  als  die  gefundenen  Erschei- 
nungen nicht  alle  in  den  Bahmen  der  bekannten  drei  Zustände  der  grossen  Hysterie 
passen;  zum  Dritten  aber  ergeben  die  Beobachtungen,  dass  der  Charakter  der  körper- 
lichen Symptome  in  hohem  Qrade  abhängig  ist  von  der  Art  der  früheren  spontanen 
AnföUe,  ehe  das  Individuum  durch  Hypnotismus  beeinflusst  wurde.  Die  Kranke  ist 
dieselbe,  über  welche  schon  Bringuier  (in  der  Gtez.  hebd.  m^.  de  Montpellier  1886 
p.  122)  berichtet  hat.  Die  AnföUe  traten  zuerst  spontan  ein  und  bestanden  in  tiefem 
Schlaf  mit  Gontracturen  und  Anästhesie.  Sonderbarerweise  war  nur  der  Gehörsinn 
erhalten;  die  Kranke  hörte  und  antworte  auf  Fragen  mit  gutem  Gedächtniss.  Während 
in  dem  letzteren  Amnesie  für  das,  was  in  dem  Anfall  mit  ihr  vorgegangen  war,  be- 
stand, erinnerte  sie  sich  im  Anfall  an  die  Erlebnisse  sowohl  aus  den  früheren  An- 
tillen, als  auch  aus  dem  wachen  Zustand.  Die  Anfllle  waren  von  verschiedener 
Dauer  und  konnten  unterbrochen  werden  durch  Compression  der  Ovarialgegend,  der 
Gegend  unterhalb  der  Mamma  und  über  dem  Schulterblatt,  sowie  der  Processus  spinosi 
der  Wirbel.  Auf  die  Annäherung  von  Metallen,  Magneten  und  der  blossen  Hand 
reagirte  sie  im  Anfall  mit  starkem  Zittern.  Die  Anfälle  konnten  künstlich  hervor- 
gerufen werden  durch  Compression  eines  der  hysterogenen  Punkte,  sowie  auch  durch 
die  übrigen  Mittel  des  Hypnotismus.  Die  Symptome  im  künstlichen  Anfall  glichen 
durchaus  denen  im  spontanen.  Handlungen  Uessen  sich  ihr  leicht  suggeriren;  nach 
der  Ausführung  verfiel  sie  sogleich  wieder  in  Schlaf.  Dies  letztere  Symptom  scheint 
den  Yerff.  anzudeuten,  dass  der  Zustand  nach  dem  Erwachen,  in  welchem  die  Kranke 
die  ihr  suggerirte  Handlung  ausführen  muss,  auch  noch  eine  Art  somnambulistischen 
Zustandes  ist.  Ausser  Handlungen  konnten  ihr  auch  Halludnationen  und  Paralysen 
suggerirt  werden;  die  letzteren  pflegten  mit  Gontracturen  und  lebhaften  Schmerzen 
einherzugehen.  Auch  konnte  man  ihr  z.  B.  suggeriren,  dass  sie  ein  abführendes 
Salz  einnehme;  sie  trank  reines  Wasser  und  ging  darauf  etwa  zehnmal  zu  Stuhle; 
u.  s.  f.  Man  suggerirte  ihr  auch,  während  einer  Reihe  von  Tagen  keine  spontanen 
Anfälle  zu  haben  und  am  bestimmten  Tage  sich  wieder  vorzustellen.  Sie  kam,  be« 
richtete,  dass  sie  keine  Anfälle,  wohl  aber  heftiges  Zittern  oder  Kopfschmerzen  ge- 
habt habe  und  verfiel  nach  dem  Bericht  in  Schlaf.  Man  erfahr  auch,  dass  sie  an 
dem  bestimmten  Tage  einige  Stunden  vor  der  festgesetzten  Zeit  in  Schlaf  verfallen 
war  und  sich  dann  kurz  vor  der  bestimmten  Stunde  erhoben  habe,  so  dass  sie  noch 
gerade  rechtzeitig  ankam.  —  Weitere  Suggestionen  und  überhaupt  das  weitere  Ver- 
halten sind  im  Original  nachzusehen. 

Eine  Analyse  der  Symptome  ergiebt  für  die  Yerff.,  dass  die  geschilderte  Kranke 
nicht  in  die  von  den  andern  Autoren  aufgestellten  Schemas  passt  und  doch  in  ihren 
Krankheits-  und  Hypnotisations-Erscheinungen  gesetzmässige,  körperlich  wohl  charak- 
terisirte,  bestimmte  Züge  zeigte.  Weiterhin  folgern  sie,  dass  man  unterscheiden  muss 
zwischen  den  Individuen,  welche  vor  den  hypnotischen  Versuchen  bereits  Anfälle  der 
grossen  Hysterie  hatten  und  denen,  welche  vorher  keine  hatten.  Bei  den  Ersten  kann 
der  künstlich  hervorgerufene  hypnotische  Zustand  bestimmte  körperliche  Symptome 


—    218    — 

darbieten»  welche  ans  den  vorher  bestandenen  Anfällen  stammen,  ana  ihnen  reproducirt 
und  ihnen  conform  sind.  Bei  der  zweiten  Qmppe  hängt  Alles  von  der  Suggestion 
ab,  die  Individaen  bilden  sich  nach  ihr.  Siemens. 


18)  Spasmo  esofageo  in  giovinetto  ieterico  guarito  ooUa  auggeetloxie  ipno- 
tioa^  dal  Dott  C.  SoaraTelli.  (Bivist.  speriment,  di  Iren.  eoc.  1887.  Yni  p,  20i.) 

iSn  11  jähr.  nearopathischMT  Knabe  erkrankte  unmittelbar  nach  dem  heftigen 
Schreck,  der  durch  das  bekannte  Erdbeben  in  diesem  FrOl^Al^i'  hervorgerufen  war, 
an  eigenthflmlichen  Oesophaguskrämpfen,  die  jede  Aufnahme  flüssiger  Nahrungsmittel 
unmöglich  machten,  während  feste  Körper  ohne  besondere  Schwierigkeit  geschluckt 
werden  konnten.  Nach  zweimonatlicher  Dauer  dieses  fast  unerträglich  gewordenen 
Zostandes  wurde  mit  Rücksicht  auf  die  bekannten  Heilerfolge  bei  ausgebildeter  Hysterie 
ein  Yersuch  gemacht,  den  Patienten  za  hypnotisiren.  Es  gelang  dies  nach  längerem 
Bonühen  und  nun  wurde  dem  Knaben  in  mdgliohst  überzeugender  und  eindrücklicher 
Weise  mitgetheilt^  daas  nach  dem  Erwachen  aus  dem  hypnotischen  Schlafe  alle  Be- 
schwerden geschwunden  sein  würden,  und  dass  er  dann  unter  allen  umständen  trinken 
können  müsse.  Nach  anscheinendem  Zweifel  gab  der  hypnotisirte  Knabe  dann  selbst 
zu,  dass  er  fühle,  geheilt  zu  sein,  und  —  aus  dem  Schlafe  erweckt  —  vermochte 
er  wirklich  ohne  Schwierigkeit  Flüssigkeit  zu  sich  zu  nehmen.  Die  „Heilung''  hat 
seitdem  angehalten,  ohne  dass  es  auch  nur  ein  einziges  Mal  nöthig  gewesen  wäre, 
wieder  zur  hypnotischen  Suggestion  schreiten  zu  müssen.  Sommer. 

19)  Dn  tiedftement  de  TamAaorrhte  par  la  enggeatlon  hypnotique,  par  le 

Docteur  Aug.  Voisin.    (Bevue  des  sdences  hypnotiques.  1887.  Janvier.) 

Beferat  eines  in  der  Soci^t^  mMico-psychologique  gehaltenen  Vortrages. 

Drei  Fälle,  bei  denen  es  gelang,  die  mehr  oder  weniger  lange  ausgebliebene 
Menstruation  durch  Suggestion  auf  Tag  und  Stunde  vorher  zu  bestimmen,  desgleichen 
ihre  Dauer  und  die  früher  aufgetretenen  Schmerzen  zu  beherrschen. 

Fünf  weitere  durch  Suggestion  günstig  beeinflusste  Fälle  von  Amenorrhoe  ge- 
hören der  Praxis  des  Dr.  Li^bault  in  Nancy  an;  auch  von  Beaunis,  Focachou, 
Dumontpallier,  Bourru  und  Burot,  MabiUe,  Bourlureau  giebt  Yoisin  an, 
dass  sie  analoge  Erfahrungen  gemacht. 

(Von  Yoisin  stammen  die  ungünstigen  Berichte  über  die  Femwirkung  der  Arznei- 
mittel.   Bef.)  Sperling. 

20)  AttaquoB  dliystöro-öpilepsie  Bupprimtea  par  Suggestion  hypnotique, 

par  Sollier.    (Progr.  mM.  1887.  Nr.  42.) 

Eine  junge  Frau  von  23  Jahren,  hereditär  belastet  und  von  Jugend  auf  reizbar 
und  nervös,  litt  an  Anfällen  echter  Hystero-Epilepsie,  die  sich  sowohl  durch  ihre 
Intensität  als  durch  die  Häufigkeit  ihres  Auftretens  auszeichneten  und  ihr  jede  Arbeit 
immöglich  machten.  —  Sie  schrie  und  tobte  während  denselben  so  fürchterlich,  dass 
sie  auf  Veranlassung  der  Nachbarschaft  ihr  Haus  verlassen  und  das  Hospital  auf- 
suchen musste.  —  Die  Krankheit  trotzte  4  Jahre  lang  allen  möglichen  Behandlungs- 
methoden: Täglich  traten  mehrere  Anfälle  ein.  —  S.  hypnotisirte  sie  durch  Zudrücken 
der  Augen,  und  führt  sie  durch  einfaches  Bestreichen  des  Scheitels  aus  dem  Zustande 
der  Lethargie  in  den  des  Somnambulismus  über;  in  diesem  suggerirte  ihr  S.,  dass 
sie  acht  Tage  lang  keine  hysterischen  Anfälle  mehr  haben  würde;  sie  versprach,  so 
lange  davon  frei  zu  bleiben  —  und  in  der  That  blieben  die  AnffiUe  so  lange  aus. 
—  Nach  abgelaufener  Frist  wiederholte  S.  Hypnotisation  und  Suggestion  in  derselben 
Weise,  später  nur  mit  längeren  Zwischenräumen:  Und  unter  dem  Einflüsse  der  Ein- 
flüsterung setzten  die  Attacken  auch  wirklich  ein  volles  Jahr  aus  bis  auf  ein  ein- 
ziges Mal,  wo  Patientin  sehr  überangestrengt  und  gereizt  war.  —  Sie  wurde  schon 


—    214    — 

nach  wenigen  Monaten  ihrer  Familie  und  ihrem  Haoshalte  wiedergegeben.  —  S.  er- 
achtet sie  als  geheilt  von  ihren  Attacken,  die  sie  nnd  ihre  Umgebmig  so  schrecklich 
belästigten,  wenn  auch  ihre  hysterischen  Stigmata  (Hemianästhesie:  sensible  und  sen- 
sorische) noch  fortbestehen.  La  quer. 

21)  Die  Holle  der  Suggestion  bei  gewiMen  Ersoheiniixigen  der  Hysterie 
nnd  des  Hypnotismns,  Kritisches  und  Experimentelles  von  Dr.  Armand  Httckel. 
(Jena  1888.    YerL  Yon  Gust.  Fischer.    72  Seiten.) 

Die  wanderbaren  therapeutischen  Erfolge,  welche  man  bei  Hysterischen  im 
wachen  und  hypnotischen  Zustand  erzielt  hat,  die  Heilwirkungen  der  Metalle  und 
Magneten,  die  Wirkungen  von  Arzneistoffen  in  der  Entfernung,  die  wundersamen 
Heilungen  durch  Reliquien,  heilige  Wasser  etc.,  schliesslich  die  in  der  Hypnose 
selber  durch  eigenthümliche  Mittel  wie  intensiTe  Beleuchtung  der  Haut,  Anblasung  etc. 
hervorgebrachten  Oontracturen  —  alle  diese  Erscheinungen  sind  nach  des  Verf.  wohl- 
begründeter Ansicht  nicht  physikalisch,  sondern  psychisch  zu  erklären.  Die  Sug- 
gestion, die  bewusste  oder  unbewusste,  ist  es,  welche  hierbei  die  Hauptrolle  spielt, 
und  die  Psyche  setzt  die  Suggestion,  die  schon  in  der  Form  von  Geberden,  Ausrufen, 
Andeutungen  als  Suggestion  von  Seiten  der  Versuchsperson  aufgefasst  werden  kann, 
individuell,  aber  meist,  und  dies  nicht  wunderbarer  Weise,  im  Sinne  des  Experimen- 
tators, in  Handlung  etc.  um.  Das  innere  Wesen  dieses  Vorganges  entzieht  sich  bis 
jetzt  einer  ausreichenden  Erklärung. 

Die  Bolle,  welche  die  Suggestion  unter  den  erwähnten  Verhältnissen  spielt,  ist 
so  subtil,  dass  nur  die  äusserste  Vorsicht  vor  Selbsttäuschungen  bewahren  kann. 
Einige  vom  Verf.  angestellte  Experimente  sind  interessant,  wie  überhaupt  die  kleine 
aufklärende  Schrift  zur  Leetüre  empfohlen  werden  kann. 

Den  Schluss  bildet  ein  Verzeichniss  der  diesen  Gegenstand  betreffenden  Litteratur. 

Sperling. 

22)  Ueber  Hypnotismus,  von  Prof.  Dr.  v.  Erafft-Ebing.  Referat  eines  Vor- 
trages in  dem  Verein  der  Aerzte  in  Steiermark.  (Wiener  medic.  Presse.  1888. 
Nr.  7.  S.  231.) 

An  einer  32jährigen  intelligenten  Hystero-epileptica  ist  es  durch  Suggestion  in 
der  Hypnose  gelungen,  sehr  wunderbare  Erscheinungen  in  der  motorischen,  sensiblen 
und  vasomotorischen  Sphäre  hervorzurufen,  ja  sogar  die  Körpertemperatur  zu 
beeinflussen  und  bis  auf  bestimmte  Grade  zu  regeln.  Die  Psyche  konnte  durch  die 
Hypnose  merklich  beeinflusst,  desgleichen  der  Stuhlgang  regulirt  werden;  die  Anfalle 
yerschwinden  für  gewisse  Zeit.  Weitere  Beobachtungen  an  dem  sehr  vorzüglichen 
Medium  führten  E.-E.  dazu,  an  Hypnotisirten  drei  verschiedene  Bewusstseins-Stadien 
anzunehmen:  1.  das  lucide,  2.  die  eigentliche  Hypnose,  3.  die  Autohypnose  und  die 
posthypnotischen  Suggestionszustände.  Die  Eintheüung  bietet  nichts  Neues.  Letzteres 
Stadium  hat,  wie  auch  in  vorliegendem  Falle,  eine  hohe  Bedeutung  für  die  gericht- 
liche Medicin. 

Verf.  verspricht  sich  viel  von  der  therapeutischen  Macht  der  Hypnose.  Die 
Ausübung  derselben  zum  Zwecke  des  Experimentes  soll  sich  auf  Kliniken  oder  An- 
stalten beschränken,  zum  Zwecke  der  Therapie  soll  der  Arzt  sie  nur  vor  Zeugen 
anwenden.    Die  Braid'sche  Methode  zu  hypnotisiren  ist  zu  verwerfen. 

Sperling. 

28)  la'hypnotlsme  et  la  medeoine  legale,  par  le  Dr.  Ladame,  Privat-Docent 
ä  rUniyersit^  de  Genöve.  (Abdruck  aus  den  „Archives  de  TAnthropologie  crimi- 
nelle et  des  Sciences  pönales.''    Lyon  1888.    A.  Stror^k.    82  Seiten.) 

Da  die  Hypnose  ohne  Zweifel  zu  selbstsüchtigen  Zwecken,  die  dem  Urtheil  der 
Justiz  anheimfallen,   ausgebeutet  werden  kann,   so  beleuchtet  Verf.  nach  allen  Rieh- 


—    216    — 

taugen  die  einschlÄ^en  Frages,  welche  dem  Gtorichtearzt  zur  Beantwortung  vor- 
gelegt werden  können. 

Er  stellt  davon  6  auf.  Nr.  1:  Darf  der  Hypnotiemna  öifentlicli  geübt  und  von 
Laien  ausgeübt  werden?  —  wird  mit  strictem  „nein''  beantwortet.  Die  Gründe  dafür 
liegen  sehr  nahe.  So  entschied  sich  auch  die  Commission,  welche  in  dem  Process 
Hansen  in  Wien  ihr  Gutachten  abzugeben  hatte.  Auch  die  Oommission  de  sant^  in 
Nenchätel  und  in  andern  Gantonen  der  Schweiz  erklärten  sich  dagegen,  besonders 
wegen  der  nervQeen  Störungen,  die  ungeschickte  Hypnotisirungen  hervorgerufen  hatten 
(Lombroso).  Hypnotisiren  dürfen  nur  diejenigen,  welche  das  Studium 
der  Nerven-  und  Geisteskrankheiten  eifrig  betrieben  und  mit  der  Methode 
vertraut  sind,  also  die  Aerzte. 

Nr.  2  behandelt  die  Frage  der  gerichtlichen  Verantwortlichkeit  (Zurechnungs- 
fahigkeit)  von  Personen,  die  mit  „somnambulischer  oder  hypnotischer  Neurose"  be- 
haftet sind.  Verf.  glaubt,  dass  criminelle  Handlungen  kaum  von  einfachen  („idio- 
pathischen") Somnambulen  werden  begangen  werden,  sondern  dass  es  sich  da  um 
hysterischen,  alkoholischen  oder  epileptischen  Somnambulismus  handeln  wird.  Die 
vorliegende  Frage  wird  theils  mit  ,ja''  (Fod6r^  ond  Hofbauer)  beantwortet,  theils 
als  unentschieden  betrachtet  (Verf.),  weil  die  nöthigen  Erfahrungen  fehlen.  Jeden- 
falls ist  jeder  Fall  ganz  individuell  zu  prüfen.  Die  Auffassung  des  Verf.  von  Hyp- 
nose und  Somnambulismus  (nicht  symptomatischer  Art)  als  pathologischer  Zustand 
iBt  übrigens  nicht  allseitig  anerkannt  (Bernheim,  Li^bault,  Forel);  die  Frage 
verdient  jedoch  ernstliche  Erwägung,  ob  dieselbe  nicht  für  gerichtliche  Fälle  wird 
gelten  müssen. 

Nr.  3  bezieht  sich  auf  Verbrechen  an  hypnotisirbaren  Personen  und  auf  An- 
schuldigungen, die  gegen  die  betreffenden  Hypnotiseure  erhoben  werden  können.  Verf. 
erwähnt  mehrere  Fälle  von  Nothzucht  während  der  Hypnose.  Einmal  ist  dieselbe 
anter  Benutzung  hypnogener  Zonen  eingeleitet  werden.  Wenn  eine  solche  Anklage 
vorliegt»  ist  eine  eingehende  Untersuchung  der  von  dem  betreffenden  Individuum 
während  der  Hypnose  dargebotenen  objectiven  Erscheinungen  unbedingt  nothwendig. 
Leider  stösst  die  Erkenntniss  (Diagnose)  des  hypnotischen  Zustandes  heutzutage 
noch  auf  grosse  Schwierigkeiten.  Die  drei  von  Oharcot  unterschiedenen  Stadien 
findet  man  sehr  selten.  Verf.  erinnert  dabei  an  die  übergrosse  Einbildungskraft 
Hysterischer,  die,  gleich  wie  viele  Kinder,  das  (Gehörte,  Voi^estellte  oder  Geträumte 
für  wirklich  geschehen  ansehen  und  ausgeben.  Vor  einer  Verwechselung  dieser  Er- 
scheinungen wird  man  sich  zu  hüten  haben.  Der  Arzt  soll  nur  in  Gegenwart  dritter 
Personen  hypnotisiren.  Selbstverständlich  kann  man  sich  noch  eine  Reihe  von  andern 
Verbrechen  unter  Ausbeutung  des  bewusstlosen  Zustandes  der  Hypnose  begegnen, 
reep.  den  Hypnotiseur  derselben  beschuldigt  vorstellen. 

Nr.  4  handelt  von  den  posthypnotischen  Suggestionen,  unter  deren  Einfluss  ein 
Verbrechen  begangen  werden  kann.  Ein  authentischer  Fall,  der  Gelegenheit  zu 
richterlichem  XJrtheil  gegeben  hätte,  ist  nicht  bekannt.  Jedoch  liegen  unfehlbare 
Beweise  der  Möglichkeit  vor  (Bernheim,  Liögeois  etc.)  und  die  im  Laboratorium 
in  dieser  Hinsicht  gelungenen  Experimente  lassen  vermuthen,  dass  auch  das  prak- 
tische Leben  einmal  ^en  solchen  Fall  bieten  kann,  allerdings,  sagt  Verf.  selber, 
gehören  zum  Gelingen  ganz  besonders  günstige  Umstände,  die  nur  selten  zusammen- 
treffen dürften.    Eine  hier  eingefügte  Gasuistik  ist  interessant  und  lehrreich. 

Nr.  5  geht  auf  die  Unterscheidung  der  Hypnose  von  der  Simulation  ein.  Un- 
trügliche somatische  Erscheinungen  des  hypnotischen  Zustandes  giebt  es  nicht;  die 
Symptome,  welche  derselbe  in  diesem  und  jenem  Falle  darbieten  kann,  werden  aus- 
führlich erörtert.  Es  würde  zu  weit  führen,  dem  Verf.  im  Einzelnen  zu  folgen.  Verf. 
kommt  zu  dem  Schluss,  dass  genaueste  Untersuchung  und  Prüfung  des  Verdächtigen 
im  Wachen  und  im  hypnotischen  Znstand  mit  Zugrundelegung  aller  über  den  letzteren 
gewonnenen  Erfahrungen  schliesslich  zur  Aufklärung  des  Falles  führen  wird. 


—    216    — 

Nr.  6  erwägt  die  Frage,  ob  der  Sonmambole  vor  Geriebt  in  jedem  Falle  als 
onzorechnangsföbig  zu  betracbten  ist  Binet  und  F^r^  snpponiren  einen  Fall  als 
möglieb,  dass  der  bypnotisirte  Verbrecher  sieh  in  Terbrecberiscber  Absiebt 
habe  hypnotisiren  lassenj  am  mit  mehr  Muth  und  Kflhnheit  handeln  zu  können, 

—  Eigenschaften,  die  dem  hypnotischen  Zustand  unter  gewissen  Umständen  zukommen, 

—  Beaunis  yemeint  die  Frage  strickt  Verf.  lässt  die  Antwort  darauf  unentschieden 
und  verlangt  sorgfältigste  Untersuchung  und  Individualisirung  eines  jeden  Falles. 

Das  vorliegende  Buch  kann  zur  LectQre  und  zum  Studium  angelegentlich  em- 
pfohlen werden.  Sperling. 

m.  Aus  den  GtosellsohafteiL 

Berliner  Gtosellsohaft  für  Fsyehiatrie  und  Nervenkrankheiten.   Sitzung  Yom 
12.  März  1888. 

Herr  Thomsen  demonstrirt  kurz  einen  39jährigen  Kranken,  der  1870  unter 
den  bekannten  Erscheinungen  der  hereditären  retrobulbären  Neuritis  erkrankte  (cf. 
Leber,  Fall  Ernst  Pauls,  Archiv  für  Ophthalmologie  1871). 

Nach  mehreren  Monaten  hatte  die  Krankheit  ihre  volle  Ausbildung  erreicht  und 
ist  mit  Bezug  auf  den  Sehnerven,  wie  Untersuchungen  im  Jahre  1888  (Dr.  Uhthoff) 
und  jetzt  feststellen  konnten,  stationär  geblieben:  bläulich  weisse  Papille,  centrales 
Scotom  von  30^  Both-Grünblindheit,  relativ  gutes  peripherisches  Sehen,  sodass  der 
Kranke  sich  gut  orientiren  kann.  1888  ergab  eine  genauere  Untersuchung  keinerlei 
fCür  eine  ausgesprochene  Spinalerkrankung  zu  verwerthende  Symptome,  dagegen  Er- 
scheinungen, welche  für  eine  bis  jetzt  nicht  genauer  zu  definirende,  in  der  Entwicke- 
lung  begriffene  Cerebralaffection  zu  sprechen  scheinen. 

Die  sehr  engen  Pupillen  reagiren  nämlich  fast  gar  nicht  auf  Licht,  die  Augen- 
bewegungen sind  im  Uebrigen  frei,  doch  besteht  eine  deutliche  Unfähigkeit,  die 
Augen  nach  oben  zu  bewegen  (höchstens  20^). 

Ausserdem  ist  der  Kranke  in  den  letzten  Monaten  ausgesprochen  hypochondrisch: 
er  hat  Angstanfälle,  glaubt»  seine  Organe  seien  abgestorben  und  er  wäre  bereits  eine 
Leiche,  schreibt  Abschiedsbriefe,  hat  einen  Selbstmordversuch  gemacht 

Zwischendurch  treten  diese  depressiven  Affecte  und  Vorstellungen  vollständig 
zurück  und  Fat  zeigt  bei  formal  erhaltener  Intelligenz  doch  eine  gewisse  geistige 
Schwäche. 

Die  Myose  mit  Pupillenstarre,  die  Störung  der  Augenbewegung  beim  Blick  nach 
oben  und  die  Psychose  sind  interessante  Complicationen  der  seit  17  Jahren  stationären 
hereditären  (5  Brüder,  2  Mutterbrüder  leiden  an  derselben  Affection)  Sehnerven- 
erkrankong  —  ob  es  sich  dabei  um  beginnende  progressive  Paralyse  mit  Betheiligung 
des  Oculomotoriuskemes  handelt,  muss  vorläufig  dahingestellt  bleiben,  da  unzweideutige 
paralytische  Symptome  fehlen. 

IV.  VermiBohtes. 

Der  HypnotismuB  in  Frankreich,  von  Max  Dessoir.  Mit  Bfleksioht  auf  die 
in  dieser  Nummer  befindlichen  Referate  über  Hypnotismos  möge  noch  waf  eine  Zusanunen- 
Stellung  der  französisohen  Litteratur  unter  obigem  Titel  in  der  „Sphinx",  Monatuchrifl  für 
die  geschiohtlicbe  und  experimentelle  Begründung  der  übersinnlicnen  Weltanschauung  auf 
monistischer  Grandlage,  herausgegeben  von  Hübbe- Schieiden,  1887  M&rz,  aufmerksam  ge- 
macht sein.  M. 


Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  irird  gebeten. 

Einsendungen  für  die  Bedaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel, 

Berlin,  NW.  Schiffbauerdamm  20. 


Verlag  von  Yxit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mktzobb  &  Wimo  in  Leipzig. 


Neurologisches  Centralblah. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  yon 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  luMin.  Jahrgang. 

Honatlich  erscheinen  zwei  Nammem.   Preis  des  Jahrganges  20  Mark.    Zir  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 

1888.  15.  April.  m  8. 

Inhalt  I.  Origlnalmitthellungen.  1.  Geaichtsstörunffen  in  ihrem  AbhangigkeitsTer- 
h^tnia«  von  Occipitallappenerkrankung,  yon  Dr.  Mooren.  2.  Zur  therapeutischen  Verwerthung 
der  Hypnose,  von  Dr.  M.  Nonne  (Schluss). 

II.  Referate.  Experimentelle  Physiologie.  1.  Experiments  on  special  sense  locali- 
aattons  in  the  cortex  cerebri  of  the  monkey,  by  Schaefer.  —  Pathologie  des  Nerven- 
systems. 2.  Beitrage  zur  Localisation  im  Grosshirn  und  deren  praktische  Verwerthunff, 
Ton  Jastrowitz.  3.  De  Taphasie  et  de  Tagraphie  en  particulier  d'apr^s  Fenseignement  de 
]f.  le  profeseear  Charcot,  par  Marie.  4.  Gase  of  aphasia  with  repeatä  localised  convulsions 
of  the  tongne  and  right  cheek ,  by  Thomson.  5.  Ein  Fall  von  Typhus  abdominalis  mit  sel- 
tenen Complicationen ,  von  Escherich  und  Rschl.  6.  Aphasie  ohez  une  tactile,  par  Faraes. 
7.  Aphemia,  by  Suckllng.  8.  Notes  on  an  exceptional  case  of  Aphasia,  bv  Paget.  9.  Left 
Uemiplegia  and  Hemianaesthesia,  Aphasia  and  lefl;  sided  Pyrexia  in  a  len-handed  woman. 
by  White.  10.  Olinical  lectures  on  diseases  of  the  nervous  System.  Lect.  IX:  Sensory  Aphasia, 
by  Bennett.  11.  On  puerperal  Aphasia,  by  Bateman.  12.  Puerperal  Aphasia,  by  Orton. 
13.  Transitorische  Aphasie  im  Spätwochenbette,  von  Luckinger.  14.  Amnestische  Aphasie 
mit  Schriftblindheit  bei  einem  Paralytiker.  Ataktische  Aphasie  bei  einem  Kinde,  von  Kneclit. 
15.  Ueber  Aphasie,  von  RIegor.  16.  Notes  on  a  case  of  amnesie,  by  Batterham.  17.  Note 
sur  un  cas  d'amn^ie  verbale  visuelle,  par  SIgaud.  18.  Ein  Fall  von  Amblyopia  cruciata, 
yon  Mierzojewskl.  19.  Ein  Fall  von  einseitiger  temporaler  Hemianopsie  in  Fol^e  von  syphi- 
Utiseher  Arteriitis  cerebralis,  von  Treitel  und  Baumgarten.  20.  A  second  cUnical  stuay  of 
hemianopsia.  Gases  of  chiasm-lesion.  Demonstration  of  hemiopic  pupillary  inaction,  by 
Segain.  21.  Zur  Gasuistik  der  Hemianopia  temporalis,  von  Rumschewltsch.  22.  Die  osclT- 
lirende  Hemianopsia  bitemporalis  als  Kriterium  der  basalen  Himsyphilis,  von  Oppenheim. 
23.  Brain  disease  with  Hemianopia,  by  Sbarkey.  24.  Gases  in  illnstration  of  cerebrä  Hemi- 
anaathesia,  by  Ferrfer.  25.  A  case  in  which  paralysis  of  the  sphincters  and  incontinence  of 
luine  were,  together  with  torpid  intellect,  the  chiei  Symptoms  of  symmetrioal  disease  of  the 
Corpora  striata,  by  Hutchinson.  26.  De  la  bl^pharoptose  cör^brale,  par  Lomoine.  27.  Two 
eaaea  of  brain  tamor:  tumor  of  the  second  frontal  gyre,  tumor  of  the  optic  thalamus.  Be- 
marks  on  the  localization  of  oculomotor  and  facial  centres,  by  Mill.  28.  Gases  of  cholestea- 
toma  of  floor  of  third  ventricle  and  of  the  infundibulum,  by  Osler.  —  Therapie.  29.  Suc- 
eessAil  trephining  over  motor  areas  for  arrested  development  of  limbs  and  complete  loss  of 
fonetioDai  value;  commencing  retum  of  functional  activity,  by  Felidn.  80.  Epilessia  e  disturbi 
mentali  consecutivi  a  trauma  sul  capo  in  un  delinquente;  trapanazione  del  cranio;  migliora- 
meoto,  pel  Algerl.    31.  Gerebral  abscess,  by  Ferrier  and  Horsiey. 

IM.  V^rmltchfot. 


14 


—    218 


I.  OriginalmitttLeilungeii. 


1.  Gesichtsstörungen  in  ihrem  Abhängigkeitsverhältniss 

von  Occipitallappenerkrankung. 

Von  Dr.  Mooren,  Düsseldorf. 

(Nach  einem  im  September  1887  in  Washington  bei  Gelegenheit  des  internationalen 

Congresses  gehaltenen  Vortrap^e.) 

In  TJebereinstimmung  mit  den  Resultaten  der  klinischen  Beobachtung  wird 
heutigen  Tages  von  der  Physiologie  der  Sitz  des  Sehcentrums  in  die  Rinde  der 
Hinterhauptlappen  verlegt  Den  Anstoss  zu  dieser  Localisation  gab  eine  Be- 
obachtung von  HuGXTENiN;  uach  der  durch  die  Section  constatirt  wurde,  dass 
eine  von  frühester  Kindheit  mit  Amaurose  einhergehende  Atrophie  des  linken 
Sehnerven  von  einem  Defect  in  der  Rinde  des  Ocdpitallappens  abhängig  war. 
Der  grossere  Umfang  dieser  occipitalpathologischen  Störung  bestand  rechterseits, 
linkerseits  war  sie  nur  wenig  ausgesprochen.  Diese  Thatsache  wurde  gleich 
fruchtbar  für  das  physiologische  Experiment  wie  für  die  klinische  Diagnostik. 
W^m  Muinc  einem  Hunde  die  in  dem  Occipitallappen  gel^ne  Sehsphäre  ex- 
stirpirte,  so  war  das  Thier  auf  beiden  Augen  blind.  Die  übrigen  Sinnesempfin- 
dungen blieben  intact,  die  willkürlichen  und  unwillkürlichen  Bew^ungen  wurden 
nur  in  so  weit  gestört,  als  sie  in  irgend  einem  Abhängigkeitsverhältniss  von  dem 
Ausfall  der  Gesichtswahmehmungen  standen.  Die  Pupillarreflexe  blieben  voll- 
ständig erhalten;  der  Beweis  war  damit  erbracht,  dass  die  Lichtperception  der 
Netzhaut  vor  wie  nach  durch  die  Leitung  des  Sehnerven  dem  vorderen  Vier- 
hügelpaar  übermittelt  und  dort  durch  Erregung  dieses  Reäexoentrums  die  Oculo- 
motoriusfasem  zu  ihrer  specifischen  Energie  hinsichtlich  der  Pupillarbewegungen 
veranlasst.  Die  subjective  Empfindung  des  Lichts  hat  aufgehört,  jede  Oesichts- 
wahmehmung  ist  erloschen,  Beweis  genug,  dass  diese  beiden  Qualitäten  an  die 
Litegrität  der  Hinterhauptslappen  gebunden  sind  und  somit  in  diesen,  als  den 
Endorganen  der  Ausstrahlungen  des  Opticus  auch  gleichzeitig  das  Gentrum  der 
Licht-  und  Gesichtspercepüon  zu  suchen  ist. 

Die  vollständige  Exstirpation  eines  Hinterhauptlappens,  welche  Münk  im 
Verfolg  seiner  Experimente  ausführte,  erzeugte  stets  und  unter  allen  Umstanden 
eine  vollständige  binoculare  contralaterale  Hemianopsie.  Der  Ausfall  in  der  seit- 
lichen Netzhaatpercepüon  ist  bei  Erhaltung  der  Fixationsfähigkeit  am  geringsten 
auf  dem  Auge,  welches  der  Seite  der  Zerstörung  des  Hinterhauptlappens  ent- 
spricht und  am  ausgedehntesten  auf  der  contralateralen  Seite. 

Die  Versuche  Munx's  sind  gewissermaassen  als  klassische  anzusehen,  sie 
sind  die  Controlversuche  zu  den  kUnischen  Beobachtungen,  die  durch  Hibsch- 
BEBO,  PooiiBY,  Jasteowitz,  Pflügeb,  Hüghlings  Jackson,  Gowebs,  West- 
PHAii  und  Andere  gemacht  wurden.  Diese  in  der  Litteratur  bekannten  Fälle, 
welche  alle  durch  die  nachfolgende  Section  ihre  anatomische  Begründung  fanden, 
sind  Ihnen  Allen  zur  Genüge  bekannt.  Eine  bedeutend  grössere  Zahl  von  Fällen 


—    219    - 

ist  Yon  den  Ophthalinologen  der  alten  und  der  neuen  Welt  beobachtet;  sie  sind 
indessen  entweder  nicht  veröffentlicht  oder  sie  haben  nicht  die  Beweiskraft  der 
oben  erwähnten  Beobachtungen,  weil  die  nachträgliche  Bestätigung  der  Diagnose 
dnrch  die  Section  fehlte.  Ich  selbst  habe  bis  jetzt  42  Fälle  von  Hemianopsia 
homonyma  lateralis  im  Verlaufe  von  mehr  als  30  Jahren  in  meiner  Praxis  zu 
sehen  Gtel^enheit  gehabt,  14  rechts-  und  19  linksseitig,  5  nasale  und  4  tempo- 
rale. Meine  Fälle  haben  das  mit  den  übrigen  gemein,  dass  ihnen  bald  Hämor- 
rhagien  und  traumatische  Veranlassungen,  bald  encephalitische  Processe,  ein 
anderes  Mal  Grehimsyphilis  oder  die  Entwicklung  von  Tumoren  zu  Grunde  lag. 
Eliminirt  man  die  Fälle,  in  denen  die  Goexistenz  von  Aphasie  auf  eine  Erkran- 
kung der  linken  3.  Stimwindung  hindeutet,  oder  in  Folge  einer  Apoplexie  der 
Arteiia  lenticulo-striata  im  hinteren  Drittel  der  inneren  Kapsel  die  etwa  auf- 
tretende Parese  und  Hemianästhesie  der  entgegengesetzten  Eörperhälfte  mit 
Anästhesie  des  Gehörs,  Geruchs  und  Geschmacks  complicirt  ist,  ich  sage,  eliminirt 
man  diejenige^  Fälle,  in  denen  die  begleitenden  Complicationen  auf  eine  patho- 
logische Störung  in  der  Gegend  der  Intercalarganglien  hinweisen,  so  kann  die 
Frage  sich  nur  so  gestalten,  ob  die  vorhandene  Gesichtsfeldanomalie  als  Symp- 
tom einer  Erkrankung  eines  Truncus  opticus  anzusehen  ist  oder  von  einer  Occi- 
pitalstörung  abhängt*.  Manchmal  ist  die  differenüelle  Diagnostik  schwierig,  ja 
kaum  m^lich,  in  andern  Fällen  aber  leicht  Ist  das  plötzliche  Auftreten  einer 
homonymen  Hemianopsie  von  vornherein  mit  aufgehobener  Pupillarreaction  ver- 
bunden, so  kann  man  mit  Sicherheit  sagen,  dass  der  Heerd  des  Leidens  min- 
destens diesseits  des  vorderen  Vierhügelpaares  zu  suchen  ist  Sind  noch  oben- 
diein,  wie  ich  wiederholt  gesehen  habe,  kleine  capillare  Blutaustritte  auf  der 
Insertionsstelle  des  Opticus  nachweisbar,  so  kann  es  kaimi  einem  Zweifel  unter- 
liegen, dass  der  Truncus  opticus  in  seinem  Verlauf  erkrankt  ist  Steht  man 
einer  Truncus-Erkrankung  g^enüber,  so  ist  es  möglich,  dass  die  Farbenpercep- 
tion  in  derselben  Proportion  herabgesetzt  ist,  wie  die  Sehschärfe  reducirt  ist, 
aber  von  einem  Ausfall  dieser  Qualität  ist  indessen,  wie  bei  Occipitalstörungen 
wiederholt  beobachtet  wurde,  niemak  die  Bede.  Dieses  Verhältniss  der  gleich* 
massigen  Herabsetzung  von  Sehschärfe  und  Farbenperception  bleibt  auch  dann 
noch  ein  proportionales,  wenn  mit  der  Resorption  des  Blutaustritts  oder  dem 
Schwinden  der  serösen  Transsudation  die  Opticussubstanz  einem  mehr  oder 
minder  grossen  Umfang  von  Atrophie  anheimfällt  Durchaus  charakteristisch 
für  das  Abhängigkeitsverhältniss  der  homonymen,  occipital  bedingten  Hemi- 
anopsie ist  die  Integrität  der  Pupülarreflexe,  wie  sie  eben  durch  die  Integrität 
des  vorderen  Vierhügelpaars  bedingt  wird.  Dagegen  ist  bei  dieser  Form  die 
Farbenperception  eine  wechselnde  Grössa 

Der  Umstand,  dass  bald  hemianopische  Farbenstörung  für  sich  allein  da* 
steht,  bald  mit  gleichgrossem  lateralem  Defect  comphcirt  ist,  ein  andermal  die 
Sehschärfe  beeinträchtigt,  dann  wieder  intact  ist  und  so  die  drei  Richtungen 
der  Störungen  in  wechselnder  Gombination  und  in  wechselnder  Intensität  auf- 
treten, bestimmte  WilIjBrani),  alle  einschlägigen  Beobachtungen  zusammen  zu 
stellen  und  die  Ergebnisse  derselben  dahin  zu  formuhren,  dass  das  Farbencentrum 

14* 


—    220    — 

in  der  äussersten  Rinde  des  Hinterhauptiappens  gelegen  sein  müsse,  unter 
diesem  das  Centaimi  der  Sehscharfe  —  des  Ranmsinnes  —  wie  er  sich  aus- 
drückt, und  den  Gratiolet'schen  Sehstrahlungen  zunächst  das  Centrum  des  Licht- 
sinnes, d.  h.  der  Gesichtsfeldausdehnung,  zu  suchen  sei.  Indem  nun  bei  der 
schichtweisen  Anordnung  dieser  drei  gesonderten  Centren  in  einem  gegebenen 
Falle  der  Lichtsinn  in  W^all  kommt,  so  müssen  auch  nothwendiger  Weise 
Verlust  des  Sehvermögens  und  der  Farbenperception  damit  verbunden  sein,  weil 
die  Leitungsfasem  mit  dem  Erlöschen  der  Function  des  tiefem  Centrums  nicht 
mehr  zu  den  beiden  höher  gelegenen  Centren  gelangen  können.  Dag^n  kann 
in  einem  andern  Falle  der  Lichtsinn  vollständig  erhsJten  sein,  aber  Farbenhemi- 
anopsie  bestehen,  ohne  dass  dabei  Beeinträchtigung  der  Sehschärfe  —  des  Raum- 
gJQQes  —  vorkonunt,  wie  solches  die  Beobachtungen  von  Bjebnüm  und  Sajcei> 
SOHN  beweisen.  Eine  alleinige  laterale  Beschränkung  des  Baumsinnes  kommt 
niemals  vor,  denn  bei  der  engen  Verbindung  zwischen  den  beiden  Qualitäten 
des  Baum-  und  Farbensinnes  ist  die  Beeinträchtigung  der  Sehschärfe  immer 
proportional  dem  Wegfall  des  Farbensinnes. 

So  sind  im  Wesentlichen  die  Symptome,  wenn  die  occipitale  Störung  eine 
vollständige  ist,  indessen  ist  das  klinische  Bild  auch  häufig  ein  incompletes,  sei 
es,  dass  der  Erkrankungsheerd  nur  ein  partieller  ist,  sei  es,  dass  in  der  Aus- 
dehnung des  Gesichts  sich  eine  gewisse  Fernwirkung  geltend  macht  und  somit 
die  Gesichtsfeldanomalien  beträchtlichen  Differenzen  in  dem  acuten  und  regres- 
siven Stadium  des  Erkrankens  unterliegen.  Ich  erinnere  mich  eines  mit  latenter 
Keuritis  optica  einhergehenden  Falles,  in  welchem  die  laterale  Beschränkung, 
die  etwas  schräg  von  oben  nach  unten  verlief,  auf  dem  einen  Auge  um  15®, 
auf  dem  andern  um  10®  vom  Fixationspunkt  entfernt  blieb.  Fast  2  Jahre  hin- 
durch habe  ich  den  Patienten  beobachten  können;  sein  Leiden  manifestirte  sich 
schliesslich  als  eine  Abscessbildung  in  den  Hinterhauptslappen,  ein  Leiden,  das 
unter  heftigem  Fieber  und  Coma  zum  Tode  führte,  ohne  dass  bei  der  Schwere 
der  Krankheit  die  Grenze  der  Hemianopsie  auch  nur  vorübergehend  die  mediale 
Trennungslinie  erreicht  hätte.  Das  inselfSrmige  Vorkommen  homonymer  Defecte 
habe  ich  in  drei  verschiedenen  Fällen  beobachtet;  in  dem  einen  Falle  waren  sie 
im  unteren  Quadranten  gelegen,  von  der  Ausdehnung  einer  dicken  Bohne,  in 
den  beiden  andern  mit  encephalitischen  Störungen  einhergehenden  Fällen  hatten 
sie  sich  in  den  oberen  Quadranten  localisirt  und  zeigten  trotz  der  homonymen 
Lage  eine  von  einander  bedeutend  abweichende  Grösse. 

Die  Dignität  der  Störung  steht  unter  diesen  Verhältnissen  auf  gleicher  Linie 
mit  jenen  homonymen  Gesichtsfelddefecten,  die  man  von  der  Ausdehnung  eines 
Getauten  durch  alle  Abstufungen  hindurch  bis  zur  Grösse  eines  Quadranten  zu 
beobachten  Gelegenheit  hat.  Sie  reichen  nur  ganz  ausnahmsweise  bis  an  den 
Fixationspunkt  So  lange  die  Sehschärfe  intact  geblieben  ist,  sind  die  Störungen 
immerhin  einer  gewissen  Rückbildung  fähig,  wenngleich  eine  völlige  Ausgleichung 
immerhin  sonst  selten  sein  mag.  Besserung  tritt  nur  in  den  Fällen  ein,  die 
von  Traumen  oder  Apoplexien  oder  einer  syphilitisch  bedingten  Bindegewebs- 
wucherung  abhängen.  In  einem  Falle  von  Hemianopsia  homonyma  sinistra,  der 


—    221    — 

beiderseits  bis  an  die  Grenze  des  Fixationspunktes  reichte,  sah  ich  nach  Verlauf 
von  einigen  Monaten  den  *  Process  soweit  rückgangig  werden,  dass  die  Grösse 
des  beiderseitigen  Ausfalls  kaum  noch  die  Ausdehnung  eines  halben  Octanten 
betrug. 

Unter  allen  Umstanden  ist  das  Auftreten  der  erwähnten  Störung,  gleich- 
viel unter  welcher  Form  der  Gesichtsfeldgestaltung,  ein  höchst  ominöses,  denn 
daran  reiht  sich  ein  rascher  Verfall  der  geistigen  und  psychischen  Energie,  das 
Gedächtniss  lässt  nach  und  der  jähe  Wechsel  der  Stimmung  meist  mit  depres- 
sorischem  Charakter  wird  der  Umgebung  des  Kranken  zur  grössten  Last.  So 
ziehen  sich  die  Erscheinungen  in  der  B^el  noch  2 — 3  Jahre  hin,  bis  dann  ein 
neuer  umfangreicher  apoplectisoher  Anfall  denTatienten  bald  dem  Grabe  zuführt 
Nur  ein  Fall  ist  mir  erinnerlich,  wo  die  Ausgleichung  der  Gesichtsfeldanomalie 
eine  völlige  war  und  der  Patient  sich  nach  dem  ersten  Anfall  über  volle  3  Jahre 
hindurch  aufrecht  hielt,  dagegen  vermochte  er  zuweilen  in  einer  lebhaften  Dis- 
cossion  nicht  gleich  das  richtige  Wort  zu  finden.  Dann  kam  ein  neuer  Anfall, 
complicirt  mit  Parese  des  linken  Abducens  und  einer  wahrscheinlichen  Mitbe- 
theiligung  des  kleinen  Gehirns.  Wochen  hindurch  hielt  Patient  eine  Zwangs- 
lage im  Bett  ein;  nach  diesem  neuen  Anfall  blieb  kaum  noch  ein  quadrant- 
grosses  Gesichtsfeld  übrig. 

Allen  diesen  Leiden  ist  der  Charakter  der  Chronicitat  aufgedrückt.  Freilich 
hört  man  häufig  von  neuropathischen  Individuen,  die  ab  und  zu  an  den  Er- 
scheinungen eines  Flimmerscotoms  leiden,  dass  sie  die  Dinge  bei  heftigen  Mi- 
graneanßllen  wie  halb  durchgeschnitten  sähen,  aber  so  oft  ich  hintendrein  unter 
solchen  Umstanden  das  Gesichtsfeld  zu  untersuchen  Gelegenheit  hatte,  so  habe 
ich  doch  objectiv  niemals  eine  dahinzielende  Anomalie  entdecken  können. 

Dag^en  wurde  von  Mükk  darauf  hingewiesen,  dass  die  partielle  Exstir- 
pation  des  occipitalen  Bindenfeldes  eine  Sehstörung  schafie,  die  unter  der  Form 
eines  ausgedehnten  centralen  Scotoms  auftrete.  Mehrere  Fälle  habe  ich  gesehen, 
die  ich  glaube  in  dem  MüNK'schen  Sinne  deuten  zu  müssen.  Bereits  im  Jahre 
1866  konnte  ich  bei  der  Veröffentlichung  meiner  ophthalmiatrischen  Beobach- 
tangen  darauf  hinweisen,  dass  mir  bei  diesen  ausgedehnten  centralen  Defecten 
ein  cerebrales  Abhängigkeitsverhältniss  wahrscheinlich  sei,  denn  mochten  auch 
im  Momente  der  ersten  Vorstellung  absolut  keine  pathologischen  Veränderungen 
des  Angenhintergrundes  nachweisimr  sein,  so  trat  doch  in  einigen  FäUen  bald 
totale  Atrophie  des  Sehnerven  ein,  ein  anderes  Mal  gingen  die  Patienten  an 
allgemeiner  Paralyse  oder  durch  consecutive  Apoplexie  zu  Grunde.  Die  Ge- 
staltung des  Gesichtsfeldes  bietet  fast  immer  das  Bild  einer  von  oben  nach 
unten  zusammengedrückten  Ellipse  dar,  die  bald  das  Centrum  des  Gesichtsfeldes 
einnimmt,  bald  mit  ihrem  Scheitel  im  Fixationspunkt  liegt  und  in  ihrem  hori- 
zontalen Querdurchmesser  die  Ausdehnung  von  1 V2  Zoll  und  noch  mehr  erreicht 

Das  Vorkommen  hemianopischer  oder  centraler  Gresichtsfelddefecte  involvirt 
immer  den  Charakter  einer  Ausfallserscheinung.  Die  Ausdehnung  ihres  ana- 
tomischen Substrats,  mit  andern  Worten,  ihre  occipitale  Begrenzungszone  wurde 
durch  NoTBKAaEL  nach  der  Methode  der  kleinsten  Heerde,  in  jüngster  Zeit^ 


—    222    — 

wenigstens  bei  dem  Vorkommen  von  Hemianopsie,  noch  genauer  bestimmt,  als 
früher  der  Fall  gewesen  war.  Gestützt  auf  die  Beobachtungen  von  Haab, 
HuouBiaN,  Ftßik,  Säguin  verlegt  dieser  Forscher  das  optische  Perceptionsoentrom 
in  die  Binde  des  Cuneus  und  der  ersten  Occipitalwindung.  Diese  Localisation 
findet  ihre  genaue  Bestätigung  durch  eine  von  Gubbohmakn  vorgenommene 
Section,  aus  der  hervorging,  dass  eine  frische  Embolie  in  den  3  Zweigen  der 
Occipitalarterie  und  zwar  in  einem  bis  zum  Momente  des  Auftretens  der  Störung 
ganz  intacten  Gehirn,  einen  Erweichungsheerd  in  der  Spitze  des  Hinterhaupt- 
lappens  und  ganz  besonders  des  Cuneus  hervorgerufen  hatte.  Bei  vollgtändiger 
Abwesenheit  von  Hemiparese  und  Hemianästhesie  hatte  der  Patient  durchaus 
kein  anderes  Symptom  als  das  einer  linksseitigen  Hemianopsie  beider  Augen 
dargeboten.  Nothnagel  schliesst  aus  dieser  Thatsache,  dass  nur  die  erste 
Occipitalwindung  die  Ursache  für  das  Auftreten  hemianopischer  Störungen  ab- 
gebe, dass  weiterhin  in  der  diffusen  Erkrankung  der  2.  und  8.  Windung,  also 
des  Lobulus  lingualis  und  fusiformis,  mit  denen  niemals  hemianopische  Störungen 
verbunden  seien,  die  Ursache  der  Seelenblindheit  zu  suchen  sei,  weil  nach  seinem 
Dafürhalten  in  ihnen  das  optische  Erinnerungsfeld  liege.  Zu  einer  Zeit,  als  ich 
die  Occipitallappen  noch  nicht^  als  Sehcentrum  kannte,  sah  ich  einen  Patienten, 
der  bei  Abwesenheit  aller  sonstigen  ophthaünoskopischen  und  functioneilen 
Störungen  noch  die  feinste  Diamantschrift  sah,  ohne  im  Stande  zu  sein,  sie 
noch  zu  lesen,  was  er  bis  dahin  vermocht  hatte.  In  einem  2.  Fall,  der  unge- 
fähr 172  Jabr  nach  der  ersten  Vorstellung  an  Bulbärparalyse  zu  Grunde  ging, 
waren  in  Folge  eines  Typhus  Störungen  im  motorischen  und  occipitalen  Binden- 
feld eingetreten.  Schwere  der  Beine,  gestörte  Farbenperception  und  gestörte 
Erinnerungsbilder  waren  die  hervorstechendsten  Erscheinungen. 

Auf  Grund  dieser  wenigen  Beobachtungen  möchte  ich  mir  duit)haus  kein  Ur- 
theil  über  das  anatomische  Substrat  der  Seelenblindheit  erlauben,  aber  darauf  hin- 
weisen, dass  die  Hinterhauptslappen,  ohne  gerade  gestört  zu  sein,  doch  äner  diffusen 
Erkrankung  anheimfallen  können  und  somit  Anlass  zu  dem  Auftreten  eines  Sjmp- 
tomencomplexes  geben,  der  von  den  früher  erwähnten  Störungen  durchaus  ver- 
schieden ist.  So  entsinne  ich  mich  eines  Patienten,  der  nach  überstandenem 
Typhus  ausschliesslich  über  unerträgliche  Schmerzen  in  den  Hinterhauptslappen 
klagte.  Stirn  und  Parietallappen  waren  vollkommen  frei  und  niemals  hatten 
sich  motorische '  Störungen  bemerklich  gemacht.  Dagegen  bestand  auf  beiden 
Augen  Atrophie  der  Sehnerven.  Die  Fähigkeit,  die  grössten  Buchstaben  der 
JlGEB'schen  Schriftscala  zu  lesen,  war  vollständig  erloschen,  aber  das  (Gesichts- 
feld hatte  beiderseits  eine  schmale  spindelförmige,  horizontal  dastehende  Gestal- 
tung angenommen.  Ich  muss  allerdings  gestehen,  dass  ich  den  Fall  zu  einer 
Zeit  gesehen  habe,  in  welchem  ich  die  Bedeutung  der  Farbenperception  für  die 
Begründung  der  Diagnostik  noch  nicht  hatte  würdigen  gelernt  Ein  anderer 
Fall  ist  dafür  um  so  mehr  beweisend.  Im  Frühjahr  1868  wurde  mir  ein 
Knabe  mit  beiderseitiger  Neuritis  optica  im  Stadium  der  Atrophie  vorgestellt. 
Das  Gesichtsfeld  war  rechterseits  bis  auf  8,  links  bis  auf  2  Zoll  Durchmesser 
eingeengt,  dem  entsprechend  das  Sehvermögen  so  weit  reduoirt,  dass  mit  HfUfe 


—    223    — 

von  Gonvex  10  rechts  emzelne  Worte  von  Nr.  2,  links  von  Nr.  19  der  JlOEB'schen 
Seala  bnchstabirt  wurden.  Ein  äusserst  heftiger  Fall  auf  den  Hinterkopf  war  im 
Herbei  des  verflossenen  Jahres  vorausgegangen  und  von  dem  Momente  an  alle  und 
jede  Farbenperception  vollkommen  erloschen.  Nur  die  subjectiven  Beschwerden  des 
Kindes  bestimmten  mich  zu  einem  therapeutischen  Handeln,  das  in  nichts  Anderem 
als  in  der  consequenten  Darreichung  von  Eal.  jod.  und  in  der  Application  eines 
Setaceums  in  den  Nacken  bestand.  Bereits  am  11.  Mai  trat  mit  dem  Nachlass 
der  Hinterhauptschmerzen  ein  unbestinmites  Erkennen  der  Farben  ein,  am  4.  Aug. 
war  die  Besserung  so  weit  fortgeschritten,  dass  alle  Farben  wieder  erkannt 
wurden,  nur  Ulla  konnte  nicht  von  blau  unterschieden  werden.  Das  Gesichte 
feld  hatte  sich  rechts  vollkommen  ausgeliehen  und  links  die  Ausdehnung  er- 
langt, die  früher  das  rechte  aufgewiesen  hatte.  Die  Sehschärfe  stieg  links  wieder 
bis  auf  13,  rechts  ohne  Gonvexgläser  bis  auf  Nr.  1.  Die  aufgehobene  Function 
des  Färbencentrums  konnte  über  die  Localisation  der  Störung  in  dem  Hinter- 
hauptslappen  keine  Zweifel  bestehen  lassen. 

Ueberhaupt  sind  Traumen  des  Hinterhauptes  bald  mit,  bald  ohne  Ver- 
letzung der  Eopfschwarte  und  die  sich  im  weitem  Verlauf  daran  reihenden 
Sehstorungen  keine  so  gar  seltenen  Erscheinungen.  In  diesem  Augenblick  habe 
ich  noch  einen  jungen,  30jährigen  Mann  in  Behandlung,  der,  in  einer  Zucker- 
&brik  beschäftigt,  am  6.  April  des  vorigen  Jahres  in  Folge  einer  Eesselexplosion 
mnfiEmgreiche  Verbrennung  der  Körperoberfläche,  Verlust  des  linken  Auges  und 
am  Elnterkopfe  eme  breite  Wunde  davon  getragen  hatte.  Sechs  volle  Wochen 
blieb  Pfibtient  ohne  Bewusstsein.  Als  er  aus  seiner  Betäubung  erwachte,  war 
seine  stete  Klage  über  ein  dumpfes  Schmerzgefühl  im  Hinterkopfe,  Abnahme 
des  Gedächtnisses  und  umflortes  Sehen.  Bei  der  ersten  Vorstellung^  nicht  ganz 
ein  Jalir  nach  dem  erlittenen  Unfall,  zeigte  das  rechte  Auge  intacte  Pupillar- 
bew^^ungen,  keine  Abnormitäten  des  Augenhintergrundes;  das  Gesichtsfeld  war 
massig  eingeschränkt,  die  Sehschärfe  bis  auf  Jageb  4  zurückgegangen,  aber 
jeder  Versuch  des  Fixirens  wurde  von  Schmerzen  im  Hinterkopf  gefolgt.  Die 
Farbenprüfnng  ergab,  dass  Gomplemente  von  grün  und  blau  nicht  mehr  gesehen 
worden.  Die  Diagnose  wurde  auf  Anaesthesia  optica,  abhängig  von  Erschütte- 
rung des  Hinterhauptlappens  gestellt  und  dieser  Auffassung  entsprechend  die 
Therapie  eingeleitet,  die  nunmehr  ein  solches  Resultat  erzielt  hat,  dass  das 
Kopfweh  völlig  gewichen  und  eine  völlige  Ausdauer  des  Sehens  bei  gleidizeitiger 
Steigerung  der  centralen  Sehschärfe  bis  auf  Ni.  1  erzielt  ist 

Bei  änem  8jährigen  Knaben,  der  mir  vor  ^  Jahren  zugeführt  wurde,  be- 
staaden  noch  umfangreichere  Störungen  wie  die  eben  gesdiilderten,  concentrische 
EinengiBig  des  Gesichtsfeldes  und  Bedvction  der  centralen  Sehschärfe,  die  nur 
mit  ffidfe  von  staricen  Convexgläsem  von  8  oder  10  Zoll  Brennweite  das  flüch- 
tige Erkemen  der  grössten  Druckscäirifl  gestattete,  denn  jeder  Versuch  des 
Sehens  vurde  von  emer  starken  Thräfnensecretion  gefolgt  Selbst  das  Fixbren 
mam  wensen  Papierblattes  genügte,  um  die  Augen  mit  Thränen  zu  füllen.  Das 
Aoflgeben  ohne  eim»  intensive  blaue  SchuitebriUe  war  selbst  bei  bedecktem  Himmel 
kaum  mogüfA  imd  in's  Unendliche  steigerten  sieh  die  Qualen  des  kleinen 


—    224    — 

Patienten,  wenn  staxk  reflectirtes  Licht  sein  Auge  traf.  Der  Knabe,  welcher  nur 
die  grossen  Buchstaben  auf  Holzklötzchen  lesen  gelernt  hatte,  sollte  einem  Blinden- 
institut  zu  weiterer  Erziehung  überwiesen  werden,  denn  alle  bisherigen  Eur- 
versüche  hatten  sich  als  erfolglos  erwiesen.  Bei  der  sorgsamen  Untersuchung 
des  Falles  fiel  mir  vor  Allem  eine  colossale,  aber  äusserst  flache  Depression  des 
linken  Hinterhauptes  auf,  die  von  Geburt  an  datirte.  Nach  Berücksichtigung 
aller  Momente  stellte  ich  die  Diagnose  auf  eine  durch  reizenden  Einfiuss  des 
Hinterhauptlappens  bedingte  Sehstörung.  In  der  Prognostik  war  ich  äusserst  zu- 
rückhaltend, weil  es  nicht  möglich  war,  bei  der  ausserordentlichen  Lichtscfaea 
ein  Bild  des  Augenhint«rgrundes  zu  gewinnen,  ganz  abgesehen  davon,  dass  die 
Pupillen  bei  jedem  Beleuchtungsversuch  mit  den  energischsten  Gontractionen 
antworteten.  Meine  Medication  bestand  in  der  systematischen  Anwendung 
schwacher  Inunotionen,  jede  von  1 V2  gr  und  jedesmaligem  Aussetzen,  wenn  der 
Knabe  Erscheinungen  der  Ermattung  darbot  Ich  ging  von  der  Idee  aus,  dass 
unter  der  Einwirkung  von  Innunctionen  oder  der  subcutanen  Sublimatinjectionen 
günstigere  Filtrationsbedingungen  für  die  Function  der  Oefösswandungen  her- 
gestellt und  somit  am  ehesten  eine  Resorption  von  Exsudaten  stattfinden  würde, 
wenn  solche  in  der  Gegend  des  OccipitaUappens  vorhanden  sein  sollten.  Jedes- 
mal folgte  nach  10  Inunctionen  ein  warmes  Vollbad.  So  oft  ihre  Anwendung 
ausgesetzt  wurde,  bestand  die  innere  Medication  in  der  Darreichung  von  Tinct 
ferri  pom.  mit  Sol.  arsenic.  Fowleri,  daneben  Abends  eine  Stunde  vor  Schlafengehen 
die  continuirliche  Anwendung  des  Eisbeutels.  Nach  ungefähr  dreimonatlicher 
Behandlung  war  das  Gesichtsfeld  ausgeglichen,  die  Sehschärfe  bis  auf  Nr.  1  ge- 
stiegen und  das  Kind  fähig,  ein  paar  Stunden  täglich  einen  regelrechten  Schul- 
unterricht zu  gemessen.  Den  Winter  hindurch  wurde  die  Darreichung  leichter 
Eisenpräparate,  wie  nicht  minder  die  Anwendung  des  Eisbeutels  fortgesetzt, 
dann  im  nächsten  Sommer  die  frühere  Methodik  der  Behandlung  wiederholt, 
weil  sich  noch  ab  und  zu  ein  Ermüdungsgefühl  des  Kopfes  einstellte.  Damit 
trat  ein  Zustand  für  Kopf  und  Auge  ein,  der  in  jeder  Weise  als  nonual  be- 
zeichnet werden  durfte.  Mit  Rücksicht  indessen  auf  die  von  frühester  Eondheit 
an  bestandene  Störung  wurde  zur  Gonsolidation  des  erzielten  Heilresultats  im 
dritten  Jahre  nochmals  die  früher  erprobte  Behandlung  durchgemacht  und  mit 
der  25.  Inunction  vollständig  abgeschlossen.  Seit  jenem  Zeitpunkt  sind  1  Vt  Jahre 
verfiossen  und  keine  Spur  der  frühem  Störung  ist  mehr  vorhanden. 

Eine  noch  grossere  Zahl  casuistischer  Beobachtungen  könnte  hier  angereiht 
werden,  indessen  das  beigebrachte  Beweismaterial  ist  umfangreich  genug,  um 
den  klinischen  Unterschied  zwischen  einer  mehr  oder  minder  umfangreichen 
Zerstörung  der  Hinterhaupüappen  einerseits  und  den  Folgeerscheinungen  ihrer 
blos  diffusen  Erkrankung  andererseits  genau  darzulegen.  Abstrahirt  man  von 
den  Ausfallserscheinungen,  wie  sie  der  ersten  Beihe  der  Störungen  inhärent  ist^ 
so  lässt  sich  von  der  zweiten  nicht  behaupten,  dass  sie  sich  durch  eine  specifisohe 
Gestaltung  des  Ejrankheitsbildes  auszeichnen.  Die  hier  auftretenden  Sehstörungen 
manifestiren  sich  vorzugsweise  unter  dem  Bilde  der  Anaesthesia  optica.  Mit 
den  bald  vorhandenen,  bald  fehlenden  Hinterhauptschmerzen  verbindet  sich  in 


—    225     - 

der  Mehizahl  der  Fälle  die  angemein  rasche  Ermüdung  des  Gesichtes,  weiter- 
hin das  Auftreten  subjectiyer  Lichtempfindungen,  nur  höchst  selten  mit  hyper- 
ästhetischen Erscheinungen  der  Netzhaut  verbunden.  Das  ophthalmoskopische 
Verhalten  des  Augenhintergrundes  bietet  in  der  grösseren  Zahl  der  Beobach- 
tungen keine  nennenswerthen  Veränderungen  dar;  einige  Male  traten  die  Symp- 
tome einer  langsamen  Atrophie  der  Sehnerven  ganz  besonders  in  den  Vorder- 
grund, ab  und  zu  auch  neuriüsche  Erscheinungen  von  den  leichtesten  bis  zu 
den  schwersten  Formen.  Dieses  wechselnde  Bild,  das  häuJSg  genug  die  Schwere 
der  Erkrankung  nicht  ahnen  lässt,  ist  bereits  andern  Beobachtern  aufgefallen. 

Die  Experimente,  welche  Prof.  Adamtoevioz  anstellte,  um  die  beim  Gehim- 
dmck  concurrirenden  Factoren  genau  zu  bestimmen,  scheinen  im  Stande  zu 
sein,  einiges  Licht  auf  diese  dunkeln  Vorgange  zu  werfen.  Wenn  dieser  Be- 
obachter einer  Reihe  von  Thieren  durch  die  eröfihete  Schädelhöhle  Laminaria- 
Stückchen  zwischen  Knochenhülle  und  Dura  mater  introducirte,  so  wurden  durch 
langsame  Gompression  die  Gehimtheile  um  so  vieles  zusammengedrückt,  als  die 
Ausdehnung  des  Laminariastifts  betrug.  Die  Thiere  blieben,  so  lange  die  Gom- 
pression nicht  eine  gewisse  Grenze  überschritt,  Monate  hindurch  im  vollkommen- 
sten Wohlsein.  Die  spätere  Untersuchung  des  Gehirns  ergab,  dass  niemals  an 
der  Gompressionsstelle  auch  nur  der  leichteste  Grad  von  Anämie  bestand,  im 
Gegentheil  zeigten  sich  überall  Ausdehnungen  und  Wucherungen  der  arteriellen 
Gewisse.  Eine  Steigerung  dieser  Reizeffecte,  sei  es  durch  die  Einwirkung  des 
introduoirten  Fremdkörpers,  sei  es  durch  die  weiteren  Ausdehnungen  und  Wuche- 
rungen der  Gefässe,  rief,  gleich  der  Injection  einer  sechsprocentigen  Eochsalz- 
lösong  in  destiUirtem  Wasser,  die  Symptome  der  Gehimreizung  hervor,  als  dessen 
Aequivalent  Adamkiewioz  jede  traumatische  Ueberreizung  ansieht,  welche  die 
Schädelhöhle  getroffen  hat  Durch  weitere  Steigerung  der  Gompressionseffecte 
konnte  der  eben  erwähnte  Beobachter  schliesslich  halbseitige  klonische  Krämpfe 
ohne  Bewusstseinsstörung  und  daran  anschliessend  Hemiplegie  und  spastische 
Störungen  hervorrufen.  Zuletzt  trat  posthemiplegische  Paraplegie  und  spontaner 
Tremor  ein,  indem  die  Beizeinwirkung  von  Seiten  der  comprimirten  Gehirnhälfte 
auf  die  entgegengesetzte  übertragen  wurde.  Die  Fortsetzung  des  Reizes  rief 
unter  dem  Auftreten  comatöser  Erscheinungen  den  Tod  hervor.  Hierin  zeigte 
sich  das  Schlussglied  einer  Reizeinwirkung,  welche  vorher  die  verschiedenen 
Stadien  der  Erregung,  Erschöpfung  und  Lähmung  durchlaufen  hatte. 

Nach  diesen  Experimenten  wäre  das  Auftreten  von  Neuro-Retinitis  nicht 
der  Effect  der  intracraniellmi  Raumbesohränkung,  sondern  der  durch  die  patho- 
logischen Veränderungen  gesetzten  Reizeinwirkung.  Sie  würde  uns  in  durchaus 
befriedigender  Weise  bei  Abwesenheit  ophthalmoskopisch  wahrnehmbarer  Ver- 
änderungen der  Sehnervenpapille  das  Vorhandensein  der  subjectiven  Licht- 
empfindung erklären.  Die  pathologischen  Veränderungen  an  der  Opticusinsertion 
treten  nur  dann  auf,  wenn  die  mit  der  occipitalen  Störung  verbundenen  Reiz- 
einflüsse  stark  genug  sind,  Geßsshyperämie  und  Wucherlmgen  zu  erzeugen. 

In  dieser  kurzen  Darstellung,  die  zu  ihrer  Vervollständigung  noch  vielsei- 
tiger Beobachtungen  bedürfen  wird,  sehe  man  nichts  anderes  als  den  Versuch, 


—    226     - 

zwischen  den  oocipital  bedingten  Ausfallserscheinungen  in  der  Gtetaltung  des 
Gesichtsfeldes  und  jenen  Störungen,  die  einem  diffusen  Erkranken  der  Hinter- 
hauptslappen entspringen,  eine  klinische  Scheidung  zu  ziehen. 


2.    Zur  therapeutischen  Verwerthung  der  Hypnose. 

Von  Dr.  M.  Nonne,  Assistenzarzt. 

(Schloss.) 

Interessant  war  übrigens  auch,  zu  sehen,  wie  Patient  die  richtige  Inner- 
vation far  die  gewollten  Bewegungen  offenbar  verlernt  hatte,  indem  er  immer 
mit  falschen,  d.  h.  mit  zu  seinem  Zweck  absolut  nicht  dienenden,  Muskeln  sich 
abmühte;  auch  hierin  glich  er  sehr  dem  von  Chabcot  in  der  22.  Vorlesung 
beschriebenen  Patienten. 

Anfang  December,  also  nach  Ablauf  circa  eines  Monats,  war  die  Motilität 
in  der  ganzen  rechten  oberen  Extremität  ziemlich  normal. 

Der  Triceps-Reflex  war  nach  wie  vor  schwach,  die  Gelenke  bei  passiven 
Bewegungen  schlaff,  die  Sensibilitatsverhältnisse  giebt  beistehendes  Bild  (s.  Fig.  5). 
Muskelgefohl,  stereognostisches  Vermögen  vollkonunen  erhalten. 

Mitte  December  ist  Pat.  im  Stande,  gut  und  ziemlich  schnell  zu  schreiben, 
zieht  sich  mit  der  rechten  Hand  an,  isst  mit  derselben  etc.  Es  fallt  ihm  nur 

Fig.  5.  Fig.  6. 

Beim.Abgai^ 


noch  schwer,  sich  der  linken  Hand  zu  entwohnen,  da  er  diese  in  den  letzten 
Jahren  ausschliesslich  gebraucht  hat 

Bis  Mitte  Januar  blieb  Patient  noch  auf  der  Abtheilung  dar  Beobaditung 
halber;  bei  der  letzten  Untersuchung  ergab  sich,  dass  auch  die  grobe  Kraft  der 
rechten  oberen  Extremität,  mit  Ausnahme  des  Händedrucks  (Dynamometer 
nur  bis  25^)  völlig  wie  links  war,  ebenso  an  den  unteren  Extronititai  dieselbe 
in  allen  Muskehi  als  normal  gelten  konnte;  die  Sehnenrefiexe  waren  an  den 
unteren  Extremitäten  noch  sehr  lebhaft,  die  SensibLtität  war  nur  noch  am 
unteren  Drittel  des  Dorsums  des  Vorderarms  (&  Fig.  6)  gestört,  am  übrigen 
Körper  durchaus  intact   Das  sonstige  Veriialten  des  Patienten  war  vötlig  normaL 

Ich  halte  es  nidlit  für  unnöthig,  nooh  einiges  Nähere  hinzuzufügen.  Es 
gelang  mir  immer  nur,  einen  lethargischen  Schlaf  zu  erzielen;.  Patient  sass  wia 


—    227 

in  tiefem,  festem  Schlafe,  er  war  f&r  Auffordemngen ,  Befehle  etc.  dnrchaas 
unzaganglich ;  es  gelang  mir  auch  nicht,  die  nenromusculäre  Hyperexcitabilitat, 
die  von  der  Pariser  Schule,  von  Bebnheim  in  Nancy  und  auch  von  Tambttbimi 
und  SeppttiTj  besonders  betont  wird,  nachzuweisen;  das  Erwecken  gelang  leicht 
durch  Anblasen  sowohl  als  durch  Anrufen  mit  seinem  Namen,  als  auch  durch 
£neifen.  Stechen  etc.  in  die  nicht  anästhetischen  Theile  des  Körpers.  Interessant 
war  auch,  dass  sich  Patient  durch  Suggestion  erwecken  liess;  mit  massig  lauter 
Stimme  schilderte  ich  ihm :  „Sie  schlafen  jetzt  schon  nicht  mehr  fest,  Sie  fühlen, 
wie  Binen  die  Augen  leichter  werden,  wie  die  Müdigkeit  verschwindet,  wie  Sie 
wach  werden;  Sie  können  jetzt  die  Augen  schon  auftnachen,  jetzt  machen  Sie 
sie  auf^  jetzt  sehen  Sie  mich  an  und  sind  jetzt  wach.''  Redete  ich  in  ganz 
demselben  Tone  irgend  etwas  Gleichgültiges  vor  den  Ohren  des  Patienten,  so 
schlief  er  ungestört  weiter.  Ebenso  verschaffte  ich  mir  die  XJeberzeugung,  dass 
nicht  die  Morgens  am  Bett  an  den  Patienten  gerichtete,  betreffende  Aufforderung 
das  therapeutische  Moment  —  wenn  ich  mich  so  ausdrücken  darf  —-  war, 
sondern  dass  die  Suggestion  das  Wesentliche  war,  auf  folgende  Weise:  Ich  sagte 
dem  Patienten  z.  B.,  bevor  ich  ihn  hypnotisirte:  Sie  werden  morgen  Früh  den 
3.  Finger  beugen  können;  in  der  Hypnose  selbst  suggerirte  ich  ihm  dann,  am 
kommenden  Morgen  den  Zeigefinger  beugen  zu  können,  und  in  der  That  war 
er  dazu  dann  im  Stande,  wiUirend  die  andere  Bewegung  ihm  noch  nicht  mög- 
lich war.  Unmittelbar  nach  der  Sitzung  konnte  er  nur  dann  eine  Bewegung 
ausfahren,  wenn  ich  ihm  suggerirt  hatte,  er  werde  dieselbe  gleich  nach  dem 
Erwachen  machen  können,  während  er  am  Abend  trotz  meiner  wiederholten 
Aufforderung  es  nicht  konnte,  wenn  ich  ihm,  wie  ich  es  fast  immer  that,  die 
Möglichkeit  der  Bewegung  erst  für  den  folgenden  Morgen  suggerirt  hatte. 

Dass  übrigens  der  Erfolg  nicht  immer  gleich  eintrat,  und  manche  Bewe- 
gung wiederholt  suggerirt  werden  musste,  ehe  sie  gelang,  geht  aus  der  Kranken- 
geschichte hervor.  Daraus  ergiebt  sich  wohl  auch  die  Richtigkeit  meiner  An- 
nahme, dass  ich  durch  eine  schrittweise  fortgeführte  Behandlung  wohl  ein 
Biesultat  erzielen  würde,  durch  ein  „Steh'  auf  und  wandle^'  aber  wohl  nichts 
erreichen  würde. 

Dass  der  Patient  wahrend  der  Hypnose  gewissermaassen  ganz  ausser 
Bapport  mit  mir  zu  sein  schien,  kann  nicht  mehr  als  etwas  Besonderes  auf- 
fallen; denn  bei  vielen  der  französischen  Fälle,  sowie  bei  einzelnen  Fällen 
FoBEii's  war  dasselbe  der  Fall. 

(Gegenüber  neueren  Aeusserungen,  dass  die  Hypnose  in  den  meisten  Fällen 
nachtheilig  auf  das  Allgemeinbefinden  der  Patienten  einwirke,  will  ich,  in 
üebereinstimmung  mit  Fosel,  hinzufügen,  dass  bei  unserem  Patienten  davon 
absolut  nichts  zu  bemerken  war,  sondern  er  im  Gegentheil  sich  immer  mehr 
zu  kräftigen  anfing.  Ob  ein  Becidiv  eintreten  wird,  bleibt  abzuwarten;  aus  dem 
Gelesenen  geht  hervor,  dass  die  Heilung  bisher  für  mehrere  Monate  Bestand 
hatte;  jedenfalls  würde  ein  Becidiv  noch  nicht  gegen  die  Methode  als  solche 
sprechen. 

Der  Fall  ist  demnach  geeignet,  ebenso  wie  die  Fälle  von  Mendel,  Schulz 


—    228    — 

und  Sperlino,  zu  iUustriren,  dass  fuuctionelle  Erkrankungen  des  Nervensystems 
welche  anderen,  üblichen  Behandlungs-Methoden  Widerstand  leisten,  sniweilen 
auf  diesem  Wege  zu  bessern,  resp.  zu  heilen  sind;  gewiss  werden  nicht  alle 
Fälle,  die  man  für  geeignet  halten  könnte,  auf  diese  Methode  reagiren;  das 
lehrte  uns  erst  vor  Kurzem  ein  an  allgemeiner  Anästhesie  leidender  Patient. 
Derselbe  wurde  von  Herrn  Dr.  Eibenlohr  im  ärztlichen  Verein  im  Juni  1887 
vorgestellt;^  derselbe  ist  der  Hypnose  ganz  ausserordentlich  zugänglich;  man 
kann  ihm  ohne  jede  Schwierigkeit  Amnesie,  Unmöglichkeit  jeder  beliebigen  Be- 
wegung su^eriren,  man  kann  ihm  Taubheit  und  Blindheit  suggeriren,  aber 
die  oft  angestellten  Versuche,  ihm  eine  normale  Sensibilität  zu  suggeriren, 
blieben  bisher  ohne  jeden  Erfolg.  Ich  will  für  den,  der  jenen  Fall  nicht  gelesen 
hat,  hinzufugen,  dass  Herr  Dr.  Eisenlohb  mit  Sicherheit  eine  rein  functionelle 
Basis  der  Anästhesie  annehmen  zu  müssen  glaubte. 

Noch  einige  Worte  über  die  Diagnose  bei  dem  Patienten  Knabe: 
Ueber  die  erste  Attacke,  die  wir  aus  der  Erzählung  des  Kranken  kennen, 
können  wir  ein  TJrtheil  nicht  abgeben,  doch  scheint  die  rasche,  fast  plötzliche 
Besserung  einer  functionellen  Störung  am  ehesten  zu  entsprechen.  Der  Befund 
bei  der  zweiten  Lähmungsattacke  im  Jahre  1883,  die  hemiplegisohe  Form  mit 
sensiblen  und  sensorischen  Anästhesien,  entsprach  allerdings  einer  hysteriscdien 
Lähmung,  doch  schien  auch  Manches  dagegen  zu  sprechen:  so  der  vollkommene 
Mangel  des  psychisch-hysterischen  Elements,  auch  der  von  Ghabgot  für  solche 
Fälle  männlicher  Hysterie  betonten  Depression  des  Qemüthszostandes;  femer 
die,  wenn  auch  geringe  Herabsetzung  der  elektrischen  Erregbarkeit  in  der  ge- 
lähmten rechten  Ober-Extremität^ 

Für  den  letzten  Anfall  vor  der  Aufnahme,  Herbst  1886,  gelten  diese  Be- 
denken in  Bezug  auf  hysterisches  Wesen  der  Lähmung  in  noch  höherem  Grade. 
Der  Verlauf  hat  gezeigt,  dass  es  sich  in  der  That  doch  um  functionelle,  der 
hysterischen  ähnliche,  Störungen  gehandelt  hat.  Eine  öftere  Untersuchung  auf 
hysterogene  Punkte  hatte  immer  ein  negatives  Resultat  ergeben,  auch  hatte  Pat 
niemals  irgend  welche  Andeutung  von  spontanen  „AnWlen^  gehabt  Indess  möchten 
wir  gerade  mit  Bücksicht  auf  den  Fall  Ejiabe  hervorheben,  dass  nicht  jede  func- 
tionelle Lähmung  oder  Anästhesie  als  hysterische  bezeichnet  werden  darf,  sondern 
uns  auf  den  Standpunkt  stellen,  den  Thomsen  und  Oppenheim'  vertreten,  indem 
sie  diese  Störungen  als  mögliche  Theil-Erscheinung  verschiedener  Neurosen  be- 
zeichnen. Konmit  noch  das  Moment  einer  chronischen  Intoxication  hinzu,  wie 
es  im  Fall  Knabe  vorlag  und  sich  durch  die  sichtbaren  Veränderungen  der 
Retinalgefasse  präsentirte,  oder  wie  es  bei  zahlreichen  Fällen  von  Alkoholismus 
vorliegt,  so  hat  man  um  so  weniger  das  Recht,  kurzweg  von  Hysterie  zu  sprechen. 
Speciell   die  Alkohol-Intoxication  scheint  uns  sehr  lehrreich  zu  sein;   ein  Blick 


'  Deutsche  med.  Wochenschr.  1887.  Nr.  36. 

'  Die  Beobachtung  auch  dieser  Möglichkeit  bei  hysterischen  lAhmnngen  war  damals 
noch  nicht  gemacht. 
»1.  c. 


—    229    — 

aaf  die  Analogien^  der  alkoholischen  Anästhesien  mit  den  hysterischen,  wie  sie 
nns  das  Werk  von  Gbassst*  und  zahlreiche  eigene  Beobachtungen  bieten,  wird 
nns  mit  der  Bezeichnung  „Hysterie"  voreichtig  machen.  Auch  vom  chronischen 
Satumismns  sind  mehr  oder  weniger  verbreitete  Anästhesien  längst  bekannt. 
Es  ist  aber  gerade  bei  den  toxischen  Anästhesien  und  Lähmungen  wahrschein- 
lich, dass  hier  Uebergange  von  functionellen  zu  wirklich  anatomischen  Störungen 
stattfinden  —  das  beste  Beispiel  bieten  die  functionellen  Amblyopien  und  Seh- 
nerven-Affectionen  beim  chronischen  AJkoholismus  —  resp.  dass  die  einen  neben 
den  anderen  vorkommen,  und  es  scheint  viel  richtiger,  diese  Störungen  von  dem 
Gesammtbiide  der  Hysterie  durchweg  zu  trennen.^ 

Zum  Schlosse  spreche  ich  meinem  verehrten  Chef,  Herrn  Dr.  Eisenlohb, 
meinen  aufrichtigen  Dank  für  das  Interesse,  welches  er  dieser  Arbeit  zugewandt 
und  der  Anregung,  die  er  mir  in  vieler  Beziehung  hat  zu  Theil  werden  lassen,  aus. 


n.   Referate. 


Experimentelle  Physiologie. 

1)  Experiments  on  special  sense  looalisations  in  the  oortex  oerebri  of  the 
monkey,  by  E.  A.  Schaefer,  F.  B.  S.     (Brain.  1888.  XXXIX  and  XL.) 

Die  Absicht  der  im  Verein  mit  Dr.  Sanger  Brown  ausgeführten  Yersnche 
Schaefer's  bestand  zunächst  in  einer  Controle  der  unsererseits  in  diesem  Central- 
blatt  bereits  gewürdigten  Behauptungen  Ferrier's^  über  die  cerebrale  Locali- 
sation  des  Sehcentrums  beim  Affen.  Einem  Affen  wurden  beide  Gyri  angulares 
mit  dem  Glüheisen  gründlich  zerstört.  Das  Thier  zeigte  während  einer  mehrmonat- 
lichen Beobachtung  nicht  die  geringste  Sehstörung,  aber  auch  keinerlei  Defect  weder 
in  den  Bewegungen  noch  in  der  Sensibilität  der  Bulbi.  Einem  andern  Affen  wurde 
der  Gyrus  einseitig  in  seiner  ganzen  Tiefe  herausgelöffelt.  Dieses  Thier  hatte  nach- 
her eine  Sehstörung,  sie  bestand  aber  nicht  in  einer  Amblyopie,  wie  Ferrier  wollte, 
sondern  in  einer  Hemiopie  und  sie  dauerte  nur  wenige  Tage  an.  Hiemach  war  sie 
nicht   auf  den   verlorenen  Gyrus  angularis,   sondern   auf  den  accidentell  beleidigten 


*  Wer  die  Abbildungen  der  SenBibilitätsstörung  im  vorliegenden  Falle  mit  denjenigen, 
die  Gbabsbt  in  dem  citirten  VV^erke  über  chronischen  Alkoholismus  giebt,  femer  mit  den 
Ton  Chabcot  im  Progrte  m^ical,  sowie  mit  den  von  Rbndu  in  den  Archives  de  neorol. 
18d7  Nr.  41  veröffentlichten  Fällen  von  männlicher  und  weiblicher  Hysterie  nach  Trauma 
TOgldcht,  wird  von  der  Aehnlichkeit,  man  kann  fast  sagen  der  Identität  der  Vertheilung 
der  Anästhesien  frappirt  sein.  Bei  dem  Falle  von  functioneller  Lähmung  nach  einem  Trauma, 
den  ich  im  ärztlichen  Verein  (Deutsche  m(  d.  Wochenschr.  1887.  Nr.  46)  vorstellte,  bot  sich 
anch  genau  dasselbe  Bild.  Eine  übersichtliche  Nebeneinanderstellung  jener  verschiedenen 
Fälle  würde  sehr  lehrreich  sein. 

*  Geasbbt,  Etüde  clinique  sur  les  troubles  de  la  sensibilit^  chez  les  alcooliques,  Bor- 
deaux 1887. 

*  In  dem  Referat  über  meinen  Vortrag  bei  der  Vorstellong  des  Kranken  im  ärztlichen 
Verein  (Münch.  med.  W.  1888.  Nr.  5)  ist  die  Lähmung  irrthümlicher  Weise  als  „hysterisch" 
bezeichnet  worden,  trotzdem  ich  bei  dieser  Gelegenheit  obigen  Gedanken  Ausdruck  gab;  ich 
möchte  jenen  Irrthum  hiermit  berichtigt  haben. 

*  Vgl.  das  Referat  Jahrg.  1887  Nr.  14. 


—    280    — 

HinterhauptBlappen  zu  beziehen.  Aach  in  diesem  Falle  liess  sieb  keine  Beeinträch- 
tigung der  Motilität  und  Sensibilität  des  Bulbus  nachweisen.  In  letzterer  Beziehung 
widerspricht  Schaefer  also  den  Ansichten  MunVs. 

Einem  dritten  Affen  wurde  der  ganze  linke  Hinterhauptslappen  fortgeschnitten 
—  das  Thier  war  alsbald  und  blieb  hemianopisch.  Einem  vierten  Affen  wurden 
beide  Hinterhauptslappen  genommen;  die  Folge  war  totale  dauernde  Blindheit  Seh. 
ist  also  rücksichtlich  der  sogenannten  Sehsphäre  (in  toto)  ganz  der  Ansicht  Munk's 
und  bestätigt  die  Angaben  Ferrier*s  in  keiner  Weise.  Der  Gyrus  angul.  hat  mit 
dem  Sehen  nichts  zu  thnn,  einseitige  Ausschaltung  des  Hinterhauptlappens  bedingt 
den  Eintritt  von  Hemianopsie,  doppelseitige  Ausschaltung  desselben  den  gänzlichen 
Verlust  des  Sehvermögens. 

In  einem  Falle  hatte  ein  Affe  bei  der  Abtragung  der  Hinterhauptslappen  ein 
Stückchen  der  basalen  Fläche  derselben  behalten.  Dieses  Thier  wurde  nun  nicht 
total  blind,  sondern  blieb  auf  den  unteren  Hälften  der  Retinae  lichtempfindlich.  Dem 
Verf.  scheint  diese  Erfahrung  für  die  Angaben  Munk's  rücksichtlich  bestimmter 
Beziehungen  der  einzelnen  Theile  der  Retinae  und  der  Sehsphären  zu  einander  zu 
sprechen. 

Um  die  Angaben  von  Ferrier  und  Munk  über  das  HOrcentrum  zu  prüfen, 
zerstörte  Schaefer  bei  6  Affen  beiderseits  die  obere  Schläfenwindung  mehr  oder 
minder  vollständig;  in  einem  von  diesen  Fällen  hatte  er  den  ganzen  Gyrus  heraus- 
gehoben, in  einem  andern  Falle  ausserdem  noch  den  ganzen  Rest  der  Schläfenlappen 
entfernt.  In  keinem  Falle  erlitten  die  Thiere  jedoch  eine  Einbusse  an  ihrer  Hör- 
föhigkeit.  Dagegen  befanden  die  beiden  letzterwähnten  sich  eine  Zeitlang  in  einem, 
gleichwohl  vorübergehenden  Zustande  von  Stupor  und  Demenz.  Das  Hörcentrum 
scheint  dem  Verf.  also  nicht  nur  nicht  in  der  obersten  Schläfenwindung,  wie  Ferrier 
will,  sondern  nicht  einmal  im  Schläfenlappen,  wie  Munk  will,  localisirt  zu  sein. 

Der  zuletzt  erwähnte  Affe  und  ausserdem  noch  zwei  andere  Affen,  denen  die 
Spitze  des  Schläfenlappens  beiderseits  fortgeschnitten  worden  war,  hatten  übrigens 
weder  das  Geruchs-  noch  das  Geschmacksvermögen  verloren. 

Schliesslich  führt  Seh.  noch  an,  dass  er  in  einem  Falle  dauernde  Hemianästhesie 
(7  Monate  lang  Reactionslosigkeit  gegen  tactile  und  leichtere  schmerzhafte  Beize) 
durch  Abtragung  einer  1,5  cm  langen  Partie  aus  der  Mitte  des  Gyr.  fomic.  erzielt 
habe.  Hitzig. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

2)  Beiträge  zur  Lokalisation  im  Grosshim  und  deren  praktische  Ver- 
werthung,  von  Dr.  Jastrowitz  in  Berlin.  (Dtsch.  med.  Wochensch.  1888. 
Nr.  5—8.) 

Nachdem  die  Ergebnisse  von  Schädeloperationen  so  günstige  geworden  sind, 
dass  von  den  wegen  Kopfverletzung  Operirten  nur  3,2 7o  (n&ch  Amidon)  oder  4^/^ 
(nach  Roberts)  sterben,  gegenüber  den  früheren  51,25^0  (i^&ch  Bluhm);  und  nach- 
dem von  10  wegen  Gehirntumor  in  Amerika  Operirten  4  gut  gebessert  wurden« 
1  die  Operation  überstand,  5  starben  (2  direct  in  Folge  der  Operation),  hält  J.  die 
Zeit  für  gekommen,  der  Operation  der  Gehirntumoren  auch  bei  uns  näher  zu  treten. 
Die  genauere  Diagnose  des  Sitzes  der  Geschwulst  ist  hierbei  zunächst  das  Wichtigste. 
J.  bespricht  nun  zuerst  die  Schwierigkeit,  die  in  der  sogenannten  Fem  Wirkung  der 
Tumoren  liegt,  für  welche  aber  mit  der  Zeit  auch  Regel  und  Gesetz  zu  finden  sein 
müsste  und  geht  dann  auf  das  Yerhältniss  der  Rinde  zu  der  darunter  liegenden 
Markmasse  ein,  und  auf  die  Einwirkung  der  besonderen  Circulationsverhältnisse. 
Einen  merklichen  Fortschritt  stellt  Exner's  „negative  Methode'*  und  seine  „Methode 
der  procentischen  Berechnung''  dar. 


—    231      - 

In  kurzer  Idarer  Znsammenstellang  giebt  dann  J.  die  Samme  unserer  Kennt- 
niss  in  der  Lokalisationslebre,  „waa  Exner  in  seinem  Bfiche  publicirt  bat  und 
adtdem  von  Neuem  gefunden  ist".  Scbematiscbe  Zeichnungen  geben  dies  Alles  fiber- 
sichtlicb  wieder,  und  daneben  bat  Verf.  eine  Reibe  von  ibm  beobachteter  Tumoren- 
flUe  resp.  deren  Gebimbefund  in  ein  Gebimscbema  eingetragen;  5  Fälle  schildert  er 
demnächst  sehr  eingebend,  von  denen  die  3  ersten  —  isolirte  Tuberkelknoten  — 
Geisteskranke,  die  beiden  letzten  geistig  Gesunde  betrafen. 

Bei  Fall  I  —  kartoffelgrosser  Knoten  in  der  rechten  oberen  Stimwindung  dicht 
oberhalb  der  Umbiegnng  in  den  Orbitaltheil  — ,  welcher  keinerlei  Heerderscheinungen 
gemacht  hatte  und  darum  nicht  diagnosticirt  worden  war,  knüpft  Verf.  Betrachtungen 
an  die  Form  der  Geistesstörung:  Blödsinn  mit  eigenthümlich  heiterer  Auf- 
regung, die  sogenannte  Moria,  welche  er  bei  Tumoren  einzig  und  allein  dann 
sah,  wenn  sie  in  den  Stimlappen  sassen.  J.  erinnert  hierbei  an  Goltzes  Beobach- 
toogen  über  den  Einfluss  der  Gehirnexstirpation  bei  Hunden,  je  nachdem  Stimlappen 
oder  Hinterhauptslappen  entfernt  wurden;  die  bissig-heftige  Stimmung  im  ersteren, 
die  ft-eundüche  Stimmung  im  letzteren  Fidle  bieten  wenigstens  eine  gewisse  Analogie 
KU  der  in  mehr  als  einem  halben  Dutzend  Fällen  von  ihm  betrachteten  Moria  bei 
Stimlappentumoren.    Andere  Fälle  aus  der  Litteratur  werden  angeführt. 

Der  zweite  Fall  ist  äusserst  interessant  durch  das  Bestehen  mehrfacher,  kirsch- 
bis  wallnussgrosser  Tuberkel  in  der  metrischen  Region,  ohne  dass  bei  Lebzeiten 
Labmungserscheinungen  wahrgenommen  waren.  Freilich  hatte  der  sehr  närrische 
nnd  widerspenstige  Kranke  keine  genaue  Untersuchung  gestattet. 

Im  dritten  Falle  waren,  einige  Monate  vor  dem  Tode,  Bewegungsstörungen  an 
der  rechten  Hand  und  dem  rechten  Vorderarm  beobachtet:  Contractur  im  rechten 
Ellenbogengelenk,  Extensoren-  und  Supinatorenparese.  Dabei  wiederholt  KrampfanfäDe, 
von  der  rechten  Hand  in  den  rechten  Arm  steigend,  das  Gesicht  und  rechtes  Auge 
ergreifend.  Patientin  war  dabei,  auch  nachdem  die  Aufalle  sich  stark  häuften,  stets 
bei  Bewusstsein.  —  Die  Section  ergab  ausser  verschiedenen  anderen  erbsen-  bis 
kirschkemg^ossen  Tuberkeln  in  der  motorischen  Zone,  auch  einen  links  in  der  Mitte 
der  vorderen  Centralwiiidung  gegenüber  der  mittleren  Stimwindung.  Da  Mahon 
sowohl  wie  Beynaud  ganz  entsprechende  Fälle  von  mit  Extensoren  resp.  Supinatoren- 
läbmung  der  Hand  beobachtet  haben,  mit  Heerderkrankungen  an  obiger  Stelle,  so  ist 
J.  geneigt,  auch  in  seinem  Falle  den  betreffenden  Zusammenhang  anzunehmen.  — 
Der  Verf.  geht  hierbei  des  Weiteren  auf  die  Frage  der  Abhängigkeit  der  Monoplegien 
und  Monospasmen  von  Him-  resp.  Himrindenläsionen  ein,  auf  die  Jackson'scbe 
Epilepsie.  —  Das  Zusammentreffen  von  Monoplegie  und  Monospasmus  in  demselben 
Gliede  (Parese,  Zitterkrämpfe,  Contractur)  führte  hier  bei  der  Diagnose  zur  Annahme 
gerade  eines  Tuberkels  und  zwar  in  der  Rolando'schen  Zone. 

Die  beiden  folgenden  Fälle  betreffen  also  Nicht-Gtoisteskranke  und  erlaubten 
demgemäss  eine  viel  genauere  Feststellung  der  Symptome.  Es  handelt  sich  beide 
Male  um  Tumoren  (Gliosarcom  resp.  Sarcoma  fibrosum)  in  der  motorischen  Region. 
Die  Erkrankungen  begannen  beide  mit  monoplogischen  Lähmungen,  zu  denen  sich 
frühzeitig  Muskelsteifigkeit,  Frühcontractur,  Erhöhung  der  Sehnenreflexe  gesellte, 
späterhin  Jackson'sche  Krämpfe.  In  dem  einen  Falle  traten  plötzlich  sehr  heftige 
Krämpfe  im  linken,  bisher  gesunden  Beine  auf  (linksseitiger  Bindentumor):  eine 
Erscheinung,  welche,  in  Uebereinstimmung  mit  Heidenhain'scben  Versuchen,  da- 
durch zu  erklären  ist,  dass,  nach  starker  resp.  völliger  Zerstömng  der  Rinde  durch 
Uebergreifen  des  Processes  auf  die  unterliegende  Markmasse,  auch  die  in  dieser 
übenden,  nach  der  andern  Seite  ziehenden  Gommissurenfasem  getroffen  wurden. 

Für  den  Extensor  ballucis  longus  ergab  sich  das  Rindencentmm  (wahrschein- 
lich) im  Gyr.  centralis  posi,  4  cm  entfernt  von  der  Scissura  magna. 

Die  Verhältnisse  der  Sensibilitätsstörangen  bei  Rindentumoren  werden  vom  Verf. 


—    232    — 

emgehend  erörtert,  ihre  AbweicbaDgen  gegenüber  denen  bei  Läsionen  der  Capsula 
interna  geprüft  n.  s.  w. 

In  besonders  eingebender  Weise  aber  bescbäftigt  sieb  J.  mit  der  Frage  der 
Störungen  des  Mnskelsinnes,  der  Bewegongsvorstellungen  (kinästbetiscbe  Empfindungen 
nacb  Bastian),  ibren  Znsammenbang  mit  Rindenlähmungen  u.  s.  w.  Er  kommt 
damit  auf  die  Theorie  der  motorischen  Zone  und  giebt  eine  klare  Darstellung  der 
bisherigen  Geschichte  derselben.'  Sein  eigener  Standpunkt  ist:  „wir  nehmen  mit 
Hitzig,  Schiff,  Munk,  Bastian  und  Luciani-Sepilli  an,  dass  diekinästbe- 
tischen  Empfindungen  in  der  motorischen  Gegend  localisirt  sind  (die 
Ferrier  im  Gyr.  formicatus,  Nothnagel  im  Scheitelläppchen  sucht)  und  nehmen 
mit  Ferrier,  Nothnagel,  Luciani-Sepilli  (gegen  Munk,  Bastian  und  Brücke) 
an,  dass  auch  die  motorischen  Impulse  direct  von  hier  aus  stattfinden/' 

Mit  Uücksicht  auf  die  Experimente  Yon  Goltz,  Hitzig,  Loeb,  welche  ein- 
seitige homonyme  Sehstörung  nach  Stimlappen-Operationen  bei  Hunden  erhielten, 
findet  J.  die  Möglichkeit  der  Erklärung  von  Hemiamblyopie  bei  einem  seiner  Kranken 
mit  Betheilig^ng  der  oberen  Stimwindnng  ni  dieser  letzteren  Affection.  Diese  Dinge 
seien  immerhin  noch  nicht  genügend  klar.  Doch  müsse  Verf.  sieb  entschieden  gegen 
Fürstner  aussprechen,  welcher  bei  Paralytikern  Binden-  oder  Seelenblindheit  auf 
einem  Auge  beobachtet  haben  will;  denn  centralwärts  vom  Chiasma  könne  es  nur 
hemianopische  Sehstörungen  geben. 

Zum  Scbluss  auf  die  praktische  Yerwerthung  des  jetzigen  Standpunktes  der 
Localisationslehre  für  die  Chirurgie  übergehend,  stellt  sich  J.  ganz  auf  den  Stand- 
punkt V.  Bergmannes  Oi^^^^fi)*  Behandlung  der  Himkrankheiten"^),  dessen  Aus- 
spruch, dass  man  zur  Operation  die  traumatisch  entstandenen  Fälle  von  Jackson*scher 
Epilepsie  auswählen  müsse,  durchaus  maassgebend  sei;  denn  wir  besitzen  mehrere 
Fälle  von  acut  auftretenden  Jackson'scben  Krämpfen  selbst  mit  Monoparesen,  wo 
post  mortem  sich  ein  negativer  Befund  ergab.  —  Gehirnabscesse  sind  natürlich, 
wenn  irgend  möglich,  zu  öffnen.  —  Bei  Tumoren  sollte  man  verschiedene  bisher 
beachtete  Einschränkungen  der  Operation  (z.  B.  nur  dann  zu  operiren,  wenn  der 
Tumor  von  der  Dura  ausgeht,  wenn  er  scharf  abgegrenzt  ist  u.  s.  w.)  fallen  lassen. 
—  Zu  erwägen  ist,  ob  man  nicht  unter  Umständen  auch  operiren  soll,  um  das  ge- 
föhrlichste  Symptom,  den  Gehimdrnck,  zu  beseitigen,  wie  z.  B.  nach  grossen  Blut- 
ergüssen; bei  meningealen  Blutungen  ist  dies  ja  schon  mit  Erfolg  geschehen.  — 
Ferner  hat  die  glückliche  Entleerung  alter  Blutungsreste  zu  Heilungen  geführt. 

Liegen  verzweifele  Fälle  vor,  so  wird  man  dem  Chirurgen  unter  Umständen 
auch  ein  gewisses  Wagniss  gestatten  müssen.  Hadlich. 


3)  De  Taphasie  et  de  Tagraphie  en  partioalier  d'apr^  renseignement  de 
M.  le  profiBBBeur  Charoot,  par  P.  Marie.     (Progr.  m6A,  1888.  Nr.  5.) 

Darlegung  des  Charcot'schen  Standpunktes  zu  der  Lehre  von  den  verschiedenen 
aphasischen  Störungen:  Die  Patientin,  welche  zu  den  nachfolgenden  Auseinander- 
setzungen die  Veranlassung  bot,  war  eine  Frau  von  64  Jahren,  welche  zum  ersten 
Male  1868  einen  apoplectischen  Insult  erlitt;  die  Folgen  desselben  waren  eine  rechts- 
seitige Extremitäten-  und  Znngenparese,  beide  Erscheinungen  verschwinden  wieder 
vollkommen.  —  Aber  seit  diesem  ersten  Unfall  besteht  die  absolute  Unfähigkeit  zu 
schreiben,  die  Bewegungen  der  Hand,  die  zum  Schreiben  nothwendig  wären,  fehlten 
nicht  im  geringsten,  aber  die  Erinnerung  daran,  welche  Form  sie  den  Buchstaben 
geben  solle,  war  und  blieb  verloren. 

Nachher  hatte  sie  noch  mehrere  apoplectische  Attacken  durchgemacht.  Schliess- 
lich trat  eine  Pseudo-Bulbärparalyse  auf,  in  Folge  deren  Pat.  schon  seit  einer  ge- 


«  Cf.  d.  Ctrlbl.  1888.  S.  111. 


—    233    — 

wiflsen  Zeit  gefüttert  werden  mnss.  —  Seit  1868,  also  18  Jahre,  besteht  aber  in 
ToUer  Reinheit  die  oben  schon  genannte  Agraphie:  Die  Frau  leidet  weder  an  Wort- 
blindheit, noch  an  Worttanbheit,  sie  bezeichnet  sehr  genau  die  Gegenstände,  die 
man  ihr  benennt^  sie  copirt  Buchstaben,  Ziffern  u.  s.  w.,  malt  die  Zeichen  nach,  ist 
aber  onföhig  nach  Dictat  zn  schreiben,  oder  spontan  durch  die  Schrift  sich  irgend 
wie  auszudrucken: 

Die  Aphasie  ist  nach  Charcot  nur  eine  Amnesie  und  zwar  unterscheidet  dieser 
Autor  vier  verschiedene  Amnesieformen,  als  Ausdruck  der  mannigfachen  aphasischen 
Störungen.  Die  Amn&ies  auditive,  visuelle,  motrice  d'articulation  et  motrice  graphi- 
que.  Für  jede  der  vier  Formen  nimmt  Ch.  ein  besonderes  Centrum  an  und  geht 
von  der  Theorie  aus,  dass  diese  Centren  von  einander  ziemlich  unabhängig  sind. 
Das  dem  Aufsatz  beigefügte  Schema  veranschaulicht  sehr  prägnant  den  Sitz  dieser 
4  Centren  und  deren  Verhalten  einerseits  zu  den  optischen,  zu  den  acustischen 
und  zu  den  motorischen  Begionen  der  Grosshimrinde,  andrerseits  zu  den  peripherischen 
Sinnes-  und  Bew^ungsorganen.  —  Wir  verweisen  auf  die  Originalzeichnungen,  da 
sich  ohne  diese  die  Details  der  Arbeit  hier  kaum  wiedergeben  lassen  dürften.  — 
Wir  betonen  nur  noch,  dass  nach  Ch.  durch  Erziehung  und  Uebung  der  Pat.  leicht 
daza  gelangen  kann,  dass  ein  Centrum  befähigt  werde  vicarürend  für  das  andere 
einzutreten  resp.  demselben  zu  Hülfe  zu  kommen,  z.  B.  lernt  der  Worttaube,  wenn 
ihm  die  Spontanschrift  geblieben  ist,  mitunter  durch  Nachmalen  der  Worte  in  der 
Luft  auch  den  ihm  fehlenden  Sinn  derselben  wieder  zu  erfassen  etc.  Uebrigens  ist 
auch  nach  Charcot  die  gegenseitige  Unabhängigkeit  der  Centren  als  kein  absolut 
und  allgemein  gültiges  Gesetz  zu  betrachten,  es  giebt  in  der  That  auch  Fälle,  wo 
z.  B.  der  Mangel  der  sensorischen  Centren  des  Gesichts  und  des  Gehörs  das  Articu- 
lationscentrum  lähmte  und  auch  eine  motorische  Aphasie  oder  eine  Agraphie  er- 
zeugen kann.  —  Das  hat  nach  Charcot  seinen  Grund  in  der  verschiedenen  Art,  wie 
bei  einzelnen  Individuen  der  so  unendlich  complicirte  Mechanismus  des  inneren  Wortes 
zu  Stande  kommt,  ob  mehr  mit  Hülfe  der  Gesichts-,  der  Klang-  oder  der  Bewegungs- 
bilder. —  Bei  „indifferenten"  Individuen,  wo  die  verschiedenen  Centren  gleich  viel 
bei  der  Bildung  des  inneren  Wortes  mitwirken,  wo  die  einzelnen  eine  grössere  Au- 
tonomie gemessen,  wird  auch  die  Ergänzung  des  einen  Centrums  durch  das  andere, 
von  der  oben  die  Bede  war,  am  ehesten  möglich  sein,  da  aber,  wo  bei  Entwickelung 
des  Sprechactes  die  einzelnen  Centren  mehr  in  den  Vordergrund  treten,  und  bei  Bil- 
dung des  Wortes  eine  gewisse  Einseitigkeit  herrscht,  —  werden  die  einzelnen  Aphasie- 
formen  am  leichtesten  in  ihrer  Beinheit  und  unvermischt  mit  anderen  zur  Beobach- 
tung kommen.  La  quer. 

4)  Case  of  aphasia  with  repeated  looalised  oonvulBions  of  the  tongae  and 
right  oheek,  bj  B.  S.  Thomson.     (The  Glasgow  Medic.  Journ.   1888.  Maerz.) 

Ein  56jähriger,  bisher  gesunder  Mann,  litt  im  Juni  1885  an  heftigem  Kopf- 
schmerz in  der  linken  Schläfengegend.  Er  hatte  nie  an  Lues  gelitten,  und  zeigte 
bei  der  körperlichen  Untersuchung  eine  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  des  Herzens. 
Ausserdem  traten  die  Symptome  motorischer  Aphasie  deutlich  hervor,  bei  intacter 
Iiitelligenz,  gutem  Gedächtniss  und  Verständniss  für  die  Worte,  die  er  hörte  oder 
las.  Im  Laufe  des  Monats  Juni  und  August  traten  wiederholt  KrampfanföUe  der 
rechten  Gesichtshälfte  und  Zunge  ein,  die  einige  Minuten  dauerten  bei  erhaltenem 
Bewusstsein  und  Unvermögen  zu  schlucken  und  zu  sprechen.  Danach  zeigte  sich 
eine  Lähmung  der  rechten  Gtesichtshälfte.  In  den  folgenden  Monaten  dehnten  sich 
die  Krampfi&nfalle  auch  auf  das  Platysma,  den  Stemocleidomastoideus  und  endlich 
auf  die  ganze  rechte  Eörperhälfte  aus;  die  Augenmuskeln  blieben  jedoch  frei;  das 
Bewusstsein  war  meist  erhalten.  In  den  anfallsfreien  Zeiten  wechselte  der  Zustand, 
indem  Pat.   bald  besser,  bald  schlechter  sprach  und  das  Gehörte  and  Geschriebene 

15 


—    284    - 

verstand.  Oft  verwechselte  er  die  Bnclistaben,  Silben,  Worte,  und  allmäUicli  traten 
die  Erscheinungen  der  sensor.  Aphasie  hinzu;  auch  fehlte  das  Bewusstsein  nunmehr 
meist  in  den  Krampfanfallen,  welche  wechselnde  Lähmungen  der  Extremitäten  zurück- 
Hessen.  Nach  einem  Anüalle  waren  beide  Extremitäten  gelähmt  und  völlig  anästhe- 
tisch, blutige  Blasen  bilden  sich  an  der  rechten  Ferse  und  Decnbitelgeschwüre  in 
der  Kreuzbeingegend.  Die  Fatellarreflexe  fehlteu  fast  ganz.  Die  Empfindung  kehrt 
bald  wieder.  Nach  einem  anderen  Anfalle  waren  beide  Arme  paretisch,  das  linke 
Bein  gelähmt,  und  die  rechte  PupiUe  weiter.  Die  Intelligenz  war  getrübt,  Wort- 
taubheit und  Wortblindheit  schien  zu  bestehen.  Mit  der  S^eit  trat  Lähmung  der ' 
Blase  ein,  völlige  Verwirrung,  Hallucinationen  und  endlich  Mitte  1887  der  Exit. 
let.  ein.  Die  Section  ergab  Adhärenz  der  Dura  an  der  Seite  der  linken  Hemisphäre 
in  der  Gegend  der  vorderen  Hälfte  der  Sylv.  Spalte  und  der  benachbarten  Frontal- 
und  Temporosphenoidal-Windungen,  die  sehr  weich  und  mit  einer  eitrigen  Membran 
bedeckt  sind  und  grau  verfärbt  erscheinen.  Beim  Einschnitt  in  die  Insul.  Reilii 
öfiEhet  man  eine  Höhle  (cyst),  welche  den  vorderen  Theil  des  Nuclens  lenticul.  und 
den  vorderen  Theil  der  inneren  Kapsel  mit  betrifft.  Das  Bückenmark  wurde  nicht 
untersucht.  Goats  hielt  die  Affection,  dem  Befunde  nach,  für  syphilit.  Ursprungs. 
Th.  glaubt,  dass  im  Beginn  der  Erkrankung,  als  neben  motor.  Aphasie  Krämpfe  der 
Zunge  und  der  rechten  Gesichtshälfte  bestanden,  allein  der  hintere  Theil  der  Broca'- 
sehen  Windung  betroffen  war  durch  irgend  einen  Reizungszustand.  Es  spricht  sein 
Fall  für  die  Theorie,  dass  derartige  Aphasieen  paralyt.  Natur  seien;  wenn  auch  die 
Lähmung  nicht  die  groben  Bewegungen,  sondern  die  feinere  Coordination  der  Muskeln 
störe.  Die  Läsion  grif^  wie  der  Verlauf  zeigt,  allmählich  um  sich.  Die  wiederholt 
aufgetretenen,  streng  localisirten  Krämpfe  (am  Anfang  des  Leidens)  sprechen  für  die 
Identität  der  cerebralen  Centren  für  die  Sprache  und  für  die  Bewegung  der  Zunge 
und  Lippen.  Kalischer. 

6)  Ein  Pall  von  Typhus  abdominalis  mit  seltenen  Complicationen  (Apha^ 
sie,  Dementia — Erysipel),  von  Dr.  Th.  Escherich  und  Dr.  Rudolf  Fischl, 
Assistenten  der  K.  Univ.-Kinderklinik  in  München.  (Münchener  med.  Wochenschr. 
1888.  Nr.  2.) 

Verfasser  geben  die  ausführliclie  Beschreibung  eines  Falles  von  Typh.  abd.,  der 
in  seinem  Verlaufe  von  vollständiger  Aphasie  und  Dementia  begleitet  wurde.  Section 
ergab:  Schleierartige  Trübung  der  sonst  zarten  Pia  über  den  Sulci,  leichte  Vermeh- 
rune  des  Liquor  cerebrospinalis  und  Ausweitung  der  Seiten  Ventrikel;  geringes  Oedem 
der  Marksubstanz  der  linken  Grosshimhemisphäre.  Hügel  (Würzburg). 


6)  Aphasie  cheB  nne  taotile,  par  Farges.    (L^Encephale.  1887.  Nr.  5.) 

Die  Berührung  hat  ihre  eigenen  Erinnerungsbilder  im  Gehirn  und  für  diese 
Bilder  sind  dort  festhaftende  Worte  vorhanden,  ebenso  auch  für  den  Geschmack, 
denn  dieser  ist  eine  der  Berührung  ähnliche  Bewegung.  Von  der  Wichtigkeit  dieser 
Tbatsache  ausgehend,  giebt  F.  eine  Krankengeschichte  einer  ö3jährigen  Person, 
welche  in  Folge  eines  apo])lectischen  Insultes  beinahe  völlig  aphasisch  war,  das  heisst, 
Pai  sprach  wohl,  sogar  spontan  und  viel,  aber  ihre  Phrasen  setzten  sich  eintönig 
nur  aus  etlichen  Worten  zusammen,  gefolgt  von  einer  langen  Reihe  incohärenter 
Silben,  welche  kein  wirkliches  Wort  bilden.  Die  Untersuchung  ergab  Wortblindheit 
und  Worttaubheit.  Sobald  nun  aber  die  Kranke  Gegenstände  berührte,  welche  ihr 
geläufig  waren,  so  erkannte  sie  dieselben  alsbald  und  hatte  auch  das  richtige  Wort 
für  dieselben.  Aehnlich  verhielt  es  sich  mit  dem  Geschmack.  Es  ist  also  in  allen 
Fällen  einer  Aphasie  genau  zu  untersuchen,  ob  die  Berührungs-,  Geschmacks-  oder 
Qeruchsbilder  erhalten  geblieben  sind.  Zander. 


—     235    — 

7)  Aphemia,  by  Suckling.     (The  Brit.  med.  Joum.  1887.  Dec.  24.  p.  1388.) 

S.  stellte  eine  19jährige  Patientin  in  der  Midland  med.  Gesellschaft  vor,  welche 
nach  längerdanemdem  Kopfweh  einen  plötzlichen  Anfall  von  Bewnsstlosigkeit,  Läh- 
mung nnd  Sprachverlnst  bekam  und  allmählich  eine  Yerbessemng  in  diesen  Symp- 
tomen erfuhr.  Sie  konnte  8  Tage  gar  nicht,  dann  nur  ein  einzelnes  Wort  sprechen. 
Die  rechte  Gesichtshälfte  paretisch;  Hemiparalyse  rechterseits.  Rechterseits  die  Re- 
flexe gesteigert.  Rheumatismus,  Syphilis,  Bright's  Krankheit,  acute  Krankheiten 
auszuschliessen.  —  Die  Diagnose  wurde  gestellt  auf  Thrombose  der  linken  mittleren 
Cerebralarterie  mit  Verschluss  des  Zweiges  zur  ßroca'schen  Oertlichkeit;  Folge  da- 
von Erweichung  der  inneren  Kapsel  und  der  3.  Stimwindung.  Eine  allmähliche 
Collateralcircolation  stellte  die  Function  in  dem  andern  corticalen  Sprachcentrum  her. 
—  Augenhintergrund,  Herz  normal.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

8)  Kotes  on  an  exceptional  oase  of  Aphasia,  by  Sir  G.  E.  Paget.  (The  Brii 
med.  Joum.  1887.  Dec.  10.  p.  1258.) 

Der  Fall  betrifft  einen  64jährigen,  sehr  gelehrten,  fleissig  studirenden,  höchst 
begabten  und  geistreichen  Prediger.  Derselbe  erleidet  Morgens  beim  Aufstehen  einen 
Anfall  von  Aphasia  bei  vollem  Bewusstsein;  der  rechte  Arm  und  die  rechte  Hand 
waren  paretisch  und  ataktisch.  Nach  9  Stunden  merkliche  Besserung;  am  folgenden 
Tage  völlige  Herstellung.  —  Solche  Anfälle  kommen  im  Verlaufe  der  nächsten  fünf 
Jahre  drei;,  der  zweite  2}l2  Jahre  nach  dem  ersten.  Im  dritten  und  letzten  Anfall 
entstand  Hemiparalyse  und  Hemianästhesie  rechterseits,  fast  gänzlicher  Verlust 
des  Hörens  und  Sehens  und  des  Bewusstseins.  Letzteres  stellte  sich  nach  einigen 
Tagen  in  unvollkommener  Weise  wieder  her.  —  Der  Geschmacksinn  blieb  unversehrt. 
Nach  2  Monaten  kam  auch  etwas  Bewegung  in  der  rechten  Hand  wieder,  und  die 
Sensibilität  stellte  sich  wieder  her.  —  2^/3  Jahre  später  linke  Pneumonie;  Tod. 

Der  Prediger  schrieb  ausserordentlich  viel  in  gesunden  Tagen;  er 
war  aber  linkshändig  für  alle  anderen  Thätigkeiten.  Hier  ist  also  das  Haupt- 
interesse des  Falles  die  Abweichung  von  der  sonst  gemachten  Erfahrung,  dass  Apha- 
sie bei  linkshändigen  Menschen  die  gelähmte  linke  Seite  zur  Begleitung  hat,  während 
hier  die  rechte  Seite  gelähmt  war,  wie  in  Fällen,  die  nicht  linkshändige  Menschen 
betreffen.  Da  die  Hauptbeschäftigung  des  Predigers  das  Schreiben  war,  welches 
rechtshändig  ausgeführt  wurde,  so  scheint  dieses  dafür  als  Ursache  herangezogen 
werden  zu  können,  indem  durch  die  vorherrschend  gewesene  üebung  die  entsprechend 
entgegengesetzte  Gehimhemisphäre  ihre  besondere  Ausbildung  erfahren  hatte,  wie  es 
bei  den  meisten  (rechtshändigen)  Menschen  geschieht.  Der  Fall  kann  also  zum  Be- 
weise für  die  Theorie  herangezogen  werden,  dass  Uebung  Einfluss  hat,  die  linke 
Hemisphäre  besonders  auszubilden  und  für  den  Sitz  des  Sprachvermögens  geschickt 
zu  machen.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

9)  Left  Hemiplegia  and  Hemianaesthesia,  Aphasia  and  left  sided  "Pyrexia, 
in  a  left-handed  woman,  by  Haie  White,  Guy's  Hospital.  (Tbe  Brit.  med. 
Journ.  1887.  Sept.  24.  p.  675.) 

50jährige  Frau  plötzlich  gelähmt,  hingefallen,  unfähig  zu  sprechen,  anscheinend 
bei  Bewusstsein.  Augen  nach  rechts,  enge,  nicht  reagirende  Pupillen,  Hemiplegie 
links,  rechts  die  Sensibilität  ein  wenig  herabgesetzt,  linke  Körperhälfte  schwitzt, 
namentlich  linke  Gesichtshälfte.  Kniereflex  beiderseits  fehlend,  Plantarreflex  rechts 
vorbanden.  Am  Herzen  präsystolisches  und  systolisches  Geräusch,  reichliches  Bas- 
sein auf  der  Brust,  starke  Albuminurie.  Puls  100,  hart,  unregelmässig,  Oheyne- 
Stokes,  t^  99,4^  F.,  linkerseits  bis  1^  F.  höhere  Temperatur,  als  rechts.  Die  Kranke 
war  linkshändig.     Nach   dem  Tode   findet   sich  eine  grosse  Blutung,  welche  die 

15* 


—    236    — 

rechte  Hälfte  des  Nudeus  lenticularis  und  ebenso  das  Knie  und  den  hintern  Theil 
der  Capsula  interna  zerstört  hatte.  Im  Seiten  Ventrikel  nur  wenig  Blut.  Thalamus 
opticus  nach  innen  verdrangt;  Nucleus  candatus  unversehrt.  Die  Begrenzung  der 
Hämorrhagie  konnte  wegen  Zerstörung  der  betroffenen  Theile  nicht  genau  festgestellt 
werden,  doch  waren  die  Corp.  quadrigemina  noch  mitbeschädigt.  Kleines  Extravasat 
im  Föns.     Granular-Nieren.     Stenosis  mitralis. 

Das  Hauptinteresse  dieses  Falles  beruht  auf  Eintreten  von  Aphasie  bei  Blutung 
in  die  rechte  Gehirnhälfte,  und  dass  die  Kranke  linkshändig  war. 

Zweitens   war   die  erhöhte  Temperatur  in  der  gelähmten  Körperhälfte  und  der 
auf  die  gelähmte  Hälfte  localisirte  Schweiss  hervorzuheben. 

L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


10)  Clinioal  leotures  on  diseases  of  the  nervous  System.  Leet.  IX:  Sen- 
sory  AphasiA,  bj  Hughes  Bennett.  (The  Brit.  med.  Joum.  1888.  Febr.  18. 
p.  339.) 

Auf  die   genauere  Ausführung   der  Einzelheiten  in  diesem  klinischen  Vortrage 
sei  hier  nur  hingewiesen.  —  Den  Inhalt  bilden  3  Fälle,  welche  kurz  skizzirt  folgen. 

1.  Fall.  Wortblindheit.  Ein  52jähriger  Schiffer,  robust  und  gesund  aus- 
sehend, ohne  irgend  eine  Andeutung  von  Lähmung,  Tremor  oder  dergl.,  doch  ge- 
steigerte Kniereflexe,  besonders  rechts.  Gefässe  etwas  starr  und  gewunden.  Hemi- 
opie  beider  Augen  links.  Discus  beiderseits  etwas  grau  und  undeutlich  begrenzt  — 
Intelligenz  ohne  bemerkbare  Störung.  Wortarticulation  deutlich  und  normal.  Etwas 
taub  in  Folge  von  Ohrkatarrh.  Er  versteht  Gesprochenes  und  antwortet  verständig. 
Aber  er  kann  kein  geschriebenes  (oder  gedrucktes)  Wort  lesen,  wohl  aber,  wie  ein 
Kind,  jeden  Buchstaben  richtig  nennen  und  die  Wörter  auf  diese  Weise  zusammen- 
buchstabiren,  wenn  nur  wenige  Buchstaben  im  Wort,  z.  B.  c  a  t  =  cat  spricht  und 
versteht  er.  Wörter  mit  mehr,  als  3  oder  4  Buchstaben,  werden  zwar  auch  buch- 
stabirt,  aber  nicht  sicher  mehr  ausgesprochen  und  nicht  sicher  verstanden.  Wörter 
wie  Constantinopel  u.  s.  w.  werden  auch  richtig  buchstabirt,  aber  nicht  mehr  richtig 
ausgesprochen,  auch  nicht  mehr  verstanden.  So  kann  er  seinen  eigenen  Namen  nicht 
lesen.  Trotz  dieser  Unmöglichkeit,  ein  längeres  Wort  zu  lesen,  schreibt  Fat.  voll- 
kommen geläufig,  richtig  und^mit  schöner  Handschrift  Er  schrieb  seine  Kranken- 
geschichte vorzüglich  klar  und  geschickt,  ohne  einen  Fehler,  gleichwohl  kann  er 
seine  eigene  Schrift  nicht  lesen,  die  kurzen  Wörter  derselben  nur  buchstabiren,  wie 
bereits  oben  mitgetheilt  wurde.  Er  copirte  Vorlagen  genau,  jedoch  nur  langsam, 
Buchstaben  für  Buchstaben.  Er  versteht  aber  das  Copirte  nicht  Wird  ihm  dictirt, 
so  schreibt  er  fehlerlos  nach.    Er  liest  Ziffern  correct  und  kann  rechnen. 

2.  Fall.  Worttaubheit  55jährige  Frau,  völlig  gesund,  auch  das  Verhalten 
der  Reflexe  normal;  nirgends  Andeutung  von  Lähmung  oder  Sensibilitätsstörung. 
Gehör  für  Schallperception  normal.  Sie  kann  kein  gesprochenes  Wort  verstehen. 
Dabei  ist  die  Intelligenz  ungestört.  Sie  steht  vor  wie  nach  dem  Hanshalt  vor  und 
verständigt  sich  durch  Zeichen  und  Gesten.  Wird  aber  zu  ihr  gesprochen,  so  ver- 
steht sie,  obwohl  sie  weiss,  dass  es  sie  angeht,  den  Sinn  des  Gesprochenen  nicht, 
antwortet  aber,  wie  automatisch  und  schwatzhaft  dummes,  ungehöriges  Zeug;  z.  B. 
„Sind  Sie  100  Jahre  alt?''  Antwort:  „Gut;  aber  das  ist  mein  Wille,  denn  warum 
ist  das?  Neinl  Jal"  und  so  unaufhörlich  weiter.  —  Auch  ohne  angeredet  zu  werden, 
ergeht  sie  sich  in  langem,  sinnlosen  Geschwätz,  welches  schliesslich  mit  Weinen 
endet,  wenn  sie  inne  wird,  dass  ihre  Bederei  nicht  ausdrückt,  was  sie  auszudrücken 
den  Wunsch  hat.  —  Fat  konnte  auch  in  gesunden  Tagen  nicht  lesen,  noch  schreiben. 
Eine  Prüfung  damit  konnte  also  nicht  stattfinden.  Sie  kann  auch  nicht  ein  einziges, 
ihr  vorgesprochenes  Wort  wiederholen. 

3.  Fall.    Amnesie.     70jähriger,  hochgebildeter  Geistlicher.    Für  seine  Jahre 


—     237     — 

kräftig  und  gesand.  GefSsse  massig  rigid  und  gewunden.  Seine  Klage  besteht  darin, 
dass  er  die  meisten  Wörter,  namentlicb  Substantive  (Namen  der  Plätze,  Personen  etc.) 
Tergessen  hat.  Seine  Intelligenz,  das  Vermögen  des  Denkens  ist  ungeschwächt.  Er 
kann  sich  alle  Verhältnisse  klar  vorstellen,  nur  die  Bezeichnung  der  Dinge  hat  er 
vergessen,  sowohl  sprechend,  als  schreibend. 

Wenn  er  d!e  Benennung  hört  oder  liest,  so  versteht  er  sie  vollkommen  wie  in, 
gesunden  Tagen;  aber  in  der  Unterhaltung  oder  beim  Niederschreiben  seiner  Ge- 
danken fehlen  die  entsprechenden  Laute  und  Zeichen.  Während  er  behindert  schreibt, 
copirt  er  unbehindert.  Beim  Versuch,  vorzulesen,  werden  die  Wörter  falsch  ausge- 
sprochen. Dess  ist  der  Kranke  sich  aber  bewusst;  er  versteht  den  Inhalt  des  Ge- 
lesenen ohne  Behinderung.  Er  gleicht  also  Jemandem,  der  früher  eine  fremde  Sprache 
sprach  und  schrieb,  nunmehr  dieselbe  grösstentheils  vergessen  hat;  er  hat  seine 
Muttersprache  vergessen.  In  der  Unterhaltung  mit  Anderen  versteht  er  diese,  und 
ebenso  Schriftsachen.  Manchmal  kann  er  seinen  eigenen  Namen  oder  sein  Lebens- 
alter nicht  nennen.  So  hat  er  die  Namen  seiner  Frau  und  seiner  Kinder  vergessen. 
Besonders  heftig  tritt  diese  Störung  auf,  wenn  er  sich  Mühe  giebt,  verständlich  zu 
sein.  Ja  er  kann  selbst  diejenigen  kleinen  Sätze  nicht  wiederholen,  welche  er  ganz 
passend  bei  allgemeiner  Unterhaltung  äussert.  Nicht  Substantiva  allein,  auch  Adjec- 
tiva  sind  vergessen,  manchmal  auch  fehlerhaft  oder"  irrig  mit  anderen  verwechselt, 
von  welcher  Verwechselung  Patient  aber  dann  sofort  weiss,  ohne  ändern  zu  können; 
z.  B.  phosphoresdren  statt  Philosoph  u.  s.  w.  —  Meistens  hört  Patient  —  unglück- 
lich über  diese  Störung  —  der  Unterhaltung  schweigend  zu  oder  vertieft  sich  in 
Leetüre.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

11)  On   puerperal   Aphasia,   by   F.  Bateman.    (The  Brit.  med.  Joum.   1888. 
Febr.  4.  p.  237.) 

Eine  23jährige,  jetzt  Zweitgebärende,  die  stets  völlig  gesund,  jedoch  Tochter 
einer  als  Irre  gestorbenen  Mutter,  hatte  vor  2  Jahren  ihr  erstes  Kind  geboren.  Da- 
mals im  7.  Schwangerschaftsmonat  litt  sie  an  unbestimmten,  leichten  Sprachstörungen, 
die  nach  einem  Monat  verschwanden.  Es  folgte  normale  Entbindung  und  Wochen- 
bett Sie  säugte  9  Monate  lang,  anfangs  mit  beiden  Brüsten,  doch  hörte  in  einer 
Brust  (der  linken?)  nach  längere  Wochen  hindurch  bestandener  Galaktorrhoe  die 
Milchsekretion  auf. 

In  der  zweiten  Schwangerschaft  stellte  sich  Hemiparese  rechterseits  (besonders 
im  Arm)  3  Monate  vor  der  Entbindung  ein,  und  einen  Monat  vor  der  Entbindung 
leichtere  Sprachstörungen,  die  sich  6  Tage  nach  der  Entbindung  zu  völliger  Aphasie 
steigerten.  Das  war  plötzlich,  ohne  Bewusstseinsstörung,  noch  irgend  erkennbare 
Ursache.  —  Am  2.  T^e  nach  der  Entbindung  ungewöhnlich  reichliche  Milch  in 
beiden  Brüsten;  am  5.  Tage  war  alle  Milch  aus  den  Brüsten  verschwunden. 

Am  8.  Tage  rechts  Hemiplegie  neben  völliger  Aphasie;  Zunge  kann  nicht  vor- 
gestreckt werden;  Unnretention;  Puls  74;  alle  sonstigen  Functionen  normal.  Sie 
verstand  Gesprochenes,  konnte  aber  zu  allem  ausschliesslich  die  3  Worte  „the  other 
day"  antworten.  —  6  Wochen  später  Erschöpfungstod. 

Während  Hemiplegie  nicht  selten  als  Wochenbettskrankheit,  sei  Aphasie  in  8000 
von  Sireday  gesammelten  Fällen  nicht  ein  einziges  Mal  verzeichnet.  Auf  eine  Ar- 
beit von  Poupon  (l'Enc^phale.  1885.  Juli),  die  hierher  bezüglich,  wird  verwiesen. 
Nach  Bateman's  anmaassgeblich  ausgesprochener  Ansicht  handelte  es  sich  hier  um 
Thrombose  in  den  Cerebralarterien.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

12)  Puerperal  Aphasia,  by  Ch.  Orton.     (The  Brit.  med.  Joum.  1888.  Febr.  25. 
p.  415.) 

0.  berichtet  zu  dem  im  Brit.  med.  Joum.  vom  4.  Dec.  mitgetheilten  Falle  einen 
bezüglichen  aus  eigener  Praxis.    Die  35jährige  Wöchnerin  wurde  plötzlich  10  Tage 


—    238    — 

nach  ihrer  Entbindung  (das  10.  Kind),  .als  sie  zum  ersten  Male,  ihr  Kind  säugend, 
aufsass,  gelähmt,  verlor  die  Sprache  und  war  an  der  rechten  Körperhälfbe  paralysirt. 
—  Die  Diagnose  wurde  auch  in  diesem  Falle  auf  Embolus  in  der  linken  Cerebral- 
arterie  gestellt.  Patientin  hatte  ungetrübtes  Bewusstsein.  Im  Augenblick  des  Anfalls 
war  die  Milchsekretion  nicht  vermehrt;  wohl  aber  in  der  nun  folgenden  Nacht.  In 
Arm  und  Bein  verlor  sich  die  Lähmung  nach  und  nach.  Doch  t)lieb  die  Sprache 
dauernd  mangelhaft.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

18)  TranBitoriBohe   Aphasie   im   Spfttwoohenbette,    von   Dr.  U.  Luc  kinger. 

Münchener  med.  Wochenschr.  1888.  Nr.  5.) 

IL  Fara,  „bis  auf  einen  nicht  unbedeutenden  Grrad  von  Anämie  früher  stets  ge- 
sund'S  gebar  am  28.  Juni  1886  ein  nicht  ganz  ausgetragenes  Kind.  Partielle  Lö- 
sung der  Flacenta  erforderlich.  Normales  Puerperium  die  ersten  15  Tage.  Am 
16  Tage  plötzliches  Auftreten  einer  sehr  heftigen  linksseitigen  Neuralgia  supraorbitalis 
mit  gleichzeitigem  Cessiren  der  Milchsecretion  und  des  Lochienfiusses.  Ordination 
6,0  Natr.  salicyl.  Untersuchung  der  Genitalorgane  ergiebt  keine  Veränderungen, 
„nur  der  Uterus  erscheint  kleiner,  als  man  für  die  Zeit  erwarten  könnte."  Anderen 
Tages  —  15.  JuU  —  neuralg.  Schmerzen  geringer,  sonst  Status  idem.  4,0  Natr. 
salicyl.  Abends  eigenthümliches  Wesen  der  Pat.  „Denken  und  Reden  erscheint  er- 
schwert.'' Daneben  unverkennbare  Somnolenz  und  Apathie.  Patientin  klagt  nur 
über  Ohrensausen.  (10,0  Natr.  salicyl.  I)  16.  Juli,  morgens  tiefes  Goma,  „dabei 
war  die  Fähigkeit^  irgend  ein  Wort  zu  sprechen,  vollständig  abhanden  gekommen.'' 
„Yerständniss  einer  Frage  wurde  nur  durch  Schütteln  oder  Nicken  mit  dem  Kopfe 
zu  erkennen  gegeben."  Pat.  giebt  später  an,  dass  sie  während  dieses  Zustandes 
auch  manche  Worte  mit  Versetzung  seiner  Silben  gehört  habe;  z.  B.  statt  Zucker- 
wasser, Wasserzucker.  Lähmungserscheinungen  fehlen,  auch  schien  die  Sensibilität 
nicht  gestört.  Temperatur  39,8,  Puls  140,  grosser  Durst.  Ordination  Eisblase. 
2  Stunden  später:  plötzliches  Auftreten  klonischer  Krämpfe  vorwiegend  im  rechten 
Arm,  weniger  intensiv  am  Bumpf  und  im  linken  Arme.  Gesichtsmuskeln  frei,  Brost 
in  ausgesprochener  Exspirationsstellung ,  stöhnendes  Athmen,  geröthetes  Qesicht^ 
warme,  feuchte  Haut.  Nach  einigen  Minuten  Buhe,  Wiederholung  des  Anfalles  nach 
15  Minuten.  Nachher  enormer  Durst  unter  gleichzeitigem  bedeutendem  Schweiss- 
ausbruche  und  grosser  Erschöpfung.  Bewusstsein  schien  während  des  Anfalles  auf- 
gehoben. Urinuntersuchung  resultatlos.  3  Stunden  später  konnte  Pat.  wieder  Ja 
und  Nein  sagen.  17.  Juli  Sprachvermögen  wieder  erweitert,  Aussprache  noch 
schwierig.  „Die  einzelnen  Buchstaben  der  Worte  mussten  förmlich  erst  gesucht  wer- 
den. Es  waren  in  diesem  Falle  amnestische  und  atactische  Aphasie  vereint.  18.  Juli. 
Wiederkehr  der  Milchsecretion  und  der  Lochien.  Letztere  anfangs  von  dunkel- 
blutiger Beschaffenheit.  3  Wochen  nach  Beginn  der  Erkrankung  völlige  Wiederher- 
stellung der  Frau  auch  bezüglich  der  Fähigkeit  der  Sprache. 

Als  ätiologisches  Moment  des  ganzen  Processes,  bei  dem  die  Aphasie  doch 
mehr  als  ein  den  übrigen  Erscheinungen  gleichwerthiges  Symptom  aufzufassen  sein 
dürfte,  nimmt  Verfasser  eine  Embolie  der  linken  Art  foss.  Sylvii  an.  Eine  Erklä- 
rung, die  durch  die  vorgenommene  Placentalösung  allerdings  am  nächsten  liegt.  Die 
differentialdiagnostisch  noch  in  Frage  kommende  Eclampsie  lehnt  Verf.  ab,  „da  die 
Art  der  Erkrankung  dem  gewöhnlichen  Bilde  reiner  Eclampsie  nicht  entspricht",  da 
femer  keine  Veränderungen  des  Urins  nachzuweisen  waren.  „Ausserdem  spräche 
gegen  eine  Eclampsie  auch  das  jugendliche  Alter  der  Pat  und  die  späte  Zeit  der 
Erkrankung."  Aus  den  in  der  Litteratur  verzeichneten  Fällen  hätten  2  Fälle  von 
Embolie  der  Art.  pulm.  (ref.  von  Playfair  in  Virch.  Jahresber.  1885)  mit  dem  be- 
schriebenen die  meiste  AehnHchkeit. 

Eclampsie  im  Spätwochenbette  ist  jedenfalls  nicht  so  selten  wie  Verfasser  an- 
nimmt   Ich  habe  deren  in  den  letzten  3  Jahren  2  zu  beobachten  Gelegenheit  ge- 


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habt,  Ton  denen  der  eine  Fall  12,  der  andere  21  Tage  poet  partum  auftrat,  die 
beide  mit  länger  dauernden  Sprachstörungen  einhergingen  und  schliesslich  mit 
TöUiger  Genesung  endigten.  Hügel  (Würzburg.) 

14)  Amnestische  Aphasie  mit  Schriftblindheit  bei  einem  Paralytiker.  — 
Ataktische  Aphasie  bei  einem  Kinde,  von  Dr.  Knecht,  Colditz.  (Deutsche 
med.  Wochenschr.  1887.  Nr.  37.) 

Auf  Grund  apoplectiformer  und  epileptiformer  Anfalle  bei  allmählich  fortschrei- 
tender Geistesschwäche  wurde  der  beobachtete  Krankheitsfall  in  die  Gruppe  der 
paralytischen  Geistesstörungen  gerechnet,  und  zwar  zu  derjenigen  Form,  welche  von 
Anfang  mit  geistiger  Schwäche  beginnt  und  ohne  Grössenideen  und  erhebliche  Auf- 
regung verläuft.  Die  Section  nach  dem  durch  einen  zufälligen  Unfall  eingetretenen 
Tode  ergab  eine  Bindenatrophie  mit  chronischer  Pachymeningitis.  Nach  einem 
apoplectiformen  Anfall  litt  der  Fat.  an  amnestischer  Aphasie;  und  während  ihm 
anfangs  nur  die  Klangbilder  der  Worte  fehlten,  schwanden  ihm  bei  fortschreitender 
Demenz  auch  die  Schriftbilder  aus  dem  Gedächtniss.  In  der  Regel  sind  bei  der 
amnestischen  Aphasie  auch  die  Schriftbilder  der  Worte  verloren  gegangen  und  oft 
in  höherem  Grade  als  die  Klangbilder.  Der  Fat.  vermochte  zwar  seine  Antworten 
auf  vorgelegte  Fragen  niederzuschreiben,  jedoch  das  Geschriebene  nicht  abzulesen. 
Y^.  glaubt,  dass  es  sich  um  Wortblindheit  gehandelt  habe,  nm  das  Unvermögen, 
geschriebene  oder  gedruckte  Schrift  aufzufassen.  Die  hämorrhag.  Pachymeningitis, 
welche  die  linke  Hemisphäre  befallen  hatte,  wird  als  Ursache  sowohl  der  epilepti- 
formen  Anfalle,  wie  der  an  dieselben  sich  anschliessenden  Aphasie  betrachtet.  — 
Sodann  beobachtete  Verfasser  bei  einem  7jährigen  Knaben,  der  vier  Wochen  nach 
Beginn  des  Schulbesuches  an  heftigen  Kopfschmerzen,  Appetitlosigkeit  und  Erbrechen 
unter  leichten  Fieberbewegungen  erkrankte,  eine  plötzlich  eingetretene  unvollständige 
Lähmung  des  rechten  Armes  mit  Unfähigkeit,  articulirt  zu  sprechen.  Bei  geringem 
Fieber  und  zeitweiligem  Erbrechen  blieb  dieser  Zustand  10  Tage  lang  unverändert. 
Dann  tratmi  klonische  Krämpfe  in  den  mimischen  Gesichtsmuskeln  bei  erhaltenem 
Bewusstsein  auf;  dieselben  wiederholten  sich  und  ergriffen  in  den  nächsten  Tagen 
auch  den  rechten  Arm,  während  zugleich  der  ganze  Kopf  nach  rechts  gedreht  wurde; 
der  Fuls  wurde  beschleunigt  und  Pupillenerweiterung  trat  ein.  Später  schwand  das 
Bewusstsein  während  der  Anfälle,  und  nachdem  Sopor  und  Nackenstarre  hinzuge- 
treten war,  erfolgte  bald  der  Tod.  Der  Umstand,  dass  bereits  ein  älterer  Bruder 
in  ähnlichem  Alter  an  dieser  Krankheit  gestorben  ist,  wie  das  Fieber  und  die  schliess- 
liche  Nackenstarre  lassen  die  Veranlassung  der  Störung  mit  grosser  Wahrscheinlich- 
keit in  einer  tuberkulösen  Meningitis  suchen,  die  meist  die  Ursache  von  Aphasie  in 
so  kindlichem  Alter  ist.  Dieselbe  hat  vielleicht  zunächst  durch  Thrombose  einer 
kleinen  Bindenarterie  eine  Erweichung  des  Sprach-  und  Armbewegungscentrums 
bedingt  Kalischer. 

15)  Ueber  Aphasie,  von  Rieger.  (Aus  den  Sitzungsberichten  der  Würzburger 
Fhys.  med.  Ges.  VI.  Sitzung  vom  26.  Febr.  1887.) 

Bieger  stellt  der  Gesellschaft  den  beim  Eisenbahnunglück  des  vorigen  Sommers 
schwer  verletzten  Bildhauer  Seybold  von  Carlstadt  vor.  Derselbe  zeigt  in  Folge  von 
Brüchen  der  Schädelbasis  einerseits  Symptome  von  Lähmung,  andererseits  von  Sprach- 
und  Gedächtnissverlust. 

Letztere   äussern   sich:    1.  durch  Yerlangsamung  der  sprachlichen  Reactionen, 

2.  durch  einen  merkwürdigen  isolirten  Verlust  bestimmter  optischer  Buchstabenbilder 
(besonders  aus  der  Reihe  der  grossen),  die  in  keinerlei  Weise  mehr  für  den  Fationten 
ezisüren    und    ebenso  sämmtliche   Zahlbegriffe    mit  Ausnahme   von    1,   2    und   3. 

3.  Fast  absolute  Aufhebung  des  Gedächtnisses  für  frische  Eindrücke.     Sperling. 


—    240    — 

16)  Notes  on  a  oase  of  amnesie,  by  Batterham.     (Brain.  1888.  Janaar.) 

Ein  Fall  von  Aphasie  mit  folgenden  Symptomen;  Die  Fat.  hatte  ein  gutes 
Wortverständniss:  die  spontane  Sprache  zeigt  nur  leichte  Paraphasie  und  musste 
manchmal  ein  Wort  umschrieben  werden.  Gegenstände  erkennt  sie,  vermag  sie  aber 
häufig  nicht  zu  benennen,  nennt  man  ihr  die  Bezeichnungen,  so  spricht  sie  sie  gut 
nach.  Fast  totale  litterale  und  verbale  Alexie:  den  Sinn  geschriebener  Worte  erkennt 
sie  aber,  wenn  sie  sie  nachschreibt  (schreibend  lesen).  Zahlen  werden  gut  erkannt. 
Spontan  und  Dictatschreiben  gut  mit  leichter  Faragraphie,  sie  vermag  aber  weder 
laut  noch  leise  zu  lesen,  was  sie  geschrieben  hat.  Das  Abschreiben  ist  mehr  ein 
Nachzeichnen  und  bringt  bei  gedruckter  Vorlage  kein  Yerständniss  des  Wortbegrifiis 
hervor.  Das  Gedächtniss  ist  auch  im  Ganzen  sehr  geschwächt:  z.  B.  weiss  sie  den 
Inhalt  eines  Briefes  nicht  mehr,  wenn  sie  ihn  geschrieben  hat,  hat  sie  einen  Brief 
angefangen  und  aus  irgend  einem  Grunde  unterbrochen,  so  muss  ihr  das  Bruchstöck 
erst  wieder  vorgelesen  werden,  damit  sie  den  Faden  findet.  Bruns. 


17)  Note  BOT  un  cas  d'amnÖBie  verbale  visuelle  (avec  autopsie),  par  Sigaud« 
(Frogr.  m6d.  1887.  Nr.  36.) 

In  der  Einleitung  zu  der  Mittheilung  eines  Falles  von  reiner  Wortblindheit 
kommt  S.,  der  damit  eine  klinische  Besprechung  Frof.  Teinier*s  von  Lyon  vrieder- 
giebt,  auf  die  Complicirtheit  des  Sprachmechanismus  zu  reden  und  erwähnt  die 
Charcot*sche  Ansicht,  dass  derselbe  sich  zusammensetze  aus  vier  Arten  von  Wort- 
bildem,  dem  durch  das  Gehör,  dem  durch  das  Gesicht  vermittelten  sensorischen, 
dem  durch  die  Articulation  und  durch  die  Schrift  vermittelten  Wortbilde:  Von  Wort- 
blindheit unterscheidet  T.  zwei  besondere  Unterarten.  Die  wirkliche  Wortblindheit 
darin  bestehend,  dass  das  Gedächtniss  fOr  die  Gesichtsbilder  der  Worte  vollständig 
aufgehoben  ist  und  zwar  in  so  hohem  Grade,  dass  auch  der  Anblick  der  geschriebe- 
nen Worte  nicht  im  Stande  ist  diese  Gesichtsbilder  hervorzurufen,  femer  das  mangel- 
hafte Gedächtniss  fflr  die  Gesichtsbilder  der  Worte  (Amn^ie  verbale 
visuelle),  wo  die  betreffenden  Gesichtsbilder  wohl  verwischt  sind,  aber  durch  den 
Anblick  des  geschriebenen  Wortes  von  dem  Fatienten  wieder  hervorgeholt  werden 
können. 

Nach  Charcot  repräsentirten  diese  beiden  Categorieen  von  Wortblindheit  Störungen, 
denen  beiden  dieselbe  anatomische  Läsion  zu  Grunde  liege,  nur  sei  sie  das  eine 
Mal  von  oberflächlicher,  das  andere  Mal  von  tieferer  Ausdehnung. 

Bei  dem  77  jährigen  Fatienten  fand  sich  keine  Spur  von  Hemiplegie,  er  verlor 
plötzlich  die  Sprache;  dieselbe  kehrte  allmählich  wieder  zurück,  es  fand  sich  bei 
genauer  Untersuchung  nur  eine  rechtsseitige  Ftosis  und  eine  Spur  von  Agraphie. 
Zeichen  von  Worttaubheit,  von  Wortblindheit,  von  motorischer  Aphasie  fehlen  voll- 
kommen, hier  und  da  war  Fat.  paraphasisch.  Er  war  auch  nicht  völlig  agraphisch, 
er  copirte  ganz  gut  ein  geschriebenes  oder  gedrucktes  Wort,  aber  nur  dann,  wenn 
er  langsam  einen  Buchstaben  nach  dem  andern  nachmalen  durfte.  Gehörte  Worte, 
die  kurz  waren,  konnte  er  schreiben,  längere  fielen  ihm  schwer.  Aber  er  war  ab- 
solut unfähig,  in  seinem  Geiste  die  zur  Bildung  eines  Wortes  nothwendigen  Buch- 
staben von  selbst  zusammenzufinden,  das  innere  Wortbild  konnte  er  sich  im  Geiste 
nicht  ganz  vorstellen,  deshalb  schrieb  er  längere  Worte  nur  unbeholfen.  —  Die 
Sectiou  ergab  zur  Erklärung  dieses  Fhänomens  einen  kleinen  Heerd  in  dem  Lobulus 
parietalis  inferior  (der  bekanntlich  die  zweite  Schläfenwindung  mit  den  Occipital- 
windungen  in  Verbindung  setzt).  La  quer. 


18)   Ein  Fall  von  Amblyopia  oruolata»  von  Frof.  Mierzejewski.     (Verhand- 
lungen der  St.  Fetersburger  psychiatrischen  Gesellschaft.  1887.    Russisch.) 


—    241     — 

Ein  28jähriger,  an  Pneamonia  chronica  leidender  Bauer  bietet  seitens  des 
Nervensystems  folgende  stationäre  Symptome:  Die  linken  Ertremitaten  sind  bedeutend 
schwächer,  als  die  rechten;  linke  untere  Gesichtshälfte  in  deutlich  paretischem  Zu- 
stande mit  Deviation  der  Zunge  links;  mechanische  Muskelerregbarkeit  und  Sehnen- 
reflexe linkerseits  beträchtlich  gesteigert;  Ernährungszustand  der  linksseitigen  Mus- 
culatur  unbedeutend  verringert,  ohne  Veränderung  der  elektrischen  Erregbarkeit.  Die 
Sensibilität  der  Haut  fflr  Tast-  und  Schmerzreize  ist  au  der  ganzen  linken  Eörper- 
hälfte  merkbar  herabgesetzt,  indem  die  Hemianästhesie  genau  an  der  Medianlinie 
beginnt     Oeruch,  Geschmack  und  Gehör  sind  linkerseits  ebenfalls  vermindert. 

Was  die  Augen  anbelangt,  so  ist  am  rechten  die  Pupillenreaction  normal  und 
die  centrale  Sehkreft  vollkommen  erhalten;  doch  lässt  sich  hier  mit  Hülfe  des 
Perimeters  beträchtliche  concentrische  Gesichtsfeldeinschränkung  nachweisen.  Am 
linken  Auge  besteht  fast  vollständige  Blindheit,  und  Pat.  kann  hier  nur  Licht  und 
Dunkelheit  unterscheiden;  am  Augenhintergrund  ist  nichts  Pathologisches  (ausser 
beiderseitigem  Staphyloma  posticum)  zu  bemerken;  die  linke  Pupille  ist  im  Ver- 
gleich zur  rechten  bedeutend  verengert,  doch  reagirt  sie  ebenfalls  auf  Lichteinfall. 

Das  gezeichnete  Krankheitsbild  hatte  sich  im  2.  Lebensjahr  des  Patienten  ent- 
wickelt, und  er  erinnert  sich,  seit  seiner  frühesten  Jugend  an  Schwäche  der  linken 
Extremitäten  und  Blindheit  des  linken  Auges  gelitten  zu  haben.  Von  hysterischen 
Symptomen  fand  sich  keine  Spur,  und  die  Hemianästhesie  bot  keine  Transfert- 
erscheinungen. 

M.  stellt  die  Diagnose  auf  organische  Affection  des  hinteren  Drittels  im  hinteren 
Schenkel  der  rechten  Capsula  interna  und  bespricht  die  Schwierigkeit,  die  in  solchen 
Fällen  auftretende  Amblyopia  cruciata  mit  dem  Vorkommen  bilateraler  Hemianopsie 
bei  Erkrankung  der  Hemisphären  in  Einklang  zu  bringen.  Seiner  Meinung  nach  ist 
es  nicht  abzuweisen,  dass  in  der  Kreuzung  der  Sehnervenfasem  individuelle  Schwan- 
kungen vorkommen,  analog  dem  Verhalten  der  Pyramidenkreuzung. 

P.  Bosenbach. 


18)  Ein  Fall  von  einseitiger  temporaler  Hemianopsie  in  Folge  von  syphi- 
litischer (gummöser)  Arteriitis  cerebralis^  von  Dr.  Th.  Tr eitel  und  Prof. 
Dr.  P.  Baumgarten,  Königsberg  in  Pr..     (Virchow's  Arch.  Bd.  CXI.  H.  2.) 

Ein  35 jähriger  Mann,  vor  12  Jahren  syphilitisch  inficirt,  hatte  seit  Anfang 
December  1884  (ohne  sonstige  luetische  Erscheinungen)  eine  Parese  des  ganzen 
rechten  Nervus  oculomotorius  ind.  Pupille  und  Accommodatiou,  welche  sich  jedoch 
binnen  8  Wochen  bei  Jodkalium  und  Faradisation  fast  völlig  verlor.  Erst  am 
7.  Februar  1886  trat  von  Neuem  Doppelsehen  auf  und  die  Untersuchung  ergiebt 
Parese  des  Nervus  oculomotorius  und  trochlearis,  sowie  partielle  temporale  rechts- 
seitige Hemianopsie.  Keinerlei  cerebrale  Allgemein-  oder  Heerdsymptome.  —  Besse- 
rung nach  Inunctionskur.  Am  3.  April  1886  Tod  durch  Erhängen»  Die  Diagnose 
(Dr.  T.)  war  auf  einen  basalen  Process  (Gumma  oder  gummöse  Meningitis)  in  der 
Gegend  des  rechten  Nervus  opticus  gestellt  worden.  —  Die  Section  (Prof.  B.)  ergab, 
dass  die  Arteria  basilaris  etwa  in  ihrer  Mitte  durch  ein  halblinsengrosses,  weisslich  — 
gelbes  Knötchen  mit  der  Dura  des  Clivus  Blumenbachii  zusammenhängt.  Es 
handelt  sich  hier,  wie  das  Mikroskop  zeigte,  um  ein  geheiltes  Gumma  der  Art.  basil. 
—  Femer  fand  sich  am  Anfangsstück  der  rechten  Art.  corporis  callosi  ein  etwas 
fiber  hanfkomgrosses  gelbes  Knötchen  und  noch  mehrere  Flecke  und  Verdickungen 
an  den  Arterienwandungen:  sonst  nichts,  weder  am  Gehirn  noch  an  den  Häuten  oder 
dem  Knochen.  —  Unter  diesen  Umständen  nimmt  T.  an,  dass  die  Arteriitis  gum« 
mosa  der  A.  corporis  callosi  dextra,  von  welchen  die  kleinen  ernährenden  Gefösse 
(Endarterien)  des  Chiasma  und  Fasciculus  cruciatus,  sowie  analog  auch  die  Nn. 
oculomotor.  und   trochl.   abgehen,    eine    fonctionelle  Schwächung    der    betreffenden 


-     242     — 

Nerven  herbeigefülirt  bat,  ohne  noch  bis  dahin  zu  palpablen  Veränderungen  des 
Nervengewebes  zu  fuhren.  Wenn  weder  Heubner  noch  Förster  und  Mauthner 
oder  Bumpf  und  Michel  Fälle  von  Opticus-  resp.  Himnervenstdrungen  durch 
Arteriitis  obliterans  gummosa  anführen,  so  glaubt  T.  doch,  dass  bei  genauerem 
Achten  auf  dieses  Yerhältniss  03  öfter  gefunden  werden  dürfte.  —  Prof.  B.  hält 
in  einer  epikritischen  Auseinandersetzung  seine  Angabe,  dass  die  gummöse  Arteriitis 
obliterans  in  den  Aussenhäuten,  nicht  in  der  Intima,  ihren  Ausgang  nimmt, 
gegen  Heubner's  Lehre,  der  sich  Gerhardt  und  Litten  angeschlossen  haben, 
aufrecht  und  begründet  ^es  eingehend.  .  Hadlich.  . 


ao)  A  söoond  clinioal  study  of  hemianopsia.  Cases  of  ohiasm-leBion.  De- 
monstration of  hemiopic  pupillary  inaction,  by  E.  G.  Seguin.  (Joum. 
of  nervous  and  ment.  disease.  1887.  XIV.  p.  721.) 

3  Fälle  von  Hemianopsie  mit  hemiopischer  Fapillenreaction  (nach  v.  Graefe 
und  Wem  icke)  und  ohne  auffällige  Erscheinungen  von  Seiten  des  Gehirns.  Obschon 
nur  Erankenbeobachtungen  ohne  Sectionsbefund  vorliegen,  so  scheint  doch  die  Diagnose 
auf  Sitz  der  Läsion  im  Ohiasma  in  allen  Fällen  gesichert. 

1.  20jähriger  Mann.  Vollständige  Blindheit  links  und  temporale  Hemianopsie 
rechts,  mit  entsprechend  ausgebildeter  Atrophie  der  Sehnerven. 

2.  41  jähriger  Mann.  Partielle  Blindheit  durch  beiderseitige  temporale  Hemi- 
anopsie und  durch  accessorischen  Ausfall  des  oberen  nasalen  Quadranten  des  linken 
Gesichtsfeldes.     Partielle  Atrophie  beider  Optici. 

3.  25jähriger  Mann.  Temporale  Hemianopsie  links  und  fast  totale  Blindheit 
rechts:  es  functioniren  hier  nur  zwei  Segmente  aus  den  beiden  oberen  Quadranten. 
Partielle  Atrophie  beider  Optici. 

Interessante  Zeichnungen  mit  den  genaueren  Angaben  der  Gesichtsfeldbeein- 
trächtigungen und  des  vermutheten  Sitzes  der  Läsion  sind  zu  jedem  Fall  beigegeben. 

Verf.,  der  bei  dieser  Gelegenheit  in  sehr  coUegialer  Weise  ein  früheres  Miss- 
verständniss  der  Wernicke'schen  Beschreibung  der  hemiopischen  Pupillenreaction 
gegenüber  bedauert,  giebt  dann  eine  Erklärung  des  Phänomens,  das  er  übrigens  lieber 
als  hemiopische  Pupillenreactionslosigkeit  bezeichnen  möchte,  und  macht  darauf  auf- 
merksam, dass  die  Irisstarre  nur  durch  Beleuchtung  demonstrirt  werden  kann;  die 
Pupillenreaction  bei  Accommodationsschwankungen  ist  nicht  beeinträchtigt. 

Zum  Schluss  giebt  Verf.  ein  ausführliches  Schema,  aus  welchem  für  alle  Arten 
der  Hemianopsie  der  wahrscheinliche  Sitz  des  Leidens  abgeleitet  werden  kann;  das- 
selbe muss  im  Original  eingesehen  werden,  da  ein  Referat  nur  durch  fast  wörtliche 
Wiedergabe  geliefert  werden  könnte.  Sommer. 


21)   Zur  Casuistik   der  Hemlanopia   temporalis,   von   Dr.  Bumschewitsch, 
Wien.     (St.  Petersburger  med.  Wochenschr.  1887.  Oct.) 

Während  die  gleichnamige  rechts*  und  linksseitige  Hemianopie  sehr  häufig  an- 
getroffen wird,  ist  die  temporale  eine  weit  seltenere  Erscheinung.  Nach  der  Ansicht 
von  Mauthner  und  Oswald  Baer  verdankt  sie  ihre  Entstehung  keiner  Läsion 
der  Sehcentren,  sondern  ausschliesslich  solchen  Einflüssen,  die  sich  im  Bereich  des 
Ohiasma  localisiren  (Gummata,  knöcherne  und  entzündliche  Neubildungen  etc.,  welche 
eine  Gompression  auf  den  vorderen  oder  hinteren  Winkel  oder  in  sagittaler  Richtung 
von  oben  resp.  unten  auf  die  Mitte  desselben  drücken). 

Verf.  berichtet  über  zwei  neue  Fälle,  deren  einer  nur  oberflächlich  beobachtet 
wurde.  In  dem  anderen  handelte  es  sich  wahrscheinlich  (Section  fehlt)  um  ^nen 
Gummiknoten.   Gleichzeitig  stellte  sich  Diabetes  (erst  insipidus,  später  mellitus)  ein. 


—     243    — 

Verf.  macht   darauf  aufmerksam,   dass   unter  36  genau   beschriebenen   Fällen   Ton 
temporaler  Hemianopie  4mal  Diabetes  constaürt  wurde.    (D.  Med.-Ztg.  1888.  S.  87.) 


22)  Die  osoillirende  Hemianopsia  bitemporalis  als  Kriterium  der  basalen 
Hirnsyphilis,  von  H.  Oppenheim;  aus  der  Nervenklinik  der  Charit^.  (Berl. 
klin.  Wochenschr.  1887.  Nr.  36.) 

Ein  31  jähriger  Mann  klagte  bei  seiner  Aufnahme  in  die  Charit^  über  heftigen, 
periodisch  exacerbirenden,  seit  etwa  3  Monaten  bestehenden  Kopfschmerz,  der  sich 
zeitweise  mit  Erbrechen  verband,  über  vorübergehendes  Doppeltsehen,  Abnahme  der 
Sehkraft,  besonders  des  linken  Auges,  sowie  starkes  Durstgefühl.  —  Vor  14  Tagen 
hatte  er  ein  „Ulcus"  erworben,  das  erst  nach  3  Monaten  heilte  und  allgemeine 
Drüsenschwellung  ohne  sonstige  Folgezustände  bewirkte.  Merkwürdig  war  nur  das 
Ergebniss  der  Sehprüfung:  bei  normalem  Augenhintergrund  beiderseitiger  Gesichts- 
felddefect,  und  zwar  unvollständige  bitemporale  Hemianopsie.  Dieser  Befund  bildete 
zusammen  mit  ausgeprägtem  Diabetes  insipidus  die  einzigen  objectiven  Krankheits- 
zeichen. Gestützt  auf  einen  früher  beobachteten  Fall  (cfr.  d.  Gentralbl.  1886.  Nr.  17), 
in  welchem  eine  derartige  Hemianopsie  beobachtet  wurde,  die  sehr  häufige  und  rasche 
Schwankungen  aufwies,  ein  Verhalten,  das  post  mortem  seine  Erklärung  fand  durch 
den  Befund  einer  überaus  gefässreichen,  schwellungsfähigen  gummösen  Neubildung, 
welche  das  Chiasma  umklammerte,  —  diagnosticirte  0.  basale  Himlnes:  auf  Medication 
von  Kai.  jodat.  verminderte  sich  die  Sehstörung  rasch,  ebenso  der  Kopfschmerz,  so- 
wie der  Diabetes  insip.  und  der  Kranke  gelangte  als  „geheilt'^  nach  14  Tagen  zur 
Entlassung.  Bei  späterer  Untersuchung  erwies  sich  das  Gesichtsfeld  als  ganz  normal. 
Die  beigegebenen  Gesichtsfeldaufnahmen,  die  sich  z.  Th.  auf  den  erwähnten  früheren 
Fall  beziehen,  illustriren  die  Verhältnisse  in  sehr  prägnanter  Weise. 

Verf.  hält  sich  für  berechtigt»  ein  werthvoUes  diagnostisches  Kriterium  für  die 
so  localisirte  Lues  in  der  Hemianopsia  bitemp.  fugax  zu  sehen.  „Häufig  wird  man 
durch  genaue  und  was  besonders  zu  betonen,  mehrfach  wiederholte  perimetrische 
Untersuchung  (besonders  auch  mit  Farben)  nicht  allein  eine  Localdiagnose  gewinnen, 
sondern  auch  die  syphilitische  Natur  des  Processes  erschliessen  können.''  Inzwischen 
hatte  Verf.  Gelegenheit,  4  Fälle  von  Hirnsyphilis  auf  dem  Sectionstisch  zu  sehen 
(3  derselben,  von  Siemerling  beobachtet,  werden  demnächst  publicirt  werden),  in 
welchen  das  Chiasma  in  dieser  Weise  von  einer  gummösen  Neubildung  umlagert  war. 
In  der  Litteratur  fand  0.  keine  Beobachtung,  in  welcher  ein  anderer  Krankheits- 
process  durch  Druck  auf  das  Chiasma  eine  derartige  unbeständige  Beschränkung  des 
ezcentrischen  Sehens  bewirkt  hätte.  Bemerkenswerth  ist  noch  die  Combination  mit 
Diabetes  insipidus,  die  auch  in  entsprechenden  Beobachtungen  anderer  Autoren  vor- 
handen war.  Schoenthal. 

28)  Braln  disease  with  Hemixianopia»  by  Seymour  Sharkey.  (TheBritmed. 
Joum.  1887.  Nov.  19.  p.  1105.) 

S.  trug  in  der  ophthalmologischen  Gesellschaft  über  einen  Fall  von  Hemianopie 
vor,  der  in  Folge  einer  corticalen  und  subcorticalen  Erkrankung  in  der  Regio  occi- 
pito-angularis  entstanden  war.  Patient,  29  Jahr  alt,  litt  seit  20  Jahren  an  gewöhn- 
licher Epilepsie  und  zuletzt  an  epileptischer  Verrücktheit.  Oct.  1886  schlug  er  sich 
mit  einem  Stück  Holz  auf  den  Kopf,  wovon  eine  Narbe  hinterblieb.  Seitdem  Unbe- 
weglichkeit  und  Starrheit  der  rechten  Hand,  und  allmählich  Anästhesie.  Pupillen 
weit,  rechts  mehr.  Klonische  Krämpfe  der  Gesichtsmuskeln.  Neuritis  optica,  rechts 
Hemianopie.  Vor  dem  Tode:  Kopfweh,  Insomnie,  Benommenheit,  Coma.  Temperatur 
3  Tage  vor  dem  Tode  107,4*^  F. 

Bei  der  Autopsie  fand  sich  ein  rundzelliges  Sarcom  in  der  linken  Hemisphäre, 
welches    den   Lob.  occipitalis   und   einen  Tbeil   des    Lob.  parietalis  einnahm.     Ver- 


—    244    — 

dünnung  der  Windungen  an  der  vorderen  Hälfte  des  Lob.  occipit,  dem  oberen  Lo- 
bulos  parietalis  und  am  oberen  Ende  des  Gyrus  angalaris,  der  hintere  Theil  der 
innem  Kapsel  nicht  durchbrochen.  —  Für  die  rechtsseitige  Hemiplegie  liess  sich 
die  örtliche  Ursache  nicht  bestimmt  auffinden.  Ein  Theil  der  Bein-Gentren  im  Lo- 
bulus  parietal,  super,  war  von  der  Geschwulst  ergriffen.  —  Neuritis  optica  war  die 
Folge  von  Meningitis  an  der  Basis;  Hemianopie  Folge  der  Zerstörung  des  corticalen 
und  subcorticalen  Feldes  der  Begio  occipito-angularis.  Anästhesie  wurde  zurückgeführt 
auf  Läsion  derjenigen  Fasern,  welche  in  die  sensible  Kreuzung  eintreten,  aber  noch 
nicht  in  das  hintere  Drittel  des  hintern  Randes  der  innem  Kapsel  eingetreten  waren. 
Deshalb  konnten  Hemianopie  und  Hemianästhesie  angesehen  werden  als  hervorgebracht 
durch  Läsion  der  sensorischen  Ausstrahlungen,  welche  zu  der  Regio  temporo-sphenoi- 
dalis  und  zum  Corp.  callo&um,  und  von  der  Regio  occipito-angularis  zum  N.  opticus 
verlaufen. 

Ueber  einen  früher  bereits  vorgetragenen,  hierher  bezüglichen  Fall  von  Epilepsie 
mit  Augensymptomen  wird  hier  nachgetragen,  dass  alle  Lähmungsphänomene  ver- 
schwanden, die  Blindheit  aber  unverändert  bestehen  geblieben  sei.  Es  sei  eine  häufig 
zu  machende  Beobachtung  in  solchen  Fällen  von  Hemianopie,  dass  Augensymptome 
unverändert  lange  Zeit  hindurch  fortbestehen,  ohne  dass  andere  Krankheitsäusserungen 
hinzuträten.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

24)   Cases  in  illuBtration  of  cerebral  Hemianaesthesia,   by  Ferrier.     (The 

Brit.  med.  Joum.  1887.  Nov.  26.  p.  1166.) 

F.  trug  in  der  Londoner  medicinischen  Gesellschaft  eine  Abhandlung  über  7  Fälle 
von  cerebraler  Hemianästhesie  (Symptome;  5  Obdnctionen)  vor.  —  Diese  hängt  ab 
von  einer  Läsion  des  hintern  Drittels  des  hintern  Segmente  der  innem  Kapsel.  Die 
Erscheinungen  variiren  je  nach  der  Ausdehnung  der  ergriffenen  Gebiete,  und  nament- 
lich je  nach  Ei^iffensein  der  occipitalen  Region  und  der  Corpora  geniculata.  Ist 
Letzteres  der  Fall,  so  entsteht  Hemiopie. 

1.  Fall.  Frau,  hysterisch,  seit  einigen  Jahren  hemianästhetisch.  Links  blind, 
taub,  geschmack-  und  geruchberaubt,  links  Sensibilität  (auch  Muskelgefühl)  erloschen, 
mit  Ausnahme  der  linken  Hand  bis  zum  Gelenk. 

2.  Fall.  Nicht  hysterische  Frau,  welche  plötzlich  rechtsseitig  gelähmt  wurde. 
6  Monate  nach  dem  Anfall  rechts  Hemianästhesie.  Genesung  in  3  Monaten  durch 
Faradisation. 

3.  Fall.  Hämorrhagie  des  rechten  Thalam.  opticus  und  hintern  Abschnitts  der 
innem  Kapsel.  Ein  kleiner  und  jüngerer  Erguss  links.  —  In  diesem  Falle  bestand 
links  Hemianästhesie,  Hemiplegie  mit  Schmerz  und  Rigidität;  klonische  Krämpfe  im 
rechten  Arm  und  Bein.    Der  ganze  Verlauf  2  Monate.  ' 

4.  Fall.  Erweichung  im  Nucleus  lenticularis  und  im  hintern  Abschnitt  der 
innem  Kapsel  der  rechten  Hemisphäre. 

5.  Fall.  Rechts  Hemiplegi  und  Hemianästhesie,  Hemiopie,  Wortblindheit.  Die 
linken  basalen  Ganglien  und  die  innere  Kapsel  erweicht;  die  Oortexschicht  darüber 
abgeflacht.  Adhäsionen  der  Häute  in  der  Gegend  der  Fiss.  Rolando.  —  Alkoholismus. 
Verlauf  2  Monate. 

6.  Fall.  Lmks  Hemiplegie,  Hemianästhesie,  Hemiopie.  Hämorrhagie  im  hintern 
Abschnitt  der  innem  Kapsel  rechts  und  der  Occipitalgegend.    Verlauf  2  Monate. 

7.  Fall.  Sarcoma  in  der  ganzen  linken  Occipitalregion  mit  vorwärts  gerichtetem 
Druck  zu  dem  Lobus  temporalis  et  parietalis.  Ausser  Neuritis  optica  bestand  rechts 
Hemiopie  und  Hemianästhesie.  Der  Tumor  war  gross  wie  eine  Apfelsine;  die  vordere 
Hälfte  desselben  erweicht. 

In  der  Discussion  äussert  F.,  dass  er  eine  Differentialdiagnose  zwischen  einer 
Functionsstörung   und  einer  Stömng  durch  materielle  Ursachen  nicht  machen  könne. 

L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


—    245    — 

26)  A  oase  in  whioh  paralysis  of  the  sphinoters  and  incontinenoe  of 
urine  were,  together  with  torpid  intellect,  the  ohief  Symptoms  of 
symmetrica!  disease  of  the  oorpora  striata,  by  Hutchinson.  (Brain. 
1887.  JuH.) 

Die  symmetrische  Erkrankung  der  Corpora  striata  bestand  in  einem  gemisc*hten 
Spindel-  und  Bundzellensarcom,  da««  beiderseits  die  vordere  innere  Partie  des  Corpus 
striatum  eingenommen  hatte.  Auf  der  rechten  Seite  erfolgte  schliesslich  eine  Blu- 
tung in  die  Geschwulst,  die  plötzlichen  Tod  bedingte.  Die  Symptome  sind  aus  dem 
Titel  der  Arbeit  zu  ersehen:  vor  allem  wichtig  ist,  dass  keine  Lähmung  der  Ex- 
tremitäten bestand.  Verf.  erwähnt  noch  einen  ähnlichen  Fall  von  Bright  aus  den 
Medical  Beports.  Bruns. 

26)  De  la  blepharoptose  cör6brale,  par  le  Dr.  Georges  Lemoine.  (Revue  de 
m^ecine.  1887.  Juli.  p.  579.) 

Grasset  und  Landouzy  haben  die  Behauptung  aufgestellt,  dass  im  Gyrus 
angularis  ein  corticales  Centrum  fQr  die  Bewegung  des  oberen  Augenlides  gelegen 
sei.    Die  Beobachtung  L.'s  ist  geeignet,  diese  Angabe  zu  unterstützen. 

Bei  einem  43jährigen  Glasarbeiter,  welcher  an  Mitralstenose  litt,  trat  plötzlich 
unter  den  Zeichen  eines  apoplectischen  Insults  eine  rechtsseitige  Blepharoptosis 
ein,  welche  andauernd  blieb.  Mehrere  Jahre  darauf  erfolgte  der  Tod  in  Folge  einer 
neuen  Gehimembolie.  Die  Section  zeigte  neben  den  frischen  Veränderungen  einen 
alten  Erweichungsheerd  im  linken  Gyrus  angularis.  Strümpell. 


27)  Two  cases  of  brain  tomor:  tumor  of  the  second  frontal  gyre,  tumor 
of  the  optic  thalamos.  Bemarks  on  the  looalization  of  oculomotor 
and  fooial  centres,  by  Oh.  K.  Mi  11.  (Joum.  of  nervous  and  mental  disease. 
1887.  XIV.  p.  707.) 

Der  erste  Fall  betrifft  einen  16jährigen  Knaben,  der  nach  einem  Trauma  über 
dem  rechten  Parietalbein,  aber  ohne  Depression,  seit  etwa  einem  Jahre  an  Krämpfen 
litt  und  etwa  14  Tage  vor  dem  Tode  von  einem  unerwarteten  Ohnmachtsanfall  mit 
folgendem  Vomitus,  Kopfschmerz,  unsicherem  Gange,  Schwindel,  Pulsherabsetzung  auf 
50,  Diplopie,  Parese  der  linken  Extremitäten  und  des  ganzen  linken  Facialisgebietes 
sowie  rechtsseitiger  Ptosis  ergriffen  wurde.  Rapid  zunehmende  Erschöpfung  (bei 
excessivem  Hungergefühl)  führte  dann  in  kurzer  Zeit  den  Tod  herbei.  Unter  dem 
rechten  Scheitelbein  war  die  Dura  fest  mit  der  Pia  und  der  Hirnrinde  verwachsen. 
Die  Binde  selbst  war  an  der  Verwachsungsstelle  in  eine  erweichte  röthlich-graue 
Masse  verwandelt,  die  genau  dem  hinteren  Abschnitt  von  Fj  entsprach  und  nach 
hinten  noch  etwas  auf  das  untere  Drittel  der  vorderen  Oentralwindung  hinüber- 
iCichte.  Im  Mark  erstreckte  sich  die  Erweichuag  noch  auf  die  angrenzenden  Par- 
tien von  F^  und  F3.     Die  Binde  und  die  Meningen  der  Basis  waren  völlig  intact. 

Der  zweite  Fall  betrifft  einen  19jährigen  jungen  Mann,  der  an  Tuberculose 
leidend  etwa  ^/^  Jahr  vor  dem  Tode  von  einem  plötzlichen  Bewusstlosigkeitsanfall 
ergriffen  worden  war  und  seitdem  über  heftigen  Kopfschmerz  in  der  linken  Schläfe 
und  Aber  totale  rechtsseitige  Facialisparese  und  über  zunehmende  motorische  und 
sensible  Lähmung  der  rechten  Extremitäten  zu  klagen  gehabt  hatte.  Bei  der  Section 
fanden  sich  miliare  Tuberkel  in  der  Pia  über  der  Fossa  Sylvii,  Hydrocephalus  internus 
und  ein  fester  grauröthlicher  Tumor,  der  vom  lateralen  Theil  des  linken  Thalamus 
ausgegangen  und  die  medianen  Partien  des  Thalamus  und  des  Oorp.  caudatum  nach 
innen  und  oben  verdrängt  hatte. 

Bei  beiden  Beobachtungen  ist  die  Betheiligung  der  oberen  Facialisäste  (für  Orbi- 
cularis  ocuü,   Frontalis  etc.)   bei   einer   Hemiple^e   auffällig.     Die  Nothnagersche 


246 


Annahme  (Erkrankung  der  Himschenkelschlinge)  wird  ffir  den  zweiten  Fall  heran- 
zuziehen sein;  für  den  ersten,  bei  dem  dazu  eine  Ptosis  der  anderen  Seite  bestand, 
erscheint  die  Entstehung  dieser  Symptome  noch  unerklärt.  Sommer. 


28)  Cases  of  cholesteatoma  of  floor  of  third  ventricle  and  of  the  infündi- 
buluxn,  by  Dr.  W.  Osler.  (Joum.  of  nervous  and  ment.  disease.  1887.  XIV. 
p.  667.) 

Patient  litt  seit  der  Pubertät  an  heftigen  Kopfschmerzanfallen,  die  mit  dem 
18.  Jahre  immer  häufiger  wurden;  auch  trat  seitdem  schnell  vorübergehende  Blind- 
heit öfters  ein.  Indessen  vermochte  Patient  später  Medicin  zu  studircn,  obschon  er 
auch  in  den  folgenden  Jahren  häufig  noch  über  Sehstorungen,  Kopfschmerzen  und 
plötzliches  Einschlafen  zu  klagen  hatte.  Bald  nachdem  er  sich  als  Arzt  niederge- 
lassen, wurde  er  von  einer  plötzlichen  Lähmung  der  linken  Extremitäten  ergrifTen, 
die  allerdings  nach  einer  Stunde  schon  wieder  schwand,  der  sich  aber  in  den  nächsten 
Monaten  viele  Anfalle  von  Kopfschmerz,  Vomitus,  Schlafneigung,  Herabsetzung  des 
Pulses  bis  auf  30,  schnell  vorübergehende  Zustände  geistiger  Verwirrtheit,  Diplopie 
und  Amblyopie,  sowie  einmal  eine  leichte  epileptiforme  Attacke  anschlössen.  Dann 
trat  plötzlich  eine  ganz  unerwartete  Besserung  resp.  Heilung  ein,  die  nur  gelegent- 
lich durch  einzelne  der  früheren  Krankheitserscheinungen  gestört  wurde.  Nach  6  Mo- 
naten aber  ein  sehr  schwerer,  3  Tage  lang  dauernder  Anfall  von  Kopfschmerz  und 
Brechneigung,  dem  sich  dann  ein  Krampfanfall  und  langer  Sopor  anschloss  und  aus 
dem  Patient  völlig  erblindet  erwachte.  Darauf  rapides  Schwinden  sämmtlicher  anderer 
Krankheitssymptome,  sodass  Pat.  trotz  seiner  Blindheit  im  Stande  war,  noch  5  Jahre 
lang  in  einem  Drogengeschäft  thätig  zu  sein.  Dann  erst  wieder  Einsetzen  der 
früheren  Anfälle  und  nach  6  Monaten  plötzlicher  Tod. 

Ausser  beiderseitiger  Opticusatrophie  und  hochgradigem  Hydrops  ventriculorum 
fand  sich  der  vordere  Abschnitt  des  Bodens  des  dritten  Ventrikels  mit  dem  Infundi- 
bulum  und  dem  ganzen  Ghiasma  in  einen  rundlichen  festen  und  von  zwei  communi- 
cirenden  Erweich ungscysten  durchsetzten  Tumor  verwandelt,  der  nach  mikroskopischer 
Untersuchung  als  Cholesteatom  (vielleicht  auch  Cylindrom,  Ref.)  bestimmt  wurde. 

Die  älteren  Krankheitserscheinungen  erklären  sich  aus  dem  Sectionsbefunde;  die 
terminalen  Symptome  werden  vom  Verf.  auf  ein  erneutes  Wachsthum  des  Tumors  und 
den  dadurch  bedingten  Hydrocephalus  internus  zurückgeführt.  Sommer. 


Therapie. 

29)  Successfül  trephining  over  motor  areas  for  arrested  development  of 
limbs  and  complete  loss  of  ftinctional  value;  oommencing  retarn  of 
fünctional  activity,  by  Felkin.  (The  Brit.  med.  Joum.  1888.  Februar  25. 
p.  418.) 

F.  stellte  in  der  Edinbnrger  med.-chir.  Gesellschaft  ein  17jähriges  Mädchen  vor, 
welches  in  Folge  von  Schädel  Verletzung  im  Kindesalter  rechts  hemiparetisch  war; 
auch  hatte  die  Ernährung  und  Entwickelung  der  rechten  Gliedmaassen  beträchtlich 
gelitten.  In  üebereinstimmung  mit  Hare  führte  letztgenannter  die  Trepanation  aus. 
Man  fand  links  am  Schädel  eine  Depression  und  alte  Fractur.  Nach  Fortnahme  des 
Knochens  an  dieser  Stelle,  erschien  eine  Cyste,  die  geöfi&iet  und  entfernt  wurde.  An 
der  innem  LameUo  des  fortgenommenen  Knochenstücks  sah  man  einen  homartigen 
Fortsatz,  der  zweifellos  Ursache  der  bestehenden  Beizung  gewesen  war.  Die  Heilang 
erfolgte  p.  pnmam  int.  —  Die  Parese  wurde  verbessert,  gewisse  Bewegungen  des 
Vorderarms,   bis  dahin  unmöglich,   konnten  wieder  ausgeführt  werden.  —  Wie  weit 


—     247      - 

die  Ernahrong  und  die  gehemmte  Entwickelang  der  betreffenden  Theile  sieb  bessern 
möchten,  könne  erst  die  Zukunft  lehren,  da  die  Trepanation  erst  4  Wochen  alt. 

L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


30)  Epilessia  e  disturbi  mentsli  conseontivi  a  trauma  sul  capo  in  un 
delinquente;  trapanazione  del  cranio;  miglioramento,  pel  Dott.  G.  Alger  i. 
(Bivist.  speriment.  di  Freniatr.  ecc.  1888.  XIII.  p.  284.) 

23jähriger  Mann,  Verbrecher,  hatte  vor  5  Jahren  in  einem  Streit  eine  schwere 
Verwundung  (complicirte  Fractur)  über  der  linken  Stimhälfte  erlitten,  die  erst  nach 
Entfernung  mehrerer  Knochensplitter  und  nach  70tagiger  Krankenhausbehandlnng 
yerheilt  war.  Seitdem  wurde  er  in  seinem  Wesen  aufifallig,  klagte  oft  über  sehr 
heftige  Kopfschmerzen,  über  Schwindel  etc.,  bis  sich  allmählich  auch  epileptische 
Zustände  und  ausgesprochene  Anfälle  von  Geistesstörung  hinzugesellten.  Da  eine 
sehr  beträchtliche  rinnenförmige  Depression  von  7  cm  Länge  vorlag,  da  Druck  auf 
die  Narbe  sehr  schmerzhaft  war  und  das  Gefühl  der  Himpulsationen  hervorrief  und 
da  alle  pathologischen  Erscheinungen  sicher  erst  nach  dem  Trauma  entstanden  waren, 
so  wurde  die  Trepanation  vorgenommen;  dabei  wurde  eine  zweite  Krone  noth wendig, 
um  einen  grösseren  Splitter,  der  auf  der  hyperämischen  Dura  auflag,  entfernen  zu 
können. 

Es  trat  nun  im  gesammten  psychischen  Verhalten  eine  zunehmende  Besserung 
ein  und  5  Monate  später  waren  Kopfschmerzen,  Schwindel  und  Epilepsie  verschwun- 
den, die  psychische  Reizbarkeit  war  bedeutend  verringert  und  die  Verfolgungswahn- 
vorstellungen und  die  Gehörshallucinationen  waren  wesentlich  undeutlicher  geworden. 

Sommer. 


31)   Cerebral  abscess,  by  David  Ferrier  and  V.  Horsley.   Sitzung  der  Medical 
Society  of  London  vom  5.  März  1888.     (The  Lancet.  1888.  Vol.  I.  Nr.  10.) 

Bei  einem  Künstler  zeigten  sich  anfangs  Schläfrigkeit,  Kopfschmerz,  Photophobie, 
dann  öfters  Delirien  und  Zeichen  von  Aphasie,  später  vollständige  motorische  Aphasie, 
Paresen  der  rechten  Gesichtsseite  und  der  rechten  Oberextremität  vor  allem  an  Hand 
und  Fingern.  Ueber  dem  linken  Meat.  auditor.  extemus  entsprechend  der  oberen 
Temporo-sphenoidal-Windung  fand  sich  eine  auf  Percussion  schmerzhafte  Stelle.  Beider- 
seits intensive  Neuritis  optica  mit  Hämorrhagie  der  rechten  Papille.  Trepanation  an 
der  schmerzhaften  Stelle  über  dem  äusseren  G^hörgang,  Eröffnung  der  congestionirten 
Dura  und  Entleerung  von  22  gr  rahmigen,  geruchlosen  Eiters.  Drain  am  13.  Tage 
entfernt.  Heilung  am  24.  Tage  beendet.  Otitis  media  war  die  Ursache  des  Gehim- 
abs:ces8es,  dessen  Localisation  in  diesem  Falle  sehr  leicht  war. 

Ferrier  schliesst  die  Ansicht  daran,  dass  heutzutage  intracranielle  Operationen 
so  wenig  gefährlich  seien,  dass  chirurgische  Explorationen  selbst  bei  diagnostisch 
zweifelhaften  Fällen  vorgenommen  werden  sollten. 

Horsley:  In  allen  Fällen,  wo  man  wider  Erwarten  keinen  Gehimabscess  findet, 
ist  eine  genaue  Prüfung  der  Lateralsiuus,  event.  ihre  Unterbindung  zur  Entfernung 
eitriger  Massen  um  die  Blutleiter  herum  nöthig.  J.  Buhemann  (Berlin). 


—     248    — 

ni.  Vermischtes. 

Ataspa  in  fhe  donkey,  by  Drammond.     (Brain.  1888.  Jannar.) 

Interessanter  Fall  von  Ataxie,  Myosis,  Pnpillenstarre  und  Romberg'schein  Symptom  bei 
einem  Esel.  Die  Üntersuchnng  des  Bückenmarkes  ergab  eine  Randsklerose,  die  die  Hinter- 
stränge, beide  Hinterwnrzeln  und  einen  Hinterseitenstrang  betheiligte.  Es  war  ein  inter- 
stitieller Process;  die  Pia  war  gesand.  Brans. 


AbBoess  of  Brain  and  Adenoma  of  pitnitaria  body  in  a  ewe.   (Tbe  BritiBh 
med.  Journ.  1888.  Jan.  21.  p.  134.) 

Präparate  von  einem  Schaf  wurden  von  W.  E.  Sibley  vorgezeigt,  welches  2  Jahre  alt, 
blind  und  taub  and  schwer  krank  gewesen  war.  Nach  dem  Tooe  fanden  sich:  Pleura- 
adhäsionen, kleine  Lungenknoten  und  ein  grosser  Abscess  in  der  rechten  Gehimhemisphäre 
neben  allgemeiner  Meningitis.  Die  Lungenknötchen  waren  erzeugt  von  dem  bei  Schafen  so 
hänfigen  Nematodenwurm  Strongylus  filaria.  Schnitte  durch  die  Glandula  pituitaria  zeigten 
die  charakteristischen  Merkmale  eines  Adenoma.  L.  Lehmann  (OeynhauBen). 


Die  vor  einigen  Jahren  begonnenen  Versuche,  Typenphotonaphien  z.  B.  einer  Familie 
oder  einer  Kasse,  dadurch  herzustellen,  dass  man  auf  ein  und  derselben  Platte  je  eine  Copie 
der  einzelnen  Aufnahmen  der  zu  vergleichenden  Individuen,  nachdem  gewisse  Punkte  zur 
Deckung  gebracht  worden  waren,  entwickelte,  sind  von  Dr.  Noyes  (von  Bloomingdale  bei 
New  York)  auf  Geisteskranke  ausgedehnt  worden.  In  dem  neuesten  Hefte  vom  „Journ.  of 
nerv,  and  ment  disease"  (XV.  Jan.  1888)  giebt  er  zwei  derartige  Typenbilder;  in  dem  ersten 
sind  5  männliche  und  3  weibliche  Köpfe  von  Paralytikern  und  in  dem  anderen  die  von 
8  männlichen  Melancholikern  vereinigt.  Besonders  bei  dem  Paralytikertypus  erkennt  man 
das  Behaglich-Demente  ganz  gut  in  dem  resultirenden  Kopfe;  ob  sich  freilich  ein  besonderer 
Nutzen  für  die  Psychiatrie  ans  diesen  an  sich  sehr  interessanten  Versuchen  ergeben  wird, 
muss  vorläufig  noch  dahingestellt  bleiben.  Sommer. 


Percy  Jakins  theilt  6  Fälle  mit,  in  denen  er  die  Ursache  häufiger  Migräneparozysmen 
durch  Störungen  im  Auge  bedingt  fand.  In  5  der  Fälle  handelte  es  sich  um  Hypermetropie, 
in  einem  um  Myopie.  Nach  dauernder  Correction  durch  die  entsprechenden  Gläser  blieben 
die  Migräne-Anfälle  fort.    (The  Practitioner.  1888.  März.)  K. 


Frew  (Kilmamock)  theilt  1888  im  Glasgow  Medical  Journal  6  Fälle  eigener  Beobach- 
tung und  mehrere  von  andern  Autoren  über  Gerebrospinal-Meningitis  mit,  die  bisher  nur 
selten  und  meist  sporadisch  in  Schottland  beobachtet  worden  ist.  K. 


Freisauljgaben. 


Belgische  Academie  der  Medicin.    unter  den  Preisaufgaben  heben  wir  hervor: 

Preis  eines  Anonymus:  Durch  klinische  Thatsachen  und  wenn  noth wendig  durch  Ex- 
perimente die  Pathogenie  und  Therapie  der  Epilepsie  zu  fordern.  Preis  8000  fr.  Schluss 
des  Concurses  31.  December  1888.    Event.  Belobigungen  mit  800—1000  fr.-Preis. 

25000  fr.  können  ausser  dem  Preise  von  8000  fr.  dem  Autor  bewilligt  werden,  welcher 
einen  wesentlichen  Fortschritt  in  der  Therapie  der  Krankheiten  des  Oentralapparates  des 
Nervensystems,  wie  etwa  die  Entdeckung  eines  Heilmittels  der  Epilepsie  anbahuen  würde. 

Die  Arbeiten  müssen  in  lateinischer,  französischer  oder  vlämischer  Sprache  geschrieben 
sein  und  an  den  Sekretär  der  Academie  in  Brüssel  geschickt  werden. 


Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 


Einsendungen  für  die  Redaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel, 

Berlin,  NVIT.  Schiffbauerdamm  20. 


Verlag  von  Vkit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Metzorb  &  VITittiö  in  Ijeipzig. 


Neurologisches  Centralblatt. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  denfi  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  ■"  ^•'"^  Jahrgang. 

Monatlich  erecheinen  zwei  Nnmmem.   PreiB  des  Jahrganges  20  Mark.    Zu  beziehen  dnrch 
aUe  Bnehhandlnngen  des  In-  and  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 

m  1.  Mai.  m9. 


Inhalt  I.  Originalmlttheilungen.  1.  Ein  Einesiästhesiometer,  nebst  einigen  Bemer- 
kongen  über  den  Muskelsinn,  von  Prof.  E.  Hitzig.  2.  Isollrte  peripherische  LuimuDg  des 
Nenros  snprascapularis  sinister,  von  Dr.  J.  Hoffmann. 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  On  the  segmcntal  distribution  of  sensory  disorders,  by 
Rost.  2.  Des  tissus  veineux  des  ganglions  sympathiques,  par  Ranvier.  —  Experimentelle 
Pbysioloffie.  3.  Die  Wahrnehmung  der  Schallriohtnng  mittelst  der  Bogeng&nge,  von 
Preyor.  —  Pathologische  Anatomie.  4.  Ueber  die  pathologische  Bedeutune  der  soeen. 
Vacuolisatioii  der  Nerven zellen,  von  Anfimow.  5.  Report  of  a  case  of  anencephaly  witii  a 
microsoopical  study  bearing  on  its  relation  to  the  sensory  and  motor  tracts,  by  Cb.  L.  Dana. 
Pathologie  des  Nervensystems.  6.  Note  sur  trois  cas  de  tameurs  intracranienues,  par 
Ledere.  7.  Le  vertigo  paralysant  en  1887,  par  Gerlier.  8.  On  the  significance  and  value  of 
tendon  reflez,  by  Biizzanl.  9.  Die  diagnostische  Bedeutung  des  Fehlens  des  Kniephänomens, 
von  Ziehen.  10.  Chorea  hereditaria  der  ErwachseneD,  von  Huber.  11.  Ueber  Myoclonus  und 
Myoclonie,  von  Zlebon.  12.  Ueber  Chorea  chronica  progressiva»  von  Hoffmann.  18.  Klinisches 
und  Anatomisches  ftber  die  Syringomyelie,  von  Schultzo.  —  Psvchiatrie.  14.  Diun  nuovo 
criterio  dia^ostico  nella  paralisi  nrogressiva,  del  Marro.  15.  Ueber  die  plötzliche  Umbildung 
einer  klinischen  psychischen  KranKheitsform  in  eine  neue,  von  Nasse.  16.  Ueber  die  originäre 
VerroektJbeit,  von  Nelssor.  —  Therapie.  17.  Note  on  nitroglyceriae  in  epilepsy,  by  Osler. 
18.  On  oil  of  Gaultheria  and  Salol  in  rheumatism  of  ncrves  and  muscles,  by  Dorioim. 

III.  Aus  den  Gesellschaften.  Berliner  GcRcllschaft  für  Psychiatrie  u.  Nervenkrankheiten, 
Sitzung  vom  9.  April  1888.  —  Londoner  neurologische  Gesellschaft,  Sitzung  vom  7.  Juli 
1887.  —  Vn.  Congress  für  innere  Medicin. 

IV.  Personalien. 
V.  Vermischtos. 


I.  Originalmittheilungen« 


1.    Ein  Kinesiaesthesiometer,  nebst  einigen  Bemerkungen 

über  den  MxiHkelsinn. 

Von  Professor  E.  Hitslg  in  Halle. 


Zur  UTitersuchung  „des  Miiskelsinns"  bediene  ich  mich  seit  Anfang  des 
Jahres  1886  des  im  Folgenden  zu  beschreibenden  Apparates.  Auf  einem  47  cm 
langen  und  39  cm  breiten  Brett  von  polirtem  Holz,  welches  auf  4  kurzen  Püss- 
chen  steht,  sind  in  seichten  Vertiefungen  17  Kugeln  aus  dichtem  Holz  (Erlen) 

16 


250    — 

• 

angeordnet.  Der  Durchmesser  dieser  Kugeln  beträgt  ca.  7  cm;  ihr  Gewicht 
differirt  zwischen  50  und  1000  gr,  so  zwar,  dass  6  Kugeln  von  50 — 100  eine 
Gewichtsdifferenz  von  je  10  gr,  5  Kugeln  von  100 — 300  eine  Gewichtsdifferenz 
von  je  50  gr  und  6  Kugeln  von  300 — 1000  eine  Gewichtsdifferenz  von  je  100  gr 
aufweisen.  Jede  Kugel  besteht  aus  2  Hälften,  welche  mit  einem  Falz  aufeinander 
geleimt  und  durch  den  Drechsler  glatt  abgedreht  worden  sind,  nachdem  sie 
zuvor  ausgehöhlt,  bezw.  in  der  Höhlung  mit  einer  entsprechenden  Bleifüllung 
versehen  worden  waren.  Die  Gewichtszahl  einer  Jeden  Kugel  ist  auf  ihr  selbst 
mit  Bleistift,  neben  der  ihr  zukommenden  seichten  Vertiefung  des  Brettes  mit 
weisser  Oelfarbe  angegeben. 

Diesen  Apparat  Hess  ich  mir  seinerzeit  anfertigen,  weil  mir  eine  handliche 
Vorrichtung,  vermittelst  deren  sich  die  Schärfe  „des  Muskelsinns''  bei  Kranken 
mit  Leichtigkeit  bestimmen  liesse,  aus  der  Litteratur  nicht  bekannt  war.  £.  H. 
Webeb  gab  bei  seinen  grundlegenden  Untersuchungen^  den  Versuchspersonal 
die  4  Zipfel  von  Tüchern  in  die  Hand,  in  denen  sich  die  Gewichte  be&nden. 
Es  versteht  sich  von  selbst  und  wird  übrigens  durch  die  Ergebnisse  Webeb's 
bewiesen,  dass  auch  dieses  Verfahren  an  sich  brauchbar  ist  Ich  glaube  jedoch, 
dass  Jeder,  der  solche  Untersuchungen  an  Kranken  angestellt  hat,  eine  erheb- 
liche Schwierigkeit  in  dem  durch  die  Zusammenstellung  der  Gewichte  entstehen- 
den Zeitverlust  gefunden  haben  wird.  Noch  ein  anderer  Umstand  erschwert 
die  Anwendung  jenes  Verfahrens  bei  Kranken.  Nach  der  Vorschrift  Wbbeb's 
soll  der  Beobachter  das  Tuch  etwas  fester  fassen  als  nötiiig  ist,  damit  es  nicht 
aus  der  Hand  gleite.  Hierdurch  wird  schon  an  sich  insofern  eine  Gomplication 
in  den  Versuch  eingeführt,  als  den  Muskeln  eine  zweite,  nicht  in  gleichem 
Sinne  wirkende,  aber  für  sich  abzumessende  und  abzuschätzende  Kraftleistung 
zugemuthet  wird,  mit  der  das  Sensorium  sich  also  nebenher  zu  beschäftigen  hat, 
Ueberdies  ist  gerade  bei  den  hier  in  Betracht  kommenden  Krankheitszuständen, 
mögen  dieselben  nun  in  Reiz-  oder  Lähmungszuständen  auf  dem  motorischen 
oder  dem  sensiblen  Gebiet  oder  in  Coordinationsstörungen  bestehen,  die  Forde- 
rung Webeb's  schwer  oder  nicht  ausführbar.  Ich  will  jedoch  nicht  verkennen, 
dass  es  für  eine  Anzahl  der  uns  interessirenden  Fälle  wenig  darauf  ankommt,  ob 
man  den  Kranken  das  Tuch  in  die  Hand  giebt  oder  ob  man  es  nach  dem 
Vorschlt^e  anderer  Autoren  in  der  Art  einer  Sohlinge  um  die  Hand  oder  das 
Handgelenk  befestigt,  dafem  man  nur  bei  Anwendung  grösserer  Gewichte  für 
den  Ausschluss  schmerzhaften  Druckes  besorgt  ist  Zwar  besteht  die  Absicht 
des  reinen  Versuches  in  der  Prüfung  „des  Muskelsinns''  für  sich  ohne  Con- 
ourrenz  des  Drucksinns,  während  bei  dem  Ueberhängen  des  Tuches  unter  allen 
Umständen  ein  mehr  oder  minder  starker  Druck  auf  eine  beschränkte  Hautstelle 
ausgeübt  wird.  Da  jedoch  die  erwähnten  Versuche  Webeb's  gelehrt  haben, 
dass  die  combinirte  Inanspruchnahme  des  Muskelsinns  und  des  Drucksinns  an 
den  oberen  Extremitäten  keine  feinere  Unterscheidung  ermöglicht  als  die  des 
Muskelsinns  allein,  während  die  Unterscheidung  durch  den  Drucksinn  allein  an 


>  Der  Taflteinn  und  das  Gcmeingeffthl.    Wagnei's  Handwörterbuch.  Bd.  DL  2.  S.  546. 


251     - 

Feinheit  der  Unterseheidang  durch  den  Muskelsinn  allein  bei  weitem  nachsteht, 
so  erscheint  die  erwähnte  Modification  der  WEBEB'schen  Anordnung  für  prak- 
tische Zwecke  immer  dann  ausreichend,  wenn  nicht  eine  hochgradige  Störung 
,,des  Muskelfiinnä^^  neben  relativ  guter  Gonservirung  des  Drucksinns  zu  ver- 
muthen  ist  Auf  derartige  Combinationen  muss  man  sich  aber,  sobald  über- 
haupt Sensibilitatsstörungen  vorhanden  sind,  immer  gefasst  machen. 

Letden^  untersuchte  den  Muskelsinn  von  Tabeskranken  nach  einer  anderen 
Methode.  „Ein  Becher  steht  auf  einem  ca.  V2  ^^  hohen  Stock,  an  dessen 
unterem  Ende  eine  querovale  Pelotte  angebracht  ist.  Der  Stock  geht  durch  das 
horizontale  Brett  eines  Gestelles  freibeweglich  hindurch,  so  dass  der  Becher  auf 
diesem  Brette  steht  und  die  Pelotte  über  dem  Fussbrett  des  Gestelles  etwa 
IVa  ZoU  entfernt  bleibt  Der  Fuss  wird  nun  so  hingestellt,  dass  die  Pelotte 
sich  über  der  zwischen  Zehen  und  Fusswurzel  gelegenen  Furche  befindet  und 
ist  in  dieser  Stellung  durch  ein  kleines  verschiebbares,  hinter  der  Hacke  befind- 
liches Brettchen  so  weit  fixirt,  dass  auch  die  A taktischen  eine  hinreichende 
Sicherheit  der  Bewegungen  gewinnen,  zumal  sie  dieselben  noch  durch  Hinsehen 
leiten  können.  Wenn  nun  in  diesem  Apparate  die  Fussspitze  durch  Gontraction 
der  Extensoren  am  IJntersdienkel  gehoben  wird,  so  wird  auch  die  Pelotte  und 
mit  ihr  der  Becher  emporgehoben,  in  welchen  man  einen  anderen  mit  Bld- 
kugeln  gefüllten  Becher  hineinstellt,  dessen  Gewicht  man  variiren  kann.^' 

Ich  besitze  ein  abschliessendes  Urtheil  über  diesen  Apparat  iiicht,  weil  ich 
selbst  keine  Versuche  mit  demselben  angestellt  habe.  Jedenfalls  macht  er  ein 
zeitraubendes  Nachwiegen  nach  jeder  Gewichtsschätzung  erforderlich.  Uederdies 
scheint  es  mir,  dass  durch  denselben  der  Druoksinn  -~  wo  er  erhalten  ist  — 
mindestens  in  dem  gleichen,  vielleicht  noch  in  höherem  Grade  als  der  Muskel- 
sinn in  Anspruch  genonmien  werden  kann.  Bei  den  Hebelbewegungen,  welche 
der  Fuss  während  eines  jeden  Schätzungsversuches  zu  machen  hat,  dient  der 
Hacken  als  Hypomochlion.  Die  zu  hebende  Last  drückt  also  gleichzeitig  auf 
seine  Hautbedeckung  und  auf  denjenigen  Theil  der  Haut,  auf  dem  die  verhält- 
nissmässig  kleine  Pelotte  ruht  Hiernach  würde  für  jede  einzelne  Versuchs- 
person vorgangig  zu  ermitteln  sein,  ob  dieselbe  nicht  etwa  im  Stande  ist,  eine 
bestimmte  Gewichtsdifferenz  durch  entsprechende  Belastung  jeuer  beiden  Haut- 
stellen zu  erkennen.  In  der  That  wollte  ein  Theil  der  Kranken  Leyden's  die 
Schwere  des  Gegenstandes  an  der  Stelle  fühlen,  wo  der  Fuss  die  Pelotte  traf. 
Auf  die  CoDCurrenz  der  Gelenkempfindungen  kommen  wir  später  zu  sprechen. 

Eine  noch  umständlichere  Vorrichtung,  auf  deren  Beschreibung  ich  ver- 
ziehte, hat  M.  Bbknhabdt'  für  die  Untersuchung  der  unteren  Extremitäten 
angegeben. 

Inzwischen  scheint  Chaelton  Bastian'  auf  eine  ähnliche  Idee  wie  ich 
selbst  gekommen  zu  sein.    „Es  mag  angeführt  werden,"  sagt  er,  „dass  bei  der 


>  lieber  Mnakekinn  und  Ataxie.    Yirchow's  ArclÜT.  Bd.  XLVII.  8.  326. 
*  Zar  Lehre  vom  Miukelfiinn.    Aroh.  f.  Psych.  Bd.  III.  1S72. 

'  The  mnscalar  sense;  its  natnrc  and  cortical  locaHsation.  Brain.  1887.  April.  S.-A.  p.d8. 

16* 


252      ~ 

Anwendung  dieser  Untersuchung  auf  die  Oberextremitäten  lederne  Balle  von 
gleicher  Grosse,  aber  mit  verschiedenen  Bleigewichten  darin  benutzt  werden 
können.^'  Yielleicht  hat  die  lederne  Umhüllung  sogar  einen*  Vorzug  vor  der 
von  mir  benutzten  hölzernen,  da  eine  stark  beschwerte  Lederkugel,  welche  zu 
Boden  fallt,  nicht  wie  eine  gleich  schwere  Hobskugel  zerbrechen  kann.  Indessen 
sagt  Bastian  nicht,  ob  und  in  welcher  Weise  er  diese  Idee  in  die  Wirklichkeit 
fibersetzt  hat. 

„Den  Muskelsinn''  der  unteren  Extremitäten  hat  man  —  abgesehen  von 
den  erwähnten  Methoden  Lbidxn's  und  BEnMHAEDx's  —  auch  derart  unter- 
sucht, dass  man  beschwerte  Tücher  oder  Säcke  an  dem  Fussgelenk  aufhingt 
und  das  Bein  alsdann  aufheben  liess.  Diese  Methoden  sind  in  der  Art,  wie  sie 
angewendet  wurden,  wenig  zweckmässig,  da  das  Receptaculum  für  das  Gewicht 
rutschen  oder  drücken  musste,  wozu  dann  noch  die  Unbequemlichkeit  der  Zu- 
sammenstellung der  Gewichte  kam. 

Ich  habe  mir  für  diese  Zwecke  an  den  Hacken  eines  gewöhnlichen  Strumpfes 
aus  starker  Baumwolle  eine  kleine,  zur  Au&iahme  der  Kugeln  dienende  Tasche 
mit  einer  seitlichen  Oefihung  anstricken  lassen.  Die  Auswechselung  der  Engeln 
bewirkt  man  auf  diese  Weise  sehr  leicht  und  schnell  und  ihr  Gtewichtsdruck 
vertheilt  sich  auf  eine  sehr  grosse  Hautfläche.  Nach  Bedarf  kann  man  den 
Druck  auch  noch  durch  Zwischenschaltung  von  Watte  vermindern. 

Ich  finde  die  Vorzüge  meines  Apparates  in  der  Bequemlichkeit,  welche 
durch  die  stets  bereite  Cumbination  verschiedener  Gewichtsgrössen  gegeben  ist, 
in  seiner  Anwendbarkeit  für  die  obere  und  untere  Extremität  und  in  seiner 
leichten  Transportabilitat.  Nicht  nur  für  die  gewöhnliche  Erankenuntersuchung, 
sondern  namentlich  auch  für  die  klinische  Demonstration  machen  sich  diese 
Vorzüge  in  sehr  bestimmter  Weise  geltend.  Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  der- 
artige Demonstrationen  nur  dann  mit  Vortheil  und  ohne  Ermüdung  der  Hörer 
ausführbar  sind,  wenn  sie  schnell  und  glatt  zur  Anschauung  gebracht  werden 
können.  Mit  den  bisher  beschriebenen  Vorrichtungen  war  dies  in  der  jetzt  leicht 
zu  erreichenden  Weise  nicht  möglich.  — 

E.  H.  Wbbeb  fand  bekanntlich,  dass  Gesunde  eine  Gewichtsdifierenz  von 
V40  n^t  den  oberen  Extremitäten  noch  erkennen.  Febbieb' konnte  dagegen 
nur  noch  V17  unterscheiden.^ 


^  Jaocoud»  les  parapl^es  et  Tataxic  du  mouvemcnt.    Paris  1864.  S.  672. 

'  FanotionB  of  the  brain.  II  ed.  p.  392. 

*  Vgl.  auch  fiiQBNBBODT»  Uebef  die  Diagnose  der  partieUcn  EmpfindungaUUiniaiigeD. 
Virchow's  Aroh.  Bd.  XXIII.  S.  577.  Bikdbrmann  und  Lobwit,  welche  unter  der  I^itiing 
von  E.  Hbrinq  arbeiteten,  fanden  den  eben  merklichen  Uutersohied  =  Vii  ^^i  250  und  bei 
Zunahme  der  Belastung  allmählich  kleiner  werdend  bis  =  Viu  bei  2500  gr.  Bei  noch  stär- 
kerer Belastung  nahm  die  Ünterschieds-Empfindlichkeit  wieder  ab.  Sie  konnten  also  die 
Hiniufttgung  von  22  gr  zu  2500  gr  noch  erkennen.  Ich  darf  Ton  diesen  und  ebenso  von 
Fbghnbr's  Resultaten  hier  im  Uebrigen  absehen,  da  diese  Feinheit  des  ünteracheidungsrer* 
mögens  doch  wohl  nur  vou  Personen,  die  durch  psycho-pbysische  Untenuchungen  geschult 
sind,  erworben  werden  kann.  Um  solehe  handelt  es  sich  aber  bei  der  klinischen  Unter- 
suchung nicht. 


—    268 

Mein  Apparat  reicht  in  der  ihm  yon  mir  gegebenen  Gestalt  für  Unter- 
suchuDgen,  welche  sich  auf  Grenzen  des  normalen  Schätzuugsyermögens  be- 
ziehen, nicht  aufc  er  ist  aber  auch  nicht  dafär,  sondern  für  die  Erankenunter- 
sachung  berechnet  Will  man  „den  Muskelsinn''  der  oberen  Extremitäten 
prüfen,  so  wird  man  zunächst  die  100  und  90  gr  schweren  Engeln  mit  einander 
vergleichen  lassen  und  dabei  finden,  dass  gesunde  und  nicht  unintelligente 
Menschen  diese  Gewichtsdifferenz  von  7io  ^^^^  ^^®  besondere  Schwierigkeit 
erkennen,  dass  aber  dazu  doch  schon  eine  gewisse  Beobachtungsgabe  und  An- 
spannung der  Aufmerksamkeit  erforderlich  ist  Irrthümer  über  eine  geringere 
Gewichtmüfferenz  fallen  also  bereits  in  den  Bereich  der  Fehlerquellen  und  kommen 
bei  Eranken  nicht  in  Betracht.  Die  Differenz  von  Vio  ^  Minimum  reicht 
deshalb  sogar  für  die  obere  Extremität,  dafem  es  sich  nur  um  klinische  Zwecke 
handelt,  vollkommen  aus.  Wenn  Jemand  dennoch  das  Bedürfniss  hat»  noch 
feinere  Unterschiede  festzustellen,  so  ist  auf  dem  Brett  des  Apparates  noch 
Platz  für  3 — 4  Engeln  mit  Zwischengewichten  gelassen.  Die  Differenz  von 
V)o  kehrt  nach  oben  in  den  Engeln  von  900  und  1000  gr  Schwere  nochmals 
wieder.  Die  Prüfung  wird  dann  —  wenn  also  100  von  90  nicht  unterschieden 
werden  kann  —  derart  fortgesetzt,  dass  100  mit  80,  70,  60,  50  und  dann  150 
mit  90,  80,  70,  60,  50  etc.  verglichen  werden. 

Heber  die  Fähigkeit,  Gewichtsdifferenzen  mit  den  unteren  Extremitäten 
zu  schätzen,  finde  ich  Angaben  bei  Jagooud,  Letdek  und  Bebnhabdt.  Jac- 
couB  giebt  nur  an,  dass  die  Gewichtsdifferenz  50 — 70  gr  betragen  müsse,  wenn 
sie  wahrgenonunen  werden  solle,  lieber  die  Grösse  des  Anfangsgewichts  sagt 
er  nichts.  Bei  Leyben  unterschieden  Gesunde  noch  die  Hinzufügung  von  ca. 
83  zu  ca.  1100  bezw.  zu  1700  gr,  d.  h.  ca.  Vis  ^^^  ^Iw  ^^^  ^^^  Yersuchs- 
peison  unterschied  sogar  noch  etwas  scharfer.  Bebhhabbt  selbst  unterschied 
ca.  60  gr  von  0  und  688  gr  von  500,  also  etwa  Ve-  Dagegen  vermochte  er 
500  von  550  gr  d.  h .  Vn  i^i^^^t  zu  unterscheiden.  Ein  von  ihm  untersuchter 
Aizt  unterschied  0  von  88  und  250  von  880,  also  nur  etwa  ^4'  ^  Allgemeinen 
fond  er,  dass  83  von  0  und  760  von  880  also  Vio  ^^^^  richtig  unterschieden 
werden  konnten.  Hiemach  schätzten  die  Versuchspersonen  Leyden's  im  All- 
gemeinen mindestens  doppelt  so  fein,  als  die  Bbrnhabdt's. 

Ich  habe  schon  vorher  die  Yermuthung  ausgesprochen,  dass  der  Apparat 
Leyben's  den  Drucksinn  mit  in  Anspruch  nimmt.  Soweit  meine  eigenen  Er- 
fahrungen reichen,  ist  es  nun  ungeschulten  Personen  nicht  möglich,  durch  den 
„Muskelsinn''  allein  V20  ^^  unterscheiden,  wahrend  7io  ^^^  ^^^1  ^^^  schätzen 
lässt  Demnach  dürften  die  weiter  gehenden  Ergebnisse  von  Leyden  durch  die 
gleichzeitige  Bethätigung  mehrerer  Empfindungsquellen  zu  erklären  sein.  Zwar 
erscheint  diese  Auffassung  auf  den  ersten  Blick  nicht  vereinbar  mit  den  er- 
wähnten Versuchen  Webeb's.  Indessen  beziehen  sich  diese  Versuche  nur  auf 
die  Verhältnisse  der  oberen  Extremität  In  der  That  kommt  die  Fähigkeit, 
Gewichtsdifferenzen  zu  erkennen,  den  unteren  Extremitäten  in  einem  viel  ge- 
ringeren Maaase  zu,  als  den  oberen  Extremitäten,  so  dass  hier  die  Bolle  des 
Drucksinns  mehr  in's  Gewicht  föUt 


—    264    — 

• 

Will  man  Fehler  bei  diesen  Untersuchungen  venneiden,  80  muss  man  der 
in  horizontaler  Lage  befindlichen  Yersuchsperson  aufgeben,  das  mit  dem  Yer- 
suchsstrumpf  bekleidete  Bein  einfach  zu  erheben  und  dasselbe  alsdann  wieder 
herunteraulassen.  Bei  dem  letzteren  Act  fangt  der  Untersuchende  die  Ttedie 
mit  der  darin  befindlichen  Kugel  ab,  so  dass  die  Yersuchsperson  lediglich  den 
Act  der  Erhebung  zu  beurtheilen  hat  Eigentlich  sollte  es  sich  von  selbst  ver- 
stehen, dass  Wägebewegungen  —  abwechselndes  Heben  und  Senken  der  Ge- 
wichte —  vermieden  werden  müssen.  Denn  durch  die  verschiedene  Grösse  der 
Fallgeschwindigkeit,  welche  dem  zu  schätzenden  G^mchte  auf  diese  Weise  mit- 
getheilt  werden  kann,  wird  der  Werth  desselben  in  uncontrollirbarer  Weise  ver- 
ändert. Gleichwohl  empfehlen  verschiedene  Autoren  gerade  diese  Art  der 
Untersuchung. 

Ich  selbst  kann  mich  einer  besonderen  Feinheit  des  Muskelsinns  an  den 
unteren  Extremitäten  nicht  rühmen.  Ich  unterscheide  0  von  100  gr  sidier, 
aber  wenn  es  nur  90  gr  sind,  so  irre  ich  mich  schon.  Dagegen  unterscheide 
ich  200  von  260,  250  von  800  und  Gewichtsdifferenzen  von  100  bis  hinauf  zu 
einer  Belastung  von  1000  gr  stets  richtig.  Im  Allgemeinen  werden  70 — 90  gr 
von  0  noch  unterschieden,  60  gr  dagegen  in  der  BßgA  nicht  mehr.  Nachher 
gelingt  die  Unterscheidung  von  100  und  150  sowie  von  50  und  100  manchmal, 
sie  ist  aber  entschieden  unsicherer  als  die  Unterscheidung  von  200  von  250, 
bei  der  Irrthümer  kaum  vorkommen.  Bei  der  Yergleichung  von  900  und  1000  gr 
irren  sich  Einzelne  schon  wieder.  Die  Schätzung  gelingt  allemal  dann  besser, 
wenn  erst  das  leichtere  und  dann  das  schwerere  Gewicht  gehoben  wird.  Anderen- 
falls werden  die  Gewichte  sehr  oft  als  gleich  bezeichnet. 

Der  Apparat  reicht  also  für  die  Untersuchung  der  unteren  Extremitäten 
sogar  von  Gesunden,  dafem  diese  nicht  besonders  befähigt  sind,  vollkommen 
aus.  Man  wird  zunächst  die  untere  Grenze,  bei  der  eine  Belastung  überhaupt 
wahrgenommen  wird,  bestimmen.  Liegt  diese  zwischen  100  und  150,  so  thut 
man  2  der  leichteren  Kugeln  in  die  Tasche.  In  ähnlicher  Weise  kann  man 
sich  helfen,  wenn  bei  den  schwereren  Gewichten  ein  solches  von  gewünschter 
Grosse  fehlen  sollte.    Indessen  düifte  dies  wohl  nur  selten  der  Fall  sein. 

«  (Schloss  folgt.) 


2.    IsoUrtc  peripherische  Lähmung  des  Nervus 

suprascapularis  sinister. 

Von  Dr.  J.  Hofltaiami,  Privatdocent. 
Aus  der  medicinischen  Klinik  des  Herrn  Professor  Ebb  in  Heidelberg. 

Am  1.  Februar  1888  wurde  mir  durch  die  hiesige  Poliklinik  der  24jährige 
ledige  Wagner  Joseph  Schick  zur  elektrischen  Untersuchung  und  eventuellen 
Aufnahme  auf  die  stationftre  Abtheilung  zugeschickt 

Der  Kranke  stammt  aus  einer  gesunden  Familie,  war  selbst  nie  leidend 
und  wurde  „wegen  Mindermaass  militarfrei'^ 


—    265    — 

Sem  jetziges  Leiden  fährt  er  auf  eine  Erkaltung  zurück,  die  er  stob  iai 
Juli  vorigen  Jahres  zugezogen  haben  will.  Er  arbeitete  damals  an  einem  Neu- 
bau und  war  g^nöthigt^  abwechselnd  in  der  heissen  Luft  im  Freien  und  in  dem 
kalten  feuchten  Keller  zu  arbeiten.  Aber  erst  im  October  sollen  sich  die  ersten 
krankhaften  Erscheinungen  bemerkbar  gemacht  haben,  ohne  dass  bis  dahin  eine 
frische  Erkältung  oder  dn  Trauma  statt  hatte.  Er  spürte  reissende  Schmerzen 
in  der  Gegend  des  linken  Schultergürtels,  welche  der  genaueren  Be- 
schrdbnng  nach  in  den  supraclavicularen  und  suprascapularen  Hautasten  ihren 
Sitz  hatten,  femer  ,,Schwäche  im  Schultergelenk^'.  Wenn  auch  der  Schmerz 
an  Intensität  naehliess,  so  wurde  der  Kranke  doch  bis  jetzt  noch  nicht  ganz 
frei  yon  leichten  stellenden  Empfindungen  und  Parasthesien  in  der  bezeichneten 
G^end.  Neben  diesen  sensiblen  Störungen  war  ihm  bei  der  Arbeit  besonders 
lastig,  „dass  er  mit  dem  linken  Arm  viel  schwerer  als  früher  in  die 
Höhe  kam,^^  wenn  er  etwas  hob.  —  Abgesehen  von  allgemeiner  Mattigkeit 
und  einer  angeborenen  massigen  Schwäche  des  Sphincter  vesicae  fühlte  sich  der 
Kranke  sonst  wohl. 

Objectiver  Befund:  Fat  sieht  gesund  aus,  ist  von  kleiner,  aber  breiter 
gedrungener  Statur.  —  Die  innem  Organe  und  der  Urin  verhalten  sich  normal. 

Die  Musculatur  ist  auffallend  stark  entwickelt  und  ihrem  Volum  entspricht 
die  grobe  motorische  Kraft 

Die  Sensibilität,  die  Motilität,  die  Haut-  und  Sehnenreflexe  sind  bis  auf 
folgende  Abweichungen  normal. 

Betrachtet  man  den  Kranken  von  der  Rückseite,  so  fallt  sofort  die  beträcht- 
liche Abflachung  der  linken  Scapulargegend  auf.  Dieselbe  ist  bedingt 
durch  den  fast  vollständigen  Schwund  des  M.  infraspinatus  und  des 
M.  supraspinatus.  Während  die  Atrophie  des  letzteren  durch  die  darüber 
wegziehenden  Muskelbündel  einigormaassen,  wenn  auch  nur  schlecht,  verdeckt 
wird,  tritt  das  Fehlen  des  M.  infraspinatus  um  so  deutUcher  hervor,  da  die 
übrigen,  das  Schulterblatt  umrahmenden  Muskeln  so  sehr  kraftig  entwickelt 
sind.  Bei  der  Contraction  der  letzteren  entsteht  an  Stelle  des  M.  infraspinatus 
eine  flache  Grube  und  die  Spina  soapulae  springt  scheinbar  mehr  vor.  Rechts 
fillt  der  obere  durch  den  Cucullaris  gebildete  Rand  der  Schulter  allmählich 
dachförmig  bis  zu  dem  Acromialende  der  Clavicula  hin  ab;  dagegen  scheint  er 
links  schon  2^2  cm  von  dem  bezeichneten  Punkte  entfernt  zu  endigen;  dies 
kommt  daher,  dass  der  M.  cucullaris  hier  seine  sonst  von  dem  M.  supraspinatus 
geschaffene  Unterlage  entbehrt  Der  mediale  Rand  des  linken  Schulterblattes 
steht  femer  um  ein  Weniges  weiter  von  der  Wirbelsäule  und  auch  vom  Thorax 
ab,  als  der  rechte. 

Die  fnnctionellen  Störungen,  die  aus  der  Atrophie  dieser  beiden  Muskeln 
resultiren,  sind  viel  mehr  subjeotiver  Natur,  als  dass  sie  objectiv  zu  Tage  treten. 
An  der  Abduction  und  gleichzeitigen  Hebung  des  linken  Armes  vom  Rumpf  ist 
nichts  Krankhaftes  zu  bemerken;  auch  ist  der  Widerstand,  der  geboten  wird, 
wenn  man  den  abducirten,  bis  zur  Horizontalen  erhobenen  Arm  herabzudrücken 
versm^t,  beiderseits  der  gleiche.    Dagegen  scheint  es  dem  Kranken  mehr  An- 


—    266    — 

strengUDg  zu  kosten,  den  linken  Ann  gestreckt  nach  vom  in  die  Höhe  zn  heben; 
doch  ist  der  Unterschied  zwischen  rechts  und  links  kein  betrachtlioher.  Be- 
schrankt ist  entschieden  die  Rotation  des  linken  Armes  nach  aussen,  wobei 
sich  weder  der  M.  infraspinatus  noch  der  M.  supraspinatus  contrahirt 

Fibrillare  Zuckungen  sind  nirgends  sichtbar.  Die  mechanische  Erreg- 
barkeit des  M.  infraspinatus  ist  träge;  der  tonischen  Contracüon  folgt  je 
ein  idiomuscularer  Wulst  nach.  Die  indirecte  faradische  und  galranische 
Erregbarkeit  ist  for  die  beiden  atrophischen  Muskeln  links  erloschen;  da- 
gegen lassen  sich  von  dem  Supraclavicularpunkt  aus  rechts  die  beiden  Mus- 
keln in  kraftige  Contracti(^  versetzen.  Die  directe  faradische  Erregbar- 
keit des  M.  infraspinatus  ist  erloschen,  die  galvanische  herabgesetzt; 
die  AnSZ>EaSZ,  tritt  vor  der  letzteren  auf  und  ist  exquisit  trage.  Es  besteht 
also  complete  EaR.  —  Der  M.  supraspinatus  entzieht  sich  der  elektrischen 
Untersuchung,  denn  die  ihn  überbrückenden  Cucullarisbündel  contrahiren  sich 
zu  frühzeitig  und  zu  kräftig,  um  eine  Contraction  des  erstem  sichtbar  werden 
zu  lassen. 

Die  Sensibilität  der  linken  Hals^  und  Schultergegend  erwdst  sich  für  die 
objective  Prüfung  als  normal. 

Der  Kranke  blieb  zwei  Wochen  in  ambulanter  Behandlung  und  klagte 
ausser  über  Parästhesien  noch  über  reissende  Schmerzen  an  der  genannten  Stelle. 

Ein  Tieferstehen  der  linken  Schulter  oder  sonst  eine  Anomalie,  ausser  den 
erwähnten,  war  nicht  vorhanden. 

Es  kann  nicht  fraglich  sein,  dass  es  sich  in  dem  geschilderten  Falle  um 
eine  isolirte,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  rheumatische,  peripheriache, 
complete  Lähmung  des  N.  suprascapularis  sinister  handelt. 

Die  Seltenheit  isolirter  Lähmung  dieses  Nerven  rechtfertigt  wohl  die  genauere 
Mittheilung.  So  weit  ich  sehe,  ist  nur  ein  einziger  derartiger  ganz  reiner  Fall 
bis  jetzt  veröffentlicht  worden  und  zwar  von  Bernhardt  (Gentralbl.  f.  Nerven- 
heilkunde. 1886.  Nr.  9).  Dieser  Autor  fährt  die  Lähmung  darauf  zurück,  dass 
das  Tragen  schwerer  Lasten  auf  der  Schulter  einen  Dmck  auf  den  N.  supra- 
scapularis ausgeübt  habe.  Bernhardt  erwähnt  femer,  dass  naoh  SeeligmüIiIiER 
(Eulenbui^'s  Bealencyclopädie.  2.  Aufl.  1885.  Bd.  1.  S.  666)  derartige  Beobach- 
tungen selten  seien.  Dagegen  ist  bekanntlich  eine  Mitbetheiligung  dieser  Mus- 
keln sowohl  bei  Lähmungen  des  Plex.  brachialis,  bei  combinirten  Schulteragn- 
lähmungen,  bei  spinalen  Paralysen,  sowie  bei  der  Dystrophia  muscularis  progr. 
etwas  sehr  Oewöhnliches.  Da  bei  der  letztgenannten  Krankheit  gerade  der  M. 
infraspinatus  meistens  hypervoluminös  gefunden  wird,  wird  die  Differential- 
diagnose, besonders  bei  Berücksichtigung  des  Zustandes  der  übrigen  Musoolatur, 
kaum  Schwierigkeit  bereiten.  Sollten  die  Muskeln  ausnahmsweise  einmal  zuerst 
bei  der  progressiven  Muskeldystrophie  erkranken,  so  giebt  der  Nachweis  oder 
das  Fehlen  der  EaB  den  Ausschlag.  Etwas  mehr  Schwierigkeit  kann  vielleicht 
einmal  die  Differentialdiagnose  der  peripherischen  Lähmung  des  N.  suprascapu- 
laris, besonders  wenn  sie  mit  ausgeprägteren  Sensibilitfttsstörungen  einhergeht, 
mit  der  Syringomyehe  bereiten.    Diese,  die  ja  mit  Vorliebe  sich  im  Halsmark 


—    257       ^ 

etablirt,  sdieint  im  Beginn  ahnliohe  Ersoheinungen  machon  zu  können.  Nur 
eine  sehr  eingehende  ünteisuchung  besonders  der  sensiblen  Störungen  wird  in 
solchen  Fällen  vor  einer  falschen  Diagnose  und  einer  zu  günstigen  Prognose 
schützen  können. 

DuoHENNS  (de  Mectrisat.  localis^e.  3.  6dit.  1872.  p.  949)  hat  die  Wirkung 
des  M.  supraspinatus  und  des  M.  infraspinatus,  wie  ziemlich  deutlich  aus 
semen  Angaben  hervorgeht,  vorwi^end  an  Fällen  von  juveniler  Muskelatrophie 
etc.  studirt 

Die  Störungen  in  unserm  Falle  wie  in  demjenigen  Bebnhabdt's  bestätigen 
die  AoseinandeisetKungen  Duqhennb's  über  die  Function  der  beiden  Muskeln, 
dass  1.  der  M.  infraspinatus  Auswärtsroller  des  Oberarms  ist,  dass 
2.  der  M.  supraspinatus  durch  Spannung  der  Sohultergelenkkapsel 
den  Hnmeruskopf  an  die  Cavitas  glenoidalis  anpresst  und  dadurch  das  Heben 
des  Armes  erleichtert,  dass  er  aber  auch,  wenn  auch  nicht  sehr  ergiebig, 
den  Arm  mit  heben  hilft.  Ich  glaube  auf  die  Mitwirkung  des  M.  supra- 
spinatus bei  dem  Heben  des  Armes  daraus  schliessen  zu  dürfen,  dass  der  Arm 
in  sagittaler  Richtung  etwas  mühesamer  gehoben  wird.  Da  bei  dieser  Bewe- 
gung sich  nur  ein  Theil  des  M.  deltoides  contrahirt,  kann  der  Ausfall  der  Func- 
tion des  M.  supraspinatus  bemerkbar  werden.  Wird  der  Arm  aber  in  abducirter 
Stellung  erhoben,  wobei  sich  der  M.  deltoides  fast  in  toto  contrahirt,  so  kommt 
bei  der  bedeutenden  groben  motorischen  Kraft  des  letztgenannten  Muskels  die- 
jenige des  M.  supraspinatus  wenig  in  Betracht  und  deshalb  wird  auch  das  Aus- 
fallen derselben  keine  weitere  Functionsstörung  verursachen. 

Ist  der  M.  supraspinatus  gelähmt,  so  ermüdet  der  Arm  leichter  beim  Heben 
schwerer  Gegenstände  wie  auch  seiner  eignen  Last.  Ausserdem  wird  durch  die 
Schwere  des  herabhängenden  Armes  die  Gelenkkapsel  etwas  gedehnt,  die  Schulter 
kann  etwas  herabgezogen  werden,  und  die  Folge  davon  ist,  dass  die  Scapula, 
dem  Zuge  des  Armes  folgend,  ebenfalls  in  toto  etwas  nach  aussen  und  mit 
ihrem  medianen  Band  von  der  Wirbelsäule  abrückt  — 

Eine  Besserung  wurde  bei  unserm  Kranken  durch  die  Htägige,  häufig 
onterbrochene  Behandlung  nicht  erzielt. 

Heidelberg,  11.  März  1888. 


IL   Referate. 


Anatomie. 

1)  On  the  segmental   distiibution  of  sensory  disorders,   by  Ross.     (Brain. 
1888.  Januar.) 

Die  äusserst  interessante,  viel  Neues  bringende  und  manches  länger  Bekannte 
dem  Verstftndniss  näher  rückende  Arbeit  verdient  ein  eingehendes  Beferat,  noch  mehr 
allerdings  im  Original  studirt  zu  werden.  B.  geht  in  seiner  Abhandlung  zunächst 
von  der  Anordnung  des  sensiblen  Nervensystems  bei  dem  niedrigsten  Wirbelthierei 
dem  Amphioxus,  ans;  wir  haben  hier  ffir  jedes  Segment  des  Körpers  einen  rechten 
und  linken  Nerven,  der  sich  in  3  Aeste:  einen  für  die  BQckenpartien  (superior  dorsal). 


—     268    — 

einen  fttr  die  Seitenpartien  (inferior  dorsal)  und  einen  fOr  die  fianchparüen  (inferior 
Tentnü)  theilt.  Beim  Menschen  ist  diese  einfache  Anordnung  fttr  die  2. — 12.  Dorsal- 
wnrzel  indos.  erhalten.  Den  oben  erwähnten  Bezeichnungen  entsprechen  die  Band 
posteriores  der  Dorsalwurzeki  (sup.  dorsal),  die  von  den  Bami  anteriores  (intercostales) 
abgehenden  Perforantes  laterales  (inf.  dorsal)  und  die  Perforantes  anteriores  (inf. 
ventral).  Diese  10  Wurzeln  versorgen  in  regelmässiger  Reibenfolge  die  Haut  von 
der  3.  Rippe  bis  zur  Inguinalgegend.  Das  Kopfsegment  wird  zunächst  vom  Trigeminus 
versorgt^  es  entspricht  der  1.  Ast  dem  Ramus  dorsalis,  der  2.  dem  Perf.  lateralis, 
der  3.  dem  Perf.  anterior. 

Relativ  einfach  sind  auch  noch  die  Verhältnisse  für  Hals  und  Nacken,* obere 
Brust-  und  Schulterpartien,  die  von  den  4  ersten  Cervicales  versorgt  werden.  Die 
Rami  dorsales  versorgen  hier  zunächst  das  ihnen  gleich  segmentirte  hintere  (sup. 
dors.)  Gebiet;  sie  müssen  aber,  da  das  Eopfsegment  fOr  den  Trigeminus  allein  zu 
stark  ausgebildet  ist,  stark  nach  oben  steigen,  so  dass  z.  B.  der  N.  ocdpitalis  einen 
dorsal  aufsteigenden  Verlauf  einschlägt.  Dagegen  müssen  die  den  Perf.  laterales  und 
anteriores  entsprechenden  Zweige  des  Plexus  cervicalis  für  die  Seiten  und  Vorder- 
theile  des  Halses  sehr  stark  nach  unten  steigen,  und  zwar  bis  zum  2.  Intercostal- 
raum,  da,  wie  wir  sehen  werden,  die  5. — 8.  Cervical-  und  die  1.  und  2.  Dorsalwurzel 
für  den  Arm  verbraucht  werden.  Die  dorsalen  (sup.  dorsal)  Zweige  werden  auch 
im  Gebiete  des  Arm*  und  Beinplexus  einfach  für  die  dorsalen  Pariiien  ihrer  Segmente 
verwandt,  so  dass  diese  Nerven  ein  ununterbrochenes  Gebiet  vom  1.  Ast  des  Trigeminus 
bis  zum  betreffenden  Antheil  des  letzten  Steissbeinnerven  einnehmen. 

Wir  haben  also  jetzt  innervirt  Kopf  und  Gesicht,  die  ganze  dorsale  hintere 
Partie  des  Rückens  und  die  vorderen  und  seitlichen  Partien  des  Halses,  der  Schul- 
tern, der  Brust  und  des  Bauches  und  dafür  sämmtliche  oberen  dorsalen  Aeste  und 
die  unteren  dorsalen  und  ventralen  der  ersteren  4  Cervical-  und  der  2. — 12.  Dorsal- 
wurzel  verbraucht.  Es  bleiben  also  die  Rami  inf.  dorsales  und  ventrales  (Ross) 
von  der  5.  Cervical-  bis  zur  2.  Dorsalwurzel  incl.  für  den  Arm,  die  nämlichen  An- 
theile  sämmtlicher  Lumbal-,  Sacral-  und  Coccygealwurzeln  für  das  Bein  über.  Für 
die  Anordnung  dieser  Nerven  gelten  nun  besondere  (besetze,  zu  deren  näherem  Ver- 
ständniss  vor  allen  Dingen  entwickelnngsgeschichtliche  Daten  herangezogen  werden, 
in  Bezug  auf  welche  auf  das  Original  und  die  Lehrbücher  der  Entwickelungsgeschichte 
(es  sei  hier  vor  allen  auf  das  Lehrbuch  Hertwig*s  hingewiesen)  verwiesen  werden 
muss.  Genug,  dass  man  am  Arme  und  Beine  eine  dorsale  und  eine  ventrale  Seite 
unterscheiden  muss;  diese  entsprechen  zugleich  den  Streck-  und  Beugeseiten.  Am 
Arm  ist  das,  wenn  wir  denselben  in  embryonale  Lage  bringen:  Beugeseite  nach  vom, 
Unterarm  supinirt,  Vola  manus  nach  vom,  Daumen  nach  aussen,  ohne  Weiteres  klar; 
am  Bein  müssen  wir  bedenken,  dass  während  der  Entwickelung  die  Beugeseite  nach 
innen  und  hinten  gedreht  wird.  Femer  müssen  wir  an  beiden  Extremitäten  eine 
sogenannte  präaxiale  und  postaxiale  Zone  unterscheiden,  am  Arm  entspricht  die 
äussere  Hälfte  der  Peripherie  bei  obiger  Armstellung  der  ersteren,  die  innere  der 
letzteren,  am  Bein  der  ersteren:  ein  Theil  der  Inguinal-  Serotal-  und  Analgegend, 
die  Vorderaussen-  und  Innenseite  des  Oberschenkels,  die  Innenseite  des  Unterschenkels, 
Fusssohle  und  Hacken;  der  letzteren:  ein  Theil  der  Anal-  und  Perinealgegend,  die 
Glutäalgegend,  die  Hinter-  und  ein  Theil  der  Aussenseite  des  Oberschenkels  und  die 
Wadengegend.  Es  ist  klar,  dass  die  prä-  und  postaxialen  Zonen  zum  Theil  der 
ventralen,  zum  Theil  der  dorsalen  Seite  angehören.  Die  betreffenden  Gesetze  für  die 
Anordnung  der  sensiblen  Extremitätennerven  sind  nun  im  Wesentlichen  folgende: 

1.  Die  dorsalen  Gebiete  werden  nur  von  den  den  infer.  dorsalen  Aesten  (Perfor. 
laterales)  entsprechenden  Antheilen  des  Arm  und  Beinplexus  versorgt  (Paterson). 

2.  In  der  präaxialen  Zone  werden  die  proximalsten  Gebiete  von  den  obersten, 
die  distalsten  von  den  untersten  Wurzeln  der  betr.  Plexus  versorgt;  für  die  post- 
axiale Zone  ist  das  umgekehrt  (Herringham).   Wenn  wir  also  in  ersterer  ab-  und 


—    959    — 

in   leisterer  ansteigen,   so   werden  wir  die  betr.  Nervenwarzeln  in  regelmftssig  ab- 
staigrader  Reihenfolge  antreffen.    Im  Einzelnen  ist  das  so:^ 

A.  Arm. 

1)  Ventral  (Beugeseite). 

a)  Präaxial  absteigend.  Gebiet  des  Cotaneus  lateralis  aus  dem  Musculocutaneus 
an  der  Yerderaussenseite  des  unteren  Drittels  des  Oberarmes  und  derselben  Partie 
des  Unterarmes  bis  an  die  Metacarpophalangealgelenke  des  Daumens  und  Zeigefingers. 
6.  und  7.  Cervical Wurzel:  mittlere  Partien  der  Vorderseite  des  Unterarmes  und 
Medianusgebiet  der  Handwurzel,  der  Palma  manus  und  der  Finger. 

b)  Postaxial  aufsteigend.  8.  Gervicalwurzel.  Ulnarisgebiet  der  Volarseite 
der  Hand  und  der  Finger:  z.  Th.  auch  innere  Partie  der  Beugeseite  des  Unterarmes, 
Gebiet  des  Gutanens  medius.  1.  Dorsalwurzel:  Gebiet  des  Cutaneus  medius  in 
der  oberen  Hälfte  und  des  Cutaneus  medialis,  vordere,  innere  Seite  des  Unter-  und 
Oberarmes.   2.  Dorsalwurzel:  oberste  innerste  Partien  der  Beugeseite  des  Oberarmes. 

2)  Dorsal  (Streckseite). 

a)  Präaxial  absteigend.  5.  Gervicalwurzel:  Gebiet  des  Axillaris  an  der 
Aussenseite  des  Oberarmes  und  der  Schulter.  6.  und  7.  GervicalwurzeL  Gebiet 
des  Cutaneus  posticus  sup.  und  inf.  vom  Radialis:  äussere,  hintere  Partien  des  Ober- 
armes und  Unterarmes  und  das  radiale  Gebiet  des  Dorsums  der  Hand  und  der  Finger. 

b)  postaxial  aufsteigend.  8.  Gervicalwurzel.  Ulnarisgebiet  des  Dorsums  der 
Hand  und  der  Finger.  1.  und  2.  Dorsalwurzel:  Gebiet  des  Cutaneus  medius  und 
medialisy  innere  hintere  Partie  des  Unter-Oberarmes. 

B.  Bein. 

1)  Ventral  (Beugeseite). 

a)  Präaxial  absteigend.  1.  Lumbarwurzel:  Gebietstheile  des  Ueoinguinalis 
und  Ileohypogastricus.  2.  Lumbarwurzel:  Gebiet  des  Spermaticus  extemus.  3.  und 
4.  Lnmbarwurzel:  Gebiet  der  Hautzweige  des  Obturatorius,  Innenseite  des  Ober- 
schenkels. 5.  Lumbar-  und  1.  und  2.  Sacralwurzel:  Gebiet  des  Cutaneus  plant, 
proprius,  plant,  medialis  und  lateralis,  vom  Tibialis,  Hacken  und  Fusssohle. 

b)  Postaxial  aufsteigend.  2.  und  3.  Sacralwurzel:  Gebiet  des  Communicans 
tibialis:  Aussenseite  des  Fussrandes.  3.  und  4.  Sacralwurzel:  Gebiet  des  Cutaneus 
cruris  posticus  medius,  des  Cutaneus  femoris  posticus,  sowie  z.  Th.  des  Glutaeus  Inf., 
hintere  Seite  der  Wade,  des  Oberschenkels,  untere  Partien  der  Nates.  5.  und  6. 
Sacral-  und  die  Coccygealwurzeln:  Theile  der  Anal-  und  Steissbeingegend. 

2)  Dorsal  (Streckseite). 

a)  Präaxial  absteigend.  1.  Lumbarwurzel:  Theile  des  Gebietes  des  Ileohypo- 
gastricus und  Ueoinguinalis.  2.  Lumbarwurzel:  Gebiet  des  Cutaneus  fem.  lateralis. 
Aussenseite  des  Oberschenkels.  3.,  4.  und  5.  Lumbarwurzel.  Gebiet  des  Cutan. 
ant  medialis,  sowie  der  Nervus  saphenus  als  Aeste  des  Cruralis,  Vorderseite  des 
Oberschenkels,  innere  vordere  Seite  dos  Unterschenkels. 

b)  Postaxial  aufsteigend.  5.  Lumbal-,  1.,  2.,  3.  Sacralwurzel:  Gebiet  des 
Communicans  tibialis  und  peronei,  hintere  Aussenseite  der  Wade.  3.  und  4.  Sacral- 
wurzel: Gebiet  des  Cutaneus  femoris  posticus  lateralis  und  Glutaeus  inf.  Theile 
der  Aussen-  und  Hinierseite  des  Oberschenkels,  grösster  Theil  der  Nates,  sowie  das 
Gebiet  des  Haemorrhoidalis  extemus  und  perinealis,  Haut  des  Scrotum,  Penis,  Peri- 
neum und  schliesslich  die  Coccygealwurzeln.  Theile  der  Anal-  und  Coccygeal- 
g^end. 

Was  schliesslich  die  vasomotorischen  Nerven  angeht,  so  acceptirt  Verf.  hier  ganz 
die   Untersuchungen   Gaskeils.    Er  unterscheidet   eine   thoracicale  Ursprungsstelle 


'  An  der  Stelle  der  englischen  Bezeichnangen  für  die  Nerven  sind  hier  die  Henle'schen 
gewählt 


.—     260       - 

des  Sjmpathicafl  vom  2.  Dorsal-  bis  2.  Lnmbarnerven,  eine  oeiricocraniale  aus  der 
1.,  2.  und  3.  Halswurzel  im  Accessorius  verlaufend,  eine  sacrale  von  der  2.  und 
3.  Sacralwurzel.  Der  Sympathicus  hat  motorische  und  sensible  Fasern:  er  stammt 
aus  der  Hinterwurzel,  der  seitlichen  Gkmgliengruppe  des  Yorderhoms  (später  Krause*s 
UespiratioDsbündel)  und  der  Clarke^schen  Säule.  Diese  endet  cerebralwärts  im  grossen 
Vaguskeme;  der  Vagus  ist  auch  hauptsächlich  sympathischer  Nerv. 

Sehr  klare,  das  Yerständniss  erleichternde  Schemata  sind  der  Arbeit  beigegeben; 
klinische  Stützen  seiner' Ansichten  streift  Verf.  nur  und  verweist  in  dieser  Beziehung 
auf  andere  Arbeiten,  besonders  auch  auf  eine  Arbeit  Thorbums  in  demselben  Hefte 
des  Brain. 

Die  im  2.  Theil  zur  lUustrirung  der  Auseinandersetzungen  kurz  skizzirten 
klinischen  Beobachtungen  sind  jede  einzelne  beachtenswerth;  sie  beweisen  z.  Th.  die 
ausgezeichnete  Beobachtungsgabe  des  Autors,  z.  Th.  sind  sie  längst  ersehnte  Er- 
klärungen fOr  lange  bekannte  klinische  Erfahrungen.  Es  kann  hier  nur  unter  noch* 
maliger  Verweisung  auf  das  Original  auf  Einzelnes  eingegangen  werden: 

1.  Schmerzen  bei  Magenleiden:  Sie  sitzen  z.  Th.  in  der  Magengegend 
selber  (Verf.  nennt  diese  wohl  durch  sympathische  Zweige  percipirten  Schmerzen 
splanchniBche,  im  Gegensatz  zu  den  durch  die  nicht  sympathischen  Nerven  bedingten, 
die  er  somatische  nennt),  z.  Th.  sitzen  sie  im  Gebiete  des  4.  und  5.  Dorsalnerven. 
Von  diesen  gehen  aber  auch  die  sympathischen  Zweige  für  den  Magen  aus. 

2.  Pleuritische  Affectionen:  Schmerzen  auf  den  vorderen  Partien  des  Ab- 
domen durch  directe  Beizung  der  betr.  Intercostales.  Schmerzen  im  äusseren  Drittel 
des  Schlüsselbeines  und  in  die  Schulter  ausstrahlend;  diese  im  Gebiet  des  4.  Cervical- 
nerven.  Sie  werden  erklärt  durch  Betheiligung  des  Diaphragma  bei  Neuritis  und 
Reizung  des  Fhrenicus.  Ebenso  sind  ähnliche  Schmerzen  bei  Peritonitis,  Leberabscess, 
Gallensteinkolik  zu  erklären. 

3.  Angina  pectoris:  splanchnische  Schmerzen  in  der  Herzgegend  selber;  so- 
matische: vom  Manubrium  stemi  zum  Domfortsatz  des  2.  Dorsalwirbels  und  an  der 
inneren  hinteren  Peripherie  des  Armes  herabstei^^end  bis  zum  Ellenbogen.  Das  ent- 
spricht der  2.  Dorsalwurzel,  aus  der  noch  der  Sympathicusantheil  für  das  Herz  ent- 
springt. Die  Schmerzen  irradiiren  wohl  auch  in  das  1.  Dorsal-  und  8.  Cervical- 
wurzelgebiet  und  demgemäss  in  die  ulnaren  Finger. 

4.  Blasenaffectionen:  Splanchnische  Schmerzen  in  der  Blase  selbst,  somatische 
längs  der  Urethra  in  der  Spitze  der  Glans;  der  Sympathicus  der  Blase  und  der  sen- 
siblen Nerven  für  die  erwähnten  Genitaltheile  stammen  aus  der  3.  Sacralwurzel. 

Brnns. 


2)  Des  tissiia  veineuz  des  ganglionB  Bympathiqaea,  par  L.  Ran  vier.  (Comptes 
rendus.  1888.  Nr.  9.) 

R.  macht  auf  eine  interessante  Eigenthümlichkeit  der  Venen  in  den  sympathischen 
Ganglien  der  Mammiferen  aufmerksam.  Es  empfiehlt  sich  bei  einem  Kaninchen  nach 
Ii\jection  des  gerammten  Gefasssystems  ein  möglichst  kleines  sympathisches  Ganglion 
mit  gewöhnlichem  und  absolutem  Alkohol  zu  behandeln  und  mit  Canadabalsam  anfzu- 
hellen.  Während  die  feinen  Arterien  allmählich  in  ein  weites  Capillametz  übergehen, 
münden  die  Capillaren  direct  in  weite  venöse  Säcke,  welche  das  Ende  der  gewun- 
denen, plexiformen  Venen  darstellen.  In  Analogie  zu  den  venösen  Sinus  der  Dura 
mater  bezeichnet  R.  sie  als  „venöse  Sinus  der  sympathischen  Ganglien."  Wie  die 
ersteren  sollen  sie  den  Blutabfluss  erleichtern.  Lymphgefässe  fehlen  den  sympathischen 
Strängen  und  Ganglien.  Th.  Ziehen. 


-      261     - 

Experimentelle  Physiologie. 

3)  Die  Wahrnehmung  der  Sohallriohtang  mittelst  der  Bogengänge,  von  W. 
Frey  er.     (Arch.  f.  d.  ges.  Phys.  XL.) 

Fr.  bat  mehrere  tausend  Einzelversache  angestellt  xnr  Ermittelung  der  Fehler 
in  der  Localisation  von  Schalleindrflcken.  Rechts  and  links  wird  sicherer  unter- 
schieden als  oben  und  unten  oder  hinten  und  vom.  Scballimpulse,  welche  von  oben 
oder  hinten  kommen,  werden  sicherer  localisirt  als  solche,  die  von  unten  oder  von 
vorne  kommen.  Fr.  nimmt  auf  Qmnd  seiner  Versuche  die  alte  Hypothese  wieder 
auf,  wonach  den  Bogengängen  die  Function  der  Localisation  zukommt  Er  sagt,  es 
sei  die  specifische  Energie  der  Ampnllennerven  ein  mit  Schall  verbundenes  Baum- 
gefühl  und  zwar  ein  Richtungsgef&hl  zu  geben.  Je  nach  der  Schallrichtung  wird 
ein  Bogengang  oder  ein  Bogengangpaar  st&rker  als  die  anderen  getroffen.  Jedem 
Bogengänge  kommt  eine  specifische  Energie  zu;  so  wird  z.  B.  der  horizontale  Bogen- 
gang links  am  stärksten  erregt  bei  Schallrichtungen  von  links  her  in  horizontaler 
Ebene.  Die  Fortpflanzung  der  Schallwellen  auf  die  Bogengänge  wird  wesentlich 
durch  die  Kopfleitung  (nicht  durch  die  Luftleitung)  vermittelt.  Dementsprechend 
wird  bei  möglichstem  Ausschluss  der  Kopfleitung  das  Erkennen  der  Schallrichtung 
auffallend  unsicher.  Th.  Ziehen. 

Pathologische  Anatomie. 

4)  Ueber  die  pathologische  Bedeutung  der  sogenannten  Vaouolisation  der 
NervensMllen,  von  J.  Anfimow.  (Wjestnik  psychiatrii  i  nevropatologii.  1888. 
y.  2.  Russisch.) 

Die  Arbeit  des  Yerf.  bestand  in  der  mikroskopischen  Untersuchung  des  Gehirns 
und  BQckenmarks  gesunder  Thiere  (6  Hunde  und  3  Kaninchen),  die  auf  verschiedene 
Weise  —  durch  Chloroformiren,  Verbluten  aus  der  Carotis,  Durchbohrung  des  Herzens 
—  getödtet  wurden.  Die  Erhärtung  der  Präparate  geschah  in  verschiedenen  ge- 
bräuchlichen FlQssigkeiten.  In  keinem  einzigen  Fall  wurden  vacaolisirte  Nerven- 
zellen gefunden.  Yerf.  vertheidigt  in  Folge  dessen  von  Neuem  die  pathologische 
Bedeutung  der  Vacuolisation  gegenüber  der  Behauptung  einiger  Autoren,  die  dieselbe 
als  Artefact  auffassen.  P.  Rosenbach. 

5)  Beport  of  a  oase  of  anenoephaly  with  a  microsoopioal  study  bearing 
on  ite  relation  to  the  sensory  and  motor  traots,  by  Ch.  L.  Dana.  (Joum. 
of  nervous  and  ment.  disease.  1888.  XY.  p.  21.) 

Ein  ausgetragenes  und  abgesehen  vom  Schädel  wohlgebildetes  Kind  starb  nach 
2Vs  '^V  u°d  ^  Section  ergab  einen  vollständigen  Defect  des  Grosshlms,  an  dessen 
Stelle'  eine  grosse  Blase  mit  gelblichem  flüssigem  Inhalt  lag.  Yen  den  Streifen- 
hftgeln  und  von  den  Riechnerven  war  keine  Andeutung  vorhanden.  Einige  kleine 
Gebilde  am  Boden  jener  Blase  konnten  als  Sehhflgel,  Corpora  quadrigemina  und  Pens 
angesprochen  werden.  Tentorium  und  Kleinhirn  waren  ganz  normal  ausgebildet; 
ebenso  die  Nervenkeme  der  Oblongata. 

Der  Stamm  wie  das  Btlckenmark  wurden  einer  mikroskopischen  Betrachtung 
unterworfen,  doch  erfordern  die  knappe  Beschreibung  des  interessanten  Befundes, 
sowie  die  beigegebenen  Illustrationen  durchaus  den  Einblick  in  das  Original.  Als 
besonders  bemerkenswerth  sei  hier  nur  darauf  hingewiesen,  dass  entsprechend  dem 
Defect  der  corticalen  motorischen  Sphäre  die  Fyramidenbflndel  in  der  Oblongata  fast 
vollständig  zu  fehlen  scheinen,  und  dass  die  vorderen  Pyramidenbahnen  sehr  rudi- 
mentär, die  in  den  Seitensträngen  aber  durch  eine  Masse  von  embryonalem  Binde- 
gewebe ersetzt  sind.  Sommer 


—    262    — 

Pathologie  des  Nervensystems. 

6)  Note  sor  trois  oas  de  tomeors  intraoranienneB,  par  F.  Leclerc.     (Bevne 
de  M^decine.  1887.  D^c.  p.  977.) 

Fall  I.  Tumor  der  Glandula  pituitaria.  Ein  64jähriger  Mann  erkrankte 
im  Juni  1886  mit  heftigen  Kopfschmerzen.  Etwa  ein  Jahr  später  trat  aemlieh 
rasch  eine  beträchtliche  Sehstörnng  ein,  zuerst  auf  dem  rechten,  bald  darauf  auch 
auf  dem  linken  Auge.  Dabei  beiderseitige  Ptosis.  Häufiges  Erbrechen.  Im 
December  1886  fand  man:  Leichter  Exophthalmus,  starke  doppelseitige  Ptosis. 
PupiUendtfferenz  (rechts  >  links),  fast  vollständige  reflectorische  Starre.  Ansserdem 
auch  fast  völlige  Lähmung  aller  äusseren  Augenmuskeln  auf  beiden  Seiten. 
Amaurose.  Ophthalmoskopisch:  beiderseitige  Opticusatrophie  ohne  alle  Zeichen 
von  Stauungspapille.  Geringe  Deviation  der  Zunge  nach  rechts;  im  (Jebrigen  keine 
bemerkenswerthen  Störungen. 

Am  11.  December  1886  trat  nach  vorheriger  starker  psychischer  Aufregung 
und  Verwirrung  plötzlich  der  Tod  ein.  Die  Autopsie  ergab  einen  kmderfonst- 
grossen  Tumor  der  Glandula  pituitaria  (histologisch  ids  Oarcinom  aufgefasst),  welche 
die  ganze  Sella  tnrcica  einnahm  und  von  hier  auf  die  benachbarten  Theile  der 
Schädelbasis  übergegriffen  hatte. 

In  der  Epicrise  bespricht  Verf.  die  Symptomatologie  der  Hypophysis-Tumoren, 
insbesondere  auf  Grund  des  Buches  von  Auch6  (Glande  pituitaire  et  ses  maladies. 
Paris  1873).  Als  besonders  charakteristisch  und  diagnostisch  wichtig  hebt  er  hervor 
den  Kopfschmerz  und  die  Amaurose,  als  deren  Ursache  sich  anzüglich  häufig 
kein  ophthalmoskopischer  Befund,  später  Atrophie  der  Optici  nachweisen  lässt.  Oph- 
thalmoplegie und  Pupillenstarre,  wie  in  diesem  Fall,  ist  selten  beobachtet  worden. 
Sensible  und  motorische  Störungen  in  den  Extremitäten  fehlen  meist. 

Fall  IL  Tumor  mit  secundärem  Uebergreifen  auf  die  Glandula 
pituitaria.  Ein  22jähriger  Mann  erkrankte  Ende  Mai  1887  mit  Schmerzen  in  der 
linken  Seite  und  in  der  linken  Gesichtshälfte.  Bald  darauf  auch  Sehschwäche  auf 
dem  linken  Auge  und  Herabhängen  des  linken  Augenlids.  Die  objective  Unter- 
suchung am  28.  Juni  ergab  völlige  Ptosis  und  Lähmung  alier  äusseren  Muskeln 
des  lenken  Auges.  Starke  Amblyopie.  Ophthalmoskopisch  beginnende  Atrophie  des 
Opticus.  In  den  nächsten  Tagen  zeigte  sich  noch  eine  geringe  Parese  des  rechten 
Arms,  des  rechten  Abducens  und  des  linken  Facialis.  Die  Autopsie  ergab  primären 
Krebs  des  vorderen  Mediastinums  mit  secundären  Carcinomen  im  Gehirnt  zwei  kleine 
Knoten  in  der  motorischen  Zone  der  linken  Hemisphäre,  ein  dritter  grosserer  Tumor, 
von  den  Meningen  ausgehend,  in  der  mittleren  Schädelgrube,  auf  die  Hypophysis 
Qbergreifend  und  den  linken  Oculomotorius  und  Opticus  comprimirend. 

Fall  III.  Tumor  im  linken  Schläfenlappen.  Die  klinischen  Symptome 
bestanden  nur  in  allgemeinen  Gehimsymptomen  (Kopfschmerz,  Brechen,  Stauungs- 
papille, Benommenheit).  Bemerkenswerth  ist,  dass  die  Krankheitserscheinungen  sich 
unmittelbar  an  einen  heftigen  Fall  auf  die  linke  Kopfseit-e  angeschlossen  hatten. 

Strfimpell. 

7)  La  vertigo  paralysant  en  1887,    par  le  Dr.  Gerlier.^    (Bevue  m^d.  de  la 
Suisse  romande.  1888.  1  u.  2.) 

G.  hat  im  Sommer  1887  nur  wenig  Fälle  beobachtet»  was  er  der  ungewöhn- 
lichen Trockenheit  dieses  Sommers  zuschreibt.  Doch  kam  in  dem  Dörfchen  Omex, 
Canton  Femey-Voltaire,  eine  Hausepidemie  vor,  welche  8  Personen  ergriff,  und  ausser- 
dem 4  einzelne  Fälle. 


»  Cf.  d.  Otrlbl.  1887.  S.  177  n.  823. 


268 

Diese  neuen  Beobachtungen  veranlassen  G.,  seine  frfiheren  Mittheilungen  in 
einigen  Punkten  zu  ergänzen,  bez.  zu  berichtigen.  Von  den  3  Symptomengruppen: 
GesichtsstGrungen,  Yorflbergehenden  Paresen  und  den  Schmerzempfindungen  sind  oft 
nur  einzelne  vorhanden,  nur  in  schweren  Fällen  alle.  —  Die  vorübergehende  Blind- 
heit ist  nicht  von  der  Ptosis  allein  herzuleiten,  doch  ist  ihre  Natur  noch  ziemlich 
dankel.  —  Diplopie  (wie  Dr.  David  schon  angegeben)  wurde  G.  häufig  angegeben, 
doch  konnte  er  selbst  von  Strabismus  bei  den  Kranken  nichts  beobachten. 

Das  Schliessen  resp.  Nicht-Oeffiien  des  Mundes  beruht  nicht  auf  einem  Krampf 
der  Masseteren  oder  Temporales,  sondern  auf  einer  Parese  der  Herabzieher  des  Unter- 
kiefers. —  Im  Ganzen  sah  G.  ein  üeberwiegen  der  LähmungserscheinongAi  auf  der 
linken  Seite,  besonders  war  die  Ptosis  fast  immer  linksseitig.  —  Die  Schmerzen 
haben  ihren  Sitz  nicht  nur  im  Nacken  (obwohl  hier  am  häufigsten),  sondern  auch 
in  der  Lendengegend,  und  strahlen  von  hier  nach  dem  Bauche  und  nach  den  Beinen 
ans;  vom  Nacken  kann  der  Schmerz  nach  dem  Kopfe,  den  Augen  u.  s.  w.  sich  hin- 
ziehen. Während  in  den  leichten  Fällen  die  Beranken  zwischen  den  minutenlangen 
Anfallen  ganz  wohl  sind,  bestehen  bei  schwerem  Auftreten  des  „Vertigo  paralysant" 
auch  Zwischensymptome:  Reste  der  Paresen,  Zittern  der  Lippen  und  Extremitäten, 
Schwierigkeit  und  selbst  Unmöglichkeit  zu  lesen,  weil  beim  Fixiren  der  Schrift 
Ptosis  und  Sehstörung  auftritt. 

Ueberhaupt  ruft  Blickfixation,  besonders  auf  ein  entferntes  Objecto  leicht  einen 
Anfall  hervor,  und  ebenso  stärkere  Bewegung  und  gebückte  Haltung.  Und  begünstigt 
wird  das  Auftreten  von  Anföllen  durch  Uebermüdung,  durch  Anstrengungen,  durch 
Excesse  in  Baccho  et  Yenere. 

Nach  G.'s  Auffassung  ist  der  Yertige  paralysant  eine  Infections-Neurose;  der 
Infectionsstoff  bildet  siclr  in  den  Ställen.  G.  nimmt  hierbei  Bezug  auf  eine  neuere 
Arbeit  von  Brieger,  der  im  Pferdedüngor  und  Kuhmist  einen  toxischen  Stoff  nach- 
wies, welcher  unter  Lähmungserscheinungen  Thiere  tödtet.  Hadlich. 


8)  On  the  significanoe  and  value  of  ten'don  reflex,  by  Th.  Buzzard.    (The 
Lancet.  1888.  Vol.  L  Nr.  4.) 

B.  giebt  eine  Reihe  praktischer  Winke  für  die  Verwerthung  des  Westpharschen 
Zeichens.  Weder  die  seitherige  Hypothese  einer  reflectorischen  noch  die  einer  idio- 
miiscnl&ren  Entstehung  des  Kniephänomens  erschienen  ibm  annehmbar.  In  einem 
Falle  Thomsen'seher  Krankheit  vermisste  B.  das  Kniephänomen;  bekanntlich  ist  es 
hier  in  der  Begel  erhalten.  Ein  Fall  multipler  Alkoholneuritis  zeigt  etwas  ge- 
steigerte Kniephänomene;  er  nimmt  an,  dass  die  Einwirkung  des  Alkohols  auf  die 
Hirnrinde  den  hemmenden  Einfluss  der  letzteren  auf  die  Sehnenphänomene  aufgehoben 
hat  (im  Gegensatz  also  zu  den  Schwarz*schen  Experimentaluntersuchungen).  Bei 
oBBentieller  Kinderlähmung  kann  die  Motilität  sich  vollkommen  wiederherstellen,  ohne 
dass  das  Eniephänomen  zurückkehrt.  —  Bei  ausnahmsweise  tiefem  Sitz  der  Pott'- 
achen  Krankheit  fehlt  das  Kniephänomen  in  den  paraplegischen  Beinen,  während  es 
sonst  stark  gesteigert  ist  —  In  einem  Fall,  dessen  Symptome  entschieden  auf  einen 
Tumor  am  Tentorium  cerebelli  deuteten,  constatirte  B.  Westphal'sches  Zeichen.  — 
Bas  Fehlen  oder  Erhaltensein  des  ^niephänomens  unmittelbar  nach  einem  apoplec- 
tischen  Insult  erlaubt  keinen  prognostischen  Schluss.  —  Besteht  das  Westphal'sche 
Zeichen  neben  Fussklonus,  so  ist  stets  an  die  Möglichkeit  einer  multiplen  Sklerose 
zu  denken.  —  Paraplegie  ohne  Sensibilitätsstdrungen  mit  gesteigerten  Kniephäno- 
loenen  und  fehlenden  Plantarreflexen  erweckt  stets  den  Verdacht  einer  functionellen 
Störung;  nur  eine  bestimmte  Phase  der  Myelitis  zeigt  denselben  Symptomencomplex. 
Ungleichheit  beider  Kniephänomene  beweist  durchaus  nicht,  dass  eine  organische 
liäsion  vorliegt.  Hingegen  wird  eine  solche  sicher  gestellt,  wenn  die  Kniephänomene 
fortgesetzt  zunehmen,  während  die  grobe  motorische  Kraft  abnimmt. 


—  264     - 

Das   Jendr&S8ik*8cbe  Verfahren  modificirt   B.  dahin,   daas   er   den  Patienten 

sitzend  den  Fass  fest  aufsetzen  läast,  wobei  Bein  und  Zehen  etwas  mehr  als  einen 

rechten  Winkel  bilden.  Tb.  Ziehen. 


0)  Die  dlagnoBtische    Bedeutung    des   FehlenB   des  Kniephftnomena,   von 

Dr.  Tb.  Ziehen.    (Gorresp.-Blatt   des  Allg.  ärztlichen  Vereins   von  Tbfkringen. 
1887.  Nr.  11.) 

Ver^  bringt  in  3  Abtbeilungen:  1.  das  Wesen  des  Kniephänomens,  2.  die 
diagnostische  Bedeutung  des  Westpbal*scben  Zeichens,  3.  das  praktische  Verfahren 
bei  Prüfung  auf  das  Kniepbänomen  eine  sehr  gute  und  erschöpfende  Zusammen- 
stellung dessen,  was  wir  Aber  den  (Gegenstand  wissen.  M. 


10)  Chorea  hereditaria   der  Erwachsenen   (Huntington'sohe  Chorea),   von 

A.  Huber.     (Virchow's  Archiv.  Bd.  CVni.  H.  2.) 

H.  schildert  einen  Fall  typischer  Chorea  bei  einem  38jährigen  Mann;  dieselbe 
bestand  seit  8  Jahren.  Auffällig  war  nar,  dass  bei  intendirten  Bewegungen  die 
choreatischen  sehr  gering  wurden,  ja  aufhörten.  Die  Sprache  ist  erschwert,  das  Ge- 
dächtniss  geschwächt  Die  Anamnese  wies  9  Fälle  von  Chorea  in  der  Familie  nach. 
Die  Belastung  geht  aus  vom  Urgrossvater  väterlicherseits.  Kinderchorea  kam  in  der 
Familie  nicht  vor.  Der  Erankheitsausbruch  lag  zwischen  dem  30.  und  50.  Jahr. 
Bet  einer  jetzt  blödsinnigen  Schwester  des  Kranken  gingen  psychische  Störungen 
den  choreatischen  voraus.  Der  Vater  verlor  später  die  Chorea  und  bot  nur  noch 
das  Bild  einer  Psychose;  das  Sectionsprotokoll  desselben  ist  zu  ungenau,  um  ver- 
werthbar  zu  sein  (Pachy-  und  Leptomeningitis).  Der  gleichfalls  choreatische  Vater 
des  Vaters  verstarb  blödsinnige  Nie  ward  eine  Generation  übersprungen;  blieb  eine 
solche  einmal  frei,  so  blieb  es  aach  die  folgende.  Tb.  Ziehen. 


II)  Ueber  Myoclonus  und  Myoolonie,  von  Dr.  Theod.  Ziehen,  Jena.   (Arch. 
f.  Psych.  1888.  Bd.  XIX.  H.  2.  p.  465.) 

Ausgehend  von  der  Beobachtung,  dass  das  Krankheitsbild  des  Paramyodonus 
multiplex,  wie  es  von  Fried  reich  beschrieben  worden  ist:  klonische  Zuckungen 
symmetrischer  Extremitätenmnskeln,  welche  nur  im  Schlaf  und  bei  wülkftrlichen  Be- 
wegungen cessiren,  dabei  Arhythmie  und  geringe  Excursionsweite  der  Zuckungen  — 
in  den  spätem  Beobachtungen  mehr  oder  weniger  grosse  Abweichungen  bot,  will 
Verf.  den  Paramyodonus  multiplex,  die  von  andern  Autoren  damit  identificirte  Chorea 
electrica  und  die  maladie  des  tics  convulsifs  (Guinon),  die  doch  offSenbar  zusammen- 
gehörende Krankheiten  sind,  unter  dem  Namen  Myoclonia  (so  z.  B.  als  Paramyodonia 
brachio*crara1is,  Myoclonia  facialis  [Tic  convulsif],  Myoclonia  diflfusa  [Chorea  electrica] 
u.  8.  w.)  zusammenfassen.  Zwei  interessante  Fälle,  beide  mit  Psychose  (Melancholie) 
combinirt,  werden  ausfflhrlich  mitgetheilt. 

Myoclonia  als  Symptom  wird  vom  Verf.  zweckmässig  als  Myoclonus  bezeichnet 
Sehr  interessant  ist  der  zweite  sehr  ausfflhrlich  beschriebene  Fall  von  Myoclonus  bei 
einem  jugendlichen  Epileptiker,  während  eine  andere  Beobachtung  bei  einem  23jähr. 
Epileptischen  nur  kurz  referirt  wird. 

Auf  die  Versuche  des  Verf.,  die  einzelnen  Formen  von  Myodonia  und  Myodonus 
zu  individualisiren ,  zu  localisiren  und  zu  charakterisiren  kann  hier  leider  nicht  ein- 
gegangen werden.    Der  Aufsatz  ist  anregend  und  lesenswerth.  Sperling. 


—    2d6    — 

la)  Ueber  Obore»  chronioa  progressiva  (Himtinston'Bohe  Chorea,  Chorea 

heredUaiia).    Aus  der  med.  Klinik  des  Prof.  Erb  in  Heidelberg.   Vod  Dr.  J. 

Hoff  mann,  Assistenzarzt.     (Yirchow's  Archiv.  1888.  Bd.  CXI.  3.) 

Schon  S^e  und  Sanders  haben  vor  Han tington  (1872)  die  ohronische  Form 
der  Chorea  beBchrieben;  erst  in  den  letzton  Jahren  haben  nach  ihm  andmi  Aatpreü 
(Ewald,  Cl.  King,  Feretti,  Hnber,  Maeleod,  Zacher)  nene  Fälle  mitgetheilt. 
H.  berichtet  hier  über  eine  Familie,  in  welcher  die  Krankheit  schon  3,  vielleicht 
4  Generationen  ergriffen  hat;  bei  denjenigen  Mitgliedern^  die  unbetroffen  blieben, 
blieben  anch  die  Kachkommen  gesund,  tm  Gegensatz  zu  Huntington,  der  die 
Krankheit  ,;a\e  in  der  Jugend''  beginnen  sah,  sind  in  dieser  Familie  schjn  mehrere 
Schulkinder  ergriffen,  wie  bei  Peretti*s  einem  Falle.  Andererseits  erkrankten  ein- 
zebie  Glieder  der  Familie  erst  mit  45  und  50  Jahren  (bei  Maeleod  bis  zum  60.  bis 
70.  Jahre),  während  allerdings  die  Mehrzahl  im  mittleren  Lebensalter  stand. 

Die  Krankheit  beginnt  wie  die  gewöhuliche  Chorea,  bleibt  aber  nicht  nur  be- 
stehen, sondern  ist  progressiv.  Früher  oder  später,  meist  bald,  treten  psychische 
Störungen  hinzu  (nur  in  dem  Kwai  duschen  Falle  nicht),  als  fieizbarkeit,  Gedächtniss- 
schwäohe,  vorübergehend  maniakalische  Anfälle,  später  Dementia,  zuletzt  tiefer  Blöd- 
sinn mit  Verunreinigung,  Bedürfhiss  des  Gefüttertwerdens.  Die  höheren  Sinnesorgane, 
die  Sphincteren,  die  Sensibilität  bleiben  intact;  die  elektrische  Erregbarkeit  der 
Nerven  und  Muskeln  ist  normal,  die  Sehnenreflexe  sind  oft  gesteigert,  die  Haut- 
reflexe meistens  normal.  Das  Herz  pflegt  intact  zu  sein.  Im  Schlaf  cessiren  die 
choreatischen  Bewegungen  (doch  nicht  ausnahmslos);  bei  intendirten  Bewegungen 
lassen  sie  nach.    Eine  Kranke  litt  gleichzeitig  von  Kindheit  an  an  Epilepsie. 

Ton  4  Kranken  der  Familie  Waldi^Wipfler  giebt  H.  genaue  Krankengeschichten, 
ond  fügt  diesen  noch  eine  sehr  ausführliche,  von  Joseph  Kärcher  Mn^u,  der  bis  Jetzt 
10  Jahre  lang  auf  der  Heidelberger  Klinik  beobachtet  wurde  (1878—1888).  Die 
Krankheit  desselben  begann  1875,  als  er  etwa  30  Jahre  alt  war,  mit  eigenthüm- 
lichen  Krampfzuständen  im  Gebiete  der  Bulbämerven,  bis  immer  mehr  andere  Muskel- 
grappen  von  choreatischen  Krämpfen  ergriffien  wurden,  Zwerchfell  und  Kehlkopf, 
Rumpf  und  Extremitäten.  Hier  besteht  keine  intellectuelle  Störung,  da- 
gegen stellen  sich  seit  etwa  2  Jahren  epileptiM^he  Anfölle  ein,  nach  und  nach  in 
inner  kürzeren  Pansen. 

AnflEEÜlend  ist  non,  dass  Mutter  und  2  Schwestern  dieses  Kranken,  früher  ganz 
gesund,  im  Alter  von  39,  29  und  20  Jahren  an  Epilepsie  erkrankt  und»  schwach- 
sinnig gewordeni  41  resp.  39  Jahre  alt  gestorben  sind.  Chorea  ist  in  dieser  Familie 
nicht  beobachtet 

Wenn  die  vererbte  Epilepsie  nach  Echeverria  vor  der  Pubertät,  nach  Bey- 
nold  und  Nothnagel  vor  dem  20.  Lebensjahre  auftritt»  so  haben  wir  sie  hier  viel 
später  und  ausserdem  tritt  bei  einem  Familiengliede  Chorea  an  Stelle  von  Epilepsie» 
welche  letztere  sich  erst  10  Jahre  spätw  zu  ersterer  hinzugeselli  Umgekehrt  er- 
krankte in  der  Familie  Wipflor,  in  welcher  sich  sonst  nur  Chorea  vererbte»  Mn  Mit- 
glied an  EpilepsiOf  und  bekam  erst  später  Chorea  dazu» 

V.  Ziemssen  hat  Chorea  und  Geistesstörung  (seltener  Epilepsie)»  Nothnagel 
hat  Chorea  minor  und  Epilepsie,  Hitzig  Epilepsie  und  Chorea,  auch  Paralysis  agitans 
und  Epilepsie  combinirt  gesehen,  Golgi  ond  Schuchardt  Chorea  und  Geistes- 
störung, Simon,  Clouston  und  Mendel  Chorea  und  Paralyse. 

Man  wird  danach  bei  Hnntington^scher  Chorea  die  „Erblichkeit"  nicht  noehr  so 
eng  fassen  dürfen,  sondern  in  demselben  Sinne  wie  bei  Neurosen  aUgemem  es  ge- 
schieht. Entscheidend  ist  der  chronisch  fortschreitende  Charakter,  sodass  sich  der 
Name  chronica  progressiva  empfiehlt. 

Bezüglich  des  Sitzens  und  Wesens  der  Affection  ist  H.  geneigt,  sie  in  die  Me- 
dolla  oblongata  zo  verlegen}  doch  wurden  meningitisöhe  Veränderungen  und  Binden- 
atrophien gefunden,  ähnlkh  wie  bei  Paralyse. 

17 


—    266    — 

Die  Therapie  ist  machtlos,   die  Krankheit  endet   stets   erst  mit  dem  Eintritt 
des  Todes.  Hadlich. 


13)  Eliniflohes  und  Anatomisohes  über  die  Syringomyelie,  von  Prof.  Dr.  F. 
Schnitze,  Dorpat.     (Zeitschr.  f.  klin.  Med.  1888.  Bd.  XIII.  H.  6.) 

In  dieser  gehaltvollen  Arbeit  liefert  Verf.  einen  dankenswerthen  Beitrag  znr 
Erkenntniss  jener  eigenartigen,  vom  weitem  ärztlichen  Publikum  noch  wenig  beobach- 
teten Affection  der  Syhngomyelie  nnd  setzt  ans  durch  Präcisirung  des  klinischen 
Symptombildes  und  der  anatomischen  Verhältnisse  in  den  Stand,  in  geeigneten  Fällen 
bereits  intra  vitam  die  Diagnose  auf  Syringomyelie  mit  Wahrscheinlichkeit  zu  stellen. 

Verf.  betont,  dass  diese  Krankheit  durchaus  nicht  so  selten  ist,  wie  man  bis- 
her angenommen,  und  nach  seinen  persönlichen  Erfahrungen  ebenso  häufig  vorkommt, 
wie  z.  B.  die  aroyotrophische  Lateralsklerose  oder  selbst  die  multiple  Sklerose.  Das 
klinische  Bild  der  Affektion  ergiebt  sich  aus  den  Zerstörungen,  welche  durch  die 
Höhlenbildungen  im  Bückenmark  gesetzt  werden.  Es  findet  sich  meistens  die  hintere 
und  zum  grossem  Theile  auch  die  vordere  graue  Substanz  des  Hals-  und  Dorsal- 
theils  des  Rückenmarks  afficirt,  wodurch  folgender  charakteristischer  Symptomencom- 
plex  geschafifen  wird: 

1.  Langsam  fortschreitender  Muskelschwund  der  obem  Extremitäten  und  Schulter- 
muskulatur (die  kleinen  Handmuskelu  sind  meistens  besonders  stark  betroffen). 

2.  Sensibilitätsstörungen  eigenthümlicher  Art  (ausgedehnte  oder  circumscripte  Herab- 
setzung der  Schmerz-  und  Temperatarempfindung;  Tast-  und  Muskelsinn  dagegen 
erhalten  oder  nur  wenig  alterirt). 

3.  In  vielen  Fällen  trophische  und  vasomotorische  Stömngen. 

In  sehr  ausführlicher  Weise  theilt  Verf.  folgenden  Krankheitsfall  mit,  bei  welchem 
er  die  Diagnose  einer  Syringomyelie  annimmt. 

Ein  43  jähriger  Pat.  erkrankte  vor  12  Jahren  unter  starken  brennenden  und 
reissenden  Schmerzen  an  einer  langsam  sich  entwickelnden  Atrophie  einzelner  Mnskel- 
gmppen  beider  Arme  und  des  obem  Rumpfes.  —  Gleichzeitig  fast  völlige  Aufhebung 
der  Schmerz-  und  Temperaturempfindung  an  beiden  Armen  und  am  rechten  Ohr, 
neben  Herabsetznng  oder  Steigerung  dieser  Empfindungsqualitäten  an  andern  Körper- 
stellen; dagegen  Tast-  und  Muskelsinn  ungestört,  einzelne  trophische  Störungen  und 
Anomalien  der  Schweisssecretion;  spastische  Zustände  und  Parese  im  linken  Bein; 
Sehnenreflexe  dor  obem  Extremitäten  fehlen;  Patellarsehnenreflex  rechts  normal, 
links  stärker;  links  Fussclonus;  Plantarreflex  zeigt  wechselndes  Verhalten;  Banch- 
decken-  und  Mammillarreflexe  beiderseits  nicht  vorhanden.  Rechte  Pupille  weiter, 
als  die  linke.  —  Der  Muskelschwund  machte  sich  zuerst  an  den  kleinen  Hand- 
muskeln linkerseits  bemerkbar  und  es  entwickelte  sich  binnen  2  Jahren  eine  ansge- 
sprochene  Krallenstellung  der  linken  Hand;  spät^er  wurde  die  untere  Hälfte  der  linken 
Yorderarmmuskulatur  und  ein  Theil  der  Rumpf-  und  Naokenmuskolatur  ergriffen.  — 

Rechterseits  sind  die  atrophischen  Stömngen  weniger  ausgeprägt,  hier  der  M. 
deltoideus  und  M.  cucullaris  besonders  afficirt.  Die  linken  Handmnskeln  zeigen 
complete  EAR.  Die  Atrophie  ist  in  den  betroffen  Muskelgebieten  ganz  ungleich- 
massig  vertheilt.  — 

In  Anschluss  an  diesen  Fall  bespricht  Verf.  in  eingehender  Weise  die  Differen- 
tialdiagnose der  Syringomyelie  gegenüber  den  verschiedenen  andem  Affectionen  mit 
mehr  oder  weniger  ähnlichen  Symptomencomplexen  z.  B.  der  multiplen  Neuritis,  den 
toxischen  Lähmungen,  der  Tabes,  multiplen  Sklerose  etc.  Sehr  schwierig  und  oft 
unmöglich  sei  die  Diagnose  zu  stellen,  wenn  es  sich  neben  der  Syringomyelie  gleich- 
zeitig noch  um  einen  intramedullären  Tumor  handele,  wodurch  das  Symptomenbild 
wesentlich  complicirt  werdo.     Erstreckt  sich  die  Erkrankung  weiter  nach  oben  zn 


—    267    — 

und  beföUt  auch  die  Medolla  oblongata,  wie  das  nicht  selten  der  Fall  ist,  so  erleiden 
Toizngsweise  die  aufsteigenden  Trigeminusworzeln  eine  Zerstörung,  welche  sich  in 
partiellen  Empfindungsanomalien  im  Trigeminusgebiete  documentiren.  Auch  die  Vagus 
und  Hypoglossuskeme  scheinen  manchmal  in  Mitleidenschaft  gezogen  zn  werden,  — 
ohne  jedoch  bulbäre  Erscheinungen  zu  veranlassen. 

Neben  den  Uauptsymptomen  der  Syringomyelie,  der  Muskelatrophie  und  den 
Sensibilitats Veränderungen,  sind  aber  auch  die  mit  letzteren  oft  einhergehenden 
trophischen  Störungen  von  grosser  diagnostischer  Bedeutung.  Dieselben  können  zu 
Spontanfracturcn,  schweren  entzündlichen  Processen,  z.  B.  Panaritien  etc.  führen.  — 
Zur  Illustration  dessen  theilt  Verf.  folgende  Beobachtung  mit: 

Ein  36jähriger  Pat.  erkrankte  mit  schmerzhafter  Anschwellung  der  Metacar- 
pophalangealgelenke  der  rechten  Hand  und  des  rechten  Vorderarms.  Nach  2  Monaten 
dieselben  Erscheinungen  an  der  linken  Hand.  Dazu  nach  einiger  Zeit  Eiteransamm- 
lung an  verschiedenen  Stellen  beider  Hände;  Perforation  der  Haut  und  eine  monate- 
lang anhaltende  Absonderung  stinkenden  Eiters.  Nach  Ablauf  dieses  Processes  Ab- 
magerung beider  Hände  und  Vorderarme,  allmähliche  Ausbildung  von  Krallenstellung 
der  Hände,  im  rechten  Kleinfingerballen  EAB.  Tastempfindung  gut,  Schmerz-  und 
Temperatursinn  abgestumpft.  Später  auch  Schmerzen  und  Parästhesien  in  den  unteren 
Extremitäten,  spastische  Parese  der  Beine  mit  Steigerung  der  Sehnenreflexe.  —  Eine 
abermalige  schwere  phlegmonöse  Entzündung  der  linken  Hand  führte  infolge  ein- 
tretender Sepsis  zu  einer  Amputatio  humeri,  wodurch  jedoch  ein  tödtUcher  Ausgang 
durch  allgemeine  Sepsis  nicht  aufgehalten  werden  konnte.  — 

Der  Sectionsbefund  ergab:  die  charakteristischen  Degenerations Veränderungen  in 
den  betroflfenen  Hand-  und  Armmuskeln  (Wucherung  der  Kerne,  Vacuolenbildung; 
theils  totale,  theiJs  partielle  Atrophie  der  einzelnen  Muskeln).  Im  obem  Halstheil 
eine  ausgedehnte  Spaltbildung  mit  theilweise  erheblichen  Formveränderungen  des 
Bflckenmarkes.  Der  Querspalt  reicht  beiderseits  fast  bis  zur  Pia,  das  Rückenmark 
in  einen  yordem  und  einen  hintern  Abschnitt  theilend.  —  Hochgradiger  Schwund 
der  Seiten-  und  Vorderstränge,  der  Vorderhömer  und  grösstentheils  der  Hinterhömer 
mit  Einschluss  der  Clar kuschen  Säulen.  Verlust  der  Ganglienzellen,  starke  Glia- 
wucherung  um  den  CanaL   Medulla  oblongata  intact.   (Vergl.  die  Abbildung  im  Orig.) 

Nachdem  Verf.  noch  zwei  weitere,  vorstehendem  Falle  sehr  ähnliche  Beobach- 
tungen mitgetheilt  hat,  betont  er,  dass  man  bei  progressiven  Muskelatrophien  stets 
auf  das  Vorhandensein  specifischer  Empfindungslähmungen  fahnden  und  wenn  diese 
sich  finden,  die  Diagnose  einer  Syringomyelie  mit  in  Betracht  ziehen  müsse,  zumal 
wenn'  eine  Betheiligung  der  Medulla  oblongata  an  der  Erkrankung  längere  Zeit 
ausbleibt 

In  anatomischer  Beziehung  vertritt  Verf.  die  Ansicht,  dass  die  syringomyelitischen 
Veränderungen  nicht  immer  von  einem  abnorm  weiten  oder  abnorm  gelagerten 
Centralcanal  ausgehen  müssen,  sondern  dass  auch  von  einem  normalen  Centralcanal 
oder  an  einer  andern  Stelle  des  Bückenmarkes  oder  der  Medulla  von  der  normalen 
Qua  aus  dieser  eigenthümliche  Wucherungs-  und  Zerstörungsprocess  sich  entwickeln 
könne;  eine  Anschauung,  welche  sich  aus  der  Beschaffenheit  der  vorgefundenen 
HöhlenbilduBgen  ergiebt. 

Die  Langhans'sche  Auffassung,  dass  in  einer  Anzahl  von  Fällen  die  Syringo- 
myelie secundär  durch  einen  vermehrten  Driick,  bedingt  durch  Kleinhimgeschwülste, 
entstände,  hält  Seh.  auf  Grund  seiner  anatomischen  Befunde  nicht  für  berechtigt, 
sondern  schliesst  sich  viemehr  der  Ley  den 'sehen  Auffassung  der  Sache  an. 

Am  Schlnss  seiner  Arbeit  weist  Verf.  nochmals  auf  die  relative  Häufigkeit  ab- 
normer Ganalbildungen  und  Gliose  des  Kückenmarks  (besonders  auch  als  Begleiter- 
scheinung der  Spina  bifida)  hin  und  empfiehlt  diesen  Erkrankungen  klinisch  und 
anatomisch  in  Zukunft  eine  grössere  Beachtung  zu  schenken,  als  es  bisher  geschehen  ist. 

P,  Seifert  (Dresden). 
11* 


—    268    — 

Psychiatrie. 

14)  Di  un  nuovo  oxiterio  dlagnosüco  nella  pat«lifii  progressiva.  Commüni- 
cacione  del  Dott.  A.  Marro.  (Archivio  di  Psichiatria,  scienze  penali  ecc.  1888. 
IX.  p.  88.) 

Verf.  hat  Peptonurie  bei  21  darauf  hin  antersachten  Individuen,  die  an  Dementia 
paralytica  litten,  constant  gefunden.  Die  Menge  des  Peptons  war  manchmal  aller- 
dings nur  gering,  sodass  er  800,  selbst  1000  ccm  Urin  benutzen  musste,  um  die 
Hofmeister'sche  Reaction  zu  erhalten;  wesentlich  grösser  aber  war  sie  in  allen 
Fällen  mit  acuterem  Verlauf  und  bei  Complicationen.  Verf.  glaubt,  absolutes  Fehlen 
von  Pepton  schlösse  eine  Diagnose  auf  Paralyse  aus.  Sommer. 


16)  Ueber  die  plöteliohe  Umbildung  einer  klinieohen  psyohisohen  Kraak- 
heitsform  in  eine  neue,  von  Prof.  Nasse.  (Zisohr.  f.  Psych.  1888.  Bd.  XLIY. 
H.  4  Q.  6.) 

GegenQber  dem  Standpunkt,  dass  eine  secundäre  Paranoia  nicht  existirt,  d.  h. 
dass  sioh  nie  aus  Melancholie  oder  Manie  eine  Paranoia  entwickeln  könne  (ein  Stand- 
punkt, den  flbrigens  Ref.  [cf.  dieses  Otrlbl.  1888  S.  213  und  Artikel  Verrücktheit 
in  Eulenburg'fi  Realencyolop&die]  ebenfalls  bekämpri;),  hebt  Verf.  hervor,  dass  nicht 
bloss  alimählich  sich  eine  solche  Transformation  vollziehen  könne,  sondern  dass  es 
ancb  Fälle  giebt,  in  denen  plötzlich  aus  einer  Melancholie  oder  Manie  Paranoia  ent- 
steht.   Verf.  führt  3  derartige  Fälle  an. 

In  dem  1.  Fall  handelt  es  sich  um  eine  Melancholie  mit  hypochondrischen 
Etnpflndungen  und  Selbstvorwürfen  bei  einer  30jährigen  Frau  (hereditär  belastet), 
bei  welcher  nach  halbjähriger  Dauer  plötzlich  in  einer  Nacht  Gesichts-  und  Gehörs- 
hallueinationen  mit  heftiger  zweistündiger  Erregung  auftraten,  welchen  dann  gehobene 
Stimmong,  exaltirt  religiöse  Wahnvorstellungen,  Grössenideen  u.  s.  w.  im  Bilde  der 
Paranoia  chronica  folgen,  welche  Krankheit  noch  jetzt  besteht. 

Der  2.  Fall  betrifft  ein  3djähriges  Mädchen  (ohne  hereditäre  Anlage),  welche 
an  Melancholie  mit  Conamina  suicidii,  Selbstbeschuldigungen,  den  Wahnvorstellungen, 
für  ewig  Verstössen  zu  sein,  ein  Kind  des  Teufels  zu  sein  u.  s.  w.,  viele  Monate  litt, 
und  plötzlich  in  die  glücklichste  Stimmung  geräth;  die  Jungfrau  Maria  als  ihre 
Mutter  betrachtet,  sagt,  der  Kaiser  werde  kommen  und  mit  ihr  an  ihrem  Geburts- 
tage gell  Himmel  fahren  u.  s.  w.  Später  treten  wieder  abwechselnd  depressive  Ideen 
auf.     Der  Krankheitszustand  —  Paranoia  chronica  —  dauert  ati. 

Der  3.  Fall  endlich  zeigt  eine  28jährig6  Dienstmagd  (keine  hereditäre  Anlage), 
welche  1880  zuerst  an  Manie  erkrankte,  von  der  sie  nach  ca.  9  Monaten  geheilt 
wurde.  4^2  J^l^r  später  Recidiv  der  Manie;  nach  achtmonatlicher  Dauer  plötzlicher 
Ausbruch  der  Paranoia  mit  Hallucinationen  und  Grössenideen  religiösen  Inhalts,  welche 
andauert  (nach  V/^  Jahren).  M. 

16)  Ueber  die  ordglnäre  Verrücktheit  (Sander),  Vortrag  Ton  Dr.  Clemens 
Neisser.    (Arch.  f.  Psych.  XIX.  S.  491.) 

N.  zeigt  an  mehreren  kurz  mitgetheilten  Fällen,  deren  Wahnsystem  in  der  Ueber- 
zeugung,  nicht  die  Kinder  ihrer  angeblichen  Eltern  zu  sein,  gipfelt,  dass -die  von 
Kraepelin  sog.  Erinnerungsfalschungen  (Gonfabulation,  Kahlbanm),  das  Eigen- 
thümliche  der  Wahnproduction .  sind,  wodurch  sich  diese  mit  Sander*«  originärer 
Yerrflcktheit  zusammenfallenden  Fälle  von  den  andern  Formen  der  Paranoia  unter- 
scheiden, die  er  deshalb  unter  der  Bezeichnung  Paranoia  oder  Paranoesis  confabulans 
zusammenfassen  will. 

Auf  den  Sander*s  Fälle  kritisch  und  Vorwiegend  in  negativem  Sinne  besprechenden 
Theil   der  Arbeit   glaubt  Bef.  nicht  näher  eingehen  zu  sollen,  weil,  was  N.  offenbar 


—    26»    — 

ftberedhen,  Sander  selbst  (Zteehr.  f.  Psych.  Bd.  XXXV,  8.  232)  es  ansgesprooben,  dass 
er,  wis  die  Anwendong  des  yon  ihm  eingefQhrton  Ansdmckes  „ori^näre  Yerrftokt- 
heü''  angebe,  zweifle,  ob  er  beute  denselben  noch  fQr  die  betreffenden  Fälle  anwen- 
den wfirde,  yiellmebt  würde  er  gerade  fAr  die  von  ihm  skizzirten  Falle  die  Bozeich- 
nnng  „prim&re  YerrftektheiV  anwenden  und  fOr  andere  das  Wort  „originär" 

A.  Pick. 

Therapie. 

17)  Hote  on  nitroglycerlne  in  epllepsy,   by  W.  Osler.    (Joum.  of  nerv,  and 
ment.  disease.  1888.  XY.  p.  38.) 

Verf.  bat  in  19  Fällen  von  Epilepsie,  in  denen  ßromsalze  versagten,  Nitro- 
glycerin angewendet  und  zwar  in  1^/^^  Lösung  oder  in  Pillen  zu  Ofi  Milligramm. 
Eine  Wirkung  auf  die  Krämpfe  ist  erst  zu  erwarten,  wenn  sieb  die  ersten  IntoxL- 
cationserscheinungen:  Gesicbtscougestion,  Kopfschwere,  Kopfschmerz  etc.  einstellen^ 
d.  h.  nach  einer  individuell  sehr  verschiedenen  Dosis  von  1,2 — 4,8  Milligramm.  Eine 
wesentliche  Besserung  ist  nicht  selten  erreicht  worden,  doch  war  die  Wirkung  ge- 
wöbnlicb  vorübergehend  und  Yerf.  giebt  sich  selbst  keinen  grossen  Illusionen  hin, 
indem  er  Nitroglycerin  für  diejenigen  Patienten  empfiehlt,  bei  denen  Bromsalze 
wirkungslos  sind  oder  zu  versagen  anfangen.  Sommer. 


18)  On  oil  of  Gaulthtria  and  Salol  in  rheium^tism  of  nerw9«  anA  nmfolee, 
by  F.  X.  Derkum.  (Journal  of  nervous  and  mental  disease.  1888.  XY,  p.  33,) 

Kurz  dahin  zueammenxnfaaeen,  daas  bei  allen  rheumatiscben  Erkrankungen  Ganl« 
theria^l,  S— ^stfindlich  so  10 — 20  Tropfen,  hfilfreioh  ist.  Ymrf.  entsohlieset  sich 
zu  anderen  Salicylmedioationen  nur  ausDahmsweise,  um  einmal  abanwechseln,  und 
halt  Salol  und  salicylsaures  Natron  f&r  weniger  wirkMun.  Die  subjectiven  GehArst 
•mpfindonsen  sind  nach  dem  Gefarauoh  des  Gaultheriaöls  fast  ebenso  eemtant,  wie 
M  anderen  PrftpiuAten  dieser  Gmppe.  Sommer. 


m.  Aus  den  GosoUscliaftexi. 

Berliner  GeseUsohalt  für  Psychiatrie  nnd  Nervenkrankheiten.   Sitzung  von 

9.  April  1888. 

Herr  Moll:  über  Hypnotismos,  mit  Demonstrationen. 

Weil  man  sehr  h&nfig  verkennt  oder  ansser  Acht  Iftsst,  dass  die  Hypnose  ein 
rein  psychischer  Znstand  ist,  dessen  leichteste  Formen  üebergänge  aus  dem  nor- 
malen wachen  Zustande  in  den  pathologischen  darstellen,  so  ist  man  vielfach  geneigt, 
diese  leichten  Formen  fflr  Simnlation  zn  halten.  Dies  erklärt  gewisse  Yersdiieden- 
heiten  der  Ansichten.  So  giebt  z.  B.  Mendel  an,  dass  das  Eii^schen  des  Bewnsst- 
seins  nnd  Amnesie  fCür  die  Dauer  des  hypnotischen  Zustandes,  femer  die  Flexibilitas 
eorea  der  Muskulatur  in  einem  die  physiologischen  Yerhältnisse  dberschreitenden 
Maasse,  daes  auch  die  Anästhesien  tu  den  gewöhnlichen  Symptomen  der  Hypnose 
gehörten.  Dem  gegenüber  erklärt  Moll  diese  Dinge  für  seltene  Yorkommnisse,  die 
8ich  wohl  bei  schweren,  aber  nicht  bei  der  Mehrzahl  der  leichten  Fälle  finden.  Gerade 
auf  die  leichteren  Fälle  aber  mnss  das  Studium  dieses  interessanten  Znstandes  ge- 
richtet sein;  freilich  gehört  viel  Uebnng  nnd  Erfahrung  dazu,  um  sich  vor  Täuschungen, 
vor  Simnlation  zu  schfitzen.  Die  Sache  liegt  so,  dass  einerseits  fOr  den  Einzelfall 
kein  objectiver  Beweis  daffir  zu  ftthren  ist,  dass  es  sich  nicht  um  Simulation  handele, 
dass  andererseits  aber  der  üntersucher  für  sich  selbst  genflgende  Sicherheit  erlangen 
kann.  Leider  ist  es  nicht  möglich,  wie  der  Yortragende  ausffthrt,  ein  bestimmtes 
Bomatisehes  Zeichen  ffir  den  Hypnotismus  anzugeben,  keines  ist  pathegnomomscb, 
ond  in  den  leichten  IWen  emd  somatische  Symptome  ftberhanpt  selten. 


—    270    — 

M.  demonsiarirt  hierauf  die  hypnotiBchen  Erscheinungen  an  einer  Reihe  von  Per- 
sonen, welche  er  schon  wiederholt  hypnotisirt  hat.  M.  combinirt  zur  Erzeugung  des 
hypnotischen  Schlafes  die  Fixation  eines  Punktes  mit  der  Suggestion  („Schlafen  Sie, 
Sie  werden  jetzt  müde''  u.  s.  w.),  und  mit  raschem  Erfolge.  Er  entwickelt  und  zeigt 
dann  die  kataleptischen  Symptome,  welche  er  definirt  als  WiUensrichtung  des  Hyp- 
notisirten,  diejenige  Stellung  der  Glieder  und  des  ganzen  Körpers  inne  zu  halten, 
welche  ihnen  vom  Uypnotismus  gegeben  ist.  Unmögliches  kann  hierbei  natürlich 
nicht  geleistet  werden,  die  erhobenen  Arme  sinken  nach  einiger  Zeit;  bei  einer  Hemi- 
paretischen  sank  der  paretische  Arm  bedeutend  früher  als  der  gesunde;  aber  ein 
Individuum  hat  einmal  24  Minuten  lang  die  Arme  hoch  gehalten  u.  s.  w.  —  Der 
passive  Widerstand  gegen  Aenderung  der  Haltung  ist  verschieden,  manchmal  gering. 
—  Die  Dauer  der  Katalepsie  föllt  wohl  auch  einigermaassen  zusammen  mit  der 
Dauer  der  Suggestion  selbst:  wenn  der  ursprüngliche  Eindruck  aus  dem  Gedachtniss 
schwindet,  verliert  sich  auch  die  kataleptische  Starre,  denn  die  Katalepsie  ist  eine 
blosse  Suggestionserscheinung.  —  Augenschluss  ist  für  die  Katalepsie  nicht  unbedingt 
nöthig. 

Bisweilen  geben  die  Hypnotisirten  nachträglich  an,  sie  hätten  simulirt,  folgen 
aber  in  jeder  neuen  Sitzung  wieder  den  Anweisungen  des  Hypnotiseurs.  Sie  gestehen 
zuletzt,  sie  könnten  nicht  anders,  obwohl  sie  nachtraglich  in  der  Erinnerung  die 
Empfindung  haben,  als  hätten  sie  es  freiwillig  gethan.  —  Das  Bewusstsein  ist  eben 
oft  mehr  oder  weniger  gut  erhalten,  bisweilen  freilich  ist  es  erloschen. 

M.  demonstrirte  sodann  suggerirte  Hallucinationen.  Von  zwei  Personen,  die 
beide  auf  die  Frage:  Sehen  Sie  den  Löwen,  der  hier  auf  Sie  loskommt?  mit  „Ja'' 
antworteten,  blieb  die  eine  ruhig  sitzen,  die  andere  sprang  erschreckt  auf.  Letztere, 
ein  ungemein  suggestibler  Mann,  liess  sich  suggeriren  Napoleon,  Friedrich  der  Grosse, 
ein  Frosch,  eine  Katze,  ein  Teppich  zu  sein  und  nahm  dementsprechende  Gesten  und 
Bewegungen  resp.  Stimmäusserungen  an. 

M.  macht  darauf  aufmerksam,  dass  man,  um  unliebsame  Folgen,  anhaltenden 
Schlaf,  Eingenommensein  des  Kopfes  und  andere  postsuggestive  Zustande  zu  yermeiden, 
die  Hypnotisirten  vollkommen  munter  machen  müsste.  M.  sagt  ihnen  vor  dem  Er- 
wachen „Sie  werden  aufwachen  und  vollkommen  wohl  und  munter  sein. 

Die  Demonstrationen  waren  entschieden  gut  gelungen,  ohne  doch  —  wie  M. 
selbst  ausgeführt  hatte  —  auf  Dritte  einen  eigentlich  beweisenden  objectiven  Eindruck 
zu  machen.  Hadlich. 

Londoner  neurologisohe  Gtesellsohaft.     Sitzung  vom  7.  Juli  1887. 

Musoular  Hyi>ertonioity  in  paralysis,  Vortrag  von  Hughes  Bennett  und 
Discossion.     (Brain.  1888.  Januar,  p.  289.) 

Der  Vortragende  beschreibt  zunächst  ein  nach  seiner  Ansicht  selbständiges  und 
eigenartiges  Krankheitsbild,  das  er  hypertonische  Parese  resp.  Paralyse  nennt  und 
folgendermaassen  charakterisirt:  Motorische  Schwäche,  besonders  der  unteren,  in  ein- 
zelnen Fällen  auch  der  oberen  Extremitäten.  Meist  Paraparese  der  Beine,  doch  kann 
sich  die  Schwäche  auch  nur  in  einem  Beine  entwickeln.  Hochgradige  Erhöhung  der 
idiomusculären  mechanischen  Erregbarkeit  und  der  Sehnenreflexe:  manchmal  bis  zum 
Patellar-  oder  AchiUessehnenclonus,  doch  ist  letzterer  nur  unvollkommen  ausgebildet. 
Nie  eigentliche  Spasmen  oder  Contracturen.  Nicht  selten  Gomplication  mit  Schmerzen  in 
dem  Bücken  oder  in  den  Beinen,  subjectivem  Grefühl  von  Taubheit,  Kopfweh,  psychische 
Depression;  doch  sind  diese  Symptome  in  der  Regel  nicht  vorhanden,  also  keine 
wesentlichen  Bestandtheile  der  Krankheit  und  man  muss  dasselbe  von  ähnlichen 
Krankheitsbilderu  bei  Neurasthenie  und  Hysterie  trennen.  Die  Patienten  stehen  im 
Alter  von  20 — 40  Jahren.  Die  Symptome  können  sich  langsam  oder  plötzlich  ent- 
wickeln, nach  längerem  oder  kürzerem  Bestehen  langsam  oder  plötzlich  vollständig 
schwinden;   der  Vortragende  hat  sie  auch  ohne  jede  Aenderung  jahrelang  bestehen 


—    271     — 

sehen,  oder  auch  ein  allmähliches  SchlimmerweFden  der  Symptome  beobachtet,  niemals 
aber  den  Uebergang  in  eine  schon  organische  Entartung  des  Bfickenmarkes.  Er  stellt 
das  Krankheitsbild  in  Bezog  auf  seine  klinischen  Symptome,  seine  Aetiologie,  seine 
ev.  pathologische  Anatomie  (organisch  oder  fnnctionell?)  etc.  zur  Discossion. 

Im  zweiten  Theile  konunt  er  dann  auf  die  Ursachen  der  erhöhten  Sehnen-  und 
M  nskeiphaenomene  selber  za  sprechen.  —  Er  h&lt  die  Erhöhung  beider  für  in  glei- 
chem Maasse  bedingt  durch  eine  Erhöhung  des  musculären  Tonus:  dieser  sei  stets 
erzengt  durch  eine  Uebererregbarkeit  der  Vorderhomganglien ,  die  zugleich  die  Ur- 
sache der  motorischen  Schwäche  sei  Diese  Uebererregbarkeit  kann  1.  direct  an  Ort 
und  Stelle  erzeugt  sein  (Strychnin),  2.  von  peripherischen  Nervenreizen  und  zwar 
sensiblen  (Uebererregbarkeit  mit  Schwäche  bei  peripherischen  Läsionen  der  Extremi- 
täten, Tetanus  (?)  sog.  ascendirender  Neuritis)  oder  motorischen  (Ueberermfidung) 
zum  Centralorgane  fortgeleitet  sein,  oder  3.  durch  eine  Affection  der  Pyramidenbahnen 
¥on  der  motorischen  Binde  bis  zu  den  Vorderhömem  herrorgerufen  sein.  In  letzterer 
Hinsicht  weist  Verf.  die  Theorie  des  hemmenden  resp.  controlirenden  Einflusses  des 
Grofishimes  und  die  Theorie  des  durch  Hirn-  und  Pyramidenbahnerkrankungen  her- 
beigefahrten  überwiegenden  Einflusses  des  Kleinhirnes  (Hughlings  Jackson)  mit  im 
Original  nachzulesende  Gründen  zurück.  Am  besten  passt  nach  ihm  noch  die  fran- 
zösische Theorie  der  absteigenden  Degeneration  der  Fyramidenbahnen,  die  sich  dynamisch 
auf  die  Vorderhomganglien  fortsetzt:  nur  erweitot-t  er  sie  dahin,  dass  auch  nutritive 
Störungen  dieser  Bahnen  dasselbe  Symptom  hervorrufen  können.  Damit  wäre  das 
Symptom  bei  allen  organischen  Läsionen  der  Fyramidenbahnen,  sowohl  für  die  firüh- 
zeitigen  (nutritiv)  wie  fDr  die  tardiven  (degnerativ)  Contracturen ,  und  auch  für  die 
Bennett'schen  Fülle,  wie  der  Autor  sie  aufl^asst,  erklärt:  für  die  mit  Neurasthenie  und 
Hysterie  verbundenen  Fülle,  nimmt  er  dann  noch  an,  dass  die  supponirten  Ernährungs- 
störungen in  den  Pyramidenbahnen  nicht  nur  von  den  motorischen,  sondern  auch  von 
rein  psychischen  Theilen  der  Binde  ausgehen  könnten. 

Diflcussion. 

Hughlings  Jackson  hält  nach  einer  im  Original  nachzulesenden,  beachtens- 
werthen  Auseinandersetzung  über  den  Missbrauch  des  Wortes  „functionell''  seine  An- 
sicht, dass  die  Erhöhung  der  Sehnenreflexe  und  des  Muskeltonus  bedingt  sei  durch 
die  mangelnde  Controle  des  Grosshimes,  sowie  durch  den  von  Seiten  des  Grosshimes 
auch  mehr  balancirten  Einfluss  des  Kleinhirnes,  aufrecht,  obgleich  er  selber  anerkennt, 
dass  diese  Theorie  viele  AngrifG^punkte  biete.  Die  geistreichen  Bemerkungen  des 
Redners  über  den  Antagonismus  zwischen  Gross-  und  Kleinhirn,  sowie  über  die  Patho- 
genese der  Paralysis  agitans  verdienen  ebenfalls  im  Original  nachgelesen  zu  werden. 

Buzzard  erkennt  zunächst  das  Kiankheitsbild  Hughes  Bennetts  an,  und  wenn 
man  es  auch  meist  den  functionellen  (neurasthenischen  oder  hysterischen)  Krankheits- 
formen zurechnen  müsse,  so  habe  doch  auch  er  Fälle  gesehen,  bei  denen  er  sich  der 
Ansicht  nicht  verschliessen  könne,  dass  es  sich  um  eine  rasch  in  Heilung  verlaufene 
Seitenstrangsderose  gehandelt  habe.  Er  polemisirt  dann  gegen  die  Auffassung  der 
Identität  zwischen  Sehnenreflexen  und  Muskeltonus;  bei  Tabes  seien  erstere  und 
letztere  nicht,  bei  amyotrophischer  Lateralsclerose  letzterer  und  erstere  nicht  ver- 
nichtet Auch  könne  die  Erhöhung  beider  nicht  in  allen,  und  speciell  nicht  in  den 
Bennett'schen  Fällen  auf  eine  Uebererregbarkeit  der  Yorderhomganglien  bezogen 
werden,  da  nach  seinen  Erfahrungen  in  diesen  Fällen  die  Haut-  und  speciell  die 
Plantarreflexe  vermindert  seien.  Als  differentaldiagnostisches  Moment  zwischen  orga- 
nischen und  functionellen  spastischen  Paresen  glaubt  er  die  Thatsache  verwerthen 
zu  können,  dass  bei  letzteren  auch  in  den  oberen  Extremitäten  die  Erhöhung  der 
Sehnen-  und  Muskelerregbarkeit  von  Anfang  an  vorhanden  sei,  bei  ersteren  erst  wenn 
auch  hier  deutliche  Paresen  nachzuweisen  wären:  ebenso  könne  natürlich  eine  vor- 
handene Sehnervenatrophie  die  Entscheidung  bringen. 

Ferrier   ist  in  Bezug  auf  den  Zusammenhang  zwischen  erhöhtem  musculären 


—    272    — 

Toaofl  und  erhöhten  dehnenreflezen  ganz  der  AiiBicht  des  Vortragenden.  Er  betont 
die  Wichtigkeit  der  Erfahrung,  dass  erhöhte  Patelkrreflexe  and  AehiUeaBehnenclonns 
nidit  ohne  weiteres  auf  organische  Krankheiten  hindeuten.  Im  flbrigen  glaubt  er,  dass 
die  grosse  Mehrzahl  der  Fälle  doch  wohl  zugleich  an  Yerandeningen  der  Stimmung 
(emotional  instability)  litte  und  deshalb  wohl  der  Neurasthenie  resp.  Hysterie  zuge- 
rechnet werden  müsste.  Dafür  spräche  auch  der  Wechsel  und  die  Inconstanz  der 
Symptome,  besonders'  in  Bezug  auf  die  Sehnenreflexe.  (Referent  kann  sich  nach 
seinen  Erfahrungen  dieser  Ansicht  Ferriers  nur  anschliessen.  Derselbe  hat  mehrere 
F&Ue  des  Yon  Bennett  skizzirten  Krankheitsbildes  gesehen^  aber  alle  die  betreffenden 
Patienten  litten  zugleich  an  neurastheniscben  resp.  hysterischen  Erscheinungen,  die 
über  die  eigentliche  Grundlage  der  Krankheit  keinen  Zweifel  liessan.  Das  Yorkommim 
erhöhter  Sehnenrefleace,  spedell  auch  des  Achillessehnenclonus  bei  diesen  Neurosen  ist 
öbrigens  in  Deutschland  wohl  bekannt  und  z.  B.  von  Oppenheim  besonders  hervor- 
gehoben worden.  Dabei  ist  es  nicht  die  Inconstanz  z.  B.  des  Achillessehnenclonus,  die  ja 
unter  anderen  auch  bei  Druckläsionen  des  Hals-  resp.  Dorsalmarkes  vorkommen  kann, 
sondern  die  auch  von  Bennett  urgirte  unvollkommene  Ausbildung  dieser  Symptome, 
die  Beschränkung  auf  einige,  höchstens  vielleicht  ein  Dutzend  Oontracturen  der  Waden- 
musculatur  gegenüber  der  fast  unbegrenzten  Fortsetzung  des  Olonns  bei  organischen 
Läsifmen,  die  nicht  selten  bald  die  diagnostischen  Zweifel  zerstreut.  Es  soll  dabei 
nicht  geläugnet  werden,  dass  die  betreffenden  Kranken  dauernd  oder  vorübergehend 
so  frei  von  allgemeinen  nervösen  Symptomen  sein  können,  dass  die  Diagnose  zwischen 
fonotioneller  oder  organischer  Erkrankung  eine  Zeit  lang  in  suspenso  bleiben  moss; 
auch  in  dieser  Beziehung  hat  Beferent  längere  Zeit  einen  Fall  beobachtet,  in  dem 
die  Sache  noch  durch  die  Einseitigkeit  des  Achillesphänomens  erschwert  war.) 

Dontrin  will  nicht  selten  Uebergang  dieser  Fälle  in  organische  Lateralsderose 
gesehen  haben. 

Haie  White  weist  auf  die  von  Dr.  Fogge  beobachteten  Heilerfolge  der 
Galabarbohne  bei  spastischer  Paralyse  hin.  Organische  Seiten«itrang8Bcl<H'0Be  unter- 
scheide sich  von  den  BennetVschen  Fällen  durch  das  gradweise,  reraissionalose  Fort- 
schreiten, durch  späte  Betheiligung  der  Arme,  durch  event.  Urincontinenz  und  Opticas- 
atrophie  (im  letzteren  Falle  handelt  es  sich  doch  wohl  um  multiple  Sderose  und 
diese  macht  oft  erhebliche,  wenn  auch  wohl  nie  vollständige  Remissionen.    Ref.). 

Ben  nett  freut  sich  constatiren  zu  können,  dass  sich  gegen  das  von  ihm  aufjge« 
stellte  Krankheitsbild  ein  ernsterer  Widerspruch  nicht  erhoben  habe.  Bnzzard*s 
Angaben  über  die  Unterscheidung  zwischen  organischer  und  functioneller  spastischer 
Paralyse  dürften  wohl  nicht  genügen.  Auf  den  Haupteinwand  Ferrier*8,  nämlich 
die  Zugehörigkeit  seines  Krankheitsbildes  zu  den  bekannten  Neurosen,  Neurasthenie 
und  Hysterie,  geht  er  nicht  ein.  Gegen  seine  Erklärung  der  Erhöhung  des  Tonus 
sei  nur  Jackson  aufgetreten;  derselbe  habe  aber  von  seiner  Theorie  selbst  erklärt, 
dass  sie  sehr  angreifbar  sei,  was  B.  auch  von  der  seinigen,  nur  im  geringeren  Maasse, 
zugäbe.  Gegen  die  Einwürfe  Buzzard's  erwidere  er,  dass  man  zwischen  einer  idio- 
mnsculären  Zuckung  des  Muskels  nach  plötzlicher  Dehnung  seiner  Fasern,  nach 
Rttzung  seines  motorischen  Nerven  und  bei  direct  erhöhter  musculärer  Erregbarkeit 
unterscheiden  müsse.  Die  erstere  sei  bei  Tabes  zugleich  mit  den  Sehnenreflexen 
erloschen,  die  zweite  vorhanden,  nicht  selten  sogar  erhöht;  die  letzte  finde  sich  bei 
degenerativen  Vorgängen  im  Muskel,  z.  B.  bei  Poliomyelitis.  Bruns. 


Vn,  CongresB  für  innere  Medioin 

(9.— 14.  April  zu  Wiesbaden). 
Original -Bericht  von  Dr.  Benno  Laquor,  pr.  Arzt  in  Wiesbaden. 

1.  Nachmittagssitzung.    Prof,  Adamkiewicz   (Erakau):    Ueber  oombinirte 
O^genoir^tiQA  a«a  Büokmmarka. 


—    278    — 

Fdr  dl«  von  Friedreich  zuerst  beecbriebene  sogen,  hereditäre  Ataxie  hatte 
dieser  Autor  als  anatomische  Grandlage  Veränderungen  im  Kückenmarke  aufgefunden, 
die  sieh  susammensetzten  einerseits  aus  der  der  Tabes  eigenthamlichen  grauen  De- 
generation der  Hinterstrange  und  andererseits  aus  Entartungen,  die  bald  nur  die 
Seiten-,  bald  Seiten-  und  Vorderstränge  betrafen.  Die  mannigfachen  Erklärungen, 
die  man  dieser  seit  Friedreich  öfters  beobachteten  Krankheitsform  gab,  gipfelten 
darin,  dass  man  die  Degeneration  in  seitlichen  Partieen  des  Kückenmarkes,  zum  Theil 
als  secnndäre  Folgen  der  Tabes,  Fortkriechen  des  Processes  von  den  Hintersträngen 
auf  die  Seitenstränge  in  der  Substanz  (Friedreich)  oder  auf  dem  Wege  der  Pia 
(Bchnltze,  D^j^rine),  zum  Theil  als  von  der  Tabes  unabhängige  Erkrankungen  der 
in  den  Seitensir&ngen  gelegenen  Systeme  (Pick  und  Kahler)  ansah.  Westphal 
hat  nnn  187S  auf  Grund  seiner  Untersuchungen  über  diese  Krankheit,  die  er  die 
„combinirte  Degeheraüon''  zu  nennen  vorschlug,  die  Ansichten  der  Autoren  über  die 
Entstehung  dieser  Degenerationen  für  nicht  stichhaltig  erklärt  und  selbst  folgende 
Möglichkeiten  angenommen: 

Da  bei  der  combinirten  Degeneration  die  Seiten-  resp.  die  Vorderstränge  meist 
in  Form  einer  „Kandzone"  zu  Grunde  gehen,  so  müsste  man  annehmen,  dass  diese 
Bandzone  entweder  mit  der  Vertheilung  von  Blutgefässen  oder  von  Binde- 
gewebe in  Zusammenhang  stehen,  oder  der  Ausdruck  sei  einer  Gruppe  von  Nerven, 
die,  obwohl  zu  verschiedenen  Systemen  gehörend,  vielleicht  durch  gemeinschaftliche 
Genien  fnnctionell  zusammen  gehalten  wurden. 

Die  Untersuchung  des  Vortragenden  über  die  Circulations- Verhältnisse  im  Bücken- 
marke  haben  nun  erwiesen,  dass  es  zwei  Kategorien  von  Eraährungsbezirken  im 
Kückenmarke  giebt.  Der  eine  entspricht  einem  kreisfSrmigen  Feld,  welches  das 
Centmm  des  Bückens  speciell  den  grössten  Theil  der  grauen  Substanz  einnimmt. 

Es  ist  der  Bmährungsbezirk  der  Arteria  sulci,  die  andern  Kategorien  dieser 
Bezirke  bestehen  aus  keilförmigen  Feldern,  deren  Basen  an  der  Bückenmarksperipherie 
liegen  und  die  mit  den  Spitzen  nach  der  grauen  Substanz  hin  convergiren. 

Jeder  dieser  Bezirke  wird  von  einem  Gefässchen  der  Vasa  vasorum  versorgt.  — 
Einen  der  Bandzone  entsprechenden  Emährungsbezirk  giebt  es  also  nicht.  Folglich 
kann  die  Kandzone  bei  der  combinirten  Degeneration  weder  durch  den  Verlauf  der 
Blutgefässe  noch  durch  denjenigen  des  Bindegewebes,  da  dieser  mit  dem  der  Blut- 
gefässe übereinstimmt,  bedingt  sein. 

Dagegen  läset  sich  nachweisen,  dass  die  Kandzone  einer  gewissen  Gruppe  von 
Nerven  entspricht.  Zunächst  beruht  die  Krankheit  dieser  Zone  auf  primär  in  den 
Nerven  ablaufenden  Veränderungen,  wie  Vortragender  durch  seine  Safhinintinction 
nachweisen  konnte.  Bildeten  die  Blutgefässe  oder  das  Bindegewebe  den  Ausgangs- 
punkt der  Krankheit,  so  müsste  dieselbe  auf  interstitiellen  Veränderungen  des  Bandes 
bernhen. 

Dann  aber  konnte  A.  die  Existenz  besonderer  neben  den  Systemen  im  Bücken- 
mark vorhandener  Nervengrnppen,  von  denen  eine  der  Bandzone  entspricht,  auf  zwei- 
fache Weise  darthun. 

1.  Durch  Untersuchung  kranker  Rückenmarke  und  2.  durch  Tinction  normaler. 

Es  kommen  scharf  gezeichnete,  symmetrisch  gelagerte  Degenerationen  vor,  die 
nach  Form  und  Lage  als  der  Ausdruck  präformirter  Nervengruppen  angesehen  werden 
müssen;  in  den  Bnrdach*schen  Strängen  haben  sie  die  Gestaltung  eines  S*.  Sie  sind 
nachweislich  die  primären  Heerde  gewisser  Fälle  von  Tabes. 

In  den  Seiten-  und  in  den  Vorder -Strängen  liegen  sie  entweder  in  der  Nähe 
der  grauen  Substanz  und  haben  annähernd  elliptische  oder  kreisförmige  Contouren. 

Sie  wurden  in  Fällen  beobachtet,  die  unter  dem  Bilde  der  Heerdsderose  ver^ 
liefen  ^  —  oder  sie  traten  in  der  Gestalt  der  Kandzone  auf  —  in  Fällen  sog.  com- 


1  Adamkiewioz,  Die  Degeneration  des  KückenmarkB.    Stuttgart,  1888.    Enkc. 


—    274    — 

binirter  Degeneration.  Aehnliche  Gruppen  konnte  Vortragender  schon  früher  mittels 
Safranin  und  der  Methjlenblautinction  in  normalen  Bückenmarken  nachweisen.  Er 
hatte  diese  Gruppen  die  chromoleptiscben  Partieen  des  Bückenmarks  genannt 

Ueberall  wo  diese  Partieen  erkranken  (Tabes,  Heerdsclerose,  combinirte  Degene- 
ration) geht  die  Krankheit  direct  und  primär  von  den  Nerven  aus.  Daher  hält  A. 
es  für  angezeigt,  die  Krankheiten  der  chromoleptiscben  Partieen  gegenüber  denjenigen 
der  Systeme,  die  meist  in  Folge  von  Trennungen  von  ihren  Centren  (secundare  De- 
generation) zu  Grunde  gehen,  als  „primäre  Degeneration''  zu  bezeichnen. 

Da  sich  nun  die  Bandzone  als  eine  „chromoleptische  Partie*'  jenen  Heerden 
dicht  anschliesst,  deren  Degeneration  klinisch  das  Bild  der  Heerdsderose  hervorbringt, 
und  da  that sächlich  die  Symptome  der  sog.  combinirten  Degeneration  denen  der 
Heerdsderose  gleichen,  so  dürfe  man,  meint  A.,  die  sog.  combinirte  Degeneration, 
d.  h.  die  Verbindung  der  Tabes  mit  der  Banddegeneration,  zur  Heerdsderose  z&hlen. 

Als  wahre  combinirte  Degeneration  präsentiren  sich  dagegen  diejenigen  Fälle, 
in  welchen  primäre  und  secundare  Degenerationen  d.  h.  Erkrankungen 
der  chromoleptiscben  Partieen  und  der  Systeme  vorkommen. 

Zu  diesen  Fällen  gehört  zunächst  die  Tabes;  bei  derselben  verbindet  sich  die 
Degeneration  der  F-Fdder  (primäre  Degeneration)  mit  der  Degeneration  der  Goll'schen 
Stränge  (secundare  Degeneration). 

Da  hier  beide  Degenerationsformen  in  einem  Strangpaare  verlaufen,  nennt  A. 
diese  Form  der  combinirten  Degenerationen  die  monofasciculäre.  Eine  solche 
Vereinigung  von  primärer  und  secundärer  Degeneration  kann  auch  in  den  Seiten- 
Strängen  stattfinden.  Vortragender  berichtet  über  einen  solchen  Fall  und  beschreibt 
die  betreffenden  anatomischen  Veränderungen  im  Bückenmark. 

Der  monofasciculären  stellt  er  die  bifasciculäre  Form  der  combinirten  Degeneration 
gegenüber.  Er  versteht  darunter  diejenige  Form  derselben,  bei  der  primäre  und 
secundfire  Degenerationen  in  Strangpaaren  vorkommen  und  weist  nach,  dass  in  dieser 
Hinsicht  folgende  Combinationen  bekannt  sind: 

Tabes  mit  Degenerationen  der  Pyramiden-  und  der  Kleiuhimseitenstrangbahnen, 
Tabes  mit  Degeneration  der  Pyramiden-Bahnen  allein,  und  endlich 
Tabes  mit  Degeneration  der  Kleinhimseitenstrangbahnen  allein. 

Einen  in  die  letzte  Kategorie  gehörigen  Fall  hat  A.  selbst  beobachtend  beschrieben.  ^ 

Allen  diesen  Combinationen  drückt  der  scharf  geschiedene  Grundcharacter  der 
beiden  sie  zusammensetzenden  Degenerationsformen  auch  den  eigenthümlichen 
klinischen  Stempel  auf. 

Alle  secundären  Degenerationen  beschränken  sich  genau  auf  die  Grenzen  der 
Systeme.  Die  primäre  Degeneration  dagegen  (Tabes  Heerdsderose)  sind  in  hohem 
Grade  expansiv. 

Die  Combinationen  beider  vereinigen  daher  auch  die  Eigenthümlichkeiten  beider 
Degenerationsformen:  die  durch  den  Untergang  des  Systems  bedingten 
Functionsstörungen  mit  dem  progressiven  Charakter  der  primären  De- 
generationen. 

Lebhafter  Beifall  folgte  dem  Vortragenden,  der  durch  Bilder  von  Bückenmark- 
schnitten  seine  Ausführungen  unterstützte.    Discussion  fand  nicht  statt. 

Professor  Unverricht  (Jena):   Ueber  experimentelle  Unterauohungeii  über 

den  MechaniBmus  der  Athembewegongen. 

Die  Innervation  der  Athembewegungen  ist  noch  Gegenstand  lebhafter  Discus- 
sionen.  Während  man  früher  allgemein  der  Ansicht  war,  dass  die  Athembew^ungen 
ausschliesslich  von  der  Medulla  oblongata  aus  innervirt  würden  (Legallois,  Flou- 
rens),  haben  verschiedene  Forscher  in   neuerer  Zeit  (Bokitansky,    v.   Schroff, 

^  A.  a.  O. 


—    276    _ 

Langendorff),  die  Ansicht  vertreten,  da&s  auch  im  Bückenmark  wahre  Aihmen- 
centren  za  finden  sind..  Andererseits  hat  Ghristiani  inspiratorische  and  exspirato- 
rische  Centren  in  den  Seh-  und  Vierhügeln  nachgewiesen. 

Die  ziemlich  naheliegende  Vermuthang,  dass  auch  in  der  Grosshimrinde  Stellen 
forhanden  sein  müssen,  von  denen  aus  die  Athmung  beeinflu8st*wird,  ist  noch  nicht 
weiter  experimentell  verfolgt  worden. 

Unverricht  hat  bei  seinen  Beizversuchen  an  der  Grosshimrinde  des  Hundes 
den  Veränderungen  der  Athemthätigkeit  eine  besondere  Beachtung  geschenkt  und 
dieselben  mit  Hülfe  von  graphischen  Methoden  sorgföltiger  untersucht.  Von  den 
Methoden,  die  Athembewegungen  graphisch  darzustellen,  benutzte  Unverricht  haupt- 
sachlich  die  Einführung  einer  Hohlsonde  in  den  Oesophagus,  welche  mit  einer  Marej- 
schen  Schreibkapsel  in  Verbindung  stand.  Zur  Aufzeichnung  der  intrapleuralen 
Drackschwanknngen  construirte  sich  U.  eine  eigene  Canüle,  welche  nach  Art  ge- 
wisser Manschettenknöpfe  sich  in  emen  Intercostalraum  einschrauben  liess  und  dann 
ebenfalls  mit  dem  Marey'schen  Tambour  in  Verbindung  gebracht  wurde.  Die  Nar- 
kose wurde  gewöhnlich  mit  Morphium  ausgeführt,  da  man  von  dem  Chloral,  dem 
Chloroform  und  dem  Aether  weiss,  dass  sie  die  Erregbarkeit  der  Hirnrinde  vernichten. 

Die  Beizung  erfolgte  mit  dem  faradischen  Strome  und  zwar  mit  Stromstarken, 
welche  bei  den  andern  motorischen  Centren  gerade  genügen,  eine  Zuckung  des  be- 
treffenden Muskelgebietes  auszulösen. 

Es  stellte  sich  nun  heraus,  dass  nicht,  wie  gelegentlich  behauptet  worden  ist, 
von  der  ganzen  motorischen  Begion  aus  die  Athmung  beeinflusst  wird,  sondern  dass 
nur  von  einer  ganz  circnmscripten  Stelle  der  Hirnrinde  aus  sich  eine 
deutliche  und  typische  Einwirkung  auf  die  Athembewegung  erzielen 
las  st.  Die  Stelle  liegt  in  der  dritten  äusseren  Windung  Ferriers,  nach  aussen 
vom  Orbiculariscentrum. 

Die  Veränderung  der  Athmung  bestand  in  einer  Verlangsamung  der  Athem- 
bewegungen, so  dass  die  Dauer  der  Athempausen  einfach  verlängert  wurde.  Zeichen 
einer  activen  Exspiration  waren  nicht  wahrzunehmen,  auch  die  Inspiration  zeigte 
meist  keine  wesentliche  Veränderung.  Es  handelte  sich  also  offenbar  um  Hemmungs- 
erscheinnngen,  und  es  fragte  sich,  ob  diese  von  einem  corticalen  Hemmungscentrum 
der  Athmung  ausgingen,  oder  ob  sie  sich  anderweitig  erklären  Hessen.  Die  Annahme, 
dass  es  sich  um  Beiznng  sensibler  Trigeminusäste  handele,  weist  U.  von  der  Hand, 
da  sonst  auch  von  den  übrigen  Bindenpartieen  ähnliche  Wirkungen  zu  Stande  kommen 
müsaten.  Auch  die  Annahme  von  Schiff,  dass  in  der  Hirnrinde  nur  sensible  Ele- 
mente vertreten  sind,  würde  die  Erscheinungen  nicht  erklären,  da  es  dann  ebenfalls 
unverständlich  wäre,  warum  Veränderungen  der  Athemthätigkeit  nur  von  einer  be- 
stimmten Stelle  ans  zu  erzielen  sind. 

Ferrier  hat  gewisse  Erscheinungen,  welche  er  bei  Beiznng  der  Hirnrinde  erhielt, 
als  reflectorische  aufgefasst.  Wenn  er  z.  B.  durch  Beizung  einer  Stelle  Aufrichten 
des  contralateralen  Ohres  und  Seitwärtsbewegnng  der  Augen  beobachtete,  so  erklärt 
er  diese  Erscheinungen  als  reflectorisch  entstanden  durch  Sinnestäuschungen,  welche 
der  electrische  Beiz  hervorruft. 

Auch  U.  bekam  Aufrichten  des  contralateralen  Ohres,  allerdings  von  einer 
Stelle,  die  etwas  hinter  der  Athemstelle  liegt.  Man  könnte  sich  nun  vorstellen, 
dass  zu  den  reflectorischen  Erscheinungen  Ferriers  auch  die  Hemmung  der  Athmung 
gehört  In  Ferriers  Sinne  müsste  man  daher  sagen:  Das  Thier  bekommt  durch 
Beizung  seiner  Hörsphäre  Hallucinationen,  wendet  deshalb  den  Blick  nach  der  andern 
Seite  und  lauscht  mit  gespanntem  Ohr  und  angehaltenem  Athem  auf  die  wunder- 
baren und  ungewohnten  Schallerscheinungen. 

Gegen  diese  Erklärung  wendet  U.  ein,  dass  sie  ihm  zunächst  für  die  Bewegungen 
des  Ohres  nicht  zuzutreffen  scheine.  U.  sah  bei  electrischer  Beizuug  diese  Bewegungen 
in  Krämpfe  übergehen,  ebenso  wie  bei  Beizung  des  Vorderbeincentrums  dessen  Muskel- 


—     276    ^ 

zacknngen  sich  za  Kr&mpfen  ausbilden.  Man  könnte  also  nicht  gat  yon  einem  ,,Cen- 
trum''  der  Vorderpfote  sprechen,  die  ganz  analogen  Erscheinungen  bei  Reizung  der 
Ohrregion  aber  als  reflektorische  auffassen. 

Etwas  der  conyolsiblen  Beaction  ähnliches  sieht  man  übrigens  auch  bei  Beizung 
der  Athemstelle.  In*  vielen  Fallen  dauert  die  Verlangsamung  der  Athembewegungen 
noch  eine  Zeit  lang  nach  Aufhören  des  Reizes  fort,  und  in  anderen  F&Uen  bilden 
sich  langdauemde  Athemstillst&nde  als  Einleitung  eines  Krampfanfalles,  die  man  dem- 
entsprechend als  „Hemmnngskrftmpfe"  bezeichnen  könnte. 

Alle  diese  Beobachtungen  schienen  dafür  zu  sprechen,  dass  die  von  U.  ge- 
fundene Stelle  ein  Hemmungscentrum  darstellte.  Aber  die  Versuche  mit  Chloral- 
injektion  in  die  Venen  haben  diese  Annahme  doch  nicht  gestfltzt,  wenn  sie  auch 
nicht  unbedingt  dagegen  sprechen.  Während  Chloral  die  Erregbarkeit  der  motori- 
schen Centren  vernichtet,  bleibt  der  Effect  auf  die  Athembewegungen  unverändert. 
Unverricht  halt  es  deshalb  nicht  für  ausgeschlossen,  dass  der  Effiect  durch  Reisnng 
von  hemmenden  Nervenfasern  zu  Stande  kommt,  welche  in  diesem  Punkte  besonders 
dicht  zusammenstrahlen,  gerade  so  wie  sich  das  Flourens'scbe  Athemcentrum  der 
Medulla  oblongata  durch  die  Untersuchungen  von  Gierke  als  Bündel  von  Nerven« 
strängen  entpuppt  hat.   Dieselbe  Wirkung  wie  Chloral  übte  auch  die  Aeihemarkose  aus. 

Dass  die  Wirkung  nicht  durch  Stromschleifen  erzeugt  wird,  welche  zu  tiefer 
gelegenen  Gangliengruppen  gelangen,  glaubt  Vortragender  dadurch  ausschliessen  zu 
können,  dass  die  unmittelbare  Nachbarschaft  der  betreffenden  Stelle  keine  Effecte 
ergiebt. 

Eine  Discussion  fand  über  den  sehr  beifällig  aufgenommenen  Vortrag  nicht  statt 

Prof.  0.  Liebreich  (Berlin):  Ueber  looale  Anftsthesie. 

Vortragender  hat  sowohl  selbst  als  unter  seiner  Leitung  Bussenius  sehr  zahl- 
reiche willkürlich  herausgegriffene  Körper  nach  der  alten  sog.  Pelican'schen  Methode 
(Prüfung  mit  der  Nadel  an  Ort  und  Stelle)  auf  ihre  anästhesirende  Wirknng  unter- 
sucht und  gefunden,  dass  ein  Zusammenhang  der  chemischen  Constitution  mit  der 
Wirkung  nicht  besteht;  ausgezeichnete  Wirkung  ergaben  Salmiak,  Eisenchlorid,  die 
ätheriscben  Oele,  besonders  Camillenöl,  welches  auch  die  Cornea  unempfindlich  mache, 
Besorcin,  Hydrochinon  Terebenhydrat,  Natron  amylosulfuricum  etc.  Eine  erschöpfende 
Erklärung  der  Besultate  sei  nicht  möglich,  aber  es  ist  gestattet,  um  die  Versuche 
fortsetzen  und  dabei  gewisse  Kategorien  von  Körpern  bevorzugen  zu  können,  Hypo- 
thesen zu  machen,   von  denen  die  eine  oder  andere  zur  Theorie  heranreifen  dürfte. 

Erstens  ist  die  caustische  Wirkung  nicht  wegzuläugnen,  welche  sich  besonders 
bei  Hydrochinon  (Comealeinwirkung)  nachweisen  lässt;  dieser  ätzende  Einflnss  dürfte 
auf  Nerven^- Stamm  und  -Endigung  verschieden  verlaufen;  bei  letzterer  tritt  eine 
Anästhesie  ein,  während  der  kleine  Nervenstamm  in  einen  gereizten  Zustand  kommt; 
so  entsteht  die  Anaesthesia  dolorosa. 

Zweitens  ist  es  möglich,  dass  bei  einzelnen  Körpern  durch  die  in  Folge  von 
Gewebsanämie  bedingte  Hemmujig  und  Verminderung  des  zu  den  Nervenenden 
gehenden  Emährungsstromes  eine  vorübergehende  Anästhesie  eintritt. 

Drittens  könnte  auch  die  Ernährungsstörung  durch  eine  Art  von  Hyperämie  be- 
dingt sein;  es  wäre  von  grossem  Interesse  in  dieser  Frage,  wenn  die  von  Professor 
Adamkiewicz  für  die  Ganglienzellen  angesprochenen  Vasa  serosa  eine  Analogie  für 
die  Nervenendapparate  zeigen  würden,  weil  mit  Hülfe  dieser  Einrichtung  eine  bessere 
Erklärung  der  Wirkung  centraler  und  peripherischer  Anästhetica  erbracht  werden 
könnte.  Auch  Aqu.  destill,  setzt  subcutan  injicirt  die  Sensibilität  herunter;  sie  wirkt 
dabei  als  mildes  Causticum  (v.  Wittich). 

In  der  Discussion,  welche  an  den  hoch  interessanten  Vortrag  sich  anschloss, 
fragt  Herr  Prof.  E.  Leyden  den  Vortr.,  ob  auch  schon  entsprechende  Versuche  an 
Keuschen  angestellt  worden  seien,  was  Prof.  Liebreich  verneinte. 


—    277    — 

In  der  3.  Yonnittagssitzaiig,  10.  April  (Debatte  über  den  Weingeist  »le 
Heilmittel),  warnte  Hoirath  Nothnagel  (Wien)  davor,  Kinder,  deren  Organismus 
gar  keines  Beizmittels  bedürften,  sohon  vom  2. — 3.  Lebensjahre  an,  wie  es  vielfiich 
Sitte  wäre,  Bier  oder  Wein  bei  Tische  su  geben;  die  heutige  gesteigerte  nervöse 
Erregbarkeit  einer-  und  die  geringe  nervöse  Widerstandsfähigkeit  andererseits  seien 
vielfach  eine  Folge  dieses  frühzeitigen  Missbrauchs  des  Alkohols  bei  Kindern,  denen 
nur  ausnahmsweise,  grundsätzlich  aber  nicht  als  einfaches  Nahrungsmittel,  Wein  etc. 
zugereicht  werden  dürften.  Prof.  Loewenthal  (Lausanne)  bemerkt  femer,  dass  der 
Alkohol  bei  Neurasthenikem  oontraindirt  sei. 

In  der  6.  Nachmittagssitzung  (11.  April)  berichtete  Prof.  Binswanger  (Jena) 
Sxperimentelle  und  kritieohe  Untersuchungen  über  die  Pathogenese  des 
epileptisohen  Anfalls. 

Vortr.  giebt  zuerst  einen  historischen  Abriss  der  modernen  Anschauungen  über 
den  Ausgangspunkt  und  den  Mechanismus  des  epileptischen  Anfalls  (Kussmaul, 
Tenner  und  Nothnagel).  Auf  Grund  dieser  Versuche  und  früherer  Erfahrungen 
der  Pathologie  war  die  Entstehung  des  epileptischen  Anfalls  mittelst  einer  primären 
Erregung  des  vasomotorischen  und  des  von  Nothnagel  gefundenen  Krampfcentrums 
in  dem  verlängerten  Marke  und  der  Brücke  eine  anscheinend  wohl  gesicherte  That- 
sache  geworden.  Seit  Entdeckung  der  cortical  bedingten  Krampfzustände  der  Yer- 
snchsthiere  und  seit  genauerer  anatomischer  Erforschung  bestimmter  Fälle  der  mensch- 
lichen Pathologie,  in  welchem  aus  Heerderkrankungen  der  Grosshimrinde  convulsivische 
Anfalle  entstanden  waren,  ist  aber  diese  „medulläre"  Theorie  stark  erschüttert  worden. 
Ein  Theil  der  Untersucher  bestreitet  ^  schon  heute  auf  Grund  der  Beiz-  und  Exstir- 
pationsversuche  im  Gebiete  der  Grosshimrinde  jeglichen  Antheil  des  verlängerten 
Markes  und  der  Brücke  an  dem  Zustandekommen  und  den  Erampferscheinungen  des 
epileptischen  Anfalls,  Andere  verlegen  ebenfalls  die  Entstehung  der  Bewnsstlosigkeit 
und  den  Ausgangspunkt  der  epileptischen  Convulsionen  in  die  Grosshimrinde  und 
messen  den  tiefergelegenen  infracorticalen  Centraltheilen  nur  eine  secundäre  Bedeu- 
tung am  Krampfbilde  zu. 

Diese  Widersprüche  der  Auffassungen  spiegeln  sich  in  allen  klinischen  Mit- 
theilungen über  Epilepsie  wieder,  sie  dehnen  sich  aber  auch  aus  auf  die  Beurtheilung 
der  verschiedenen  wichtigsten  convulsivischen  Zustände,  die  mit  der  Epilepsie  im 
engeren  Sinne  des  Wortes  nichts  zu  thun  haben.  Eine  Aufklärung  der  bestehenden 
Differenzen  ist  bis  heute  nicht  gegeben  worden;  die  Experimentatoren  der  neueren 
Schule  haben  vorzugsweise,  oder  besser  gesagt,  fast  ausschliesslich  die  corticalen 
Krämpfe  zum  Ausgangspunkte  ihrer  Beweisfühmng  verwandt.  Eine  erneute  genauere 
Durcharbeitung  der  Grundlagen  der  medullären  Theorie  ist  bislang  nicht  ausgeführt 
worden. 

Die  folgenden  Mittheilungen  sollen  eine  solche  darstellen.  Sie  geben  die  Er- 
fahrungen und  Schlussfolgerungen  wieder,  die  aus  Versuchen  an  Kaninchen  gewonnen 
wurden.  Diese  erste  Versuchsreihe  war  noth wendig,  da  die  Grundlagen  der  Unter- 
suchungen Nothnagels  ausschliesslich  an  diesen  Thieren  gemacht  worden  sind. 
Ueber  die  Weiterführung  der  Arbeit  mittelst  Versuchen  an  Hunden  wird  B.  später 
Bericht  erstatten. 

Die  Versuchsanordnung  von  Nothnagel  konnte  nur  in  soweit  beibehalten 
werden,  als  es  sich  zuerst  um  eine  Nachprüfung  der  Ergebnisse  dieses  Autors  han- 
delte; sowohl  die  Stich-  (Beiz)  als  auch  die  Dorohschneidungsversuche  bestätigten 
seine  Ergebnisse,  dass  von  der  Medulla  oblongata  und  der  Brücke  aus  durch  Beizung 
bestimmter  Bezirke  der  Rautengmbe  allgemeine  Convulsionen  des  Bumpfes  und  der 
Extremitäten  erzeugt  werden  k<^nnen,  und  dass  innerhalb  dieses  Grebietes  nur  die 
Brücke  als  centraler  Ausgangspunkt  der  allgemeinen  K6rper-Gonvulsionen,  als  Sitz 
des  Krampfcentmms  zu  betrachten  sei.  Die  Entstehung  der  durch  Reizung  des  Ventrikel- 
bodens  erzielten   Krämpfe  geschieht  auf  dem  Wege  des   Reflexes,  durch  Beizung 


—    278    — 

sensibler  Wnrzeln  nnd  Fortpflanzung  des  reflexerregenden  Reizes  auf  den  Pens. 
Diese  principiellen  Feststellungen  Nothnagels  konnten  bis  auf  geringe  Abweichungen, 
welche  aus  den  folgenden  Sätzen  ersichtlich  sind,  als  gesichert  erkannt  werden.  Des 
Yortr.  Untersuchungen  ffthrten  zu  einer  Reihe  von  Ergänzungen  und  Erweiterungen 
dieser  Ergebnisse  und  insbesondere  zu  einer  genaueren  Erkenntniss  der  physiolo- 
gischen Grundwerthe  derselben.  Um  das  Versuchsfeld  genauer  übersehen  und  um 
weittragende,  unschwer  controllierbare  Nebenyerletzungen  in  diesem  engbegrenzten 
Räume  so  weit  angängig  yermeiden  zu  können,  wurde  die  Rautengrube  durch  Tre- 
panation der  Hintorhauptsschuppe  und  Lüftung  des  Wurms  möglichst  zugängig  ge- 
macht, in  anderen  Versuchen  der  Wurm  abgetragen  und  so  der  Ventrikel  freige- 
legt. Die  Reizung  erfolgte  mittelst  mechanischer  Berührungen  und  oberflächlicher 
Verletzung,  vor  Allem  aber  auch  mittelst  schwächster  faradischer  Ströme  (1  Daniel- 
sches  Element  18 — 21  cm  Rollenabstand).  In  ähnlicher  Weise  wurde  zu  den  Durch- 
schneidungen entweder  der  hintere  Eingang  der  Rautengrube  geöffnet  oder  von  der 
vorderen  grossen  Querspalte  aus,  zwischen  Vierhügel  und  Kleinhirn  der  Durchschnitt 
durch  das  Velum  medulläre  anticum  gemacht.  Bei  all  diesen  Versuchen  ist  eine 
Mitverletzung  des  Kleinhirns  oder  seiner  Stiele  nicht  zu  vermeiden,  zur  Elarstellong 
des  Einflusses  dieser  Reizungen  —  denn  auch  die  Durchschneidungen  wirken  nur  im 
Sinne  intensiver  Reizungen  —  empfahl  es  sich  Controlluntersuchungen  durch  mög- 
lichst isolirte  Durchschneidung  der  Kleinhimstiele  und  nachheriger  Reizung  der 
Meduila  und  des  Pons  auszuführen.  Die  Folgeerscheinungen  der  ersteren  entspringen, 
soweit  nicht  die  Zwangslagen  und  Rollbewegnngen  in  Frage  kommen,  wie  schon  hier 
bemerkt  werden  kann,  denselben  Reizmomenten,  wie  die  Krampferscheinungen  bei 
den  Reizungen  der  Meduila  und  der  Brücke.  Es  harrten  vor  Allem  3  Fragen  der 
Beantwortung.  Welche  Bedeutung  ist  den  motorischen  Reizerscheinungen  beizu- 
messen? Was  lehren  diese  Versuche  über  die  anatomische  und  physiologische  Stellung 
des  Krampfbezirkes,  der  Rautengrube  und  des  Krampfcontrums  in  der  Ponssubstanz? 
Und  welche  Beziehungen  besitzen  diese  medullären  Krampfbilder  zum  epileptischen  Anfall? 
Die  Beantwortung  derselben  lässt  sich,  soweit  die  Versuche  eine  solche  zulassen, 
in  folgende  Sätze  zusammenfassen: 

1.  Im  Boden  der  Rautengrube  liegen  in  den  lateralen  Abschnitten  von  den 
medialen  Abhängen  der  Glava  zum  vorderen  seitlichen  Begrenzungswinkel  des  Ven- 
trinkels  reichend,  eine  Reihe  electrisch  und  z.  Th.  mechanisch  erregbarer  Punkte, 
welche  auf  Reizung  mit  tonischen  Krampfzuständen  des  Rumpfes,  Kopfes  und  der 
Extremitäten  und  compliciteren  Erscheinungen  associirter  Bewegungsformen  der 
Extremitäten  (Lauf-,  Tret-,  Stoss-,  Schlag- -Strampelbewegungen)  antworten.  Die  er- 
regbarsten Stellen,  von  welchen  aus  die  heffcigsten  allgemeinen  Krampferscheinungen 
ausgelöst  werden  können,  liegen  in  den  vorderen  Theilen  dieses  Gebietes. 

2.  Diese  motorischen  Reizerscheinungen  sind  reflectorischer  Art.  Die  Reizstelle 
bilden  die  sensiblen  Trigeminusi^urzeln,  vornehmlich  die  aufsteigende,  vielleicht  ist 
auch  eine  im  seitlichen  Felde  der  Formatio  reticularis  gelegene  sensible  Hauptbahn 
Vermittlerin  dieses  Reizes. 

3.  Die  Reflexcentren  sind  vorzugsweise  in  der  dorsalen  Brückenhälfte  (Hauben- 
theil  des  Pons)  gelegen.  Die  ventrale  basale  Brückenhälfte  ist  an  dem  Zustande- 
kommen dieser  Reflexvorgänge  der  Fovea  anterior  nicht  betheiligt.  Die  obere  Grenze 
dieser  Reflexcentren  ist  basalwärts  nahe  dem  vorderen  dorsalen  Rande  des  Pons. 

4.  Durchschneidungen  der  Brücke  rufen  ausser  für  Oculomotorius  und  Trochle- 
aris,  die  stürmischsten  Reflexactionen  hervor,  vornehmlich,  wenn  durch  den  Schnitt- 
reiz die  erregbarsten  Stellen  getroffen  werden. 

5.  Elektrische  Reizung  der  Schnittfläche  bedingt  allgemeine  Krampfbewegungen, 
wenn  die  Haubenregion  der  Brücke  gereizt  wird,  der  mechanische  Reiz  der  Berührung 
ist  unwirksam. 

6.  Diese  Reflexcentren  der  Brücke  besitzen  die  Bedeutung  einer  Sammelstation 


—    27«    — 

der  NiYeaacentren  des  BfickeBmarks,  sie  dienen  der  Yermittlmig  umfassender  asso- 
ciirter  Bewegungen.  Die  Bezeichnung  ,,Krampfcentrum"  entspricht  sicherlich  der 
physiologischen  Stellung  derselben. 

7.  Es  ist  damit  nicht  ausgeschlossen,  dass  unter  bestimmten  Voraussetzungen 
beim  Vorhandensein  einer  pathologisch  gesteigerten  Erregbarkeit  oder  durch  abnorme 
Reize  die  Erregung  dieser  Centren  za  ausgebreiteten  Erampfbewegungen  führt.  Nur 
in  letzterem  Sinne  kann  die  Bezeichnung  ,,Erampfcentrum"  beibehalten  werden. 

8.  Die  Form  des  Krampfes  ist  diejenige  der  tetanischen  Erregung  und  krampf- 
hafter Steigerung  der  associirten  Muskelbewegungeu  des  ganzen  Gliedes. 

9.  Es  gelingt  niemals,  weder  durch  electrische  noch  mechanische  Reizung  von 
der  Brücke  aus  wahre  epileptische  Anfalle  auszulösen.  — 

Prof.  Nothnagel  bemerkt  in  der  Discnssiou,  dass  er  vor  14  Jahren  einige 
Vorsicht  gegenüber  der  Himrindentheorie  empfohlen  habe;  nunmehr  stehe  nach  N.'s 
Meinung  fest,  dass  man  Epilepsie  von  der  Rinde  aus  erregen  könne,  dass  man  aber 
nicht  alle  die  verschiedenen  Epilepsie-Formen  von  der  Rinde  aus  ableiten  dürfe.  Die 
B.'schen  Versuche  würden  die  Wissenschaft  einen  wesentlichen  Schritt  weiter  in  der 
Erklärung  des  epileptischen  Insaltes  bringen. 

Prof.  Unverricht  betont,  dass  Kaninchenversuche  nur  mit  Vorsicht  auf  den 
Menschen  übertragbar  seien.  Beim  Kaninchen  trete  bei  der  Verletzung  des  Gehirns 
nicht  wie  beim  Menschen  dauernde  Lähmung  ein;  Versuche  an  Afifen  würden  am 
idealsten  sich  präsentiren.  Seiner  Ansicht  nach  habe  die  durch  Rindenreizung  er- 
zengte Epilepsie  die  grösste  Aehnlichkeit  mit  der  menschlichen  Epilepdie. 

In  der  7.  Sitzung  sprach  Prof.  A.  Cantani  (Neapel):  über  die  Verbreitung 
des  Wuthgiftes  längs  der  Nerven  und  Pasteur's  Sohutsimpfungen.^ 

Die  Zweifel  über  die  Wirksamkeit  der  Pasteur*schen  Schutzimpfungen  schienen 
durch  von  Prisch's  Versuche  von  Einführung  des  Wuthvirus  unter  die  Hirnhaut  der 
Versachs-Thiere  nicht  bestätigt,  und  der  Vorwurf,  die  Pasteur'scho  Schutzmethode 
entbehre  jeder  experimentellen  Basis,  wie  derselbe  von  vielen  Seiten  erhoben  worden, 
durch  jene  Experimente,  die  das  Virus  den  Centralorganen  so  nahe  brachten,  nicht 
begründet. 

Die  im  Laboratorium  der  C.'schen  Klinik  zur  Klärung  der  Frage  unternommenen 
und  von  seinem  Assistenten  Hm.  Dr.  di  Vestea  mit  Hm.  Zagari  im  vorigen  Jahre 
ausgeführten  Versuche  gaben  Resultate,  die  wohl  ziemlich  sichere  Schlüsse  erlauben. 
Statt  unter  die  Hirnhaut  das  Wuthgift  einzuführen,  wurde  dasselbe  in  peripherische 
Nervenstämme  eingespritzt.  Diese  Versuchsmethode  versetzte  die  Tbiere  in  eine  der 
beim  Bisse  wüthender  Hunde  stattfindenden  ähnlichere  Lage,  da  ja  kein  Thier  und 
kein  Mensch  in's  Gehirn  oder  in  die  Hirnhäute,  wohl  aber  in  die  Körperperipherie 
gebissen  wird. 

Alle  Thiere,  denen  ein  Ischiadicus  oder  ein  Nervus  medianus  mit  Wuthgift 
inoculirt  werde,  erkrankten  nach  einer  gewissen  Zeit  an  Wuth,  regelmässig  etwa 
zwei  Tage  später  als  nach  der  subduralen  Inoculation  des  Strassenvirus  oder  des 
sog.  fixen,  d.  h.  verstärkten  Virus,  und  gingen  natürlich  zu  Gmnde. 

Thiere,  denen  ein  Ischiadicus  mit  Wuthgift  geimpft  worden  war,  zeigten,  wenn 
sie  vor  dem  Ausbmche  der  Krankheit  (etwa  am  4.  Tage  nach  der  Inoculation  des 
fixen,  am  6.  Tage  nach  der  des  Strassenviras)  getödtet  wurden,  bloss  die  Oauda 
eqnina  und  den  unteren  Theil  des  Rückenmarkes  virulent,  nicht  aber  den  oberen 
and  nicht  den  Bulbus,  insofem  als  die  subdurale  Impfung  anderer  Thiere  mit  dem 
anteren  Theil  des  Rückenmarkes  wieder  Wuthkrankheit  hervorbrachte,  während  die 
Impfung  mit  dem  oberen  Theil  keinen  Erfolg  hatte. 

Thiere,  denen  der  Medianus  mit  Wuftgift  inoculirt  wurde,  gleichfalls  mehrere 


'  Cf.  auch  La  Paiohiatria.  1887.  V.  p.  HS. 


--    280    — 

Tage  vor  dem  Ausbruob  der  Krankheit  getödtet,  zeigten  den  Balbna  und  den  oberen 
Tbeil  des  Rückenmarkes  in  einer  Zeit  virulent,  in  welcher  der  untere  Theil  des- 
selben, namentlich  die  Cauda  equina,  noch  nicht  virulent  war. 

Thiere,  denen  nach  Durcbscbneidung  des  Bfickenmarkea,  bäl&ufig  in  der  Mitte, 
doch  Wuthgift  mittelst  Treporaüon  subdural  eingeimpft  werde,  hatten  auch  nach 
erfolgtem  Tode  nur  die  obere  Hälfte  des  Bfickenmarkes  virulent 

Thiere,  denen  gleichfalls  nach  Durchschnitt  des  Bfickenmarkes  der  linke  Ischia- 
dicus  mit  Wuthgift  geimpft  wurde,  hatten  auch  nach  erfolgtem  Tode  bloss  die  untere 
Hälfte  des  Bfickenmarkes,  und  fiberdies  noch  den  rechten  Ischiadicus  virulent,  und 
dieses  Besultat  bewies  die  Verbreitung  des  Wuthgiftes  längs  der  Nervensubstanz, 
nicht  nur  im  centripetalen,  sondern  auch  im  centrifugalen  Sinne. 

Nur  in  einem  der  so  operirten  Fälle,  in  welchem  noch  während  des  Lebens 
eine  partielle  Excision  des  nicht  operirten  Ischiadicus  bereits  die  Virulenz  desselben 
bewiesen  hatte,  und  in  welchem  der  Tod  erst  4  Tage  später  erfolgte,  zeigte  sich 
nach  dem  Tode  auch  der  Bulbus  virulent,  was  wohl  nur  durch  Uebertragnng  des 
Wuthgiftes  mittelst  des  Blutes  erklärlich  isi 

Alle  diese  Versuche  beweissen  gewiss  ganz  sicher  die  Verbreitung  und  Fort- 
pflanzung des  Wuthvirus  längs  der  Nervensubstanz,  und  Vortr.  ist  fiberzeugt,  dass 
auch  nach  dem  Bisse  wfithender  Tbiere  die  Verbreitung  des  Virus  längs  der  Nerven* 
stamme  bis  zu  den  Nervencentren  die  Begel  ist,  während  die  von  Pasteur  experi- 
mentell bewiesene  Möglichkeit  der  Uebertragung  von  der  Wunde  nach  den  Nerven- 
centren mittelst  des  kreisenden  Blutes  zur  Ausnahme  gehört,  um  so  mehr,  als  sie 
experimentell  relativ  selten  gelingt,  während  die  Impfung  der  Nerven  sie  nie  im 
Stiche  läset. 

Nun  ist  es  gewiss  sehr  interessant^  und  ffir  Pasteur*s  Schutzimpftmgen  von 
höchster  Wichtigkeit,  dass  von  8  in  peripherische  Nerven  inoculirten  und  hierauf 
nach  Pasteur's  Schutzmethode  behandelten  Kaninchen,  welche  bekanntlich  die  ffir 
die  Wuthiufection  am  meisten  empfanglichen  Thiere  sind,  6  ohne  das  geringste  Un- 
wohlsein davon  kamen,  und  nur  2  erkrankten  und  starben. 

Diese  Experimente  haben  also,  neben  dem  Beweise  der  Verbreitung  des  Wuth- 
virus längs  der  Nervenstämme,  auch  der  Pasteur*schen  Schutzmethode  die  ihr  bisher 
von  den  Gegnern  geläugnete  experimentelle  Basis  gesichert. 

Im  Anschluss  an  den  Congress  hatten  die  Wasserheilanstalt  Nerothal  (Director  Dr. 
Lehr)  und  die  Heilanstalt  Dietenmfihle,  die  jetzt  unter  der  Leitung  von  San.-Rath  Dr.  C. 
W.  MfiUer  und  Dr.  Bich.  Friedländer  steht  und  kfirzlich  reorganisirt  worden 
ist,  zu  freundlicher  Besichtigung  eingeladen. 


IV.  Personalien. 

Unser  hochgeschätzter  Mitarbeiter,  Herr  Prof.  Dr.  Erb,  wurde  %am  Geheimen 
Hofrath  ernannt.  

y.  YermisohteB. 

Das  Kgl.  Bachs.  Caltnsministerinm  hat  genehmig^  dass  die  seitherige  „Irrenklinik** 
der  Universität  Leipzig  fernerhin  ab  ..Psyehiatrisehe  und  NerveDklinik*'  derUniverri- 
tat  Leipzig  bezeichnet  wird. 


Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  HerauBgeber  wird  gebeten. 


Einsendungen  für  die  Bedaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.  Mendel, 

Berlin,  NW.   Schiffbauerdamm  20. 


Verlag  von  Vbit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mrt2»bb  &  Wimo  in  Leipzig. 


NEUßOLOGISCHES  CeNTR  ALBLAH. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben  Ton 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  «"  ^"'>-  Jakrgang. 

Monatlich  erscheinen  zwei  Nammern.   Preis  des  Jahrganges  20  Blark.    Zn  beziehen  dnrch 
alle  Bnchhandlnngen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  yon  der  Verlagsbuchhandlung. 


1888.  15.  Mai.  m  10. 


Inhalt  I.  Oriflinalinittheilunoen.  1.  Einiges  über  Suggestion,  von  Dr.  E.  Jendrissik. 
2.  Ein  Kinesiästhesiometer,  nebst  einigen  Bemerkangen  über  den  Muskelsinn,  von  Prof. 
E.  HItzis  (Schluss). 

It.  Referate.    Anatomie.    1.  Kraniometrie  und  Kephalometrie,  von  Benedikt.  2.  Ueber 
i«  Ci-ntral'n  ilndigungen  des  N.  vagos  und  über  die  Zusammensetzung  des  sog.  solit&ren 
Hl  iideLs  d>  verlängerten  Marks,  von  W.  Bechterew.  —  Physiologie.    8.  Ueber  den  Weg 
•1er  Ge.s(>inuu  Lsfasern  zum  Gehirn,  von  Salomonsobn.  —  Pathologie  des  Nervensystems. 
4.  \fcB  <  oiitr^'-tares,  par  Blocqu.    5.  üeber  einen  Fall  von  abortiver  Pachymeningitis  oervi- 
(^lis  hypertrot'hica,  von  E.  Remak.    6.  Beitrag  zur  Lehre  vom  Gliom  und  der  secundären 
^  -^'eiuratioTi  des  Rückenmarks,  von  Volkmann.    7.  Caso  speciale  di  affezione  combinata  dei 
(    rd<>ni  posioriori  e  laterali  del  midoUo  spinale,  pel  Borgherlni.   8.  Progressive  spastic  ataxia 
^^  d  tUe  combined  scleroses  of  the  spinal  cord,  by  Dana.    9.  On  a  oase  of  diffuse  sclerosis 
jt  'the  spinal  cord  prodacing  Symptoms  of  postero-lateral sclerosis,  by  Drescbfeld.    10.  Some 
^üTt.ber  observations  on  Friedreichs  disease,  dy  Ormerod.   11.  On  injunes  of  the  Gauda  equina, 
t>y  'Tborbum.    12.  Hydatids  of  the  spinal  chord,  by  Magnire.    18.  Gase  of  muscular  hyper- 
t<»tiicity,  by  Saundby.    14.  Sur  la  r^istance  ^lectrique  consider^e  comme  signe  dinique,  par 
V'iyouroMX.   1''.  Ueber  Messung  galvanischer  Ijeitung^s widerstände  am  Kopfe  und  deren  semi- 
tische Verw  • '^thnng,  von  A.  Eulenburg.  —  Psychiatrie.    16.  The  forty-first  report  of  the 
«mDiip.s*'»Df  ;^  in  lunacy  81  March  1887  etc.    17.  Note  sur  les  rapports  de  Tiraagination  et 
']u  'Jclire.  ]*...r  fM,    18.  Un  cas  de  v^sanie  combin^,  par  Seglet.  —  Therapie.  19.  Ueber 
•  rl)«:.itane  Mt^thylalinjectionen  bei  Delirium  tremens,  von  v.  Kralft-Ebing. 

III.  Atti  den  Qeeellechaften. 

IV.  Vermiecbtee. 


I.  Originalmittheilungen. 


1.   Einiges  über  Suggestion. 

Von  Dr.  Ernst  JendrAsaik,  Universit&tsdocent  in  Budapest 

Die  von  Tag  za  Tag  stetig  zunehmende  Litteratnr  des  Hypnotismus  führt 
ans  eine  solche  Menge  kaum  erwarteter  Ergebnisse  zu,  dass  vorderhand  eine 
Grenze  dieses  Gebietes  nicht  übersehbar  ist.  Freilich  erregen  so  manche  der 
Experimente  den  Zweifel  besonders  in  solchen,  die  aus  eigener  Erfahrung  den 
Hypnotismus  noch  nicht  genügend  kennen  gelernt  haben.  Eines  der  grössten 
Verdienste  Charcot's  und  %iner  Schule  ist  es,  dass  sie  objectiv  beweisende 

18 


^    282    — 

vrelehe^  die  Möglichkeit  einer  Simulatioii 

SxperimeDtB  sngesteUt  ba^  ^    j^  eriaube  mir  in  dem  Folgenden  eine 

gSnzäoh  ausge&Moesea  wer  ^^^^^^^^  j^j,  interessante,  objectiv  gänzlich  sicher- 

Beobaohtang  mitzütbeäen,  iß    ^^  ^^^  grossten  Punküichkeit  gelingende  Ver- 

gesteüie  und  ''^^J^^'l^^em  kA  glaube,  dass  die  Mitiheüang  von  solchen 

gache  anstellen        ^j^rbalh  Frankreichs  gemacht  worden  sind,  noch  einigen 

^^  h   h"h      '  Das  befereffende  „Medium",   welches  zu  solchen  Versuchen  in 

h  h  m  Grade  gee^et  war,  hatte  ich  durch  neun  Monate  in  der  hiesigen 

^     d  Klinik  in  Beobachtung.    Die  hier  beschriebenen  Experimente  habe  ich 

•    der  Sitzung  (am  7.  März  1887)  des  kgl.  Vereins  der  Aerzte  in  Budapest 

4^onstrirt  Bas  Vorleben  der  Patientin  ist  der  wahre  Roman  der  Hysterischen. 

II ma  Sz.,  ZOT  Zeit  der  Aufnahme  27  Jahre  alt.  Vater  und  ein  Grossvater 
liiiben  durch  Selbstmord  geendet,  Muttw  starb  an  Apoplexie,  eine  Schwester  leidet 
an  HjsterO'Epilepsie,  und  vei^iftete  sich  einmal  wegen  unglücklicher  Liebe. 

Patientin  wurde  von  ihrem  3. — 15.  Jahre  in  einem  Kloster  erzogen,  sie  war 
damals  still,  träumerisch,  liebte  die  Einsamkeit.  Ihre  Eltern  wollten  sie  auch  Nonne 
werden  lassen,  so  wurde  sie  in  ihrem  15.  Lebensjahre  Novitierin  und  verblieb  l^a  Jahre 
fortwährend  im  Kloster.  Als  sie  aber  dann  zum  Besuche  zu  ihren  Eltern  zurück- 
kehrte, machte  sie  die  Bekanntschaft  eines  jungen  Mannes,  der  sie  verführte  and 
dann  verliess.  Nachdem  der  Vater  diese  Affaire  erfuhr,  führte  er  sie  wieder  ins 
Kloster,  obzwar  J.  damals  schon  keinen  Wunsch  mehr  hatte  Nonne  zu  werden.  Im 
Kloster  war  ihr  Benehmen  ganz  verändert,  sie  folgte  nicht  ihren  Vorgesetzten,  die 
sie  deswegen  Öfters  bestraften;  als  sie  sich  einmal  eingesperrt  allein  im  Zimmer  be- 
fand sprang  sie  aus  dem  Fenster  der  im  ersten  Stockwerke  befindlichen  Zelle  hergab 
und  floh  nach  Hause.  Angekommen  fiel  sie  in  eine  schwere  Krankheit,  die  von  ihr 
als  Gehirnhautentzündung  benannt  wird,  nach  ihrer  Beschreibung  aber  höchst  wahr- 
scheinlich eine  von  sehr  häufigen  und  starken  Anfällen  begleitete  Hystero-Epile'psie 
gewesen  zu  sein  scheint.  Diese  Krankheit  dauerte  ein  halbes  Jahr,  als  sie  s^ch 
aber  zu  bessern  anfing,  wollte  ihr  Vater  sie  wieder  in  das  Kloster  zurückführeri; 
da  entlehnte  sie  aus  der  Kassa  ihres  Vaters  600  Gulden  und  entfloh  nach  einer 
kleineren  Stadt,  wo  sie  Männerkleider  anzog  und  bald  eine  Erzieherstelle  mittelst 
von  ihr  gefälschten  Documenten  bei  einem  Gutsbesitzer  erhielt.  Nachdem  sie  hier 
unerkannt  IY2  Jahre  zugebracht,  kam  sie  nach  Budapest,  und  erlang  —  noch 
immer  in  Männerkleidern  —  eine  Practicantenstelle  bei  einer  grossen  Eisenbahngesell- 
schaft. Diese  Stelle  bekleidete  sie  2  Jahre,  während  dieser  Zeit  konnten  ihre  Mtem 
keine  Nachricht  von  ihrem  Aufenthaltsorte  erhalten.  Sie  lebte  sehr  gut  mit  ihren 
CoUegen,  rauchte,  nahm  Theil  an  den  Unterhaltungen  der  jungen  Männer,  die  keine 
Ahnung  von  ihrem  Geschlecht  hatten,  die  sie  aber  oft  spotteten  wegen  ihrem  zurück- 
haltenden Benehmen  Mädchen  gegenüber.  So  war  sie  in  ziemlich  ruhigen  Ver- 
hältnissen, bis  sie  einst  ihr  Geheimniss  einer  Freundin  anvertraute,  die  dann  infolge 
eines  kleinen  Zwistes  ihre  Geschichte  der  Polizei  verrieth.  Sie  wurd^  detenirt,  ihre 
Erlebnisse  in  den  Tageblättern  besprochen,  —  in  diese  Zeit  fiel  auch  der  Selbst- 
mord ihres  Vaters.  In  der  Polizeihaft  wurde  die  Patientin,  die  während  der  letzten 
372  Jahre  ganz  gesund  war,  wieder  von  grossen  hystero-' epileptischen  AnfaUen 
ergriffen,  so  dass  man  sie  ins  Krankenhaus  transferirte.  In  drei  Wochen  genesen 
kam  sie  zu  ihrer  Mutter,  dann  zu  ihrem  Schwager,  wo  sie  sehr  schnell  die  Flöte 
erlernte  und  im  Orchester  mitwirkte;  sie  konnte  es  aber  hier  nicht  lange  aushalten, 
ihr  unruhiger  Character  trieb  sie  wieder  in  die  Hauptstadt.  Sie  benützte  wieder 
Männerkleider,  bekam  aber  auf  der  Strasse  einen  hystero-epileptischen  Anfall,  so 
dass  man  sie  ins  Spital  trug;  später  diente  i^ie  als  Dienstmädchen  mit  gefälschten 


—    283    - 

ZeagniaseD,  bald  wurde  sie  aber  wegen  Betogs  und  Diebstahls  arretirt,  musste  jedoch 
wieder  ins  Spital  transferirt  werden,  da  sie  eine  grosse  Anzahl  von  Anfallen  bekam. 
Im  December  1886  kam  sie  wieder  zur  Polizei  wegen  Diebstahls,  nachdem  aber  bei 
der  Verhandlmig  ihr  Benehmen  den  Verdacht  einer  Psychose  erregte,  berief  das  Ge- 
richt Prof.  Ajtay,  der  die  Merkmale  der  Hysterie  und  die  leichte  Hypnotisirbarkeit 
der  J.  nachwiese.  Durch  die  freundliche  Güte  des  Hm.  Prof.  Ajtay  kam  dann  die 
J.  in  die  Klinik,  wo  sie  sich  in  den  ersten  Monaten  sehr  gnt  aufführte,  die  Anfälle 
waren  in  Anfang  ziemlich  häufig,  wurden  aber  in  kurzer  Zeit  bedeutend  seltener. 

J.  hat  ein  regelmässiges,  blasses  G^cht  ohne  stärkere  Züge,  kurz  geschnittene 
Haare,  in  der  Mittellinie  getheilt.  Ihr  Gesicht  hat  weder  einen  männlichen,  noch 
einen  ausgesprochen  weiblichen  Character;  ihr  Körperbau,  bei  der  Aufnahme  nicht 
besonders  wohlgenährt,  zeigt  regelmässige  weibliche  Bildung.  Brüste  ziemlich  gross, 
Genitalien  ganz  normal  entwickelt.  Die  Kopfbildung  zeigt  keine  grösseren  Abiiof* 
mitäten.  Umfang  552  mm  bei  159  cm  Kürperhöhe.  —  Vollständige,  rechtsseitige 
Anästhesie.  Am  rechten  Auge  bemerkt  sie  die  Bewegungen  der  Hand  nur  im  Cen- 
trum,  der  übrige  Theil  ihres  Gesichtsfeldes  ist  unempfindlich.  Am  linken  Auge  ist 
das  Gesichtsfeld  auch  sehr  eingeschränkt  (nach  i.  10^,  a.  18^  o.  15®,  u.  20^,  für 
Farben  noch  mehr  (Roth:  i.  5^  a.  10^  Blau  2 — 3^  desgleichen  Gelb;  Grün  erkennt 
sie  nnr  ans  der  Nähe  im  Gentrnm).  Motilität  normal.  Typische  Anfidle  von  grosser 
Hystero^Epilepsie. 

Die  Menstruation  hatte  die  Pat.  nur  sehr  selten,  während  ihres  klinischen  Auf- 
enthaltes doch  einigemal.  Perverser  Sexualtrieb  wurde  schon  früher,  noch  während 
den  erwähnten  Spitalsaufenthalten  bei  ihr  wahrgenommen.  In  der  Klinik  verliebte 
sie  sieh  auch  in  eine  ihrer  Nachbarinnen,  die  aber  in  kuner  Zeit  die  Abtheilung 
yerlie8&  —  J.  schrieb  ihr  dann  sehr  sentimentale  Briefe.  Gegen  Männer  seheint 
sie  indifferent  zu  sein,  obwohl  sie  Schamgefühl  hat,  und  ihre  erste  Liebe  in  gutem 
Gedächtnisse  hält. 

Es  scheint,  dass  ihr  moralisches  und  intellectuelles  Benehmen  Veränderungen 
unterworfen  ist,  so  wie  überhaupt  der  Zustand  der  Hysterischen  veränderlich  ist.  Es 
giebt  Zeiten  bei  ihr,  wo  sie  in  Anbetracht  ihrer  Bildung  intellectuell  sehr  viel  leisten 
kann,  sie  schreibt  Briefe,  die  orthographisch  fast  fehlerlos,  im  Styl,  im  Gedanken 
sehr  schön  sind. 

Die  Hypnotisation  gelang  sehr  leicht  und  zwar  am  einfachsten  durch  die  ganz 
im  gewöhnlichMi  Tone  ausgesprochene  Worte:  „sie  schlafen",  oder  plötzlich  durch 
einen  Znruf:  „hopp"!  Im  Momente  ist  sie  hypnotisirt  und  zeigt  dann  die  charac- 
terisiische  Katalepsie,  sie  verbleibt  in  der  angegebenen  Stellung.  Puls  und  Respiration 
sind  ein  wenig  yerlangsamt.  Wenn  man  sie  anredet,  so  antwortet  sie  und  ist  sehr 
snggestionirbar  und  zeigt  dann  alle  Zeichen  des  Somnambulismus  —  ohne  aber,  dass 
zwifidien  diesen  zwei  Arten  ein  bestimmter  Uebergang  wäre,  neben  den  reinsten 
Symptomen  des  Somnambulismus  behält  sie  kataleptisch  eine  angegebene  Stellung. 

(Schlnss  folgt.) 


2.    Ein  Kinesiaesthesiometer,  nebst  einigen  Bemerkungen 

über  den  Mnskelsinn. 

Von  Professor  E.  Hiteig  in  Halle: 
(Schlnss.) 

Schliesslich  entstellt  die  Frage,  welche  Apperceptioueu  es  denn  nun  eigent- 
lich sind,   deren  Schärfe  durch  den  Apparat  ziATermasslg  bestimmt  werden  soll, 

18* 


—    284    — 

und  welche  ich  bisher  mit  dem  Namen  „Muskelsinn''  bezeichnet  habe.  Ich 
kann  diese  Frage  nicht  ganz  umgehen.,  erstens  weil  ich  Missverständnisse  za 
vermeiden  wünsche  und  zweitens,  weil  der  Name  des  Apparats  durch  die  An- 
schauungen, welche  mit  seiner  Benutzung  verknüpft  sind,  bedingt  wird.  In- 
dessen möchte  ich  doch  bemerken,  dass  meine  Anspniche  sich  auf  eine  er- 
schöpfende Besprechung  der  „Muskelsinnfrage^  nicht  erstrecken.  Wer  sich  dafür 
interessirt,  findet  reichliches  Material  in  der  oben  citirten  Abhandlung  von 
Ghablton  Bastian  und  in  der  anschliessenden  Discussion  der  Neurological 
Society  of  London  und  an  anderen  Orten.  ^ 

Die  Leistungen  unseres  Bewegungsapparates  gelangen  uns  in  normalen  Ver- 
bältnissen zum  Bewusstsein  —  abgesehen  vom  Gesichtssinn  —  durch  die  Wahr- 
nehmung der  Einzelleistungen  der  Muskeln  und  ihrer  Adnexe,  sowie  durch 
differente  Empfindungen  Seitens  der  Haut  und  der  Gelenke.  Welchen  Antheil 
ich  jenen  einzelnen  Factoren  an  dem  Zustandekommen  der  Bewegungsbilder  zu- 
schreibe, das  habe  ich  schon  vor  langer  Zeit  wiederholt  in  unzweideutiger  Weise 
ausgesprochen  und  ich  finde  auch  heute  nichts  daran  zu  ändern.  Ich  sagte  z.  B. 
—  „und  gleicherweise  ist  es  klar,  dass  diese  Bewegungsbilder  vorwiegend  auf 
die  Perception  der  Muskelzustände,  weniger  also  auf  Gelenke,  Haut  u.  dgl.  zu- 
rückzuführen sind  etc.'''  Es  scheint  mir  hieraus  so  unzweideutig  als  möglich 
hervorzugehen,  dass  ich  zwar  dem  „Muskelsinn''  s.  strict  eine  besonders  hervor- 
ragende Rolle  bei  der  Bildung  der  Bewegungsvorstellungen  zuerkannte,  aber 
keineswegs  der  unbestimmten  Auffassung  (lax  view)  gewesen  bin,  welche  Charlton 
Bastian'  mir  zu  Unrecht  vorwirft  und  welche  „Haut-Gelenkempfindungen  u.  s.  w. 
in  den  Begriff  Muskelsinn  einschliesst." 

Man  hat  nun  die  Frage  aufgeworfen,  ob  mit  den  bei  jeder  Bewegung  ab- 

*  Fbohnbb,  Psychophysik.  I.  S.  98  (f.  und  S.  182  (F.  —  Hering,  Ueber  Fbohnbr's  psyoho- 
physisches  Gesetz.  Sitznngsber.  d.  K.  Akad.  d.  Wiasensch.  liXXH.  1876.  ^  Funkb,  HenuanD's 
Handbach  der  Phyiiol.  Bd.  HI.  2.  —  Wumdt,  Physiol.  PgychoL  2.  Aufl.  Bd.  I.  S.  397  ff.  — 
Jastrowite,  Beitrage  zur  Localisation  im  QroaBbim.  Dtsch.  med.  Woehenaoh.  1888.  Nr.  5  ff.  etc. 

'  UnterancbaDgen  fiber  das  Oehim.  S.  61.  Ztterst  abgedmckt  Id  Reichert's  und  da  Bois 
Reymond's  Arcb.  1875. 

*  A.  a.  O.  S.  76.  Meines  Erachtens  hätte  ich  vor  derartigen  Missrerst&idnisBeD  ge- 
sichert sein  sollen.  Nachdem  ich  in  der  mit  Herrn  Fritsoh  pablioirten  Abhandlung  in  ganz 
bypothetischer  Form  yon  einer  cerebralen  Endstation  —  einem  Centrum  für  „den  Hnakel- 
sinn"  gesprochen  hatte,  bemerkte  ich  an  der  von  Ch.  Bastian  citirten  Stelle  gegenfiber 
einem  Einwände  Nothnaorl's:  „Und  dennoch  bedaaere  ich  noch,  damals  das  Wort  Mnskel- 
sinn  gebraucht  zu  haben,  insofern  dasselbe  von  jeher  zu  allerlei  Missverständnissen  Veran- 
lassung gegeben  hat";  später  habe  ich  mich  denn  auch  bei  der  Erörterung  der  durch  Hirn- 
verletzungen henrorgebrachten  Störungen  des  Ausdrucks  „Muskelbewusstsein"  bedient.  Ich 
habe  dann  sehr  genau,  wenn  auch  in  der  mir  passend  scheinenden  Kflrze  auseinandergesetzt, 
wie  ich  mir  die  fraglichen  Vorgänge  denke  und  freue  mich  zu  sehen,  dass  Bastian  hierin 
mit  mir  einer  Ansicht  ist 

Wenn  ich  nun  in  dem  Torliegenden  Aufsätze,  welcher  sich  mit  der  experimentellen 
Pathologie  des  Gehirns  nicht  beschäftigt,  gleichwohl  zunächst  schlechthin  von  „Muskelsinn" 
spreche,  so  scblics!>e  ich  mich  damit  lediglich  dem  bei  diesem  Thema  allgemein  angenom- 
menen Sprachgebrauch  an.  Auch  hiet  wird  man  aber  die  Erläuterung  dessen,  was  ich  da- 
runter verstanden  wissen  will,  nicht  vermissen. 


—    285    — 

g^benen  WiUeiiäimpuIsen  eine  Wahruchmung  der  Qrosse  dieser  Impulse  un- 
abhängig von  den  centripetal  anlangenden  Empfindungen  ihrer  peripherischen 
Wirkungen  rerbunden  sei  oder  nicht,  mit  anderen  Worten,  ob  dem  Sensorium 
dn  unabhängig  von  äusseren  Sinuesempfindungen  bestehender  ,,Kraftsinn'' 
zukomme. 

loh  habe  an  sich  gegen  die  Annahme  eines  Kraftsinns  nichts  einzuwenden, 
ja  ich  sehe  sogar  nicht,  wie  der  regelmässige  Ablauf  unserer  willkürlichen  Be- 
wegungen ohne  diese  Annahme  erklärt  werden  kann.  Jede  mehr  oder  minder 
complicirte  Willkurbewegung  setzt  sich  zusammen  aus  den  Einzelwirkungen 
überaus  zahlreicher,  den  einzelnen  Muskeln  und  Theilen  von  Muskeln  zukommen- 
den  Zugkräfte.  Diese  Kräfte  bleiben  aber  während  eines  und  desselben  Be- 
wegungsactes  weder  absolut  noch  in  ihrem  gegenseitigen  Verhältniss  zu  einander 
constant,  sondern  sie  erfahren  während  jeder  einzelnen  Phase  desselben  zahlreiche, 
durch  die  Verwirklichung  der  Bewegungsintention  bedingte  Veränderungen.  Da 
nun  die  Letztere  eine  Function  des  Bewusstseins  ist  und  da  ihre  Verwirklichung 
von  einem  Zuwachs  oder  umgekehrt  einer  Abminderuug  der  von  diesem  abzu- 
gebenden Impulse  abhängig  ist,  so  versteht  es  sich  von  selbst,  dass  das  Bewusst- 
sein  irgend  eine  Kenntniss  sowohl  von  den  peripherischen  Wirkungen  der  von 
ihm  aufgewendeten  Kraft,  als  auch  von  dem  Maasse  dieser  Kraft  selbst  besitzen 
muss;  ja  diese  Kenntniss  kann  nicht  nur  etwa  die  aufgewendete  Kraft  im  All- 
gemeinen betreffen,  sondern  sie  muss  sich  nothwendig  wieder  aus  der  Kenntniss 
von  den  Einzelkräften  zusammensetzen,  welche  f&r  jeden  einzelnen  Factor  des 
arbeitenden  Theiles  des  Muskelsystems  verwendet  worden  sind. 

Wenn  nun  unsere  eigenen  Wahrnehmungen  von  diesen  inneren  Vorgängen 
nicht  die  Schwelle  des  klaren  Bewusstseins  überschreiten,  so  dass  deren  Existenz 
oder  Nichteoustenz  überhaupt  Qegenstand  der  Discussion  sein  kann,  so  ist  dies 
auf  ein  allgemein  gültiges  Cresetz  zurückzufahren. 

„Wir  vermögen  ganz  allgemein  die  Zustände  der  einzelnen  Organe  nur  in- 
soweit —  von  Innen  heraus  —  zu  erkennen,  als  es  für  die  Benutzimg  derselben 
zur  Erhaltung  des  gleichmässigen  Flusses  der  von  ihnen  abhängigen  Beihe  von 
Lebenserscheinungen  erforderlich  und  ausreichend  ist''^ 

Hiemach  ist  also  die  Existenz  eines  „Kraftsinns''  insoweit  zuzugestehen,  als 
derselbe  einen  von  den  für  den  Ablauf  normaler  Bewegungen  unentbehrlichen 
Factoren  bildet.  Daraus  kann  aber  noch  nicht  ohne  Weiteres  gefolgert  werden, 
dass  solche  Empfindungen  (Sinnesempfindungen  des  Kraftsinns)  auch  gänzlich 
unabhängig  von  den  anderen  in  Betracht  kommenden  Factoren  gebildet  werden. 
Man  kann  sich  vielmehr  sehr  wohl  vorstellen,  dass  sie  nur  unter  dem  Einflüsse 
von  bestimmten  centripetalen  Reizen  zu  Stande,  bei  •  gänzlichem  Fortfall  der 
Letzteren  aber  gleichfalls  in  Fortfall  kommen.  In  dem  erstangenommenen  Falle 
würden  also  centripetal  anlangende  Empfindungen  zur  Bildung  von  Associationen 
—  d.  h.  zur  Miterregung  anderer  centraler  Empfindungsapparate  —  verwandt 
werden,  welche  in  ihrer  noch  centripetal  gerichteten  Hälfte  sich  mit  dem  centri- 


^  piTZio,  Unt^rsuehunffen  üb«r  das  Gebirii.  Berlin  187^*  S*  9h 


—    286    — 

fugalen  Willeüsimpulse  zu  einer  in  verschiedener  Weise  nuancirten  Vorstellung 
vereinigen.  Dass  dieser  als  möglich  vorausgesetzte  Vorgang  grosstentheils  unter 
der  Schwelle  des  Bewusstseins  verliefe,  könnte  aus  dem  vorangeführten  Grunde 
nicht  weiter  überraschen. 

In  dem  anderen  Falle  würde  die  Associationsreihe  aber  gar  nicht  erst  in 
Flttss  gerathen,  weil  das  hierfür  wesentliche  Anfangsglied  fehlt  Lediglich  inter- 
centrale (der  vielfach  gebrauchte  Ausdruck  ,,centrifugal''  passt  hier  nidit)  Em- 
pfindungen des  Eraftsinns  würden  unter  dieser  Voraussetzung  nicht  existiren. 

Ich  weiss  nicht,  ob  es  sich  so  verhält  und  ich  wiU  nichts  Derartiges  be- 
haupten. Ich  sehe  aber  auch  nicht,  dass  das  Gegentheil  erwiesen  ist;  viehnehr 
scheint  mir  dasjenige,  was  wir  von  unzweideutigen  Beweisen  besitzen,  eher  gegen 
die  Existenz  eines  von  der  Apperception  der  Bewegungen  unabhängigen  Eraft- 
sinns zu  sprechen. 

Natürlich  wird  die  Schätzung  der  für  eine  besünmite  Bewegung  ange- 
wendeten Kraft  durch  jede  pathologische  Veränderung  der  hier  mitwirkenden 
Apparate  beeinflussb  Zwei  in  der  Kürze  anzuführende  Beispiele  mögen  diese 
Thatsache  etwas  näher  erläutern. 

I.  Einem  16jährigen  Handlanger  war  am  6.  Januar  1886  ein  Mauerstein  aus 
beträchtlicher  Höbe  auf  die  Unke  Scheitelhöhe  dicht  neben  der  Mittellinie  gefallen. 
Er  trug  eine  Depression  des  Scheitelbeins  und  eine  Parese  beider  rechten  Extremi- 
täten, welche  in  der  unteren  Extremität  stärker  war,  nebst  einer  Steigerung  der 
Sehnenreflexe  davon.  Das  (Gebiet  des  Facialis  etc.  war  frei  geblieben.  Als  er  am 
26.  Januar  1886  zur  Beobachtung  kam,  waren  sämmtliche  Bewegungen  der  oberen 
Extremität  ausführbar,  die  grobe  Kraft  derselben  massig  herabgesetzt,  feinere  Finger- 
bewegungen wurden  langsamer  und  ungeschickter  ausgeführt,  Contracturen  bestanden 
nicht,  das  LagegefQhl  war  erhalten.  Der  Kranke  schätzte  aber  Gewichte  mit 
dieser  Extremität  zu  schwer.  Gab  man  ihm  gleichzeitig  in  jede  Hand  eine 
Kugel,  die  leichtere  in  die  rechte  Hand,  so  schienen  ihm  50  gr  theils  schwerer  als 
100  gr,  theils  gleich  schwer,  150  gr  schwerer  als  200  gr  etc.  Bei  den  höheren 
Gewichten  hielt  er  vielfach  ziemlich  weit  auseinander  liegende  Gewichte  fdr  gleich 
schwer.  Gab  man  ihm  jedoch  die  Kugeln  nach  einander  in  die  gleiche  rechte 
Hand,  so  schätzte  er  richtig,  üebrigens  erlahmte  die  Aufmerksamkeit  verhältniss- 
mässig  schnell  Ein  ähnliches,  jedoch  nicht  weiter  verfolgtes  Verbalten  wurde  an  der 
unteren  Extremität  constatirt. 

In  diesem  FaUe  waren  ofTenbar  die  cortlcalen  Centren  für  die  motorische 
Innervation  der  rechten  Extremitäten  verletzt  und  dadurch  in  ihrer  Leistungs- 
fähigkeit beeinträchtigt  Somit  wurde  durch  die  Leistung  der  gleichen  Arbeit 
die  Aufwendung  einer  grosseren  Summe  von  Willensimpulsen  bedingt,  welche 
Differenz  nun  nach  dem  Oesetz  der  excentrischen  Empfindung  als  Yorstellung 
der  Hebung  einer  grosseren  Last  in  die  Peripherie  verlegt  wurde. 

Genau  dem  Widerspiel  dieser  Erscheinung  b^gnen  wir  dem  folgenden  Falle. 

IL  Ein  3dj&hriger  Arbeiter  war  am  28.  Mai  1887  so  von  einem  4 — 5  Fnss 
hohen  GerQste  gestürzt,  dass  er  bei  gestrecktem  Arm  auf  die  Fläche  der  linken 
hyperextendirten  Hand  fiel.  Er  klagte  von  der  Zeit  an  über  eine  Gombination  von 
motorischen  und  sensiblen  Lähmungs-  und  Reizerscheinungen  in  dieser  Extremität. 
In  diesseitige  Behandlung  trat  er  am  8.  October  ej.   Zu  der  Zeit,  als  die  fraglichen 


—    287     — 

(Jotersuchangen  aasgeführt  wurden»  hatte  er  eine  nicht  auf  bestimmte  Nerveustämme 
begrenzte  motorische  und  sensible  Parese  des  linken  Vorderarms  und  der  Hand, 
gleichzeitig  aber  Krämpfe  und  Parästhesien  in  dieser  Extremität.  Paretisch  waren 
die  Extensoren  der  Handwurzel,  der  Flexor  digitt.  prof.  und  die  den  kleinen  Finger 
bewegenden  Muskeln  an  der  Hand.  In  den  letzteren  war  die  Parese  am  stärksten, 
derart,  dass  der  5.  Finger  nicht  opponirt  und  dem  4.  Finger  nicht  genähert  werden 
konnte,  in  den  übrigen  Muskeln  war  sie  nur  angedeutet.  Die  elektrische  extramus- 
Guläre  Erregbarkeit  erwies  sich  annähemd  normal,  die  intramuscul&re  dagegen  an 
der  ganzen  Extremität  eher  etwas  gesteigert.  Die  sensible  Parese  betraf  nur  den 
Tastsinn,  während  die  Temperatur-  und  Schmerzempfindung  keine  Veränderungen  er- 
kennen liessen.  Die  Störung  erstreckte  sich  auf  die  ganze  Vola,  einen  Theil  der 
Phalangen,  sowie  Slreüen  und  Flecken  innerhalb  yerschiedener  Nervengebiete  des 
Vordenurms.  Ganz  genaue  Grenzen  liessen  sich  nicht  feststellen,  da  der  Kranke 
durch  excentrische  Empfindungen  beirrt  wurde.  Er  war  jedoch  z.  B.  gänzlich  ausser 
Stande,  ein  Geldstück,  eine  Uhr,  einen  Schlüssel  etc.  durch  Betasten  zu  erkennen 
und  gab  an,  einmal  in  der  Nacht  dadurch  heftig  erschreckt  worden  zu  sein,  dass  er 
seine  linke  Hand  mit  der  rechten  Hand  wie  eine  fremde  Hand  in  seinem  Bette  fühlte. 
Oegeneinanderstossen  der  Phalangealgelenke  nahm  er  nicht  wahr,  wohl  aber  Ziehen 
an  denselben.  Die  Empfindung  für  nicht  schmerzhaften  Druck  fehlte  an  den  Fingern 
ganzlich,  während  er  schon  kleine  Differenzen  eines  schmerzhaften  Druckes  wohl  er- 
kannte. Die  Contractionsempfindung  bei  elektrischer  Beizung  der  Muskeln  war  zwar 
erhalten,  aber  deutlich  schwächer  als  rechts.  An  den  oberen  Extremitäten  war  eine 
Veränderung  der  Beflexe  nicht  wahrzunehmen,  dagegen  erschienen  die  Patellarreflexe 
ausserordentlich  gesteigert.  Symptome  von  Seiten  der  Himner?en,  welche  auf  die 
gegenwärtige  Krankheit  bezogen  werden  konnten,  fehlten.  Ausserdem  litt  der  Kranke 
an  klonischen  Krämpfen,  durch  welche  in  der  Begel  nur  abwechselnd  rhythmische  Ad- 
dactions-  und  Abductionsbewegungen  im  linken  Handgelenk  und  zwar  ca.  150mal  in  der 
Minute  hervorgebracht  wurden  und  an  denen  sich  sowohl  die  Beuger  als  die  Strecker 
betheiligten.  Liess  man  den  Kranken  jedoch  bei  horizontal  gestrecktem  Arm  die 
Vola  manus  nach  oben  drehen,  so  traten  —  vornehmlich  bei  geschlossenen  Augen  — 
mehr  tonische  Krämpfe  auch  im  Biceps  und  in  anderen  Muskeln  des  Vorderarms 
und  der  Hand  auf,  so  dass  pronatorische  Flexions-Bewegungen  des  Vorderarms  und 
Oppositionsbewegungen  des  Daumens  entstanden.  Die  ersterwähnten  rhythmischen 
Krämpfe  cessirten  während  dessen  ganz  oder  fast  ganz.  Im  Uebrigen  traten  die 
Krämpfe  zurück,  sobald  die  Aufmerksamkeit  des  Kranken  nicht  in  irgend  einer  Weise 
auf  seinen  Arm  gelenkt  wurde  und  bei  Ausführung  anderer  Bewegungen  z.  B.  beim 
Händedruck. 

Dieser  Kranke  schätzte  pun  dann,  wenn  man  ihm  gleichzeitig 
eine  Kugel  in  jede  Hand  gab,  die  linke  Kugel  stets  zu  leicht  und 
zwar  war  der  Irrthum  grösser  bei  Schluss  der  Augen,  folgerecht  bei  Verstär- 
kung der  Intensität  und  Extensität  der  Krämpfe.  In  diesem  Falle  schienen 
ihm  mit  der  rechten  Hand  gefasste  Kugeln  nicht  nur  dann  schwerer,  wenn  es 
äch  um  die  kleineren  Gewichte  zwischen  50  und  100  handelte,  sondern  er  hielt 
^ur  noch.  250  gr  fiir  schwerer  als  800  gr.  Andererseits  schätzte  er  mit  der 
lechten  Hand  allein  ganz  richtig,  mit  der  linken  Hand  allein  so,  dass  er  z.  B. 
60  und  80  gr  nicht,  aber  doch  800  von  700  gr  und  250  von  300  gr  richtig 
unterscheiden  konnte.    Die  Unsicherheit  war  in  diesem  Falle  also  nur  gering. 

In  demselben  Sinne  war  das  Lagegefühl  verändert  Sollte  der  Kranke 
nämlich  mit  dem  linken  Arm  eine  dem  rechten  Arm  gegebene  Stellung  reprg- 
duciren^  so  erfolgte  stets  eine  zu  ausgiebige  Bewegung. 


-  * 

„     .       ,  _  i«^  ^  Zweifel  sein.*    Im 

fugaleu  Wükasimi«.^-  ^^  .^'Indelte.    Jedenfalls  lässt 

veremigeD  ^^^  ^  f^S^^J^i  Betteüigung  der  grauen  Sub- 

",..  ^"J^  '^  '*lrV<i*  Brörterung  ist  nur  dies  und  die 

™  fr,.*rtf^rf>  '''S^'^  5?CSaö  und  sogar  eine  um  vieles  grössere 

PI  „  ^  'I!^IÄ«***«iS«»  '^^  Sfc»«'  ««"  "«^«8  geringer  erschien,  weü  ein 

J<ius  ^^^^   tf  J**^"*4rW'  nicht  von  Wiliensimpulsen,  sondern  von 

T  'rfS^*^  '^g'^^'^aotonseben  Bahn  wirksam  werdenden  Reizzustande 

eiit^'^^Ztr-'  wir  dJ*"  beiden  oder  ähnliehe  Fälle  für  die  Entschei- 
bettn^^^  Jab^"^  fjfige  nichts  beizutragen.  Denn  wenn  durch  dieselben 
Ar  »"^^Jtdass  dJß  geleistete  Arbeit  jedesmal  dann  unrichtig  geschätzt 


^"^tetri^^     mUss  der  erforderlichen  Impulse  durch  einen  der  Erfahrung 
^vj  irö^^  ^^remden  Factor  eine  positive  oder  negative  Veränderung  erleidet, 
Lg  8e^^  pliertsßhß  Arbeitsleistung  doch  in  jedem  dieser  Fälle  apperdpirt 

^fd  dl^  ^  . ^i'üH'ntifirAilia.   waIaHa   yn    Hat   Arfnr^Arlip.ViAn    TTrf.hAi1fl^^.h1n$»V 


^  ifird  f'*,.  ^ociationsreihe,  welche  zu  der  erforderlichen  Urtheil8(8chluss) 

and  ^*^^^•n  FIuss  gebracht. 

Ijildaiiß    ^ßjien  Gründen  lässt  sich  auch  mit  den  Erfahrungen,  welche  über 
den  oberen  und  unteren  Extremitäten  verschiedene  Feinheit  des  Muskel- 
dj^  ^^ggjo.melt  sind,  nichts  anfengen.  Die  Thatsache  selbst  ist  wohl  hinreichend 
^^L^t    D^nn  wenn  auch  die  durch  die  oben  angeführten  Untersuchungen 
^  to^enen  Verhältnisszahlen  für  die  unteren  Extremitäten  zwischen  V4  und  V20 
fliraiilföo,  so  ist  doch  der  der  grössten  Feinheit  des  Unterscheidungsvermögens 
derselben  entsprechende  Werth  von  Vao  —  welcher  zudem  kaum  richtig  sein 
dürfte  —  immer  nur  halb  so  gross,  wie  der  von  Wsbbb  für  die  oberen  Ex- 
tremitäten gefundene  Werth.    Wahrscheinlich  verhält  sich  das  relative  Unter- 
soheidungsvermögen  =  1:4-— 5. 

Man  könnte  folgenden  Schluss  ziehen  wollen.  Wenn  mit  den  oberen  Ex- 
tremitäten die  Hinzufügung  von  1  gr  zu  einer  Belastung  von  39  gr  richtig,  da- 
gegen mit  den  unteren  Extremitäten  die  Hinzufügung  von  60—80  gr  zu  einer 
Belastung  von  0  gr  nicht  richtig  erkannt  wird,  so  ist  dies  mit  der  Annahme 
eines  Kraftsinnes  nicht  vereinbar;  denn  ein  solcher  Sinn  müsste  in  jedem  von 
beiden  Fällen  die  aufgewendete  Kraft  gleiohmassig  fein  beurtheilen  können. 
Dieser  Schluss  wäre  aber  deshalb  unzulässig,  weil  er  der  Gewichtsdifi'erenz  zwischen 
der  oberen  und  der  unteren  Extremität  keine  Rechnung  trägt  Es  versteht  sich, 
dass  das  Sensorium  in  demjenigen  corticalen  Gentrum,  welches  stets  die  Be- 
yfegang  einer  grösseren  Last  —  also  der  unteren  Extremität  —  zu  versehen 

^  M.  Bbbkhabdt,  Ueber  einen  Fall  von  Himrindenataxie  (Dentsche  med;  Wochenschr. 
1887.  S.  52),  beschreibt  einen  sehr  ähnlichen  Fall.  S.  aach  Jabtbowitz  a.  a.  O.  Fall  VI 
und  Vn. 

'  Diese  Annahme  ist  nur  zum  TheU  ricbtdg.  Ein  Theil  des  Inthoms  ist  zweifellos 
ans  der  Abstompfong  des  Muskel-  nnd  Gelenkgefuhls  derart  herzuleiten,  dass  das  Sensorium 
geringwcrthigere  Reize  von  diesen  Theilen  her  empfing.  Im  Text  ist  hiervon  abgesehen,  um 
die  Auseinandersetzung  nicht  unnöthig  zu  verwickeln.  Der  Einfluss  der  Krämpfe  geht 
andererseits  daraus  hervor,  dass  die  Grosse  des  Irrtbums  von  ihrer  Inteusitat  abhängig;  war« 


—    289    — 

bat^  eine  höhere  Schwelle  für  den  Werth  der  Belastung  besitzt.  Einen  Eraft- 
sinn  in  der  supponirten  Bedentang  könnte  es  also  geben  und  dennoch  würde 
dieser  nicht  befähigt  sein,  das  Mehr  der  Impulse  zu  appercipiren,  welches  durch 
einen  Zuwachs  der  Belastung  von  1  gr  oder  80  gr  gleichviel  zu  der  Eigenschwere 
des  Beines  bedingt  wird. 

Dag^en  scheinen  gerade  solche  Beobachtungen,  wdcbe  nach  der  Ansicht 
einiger  Autoren  für  die  Existenz  eines  unabhängigen  Eraftsinns  sprechen  sollen, 
dagegen  zu  sprechen.  Ich  meine  die  Beobachtungen  über  die  Bewegungsempfin- 
dungen der  Tabischen.  Diese  Krankheitsfälle  sind  um  deswillen  von  ganz  be- 
sonderem Interesse,  weil  bei  ihnen  die  Uebermittelung  ceutripetaler  Reize  ganz 
oder  fast  ganz  ausgeschlossen  sein  kann,  so  dass  dann  die  Existenz  und  die 
Eigenschaften  eines  interceutralen  Eraftsinns  appercipirbar  werden  müssten. 

Leyben  fand  bekanntlich,^  dass  Tabiker,  welche  die  stärksten  faradischen 
Muskeloontractionen  an  den  unteren  Extremitäten  nicht  empfanden  und  ausser- 
dem daselbst  an  einer  bedeutenden  allgemeinen  Anästhesie  litten,  die  Schwere 
Terschiedener  Gewichte  (nach  der  Torbeschriebenen  Methode)  „mit  derselben 
Scharfe  unterschieden  wie  Qesunde.'^  Indessen  gelang  ihnen  das  nur  dann, 
wenn  das  zu  schätzende  Gewicht  eine  gewisse  Schwere  besass,  sonst  wurde  das 
Gewicht  überhaupt  nicht  wahrgenommen.  Leydek  schliesst  hieraus,  „dass  die 
Schätzung  nicht  (mehr)  Function  der  sensiblen  Nerven,  sondern  des  Sensorium 
st, dass  diese  Fähigkeit  so  lange  normal  ist,  als  die  psydüschen  Vor- 
gänge dieser  Art  normal  sind.'<  „Die  Grenze  aber,  .wo  das  Gefühl  der  Schwere 
entstand,  war  erheblich  heraufgerückt,  wenn  eine  erhebliche  Abschwächung  der 
Muskelsensibilität,  wie  der  Sensibilität  überhaupt  bestand.^'  Zunächst  kommt 
der  von  Leydek  mitgetheilten  Thatsache  eine  allgemeine  Gültigkeit  nicht  zu. 
Schon  Jaccoud^  hatte  abweichende  Erfahrungen  gemacht  Letden  hat  zwar 
die  Grenze  nicht  angegeben,  jenseits  deren  das  Gefühl  der  Schwere  entstand; 
man  kann  jedoch  aus  seinen  Versuchen  entnehmen,  dass  dieselbe  nicht  höher 
als  1000 — 1500  gr  gelegen  hat.  Lassen  wh:  also  von  den  6  an  Tabes  leidenden 
Versuchspersonen  Jacgoud's  zunächst  diejenigen  5  bei  Seite,  welche  mit  leich- 
teren Gewichten  untersucht  wurden,  oder  welche  geringere  Differenzen  unter- 
schieden, so  bleibt  doch  immer  noch  ein  Eranker,  welcher  erst  eine  Differenz 
von  ca.  3000  gr  unterschied.  Auch  Bebnhabdt*  untersuchte  Tabische,  welche 
1000,  selbst  1500  gr  von  500  gr  nicht  unterschieden. 

Ich  selbst  beobachte  seit  dem  Juni  1886  einen  Erankeu,  der  in  dieser 
Beziehnng  und  sonst  von  Interesse  ist 

IXI.  Der  Schreiber  E.,  ein  iDtelligenter  Mann,  nicht  syphilitisch,  angeblich  in 
Folge  von  Erkältung  erkrankt,  ist  in  Folge  doppelseitiger  glaucomatoser  Opticus- 
Atrophie  total  blind.  Die  ersten  Erscheinungen  von  Tabos  traten  im  Jahre  1881 
mit  lancinirenden  Schmerzen  in  den  unteren  Extremitäten  und  Blasenbeschwerden 
auf.  Gegenwärtig  besteht  eine  aosserordentUch  hochgradige  Ataxie.  Wenn  der  KrankQ 


>  A.  a.  O.  S.  329. 
■  A.  a.  O.  S.  675. 
»  A»  ».  0.  8.  631, 


—    290    — 

sitzend  oder  liegend  sich  zum  Gehen  anschickt^  so  wirft  er  die  Beine  durcheinander, 
als  wenn  er  damit  trommeln  wollte.  Ist  er  damit  jedoch  erst  auf  den  Fussboden 
gelangt,  und  in  Gang  gekommen,  so  vermag  er  an  der  Hand  eines  Führers  grosse 
Wege  zurückzulegen.  Das  Lagegefübl  in  den  unteren  Extremitäten  feblt  gänzlich. 
Die  stärksten  faradischen  Muskelcontractionen  rufen  daselbst  nicht  die  geringste  Con- 
tractions-Empfindung  hervor.  Die  Hautsensibilität  ist  hochgradig  gestört,  am  besten 
ist  noch  der  Temperatursinn  erhalten,  ausserdem  werden  stellenweise  starke,  auf  die 
Haut  localisirte  Inductionsströme  mit  einer  Yerlangsamung  als  Schmerz  empfunden. 

Dieser  Kranke  vermag  nun  0  von  1900  gr  anch  dann  nicht  zu 
unterscheiden,  wenn  die  Schätzung  bei  gestrecktem  Bein  durch 
Beugung  im  Hüftgelenk  vorgenommen  wird. 

In  allen  diesen  Fällen  war  also  von  einem  mit  Scharfe  fungirenden  Kraft- 
sinn  nichts  zu  merken.  Indessen  sprechen  auch  die  anderen  bei  Weitem  zahl- 
reicheren Fälle,  in  denen  das  Gefühl  der  Schwere  bereits  bei  einer  viel  geringeren 
Belastung  entstand,  durchaus  in  gleichem  Sinne.  Es  ergiebt  sich  nämlich  aus 
diesen  —  und  meine  eigenen  Beobachtungen  stimmen  damit  überein  —  dass 
die  Fähigkeit,  Gewichte  richtig  abzuschätzen,  in  gleichem  Maasse  mit  den  sen- 
siblen Eigenschaften  der  Extremitäten  abnimmt,  ohne  dass  der  „Kraftsinn''  etwas 
daran  zu  ändern  vermöchte.  Diese  Fähigkeit  erweist  sich  damit  als  abhängig 
von  centripetalen  Reizen  und  als  unabhängig  von  selbstständigen 
intercentralen  Vorgängen. 

Wäre  die  in  Bede  stehende,  von  Leyden  gemachte  Erfahrung  aber  auch 
allgemein  gültig,  was  sie  nicht  ist,  so  könnte  daraus  unter  keinen  TJmständep 
der  von  ihm  gezogene  Schluss  hergeleitet  werden.  Wenn  Lbydbn  nämlich  sagt: 
„Nunmehr  ist  aber  diese  Thatsache  leicht  verständlich,  denn  die  Schätzung  ist 
nicht  mehr  Function  der  sensiblen  Nerven,  sondern  des  Sensorium,''  so  kann 
dieser  Satz  nur  so  verstanden  werden,  dass  die  Schätzung  in  den  fraglichen 
Fällen  ohne  Mitwirkung  der  sensibeln  Nerven  ausschliesslich  Function  des 
Sensorium  sei;  denn  dass  bei  jeder  Schätzung  eine  Mitwirkung  des  Sensorium 
stattfindet,  versteht  sich  von  selbst 

Hiemach  würde  sich  die  Sachlage  für  einen  concreten  Fall  folgendermaassen 
gestalten.  Ein  Tabiker  nimmt  ein  Gewicht  von  900  gr  ungeachtet  seines  inter- 
centralen Kraftsinns  überhaupt  nicht  wahr,  sondern  hat  das  Gefühl  der  Schwere 
erst  bei  1000  gr.  Fügt  man  dagegen  zu  diesem  Gewicht  von  1000  gr  V20?  ^Iso 
50  gr  hinzu,  ein  Mehr,  welches  von  Gesunden  in  der  Regel  nicht  apperdpirt 
werden  wird,  so  erkennt  der  gleiche  Sinn,  welcher  bis  dahin  überhaupt  nicht 
functionirt  hat,  nunmehr  plötzlich  diese  minimale  Differenz.  Dieses  Verhalten 
wäre  in  keiner  Weise  zu  erklären.  Man  versteht  nicht,  aus  welchem  Grunde 
jener  Sinn,  wenn  er  überhaupt  vorhanden  und  in  dem  einen  Falle  zur  Er- 
kennung so  feiner  Differenzen  befähigt  ist,  in  dem  andern  FaUe  grobe  Diffe- 
renzen nicht  wahrzunehmen  vermag  und  man  wird  deshalb  genügt  sein,  den 
Grund  für  diese  auffallende  Erscheinung  nicht  im  Centrum,  sondern  in  der 
Peripherie  zu  suchen. 

Leyden  selbst  hat  durch  Versuche  nachgewiesen,  dass  noch  andere  sen- 
sible Nerven  al3  die  der  Mu3kelu  bei  der  Bildung  unserer  Anschauungen  vou 


—    291     — 

acÜTea  und  passiven  Bewegungen  concurriren.  In  der  That  kommt  den  Em- 
pfindungen,  welche  durch  Zug  an  den  sehnigen  Appendices  der  Muskeln  und 
durch  Druck  auf  die  Gelenkflächen  vermittelt  werden,  schon  in  der  Norm  ein 
nicht  unwesentlicher  Antheil  an  der  Bildung  der  Bewegungsvorstellui^n  zu; 
ich  erinnere  nur  an  die  schon  von  Webbb  angestellten  Versuche. 

An  Kranken  lasst  sich  nun  zunächst  nachweisen,  dass  die  Sensihilitat  dieser 
Theile  einer  gesonderten  Störung  fähig  ist.  Der  hier  unter  IL  erwähnte  Kranke 
hat  z.  B.  keine  Empfindung  von  dem  Zusammenstossen  fast  aller  Fingergelenke, 
während  er  Zug  an  den  Fingern  wahrnahm.  Qerade  umgekehrt  empfindet  der 
zuletzt  erwähnte  Kranke  Zug  an  den  Gelenken  der  unteren  Extremitäten  gar 
nicht,  dag^en  empfindet  er  schon  ein  leises  Zusammenstossen  der  einzelnen 
Grdenkflächen  s^r  gut.  Ja  er  empfindet  das  leiseste  mit  einer  Fingerspitze 
gegen  die  Längsaxe  des  Gliedes  gerichtete  Klopfen  unter  dem  Hacken  mit  der 
grössten  Sicherheit  und  Begelmässigkeit,  während  die  Haut  des  Hackens  in 
dem  Maasse  anästhetisch  ist,  dass  der  Kranke  daselbst  weder  das  Quetschen 
einer  Hautfalte  noch  tiefe  Nadelstiche  überhaupt  wahrnimmt  Jene  Empfindung 
kann  daher  nur  in  den  Gelenken  der  Fusswurzel  oder  im  Fussgelenk  entstehen. 

Ich  vermuthe  hiemach  weiter,  dass  den  Gelenkempfindungen  unter  Um- 
standen eine  vicariirende  Thätig^eit  zukommt,  vielleicht  sogar  in  der  Weise, 
dass  der  Gelenksinn  —  wenn  man  das  Wort  passiren  lassen  will  —  einer  Ver- 
schärfung dann  fähig  ist,  wenn  das  Sensorium  bei  der  Orientirung  über  die 
Zustände  der  Extremitäten  vornehmlich  oder  gänzlich  auf  ihn  angewiesen  ist 
Wahrscheinlich  beruht  die  grössere  Sicherheit,  welche  die  Tabischen  in  der  Be- 
herrschung der  Extremitäten  gewinnen,  sobald  sie  erst  einmal  mit  den  Hacken 
auf  den  Boden  gelangt  und  in  Grang  gekommen  sind,  andererseits  —  wenigstens 
zum  Theil  —  die  grössere  Kraft,  mit  der  sie  die  Hacken  aufsetzen  auf  der 
verstärkten  Inanspruchnahme  der  Gelenkempfindungen. 

Und  in  gleicher  Weise  scheinen  sich  die  Erfahrungen  von  Leyden  zu  er- 
klären. In  der  That  gaben  seine  Kranken  an,  sie  empfanden  die  Schwere  der 
Belastung  theils  an  der  Stelle,  wo  der  Fuss  die  Pelotte  trifft,  theils  in  den 
Gelenken.  Jedenfalls  hat  es  sich  dabei  also  um  die  Apperception  periphe- 
rischer, nicht  aber  um  die  intercentraler  Empfindungen  gehandelt 

Jedoch  scheinen  mir  die  von  dem  Haut-  und  dem  Muskelsinn  unabhängigen 
Empfindungen  auch  bei  den  Bewegungsverrichtungen  der  Gesunden  eine  grössere 
Bolle  zu  spielen  als  man  bisher  anzunehmen  geneigt  war.  Ich  schliesse  das 
ans  der  oben  von  mir  mitgetheilten  Thatsache,  dass  Personen,  welche  eine  Be- 
lastung der  unteren  Extremität  von  60  gr  überhaupt  nicht  appercipiren,  einen 
Zuwachs  von  60  gr  zu  einer  Anfangsbelastung  von  200  und  von  250  gr  etc. 
leicht  erkennen.^^  Wären  die  Muskelempfindungen  bei  der  Schätzung  einzig 
und  allein  ausschlaggebend,  so  müsste  das  Umgekehrte  zutreffen.    Wenn  die 


^  Die  Thatsache,  dass  die  Feinheit  der  Schätzung  mit  der  Zunahme  der  Belaetong 
bis  za  einer  bestimmten  Grenze  anwächst,  hat  fUr  die  obere  Extremität  znerst  pKOHirm 
(a.  a.  O.  8.  200)  gefunden  und  nachdem  HBBnro  (bezw.  Bibdxbhakn  und  Loewit  a.  a.  O, 
9,  84)  bestätig 


—    292     — 

der  Schätzung  zu  Grunde  liegende  Bewegungsempfiuduug  sich  jedodi  ausserdem 
noch  aus  den  Empfindungen  von  Zug  an  Fascien  und  Bändern  und  von  Pres- 
sungen der  Grelenkflächen  zusanmiensetzt,  so  wird  die  Thatsache  ohne  Weiteres 
verstandlich;  denn  die  anatomischen  Verhältnisse  der  imteren  Extremität,  das 
grössere  Gewicht  ihrer  Theile,  bedingen  naturgemäss  einen  höheren  Schwellen- 
werth  für  die  in  I^'rage  konunenden  Beize.  — 

Wenn  man  also  Gewichte  schätzen  lässt,  so  misst  man  die  Summe  der 
im  EinzelfaUe  wirksam  werdenden,  aus  jenen  verschiedenen  Quellen  herstammen- 
den Empfindungen,  Bewegungsempfindungen  im  weitesten  Sinne.  Das  werden 
in  der  Norm  vornehmlich,  aber  keineswegs  ausschliesslich  Muskelempfindungeu 
sein,  —  hierin  stimme  ich  Leyden  und  Bastian  vollkonmien  bei  —  bei  Knmk- 
heiten  kann  das  Verhältniss  sich  indessen  derart  ändern,  dass  gerade  diese 
Empfindungen  gänzlich  zurücktreten. 

Ghablton  Bastian  hat  für  die  Wahrnehmung  der  Gesammtheit  jener 
Empfindungen  den  Ausdruck  „Kinaesthesis'^  (Kinaesthetic  impressions)  vorge- 
schlagen und  ich  selbst  finde  gegen  ein  solches  Sammelwort,  wenn  es  auf  eine 
schärfere  Präcision  dessen,  was  bisher  vielfach  „Muskelsinn''  genannt  wurde, 
ankommen  soll,  im  Prindp  nichts  einzuwenden.  Nur  wird  mir  von  competenter 
Seite  versichert,  dass  das  Wort  in  sprachlicher  Beziehung  nichts  tauge.  Mir 
thut  das  aufrichtig  leid.  Denn  wenn  ich,  im  Uebrigeu  Bastian  folgend,  den 
beschriebenen  Apparat  nicht  „Kinaesthesiometer''  genannt  habe,  so  verhehle  ich 
mir  keinesw^s,  dass  dieses  Wort,  wenn  auch  sprachlich  unrichtig,  sich  doch 
zum  Sprechen  immer  noch  besser  eignet,  als  das  sprachlich  richtigere  „Kinesi- 
aesthesiometer.'' 


IL  Referate. 


Anatomie. 

1)  Kraniometrie  und  Kephalometrie.  Vorlesungen  gehalten  au  der  Wiener  Allge- 
meinen Poliklinik  von  Prof.  Dr.  M.  Benedikt.  Mit  36  Holzschnitten.  YIIl  und 
172  S.     (Wien  und  Leipzig,  Urban  &  Schwarzenberg.     1888.) 

Ein  werth  volles  Werk,  die  Frucht  grosser  Opfer  an  Zeit  und  Geld,  und  reich 
au  originellen  Gedanken.  Wie  Verf.  selbst  sagt,  ist  der  Zweck  desselben  Kranio- 
scopie  zu  lehren.  Einerseits  sollen  sich  die  Kliniker  überzeugen,  dass  hereditäre 
sowie  frflhzeitig  erworbene  Erkrankungen  des  Centralnervensystem's  mit  atypischen 
Formen  grösserer  oder  kleinerer  Abschnitte  des  Sch&dels  verbunden  zu  sein  pfl^en; 
andererseits  werden  dem  modernen  Morphologen  Hilfsmittel  an  die  Hand  gegeben, 
durch  die  er  mit  genügender  Genauigkeit  Diagramme  organischer  Gebilde  aufzeichnen 
und  überhaupt  jeden  Punkt  im  Baume  construiren  kann,  und  durch  die  z.  B.  der 
Anatom  die  strenge  Gesetzmässigknit  im  Bau  des  anscheinend  so  unregelmässig  ge- 
formten Schädels  zu  erkennen  vermag.  Die  letzte  Aufgabe  der  wissenschaftlichen 
Craniologie  wird  es  ja  sein,  aas  der  Gestalt  des  Schädels  auch  die  das  Wachsthum 
desselben  bedingenden  Kräfte  und  deren  Gesetze,  also  die  Biomechanik  des  Schädels, 
abzuleiten.  Für  derartige  Untersuchungen  wird  der  optische  Kathetometer  B.*8  von 
grosser  Wichtigkeit  werden;  eine  Preisangabe  ist  nicht  gemacht,  doch  wird  seine 
Anschaffong;  so  weit  man  nach  den  Abbildungen  zu  beurtheilen  vermaj;,  leider  selbol 


—    293    — 

in  einfachster  AnsfÜhrang  so  theuer  sein»  dafs  sie  nur  vereinzelten  Forschem  und 
Laboratorien  möglich  .sem  dflrfte. 

Den  Apparat  selbst  zu  beschreiben,  ist  hier  nicht  möglich;  es  sei  nur  erwähnt, 
dass  er  im  Gegensatz  zu  allen  anderen  Messinstrnmenten  für  craniometrische  Zwecke, 
speciell  anch  zu  den  sonst  so  scharfsinnig  erdachten  Apparaten  Biegers^s  und  Mies\ 
als  optischer  Eathetometer  also  nach  Art  eines  Theodolithen  zur  Bestimmung  der 
drei  Banmcoordinaten  ausgeführt  ist. 

Ein  Hauptergebniss  der  wissenscbaftlichen  Untersuchung  des  Verf/s  ist  die  Ent- 
deckung, dass  die  ganze  Oberfläche  des  Schädels  aus  einer  bestimmten  Anzahl  von 
Eugelschalen  besteht  von  oft  recht  verschiedenem  Badius.  Femer  entspricht  jedem 
SchalentheU  ein  bestimmter  Hirnabschnitt  und  es  existirt  ein  conformes  Yerhältniss 
zwischen  beidw  Wachsthnm.  Eines  echten  Naturforschers  würdig  ist  dann  der  Qe- 
danke,  aus  den  Erümmungsmittelpunkten  der  einzelnen  Eugelschalen,  die  also  ge- 
Wissermassen  die  Centren  der  zugehörigen  Himabschnitte  sind,  einen  Eörper  zu  con- 
stmiren  und  dies  für  jede  Altersstufe  des  wachsenden  Schädels  zu  wiederholen;  aus 
dem  Vergleich  dieser  Serie  von  ,,Centralkörpem"  mit  einander  wird  sich  dann  die 
Morphologie  und  auch  die  Mechanik  des  Hirawachsthums  erkennen  lassen.  Es  ge- 
hört allerdings  eine  Entsagung  auf  persönlichen  Erfolg  dazu,  an  derartigen  Problemen 
zu  arbeiten:  vorläufig  fehlen  ja  noch  fast  alle  Materialien  dazu  und  dann  bedarf 
es  noch  der  vollständigen  Beherrschung  der  angewandten  Mathematik.  Mögen  sich 
die  Mitarbeiter,  deren  Mangel  Verf.  lebhaft  beklagt,  zu  diesem  Werke  finden;  sie 
werden  freilich  nur  in  besonders  gut  eingerichteten  Laboratorien  arbeiten  können, 
da  der  nothwendige  Apparat  sehr  gross  und  kostspielig  ist. 

Für  die  praktischen  Bedürfnisse  des  Irren-  und  des  Gerichtsarztes  sind  ein- 
fachere Methoden  genügend,  um  zu  werthvoUen  und  verwendbaren  Besultaten  zu  ge- 
langen. Ein  guter  Tasterzirkel  und  ein  (öfters  zu  controUirendes)  Messband  reichen 
für  die  meisten  Bedürfnisse  aus. 

Auf  zwei  Grandsätze  baut  sich  die  praktische  Craniologle  auf:  abnorme  Form 
des  Schädels  deutet  auf  abnorme  Entwickelung  des  Hims,  und;  abnorme  Entwickelung 
des  Hims  deutet  auf  abnorme  Gehimfunction. 

Der  Einfluss  absoluter  oder  relativer  Mikro-  und  Makrocephalie  ergiebt  sich 
sehr  leicht;  mit  gewissen  Extremen  ist  eine  normale  Function  unvereinbar  und  für 
viele  andere  Fälle  ist  sie  sehr  unwahrscheinlich.  Von  ähnlicher  Bedeutung  ist  der 
Nachweis  hydrocephaler,  rachitischer  etc.  Residuen  am  Schädel  und  dann  der  von 
Asymmetrien;  hier  ist  indess  zu  beachten,  dass  grade  die  auffälligsten  Schiefheiten 
ein  Zeichen  hervorragender  Compensation  sein  können,  wie  schon  Yirchow  ange- 
geben hat.  Abnorme  Enochenpunkte,  frühzeitiger  oder  zu  spät  erfolgender  Naht- 
anschluss  sind  ebenfalls  von  grosser  Bedeutung. 

Der  häufig  recht  knapp  gefasste  Inhalt  der  B.*schen  Ausführungen  erschwert 
ein  eingehendes  Beferat  und  es  muss  durchaus  auf  das  Original  verwiesen  werden. 
Von  speciellen  Einzelheiten  sei  hier  noch  erwähnt,  dacs  es  dem  Verf.  gelungen  ist, 
in  Fällen  von  congenitaler  (und  frühzeitig  erworbener)  Blindheit  eine  beträchtliche 
Verkürzung  des  Interparietalbogens,  bei  congenitaler  Aphasie  Stenokrotaphie,  bei 
Taubheit  Verkürzung  des  Schläfenbogens,  bei  Epilepsie  eine  Verkümmerang  der 
Scheitelbeine,  und  bei  criminellen  und  psychopathischen  Individuen  überhaupt  Ab- 
flachung des  Stirnbeins  u.  s.  w.  nachzuweisen. 

Eine  Volumsbestimmung  ist  an  macerirten  Schädeln  bekanntlich  mit  grossen 
Schwierigkeiten  verknüpft.  Von  verschiedenen  Forschem  unternommene  Messungen 
ein  und  desselben  Schädel  ergaben  gewöhnlich  abweichende  Resultate  und  man  hat 
in  der  Voraussetzung,  dass  die  „Fehler"  bei  jedem  üntersucher  constant  bleiben, 
eine  „persönliche  Gleichung"  derselben  aufsetzen  wollen,  um  Vergleiche  ihrer  Resul- 
tate zur  ermöglichen.  Anch  die  auf  Broca's  bahnbrechenden  Arbeiten  bemhenden 
neueren  Methoden  der  „Schädelcubage"  nm  die  sich  besonders  Ranke,  Schmidt  und 


tiooh  it0<n  fehlerfreies  Besoltat.  Hofent- 

.f^Mgcbt  hBbeB,  f^^^^  leider  flrfth  verstorbenen  Schüler's  von 

^  jüker  ^^^'f*M0^^  t'»^Y%Jam8besftmmxmg  (durch  AnfWlnng  einer  dem 

gcijrfajj^j^  App»r*^^  ^  B.'a  sllen,  die  sich  mit  Craniologie  zn  besch&ftigen 

^oeB  2]JJ^jÄ  BBi  ^     v^enn  «an  auch  nicht  in  der  Lage  ist»  ein  so  kostbares 

warm  ^^P^?^ß' es  erfordert,  zu  besitzen,  so  wird  man  doch  grossen  Vor- 

SS^meo^'^'^'^^nöhüngen  zu  ziehen  vermögen.  Sommer. 

theil  ans  seif^"  

oßotrBien  Endigungen  des  N.  vagus  und  über  die  Zasammen- 
^)  üeif^  ^des  flogenivz^^^  solit&ren   Bündels  des  verlängerten  Harke, 

9^*^^  ^echtereir.     (Wjestnik  psychiatrii   i   nevropatologii.     1888.     V.    2. 
von   W.  ** 

BBSBiflch.; 

bisher  die  Angaben  der  Autoren  über  den  Ursprung  der  Fasern  des  N.  vagus 
A  A  FunicuJus  solitÄrius  im  verlängerten  Mark  viele  Widersprüche  enthalten,  ver- 
1  iß  es  Verfasser  diesen  Fragen  durch  das  Studium  embryonaler  Präparate  näher 
^"^  treten.  Gehirne  von  Früchten  früher  Perioden  (ca.  28  cm  Länge)  erwiesen  sich 
'u  diesem  Befunde  am  geeignetsten,  da  zu  dieser  Zeit  die  meisten  Fasersysteme  des 
verlängerten  Marks  noch  keine  Myelinscheiden  besitzen,  und  deshalb  die  markhal- 
tigen  Fasern  der  Nervenwurzeln  bei  Weigert 'scher  Färbung  sich  genau  verfolgen 

lassen. 

Die  Wurzelfasem    dos  N.  vagus  verlaufen  nach  ihrem  Eintritt  in*s  verlängerte 

Mark  in  verschiedener  Richtung.  Ein  bedeutender  Theil  derselben  zieht  direct  zum 
Vaguskem,  der  am  Boden  des  4.  Ventrikels  aufwärts  und  lateral  vom  Hypoglossus- 
kern  liegt  und  kleine  Nervenzellen  enthält  Doch  nicht  alle  Fasern  dringen  in  diesen 
Kern  ein,  sondern  ein  Theil  zieht  an  letzterem  sowohl,  als  am  Hypoglossuskem  ven- 
tralwärts  vorüber,  überschreitet  die  Baphe  und  tritt  an  der  gegenüberliegenden  Seite 
zum  N.  ambiguus.  Ein  anderer  TheÜ  der  Vagusfasern  geht  von  ihrem  Eintritt 
direct  zum  N.  ambiguus;  ein  dritter  endlich  zieht  zum  solitären  Bündel  hin,  und 
dieses  Verhalten  lässt  sich  mit  solcher  Deutlichkeit  demonstriren,  dass  jeder  Zweifel 
ausgeschlossen  ist.  Die  von  einigen  Autoren  behaupteten  Verbindungen  der  Vagus- 
fasern  mit  der  gelatinösen  Substanz  des  Hinterhoms,  dem  Fasciculus  teres  und  dem 
Hypoglossuskem  bestreitet  Verf.  auf  Grund  seiner  Untersuchungen.  Dagegen  ergiebt 
das  Studium  fortlaufender  Schnittreihen  fötaler  Gehirne,  dass  diejenigen  Vagusfasem, 
welche  in  das  solitäre  Bündel  eintreten,  aus  letzterem  zur  gegenüberliegenden  Seite 
ziehen,  wo  sie  anscheinend  in  einem  besonderen  Kern  endigen,  welcher  medialwärts 
von  den  Hypoglossuswurzeln  mid  dorsalwärts  von  den  unteren  Oliven  liegt  Dieser 
Kern  wurde  von  Misslawski  vor  Kurzem  als  Athmungscentrum  beschrieben  (vgl. 
dieses  Centralblatt  1886,  S.  560),  und  es  ist  deshalb  anzunehmen,  dass  die  in  Rede 
stehenden  Vagusfasem  in  unmittelbarer  Beziehung  zur  Athmung  stehen. 

Ausser  den  soeben  besprochenen  enthält  das  solitäre  Bündel  B.*s  Angaben  zu- 
folge nur  noch  Glossopharyngeusfasem;  letztere  stammen  aus  einer  Anhäufung  kleiner 
Zellen,  welche  vor  und  medialwärts  vom  Kern  des  zarten  Strangs  in  der  Höhe  der 
oberen  Pyramidenkreuzung  liegt.  Eine  Fortsetzung  der  zum  Bestand  des  solitären 
Bündels  gehörenden  Fasern  in  das  Halsmark  bestreitet  B.  ausdrücklich;  auch  die  An- 
gaben Gierke*s  über  Beziehungen  desselben  zum  Facialiskem  und  zu  den  Zellen  der 
reticulären  Formation,  sowohl  als  die  Behauptung  Koller's,  dass  ein  Theil  der 
Fasern  des  solitären  Bündels  aufwärts  zieht  und  in  dio  aufsteigende  Trigeminus- 
wnrzel  eintritt.,  erklärt  B.  für  irrthümlich.  P.  Eosenbach. 


—    296    — 

Physiologie. 

3)  Ueber  den  Weg  der  „G^ohmacksfasem**  zum  (Gehirn.    Inaugoral-DiBser- 
tation  von  H.  Salomonsohn.     (Berlin.    März  1888.     30  Seiten.) 

Nachdem  durch  zahlreiche  Forscher  festgestellt  war,   dass   der   grOsste  Theil 
der  geschmackgempfindenden  Nerven  von  den  vorderen  zwei  Dritttheilen  der  Zunge 
vom  Lingnalis  in  die  Chorda  tympani,  und  mit  dieser  in  den  Facialis  übertrete  und 
bis  zum  GangL  genicuL  in  diesem  verbleibe,  wurden  über  den  weiteren  Verlauf  be- 
sonders 2  Ansichten  geltend  gemacht.   Lussana  glaubt,  dass  die  Geschmacksnerven 
im  Fiacialis  verbleiben  und  zur  Port  intermed.  Wrisberg.  gehn,  so  dass  der  Facialis 
als  der  eigentliche  Geschmacksnerv  anzusehen  wäre.    Nach  Schiff  geht  der  grösste 
Theil  der  Geschmacksnerven  vom  Gangl.  genic.  durch  den  Nerv.  petr..  superf.  maj. 
zum   Ganglion   sphenopalai  und   zweiten  Ast   des.  Trigeminus.    Ein  kleinerer  Theil 
verliefe  häufig  gar  nicht  in  der  Chorda,   sondern   würde   vom  GkmgL  oticum,   mit 
welchem  der  Lingual,  in  Verbindung  steht,   durch  den  Nerv.  petr.  sup.  min.,   das 
Gangl.  genia,  den  Nerv.  petr.  sup.  mi^.  dem  Gangl.  sphenopalatinum  und  damit  dem 
Trigem.  zugeführt,   so  dass  der  zweite  Ast  des  Trig.,   der  SupramaxiUaris  der  Ge- 
schmacksnerv des  vorderen  Theils  der  Zunge  wäre.    Die  einschlägigen  experimen- 
tellen Versuche  an  Thieren  widersprecben  sich  völlig.     Ueber  die  Beobachtungen  au 
Menschen  hat  Erb  in  seinem  Handbuch  von  1874  die  hierauf  bezüglichen  Kranken- 
gesehiditen  einer  Kritik  unterworfen,  und  giebt  er  daselbst  Fälle  an,  die  für  Schiffes 
Ansicht  sq[>rechen,  d.  h.  Fälle  von  isolirter  völliger  Anästhesie  des  Trigem.  mit  gleich- 
zeitiger Aufhebung  des  Geschmacks  an  der  vorderen  Zungenhälfte.     Die  für  die  An- 
sicht Lussana^s  sprechenden  Fälle  von  Lähmung  des  Quintus  ohne  Ageasie  konnte 
Erb  als  beweisend  nicht  ansehen,   da   in   keinen   derselben   eine  Degeneration  aller 
Fasern   des   Trigem.   nachgewiesen   wurde.     1875   veröffentlichte   Carl  (Archiv  für 
Ohrenheilkunde  X)  einen  Fall  von  Hemiageusie,  auf  Grund  dessen  er  eine  neue  An- 
sicht über  den  Verlauf  der  GFeschmacksnerven  aufzustellen  suchte;   danach  wäre  der 
Glossopbaryngeus  als  der  eigentliche  G^eschmacksnerv  auch  für  die  vorderen  Dritt- 
theile  anzusehen;  während  er  die  Ursache  der  G^eschmacksstörong  in  dem  Nerv,  und 
Plex.  tympanicas  suchte,  lässt  sich  dieselbe  auch  in  seinem   Falle  in  der  Chorda 
finden,  wie  es  Verf.  nachzuweisen  sucht.    Schon  1876  wies  Urbantschitsch  (Be- 
obachtungen über  Anomalien  des  Geschmacks  etc.  in  Folge  von  Erkrankungen  der 
Paukenhöhle,  Stuttgart)  nach,  dass  der  Plex.  tympanicus  keinen  hervorragenden  An- 
theil  an  der  Uebermittelung  der  Geschmackseindrücke  vom  vorderen  Theil  der  Zange 
habe,   sondern  dass  wir  die  Hemiageusie  nach  Mittelohrcatarrhen  auf  Läsionen  der 
Chorda  zu  beziehen  haben.    Ans  der  Fortsetzung  der  Besprechung  der  seit  1874 
publicirten  Beobachtungen  von  halbseitiger  G^eschmacksstörung  der  vorderen  2  Drittel 
der  Zunge  ergiebt  sich,   dass   von   allen   Fällen   für   die  Ansicht   Lussana's   oder 
Carls  auch  nicht  einer  zu  verwerthen  ist;   nur  der  von  Erb  im  Jahre  1870  be- 
obachtete Fall  lässt  den  Verlauf  der  Gteschmacksnerven  klar  erkennen  und  mit  Be- 
stimmtheit in  den  Trigem.  verlegen.    Eine  zweite  fQr  die  Ansicht  Schiffes  beweis- 
kräftige Beobachtung  konnte  S.  aus  der  Poliklinik  der  Proff.  Mendel  und  Eulen- 
bnrg  veröffentlichen. 

Ein  37 jähriger  Schlosser,  der  1876  von  Bleikolik  befallen  war  und  seitdem  nie 
wieder  mit  Bleiarbeiten  zu  thnn  hatte,  hatte  nie  an  Ohrenkrankheiten  gelitten;  luetische 
Infection  stellte  er  in  Abrede,  ebenso  wie  Abusus  spirituosorum.  Juni  1887  litt  er 
an  heftigen  rechtsseitigen  Kopfschmerzen  und  Schmerzen  im  rechten  Oberkiefer.  Am 
9.  Oetober  bemerkte  er  beim  Erwachen,  dass  er  mit  dem  rechten  Auge  nicht  klar 
sehen  könne;  anfangs  hatte  er  noch  einen  schwachen  Lichtschein,  bis  er  am  24.  Oetober 
auf  dem  rechten  Auge  ganz  erblindet  war.  Im  November  1887  wurde  er  von  Prof. 
Mendel  Torgestellt  und  zeigte  völlig  erhaltene  Intelligenz.  Das  rechte  Auge  zeigte 
eine  Protusio  bulbi,  ist  im  Allgemeinen  gut  beweglich  bis  auf  ein  geHuges  Zurück- 


—    296    — 

bleiben  beim  forcirien  Blick  nach  rechts.  Die  rechte  Pupille  ist  weiter  als  die  linke 
und  gegen  Lichteinfall  unempfindlich.  Der  Augenhintergrund  normal  (Prof.  Hirsch - 
berg).  Der  Geruch  rechts  ist  yöUig  aufgehoben,  links  normal.  Die  Schmeckföhig- 
keit  war  links  gut,  während  rechts  auf  den  vorderen  zwei  Dritttheilen  ,,sauer",  ,,8ü88" 
und  ,,salzig''  überhaupt  nicht  geschmeckt  wurde;  bei  Chinin  gab  der  Pat.  an,  er 
schmecke  etwas,  ohne  die  Qualität  angeben  zu  können.  Auf  dem  hinteren  Abschnitt 
der  Zunge  wurden  die  Stofife  rechts  ebenso  richtig  und  schnell,  wie  links  erkaiiot 
Die  Sensibilität  war  genau  im  ganzen  Grebiete  des  N.  supramaxillaris  mit  allen  seinen 
kleineren  Aesten  und  Verzweigungen  auf  der  rechten  Seite  erheblich  herabgesetzt. 
Nadelstiche  wurden  nur  als  ganz  stumpfe  Bertthrungen  empfunden,  erst  bei  tiefem 
Einstechen  waren  sie  schmerzhaft.  Am  oberen  Theil  der  rechten  Nasenscheidewand 
wie  an  allen  Stellen,  die  nicht  von  den  Zweigen  des  N.  snpFamaxill.  Tersorgt  werden, 
war  die  Sensibilität  normal.  Die  Percussion  des  rechten  Schädels  war  schmerzhaft. 
Die  Bewegung  der  Zunge,  Uvula,  Gesichts-  und  Eörpermnskulatur  war  völlig  normal. 
Nach  Einleitung  einer  energischen  antiluetischen  Cur  stellte  sich  schon  nach  wenigen 
Tagen  die  Aufhebung  des  Geschmacks  und  die  Anästhesie  bis  zu  einem  gewissen 
Grade,  wie  der  Geruch  wieder  her;  auch  das  Auge  erlangte  etwas  Sehfähigkeit 
wieder;  doch  war  im  December  eine  beginnende  Excavation  der  Papilla  optic.  an  con- 
statiren.  Die  Erkrankung  des  rechten  Auges,  welche  sich  unzweifelhaft  als  eine 
retrobulbäre  Neuritis  charakterisirte,  Hess  mit  der  Hervortreibung  des  Auges  eine 
Ck)mpression  des  Nervus  opticus  annehmen,  die  wegen  des  Mangels  eines  veränderten 
Hintergrundes  des  Auges  nicht  dicht  am  Sehnerveneintritt,  sondern  zwischen  dem 
Ghiasma  und  Foramen  optic.  zu  suchen  war.  Die  Beschränkung  in  der  Beweglich- 
keit des  Auges  nach  aussen  wird  durch  die  Yortreibung  des  Augapfels  erklärt, 
die  rechtsseitige  Mydriasis  durch  Sympathicus-Eeizung  von  Seiten  der  Gompressions- 
ursache.  Diese  wird  kurzwog  als  Tumor  erklärt.  Die  Annahme  der  LocaUsation  des 
Tumors  am  Foramen  optic  wird  gesichert  sowohl  durch  die  Lähmung  des  Olfactorius, 
als  durch  die  Ergebnisse  der  Sensibilitätsprfifung,  welche  uns  auf  eine  Läsion  des 
Supramaxillaris  schliessen  lässt.  Der  Tumor  zog  sich  wahrscheinlich  vom  medialen 
Rande  des  For.  optic,  wo  er  den  Nerv,  opticus  und  den  Nerv,  olfact.  comprimirte  an 
der  äusseren  Wand  des  Sin.  sphenoid.  dexter  herab  zum  For.  rotund.,  wo  er  auf  den 
Nerv,  supramaxillaris  einen  Druck  ausübte.  Ein  derartig  localisirter  Tumor  konnte 
weder  auf  den  Facialis,  noch  auf  den  Glossopharyogeus,  noch  auf  den  Plexus  tym- 
pauicus  einen  Einfluss  ausüben.  Es  blieb  daher  für  die  Hemiageusie  anterior  keine 
andere  Erklärung,  als  die,  dass  die  Geschmacksnerven  gleichzeitig  mit  den  anderen 
Fasern  des  IL  Trigeminusastes  comprimirt  wurden;  und  man  darf  daher  annehmen, 
dass  die  Geschmacksfasem  vom  Lingualis  durch  die  Chorda  in  den  Facialis  und  ver- 
mittelst des  Nerv,  petros.  superf.  major  zum  Ganglion  sphenopalatin.  und  in  den 
Supramaxillaris  gelangen;  dass  in  manchen  Fällen  ein  Theil  dieser  Fasern  durch 
das  Ganglion  oticum  und  den  Nerv,  superfic  minor  in  das  Ganglion  geniculi  verläuft 
und  damit  die  Bahn  des  vorderen  Theiles  erreicht;  endlich  dass  ein  Uebertritt  oder 
Austausch  von  Geschmacksfasem  des  Trigem.  und  Glossopharyng.  im  Plexus  tym- 
panicus  stattfindet  Eine  solche  Annahme  dürfte  alle  bisher  beobachteten  Störungen 
des  Geschmacks  erklären.  Sie  erklärt  die  Geschmacksempfindungen  bei  Beizungen 
in  der  Paukenhöhle;  sie  erklärt  den  (}eschmacksverlust  bei  Trigeminuslähmui^,  bei 
Facialisparalyse  und  bei  Läsionen  der  Chorda;  sie  erklärt  endlich  auch  die  Fälle, 
in  denen  bei  Paralyse  des  Facialis  oder  der  Chorda  der  G^chmack  nur  herabge- 
setzt ist,  durch  die  directe  Verbindung  zwischen  Ganglion  oticum  und  Ganglion 
geniculi  in  befriedigender  Weise.  —  Eine  genaue  Angabe  der  einschlägigen  Litteratur 
finden  wir  im  Text.  —  Kaiischer. 


~     297     — 

Pathologie  des  Nervensystems. 

4)  Des  CSontractures.  Oontraotures  en  gönäral.  La  Contraoture  spasmo- 
dique.  Les  Pseado-Contraotures.  Par  le  Dr.  Paul  Blocqu.  (Paris  1888. 
Publicatioiis  du  Progr^  m^dical.     210  Seiten.    A.  Delahaye  A  E.  Lecrosnier.) 

Der  erste  Hauptabschnitt  des  Werkes  handelt  von  den  Contracturen  im  Allge* 
meinen.  Als  Contracturen  werden  die  yerschiedenen  krankhaften  Zustände  der  Mus- 
keln bezeichnet,  die  sich  durch  andauernde  und  unwillkürliche  Bigidit&t  kennzeichnen. 
Man  kann  dieselben  vom  klinischen  Standpunkte  in  Contracturen  mit  und  ohne 
Krampf erscheinungen  eintheilen;  vom  physiologischen  Gesichtspunkte  in  solche  mit 
und  ohne  Betheiligung  des  Nervensystems;  und  in  anatomischer  Beziehung  kann 
man  die  Contracturen  mit  offenbaren  Veränderungen  in  den  Muskeln  von  denen  ohne 
solche  trennen.  Auszuschliessen  von  den  Contracturen  sind  die  tonischen  Convulsionen 
Yorübergehender  Natur^  die  schmerzhaften  Crampi,  die  Tics  (klonische  Zuckungen), 
die  Catalepsie,  die  fibröse  Retraction,  die  Verkürzung  durch  Gewöhnung  und  An- 
passung in  Folge  von  Lähmung  der  Antagonisten. 

Nach  Besprechung  der  diagnostischen  Merkmale,  wie  Inspection,  Palpation,  Per- 
cttssion,  Auscultation,  Thermometrie,  Microphon,  Elektricitat,  Chloroformnarcose  etc. 
geht  B.  zum  zweiten  Hauptabschnitt  über.  Dieser  enthält  die  spastischen  Contrac- 
turen (Contracture  spasmodique).  Dieselben  sind  mit  Erampfzust^nden  und  Bethei- 
ligung  des  Nervensystems  verbunden,  ohne  eine  anatomische  Veränderung  der  Muskel- 
Substanz  selbst  aufzuweisen.  Ihre  klinischen  Merkmale  sind:  das  (Gefühl  des  elastischen 
Widerstandes,  die  Localisation  in  functionell  zusammengehörigen  Muskelgruppen,  die 
Mitbetheiligung  der  Antagonisten,  die  Neigung  zur  Verbreitung,  die  Steigerung,  der 
Sehnenreflexe,  oft  auch  Fussklonus,  das  Schwinden  in  der  Chloroformnarcose,  die 
normale  elektrische  Beaction,  das  Schwinden  nach  längerer  Anwendung  des  Esmaroh*- 
schen  Schlauches,  der  Wechsel  in  der  Intensität,  der  häufig  traumatische  Ursprung 
etc.  Die  spastische  Contractur  ist  häufig  mit  einer  Läsion  der  Pyramidenseitenstränge 
verbunden;  allein  sie  kommt  auch  ohne  eine  solche  vor;  und  eine  Läsion  der  Pyra- 
midenseitenstränge muss  nicht  immer  von  spastischer  Contractur  gefolgt  sein.  B.  be- 
trachtet sie  als  einen  Beflexvorgang,  der  in  dem  Erethismus,  in  der  krankhaften 
Erregbarkeit,  in  einer  dynamischen  Läsion  der  Ganglienzellen  der  VorderhOmer  seinen 
Ursprung  hat.-  Diese  Erregbarkeit  kann  bedingt  sein  direct  durch  toxische  Stoffe, 
Strychnin  oder  durch  den  Fortfall  des  Uemmungseinflusses,  oder  sie  ist  indirect  be- 
dingt durch  Beize  von  den  peripherischen  centripetalen  sensiblen  Nerven,  oder  von 
den  Pyramidensträngen  aus.  Der  Weg  von  den  letzteren  zu  den  Ganglienzellen  der 
VorderhOmer  geht  oft  durch  die  Elemente  der  Hinterhömer  hindurch.  Die  spastische 
Contractur  kommt  vor  bei  secundärer  Degeneration  der  Pyramidenstränge,  bei  amyo- 
trophischer Lateralsklerose,  bei  multipler  Sklerose,  Compressionsmyelitis,  Tetanus, 
Hysterie,  Hypnotismus  etc.  Die  Erregbarkeit  der  Ganglienzellen  der  VorderhOmer 
bei  Hysterie,  Trauma,  Suggestion  ist  vielleicht  durch  den  Fortfall  der  cerebralen 
Hemmung  in  der  Leitungsbahn  bedingt;  mit  neuer  Erregung  dieser  Fasem  von  der 
Binde  aus  kann  sie  plötzlich  schwinden;  durch  den  Fortfall  der  Hemmung  entsteht 
eine  Steigerang  der  physiologischen  Tonicitäi  Die  „Diath^e  de  contractures''  ist 
ein  Stigma  der  Hysterie,  eine  übermässige  motorische  Beaction  der  irritirten  Centren; 
sie  kann  durch  die  verschiedensten,  oft  geringsten  Beize  und  Gelegenheitsursachen 
offenbar  werden.  Eine  ähnliche  latente  Disposition  zu  Contracturen  findet  sieb  auch 
bei  manchen  organischen  Leiden,  so  beobachtete  sie  Charcot  in  je  einem  Falle  von 
Apoplexie,  nnd  Compressionsmyelitis  und  bei  Pachymeningitis  cervicalis  hypertrophica. 
Die  spastische  Contractur  kann  schwinden;  doch  bleiben  in  manchen  Fällen  irre- 
parable Folgezustände  durch  trophische  Störangen,  fibro-tendinöse  Betraction  von 
Sehnen  nnd  Ligamenten  zurück,  ohne  dass  die  Muskeln  selbst  verändert  oder  fibrös 
sind;  diese  Folgeerscheinungen,  wie  sie  bei  der  Betraction  der  Aponeur.  palm.  auch 

19 


—    298     — 

spontan  vorkommen,  werden  vielfach  auf  eine  arthritische  Diathese  zurückgeführt; 
derartige  secnndäre  Schrumpfungen  können  bei  allen  spastischen  Gontracturen  vor- 
kommen, seien  dieselben,  organischen  oder  hysterischen  Ursprungs.  Bei  Hysterie  sind 
sie  seltener,  weü  Sehnenrisse  und  trophische  Störungen  da  nicht  so  häufig  sind  wie 
bei  organischen  Leiden.  Die  hysterisclie  Contractur  ist  oft  ohne  anderweitige  auf- 
fallende Symptome  der  Hysterie  als  locale  Hysterie  beobachtet  worden.  Bei  Gelenk- 
leiddn  und  namentlich  bei  Arthritis  nodosa  entstehen  die  trophischen  Störungen  und 
Gontracturen  meist  auf  reflectoriscliem  Wege  durch  Beizung  der  peripherischen  Nerven 
und  der  Ganglienzellen  der  Vorderhömer  mit  Erhöhung  der  Beflexerregbarkeit.  In 
nicht  Seltenen  F&llen  complicirt  sich  diese  spastische  Gontractur  mit  Veränderungen 
im  periarticulären  Gewebe,  welche  die  fehlerhafte  Stellung  der  Gontractur  zu  einer 
dauernden  machen  können,  zu  einer  Zeit,  wo  die  reflectorische  Gontractur  längst  ge- 
schwunden ist  So  kann  bei  peripherischer  Neuritis  der  Beiz  auf  die  Ganglienzellen 
der  Torderhömer  durch  den  Zerstörungsprocess  im  Nerven  allmählich  aufhören  und 
somit  auch  der  Einfluss  dieser  auf  die  peripherischen  Gebilde.  Andererseits  kann 
der  peripherische  Beiz  aufhören  und  die  erhöhte  Beflexerregbarkeit  im  Gentrum  fort- 
bestehen. Bei  der  Therapie  der  spastischen  Gontractur  ist  jeder  chirurgische  Ein- 
griff cöntraindicirt,  so  lange  als  der  krampfhafte  Zustand  noch  besteht;  ist  die  Gon- 
tractur geschwunden  und  die  Deformation  sicher  als  durch  fibröse  Beiractionen  etc. 
bedingt,  erwiesen,  so  sind  chirurgische  Maassregeln  vorzunehmen;  andernfalls  sind 
Massäge,  Elektricität,  Transfert,  Suggestion  im  wachen  und  hypnotischen  Znstapde  etc. 
anzuräthen.  Der  dritte  Abschnitt  handelt  von  den  Pseudo-Gontracturen,  die  mit  den 
spastischen  Gontracturen  nur  das  Symptom  der  Steifigkeit  gemeinsam  haben;  sie 
kommen  ohne  Krämpfe,  ohne  Betheiligung  des  Nervensystems  durch  Veränderungen 
in  der  Musculatur  selbst  zu  Stande;  die  Beflexe  sind  dabei  nicht  gesteigert,  sondern 
normal,  abgeschwächt  oder  aufgehoben;  die  Antagonisten  sind  meist  nicht  mit  er- 
griffen, die  Intensität  ist  nicht  wechselnd;  Trauma  ist  ohne  Einfluss  auf  ihr  Ent- 
stehen; sie  bieten  das  Gefühl  eines  nicht-elastischen,  mehr  fibrösen  Widerstandes; 
die  Neurose  ist  ohne  Einfluss;  elektrische  Beaction  hängt  nicht  von  der  Bigidität, 
sondern  von  der  Grundursache  derselben  ab;  die  Localisation  ist  eine  unregelmässige; 
die  Anlegung  des  Esmarch'schen  Schlauches  ist  ohne  Einfluss  etc.  Sie  kommt  bei 
den  verschiedenen  Muskelaffectionen  vor,  wie  bei  denen  traumatischen  Ursprungs  oder 
dnr^h  Fremdkörper,  bei  Tumoren,  Gumma  etc.,  bei  Myositis  mit  oder,  ohne  Eiterung 
etc.  iBesonders  betrachtet  werden  die  Pseudo-codtracture  ischemique,  die  Pseudo- 
oonträcture  parkinsonnienne  und  die  Pseudocontracture  des  myopathies  primitives. 
Die  ischämische  Pseudocontractur  tritt  auf  nach  Ligaturen,  Thrombose,  Embolie, 
Aneurysma,  Gompression  durch  Neoplasmen,  die  auf  die  Art.  iliaca  oder  subclav. 
einwirken.  Es  handelt  sich  dabei  weniger  um  Erregung  der  motorischen  Nerven- 
enden durch  das  venöse  Blut,  als  duich  Veränderungen,  welche  der  Mangel  des 
arteriellen  Blutes  in  der  Muskelsubstanz  selbst  hervorruft;  die  nervösen  Gentra  sind 
unbetheiligt.  Diese  Gontractur  myogenen  Ursprungs  wird  vielfach  mit  der  Verände- 
rung der  Muskelsubstanz  bei  der  Todtenstarre  verglichen.  Die  vorübergehende  Lähme 
der  Pferde,  wie  die  von  Gharcot  beschriebene  „Glaudication  intermittente"  gehören 
auch  hierher.  Die  Pseudocontractur  bei  der  Parkinson'schen  Krankheit  (Paralysis 
agittms)  ist  oft  das  erste  und  zuweilen  auch  das  einzige  Symptom  dieser  Erkrankung. 
Das  Zittern  kann  später  folgen  oder  auch  dauernd  fehlen.  Die  Bigidität  hat  oft  eine 
eigenthümliche  Localisation  und  kann  Gontracturen  nach  Hemiplegie,  Paraplegie, 
altemirende  Hemiplegie  vortäuschen.  Fibrilläre  Zackungen  und  Oscillationen,  wie 
sie  bei  der  spastischen  Gontractur  vorkommen,  fehlen,  ebenso  wie  die  charakteristischen 
Zeichen  der  spastischen  Gontractur.  Die  elektrische  Beaction  ist  herabgesetzt,  nicht 
verändert.  Joffroy  hob  schon  hervor,  dass  Veränderungen  der  Muskelsubstanz  dabei 
vorkommen,  namentlich  Vermehrung  der  Kerne,  atrophische  Muskelfasern  etc.,  auch 
fand  er  in  einem  andern  Falle  peripherische  Neuritis;    er   sah   diese  Veränderungen 


^    299      - 

als  zuföllige  Complication  oder  Zeichen  der  Altercachexie  bei  der  Paralys.  agii  an. 
B.  bericlitet  über  einen  Fall,  der  zur  Aatopsie  kam,  und  in  welchem  Gehinii  Bücken- 
mark wie  peripherische  Nerven  frisch  wie  nach  Härtung  und  mehrfachen  Färbungs- 
methoden keine  Veränderung  zeigten;  dagegen  fanden  sich  in  den  betreffenden  Mus- 
keln: Ungleichheit  der  Fasern,  hypertrophische  und  atrophische  Fasern,  Proliferation 
der  Kerne  im  Sarcolemma  und  Eemvermehrung  im  Bindegewebe.  Sieht  er  auch  die 
Parkinson'sche  Krankheit  als  Nervenkrankheit  an,  so  behauptet  er  dennoch,  dass  die 
Rigidität  der  Muskeln  von  einer  Läsion  der  Muskelsubstanz  selbst  herrühren  könne. 
Die  Pseudocontractur  kommt  femer  vor  nach  progressiver  Muskelatrophie  mit  allen 
ihren  Abarten,  nach  Pseuhypertrophie  und  besteht  in  fibröser  Betraction  und  Sklerose 
der  Muskeln,  die  sich  hart  wie  Holz  anfühlen  (Myositis  atrophica,  Sklerose).  Meist 
sind  nur  einzelne  von  den  atrophischen  Muskeln  befallen,  und  oft  retrahiren  sieh 
gerade  die  am  wenigsten  erkrankten  Muskeln.  Das  fibröse  Gewebe  erzeugt  nicht 
activ  durch  seine  eigene  Kraft  die  Deformation,  sondern  die  weniger  angegriffenen 
Muskeln  rufen  durch  Contraction  eine  Stellung  hervor,  die  durch  die  hinzutretende 
Betraction  durch  das  fibröse  Gewebe  zu  einer  dauernden  gemacht  wird;  insofern 
gleicht  diese  fibröse  Betraction  deijenigen,  welche  nach  den  spastischen  Gontracturen, 
wie  oben  beschrieben,  zuweilen  vorkommt;  sie  spielt  eine  mehr  passive  Bolle.  B. 
untersuchte  einen  Fall  spinaler  Muskelatrophie  mit  fibröser  Betraction  und  Defor- 
mation einzelner  Muskeln.  Die  Muskelfasern  waren  stellenweise  ganz  geschwunden. 
Die  erhaltenen  Muskelfasern  hatten  zahlreiche  Kerne  in  ihrem  Innern,  wie  in  der 
Umgebung.  Die  transversale  Streifung  war  erhalten,  doch  unregelmässig.  Die  Muskel- 
fasern selbst  wandeln  sich  in  fibröse  Gewebe  um;  an  einzelnen  Fasern  sieht  man 
Brücken  fibrösen  Gewebes  zwischen  quergestreifter  Muskelsubstanz.  GefSsse  wie 
Nerven  waren  normal.  Das  interfasciculäre  Gewebe  war  wenig  verändert,  während 
das  interfibrilläre  Gewebe  sklerotisch  war. 

Beispiele  fremder  wie  eigener  Beobachtung,  experimentelle  Versuche  und  schöne 
Abbildungen  mikroskopischer  Präparate  erhöhen  den  Beiz  des  lesenswerthen  Werkes. 

Kalischer. 

6)  Ueber  einen  Fall  von  abortiver  Fachymoningitis  cervioalis  hypertrophioa, 

von  Dr.  E.  Bemak,  Berlin.     (Deutsche  med.  Wochenschr.  1887.  Nr.  26.) 

Ein  ISjähriger  Knabe  war  am  24.  December  1886  ziemlich  plötzlich  von  einer 
degenerativ-atrophischen  Parese  beider  Hände  im  Gebiete  des  Medianus  und  Ulnaris 
befallen  worden:  Klauenstellung  der  Finger,  Unfähigkeit  der  Beugung  in  den  Basal-, 
der  Streckung  in  den  Endphalangen,  Unmöglichkeit  der  Opposition  des  Daumens; 
am  Oberarm  normale,  über  dem  Handgelenk  kaum  bemerkbare  elektrische  Erregung 
des  Medianus  und  Ulnaris;  die  directe  Erregbarkeit  der  Binuenmuskeln  der  Hand 
fast  Null,  Entartungsreaction  nachweisbar;  Sensibilitätsstörungen,  besonders  in  der 
Yola  manus,  Herabsetzung  der  Kälteempfindung  u.  s.  w. 

Nach  einigen  Tagen  leichte  spastische  Parese  der  Unterextremitäten.  Am  10.  Jan. 
erhob  B.  diesen  Befund  und  fand  ausserdem  eine  grosse  Empfindlichkeit  des  1.,  2.  und 
3.  Bückenwirbels  auf  Druck.  Die  typische  Muskelatrophie  war  bei  dem  Alter  des 
Pai  und  der  schnellen  Entstehung  auszuschliessen;  es  blieb  die  Frage,  ob  Syringo- 
myelie  oder  Pachymengit.  cervical.  hypertroph.?  —  Als  bei  Gebrauch  von  Jodkalium 
(4:150,  3mal  täglich  1  Kinderlöffel)  und  wöchentlich  3maliger  Galvanisation  nach 
5  Wochen  deutliche  Besserung  und  nach  2 — 3  Monaten  ziemlich  vollständige  Heilung 
eingetreten  war,  musste  eine  Pachymeningitis,  von  der  ja  auch  schon  etwa  6  Fälle 
mit  Heilung  bekannt  sind,  angenommen  werden.  Bei  Besprechung  der  galvanischen 
Therapie  polemisirt  B.  —  bei  aller  Anerkennung  der  Verdienste  C.  W.  MüUer's  — 
gegen  dessen  Princip  der  schwachen  Ströme.  Hadlich. 

19* 


300    " 
.  ^0r  «eoundären  Degeneraüon  des 
Xtobre  vom  Oliom  "^ßöfl  ^^11  von  Brown-Söqoard'soher 
67     ^SS^^^  ^^  ^^i^Büd^f  foikmann,   Leipzig.     (Denteches  Archiv 

f^\\^'  ^^  icher  bereita  seit  4  Jahren  von  Zeit  zu  Zeit  an  krampf- 

ßßj&hnger  ^*""l  ^^^  Qj,d  Annmuskeln  gelitten  hatte^  erkrankte  plötzlich 

ßchJ^enen  in  den  Wa  ^^  £[r&mpfen   im   rechten   Bein.     Am   nächsten  Tag 

haft^  -^thesie"/  ^^"^^atio  uriü&e  dazu,  linkes  Bein  wurde  gefühllos. 

"**'  UicoJ^^^^^^     ^ier  aufgenommene   Status   ergab  ausser  den  noch  bestehenden 

****  per  ^  '^^id^l^gtöniDgen  auf  der  rechten  Seite:  eine  complete  Paralyse  des 

oi^g^'  uJi^  ^üf  nerfsfchesie  für  Tast-,  Druck-,  Schmerzempfindung.     Muskelsinn  ge- 

Be^  ^^^'iSiraiie  bis  au  einer  bestimmten  Zone  in  der  Höhe  des  Nabels.   Patellar-, 

sUirt  ^y^^^^ierreüex  fehlen,  Kitzelreflexe  lebhaft.  —  Auf  der  linken  Seite:  Eben- 

ßgküch'f  ^^"^^a beihöhe  complete  Anästhesie  für  Druck.   Schmerz- und  Temperatur- 

/jjüfl  biß  ^.'^  iiuskelsinn,  Beflexe  normal. 

empfindung»  ^j^^^^  Woche  Zunahme  der  Erscheinungen:  Fast  vollständige  Lähmung 

iL  üjiken  Beins,  sehr  starke  Uyperalgesie,  Incontinentia  urinae  et  alvi,  grosser 

^gg^n^aer  Decubitus  in  der  Sacralgegend,  Cystitis,  hohes  Fieber,  Exitus  letalis. 

^      Die  Section   ergab   einen  Tumor   in   der   Höhe  des  VIL  Dorsalnerven,  welcher 

vom  rechten  Seitenstrang  ausgehend  allmählich  die  volle  rechte  Hälfte  des  Bücken- 

Tßgxis  einnahm,  später,  auch  nach  links  weiterwucherte  und  sich  nach  oben  bis  zum 

5.  nach  unten  bis  zum  9.  Dorsalnerven  erstreckte.  —  So  lange  die  Geschwulst  auf 

ji'e  rechte  Seite  des  Bückenmarks  beschränkt  blieb,  bestand  klinisch  das  reine  Krank- 

beitsbild  einer  Brown-S^quard*schen  Halbseitenläsion. 

Nach  einer  mit  grosser  Sorgfaltigkeit  und  Gründlichkeit  Torgenommenen  mikro* 
gkopischen  Untersuchung  kam  Verf.  zu  dem  Besultat,  dass  es  sich  im  vorliegenden 
Falle  um  eine  gliomatOse  Geschwulst  handele,  in  deren  Umgebung  sich  ein  parenchy- 
matös myelitischer  Process  etablirte,  und  welche  eine  secundäre  Degeneration  der 
Nervensubstanz  nach  oben  und  unten  veranlasste.  Die  Hauptmasse  der  Geschwulst 
bestand  aus  gleichartigen,  sehr  grossen,  dicht  gelagerten  Zellen,  welche  in  alveolärer 
Anordnung  in  dem  Faserwerk  der  Neuroglia  eingebettet  waren. 

Obgleich  diese  Zellen  grosse  Aehnlichkeit  mit  gewucherten  endothelialen  Zellen 
hatten,  so  sprach  doch  das  Intactsein  der  Blut-  und  Lymphgefässe  gegen  die  An- 
nahme einer  endothelialen  Wucherung. 

Auch  gegen  die  Auffassung  der  Geschwulst  als  einer  sarcomatösen  macht  Yolk- 
mann  verschiedene  Gründe  geltend. 

Analog  den  Beobachtungen  einiger  anderer  Autoren  hält  Verf.  diese  eigenthüm- 
lichen  Geschwulstzellen  für  Gebilde  nervösen  Ursprungs  und  zwar  hervorgegangen 
aus  degenerirten  Axencylmderresten.  Die  secundären  Degenerationen  zeigten,  da  sie 
nur  verhältnissmässig  kurze  Zeit  bestanden,  gleichzeitig  mehrere  Stadien  frischer 
Entartung  der  nervösen  Elemente:  Anfangs  eine  Quellung  und  Auftreibung  der  Axen- 
cylinder,  darauf  eine  Erweiterung  der  Markscheide  und  Zerfall  derselben.  Erst  später 
schliesst  sich  dann  der  gänzliche  Schwund  der  Axency linder  an;  man  findet  nur  noch 
leere  Hohlräume,  die  theilweise  mit  Myelinkugeln  ausgefüllt  sind. 

Weitere  Einzelheiten  über  die  histologischen  Veränderungen  müssen  im  Original 
eingesehen  werden.  P.  Seifert  (Dresden). 

7)  Caso  speciale  di  affesione  combinata  dei  oordoni  posteriori  e  lateral! 
del  midollo  spinale,  pel  dott.  A.  Borgherini.  (Bivista  sperim.  di  Freniatr. 
e  di  Medicina  legale.  1887.  XIIL  p.  137.) 

Der  nicht  luetisch  inficirte  Patient  erkrankte  im  52.  Jahre  unter  Schmerzanfallen 
in   den    unteren    Extremitäten,    die   sich    aufanglich    alle  2 — 3  Monate,  später  aber 


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—    301     - 

häufiger  wiederholten;  nach  einigen  Jahren  bildeten  sich  Ataxie  und  schnell  zu- 
nehmende motorische  Schwäche  aus.  In  den  letzten  Jahren  bestanden  ausserdem 
ataciische  Erscheinungen  von  Seiten  der  oberen  Extremitäten,  Amblyopie,  difformirende 
Gklenkentzflndungen  von  tabischem  Charakter,  Fehlen  der  Reflexe,  Blasenbeschwerden 
und  unter  Hinzutritt  von  Sphincterenlähmung  und  Decubitus  starb  Pat.  im  67.  Jahr. 
Sensibilitätsstörungen  waren  bei  genauerer  Untersuchung  in  den  letzten  2  Jahren 
nicht  nachzuweisen,  ausser  einer  beträchtlichen  Herabsetzung  des  MuskelgefQhles. 

Die  Autopsie  ergab  graue  Degeneration  der  Hinterstränge  bis  zur  Med.  oblongata, 
femer  Leptomeningitis  und  Degeneration  der  ganzen  Rindenschicht,  Degeneration  in 
beiden  Seitensträngen  und  atrophische  und  sklerotische  Processe  in  den  grauen  Säulen; 
ausserdem  neuritische  Heerde  in  beiden  Sehnerven  und  im  Ischiadicus,  nicht  aber  im 
Cruralis;  das  Hirn  war  völlig  normal. 

Das  Bemerkenswerthe  dieses  Falles  liegt  nun  darin,  dass  im  Gegensatz  zu  den 
häufigen  Beobachtungen  combinirter  Hinter-  und  Seitenstrangssklerose  die  Degenera- 
tion der  Seitenstränge  in  Hinsicht  auf  ihre  Längenausdehnung  durchaus  nicht  sym- 
metrisch war;  sie  erstreckte  sich  rechts  vom  Eintritt  des  Nerv.  dors.  YIII  bis  IV 
und  links  von.  N.  Y  bis  III  aufwärts,  und  dass  sie  lediglich  auf  die  gekreuzten 
Pyramidenbahnen  beschränkt  war.  Alle  anderen  Felder  der  Seitenstränge  —  abge- 
sehen von  der  peripherischen  allgemeinen  Randdegeneration  —  waren  intact. 

Indessen  scheint  die  Annahme  einer  primären  systematischen  Seitenstrangsklerose 
nicht  begründet;  sie  ist  wahrscheinlich  nur  secundär  und  hängt  von  der  ebenfalls 
vorhandenen  Erkrankung  der  grauen  Säulen  und  speciell  der  Seitenhömer  ab.  Spastische 
Erscheinungen  fehlten  vollständig,  dagegen  ist  das  frühzeitige  Auftreten  motorischer 
Schwäche  hervorzuheben.  Sommer. 


8)  FrogreBsive  spastio  ataxia  (oombined  ftysoioular  solerosis)  and  the 
oombined  soleroses  of  the  spinal  cord,  by  C.  L.  Dana.  (Sep.-Abdr.  aus 
„The  Medical  Record".  2.  Juli  1887.) 

Auf  Grund  einer  Zusammenstellung  aUer  in  der  Litteratur  bekannten  Fälle 
combinirter  Hinter-  und  Seitenstrangsklerosen,  speciell  der  Goll*schen  Bändel,  der 
gekreuzten  Pyramidenbahnen  und  der  Eleinhimseitenstrangbahnen  ohne  wesentliche 
Betheiligung  der  grauen  Substanz,  kommt  auch  Verf.  zu  dem  Schluss,  dass  sich  vor- 
läufig noch  kein  constanter  Symptomencomplex  aus  den  einzelnen  Beobachtungen  auf- 
stellen lässt  Jenen  pathologischen  Befund  traf  man  7mal  bei  Dementia  paralytica, 
8mal  bei  Friedreich^s  Krankheit,  lOmal  bei  gewöhnlicher  Tabes  mit  frühzeitigen 
Muskellähmungen,  16mal  bei  spastischer  Ataxie  und  4mal  in  ungenügend  beobachteten 
Fällen.  Er  behandelt  im  Weiteren  nur  die  Fälle  mit  den  Symptomen  progressiver 
spastischer  Ataxie  und  je  nach  dem  Vorwiegen  der  paretischen  und  spastischen  Er- 
scheinungen einerseits  und  der  sensorischen  und  atactischen  andererseits  unterscheidet 
er  wieder  zwei  Untergruppen,  die  anatomisch  freilich  kaum  zu  differenziren  sind. 
Für  die  Prognose  ist  aber  ihre  Erkennung  werthvoU,  da  derartige  Fälle  von  schein- 
barer Tabes  mit  viel  geringeren  Beschwerden,  speciell  in  Hinsicht  auf  die  Blitz- 
schmerzen, und  auf  Erkrankungen  des  Opticus,  der  Augenmuskelnerven  und  des  Hirns 
und  der  Oblongata  überhaupt,  verbunden  zu  sein  pflegen  und  meistens  einen  weit 
langsameren  Verlauf  nehmen.  Von  Wichtigkeit  kann  auch  die  Differentialdiagnose 
gegen  Myelitis  transversa  werden. 

In  therapeutischer  Hinsicht  sei  noch  mitgetheilt,  dass  elektrische  Behandlung 
gegen  die  spastischen  Erschemungen  von  grösserer  Wirkung  ist»  als  sonst  bei  Rücken- 
marksleiden, und  dass  orthopädische  Apparate  entsprechender  Einrichtung  das  Gehen 
wohl  zu  Ermöglichen  pflegen. 

Gute  Abbildungen,  z.  Th.  in  mehrfachem  Farbendruck,  illustriren  die  genauer 
mitgetheilten  Fälle.  Sommer. 


—    302    — 

9)  On  a  oase  of  diffuse  (syphilitio?)  solerosis  of  the  spinal  oord  produ- 
oing  Symptoms  of  postero-lateralsclerosis,  by  Dresclifeld.  (Brain.  1888. 
Jannar.) 

Fall  von  diffuBer  Sklerose  der  Hinter-,  Hinterseiten-  und  Pyramidenvorderstränge, 
sowie  der  grauen  Substanz  in  den  unteren  Partien  des  Dorsalmarkes;  aufsteigende 
Degeneration  der  Goll'schen,  auf  kurze  Strecke  eines  Tbeiles  der  Burdach*schen  und 
wie  es  scheint,  der  Eleinbimseitenstränge;  absteigende  der  Pyramidenseitenstränge 
und  der  Eleinhimseitenstrangsbabn,  soweit  diese  sieb  erstrecken,  der  GolVschen  und 
Burdacb'scben  Stränge  eine  Strecke  weit  in  das  Lumbarmark,  aber  die  Westpbal'sche 
Patellarreflezzone  freilassend.  Die  Sklerose  zeigte  starke  Pen-  und  Endartoriitis, 
perivasculäre  Infiltration.    Die  Pia  war  gesund. 

Der  betreffende  Pat.  litt  I673  Monate  nach  einer  syphilitischen  Infection,  wäh- 
rend er  noch  secundär-syphilitische  Symptome  darbot,  an:  Parese,  Gontractur,  erhöhten 
Sehnenrefiexen  (Patellar-  und  Achillessehnenclonus),  Ataxie  and  leichten  Sensibilitäts- 
störungen der  unteren  Extremitäten  und  an  Blasenlähmung.  Die  oberen  Extremi- 
täten waren  ganz  frei.  Eine  antisyphilitische  Kur  brachte  grosse  Besserung.  Schliess- 
lich erlag  Pat.  einer  Pyelitis. 

Verf.  ist  geneigt,  den  Fall  für  eine  syphilitische  Sklerose  anzusehen,  behauptet 
dies  aber  nicht  bestimmt.  Er  trennt  den  Fall  mit  Becht  scharf  von  der  combinirten 
Systemsklerose  (Westphal,  Strümpell,  Kahler  und  Pick);  er  zählt  ihn  zu  den 
sogenannten  falschen  combinirten  Systemsklerosen  (Ballet-Minor).  Bruns. 


10)  Some  ftirther  observations  on  Friedreichs  diaease,  by  Ormerod.  (Brain. 
1888.  Januar.) 

Verf.  beschreibt  3  typische  Fälle  von  hereditärer  Ataxie:  2  waren  Geschwister, 
deren  Mutter  wahrscheinlich  an  Lateralsklerose  litt.  Der  3.  war  ein  sporadischer 
Fall:  ein  Mädchen  von  19  Jahren,  deren  Vater  ein  starker  Potator  war.  Die  Arbeit 
führt  am  Schluss  die  neueste  Litteratur  über  hereditäre  Ataxie,  vom  Jahre  1887 
beginnend,  an.  Bruns. 


11)  On  injuriea  of  the  Oa«da  equlna,  by  Thorburn.    (Brain  1888.  Januar.) 

Es  handelt  sich  um  einen  Fall  von  Dislocation  des  ersten,  einen  solchen  des 
zweiten  Lumbarwirbels,  einen  Fall  von  Spina  bifida,  und  einen  von  'Tumor  der  Cauds 
eqnina.  Die  Läsion  sass  in  allen  Fällen  entsprechend  den  obersten  Partien  der 
Gauda.  Alle  vier  ergeben  das  merkwürdige  Resultat,  dass  eine  Druckläsion  der 
gesammten  Cauda  in  ihren  obersten  Partien  die  weiter  unten  austretenden  Nerven 
mehr  betheiligt,  als  die  weiter  oben  austretenden  und  zwar  verhält  sich  das  ganz 
gleich  fQr  motorische  und  sensible  Nerven.  In  Thorbnms  Fällen  ist  meist  der 
Plexus  lumbalis  mit  Ausnahme  der  5.  Lumbalwurzel  unbetheiligt  geblieben.  Moto- 
rische Lähmungen  finden  sich  deshalb  in  allen  Fällen  ausgeprägt  im  Gfebiete  des 
Tschiadicus  und  Pndendohaemorrhoidalis,  während  die  Nervi  crurales  und  obtu- 
ratorii  wenig  oder  gar  nicht  betheiligt  sind.  Die  elektrischen  Befunde  wechseln  von 
completer  Entartungsreaction  bis  zur  normalen  Reaction.  In  sensibler  Beziehung  sind 
alle  sensiblen  Gebiete  des  Ischiadicus,  der  Glutaei  sup.  und  inf.,  der  Pudendohaemor- 
rhoidales  betheiligt:  also  der  grösste  Theil  der  Nates,  die  Hinterseite  des  Ober-  und 
Unterschenkels,  die  Fusssohle  (nicht  immer  ganz),  ein  Theil  der  äusseren  Vorder- 
fiäche  des  Unterschenkels  und  fast  das  ganze  Scrotum,  Perineum  und  der  Penis. 
(Diese  Verhältnisse  sind  durch  Schemata  verdeutlicht:  sie  stimmen  übrigens  genau 
mit  der  von  Boss  im  selben  Hefte  des  Brain  angegebenen  Vertheilnng  der  sensiblen 
Antheile  des  Lumbal-  und  Sacralplexus   in   den  unteren  Extremitäten.)    Es   waren 


-     803    — 

fast  immer  Symptome  Yon  Seiten  der  Blase  und  des  Mastdarmes,  doch  in  verschie- 
dener Art  vorhanden;  ebenso  variabel  waren  die  Erscheinungen  von  Seiten  der  Se- 
xualorgane: in  zwei  Fällen  bestand  Decubitus,  in  dem  Fall  von  Spina  bifida  ein 
Ulcus  perforans  an  der  Aussenseite  des  rechten  Fusses.  Fall  4  (Dislocation  des 
2.  Lumbarwirbels)  wurde  durch  Trepanation  und  Entfernung  des  drückenden  Narben- 
gewebes sehr  gebessert. 

Znr  Dii^ose  giebt  Th.  an,  dass  man  bei  Fällen  von  Verletzung  sich  vergegen- 
wärtigen muss,  dass  am  unteren  Rande  des  1.  Lumbaiwirbels  die  Cauda  equüia.  be- 
ginnt. Eine  Verwechselung  mit  Tabes,  die  Verf.  bei  nichtläraumatischen  Fällen  für 
müglich  hält,  dürfte  wohl  kaum  vorkommen.  Für  die  Unterscheidung  von  partieller 
Myelitis  des  Lumbaimarkes  kann  Verf.  keine  Anhaltspunkte  geben.  Bei  multipler 
Neuritis  kommt  die  Betheilignng  der  Oberextremität,  die  geringe  Betheiligung  der 
Sensibilität,  die  vor  allem  nicht  den  skizzirten  schematischen  Charakter  hat,  auch 
die"  meist  andere  Localisation  der  Lähmungen  in  Betracht.  AfTectionen  des  Lumbal- 
und  Sacralplexus  ausserhalb  der  Wirbelsäule  machen  einseitige  Symptome,  doch  kann 
dies  auch,  wie  ein  Fall  von  Erichsen  lehrt,  bei  Affectionen  der  Cauda  vor^Eqmmen. 
Verf.  räth  schliesslich  energisch  zur  Operation,  wenn  die  Diagnose  sicher  ist  und 
die  Erscheinungen  nach  6  Wochen  sich  nicht  bessern,  dann  sei  stets  ein  die  Cauda 
comprimirender  Befund  zu  erwarten.  Bruns. 


12)  Hydatids  of  the  spinal  ohord,  by  Magnire.    (Brain.  1888.  Januar.) 

Verf.  behandelt  einen  Fall  von  Echinococcus  des  Spinalkanales,  der  sich  vom 
letzten  Hals-  bis  zum  ersten  Brustwirbel  erstreckte.  Die  Symptome  waren  die  einer 
Compressionslähmung.  Verf.  hat  noch  20  Fälle  von  Echinocose  des  Bückeamark- 
kanales  und  2  Fälle  von  Cysticercus  desselben  gesammelt  und  referirt  sie  kur««  In 
allen  bis  auf  2  Falle  von  Echinocose  waren  die  Enochen  betheiligt.  Eine  Diagnose 
ist  natürlich  nur  dann  möglich,  wenn  Cysten  auch  an  anderen  Stellen,  z.  B.  unter 
der  Haut  sitzen  und  untersucht  werden  können;  was  übrigens  in  einigen  der  erwähnten 
Fälle  vorgekommen  ist.  Bruns. 


13)  CSase  of  miiaoular  hypertonioity,  by  Saundby.    (Brain.  1888.  Januar.) 

Der  Verf.  beschreibt  kurz  ein  Beispiel  der  unter  obigem  Titel  in  der  Londoner 
neurologischen  Gesellschafb  von  Hughes  Bonnett  beschriebenen  Krankheit.  (Brain, 
dasselbe  Heft.  Bef.  d.  Ctrlbl.  1888  S.  270.)  In  diesem  Falle  (der  Fat.  htitte'  vor 
30  Jahren  Syphilis  gehabt)  trat  Heilung  unter  Jod-  und  Quecksilberbehandluüg.ein. 

Bru'ns. 

14)  Sur  1b  röalBtanoe  äeotrlque  oonsideröe  oomme  eigne  olinique,  pdrVigou- 
roux.     (Frogr.  mÄi.  1888.  Nr.  3  et  6.) 

Nach  einer  kurzen  physikalischen  und  physiologischen  Einleitung  übejr  Messung 
des  elektrischen  Leitungswiderstandes  der  menschlichen  Epidermis  nach  der  von  Jplly, 
von  Gärtner  und  vom  Verf.  selber  angegebenen  Methode  kommt  V.  auf  die  Bedeu- 
tung der  Veränderungen  dieses  Widerstandes  für  die  Semiotik  gewisser  Nervenaffec- 
tionen  zu  sprechen.  Erhöht  ist  der  Leitungswiderstand  nach  Untersuchungen  V.'s 
an  den  anäathetischen  Eörperstellen  Hysterischer,  ebenso  bei  spinalen  Paralysen»  wenn 
dieselben  nicht  sehr  veraltet  sind.  —  Vermindert  erscheint  derselbe  nach  V.*s  An- 
gabe bei  Morbus  Basedowii.  —  Aus  der  letzteren  Thatsache  soU  sich. die  grössere 
Intoleranz  der  betreffenden  Patienten  gegen  die  Franklinisation  erklären.  —  Diii3.anf 
den  Isolirstuhl  gesetzte  Person  nimmt  natürlich  eine  um  so  grössere  Ladung  auf,  je 
kleiner  der  Leitungswiderstand  ihrer  Haut  ist.  —  Deshalb  fühlt  sich  ein  Basedow- 


—    304    — 

KraDker  oft  von  dem  statischen  Apparat  drei-,  viermal  mehr  geladen,  als  ein  anderer 
Patient.  —  Die  Modification  des  Widerstandes  an  den  verschiedenen  Regionen  des 
menschlichen  Körpers  hängt  nach  Y.  ab  von  der  Menge  der  Flüssigkeit^  die  der 
vom  Strome  dnrcliflossene  Körpertheil  einschliesst,  resp.  von  dem  Tonus  der  in  Be- 
tracht kommenden  Blatgefasse. 

Die  von  Y.  angegebene  Methode,  den  Widerstand  zu  messen,  läset  sich  nur  aus- 
führen mit  Hülfe  eines  an  dem  stationären  Apparate  selbst  angebrachten  Galvano- 
meters (System  Deprez  d'Arsonval?),  den  man  nach  Wunsch  durch  eine  besondere 
Hebelvorrichtnng  auch  in  einen  Yoltmeter  verwandeln  kann.  Durch  einfaches 
Ablesen  der  anf  einer  Skala  verzeichneten  Zahlen,  durch  deren  Division  nach  dem 
Ohm*8chen  Gesetze  sollen  genaue  Widerstandszahlen  zn  erhalten  sein.  Im  Gegensatz 
zn  vielen  Elektrotherapeuten  ist  Y.  auf  Grund  seiner  Untersuchungen  zu  der  Ansicht 
gelangt,  dass  der  Leitungswiderstand  einer  Körpergegend,  ganz  besonders,  wenn  nicht 
ausschliesslich,  abhängig  sei  von  der  Beschaffenheit  der  direct  unter  der  Epidermis 
liegenden  Partien,  besonders  der  Gefässe. 

Die  Yermindemng  des  Widerstandes  bei  Morbus  Basedowii  ist  bestätigt  worden 
von  La  Sota  (Palermo)  und  von  Silva  (Turin).  Widersprochen  haben  der  Y.'schen 
Ansicht  von  der  Bedeutung  dieser  Sache  Eulenburg  n.  Martins  (Berlin).  Y.  sncht 
die  verschiedenen  Einwände  der  Letzteren  zu  entkräften.  Eulenburg  hat  besonders 
die  starken  Schweisse  der  an  Basedow  leidenden  Menschen  fQr  die  Yerminderung  des 
Leitungswiderstandes  verantwortlich  gemacht.  Y.  bezweifelt  diesen  Zusammenhang, 
da  die  Schweisssecretion  ohne  Binfluss  auf  das  genannte  Phänomen  bleibe  und  Lasker 
in  Wien  auch  gezeigt  habe,  dass  nicht  die  Durchfeuchtung  der  Haut  mit  nassen 
Elektroden,  sondern  der  durch  letztere  erleichterte  innigere  Gontact  mit  der  Epidermis 
den  Widerstand  herabsetze.  Gegen  Martius,  dessen  Arbeit  Y.  übrigens  nur  aus  dem 
Eulenburg'schen  Referate  kennt,  und  der  behauptet,  dass  das  Symptom  des  herab- 
gesetzten Widerstandes  auch  bei  Gesunden  vorkomme,  führt  Y.  in's  Feld,  dass  er 
das  Symptom  nicht  gerade  für  etwas  Charakteristisches  halte,  und  dass  es  nur  in 
Zusammenhang  mit  den  andern  schon  bekannten  Basedow-Symptomen  Bedeutung  ge- 
winne. Laquer. 

16)  Ueber  MeBSimg  galvanischer  Leitungswiderstftnde  am  Kopfe  und  deren 
semiotiaohe  Verwerthung,  von  A.  Eulenburg,  Berlin.  (Ztschr.  f.  klin.  Med. 
Bd.  XII.  H.  4.) 

Yon  der  Yorstellnng  ausgehend,  dass  das  Maass  des  galvanischen  Leitungs- 
widerstandes am  Kopfe  eventuell  zur  Diagnosticirung  cerebraler  Affectionen  organischer 
oder  functioneller  Natur  Yerwerthung  finden  könnte,  stellte  Yerf.  bei  einer  grossem 
Anzahl  gesunder  und  kranker  Individuen  verschiedenen  Alters  und  Geschlechtes 
methodische  Messungen  des  galvanischen  Leitungswiderstandes  am  Kopfe  an:  Zu 
diesem  Zwecke  Hess  er  den  galvanischen  Strom  in  massiger  Stärke  (bis  5  M.-A.) 
durch  2  grosse  Elektroden  in  stets  gleicher  sagittaler  Richtung  aufsteigend  von  der 
Occipital-  nach  der  Frontalgegend  so  lange  durch  den  Schädel  strömen,  bis  ein  weiterer 
Zuwachs  der  absoluten  Stromstärke,  resp.  eine  Abnahme  der  Widerstände  nicht  mehr 
stattfand;  also  ein  Zustand  eingetreten  war,  welchen  er  nach  Martius  das  „relative 
Widerstandsminimum"  nannte.  Dasselbe  wurde  berechnet  aus  der  finalen  Stromstärke 
mit  Abzug  der  innem  Widerstände  der  Leitung.  Letztere  bestimmte  er  mittelst  einer 
Kohlrau8ch*schen  Messbrücke  mit  Telephon,  wobei  die  erfolgte  Ausgleichung  der 
Brücken  durch  Aufhören  des  Tönens  des  Telephons  prompt  angezeigt  wurde. 

Da  gewöhnliche  mit  erwärmter  Kochsalzlösung  durchtränkte  Elektroden  stets 
ein  höheres  „relatives  Widerstandsminimum''  (3—400  Ohm  Differenz)  ergaben,  so 
wurden  später  nur  unpolisirbare  Elektroden  angewandt. 

Auf  Grund  methodischer  Messungen  an  60  Personen  kam  Yerf.  zu  dem  Resultat, 


—    SOS    — 

dass  der  galTanische  Leitnngswiderstand  am  Kopf  nicht  nur  bei  denselben  Yersucba- 
Personen  zn  verschiedenen  Zeiten,  sondern  aach  nach  Geschlecht,  Alter,  Gesnndheits- 
yerh&ltnissen  etc.  eine  auflGallende  annähernde  Constanz  darbot.  —  Für  gesande 
Männer  war  der  Darchschnittswerth  der  Widerstandsminima  1200 — 1600  Ohm,  fflr 
Frauen  nnd  Kinder  etwas  höher.  Dagegen  zeigte  sich  in  einer  Anzahl  pathologischer 
Fälle,  sowohl  bei  organischen  Himläsionen  (Encephalitis,  Sklerose,  Tumor),  als  auch 
bei  functlonellen  Störungen  (Hemikranie,  Basedow,  Chorea,  Hysterie,  Melancholie)  oft 
eine  verschieden  starke,  constant  bleibende  Steigerung  des  Widerstandsminimum 
bis  zu  3000  Ohm,  während  dasselbe  bei  Neurasthenikem  und  Tabikem  sich  im  All- 
gemeinen in  normalen  Grenzen  hielt. 

Bemerkenswerth  waren  die  Befunde  in  Fällen  von  nervöser  Erschöpfung  und 
allgemeiner  Anämie;  hier  fand  sich  der  Widerstand  wesentlich  erhöht  und  grossen 
individuellen  Schwankungen  unterworfen;  während  bei  Himhyperämie  der  Widerstand 
niedrig,  ja  subnormal  war. 

Besonders  das  letzte  Ergebniss,  der  hohe  oder  niedrige  Leitungswiderstand  je 
nach  dem  vorhandenen  Blutgehalte  des  Schädelinhaltes  lässt  Verf.  die  Hoffoung  hegen, 
die  Bestimmung  des  galvanischen  Widerstandes  am  Kopfe  praktisch  verwerthen  zu 
können  und  daraus  Schlüsse  auf  krankhafte  Zustände  im  Schädelinnem,  auf  abnormen 
Blutgehalt^  auf  übermässige  Flüssigkeitsansammlungen  oder  Consistenzveränderungen 
des  Gehirns  zu  ziehen. 

Für  diese  Annahme  spräche  auch  der  Umstand,  dass  E.  den  Leitungswiderstand 
des  menschlichen  Blutes  mehr  als  doppelt  so  gross  fand,  als  den  der  Gerebrospiual- 
flüssigkeit.  P.  Seifert. 


Psychiatrie. 

16)  The  forty-first  report  of  the  oommissioners  in  lunaoy  31  Maroh  1887. 

(Joum.  of  mental  science.  1888.  L) 

Die  Summe  aller  Geisteskranken  betrug  80891  am  1.  Januar  1887.  Dies  be- 
deutet gegen  das  Toijahr  einen  Zuwachs  von  735.  Während  1878  ein  Kranker 
auf  365  Einwohner  kam,  ist  jetzt  das  Yerhältniss  1 :  349,  doch  war  dies  1884  schon 
1 :  345,  so  dass  also  in  den  letzten  Jahren  eine  wirkliche  Abnahme  zu  constatiren 
ist;  der  Bericht  kann  über  die  Ursache  dieser  geringen  Abnahme  keine  Auskunft 
geben.  Die  Procentzahl  der  Todesfälle  und  Genesungen  bleibt  dem  Jahre  vorher 
gleich.  Die  Zahl  der  Todesfälle  beträgt  10,03  ^/q,  ist  also  ziemlich  hoch,  darunter 
sind  aber  nur  19  Suiddien.  Der  Bericht  hebt  die  Wichtigkeit  der  Beschäftigung 
für  das  Wohlergehen  der  Kranken  besonders  hervor,  es  variirt  aber  die  Zahl  der 
Beschäftigten  in  den  verschiedenen  Anstalten  sehr,  von  45 — 78  ^/q,  auch  für  Zer- 
streuung und  Kurzweil  in  den  Anstalten  wird  jetzt  besser  als  früher  gesoi^. 

Twenty-nlnth  axmual  report  of  tbe  general  board  of  oommissioners 
in  Itmacy  for  Sootland.  1887. 

In  Schottland  hat  die  Gesammtzunahme  der  Krankenzahl  nur  130  betragen. 
Der  Procentsatz  der  Todesfälle  beträgt  7,9  ^/q,  15  tödüich  verlaufende  UnglücksfTille. 
In  Familienpflege  waren  2140  während  des  Jahres  untergebracht,  während  im  Jahre 
1878  nur  1385  Patienten  so  versorgt  waren;  das  System  wirkt  recht  zufrieden- 
stellend. 

ThlrtyHsIxt  report  of  the  inapeotorB  of  Irish  asylums  1887. 

Die  G^esammtzahl  der  Geisteskranken  betrug  14702  gegen  14419  im  Jahre  1886, 
es  kommt  1  Kranker  auf  350  Einwohner.  Auch  dieser  Bericht  constatirt  eine  Besse- 
rung der  Fürsorge  für  die  Kranken  in  Bezug  auf  Beköstigung,  Beschäftigung  und 
Unterhaltung.  Zander. 


—    306    — 

17)   Note  Bu;r  les  rapports  de  rimagination  et  du  dAMre,  par  Cb.  F^r^. 
(Revue  de  MMecine.  1887.  November.) 

Der  Yerf.  berichtet  ausführlich  über  die  Krankengeschichte  eines  hereditär  be- 
lasteten, stark  nervösen  Kaufmanns  von  37  Jahren,  bei  welchen  schon  seit  der  Zeit 
der  Kindheit  ein  auffallender  Hang  zu  »/Iraumereien"  bestand.  Schon  als  Knabe 
liebte  der  Kranke  die  Einsamkeit,  baute  sich  Luftschlösser,  durchlebte  in  seiner  Ein- 
bildung allerlei  Abenteuer,  eilte  der  Zukunft  voraus,  indem  er  seine  zukünftige  Lauf- 
bahn bald  als  Beamter,  bald  als  Officier  u.  a.  sich  so  lebhaft  vorstellte,  dass  er  sie 
wirklich  zu  durchleben  glaubte.  Später  entwickelten  sich  aus  diesen  Träumereien 
Anfälle  von  vollständiger  Geistesabwesenheit  Gi&^sences'O*  Dabei  nahmen  die  Ge- 
danken während  dieser  Zustände  stets  dieselbe  Richtung  und  steigerten  sich  offenbar 
zuweilen  zu  ausgesprochenen  Hallucinationen.  Der  Kranke  baute  sich  in  der  Ein- 
bildung ein  schönes  Schloss  in  der  Nähe  von  Paris,  richtete  dasselbe  prächtig  ein, 
legte  Stallungen  und  Gärten  an  u.  s.  w.  Er  fühlte  sich  in  diesem  Traumleben 
äosserst  glücklich,  während  er  sonst  traurig  und  niedergeschlagen  war. 

Die  Behandlung  bestand  in  kalten  Douchen  und  in  der  beständigen  Ueber- 
wachung  des  Kranken,  welcher,  sobald  nur  die  ersten  Zeichen  der  Geistesabwesenheit 
bemerklich  wurden,  jedesmal  sofort  durch  enei^gisches  Anrufen  wieder  zu  sich  ge- 
bracht wurde.  Auf  diese  Weise  gelang  es  in  verhältnissmässig  kurzer  Zeit  eine  be- 
deutende Besserung  des  Zustandes,  ja  schliesslich  anscheinend  eine  vöUige  Heilung 
zu  erzielen.  Strümpell 


18)  TJn  oas  de  väsanie  oombinöe,  par  S^glas.    (Annales  m^dico-psychologiques. 
1888.  Januarheft.) 

Ab  einem  allerdings  seltenen  Falle  von  Irrsinn,  welcher  in  einem  Kmnkheits- 
bilde  gleichzeitig  nebeneinanderstehend  widersprechende  Aeusserungen  darbot,  ver- 
sucht S^glas  die  Unzulänglichkeit  der  Classificationen  zu  zeigen;  man  dürfe  nicht 
von  Krankheiten,  sondern  von  Kranken  in  der  Psychiatrie  reden. 

Der  Fall  betrifft  eine  3V  jährige  Frau,  deren  Vater  Trinker  war.  In  früheren 
Jahren  hatte  dieselbe  Metritis  mit  Ulceration  des  Cervix  durchgemacht;  die  Psychose 
besteht,  eingeschlossen  die  langsame  Entwickelung  der  Krankheit,  seit  12  Jahren. 
Im  Anfang  zeigte  sich  Gharakterveränderung,  düsteres  Wesen,  später  Eifersucht, 
Reizbarkeit.  Seit  einem  Jahre  bestehen  Yerfolgungsideen.  Sie  entflieht  nach  Paris 
vor  ihren  Feinden,  glaubt  an  bezahlte  Agenten  oder  Freimaui*er,  welche  sie  tödten 
sollen.  Aus  Angst  macht  sie  Selbstmordversuche;  darauf  wird  sie  in  der  Anstalt 
untergebracht  Hier  zeigt  sie  massenhafte  Hallucinationen  des  Gehörs,  welche  sie 
in  dem  Wahn  des  Yerfolgtseins  durch  alle  Welt  bestärken.  Diese  Hallucinationen 
waren  erst  einseitig,  wurden  dann  doppelseitig,  aber  derart,  dass  auf  dem  einen  Ohr 
ängstliche,  zur  Vorsicht,  Flncht  vor  den  Verfc^nngen  auffordernde,  aaf  dem  anderen 
tröstende,  ermunternde  Smneseindrücke  empfunden  wurden.  Wohl  nicht  ausser  Zu- 
sammenhang mit  dieser  zwiefältigen  Verschiedenheit  der  krankhaften  Sinneseindrücke 
stand  die  nunmehr  sich  entwickelnde  Vorstellung  von  doppeltem  Bewusstsein.  Gleich- 
zeitig treten  auch  schreckende  Gesichtshallucinationen  auf;  die  Stimmung  ist  durch- 
weg eine  hochgradig  ängstliche,  auf  Selbstmord  bedachte,  um  allen  diesen  Schrecken 
zu  entgehen. 

Später  beginnt  Alles,  die  Farben  der  Gegenstände^  die  harmlosesten  Erschei- 
scheinungen,  eine  Bedeutung  für  ihre  Person  zu  gewinnen.  Sie  geräth  in  echte 
Panphobie,  versucht  mehrfach  sich  das  Leben  zu  nehmen;  die  Aeusserungen  bleiben 
völlig  melancholisch,  sie  ist  an  allem  diesem  Unheil  schuld.  Widersprechend  mit 
diesen  Erschemungen  war  sie  dann  wieder  besorgt  um  ihren  Mann,  wie  das  Schick- 
sal ihrer  Familie,  welche  sie  verlassen  hatte,  um  dieselbe  glücklich  zu  machen,  wurde 


—    807    _ 

misstrauiscli,  verscblosseD,  weigerte  sich  zu  reden,  um  sich  nicht  zu  compromittiren, 
wahrend  ihre  Hallucinationen  und  Yerfolgungsideen  unvermindert  forthestanden. 

Das  Auffällige  an  diesem  Krankheitsbilde  ist  der  bis  zum  Schluss  der  Beob- 
achtung erwiesene  Fortbestand  ängstlicher  Verstimmung  bei  einem  systematisirten 
Verfolgungswahn,  langsamer  und  langjähriger  Entwickelung,  sowie  dass  diese  Kranke, 
welche  überhaupt  kein  Zeichen  körperlicher  oder  psychischer  Degeneration  aufwies, 
keinerlei  verrücktes  Wesen  in  Sprache  oder  Eigenart  angenommen  hatte.  Anderer- 
seits ist  kein  Anlass,  diese  ängstliche  Stimmung,  welche  deutlich  durch  den.  schreck- 
haften .Inhalt  der  Hallucinationen  unterhalten  wurde,  als  genügend  anzusehen,  um 
die  Existenz  einer  „Melancholie"  neben  jener  Verrücktheit  zu  erweisen. 

Jehn. 

Therapie. 

19)  lieber  anbeutane  Methylalinjeotionen  bei  Delirium  tvemeiie,  von  Prof. 
V.  Krafft-Ebing  in  Qraz.    (Therap.  Monatshefte.  1888.  Febr.) 

Verf.  h&lt  das  Methylal  für  das  beste  Beruhigungs-  und  Schlaf- 
mittel bei  Delirinm  tremens.  Gegeben  wird  es  subcutan  —  zur  inneren  An- 
wendung brancht  man  sehr  grosse  Dosen,  und  das  Mittel  ist  theuer  — ;;  und  zwar 
von  einer  Lösung  1,0:10,0  aq.  desi  alle  2 — 3  Stunden  eine  Spritze,  bis  ausgiebiger 
Schlaf  eintritt,  und  in  der  Beconvalescenz  noch  an  einigen  Abenden  2  Einspritzungen. 
21  kurze  Kraakengesdiichten  illnstriren  die  Wirkung  und  den  Krankheitsverlauf  in 
Folge  der  Methylalinjectionen. 

Verf.  fordert  zu  Versuchen  mit  Methylal  bei  asthenischen  Zuständen  des 
Centralnerrensystems  auf;  auch  soll  dasselbe  das  beste  Antidot  des  Strychnin  sein. 
Innerlich  wird  es  bei  nervOsen,  enteralgischen,  stomachischen  Schmerzen  empfohlen 
(Nicoi).     Herzaffectionen  bilden  keine  Contraindication.  Sperling. 


m.  Aus  den  Gesellschaften. 

BoölM  mMioo-psyohologique,  Paris.     Sitzung  vom  27.  Dec.  1887. 

Christian  theilt  mit,  dass  auch  seine  neueren  Untersuchungen  über  das  Othae- 
matom  ihm  seine  schon  1878  ausgesprochene  Ansicht  bestätigt  hätten,  dass  der  Sitz 
desselbisn  zwischen  I^erichondrium  und  Haut  sei. 

Motet  bezweifelt,  dass  dies  richtig  sei,  weil  man  dann  die  nachfolgenden  De- 
formitäten des  Ohrknorpels  kaum  erklären  könne.  Hadlich. 


Soci^tä  de  Biologie,  Paris.     Sitzung  vom  24.  Dec.  1887. 

Iia  Vision  coloräe  et  röquivalence  des  exeltations  sensorielles,  par 
Ch.  F6r6,  —  Wenn  in  Folge  eines  Beizes  des  Gehörssinnes  ausser  der  betreffenden 
Gehörsempfindung  noch  eine  Farbenempfindung  auftritt,  so  spricht  man  von  „audition 
coloree",  zuerst  beschrieben  von  Sachs  in  Erlangen  1812,  dann  von  Verga,  von 
Lussana  (1865).  Diese  Audition  color^e  kommt  vor  in  Folge  der  verschiedensten 
Gehörsempfindungen,  bald  nach  Gesang  oder  einfachem  Sprechen,  bald  nach  gewissen 
Consonanten,  oder  nach  Vokalen,  bald  nur  nach  einer  ganz  speciellen  Stimme,  bald 
nach  einem  Instrumente.  Hohe  Töne  sollen  bisweilen  helle  Farben,  tiefe  Töne  dunkle 
Farben  hervorrufen  (Pedrono).  Hilbert  hat  dem  entsprechend  auch,  eine  „olfac- 
tion  color^e"  beobachtet,  indem  bei  verschiedenen  Geschmackseindrücken  braune 
Farbentöne  auftraten;  und  F^r^  hat  ein  Beispiel  von  „gustation  color^e"  gesehen: 
nach  reichlichem  Gtonuss  von  Essig  erschien  der  betreffenden  Frau  für  einige  Minuten 
Alles  roth,  und  danach  für  mehr  als  eine  Stunde  Alles  hellgrün.  —  F^r^  zieht  den 


—    308    — 

Nftmen  ,,vi8ion  color^e"  vor;  sie  kommt  auch  bei  neuropathischen  Individnen  ohne 
eine  besondere  Sinneserregung  vor,  auch  bei  MelancholikenL  —  Indem  nun  Fere 
durch  zahlreiche  Experimente  sich  klar  gemacht  hat,  dass  bei  Sinnestäuschungen 
ausser  der  entsprechenden  Empfindung  noch  eine  Summe  physiologischer  Vorgänge 
ausgelöst  wird  —  Veränderung  der  Muskelspannung,  der  Circulation,  der  organischen 
Functionen  überhaupt  —  [Vorgänge,  welche  auch  bei  blossen  Vorstellungen  solcher 
Sinnesreizungen,  sowie  bei  gemfithlichen  Erregungen  auftreten  können],  glaubt  er 
eine  Erklärung  der  „audition  color^e''  oder  „vision  color^e''  geben  zu  können,  indem 
er  meinte  dass,  wenn  ganz  dieselbe  Summe  physiologischer  Nebenwirkungen  bei  zwei 
verschiedenen  Sinnesreizen  ((rehörs-  und  (resichtsreiz  etc.)  bei  einem  bestimmten 
Menschen  auftritt,  dieser  die  beiden  Sinnesreize  verwechselt,  resp.  zusammen  empfindet. 

Sitzung  vom  7.  Januar  1888. 

Arthaud  und  Butte,  die  früher  gefunden  hatten,  dass  Neuritis  des  rechten 
Vagus  Veränderungen  des  Urins,  besonders  Albuminu^e  hervorruft;,  experimentirten 
mit  dem  inducirten  Strom  am  gesunden  Vagus  (rechterseits)  und  fianden  eine  Ver- 
minderung, bei  stärksten  Strömen  sogar  einen  Stillstand  der  Urinsecretion,  welche 
alsbald  wieder  wie  gewöhnlich  vor  sich  ging,  wenn  die  Beizung  des  Vagus  unter- 
brochen wurde.  —  Cl.  Bernard  und  Vulpian  sind  fHiher  zu  entgegengesetzten 
Resultaten  gekommen. 

Sitzung  vom  11.  Februar  1888. 

Ch.  F^r^  hat  den  Athmungsmeohanismus  bei  EpilepÜkem  (ausserhalb 
der  Anfälle)  studirt  und  130  Kranke  mit  dem  Marey'schen  Pneumographen  unter- 
sucht. Er  fand,  dass  bei  64%  die  Dauer  der  Inspiration  nur  30  beträgt»  wenn 
man  die  ganze  Respirationsdauer  100  nennt.  Dies  ist  z.  Th.  abhängig  von  der  Kürze 
der  Inspiration,  hauptsächlich  jedoch  von  der  abnormen  Exspiration,  welche  in  2  bis 
5  Absätzen  (sakkadirt)  erfolgt  bei  79  ^/q,  und  verlangsamt  abläuft.  F.  hält  diese 
eigenthümliche  Exspiration  für  veranlasst  durch  Glottis-Spasmen. 

Heber  die  Elektrioität  des  menaohlioben  Körpers  machte  Dr.  Romain 
Vigouroux  nach  Besprechung  der  ziemlich  umfangreichen  latteratur  Mittheilungen 
nach  Versuchen,  die  er  im  Jahre  1882  angestellt  hat  —  ¥6t6  hat  kürzlich  zwei 
Kranke  vorgestellt  mit  Erscheinungen  von  Elektricität:  diese  hätten  unzweifelhaft 
hergerührt  vom  Reiben  der  Kleider  auf  der  Haut.  Denn  seine  (Vigouroux')  sehr 
sorgfältigen  und  mit  den  verschiedensten  sehr  empfindlichen  Instrumenten  angestellten 
Versuche,  statische  Elektricität  am  menschlichen  Körper  und  seinen  Theilen  nach- 
zuweisen, sowohl  am  isolirten,  wie  an  dem  vom  Boden  nicht  isolirten,  hatten  durch- 
aus negative  Resultate  geliefert.  Es  können  nur  äussere  Ursachen  sein,  welche 
elektrische  Spannungen  auf  der  Oberfläche  des  menschlichen  Körpers  erzeugen. 

A.  d*Arsonval  stimmt  dem  ganz  bei:  es  seien  entschieden  physikalische,  äussere 
Ursachen,  keine  physiologischen,  welche  statische  Elektricität  des  menschlichen  Körpers 
hervorrufen.  Wenn  Herr  Dastre  gesagt  habe,  dass  sie  an  der  nackten  Froschhaut 
sich  finde,  so  seien  das  sehr  geringe  Stärken,  während  F6t6  beim  Menschen  bis 
1,200  Volts  gefunden  habe.  —  Wenn  die  am  bekleideten  Menschen  zu  beobach- 
tende Elektricität  in  Folge  von  sensoriellen  Erregungen  Schwankungen  zeige  —  wie 
er  selbst  und  F^r^  es  gesehen  haben  —  so  seien  diese  zu  erklären  aus  den  durch 
Circulationsveränderungen  bedingten  Feuchtigkeitsdifferenzen  der  Haut. 

Sitzung  vom  3.  März  1888. 

Ch.  V6r6:  Ueber  Veränderungen  des  elektrischen  Widerstandes  der  thieriachen 
Gewebe  unter  dem  Einfluss  von  Sinneserregungen  und  Gemüthsbewegungen.  —  Es 
handelt  sich  um  Versuche  an  Hysterischen,  wie  sie  ähnlich  schon  Vigouroux  an- 
gestellt hatte.  —  F.  setzte  die  beiden  Elektroden  in  bestimmtem  Abstände  an  einem 


809    - 

Arme  oder  Beine  an  und  fand  am  Galvanometer  eine  Nadelablenkung  von  1 — 3  Strichen. 
Wenn  er  nmi  der  VersucliBperson  eine  Erregung  irgend  eines  Sinnes  zuführte,  so  trat 
eine  plötzliche  Nadelabweichnng  bis  zom  15.  Striche  auf.  ümgekehrlr  verminderte 
sich  die  Nadehibweichong,  wenn  F.  die  vorher  offenen  Augen  der  betreffenden  Person 
schloss.  —  Auch  eine  motorische  Innervation  eines  Gliedes  rief  einen  plötzlichen 
starken  Nadelausschlag  hervor,  d.  h.  eine  Abnahme  des  elektrischen  Widerstandes. 

De  ramyotrophie  tab^tique»  par  A.  Joffroy. 

Mit  £ezug  auf  eine  Mittheilung  von  Dejerine  in  der  vorhergehenden  Sitzung, 
welche  den  histologischen  Nachweis  der  peripherischen  Natur  der  Muskelatrophie  bei 
den  Tabikem  gegeben  hatte,  bemerkt  Joffroy,  dass  Gharcot  und  Pierret  in  Fällen 
von  Muskelatrophie  bei  Tabes  Atrophie  der  Zellen  der  Vorderhörner  nachgewiesen 
haben,  dass  Marie  eine  Atrophie  des  Hypoglossus-Kemes  bei  halbseitiger  Zungen- 
atrophie eines  Tabikers  gefunden  hat,  und  dass  ähnliche  Fälle  im  Auslände  mitge- 
theilt  sind.  Femer  hat  Joffroy  zusammen  mit  Condoläon  bei  einer  Tabischen  mit 
fettiger  Entartung  des  Peroneus  longus  und  Soleus  beiderseits  gefunden,  dass  neben 
Neuritis  der  peripherischen  Nerven  eine  diffase  Affection  von  Ganglienzellen  der 
Vorderhörner  des  Lendenmarks  in  nicht  unbeträchtlicher  Anzahl  bestehe.  —  Neben 
der  durch  Neuritis  bedingten  Muskelatrophie  bei  Tabischen  gebe  es  also  unzweifelhaft 
auch  eine  central  bedingte. 

Sitzung  vom  10.  März  1888. 

Dejerine  erwiderte  hierauf  am  10.  März,  dass  er  ja  selbst  auf  die  Fälle  cen- 
tralen Ursprungs  hini^ewiesen  habe;  dass  er  femer  nur  von  den  Muskelatrophien  am 
Bompf  und  an  den  Extremitäten,  und  zwar  den  doppel-,  nicht  auch  den  einseitigen 
gehuidelt  habe,  und  dass  er  in  Bezug  auf  diese'  behaupte,  dass  in  der  ungeheueren 
Mehrzahl  der  Fälle  die  Muskelatrophie  der  Tabiker  auf  Neuritis  der  peripherischen 
Nerven  beruhe.  —  Dass  auch  ein  Tabiker  einmal  eine  Poliomyelitis  (Tephro-my^lite 
aiguS,  sttbaigrad  oder  chronique,  bekommen  könne,  das  scheine  ihm  ganz  wohl  möglich. 

A.  Pitres  und  L.  Vaillard:  „Ueber  peripherisohe  KeuxltiB  bei  Wund- 
tetaans/« 

Die  YerflC  haben  8  Fälle  von  Wundtetanus  genau  untersucht  und  zwar  in  einem 
derselben  leichte  Yerändemngen  an  den  von  den  verletzten  Theilen  ausgehenden 
Nerven  bis  in  die  betreffenden  Nervenstämme  hinein  (die  Rfickenmarkswurzeln  waren 
gesund)  beobachtet:  helle  Bäume  und  seitliche  Yacuolen  im  Innem  der  Schwann*schen 
Scheide,  ohne  Kemvermehrung.  Diese  Kranke  starb  28  Tage  nach  der  Verletzung, 
13  Tage  nach  Beginn  des  Trismus.  In  2  anderen  Fällen,  die  schneller  verliefen, 
fanden  die  Yerff.  jedoch  die  Nerven  und  die  Bückenmarkswurzeln  ganz  gesund.  — 
Es  ist  also  die  Theorie,  dass  der  Wundtetanus  auf  peripherischer  Neuritis  berohe, 
fallen  zu  lass.en. 

J.  Babinski  und  A.  Charrin:  ^jye  la  paralysie  pyooyanique.'* 
A.  Charrin  hat  schon  früher  Mittheilungen  gemacht  über  eine  Lähmung,  welche 
er  bei  Kaninchen  durch  Injection  der  Kultur  oder  der  bei  der  Kultur  erzeugten 
löslichen  Producte  eines  Mikroben  („microbe  pyocyanog^ne'O  bei  Kaninchen  hervor- 
gerufen hatte.  Weitere  Studien  haben  die  Yerff.  nun  zu  folgenden  Ergebnissen  ge- 
führt. Nach  einer  Inculationszeit  von  2  Wochen  bis  zu  2  Monaten  beginnt  die 
Paralyse  in  den  hinteren  Extremitäten,  meist  beiderseits,  seltener  nur  monoplegisch. 
In  letzterem  Falle  kann  die  Monoplegie  später  zu  einer  Paraplegie  werden  (nicht  in 
allen  Fällen);  und  ganz  ausnahmsweise  werden  auch  zuletzt  die  Yorderextremitäten 
ergriffen.  Die  Lähmung  ist  eine  spastische,  keine  Amyotrophie;  die  elektrische  Er- 
regbarkeit ist  erhalten,  meistens  auch  die  Sensibilität,  welche  überhaupt  niemals 
gänzlich  verloren  geht.    Bei  Paraplegie  besteht  auch  ürinretention. 

Bei  aUgemeiner  Lähmung  tritt  stets  der  Tod  ein;  bei  Mono-  und  Paraplegien 
l^ann  Heilung  eintreten,  doch  bisweilen  nur  unter  Entstehung  von  Contracturen. 


—    810    — 

Die  anatomische  Untersttchung  ergab  ein  negatives  Besnltat»  spedell  fanden  sich 
keine  Pettkörachen  im  Rückenmark.  ~  Die  „Paralysie  pyocyanique"  ist  also  in  eine 
Reihe  mit  ifiu  toxischen  und  infectiösen  Lähmungen  za  stellen.  Hadlich. 


In  der  Aoademie  des  soienoes  in  Paris  hat  am  12.  März  1888  Charcot 
die  Ergebnisse  von  Experimenten  über  chronische  Alkoholintoxication  bei  Hunden 
mitgetheilt,  welche  Mairet  und  Combemale  angestellt  haben.  Sie  fanden  nach 
einem  psychischen  Erregungsstadium  die  Erscheinungen  der  allgemeinen  progressiven 
Paralyse.     Im  Obductionsbefund:  diffuse  Meningo-Encephalitis  und  Qefässdilatation. 

Hadlich. 


22.  Versammlung  von  Mitgliedern  des  Vereins  der  Irrenärzte  n'ieder- 
Sachsens  und  Westphalens  su  Hannover  am  i.  Mai  1888. 

I.  Brnns  (Hannover)  spricht  ,^TJeber  einige  seltenere  Aftootionen  des 
Himstammes**  mit  Krankenvorstellungen  und  Demonstrationen. 

1.  Acute  Bulbärparalyse.  25jähriger  Mann  aquirirte  vor  5  Jahren  Lues. 
Weihnachten  1886  erster  Schlaganfall:  altemirende  Hemiplegie  (linker  Facialis,  rechte 
Extremitäten),  Sprachverlust,  Glossoplegie:  Einsatz  unter  tonischen  Krämpfen  ohne 
Bewusstseinsverlust.  Sommer  1887  nur  noch  leichte  Behinderung  der  Sprache  und 
leichte  rechte  Parese  mit  erhöhten  Sehnenreflexen  und  AchiUesdonus.  Weihnachten 
1887  zweiter  Sdüaganfall:  Zunächst  rechte  Krämpfe  ohne  Bewusstseinsverlust»  dann 
Lähmung  des  linken  Facialis,  leichte  Parese  der  linken  Hand,  Lähmung  der  Zunge, 
des  Kanens»  Schlingens,  Parese  des  Diaphragma.  Dysarthrische  Sprachstörang  und 
Parese  der  Stimmbänder.  Pulsus  rarus  (48  L  d.  M.),  unregelmässige,  anterbrochene 
Athpinng,  Singultus,  Qähnen,  Speichelfluss,  Zwangslachen.  Zwei  Tage  dauernde  Bla- 
senlähmung. Bückgang  der  Symptome  unter  Schmiercur  bis  auf  leichte  Lähmung 
des  Unken  ^mteren  Mundfacialis,  linksseitige  Zungenlähmung,  Ernchwerung  der  Sprache, 
leichte  Zwerchfellsparese.  Keine  electrischen  oder  trophischen  Störungen.  Die  Diag- 
nose wird  unter  voller  Würdigung  der  aus  den  Siemerling*Oppenheim*schen  Unter- 
suchungen hervorgehenden  Schwierigkeiten  einer  sicheren  Differentialdiagnose  zwischen 
acuter  Bulbärparalyse  und  Pseudobulbärparalyse,  auf  Grund  der  auch  nach  diesen 
Autoren  für  die  echte  Bulbärparalyse  sprechenden  Symptome  seitens  der  Respiration 
und  des  Kehlkopfes,  dann  wegen  des  Zwangslachens  und  wegen  des  Fehlens  irgend 
welcher  deutlicher  hemiplegischer  Erscheinungen  im  zweiten  Anfalle,  wegen  der  He- 
miplegia  alternans  im  ersten,  auf  eine  in  der  Hauptsache  wenigstens  echte  acute 
Bulbärparalyse  gestellt.  Der  Kranke  wurde  der  Gesellschaft  vorgestellt  S.  übrigens 
den  sehr  ähnlichen  Fall  von  Thiersch  aus  Wagners  Klinik.  (Münch.  med.  Wochen- 
schr.  1887,  Nr.  25.) 

2.  Ein  35 jähriger,  nicht  luetischer,  wohl  aber  dem  Alcoholgenusse  stark  er- 
gebener Mann  erkrankte  in  subacuter  Weise  an  folgenden  Symptomen:  Doppelseitige 
Parese  der  Faciales  mit  Betheiligung  der  Orbiculares  oculi  und  electrischen  Störungen 
(im  Allgemeinen  einfach  quantitative  Herabsetzung  der  Erregbarkeit  von  N.  und  M.), 
Parese  des  Yelum  palatinum,  Störungen  der  Zungenbewegung  ohne  electrische  Störungen, 
Erschwerung  des  Kauens  und  Schluckens,  Parese  des  Zwerchfells,  nasaler,  eintöniger 
Sprache  mit  besonderer  Erschwerung  der  Aussprache  von  b,  p  und  l  statt,  zu  setzen; 
dazu  kam  eine  Parese  beider  AbduCentes  und  des  rechten  Rectus  sup.  mit  entsprechenden 
Doppelbildern:  rechter  Ptosis  und  Störungen  der  Pupillenreaction.  Ausserdem  West- 
phalsches  Zeichen  ohne  irgendwelche  sonstigen  tabischen  Symptome.  Es  war  also 
eine  Gombination  von  gewöhnlicher  Duchenne'scher  mit  der  sog.  oberen  Bulbärpara- 
lyse und  Hinterstrangsklerose.  Strümpell,  Kahler  und  Pick  und  Boss  haben  ganz 
ähnliche  Syniptomencomplexe  beschrieben. 


—    311     — 

3.  Ataxie  nach  Scharlach.  Bei  einem  7V2Jährigen  Mädchen  entwickelte 
sich  8  Tage  nach  Beginn  einer  ohne  Diphtherie  verlaufenden  Scarlatina  unter  stür- 
miflclien  Erscheinungen  von  Seiten  des  Centralnervei^systems  zunächst  eine  Paralyse 
aller  vier  Extremitäten  und  Sprachverlusi  14  Wochen  nach  Beginn  der  Scarlatina 
zeigt  dasselhe:  Exquisit  scandirend-dysarthrische  Sprache  ohne  irgtodwelche  apha- 
tische  Störung,  leichte  Ataxie  der  oberen,  stärkste  der  unteren  Extremitäten  (Un- 
möglichkeit auch  mit  offenen  Augen  zu  stehen,  kann  nur  gehalten  ein  paar  Schritte 
gehen),  bei  ganz  leichter  Parese  der  linken  Eörperhälfte,  die  aber  im  Liegen  eine 
ausgiebige  Bewegung  der  Extremitäten  gestattet.  Weder  irgendwelche  Sensibilitäts- 
oder sensorische  noch,  noch  trophische  oder  electrische  Störungen.  Patellarreflexe 
beiderseits  normal:  keine  Blasenstörungen,  keine  Contracturen,  Intelligenz  intaci 

Während  der  Beobachtung  Besserung:  die  rechte  Parese  gejsch wunden,  die  Ar- 
taxie  viel  geringer,  die  Sprachstörung  unverändert. 

Unter  Ausschluss  anderer  fOr  die  Ataxie  in  Betracht  kommender  Möglichkeiten 
(cerebrale  Heerde,  Tabes,  Neuritis  peripherica)  und  unter  Hinweis  auf  die  sicher  bul* 
bare  Sprachstörong ,  wird  hier  die  Diagnose  einer  postscarlatinösen  bulbären  Ataxie 
gestellt.  In  Bezug  auf  die  feineren  anatomischen  Veränderungen  wird  auf  die  Be- 
funde, wie  sie  Mendel  in  einem  Falle  von  Erkrankung  des  Nervensystems  nach  Diph- 
therie im  Bulbus  gemacht  hat,  hingewiesen.    (Dieses  Gentralblatt  1885  S.  128.) 

Die  Fat  wird  der  Versammlung  vorgestellt.  Redner  erwähnt  noch,  dass  er  im 
letzten  Jahre  als  postscarlatinöse  Erkrankungen  (NB.  ohne  Diphtherie)  eine  rechte 
Facialislähmung  mit  electrischen  Störungen  und  Tic  convulsif  (Ohr  gesund),  eine 
multiple  Neuritis  und  eine  rechte  Hemiplegie  mit  Contractur  und  Aphasie  beob- 
achtet habe. 

4.  Glioma  pontis.  Bei  einem  bis  dahin  scheinbar  ganz  gesunden  Knaben, 
der  von  gesunden  Eltern  stammte,  entwickelten  sich  nach  einem  leichten  Eopftrauma 
im  Verlauf  von  14  Tagen  folgende  Symptome: 

Assocürte  Lähmung  des  Blickes  nach  rechts,  Parese  nach  links,  bei  intacter 
Convergenz  und  fast  intacter  isolirter  Function  der  beiderseitigen  Becti  intemi;  freie 
Bewegung  in  den  übrigen  Blickrichtungen  mit  leichtem  Nystagmus;  Optici  frei; 
weder  Atrophie,  noch  Stauungspapille.  Altemirende  Hemiplegie:  rechte  Abducens-, 
Facialis-,  Acusticuslähmung  (normaler  Ohrbefund),  linksseitige  Parese  der  Zunge  und 
der  Extremitäten,  bei  nur  ganz  leichter,  inconstanter  Contractur  derselben.  Diffuse 
Störung  der  Schmerzempfindlichkeit  im  ganzen  Körper,  bei  gutem  Tastsinn.  Intentions- 
tremor  des  Kopfes  und  aller  vier  Extremitäten.  Sehnenreflexe  normal.  Beim  Gehen: 
Nachschleppen  und  falsches  Aufsetzen  der  linken  unteren  Extremität,  Umfallen  nach 
links  hin.  Kauen  und  Schlucken  sehr  erschwert.  Pulsfrequenz  120 — 160  1.  d.  M. 
Sprache  exquisit  scandirend,  leicht  dysarthrisch.  Mehrtägige,  anfallsweise  wieder- 
kehrende Fieberanfalle  ohne  sonstigen  Befund.  Häufiges  galliges  Erbrechen.  Intelli- 
genz intact. 

Die  Di^nose  wurde  auf  eine  hauptsächlich  rechts  sitzende  Geschwulst  des  Pens 
gestellt,  die  durch  des  Trauma  (vielleicht  Blutung  in  ihre  Substanz)  manifest  gewor- 
den war.  Die  Section  bestätigte  diese  Diagnose  vollkommen.  Es  fand  sich  ein  Glioma 
pontis,  das  rechts  für  makroskopische  Betrachtung  nur  die  oberflächlichen  Querfasem  der 
Br&cke,  links  auch  die  Region  der  compacteren  Pyramidenstränge  freigelassen  hatte, 
in  der  Haube  diffus  über  den  ganzen  Querschnitt  verbreitet  und  nahe  unter  dem 
Ventrikelboden  cystisch  degenirt  war.  Frische  und  ältere  Blutungen  in  den  Wänden 
der  Cyste.    Das  Präparat  wurde  demonstrirt. 

Es  wird  auf  die  Sicherheit  der  Diagnose  des  Sitzes  bei  dem  Symptom  der  as- 
soeiirten  Augenlähmung  und  der  altemirenden  Hemiplegie  hingewiesen;  femer  darauf, 
dass  dieser  Fall  einer  isolirten  Ponsgeschwulst  alle  sogenannten  Hauptsymptome  der 
multiplen  Sklerose:  Intentionstremor,  scandirende  Sprache  und  Nystagmus  darbot, 
trotzdem  aber  bei  genauen  Abwägen  aller  Momente  die  richtige  Diagnose  gestattete. 


-       312     - 

Er  bietet  in  dieser  Beziehui^  eine  Kehrseite  zu  demjenigen  Ffillen  von  multipler 
Slderose,  in  denen  ein  Theil  dieser  Symptome  ganz  oder  während  längerer  Zeit  der 
Beobachtung  fehlt,  auf  welche  Fälle  in  neuester  Zeit  besonders  Oppenheim  und  im 
Anschluss  an  ihn  aach  B.  hingewiesen  hat  (Berliner  klin.  Wochenschr.  1887  Nr.  48 
und  1888  Nr.  5.) 

IL  Roller  (Brake)  spricht:  Ueber  die  Beeinflussung  der  Menstruation 
durch  Opium  und  Morphium.     (Der  Vortrag  wird  in  extenso  erscheinen.) 

III.  Bartels  (Hildesheim)  spricht  „Ueber  Wortneubildung  bei  Geistes- 
kranken/' 

Seine  Beobachtungen  beziehen  sich  auf  4  Paranolker.  Es  werden  eine  ganze 
Anzahl  charakteristischer  Beispiele  angeführt.  Z.  Th.  sind  es  existirende  Worte,  denen 
von  den  Kranken  em  anderer  Sinn  untergelegt  wird,  z.  Th.  sind  sie  aus  ähnlich 
klingenden  corrumpirt,  z.  Th.  sind  es  aber  auch  vollständige  Neubildungen.  Rs  ist 
sehr  oft  schwer,  von  den  Kranken  eine  Erklärung  dieser  Worte  zu  erlangen,  sie 
halten  sich  durch  Nachforschungen  gefoppt,  da  sie  natürlich  annehmen,  dass  der 
Sinn,  den  sie  mit  den  Worten  verbinden,  der  allgemein  verständliche  sei;  von  ein- 
zelnen Worten  scheinen  sie  aber  selber  den  Sinn  nicht  zu  kenuen.  Da  die  Kranken 
auch  angeben,  Gott  habe  ihnen  direct  diese  Worte  gesagt,  oder  sie  hätten  sie  einmal 
gehört,  so  glaubt  B.  ihre  Entstehung  auf  G^hörshallucinationen  zurückführen  zu 
müssen. 

In  der  Dlscussion  betont  Bruns  (Hannover),  dass  er  solche  Wortneubildnngen 
nur  bei  alten  Verrückten,  meist  auch  langjährigen  Irrenanstaltsinsassen,  gesehen  habe. 

Bartels  und  Gerstenberg  (Hildesheim)  stimmen  dem  vollkommen  zu;  doch 
sei  das  nicht  absolut  nothwendig;  der  letzte  B.'sche  Patient  sei  z.  B.  noch  nicht 
lange  krank. 

Schmalfuss  (Hannover)  hat  Aehnliches  auch  bei  periodisch  Tobsüchtigen  ge- 
sehen; diese  Neubildungen  seien  nicht  zu  verwechseln  mit  den  alliterirenden  Wort- 
neubildungen der  Maniaci  resp.  der  tobsüchtigen  Paralytiker. 

ly.  Berkhan  (Braunschweig)  dedicirt  der  Versammlung  eine  Anzahl  von  Ab- 
drücken seiner  Arbeit  „Ueber  das  Irrenwesen  der  Stadt  Braunschweig  in  früheren 
Jahrhunderten''.  Bruns. 

IV.  Vermisohtes. 

KranioIogiBche  Untersuchungen  werden  Beitens  der  anthropologischen  Gesellschaft  in 
Wien  an  den  Schädeln  der  Tonheroen  Beethoven,  Mozart,  Gluck  und  Schubert  an- 
lässlich der  Exhumirung  und  UeberfÜhrung  derselben  nach  den  Ehrengräbern  auf  dem  Central- 
friedhof  vorgenommen  werden.  Unter  Leitung  der  Proif.  Toldt,  Meynert,  Kundrat  und 
des  Oberstabsarztes  Dr.  Weisbach  werden  die  Schädel  gemessen,  photographirt  und  schliess- 
lich abgeformt  werden,  so  dass  fdr  alle  Zeiten  authentische  Abgösse  und  Abbildungen  vor- 
handen Bein  werden.  Die  zu  lösende  Frage  besteht  darin,  ob  an  diesen  Schädeln  gewisse 
gemeinsame  Merkmale  auftreten,  welche  fßr  die  specielle  Geistesriohtnng  dieser  ffrossen 
Männer  charakteristisch  sind.  (Int.  klm.  Rundsch.  1888.  Nr.  12.  —  D.  Med.-Ztg.  1888.  Nr.  31.) 


Am  9.  und  10.  Juni  d.  J.  wird  in  Freibnrg  i.  B.  die  XIII.  Wanderversammlung  der 
Süd  westdeutschen  Neurologen  und  Irrenärzte  stattfinden.  Anmeldungen  von  Vorträgen  sind 
an  die  Geschäftsftihrer  Professor  Emminghaus  in  Freiburg  und  Dr.  Fischer  in  Illenau 
zu  richten.  

Beriohtigiing. 

Seite  259  Z.  4  v.  o.  ist  hinter  „absteigend"  einzuschalten  „5.  Gervicalwurzel". 


Einsendungen  für  die  Bedaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel, 

Berlin,  NW.  Schiffbauerdamm  20. 


Verlag  von  Vkit  &  Oomp.  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mktzgkb  &  Wittig  in  Ijeipzig. 


Neurologisches  Centralblah 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  ^  ^*^  Jahrgang. 

Monatlich  erscheinen  zwei  Nummern.    Preis  des  Jahrganges  20  Mark.    Zu  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 

1888.  1.  Jnni.  M 11. 

Inhalt.  I.  Originalmittheilungen.  1.  Einige  therapeutische  Versuche  mit  der  Hypnose, 
TOD  Dr.  Sperling.  2.  Die  Karminf&rbung  för  Nervengewebe,  von  Dr.  Henry  S.  Upton. 
3.  Bemerkung  zu  Vorstehendem,  von  Dr.  William  C.  Krauts.  4.  Einiges  fiber  Suggestion, 
von  Dr.  E.  Jendrissilc  (Schluss). 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  Sur  la  persistance  de  vestiges  m^dullaires  coccygiens  et 
la  product^on  des  tameurs  sacro-coccygiennes  cong^nitales,  par  Tourneux.  —  Experimen- 
telle Physiologie.  2.  Zeitmessende  Versuche  über  den  Temperatur-  und  Drucksinn,  von 
V.  Vlntscligatt  und  Steinach.  ^  Pathologische  Anatomie.  3.  A  case  of  Porencephalus 
wlth  apecimen,  by  Brucli.  4.  Ueber  einige  mikrochemische  und  physische  Eigenschaften  der 
sog.  cnromoleptischen  Substanz,  von  Diomidow^  —  Therapie.  5.  Üeber  die  Wirkung  der 
Ueberoftmiums&ure  bei  Epilepsie,  von  Seliweder. 

III.  Aus  den  Gesellschaften.  --  IV.  Bibliographie.  —  V.  Vermischtes. 

I.  Originalmittheilungeii. 


1.    Einige  therapeutische  Versuche  mit  der  Hypnose. 

Von  Dr.  Sperling,  Berlin. 
Ans  der  Poliklinik  für  Nervenkrankheiten  Yon  Prof.  Mendel  und 

Prof.   EULENBUEG. 

Die  dem  Heilmittelschatz  für  Nervenkrankheiten  erst  nenerdings  einverleibte 
Hypnose  hat  in  unserer  Heimath  eine  wenig  günstige  Aufnahme  gefanden.  Der 
innerste  Grund  dafar  ist  wohl  in  dem  Mysticismus  zu  suchen,  welcher  dieses 
bisher  unaufgeklärte  Phänomen  umgiebt,  und  welchem  der  auf  exacte  Forschung 
gerichtete  deutsche  Geist  im  Grunde  seines  W^esens  abhold  ist  Indessen  hiesse 
es  doch,  dem  Fortschritt  Schranken  bauen,  wenn  man  es  verschmähen  wollte, 
ein  Mittel  zu  prüfen,  von  dessen  heilsamer  Wirkung  glaubwürdige  Männer  be- 
richtet haben,  es  hiesse,  den  ganzen  Empirismus  verdammen,  in  dem  die  medi- 
cinische  Wissenschaft  zum  Theil  hat  gross  werden  müssen.  Sollte  Jemand  ernst- 
lich zu  behaupten  wagen,  dass  man  die  Elektricität  als  Heilmittel  verwerfen 
müsse,  weil  man  den  innasten  Grund  ihrer  Wirkung  nicht  durchschaut  habe?' 
Oder  sollte  man  aUe  jene  Substanzen  aus  dem  Arzneisohatz  verdammen,  deren 
Hülfe  dem  Arzt  unentbehrlich  geworden  ist,  ohne  dass  ihm  im  einzelnen  Fall 
das  innerste  Geheimmss  ihrer  Wirkungsweise  klar  ist? 

20 


—    814    — 

yo9  dieaem  Stend^oiikte  allem  halben  wir  die  Anwendung  der  Hypnose 
als  Heilmittel  zu  betrachten. 

'  Dflram  faflen  jene  Einwände  des  Herrn  Prof.  Ewald^^  welcher  die  Hypnose 
als  eine  der  ärztUdien  Eonst  unwürdige  Hantimng  hinstellte,  als  unberechtigt 
fort  Es  würde  zu  weit  führen,  über  das  leitende  Frincip  der  genannten  Ein- 
wände hinaus  zu  Einzelheiten  übeizugehen.  Zudem  hat  sich  Herr  Piof.  Yorsl 
in  Zürich^  der  Mühe  dner  ausffihrlichen  Widerlegung  derselben  in  so  vortreff- 
licher Weise  unterzogen,  dass  es  dazu  kaum  weiterer  Zusätze  bedarf. 

Dasjenige  Moment,  welches  schliesslich  zu  Gkmsten  oder  Ungunsten  der 
als  Heilmittel  angewandten  Hypnose  am  meisten  in  die  Wagschale  fällen  wird, 
wird  der  praktische  Nutzen  sein,  den  dieselbe  bei  verständmssvoller  An- 
wendung zu  leisten  im  Stande  ist. 

Erweist  sich  die  Praxis  von  jenem  befriedigt,  so  wird  ihr  das  Bürgerrecht 
in  der  Medicin  sicher  zufallen. 

In  Frankreich  hat  sie  es  schon  lange  erworben.  Das  beweisen  die  zu  einer 
stattlichen  Litteratur  angewachsenen  Schriften,'  in  welchen  die  Berichte  über 
hypnotische  Heilelfolge  bereits  nach  vielen  Hunderten  zählen.  Auch  in  andern 
Ländern  hat  man  reges  Interesse  hierfür  gezeigt,  z.  B.  in  Schweden  und  Nor- 
w^en,^  während  das  Schweigen  der  englischen  Litteratur  über  diesen  G^en- 
stand  bemerkenswerth  ist.  Bei  uns  ist  die  therapeutische  Anwendung  der 
Hypnose  erst  jüngsten  Datums;*  indessen  haben  sieb  in  letzter  Zeit  die  Be- 
obachtungen gemehrt,  und  es  scheint,  als  ob  verdoppelter  Eleiss  das  Yeisäumte 
nachholen  wollte.    Diesem  Zwecke  soll  auch  der  folgende  Beitrag  dienen. 

In  der  Sitzung  der  Berliner  medicinischen  Gesellschaft  vom  12.  Oct  1887 
stellte  ich  einen  jugendlichen  Hystero-Epileptiker  vor,  bei  welchem  es  mir  ge- 
lungen war,  die  Enuaipfe  durch  wenige  l^ypndtische  Sita^ngen  resp.  Suggestionen 
zu  coupiren.  Die  weitere  Greschichte  dieses  Falles  ißt  so  interessant^  dass  eine 
kurze  Wiederholung  des  in  der  ersten  Mittheilung  Gesagten  zum  Zwecke  einer 
übersichtlicheren.  Darstellung  entschuldigt  werden  wird. 

* 

Beinhold  Z.,  22  Jahre  alt^  ohne  hereditäre  Belastung,  seit  dem  9.  Lebensjahre 
an  Asthma  bronclüale  leidend,  fiel  am  8.  December  1882  —  seitdem  datirt  seine 
Erankheitsgescbichte  —  mit  dem  Hinterkopf  so  nnglücUidi  auf's  Eis,  dass  zwar 
keine  äussere  Yerletzong,  aber  eine  mehrere  Minuten  lang  dauernde  Ohnmacht  und 
ein  localer  von  Tag  zu  Tag  sich  verstärkender  Kopfschmerz  davon  d^e  Folge  war. 


^  Ewald,  Berl.  klin.  Woch.  1887.  Nr.  47.  S.  893. 
'  FoBBL,  Münch.  med.  Woch.  1886.  Nr.  5.  S.  71. 

'  Bbbkbbui  (Nancy),  De   U  Boggestion  et  de  ses  applications  a  la  tbkapentique. 
IL  Apsgabe.  Paris,  Octaye  Doin»  1888.  —  Das  empfehleiuiwerUieste  Werk  auf  diesem  Gebiete. 

*  Mittheilnngen  über  Hypnotismns  ans  der  skandinavischen  litterat^or.    (Bef.  Waltbe 
BsBOBE.)    Nenrolog.  CentralbL  1888.  Nr.  7.  8.  208. 

*  MxNDBL,  Nenrolog.  CentralbL  1887.  Nr.  18. 
Sfxblino,  Berl.  Uin.  Woch.  1887.  Nr.  44.  S.  882. 
SoHULTS,  Nenxolog.  CentralbL  1881.  Nr.  22. 
Nonhb,  ebenda.  1888.  Nr.  7. 

V.  Krafft-Ebino,  Wiener  med.  Pr.  1888.  Nr,  7.  S.  281. 


—    315    — 

Adit  Tag«  darauf  trat  beim  Kla^Brspiel  bdi  Tollem  Bewusstsein  ein  Krampf 
auf,  welcher  der  Beschreibung  nach  als  »»Zwerchfellskrampf '  gedeutet  werden  mnss 
und  ongefahr  eine  Stunde  dauerte.  Derselbe  wiederholte  sich  öfter  in  der  nächsten 
Zeit  — 

Nach  einet  mehrwöehentlichen  Ruhepause  stellte  sich  der  ,,Krampr'  in  derselben 
Art^  aber  schwfteher  wie  frfther,  am  3.  März  1888  ein  und  trat  nun  mehrere  Monate 
lang  täglich  auf.  Diese  Reihe  Yon  Anfällen  wurde  von  emer  mit  asthmatischen 
Anföllen  verbundenen  Bronchitis  begleitet 

Im  Juni  1883  ftnderte  sich  das  Bild:  zu  dem  ursprünglichen  Krampf  gesellten 
sich  Paräflthesien  in  der  linken  grossen  Zehe,  die  nach  der  Herzgrube  aufstiegen  und 
unter  einer  „Art  ron  Schluckkrampr'  sich  In  Arm  und  Kopf  fortsetzten.  Während 
des  Anfalls  war  das  Bewusstsein  erhalten,  nach  demselben  wurde  Aber  ,,Benommen- 
heit"  geklagt 

Dieselben  Erscheinungen,  welche  mehrere  Wochen  lang  täglich  spontan  auf- 
traten, konnten  reflectorisch  durch  Druck  auf  die  betr.  Aufschlagstelle  auf  dem  Kopf 
herrorgerufett  werden. 

Es  felgte  eine  fiut  krampffreie  Zeit  von  Juli  1883  bis  October  1886,  während 
welcher  auch  die  Erscheinungen  ton  Seiten  der  Respirationsorgane  sich  verringerten. 

Körperliche  und  geistige  Anstrengung,  wie  sie  damals  das  Geschäft  in  ver- 
mehrtem  Maasse  forderte,  überstiegen  wohl  die  Kräfte  unseres  Patienten,  und 
unter  den  Vorboten  von  3  Tage  anhaltenden  Kopfschmerzen  erschien  der  Krampf 
wieder,  pflanzte  sich  auch  auf  die  rechte  Körperseite  fort  und  fUhrte  zu  voUkommnem 
Bewuasteeinsverlust  Es  hatte  sich  also  ein  Uebergang  zu  einer  schwereren  Krampf- 
form vollzogen,  die  siph  indess  nur  8  Tage  in  dieser  Art  erhielt  ni^  dann  wieder 
in  Krämpfe  mit  erhaltenem  Bewusstsein  abgeschwächt  zu  werden.  Obwohl  unser 
Patient  wieder  soweit  hergestellt  wurde,  dass  er  geschäftlich  thätig  sein  konnte,  so 
blieb  er  doch  von  diesen  Anfällen  immer  nur  kurze  Zeit  verschont.  Zuerst  wieder- 
holten sie  sich  in  Pausen  von  8 — 14  Tagen,  späterhin  öftw,  im  Juni  1887  fast 
tftgUdk.  Dabei  bestanden  heftige  Kopfschmerzen,  die  jenen  Locus  minoris  resistentiae 
als  Mittelpunkt  hatten,  und  von  dem  auch  nach  Belieben  reflectorische  Krämpfe  her- 
Torgerufen  werden  konnten! 

Im  Juli  in  die  Charit^  aufgenommen,  hatte  Patient  die  Freude,  acht  Tage  lang 
▼on  Anfällen  verschont  zu  werden;  aber  die  Freude  dauerte  eben  nicht  lange  und 
schlug  iQ*B  G^egeiithell  um,  indem  nunmehr  die  Anfälle  sich  häuften  und  mitunter 
2  Stunden  dauerten,  einer  sogar  5  Stunden,  und  dieser  letastere  nur  durch  Faradi- 
sation  des  ganzen  Körpers  sistirt  werden  konnte.  Unter  diesen  Anfällen  litt  die 
Sprache,  indem  eine  gewisse  Langsamkeit,  Tonlosigkeit  und  Unsichierheit  zurflckblieb. 
Kurze  Zeit  darauf  zeigte  sich,  dass  das  linke  Bein  „fast  ganz  gelähmt"  war,  auch 
wurde  am  nächsten  Tage  der  linke  Arm  „sehr  schwer".  Diese  letzteren  Erschei- 
nungen gingen  nach  elektrischer  Behandlung  in  kurzer  Zmt  zurück. 

Am  10.  September  1887  suchte  Patient  die  Polildinik  f&r  Nervenkrankheiten 
Yon  Prof.  MüMipL  und  Prof.  Eülknbpbo  auf,  wo  ich  bald  Gelegenheit  hatte,  diese 
nunmehr  sehr  häufig  auftretenden  Krämpfe  zu  beobachten.  Während  sich  dieselben 
spontan  mit  Vorliebe  nach  den  Mahlzeiten,  beim  Besteigen  oder  Verlassen  des  Bettes, 
in  Folge  von  Qemüthserregung  oder  körperlicher  Anstrengung  einstellten,  gelang  ee 
auch,  sie  durbh  Druck  auf  jene  schmerzhafte  Stelle  des  Kopfes  hervorzurufen,  durch 
Ihj^  auf  mehrere  empfindliche  Punkte  von  Hals,  Nacken  und  Schultern  (hysterogene 
Funkte),  durch  starkes  Flectiren  oder  Hypereztendiren  der  Finger  und  Zehen.  Der 
Vorgang  war  dann  der,  dass  sich  an  vermehrte  Parästhesien  in  der  linken  grossen  Zehe 
und  in  der  linken  Hand  die  dem  Kranken  noch  zu  Bewusstsein  kamen,  ein  Schfittel- 
tremor  anschloss,  welcher  von  den  linken  Extremitäten,  die  am  stärksten  geschfittelt 
vurden,  unter  aUmählicih  eintretende  Bewusstlosigkeit  auf  die  rechten  überging«  Arm 
und  Bein  waren  dabei  aufs  Aeussorste  exte&dirt.    Schliesslich  wurde  der  Kopf  von 

20* 


—    316    — 

dem  Tremor  mit  ergriffen;  derselbe  warde  lebhaft  nach  beiden  Seiten  geBchüttelt 
Die  Musculator  der  linken  Gesichtshälfte  verzog  sich,  als  ob  man  den  Faoialis-Stamm 
elektrisch  reizte,  die  Zunge  wurde  im  Munde  nach  links  verzogen  and  der  Kranke 
machte  prustende  Bewegungen,  wie  etwa  ein  Badender,  der  eben  das  Wasser  verUlsst. 
Diecer  Zustand  dauerte,  so  oft  er  sich  wiederholte,  etwa  5—20  Minuten. 

Objectiv  liess  sich  zu  dieser  Zeit  eine  geringe  Parese  des  linken  Facialis  und 
der  ganzen  linken  Eörperseite  constatiren,  so  dass  das  linke  B^in  beim  Gehen  nach- 
gezogen wurde.  Die  Sensibilität  war  für  die  verschiedenen  Gefflhlsqualitäten  links 
gleichmassig  sehr  erheblich  herabgesetzt,  ganz  abgesehen  von  den  vielen  sehr  em- 
pfindlichen Nervendruckpunkten,  die  die  linke  Eörperseite  aufwies.  Die  Befleze  waren 
sämmtUch  stark.  Von  den  hysterogenen  Punkten  habe  ich  schon  gesprochen.  Die 
Psyche  war  durchaus  intact,  Sprache  etwas  schleppend  und  von  mattem  Tone.  Be- 
merkenswerth  sind  noch  die  sehr  weiten,  aber  auf  Licht  und  Accommodation  gut 
reagirenden  Pupillen.     Gesicht  und  Gehör  hatten  keine  Störung  erfahren. 

• 

In  Erwägung,  dass  die  hier  vorliegende  Affection  die  linke  Eörperhälfte  so 
vorzugsweise  betraf,  dass  dagegen  die  geringen  Erscheinungen  anf  der  rechten 
Seite  kaum  in  Betracht  kamen,  lag  es  nahe,  an  eine  ganz  circamscripte  Affec- 
tion organischer  Natur  der  betreffenden  Gentren  in  der  Hirnrinde  zu  denken. 
In  der  That  ist  dies  auch  von  verschiedener  Seite  geschehen,  und  Herr  Prof. 
Mui^,  der  diesem  Falle  ein  besonderes  Interesse  entgegentrug  und  die  Krämpfe 
öfter  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte,  hat  an  dieser  Ansicht,  welche  et  sich 
gleich  beim  ersten  Anblick  gebildet^  bisher  immer  noch  festgehalten. 

Die  Art  des  Verlaufe  der  Krankheit,  der  Wechsel  der  Erscheinungen,  die 
Hemianästhesie,  die  hysterogenen  Punkte,  die  Veranlassung  zum  Auftreten  der 
Krämpfe,  sowie  deren  Erscheinungsweise,  der  Mangel  an  psychischen  und  in- 
tellectuellen  Störungen  und  andere  Momente  mehr,  machten  es  für  mich  un- 
zweifelhaft, dass  wir  es  hier  mit  einem  Falle  von  traumatischer  Hystero- 
Epilepsie  zu  thun  hatten.  An  ein  Superarbitrium  konnte  damals  nicht  appellirt 
werden,  da  die  Herren  Chefs  unserer  Poliklinik  sich  auf  Reisen  befanden. 

Die  Therapie,  welche  ich  zuerst  anwandte,  und  von  der  ich  in  einigen  ähn- 
lichen Fällen  ausgezeichneten  Erfolg  gesehen,  die  centrale  Galvanisation,  schlug 
vollkonmien  fehl,  da  gleich  der  erste  Versuch  der  Anwendung  einen  sehr  starken 
Anfall  auslöste;  deshalb  wurde  davon  Abstand  genommen. 

Bei  der  Unzulänglichkeit  und  Unsicherheit  der  bisher  in  solchen  Fällen 
angewandten  Heilmethode  beschloss  ich^  hier  mit  dem  neuesten  unserer  Mittel, 
der  Hypnose,  einen  Versuch  zu  machen. 

Zum  ersten  Mal  gelang  es  in  2  Minuten,  den  Patienten  durch  den  Blick 
auf  einen  Metallknopf  zu  hypnotisiren.  Bei  Beginn  der  Hypnose  senkt  sich  der 
rechte  den  Knopf  haltende  Arm,  und  es  beginnt  ein  Schütteltremor  des  ganzen 
Körpers,  besonders  der  linken  Seite.  Der  Aufforderung,  aufeustehen  und  zu 
gehen,  folgt  Patient,  schleift  aber  das  zitternde  linke  Bein  nach.  In  Folge 
energischer  Ermahnung  geht  er  dann  ganz  ordentlich,  aber  mit  zaghaften 
Schritten,  bis  er  nach  längerer  Gehübung  plötzlich  erbleicht  und  kraftlos  zu- 
sanunensinkt  —  trotz  aller  Ermahnung.  Auf  dem  Sopha  liegend  bleibt  er  in 
tiefem  Schlafe;  der  Puls  zählt  zuerst  124,  nach  einiger  Zeit  84  Schläge.  Nach- 
dem Patient  eine  halbe  Minute  gelegen,  tritt  ein  neuer,  aber  viel  sohwächeiBr 


—    317      - 

koMi  auf,  der  baM  vorftber^eM;  nadh  emeüi  "wöiterd' ungest6rtöri  ScMÄf  völi' 
10  Mhititen  erwacht  Patient  und  fShlt  sich,  gc^mäss^  ineiier  'Stiggöötiön,  voH- 
kommen  wohl.  ''    • 

« 

Diesen  utierwülischten  Zwischenfall  iti  Gestalt  eines  Ohnmachtsanfalleäf 
möchte  ich  als  den  Ausdruck  einer  Erschöpfung  abffassen,  in  welche  die  p'sjrchb- 
motorische  Sphäre  durch  die  sich  in  ihr  VollzietiendeautöThatSsche  Leistto^  ge- 
rathen  ist  Diese'  letztere,  welche  sich  In  der  nunniiehr  windet  normalen! 'Be- 
wegohg  der  Beine  beim  Gehen  documentirt,  und  die  allein 'tmtet  dem  Einfflii^' 
meines  Willens  sifch  vollzogen  hat,  hat  aber  tu  der  LeIötubgsfähi^kiBit'*duiteh 
ein  zuviel  der  Beeinflussung  des  Vorhin  kranken  und  moinentan  zifr  Kdrrti' 
zurückgekehrten  Cfeiitrums  fSr  di^  Gehbewegüng  im  Jfissverh&ltniss'  geitandöii;* 
Daher  die  Erschöpftmg.    Der  FeWer  lag  aof'mrtner  Seite.      '   '     '  •    '     -' 

Am  nächsten  Tage  erzfihlte  Fat.,  dalss  er  bis  jetzt  keinen  Aiifall  mehr  ge- 
habt, dass  er  s?ch  in  Arm  imd  Bein  kr&ffiger  fÖhlt  und  vorzüglich,  wife'  ächon' 
lange  iricht  zuvor,  g^chlafen  habe;  in  der  Gegend  der  lihlreri  HtlfW  fOhlte'  ör 
eine  gewisse  Spannung.  » .    .  \     f «. 

Bei  der  nunmehr  vörgenommeiieii  zweiten  Byptiotisatiott  schläft' Fiat  auf 
einfaches  Zureden  sofort  ein.  Man  bemerkt  dabei  feih  l^hles*  VferSfiehfen'  det* 
linken  Oetiehtsmnsculatur  und  Zittern  des  Unken  Aims;  beides  verschwindet 
bald.  Beim*  firwochen  fühlt  er  sic^  matt  und  klagt '^übef  Kq^Mruek- utid' 
„Spaünttng^'im;  linken  Arm.  *  Daher  erneute  Hypnbtisatiott.  •  Bei  der  Anfforie-'- 
rungy  die  Znnge  ouszustreekeih ^  verzieht  sich  ^eder  das*  G^<^ht:  uod  der«  Uftk&' 
Ann  fangt  «an  zu  aittem,  jedoch  geht  es  wiederholt  giaiiz  gut  undisdhliessHc^ 
ohne  iNtbenerachetmingen.    :  •» 

Nttoh  Aem  Biwachen  fohlt  sich  Ptot.  stuewt  eiü  wenig  wüst  Imf'Kopfel,  nach 
wenigen  HiiMHleti  abei'  vollkommen  \rohl    Die  'Zungd  kahti  ohne  einen  'Atflkll 
auszulosen  hfctau^streckt!  werdetr;  die  Paarfatiesien  in' detf  linken  Fingerfi(pifaiu,' 
übet  weteho  uoeb  geklagt  stordeil  wär^  sind  bis  auf  elii  Minimum' geschwunden. 

Am  näichsten'Tage  erzählte  Fat:' Voller  Fremde,  er  habe  gestern  eihen'vier-' 
sttedigefü  sSpaei^i^ang  mächen  kernen  ohne  zu  ennüden,  dier  Krampf  habb  äioli 
auch  nicht  durch  die  geringste  Andeutung  wieder  gemeldet,  aber* er*  haÄe  noch' 
etwas  '„RopftWtfck^*  ää!  der  ^ho*  öftfer  besieichneten  ^lle  ünti'  leide  uhter' sehr 
sohlenihffer  Stlhnthtltig.-  B^klesr' wühle  dürdh' Hin'nös^  und  dai«\if  fblgendeu'byl^- 
notlschert  Schlaf  von'  10'  Jrfiimteh'  zu  beseitigen  virsucht^  »was  a6ctt'  vollktoihinen- 

Etwa  I4'l^'damüf  sielltie  ich  den  'Patienten  der  mediciWfeohen  'Gwell«' 
schaft'Vor. '''■'    -   •'  '  '-   -  '  '•  •   •   ••     "•'  •'■''•  " 

•'Es  War  kttuni  zö  ^rwart^, '  dJi^^  hiörmife  die  K«liik^nge«*kAte  tfnseifes' 
Patt^nten  aibg^dilossett'  imd  die'IMmpfe  Iftr  flnmer  beseitigt  sein-  sullteti^  Da»- 
Fehlen  einer  hereditären  Bela^to^iftg,  sowie '  die  •  bisher  b^  def  enonin  gi-^sieö 
SuggteÖbilitBfe  dte  PÄt.  durch  «die  -ÜypAoBe  erzielten  lokalen  ErfoJge  er^beu 
gtmitlg&'M'öineilite'fut'idihe'ii^IatiV  gdt^  Prognose.  >  Andererieitb  läiusste 'dieMbe^ 
getHA>r  weMed  dttfeh  den  uhg^iiMin  säiwädhlicUen  K5rperbaa;  dürrihdie^^Wahi-^ 
ncfhniüiig^eltfiger'veiilMitiger  Ra»S(>)geräusch^  Aber  beiden  tiungmsiifitzbn,  dmci^' 


—    318    — 

die  Behr  h&ufigen  Nachtscfaweisse  und  schliesslich  durch  die  äasseren  Yerhaltr 
nisse,  welche  dem  Patieoten  den  Luxus  einer  langem  Bade-  oder  Erholungs- 
reise nicht  gestatteten.  Deshalb  waren  meine  Hoffnungen  auch  nicht  gerade 
hoch  gespannt;  um  so  grösser  ist  heute  meine  Freude,  dieselben  weit  übertroffen 
zu  sehen. 

Die  erwarteten  Rückfalle  traten  dreimal  ein,  niemals  jedoch  ohne  besondere 
Veranlassung:  das  erste  Mal  (nach  Ablauf  von  5  Wochen)  rief  ich  absichtlich 
durch  starke  Faradisation  der  Scheitelgegend  einen  Krampf  hervor,  nachdem 
sich  am  Tage  vorher  während  des  Nachmittagsschlafes  ein  Zittern  des  linken 
Beines  und  sjäterhin  ein  Schmerz  in  der  linken  grossen  Zehe  bemerkbar  ge- 
macht hatte.  Meine  Absicht,  während  des  Krampfes  Hypnose  einzuleiten  und 
in  dieser  den  Anfall  zu  couphren,  konnte  ich  vorzüglich  ausführen. 

Der  zweite  Rückfall  wurde  6  Tage  später  durch  eine  von  6  oder  8  Herren 
hintereinander  ausgeführte,  etwa  '/^  Stunden  dauernde  laryngoskopische  Unter- 
suchung herbeigeführt  und  zwar  am  ersten  Tage  in  Gestalt  eines  „Brustfarampfes^^ 
(wohl  Zwerchfellskrampf),  am  Tage  darauf  als  typischer  Krampf,  wie  er  vorher 
geschildert.  Die  hiemach  zurückbleibenden  Parasthesien  im  linken  Bän  wurden 
durch  faradische  Pinselung  desselben  in  einer  Sitzung  beseitigt 

Die  Entstehung  des  dritten  Rückfalls  ist  vielleicht  die  interessanteste.  Da 
Fat  seit  einigen  Tagen  über  Kopfschmerz  klagte,  und  die  Wirkung  des  Anti- 
febrin  in  solchen  Fällen  schon  oft  erprobt  war,  gab  ich  ihm  am  18.  Febmar 
6  Pulver  von  je  0,25  mit  der  Anweisung,  täglich  eines  zu  nehmen.  Am  24. 
stellte  sich  plötzlich  wieder  ein  Krampf  ein,  der  sich  am  nächsten  Tage  wieder- 
holte. Nach  einer  hypnotischen  und  einer  elektrischen  Sitzung  waren  alle  Folge- 
erscheinungen (,,Aufsteigen  im  linken  Arm  und  Bein,  als  ob  der  Krampf  im 
Anzüge  wäre")  geschwunden.  Da  im  TJebrigen  jede  weitere  Veranlassung  znr 
Entstehung  des  letzten  Anfalles  fehlte,  wie  sie  für  die  beiden  ersten  offenbar 
vorgelegen  hatten,  so  ist  wohl  sein  Auftreten  als  durch  die  Wirkung  des  Anti- 
febrin  verursacht  anzusehen.  Vielleicht  ist  die  Hypothese,  nach  welcher  dieselbe 
einer  Beeinflussung  des  vasomotorischen  Centrums  verdankt  wird,  als  Erklärong 
hierfür  heranzuziehen. 

In  zweiter  Reihe  sind  weitere  Störungen  des  im  TJebrigen  während  dieser 
ganzen  Zeit  sehr  befriedigenden  Gesundheitszustandes  zu  verzeichnen,  denen  ich 
den  Werth  von  Aequivalenten  für  die  Krampfanfalle  beilegen  möchte.  Dieselben 
traten  in  unbestimmten  Intervallen  als  Schwindel-  und  leichte  Ohnmachtsanfalle 
in  die  Erscheinung,  welche  sich  im  Oanzen  vielleicht  fünf-  oder  sechsmal  wieder- 
holten und  niemals  zu  einer  erheblicheren  Störung  des  Allgemeinbefindens  Ver- 
anlassung gaben.  Vielleicht  sind  auch  die  in  letzter  Zeit  zweimal  ohne  nach- 
weisbare Ursache  aufgetretenen  jedesmal  etwa  2  Ts^e  dauernden  Leibschmerzen 
und  Diarrhöen  als  solche  Aequivalente  zu  deuten. 

Fernerhin  machten  sich  noch  allerlei  Nebenerscheinungen  bemerkbar,  deren 
Beseitigung  jedesmal  nur  kurze  Zeit  in  Anspruch  nahm:  Kopfschmerzen  ver- 
schiedenen Charakters,  meist  von  der  bewussten  Aufschlagstelle  oder  deren  Nähe 
ausgehend,  Parasthesien  in  der  linken  Hand  and  den  Zehen  des  linken  Fnsaes, 


—    319    — 

Nachtschweisse,  Hyperbidiosis  der  Fasse,  Gefühl  tob  yjSpannung''  im  Unken 
'  Oberschenkel,  schlechte  Stimmnng,  Heisshnnger. 

Die  Behandlung  hatte  natürlich  noch  andere  Aufgaben  zu  erfüllen,  als 
die  der  Beseitigung  der  Krämpfe.  Ausser  der  etwa  8mal  angewandten  Hyp- 
nose wurde  die  Diät  im  weitesten  Sinne  ger^elt,  jedoch  so,  dass  auch  Bier, 
Wein  und  Gigarren  in  massiger  Menge  gestattet  wurden.  Es  wurden  regel- 
mässige Bäder,  kalte  Abreibungen  und  Gymnastik  (letztere  nach  besonderer 
Vorschrift)  verordnet  Schliesslich  wurde  im  Zeitraum  von  ca.  8  Wochen  eine 
methodische  allgemeine  Faradisation  3mal  wöchentlich  durchgeführt 

Natürlich  erforderten  auch  die  vorhin  erwähnten  Basselgeräusohe  über  beiden 
Lungenspitzen  eine  besondere  Beachtung.  In  dieser  Beziehung  von  der  schlinoon- 
sten  Befürchtung  ausgehend,  liess  ich  die  bekannten  Creosot-Eapseln  brauchen, 
mit  2  pro  die  beginnend  und  bis  zu  8  steigend.  Im  Ganzen  hat  Fat  ca.  500 
verbraucht  Der  Erfolg  bestand  in  der  baldigen  Beseitigung  des  Hustens  und 
Auswurfs;  auch  die  asthmatischen  Beschwerden  haben  sich  nie  wieder  gezeigt. 
Die  erwähnten  Basseigeräusche  habe  ich  bei  wiederholter  Untersuchung  nie  wieder 
constatiren  können.  Auch  die  Nachtschweisse  verschwanden,  jedoch  glaube  ich, 
diese  auf  neurasthenischen  Ursprung  zurückführen  zu  müssen. 

Der  Erfolg  der  eingeschlagenen  Behandlung  wird  am  besten  durch  die 
Angaben  illnstrirt,  dass  Herr  Z.  seit  dem  1.  Januar  d.  J.  ununterbrochen  als 
erster  Buchhalter  in  einem  grossen  hiesigen  Geschäft  thätig  ist  und  dass  er  sich 
von  einem  Körpergewicht  von  ursprünglich  108  Pfund  im  October  v.  J.  zu  einem 
solchen  von  130  Pfund  emporgeschwungen  hat.  Bemerkenswerth  ist  die  im  Laufe 
der  Zeit  eingetretene  erhebliche  FupUlenverengerung. 

Unterziehen  wir  schliesslich  den  ganzen  Fall  einer  kurzen  kritischen  Be- 
leuchtung, so  kann  es  wohl  keinem  Zweifel  begegnen,  dass  im  Gange  der  Therapie 
der  Hypnose  das  Verdienst  gebührt,  die  ersten  und  störendsten  Erscheinungen 
des  Krankheitsbildes,  die  Krämpfe,  beseitigt  zu  haben,  und  dass  sich  auf  diesem 
ersten  Erfolge  dann  die  Wirkungen  der  übrigen  Mittel  erst  nutzenbringend  auf- 
bauen konnten. 

(Fortsetzung  folgt.) 


2.   Die  Kamiinfärbung  für  Nervengewebe. 

Von  Dr.  Henry  S.  Upson,  Cleveland  (Ohio). 

Man  stelle  sich  zuerst  die  von  Gbenacheb  angegebene  Carminalaunlösung 
nach  folgendem  Recepte  dar: 

Ein  Gramm  Carmin  wird  mit  100  cc  einer  öprocentigen  Alaunlösung  er- 
wärmt; 20  Minuten  lang  gekocht  und  nach  dem  Erkalten  ültrirt. 

Erste  Methode:  Zu  5  cc  dieser  Lösung  setze  man  10 — 20  Tropfen  Essig- 
säure, 1—3  Tropfen '  Phosphormolybden-Säure  hinzu  und  filtrire. 

Die  Schnitte  kommen  in  diese  Mischung  für  2 — 10  Minuten  eventuell  auch 
länger,  werden  dann  sorgfaltig  in  Wasser  abgespült,  dann  entwässert,  aufgehellt 
und  eingebettet. 


•« 


—    320 

Es  förbeu  sich  Ganglieozellen,  Axencylind^  und  Bindegewebe.  Die  Kerne 
werden  auch  deutlich  tingirt. 

Zweite  Methode :  Man  nehme  5  cc  der  Carmin-Alaun-Lösung,  sättige  sie 
mit  ZincJ  sulfuric.  und  filtrire.  Schnitte  werden  in  diese  Lösung  für  V2  bis 
12  Stünden  eingelegt,  dann  in  Wasser  abgespült  und  weiter  me  gewöhnlich 
behandelt    Diese  Methode  färbt  dieselben  Gewebselemente  wie  die  erste. 

•  •  • 

Dritte  Methode:  In  4  cc  Wasser  +  1  cc  Alkohol  löse  man  0,06  Carmin- 
Säui'e. 

Die  Schnitte  bleiben  in  dieser  Mischung  8 — 10  Minuten,  werden  auf  kurze 
Zeit  in  Wasser  abgespült  und  kommen  dann  in  eine  der  folgenden  Fixations- 
Fläsfflgkeiten. 

In  dieser  bleiben  sie  einige  Minuten,  werden  dann  in  Wasser  abgespült, 
^ntwä^ert,  angeheilt  und  eingebettet. 

Die  llnction  ist  abhängig  von  der  Fixations-Flüssigkeit  Verdünnte  Essig- 
säure'förbt  gelbroth;  gesattigte  Ijosung  Plumbi  acetati  blau;  Eisensulfat  schwarz; 
Mangansulfat' rolh;  Nickelsulfat  oder  Bariumchlorid  violett 

Axencyliilder,  Oanglienzellen  und  Bindegewebe  werden  tingirt,  die  Kerne 
hingegen  iiebeh  sich  gegen  das  übrige  Gewebe  nicht  scharf  ab.  Myelinscheiden 
bleiben  ungefärbt         •    ' 

'  Je  länger  ein  Gewebe  in  der  Müller^sclien  Flüssigkeit  oder  in  Alkohol  gebärt^ 
worden  ist,  desto  läiiger  dauert  die  Färbung. 

Die  erste  Methode  ist  besonders  geeignet  für  Präparate^  die  überhärtet  oder 
schwer '  tirlgnrtar  sind. 

Die  dritte  Methode  eignet  sich  besonders  für  Präparate^  die  gut  gehärtet 
und  auch  leicht  farbbar  sind. 

In  der  Herstellung  der  Cärmin-AIaunlösung  macht  es  keinen  wesentlichen 
TJtit^rschied,  welchen  Alatin  mau  anwendet.  Gereinigtes  Alaun-Kalium  giebt 
eine  Lösung;  die  etwas  sicherer  ist  in  seiner  Wirkung,  wie  Alaun-Natron.  Alaun 
Kübidium  Ist  vielleicht  noch,  besser,  doch  ist  es  sehr  theuer. 

'  Es  i^  oft  unhöthig,  Essigsäure  zu  der  Carmin- Alaunlösung  hinzuzufügen^ 
denn  von  längerem  Kochen  oder  Stehen  zerföllt  der  Alaun  und  es  bildet  sich 
eine  Säure.  Wenn  dies  geschieht  wird  die  Lösung  viel  heller  als  durch  Zu- 
fügung  einer  Säure.  Man  kann  die  Farbe  heller  machen,  indem  man  einige 
Tropfen  Phosphomolybden-Saure  hinzusetzt 


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3.   Bemerkung  zu  Vorstehendem. 

Ton  Dr.  Wmiam  0.  KrauBs,  Attica  (New  York). 

Meine  im  Laboratorium  des  Prof.  Mendel  mit  diesen  Methoden  angestellten 
Versuche  ergaben  folgende  Resultate : 

Mit  der  eräten  Methode  waren  sämmtliche  Gewebe  tingirt  .mit  Ausn^me 
der  Markscheiden,  vvie  Verfasser  beschrieben  hat 

'  Die  l^ctiou  üach  20  Minuten  ergab  sich  als  etwas  zu  hell,  die  Präparate 


—    321     - 

sahen  zu  blass  ans  und  die  DiSbrenzirung  war  uicht  scliaif  genug.  Aber  nach 
einer  l->28tüiidigen  F&rbung  waren  diese  Kachtheile  grösstentheils  beseitigt 

Mit  der  zweiten  Methode  bekam  ich  sehr  gute  Resultate,  besonders  bei 
peripherischen  Nerven.  Axency'linder,  Markscheiden  und  ächwann'sche  Membran 
waren  scharf  und  deutlich  differeuzirt.  Besonders  schön  war  das  Bindegewebe 
üngirt    Im  Büd^enmark  waren  die  Resultate  ebenfalls  sehr  befriedigend^ 

Was  die  dritte  Methode  betrifft,  so  ergaben  meine  Versuche  befriedigende 
Hesaltate;  Oefasse,  Nenrenkeme  und  Nervenfasern  waren  gut  tingiri  Boch  wie 
Verfasser  bemerkt  hat,  soll  die  Methode  nur  dann  angewandt'  werden,  wenn  die 
Präparate  eine  Tinction  leicht  annehmen. 


4.  Einiges  über  Suggestion. 

Von  Dr.  Ernst  JendrAssik«  Universitatsdocent  in  BadapMt. 

(SchluBs.) 

r 

Ich  will  nicht  alle  Versuche  aufzahlen,  das  hiesse  viel  sehr  Bekanntes 
wiederholen,  ich  werde  aber  doch  einige  beschreiben,  weil  ich  glaube,  dass  es 
von  Interesse  ist  zu  erfahren,  dass  solche  Versuche  in  anderen  Ländern  ebenso- 
gut  gelingen,  als  im  Mutterlande  des  Hypnotismus. 

» 

Suggestionen  von  grosser  Kälte,  Baden  in  kaltem  Wasser  riefen  einen 
förmlichen  Schüttelfrost  hervor,  Klappern  der  Zähne,  wie  mau  das  nicht  nach- 
ahmen könnte;  auf  Suggestion  spielt  sie  die  Betrunkene  mit  blassem,  nichts- 
sagendem Gesichte  meisterhaft,  bei  der  Suggestion  von  Unwohlsein  erbricht  sie 
in  wenigen  Augenblicken  —  ohne  jede  Hülfe  —  den  Inhalt  ihres  Magens.  —  . 
Sie  erhält  die  Suggestionen,  .wenn  sie  ihr  so  aufgegeben  worden  sind,  auch 
nach  dem  Erwachen,  ohne  sich  aber  der  im  hypnotisirten  Zustahd  an  ihr  an- 
gestellten Versuchen  zu  erinnern.  So  hielt  eine  Monoplegie  des  rechten  Armes, 
die  durch  Suggestion  hervorgebracht  worden  ist,  und  die  ich  zufalliger  Weise 
veiigessen  hatte  gut  zu  machen,  4  Tage  an,  bis  die  Kranke  mich  bitten  liess. 
Hvpnotisirt  gelang  mir  die  Losung  dieser  Lähmung  durch  Suggestion  in  einigen 
Augenblicken.  —  Die  Anästhesie  der  rechten  Seite  konnte  auch  durch  Suggestion 
sehr  leicht  auf  die  linke  Seite  transferirt,  oder  gänzlich  aufgehoben  werden. 
Diese  Aenderungen  waren  jedoch  im  wachen  Zustande  nicht  so  permanent,  wie 
die  beschriebene  Lähmung;  in  wenigen  Stunden  kehrte  die  rechtsseitige  Em- 
pfindungslosigkeit in  ihr  Recht  zurück.  -—  Ein  von  forensischer  Seite  sehr  wich- 
tiges und  schon  öfter  beschriebenes  Experiment  gelang  mit  der  grössten  Leichtig- 
keit: wenn  wir  nämlich  im  hypnotischen  Zustande  der  Fat  suggerirten,  dass 
sie  nach  ihrem  Erwachen  einen  der  Anwesenden  mit  einem  als  Dolch  suggerirten 
Papierstreifen  ermorden  müsse,  befolgte  sie  diese  Aufgabe  mit  einem  so  wahren 
Ausdruck  der  Wirklichkeit,  zu  welchem  unvorbereitet  kaum  Jemand  ßhig  wäre. 
Im  Momente,  wo  der  heftig  getroffene  aufschreit,  wird  durch  diesen  Schrei  J. 
hypnotisirt,  und  steht  kataleptisch  mit  starren  Augen,  mit  empor  gehaltenen 
Armen.    Wird  sie  aber  im  Augenblicke  nach  vollzogener  That  nicht  hypnotisirt 


—    822 

(wenn  z.  B.  der  Betreffende  nicht  aufschreit),  dann  bekommt  sie  in  Folge  der 
heftigen  Gemüthserregung  sogleich  einen  Anfall.  —  Durch  einen  Wink  vor  den 
Augen  kann  sie  ebenso  momentan  hypnotisirt  werden,  wenn  man  ihr  aber  sug- 
gerirt,  dass  sie  von  Jemanden  nicht  hypnotisirt  werden  könne,  dann  kann  der 
Betreffende  sie  anschreien,  vor  ihren  Augen  winken,  umsonst,  selbst  wenn  er 
einen  Gegenstand  vor  ihren  Augen  hält  und  sie  diesen  Gegenstand  fortwährend 
anstarrt,  ßlUt  sie  nicht  in  Schlaf.  —  Sehr  leicht  gelingen  die  Experimente  mit 
dem  Tam-Tam,  man  kann  ihr  suggeriren,  dass  sie  nur  für  dieses  Instniment 
taub  sei,  in  diesem  Falle  erräth  keine  Miene  das  Vernehmen  dieses  furchtbaren 
Knalles,  welcher  Gesunde  erzittern  macht  Ist  sie  aber  nicht  suggerirt,  so  zuckt 
sie  schon  beim  leisen  Anschlage  zusammen  und  verfallt  in  Katalepsie,  bei 
stärkerem  Anschlage  aber  bekommt  sie  den  Anfall. 

Mit  ähnlicher  Praoision  fallen  auch  aus  die  Experimente  mit  dem  Gesichts- 
sinn. Suggerirt  man  ihr  auf  ein  Blatt  weisses  Papier  den  Buchstaben  p,  dreht 
nun  das  Blatt,  ohne  dass  sie  es  bemerken  konnte  um  (d)  und  zeigt  dann  das 
Bild  dieses  Papiers  im  Spiegel,  so  erkennt  sie  sofort  b. 

Es  war  möglich,  auch  die  Athembewegungen  durch  Suggestion  zu  beein- 
flussen, wenn  ich  ihr  sagte,  sie  könne  nicht  Athem  holen,  so  hörte  sogleich  die 
Brustbewegung  auf,  sie  wurde  aber  blass,  fing  an  zu  zittern  und  endlich  er- 
folgte eine  zögernde  Inspiration.  Während  solchen  Versuchen  zeichnete  ich  die 
Curve  der  Thoraxbewegungen  und  markirte  gleichzeitig  die  Zeitintervalle  mit- 
telst eines  elektrischen  Signals,  es  ergaben  sich  vollständige  Athempausen  von 
150 — 195  Secunden  (2^2 — 3V4  Minuten),  und  für  länger  dauernde  Experimente, 
z.  B.  in  5  Minuten,  holte  sie  nur  5mal  Athem. 

Am  interessantesten  waren  aber  entschieden  die  Versuche  mit  suggerirten 
Verbrennungen.  Der  erste  Versuch  war,  dass  ich  ein  Blatt  gewöhnliches  Piltrir- 
papier  an  JJs  Unterschenkel  aufband  mit  der  Suggestion,  es  sei  Senfpapier, 
welches  bis  zum  nächsten  Morgen  Blasen  ziehen  werde:  in  der  That  war  zur 
besagten  Zeit  die  ganze  Fläche  lebhaft  geröthet,  eine  Menge  ganz  kleiner  Blasen 
war  entstanden.  Nun  nahm  ich  eine  Pappschachtel,  sagte  ihr  im  hypnotisirten 
Zustand,  es  sei  glühendes  Eisen  und  berührte  auf  einen  AugenbUck  ihren  rechten 
Unterarm  mit  dem  schmalen  Band  der  Schachtel,  mit  der  Versicherung,  es 
werde  an  der  berührten  Stelle  eine  Brandwunde  mit  Blase  entstehen.  Bei  der 
Berührung  äusserte  sie  lebhaften  Schmerz  —  obzwar  sie  im  wachen  Zustande 
an  dieser  Stelle  gar  kein  Gefühl  besass.  Zunächst  war  an  der  betreffenden 
Stelle  nichts  zu  bemerken,  ich  liess  sie  aufwachen,  sie  schien  nichts  von  dem 
Vorgefallenen  zu  wissen,  verspürte  keine  Schmerzen.  Als  ich  nach  5  Stunden 
die  Stelle  wieder  aufsuchte,  fand  ich  einen  intensiv  rothen  Streifen,  auf  welchen 
sich  bald  eine  prallgefüllte  Blase  mit  gerötheter  Umgebung  erhob,  die  Form 
der  Schachtel  war  dabei  ganz  erhalten.  Es  entstand  weiterhin  eine  sehr  tiefe 
Brandwunde,  die  mehr  als  3  Wochen  zur  Heilung  brauchte,  eine  rothe  Narbe 
war  aber  noch  lange  sichtbar.  Nun  stellte  ich  unter  der  strengsten  Aufsicht 
und  Beobachtung  das  zweite  Experiment  derart  an,  dass  ich  an  den  linken 
Oberarm  einen  als  glühend  suggerirten  Ring,  der  an  einer  Stelle  eine  Einkerbung 


—    823    — 

hatte  —  andrückte.  Die  nun  erweckte  Fat.  beschäftigte  sich  vor  unseren  Augen 
mit  einer  Handarbeit  Es  verflossen  so  5  Stunden,  ohne  dass  irgend  eine  Ver- 
änderung am  linken  Oberann  wahrnehmbar  gewesen  wäre,  zufilliger  Weise 
besah  ich  dann  ihren  rechten  Oberarm  und  es  war  gerade  an  der  symme- 
trischen Stelle  eine  dem  Ringe  genau  conforme  Blase  mit  der  Einkerbung  ^t- 
standen.  Somit  war  hier  ein  Transfert  von  der  sensibeln  zur  anästhetischen 
Sdte.  Nun  wurden  noch  einige  Versuche  gemacht,  die  sammtlich  positiy  aus- 
gefiELÜen  sind,  mit  einer  Ausnahme  —  als  die  Fat.  kurze  Zeit  nach  der  Sug- 
gestion einen  Anfall  bekam,  diesmal  blieb  die  Suggestionswirkung  aus.  Einer 
der  schönsten  Versuche  war  der  folgende.  Ich  nahm  einen  Vordruck-Buchstaben 
(wie  man  ihn  zur  Bezeichnung  der  Wäsche  gebraucht)  und  ohne,  dass  J.  ihn 
gesehen  hätte,  suggerirte  ich,  dass  ich  ein  heisses  Eisen  in  der  Hand  habe  und 
berührte  nun  auf  einen  Moment  ihre  linke  Schulter;  die  Abbildung  zeigt  den 
Abdruck  des  Buchstaben  und  die  auf  der  rechten  Schulter  entstandene  Brand- 
wunde, welche  das  Spiegelbild,  also  Transfert  mit  Umdrehung  zeigt. 


Die  Wunde  entstand  genau  an  der  symmetrischen  Stelle  der  Berühning, 
ihre  Bänder  waren  sehr  scharf  gezeichnet,  der  ganze  Buchstabe  eine  Blase.  Die 
Unregelmässigkeiten  der  Form  können  wenigstens  theilweise  von  der  nicht  ganz 
pünktlichen  Berührung  stammen.  —  Bedauerlicher  Weise  rief  Jemand  —  wir 
konnten  nicht  erfahren  wer  —  eine  sehr  intensive  Brandwunde  an  ihrer  rechten 
Brusthälfte  nüttelst  Suggestion  hervor,  in  der  Form  einer  mittelgrossen  Scheere. 
Diese  Wunde  hinterliess  ein  dickes  Narbenkeloid ,  welches  die  Form  sehr  gut 
erkennen  lässt,  aber  die  freie  Beweglichkeit  ihres  rechten  Oberarmes  bedeutend 
behindert  Seit  dieser  Affiure  habe  ich  ähnliche  Versuche  nicht  wiederholt,  nur 
am  letzten  Tage  ihres  Aufenthaltes  in  der  Klinik  habe  ich  ihr  die  folgende 
Suggestion  eingegeben:  auf  ein  Blatt  Papier  zeichnete  ich  den  Buchstaben  y, 
zeigte  es  ihr  und  sagte,,  es  sei  aus  Metall  und  glühend  und  näherte  das  Blatt 
plötzlich  ihrem  linken  Vorderarm.  Sie  glaubte  berührt  gewesen  zu  sein,  schrie 
auf,  ich  versicherte  ihr  aber,  dass  der  Schmerz  schon  beseitigt  sei,  dass  aber 
der  Buchstabe  eine  Brandwunde  verursachen  wird.  Ich  konnte  die  Wirk\mg 
dieser  Suggestion  nicht  sehen,  da  die  Kranke  am  nächsten  Moi^n  entfloh.  Sie 
wurde  aber  einige  Tage  später  in  Oraz  aufgefunden,  und  in  die  Klinik  des 
Herrn  Ftoi.  y.  Kbasft-Ebikg  gebracht.  Aus  der  Ireundlicheu  Mittheilung  des 
Herrn  Prof.  v.  KBAPPT-EniNa  habe  ich  erfahren,  dass  der  suggerirte  Buchstabe 
auf  der  rechten  Seite  an  symmetrischer  Stelle,  jedoch  nicht  in  Spiegelbild,  als 
ein  in  Vemarbung  übergehendes  Brandmal  gefunden  wurde. 

Endlich  will  ich  noch  Einiges  über  Versuche  mit  dem  Magneten  berichten. 
Gewiss  hatte  der  Magnet  eine  sehr  grosse  Wirkung  auf  die  J.^  Transferte  von 
Hemianäsf hesien,  Contracturen,  Schmerzen  etc.  gelangen  immer  '■  i»:ompt,  nur 


—    384    - 

konnte  man  diese  Versucljie  ,pi^  längere.  Zeiit  foipBeij^jij  denn  es  wurde  ihr  »un- 
wolil  dabe^  es  trateu  hie  an4  fl£i  Gpnjtracturen  wi^  dann  Zäicji\mgßx\  im. ganzen 
Köip^r  und  wenn  der  Magnet  ni^ht  entfernt  winden  entwi^ltelte  sieb. binnen 
Kurzem  der  bystero-epileptische  Anfall.  Hatte  man  abei;  einp^al  mit  diesen 
magnetispben.  Yersucben  begonnen,  dann  konnte  ^an  ^  auch,  nach  £jitfe^iaqg 
des  Ma^eten  alle  die  beschriebenen  Wirkungen  durch  ein  jedes  Object:  H^^nd- 
schuh,  Porcellanschale,  Qlas  etc.  hervorrufen:  wobei  ich  bemerken  will,  dass  ich 
weder  den 'Magneten,  noch  ()iese  Gegenstande  in  der  Hand  gehalten  habe,  sQn- 
äern  mir  in  die  Kähe  der  Pat.  auf  den  Tisch  stellte  und  oft  so  verbarg,  dass 
dÜB  Patientin  seine  Anwesenheit  nicht  ahnen  könnt«.  Eine  sehr.intensivß  Wjur- 
kung.  hätte  das  Tuch,  mit  welchem  der  Magnet  vor  den  Versucl^en  b^dopkt 
war,  wenn  m^  es  ihr  in  die  Hände  gab,,  bekam  sie  plötzlich  in, den  Armen 
uuid  Händen  eine  äusserst  heftige  Co^tractur,  die  d^xch  Streichen  und ,  Worte 
nur  siqhwer  zu  lösen  war,  die  aber  gelost  werden  musste,  spp^t  bekam  sie  d^n 
AnfedlJ  Wenn  man  ihr  durch  Suggestion  die  Gehörseindrücke  des  Tam*Tam 
unhörbar  gemacht  hat,  und  dann  unoemerkt  den  Magneten  ihrem  Hinterhaupt 
genähert  hat,  während  Jemand  vor  ihr  das  Instrunient  in  kurzen  Intervallen 
ziemlich  fest  anschlug  -^  kehrtd  ihr  Gehör  naeh  eiijugeü  Minuten  zurück  und 
bei  dem  nächst  erfolgenlten^  Anschlag  zuckte  sie  heftig  Zusammen  und  sank  in 
Katalepsie.  Trotz  dieser.,  gr^^en  EfTecte  und  der  zahlreichen  Experiment«,  die 
ich  angestellt  habe,  konnte  ich  mich  nicht  überzeugen,  ob  die  magnetische 
Kraft  diiö  tJrsachö  der  Wirkung  sei. 


,  Wen^n  J^'s^^  einer  so  mi^,  der  grossten  Präci^ion  gongenden  Beihe  v^a 
Yersuchen .,  gegenüber  steht,  kan&  man  unmöglich  der  Fjrage :  ausweioheni  wia, 
durq^.  welche .  Organisation  des  Gentralnervansystems.  dieser  so  lavge  unbekannt 
gebheli^ne  Zustand  mioglich  wird?  In,  einer  früheren  Arbe^^^  habe  ich  die 
Grunde  auseinandeigesetTit,  denen  zufolge  ich  als  die  Gmndjursaohe  des  hyp- 
npliaschen .  ^cU^tfes  d^e  Ai^ebong  oder  vielmehr  nur  die  Einsahiankiuig  der 
aasQciativen  Tbätigikeit  des  Gehirns  annehmen  lu  müssen  glaube.,  Der  Jlrklurang 
diesem  Yerhalteps  kann  man, durch  folgenden  Gedankengang  etwas, näher  treten^ 
Bas  Organ  uiiser^s  Seeilen]ebens  ind.  der  Empfindung  und  der  bewussten,  inten- 
dirten  B.ewegung:  die  Gebimrinde,  bestellt  nur  aus  zwei  n^vösen  Elementen, 
den  Zellen  und  den  sie  verbindenden  Fasern.  Die  Function  der  ersteren  scheint 
die  Aufbewahrung  der  Erinnerungsbilder,  die.  der  letzteren  die  Ermogli^huBg 
einer  proportionirten  Wechselbe^dehung  -r  Association^  Coqrdination  —  der  ge^ 
sanmielten^  Bilder,  siu  sein,  Wä.hrend  dem  gewohnUchen  waoheA  Znstande  be- 
schäftigen unser  Gehirn , fortwährend  Ideen,  die  durch  äussere. Sinnesreize  ent- 
stap46u  sind. un(}  durch  die  geschulte,  ausgelf^ufene Association  weiteigiespoDiien 
wi^rdep,  .won^it  sich,  natürjiph  ihr  Inhalt  beständig  ändert;  es  ist  uns  ebenso, 
unmöglich,  ohiie  I^ee^  wach  m  bleibe^,,  als  bei  einer  und  derselben. Iclee  laogere 


j 


.    ^  ^  l)e  rbjp.i^otisme,  Arohives  de  NenfDlqgiQ  1S86.   Indem  iob  auf' dies«  Arl^it  rerweifle, 
wi^l  ich  Wieoerhol langen  verii(ieideD.  ,  <      . 


—    326    - 

Zeit  auBzvüijalten.  Bin  ähzüiphes  Wechselspiel  der  Ideen  dauert  auch  während 
des  Sdilafes  fqrt  aljs  Tiaum,  verliert  aber  in  diesem  Zustandet  den  assodativen 
Charakter  des  T^aohenden;  den  Inhalt  der  Traume  bilden  oft  ganz  verschiedene, 
anftauchonde  und  sich  wieder  verlierende  Erinnerungsbilder,  welche  durch  Er- 
regungen einzelner  Zellengruppen  entstanden  zu  sein  scheinen,  dann. werden 
diese  B^der.  durch  eine  wenig  intensive  Association,  in  Wechselbeziehung  gebracht, 
welche  wegen  der  ganz  heterogenen  Eigenschaften  zu  unlogischen,  unmöglichen 
Schlüssen  fuhrt.  ,  Der  Uuterschied  zwischen,  dem  wachen  Zustande  und  dem 
Schlafe  ist  also  dier,  dasa  im  ersteren  Falle  ueue  Ideen  durch  die  Associaüons- 
processe  oder  neue  Sinnesreize  entstehen,  im  Schlafe  aber  werden  spontan  ent- 
stehende Bilder  in  Association  gebracht.  Jm  Schlafe  ist  aber  die  Bei^harkßit 
der  ZeUeu  bedeutend  abgeschwächt,  so  dass  nur  stärkere  Beize .  eine  Beaction 
hervorrufen,  in  diesem  Augenblick  tritt  jedoch  Erwachen  ein;  es  bleibt  sich 
gleich,  ob  dieser  grössere  Beiz  von  aussen  eingewirkt  hat,  oder  von  einem  leb- 
haften Traum  entstanden  ist.  Die  Erregung  der  Zellen,  in  welchen  die  Traume 
sich  abspielen',  ist  eine  sehr  schwache,  gewiss  unter  dem  Jcleinsten  Werthe  der- 
jenigen Erregungen,  die  im  wachen  Zustande  ablaufen;  dies. bezeugt  z,  B.,  dass 
wir  von  Bew^ungen  träumen,  wir  glauben  zu  laufen,  mit  den  Händen  zu  ar- 
beiten, ohne  eine  wirkliche  Bewegung  auszufahren.  In  der  Hypnose  dagegen 
haben  die  Zellen  ihre  vollständige  Erreg;ungsfahigkeit  —  sie  sind  im  „wachen^' 
Zustande,  aber  die  Erregbarkeit  der  verbindenden  Elemente  ist  für  Associations- 
processe  aufgehoben.  Wie  dieser  eigenthümliche  Zustand  entsteht,  das  kann 
man  jetzt  noch  nicht  beantworten,  es  liegt  aber  in  der  Natur  des  centralen 
Nervensystems,  dass  dessen  Elemente  in  eine  Gleichgewichtslage  kommen  können, 
aus  welcher  sie  nur  durch  einen  heftigeren  Beiz  erweckt  werden  können.  Im 
hypnotischen  Schlaf  fehlt  die  durch  Association  weitergeführte  Gedankenbildung, 
die  von  aussen  einwirkenden  Beize  losen  nicht  eine  lange  Beihe  sich  kettenartig 
verbindender  Ideen  aus,  sondern  es  entsteht  eine  einfache,  nur  der  Beizwirkung 
conforme  Erregung,  die  aber,  weil  beschränkt,  auch  sehr  intensiv  ausfallt.  Die  Tiefe 
des  hypnotischen  Schlafes  wird  durch  den  Grad  der  Associations-Einschränkung 
gegeben,  je  tiefer  die  Hypnose,  um  so  grösser  ist  der  Effect  der  von  aussen  ein- 
wirkenden Beize  in  der  Intensität  der  hervorgebrachten  Wirkung  (cf.  die  cit.  Arb.) 
und  um  so  beschränkter  in  der  localen  Ausdehnung.  Die  suggerirte  Idee  ver- 
bleibt unverändert  gerade  so  wie  eine  lethargische  Contractur  oder  eine  kata- 
leptische  Körperhaltung;  die  erlerUten  Associationsprocesse  können  nicht  benützt 
werdeb,  sie  werden  um  Vieles  durch  die  suggerirten  (also  mit  grolssem  Nach- 
druck recent  eingeführten)  Ideenverknüpfungen  übertroffen.  Dieses  ist  auch  der 
Fall,  wenn  ein  hysterisches  Individuum  im  wachen  Zustande  gleichfalls  sug- 
gestionsfähig ist. 

Null  komme  ich  zur  Frage,  was  Suggestion  sei?  Nach  den  jetzt  üblichen 
Definitionen  scheint  die  Suggestion  eine  Einwirkung  zu  sein,  die  auf  das  be- 
treflende  Individuum  einen  Effect  im  Wege  seines  Intellectes  hervorbringt.' 
Nadi  dieeer  Auffassung  sind  die  sogenannten  physischen  Erscheinungen  (hyper- 


-»-*- 


'  BiMBT  et  ¥tsii  Le  magnetisme  animal.  p.  128. 


326      - 

eicitabilit^  neuro-musculaire,  Gontracturen  etc.)  nicht  als  Suggestionswirkungen 
zu  betrachten.  Ich  kann  eine  solche  Differenzirung  nicht  annehmen.  Die  psy- 
chischen und  die  motorischen  Verrichtungen  unseres  Grosshims  sind  gewiss 
gleichwerthig,  es  wäre  auch  die  Grenze  zwischen  diesen  beiden  Kategorien  nicht 
leicht  zu  ziehen.  Drücken  wir  z.  B.  den  Arm  eines  Hypnotisirten  bis  er  starr 
wird  —  tmd  erzeugen  wir  ein  anderes  Mal  gerade  dieselbe  Contraotur  durch 
die  Affirmation  „dein  Arm  wird  steif',  so  entsteht  derselbe  Process,  nur  war 
in  dem  einen  Falle  der  Tastsinn,  im  anderen  der  Oehörsinn  der  Weg  der  Sug- 
gestion. Freilich  ist  die  Entfernung  im  Oehim  grösser  vom  Gehörscentrum  £ds 
Tom  Tastsinnscentrum  zu  derselben  motorischen  Region,  welche  der  suggerirten 
Contraction  entspricht,  dies  ist  aber  auch  die  Ursache,  dass  der  eine  Versuch 
gewöhnlich  im  tieferen  Schlafe,  in  der  Lethargie,  der  andere  hingegen  in  der 
somnambulischen  Form  gelingt. 

Suggestion  ist  eine  Einwirkung,  die  in  dazu  geeigneten  Indi- 
viduen eine  der  Anffassnng  der  snggerirten  Idee  conforme  Wirkung, 
wenn  sie  auch  in  Wirklichkeit  als  völlig  falsch  erscheint,  als  wahre 
Thatsache  einbringt.  Wenn  ich  diese  Definition  entsprechend  meiner  Auf- 
fassung der  Entstehung  der  hypnotischen  Erscheinungen  übersetze,  so  wird  es 
heissen:  durch  die  Suggestion  wird  ^ine  (meistens  der  logischen  Auffassung 
widersprechende)  Idee,  d.  h.  eine  Verbindung  von  gewissen  Erinnerungsbildern 
in  den  entsprechenden  Gehirnelementen  wachgerufen,  diese  meistentheils  sehr 
eindringliche  AfSrmation  bringt  einen  tieferen  Eindruck  in  den  betreffenden 
Elementen  hervor  als  alle  früher  gesammelten,  deswegen  und  weil  ein  Vergleich 
mit  früher  gesammelten  Kenntnissen  in  Folge  aufgehobener  Association  unmög- 
lich geworden  ist,  erscheint  die  suggerirte  Idee  für  den  Hypnotisirten  als  wahr. 
Ich  glaube  gezeigt  zu  haben,  dass  sämmtliche  Erscheinungen  des  Hypnotismus 
vom  Grosshim  abhängen  und  den  gleichen  Ursprung  haben,  ich  betrachte  auch 
alle  hypnotischen  Experimente  als  Suggestionswirkungen. 

Ich  halte  es  für  einen  wichtigen  Theil  der  oben  gegebenen  Definition,  dass 
die  Suggestion  in  der  Form  der  Auffassung  der  suggerirten  Idee  gelingt,  und 
glaube,  man  kann  nur  dann  die  einzelnen  Experimente  in  ihrer  wahren  Be- 
deutung würdigen,  wenn  man  diesen  Satz  vor  Augen  halt  Früher  waren  die 
Hypnotisirten  oft  des  Betruges  beschuldigt,  auch  jetzt  noch  hört  man  diese 
Klage  zuweilen  von  solchen,  die  wenig  persönliche  Erfahrung  haben;  wer  sich 
aber  viel  mit  solchen  Experimenten  befasst  hat,  weiss,  dass  eine  Simulation 
höchst  selten  vorkommt;  es  geschieht  aber  sehr  oft,  dass  die  Beurtheilung,  die 
Auffassung  der  Experimente  falsch  ist.  Wir  sind  gewohnt,  unter  dem  Einfluss 
der  exacten  Untersuchungsmethoden  in  wissenschaftlichen  Fragen  einen  Effect 
in  causale  Beziehung  zu  bringen  mit  dem  verursachenden  Agens^  wenn  in  einer 
grösseren  Reihe  von  Versuchen  derselbe  Eingriff  immer  dasselbe  Resultat  zu 
Wege  bringt  Dieses  Princip,  auf  die  hypnotischen  Versuche  angewendet,  hat 
schon  so  manche  falsche  Doktrinen  verursacht  Der  Grund  solcher  Täuschungen 
liegt  darin,  dass  die  Suggestionen  inmier  mangelhafte  Experimente  sind.    Man 


—    327    — 

giebt  nicht  alle  Eigenschaften  einer  Saggestion  an,  den  grosseren  TheU  moss 
der  Hypnotisirte  dazndenken,  dies  kann  aber  in  Folge  mangelhaftem  Associations- 
?ennögen  kaum  durch  Association  geschehen.  Wenn  ich  z.  B«  einen  Vogel 
snggerire  auf  den  empoigehaltenen  Finger  des  Mediums,  und  wenn  ich  diese 
Behauptung  öfter  wiederhole,  wird  endlich  der  Untersuchte  angeben,  dass  er 
ihn  sieht.  Wenn  ich  einen  reellen  Vogel  betrachte,  sehe  ich  seine  Grösse,  Form, 
Stellung,  Farbe  und  andere  Eigenschaften,  die  zusammen  einen  ganzen  Begriff 
geben,  und  die  Bealitat  des  Gesehenen  ausmachen.  Bei  der  Suggestion  bleiben 
fast  alle  diese  Umstände  verborgen,  der  Suggerirte  kann  nicht  denselben  Vogel 
denken,  der  vielleicht  in  meinem  Gedächtnisse  auftaucht^  um  so  weniger,  da' 
meistens  der  Untersucher  sich  auch  keinen  klaren  Begriff  macht,  was  for  einen 
Vogel ...  etc.  er  suggeriren  will.  Nun  wird  aber  der  Hypnotisirte  auch  zuerst 
keinen  klaren  Begriff  von  den  einzelnen  Eigenschafken  des  suggerirten  Objectes 
haben,  wenn  wir  ihn  fragen  nach  der  Farbe,  wird  er  zogern  mit  der  Antwort 
—  es  ist  möglich,  dass  diese  Frage  in  seinem  Gedächtniss  eine  specielle  Farbe 
wachruft,  öfters  aber  erhalten  wir  keine  Antwort;  wenn  wir  helfen  wollen,  wenn 
wir  fragen,  es  sei  vielleicht  gelb  —  dann  erhält  die  Suggestion  ihre  Farbe  etc. 
Wenn  wir  später  zum  zweiten  Male  denselben  Versuch  machen,  so  wird  der 
Untersuchte  die  wiederholten  Fragen  schon  bestimmter  beantworten.  Manchmal 
hilft  in  diesen  Detaillen  der  Zu£bJ1,  z.  B.  eine  in  seinen  Gesichtskreis  kommende 
Farbe,  ein  Best  einer  Erinnerung  (d.  h.  ein  Best  eines  Associationsprocesses)  etc. 
Diese  äusseren  Einflüsse  haben  aber  viel  weniger  Bedeutung  als  das  unwillkür- 
liche, nicht  bewusste  Benehmen  des  Experimentators:  was  sein  Wort  verschweigt, 
das  macht  oft  die  Aussprache,  der  Ton  verständlich,  eine  gutheissende  Miene, 
die  Demonstration  beim  GeUngen,  oder  Erneuerung  der  Aufgabe,  wenn  sie  nicht 
gut  ausgeführt  zu  werden  beginnt,  ein  leichter  Ausdruck  des  Tadels,  der  Be- 
fürchtung des  NichtgeUngens  fuhren  den  Hypnotisirten  zur  Lösung  der  schwersten 
Aufgaben.  Wer  aus  eigener  Erfahrung  weiss,  wie  leicht  die  CuMBEBLANB'schen 
Versuche  gelingen,  wenn  man  sie  mit  Hülfe  einer  nervösen,  reizbaren,  etwas 
durch  das  Experiment  aufgeregten  Person  unternimmt,  wird  einen  Begriff  haben, 
dass  im  hypnotischen  Schlaf,  wo  die  Suggestionsfähigkeit  so  hochgradig  ist,  die 
erwähnten  leisen  Andeutungen  von  grosser  Wirkung  sind.  Ist  einmal  das  Ex- 
periment gelungen,  dann  bleibt  die  Erinnerung  zurück,  der  Versuch  gelingt 
leichter  und  der  Untersucher  suggerirt  bei  der  Wiederholung  noch  Einiges,  so 
entsteht  zuletzt  ein  ausgebildetes  Medium.  Es  ändert  sich  also  nicht  die  Hyp- 
nose, sondern  es  bleiben  Suggestions-Erinnerungen  zurück.  Dieses  Verhalten 
wirft  auf  noch  zwei  dunkle  Fragen  Licht.  Erstens  gelingt  es  nicht  einem  Jeden, 
hypnotische  Versuche  mit  gleichem  Erfolg  anzustellen,  und  zweitens  ist  es  eine 
höchst  merkwürdige  Thatsache,  dass  die  verschiedenen  Forscher  theilweise  ganz 
verschiedene  Beobachtungen  und  Versuche  machen,  die  anderen  nicht  gelingen, 
die  sie  aber  an  mehreren  Personen  wiederholen  können.  Das  giebt  verschiedene 
Schulen,  die  in  der  verschiedenen  Individualität  des  Experimentators,  d.  h.  in 
der  verschiedenen  Suggestionsfähigkeit  de&selben  ihre  Entstehimg  haben.  Mau 
kann  mit  Gewissheit  behaupten,  dass,  wenn  ein  sogenannter  typischer  Fall  einer 


—    328      - 

Schule  zufallig  in  audere  Hände  gekommen  wäre,  seine  Hypnose  auch  eine 
andere  Form  bekommen  hätte. 

Die  Erklärung  der  Transferteßcheinungen  ist  derzeit  noch  sehr  mangelhaft^ 
es  scheint,  dass  diese  Verhältnisse  eine  directe  Verbindung  der  symmetrischen 
Stellen  unserer  Hirnrinde  beweisen.  Ein  erfolgreiches  Studium  des  Transfertes 
wird  nur  gelingen  können,  wenn  man  die  Grundlage  der  hysterischen  Hemi- 
anästhesie  kennen  wird.  Ich  will  aber  hier  betonen,  dass  im  Gegentheil  zu  den 
Angaben  der  meisten  Fachmänner  die  hysterische  Hemianästhesie  nicht  identi- 
ficirt  werden  kann  mit  der  Hemianästhesie,  die  durch  eiiie  organische  Läsion 
äer  inneren  Kapsel  entstanden  ist.  Die  Ausbreitung  der  hysterischen  Anästhesie 
geschieht  nicht  conform  der  anatomischen  Gestaltung  des  centralen  Nerven- 
systems, sondern  in  der  Ausdehnung  der  functionalen  Prpjection.  Störungen 
des  Gedichtssinnes  bei  organischer  Hemianästhesie  (falls  diese  *  letzteren  nicht 
indirect  durch  Compression  des  N.  opticus  verursacht  sind)  zeigen  immer  die 
hemianopische  Form,  welche  aber  bei  der  Hemianästhesie  nie  beobachtet  worden 
ist,  hier  giebt  es  nur  Amblyopie  oder  Amaurose  des  einen  oder  der  beiden 
Augen.  Das  ist  ein  Unterschied  von  sehr  grosser  Bedeutung.  Wenn  Jemand 
ferner  eine  organische  Anästhesie  der  beiden  unteren  Extremitäten  hat  und  die 
Augen  schliesst,  so  wird  es  ihm  sogleich  unmöghch,  sich  aufrecht  zu  erhalten, 
er  fällt  plötzlich  nieder,  während  dem  die  Hysterischen,  welche  eine  vollständige 
Anästhesie  gegen  unsere  Tast-  Und  Schmerzeingriffe  zeigen,  wenigstens  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  unbehindert,  auch  ohne  der  Contröle  der  Augen  herumgehen. 
Weiterhin,  während  die  Kranken  mit  organischen  Anästhesien  sehr  oft  äusseren 
Schädlichkeiten  unterworfen  sind  und  an  ihrem  Körper  viele  Zeichen  erhaltener 
Verwundungen  tragen,  sieht  man  So  etwas  bei  Hysterischen  fast  niemals;  sie 
fühlen  nicht,  wenn  wir  sie  brennen,  stechen,  und  doch  können  sie  solchen  Ver- 
letzungen ausweichen.  Endlich  können  Kranke  mit  hysterischer  Anästhesie  sehr 
gut  ihre  empfindungslosen  Körpertheile  gebrauchen  selbst  zu  den  feinsten  Ver- 
richtungen, was  kaum  der  Fall  ist  bei  derartigen  organischen  Leiden. 

Diese  Verhältnisse  beleuchtet  weiterhin  auch  eines  der  oben  angegebenen 
Experimente.  Als  nämlich  die  Brandwunden  durch  den  Transfert  auf  die  an- 
ästhetische Seite  übertragen  wurden,  entstand  so  lange  das  Spiegelbild  des  appli- 
cirten  Gegenstandes,  bis  die  Suggestion  durch  Tasteindrücke  hervorgebracht  war; 
als  aber  die  Suggestion  der  Brandwunde  durch  ein  gesehenes  Object  —  ohne 
Berührung  —  angestellt  worden  ist,  entwickelte  sich  ein  Brandmal,  dessen 
Form  das  einfache,  nicht  umgedrehte  Bild  zeigte,  obgleich  es  auch  von  der 
linken  auf  die  rechte  Seite,  an  die  symmetrische  Stelle  transferirt  erschien.  Bei 
der  einfachen  Berührung  konnte  die  Fat.  keine  Idee  von  der  Form  des  sie  be- 
rührenden Gegenstandes  haben,  da  entstand  also  ein  reiner  Transfert  —  wie 
man  ihn  auf  streng  physikalische  Weise  denken  kann;  —  dagegen  als  ihr  der 
Buchstabe  J  gezeigt  wurde,  wechselte  zwar  die  Suggestion  ihren  Ort  —  aber 
nicht  ihre  Form,  denn  hier  war  die  Suggestion  an  die  Form  gebunden.  Nach- 
dem diese  Suggestionen  alle  im  Wege  des  Grosshims  ablaufen,  bezeujgt  dieses 
Verhalten,  dass  hier  nicht  die  einfachen  anatomischen  Grundlagen,  sondern 


—    329    — 

fanctionale«  Verbindongen  die.  Art  des  Yersuchsei^ebnisses  bestimmen ;  das  ist, 
was  ich  oben  als  fanctionale  Projection  zu  b^eichnen  wünschte. 

Ich  komme  nun  zurück  zu  der  weiteren  Geschichte  der  Patientin.  Obzwar 
wir  anfangs  ziemUch  oft  hypnotische  Versuche  mit  ihr  anstellten,  konnte  ich 
keine  Verschlimmerung  ihres  Zustandes  bemerken;  im  Gegentheil,  die  Anfalle 
wiederholten  sich  immer  seltener  und  wir  konnten  sehr  oft  im  Prodromalstadium 
den  Anfall  durch  Suggestion  ooupiren.  Auch  ist  es  gelungen,  den  Anfallen 
durch  Suggestion  längere  Zeit  vorzubeugen.  Diese  Suggestionen  waren  aber  nur 
palliative  Mittel,  trotz  welchen  doch  hie  und  da  ein  Anfall  zum  Ausbruch  kam. 
Von  Mitte  März  bis  Ende  Juli  war  die  Pat  kaum  hypnotisirt,  und  gerade  in 
diese  Periode  fiel  eine  sehr  tiefgreifende  Veräpderung  ihres  Zustandes.  Die 
vorher  ziemlich  schlanke  Pat,  wurde  sehr  wohlgenährt,  ihr  Körpergewicht  stieg 
um  mehr  als  15  kgm.  Mit  dieser  physischen  Veränderung  hielt  Schritt  auch 
eine  psychische,  die  sich  aber  sehr  ungünstig  gestaltete;  Pat.,  die  früher  ^ut- 
mfitfaigy  arbeitsam  und  folgsam  war,  so  dass  alle  sie  lieb  hatten,  fing  an  un- 
ruhig zu  werden^  stiftete  überall  Unfrieden,  verleumdete  Schwestern,  Patienten  etc. 
Versuche,  sie  durch  Suggestion  zu  besserer  Aufführung  zu  bewegen,  gelang  kaum 
für  einige  Tage.  Oefters  klagte  sie  über  Eppfschmerzen,  einigemal  i\ber  Cardialgie 
und  unbestimmte  Gefühle,  Anfalle  hatte  sie  selten,  aber  dann  sehr  heftig.  So- 
weit ich  ihren  Zustand  kennen  lernen  konnte,  scheinen  derartige  Veränderungen 
bei  ihr  6fter  vorgekommen  zu  sein,  und  scheinen  die  einzelnen  Phasen  ihres 
bunten  Lebenswandelis  immer  beschlossen  zu  haben.  Sie  fand  sich  nämlich, 
als  ihr  Charakter  ähnlich  dem  war,  als  sie  in  die  Klinik  aufgenonimen  wurde, 
in  den  mannigfaltigsten /Umständen  zurecht,  diese  Periode  dauerte  verschieden 
lange  Zeit^  dann  änderte  sich  ihr  Charakter,  sie  kam  in  ColUsion  mit  ihren  Ver- 
wandten, Bekannten  —  oder  mit  der  Polizei,  wurde  arretirt,  da  kam  die  dritlo 
Periode,  wo  sie  sehr  häufigen  Anfällen  unterworfen  war,  nach  einiger  Zeit  be- 
ruhigte sie  sich  —  und  der  Cyklus  ging  von  Neuem  an.  Diese  Umgestaltung 
ihres  Charakters  war  auch  von  Einfluss  auf  die  hypnotischen  Experimente.  Die 
früher  an  ihr  öfter  angestellten  Versuche  gelangen  zwar  noch  immer,  aber  nicht 
in  dem  überzeugenden,  wahren  Bilde  der  subjectiven  Echtheit,  es  war  mehr 
ein  maschinenmässiges  Wiederholen  derselben  Handlungen,  zu  neuen  A>rsucheii 
war  sie  in  dieser  Zeit  viel  weniger  geeignet,  entweder  reagirte  sie  gar  nicht  ^(ler 
falsch,  dann  erinnerte  sie  sich  auch  nach  dem  Erwachen  dessen,  was  mit  ihr 
vorgenommen  wurde,  erzählte  von  den  Versuchen  und  log  Vieles  dazu  etc.  Ich 
glaube,  diese  Veränderung  ist  in  unmittelbarem  Zusammenbange  mit  ihrer 
hysterisch-psychischen  Verstimmung;  sie  war  unter  der  Herrschaft  besonderer 
Wahngefühle,  d.  h.  einzelne  Associationen  waren  besonders  stark  erregt;  diese 
zu  lösen  gelang  der  Suggestion  ebensowenig,  als  es  nicht  gelingt,  bei  Irren 
Wahnideen  durch  hypnotische  Processe  aufzuheben  und  auch  nur  selten  möglich 
iät,  ein  hysterisches  Leiden  durch  Su^estion  zu  heilen.  Obzwar  es  höchst  wahr-« 
scheinUcb  ist,  dass  hysterische  und  hypnotische  Symptome  gleiche  LocalisaUoii 
haben,  scheinen  doch  die  spontan  (ohne  bekannte  Ursache)  entstandeneu  eine 
tiefere  orguuisclie  Grundlage  zu  haben,   als  die  suggerirten.     Andererseits  steht 


—    3S0    — 

es  mit  der  SuggestioDstherapie  so,  wie  mit  den  hypnotischen  Experimenten,  sie 
gelingt  Manchen,  Andere  werden  umsonst  scheinbar  dieselben  Methoden  versuchen; 
es  hängt  eben  das  Meiste  von  der  Suggestionsfahigkeit  des  Experimentators  ab,  und 
diese  Fähigkeit  ist  eine  individuelle  Eigenschaft,  die  kaum  erlernt  werden  kann. 

Indem  ich  mir  erlaube,  diese  kurzen  Bemerkungen  im  Anschluss  zu  den  be- 
schriebenen Experimenten  mitzutheilen,  leitet  mich  die  Teberzeugung,  dass  bei 
der  Beurtheilung  hysterischer  und  hypnotischer  Zustände  diese  Grimdsätze  nicht 
ausser  Acht  gelassen  werden  dürfen. 

Budapest,  März  1888. 

IL   Referate. 


Anatomie. 

1)  3ur  la  persistanoe  de  vestiges  mödullaires  coccygiens  et  la  production 
des  tumeurs  sacro-ooccygiennes  congönitales ,  par  F.  Tonrneux  et  G. 
Herrmann.     (Jonm.  de  Tanat.  et  de  physiol.  norm,  et  path.  1887.  Nr.  5.) 

Die  Yerff.  gelangen  zum  Resultate;  dass  das  Rückenmark  bei  Föten  von  37  mm 
Länge  bis  zum  letzten  Steisswirbel  reicht  und  hier  mit  den  tiefen  Haatscbicbten  zu- 
sammenhängt. In  Folge  des  rascheren  Wachsthums  der  knöchernen  Wirbelsäule  wird 
das  Endstück  des  Rückenmarks  zn  einer  Schleife  ausgezogen,  deren  tiefer  Ast  im 
Wirbelkanal  liegt  (Segment  coccygien  direct),  während  der  oberflächliche  Ast  ausser- 
halb des. Wirbelkanals  unter  der  Haut  liegt  (Segment  coccygien  r^fl^chi).  Im  vierten 
Fötalmonat  atrophirt  das  Segment  direct,  während  das  Segment  r^fl^hi  sich  noch 
bis  zum  fünften  Monat  weiter  entwickelt;  das  letztere  besteht  aus  Strängen  und 
Haufen  kleiner  runder  oder  polygonaler  Zellen,  welche  zwischen  sich  eigenthümliche 
von  glatten,  polyedrischen  oder  prismatischen  Zellen  begrenzte  Hohlräume  lassen. 
Vom  sechsten  Monat  an  schwinden  diese  „vestiges  coccygiens"  des  MeduUarrohres, 
doch  sind  sie  beim  Neugeborenen  noch  nachweisbar.  Einmal  gelang  es  den  Verff., 
Nervenfibrillen  in  den  Vestiges  coccygiens  eines  Fötus  von  37  mm  Länge  nachzu- 
weisen. Eine  weitere  Arbeit  der  VerfiL  wird  die  Beziehung  dieser  MeduUarreste  zu 
den  congenitalen  nervösen  Geschwülsten  der  Gegend  behandeln.         Th.  Ziehen. 


Experimentelle  Physiologie. 

2)  Zeitmessende  Versuche  über  den  Temperatur-  und  Druoksinn,  von  M. 

V.  Vintschgau  und  E.  Steinach,  Innsbruck.    (Pflüger's  Archiv.  XLIII.  2 — 4.) 

Die  Verfif.  haben  mit  einem  eigens  construirten  Apparat  („Thermophor'^  die 
ReactionsZeiten  für  Druck-  und  Temperatur -Empfindungen  bestimmt  Die  Druck- 
reactionszeit  betrug  für  die  Stimmitte  0,119  Secunden;  an  derselben  Stelle  betrug 
die  Reactionszeit  für  Kältereize  von  ca.  2 — 6®  C.  0,143  See,  die  für  Wärmereize 
von  48—49®  C.  0,144  See.  An  denselben  Stellen  sind  überhaupt  die  Wärme- 
reactionszeiten  länger  als  die  Kältereactionszeiten  und  letztere  wieder  länger  als  die 
Druckreactionszeiten.  Die  Temperaturreactionszeit  an  der  Hand  ist  länger  als  im 
Gesicht,  auf  der  linken  Wange  länger  als  auf  der  rechten.  Sehr  hoher  Temperatur- 
empfindlichkeit (Wangen)  entspricht  eine  kurze  Reactionszeit,  niederer  (Metacarpal- 
gelenk)  eine  lange.  Unwohlsein  verlangsamt  die  Reaction  auf  Druckreiz.  Unter- 
schiede in  der  Erregungstemperatur  von  2 — 4®  C.  beeinflussen  die  Reactionszeit  nidit. 

Th.  Ziehen. 


—    831    — 

Pathologische  Anatomie. 

3)  A  oase  of  Porenoephälua  with  speoimen«   by  Edward  N.  Bruch.     (The 
Polydmic.  .  Philadelphia.  1888.  April.) 

Es  handelt  sich  nm  einen  67jährigen  Arbeiter,  der  unter  den  Symptomen  einer 
wohladsgesprochenen  Dementia  paralytica  im  Irrenhanse  starb.  Aus  der  Geschichte 
wäre  nur  hervorzuheben,  dass  schon  bei  der  Geburt  des  Patienten  eine  asymmetrische 
Entwickelung  bemerkt  wurde.  Die  linken  Extremitäten  waren  stets  dünner  und  kürzer 
als  die  rechten.  Im  Alter  von  9  Jahren  fiel  er  aus  16  Fuss  HOhe  auf  den  Hinter- 
kopf, ohne  sich  jedoch  schwer  zu  verletzen.  Abusus  spirituosorum.  Sonnenstich  im 
Alter  von  47  Jahren.  Geringer  ataktischer  Gang,  Bomberg^sches  Symptom  und  fehlende 
Kniereflexe  waren  bei  der  Aufnahme  zu  constatiren. 

Autopsie:  Nach  Entfernung  des  Schädeldaches  zeigte  sich  eine  Hervorwölbung 
der  Dura  in  der  Regio  parieto-pccipitalis,  die  auf  eine  Ansammlung  von  rein  seröser 
Flüssigkeit  (Liquor  cerebro-spinalis)  zurückzuführen  war.  Die  sehr  beträchtliche 
Höhle  communicirte  mit  dem  Seitenventrikel  und  war  mit  Ausnahme  dieser  Communi- 
cationsstelle  von  Pia  bekleidet.  Die  Höhle  war  in  der  Gegend  des  Parietallappens 
und  erstreckte  sich  bis  in  den  Occipitallappen  und  Temporallappen  hinein. 

Es  fehlten  fast  vollständig  der  obere  Tbeil  des  Gyr.  parietal,  ascend.,  der  Lob. 
parietal,  super.,  ebenso  der  hintere  Theil  der  oberen  Temporalwindung.  Eine  dünne 
Membran  trennt  die  Höhlung  von  der  Fissura  Sylvii,  von  der  mittleren  und  oberen 
Occipitalwindong  sind  nur  geringe  Reste  übrig.  Cuneus  fehlt  beinahe  vollständig, 
und  von  dem  Lobulus  quadratus  ist  nur  ein  sehr  kleiner  Theil  übrig.  Die  ganze 
rechte  Hemisphäre  ist  weniger  gut  entwickelt,  und  um  9V8  Ui^zen  weniger  an  Gewicht 
als  die  linke. 

Das  Kleinhirn  war  auch  asymmetrisch,  da  die  rechte  Hälfte  wegen  mangelnden 
Widerstandes  von  Seiten  des  Grosshims  weiter  nach  oben  und  vom  ragte. 

Leider  ist  der  Fall  klinisch  sehr  wenig  ausgenützt  worden,  was  auf  Rechnung 
des  manfakalischen  Zustandes  des  Patienten  zu  setzen  ist.       Sachs  (New  York). 


4)  Heber  einige  mikrochemlBChe  und  physische  Eigenschaften  der  sogen, 
chromoleptischen  Substans,  von  A.  Diomidow.  (Wjestnik  psychiatrii  i  nevro- 
patologii.  1888.  V.  2.  Russisch.) 

In  -Anbetracht  des  Dunkels,  in  welches  bisher  das  Wesen  der  Safraninreaction 
auf  das  Nervengewebe  gehüllt  ist,  und  der  Uneinigkeit  der  Autoren  (Adamkiewicz, 
Babes,  Schnitze,  Rosenheim)  über  die  Natur  der  sogen,  chromoleptischen  Sub- 
stanz, versuchte  Verf.  das  Verhalten  letzterer  verschiedenen  chemischen  Reagentien 
gegenüber  zu  ermitteln.  Er  stellte  seine  Untersuchungen  an  Präparaten  aus  der 
Hirnrinde  und  dem  Rückenmark  von  Hunden,  Katzen  und  Menschen  an.  Die  Här- 
tung geschah  zum  Theil  in  Sublimatlösungen,  zum  Theil  in  Alkohol,  die  Safranin- 
farbung  sowohl  nach  der  Methode  von  Adamkiewicz,  als  auch  der  von  Babes. 
Die  gefärbten  Schnitte  wurden  der  Wirkung  verschiedener  Substanzen  ausgesetzt. 
Hierbei  erwies  es  sich,  dass  die  orange-gelbe  Tinction,  die  durch  Safranin  entsteht, 
weder  durch  Alkohol,  noch  Aether,  noch  stark  concentrirte  Säuren  (Essig-,  Salpeter-, 
Schwefelsäure)  beeinflusst  wird;  auch  wenn  die  Präparate  vor  der  Tinction  mit  Al- 
kalien oder  dem  Saft  der  Pankreas  behandelt  wurden,  blieb  die  Reaction  der  chromo- 
leptischen Substanz  unverändert.  Hieraus  schliesst  Verf.,  dass  letztere  weder  zu  den 
Fett-,  noch  Eiweiss-Substanzen  gehört.  Wenn  dagegen  die  Präparate  vor  der  Safranin- 
tiuetion  mehrere  Stunden  lang  der  Einwirkung  siedenden  absoluten  Alkohols  ausge- 
setzt waren,  so  war  von  chromoleptischer  Substanz  keine  Spur  zu  constatiren.  In 
Berücksichtignng  dieser  chemischen  Eigenschaften  scheint  die  chromoleptische  Sub- 
stanz zu  den  sogenannten  Cerebrosiden  zu  gehören,  die  nach  Thudichum  in  Aether 
and  kaltem  Alkohol  unlösbar  sind,  aber  in  siedendem  Alkohol  sich  lösen. 


—    332    — 

Zugleich  mit  dem  Yerschwinden  der  chromoleptischen  Substanz  durch  die  Be- 
handlung der  Präparate  mit  siedendem  Alkohol«  varliereä  m  woßk  die  F&hi^nit^  daa 
Licht  zu  polarisiren.  Diese  Fähigkeit  besitzen  sevohl  Präparate,  an  denen  nach 
Safranintinction  die  chromoloptische  Substanz  siebtbar  ist,  als  auch  solcbt^  die  nicht 
mit  Salranin  getarbt,  aber  mit  Alkohol  behandelt  wurden.  Verf.  schliesst  aus  den 
im  Polarisationsmikroskop  zu  beobachtenden  Figuren  letzterer  Präparate  im  Vergleich 
zu  denjenigen,  die  sich  an  solchen  einstellen,  welche  ohne  Alkoholbehandlung  (durch 
Erfrieren  oder  Kali  bichrom.)  erliärtet  wurden,  dass  bei  der  Einwirkung  von  Alkohol 
auf  die  Neryen- (Myelin-)  Substanz  ein  Kunstproduct  entsteht,  welches  durch  Safraiiin- 
tinction  die  der  chromoleptischen  Substanz  eigenthümliche  Färbung  annimmt 

P.  ßosenbach. 

1'  h  e  r  a  p  i  e. 

6)   Uober  die  Wirkung  der  Ueberoamiumsäure   bei   fipilepsie«    Inattgttral^ 

Dissertation  von  Carl  Schweder.  Kiel  1888.  (47  Seiten.) 
Esmaroh,  Eulenburg,  Seeligmüller,  Jacoby  und  Andere  hatten  die  Os- 
miumsäure subcutan  bei  Neuralgien  mit  mehr  oder  weniger  Erfolg  angewandt»  und 
sahen  einige  von  ihnen  das  Mittel  nipht  als  eigentUches  Antineuriügicam  an;  viel- 
mehr fahrten  sie  den  therapentischen  Werth  auf  die  bei  der  £änspritzung  zu  Stande 
kommende  locale  Gewebsänderung  (Induration,  narbige  Schrumpfung)  zurQck.  Dasis 
das  Mittel  local  die  Structur  des  Nerven  verändere,  hatte  schon  E.  Fraenkel  an 
Versuchen  mit  Kaninchen  beobachtet  (parenchymatöser  ZerMl  der  Nerven,  schwielige 
Epineuritis  etc.)*  Wildermuth  wandt«  das  Mittel  bei  Epilepsie  au  und  zwar  inner- 
lich, erst  in  wässriger  Losung,  dann  in  Pillenform.  Die  Erfolge  wai'ea.  gering. 
Newsky  (cf.  dies  GtrlbL  1885  Nr.  17)  gelangte  auf  Grund  zahlreicher  Versnobe  au 
Kalt-  und  Warmblütern  zu  dem  Ergebuiss,  daas  die  YerabreiohnBg  von  0smiuni8d«a*e 
Herabsetzung  der  Reflextbätigkeit  der  Nervencentren  bewirkt;  auch  die  elektrische 
Erregbarkeit  des  motorischen  Rindenfeldes  (an  Hunden)  wurde  durch  intravenöse,  lu- 
jectiou  des  Präparats  vermindert;  zur  Her  vorrufung  corticaler  epileptischer  Krämpfe 
war  intensivere  faradisphe  Belziing  erfordexUch,  als  Ua.  normalem  Zusku4o»  und.di^ 
Dauer  uud  Intensität  der  Anfalle  sohieu  verrijigert.  Er .  wandte  idan;\  Osi^iomsäure 
(0,001  pro  dosi  in  Pillenform)  bei  7  epileptischen  Kindern  an,  aber  nur  in  2  Fällen 
erzielte  er  eine  Abnahme  in  der  Frequenz  der  Anfälle.  Wildermuth  und  Nqwsky 
beliandelteu  im  Ganzen  25  Epileptiker  mit  Osmiumsäure,  yoji  denen  1  Ifranker  (5  ^Iq) 
geheilt,  6  (30  7o)  gebessert  und  13  (65%)  &^  ^^^*  beeihflusst  wurdien. 

S.  gab  Osmiumsäure  in  Pillen  (a  0,005  Acid.  hyperosmic.)  und  zwar  erst  täg- 
lich eine,  dann  zwei  und  drei  pro  die.  Ungünstige  Nebenwirkungen  irgend  welcher 
Art  wurden  nicht  beobachtet,  auch  nicht  gastrische  Störungen.  Zu  den  Yersuclien, 
(8  Fälle)  wurden  theils  Kranke  gewählt,  die  bis  zuletzt  mit  Brom  behandelt  wurden, 
theils  solche,  bei  denen  dasselbe  vor  längerer  oder  kürzerer  Zeit  ausgesetzt  war. 
Geheilt  wurde  kein  einziger  (0%),  gebessert  2  (25^/^,)  und  zwar  einer  nach  allen 
Uichtuugen  hiii,  der  andere  hauptsächlich  in  seinem  psychischen  Verhalten.  Bei  den 
übrigen  75^0  ^*^*^  Osmiumsäure  keinen  wesentlichen  Ein fluss.  Kalischer: 


HL  Aus  den  OesellscliafteiL. 

Berliner  Geaellsohaft  für  Psychiatrie  und  Nerven]Eranli:lielteh;   Sitzung  vom 

14.  Mai  1888. 
*  Vor  der  Tagesordnung.  Herr  Kronthal:  Der  ÖOte  des  Hernt  Prof.  Mendel 
verdanke  ich  folgende  Daten  aus  der  Kranköngeöchichte  des  Patifenten,  von  dem  fi>r* 
liegendes  RQckenmark  stammt:  Fr.  T.,  62  Jahre  alt,  wurde  vo«i  mir  smerst'  am 
25.  Juli  1887  gesehen.  Sie  giebt  an,  seit  einem  Jahre  ohne  na^hweifibäre  ürsaifte 
Schmerzen  in' Annen  und  Beinen  zn  haben,  denen  sich  ,; Krämpfe"  besonders*  iii' deft 


—    338    — 

Beineil  doch  aueb  gelegentlicb  in  den  Annen  zogeeellt  hatten.  Seit  Vi  *^^^®  ^^^ 
sie  nicht  mehr  föhig  sein,  sich  ron  der  Stelle  zu  bewegen. 

Statns:  Psyche,  Hirnnerven  normal. 

Herabgesetzte  Sensibilität  in  allen  Qualitäten  in  beiden  Armen,  Handedruck 
beiderseits  schwach,  die  Bicipites  wie  die  Flexoren  des  Vorderarms  fühlen  sich  auf 
beiden  Seiten  etwas  rigide  an;  Ellbogen-  und  Handreflexe  von  mittlerer  Starke. 

Vollständige  motorische  Lähmung  beider  Beine,  alle  Muskeln  fühlen  sich  unge- 
mein rigide  an.  Vollfltändige  Analgesie,  Hautreflexe  nicht  nachweisbar,  Patellarreflex 
beiderseits  sehr  stark,  Fussclonus  angedeutet.    Ischurie. 

Im  weiteren  Verlauf  entwickelte  sich  eine  hochgradige,  spastische  Contractur 
der  unteren  Extremitäten  —  die  Oberschenkel  wurden  gegen  das  Abdomen,  die 
Unterschenkel  gegen  die  Hinterseite  des  Oberschenkels  flectirt  —  dabei  steigerten 
sich  die  Schmerzen  in  Armen  wie  Beinen.  Es  trat  Enuresis,  Incontinentia  alvi  ein. 
Schliesslich  entwickelte  sich  im  April  d.  J.  Decubitus,  an  dem  die  Patientin  am 
11.  Mai  zu  Grunde  ging. 

Am  12.  Mai  machte  ich  die  Section  und  zeigte  das  Bückenmark  vorliegenden 
interessanten  Befund.  Sie  sehen  hier  oben  in  der  Höhe  des  2.-4.  Cervicalnervwi 
rechterseits  einen  Tumor  von  länglicher  runder  Form,  massig  weicher  Consistenz, 
weissem  Aussehen,  dessen  Längsdurchmesser  ungefähr  3Ya  cna  und  dessen  Dicke  2  cm 
beträgt;  die  Oberfläche  ist  glatt,  die  Farbe  auf  dem  Durchschnitt  weiss-grau.  Der 
Tumor  hängt  an  der  Dura,  von  der  er  ausgegangen  zu  sein  scheint,  fest  und  erwies 
sich  mikroskopisch  als  Spindelzellensarcom.  Er  hat  das  Bückenmark  an  dieser  Stelle 
auf  etwa  Ys  seines  Volumens  comprimirt  und  lässt  dasselbe  auf  dem  Durchschnitt 
hier  nichts  mehr  von  der  gewöhnlichen  Configuration  erkennen.  Etwa  1  cm  unter 
dem  unteren  Ende  des  Tumors  zeigt  es  die  normale  graue  Figur,  hingegen  sieht 
man  zwei  grössere  und  eine  kleinere  Höhle,  so  dass  man  auch  die  Diagnose  der 
Syringomyelie  stellen  muss;  femer  erscheint  hier,  soweit  man  das  makroskopisch  be- 
urtheilen  kann,  die  linke  Seite  der  Hinterstränge  degenerirt.  Einige  Centimeter 
weiter  unten  zeigen  die  gesammten  Hinterstränge  ein  graues  Aussehen,  die  Höhlen 
sind  schon  1  cm  tiefer  nicht  mehr  zu  sehen.  In  der  Gegend  der  Lendenanschwellung 
scheint  im  Centralkanal  sich  ein  kleiner,  wohl  secandärer  Tumor  entwickelt  zu  haben ; 
auch  sind  hier  wiederum  zwei  kleinere  Höhlen  als  die  oberen  bemerkbar.  Eine  genauere 
Untersuchung  wird  nach  Härtung  des  Präparates  angestellt  und  mitgetheilt  werden. 

Herr  Siemerling:  StatlstiBohes  und  Elinisohes  zur  Paralyse  der  Fraueik 
Unter  den  in  den  letzten  13  Jahren  in  die  Charit^  aufgenommenen  3800  geistes- 
kranken Frauen  waren  440  paralytische,  also  11,6  7o-  Soweit  Berechnungen  mög- 
lich und  zuverlässig  sind,  findet  S.  für  Frauen  eine  Abnahme  der  ErkrankungsföUe 
an  Paralyse,  während  er  bei  Männern  —  von  denen  je  3^2  ^^^  ®^ö  ^^^  kommen 
—  eine  Zunahme  verzeichnen  muss.  —  Das  Durchschnittsalter  beim  Beginne  der 
Erkrankung  ist  das  36.-^40.  Jahr,  doch  scheinen  jetzt  öfter  als  f^her  auch  schon 
Angehörige  jüngerer  Altersklassefn  zu  erkranken.  In  den  Monaten  August  bis  October 
fanden  stets  die  meisten  Aufhahmen  in  das  Krankenhaus  statt. 

Aetiologiseh  konnte  S.,  so  wenig  er  die  Wichtigkeit  des  Geschlechtslebens  der 
Frauen  für  psychische  Verhältnisse  verkennt,  doch  eine  bestimmte  Beziehung  einzelner 
Phasen  desselben  zur  Entstehung  der  Paralyse  nicht  feststellen,  weder  des  Puerperiums 
und  schwerer  Entbindungen,  noch  des  Climacteriums.  Nur  ein  einziges  Mal  musste 
das  Ausbleiben  der  Menses  als  Ursache  der  Krankheit  angenommen  werden.  Dagegen 
spielen  ungünstige  sociale  Verhältnisse  entschieden  eine  grosse  Bolle  bei  der  Ent- 
stehung der  Paralyse.  —  Lues  konnte  unter  126  Fällen  14mal,  also  in  11%, 
sicher  constatirt  werden;  Reinhardt  (Hamburg)  fand  14%. 

In  Bezug  auf  die  Heredität  konnte  S.  die  Thatsache,  die  Mendel  hervor- 
bebt, dass  nämlich  häufig  bei  den  Eltern  Schlaganfall  als  Todesursache  angegeben 
ist,  bestätigen. 


—    884    _ 

Von  somatischen  Symptomen  will  S.  nur  zwei  her?oi:li6beii,  die  reflectoriache 
Pupillenstarre,  welche  sich  in  64^0  f<uid  und  Abnonnit&ten  des  KniephSnomens; 
dieses  war  verschwunden  in  28  ^j^,  gesteigert  in  26  ^/o  der  Falle.  Eine  Oombination 
dieser  beiden  somatischen  Symptome  fand  sich  in  25  ^/q. 

Was  den  Verlauf  anbetrifft^  so  zeigt  dieser  keine  weflentUchen  AbweichnngieD 
von  demjenigen  beim  Manne,  nur  dass  er  —  wie  schon  Sander  hervorgehoboi  hat 
—  im  Ganzen  ein  ruhigerer  ist  Apathie  und  Dementia  beherrschen  das  Bild,  in 
welchem  GrCssendelirien  (sehr  oft  sexnell  gefärbt)  und  hypochondrischer  Stimmungs- 
wechsel etwas  Mannigfalügkeit  bringen. 

Die  Daner  des  Leidens,  nach  239  Fällen  der  letzten  6  Jahre  berechnet,  jergiebt 
im  Durchschnitt  2^/3  Jahre,  wenn  S.  nur  die  101  bis  jetzt  Gestorbenen  in  Anschlag 
bringt;  60  leben  noch,  und  yon  78,  die  zum  Theil  gebessert  pach  Hause  enüaasen 
wurden  u.  s.  w.  fehlen  die  Nachrichten.  —  Die  durchschnittliche  Dauer  des  Anfent^ 
haltes  in  der  Anstalt  war  1^/3  Jahr. 

In  der  Discussion  bemerkt  Herr  Jensen,  dass  in  Allenberg  auf  208  m&nnliche 
Paralytiker  22  weibliche  kamen»  Yon  denen  alle  bis  auf  eine  beim  Beginn  dea  Iieidens 
alter  als  30  Jahre  waren. 

Herr  Sander  nimmt  nach  seinen  Erfahrungen  eher  eine  Zunahme  als  eine  Ab- 
nahme der,  Paralyse  bei  Frauen  an,  und  findet  einen  gewissen  Widerspruch  in  den 
Angaben  des  Vortragenden,,  der  das  Verhaltniss  der  Frauen  za  den  Hännem  wie 
1  zu  3V3  fs^nd,  während  man  es  sonst  wie  1  zu  li  annahm;,  und  doch  spreche  Herr 
Siemerling  von  einer  Abnahme  des  Leidens  bei  Feinen. 

Herr  Moeli  wundert  sich  über  die  angegebene  kurze  Krankheitsdauer;  wenn 
Herr  S.  die  Yeirhältnisse  der  78  EntUssenen  hätte  berücksichtigen  können,  so  wäre 
wohl  eine  längere  Dauer  herauegekommen.  —  Was  die  Symptomatologie  betrifft,  ao 
hat  H.  auffallend  häufig  bei  Frauen  Zustände  von  Benommenheit  mit  Unruhe  —  die 
Kranken  gebenr  stereotyp  an,  sie  suchten  etwas  —r  beobachtet;  es  gingpm  dabei 
keineswegs  immer  apoplectiforme  AnßUe  v:orher,  und  ein  ungünstiger  Sinflnss  auf 
das  Gtosammtbefinden  trat  nicht  hervor.  ,    . 

Herr  Mendel  glaubt  auch  eine  Zunahme  der  Paralyse  bei  Frauen  annehmen 
zu  dürfen,  und  meint,  dass,  wepn  in  11  ^/q  der  FäUe  vorhergegangene  Lues  sicher 
hätte  nachgewiesen  wecden  kOnnen,  thatsächlich  ein  weit  höherer  Procentsata  voirhanden 
sein  wird.  —  Er  fragt  aodann  den  Vortragenden,  ob  ihm  nicht  Fälle  voi^gekonunen 
seien,  in  denen  Mann  und  Frau  an  Paraly^  erkrankten?  Er  seitot  habe  bis  jetzt 
5mal  ein,  solches  Zusammentrefifon  beobachtet  und  zwar  hatten  dabei  immer  die  beiden 
Ehegatten  gleichzeitig  Lues,  indem  der  Mann  seine  Frau  inficirt  hatte.  Herr  Mendel 
hebt  endlich  noch,  den  grossen  Werth  des  Westphal*schen  Zeichens  als  eines  znjweUen 
sehr,  früh  auftretenden  Symptoms  der  Paralyse  hervoii    .. 

Herr  Siemerling  erwidert  mit  genauerer  Mittheil^ng  der  von  ihm  gef^denen 
Zahlen«  Li  dem  gleichen  Zeitraum  wurden  gegenüber  347  paralytischen'  Frauen 
1262  männliche  Paralytiker  in  der.  Charit^  aufgenommen,  d.  )i.  3Va°uil.so  viel; 
nach  der  Bevölkerungszahl  berechnet  zeige  die  Zahl  der  parolytjischen  Frauen'  eine 
Abnahme,  —  Fälle,  wi^  sie.  Herr  Mendel  hervorgehoben  hi^be^  seien  auöh.ihm  vor- 
gekommen. 

Herr  Westphal  bemerkt  hierzu^  dass  auch  er  das  interessante  Vorkommen  der 
Paralyse  bei  Mann  und  Frau  beobachtet  habe;,  bei  3  derartigen  Fällen  sei  jedoch 
nur.  einmal  Syphilis  der  Ehegatten  festgestellt  worden. 

Herr  Bernhardt  stellt:  einen  Kranken  vor,  welcher  nach  einem  Fall  auf  die 
Nates  ausschliesslich  eine  Lähn^ung  der  Blase  und  des  Mastdanns .  und  eine,  voll- 
ständige Anästhesie  dieser  Theile;  dabei  auch  eine  Anästhesie  des  Penis  und'Scrotum, 
sowie  der  Haut ,  in  der  Umgebung  des  Anus  und  an  der  Hinter-Ihneiiseite  der  Ober- 
schenkel davongetragen  hat.  —  Die  Motilität  der  Beine,  die  Sehnenphänomeae.  iL  s.  w. 


—    335    — 

Alles  war  intaci  Auch  der  Gottas  kann  'ohne  Schwierigkeit  vollzogen  werden,  Libido 
und  Toluptas  sind  yorhanden/  nur  erfolgt  keine  E^jaculation  des  in  der  Harnröhre 
befindlichen ,  Samens,  d.  h.  die  Mm.  bolbo-  und  ischiocavemosi  sind  gelähmt. 

Der  Fall,  zn  welchem  bereits  Analogien  in  der  Litteratnr  vorliegen  (bei  Eirch- 
hofl^  Bosenfhal  u.  A.)  lehrt,  dass  das  Centram  ano-vesicale  isolirt  getroffen  werden 
kann,  dass  das  Gentram  generandi  nicht  örtlich  mit  jenem  zusammenfällt.  —  Jetzt, 
etwa  4  Monate  nach  dem  Unfall,  fangen  die  Lähmungserscheinungen  der  Blase  und 
des  Mastdarms  an^  sich  zu  bessern. 

i 

% 

Herr  Oppenheim:  Zur  Pathologie  der  Tabea  dorsalis.  Die  2  Fälle, 
welche  O.  mittheilt^  sind  interessant  durch  ihre  Bulbärsymptome.  Im  ersten 
Falle  traten  schon  früh  heftige  Kopf-  und  Gesichtsschmerzen,  Schmerzen  in  der 
Imken  Zungenhälfiie,  später  Kriebeln  in  der  rechten  Gesichtshälfte  auf,  Speisetheile 
bliri>en  im  Munde  stecken;  die  rechte  Stirnseite  und  rechte  Zungenhälfte  zeigten 
schwache  Anästhesie.  Das  Hervorstrecken  der  Zunge  gelang  nur,  wenn  Fat.  sich 
vor  dem  Spiegel  mit  den  Augen  controlirte.  Schon  früh  Larynx-Krisen,  grosse  Puls- 
frequena,  rauhe  Stimme;  laryngoskopisch  Lähmungen  an  den  Eehlkopfmuskeln  nach- 
gewiesen!. Später  Anfälle  von  Schlingkrämpfen,  24—32  in  der  Minute,  V4  ^^ 
Vs  Stunde  Ung  dauernd.  Diese  sogenannten  „Krisen''  konnten  beliebig  hervorgerufen 
werden  durch  Druck  auf  eine  zwischen  Kehlkopf  und  M.  stemodeidomastoideus  ge- 
legene Stelle.  —  Bei  der  Section  fand  sich  ausser  einer  typischen  Degeneration  der 
Hinterstränge,  wdche  bis  in  die  MeduUa  oblong,  hinaufreichte.  Folgendes:  Die  auf- 
steigende Qointns-Wurzel  war  in  ihrem  ganzen  Verlauf  bis  zu  ihrem  Austritt  aus 
der  Mednlla  degenerirt;  dagegen  war  die  absteigende  und  die  motonsche  Wurzel 
intact  Vom  Tago-Accessoiius-Gebiete  war  nur  die  aufsteigende  Wurzel  vollständig 
entartet  bis  zum  ViU.  Kerne;  die  austretenden  Yagus-Wurzeln  stark  verändert;  der 
Yagus-Stamm  war  deutlich  atrophisch,  die  N.  hiryngei  recurrentes,  wo  sie  in  den 
Kehlkopf  eintreten,  sehr  stark  *  atrophisch;  N.  laryngeus  superior  dagegen  normal; 
auch  ein  Zweig  des  N.  glosso-phaiyngeus  war  degenerirt. 

Bei  UntersuchuDgen  von  Tabes^flUlen  dieser  Art  fand  man  Veränderungen,  theils 
nur  in  Kernen^  theils  nur  in  den  Nervenasten;  dazu  kommen  nun  Fälle  mit  Ver- 
änderung^ von  beiderlei  Art 

Im  zweiten  Falle,  der  schwer  und  schnell  verlief  war  ein  eigenthümliches 
Gefühl  von  Starre  des  Gesichtes  vorhanden;  Kauen  und  Schlingen  erschwert  durch 
SensibilitätsstOrungeni  trotz  erhaltener  Muskelkraft.  Nach  einigen  Monaten  traten 
beim  Spirechen  und  Kauen  eigenthümliche  atactische  Gesichtsbewegungen  auf. 

—  Die  Section  ergab  —  obwohl  das  Bückenmark  frisch  ganz  intact  aussah  —  eine 
totale  Entartung  der  Hinterstränge;  die  hinteren  Wurzeln  waren,  was  äusserst  selten 
ist  und  wohl  mit  dem  sehr  raschen  Ablauf  dieses  Falles  zusammenhängt,  auffallend 
stark  vascularisiri  —  In  der  Medulla  oblongata  ging  die  Degeneration  bis  in  die 
Corpora  restiformia;  daneben  bestand  Atrophie  der  aufsteigenden  Quintus-Wurzel  in 
ihrer  ganzen  Länge. 

Diese  Quintus-Affectionen  bei  Tabes  sind  nicht  selten,  Pierret  beschrieb  sie, 
Westphal  untersuchte  sie  zuerst  anatomisch,  später  auch  Hayem,  Flechsig  u.  A. 

—  Sehr  interessant  sind  die  Ataxie  der  Gesichtsmuskeln,  und  die  mannigfachen 
Sensibilitätsstömngen,  welche  letztere  allein  die  Behinderung  der  Zungenbewegungen, 
des  Kanons  u.  s.  w.  bewirkten. 

Erwähnenswerth  von  diesem  Falle  ist  noch  das  spontane  Ausfallen  der  Zähne. 

—  Störungen  des  Geschmacks,  die  hier  fehlten,  werden  in  diesen  Fällen  nur  selten 
verzeichnet.  —  Herr  0.  veranschaulichte  die  anatomischen  Befunde  durch  zahlreiche 
Präparate.  Hadlich. 


—     336    — 

IV.  Bibliographie. 

Bealencyolopädie  der  gesammten  Heilkunde.  ]M[ed.-ohirarg.  Handwörter- 
buch für  praküflohe  Aente,  herausgegeben  Ton  Prof.  Dr.  Albert  Eulenburg. 
(Wien  und  Leipzig  1887  u.  1888.     Urban  &  Schwarzenberg.) 

Seit  oDserm  letzten  Beriebt  (cf.  Jahrgang  1887  S.  119)  hat  das  Werk,  sein 
Programm  erfüllend,  grosse  Fortschritte  gemacht  Der  9. — 13.  Band  sind  erschienen 
(Liefernng  81/82  bis  Lieferung  129/130)  bis  zum  Beginn  des  Buchstaben  N.  Von 
den  den  Neuropathologen  und  Psychiater  interessirenden  Artikeln  seien  hier  folgende 
grösseren  heryorgehoben:  Hemianästhesie  (Eulenburg),  Hundswuth  (Benedikt),  Hydro- 
cephalus  (Heubner),  Hydroelelctrische  Bäder  (Eulenburg),  Hypnotismus  (Preyer  und 
Binswanger  cf.  d.  Ztschr.  1888  8.  202),  Hypochondrie  (R.  Arndt),  Hysterie  (B.  Arndt), 
Idiotie  (W.  Sander),  Irrenanstalten  (Pelman),  Irrenbehandlnng  (Pelman),  Irrengesetz- 
gebung (Pelman),  Irrenstatistik  (Oldendorf),  Einderlähmung  (Seeligmflller),  Lethargie 
(M.  Rosenthal),  Makrocephalie  (Scheuthauer),  Manie  (Mendel),  Melancholie  (Mendel), 
M^nike'sche  Krankheit  (Lucae),  Metalloskopie  (M.  Rosenthal),  Moral  insanity  (Mendel), 
Muskelatrophie  progressive  (A.  Pick),  Muskelatrophie  (Eulenburg),  Myxödem  (Schwimmer). 

Eine  Anzahl  dieser  Artikel  stellt  vollständige  Monographien  dar,  und  die  meisten 
enthalten  gegen  die  erste  Auflage  erhebliche  Erweiterungen  und  Verbesserungen.  Die 
Realencyclop&die  ist  nicht  bloss  ein  Werk  für  die  praktischen  Aerzte,  sondern  sie 
ist  auch  für  den  Specialisten  ein  ausgezeichnetes  Handbuch,  sie  bedarf  bei  d«r  all- 
gemeinen Verbreitung,  die  sie  gefunden,  einer  besonderen  Empfehlung  nicht.  Beson- 
ders aber  möchten  wir  noch  darauf  aufmerksam  machen,  dass  die  Verlagsbuchhand- 
lung jetzt  auch  einzelne  Hefte  und  einzelne  Bände  käuflich  ablässt,  wodurch  Manchem, 
welcher  nicht  so  schnell  nach  deir  ersten  Auflage  sich  zur  Anschaffung  der  zweiten 
in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  entschliessen  kann,  die  Möglichkeit  geboten  wird,  die 
gerade  ihn  besonders  interessirenden  Artikel  zu  erwerben.  M. 


Biographisches  Iiexioon  der  hervorragenden  Aerste  aller  Zeiten  und  Völker, 

herausgegeben  von  Prof.  A.  Hirsch  in  Berlin.  (Wien  n.  Leipzig.  Urban  &  Schwaricen- 
berg.  1887  u.  1888.)* 

Der  V.  und  VI.  Band  dieses  Lexikons  sind  erschienen  und  enthalten  den  Best 
von  den  Buchstaben  Ri  an,  gleichzeitig  auch  einen  ausgedehnten  Nachtrag  und  Er- 
gänzungen. Wir  finden  die  Lebensgeschichten  von  Rinecker,  Robin,  Romb^rg,  W. 
Sander,  Friedrich  Schultze,  E.  Seguin  (New  York)  Snell,  Spielmann,  Stilling,  Strüm- 
pell, L.  Türck,  Tuke,  Westphal,  L.  Wille,  Ziemssen  u.  a^  m. 

Mit  wenigen  Lieferungen,  welche  noch  Ergänzungen  bringen,  ist  das  Werk  voll- 
ständig.    Als  Nachschlagebuch  darf  es  keiner  Bibliothek  fehlen.  M. 


V.  Vermischtes. 

Zum  HvpnotiBmns.  Einer  der  Hysteriker,  welcher  zu  den  Experimenten  von  Bonrrn 
and  Barot  über  die  Wirksamkeit  der  Medikamente  auf  Distanz  diente  (cf.  d.  Ctrlbl.  1888. 
S.  204),  machte  in  der  Klinik  des  Prof.  Peter  zu  Paris  an  den  Director  der  Assistance 
pabliqae  die  Anzeige,  dass  die  Oberwärterin  einen  Kranken  der  Abtheilnng  mit  22  Tropfen 
SalpeterBäore  und  Opium  vergiftet  habe.  Der  Kranke  war,  wie  die  Section  bewies,  an  l^phoa 
gestorben.  (Gaz.  des  Höpitanx.  1888*  6.  Mars.) 

»"crdTctrlbL  1887.  S.  72. 


Einsendungen  für  die  Redaction  sind  zu  richten  an  Prot  Dr.  E.Mendel» 

Berlin,  NW.   Schiff bauerdamm  20. 


Verlag  von  Vbit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mstzobb  &  Wrmo  in  Leipzig. 


NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  "  ^"»-  Jahrgang. 

UonatliGli  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  20  Mark.   Zu  beziehen  durch 
alle  Bnchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 

1888.  Is.  Jnni.  ]fe¥. 

Inhalt.  I.  Originaimittbeilungen.  1.  Zur  Localisation  der  sensorischen  Aphasie,  von 
Dt.  LeopoM  Uiq«er.  2.  Ueber  die  Kosten  des  optischen  Kathetometers  in  der  Eraniometrie, 
von  Prof.  Dr.  Moriz  Benedikt. 

II.  Refferate.  Anatomie.  1.  On  the  relation  of  the  central  nervous  System  to  the 
alimentary  canal,  by  Sutton.  2.  On  a  ready  method  of  preparing  large  sections  of  the  brain, 
by  BramwolL  —  Experimentelle  Physiologie.  8.  Zur  Frage  über  die  Localisation  der 
wärmeregulirenden  Centren  im  Gehirn  und  über  die  Wirkung  des  Antipyrins  auf  den  Thier- 
kdrper,  von  Sawadowtkl.  4.  The  heat  centres  of  the  cortex  cerebri  ana  pons  Varolii,  by  Ott. 
—  Pathologische  Anatomie.  5.  Ueber  die  Veränderungen  am  Bückenmark  nach  zeit- 
weiser Verschliessung  der  Bauchaorta,  von  Singer.  6.  Con^bution  ä  P^tude  exp^rimentale 
des  lesions  de  la  moelle  ^ini^re  d^termin^es  par  l'an^mie  passagere  de  cet  organe,  par 
Spronck.  7.  Studi  di  antropologia  patologica  sulla  pazzia,  pel  MorseilT.  8.  A  case  of  cholestea- 
toma  with  remarks  on  the  origin  of  the  tumor,  by  Dercum.  —  Pathologie  des  Nerven- 
systems. 9.  Ueber  Akromegalie,  von  Erb.  10.  A  case  of  Acromegaly,  by  Qodlee.  11.  A 
case  of  Acromegaly,  by  Hadden.  12.  Fall  von  Biesen  wuchs  der  linken  Oberextremitat,  von 
Scbdtz.  IS.  Traumatische  Sympathicus-,  Hjrpoglossus-  und  Accessoriusparalvse,  von  Remak. 
Bemerkungen  dazu,  von  Frinkel.  —  Psychiatrie.  14.  Die  Lehre  von  der  Verwirrtheit,  von 
Wille.  15.  Folie  ä  deux,  by  Tuko.  16.  Das  inducirte  Irresein  als  eine  Form  pathologischer 
Nachahmung,  von  Jakowenko.  17.  Ueber  die  sogen,  psychische  Contagion,  von  Werner.  — 
Therapie.  18.  Einige  Indicationen  für  die  Anwendung  von  Chloralhydrat  und  Morphium, 
nebst  Bemerkungen  zur  Anwendungsweise,  von  Aufreckt.  19.  The  treatment  of  Sleeplessness, 
by  Eccies.  20.  Onthe  use  of  the  Hydrobromate  of  Hyosoine  in  the  treatment  of  recurrent 
and  acute  Mania,  by  Thompson.  21.  Note  on  antipyrin  as  an  analsesie.  by  Wilson.  22.  Theine 
in  pain,  by  Mays.    28.  Ueber  Behandlungen  von  Lähmungen  una  Contracturen,  von  RIogor. 

III.  Vermiacbtet. 


I.  Originalmittheilungen. 


1.    Zur  Localisation  der  sensoriHchen  Aphasie. 

Yen  Dr.  Leopold  Laquer  in  Frankfurt  a.  M. 

„Einen  der  glänzendsten  Beweise  for  die  befruchtende  Einwirkung  der  ex- 
perimentellen Forschung  auf  die  Pathologie  bilden  die  klassischen  Untersuchungen 

21 


-     338     - 

von  Fmtsch  und  Hitzig  „über  die  elektrische  Erregbarkeit  des  Grosahirns", 
die  Grundlage  unserer  moderaen  Kenntnisse  von  der  Physiologie  des  Grosshirns. 
Mit  der  Entdeokung  der  sogenannten  „motorischen  Centren**  auf  dem  Wege  ^es 
Thierexperiments  nimmt  auch  die  Pathologie  der  Grosshirnrinde  ihren  Anfang. 
Unter  den  Klinikern,  welchen  überhaupt  Gelegenheit  geboten  war,  eine  grössere 
Anzahl  einschlägiger  Beobachtungen  zu  sammeln,  kann  kein  Zweifel  bestehen: 
Es  giebt  eine  Localisation  in  der  Grosshirnrinde  des  Menschen;  in 
zahlreichen  Fällen  sind  wir  im  Stande,  sie  mit  Sicherheit  zu  diagnosticiren.  Das 
Gros  des  umfangreichen  klinischen  Materials  bezieht  sich  auf  die  „motorische 
Zone*'  der  Grosshirnrinde,  während  die  Zahl  der  die  distincte  Localisation 
der  sensorischen  Functionen  beweisenden  Beobachtungen  noch  relativ 
gering  ist." 

Mit  diesen  Worten  leitete  Prof.  Bebgeb,  mein  leider  so  früh  dahingegangener 
Lehrer,  seine  letzte  Arbeit:  „Zur  Localisation  der  corticalen  Sehsphäre 
beim  Menschen"^  ein.  Mit  der  gleichen  Schärfe  und  Klarheit,  wie  es  Bebgsb 
nicht  blos  hier,  sondern  auch  in  seinen  Vorlesungen  und  den  unter  seiner  Aegide 
schon  früher  verfassten  Arbeiten  seiner  Schüler^  gethan,  vertrat  Nothnagel  auf 
dem  letzten  Congress  für  innere  Medicin  im  Laufe  der  Verhandlungen  über  die 
Localisation  der  Gehirnkrankheiten  den  klinischen  Standpunkt  in  'dieser  Frage 
und  fand  einen  würdigen  Partner  in  Naunyn,  der  es  übernommen  hatte,  ein 
Referat  über  die  Localisation  der  aphasischen  Störungen  zu  geben.  Auch 
dieser  Autor  bekannte  sich  als  ein  glaubenstreuer  Anhänger  einer  stricten 
Localisation,  nicht  blos  der  längst  auf  sicherer  anatomischer  Basis  ruhenden 
motorischen  Aphasie,  wie  sie  Bboca  beschrieben,  sondern  auch  der  senso- 
rischen Aphasie,  deren  Schilderung  wir  bekanntlich  Wernicke  verdanken. 

Auf  Grund  einer  einfachen  statistischen  Methode  (Einzeichnung  der  Num- 
mern aller  brauchbaren  Fälle  in  ein  Exner'sches  Gehirn-Schema)  kam  Naunyn' 
zu  dem  Schluss,  dass  diejenigen  Fälle  von  Aphasie,  in  denen  die  Fähigkeit, 
Worte  zu  bilden,  wohl  erhalten  sei,  aber  eine  unzweifelhafte  Erschwerung  des 
Wortverständnisses  oder  geradezu  Worttaubheit  —  natürlich  bei  unversehrtem 
Hörvermogen  bestehe  (sensorische  Aphasie),  auf  einer  Erkrankung  der  „Wer  nick  er- 
sehen Windung^'  (hintersten  zwei  Drittel  der  obersten  Temporal  Windung)  be- 
ruhen. Da  aber  Kussmaul,  der  bahnbrechende  Lehrer  auf  dem  Gebiete  der 
Sprachstörungen,  nur  die  Broca'sche  Stelle  (in.  Stirn  Windung)  als  eine  solche 
anerkennt,  deren  Zerstörung  regelmässig  von  aphatischen  Störungen  begleitet 
sei,  und  auch  Exkeb,  sowie  Westphal  u.  A.  sich  der  Localisation  der  sen- 
sorischen I'unctionen  der  Sprache  gegenüber  reservirt  verhalten,  so  erschien  mir 
die  Publication  eines  prägnanten  Falles  von  sensorischer  Aphasie  (Worttaubheit 


^  Sep.-Abdr.  aas  der  Breslaaer  ärztl.  Ztschr.  1S85.  Nr.  1,  3—5. 

'  L.  Laqueb,  Beiträge  zur  Pathologie  der  QroBshiriirinde.  Inaagaral-Dissert.  Breslau 
1879.  —  Riedel»  Zar  Lehre  von  den  dy aphatischen  Sprachstörungen.  Inaugural- Dissertation. 
Breslau  1879. 

3  Verhandl.  d.  VL  Congr.  für  Innere  Medicin  IS87  S.  132. 


-     339     — 

mit  Paraphasie),  welchen  ich  im  Laufe  der  letzten  anderthalb  Jahre  zu  beobachten 
Gelegenheit  hatte,  umsomebr  angezeigt,  als  die  Autopsie  die  von  mir  bei  Leb- 
zeiten des  Patienten  gestellte  Localdiagnose  auf  das  Entschiedenste  rechtfertigte. 
Es  lag  femer  eine  so  circumscripte  Läsion  der  Wernicke'schen  Win- 
dung und  der  darunter  liegenden  Markstrahlung  bei  einer  fast  voll- 
kommenen Unversehrtheit  der  übrigen  Hirnoberfläche,  sowie  des 
Gehirns  überhaupt  vor,  dass  die  „Methode  der  kleinsten  Heerde'^,  welche 
von  Chabcot,  Pitres  und  Nothnagel  als  die  bei  Localisations-Fragen  einzig 
maassgebende  bezeichnet  worden  ist,  auch  für  den  vorliegenden  Fall  in  gewissem 
Sinne  in  Anspruch  genommen  werden  kann. 

Die  Litteratur  über  sensorische  Aphasie  mit  Sections-Befund  ist  zwar  nicht 
mehr  so  dürftig  wie  noch  vor  wenig  Jahren,  aber  die  Fälle,  in  welchen  bei 
Lebzeiten  Worttaubheit  mit  Paraphasie  als  einziges  Heerdsymptom  bestand 
und  diesem  die  verlangte  Erweichug  der  L  Schläfenwindung  der  einen  (linken) 
Seite  entsprach,  ohne  dass  sonstige  grossere  Destructions-Processe  der  Kinde  und 
der  tiefer  gelegenen  Himtheile  den  Werth  jener  Befunde  fär  die  Localisation 
der  betreffenden  sensorischen  Function  beeinträchtigten,  sind  immer  noch 
rocht  selten. 

So  sagt  Bebgeb  (a.  a.  0.):  „Bereits  ehe  Mümk  durch  seine  Exstirpations-Yer- 
snche  den  Beweis  geliefert  hatte,  dass  der  Hinterhauptslappen  zum  Gesichtssinn, 
der  Schläfenlappen  zum  Gehörssinn  in  Beziehung  steht,  hatte  Webnicke  mit 
der  B^fründung  seiner  „sensorischen  Aphasie^'  in  der  linken  L  Schläfenwindung 
des  Menschen  den  Sitz  des  sensorischen  Sprachcentrums  entdeckt.'^ 

Diese  „Wemicke'sche  Region'^,  wie  Bebgeb  diese  Localisation  (analog  der 
Broca'schen  B^on  für  die  motorische  Aphasie)  zu  bezeichnen  vorschlägt,  hatte 
derselbe  sehr  sorgfaltige  Autor  bis  zum  Jahre  1885  in  vier  einwurfs&eien  Be- 
obachtungen mit  absoluter  Cionstanz  wiedergefunden.  — 

Eine  sehr  genaue  und  wohl  erschöpfende  Zusammenstellung  aller  bis  zum 
Jahre  1886  beobachteten  Fälle  von  sensorischer  Aphasie  findet  sich  bei  Luoiaiyi 
und  SepiliiI.^  Die  Yerff.  geben  in  ihrem  Buche  eine  Uebersicht  von  20  Fällen, 
in  denen  sich  Worttaubheit  fand.  —  Unter  diesen  war  14mal  die  erste  und 
zweite  Schläfenwindung  linkerseits  ergriffen.  Da  aber,  wie  in  dem  Buche  jener 
italienischen  Forscher  bereits  erwähnt  ist,  bei  einen  grossen  Frocentsatz  der  Be- 
obachtungen, von  einem  Fortschreiten  des  Krankheitsprocesses,  auf  die  motorischen 
Centren,  auf  die  Broca'sche  Stelle,  und  auf  die  Occipitalwindungen  berichtet 
wird,  auch  die  während  des  Lebens  beobachteten  sonstigen  mannigfachen  Aus- 
falls-Symptome der  Gomplicirtheit  der  anatomischen  Läsionen  entsprachen,  so 
wird  die  pathologische  und  wohl  auch  die  physiologische  Beweiskraft  eines  Falles, 
in  dem  die  apoplectiform  entstandene  Worttaubheit  und  die  damit 
zusammenhängende  Paraphasie  bis  an  das  Lebensende  der  Patientin 


'  Die  FanctioDsJiOoalisation  auf  der  Grosshirarinde  an  Thier-Experimenten  and  klinischen 
Fällen  nachgewiesen  von  Luciani  and  Sbpilli.   (Deutsche  Ausgabe  von  0.  FrInkel.  1S86.) 

21* 


—     340     — 

das   ausschliessliche   und   genau   beobachtete   Krankheitssymptom 
darstellten,  hoch  anzuschlagen  sein. 

Eva  M.,  Maurerswittwe  aus  Kranzberg  bei  Usingen  (Beg.-Bez.  Wiesbaden),  steht 
im  74.  Lebensjahre.  Ueber  eine  neuropathische  Belastung  der  Familie  ist  nichts 
Besonderes  festzustellen.  Sie  war  immer  gesund  bis  auf  eine  Schwerhörigkeit,  die 
sich  bei  der  Patientin  mit  dem  zunehmenden  Alter  eingestellt  hatte,  und  welche  wohl 
auf  die  bestehenden  senilen  Veränderungen  (Verkalkungen)  im  Trommelfelle  zurück- 
zuführen iBt.  Ihre  Umgebung  konnte  sich  aber  jederzeit  durch  etwas  lauteres  Sprechen 
mit  ihr  verständigen.  —  Sie  war  bis  zum  Beginne  ihrer  jetzigen  Erkrankung  eine 
rüstige,  arbeitsame  Frau  und  zeigte  eine  dem  niederen  Arbeiterstande,  welchem  sie 
angehörte,  und  den  ärmlichen  und  ländlichen  Verhältnissen,  unter  denen  sie  aufwuchs, 
entsprechende  Intelligenz.  —  Sie  ist  seit  Jahren  verwittwet  und  lebt  bei  ihrer  Tochter 
in  Kranzberg.  —  Noch  im  Sommer  1886  soll  sie  mit  auf's  Feld  gegangen  sein  und 
dort  die  gewohnten  Arbeiten  in  voller  körperlicher  Frische  verrichtet  haben.  —  Sie 
war  rechtshändig.  —  Ihre  Ausdrucksweise  war  eine  völlig  correcte,  ihre  geistige 
Regsamkeit  liess  nichts  zn  wünschen  übrig.  Sie  war  nie  luetisch  inficirt,  nie  dem 
Alkohol  ergeben.    Ihre  Kinder  sind  ganz  gesund. 

Am  29.  Ootober  1886  ist  sie,  ohne  dass  irgend  welche  Prodromal-ErBcheinungen 
vorhanden  gewesen  waren,  plötzlich  ohnmächtig  zusammengebrochen;  sie  erholte  sich 
aber  ziemlich  schnell  von  diesem  Anfall,  der  ohne  Convulsionen  in  wenigen  Minuten 
verlief,  Lähmungen  oder  sonstige  nervöse  Erscheinungen  von  irgend  welcher  Bedeu- 
tung nicht  zurückliess.  Nur  geben  die  Angehörigen  an,  dass  die  Patientin  nach 
dieser  ersten  Attacke  etwas  schneller  und  aufgeregter  als  sonst  gesprochen  habe,  sie 
betonen  aber,  dass  ihre  Wortbildung  damals  noch  vollkommen  richtig  und  Jedem 
verständlich  gewesen  sei. 

Nenn  Tage  später  wiederholte  sich  jener  Anfall;  Patientin  befand  sich  gerade 
zum  Gottesdienst  in  der  Kirche:  Sie  fiel  zusammen  und  wurde  bewusstlos  aus  dem 
Gotteshause  herausgetragen.  Dabei  sollen  der  rechte  Arm  und  das  rechte  Bein 
wie  leblos  herabgehangen  und  eine  blaurothe  Verfärbung  gezeigt  haben.  Aber 
die  genannten  paretischen  und  vasomotorischen  (?)  Erscheinungen  hätten  sich  nach 
Ablauf  von  kaum  24  Stunden  zurückgebildet;  —  die  motorische  Schwäche  in  der 
rechten  Hand  blieb  einige  weitere  Tage  bestehen.  Gleich  nachdem  Patientin  wieder 
zu  sich  gekommen  war,  wurde  von  den  Angehörigen  die  Sprachstörung  und  der 
Mangel  des  Wortverständnisses  bemerkt  und  als  Zeichen  einer  beginnenden  Geistes- 
verwirrung gedeutet. 

Das  Allgemeinbefinden  hatte  durch  die  beiden  apoplectiformen  Anfalle  nur  wenig 
gelitten. 

Am  12.  November  kam  Frau  M.  mit  ihrer  in  Frankfurt  wohnenden  Schwieger- 
tochter, zu  der  sie  der  besseren  Verpfiegung  wegen  gebracht  wurde,  in  das  Ambula- 
torium der  Frankfurter  Armenklinik.  Dort  sah  ich  die  Pat.  zum  ersten  Male 
und  constatirte  sofort  die  dysphatischen  Störungen,  sowie  das  Symptom  der  Wort- 
taubheii 

Status  praesene  vom  November  und  Deoember  1886. 

Patientin  ist  eine  kleine,  massig  gut  genährte  Frau  und  zeigt  ein  ihrem  Lebens- 
alter entsprechend  greisenhaftes  Aussehen,  doch  machen  ihre  Gesichtszüge  einen 
durchaus  freundlichen,  intelligenten  Eindruck.  Die  Badial-Arterie  ist  rigide,  die 
Temporaiis  erscheint  erheblich  geschlängelt  und  stark  pulsirend,  die  Temperatur  ist 
normal.  Puls  gespannt:  84.  Der  Gesichtssinn  ist  ungestört,  bei  den  Leseproben  er- 
giebt  sich  kein  auf  Hemianopsie  hinweisendes  Merkmal;  der  opthalmoskopische  Be- 
fund ist  ein  negativer;  Gesichtsfeldbestimmungen  waren  nicht  ausführbar.     In  ihrem 


—    341    — 

psychischen  Yerhalten  findet  sich  keine  Spnr  bestehender  Demenz:  Ihr  Benehmen 
im  Zimmer  des  Arztes,  in  der  Kirche,  die  sie  fleissig  hesacht,  bei  der  Demonstration 
im  Frankfurter  ärztlichen  Verein  vor  mehr  als  50  CoUegen  Hessen  nicht  den  min- 
desten Zweifel  darüber  aufkommen,  dass  wir  es  mit  einer  völlig  geistesgesun- 
den Person  zu  thun  haben.  Nur  machten  sich  in  den  ersten  Wochen  nach  Eintritt 
der  Sprachstörungen  Anomalien  seitens  der  Psyche  geltend,  welche  besonders 
bei  der  Hausarbeit,  der  die  alte  Frau  vor  dem  Anfalle  mit  so  grosser  Sorgfalt  vor- 
gestanden hatte,  ihrer  Umgebung  aulElllig  erscheinen  mussten:  Sie  sass  nämlich  in 
den  ersten  Wochen  nach  ihrer  Erkrankung  ruhig  und  fast  apathisch  in  einer  Ecke 
des  Zimmers,  hatte  wenig  Lust  zur  Thätigkeit.  —  Aus  ihrem  Wehklagen  und  aus 
ihrem  Geberdenspiel  war  ersichtlich,  dass  sie.  zum  Arbeiten  unfähig  sei.  Dieser  Hang 
zur  Unthätigkeit  hatte  seinen  Grund  nicht  blos  in  dem  mangelhaften  Yerstän^niss, 
welches  sie  allen  durch  die  Sprache  ausgedrückten  Aufforderungen  und  Wünschen 
entgegengebrachte,  sondern  auch  in  einer  „Apraxie''.^  Es  war  ihr  das  Yer- 
ständniss  für  den  Gebrauch  der  Dinge  verloren  gegangen.  Wenn  man  ihr 
eine  Scheere  in  die  Hand  drückte,  damit  sie  einen  vorgehaltenen  langen  Faden 
zerschneiden  sollte,  fasste  sie  dieselbe  verkehrt  an,  ergriff  die  beiden  Branchen,  so- 
dass sie  sich  in  die  Finger  stach,  hatte  überhaupt  keine  Ahnung  von  dem  Zwecke 
und  der  Handhabung  des  Instrumentes;  anstatt  des  auf  dem  Waschtische  liegenden 
Schwammes  oder  der  Seife  bediente  sie  sich  des  Kammes,  um  sich  das  Gesicht  zu 
waschen.  —  Sie  war  nicht  im  Stande,  sich  aus-  und  anzuziehen,  rathlos  stand  sie 
den  einzelnen  Kleidungsstücken  gegenüber,  zog  sie  verkehrt  an,  erst  die  Schuhe, 
dann  die  Strümpfe  etc.,  man  musste  sie  an-  und  auskleiden  wie  ein  kleines  Kind. 
—  Beim  Versuche,  das  Zimmer  auszufegen,  drehte  sie  den  Besen  um  und  fegte'  mit 
dem  Stiele  desselben,  die  Stiefel  pflegte  sie  mit  der  Holzseite  der  Bürste  blank  zu 
putzen  u.  A.  m.  Diese  sonderbare  Ungeschicklichkeit  verlor  sich  aber  vollkommen 
nach  Ablauf  von  etwa  8 — 10  Wochen,  der  beste  Beweis,  dass  sie  nicht  Zeichen 
einer  dauernden  Demenz  waren  und  andererseits  von  der  Paraphasie  und  Wort- 
taubheit, die  bis  an's  Lebensende  fast  unverändert  fortdauerten,  scharf  zu  trennen 
waren.  Ihr  Gedächtniss  hatte,  wie  es  schien,  wenig  gelitten.  Am  6.  December  1886 
war  sie  im  Frankfurter  ärztlichen  Verein  vorgestellt  worden;  am  Tage  darauf  ver- 
suchte sie  mit  ziemlich  grosser  paraphasischer  Bedegewandtheit  und  unter  Zuhülfe- 
nahme  der  Mimik  ihrem  von  der  Arbeit  heimkehrenden  Sohne  zu  erzählen,  was  ihr 
dort  Alles  passirt  wäre.  —  Den  ziemlich  langen  und  umständlichen  Weg  von  der 
Wohnung  ihrer  Tochter  nach  der  meinigen  fand  sie  schon  nach  3  Wochen  selbst- 
ständig, machte  später  den  Weg  häufig  ganz  allein  und  gab  schriftliche  Bestellungen 
zu  Hause  richtig  ab. 

Sie  war  schwerhörig,  aber  sie  percipürte  jedes  Geräusch  und  jeden  Klang.  Wenn 
hinter  ihrem  Bücken  gepfiffen,  in  die  Hände  geklatscht  oder  geschellt  wurde,  drehte 
sie  sich  sofort  herum;  wenn  man,  ohne  dass  sie  es  sah,  mit  lauter  Stimme  eine 
Aufforderung  an  sie  richtete,  so  wendete  sie  sich  sogleich  an  den  Sprechenden,  zum 
Zeichen,  dass  sie  Alles  gehört  hatte.  —  Den  Sinn  der  Worte  verstand  sie 
nicht.  In  der  ersten  Zeit  reagirte  sie  auch  nicht  auf  die  gewöhnlichen  und  vom 
Arzt  oft  wiederholten  Aufforderungen:  „Strecken  Sie  die  Zunge  heraus  1''  „Machen 
Sie  die  Augen  zu!''  „Setzen  Sie  sich!"  „Stehen  Sie  auf!''  „Gehen  Sie  durch's 
Zimmer!"  —  Erst  wenn  der  Arzt  die  betreffenden  Bewegungen  vormachte,  verstand 
sie,  was  man  wollte,  und  kam  den  genannten  Aufforderungen  nach.  —  Das  Ver- 
ständniss  für  den  wörtlichen  Ausdruck  dieser  Dinge  kehrte  allmählich  zurück  und 
so  wurde  ihr  auch  Manches,.,  wenn  auch  nicht  Viel  von  den  zum  Haushalt  gehörigen 
Dingen  beigebracht.  —  Lesen  hatte  sie  nur  in  unvollkommener  Weise,  —  Schreiben 
gar  nicht  gelernt.  —  Sie  konnte  vor  ihrer  Erkrankung  nur  Gedrucktes  lesen.   Aber 


'  Kussmaul,  Stdrangen  der  Sprache.  III.  Aufl.  1885.  S.  181. 


—    842    — 

aacb  diese  Fähigkeit  hatte  sie  nach  dem  Anfall  eingebüset.  Ich  hatte  einige  der 
oben  genannten  Sätze,  die  ihr  schon  geläufig  geworden  waren,  auf  ein  Blatt  Papier 
mit  Patentbachstaben  aufgedruckt  und  bedeutete  ihr,  sie  sollte  sie  vorlesen.  —  Die 
Patientin  setzte  auch  ihre  Brille  auf  und  fing  an,  in  paraphasischer  Weise  zu  bnch- 
stabiren,  indem  sie  den  Bachstaben,  Silben  und  Worten  mit  den  Fingern  nachfuhr, 
wie  dies  im  Lesen  wenig  geübte  Kinder  und  Erwachsene  zu  thun  pflegen.  Aber 
aus  der  Leseübung  ging  mit  einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit  hervor,  dass  sie  nicht 
verstand,  was  sie  gelesen  hatte.  Sie  zeigte  also  neben  der  Worttaubheit  mit  Para- 
phasie auch  Wortblindheit  (mit  Paralexie?). 

Ihre  Paraphasische  Ausdrucksweise  ist  aus  beifolgenden  Protokollen  ersichtlich, 
in  denen  ich  einige  der  vielen  Unterhaltungen,  die  ich  aufgezeichnet,  wörtlich  wieder- 
zugeben versiucht  habe. 

Wie  heissei^  Sie? 

Ja,  Feder!  Hantel 

Wo  wohnen  Sie? 

Ja  Dummfeder!  — 

Haben  Sie  guten  Appetit? 

Ich  muss  Einem  doch  ein  Feder!  — 

Wie  haben  die  Tropfen  geschmeckt,  die  ich  Ihnen  aufgeschrieben? 

Feder  Winterer! 

Was  war  denn  Ihr  verstorbener  Mann? 

Dem  Feder  Hanter  Goter. 

Wie  viel  Kinder  hat  Ihre  Tochter? 

Welchen  Feder  am  Dritte. 

Sagen  Sie  einmal:  „Stuhl!'' 

Fadere  Hanter  Dummel!  — 

Was  ist  das,  was  ich  in  der  Hand  halte  (ein  Federhalter)? 

Federhitter  welcher! 

Wie  heisst  dieser  Gregenstand  (ein  Buch)? 

Federhauter!  Bosse  goter!  —  Schunte. 

Haben  Sie  irgend  wo  Schmerzen? 

(Auf  ihren  Kopf  deutend:)  Zu  eroflede  Honter  gent  dos! 

Bei  Eintritt  in's  Zimmer  an  einem  regnerischen  Tage  spricht  sie  unaufgefordert: 
„Garschte!"  (garstig). 

Wie  geht's  Ihnen?     Geht's  Ihnen  noch  nicht  besser? 

(Lächelt  sehr  freundlich):  Ja  da  müssen  Sie  immer  am  Guden  helfen,  immer 
dam  helfen. 

Guten  Forgen!     Es  ist  doch  schön  am  Helfe!  — 

Wie  stehts  mit  Ihrem  Kopf? 

Lellpeslie,  alleweil  is  ganz  schön. 

Können  Sie  gut  laufen? 

Ja  im  Ganzen  gut,  so  als  gut! 

Leiden  Sie  an  Schwindel? 

Das  is  doch  immer  su  schelpe,  das  is  doch  ganz  nit. 

Es  ist  wohl  recht  schönes  Wetter  draussen? 

Ganz  schön  verlinde  (gelinde?). 

Schlafen  Sie  gut? 

Im  Fledere  Schunde! 

(Es  wird  ihr  Geld  gezeigt.)  Sie  lächelt  und  spricht:  Ja  das  glaab  ich,  das 
hilft  Flidere,  wir  brauchen  keine  Hilfe! 

Sie  sehen  viel  besser  aus?! 

Es  geht  immer  am  späte  gut  was. 


—    843 

Waren  Sie  gestern  spazieren? 

Ja,  am  Schede  gnt's.  — 

Wie  viel  ist  drei  und  drei? 

Drei! 

Spontane  Aensserung  beim  Hereintreten:  Es  wird  ganz  gute  schon  vergelte 
(veiigeh'n?). 

Was  ist  dies  (Taschenuhr)? 

Das  is  Schader  allscheze! 

Wollen  Sie  wieder  nach  Kranzberg  zurück? 

Ja  Ifaldere  Schede  liz! 

Es  wird  ihr  ein  Lineal  gezeigt:  Das  is  en  Federict! 

Eine  Stahlfeder:  Das  kann  ich  federfitt,  das  geht  aber! 

Ein  Spiegel:  Scheiden  Feder.| 

Schlfisselbund :  Das  sind  gude  Geschindere.     Da  habe  sie  do  finzeri  alle!  — 

Wann  ist  Ihr  Mann  gestorben? 

Ja  der  is  schon  lange  doch  (todt?). 

Wie  viel  Kinder  haben  Sie  gehabt. 

Fidderiesch  enteri  zusomme. 

Wie  geht's  denn  Ihrem  Enkelsohne  Wilhelm  (ein  Panaritium  war  ihm  incidirt 
worden)? 

Ganze  schöne  geht*s  fider  (wieder?). 

Es  war  ihr  vorgezählt:  Eins,  zwei,  drei. 

Sie  wiederholt:  Das  erstmal,  das  zweit,  drittmal,  viertmal,  achtmal,  zehntmal. 

Es  werden  ihr  Bilder  in  einem  Bilderbuche  gezeigt:  Ach  wie  schOn,  das  is  viel 
anfilder,  das  kenn  ich  nit  all  die.  —  Sie  versucht,  nachdem  sie  sich  die  Brille  auf- 
gesetzt hat,  die  Ueberschriffc  zu  lesen;  dieselbe  lautet  richtig:  „Bilder  aus  dem  Reiche 
der  Thiere!"  Sie  aber  buchstabirt  langsam!  Nimderi  Redordi,  dus  is  gele  schenderi, 
ganz  schön!  — 

Am  Tage  vorher  hatte  ich  ihr  Sodener  Pastillen  geschenkt,  als  ihr  am  nächsten 
Tage  wieder  drei  Stück  gezeigt  werden,  ruft  Sie:  „Haben  Sie  wieder  Schäle?" 

Wie  haben  die  Fastillen  von  gestern  geschmeckt? 

Ganz  bertelzi,  ganz  e  schöne. 

(Als  Sie  dieselben  erhält):   Ganz  e  schö,  vergelt  Alles,  da  sched  Alles  hüb<ich. 

(Auf  Streichhölzer,  die  aus  der  Schachtel  herausgefallen  sind,  deutend):  Das 
habt  Ihr  verfehldet,  habt  Ihr  verschedt  (verschüttet?). 

Nachsprechen  konnte  sie  natürlich  auch  nicht.  Den  Namen  ihres  Sohnes  Mat- 
thias bezeichnet  sie  mit  „Ma-zi",  „Ma-runke'',  „Ma-schinchi"  u.  s.  f.  und  brachte  den 
richtigen  Namen  nicht  heraus,  so  oft  er  ihr  auch  vorgesagt  wurde.  —  Sie  sprach 
viel  und  gern,  versuchte,  mannigfache  häusliche  Erlebnisse  oft  mit  grosser  paraplm- 
sischer  Weitschweifigkeit  wiederzugeben  —  sie  war  also  nichts  weniger  als  aphasisch, 
man  konnte  sie  eher  —  „hyperphasisch"  nennen.  —  Ihre  Articulation  gini?  unge- 
hindert von  Statten. 

Sonst  bot  sie  keinerlei  motorische  oder  sensible  Störung,  weder  rechts  noch 
links.  Facialis,  obere  und  untere  Extremität  waren  vollkommen  frei.  Sie  machte 
grössere  Spaziergänge  ohne  jede  Ermüdung.  —  Die  Augenbewegungen  vollzog  sie 
prompt,  die  Zunge  wurde  gerade  herausgestreckt  und  war  nach  allen  Seiten  hin 
frei  beweglich.  —  Die  Pupillen  boten  in  ihren  Beactionen  keine  Abweichung  von 
der  Norm,  beide  waren  von  gleicher  Weite. 

Der  gescliilderte  Krankheitszustand  blieb  ziemlich  unverändert  bis  etwa  Mitte 
Febmar  1SS7,  wo  Patientin  anfing,  sich  mehr  im  Haushalt  zu  beschäftigen.  Die 
mangelhafte  Vorstellung  vbn  dem  Gebrauche  der  häuslichen  Gegenstände  und  von  der 
Art  der  Verrichtungen  im  Haushalte  hatte  sich  vollständig  zurückgobildet.  —  Sie  besorgte 


—    344       - 

Hausarbeit  und  Küche  in  Abwesenheit  ihrer  Schwiegertochter  ganz  zu  deren  Zufrieden- 
heit. —  Sie  kleidete  sich  wieder  selbst  aus  und  an.  —  Das  Verständniss  für  ^orte 
war  aber  sehr  lückenhaft  geblieben.  —  Was  ihr  wieder  und  immer  wieder 
alltäglich  vorgesprochen  wurde,  lernte  sie  schliesslich  auch  dem  Sinne  nach  yerstehen, 
nachdem  sie  mehrmals  in  ihrer  paraphasischen  Weise  danach  gefragt  hatte  oder  mit 
,yMeinen  Sie  so?"  oder  „Wie  meint  Ihr?''  bekundet,  wie  schwer  sie  den  Sinn  der 
Worte  ohne  Unterstützung  der  Mimik  noch  zu  fassen  vermochte.  —  Einzelne  spon- 
tane alltägliche  Aeusserungen:  ,,Es  ist  sehr  kalde!"  (kalt),  „Guten  Morgen!"  „Adieu!" 
„Es  geht  schlechde!  (schlecht),  „Heut  is  schön!"  und  Aehnliches  hatte  sie  völlig 
wiedergewonnen  und  sprach  sie  correci  —  Bei  Fragen,  die  von  den  Dingen  des 
alltäglichen  Verkehrs  irgendwie  abwichen,  konnte  sie  sich  ihrer  Umgebung  schwer 
verständlich  machen.  In  einer  Streitsache,  die  im  April  1887  in  der  Familie  vor- 
fiel und  über  die  viel  im  Hause  verhandelt  wurde,  wollte  sie,  nachdem  sie  Tage  lang 
ihre  Schwiegertochter  hatte  weinen  sehen,  gern  Partei  ergreifen,  wnsste  wohl  auch 
von  ungefähr,  um  was  es  sich  etwa  handeln  könnte,  stand  aber  rathlos  allen  Er- 
örterungen gegenüber  und  fühlte  sich  sehr  unglücklich.  —  Wenn  sie  allein  in  der 
Wohnung  war  und  ein  Fremder  zu  irgend  einer  Bestellung  eintrat»  war  sie  ganz 
unfähig,  irgend  etwas  zu  verstehen,  ebensowenig  vermochte  sie  das  Bestellte  auszu- 
richten, obwohl  die  paraphasische  Ausdrucksweise  besser  geworden  war.  —  Ihre 
Gemüthsstimmang  war  wechselnd;  oft  war  sie  missgestimmt  und  sogar  zornig  err^ 
darüber,  dass  sie  von  ihrer  Umgebung  nicht  richtig  verstanden  wurde.  Spuren  einer 
psychischen  Schwäche  hatten  sich  aber  auch  im  weiteren  Verlaufe  des  Leidens  nie- 
mals eingestellt 

Ende  Dec  1886  wurde  die  Fat.,  wie  schon  erwähnt,  im  Frankfurter  ärztL  Verein 
vorgestellt.  An  die  damals  gegebene  Schilderung  des  gesammten  Krankheitsverlanfes 
hatte  ich  folgende  kurze  diagnostische  Bemerkungen  über  die  vermuthllche  Localisation 
der  Himläsion  angefügt:  „Da  die  diffusen  Hirnsymptome,  welche  die  beiden 
apoplectischen  Insulte  begleiteten,  so  geringfügige  waren,  so  wird  es 
sich  bei  der  dem  vorliegenden  Falle  von  Aphasie  zu  Grunde  liegenden 
Herderkrankang  wohl  nicht  um  einen  grossen  Bluterguss,  sondern  um 
einen  Gefässverschluss  mit  Erweichung  und  zwar  in  der  Hirnrinde 
handeln.  Dieselbe  hat  jedenfalls  die  Broca*sche  Stelle  freigelassen, 
dagegen  muss  man  annehmen,  dass  die  erste  Schläfenwindung  zerstört 
worden  ist,  in  wie  grossem  Umfange  — ob  und  in  wie  weit  auch  die  un- 
mittelbare Nachbarschaft  betroffen  ist,  wage  ich  nicht  mit  Sicherheit  zu 
sagen.  —  Die  genannte  «natomische  Läsion  würde,  wenigstens  nach  den 
bisherigen  Erfahrungen,  völlig  zur  Erklärung  des  Symptomencomplexes 
der  sensorischen  Aphasie,  Worttaubheit  mit  Paraphasie,  ausreichen,  von 
deren  Existenz  Sie  sich  bei  der  vorangegangenen  Demonstration  zu 
überzeugen  Gelegenheit  hatten." 

Ende  des  Jahres  1887  schien  sich  das  Allgemeinbefinden  der  Patientin  wesent- 
lich zu  verschlimmem;  sie  sah  decrepid  aus;  schliesslich  trat  eine  catarrhalische 
Pneumonie  ein,  der  sie  am  8.  Februar  1888  erlag. 

Die  Autopsie  des  Gehirns  machte  9  Stunden  nach  dem  Tode  Dr.  Rieder, 
d.  Z.  Assistent  am  Senckenberg'schen  pathologischen  Institut  zu  Frankfurt  a.  M., 
dessen  Leiter,  Prof.  WeigebT;  6  Wochen  später  das  (Gehirn  im  geharteten  Zu- 
stande im  ärztlichen  Vereine  zn  Frankfurt  demonstrirte;  auch  die  nachher  zu 
erwähnenden  Frontalschnitte  wurden  erst  angelegt,  als  die  Härtung  in  Müller'- 
scher  Losung  eine  vollkommene  war. 


—    345    — 

SeotionB-Berioht. 

Schädeldach  von  massiger  Dicke.  —  Die  Dura  mater  mit  dem  Schädeldach 
nirgends  verwachsen.  Pia  mater  wenig  ödematös,  ist  von  der  Hirnoberfläche 
überall  leicht  abziehbar  und  zeigt  an  keiner  Stelle  eine  Trübung. 

Nach  EntfemuDg  der  Pia  bemerkt  man  an  der  linken  Hemisphäre 
Folgendes:  Stimwindangen,  vordere  und  hintere  Centralwindung  sind  vollkommen 
norma];  nirgends  eingesunken  oder  von  veränderter  Consistenz;  ebenso  das  Para- 
eentralläppchen.  —  Auch  die  Binde  der  III.  Stimwindung  zeigt  keinerlei  De- 
structions-Processe.  Dagegen  ist  der  vorderste  Theil  der  L  Schläfenwin- 
windung  in  einer  Ausdehnung  von  etwa  4—5  cm  in  eine  gelbliche 
Erweichung  verwandelt,  der  mittlere  Theil  dieser  Windung  scheint  gut 
erhalten,  während  die  Bindenschicht  des  hinteren  Drittels  vrieder  erweicht  ist 
In  der  Tiefe  hängen  die  eben  genannten  Erweichungsheerde  des  yorderen  und 
hinteren  Drittels  der  I.  Temporalwindung  mit  einander  zusammen. 

Auf  einem  Frontalschnitt,  der  durch  die  Spitze  des  Schläfelappens  geht, 
sieht  man  nämlich  den  vorderen  Erweichungsheerd  unter  die  Insel  hin  bis  an 
die  basale  Fläche  des  Putamen  reichen.  —  Schneidet  man  senkrecht  auf  einen 
etwa  2  cm  weiter  hinten  gelegenen  Punkt  der  I.  Schläfenwindung  ein,  so  findet 
sich  das  Marklager  unmittelbar  unter  der  Insel  im  Zustande  der  Erweichung 
bis  gegen  das  Claustrum  hin.  Der  Herd  reicht  hinauf  bis  unter  den  ventralsten 
Theil  der  hinteren  Centralwindung.  Verfolgt  man  den  Process  in  der  Mark- 
strahlung weiter  nach  hinten,  so  geht  der  Theil  des  Erweichungsheerdes,  welcher 
bisher  als  dünner  Streif  unter  der  Insel  lag,  in  einen  breiteren  Heerd  über,  der 
längs  der  Markstrahlung  des  unteren  Scheitelläppchens  dahinzieht  und  bis  zu 
einer  durch  den  höchsten  Punkt  der  Intraparietalfurche  gelegten  Ebene  reicht. 

Das  Marklager  der  m.  Stimwindung,  sowie  das  der  Central  Windungen  ist 
verschont  geblieben.  Auch  in  den  CentralgangUen  linkerseits  findet  sich  nichts 
Bemerkenswerthes. 

Schliesslich  ist  in  der  Binde  der  linken  Hemisphäre  noch  ein  kleiner,  etwa 
lO-Pfennigstück-grosser,  oberflächlicher  Heerd  zwischen  Gyrus  angularis  und 
Gyrus  occipitalis  secundus  zu  erwähnen.  Cuneus  und  Gyrus  occipitalis  primus 
sind  unversehrt 

An  der  rechten  Hemisphäre  war  weder  an  der  Oberfläche,  noch  in  der 
Tiefe  irgend  welche  Läsion  zu  entdecken.  Ueberall  zeigten  sich  normale  Con- 
sistenz, Blutreichthum  und  Feuchtigkeit;  in  der  Tiefe  bot  sich  auch  nach  der 
Zerlegung  der  Hemisphäre  in  Frontalschnitte  nichts  Krankhaftes  dar.  —  Weder 
rechts  noch  links  fand  sich  Atrophie  der  Windungen. 

.Schnitte  durch  das  Kleinhirn,  durch  den  Pons,  durch  die  Vierhügelgegend 
und  durch  die  Oblongata  lassen  nichts  Pathologisches  erkennen. 

Die  Obduction  der  übrigen  Körperorgane  wurde  nicht  gestattet. 

(Abbildungen  und  Erklärung  derselben  finden  sich  umstehend.) 


—    847     — 

Bpikrise. 

Es  kann  an  dieser  Stelle  nioht  meine  Aufgabe  sein,  auf  die  in  den  letzten 
Jahren  erschienenen  fundamental  wichtigen  Arbeiten  Lichthbih's^  nnd  Grashey's' 
näher  einzugehen  und  manche  bedeutsame  Gesichtspunkte,  die  in  jenen  Arbeiten 
enthalten,  an  der  Hand  des  eben  geschilderten  Krankheitsfalles  zu  besprechen. 
—  LiCHTHBiM  behandelte  bekanntlich  mit  Hülfe  eines  besonderen,  sehr  einlachen 
Schemas  die  verschiedenen  theoretischen  Möglichkeiten,  wie  Unterbrechungen 
der  einzelnen  Bahnen  zu  Sprachstörungen  führen  können.  Grashet  bewies  in 
seiner  Arbeit,  „dass  es  Aphasien  gäbe,  welche  weder  auf  Fanctionsunfahigkeit 
der  Centren,  noch  auf  Leitungsunfahigkeit  der  Verbindungsbahnen,  sondern 
lediglich  auf  Verminderung  der  Dauer  der  Sinneseindrücke  imd  dadurch  bedingter 
Störung  der  Wahrnehmung  und  der  Association"  beruhten. 

Da  unsere  Patientin  nicht  schreiben  und  nur  in  unvollkommener  Weise 
lesen  konnte,  die  meisten  Worte  nicht  verstand  und  ihren  Gedanken  und  Em- 
pfindungen w^en  ihrer  hochgradigen  Paraphasie  wenig  Ausdruck  zu  geben 
vermochte,  so  war  es  unmöglich,  nach  Gbashey's  Vorbild  die  Dauer  ihrer  Sinnes- 
eindrücke zu  prüfen. 

Auch  die  Einreihung  des  Falles  in  eine  der  sieben  verschiedenen  Formen 
von  Aphasie,  wie  sie  Lichtheim  aufgestellt  hat,  dürfte  keine  vollständige  sein, 
da  wir  von  der  Schriftsprache  ganz  absehen  müssen. 

Folgen  wir  in  dieser  Hinsicht  den  Ausführungen  Wernicke's'  resp.  dem 
von  ihm  angegebenen  Theilungsmodus,  so  sind  wir  berechtigt,  das  vorliegende 
Krankheitsbild  als  „corticale  sensorische  Aphasie^*  zu  bezeichnen  und  in 
Punkt  a  des  hier  angefugten  Lichtheim'schen  Schemas,  das  wu:  als  bekannt 
voraussetzen,  zu  suchen. 

Die  durch  Ausfall  von  a  bedingte  Aphasie-Form  wird  nämlich  dadurch 
charakterisirt,  dass  der  Kranke  nicht  versteht,  was  man  zu  ihm  spricht,  auch 
nicht  nachsprechen  kann,  spontan  aber  mit  unbeschränktem  Wortschatz  zu 
sprechen  vermag,  dabei  jedoch  Wörter  und  Silben  verwechselt  d.  h.  paraphasisch 
ist  —  Die  genannten  aphasischen  Phänomene  bot  unsere  Patientin  in  seltener 
Vollkommenheit  und  Reinheit  dar  —  das  geht  aus  der  Krankengeschichte  und  aus 
den  UnterhaltungS'Protokollen  deutlich  hervor.  —  Das  Charakteristische  der 
Symptomenreihe  mussten  alle  Collegen,  welche  sich  mit  der  Patientin  beschäf- 
tigten, ohne  Weiteres  anerkennen.  An  der  Diagnose:  Sensorische  Aphasie 
(Worttaubheit  mit  Paraphasie)  konnte  kein  Zweifel  bestehen. 

Wenden  wir  uns  nunpiehr  zur  Beantwortung  der  Localisaüons-Fragen,  so 
möchten  wir  noch  Folgendes  voranschicken:  Wenn  es  auch  in  diesem  Falle 
trotz  der  vorhandenen  Erziehungs-Defecte  und  trotz  der  mangelhaften  Verstän- 
digung gelungen  ist,  die  sensorische  Aphasie  resp.  eine  Erkrankung  der  L  Schläfen- 


*  LiCHTHSDi,  Ueber  Aphasie.    Aas  der  med.  Klinik  in  Bern.    Dentsches  Arch.  f.  klin. 
Med.  Bd.  XXXVL 

•  Gbashey,  Ueber  Aphasie  und  ihre  Beziehungen  zur  Wahrnehmung.    Arch.  f.  Psych. 
Bd.  XVI. 

^  Webnickk,  Die  neueren  Arbeiten  über  Aphasie.    Fortscbr.  d.  Med.  Bd.  III  u*  IV. 


—    348    — 

Windung  richtig  zu  diagnosticiren,  so  kann  man  nicht  mehr  von  einem  ,,glück- 
lichen  Zufall''  reden,  wie  es  manche  Autoren  den  ,,Kinden-Diagnosen^'  gegenüber 
immer  noch  zu  thun  pflegen,  sondern  man  muss  mit  Webnicke  einerseits  die 
klinische  Existenzberechtigung  des  genannten  Krankheitsbildes,  andererseits  die 
Bedeutung  der  I.  Schläfenwindung  als  Sitz  der  acustischen  Erinnerungsbilder 
anerkeuneu.  —  Denn  wenn  die  Diagnose  auf  sensorische  Aphasie  bei  einer 
Person  möglich  ist,  die  man  beinahe  unter  die  Analphabeten  rechneu  konnte, 
um  wie  viel  leichter  muss  dieselbe  in  jedem  andern  Falle  von  Aphasie  bei 
gebildeten  ludividuen  sein,  wo  das  geschriebene  und  gedruckte  Wort  der  Unter- 
suchung zu  Hülfe  kommt? 

Die  Patientin  hat  am  8.  November  1886  eine  Embolie  in  einem  der  vier 
Hauptzweige  der  Arteria  foss.  Sylvii,  wahrscheinlich  in  demjenigen  erlitten,  der 


B  Begriffs-Centrum. 


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SensoriRches  8prachcentraui a  -- 


h  Motorisches  Sprachoentram. 


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nach  den  bekannten  Untersuchungen  von  Heubneb  und  Durbt  sich  zur  ersten 
Schläfenwindung  begiebt.  Der  so  entstandene  ischämische  Heerd  hat  diese 
Windung  zum  grossen  Theil  und  die  darunter  liegenden  Stabkranzfaserung  fast 
vollkommen  zerstört  und  damit  dasjenige  Gebiet  ausser  Function  gesetzt,  in 
welchem  nach  den  Angeben  Webnicke's,  Bebgbb's,  Naunyn's  und  anderer 
Forscher  höchst  wahrscheinlich  ein  Centrum  für  die  acustischen  Wahr- 
nehmungen der  Worte  gelegen  ist.  Die  Pat.  ist  sofort  nach  dem  Schlaganfalle 
worttaub  geworden.  —  Aber  während  die  auf  Grund  von  Rindenheerden  eintretende 
Worttaubheit  in  weitaus  den  meisten  Fällen  einer  ziemlich  raschen  Rückbildung 
fähig  ist,  und  die  betreffenden  Individuen  ihr  Wortverständniss  immer  mehr  zu 
erweitem  pflegen,  je  länger  sie  leben,  war  dies  bei  unserer  Patientin,  trotzdem 
sie  im  Ganzen  noch  IV2  J&hre  nach  ihrer  Erkrankung  am  Leben  blieb,  nur 


—    340    — 

in  geringem  Grade  der  Fall.  Bebosr  bat  in  dem  von  Riedel  veröffentlichten 
Falle  (a.  a.  0.)  die  Doppelseitigkeit  der  Schiäfelappen-Zerstörung  für  den  Mangel 
einer  genügenden  Besütation  der  Worttaubheit  verantwortlich  gemacht  Dieses 
Moment  können  vrir  auf  unsern  Fall  nicht  anwenden,  da  die  rechte  Hemisphäre 
völlig  unversehrt  gefunden  worden  ist  Möglicher  Weise  haben  die  Tiefe  der 
Erweichungs-Processe  im  Temporal-Lappen  und  das  Mitergriffensein  eines  Theiles 
der  Stabkranzfasem  der  Insel  die  Wiederherstellung  des  Wortverstandnisses 
verhindert 

Yielleicht  findet  aber  das  lange  Bestehenbleiben  der  eigenthümlichen  Sprach* 
Störung  bei  unserer  Kranken  eine  passende  Erklärung  von  gewissen  psycho- 
logischen Gesichtspunkten  aus.  Nacnyn  hat  darauf  aufmerksam  gemacht, 
„dass  der  Mechanismus,  welcher  bei  der  Erlernung  der  Sprache  im  Hirne  aus- 
gearbeitet wird,  nach  der  verschiedenen  Art  des  Unterrichts  und  nach 
vielem  anderen  nicht  nur  in  nebensächlichen  Theilen,  sondern  selbst  in  seinen 
Haupttheilen  bei  den  verschiedenen  Individuen  verschieden  ausfallen  kann.'' 

CHAfiOOT^  ist  in  dieser  Hinsicht  noch  viel  weiter  gegangen:  Mit  Ueber- 
gehung  der  Einzelheiten  in  der  Auffassung  jenes  Autors  möchten  wir  nur  kurz 
hervorheben,  dass  nach  Ch.  die  Erlernung  des  Sprachvermögens  in  eine  passive 
(sensorische)  und  eine  active  (motorische)  Phase  sich  scheidet.  Erstere  setzt  sich 
zusammen  aus  je  einem  „Partial-Gedächtniss''  —  um  mich  eines  Wernicke'- 
schen  Ausdruckes  zu  bedienen  —  nämlich  aus  dem  Memoire  auditive  und  dem 
Memoire  visuelle,  —  die  zweite  acüve  Phase  aus  dem  Gedächtniss  der  Sprach- 
bewegungen und  Schreibbewegungen.  Für  ein  jedes  dieser  Partialgedächtnisse 
nimmt  Gh.  ein  besonderes  anatomisch  abgegrenztes  Centrum  an,  und  wenn  man 
auch  mit  Webkicke  diese  hypothetischen  Localisationen  und  die  so  weit  gehende 
Zerstückelung  psychischer  Vorgänge  nicht  gutzuheissen  vermag,  so  scheint  uns 
doch  zur  Erklärung  der  Wiedererwerbung  verloren  gegangener  sprach- 
licher Functionen  eine  an  genannter  Stelle  wiedergegebene  Anschauung  Chae- 
cot's  brauchbar  zu  sein.  Ch.  stellt  nämlich  in  Bezug  auf  die  Abhängigkeit 
seiner  Sprachcentren  von  einander  geradezu  zwei  Typen  auf:  einen  Typus  von 
„Indifferenten'^  ^'  h.  Individuen,  in  deren  Gehirn  an  der  Bildung  des  inneren 
Wortes  die  vorgenannten  vier  Arten  von  Erinnerungsbildern  in  gleicher  Weise 
mitgewirkt  haben.  —  Diesen  „Indifferenten"  stellt  er  einen  andern  Typus  von 
Leuten  gegenüber,  bei  denen  die  einzelnen  functionellen  Sprachcentra  eine  gewisse 
Autonomie  erlangt  haben;  in  dem  Mechanismus  der  Sprache  herrscht  dann 
eine  gevdsse  Einseitigkeit,  die  es  z.  B.  möglich  macht,  dass  gewisse  Menschen 
beim  Sprechen  hauptsächlich  mit  optischen  Vorstellungen,  mit  dem  memoire 
visuelle  Chabcot's  arbeiten.  Die  ,4i^differenten  Sprecher^'  werden  nun,  im 
Falle  eine  Gruppe  von  Erinnerungsbildern  durch  einen  Heerd  vernichtet  wird, 
kaum  lange  in  Verlegenheit  gerathen;  mit  Hülfe  der  unversehrt  gebliebenen 
Centren  werden  sie  lernen,  die  Lücke  in  kurzer  Zeit  auszufüllen.  Individuen 
dag^en,   die  kaum   lesen   und  nie  schreiben   gelernt  haben,   wie   unsere 


'  De  FApbasie  en  g^^ral  et  de  TAgraphie  en  particulier  d'apres  Vens^ignement  de  M. 
le  Prof.  Chabcot,  par  Mjjkix.    Progr.  m^d.  1888.  Nr.  5. 


-      350    _ 

9 

Aphasische,  die  also  die  viäuellen  Erinueruugsbilder  der  Sprache  und  diejenigen 
für  die  »Schreibbewegungen  fast  gar  nicht  cultivirt  haben,  dürften  viel  längere 
Zeit  brauchen,  um  bei  dem  durch  einen  Hirnheerd  bedingten  Ausfall  der 
Wortklangbilder  nur  mit  Hülfe  der  einzig  noch  übrigen  und  verwendbaren 
Erinnerungsbilder  für  die  Spraehbewegungen  den  vorhandenen  grossen  Defect 
wieder  auszugleichen. 

Was  die  Paraphasie  unserer  Fat.  anlangt,  so  handelt  es  sich  um  diejenige 
Form,  welche  Kussmaul  mit  choreatischer  Paraphasie  bezeirhnet:  Fat.  be- 
diente sich  theils  richtig  gebildeter  oder  an  den  gemeinten  Ausdruck  anklingender 
Wörter,  theils  brachte  sie  nur  einzelne  verkehrte  Silben  und  verdrehte  Wort- 
gebilde, oft  auch  ein  vollständiges  Kauderwälsch  heraus  —  hie  und  da  liefen, 
besonders  in  den  späteren  Stadien  der  Krankheit  die  richtigen  Worte  mit  unter, 
die  auch  den  Hörer  auf  die  richtige  Fährte  zu  leiten  vermochten.  In  wie  weit  diese 
dysphatischen  Störungen  mit  dem  anatomischen  Befunde  congruiren,  ist  schwer 
zu  sagen,  da  Paraphasie  nicht  blos  bei  localen  Erweichungen  im  Schläfelappen 
also  bei  —  Worttaubheit  sich  findet,  sondern  auch  bei  verschiedenen  andern 
Heerderkrankungen  und  diffusen  Hirnprocessen  in  Erscheinung  tritt.  So  sah  ich  erst 
vor  wenig  Monaten  in  einer  Consultation  mit  College  Hibschberg  von  hier  einen 
Fall,  wo  die  Paraphasie  als  Initial-Symptom  einer  Convexitäts-Meningitis  auftrat. 

—  Auch  nach  Lichtheim  soll  Paraphasie  bei  aphasisohen  Störungen  des  Oefteren 
und  zwar  immer  dann  vorhanden  sein,  wenn  der  durch  Begriffe-Centrum,  Klang- 
und  Sprach-Centrum  (s.  d.  Schema)  kreisende  Innervations-Strom  irgendwo  unter- 
brochen ist,  ohne  dass  die  Sprache  selbst  gehemmt  wird.  —  Hat  doch  auch 
Webnicke,  nachdem  Lichtheim  einen  Fall  isolirter  Worttaubheit  beschrieben 
die  Bedenken,  welche  er  zuletzt  noch  in  seinem  „Lehrbuch  der  Gehimkrank- 
heiten"  gegen  die  klinische  Gleichstellung  seiner  „sensorischen  Aphasie"  mit 
Kussmaul's  „Worttaubheit"  äusserte,  nunmehr  zurückgenommen  und  hat  aner- 
kannt, dass  gewisse  seltene  Fälle  von  reiner  Worttaubheit  auch  ohne  Paraphasie 
vorkommen  können. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  mir  noch  wenige  Worte  über  bei  Frau  M.  vor- 
handene Anomalien  der  psychischen  Sphäre  gestatten.  Patientin  litt  an  einer 
Apraxie;  es  war  ihr  das  Verständuiss  für  den  Gebrauch  der  nothwendigsten 
Dinge  verloren  gegangen.  „Derlei  Zustande,"  meint  Kussmaul,  „darf  man 
nicht  mit  der  Aphasie  verwechseln,  'die  es  nur  mit  den  Zeichen  des  Ausdrucks 
für  Vorstellungen  zu  thun  hat,  und  wie  wir  sahen,  oft  mit  erhaltener  Intelli- 
genz sich  verträgt,  was  bei  der  Apraxie  nun  und  nimmer  der  Fall  ist." 

—  In  letzter  Hinsicht  scheinen  die  bei  Frau  M.  beobachteten  Phänomene  der 
Ansicht  Kussmaul's  zu  widersprechen.  Patientin  hatte,  wie  Jeder  zugestehen 
musste,  der  sich  nur  einmal  mit  ihr  zu  verständigen  versuchte,  ein  völlig 
freies  Intellectorium.  —  Wohl  konnte  die  aus  der  Apraxie  resultirende 
Apathie  und  Trägheit  leicht  zu  der  Annahme  verleiten,  dass  eine  Demenz  vor- 
lag, aber  Apraxie  und  Apathie  hatten  sich  schnell  wieder  zurückgebildet  —  Fat. 
machte  in  der  BeurtheUung  der  sie  umgebenden  kleinen  Welt  in  kurzer  Frist 
ausserordentlich  gute  Fortschritte,  während  ihr  Wortverständniss  bis  an  ihr 


—    361     — 

Lebensende  ein  lückenhaftes  blieb.  Aus  diesem  Grunde  glaube  ich,  dass 
sich  jene  in  dem  Status  mitgetfaeilten  Vorkommnisse  weniger  auf  ein  mangel- 
haftes Verständniss  der  gehörten  Worte,  sondern  eher  auf  den  Mangel  an  Orien- 
tirungs-Yermögen  bezogen  und  als  Andeutungen  von  Seelenblindheit  auf- 
gefasst  werden  müssen.  Ob  neben  dieser  auch  Wortblindheit  bestand,  wage 
ich  nicht  mit  Sicherheit  zu  behaupten,  da  du  Leseversuche,  die  wir  mit  der 
Patientin  anstellten,  bei  der  geringen  Schulbildung  derselben,  nicht  als  stricto 
Beweise  angesehen  werden  dürften.  —  Jedenfalls  waren  der  Patientin  anfangs 
eine  Reihe  von  optischen  Erinuerungs-Bildem  verloren  gegangen,  während  kein 
Merkmal  auf  Hemianopsie  hinwies.  —  Die  Spuren  dieser  Störungen  in  der  sen- 
sorischen Sphäre  des  Gesichtssinns  haben  sich  nach  kurzem  Bestehen  wieder 
vollständig  zurückgebildet.  —  Wir  sind  geneigt,  dieselben  auf  die  Erkrankung 
des  Marklagers  im  unteren  Scheitelläppchen  und  auf  den  kleinen 
Rindenheerd  im  Gyrus  angularis  zurückzuführen.  —  Prof.  Teinieb  von 
Lyon  hat  durch  Sigaüd  im  Progr.  med.  (1887.  Nr.  36)  einen  Fall  von  reiner 
Wortblindheit  veröffentlichen  lassen,  bei  dem  die  Section  einen  kleinen  Heerd 
im  Lobul.  pariet.  infer.  ergab.  Die  geringe  Ausdehnung,  in  welcher  in  unserem 
Falle  Mie  noch  nicht  zum  eigentlichen  Occipitalhirn  gehörenden,  aber  doch  wohl 
den  Uebergang  dazu  bildenden  Theile  betroffen  waren,  ist  vielleicht  die  Ursache, 
dass  die  iSrscheinungen  von  Apraxie  und  Wortblindheit  so  schnell  zurückgingen, 
während  Worttaubheit  und  Paraphasie  so  lange  constant  blieben.  —  Vielleicht 
sind  es  auch  nur  Femwirkungen  gewesen,  welche  die  erstgenannten  Erscheinungen 
veranlassten.  Da  aber,  wie  bereits  erwähnt,  das  eigentliche  Occipitalhirn  sowohl 
links  wie  rechts  intact  blieb,  Hemianopsie  nicht  festgestellt  werden  konnte,  so 
möchten  wir  auf  die  Localisation  der  bei  Lebzeiten  der  Patientin  beobachteten 
eigenthümlichen  Andeutungen  von  Wortblindheit  und  Seelenblindheit  keinen  so 
grossen  Werth  legen. 

Am  wichtigsten  und  werthvoUsten  an  unserer  Beobachtung  erscheint  uns, 
wenn  wir  unsere  Erörterungen  zusammenfassen,  die  Thatsache,  dass  ein  vorher 
körperlich  und  geistig  gesundes  Individuum  nach  einem  apoplec- 
tischen  Anfall  worttaub  und  paraphasisch  geworden  ist,  und  dass 
sich  bei  der  Section  die  entsprechend  dem  genannten  Symptomen- 
bilde der  sensorisehen  Aphasie  schon  iutra  vitam  angenommene 
circumscripte  Erkrankung  der  L  Schläfenwindung  sowie  der  zuge- 
hörigen Stabkranzfaserung  in  der  That  vorgefunden  hat  —  dass 
sonstige  Ausfalls-Symptome  fast  vollkommen  gefehlt  haben  und 
fehlen  mussten,  weil  der  anatomische  Befund  in  allen  übrigen  für 
sensorische  oder  motorische  Functionen  wichtigen  Hirutheilen  ein 
völlig  negativer  war. 

Frankfurt  a.  M.  im  Mai  1888. 


—    352    — 

2.   Ueber  die  Kosten  des  optischen  Kathetometera  in  der 

Kranioinetrie. 

Mittheilung  an  die  Redaction 
von  Prof.  Dr.  Moriz  Benedikt  (Wien). 

Ein  Versäumniss  meines  Buches  über  Eraniometrie^  an  das  ich  durch  die 
liebenswürdige  Besprechung  Sommer's  (1888  Nr.  10)  neuerdings  erinnert  wurde, 
nachzutragen,  seien  diese  Zeilen  bestimmt. 

Die  Küsten  des  ganzen  Apparates,  der  in  der  Fig.  25  abgebildet  ist,  beträgt 
ca.  900  Gulden  in  österreichischem  Papiergelde,  also  ca.  1450  Mark  und  ca. 
1800  Francs. 

Nachdem  einmal  ein  Musterapparat  besteht,  lässt  sich  an  Toohterapparaten 
Einiges  ersparen,  indem  z.  B.  die  Einstellung  der  Seiten  des  Grundplatten- 
Eathetometers  mit  Hülfe  meines  Femrohrs  auch  ohne  Mikrometerschrauben  ge- 
lingen dürfte.  Der  kleine  Defect  an  Pracision  könnte  durch  Auftragen  dickerer 
Striche  am  Schädel  bis  zu  einem  gewissen  Grade  compensirt  werden. 

Weiter  kann  auf  die  mikrometrische  Einstellung  des  Eraniofixators  und  auf 
die  Messung  bis  auf  Vs"  verzichtet  und  —  bei  Auflassung  der  Noniusse  —  die 
Bnichtheile  eines  Grades  geschätzt  werden. 

Doch  wäre  die  Ersparniss  zu  gering  und  in  Zukunft  wird  die  Anforderung 
an  die  Feinheit  der  Apparate  gewiss  eher  gesteigert,  als  herabgesetzt  werden. 

Ich  würde  daher  kaum  rathen,  etwas  sparen  zu  wollen. 

Die  Fachmänner  werden  gewiss  bald  einsehen,  dass  alle  Versuche  der  Ver- 
einfachung scheitern  werdeu;  ich  habe  für  diese  Versuche  genug  Lehrgeld  gezahlt, 
um  sie  Andern  anzurathen. 

Ich  zweifle  nicht,  dass  diese  „theuren^^  wissenschaftlichen  (reschosse  bald  in 
allen  morphologischen  Laboratorien  einheimisch  sein  werden,  wenn  die  Finanz- 
verhältnisse der  Laboratorien  und  die  Ungewohntheit  der  Morphologen  mit  solchen 
Präcisiohsinstrumenten  zu  arbeiten,  die  ersten  Schwierigkeiten  überwunden  haben 
werden. 

Ich  lade  zugleich  jene  Collegen,  welche  den  Apparat  anschafibn  wollen,  ein, 
sich  an  mich  zu  wenden.  Ich  bin  bereit,  jedes  Exemplar  zu  controliren,  um 
für  die  Exactheit  einstehen  zu  können. 


n.   Referate. 


Anatomie. 

1)  On  the  relation  of  the  central  nervous  System  to  the  alimentsry  oanal. 
A  study  in  evolution  by  Bland  Sutton.     (Brain.  1888.  Januar.) 

Verf.  kommt  durch  entwickelungsgeschichtliche  und  pathologisch -anatomische 
Studien  zu  dem  Schlosse,  dass  Hirn  und  Bückenmark  der  Wirbelthiere  sich  aus 
einem  ursprünglich  dem  Emährungscanal   zugehörigen  Theile  entwickelt  habe.    «Jn 


—    353      - 

anderen  Worten,  das  Centralnervensystem  ist  ein  verändertes  Stück  Darm."  Er  bringt 
folgende  Gründe  für  diese  Ansicht  vor: 

1.  Der  ursprüngliche  Zusammenhang  zwischen  Darm  und  Centralnervensystem 
(Rathke*sche  Tasche  und  Canalis  neurentericus). 

2.  Die  gleichartige  und  gleichzeitige  Entwickelung. 

3.  Die  Beziehung  des  Sympathicus  einerseits  zur  grauen  Substanz  der  MeduUa, 
andererseits  zu  den  Nervenplexus  der  Darmwand. 

4.  Beide,  der  Darm  und  das  Nervenrohr,  haben  eine  seröse  Membran  (Arach- 
noidea  und  Pleuroperitoneum). 

5.  Bei  niederen  Wirbeltbieren  ist  die  Medulla  spinalis  relativ  grösser  wie  beim 
Menschen,  bei  den  Fröscben  übertrifft  sie  an  Gewicht  das  Gehirn. 

6.  Das  Zusammentreffen  gewisser  Missbildungen  des  Centralnervensystems,  wie 
besonders  der  Syringomyelocele  und  der  Syringomeningomyelocele  mit  Missbildungen 
des  Yerdaunngscanales.  In  letzterer  Beziehung  wird  ein  Fall  von  Spina  bifida  occulta 
erwähnt,  der  zugleich  einen  undurchbohrten  Pharynx,  eine  Gommunication  zwischen 
Oesophagus  und  Trachea,  eine  Atrophie  des  Proc.  vermiformis  und  ein  imperforirtes 
Rectum  hatte.  Bruns. 


2)  On  a  ready  method  of  preparing  large  seotions  öf  the  brain,  by  Byron 
Bramwell.     (Brain.  1888.  Januar.) 

Das  Hirn  wird  zunächst,  wenn  eine  Untersuchung  im  frischen  Zustande  erwünscht 
ist,  in  2 — 2^2  Zoll  dicke  Frontalschnitte  zerlegt,  diese  können  frisch  so  genau  wie 
möglich  studirt  werden.  Dann  kommen  sie  in  flache  Schalen  mit  Müller'scher  Flüssig- 
keit, diese  muss  häufig  erneuert  und  die  Stücke  gewendet  werden,  wobei  man  eine 
Misshandlung  der  Stücke  durch  die  Finger  durch  Abheben  der  Flüssigkeit  und  Um- 
drehen der  Stücke  auf  den  Glasdeckeln  der  Schalen  vermeidet.  Sie  sind  in  6  Wochen 
hart,  auf  der  Oberfläche  geschrumpft,  können  aber  mit  Hülfe  eines  höchst  einfachen 
Schneideapparates,  dessen  Beschreibung  im  Original  nachzusehen  ist,  in  ^/^  Zoll  dicke 
glatte  Schnitte  zerlegt  werden.  An  diesen  kann  man  alles  sehen,  was  makroskopisch 
zu  seheB  ist  und  kann  die  Schnitte  auch  photographiren.  Schliesslich  kann  man 
noch  einzelne  Partien  aus  den  Schnitten  herausschneiden  und  mit  dem  Mikrotom  für 
das  Mikroskop  verarbeiten,  wobei  man  den  Yortheil  hat,  stets  ganz  genau  zu  wissen, 
woher  das  Stück  ist.  Die  Methode  empfiehlt  sich  besonders  für  die  Topographie  von 
Neubildungen,  Blutungen  etc.  Kommt  es  auf  die  Untersuchung  des  frischen  Organes 
nicht  an,  so  empfiehlt  Verf.  auch  sehr  mehrfache  Injectionen  des  ganzen  Gehirnes 
mit  Müller'scher  Flüssigkeit.  Bruns. 


Experimentelle  Physiologie. 

3)   Zur   Frage   über  die  Looalisation  der  wärmeregulirendeii  Centren  im 
Gtehim  und  über  die  Wirkung  des  Antipyrina  auf  den  Thierkörper, 

von  Dr.  J.  Sawadowski  in  St.  Petersburg.    (Ctrlbl.  f.  d.  med.  Wissenschaften. 
1888.  Nr.  8—10.) 

Auf  den  Vorschlag  des  Prof.  Botkin  wurden  von  S.  Versuche  angestellt  über 
die  Wirkung  des  Antipyrins  auf  den  Kreislauf,  die  Athmung,  die  Verdauung,  das 
Nervensystem,  den  N-Stoffwechsel  und  die  Temperatur  der  Thiere  (Hunde  und  Frösche), 
endlich  auf  den  Fäulniss-  und  Gahrungsprocess.  In  Dosen  von  0,018 — 0,3  gr  auf 
1  Kilo  Körpergewicht  bewirkt  das  Antipyrin  Beschleunigung  des  Pulses  und  nacli 
vorheriger  kurz  anhaltender  Blutdruckabnahme  eine  ziemlich  lang  anhaltende  Druck- 
steigemng.     Die   Beschleunigung   der   Herzthätigkeit  entsteht  in  Folge  von  Reizung 

22 


—    354    — 

der  excimotorischen  Herzganglien,  da  dieselbe  auch  sowohl  nach  DurchschDeidung 
der  Nn.  vagi  und  des  Rückenmarks  über  dem  Atlas,  als  auch  in  Versuchen  nach 
der  Williams'schen  Methode  am  ausgeschnittenen  Froschherzen  beobachtet  wird.  Die 
Drucksteigerung  entsteht  ausschliesslich  in  Folge  Zunahme  der  Her/thätigkeit,  da 
sowohl  die  vasomotorischen  Centren  als  auch  die  Kn.  splanchnici  auf  die  Blutdruck- 
zunahme keinen  Einfluss  üben,  die  Gefässe  der  isolirten  Extremität  dagegen  nach 
Durchströmung  antipyrinhaltigen  Blutes  eine  Erweiterung  erfahren.  Auf  die  Athmung 
wirkt  das  Autipyrin  immer  beschleunigend.  Das  Nervensystem  beeinflusst  es  aus- 
schliesslich in  seinem  centralen  Theil.  Bei  unverletztem  Gehirn  wird  der  Hund  bei 
Einführung  kleiner  Dosen  Autipyrin  in  eine  Vene  ruhiger;  toxische  Dosen  rufen 
Krämpfe  hervor.  Bei  Fröschen  mit  durchschnittenem  Bückenmark  werden  nach  kleinen 
Dosen  die  Keflexe  gesteigert,  nach  grossen  anfangs  gesteigert,  sodann  geschwächt. 
Bei  Dosen  bis  zu  0,3  auf  1  Kilo  traten  keine  Nebenerscheinungen  ausser  Zunahme 
der  Speichelabsonderung  auf;  nach  0,3  auf  1  Kilo  stellte  sich  öfters  Erbrechen  (cen- 
tralen Ursprungs)  ein.  Die  Oxydationsprocesse  in  den  Geweben  werden  durch  Auti- 
pyrin nicht  beeinflusst.  Um  den  Einfluss  des  Antipyrins  auf  die  Körpertemperatur 
zu  studiren,  wurden  zahlreiche  Versuche  an  operirten  Thieren  mit  Gontrolversuchen 
vorgenommen.  Autipyrin  wurde  in  eine  Vene  eingeführt  und  parallel  damit  fand  die 
Einführung  putrider  Stoffe  statt,  die  im  Gegensatze  zu  Autipyrin  die  Temperatur 
erhöhen.  Bald  wurde  das  Bückenmark  in  seinen  verschiedenen  Höhen  durchschnitten, 
bald  das  Gehirn  in  der  Medulla  oblongata  und  Pons  Varoli.  Die  Durchschneidung 
geschah  bald  mehr,  bald  weniger  vollständig.  Auch  noch  höher  durch  die  Thalami 
optici  oder  die  hinteren  Ränder  der  Corp.  striat.  wurden  Schnitte  in  querer  Richtung 
geführt,  ebenso  vor  den  Corp.  striat.;  das  Verhalten  der  operirten  Thiere,  wie  die 
Einführung  und  Wirkung  von  Autipyrin  und  der  putriden  Stoffe  bestimmten  den  Verf. 
zur  Annahme,  dass  die  regulatorischen  thermischen  Nervencentren  in  den  Corp.  striat. 
gelegen  sind,  und  zwar  liegt  in  dem  vorderen  Theil  der  Corp.  striat.  das  vasomoto- 
risch-thermische Centrum  der  Hautgefässe,  während  in  dem  hinteren  Theil  derselben 
der  wärmeproducirende  sog.  ti*ophische  Abschnitt  dieses  Centrums  sich  beflndet  Die 
Wirkung  des  Antipyrins  findet  derart  statt,  dass  dasselbe  das  specielle  vasomotorisch- 
thermische Contrum  reizt  und  dadurch  eine  Steigerung  der  Wärmeabgabe  bewirkt; 
da  das  Autipyrin  femer  auch  dann  die  Temperatur  herabsetzt,  wenn  ans  irgend 
welchem  Grunde  (Entfernung  des  entsprechenden  Centrums,  Befinden  des  Thieres  in 
einem  Räume  mit  hoher  Temperatur)  die  Wärmeabgabe  nicht  gesteigert  ist,  so  wirkt 
dasselbe  folglich  auch  auf  den  andern  sog.  trophischen  Abschnitt  des  genannten  Ceu- 
trums,  indem  das  Autipyrin  wahrscheinlich  eine  Lähmung  des  wärmeproducirenden 
Theiles  desselben  hervorruft,  oder  vielleicht  den  die  Wärmeproduction  hemmenden 
Theil  reizt  und  somit  die  Wärmeproduction  im  Körper  herabsetzt.  Andererseits  be- 
wirken die  putriden  Stoffe  wahrscheinlich  eine  Lähmung  des  besagten  Centrums,  da 
die  Hauttemperatur,  wie  durch  Marigliano  festgestellt,  im  Beginn  des  Fiebers  ab- 
nimmt. Eine  Verminderung  der  Wärmeabgabe  mittelst  Verengerung  der  Hautgefässe 
reicht  jedoch  für  eine  bedeutende  Temperatursteigerung  nicht  aus,  was  aus  den  Ver- 
suchen folgt,  in  denen  nach  Durchschneidung  des  Gehirns  sowohl  die  Hauttemperatnr 
als  auch  die  innere  Temperatur  rasch  herabsinkt.  Daher  muss  man  annehmen,  dass 
die  putriden  Stoffe  eine  Reizung  des  wärmeproducirenden  Theils  des  trophischen  Ab- 
schnitts des  thermischen  Centrums  bewirken,  auf  diese  Weise  also  die  Wärmeproduc- 
tion im  Organismus  steigern.  In  Folge  dessen  erfolgt  eine  Steigerung  der  inneren 
Temperatur,  was  zugleich  mit  den  übrigen  Erscheinungen,  welche  vermittelst  der 
anderen  Nervencentren  durch  putride  Stoffe  hervorgerufen  werden,  denjenigen  Symp- 
tomencomplex  ausmacht,  den  man  unter  dem  Namen  des  Fiebers  zusammenfasst.  — 
Nach  Durchschneidungen  des  Gehirns  wurde  niemals  ein  allmähliches  gleichmässiges 
Absinken  der  Hauttemperatur  entsprechend  dem  Sinken  der  inneren  Temperatur  wahr- 
genommen,   wie   solches   nach    gelungeueu    Durchschneidungen  immer  stattfindet;   es 


-    355     — 

stellte  eich  beraus,  dass  die  Haattemperatur  noch  durch  Schmerzempfindangeu  and 
Kohleneäareanhäufung  im  Blüte  beeinflosst  werde.  Bei  ungenügender  Athmung  er« 
folgt  die  Erweiterung  der  Hautgefasse,  um  die  Kohlensäareausscheidung  durch  die 
Haut  zu  compensiren.  Die  Beizung  der  sensorischen  Nerven  bewirkt  eine  Erweite- 
rung der  Hautgefässe,  um  vermittelst  i  des  vermehrten  Blutzuflusses  den  Heilungs- 
process  zn  befördern.  Die  entsprechenden  Centren  sind  in  der  Med.  obl.  gelegen, 
da  nach  Durchschneidung  des  Gtehims  über  der  Med.  obl.  die  Hautgefösse  die  Fähig- 
keit beibehalten,  sich  zu  erweitern  (z.  B.  nach  Reizuug  des  centralen  Yagusendes), 
nach  Durchschneidung  hingegen  unter  der  Med.  obl.  diese  Fähigkeit  einbüssen.  Da 
endlich  manchmal  nach  Blutungen  in  den  4.  Ventrikel  die  Wirksamkeit  bald  des 
einen,  bald  des  anderen  Centnims  aufgehoben  wird,  so  folgt  daraus,  dass  diese  Centren 
von  einander  ganz  unabhängig  sind.  Dieser  Umstand  wurde  benutzt,  um  nachzu- 
weisen, dass  nach  Durchschneidungen  des  Gehirns  die  Hautgefässe  in  Folge  Entfer- 
nung des  thermisch-vasomotorischen  Centrums  nur  in  Hinsicht  der  speciell  thermischen 
Function  gelahmt  sind,  während  im  Allgemeinen  die  Fähigkeit  derselben,  sich  zu 
erweitem,  nicht  aufgehoben  ist.  Dieselben  Gefässe,  die  nach  der  Operation  sich 
unter  der  Einwirkung  des  Antipyrins  nicht  mehr  erweitem,  weisen  trotzdem  eine  be- 
deutende Erweitemng  auf,  in  Folge  Beizung  des  centralen  Yagusendes  oder  unter 
dem  Einfluss  der  Kohlensäure  bei  der  Erdrosselung.  —  Für  die  Existenz  eines 
Wärmecentrums  im  Gehirn  und  zwar  in  den  Corp.  striat.  spricht  auch  der  angeführte 
Fall  von  Bagojawlensky  (Eschenedelnaja  klinitscheskaja  Gazeta  Nr.  21),  in  dem 
nur  durch  die  bei  der  Obduction  in  den  beiden  Corp.  striat.  aufgefundenen  Echino- 
coccusblaseu  die  bei  Lebzeiten  beobachtete  hohe  Temperatur  erklärt  werden  konnte; 
die  Veränderungen  der  übrigen  Organe  lieferten  keinen  Anhaltspunkt  dafür.  S.  ge- 
lang es  nnr  in  einem  Falle  die  Corp.  striat.  ohne  bedeutende  Nebenverletzungen  zu 
entfemen;  das  Jhier  blieb  fast  24  Stunden  am  Leben,  die  Temperatur  sank  bis  auf 
25®  C.  etc.  Kalischer. 


4)  The  heat  centres  of  the  cortex  cerebri  and  pons  Varolii,  by  Dr.  J.  Ott. 
(Joum.  of  nervous  and  mental  disease.  1888.  XIII.  p.  85.) 

Verf.,  über  dessen  physiologische  Arbeiten  in  diesem  Centralblatt  bereits  früher 
referirt  ist  (vergl.  Jahrg.  1887.  S.  392  u.  545)  giebt  in  der  vorstehend  angezeigten 
Arbeit  eine  genauere  Beschreibung  der  beiden  Bindencentren,  deren  Reizung  eine 
Abkühlung,  deren  Zerstörung  aber  eine  Steigerung  der  Körpertemperatur  bedingt,  und 
theilt  ausführlicher  die  Versuche  mit,  durch  die  er  seine  Schlüsse  begrQndet. 

Das  sog.  Sylvi'sche  Centrum,  im  Kaninchengehirn  zwischen  den  Endpunkten  der 
Fissura  suprasylvica  und  der  Fiss.  postsylvica  gelegen,  bedingt  nach  erfolgter  Zer- 
störung der  Binde  eine  Temperatursteigerung  von  3 — 4^  F.  (ca.  1,6 — 2,2  ^  C),  die 
bis  zum  Tode,  der  gewöhnlich  in  6  Tagen  eintritt,  anhält.  Im  calorimetrischen 
Apparat  nach  d'Arsonval  zeigt  es  sich,  dass  anfänglich  sowohl  die  Wärnveproduction 
als  auch  die  Wärmeausstrahlung  gesteigert  sind,  dass  aber  nach  etwa  24  Stunden 
beide  Werthe  herabsinken,  obschon  die  Körpertemperatur  selbst  noch  gesteigert  bleibt. 
Das  Körpergewicht  der  Versuchsthiere  nimmt  regelmässig  ab,  da  die  Nahrungsauf- 
nahme sehr  gering  zu  sein  pflegt;  man  hat  auf  diese  Ursache  wohl  auch  die  all- 
mähliche Abnahme  der  Wärmeproduction  zu  beziehen.  Die  anfängliche  Steigerung 
derselben  hat  übrigens  mit  vasomotorischen  Vorgängen  nichts  zu  thun:  unmittelbar 
nach  der  Operation  fallt  der  Blutdrack  und  auch  die  Uerzarbeit  wird  schwächer. 

Das  vordere,  den  Sulcus  cruciatus  von  hinten  berührende  Bindencentrum  mft 
durch  Beizung  eine  Abkühlung  und  durch  Zerstörung  eine  beträchtliche  Temperatur- 
steigerung der  entgegengesetzten  Körperhälfte  hervor;  der  Unterschied  zwischen  den 
beiden  Körperhälften  bekägt  1,5 --13^  C.  (?  Fahr.). 

Im  Pons   befindet   sich   kein  Wärmecentrum;   dagegen  liegen  an  der  Basis  des 

22* 


—    356    — 

Hirns  mehrere,  ebenfalls  von  Ott,  von  Sachs  und  Aren  sehn  u.  A.  aufgefundene 
Centren,  die  ebenso  wie  die  im  Bfickenmark,  vorwiegend  wärmeerzeugende  Functionen 
besitzen  dürften.  Die  Bindencentren  sind  wohl  nur  afs  Hemmungsapparate  zu  be- 
trachten. Sommer. 


Pathologische  Anatomie. 

6)  Ueber  die  Veränderungen  am  Rückenmark  nach  sseitweiaer  Ver- 
BohliesBung  der  Bauchaorta,  von  J.  Singen  (Ans  dem  XCVI.  Bande  der 
Sitz.-Ber.  d.  K.  Akad.  der  Wissensch.  in  Wien.  UI.  Abth.  1887.  Nov.-Heft) 

S.'s  Arbeit  knüpft  an  die  kurze  Mittheilung  von  'Ehrlich  und  Brieger  an, 
doch  zog  er  die  directe  extraperitoneale  Abklemmung  der  Aorta  unter  dem  Abgange 
der  linken  Nierenarterie  in  Anwendung  und  gelang  es  ihm,  einzelne  Thiere  bis  zu 
5  Wochen  am  Leben  zu  erhalten;  bemerkenswerth  ist,  dass  bei  4  Thieren  mit  rich- 
tiger Abklemmung  keine  Lähmung  entstand. 

Die  Folgen  einer  einstündigen  Abklemmung  an  24  oder  36  Stunden  nach  der 
Operation  gestorbenen  Thieren  zeigten  sich  nur  an  den  VorderhomganglienzeUen;  deren 
Körper  deutlich  ausgesprochene  Andeutung  feinkörnigen  Zerfalls  zeigte;  hie  und  da 
fand  sich  um  die  Gefösse  der  grauen  Substanz  Diapedese  rother  Blutkörperchen. 

Thiere  mit  4tägiger  Lebensdauer  nach  der  Operation  zeigten  deutlichen  kömigen 
Zerfall  der  Vorderhomganglien,  zum  Theil  mit  starker  Schrumpfung  und  Fehlen  der 
Fortsätze,  starker  Schrumpfung  des  Kerns  bei  Erhaltensein  des  Kemkörperchens;  die 
markhaltigen  Fasern  des  Yorderhoms  sind  stark  varicös,  ausser  diesen  finden  sich 
unregelmässige  Myelinklumpen  und  mächtig  gequollene  Axencylinder;  auch  die  vor- 
dem Wurzeln,  sowie  die  weisse  Substanz  zeigen  zahlreiche  geschwollene  Axencylinder. 

Nach  8tägiger  Dauer  fehlen  die  Ganglienzellen  fast  vollständig,  in  den  vordem 
Wurzeln  und  in  einer  bestimmten  Zone  der  weissen  Substanz  beginnt  Markscheiden- 
zerfall, die  Vorderhöraer  werden  kleiner. 

Nach  3  Wochen:  Hintere  Wurzeln,  Spinalganglien  und  Hinterstränge  völlfg 
normal,  Vorderhöraer  stark  verkleinert,  Vorderhoraganglien  geschwunden,  an  ihrer 
Stelle  am  Anfang  der  Lendenanschwellung  ein  das  Yorderhom  einnehmender,  aus 
faserigem  Gewebe  bestehender  Heerd;  das  nervöse  Faserwerk  fehlt;  vordere  und 
hintere  Commissur  gut  erhalten;  in  den  Yorder-  und  Seitensträngen,  deren  äusserst« 
Peripherie  freilassend,  zerstreute  degenerirte  Fasern.  Nach  abi^rts  verkleinert  sich 
der  Heerd  im  Yorderhom  und  dementsprechend  Abnahme  der  Yerändernngen  der 
Yorherhömer;  unter  der  Lendenanschwellung  erscheint  das  Bückenmark  normal,  die 
vordem  Wurzeln  jedoch  noch  theilweise  degenerirt. 

Nach  5  Wochen:  Nicht  blos  die  graue,  auch  die  weisse  Substanz  einschliesslich 
der  Hinterstränge  erscheint  verkleinert,  an  Stelle  der  erstem  zeigt  sich  ein  streifiges 
ganglienzellenloses  Gewebe;  an  Stelle  des  Can.  centr.,  der  von  Beginn  der  Lenden- 
anschwellnng  ab  fehlt,  längs  der  einstrahlenden  hinteren  Wurzeln,  unterhalb  der 
Lendenanschwellung  in  der  grauen  Substanz  mas'senhafte  Kömchenzellen,  das  Nerven- 
fasergeflecht der  Yorderhömer  ist  geschwunden;  die  vordem  Wurzeln  sind  nicht  alle 
atrophisch;  auffallend  ist  der  Befund  eines  zuweilen  kräftigen  Bündels  markhaltiger 
Fasem,  die  aus  der  vorderen  Commissur  kommend  in  der  Fissur,  ant.  horizontal  bis 
zu  der  in  dieser  liegenden  Arterie  verlaufen.  Die  Degeneration  der  weissen  Substanz, 
bedeutend  hochgradiger  als  im  vorigen  Befunde,  betrifft  dasselbe  Areale  wie  dort. 

Aus  den  epikritischen  Bemerkungen  S.'s  heben  wir  hervor:  Die  QueUungs- 
erscheinungen  an  den  markhaltigen  Nervenfasem  deutet  er  im  Sinne  der  Kahler'- 
sehen  Befunde  bei  Compression;  der  differente  Befund  an  den  Yorderhornzellen  und 
den  Spinalganglienzellen  erklärt  sich  aus  ihrer  differenten  Widerstandsfähigkeit  gegen 
Anämie,   nicht   etwa   (was  durch  Injection  widerlegt  wird)  aus  einer  selbstständigen 


—    357    — 

GefassTeraorgnng  der  Spinalgangllen.  Die  die  graue  Substanz  umgebende,  die  Peri- 
pherie freilassende  diffuse  Degeneration  ist  eine  secundäre  und  dieser  Befund  spricht 
für  den  von  Flechsig  angenommenen  Zusammenhang  dieser  Vorderseitenstrangreste 
mit  den  Vorderwurzeln,  jedenfalls  dafür,  dass  es  sich  um  in  der  grauen  Substanz 
entspringende,  zum  Theil  lange  Commissurenfasem  handelt;  auffallend  ist  das  Frei- 
bleiben der  peripherischen  Zone  des  Hinterseitenstranges,  die  der  Kleinhimseiten- 
strangbahn  entspricht,  bei  Degeneration  der  Zellen  der  Glarke'schen  Säulen.  Die 
peripherische  Zone  des  Yorderstrangs  hat  nichts  mit  der  Pyramidenbahn  zu  thun; 
bezüglich  der  in  der  vordem  Fissur  verlaufenden  Fasern  spricht  S.  die  Vermuthung 
aus,  dass  es  sich  um  vasomotorische  Nerven  handeln  möchte;  die  Yorderhomganglien 
stehen  vielleicht  auch  zur  Leitung  der  Schmerzempfindung  in  Beziehung,  die  hoch- 
gradige Schrumpfung  des  gesammten  Querschnittes  ist  vorläufig  noch  nicht  sicher 
zu  erklaren.  A.  Pick. 


6)  Contribution  a  l'ötude  expörimentale  des  lösions  de  la  moelle  öpiniere 
döterminöes  par  ranömie  passagdre  de   cet  organe,   par  C.  Spronck. 
(Arch.  de  Physiol.  norm,  et  path.  1888.  Nr.  1.) 
Verf.  hat  die  nach  der  Stenso naschen  Aortenunterbindung  im  Lendenmark  ein- 
tretenden Veränderungen  bei  Kaninchen  histologisch  untersucht.     Er  konnte  die  Be- 
obachtung  von   Ehrlich   und  Brieger   bestätigen,  dass  einstündiger  Blutabschluss 
zu  einer  typischen  anämischen  Nekrose  aller  zelligen  Elemente  der  grauen  Substanz 
des  Lendenmarks  führt.     Secundär  gehen  die  markhaltigen  Nervenfasern  der  grauen 
Substanz  mit  Ausnahme  der  in  den  Hinterhömem  verlaufenden  hinteren  Wurzelfasem 
zu  Grunde,  ebenso  die  markhaltigen  Nervenfasern  in  den  centralen  Theilon  der  Vorder- 
und  Seitenstränge.    Die  Deiters*schen  Fortsätze  der  Vorderhornganglienzellen  lösen 
sich  von  den  letzteren  ab  und  zerfallen  binnen  4  Tagen.  Yaricöse  Hypertrophie  der 
Achsencylinder  leitet  den  granulösen   Zerfall  der  Markfasem  ein,  welcher  erst  am 
4.  oder  5.  Tage  beginnt. 

Ausserordentlich  wichtig  ist  der  weitere  Befund  Spronck^s,  dass  schon  ein  Blut- 
abschlus.s  von  10  Minuten  bei  vielen  Thieren  genügt,  um  irreparable  anatomische 
Veränderungen  im  Lendenmark  zu  setzen.  Dieselben  unterscheiden  sich  von  den 
obigen  nur  dadurch,  dass  nicht  alle  Elemente  des  Lendenmarks  davon  betroffen 
werden.  Diese  Beschränkung  des  Processes,  sowie  das  totale  Ausbleiben  von  Yer- 
ändemngen  bei  manchen  Thieren  erklärt  sich  aus  dem  öfteren  Vorhandensein  von 
Gollateralbahnen,  welche  die  Anämie  nicht  zu  einer  totalen  werden  lassen.  Ent- 
sprechend dem  mikroskopischen  Befund  geht  nach  10  Minutenlangem  Blutabschluss  auch 
die  anfängliche  sensible  und  motorische  Lähmung  nur  theilweise  zurück.  Die  Ver- 
suche von  Ehrlich  und  Brieger  Hessen  eine  so  grosse  Empfindlichkeit  der  Ganglien- 
zellen des  Rückenmarks  gegen  vorübergehende  Anämie  nicht  annehmen. 

_______  Th.  Ziehen. 

7)   Studi  di  antropologia  patologica  sulla  pazzia,   pel  E.  Morselli.     Napoli 
1887.  (Nach  einem  Referat  in  Archivio  di  Psichiatria,  Scienze  penali  ecc.  1888. 
rx.  p.  112.) 
Verf.  hat  133  Gehirne  Geisteskranker  (77  männlich  und  56  weiblich)  auf  das 

Hemisphärengewicht  untersucht  und  kommt  zu  folgendem  Resultat: 


männl.  Irre 
77 


weibl.  Irre 
56 


alle  Irre 
133 


R  Hemisphäre 

R 

R 


ff 


9» 


s  L  bei 
>  L  bei 
<  L  bei 


8.6  'lo 
58,6  o/o 

42,8  7o 


12.6  7o 

61.8  7o 

85.7  o/o 

9,8  »/o 
Ö2,6  »/o 
37,6  7o 

Gesunde 
722 

11% 

50  7o 
30  o/o 


358 

Marandon  de  Montyel  fand  ein  Uebergewicht  der  rechten  Uemispli&re  bei 
SO^Iq  der  untersuchten  (rehime  mit  einfacher  Seelenstörung  und  ein  Uebergewicht 
der  linken  Hemisphäre  bei  65®/q  aller  Paralytikergehime.  Sommer. 


8)  A  oase  of  cholesteatoma  with  remarks  on  the  orfgin  of  the  tumor,  bj 

F.  A.  Deren m.     (The  Polyclinic.     Philadelphia.  1888.  April.) 

Ein  unverheiratheter,  43jähriger  Mann  wurde  in  einem  stupiden  Zustande  in*s 
Hospital  gebracht  Vor  9  Jahren  soll  eine  BalggeschwuLst  von  der  Kopfhaut  ent- 
fernt worden  sein.  Es  waren  indess  keine  Spuren  einer  solchen  Operation  aufzufinden. 
3  Wochen  vor  Eintritt  in*s  Hospital  klagte  er  über  beständige  heftige  Kopfschmerzen 
am  Hinterkopfe;  allgemeine  Schwäche,  aber  keine  Paresen.  Sensibilität  normal. 
Kniephänomene  erhöht.  Neuritis  optica  beiderseits.  Der  stupide  Zustand  verschlimmerte 
sich,  bis  der  Tod  28  Tage  nach  Aufnahme  erfolgte. 

Bei  der  Autopsie  musste  das  Gehirn  mit  dem  Schädeldach  entfernt  werden  wegen 
verbreiteter  Adhäsionen  am  Frontal-Lappen.  Der  Tumor  lag  zwischen  der  I.  und 
II.  Frontalwindung  einerseits  und  der  Präcentralwindung.  Die  allgemeine  Structur 
der  Geschwulst  war  die  eines  typischen  Sarcoms. 

Der  Verf.  hebt  als  besonders  interessant  hervor^  dass  sich  Perlenkörper  inmitten 
dieser  sarcomatösen  Geschwulst  vorfanden,  zum  Beweise  dafür,  dass  diese  Perlen- 
körper nicht  nur  in  Epitheliomen  vorkommen.  Zu  bemerken  ist  noch,  dass  sich  am 
Stirnbein  eine  Exostosis  vorfand,  mit  Verdickung  der  Dura,  und  dass  von  dieser 
Stelle  aus  die  Geschwulst  sich  ausbildete.  Sachs  (New  York). 


Pathologie  des  Nervensystems. 

9)   Ueber  Akromegalie  (krankhaften  Biesenwuohs),  von  Prof.  Dr.  W.  Erb. 
(Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  XLII.) 

unter  obigem  Namen  (Yergrösserung  der  Spitze,  der  äussersten  Enden)  hat  P. 
Marie  1886  einen  Krankheitszustand  (2  Fälle)  beschrieben,  welcher  auch  vor  ihm 
schon  beobachtet  ist;  er  wurde  von  Friedreich  1868  als  „Hyperostose  des  ge- 
sammten  Skeletts'',  von  Lombroso  1879  als  „allgemeine  Hypertrophie*'  oder  „Makro- 
somie",  von  Pritsche  und  Klebs  1884  als  „Riesenwuchs",  von  letzteren  Autoren 
mit  einem  ausgezeichneten  Sectionsbefunde,  beschrieben.  —  Erb  beschreibt  sehr  aus- 
führlich einen  neuen  Fall,  und  giebt  ausserdem  den  gegenwärtigen  Status  der  beiden 
Gebrüder  Hagner,  welche  Friedreich  vor  20  Jahren  beschrieben  hat,  sodann  stellt 
er  alle  sicheren,  bisher  veröffentlichten  Fälle  (11)  zusammen,  nämlich  ausser  den 
obigen  je  einen  von  Saucerotte  (1872),  Brigidi  (1877),  Henrot  (1877,  als 
Myxödem  mitgetheilt),  Minkowski  (1887). 

.  Das  Leiden  entwickelt  sich  langsam,  im  Alter  zwischen  15  und  50  Jahren  be- 
ginnend, mit  unbedeutenden  Schmerzen  der  Glieder,  des  Kopfes  u.  s.  w.  Die  Ffisse 
und  Hände  beginnen  grösser  und  unförmlich  zu  werden,  demnächst  auch  die  Fuss- 
und  Handgelenke,  die  Unterschenkel  und  Vorderarme,  die  Kniee,  während  Oberarm 
und  Oberschenkel  in  der  Regel  verschont  bleiben;  die  Hände  werden  tatzenartig,  die 
Endphalangen  am  riesenhaftesten,  auch  die  Füsse  und  Zehen  gigantisch.  Nasen, 
Lippen,  Unterkiefer,  Zunge,  aber  auch  bisweilen  die  Clavicula,  die  Wirbelsäule,  Sca« 
pula  u.  A.  nehmen  an  der  Yergrösserung  Theil.  —  Die  Haut  bleibt  normal,  die 
Sensibilität  und  Motilität,  die  Reflexe  bis  auf  geringe  Abweichungen  intact.  Die 
Biesenform  der  betreffenden  Theile  ist  bedingt  durch  Knochenhypertropbie,  besonders 
in  der  Breiten-  und  Dickenausdehnung;  kein  Oedem  oder  Myxödem.  —  In  allen 
(3)  Sectionen  fand  sich  ein  erheblicher,  bis  hühnereigrosser  Tumor  der 


—     359     - 

Hypopbysis  cerebri,  dazu  in  2  Fällen  eine  Hyperplasie  des  Gehirns,  der 
cerebralen  und  zum  Theil  ancb  der  spinalen  Nerven  und  des  Sympathicns  in 
allen  seinen  Tbeilen.  —  Die  Thyreoidea  fand  sich  in  2  Sectionsfallen  massig 
resp.  stark  vergrössert,  bei  den  klinischen  Untersuchungen  dagegen  in  6  Fällen 
atrophisch  resp.  ganz  fehlend.  —  Elebs  verzeichnete  femer  eine  Persistenz  und 
erhebliche  Hyperplasie  der  Thymusdrüse,  allgemeine  Hyperplasie  und  Erwei- 
terung des  Gefössapparates  u.  s.  w.  —  Erb  fand  in  allen  3  von  ihm  untersuchten 
Kranken  eine  auffallende  Dämpfung  der  oberen  Hälfte  des  Stemum  und  der  angrenzen- 
den Bippen-  und  Intercostalpartien,  woraus  er  eine  Thymus-Abnormität  glaubt  er- 
schliessen  zu  dürfen. 

Das  Wesen  der  Krankheit  bleibt  vorläufig  dunkel,  obwohl  die  genauen  und  um- 
fassenden Untersuchungen  von  Klebs  sehr  werthvoU  sind.  Dieser  Autor  hält  eine 
übermässige  Yascularisation  für  den  Ausgangspunkt  der  ganzen  Störung,  und  glaubt, 
dass  dieselbe  angeregt  ist  durch  die  in  der  hypertrophischen  Thymus  in  grosser 
Menge  gebildeten  Gtofassendothelien,  welche  als  Augioblasten  durch  den  Blutstrom 
überallhin  geführt  werden  und  zum  Biesenwuchs  den  Anstoss  geben.  —  Theoretisch 
könnten  auch  abnorme  irritirende  Stoffwechselproducte  oder  ein  abnormer  tropho- 
nenrotischer  Einflnss  angenommen  werden. 

Die  Bolle  der  vergrösserten  Hypopbysis,  des  hyperplastischen  Sympathicns  — 
ob  primäre,  ob  secnndäre  Erscheinung?  —  bleibt  bis  jetzt  unaufgeklärt. 

Hadlich. 

10)  A  case  of  Acromegaly,  by  Bickman' J.  Godlee.  Clinical  Society  of  London. 
(The  British  Medical  Journal.  1888.  21.  April.) 

Eine  41jährige  Frau  litt  seit  9  Jaliren  an  einer  hochgradigen  Schwellung  der 
Gland.  thyreoid.,  in  der  sich  eine  Cyste  gebildet  hatte,  die  auf  den  Plex.  cervicalis 
drückend,  Neuralgien  verursachte.  Nach  Oefi&iung  der  Cyste  schwand  dieses  Symptom; 
jedoch  es  stellten  sich  andere  Störungen  ein.  Die  Fat.  konnte  hohe  Töne  nicht  mehr 
hervorbringen,  die  Menses  blieben  fort,  die  Schwellung  der  Gland.  thyreoid.  nahm  zu; 
die  Knochen  des  Gesichts,  besonders  des  Unterkiefers,  fbrner  die  der  Brust,  Clavicula, 
Bippen,  sowie  die  der  Hände  und  Füsse  nahmen  an  Umfang  erheblich  zu.  Dazu 
trat  eine  Kyphose,  die  Caries  vortäuschte;  die  Knorpel  der  Nase,  der  Ohren  und  des 
Kehlkopfes  wurden  dicker  und  grösser.  Die  Haut  war  etwas  rauh,  die  Perspiration 
profus,  das  subcutane  Gewebe  normal.  Die  Zunge  war  dick,  die  Stimme  hart,  monoton, 
metallisch  klingend;  ferner  bestand  Dyspnoe,  Verminderung  der  Geruchs-  und  Ge- 
schmacksfähigkeit. Der  Puls  war  sehr  schnell,  die  Temperatur  normal.  Der  Urin 
enthielt  weder  Eiweiss  noch  Zucker;  dabei  bestand  starker  Durst.  Intelligenz  und 
Stimmung  waren  normal.  Dem  Leiden  war  ein  Bheumatismus  vorausgegangen.  Es 
ist  von  der  Ostitis  deformans  und  dem  Myxödem  streng  zu  scheiden.  Auch  handelt 
es  sich  nicht  etwa  um  einen  malignen  Tumor  der  Gland.  thyreoid.,  der  Metastasen 
in  den  Knochen  verursacht  hätte.  Kalischer. 


11)  A  case  of  Acromegaly,  by  Dr.  Hadden.     Clinical  Society  of  London.  (The 
British  Medical  Journal.     1888.  21.  Aprü.) 

Eine  37jährige  Frau  hatte  vor  ca.  5  Jahren  eine  rheumatische  Schwellung  der 
Kniegelenke  nach  Scharlach;  zugleich  litt  sie  an  prickelnden  Schmerzen  in  den  Händen 
und  die  Menses  blieben  aus.  Das  Gesicht  wurde  breit,  die  Gesichtsknochen  und 
Nasenknorpel  wurden  dick.  Die  Haut  war  weder  geröthet,  noch  glänzend.  Das 
Schädeldach  war  nicht  betheiligt.  Die  Gland.  thyreoid.  war  atrophisch.  Die  Clavicula, 
wie  die  Knochen  der  Hände  und  Füsse  waren  hypertrophisch;  ebenso  die  Zunge.  Die 
Haut^  das  subcutane  Bindegewebe,  die  motorische  Kraft,  Sensibilität,  Urin  etc.  waren 


-     360    — 

nonnaL  Bechts  bestand  völlige  Blindheit  (Opticusatrophie).  Dieses  Leiden,  das  von 
Myxödem  und  Ostitis  deformans  wohl  zu  scheiden  ist,  befallt  beide  Geschlechter. 
Rheumatismus  geht  oft  voran.  Die  Menses  hören  mit  Eintritt  des  Leidens  stets  auf. 
Es  hypertrophiren  die  Knochen  und  Knorpel  des  (Gesichts,  der  Brust,  der  Hände, 
FQsse,  Nase,  Ohr,  Augenlider  etc.  Die  langen  Röhrenknochen  bleiben  meist  verschont. 
Die  Gland.  thyreoid.  ist  stets  dabei  verändert  In  3 — 4  Fällen  wurde  Blindheit  fest- 
gestellt, die  vielleicht  durch  den  Druck  entsteht,  welchen  die  vergrösserte  Gland. 
pituitar.  auf  das  Ghiasma  oder  den  Tract.  optic.  ausnbi  In  3  letal  verlaufenden 
Fällen  wurde  die  Gland.  pituitar.  vergrössert  gefunden.  Auf  die  Aehnlichkeit  in  dem 
Bau  derselben  mit  der  Structur  der  Gland.  thyreoid.  und  der  Nebennieren  wiesen 
Yirchow,  Goll  und  Andere  hin.  Bei  der  Addison*schen  Krankheit  fand  Verf.  die 
Gland.  pituit.  wie  Gland.  thyreoid.  mehrfach  unverändert.  Bei  der  Acromegalie  findet 
ein  Uebermaass  im  Wachsthum  des  Knochenskeletts  statte  so  wie  bei  andern  Störungen 
das  lymphoide  Drüsengewebe  sich  enorm  vergrössert.  Die  Basis  ist  mehr  eine  physio- 
logische als  pathol(^che;  die  Correlation  und  der  Einfluss  der  verschiedenen  Organe 
auf  einander,  auf  ihr  Wachsthum  und  ihre  Function  ist  verändert.       Kalischer. 


12)  Fall  von  Biesenwuchs  der  linken  Oberextremität,  von  Schötz.  VorsteU 
lung  in  der  Berliner  med.  Gesellsch.,  Sitzung  vom  18.  Januar  1888.  (Klinische 
Woch.  1888.  Nr.  6.) 

Riesenwuchs  der  linken  oberen  Extremität.  Maasse  analog  dem  im  56.  Bande 
von  Yirchow's  Archiv  mitgetheilten  Fall  von  Gruber.  Die  Affection  ist  angeboren, 
im  Laufe  der  Zeit  aber  mehr  bemerklich  geworden.  Die  ziemlich  beträchtliche  De- 
formität der  Hand  genirt  den  Fat.  bei  seiner  Beschäftigung  als  Glasschleifer  nicht. 

M. 

13)  Traumatische  Sympathicns-,  Hypogloasus-  und  Acoessoriusparalyse, 

von  Dr.  Ernst  Remak,  Privatdoceni  (Berl.  klin.  Woch.  1888.  Nr.  7.  S.  121.) 

Nach  der  Exstirpation  eines  gänseeigrossen,  untrennbar  mit  dem  N.  sympathicns 
verwachsenen  Cavemoms  an  der  rechten  Halsseite  durch  Herrn  J.  Israel,  wobei  ein 
5 — 6  cm  langes  Stück  des  Sympathicns  resecirt  wurde,  konnte  Verf.  an  dem  57jähr. 
Patienten  folgende  Erscheinungen  beobachten: 

1.  Leichte  rechtsseitige  Ptosis  mit  erheblicher  Verengerung  der  rechten  Pupille 
(diese  halb  so  gross  wie  die  linke);  die  auf  Licht  und  Accommodation  eintretende 
prompte  Beaction  der  Pupillen  bleibt  rechts  aus  bei  Reizung  der  Haut  des  Halses 
mit  dem  faradischen  Pinsel,  während  links  dabei  normalerweise  eine  Erweiterung  zu 
Stande  kommt.  Die  Ptosis  wird  als  eine  Ptosis  sympathica  aufgefasst,  bedingt  durch 
Lähmung  der  glatten  von  H.  Müller  entdeckten  Lidmuskeln.  Keine  weitere  intra- 
bulbäre  Veränderung.  Rechtes  Ohr  röther  und  dem  Gefühl  nach  wärmer,  subjectiv 
kälter  (in  Folge  vermehrter  Wärmeabgabe)  als  das  linke  Ohr.  Pulsfrequenz  normal. 
Schweiss-Secretion  rechts  an  Gesicht  und  Kopf  geringer.  Hypersalivation  rechts. 
Kopfschmerzen,  migräneartige  Anfälle  etc.  fehlen,  doch  will  Pat.  immer  an  einge- 
nommenem Kopf  leiden. 

2.  Die  zweite  Reihe  von  Erscheinungen  bezieht  sich  auf  die  Zunge,  welche 
ruhig  am  Mundboden  liegend  eine  leichte  Gonvexität  der  Mittellinie  nach  rechts  dar- 
bietet, herausgestreckt  aber  mit  der  Spitze  merklich  nach  rechts  ab« 
weicht.  Die  rechte  Hälfte  der  Zunge  fühlt  sich  schlaffer  und  weicher  an.  Motilität 
ist  verhältnissmässig  wenig  gestört,  Geschmack  und  Sensibilität  gar  nicht,  dagegen 
zeigt  die  Musculatur  complete  EaR  mit  erheblicher  Steigerung  der  galvanomusculären 
Erregbarkeit. 

Directe  faradische  Reizung   der  gesunden  Seite  stellt  die  ausgestreckte  Zui^e 


—    361    — 

gerade;  daraas  schlieast  Verf.,  dass  in  diesem  Falle  die  Deviation  von  der  Lähmung 
des  Genioglossus  abhängig  zu  machen  sei,  während  er  sonst  die  Ursache  dafür  in 
dem  Uebergewicht  des  betr.  Longitadinalis  resp.  Transversus  erblickt. 

Sehr  bemerkenswerth  ist  die  Rückbildung  dieser  Hypoglossusparalyse,  welche 
nach  und  nach  erfolgte,  woraus  man  mit  Recht  den  Scliluss  ziehen  darf,  dass  hier 
keine  Durchtrennung,  sondern  nur  eine  Zerrung  oder  Quetschung  des  Nerven  statt- 
gefunden hat  Für  eine  Localisation  dieses  Traumas  am  Nervenstamm,  oberhalb  des 
Abganges  des  N.  descendens,  spricht  die  Mitbetheiligung  der  von  der  Ansa  hjpo- 
glossi  versorgten  äussern  Hals-  resp.  Kehlkopfmnskeln  (stemotbyreoidens,  stemöhyoi- 
deus,  omohyoideus),  deren  Schädigung  weniger  auf  eine  Verletzung  des  vom  2.  und 
3.  Gervicalnerven  stammenden  Astes  —  welche  ja  auch  denkbar  wäre  —  als  auf 
eine  Leitungsunterbrechung  im  Ram.  descendens  hypoglossi  zurückgeführt  wird. 

3.  kommt  der  N.  accessorius  in  Betracht.  Eine  dem  Operationsprotokoll  gemäss 
stattgehabte  Verletzung  des  Accessorius  am  Foramen  jugulare  hatte  zur  Folge: 

a)  rechtsseitige  Posticusläbmung,  durch  die  Läsion  des  inneren  Astes, 

b)  Graumensegellähmung,  die  sich  allmählich  zurückbildete, 

c)  durch  die  Läjsion  ^es  äusseren  Astes,  Lähmung  des  rechten  CucuUaris  und 
Stemocleidomastoideus,  welche  beide  complete  EaR  zeigen.  Jedoch  erfahren  beide 
ASiectionen  eine  relative  Restitution. 

Zwei  hier  angeschlossene  Fälle,  ebenfalls  traumatische  Accessoriuslähmung,  sollen 
beweisen,  dass  Accessoriusverletzung  an  einer  tieferen,  mehr  peripherischen  Stelle 
viel  schwerere  funcüonelle  Störungen  hervorbringt 

Einzelheiten  über  hieran  sich  knüpfende  anatomische  und  pathologisch-anatomische 
Betrachtungen,  Litteraturangaben  u.  s.  w.  müssen  im  Original  nachgelesen  werden. 

Bemerkungen  dazu,  von  B.  Fränkel.     (Berl.  klin.  Woch.  1888.  Nr.  8.  S.  149.) 

„Der  Fall  ist  für  die  Laryngologie  ein  Ereigniss,''  sagt  F.,  und  zwar  ist  er  es 
deshalb,  weil  damit  eine  lange  schwebende  Streitfrage  der  Lösung  nahe  gebracht  wird, 
ob  es  sich  bei  der  sog.  Posticuslähmung  mit  ihrem  typischen  Symptom  wirklich  um 
eine  Lähmung  des  Erweiterers  der  Stimmritze,  des  Crico-arytaenoideus  posticus,  han- 
delt, oder  um  einen  Krampf  der  Verengerer  derselben,  wie  Krause  durch  Experi- 
mente es  wahrscheinlich  gemacht  zu  haben  geglaubt  hatte.  F.  glaubt  die  Frage  im 
ersteren  Sinne  gelöst,  und  zwar  deshalb,  weil  eine  offenbar  hier  vorliegende  Ver- 
letzung des  Accessorius  in  zwei  Aesten  (für  das  Velum  palatin.  und  für  Cucullaris 
und  Stemocleidomastoideus)  sicher  beobachtete  Lähmung  verursacht  habe;  es 
wäre  nnmöglich,  dass  die  unter  denselben  Bedingungen  stattgehabte  Verletzung  des 
dritten  Astes  habe  zu  Gontractur  führen  können. 

Vagusfasem  wären  nicbt  verletzt  worden,  da  Sensibilitätsstörungen  gefehlt  hätten. 
Vor  der  Operation  wäre  Fat.  von  F.  beobachtet;  der  Kehlkopf  hätte  normale  Ver- 
bältnisse aufgewiesen.  Das  Semon*sche  Gesetz  behalte  seine  Richtigkeit,  dass  bei 
Accessoriusverletzungen  zunächst  der  Gricoarytaenoideus  posticus  ausfallt 

Ueber  einen  Prioritätsstreit  von  Rosenbach  gegen  Semon  in  Betreff  der 
„Vulnerabilität  der  Recurrensfasem"  (cf.  Nr.  8  u.  10  d.  W.)  kann  wohl  hier  zur 
Tagesordnung  übergegangen  werden.  Sperling. 


Psychiatrie. 

14)  Die  Iiehre  von  der  Verwirrtheit,   von  Prof.  Wille.     (Arch.  f.  Psych.  XIX. 
8.  328.) 

Nach  einer  allgemeinen,  den  klinischen  Standpunkt  der  neueren  Psychiatrie  her- 
vorhebenden Einleitung  giebt  W.  zuerst  eine  kurze  Geschichte  jener  Psychose,  deren 


-    362     — 

BteeicImuDg  er  von  dem  hervorragendsten  und  am  längsten  andauernden  Symptome 
hernimmt,  und  dabei  die  Bezeichnung  ,,acut"  als  falsch  verwirft.  Bezüglich  der 
Häufigkeit  scheint  ihm  die  3,7  ^/^  betragende  Durchschnittszahl  einer  10jährigen 
Beobachtung  seiner  Anstalt  hinter  der  Wirklichkeit  zurückzubleiben;  Frauen  scheinen 
häufiger  befallen,  das  Alter  von  20 — 40  Jahren  liefert  die  meisten  Fälle,  doch  finden 
sich  solche  auch  noch  im  Alter  von  50  —  60  Jahren.  Die  ätiologische  Bedeutung 
der  Erblichkeit  erscheint  noch  nicht  genügend  festgestellt,  eine  wesentliche  Rolle 
spielt  dagegen  die  Prädisposition  in  Folge  fötaler  oder  infantiler  schwerer  Erkran- 
kungen; in  zweiter  Linie  stehen  aUe  Momente,  welche  im  späteren  Leben  eine  neuro- 
oder  psychopathische  Constitution  erzeugen;  für  die  chronischen  Formen  betont  W. 
die  ätiologische  Bedeutung  der  Onanie.  Unter  den  occasionellen  Momenten  stehen  in 
erster  Linie  psychischer  Shock  und  alle  auch  prädisponirend  wirkenden  Momente,  vor 
Allem  das  Puerperium;  Herz-  und  Gefasskrankheiten  mit  ihren  Folgen  von  Embolie 
und  Thrombose  stehen  in  enger  Beziehung  zu  den  nach  W.  als  Abart  gesondert  zu 
behandelnden  aphasischen  und  pseudo-aphasischen  Formen  der  Verwirrtheit.  Mit 
Rücksicht  auf  die  neben  den  Reizerscheinungen  nachzuweisenden  Schwächeerschei- 
nungen lässt  W.  zwischen  unserer  Affection  und  der  Dementia  primaria  und  acuta 
der  Autoren  zum  Theil  nur  einen  graduellen  Unterschied  zu. 

Der  Verlauf  wird  eingeleitet  durch  ein  Stunden  bis  Monate  umfassendes  Vor- 
läuferstadium,  welches  vor  Allem  in  subjectiven  Beschwerden,  Stimmungswechsel, 
kurzdauernder  Verwirrtheit  und  ebensolche  iUlusionelle  und  hallucinatonsche  Ele- 
mente charakterisirt  ist.  Der  Beginn  erfolgt  rasch,  oft  plötzlich  unter  zahlreichen 
Sinnestäuschungen,  Bewusstseinsstörung  und  vasomotorischen  Störungen.  Der  folgende 
Zustand,  meist  höchstgradiger  allgemeiner  Aufregung,  trägt  die  Züge  maniakalischer 
Erregung,  acuter  Verrücktheit,  furibunder  Tobsucht,  agitirter  Melancholie,  acuten  De- 
liriums in  wechselndem  Gemisch;  in  relativ  seltenen  Fällen  bildet  sich  sofort  ein 
mehr  chronischer  Symptomencomplex  heraus,  der  sich  von  der  Verrücktheit  durch 
mangelhafte  Orientirung,  Verwechselung  der  Umgebung,  Verwirrtheit,  pseudo-apha- 
sische  Momente  und  besonders  durch  sonderbare  gesticulatorische  und  mimische  Be- 
wegungserscheinungen unterscheidet. 

Auf  dieses  Stadium  folgt  ein  ruhigeres  mit  maniakalischem  Charakter.  —  Die 
von  Eonrad  beschriebene  pathetische  Uebergangsphase  hat  W.  nicht  beobachtet;  — 
die  gesammte  Dauer  der  beiden  Phasen  beträgt  Tage  bis  Monate,  dann  folgt  Remis- 
sion, Reconvalescenz  oder  Tod;  meist  schliesst  sich  entweder  ein  chronisches  Stadium 
an,  charakterisirt  durch  geistige  Schwäche,  Verworrenheit,  pathetische  Erscheinungen, 
sonderbare  Bewegungen,  Neigung  zu  Verbigeration,  oder  es  folgt  ein  Stadium  von 
sprachlosem,  oft  tetanischem,  selten  cataleptiformem  Stupor;  sprechen  die  Kranken,  so 
erscheinen  sie  hochgradig  verworren  und  geistesabwesend;  zuweilen  wechseln  in  mehr- 
facher regelmässiger  oder  ganz  ungeordneter  Weise  maniforme  und  stuporartige  Zu- 
stände. 

Die  Dauer  der  Krankheit  beträgt  wenige  Tage  oder  Wochen,  acute  Verwirrt- 
heit, oder  mehrere  Monate  bis  ein  Jahr,  subacute  Form,  endlich  mehrere  Jahre, 
chronische  FäUe.  In  der  somatischen  Sphäre  sind  im  Beginn  leichtes  abendliches 
Fieber,  sonst  allgemeine  Schwächeerscheinungen  zu  erwähnen;  ebenso  Schlafstörungen, 
öfters  Albuminuria.  Der  Ausgang  in  Genesung  erfolgt  meist  durch  ein  psychisch 
reines  oder  stuporartiges  Schwächestadium;  meist  zeigt  sich  ein  mehr  oder  weniger 
vollständiger  Erinnerungsdefect,  in  andern  Fällen  kommt  es  durch  ein  chronisches, 
oft  jahrelanges  Stadium  hindurch  zur  Heilung  mit  Defect;  ein  weiterer  Ausgang  ist 
der  in  chronische  Verwirrtheit  oder  Demenz,  endlich  der  in  Tod  im  acuten  oder 
chronischen  Verlaufe. 

Die  Section  zeigt  himanämische  und  -hydrämische  Zustände  bis  zu  Hydro- 
cephalus  ext.  und  int.,  meningeale  Trübungen,  verschieden  hochgradige  Himatrophie, 
Befunde  die  der  Atfection  eine  UebergangssteUung  zwischen  functionellen  und  anato- 


—    863    - 

mischen  Psychosen  anweisen.  Bezüglich  der  von  W.  eingehend  besprochenen  speciellen 
Symptomatologie  mnss  auf  das  Orig.  verwiesen  werden. 

Bei  der  Diagnose  betont  W.  zuerst  das  intercurrente  Vorkommen  von  Verwirrt- 
heit in  den  verschiedensten  Psychosen;  als  diagnostisch  wichtiges  und  die  HaUu- 
cinationen  überragendes  Symptom  ist  zu  nennen  die  Bewusstseinsstörung,  daran  reiht 
W.  die  intercurrenten  stupofösen  Zustande,  und  die  körperlichen  Schwächeerschei- 
pungen,  schliesslich  den  Verlauf  mit  seinem  Wechsel.  Aus  den  differential-diagosti- 
schen  Bemerkungen  hioben  wir  hervor,  gegenüber  der  Manie  den  anders  gearteten 
Beginn,  das  episodische  Vorkommen  ausgesprochen  maniakalischer  Zustande  in  der 
Verwirrtheit,  gegenüber  der  erst  in  der  Verwirrtheit  aufgehenden  acuten  Paranoia 
die  geringe  oder  fehlende  Benommenheit,  die  aus  Büsstrauen  oder  Beachtungswahn 
hervorgehende  Entwicklung  bei  der  letzten  Krankheitsform. 

Die  Prognose  ist  eine  zweifelhafte,  der  Ausgang  in  ein  unheilbares  Stadium  ist 
häufiger  als  Heilung,  die  übrigens  selbst  nach  jahrelanger  Dauer  eintreten  kann. 
Therapeutisch  sind. in  erster  Linie  die  Schwächeerscheinungen  durch  Bettruhe,  kräf- 
iiges  Regime,  Bäder  zu  bekämpfen;  von  den  Beizerscheinungen  ist  die  Schlaflosig* 
keit  durch  Bäder,  Einwickiungen  Alcoholica,  Brom,  Chloral,  die  übrigen  durch  kühle 
Bäder  und  die  gleichen  Medicamente  zu  behandeln;  in  erster  Linie  steht  die  Bett- 
ruhe, Zwangsfütterung  ist  öfters  noth wendig;  die  psychische  Behandlung  verlangt  bis 
in  die  Beconvalenscenz  hinein  Irrenanstaltsaufenthalt.  A.  Pick. 


16)  Folie  ä  deiix,  by  Hack  Tuke.    (Brain  1888.  Januar.) 

Verf.  fasst  unter  der  Bezeichnung  Folie  ä  deux  folgendes  zusammen: 

1.  Fälle,  in  denen  A.  B.,  der  geisteskrank  ist,  C.  B.  direct  inficirt  und  zwar 
mit  derselben  psychischen  Störung. 

2.  Fälle,  in  denen  C.  D.  geisteskrank  wird,  weil  er  mit  dem  geisteskranken 
A.  B.  zusammenlebt,  nicht  in  Folge  directer  Uebertragung  krankhafter  Ideen,  son- 
dern z.  B.  durch  den  schmerzlichen  psychischen  Eindruck,  den  das  Zugegensein  bei 
acuten  Attaken  der  Krankheit  oder  durch  die  körperliche  und  seelische  Anstrengung, 
die  die  Pflege  eines  solchen  Kranken,  besonders  eines  Verwandten,  bedingt. 

3.  Fälle,  in  denen  zwei  oder  mehr  Personen  zu  gleicher  Zeit  aus  denselben  Ur- 
sachen geisteskrank  werden;  hier  werden  besonders  die  Meetings  der  Revivals  er- 
wähnt 

4.  Fälle,  in  denen  ein  (Geisteskranker  seine  Wahnideen  auf  einen  anderen  Geistes- 
kranken überträgt.    Sehr  selten. 

5.  Zwillingspsychosen. 

Alle  diese  verschiedenen  Formen  werden  durch  kurze  Krankengeschichten  illu- 
strirt»  die  auch  im  Referat  nicht  kürzer  wiedergegeben  werden  könnten.  In  allen 
Fällen  muss  man  besonders  darauf  achten,  ob  die  betr.  Kranken  verwandt  oder  he- 
reditär belastet  sind,  oder  ob  wenigstens  das  passive  Subject,  dem  die  Wahnideen 
übertragen  werden,  ausgesprochen  nervös  ist;  femer  wie  bald  nach  Vereinigung  mit 
A./B.  Zeichen  von  Geisteskrankheit  gezeigt  hat,  wie  weit  die  Identität  der  Symptome 
ging,  wie  lange  sie  zusammenblieben,  und  wie  sich  das  passive  Subject  nach  der 
Trennung  verhält.  Schliesslich  bringt  Verf.  noch  in  9  Sätzen  seine  Schlüsse,  deren 
wesentlicher  Inhalt  folgender  ist:  die  Folie  ä  deux  ist  selten;  die  passiven  Subjecte 
sind  meist  schwache  Menschen,  häufiger  Frauen  wie  Männer,  meist  jünger  wie  die 
ersteren,  oft  Verwandte;  es  werden  leichter  Psychosen  mit  einigermaassen  wahr- 
scheinlichen Wahnideen,  in  denen  Methode  steckt  und  bei  denen  der  Patient  seine 
Haliang  noch  einigermaassen  bewahrt,  als  ausgesprochene,  auch  dem  Laien  leicht 
erkenntliche  Geisteskrankheiten  übertragen,  also  leichter  gewisse  Formen  von  Ver- 
rücktheit^ besonders  Verfolgungsideen,  oder  die  Idee  eines  grossen,  von  Feinden  be- 


-     364     — 

strittenen  Besitzes,  als  auch  Manie  oder  Melancholie;  die  passive  Person  kann  um- 
gekehrt wieder  die  Wahnideen  der  activen  beeinflussen. 

Praktisch  wichtig  ist,  dass  man  gut  thut,  nahe  Verwandte  von  der  Pflege  Geistes- 
kranker fem  zu  halten;  ist  eine  Folie  ä  deux  vorhanden,  so  muss  man  die  beiden 
Kranken  sofort  trennen,  dann  wird  das  passive  Individuum  wohl  sehr  bald  genesen. 

Bruns. 

16)  Das  inducirte  Irresein  (folie  a  deux)  als  eine  Vorm  pathologisoher 
Nachahmung,  von  W.  Jakowenko.  (Wjestnik  psychiatrü  i  nevropathologii. 
1887.  Russisch.) 

Die  Veranlassung  zum  eingehenden  Studium  des  inducirten  Irreseins  gab  dem 
Verf.  die  Beobachtung  dreier  Fälle  dieser  Erankheitsform  in  der  Landschaftsirren- 
anstalt  Buraschowo.  —  Im  ersten  derselben  litten  Mann  und  Frau  an  fast  identi- 
schem Verfolgungswahn  mit  einzelnen  Grössendelirien.  —  Der  zweite  betraf  eine 
Handwerkerfamilie,  in  welcher  Vater,  Mutter,  ein  erwachsener  Sohn ,  und  zum  Theil 
auch  eine  Tochter  Verfolgungsideen  mit  Sinnestäuschungen  unterworfen  waren.  Im 
dritten  endlich  entwickelte  sich  eine  hysterische  Verrücktheit  mit  religiösen  Wahn- 
ideen identischen  Inhaltes  bei  zwei  Schwestern,  erwachsenen  Bäuerinnen;  die  jüngere, 
welche  zuerst  die  ältere  pflegte,  erkrankte  eine  Woche  nach  derselben  und  blieb 
noch  krank,  nachdem  letztere  gesund  geworden  war.  Im  Anschluss  an  die  detaillirte 
Erzählung  dieser  Krankengeschichten  folgt  eine  tabellarische  Uebersicht  aller  bisher 
veröffentlichten  einschlägigen  Fälle  aus  der  Litteratur,  fast  ausschliesslich  der  franzö- 
sischen und  deutschen;  aus  der  russischen  ist,  abgesehen  von  den  drei  eigenen  Beob- 
achtungen des  Verf. 's,  nur  noch  eine  (von  Danillo)  registrirt.  Die  in  den  Tabellen 
berücksichtigte  Casuistik  umfasst  113  Fälle  und  betrifft  254  Personen,  davon  80 
Männer  und  174  Frauen;  in  97  Fällen  (von  den  113)  handelte  es  sich  um  Folie 
ä  deux,  in  8  um  —  ä  trois,  in  4  um  —  ä  quatre,  in  2  um  —  ä  six,  in  1  um 
—  a  huit,  und  in  einigen  Fällen  wurden  die  Wahnideen  von  einer  grossen  Menge 
anderer  Personen  getheilt,  ohne  dass  letztere  auch  als  erkrankt  gelten  konnten.  — 
Was  die  gegenseitigen  Beziehungen  der  au  inducirtem  Irresein  Leidenden  betrifft,  so 
handelte  es  sich  in  den  meisten  Fällen  um  Schwestern  (27  Mal),  ferner  Mutter  und 
Tochter  (23  Mal),  Mann  und  Frau  (20  Mal);  andere  Verhältnisse,  wie  z.  B.  Brüder, 
Herrschaft  und  Dienstleute  etc.,  kamen  seltener  vor;  in  8  Fällen  waren  die  Erkrankten 
Zwillinge.  In  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  (70  von  113)  beutand  die 
Krankheit  in  Verfolgungswahnsinn,  meistens  in  der  Form  der  chronischen  primären 
Verrücktheit,  zuweilen  mit  Transformation  in  Grössenwahn;  bedeutend  seltener  waren 
andere  Psychosen  vertreten,  z.  B.  maniakalische  Exaltation,  Melancholie,  Stupor  etc. 
Die  Angaben  über  das  Alter  der  Erkrankten,  über  ihre  Heredität  sowohl,  als  über 
den  Zeitraum  zwischen  den  einzelnen  Erkrankungen  beim  inducirten  Irresein,  sind 
in  der  Casuistik  zu  unvollständig,   um  darüber  statistische  Erhebungen  aufzustellen. 

Verf.  scheidet  aus  der  ihii  beschäftigenden  Krankheitsform  solche  Fälle  als 
pseudo-inducirtes  Irresein  aus,  in  welchen  bei  zwei  oder  mehreren  zusammenlebenden 
Personen  zufallig  zu  gleicher  Zeit,  aber  unabhängig  von  einander,  verschiedene  Psy- 
chosen sich  entwickeln.  Hinsichtlich  des  wahren  inducirten  Irreseins  nimmt  er  in 
Uebereinstimmung  mit  Marandon  de  Montyel  die  Einiheilung  in  Folie  imposee, 
simultanes  und  communiqu^e  an. 

Das  Schlusscapitel  der  fleissigen,  8  Bogen  umfassenden  Arbeit  enthält  eine  Zu- 
sammenstellung der  verschiedenen  Meinungen,  die  über  den  psychischen  Mechanismus 
des  inducirten  Irreseins  ausgesprochen  wurden.  Hier  kritisirt  er  die  Theorien  von 
Finkeinburg,  Rambosson,  Prosper  Despine  u.  A.  über  die  Natur  des  Nach- 
ahmungstriebes und  der  psychischen  Contagion,  ohne  jedoch  über  dieses  Thema  Neues 
zu  bringen.  P.  Bosenbach. 


—    365 

17)  Heber  die  sog.  psychische  Gontagion,  von  C.  Werner,  ßoda.  (Allg.  Ztsdir. 
f.  Psychiatrie.  XLIV.  1888.  4  u.  5.) 

Eine  tabellarische  Zusammenstellung  von  45  Fällen  inducirten  Irreseins  aus  der 
Litteratur  (Koster,  Finkehiburg,  Nasse,  Hansen,  Witkowski,  Wille,  Graf,  Lehmann) 
ergiebt  dem  Verf.,  dass  in  der  erblichen  Anlage  des  Secondär-Erkrankten  die  Haupt- 
ursache der  Psychose  liegt;  die  Psychode  des  Primär-Erkrankten  giebt  nur  den 
occasionellen  Anstoss.  Wo  keine  Erblichkeit  nachweisbar  ist,  handelt  es  sich  meist 
um  schwächliche  Individuen,  namentlich  Frauen,  welche  sich  bei  der  Pflege  und  in 
Folge  der  Sorge  aufreiben.  Ein  gesunder  Mensch  mit  rüstigem  Hirn  wird  stets  in- 
tact  bleiben. 

W.  theilt  dann  einen  eigenen  Fall  mit,  in  welchem  eine  Frau  im  melancholischen 
Stadium  einer  progressiven  Paralyse  sich  befand,  als  ihr  Ehemann  unter  dem  Symp- 
tomenbild einer  agitirten  Melancholie  erkrankte.  Erbliche  Belastung  weder  bei  Mann 
noch  Frau  nachweisbar,  der  Mann  in  jüngeren  Jahren  zuweilen  Stunden  bis  Tage 
lang  benommen.  Der  Sectionsbefund  des  Mannes  schliesst  übrigens  eine  Paralyse 
auch  des  Mannes  nicht  ganz  aus.  lieber  syphilitische  Antecedentien  ist  leider  nichts 
angegeben. 

Vom  Wartepersonal  in  Boda  erkrankte  während  39  Jahren  nur  ein,  erblich 
schwer  belasteter  Mensch  an  Psychose.  Th.  Ziehen. 


Therapie. 

18)  Einige  Indioationen  für  die  An^ndung  von  Chloralhydrat  und  Mor- 
phium, nebBt  Bemerkungen  zur  Anwendungsweise,  von  Dr.  Aufrecht 
in  Magdeburg.     (Therapeutische  Monatshefte.  1888.  Februar.) 

Die  Indicationen  für  Anwendung  von  Morphium  einerseits  und  Chloralhydrat 
andererseits  trennen  sich  scharf.  Letzteres  ist  ausschliesslich  anzuwenden  bei  mit 
Delirien  verbundenen  Pneumonien,  bei  Delirium  tremens,  und  zwar  hier  in  grossen 
Dosen  von  3,0 — 4,0  —  ohne  Zusatz  von  Morphium I  —  bei  der  Eclampsie  Schwan- 
gerer, bei  maniakalischen  Geisteskranken,  bei  Singultus,  bei  Schlaflosigkeit  älterer 
Leute  —  in  letzterem  Falle  mit  0,5  zu  beginnen. 

Morphium,  und  zwar  nur  subcutan,  ist  indicirt  bei  gastrischen  und  intestinalen 
Schmerzen,  desgleichen  bei  solchen,  die  von  den  serösen  Häuten  ausgehen,  bei  Gallen- 
steinkoüken,  bei  allen  Neuralgien,  bei  Melancholie.  Die  Dosis  ist  0,015.  Da  sich 
Morphium-Lösungen  nicht  halten,  bereitet  sich  Verf.  dieselben  am  Krankenbett,  indem 
er  eine  Spritze  voll  warmen  Wassers,  das  er  sich  eben  im  Theeiöffel  über  Licht  oder 
Lampe  bereitet,  auf  ein  Pulver  von  0,02  heraufspritzt  und  mehrmals  aufzieht  und 
wieder  ausspritzt,  bis  das  ganze  Pulver  gelöst  ist;  dann  enthält  die  Spritze  0,02. 

Per  OS  ist  Morphium  wiederum  indicirt  bei  Husten,  bei  Ulcus  ventriculi,  Dysenterie 
(2— 3mal  0,015)  und  Diarrhöen. 

Bei  bewnsstlosen  Patienten  (Eclampsia  gravidarum)  und  bei  an  Convulsionen 
leidenden  bringt  man  Chloralhydrat  am  besten  mit  durch  die  Nase  eingeführter  weicher 
Schlondsonde  bei.  Sperling. 


19)  The  treatment  of  SleepleseneBS,  by  A.  Symons  Eccles.  (The  Practitioner. 
1888.  März.) 

Gute  Erfolge  bei  Schlaflosigkeit  erzielte  E.  durch  das  heisse  Bad,  oder  heisse 
Compressen  um  den  Leib  mit  oder  ohne  vorangehendes  Kneten  des  Bauches  oder 
allgemeine  feuchte  Einwickelung,  die  individuell  verschieden  angewandt  werden  muss; 
alle   diese   Mittel   wurden  zugleich  mit  strenger  Beobachtung  einer  ruhigen  Lage  in 


—    366    — 

einem  warmen  Bett  versacht.  Das  Bett  moss  in  einem  ruhigen»  kühlen,  gut  venti- 
lirtem  Baume  stehen.  Contraindicirt  sind  diese  Methoden  hei  hochgi*adiger  Anämie, 
Aortenfehler,  Atheromatose  etc.,  in  derartigen  Fällen  sind  mehr  stimalirende  Mittel 
geeignet,  Schlaf  zu  bringen;  als  solches  empfahl  Brunton  Strychnin,  das  nach  E. 
jedoch  auf  das  vasomotorische  Centrum  wirkt  und  Contraction  der  Himgefasse  be? 
wirkt.  Bei  Herzfehlem,  functioneller  Herzschwäche  und  Circulationsstörungen  eignen 
sich  ruhende  Lage  bei  Tag  und  Nacht,  erhöhte  Nahrungszufuhr  und  systematische 
Massage  als  Schlafmittel.  Der  Kranke  muss  gleich  nach  dem  Massiren  die  Natur 
durch  seinen  Willen,  durch  die  Absicht  zu  ruhen  und  zu  schlafen,  unterstützen.  Bei 
Schlaflosigkeit  in  Folge  eines  überarbeiteten  geschwächten  Nervensystems  besteht  oft 
derartige  Hyperästhesie,  dass  die  Massage  gemässigt  und  auf  Streichen  des  Kückens, 
Reiben  der  Extremitäten,  Kneten  des  Unterleibes  mit  folgender  heisser  Compresse  um 
denselben  beschränkt  werden  muss.  Letzteres  Verfahren  wendet  er  an,  gestützt  auf 
die  Experimente  von  Goltz  und  Schüller.  Bei  Personen,  die  an  Schlaflosigkeit  in 
Folge  von  geistiger  Ueberanstrengung,  Aufregungen  des  Gemüths,  Missbrauch  von 
Narcotica,  Morphium,  Chloral  etc.  leiden  und  die  Symptome  der  erethi&chen  Neu- 
rasthenie zeigen  —  muss  man  auf  die  augenblickliche  Wirkung  dieser  Methode  ver- 
zichten. Der  mechanische  Reiz  der  Haut  ruft  anfangs  Erregungen  hervor  und  ist 
dann  die  Massage  Abends  fortzulassen  oder  3  Stunden  ev.  vor  gewünschtem  Schlaf 
anzuwenden;  monotone  sensible  Eindrücke  wirken  da  besser,  als  starke  flüchtige  Beize. 
Daher  wirken  auch  feuchte  Einwickelungen  im  ersten  Augenblick  durch  den  starken 
Hautreiz  ungünstig.  Auch  die  lange  Dauer  der  Einpackung  in  wollene  Decken  wirkt 
durch  die  Wärmeanhäufung  nicht  gut,  daher  muss  man  dieselben  allmählich  (Lage 
für  Lage)  entfernen.  Um  die  permanente,  rhythmische,  gesunde  erfrischende  Ruhe 
des  Körpers  und  Geistes  für  die  Dauer  heirzustellen,  muss  man  die  Kette  der  Uebel 
beseitigen,  welche  die  Schlaflosigkeit  zur  Folge  hatten;  und  es  empfiehlt  sich  dazu 
Ruhe  und  Schonung  des  Geistes,  Entfernung  von  den  gewohnten  Beschäftigungen, 
Ordnung  in  der  Diät,  Anregung  des  MuskelstofiFwechsels,  Anwendung  der  Massage 
oder  der  feuchten  Einpackung  vor  dem  gewünschten  Schlaf  etc.  Kalischer. 


20)  On  the  use  of  the  Hydrobromate  of  Hyosoine  in  the  treatment  of 
recurrent  and  acute  Mania,  byG.  Thompson,  Bristol  Asylum.  (The  Lancet 
1888.  Vol.  L  Nr.  5.) 

Th.  gab  0,0003  bis  0,0006  gr  Hy^^scin.  hydrobromic.  mit  bestem  Erfolg  bei 
jeder  Form  der  Manie.  Auch  die  motorische  Agitation  der  Paralytiker,  zumal  bei 
geringer  Urin-  und  Schweiss-Secretion  wird  günstig  beeinflusst.  Drei  typische  Fälle 
werden  beispielsweise  angeführt.  Th.  Ziehen. 


21)  Note  on  antipyrin  as  an  analgesic,  by  Dr.  J.  G.  Wilson.  (Joum.  of  nervous 
and  mental  disease.  1888.  XY.  p.  40.) 

Verf.  empfiehlt  lebhaft  die  Anwendung  des  Antipyrins  bei  allen  schmerzhaften 
Zuständen,  besonders  aber  bei  Neuralgien  jeder  Art,  bei  Kopfschmerzen  auf  Grund 
von  Neurasthenie  oder  Ueberarbeitung  etc.;  seine  eigenen  Erfahrungen  bei  Rheuma- 
tismus acutus  sind  dagegen  wenig  zufriedenstellend.  Er  verordnet  übrigens  ziemlich 
kleine  Dosen,  0,3 — 0,6  alle  Stunden  bis  zum  Aufhören  der  Schmerzen,  und  warnt, 
das  Mittel  auch  in  den  Pausen  zwischen  den  einzelnen  Anfällen  zu  geben,  da  es 
doch  nicht  heilend  wirkt,  aber  mit  der  Gewöhnung  an  schmerzstillender  Kraft  verliert 

Sommer. 

22)  Theine   in  pain,   by   Th.  J.  Mays.    (Joum.  of  nervous  and  mental  disease. 
1888.  XV.  p.  44.) 


—    367     — 

Sehr  warme  Empfehlung  des  Tlielns  bei  allen  Neuralgien  und  Myalgien,  beson- 
ders bei  Ischias  und  bei  Lumbago.  Es  ist  dem  Morphium  vorzuziehen,  da  es  rein 
local  auf  die  Schmerzempfindlichkeit  wirkt  und  das  Centralnervensystem  unbeeinflnsst 
lässt;  e^  liegt  daher  auch  keine  Gefahr  der  missbräuchlichen  Angewöhnung  vor.  Die 
subcutane  Dosis  beträgt  3  Centigramm  im  Mittel,  gleich  Vs  Spritze  von  folgender, 
der  besseren  Löslichkeit  wegen  vorgeschlagener  Solution:  Theln.  Natrii  benzoic.  ää  Ifl, 
Natr.  chlor.  0,05,  Aq.  destill.  10,0. 

Nur  das  Präparat  von  Merck  hat  dem  Verf.  seine  befriedigenden  Erfolge  ge- 
geben. Die  Injectionen  werden  natürlich  an  der  schmerzhaften  Stelle  und  event.  an 
mehreren  vorgenommen.  Sommer. 

23)  neber  Behandlungen  von  Lähmungen  und  Contracturen,  von  Prof.  Dr. 
Bieg  er.     (Sitzungsberichte  der  Würzburger  Phys.-med.  Ges.  1887.) 

Es  wird  besonders  auf  die  hohe  Bedeutung  der  secundären  Contractur  der 
Antagonisten  nach  peripheren  Lähmungen  eines  Muskels  oder  einer 
Muskelgruppe  hingewiesen.  Demonstration  mehrerer  Fälle  von  Lähmung  des 
Muse  deltoidee  nach  Verletzung  des  Nerv,  axillaris,  in  denen  sich  starke  Contractur 
vorwiegend  im  Fectoral.  maj.  und  Latissimus  dorsi  eingestellt  hatte,  die  activ  und 
passiv  durchaus  nicht  zu  überwinden  war  und  schon  bei  leichter  Dehnung  heftige 
Schmerzen  verursachte.  Erst  in  tiefer  Chloroformnarkose,  wenn  der  Maskeltonus 
völlig  aufgehoben  war,  gelang  es  den  Arm  zu  heben  und  dann  verhielt  er  sich  den 
passiven  Bewegungen  gegenüber  wie  der  normale  Muskel.  Ein  Beweis,  dass  es  sich 
lediglich  um  Muskelcontractur,  nicht  um  Veränderungen  der  Knochen  und  Gelenk- 
bänder handelte.  Zur  Behandlung  derartiger  Zustände,  spec.  zur  methodischen 
Dehnung  contratcurirter  Muskeln  empfiehlt  liieger  einen  einfachen  von  ihm  construir- 
ten  Apparat.  Derselbe  besteht  aus  einer  durch  Schrauben  mit  feinem  Gang  genau 
regulirbaren,  mit  Gummischeiben  versehenen  Klammer,  die  an  einem  Tische  unver- 
rückbar; doch  so  fixirt  ist,  dass  ihre  Lichtung  bald  horizontal,  bald  vertical  gestellt 
werden  kann.  Die  Extremität  mit  der  zu  dehnenden  Muskelgruppe  kann  in  der 
Klammer  stets  zum  Punctum  fixum  gemacht  werden,  während  der  Rumpf  gegen 
dieses  Punctum  fixum  bewegt  wird.  So  kann  der  Patient  auch  mit  gelähmten 
Gliedern  ohne  fremde  Beihilfe  passive  Bewegungen  ausführen. 

Der  Apparat  eignet  sich  auch  zur  Behandlung  der  TorticoUis  spastica. 

L.  F.  Hügel  (Würzburg). 

in.  Vermischtes. 

Die  Criminal-Irrenanstalt  sni  Aubum  (Kew  York)  und  das  ««Beforma- 
torium  2U  Elmira  (ebenüalls  New  York). 

Den  Jahreftberichten  über  die  erstere  Anstalt»  welche  der  Ref.  der  Liebenswürdigkeit 
des  ärztlichen  Directors  Dr.  C.  F.  Mac  Donald  verdankt,  seien  folgende  Einzelheiten  ent« 
nominen. 

Die  Anstalt  nimmt  bekanntlich  nur  criminelle  Irre  auf,   and  zwar  sowohl  irre  Ver- 
brecher ab  auch  verbrecherische  Irre  (70  °/o  ^Oonvicts"  zu  30  7o  »»Unconvicted"). 
Der  Bestand  am  1.  October  1886  betmg 
Zugang  im  Etatsjahr  1886/87 
Abgang  im  Etatsjahr  1886/87  und  zwar 
durch  Genedung 
Besserung 

Entlassung  im  un^ebesserten  Zustande   28 

Entlassung  als  nicht  geisteskrank 

Tod 

Zusammen  also 

Es  blieben  also  im  Bestände  am  80.  IX.  1887 

Der  tagliche  mittlere  Bestand  betrug  207,21  Köpfe  mit  15067  Arbeitstagen  und  169,35  Doli. 

Kosten  (incL  Slleidung)  pro  Kopf  &=  ca.  710  M.    Im  ganzen  Jahr  ist  weder  ein  Selbstmord, 


190  M. 

11  W. 

Sa.  201 

73 

6 

79 

24 

— i. 

24 

5 

1 

6 

28 

1 

24 

3 

— 

3 

6 

1 

7 

61 

3 

64 

202 

14 

216 

—     368    — 

noch  sonst  ein  Unglücksfall,  eine  geglückte  fintweichung  oder  die  Nothwendigkeit  eines 
Bestnünts  Torgekommen,  was  bei  der  hochgradigen  UeberfüUung,  die  auch  hier  herrschte, 
und  bei  dem  aas  den  Terscbiedensten  Ländern  znsammengewürfelten  Yerbrechemiaterial 
gewiss  Anerkennung  verdient.  Dabei  ist  im  Winter  regelmässiger  Schulnnterriobt  gehalten 
and  ausserdem  sind  viele  Theater-,  Concert-  und  sonstige  Vorstellungen  gegeben  worden. 

Seit  der  Eröffnung  der  Anstalt  am  2.  Februar  1859  sind  im  Ganzen  aufgenommen 
885  M.  +  45  W.  =  930  Personen,  und  genesen  entlassen  worden  244  M.  +  10  W.  «  255  Personen. 

Von  den  Aufnahmen  1886/87  1859/87 

war  Trunksucht  constatirt  bei      26  M.   2  W.      397  M.    18  W. 
und  mittlerer  Alkobolfi^enuss  bei    21  M.   3  W.      235  M.     7  W. 

Um  die  herrschende  Ueberf&llung  zu  beseitigen,  hat  die  Legislatur  des  Staates  New 
York  beschlossen,  eine  neue  Criminälirrenanstalt  för  450  Individuen  mit  250  Acres  Land 
(=100  Hectar)  und  300000  Dollars  »  1,260000  M.  Baukosten,  zu  erbauen.  Die  neue  An- 
stalt, von  der  ein  Plan  dem  letzten  Jahresberichte  über  Aubum  beigegeben  ist,  ¥drd  in 
Fishkill  am  Hudson  erbaut  und  soll  im  Februar  1890  eröffnet  werden. 

Den  Mittheilungen  ans  dem  Jahresbericht  1885/86  über  die  zweite  Anstalt  sei  zunächst 
vorausgeschickt,  dass  die  letztere  keine  Irrenanstalt  ist,  sondern  den  fast  einzig  dastehenden 
Versuch  repräsentirt,  das  Regime  einer  modernen  Irrenanstalt  auf  eine  Strafanstalt  für  jugend- 
liche und  daher  noch  besserungsfähige  Verbrecher  zu  übertragen*,  es  sollen  daselbst,  ähnlich 
wie  in  dem  Kräpelin'schen  Werke  „über  die  Abschaffung  des  Strafmaasses"  ausgefllhrt  ist» 
die  Sträflinge  auf  unbestimmte  Zeit  bis  zur  wahrscheinlich  gemachten  Besserung  nach  dem 
Gutachten  der  Anstaltsdirection  zurückbehalten  werden  können.  Bei  der  engen  Verwandt- 
schaft zwischen  moralischer  und  psychisch-somatischer  Degeneration  werden  einige  Mitthei- 
lungen über  diesen  höchst  interessanten  und  grossartigen  Versuch  nicht  unerwünscht  sein. 

Das  „Beformatorium",  1876  eröffnet,  ist  auf  Einzelhaft  eingerichtet  und  hatte  Ende 
1886  einen  Bestand  von  711  männlichen  Sträflingen.  Rückfällige  sollen  eigentlich  nicht 
mehr  aufgenommen  werden,  doch  pflegen  unter  den  neuen  Aufnahmen  doch  schon  gegen 
20®/«  vorbestraft  zu  sein.  Der  Sträfling  hat  eine  Minimalzeit  von  12  Monaten  daselbst  zu- 
zubnngen;  entlassen  kann  er  jedoch  erst  dann  werden,  wenn  er  unter  Anwendung  eines 
Markensystems  von  der  untersten  bis  in  die  oberste  Stnifstufe  vorgerückt  ist,  worauf  eine 
stets  widerrufliche  Beurlaubung  und  nach  erorobtcr  guter  Führung  die  definitive  Entlassung 
erfolgt.  Die  durchschnittliche  Dauer  bis  zur  Erreichung  der  Beurlaubung  beträgt  20,5  Monat; 
nur  bei  7,8  ^/^  der  Aufnahmen  betrug  sie  über  36  Monat  und  bei  0,7  ®/o  über  5  Jahr.  93,6  •/q 
allnr  Aufgenonunenen  sind  Eigenthumsverbrecher. 

Von  den  seit  1876  aufgenommenen  2878  Verbrechern  standen  59,6  ®/o  im  Alter  von 
16  -20,  30)2  7o  im  Alter  von  20—25  Jahren  und  10,2  ®/o  waren  älter  bis  zu  30  J.  Von  dem 
Abgang  (1707  Personen)  wurden  nur  19  =  1,1  %  einer  Irrenanstalt  überwiesen  und  nur 
2  =  0,12  ®/o  starben  durch  Selbstmord.  Von  1476  Urlaubern  verschwanden  aus  der  Beobach- 
tung 7,4  ®/o,  rückfällig  wurden  nur  8,8  ^qi  ^i^  übrigen  haben  sich  gut  gehalten  und  konnten 
definitiv  entlassen  werden.  Die  jährlichen  Kosten  pro  Kopf  betrugen  166,52  Dollars  »  700  M., 
doch  wurden  102,31  Doli,  von  Jedem  durch  den  Arbeitsverdienst  gedeckt,  und  dies  Verhält- 
niss  wird  noch  günstiger  werden,  da  seit  1886  die  Anstalt  auf  eigene  Rechnung  arbeitet. 

Unter  2378  Aufgenommenen  fand  sich  Epilepsie  oder  Geistesstörung  der  Eltern  bei 
13,6  %>  ^^^  Trunksucht  der  Eltern  starken  resp.  massigen  Grades  bei  37,5  resp.  12%. 

Neben  der  regelmässigen  Arbeit  wird  auf  Schulunterricht  grosser  Werth  gelegt:  von 
den  711  Individuen  des  Bestandes  waren  65  ^/^  bei  der  EinUeferung  fast  als  Analphabeten 
zu  betrachten,  jetzt  sind  es  nur  noch  10  %. 

Ein  im  letzten  Jahr  unternommener  Versuch,  wie  weit  kräftigste  Ernährung  mit  täg- 
lichen Bädern,  mit  Massage  und  Gymnastik,  und  Schulunterricht  auf  einige  anscheinend 
ganz  besserungsunfahige  Individuen  günstig  einwirken  könne,  hat,  soweit  sich  dies  bis  jetzt 
übersehen  Hess,  sehr  befriedigende  Enolge  gehabt. 

Zum  Scbluss  sei  noch  oemerkt,  dass  für  den  Staat  New  York  ein  zweites  „Beforma- 
torium" geplant  wird,  und  dass  die  Staaten  Massachusetts,  Ohio,  Pensvlvania  und  Kansas 
^nUche  Anstalten  mit  discretionärer  Dauer  der  Straf haft  eingeführt  haben  oder  doch  im 
Begriff  stehen  einzuführen.  Sommer. 


Th.  Ribot  hat  seine  Vorlesungen  über  experimentelle  und  vergleichende  Psychologie 
am  College  de  France  mit  einem  Vortrag  „la  psychologie  contemporaine"  eröffnet  Er  giebt 
darin  eine  klare  Uebersicht  über  die  neueren  psychologischen  Arbeiten  in  Frankreich,  Eng- 
land, Deutschland  und  Italien.  Bezüglich  der  deutschen  Psychophysik  fragt  er  bei  aller 
Anerkennung,  ob  sie  stets  innerhalb  ihrer  Grenzen  bleibe  und  nicht  zuweilen  zur  Metaphysik, 
Erkenntnisstheorie,  Dialektik  etc.  abschweife.    (Revue  scientifique.  1888.  Nr.  15.) 

Th.  Ziehen. 


Verlag  -von  Vbit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzorb  &  Wittig  in  Leipzig. 


Neurologisches  Centralbutt 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskranicheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  "« ^^  Jahrgang. 

Monatlich  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  20  Mark.   Zu  beasiehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 

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1888.  L  Jnli.  N^  13. 

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Inhalt  I.  OrigiRalmIttheilungen.  1.  Die  Spondylarthritis  synovialis,  von  A.  Catpari. 
2.  Einige  therapeutische  Versuche  mit  der  Hypoose,  Yon  Dr.  Sperling  (Fortsetzung^. 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  üeber  die  Leitungsbahn  des  Lichtreizes  von  aer  Netz- 
baut des  Auges  zum  Neryns  ocülomotorius,  von  Darittctiewlttch,  2.  üeber  die  Beziehung 
d«B  Nervus  accessorius  zu  den  Nn.  vagns  und  hypoglossus,  von  Deet.  —  Experimentelle 
Physiologie.  8.  Expäriences  sur  les  fonctions  motrioes  du  cerveau,  par  Dupuy.  4.  Calori- 
memsche  Untersuchungen  über  die  Wärmeproduction  und  Wärmeabgabe  des  Armes  an  Qe- 
Bunden  und  Slranken,  vonC.  Rosenthal.  —  JPathologische  Anatomie.  5.  Veränderungen 
der  nervösen  Centralorgane  in  einem  Falle  von  cerebraler  Einderlähmung,  von  Wallenberg. 
6.  Bioerohe  suUe  alterazioni  del  midoUo  spinale  conoomitanti  le  lesioni  cerebellari,  dei  Martl- 
nettt  e  Mercandlno.  7.  Microscopical  studies  in  a  case  of  pseudohypertrophic  paralysis,  by 
Jacobl.  —  Pathologie  des  Nervensystems.  8.  Sur  une  affection  caracterisäe  par  de 
l'astasie  et  de  l'abasie,  par  Blocq.  9.  Chorea,  by  8t.  Mackanzie.  10.  Etiology  of  Chorea,  by 
Porter.  11.  Case  of  rapidly  fatal  Chorea;  death  in  130  hours.  Bericht  von  Cook  u.  Beale. 
12.  Senile  Chorea,  bv  Suckling.  18.  Zur  Lehre  von  der  Chorea  minor,  von  Koch.  14.  Ein 
Fall  von  imitatorischer  Chorea  mit  tödtlichem  Ausgange,  von  Schwrarz.  15.  Paramiodono 
multiplo,  rassegna  pel  Seppüll.  -16.  Two  cases  of  hemichorea  associated  with  Brig^f  s  disease, 
by  Darfcom. 

III.  Aus  dan  Gaseiltchaftan.  Berliner  Gesellschaft  für  Psychiatrie  u.  Nervenkrankheiten, 
Sitzung  vom  11.  Juni  1888.  —  XIII.  Wanderversammlung  sfld westdeutscher  Neurologen  u. 
Irrenärzte  zu  Freiburg,  1.  Sitzung  am  9.  Juni  1888.  —  Sociöte  de  Biologie,  Paris.  Sitzung 
vom  4.  Febr.  1888. 

IV.  Bibliographie.  Der  Verbrecher  in  anthropologischer,  ärztlicher  und  juristischer  Be- 
ziehung, von  C.  Lombroto.  In  deutscher  Bearbeitung  von  Fraankal«  Mit  Vorwort  von  Prof. 
Dr.  jur.  V.  Klrchanbalin. 

V.  Personalien. 
VI.  Vermischtes. 


I.  Originalmitfheilungen. 


1.    Die  Spondylarthritis  synovialis. 

Von  A.  Gaspari  in  Moskau. 

In  der  „ESinik  der  Gelenkkrankheiten''  yon  Dr.  Hubtbb  finden  wir  die 
Beschreibung  einer  Wirbelerkrankong,  welche  von  anderen  Autoren,  soweit  die 
betreffende  Litteiator  mir  zu  Gebote  stand,  gar  nicht  erwähnt  wird,  nämlich 

28 


—     370    — 

die  Entzündung  der  Gelenke  der  Process.  obliq.,  und  zwar  in  Form 
einer  leichten  SjnoTitis.  Nach  Hüeteb  kommt  an  der  Hatewirbelsaale  diese 
Form  ziemlich  häuJ&g  vor,  viel  häufiger  als  die  Entzündung  der  WirbelkSrper, 
aber  auch,  wie  die  letztere,  vorwiegend  im  kindlichen  Alter:  „Schon  die  Be- 
tastung stellt  meist  die  Diagnose  fest,  indem  es  gelingt,  die  Schmerzhaftigkeit 
auf  der  einen  Seite  und  zwar  um  einige  Centimeter  seitwärts  von  den  Proc. 
spinös,  nachzuweisen,  während  bei  Myelitis  granulosa  die  Betastung  auf  beiden 
Seiten  und  ganz  besonders  die  Betastung  der  Proc.  spinös,  schmerzhaft  empfunden 
wird.  Sollte  noch  im  Beginn  der  Krankheit  ein  Zweifel  bestehen,  so  lösjk  er 
sich  bald  durch  den  Verlauf.  Die  meisten  Fälle  von  Synovitis  der  Qeienke  der 

Proc.  obliq.  heilen  schnell,  ohne  eine  Störung  zu  hinterlassen die 

Myelitis  granulosa  der  Halswirbelkörper  aber  bildet  sich  nicht  schnell  zurück  . . .'/ 
Weiter  geht  Hueteb  mit  seiner  Beschreibung  nicht  Viele  Jahre  sind  seitdem 
vergangen  und  in  der  Litteratur  ist  nicht  die  geringste  Abhandlung  aufzuweisen, 
welche  diesen  Gegenstand  besprochen  hätte.  ^  Und  doch  ist  die  Spondylarthritis 
synovialis  eine  Krankheit,  die  nicht  nur  wirklich  existirt,  sondern  auch  (wenigstens 
in  Bussland)  ganz  ungemein  häufig  vorkommt.  In  einer  grösseren  Abhandlung, 
die  nächstens  in  russischer  Sprache  erscheinen  wird,  werde  ich  die  Spondyl- 
arthritis synovialis  detaillirt  besprechen  und  mit  zahlreichem  casuistischem 
Material  beleuchten.  Hier  will  ich  nur  die  wichtigsten  klinischen  Thatsachen 
als  Ergebnisse  jahrelanger  Beobachtung  mittheilen. 

1.  Zunächst  ist  hervorzuheben,  dass  die  Synovitis  vertebralis  in  jedem  Alter 
vorkommt;  ob  bei  Kindern  öfter  als  bei  Erwachsenen,  bin  ich  nicht  in  der  Lage 
zu  entscheiden;  mein  Beobachtungsmaterial  bezieht  sich  beinah  ausschliesslich 
auf  letztere  und  gerade  in  dieser  Hinsicht  kann  ich  mit  der  grössten  Bestimmt- 
heit behaupten,  dass  diese  Form  der  Wirbelerkrankung  eine  überaus  häufige  ist. 

2.  Die  Synovitis  vertebralis  kommt  an  allen  Abschnitten  der  Wirbelsäule 
vor,  am  häufigsten  aber  am  Cervicaltheile,  dann  an  den  Lendenwirbeln,  kann 
aber  auch  mitunter  an  demselben  Subjecte  die  Gelenkfortsätze  der  ganzen  Wirbel- 
säule afficiren. 

3.  Am  Brusttheile  der  Wirbelsäule  habe  ich  die  Krankheit  bis  jetzt  nur 
einseitig  beobachtet;  an  den  Hals-  und  Lendenwirbeln  kommt  sie  aber  recht 
häufig  doppelseitig  vor. 

4.  Klinisch  äussert  sich  die  uncomplicirte  Synov.  vertebr.  am  Hals-  und 
Lendenabschnitte  durch  folgende  Erscheinungen;  a)  Schmerzhafte  Spannung, 
oder  vielmehr  Steifigkeit  an  den  betrefienden  Partien,  bei  jeder  activen  oder 
passiven  Bewegung;  in  sehr  acuten  Fällen  meiden  die  Patienten  jede  Bewegung 
mit  dem  Kopfe;  Husten,  ja  sogar  Schlucken,  steigert  den  Schmerz  bis  zum  Un- 
erträglichen (bei  Localisation  am  Halse),  b)  Ausgesprochene  Druckempfindlich- 
keit der  betreffenden  Fortsätze  neben  Schmerzlosigkeit  der  übrigen  Wirbeltheile. 
c)   Durch  Betastung  nachweisbare  Spannung  der  gleichseitigen  Nacken-  oder 

^  Braun  in  seiner  Monographie*.  „Klinische  and  anatomische  Beitrage  zur  Lehre  Ton 
der  Spondylitis  defomians,  als  einer  häufigen  Ursache  der  Irritatio  spinalis.  1B87"  bespricht 
eine  unheilbare  Erkrankung  der  Wirbel,  die  ungleich  seltener  auftritt  als  die  uni  interessireode. 


—     371     — 

Lendenmuskeln  mit  oder  ohne  Schiefhaltoo^.  —  Diagnostisch  kann  dieses  Symp- 
tom aber  nnr  bei  gleichzeitigem  Vorhandensein  der  sab  a  und  b  angegebenen 
verwerthet  werden,  d)  Nach  abgelaufenem  acuten  Stadium  (3—8  Tage)  ist 
meist  nur  noch  Druckschmerz  nachzuweisen,  der  viele  Wochen,  ja  Monate  per- 
sistiren  kann,    e)  In  seltenen  Fällen  kommt  leichtes  Fieber  —  bis  39®  —  vor. 

5.  Die  bei  weitem  wichtigste  Complication  der  Spondyl.  synov.  ist  die  Neu- 
ritis descendens;  ob  dieselbe  in  allen  Fällen  vorkommt,  aber  der  geringen  Aus- 
dehnung wegen  während  des  acuten  Stadiums  nicht  nachweisbar  ist,  habe  ich 
nicht  entscheiden  können;  soviel  aber  steht  fest,  dass  in  den  meisten  Fällen 
schon  nach  3tägigem  Bestände  der  Synovitis  die  Plexus  am  Halse  auf  Druck 
höchst  schmerzhaft  sind,  und  gerade  dieses  Symptom  ist  klinisch  von  der  grössten 
Wichtigkeit,  weil  es  auf  den  Beginn  eines,  erst  später,  nach  Wochen  oder  Mo- 
naten auftretenden  Leidens  hinweist,  nämlich  einer  schleichenden  Neuritis  descend. 
Der  genetische  Zusammenhang  solcher  Neuritiden  mit  einer  vorhergegangenen, 
in  manchen  Fallen  schon  abgelaufenen,  in  anderen,  zur  Zeit  noch  bestehenden 
Synovit.  vertebral.  ist  meis£  leicht  nachzuweisen.  In  klassischen  Fällen  gestaltet 
sich  der  Gesammtverlauf  folgendermaassen :  Patient  consoltirt  den  Arzt  wegen 
Schmerzhaftigkeit  im  Nacken,  die  Untersuchung  ergiebt  Druckschmerz  in  der 
Gßgend  der  Proo.  obliq.,  schmerzhafte  Spannung  der  gleichseitigen  Nacken- 
muscttlatur  und  dadurch  bedingte  Schie&tellung  des  Kopfes;  active  und  passive 
Bew^ungen  des  Kopfes  sind  schmerzhaft,^  Druck  auf  Halsplexus  ist  meist 
auch  sehr  empfindlich;  nach  einigen  Tagen  (3 — 8)  verschwinden  alle  subjective 
Beschwerden,  die  Kopfbewegungen  werden  frei,  Patient  hält  sich  far  gesund 
und  entzieht  sich  der  Beobachtung.  Thatsächlich  ist  aber  der  Patient  in  den 
allermeisten  Fällen  noch  nicht  gesund,  denn  bei  manueller  Untersuchung  er- 
weisen sich  gewöhnlich  die  Plexus  auf  Druck  noch  mehr  oder  weniger  em- 
pfindlich; die  Synovitis  ist  vergangen,  die  consecutive  Neuritis  noch  nicht,  und 
hat  man  Gelegenheit  den  Patienten  in  grösseren  Zeitabschnitten  zu  untersuchen, 
so  kann  man  Schritt  für  Schritt  das  Descendiren  der  Neuritis  beobachten.  Bei 
Synovitis  im  Lendenabschnitte  ist  das  Bild  ein  ähnliches  —  man  glaubt  einen 
gewöhnlichen  Fall  von  Lumbago  vor  sich  zu  haben,  und  zwar  um  so  eher,  als 
Muskelspannungen  selten  vermisst  werden;  nach  Wochen  oder  Monaten  aber 
.hat  man  es  mit  einer  Neuritis  ischiadica  (oft  duplex)  zu  thun. 

Hat  man  nun  einige  Male  Gelegenheit  gehabt  den  ganzen  Hergang,  vom 
ersten  Beginne  der  Synovitis  bis  zur  schliesslichen  Neuritis  zu  verfolgen,  so 
bietet  es  durchaus  keine  Schwierigkeit,  sich  ätiologisch  diejenigen  Fälle  zu 
deuten,  wo  der  Patient  einer  „reinen  Neuritis^'  wegen  die  Hülfe  des  Arztes  in 
Anspruch  nimmt  In  mehr  als  der  Hälfte  der  Fälle  wird  der  Patient  sich  er- 
innern, dass  seine  Krankheit  mit  Schmerzen  im  Nacken  und  Bücken  begonnen 
hat,  und  die  Erscheinungen  der  Neuritis  an  Schulter,  Arm,  Bein  etc.  erst  viel 
spater  aufgetreten  sind.  Nur  muss  man  den  Patienten  auf  diesen  Zusammen- 
hang aufmerksam  machen,  von. selbst  redet  er  gewöhnlich  nicht  über  Schmerzen, 
die  er  vor  vielen  Wochen  oder  Monaten  gehabt  hat  und  angeblich  spurlos  ver- 

*  Das  Bild  eines  gewöhnlichen  Torticoll.  rhemnatic. 

23* 


—    S72    — 

schwunden  sincL  Am  sichersten  geht  der  Arzt,  wenn  er  es  nicht  anterlässt, 
neben  •  den  Nervenstämmen  auch  die  entsprechenden  Gelenkfortsatze  der  Wirbel- 
säule auf  Druck  zu  untersuchen. 

Die  häufigste,  vielleicht  die  einzige  Ursache  der  Spondylarthr.  synov.  ist 
Erkältung.^  Dass  Hals-  und  Lendenwirbel  am  frequentesten  afficirt  werden, 
erklärt  sich  am  einfachsten  dadurch,  dass  gerade  diese  Partien  am  leichtesten 
transpiriren  und  deswegen  fOr  Erkältung  viel  empfindlicher  sind.  Diese  Ansicht 
stimmt  auch  vollkommen  überein  mit  meinen  Beobachtungen.  Die  Synovitis 
vertebr.  an  den  Lenden  habe  ich  beinah  ausschliesslich  bei  Frauen  der  unbe- 
mittelten  Klasse  beobachtet  und  zwar  meist  im  Sommer,  weil  zu  dieser  Jahres- 
zeit bei  ihnen  die  Gewohnheit  herrscht^  die  Beinkleider  abzulegen.  Die  Art 
und  Weise,  wie  sich  der  Patient  die  Erkältung  zuzieht,  wird  im  gegebenen 
Falle  stets  leicht  zu  erfolgen  sein,  nur  muss  ich  betonen,  dass  es  absolut  noth- 
wendig,  den  Modus  zu  eruiren,  wenn  man  den  Patienten  vor  Becidiven  schützen 
will.  In  einem  Falle  konnte  ich  mit  der  grössten  Bestimmtheit  nachweisen, 
dass  die  nächste  Ursache  des  Schwitzens  und  der  nachträglichen  Erkältung  der 
Lendensäule  im  permanenten  Tragen  eines  Leistenbruchgürtels  zu  suchen  war. 

Die  differentielle  Diagnose  ist  in  den  allermeisten  Fällen  sehr  leicht, 
besonders  wenn  der  Arzt  nicht  unterlässt,  die  Localuntersuchung  am  blossen 
Körper  vorzunehmen.  Es  kommen  aber  Fälle  vor,  wo  eine  einmalige,  noch  so 
gewissenhafte  Untersuchung  im  Stiche  lässt,  und  nur  längere  Beobachtung  Auf- 
klärung verschafft.  An  hysterischen  und  neurasthenischen  Subjecten  trifft  man 
zuweilen  nicht  die  Dom-,  sondern  die  Gelenkfortsätze  auf  Druck  äusserst 
empfindlich;  existirt  zugleich  Druckschmerz  an  Plexus  und  Nervenstänmien 
(einfache  Hyperästhesie),  so  kann  man  den  Fall  für  Synovitis  mit  consecutiver 
Neuritis  halten;  weitere  Beobachtung  aber  bringt  bald  Aufklärung.*  In  Aus- 
nahmsfällen könnte  man  auch  anf  den  Gedanken  einer  cerebralen  Erkrankung 
kommen;  eine  Patientin  consultirte  mich  wegen  grosser  Schwäche  und  Ver- 
taubungsgefühls  an  der  ganzen  linken  Körperhälfte  mit  Ausnahme  des  Kopfes; 
die  Symptome  hatten  sich  allmählich  im  Verlaufe  von  Monaten  entwickelt;  bei 
näherer  Untersuchung  aber  constatirte  ich  einseitige  Spondylarthritis  synov.  längs 
der  ganzen  Wirbelsäule  und  multiple  Neuritis  bei  absolutem  Mangel  irgend- 
welcher Himsymptome;  nach  geeigneter  Behandlung  erfolgte  schnelle  Heilung. 

Was  schliesslich  die  Behandlung  betrifft,  so  bediene  ich  mich  stets  der 
von  HtTETEB  (a.  a.  0.)  angegebenen  Garboltherapie;  modificirt  habe  ich  dieselbe  nur 
insofern,  als  ich  an  Stelle  der  in  8%  CarboUösung  getauchten  Watteplatten  sehr 
häufig  2^0  Carbolinjectionen  (5 — 10  Spritzen  täglich)  gebrauche  und  zwar  nicht 
nur  bei  acuten,  sondern  auch  bei  chronischen  Fällen  von  Synovitis  vert    Ich 

^  Dass  Entzündung  der  Gelenkfortsätze  auch  bei  Polyarthritis  acuta,  bei  Spondylitis 
deform.,  pyämischen  Processen  Yorkomnit,  ist  aUgemein  bekannt 

*  Idi  habe  eine  hysterische  Dame  längere  Zeit  in  Beobachtung  gehabt,  welche  Symp- 
tome der  infectiösen  Polyneuritis  darbot,  und  die  Diagnose  um  so  eher  gerechtfertigt  sdiien, 
als  die  Schmerzen  in  den  Nerrenstämmen  von  wochenlangem  Fieber  begleitet  waren,  und 
doch  erwiesen  sich  später  alle  Encheinungen,  sogar  die  Temperaturerhöhung  rein  hysterischen 
Ursprungs. 


—    873    — 

sfawse  die  Canüle  einer  Fravaz'schen  Spritze  dem  in  Bauchlage  befindlichen 
Patienten  direct  gegen  die  Oelenkfortsätze ;  die  Wirkung  ist  eine  ungleich 
schnellere^  und  nie  habe  ich  danach  Intozicationserscheinungen  beobachtet,  da> 
g^en  selur  häufig  nach  3— 5tagigem  Gebrauche  3— 4^/o  Carbolcompresse.  Gegen 
die  consecutive  Neuritis  applicire  ich  die  Garbolsaure  beinah  ausschliesslich  sub- 
cutan. Am  edatantesten  erweist  sich  der  Erfolg  in  chronischen  Fällen,  wo  die 
conseoutiTe  Neuritis  das  dominirende  Symptom  ist  und  andere  therapeutische 
Maassr^ln  (Galvanisation,  Thermocauter  etc.)  längere  Zeit  erfolglos  angewandt 
wurden.  Bei  sicherer  Diagnose  habe  ich  bis  jetzt  noch  keinen  einzigen  Miss- 
erfolg  erlebt;  in  zweifelhaften  Fällen  kann  die  Garboltherapie  sogar,  die  Diagnose 
insofern  unterst&tzen,  als  bei  rein  nervösen  Schmerzen  die  Garbolsaure  sich  ganz 
wirkungslos  erweist  Die  Wirkung  der  Garbolsaure  ist  keine  palliative,  sondern 
eine  curative,  nur  ist  manchmal  Ausdauer  in  der  Behandlung  absolut  nothwendig. 


2.    Einige  therapeutische  Versuche  mit  der  Hypnose. 

Von  Dr.  Sperling,  Berlin. 

Aus  der  Poliklinik  f(tr  Nervenkrankheiten  von  Prof.  Büi^enbubg 

und  Prof.  Mendel. 

(FortBetznng.) 

n. 

Bei  einem  zweiten  Falle  von  Hystero-EpQepsie  erzielte  ich  zwar  keinen  so 
glanzenden  Erfolg,  aber  immerhin  Besultate,  die  bemerkenswerth  genug  sind. 
Die  betreffenden  Krankengeschichten,  welche  der  Chronicität  dieser  Krankheit 
entsprechend  meist  von  bedeutender  Länge  sind,  sollen  hier  nur  in  Kärze  mit- 
getheilt  werden. 

Frau  ScL,  26  Jahre  alt»  die  als  Mädchen  an  Chlorose  gelitten  und  auch  jetzt 
noch  über  Dysmenorrhoe  zu  klagen  hat»  im  Allgemeinen  von  kräftigem  Körperbau,  ver- 
fUlt  nach  emem  im  Mai  1885  durchgemachten  Wochenbett  in  eine  schwere  Er- 
schCpfangsnenrose,  von  der  sie  sich  nnr  langsam  erholen  kann.  Während  dieser  Zeit 
erzählt  ihr  eines  Tages  eine  Bekannte  von  einer  »»schaarigen"  Operation,  die  sie  bei 
vollem  Bewusstsein  dorehgemacht,  und  der  Eindruck  dieser  Erzählnng  auf  unsere 
Patientin  äussert  sieh  in  einem  hysterischen  Anfall,  bei  welchem  vasomotorische  Er- 
scheinungen die  Hauptrolle  gespielt  zu  haben  Schemen:  Leichenblässe  des  Gesichts 
nach  zuerst  eingetretener  grosser  Böthe,  Salivation  u.  s.  w.  bei  allgemeiner  Uebelkeit, 
aber  erhaltenem  Bewusstsein.  Die  Sprache  soll  ihr  unmittelbar  darauf  versagt  haben. 

Einige  Wochen  später  wiederholte  sich  dieser  Anfall  bei  Gelegenheit  einer  anderen 
,,8Chaurigen"  Erzählung,  war  aber  jetzt  mit  einem  „Schlagen  des  Kopfes^'  und  mit 
„Schflttehi  und  Schlagen"  im  ganzen  Körper  verbunden.  Solche  Anfölle  dauerten  bis 
zu  einer  halben  Stunde  und  traten  mehrere  Monate  lang  täglich,  ja  oft  auch  5  bis 
6mal  an  einem  Tage  auf.  So  blieb  der  Zustand  bis  zum  November  1887;  nur  zwei- 
mal traten  ganz  krampffreie  Pausen  von  14  Tagen  und  3  Monaten  ein,  während  im 
üebrigen  Besserung  und  Verschlechterung  mit  und  ohne  besondere  Ursache  mit  ein« 
ander  abwechselten. 


—    374    — 

Im  KoYember  1887  sah  ich  die  Pai  zum  ersten  Mal.  Die  somatiscbe  genaue 
Uniersuchnng  ergab  keine  positiven  Besoltate,  abgesehen  von  einer  enorm  grossen 
Empfindlichkeit  aller  Nervenst&mme  gegen  mechanische  Beizung.  Bald  liessen  sich 
auch  solche  Punkte  constatiren,  durch  deren  Druck  man  die  Krämpfe  hervorrufen 
konnte,  besonders  spielte  die  Ualsgegend  in  dieser  Beziehung  eine  hervorragende 
Bolle.  Dieselben  verliefen  in  der  Weise,  dass  in  Verbindung  mit  einem  tiefen  Seufzer, 
mit  einem  Schluchzen  oder  Aufschrei,  ein  Zittern  der  Augenlider  begann;  die  Stirn 
zog  sich  in  Falten,  die  Augen  wurden  gedreht  und  gerollt,  die  Zähne  pressten  sich 
fest  aufeinander,  der  Kopf  wurde  nach  hinten  übergezogen  und  unter  dem  Ausstossen 
aller  möglichen  unartikulirten  Laute  vollzog  sich  eine  tonische  Beugecontractur  der 
Arme  und  eine  Streckcontractur  der  Beine.  Mit  einer  tiefen  Exspiration  liessen 
dann  alle  diese  Erscheinungen  nach,  um  nach  kurzer  Pause  sich  in  derselben  Weise 
zn  wiederholen.     Ueber  den  Anfall  bestand  fast  voilkommne  Amnesie. 

Nachdem  schon  der  ganze  Arzneischatz  erschöpft  und  auch  von  keinem  Mittel 
ein  nur  geringer  Erfolg  hatte  gerühmt  werden  können,  versuchte  ich  es  mit  der 
Hypnose.  Es  war  nicht  schwer,  einen  leichten  hypnotischen  Zustand  hervorzurufen, 
jedoch  war  der  Eintritt  desselben  von  einem  Krampfausbruch  heftiger  Art  begleitet» 
der  indess  bald  von  einer  voUkommnen  Buhe  gefolgt  war.  Bei  der  zweiten  nur  durch 
Zudrücken  der  Augenlider  und  durch  Suggestion  hervorgerufenen  Hypnose  zeigte  sich 
nur  —  ganz  wie  im  vorigen  Falle  —  eine  Andeutung  des  Krampfes.  Darauf  folgte 
eine  krampffreie  Pause  von  2  Tagen;  zugleich  waren  die  heftigen  Schmerzen  im 
linken  Bein, .  worüber  Patientin  in  der  letzten  Zeit  beständig  geklagt  hatte,  voll- 
kommen geschwunden.  Nunmehr  änderte  sich  der  Charakter  der  Krämpfe,  indem 
stets  ein  Laohkrampf  in  den  Vordergrund  trat,  während  die  Bewegungen  der  Ex- 
tremitäten fast  fortfielen.  Jedoch  gelang  es  Mitte  December  v.  J.,  zu  Demonstrations- 
zwecken, Krämpfe  der  alten  Art  wieder  hervorzurufen,  denen  dann  leichtere  Ausbrüche 
in  den  nächsten  Tagen  häufig  folgten.  Dieselben  konnten  durch  eine  fernere  Hyp- 
nose —  die  fQnffee  —  wieder  beseitigt  werden,  obwohl  in  dieser  wie  in  der  ersten 
sich  ein  heftiger  Anfall  auslöste  und  in  Folge  der  durcu  Prüfung  kataleptischer  Er- 
soheinungen  u.  s.  w.  etwas  ausgedehnten  Sitzung  sich  nach  derselben  Uebelkeit  und 
Mattigkeit  eingestellt  hatten. 

Volle  4  Wochen  war  unsere  Patientin  von  Krämpfen  frei,  so  dass  sie  sich  eines 
grossen  Wohlbefindens  erfreuen  konute.  Nach  Ablauf  dieser  Zeit  erwies  sich  ein 
jäher  Schreck  als  Störenfi-ied,  jedoch  blieb  die  üble  Wirkung  desselben  auf  einen 
Anfall  beschränkt.  Ohne  Ursache  traten  dann  nach  etwa  8  Tagen,  verbunden  mit 
Kopfschmerzen  zwei  bis  drei  Anfälle  hinter  einander  auf,  nach  ferneren  8  Tagen 
wieder  mehrere,  und  so  blieb  es  im  Februar  und  der  ersten  Hälfte  des  März,  während 
welcher  Zeit  sich  die  Pai  ans  unbekannten  Gründen  der  Behandlung  entzogen  hatte. 
Am  16.  März  kam  sie  dann  wieder,  wurde  hypnotisirt,  hatte  darauf  noch  drei  Anfälle 
und  dann  Buhe  während  4  Wochen.  Eine  Wiederholung  trat  ein  am  15.,  16.  und 
17.  April,  dann  wieder  am  28.  post  coitum.  Seitdem  ist  Fat  bis  heute  (10.  Mai) 
von  solchen  Zufällen  verschont  geblieben,  jedoch  fühlt  sie,  dass  „es  sich  hin  und 
wieder  meldet'',  aber  sie  kann  es  jedesmal  unterdrücken;  ihr  Allgemeinbefinden  lässt 
dabei  wenig  zu  wünschen  übrig. 

Dieser  Fall  onterscheidet  sich  in  mehreren  Punkten  wesentlich  von  dem 
vorbeigehenden.  Vor  Allem  ist  die  letztere  Patientin  für  die  Suggestion  in  der 
Hypnose  lange  nicht  so  empfänglich,  wie  jener  junge  Mensch,  der  mit  stannens- 
werther  Pracision  darauf  reagirte.  Eine  Untersuchung,  worauf  dies  im  Einzelnen 
zu  beziehen  wäre,  würde  hier  zu  weit  führen.  In  Folge  dessen  musste  auch 
der  Erfolg  der  Behandlung  hinter  jenem  zurückbleiben.  Aber  ausserdem  standen 
demselben  in  diesem  Falle  noch  mehr  Hindemisse  entgegen,  als  in  jenem: 


—    375    — 

onglookliche  häusliche  Yerhaltnissey  die  za  fortwährendem  Aerger  und  Auf- 
regnngen  fährten,  schlechte  pekuniäre  Lage,  die  eine  Trennung  von  den  häus- 
lichen Geschäften  nicht  ermöglichte,  ungesunde  Wohnung  u.  a.  m.  Schliesslich 
aber  ist  nicht  zu  vergessen,  dass  die  Methode  der  Behandlung  viel  zu  wünschen 
übrig  gelassen  hat.  Vor  AUem  ist  hier  eine  sorgßltige  elektrische  Therapie, 
wie  ich  sie  für  solche  Fälle  nebenbei  als  unbedingt  erforderlich  halte,  aus  nahe- 
liegenden Gründen  weggefallen;  auch  konnten  Diätvorschriften  nicht  so  genau 
befolgt  werden,  und  was  die  hypnotische  Eur  selber  anbelangt,  so  wären  darin 
die  allergrössten  Fehler  gemacht  worden,  wenn  man  nur  das  therapeutische 
Interesse  hätte  verfolgen  wollen.  Indess  kam  es  mir  hier  speciell  darauf  an, 
durch  Experimente  während  des  hypnotischen  Zustandes,  deren  Erwähnung  ich 
unterlassen  habe,  meine  eigne  Erfahrung  zu  bereichem.  Der  Werth  indess, 
welcher  der  Hypnose  hier  beizumessen  ist,  ergiebt  sich  aus  den  in  den  Monaten 
Februar  und  März  gehäuften  Anfallen,  bei  welchen  es  durch  die  Schuld  der 
Patientin  unterlassen  wurde,  denselben  Einhalt  zu  thun. 

m. 

Der  dritte  Fall,  auf  welchen  ich  die  neue  Heilmethode  angewandt  habe, 
zeigte  sich  wiederum  durch  den  Erfolg  dankbarer. 

Es  handelte  sich  um  ein  22jähriges  ziemlich  robustes,  aber. hereditär  belastetes 
junges  Mädchen  (H.  E.)»  welches  plötzlich  auf  der  Strasse  zusammensank  und  in  ein 
Haus  getragen  wurde,  wo  ich  zufällig  Gelegenheit  hatte,  sie  zu  beobachten.  Bei 
vollkommnem  Verlust  des  Bewusstseins  befanden  sich  die  Finger  beider  Hände  in  so 
starker  Contractur,  dass  es  die  grOsste  Kraftanstrengung  kostete,  um  sie  zu  öffnen, 
die  Kiefer  waren  fest  auf  einander  gepresst,  die  weiten  Pupillen  reagirten  gut^ 
schmerzhafte  Nadelstiche  an  den  Händen  wurden  mit  karzen  Seufzern,  aber  keiner 
Abwehrbewegung  beantwortet.  Es  gelang  mir,  diesen  Anfall  durch  Druck  auf  die 
linke  Ovarialgegend  zu  coupiren.  Wenn  dies  schon  als  Zeichen  für  die  Natur  des* 
selben  gelten  musste,  so  sprachen  die  ferneren  Klagen  der  Patientin:  anhaltender 
heftiger  Stimkopfschmerz,  Schmerzgefühl  unter  der  rechten  Brust,  Gefühl  einer  im 
Halse  steckenden  Kugel,  bei  absolut  nicht  nachweisbaren  somatischen  Veränderungen 
mit  Sicherheit  für  die  Diagnose  eines  hystero-epileptischen  Anfalls.  Unmittel- 
bar danach  fühlte  sich  Patientin  ausserordentlich  matt,  wie  denn  überhaupt  ihr 
Allgemeinbefinden  während  der  letzten  acht  Tage,  sowie  Appetit,  Stuhlgang  und 
Schlaf  viel  zu  wünschen  übrig  liessen.  Eine  Veranlassung  zu  dem  plötzlichen  Auf- 
treten des  Krampfes  konnte  durchaas  nicht  festgestellt  werden. 

Eine  Wiederholung  desselben  folgte  in  der  Nacht  und  dauerte  etwa  eine  Stunde. 
Bei  Tage  und  bei  Nacht  traten  nun,  zweimal,  auch  dreimal  in  24  Stunden,  solche 
Anfälle  auf,  ohne  dass  auch  nur  ein  Tag  übersprungen  wurde,  und  so  ging  es 
9  Tage  lang  bis  zum  25.  April  d.  J.  fort.  Dabei  hatte  sich  das  Allgemeinbefinden 
erheblich  verschlechtert,  zumal  der  Kopfschmerz  unerträglich  geworden  war.  Brom- 
präparate in  Dosen,  wie  sie  bei  der  Epilepsie  verordnet  werden,  hatten  durchaus 
keinen  Erfolg,  ja  es  war  überhaupt  nicht  die  leiseste  Wirkung  davon  zu  verspüren, 
ond  es  blieb  sich  ganz  gleich,  ob  das  Brom  an  einem  Tage  genommen  wurde  öder 
nicht,  der  Krampf  wiederholte  sich  eben  mit  grosser  Begelmässigkeit. 

So  lange  hatte  ich  gewartet,  um  über  den  muthmaasslichen  Verlauf  der  Krank- 
heit ein  ungefähres  Urtheil  zu  gewinnen.  Am  25.  April  leitete  ich  die  erste  Hyp- 
nose ein,  welche  leicht  gelang  und  voUkommne  Amnesie  für  das  dabei  Gesprochene 
n.  s.  w.  hinterliess.  Unmittelbar  darauf  fühlte  sich  Patientin  erheblich  wohler, 
„leichter^',   insbesondere  war  der  Kopfschmerz  vermindert»  die  Nacht  wurde  besser 


—    876    — 

verbracht,  und  auch  fQr  den  nächsten  Tag  hielt  die  BeBserung  an,  bis  am  Vormittog 
nnter  Kopfschmerz  als  Vorbote  sich  wiederum  ein  Krampf  von  einatündiger  Dauer 
mit  Bewusstseinsverlust  einstellte.  Am  26.,  27.  und  28.  wurde  die  zweite^  dritte 
und  vierte  Hypnotisation  vorgenommen,  um  noch  diese  und  jene  krankbafbe  Erschei- 
nung zu  bannen  und  den  Gedanken  an  die  üeberwindbarkeit  der  An^e  immer  fester 
zu  suggeriren.  In  der  That  verlief  auch  der  27.  und  28.  ganz  ohne  Störung  bei 
bedeutend  gehobenem  Allgemeinbefinden,  bis  am  29.  Abends  wiederum  ein  Krampf 
von  einstündiger  Dauer  und  einige  Zeit  sp&ter,  bevor  sich  Patientin  zu  Bett  legte, 
ein  Schwindelanfall  auftrat.  Letztere  Erscheinung  begrOsste  ich  mit  Freude  als  einen 
Uebergang  zu  einem  leichteren  Aequivalent,  eine  Auffassung,  die  sich  späterhin  auch 
bestätigen  sollte.  Jedoch  erneute  sich  ein  Krampfanfall  noch  am  nächsten  Tage, 
dem  30.  April,  dauerte  indess  nur  ca.  20  Minuten  und  ging  nicht  mit  voUkommnem 
Bewusstseinsverlust  einher.  Dagegen  hatten  sich  wieder  andere  Erscheinungen  ein- 
gestellt, die  man  zu  bekämpfen  hatte:  Böthe  und  brennendes  Qefühl  im  Gesicht, 
Kälte  und  Schweissausbrach  in  den  Extremitäten,  dabei  natürlich  schlechteres  All- 
gemeinbefinden. Die  Hypnose  besserte  diesen  Zustand,  und  so  blieb  es  nach  gut 
verbrachter  Nacht  bis  zum  nächsten  Tage,  jedoch  trat  am  1.  Mai  ein  Anfall  von 
^/jStündiger  Dauer  ein,  am  2.  sogar  mehrere,  die  ebenfalls  von  den  geschilderten 
vasomotorischen  Erscheinungen  begleitet  waren.  Indessen  sollten  diese  vorläufig  die 
letzten  sein. 

In  der  nunmehr  am  2.  Mai  eingeleiteten  und  auf  15  Minuten  ausgedehnten 
Hypnose  gelang  es  mir,  die  genannten  Störungen  vollkommen  zu  beseitigen;  nach 
dem  Erwachen  fühlte  sich  Patientin  wohl  und  meinte,  dass  die  Hitze  aus  dem  Ge- 
sicht gewichen  und  die  Hände  wieder  warm  wären.  In  der  That  konnte  ich  mich 
auch  objectiv  davon  überzeugen,  dass  die  rechte  Gesichtshälfte,  welche  vor  der  Hyp^ 
nose  „geglüht"  hatte,  sich  nur  ein  wenig  wärmer  wie  die  normale  Temperatur  auf- 
weisende linke  anfühlte.  Eine  PupiUendifferenz  hatte  nicht  bestanden.  Analoga  zu 
einer  solchen  gelungenen  Beeinflussung  vasomotorischer  Vorgänge  finden  sich  häufig 
in  der  Litteratur. 

Am  8.,  4.,  5.  und  9.  Mai  folgten  einige  Schwindelanfälle,  die  besonders  bei 
dem  Wechsel  der  Körperlage  eintraten,  im  Uebrigen  unbedeutend  und  ganz  vorüber- 
gehend waren,  während  sich  Patientin  dabei,  besonders  in  den  letzten  Tagen,  eines 
vorzüglichen  Allgemeinbefindens  erfreute.  Bis  heute  (20.  Mai)  habe  ich  die  Patientin 
täglich  mit  Ausnahme  des  8.  und  10.  hypnotisirt.  (Am  23.  Mai  ist  der  Zustand 
unverändert  gut) 

Die  Wirkung  der  Hypnose  kann  in  diesem  Falle  kaum  bestritten  werden, 
zumal  ich  bei  dieser  Behandlang  absichtlich  von  der  Anwendung  von  Medika- 
menten sowie  Diätvorschriften  u.  s.  w.  Abstand  genommen  hatte.  Das  Einzige, 
was  ich  der  Patientin  empfohlen,  waren  morgendlidie  kalte  Abreibungen. 

Interessant  ist  es,  hierbei  zu  sehen,  wie  sehr  es  auch  auf  die  hypnotische 
Dosis  ankommt^  die  dem  Patienten  in  (Gestalt  von  Schlaf  an  und  für  sich,  oder 
von  Suggestionen  resp.  von  Zeit,  die  letzteren  zu  „verdauen",  einverleibt  wird. 
Offenbar  genügte  die  Dauer  der  ersten  Hypnosen  von  ca.  3  Minuten  nur  für 
die  ersten  Sitzungen,  während  sich  dieselbe  späterhin  als  unzulänglich  erwies 
und  verlängert  werden  musste.  Ob  sich  aus  dieser  Beobachtung  ein  therapeu- 
tisches Q-esetz  wird  ableiten  lassen,  ist  mir  noch  zweifelhaft,  jedenfalls  habe  ich 
in  andern  Fällen  ähnliche  Erfahrungen  gemacht 

Was  schliesslich  die  Aussicht  auf  endgültige  Heilung  dieses  Falles  an- 
langt, so  dürfte  dieselbe  unter  sonst  gunstigen  umständen  als  gut  bezeichnet 
werden.    Könnte  man  die  Patientin  jetzt  in  ein  Soolbad  schicken  und  ihr  mit 


—    877    — 

der  80  Dothwendigen  Gemüthsruhe  die  entsprechende  körperliche  Pflege  ange- 
deihen  lassen,  so  zweifelte  ich  nicht  an  dem  allerbesten  Erfolg.  Statt  dessen 
steht  sie  mit  ihrer  Mntter  auf  ewigem  Eriegsfass  und  verwendet  Zeit  und  Ge- 
duld auf  die  Pflege  eines  kranken  Bruders,  der  ebenfalls  unter  hysterischen 
Anfallen  leidet,  die  jetzt  in  eine  melancholische  Psychose  überzugehen  drohen, 
und  unter  deren  Einfluss  schon  öfters  Gonamina  suicidii  gemacht  worden  sindi 
Yon  denen  die  Schwester  den  Bruder  durch  Entreissung  der  Waffe  gerettet  hati 
Unter  solchen  stets  das  Gemflth  in  Aufregung  erhaltenden  Verhältnissen  ist  bei 
der  pekuniär  schlechtesten  Lage  der  Familie  freilich  fllr  einen  dauernden  Be- 
stand der  Heilung  wenig  zu  hoffen. 

IV. 
Einen  vierten  Fall  derselben  Kategorie  will  ich  nur  kurz  erwähnen,  weil 
die  geringe  Zeit  der  Beobachtung  wenig  haltbare  Schlüsse  gestattet,  aber  inmier- 
hin  um  eine  Erfahrung  reicher  macht 

Es  bandelte  sich  hierbei  um  einen  Fall  von  langjähriger  traumatischer  Hystero- 
Epilepsie.  Ich  hypnotisirte  dreimal.  Es  Hess  sich  bei  dem  jungen  17jähr.  Menschen 
in  der  Hypnose  eine  kataleptische  Starre  des  ganzen  Körpers  erzeugen,  wie  sie  in 
den  Schaustellungen  von  Hansen  und  Bollert  nicht  besser  gesehen  werden  konnte. 
Vielleicht  habe  ich  eben  dadurch  geschadet  An  demselben  Tage,  an  welchem  ich 
die  kataleptische  Starre  erzeugt  hatte,  trat  ein  Erampfanfall  auf,  der  mir  nach  der 
Schüderung  seiner  Angehörigen  als  rein  epileptisch  imponirte.  Ich  liess  mich  da- 
durch  t&uschen  und  gab  die  Behandlung  auf,  um  den  Patienten  einer  Anstalt  zu 
flberweisen.  Trotz  öfterer  Anfrage  bei  seinen  Eltern  habe  ich  leider  nie  wieder  von 
ihm  gehört 

Wenn  die  Hystero-Epilepsie  in  ihrer  buntfarbigen  Erscheinung  schon  ein 
dankbares  Feld  —  zum  mindesten  zu  Versuchen  mit  therapeutischer  Hypnose 
darbietet,  so  sind  es  vielmehr  noch  die  hysterischen  Lähmungen,  welche  ent- 
schieden einer  grossen  Beeinflussung  durch  dieselbe  zugänglich  sind;  und  be- 
käme die  Hypnose  hierbei  auch  nur  die  Bedeutung  einer  Mithülfe,  und  müsste 
im  Uebrigen  die  bisherige  Therapie  die  weiteren  Leistungen  bis  zur  vollkommnen 
Wiederherstellung  übernehmen,  so  dürfte  wohl  Jeder,  der  weiss,  welche  Schwierig- 
keiten die  Behandlung  der  Hysterie  bietet,  mit  mir  glauben,  dass  hiermit  mancher 
Vortbeil  gewonnen  ist  Eine  andere  Frage  ist  es,  wie  weit  sich  die  hypochon- 
drischen Beschwerden,  welche  meist  mit  den  Lähmungen  Hand  in  Hand  gehen, 
wie  Olobus,  Clavus,  Kücken-  und  Brustschmerz,  Herzpalpitationen  u.  s.  w.  durch 
die  Hypnose  bannen  lassen.  Es  wird  unzweifelhaft  Fälle  geben,  die  dafür  un- 
zugänglich sind,  jedoch  habe  ich  in  mehreren  mit  überraschender  Schnellig- 
keit nach  wenigen  hypnotischen  Sitzungen  alle  diese  subjectiven  Beschwerden 
weiehen  sehen.  Wie  lange  freilich  ein  solcher  Erfolg  anhält^  das  ist  eine  Er- 
Mrung,  die  die  Zeit  wird  bringen  müssen.  Immerhin  ist  dann  auf  bequeme 
und  durchaus  unschädliche  Art  für  Stunden  oder  Tage  eine  Erleichterung  ge- 
schafien,  wie  sie  durch  die  besten  unserer  Medikamente  in  solchen  Fällen  auch 
nicht  besser  bewirkt  werden  kann.  Und  ein  unschätzbarer  Vorzug  dieser  Therapie 
scheint  mir,  soweit  meine  Erfahrung  reicht,  auch  ausserdem  noch  der  zu  sein, 
dass  sich  ihre  Wirkung  nicht  erschöpft  Die  zwanzigste  Hypnose  kann  eventuell 


—    378    — 

denselben  Nutzen  bringen  wie  die  erste,  was  bekanntlich  von  der  ebensovielsten 
EsslöfEeldofiis  Medioin  auf  dem  Gebiete  der  Hysterien  nur  selten  gerühmt  wer- 
den kann. 

V. 

Der  erste  Fall,  den  ich  in  dieser  Beziehung  mitzatheilen  habe,  betrifiR  ein 
22jähriges  Mädchen,  M.  B.,  dessen  Vater  sich  seit  vielen  Jahren  im  Irrenhause  be- 
findet und  die  stets  unter  sehr  unglücklichen  häuslichen  Verhältnissen  zu  leiden 
gehabt  hat  Sie  klagt  seit  mehreren  Jahren  über  einen  den  ganzen  Kopf  einnehmen- 
den in  unbestimmten  Zeiträumen  auftretenden  Kopfschmerz,  über  häufiges  Erbrechen, 
schlechten  Appetit»  Schwindel,  Herzklopfen  und  allgemeine  Schwäche,  als  sie  zum 
ersten  Mal  unsere  Poliklinik  aufsucht.  Es  wurde  anfangs  geglaubt,  dass  es  sich 
hier  um  einen  besonders  schweren  Fall  von  Migräne  handele,  jedoch  wurde  mit  der 
hierfür  angewandten  Therapie  durchaus  kein  Erfolg  erzielt.  Da  plötzlich  änderte 
sich  das  Bild.  Eines  Tages  erschien  Fat.  wieder  in  der  Poliklinik  und  klagte  über 
eine  ungeheure  Schwäche  in  den  Beinen.  In  der  That  knickte  sie  bei  jedem  Schritt 
in  den  Hüften  und  Knien  ein,  und  schleppte  die  Füsse  auf  dem  Erdboden  nach,  so 
dass  der  Gang  dadurch  ein  eigenthümlich  wogendes  Gepräge  erhielt.  Ausserdem 
bestanden  die  vorhin  genannten  Beschwerden  unverändert  fort.  Am  29.  März  d.  J. 
unternahm  ich  dann  eine  eingehende  Untersuchung,  von  der  ich  das  Hauptsächlichste 
kurz  mittheilen  will. 

Die  Psyche  und  Intelligenz,  sowie  die  höheren  Sinne  erwiesen  sich  als  durchaus 
intact  Die  Sprache  war  in  den  letzten  Wochen  langsamer  und  schwerfällig«  ge- 
worden. Im  Gebiet  der  Motilität  zeigte  sich  eine  erhebliche  motorische  Schwäche 
der  Extremitäten, .  während  die  Himnerven  durchaus  intact  wareu.  Zunge,  Hände 
und  Füsse  zitterten  im  Zustand  der  Buhe  und  der  Bewegung.  Sensibilitätsstöruugen 
irgend  welcher  Art  konnte  ich  trotz  der '  genauesten  biesbezüglichen  Prüfung  an  den 
untern  Extremitäten  nicht  entdecken,  dagegen  war  an  der  linken  Hand  der  Temperatur- 
sinn deutlich  herabgesetzt,  während  die  andern  Gefühlsqualitäten  normal  gefunden 
wurden.  Die  Patellarreflexe  sind  stark,  desgleichen  alle  Hautreflexe,  Fussclonus  ist 
nicht  vorhanden;  der  Cubitalreflex  erscheint  als  ein  langdauemder  Tremor  des  ganzen 
Armes. 

Wenngleich  dieses  ganze  Bild  als  ein  hysterischea  imponiren  muaste,  so  konnte 
ein  anderer  Gedanke  wenigstens  nicht  ganz  von  der  Hand  gewiesen  werden.  Die 
Pat  klagte  nämlich  auch,  dass  sie  häufige  Kolikanfalle  und  Diarrhöen  durchgemacht, 
sowie  öfter  an  Gelenkschmerzen  gelitten  habe;  dies  konnte  im  Verein  mit  ihrer  An- 
gabe, dass  sie  seit  5  Jahren  in  einem  Fischconserven-Geschäft  thätig  sei,  wo  sie  die 
Gläser  mit  Stanniol  zu  verbinden  habe,  eventuell  zu  der  Annahme  berechtigen,  dass 
das  verwandte  Stanniol  Blei  enthalten  habe  und  hier  eine  Bleiintoxication  vorliege. 
Freilich  fehlte  der  Bleisaum.  Späterhin  wurde  indess  aus  naheliegenden  Gründen 
dieser  Gedanke  vollkommen  aufgegeben. 

Gleich  die  erste  Hypnose  führte  in  Bezug  auf  die  Gehfähigkeit  eine  bedeutende 
Besserung  herbei,  auch  die  übrigen  Symptome  wurden  günstig  beeinflusst,  ausge- 
nommen die  enormen  Schmerzen  in  beiden  Kniegelenken,  welche  in  der  Bewegung 
wie  in  der  Ruhe  gleichmässig  quälten.  Nachdem  das  Allgemeinbefinden  nach  etwa 
5  Sitzungen  ein  verhältnissmässig  günstiges  geworden  war,  gab  ich  vorläufig  die 
Hypnose  auf,  um  die  Patientin  einer  sehr  sorgföltigen  galvanischen  Kur  zu  unter- 
ziehen, welche  natürlich  wie  schon  vorhin  durch  Bäder,  Abreibungen  u.  s.  w.  unter- 
stützt wurde.  Als  nach  Verlauf  von  10  Tagen  in  Bezug  auf  die  erwähnten  Schmerzen 
ein  kaum  nennenswerther  Erfolg  zu  verzeichnen  war,  ging  ich  zur  Hypnose  zurück, 
am  dieselbe  diesmal  freilich  etwas  methodischer,  energischer  und  vor  Allem  regel- 
mässiger, als  es  vorhin  in  der  Poliklinik  geschehen  war,  anzuwenden.    Während  die 


—    379    ^ 

Hypnose  in  der  ersten  Zeit  nur  sehr  leicht  gewesen  war,  yertiefbe  sich  dieselbe  immer 
mehr,  bis  schliesslich  vollkommne  Amnesie  über  alle  Suggestionen  eintrat. 

Im  Ganzen  wurde  die  Fat  vom  25.  April  bis  zum  16.  Mai  etwa  zwanzig  Mal 
hypnotisirt  und  erfuhr  nach  jeder  Sitzung  eine  so  merkliche  Besserung«  dass  von 
aUen  fr&her  angefahrten  Symptomen  schliesslich  nur  eine  gewisse  allgemeine  Schwäche 
zurückblieb,  welche  hofifenUich  durch  einen  eben  gewählten  Landaufenthalt  mit  nach- 
folgender Kur  in  einem  Saolbade  vollkommen  beseitigt  werden  wird,  um  einer  voll- 
ständigen Genesung  Platz  zu  machen. 

In  diesem  Falle  hat  die  Hypnose  in  kurzer  Zeit  so  viel  geleistet,  wie  man 
es  von  einer  auch  noch  so  sorgfaltig  durchgeführten  Eur  nach  älterer  Methode 
kaum  erwarten  kann. 

VI. 

Wie  sehr  hysterische  Lähmungen  der  Therapie  mit  der  Hypnose  zugänglich 
sind,  beweist  auch  noch  ein  anderer  Fall,  welcher  überdies  die  Schwierigkeit  der 
Differential-Diagnose  zwischen  hysterischen  und  organischen  Affectionen  auf's 
Nene  beweist. 

H.  E.,  14  Jahre  alt,  hatte  schon  vor  2  Jahren  die  Hülfe  unserer  Poliklinik 
nachgesucht.  Damals  hatte  sich  bei  dem  bisher  vollkommen  gesunden  und  nach- 
weislich nicht  hereditär  belasteten  kräftigen  Mädchen  ohne  alle  Vorboten  eine  Schwäche 
der  Beine  eingestellt,  welche  immer  mehr  zunahm.  Beim  Gehen  schleppte  sie  die 
Füsse  nach  und  knickte  häufig  in  den  Knien  ein.  Der  Bücken  befand  sich  dabei 
in  starker  Lordose,  und  es  hatte  der  Gang  im  Ganzen  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit 
dem  Gange  der  Personen,  welche  an  congenitaler  Hüftgelenksluxation  leiden.  Zu- 
gleich war  die  am  stärksten  lordotische  Lendenwirbelsäule  sowohl  spontan  als  auch 
bei  Bewegungen  und  auf  Druck  äusserst  schmerzhaft.  Nimmt  man  dazu,  dass  auch 
objectiv  die  motorische  Schwdche  beider  Beine  als  sehr  erheblich  zu  constatiren  war, 
dass  die  Patellarreflexe  ungemein  stark  und  besonders  links  ein  ausgeprägter  Fuss- 
clonus  hervorzurufen  war,  sowie  dass  Vesical-  und  Bectalreflex  nicht  unbedeutende 
Störungen  zeigten,  so  lag  bei  dem  Mangel  aller  Sensibilitätsstörungen  der  Gredanke 
an  eine  Myelitis,  vielleicht  tuberculöser  Natur,  ziemlich  nahe. 

Nach  einem  Monat  hatte  sich  in  dem  geschilderten  Erankheitsbilde  trotz  sorg- 
föltiger  elektrischer  Behandlung  wenig  verändert;  ein  wenig  Besserung  trat  in  den 
nächsten  4  Wochen  auf;  die  Patientin  ging  dann  zu  Verwandten  auf's  Land,  und  -^ 
nach  weiteren  3  Wochen  war  die  ganze  Krankheit  verschwunden.  Diese  Anamnese 
machte  die  Diagnose  nicht  schwer,  als  die  Pat.  sich  vor  etwa  3  Monaten  mit  dem 
fost  gleichen  Leiden,  nur  nicht  so  ausgeprägt  wie  früher,  wieder  in  der  Poliklinik 
einstellte.  Eine  mehrwöchentliche  elektrische  Kur  nebst  Bädern,  Abreibungen  u.  s.  w. 
besserte  wenig  oder  gar  nichts. 

Die  hypnotische  Therapie  beschränkte  sich  in  diesem  Falle  nicht  auf  die  blosse 
Suggestion,  sondern  es  wurde  dieselbe  auch  mit  passiven  und  activen  Uebungen  der 
gelähmten  Glieder  verbunden.  Dabei  zeigte  es  sich,  dass  das  rechte  Bein,  auf  welches 
diesmal  die  Lähmung  beschränkt  war,  welches  beim  Gtohen  nachgeschleppt  wurde, 
80  dass  der  innere  Fussrand  den  Boden  berührte,  und  welches  der  Aufforderung  zur 
Flesion  im  wachen  Zustand  auch  nicht  durch  die  leiseste  Kraftäusserung  nachkam, 
in  der  Hypnose,  die  gleich  beim  ersten  Mal  ziemlich  tief  war  und  Amnesie  hinter- 
liess,  mit  einer  nennenswerthen  Kraft  gebeugt  werden  konnte.  Desgleichen  war  der 
Gang  während  der  Hypnose  nach  einer  diesbezüglichen  Suggestion  erheblich  natür- 
licher .  und  dem  normalen  nahekommend.  Die  Kranke  konnte  gewöhnlich  auf  ihrem 
rechten  Bein  allein  nicht  stehen,  hypnotisirt  stand  sie  darauf  aber  vorzüglich  und 
schwankte  kaum,  obwohl  die  Augen  geschlossen  waren.    Nach  etw{i  10  hypnotischen 


—    380    — 

Sitzimgen  war  der  Oang  fast  normal  und  auch  andere  weniger  wichtige  Symptome, 
wie  Kopfscbmerzen,  Schwindel  n.  s.  w.,  die  zeitweilig  aufni^etreten,  yoUkommen  be- 
seitigt^ so  dass  ich  kein  Bedenken  trug,  die  Patientin,  welche  sich  wiederum  nach 
dem  Landaufenthalte  sehnte,  aus  der  Behandlung  zu  entlassen.  Vier  Wochen  darauf 
schrieb  sie  mir,  dass  sie  sich  yollkommen  wieder  hergestellt  fühle. 

(Schloss  'folgt) 


n.   Referate. 


Anatomie. 

1)  Ueber  die  Leitungabahn  des  liohtreises  von  der  Netzhaut  des  Auges 
zum  Nervus  ooulomotorius,  von  L.  Darkschewitsch.  Eine  anatomisch- 
physiologische Untersuchung.    (Moskau  X887.    IV.     146  Seiten.    Russisch.) 

Die  Schrift  des  Verf.  zerfallt  in  drei  Abschnitte.  Der  erste  enthält  seine  ana- 
tomischen Untersuchungen  Ober  die  hintere  Gehimcommissur,  die  Zirbeldrüse  und 
die  Pupillarfasem  des  Tractos  opticus.  Im  zweiten  beschreibt  er  seine  Thierrersuche 
mit  Zerstörung  der  hinteren  Gommissur  und  der  Pupillarfasem  und  deren  Einfluss 
auf  die  Pupillenreaction.  Im  dritten  (Schlusscapitel)  sind  seine  Anschauungen  über 
den  Gesammtverlauf  der  Bahn,  auf  welcher  der  Lichtreiz  von  der  Netzhaut  zum 
Oculomotorius  geleitet  wird,  niedergelegt.  Was  den  thatsächlichen  Inhalt  des  Buches 
anbelangt,  so  ist  derselbe  bereits  aus  den  im  Laufe  dreier  Jahre  erschienenen  Original- 
mittheilungen des  Verfassers  den  Lesern  dieses  Centralblattes  in  extenso  bekannt. 
In  der  russischen  Bearbeitung  sind  die  betrefifenden  Artikel  in  systematiBcher  Reihen- 
folge geordnet,  mit  genauen  Litteraturangaben  versehen  und  durch  20  Zeichnungen 
illustrirt;  die  meisten  Figuren  sind  ebenfalls  in  den  deutschen  Abhandlungen  des 
Verf.  über  dasselbe  Thema  abgebildet.  (Vgl  Neurol.  Ctrlbl.  1885  u.  1886,  Archiv 
für  Anatomie  und  Physiologie  1886  und  Pflüger*s  Archiv  1886.) 

P.  Rosenbach. 

2)  Ueber  die  Beziehung  des  Nervus  aooesaorius  zu  den  Nn.  vagua  und 
hypoglossus,  von  0.  Dees,  Kaufbeuren.  (AUg.  Ztschr.  f.  Psychiatrie.  XUV.  6.) 

D.  hat  in  seiner  Arbeit  über  den  N.  accessorius  (dies  CentralbL  1887.  S.  251) 
von  der  Möglichkeit  gesprochen,  dass  der  Accessoriuskem  nach  oben  in  den  vorderen 
Vaguskem  übergehe.  Fortgesetzte  Untersuchungen  haben  dies  nicht  best&tigt,  viel- 
mehr geht  der  Accessoriuskem  als  ein  Bestandtheil  der  grossen  motorischen  Zellen- 
s&ule  des  Vorderhoms  proximalwärts  unmittelbar  in  den  Hypoglossuskern  über. 

Bisch  off  *s  Auflhssung,  dass  die  aus  der  Oblongata  entspringenden  und  in  den 
Vagus  übergehenden  Accessoriosfasem  die  Eehlkopfmuskeln  innerviren,  kann  D.  nicht 
theilen.  Th.  Ziehen. 


Experimentelle  Physiologie. 

3)   Expörienoes  sur  les  fonotionB  motrioes   du   oerveau,   par   £.  Dupuy. 

(Compi  rend.  1888.  Nr.  14.) 

D.  fand,  dass  die  Spaltung  der  Dura  mittelst  Kreuzschnittes  über  der  Scheitel- 
region  an  sich  bereits  eine  Parese  der  gekreuzten  und  zuweüen  der  gleichseitigen 
Gliedmaassen  hervorbringt,  femer  eine  constante  Parese  der  gleichseitigen  Qesichts- 
musculatur.  Die  gleichseitige  Gesichtsh&lfte  erscheint  zugleich  hyperästhetisch.  L&sst 
man   eine   Duraspaltung  auf  der  anderen  Seite  folgen,   so  verschwinden  die  Paresen 


—    881    — 

wieder.  —  Faradiscbe  Reizung  der  aneröffneten  Dura  erzeugt  ganz  analoge  Bewegongs- 
effecte  wie  die  faradiscbe  Reizung  der  Rinde  selbst.  Die  dureb  Duraspaltong  her- 
▼orgebracbten  Paresen  lassen  sieb  aacb  durcb  elektriscbe  Durareizung  wieder  zum 
Scbwinden  bringen.  —  D.  glaubt,  das»  diese  Tbatsacben  sieb  mit  der  berrscbenden 
Tbeorie  der  psycbomotoriscben  Rindencentren  nicbt  in  £inklang  bringen  lassen. 

Tb.  Zieben. 

4)  CalorimetrlBOhe  Untersuchungen  über  die  Wärmeproduotion  und  Wärme- 
abgabe des  Armes  an  Gesunden  und  Kranken,  Inaugural-Dissertation  von 
Carl  Rosentbal.  (Erlangen,  Juli  1887.  58  Seitra.  —  Arcbiy  fOr  Anatomie 
u.  Pbysiologie.  1888.  Pbysiol.  Abtb.) 
Die  Yersucbe,  72  an  der  Zabl,  wurden  mit  einem  neuen  von  Prof.  J.  Rosen- 
tbal angegebenen  Apparate  angestellt.  Derselbe  bestebt  im  Wesentlicben  aus  zwei 
l^stemen  je  drei  in  einander  gescbacbteller  Blecbcylinder;  ein  jedes  der  beiden  inneren 
Cylindersysteme  bildet  je  ein  Lufttbermometer  und  beide  zusammen  ein  Differential- 
lufttbermometer.  Die  beiden  äusseren  Cylinder  dienen  lediglicb  dazu,  den  Einfluss 
der  ümgebungsluft  zu  paralysiren.  Die  Arme  wurden  in  den  betrefifenden  Cylinder 
gesteckt  und  aus  dem  empiriscb  gefundenen  Maass  der  Wärmeabgabe  des  Armes 
liessen  sieb  Scblflsse  zieben  auf  seine  Wärmeproduction  und  die  des  ganzen  Körpers. 
Denn  im  Arm  circulirt  das  Blut»  der  Träger  der  Körperwärme,  des  ganzen  Körpers; 
es  wird  femer  im  Arm  unabbängig  Tom  übrigen  Körper  Wärme  producirt,  und  es 
ist  nicbt  abzusebeUi  wesbalb  in  ibm  andere  Yerbältnisse  der  Wärmeabgabe  und,Pro- 
duction  als  im  ganzen  übrigen  Körper  berrscben  sollten.  Es  ergab  sieb  nun,  dass 
der  unbekleidete  Arm  mebr  Wärme  abgab  als  der  bekleidete.  Erböbte  Wärmeabgabe 
trat  femer  ein,  bei  scbon  geringerer  Bewegung,  bei  dem  Genuss  von  Alkobol  oder 
beissem  Wasser,  bei  angestrengter  geistiger  Arbeit,  bei  dem  Gebraucb  von  Nicotin 
und  Amyhiitrit  etc.  Vermindert  war  die  Wärmeabgabe  bei  Einreibung  der  Haut  mit 
Yaselin,  bei  Bebinderung  der  Circnlation  durob  Umscbnümng  des  Arms  etc.  Anti- 
pyrin,  Antifebrin,  äussere  Application  von  Eiswasser  auf  die  Haut  in  bescbränktem 
Umfange  und  kurzer  Zeit,  batten  auf  die  Wärmeökonomie  des  gesunden  fieberfreien 
Olganismus  keinen  Einfluss.  Je  grösser,  je  schwerer,  je  besser  genährt  eine  Person 
war,  um  so  mebr  Wärme  giebt  sie  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  ab.  22  der 
Versuche  wurden  an  Fiebernden  gemacht;  die  Wärmeabgabe  war  im  Fieber  geringer 
als  bei  dem  gesunden  Organismus,  im  Fieberfrost  war  sie  sehr  gering.  Zur  Zeit  des 
Ansteigens  der  Innentemperatur  zeigten  alle  chronisch  und  gering  Fiebernden  eine 
Steigerung  der  Wärmeabgabe,  die  acut  fieberhaft  Erkrankten  hingegen  eine  Vermin- 
derung. Die  Temperaturerhöhung  im  Fieber  beruht  im  Wesentlichen  auf  einer  Ver- 
ringerung der  Wärmeabgabe  nach  aussen.  Dieselbe  kommt  dadurch  zu  Stande,  dass 
das  fiebererregende,  im  Blut  kreisende  Agens  das  Hauptcentrum  für  die  Vasomotoren 
in  der  Med.  oblong,  und  vielleicht  auch  die  übrigen  Centren  im  Rückenmark  auf 
zweierlei  Weise  beeinfiusst.  Entweder  bewirkt  es  eine  directe  Erregung  der  Vaso- 
constrictoren  oder  es  wirkt  durch  Reiznnempfindlichmachnng  der  Vasodilatatoren. 
Vielletcht  liegt  eine  zweite  Ursache  der  Temperatursteigerang  im  Fieber  in  .der  ge- 
steigerten Wärmeproduction  in  Folge  des  gesteigerten  Stofl^ecbsels.  Dieser  gesteigerte 
Stoffumsatz  aber  dürfte  vielleicht  nur  eine  Folge  der  durch  Fieberagens  bewirkten 
Veränderang  des  Blutes,  specieU  seiner  abnormen  Erwärmung  sein  und  eine  unter- 
geordnete Rolle  beaüglich  der  erhöhten  Körpertemperatur  spielen.  Gestützt  wird  diese 
Ansicht  durcb  Versuche  von  Knmagawa  in  Prof.  8ulkowski*s  Laboratorium.  Die- 
selben ergaben,  dass  eine  grosse  Zahl  der  Antipyretica,  Antipyrin,  Chinin  etc.  den 
Stoffumsatz  des  Organismus  hemmen  nnd  verringern,  während  Antifebrin  ihn  erhöbt. 
Die  prompte  Wirkung  dieses  Mittels  beim  Fieber  spricht  gegen  die  Annahme  des 
Wesens  des  Fiebers  in  dem  gesteigerten  Stoffnmsatz.  In  R.'s  Versuchen  bei  Fiebernden 
bewirkten  die  angewandten  antifebrilen  Mittel,  Antipyrin  und  Antifebrin,  eine  Steigerung 


—    882    — 

der  W&rmeabgabe  nach  aassen   hin,   indem  sie  entweder  die  Reizbarkeit  der  Yaso- 
oonstrictoren  abschwächten,  oder  diejenige  der  Vasodilatatoren  erhöhten. 

Kalischer. 


Pathologische  Anatomie. 

6)  Veränderungen  der  nervösen  Centralorgane  in  einem  Falle  von  cere- 
braler Kinderlähmung,  von  Wallenberg.  (Archiv  f.  Psychiatrie.  Bd.  XIX. 
H.  2.) 

Der  Fat.,  um  den  es  sich  handelt,  hatte  im  6.  Jahre  einen  Schlaganfall  er- 
litten. Im  49.  Jahre  bot  er  Lähmung  des  Rectus  internus,  rechts-  und  linkseitige 
Lähmung  der  Extremitäten  mit  Contractur  in  typischer  Form,  ausgesprochener  Wachs- 
thumshemmung  derselben  Extremitäten  und  athetoide  Bewegungen  der  linken  Hand. 
Die  Faciales  sollen  beiderseits  intact  gewesen  sein.  Es  fand  sich  eine  erbsengrosse 
Cyste  im  rechten  Hirnschenkel  oberhalb  der  hinteren  Vierhügel,  die  die  lateralen 
Oculomotoriusbfindel,  einen  Theil  des  rothen  Kernes,  die  obere  Schleife,  die  Substantia 
nigra  und  die  obere  Partie  des  mittleren  Drittels  der  Fussfasem  beteiligte.  In  der 
Nähe  der  Brücke  wurde  auch  noch  eine  Atrophie  des  gekreuzten  Bindearmes  con- 
statirt.  Pens,  Medulla  oblongata  und  Kleinhirn  wurden  nicht  zur  Untersuchung  auf- 
gehoben. Im  Bückenmark  fand  sich  in  den  oberen  Partieen  Degeneration  beider, 
besonders  aber  der  linken  Pyramidenseitenstrangbahnen,  der  Kleinhimseitenstrang- 
bahnen  ebenfalls  links  starker,  grosser  Partieen  der  seitlichen  Grenzschicht  und  der 
gemischten  Seitenstrangzone  und  der  GolTschen  Stränge.  Die  Degeneration  der 
Goirschen  Stränge  reicht,  allmählich  abnehmend  bis  zur  Mitte  des  Dorsalmarkes, 
zu  ihr  gesellt  sich  eine  Atrophie  der  Clark e'schen  Säulen,  die  im  oberen  Dorsal- 
mark nur  die  Querfasem,  im  Gebiete  des  6. — 10.  Dorsalnerven  auch  Längsfasem 
und  Ganglienzellen  betheüigt,  die  Degeneration  der  Seitenstränge  beschränkt  sich 
vom  mittleren  Dorsalmark  an  auf  die  Pyramidenseitenstrang-  und  Kleinhimseiten- 
strangbahn,  links  ist  sie  immer  viel  stärker,  wie  rechts. 

Der  Fall  bietet  zunächst  Interesse  als  ein  solcher  von  duich  43  Jahre  unver- 
ändert bestehender  gekreuzter  Hemiplegie  des  Oculomotorius  und  der  Extremitäten. 
Er  hatte  intra  vitam  eine  höhere  Localdiagnose  erlaubt.  Ausserdem  versucht  Verf. 
in  der  Epikrise  die  sämmtlichen  im  Rückenmark  constatirten  Veränderungen  auf  den 
Himschenkelheerd  zurückzuführen.  Abgesehen  von  den  Pyramidenbahnen  nimmt  er 
für  diese  Degeneration  folgenden  Weg  an:  Vom  Himschenkelheerd,  durch  den  sich 
kreuzenden  Bindearm  in  das  gekreuzte  Corpus  dentatum  und  von  da  in  die  Corpora 
restiformia,  hier  zum  Theil  in  die  Kleinhimseitenstrangsbahn  und  zum  Theil  in  den 
Hinterstrangsantheilen  der  Corpora  restiformia,  von  der  Kleinhimseitenstrangsbahn 
des  Bulbus  in  die  des  Bückenmarkes,  in  die  Clarke*schen  Säulen  und  die  Goir- 
scben  Stränge,  von  den  Hinterstrangsantheilen  der  Corpora  restiformia  durch  die 
Schleife  (prägnanter  durch  Fibrae  areif ormes  ext.  ant.,  Olivenzwischenschicht,  Fibrae 
arciformes  int.  Edinger)  zu  den  gekreuzten  Goll'schen  Kernen  und  dem  Goirschen 
Strang.  Ausserdem  nimmt  er  noch  eine  Degeneration  der  oberen  Schleife  direct  bis 
in  die  GolTschen  Stränge  an. 

Es  soll  a  priori  zugegeben  werden,  dass  eine  Degeneration  nicht  unmöglich 
wäre,  die  doppelseitige  Erkrankung  der  Pyramidenseitenstrangbahnen  bei  einseitigem 
Hiraheerd  bat  nichts  auffallendes  und  eher  schon  die  Hochgradigkeit  der  Erkrankung 
bei  der  geringen  Ausdehnung  des  Heerdes  in  den  mittleren  Partieen  des  Fusses. 
Auch  die  Degeneration  der  Kleinhimseitenstrangbahnen  in  umgekehrter,  als  bisher 
beobachteter  Richtung  in  dieser  Bahn,  ebenso  wie  der  Schleifenbahn  übw  Ganglien- 
Intemodien  hinaus,  wäre  bei  dem  Alter  des  Heerdes  und  der  Erkrankung  in  früher 
Jugend  nicht  ohne  Analogie.    Die  Kleinbiinseitenstrangbahnen  sind  bisher  zwar  nur 


—    883    — 

bis  in  die  Rinde  des  Warmes  verfolgt,  diese  wird  aber  wohl  Verbindungen  mit  dem 
Corpus  dentatum  haben.  Verbindungen  zwischen  den  Glarke'schen  Säulen  und  den 
GolVschen  Strängen  findet  Ref.  nirgends  erwähnt,  man  hätte  hier  eher  eine  Degene- 
ration der  hinteren  Wurzeln  erwarten  müssen.  Alle  diese  Erörterungen  hätten  aber 
nur  dann  einen  Werth,  wenn  der  Verf.  nach  genauerer  Untersuchung  des  Hirnstamms 
und  des  Cerebellum,  die  postulaten  Degenerationen 'Schritt  für  Schritt  hätte  verfolgen 
und  separate  Heerde  in  diesem  Grebiete  hätte  ausschliessen  können.  Da  das  ver- 
säumt ist,  bewegt  sich  Verf.  nur  auf  dem  unsicheren  Boden  der  Hypothesen,  auf 
dem  ihm  jeder  nach  Gutdünken  folgen  oder  nicht  folgen  kann.  Ausserdem  ist  auch 
die  Krankengeschichte,  bei  der  nach  eigener  Angabe  des  Verf.  sehr  erschwerten 
UntersQcbung,  keinesweg  geeignet,  die  Annahme  einer  selbstständigen  Erkrankung 
des  Rückenmarkes  auszuschliessen.  Bruns. 


6)  Bicerohe  sitlle  alterasioni  del  midoUo  spinale  conoomitanti  le  lesioni 
cerebellari,  dei  dott  S.  Martinotti  e  F.  Mercandino.  (II  Morgagni.  1888. 
XXX.  H.  1.) 

Marchi  hatte  in  einer  (auch  in  diesem  Ctrlbl.  1886.  S.  559  besprochenen) 
Arbeit  mitgetheilt,  dasS  er  nach  vollständig  oder  wenigstens  theilweis  ausgeführten 
Kleinhimexstirpationen  bei  Hunden  und  Affen  u.  A.  eine  absteigende  Degeneration  in 
verschiedenen  Feldern  der  Varolsbrücke  und  dann  auch  in  den  Kleinhimseitenstr«angen 
beobachtet  habe.  Die  Verflf.  haben  nun  Gelegenheit  gehabt,  5  Präparate  von  Klein- 
himzerstorungen  beim  Menschen  (4mal  durch  Tumor  und  Imal  durch  Abscess)  auf 
Degenerationen  zu  untersuchen  und  haben  für  das  Rückenmark  stets  negative  Resul- 
tate gefunden.  In  einem  Falle  war  allerdings  eine  Entartung  der  gekreuzten  Pyra- 
midenbahn vorhanden,  doch  war  hier  nicht  auszuschliessen,  dass  diese  von  einer 
Grosshimläsion  abhängig  wäre.  Sie  möchten  daher  zur  Erklärung  dieses  Wider- 
spruches gegen  Marchi^s  Befunde  auf  die  Möglichkeit  hinweisen,  dass  der  Faserverlauf 
bei  dessen  Versuchsthieren  ein  anderer  sei,  als  beim  Menschen,  und  erwähnen  dabei, 
dass  z.  B.  bei  der  Wanderratte  (Mus  decumanus)  nach  Stieda  und  auch  Flechsig 
ein  Theil  der  Pyramidenbahn  in  den  Hintersträngen  verlaufe.  Ohne  Weiteres  dürfe 
daher  auf  keinen  Fall  von  einem  Versuchsthier  auf  den  Menschen  zurückgeschlossen 
werden.  Sommer. 


7)  Mioroscopioal  studies  in  a  oase  of  pseudohypertrophic  paralysis,  by  Dr. 
G.  W.  Jacobi.     (Joum.  of  nervous  and  ment.  disease.  1887.  p.  577.) 

Der  Patient  war  ein  15jähriger  Knabe,  der  nicht  hereditär  belastet^  das  einzige 
▼on  seinen  7  Geschwistern  war,  das  an  der  in  Rede  stehenden  Erkrankung  litt;  ein 
Bruder  starb  allerdings  gelähmt,  aber  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  durch  postdiph- 
therische Paralyse.  Die  Gehstörung  wurde  auffällig  nach  einem  schweren  Fall  im 
9.  Jahre  und  hat  seitdem  langsame  Fortschritte  gemacht.  Die  Pseudohypertrophie 
bei  sehr  bedeutender  Functionsstörung  hatte  bei  der  genaueren  Untersuchung  beson- 
ders den  Vastus  extemus,  Gastrocnemius,  Glutaeus,  Infraspinatus,  Deltoideus,  Biceps, 
Triceps  und  den  Gostaltheil  des  Pectoralis  beiderseits  ergriffen.  Die  elektrische  Er- 
regbarkeit war  für  beide  Stromarten  herabgesetzt,  l^irgends  waren  Muskelatrophien; 
die  Kniereflexe  fehlten. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  zweier  Stücke  aus  dem  linken  Vastus  ist  nach 
zwei  Richtungen  interessant.  Verf.  konnte  im  Gegensatz  zu  den  meisten  Autoren, 
spedell  zu  Schnitze  und  zu  Erb,  nirgends  hypertrophische  Fasern  constatiren, 
obschon  der  Patient  durchaus  keine  Zeichen  von  Marasmus  darbot,  Neben  normal 
breiten  fanden  sich  nur  noch  verschmälerte  Fasern.    Doch  lässt  Verf.  die  Möglichkeit 


—    884    — 

offen,  dass  vielleicht  die  Untersachong  anderer  Mnskelstellen  ein  abweichendee  Besnltat 
ergeben  haben  könnte. 

Auf  eine  fiildnngsanomalie  der  erkrankten  Muskeln  deutet  die  Thatsache,  dass 
die  Anzahl  der  Muskelfasern,  die  hier  'durch  umhOllendes  Bindegewebe  zu  einem 
Bündel  zusammengefasst  sind,  nur  die  Hälfte  der  normalen  Zahl  beträgt,  und  dass 
die  einzelnen  „Sarcons  Elements"  ausserordentlich  klein  und  nicht  in  der  regelmässigen 
Anordnung  abgelagert  sind. 

Im  Uebrigen  ist  das  Bindegewebe  Sehr  stark  verdickt,  do  dass  man  Perimysium 
intemum  oft  kaum'  vom  P.  extemum  unterscheiden  kann;  auch  finden  sich  oft  stärkere 
Züge  und  Platten  von  fast  knorpeligem  oder  sehnigem  Aussehen,  sowie  grosse  Massen 
von  Fettzellen  in  demselben.  Mehrere  Abbildungen  erläutern  die  histologischen 
Einzelheiten,  auf  die  hier  nicht  genauer  eingegangen  werden  kann.         Sommer. 


Pathologie  des  Nervensystems.    . 

8)  Sur  iine  aflBeotion  oaraotöriaee  par  de  l'astasie  et  de  Tabasie«  par  P.  Blocq. 
(Arch.  de  Neurologie.  1888.  XV.  p.  24.) 

Astasie  und  Abasie  nennt  der  Verf.  den  schon  von  Charcot  und  Eich  er  unter 
der  Bezeichnung:  „Incoordination  motrice  pour  la  Station  et  pour  la  marche",  von 
y.  Mitchell  unter  „Motorischer  Ataxie  Hysterischer",  von  Jaccoud  schon  früher 
unter  „Ataxie  durch  Fehlen  der  automatischen  Goordination"  beschriebenen  Zustand, 
in  welchem  der  Kranke  unföhig  ist  zu  stehen  und  zu  gehen,  trotzdem  seine  Sensi- 
bilität, seine  motorische  Kraft  und  die  Goordination  der  andern  Bewegungen  seiner 
Unterextremitäten  intact  sind. 

Die  aus  den  angeführten  eigenen  und  fremden  Beobachtungen  gezogenen  Resul- 
tate ergeben,  dass  der  Beginn  des  Leidens  meist  ein  ziemlich  plötzlicher  ist  und  sich 
mit  oder  ohne  schmerzhafte  Sensationen  nach  einer  heftigen  Gemüthsbewegung  oder 
leichtem  Trauma  einstellt  In  seinen  leichtesten  Anklängen  besteht  es  nur  in  einer 
Art  von  Unsicherheit  beim  Stehen  und  Gehen.  Augenschluss  scheint  die  Sache  zu 
verstärken,  doch  ist  das  inconstant.  Sehnenreflexe  sind  meist  normal.  Andere  Arten 
der  Fortbewegung,  wie  Springen,  Klettern,  das  Gehen  auf  einem  Beine  oder  auf  «allen 
Vieren,  können  erhalten  sein.  Im  Liegen  sind  alle  Bewegungen  möglich.  Oft  sind 
anderweite  nervöse  Störungen  vorhanden,  insbesondere  solche  hysterischer  Natur; 
auf  Zeichen  organischer  Bückenmarkserkrankung  muss  natürlich  geachtet  werden.  In 
andern  Fällen  fehlten  alle  sonstigen  Störungen.  Die  Intensität  der  Symptome  ist 
verschieden.  Der  Verlauf  ist  zuweilen  capriciös;  Heilung,  oft  plötzliche,  ist  die 
Regel.  — 

Die  Diagnose  ist  nicht  so  leicht;  eine  exacte  Differenzirung  schützt  vor  Ver- 
wechselungen: Tabes,  Friedreich'sche  Krankheit,  hysterische  Ataxie  und  Paniplegie, 
Chorea,  saltatorischer  Reflexkrampf,  gewisse  Beschäftigungsneurosen  u.  A.  wollen 
vermieden  sein.  Was  die  Aetiologie  betrifft,  so  kamen  ausser  den  oben  erwähnten 
Ursachen  noch  vor:  schwere  Entbindung,  Typhus;  in  andern  Fällen  fehlte  eine  auf- 
findbare Ursache.  Die  Therapie  ist  dieselbe  wie  bei  Hysterie:  energischer  Zuspruch, 
Isolirung,  Hydrotherapie,  Suggestion  etc. 

Bei  der  physio-pathologischen  Erklärung  erinnert  Verf.  an  die  Schwierigkeit  des 
Gehen-  und  Stehen-Lernens  beim  Kinde;  später  geschieht  das  Gehen  und  Stehen  ohne 
Mühe  und  fast  ohne  Mitwirkung  des  Bewusstseins,  ganz  automatisch.  Spinale  Centren 
unterhalten  die  durch  Bindenimpuls  „in  Gang"  gesetzte  Bewegung,  bis  zum  hemmen- 
den Impuls,  in  geregelter  Weise,  in  ausgeschliffenen  Bahnen.  Nun  kann  diese  Hem- 
mung in  krankhafter  Weise  auftreten,  sei  es  in  der  Rinde,  oder  in  den  spinalen 
Gentren  (Fall  X  spricht  hierfür),  experimentell  auch  durch  Suggestion,  und  die  Stö- 
rung ist  da,  rein  functionell,  psychisch  gewissermaassen.  Siemens. 


—    385    — 

9)  Report  on  inquiry  (oolleotive  investlgation  oommitjbee  of  the  Brit.  med. 

aasoo.)  No.  ü,  Chorea.    Prepared  by  St  Mackenzie.  (The  Brit.  med.  Journ. 

1887.  Peb.  26.  p.  426.) 

Ich  finde  hier  keinen  Baam,  um  ansfOhrlich  über  die  Ergebnisse  der  englischen 

Sammelforschung  in  Beziehung  auf  Chorea  zu  berichten.    Indem  ich  aaf  die  reichen 

Einzelheiten   der  Arbeit   verweise,  hebe  ich   folgende   Punkte  aus  dem  zahlreichen 

tabellarisch   dargestellten   Material  hervor.    In  dem  Zeiträume  1882 — 1885  wurden 

439  Fälle  von  Chorea   beigebracht.    Die   Kranken   (bei  3  nicht  angegeben)  waren 

männUchen  Qeschlechtes:  114mal,  weiblichen:  322mal. 

Das  Lebensalter  der  Choreakranken  der  Häufigkeit  nach: 

Im  1.  Lustrum  des  Lebens  standen  die  Kranken    6mal=3   1^36^/^ 

«   2.       „        „        „         „        „        „      149mal=.33,96«/o 

^     »3.       „        „        „         „        „        „      I91mal=43,50% 

M  4-       *>        M        »»         »        M        »»        7lmal=16,lö7o    • 
„   5.       „         „         „  „         „         „        10mal=  2,29  ^/o 

Die  darauf  folgenden  Jahre  weisen  relativ  seltene  Erkrankungen  an  Chorea  auf. 

Die  Gesellschaftsklassen,  aus  denen  die  Choreakranken  hervorgehen  (immer 
unter  Vorwalten  des  weiblichen  Geschlechtes)  sind  durch 

die  höheren  12mal,   durch  die  mittleren  115mal,  durch  die  niederen  303mal 
vertreten  (ohne  Angabe  9). 

Die  Ernährung  der  Patienten  wurde  bezeichnet  als  mager  212mal«  massig 
gut  181mal,  stark  43mal. 

Die  Kräfte  waren  schwach  133mal,  massig  202mal,  gross  69mal. 

Das  Wachsen  geschah  massig  208mal,   schnell  I59mal,   langsam  49mal. 

Die  Menses  waren  noch  nicht  erschienen  (im  Lebensalter  von  10  bis 
18  Jahren)  65ma],  regelmässig  44mal,  unregelmässig  32mal.  —  7  Frauen 
waren  Gravidae  zur  Zeit  des  ersten  Anfalles;  Imal  kam  der  Anfall  in  der  Periode 
des  Säugens. 

Die  Nahrung  war  ausreichend  384mal,  nicht  ausreichend  48mal,  über- 
mässig Imal«  schlecht  2maL 

Die  dem  Anfall  vorhergehenden  Krankheiten  waren: 
Rheumatismus  (acut  mit  Gelenkaffection)  ll6mal. 
Vager  und  chronischer  Rheumatismus  63ma]. 

Scarlatina  129mal,  Masern  116mal,  Scarlatina  und  Masern  zusammen  34mal. 
Keuchhusten  43mal. 
Anämie  92mal. 

Andere  erregende  Ursachen:  Schreck  115mal,  geistige  üeberanstrengnng 
71mal«  NachäflFung  13mal,  Würmer  9mal. 

Körperliche  Ueberanstrengung  wurde  als  Ursache  in  32  Fällen  angenommen, 
und  zwar  im  Alter  von  6 — 10  Jahren  3mal,  11 — 15  Jahren  12mal,  16 — 20  Jahren 
15  mal,  über  20  Jahren  2maL 

Herzkrankheiten  (mit  mehr  oder  weniger  ausgesprochener  Diagnose)  bestanden 
141  mal,  mehr  functionelle  Herzstörungen  ausserdem  73mal.  (Die  Mitralklappe  war 
116mal,  die  Aorta  6mal  erkrankt.) 

Unter  439  Fällen  von  Chorea  bestand  während  des  Chorea-Ausbruchs  oder 
unmittelbar  nachher  96mal  acuter  (oder  subacuter)  Rheumatismus  (beziehungs- 
weise 56  und  40). 

Eine  Reihe  seltener  Complicationen,  die  bei  Chorea  vorkamen,  wurden  hier  nicht 
wiedergegeben. 

Hereditär  (in  der  Familie  der  Chorea-Patienten)  kam  Rheumatismus  45mal 
unter  100  vor. 

Zur  Therapie  konnte  die  Sammelforschung  wegen  sich  von  selbst  ergebender 
Schwierigkeiten  Gesetze  nicht  formuliren.    Die  verschiedensten  Mittel  und  Methoden 

24 


—    886    — 

wurden  für  sich  oder  in  Verbindung  mit  einander  bald  mit,  bald  ohne  Erfolg  ver- 
sucht. Die  medikamentöse  Behandlung  war  relati?  die  häufigere.  Buhe  und  Nah- 
rung waren  nützlich,  unter  den  Arzneien:  Arsen  und  Eisen.  —  Salicylpraparate 
(Fälle  mitgetheilt)  zuweilen  nützlich,  wo  andere  Mittel  erfolglos.  Genannt  werden 
noch:  Zinksulfat  und  Yalertanat;  Zink  mit  Belladonna;  Bromkalium;  Chloral;  ausser- 
dem Antihelminthica.    (Massage;  Elektricität;  Hydrotherapie.) 

L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

10)    EÜology  of  Chorea»  by  Porter.    (The  British  med.  Journal.  1888.  April  7. 
p.  749.) 

P.  gab  eine  statistische  üebersicht  über  49  Fälle  von  Chorea  seiner  Praxis  in 
Beziehung  auf  Aetiologie.  Die  Fälle  betrafen  37  weibliche  und  12  männliche  Indi- 
viduen, so  dass  die  gewöhnlich  angenommene  Häufigkeit  des  Vorkommens  der  Chorea 
beim  weiblichen  Geschlecht  gegenüber  dem  männlichen  auch  hier  wie  3 : 1  festge- 
stellt werden  konnte. 

Acuter  oder  subacuter  Rheumatismus  bei  irgend  einem  Familiengliede  des  Fat 
kam  13mal,  ausserdem  noch  2mal  in  Verbindung  mit  Chorea  vor.  —  3mal  fand 
sich  in  der  Familie  allein  Chorea,  3mal  auch  andere  nervöse  Erkrankung.  Die  Zahl 
der  Fälle,  in  welchen  sowohl  in  der  Familie,  als  auch  bei  den  Patienten  Rheumatis- 
mus auftrat,  waren  22  unter  46,  nervöse  Disposition  oder  vorhergegangene  Chorea 
allein  18.  Nach  seiner  Anscbauung  kann  Chorea  für  sich  Endocarditis  und  Klappen- 
fehler hervorrufen.  8mal  unter  39  fand  sich  ein  Herzgeräusch,  bei  welchen  8  nur 
3mal  Rheumatismus  bestanden  hatte.  Ueberbürdung  beim  Unterricht  gehört  zu  den 
krankmachenden  Einfiüssen.  Ob  Chorea  und  Rheumatismus  aus  einer  und  derselben 
Quelle  herrühren,  bleibe  noch  festzustellen.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


11)  Gase  of  rapidly  fatal  Chorea;  death  in  130  hours.  Bericht  von  Cook 
und  Clifford  Beale  am  Great  North.  C.  Hospital.  (The  British  med.  Jouro. 
1888.  April  U.  p.  795.) 

Das  9jährige  Mädchen  bekommt  eine  ganz  milde  beginnende  Chorea  mit  den 
bekannten,  hier  nicht  ausfQhrlich  wiedergegebenen  Erscheinungen.  Diese  steigern 
sich  von  Stunde  zu  Stunde;  die  Ruhelosigkeit  wird  sehr  gross.  Das  Kind  schreit 
auf,  delirirt,  Temperatur  massig  (101^  F.),  Puls  wird  frequenter,  kaum  fühlbar  zu- 
letzty  Respiration '  häufig  und  aussetzend,  plötzlicher  Tod.  Der  ganze  Vorgang  vom 
ersten  Beginn  bis  zum  Tode  hatte  130  Stunden  gedauert. 

Autopsie  ergab  congestionirte  Lungenbasis;  linke  Pleura  adhäreni  Rechtes 
Herz  schlaff,  erweitert  mit  Blutcoagulum  und  etwas  flüssigem  Blut.  Die  linke  Herz- 
hälfte fest  contrahirt,  Muskeln  daselbst  gut.  An  dem  freien  Rande  der  Mitralklappe 
die  Ansätze  der  Chordae  tendineae  verdickt;  an  einigen  derselben  hafteten  fibrinöse 
Coagula.  Keine  Ulceration  des  Endocardiums.  An  Pens  und  MeduUa  ausgesprochen 
hochgradige  Anämie;  die  übrigen  Verhältnisse  im  Qehim  und  Rückenmark  nicht 
abnorm. 

Bei  der  Therapie  hatten  sich  Arsen,  Morphium,  Chloral,  Brom  unwirksam  er- 
wiesen. L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

12)  Senile  Chorea,  by  Suckling.  (The  Brit.  med.  Joum.  1888.  April  28.  p.  907.) 

S.  stellte  in  der  Midland  med.  Gesellschaft  eine  62jähr.  Frau  vor,  welche  seit 
9  Jahren  an  Chorea  litt.  Beide  obem  und  untern  Extremitäten,  Zunge  und  Lippen 
boten  die  krankhaften  Bewegungen  und  das  Bild  der  mangelnden  Coordination  dar. 
Im  Schlafe  hörten  die  krankhaften  Bewegungen  auf;   Gemüthsbewegungen  steigerten 


—    987    — 

sie,  Patientin  schrieb  ihr  Leiden  Sorgen  und  Kummer  zu.  Als  12jähr.  Madchen 
hatte  sie  3  Monate  an  Chorea  gelitten,  war  dann  aber  geheilt  worden.  Im  Alter 
von  45  Jahren  war  sie  an  Rheumatismus  erkrankt.  Intelligenz,  Sinne,  Herz  normal. 

L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

13)  Zur  Lehre  von  der  Chorea  minor,  von  Dr.  Paul  Koch,  Zwickau.   (Deutsches 
Arch.  f.  klin.  Med.  XL.  H.  5  u.  6.) 

Statistik  über  267  Fälle  aus  der  Leipziger  medicinischen  Klinik  und  Poliklinik 
—  darunter  100  masc,  167  fem.,  d.  i.  37,45  und  62,54  7o»  «i»  Resultat,  welches 
mit  dem  anderer  deutscher  Autoren  (Eulenburg)  übereinstimmt,  aber  von  dem  der 
Engländer  erheblich  abweicht  (27  ^[q  masc.  und  73  ^/^  fem.),  so  dass  Verf.  nationale 
und  locale  Verschiedenheiten  als  hierauf  von  Einfluss  anzunehmen  geneigt  ist. 

Das  7.  bis  13.  Lebensjahr  ist  am  meisten  von  der  Krankheit  heimgesucht. 

Im  Winter  und  bei  kalter  Witterung  steigert  sich  die  Zahl  der  Ghoreafälle.  Der 
December  liefert  den  grössten  Frocentsatz  (22  ^/q)  aller  Erkrankungen. 

Hereditäre  Anlage  spielt  bei  der  Chorea  eine  sehr  untergeordnete  Rolle.  Die 
Möglichkeit  einer  directen  Vererbung  wird  geleugnet. 

Unter  den  Veranlassungsursachen  stehen  bei  115  genauer  darauf  untersuchten 
Fällen  „heftige  psychische  Erregung''  (25mal)  und  „anscheinend  Rheumatismus"  (21mal) 
obenan.  In  den  3  Fällen  von  Chorea  gravidarum  handelt  es  sich  um  Erstgebärende; 
sie  verlaufen  günstig  für  die  Mutter. 

Bei  der  Symptomatologie  bespricht  Verf.  die  Druck-  und  Schmerzpunkte,  denen 
er  gar  keine  Bedeutung  beilegt,  die  nicht  constante  Ovarie  und  die  Sehnenreflexe, 
bei  denen  „gröbere  Abweichungen  von  der  Norm  zu  den  Seltenheiten  gehören''. 
Leichtere  psychische  Störungen  sind  bei  der  Chorea  häufig,  geistige  Trägheit  und 
Stumpfheit  selbst  in  langwierigen  Fällen  selten  (entgegen  v.  Ziemssen  und  Eulen- 
barg);  unter  110  Fällen  findet  sich  eine  Psychose  (Melancholie). 

Unter  54  schwereren  Fällen  finden  sich  9  Casus  gravissimi  (complicirt),  von 
denen  4  tödlich  endeten;  bei  den  letzteren  fand  sich  stets  frische  oder  recidivirte 
Endocardiüs. 

Recidive  traten  unter  162  Fällen  35mal  auf  (21,6  ^/q),  darunter  10  chronische 
mit  der  Dauer  von  1 — 7  Jahren. 

Sicherer  Zusammenhang  mit  Rheumarthritis  konnte  unter  111  Fällen  21mal, 
d.  i.  in  18,91  ^/^  constatirt  werden.  Klappenfehler  fanden  sich  bei  153  Choreatischen 
21mal  (13,72*'/o),  von  denen  6  in  Verbindung  mit  Rheumatismus.  (Ueber  diesen 
Punkt  bestehen  im  Uebrigen  sehr  weit  in  ihren  Resultaten  auseinandergehende  Sta- 
tistiken und  Ansichten;  auch  liier  scheint  der  Mittelweg  der  richtige  zu  sein). 

Das  letzte  Capitel  ist  der  „Ontologie"  der  Chorea  gewidmet.  Die  gesammelten 
pathologischen  Befunde  sind  zu  dürftig,  um  das  Wesen  der  Chorea  festzustellen,  die 
klinischen  Erfahrungen  zu  vielseitig  gedeutet,  um  darüber  eine  Einigung  zu  erzielen. 
Daher  sind  auch  des  Verf.  Schlüsse  nur  als  Hypothesen  aufzufassen,  immerhin  be- 
deutsam genug,  um  hier  kurz  wiedergegeben  zu  werden: 

1.  Die  Chorea  darf  nicht  als  Neurose  aufgefasst  werden;  die  verschiedensten 
Gründe  bestimmen  dazu,  in  ihr  eine  Infectionskrankheit  zu  vermuthen. 

1.  Das  choreatische  Virus  nimmt  vorzugsweise  die  cortico-musculären  Nerven- 
(Pyramiden-)  Bahnen  in  Angriff  und  zwar  mehr  im  Gehirn  als  im  Rückenmark. 

3.  Dasselbe  ist  nahe  verwandt  mit  dem  polyarthritischen,  so  dass  gelegentlich 
das  letztere  Chorea  und  das  choreatische  Polyarthritis  hervorbringen  kann;  die  Endo- 
cardiüs steht  dazu  in  enger  Beziehung;  tritt  dieselbe  einmal  vor  der  Chorea  auf,  so 
kann  man  sie  durch  das  choreatische  Virus  entstanden  denken. 

Die  zum  Theil  sehr  überzeugenden  Gründe  für  diese  Schlüsse  mögen  im  Original 
nachgelesen  werden. 

24» 


—    388    — 

(Id  der  Litterator  wäre  noch  eine  Arbeit  von  Litten,  Charit^-Annalen  1866, 
S.  265  ff.,  die  aich  ancb  besonders  mit  der  Ontologie  besch&fügt,  zu  erwähnen  ge- 
wesen.   Bef.)  Sperling. 


14)  Ein  Fall  von  imitatorisoher  Chorea  mit  tddtlichem  Ausgange»  von  Dr. 

Arthur  Schwarz  in  Budapest.    (Pester  med.-chirurg.  Presse.  1887.) 

Die  geschilderten  Verhältnisse  sind  kurz  folgende:  Ein  junges  Mädchen  erkrankt 
an  Chorea;  kurz  darauf  wird  auch  ihre  Mutter,  die  bis  dahin  die  Tochter  zärtlich 
gepflegt  und  mit  ihr  seit  Beginn  der  Krankheit  dasselbe  Bett  getheilt  hatte,  von 
einer  allgemeinen  Chorea  überfallen.  Sorgen,  Kummer  und  Anstrengungen  waren 
in  der  Familie  zu  Hause  gewesen.  Nachdem  bei  der  Mutter  die  Extremitäten  im 
Verlauf  einiger  Wochen  ruhig  geworden  waren,  beschränkten  sich  die  Zuckungen  auf 
den  rechten  Facialis  und  nahmen  hier  einen  tonischen  Charakter  an.  Einer  allmäh- 
lich zunehmenden  Lähmung  des  rechten  Facialis  folgte  eine  rechtsseitige  Hemiparese, 
verbunden  mit  Zungenlähmung  psychischer  Depression,  Apathie,  Abnahme  der  In- 
telligenz und  Aphasie.  Die  Pupillen  sind  ungleich  bei  guter  Beaction.  Die  Sensi- 
bilität ist  überall  intact.  Etwa  2V2  Monat  nach  Ausbruch  der  ersten  Erscheinungen 
erfolgt  der  Tod.    Autopsie  liegt  nicht  vor. 

Verf.,  der  aufs  Entschiedenste  die  Meinung  vertritt,  dass  die  Chorea  der  Mutter 
durch  Nachahmung  der  Krankheitserscheinungen  der  Tochter  entstanden  ist,  und 
dass  die  Basis  für  die  Krankheit  der  erstem  durch  geistige  und  Gemüthsaufregungen 
gewonnen  wurde,  sucht  sich  den  üebergang  von  ursprünglich  functionellen  Störungen 
zu  materiellen  zu  erklären.  Ausgehend  von  den  interessanten  Beobachtungen  Stricker*s 
über  die  Nachahmung,  welche  eine  Thätigkeit  derjenigen  centralen  Nervenelemente 
annehmen  liesse,  welche  beispielsweise  bei  einer  choreatischen  Person  sich  in  Muskel- 
Bewegungen  äusserten,  nimmt  Verf.  eine  initiale  Hyperämie  in  den  fraglichen  — 
leider  bei  mangelnder  Autopsie  nicht  eruirten  —  Centren  an,  welche  bei  bereits  er- 
krankten Gefässen  zu  einer  Zerreissung  derselben  geführt  hätte. 

Für  die  Annahme  des  Sitzes  der  betr.  Affection  in  der  Hirnrinde  liegt  kein 
Grund  vor.  Die  bisher  veröffentlichten  Sectionsbefunde  bei  Chorea  praehemiplegica 
—  und  als  solche  muss  der  Fall  doch  aufgefasst  werden,  gleichgültig,  ob  er  durch 
Nachahmung  entstanden  oder  nicht  — ,  wiesen  meist  Heerde  auf  im  hintern  Abschnitt 
der  innem  Kapsel,  in  dem  dazu  gehörigen  Stabkranzfnss  (Gebiet  der  Arteria  thalami 
posterior),  im  hintern  Theil  des  Thalam.  optic.  oder  im  Nucleus  caudatus. 

Sperling. 

16)  Faramioclono  multiplo,  rassegna  pel  Dott.  G.  Seppilli.  (Bivista  speriment 
di  Freniatr.  e  di  Medic.  Legale.  1888.  XIU.  p.  387.) 

Entwurf  des  klinischen  Bildes  des  „Paramyodonus  multiplex'',  wie  es  sich  ans 
der  Zusammenstellung  der  (voUständig  aufgezählten)  Litteratur  ergiebi 

Charakteristisch  für  den  Paramyodonus  sind  clonische  Muskelzuckungen,  die 
vorwiegend  in  den  oberen  und  unteren  Extremitäten,  seltener  in  der  Rumpfmusculatur 
and  im  Gesicht  eintreten,  die  gewöhnlich  symmetrische  Muskeln  auf  beiden  Seiten, 
wenn  auch  zu  verschiedenen  Zeiten  ergreifen,  die  sich  bald  vereinzelt,  bald  gehäuft 
zeigen  und  deren  Anzahl  im  letzteren  Fall  zwischen  5 — 10  und  140 — 180  in  der 
Minute  zo  schwanken  vermag.  Die  Intensität  der  Zuckungen  ist  sehr  wechselnd  von 
einer  einfachen  momentanen  Coutraction  des  Muskels  bis  zu  einem  die  Ortslage  der 
Extremität  verändernden  Krampf;  in  seltenen  Fällen  sind  auch  nnr  beschränkte  fibrilläre 
Zückungen  einzelner  Faserbündel  beobachtet  worden.  Einen  wesentlichen  aber  indi- 
viduell sehr  verschiedenen  Einfluss  auf  die  Zahl  und  auf  die  Intensität  der  Zuckungen 
hat  die  Körperhaltung. 


—    S89    — 

WiUkürliche  Bewegangen  hemmen  meistens  die  Zncbingen,  in  einzelnen  F&Uen 
schienen  sie  sie  allerdings  zu  verstärken.  Im  Schlaf  hören  die  Zuckungen  in  der 
Mehrzahl  der  F&lle  anf.  Fsychisch'e  Eindrücke  und  Hautreize  vermehren  meistens 
die  Zuckungen;   in  zwei  Fallen  brachte  Alkoholgenuss  dieselben  zum  Aufhören. 

Mechanische,  faradische  und  galvanische  Erregbarkeit  der  Muskeln  und  der  Nerven 
ist  meistens  ganz  ver&ndert;  die  Sehnenreflexe  sind  gewöhnlich  sehr  gesteigert 

Die  Sensibilität  bleibt  normal;  in  einzelnen  Fällen  riefen  die  Zuckungen  aller- 
dings das  GefQhl  der  Müdigkeit  und  selbst  einen  dumpfen  Schmerz  hervor. 

Der  Verlauf  des  Leidens  ist  immer  langwierig.  Qenesung,  aber  auch  Reddive 
sind  nicht  selten. 

Hereditäre  nenropatlusche  Disposition  (bei  ^/^  der  Fälle)  ist  wohl  ohne  wesent- 
lichen Einfluss.  In  einzelnen  Beobachtungen  scheint  es  sich  um  eine  „Schreckneurose" 
gehandelt  zu  haben.  Das  gewöhnliche  Alter  beim  Ausbruch  schwankt  zwischen 
20  und  40  Jahren. 

Die  einzige  Autopsie  ergab  weder  für  die  Annahme  einer  idiopathischen  noch 
für  die  einer  nervösen  Erkrankung  einen  Anhalt. 

Unter  den  therapeutischen  Eingriffen  scheint  die  Behandlung  mit  dem  galvanischen 
Strom  noch  am  erfolgreichsten  gewesen  zu  sein.  Sommer. 


16)  Two  oases  of  hemiohorea  assooiated  with  Bright's  disease»  by  Francis 
X.  Der^um.    (Jonmal  of  nervous  and  mental  disease.  1887.  XIV.  p.  473.) 

Verf.  hat  Gelegenheit  gehabt,  in  zwei  Fällen  von  Morbus  Brightii,  bei  einem 
58jähr.  und  bei  einem  60jähr.  Mann,  ausgesprochene  Hemicborea  der  rechten  Körper- 
hälfte zu  beobachten.  Im  ersteren  Falle  hielten  die  abnormen  Bewegungen  fast 
4  Wochen  bis  zum  Tode  an;  die  Section  ergab  durchaus  keinen  Himbefund,  auf 
welchen  die  Chorea  hätte  zurückgeführt  werden  können.  Im  anderen  Fall  traten  die 
choreatischen  Bewegungen  2  Jahre  nach  einer  rapid  entstandenen  und  in  wenigen 
Tagen  wieder  restituirten  Paralyse  des  rechten  Beines  ein  und  halten  ziemlich  un- 
verändert seit  einem  Jahre  an;  in  der  letzten  Zeit  sind  ähnliche  Bewegungen,  wie 
in  der  rechten  Eörperhälfte,  auch  in  dem  linken  Bein  gelegentlich  beobachtet  worden. 
Verf.  hält  die  Verbindung  der  Hemichorea  mit  Morbus  Brightii  nicht  für  ein  zußdliges 
Zusammentreffen.  Er  weist  darauf  hin,  dass  schon  mehrere  Beobachtungen  über 
urämische  Krämpfe  und  Lähmungen,  die  ganz  auf  eine  Körperhälfte  beschränkt  ge- 
blieben sind,  in  der  Litteratur  vorliegen,  so  von  Raymond  (1885)  und  von  Chante- 
messe  und  Tenneson  (ebenfalls  1886),  und  dass  femer  Raymond  einseitige 
urämische  Oonvulsionen  experimentell  hervorgerufen  hat,  indem  er  vor  Abschnürung 
beider  Kieren  das  Halsganglion  des  einen  Sympathicus  entfernte.  Sommer. 


m.  Aus  den  Gesellschaften. 

Berliner  Gtosellsohaft  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.   Sitzung  vom 

11.  Juni  1888. 

1.  Herr  Oppenheim:  Herr  Bernhardt  hat  in  der  letzten  Sitzung  dieser  Ge- 
sellschaft einen  Patienten  vorgestellt,  bei  dem  sich  in  Folge  einer  Verletzung  der 
Wirbelsäule  eine  Lähmung  der  Blase,  des  Mastdarms,  sowie  Sensibilitätsstörungen 
von  eigenthümlicher  Verbreitung  entwickelt  hatten.  Von  besonderem  Interesse  war, 
dass  die  Potenz  nicht  erloschen,  dagegen  die  Ejacnlatio  seminis  behindert  war. 

Einen  ähnlichen  Fall  habe  ich  lange  Zeit  klinisch  beobachten  können  und  durch 
die  Autopsie  und  nachfolgende  mikroskopische  Unterauchung  einen  Einblick  in  die  zu 


—    890    — 

Qrunde  liegenden  Yerandenmgen  gewonnen,  so  dass  ich  die  Bernhardt'sche  Beobach- 
tung in  erspriesslicher  Weise  zu  ergänzen  im  Stande  bin. 

Der  24jährige  Bauarbeiter  August  Uhlich- wurde  am  19.  August  1887  in  die 
Charit^  aufgenommen.  Er  war  an  diesem  Tage  von  einem  Neubau  in  der  Höhe  von 
2  Etagen  heruntergefallen,  auf  das  Kreuz.  Er  war  ein  paar  Momente  bewussüos, 
dann  stellte  sich  eine  mehrere  Stunden  anhaltende  Taubheit  und  Bewegungslosigkeit 
in  beiden  Beinen  auf.  Sogleich  trat  Harnverhaltung  ein.  Er  wurde  in  die  äussere 
Abtheilung  der  Charit^  gebracht.  Die  Lähmung  verlor  sich  schnell,  ebenso  das  taube 
Gefühl  in  den  Beinen.  Dagegen  blieb  eine  völlige  Incontinentia  urinae  et  alvi  be- 
stehen, die  Entleerungen  kamen  ihm  nicht  zum  Bewusstsein.  Seit  der  Zeit  der  Ver- 
letzung ist  auch  der  Penis  andauernd  schlaff,  ohne  Erection,  ohne  Samenabgang. 

Es  findet  sich  ein  Gibbus  in  der  (hegend  des  1.  und  2.  Lendenwirbels,  die 
Domfortsätze  sind  auf  Percussion  empfindlich.  In  der  Bflckenlage  sind  alle  Bewe- 
gungen der  unteren  Extremitäten  ausfahrbar  ohne  wesentliche  Kraftverringerung, 
höchstens  ist  die  Action  der  Wadenmuskeln  etwas  geschwächt.  Keine  Atrophie  an 
den  unteren  Extremitäten,  keine  Abnahme  der  elektrischen  Erregbarkeit.  Kniephäno- 
mene vorhanden,  eher  gesteigert,  dagegen  fehlen  dauernd  die  Achillessehnenphänomene. 
Hautreflex  lebhaft.  Keine  Contractur.  Völlige  Lähmung  der  Blase  und  des  Mast- 
darms. Eine  ausgeprägte  Anästhesie  findet  sich  nun  in  der  ganzen  Umgebung  des 
Anus,  in  der  Glutaeal-,  Perineal-,  Scrotalgegend  und  am  Penis,  ausserdem  ist  ein 
Streifen  an  der  medialen  Hinterfiäche  des  Oberschenkels  anästhetisch.  Die  Anästhesie 
umgreift  alle  Sensibilitätsqualitäten,  besonders  ausgeprägt  ist  aber  die  Analgesie. 
Nach  oben  reicht  der  nicht  fühlende  Bezirk  bis  zu  einer  etwa  die  Mitte  des  Hüft- 
beins treffenden  Linie,  rechts  aussen  bis  zur  Furche  zwischen  Tuber  ischii  und  Tro- 
chanter  major. 

An  allen  fibrigen  Stellen  ist  das  Gefühl  gut. 

Pat.  katheterisirt  sich  selbst  mit  Näaton. 

Es  entwickelt  sich  eine  Urethritis  purulenta  (ohne  Gonokokken),  die  unter  An- 
wendung von  Jodoformstäbchen  gebessert  wird.  Im  November  aber  stellte  sich  Fieber 
ein,  Oedem  an  den  Füssen  und  Pat  ging  am  8.  Dec.  zu  Grunde. 

Bei  der  Autopsie  fand  sich  eine  Infraction  des  1.  Lendenwirbels,  dessen  Körper 
wie  stark  zusammengepresst  erscheint  und  zum  Theil  in  ein  derbes  fibrös-sulziges 
Gewebe  verwandelt  ist,  der  Wirbelkanal  ist  hier  auf  eine  kleine  Strecke  deutlich 
verengt,  ohne  dass  am  Bückenmark  bei  äusserer  Besichtigung  etwas  Pathologisches 
zu  erkennen  ist,  und  fand  ich  gleich  in  einem  am  Sacraltheil  entnommenen  Partikel- 
chen zahlreiche  Kömchenzellen. 

Nach  der  Härtung  in  Müller'scher  Lösung  wurde  es  evident,  dass  die  unterste 
Spitze  des  Bückenmarks,  der  Conus  terminaHs  vollständig  myelitisch  erkrankt  war, 
dass  die  Veränderungen  sich  bald  mehr  und  mehr  auf  die  Hinterstränge  beschränkten 
und  in  der  eigentlichen  Lendenanschwellung  schon  ausser  der  aufsteigenden  Degene- 
ration nichts  Pathologisches  mehr  nachzuweisen  war.  Ein  Querschnitt  durch  den 
Sacraltheil  zeigt  erhebliche  Veränderungen.  Die  hintere  Hälfte  des  Bückenmarks, 
d.  h.  die  Hinterstränge  bis  auf  eine  kleine  vordere  Kuppe,  die  Hinterhömer  und 
ein  Theil  der  hinteren  Seitenstränge  scheint  zu  fehlen,  man  sieht  hier  ein  Gewebe, 
das  von  dichtgedrängten  Bundzellen,  neugebildeten  Gefässen  und  freien  Blutungen 
durchsetzt  ist  und  den  übrigen  Theil  des  Querschnitts,  welche  die  Vorderhömer  und 
die  Vorderseitenstränge  enthält,  nach  hinten  wie  ein  Wall  abschliesst.  Aber  auch 
der  erhaltene  Theil  iut  beträchtlich  erkrankt.  Namentlich  die  graue  Substanz  ist 
überaus  kemreich,  enthält  keine  Ganglienzellen  mehr,  in  der  weissen  sind  die  Nerven- 
fasern wenigstens  zum  Theil  untergegangen.  Die  Wurzeln,  die  in  dieser  Höhe  ent- 
springen, sind  ebenfalls  in  Mitleidenschaft  gezogen,  namentlich  die  hinteren,  die 
Wurzeln  aber,  die  von  höheren  Partien  des  Bückenmarks  herabsteigend,  ebenfalls  die 
verengte  Partie  durchziehen  mussten,   sind  nicht  wesentlich  alterirt.    Die  Pia  ist 


—    391    — 

überall  abgehoben,  verdickt  und  stark  vaficularisirt.  Schon  in  den  untersten  Theilen 
der  Lendenanschwellung  beschränkt  sich  die  Erkrankung  auf  das  Hinterstranggebiet 
und  in  der  Anschwellung  selbst  haben  wir  nur  noch  die  aufsteigende  Degeneration 
der  Goll*schen  Stränge. 

Eine  solche  sich  auf  den  Sacraltheil  des  Backenmarks  beschränkende  Erkran- 
kung ist  jedenfalls  überaus  selten.  Eine  Compressionsmyelitis  und  Haematomyelie 
des  untersten  Bückenmarkstheiles  in  Folge  einer  Infraction  des  ersten  Lendenwirbels 
batte  zu  Symptomen  geführt,  die  auf  eine  Lähmung  des  3.  und  4.  Sacralnerven  hin- 
weisen. Denn  auch  die  Sensibilitätsstörungen  lassen  sich  aus  einer  Affection  des 
Plexus  pudendo-haemorrhoidalis  resp.  seines  spinalen  Centrums  vollständig  erklären, 
ohne  dass  eine  Betbeiligung  des  Plexus  ischiadicus  angenommen  zu  werden  braucht. 
Bemerkenswerth  ist  auch  das  dauernde  Fehlen  der  Achillessehnenphänomene  bei 
Steigerung  des  Eniephänomens. 

Einen  ähnlichen  Fall  berichtet  Kirchhoff,  es  ist  aber  von  einer  Sensibiliiäts- 
störung  keine  Bede,  femer  waren  die  Veränderungen  in  der  Höhenausdehnung  aus- 
gebreiteter, während,  soweit  man  aus  seiner  Beschreibung  ersehen  kann,  die  Erkran- 
kung auf  dem  Querschnitt  des  Sacraltheils  sich  nicht  als  eine  so  intensive  darstellte, 
wie  in  unserm  Falle. 

Aehnliche  Symptomenbilder  können  hervorgerufen  werden  durch  Erkrankung  des 
Plexus  pudendo-haemorrhoidalis  selbst.  Dafür  ist  der  WestphaTsche  Fall  ein  treff- 
liches Beispiel.  Hier  handelte  es  sich  um  eine  gummöse  Neubildung  und  ist  es  für 
die  Differentialdiagnose  gewiss  beachtenswerth,  dass  Beizerscheinungen  in  den  Bahnen 
der  betroffenen  Nerven  (Schmerzen  in  Blase,  Mastdarm,  Perinealgegend  etc.)  voraus- 
gehen. 

Herr  Bemak  hat  den  von  Westphal  in  den  Charitö-Annalen  beschriebenen 
Fall  von  Sensibilitäts-  und  Motilitätsstörung  im  Bereich  des  Plexus  pudendalis  und 
coccygeus  mitbeobachtet.  Bei  absoluter  Incontinentia  vesicae  et  alvi  war  die  An- 
ästhesie bei  der  syphilitischen  Frau  genau  so  begrenzt,  wie  in  dem  soeben  mitge- 
theilten  Falle.  Dennoch  war  das  Bückenmark  ganz  gesund  und  wurde  erst  nach 
AuMgung  des  Sacnükanals  eine  gummös-käsige  Meningitis  ermittelt»  welche  unter- 
halb des  ersten  Sacndloches  die  Nerven  der  Cauda  equina  nach  Abgang  der  Wurzeln 
des  Plexus  ischiadicus  einhüllte.  Es  kann  also  ein  gleicher  Symptomencomplex 
auch  traumatisch  zu  Stande  kommen  durch  Läsion  des  untersten  Abschnitts  der  Cauda 
equina,  durch  einen  Bluterguss  in  den  Sacralkanal,  durch  Sturz  auf  die  Gefässgegend 
mit  und  ohne  Verletzung  des  Knochens. 

Herr  Oppenheim  hebt  noch  einmal  hervor,  dass  in  Fällen,  wie  der  West- 
p harsche,  die  charakteristischen  heftigen  Schmerzen  in  den  betreffenden  Körpertheilen 
differentialdignostisch  entscheidend  sind. 

2.  Herr  Bernhardt  stellt  einen  36jährigen  Tabischen  vor,  der,  ähnlich  wie 
der  von  Herrn  Oppenheim  in  der  vorigen  Sitzung  beschriebene  Kranke,  eigenthümliche 
cephalische»  auf  Störungen  in  der  aufsteigenden  Quintus-Wurzel  zu  beziehende  Sym- 
ptome hat:  ein  Gefühl  von  Geschwollensein  des  Gesichts,  speciell  der  Lippen;  es  ist 
ihm  auch,  als  drückte  ein  Band  das  Gesicht  zusammen.  Er  bewegt  beim  Essen  den 
Bissen  ganz  gut  im  Munde  umher,  doch  verliert  er  ihn  bisweilen  aus  dem  Munde, 
wenn  er  vom  zwischen  die  Lippen  kommt.  Das  Trinken  aus  emer  Tasse  geht  schlecht^ 
weil  Fat.  dabei  nicht  recht  weiss,  wo  der  Band  der  Tasse  ist,  und  das  Getränk  ver- 
giesat.  —  Auch  das  Sprechen  ist  durch  mangelhafte  Action  der  Lippen  verschlech- 
tert. —  Die  G:esicht8sen8ibilitat  ist  im  Uebrigen  intact,  nur  zeigt  der  Tasterzirkel 
auffallend  weite  Distanzen.  —  Atactische  Bewegungen  an  den  Lippen  oder  sonst  am 
Gesicht  sind  nicht  zu  bemerken.  —  Störungen  des  Gescbmacks  sind  —  wie  meistens 
in  solchen  Fällen  —  nicht  vorhanden;  doch  hat  ein  Wiener  Autor  einmal  anhaltendes 
SflsB-Schmecken  beobachtet.  ..  .. i      .....  i.  .  i  ... 


—    S92    — 

Herr  Remak  hat  bei  einem  analagen  Kranken,  einem  70jährigen  Tabiker,  Ver- 
schlechterung des  Geschmacks  gefunden;  bei  einem  anderen  eine,  wohl  sonst  noch 
nicht  erwähnte,  Verlangsamong  der  Oeschmacksempfindnng. 

3.  Herr  Bemak  stellt  einen  Fall  von  Athetosis  vor.  Es  ist  ein  jetzt  59jähr. 
Mann,  der  im  Alter  von  1  Vs  Jahren  eine  linksseitige  Hemiplegie  bekam.  Der  linke 
Arm  ist  ganz  kräftig  entwickelt,  aber  etwas  verkürzt  (71  cm  gegen  rechts  76  cm), 
und  Patient  ist  immer  ganz  leidlich  arbeitsfähig  gewesen.  Im  Juni  und  Juli  1887 
liess  sich  Fat.  in  der  Charit^  behandeln,  weil  der  linke  Arm,  während  Kopfschmerzen 
und  Schwindel  aufgetreten  waren,  sich  verschlechtert  hatte.  Damals  traten  zuerst 
Zuckungen  am  Halse  und  in  der  linken  Hand  auf.  G^en  Ende  1887  mehrmals 
Anfalle  von  Bewusstlosigkeit,  auch  einmal  von  kurzer  Verwirrtheit.  —  Seit  dem 
30.  April  dieses  Jahres  behandelt  B.  den  Kranken,  der  beständig  —  auch  im  Schlaf 
—  Zuckungen  der  linken  Platysma  myoides  hat,  die  früher  klonisch  waren,  jetzt 
mehr  tonisch  sind;  femer  Zuckungen  der  linken  Hand,  deren  Finger,  und  zwar 
namentlich  wenn  Pat.  die  Hand  ausstrecken  oder  fest  zusammendrücken  will,  in  be- 
ständiger unregelmässig  greifender  Bewegung  sind.  —  Choreatischen  Charakter  haben 
diese  Zuckungen  nicht.  Der  Mund-Facialis  zeigt  keine  Lähmung,  die  Sensibilität  ist 
vollkommen  erhalten,  die  Sehnenphänomene  sind  nicht  deutlich  gesteigert 

Betheiligung  der  Platysma  wird  beobachtet  bei  Chorea  electrica,  bei  corticaler 
Epilepsie,  beim  Spasmus  facialis;  R.  sah  es  einmal  mitafficirt  bei  einem  Fall  von 
Hypoglossus-Krampf.  —  Während  sonst  die  Anatomen  das  Platysma  nur  in  seinem 
oberen  Theile  vom  Facialis  inner virt  sein  lassen,  nimmt  Bardeleben  an,  dass  es 
ausschliesslich  vom  Facialis  versorgt  wird.  Aus  dem  vorgestellten  Falle  möchte  R. 
eher  den  Schluss  ziehen,  dass  es  auch  mit  dem  Plexus  brachialis  in  Verbindung  steht. 

Herr  Oppenheim  sieht  zu  letzterem  Schluss  keine  Veranlassung,  denn  es  finden 
sich  bei  corticaler  Epilepsie  auch  ganz  isolirte  Krampfformen  z.  B.  nur  am  Extensor 
hallucis  longus  u.  s.  w. 

4.  Herr  Wollenberg  (Charit^)  spricht  über  psychische  Infection.  Er  präcisirt 
zunächst  den  Begriff  der  psychischen  Ansteckung  und  scheidet  die  in  der  Litteratur 
fölschlich  hierher  gerechneten  Fälle  aus,  z.  B.  die,  wo  die  Erkrankung  von  A  nur 
die  Gelegenheitsursache  (gleich  wie  Schreck,  Kummer  etc.)  war,  welche  bei  B  die 
Krankheit  zum  Ausbruch  brachte;  femer  die  Fälle  von  Irresein  bei  Zwillingen  und 
die  von  ungenauen  Beobachtungen.  —  Wirkliche  psychische  Infection  hat  Statt  in 
der  sog.  Folie  impos^e:  A  drängt  B  seine  Wahnideen  auf,  welche  dieser  erst  wieder 
verliert,  nachdem  er  von  A  getrennt  ist.  Nur  graduell  von  dieser  Form  ist  ver- 
schieden die  Folie  communiqu^,  das  eigentliche  inducirte  Irresein,  bei  welchem  die 
Wahnideen  auch  nach  der  Trennung  bleiben. 

Von  dem  inducirten  Irresein  theilte  Herr  W.  einen  von  ihm  in  Nietleben  be- 
obachteten sehr  interessanten  Fall  mit,  in  welchem  2  Schwestern,  beide  an  Paranoia 
erkrankt,  und  in  wahrhaft  seltsamer  Weise  ein  in  jeder  Hinsicht  congmentes  Krank- 
heitsbild darbietend,  nach  Jahren  auch  ihren  80jährigen  Väter  so  infidrten,  dass 
derselbe  ihre  Wahnideen  vollständig  theilte  und  ganz  wie  sie  selbst  erkrankte. 

Die  Bezeichnung  Folie  ä  deux  ist  fallen  zu  lassen,  weil  oft  mehr  wie  2  Per- 
sonen —  man  hat  bis  8  Personen  zusammen  erkranken  gesehen  —  gemeinsam  er- 
griffen werden.  Ha  dl  ich. 

xm.  Wanderversammlung  südwestdeutBcher  Neurologen  und  Iirenftnte 

zu  Freiburg  i.  Br.  am  9.  u.  10.  Juni  1888. 

Original-Bericht  von  Dr.  L.  Laquer  in  Frankfurt  a.  M. 

Erste  Sitzung  den  9.  Juni  Nachmittags  3  Uhr  im  Auditorium  der  Anatomie 
zu  Freiburg.    Eröfi&iung  durch  den  Geschäftsführer  Prof.  Emminghaus*  (Freiburg), 


—    398    — 

der  des  dabingeschiedenen  Mitgliedes  Director  Freasberg  (Bonn)  gedenkt,  und  auf 
dessen  Yorscblag  Prof.  Erb  (Heidelberg)  zum  Vorsitzenden  gewäblt  wird.  —  Das 
Scbriftffihreramt  wird  Dr.  Laqner  (Frankfurt  a.  M.)  and  Dr.  Gramer  (Freibnrg) 
übertragen.    Anwesend  sind  75  Tbeilnebmen 

1.  Prof.  Bfthlmann  (Dorpat):  Ueber  solerotisohe  Veränderungen  der 

Netzhautgefässe. 

Eine  Reibe  von  Autoren  batte  bereits  frflber  Veränderungen  an  den  Gefftss- 
wänden  der  Netzbaut  nachgewiesen,  so  bei  Embolie  der  Art.  centralis,  bei  syphilitischen 
Veränderungen  und  bei  Nierenerkrankungen,  femer  bei  der  mit  Pigmentirung  der 
Netzhaut  verbundenen  hereditären  Degeneration,  wie  sie  bei  Idioten  und  Mikrocepbalen 
beobachtet  wird.  Auch  bei  atheromatöser  Erkrankung  der  Eörperarterien  sind  ein- 
zelne Befunde,  welche  die  Erkrankung  der  Netzhautgefässe  betreffen,  erhoben  worden. 

Vortragender  hat  35  Fälle  untersucht  von  Leuten,  deren  Körperarterien  sclero- 
tisch  verändert  waren:  20mal  mit  positivem  Ergebniss.  Die  Veränderung  betraf  am 
häufigsten  die  Arterien,  an  denen  sich  eine  Verdünnung  des  Kalibers  fand;  an  den 
engen  Stellen  erschienen  die  Gefässe  wie  durch  ein  schmales  Band  eingeschnürt.  — 
Diesseits  und  jenseits  dieser  Stelle  war  bis  auf  eine  leichte  Ausdehnung  des  Lumens 
etwas  Pathologisches  nicht  nachzuweisen.  —  In  den  meisten  Fällen  war  die  verengte 
Stelle  kenntlich  an  einer  spindelf5rmigen  Verbreiterung  der  Wandung,  die  als  gelb- 
weisser  oder  gelbgrauer  Fleck  sichtbar  war.  —  Es  handelte  sich  offenbar  um  eine 
Arteriosclerosis  nodosa.  Die  Patienten  zeigten  theils  sclerotisch  veränderte  Körper- 
arterien, theÜB  waren  nur  die  Carotiden  verändert;  6  waren  hemiplegisch  und  litten 
an  Herzdilatation,  bei  Einzelnen  waren  nur  habitueller  Kopfschmerz,  Neigung  zu 
Ohnmächten,  Schwindelanfallen  u.  s.  w.  vorhanden.  Ausser  dieser  Arterien-Erkran- 
kung waren  auch  die  Venen  verändert;  in  8  Fällen  betraf  die  Erkrankung  aus- 
schliesslich die  Venen  der  Netzhaut.  Auch  hier  gab  es  wieder  locale  Einengungen, 
meist  aber  fanden  sich  ektatische,  ampullenförmi^e  Ansbuchtungen  (varicöse  Ektasien). 
—  Analog  diesen  sind  miliare  Aneurysmen  an  den  Arterien  der  Netzhaut  von  Schleich, 
Rudioff,  Fuchs  u.  A.  gefunden  worden.  —  Alle  die  eben  genannten  Erscheinungen 
sind,  wenn  man  die  Windungen  der  Gefässe  genau  absucht,  nicht  schwer  zu  ent- 
decken und  bilden  somit  nach  Ansicht  des  Vortragenden  ein  wichtiges  Uülfsmittel 
zur  Diagnose  der  Gefässerkrankungen  des  Gehirns. 

2.   Prof.  Manz  (Freibarg):   Ueber  symptomatisohe  Neuritis  optioa. 

Der  diagnostische  Werth  der  Neuritis  optica  für  eine  Reibe  von  Himkrank- 
beiten  kann  nur  aufrecht  erhalten  werden,  wenn  man  den  Zusammenbang  dieser 
Local-Erkrankung  mit  der  betrefifenden  HimafFection  zu  ergründen  bestrebt  ist. 
Gräfe  bat  die  Pathogenese  gesucht  in  einer  Steigerung  des  intracraniellen  Druckes; 
Sesemann  bat  ihm  widersprochen.  —  Manz  hat  den  Hydrops  vaginae  n.  optici 
(Staumtgspapille)  so  erklärt,  dass  die  Flüssigkeiten  durch  den  gesteigerten  Druck 
nach  der  Opticus-Scbeide  hin  verdrängt  würden.  Diese  Hypothese  („Transport- 
Theorie")  hat  ziemlich  allgemeine  Anerkennung  gefunden.  —  Leber  und  Deutschmann 
baben  dagegen  die  Anschauung  vertreten,  dass  nicht  der  Druck  der  aus  dem  Schädel 
abfliessenden  Flüssigkeit,  sondern  die  Beimengung  von  Stoffwecbsel-Prodncten  reizend 
auf  den  Sehnerven  wirke.  Beweise  dafür  sind  eigentlich  nicht  erbracht  worden, 
Mikroorganismen  hat  man  in  dem  Hydrops  vaginae  n.  optici  nicht  gefunden.  Wenn 
man  die  Stanungspapüle  als  Neuritis  schlechtweg  ansieht,  dann  könne  man  das  Symp- 
tom der  Schwankungen  der  Füllung  der  Sebnervenscbeide  und  die  damit  zusammen- 
hängende Functionsschwankung  nicht  erklären.  —  Auch  sei  bei  rein  entzündlichen 
Affecüonen,  Meningitis,   Himabscessen  die  Neuritis  selten,  während  sie  bei  Tumoren 


—    394    — 

bekanntlicli  ein  wichtiges  diagnostisches  Hülfsmittel  bilde.  —  Das  widerspreche  der 
Deutschmann'schen  Ansicht. 

Die  Untersuchungen  müssten  in  klinischer  und  anatomischer  Hinsicht  wieder 
aufgenommen  werden.  M.  hält  daran  fest,  dass  die  Stauungspapille  wohl  eine  Neu- 
ritis sei,  aber  etwas  Charakteristisches  gewinne  sie  erst  durch  die  Girculationsstörung 
in  der  Umgebung  des  Sehnerven,  welche  ihrerseits  abhangig  sei  von  der  Art  der 
Himkrankheii 

3.   Dooent  Dr.  Knies  (Freiburg):  Ueber  Augenbefünde  bei  Epilepsie. 

Als  häufiger  Befund  im  Anschluss  an  epileptische  Anfalle  ist  von  vielen  Autoren 
eine  venöse  Hyperämie  der  Netzhaut  und  des  Sehnerven  constatirt  worden,  die  um 
so  auffalliger  war,  je  früher  nach  dem  Anfall  untersucht  vmrde,  und  je  heftiger  und 
zahlreicher  die  einzelnen  Attacken  auf  einander  folgten.  Es  gelingt  sehr  selten, 
während  eines  epileptischen  Anfalls  mit  der  nöthigen  Buhe  das  Auge  zu  untersuchen. 
1877  hat  Yortr.  auf  dem  Ophthalmologen-Congress  über  Befunde  bei  einem  14jähr. 
Knaben  im  Status  epilepticus  berichtet:  10 — 20  Secunden  vor  jedem  Anfall  trat 
plötzlich  eine  auffällige  Verengerung  der  Netzhautarterien  ein,  die  während  des  An- 
falles anhielt  und  mit  Beendigung  desselben  zurückging,  worauf  sehr  erhebliche  Er- 
weiterung der  Venen  emtrat.  Wir  sehen  also  an  den  Gefassen  der  Netzhaut  genau 
die  Vorgänge,  wie  wir  sie  uns  beim  epileptischen  Anfall  an  den  Gefassen  der  Hirn- 
rinde vorstellen  müssen:  Arterienkrampf,  der  durch  locale  Ernährungsstörung  und 
Kohlensäurevergiftung  den  Anfall  aaslöst,  Aufhören  des  letzteren  mit  dem  Nachlass 
des  Gefösskrampfes  und  langsame  Bückkehr  zum  normalen  Zustand.  Eine  weitere 
Beobachtung  des  Vortr.  unterstützt  diese  Auffassung:  Ein  35jähriger  Mann  litt  seit 
57s  J^l^foi^  &n  epileptischen  Anfällen  wahrscheinlich  auf  syphilitischer  Basis.  Der- 
selbe hatte  in  letzter  Zeit  minutenlange  Anfälle  von  Erblindung  des  rechten  Auges. 
Das  Gesichtsfeld  zog  sieb  vorhangähnlich  zusammen  bis  zu  absoluter  Erblindung, 
die  etwa  eine  Minute  lang  dauerte  und  dann  wieder  ganz  zurückging.  — .Trotzdem 
Untersuchung  während  eines  solchen  Anfalls  nicht  möglich  war,  —  in  der  Zwischen- 
zeit bestand  nur  venöse  Hyperämie,  und  zwar  rechts  stärker  als  links  —  glaubt  Vortr., 
dass  es  sich  auch  hier  um  einen  Arterienkrampf  gehandelt  habe,  der  als  rudimen- 
tärer Anfall  von  Epilepsie  zu  deuten  sein  dürfte. 

• 

4.   Prof.  Naunyn  (Strassburg):    Die  Prognose  der  syphiUtiBoheii 

Erkrankungen  des  NervensystemB. 

Für  die  Praxis  ist  es  oft  von  grösster  Wichtigkeit,  die  Prognose  im  Einzelfalle 
einer  syphilitischen  Erkrankung  möglichst  bestimmt  stellen  zu  können.  Denn  die 
Durchführung  einer  energischen  langdauemden  antisyphilitischen  Kur  ist  mit  grossen 
Ansprüchen  an  die  Geduld  aller  Betheiligten  verbunden.  Vortragender  verwendete  zii 
einer  Statistik  eigne  Fälle  und  solche  aus  der  Litteratnr.  Die  syphilitische  Tabes 
und  Dementia  paralytica  scheinen,  in  prognostischer  Hinsicht  eine  ganz  besondere 
Stellung  einzunehmen;  die  Prognose  der  beiden  genannten  Krankheiten  scheint  dem 
Verf.  ganz  unabhängig  davon,  ob  Syphilis  im  Spiele  ist»  oder  nicht  und  Quecksilber- 
Kuren  sind  dabei  erfolglos. 

Bei  den  andern  von  Syphilis  abhängigen  Erkrankungen  ist  die  Prognose  un- 
zweifelhaft nicht  so  traurig,  wenn  auch  ernst  genug.  Sehr  gering  sind  die  F&lie 
dauernder  Heilung  der  antiluetischen  Kuren.  Unter  93  Fällen  aus  eigener  Erfahrung 
des  Vortragenden  kann  derselbe  nur  8  Fälle  mit  definitiver  und  dauernder  Heilung 
(seit  über  5  Jahren)  anführen.  Ihnen  reihen  sich  an  Heilungsfälle,  in  welchen  die 
Kur  zunächst  Heilung  bringt,  wenn  auch  der  Fat.  sich  der  weiteren  Beobachtung 
entzieht. 

In  10  von  den  88  klinischen  Fällen  N.'s   fehlt  jeder  Erfolg;   49  wurden  ge< 


—    395    — 

bessert;  5  Kranke  starben  in  der  Klinik;  24  wnrden  geheilt.  Aus  der  Gasnististlk 
in  der  Litteratur  gewinnt  man  ein  günstigeres  Bild:  von  325  Fällen  der  Znsammen- 
steUnng  N/s  äind  155  (48  o/^)  geheUt,  170  (52  7^)  nicht  geheUi  Dies  Resultat 
scheint  offenbar  zu  günstig.  Folgende  Funkte  scheinen  N.  diejenigen  zu  sein,  welchen 
im  Einzelfalle  Bedeutung  für  die  Prognose  beigelegt  zu  werden  pflegt. 

1.  Das  Lebensalter  bei  Beginn  der  Erkrankung  des  Centralnervensystems;  die 
Prognose  wird  ungünstiger  nach  dem  40.  Jahr.  Die  Prognose  wird  wenig  dadurch 
beeinflusst,  wie  bald  nach  dem  Auftreten  der  Nervenaffectiön  begonnen  wird.  —  Die 
Prognose  wird  nicht  schlechter,  je  später  man  zu  behandeln  anfängt,  eben  so  wenig 
ist  die  Prognose  abhängig  von  der  Frage,  ob  ein  oder  mehrere  Jahre  zwischen  An- 
steckung und  Erkrankung  liegen,  d.  h.  die  Prognose  ist  entschieden  besser,  wenn 
unmittelbar  nach  dem  Auftreten  der  Affection  mit  der  Behandlung  begonnen  wird; 
nachdem  einmal  die  ersten  Wochen  ungenützt  verstrichen  sind,  wird  sie  durch  Ab- 
warten, bis  selbst  über  ein  Jahr  nicht  weiter  verschlechtert.  Die  Form,  unter  welcher 
die  Nervenerkrankung  auftritt,  ist  sehr  wichtig;  Epilepsie  giebt  die  beste  Prognose, 
ebenso  gute  Heilziffer  geben  Fälle  von  Himreizung  (Kopfschmerzen,  Schwindel  bis 
zu  Syncopeanfallen,  Erbrechen  und  Erregungszustände),  und  die  neuritischen  Affec- 
tionen  (Neuralgien,  Ophthalmoplegie,  Lähmung  der  basalen  Himnerven),  während 
Monoplegie,  Hemiplegie,  Paraplegie,  scbwere  diffuse  und  gemischte  Formen  etc.  weniger 
günstige,  letztere  sogar  recht  schlechte  Heilresultate  zeigen. 

Wo  ein  gutes  Resultat  der  Behandlung,  eine  Heilung  der  Krankheit  oder  eine 
Besserung  erreicht  wird,  da  lassen  fast  immer  die  ersten  Anzeicben  der  Besserung 
nicht  lange  auf  sich  warten.  —  Ist  bei  Jodkali-Bebandlung  bis  Ende  der  ersten 
Woche,  bei  energischer  Quecksilberbebandlung  bis  Ende  der  zweiten  Woche  kein 
Resultat  erzielt,  so  sind  nach  Erfahrung  des  Yortr.  die  Aussichten  für  jede  dieser 
Behandlungsarten  sehr  gering.  Die  günstige  Wirkung  der  specifischen  Kur  zeigt  sich 
in  der  Regel  zuerst  und.  am  sichersten  im  Allgemeinbefinden.  —  Grosse  Dosen: 
Inunctionen  von  5 — 10  gr  steigend,  sind  nothw^ndig! 

5.    Prof.  Forel  (Zürich):   Zur  Therapie  des  AlkoholismuB. 

Yortr.  zeigt,  dass  thatsächlich  die  sogenannten  Abstinenzvereine,  deren  Mitglieder 
sich  zur  völligen  Enthaltung  aller  alkoholischen  Getränke  verpfiichten,  die  gross- 
artigsten Heilerfolge  bei  den  Alkoholikern  aufzuweisen  haben  (z.  B.  ca.  1000  ge- 
heilte Alkoholiker  unter  den  6000  Mitgliedern  der  schweizerischen  Abstinenzvereine). 
—  Der  Prämien-Rabatt  von  10  7o»  welchen  angloamerikanische  Lebensversicherungs- 
gesellschaften den  Abstinenten  gewährten,  zeigen  zudem,  dass  die  Abstinenz  der 
Gesundheit  der  Menschen  sehr  zuträglich  ist. 

Vortr.  findet,  wie  schon  von  englischer  Seite  berichtet  wurde,  dass  eine  rasche 
völlige  Entwöhnung  der  Alkoholiker  sogar  bei  Delirium  tremens  gefahrlos  ist  (4  bis 
5  Tage  genügen  ihm  meistens  dazu).  Man  muss  nur  für  kräftige  Ernährung  (im 
Nothfall  mit  Scblundsonde)  sorgen.  Beim  Wasserregime  befinden  sich  die  Alkoholiker 
der  Irrenanstalt  Burghölsdi  sehr  wohl.  Seit  September  1886  hat  Yortr.  die  Alko- 
holiker der  Irrenanstalt  Burghölzli  consequent  auf  die  angedeutete  Art  und  mit 
relativ  gutem  Erfolge  behandelt,  obwohl  es  sich,  wie  in  Irrenanstalten  überhaupt,  um 
die  ungünstigsten  Formen  handelt.  Von  24  Fällen  sind  10  bis  jetzt  geheilt  (ab- 
stinent) geblieben.  Die  andern  Fälle  sind  theils  rückfällig  geworden  (5),  theils 
zweifelhaft  (2),  theils  unbekannten  Aufenthaltsortes  (6).  Bei  einem  Fall  war  die 
Geistesstörung  chronisch. 

Als  Hülfsmittel  bei  der  Behandlung  des  Alkoholismus  und  bei  Morphinismus  empfiehlt 
F.  den  Hypnotismus;  er  stellt  eine  durch  Suggestion  geheilte,  früher  alkohoUstisch 
gewesene  Wärterin  vor  und  demonstrirt  an  ihr  einige  hypnotische  Versuche. 


—    896    — 

6.  Prof.  Erb  (Heidelberg):  Ueber  Dystrophia  musoulorom  progresslTa. 

Im  Jahre  1883  hat  £.  zuerst  eine  klinische  Trennung  der  ^^progressiven  Muskel* 
atrophie"  in  2  Formen  versucht:  eine  spinale  Form  (Amyotrophia  spinal,  progr.)  und 
eine  wahrscheinlich  myopathische  (die  Dystrophia  mnscul.  progr.).  Zu  der  letzteren 
rechnet  er  die  unter  dem  Namen  der  juvenilen  Muskelatrophie  (Erb),  der 
Pseudohypertrophie  der  Kinder  und  der  hereditären  Muskelatrophie 
(Leyden)  beschriebenen  Erkrankungsgruppen;  nach  £.*s  Ansicht  gehört  dazu  auch 
die  infantile  progressive  Muskelatrophie  Duchenne*s  (mit  Gesichtsbetheiligung). 
Fast  alle  Autoren  haben  sich  E.  angeschlossen.  Der  Vortr.  erörtert  die  Frage,  ob 
in  der  That  die  klinische  Einheit  der  4  Formen  aufrecht  zu  erhalten  ist  und  ob 
derselben  auch  ein  anatomiRch  einheitlicher  Process  zu  Grunde  liegt.  Endgültig  ab- 
geschlossen ist  die  Untersuchung  darüber  noch  nicht  Wenn  man  von  der  juve- 
nilen Muskelatrophie  Erb's  ausgeht,  deren  volle  Existenzberechtigung  im  Laufe 
der  Jahre  durch  eine  sehr  reichhaltige  Casuistik  anerkannt  worden  ist,  so  ist  der 
Nachweis  der  klinischen  Einheit  leicht  zu  führen:  es  handelt  sich  vor  Allem  darum, 
die  Uebereinstimmung  dieser  Form  mit  den  andern  Formen  in  Bezug  auf  Locallsation 
der  Atrophie  und  Hypertrophie,  Verhalten  der  Muskeln  bei  der  Inspection,  Palpation, 
elektrische  Untersuchung,  fibrilläre  Zuckungen  etc.  nachzuweisen.  Diese  Ueberein- 
stimmung wurde  dem  Vortr.  durch  eigene,  sowie  durch  fremde  Beobachtungen  be- 
kräftigt, ebenso  für  die  infantile  Muskelatrophie  Duchenne*s.  —  Für  die  sog. 
„hereditäre  Muskelatrophie",  deren  Existenzberechtigung  E.  nicht  anerkennt  (denn 
alle  diese  Formen  seien  gelegentlich  hereditär),  gelte  dasselbe. 

Beweisender  noch  ist  der  Nachweis  von  Uebergangsformen  zwischen  den  ein- 
zelnen Gruppen.  So  giebt  es  a)  Fälle  von  juveniler  Form  mit  Gesicbts- 
betheiligung,  b)  solche  von  Pseudohypertrophie  mit  Gesichtsbetheiligung,  c)  infan- 
tile Formen  mit  theils  juvenilem,  theils  pseudohypertrophischem  Typus,  d)  PseudD- 
hypertrophien,  die  später  ganz  unter  dem  Bilde  der  juvenilen  Form  erscheinen, 
e)  juvenile  Form,  die  ganz  unter  dem  Bilde  einer  Pseudohypertrophie  aber  bei  einem 
erwachsenen  älteren  Individuum  auftrat,  f)  unbestimmte  Formen,  über  deren  Zuge- 
hörigkeit zu  der  einen  oder  andern  Form  Zweifel  bestehen  können.  Endlich  gehört 
hierher  noch  das  Vorkommen  verschiedener  Formen  in  der  gleichen  Familie. 

Die  Uebereinstimmung  aller  dieser  Formen  in  allen  wesentlichen  Punkten  ist 
eine  genügend  grosse;  es  kommen  alle  möglichen  Uebergänge  zwischen  ihnen  vor, 
folglich  ist  es  gerechtfertigt,  sie  als  klinische  Einheit  aufzufassen.  Die  Eintheilung 
in  weitere  Unterarten  und  eine  zweckmässige  Gruppirung  behält  sich  E.  noch  vor. 

Aus  den  Beobachtungen  des  Vortr.  an  excidirten  Moskelstückchen  von  7  Fällen, 
zu  denen  auch  eine  Reihe  fremder  Publicationen  hinzugetreten  ist,  scheint  auch  ein 
anatomisch-einheitlicher  Process  hervorzugehen:  An  den  Muskelfasern  finden  sich  ganz 
enorme  Hypertrophien,  daneben  alle  Uebergänge  zu  hochgradiger  Atrophie.  — 
Die  Fasern  sind  alle  mehr  oder  weniger  abgerundet,  zeigen  überall  erhebliche 
Kern  Vermehrung,  Spaltbildung,  Fasemtheilung  und  Vacuolenbildung.  Daneben 
findet  sich  erhebliche  Wucherung  des  Bindegewebes  und  endlich  mehr  oder  weniger 
reichliches  Fettgewebe  bis  zur  ausgesprochenen  Lipomatose.  —  Manchmal  überwiegen 
die  hypertrophischen,  manchmal  die  atrophischen  Fasern.  —  Kemvermehrung  und 
Abrundung  der  Fasern  ist  stets  vorhanden.  Spaltbildnngen  sind  meist  sehr  zahlreich, 
in  den  Stadien  mit  fast  ausschliesslicher  Hypertrophie  treten  sie  zurück.  —  Vacuolen- 
bildung findet  sich  stets  nur  vereinzelt;  die  Lipomatose  erscheint  in  sehr  wechselnder 
Intensität  und  Verbreitung.  Im  Grossen  und  Ganzen  scheint  sich  doch  eine  so  voll- 
ständige Uebereinstimmung  in  den  wesentiichen  Veränderungen  darzubieten,  dass 
dem  gegenüber  die  quantitativen  Unterschiede  zurücktreten.  —  Aus  einfachen  logischen 
Gründen  dürfte  diejenige  Veränderung  als  die  früheste,  als  die  primäre  zu  betrachten 
sein,  welche  sich  in  gewissen  Muskeln  allein  oder  doch  fast  allein  und  am  ent- 
wickeltsten vorfindet  —  und  zwar  die  Hypertrophie  der  Muskelfasern. 


—    397    — 

Indem  E.  sich  die  Mittheilung  aller  Details,  die  Erörterung  aller  einschlägigen 
Fragen  vorbehält,  giebt  er  seine  vorlänfige  Ansicht  von  der  Entwickelang  des  Krank- 
heitsprocesses  in  Folgendem  wieder. 

Zneist  Hypertrophie  der  Fasern,  Abrundong  derselben,  Spaltbildnngen,  geringe 
Kemvermehrong  im  Bindegewebe.  —  Dann  allmählich  zunehmende  Atrophie  der 
Fasern  und  erhebliche  Bindegewebs- Hyperplasie;  mit  dem  Fortschreiten  dieser  Pro- 
cesse  gesellt  sich  zuletzt  die  Lipomatose  hinzu.  Damit  stimmt  auch  das  klinische 
Verhalten  überein. 

Es  erscheint  sonach  die  Aufstellung  einer  —  die  4  wiederholt  genannten 
Formen  umfassende  —  Dystrophia  muscularis  progressiva  hinreichend  begründet. 

7.  Prof.  Bäumler  (Freiburg)  stellte  einen  Fall  von  seit  Jahren  bestehender 
Dystrophia  musoularis  progressiva  (juvenile  Form)  vor,  mit  charakteristischer 
Localisation  an  Schulter  und  Oberarmmusculatur,  bei  dem  auch  die  Gesichtsmusculatur 
leicht  atrophisch  ist  und  die  Interossei  der  Hand  zu  entarten  beginnen. 

Ausserdem  gelangt  ein  Mann  mit  einer  eigenthümlichen  Aphasie  zur  Vorstellung, 
der  leicht  dement  ist,  an  Tremor  der  rechten  Seite  leidet,  ohne  sonstige  Erscheinungen 
von  Dementia  paralytica  darzubieten. 

8.  Prof.  Wiedersheim  demonstrirt  eine  Reihe  vortrefiflicher,  für  den  aka- 
demischen Unterricht  bestimmter  Himmodelle  von  Ammocoetes,  Haifisch,  Forelle, 
Frosch,  Alligator,  Taube,  Kaninchen  und  Jagdhund,  die  von  dem  Freiburger  Fabri- 
kanten Ziegler  aus  Wachs  unter  Aufsicht  W.'s  gefertigt  sind. 

9.   Prof.  Dr.  Kim  (Freiburg):  Ueber  die  Psychosen  der  EinEOlhaft. 

« 

Man  hat  die  Gefangenschaft  beschuldigt,  ungemein  unheilvoll  für  die  psychische 
Gesundheit  zu  sein.  Die  Erfahrung  vieler  Autoren  und  auch  die  des  Vortr.,  der 
seit  10  Jahren  Arzt  des  Zellengefangnisses  zu  Freiburg  ist,  widerspricht  dieser 
Anschauung:  Erbliche  Anlage,  Kopfverletzungen,  Epilepsie,  verkehrte  Erziehung  etc. 
schaffen  eine  hochgradige  Prädisposition;  die  Einsperrung  wirke  nur  als  occasionelles 
Moment,  um  am  Straforte  die  vorbereitete  Psychose  meist  rasch  zu  zeitigen.  Die 
Geistesstörungen  in  gemeinschaftlicher  Haft  erscheinen  wesentlich  verschieden  von 
denen  der  Einzelhaft;  in  jener  beobachtet  man  vornehmlich  sich  langsam  entwickelnde 
chronische  Störungen  mit  dem  Charakter  der  Demenz  oder  der  chronischen  Verrückt- 
heit, in  der  Einzelhaft  überwiegend  acute  Psychosen.  Die  letzteren  sind  zwar  häufiger, 
aber  auch  leichter  heilbar,   als  die  aus  gemeinsamer  Haft  entspringenden  Störungen. 

Die  Einzelhaft-Psychosen  zeichnen  sich  aus  durch  den  acuten  Verlauf  und  durch 
das  mächtige  Hervortreten  von  Sinnestäuschungen. 

Unter  133  von  E.  in  Freiburg  beobachteten  Fällen  waren  besonders  häufig  die 
acute  hallucinatorische  Melancholie;  nie  sind  hier  die  Hallucinationen  primär, 
vielmehr  geht  ihnen  stets  eine  »Verstimmung  voraus.*—  Die  Stinmnen,  welche  die 
Patienten  hören,  enthalten  Anklagen,  Beleidigungen,  Bedrohungen,  Aufforderungen 
zum  Selbstmord.  —  Die  Visionen  zeigen  drohende  Gestalten  von  Feinden  und  Mördern 
mit  tödüichen  Waffen,  das  aufgeschlagene  Schaffet.  —  Die  Krankheit  bleibt  bei  an- 
dauernder Depression  mit  schmerzlichen  Empfindungszuständen  und  gleichartigen  De- 
lirien nur  kurze  Zeit  auf  der  Höhe,  um  meist  nach  Aufhebung  der  Isolirung  rasch 
abzufallen  und  in  wenigen  Wochen  bis  Monaten  zur  Genesung  zu  führen.  Die  zweit- 
wichügste  Einzelhaft-Psychose,  der  acute  hallucinatorische  Wahnsinn,  beginnt 
ohne  Depression  nach  einer  Reihe  von  somatischen  Erscheinungen  direct  mit  Sinnes- 
täuschungen. Dann  kommt  es  der  Reihe  nach  zu  Verfolgungs-,  Grössen-,  religiösem 
und  sexuellem  Wahn.  —  Ein  kleiner  Theil  dieser  Fälle  endet  nicht  so  günstig,  wie 
die  acute  Melancholie,  sondern  geht  in  den  chronischen  unheilbaren  Wahnsinn  über. 
Nur  üi  3  Fällen  beobachtete  K.  die  acute  hallucinatorische   Manie  mit  hoch- 


—    398    — 

gradiger  Anfregmig,  tief  gestörtem  Bewusstsein,  blinder  Herrschaft  der  Sinnesdelirien: 
Prognostisch  sind  aach  diese  Fälle  recht  günstig. 

Nach  diesem  einleitenden  Vortrage  folgte  unter  K.*s  Leitung  eine  Besichtigung 
des  Zellengefangnisses  zu  Freibnrg. 

Um  6^/2  Uhr  wurde  die  erste  Sitzung  geschlossen. 

(Schloss  folgt.) 


Sooiötä  de  Biologie,  Paris.     Sitzung  vom  4.  Februar  1888. 

Georges  Lemoine  (de  Lille):  „lieber  Contraoturen  bei  Epileptikern/* 
L.  unterscheidet  zwei  Arten  des  Vorkommens:  1.  Permanente  Contracturen  in  Ex- 
tension oder  Halbbeugung,  welche  sofort  nach  dem  Anfall  (einmal  schon  im  Anfall) 
auftreten  und  einige  Minuten  bis  mehrere  .Tage  anhalten;  sie  sind  an  den  oberen 
Extremitäten  häufiger  als  an  den  unteren,  gewöhnlich  nur  auf  einer  Seite,  selten 
allgemein.  —  2.  Die  andere  Art  entsteht  nur  dann,  wenn  man  plötzlich  (nach  einem 
Anfall?)  ein  Glied  des  Patienten  kräftig  drückend  anfasst:  es  tritt  dann  eine  Starre 
desselben  ein,  die  man  nur  mit  grösster  Kraft  und  unter  Auftreten  von  Zuckungen, 
überwinden  kann;  lässt  die  pressende  Hand  das  Glied  los,  so  ist  es  wieder  frei  be- 
weglich. 

Ch.  F^re  theilt  eine  interessante  Beobachtung  bei  hysterischer  Hemianästhesie 
mit:  er  befestigte  auf  einem  Muskel  der  anästhetischen  Seite  einen  Myograph  mit 
Leitung  zur  Faradisirung;  auf  dem  symmetrischen  Muskel  der  gesunden  Seite  einen 
einfachen  Myograph.  Ersterer  beschrieb  eine  Gurve,  wobei  die  Kranke  keine  Em- 
pfindung von  den  Zuckungen  hatte.  Bei  einem  stärkeren  Strome  begann  auch  der 
Muskel  der  gesunden,  nicht  faradisirten  Seite  zu  zucken  resp.  eine  ganz  schwache 
Gurve  zu  zeichnen,  und  diese  leichten  Zuckungen  fühlte  die  Kranke.  —  F.  meint, 
dass  vielleicht  gewisse  Fälle  von  Allochirie  demgemäss  zu  erklären  sind:  die  falsche 
Localisation  ist  nur  scheinbar,  indem  die  Kranken  den  Reiz  selbst  nicht  fühlen,  weil 
er  eine  anästhetische  oder  hypästhetische  Stelle  getroffen  hat,  aber  trotzdem  die 
thatsächliche  Diffusion  des  Reizes  wahrnehmen.  Hadlich. 


IV. 

Der  Verbrecher  in  anthropologisoher,  ärztlicher  und  juristiBcher  Besiehung, 

von  G.  Lombroso.  In  deutscher  Bearbeitung  von  Dr.  M.  0.  FraenkeL  Mit 
Vorwort  von  Prof.  Dr.  jur.  von  Kirchenheim.  (Hamburg  1887.  J.  F.  Richter. 
XXXII  und  560  Seiten.) 

Es  mag  auf  den  ersten  Blick  auffallend  erscheinen,  dass  in  einem  neurologischen 
Gentralblatt  ein  Buch  mit*  dem  Titel  „Der  Verbrecher"  ausführlicher  besprochen 
werden  soll.  Der  Name  des  Verf.  bürgt  indessen  dafür,  dass  sein  Werk  für  jeden 
Psychiater  von  hervorragendem  Interesse  sein  muss. 

Gesare  Lombroso  hat  seit  fast  20  Jahren  den  grösseren  Theil  seiner  wissen- 
schaftlichen Thatigkeit  der  anatomischen  und  biologischen  Untersuchung  der  Ver- 
brecher gewidmet  und  ist  der  Gründer  einer  Schule  geworden,  die  auf  dem  positiven 
Boden  der  Beobachtung  stehend  eine  objective  Inferiorität  der  „geborenen  Verbrecher'' 
(des  grössten  Theils  der  sog.  Gewohnheitsverbrecher)  in  somatischer  und  physiologischer 
Hinsicht  nachzuweisen  bemüht  ist  Sie  beschäftigt  sich  daher  fast  ausschliesslich 
mit  der  Person  des  Verbrechers  und  hat  bereits  zahlreiche  Eigenschaften  aufge- 
fanden,  die  einen  anatomischen  Verbrechertypus  aufzustellen  gestatten.  Dieser  Typus 
setzt  sich  aus  einer  grossen  Zahl  von  Einzelbefunden  zusammen,  die  vereinzelt  auch 
bei  Unbescholtenen  und   bei  Gelegenheitsverbrechem   zu   beobachten  sind,   und   die 


—    399    — 

daher  an  sich  keinen  beweisenden  Weith  haben  würden,  deren  Hänfnng  aber  bei 
ein  nnd  demselben  Individuum  fast  ausschliesslich  bei  Gewohnheitsverbrechern  vor- 
kommt. Man  ist  daher  in  gewissem  Grade  berechtigt,  den  Schlnss  umzukehren  und 
eine  Person  mit  vielen  criminalistischen  Degeperationszeichen  als  des  Gewohnheits- 
verbrecherthnms  verdächtig  zu  beanstanden,  wenn  sie  auch  zum  ersten  Male  sich 
einer  strafbaren  Handlung  schuldig  gemacht  haben  sollte. 

Lombroso  betrachtet  den  ,,geborenen  Verbrecher"  eben  als  einen  Menschen, 
den  entweder  Entwickelnngshemmung  oder  erworbene  Krankheit,  besonders  der  Nerven- 
centren,  schon  vor  seiner  Geburt  in  einen  anomalen  —  dem  Nenropsychopathen  ähn- 
lichen, aber  durchaus  nicht  gleichen  —  Zustand  versetzt  hat,  kurz  als  einen  wirk- 
lich chronisch-kranken  Menschen  (S.  253).  Und  nicht  nur  materiell,  auch  fiinctionell 
ist  eine  erhebliche  Deteriorität  beim  „geborenen  Verbrecher"  vorhanden.  Abgesehen 
auch  von  der  meist  geringeren  Verstandesentwickelung,  die  allerdings  durch  Schlau- 
heit öfters  einigermaassen  ahsgeglichen  wird,  sind  die  geborenen  Verbrecher  ganz 
durchgängig  weit  weniger  empfindlich  gegen  Schmerzen  und  gegen  Tasteindrücke  als 
Kormale;  nicht  selten  sind  sie  fast  anästhetisch;  doppelt  so  häufig  sind  sie  farbenblind, 
drei-  bis  sechsmal  so  häufig  linkshändig;  sie  erröthen  weit  seltener  und  langsamer, 
selbst  nach  Einathmung  von  Amylnitrit  etc.;  Mitleid,  Anhänglichkeit  und  ähnliche 
altruistische  Gefühle  sind  bei  ihnen  weit  schwächer  entwickelt  als  bei  Unbescholtenen, 
wogegen  die  Empfindlichkeit  gegen  atmosphärische  Schwankungen,  gegen  magnetische 
Einflüsse,  sowie  die  Geruchsschärfe  gesteigert  sein  sollen. 

Ganz  analoge  Resultate  sowohl  in  somatischer  als  in  functioneller  Hinsicht  er- 
hält man,  sobald  man  eine  Gruppe  von  Individuen  mit  sog.  „Moral  Insanity"  unter- 
sucht, nicht  aber  bei  Irren  im  engeren  Sinne. 

L.  betrachtet  daher  den  geborenen  Verbrecher  und  den  Moral  Insane  als  iden- 
tisch, nämlich  als  Namen  für  ein  und  denselben  Zustand  angeborener  körperlicher 
und  geistiger  Inferiorität,  der  bisher  je  nach  dem  subjectiven  Staudpunkt  des  Be- 
obachters bald  als  Verbrecherthum,  bald  als  Krankheit,  immer  aber  mit  dem  Prädicat 
der  Unverbesserlichkeit  resp.  der  Unheilbarkeit,  bezeichnet  wurde.  Das  praktische 
Ergebniss,  das  L.  erreichen  will,  ist  daher  die  Anerkennung  eines  „strafunfähigen, 
aber  gemeingefährlichen  Menschentypus  mit  atavistischen  Reminiscenzen  und  patho- 
logischen Defecten  auf  somatidchem  und  organischem  Gebiet." 

Im  concreteu  Fall  stützt  sich  diese  Anerkennung  auf  den  anamnestischen  Nach- 
weis des  gewohnheitsmässigen,  d.  h.  rückfälligen  Verbrech erthums  und  auf  den  ob- 
jectiven  Nachweis  des  anatomischen  und  biologischen  Inferiorität.  Die  erste  Folge 
ist  die  Anerkennung  des  Rechts  der  socialen  Vertheidig^ng  und  dann  schliessen  sich 
die  Versuche  an,  die  normale  Menschheit  von  derartigen  „Wilden"  zn  befreien,  also 
am  sichersten  durch  Ausrottung  derselben,  oder  —  da  dieses  Mittel  wohl  nicht  als 
anwendbar  zu  betrachten  wäre  —  durch  dauernde  Unschädlichmachung,  also  durch 
lebenslängliche  Detention  (oder  Deportation?    Ref.). 

Dies  wären  ungefähr  die  Grundzüge  der  L.'schen  Lehre.  Die  Einzelheiten  seiner 
geistvollen  Ausführungen  müssen  natürlich  in  seinem  Buche  selbst  nachgelesen  werden. 
Jeder  wird  interessante  Beobachtungen  und  Schlüsse  finden,  auch  wenn  er  nicht  mit 
den  Folgerungen  des  Verf.  übereinstimmt.  Die  Thatsachen  sind  mit  ausserordent- 
lichem Fleisse  gesammelt  und  sehr  geschickt  gruppirt. 

Seine  Auseinandersetzungen  über  die  Verbrechen  der  Pflanzen  und  Thiere,  über 
den  Ursprung  der  Strafe  bei  den  WUden,  seine  Schilderung  der  verbrecherischen 
Kinder  und  v.  A.  werden  besonders  geeignet  sein,  das  allgemeine  Interesse  auf  das 
werthvoUe  Werk  hinzulenken,  das  in  italienischer  Sprache  bereits  in  fünfter  Auflage 
erschienen  ist  und  dass  uns  jetzt  dank  der  anerkennenswerthen  Bemühung  des  um 
die  Ausbreitung  italienischer  Litteratur  in  Deutschland  wohlverdienten  Fraenkel  in 
deutscher  Uebersetzung  vorliegt  Sommer. 


—    400    — 

V.  Personalien. 

Unser  verehrter  Mitarbeiter,   Herr  Prof.   Bnmpf,   wurde   nach   Marburg  als 
Director  der  Poliklinik  berufen. 


Am  13.  Juni  d.  J.  starb  zu  Erlangen  einer  der  Nestoren  der  deutschen  Psychiatrie, 
Hofrath  Dr.  Hagen,  früher  Director  der  Kreisirrenanstalt  und  (JniYersitätsprofessor 
in  Erlangen,  im  Alter  von  74  Jahren.  Unter  seinen  Arbeiten  heben  wir  hervor: 
„Die  Sinnestäuschungen"  (Leipzig  1837),  Chorinsky  (Erlangen  1872),  Statistische 
Untersnchungen  über  Geisteskrankheiten  (Erlangen  1876),  „Ueber  Nierenkrankheiten 
als  Ursache  von  Geisteskrankheiten"  (Ztschr.  f.  Psych.  Bd.  IXIVIU). 


Ein  junger  hofoungsvoUer  College,  der  auch  dieser  Zeitschrift  seino  Mitarbeiter- 
schaft zugewendet  hatte,  Dr.  Hügel,  Assistent  von  Ph>f.  Bieger  am  Juliusspital  in 
Würzburg,  erlag  dem  Typhus,  welchen  er  in  den  ersten  Wochen  seiner  neuen  An- 
stellung im  Jnliusspital  acquirirte. 


VI.  Vermischtes. 

Entwurf  des  neuen  italienlBchen  StrafigesetBbuoheB. 

In  dem  neuen  Entwarf,  welchen  der  Minister  Zanardelli  in  der  Sitzung  vom  22.  Nov. 
1887  der  Depntirtenkammer  vorgelegt  hat,  finden  sich  folgende  die  forense  Psychiatrie  inter- 
essirende  Bestimmungen: 

§  47.  Nicht  strafbar  ist  der,  der  sich  bei  Begehung  einer  strafbaren  Handlang  in  einem 
Zustande  geistiger  Missentwickelung  („deficienza")  oder  krankhafter  Störung  der  Geistes- 
thätigkeit  („morbosa  alterazione  di  mente'*)  befunden  hat,  der  geeignet  war,  ihn  des  Be- 
wnsstseins  seiner  Handlungen  zu  berauben,  oder  ihn  zur  Ausführung  jener  Handlang  za 
zwingen. 

Der  Richter  kann  entscheiden,  ob  der  Thäter  in  eine  Criminaiirrenanstalt^  oder  in  eine 
andere  Irrenanstalt  überf&hrt  werden  soll,  um  dort  zu  bleiben,  so  lange  die  Direction  der- 
selben (^l'aatorita  competente'*?)  es  f&r  nöthig  erachtet. 

§  48.  Wird  durch  die  im  vorigen  Paragraphen  angegebenen  Znstände  die  Zurechnunf^ 
fiihigkeit  nicht  ausgeschlossen,  sondern  nur  erheblich  („erandemente")  verringert;  so  wird 
die  Strafe  gemildert  und  kann  nach  Entscheidung  des  Kfchters  in  einer  Gorrectionsanstalt 
(„Casa  di  custodia")  verb&sst  werden. 

Tamassia  hebt  in  einer  Besprechung  dieser  Paragraphen  (in  der  Rivist  sperim.  di 
Freniatr.  ecc.  1888.  XIII.  p.  235)  hervor,  dass  hier  zum  ersten  Mai  der  Begriff  der  Criminal- 
irrenanstalt  offidell  fixirt  sei  und  dass  die  Worte  „Deficienza  o-morboea  alterazione  di  mente" 
an  und  f&r  sich  schon  ausreichten ;  er  halt  daher  den  folgenden  Zusatz  f&r  mindestens  fibei^ 
flüssig,  wenn  nicht  schädlich.  Auch  wünschte  er,  dass  im  §  48  an  Stelle  der  „Casa  di 
custodia"  ebenfalls  die  Oriminalirrenanstalt  zu  treten  hatte. 

Die  Redaction  der  citirten  Zeitschrift  ist  Übrigens  um  ein  Gutachten  über  den  Entwurf 
ersucht  worden  und  wird  dies  in  nächster  Zeit  erstatten.  Sommer. 


Kirch  hoff  setzt  seine  interessanten  Veröffentlichungen  zur  (beschichte  der  Psychiatrie 
in  einem  Aufsätze  über  „die  Beziehungen  des  Dämonen-  und  Hexenwesens  zur  deutschen 
Irrenpflege"  fort.  (Ztschr.  f.  Psychiatrie.  XLIV.  4  u.  5.)  Vor  der  Scholastik  erklärten  der 
kirchliche  Canon,  das  longobardische  Gesetzbuch  (644)  und  ein  Capituiare  Karls  des  Grossen 
den  Glauben  an  die  Existenz  von  Hexen  für  sündlich,  unmöglich,  ja  sogar  todesstrilflich. 
Zwischen  Ludw.  Meyer  uud  Sold  an  entscheidet  K.  dahin,  dass  jedenfalls  eine  grössere 
Zahl  Geisteskranker  unter  den  Hexen  und  Zauberern  war.  Besonders  häufig  war  die 
Dementia  senilis  bei  denselben,  dann  epileptisches  Irresein,  erst  in  dritter  Linie  Paranoia. 
Weiterhin  setzt  K.  die  Anschauungen  von  Paracelsus,  Wier,  Plater  und  Luther  über  das 
Hexenwesen  auseinander.  Des  letztem  eigene  nervöse  Störungen  und  Hallucinationen  werden 
genau  geschildert,  die  Schön'sche  Annahme  einer  lusania  sine  delirio  bei  Luther  als  tendenziöse 
Unrichtigkeit  nachgewiesen.  Schliesslich  sucht  K.  den  Dämonenglauben  in  seineu  letzten 
Resten  in  der  Gegenwart  auf.  Th.  Ziehen. 


Verlag  von  Vkit  &  Comp.. in  Leipzig.  —  Druck  von  Mxteobb  &  Wlttig  in  Leipzig. 


NeurologischesCentralblah 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  "» ^^^  Jahrgang. 

Monatlich  erscheinen  zwei  Nammem.   Preis  des  Jahrganges  20  Mark.    Zu  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 

1888.  •  15.  JüU.  N2: 14. 

Inhalt  I.  Originalmittheilungen.  1.  Zur  Lehre  von  der  Hemiatrophia  facialis,  von  E. 
Mendel.    2.  Einige  therapeutiBche  Versuche  mit  der  Hypnose,  von  Dr.  Sperling  (Schluss). 

II.  Refferate.  Pathologische  Anatomie.  1.  üeber  circumscripte  Bindegewebshyper- 
plasien  in  den  peripherischen  Nerven,  besonders  in  dem  Plexus  brachialis,  von  Trzebinski. 
2.  Om  nervdegeneration  och  nervatrofi,  jemte  nagra  ord  om  varikositetemas  forekomst  och 
betydelse  i  de  periferiska  nervema,  af  Kdster.  3.  Note  sur  quelques  troubles  trophiques 
cauaäs  par  Irritation  du  nerf  sciatique,  par  Gtey  et  Mathleu.  —  Pathologie  des  Nerven- 
systems. 4.  Die  Entzündung  der  peripherischen  Nerven,  deren  Pathologie  und  Behandlung, 
von  Leyden.  5.  Ueber  acute  multiple  Myositis  bei  Neuritis,  von  Senator.  6.  Beiträge  zur 
CasuiBtik  der  multiplen  Neuritis,  von  Cornelius.  7.  Multiple  peripher^  Neuritis,  by  Suckling. 
8.  The  probable  ocourrence  of  Multiple  Neuritis  in  Epidemie  Cerebrospinal  Meningitis,  by 
Mills.  9.  Eenige  bijdragen  tot  de  kennis  van  de  oorzaken  en  den  aard  der  beri-beri,  door 
van  Eecke,  10.  Neuritis  fascians,  von  Elchhorst.  11.  Zur  Frage  über  die  Veränderungen  der 
peripherischen  Nerven  bei  Schvrindsnoht,  von  Jappa,  12.  N^vrites  p^riph^riques  dans  le 
rheumatisme  ohronique,  par  PItres  et  Valilard.  13.  Pamphigoid  eruption  with  changes  nerves, 
by  Saugster.  14,  üeber  einen  eigenthü milchen  Fall  von  combinirter  systematischer  Erkran- 
kung des  Bückenmarkes  und  der  peripherischen  Nerven,  von  Braun. 

III.  Aus  den  Geseltschafften,  XIII.  Wanderversammlung  südwestdeutscher  Neurologen  u. 
Irrenärzte  zu  Freiburg,  2.  Sitzung  am  10.  Juni  1888.  —  Berliner  Gesellschaft  für  Psychiatrie 
und  Nervenkrankheiten,  Sitzung  vom  9.  Juli  1888. 


I.  OriginalmittheilunKen. 


1.  Znr  Lehre  von  der  Hemiatrophia  facialis. 

(Nach  einem  in  der  Berliner  med.  Gesellschaft  am  15.  April  1888  gehaltnen  Vortrage.), 

Von  E.  Mendel. 

Der  Fall;  den  ich  zum  Ausgangspunkt  meiner  heutigen  Besprechung  der 
Hemiatrophia  facialis  machen  will,  wurde  am  9.  Juni  1880  von  Herrn  Vibchow 
in  dieser  Gesellschaft  vorgestellt.^ 

Er  betrifil  Frau  Kulicke.    Von  den  vielen  Aerzten,  die  sie  von  Rombebg 


>  Cf.  Verhandlungen  der  Berliner  med.  Gesellschaft.  1879/80.  U.  169. 

25 


—    402     — 

an  consultirt,  bin  ich  der  letzte  gewesen,  und  dadurch  auch  in  die  Lage  ge- 
kommen, die  Section  und  die  nachfolgende  üntersnohung  ihres  Nervenapparats 
zu  machen. 

Ihre  Geschichte  ist  kurz  folgende:  Die  Todesursache  ihres  Vaters,  der  in 
hohem  Alter  starb,  ist  nicht  bekannt;  ihre  Mutter  starb  im  Alter  von  30  Jahren 
an  der  Schwindsucht;  ihre  Geschwister  sollen  gesund  sein.  Sie  hat,  nachdem 
sie  vorher  nie  wesentlich  krank  gewesen  war  (abgesehen  von  einem  hier  wohl 
noch  zu  erwähnenden  Blutschwär  auf  dem  Kopfe  im  Alter  von  22  Jahren),  im 
Alter  von  25  Jahren  einmal  geboren,  das  Kind  starb  nach  wenigen  Monaten. 
Noch  im  Wochenbett  will  sie  eine  mit  lebhaftem  Fieber  verbundene  Gecdohts- 
rose  überstanden  haben,  nach  deren  Verschwinden  noch  lange  Zeit  Schmerzen 
am  linken  Auge  und  in  der  linken  Wange  bestanden,  wegen  welcher  sie  Chloro- 
formeinreibungen brauchte.  Als  diese  Schmerzen  im  Laufe  eines  Jahres  all- 
mählich nachliessen,  bemerkte  sie  ein  Einsinken  ihrer  linken  Gtesichtshälfte, 
zuerst,  wie  sie  angab,  am  linken  Nasenflügel.  Auch  im  linken  Voiderarm 
stellten  sich  nach  jener  Zeit  Schmerzen  ein  (es  war  die  Zeit  aber  nicht  mit 
Sicherheit  festzustellen),  welche  aber  nicht  so  stark,  wie  im  Gesicht,  sich  ze^^n.^ 

Der  Zustand,  wie  er  sich  nun  allmählich  im  Laufe  der  nächsten  15  Jahre 
entwickelte,  und  wie  er  von  Herrn  Vibchow  geschildert  worden  ist,  war  einmal 
die  klassische  Form  einer  linksseitigen  Gesichtsatrophie,  und  einer  Atrophie, 
welche  vorzugsweise,  ja  wohl  ausschliesslich  im  Gebiet  des  linken  Radialis  sich 
zeigte. 

Im  Alter  von  60  Jahren  suchte  sie  am  21.  April  1887  meine  Hülfe  auf, 
nicht  eigentlich  wegen  ihrer  Hemiatrophie,  sondern  wegen  eines  „allgemeinen 
Schwächezustandes''. 

Der  Status  war  folgender:  Patientin  ist  im  höchsten  Grade  abgemagert, 
appetitlos,  hat  ab  und  zu  Diarrhöen,  und  ihrer  Beschreibung  nach  Fieberanölle. 
Als  Ursache  dieses  Zustandes  ergab  die  Untersuchung  vorgeschrittene  Phthisis 
pulmonum,  auf  deren  einzelne  Symptome  ich  hier  nicht  weiter  eingehe.  Ich 
beschränke  mich  auf  die  Erörterung  der  hemiatrophischen  Erscheinungen.  Was 
zuerst  das  Gesicht  betrifft,  so  sprang  auch  in  diesem  Falle,  wie  in  andern  typischen 
Fällen  sofort  in's  Auge,  dass  die  Atrophie  der  Ausbreitung  der  Verzweigungen 
des  Trigeminus  entsprach. 


^  Darob  die  Oüte  des  Herrn  Collegen  Bbmak  erhalte  ich  nachträglich  die  Anfzeichnmigeü 
seines  Vaters  über  Frau  Knlicke  vom  7.  Februar  1863,  aus  denen  ich  Folgendes  hervorhebe: 
„Die  Schmerzen  in  der  Stirn  haben  so  zugenommen,  dass  die  Kranke  nicht  schlafen  kann." 
„Es  bestand  an  einzelnen  Stellen  des  Gesichts  Unempfindlichkeit,  dort  war  auch  die  Haut- 
farbe besonders  dunkel.  Starkes  Ausfallen  der  Haare.  Der  Oberarm  zeigte  rechts  O'/«, 
links  9V4»  der  Vorderarm  rechts  8V4>  links  B  Zoll  Ciroumferenz.  Schmerz  und  Schwellung 
bestand  nach  dem  Laufe  des  Plexus  brachialis,  am  Vorderarm  war  die  Haut  livide  im  Be- 
reiche des  ülnaris." 

Auffallend  ist,  dass  in  diesem  Bericht  —  im  Gegensatz  zu  dem  späteren  Befund  — 
die  Atrophie  der  Cutis  des  linken  Arms  besonders  im  Bereich  des  Ulnaris  hervorgehoben  ist, 
so  dass  „man  durch  die  dünne  Cutis  sämmtliche  Venen  und  Nerven  sehen  kann,  wie  an 
einem  Präparate". 


—    40S    — 

Im  ersten  Aste  zeigte  sich  ganz  besonders  im  Verlaufe  des  Nervus  fron- 
talis eine  von  dem  obem  Augenlid  nach  der  Medianlinie  der  Stirn  hin  ver- 
laufende Rinne,  welche  bis  an  die  Grenze  des  Haarwuchses  deutlich  war,  und 
sich,  ehe  sie  dieselbe  erreichte,  in  einige  Zweige  (der  Bamification  des  Nv.  fron- 
talis entsprechend)  theilte. 

Viel  intensiver,  als  im  Gebiete  des  ersten  Astes,  war  jedoch  die  Erkrankung 
in  dem  des  zweiten  deutlich;  hier  zeigten  sich  sowohl  im  Verlauf  der  Nervi 
palpebrales  inferiores,  wie  der  Nasales  subcutane!  tiefe  ESnsenkungen,  die  wie 
Narben  aussahen.  Seichtere  Rinnen  waren  noch  über  dem  äusseren  Rande  der 
linken  Oberlippe  zu  sehen. 

Im  Gebiete  des  dritten  Astes  endlich  bemerkte  man  eine  flache  Einziehung 
etwas  nach  links  oben  und  aussen  vom  Kinn  (Nervus  mentalis);  im  Uebrigen 
aber  schien  hier  die  Erkrankung  am  Unbedeutendsten.  Die  gelblich-graue  Ge- 
sichtshaut war  fast  überall  gleichmässig  dünn,  und  obwohl  auch  die  rechte  Ge- 
sichtshälfte entsprechend  der  allgemeinen  Macies  hochgradig  mager  war,  Hess 
sich  doch  immer  noch  ein  deutlicher  Unterschied  zwischen  beiden  Hälften  nach- 
weisen. An  den  meisten  Stellen  schien  die  Haut  den  darunter  liegenden  Fascien 
oder  Knochen  zu  adhäriren. 

Die  Haare  der  Kopfhaut,  auf  beiden  Seiten  von  gleicher  Farbe,  waren  sehr 
spärlich  und  dünn. 

Die  Muskeln  des  Gesichts  erschienen  durchweg  links  viel  dünner  als  rechts, 
doch  nicht  nur  die  vom  Facialis  bewegten,  sondern  ebenso  die  vom  Trigeminus 
innervirten  Mscl.  temporalis  und  Masseter. 

.  Auch  die  Zunge  erscheint,  besonders  in  ihren^  vorderen  Drittel,  links  dünner 
als  rechts;  zwei  etwa  2  cm  lange,  von  hinten  nach  vom  verlaufende  rissartige 
Einkerbungen  sind  auf  der  linken  Zungenhälfte  zu  sehen. 

Bei  den  mimischen  Gesichtsbewegungen  trat  der  Unterschied  zwischen  der 
gesunden  und  kranken  Seite  noch  deutlicher  hervor;  die  elektrische  Untersuchung 
der  Muskeln  des  Gesichts  ergab  sowohl  bei  directer  wie  bei  indirecter  Reizung, 
und  zwar  für  beide  Stromesarten,  eine  Herabsetzung  der  elektrischen  Erregbar- 
keit; eine  genauere,  Untersuchung  derselben  war  bei  der  übergrossen  Empfind- 
lichkeit der  Patientin  nicht  möglich. 

Erwähnt  mag  endlich  noch  werden,  dass  der  linke  Bulbus  wegen  Schwundes 
des  retrobulbären  Fettgewebes  viel  tiefer  in  die  Orbita  gesunken  war,  femer 
dass  Patientin  das  Auge  wegen  der  Schwäche  des  Orbicularis  palpebrarum  nicht 
vollständig  schliessen  kann,  und  dass  sie,  wie  sie  berichtet^  auch  des  Nachts  das 
Auge  nicht  völlig  zumacht. 

Patientin  hat  keine  Schmerzen  in  der  linken  Gesichtshälfte,  sie  fühlt  Nadel- 
stiche auf  beiden  Seiten  gleichmässig,  sie  unterscheidet  deutlich  Kopf  und  Spitze, 
ebenso  warm  und  kalt  und  localisirt  durchaus  richtig. 

Unterschiede  in  Bezug  auf  Kalte-  und  Wärmegefahle,  wie  in  Bezug  auf 
Schwitzen  zwischen  beiden  Gesiohtshälfben  hat  Pat.  nicht  bemerkt 

Die  Knochen  des  Schädels  sind,  wie  schon  Herr  Vibohow  festgestellt,  in 
keiner  nennenswerthen  Weise  betheiligt. 

25* 


-  -     404       - 

• 

Was  nun  den  Znstand  der  linken  obem  Extremität  anbetnflft,  so  waren  die 
Erscheinungen  fast  ganz  dieselben,  wie  sie  7  Jahre  vorher  von  Herrn  Yirchow 
gefunden  waren,  und  ich  kann  sie  gewiss  nicht  besser  beschreiben,  als  wenn  ich 
seinen  Befund  hier  wiederhole: 

„Es  findet  sich  bei  ihr  eine  Atrophie,  die  an  der  Mittellinie  des  Rückens, 
zwischen  dem  lY.  und  YII.  Dorsalwirbel  beginnt,  dann  schief  nach  oben  und 
unten  über  die  Fossa  infraspinata  scapulae  und  die  Umgegend  desselben  sich 
verbreitet,  namentlich  stark  am  M.  infraspinatus,  von  da  zur  Achsel  geht  und 
sich  verbindet  mit  einer  Atrophie,  welche  zuerst  hinten,  dann  an  der  Yolarseite 
heruntergeht  und  ihre  grösste  Starke  am  Vorderarm  erreicht  Man  kann  sie 
schon  am  Oberarm  in  einer  gewissen  Ausdehnung  verfolgen,  aber  das  eigent- 
liche ist  Hauptgebiet  am  Vorderarm  bis  zur  Hand  (Kleinfinger)  hin.  Innerhalb 
dieses  ziemlich  grossen  Gebietes  treffen  wir  genau  dieselbe  Verdünnung  der 
Haut,  welche  ein  leicht  gelbliches  Aussehen  hat,  und  dasselbe  höchst  auffallige 
Hervortreten  der  Hautgefässe,  die  durchweg  als  vorragende,  im  Hautrelief  er- 
scheinende Zeichnungen  sich  darstellen.  Dabei  findet  sich  derselbe  absolute 
Mangel  des  Fettgewebes;  der  Panniculus  adiposus  ist  total  geschwunden,  die 
Muskeln  sind  auf  das  Aeusserste  verkleinert  und  die  Haut  liegt  so  nahe  an 
den  Fascien  und  Knochen  an,  dass  sie,  wenngleich  sie  nicht  gerade  so  fest  ad- 
härirt,  wie  am  Kopfe,  doch  ungleich  weniger  verschiebbar  ist,  als  an  den  nor- 
malen Stellen." 

Auch  hier  war  keine  Störung  der  Sensibilität,  keine  Störung  in  den  vaso- 
motorischen Erscheinungen,  keine  der  Knochenbildung  bemerkbar. 

Der  allgemeine  Kräfteverfall  der  Patientin  machte  bald  weitere  Fortschritte 
Patientin  wurde  bettlägerig,  ich  musste  sie  schliesslich  aus  ihrer  Wohnung  nach 
dem  städtischen  Krankenhaus  Moabit  bringen  lassen,  wo  sie  24  Stunden  nach 
ihrer  Aufnahme  am  19.  Juni  1887  starb. 

Durch  die  Güte  des  Directors  des  Krankenhauses,  des  Herrn  Colinen 
GüTTMANN,  war  ich  in  den  Stand  gesetzt,  dort  die  Section  zu  machen. 

Dieselbe  ergab,  abgesehen  von  der  Lungenphthisis,  die  den  Tod  veranlasst 
hatte,  makroskopisch  keinen  wesentlichen  Befund. 

In  gewöhnlicher  Weise  wurden  Hirn  und  Bückenmark,  die  herausgeschnittenen 
Nerven,  einzelne  Haut-  und  Muskelstücke  gehärtet,  geschnitten  und  gefärbt 
Das  Besultat  der  nun  stattgefundenen  Untersuchung  erlaube  ich  mir  Ihnen  mit 
einer  Anzahl  von  Präparaten  hier  vorzulegen.  Ueberall  wurden  bei  der  Unter- 
suchung und  Beurtheilung  des  Befundes  der  Nerven,  der  Haut  und 
der  Muskeln  Vergleichsstücke  von  der  gesunden  Seite  benutzt 

I.   Die  peripherisohen  B'erven. 

1.  Der  Trigeminus  sinister. 

Es  wurde*  untersucht  der  Trigeminus  in  seinem  Verlauf  im  Pens,  nach 
seinem  Austritt  aus  demselben,  die  Aeste  desselben  nach  ihrem  Austritt  aus 
dem  Ganglion  Gasseri,  wie  dieses  selbst,  und  einzelne  weiter  peripherisch  ge- 
legene Zweige. 


—    405    — 

Die  prägnantesten  Bilder  and  den  höobsten  Grad  der  Entwickelung  der 
Krankheit  ergab  die  Untersuchung  des  N.  supramaxillaris. 

Auf  den  mit  den  verschiedensten  Färbemittehi  (Nigrosin,  Karmin,  Pikro- 
karfliin,  Weigert'sche  Färbung  u.  s.  w.)  tingirten  Nervenquerschnitten  zeigte 
sich  £ast  durchgehends  das  Perineurium  erheblich  verdickt,  an  manchen  Prä- 
paraten 3— 4mal  so  dick,  als  an  den  entsprechenden  normalen  Nerven,  und  am 
Trigeminus  der  rechten  Seite  der  Kuücke.  Yon  diesem  Perineurium  gingen 
nun  die  Bindegewebsbalken  des  Endoueurium  in  grösserer  oder  geringerer  Zahl 
und  in.  verschiedener  Stärke  durch  das  Nervenbündel  hindurch,  zwischen  denen 
die  Querschnitte  der  Nervenfasern  in  durchaus  normaler  Weise  erscheinen.  Eine 
Vermehrung  der  Kerne  des  Neurilems  war  nicht  nachzuweisen.  In  einzelnen 
Querschnitten  erschien  weitaus  der  grösste  Theil  der  Fasern  erhalten,  in  andern 
erschienen  nur  kleine  Inseln  von  Nervenfasern  zwischen  dem  mächtigen  Binde- 
gewebsbalken. 

Geringer  erschienen  in  den  übrigen  Aesten  des  Quintus  dieselben  Verände- 
rungen, wenn  sie  auch  auf  den  meisten  Querschnitten  deutlich  zu  erkennen  waren. 

Dasselbe  gilt  von  der  Wurzel  des  Trigeminus  nach  ihrem  Austritt  aus 
dem  Pens, 

Zwischen  Faserbündeln,  in  denen  nur  geringe  oder  auch  gar  keine  patho- 
logischen Veränderungen  zu  entdecken  waren,  erschienen  solche,  die  auf  das 
Deutlichste  die  Vermehrung  des  Bindegewebes  und  den  Ausfall  von  Nerven- 
fasern zeigten. 

Auf  den  Längsschnitten,  welche  den  Nerv  in  seinem  intrapontilen  Verlauf 
(Frontalschnitte  durch  den  Pens)  trafen,  ergab  der  Vergleich  zwischen  der  linken 
und  rechten  Seite,  dass  auf  der  ersteren  sich  stärker  durch  Karmin  und  Nigrosin 
färbende  Fasern  zwischen  den  ungefärbten  weissen  Nervenfasern  nachweisen 
lassen. 

Die  Zellen  des  Ganglion  Gassen  erscheinen  durchaus  normal,  nur  sind 
auch  in  diesem  die  Bindegewebsbalken  etwas  mächtiger  entwickelt. 

Die  Untersuchung  ergiebt  demnach,  dass  in  sämmtlichen  Aesten  des 

linksseitigen  Trigeminus,   von  seinem  Ursprung  an  ^bis  zu  seiner 

peripherischen  Ausbreitung,  besonders  aber  in  dessen  zweitem  Ast 

die    Endproducte    einer   Neuritis  interstitialis  prolifera  (Viechow)^ 

bestehen. 

2.  Der  N.  radialis  sinister. 

Auch  hier  zeigt  sich  in  einer  Beihe  von  Schnitten,  aber  durchaus  nicht  auf 
allen  gleichmassig,  die  starke  Entwickelung  von  Bindegewebsfasern,  sowohl  in 
der  Verdickung  des  Neurilems,  wie  in  dem  Hervortreten  der  Bindegewebsbalken 
in  dem  NervenEaserbündel,  welche  die  Nervenfasern  selbst  verdrängt  und  zum 
Theil  zum  Verschwinden  gebracht  haben.  Der  Vergleich  mit  dem  rechten 
Badialis  macht  das  pathologische  Verhalten  besonders  auffallend. 

Es  besteht  also  auch  im. linken  Badialis  eine  Neuritis  interstitialis 
prolifera. 

1  Yircbow'a  Archiv.  Bd.  LEI.  S.  441. 


—    406    — 

8.  Der  Nervns  facialis  sinister, 
sowohl  in  seinem  Austrittssehenkel,  wie  im  Stamm  und  einzelnen  Zweigen  der 
peripherischen  Ausbreitung  untersucht,  zeigte  nicht  die  geringste  Veränderung. 

IL   Das  Gtohiim  und  die  Medtdla  oblongata. 

Es  wurde  vom  hintern  Ende  des  3.  Ventrikels  beginnend  bis  zum  distalen 
Ende  des  Hypoglossuskemes  eine  auf  einander  folgende  Reihe  von  519  frontalen 
Schnitten  angefertigt.  Dieser  Mühe  unterzog  sich  mein  Assistent  Herr  Dr.  Kbon- 
THAii  in  sehr  ausgezeichneter  und  dankenswerther  Weise. 

Die  Untersuchung  liess  zwei  pathologische  Thatsachen  wahrnehmen:  näm- 
lich 1.  Unterschiede  in  Bezug  auf  die  Mächtigkeit  zwischen  der 
rechten  und  linken  absteigenden  Wurzel  des  Trigeminus  und  2.  Unter- 
schiede in  der  Mächtigkeit  der  Substantia  ferruginea  zwischen  beiden 
Seiten  und  gewisse  Veränderungen  in  den  Zellen  der  linksseitigen. 

Was  zuerst  die  absteigende  Wurzel  des  Trigeminus  betrifft,  so  liess 
sich  dieselbe  von  Schnitt  145  bis  zu  Schnitt  356  verfolgen,  auf  dem  die  letzten 
Beste  derselben  in  den  Stanun  des  Trigeminus  treten,  also  auf  211  Schnitten. 
Durchgehends  zeigte  sich  hier,  bald  deutlicher,  bald  weniger  deutlich,  aber  auf 
den  meisten  Schnitten  schon  makroskopisch  erkennbar,  dass  der  rechtsseitige 
halbmondförmige  Querschnitt  dieser  absteigenden  Wurzel  mächtiger  als  der  links- 
seitige ist,  dass  femer  auf  einer  Anzahl  von  Schnitten  der  erstere  eine  reine 
weisse  Farbe  zeigt,  während  der  linksseitige  durch  die  verschiedensten  Tinctionen 
(Karmin,  Nigrosin  u.  s.  w.)  mehr  ergriffen,  schmutzig  erscheint. 

Auf  den  Präparaten  mit  Weigert'scher  Färbung  ist  der  rechtsseitige  Quer- 
schnitt intensiv  dunkel,  der  linksseitige  heller. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  ergiebt  rechts  das  gewöhnliche  normale 
BUd  durchschnittener  Nervenfaserbündel,  links  ist  die  Zahl  der  Querschnitte 
kleiner,  die  erhaltenen  sind  normal,  ein  Theil  der  Nervenfasern  ist  unzweifel- 
haft untergegangen. 

Bei  der  langen  Zeit,  welche  seit  dem  Beginn  des  Processes  vergangen,  er- 
scheint es  nicht  •auffallend,  dass  die  Processe,  welche  zu  der  Atrophie  geführt, 
nicht  mehr  zu  erkennen. 

Die  Substantia  ferruginea,  die  sich  vom  168.  Schnitt  an  bis  zum  344ten 
verfolgen  lässt,  zeigt  auf  der  Mehrzahl  der  Schnitte  eine  grössere  Mächtigkeit 
rechts  als  links,  auf  einzelnen  Schnitten  ist  die  Differenz  erheblich,  so  auf  Schnitt 
276,  auf  dem  ich  rechts  120,  links  70  Zellen  zähle.  Auch  hier  ist  auf  vielen 
Schnitten  der  Unterschied  schon  makroskopisch  sehr  deutlich. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  ergiebt  die  Zellen  links  weniger  intensiv 
pigmentirt,  und  die  Ausläufer  erscheinen  bei  einem  Theil  derselben  weniger  aus- 
geprägt 

Im  Uebrigen  ergab  die  Untersuchung  des  Hirns  und  der  Med.  oblongata 
keine  nachweisbaren  Veränderungen;  speciell  sei  bemerkt,  dass  die  Kerne  des 
Quintus,  der  motorische  wie  der  sensible,  die  blasenformigen  Zellen  in  der  Um- 
gebung des  Aquaeductus  Sylvii,  aus  denen  die  absteigende  Wurzel  entspringen 


-      407     — 

soU,  die  an&teigende  Wurzel  des  TrigemiimSy  und  der  Kern  des  Facialis  durch- 
aus normale  Verhältnisse  zeigten. 

in.  Das  Büokeninark. 

Untersucht  wurde  eine  Anzahl  von  Schnitten  aus  der  Höhe  des  2«,  4.  und 
5.  Cervicalnerven,  femer  aus  der  Höhe  des  obem  Rückennerven. 

Deutliche  Veränderungen  waren  nur  nachzuweisen  in  der  Höhe  des  5.  Cervi- 
cahierven,  und  zwar  zeigten  sich  hier  fast  in  allen  Präparaten  (29  Stück)  die 
Zellen  der  Vorderhömer  links  in  geringerer  Zahl  als  rechts,  und  erschienen 
links  auch  neben  grossen  Zellen  auffallend  viel  kleine;  in  einzelnen  Präparaten 
fehlte  die  medial  gelegene  ZeUengruppe  der  Vorderhömer  vollständig. 

Einzelne,  doch  nicht  prägnante  Unterschiede  in  den  Zellen  der  Vorderhömer 
fanden  sich  auch  auf  einigen  Präparaten  aus  der  Höhe  des  1.  Dorsalnerven. 

Die  vorderen  und  hinteren  Eückenmarkswurzeln  Hessen  keine 
Veränderung  erkennen. 

Es  fehlt  die  Untersuchung  des  Sympathicus,  welche  durch  äussere  Umstände 
missglückte.  Ich  kann  jedoch  nach  dem  Ausfall  der  übrigen  Untersuchung  diesen 
Mangel  nicht  für  relevant  erachten.' 

IV.   Die  Haut. 

Die  Untersuchung  derselben  hatte  Herr  College  Eoebneb  in  dankenswerther 
Weise  untemomnl^n.    Er  berichtet: 

„Die  wesentlichste  Veränderung  besteht  in  einer  höchst  auffallenden  Atrophie 
des  Goriums  der  kranken  Seite. 

In  zwei  Hautschnitten  der  gesunden  und  der  kranken  Gesichtsseite  (mit 
Obj.  4  Oc.  2  Habtnack  gemessen)  eigeben  die  Dickendurchmesser  der  Cutis 
(zwischen  Bete  und  der  obersten  Grenze  des  Unterhautgewebes)  folgende  Zahlen: 

auf  der  gesunden  Seite  auf  der  kranken  Seite 

0,95--0,99  mm  0,3—0,35  mm 

0,8—0,95  mm  0,3—0,5  nun 

Die  Epidermis  nimmt  im  Allgemeinen  keinen  erheblichen  Antheil  an  dieser 
Verdünnung,  nur  an '  wenigen  allmählichen  Einsenkungen  der  Oberfläche  ist 
auch  das  Strat  comeum  und  noch  mehr  das  Bete  bis  auf  die  untersten  Lagen 
desselben  verdünnt 

Die  Bindegewebsfasern  verlaufen  etwas  weniger  wellig  auf  der  kranken  als 
auf  der  gesunden  Seite,  und  ohne  jede  Spur  der  allerdings  auch  auf  der  ge- 
sunden Seite  nur  hier  und  da  vorhandnen  niedrigen  Papillen. 

Die  Blutgefässe  sind  spärlicher  und  minder  weit,  verlaufen  nur  annähernd 
parallel  der  Oberfläche,  die  auf  der  gesunden  Seite  deutlichen  aufsteigenden 
Zweige  fehlen  gänzlich." 

Die  Haut  des  rechten  Vorderarms,  welche  ich  selbst  untersuchte,  ergab 
ebenfalls  Differenzen  zwischen  rechts  und  links,  und  Resultate,  die  ähnlich  den 
eben  mitgetheilten  waren,  aber  weitaus  nicht  so  erheblich. 


—    408    — 

V.  Die  Muskeln. 

Es  wurden  Muskelfasern  aus  den  Oesichtsmuskeln  der  linken  Seite  und 
den  Muskeln  der  Extensoren  an  dem  linken  Vorderarm  verglichen  mit  den  ent- 
sprechenden der  rechten  Seite.  Während  auf  der  linken  Seite  die  Breite  der 
Fasern  (im  gehärteten  Zustand)  zwischen  9  und  21  fi  schwankte,  war  die  Breite 
auf  der  gesunden  Seite  zwischen  12  und  30  fi.  Keine  Kern  Vermehrung,  keine 
fettige  Degeneration,  lediglich  einfache  Atrophie.^ 

Soweit  das  Ergebniss  meiner  Untersuchungen  des  Falles  Eulicke. 

Die  Hemiatrophia  facialis  ist  bisher  bekanntlich  als  eine  ihrer  Entstehung 
und  ihrer  anatomischen  Begründung  nach  dunkle  Erkrankung  betrachtet  worden. 
Nur  zwei  Sectionsbefunde  sind,  so  weit  ich  sehen  kann,  in  der  Litteratur  ver- 
zeichnet: 

Der  erste  Fall  stammt  von  Pissling  aus  dem  Jahre  1850  (Ztschr.  d.  G^s. 
Wiener  Aerzte.  1852. 1),  in  dem  an  der  grössten  Convexität  der  Himhemisphäre 
sich  ein  3'"  breites,  IV2'"  dickes,  lockeres  Neugebilde  fand  —  ein  Fall,  der 
im  üebrigen  einer  genauem  Untersuchung  durchaus  entbehrt;  der  zweite  ist 
der  von  Jolly  (Arch.  f.  Psych.  1872.  IQ.  S.  711).  In  diesem  letztem  Fall  be- 
stand vor  und  neben  einer  multiplen  Hirnsklerose  Hemiatrophia  facialis. 

Auch  hier  hat  aber  eine  genauere  Untersuchung  der  peripherischen  Nerven 
nicht  stattgefunden.  Es  heisst  nur:  Die  Kerne  des  Accessorius,  Hypoglossus, 
Vagus,  Glossopharyngeus,  die  Ursprangsstätten  des  Acusticus,  des  Facialis,  des 
Abducens,  des  Trigeminus,  sowie  endlich  die  Keme  des  Trochlearis  und  Oculo- 
motorius  waren  normal,  eben  so  wenig  liess  sich  an  den  antretenden  WurzeL 
fasern  während  ihres  Verlaufs  durch  das  verlängerte  Mark  irgend  eine 
Abweichung  erkennen. 

Bei  diesem  Mangel  an  positiven  Ergebnissen  der  Untersuchung  war  den 
Hypothesen  ein  weites  Feld  gelassen.^ 

Die  Einen,  und  zwar  die  grosse  Mehrzahl,  fassten  die  Krankheit  als  eine 
primäre  NervenafFection  auf.  Dabei  wurden  aber  von.  den  verschiedenen  Autoren 
sehr  verschiedene  Nerven  zur  Erklämng  herangezogen,  BonsEBa,  Samuel  und 
Främy  brachten  sie  zu  den  trophischen  Nerven,  Bebobon  und  SiiLiiiNO  zu  den 
Grefassnerven  in  Beziehung,  bald  war  es  der  Sympathicus,  bald  der  Trigeminus, 
bald  der  Facialis,  bald  der  Boden  des  4.  Ventrikels,  in  siem  der  ursprüngliche 
Krankheitssitz  sein  sollte.  Eine  andere  Theorie  (Bitot,  Lande,  GtIüteac)  suchte 
den  Ausgangspunkt  der  Krankheit  lediglich  im  Bindegewebe  (Aplasie  lamineuse 
progressive. 


'  Mein  Befand  steht  im  vollen  Einklang  mit  dem  von  Hamhond  (Journ.  of  nerv,  and 
mental  disease  Chicago.  April  1S80.  Otrlbl.  f.  d.  med.  Wiasenschaften.  1880.  S.  874),  welcher 
in  2  Fällen  von  Hemiatrophia  facialis,  in  denen  er  mittelst  des  Trocacs  beim  Lebenden 
Stacke  ans  dem  Masc.  buccinat.  heraasholte,  am  Vs  schmälere  and  blassere  Fibrillen  in  den 
atrophischen  Maskeln  fand,  als  in  den  normalen.  Eine  fettige  Degeneration  fehlte.  Dorch- 
messer  der  gesunden  FibriUen  VeAo  amerikan.  Zoll,  der  kranken  Vim  amerikan.  Zoll. 

*  Cf.  die  Litteratar  bei  Eülbkbubo,  Lehrbuch  der  Nervenkrankheiten.  2.  AoflL  1878. 
2.  Theil  S.  88  and  Gbasset,  Traitä  pratiqae.  1881.  p.  624. 


—    409    — 

In  dem  von  mir  untersuchten  Fall  ist  nun  das  unzweifelhafte  Ergebniss, 
dass  die  Hemiatrophia  facialis  durch  eine  Neuritis  interstitialis 
prolifera  nv.  trigemini  hervorgebracht  ist,  und  dass  die  damit  verbundene 
Atrophie  der  Haut  und  der  Muskeln  im  Gebiete  des  Badialis  derselben  Seite 
ebenfalls  einer  Neuritis  interstitialis  prolifera  ihre  Entstehui^  verdankt 

Als  Folgeerscheinungen  der  peripherischen  Neuritis  betrachte  ich  in  Bezug 
auf  den  Trigemlnus  die  Atrophie  der  absteigenden  Wurzel  desselben 
und  die  partielle  Atrophie  der  Subst  ferruginea,  in  Bezug  auf  den 
Badialis  den  Ausfall  von  Ganglienzellen  in  den  entsprechenden  Vorderhörnem 
des  Bückenmarks. 

Dass  eine  peripherische  Neuritis  die  Erscheinungen  der  Haut-  und  Muskel- 
atrophie hervorbringen  kann,  ist  eine  Thatsache,  die  über  allen  Zweifel  erhaben 
ist,  und  welche  taglich  constatirt  werden  kann.  Es  braucht  dabei  nur  auf  die 
traumatische  Perineuritis  und  Neuritis  nach  Fracturen  u.  s.  w.  hingewiesen  zu 
werden. 

Es  entsteht  nun  die  Frage,  ist  die  Hemiatrophia  facialis  immer  oder 
wenigstens  in  der  Begel  als  bedingt  durch  eine  peripherische  Neuritis  interstitialis 
zu  erklären? 

Hier  können  schliesslich  nur  weitere  Untersuchungen  an  der  Leiche  sichern 
Aufschluss  geben. 

Die  Aetiologie  der  Krankheit  giebt  allerdings  mannigfache  Anhaltspunkte 
dafür,  dass  far  eine  grössere  IZahl  von  Fällen  ein  neuritischer  Ursprung  wahr- 
scheinlich sei. 

Herr  G.  Lewin  hat  in  sehr  dankenswerther  Weise  in  den  Charite-Annalen 
des  Jahres  1884  bei  Gelegenheit  seiner  Studien  über  die  bei  halbseitigen  Atro- 
phien und  Hypertrophien,  namentlich  des  Gesichts  vorkonmienden  Erscheinungen 
die  bis  dahin  bekannten  Fälle  vpn  Hemiatrophia  facialis  zusammengestellt  (es 
waren  deren  incl.  einer  eignen  Beobachtung  desselben  71)  und  einer  kritischen 
Betrachtung  unterworfen.  Seit  jener  Zeit  sind,  soweit  ich  die  Litteratur  durch- 
sehen konnte,  noch  bekannt  geworden:  15  Fälle. 

1.  Rapmann,  Virchow-Hirsch-Jahresbericht  für  1885.  IL  S.  508.     Ref. 

2.  Spitzer,  Wiener  med.  Blätter.  1885.  1. 

3 — 6.  Borel,  Bev.  m^d.  de  la  Suisse  romande.  1886.  1  u.  2.     4  Fälle. 

7.  Warfvinge,  Neurol.  Ctrlbl.  1885.  S.  513.    Ref. 

8.  Boshdestwenski.  Rassisch  1885.    Ref.  im  Neurol.  Ctrlbl.  1886.  S.  114. 

9.  Nicaise,  Revae  de  m6ä.  1885.  Aoüt. 

10—11.  Penzoldt,  Münchner  med.  Woch.  1886.  14—16.     2  Fälle. 

12.  Suckling,  Brit.  med.  Journal.  1886.  Nov.  p.  925. 

13.  Herz,  Arch.  f.  KmderheUk.  1887.  H.  4. 

14.  Barwige,  Brit  med.  Joum.  1887.  Dec.  24. 

15.  Putzel  (New  York),  The  med.  Record.  16.  Aprü  1887. 

Unter  diesen  86  Fällen  von  Hemiatrophia  facialis  lässt  sich  19  mal  nach 
den  gegebenen  anamnestischen  Mittheilungen  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  ein 
peripherischer  Ursprung  annehmen,  in  9  Fällen  ging  Trauma  des  Kopfes,  in 
4  Fallen  Angina  und  Tonsillitis,  in  3  Fällen  Zahnschmerz  und  Zahngeschwür, 
in  2  Fällen  Gesichtserysipel  voraus.   In  dem  vorliegenden  Falle  endlich  ist  der 


—    410    — 

perii^iensche  ürspnmg  nach  einem  Gesicbtserysipel  nicht  zweifelhaft.  In  den 
4  Fällen  ferner,  in  denen  die  Hemiatrophie  nach  acuten  Infectionskrankheiten 
entstand,  ist  nach  dem,  was  wir  in  der  neneren  Zeit  über  die  Erkrankung  der 
peripherischen  Nerven  bei  Infectionskrankheiten  erfahren  haben,  sehr  wohl  an 
eine  Neuritis  zu  denken. 

Die  Aetiologie  der  Hemiatrophia  facialis  spricht  demnach  nicht  gegen,  son- 
dern in  einer  grösseren  Reihe  von  Fällen  fOr  den  peripherischen  Ursprung  der 
Krankheit;  und  ich  darf  wohl  bei  dieser  Gelegenheit  anfahren,  dass  Herr  Yibchow 
bei  Gelegenheit  jener  Vorstellung  der  Frau  Kulicke  sagte:  ,Jmmerhin  möchte 
ich  glauben,  dass  die  Annahme  berechtigt  ist,  dass  innerhalb  des 
Gebietes  der  peripherischen  Nerven  der  eigentliche  Hauptsitz  der 
Störung  liegt" 

Diese  Annahme  hat  durch  die  Untersuchung,  deren  Resultate  ich  Ihnen 
mittheilte,  ihren  ersten  thatsächlichen  Beweis  gefunden. 

Ich  bin  aber  nicht  der  Ansicht,  dass  nicht  auch  durch  andere  Processe  als 
durch  Affection  der  peripherischen  Nerven  die  Krankheit  hervorgerufen  werden 
könnte.  Im  Gegentheil  glaube  ich,  dass  wenn  die  Fasern,  welche  in  diesem 
Falle  durch  die  interstitielle  Neuritis  zerstört  wurden,  in  ihrem  centralen  Ver- 
lauf durch  irgend  welche  Schädlichkeit  getroffen,  oder  wenn  die  Ganglienzellen, 
aus  denen  sie  ihren  Ursprung  nehmen,  zerstört  werden,  dasselbe  oder  ein  ganz 
ähnliches  Bild  auftreten  kann. 

So  ist  vielleicht  der  von  Babv^ge  (1.  c.)  berichtete  Fall,  in  dem  eine 
Affection  des  Pens  aus  begleitenden  Erscheinungen  angenommen  wurde,  zu  erklären. 

Wenn  es  nun  kaum  zweifelhaft  erscheint,  dass  eine  grossere  Zahl  von 
Fällen  der  Hemiatrophia  facialis  einer  Neuritis  ihre  Entstehung  verdankt,  so 
verdiente  die  Frage  noch  eine  Erörterung,  warum  werden  nur  gerade  die 
Fasern  zerstört,  welche  mit  den  trophischen  Functionen  in  Verbindung  stehen, 
warum  bleiben  die  Fasern,  welche  die  Motilität  und  Sensibilität  vermitteln,  firei; 
wenigstens  ist  in  den  meisten  Krankengeschichten,  wie  auch  in  der  meinigen 
hervorgehoben,  dass  weder  Schmerzen  noch  Anästhesien  in  den  betreffenden 
Theilen  bestanden,  noch  auch  Bewegungsstörungen,  welche  nicht  durch  die 
Atrophie  der  Muskeln  zu  erklären  wären. 

Allerdings  besteht  dieses  Verhalten  in  Bezug  auf  die  Sensibilität,  wie  her- 
vorgehoben werden  muss,  nicht  im  Beginn  der  Krankheit:  hier  wird  öfter,  wie 
auch  in  unserm  Fall,  das  Bestehen  von  Schmerzen,  Anästhesien  und  Parästhesien 
als  ein  Symptom  hervorgehoben,  das  der  Entwickelung  der  Atrophie  vorausging 
oder  sie  in  ihren  Anfängen  begleitet.  Es  ist  denmach  wohl  zulässig  anzunehmen, 
dass  neben  den  „trophischen  Fasern''  zuerst  auch  die  sensiblen  leiden,  diese 
letztem  aber  nicht  dauernd  zerstört  werden.  Dasselbe  gilt  wohl  auch  von  den 
selten  afficirten  motorischen  Fasern.  In  dem  Fall  Axhank-Hüteb  und  Akgel 
bestanden  Zuckungen  in  den  Kaumuskeln.  Warum  nun  aber  die  dauernde 
Läsion  lediglich  die  mit  den  trophischen  Functionen  in  Zusammenhang  stehenden 
Nerven  trifft,  wird  sich  nur  aus  Analogien  begreifen  lassen:  wir  sehen  be- 
stimmte Schädlichkeiten  und  Gifte  ausschliesslich  auf  die  motorischen  Functionen 


—    411     — 

emwirken,  nnd  Herr  Yibohow  hat  bereits  nach  dieser  Riohtoiig  hin  auf  die 
Analogien  der  Nervenlepra,  namentlich  der  Morphea,  der  Lepra  anaesthetica 
und  mutilans  hingewiesen. 

Welche  Bedeutung  haben  nun  gegenüber  den  in  den  peripherischen  Nerven 
(Tngeminus  nnd  Badialis)  nachgewiesenen  Veränderungen  die  pathologischen 
Befunde  im  Hirn  und  Rückenmark? 

Was  zuerst  den  Befund  in  der  absteigenden  Wurzel  des  Trigeminus  betrifft, 
wdche  einhergeht  mit  einer  beschrankten  Atrophie  in  der  Substantia  ferruginea, 
so  dürfte  es  vielleicht  nicht  ohne  Nutzen  sein,  hier  an  die  Ursprünge  des  Tri- 
geminus zu  erinnern,  zumal  die  Untersuchung  auch  nach  dieser  Richtung  hin 
gewisse  AufischlüBse  giebt 

Der  Trigeminus  setzt  sich  zusammen: 

1.  aus  Fasern,  welche  aus  dem  sogenannten  sensiblen  Trigeminuskem,  welcher 
am  Boden  des  4.  Ventrikels  liegt,  stammen; 

2.  aus  Fasern,  welche  aus  dem  nach  innen  von  dem  vorigen  liegenden*  moto- 
rischen Kern  konmien, 

8.  aus  der  aufsteigenden  Trigeminuswurzel,  welche  aus  der  Substantia  gelatinosa 
der  ffinterhömer  des  Rückenmarks  stammt  und  bis  zur  Höhe  des  zweiten 
Gervicalnerven  zu  verfolgen  ist. 

4.  aus  Fasern,  welche  aus  dem  Kleinhirn  zu  kommen  scheinen,  nach  Bechterew 
(Arch.  f.  Anatomie  u.  Physiologie.  1886.  Anat.  Abth.)  aber  nicht  bis  in  die 
Kleinhimrinde  gelangen. 

5.  aus  Fasern,  welche  aus  der  Substantia  ferruginea  entspringen  (nach  Meynebt 
aus  der  contralateralen,  was  Bechtebew  [Neurolog.  Centralbl.  1887.  S.  290] 
bestreitet). 

6.  Endlich  aus  der  absteigenden  Wurzel,  welche  nach  Metneet  aus  „grossen, 
zu  Traubchen  geordneten  blasenformigen  Zellen,  welche  den  Sympathicus- 
ganglien  vergleichbar  sind",  hervorgehen  (Meynebt,  Psychiatrie.  I  S.  98). 

Von  diesen  Fasern  sind  die  ersten  (aus  dem  sensiblen  Trigeminuskem)  un- 
zweifelhaft sensibler  Natur,  die  zweiten  (aus  dem  motorischen  Kern)  motorisch, 
die  dritten  ihrem  Ursprung  aus  den  Hinterhörnem  nach  und  durch  ihr  Anlegen 
an  die  Portio  major  trigemini  als  sensibel  zu  deuten. 

Von  der  Bedeutung  der  4.  und  5.  Art  der  Fasern  wissen  wir  bisher  nichts. 

Was  endlich  die  6.  Art,  die  absteigende  Wurzel,  anbetrifft,  so  ist  diese  die 
einzige,  die  hier  im  Anschluss  an  den  peripherischen  Process  eine  Verkümmerung 
zeigt  Man  müsste  demnach  annehmen,  dass  in  ihr  die  mit  den  trophischen 
Processen  in  Verbindung  stehenden  Fasern  verlaufen. 

Diese  Fasern  entspringen  aber  zum  Theil  aus  der  Substantia  ferruginea, 
welche  in  unserem  Falle  gewisse  Defecte  zeigt,  und  zwar  nicht,  wie  es  nach 
Meykebt's  Annahme  sein  müsste,  auf  der  contralateralen,  sondern  auf  der- 
selben Seite. 

Im  Uebrigen  stimmen  meine  eignen  Untersuchungen  mit  denen  von  Meykebt 
und  Bechtebew  überein,  dass  diese  absteigende  Wurzel  —  wenigstens  weitaus 
zum  grossten  Theil  —  sich  den  aus  dem  sensiblen  Kern  hervortretenden  Fasern 


—    412    — 

der  Portio  major  des  Trigeminüs  hinzi^esellt,  während  sie  Heni^b  vorzugsweise 
mit  dem  motorischen  Theil  sich  vereinigen  lässt 

Man  könnte  die  absteigende  Wurzel  des  Trigeminüs  demnach  als  trophische 
Wurzel  bezeichnen. 

Ich  möchte  mich  aber  ausdrücklich  dagegen  verwahren,  als  ob  ich  auf 
Grund  einer  einzigen  Beobachtung  die  Frage  nach  der  Existenz  oder  Nicht- 
existenz  besonderer  trophischer  Nervenfasern  (Sie  wissen,  dass  die  Mehrzahl  der 
Physiologen  *sich  für  die  Nichtexistenz  entschieden  hat)  hier  disoutiren  oder  ent- 
scheiden möchte. 

Erwähnen  aber  will  ich,  dass  Merkkti  (Untersuchungen  aus  dem  anatomischen 
Institut  zu  Rostock  1874)  auf  Grund  experimenteller  Durchschneidungen  bei 
Kaninchen  ebenfalls  zu  dem  Schluss  kam,  dass  diese  absteigende  Wurzel  die 
trophischen  Fasern  des  Trigeminüs  enthält,  wogegen  allerdings  später  Eckhard 
(Beiträge  zur  Anatomie  und  Physiologie.  Bd.  VII.  S.  145.  Giessen  1876.),  wie 
DüVAB  und  Labobde  (Journal  de  Tanatomie.  1878.  p.  4.)  Einwände  erhoben 
haben.  Neuerdings  glaubt  Joseph  (Virchow's  Archiv.  CVn.  S.  136)  auf  Grund 
eines  Versuches  an  einer  Katze  annehmen  zu  dürfen,  dass  die  aufsteigende 
Wurzel  des  Trigeminüs  die  trophische  Leitungsbahn  sei,  wc^egen  aUerdings  die 
oben  angegebenen  Befunde  entschieden  sprechen. 

Wenn  übrigens  Sigmund  Mayeb  (Hebbmann,  Physiologie.  II.  S.  218)  meint, 
dass  erst  dann  trophische  Nerven  anzuerkennen  sind,  wenn  der  anatomische 
Nachweis  die  Existenz  von  Nerven,  denen  trophische  Wirkungen  zuzuschreiben 
wären,  wahrscheinlich  gemacht  werden  könnte,  so  dürfte  der  vorliegende  Fall 
durch  seine  isolirte  Betheiligung  eines  Nervenbündels  bei  einem  lediglich  tro- 
phischen resp.  atrophischen  Process  in  Betracht  konmien. 

Ganz  anders  gestaltet  sich  nun  die  Betrachtung  der  Veränderungen  im 
Rückenmark,  Im  Gehirn  war  der  aufsteigende  Process  vom  peripherischen 
Nervenstamm  in  eine  tief  in  das  Gehirn  eindringende  Wurzel  zu  verfolgen;  im 
Rückenmark  bestand  ein  Ausfall  von  Zellen,  während  die  vordem  und  hintern 
Rückenmarkswurzeln  durchaus  normal  erschienen,  in  der  peripherischen  Aus- 
breitung des  Nerven  aber  die  interstitielle  Neuritis  nachgewiesen  werden  konnte. 

Ausgefallen  waren  zum  Theil  die  Zellen  des  Theils  der  Vorderhörner,  in 
denen  der  Plexus  brachialis  seinen  Ursprung  ninmit  (V. — VUL  Nv.  cervicalis 
und  Nv.  dorsalis  1). 

Es  dürfte  der  Befund  kaum  anders  zu  deuten  sein,  als  dass  der  Ausfall 
der  Function  für  diese  Zellen  auch  sie  selbst  hat  verschwinden  lassen,  wie  wir 
dies  in  ähnlicher  Weise  bei  den  Operationen  an  jungen  Thieren  nach  v.  Gudden's 
und  meinen  eignen  Experimenten,  die  ich  vor  einiger  Zeit  Ihnen  vortrug  (c£ 
Neurol.  Ctrlbl.  1887.  S.  587),  sehen. 

Der  Process  ist,  worauf  ich  besonders  aufmerksam  machen  möchte,  kein 
continuirlicher,  die  Rückenmarkswurzeln  bleiben  intact. 

Die  lange  Dauer  der  Krankheit  liess  die  Verhältnisse  deutlich  erkennen, 
welche,  wie  ich  glaube,  bei  kurzem  Verlauf  weniger  wahrnehmbar  gewesen  wären. 


—    418    — 

2.    Einige  therapeutische  Versuche  mit  der  Hypnose. 

.Von  Dr.  Sperling,  Berlin. 

Aus  der  Poliklinik  für  Nervenkrankheiten  von  Prof.  Eulenbubg 

und  Prof.  Mendel. 

(Schluss.) 

Schliesslich  mögen  hier  noch  zwei  Krankheitsfälle  ihren  Platz  finden,  die 
zwar  in  ihrer  Erscheinung  durchaus  verschieden,  aber  dabei  zwei  Punkte  ge- 
meinsam haben,  deren  nähere  Betrachtung  recht  interessante  Ergebnisse  liefert. 
In  beiden  Fällen  schliesst  sich  die  Erkrankung  an  eine  Infectionskrankheit,  im 
ersten  an  Malaria,  im  zweiten  an  Typhus  an,  und  in  beiden  zeigt  sich  die 
colossale  Schwierigkeit,  die  Frage  zu  entscheiden:  hat  man  es  hier  mit  einem 
Process  organischer  oder  hysterischer  Natur  zu  thun? 

vn(i). 

Fräulein  W.  E.,  23  Jahre  alt,  wohl  hereditär  zu  nervösen  Erkrankungen  disponirt, 
soll  als  Kind  einmal  Typhus  gehabt  haben,  aber  im  Uebrigen  bis  jetzt  gesund  ge- 
*«7esen  sein.  Anfang  December  v.  J.  wurde  sie  ,,8ehr  nervös",  leicht  reizbar,  auf- 
brausend und  jähzornig,  missgestimmt,  fror  immer  und  litt  ständig  an  kalten  Ex- 
tremitäten, während  meist  gegen  Abend  in  mehr  oder  weniger  grossen  Zwischenräumen 
Anlalle  von  Froet  und  Zittern  eintraten,  wobei  sich  unwillkürliche  Zuckungen  ein- 
zelner Muskeln,  besonders  in  den  Fingern,  an  Knie  und  Schulter  bemerkbar  gemacht 
haben  sollen.  Zu  diesen  Erscheinungen  trat  bald  Doppelsehen  hinzu,  welches  sich 
im  Allgemeinen  im  Laufe  der  Zeit  verstärkte,  indess  auch  zuweilen  an  Intensität 
abnahm,  um  dann  bald  wieder  den  alten  Grad  zu  erreichen. 

Ende  Februar  d.  J.  sab  ich  die  Patientin  zum  ersten  Mal  und  konnte  eine 
starke  linksseitige  Abducensparese  constatiren.  In  der  äussersten  Blickstellung  des 
Auges  nach  links  machte  der  Bulbus  jedesmal  einige  ataktische  Bewegungen.  Die 
in  Folge  dessen  eingetretene  Diplopie  zeigte  sich  beim  Blick  nach  links,  erhielt  sich 
jedoch  bei  Bewegung  eines  Gegenstandes  in  der  Blickebene  von  links  nach  rechts 
über  die  Mittellinie  hinaus  bis  zu  einem  Winkel  mit  der  letztem  von  ungefähr  45^. 
Jedoch  rückten  die  Doppelbilder  um  so  mehr  zusammen,  je  mehr  sie  mit  dem  Blick 
nach  rechts  gesehen  wurden.  Ausser  einer  congenitalen  Myopie  war  an  beiden  Augen, 
über  deren  Znstand  ich  den  genauen  Bericht  Herrn  Dr.  Peltesohn  verdanke,  nichts 
Bemerkenswerthes  zu  constatiren. 

Als  objective  Symptome  der  hier  vorliegenden  Krankheit  war  ausser  dem  eben- 
genannten  nur  eine  auffallende  Kälte  der  Extremitäten  und  ein  sehr  schneller  Wechsel 
der  Gesichtsfarbe  vom  äussersten  Blass  bis  zum  Bläulichroth,  welches  besonders  an 
den  Wangen  hervortrat,  zu  bemerken.  Veränderungen  der  Motilität,  Sensibilität  oder 
der  Reflexe  waren  durchaus  nicht  nachzuweisen,  dagegen  machten  die  vielseitigen 
Klagen  das  Krankheitsbild  doch  zu  einem  recht  bunten.  Die  vorhin  erwähnten,  jetzt 
auch  mit  Hitze  verbundenen  abendlichen  Frost-  und  Zitteranfälle  zeigten  sich  nach 
wie  vor,  und  die  Veränderungen  des  geistigen  und  gemüthlichen  Zustandes:  Unlust 
zur  gewohnten  Thätigkeit,  Missvergnügen  an  jeder  Beschäftigung,  gereizte  übel- 
nehmerische Stimmung,  die  sogar  in  Wuthausbrüche  ausarten  konnte,  Appetit-  und 
Schlaflosigkeit  u.  a.  m.  bildeten  eine  ständige  Klage  der  im  Uebrigen  sehr  verstän- 
digen und  intelligenten  Patientin. 

Es  lag  nahe,  die  regelmässig  Abends  wiederkehrenden  Anfälle  als  Malaria- 
Attacken  zu  deuten,  zumal  Pai  angab,  dass  sie  bis  October  1886  in  einem  Zimmer 


-    414     — 

geschlafen  habe,  an  dessen  Fenster  die  berüchtigte  Panke  vorüberfloss.  In  der  That 
worden  dieselben  auch  durch  hohe  Chinindosen  für's  erste  beseitigt,  desgleichen  ein 
nach  mehreren  Wochen  eintretender  Bückfall.  Als  aber  dann  diese  Anfalle  nach 
einer  Pause  von  14  Tagen  sich  wieder  in  erneuter  Auflage  einstellten,  da  wurde  das 
sofort  verordnete  Chinin  durchaus  nicht  mehr  vertragen.  Es  stellte  sich  Erbrechen 
danach  ein,  und  der  Allgemeinzustand  wurde  durch  einen  jetzt  fast  continuirlichen 
Kopfschmerz  so  verschlechtert,  dass  ich  nach  vergeblicher  Anwendung  von  Elektricität, 
Bädern  und  Medicamenten  aUer  Art  in  der  That  nicht  mehr  wusste,  wodurch  ich  zur 
Linderung  der  herzerweichenden  Klagen  hätte  beitragen  können.  Der  Fall  stand, 
um  es  kurz  zu  sagen,  auf  einem  Standpunkt,  bei  welchem  man  sich  gewöhnlich  nur 
durch  die  Uebergabe  desselben  in  eine  „Anstalt''  retten  konnte. 

Bei  den  trefflichen  Diensten,  welche  mir  die  Hypnose  schon  in  manchen  ver- 
zweifelten Fällen  geleistet  hatte,  durfte  ich  auch  hier  mit  Recht  einen  Versuch  damit 
wagen. 

Gleich  die  erste  Hypnose  gelang  leicht  und  war  so  tief,  dass  Fat  nur  eine 
„dumpfe  Erinnerung"  an  den  ganzen  Vorgang  behielt,  während  die  späteren  Hypnosen 
voUkommne  Amnesie  hinterliessen.  Sie  war  dabei  zu  kataleptischen  Stellungen  geneigt, 
schlief  auch  bei  geöffiieten  Augen,  nahm  leicht  Hallucinationen  auf  und  zeigte  sich 
merkwürdig  gut  auf  jede  Suggestion  eingehend,  so  dass,  wenn  sie  eben  mit  dem 
furchtbarsten  Kopfweh  in  Hypnose  verfallen  war,  das  einfache  Wort  „sie  habe  keinen 
Kopfschmerz  mehr",  ihr  das  Geständniss  abnöthigte,  dass  sie  sich  in  der  „That 
wohl"  fühle.  ♦ 

Unter  dem  Einfluss  der  Hypnose  besserte  sich  nunmehr  dieser  Zustand  in-  den 
nächsten  vier  Wochen  so  erheblich,  dass  sich  Fat.  fast  vollkommen  wieder  hergestellt 
fühlte  und  meiner  Empfehlung  gemäss  eine  Erholungsreise  antreten  konnte.  Zwar 
traten  in  dieser  Zeit  auch  noch  einige  solche  Frostanfälle  auf,  auch  hin  und  wieder 
Kopfschmerzen  oder  neuralgiforme  Schmerzen,  die  sich  meist  auf  häusliche  Aerger- 
nisse  als  Ursache  zurückführen  liessen,  —  aber  fast  jedesmal  war  die  Hypnose  im 
Stande,  fast  im  Moment  jede  krankhafte  Erscheinung  zu  beseitigen. 

Die  erste  Besserung  trat  abgesehen  von  dem  sehr  bald  schwindenden  Kopfschmerz 
in  Bezug  auf  den  Schlaf  ein:  Pai  versicherte  gleich  nach  der  ersten  Hypnose,  dass 
sie  schon  lange  nicht  so  vortrefflich  geschlafen  wie  in  der  letzten  Nacht^  dann  folgte 
die  Wiederherstellung  des  Appetits,  während  die  Beeinflussung  der  Stimmung  am 
schwersten  gelang,  schliesslich  aber  doch  Erfolg  hatte. 

Die  Behandlung  der  Abducensparese  bestand  in  anfänglicher  Galvanisation  des 
kranken  Auges  und  späterhin  in  Uebungen  der  Augenbewegungen  während  der  Hypnose. 
Es  wurde  zwar  eine  erhebliche  Besserung  der  Diplopie,  aber  keine  Heilung  bis  zu 
dem  Tage  erzielt,  an  welchem  Fat.  meine  Behandlung  verliess.  Heute  (24.  Juni) 
höre  ich,  dass  Doppeltsehen  zwar  noch  immer  besteht,  aber  im  Uebrigen  sich  die 
Fat.  eines  vortrefflichen  Wohlbefindens  erfreut. 

Die  Auffassung  dieses  Krankheitsfalles  bietet  grosse  Schwierigkeiten.  Da 
es  zu  weit  führen  würde,  hier  das  Für  und  Gegen  diese  und  jene  etwa  mög- 
liche Auffassung  einzeln  abzuwägen,  so  will  ich  mich  darauf  beschränken,  die- 
jenige hier  wiederzugeben,  welche  mir  die  grösste  Wahrscheinlichkeit  für  sich 
zu  haben  scheint: 

Es  ist  wohl  als  sicher  anzunehmen,  dass  die  vorliegende  Erkrankung  durch 
Malaria  hervorgerufen  worden  ist,  und  dass  die  ersten  Frost-  und  Hitze-Anfalle, 
die  sich  fast  täglich  um  dieselbe  Abendstunde  wiederholen,  als  Malaria-Attacken 
zu  deuten  sind;  dafür  spricht  auch  die  prompte  Chinin- Wirkung  —  jedoch 
möchte  ich  nach  anderen  Erfahrungen  über  dieselbe  bei  nervösen  Leiden  anf 


—    416    - 

dies  letstere  Moment  nicht  za  viel  Gewicht  legen.  Von  der  Malaria-Intoxication 
abhängig  gehen  zwei  Symptome  resp.  Symptomengruppen  parallel:  1.  die  Ab- 
dncenslähmung  und  2.  eine  Reihe  von  hysterischen  Beschwerden. 

Was  die  erstere  anlangt,  so  möchte  4ch  doch  aDnehmen,  und  zwar  haupt- 
sächlich wegen  der  Hartnäckigkeit,  mit  der  dieselbe  der  Therapie  widersteht, 
dass  es  sich  um  eine  durch  Gefössalteration  entstandene  organische  Affection  im 
Verlauf  des  Abducens  sin.  resp.  dessen  Kern  handelt,  die  von  der  Malaria  direct 
abhängig  ist  Die  Gruppe  der  hysterischen  Beschwerden  einschliesslich  der  letzten 
Zitteranfalle  scheint  mir  dagegen  eine  mittelbare  Ursache  in  der  Malaria  zu 
haben  und  auf  Grund  hereditärer  Disposition  in  dem  durch  jene  geschwächten 
und  widerstandsunfähiger  gemachten  Organismus  entstanden  zu  sein,  eine  An- 
nahme, die  durch  ähnliche  Beobachtungen  und  Deutungen  von  Krankheitsfällen, 
wie  sie  in  der  Litteratur  zahlreich  vorkommen,  gestützt  wird.  Die  Sache  kommt 
also  im  Wesentlichen  auf  Hysterie  heraus,  und  daher  auch  der  Erfolg  mit  der 
Hypnose  bei  einem  zufallig  dafür  sehr  empfanglichen  Individuum. 

Vin  (2). 

Frau  L.,  36  Jahre  alt,  Plätterin  —  ein  Fall,  der  schon  in  einer  Dissertation 
von  liAZABUS  ,,Typhns  und  Gehimkrankheiten",  Berlin  1888,  verwerthet  worden  ist 
—  erkrankte  im  October  v.  J.  an  Typhns  abdominalis  und  branchte  zur  Herstellong 
ihrer  Gesundheit  4  Wochen.  8  Tage  vor  ihrer  Entlassung  ans  dem  Krankenhause 
bemerkte  sie  eine  Schwäche  im  rechten  Arm  und  rechten  Bein,  welche  immer  mehr 
znnahm. 

Im  Januar  d.  J.  wurde  bei  der  ersten  Untersuchung  der  Patientin  eine  nicht 
nnbedentende  Lähmung  des  rechten  Arms  constatirt,  welcher  nur  mit  Anstrengung 
bis  zur  horizontalen  gehoben  werden  konnte.  Dabei  war  die  Bewegung  im  EUbogen- 
und  Schultergelenk  sowohl  activ  wie  passiv  gestört  and  zwar  theils  durch  eine  Afifec- 
tion  der  Gelenke  selbst,  in  denen  sich  bei  Bewegungen  deutliches  Knirschen  und 
Krachen  bemerkbar  machte,  theils  durch  Muskelspannungen,  die  besonders  die  Muskeln 
des  Oberarms  betrafen.  Fat  verspflrte  auch  heftige  Schmerzen,  welche  meist  in  der 
Mitte  des  Oberarms,  aber  auch  in  den  Gelenken  selber  von  ihr  localisirt  wurden. 

Der  Lahmung  des  rechten  Arms  entsprach  eine  leichte  Parese  des  rechten  Beins 
und  des  rechten  Facialis;  was  sich  aber  als  das  Merkwürdigste  bei  dieser  Lähmung 
herausstellte,  das  war  eine  vollkommne  Anästhesie  für  alle  Gefühlsqualitäten  auf  der 
ganzen  gelähmten  Seite  einschliesslich  des  Kopfes,  welche  auch  Muskeln,  Gelenke  etc. 
betroffen  hatte.  Daran  schloss  sich  eine  Amblyopia  deztra,  verbunden  mit  concen- 
trischer  Einengung  des  Gesichtsfeldes  und  Polyopie,  während  der  ophthalmoskopische 
Befand  normal  war,  fernerhin  eine  erhebliche  Herabsetzung  des  Gehörs,  sowie  voll- 
kommne  Aufhebung  des  Geruchs-  und  Geschmackssinnes  auf  der  rechten  Seite. 

Die  subjectiven  Klagen  der  Pai  bezogen  sich,  abgesehen  von  den  erwähnten 
Schmerzen  im  rechten  Arm,  auf  häufige  Kopfschmerzen,  Schwindelanfölle,  allgemeine 
Schwäche,  Appetitlosigkeit  und  das  bekannte  Globus-Gefühl.  Die  Ovarialgegend  der 
linken  Seite  war  auf  Druck  empfindlich. 

Die  Fat.  machte  durch  ihre  starren,  ein  wenig  verstörten  Gesichtszüge  einen 
dementen  Eindruck;  Antworten  auf  die  ihr  gestellten  Fragen  erfolgten  langsam  und 
zögernd,  und  eine  geringe  Abnahme  von  Intelligenz  und  Gkdächtniss  während  der 
letzten  Zeit  wurde  von  ihr  selber  zugegeben. 

Eine  wohl  3  Monate  lang  regelmässig  fortgesetzte  elektrische  Kur,  bei  welcher 
zuerst  statische,  späterhin  abwechselnd  faradische  und  galvanische  Elektricität  ange- 
wandt wurde,  änderte  in  diesem  Zustande  fast  gar  nichts;  wenn  auch  nach  Belieben 


416    — 

durch  Transfert  die  gesunde  Seite  zum  Theil  in  die  kranke  verwandelt  werden  konnte, 
so  dauerte  dieser  Wechsel  doch  nur  wenige  Minuten  und  brachte  damit  selbstver- 
ständlich keinen  dauernden  Yortheil.  Es  lag  also  ein  Erankheitsbild  vor,  welches 
man  wohl  mit  dem  Namen  ,, verzweifelter  Fall"  bezeichnen  konnte,  zumal  voUkommne 
Mittellosigkeit  der  Patientin  nach  jeder  Richtung  die  grösste  Beschränkung  auferlegte. 
Bei  der  Unsicherheit  in  Bezug  auf  die  Diagnose,  welche  noch  die  Situation 
erschwerte,  konnte  es  sich  natürlich  nur  um  einen  blossen  „Versuch"  handeln,  mit 
der  Hypnose  doch  noch  etwas  zu  leisten.  Gflnstig  war  von  vornherein  die  sehr 
leichte  Hypnotisirbarkeit  der  Kranken,  welche  späterhin  zu  einer  trefflichen  Somnam- 
bulin wurde.  Auch  die  Suggestibilität  war  ziemlich  gross,  so  dass  Schmerzen,  sub- 
jective  Angst-  oder  Schwindelgefühle  u.  s.  w.  in  der  Hypnose  sofort  zum  Verschwinden 
gebracht  werden  konnten.  Die  spastischen  Contracturen  der  rechten  Oberarmmuskeln 
lösten  sich  sofort  und  die  Gelenke  waren  frei  beweglich  bis  auf  zuweilen  eintretende 
kurze  knarrende  Geräusche,  welche  die  Patientin  jedesmal  mit  dem  Ausdruck  der 
Schmerzempfindung  begleitete.  Die  active  Beweglichkeit  war  auch  gleich  in  den 
ersten  hypnotischen  Sitzungen  freier,  jedoch  kostete  es  grosse  Anstrengung  und  von 
meiner  Seite  energisches  Zureden,  bis  der  Arm  bis  zur  senkrechten  gehoben  worden 
war.  In  dieser  Stellung  äusserten  dann  die  Extensoren  eine  grössere  Thätigkeit  und 
in  dieser  fast  krampfhaften  Extensionsstellung  gerieth  der  Arm  meist  in  ein  inten- 
sives Zittern.  Die  Beschreibung  der  einzelnen  hypnotischen  Sitzungen,  in  welchen 
allen  active  und  passive  Bewegungen  des  Armes  vorgenommen  wurden,  würde  zu 
weit  führen.  Es  soll  nur  kurz  gesagt  sein,  dass  die  Besserung  der  Motilität  und 
Sensibilität  des  Armes,  und  mit  diesem  parallel  auch  die  des  Gesichtes  und  Beines, 
obwohl  ich  mich  immer  nur  mit  dem  ersteren  allein  beschäftigt  hatte,  mit  der  Zeit 
erhebliche  Fortschritte  machte,  so  dass  nach  ungefähr  30  Sitzungen  der  Druck  am 
Dynamometer  rechts  von  fast  0  auf  3*5—40^  gestiegen  war,  während  er  links  55^ 
zeigte.  Die  Sensibilität  hatte  sich  am  Arm  fast  vollkommen  wiederhergestellt,  Ge- 
sicht, (Geruch,  Geschmack  und  Gehör  hatten  sich  gleichfalls  gebessert,  so  dass  die 
Patientin  vor  ungefähr  4  Wochen  ihre  Arbeit  als  Plätterin  wieder  aufnehmen  konnte. 

Auch  selbst  nach  diesem  Verlauf  der  Krankheit  macht  es  noch  immer  die 
grösste  Schwierigkeit,  zu  entscheiden :  liegt  hier  eine  organische  oder  functionelle 
Erkrankung  vor?  Der  muthmaassliche  Sitz  würde  in  beiden  Fällen  im  sogen. 
Carrefour  sensitif  zu  suchen  sein?  —  Ich  möchte  mich  für  die  hysterische 
AflFection  entscheiden,  und  zwar  aus  folgenden  Gründen:  1.  In  unserm  Falle 
besteht  Amblyopia  dextra,  während  organische  Läsionen  meistens  zu  Sehstörungen 
in  Form  der  Hemianopsie  führen;  2.  spricht  das  Auftreten  der  Muskelcoutrac- 
toren,  die  übrigens  öfters  einen  krampfartigen  Charakter  annahmen,  so  bald 
nach  Beginn  der  Krankheit  ebenso  wie  deren  häufiger  Wechsel  an  In-  und  Ex- 
tensität für  Hysterie,  und  3.  möchte  ich  noch  die  baldige  Besserung  durch  die 
hypnotische  Behandlung  als  Stütze  dafür  anführen,  wenn  ich  auch  weiss,  dass 
bei  organischen  Läsionen  die  indirecten  Heerdsymptome  durch  die  Hypnose  einer 
baldigen  Besserung  fähig  sind.  Mit  dem  Gedanken  an  hysterische  Fadalis- 
Lähmungen  müssen  wir  uns  doch  wohl  oder  übel  be&eunden. 

Die  hier  mitgetheilten  Beobachtungen,  wenn  auch  häufig  der  Kürze  des 
verstatteten  Raumes  w^en  etwas  kurz  wiedergegeben,  werden  nach  Zahl  und 
Werth,  hoffe  ich,  genügen,  um  auch  den  hartnäckigsten  Zweiflern  das  Geständniss 
abzunöthigen,  dass  die  sachgemässe  Anwendung  der  Hypnose  eine  Bolle  in  der 
heutigen  Therapie  zu  spielen  berufen  ist,  dass  es  sich  nicht  nur  um  Curiosa 


—    417    — 

handelt)  weldie  dabei  zu  Tage  gefordert  werden,  sondern  dass  sich  praktische 
und  recht  verfolgenswerthe  Zwecke  damit  verknüpfen,  dass  es  schliesslich  nicht 
angebracht  ist,  jeden  Arzt  zu  verdächtigen,  der  es  sich  angelegen  sein  lässt,  die 
Anwendung  des  hypnotischen  Zustande^,  der  Suggestion  u.  s.  w.  auf  den  kranken 
Körper  zu  studiren  und  ihn  erforderlichen  Falles  zum  Besten  seiner  Kranken 
anzuwenden. 

Es  braucht  wohl  hier  nicht  besonders  betont  zu  werden,  dass  neben  den 
geschilderten  Erfolgen  auch  eine  ganze  Reihe  theils  halber,  theils  ganzer  Miss- 
eifolge  steht,  die  indess  meistens  auf  die  Schuld  einer  noch  mangelhaften  Me- 
thode zurückzuführen  sind.  So  sind  mir  eine  ganze  Anzahl  von  Fällen  der 
gewöhnlichen  hypochondrischen  Hysterie  vollkommen  verunglückt,  einige  Fälle 
von  Bailway  spine,  2  Fälle  von  Singultus  hystericus  u.  a.  dl,  wogegen  ich  aber 
auch  anführen  muss,  dass  ich  kaum  die  Hälfte  der  Fälle  beschrieben  habe,  in 
welcher  mir  die  Hypnose  mehr  oder  weniger  trefiFliche  Dienste  geleistet  hat, 
und  die  ebensogut  wie  jene  hier  hätten  ihre  Stelle  finden  können.  Zu  erwähnen 
wäre  besonders  ein  Trismus  hystericus,  der  in  wenigen  Sitzungen  geheilt  wurde, 
zwei  hysterische  Lähmungen,  eine  hypochondhscbe  Hysterie,  eine  hysterische 
Psychose,  eine  Neurasthenie  und  eine  Elailway  spine  u.  a.,  bei  welchen  ein  Er- 
folg sich  mehr  oder  weniger  evident  herausstellte.  Die  Hypnotisation  der  Patienten 
gelax^  mir  meistens  sehr  leicht  und  habe  ich  besonders  in  der  letzten  Zeit 
niemals  eine  ganz  resistente  Person  gefunden. 

Es  wird  zweckmässig  sein,  meinen  augenblicklichen  Standpunkt  in  dieser 
Sache  mit  wenig  Worten  zum  Schluss  festzustellen: 

1.  Die  planvolle  Anwendung  der  Hypnose  als  Heilmittel  ist  durchaus  be- 
rechtigt; jedoch  soll  dieselbe  noch  als  ein  ultimum  refugium  betrachtet 
werden. 

2.  Es  steht  der  Gebrauch  der  Hypnose  nur  dem  Arzte  zu,  sei  es  zu 
wissenschaftlicher  Forschung  oder  zu  Heilzwecken. 

3.  Es  wäre  ein  nie  wieder  gut  zu  machender  Fehler  von  Seiten  der  Aerzte, 
woUten  sie  sich  der  Forschung  auf  diesem  Gebiete  als  unter  ihrer  Würde 
stehend  enthalten  und  dasselbe  schlecht  bewährten  Laien-Händen  über- 
lassen. 

4.  In  Folge  dessen  ist  es  zweckmässig,  dass  die  neue  Lehre  im  Publikum 
so  wenig  wie  möglich  Verbreitung  findet;  das  staatliche  Verbot  der  öffent- 
lichen hypnotischen  Schaustellungen  muss  als  sehr  weise  anerkannt  werden. 

« 

5.  Der  Erfolg  der  therapeutischen  Hypnose  hängt  im  einzelnen  Falle  ab: 

a)  von  der  richtig  gestellten  Indication.    Daher  ist  genaue  Kenntniss 
des  Krankheitfibildes  unerlässlich. 

b)  von  der  Methode  zu  hypnotisiren  und  zu  suggeriren.    Daher  sind 
die  Resultate  mehr  oder  weniger  individuell. 

c)  von  dem  persönlichen  Einfluss  des  Arztes  auf  seinen  Patienten. 

ö.  Allgemein  gültige  Gesetze  und  Regeln  für  die  Behandlung  mit  der 
Hypnose  bestehen  zur  Zeit  noch  nicht,  werden  sich  auch  kaum  jemals 

26 


—    418    — 

aufstellen  lassen,  da  mit  individueller  Anlage  des  Chaiakteis  der  Yer- 
suohspersonen  gerechnet  werden  muss. 

7.  Die  oft  angeführten  üblen  Nachwirkungen  der  Hypnose  habe  ich  bei 
richtiger  Anwendung  niemals  gesehen. 

Berlin,  Juni  1888. 

II.   Referate. 


Pathologische  Anatomie. 

1)  XTeber  oiroumsoripte  Bindegewebshyperplasien  in  den  peripherischen 
Nerven,  besonders  in  den  Plexus  braohialis,  von  Stanisl.  Trzebiüski, 
Doctor  der  Medicin  der  Universität  Heidelberg.   (Mit  1  litb.  Tafel.  Dorpat  1888.) 

Verf.  stadirte  die  zuerst  von  Scbultze,  später  von  Oppenheim  und  SiemerUng, 
Bosenheim,  Stadelmann,  Nonne  beschriebenen  bindegewebigen  Verdickungen  periphe- 
rischer Nerven.  Die  Form  derselben  war  eine  mehr  oder  weniger  regelmässige,  rand- 
liche oder  ovale  mit  zwiebelartig  concentrisch  geschichteten  Lamellen.  An  der  Grenze 
der  Lamellen  befinden  sich  Kerne.  Oft  ist  der  concentrische  Bau  nicht  ausgesprochen. 
Das  Perinenrium  pflegt  in  der  Nähe  dieser  Neubildungen  verdickt  zu  sein,  manchmal 
auch  das  Endoneurium.  Einige  Autoren  halten  diese  ECrperchen  f&r  sklerosirte  6e- 
fasse.  Dem  widerspricht  T.,  indem  er  sich  der  Ansicht  Stadelmann^s  anschliesst;  er 
hat  nie  die  Spur  eines  Lumens  gesehen  und  einmal  mitten  in  dem  Körperchen  eine 
Nervenfaser.  Die  Neubildungen  liegen  meist  in  der  Nähe  des  Perineurium;  sind  sie 
in  der  Mitte  des  Nervei!,  so  befinden  sie  sich  an  einem  Endoneurium-Streifen.  Die 
grCssten  Maasse  für  diese  Körper  waren:  0,6  mm  Ducchmesser,  3  mm  Länge.  Ihre 
Zahl  ist  in  den  verschiedenen  Nervenabschnitten  eine  äusserst  schwankende.  Sichere 
Beziehungen  zwischen  ihrem  Vorkommen  und  bestimmten  Erkrankungen  sowohl  des 
Gesammtorganismus  als  auch  des  Nervensystems  waren  nicht  zu  erniren.  üeber  die 
Entstebungsweise  der  Gebilde  und  ihre  Bedeutung  für  den  Organismus  konnte  Verf. 
nichts  Sicheres  oder  Neues  ermitteln.  P.  EronthaL 


2)  Om  nervdegeneration  ooh  nervatrofl,  jemte  nl^a  ord  om  varikositetemas 
förekomst  ooh  betydelse  i  de  periferiska  nervema,  af  H.  Eöster.  (Upsala 
läkarefören.  förh.  1887.  XIH.  1—3.  S.  31  — 124,  145—211.) 

Nach  experimenteller  Durcbschneidung  von  Nerven  bei  Meerschweinchen 
fand  K.  in  dem  peripherischen,  von  den  Centralorganen  abgetrennten  Nervenstück 
nicht  eher  deutliche  Anschwellung  der  Kerne,  als  bis  die  Mjelinscheide  deutliche 
Veränderungen  zeigte,  undurchsichtiger  und  matter  wurde,  was  schon  nach  48  Stunden 
eintreten  konnte.  Die  hell  graublaue  Färbung,  die  nach  Hertz  das  Myelin  bei  Os- 
miumbehandlung annehmen  soll,  hält  K.  für  ein  Artefaet,  beruhend  auf  unvollkommener 
Härtung.  Die  Richtigkeit  der  Annahme,  dass  diese  ersten  Veränderungen  im  Nerven 
auf  Coagulation  beruhen,  analog  dem  Eintreten  derselben  nach  dem  Tode,  bezweifelt 
K.,  theils  weil  nach  seinen  Untersuchungen  die  Bilder  der  nach  dem  Tode  und  nach 
der  Durchschneidung  eintretenden  Veränderungen  verschieden  sind,  theUs  weil  dem 
Nerven  trotz  der  Durchschneidung  doch  noch  Nährmaterial  zugeführt  wird.  Eine 
Abhebung  der  Myelinscheide  von  der  Schwann'schen  Scheide  und  Ausfüllung  des 
dadurch  entstandenen  Zwischenraumes  mit  einer  kaum  färbbaren  Substanz  hat  K. 
einige  Male  beobachtet,  er  hält  aber  diese  Veränderung  nicht  für  die  Regel;  öfter 
hat  er  eine  Anschwellung  der  Myelinscheide  beobachtet^  aber  auch  nicht  constant 


—    419    — 

and  nur  an  den  stärksten  NervenfawNm.  Die  constant  an  der  Myeüascheidd  -vor- 
kommende Veränderung  besteht  in  Binbochtnngen  an  ihre»  Bande,  die  s(Mi  vertiefen^ 
bis  die  Scheide  schliesslich  in  onregelmassige  St&cke  serfallen  eraobeint.  Die  Zeil^ 
die  bis  zur  beginnenden  Besorption  dar  Zerfallsprodaete  veigeht,  betragt  nach  KJs 
Meinung  für  die  feineren  Kervenfasem  2  bis  B  Wochen,  fta-  die  grösseren  bedeu* 
tend  mehr. 

Da  K.  bei  seinen  Untersuchungen  in  degenerirten  Nervenfasern  nie  einen  Axent 
cylinder  hat  auffinden  kennen,  nimmt  er  an,  dass  dieser  zerstört  werde,  wenn  die 
Degeneration  bis  zu  einem  gewissen  Grade  fortgeschritten  sei.  Vor  der  Veränderung 
des  Myelins  hat  K.  keine  des  Axencylinders  nachweisen  können,  wenn  aber  das 
Myelin  kömig  geworden  ist,  zeigt  auch  der  Axencylinder  sine  ^eiohe  Veränderung' 
und  nach  der  Theilung  der  Myelinscheide  fand  E.  nicht  selten  auch  den  Axencylinder 
in  St&cke  zertheilt,  ohne  deutliche  Anschwellung  dieser  Stücke,  die  später  durch 
quere  Tbeilung  in  immer  mehr  Stfloke  zerfallen;  schliesslich  verschwindet. der  ganze 
Axencylinder,  ohne  dass  es  K.  möglich  war,  andere  Veränderongen  vorher,  nachzu- 
weisen.   Vereinzelt  sah  K.  solche  Stacke  rundum  von  Myelin  umgeben. 

Dass  die  Schwann*sche  Scheide  im  AllgemeiBen  bestehen  bleibt,  ist  nach  E.  ;iin* 
zwSifelhaft;  wie  weit  sie  manchmal  verschwindet,  kann  K  nicht  feststellen;  sie  zeigte 
sicli  als  ein  schmaler  Streifen  und  ist  oft  ohne  Inhalt.  Kemvermehmng  findet  statt» 
und  zwar,  wie  K.  anzunehmen  geneigt  ist,  wenigstens  zum  Theil  durch  Kerotiieilung, 
denn  er  hat  theils  vollk<munen  gleiche,  dicht  an  einander  liegende  und  nur  durch 
eine  äusserst  feine  hellere  Zone  von  einander  geschiedene  Kerne,  «theils  soldie  mit 
einer  Einschnürung  in  der  Mitte  gesehen.  Das  Bindegewebe  soheini  aufgelockert  zu 
werden,  wofür  grössere  Zerreisslichkeit  der  Nerven  spiicht,  die  E.  schon  vom  17.  Taipe 
an  beobachtete. 

In  den  ersten  3  Wochen  konnte  E.  keine  makrosk<^iache  Veränderung  nach* 
weisen,  in  einem  Präparat  schien  der  Nerv  in  der  4.  Woche  etwas  dünner  und  graner 
als  ein  normaler,  noch  mehr  war  dies  an  einem  Präparat  ans  der*  13.  Woche  der 
Fall.  Bei  grösseren  Thieren  findet  sich  vielleicht  sdion  früher  eine  s(^ehe  Yety 
änderung. 

Die  Degeneration  tritt  nach  K.*s  Untersuchungen  gleichzeitig  in  dem  ganzen 
abgeschnittenen  peripherischen  Nervenstück  ein»  in  dünnen  Nervenfasern  sdinBllor 
als  in  dickeren,  bei  warmblütigen  Thieren  rascher  als  bei  kaltblütigen,  sie  kommt 
rsscher  zu  Stande,  je  kräftiger  ein  Thier  ist  und  je  lebhafter  der  Stoffwechsel  in 
ihm  vor  sich  geht. 

Die  Eiutheilung  der  Atrophien  geschieht  nach  K.  am  besten  auf  Grund  der 
pathologisch-anatomischen  Veränderungen  in  einfache  Atrophie  (wo  die  Myelinsdheida 
allmählich,  ohne,  vorbeigehende  wahrnehmbare  Degeneration  abnimmt  und- schliesslich 
verschwindet)  und  degenerative  (nach  Degeneration  der  Nervenfasern  auftretende). 
Die  einfache  Atrophie  ist  entweder  primär  oder  secundär,  die  letztere  beruht  aof 
Abtrennung  des  Nerven  von  seinen  periphensohen  Endapparaten,  nicht  vK)n  seinem 
Centrum.  Zur  degenerativen  Atrophie  will  E.  nicht  die  nach  Abtrennung  des  Nerven 
auftretenden  Veränderungen  überhaupt  mit  gerechnet  wissen^  sondem  nur  die  späteren 
Stadien  derselben. 

Mit  Bezug  auf  die  Bedeutung  des  Vorkommens  degenerirter  Nervenfasem  bei 
Erankheiten,  ohne  auf  dieselbe  hindeutenden  Symptome,  namentlich  bei  Typhus  abdom^ 
und  Tuberculosen  hat  E.  aus  40  Leichen  einen  oder  mehrere  Nerven  unteroucht. 
Die  Nervenstücke  wurden  zuerst  24  Stunden  lang  in  V2  Vo  Ueberosmiumsäure  gelegt, 
dann  mit  Wasser  abgewaschen,  vorsichtig  in  ihre  einzelnen  Bündel  zerlegt,  24  Std. 
lang  in  eine  Pikrokarminlösung  gelegt,  von  Neuem  mit  Wasser  abgespült,  dann 
Vb  Stunde  lang  in  eine  PikrinsalzsäareglyceanniBchung  gelegt,  wieder  in  Wasser 
al^waschen  und  in  reinem  Qlycerin  aufbewahrt 

In  nicht  weniger  als  35  von  diesen  40  Fällen  fanden  sich  Nerven  mit  Vari- 

2e* 


—    420    — 

cositäten;  sensible  und  motorische  Nerven  waren  ungefähr  gleidi  oft  betroffen, 
doch  schienen  entwickeltere  Formen  bei  den  letzteren  relativ  häufiger;  von  174  unter- 
suchten Nerven  fanden  sich  in  98  Varicositäten.  Die  Verhältnisse,  unter  denen  diese 
vorkamen,  sprachen  entschieden  gegen  die  Entstehung  durch  Riss  oder  Druck.  Ein 
bestimmter  Znsammenhang  zwischen  irgend  einer  Krankheit  und  dem  Auftreten  von 
Yahcositäten  in  den  Fasern  peripherischer  Nerven  liess  sich  nicht  nachweisen,  Fieber 
und  Temperatursteigerung  schien  keine  Bedeutung  in  dieser  Beziehung  zu  haben, 
ebensowenig  das  Alter,  dagegen  schien  die  Abmagerung  nicht  ohne  eine  gewisse  Be- 
deutung zu  sein. 

Leere  Scheiden  sind  nach  E.'s  Untersuchungen  ein  normaler  Bestandtheil  der 
peripherischen  cerebrospinalen  Nerven,  sie  treten  zahlreicher  auf  in  den  mehr  peri- 
pherisch gelegenen  als  in  den  mehr  central  gelegenen  Theilen,  ihre  Anzahl  scheint 
relativ  grösser  zu  sein  in  den  sensiblen  Nerven  als  in  den  Muskelnerven,  am  grössten 
in  den  feinen  Hautnerven.  Bei  zunehmendem  Alter  des  Individuums  nimmt  in  den 
Nerven  die  Anzahl  der  breiten  myelinhaltigen  Nervenfasern  ab,  die  der  dünnen  und 
der  leeren  Scheiden  zu.  Je  mehr  das  Individuum  abgemagert  ist,  desto  zahlreicher 
kommen  in  den  Nerven  dflnne  Fasern  und  leere  Scheiden  yor  und  desto  weniger 
breite  Fasern;  diese  Begel  gilt  sowohl  für  jüngere,  als  für  ältere  Individuen.  L^ere 
Scheiden  können  in  reichlicher  Menge  vorkommen,  ohne  dass  gröbere,  ausgeprägte 
Sensibilitätsstörungen  oder  andere  Störungen  in  dem  Ausbreitungsbezirk  des  betr.  Nerven 
während  des  Lebens  beobachtet  wurden;  man  darf  deshalb  nicht  ohne  Weiteres  einen 
Zusammenhang  zwischen  ihnen  und  vorhanden  gewesenen  Störungen  annehmen. 

Der  Vorgang,  der  zur  Entstehung  der  leeren  Scheiden  führt,  ist  eine  Atrophie, 
eine  Verminderung  der  Bestandtheile  der  Fasern  in  der  Schwann'schen  Scheide:  die 
Mjelinscheide  wird  schmäler  und  verschwindet  schliesslich  mit  dem  Axencylinder, 
während  die  Schwann'sche  Scheide  als  ein  zusammengefallener  Strang  übrig.  Zu 
Anfang  besteht  die  Atrophie  vielleicht  in  einer  blossen  Verdünnung  der  Nervenfaser, 
ohne  Störung  der  Continuität  und  ohne  deutliche  histologische  Veränderungen.  Alle 
dünnen  Nervenfasern  sind  aber  nicht  atrophisch,  sie  können  ebenso  normal  sein,  wie 
die  dicken. 

In  84  von  178  untersuchten  Nerven  fand  E.  deutlich  degenerirte  Nervenfasern, 
in  21  in  ganz  bedeutender  Anzahl,  beim  Menschen  ist  demnach  die  Degeneration  von 
Fasern  in  den  peripherischen  Nerven  nicht  selten,  auch  ohne  klinische  Erscheinungen 
in  dem  Ausbreitungsbezirk.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  das  Alter  einen 
gewissen  Einfluss  auf  das  Auftreten  der  Degeneration  hat,  die  Abm^erung  hat  ent- 
schieden einen  Einfiuss,  Temperaturerhöhung  and  Fieber  nicht  deutlich,  wenn  sich  die 
Möglichkeit  auch  nicht  ganz  ableugnen  lasst. 

Bei  Krebs,  Tuberculose,  Abdominaltyphus,  acutem  Gelenkrheumatismus  und  an- 
dern Krankheiten  haben  K.'s  Untersuchungen  nicht  zu  bestimmten  Resultaten  geführt 
Der  Nachweis  degenenrter  Fasern  und  leerer  Scheiden  in  den  zu  den  pathologisch 
veränderten  Bezirken  gehenden  Nervenzweigen  ist,  wie  K.  hervorhebt,  nicht  hin- 
reichend, um  annehmen  zu  können,  dass  diese  Processe  auf  einer  derartigen  Degene- 
ration und  Atrophie  beruhen,  sondern  es  ist  dazu  das  Bestehen  klinischer  Symptome 
erforderlich,  die  auf  eine  solche  Degeneration  hindeuten,  aber  auch  dann  ist  ein  Zu- 
sammenhang nicht  mit  Sicherheit  nachgewiesen.  Selbst  bei  dem  Befund  total  degene- 
rirter  Nerven  darf  man  sich  nach  K.  nicht  ohne  Weiteres  mit  diesem  Befunde  be- 
gnügen, sondern  man  muss  auch  die  mehr  central  gelegenen  Theile  genau  untersuchen. 

Walter  Berger. 


8)  Note  aar  quelques  troublee  trophiques  oaus^  par  l'irritation  du  nexf 
soiatique,  par  E.  Gley  et  A.  Mathieu.  (Arch.  de  Physiol.  norm,  et  path. 
1888.  Nr.  1.) 


—    421     — 

Die  Yerff.  haben  an  5  Hunden  das  bekannte  Lewascbew'scfae  Experiment 
(Durcbziehnng  eines  mit  concentrirter  Kochsalzlösung  getränkten  Fadens  durch  den 
Nerv,  isohiadicus)  wiederholt.  Sie  konnten  die  von  Lewaschew  beobachteten  athero- 
matösen  Gefassveränderungen  des  zugehörigen  Gliedes  nie  finden.  Indess  bemerken 
sie  selbst,  dass  ihre  Thiere  nicht  so  lange  am  Leben  erhalten  wurden  als  die  Loschen 
(nämlich  nur  3  Monate  statt  2  Jahren),  und  zweitens  bewirkt  die  Fadendurchziehnng 
in  ihren  Versuchen  stets  eine  echt  Wa Herrsche  Degeneration  mit  Aufhebung  der 
Leitaog,  während  die  letztere  bei  Lewaschew's  Thieren  erhalten  blieb. 

Th.  Ziehen. 

Pathologie  des  Nervensystems. 

4)  Die  Entsündung  der  peripherisohen  Nerven  (Polyneuritis  —  Neuritis 
multiplex),  deren  Pathologie  und  Behandlungr  Zwei  Vorträge,  gehalten  in 
der  militärärztlichen  Gesellschaft  zu  Berlin,  von  Dr.  E.  Leyden,  o.  6.  Prof.  (Berlin 
1888.    £.  8.  Mittler  &  Sohn.    42  Seiten.    1  Tafel.) 

So  viel  auch  in  verhältnissmässig  kurzer  Zeit  darin  gearbeitet  ist,  so  jung  ist 
doch  die  Lehre  von  der  multiplen  Neuritis  noch.  Leyden,  obwohl  er  den  Werth  der 
Arbeiten  Dum^niTs  (1864  u.  1866)  nicht  verkennt,  ,,welcher  in  mehreren  Fällen 
von  ausgebreiteter  atrophischer  Lähmung  durch  eine  äusserst  scharfsinnige  klinische 
Analyse  den  Nachweis  geführt  hat,  dass  es  sich  dabei  um  eine  peripherische  Neuritis 
handeln  müsse,"  hat  durch  seine  Arbeiten  aus  den  Jahren  1879  und  1880  (,>Ueber 
einen  Fall  von  multipler  Neuritis"  —  Charitö-Annalen  1880  —  und  „Ueber  Polio- 
myelitis und  Neuritis"  —  Zeitschrift  für  klinische  Medicin  1880  — )  in  gewissem 
Sinne  eine  entscheidende  Bedeutung  gehabt,  „insofern  sie  das  klinische  Bild  der 
multiplen  Neuritis  zum  ersten  Male  mit  Sicherheit  formulirten  und  dasselbe  durch 
unzweifelhafte  anatomische  Untersuchungen  begründeten."  In  Bezug  auf  letztere  konnte 
L.  denselben  Befund  constatiren,  wie  Eichhorst  in  einem  Falle  von  „Neuritis  acu- 
tissima  progressiva"  (1876):  in  grosser  Ausdehnung  eine  degenerative  Erkrankung  zahl- 
reicher peripherischer  Nerven.  —  Gkinz  ähnliche  Veränderungen  fand  später  Faul 
Meyer  in  Strassburg  in  einem  Falle  von  verbreiteter  diphtherischer  Lähmung  an 
den  motorischen  Nervenstämmen.  —  L.  bespricht  eingehend  das  Erankheitsbild,  seine 
iypische  Form  und  die  atypischen  Abweichungen,  sowie  den  in  der  grössten  Mehrzahl 
der  Fälle  günstigen  Ausgang.  Die  active  Therapie  ist  an  demselben  allerdings  nur 
in  bescheidenem  Maasse  betheiligt,  richtig  demgemäss  ein  hygienisch -respecta- 
tiver  Heilplan,  d.  h.  Buhe  und  Diät,  deren  Wichtigkeit  in  auisführlichen  Darlegungen 
auseinandergesetzt  wird;  Massage  und  Elektricität  dürfen  erst  in  späteren  Stadien 
eintreten.  Krankheitsresidnen,  Schwäche  der  Muskeln,  Par-  und  Dysästhesien  bedingen 
nicht  selten  die  Nothwendigkeit  von  Nachkuren  (Bäder). 

In  seinem  zweiten  Vortrage  geht  L.  auf  die  einzelnen  Formen  der  Polyneuritis 
ein.  Nicht  eine  einzige  Krankheit,  sondern  eine  grosse  Gruppe  von  Krank- 
heiten versteht  er  darunter  und  theilt  das  ganze  Gebiet  ein  in: 

1.  die  infectiöse  Form  (nach  Diphtherie,  Typhus,  Syphilis,  Tuberculose  u.  A.; 
auch  die  Beri-Beri-Krankheit  gehört  hierher); 

2.  die  toxische  Form  (durch  Blei,  Arsen,  Phosphor,  Eohlenoxyd,  Schwefelkohlen- 
stoff, Ergotismus,  Quecksilber  und  Alkohol); 

3.  die  spontane  Neuritis  multiplex  (die  jebige  multiple  Neuritis  der  Autoren); 

4.  die  atrophische  (dyskrasische,  kachectische)  Form  (nach  Anämie,  Chlorose, 
Marasmus,  Krebs-Kachexie;  Diabetes).  —  Hierher  könnte  auch,  anstatt  zu  1., 
die  Tuberculose  und  die  Beri-Beri-Krankheit-  gerechnet  werden. 

Endlich  fasst  L.  noch  in  besonderer  Grnppirung  —  abweichend  von  seinem  son- 
stigen ätiologischen  Eintheilungsprincip  —  unter  5.  die  sensible  Neuritis  zusammep 
(Pseudotabes,  Neurotabes  peripherica)  unterschieden  ab: 


—    422    — 

!     a)  difr  sensibto  Form  der  multiplen  NeuritiB; 
b)  die  seneible  Neuritis  bei  Tabes. 

Der  anatomische  Vorgang  ist  überall  bald  ein  entschieden  entzündlicher,  bald 
ein  passiver,  degenerativ^atrophischer.  Klinisch  sind  die  Fälle  als  acute  (subacate) 
und  chronische,  andererseits  als  in  den  motorischen  oder  in  den  sensiblen  Nerven  ver- 
laufende zn  unterscheid«!. 

L.  bespricht  in  ausfOhrlicher  Weise  alle  Formen  der  Neuritis  in  den  obigen 
5  Gruppen,  zahlreich»  eigene  Beobachtungen  und  interessante  Bemerkungen  einflech- 
tend, und  besonders  bei  der  alkoholischen  und  diabetischen  Form  verweilend,  am  aus- 
führlichsten jedoch  bei  der  sensiblen  Form  der  multiplen  Neuritis.  Hier  bringt  der 
Verf.  einerseits  die.  Fälle  zur  Besprechung,  welche,  obwohl  in  allen  Symptomen  der 
wahren  Tabes  gleichend,  selbst  Doppeltsehen,  Fupillendifferenz,  Bomberg^sches  und 
Westphal'sches  Zeichen  darbietend;  doch  nur  auf  Neuritis  beruhen,  und  welche  nur 
durch  die  Aetiolo^e  (z.  B.  'AlkohoHsmus),  sowie  durch  den  günstigen  Verlauf  sich 
als  Neuritis  erkennen  lassen.  Andererseits  erörtert  er  die  peripherische  Nerven- 
degeneration bei  Tabes  von  Westphal,  D^j^rine  u.  A.  bearbeitet,  welche  die  Frage 
nach  dem  peripherischen  Ursprung  der  Tabes  nahe  legen;  „für  manche  Fälle  ist  der 
Gedanke  kaum  abzuweisen,  dass  der  Frocess  Jahre  lang  nur  in  der  Peripherie  der 
Nerven  bestanden  habe;"  Uebo'gänge  der  acuten  sensiblen  Neuritis  (Ataxie)  auf  das 
Büokenmaric  sind  noch  nicht  erwiesen,  „aber  auf  die  Möglichkeit  derselben  ist  Bück- 
sicht  zu  nehmen."  Hadlich. 


6)  Ueber  acute  multiple  Myositis  bei  Neuritis,  von  Prof.  Dr.  Senator.  (Dtsch. 
.      ipedic.  Wochenschr.  1^88.  23.) 

Ueber  die  Bricrankung  der  Muskeln  bei  multipler  Neuritis  liegen  noch  nicht  viel 
Beobachtungen  vor.    S.  beschreibt  folgende  2  Fälle. 

L  Ein  27jähr.  tubercuiöser  Mann  bekam  im  Frühjahr  1886  eine  schlaffe  Para- 
lyse beider  Beine  mit  Verlust  des  Patellarphänomens  und  verminderter  Sensibilität 
I)ie  Arme,  sind  paretisch;  Extension  der  Hände  und  Spreizung  der  Finger  unmöglich; 
ßehnenphänomene  an  den  Armen  erhalten^  Musculatur  der  Beine  auf  Druck  sehr 
»Am^rzbaft^  ebenso  die  Nervenstämme.  Faradische  und  galvanische  Erregbarkeit  der 
Muskdin  und  Nerven  der  untei«n  Extremitäten  stark  herabgesetzt  Pupillen  normal; 
keine  Bhwen-  und  Darmstörungen.  —  Pat  starb  an  Phthise,  und  die  Untersuchung 
ergab  neben  Neuritis  parenchymat  et  interstitialis  auch  eine  acute  interstitielle  Myo- 
sitis, besonders  in  den  Gastrocnemii;  die  interstitielle  Eemwucherung  zeigte  abnorme 
Kemformen  von  dreierlei  Art;  die  Muskelfasern  stellenweise  stark  geschwunden. 

II.  Ein  SSjähriger  Landwirth  erkrankte  acut  an  multipler  Neuritis  der  unteren 
und  oberen  Extremitäten,  mit  heftigen  Muskelschmerzen,  aber  sonst  ganz  ohne  Sen- 
sibllitätsstörungen;  erst  nach  Wochen  trat  auch  eine  Empfindlichkeit  der  Nervenstämme 
auf  Driick  neben  anderen  Sensibilitätsstörungen  auf  (Schmerzempfindung  verlangsamt 
u.  s.  w.).  An  excidirten  Muskelstückchm  fand  sich  Hyperämie,  interstitielle  Kern* 
wuohenmg,  Muskelfasenitrophie,  in  den  späteren  Stadien  EntWickelung  von  fibrillärem 
Bindegewebe  um  die  Fibrillen. 

Ausserdem  fanden  sich  in  beiden  Fällen  Mastzellen,  in  Fall  I  im  Endoneu- 
rium,  in  Fall  II  sehr  reichlich  in  der  Musculatur,  theils  der  Muskelsubstanz  dicht 
anliegend,  theils  in  den  interstitiellen  Geweben. 

Wir  haben  hier  also  eine  frische  Myositis  in  acuten  resp.  subacuten  Fällen  von 
Neuritis,  während  man  bisher  nur  in  chronischen  Fällen  schleichende  Entwickelung 
interstitieller  Processe  in  den  Muskeln  beobachtet  hat. 

&.  will  auf  Grund  seiner  beiden  Fälle  nicht  entscheiden,  ob  die  Myositis  primär 
Qd«r  secundär^  oder  ob  sie  mit  der  Neuritis  coordinirt  aus  gleicher  Ursache  ent- 
springe; vielleicht  kommt  in  den  verschiedenen  Fällen  bald  diese,  bald  jene  Entwicke- 


—    428    — 

long  Tor,  doch  dflrfte  in  Yielen-Fftllen  die  Neuritis  der  peripherischen  Nerven  primär, 
die  Moskelaffection  secundär  sein. 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  eine  fonctionelle  Siörai^  des  Bflckenmarks  zu  sehen, 
welche  die  degenerativen  Yerändemngen  zur  Folge  hat  —  wie  Erb  will,  —  ist 
Senator  nicht  geneigt         '  Hadlich. 

6)  Beiträge  zur  Casuistik  der  miiltiplezi  Neuritis,  Inaugural- Dissertation  von 
A.  Cornelius.    (Berlin.    März  1888.   51  Seiten.) 

Die  Fälle  der  mnltiplen  Neuritis  lassen  sich  in  ätiologischer  Beziehung  in  drei 
Gruppen  eintheilen,  die  infeol3(yse  Form,  die  toxische  und  rheumatische.  Zu  der  ersten 
Gruppe  gehört  neben  den  im  Anschluss  an  acute  Infectionskrankheiten  auftretenden 
Formen  die  primär-infectiöse  multiple  Neuritis  (Beriberi,  Eak-ke).  Dass  von  der  letzt- 
genannten Form  die  Ureinwohner  von  Atjeh  (Sumatrah)  fast  ganz  verschont  blieben, 
scheint  dem  Bef.  unrichtige  da  er  in  den  Hospitälern  der  holländischen  Oolonien  beri- 
beri-kranke  Malayen  und  Javaner  in  nicht  geringer  Anzahl  besichtigen  konnte.  — 
Vier  Fälle  aus  der  Nervenabtheilung  der  königl.  Charit^  werden  mit  ausführlichen 
Krankengeschichten  beschrieben.  Im  ersten  Fall  waren  Lues,  Fötus,  Tubercuiose  als 
prädisponirende  Momente  angefahrt;  die  Zeichen  der  Tubercuiose  traten  in  den  Vorder- 
grund. Der  Sectionsbefund  und  die  mikroskopische  Untersuchung  (Oppenheim)  konnten, 
trotz  ausgedehnter  Lähmungen,  im  Bfickenmark  und  in  den  Nervenwurzeln  keine  Spur 
von  pathologischen  Vorgängen  nachweisen.  In  den  peripherischen  Nerven  war  der 
eigentliche  Sitz  der  Erkrankung  in  den  Nervenästen,  die  zu  Muskeln  und  Haut  hin- 
riehen, während  die  Stämme  der  betroffenen  Nerven  ein  fast  normales  Aussehen  hatten 
oder  doch  einen  nur  mittleren  Grad  von  parenchymatöser  Degeneration  zeigten;  nur 
der  N.  peroneus  wies  schon  in  seinem  Stamm  einen  beträchtlichen  Grad  von  Ent- 
artung auf.  Der  Muskelbsfund  zeigte  entzündliche  Vorgänge,  fettige  Degeneration 
der  Muskelfasern,  enorme  Eemwucherung,  Verdickung  und  Eemreichthum  der  Gefass- 
wände  und  Verbreiterung  des  Perimysiums.  —  Die  anderen  3  Fälle  verliefen  gün- 
stiger; im  zweiten  handelte  es  sich  um  Erkältung  und  Potatorium  und  erzielte  man 
durch  Entziehung  des  Alkohols  dieselbe  Besserung,  wie  in  dem  4.  Fall,  in  dem  auch 
Alkoholismus  als  Ursache  des  Leidens  angesehen  wurde.  Die  Aetiologie  des  3.  Falls 
ist  unklar.  Die  zuerst  betroffenen  Stellen  waren  in  der  Regel  die  unteren  Extremi- 
täten (Schvräche  beim  Gehen,  Gefühl  von  Taubheit,  Farästhesien,  lancinirende  Schmer- 
zen, Druckempfindlidikeit,  Gelenkschmerzen,  Oedeme,  Athrophie,  Entartungsreaction  etc.). 
Bald  wurden  meist  auch  die  oberen  Extremitäten  in  Mitleidenschaft  gezogen.  Die 
motorischen  Symptome  traten  in  dem  3.  Falle  völlig  in  den  Hintergrund.  An  den 
Extremitäten  waren  besonders  der  Peroneus  ergriffen,  dann  der  N.  tibialis  posticus, 
<a-nralis  etc.,  sodass  die  Extensoren  hauptsächlich  betroffen  waren.  An  den  oberen 
Extremitäten  war  .vor  allem  der  N.  radialis  und  in  zweiter  Linie  der  N.  ulnaris  er- 
griffen. Die  Sehnenreflexerregbarkeit  war  in  einem  Fall  erloschen,  in  einem  gestei- 
gert und  in  2  Fällen  abgeschwächt.  Das  Fieber,  das  nur  in  acuten  infectiösen  Fällen 
ausgeprägt  zu  sein  scheint,  fehlte  in  den  beschriebenen  Fällen,  die  meist  einen  chro- 
nischen Charakter  hatten.  In  dem  ersten  Falle  fiebert  Pat  in  Folge  seiner  Phthise. 
Hohe  Pulsfrequenz  wurde  beobachtet  Die  Himnerven,  abgesehen  vom  Vagus,  schienen 
verschont  zu  sein;  nie  fanden  sich  Spuren  von  Neuritis  optica;  einmal  nystagmus- 
artige  Bewegungen  und  Pupillenweite  mit  Differenz.  Ausgeprägte  Blasen-  und  Mast- 
darmstörungen, die  bei  multipler  Neuritis  nicht  so  selten  zu  sein  scheinen,  fehlten 
in  allen  Fällen.  Die  Blasenstörung  könnte  auch  auf  eine  Affection  der  peripherischen 
Nervenendigungen  in  der  Blase  zurückgeführt  werden,  ohne  Betheiligung  des  finalen 
Centrums.  Therapeutisch  ist  die  Alkoholentriehung  zu  empfehlen.  Im  Anfangsstadium 
eignen  sich  Antipyretica  (Salicylsäure,  Antipyrin  etc.),  Buhe,  roborirende  Kost,  warme 
Bäder,  diaphoretische  Behandlung,  später  die  Elektridtät;  in  älteren  Fällen  wendet 


—    424    — 

man  indifiL  Thermen,  Sool*,  Moorbader,  Kaltwasserkuren,  Massage  und  Gymnastik  mit 
Erfolg  an.  Kalischer. 

7)  Multiple  peripheral  Neuritis,  by  Suckling.  (The  British  medic.  J.  1888. 
March  24.    p.  647.) 

S.  stellte  einen  14jährigen,  an  multipler  peripherischer  Neuritis  leidenden  Kna- 
ben Yor,  derselbe  hatte  18  Monate  in  Blei  und  Zink  gearbeitet  und  war  dann  zu 
anderer,  sehr  schwerer  Stampfarbeit  übergegangen.  —  Grosse  Schwäche  in  Händen 
und  Ffissen,  die  Extension  namentlich  leidend.  In  allen  4  Extremitäten  Anästhesie, 
doch  nur  bis  einige  Zoll  über  die  Hand-  und  Fussgelenke  hinaus.  In  den  Waden 
Druckschmerz;  Kniereflexe  verschwunden.  Faradische  Muskelerregung  verringert;  doch 
nicht  Degenerationsreaction.    Blase  und  Rectum  ohne  Störung.    Keine  Bleii^mptome. 

L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

8)  The  probable  ooeurrenoe  of  Multiple  Neuritis  in  Bpidemio  Gerebro- 
spinal  Meningitis,  by  Dr.  C.  K.  Mills.  (Polyclinic.  1888.  Aprü.  p.  313.) 
In  der  Philadelphia  Neurolog.  Society  besprach  M.  drei  Fälle  von  epidemischer 

Gerebro- spinal -Meningitis,  in  der  die  deutlichen  Symptome  der  multiplen  Neuritis 
vorherrschten.  Heftige  Schmerzen  an  den  Nerven  entlang;  Hyperästhesie  der  Haut 
und  Muskeln.  Fehlen  der  Kniephänomene,  Equino-varus-Stellung  des  Fusses  u.  s.  w. 
M.  glaubt,  dass  die  von  Stella  als  neuralgische  Formen  der  Meningitis  cerebro-spinalis 
hierher  gehören.  In  der  Discussion  hebt  Osler  hervor,  dass  diese  multiple  Neuritis 
sich  von  anderen  Formen  dadurch  unterscheide,  dass  sie  so  sehr  -früh  im  Verlaufe 
der  Krankheit  erscheine,  und  nicht  wie  bei  Typhus,  Diphtherie  etc.  erst  nach  län- 
gerer  Zeit  auftrete.  Sachs  (New  York.) 

8)  fienige  bijdragen  tpt  de  kennis  van  de  ooTsaken  en  den  aard  der 
beri-beri,  door  J.  W.  J.  van  Eecke.  (Geneesk.  Tijdschr.  voor  Nederl.  Indie. 
1887.    XXVU.    1.    S.  71.) 

E.  fand  in  Beri*beri-Leichen  2  verschiedene  Mikrokokken,  einen  gelben  und  einen 
weissen,  deren  Verimpfung  indessen  noch  nicht  zu  entschiedenen  Besultaten  führte. 
Mehr  Positives  wurde  durch  die  Untersuchung  des  Nervensystems  erreicht  Die 
peripherischen  Nerven  (Radialis,  Tibialis  und  Peroneus  wurden  untersucht)  zeigten 
in  den  meisten  Fällen  deutliche  Degenerationserscheinungen.  Das  Mark  zeigte  sich 
oft  als  eine  unzusammenhängende,  unregelmässig  klumpige  Masse,  welche  mitunter 
ganz  in  Detritus  fibergegangen  war,  während  der  Axencylinder  zerrissen  oder  un* 
regelmässig  angeschwollen  oder  ganz  verschwunden  war.  Die  Nervenkeme  fand  £. 
mitunter  in  vermehrter  Zahl,  mitunter  geschmolzen,  mit  undeutlichen  Oontouren  und 
kömig  entartet.  Das  Bfickenmark  zeigte  in  den  meisten  Fällen  keine  Veränderungen. 
Wohl  sah  E.  in  einzelnen  Fällen  die  Goll*schen  Stränge  entartet,  doch  durchaus  nicht 
constani    Das  Muskelgewebe  zeigte  ausser  Fettentartung  nichts  Bemerkenswerthes. 

Walter  Berger. 

10)  Neuritis  llweians.  Ein  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Alkohol -Neuritis.  Von 
Prof.  Dr.  Hermann  Eichhorst  in  Zürich.  (Yirchow's  Arch.  1888.  CXU.) 
Ein  öOjähriger  Landwirth,  potator  strenuus,  zeigte  seit  etwa  6  Wochen  Tabes- 
artige Gehstörungen;  vor  4  Wochen  Schwäche,  dann  Lähmung  erst  der  unteren,  bald 
danach  auch  der  oberen  Extremitäten,  dazu  auch  Somnolenz  und  Delirien:  so  worde 
Pat.  am  10.  August  1886  in  die  Klinik  aufgenommen;  er  konnte  die  Zunge  nicht 
hervorstrecken,  liess  Koth  und  Urin  bald  ins  Bett,  bald  musste  er  katheteristrt  wer- 
den. Pupillen  sehr  eng,  reagiren  aber  doch;  Temperatur  normal,  Puls  nicht  be- 
schleunigt, klein  und  weich.  Beiderseits  ausgebildete  Badialis- Lähmung  mit  Ab- 
magerung und  starker   Hyperästhesie   der   Badialis -Musculatur,   bei   gleichzeitiger 


—    425    — 

ÄBästheBie  der  überziehenden  Haut.  Die  Beine  vollkommen  gelähmt,  Druck  auf  die 
Muskeln  empfindlich,  Haut  auch  hier  gofühlloB.  Pateliar-  und  Achillessehnenreflex 
fehlt,  ebenso  Hoden-  und  Bauchmuskelreflex.  Betentio  urinae.  Kein  £iweiss  oder 
Zucker  im  Harn.  Im  Augenhintergrund  nichts  Abnormes.  —  Nach  leichter  Besserung 
des  psychischen  Zustandefi  neue  Verschlechterung,  zunehmender  Verfall,  Tod  am 
16.  August 

Der  makroskopische  Sectionsbefund  ergab  so  gut  wie  nichts  von  Veränderungen, 
die  das  Krankheitsbild  hätten  erklären  können.  Am  Gehirn  nichts  Erhebliches.  Einige 
punktförmige  Uämorrhagien  im  Dorsaltheile  des  Bückenmarks  waren  offenbar  erst 
kurz  vor  dem  Tode  entstanden;  die  Ganglienzellen  waren  normal,  die  weissen  Stränge 
ebenfalls.  Die  Bückenmarkswurzeln  ohne  jede  Abweichung.  Erst  die  Untersuchung 
der  peripherischen  Nerven  ergab  wichtige  Befunde,  und  zwar  eine  degenerative 
Atrophie,  ohne  die  geringste  Betheiligung  des  Bindegewebes;  die  Veränderung  bestand 
gleich  hochgradig  in  beiden  Tibial-,  Feroneal-  und  Badialnerven.  Die  Atrophie  nahm 
nach  dem  Oentrnm  hin  ab,  war  in  den  kleinen  Aesten  starker  als  in  den  Stämmen. 
In  den  feinen  Muskelästen  —  der  gelähmten  und  atrophischen  Muskeln  —  fand  sich 
auch  eine  Vermehrung  des  endo-  und  perineuralen  Bindegewebes  zu  zwiebelschalen- 
artigen  Umhüllungen  der  Nervenreste.  Die  Bindegewebswucherung  ging  stellenweise 
auch  von  den  Gefässen  aus.  —  Höchst  merkwüdig  war  die  Miterkrankung  des  Muskel- 
gewebes: die  eben  genannten  zwiebelschalenartigen  epineuralen  Binde- 
gewebslamellen hatten  vielfach  benachbarte  Muskelprimitivbündel  um« 
wachsen  und  zum  Druckschwund  gebracht  —  „Neuritis  fascians"  — ;  in  der 
Folge  war  dann  auch  das  eigentliche  intermusculäre  Bindegewebe  gewuchert  und  hatte 
die  Muskelphmitivbündel  atrophirt.  E.  meint,  dass  das  grosse  Interesse  dieses  Falles 
in  der  Frische  der  erst  seit  kurzer  Zeit  entstandenen  Veränderungen  (6  Wochen) 
liegt;  die  eigenthümlichen  Bilder  der  Neuritis  fascians  würden  wohl  später  in  der 
allgemeinen  Bindegewebswucherung  und  Sklerose  unerkennbar  geworden  sein.  — 
Uebrigens  haben  andere  Autoreu  ähnliche  Bilder  einer  Neuritis  fascians  —  nur  bei 
Alkoholikern  noch  nicht  —  bereits  beschrieben,  so  E.  Fraenkel  bei  Phthisikem, 
Eisenlohr  bei  spinaler  Kinderlähmung,  von  Millbacher  bei  verschiedenartigen 
Kranken. 

(Im  Arch.  f.  Psych.  XIX.  3.  S.  824  bezeichnet  Siemerling  im  Anschluss  an 
Both  die  von  £.  beschriebene  „Neuritis  fascians''  als  identisch  mit  den  physiolo- 
gischen neuromusculären  Stämmchen.)  Hadlich. 


11)    Zur   Frage   über   die  Veränderungen  der  peripherisohen  Nerven  bei 
Sohwindauoht,  von  Jappa.    (Dissertation.  St.  Petersburg  1888.   Bussisch.) 

Die  Arbeit  des  Verf.  bestand  in  der  histologischen  Untersuchung  peripherischer 
Nerven,  die  den  Cadavern  von  15  an  der  Schwindsucht  (pneumonia  chronica,  tuber- 
cnlosis  pulmonum)  verstorbenen  Personen  entnommen  waren,  und  zwar:  N.  ischiadic, 
sural.  post,  tibial.  posi,  plantar.  Int.,  crural.,  saphen.  int.,  peron.  superfic,  median., 
ulnar.,  radial.,  cutan.  med.  (am  oberen  Drittheil  des  Armes),  B.  inteross.  n.  mediani 
und  B.  superfic.  n.  radialis  (an  der  Dorsalfläche  der  Hand).  Die  betreffenden  Patienten 
hatten  während  des  Krankheitsverlaufs  keine  Symptome  seitens  des  Nervensystems 
aufgewiesen,  abgesehen  von  unbestimmten  neuralgischen  und  Muskelschmerzen,  allge- 
meiner Hyperästhesie  und  Steigerung  der  Sehnenreflexe  —  Erscheinungen,  die  ge- 
wöhnlich bei  hohem  Fieber  und  prämortaler  Inanition  der  Schwindsüchtigen  beobachtet 
werden.  Die  meistens  nicht  später  als  15  Stunden  post  mortem  ausgeschnittenen 
Nerven  wurden  in  Osmiumsäure  und  Alkohol  erhärtet  und  in  Celloidin  geschnitten, 
die  Schnitte  mit  Pikrokarmin  gefärbt;  in  einem  Fall  untersuchte  Verf.  ausserdem 
frische  mit  Gk)ld  behandelte  Präparate. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab,  dass  in  allen  Fällen  die  meisten  der 
ausgeschnittenen  13  peripherischen   Nerven   eine   beträchtliche  Anzahl  pathologisch- 


—    426      - 

veränderter  Fasern  enthielten.  Die  Yerändemngen  betrafen  sowohl  Axencylinder  und 
Markscheide,  als  auch  die  Kerne  der  Schwann^schen  Scheide,  Qtid  sind  nach  Yerf. 
Ansfühmngen  als  parenchymatöse  Nenritis  anfzufassen.  Die  Intensität  des  patho- 
logischen Processes  war  an  den  peripherischen  feinen  Verästelungen  der  Nerven 
höher,  als  an  den  dicken  Nervenstämmen,  und  die  Aflfection  war  an  den  unteren 
Extremitäten  stärker  ausgeprägt,  als  an  den  oberen. 

Da  das  Rückenmark,  welches  in  12  Fällen  genau  untersucht  wurde,  sich  als 
intact  erwies,  so  sind  die  Veränderungen  der  peripherischen  Nerven  als  unabhängig 
von  Einflüssen  seitens  des  centralen  Nervensystems  zu  betrachten. 

P.  Bosenbach. 

12)  Nivrltes  peil^höriques  dana  le  rheumatiame  ohroniquOt  par  A.  Pitres 
et  L.  Vaillard.    (Bevue  de  M^decine.   1887.   Juin.   p.  456.) 

Auf  Grund  der  anatomischen  Untersuchung  dreier  zur  Section  gekonunener  FäUe 
von  schwerer  chronischer  Polyarthritis  kommen  die  Verff.  zu  dem  Ergebniss,  dass 
sich  bei  der  chronischen  Arthritis  in  der  Regel  ausgesprochene  degenerative  Verände- 
rungen in  den  kleineren  peripherischen  Nerven  nachweisen  lassen.  Diese  Verände- 
rungen stehen  aUer  Wahrscheinlichkeit  nach  in  keiner  ursächlichen  Beziehung  zu  der 
Gelenkerkrankung,  wohl  aber  möglicherweise  zu  der  bei  chronischen  Gelenkleiden  be- 
kanntlich fast  immer  sich  einstellenden  Muskelatrophie.  Leichte  Veränderungen 
fanden  sich  auch  im  Rückenmark,  über  deren  Bedeutung  man  aber  nichts  Sicheres 
aussagen  kann. 

Die  drei  Beobachtungen  sind  kurz  folgende:  1)  50jähr.  Mann.  Chronischer 
Gelenkrheumatismus  seit  seinem  28.  Lebensjahr.  Allmähliches  Befallenwerden  aller 
Gelenke  der  Extremitäten.  Ichthyosis-ähnliche  Abschuppung  der  Epidermis  an  den 
Unterschenkeln  und  Füssen.  Starke  Entwickelung  des  Panniculus  adiposis  mit  Atrophie 
der  Muskeln.  Dystrophie  und  Ausfall  der  Nägel  an  den  grossen  Zehen.  Autopsie: 
Enorme  Veränderungen  an  den  Gelenken  und  den  Epiphysen.  „Leichte  Sklerose  der 
Pyramidenbahnen  und  der  Hinterstränge"  im  Rückenmark.  Integrität  der  Rücken- 
markswurzeln. Starke  Veränderungen  in  den  peripherischen  Nerven  (tibialis  anticns  und 
posticus,  saphenus,  musculo-cutaneus,  plantaris  u.  a.).  —  Fall  2.  66 jähr.  Frau. 
Seit  4  Jahren  chronische  Arthritis  in  fast  allen  Gelenken  der  Extremitäten.  Atrophie 
der  Interossei.  Ichthyosis-ähnliche  Abschuppung  der  Haut  an  den  unteren  Extremi- 
täten. Dystrophie  der  Nägel  an  den  grossen  Zehen.  Autopsie:  Leichte  Verdickung 
der  Neuroglia  in  den  Pyramidenbahnen  und  in  den  Goirschen  Strängen.  Sehr  starke 
Veränderungen  in  den  kleineren  Aesten  der  peripherischen  Nerven,  während  die  grossen 
Nervenstämme  fast  vollkommen  normal  sind.  —  Fall  3.  49jähr.  Mann.  Chroni- 
scher Gelenkrheumatismus.  Beginn  vor  7  Jahren  in  der  linken  Schulter.  Allmäh- 
liches Befallenwerden  der  übrigen  Gelenke.  Dystrophie  der  Nägel  und  Abschuppung 
der  jlaui  Keine  deutliche  Muskelatrophie.  Autopsie:  Sehr  starke  Gelenk- 
veränderungen. Rückenmark  normal.  Auch  die  Muskeläste  der  Nerven  nor- 
mal.    Nur  in  einigen  Hautästen  und  Gelenkästen  degenerative  Veränderungen. 

Strümpell. 

13)  Famphigoid  eruption  with  changes  in  peripheral  nerves,  by  A.  Saugster 
and  F.  W.  Mott.     (The  Brit.  med.  Joum.   1888.  June  16.   p.  1273.) 

VerfiEl  berichten  in  der  k.  chir.  und  med.  Gesellschaft  über  eine  78jährige  Frau, 
welche  eine  Hauteruption  am  Stamm  und  den  Gliedern  von  ziemlich  symmetrischer 
Vertheilung  aufwies.  Die  Form  der  Eruption  war  bullös  pemphigoid.  —  Albuminurie, 
zuletzt  Urämie. 

Die  äusseren  Hautnerven,  ein  Theil  der  Ganglien  und  hinteren  Wurzeln  wurden 
gehärtet  und  untersucht.  Man  fand  eine  parenchymatöse  Degeneration  der  Nerven- 
fasern. L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


—    427    — 

14)  neber  einen  eigenthümliehen  Fall  von  oombinirter  systematlsoher 
Srkraakung  des  Büekenmarkes  und  der  peripherisohen  Nerven,  von 
Dr.  H.  Braun,    (Deutsch.  Ateh.  f.  klin.  Medio.    188^.    XLII.) 

Es  handelt  sich  um  einen  74jähr.  Zinngiesser,  welcher  mit  reissenden  Schmerzen 
und  Parästhesien  im  rechten  Arm,  der  rechten  Hand  und  beiden  Beinen  erkrankte. 
Gleichzeitig  Atrophie  der  rechten  Hohlhand,  der  Streckmusculatur  des  rechten  Unter- 
arms, des  rechten  Muse,  deltoideus,  Pectoralis  major,  Supra-  und  Infraspinatus.  Die 
erkrankten  Muskeln  sind  auf  Druck  schmerzhaft,  zeigen  fibrilläre  Zuckungen,  Ver- 
ringerung der  elektrischen  Erregbarkeit,  theilweise  Entartungsreaction.  Sehnenreflexe 
an  den  Armen  erloschen,  an  den  Beinen  erhalten.  Sensibilität  normal.  —  Nach 
'/^jährigem  unveränderten  Bestand  die  Krankheitserscheinungen  Tod  durch  Erysipel. 
Als  klinische  Diagnose  war  —  dem  Symptomenbild  entsprechend  —  mit  Wahr- 
scheinlichkeit eine  spinale  Form  von  progressiver  Muskelatrophie  oder  eine  multiple 
Neuritis  angenommen  worden. 

Der  Sectionsbefund  war  folgender:  Atrophie  und  Schwund  der  rechten  Vorder- 
homganglien  und  der  vordem  spinalen  Wurzeln  in  der  Höhe  des  VI.  und  VII.  Cer- 
vicalnerven,  beiderseitige  Atrophie  der  hintern  Wurzeln  in  der  Hals-  und  Lenden- 
anschweUung.  Ausserdem  aber  wurde  eine  Degeneration  in  den  Hintersträngen 
(Schwund  der  Nervenfasern,  Bindegewebsentwickelung)  constatirt,  welche  von  der 
Lendenanschwellung  bis  zum  mittleren  Dorsalmark  allmählich  abnahm  und  vom  oberen 
Dorsalmark  bis  in  die  Halsanschwellung  an  Flächenausdehnung  wieder  zimahm. 

An  den  peripherischen  Nerven  und  den  afficirten  Muskeln  der  oberen  und  un- 
teren Extremitäten  zeigten  sich  ebenfalls  degenerative  Veränderungen. 

Verf.  ist  geneigt,  im  vorliegenden  Falle  als  Ausgan^punkt  der  Erkrankung  eine 
peripherische  Neuritis  anzunehmen,  an  welche  sich  secundär  eine  aufsteigende  De- 
generation bis  ins  Bückenmark  anschloss. 

Auf  diese  Weise  sei  sowohl  der  Heerd  im  rechten  Vorderhom,  wie  die  Degene- 
ration in  den  Hintersträngen  als  den  Fortsetzungen  der  peripherischen  sensiblen  Bah- 
nen im  Bückenmark  am  natürlichsten  zu  erklären. 

Da  Fat.  Zinngiesser  war  und  selar  viel  mit  Blei  zu  thun  gehabt  hatte,  so  liegt 
die  Möglichkeit  nahe,  dass  eine  chronische  Bleüntoxication  das  ätiologische  Moment 
für  die  Erkrankung  abgab.  F.  Seifert  (Dresden.) 

m.  Aus  den  Qesellsohaften. 

JULii.  Wanderversammlung  südwestdeutsoher  Neurologen  und  Irrenärzte 

zu  Freiburg  i.  Br.  am  9.  u.  10.  Juni  1888. 

Original-Bericht  von  Dr.  L.  Laquer  in  Frankfurt  a.  M. 

Zweite  Sitzung  den  10.  Juni  Vorm.  9  Uhr  im  Auditorium  der  psychiatrischen 
Klinik.  Besichtignng  der  neuen,  erst  am  1.  April  a.  c.  neu  bezogenen  Bäumlichkeiten 
genannter  Klinik  seitens  der  Versammlung  unter  Leitung  von  Prof.  Emminghaus. 
Erledigung  von  geschäftlichen  Angelegenheiten.  Wahl  von  Baden-Baden  zum 
nächsten  Versammlungsort.  Die  Geschäftsführung  übernehmen  Prof.  Erb  und  Dr. 
Franz  Fischer  (Illenau).  —  Den  Vorsitz  am  zweiten  Versammlungstage  führte 
Prof.  Jelly  (Strassburg). 

10.  Docent  Dr.  Hoflknann  (Heidelberg):  Ueber  einen  Fall  von  progressiver 

Muskelatrophie  eto. 

H.  berichtet  über  einen  Fall  von  progressiver  Muskelatrophie.  Die  Krankheit 
befiel  ein  Mädchen  in  frühester  Kindheit;  die  Kranke  selbst  kam  im  8.  Jahre  in 
Beobaichtnng. 

Die  charakteristischen  Symptome  der  Krankheit  waren  wahrscheinlich  familiäre 
Belastung;   Beginn  der  Atrophie  und  der  mit  ihr  gleichen  Schritt  haltenden  Parese 


—    428    — 

an  den  vom  Bückenmark  entferntesten  Moskelgebieten  (zuerst  d^  unteren,  mehrere 
Jahre  später  der  oberen  Extremitäten),  prc^resaiver  Verlauf  mit  ascendirendem  Cha- 
rakter, schweren  sehr  eigenthfimlichen  Veränderungen  der  elektrischen  Erregbarkeit» 
sowohl  der  paretischen  wie  der  nicht  gelähmten  (Gesichts-  etc.)  Muskeln  und  Nerven, 
Sensibilitätsstörungen,  Fehlen  der  Sehnenreflexe,  verminderte  mechanische  Muskel- 
Erregbarkeit,  Unruhe  der  Muskeln,  Klumpfuss  etc. 

H.  glaubt,  dass  der  Fall  mit  denen  von  Eulenburg,  Eichhorst,  Ormerod, 
Schnitze  und  Charcot,  Marie  publicirten,  zusammen  eine  besondere  Form  von 
progressiver  Muskelatrophie  bilde,  die  in  der  Mitte  stehe  zwischen  der  spinalen  und 
der  myopathischen  progressiven  Muskelatrophie. 

Weiter  fQhrt  er  aus,  dass  sich  anatomisch  wahrscheinlich  multiple  Nerven- 
Degenerationen  finden  werden  und  man  die  Krankheit  als  neurotische  progressive 
Muskelatrophie  bezeichnen  könne. 

Trotz  der  Aehnlichkeit,  welche  die  Affection  mit  peripherischen  Nerven-Erkran- 
kungen  in  sich  hat,  schliesst  sich  H.  der  Ansicht  von  Charcot  an,  dass  doch  eine 
Myelopathie  das  Primäre  des  Leidens  sei. 

11.   Dr.  Koeppen:   Ueber  Albuminurie  bei  Gtoisteskranken. 

Es  finden  sich  im  Urin  Geisteskranker  viel  häufiger  Eiweiss,  als  bisher  ange- 
nommen wurde.  Die  Fälle,  in  denen  die  Albuminurie  als  wesentliches  Moment  des 
Zustandes  auftrat,  lassen  sich  in  3  Gruppen  bringen. 

1.  Psychosen,  welche  sich  anf  Grund  einer  Nephritis  entwickelt  haben.  Es 
giebt  hier  psychische  Störungen,  die  man  direct  als  urämische  Intoxications-Psychosen 
auffassen  kann. 

2.  Psychosen,  die  sich  auf  Grund  einer  allgemeinen  Arteriosklerose  entwickeln. 
Das  Auftreten  von  Eiweiss  ist  hier  abhängig  entweder  von  der  Beschaffenheit  des 
Gefäss-Systems  oder  von  einer  Nierenerkrankung,  hervorgerufen  durch  die  Arterio- 
sklerose. 

Fürstner  fand  bei  Delirium  tremens  im  Urin  Eiweiss  und  constatirte,  dass 
dasselbe  bei  zunehmender  psychischer  Verwirrtheit  und  Benommenheit  ebenfalls 
zunahm.  * 

Dieser  Satz  lässt  sich  verallgemeinern:  Man  findet  in  den  allermeisten  Fällen, 
wo  psychische  Verwirrtheit  und  Benommenheit  besteht,  Eiweiss  im  Urin  und  zwar 
zu-  und  abnehmend  mit  den  psychischen  Erscheinungen;  so  beim  Delirium  acutum; 
in  bestimmten  Stadien  der  Manie  u.  s.  w.  Es  gelang  nicht  allein,  das  gewöhnliche 
Eiweiss,  sondern  auch  Propepton  im  Urin  zu  constatiren.  Das  Propepton  ist  nach 
den  Beobachtungen  E.'s  in  vielen  Fällen  als  das  erste  Anzeichen  eines  Einflusses 
des  Gehirns  auf  die  Nieren  aufzufassen.  Die  Urine  hatten  meistens  hohes  specifisches 
Gewicht.  Mikroskopisch  fand  sich  selbst  in  Fällen  mit  sehr  viel  Albumin  nichts  als 
zuweilen  spärliche  hyaline  Cylinder  und  einige  Epithelien.  Es  ist  also  das  Auftreten 
des  Eiweisses  in  diesen  Fällen  allein  auf  den  Zustand  des  Gehirns  zurückzuführen, 
und  man  könnte  in  einem  gewissen  Sinne  von  einer  centralen  Albuminurie  sprechen. 
(Die  Untersuchungen  E.*s  werden  ausführlicher  veröffentlicht.) 

12.  Dr.  Edinger  (Frankfurt  a.  M.):  Ueber  Entwiokelung  des  HimmantelB 

in  der  Thierreihe. 

Vortr.  demonstrirt  eine  Anzahl  von  Präparaten  und  Zeichnungen,  welche  die 
Entwickelung  des  Vorderhims  in  der  Thierreihe  betreffen.  Redner  hat  versucht^  den 
complicirten  Bau  des  Säugergehimes  besser  zu  verstehen  durch  Verfolgung  von  dessen 
wichtigsten  Theilen  durch  die  Thierreihe  hindurch.  Die  Resultate  seiner  Arbeit,  die  in 
den  Abhandlungen  der  Senkenbergischen  naturforschenden  Gesellschaft  so- 
eben in  extenso  erschienen  ist,  sind  kurz  die  folgenden:  Der  Uimmantel  erreicht  nur  sehr 
allmählich  die  Ausbildung,  die  wir  an  ihm  bei  den  Säugern  kennen.  Eine  ununter- 
brochene Entwickelungsreihe  von  den  niederen  Formen  zu  den  höheren  ist  nicht  vor- 


—    429    — 

banden.  Der  rein  epitheliale  Himmantel  der  Knoclienfische  und  der  Cjclostomen  und 
das  wesentlicli  dem  primären  Yorderhim  entsprechende  Yorderhim  der  Selachier, 
welches  entwickelnngsgeschichtlich  stndirt  wnrde,  werden  demonstrirt.  Yen  ihnen 
fflhren  keine  Uebergangsformen  zu  dem  ansserordentlich  einfach  gebauten  Gehirn  der 
Amphibien,  von  denen  Redner  eine  grosse  Anzahl  in  allen  Alterstufen  untersucht  hat. 
Die  Grundformen  des  Amphibiengehimes  sind  bei  den  Reptilien  noch  nachzuweisen, 
aber  im  Reptilienhim  beginnt  mit  dem  Auftreten  der  Hirnrinde,  dem  ersten  in  der 
Thierreihe,  diejenige  Himform,  von  der  sich  das  Organ  der  Yögel  und  das  der  Säuger 
ableiten  lassen.  Bei  den  Reptilien  tritt  auch  die  Ammonsformation  und  der  aus  ihr 
entspringende  Fomix  zuerst  auf. 

Während  der  Mantel  alle  diese  Wandlungen  durchmacht,  bleibt  im  Grossen  und 
Ganzen  die  Lage  und  Stractur  des  Stammganglions  wesentlich  durch  die  ganze  Reihe 
hindurch  die  gleiche.  Bei  den  Knochenfischen  bildet  es  die  Haaptmasse  des  Gehirns, 
mit  zunehmender  Mächtigkeit  des  Mantels  aber  tritt  es  mehr  und  mehr  in  die  Tiefe 
zurück  und  wird  schliesslich  bei  den  Säugern  zu  einem  im  Yergleich  mit  der  übrigen 
Yorderhimmasse  kleinen  üimstück. 

Eine  Reihe,  die  Gebilde  jeder  Yorderhimseite  mit  denen  der  andern  verknüpfenden 
Faserzüge  und  eine  Anzahl  aus  dem  Yorderhim  weiter  hinab  tretende  Bündel  wurden 
als  allen  Thieren  zukommend  nachgewiesen. 

13.  Privatdooent  Dr.  Ziehen  (Jena):  Zur  Physiologie  der  suboortialen 
Ganglien  tmd  über  ihre  Beziehungen  zum  epileptisohen  Anfall. 

Z.  hat  im  Anschlass  an  frühere  Yersuche,  welche  bewiesen,  dass  der  klonische 
Antheil  der  beim  Hunde  durch  faradische  Rindenreizung  ausgelösten  Krämpfe  corti- 
calen  Ursprungs  ist,  der  tonische  Antheil  und  die  Laufbewegungen  hingegen  infra- 
cortalen,  und  im  Anschluss  an  die  Yersuche  von  Binswanger,  welcher  in  der  Med. 
oblongata  und  im  Pens.  Reflexentren  fand,  die  auf  Reizung  mit  tonischem  Krampf, 
sowie  Laufbewegungen  antworteten.  Reizungsversuche  am  Corp.  striat.,  Nucl.  lentif- 
ormis,  Thalamus  opticus  und  den  Yierhügeln  nach  Atragung  der  Grosshimhemisphäre 
angestellt. 

Als  Yersuchsthiere  dienten  zunächst  Kaninchen;  als  Reizungsmittel  wurde  Be- 
rührung und  oberflächliche  Yerletzung  mit  stumpfer  Nadel  verwandt;  nur  selten  den 
faradische  Strom,  ausserdem  wurden  zahlreiche  Durchschneidungsyersuche  gemacht. 

Faradiäche  Reizung  am  Streifenhügel  und  Linsenkem  löst  Mastication,  Flimmern 
der  Lippen,  Drehung  des  Kopfes  nach  der  gekreuzten  Seite,  tonische  Contraction  der 
gekreuzten  und  in  schwächerem  Grade  auch  der  gegenseitigen  Beine  aus.  Bei  längerer 
Reizdaaer  tonischer  Krampfanfall.  Aehnliche  tonische  Contractionen  erfolgen  bei  stär- 
kerer faradischer  Reizung  des  Thalamus  opticus. 

Darchschneidung  desselben  führt  zu  excessiver  Laufbewegung  mit  Locomotion 
des  Thieres.  Dieselben  krampfhaften  Laufbewegungen  kommen  zu  Stande  bei  Rei- 
zung im  Gebiet  der  vorderen  Yierhügel. 

Mechanische  faradische  Reizungen,  sowie  Durchschneid nng  im  Gebiet  der  hinteren 
Yierhügel  löst  einen  extremen  allgemeinen,  die  Reizung  überdauernden  tetanischen 
Krampf  aus. 

Aus  den  Yersuchen  Ziehende  ergiebt  sich,  dass  in  der  Gegend  des  Thalamus 
opticus  und  der  vorderen  Yierhügel  motorische  Gentren  für  höher  coordinirte  Be- 
wegungen gelegen  sind. 

In  den  obigen  Yersuchen  sind  dieselben  nicht  direct,  sondern  wahrscheinlich 
reflectorisch  erregt  worden;  es  dürfte  hierbei  der  intracerebralen  Bahn  des  N.  opticus 
eine  bedeutsame  Rolle  zufallen. 

14.  Prof.  Thomas  berichtet  über  eine  autopathische  Beobachtung,  betreffend 
die  Abhängigkeit  einer  leichten  Strangurie  von  jeglicher  mechanischen  Reizung  der 
Mundschleimhaut 


—    430    — 
15.  Dr.  A.  Gramer  (Erelburg):  Ueber  die  Wirkung  dSB  Sulfonals  bei 


Yortr.  behcbtet  über  407  mit  dem  Sulfonal  an  Geisteskranken  angestellte  Ver- 
suche und  sodann  im  Anschluss  daran  über  physiologisch -chemische  Experimente, 
welche  das  Verhalten  von  Chloral,  Paraldehjd^  Amjlenhydrat  und  Solfonal  zur  künst* 
liehen  Verdauung  klar  legen.  Die  407  therapeutischen  Versuche  wurden  an  45  Per- 
sonen gemacht:  30  (7,4  ^o)  ^^^^^  negativ  aus;  d77mal  (92,4%)  führte  das  Mittel 
einen  fünf-  und  mehrstündigen  Schlaf  herbei  Der  Schlaf  trat  meistens  7« — 1  Stunde 
nach  Einnehmen  des  Mittels  ein.  Die  Dosis  schwankt  zwischen  1  und  3  Gramm. 
Unangenehme  Nebenwirkung,  abgesehen  von  einer  einige  Mal  aufgetretenen  Schläfrig- 
keit am  andern  Morgen,  wurde  in  keinem  Falle  bemerkt  Die  Kranken  litten  an 
Melancholie,  Manie,  Paralysis,  Paranoia,  Hebephrenie. 

Die  physiologisch-chemischen  Versuclje  bezQgen  sich  auf  das  Verhalten  der  oben 
genannten  Schlafmittel:  1.  zur  diastatischen  Wirkung  gemischton  Mundspeichels; 
2.  zur  fibrin verdauenden  Wirkung  künstlichen  Magensaftes;  3.  zur  fibrinverdauenden 
Wirkung  künstlichen  Pancreassaftes.  Sie  ergaben,  dass  Sulfonal  keinen  wesenüich 
hemmenden  Einfluss  auf  die  eben  erwähnten  chemischen  Voigänge  äussert  —  Vortr. 
glaubt,  dass  im  Sulfonal  ein  wichtiges  Mittel  für  den  psychiatrischen  Arzneisohatz 
gewonnen  sei. 

16.  Prof.  Käst:  Ueber  musikalisohe  Stöcungen  bei  Aphasie. 

Schon  früher  hatte  Vortr.  über  die  interessante  Erscheinung  berichtet,  dass  musi- 
kalisch begabte  und  technisch  gut  gebildete  Individuen  nut  dem  Eintritt  einer  apha- 
sischen  Erkrankung  die  Fähigkeit  einbüssten,  aus  einem  möglicherweise  reichen  Schatze 
musikalischer  Vorstellungen  auch  nur  die  allereinfachsten  in  correcter  Weise  zu  re- 
produciren,  —  und  dies  ohne  nachweisbare  Beeinträchtigung  der  Qualität  des  musi- 
kalischen Hörens  und  ohne  jede  Behinderung  im  peripherischen  Bewegungsapparat  Der 
erste  von  Käst  publicirte  Fall  betraf  einen  Landwirth,  der  an  rechtsseitiger  Hemi- 
plegie mit  Broca'scher  Aphasie  litt  und  das  Unvermögen  zeigte,  correct  zu  singen, 
während  er  vorher  ein  guter  Sänger  gewesen  war,  —  bei  Erhaltensein  der  musi- 
kalischen  Fähigkeiten  nach  der  perceptiven  Seite  und  guter  Intelligenz.  Die  expres- 
siven Störungen  auf  musikalischem  Gebiete  blieben  noch  bestehen,  als  die  Sprache 
sich  bereits  gebessert  hatte! 

Die  neue  Beobachtung  Kast's  betrifft  einen  gebildeten,  als  Musikdilettaat  sehr 
geschätzten  Herrn  von  45  Jahren,  der  vor  20  Jahren  sich  luetisch  infidrt  hatte, 
2  apoplectiforme  Anfalle  erlitt  und  nach  dem  letzten  eine  Broca'sche  Aphasie  davon- 
trug mit  ausgesprochener  Schreibstörung.  —  Während  sich  die  Sprache  innerhalb 
von  Monaten  besserte,  zeigte  sich  Pat.  unfähig,  nicht  nur  einfache  Weisen  und  Ton- 
folgen, sondern  auch  einzelne  bestimmte  musikalische  Töne  spontan  oder  nach  Vor- 
spielen und  Vorsingen  zu  reproduciren  und  zwar  weder  gesanglich  noch  auf  der 
Geige,  trotzdem  er  vorher  ein  in  weiten  Kreisen  gern  gehörter  Solosänger  und  guter 
Violinspieler  gewesen  war.  Dabei  erkannte  er  Töne  und  Intervalle  vortrefflich.  — 
Die  Geige  sei,  .trotzdem  er  bei  Versuchen  den  Bhythmus  einhielt,  „wie  ein  Stück 
Holz  in  seiner  Hand".  Noten  wurden  ziemlich  gut  gelesen.  Die  musikalische  Störung 
besteht  noch  jetzt,  wo  mehr  als  ein  Jahr  verflossen,  fort,  während  die  Sprache  ent- 
sprechend der  grössern  Uebung  weit  besser  von  Statten  geht 

(Die  Beobachtung  wird  im  Archiv  für  Psychiatrie  ausführlich  publicirt  werden.) 

Um  12  Uhr  wird  die  Wanderversammlung  geschlossen. 


Berliner  G^sellsohaft  für  Fsyohiatrie  und  19'ervenkrankheiten.   Sitzung  vom 

9.  Juli  1888. 

Herr  Mendel  (vor  der  Tagesordnung): 

Die    beiden   Brüder,   welche   ich   Ihnen  hier  vorführe,  der  eine  13,  der  andere 


—    431    — 

12  Jahr,  leigen  folgendes  GemeinBame.  Ihre  Grossmatter  und  ihr  Onkel  y&terlicher- 
seits  sind  geisteskrank  gewesen.  Ein  älterer  Bruder  ist  8  Tage  alt  an  Krämpfen 
gestorben.  6  jüngere  Geschwister  sind  gesund.  Syphilis  und  Alkoholismus  der  Eltern 
sind  auszuschliessen. 

Bei  beiden  Knaben  wurden  zuerst  im  Alter  von  2  Jahren  (doch  waren  sie 
wahrscheinlich  schon  früher  vorhanden)  zuckende  Bewegungen  im  Gesicht,  in  den 
Armen  und  Beinen  beobachtet,  wie  sie  jetzt  noch  bestehen.  Ohne  dass  wesentlich 
andere  intercurrente  Erscheinungen  auftraten,  bietet  sich  jetzt  bei  Beiden  Folgendes: 

1.  Sehnervenatrophie  auf  beiden  Augen  mit  Erweiterung  und  Schläugelung  der  Netz- 
hautvenen. Die  Grenzen  der  Optici  sind  scharf.  Bei  dem  altem  Knaben  ist 
die  Atrophie  stärker,  als  bei  dem  jungem.  Pupillen  normal.  Nystagmus.  (Prof. 
Hirschberg.) 

2.  Choreatische  Bewegungen  im  Gesicht  (Gesichterschneiden),  in  den  Armen  und 
Beinen,  in  der  Buhe,  bei  Bewegungen  sich  steigernd.  Speciell  sind  auch  ander  Zunge 
sowohl  bei  ruhiger  Lage  im  Munde,  wie  beim  Herausstrecken  lebhafte  choreatische 
Bewegungen  sichtbar.  Der  jüngere  Knabe  kann  die  Zunge  nur  etwa  1  cm  über 
die  Zähne  aus  dem  Munde  hervorbringen,  der  ältere  dagegen  in  normaler  Weise. 

3.  Geringe  motorische  Kraft  in  beiden  Armen  und  beiden  Beinen  (kein  Unterschied 
zwischen  beiden  Seiten);  plumpe  Bewegungen,  deutlich  "beim  Herauf-  und  Herunter- 
steigen von  einem  Stuhl,  aber  auch  plumper  Gang. 

4.  Starke  Sehnenreflexe,  besonders  starke  Patellarreflexe;  bei  dem  älteren  noch  be- 
sonders am  linken  Bein  Fussklonus,  bei  dem  jüngeren  nicht. 

5.  Keine  Ataxie,  keine  Sensibilitätsstörungen,  keine  Störung  der  visceralen  Reflexe 
keine  nachweisbare  Erkrankung  innerer  Organe. 

Die  beiden  Knaben  unterscheiden  sich: 

1.  in  Bezug  auf  Intelligenz.  Der  ältere  ist  deutlich  schwachsinnig,  der  jüngere 
geistig  normal,  beantwortet  mit  Schnelligkeit  Fragen,  welche  der  ältere  nicht 
zu  beantworten  vermag. 

2.  in  Bezug  auf  die  Sprache,  welche  bei  dem  älteren  kaum  nennenswerth  ver- 
ändert, bei  dem  jüngeren  undeutlich,  abgebrochen,  ab  und  zu  scandirend  erscheint. 
Der   demonstrirte   Symptomencomplex  lässt  sich  in  keins  der  bekannten  Bilder, 

speciell  auch  in  keins  der  hereditären  Formen  von  Erkrankungen  des  Nervensystems, 
woran  im  vorliegenden  Fall  in  erster  Reihe  zu  denken  ist,  einreihen.  Friedreich*sche 
Krankheit,  multiple  Sklerose  sind  auszuschliessen.  Wäre  nicht  die  Sehnervenatrophie 
vorbanden,  so  könnte  man  am  ersten  an  die  Huntington'sche  Chorea  denken,  deren 
mannigfaches  Bild  und  Vorkommen  in  trefflicher  Weise  soeben  erst  Hoffmann  (Vir- 
chow's  Archiv  Bd.  CXI  S.  513)  geschildert  hat. 

1.  Herr  Westphal:  lieber  einen  Befund  der  Augenmuskeln  bei  Oph- 
thalmoplegie. Herr  W.  hat  früher  von  einem  F^le  von  Ophthalmoplegie  den  Be- 
fund der  Kern-  und  Nerven- Atrophie  beschrieben;  ^  er  hat  jetzt  die  Augenmuskeln 
dieses  Kranken  genau  untersucht,  die  frisch  sich  auffallend  gelb  gezeigt  hatten. 
Anstatt  einer  Atrophie  fand  er  aber  eine  auffallende  Yolumszunahme  des  Quer- 
schnitts der  Muskelfasern,  neben  starker  Bindegewebsentwickelung;  die  Muskelfaser- 
substanz war  ganz  entartet,  ein  gelbes,  kömiges  Material.  —  In  einem  anderen  Falle 
von  Augenmuskellähmung  mit  Kern-  und  Nervenatrophie  und  gelber  Verfärbung  der 
Muskeln  zeigte  sich  gleichfalls  diese  hyper voluminöse  Form  der  Muskelfasern;  hier 
war  aber  ausserdem  die  Fasersubstanz,  auf  dem  Querschnitt  gesehen,  zu  einem  nui* 
die  Mitte  des  Sarcolemma-Schlauches  einnehmenden  Strange  geschwunden,  der  von 
einem  hellen  Ringe  umgeben  war;  was  diesen  Ring  ausfüllte,  war  nicht  sicher  zu 
sagen.  —  Jedenfalls  ist  dies  ein  Befund  an  den  Muskeln  resp.  Augenmuskeln,  wie 
er  bisher  nicht  bekannt  geworden  ist. 

»  Cf.  d.  CtrlbL  1887.  S.  479. 


—    432     — 

Herr  Ben  da  spricht  die  YermuthiiDg  ans,  dass  die  beschriebene  Mnskelfaser- 
degeneration  vielleicht  eine  Analogie  zu  derjenigen  bilde,  welche  man  neuerdings  an 
Froschlarvenschwänzen  beobachtet  hat. 

2.  Herr  Ben  da:  lieber  ein  neues  Härtungs  verfahren  des  Centralnerven- 
Systems  mit  Demonstrationen.  Das  Verfahren  ist  vom  Verf.  bereits  im  Central- 
blatt  für  die  medicin.  Wissenschaften  1888  Nr.  26  beschrieben,  worauf  er  verweist, 
mit  dem  Bemerken,  dass  zu  Serienschnitten  diese  Härtung  die  Präparate  nicht  ge- 
eignet macht  Femer  ist  anzuführen,  dass  die  Weigert'schen  Fasersysteme  durch 
obige  Methode  nicht  zur  Darstellung  kommen;  es  sei  ja  auch  wahrscheinlich,  dass 
die  Weigert'schen  Fasern  nicht  nervöser  Natur  seien,  eine  Annahme,  welche  Fritsch 
und  wohl  auch  Weigert  selbst  zu  theilen  scheinen. 

Herr  Westphal  kann  bestimmt  aussagen,  dass  Weigert  nicht  behauptet  hat, 
dass  er  mit  seiner  Methode  das  Nervenmark  färbe:  was  sich  eigentlich  färbe,  könne 
er  nicht  sagen. 

Herr  Ben  da:  Mit  Weigert's  Methode  kann  man  z.  B.  auch  in  der  Leber  Netze 
darstellen,  welche  sicher  keine  nervösen  seien. 

Herr  Oppenheim:  Das  ist  doch  jedenfalls  sicher,  dass  die  Weigert*sche  Me- 
thode exacten  Nachweis  darüber  giebt,  ob  Atrophie  der  Fasern  in  der  weissen  Sub- 
stanz vorhanden  sei  oder  nicht. 

Herr  Ben  da  hat  auch  keine  Vorwürfe  gegen  Weigert's  Methode  erheben  wollen; 
ihm  scheine  nur,  dass  man  z.  Z.  mit  den  Schlussfolgerungen  aus  den  Ergebnissen 
der  Weigert'schen  Methode  zu  weit  gehe. 

Herr  Siemerling  fragt,  ob  sich  Benda's  Verfahren,  auf  die  Hirnrinde  ange- 
wendet, brauchbar  gezeigt  habe? 

Herr  Benda  bedauert,  dass  dies  nicht  der  Fall  sei;  die  basalen  Fortsätze  der 
Ganglienzellen  färbten  sich  wohl  ganz  gut,  sonst  aber  nichts  von  Fasern  der  Binde. 

3.  Herr  Gluck  (als  Gast)  und  Herr  Bernhardt:  Kranken vorstellang:  Ein 
durch  seoundäre  Nervennaht  (suture  ä  distanoe)  geheilter  Fall  von  trau- 
matisoher  Badialislähmung. 

Herr  Gluck  sah  den  Kranken,  der  einen  Federmesserstich  in  den  Oberarm  be- 
kommen hatte,  4  Wochen  nach  der  Verletzung  mit  einer  vollständigen  Badialislähmung. 
Es  ist  in  diesen  Fällen  sehr  schwer  zu  sagen,  ob  man  es  mit  einer  Druckiähmung 
des  Nerven  durch  das  Trauma,  oder  mit  einer  Continuitätstrennung  zu  thnn  hat 
G.  entschied  sich  für  das  letztere,  operirte  und  fand  eine  Distanz  der  Nervenenden 
von  mehr  als  5  cm.  Er  verband  beide  Enden  durch  Catgut-Schlingen  und  hat  da- 
durch Regeneration  des  Nerven  erzielt 

Herr  Bernhardt  berichtet  ergänzend,  dass  er  am  20.  Oct  1887  den  Kranken 
zum  ersten  Male  mit  vollständiger  Lähmung  des  Radialis  und  Entartungsreaction  in 
den  betreffenden  Muskeln  gesehen  habe.  Erst  4 — 5  Monate  nach  der  Operation, 
nachdem  Fat.  inzwischen  mit  faradischer  und  galvanischer  Elektricität  behandelt  war, 
begann  Fat.  die  Hand  zu  erheben  (Dorsalflexion)  und  schritt  dann  ganz  langsam  in 
der  Heilung  voran.  Heute  kann  Fat  alle  Bewegungen  mit  Hand  und  Fingern  gut 
ausführen,  ausgenommen  die  Ab-  und  Adduction.  Mit  sehr  starken  Strömen  kann 
man  vom  Nerven  oberhalb  der  Wunde  aus  die  Muskeln  erregen. 

Der  Erfolg  ist  demnach  ein  recht  guter  zu  nennen,  und  lehrreich,  weil  er  so 
lange  nach  der  Operation  verfolgt  werden  konnte,  was  bei  den  wenigsten  in  der 
Litteratur  vorhandenen  Fällen  zutrifft.  Hadlich. 

Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Heranageber  wird  gebeten. 


Einsendungen  PSlt  die  Redaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel, 

Berlin.  NW.   Schiffbauerdamm  20. 


Verlag  von  Veit  &  Comp,  in  lioipzig.  —  Druck  von  Mstzgbr  &  Wittio  in  Leipzig. 


NeürologischesCentralblatt 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatonriie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einscliliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben  yon 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  «« "^««»^  Jahrgang. 


Monatlich  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  20  Mark.    Zu  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Beichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 


1888.  1.  Angost  m  15. 

Inhalt.  I.  Originalmittheilung.  1.  Seltene  Symptomencomplexe  bei  Nervenkranken, 
von  Prof.  Fr.  Schnitze.  2.  Etwas  über  Schädel- Asymmetrie  und  Stimnaht,  von  M.  0.  Fraenlcel. 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  üeber  die  Entwickelung  der  Substantia  gelatinosa  Kolandi 
beim  Kaninchen,  von  Corning.  2.  First  dorsal  Interrosseus  muscle  supplied  by  the  Median 
nerve,  von  Brockt.  —  Experimentelle  Physiologie.  3.  üeber  yasoailatatorische  Centren 
im  Bückenmarke,  von  Kager  und  Pal.  4.  Ueber  die  Innervation  der  Leber,  von  Pal.  5.  Du 
noyau  d'origine,  dans  le  bulbe  rachidien,  des  fibres  motrices  ou  cardiaqnes  du  nerf  pneumo- 
gastriqne,  ou  noyau  cardiaque,  par  Laborde.  -—Psychiatrie.  6.  Ein  Fall  von  circul&rem 
Inresein  mit  Ausgang  in  Genesung,  von  Borosdlna-Rosensteln.  7.  Sitofobia  da  megalopsia  in 
alienato  affetto  da  sifilide  constituzionalc,  pel  Frigerio.  8.  Contribution  a  l'^tude  de  T^tat 
mental  des  h^r^ditaires  ddg^n^r^,  par  Ballet.  9.  Le  pazzie  transitorie,  pel  Veniuri.  10.  In- 
versione  e  pervertimenti  dello  istinto  sessuale,  pel  Cantarano.  11.  Nogle  Meddelelser  vedrorende 
direkte  Arvelighed  af  Sindssygdomme,  af  Eibe.  —  Therapie.  12.  Sulfonal,  ein  neues  Schlaf- 
mittel, von  Käst.  18.  üeber  die  Wirkung  des  Sulfonals,  von  Rabbas.  14.  Zur  klinischen 
Wl^digung  der  Sulfonalwirkun^.  von  Schwalbe.  15.  Ueber  Sulfonal,  von  Langgaard  und 
Rabow.    16.  Ueber  das  Pbenacetm,  von  Rumpf. 

III.  Ahs  den  Gesellschaften. 
VI.  Bibliographie. 

V.  Vermischtes. 


I. 


1.    Seltene  Symptomencomplexe  bei  Nervenkranken. 

Von  Prof.  Fr.  Schultse  in  Dorpat. 

I. 

Intentionsnystagmos.   Atrophie  der  linken  Zungenhftlfte,  spastisohe  Parese 
und  Abmagerung  der  rechten  Extremitäten,  Verlust  der  Beflexerregbarkeit 

des  Pharynx  bei  einem  21jfthrigen  Hanne. 

Der  früher  stets  gesunde  21jährige  Schuhmacher  Peter  Lesne  aus 
Alswig  (Livland),  seiner  Nationalitat  nach  ein  Lette,  erkrankte  vor  2  Jahren,  im 

27 


—    434    — 

Laufe  des  Winters  1886,  mit  geringfügigen  Schmerzen  im  rechten  Ober- 
schenkel und  Farästhesien  im  rechten  Beine.  Zu  diesen  abnormen  Em- 
pfindungen geseilte  sich  bald  eine  allmählich  zunehmende  Schwache  in  der 
genannten  Extremität  und  ebenso  im  rechten  Arme  mit  Yertaubungsgefuhl  in 
letzterem.  Ausserdem  soll  sich  seit  derselben  Zeit  die  Sprache  etwas  verändert 
haben. 

Vor  einem  halben  Jahre  vorübergehende  Schlingbeschwerden  (leichte  Schmer- 
zen und  erschwertes  Schlucken). 

Sonst  keine  Beschwerden.  Niemals  Kopfweh  oder  Schwindel.  Kein 
Doppeltsehen.    Harn-  und  Stuhlentleerung  stets  normal. 

Syphilis  wird  geleugnet;  in  der  Verwandtschaft  keine  Nervenerkrankungen. 
Ein  jüngerer  Bruder  und  zwei  Schwestern  sind  gesund. 

Status  praesens  am  12.  April  1888  und  in  den  nächsten  Tagen. 

Der  Kranke  ist  von  mittlerer  Körpergrösse;  seine  Musculatnr  gut  entwiek^t; 
G^ichtsfarbe  etwas  blass.  Die  Organe  der  Brost  und  des  Unterleibes  nicht  nach- 
weisbar verändert;  der  Harn  ohne  Ei  weiss  und  Zucker.  Nirgends  Zeichen  von 
Syphilis. 

Sein  Gang  ist  der  eines  rechtsseitig  Hemiplegischen,  ebenso  die  Haltung  seines 
rechten  Armes. 

Die  rechte  Pupille  ist  bei  mittelstarker  Beleuchtung  deutlich  weiter  als  die 
linke,  nicht  aber  bei  intensivem  Lichte.  Beide  Pupillen  reagiren  gegen  Licht  und 
Accommodation  in  normaler  Weise.  Dagegen  sind  die  Augenbewegnngen  abnorm. 
Schon  bei  der  Fixation  von  Gegenständen,  die  in  der  Mitte  des  Sehfeldes  des  Kranken 
liegen,  wie  z.  B.  das  Gesicht  des  Untersuchenden,  werden  die  Augen  hänfig  nicht 
ruhig  gehalten,  sondern  weichen  in  zuckender  Weise  bald  nach  den  Seiten,  bald  aber 
auch  etwas  nach  oben  und  unten  zu  ab.  Noch  mehr  treten  indessen  rhythmisch 
zuckende  Bewegungen  der  Bulbi  bei  dem  Blicke  beider  Augen  nach  links  zu  auf, 
und  zwar  in  sehr  ausgiebiger  und  rascher  Weise,  während  bei  den  Augenbewegungen 
nach  rechts  hin  die  einzelnen  Stösse  sich  viel  langsamer  folgen,  etwa  in  secunden- 
langen  Zwischenräumen,  aber  ebenfalls  sehr  ausgiebig  sind.' 

Bei  dem  Blicke  nach  oben  zu  ist  das  Zucken  viel  schwächer,  beim  Sehen  nach 
unten  nicht  bemerkbar.  Es  ist  also  ein  ausgeprägter  Nystagmus  vorhanden,  der 
während  der  Buhe  gar  nicht  oder  nur  schwach  bemerkbar  ist,  bei  angestrengter 
Fixation  aber  sehr  stark  wird.  Eine  Lähmung  der  Augenmuskeln  und  eine  Ein- 
schränkung des  Gesichtsfeldes  besteht  nicht;  ebenso  wenig  lässt  sich  eine  Abnahme 
der  Sehschärfe  oder  eine  Farbensinnstörung  nachweisen  (Dr.  Hlasko).  Der  von 
Herr  Collegen  Bashlmakk  aufgenommene  ophthahnoskopische  Befund  ergab  die  inneren 
Hälften  beider  Papillen  bedeutend  röther  als  die  äusseren  relativ  verbreiterten  Hälfton 
derselben.  Die  Netzhautarterien  sind  leicht  geschlängelt,  aber  nicht  verbreitert;  an 
einer  derselben  auf  einer  kurzen  Strecke  weisse  Berandungen. 

Die  Untersuchung  des  Olfactorius  und  des  Trigeminus  ergiebt  nichts  Abnormes. 

Die  Facialis musculatur  im  Allgemeinen  kräftig  und  überall  ohne  fibriUäre 
Zuckungen.  Doch  ist  die  mechanische  Erregbarkeit  des  linken  Orbicul.  oris 
inf.  entschieden  erhöht;  ausserdem  bekommt  man  durch  stärkere  Percufision  der 
unteren  Facialisäste  über  dem  Unterkiefer  Zuckungen  in  dem  unteren  Orbicularis 
oris  auf  der  betreffenden  Seite,  während  die  Percussion  der  übrigen  Facialisäste  ein 
negatives  Resultat  ergiebt.  Auch  die  faradische  Untersuchung  ergiebt  am  linken 
Orbicul.  oris  inf.  eine  Erhöhung  der  Erregbarkeit,  während  bei  galvanischer 
Beizung   die  ASZ=KSZ   ist,   ohne  trag  zu  sein,   und  ohne  deutliche  Erhöhung  der 


—    485    — 

Erregbarkeit  nachweisen  zu  lassen.  An  dem  rechtsseitigen  Orbicnlaris  oris  tritt  die 
E8Z  früher  als  die  ASZ  ein. 

Das  Ganmensegel  hebt  sich  bei  der  Intonation  von  a  beiderseits  gleich,  drückt 
aber  nicht  ansgiebig  nnd  kr&ftig  genug  mit  seiner  Wölbnng  gegen  die  Schlund- 
wand an. 

Aach  stärkere  Berührung  desselben  and  ebenso  Kitzeln  der  hinteren  Bachen- 
wand lüst  keine  Befl'eze  aas.  Eine  sonderbare  Differenz  zeigt  die  Untersuchung 
mit  den  beiden  elektrischen  Stromesarten.  Während  die  rechte  Gaumensegelhälfte 
bei  faradischer  Reizung  auch  yermittelst  eines  stärkeren  Stromes  nicht  reagirt,  wohl 
aber  die  linke  bei  entsprechendem  Elektrodenansatz,  löst  der  galvanische  Strom 
rechts  früher  kurze  KS-Znckangen  aus  als  links. 

Die  linke  Zungenhälfte  ist  ziemlich  stark  atrophisch.  Ihre  Oberfläche 
ist  unregelmässig  grabig  vertieft  und  lässt  unaufhörliche  starke  fibrilläre  Zuckungen 
wahrnehmen,  die  auf  der  glatten  rechten  Seite  nur  in  schwachem  Grade  ausgeprägt 
sind.  Beim  Vorstrecken  bleibt  die  kranke  Hälfte  zurück,  so  dass  die  Spitze  nach 
links  abweicht;  die  Mittellinie  der  Zunge  ist  dabei  stark  concav  gekrümmt  und  zwar 
mit  der  Convezit&t  nach  der  erkrankten  Seite  gerichtet.  Die  Einzelbewegungen  der 
Zunge  sind  ungestört,  ebenso  wie  die  Sprache,  welche  nur  wegen  des  mangelnden 
vollständigen  Abschlusses  der  Rachenhöhle  ein  näselndes  Timbre  erkennen  lässt,  aber 
sonst  vollständig  normal  ist  (kein  Scandiren  u.  dergl.).  Es  ist  somit,  da  auch  die 
Sensibilität  der  Zunge  keine  Abnormität  erkennen  lässt,  ganz  dasselbe  Bild  vorhanden, 
wie  es  Ebb^  vor  Kurzem  in  einer  Arbeit  über  einen  Fall  von  halbseitiger  atrojphischer 
Hypoglossuslähmung  beschrieben  hat 

Die  elektrische  Untersuchung  ergab  eine  deutliche  Erhöhung  der  directen 
faradischen  und  galvanischen  Erregbarkeit  der  kranken  Zungenhälfte  ohne  träge 
Zuckung  und  bei  normaler  Erregbarkeit  vom  Uypoglossus  aus. 

Der  Geschmack  zeigt  nirgends  Anomalien  (auch  nicht  bei  elektrischer  Prüfung). 

Der  Kinnreflex  nicht  gesteigert.  Bei  Reizung  der  Nasenschleimhaut  kein 
Niesreiz  oder  gar  Niesen.    Gehörfunction  normal. 

CncuUaris  und  Stemodeidomast.  beiderseits  intact;  Kehlkopffanctionen  normal. 

Die  Untersuchung  der  rechten  Extremitäten  ergiebt  eine  starke  Abnahme 
der  Kraft  im  M.  deltoid.,  biceps  und  triceps.  Der  Druck  der  Hand  von  minimaler 
Kraft;  die  Extension  der  Hand  und  Finger  gelingt  nicht  in  normaler  Ausgiebigkeit; 
ebenso  wenig  die  Spreizung  und  Adduction  der  Finger.  Die  Opposition  des  Daumens 
ist  dagegen  noch  ziemlich  ausgiebig,  aber  sehr  unkräftig.  —  Femer  stärkerer  Wider- 
stand bei  passiven  Bewegungen  in  den  einzelnen  Gelenken,  von  dem  sich  schwer 
sagen  lässt,  ob  nur  Steifheit  der  Gelenke  die  Ursache  bildet  oder  ob  auch  Muskel- 
rigidität daneben  vorhanden  ist. 

Am  rechten  Beine  ist  die  Cruralismusculatur  kräftig,  die  des  Ischiadicus 
schwach;  die  Peroneusmusculatur  fast  völlig  paralytisch. 

Die  tiefen  Reflexe  sind  ganz  erheblich  gesteigert:  (}nadricepszuckung  ist 
von  allen  Funkten  der  vorderen  Fläche  des  Unterschenkels  und  des  Innenrandes  des 
rechten  Fusses  auslösbar,  während  die  directe  Percussion  des  Muskels  nur  von  den 
untern  Abschnitten  desselben  aus  bei  massiger  Intensität  Zuckungen  erregt.  Starker 
Fussklonus.  Percussion  des  Aussenrandes  des  Fusses  erzeugt  langsame  Plantar- 
flexion der  drei  letzten  Zehen;  Beklopfang  der  Fusssohle  selbst:  Plantarflexion  der 
4  letzten  Zehen. 

Am  rechten  Arme  zeigt  sich  der  Supinatorreflex  schon  bei  leisester  Percussion 
des  unteren  Endes  des  Radius;  von  der  Tricepssehne  aus  neben  Tricepscontraction 
auch  Extension  der  Hand. 


*  Ebb,  Ein  seltener  Fall  von  atrophischer  Lähmung  des  N.  hypoglosBUs.    (Deutsches 
Aroh.  f.  klin.  Med.  1885.  S.  265  ff.) 

27* 


—    436     — 

Bei  ganz  schwacher  Percossion  des  Biceps,  Sapinator  longos,  Delioides  und  der 
Eztensoren  des  Vorderarmes  Znckungen  der  getroffenen  Mnskeln.  Dasselbe  Phänomen 
am  Pectorales  major  und  Infraspinatus,  nur  weniger  stark  ausgesprochen. 

Die  Bauchreflexe  fehlen;  Cremasterrefleze  beiderseits  gleich;  Plantarreflexe  links 
starker  als  rechts. 

Die  Sensibilität  (aller  Arten)  an  der  rechten  Körperhälfte  nicht  wesentlich 
alterirt;  am  rechten  Fasse  die  Berührungsempfindlichkeit  wegen  der  grösseren  Kälte 
desselben  weniger  präcis  als  rechts.    Keine  Farästhesien  mehr. 

Die  elektrische  Erregbarkeit  der  rechtsseitigen  Extremitätenmoskeln  nicht 
verändert,  trotzdem  dieselben  durchweg  eine  Abmagerung  gegenüber  der  linken 
Seite  zeigen,  die  besonders  deutlich  an  dem  ersten  Interosseus  der  rechten  Hand 
hervortritt,  welcher  auch  deswegen  öfters  besonders  untersucht  wurde.  Niemals 
zeigten  sich  aber  —  im  Gegensatze  zu  der  atrophischen  linken  Zungenhälfte  — 
fibrilläre  Zuckungen  in  diesen  Muskeln. 

Während  eines  Gwöchentlichen  Aufenthaltes  des  Kranken  in  der  Klinik  treten 
keine  wesentlichen  Aenderungen  des  Krankheitsbildes  ein;  nur  ergab  die  elektrische 
Untersuchung  der  Zunge  nach  dieser  Zeit,  dass  jetzt  die  faradische  Erregbarkeit 
auf  der  linken  Hälfte  herabgesetzt  ist  (im  Gegensatze  zu  früher),  und  dass  ausser- 
dem bei  etwas  stärkeren  galvanischen  Strömen,  die  auf  der  rechten  Seite  noch 
kurze  Zuckungen  hervorrufen,  deutliche  tonische  und  tetauische  Zusammenziehungen 
sowohl  bei  KS  als  bei  AS  entstehen,  ohne  dass  die  letztere  überwiegt.  Es  ist  also 
jetzt  eine  Entartungsreaction  der  kranken  Hälfte  vorhanden. 

Das  geschilderte  Erankheitsbild  ist  so  eigenthOmlicher  Art,  dass  es  sich 
ohne  anatomischen  Befund  nicht  leicht  deuten  lässt.  Die  Annahme  eines  nur 
peripheren  Leidens  ist  selbstverständlich  wegen  der  spastischen  Hemipl^e 
der  rechten  Extremitäten  anzulässig,  eine  Complication  mit  peripherer  Hypo- 
glossusläsion  indess  nicht  ohne  Weiteres  auszuschliesseu. 

Wie  nicht  weiter  ausgeführt  zu  werden  braucht,  liegt  weder  das  gewöhn- 
liche oder  ungewöhnliche  Bild  einer  motorischen  Tabes  (amyotrophischen  Lateral- 
sklerose und  Bulbärparalyse)  vor,  noch  ist  dasjenige  einer  multiplen  Sklerose 
in  einer  der  bekannten  klinischen  Erscheinungsformen  vorhanden.  6^n  die 
etwaige  Annahme  eines  im  Pens  oder  im  Bulbus  medullae  localisirten  Tumors 
irgend  welcher  Art  spricht  der  dauernde  Mangel  jedweden  Kopfwehs  oder 
Schwindelgefuhls. 

Jedenfalls  werden  wir  aber  das  Vorhandensein  einer  Degeneration  der 
linken  Pyramidenbahn  annehmen  müssen,  die  sich  in  dem  Pens  und  Oblon- 
gata-Theil  desselben  irgendwo  entwickelt  hat,  da  die  begleitende  Hypoglossus- 
und  Fadalisaffection  auf  Erkrankung  dieser  Himabschnitte  hinweisen.  Ob  aber 
diese  Degeneration  der  linken  Pyramide  die  an  ihr  vorbeiziehenden  Fasern  des 
linken  Hypoglossus  mit  betroffen  hat,  oder  ob  eine  ausgebreitete  fleckige  Sklerose, 
wie  sie  bei  Nystagmus  vorkommen  kann,  besonders  stark  den  Hypoglossuskem 
geschädigt  hat,  oder  ob  dieser  durch  einen  anderweitigen  degenerativen  Process 
nothgelitten  hat,  das  lässt  sich  nicht  bestimmen.  Selbst  die  Annahme;  dass  die 
schädigende  Ursache  der  Affection  einen  ausserhalb  der  Oblongata  gelegenen 
Theil  des  linken  Hypoglossus  in  einzelnen  Fasern  desselben  in  bestimmter  Aus- 
breitung betroffen  hätte,  lässt  sich  nicht  zurückweisen,  wenn  man  auch  gewiss 
mehr  geneigt  sein  wird,  die  Gesanmitläsion  von  der  sicher  vorhandenen  centralen 


—    4ST    — 

Affection  ans  zn  erklären,  wie  sie  sich  gewöhnlich  bei^  Hemiplegia  altemans 
findet  — 

Die  circnmscripte  nnd  nnr  dnrch  elektrische  üntersnchnng  festzustellende 
linksseitige  Affection  des  Mundfacialis  kann  ebenfalls  mit  Wahrscheinlichkeit 
durch  TJebergreifen  des  Processes  auf  einzehae  Fasern  oder  Ganglienzellen  des 
Facialis  erklärt  werden,  während  die  aufgehobene  Reflexerregbarkeit  des  Pharynx 
und  der  Nasenschleimhaut  bei  sonst  intactem  Trigeminus  wegen  unserer  TJn- 
bekanntschaft  mit  der  Lage  der  diesbezüghchen  Reflexbögen  verschiedene  Deu- 
tungen zulässt 

Für  die  Annahme  einer  chronischen  basilaren  Meningitis  mit  folgender 
Degeneration  der  linken  Pyramide  liegt  kein  Grund  vor;  ob  aber  der  supponirte 
degenerative  Process  in  der  Oblongata  sich  so  wie  bei  der  gewöhnlichen  mul- 
tiplen Sklerose  verhält,  muss  deswegen  fraglich  erscheinen,  weil  bei  dieser 
Krankheit  erhebliche  trophische  Störungen  der  Musculatur  selten  sind,  wenn 
sie  auch  vorkommen  können,  wie  das  z.  B.  ein  vor  Kurzem  aus  der  hiesigen 
medicinischen  Klinik  veröffentlichter  Fall  von  Dr.  Kboegeb^  lehrt 

In  Bezug  auf  die  Aetiologie  des  eigenthümlichen  Leidens  liess  sich  leider 
nichts  Bestimmtes  herausbringen.  Lrgend  eine  Infectionserkrankung  war  nicht 
vorausgegangen;  auch  Diphtherie  wurde  geleugnet;  Syphilis  liess  sich  nicht 
nachweisen.  Da  Putkah  (Boston  med.  Joumal,  referirt  nach  Sdmoidt's  Jahr- 
büchern 1888,  Heft  4)  angiebt,  bei  chronischen  Nervenkrankheiten,  besonders 
bei  der  multiplen  Sklerose,  häufig  Blei  im  Harne  der  Kranken  gefunden  zu 
haben,  so  wurde  eine  grosse  Quantität  dieser  Flüssigkeit  (6  Liter)  von  Herrn 
Apotheker  BoEKiNa  hierselbst  auf  meine  Bitte  darauf  untersucht,  aber  mit 
negativem  Resultate,  wie  es  bei  dem  von  jedem  bekannten  Bilde  der  Bleilähmung 
abweichenden  Krankheitsbilde  unseres  Kranken  auch  nicht  anders  zu  erwarten 
war.  Ebenso  wenig  war  Arsenik  vorhanden.  Die  Nahrungsweise  des  Kranken 
wich  von  derjenigen  seiner  nicht  erkrankten  Umgebung  nicht  wesentlich  ab,  so 
dass  auch  die  Annahme  des  Genusses  irgend  welcher  Nahrungsgifte  nicht  ge- 
macht werden  konnte. 

Schliesslich  noch  einige  Worte  über  den  Nystagmus.  Da  die  geschilderten 
rhythmischen  Zuckungen  nur  bei  der  Bewegung  und  Fixation  der  Augen  ein- 
treten, nicht  aber,  oder  nur  angedeutet,  während  der  vollständigen  Ruhe  der- 
selben, so  entspricht  dieser  Tremor  völlig  dem  Zittern  bei  activen  Bewegungen 
und  angestrengter  Thätigkeit  der  Extremitätenmuskeln,  wie  es  bei  der  Sklerose 
gewöhnlich  beobachtet  wird.  Wenn  solche  Sklerotiker  mit  ihrer  erkrankten  Hand 
einen  vorgehaltönen  Gegenstand  ergriffen  haben  und  festhalten,  so  dauert  das 
Zittern  gewöhnlich  fort,  gerade  so  wie  bei  unserem  Nystagmus  während  der 
Dauer  einer  länger  fortgesetzten  Fixation  das  Augenzucken  fortdauert  Man 
könnte  also  den  allgemein  gebrauchten  Ausdruck  des  „Intentionszittems'^  auf 
die  geschilderte  Form  des  Nystagmus  übertragen  und  von  Intentionsnystag- 
mus  sprechen,  trotzdem  genau  genommen  nicht  blos  bei  der  Intention  der  Be- 

'  Albx.  EboegeBi  Beiträge  zar  Pathologie  des  Rückenmarks.  Inaugoral-Dissertatioii 
Dorpat  1888. 


—    438    — 

wegougy  Vfie  das  Ghaboot  formnliit  hat,  sondern  auch  bei  der  Ausführung 
derselben  und  während  der  gewollten  dauernden  Gontraction  gewisser  Muskeln 
das  Zittern  sich  einstellt  Natürlich  soll  mit  diesem  Worte  ebenso  wenig  aus- 
gedrückt werden,  dass  es  sich  um  einen  willkürlich  hervorgerufenen  Nystagmus 
handelt,  der  nach  Bashlmakn^  in  sehr  seltenen  Fällen  ebenfalls  vorkommen 
kann,  me  etwa  der  Ausdruck  „Intentionszittem'^  dahin  aufgefasst  wird,  dass 
das  Zittern  selbst  in  der  Intention  des  Betreffenden  läge. 

Allerdings  waren  auch,  während  der  Kranke  beim  Sprechen  mit  seinem 
Gegenüber  ohne  besondere  Anstrengung  flxirte,  nicht  inuner  deutliche  rasche 
Zuckungen  der  Augen  vorhanden,  sondern  nur  eine  gewisse  Unruhe  der  Augen; 
ich  möchte  aber  dennoch  nicht  von  einem  sogenannten  „atactischen  Nystagmus'^ 
sprechen,  weil  beide  Augen  sich  stets  in  coordinirter  Weise  bewegten,  und  man 
doch  nur  bei  wirklicher  Störung  der  Goordination  von  echter  Ataxie  sprechen 
darf.  Auch  wurde  das  einzelne  Auge  rasch  und  prompt  zu  der  für  die  jeweilige 
Fixation  erforderlichen  Stellung  hinbewegt  und  erst  dann  durch  kräftige  Rucke 
wieder  in  eine  andere  Richtung  gestossen. 

(Sohloss  folgt) 


2.    Etwas  über  Schädel-Asymmetrie  und  Stimnaht. 

Von  M.  O.  Fraenkel  in  Dessau. 

Zugleich  mit  der  für  Psycho-Physiologie  und  Psychiatrie  wichtigen  Frage 
nach  dem  ungleichen  anatomischen  und  physiologischen  Yerhalten  der  beiden 
Himhälften  ist  auch  die  vor  längerer  Zeit  vielbesprochene  Frage  der  Schädel- 
symmetrie neuerlich  wieder  in  den  Vordergrund  getreten.  Die  Asymmetrie  des 
Eopfskelettes  gilt  nameutlich  der  jungem  italienischen  Schule  (cf.  Lombboso 
Tuomo  delinquente.  Deutsche  Ausgabe  S.  169)  als  eines  der  hervorragendsten 
Degenerationszeichen.  Insbesondere  handelt  es  sich  dabei  um  die  unter  dem 
Namen  Plagiokephalia  bekannte  Deformation,  wo  die  eine  Hälfte  vor  der  andern 
nach  vorn  hervorragt,  während  sie  gegen  die  andere  nach  hinten  verkürzt  er- 
scheint. —  um  die  Plagiokephalie  festzustellen,  hat  man  sich  verschiedener 
Methoden  bedient  Die  Einen  verliessen  sich  auf  den  blossen  Augenschein,  der 
allerdings  genügt,  wenn  sie  einigermaassen  stark  ausgesprochen  isi  Andere, 
wie  Lacassagne  und  Delaunat  benutzten  das  bekannte  Hutmachermaass, 
LA8:fi:ouE  maass  mit  Daumen  und  Mittelfinger,  Lebon,  Manouvbieb,  Palombi 
(und  Amadei?)  mit  besonders  construirten  Präcisionsinstrumenten.  —  Das  Er- 
gebniss  des  grössten  Theils  dieser  Arbeiten  war  indess  kein  anderes,  als  dass 
constant  die  beiden  Schädelhälften  ungleich  entwickelt  sind  und  zwar  eben  so 
oft  die  rechte  wie  die  linke. 

Nach  Manoüvbieb  kommt  die  Plagiokephalie  bei  Männern  zwar  häufiger 
als  bei  Weibern  vor,  jedoch  eben  so  wohl  bei  normalen  Individuen  wie  bei  Mikro- 


^  BABHLMAiiir,  üeber  den  Nystagmus.    Archiv  ftir  Ophthabaologie.  Bd.  XXIV. 


—    439    — 

kephalen,  Idioten  u.  s.  w.,  nach  Lombboso  dagegen  bei  Yerbrechern  in  noch 
einmal  so  grosser  Anzahl  als  bei  Normalen. 

Im  Hintergrunde  aller  dieser  Forschungen  steht  selbstverständlich  die  Frage 
nach  der  Ungleichheit  der  beiden  Himhälften,  der  Windungen  u.  s.  w.  und 
deren  Bedeutung  für  die  Localisation  der  Functionen,  unter  der  Voraussetzung, 
dass  die  Schädelkapsel,  wenn  auch  nicht  der  genaue  Abdruck  der  Himoberfläche, 
so  doch  der  ungefähre  Ausdruck  eines  mit  der  letztem  gleichzeitigen  Ent- 
wickelungsvorganges  sei.  Während  man  nun  früher  das  Ebenmaass  nicht  blos 
im  ästhetischen,  sondern  auch  im  anatomischen  Sinne  für  die  Grundbedingung 
des  normalen  Zustandes  hielt,  erklärte  Bbooa  die  Asymmetrie  der  Himhälften, 
namentlich  die  der  Windungen,  für  den  Vorzug  der  höher  entwickelten  Thiere 
und  Menschenrassen,  w(^egen  das  Hirn  der  Primaten,  der  Neger  und  Idioten 
mehr  und  mehr  zur  Symmetrie  hinneige. 

Die  daraus  gezogene  Folgerung,  dass  die  Schädelkapsel  dementsprechend 
symmetrisch  oder  asymmetrisch  sein  müsste,  würde  nicht  zutrefifen.  Denn  auch 
die  Thiere  von  niedererem  Entwickelungsgrade  zeigen  die  Asymmetrie  des 
Schädels,  me  sich  besonders  bei  Betrachtung  der  bei  Thieren  normal  erhaltenen 

Stirnnaht  herausstellt. 

• 

Zu  dieser  Untersuchung  wurde  ich  veranlasst,  als  W.  Sandeb  gelegentlich 
der  Demonstration  eines  metopischen  Schädels  gegen  Theod.  Simon  den  Beweis 
zu  führen  suchte,  dass  die  Abweichung  der  Stimnaht  nach  rechts  oder  links 
von  der  Pfeilnaht  nicht  als  Abnormität  der  Stimnaht,  sondern  als  abnormer 
Verlauf  der  erstem  zu  deuten  sei,  indem  dieselbe  nicht  die  wahre  Mitte  des 
Schädels  schneide  (vgl.  Archiv  f.  Psychiatrie  Bd.  VI,  H.  2,  S.  595).  —  Aus  der 
Schildemng  und  den  Abbildungen  bei  älteren  Anatomen  geht  nun  hervor,  dass 
sie  die  Pfeilnaht  als  die  directe  Fortsetzung  der  Stimnaht  ansehen.  Die  beiden 
Babthounus  (Thomas  und  Casper)  sagen:  Keilnaht  heisst  sie  darum,  weil  sie 
gtt^ewegs  oder  per  rectam  lineam,  instar  sagittae  projicitur  per  longitudinem 
capitis,  —  aliquando  per  coronalis  medium  pergit  usque  ad  nasum  (B. 
Anatomia,  Hagae  1655.  p.  484).  Hybtii  (Lehrbuch.  1855.  S.  207)  sagt  von  der 
Sutura  frontalis,  dass  sie  verücal  gegen  den  Marge  coronalis  aufsteigt  und  den 
Stimtheil  in  2  oongruente  Hälften  theilt 

Dagegen  heisst  es  in  Vibchow's  Abhandlung  zur  Pathologie  des  Schädels 
(Oes.  Abb.  1856.  S.  902):  „anderemal  sieht  man  Schief  köpfe  gebildet  von  der 
Art,  dass  das  Ereuz  an  der  Durchsetzungsstelle  der  Kranznaht  mit  der  Stim- 
Pfeünaht  ganz  verschoben  und  die  (erhaltene)  Stirn-  und  Pfeilnaht  nicht  mehr 
aufeinander  treffen.'^  —  S.  911,  Fig.  24,  ist  ein  weiblicher  plagiokephaler  Schädel 
abgebildet,  wo  bei  verstrichener  linker  Hälfte  der  Eranznaht  die  persistirende 
Stimnaht  direct  in  die  Pfeilnaht  einmündet;  dagegen  ein  makrokephaler  männ- 
licher Schädel  (S.  904),  wo  die  Pfeilnaht  nach  links  abspringt  und  in  Folge 
dessen  das  rechte  Scheitelbein  auf  Kosten  des  rechten  Stirnbeins  vergrössert  ist 

(Fig.  1). 

(Bei  dem  von  SA2n>BB  demonstrirten  ähnlichen  Schädel  liess  sich  durch 

Messung  von  den  Tuber.  pariet  aus  nachweisen,  dass  die  wirkliche  Mitte  der 


—    440    — 

Eranznaht  an  der  Einmündungsstelle  der  Stini-y  nicht  aber  an  der  der  Heil- 
naht  lag;  die  Scheitelbeine  mnssten  demnach  nngleich  sein.) 

Chalmettes  (Th^  1878)  meint,  es  komme  oft  vor,  dass  die  Stimnaht  in 
dem  Angenblicke,  wo  sie  die  Pfeilnaht  im  Bregma  erreichen  sollte,  einen  Haken 
macht  und  rechts  oder  links  von  diesem  Pnnkte  endet.  Bisweilen  läge  der 
Grand  der  Abweichung  in  der  Keilnaht,  alsdann  sei  der  Schädel  symmetrisch  (?), 
anderemale  in  der  ungleichen  Entwickelung  der  Stimhälften.  Letzteres  sei  oft 
der  Fall.  Bei  8  Papua's  habe  Begalia  die  Naht  immer  zur  rechten  gefunden 
und  sei  das  linke  Stirnbein  überwiegend  entwickelt  gewesen.  Ob  sonst  noch 
statistisches  Material  über  diesen  Gegenstand  sich  vorfindet,  ist  mir  unbekannt 

Die  Seltenheit  der  Abweichung  am  Menschenschädel  veranlasste  mich,  Thier- 
schädel,  bei  denen  die  Stimnaht  auch  im  erwachsenen  Zustande  fort  besteht, 
daraufhin  zu  untersuchen  und  seltsamer  Weise  fiel  mir  zu^^ 


fig.3. 


%.2. 


5***Ä(w^'?'''' 


1)  ein  Eaninchenschädel  in  die  Hand,  bei  welchem  die  seitliche  Ein- 
mündung der  Stimnaht  an  der  linken  Seite  der  Eranznaht  sehr  zierlich,  aber 
deutlich  zu  Gesicht  kam.  Das  rechte  Stirnbein  reicht  um  2  mm  höher  hinauf^ 
das  linke  steht  um  eben  so  viel  tiefer  und  zwar  nicht  blos  an  den  Scheitelbeinen, 
sondern  auch  an  der  Nasenwurzel.  Dagegen  erscheint  das  rechte  Scheitelbeia 
umfangreicher  und  flacher  als  das  linke,  überhaupt  die  rechte  Schadelhalfte 
etwas  flacher  (Fig.  2). 

2)  Am  Schädel  eines  jungen  Hundes,  dessen  Reisszahne  noch  nidit  zum 
Durchbrach  gekommen,  setzt  sich  die  Stimnaht  geradlinig  in  die  Ffeilnaht  fort, 
die  beiden  Enden  der  Eranznaht  aber  sind  durch  das  schräg  nach  links  an- 
steigende Ende  der  Stirnnaht  2  mm  weit  von  einander  getrennt,  das  linke  Stirn- 
bein ist  um  etwas  höher  als  das  rechte  und  beide  treffen  nidit  mit  einander 
zusammen;  das  rechte  Scheitelbein  bildet  eine  schräg  nach  links  absteigende 


—    441     — 

Sobneppe.  Also  aach  hier  Asymmetrie  durch  Yersohiebmig  in  der  Längsrichtung. 
Im  XJebrigen  ist  der  Schädel,  mit  Ausnahme  einer  theilweisen  Verschmelzung 
der  linken  Eranznaht,  regelmässig. 

8)  An  einem  zweiten  altern  Hundeschädel  meines  Besitzes  ist  die  Asym- 
metrie weniger  deutlich;  die  Stimnaht  mündet  zwar  in  die  linke  Hälfte  der 
Ereuznaht,  und  die  Pfeilnaht  in  die  etwas  höher  liegende  rechte  Hälfte,  die 
Entfernung  zwischen  beiden  ist  jedoch  fast  verschwindend.  Dagegen  ist  die 
Pfeilnaht  selbst  nach  links  gebogen  und  das  linke  Scheitelbein  merUidi  schmäler 
als  das  rechte.  Zwischen  Ffeilnaht  und  Spitze  der  Lambda  befindet  sich  über- 
dies ein  linsengrosser  Worm'scher  Knochen. 

4)  und  5)  An  2  Fuchsschädeln,  bei  denen  die  Stimnaht  direct  in  die  Pfeil- 
naht übergeht,  ist  die  Verschiedenheit  der  beiden  Stimhälften  schwer  zu  erkennen; 
bei  näherem  Zusehen  findet  man  jedoch  bei  1.,  dass  die  obere  Spitze  des  linken 
Nasenbeins  etwas  früher  in  die  Stirnnaht  einläuft,  als  die  des  rechten,  demgemäss 
auch  das  obere,  zudem  schmälere,  Ende  des  linken  Stirnbeins  tiefer  stehen  muss. 
Bei  2.  ist  es  umgekehrt  die  rechte  Hälfte  der  Eranznaht,  die  um  ca.  V2  ^^ 
tiefer  steht  und  ebenso  die  rechte  Hälfte  der  Pfeilnaht  an  der  Spitze  der  Lambda- 
Naht  Bei  2  (einem  älteren  Exemplar)  ist,  nebenbei  gesagt,  der  Eanmi  der 
Pfeilnaht  schmäler,  die  Zähne  weniger  entwickelt  und  trotz  dessen  scheinen  die 
Scheitelbeine  nach  aussen  breiter  entwickelt  und  der  Schädel  kürzer  zu  sein, 
als  bei  1,  —  entgegen  dem  VmcHow'schen  Gesetz,  wonach  bei  gänzlicher  oder 
theilweiser  Synostose  der  querverengte  Schädel  sich  verlängert  und  dolichokephal 
wird  (1.  c.  S.  899).  Allerdings  ist  die  Längsnaht  dieses  Schädels  nicht  als  ver- 
strichen anzunehmen.  —  Auch  an  der  Basis  des  Schädels  2  liegen  die  Nähte 
nicht  in  derselben  Ebene.  Die  Spitze  des  rechten  Litermaxillarbeines  reicht 
weniger  nach  hinten  als  die  des  linken,  ebenso  der  rechte  Bogen  der  Gaumen- 
naht und  die  Spina  des  rechten  Gaumenbeines.  (Bei  Fuchs  1  ist  dieses  Ver- 
hältniss  verdeckt  durch  einen  haferkomähnlichen,  zwischen  dem  Intermaxillar- 
bein  und  Gaumendach  liegenden  Worm'schen  Knochen.) 

An  Thierschädeln  von  grösseren  Dimensionen  sind  die  Verschiebungen  der 
beiden  Naht-Hälften  selbstverständlich  noch  deutlicher  zu  erkennen.  Ich  habe 
deren  in  Menge  in  der  zoologischen  Abtheilung  des  Jardin  des  Plantes  zu  Paris 
zu  beobachten  Gelegenheit  gehabt  Und  zwar  nicht  blos  an  Thieren  lebender 
Rassen,  sondern  auch  an  ausgestorbenen.  Zunächst  fand  ich  an  einer  mir  ge- 
hörigen Sammlung  von  Schädeln  des  Trematosaurus  und  Gapitosaurus,  aus  dem 
Bemburger  bunten  Sandstein,  dieselbe  Erscheinung.  Leider  kann  ich  dieselbe 
nicht  mehr  in  natura  vorlegen.  Dagegen  sprechen  die  in  Bübmbistsb's  (Tre- 
matosaurus) und  Hebh.  y.  Meybb's  Werken  befindlichen  getreuen  Abbildungen 
so  überzeugend  für  die  Verschiebung  der  gleichnamigen  Schädelknochen,  dass  es 
kaum  einer  weiteren  Erklärung  bedarf. 

Auf  y.  Meyeb's  Taf.  XXVII  (Paläontologie)  stossen  die  Queniähte  des 
Zwischenkiefers  und  die  der  Nasenbeine  zwar  regelrecht  aneinander,  dagegen  ist 
die  gezackte  Eranznaht  um  3  mm  unterbrochen  und  erreicht  das  linke  Stirn- 
bein die  letztere  gar  nichts  sondern  liegt  mit  seinem  hintern  Ende  zwischen 


—    442    — 

dem  rechten  Stirn-  and  dem  linken  Scheitelbeine,  das  längere  rechte  Stirnbein 
endet  allein  mit  seiner  Spitze  in  die  KeilnahL 

Auf  Busmeisteb's  Taf.  1  (Labyrinthodonten),  ist  das  Umgekehrte  der 
Fall  Hier  erreicht  nor  die  Spitze  des  linken  Stirnbeines  die  Pfeilnaht  nnd  das 
rechte  liegt  abseits  von  der  Mittellinie.  Auch  vom  stossen  weder  die  Stirnbeine 
mit  den  Nasen-,  noch  letztere  mit  den  Zwischenkieferbeinen  in  einer  Querlinie 
zusammen  (Fig.  3). 

Die  Asymmetrie  der  beiden  Schadelhälften  ist  also  unverkennbar. 

Die  letztgenannten  Fälle  bieten  zugleich  ein  Analogen  for  die  bald  nach 
links  abweichende  persistirende  Stirnnaht  am  Menschenschädel  und  auch  wohl 
für  Sanpeb's  Ansicht,  dass  nicht  die  Stimnaht,  sondern  die  Eranznaht  ungleich 
verlaufe. 

Indess  nicht  aUein  im  Thierreich,  auch  bei  den  Pflanzen  und  namenüidi 
an  den  Blättern  lässt  sich  die  grossere  oder  geringere  Ungleichheit  der  beiden 
seitlichen  Hälften  nachweisen,  wenn  man  die  vom  Stiel  bis  zur  Spitze  des  Blattes 
laufende  Mittelrippe  zum  Maassstab  annimmt  Gleichwohl  habe  ich  in  den  mir 
zu  Gebote  stehenden  botanischen  Hälfemitteln  diese  Asymmetrie  nirgend  erwähnt 
gefunden.  Bestätigt  sich  aber  diese  Beobachtung  auch  far  die  Yegetabüien,  so 
wäre  daraus  zu  schliessen,  dass  die  Asymmetrie  die  für  die  ganze  organische 
Welt  geltende  Begel  und  die  sonst  behauptete  Symmetrie  die  Ausnahme  bilde. 

Wenn  nun  die  italiemsche  Schule  die  Asymmetrie  des  Verbrecher-Schädels 
als  Abnormität  und  Degenerationszeichen  betrachtet,  so  lässt  sich  dieser  Gesichts- 
punkt nicht  anders  als  dadurch  erklären,  dass  ein  im  Uebermaass  stattfindender 
Bildungstrieb  die  gewöhnlichen  Grenzen  überschreitet 

Auch  die  etwaige  Folgerung  aus  dem  obenerwähnten  BnooA'schen  Satze, 
dass  die  symmetrische  Schädel-Entwickelung  mit  der  Synmietrie  des  GFehims 
bei  niederen  Thierrassen  sich  decke,  ist  demnach  nicht  zutreffend. 

Vielmehr  dürfte  man  daraus  den  Schluss  ziehen,  dass  bei  ihnen,  wie  aus 
dem  Beispiel  der  Labyrinthodonten  besonders  hervorgeht,  Hirn  und  Schädel 
nicht  denselben  Entwiokelungsgang  durchmachen. 


n.  Referate. 


Anatomie. 

1)  liebet  die  Entwiokelung  der  Substantto  gelatinosa  Bolandi  beim 
IBLaninohen,  von  H.  K.  Corning.  (Archiv  für  mikroskopische  Anatomie.  1888. 
Bd.  XXXI.) 

Drei  Fragen  legt  sich  Verf.  zur  Beantwortung  vor: 

1.  Aus  welchen  Theilen  des  ursprünglich  einheitlichen  Bückenmarkskanals  entsteht 
die  Formatio  gelatinosa  Bolandi,  oder  hat  die  His*sche  Anschauung,  dass  ihre 
Elemente  ans  eingewanderten  Zellen  entstehen,  eine  Berechtigang? 

2.  Wie  frühe  lässt  sich  eine  Differenzirung  der  zur  Snbstanüa  gelatinosa  sich  um- 
bildenden Elemente  erkennen? 


—    448    — 

3.  Bieten  die  entwickelnngsgeschichtlichen  Vorgänge  irgend  eine  Erkl&rnng  fOr  die 
so  eigenthümliche  nnd  von  der  Übrigen  grauen  Substanz  abweichende  Structur 
der  Substantia  gelatinosa? 

Verarbeitet  wurden  besonders  Embryonen  von  Kaninchen,  jedoch  auch  solche  von 
Mäusen,  Schweinen,  Ratten,  Meerschweinchen.  Die  Resultate,  zu  denen  Verf.  kam, 
waren: 

ad  1  und  2.  Der  hintere  Abschnitt  der  grauen  Substanz  entwickelt  sich  bei 
Kaninchen  am  12. — 13.  Tage.  Die  Innenplatte  zeigt  in  ihrer  dorsalen  Hälfte  eine 
Zellenwucherung,  welche  die  erste  Anlage  der  Substantia  gelatinosa  Rolandi  in  sich 
schliesst  Diese  Zellen  verDeren  viel  später  —  etwa  vom  18.  Tage  an  —  ihren 
frflh-embrjonalen  Typus,  als  die  übrigen  Zellen  der  grauen  Substanz.  Während  der 
Centralkanal  in  seinem  hintersten  Abschnitt  sich  verschliesst,  trennt  sich  die  Subst. 
gelatinosa  Rolandi  von  ihrem  Mutterboden.  Später  entwickelt  sich  noch  die  Zwischen- 
substanz. 

Die  His*sche  Anschauung,  nach  welcher  sich  die  gelati])6se  Substanz  in  der 
primären  weissen  entwickeln  würde,  hat  keine  Berechtigung,  weil  die  Formatio  Ro- 
landi Zellen  enthält,  welche  mit  anderen  Nervenzellen  auf  einer  Stufe  stehen  und 
für  welche  Verf.  den  Zellenbelag  des  Centralkanals  als  Ursprung  in  Anspruch  nimmt 

ad  3.  Die  Subsi  gelat.  Bol.  ist  ein  Gebilde,  welches  beim  Erwachsenen  noch 
an  embryonale  Zustände  erinnert. 

Die  interessante  und  ausführliche  Arbeit  ist  im  Laboratorium  von  H.  Virohow 
gefertigt.  P.  KrontbaL 

2)  Flnt  dorsal  InterroBsetis  musole  supplied  by  the  Median  nerve,   von 

Brocks.    (The  British  med.  Joum.  1888.  Febr.  11.  p.  302.) 

B.  berichtet  in  der  anatomisch-physiologischen  Gesellschaft  über  eine,  nach  ihm 
Mher  noch  nicht  beobachtete  Variation  im  Verlaufe  des  N.  medianus  in  der  Hand. 
Der  Zweig  desselben  zum  ersten  M  lumbricalis  war  ungewöhnlich  breit,  durchbohrte 
denselben  und  bildete  mit  einem  Zweige  von  demjenigen  Aste  des  N.  medianus,  welcher 
sich  zur  Innervation  der  anstossenden  Ränder  des  Zeige-  und  Mittelfingers  theilti 
einen  Bogen.  Der  letztgenannte  Zweig  (Ram.  anter.)  hatte  keine  Verbindung  mit 
dem  zweiten  M.  lumbricaUs.  Der  so  gebildete  Bogen  lag  unter  dem  Elezor  digiti 
indicis  und  gab  hier  zwei  Zweige  ab,  einen  zur  Articul.  metacarpo-phalang.  des  Zeige- 
fingers und  einen  zweiten  stärkeren  zum  ersten  M.  interosseus  dors.  Der  Nerv  ver- 
theüte  sich  in  diesen  Muskel  bis  zu  Ende.  Der  Nachbartheil  des  Muskels  wurde 
von  dem  normalen  Zweig  der  tiefen  Falmartheilung  des  Ulnaris  innervirt.  Der  Ulnar- 
zweig  communidrte  im  Muskel  mittelst  2  oder  8  sehr  feinen  Anastomosen  mit  dem 
aussergewOhnlichen  Zweig  des  Medianus.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


Experimentelle  Physiologie. 

8)  Ueber  TasodilatatoriBOhe  Oentren  im  Büokenmarke,  von  Dr.  A.  E.  Kager 
aus  New  Tork  und  Dr.  J.  Fal  in  Wien.  Aus  dem  Institute  für  allgemeine  und 
ezper.  Fathologie  der  Wiener  Universität  (Med.  Jahrbücher.   Neue  Folge.  1888.) 

Einleitend  stellen  Verff.  die  bis  jetzt  auf  diesem  Gebiete  erschienenen  Arbeiten 
zusammen.  Sie  selbst  sahen  bei  curarisirten  oder  chloroformirten  Thieren  nach  Durch- 
schneidung der  Medulla  und  directer  Reizung  des  Rückenmarks  mit  schwachen 
Strömen  kerne  Depression,  hingegen  war  sie  fast  stets  vorhanden  bei  reflectorischer 
Beizung  sowohl  vom  Ischiadicus  als  auch  vom  Flexus  brachialis  aus.  Verfasser  ver- 
suchten nun  Verlauf  und  Ursprung  der  betreffenden  Bahnen  zu  eruiren.  Nach  Laffont 
war  zu  erwarteui   dass  die  Vasodilatation  auf  dem  Wege  der  Splanchnid  zu  Stande 


—    444     — 

käme.  Durchschneidung  derselben  widerlegte  diese  Annahme;  hingegen  hob  Dnrch- 
trennnng  des  untersten  Brost-  oder  des  Lendenmarks  den  Effect  anf.  Also  müssen 
die  depressorischen  Nerven  das  Rückenmark  in  der  Lendengegend  verlassen.  Dorch- 
schneidnng  der  Ischiadici,  Sapheni,  Crurales,  Plexus  brachiales  zeigte,  dass  der  Efltect 
fortbestand.  Dies  beweist,  dass  die  centrifngalen  Nerven,  welche  die  Depression  be- 
wirken, keine  Extremitäten-  sondern  Baacheingeweidenerven  sind.  Das  über  die  be- 
treffenden Yersnche  beigefügte  Protokoll  belegt  die  gefondenen  Thatsachen. 

P.  Kronthal. 

4)  Ueber  die  Innervation  der  Leber,  von  Dr.  J.  Pal,  Secundararzt  am  allgem. 
Krankenhause  und  pr.  Assist,  am  Institute  für  allgem.  u.  exp.  Pathologie  d.  Wr. 
Universität.    (Medicin.  Jahrbücher.    Neue  Folge.    1888.) 

Ein  sicherer  Beweis  für  die  Existenz  yascHnotorischer  Lebemerren  war  bisher, 
trotz  zahlreicher  Arbeiten  (A.  Bemard,  Eckhard,  Pavy,  Schiff,  Cyon,  Adalofi^  Budge, 
Ynlpian)  nicht  erbracht  Verf.  ordnete  die  Versuche  folgendennassen  an:  Zuerst  wur- 
den sämmtliche  Zuflüsse  zur  Leber  abgesperrt,  weil  durch  Beizung  der  Splanchnici 
Milz  und  Nieren  sich  contrahiren  und  so  ihr  Blut  auspressen.  P.  unterband  deshalb 
die  Aorta  thoracica  und  die  Cava  unterhalb  der  Leber.  Kymogpraphische  Messungen 
des  Blutdrucks  zeigten,  dass  die  Leber  während  der  Splanchnicus-Beizung  Blut  aus- 
pressi  Um  diese  Beobachtung  sicher  zu  stellen,  wurden  noch  Messungen  der  ans 
der  Lebervene  fliessenden  Blutungen  angestellt.  Dieselben  ergaben,  dass  während 
der  Beizung  der  Splanchnici  bei  Absperrang  aller  Zuflüsse  zur  Leber  eine  Vermeh- 
rung des  Ausflusses  aus  der  Lebervene  stattfindet.  Die  Vermehrung  tritt  erst  nach 
einer  Latenz  von  5 — 10  See.  ein.  —  Zum  Schluss  seiner  Arbeit  wirft  Verf.  noch 
die  Frage  auf,  ob  die  im  Splanchnicus  für  die  Leber  verlaufenden  Fasern  eigentliche 
Gefässnerven  oder  Drüsennerven  im  Sinne  von  Stricker  und  Spina  seien.  Letztere  An- 
nahme hat,  da  die  Thatsache,  dass  die  Leberzellen  eines  Volumenwechsels  fähig  sind, 
feststeht,  einige  Wahrscheinlichkeit  für  sich.  P.  Kronthal. 


6)   Du  noyau  d'origine,   dans  le  bulbe  raohidien,  des  flbres  motrioes  on 
oftrdiaques   du  nerf  pnenmogastrique,   ou  noyau  oardiaqne,  par  J.-V. 

Laborde.    (Arch.  de  Physiol.  norm,  et  path.  XX.  Nr.  4.) 

Die  Piqüre  des  sog.  Noeud  vital  hebt  die  Athmung  auf,  stört  aber  die  Hen- 
thätigkeit  nicht;  L.  hat  experimentell  eine  Stelle  zu  finden  gesucht,  deren  Zerstörung 
die  Herzthätigkeit  bei  fortbestehender  Athmung  aufhebt.  Als  Versuchsthiere  dienten 
vorzugsweise  Katzen,  die  Herzcontractionen  wurden  graphisch  dargestellt  Piqüre  an 
einer  bestimmten  Stelle  in  den  SeitentheUen  des  hinteren  Drittels  der  Bautengrube 
bewirkte  in  der  That  Herzstillstand  ohne  Athemstillstand.  Da  auch  bei  Chloroform- 
und  Ghloralanästhesie  und  auch  nach  Abtragung  des  ganzen  Grosshims,  femer  nach 
Exstirpation  des  Gkmgl.  cervicale  inf.  und  nach  totaler  Bückenmarksdurchschneidung 
unterhalb  der  Oblongata  dieser  Herzstillstand  durch  die  Piqüre  der  Stelle  zu  erhalten 
war,  ist  der  Gedanke  an  einen  reflectorischen  HerzstilLitand  in  Folge  von  Reizung 
benachbarter  sensibler  Bahnen  (radix  descend.  Quinti)  auszuschlieesen.  Die  ein- 
seitige Piqüre  genügt,  den  Herzstillstand  herbeizufOhren.  Wird  die  Stelle  nicht 
mittelst  Piqüre  gereizt,  sondern  zerstört,  so  tritt  Beschleunigung  der  Herzth&tig- 
keit  ein.  Mittelst  Hämodynamometers  ergab  sich,  dass  der  Blutdruck  in  der  Carotis 
nach  der  Piqüre  sinkt.  Der  Herzstillstand  selbst  ist  ein  diastolischer.  Der  Nudens 
cardiacus,  wie  L.  die  bez.  Stelle  bezeichnet,  entspricht  nach  der  Abbildung  des  Verf. 
dem  „vorderen  Vaguskem"  (N.  ambiguus  s.  lateralis  mediuiB)  und  auch  dem  NucL 
lat.  ant.  und  post.  Jedenfalls  handelt  es  sich  nach  L.  ausschliesslich  um  Vagus - 
Fasern.  Th.  Ziehen. 


—    445    — 

Psychiatrie. 

e)  Eiii  Fall  von  oironlfirem  Irreseln  mit  Ausgang  In  Oenesung,  von  Frau 
Borosdina-Bosenstein.  (Wjestnik  psychiathi  1  nevropatologii.  1888.  V.  2. 
Bussisch.) 

Die  Beobachtimg  der  Verfasserin  betrifft  ein  32jähriges  Mädchen«  welches  sich 
dnrch  Stundengeben  ernährte  und  selbst  mit  grossem  Eifer  Naturwissenschaften 
studirte.  In  der  Familie  der  Patientin  war  l^eine  erbliche  neuropathische  Belastung 
nachweisbar.  Sie  hatte  viel  mit  Entbehrungen  und  Unannehmlichkeiten  verschiedener 
Art  zu  kämpfen«  und  ihre  allgemeine  Ernährung  war  sowohl  dadurch,  als  durch 
angestrengte  Geistesarbeit  sehr  geschwächt.  Anfangs  Februar  1886  begann  an  ihr 
eine  tiefe  Verstimmung  bemerkbar  zu  werden«  sie  trug  sich  mit  Todesgedanken  und 
machte  am  19.  Februar  einen  Selbstmordversuch,  indem  sie  sich  am  Ellenbogen  eine 
Schnittwunde  beibrachte«  die  jedoch  ungefährlich  war  und  bald  verheilte.  Einige 
Tage  darauf  begann  die  GemCithsverstimmung  zu  schwinden«  und  ziemlich  schndl 
entwickelte  sich  aus  ihr  eine  maniakalische  Exaltation  mit  Bewegungsdrang«  zu- 
sammenhanglosem Geschwätz«  gehobnem  Selbstgefühl  mit  erotischem  Anstrich.  Gegen 
Ende  März  hatte  dieser  Zustand  seinen  Höhepunkt  erreicht  und  schlug  ^ann  wieder 
im  Laufe  mehrerer  Tage  in  tiefe  Melancholie  mit  Selbstmordgedanken  um.  Seit  dem 
Anfang  der  maniakaliBchen  Exaltation  wurde  Patientin  in  eine  Irrenanstalt  gebracht 
und  vom  26.  Juli  1886  bis  Ende  Mai  1887  stand  sie  in  Beobachtung  der  Verfasserin. 
Der  weitere  Krankheitsverlauf  bestand  ebenfalls  in  mit  einander  abwechselnden  mania- 
kalischen  und  melancholischen  Zuständen«  die  jedesmal  ziemlich  unmittelbar  auf  ein- 
ander folgten  und  sich  in  typischer  Weise  ähnlich  waren,  abgesehen  von  der  Dauer 
der  einzelnen  Perioden«  welche  anfänglich  grösser  war.  Im  Ganzen  wurden  11  aus 
melancholischem  und  maniakalischem  Stadium  bestehende  Cyclen  beobachtet.  Der 
letzte  maniakalische  Paroxysmus  hatte  in  der  zweiten  Hälfte  des  Decembers  1886 
stattgefunden;  ihm  folgte  nicht  mphr  eine  melancholische  Periode«  sondern  nach  einem 
kurzen  Depressionsstadium«  welches  mehrere  Tage  währte«  stellte  sich  völlige  Gene- 
sung ein.  Das  Körpergewicht«  welches  bei  der  Aufnahme  95  Pfund  betragen  hatte« 
war  allmählich  gestiegen  und  hatte  zum  Beginn  der  Genesung  108  Pfund  erreicht 
Patientin  verblieb  noch  bis  Ende  Mai  in  der  Anstalt«  ohne  dass  weitere  psychische 
Störungen  eingetreten  waren«  und  wurde  mit  einem  Körpergewicht  von  130  Pfund 
als  geheilt  entlassen.  P.  Rosenbach. 


7)  Sitofobla  da  megalopsia  In  allenato  affetto  da  siflUde  oonstittudonale. 

Communicazione  letta  al  congresso  di  Pavia  nel  settembre  1887  pelDoti  Prigerio. 
(Archiv,  italian.  per  le  malat.  nervös,  ecc.  1888.  XXV.  p.  98.) 

Sehr  hartnäckige  Nahrungsverweigerung  eines  Paranoikers  auf  Grund  eigen« 
th&mlicher  Gesichtsillusionen:  er  sah  alle  ihm  vorgelegten  Nahrungsmittel  in  einem 
ausserordentlich  vergrösserten  Maassstabe  und  obschon  er  ganz  willig  immer  von 
Neuem  den  Versuch  zu  essen  unternahm«  musste  er  beim  Anblick  der  unförmlichen 
vor  ihm  aufgehäuften  Speisemassen  beängstigt  davor  zurückweichen. 

Antiluetische  Behandlung  blieb  dieser  Erscheinung  gegenüber  ohne  Wirkung, 
obschon  die  anderen  Symptome  wesentlich  gebessert  wurden;  auch  Accommodations- 
ansschaltung  durch  Atropin  blieb  erfolglos.  Ophthalmoskopisch  war  bleifarbene  Trü- 
boDg  der  Betina,  sowie  vermehrte  Füllung  und  Varicosität  der  Venen  naehweisbar, 
die  als  Zeichen  luetischer  Beünitis  aufgefasst  wurden.  Sommer. 


8)   Oontributlon  &  l'ätude  de  I'ötat  mental   des  hiröditaires  diginiriB^ 
O.  Bailei    (Arch.  gfo^r.  de  mäd.   1888.  März-April) 


—    446    — 

B.  theilt  einige  interessante  Krankengeschichten  mit  als  Beleg  für  das  Vor- 
kommen einiger  psychischer  Degenerationszeichen  bei  jenen  Individuen,  die  dauernd 
psychisch  abnorm,  aber  nicht  eigentlich  geisteskrank  sind  (fons  lucides,  Tr^t). 

Der  erste  Fall  ist  ein  typisches  Beispiel  conträrer  Sexaalempfindung.  Die  erb- 
liche Belastung,  der  absonderliche  Charakter  (Furchtsamkeit,  Unentschlossenheit  etc.) 
und  zeitweilig  Anfälle  von  Grübelsucht  beweisen  dem  Verf.,  dass  es  sich  in  diesem 
wie  in  anderen  Fällen  nicht  um  eine  „monomanie",  sondern  um  ein  ,,syndrome  ^pi- 
sodique  de  la  folie  des  h^r^ditaires  d^g^n^r^s"  handelt. 

Fall  2.  Ein  37jähriger  Buchbinder  (convergente  erbliche  Belastung),  seit  dem 
15.  Jahre  an  Migräne  leidend,  beschränkter  Vielwisser,  litt  vor  4  Jahren  an  ein- 
bis  zweistündigen,  täglich  einmal  wiederkehrenden  Anfällen  von  Herzklopfen,  Athem- 
noth,  Hyperidrosis,  Aura-Sensationen  in  der  linken  Schulter,  Steifheit  und  Taubheit 
des  linken  Arms  ohne  Bewusstseinsverlust.  Nach  zeitweiliger  Besserung  stellte  sich 
beim  Lesen  wieder  ein  Anfall  ein  mit  Herzklopfen,  Angst,  Globusgefühl  und  mit 
Bewusstseinsverlust,  aber  ohne  Krampfbew^ungen.  Ein  solcher  Anfall  wiederholte 
sich  noch  einmal.  Alsdann  entwickelte  sich  eine  ziemlich  typische  Agoraphobie.  Aus 
Furcht  vor  neuen  Anfällen  unterliess  er  jedes  Lesen.  Sah  er  ein  Buch  oder  nament- 
lich ein  ihm  noch  neues  Wort,  so  überfiel  ihn  Angst  und  Herzklopfen  mit  Schweiss- 
ausbruch.  Einige  Monate  später  las  er  auf  einem  Placat  ein  Wort,  fühlte  sich  plötz- 
lich unbehaglich  und  musste  das  Wort  fortwährend  wiederholen  (Obsession  de  mot). 
Schliesslich  vergisst  er  dasselbe  trotz  des  Wiederholens  bis  auf  eine  Silbe.  Diese 
Silbe  scheint  ihm  zur  Kehle  und  zum  Gehirn  hinaufzusteigen;  er  stürzt  bewusstlos 
zusammen.  Keine  Krampfbewegungen,  kein  Einnässen.  Erst  am  folgenden  Tage 
erinnert  er  sich  der  dem  Anfall  voraufgegangenen  Dinge.  Nach  2  Monaten  wieder- 
holte sich  ein  ähnlicher  Anfall.  Es  folgen  Selbstmordversuche,  ein  leichter  Beein- 
trächtigungswahn entwickelt  sich.  Nach  einem  neuen  onomatomanischen  Anfall  stellte 
sich  eine  Parese  des  linken  Arms  und  Beins  ein.  Weiter  wird  eifie  Contractur  der 
rechten  Gesichtshälfte  constatirt,  linksseitige  absolute  Hemianästhesie.  Im  Niveau 
des  2.  Lendenwirbels  ein  hysterogener  Punkt.  Leseversuche  führen  zu  Bewusstseins- 
verlust. Unter  Application  eines  Magneten  zuerst  Transfert,  dann  fast  völlige  Wieder- 
herstellung der  Sensibilität.  Nur  das  Muskelgefühl  im  linken  Arm  bleibt  dauernd 
geschädigt.  Die  Intelligenz  und  das  Gedächtniss  haben  Einbusse  erlitten,  Patient 
ist  reizbar  und  empfindlich  geworden.  Auch  Anfälle  von  Zweifelsucht  und  Arithmo- 
manie  kommen  vor.  Sexuelle  Impotenz,  Schädel  missbildet.  Bei  Leseversuchen  stockt 
Pat.  plötzlich  an  irgend  einem  Wort  und  sagt,  seine  Zunge  versage  ihm  es  auszu- 
sprechen; in  anderen  Fällen  sieht  Pat.,  indem  er  über  das  Wort  hinweg  in  der  Zeile 
weiter  liest,  das  Wort  auf  der  Zeile  von  links  nach  rechts  vorschreiten.  Dabei  ver- 
dunkelt sich  das  Gesichtsfeld. 

B.  rechnet  den  Fall  zu  der  2.  Gruppe  der  Onomatomanien  nach  der  Eintheilung 
von  Charcot  und  Magna-n.  Den  Bewusstseinsverlt^st  am  Schluss  jeder  „crise  d'ono- 
matomanie''  betrachtet  B.  nicht  als  directe  Folge  der  letzteren,  sondern  als  eine  ach 
in  Folge  der  Angst  anschliessende  „crise  hyst^rique". 

Fall  3.  37jähr.  Mann,  erblich  belastet,  Syphilis,  sexuelle  und  Alkohol-Excesse 
in  den  Antecedentien.  Nach  einem  psychischen  Choc  Hyperacusis,  dann  Ohrensausen 
erst  links,  dann  auch  rechts,  schliesslich  auch  Hallucinationen  des  Gehörs.  Dieselben 
sind  durchaus  bilateral  und  bestehen  aus  kurzen  Sätzen  imperativen  oder  persecutiven 
Inhalts.  Während  der  hallucinatorischen  Anfälle  gehorcht  Pai  den  Stimmen,  ist  sich 
aber  stets  des  subjectiven  Ursprungs  der  Stimmen  völlig  bewusst  Zur  Zeit^  als  die 
Gehörstäuschungen  bereits  bestanden,  trat  eine  14tägige  Eiterung  aus  dem  rechten 
Ohr  auf.  Während  dieser  Zeit  blieben  die  Hallucinationen  aus,  nachher  kehrten  sie 
wieder.  Spätere  Ohrenuntersuchung  ergab  wesentlich  normalen  Befund.  Zeitweise 
hat  der  Pat.  auch  leichte  onomatomanische  Zustände. 

Ballet  nimmt  einen  krankhaften  Erregungszustand  im  Centrum  der  Wortschall- 


—    447    — 

bilder  fAr  diese  Stimmen  an,  ebenso  wie  er  die  Onomatomanie  als  einen  krankhaften 
Erregangsmstand  des  Centmms  der  Sprechbewegnngsyorstellnngen  ansieht  Bezüglich 
der  Aetiologie  der  Gehörshallucinationen  deducirt  B.,  dass  die  erbliche  Belastung  das 
einzig  fast  constant  nachweisbar  ätiologische  Moment  ist;  alle  anderen  ätiologischen 
Momente  sind  variabel.  Die  Otitis  des  obigen  Falles  kann  nach  dem  ganzen  Verlauf 
nicht  einmal  für  das  Sausen  und  die  Hyperacusis  yerantwortlich  gemacht  werden, 
auch  diese  sind  central.  Das  vorhandene  Erankheitsbewusstsein,  die  Beschränkung 
der  Hallucinationen  auf  das  GehOr  und  der  anfallsweise  Charakter  mit  luciden  Inter- 
vallen kennzeichnen  sie  als  Symptome  der  erblichen  Degeneration,  als  psychische 
Stigmata  hereditatis.  Th.  Ziehen. 

8)  Iie  panie  transitorie.  Pel  Prof.  S.  Venturi.  Studio  oritioo,  olinioo  e 
medioo  legale  ad  uso  dei  medioi  e  dei  giurisperlti.  Con  prefiasione 
del  Prof.  0.  Lombroso.     (Napoli  1888.    E.  Detken.    XII  und  94  Seiten.) 

Obschon  Lombroso  selbst  an  dem  epileptischen  Charakter  aller  Fälle  transi- 
torischer  Geistesstörung  festhält,  hat  er  doch  eine  empfehlende  Einleitung  zu  der 
verdienstvollen  Arbeit  Venturi*s  geschrieben,  der  seinerseits  für  die  klinische  Existenz 
eines  selbstständigen  transitorischen  Irreseins  eintritt.  Aus  der  gesammten  ihm 'zu- 
gänglichen Litteratur  hat  V.  56  Erankenbeobachtungen,  die  unter  jener  Diagnose 
veröffentlicht  worden  sind,  ausgewählt  und  kurz  reproducirt.  Doch  schaltet  er  von 
diesen  späterhin  wieder  24  aus,  da  sie  in  so  fem  nicht  reine  Fälle  darstellen,  als  die 
betroffenen  Patienten  schon  zu  irgend  welcher  Zeit  in  ihrem  früheren  Leben  einmal 
Zeichen  geistiger  Abnormität  dargeboten  Jiaben. 

Unter  den  verbleibenden  32  Fällen,  in  denen  also  der  transitorische  Anfall  aus- 
nahmslos das  einzige  Zeichen  psychischer  Alienation  gewesen  ist,  unterscheidet  Y. 
nun  6  klinische  Gruppen. 

Die  erste,  von  der  er  uns  ein  (und  ein  nicht  ganz  genügend  beobachtetes)  Bei- 
spiel, Nr.  XXy,  mittheilt,  bezeichnet  er  als  „Forma  passionale'';  sie  dürfte  dem  patho- 
logischen Zomaffect  auf  Grund  einer  unmittelbar  vorausgegangenen  Beleidigung  etc. 
und  mit  nachfolgendem  tiefen  Schlaf  und  mit  Amnesie  entsprechen. 

Von  der  zweiteh  Gruppe,  der  Forma  impulsiva,  hat  er  6  Fälle:  sie  kennzeichnen 
sich  durch  eine  einmalige  sinnlose,  gewöhnlich  sehr  gewaltthätige  Handlung,  der  sich 
unmittelbar  darauf  ein  einfaches  verwirrtes  Delirium  von  etwa  1  Stunde  Dauer  und 
ohne  weitere  Neigung  zu  impulsiven  Handlungen  anschliesst.  In  die  dritte  Gruppe, 
die  Forma  hallucinatoria,  verlegt  er  zwei  Fälle,  in  denen  einer  plötzlich  einsetzenden 
Oesichtshallucination  ein  verwirrtes  Delirium  folgt.  Die  4  FäUe  der  vierten  Form, 
der  F.  somnambulica,  entsprechen  unseren  Schlaftrunkenheitszuständen.  Die  2  Fälle 
der  Forma  melancholica  stammen  aus  Biffi's  Beobachtung  (Nr.  XXX Vm  u.  XXXIX) 
und  sind  wohl  charakterisirte  transitorische  Melancholien  mit  Angst. 

Die  maniakaUsche  Form  gelangt  am  häufigsten  zur  Beobachtung.  Aus  seinen 
17  Fällen  leitet  er  folgende  Einzelheiten  ab: 

Mittelbare  Prädisposition  war  7mal  vorhanden  und  zwar  durch  Erblichkeit  2mal, 
Nervosität  2mal  und  je  Imal  durch  Eummer,  Alkoholmissbrauch  und  Leidenschaft- 
lichkeit. Eine  unmittelbare  Veranlassung  lag  llmal  vor:  schwere  Sorgen  4mal, 
strahlende  Wärme  2mal,  und  je  Imal  zu  heisser  Aufenthalt,  Nachtwachen,  Excesse 
im  Essen,  in  Eaffee  und  in  Wein. 

Prodrome  waren  nur  2mal  vorhanden  und  bestanden  in  Eopf^chmerz  und  Druck. 

Die  Dauer  des  Anfalls  betrug  Imal  3,  Imal  4,  Imal  5,  4mal  6,  je  2mal  8, 
10  und  12,  und  je  Imal  13,  14,  15  und  24  Stunden. 

Die  pathologischen  Handlungen  während  des  AnfaUs  trugen  4mal  den  Charakter 
der  Mordsucht,  2mal  den  der  Selbstroordsucht,  7mal  den  der  Gewaltthätigkeit  gegen 
die  umgebenden  Personen  und  4mai  den  der  einfachen  Zerstörungssncht. 

Fester  Schlaf  beendete  in  allen  17  Fällen  die  psychische  Störung  und  ebenso 


—    448    — 

cosstant  war  nachher  vollständige  Amnesie  vorhanden.  Becidive  sind  nur  Smal  er- 
wähnt und  zwar  zweimal  innerhalb  24  Standen  und  Imal  erst  nach  vielen  Jahren. 
2mal  war  während  des  Anfalls  wahrscheinlich  passive  und  12mal  active  Congestion 
zum  Kopf  vorhanden. 

Die  maniakalische  Form  erscheint  nach  dieser  Symptomatologie  als  ein  wirklich 
selbstständig  existirendes  klinisches  Krankheitsbild.  Wie  es  sich  in  dieser  Hinsicht 
mit  den  anderen  Formen  verhält,  werden  erst  weitere  Beobachtungen  entscheiden 
können;  der  abschliessende  Schlaf  fehlte  hier  8mal  und  die  Amnesie  3mal  unter 
15  Fällen. 

Jedenfalls  ist  diese  Monographie  Venturi^s  eine  interessante  und  empfehlens- 
werthe  Arbeit. 

Man  kann  übrigens  mit  Sicherheit  annehmen,  dass  transitorische  Irreseinszustände 
weit  häufiger  sind,  als  man  der  immerhin  zienüich  spärlichen  Litteratur  gegenüber 
glauben  sollte.  Derartige  Patienten  kommen  in  die  Irrenanstalten  aus  leicht  erklär- 
lichen Gründen  nur  äusserst  selten,  während  man  sie  in  der  Privatpraxis  und  in 
Stadtasylen  (im  Sinne  Ghesinger^s)  häufiger  sehen  dürfte.  Die  melancholische  Form 
wird  sich  aber  auch  dann  in  den  meisten  Fällen  der  ärztlichen  Beobachtung  entziehen. 

Sommer. 

10)  Inversione  e  pervertimenti  dello  istinto  sessuale,  pel  dott.  G.  Gantarano. 
(La  Psichiatria.  1887.  V.  p.  195.) 

Mehrere  sehr  interessante  Beobachtungen  sexualer  Perversität^  von  denen  be- 
sonders der  erste  und  der  zweite,  der  ein  kaum  djähriges  Mädchen  betrifft,  be- 
merkenswerth  sind.  Zu  einem  Auszuge  eignen  sich  indess  die  Besobreibungen  nicht 
und  es  muss  daher  auf  das  Original  verwiesen  werden. 

Eine  Photographie  von  dem  Object  der  ersten  Beobachtung  ist  beigegeben. 

Sommer. 

11)  Nogle  Meddelelser  vedrörende  direkte  Arvelighed  af  Sindssygdomme, 

af  Thorvald  Eibe.     (Hosp.-Tidende.  1887.  3.  R,  V.  48.  49.  50.) 

Die  von  E.  für  seine  statistischen  Untersuchungen  benutzten  Fälle  von  directer 
Erblichkeit  stammen  aus  der  nordjütischen  Irrenanstalt  Aarhus  und  sind  nur  solche, 
in  denen  sowohl  die  Ascendenten,  als  auch  die  Descendenten  in  der  Anstalt  behandelt 
wurden.  Unter  den  von  1885 — 1887  behandelten  ca.  3500  Irren  befanden  sich  65, 
von  denen  Kinder  (62)  in  die  Anstalt  zur  Behandlung  kamen.  Die  Fälle  hat  £.  in 
folgende  Gruppen  eingetheilt:  A.  Familien,  in  denen  Ascendenten  erblich  disponirt 
waren  (a  in  direct  aufsteigender,  ß  in  nicht  direct  aufsteigender  Linie),  und  B.  Fa- 
milien, in  denen  die  Ascendenten  ohne  Disposition  waren. 

Das  Durchschnittsalter  bei  dem  ersten  Anfalle  war  insgesanunt  bei  den  Asoen- 
denten  38,69  J.,  bei  den  Descendenten  23,1  J.,  in  der  Gruppe  A.  36,23  (Ascen- 
denten) und  20,51  J.  (Descendenten);  in  der  Unterabtheilung  a  35,27  und  19,96, 
in  der  Abth.  ^  37,85  und  21,47  Jahre;  in  der  Gruppe  B.  43,00  und  28,48  Jahre. 
Die  disponirten  Ascendenten  wurden  im  Durchschnitt  6,77  J.  früher  befallen,  als  die 
nicht  direct  Disponirten.  Die  Descendenten  der  disponirten  Ascendenten  erkrankten 
7,97  J.  früher  als  die  der  nicht  disponirten,  die  Descendenten  der  direct  disponirten 
Ascendenten  1,5  J.  früher  als  die  andern. 

Je  grösser  die  Anzahl  der  geisteskranken  Generationen  war,  desto  früher  trat 
der  1.  Anfall  bei  den  Descendenten  auf,  bei  den  männlichen  Kranken  durchschnittlich 
früher  als  bei  den  weiblichen.  Bei  den  Descendenten  spielten  Pubertätspsychosen 
die  Hauptrolle,  die  Hälfte  erkrankte  bis  zum  Alter  von  20  Jahren,  ^/g  im  Alter  von 
20—30  Jahren. 

Von  den  Descendenten  wurden  71 7o  ^^^  29  ^/^  nach  dem  Ausbruche  der 
Geisteskrankheit  bei  dem  Ascendenten  geboren;   das  Durchschnittsalter  der  Ascen- 


—    449    — 

deDten  bei  der  Gebort  der  Descendenten  war  in  der  (xrappe  A.  33,7,  in  der  Gruppe  6. 
29,8  Jalire. 

Fflr  die  Feetstelliing  des  Verhältnisses  der  Form  und  des  Verlaufs  der  Psychosen 
bei  den  Ascendenten  und  den  Descendenten  konnten  Ton  den  72  Fällen  nur  48  ver- 
wttrthet  werden,  weil  die  Fälle  ausgeschlossen  werden  mussten,  bei  denen  die  Dis- 
position von  beiden  Eltern  zugleich  ererbt  war.  In  8  von  diesen  48  Fällen  war  die 
Form  der  Psychose  dieselbe  bei  dem  Ascendenten  und  Descendenten  (Melancholie, 
acute  Verwirrung  in  je  3  Fällen,  circuläre  Psychose,  Manie  in  je  1  Falle),  in  den 
übrigen  40  Fällen  war  sie  verschieden.  Im  Allgemeinen  ist  das  Krankheitsbild  bei 
den  Ascendenten  reiner  und  typischer  als  bei  den  Descendenten.  Besonders  bei  den 
Pubertätspsychosen  mit  raschem  Uebergange  in  Demenz  zeigt  es  sich,  dass  accumu- 
lative  Disposition  atypische  Formen  erzengt. 

Sowohl  von  den  Ascendenten  als  von  den  Descendenten  kommen  die  am  stärksten 
disponirten  am  leichtesten  über  den  ersten  Anfall  hinweg,  aber  bei  ihnen  sind  Bück- 
fälle häufiger.  Genesung  im  Allgemeinen  kommt  häufiger  vor  bei  den  Descendenten 
als  bei  den  Ascendenten;  dass  bei  letzteren  scheinbar  mehr  Rückfälle  vorkommen 
als  bei  den  ersteren  liegt  daran^  dass  die  Zeit  der  Beobachtung  des  Verlaufs  bei 
ersteren  länger  ist. 

Von  den  62  Descendenten  trat  bei  44  (71  ^/q)  der  1.  Anfall  zur  Zeit  der 
Pubertät  auf,  bei  31  (70  ^/q)  von  diesen  ging  er  in  Genesung  über  (Bückfälle  bei 
65  ^/q,  Ausgang  derselben  in  Genesung  in  65  ^/q),  bei  demjenigen  aber,  bei  denen 
der  1.  Anfall  nach  der  Pubertät  auftrat,  ging  er  nur  in  6  Fällen  (33  ^o)  ^  Heilung 
über  (4  Rückfälle,  davon  1  geheilt).  Bei  den  Pubertätspsychosen  giebt  wieder  die 
jüngste  Altersklasse  die  günstigsten  Resultate.  Zum  Theil  kommen  allerdings  diese 
günstigen  Heilungsverhältnisse  auf  Rechnung  des  ümstandes,  dass  bei  den  Descen- 
denten noch  ein  verhältnissmässig  grösserer  Theil  des  Verlaufs  in  der  Zukunft  liegt, 
aber  es  scheint  doch  festzustehen,  dass  das  Pubertätsalter,  besonders  das  frühere, 
gute  Aussichten  für  die  Heilung  bei  Disponirten  in  direct  aufsteigender  Linie  bietet. 
Die  Heilungsverhältnisse  sind  am  günstigsten  bei  denjenigen  Descendenten,  die  vor 
dem  Ausbruche  der  Psychose  bei  den  Ascendenten  geboren  wurden.  Heilung  trat 
ein  bei  59  ^/q  der  von-  der  Mutter  aus,  bei  43  ^/^  der  vom  Vater  aus  und  bei  28% 
der  von  beiden  Eltern  aus  disponirten. 

Auch  bei  den  Ascendenten  waren  die  Heilungsverhältnisse  am  günstigsten  bei 
den  Disponirten,  und  zwar  bei  den  am  stärksten  Disponirten;  günstiger  bei  Frauen 
als  bei  Männern.  Walter  Berger. 


Therapie. 

12)  Bulfönal,  ein  neues  Sehlafinittel,  von  Prof.  A.  Käst  in  Freiburg  i.  B.  (Berl. 
klin.  Woch.  1888.  Nr.  16.  8.  309.) 

Sulfonal,  eine  Verbindung  des  Aethylmercaptans  mit  Aceton,  von  Baumann 
Diäthylsulfondimethylmethan,  von  der  darstellenden  Firma  Bayer  mit  obigem  ein- 
fachen Namen  benannt,  wurde  von  Verf.  zuerst  an  Hunden  und  später  bei  gesunden 
and  kranken  Menschen  auf  seine  Wirkung  geprüft,  welche  dahin  zusammengefasst 
werden  kann:  Das  Sulfonal  ist  kein  Betäubungsmittel  wie  das  Chloral  und  das 
Opium,  es  äussert  durchaus  keine  schädlichen  Nebenwirkungen  auf  Herz-  und  Ge< 
fässsystem  (Verf.  hat  dies  durch  Experimente  an  Thieren  und  am  Menschen  erwiesen), 
sein  Gebrauch  hat  keine  üblen  Folgen,  wie  man  sie  mit  dem  Namen  „Katzenjammer" 
zusammenfassen  kann,  es  unterstützt  das  normale  Schlafbedflrfniss  und 
ruft  es  da,  wo  es  fehlt,  hervor.  In  Folge  dessen  wird  Sulfonal  (Dosis  1,0) 
Verwendung  finden  in  allen  Fällen  von  nervOser  Schlaflosigkeit,  wobei  als  be- 
merkenswerth  hervorgehoben  werden  muss,  dass  sich  die  Wirkung  des  Mittels  auch 


—    460    — 

bei  häufiger  Wiederholung  nicht  erschöpfen  solll  In  zweiter  Beihe  kommen  ZustSnde 
Yon  Schlaflosigkeit  in  Folge  von  organischen  Leiden  wie  Himkrankheiten  aller  Art, 
Herzfehlern,  Arteriosderose,  Phthisis  u.  s.  w.  in  Betracht.  Verf.  führt  eine  Beihe 
solcher  Fälle  an,  in  denen  Sulfonal  vortreffliche  Dienste  geleistet  hat. 

In   der  Gruppe   der  Disulfone  hat  das  Sulfonal  nach  des  Verf.  Untersuchongen 
allein  die  Berechtigung,  therapeutische  Verwendung  zu  finden.  Sperling. 


13)  lieber  die  Wirkung  des  Sulfonals,  von  Dr.  G.  Babbas.  Aus  der  psychia- 
trischen Klinik  zu  Marburg  i.  H..     (Berl.  klin.  Woch.  1888.  Nr.  17.  S.  330.) 

Die  Anwendung  des  Sulfonals  als  Schlafmittel  bei  Geisteskranken  hat  durchaus 
gute  Besultate  gehabt.  In  der  Dosis  von  2,0 — 3,0  wirkt  es  besser  als  Amylenhydrat 
und  Paraldehyd  in  grosseren  Dosen;  der  durch  Chloralhydrat,  freilich  schon  nach 
kürzerer  Zeit  eintretende  Schlaf  (durch  Sulfonal  nach  ^/j,  seltener  nach  1 — 2  Stunden) 
ist  nicht  so  anhaltend.  Auch  bei  Leuten,  die  an  Narcotica  gewöhnt  sind,  ist  die 
Wirkung  des  Sulfonals  erfolgreicher.  Das  Mittel  ist  geruch-  und  geschmacklos,  wird 
von  den  Patienten  gern  genommen  und  zeichnet  sich  dadurch  aus,  dass  es  gar  keine 
unangenehmen  Nebenwirkungen  hat,  insbesondere  auch  nicht  auf  Herz  und  <}efös8- 
System.  Die  27  Fälle,  in  welchen  es  Verf.  220mal  angewandt  hat,  sind  zum  grössten 
Theil  Manien  und  Melancholien,  zum  kleineren  hysterische  Psychosen  und  Paralysen. 
Fast  überall  führt  die  genannte  Dosis  des  Mittels  5 — Sstündigen  erquickenden  Schlaf 
herbei  und  wirkt  sogar  bei  den  aUerschlimmsten  maniakalischen  Zuständen,  wo  Chloral 
und  Paraldehyd  schon  versagt  hatten.  Ein  Fall  von  Dementia  paralytica  scheint 
besonders  bemerkenswerth,  da  hier  die  ersten  Gaben  weniger  oder  gar  keinen,  die 
späteren  hingegen  vortrefflichen  Erfolg  hatten.  Einige  Fehlschläge  sind  natürlich 
auch  hier  beobachtet.  Sperling. 


14)  Zur  kliniBOhan  Würdigung  der  Sulfoxialwirkung,  von  Dr.  Jul.  Schwalbe. 
Aus  dem  städt.  allg.  Krankenhause  Friedrichshain,  AbtheUung  des  Prof.  Für- 
bringer.    (Dtsch.  med.  Wochenschr.  1888.  25.) 

Verf.  hat  das  Sulfonal  bei  50  Kranken  angewendet,  29  Männern,  17  Frauen, 
4  Kindern,  bei  acuten  und  chronischen  Krankheiten  verschiedenster  Art,  in  Dosen 
von  1 — 2 — 3  Gramm.  Das  Mittel  erzielte  in  66%  der  Fälle  eine  gute  Wirkung 
nach  ^8  bis  3  Stunden,  eine  mangelhafte  in  10  ^/q,  eine  schlechte  in  24%.  Die 
schlechten  Wirkungen  fanden  sich  besonders  da,  wo  die  Grundkrankheit  —  durch 
cerebrale  Störungen,  Schmerzen,  Husten  u.  s.  w.  —  die  Ursache  der  Schlaflosigkeit 
abgab,  während  bei  rein  nervöser  Schlaflosigkeit  in  90,3%  eine  volle  und 
gute  Wirkung  erzielt  wurde,  und  zwar,  wenn  das  Mittel  zur  gewöhnlichen  Schlafens- 
zeit (9  Uhr  Abends)  gegeben  wurde;  Sulfonal  ist  ein  Hypnoticum,  kein  Narcoticum. 
Verf.  resumirt: 

1.  Das  Sulfonal  in  reiner  Form  ist  wegen  seiner  Geruch-  und  Geschmacklosig- 
keit ein  angenehmes  Medicament 

2.  Es  wirkt  als  Hypnoticum  in  Fällen  von  „nervöser"  Schlaflosigkeit  in  der 
Dosis  von  1 — 2  Gramm  mit  annehmbarer  Promptheit. 

3.  Das  Sulfonal  alterirt  weder  Temperatur,  noch  Puls,  noch  Respiration  und 
verdient  deshalb  —  den  Vorzug  vor  Morphium  und  Chloral  —  da,  wo  man  Herz- 
schwäche befürchten  muss.   Es  dürfte  namentlich  auch  bei  Kindern  zu  verwenden  sein. 

4.  Die  Nebenwirkungen  (Schwindel,  Mattigkeit,  Eingenommensein  des  Kopfes, 
Uebelkeit,  Erbrechen,  Diarrhö)  traten  nur  in  12  ^/^  der  Fälle  auf,  sind  geringfügig 
und  dürften  im  Allgemeinen  eine  Contraindication  nicht  abgeben.  Hadlich. 


—    451    — 

10)   neber  Salfoxial  (Bayer),  von  Dr.  A.  Langgaard   and  Dn  S.   Babow. 
(Therap.  Monatshefte.  1888.  Kr.  5.  S.  2B7.) 

'  Kurze,  selir  klare  Angaben  über  die  Zusammensetzung,  Darstellung,  Eigenschaften 
und  Wirkung  des  von  Baumann  1886  zuerst  dargestellten,  von  Bayer  (Elberfeld) 
sogenannten  Sulfonals.  In  Bezug  auf  die  Wirkung,  die  hier  am  meisten  interessirt, 
stimmen  alle  Beobachter  erfreulicherweise  in  ihren  Erfolgen  überein.  Die  Verfasser 
machen  darauf  aufmerksam,  dass  es  vor  allem  auf  die  absolute  Reinheit  des  Präpa- 
rates ankommt;  es  soll  vollkommen  geruch-  und  geschmacklos  sein  und  bei  130  bis 
131^  C.  schmelzen.  Eine  auch  nur  geringe  Verschiebung  des  Schmelzpunktes  beein- 
trächtigt die  Wirkung.  Man  wird  daher  gut  thun,  sich  bis  auf  Weiteres  bei  der 
Verordnung  des  Ausdrucks  Sulfonal  (Bayer)  zu  bedienen.  Sperling. 


16)   Ueber  das  Phenaoetin,  von  Prof.  Dr.  Bumpf  in  Bonn.    (Berl.klin.Woch. 
1888.  Nr.  23.  S.  457.) 

2^hlreiche  Versuche  mit  dem  neu  eingeführten  Mittel  sprechen  sehr  zu  Gunsten 
desselben. 

Als  Antipyreticum  setzt  es  in  2 — 3  Stunden  die  Temperatur  um  2^  herab. 

Als  Antineuralgicum  hat  es  dem  Verf.  in  8  Fällen  von  Hemicranie  ohne  Aus- 
nahme vortreffliche  Dienste  geleistet  (nach  Bedarf  Dosis  von  1,0);  auch  bewährte 
es  sich  unter  3  Fällen  von  neurasthenischem  Kopfschmerz  zweimal  und  soll  die  un- 
angenehmen Folgen  der  acuten  Alkoholintozication  mildem. 

Weniger  günstig  sind  die  Erfolge  bei  den  verschiedenen  Neuralgien.  Immerhin 
trat  unter  10  Fällen  einmal  eine  Heilung  und  fünfmal  eine  Besserung  der  Symptome 
ein,  während  in  4  Fällen  (2  Ischias,  1  Intercostalneuralgie,  1  Angina  pectoris)  das 
Mittel  durchaus  wirkungslos  blieb.  Es  ist  dabei  bemerkenswerth,  dass  auch  solche 
Fälle,  die  offenbar  eine  anatomische  Ursache  zur  (xrundlage  hatten,  beeinflusst  wurden. 

Von  sehr  grosser  Wichtigkeit  erweist  sich  die  Wirksamkeit  des  Mittels  gegen 
die  Neuralgien  bei  Tabes;  bei  3  damit  behandelten  Fällen  brauchte  kein  Misserfolg 
▼erzeichnet  zu  werden,  dagegen  half  es  nichts  gegen  die  Schmerzen,  die  in  einem 
Falle  durch  Myelitis  transversa  hervorgerufen  waren. 

Auch  bei  Neuritis  konnte  unter  4  Fällen  dreimal  guter  Erfolg  von  dem  Phenacetin 
gesehen  werden. 

Verf.  fasst  seine  Ergebnisse  zusammen: 

1)  Das  Phenacetin  ist  ein  sicher  wirkendes  und  von  unangenehmen  Neben- 
erscheinungen freies  Antipyreticum,  das  bei  Erwachsenen  in  der  Dosis  von  0,6,  bei 
Kindern  in  solcher  von  0,2 — 0,25  sich  empfiehlt. 

2)  Das  Phenacetin  kann  in  der  Dosis  von  1,0  als  Antineuralgicum  empfohlen 
werden : 

a)  in  allen  Fällen  vasomotorischer  Neurosen; 

b)  gegen  die  lancinirenden  Schmerzen  der  Tabes  und  die  Neuralgien  bei  chro- 
nischer Neuritis; 

c)  als  Linderungsmittel  bei  den  verschiedenen  Neuralgien.  Sperling. 


HL  Aus  den  Oesellsohaften. 

•^TTT,  Congress  italienisoher  Aerzte  zu  Pavia,  vom  19.~26.  Sept.  1887. 
Berioht  über  die  Sitsnngen  der  Seotion  für  Neurologie,  Psychiatrie  und 

gerichtliche  Medioin  von  Dr.  PetrasaanL 

(Rivisi  speriment.  di  Freniatria  ecc.  1888.  XUI.  p.  207.) 
Unter  den  zahlreichen  Yortr&gen,  die  zum  Theil  noch  ausführlicher  werden  ver- 
öffentlicht werden,  seien  hier  vorläufig  die  folgenden  erw&hni 


—    452    — 

Marchi  untersuchte  den  ferneren  Verlauf  der  Fasern  der  Goll'scben  Stränge 
und  fand,  dass  nach  Dürchschneidung  derselben  die  aufsteigende  Degeneration  bis  in 
die  graue  Substanz  am  unteren  Theil  des  Bodens  des  vierten  Yentrikelfl  zu  yerfolgen 
sei,  während  die  unteren  Eleinhimstiele  völlig  intact  blieben. 

Bernardini  wendete  die  bekannte  Golgi*sche  ,,schwarze  Beaction"  auf  die  Binde 
patholog^cher  Gehirne  an  und  fand,  dass  bei  Paralyse  die  Ganglienzellen,  speciell 
der  ersten  und  der  zweiten  Schicht,  verkleinert,  dass  ihre  Frotoplasmafortsätze  dünner, 
starrer  und  weniger  verzweigt  als  sonst  sind,  und  dass  ihre  Axencylinderforts&tze 
ebenfalls  verdünnt,  sonst  aber  normal  erscheinen.  Bei  Epilepsie  ist  die  Grösse  und 
die  Form  der  Ganglienzellen  sowie  ihrer  Protoplasmafortsätze  durchaus  normal,  während 
die  Axencylinderfortsätze  nur  ausserordentlich  wenig  Verzweigungen  aufweisen. 

Frigerio  verlegt  mit  Ferrier  das  Biechcentrum  in  das  Ammonshom,  da  er 
bei  einem  Patienten,  der  in  Folge  einer  Schussverletzung  des  Kopfes  in  Paranoia 
mit  Gefühls-  und  Gehörstäuschungen,  speciell  aber  mit  Hallucinationen  des  Geruchs, 
verfallen  war,  eine  hochgradige  Atrophie  des  linken  Ammonshomes  fand. 

Bianchi  und  Armanni  führen  die  häufigen  Terminal-Pneumonien  bei  Para- 
lytikern auf  eine  in  allen  untersuchten  (11)  Fällen  nachgewiesene  Neuritis  des  Vagus 
zurück  und  betrachten  sie  als  Fremdkörperpneumonien,  welche  durch  die  in  Folge 
jener  Degenerationen  bedingten  Lähmungen  der  Pharynx-,  Larynx-  und  Bronchial- 
musculatur  entstehen  und  die  durch  die  ebenfalls  vom  Vagus  aus  hervorgerufenen 
Störungen  der  Herz-  und  Athmungsthätigkeit  klinisch  modificirt  werden. 

Bianchi  weist  femer  darauf  hin,  dass  bei  Paralyse  die  periphenschen  Nerven, 
besonders  die  motorischen,  sehr  häufig  ausgedehnte  Degenerationen  zeigen,  ohne  dass 
in  den  zugehörigen  Kernen  resp.  Oentren  entsprechend  deutliche  Störungen  zu  er- 
kennen wären;  er  hält  daher  manche  Symptome,  wie  Tremor  und  Dysarthrie,  viel- 
leicht für  —  anfänglich  wenigstens  —  peripher  bedingt. 

Cionini  untersuchte  die  Dicke  der  Hirnrinde  bei  15  Fällen  von  ParaLyse,  in- 
dem er  bei  jedem  Hirn  je  50  Messungen  im  Vorderhim,  in  beiden  Centralwindni^^n 
und  im  Hinterhim  vornahm.  Er  fand  zunächst  eine  allgemeine  Verschmälernng  der 
gesammten  Binde,  bei  weitem  am  bedeutendsten  in  der  hinteren  Oentndwindung,  und 
in  abnehmender  Beihenfolge  in  der  vorderen  Gentralwindung,  im  Vorderhim  und  end- 
lich im  Hinterhirn;  die  Verschmälernng  ist  in  der  linken  Hemisphäre  weniger  aus- 
gesprochen, als  in  der  rechten,  und  im  Uebrigen  werden  die  Besnltate  Contrs  an 
normalen  Gehirnen  bestätigt;  die  Binde  in  der  Tiefe  der  Furchen,  die  der  Basis  und 
der  Medianflächen  ist  also  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  schmäler,  als  die  der 
Windungen  und  die  der  Convexität. 

Vizioli  sprach  über  halbseitige  Gesichtsatrophie  und  konnte  einen  neuen  Fall 
beschreiben.  (Mädchen  von  15 — 20  Jahren  nicht  neuropathisch  belastet;  im  10.  J. 
Abmagerung  beider  Gesichtshälften,  ohne  Betheiligung  des  übrigen  Körpers,  bald 
wieder  normale  Emährang  der  rechten  Gesichtshälfte,  während  die  linke  im  Gebiet 
des  2.  und  3.  Trigeminusastes  um  ^/j  zurückblieb.  Epidermis,  deren  Sensibilität, 
Schweisssekretion,  Behaarang,  ferner  Contractilität  etc.  vollkommen  gleich  auf  beiden 
Seiten.) 

Gasperini  bringt  eine  neue  Theorie  über  die  Entstehung  der  Gesichtsneural- 
gien, indem  er  dieselben  als  reflectorisch  ausgelöst  durch  zahlreiche  kleine  dicht  bei 
einander  stehende  ülcerationen  der  Mund-  und  Zungenschleimhaut  der  ergriffenen 
Seite  betrachten  möchte. 

Pianetta  spricht  über  Psychosen  bei  Idioten  und  Imbecillen.  In  der  Anstalt 
zu  Imola  hat  er  114  Imbecille  beobachtet,  von  denen  sich  51  als  einfach  dement 
und  mhig,  44  als  dement  mit  gelegentlicben  Tob-  und  Erregungsanfällen  erwiesen, 
während  die  übrigen  19  eine  ausgesprochene  Psychose  erkennen  Messen,  die  sich  erst 
secundär   auf  dem   Boden    der  Imbecillität  entwickelt  hatte.     Von  diesen  19  waren 


—    458    — 

10  (6  m.  und  4  w.)  als  maniakalisch;  8  (3  m.  und  5  w.)  als  melancholisch  und 
1  als  paranoisch  zu  betrachten.  Alle  diese  Erkrankungen  betrafen  übrigens  nur 
leichtere  Zustände  von  Imbecillität  und  führten  schnell  zur  tiefen  Verblödung. 

Sommer. 

New  York  Neurologioal  Sooiety.     Sitsung  vom  6.  Mars  1888. 

Es  sprachen  u.  A.:  Dr.  Dana  über  einen  atypischen  Fall  von  Thomsen'scher 
Erkrankung. 

Das  Eigenartige  dieses  Falles  lag  darin,  dass  der  35jähr.  Fat.  erst  seit  seinem 
20.  Lebensjahre  den  bekannten  Symptomencomplez  darbot  und  ausserdem  eine  ge- 
wisse geistige  Verwirrtheit  erkennen  liess,  so  dass  an  einen  erworbenen,  zunächst 
central  begründeten  Zustand  gedacht  werden  musste.  Die  mikroskopische  Unter- 
suchung eines  Maskelstückchens  aus  dem  Supinator  longus  ergab  Vermehrung  der 
Kerne  und  der  Fasern,  von  denen  die  einen  die  Durchschnittsbreite  überstiegen, 
andere  aber  nicht  erreichten,  femer  Vergrösserung  der  Muskelkörperchen  und  (zweifel- 
hafte) dichotomische  Theilung  der  Fasern.  Femer  zeigte  dich  an  dem  Patienten 
Steigerung  der  mechanischen  und  elektrischen  Erregbarkeit  der  Muskeln,  nicht  der 
Nerven,  sowie  die  Erhasche  Beaction. 

Es  schloss  sich  eine  ziemlich  lebhafte  Discussion  darüber  an,  ob  der  Fall  über- 
haupt dem  Begriff  der  Thomsen'schen  Krankheit  zu  unterstellen  sei. 

Dr.  Starr  legte  einen  Hirntumor  von  Hühnereigrüsse  vor,  der  sich  in  der 
Leiche  einer  56jährigen  Frau  gefunden  hatte,  und  der  von  der  Unterfläche  des  Ten- 
torium  ausgehend  lediglich  die  eine  Hemisphäre  des  Kleinhims  comprimirt  hatte.  Die 
Krankheitsdauer  hatte  2  Jahre  betragen,  die  Symptome  hatten  nur  in  zunehmender 
Benommenheit,  in  Schwindel,  Erbrechen  und  Neuritis  optica  bestanden. 

Dr.  J.  West  Boosevelt  sprach  endlich  über  Morbus  Basedowii,  woran 
sich  ebenfalls  eine  längere  Discussion,  u.  A.  über  das  Vorkommen  des  Graefe'schen 
Symptoms,  über  die  Möglichkeit,  durch  elektrische  Behandlang  die  Herzthätigkeit 
herabzusetzen,  und  über  die  starke  Verminderung  des  elektrischen  Widerstandes 
anschloss.  Sommer. 


The  Philadelphia  Neurologioal  Sooiety.     Sitzung  vom  28.  Januar  1888. 

(Joum.  of  nervons  and  mental  disease.  1888.  p.  203.) 

Es  sprachen  u.  A.:  F.  X.  Derkum,  über  einen  Fall  von  Duracholesteatom  (cf. 
d.  Ctribl.  1888.  S.  358.) 

Dr.  Osler  stellte  einen  Fall  von  „localer  Asphyxie''  (Bäynaud's  Krankheit)  vor, 
in  dem  die  Endphalangen  des  linken  2.,  3.  und  5.  Fingers  durch  eine  ganz  scharfe 
Demarkationslinie  von  den  übrigen  Partien  abgegrenzt,  marmorweiss  und  eiskalt  waren. 
Er  erklärte  diese  „Asphyxie"  durch  vasomotorischen  Krampf,  vielleicht  in  Folge  von 
directer  Einwirkung  bedeutender  Kälte,  und  sieht  „Frostbeulen"  als  Resultat  einer 
vasomotorischen  circamscripten  Lähmung  an. 

Dr.  E.  N.  Brush  und  Dr.  E.  T.  Bruen  demonstrirten  alsdann  je  einen  Fall 
von  Porenkephalie. 

Der  eristere  betraf  einen  hereditär  belasteten  67jährigen  Mann,  dessen  linke 
Körperhälfte  beraits  bei  der  Geburt  weniger  entwickelt  und  auch  später  im  Wachs- 
thum  beträchtlich  zurückgeblieben  war.  Im  9.  Jahre  schweres  Kopftrauma  mit  hef- 
tigen Kopfschmerzen;  im  46.  Jsihre  Sonnenstich.  6  Monate  vor  der  Aufnahme  wurde 
der  immer  etwas  reizbare  Mann  von  dassischer  progpressiver  Paralyse  ergriffen  und 
starb  nach  einjähriger  Dauer  des  Leidens. 

Bei  der  Section  fand  sich  neben  chronischer  Pachyleptomeningitis  und  hoch- 
gradigem Hydrokephalus   extemus   ein   grosser  Defect  des  rechten  unteren  Scheitel- 


—    454    — 

lappens,  so  daes  ein  grosser  Theil  der  liinteren  Centralwindang,  der  hintere  Abschnitt 
von  Tj  nnd  der  vordere  Theil  von  0]  and  0^  nnd  ganz  Pj  durch  eine  onregelmässige 
Cyste,  die  mit  dem  dilatirten  rechten  Hinterhom  communicirte,  ersetzt  waren.  Dabei 
war  die  rechte  Hälfte  des  Cerebellum  stärker  aasgebildet  als  die  linke,  und  die  dem 
Anschein  nach  intacten  Windungen  der  rechten  Hemisphäre  waren  weniger  entwickelt, 
als  die  entsprechenden  der  linken.  Die  Differenz  beider  Hemisphären  ohne  Liquor 
betrug  260  g. 

Der  zweite  Fall  betraf  eine  d2jährige  Frau,  über  deren  Vorleben  leider  nichts 
mitgetheilt  worden  ist.  Hier  fanden  sich  je  zwei  submeningeale  Cysten  zu  beiden 
Seiten  der  grossen  Langsspalte  des  Hirns.  Die  rechts  gelegenen  hatten  die  Grösse 
einer  Wallnuss  und  hatten  einen  tiefen  Defect  in  der  Convezität  des  Hinterhims 
und  z.  Th.  auch  des  Scheitelhims  hinterlassen;  die  der  linken  Seite  waren  viel 
grösser  und  zwar  nahm  die  eine  von  3 : 1  ThW  Durchmesser  das  Hinter-  und  Scheitel- 
him  ein,  während  die  andere  von  2:'/^  Zoll  Durchmesser  auf  das  Occipitalhim  be- 
schränkt war.  Dabei  war  die  ganze  linke  Hemisphäre  beträchtlich  in  der  Entwlcke- 
lung  zur&ckgeblieben  und  die  an  die  Cysten  angrenzenden  Windungen  waren  atrophisch 
verschmälert. 

In  der  Sitzung  derselben  GeseUschaft  am  27.  Februar  1888  wurden  u.  A.  fol- 
gende Vorträge  etc.  gehalten. 

Dr.  W.  Osler  über  excessive  venöse  Stauung  in  Folge  mechanischer  Arbeit 
einer  Extremität.  Der  Patient  zeigte,  sobald  er  auch  nur  kürzere  Zeit  mit  dem 
rechten  Arm  gearbeitet  hatte,  eine  bedeutende  Anschwellung  desselben,  z.  B.  des 
Vorderarms  um  1^2  ^^^  i™  Umfang;  dabei  wurde  die  Extremität  durch  Capillar- 
injection  livid  und  die  Venen  sprangen  als  dicke  Stränge  hervor,  während  der  Arterien- 
puls kaum  fühlbar  war.  Es  war  weder  eine  Herz-  noch  eine  Gefässerkrankung  nach- 
zuweisen; die  Drüsen  der  Achselhöhle  waren  völlig  normal  und  es  musste  daher  an 
eine  regulatorische  Störung  der  Blutznführ  im  Anschluss  an  deren  physiologische 
Vermehrung  in  Folge  der  geleisteten  Arbeit  gedacht  werden. 

Dr.  James  Hendric  Lloyd  besprach  einen  ausserordentlich  rapid  verlaufen«! 
Fall  von  Morbus  Basedowii  bei  einer  39jährlgen  Dame,  die  etwa  6  Monate  vor  der 
terminalen  Erkrankung  ein  nicht  mehr  genauer  zu  beschreibendes  Leiden  mit  gastri- 
schen Symptomen  und  Exophthalmus  überstanden  hatte,  seitdem  aber  für  völlig  genesen 
gehalten  worden  war.  Sehr  heftiger  Brechdurchfall  führte  am  ersten  Erkrankungs- 
tage  zur  Diagnose  „Cholera  nostras",  doch  wies  eine  genauere  Untersuchung  beim 
zweiten  Besuche  einen  anfänglich  vielleicht  übersehenen,  vielleicht  aber  auch  erst 
entstandenen  Exophthalmus  mit  Struma,  Cyanose,  Puls  von  170 — 210,  und  höchst- 
gradiger  Prostration  nach  und  am  dritten  Tage  trat  unter  den  Erscheinungen  der 
Herzparalyse  der  Tod  ein;  die  Psyche  war  bis  zuletzt  vollkommen  intact. 

Die  Seotion  musste  sich  leider  auf  die  Brust-  und  Bauchorgane  beschränken  und 
ergab  kein  verwerthbares  Resultat.  Sommer. 


Sooiätö  mödioale  des  hopitaux,  Paris.     Sitsuiig  vom  24.  Febro^  1888. 

Herr  Gilbert  Ballet  „über  Lähmung  bulbärer  motorischer  Nerven  bei  dem 
Morbus  Basedowii".  Dass  das  Erankheitsbild  der  Maladie  de  Graves  bisweilen  recht 
complicirt  ist,  beweist  folgender  Fall:  Es  besteht  eine  Lähmung  aller  Augenmuskeln 
bei  erhaltener  Reaction  der  Pupille  auf  Licht  und  Nahesehen;  aber  während  der 
Patient  ganz  unföhig  ist,  willkürlich  die  Augen  zu  bewegen,  bemerkt  man  —  wenn 
die  Aufmerksamkeit  des  Kranken  abgelenkt  ist  —  leichte  spontane  Schwankungen 
der  Bulbi.  Femer  findet  sich  Lähmung  der  beiden  Faciales  und  beim  Schlucken 
)[ommt  ofb  Flüssigkeit  durch  die  Nase  zurück;   die  Kiefer-  und  Zungenbewegangen 


-^    455      - 

schienen  normal  zu  sein.  Die  L&hmangen  betreffen  also  das  3.,  4.,  6.  und  7.  Him- 
neryenpaar,  doch  sind  in  anderen  Fällen  (bei  F^räol,  MGbius,  F.  Warner,  Jen- 
drassik,  Potain)  theils  diese,  theils  auch  das  5.  und  12.  Paar  betroffen. 

Hadlich. 

Sooiätö  firanfaiae  d'ophihalmologie.    Mai  1888. 

Herr  Picqu^  „ther  Pupillenbewegungen".  Die  nervOse  Natur  der  PupiUen- 
bewegnng  ist,  trotz  Chauveau's  neuer  Untersuchungen,  wohl  sicher;  aber  wie 
wirken  die  düatirenden  Nerven?  Manche  Autoren  bestreiten  die  Existenz  dilatirender 
Muskelfasern;  Franck  nimmt  eine  hemmende  Wirkung  der  dilatirenden  Fasern  auf 
den  N.  oculomotorius  an.  P.  hat  in  einer  Beihe  von  Experimenten  gefunden,  dass 
die  maximale  Dilatation  der  Pupille  erst  eine  gewisse  Zeit  nach  dem  Eintritt  der 
Beiznng  zu  Stande  kommt  und  schliesst  hieraus,  dass  es  sich  um  eine  Muskelwirkung 
bei  der  Dilatation  handele. 

In  der  darauf  folgenden  Discussion  bemerkt  Abadie,  dass  man  durch  neuere 
Momentphotographien  der  Pupille  ermittelt  habe,  dass  sie  im  Dunkeln  maximal  er- 
weitert ist;  das  spreche  gegen  eine  musculare  Grundlage  der  Pupillendilatation  und 
ffir  Ohauveau. 

Picqu^  erwidert,  dass  die  Thatsache  der  maximalen  Dilatation  der  Pupille  in 
der  Ruhe  die  Existenz  dilatirender  Nerven  —  welche  Franck  nachgewiesen  habe 
—  nicht  ausschliesse;  jedenfalls  seien  die  Pupillenbewegungen  nicht  von  dem  Zu- 
sta&d  der  Qefässe,  wie  Chanveau  es  wolle,  bedingt.  Hadlich. 


Aoadämie  des  aoienoes,  Paris.     Sitsung  vom  4.  Juni  1888. 

Emile  Berger:  „Untersuchungen  Aber  Augenerkranknngen  bei  Tabes  dorsalis." 
Dieselben  beziehen  sich  auf  109  Kranke,  von  denen  47 7o  syphilitisch  waren;  26  ge- 
hörten dem  PrüLstadium,  50  dem  atactischen,  33  dem  paralytischen  Stadium  an.  — 
H&nftg  fand  B.  eine  Spannungsverminderung  des  Bulbus  und  zwar  am  häufigsten 
im  Frühstadium.  —  Eine  leichte  Verengerung  der  Lidspalte  durch  L&hmung 
der  glatten  Muskelfasern  der  Augenlider  (Jacobson)  bestand  in  42  Fällen,  theils  ein-, 
theils  do{^lseitig;  17mal  war  gleichzeitig  Myosis  vorhanden.  —  Ein  ferneres 
Symptom  ist  die  Deformation  der  Pupille,  welche  sich  elliptisch  zeigte,  den 
grossen  Durchmesser  meistens  von  aussen-unten  nach  innen-oben  gerichtet  (14mal), 
seltener  (llmal)  quer  oder  anders;  in  32  weiteren  Fällen  hatte  die  Pupille  eine 
unregelmässige  Form,  und  fast  immer  bestand  gleichzeitig  Myosis.  B.  urtheilt  hier- 
nach, dass  die  Myosis  der  Tabiker  keine  spastische  ist,  sondern  eine  paralytische, 
auf  Gefässparalyse  der  Lris  beruhend,  besonders  auch  deshalb,  weil  sehr  oft  eine 
Accommodationslähmung  gleichzeitig  besteht.  —  Alle  diese  geschilderten  Symptome 
—  Myosis,  Spannungsverringerung,  Lidspaltenverengerung  —  entstehen  auch  nach 
Durchschneid Qug  des  Sympathicus;  pathologische  Veränderungen  des  Sympathicus 
haben  Vulpian*s  Schfiler  bei  Tabes  gefunden.  —  Die  eigentliche  Ursache  der  Stö- 
rungen liegt  jedoch  im  Bückenmarke,  von  welchem  aus  sie  nur  auf  den  Sympathicus 
übergeleitet  werden. 

Sitzung  vom  11.  Juni  1888. 

Just  Lucas-Championnidre:  „lieber  die  Unschädlichkeit  der  Eröffnung  des 
Schädels  und  die  therapeutische  Verwerthung  derselben."  Er  hat  seit  dem  15.  Oci 
1885  15  Trepanationen  gemacht,  abgesehen  von  5  weiteren  Malen  bei  frischen  Ver- 
letzungen. Alle  15  Trepanationen  sind  glatt  geheilt  Die  Indicationen  bestanden 
in  unerträglichen  Schmerzen  (6),  wegen  Schwindel  (4);  an  einem  Kranken  wurde 
3mal  die  Trepanation  gemacht;   die   Besultate  waren  meistens  gute.     Die  Operation 


—    456    — 

bei  Epileptikern  (4)  und  bei  einem  Uemiplegiker  hatte  wenig  Erfolg.  Die  Einwir- 
kungen der  Trepanation  waren  so  geringe,  dass  mehrere  Operirte  schon  am  4.  Tage 
das  Bett  verliessen;  auch  die  Vemarbung  ging  sehr  gut  von  Statten,  obwohl  mehr- 
mals Oefihungen  von  7 — 8  cm  Länge  und  3 — 4  cm  Breite  angelegt  waren. 

Hadlich. 

Sooiätä  mädioale  des  höpitaux,  Paris.     Sitsung  vom  8.  Joni  1888. 

Gilbert  Ballet  theilt  3  Fälle  mit,  in  denen  Spasmen,  schmerzlos,  etwa  zwei 
Minuten  dauernd,  bei  Leuten  auftraten,  die  an  chronischem  Gelenkrheumatismus  litten; 
und  zwar  fanden  sich  die  Krämpfe  an  Muskeln,  welche  die  erkrankten  Gelenke 
(Schulter  und  Ellenbogen,  Kiefergelenk,  Tarsalgelenk)  bewegten.  B.  meint,  dass  eine 
durch  das  rheumatische  Leiden  bedingte  Uebererregbarkeit  der  Medulla  spinalis  resp. 
der  Med.  oblongata  den  Krämpfen  zu  Grunde  liege;  um  diese  letzteren  zu  beseitigen, 
müsse  man  den  chronischen  Rheumatismus  heilen.  Hadlich. 


IV.  Bibliographie. 

Die  Krankheiten  des  Kehlkopfes.   Mit  Einsohluss  der  IjBxyngoBkopie  und 
der  looal-therapeutisohen  Technik  für  praktische  Aerste  u.  Studirende, 

von  Dr.  J.  Gottstein,  Docent  an  der  Universität  Breslau.  Mit  89  Abbildungen. 
2.  verbesserte  und  sehr  vermehrte  Auflage.  (Leipzig  und  Wien,  Franz  Deuticke, 
1888.     336  Seiten.) 

Das  hier  angezeigte  Buch  ist  für  den  Neuropathologen  von  besonderem  Interesse, 
weil  es  nicht  blos  die  Neurosen  des  Kehlkopfs  in  erschöpfender  Weise  (S.  179—230) 
behandelt,  sondern  in  sehr  dankenswerther  Weise  in  den  beiden  letzten  Capiteln  den 
Zusammenhang  der  Larynxaffectionen  mit  cerebralen  Erkrankungen  (S.  298 — 320) 
und  mit  spinalen  Erkrankungen  (S.  320 — 381)  erörtert.  Verf.  bezeichnet  diesen 
letztem  Theil  seiner  Arbeit  als  einen  „vorläufigen  Versuch",  das  schwierige  Gebiet 
ist  aber  mit  beinahe  erschöpfender  Litteraturkenntniss  und  guter  Kritik  so  dai^estellt, 
dass  auch  die  Neuropathologie  durch  diese  Bearbeitung  eine  werthvolle  Bereicherung 
erhält,  die  selbstverständlich  im  Einzelnen  studirt  werden  muss.  Erwähnt  soll  nur 
werden,  dass  speciell  hervorgehoben  werden  die  mit  Enkephalomalada,  mit  Hirn- 
tumoren, mit  progressiver  Bulbärparalyse,  mit  multipler  Sklerose,  mit  Himsyphilis, 
mit  Tabes,  mit  amyotrophischer  Lateralsklerose  und  progressiver  Muskelatrophie  in 
Zusammenhang  stehenden  Kehlkopfaffectionen. 


V.  Vermischtes. 

Hermann  hat  Versuche  über  das  Verhalten  thierischer  Theile  im  magnetischen  Feld 
eines  grossen  Elektromagneten  angestellt.  Auch  unter  den  günstigsten  TJmständen  war 
nicht  die  geringste  physiologische  Wirkung  des  Magneten  nachweisbar.  Aach  subjective 
Empfindung  irgend  welcher  Art  traten  im  magnetischen  Feld  niemals  ein,  in  das  letztere 

gebrachte  Tbiere  zeigten  keinerlei  Beactlon.  An  die  Mitthcilang  dieser  Versuche  schliosst 
[.  eine  scharfe  Kritik  der  magnetischen  Experimente  an  Hysterischen  und  Hypnotisirten; 
er  knüpft  dabei  besonders  an  Obersteiner's  vor  Kurzem  erschienene  Schrift  an  (Pflüger's 
Archiv.  XLni.  H.  5  u.  6).  Th.  Ziehen. 


Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 


Einsendungen  fär  die  Redaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel, 

Berlin,  NW.   Schiffbauerdamm  20. 


Verlag  von  Vbit  &  Cour,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Metzobb  &  Wimo  in  Leipzig. 


Neurologisches  Centr  albuh 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter    '  « Berlin.  Jahrgang. 


Monatlich  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  20  Mark.   Zu  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes»  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 


1888.  15.  Allgast  M 16. 


Inhalt.  I.  Origlnalmlttheilung.  1.  Ein  klinischer  Beitrag  über  den  Verlauf  des  Ge- 
schmacksnerren, von  Dr.  Philip  Zenner.  2.  Seltene  Symptomencompleze  bei  Nervenkranken, 
von  Prof.  Fr.  Sclittltze  (Schluss). 

II.  Referate.  Anatomie,  l.  Ueber  die  Lymphwe^e  des  Gehirns,  von  Rottbach  u.  Sehr- 
wald. 2.  Sulla  istogenesi  della  retina  e  del  nervo  otüco,  per  Falchl.  —  Experimentelle 
Physiologie.  B.  Experimentelle  Untersuchungen  zur  Amblyopiefrage,  von  MDIIer-Lyer.  — 
Pathologische  Anatomie.  4.  Ueber  multiple  Anglosaroome  der  Pia  mater  spinalis  mit 
hyaliner  Degeneration,  von  Gramer.  5.  Diffuse  Sarcoma  of  the  spinal  Pia  mater,  by  Patfeur, 
Ormoford  and  Hadden.  6.  Multiple  Cancer,  by  Coatt.  7.  Primary  Cancer  of  brain,  by  Coats. 

—  Pathologie  des  Nervensystems.  8.  Note  sur  un  cas  d'athätose  double,  par  Blocq 
et  Blln.  9.  Des  paralysies  dans  la  dysenterie  et  la  diarrhöe  chronique  des  pays  chauds,  par 
Pugibet.  10.  Demonstration  eines  Kranken  mit  symmetrisch  localisirten  oberflächlichen  Haut- 
entzündungen und  gleichzeitig  auftretenden  Lähmungszuständen  auf  infectiöser  Basis,  von 
Ebstein.  11.  Beitrag  zur  Lehre  vom  Merycismus,  von  Alt.  12.  Contribution  a  l'ötude  de  la 
paralysie  atrophique  de  l'enfance  ä  forme  h^mipl^gique,  par  Dejerlne  et  Huet.  18.  Infantüe 
paralysis  limited  to  the  bulbar  nuclei  with  permanent  paralysis  of  half  the  face  and  tongue, 
by  Pasteur.  14.  Ueber  paralytische  Luxationen  der  Hüfte,  von  Karewtkl.  15.  Ueber  Muskel- 
atrophie bei  Gehirnerkrankungen,  von  Qulnice.  16.  Ein  Fall  nicht-progressiver  Maskelatrophie, 
von  Butakow.  17.  Hereditär  progressiv  muskelal^oii  hos  tre  syskon,  af  Levin.  18.  Pseudo- 
hypertrophic  Muscular  Paralysis,  by  Mlddleton.  19.  Des  ^jphidroses  de  la  face,  par  Raymond. 

—  Psvchiatrie.  20.  Ueber  plötzlichen  Tod  aus  Angst  bei  einem  Gefangenen,  von  Bollinger. 

21.  Ueber  Chorea  und   andere  Bewegungserscheinungen  bei  Geisteskranken,  von  Kdppen. 

22.  Ueber  Neurosen  und  Psychosen  durch  sexuelle  Abstinenz,  von  v.  Krafft-Ebing.  28.  Mit- 
theilungen aus  der  psychiatrischen  E^linik  in  Prag,  von  Pick.  24.  Des  attaques  du  sommeil 
hyst^rique,  par  de  la  Tourette.  25.  Des  troubles  de  la  Vision  dans  Thyst^rie  et  dans  quel- 
ques affections  mentales,  par  Pichon. 

III.  Personalien. 


I.  Originalmitfheilungen. 

1.   Ein  klinischer  Beitrag  über  den  Verlauf  des 

Geschmacksnerven. 

Von  Dr.  Philip  Zenner,  Cincinnati, 
Docenten  für  Neuropathologie  am  Medical  College  of  Ohio. 

Ein  im  Neurologischen  Centralblatt,  S.  295,  enthaltener  Auszug  aus  einer 
Inaugural-Dissertation  von  Salomonsohk,  über  den  Weg  der  ,,6eschmack8fasem" 

28 


—    458     - 

zum  Gehirn  veranlasst  mich,  in  Kürze  einen  Fall  zu  berichten,  der,  an  und 
für  sich  sehr  interessant,  geeignet  sein  dürfte,  einiges  Licht  auf  diese  Frage  zu 
werfen. 

Herr  L.,  42  Jahre  alt,  ein  kraftiger  und  gesunder  Mann,  war  am  8.  Juli 
1885  in  dem  Schaufenster  eines  Putzmacherladens  in  vorwärts  gebeugter  Stellung 
beschäftigt,  als  plötzlich  sein  Halt  brach,  und  er  vorwärts  auf  eine  mit  scharfer 
Spitze  versehene  eiserne  Stange  fiel,  die  zum  Aufhängen  von  Hüten  diente.  Die 
runde,  glatte  Stange,  die  etwa  1  cm  Durchmesser  hatte,  durchbohrte  die  Haut 
in  der  rechten  Regio  submaxillaris  3^2  <^t^  ^on  der  Mittellinie  entfernt,  und 
drang  10  cm  vorwärts,  dabei  ihren  W^  nach  oben,  hinten  und  innen  nehmend. 
Die  Stange  wurde  oflFenbar  in  unnachgiebigen  Theilen  festgehalten,  denn  es  be- 
durfte aller  Kräfte  eines  starken  Mannes,  um  sie  zu  entfernen,  was  übrigens 
wenige  Minuten  nach  dem  Unfälle  geschah. 

Ich  sah  den  Patienten  ungefähr  Vs  Stunde  später.  Er  war  bei  vollem 
Bewusstsein,  das  er  überhaupt  nicht  verloren  hatte.  Die  rechte  obere  und  untere 
Extremität  war  vollständig  gelähmt,  und  abgesehen  von  einer  geringen  Beweg- 
lichkeit der  Zunge  und  des  Mundes,  war  die  ganze  untere  Hälfte  des  Gesichts 
unbeweglich.  Er  konnte  nicht  schlucken  und  sprechen,  und  weder  articnlirte 
noch  unarticulirte  Laute  hervorbringen.  Die  Respiration  war  laut,  jedoch  regel- 
mässig; desgleichen  der  Puls,  mit  einer  Frequenz  von  etwa  80.  Patient  war 
sehr  durch  Anhäufung  von  Schleim  und  Speichel  im  Munde  belästigt,  die  er 
nicht  zu  entfernen  im  Stande  war.  Dagegen  waren  die  Muskeln  der  oberen 
Gesichtshälfte,  die  inneren  und  äusseren  Muskeln  des  Augapfels,  der  Lider  und 
der  Stirn  nicht  im  Geringsten  afficirt. 

Am  5.  oder  6.  Tage  nach  der  Verletzung  wurde,  als  der  Zustand  des  Pat. 
eine  genauere  Untersuchung  zuliess,  bemerkt,  dass  Anästhesie  der  von  den  zwei 
oberen-  Aesten  des  linken  Trigeminus  versorgten  Hautstellen  vorhanden  war. 
Die  unempfindliche  Zone  reichte  von  der  Mitte  des  Scheitels  zur  Höhe  des 
Mundes,  und  von  der  Mittellinie  bis  zum  Ohr.  Diese  Anästhesie  war  zweifellos 
von  Anfang  an  vorhanden,  ubschon  sie  unbemerkt  geblieben  war.  Jedoch  hatte 
Patient  seit  der  Verletzung  heftige  Schmerzen  in  dieser  anästhetischen  Zone, 

Der  Zustand  des  Patienten  verbesserte  sich  schnell.  Nach  wenigen  Tagen 
konnte  er  Flüssiges  schlucken  und  einige  articnlirte  Töne  hervorbringen.  Am 
Ende  des  zweiten  Monats  war  der  Zustand  folgender:  Hemiplegie  rechterseits, 
geringe  Parese  der  rechten  Gesichtshälfte;  die  Zunge  unbedeutend  nach  rechts 
abgelenkt;  Druck  der  rechten  Hand  schwach;  Fähigkeit  mit  Hülfe  eines  Stockes 
zu  gehen,  jedoch  mit  ausserordentlichem  Nachschleppen  des  Fusses;  Sprechen 
schwieriger  als  in  gewöhnlichen  Fällen  von  Hemiplegie,  jedoch  einfach  in  Un- 
beholfenheit der  Articulation  bestehend;  keine  Deglutitionsbeschwerdeu.  5  oder 
6  Wochen  nach  dem  Unfälle  hatte  er  während  eines  Zeitraumes  von  ungefähr 
3  Wochen  Polyurie,  bei  der  die  Hammenge  zeitweise  373  Liter  in  24  Stunden 
betrug  und  das  specifische  Gewicht  1002  war.  Während  dieser  Zeit  hatte  er 
einen  übermässigen  Appetit.    Der  Harn  war  frei  von  Eiweiss  und  Zucker. 

Zur  selben  Zeit,  als  die  Anästhesie  des  linken  Trigeminus  entdeckt  wurde? 


—    459    — 

wurde  auch  oonstatirt,  dass  keine  GreschmaokseiiipfinduBg  in  den  vorderen  zwei 
Drittheilen  der  linken  Znngenhälfte  vorhanden  war.  Die  Ausdehnung  und  der 
Grad  der  Anästhesie  war  zu  verschiedenen  Zeiten  verschieden.  Ungefähr  zwei 
Monate  nach  der  Verletzung  schien  die  Anästhesie  sich  verschlinunert  zu  haben, 
indem  sie  fast  die  ganzen  vom  Trigeminus  versorgten  Theile,  sowohl  die  äusseren 
Theüe  wie  die  Schleimhaut,  einnahm;  nach  wenigen  Wochen  ging  sie  jedoch  zu 
der  ursprünglichen  Ausdehnung  zurück.  Gegenwärtig,  ungefähr  3  Jahre  nach 
dem  Unfälle,  ist  der  Zustand  des  Patienten  etwa  der  eben  beschriebene. 

Der  Sitz  der  Verletzung  ist  nach  meiner  Ansicht  in  der  linken  Seite  der 
Brücke,  mit  Betheiligung  des  Trigeminus  und  des  Pyramidenstranges  oberhalb 
der  Ejreuzung  des  FadaUs.  (Die  elektrische  Beaction  der  gelähmten  Muskeln 
ist  und  war  normal.)  Bei  einer  Verletzung  in  dieser  Begion  und  bei  so  aus- 
gedehnten indirecten  Symptomen  ist  es  überraschend,  dass  zu  keiner  Zeit  eine 
Lahmung  der  von  den  dritten,  vierten,  sechsten  und  oberen  Zweigen  des  siebenten 
Nerven  versorgten  Muskeln  vorhanden  war.  Welcher  Art  die  Verletzung  und 
was  der  Mechanismus  derselben  war,  ist  ein  Bäthsel.  Ich  habe  verschiedene 
Messungen  vorgenommen,  um  die  Entfernung  der  äusseren  Wunde  vom  vor- 
deren Bande  des  Foramen  magnum  zu  bestimmen,  und  habe  diese  Entfernung 
auf  ungefähr  9 — 10  cm  berechnet.  Da  nun  die  Stange  ungefähr  10  cm  weit 
eindrang,  so  ist  es  denkbar,  dass  die  Spitze  derselben  bis  in  die  Oefihung  ge- 
gangen ist.  Nichtsdestoweniger  scheint  es  unmöglich,  dass  die  Spitze  der  Stange 
bis  zu  dieser  Stelle  vorgedrungen  sein  sollte,  wo  der  Sitz  der  Verletzung  sich 
zu  befinden  scheint. 

Der  Verlust  der  Geschmacksempfindung  ist  zweifellos  auf  die  Verletzung 
des  innerhalb  der  Schädelhöhle  gelegenen  Theiles  des  fünften  Nerven,  und 
speciell  seiner  zwei  oberen  Aeste  zu  beziehen.  In  diesem  Falle  kann  irgend  ein 
Gausalzusammenhang  zwischen  Vvlust  der  Geschmacksempfindung  und  Ver- 
letaung  der  intraorauiellen  Portion  des  siebenten  Nerven  nicht  in  Frage  kommen, 
da  der  linke  Facialis  intact  war. 

Ein  kurzer  Bericht  über  eine  den  intracraniellen  Theil  des  Facialis  betref- 
fende Verletzung  ohne  Störung  der  Geschmacksempfindung  ist  hier  vielleicht 
am  Platze: 

M.  S.,  Mädchen  von  11  Jahren,  erkrankte  angeblich  nach  einem  Schlage 
auf  die  rechte  Seite  des  Kopfes  von  Seiten  ihrer  Lehrerin.  Der  behandelnde 
Arzt  theilte  mir  mit,  dass  er  Patientin  zum  ersten  Male  4  Tage  nach  der  Ver- 
letzung sah.  Sie  hatte  zu  der  Zeit  Parese  der  linken  oberen  und  unteren  Ex- 
tremitäten, Paralyse  der  rechten  Gesichtshälfte,  des  rechten  Nervus  abducens 
und  Erweiterung  der  Pupille.  Am  Tage  nach  der  Verletzung  klagte  sie  über 
Kopfweh,  und  ihre  Eltern  bemerkten,  dass  ihr  Mund  beim  Lachen  nach  links 
gezogen  wurde.  Die  Kopfschmerzen  wurden  während  einiger  Tage  immer 
schlimmer,  bis  sie  beinahe  unerträglich  waren,  um  jedoch  nach  einer  Woche 
oder  10  Tagen  gänzlich  zu  verschwinden.  Zu  keiner  Zeit  war  eine  Temperatur- 
erhöhung vorhanden. 

Als  ich  Patientin,  4  Wochen  nach  dem  Auftreten  dieser  Erscheinungen, 


_     460    - 

sah,  waren  die  oben  beschriebenen  Paralysen  nachweisbar:  vollständige  Paralyse 
des  rechten  Facialis  und  Abdnoens,  Erweiterung  der  rechten  Pupille^  welche 
nichtsdestoweniger  auf  Licht  reagirte,  geringe  Parese  der  linken  Extremitäten; 
keine  Anästhesien.  Kop&chmerz  war  nicht  vorbanden,  jedoch  wurde  bei  oph- 
thahnoskopischer  Untersuchung  doppelseitige  Neuritis  optica  gefanden.  Diese 
letztere  zeigte  keine  Veränderungen  bei  verschiedenen  während  der  nächsten 
2  Wochen  vorgenommenen  Untersuchungen.  Bei  einer  7  Wochen  nach  dem 
Auftreten  der  Neuritis  optica  vorgenommenen  Untersuchung  wurden  die  Seh- 
scheiben jedoch  normal  befunden.  Zu  dieser  Zeit  war  noch  vollständige  Läh- 
mung des  rechten  Facialis  vorhanden  und  eine  ausgesprochene  Entartungs- 
reaction  in  allen  von  diesem  Nerven  versorgten  Theilen;  jedoch  waren  die 
Extiremitäten  und  der  Abducens  auf  der  Besserung.  Zur  Zeit,  wo  ich  dieses 
schreibe,  2  Wochen  später,  ist  der  Zustand  der  vom  Facialis  versorgten  Nerven 
unverändert,  mit  der  Ausnahme,  dass  während  des  Lidschlusses  die  Spalte  am 
rechten  Auge  enger  ist,  als  zuvor,  und  ungefähr  die  Hälfte  ihrer  gewöhnlichen 
Grösse  hat.  Die  Kraft  in  den  linken  Extremitäten  ist  jedoch  kaum  wahrnehmbar 
geringer  als  in  den  rechten.  Die  Beweglichkeit  des  rechten  Abducens  ist  bei- 
nahe normal,  die  Pupille  weniger  erweitert,  als  zuvor,  und  das  Kind  befindet 
sich  wohl. 

Die  Verletzung,  deren  Art  sich  schwer  feststellen  lasst,  befindet  sich  zweifel- 
los an  der  Basis  des  Gehirns,  wobei  ein  Druck  ausgeübt  wird  auf  den  rechten 
sechsten  und  siebenten  Nerven,  und  weniger  direct  auf  den  Pyramidenstrang 
bei  seinem  Wege  durch  die  Brücke.  Der  intracranielle  Theil  des  Facialis  muss 
affidrt  und  seine  Functionen  gänzlich  aufgehoben  sein.  Dafür  sprechen  die 
vollständige  Paralyse  desselben,  mit  Mitbetheiligung  der  Muskeln  der  Uvula, 
die  ausgesprochene  Entartungsreaction,  und  die  anderen  begleitenden  Symptome. 
Die  Geschmacksempfindung  jedoch  war  nicht  im  Geringsten  verändert 

Diese  beiden  Fälle  sind  ein  weiterer  Beweis,  dass  der  central  gelegene  Theil 
der  Bahn  der  „Geschmacksfasem^'  zum  Gehirn  sich  im  Trigeminus  befindet 


2.    Seltene  Symptomencomplexe  bei  Nervenkranken. 

Von  Prof.  Fr.  Sohultse  in  Dorpat 

(Schlnas.) 

n. 

Ophihalmoplegia  externa  eigenthümlioher  Art,  Ataxie  der  Unterextremi- 
tftten  mit  gesteigerten  PateUarreflexen  bei  einem  28jahrigen  Ifiaiiiie.  — 
Bei  einem  Uteren  Bruder  Mikrophthalmus,  ausserdem  Oolobome  der  Iris 

und  Cboroidea. 

Bei  dem  28jähr.  Feldarbeiter  und  Stallknecht  J.  W.  aus  Livland  (Esthe), 
welcher  früher  stets  gesund  gewesen  und  niemals  Lues  gehabt  haben  will, 
stellten  sich  1881  Parästhesien  geringfügiger  Art  in.  den  Beinen  ein,  wie 


—    461 

wenn  leichte  Nadelstiche  auf  die  Haut  derselben  einwirkten.  Zugleich  aber  fiel 
ihm  besonders  das  Treppensteigen  schwer,  und  er  konnte  die  Füsse  nicht  so 
beim  Grehen  setzen,  wie  er  beabsichtigte.  Ebenso  war  auch  ein  gewisses  Gefühl 
von  Steifheit  in  den  Beinen  vorhanden.  Alle  diese  Beschwerden  steigerten  sich 
allmählich,  so  dass  er  1885  die  Feldarbeit  aufgeben  musste,  da  ihm  ausserdem 
das  Bücken  schwer  fiel.  Lancinirende  Schmerzen  fehlten;  nar  im  Rücken 
soll  öfters  ein  längere  Zeit  dauerndes  schmerzhaftes  Gefühl  und  ausserdem  Steif- 
heit vorhanden  gewesen  sein;  diese  Schmerzen  traten  indessen  erst  im  Verlaufe 
des  Jahres  1887  auf.  Stärkere  Grade  von  Ermüdung  der  IJnterextremitäten 
wurden  nicht  bemerkt,  ebenso  fehlten  Beschwerden  bei  der  Harn-  und  Stuhl- 
entleerung. Sehstörungen  traten  erst  vor  3  Jahren  auf  und  zwar  in  der 
Weise,  dass  das  Nahesehen  und  das  Lesen  schwer  wurde.  Doppeltsehen  wurde 
niemals  bemerkt 

Bei  genauerer  Nachforschung  ergab  sich,  dass  ein  älterer  Bruder  von  Kind- 
heit an  schlecht  sehen  kann  und  kleine  Augen  habe.  Drei  ältere  Geschwister 
sind  gesund;  Eltern  sind  gestorben,  waren  aber  nicht  nervenkrank.  Kein  stärkeres 
Potatorium  weder  bei  den  Brüdern  noch  bei  den  Eltern  vorhanden. 

Status  praesens  (April  1888): 

Bei  dem  kräftig  gebauten,  und  ganz  intelligenten  Manne  zeigen  sich  folgende 
Abnormitäten:  Der  Gang  ist  breitbeinig,  mit  kurzen  Schritten.  Häufig  werden  die 
Hacken  aufgesetzt.  Das  Umdrehen  schwierig,  unsicher  und  wackelnd.  Stehen  auf 
einem  Beine  wegen  starken  Schwankens  nicht  möglich. 

Bomber g'sches  Symptom.     Fnssspitzenstand  sehr  unsicher. 

Bei  der  Untersuchung  im  Liegen  des  Fat.  tritt  die  Ataxie  besonders  im  linken 
Beine  noch  viel  deutlicher  hervor.  Dabei  ist  die  grobe  Kraft  der  Unterextremi- 
täten völlig  erbalten.  Keine  Rigidität  nachweisbar.  Tastsinn  und  Temperatursinn 
nicht  wesentlich  verändert;  dagegen  ist  das  Gefühl  für  Lage  und  Stellung  der  Beine 
entschieden  gestört.  Der  Fat.  kann  bei  geschlossenen  Augen  nicht  das  eine  Bein  in 
correcter  Weise  in  die  mit  dem  gesunden  Bein  symmetrische  Lage  bringen,  während 
allerdings  das  Heben  und  Senken  der  erhobenen  Extremitäten  auch  bei  geringen 
Locomotionen  gefohlt  wird. 

Die  Fatellarreflexe  beiderseits  sehr  lebhaft;  links  Andeutung  von 
Fussklonus.  Bei  der  Fercussion  der  Tibiae  Einwärtsrollung  der  Unterschenkel, 
beim  Beklopfen  der  innem  Fussränder  Adduction  des  betreffenden  Fusses. 

Die  Plantarreflexe  fehlen,  auch  bei  stärkerer  Beizung  durch  Nadelstiche 
in  die  Haut  der  Fusssohlen;  Cremasterreflexe  erhalten;  Bauchreflexe  fehlen. 

An  den  Händen  und  Armen  nichts  Abnormes;  weder  Ataxie  noch  Störungen 
der  Motilität  und  Sensibilität.  Triceps-  und  Supinatorreflexe  beiderseits  lebhaft; 
auch  vom  untei;ßn  Ende  der  linken  Ulna  aus  Tricepscontractionen  bei  Fercussion. 

Rückenwirbelsäule  intact,  ohne  Schmerzhaftigkeit  bei  Druck.  —  Sprache  normal. 

Die  Fupillen  mittelweit,  beiderseits  gleich,  reagiren  etwas  träger  auf  Licht, 
und  werden  bei  der  Oonvergenz  der  Augen,  soweit  dieselbe  möglich  ist,  deutlich 
verengt. 

Die  Lidspalte  klein;  der  Blick  geradeaus  gerichtet;  kein  Schielen;  kein  Nystagmus. 

Die  Augenbewegungen  nach  allen  Richtungen  hochgradig  beschränkt 
und  gelingen  nur,  wenn  gleichzeitig  Kopfbewegungen  vorgenommen  oder  wenigstens 
versucht  werden.  Sie  geschehen  dann  mit  einem  gewissen  Ruck;  die  kurze  Zeit  fest- 
gestellten Augen  sinken  aber  bald  wieder  in  langsamem  Tempo  in  die  gewöhnliche 
ruhige  Mittelstellnug  zurück. 


—    462     — 

Es  kanB  bei  solchen  mit  BeweguBgen  des  Kopfes  verbundenen  Bewegungen  das 
Ange  auf  kurze  Zeit  stark  nach  aussen  oder  oben,  in  normaler  Excursionsweite,  ab- 
gelenkt werden,  während  es  ohne  dieselben  bei  häufig  wiederholter  Prüfung  trotz 
der  unzweifelhaften  Bemühungen  des  Kranken  nicht  gelingt 

Die  ophthalmoskopische  Untersuchung  (Prof.  Baehlmann)  ergiebt  die 
Papillen  von  eigenthümlich  braunrother  Färbung  und  ?on  einem  helleren  gelbröth- 
liehen  bis  gelbweissen  ringförmigen  Saume  umgeben,  der  überall  gleich  breit  ist  und 
ca.  7io  Papillendurchmesser  Querschnitt  besitzt.  Die  Netzhautgefasse  streichen  ober- 
halb dieser  peripherischen  Zone  hinweg  und  zeigen  ausser  einer  schwachen  venöseD 
Hyperämie  und  einer  partiellen  Verengerung  einer  Vene  nichts  Besonderes. 

Die  Sehschärfe  ist  herabgesetzt;  auch  der  Farbensinn  erscheint  nicht  völlig 
intact.  Die  Accommodation  normal  An  den  Gtohimnerven  sonst  keine  Anomalien; 
keinerlei  Gehimerscheinungen;  weder  Kopfweh  noch  Schwindel;  nirgends  Tremor.  — 

Bei  dem  altern,  30jährigen  Bruder  des  Pat.  lassen  sich  keine  Anom^en 
im  Bereiche  der  Motilität,  Sensibilität  und  der  Reflexe,  sowie  keine  Erkrankung  des 
Nervensystemes  finden;  auch  im  Uebrigen  ist  er  vollständig  gesund. 

Dagegen  sind  die  Augen  hochgradig  abnorm.  Eine  von  Herrn  Prof.  Raehuiakn 
vorgenommene  Untersuchung  ergab  einen  hochgradigen  Strabismus  convergens 
des  rechten  Auges  mit  Beschränkung  der  Beweglichkeit  beider  nach  aussen.  Bei  der 
Fixation  beider  Augen  verschwindet  die  Pupille  des  schielenden  Auges  fast  vollkommen 
hinter  der  Garunkel;  bei  stärkeren  Seitenbewegungen  entsteht  ausserdem  Nystagmus. 
Nach  oben  und  unten  smd  die  Augenbewegungen  möglich,  werden  aber  gewöhnlich 
zum  grossen  Theile  durch  Kopfbewegungen  ersetzt.  Ausserdem  besteht  starker 
Mikrophthalmus;  die  Hornhaut  stellt  nur  etwa  die  Hälfte  der  normalen  Oberfläche 
dar,  ist  unregelmässig  begrenzt  und  anscheinend  sphärisch  gekrümmt  Die  Kammer 
etwas  tief;  die  Pupillen  zeigten  nach  unten  einen  ziemlich  breit  angelegten  Defect 
(Colobom);  die  Linse  vorhanden. 

Beide  Pupillen  mittelweit,  reagiren  aber  nicht  auf  Licht  und  Oonvergenz. 

Am  linken  Auge  rechts  und  links  von  der  Papille  ein  Ghoroidealdefect, 
welcher  schläfenwärts  etwa  4  Papillendurchmesser,  nasenwärts  nur  3  Papillendimen- 
sionen  weit  reicht  und  in  der  Richtung  des  horizontalen  Meridians  dahinzieht.  Der 
nasalwärts  hin  sich  ausdehnende  Defect  zeigt  eine  Unterbrechung  durch  einen  bläu- 
lich glänzenden  Contour,  welcher  eine  ausgebuchtete  Stelle  des  Augenhintergrundes 
markirt 

Die  Sklera  frei,  die  Papille  vertical  oval,  etwas  geröthet,  sonst  normaL 

Auf  dem  rechten  Auge  temporalwärts  von  der  Papille  ebenfalls  ein  colobomatöser 
Defect  der  Choroidea,  der  in  Gestalt  eines  halbmondförmigen  excavirten  Hofes  die 
Papille  umgiebt. 

Sehschärfe  beiderseits  stark  herabgesetzt 

Was  nun  die  Diagnose  bei  dem  ersten  Kranken  angeht,  so  muss  wegen 
der  gesteigerten  Sehnenrefiiexe  bei  dem  Mangel  einer  in  den  peripherischen 
Apparaten  nachweisbaren  erhöhten  Erregbarkeit  eine  Alteration  der  Pjra- 
midenbahnen  geringen  Grades  angenommen  werden,  deren  Sitz  allerdings 
nicht  mit  Bestimmtheit  anzugeben  ist,  welcher  aber  nicht  unterhalb  der  Hals- 
anschwellung allein  gelegen  sein  kann,  da  auch  an  den  Armen  sich  die  grössere 
Lebhaftigkeit  der  Reflexe  und  das  Vorhandensein  eines  abnormen  Sehnenreflexes 
nachweisen  liess.  Da  femer  eine  Ataxie  nicht  cerebellaren  Charakters  vorlag 
(das  Gefühl  für  die  Lage  und  Stellung  der  Glieder  und  der  Muskelsinn  waren 
gestört),  und  da  irgend  welche  Anhaltspunkte  für  die  Annahme  einer  peri- 
pheren oder  Gorticalen  Ataxie  fehlten,  so  müssen  auch  die  Hintersträuge 


-     463    — 

als  erkrankt  angesehen  werden.  Natürlich  können  sie  wegen  des  normalen 
Verhaltens  der  Oberextremitäten  im  Halsmarke  nicht  allznstark  afficirt  sein  und 
im  Lendentheil  müssen  die  Sehnenreflexbögen  intact  geblieben  sein,  auch  kann 
nicht  dieselbe  Looalisation  der  Läsion  wie  bei  Tabes  vorliegen,  da  die  lancinirenden 
Schmerzen  fehlten,  über  deren  centrale  oder  periphere  Entstehungsweise  wir 
noch  nichts  Bestimmtes  wissen. 

Es  ist  also  eine  combinirte  Degeneration  der  Hinter-  und  Seitenstränge 
anzunehmen,  wobei  natürlich  über  die  systematische  oder  nicht  systematische 
Natur  der  diesbezüglichen  Störungen  vom  rein  klinischen  Standpunkte  aus  nichts 
ausgesagt  werden  kann.  Zu  diesem  Symptomencomplexe  kommt  nun  aber  die 
geschilderte  Augenmuskellähmung  hinzu,  wie  sie  als  charakteristisch  für  die 
sogenannte  Nuclearlähmung  angesehen  wird,  da  bei  ausgebreiteten  Paresen 
Lichte  und  Accommodationsreflexe  erhalten  waren. 

Wenn  auch  angesichts  der  bereits  vorliegenden  Sectionsbefunde  nicht  daran 
gezweifelt  werden  kann,  dass  bei  Erkrankungen  bestinmiter  Ganglienzellengruppen 
diese  Lähmung  vorkommt,  so  kann  doch  im  Gegensatz  zu  den  MAUXHNEB'schen 
Ausführungen  nicht  geleugnet  werden,  dass  auch  eine  periphere  Entstehung 
dieses  Symptomencomplexes  möglich  wäre.  Bei  vollständiger  Gompression  der 
Nervenstämme  an  der  Basis  des  Gehirnes  oder  bei  vollständigen  Querschnitts- 
läsionen derselben  überhaupt  ist  natürlich  das  eigenthümliche  Yerschontbleiben 
der  Irismusculatur  oder  des  Ijcvat.  palpebr.  nicht  zu  erklären,  aber  warum  sollte 
nicht  irgend  eine  bestimmte  Schädlichkeit  die  Nervenfasern  in  der  Nähe  ihrer 
Insertion  in  die  Muskeln  treffen  können,  wo  sie  gerade  so  gut  räumlich  von 
einander  getrennt  sind,  wie  das  innerhalb  der  Eernregion  der  Fall  ist?  In 
unserm  Falle  wird  freilich  ganz  ähnlich  wie  bei  der  Hypoglossusaffection  in 
dem  früher  geschilderten  eine  centrale  Läsion  mit  viel  grösserer  Wahrscheinlich- 
keit angenommen  werden  können,  als  eine  periphere,  weil  andere  centrale 
Erkrankungen  vorliegen ;  indessen  zeigte  sich  auch  die  PapiUe  des  Opticus  nicht 
normal;  und  auch  abgesehen  davon  ist  bei  der  Möglichkeit  des  Zusammenvor- 
kommens centraler  und  peripherer  Affectionen  überhaupt  auch  in  unserem 
Falle  eine  lediglich  periphere  Erkrankung  der  meisten  Augenmuskelnerven 
nicht  absolut  ausgeschlossen. 

Allerdings  ist  die  Erklärung  des  eigenthümlichen  Verhaltens,  dass  bei  gleich- 
zeitigen Kopfbewegungen  die  Augenbewegungen  öfters  sogar  in  ausgiebiger  Weise 
gemacht  werden  konnten,  eine  schwierige.  Aber  sie  ist,  wie  ich  im  Widerspruche 
mit  Mauthneb^  behaupten  muss,  gleich  schwierig  bei  der  Annahme  einer  Hem- 
mung in  der  Peripherie  wie  in  den  Ganglienzellen.  Mauthneb  nimmt  an,  dass 
„der  schlechte  Leitungsdraht  immer  gleich  schlecht''  bleibt,  während,  wenn  die 
Nervenzellen  zwar  krank,  aber  noch  nicht  abgestorben  sind,  der  Wille  sie 
momentan  zu  stärkerer  Leistung  anregen  könne. 

Die  Nervenzelle  hilft  aber  ebensogut  die  willkürliche  Innervation  fortleiten, 
wie  die  periphere  Leitungsbahn,  und  warum  soll  nicht  auch   das  irgendwo 


Die  NacIearläLmting  der  Augenmuskeln  von  Ludw.  Maüthksb  (S.  37S). 


-     464      - 

lädirt«  periphere  Nervenstück  ebensogut  ,yzwar  krank,  aber  noch  nicht  ab- 
gestorben sein"  wie  die  Nervenzelle,  zumal  wir  auch  bei  entschieden  peripheren 
Lahmungen  z.  6.  unmittelbar  nach  d^  Einwirkung  eines  elektrischen  Reizes 
bei  starker  Innervation  stärkere  Contractionen  der  Muskeln  sehen  können. 

A  priori  wäre  auch  an  eine  Unterbrechung  der  central  von  den  Kernen 
gelegenen  Willensbahn  zu  denken;  da  wir  aber  wohl  annehmen  müssen,  dass 
die  Fasern  derselben  für  die  einzelnen  Muskeln  auf  grosse  Strecken  hin  nicht 
weit  von  einander  liegen  und  in  unserm  Falle  die  Levatoren  des  oberen  Augen- 
lides verschont  blieben,  so  erscheint  eine  Läsion  dieser  Bahnen  unwahrscheinlich; 
für  die  Affection  dei  selben  im  Gortex  cerebri  oder  in  der  Nähe  desselben,  dort 
wo  sie  auseinander  strahlen,  ^richt  jedenfalls  nichts,  abgesehen  davon,  dass  die 
gewöhnlichen  Ursachen  derartiger  Heerderkrankungen  in  der  Orosshimhemisphäre 
fehlen. 

Am  aufTallendsten  bleibt  der  Umstand,  dass  der  sonst  ganz  verständige 
Kranke,  welcher  im  Uebrigen  alle  gewünschten  Bewegungen  macht,  auch  bei 
bestem  Willen  ohne  die  dazugehörige  Kopfbewegung  die  Augenmuskeln  entweder 
gar  nicht,  oder  wenigstens  nicht  so  stark  innerviren  kann,  als  bei  gleichzeitigen 
Kopfbewegungen,  so  dass  die  Annahme  als  die  wahrscheinlichste  erscheint,  dass 
es  dem  Kranken  auf  diese  Weise  besonders  leicht  mögUch  war,  starke  Lmer- 
vaüonsstösse  zu  ertheilen,  welche  den  irgendwo  vorhandenen  Widerstand  zu  über- 
winden im  Stande  waren.  Einen  Wechsel  in  der  Intensität  der  Lähmung  hat 
ja  anch  Benedict^  in  einem  von  ihm  beobachteten  Falle  wahrnehmen  können, 
in  welchem  das  kranke  Auge  gelegentlich  erst  nach  energischer  und  wiederholter 
Aufforderung  der  angewiesenen  Blickrichtung  folgen  konnte.  Die  Annahme,  dass 
es  sich  etwa  um  Mitbewegungen  wie  bei  Hemiplegischen  handeln  könnte,  ist 
deswegen  schon  unwahrscheinUch,  weil  dabei  efai  normales  Verhalten  der  Kerne 
und  der  peripheren  Leitungsbahn  neben  einer  Erkrankung  der  centralen  Willens- 
bahn vorausgesetzt  werden  müsste. 

Auch  bei  dem  Bruder  des  Kranken  waren  die  Excursionen  der  Augen  nach 
oben  und  unten  zu  zwar  möglich,  aber  doch  gewöhnlich  mit  Kopfbewegungen 
verbunden,  oder  durch  Kopfbewegungen  erleichtert  Es  fehlte  also  zwar  das 
eigentliche  Bild  der  Ophthalmoplegia  externa,  da  die  Pupillen  nicht  reagirten 
und  die  meisten  Augenbewegungen  gut  von  Statten  gingen,  und  es  waren  ganz 
andersartige  complicirte  Störungen  am  Auge  vorhanden;  es  blieb  aber  immerhin 
interessant,  dass  sich  erhebliche  Störungen  der  Augen  und  der  Augenbewegungen 
vorfanden,  so  dass  man  geneigt  sein  könnte,  auch  bei  dem  anderen  Bruder 
irgend  eine  angeborene  Anomalie  als  den  Ausgangspunkt  seines  Leidens  anzu- 
sehen, zumal  eine  Ursache  für  die  Entstehung  desselben  sonst  nicht  gefunden 
werden  konnte.  Indessen  lässt  sich  darüber  ohne  Autopsie  nichts  Sicheres  aus- 
sagen; ich  hielt  aber  auch  ohne  dieselbe  den  Fall  für  mittheilenswerth,  abge- 
sehen davon,  dass  über  die  Complicationen  der  Ophthalmoplegie  mit  anderweitigen 
Nervenleiden  doch  noch  wenig  bekannt  ist. 


Benedict,  Elektrotherapie.  S.  241. 


—    465    — 

IL  Referate. 


Anatomie. 

1)    neber  die  Lymphwege  des  Gehirns,   ?on  M.  J.  Rossbach  und  E.  Sehr- 
wald.    (Ctrlbl.  f.  d.  med.  Wissensch.  1888.  Juni.  Nr.  25  u.  26.) 

In  der  grauen  Substanz  des  GeMms  (in  den  Oentralwindungen)  giebt  es  3  ver- 
schiedene Systeme  von  Lymphwegen:  Erstens  die  die  Gefässe  begleitenden  Hi8*schen 
perivasculären  und  die  sog.  advenütiellen  Lymphbahnen;  zweitens  ein  der  Ernährung 
der  GanglienzeUen  dienendes  und  drittens  ein  die  Gliazellen  umspinnendes  System. 
Die  Existenz  der  perivasculären  His'schen  Bäume,  wie  die  der  periganglionären  Bäume 
(Obersteiner)  kann  man  durch  den  besonders  gesetzmässigen  Bau  am  besten  nach- 
weisen durch  die  Behandlung  absolut  frischer,  aus  dem  lebenden  Thier  direct  ent- 
nommener Gehimstückchen  mit  ^2  ^/o  Osmiumsäurelösung.  Auf  das  unzweifelhafteste 
ergab  das  Gehirn  die  Existenz  der  genannten  Bäume,  wenn  man  dem  Thier  den 
grössten  Theil  der  Halsvenen  bei  erhaltenem  Blutzufluss  zum  Gehirn  unterband. 
Auch  an  ganz  frischem  ungehärteten  Gehirn  kann  man  sich  von  dem  Bestehen  der- 
selben überzeugen.  Bei  Härtung  in  Chromsäure  und  Alkohol  erscheinen  sie  in  Folge 
von  Schrumpfung  der  Gefasse  und  Ganglien  weiter,  als  im  Leben  resp.  beim  frischen 
Gehirn.  Die  der  Ernährung  der  Ganglienzellen  dienenden  Lymphwege  haben  einen 
Mittelpunkt,  den  sog.  periganglionären  Lymphraum.  Die  Lymphkanälchen,  die  sich 
in  diesen  ergiessen,  entspringen  an  Gefässen  und  Glialymphränmen,  werden  gegen  den 
ganglionären  Lymphraum  zu  immer  grösser,  und  ihre  Verästelung  gleicht  langen 
feinfaserigen  Wurzeln;  sie  nehmen  zum  grossen  Theile  die  Axencyllnderfortsätze  der 
Ganglienzelle  in  sich  auf.  Die  abführenden  Lymphwege  schliessen  sich  an  den  sog. 
Spitzenfortsatz  (Frotoplasmafortsatz  Deiters)  an,  hüllen  ihn  wie  eine  Scheide  ein, 
verlassen  ihn,  um  sich  zu  verästeln  und  in  einen  perivasculären  Baum  oder  in  einen 
Glialymphraum  oder  in  den  epicerebralen  Baum  direct  zu  münden;  die  abführenden 
Ganglienlymphbahnen  gleichen  mehr  Verästelungen  als  Würzelchen.  Das  Lymphsystem 
einer  jeden  einzelnen  Ganglienzelle  hat  keinen  Zusammenhang  mit  denen  der  benach- 
barten Ganglienzellen,  sondern  nur  mit  den  Himgefässen  und  den  Glialymphräumen. 
Diese  letzteren  sind  nun  die  GliazeUen  der  äussersten  Schicht  der  Gehirnrinde  und 
um  die  in  der  Nähe  des  Beginns  der  weissen  Substanz  liegenden  besonders  ausge- 
bildet» und  bilden  somit  2  Hauptreihen  von  Lymphlücken,  die  mit  feineren  und 
gröberen  Ausläufern  in  die  perivasculären  und  epicerebralen  Lymphräume  münden 
und  oft;  zwischen  die  perivasculären  Lymphbahnen  und  die  der  Ganglienzellen  ein- 
geschaltet sind.  Am  besten  lassen  sich  diese  feinen  Lymphnetze  durch  die  Golgi*sche 
Methode  nachweisen.  Diese  ist  nicht  nur  eine  Färbemethode  der  Ganglien  und  ihrer 
Fortsätze,  sondern  vielmehr  eine  Methode,  durch  welche  die  lymphführenden  Bahnen 
und  Bäume  des  Gehirns  mit  dunklen  amorphen  oder  krystallinischen  Massen  erfüllt 
und  dadurch  auf  das  Deutlichste  sichtbar  gemacht  werden.  Die  Figuren,  die  Golgi 
für  geförbte  Ganglienzellen  erklärt,  sind  stets  absolut  grösser  als  die  Ganglienzellen- 
bilder, die  man  bei  andern  Färbungen  derselben  Gehimtheilchen  nach  derselben 
Fizirungsmethode  wie  G.  erhält.  Die  Gestalt  der  Pyramidenzellen  ist  bei  allen  andern 
Färbungen  eine  andere.  Wie  bei  den  Ganglienzellen  werden  auch  bei  den  Gliazellen 
die  pericellulären  Bäume  bei  der  G.'schen  Methode  schwarz  gefärbt,  ebenso  wie  die 
Fortsätze  der  perigliären  Bäume;  und  man  sieht  nie  bei  der  G.*8chen  Methode  noch 
einen  periganglionären  lichten  Baum,  wie  bei  allen  andern  Methoden.  Löst  man 
durch  Einwirkung  von  Ammoniak  die  G.'schen  Incrustationsmassen  wieder  auf,  so 
kommt  statt  der  plumpen  eine  normale  kleinere  Ganglienzelle  zum  Vorschein.  Wo 
plötzlich  die  G.'sche  Färbung  der  Ganglienauslänfer  unterbrochen  ist,  um  sich  dann 
wieder  fortzusetzen,  sieht  man  deutlich,  wie  der  feine  Axencylinder-  oder  Spitzen- 
fortsatz im  Innern  des  weiteren  Lymphausläufers  des  periganglionären  Baumes  liegt 


—    466    — 

Die  bisher  unerklärliche  Launenhaftigkeit  der  G.'schen  Methode  wird  auf  die  ver- 
schiedene Weite  oder  Füllung  dieser  Bäume  mit  Lymphe  zurückgef&hri  Je  nach- 
dem im  Leben  für  raschen  Abfluss  der  Lymphe  oder  für  Stauung  gesorgt  war, 
ergaben  die  Untersuchungen  Differenzen  in  der  Weite  der  perivasculären,  pericellulären 
und  perifibrillären  Bäume.  In  Kleinhirn,  Med.  oblong,  et  spinalis,  Betina,  Magen, 
Darm  und  fast  allen  anderen  Organen  ohne  besondere  Nervenelemente  zeigten  sich 
dieselben  Bilder  von  Lymphbahnen,  die  nicht  mit  einer  homogenen  Farbe,  sondern 
mit  einem  groben  farbigen  Niederschlag  von  Silberdichromat  (durch  Vereinigung  von 
Kali  bichromic.  mit  Argent.  nitr.)  erfüllt  sind.  Diese  complicirte  Einrichtung  der 
Lymphwege  in  der  grauen  Himsubstanz  wirkt  darauf  hin,  dass  die  (jhinglieDzellen, 
als  die  empfindlichsten  Zellen  des  Körpers,  und  die  nackten  Axencylinder  vor  Druck- 
wirkungen, Zerrung,  zu  racher  Yorbeifinthung  des  Lymphstromes  etc.  geschützt  werden. 
Auch  die  Existenz  der  perivasculären  und  adventitiellen  Lymphräume  sorgt  dafür, 
dass  die  Volumen-  und  DruckschwankuDgen  in  den  Gehimgefössen  sich  nicht  un- 
mittelbar auf  die  Gehimsubstanz  übertragen.  Kalischer. 


2)   Sulla  istogenesi  della  retina  e  del  nervo  ottdoo«   per  F.  Falchi,  Torino. 
(Arch.  per  le  scienze  mediche.  XU.  1.) 

Aus  der  eingehenden  Arbeit  sei  hier  nur  hervorgehoben,  dass  Verf.  mit  His  und 
V.  Köllicker  den  Nervus  opticus  als  Theil  des  Gehirns  entstehen  lässt,  während  die 
Wände  des  Stiels  des  secundären  Augenbläschens  —  z.  Th.  unter  Mitwirkung  des 
mit  den  Geissen  eingedrungenen  Mesoderms  —  das  Stützgewebe  liefern.  Gegen 
W.  Müller  lässt  er  die  Entwickelung  der  Faserbündel  des  Sehnerven  der  Entwicke- 
lung  der  Ganglienzellen  der  Betina  lange  vorausgehen;  erstere  bilden  sich  also  auch 
unabhängig  von  den  letzteren.  Th.  Ziehen. 


Experimentelle  Physiologie. 

3)  Experimentelle  Untersuchungen  zur  Amblyopiefrage^   von   Dr.  Müller- 
Lyer.     (Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol.  1887.) 

Verf.  findet,  dass  bei  variabler  Beleuchtungsintensität  die  Unterschiedsempfind- 
lichkeit des  Auges  sich  ui^efähr  proportional  der  Kubikwurzel  aus  der  absoluten 
Beizstärke  ändert.  Bei  abnehmender  Beleuchtung  nimmt  die  Sehschärfe  nahezu  in 
demselben  Verhältniss  ab  wie  die  Unterschiedsempfindlichkeit.  Charakteristisch  sind 
femer  für  das  Sehen  bei  abnehmender  Beleuchtung:  Quantitative  Both-Grün-Blindheit; 
Gelb  und  Blau  werden  am  längsten  wahrgenommen;  die  Gesichtsfelder  für  die  ein- 
zelnen Farben  sind  in  typischer  Beihenfolge  eingeengt,  das  für  Weiss  unverändert 
Gerade  entgegengesetzt  verhält  sich  das  Auge,  wenn  seine  Erregbarkeit  durch  Bei- 
zung vermindert  ist:  Die  Unterschiedsempfindlichkeit  ist  mehr  gestört  als  die  Seh- 
schärfe, es  besteht  namentlich  für  Violett  und  Blau  quantitative  centrale  Dyschro- 
matopsie,  die  Gesichtsfelder  sind  für  die  dunkleren  Farben  mehr  eingeengt  i^  für 
die  helleren,  auch  das  Gesichtsfeld  für  Weiss  ist  concentrisch  eingeengt,  endlich  be- 
steht Hemeralopie.  Aehnlich  wie  während  der  Beizung  verhält  sich  das  ermüdete 
Auge  nach  der  Beizung. 

Vergleicht  man  die  pathologischen  Formen  der  Amblyopie  mit  diesen  experi- 
mentell erzeugten  Zuständen,  so  ergiebt  sich,  dass  bei  den  hysterischen  Amblyopien 
die  Unterschiedsempfindlichkeit  in  höherem  Maasse  als  die  Sehschärfe  gestört  ist 
Umgekehrt  verhalten  sich  die  tabische  und  alkoholische  Amblyopie,  sowie  die  cen- 
trale Hemiamblyopie.  Das  hysterische  Auge  verhält  sich  auch  bezüglich  der  übrigen 
Punkte   wie  das  gereizte  oder  ermüdete  Auge..   Dem  Zustand  des  Auges  bei  herab- 


—    467    — 

gesetzter  Beleuchtung  entspricht  im  Allgemeinen  die  durch  einfache  Sehnervenatrophie 
hervorgebrachte  Amblyopie.  Th.  Ziehen. 


Pathologische  Anatomie. 

4)    neber  multiple  Angiosarcome   der   Pia  mater   spinalis   mit  hyaliner 
Degeneration.  Inaugural-Dissertation  von  E.  Gramerr.  Marburg  1888.  (41  Seiten.) 

Ein  40  Jahre  alter,  bisher  gesunder  Mann  verspürte  eines  Morgens  beiderseits 
Schmerzen  in  der  Gegend  der  Tuber.  ischü;  der  Schmerz  bestand  hauptsächlich  beim 
Sitzen.  Ein  Jahr  darauf  zeigten  sich  Schmerzen  im  Kreuz  und  rechten  Oberschenkel 
hinten;  der  Schmerz  steigerte  sich  perioden weise;  im  Unterschenkel  bestand  Ameisen- 
kriechen, Kältegefühl,  in  Fusssohle  taubes  Gefühl  beim  Gehen.  Das  linke  Bein  war 
nicht  betroffen.  Dann  zeigte  sich  Abmagerung,  Ischuria  paradoza,  Hämorrhoidalknoten, 
Doppelsehen  und  Parese  der  untern  Extremitäten  mit  Herabsetzung  der  elektrischen 
Erregbarkeit;  und  zwar  rechts  mehr  als  links.  Es  fehlte  die  Goncavität  der  Lenden- 
wirbelsäule, und  der  4. — 5.  Dornfortsatz  war  schmerzhaft.  Rechts  fehlten  Sehnen- 
und  Sohlenreflexe.  Die  Sensibilität  war  objectiv  nicht  gestört.  Durch  den  Zutritt 
von  Gystitis,  Pyelonephritis,  Decubitus  trat  2  Jahre  nach  Beginn  des  Leidens  dei 
Exitus  letalis  ein.  Man  nahm  das  Vorhandensein  eines  Tumors  an,  und  zwar  des 
Markes  oder  seiner  Häute  in  der  Gegend  der  Lenden-  und  Kreuzbeinwirbel.  Die 
Section  ergab:  Sarcomata  multiplicia  piae  matris  pontis  Yaroli,  medullae  oblongatae 
et  spinaUs  praecipue  caudae  equinae  etc.  Der  Tumor  in  der  Gauda  equina  war  der 
bedeutendste  und  der  einzige  von  allen  Tumoren,  der  einen  vollständigen  Untergang 
des  Nervengewebes,  namentlich  in  seinen  untersten  Partien  herbeigeführt  hat;  er 
allein  hat  den  beobachteten  Sjmptomencomplex  herbeigeführt.  Eine  beginnende 
Wucherung  der  Neuroglia  im  obersten  Halsmark  in  den  GolFschen  Strängen  wird 
als  Ausdruck  aufsteigender  Degeneration  angesehen,  die  bedingt  ist  durch  einen  etwa 
haselnussgrossen  Tumor  an  der  Hinterfläche  des  untern  Brustmarkes.  Dieselbe  wuchert 
ungefähr  2^/3  mm  in  die  Substanz  desselben  hinein  und  bewirkt  eine  Verschiebung 
der  Hinterhömer.  Unter  diesem  Tumor  befindet  sich  ein  kleinerer  von  Kirschkern- 
grösse.  Weiter  abwärts  folgen  kleine  röthlichgraue  Knötchen  an  dor  Lendenanschwel- 
lung und  unterhalb  derselben.  Auf  und  zwischen  den  Nervenfasern  der  Gauda  equina, 
mit  derselben  ziemlich  stark  verwachsen,  findet  sich  eine  Anzahl  grosser  Tumoren. 
Der  untere  Theil  ist  in  einen  umfangreichen,  18  cm  langen  Strang  von  (^eschwulst- 
masse  umgewandelt  und  reicht  bis  dicht  an  die  Endausbreitung  der  Dura,  mit  der 
die  Geschwülste  innig  verwachsen  sind.  Tumoren  fanden  sich  femer  an  der  unteren 
Fläche  des  Pens  links,  an  der  rechten  Seite  hinten  am  Halsmark  etc.  Die  Geschwulst- 
masse besteht  wesentlich  aus  Gefassen,  Zellsträngen  und  einem  spärlichen  Gerüst  von 
Bindegewebe,  in  welchem  die  aus  den  Zellsträngen  und  Geissen  hervorgegangenen 
Degenerationsproducte  gelagert  sind  (Pigmenthaufen,  hyaline  Kugeln  und  Kolben, 
hyalin  entartete  Gefässwände  etc.).  Die  Zellen  von  verschiedener  Grösse  und  Gestalt 
haben  einen  epithelialen  Gharakter,  ovalen  bläschenförmigen  Kern,  ein  oder  mehrere 
Kemkörperchen  etc.,  ihre  Gestalt  ist  bald  rundlich,  bald  spindelförmig.  Die  Ent- 
stehung der  Geschwulstzellen  wird  auf  Proliferation  des  die  gequollene  Ge^sadven- 
titia  umgebenden  Perithels  zurückgeführt;  auch  an  die  Möglichkeit  der  Entstehung 
aus  dem  Endothel  der  Lymphzellen  der  Arachnoidea  wird  gedacht.  Der  Beginn  der 
Tnmorbildung  ist  in  der  Pia  mater  zu  suchen,  wenn  auch  das  weitere  Wachsthum 
die  Arachnoidea  mit  ergriff;  es  handelt  sich  um  ein  typisches  Gylindrom  (Billroth) 
oder  um  ein  Angiosarcom  mit  hyaliner  Entartung  der  Gefässwände  und  Geschwulst- 
zellen. Aehnliche  Neoplasmen  im  Rückenmark  sind  von  Ganguillot  (Beiträge  zur 
Kenntniss  der  Bückenmarkstumoren.  Gylindrom  des  Gonus  meduUaris.  Inaugural- 
Dissertation.  Bern  1878)  und  von  Glaser  beschrieben  (Ein  Fall  von  centralem  Angio- 


468 

sarcom  des  Bfickenmarks.  Archiv  ffir  Psycbiatria  XYI.  1885).  Im  Gegensatz  air 
ÄDBicht,  dass  es  cjlindromartige  Tumoren  giebt,  die  echte  Cardnome  sind  (Lubarsch 
etc.),  halt  Verf.  an  der  Behauptung  fest,  dass  die  typischen  Cylindrome  als  Abkömia- 
llnge  Yon  Geweben  des  mittleren  Keimblattes,  zu  den  Bindesubstanzgeschwülsten  un^ 
zwar  unter  die  Endothelsarcome  zu  rechnen  sind.  Kalischer. 


6)  Difhue  Sarooma  of  fhe  spinal  Pia  mater.    (The  British  med.  Joum.  1887. 
May  7.  p.  992.) 

Pasteur  trug  in  der  Londoner  Gesellschaft  für  Pathologie  fiber  2  Falle  von 
Sarcoma  diffusum  piae  matris  spinalis  vor,  welche  zur  Autopsie  gekommen. 

Ormeford  und  Hadden  erwähnen  in  Anschluss  daran  je  eine  eigne  ähnliche 
Beobachtung. 

Fall  1.  22jähr.  Mädchen.  Beginn  der  Krankheit  mit  Kopf-,  Arm-  und  Schulter- 
schmerz rechterseits.  3  Monate  später  heftiger  Schmerz  längs  der  Wirbelsäule. 
4  Monate  später:  Abnahme  des  Gedächtnisses,  Parese  der  Arme  und  Beine  ohne 
Sensibilitätsstömng,  Kniephänomen  fehlt,  heftiger  Spinal-Occipitalschmerz,  beiderseitig 
Neuritis  optica,  coroplete  Paralyse  beider  M-  recti  extemi,  Diplopie.  Tod  comatds. 
Das  Bückenmark  in  seiner  ganzen  Masse  in  ein  weiches  graues  Neoplasma,  nament- 
lich die  hinteren  und  seitlichen  Flächen,  versenkt  Die  Neubildung  lag  unter  der 
Arachnoidea  mit  der  Pia  verwachsen.  Nach  oben  erstreckte  sich  jene  über  Pons 
und  Medulla  oblongata,  das  6.  Gehimnervenpaar  gänzlich  umkleidend,  bis  zu  der 
parietalen  Arachnoidea,  hier  und  da  isolirte  Knötchen  bildend.  Nach  unten  wurden 
die  Nerven  der  Gauda  eqoina  von  der  (xoschwulst  umkleidet  mit  einer  dünnen,  durch- 
scheinenden Schicht,  unter  Bildung  von  kleinen  Tumoren  hier  und  da.  Makroskopisch 
zeigte  das  Nervengewebe  nichts  Besonderes.  Mikroskopisch  bestand  die  NenbUdung 
aus  dichtgelagerten  kleinen  Bundzellen  mit  einem  kleinen  Kern  in  einem  dunklen 
Stroma.  Sie  griff  an  verschiedenen  Punkten  auf  die  weisse  Substanz  des  Bücken- 
marks über.    Das  Nervengewebe  normal. 

Fall  2.  ^^/^jSLhngea  Mädchen  war  die  Treppe  hinabgefallen.  2  Monate  nach- 
her Strabismus,  Parese  der  Beine  und  Arme,  plötzliche  Erblindung,  Bückenschmerz, 
Stamm-Musculatur  schwach.  Keine  Sensil^ilitätsstörung.  Keine  Convulsionen.  Tod 
asphyktisch. 

Das  Bückenmark,  namentlich  hintere  Fläche,  in  ein  dichtes  Neoplasma  gehüllt, 
nach  oben  bis  zur  unteren  Fläche  des  Cerebellum,  dessen  mittlerer  Lappen  fast  durch 
die  Neubildung  verdrängt  war.  Mikroskopisch  fast  derselbe  Befund  wie  in  Fall  1. 
Diese  Art  von  Neubildung  scheint  eine  besondere  Gruppe  zu  bilden,  die  auch  klinisch 
durch  kurze  Dauer  der  Krankheit,  das  Alter  der  Patienten,  Abwesenheit  von  Con- 
vulsionen, Fehlen  des  Kniephänomens  etc.  sich  unterscheiden  lässt. 

L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

6)  Multiple  Cancer,  by  Jos.  Coats.  (The  Brit.  med.  Joom.  1888.  May  5.  p.  958.) 

G.  zeigte  in  der  Londoner  pathologischen  Gesellschaft  Präparate  eines  Falles 
von  multiplem  Cancer  der  Lungen,  Knochen,  des  Gehirns  etc.  eines  17jährigen  Ver- 
storbenen vor.  Im  Leben  bestanden  verschiedene  Nervensymptome,  Amaurose,  Schielen, 
Nystagmus  ohne  andere  Lähmungserscheinungen  oder  Störung  der  Intelligenz.  Schliess- 
lich Convulsionen.    Allmählich  waren  Tumoren  der  Knochen  aufgetreten. 

In  der  rechten  Lunge  wurde  eine  alte  Höhle  mit  cancrösen  Wandungen  als  der 
primäre  Ausgangspunkt  angesprochen;  es  bestanden  secundäre  Tumoren  in  den  Lungen, 
den  Knochen,  der  Leber,  dem  Pankreas  und  der  Nieren.  Im  Gehirn  waren  Cysten 
von  verschiedener  Grösse,  die  grössten  von  2  Zoll,  die  kleinsten  Y«  ^^^  ^^  Durch- 
messer,  und  24  der  Zahl  nach.     Nur  ein  einziger  war  consistent,   aber  auch  weich 


-       469 

nnd  deutlicb  cyaüBch  zu  einem  grossen  Theil.  Das  Mikroskop  erwies  die  Lnngen- 
tumoren  von  typisch  cancrösem  Bau.  Die  Alveolen  in  dem  primären  Lnngentumor 
waren  von  epithelialen  Anhäufungen  gefüllt;  die  peripherischen  cylindrisch.  Bei  den 
secandären  Lungentumoren  waren  die  Alveolen  weniger  regelmässig  an  Grösse  und 
Form  und  durch  kolloide  Metamorphose  der  Zellen  zu  Cystenbildung  veranlagt.  In 
den  Knochen  (Femur)  Cysten,  Epithelialanhäufung  mit  Höhlen,  deren  Ausfüllung 
kolloide  Massen.  Der  Knochen  atrophisch,  nar  noch  schmale  Trabekeln.  Die  Gehim- 
cysten  deutlich  epitheliale  Auskleidung.  Dieser  cystische  Charakter  der  secundären 
Tumoren  müsse  als  etwas  selten  Beobachtetes  hervorgehoben  werden. 

L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

7)    Primary  Cancer  of  brain,   by  Jos.  Coats.    (The  Brit.  med.  Joum.   1888. 
May  5.  p.  959.) 

Im  Leben  (Gairdner)  zeigten  sich  Kopfschmerz  mit  leichtem  Schwindel,  Er- 
brechen, Zurückziehen  des  Kopfes,  Lethargie,  Sopor.  Progressive  Abmagerung  bis 
zum  Tode. 

Der  Tumor  im  Gehirn  war  oval,  mit  einem  Durchmesser  von  l^s  Zoll.  Er 
sass  über  dem  Föns  und  den  Pedunculi,  anscheinend  ausgehend  vom  Aquaeductus 
Sylvii.  Dieser  wurde  ausgedehnt;  die  Geschwulst  griff  über  zu  der  4.  Höhle.  Der 
vordere  Theil  des  Aquaeductus  und  der  3.  Ventrikel  waren  unberührt  geblieben. 

Das  Mikroskop  zeigte  in  Reihen  abgelagertes  Cylinderepithel,  welche  Reihen 
Höhlen  einschlössen.  Man  nahm  an,  dass  das  Epithel  des  Aquaeductus  zum  Aus- 
gangspunkt gedient  habe.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


Pathologie  des  Nervensystems. 

8)  Note  8ur  un  oas  d'athötose  double,  par  P.  Blocq  et  E.  Blin.  (Revue 
de  M^decine.  1888.  Janvier.  p.  79.) 

Die  Yerff.  beschreiben  einen  Fall  von  allgemeiner  Athetosis  aus  der  Charcofschen 
Klinik.  Das  Leiden  betraf  eine  50jährige  Frau,  bei  der  es  sich  im  3.  Lebensjahre 
in  den  Armen,  später  in  den  Beinen,  im  Gesicht,  in  der  Zunge  etc.  entwickelt  hatte. 
Die  Bewegungen  verschwinden  bei  völliger  Ruhe  der  Patientin  fast  ganz,  treten  aber 
bei  der  leisesten  Erregung  sofort  auf.  Die  Zunge  ist  anfallend  gross  (hypertrophisch?); 
durch  ihre  Bewegungen  ist  die  Sprache  beträchtlich  erschwert  In  den  Beinen  finden 
sich  mittelstarke  Contracturen,  ebenso  im  linken  Stemocleidomastoideus.  An  den 
kleinen  Fingergelenken  finden  sich  Verdickungen,  ähnlich  wie  bei  Arthritis  deformans. 
Die  Sehnenreflexe  sind  etwas  erhöht.  Die  Sensibilität  ist  normal,  ebenso  Harn-  und 
Stuhlentleerung.     Keine  auffallende  Intelligenzstörüng. 

Als  Ursache  der  Athetose  nehmen  die  Yerff.  eine  „Gehimsklerose"  an. 

Strümpell. 

9)  Des  paralysies  dans  la  dysenterie  et  la  diarrhäe  ohronique  des  pays 
chauds,  par  J.  Pugibet.  (Revue  de  M6decine.  1&88.  F^vrier  p.  110.  Mars 
p.  222.  Avril  p.  283.) 

Verf.  theilt  in  einer  sehr  ausführlichen  Arbeit  seine  Beobachtungen  über  nervöse 
Erkrankungen  bei  chronischer  Dysenterie  mit.  Er  machte  dieselben  in  Algier  an 
Soldaten,  welche  in  Tonkin  erkrankt  und  ins  Militärlazareth  nach  Algier  übergeführt 
waren.  Die  Soldaten  waren  in  Tonkin  von  acuter  Dysenterie  befallen,  an  welche 
sich  eine  chronische  nachbleibende  Diarrhoe  angeschlossen  hatte.  Im  Verlaufe  der 
letzteren  traten  bei  7  von  71  Kranken,  meist  ziemlich  plötzlich,  nervöse  Erscheinungen 
auf,   bestehend   vorzugsweise   in   mehr  oder  weniger  vollständigen  Lähmungen  der' 


—    470    — 

Muskeln  am  Halse,  an  den  Schaltern  und  an  den  oberen  Extremitäten.  Die  Läh- 
mungen treten  meist  ziemlich  plötzlich  auf,  bessern  sich  allmählich  wieder  vollständig 
oder  bleiben  zum  Theil  stationär.  Die  Sensibilität  ist  meist  erhalten.  Elektrische 
Veränderungen  in  der  Erregbarkeit  der  befallenen  Muskeln  wurde  nicht  nachgewiesen. 
Verf.  ist  geneigt,  als  Ursache  der  Lähmungen  ,,cap01are  Thrombosen  in  den 
grauen  Yorderhömem*'  anzunehmen,  eine  Ansicht,  welcher  wohl  nur  wenige  Neuro- 
logen beistimmen  werden.  Strümpell. 


10)  Demonstration  einos  Kranken  mit  symmetrisch  looalisirten  oberfläch- 
lichen HautentBündungen  und  gleichzeitig  auftretenden  Ii&hmungssu- 
ständen  auf  infectidser  (diphterischer P)  Basis,  von  Wilhelm  Ebstein. 
(Berliner  klin.  Woch.  1888.  Nr.  27.  S.  537.) 

Die  oberflächlichen  Hautentzündungen  betrafen  bei  dem  55jährigen  Manne  Kopf- 
und  Gesichtshaut,  Hals  und  Nacken,  je  zwei  Stellen  auf  beiden  Ellbogen,  an  den 
Nates,^  an  der  Mitte  der  Oberschenkel  und  an  den  Knien,  und  Hessen  sich  als  Eczema 
squamosum  charakterisiren.  Der  Beginn  ihres  Auftretens  vergesellschaftete  sich  mit 
einer  Schwellung  der  Nasen-  und  Mundschleimhaut,  in  dessen  Gefolge  wieder  Schluck- 
und  Schlingbeschwerden  auftraten,  welche  eine  Lähmung  des  Gaumensegels  und  der 
Schlnndmusculatur  zur  Ursache  hatten.  Weiterhin  folgte  die  Parese  der  Rumpf-  und 
Extremitätenmusculatur,  ohne  dass  wesentliche  Sensibilltätsstörungen  oder  Yerände« 
rungen  der  elektrischen  Erregbarkeit   und  der  Reflexe  nachzuweisen  gewesen  wären. 

Fat.  erfuhr  in  der  G^ttinger  Klinik  bedeutende  Besserung,  die  indess  bald  einer 
Verschlimmerung  des  Leidens  Platz  machte,  welcher  der  Kranke  unter  Schling- 
störungen und  „wassersüchtigen  Anschwellungen''  erlag. 

Die  Section  ergab  ausser  lobulärer  Pneumonie  eine  parenchymatöse  Nephritis, 
während  die  Halsorgane  sich  intact  erweisen.  Dem  Centralnervensystem  konnte  keine 
eingehende  Untersuchung  zu  Theil  werden. 

Die  Ursache  und  Natur  dieser  Krankheit  ist  unklar.  Jedoch  scheint  dem  Verf. 
ein  Zusammenhang  zwischen  der  Hautaffection  und  den  nervösen  Störungen  wahr- 
scheinlich; er  erinnert  an  ein  ähnliches  Zusammentreffen  bei  Pellagra,  Acrodynie  und 
Beri-Beri  und  glaubt  in  diesem  Falle,  dass  eine  Intoxication  mit  diphtherischem 
Virus  der  Ausgangspunkt  der  Krankheit  gewesen  ist.  Sperling. 


11)  Beitrag  zur  Lehre  vom  Meryoismus.  von  Dr.  Konrad  Alt.  Aus  der  Kgl. 
psychiatr.  u.  Nervenklinik  in  Halle  a./S.  (Berl.  klin.  Woch.  1888.  Nr.  26.  p.  519 
und  Nr.  27  S.  544  ff.) 

Ein  sehr  gut  beobachteter  und  therapeutisch  mit  grossem  Geschick  behandelter 
Fall  von  Merycismus  (Rumination,  „Wiederkäuen'')»  dessen  Beschreibung  eine  aus- 
führliche Litteraturangabe  sowie  eine  kurze  Besprechung  der  landläufigen  Theorien 
dieser  merkwürdigen  Affection,  deren  Litteratur  ca.  100  Fälle  umfasst,  vorausgeht. 

Verf.  fand  durch  Untersuchung  des  Magens  und  des  Mageninhalts  zu  verschie- 
denen Zeiten  seine  Vermuthung  bestätigt,  dass  hier  drei  Factoren  zusammenwirkten, 
um  die  Rumination  zu  Stande  zu  bringen:  1.  massige  Dilatation  des  Magens  (wahr- 
scheinlich mit  stärkerer  Muskelentwickelung).  2.  Mangelhafter  Verschluss  der  Cardia 
und  Erweiterung  des  cardialen  Theils  des  Oesophagus  (sehr  sinnreich  ist  das  Ex- 
periment mit  den  lebenden  Goldfischen,  welche  Verf.  den  Patienten  verschlucken  Hess, 
und  die  alsbald  wieder  unbeschädigt  zu  Tage  gefördert  wurden;  Verf.  schliesst  daraus 
wohl  mit  Recht  auf  eine  bedeutende  Erweiterung  des  cardialen  Oesophagustheiles). 
3.  Hyperacide  Beschaffenheit  des  Magensaftes,  einhergehend  mit  guter  Fleisch-  und 
schlechter  Amylaceenverdauung. 


—    471     — 

Daraas  erklären  sich  vortrefflich  die  verschiedenen  Yerdauungsstörangen  eben- 
sowohl wie  die  Wirksamkeit  der  Therapie,  welche  in  Darreichung  von  Alkalien  und 
Elektrisimng  des  Magens  resp.  des  Oesophagus  bestand.  Patient  wurde  geheilt 
enüassen. 

Die  Arbeit  ist  sehr  lesenswerth.  Sperling. 


12)  Contribution  a  l'etude  de  la  paralysie  atrophique  de  l'enfanoe  a  forme 
hömiplägique  (töphro  myälite  xmilatörale),  par  J.  Dejerine  et  E.  Huet. 
(Arch.  de  FhysioL  norm,  et  path.  1888.  Nr.  3.) 

Die  Yerff.  beschreiben  eingehend  einen  jener  selteneu  Fälle  spinaler  Einder- 
lähmung, welche  in  hemiplegischer  Form  auftreten.  Bei  einem  llmonatlichen  Kinde 
hatte  sich  dieselbe  rechterseits  entwickelt.  Im  46.  Lebensjahre  ergab  eine  genaue 
Untersuchung:  schlaffe,  atrophische  Parese  des  rechten  Arms  und  Beins,  Gesichts- 
musculatur  intact,  Eniephänomen  rechts  kaum  erhältlich,  idiomusculäre  Erregbarkeit 
rechts  fast  erloschen,  keine  trophischen  oder  sensibeln  Störungen.  Tod  durch  Tuber- 
culose.  Die  Section  ergab,  dass  die  Atrophie  am  rechten  Arm  vorzugsweise  Biceps, 
Brachiaüs  Int.,  Triceps,  die  Flexoren  des  Vorderarms,  Thenar  und  Antithenar,  am 
rechten  Bein  namentlich  den  Semitendinosus  betraf.  Sämmtllche  Knochen  der  rechts- 
seitigen Glieder  waren  kürzer,  so  z.  B.  der  rechte  Humerus  3  cm  kürzer  als  der 
linke.  Die  rechte  Arteria  brachialis  zeigte  eine  Hypertrophie  der  glatten  Muskel- 
fasern der  Media.  Die  histologische  Untersuchung  des  Biceps  ergab  nur  wenige 
verkleinerte  Fasern;  der  Durchmesser  der  meisten  Fasern  war  vergrössert  (110  bis 
148  fi).  Starke  interstitielle  Fettwucherung.  Das  Gehirn  erwies  sich  durchaus 
intact  Im  Bückenmark  fand  sich  in  der  Höhe  der  Lendenanschwellung  eine  völlige 
Atrophie  aller  Ganglienzellen  der  hinteren  äusseren  Gruppe  lediglich  des  rechten 
Vorderhoms,  sowie  hochgradige  Degeneration  der  rechtsseitigen,  aber  auch  theilweise 
der  linksseitigen  vorderen  Wurzelfasem.  Von  den  zu  Grunde  gegangenen  Fasern 
waren  nur  die  leeren  Schwann'schen  Scheiden  übrig.  Interstitielle  Veränderungen 
fanden  sich  im  rechten  Vorderhome  nicht.  Im  Dorsaltheil  des  Bückenmarks  ist  auch 
das  rechte  Hinterhom  etwas  verschmälert,  desgleichen  die  rechte  Clarke'sche  Säule; 
die  hinteren  Wurzeln  erscheinen  beiderseits  unverändert.  Die  Pyramidenvorderstrangs- 
bahn  ist  rechts  stärker  als  links,  der  Seitenstrang  rechts  schmäler.  Der  übrige  Be- 
fund wie  im  Lendentheil.  Im  Halstheil  ist  auch  die  vordere  äussere  Zellengruppe 
des  rechten  Vorderhoms  geschwunden,  ebenso  der  rechte  Tractus  intermedio-lateralis. 
Es  besteht  leichte  Kemvermehrung.  Die  hinteren  Wurzeln  sind  auch  hier  intact. 
Die  Vorderstränge  sind  wiederum  links  schmäler.  In  der  Oblongata  fanden  sich 
keine  Veränderungen,  auch  die  p^pherischen  Nerven  (N.  medianus  und  ischiadicus 
dexter)  zeigten  verhältnissmässig  wenig  degenerirte  Fasern. 

In  der  Epikrise  heben  die  Verff.  als  differentialdiagnostisches  Merkmal  gegen- 
über der  cerebralen  Kinderlähmung  das  Fehlen  der  Contracturen  und  die  Abscliwächung 
der  Sehnenphänomene  und  das  Prädominiren  der  Atrophie  in  gewissen  Muskelgruppen 
bei  der  spinalen  Kinderlähmung  hervor.  Die  Degeneration  der  linksseitigen  vorderen 
Wurzeln  betrifft  Fasern,  die  mittelst  der  weissen  Commissur  aus  dem  rechten  Vorder- 
hom  stammen.  Th.  Ziehen. 


13)  Infiintile  paralysis  limited  to  the  bulbar  nuclei  with  permanent  para- 
lysifl  of  half  the  face  and  tongue,  by  W.  Pasteur.  (The  Lancet.  1887. 
Vol.  II.  Nr.  18.) 

Bei  einem  Kinde  von  2  Jahren  und  3  Monaten  zeigten  sich  am  2.  bis  3.  Tage 
einer  mit  heftigem  Fieber  verbundenen  Diarrhö  Zuckungen  in  den  Mundwinkeln  und 


472     — 

an  den  Fussgelenken,  denen  sich  am  folgenden  Morgen  rechtseitige  Gesichtslähmung, 
Sprachstörung  und  Unmöglichkeit  zu  schlacken  anschlössen.  Nach  einigen  Wochen 
stellte  sich  das  Schluckrermögen  und  dann  die  Sprache  wieder  her,  während  die 
totale  Facialislähmung  und  die  rechtsgerichtete  Deviation  der  Zunge  mehrere  Monate 
lang  bestehen  blieben.    Die  übrigen  Gehimnerven  erwiesen  sich  als  intact. 

Verf.  fasst  den  Fall  als  infantile  Paralyse  auf,  bei  welcher  die  ungewöhnliche 
Localisation  der  Lähmungen  auf  Affection  der  bulbären  £eme  schliessen  lasse;  viel- 
leicht seien  bei  dem  lange  bettlägerig  gewesenen  Kinde  paralytische  Erscheinungen 
der  Glieder  übersehen  worden.  Bemerkenswerth  bleibt  es,  dass  während  des  sechs- 
monatlichen Bestehens  der  Lähmungen  —  so  lange  wurde  das  Sind  beobachtet  — 
keine  entsprechenden  trophischen  Störungen  zu  finden  waren.         J.  Bnhemann. 


14)  Ueber  paralytische  Luxationen  der  Hüfte,  ein  Beitrag  anr  Aetiologie 
der  Gtolenkcontraoturen  nach  spinaler  Einderlähmung  (aus  dem  jüdischen 
Krankenhause  zu  Berlin)  von  Dr.  Karewski.  (v.  Langenbeck's  Arch.  Bd.  XXXVII. 
Heft  2.) 

Die  4  geschilderten  Fälle  von  spontaner  Hüftgelenksluxation,  welche  unzweifel- 
haft ihre  Entstehung  einer  spinalen  Kinderlähmung  verdanken,  gewähren  einen  tieferen 
Einblick  in  die  Grundursache  des  Zustandekommens  derselben.  Eine  mechanische 
Erklärung  nach  Hueter  und  Volkmann  genügt  nicht,  es  muss  die  antagonistische 
Werner*s,  oder  die  antagonistisch-mechanische  von  Seeligmüller  herangezogen 
werden.  Deshalb  behauptet  Verf.  in  seiner  Schlussfolgerung  geradezu:  „eine  para- 
lytische Luxation  der  Hüfte  kann  nur  zu  Stande  kommen,  wenn  die  Hüftmuskeln 
nicht  alle  in  gleichem  Maasse  gelähmt  werden.  Ueberwiegt  die  Kraft  der- Botatoren 
und  Abductoren,  so  entsteht  luxatio  infrapubica,  sind  die  Adductoren  intact,  so  bildet 
sich  luxatio  iliaca  aus.  Trifft  die  Paralyse  alle  Muskeln  in  demselben  Maasse,  so 
wird  ein  Schlottergelenk  erzeugt." 

Diese  Anschauung  erscheint  recht  plausibel.  Unter  den  4  Fällen  befinden  sich 
3  von  luxatio  infrapubica,  einer  von  luxatio  iliaca.  Der  eine  der  erstem  verwandelte 
sich  unter  den  Augen  des  Arztes  aus  einer  blossen  Contractur  in  eine  Luxation. 

Die  Therapie  muss  durch  Orthopädie,  Massage  und  Elektricität  womöglich  pro- 
phylactisch  wirken.  Sperling. 


16)  Ueber  Muskelatrophie  bei  Gehimerkrankungen,  von  H.  Quinke  in  Kiel. 
(Deutsches  Archiv  f.  klin.  Med.  Bd.  XLIL  H.  5.) 

Verf.  theilt  folgende  Beobachtung  mit:  Ein  14jähriger  Mensch  erkrankte  an  sich 
öfters  wiederholenden  Krampfanfallen  im  linken  Arm  und  Bein.  Dazu  trat  Parese 
der  linksseitigen  Extremitäten,  eine  allmählich  zunehmende  Abmagerung  des  linken 
Arms  und  der  linken  Wade,  starke  Kopfschmerzen,  Erbrechen,  Schwindel,  später 
Somnolenz,  in  welcher  Fat  zu  Grunde  ging. 

Die  Section  ergab  ein  Gliom  von  3,5  cm  Durchmesser  in  der  vorderen  Gentral- 
windung. 

Von  besonderem  Interesse  ist  bei  diesem  Krankheitsfalle  die  Constatirung  einer 
Abmagerung,  die,  von  den  Angehörigen  schon  einen  Monat  nach  dem  ersten  Krampf- 
anfalle bemerkt,  allmählich  bis  zur  10.  Woche  an  Intensität  zunahm  und  den  linken 
Oberarm,  später  auch  den  Unterarm  und  Unterschenkel  betraf.  Dabei  nur  geringe 
Parese  in  den  afficirten  Muskeln  ohne  jedwede  Contractur.  (Ob  Zeichen  von  EAB 
bestanden,  ist  nicht  erwähnt.) 

In  einem  2.  ähnlichen  Falle  von  Gliom  der  medialen  Hälfte  beider  rechtsseitigen 
Centralwindungen   erfolgte  4  Wochen   nach   Eintritt   völlig   schlaffer  Lähmung  eine 


473    — 

bedeutende  Abmagerung  des  linken  Annes  mit  geringer  Herabsetzung  der  faradiachen 
Erregbarkeit.  Das  gleichzeitig  gelähmte  linke  Bein  zeigte  keine  atrophischen  Störungen. 

Bei  einer  3.  Beobachtung  gab  eine  luetische  Affection  im  motorischen  Rinden- 
gebiete die  Veranlassung  zu  einer  Paralyse  des  linken  Arms  und  Parese  des  linken 
Beins.  Gleichzeitig  klonische  Zuckungen,  Contracturen  mit  wechselnder  Intensität 
und  —  schon  3  Wochen  nach  der  Lähmung  —  deutliche  Atrophie  des  linken  Armes 
und  Beines.  —  Keine  EAB  nur  geringe  Herabsetzung  der  faradischen  Erregbarkeit. 

Sich  stützend  auf  vorstehende  Beobachtungen  stellt  Verf.  die  Vermuthung  auf, 
dass  in  der  Hirnrinde  neben  den  motorischen  Centren  räumlich  davon  getrennte 
trophische  Gentren  vorhanden  seien,  welche,  manchmal  mit  betroffen,  trophische 
Störungen  in  den  gelähmten  Muskeln  hervorrufen  könnten. 

Die  Abmagerungen  als  Inactivitätsatrophien  oder  als  Folge  einer  absteigenden 
Degeneration  der  Pyramidenseitenstrangbahnen  aufzufassen,  hält  Verf.  für  nicht  möglich, 
da  sich  die  Abmagerung  der  Lähmung  nach  so  kurzer  Zeit  anschloss  und  der  mikro- 
skopische Befund  keine  pathologischen  Veränderungen  weder  in  den  Pyramidenseiten- 
strangbahnen noch  in  den  Vorderhomganglien  ergab.  P.  Seifert  (Dresden.) 


16)  Ein  Fall  nicht-progressiver  Mnskelatrophie,  von  J.  Butakow.  (Wjestnik 
psychiatrii  i  nevropatologii.  1888.  V.  2.     Russisch.) 

Verf.  hatte  Gelegenheit,  einen  54jährigen  Bauer  zu  beobachten,  bei  welchem 
sich  im  Laufe  von  39  Jahren  eine  bis  zum  höchsten  Grad  vorgeschrittene  Atrophie 
der  Musculatur  am  Gesicht,  Hals  und  im  oberen  Gebiet  der  Brust  und  des  Rückens 
entwickelt  hatte.  Der  Hals  erschien  verhältnissmässig  lang  und  dünn,  der  Kopf 
folgte  dem  Gesetze  der  Schwerkraft  und  fiel  bald  vornüber,  bald  zurück,  das  Acromial- 
ende  der  Schlüsselbeine  war  nach  vom  und  unten  verschoben,  die  Schulterblätter 
standen  weit  vom  Rücken  ab.  Die  Atrophie  der  Mm.  pectorales,  deltoidei,  latissimi 
dorsi  und  der  an  den  Schulterblättern  inserirenden  Muskeln  hatte  eine  solche  In- 
tensität erreicht,  dass  die  obere  Partie  des  Rumpfes  buchstäblich  ein  nur  mit  Haut 
bedecktes  Skelett  darstellte;  von  den  Mm.  sternocleidomastoidei  war  beiderseits  nur 
ein  dünner  bindegewebsartiger  Strang  erhalten;  am  Gesiebt  waren  die  Schläfen  und 
Wangen  tief  eingefallen,  und  sein  Knochengerüst  zeichnete  sich  deutlich  unter  der 
Haut  ab.  Die  Extremitäten,  sowohl  die  oberen,  als  die  unteren,,  waren  vollständig 
von  Atrophie  verschont  geblieben;  eine  geringfügige  Abnahme  der  Muskelmassen  be- 
stand nur  in  der  Schulterregion  und  am  Gesäss.  Die  Bewegungen  der  Extremitäten 
waren  in  keiner  Weise  behindert,  auch  irgend  welche  andere  nervöse  Störungen  liessen 
sich  nicht  constatiren.  Die  elektrische  Erregbarkeit  der  Nerven  und  Muskeln  wurde 
nicht  untersucht.  Patient  giebt  an,  dass  er  in  seinem  15.  Jahre  von  einer  heftigen 
Fiebererkrankung  befallen  worden  sei,  die  mit  Bewusstseinsverlust  verlief;  als  er  von 
dieser  Krankheit  zu  genesen  anfing,  bemerkte  er  zum  ersten  Mal,  dass  er  den  Kopf 
nicht  gerade  halten  konnte,  und  seitdem  nahm  die  Atrophie  der  Muskeln  allmählicb, 
sehr  langsam,  zu.  lieber  Erblichkeitsverhältnisse  liess  sich  nichts  Bestimmtes  er- 
mitteln. P.  Rosenbach. 

17)  Hereditär  progressiv  muskelatrofi  hos  tre  syskon,  af  A.  Levin.  (Hygiea. 
1887.  XLIX.  12.     Svenska  läkaresäUsk.  förh.  S.  245.) 

Bei  dem  17  Jahre  alten  Pat.,  der  zeitig  laufen  gelernt  hatte,  stellte  sich  im 
4.  Lebensjahre  Schwäche  mit  schwankendem  Gange  bei  eingebogenem  Rücken  ein; 
allmählich  verschlimmerte  sich  dieser  Zustand  und  vom  10.  Jahre  an  ging  Patient 
an  Krücken.  Der  Bücken  war  immer  schwach  gewesen  und  Pat.  konnte  nicht  ohne 
Stütze  aufrecht  sitzen  und  beim  Aufstehen  musste  er  sich  auf  die  Arme  stützen,  die 
auch  schwach  waren.  Alle  Muskeln  waren  schwach  entwickelt,  besonders  an  der 
Vorderseite  der  Schenkel,  am  Rücken  und  Schultei^ürtel,  theils  schlaff  (kurze  und 


—     474     — 

• 

breite  Muskeln),  theils  sehnig  (lange  Muskeln).  Znr  Zeit  der  Untersuchung  (Juni 
1887)  konnte  der  Kranke  ohne  Stütze  kaum  einen  Augenblick  stehen,  stützte  sich 
nnr  auf  das  rechte  Bein  mit  nach  rechts  überhängendem  Körper  bei  nach  links  con- 
vexer  Skoliose  der  Wirbelsaule;  ausserdem  bestand  starke  Lordose  mit  etwas  nach 
Yom  geschobenem  Steiss  und  nach  hinten  durchgedrückten  Knien.  Nach  vom  bis 
auf  den  Boden  sich  bücken  konnte  Fat,  auch  mit  auf  die  Knie  gestützten  Händen 
aufstehen.  Das  rechte  Bein  konnte  mit  gebeugtem  Knie  kaum  3  cm  Tom  Boden 
erhoben  werden,  mit  gestrecktem  Knie  gar  nicht,  im  Knie  konnte  es  bis  fast  zu 
einem  rechten  Winkel  gebeugt  werden.  Das  linke  Bein  konnte  bei  gebeugtem  Knie 
24  cm,  bei  gestrecktem  Knie  8  cm  vom  Boden  erhoben,  im  Knie  bis  zu  einem  rechten 
Winkel  gebeugt  werden.  Beim  Stehen  waren  die  Beine  ziemlich  stark  nach  aussen 
rotirt.  Plantar-  und  Dorsalfiexion  war  an  beiden  Füssen  erhalten,  eine  geringe  Pro- 
nation am  linken»  die  Supination  war  an  beiden  Füssen  unmöglich.  Die  Kraft  war 
in  dem  linken  Bein  grösser  als  im  rechten.  Die  Arme  konnten  nicht  nach  oben 
gestreckt  werden,  die  Serr.  ant.  majores  waren  stark  atrophisch.  Die  Schulterblätter 
standen  ab.  Der  linke  Arm  war  starker  als  der  rechte.  Oontracturen  oder  fibrilläre 
Zuckungen  waren  nicht  vorhanden,  der  Patellarreflex  war  schwach,  aber  deutlich,  die 
Hautreflexe  waren  normal.  Die  elektrische  Reizbarkeit  war  der  Atrophie  entsprechend 
herabgesetzt  Entartungsreaction  wai  nicht  vorhanden.  Die  Intelligenz  des  Kranken 
war  gut,  auch  fand  sich  keine  Abnormität  der  innem  Organe. 

2.  Die  14jähr.  Schwester  des  erwähnten  Kranken  lernte  spät  gehen  und  zeigte 
von  Anfang  an  Schwäche  in  den  Beinen  und  im  Bücken;  seit  dem  10.  Jahre  ging 
sie  an  einer,  seit  dem  13.  an  zwei  Krücken;  sie  konnte  sich  nicht  auf  die  Beine 
stützen.  Es  bestand  Skoliose  mit  Lordose,  nach  vom  gehobenem  Steiss  und  nach 
hinten  durchgedrückten  Knien;  aus  vomübergebeugter  Stellung  konnte  sich  die  Kranke 
nicht  ohne  Stütze  aufrichten.  Sonst  war  der  Befund  ziemlich  wie  bei  dem  ältesten 
Bruder,  die  Sehnenreflexe  waren  links  äusserst  schwach,  rechts  nicht  sichtbar. 

3.  Bei  dem  3.  der  Geschwister,  einem  lljähr.  Mädchen,  begann  die  Schwäche 
im  4.  Jahre,  Krücken  wurden  im  10.  Jahre  nothwendig,  doch  konnte  sich  Fat.  auf 
beide  Beine  stützen.  Es  bestand  Skoliose  und  Lordose.  Sie  konnte  einige  Schritte 
ohne  Krücken  gehen,  aber  wankend,  wie  bei  angeborener  Hüftgelenksluxation.  Die 
Arme  konnte  sie  nach  oben  strecken,  doch  nur  mit  Schwierigkeit.  Auch  bei  ihr 
war  die  linke  Seite  stärker.  Die  Sehnenreflexe  waren  ziemlich  gut,  die  elektrische 
Reizbarkeit  war  wenig  herabgesetzt. 

Die  Behandlung  (Bäder,  Elektricität,  Gymnastik)  besserte  den  Zustand  des  Bruders 
etwas,  die  ältere  Schwester  lernte  etwas  besser,  die  jüngere  ziemlich  gut  lanfen. 

Walter  Berger. 

18)  Fseudo-hypertrophio  Mnsoular  Paralysis»  bj  Dr.  Middleton.  (Medice- 
Chirurgical  Society  of  Glasgow.  April  1888.  The  Glasgow  Medical  Journal. 
1888.  Juni.) 

Ein  Sjähriger  Knabe,  über  dessen  Familie  nichts  bekannt  war,  konnte  im  Jahre 
1881  gut  gehen  und  Nahrung  zu  sich  nehmen;  er  hatte  einen  Pes  equinus.  Ende 
1881  konnte  er  nicht  mehr  gehen,  doch  sich  in  der  typischen  Weise  vom  Stuhl 
erheben.  Ende  1882  war  auch  das  nicht  mehr  möglich.  Es  bestand  damals  eine 
Scoliose  und  Hypertrophie  der  Waden.  Die  Muskelschwäche  nahm  mit  der  Zeit  zu; 
er  konnte  nicht  mehr  kauen,  musste  gefüttert  werden.  Das  Kniephänomen  fehlte. 
Die  Sensibilität  wie  Articulation  war  normal,  ebenso  der  geistige  Zustand  des  Knaben. 
Nach  allmählicher  Abmagerung  starb  der  Fat.  im  December  1887  nach  kurz  dauern- 
der Erschöpfungsdiarrhoe.  Der  Körper  war  sehr  abgemagert  und  die  Muscnlatur 
gering,  mit  Ausnahme  der  Gastrocnemii.  Die  Waden  waren  rechts  lO^/j  Zoll,  links 
972  ^^^  ^^^^»  ^'®  Oberschenkel  rechts  9'/^,  links  9,  die  Unterarme  rechts  6,  links  6, 
die  Oberarme  6^/2  Zoll.   Gehirn  und  Med.  obl.  waren  makroskopisch  und  mikroskopisch 


475    — 

ohne  pathologische  Veränderung.  Das  Bflckenmark  verdarb  bei  der  Härtung.  Die 
Muskeln  zeigten  hochgradige  fettige  Infiltration,  namentlich  der  rechte  Glut,  maxim. 
und  der  linke  Gastrocnem.  Die  Dicke  der  Muskelfasern  wie  die  Menge  des  Binde- 
gewebes war  verschieden;  letzteres  oft  vermehrt.  Dichotom.  Theilung  der  Muskel- 
fasern wurde  ebenso  wenig  wie  Coagulationsnecrose  gefunden.  Die  Krankheit  scheint 
dem  Verf.  myopathischen  Ursprungs  zu  sein,  doch  dürfte  die  vielfach  beschriebene 
Coagulationsnecrose  nicht  das  Anfangsstadium  derselben  darstellen.       Kalischer. 


19)    Des  öphidrosea  de  la  faoe,  par  P.  Raymond.    (Arch.  de  Neurolog.  1888. 
XV.  p.  61  et  212.) 

B.  bespricht  die  abnorme  Schweissabsonderung  im  Gesicht  unter  Anfflhrung 
zweier  selbstbeöbachteter  Fälle,  sowie  unter  kritischer  Sichtung  des  in  der  Litteratur 
vorhandenen  Materials.  Er  sondert  die  Fälle  in  4  Hauptgruppen.  In  der  ersten 
Gruppe  bestehen  materielle  Störungen  im  cerebrospinalen  Nervensystem:  es  sind  die 
Uemiplegiker,  Paralytiker,  Tabiker,  Epileptiker  und  Andere  mit  organischer  Erkran- 
kung des  nervösen  Oentralorgans.  Hier  finden  sich  neben  dem  oft  halbseitigen 
Schweissausbnich  häufig  allerlei  trophische  Störungen.  Die  zweite  Gruppe  ist  aus- 
gezeichnet durch  eine  Affection  des  Halssympathicus,  auf  welche  aus  den  sonstigen 
charakteristischen  Symptomen  geschlossen  werden  kann.  Der  zweite  Fall  des  Verf. 
gehört  hierher;  bei  der  Autopsie  will  B.  im  unteren  Halsganglion  Kemwucherung 
und  Compression  und  Atrophie  der  Nervenzellen  gefunden  haben.  In  der  dritten 
Gruppe  sind  die  Gesichtsnerven  afficirt,  der  Facialis  oder  der  Trigeminus  bezw.'  ihre 
Aeste,  durch  Neuralgien  oder  durch  Krankheiten  ihrer  Umgebungen:  Parotitis,  Trau- 
men u.  s.  w.  Zur  vierten  Gruppe  gehören  die  reflectorischen  Ephidrosen,  psychischen 
oder  peripherischen  Ursprungs,  auch  toxischer  Natur. 

Bei  allen  diesen  Arten  erscheint  die  Vermittelung  des  Sympathicus  zweifellos. 
Die  Experimente  beweisen  es;  und  zwar  geschieht  es  auf  zweierlei  Weise,  durch  die 
vasomotorischen  und  durch  die  Schweissfasem.  Im  ersteren  Falle  kann  nebenbei 
Röthung  und  erhöhte  Wärme  der  Haut  und  Myosis  auftreten;  bei  der  Schweisshyper- 
secretion  allein  können  die  Pupillen  erweitert  sein.  Ueber  eine  directe  Einwirkung 
der  Gehirnrinde  und  der  bulbären  Centren  sind  die  Acten  noch  nicht  geschlossen, 
wie  denn  Oberhaupt  alle  die  verschiedenen  klinischen  Erscheinungen  noch  nicht  völlig 
erklärt  werden  können.  Auch  der  Befund  an  dem  Cervicalganglion  lässt,  besonders 
bei  völligem  Intactsein  des  Nervenstammes,  noch  Vieles  dunkel.  Siemens. 


Psychiatrie. 

20)   Ueber  plötaliohen  Tod  aus  Angst  bei  einem  Geftuigenen,  von  0.  Bol- 
linger.    (Münch.  med.  Woch.  1888.  Nr.  20.  S.  331.) 

Für  den  plötzlichen  Tod  ist  bei  dem  60jährigen  Manne  keine  andere  Ursache 
ausfindig  zu  machen,  als  die  oben  angegebene.  Nach  6monatlicher  Gefangenschaft 
zeigten  sich  die  ersten  Spuren  von  Krankheit  an  dem  Tage,  an  welchem  er  vor  das 
Schwurgericht  geführt  werden  sollte.  Der  anwesende  Arzt  erkannte  sofort  den  mori- 
bunden Zustand  und  sorgte  fQr  Ueberführung  nach  dem  Krankenhaus.  Dort  trat 
unter  den  Symptomen  von  Herzlähmung  sehr  bald  der  Tod  ein. 

Die  Section  gab  keine  Aufklärung.  Verf.  hält  es  für  am  wahrscheinlichsten, 
dass  bei '  vorausgegangener  schlechter  Ernährung  das  „psychische  Trauma"  vorzugs- 
weise auf  die  Herznerven  schädigend  gewirkt  hat.  Der  Befund  der  Herzmusculatur 
lässt,  wie  Lesser  hervorhebt,  keinen  Schluss  zu  auf  die  Leistungsfähigkeit  des  Herzens; 
Verf.  meint,  dass  die  Blutfflllung  der  Unterleibsorgane,  welche  schnell  auf  Störungen 
der  Herzfnnction  reagiren,  in  solchen  Fällen  plötzlichen  Todes  ganz  besonders  berück- 
sichtigt werden  muss.  Sperling. 


476 

21)  lieber  Chorea  und  andere  Bewegnngsencheiniuigen  bei  Oeisteekrasken, 

von  M.  Koppen,  Strassburg.    (Arch.  f.  Psychiatric.  1888.  XIX.  3.) 

K.  berichtet  über  6  Fälle,  in  welchen  eine  einfache  Psychose  zeitweise  choreatische 
Bewegungsstörungen  zeigte.  4  Fälle  betreffen  typische  Manien;  jugendliches  Alter 
und  weibliches  Geschlecht  spielt  wie  überhaupt  bei  der  Entstehung  einfacher  Manien 
mit  starkem  Bewegungsdrang  eine  grosse  Bolle.  Charakteristisch  für  die  choreatischen 
Bewegungen  hält  K.  die  Betheiligung  des  ganzen  Körpers,  ihre  Zusammengesetztheit, 
ihre  Arhythmie,  das  plötzliche  Einsetzen  und  langsame  Zurückgehen  und  endlich  den 
verstärkenden  Einfluss  der  Affecte  nnd  intendirter  Bewegungen.  Wie  auch  bdm 
Gesunden  anfiings  willkürliche  Bewegungen  durch  Uebung  schliesslich  zu  automatischen 
werden,  so  würden  nach  Verf.  auch  die  maasslosen  Bewegungen  des  Tobsüchtigen, 
die  Logorrhoe,  die  Echolalie,  die  paramimischen  Bewegungen  etc.  anfangs  auch  einen 
entsprechenden  Bewusstseinsinhalt  haben  und  erst  im  Laufe  der  Krankheit  zu  auto- 
matischen Bewegungen  werden.  Die  Möglichkeit,  dass  Bewegungen,  die  ursprünglich 
reine  Ausdrocksbewegungen  eines  Affects  sind,  sich  von  dem  letzteren  schliesslich 
loslösen  und  auf  Grund  secundär-selbstständiger  Erregung  tieferer  Centren  fortdauern, 
hat  übrigens  Referent  schon  betont.  Von  diesen  ursprünglich  bewnsst  gewesenen 
Bewegungen  trennt  K.  jene  Erscheinungen  allgemeiner  Bewegnngsunruhe,  für  die 
Freusberg  eine  unbewusste  Irradiation  von  der  Psyche  auf  subcorticale  Centren 
angenommen  hat;  dieselben  hören  bei  beabsichtigten  Bewegungen  auf  und  verlaufen 
weniger  plötzlich  als  die  choreatischen.  Th.  Ziehen. 


22)  lieber  Neurosen  und  Psychosen  durch  sexuelle  Abstuienz,   von  Prof. 
V.  Krafft-Ebing.     (Jahrbücher  für  Psychiatrie.  1888.  VIII.  1  u.  2.) 

Der  Einfluss  sexueller  Abstinenz  ist  in  seinen  Wirkungen  abhängig  von  der 
Persönlichkeit  des  Abstinirenden,  von  seiner  Constitution  und  der  Intensität  des 
Triebes.  Bei  Menschen  von  normaler  Veranlagung  und  geschlechtlicher  Bedürftig- 
keit wird  die  Abstinenz  niemals  Gefahren  für  Nerven  und  Geistesleben  mit  sich 
bringen.  Jedem  normal  constituirten  Manne  wird  die  Abstinenz  unschädlich  sein, 
wenn  er  passende  geistige  Diät,  Femhaltung  von  der  geschlechtlichen  Sphäre  er- 
regenden Vorstellungen,  ernste  geistige  und  berufliche  Thätigkeit,  frugale  Kost  und 
reichliche  Leibesbewegung  zu  Hülfe  nimmt.  Beim  normal  veranlagten  Weibe  macht 
sich  das  Nichteintreten  des  geschlechtiichen  Verkehrs  wie  der  Verzicht  auf  gewohnten 
(Wittwen)  noch  weniger  fühlbar  als  beim  Manne.  Auch  hier  werden  ein  der  ehe- 
lichen Versorgung  äquivalenter  Beruf,  geistige  und  leibliche  Diätetik  Nützliches 
leisten.  Das  normal  veranlagte  Weib  ist  an  und  für  sich  weniger  geschlechtsbedürftig 
und  daher  weniger  sinnlich  als  der  Mann,  und  spielt  die  sexuelle  Nichtbefriedigung 
keine  so  grosse  Rolle  bei  der  Entstehung  der  Hysterie,  wie  vielfach  behauptet  wird. 
Nicht  auf  die  Sinnlichkeit,  sondern  auf  die  Nichtbefriedigung  idealer  (Gefühle  (ge- 
sicherte Lebensstellung  als  Ehefrau  und  Mutter  etc.)  legt  v.  E.-E.  den  Hauptaccent 
beim  Weibe.  Bei  Frauen,  die  eine  äquivalente  ehelose  befriedigende  Lebensstellung 
finden,  bleiben  die  später  zu  erwähnenden  Wirkungen  ans.  Beruf,  Kunst,  Aesthetik  etc. 
vermögen  jedoch  den  durch  die  JBhe  erschlossenen  ethischen  Gefühlskreis  nie  voll- 
kommen zu  ersetzen.  Auf  dem  psychischen  Entstehungswege,  nicht  durch  Nicht- 
befriedigung des  grob  sinnlichen  geschlechtiichen  Triebes  entsteht  die  Hysterie. 
Ernste  Gefahren  kann  die  erzwungene  Abstinenz  bezüglich  der  Entstehung  von  Nerven- 
und  Geisteskrankheiten  nur  bei  Individuen  hervorbringen,  die  neuropathisch  constituirt 
sind  und  bei  denen  als  Theilerscheinung  ihrer  Belastung  ein  äusserst  lebhafter  Sexual- 
trieb sich  vorfindet  Die  mächtige  Steigerung  der  Libido  sexualis,  die  nur  lasciven 
Bildern  das  Verweilen  im  Bewusstsein  gestattet,  führt  zu  einem  wahren  Erethismus 
cerebralis.     Bei  Andauer  desselben  entwickeln  sich  Schlaflosigkeit,  Hallucinationen, 


—     477     — 

Neurosen  (Nenrasthenie),  Nymphomanie,  Satyriasis,  Zustände  von  (erotischem)  halln- 
cinatorischem  Wahnsinn  etc.  Der  pathogenetische  Weg,  auf  welchem  die  Nichthe- 
fHedignng  des  Sexnaltriebes  die  Nervengesnndheit  schädigt,  ist  der  gleiche  wie  bei 
der  Gesnndheitszerrflttnng  durch  sexuellen  Abusus  und  Onanie.  Es  entwickelt  sich 
zunächst  durch  beständige  Erregung  und  Hyperämisirung  der  genitalen  Organe  ver- 
möge der  centralen  Hyperästhesia  sexualis  bei  mangelnder  Entlastung  und  Ausgleichung 
der  Erregung  durch  den  Coitus  etc.  eine  genitale  Neurose,  eine  reizbare  Schwäche 
der  Lendenmarkscentren.  Die  Lendenmarksneurose  entwickelt  sich  schliesslich  zur 
allgemeinen  Neurasthenie.  Spielen  sich  diese  Vorgänge  auf  dem  Boden  der  Belastung 
ab,  80  kommt  es  zu  Psychosen,  die  je  nach  der  Schwere  der  Belastung  sich  als 
hypochondrische  Melancholie  oder  Wahnsinn  oder  als  Paranoia  oder  Irresein  in  Zwangs- 
vorstellungen etc.  entwickeln.  —  Die  Ehe  kann  nur  für  Neurasthenia  sexualis  ex 
abstinentia  ein  Heilmittel  sein,  und  auch  da  ist  sie  nur  anzurathen,  wenn  die  Neu- 
rose erheblich  gebessert  ist.  Ealischer. 

23)  Hittheiluiigen  aus  der  psychiatrisohen  Klinik  in  Prag»  von  Prof.  A.Pick. 

(Jahrbücher  für  Psychiatrie.  1888.  VIII.  1  u.  2.) 

L  Zur  Looalisation  einseitiger  Gehörshalluoinationen  nebst  Bemer- 
kungen über  transitoriflohe  Worttaubheit. 

Ueber  einseitige  GehOrshallucinationen  berichten  Uughlings  Jackson,  Robertson, 
Tamburini,  Hertz,  Millet  etc.  Die  contralaterale  Localisation  der  die  einseitigen 
Gehörshallucinationen  bedingenden  centralen  Läsion  beweist  auch  der  folgende  Fall, 
in  welchem  intra  vitam  eine-  ziemlich  sichere  Localdiagnose  gestellt  werden  konnte. 
Bei  einer  geistig  beschränkten,  aber  bis  dahin  psychisch  gesunden  3öjährigen  Frau 
entwickelt  sich  ein  Zustand  von  Verworrenheit  mit  den  Erscheinungen  der  Seelen- 
blindheit. Dann  treten  AnföUe  auf,  die  mit  Bewusstlosigkeit  beginnen;  dann  folgen 
rechtsseitige  und  später  allgemeine  Gonvulsionen;  ebenso  zeigen  sich  erst  rechtsseitige 
Parästhesien  dann  allgemeine  Herabsetzung  der  Sensibilität;  femer  Worttaubheit, 
Paraphasie,  Seelenblindheit.  Als  einzige  Folgeerscheinung  in  den  darauf  folgenden 
fast  symptomlosen  Intervallen  bestehen  rechtsseitige  Gehörshallucinationen.  Die  An- 
falle waren  bald  mit  Stumpfheit,  Ohnmacht,  bald  mit  völliger  Bewusstlosigkeit  und 
Sopor  verbunden.  Die  sensiblen  Störungen  erst  halbseitig,  dann  allgemein,  gehen 
bald  den  Krampfanfallen  voran,  bald  subsütuiren  sie  gleichsam  die  Krampfanfälle. 
Charcot  stellt  sie  den  halbseitigen  Gonvulsionen  an  die  Seite  und  beschrieb  sie  bei 
Paralytikern  als  Epilepsie  sensitive.  —  Die  vorübergehende,  anfaUsweise  auf- 
tretende Worttaubheit  dürfte  wohl  durch  jene  Störungen  der  Bindenfunctionen  bedingt 
sein,  welche  mit  epileptischen  Krämpfen  verbunden  sind.  Als  Aura  eines  epileptischen 
Anfalls  wurde  Worttaubheit  von  Boss,  Netter,  Skikorsky  etc.  beobachtet  Als  Folge- 
erscheinung des  epileptischen  Anfalls  dürfte  die  sensorische  Aphasie  aus  dem  Grunde 
seltener  als  die  einfache  transitorische  Aphasie  beobachtet  werden,  weil  dieselbe  im 
Symptomencoroplex  der  prä-  und  postepileptischen  Bewusstseinstrübung  häufig  über- 
sehen wird;  auch  ist  der  Schläfelappen  vielleicht  in  geringerem  Grade  betroffen  oder 
einer  schnelleren  Bestitution  fähig;  ebenso  mag  es  bei  der  Dementia  paralytica  sein, 
wo  Worttaubbeit  als  Anfallssymptom  häufiger  zur  Beobachtung  kommt  als  bei  Epi- 
lepsie. Jedenfalls  muss  die  den  Symptomencomplez  der  beschriebenen  AnföUe  aus- 
lösende Ursache  (Läsion)  in  der  Nähe  des  linken  Schläfelappens  liegen.  Dass  die 
linke  Hemisphäre  Sitz  der  Störung  (Läsion)  sei,  dafür  sprechen  auch  die  motorischen 
und  sensiblen  Erscheinungen  des  Anfalls.  —  Die  Worttaubheit  zeigte  in  den  einzelnen 
Fällen  drei  verschiedene  Formen.  Die  erste  stimmt  mit  der  von  Wemicke  beschrie- 
benen Form  überein.  Ausschaltung  des  Klangbildcentrums  A  nach  Lichtheim's  Schema. 
Es  fehlte  das  Yerst&ndniss  des  Gesprochenen,  wie  die  Fähigkeit  des  Nachsprechens, 
während  die  willkürliche  Sprache  als  Paraphasie  erhalten  war.  Die  zweite  Art  glich 
der  Leitungsworttaubheit  Lichtheim's.   Es  bestand  die  Möglichkeit  des  Nachsprechens 


-      478    — 

bei  feblesdem  Verstandnifls  des  Nachgesprocheuen.  Wir  mfUisen  diese  Form  als  die 
mildere  betrachten,  da  sie  erst  mit  weiterem  Abklingen  der  Allgemeinerscheinungen 
auftrat  Als  die  andern  Erscheinungen  noch  mehr  abgeklungen  warra,  zeigte  sich 
die  dritte  Form,  und  zwar  derart,  dass  die  Kranke  bei  noch  fehlendem  WortYerstand- 
nies  die  Wörter  als  solche  in  ihrer  BuchstabenfQgung  theilweise  oder  yielleicht  ganz 
correct  auffesste  und  sie  nicht  mehr  einfach  automatisch,  sondern  bewusst  fragend 
wiedei^b.  Während  man  bisher  die  Ferception  der  Worttauben  mit  der  eines  Yer- 
worrenen  Geräusches  verglich,  beschrieb  Amaud  eine  ähnliche  Abart  der  Worttaub- 
heit und  führte  fflr  seine  Deutung  einen  Fall  von  Fraenkel  an,  der  die  Erscheinung 
des  spontan  fragenden  Wiederholens  missverstandener  Wörter  gleichfalls  während  der 
Bflckbildung  der  Worttaubheit  zeigte.  Aehnlich  wie  Broadbent  nimmt  er  ein  den 
Sinnescentren  functionell  übergeordnetes  neues  Oentrum  an.  Der  FaU  wird  an  Lichtr 
heim*s  Schema  erläutert  Die  Seelenblindheit  zeigte  sich  gleichfalls  vorübergehend 
als  functionelle  Störung  bei  Nachlass  der  Erscheinungen  des  Anfalls,  nachdem  vorher 
überhaupt  nicht  perdpirt  wurde,  und  handelt  es  sich  da  um  dieselben  quantitativ- 
differenten  Zustände,  wie  sie  Cronigneau  für  die  Binden-  und  Seelenblindheit  und 
Boss  für  die  aphasischen  Störungen  besprochen  hat.  —  In  den  Anfällen  handelt  es 
sich  erst  um  Beiz-  dann  um  Lähmnngserscheinungen  von  Functionen,  die  in  die 
Binde  der  Centralwindungen,  des  Schläfe-  und  Hinterhauptlappens  verlegt  werden. 
Es  muss  sich  um  eine  drcumscripte  Läsion  handeln,  die  keine  dauernde  Störung 
motorischer,  sensibler  und  sensorischer  Functionen  erzeugte  und  jedenfalls  das  Mark, 
vielleicht  auch  Bindenabschnitte  im  Gebiete  des  untern  Scheitel-  und  hmtem  Schläfe- 
lappens ergriffen  hat  Den  Verdacht  embolischer  Erweichung  legt  ein  abnormer  Be- 
fund am  Herzen  nahe.  Die  motorischen  und  sensiblen,  dem  Typus  der  Bindenepilepsie 
entsprechenden  Erscheinungen  sind  mehrfach,  als  durch  ähnliche  Heerde  im  Mark 
ausgelöst,  durch  Sectionsbefunde  erhärtet  (Holland).  Seelenblindheit  ohne  Hemianopsie 
als  rasch  vorübergehende  Erscheinung  bei  Intactheit  beider  optischen  Wahmehmungs- 
centren  und  Läsion  des  Bindenfelds  für  das  optische  Gedächtniss  in  der  einen  Hemi- 
sphäre —  beobachtete  Wilbrand:  Der  Sitz  der  Läsion  in  der  linken  Hemisphäre 
in  der  Nähe  des  Schläfelappens  könnte  auch  das  Zustandekommen  der  rechtsseitigen 
Hallucinationen  erklären,  die  sich  an  die  rechtsseitigen  Erampfanfälle  anschlössen 
und  erst  vorübergehend,  dann  eine  Zeit  lang  permanent,  und  endlich  intermittirend 
auch  ohne  vorgängige  Krampfanßille  auftraten.  Daneben  bestand  rechtsseitige  hoch- 
gradige Acusticushyperästhesie  ohne  sonstige  nachweisbare  Ohraffection.  Während 
der  Anf&Ue  und  Verworrenheit  verlegte  die  Fat.  die  GehörsbaUucinationen  nach  unten 
und  objectivirte  dieselben,  später  verlegte  sie  dieselben  in  das  Ohr  und  an  den  Bücken. 
—  In  letzter  Zeit  nahm  die  Verblödung  der  Fat.  rapide  zu  und  lässt  es  sich  an- 
nehmen, dass  eine  grobe  Heerdaffection  rasch  ablaufende  Himatrophie  als  diffuse 
Folgewirkung  hervorrief. 

n.  Im  zweiten  Falle  handelt  es  sich  um  epileptisches  Irresein  bei  einem 
15jährigen  Knaben.  Dasselbe  verlief  klinisch  genau  identisch  mit  dem  der  Erwach- 
senen (Stupor,  ängstliche  Delirien,  Gewaltthätigkeiten  etc.). 

nL  Bin  FaU  von  Beilezpsyohose  nebst  Mittheilungen  über  das  sog, 
Deliriiun  traumatioum  oder  nervoaum  und  transitorisohen  Fussklonus. 

Bei  einem  als  nervös  beanlagt  zu  bezeichnenden  26jährigen  Bergmann,  dessen 
Prädisposition  durch  Hitze,  Affect  und  floride  Lues  gesteigert  war,  würd  plötzlich 
durch  die  schmerzhafte  Bongierung  einer  Strictur  eine  durch  SinnestäuschungMi,  Angst, 
Erregung  charakterisirte  Psychose  hervöfg^rsf^i^der  aura-artige  Erscheinungen  vor- 
ausgingen. Der  Verlauf  ist  ein  remittirender,  nu^tm^ge  Tage  dauernder.  Kein 
Erinnerungsdefect.  Keine  Wiederholung  des  Anfalls.  Dß^  Fall,  eine  traumatische 
Beflexpsychose,  steht  Griesinger's  Dysthymieu  und  SchJMo's  Dysphrenia  neuralgica 
nahe,  ebenso  wie  dem  Delirium  traumaticum  nervosum,  '"^on  dem  ein  Fall  berichtet 
wird.    Ein  4djähriger  Schneider  mit  körperlicher  Sclv^äche  und  Inanition  durch 


—    479    — 

Eüernng  zeigt  nach  einer  Keerotomie  des  linken  Unterschenkels  die  Symptome,  wie 
sie  bei  den  Delirien  nach  Kataraktoperationen  beschrieben  sind.  Es  fiel  weniger  die 
nicht  so  seltene  Unorientirtheit  des  Kranken  auf,  als  die  dicke  yerschwommene  lallende 
Sprache,  die  als  Ausdruck  der  allgemeinen  Schwäche  angesehen  wird.  Nach  10  Tagen 
er.  trat  volle  Klarheit  ein.  Es  bestand  ferner  während  der  Dauer  der  Psychose  Fuss- 
klonus  und  Steigerung  der  Patellarreflexe.  Dass  auch  andere  Affectionen  als  derartige 
peripherische  Beize  Ursachen  eines  vorübergehend  auftretenden  Fussphänomens  sein 
können,  beweist  ein  anderer  Fall,  in  welchem  ein  Kranker  mit  den  psychischen  Er- 
scheinungen der  melancholischen  Verrücktheit  (Witkowski)  nach  Amputation  des 
rechten  Fusses  nach  Lisfranc  Steigerung  der  Kniephänomene  und  deutlichen  Fnss- 
klonus  links  vorübergehend  zeigte.  Für  beide  Fälle  lässt  sich  eine  über  den  ganzen 
Bückenmarksquerscbnitt  verbreitete  von  der  Wunde  resp.  Verletzung  und  Narbe  aus- 
gehende Erregung  als  Ursache  des  Fussklonus  annehmen.  Fussklonus  an  dem  ver- 
letzten Bein  allein  beobachteten  bereits  Flenry,  Delom-Sorb^  etc.         Kalischer. 


24)  Des  attaques  du  sommeil  hyst^rique»  par  Gilles  de  la  Tourette.  (Arch. 
de  Neurologie.  1888.  XV.  93  u.  266.) 

Kataleptische  und  lethargische  Anfälle  sind  schon  von  Alters  her  auf  die  Wir- 
kung des  Uterus  zurückgeführt  worden;  das  historische  Studium  der  AnfäUe  von 
Schlaf  zeigte  dass  der  Schlafanfall  eins  der  wichtigsten  und  interessantesten  Phäno- 
mene der  Hysterie  ist  Die  Geschichte  der  „Schlafenden  von  Thenelles"  ist  ein  gutes 
Beispiel  zur  Einleitung. 

Die  Kranken  bieten  meist  die  bei  der  Hysterie  gewöhnlichen  hereditären  und 
persönlichen  Antecedentien  dar.  Gewöhnlich  sind  auch  die  üblichen  hysterischen 
Anfalle  vorhergegangen,  zu  welchen  die  lethargischen  Phänomene  sich  mischen,  um 
gegebenen  Falles  ein  selbstständiges  Bild  zu  stellen,  welches  dann  noch  mit  den  ge- 
wöhnlichen Anfällen  abwechseln  kann.  Die  Seltenheit  der  Schlafanfälle  ist  keine  so 
grosse,  als  die  früheren  Autoren  annahmen.  Die  Anfälle  betreffen  beide  (Geschlechter. 
In  den  ausgebildeten  Formen  ist  das  Bewnsstsein  genügend  geschwunden,  die  Mus- 
keln sind  hinreichend  gelöst.  Ohne,  oder  mit  vorhergehenden  Krämpfen,  oder  anderen 
Vorboten  tritt  der  Schlaf  langsam  oder  plötzlich  ein,  das  Geucht  ist  bleich;  einzelne 
Muskeln  sind  contracturirt,  was  ein  wichtiges  Zeichen  ist;  fast  stets  sind  es  die 
Kaumuskeln.  Die  Pupillen  sind  normal  oder  verengert  oder  erweitert  (im  normalen 
wirklichen  Schlaf  sind  sie  bekanntlich  etwas  verengert.  Bef.),  die  Bespiration  lang- 
sam, Puls  normal  oder  langsam,  die  Temperatur  ist  meist  um  einige  Centigrade  er- 
höht. Da  die  Ernährung  meist  schwierig  ist,  so  tritt  Abmagerung  ein;  viele  der 
Fälle  sind  zugleich  solche  von  Abstinenz  mit  den  für  die  Inanition  charakteristischen 
Erscheinungen.  Hier  wird  vielleicht  der  Stoffwechsel  durch  die  Hemmung  des  Schlafs 
noch  mehr  verlangsamt.  —  Was  den  Zustand  der  Sinne  betrifft,  so  sind  die  Kranken 
gewöhnlich  anästhetisch  nach  jeder  Bichtung,  doch  kommen  Fälle  vor,  wo  der  Kranke 
wohl  fühlt,  aber  nicht  reagiren  kann.  Auch  giebt  es  partielle  Hyperästhesien,  hystero- 
gene  Zonen,  durch  welche  man  „Anfälle''  und  Erwachen  hervorrufen  kann;  Transfert 
und  Magnetwirknng  sind  ebenfalls  beobachtet  Viele  Kranke  wissen  später  von  Nichts, 
andere  haben  Erinnerung  an  den  Zustand.  Auch  Suggestion  ist  möglich.  Das  kann 
schwierige  Fragen  in  forensischen  Fällen  geben,  besonders  wenn  auch  Verdacht  auf 
Simulation  vorliegt.  Differentiell-diagnostisch  muss  man  Apoplexien,  Coma,  Hemi- 
plegien und  andere  schwere  Zustände  organischen  Ursprungs  vermeiden,  auch  die 
hypnotische  Lethargie,  den  epileptoiden,  „narcoleptischen''  Anfall,  den  melancholischen 
Stupor  der  lethargischen  Form  u.  s.  w.  Simulation  hält  Verf.  für  unmöglloh  heut 
zu  Tage.  —  Die  Therapie  des  Abwartens  verwirft  Verf.  als  möglicherweise  gefähr- 
lich; er  verweist  auf  die  hysterogenen  Zonen,  um  eine  Erweckung  zu  versuchen. 

Siemens. 


—     480 

26)  Des  tronbles  de  la  vision  dans  l'hystörle  et  dans  quelques  affeotionB 
mentalesy  par  G.  Pichon.    (L*Enc^pliale.  1888.  Nr.  2.) 

Verfasser  bebandelt  in  der  recbt  ausführlichen  Arbeit  nicht  eigentlich  die  rein 
psychiatrischen  Störungen  des  Gesichtssinnes  wie  die  Hallucinationen,  welche  gerade 
bei  der  Hysterie  so  vielfach  zur  Beobachtung  kommen  und  diese  grosse  Aehnlichkeit 
mit  den  bei  Alkoholismus  beobachteten  Sinnestäuschungen  haben,  sondern  er  beschränkt 
sich  auf  die  physikalischen  Störungen  des  Gresichts.  €rerade  die  Untersuchung  des 
Gesichtssinnes  giebt  oft  ein  wichtiges  diagnostisches  Hülfsmittel,  um  zwischen  ver- 
schiedenen Formen  psychischer  Alienation  und  der  Hysterie  unterscheiden  zu  können, 
so  zwischen  Hysteroepilepsie,  Epilepsie,  Chorea,  wahrer  hysterischer  Verrücktheit  und 
mancherlei  Intoxicationserkrankungen,  wie  P.  dies  an  einigen  Krankheitsberichten 
darthut,  ja  oft  treten  auch  maniakalische  und  melancholische  Anfälle  bei  Hysterischen 
rein  symptomatisch  auf  und  da  ist  es  natürlich  sehr  wichtig,  das  fundamentale  IJebel 
zu  erkennen. 

Zuerst  fällt  Amblyopie  auf  einer  Seite  auf,  welche  sich  bei  Hysterischen  stets 
mit  einer  Herabsetzung  des  Allgemeingefühls  derselben  Seite  verbindet  und  zwar  ist 
es  die  nämliche  Seite,  auf  der  sich  eventuell  die  Hyperästhesie  des  Ovarium  findet. 
Die  Untersuchung  des  Augenhintergrundes  ergiebt  negatives  Kesultat.  In  den  Fällen, 
in  welchen  nur  für  bestimmte  Eörperstellen  das  Gefühl  herabgesetzt  ist,  tritt  die 
Amblyopie  meist  binoculär  auf,  in  seltenen  Fällen  deckt  sich  die  Seite  der  Amblyopie 
und  der  Hemianästhesie  nicht,  sondern  eins  tritt  rechts,  das  andere  Phänomen  links 
auf.  Sodann  sind  Störungen  des  Farbensinns  zu  bemerken  und  zwar  von  der  Dys- 
chromatopsie  bis  zur  Achromatopsie  fortschreitend,  am  meisten  geht  die  Wahrnehmung 
des  Violet,  dann  des  Grünen  verloren,  dann  folgt  an  Häufigkeit  das  Roth,  dann  Gelb, 
Blau  und  schliesslich  Weiss,  doch  macht  das  Rothe  auch  merkwürdige  Ausnahmen, 
oft  können  Hysterische  gerade  das  Rothe  noch  bis  zuletzt  erkennen,  während  alle 
anderen  Farben  ihnen  schmutzig  grau  erscheinen.  Wirkliche  Amaurose  bei  Hysterischen 
ist  dagegen  selten.  Sodann  sind  die  Anomalien  des  Gesichtsfeldes  zu  beachten,  die 
für  die  Hysterischen  sehr  wichtig,  ja  fast  pathognomisch  sein  dürften,  und  zwar  ist 
es  concen^isch  verengt,  eine  geradezu  constante  Erscheinung,  zweitens  unregelmässig, 
während  es  physiologisch  rund  oder  elliptisch  ist  und  drittens  ist  die  Anordnung  der 
Farbenwahmehmung  zerstört,  welche  physiolo^sch  immer  unverändert  dieselbe  sein 
soU,  indem  das  Gesichtsfeld  für  Wahrnehmung  des  Weissen  weiter  als  blau,  für  blau 
weiter  als  für  gelb,  für  gelb  weiter  als  roth,  für  roth  weiter  als  grün,  für  grün 
weiter  als  violet.  Viertens  ist  das  Gesichtsfeld  der  Hysterischen  zuweilen  durch 
Hemianästhesie  beeinträchtigt.  Alle  diese  Symptome  können  in  einem  gewissen  Ab- 
hängigkeitsverhältniss  zu  einander  zunehmen  oder  schwinden. 

Eine  weitere  Sehstörung  bei  Hysterischen  ist  die  Mikropsie,  die  aber  auch  bei 
anderen  Geistesstörungen  angetroffen  wird,  ebenso  die  Diplopie  und  Poliopie  und 
zwar  giebt  es  hier  eine  Art  von  monocularer  Diplopie,  der  objective  Befund  wird 
natürlich  Strabismus  convergens  oder  divergens  sein.  Während  der  hysterischen 
Attacken  sind  die  oculo-palpebralen  Reflexe  wie  die  der  Pupille  beinahe  ganz  auf- 
gehoben. P.  schliesst  mit  der  Besprechung  von  3  Fällen  von  Blepharoptosis,  von 
denen  2  auf  Syphilis  beruhen,  der  letzte  einen  Paralytiker  betrifft.  Zander. 


m.  Personalien« 

Dr.  Sioli,  bisheriger  Director  der  Irrenanstalt  in  Bunzlau,  wurde  zum  Director 
der  Frankfurter  Irrenanstalt  gewählt,  nachdem  die  von  ihm  gestellten  Bedingungen 
von  der  Stadtverordneten- Versammlung  genehmigt  worden. 


Verlag  von  Veit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mxtzgbb  ft  Wittig  in  Leipzig. 


NeürologischesCentralblatt. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geistesicrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  «» ^^^  Jahr^i^aiig. 

Monatlich  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  20  Mark.   Zn  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 


1888. !♦  September. :^17. 

Inhalt.  I.  Orlglnalmlttheilungen.  1.  Ein  Fall  von  Alexie  mit  rechtsseitiger  homonymer 
Hemianopsie  („subcorticale  Alexie"  Wemicke),  von  Dr.  L.  Brans,  Nervenarzt  und  Dr.  B.  8i9l- 
tiag,  Augenarzt  zn  Hannover.  2.  Anatomisoher  Befund  bei  einer  diphtherischen  Lähmung, 
von  Dr.  William  0.  Krauu. 

II.  Referate.  Pathologie  des  Nervensystems.  1.  Contribution  a  T^tude  de  l'hämi- 
atrophie  de  la  langue,  par  Koch  et  Marie.  2.  Ueber  einen  Fall  von  Tabes  dorsalis,  von  Martins. 
3.  Tabes  dorsalis  —  ataxia  laryngis,  by  Gay.  4.  Beitrag  zur  Pathologie  der  Tabes  dorsalis» 
von  Btmbardt.  5.  Herzaffeetionen  bei  Tabes  dorsalis,^  von  Oroedel.  6.  Contribution  k  l'^tude 
de  l'ataxie  locomotrice  des  membres  supörieurs,  par  Dejerine.  7.  Locomotor  Ataxia  oonflned 
to  tiie  arms;  Beversat  of  ordinaryprogress,  by  MItcliell.  8.  Tabes  dorsalis  with  rapid  develop- 
ment  of  Ataxia,  by  Suclding.  9.  Wirbelerkrankungen  bei  Tabikem,  von  KrSnIg.  W.  A  case 
of  Qiarcofs  disease  of  the  knee-joint,  by  Collier.  11.  Fractnre  de  cuisse  chez  un  ataxique. 
Snppuration  de  la  fractnre,  mort,  par  Watllcli.  12.  Lead-Poisoning  as  a  cause  of  Muscular 
loeoordination,  by  Putnam.  18.  Ataxia  in  a  Brassworker,  by  Suckllng.  14.  Ataxia  in  a  Brass- 
worker,  by  Hogben,  15.  Die  trophisehen  Störungen  bei  der  Tabes  dorsalis,  von  Max  Hatow« 
16.  Ataxie  lateral  sclerosis,  bv  Preiton.  17.  Üeber  multiple  Him-Rückenmarksklerose  nebst 
Angabe  zweier  F&lle  bei  Kindern  nach  Diphtherie,  von  Sclioenfetd.  18.  Sor  un  cas  de  pseudo- 
taMs,  par  Pitret,  —  Psychiatrie.  19.  On  Haemonhages  and  fabe  membranes  within  te 
cerebral  subdural  Space,  occurring  in  the  insane,  by  WIgletwortti.  20.  Analogie  des  symptomes 
de  la  paralysie  vellagreuse  et  de  la  paralysie  g^närale,  par  Balllaraer.  21.  Traumatisme, 
Epilepsie  et  paralysie  gän^rale,  par  Terrien.  22.  Die  zunehmende  mnflgkeit  der  Dementia 
paralytica,  von  Snell.  23.  Psychose  im  Kindesalter,  von  Kelp.  24.  On  a  case  of  locomotor 
ataxia  followed  by  general  paralysis  of  the  insane,  by  Bullen.  25.  Note  sur  les  rapports 
de  lar  paralysie  g^n^rale  et  de  la  syphilis,  par  itfgia.  —  Therapie. -26.  Mittheilungen  über 
die  Wirlningen  des  Amylenbydrats  bei  Geisteskranken,  von  Scliloest.  27.  Observation  de  scl^rose 
en  plaques  -    ßffet  remarquable  de  la  solanine  sur  le  tremblement,  par  Grasset  et  Sarda. 


I.  OriginalmittlieilunKen. 


1.  Ein  Fall  von  Alexie  mit  rechtsseitiger  homonymer 
Hemianopsie  („subcorticale  Alexie"  Webniökb). 

Von  Dr.  L.  Bnms»  Nervenarzt  nnd  Dr.  B.  StSlting,  Augenarzt  zu  Hannover. 

In  seiner  1886  in  den  Fortschritten  der  Medicin  veröffentlichten  Abhand- 
lung: ,;Die  neueren  Arbeiten  über  Aphasie"  schreibt  Webnickb  auf  S.  477  u.  flF. 
Folgendes:  „Die  subcorticale  Alexie  ist  diejenige  Krankheitsform,  von  der  unter 
dem  Namen  der  isolirten  Schriftblindheit  einige  wenige  Beobachtungen  in  der 
litteratnr  des  letzten  Jahrzehnts  enthalten  siud.  Nur  die  Fähigkeit  des  Lesens 

29 


—    482    — 

ist  aufgehoben,  das  spontane  Schreiben  ungestört,  in  einigen  Fällen  wurde  con- 
statirt,  dass  die  Kranken  schreibend  lesen  konnten,  d.  h.  die  Buchstaben  da- 
durch fanden,  dass  sie  sie  nachzeichneten  oder  wenigstens  entsprechende  Hand- 
bewegungen naachten.^  In  den  genauer  untersuchten  Fällen  bestand  zugleich 
rechtsseitige  Hemianopsie,  so  in  einem  mir  bekannten  Falle  aus  der  Wbbtfhal'- 
schen  Klinik,^  den  ich  später  selbst  untersucht  habe,  in  einem  Falle  von  Chab- 
coT.^  Ich  halte  dieses  Vorkommen  for  gesetzmässig  und  darin  natürlich  be- 
gründet, dass  es  sich  um  Unterbrechung  der  Bahn  zwischen  Auge  und  der 
optischen  Bindausbreitung  der  linken  Hemisphäre  handelt  —  diese  Bahn  ent- 
hält aber  den  linken  Tractus  opticus.  In  einem  Falle  von  Bboadbent^  scheint 
die  Hemiopie  nicht  gesucht  worden  zu  sein,  wahrscheinlich  ist  sie  übersehen 
worden.  Der  Fall  3  meiner  früheren  Arbeit,  bei  dem  die  Alexie  nach  Abklingen 
der  übrigen  aphasischen  Symptome  isolirt  zurückblieb,  ist  ebenfalls  hierher  zu 
recdmen,  er  hat  ebenfalls  eine  rechtsseitige  Hemiopie.  Somit  sind  nur  selbst 
schon  zwei  Fälle  dieses  seltenen  Erankheitsbildes  durch  die  Hände  gegangen. 
Bei  beiden  konnte  ich  constatiren,  dass  sie  für  vorgezeigte  Gegenstände  nur  sehr 
schwer  den  Namen  finden  konnten,  während  sie  sonst  nicht  aphasisch  waren 
und  auch  die  Gegenstände  richtig  erkannten.  Dasselbe  war  im  Falle  Bboad- 
bent's  zu  beobachten.  Auch  dieses  Symptom  scheint  mir  einer  anatomischen 
Erklärung  zugänglich :  das  Erkennen  der  Gegenstände  geschah  mit  der  rechten 
Hemisphäre,  während  der  Wortbegriff  gewöhnlich  in  der  linken  Hemisphäre 
seinen  $tz  haf 

Ehe  wir  daran  gehen  die  Beobachtung  eines  den  Forderungen  Webnicke's 
ganz  entsprechenden  Falles  mitzutheilen,  möchten  wir  darauf  hinweisen,  dass 
wir  in  der  neueren  Litteratur  noch  8  Fälle  gefunden  haben,  die  zu  demselben 
Symptomencomplex  zu  gehören  scheinen.  Einer  ist  von  Wilbbai^d^  und  ein 
zweiter  von  Bbandenbübg^  mitgetheilt.  An  beiden  Stellen  finden  wir  auch 
eine  genaue  Aufstellung  der  Litteratur  gleicher  und  verwandter  Fälle.  Nur 
hat  BRA2n)BNBUBa  auffalliger  Weise  die  letzten  Yeröffentliohungen  Wsbkioks's 
übersehen.  Der  3.  Fall,  den  wir,  obgleich  von  Hemiopie  nichts  gesagt  ist,  eben* 
Ms  hierher  rechnen  möchten,  stammt  von  Battebhah.^  Seine  Patientin  hatte 
ein  gutes  Wortverständniss.  Die  spontane  Sprache  zeigte  nur  leichte  Paraphasie, 
und  musste  manchmal  ein  Wort  umschrieben  werden.  Gegenstände  erkennt 
sie,  vermag  sie  aber  häufig  nicht  zu  benennen,  nennt  man  ihr  die  Bezeichnungen^ 


^  Hier  ist  zn  bemerken,  dass  in  dem  weiter  uoten  dtirten  CHABCOx'schen«  in  einem 
gleich  zu  erwähnenden  BATTSBSAic'schen  and  wie  wir  sehen  werden  anch  in  unserem  Falle 
ein  prägnanter  Unterschied  zwischen  der  Fähigkeit  geschriebene  und  gedruckte  Worte  zu 
entziffern  bestand,  letztere  wurden  entweder  nur  mit  sehr  grosser  Mühe  durch  Nachzeichnen 
oder  gar  nicht,  erstere  sehr  viel  leichter  „schreibend"  gelesen. 

*  s.  Kussmaul,  Störungen  der  Sprache.    8.  180. 

'  Neue  Vorlesungen  etc.    üebersetzt  von  FaEun.    S.  124. 

^  Ejdbsxaul,  a.  a.  O.    S.  179. 

"  Die  Seelenblindheit  als  Heerderscheinung.  S.  180  und  Aroh.  f.  Ophthalm.  XXXL  S. 

•  Aroh.  f.  Ophthalm.  XXXm.  8.  . 

• 

'  Brain.  1888.  Januar.    Notes  on  a  case  of  amnesia. 


—     483    — 

so  spricht  sie  sie  gut  nach.  Sie  findet  öfters  auch  die  Bezeichnung,  wenn  sie 
die  betrefifeuden  Gegenstande  fühlt,  riecht  oder  schmeckt  Fast  totale  ver- 
bale und  litterale  Alexie;  den  Sinn  geschriebener  Worte  erkennt  sie  aber,  wenn 
sie  sie  nachschreibt.  Zahlen  werden  gut  erkannt.  Spontan-  und  Dictatschreiben 
gnt,  nur  selten  Yerschreiben,  sie  vermag  aber  weder  laut  noch  leise  zu  lesen, 
was  sie  geschrieben  hat  Das  Abschreiben  ist  mehr  ein  Nachzeichnen  und 
bringt  bei  gedruckter  Vorlage  kein  Verstandniss  des  Wortbegriffes  hervor. 

Wir  lassen  nun  unsere  Beobachtung  folgen  und  wollen  im  Voraus  bemerken, 
dass  wir  den  von  uns  aufgenommenen  Status  der  Einfachheit  und  Uebersicht- 
lichkeit  wegen  zu  einem  einzigen  zusammengezogen  haben,  obwohl,  wie  leicht 
ersichtlich,  die  einzelnen  Theile  des  Gesammtbefundes  natürlich  nicht  alle  an 
einem  TJntersuchungstage  constatirt  wurden.  Doch  haben  wir  die  wichtigsten 
Theile  des  Status  zu  mehreren  Malen  controlirt. 

W.,  Schneidermeister  aus  Hannover.  51  Jahre.  Ein  Bruder  des  Fat  soll 
längere  Zeit  geisteskrank  gewesen  sein;  er  selber  hat  besondere  Krankheiten 
nicht  durchgemacht,  war  namentlich  nie  luetisch  und  hat  nur  in  massiger 
Weise  Alcoholica  genossen.  Er  hatte  schon  seit  längerer  Zeit  an  Schwindel- 
anfallen, die  sich  mit  Verdunkelungen  des  Gesichts  verbunden  hatten,  gelitten. 
Am  28.  IV.  88.  Abends  sass  er  auf  seinem  Tische  bei  der  Arbeit  und  konnte 
plötzlich  eine  Garnrolle,  die  rechts  vor  ihm  lag,  nicht  mehr  finden.  Er  stieg 
dann  vom  Tisch  herunter  und  sagte  zu  seiner  Frau:  „Die  rechte  Seite  ist  mir 
nicht  recht,  es  ist  mir,  als  ob  ich  sie  gar  nicht  fühlte.^'  Darauf  legte  er  sich 
zur  Ruhe  und  schlief  die  ganze  Nacht  fest  Am  andern  Morgen  ging  er  die 
3  Treppen  von  seiner  Wohnung  in  den  Hof,  griff  aber  an  der  Thürklinke  vor- 
bei, stiess  gegen  die  Ecken  an,  verfehlte  beim  Hinaufsteigen  die  Treppe.  Sein 
Gang  war  etwas  taumelig;  er  behauptete,  die  rechte  Hand  sei  wie  gelähmt,  die 
ganze  rechte  Seite  sei  nicht  in  Ordnung.  Objectiv  waren  Lähmungserscheiimngen 
aber  nicht  zu  constatiren,  so  dass  der  hinzugerufene  Arzt  einen  Schlaganfall 
nicht  annahm.  Am  80.  IV.  traten  zu  dem  Krankheitsbilde  paraphatische  Er- 
scheinungen hinzu;  er  nahm  z.  B.  eine  Arbeit  vor  und  sagte:  „Dieses  Hannover 
muss  weggeschnitten  werden^^,  statt  „dieses  Stück^^  Als  dann  die  Bede  davon 
gewesen  war,  dass  der  Sohn  sich  hatte  einen  Zahn  ausziehen  lassen,  forderte  er 
einen  Zahn  statt  einer  Nadel.  Er  klagte  auch  häufig  wieder  über  mangelhaftes 
Gefühl  der  rechten  Fingerspitzen.  Von  jetzt  begann  eine  Periode  allmählich 
zunehmender  ängstlicher  Verwirrtheit  mit  grosser  Unruhe  und  ab  und  zu  ein- 
tretenden Selbstmordsideen,  ein  Zustand,  der  schliesslich  so  arg  wurde,  dass  die 
Frau  am  9.  V.  den  Mann  der  Irrenstation  des  hiesigen  Krankenhauses  übergab. 
Die  dort  über  den  Kranken  gemachten  Notizen  wurden  uns  vom  Oberarzte 
dieser  Station,  Herrn  Dr.  LümcH,  gütigst  zur  Verfügung  gestellt;  wir  ent- 
nehmen aus  denselben  Folgendes: 

Ausgesprochene  körperliche  Erscheinungen,  namentlich  hemiplegische  oder 
hemianästhetische  wurden  nicht  constatirt  Dagegen  wurde  hier  schon  die  auf- 
fällige Störung  des  Sehens  bemerkt  und  auf  eine  Einengung  des  Gesichtsfeldes 
bezogen.  Buchstaben  und  Zahlen  der  Snellen'schen  Tafel  wurden  nicht  gelesen. 

29  ♦ 


—     484       - 

Patient  war  znnäcbst  ganz  veitrirrt,  glaubte,  er  sei  erst  8  Tage  in  Hannover; 
hielt  das  Krankenhaus  für  ein  tiafithaus,  in  dem  viele  Fremde  verkehrten. 
Allmählich  wurde  er  besonnener.  Am  18.  V.  ist  Folgendes  notirt:  „Als  ihm 
ein  Messer  rorgeholten  wird,  mit  der  Frage,  was  das  sei,  erwidert  er:  „Das  ist 
eine  Eins";  auch  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  es  keine  Zahl,  sondern  ein 
Gegenstand  sei,  bleibt  er  dabei  (seelenbiind?}.  Korkzieher;  „das  ist  ein  J", 
kurz  darauf  „eine  Eins".  Schlüssel:  „das  ist  ein  J".  Er  fQhlt  dann  mit 
der  Hand  zu  und  erklärt  es  fQr  Schlüssel.  Bleifeder,  Taschentuch  giebl 
er  nach  einigem  Besinnen  richtig  an;  kommt  er  mit  dem  Tastsinn  dem  Qesichts- 
sinn  zu  Hülfe,  so  findet  er  schneller  die  richtige  Bezeichnung.  Nach  der  vor- 
gehaltenen Taschenuhr  die  Zeit  zu  lesen  wird  ihm  schwer;  dabei  I 

Schema  1. 


wiederholt,  seine  „Uhr"  (Brille)  sei  zu  schwach,  mit  einer  stärkeren  könne  er 
wohl  besser  sehen. 

20.  y.  Bezeichnet  vorgehaltene  Gegenstände  richtig  und  giebt  richtige 
Auskunft  über  seinen  Aufenthaltsort. 

21.  V.    EnUassen. 

Fassen  wir  diese  Daten  noch  einmal  zusammen,  so  sehen  wir  bei  einem 
vorher  im  Allgemeinen  gesunden  Uanne  apuplectiform  eine  Störung  des  Sehens 
auftreten,  die  sich  mit  Farästhesien  der  rechten  Seit«  (ob  im  Anfang  auch 
objectiven  Sensibilitätsstörungen?)  verbindet,  aber  nicht  zu  eigentlichen  Läh- 
mungen fährt  Dazu  kommen  Erscheinungen  leichter  Paraphasie  und  £rs(^we- 
rung  resp.  Unmöglichkeit  vorgehaltene  Objecte  lautlioh  zu  bezeichnen,  während 


—    486    — 

er  nur  selten  die  Objecte  wirklich  nicht  zd  kennen  schien.  Eine  anfingüch  das 
Eiaokbeitsbild  oomplidrende,  allgemeine  VerwirrUieit  bessert  mob  bald. 

Am  2i,  Mai  kam  PaL  in  ansere  Beobocbtong.  IMe  Anftiabme  des  nach- 
folgenden Statns  erstreckt  sieb  von  diesem  Tage  bis  nun  6.  Jnni;  Einzelnes, 
wie  e.  B.  die  Hemianopie  and  die  Unmöglichkeit,  Gtedraoktes  za  lesen,  wird 
später  noch  häufig  z.  B..anch  am  21.  Jnni  (54  Tage  nach  dem  Anfall)  durch 
Omlxole  bestätigt 

Status  praesens:  PaL  ist  von  gedrungenem  Körperbau,  wohlgenSiirt.  An- 
geborener Klampfusa  links.  Am  Schädel  keine  Abnormität.  Die  Prüfung  der 
Angen  gab  folgenden  Befund.  24  V.  S  beäderseits  aal  Fingerzählen  in  3,5  m 
heral^esetet    Die  linke  Pupille  mittelweit,   (Atropin)  die  rechte  etwas  enger 


(siAter  waren  beide  gleicbweit).  Die  Beaction  auf  Licht  beiderseits,  wenn  anob 
schwach,  vorbanden.  Die  Beweglichkeit  der  Augen  völlig  int&t  Gleeicbtsfelder 
(s.  Schema  1]  conoentrisch  sehr  eingeengt  Von  Farben  wird  auf  beiden  Angen 
loth  sofort  erkannt;  rechts  anch  grün,  dagegen  nicht  bUn  nnd  gelb;  links  er- 
kennt der  Pat  blau,  aber  nicht  gelb  and  grün.  Doch  worde  diese  Farben- 
prüfiuig  nur  in  der  Weise  vorgenonunen,  dass  dem  Kranken  nach  Verbinden 
eines  Aoges  Pigmentfarben,  wie  täe  bei  perimetrischen  Untersaohungen  gebraucht 
werden,  vorgelegt  worden  and  man  denselben  aufforderte,  diese  zu  benennen. 
Es  mnsa  deshalb,  wie  wir  weiter  sehen  werden,  anentoobieden  bleiben,  ob  ein 
Fehlgreifen  in  der  Bezeichnung  oder  ein  wirkliches  Nichterkennen  der  Farbm 
vorbanden  war.    (Siebe  äbrigeos  den  Nachtrag  bei  der  Correotur.) 


—    486    — 

Ophtbalmoskopisch  war  das  Besnltat  der  TTntersacbQi^  ein  völlig  negatitee; 
Optici  beide  gleich  und  nonnal  gefärbt. 

Wesentlieh  vencbiedeD  ron  dem  Besnltate  dieser  UnteisiMdiai^  war  das 
des  am  28.  V.  TOigenommenen  Examens.  8.  B.  mit  +  LO  D  —  */,.  L.  bei 
gleiober  Correctaon  =  */jg  des  Nonnalen.  Das  Gesichtsfeld  erwies  aob  heute  als 
^iscb  rechts  bemianopisch  (siehe  Schema  2],  doch  moss  heirorg^ben  werden, 
dasa  bei  der  zuerst  Toigenommenen  Prüfbng  des  linken  Anges  der  Kranke  zn- 
nachst  wieder  die  alten  Grenzen  wie  vor  4  Tagen  angab,  und  daas  dann  plötz- 
lich bei  einer  Ermahnung  znr  Aufmerksamkeit  die  typische  Hemiopie  zum  Vor- 
schein kam.  (Die  panktirte  Linie  im  linken  Gesichtsfelde  des  Sdiema  2  bedeutet 
die  zuerst  gefundenen  Wertfae;  sie  deckt  sich  ganz  mit  der  analogen  in  Schema  1.) 


Es  dflrfte  schwer  fallen,  fiir  dieses  aofOUlige  Verbalten  eine  andere  Erklärung 
als  die  einer  mangelnden  Aufmerksamkeit  herbeizuziehen  und  auch  wir  glauben 
diese  Erkl&miig  annehmen  zu  müssen.  Der  Kranke  gab  eben  dann  erst  die  Marke 
zu  sehen  an,  wenn  die  Erregung  seiner  Netshaut  eine  intenäve  wurde,  d.  h.  wenn 
sie  die  centralen  Theile  traf.  Nehmen  wir  aber  diese  Erklärung  für  den  zweiten 
Befund  an,  so  wird  dieselbe  auoh  wohl  f&r  den  ersten  Befund  zutreffen,  besonders 
da  die  hier  gefundenen  Grenzen  genau  den  Angaben  entsprechen,  die  der  Patient 
anch  beim  zweiten  Male  zunächst  machte,  ehe  seine  Aufmerksamkeit  besonders 
gesch&rft  war.  Wir  wGrden  dann  also  annehmen,  dass  auoh  8<^od  bd  der  ersten 
Untersuchung  eine  nnr  durch  die  geringe  Aufmerksamkeit  des  Patiente  markirten 
typische  r.  Hemianopie  vorhanden  war.    Bei  alten  weiteren  Aufoahmen  zeigte 


~     487     — 

Ton  nan  an  das  Gesiohtsfeld  ohne  Weiteres  den  hemiopisoheD  Charakter  mit 
einer  leichten  Ausbuchtung  2n  Gunsten  der  sehenden  Partien  über  die  Mittel- 
linie.   Ein  scharfes  Absohneiden  in  der  Mittellinie  wurde  nie  coDstatirt. 

Qehör,  Geruch  und  Geschmack  sind  beiderseits  vollkommen  gleich  und  gut 
Die  Motilität  der  beiden  Faciales,  sowie  die  der  Zunge  and  des  Chkomensegels 
lässt  nichts  zu  wünschen  übrig.  Irgend  eine  Störung  der  Sensibilität  (es  wurde 
unter  anderen  aucdi  auf  Lagegefühl,  MuskelgefiUil  und  die  Fähigkeit,  Gewichts- 
differenzen zu  taxiren,  genau  untersucht)  war  am  ganzen  Körper  nicht  auäu- 
finden.  Auch  die  grobe  Kraft  war,  allerdings  ohne  DTnamometennessung,  auf 
beiden  Seiten  gleich;  nur  eine  ganz  leichte  Ungeschicklichkeit  bä  feineren  Be- 
w^ungen  der  rechten  Finger  war  zu  oonstatiren;  auch  hielt  Fat  z.  B.  beim 

Schema  2. 


Schreiben  den  Federhalter  sehr  angeschickt;  er  konnte  aber  auch  ohne  Brille 
äae  einfoche  Viäit  ganz  gat  nähen.  Trophische  Störungen  der  Haut  oder  der 
Mnsculatar  &Dden  dch  nicht;  die  Sehnenrefleie  waren  beiderseita  gleich  und 
von  normaler  Stärke. 

Das  Herz  war  in  tote  etwas  vei^rössert,  die  zweiton  ArteiientSne  stark 
accentnirt    Keine  Oeräusche.    Im  Urin  f^nd  sich  nichts  Pathologisches. 

Die  Intelligenz  war  im  Ganzen  vielleicht  etwas  vermindert  (häufig  wieder- 
holtes Stellen  stereotyper  Fragen),  doch  wusste  Fat  über  Ort-  und  Zeitverhält- 
nisse and  über  Ere^isee  früherer  nnd  letzter  Zeit  gut  Besohnd  und  rechnete 
prompt  Die  Verwirrtheit  hatte  sich  ganz  verloren.  Auch  das  Gedächtniss, 
aber  das  Fat.  selber  klagte,  war  objectiv  kauqi  erheblich  abgeschwächt;  Näheres 


—    488    — 

darüber  wird  sich  in  den  epikritiachen  Bemerkungen  finden.  Von  Zeit  zn  Zeit 
finden  sich  Erscheinungen,  die  man  wohl  als  Andeutungen  von  SeelenbUndheit 
auffassen  könnte;  so  fragt  er  eines  Morgens  beim  Aufwachen  seine  Frau,  ob  sie 
schon  lange  mit  ihm  zusanunenlebe;  ein  anderes  Mal,  ob  er  in  dem  Bette  immer 
geschlafen  habe.  In  ganz  seltenen  Fällen  will  er  Torgehaltene  Objecto  (s.  w. 
unten)  wirklich  nicht  kennen.  Fragt  man  ihn  nach  dem  etwas  oomplidrten 
Wege  vom  Hause  des  Arztes  zu  seiner  Wohnung,  so  erklärt  er  sofort,  dorthin 
ßnden  zu  können,  kann  aber  den  Weg  nicht  beschreiben,  jedoch  wohl  haupt- 
sächlich, weil  ihm  die  Strassennamen  fehlen,  denn  er  weiss  z.  B.  wie  viel  Quer- 
strassen er  Ton  einem  Punkte  dieses  Weges  bis  zu  einem  anderen  überschreiten 
muss.  TJebrigens  treten  alle  diese  Erscheinungen  im  Krankheitsbilde  sehr  zu- 
rück. Das  Yerständniss  der  Sprache  ist  toII  erhalten.  Fat  selbst  spricht  mit 
vollständigem  Wortschatze,  ohne  Articulationsstörimgen  und  die  manchmal  auf- 
tretende Paraphasie  ist  so  gering,  dass  man  sie,  wenn  man  nicht  scharf  darauf 
achtete,  wohl  kaum  bemerken  würde.  Sie  überschreitet  jedenfalls  das  auch  bei 
Gesunden  erlaubte  Maass  nicht. 

Yorgehaltene  Objecto  benennt  er  meist  nach  einigem  Zögern  richtig,  in 
anderen  FäUen  wird  der  Name  erst  dann  gefunden,  wenn  man  dem  Pat 
das  Object  betasten  lässt  In  manchen,  jedoch  seltenen  Fällen  findet  er 
auch  so  das  Wort  nicht,  sondern  muss  die  Bezeichnung  umschreiben  (z.  B.  Thermo- 
meter: das  ist  für  das  Wetter;  Spritze:  das  ist  ein  chirurgisches  Instrument), 
Dabei  sind  das  manchmal  Worte,  die  er  vorher  im  Gespräch  ohne  Weiteres 
gebraucht  hatte:  z.  B.  die  „Binde'',  die  er  beim  Perimetiien  vor  dem  einen 
Auge  hatte,  oder  die  „Brille'',  diese  nennt  er  Porte-monnaie,  es  war  ihm  gerade 
vorher  eine  Geldbörse  gezeigt  worden.  Wie  sich  schon  aus  dem  Vorhergehenden 
ergiebt,  erkennt  er  so  ziemlich  alle  Gegenstände;  er  behauptet  dies  auch  auf 
Befragen  und  nur  in  ganz  seltenen  Fällen  giebt  er  an,  nicht  gewusst  zu  haben, 
was  das  für  ein  Ding  sei:  z.  B.  Korkzieher  (s.  o.  Seelenblindheit,  doch  bleibt 
diese  ganze  Sache  fraglich).  Nachsprechen  kann  er  die  Bezeichnung  der  Ob- 
jecto, die  er  selbst  nicht  findet,  ohne  Weiteres,  wenn  man  sie  ihm  vorsagt 
Macht  man  die  Sache  umgekehrt,  fragt  z.  B.:  wo  ist  der  Stuhl?  das  Bild?  so 
findet  er  es  ebenfalls  sofort  Bilder  (Portraits  bekannter  Persönlichkeiten  und 
Genrebilder)  erkennt  er  und  fasst  sie  richtig  auf. 

Für  das  Lesen  gedruckter  Buchstaben  und  Worte  müssen  wir  2  Periode 
unterscheiden.  Am  28.  Y.  liest  Pat  gedruckte  Buchstaben  und  kurze  Worte, 
z.  B.  der,  die,  das,  sich,  zu,  es,  ganz  prompt,^  grössere  Worte  bringt  er  nicht 
heraus.  Von  dieser  Zeit  an  aber  wird  Gedrucktes,  Buchstaben  und  Worte 
überhaupt  nicht  mehr  erkannt,  nicht  nur  nicht  laut  gelesen.  Pat  selbst  giebt 
an,  dass  er  nicht  wisse,  was  das  sei,  wenn  man  ihm  Buchstaben  bezeichnet, 
ganz  im  Gegensatz  zu  seinem  Verhalten  concreten  Objecten  g^enüber;  er  kann 
auch  vorgehaltene  gedruckte  Buchstaben  im  geschriebenen  Alphabet  nicht  wieder- 
finden, zeigt  man  ihm  ein  kurzes  gedrucktes  Wort,  z.  B.  Tisch,  Stuhl,  und 


^  Siehe  die  Beobachtung  von  Bbandbnbubg  a.  a.  O. 


—    489    — 

fordert  ihn  auf,  das  dem  Worte  entsprechende  Object  im  Zimmer  zu  zeigen,  so 
ist  er  dazu  nicht  im  Stande.  Er  erkennt  also  gedruckte  Buchstaben  und  Worte 
wirklich  nicht  Zum  Nachzeichnen  gedruckter  Schrift  ist  er  nicht  zu  bringen. 
Zeigt  man  ihm  aber  eine  Beihe  der  Snellen'schen  Tafehi  und  sagt:  Zeigen  Sie 
mir  das  „d^^  oder  das  |,g^<  in  dieser  Beihe,  so  geschieht  das  meist  ohne  Zögern, 
nur  selten  muss  er  längere  2^it  suchen,  am  seltensten  zeigt  er  einen  falschen 
Buchstaben.^ 

Gedruckte  arabische  Zahlen  erkennt  er  meist  sehr  prompt^  doch  sieht  man 
in  manchen  Fällen,  dass  er  die  zu  erkennende  Zahl  in  der  Luft  nachzeichnet 
Meist  fasst  er  auch  ganze  Zahlenreihen  richtig  auf.  Doch  haben  wir  auch 
beobachtet,  dass  er  beim  Beginn  einer  Untersuchung  Zahlen  kannte,  nach 
5  Minuten  nicht  mehr  aufGäSste  und  am  Schluss  sie  wieder  lesen  konnte.^ 

Gteg&n  geschriebene  Worte  und  Buchstaben  verhält  sich  Fat.  verschieden. 
Er  hest  nach  der  Vorlage,  zwar  sehr  viel  langsamer  als  normal,  aber  richtig, 
ein  geschriebenes  f,  L,  G,  N,  D,  schliesslich  „Holz'<.  Als  er  nach  „Holz<< 
„Maler^'  lesen  soll,  liest  er  erst  „Malz'S  dann  „Malzer^^  g  und  Y  liest  er  so 
nichts  er  zeichnet  dann  mühsam  die  Vorlage  nach  und  kommt  so  zum  Ver- 
ständniss  der  Buchstaben;  in  anderen  Fällen  genügt  es  auch,  die  Schräbbewe- 
gungen  in  der  Lufk  zu  machen.  Einzelne  Buchstaben,  z.  B.  k  und  B,  versucht 
er  durch  Nachzeichnen  heraus  zu  bekommen,  doch  gelingt  ihm  dies  nicht 
Nimmt  man  die  Hand  des  Fat  und  schreibt  auf  eine  Unterlage  for  ihn  passiv 
und  bei  Augenschluss  geschriebene  Buchstaben  und  Worte,  so  bekommt  er  sie 
sofort  heraus;  zeichnet  man  ebenso  mit  seiner  Hand  gedruckte  Buchstaben,  so 
erkeniit  er  sie  nicht  Mit  Sicherheit  liest  er  also  einen  grossen  Theil  geschrie- 
bener Buchstaben  und  Worte  nur  „schreibend^.    (S.  übrigens  die  Epikrise.) 

Das  spontane  und  das  Dictatschreiben  ist  voll  erhalten;  hier  besteht  wirk- 
liches Schreiben;  wohl  zu  unterscheiden  davon,  wie  Fat  eine  geschriebene  Vor- 
lage nachzeichnet  Die  Feder  wird  ungeschickt  gehalten  und  muss  Fat  z.  B. 
wegen  Tintenmangels  absetzen,  so  findet  er  w^en  seiner  Hemianopsie  nicht 
gleich  das  Ende  des  Wortes  wieder;  dabei  setzt  er  „U^'striche  und  „I^'punkte, 
die  er  erst,  wenn  er  mit  dem  Worte  fertig  ist,  nachfagt,  stets  an  die  richtige 
Stelle.    Er  schreibt  z.  B.  auf  Dictat:   Faries,  Heinrich,  Katze,  Mohr;  spontan 


*  Diese  Möglichkeit,  vom  Klangbild  eines  Bachstabens  das  optische  auszulösen,  wäh- 
rend dy  umgekehrte  Weg  nnmöglieh  ist,  ist  schon  frtther  von  den  Beobachtern  als  auffallig 
oonatatirt  worden.  Gbashbt  (Ueber  Aphasie  und  ihre  Beziehungen  zur  Wahrnehmung.  Arch. 
f.  Psych.  Bd.  XYI)  giebt  daf&r  eine  für  seinen  Fall  sehr  plausible  Erklärung.  Sollte  nicht 
aber  auch  noch  folgender  Moment  eine  Berücksichtigung  verdienen?  Frage  ich  Jemanden 
z.  B.  auf  ein  b  zeigend,  „was  ist  das  für  ein  Buchstabe?  so  können  alle  25  Buchstaben  des 
Alphabetes  in  Betracht  kommen;  in  einer  Keihe  der  Snellen'schen  Tafeln  sind  aber  nur 
8 — 7  Buehstaben,  fhkge  ich  hier:  Wo  ist  das  b  in  dieser  Reihe?  so  hat  der  Kranke  nur 
zwischen  dieser  geringen  Zahl  zu  wählen  und  wird,  wenn  er  nur  einen  ganz  unbestimmten 
Eindruck  empfangt,  nicht  leicht  einen  falschen  Buchstaben  bezeichnen.  Ein  eigentliches 
Lesen  wäre  das  aber  kaum  zu  nennen. 

*  Auf  diesen  plötzlichen  Wechsel  in  den  aphatischen  Symptomen  hat  neuerdings  be- 
sonders Oppbnhbim  hingewiesen:  üeber  das  Verhalten  der  musikalischen  Ausdrucksbewe- 
gungen  etc.    Charitö-Annalen.  XIII. 


—    4«0    — 

(er  soll  z.  B.  eine  Rechnung  schreiben):  „Herrn  Dr.  Möller:  Ein  Beinkleid  ge- 
macht''  oder  (einen  Brief  an  seine  Frau)  „Hannover  20  maL  labe  maigareta.^' 
Er  kann  aber  sofort  hinterher,  was  er  selber  geschrieben  hat^  nicht  lesen.  So 
setzt  er  z.  B.  bei  dem  Worte  Paris  bei  „F'  ans  wegen  Tintenmangels,  als  er 
wieder  anfängt,  sagt  er:  „Das  ist  ja  kein  P,  das  ist  ein  T^'  und  beginnt  das 
Wort  von  NeueuL  Er  hatte  die  Worte  „Paries'^  und  „Heinrich'^  und  darunter 
die  Rechnung  geschrieben;  als  man  ihm  später  wieder  die  ersteren  Worte  zeigte, 
sagt  er  „das  heisst  Rechnung'^  Das  andere  Mal  schrieb  er  auf  Dictat  Katze 
und  Mohr,  dann  den  Brief  an  seine  Frau.  Als  man  ihm  nach  20  Minuten  das 
Wort  „Katze''  zeigte,  sagt  er  zunächst,  das  heisst  „Liebe'',  dann  „das  ist  das 
Datum";  als  man  ihm  auch  dieses  bestreitet,  sagt  er:  „dann  hat  es  vorher  schon 
dagestanden". 

Bei  seiner  eigenen  Schrift  gelingt  es  dem  Pat  nur  sehr  schwer,  durch 
Nachzeichnen  den  Sinn  des  Wortes  herauszubekommen;  er  kommt  nieist  nicht 
über  den  ersten  Buchstaben  w^,  offenbar,  weil  die  eigene  Schrift  sehr  viel 
undeutlicher  und  kleiner  ist,  als  die  Vorlage. 

Die  Unmöglichkeit  eines  eigentlichen  Abeohreibens  därfte  wohl  aus  dem 
Vorstehenden  sich  von  selbst  ergeben. 

Nachtrag  bei  der  Gorrectur: 

Am  14.  Juli,  also  77  Tage  nach  dem  Eintritt  der  Erscheinungen,  wurde 
das  Vorhandensein  der  hauptsächlichsten  Symptome  noch  einnuü  constatirt 
Dieselben  sind  also  wohl  als  directe  Heerdsymptome  aufzufassen.  Bei  dieser 
Gelegenheit  wurde  zugleich  festgestellt,  dass  Farben  erkannt  werden.  Die  Farben- 
gesichtsfelder sind  natürlich  audi  hemianopisch;  ihre  Grenzen  zeigen  die  normale 

Reihenfolge  blau,  roth,  grän. 

(Sohlnss  folgt) 


2.  Anatomischer  Beftmd  bei  einer  diphtherischen  Lähmung. 

Aus  dem  Laboratorium  des  Prof.  Dr.  Mendel  in  Berlin. 
Von  Dr.  WlUiam  C.  KraoBS  aus  Attica  (New  York). 

Bei  dem  grossen  Interesse  fllr  den  anatomischen  Befund  nach  diphthßpschen 
Lähmungen  und  den  wenigen  Fällen,  die  bisher  untersucht  der  Oeffentiichkeit 
übergeben  worden  sind,  glaubte  ich  durch  folgenden  von  mir  untersuchten  Fall 
vielleicht  zur  Erklärung  der  Frage  über  diphtherische  TAhmnng  etwas  beitragen 
zu  können. 

Gertrud  E.,  11  Jahre  alt,  erkrankte  am  15.  Ootober  1887  an  schwerer 
Diphtiierie.  Am  23.  October  1887  trat  flfissige  Nahrung  aus  der  Nase.  Exitus 
letalis  am  1.  November.  Genaueres  in  Bezug  auf  sonstige  Lähmungen  liess  sich 
nicht  eruiren,  da  eine  acute  fieberhafte  Erkrankung  auftrat. 

Der  Sections-Befund  am  2.  November  1887  ergab  Folgendes: 

Herz:  Mehrere  ziemlich  festsitzende  Thromben. 


—    401     — 

Langen:  OedematÖs. 

LeW,  Nieren  and  Milz  bieten  nichts  ÄbnoimeB.  Im  Banob-Baume  ciioa 
500  oom  einer  Beiös-fibiinösea  Flaasigkeit 

Die  DannBchlingeo  nur  wenig  geiötliet  und  infioirt. 

Diagnoms:  DiphUieri«  und  Peritonitis  recena  sero-fibriuosa. 

Die  maltroskopisohe  Betraohttu^  des  Oehims  zagte  starke  Hypef&mie  dei 
Pia,  die  nicht  verdickt  war  und  sich  ohne  Sabstanzverlnst  abziehen  liess. 

Die  Section  zeigte  gleichfalls  starke  FüUang  Bämmtlioher  Gefässe,  und 
Oedem. 

Der  Himstanun  von  den  Corpora  quadrigemina  bis  zur  Deonssatio  pyra- 
midam,  die  Hiranerven  von  III  bis  XII  enthaltend,  wurde  in  einer  3  %  LOsnog 
von  Ealinm  biohromicmn  gehärtet,  im  Dunkeln  in  Alkohol  extrahirt  and  in 
Gelloidin  eingebettet 

Eine  Serie  von  650  Schnitten  wurde  angefertigt  QeArbt  wurde  mit'Häma- 
toxylin,  Ammoniak-Karmin,  Fikro-Karmin,  Nigrosin,  femer  nach  der  Weigert'- 
schen  und  Fal'schen  Methode. 

Die  Untersuchung,  die  hauptsächlich  gerichtet  wurde  auf  die  Kerne  des 
Oculomotorius,  Abduoens,  Facialis  und  Hjpogloesug  mit  ihren  intraoerebraleu 
Wurzeln,  sowie  die  Geisse,  ergab  folgende  Resultate. 

Was  die  Oanglienzellen  betrifft,  so  war  an  Zahl  noch  an  QrÖese,  Form, 
Inhalt  derselben  etwas  Abnormes  nicht  nachzuweisen. 

Anders  verhielt  es  sieh  mit  einem  Theil  der  Nervenfasern.  Die  stärkste 
Verinderung  in  dieser  Beziehung  zeigte  der  peripherische  intracerebrale  Oculo- 
motorins.  Ein  Theil  der  Axenoylinder  war  unterg^angen,  während  andere  ihre 
scharfen  Gontoureu  verloren 
hatten.  Von  den  Markscheiden  Fig.  / 
hatten  einige  den  Farbstoff 
aofgenommen,  ein  Beweis,  dass 
sie  ihr  normales  chemisches 
Verhalteo  elngebfisst  hatten. 
Sie  boten  auch  mitunter  ent- 
schieden das  Aussehen  dar,  als 
ob  sie  geschwellt  wären. 

Fig.  1  zeigt  uns  einen  Ab- 
schnitt ans  dem  Oculomotorius, 
der  das  Erwähnte  klar  zeigt 
Au  den  Gelassen  waren  dieVer- 
änderangen  am  aufTallendsten. 
—  Es  bestand  eine  starke  Fäl- 
lung nicht  nur  der  Capillaren, 
sondern  die  kleinsten  sowie 
grösseren  Arterien  waren  voll 
von  Blntkörpercheo.  So  auffallend  war  dies,  daas  die  Präparate  den  Eindruck 
machten,  als  ob  eine  Ge&sneubilduug  stattgefunden  hätte.   Dagegen  waren  die 


-    492    - 

Venen  im  oentraleQ  Höhlengran  dea  vierten  Ventrikels  beinahe  blutleer  and 
ihre  Wände  Uieilweise  coUabirt 

Die  Hj'perämie  war  ziemlieb  gleiohniäesig  ansgepiSgt  nnd  konnte  in  jedem 
einselnett  Präparate  der  ganzen  S<:^ttrtihe  beobachtet  werden. 

Das  nächste  und  s^  aof- 
foUeode  war  eine  stark  aus- 
geprägte Diapedesis  der  Blat- 
körperohen,  die  wphl  bedmgt 
war  durch  feinere  Verändemn- 
gen  der  Oefässwände. 

Von  den  meistrai  Autoren 

wird  dieae  G«&88Terinderang 

erklart  als    eme    dnroh    das 

t  I  diphtherische  Giit  venirsachte 

Enta:flndDng 

Fig  2  stellt  ein  GteSss  dar 
ans  dem  Pons  in  der  Nahe 
der  AnstnMestelle  des  Tnge- 
mmos.   Man  sieht,  wie  längs 
der  ganzen  Gt&sswand  Blnt- 
kOrperohen  eng  anh^en,  and 
theil weise  anch  schon  weiter  in 
das  Gewebe  eingelagert  sind. 
Diese  Diapedesis  war  Ober- 
all  nachweisbar  nnd  am  auf- 
fallendsten in  den  mit  Kigro- 
dn  tingirten  Präparaten.   Der 
Grand  daf&r  lag  darin,  dass 
I  die  mit  Ghiomaätire  gelb  ge- 
\  färbten    Blntkörpeichen    das 
Nigrosin  nicht  aufaehmen  und 
/  so  stark  von  den  blan  tingirten 
QefäsBwänden  sich  abheben. 
Femer  waren  kleine  Hämor- 
ihagien  in  giöaserer  Zahl  nnd 
Ausdehnung  vorhanden.    Die 
eben  besobriebene  Diapedens 
der  weissen  sowie  rothen  Blut- 
körperchen hatte  als  Folge  An- 
sammlungen in  den  perivasonlären  Bäumen.  Dieser  Befund  war  oonatant,  schien 
in  keinem  besonderen  Theil  häufiger  zu  sein,  sondern  erstreckte  sich  gleichmässig 
doroh  die  ganze  Serie. 

Fig.  2  zeigt  aadi  diese  Austretui^n  und  Ansammlangen  von  Biutkfirperohen 
in  den  periTasonlären  Bäomen. 


-     493     — 

Diese  H&morrhagien  waren  znm  Thdl  sohon  makroskopisch  sichtbar,  so 
besonders  in  dem  intrapontilen  Verlauf  der  Nerven.  Femer  &nden  sie  sich 
besonders  stark  in  der  Gegend  des  Austritts  des  linken  Oculomotorius  aus  dem 
Kern.  Femer  am  Solous  oculomotorius  langst  des  Nervenstammes.  Aehnliche 
Blutungen  £uiden  sich  I&ngs  des  Abducens  und  der  sensiblen  Wurzel  des  Tri- 
geminus  im  Föns.  An  den  Wurzeln  der  anderen  Nerven  liess  sich  nichts  Ab- 
normes nachweisen« 

Die  grosseren  Hämorrhagien  stellen  wohl  nicht  nur  eine  Ansammlung 
ausgewanderter  Blutkörperchen  dar,  sondern  sind  als  Folge  der  Zerreissungen 
kleinerer  GefiLsse  anzusehen.  Gleichfalls  erheblichere  Blutungen  fanden  sich  in 
den  Nervenstammen.  —  So  stellt  Fig.  3  einen  Theil  der  intracerebralen  Fasern 
des  Abduoensstammes  dar  und  ist  ersichtlich,  wie  durch  Blutkörperchen« An- 
häufungen die  Fasern  theils  auseinandergedrängt  sind,  theils  untergegangen  zu 
sein  scheinen. 

Endlich  ist  noch  zu  bemerken*  dass  eine  grosse  Hämorrhagie  in  den  Tri- 
gonum  interpedunculare  stattgefunden  .hat,  die  die  austretende  Wurzel  des. 
Oculomotorius  umgiebt  Diese  Blutung,  obwohl  eine  beträchtliche,  erschien  doch 
nicht  genfigend  ausgedehnt,  um  Erscheinungen  von  einer  Apoplexie  sanguinea, 
resp.  Tod  hervorzurufen. 

Schliesslich  war  von  Verstopfungen  der  (Jeiässe,  von  Thrombenbüdung  pder 
Embolien  nichts  zu  sehen. 

Fassen  wir  das  Eigebniss  der  Untersuchung  zusammen,  so  zeigt  der  Him- 
stamm:       • 

1.  Normale  Nervenkeme. 

2.  Degeneration  des  peripherischen  Oculomotorius. 

3.  Starke  Hyperämie,  Diapedesis  der  Blutkörperchen  nebst  grösseren  und 
kleineren  Blutungen. 

Die  Resultate  dieser  Untersuchung  stimmen  im  Allgemeinen  fiberein  mit 
dem  Befund  von  MEin)EL,  welcher  in  diesem  Centralblatt  (1885.  Nr.  6)  ver- 
öffentlicht wurde. 

Das  Hervorrufen  von  Veränderungen  in  den  peripherischen  Nerven,  sowie 
in  den  Gefässen  wird  ziemlich  allgemein  dem  diphtherischen  Gift,  resp.  Mikro- 
organismen zugeschrieben.  Da  aber  diese  noch  nicht  sicher  festgestellt  sind,  so 
bestehen  über  die  Art  ihrer  pathologischen  Wirkung  noch  immer  Zweifel. 

Zu  dem  anatomischen  Befund  der  Diphtheritis  ist  in  der  Litteratur  nichts 
hinzugefugt  worden  seit  der  Veröffentlichung  des  MENDBL'schen  Falles.  Eine 
ausführliche  Zusammenstellung  Mherer  Beobachtungen  findet  sich  bei  Paul 
Meyeb  in  Virchow's  Archiv  för  pathologische  Anatomie  Bd.  LXXXV  S.  214. 

Ich  erfülle  noch  die  angenehme  Pflicht,  Herm  Prof.  Mendel  für  gütige 
Ueberlassung  des  Materials  und  freundliche  Unterstützung  beim  Anfertigen  der 
Arbeit  meinen  besten  Dank  auszusprechen. 


—    494    — 

IL  Beferata 


Pathologie  des  Nervensystems. 

1)  Ck>ntribation  &  l'^ude  de  lliimiatrophie  de  la  langae.  (Autopsie  d*Qii 
cas  de  tabes  avec  bämiatrophie  de  la  langae.)  Par  P.  D.  Koch  et  P.  Marie. 
(Bevue  de  MMecine.  1888.  Jan.  p.  1.) 

Durch  Oharcot  und  seinen  Schfiler  Ballet  ist  man  bekanntlich  darauf  auf- 
merksam geworden,  dass  bei  der  Tabes  zuweilen  eine  halbseitige  Atrophie  der  Zunge 
Yorkommt.  Koch  und  Marie  theilen  in  dieser  Arbeit  die  Ergebnisse  der  genauen 
anatomischen  Untersuchung  eines  Falles  mit,  dessen  klinischer  Verlauf  bereits  you 
Ballet  yerwerthet  war.  Es  handelt  sich  um  einen  35jährigen  Tabiker,  bei  welchem 
sich  ca.  8  Jahre  nach  dem  Entstehen  der  Krankheit,  eine  Mnskelatrophie  an  Aea 
oberen  Extremitäten,  vor  Allem  eine  Atrophie  des  linken  Deltoideus,  der  linken  Inter- 
ossei  und  des  linken  Daumens,  ausserdem  aber  eine  starke  rechtsseitige  Hemi- 
atrophie  der  Zunge  entwickelt  hatte.  Sprach-  und  Schlingstörungen  waren  damit 
nicht  verbunden.  Die  Geschmacksempfindung  fQr  Chinin  war  rechts  etwas  abgestumpft, 
fflr  andere  Geschmacksreize  (sauer,  süss)  normal.  Leichtes  Zittern  der  ganzen  Zunge. 
Bemerkenswerth  ist  femer  eine  Ptosis  des  rechten  oberen  Augenlides,  Abnahme  des 
Gehörs  auf  dem  rechten  Ohr  und  ein  starker  nervOser  laryngealer  Husten. 

Bei  der  Autopsie  fand  sich,  abgesehen  von  den  sonstigen  tabischen  Verände- 
rungen, ausser  der  Muskelatrophie  in  der  Zunge,  eine  sehr  starke  Atrophie  des 
rechten  Nervus  hjpoglossus  und  eine  sehr  beträchtliche  Atrophie  der  Zellen 
und -ausstrahlenden  Wurzelfasem  des  rechten  Hypoglossuskernes  in  der  Oblon- 
gata.  Auch  der  sogenannte  accessorische  Kern  des  Hypoglossus  (Duval)  ist  atrophirt. 
Dagegen  sind  die  ausstrahlenden  Fasern  aus  dem  Kern  beiderseits  gleichmässig  erhalten. 

Im  Ganzen  sind  bisher  6  Fälle  von  Hemiatrophie  der  Zunge  bei.  Tabes  be- 
schrieben worden.  Ausserdem  ist  die  Hemiatrophie  beobachtet  worden  zweimal  bei 
progressiver  Paralyse  (davon  ein  Fall  mit  gleichzeitiger  spinaler  Tabes).  Ehi- 
roal  trat  das  Sjrmptom  im  Anschluss  an  Scharlach  auf.  Wiederholt  beobachtet 
ist  es  bei  bulbärer  Syphilis. 

In  klinischer  Hinsicht  ist  bemerkenswerth,  dass  auch  die  stärkste  halbseitige 
Zungenatrophie  keine  Störungen  des  Sprechens,  des  Kauens  und  des  Schluckens  ver- 
ursacht. Sehr  häufig  ist  mit  derZungenatrophie  verbanden  eine  Atrophie  des  Gaumen- 
segels auf  derselben  Seite  und  des  gleichseitigen  Stimmbandes.  K.  und  M.  sind  geneigt 
anzunehmen,  dass  der  „Hypoglossuskem"  selbst  schon  in  Beziehung  zu  den  letztge- 
nannten Muskeln  des  weichen  Gaumens  und  des  Kehlkopfs  stehi  Gleichzeitige  Atro- 
phie im  Gebiete  des  N.  facialis  ist  dagegen  noch  nicht  beobachtet  worden.  Das 
gleichzeitige  Befallensein  des  weichen  Gaumens  und  eines  Stimmbandes  ist  aber  in 
diagnostischer  Hinsicht  wichtig,  weil  es  zur  Unterscheidung  bulbärer  Affectionen  von 
peripherischen  Hypoglossuslähmungen  dienen  kann.  Strümpell 


2)  Ueber  einen  Fall  von  Tabes  dorsalis.  (Aus  der  II.  med.  Universitätsklinik 
in  Berlin.)  Von  Stabsarzt  Dr.  Martins,  Privatdocent.  (Deutsche  med.  Wochen- 
schrift. 1888.  Nr.  9.) 

Der  beschriebene  Fall  ist  dadurch  bemerkenswerth,  dass  er  in  einem  frühen 
Stadium  zur  Section  kam,  und  bis  dahin  objectiv  nur  Sensibilitätsstönmgen  in  den 
oberen  Extremitäten  (Unfähigkeit,  bei  geschlossenen  Augen  kleine  G^egenstände  zu 
halten,  Störungen  des  Druck-  und  Temperatursinns)  und  Parästhesien  in  den  oberen 
und  unteren  Extremitäten  nebst  Schwäche  in  den  Knien  gezeigt  hatte;  erst  kurz  vor 
dem  Tode  trat  Gurtelgefühl  auf.  Das  Bomberg'sche,  Bobertson'sche  und  West- 
p harsche  Zeichen  fehlton  durchaus,  ebenso  die  Ataxie.  —  Das  Bückenmark  zeigte 


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nach  der  Erh&rtaog  eine  Degeneration  der  Hintenstränge,  welche  ihren  höchsten  Grad, 
intensiv  nnd  extensiv,  im  Cervicahnark  erreicht  hatte,  im  Lnmbaimark  äusserst  gering- 
fügig war.  Im  oberen  Cervicalmark  zeigte  die  Degeneration  eine  eigenthümliche 
Feldemng,  indem  die  Hinterstrange  einen  Degener^tionsstreifen  parallel  dem  Hinter- 
hom  nnd  von  diesem  dnrch  eine  etwa  gleich  starke  gesande  Zone  getrennt»  anpriesen; 
an  der  inneren  Seite  dieses  Degenerationsstreifens  war  wieder  ein  normales  Gebiet 
mid  erst  wieder  die  inneren  GtolFschen  Keilstränge  zeigten  sich  degenerirt.  An  der 
Grenze  nach  dem  Dorsalmark  hin  war  nur  noch  die  Degeneration  der  Goll'schen 
Stränge  vorhanden.  Im  Lnmbaimark  war  wenig  zu  sehen,  die  Westphal*sche  Warzel- 
eintfittszone  war  ganz  intact  nnd  insofern  dieser  Fall  ein  Beweis  für  die  Bichtigkeit 
der  Westphal*schen  Localisation  des  Kniephänomens  (soweit  das  Bückenmark  dabei 
beUieiligt).  —  Die  oben  beschriebene  eigenthümliche  Felderung  der  Degeneration  im 
Cervicalmark  aber  stimmt  genau  mit  den  experimentellen  Forschnngen  von  Kahler 
and  Singer  (von  F.  Schnitze  am  Menschen  erwiesen),  welche  für  den  Verlauf  der 
sensiblen  Fasern  festgestellt  haben,  dass  dieselben,  von  unten  nach  oben  gerechnet» 
anfangs  im  Anssentheii  der  Hinterstlänge  liegen  und  im  Aufsteigen  immer  mehr  nach 
Innen  rücken,  sodass  im  Cervicaltheil  die  im  Lnmbaltheil  eingetretenen  Fasern  zu- 
nächst der  Mittellinie,  die  im  CervicaltheU  selbst  eingetretenen  am  meisten  lateral- 
wärts  liegen.  Diese  letzteren  waren  im  vorliegenden  Tabes  «Fall,  dem  klinischen 
Verlauf  entsprechend,  am  meisten  degenerirt;  dem  intacten  Bnmpf  entsprach  die 
mittlere  normale  Zone  und  die  jüngere  Affection  der  unteren  Extremitäten  fand  ihren 
Ausdruck  in  der  Degeneration  der  GolVschen  Stränge. 

Herr  Leyden,  der  in  seiner  „Klinik  der  Bückenmarkskrankheiten''  einen  ganz 
analogen  Fall  mitgetheilt  hat,  sieht  darin  einen  Beweis  für  die  Bichtigkeit  seiner 
Auffassung  der  Tabes.  Hadlich. 

3)  Tabes  dorsälis  —  ataxia  laryngis,  by  Gay.     (Brain.  1888.  Jan.) 

Ein  Fall  von  Tabes  dorsälis  in  den  Anfangsstadien,  in  dem  neben  häufigen 
Umschlagen  der  Stimme  in  Falset  ausgesprochene  atactische  Bewegungen  der  Stimm- 
bänder, besonders  wenn  die  vorher  geschlossene  Stimmritze  sich  öffnete,  beobachtet 
wurden.  Die  von  Krause  mitgetheilten  analogen  Beobachtungen  sind  dem  Verf.  ent- 
gangen. Bruns. 

4)  Beitrag  aar  Pathologie  der  Tabes   dorsälis,   von  Prof.  M.  Bernhardt. 
(Ztschr.  f.  kün.  Med.  1888.  XIV.  3.) 

Es  handelt  sich  nm  einen  jener  seltenen  Fälle  von  Tabes  cervicalis.  Ein 
36j&hriger  Bildhauer,  der  anf  Bauten  den  Unbilden  der  Witterung  sehr  ausgesetit 
war,  sah  ein  Jahr  vor  seiner  Untersnchnng  eine  Zeit  lang  doppelt  Dann  hatte  er 
sich  infleirt;  secundäre  Symptome  waren  ebensowenig,  wie  bei  einer  früheren  Infection 
aufgetreten.  Von  seinen  Kindern  leben  2,  die  ersten  (Zwillinge)  starben.  Zur  Zeit 
der  Behandlung  klagte  Fat  über  eine  eigenthümliche  Steifheit,  die  sich  zuerst  am 
Zeigefinger,  dann  an  der  ganzen  Hand  links  nnd  später  anch  an  der  rechten  Hand 
zeigte.  An  den  nntem  Extremitäten  fehlten  nur  die  PatellarTefleze.  Keine  Ataxie, 
noch  Sensibilitätsstürnngen  etc.  Geringes  Schwanken  bei  Angenschluss.  In  den  oberen 
Extremitäten  hingegen  bestand  ausgesprochene  Ataxie,  Mangel  des  Tastgeftthls  und 
Mnskelgefühls,  Herabsetzung  der  Schmerzempfindnng.  Pupillen  etc.  waren  normal. 
Nach  2  Jahren  hatte  sich  das  Bild  nur  insofern  geändert,  als  auch  im  Finstem 
geringes  Schwanken  auftrat.  Nach  3V2  Jahren  waren  Schmerzen  in  den  Händen 
hinzugetreten;  sonst  war  Alles  unverändert  Das  in  so  früher  Zeit  constatirte  West- 
pharsche  Zeichen  spricht  dafür,  dass  dasselbe  bei  der  fast  völligen  sensiblen  and 
motorischen  Intactheit  der  untern  Extremitäten,  nicht  sowohl  von  einer  Läsion  der 
sensiblen  oder  motorischen   (peripherischen)  Nerven   derselben,  sondern  von  einer. 


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wenn  auch  streiig  localisirten  und  wenig  ausgeprigien  Erkrankung  der  von  Wes^li 
bezeichneten  Begion  im  Backenmark  abh&ngig  zu  machen  eeL  Kali  scher. 


6)   HenaflBBotioiien  bei  Tabes  donalis,  Ton  Dr.  Groedel,   Bad   Nauheim. 
(Dtsoh.  med.  Wochenschr.  1888.  Nr.*20.) 

Veranlasst  durch  die  Angaben  von  Berger  und  Bosenbach  (1879)  und  von 
Anjel  (1880),  welche  das  häufige  Vorkommen  von  Herzfehlern  bei  Tabes  hervor- 
hoben, hat  G.  diese  Frage  seit  Jahren  stndirt 

Unter  seinen  von  1875 — 79  beobachteten  43  Tabischen  hatte  nur  einer  einen 
Klai4>enfehler,  ein  anderer  (Nephritiker)  eine  mftssige  Hypertrophie  oordis. 

Von  1880—87  behandelte  G.  108  Patienten  mit  Tabes:  von  diesen  litten  4  an 
Klappenfehlem  und  zwar  war  bei  2  derselben  Syphilis,  bei  1  Bheumai  artic.  acut 
als  Ursache  anzusehen;  bei  dem  letzten  war  keine  bestimmte  Ursache  zu  finden.  — 
2mal  bestand  Dilatatio  cordis. 

G.  schliesst  sich  hiemach  der  Ansicht  Leyden's  an,  welcher  das  Vorkommen 
von  Herzklappenfehlem  bei  Tabes  fttr  ein  rein  zulUliges  hftli 

Von  den  seltenen  F&ilen  von  Angina  pectoris  nervosa  bei  Tabes,  von  welchen 
Leyden  kflrzlich  Beispiele  mitgetheilt  hat^  f&hrt  G.  auch  drei  von  ihm  beobachtete 
an,  auch  hier  Leyden's  Ansicht  beitretend,  dass  neuralgische  AnfUle  im  Bereioii  der 
Herznerven  des  Vagus,  durch  die  Tabes  bedingt»  diesen  Formen  der  Angina  zu  Grunde 
liegen  dürften.  Hadlich. 

6)  Oontribution  &  l'itude  de  l'atazie  looomotrioe  des  membres  8ai>drieiirB 
(tabes  oervioal),  par  J.  Dejerine.  (Arch.  de  Physiol.  norm,  et  path.  1888.  3.) 

Unter  106  Tabikem  des  Bicötre  fand  D.  nur  einen,  bei  welchem  die  tabischen 
Symptome  zuerst  in  den  Armen  aufgetreten  waren.  Ein  49jähriger  Erdarbeiter,  erb- 
lich kaum  belastet,  angeblich  nie  syphilitisch  gewesen,  zeitweise  starker  Trinker  und 
Bancher,  erkrankt  Juli  1883  an  Sehstörungen  und  Doppelsehen  (namentlich  Abends). 
Ende  1883  Schielen.  April  1884  landnirende  Schmerzen  und  Ataxie  der  Arme. 
Im  Februar  1887  fand  sich:  L&hmung  des  Abducens  beiderseits,  Opticusatrophie 
beiderseits,  Myosis  rechts,  Mydriasis  links,  lancinirende  Schmerzen  und  erhebliche 
Ataxie  beider  Arme,  verlangsamte  Leitung  der  Schmerz-  und  BerUhmngsempfindung 
und  lange  Nacbempfindungen  (auch  für  Kältereize)  in  den  Armen  und  im  Gesicht, 
geringer  auch  am  Bumpf,  Aufhebung  des  MuskelgefQhls  beider  Arme,  geringe  Ab- 
schw&ohung  ihrer  motorischen  Kraft,  Anconeusphänomen  erloschen,  idiomuscnlfire  Er- 
regbarkeit erhalten.  An  den  Beinen  keine  irgend  erheblichen  Störungen, 
kein  Bomberg'sches  Schwanken,  Plantarreflex  erhalten,  Kniephänomene  im  Bectus  ant 
und  Vastus  ext  erloschen,  wohl  aber  auf  Percussion  der  Patellarsehne  eine  Con- 
traction  im  Vastus  int  oder  in  den  Adductoren.  Keine  visceralen  Störungen.  Die 
Untersuchung  p.  m.  ergab  im  oberen  Halsmark  eine  totale  Degeneration  der  ganzen 
Hinterstränge,  Hinterhömer  und  hinteren  Wurzeln;  nur  ein  kleines  Dreieck  an  der 
Peripherie  der  (atoU'schen  Stränge  und  ein  kleiner  Punkt  hinter  der  hinteren  Oom- 
missur  ist  frei.  Im  unteren  Halsmark  nehmen  die  Veränderangen  der  Hinterhömer 
und  der  GoU'schen  Stränge  und  zwar  zuerst  an  ihrem  medianen  Saum  mehr  und 
mehr  ab.  In  der  Mitte  des  Dorsalmarks  erscheinen  intacte  NervenüEisem  auch  in 
den  Burdach'schen  Strängen,  das  hintere  Drittel  der  GoU'schen  Stränge  ist  hier  fast 
ganz  normal  Die  Glarke*schen  Säulen  sind  nur  in  ihren  Faserelementen  afficirt  Im 
Lendenmark  zeigen  sich  schliesslich  Spuren  von  Degeneration  nur  in  den  Burdach'- 
schen  Strängen.  In  der  Oblongata  endigt  die  Degeneration  an  den  Hinterstnmgs- 
kemen.  Die  sensible  Quintnswurzel  und  die  Bad.  descendens  .Quinti  sind  hochgradig 
^trophirt^  die  peripherischen  Hautnerven  des  Arms  wenig  verfindert 


—    497 


Bei  der  vollst&ndigen  Hmtentrangsdegeneratioii  im  Halsmark  und  der  allseitigen 
Intactheit  der  Sensibilität  und  des  MuskelgeftOües  der  Beine  zwingt  der  Fall  nach 
Yerf^  die  Leitungsbahnen  der  KOrpersensibilität  lediglich  in  der  grauen  Substanz  zu 
suchen.  Aufl&Uig  ist  das  Fehlen  von  Anftsthesie  in  den  Armen.  —  Die  Yertheilung 
der  Degeneration  spricht  gegen  die  Auffassung  der  L&sion  der  Goll'schen  Stränge 
als  Systemerkrankung.  Th.  Ziehen. 


7)  Looomotor  Ataxia  oonfined  to  the  arma;  Beversal  of  ordinary  progress, 
by  S.  Weir  Mitchell.    (Philadelphia  Medical  News.  1888.  21.  Aprü.) 

M.  berichtet  über  einen  Fall  tou  Tabes  dorsalis,  in  dem  die  üblichen  Symptome 
sich  auf  die  Arme  und  nicht  auf  die  Beine  erstreckten.  Patient,  55  Jahre  alt,  ohne 
irgend  welche  Belastung,  fand  im  Juli  1887  ein  Taubsein  der  Finger  beim  Schreiben; 
dieses  Gefühl  erstreckte  sich  von  den  Fingern  beider  Hände  durch  die  Arme  über 
die  Brust,  den  Bauch  und  den  Bücken.  Die  gewöhnlichen  Initial-Symptome  der 
Krankheit  waren  nicht  vorhanden.  Wir  entnehmen  folgende  Punkte  der  Mitschell'schen 
Beschreibung.  (Untersuchung  am  15.  Jan.  1888.)  Auffallende  fahle  Hautfarbe.  Keine 
neuralgischen  Schmerzen.  Tactile  Sensibilität  etwas  herabgesetzt  in  den  Fingern. 
Schmerzempfindungen  überall  normal.  Beginnende  graue  Atrophie  der  Nn.  optici  (de 
Schweinit2).  In  den  Beinen  nur  sehr  geringe  Ataxie,  dagegen  ist  dieselbe  sehr  aus- 
gesprochen in  den  oberen  Extremitäten. 

Tricepsreflex  nicht  vorhanden;  Kniephänomene  hingegen  gesteigert;  Fussklonns 
vorhanden.  Blase  und  Darm  fnngiren  normal.  Keine  gastrischen  Krisen..  Scrotal- 
und  Abdominalreflexe  fehlen.  Geringe  Ermüdung  in  den  Beinen  beim  Gehen,  sonst 
keiue  Symptome  an  den  unteren  Extremitäten.  Mitchell  stellt  zum  Schlüsse  noch 
die  Yermuthung  auf,  dass  im  Anfangsstadium  der  Tabes  die  Sehnenphänomene  stets 
erhöht  sind.  Sachs  (New  York). 


8)  Tabes  dorsalis  with  rapid  development  of  Ataxia,  by  C.  W.  Suckling. 
(The  Brit.  med.  Joum.  1888.  12.  Mai.  p.  1007.) 

Vor  5  Jahren  Ulcus,  aber  keine  Secundäraffectionen.  —  Jetzt  vor  5  Monaten 
die  ersten  Erscheinungen  des  Schwankens  bei  geschlossenen  Augen,  doch  konnte  Fat. 
noch  vor  14  Tagen  als  Frachtftihrknecht  arbeiten.  In  einer  einzigen  Nacht 
trat  bei  ihm  die  Unmöglichkeit  zu  stehen  ein,  während  er  bis  dahin  rektiv  gut  hatte 
stehen  und  gehen  können.  Dabei  hatte  die  rohe  Kraft  der  Muskeln  nicht  abgenommen. 
Bald  konnte  er  auch  die  Feder  nicht  mehr  führen,  um  zu  schreiben.  Man  kann 
hier  die  Ataxie,  die  in  wenigen  Stunden  sich  entwickelt,  acut  benennen. 

Jodkalinm  half  nichts.  —  Aigent  nitric  besserte  die  Symptome. 

L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

0)  Wlrbelerkrankongen  bei  Tabikem,  von  Dr.  Krönig,  früherem  Assistenten 
an  der  Frerichs'schen  Klinik.  (Ztschr.  f.  klin.  Med.  1888.  XIV.  1  u.  2.  p.  51.) 

Drei  Fälle  von  Fracturen,  wie  Verf.  annimmt,  der  Lendenwirbelsäule  in  Folge 
von  geringfügigen  Traumen  bei  ausgesprochenen  Tabikem.  Die  sich  hieran  anschliessen- 
den Processe  brauchen  zum  Theil  mehrere  Jahre,  bis  sie  in  Gestalt  von  Difformitäten 
der  Wirbelsäule  zur  Erscheinung  kommen.  Zur  Erklärung  solcher  Fracturen  wäre 
die  Thatsache  der  nunmehr  schon  häufiger  nachgewiesenen  Degeneration  peripherischer 
Nerven  bei  Tabes  heranzuziehen,  welche  eine  Prädisposition  der  betreffenden  Gebilde 
zu  Erkrankungen  herbeifährt. 

Die  Einzelheiten  der  Fälle  müssen  im  Original  eingesehen  werden« 
Die  Therapie  bestand  in  Anlegung  von  Gyps-,  resp.  Stahl-Fischbein-Corsetts, 
welche  Verf.  für  ähnliche  Fälle  warm  empfiehlt.  Sperling. 


—    498    — 

10)   A  oase  of  Charoot*i  disettae  of  the  knee-Joint,  by  Wm.  Collier.    (The 
Brii  med.  Joarn.  1888.  28.  April,  p.  909.) 

0.  zeigt  in  der  Cambridge  med.  Gesellscbaft  das  Kmegelenk  einer  an  Tabes  im 
Leben  leidenden,  jetzt  im  41.  Lebensjahr  verstorbenen  Fraa  vor.  In  der  Anamnese 
Syphilis,  aber  weder  Gicht  noch  Eheamatismas.  1  Jahr  Tor  dem  Tode  zeigte  sich 
Anschwellung  im  linken  Knie;  Ansammlung  von  Flflssigkeit  daselbst,  doch  keine 
krankhafte  Veränderung  der  Gelenktheile.  Sie  hatte  wegen  hochgradiger  Ataxie 
16  Monate  hindurch  das  Bett  hüten  müssen.  6  Monate  lang  hatte  sie  schon  stets 
gelegen,  da  wurde  das  Gelenk  selbst  g&nzlich  verändert.  Die  Knochen  konnten  ohne 
Uindemiss  nach  jeder  Richtung  bewegt  werden.  Dabei  Knarren,  doch  kein  Schmerz. 
Man  sieht  jetzt  an  dem  der  Leiche  entnommenen  Gelenk  hochgradi<?en  Gewebsschwnnd, 
die  Ligam.  cruciata  sind  gänzlich  verschwunden,  ebenso  der  Gondylus  extemns,  und 
dennoch  ist  in  der  unmittelbaren  Nachbarschaft  dieser  Zerstörung  eine  bedeutende 
Neubildung  von  Knochengeweben  zu  bemerken.  —  Durch  diesen  Fall  kann  man  nach 
Collier*8  Anschauung  beweisen,  dass  die  Gelenkkrankheit  nicht  in  ursächlicher  Ver- 
bindung mit  rheumatischer  oder  sonstvrie  begründeter  Entzündung  steht,  die  durch 
die  vorhandene  Tabes  modificirt  worden  sei,  sondern  dass  man  dieselbe  als  eine 
spedelle  Theilerscheinung  der  Tabes  anzusehen  habe.    L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


11)  Fraqture  de  ouiase  ohez  un  ataxiqae.    Suppurcttion  de  la  firaotare, 
mort,  par  M.  Wallich.   (Arch.  g^n^rales  de  la  M^decine.  1888.  März.) 

Bei  einem  41jährigen  vor  mehr  als  20  Jahren  syphilitisch  inficirten  Manne, 
der  Ataxie,  lancinirende  Schmerzen,  geringe  Herabsetzung  der  Sensibilität  der  Unter- 
extremitäten, Impotenz,  Incontinentia  urinae,  Fehlen  der  Kniephänomene  darbot,  trat 
nach  einem  ziemlich  heftigen  Stosse  gegen  die  Bettstelle  ohne  Empfindung  von 
Schmerz  Fractur  des  rechten  Femur  ein.  Bei  der  Prüfung  auf  Crepitation  empfand 
Fat.  keine  Schmerzen.  Das  Knie  des  afücirten  Beins  zeigte  Schwellung  und  Flac- 
tuation.  Nach  mehrmaliger  Entleerung  der  blutigen,  wenig  Eiter  enthaltenden  Ge- 
lenk-Flüssigkeit, nach  wiederholter  Eröffoung  und  Drainirung  eines  in  der  Nähe  der 
Fracturstelle  gelegenen  Eiterheerdes  trat  unter  colliquativen  Diarrhöen  und  massigem 
Fieber  Exitus  ein. 

Die  Section  ergab  ein  gesundes  Gehirn,  dagegen  graue  Degeneration  der  äusseren 
Partie  der  Hinterstränge  im  Lurobalmark.  Ein  grosser  Theil  des  Femur  dextmm  war 
nekrotisch,  umgeben  von  einem  tief  in  Muskeln  und  Unterhantgewebe  reichenden 
Abscess.  J.  Bubemann  (Berlin). 

12)  Iiead-poisoning  as  a  oauae  of  miuciilar  inoGordination  (Paendo-Tabee), 
by  James  J.  Putnam.    (Boston  Medieal  and  Surgical  Journal.  1887.  Dec.  22.) 

Terf.  erinnert  zuerst  an  die  Fälle  von  chronischer  Alkohol-,  Arsen-  und  Blei- 
vergiftung, sowie  Diphtherie  als  Ursache  einer  Pseudo-Tabes.  Er  geht  genauer  ein 
auf  die  2  Fälle  von  Bleivergiftung,  die  Teissier  und  Raymond  berichtet  haben  und 
fügt  aus  eigener  Beobachtung  3  weitere  hmzu.  Als  pseudo-tabische  Symptome  hat 
er  beobachtet:  Gliederschmerzen,  Gürtelgefühl,  Schwäche  in  den  unteren  Extremitäten, 
Ataxie  und  Sensibilitätsstörungen  in  den  unteren  und  oberen  Extremitäten,  Diplopie. 

Interessant  in  dem  ersten  Falle  eigner  Beobachtung  war  die  Aetiologie,  indem 
Patientin  durch  dauernden  Genuss  bleihaltigen  Wassers  sich  die  Intoxication  zuge* 
zogen  hatte. 

Als  differentialdiagnostisch  wichtig  hält  P.  gesteigerte  Kniephänomene,  schnelle 
Besserung  der  einen  Extremität,  während  der  Zustand  einer  andern  sich  verschlimmert, 
allgemein  scbnell  fortschreitende  Besserung. 

Alle  diese  Fälle  von  Pseudo-Tabes  werden  für  Erkrankung  peripherischer  Nerven 
angesehen.  P.  Kronthal. 


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18)   Atasda  in  a  Brassworker,  by  Snckling.    (The  Brit.  med.  Joarnal.  1888. 

3.  M&rz.  p.  471.) 

S.  stellte  in  der  Midland  medic.  Gesellschaft  einen  Fall  Ton  Ataxie  bei  einem 
54j&htigen  Messingarbeiter  (Gtelbgiesser)  vor.  Seit  18  Monaten  litt  Fat.  an  stumpfem 
GefQhl  in  Hftnden  and  Fflssen,  nnsicherm  Qang  nnd  excentrischen  Schmerzen,  Magen- 
krisen. Romberg*s  Zeichen.  Anästhesie  nnd  Analgesie  bestand  nicht,  wohl  aber 
yerringerter  Muskel«  nnd  Drucksinn.  Besserung  durch  Jodkali.  Syphilis  nicht  im 
Spiel.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

14)  Ataada  in  a  BrasBWorker,  by  Hogben.  (The  Brit.  med.  Jonm.  1888  5.  Mai. 

p.  964.) 

H.  stellt  in  der  Midland  medic.  Gesellschaft  einen  Fall  von  seit  2  Jahren  an 
Ataxie  leidenden  Messingarbeiter  vor.  Fat.  hatte  den  charakteristischen  grünen  weiss- 
farbigen  Zahnrand.  Keine  Syphilis  in  der  Anamnese;  keinerlei  Krisen.  Fatellar- 
reflexe  gesteigert,  Fussklonus  Yorhanden.  Die  Augen  normal.  Der  Muskelsinn  bei 
sonst  normaler  Sensibilität  in  den  unteren  Extremitäten  sehr  verringert.  Tremor, 
Schwäche  und  hochgradige  statische  Ataxie.  Seit  2  Jahren  hatte  der  Znstand  weder 
Vor-  noch  Bflckschritte  gemacht.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

16)   Die  trophisohen  Störungen  bei  der  Tabes  doraalis,   von  Max  Flatow. 

Inauguraldissertation.     Berlin  1888.     (64  Seiten.) 

Eine  ungemein  fleissige  Zusammenstellung  aller  Formen  yon  trophisohen  Störungen, 
welche  bei  der  Tabes  beobachtet  wurden,  mit  genauer  Litteraturangabe.  M. 


16)  Ataxie  lateral  scleroBis,   by  Dr.  J.  G.  Preston.     (Journal  of  nerrons  and 
mental  disease.  1888.  IIU.  p.  241.) 

Fall  von  „atactischer  Lateralsklerose''  bei  einem  83jährigen  Mann«  ohne  Here- 
dität nnd  ohne  Lues.  Seit  2  Jahren  Ataxie  der  Unterextremitäten  nnd  allmähliches 
ErKyschen  der  Potenz  und  der  Herrschaft  über  die  Sphinkteren.  Dabei  aber  keine 
Blitzschmerzen,  keine  SensibüitätsstOrnngen,  keine  Schmerzhaftlgkeit  der  Wirbelsäule, 
kein  Gürtelgefühl,  wohl  aber  Crampi  in  den  Waden,  gesteigerte  Muskelerregbarkeit 
(FaradiBcher  Strom),  gesteigerte  Kniereflexe  und  Fussklonus,  spastischer  Gang  etc. 
Patient  schwankt  femer  bei  geschlossenen  Augen,  bietet  aber  keine  FupiUarstömngen 
und  keine  Muskelatrophien. 

Arsenik  per  os,  warme  Bäder  und  Massage  haben  deutliche  Besserung  gebracht. 

Die  Diagnose  (des  noch  in  Behandlung  befindlichen  Falles)  wird  auf  Strang- 
Sklerose  der  Seiten-  nnd  Hinterstränge  (oder  multiple  Sklerose)  gestellt. 

•  Sommer. 

17)  Ueber  mnltiple  HIm-Büokenmarkakleroie  nebst  Angabe  zweier  Fälle 
bei  Kindern  nach  Diphtherie.  Inaugural-Dissertation  von  A.  Schoenfeld, 
Arzt    Berlm,  Juni  18S8.    (30  Seiten.) 

In  seiner  Arbeit  Sdörose  en  plaques  et  maladies  infectieuses  beschäftigt  sich 
Pierre  Marie  mit  der  Aeüologie  der  multiplen  Sklerose  uild  zeigt,  dass  sie  als  Nach- 
krankheit von  Typhus,  Pocken,  Scharlach,  Masern,  Dysenterie,  Pneumonie  auftreten 
kann.  Ebstein  beobachtete  sie  nach  Typhus  abdominalis,  Westphal  nach  Variola  und 
Typhus,  Charcot  nach  Cholera.  In  einem  einzigen  Fall  (Stadthagen)  ist  die  Krank- 
heit bisher  nach  Diphtherie  beobachtet  worden. 

Verf.  beschreibt  2  neue  Fälle  aus  der  Poliklinik  des  Prof.  Mendel  und  Enlen- 
burg,  welche  als  Nachkrankheit  von  Diphtherie  aufgetreten  sind.  In  dem  ersten  Fall 
handelt  es  sich  um  einen  löjährigon  Knaben,  der  in  seinem  9.  Jahre  an  Diphtherie 
liti  Knrz  nachher  stellen  sich  Intentionszittem,  Parese,  Gehstömug  in  den  Beinen 
etc.  ein.  Nachdem  der  Zustand  mehrere  Jahre  ohne  erhebliche  Verschliromerung  blieb. 


—    600    — 

zeigten  neb  mangelhafte  geistige  Entwickelnng,  SehwindelanflUe  und  SpndiatOning. 
Während  aich  der  Gang  Terschlechterte,  besserte  sich  das  Intentionszittem.  Gleich- 
zeitig bestand  Steigerung  der  PateUarreflexe,  Nystagmos,  Dyschromatopsie,  und  es 
fehlten  Sensibilitäts-  wie  trophische  Störungen.  Eine  hinzutretende  partielle  Fadalis- 
lähmung  des  Mundastes,  eine  geringe  Anarthrie,  das  Herausfallen  der  Speisen  aus 
dem  Munde  etc.  legen  den  Gedanken  an  eine  beginnende  Bulbarparalyse  nahe.  — 
Der  zweite  Fall  betrifft  ein  llj&hriges  Mädchen,  die  im  8.  Jahre  Diphtherie  durch* 
machte.  £urz  darauf  zeigten  sich  Intentionszittem,  Gehstörungen,  mangelhafte  geistige 
Entwickelung,  häufige  Schwindelanfalle,  Combination  von  Lähmung  und  Contracturi 
Steigerung  der  Sehnenreflexe;  es  fehlten  Störungen  der  Sensibilität,  der  Ernährung, 
wie  der  Blasen-  und  Darmfnnctionen.  Kalischer. 


18)  Bur  un  oas  de  pseodo-tabes,  par  A.  Pitres,  Bordeaux.  (Arch.  de  Neurolog. 

1888.  XV.  46.) 

Ein  Mann  in  den  40er  Jahren,  von  bewegter  Vergangenheit,  aber  ohne  neuro* 
pathische  Belastrmg,  ohne  Antecedentien  von  Syphilis  oder  Alkoholismus.  Vor  10  J. 
zuerst  Gefflhl  von  Spannung  in  der  Rflcken-,  vorztiglich  Lendenmusculatur,  nach  Jahres- 
frist Schmerzkrisen;  die  lancinirenden  Schmerzen  sassen  anfangs  in  der  rechten  Hflfte; 
gingen  dann  auf  die  linke  über.  Polyurie.  1880  GCkrtelgefQhl  und  Unsicherheit 
beim  Gehen,  GefOhl  der  Anschwellung  der  FQsse  und  Unebenheit  des  Bodens,  Bom- 
berg'sches  Zeichen.  In  demselben  Jahre  einige  Monate  Neigung  zu  Priapismus,  danach 
abnehmende  Geschlechtsfunction.  Von  1881  bis  1886  Hambesch werden,  Tenesmus 
des  Mastdarms,  gastrische  Krisen,  typische  heftige  Schmerzanfälle.  Dabei  fortwährend 
starke  motorische  Ataxie.  Keine  Sehstörungen,  keine  trophische  Störungen;  Knie- 
phänomene erhalten.  Tod  an  tuberculöser  Pleuritis.  —  Bei  der  Autopsie  dieses 
Kranken,  welchen  P.  in  seiner  Klinik  iriederholt  als  typischen  Fall  von  Hinterstrang- 
sUerose  Torgestellt  hatte,  fanden  sich  weder  Strangskleroee  des  Bflckenmarks,  noch 
Atrophie  der  hinteren  Wurzeln,  noch  auch  irgend  eine  Degeneration  der  peripherischen 
Nerven,  mit  Ausnahme  eines  etwas  mysteriösen  Befundes  an  gewissen  Visceralnerven. 
Es  reiht  sich  dieser  Fall  den  schon  beschriebenen  an,  wo  das  klinische  Bild  einer 
bekannten  Cerebral-  oder  Spinalläsion  besteht  ohne  den  anatomischen  Hintergrund 
derselben.  Siemens. 

Psychiatrie. 

10)   On  haemorrhages  and  ftdae  membranet  within  te  cerebral  eubdoral 
spaoe,  oooorring  in  the  Inaane  (inoluded  tbe  sooalled  paohymeningitis), 

by  J.  WiglesworUi.  (Joum.  of  mental  science.  1888.  I.) 
W.  bestreitet  die  Annahme,  dass  die  pachymeningitische  Pseudomembran  das 
Product  einer  Entzflndung  der  Hirnhäute  sei,  und  dass  ohne  eine  solche  Entsflndung 
die  Bildung  solcher  Membranen  nicht  vor  sich  gehen  könne,  er  will  das  zuftllige 
gleichzeitige  Auftreten  einer  Entzflndung  zwar  nicht  beetreiten,  aber  behauptet,  dass 
alle  Phänomene  sich  sehr  wohl  als  das  einfache  Resultat  einer  Effüsion  von  Blut  in 
den  subdnralen  Baum  erklären  lassen.  W.  basirt  seine  Ansicht  auf  die  Resultate 
von  400  Leichenbefunden,  unter  denen  keine  besondere  Auswahl  getroffen  war. 

Es  sind  195  Männer,  davon  80  paralytisch,  206  Frauen,  darunter  39  paralytisch 
zu  Orunde  gegangen  waren.  Unter  den  400  Sectionen  ergaben  42,  also  10,2  ^/^  Blut 
oder  Pseudomembranen  im  subduralen  Baum,  obwohl  unter  ihnen  kein  Fall  von 
Schädelbruch  war  oder  sonstigen  schweren  Kopfverletzungen.  Das  Durchschnittsalter 
der  400  Gestorbenen  betrug  61^07  Jahre,  war  höher  als  das  Durchschnittsalter  der 
sämmtlichen  Anstaltsbewohner,  das  nur  43,3  betrug.  Nach  der  Krankheitsdiagnose 
flberwog  bei  den  Paralytikern  das  Vorkommen  von  Pseudomembranen  bm  weitem,  ja 
es  kam  bei  allen  andern  Formen  zusammengenommen  nocb  nicht  so  häufig  vor,  und 


—    601     — 

dann  Oberwog  es  stets  bei  Patienten  mit  längerer  Krankheitsdaaer,  nur  in  3  Fällen 
von  acater  Melancholie  war  die  Psychose  noch  nicht  3  Monate  alt.  Wegen  des 
Ueberwiegens  der  Paralyse  bei  Männern  findet  sich  auch  der  höhere  Procentsatz  yon 
Hämatomen  bei  Männern.  In  einem  Falle  fand  sich  im  snbdnralen  Baum  fiQssiges 
Blut  allein,  in  sieben  flüssiges  Blut  in  Verbindung  mit  frischem  Gerinnsel,  in  allen 
übrigen  war  mehr  oder  weniger  ?on  einer  Membran  vorhanden,  in  15  Fällen  haftete 
die  Membran  mehr  oder  weniger  locker  auf  der  Innenfläche  der  Dura  und  hatte  das 
Aussehen  von  coagullrtem  Blut,  in  den  übrigen  aber  erinnerte  sie  noch  häufig  durch 
ihre  Farbe  an  die  hämorrhagischen  Elemente,  bestand  aus  weisslichen  oder  fleisch- 
farbenen Schichten  als  dicke  fibrinöse  Membran.  Wenn  nun  in  einem  Falle  nur  Blut 
und  in  7  nur  Blut  und  Gerinnsel,  aber  keine  Spur  einer  Membran  vorhanden  war, 
so  stimmt  für  diese  die  sonst  verbreitete  Ansicht  nicht,  dass  zuerst  als  Entzündungs- 
product  sich  die  Membran  bilde,  aus  deren  Gefassneubiidungen  aber  die  Blutungen 
stammten,  vielmehr  liegt  der  Schluss  nahe,  dass  stets  zuerst  eine  Blutung  da  ist, 
aus  welcher  dann  Goagnla  entstehen,  welche  sich  schliesslich  zu  Membranen  organisiren, 
wie  dies  ja  auch  die  Structur  der  Membranen  darthut,  welche  an  einen  fHschen  oder 
älteren  Thrombus  erinnert,  und  dementsprechend  mehr  oder  weniger  rothe  Blut- 
körperchen enthalten.  Ebenso  wie  nun  der  Thrombus  sich  mit  der  Gefasswand  ver- 
bindet durch  Emigration  weisser  Blutkörperchen,  so  auch  die  Membran  mit  der  Dura, 
auf  welche  sie  einen  gewissen  Beiz  ausübt,  doch  zeigt  die  Dura  fast  nie  Beste  einer 
Entzündung.  Für  eine  Hämorrhagie  spricht  auch  in  einigen  Fällen  W.*s  der  Verlauf 
der  Krankheit  während  des  Lebens,  nämlich  Coma  und  erniedrigte  Temperatur  nach 
Kopfverletzungen  und  dennoch  post  mortem  derbe  Pseudomembran,  während  oft  alle 
Symptome  intra  vitam  gefehlt  haben.  Für  die  Entstehung  aus  dififundirtem  Blut 
spricht  auch  die  keineswegs  ständige  bilaterale  Bildung.  Dass  sich  die  Pseudo- 
membranen besonders  bei  Geisteskranken  bilden,  erklärt  sich  aus  dem  Schwund  der 
Hirnrinde  bei  diesen,  wodurch  den  Gefässen  die  Stütze  entzogen  wird,  während  sie 
häufigen  Congestionen  ausgesetzt  sind,  daher  auch  das  Ueberwiegen  bei  den  Para- 
lytikern, das  seltene  Vorkommen  bei  acuten  Fällen.  Zander. 


aO)   Analogie  des  symptomes  de  la  paralysie  pellagreuse  et  de  la  para- 
lyaie  gdnärale,  par  Baillargef.  (Annales  m^dico-psychologiques.  1888.  März.) 

B.  untersucht  die  vielfachen  musculären  Störungen,  welche  sich  im  Verlauf  der 
Pellagra  herausstellen  und  die  Lähroungszustände  dieser  Krankheit  im  Vergleich  mit 
den  motorischen  Störungen  der  Paralyse. 

Die  Schwächung  des  motorischen  Systems  in  der  Pellagrakrankheit  kann  so 
hochgradig  werden,  dass  dieselbe  einer  Lähmung  sich  nähert.  Gleichzeitige  Demenz 
kann  demnach  das  Bild  echter  Dementia  paralytica  vortäuschen. 

B.  weist  nun  nach,  dass  selbst  in  den  pellagrösen  Formen,  welche  Lähmungs- 
erscheinungen aufweisen,  die  Störung  der  Sprache  sehr  selten  —  eine  Ausnahme  — 
ist;  hierin  liegt  demnach  ein  differentialdiagnostisches  Zeichen. 

Ein  Beihe  Krankengeschichten  ist  beigefügt. 

Verf.  fasst  seine  Erfahrungen  darin  zusammen,  dass  zwischen  echter  Paralyse 
und  der  pellagrösen  Lähmung  eine  grosse  Aehnlichkeit  besteht.  Die  erstere  ist  aber 
immer  progressiv;  die  zweite  bleibt  unvollständig  bis  zum  schliesslichen  Ausgang. 

Die  Störung  der  Sprache  kommt  bei  beiden  Formen  vor,  wenn  auch  höchst 
selten  bei  der  pellagrösen  Lähmung.  Ist  sie  bei  der  letztgenannten  Form  vorhanden, 
so  kann  vorwiegend  durch  die  Aeusserung  der  Krankheit  in  psychischer  Beziehung 
entschieden  werden,  wie  die  Diagnose  zu  stellen  ist. 

Wirkliche  Sprachhemmung  kommt  hingegen  nur  bei  der  echten  Dementia  para- 
lytica vor,  bildet  also,  wenn  vorhanden,  ein  sicheres  ünterscheidungsmittel  beider 
Formen.  Jehn. 


—    502    — 

21)   TraomatiBme,   Epilepsie   et  paralysie   gönörale,  par  Terrien.     (Annales 

m^dico-psychologiques.  1888.  Januar.) 

Ein  38jäbriger,  dem  Trunk  stark  ergebener  Mann  war  wegen  GastriÜB  einem 
Krankenhanse  übergeben,  wurde  aber  plötzlich  heftig  und  drohend  gegen  seine  Um- 
gebung und  wurde  Januar  1885  in  die  Irrenanstalt  geschickt  Trotzdem  er  dort 
von  Anfang  an  einen  blühenden  Grössenwahn  zeigte,  konnte  doch  die  sich  sp&ter  als 
unzweifelhaft  bestehend  erweisende  Paralyse  nicht  erkannt  werden. 

Im  August,  als  schon  Sprachstörung  zu  dem  schwachsinnigen  Grössenwahn  hinzu- 
getreten war,  erfolgte  ein  „epileptischer'^  Anfall.  Der  Kranke  gab  an,  seit  dem 
8.  Jahre,  nachdem  ihm  der  Vater  einen  heftigen  Stockschlag  über  den  Kopf  versetzt 
habe,  epileptisch  zu  sein  und  demonstrirte  Ober  der  linken  Schläfengegend  eine  an- 
geblich daher  rührende  Narbe. 

Die  epileptischen  Anfalle  waren  im  späteren  Leben  seltener  geworden;  der  letzte 
lag  Jahre  weit  zurück. 

Während  seines  Aufenthalts  in  dem  Asyl  traten  dieselben  wieder  häufiger  auf. 

Die  Section  des  nach  2^/^  jährigem  Aufenthalt  in  ausgesprochen  dementem  Zu- 
stande verstorbenen  Kranken  ergab  unter  der  von  ihm  als  von  dem  Stockschlag  her- 
rührenden Narbe  eine  Abplattung  des  Schädels  an  Stelle  der  Höhe  der  linken  Coronar- 
naht.  Die  linke  Hemisphäre  war  bedeutend  verkleinert  gegen  die  rechte,  dabei  derb, 
die  Gyn  gut  ausgebildet^  aber  Alles  gegen  rechts  wie  verkleinert;  rechterseits  war 
Erweichung  und  der  klassische  Befund  der  Paralyse  vorhanden.  Die  Atrophie  des 
linken  Gehirns  setzte  sich  bis  in  den  bedeutend  verschmälerten  Ped.  cerebri  fori 

T.  hält  die  linke  Hemisphäre  in  Folge  jenes  Schlages  für  in  der  Entwickelung 
gehemmt  und  atrophiri  Später  wurde  der  so  Verletzte  Trinker;  die  Paralyse  hätte 
sich  erst  nach  dem  „d^lire  aigu''  entwickelt,  welches  sich  bei  ihm,  als  er  wegen 
Gastritis  dem  Hospital  angehörig  war,  entwickelte. 

Dass  diese  Erklärung  zu  Zweifeln  berechtigt,  wird  noch  durch  den  Umstand 
bestärkt,  dass  T.  selbst  erwähnt,  der  Kranke  sei  wohlgebaut  gewesen  und  habe  zumal 
keine  Unregelmässigkeit  oder  Atrophie  der  Musculatur  aufgewiesen,  während  eine 
halbseitige  Dystrophie  bei  einer  aus  dem  Kindesalter  herstammenden,  so  starken, 
Himatrophie,  dass  der  zugehörige  Pedunculus  cerebri  stark  verschmälert  war,  doch 
wohl  durch  peripherische  Zeichen  sich  bemerkbar  hätte  machen  müssen. 

Zu  erwähnen  ist  noch,  dass  die  beiden  Kinder  dieses  Kranken  deutliche  Zeichen 
der  Degeneration  an  sich  trugen.  Jehn. 


Die  zunehmende  Häufigkeit  der  Dementia  paralytioa,  von  0.  Snell, 

München.  (AUg.  Ztschr.  f.  Psychiatrie.  1888,  XLIV.  6.) 

S.  verglich  die  Zahl  der  in  der  Frovinzial-Heil-  und  Pflege-Anstalt  zu  Hildes- 

heim  aufgenommenen   Paralytiker  mit   der  Zahl  der  aufgenommenen  Geisteskranken 

überhaupt  in   den  einzelnen  Jahren  seit  1857.    Es  waren  von  den  Aui^genommenen 

paralytisch :  1857—1861     7,0  ^/o, 

1862—1866  10,7  ^/o, 
1867—1871  9,3% 
1872—1876  9,0% 
1877—1881  10,9  <>/o, 
1882—1886  11,5% 
Jedenfalls  hat  also  die  Häufigkeit  der  Paralyse  in  Hannover  während  der  letzten 
30  Jahre  zugenommen.  Th.  Ziehen. 

23)  Fsyohose  im  Kindeaalter,  von  Dr.  Kelp,  Oldenburg.   (Allg.  Ztschr.  f.  Psych. 

1888.  XLIV.  6.) 

Ein  I2jähr.,  Schwachbegabter,  in  seinem  Wesen  stets  etwas  sonderbarer  Knabe 
erkrankte  nach  einem   Typhus   unter  heftigen  AngstafiEecten   ohne   Hallndnationen. 


—    503    — 

Gleichzeitig  war  der  Geschlechtstrieb  sehr  gesteigert,  er  batte  Neigung,  selbst  mit 
seiner  Mutter  den  Goitus  zu  üben.  Nach  2 — 3  Wochen  trat  Beruhigung  ein;  leichtere 
Anomalien  blieben  noch  länger  zurück.  Für  den  Erregungszustand  bestand  absolute 
Amnesie.  Der  Vater  des  Knaben  ist  ein  leicht  erreg^r  Mann,  sonst  keine  erbliche 
Belastung  nachweisbar.  Th.  Ziehen. 

24)   On  a  oase  of  looomotor  ataxia  foUowed  by  general  paralyais  of  the 

ixisane,  by  Bullen.    (Brain.  1888.  April.) 

Die  Arbeit  bietet  eine  eingehende  klinische  Besprechung  und  eine  sehr  genaue 
anatomische  Untersuchung  eines  Falles  von  Tabes  und  progressiver  Paralyse.  Der 
Verf.  hat  das  Bückenmark,  den  Uimstamm,  das  Grosshim  und  einzelne  peripherische 
Nerven  einer  mikroskopischen  Untersuchung  unterworfen:  In  Bezug  auf  die  einzelnen 
klinischen  Symptome  und  ihre  Begründung  durch  anatomische  Befunde  mnss  auf  das 
Original  verwiesen  werden.  Als  besonders  auffallig  hebt  der  Yerf.  in  seinem  Falle 
eine  ausgebreitete  Erkrankung  der  Blutgefässe  hervor,  die  sich  durch  das  ganze 
Centralnervensystem  erstreckte,  hauptsächlich  in  den  erkrankten  Partien  sich  fand, 
aber  auch  die  scheinbar  noch  ganz  gesunden  nicht  verschont  hatte.  Dieser  Befund, 
zusammengehalten  mit  nur  beiläufig  erwähnten  anderen,  in  welchen  sich  bei  Para- 
lytikern eben  beginnende  Degeneration  der  Hinterstränge  fand,  Degenerationsheerde, 
die  stets  von  erkrankten  Blutgefässen  als  ihren  Centren  ausgingen,  in  denen  sich 
ausserdem  Zunahme  des  perivasculären  Gewebes  an  Stellen  fand,  an  denen  die  Nerven- 
fasern selbst  noch  ganz  unbetheiligt  waren,  und  in  denen  schliesslich  eine  besondere 
Tendenz  zur  Miterkrankung  der  an  die  hintere  Commissur  angrenzenden  Hinterstrangs- 
fasern  hervortrat»  giebt  dem  Verf.  Anlass,  die  Auffassung  von  der  systematischen  und 
primär  neurodegenerativen  Natur  der  Tabes  zu  bekämpfen  und  sich  dw  Ansicht 
6nzzard*s  und  Adamkiewicz's  von  der  primären,  von  den  Blutgefässen  ausgehenden, 
interstitiellen  Erkrankung  zuzuneigen.  Dass  er  dabei  als  Vertreter  der  Ansicht  von 
der  systematischen  Natur  der  T^^bes  Strümpell  und  Westphal  in  einem  Atiiem  nennt, 
ist  wohl  nur  ein  Lapsus.  Auch  Adamkiewicz  will  keineswegs  mehr  in  allen,  nicht 
einmal  in  den  meisten  Fällen  die  Tabes  als  interstitielle  Erkrankung  aufgefasst  wissen. 
Die  theoretischen  Auseinandersetzungen  über  die  Pathogenese  und  Pathologie  der  Tabes 
und.  progressiven  Paralyse,  sowie  über  das  Verhältniss  beider  zu  einander,  die  den 
Schluss  der  Arbeit  bilden,  eigpien  sich  für  ein  Referat  nicht.  Bruns. 


25)  Note  BOT  les  rapports  de  la  paralysie  gänärale  et  de  la  syphiliB,  par 
,     ^le  Dr.  Eromanuel  B^gis.    (Gaz.  mM.  de  Paris.  1888.  23.  24.  2S.) 

Während  in  den  skandinavischen  Ländern,  in  Deutschland  und  in  England  die 
hervorragende  Bedeutung,  welche  die  Sypbilis  in  der  Aetiologie  der  progr.  Paralyse 
einnimmt,  fast  allgemein  anerkannt  ist,  hatten  sich  die  französischen  Psychiater  bis- 
her diesem  Zusammenhang  gegenüber  ablehnend  verhalten. 

Jetzt  erklärt  nun  B.,  welcher  ebenfalls  geglaubt^  dass  die  Syphilis  kein  häufiges 
Antecedens  bei  d^  Paralyse  sei,  und  dass  sie  nur  zur  Pseudopaiälyse  Veranlassung 
würde,  dass  er  nach  aufmerksamer  Beobachtung  zu  anderer  Ansicht  gekommen  und 
dass  er  sich  früber  geirrt  habe.  Auch  er  betont,  wie  Bef.  es  seiner  Zeit  gethan, 
dass  bei  den  Kranken  der  öffentlichen  Anstalten  die  Anamnese  nach  dieser  Bichtung 
hin  oft  im  Stiche  lasse.  Da,  wo  genaue  Auskunft  vorhanden,  sind  nach  seiner  Er- 
fahrung 70— 76^/o  der  Paralytiker  syphilitisch  gewesen  (rechnet  man  die  wahr- 
scheinlichen Fälle  hinzu,  94  ^/q).  Die  4  von  ihm  beobachteten  paralytischen  Frauen, 
deren  Anamnese  bekannt  war,  hatten  sämmtlich  Syphilis  gehabt  Da,  wo  Syphilis 
and  Alkoholismus  selten  unter  der  Bevölkerung  vorkommen,  sind  Paralytiker  eben- 
falls selten.  [Asyl  von  Si  Alban  (Lozke):  Krankenbestand  zwisohen  190  und  300 
im  Zeitraum  von  10  Jahren  nur  10  Paralytiker  (Gamuset).] 

B.  findet,  dass  die  syphilitischen  Paralytiker  gleichzeitig  meistentbeils  Hereditarier 


—    504    — 

waren,  und  nimmt  an,  dass  die  Heredität  die  Pradisposition,  die  Syphilis  das  occa- 
sionelle  Moment  znr  Entstehung  der  Krankheit  bilde. 

Dass  trotzdem  die  antUuetische  Behandlang  keine  oder  nur  geringe  Erfolge  anf- 
xüweisen  hat,  ist  daraos  zu  erklären,  dass  die  Gewebsverändernngen  einen  Grad  er- 
reicht haben,  welcher  ansser  der  Wirksamkeit  jener  Behandlung  liegt  Die  syphilitische 
Paralyse  unterscheidet  sich  durchaus  nicht,  weder  symptomatisch,  noch  anatomisch 
von  der  Paralyse,  sie  ist  eine  wahre,  keine  Pseudopanilyse. 

Es  giebt  bei  Syphilitischen  Psychosen,  welche  der  Paralyse  ähnlich  sind,  und 
welche  durch  specifische  Behandlung  gebessert  werden;  diese  haben  jedoch  andere 
auatomische  Grundlagen,  und  sind  als  specifische  Pseudoparalysen  zu  trennen. 

M. 

Therapie. 

26)  Mittheflimgeii  über  die  Wirkungen  des  Amylenhydrats  bei  Qeistes- 
kranken,  von  Dr.  H.  Schloess.  (Secundärarzt  der  niederöster.  Landes-Irren- 
anstait  Wien.    (Jahrb.  f.  Psych.  1888.  VIII.) 

Das  Mittel  wurde  92mal  gegeben  und  zwar  32mal  zu  je  3,0  gr  und  60mal  zu 
je  3,5  gr.  Sowohl  bei  3,0  als  bei  3,5  gr  trat  der  Schlaf  meist  in  der  2.  Stunde  nach 
Einnahme  auf.  Nach  3,0  gr  währte  er  in  der  Hälfte  der  Fälle  (16)  5 — 7  Stunden, 
war  jedoch  öfter  unterbrochen;  nach  3,5  gr  fand  sich  in  7  Fällen  Schlaflosigkeit  in 
26  hingegen  Schlaf  in  der  Dauer  von  7— 10  Stunden.  Die  Dosis  von  3,5  gr  hatte 
auch  in  andern  15  Fällen  mit  Ausnahme  weniger  eine  sichere  schlafhiachende  Wir- 
kung (am  besten  bei  blödsinnigen  Paralytikern).  Da  es  oft  schlecht  vertragen  wird, 
empfiehlt  sich  bei  täglicher  Anwendung  eines  Hypnoticums  die  Abwechselung  mit 
andern  Hypnoticis.  Bei  Epilepsie  wirkt  es  in  kleinem  Dosen  nicht;  bei  gehäuften 
Anfällen  dürfte  sich  eine  grössere  Dosis  Amylenhydrat  (3,5  gr)  empfehlen  (cfr.  Gfirtier). 

Kalischer. 

27)  Obserration  de  solärose  en  plagues  —  Effet  remarqoable  de  la  solaaine 
sor  le  tremblement,  par  Grasset  et  Sarda.  (Progr.  m^.  1888.  Nr.  27.) 
Ein  43jähriger  Schäfer  leidet   seit  2  Jahren  an  ausgesprochener  Heerdsklerose. 

Dieselbe  hat  mit  Eopfischmerzen  und  Schwindel  eingesetzt,  wenige  Monate  später  hat 
sich  Intentionszittem  im  linken  Arm,  Lähmung  des  linken  Arms  und  linken  Beins 
hinzugesellt.  Die  Sprache  wurde  beschwerlich,  es  trat  auch  vorflbergehend  eine  links- 
seitige Facialis-Lähmung  auf.     Der  Gang  wurde  unbeholfen. 

Bei  der  Beobachtong  im  Hotel  Dieu  St.  Elvi  zu  Montpellier  konnten  die  Verff. 
mit  Sicherheit  eine  Sd^rose  en  plaques  constatiren,  die  sich  aus  Intentionstremor 
der  linken  oberen  Extremität,  leichter  Parese  des  linken  Beins,  erheblicher  Steigerung 
der  Sebnenreflexe,  linksseitiger  Hemianästhesie  zusammensetzte,  die  Sinnesorgane  noch 
ziemlich  unversehrt  gelassen  hatte.  Bemerkenswerth  war  noch  eine  Dyspnoe,  fOr 
welche  die  physikalische  Untersuchung  keine  Erklärung  gab  und  die  mit  einem  Gen- 
strictionsgefühl  im  Epigastrium  verbunden  war.  Am  meisten  beschwerte  den  Kranken 
der  Tremor.  Gegen  dieses  Symptom  versuchten  die  Verff.  das  Solanin,  das  von  fran- 
zösischen und  italienischen  Autoren  gegen  Schmerzen  und  andere  nervöse  Beizerschei- 
nungen mehrfach  empfohlen  worden  war.  Unter  der  Einwirkung  des  Sdlanin,  welches 
in  Dosen  von  5  cgr  mehrmals  täglich  gegeben  wurde,  verschwand  die  Dyspnoe  voll- 
kommen und  auch  das  Zittern  nahm  beträchtlich  ab,  nachdem  Pat.  das  Solanin  etwa 
8  Tage  lang  fortgebraucht  hatte. 

Die  Verff.  glauben  auf  Grund  der  mit  den  Solanin  gemachten  Erfahrungen  zu 
folgenden  Schlflssen  berechtigt  zu  sein:  Das  Solanin  ist  ein  Mittel,  welches  die  Beflex- 
erregbarkeit  entschieden  herabsetzt.  Die  Gew()hnung  an  dasselbe  ist  nicht  sehr  ffthl* 
bar,  da  es  eine  cumulative  Wirkung  zu  haben  scheint.  —  Schwächere  Dosen  längere 
Zeit^  mit  einigen  Unterbrechungen  fortgenommen,   scheinen  die  wirksameren  zu  sein. 

(Sarda  hatte  über  die  antineuralgischen  Eigenschaften  des  Solanin  schon  in 
den  Bull.  gte.  therap.  im  Mai  1888  berichtet!     D.  Ref)  L aquer. 

Verlag  von  Vnx  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mxtzobb  &  Wittio  in  Leipzig« 


Neurologisches  Centralbutt. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  ^  ^"°'  Jahrgang. 

Monatiioli  encheinen  zwei  Nummeni.    Preis  des  Jahrganges  20  Mark.   Zn  beziehen  dnroh 
alle  BncbhaodliiBgen  des  In-  und  Analandea,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Beiohs,  sowie 

direct  Ton  der  Yerlagsbachhandlung. 


1888. 15.  September. Na  18. 

Inhalt.  I.  Orlglnalmittheilungen.  1.  Die  Himcentra  fQr  die  Bewegung  der  Harnblase, 
▼on  Prof.  Dr.  W.  Bechterew  und  PriTatdocent  Dr.  N.  Mitiawsky.  2.  Ein  Fall  von  Alexis  mit 
rechtsaeitifer  homonymer  Hemianopsie  („snbcorticale  Alexie"  Weroicke),  von  Dr.  L.  Bnint, 
Nervenarzt  und  Dr.  B.  StSItlng,  Augenarzt  zu  Hannover  (Schluss). 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  The  grouping  of  the  cranial  nerves,  by  Hill.  2.  Micro- 
scopiojJ  ezamination  of  Glarke^s  column  in  man,  the  monkey  and  the  dog,  by  Mett.  'S.  llie 
morphology  of  the  Vagus  nerve,  by  Shere.  4.  Nerve-elementer,  deres  struktur  og  sammen- 
häng  1  centralnervesvstemet,  af  Nansen.  —  Experimentelle  Physiologie.  5.  Studien 
über  den  centralen  Verlauf  der  vasomotorischen  Nervenbahnen,  von  Heiweg.  --  Pathologie 
des  Nervensystems.  6.  Casd  of  haemorrhage  into  the  medulla  oblongata.  Recovery»  by 
Bafterham.    7.  Glioma  of  the  medulla  oblongata,  by  Osler. 

III.  Bibliographie.  Charit^  Annalen.  XIII.  Jahrgang.  Bedigirt  von  Director  Dr.  Mehl- 
haasMi,  Qonerslarzt  I.  Cl.  nnd  Geh.  Ob.  Medio.  Bath.:  Leyden,  Zur  Lehre  von  der  Looalisation 
in  der  Grosshimrinde.  Waetzoidt,  2  Fälle  von  Gehirntumor.  Senator,  I.  Solitarer  Tuberkel 
im  linken  Thalamus  opticus.  Beicljtsseitige  Ataxie.  U.  Abscess  im  linken  Schläfenlappen. 
Martittt,  Hemianopsie  mit  hemianopischer  PupUlenreaetion«  MDIIer,  2  Fälle  von  Tetanie  bei 
Dilatatio  ventriculi  und  bei  Axendrehung  des  Magens.  Oppenheim,  lieber  Hirnsymptome  bei 
Carcinomatose.  Verhalten  der  musikalischen  Ausdnicksbewegungen  und  des  musikalischen 
Verständnisses  bei  Aphatischen.  SchBtz,  3  Fälle  von  Aphasie  nnd  Paraphasie.  Opponholm, 
BeschreibuDg  eines  Falles  von  juveniler  progressiver  Muskelatrophie.  Thomton,  4  Falle  von 
traumatischer  und  Beflexpsychose. 


I. 


1.   Die  Himcentra  für  die  Bewegung  der  Harnblase. 

Von  Prof.  Dr.  W.  Bechterew  und  Privatdocent  Dr.  N.  MislawBky. 

BuDOE^  fand,  dass  Reizungen  der  Grosshimschenkel,  der  Strickkörper  und 
des  GalamuB  scriptoiius  des  verlängerten  Markes  Contractionen  der  Harnblase 


*  BuBGB,  Ueber  den  Einfluss  des  Nervensystems  anf  die  Bewegung  der  Blase.   Ztschr. 
f.  rationeUe  Madkin.    DriUe  Beihe.    XXL  Bd. 

80 


—    606    — 

henromifen,  wahrend  Beizung  der  Grosshimhemisphäxen,  des  Corpus  stnatom 
und  des  Sehhägels  in  den  Versuchen  des  genannten  Beobacbfcers  einen  derartigen 
Efifect  nicht  ze^te.  Ebenso  waren  Beizungen  des  Kleinhirnes  erfolglos;  aber 
Angesichts  dessen^  dass  die  Beizung  des  Corp.  restiforme,  an  dessen  Verbindungs- 
stelle mit  dem  Kleinhirne  in  genannter  Beziehung  ein  positives  Besultat  giebt, 
konnte  Büdge  dem  letzterwähnten  Himtheile  nicht  mit  Gewissheit  jeden  Antheil 
an  der  Hervorrufung  von  Bewegungen  der  Blase  absprechen.  Auf  Grund  dieser 
Experimente  kam  Bübge  zu  dem  Schlüsse,  dass  das  Bewegungscentnun  der 
Blase  in  den  Grosshimschenkeln  liege  und  dass  es  seitens  des  Grosshims  in  Er- 
regung gebracht  werde.  Dies  ist  aus  den  folgenden  Worten  dieses  Autors  zu 
erschliessen:  „Wir  müssen  uns  begnügen,  einigermaassen  einsichtlich  gemacht 
zu  haben,  dass  durch  den  Contact  gewisser  inThätigkeit  gebrachter  Gehirn- 
massen, die  jedoch  uns  unbekannt  sind,  mit  Faserm&ssen  oder  wahrschein- 
lich zunächst  mit  Ganglienzellen  der  Pedunculi  eine  Erregung  der  letzteren  und 
dadurch  Blasencontraction  entstehen  kann.^'^ 

Aponassiew*  beobachtete  bei  Durchschneidung  des  Himschenkels  keinerlei 
Veränderungen  in  der  Blasencontraction;  seiner  Meinung  zufolge  bleiben  nach 
der  besagten  Operation  nur  die  Contractionen  der  Urethra  aus,  während  der 
Tonus  des  Schliessmuskels  anwächst.  Was  die  auf  Himschenkelreizung  erfolgen- 
den Blasencontractionen  anlangt,  so  lassen  sich  dieselben,  zufolge  Afonabsiew, 
aus  dem  Spasmus  der  Blasengefässe  und  der  hierdurch  herbeigeführten  unge- 
nügenden arteriellen  Blutzufuhr  herleiten,  welch  letztere  auf  die  glatten  Muskei- 
zellen  der  Blase  oder  die  Nervenendigungen  derselben  err^nd  wirken  kann. 

Solcherweise  schliesst  Afonassiew  anscheinlich  einen  directen  Einfluss  des 
Grosshimes  auf  die  Bewegungen  der  Harnblase  völlig  aus.  Dagegen  lassen  sich 
spätere  Untersuchungen  mit  der  Ansicht  des  genannten  Autors  nicht  in  Ein- 
klang bringen.  So  wurden  in  den  Experimenten  von  Ssokowkin^  und  Nüss- 
BAUM^  nach  Durchschneidung  der  Grosshimhemisphären  im  Niveau  der  Him- 
schenkel  keine  Reflexe  seitens  der  sensiblen  Nerven  (wie  z.  B.  des  Vagus,  Ischiadicus? 
Gruralis,  Medianus  u.  A.)  auf  die  Blase  erhalten,  während  nach  Abtragung  der 
Hirnrinde  solche  Reflexe  noch  ausgelöst  wurden  (Nüssbaum).  Ausserdem  zeigte 
RooHEFONTAiNE,^  dass  au  dem  Gyrus  sigmoides  wenigstens  vier  Punkte  sich 
finden,  deren  Reizung  Blasencontraction  hervorruft.  Analoge  Beobachtungen 
machte  auch  FBANgois  Fbakck,^  indem  er  die  Bewegungen  der  Blase  mittels 
registrirender  Werkzeuge  aufnahm. 

Dies  ist  in  Kürze  das  Wenige,  was  wir  gegenwärtig  über  die  Innervation 


^  BuDQB,  a.  a.  O.  S.  180. 

'  Afokasbiew,  Zur  Physiologie  der  Pedimeali  cerebri.    Kiew  1869.    (RoBsisch.) 
^  SsOKOWNiN,  Beiträge  zur  Physiologie  der  Harnabsondening  and  der  Hamvcrhaltnng. 
Kasan  1877.    (Rassisch.) 

*  NussBACM,    Zar  Frage  über  die  Innenration  des  Masc.  detraser.    Arbeiten  ans  dem 
Warschaaer  Laboratoriam.    Lief.  Y.  1879.    (Rassisch.) 

^  RocHEPONTAiNE,  Arcb.  de  physiologie  normale  et  pathologiqne.  1876.  T.III.  Seriell 
p.  165. 

*  FBANgois-FnANCK,  Le9ons  aar  les  fonctions  motrices  da  ceryeaa.    Paris  1887. 


—    507    — 

der  Blase  seitens  des  Grosshimes  kennen.  Angesichts  dieser  mangelhaften  Er- 
kenntniss  der  Sache  einerseits,  sowie  andererseits  im  Hinblicke  auf  die  oben 
angedeuteten  Widersprüche  in  den  Ansichten  der  verschiedenen  Autoren  machten 
wir  letzterzeit  diese  Frage  zum  Gegenstande  unserer  Untersuchungen. 

Unsere  Experimente  wurden  an  Hunden  und  Katzen  angestellt  Die  Thiere 
worden  bis  zu  yölligem  Verluste  der  willkürlichen  Bewegungen  curarisirt,  und 
nach  Einleitung  der  künstlichen  Athmung  wurden  an  beiden  Uretheren  Fisteln 
angelegt,  die  Urethra  unterbunden  und  sodann  in  einen,  den  Blasenscheitel 
durchdringenden  Einschnitt  eine  olivenformige  Silbercanüle  eingeführt,  an  deren 
Halse  die  Blase  mittelst  einer  die  Blasenwand  durchsetzenden  Naht  fixirt  wurde. 
Die  Ganüle  wurde  mit  einem  Manometer  in  Yerfalndung  gebracht  und  darauf 
die  Blase,  die  Yerbindungsröhre  des  Manometers,  sowie  dieses  letztere  selbst 
mit  einer  0,75procentigen  ClNa-Lösung  gefüllt  Das  freie  Ende  des  Mano- 
meters wurde  mit  einer  Marey'schen  Begistrirtronmiel  (tambour  enr^gistreur) 
verbunden.  Die  Blase  wurde  während  des  Experimentes  aus  der  Bauchhöhle 
herausgenommen  und  von  einer  Schicht  hygroskopischer  Watte  umhüllt,  die 
gleichfalls  mit  der  ClNa-Lösung  befeuchtet  war.^  Die  Temperatur  und  die  Ent- 
blössung  der  Hemisphären  wurden  in  der  gewöhnlichen  Weise  vollführt  Zur 
Beizung  bedienten  wir  uns  des  Du  Bois-Beymond'schen  Schlittenapparates  mit 
einem  Gren^'schen  Elemente. 

Bei  der  Untersuchung  der  Hirnrinde  fanden  wir,  dass  die  Begion,  deren 
Reizung  eine  deutUch  wahrnehmbare  Blasencontracüon  hervorruft,  streng  locali- 
sirt  erscheint  und  sich  auf  den  inneren  Theil  des  vorderen  und  hinteren  Ab- 
schnittes des  Gyrus  signioides  beschrankt  Der  äussere  Theil  desselben,  gleichwie 
die  Nachbartheile  der  Hirnrinde  ergeben  bei  ihrer  Reizung  entweder  einen  völlig 
negativen,  oder  einen  nur  äusserst  geringfügigen  Effect  Somit  sind  die  von 
uns  gefundenen  Bindencentra  für  die  Blasenbewegungen  mit  den  von  Roghe- 
FONTAiNE^  angegebenen  nicht  vollkommen  congruent,  indem  der  letztgenannte 
Autor  den  äusseren  TheU  des  vorderen  Abschnittes  des  Gyrus  sigmoides  als  die 
Region  bezeichnet,  von  der  aus  eine  Gontraction  des  Detrusor  erzielt  werde. 

Bei  der  Reizung  der  von  uns  angegebenen  Punkte  tritt  sowohl  bei  den 
Hunden  als  auch  bei  den  Katzen  nach  einem  kurzen  Latenzstadium  eine  Blasen- 
contraction  ein,  welch'  letztere  nach  Entfernung  des  Reizes  fast  sofort  aufhört 
(s.  Fig.  1).  Es  ist  aber  zu  bemerken,  dass  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  Ströme 
von  massiger  Stärke  (80 — 90  mm  Spiralenabstand)  erforderlich  sind,  um  von 
Seiten  der  Hirnrinde  einen  positiven  Effect  zu  erlangen,  wobei  wiederholte  Rei- 
zungen einer  und  derselben  Region  bei  Hunden  recht  bald  eine  Erschöpfung 
des  Centrums  herbeiführen. 

Indem  wir  femer  die  centralen  Theile  des  Grosshims  untersuchten  —  wobei 
vorher  die  Hemisphären  bis  zur  Eröffnung  der  Seitenventrikel  abgetragen  werden 


'  Der  ganze  Apparat,  den  wir  zur  Controle  der  Blascncontractionen  heratellten,  er¥ne8 
sich  80  empfindUoh,  dass  selbst  die  schwächsten  Bewegungen  des  Oigans  verzeichnet  wurden. 
*  BocRxroKTAnnB,  Gaz.  m^e.  de  Paris  1875. 

30* 


miiHstei]  —  fandeD  wir,  dase  die  Beizang  tiefer,  im  Niveau  des  Ueberganges  des 
Corp.  striatnm  in  die  Canda  gelegener  Theile  des  votdereD  Abaohnittes  des  8eh- 
hfigels  sowohl  bei  Honden  als  auch  bei  Katzen  bereits  b«  schwacher  S(>rom> 
Wirkung  (120 — 100  mm  8piralenabstand)  constant  Blasencontraction  hervorruft, 
welch'  letztere  nach  Unterbrechung  des  Reizes  anfangs  ziemlich  rasob  abnimmt, 
um  darauf  immer  langsamer  und  langsamer  in  den  Zustand  der  normalen  Er- 
schlaffung äberzugehen  (s.  Fig.  2).  Der  mittlere  und  der  hintere  Abscbnitt  des 
Sehbflgels  verhalten  sich  df^egen  zu  einer  sogar  etftrkeren  Rozung  v&llig  nfgativ. 
Ebenso  wirkungslos  bleibt  die  Beizusg  des  Corp.  striatam  und  des  Nucl.  lenti- 
cnlaris.  Bringen  wir  jedoch  die  Elektroden  in  Contact  mit  den,  dem  Sehhügel 
anli^enden  Basaltheüen  der  inneren  Kapsel,  oder  reizen  wir  die  Huibe  unter 

Pig.  1. 


ContractioD  der  Btrnblue  n>ch  der  elektmchen  Beiznog  der  Hirnriiidi!. 
£  Anbng  der  BeiiDiig.    £  End«  der  Beiiang. 


ContrMtion  der  Harnblase  nuh  der  elektriacben  Beizang  der  TorderateD 

Theile  des  äebhügeli  (die  Abbildonfr  ist  photognqthiMb  dreimal  verUeiHtt). 

B  An&ng  der  Beisong.    £  Ende  der  Beisnng. 

dem  Vierhügel,  so  erhalten  wir  ebenso  typische  Blasencontractionen,  wie  sie  bei 
der  Reizung  des  vorderen  Setihägelabscbnittes  eintraten.  Dagegen  bleibt  eine 
oberflächliche  Reizung  der  vorderen  und  hinteren  Zweihügel,  gleichwie  die  der 
Kleinhimriude  und  der  Centraltheile  des  Kleinhirnes  ohne  jeden  Effect. 

Zu  notiren  ist  noch,  dasa  die  Reizung  des  vorderen  Abschnittes  der  Capsula 
interna  Blasencontraction  bewirkt  Um  aber  diesen  Effect  zu  erzielen,  muss, 
wie  wir  bemerkten,  ein  gewisses  Faserbündel  getroffen  werden,  welches  den  vor- 
deren Theilen  der  Hemisphären  entstammt  und  ersichtlicherweise  von  den  oben 
be!JE^t«n  Rindencentreu  zu  dem  von  uns  in  dem  vorderen  Theile  (resp.  im  vor- 
deren Kerne)  des  Sehbügels  gefundenen  Ontrum  verläuft 

Es  ist  also,  unseren  Experimenten  zufolge,  das  Gentrum  für  die  Bewegungen 
der  Harnblase  in  der  Tiefe  des  vorderen  Theiles  des  Sehhügels  gelegen  und 
nimmt  selbiges  einen  beschränkten,  wenige  Millimeter  nicht  übersteigenden 
Baum  ein.    Das   besagte  Ceotrum   steht  einerseits  mittels  eines  besonderen 


—    509    — 

Faserbündels  mit  den  Bindencentren,  andererseits  aber  mittels  der  von  ihm 
ausgehenden  und  die  tiefen  Theile  der  Capsula  interna  sowie  die  Haube  des 
Himschenkels  durchsetzenden  Leitungs&sem  mit  den  weiter  abwärts  liegenden 
Böckenmarkscentren  in  Verbindung.  Augenscheinlich  hat  es  Büdgb  in  seinen 
Experimenten  nar  mit  den,  von  dem  oben  genannten  Centrum  zum  Bücken- 
marke verlaufenden  Leitungsfasem  zu  thun  gehabt  Die  bei  Beizung  der  Central- 
ganglien  von  dem  genannten  Autor  erhaltenen  negativen  Besultate  lassen  sich 
daraus  erklären,  dass  er  das  streng  localisirte  und  auf  einen  äusserst  kleinen 
Baum  beschränkte  Centrum  nicht  traf,  das,  wie  bereits  erwähnt,  in  der  Tiefe 
des  vorderen  Abschnittes  des  Sehhügels  gelegen  ist 

Schliesslich  erübrigt  noch  die  Bemerkung,  dass,  obzwar  die  Beflexe  seitens 
der  sensiblen  Nerven  (wie  z.  B.  seitens  des  Centralendes  des  N.  ischiadicus)  auf 
die  Blase  auch  nach  einseitiger  sowie  nach  beiderseitiger  Zerstörung  des  oben 
genannten  Centrums,  gleichwie  nach  vollständiger  Durchschneidung  des  Gehirns 
im  Niveau  der  Himschenkel  nicht  völlig  aui^ehoben  werden,  seloige  dennoch 
nur  bei  einer  starken  Beizung  eintreten,  während  schwächere  Beizungen  unter 
den  gegebenen  Bedingungen  bereits  ohne  Effect  bleiben.  So  rief  eine  Beizung 
des  N.  ischiadicus  bei  einer  Stromesstärke  von  120—100  mm  Spiralenabstand  in 
unseren  Experimenten,  selbst  nach  vorhergehender  Abtragung  der  Himhemi- 
sphären  constant  eine  Blasencontraction  hervor,  wenn  das  oben  genannte,  in 
dem  Yorderabschnitte  der  Sehhügel  befindliche  Centrum  unversehrt  geblieben 
war;  im  Gegentheil  erwies  sich  nach  beiderseitiger  Zerstörung  dieses  Centrums, 
gleichwie  nach  der  Durchschneidung  des  Gehirnes  im  Niveau  der  Himschenkel 
eine  Beizung  mittelst  gleich  starker  Ströme  bereits  als  wirkungslos,  während 
auf  eine  Verstärkung  des  Stromes,  die  durch  gegenseitige  Annäherung  der  Spiralen 
(bis  auf  70  mm  Abstand)  erreicht  wurde,  noch  eine  ziemlich  starke  Blasencon- 
traction folgte. 

Somit  ist  es  klar,  dass  dem  von  uns  in  dem  vorderen  Theile  des  Sehhügels 
entdeckten  Centrum,  al^esehen  von  seiner,  den  Bindencentren  untergeordneten 
Bolle,  auch  die  Bedeutung  eines  Beflexcentrums  zukonunt,  indem  es  unter  Ein- 
fiuss  schwacher  Hautreize  Contractionen  der  Blase  hervorruft,  während  dagegen 
stärkere  äussere  Beizungen  ersichtlicher  Weise  bereits  durch  weiter  abwärts  ge- 
l^ene  (Bückenmarks-)  Centren  vermittelte  reflectorische  Blasencontractionen  be- 
wirken. 

Kasan,  Juni  1888. 


2.  Ein  Fall  von  Alexie  mit  rechtsseitiger  homonymer 
Hemianopsie  („subcorticale  Alexie"  Webnickb). 

Von  Dr.  It.  Brons,  Nervenarzt  und  Dr.  B.  Stölting,  AugODarzt  zu  Hannover. 

(Schlofls.) 

Der  von  uns  beobachtete  Fall  fordert  zu  folgenden  epikritischen  Bemerkungen 
und  Klarstellungen  heraus. 


—    510    — 

Die  ToizögUche  Abhandlnng  Gbashby's:  „TJeher  Aphasie  imd  ihre  Bezieh- 
ongen  znr  Wahmehmimg^  (a.  a.  0.)  hat  uns  gezeigt,  „dass  es  eine  Aphasie  giebt, 
die  lediglich  anf  Yermindenmg  der  Daoer  der  Sinneseindrficke  nnd  dadurch 
bedingte  Störung  der  Wahmehmnng  und  der  Assodation  beruht^  Es  könnte 
zunächst  massig  erscheinen,  für  die  von  nns  beobachtete  Alerie  die  Frage  anf- 
zu werfen,  ob  sie  nicht  vielleicht  ans  ähnlichen  Ursachen  entsprungen  sei,  denn 
bei  dem  GsASHEY'scben  Kranken  war  das  Lesen  gedruckter  und  geschriebener 
Worte  und  Bachstaben,  das  Yerstandniss  des  Gelesenen  und  ebenso  das  Ab- 
sehreiben vollständig  erhalten,  dagegen  gerade  die  Benennung  von  Objecten  und 
Zahlen  besonders  erschwert;  ein  umgekehrtes  Yerhalton  wie  in  unserem  Falle. 
Ja  der  Kranke  bediente  sich  geradezu  des  Sdireibens  und  Wiederablesens,  um 
sein  schwaches  Gedächtniss  zu  unterstützen.  Doch,  und  das  veranlasst  uns 
dieser  Frage  näher  zu  treten,  konnte  Grashet  bei  sdnem  Patienten  künstlidi 
Alexie  hervorrufen,  wenn  er  denselben  durch  einen  Spalt  lesen  liess,  durch  dm 
derselbe  immer  nur  einen  Buchstaben  sehen  konnte;  der  vorhergehende  wurde 
sofort  wieder  verdeckt,  wenn  der  zweite  an  die  Reihe  kam.  War  er  verdeckt, 
so  wurde  er  sofort  wieder  vergessen  und  der  Wortbegriff  koimte  auf  diese  Weise 
nicht  zu  Stande  kommen.  Wir  oonstatirten  nun  bei  der  ersten  genaueren 
Untersuchung  der  Lesefahigkeit  unseres  Patienten,  dass  damals  einzelne  ge- 
druckte Buchstaben  und  kurze  ebensolche  Worte  noch  richtig  aufgefasst  wurdes, 
dass  aber  längere  Worte  nicht  mehr  gelesen  werden  konnten.  Diese  Störung 
einzig  und  allein,  wie  das  von  anderer  Seite  geschehen,  auf  die  vorhsmdeDC 
Hemianopsie  zurückzufuhren,  dürfte  wohl  nicht  angehen;  zum  mindesten  müsste 
hierfür  neben  der  Hemianopsie  noch  eine  erhebliche  Störung  des  Gedächtnisses 
hinzukommen.  Die  halbseitige  Blindheit  träte  dann  hier  an  die  Stelle  des 
GsASHET'schen  Spaltes;  wird  die  noch  liditempfindende  Partie  der  Netzhaut  anf 
den  zweiten  Theil  eines  längeren  Wortes  gerichtet,  so  ist  der  erste  für  den 
Blick  wie  verdeckt;  wird  er  zugleich  sofort  vergessen,  so  kann  die  Erkenntniss 
des  ganzen  Wortes  nicht  zu  Stande  kommen.  Aber  abgesehen  davon,  dass 
während  des  Haupttheiles  unserer  Beobachtung  und  zwar  dauernd  auch  kurze 
gedruckte  Worte  und  einzelne  Buchstaben  nicht  gelesen  werden  konnten,  und 
zwar,  wie  wir  gesehen,  weder  innerlich  noch  laut,  für  die  doch,  wenigstens  was 
die  Buchstaben  anbetrifft,  ein  längeres  Haftenbleiben  des  Sioneseindruckes,  wie 
uns  gerade  wieder  Gbashey's  Patient  lehrt,  nicht  postulirt  zu  werden  braucht, 
abgesehen  femer  davon,  dass  im  G^ensatz  zu  Worten  längere  Zahlerureihen  ge- 
lesen werden  konnten,  deren  Auffassung  dann  doch  wohl  durch  die  Gredächtniss- 
schwäche  ebenso  gestört  sein  würde,  so  war  bei  unserem  Pat  von  einer  iigeud- 
wie  hochgradigeren  Abschwächung  des  Gedächtnisses  im  Allgemeinen  überhaupt 
nicht  die  Bede.  Er  wusste  bei  der  nächstfolgenden  Untersuchung  ganz  gut, 
was  man  in  der  vorhergehenden  mit  ihm  vorgenommen  hatte,  er  erinnerte  sich 
sogar  der  Vorgänge  auf  der  Irrenstation,  die  in  die  schlimmste  Periode  seiner 
Krankheit  fielen.  Er  las  nach  der  oben  erwähnten  Schreibeprobe  statt  „Paris" 
„Bechuung^^,  er  wusste  also  ganz  genau,  dass  man  ihn  auch  eine  Bechnusg 
hatte  schreiben  lassen.    Schliesslich  gelangen  auch  die  von  G&ashey  in  seiner 


—    511    — 

Arbeit  (S.  670  a.  a.  0.)  erwähnten  Experimente  nicht.  Hielt  man  dem  Kranken 
eine  Beihe  von  Objecten  vor^  die  man  sofort  verdeckte,  so  wusste  er  nachher 
ganz  genau,  welche  Dinge  man  ihm  gezeigt  hatte,  gleichviel,  ob  er  sie  hatte 
benennen  können  oder  nicht  Damit  ist  wohl  bewiesen,  dass  in  unserem  FaUe 
die  totale  Alexie  für  gedruckte  Symbole  auf  einer  wirklichen  Zerstorong  ii^end- 
welcher  fSr  das  Lesen  nöthiger  Centren  oder  Bahnen  und  nicht  in  Analogie  za 
dem  GnASHEY'schen  Falle  anf  einer  Yermindemng  der  Dauer  der  Sinneseindrücke 
beruhte,  dass  es  sich  also  um  eine  ganz  specielle  Gedächtnissstörung  einzig  und 
allein  far  die  Schriftzeichen  und  nicht  um  eine  solche  allgemeinerer  Natur 
handelt;  eine  solche  partielle  Gedächtnissschwäche  nennen  wir  aber  „Alexie'^ 

Sehen  wir  nun  weiter,  welche  Läsionen  wir  wohl  für  die  von  uns  beobachtete 
Alexie  mit  rechtsseitiger  Hemianopsie  postuliren  müssen  und  ob  wir  überhaupt 
im  Stande  sind,  die  betreffenden  Störungen  auf  einen  einfachen,  schematisch  zu 
erläuternden  Heerd  zurückzuführen.  Eine  solche  Untersuchung  würde  uns  dann 
zugleich  wohl  einen  Anhaltspunkt  für  den  anatomischen  Sitz  des  Ausfallsheerdes 
gewähren.  Solche  Erklärungsversuche  machen  ja  keineswegs  den 
Anspruch,  absolute  und  für  alle  Zeiten  gültige  Thesen  aufzustellen; 
sie  haben  ihren  Zweck  erfüllt,  wenn  sie  so  lange,  bis  die  fort- 
schreitende Wissenschaft  Besseres  bringt,  zur  Orientirung  gedient 
haben.  Für  die  betreflTende  Untersuchung  müssen  wir  von  zwei  Voraussetzungen 
ausgehen.  Die  erste  ist  die,  „dass  alle  optischen  Erinnerungsbilder  (also  auch 
die  Buchstaben  imd  Worterinnerungsbilder)  gleichzeitig  und  gleich  nachhaltig 
bei  sonst  normalen  Verhältnissen  im  rechten  wie  im  linken  optischen  Erinne- 
rungsfelde angelagert  werden*'  (Wilbrand,  a.  a.  0.  S.  175).  Dieser  Ansicht 
ist  auch  Wesnigke,  wie  er  des  öfteren  nachdrücklich  bestätigt  hat.  Es  ist 
dabei  für  unsere  Frage  gleichgültig,  ob  wir  die  optischen  Centren  in  den  beiden 
Occipitallappen  allein,  oder  etwa  in  diesen  und  den  unteren  Scheitelläppchen 
suchen.  Nur  dürfen  wir  nicht  das  Depositorium  der  Buchstaben  und  Wortbilder 
getrennt  von  den  übrigen  optischen  Erinnerungsbildern  etwa  in  dem  linken 
unteren  Scheitelläppchen  annehmen,  was  von  anderer  Seite  unter  Zuziehung 
scheinbar,  beweisender  Sectionsbefiinde  geschehen  ist.  Es  ist  hier  nicht  der  Ort, 
die  für  die  oben  mit  den  Worten  Wilbband's  aufgestellte  Behauptung  sprechen- 
den Gründe,  die  z.  Th.  aprioristischer  Natur  sind,  z.  Th.  pathologischen  Er- 
fahrungen entsprechen,  genauer  auszuführen.  Wir  können  in  dieser  Beziehung 
unter  anderen  auf  die  citirte  Arbeit  Weqbeand's  (S.  175  flF.)  verweisen,  aus  der 
wohl  klar  hervorgehen  dürfte,  dass  das  betreffende  Postulat  kein  willkürliches 
ist,  sondern  durch  gewichtige  und  genügende  Gründe  gestützt  erscheint  Die 
zweite  Voraussetzung,  deren  Annahme  es,  wie  wir  sehen  werden,  allein  ver- 
ständlich macht,  weshalb  die  rechte  corticale  Sehsphäre,  die  doch  erhalten  und 
erreichbar  ist,  dennoch  das  Lesen  nicht  ermöglicht,  ist,  dass  wir  uns  für  das 
Zustandekommen  des  Lesens  diejenigen  Schemata  aneignen,  wie  sie  in  der 
Hauptsache  übereinstimmend  von  allen  neueren  Autoren,  so  Lightheim,  Ghashey, 
W^EBNiOKE  oonstruirt  worden  sind.  Für  ihre  nähere  Begründung,  die  sich  haupt- 
sächlich auf  die  Art  stützt,  wie  das  Lesen  erlernt  wird,  muss  wieder  auf  die 


—    512    — 

Arbeiten  der  citirten  Autoren,  speciell  auch  auf  WESMiCKEy  dem  wir  uns  hier 
ganz  anschliessen,  verwiesen  werden.  Folgendes  möge  genügen.  Zum  Lesen 
gehört:  Intactheit  der  subcorticalen  optischen  Bahnen  und  der  optischen  Centren, 
die  wie  gesagt  doppelt  angelegt  sind  und  deshalb  einseitig  entbehrt  werden 
•können;  des  Centrums  für  die  acustischen  Lautbflder,  das  unter  gewöhnlichen 
Umstanden  nur  linksseitig,  in  der  linken  Hörsphäre  liegt  und  der  betreffenden 
Verbmdungsbahnen.  Soll  verstanden  werden,  was  gelesen  wird,  so  müssen  auch 
die  von  Webnicke  transcortical  genannten  Bahnen  erhalten  sein,  die  die  Wort- 
bilder  mit  den  zugehörigen  B^riffen  verbinden;  soll  laut  gelesen  werden,  so 
müssen  auch  noch  die  Bahnen  zu  dem  ebenfalls  nur  links  angeordneten  mo- 
torischen Lautcentrum,  dieses  selbst  und  die  subcorticalen  motorischen  Sprach- 
bahnen gangbar,  respective  unzerstört  sein.  WEBiacKE  unterscheidet  sich  von 
Lichtheim  und  Gbashey  nur  dadurch,  dass  er  hauptsachlich  auf  Gbäjbhet's 
Beobachtung  gestützt  (es  wird  buchstabirend  gelesen)  auch  für  das  leise  Lesen 
eine  Intactheit  des  motorischen  Wortcentrums  und  seiner  Verbindung  mit  dem 
sensorischen  postulirt;  ein  Postulat,  das,  wie  es  scheint  nicht  umgangen  werden 
kann,  für  die  vorliegende  Frage  aber  nicht  von  Bedeutung  ist  Alle  diese 
Bahnen  und  Centren  müssen  beim  Gesunden  bei  jedem  Lesen  wieder  abgewandelt 
werden ,  Vereinfachungen  in  Form  von  Richtewegen  können  höchstens  unter  ganz 
abnormen  Verhältnissen  wie  bei  Taubstummen,  wo  ein  sensorisches  Wortcentrom 
gar  nicht  vorhanden  ist,  zugelassen  werden.  Jede  Störung  an  irgend  einer  Stelle 
dieser  Bahnen  und  Centren  muss  also  nicht  nur  das  Lautlesen,  sondern  über- 
haupt das  Erkennen  der  Buchstaben  und  Worte  vernichten.^ 

Treten  wir  nun  unter  den  obigen  zwei  Voraussetzungen  wieder  an  den 
Versuch  emer  Erklärung  unseres  Symptomencomplexes  heran,  so  glaube  ich, 
können  wir  nichts  Besseres  thun,  als  für  dieselbe  mit  einer  unerheblichen  Aus- 
stellung, die  ebenso  klaren  wie  plausiblen  Auseinandersetzungen  Wilbbahd's  zu 
acceptiren,  wie  er  sie  in  seinem  öfter  citirten  Werke  auf  S.  156  mit  folgenden 
Worten  giebt: 

„Wir  zeigten,  dass  die  Object-,  Wort-  und  BuchstabenerinnerungsbUder  in 
gleicher  Anzahl  in  jeder  Sehsphäre  angelagert  li^en,  und  dass  von  den  in  jeder 
Sehsphäre  vorhandenen  Kegionen,  welche  vorzüglich  Wort-  und  Buchstaben- 
erinnerungsbilder beherbergen,  lediglich  den  Sprachzwecken  (genauer  dem  Lesen 
und  Schreiben  d.  A.)  dienende  Associationsfasem  nach  der  Gegend  der  linken 
Hörsphäre  ihren  Verlauf  nehmen." 

„Die  der  rechten  Sehsphäre  entstammende  Partie  dieser  Associationsfasem 


^  Uebrigens  kann  man  bei  sonst  strengem  Festhalten  an  dem  oben  entwickelten  Schema 
wohl  zugeben,  dass  bei  bestimmten  Individaen,  einzelne  für  das  Lesen  wie  Überhaupt  far 
die  Sprache  in  Betracht  kommenden  Centren  so  pravalirend  ausgebildet  und  so  selbststindig 
geworden  sind,  dass  bei  ihrem  eventuellen  Erhaltensein  mehr  Functionen  erhalten,  bei  ihrem 
Zerstortsein  mehr  zerstört  sind,  als  es  bei  dem  Durchschnittsmenschen,  dessen  Centren  eine 
mehr  gleichmässige  Ausbildung  erfahren,  der  Fall  sein  wtlrde.  Bas  wQrde  dann,  da  bei 
solchen  Individuen  auch  in  gesunden  Tagen  nicht  die  ganze  WssHiCKB^sche  Lesebahn  abge- 
wandelt zu  werden  brauchte,  individuelle  Verschiedenheiten  bei  den  gleichen  Lasioneo  er- 
klären.   Chabcot  führt  besonders  diese  Frage  naher  aus. 


—    513    — 

mii88  den  Balken  durchziehen  und  in  der  Nähe  des  linken  Hinterhanptslappens 
sich  nahe  an  die  analoge,  der  linken  Sehgphäre  entstammende  Partie  anlegen, 
um  in  Verein  mit  dieser  nach  der  G^end  der  Binde  des  linken  unteren 
Scheitelläppchens,  des  linken  Gyrus  angularis,  und  der  linken  ersten  Schläfen- 
windung convergirend  zu  verlaufen.  Zerstört  nun  ein  Heerd  diese  Leitungs- 
bahnen in  oder  nahe  der  Binde  der  eben  beschriebenen  Gegend,  dann  tritt 
Alexie  als  eine  dem  aphasischen  Symptomencomplexe  unterzuordnende  Erschei- 
nung auf.^ 

„Werden  diese  eben  beschriebenen  Associationsfasem  weiter  rückwärts  in 
der  Nähe  des  linken  Hinterhauptlappens  betroffen,  dann  wird  sogleich  mit  der 
Alexie  sehr  häufig  auch  rechtsseitige  homonyme  Hemianopsie  gefunden.  Zer- 
stört aber  ein  Heerd  die  rechtshimige  Partie  dieser  Associationsfasem  entweder 
in  dem  Balken  oder  nahe  der  rechten  Sehsphäre,  dann  werden  keine  Erschei- 
nungen von  Alexie  zur  Beobachtung  kommen.^' 

Schema  8. 


Wie  leicht  ersichtlich  wird  nach  den  obigen  Auseinandersetzungen  bei  An- 
nahme einer  Läsion  +  in  unserem  Schema  3  die  Alexie  und  die  rechtsseitige 
Hemianopsie  bei  vollständigem  Mangel  aller  sonstigen  aphatischen  Symptome 
vollkommen  erklärt.  Das  linke  optische  Gentrum  ist  überhaupt  verbarrikadirt 
und  vom  rechten  sind  die  für  das  Lesen  durchaus  nöthigen  Yerbindungsbahnen 
zu  dem  links  gelegenen  Wortcentrum  zugleich  mit  den  analogen  linksseitigen 
Bahnen  zerstört;  folglich  besteht  absolute  Alexie  bei  nur  rechtsseitiger  Hemi- 
anopsie für  die  concreten  Objecte.  Die  Bezeichnung  dieses  Symptomencomplexes 
durch  Webnioke  als  subcorticale  Alexie  würde  dann  auch  anatomisch  voll  be- 
gründet sein.    Selbstredend  könnte  eine  solche  Alexie  und  rechtsseitige  Hemi- 


—    514    — 

anopsie  auch  durch  einen,  lündenheerd  erzeugt  werden,  der  Yom  linken  Hinter- 
hauptslappen sich  nach  dem  Gyrus  angularis  und  unteren  Scheitellappen  hin 
erstreckt  und  gerade  für  diese  Localisation  sind  schon  einige  Secüonsbefünde 
beigebracht;  nur  beweist,  wie  aus  Obigem  leicht  ersichtlich,  ein  solcher  Befund 
nichts  fOr  die  Annahme  eines  einseitig  und  links  liegenden  Depositoriums  für 
die  Buchstaben  und  Worte. 

Dagegen  wird  durch  die  WiLBBAKD'sche  Annahme  nicht  erklärt,  weshalb 
geschriebene  Worte  und  Buchstaben  noch  erkannt  werden,  und  weshalb  über- 
haupt geschrieben  werden  kann.  Beides  gehört  nach  unserer  Ansicht  zusammen 
und  soll  weiter  unten  noch  erörtert  werden;  zunächst  müssen  wif  aber  uodi 
auf  einen  anderen  Punkt  kommen«  Wir  haben  gesehen,  dass  übereinstimm^d 
mit  WEfiNiCKE's  Angaben  vorgehaltene  coucrete  Objecto  von  dem  Patienten 
fast  stets  erkannt  und  meist,  wenn  auch  etwas  Terlangsamt,  richtig  benannt 
werden  konnten;  nur  für  einzelne  Objecto  wurde  durch  einfaches  Anscfaanen 
der  Name  nicht  gefunden,  er  fand  sich  dann  nicht  selten,  wenn  Pat  das  Object 
in  die  Hand  nehmen  und  betasten  konnte.  In  ganz  vereinzelten  Fällen  genügte 
auch  das  nicht,  Pat  musste  dann  zu  Umschreibungen  seine  Zuflucht  nehmen* 
Wie  kann  man  sich  diese  Verhältnisse  erklären? 

Eine  auch  nur  leichte  directe  Mitverletzung  der  eigentlichen  Sprachcentren 
anzunehmen,  haben  wir  in  unserem  Falle  keinen  Grund;  die  Zeit  der  indiiecten 
Symptome  war  aber  vorüber.  Zunächst  ist  es  nun  klar,  dass  coucrete  Objecte 
mit  der  intacten  rechten  l^hsphäre  erkannt  werden  mussten;  die  Möglichkeit, 
sie  begrifflich  aufzufassen,  steht  nicht  in  so  zwangsmässigem  Zusammenhang 
mit  ihrer  lautlichen  Bezeichnung,  wie  das  bei  den  Buchstaben  der  Fall  isL  Der 
Objectbegriff  verbindet  sich  erst  ziemlich  spät,  wenn  er  selbst  schon  ziemlich 
fest  und  ausgebildet  sein  kann,  mit  seiner  sprachlichen  Bezeichnung.  Das 
Kind  kennt,  wie  besonders  Webnioke  hervorhebt,  eine  ganze  Anzahl  von  Ob- 
jecten  und  erkennt  sie  unter  Umständen  auf  rein  optischem  Wege,  ehe  es  die- 
selben zeigen  kann,  wenn  man  sie  nennt,  und  noch  vielmehr,  ehe  es  sie  selber 
sprachlich  bezeichnen  kann.  Wir  sehen  demnach  in  unserem  Falle,  dass  der 
wohl  erhaltene  Begriff  nicht  immer  im  Stande  ist,  ohne  Schwierigkeiten  die 
sprachliche  Bezeichnung  auszulösen.  Die  Bahn  nun,  die  die  visuellen  Object- 
bilder,  die  in  unserer  rechten  optischen  Zone  zu  Stande  kommen,  direot  mit 
dem  sensorischen  Lautcentrum  verbindet,  die  also  fOr  gewöhnlich  die  Haupt- 
strasse bilden  muss,  auf  der  rein  optisch  aufgefasste,  also  z.  B.  vorgezeigte  Ob- 
jecte direct  zu  dem  betreffenden  Lautbild  gelangen,  wird  wohl  dieselbe  sein,  die 
die  Symbolbilder  mit  ihren  lautlichen  Bezeichnungen  verbindet,  oder  ihr  jeden- 
falls direct  anliegen.  Sie  wird  also  in  unserem  Falle  jedenfalls  mit  gestört  sein. 
Nun  setzen  sich  aber  die  Begriffe  von  concreten  Objecten  meist  aus  einer  ganzen 
Anzahl  von  Componenten  zusammen;  es  sind  ausser  der  visuellen,  vor  allem 
tactile,  wohl  auch  auditive,  auch  Geruchs-  und  Geschmacksvorstellungen«  Die 
einzelnen,  einen  Objectbegriff  bildenden  Componenten  müssen  aber  durch  Asso- 
ciationsbahnen  zusammenhängen,  sie  bilden  eine  associatorische  Einheit,  als  solche 
den  Begriff.   Visuelle  Componenten  eines  Begriffes  stehen  also  je  nach  der  Art 


—    515    — 

des  Objectes  mit  einer  mehr  oder  weniger  grossen  Anzahl  anderer  Gomponenten  des- 
selben Begriffes  in  fester  Verbindung  und  es  können  diese  anderen,  nicht  visu- 
ellen Gomponenten  des  Begriffes  alle  oder  z.  Th.  directe  Verbindungen  mit  dem 
Sprachcentrum  haben.  Solche  Verbindungen  existiren  auf  jeden  Fall;  das  Ge- 
fühl y^nass'^  kann  uns  direct  das  Wort  ^^Wasser^',  der  Geschmack  ,^Ü8S^^  das 
Wort  ;^ucker^'  auslösen.^  Während  nur  unter .  normalen  Umstanden  bei  vor- 
gehaltenem Objecto  zwar  auch  gleichzeitig  alle  anderen  Gomponenten  des  be- 
treffenden Objectes  angeregt  werden,  die  lautUche  Bezeichnung  desselben  aber 
auf  derjenigen  Bahn  gefunden  wird,  die  das  zunächst,  durch  einen  neuen  resp. 
erneuten  änneseindruck  und  deshalb  am  intensivsten  erregte  Gentrum  mit  der 
Sprachregion  verbindet;  also  bei  vorgehaltenem  Objecto  auf  dem  Wege  vom 
visuellen  zum  Sprachcentrum,  —  treten,  wenn  diese  directe  Verbindung  unter- 
brochen ist,  die  übrigen  sinnlichen  Gomponenten  des  Begriffes  und  ihre  Ver- 
bindungen mit  dem  Lautcentrum  helfend  ein '  und  lösen  die  sprachliche  Bezeich- 
nung ausr  Die  Benennung  eines  Objectes  wird  unter  diesen  Umständen  lang- 
samer erfolgen,  sie  wird  beschleunigt  werden,  wenn  das  Object  wie  von  unserem 
Kranken  befühlt,  oder  wie  vou  Battebham's  Patienten  gefühlt,  gerochen  oder 
geschmeckt  wird,  weil  dann  zunächst  der  directe  Weg  von  der  Fühlcomponente 
des  Begriffes  zum  Lautcentrum  eingeschlagen  wird  und  der  weitere  Umweg 
über  das  optische  Gentrum  nicht  mehr  nöthig  ist;  oder  wenn  letzterer  nebenbei 
doch  eingeschlagen  wird,  z.  6.  die  Tastcomponente  eines  Begriffes  einmal  in- 
direct  vinn  visuellen  Gentrum  aus  und  dann  direct  durch  das  Betasten  selber, 
also  besonders  stark  angeregt  werden  und  diese  stärkere  Erregung  schneller 
und  intensiver  zum  Sprachcentrum  fortgeleitet  werden  wird.  Für  alle  Objecte 
aber  werden  diese  Aushülfsbahnen  nicht  ausreichen,  resp.  überhaupt  nicht  vor- 
handen sein,  was  bei  der  dominirenden  Stellung,  die  die  optische  Gomponente 
für  viele  Begriffe  einnimmt,  a  priori  zu  erwarten  war;  für  solche  Objecte  wird 
der  Name  dann  überhaupt  nicht  gefunden  werden.  Drücken  wir  die  oben  er- 
örterten Verhältnisse  speciell  in  Bücksicht  auf  die  Verschiedenheit  in  der  Auf- 
fassung und  Bezeichnung  von  Buchstaben  und  concreten  Objecten  noch  einmal 
mit  anderen  Worten  aus,  so  können  wir  sagen,  die  meisten  concreten  Objecte 
haben  ausser  dem  Auge  noch  eine  ganze  Anzahl  anderer  Einbruchspforten  in's 
Sensorium,  solche  des  AUgemeingefuhles,  des  Gehörs,  Geruchs  und  Geschmacks 
und  auf  den  Bahnen  der  meisten  dieser,  resp.  bei  einfacher  Anschauung  des 
Objectes  auf  dem  Umwege  über  ihre  Gentren,  wenn  die  directen  Verbindungen 
zwischen  visuellem  und  Sprachcentrum  unterbrochen  sind,  kann  auch  die  sprach- 
liche Bezeichnung  des  Objectes  gefunden  werden;  die  Unterbrechung  einzelner 
Bahnen  kann  also  dieses  Finden  erschweren,  aber  nur  in  seltenen  Fällen  unmöglich 
machen;  der  gedruckte  Buchstabe  hat  ausser  dem  Laut,  der  ja  hier  c.  1.  beim  Lesen 
nicht  in  Betracht  kommt,  da  er  gefunden  werden  soll,  nur  eine  Einbruchspforte: 
er  kann  mit  dem  Sensorium'  nur  durch  das  optische  Gentrum  in  Verbindung 
treten  (vielleicht  nicht  ganz  ausschliesslich;  s.  Wbsnicke  a.  a.  0.^);  ist  deshalb 

^  Siehe  aach  Fabges,  Aphasie  chez  one  tactile.    L'enc^phale.  1887.  Nr.  5. 

'  Webniokb  meint,  dass  bei  AnffassuDg  der  Buchstaben  auch  Bewegungsgefühle,  wenn 


—  sie- 
dle Bahn  von  diesem  Centram  zum  Lautcentrum  unterbrochen,  so  kann  er  auf 
jeden  Fall  nicht  mehr  laut  gelesen  werden;  aus  der  Art,  wie  seine  Kenntniss 
erlernt  wird,  resultirt  zugleich,  dass  er  überhaupt  nicht  mehr  erkannt  wird. 
(NB.  Die  hier  entwickelten  Anschauungen  stehen  und  fallen  mit  der  Yorstellung, 
die  wir  uns  von  der  Stellung  des  Begriffes  eines  concreten  Objectes  machen. 
Nehmen  wir  an,  dass  die  einfachen,  primären,  sensorischen  Gomponenten  des 
Objectes,  die  jedenfalls  die  Ursprungsquellen  des  Begriffes  sind,  noch  einmal 
wieder  in  einer  Art  von  psychischen  Coordinationscentrum  vereinigt  werden? 
dem  eigentlichen  BegrifiGscentrum,  dann  ist  nicht  abzusehen,  weshalb  dieser  Be- 
griff, der  ja  für  vorgehaltene  Objecto  bei  unserem  Fat  sofort  vorhanden  war, 
nicht  auch  ohne  Weiteres  die  Bezeichnung  des  Objectes  auslöst.  Ist  aber  der 
Bbgriff  nichts  anderes  als  die  feste  Verbindung  der  einzelnen  sensorischen  Gom- 
ponenten des  Objectes  durch  Associationsfasem,  eine  Yerbindung,  die  durch  stete 
Wiederkehr  derselben  Empfindungen  bei  demselben  Objecto,  zu  einer  Art  asso- 
ciatorischer  Einheit  wird  (s.  auch  Webnioke),  dann  muss  stets  auch  die  laut- 
liche Bezeichnung  des  Objectes  von  einer,  einzelnen,  oder  allen  den  sensorischen 
Gomponenten  desselben  ausgelöst  werden.  Es  ist  jedenfalls  nicht  unwahrschein* 
lieh,  dass  dazu  vor  Allem  diejenige  Componente  benutzt  wird^  die  durdi  die 
Art,  wie  das  betreffende  Object  percipirt  wird,  primär,  auf's  Neue  und  deshalb 
am  intensivsten  erregt  wird.  Gerade  für  diese  Auffassung  spricht  auch  unsere 
Beobachtung.  Wir  vermögen  nicht  zu  entscheiden,  welche  Ansicht  die  richtige 
ist;  sicher  dagegen  scheint  uns  zu  sein,  dass  auch  der  vollendete  und  fest  ein- 
gelebte  Begriff  weniger  unabhängig  von  den  sensorischen  Gomponenten  ist,  aus 
denen  er  hervorgegangen,  wie  wohl  angenommen  worden  ist) 

Das  Schreiben  und  zwar  sowohl  das  spontane  wie  das  auf  Dictat  war  in 
unserem  Falle  voll  erhalten.  Nun  brauchen  wir  aber  zum  Schreiben  zunächst 
dieselben  Bahnen  und  Centren  wie  zum  Lesen  und  dann  die  Verbindung  dieser 
mit  dem  Centrum  der  Schreibbewegungsvorstellungen;  eine  Verbindung,  die 
wohl  vom  optischen  Centrum  aud  erfolgen  wird.  Beim  spontanen  Schreiben 
(das  Dictatschreiben  mit  Verständniss  unterscheidet  sich  in  dem,  worauf  es 
uns  hier  ankommt,  in  nichts  von  diesem)  muss  das  sensoiische,  nach  Wbrnicke 
auch  wieder  das  motorische  Wortcentrum,  wenigstens  ein  visuelles  Centrum,  das 
Centrum  der  Schreibbewegungsvorstellungen  und  ihre  Verbindungsbahnen  intact 
sein.  Daher  kann  das  Schreiben  auch  nur  bei  „subcorticaler^'  Alexie  zu  Stande 
konmien;  bei  „oorticaler",  wenn  die  visuellen  Erinnerungsbilder  der  Buchstaben 
mit  zerstört  sind,  fehlt  auch  das  Schreiben,  natürlich  nur,  wenn  beide  optischen 
Centren  zerstört  sind.  Kürzere  Verbindungen,  z.  B.  vom  optischen  zum  Sohreib- 
bewegungscentrum  unter  Uebergehung  des  Lautcentrums,  oder  vom  Lautcentram 
zum  Schreibcentrum  unter  Uebergehung  des  visuellen,  sind,  darin  stimmen  alle 


auch  nur  in  sehr  geringer  Weise  in  Betracht  kämen.  Biese  müssten  dann  wohl  bei  sehr 
grossen  Buchstaben  besonders  lebhaft  sein  and  ermögUchen  fnr  sie  vielleicht  auch  bei  sonst 
alectischen  das  Erkennen ;  vieUeicht  wird  auf  diese  Weise  bei  einfacher  Prüfung  mit  Buch- 
Stäben  manchmal  eine  Ambljopie  vorgetäusebt,  die  sich  bei  Prüfting  mit  Strich-  und  Puskt- 
tafeln  nicht  bestätigt. 


—    617    — 

neueren  Autoren  überein  unter  normalen  Umstanden  nicht  möglich  (Taubstumme 
und  Blindgeborene  machen  natürlich  eine  Ausnahme).  Es  müssen  also  auch 
für  das  Schreiben  direct«  Verbindungen  zwischen  visuellem  und  Lautcentrum  der 
Buchstaben  vorhanden  sein.  Man  würde  sich  a  priori  wohl  vorstellen,  dass  dafür 
dieselben  Bahnen,  wie  sie  für  das  Lesen  vorhanden  sind,  genügten,  nur  dass 
sie  in  umgekehrter  Richtung  abgewandelt  würden,  also  doppelsinnig  leiteten. 
Auch  wäre  immerhin  selbst  bei  dieser  Annahme  in  unserem  Falle  die  Möglich- 
keit einer  Erklärung  dafür  gegeben,  dass  das  Lesen  vernichtet,  das  Schreiben 
aber  erhalten  ist  Wie  wir  wissen,  ist  in  unserem  Falle  der  Weg  zu  dem  linken 
optischen  Bindencentrum  durch  die  Hemianopsie  überhaupt  aushoben,  rechts 
kann  das  optische  Gentrum  zwar  noch  erregt  werden,  Buchstaben  aber  werden 
trotzdem  nicht  erkannt^  da  die  hierfür  nothwendige  Verbindungsbahn  zwischen 
rechtem  Sehcentrum  und  dem  Sprachcentrum  mit  zerstört  ist  Man  könnte  nun 
behaupten,  dass  eine  Zerstörung  der  Bahn  zwischen  linkem  optischen  Gentrum 
und  dem  Lautoentrum  gar  nicht  postnlirt  zu  werden  brauchte;  sie  könnte  intaot 
sein,  ermöglichte  aber  das  Lesen  doch  nichts  weil  ja  die  optischen  Beize  durch 
sabcorticale  Leitui^sunterbrechung  gar  nicht  in  die  linke  Sehsphäre  gelangen. 
Für  das  spimtane  Schreiben  aber,  für  das  wir  mit  WEaEOf icke  die  Bahn  Bc^n^, 
Sprachcentrum  in  der  linken  Hemisphäre,  optisches  Gentrum  der  Buchstaben, 
Gentrum  der  Schreibbewegungsvorstellungen  annehmen,  stünde  dann  dieser  Weg 
noch  offen  (s.  Schema  4:  die gezeichnete  Linie,  die  im  IJebrigen  so  ziem- 
lich Webmicke's  Schreibschema  entspricht;  die  genaue  WsBMiCKE'sche  Schreib- 
bahn findet  sich  in  Schema  8 ,  die  angenommene  Läsion  an  Stelle  des  +). 

Schema  4. 


^'■■'A 


.-T-Ii), 


»1  <». 

V 


Doch  hat  diese  Annahme  jedenfiEÜls  etwas  sehr  Gezwungenes.  Die  den  betreffen- 
den Sprachzwecken  dienenden  Associationsbahnen  zwischen  den  Occipitallappen 


—    518    — 

und  dem  Sprachcentrum  müssen  doch  wohl  in  der  Gegend  der  linken  Seh- 
strahlong  so  nahe  znsanmienliegen,  dass  eine  Lasion  der  einen  von  ihnen  beiden 
allein  wohl  kaum  anzunehmen  sein  därfte  (diese  Schwierigkeit  könnte  allerdings 
noch  durch  die  Annahme  eines  doppelten  Heerdes  umgangen  werden),  femer 
aber  dürften  bei  der  Art,  wie  wir  unter  sonst  normalen  Verhältnissen  stets 
doppelseitig  sehen  und  besonders  lesen,  bei  der  Verbindung  beider  Maculae  mit 
beiden  optischen  Centren  die  Associationsbahnen  zwischen  beiden  optischen 
Gentren  besonders  stark  entwickelt  sein;  wäre  nun  der  Weg  in  die  rechte 
optische  Rindenzone  intact,  der  Weg  von  hier  zum  Sprachcentmm  aber  ver- 
legt, andererseits  aber  das  eigentliche  linke  Rindencentrum  und  seine  Ver- 
bindung mit  dem  Sprachcentrum  erhalten,  nur  nicht  direct  angreifbar,  so 
wäre  die  Annahme  doch  wohl  gerechtfertigt,  dass  die  Buchstabenbilder,  die  in 
die  rechte  Sehsphare  eindringen,  auf  Associationsbahnen  die  analogen  Erinne- 
rungsbilder in  der  an  sich  intacten  linken  Ocdpitalrinde  auslosten  und  diese 
dann  die,  wie  angenommen,  mtacte  Bahn  nach  dem  linken  Sprachcentrum  ab- 
wandelten. Auf  diese  Weise  wurde  dann  also  auch  gelesen  werden  können 
(pnnktirte  Bahn  in  Schema  4),  was  nicht  der  Fall  ist  Demnach  bleibt  uns 
also  nichts  anderes  übrig,  als  für  das  Schreiben  besondere  Bahnen  zwischen 
optischem  und  Lautcentrum  anzunehmen,  die  in  unserem  wie  in  den  anderrai 
oben  citirten  gleichen  Fällen  unzerstört  waren.  Auch  Wesnioke  scheint  dieser 
Ansicht  zu  sein;  in  seinem  Leseschema  verbindet  er  das  optische  mit  dem  mo- 
torischen Wortoentrum  nur  indirect  durch  Vermittelung  des  sensorischen  Wort- 
centrums, wahrend  er  in  seinem  Schreibcentrum  sensorisches  und  motorisches 
Wortcentrum  direct  mit  der  optischen  Bindenzone  verbindet 

Auf  denselben  Bahnen,  v^e  das  Schreiben,  nur  in  umgekehrter  Richtung, 
käme  in  Fällen,  wie  der  unserige,  dann  auch  das  Lesen  geschriebener  Worte 
und  Buchstaben  zu  Stande.  Das  „schreibend^'  Lesen  ist  ja  jedenfalls  nur  ein 
umgekehrtes  Schreiben.  Nun  haben  vrir  gesehen,  dass  eine  Anzahl  von  ge- 
schriebenen Buchstaben  erst  durch  Nachzeichnen  erkannt  werden,  bei  anderen 
machte  der  Fat  wenigstens  schreibähnliche  Bewegungen  mit  der  rechten  Hand. 
Für  diese  ist  es  ohne  Weiteres  klar,  dass  sie  nur  durch  diese  Bewegungen,  also 
„schreibend"  erkannt  wurden.  Aber  auch  in  denjenigen  Fällen,  wo  ohne  äusser- 
liche  Bewegung  geschriebene  Worte  und  Buchstaben  erkannt  wurden,  muss 
dies  wohl  auf  dem  Wege  der  innerhchen  Wachrufung  der  Schreibbewegungs- 
vorstellungen  geschehen  sein,  die  ja  bei  unseren  Patienten  auch  bei  passiven 
Armbewegungen  genfigten,  das  Wort  erkennen  zu  lassen;  sei  es,  dass  bei  der 
Unterbrechung  der  directen  Bahn  zwischen  rechtem  optischen  und  Lautcentrum 
die  in  die  rechte  Sehsphäre  eindringenden,  hier  aber  nicht  erkannten,  visuellen 
Bilder  der  geschriebenen  Buchstaben  die  associatorisch  fest  mit  ihnen  verknüpften 
Schreibbewegungsbilder  auslösen  und  dieser  Reiz  die  Schreibbahnen  umgekehrt 
abwandelt  und  zur  Erkenntniss  der  Buchstaben  fuhrt,  sei  es,  dass  in  jedem 
Falle,  wenn  auch  rein  innerlich  Schreibbewegungsgefahle  in  der  rechten  oberen 
Extremität  entstehen  und  direct  das  Schreibcentrum  anregen.  Auf  jeden  Fall 
werden  die  geschriebenen  Worte  und  Buchstaben  immer  schreibend  gelesen; 


—    619    — 

d.  h.  stets  wenigstens  mit  Zuhülfenahme  der  Schreibbewegungsvorstellongen ; 
ein  directes  Lesen  derselben  könnten  wir  ja  auch  kaum  annehmen,  wenn  wir 
uns  nicht  wieder  eine  besondere,  isolirt  verlaufende  Bahn  zwischen  den  optischen 
Depositorien  der  geschriebenen  Schriftzeichen  und  dem  Lautcentrum  vorstellen 
wollen,  was  doch  wohl  nicht  angängig  ist.  Denn  bei  einer  solchen  Methode 
könnten  vrir  schliessUch,  wie  Gbabhey  (a.  a.  0.)  richtig  bemerkt,  Alles  erklären. 

Aus  allem  Angeführten  aber  sehen  wir  schliesshch,  dass  die  geschriebenen 
Buchstaben  in  ihrem  Verhalten  sich  mehr  den  concreten  Objecten  annähern, 
sie  haben  ausser  den  ihnen  mit  den  gedruckten  gemeinsamen  lautlichen  noch 
zwei  Componenten:  eine  visuelle  und  eine  durch  Bewegungßgefuhle  gebildete, 
und  können  von  letzterer  zur  Erkenntniss  gebracht  und  lautlich  bezeichnet 
werden,  wenn  die  erstere  dazu  nicht  im  Stande  ist.  Nur  deshalb  haften  sie 
fester  im  Sensorium,  als  ihre  gedruckten  Analoga.^ 

Schliesslich  noch  eins:  auch  gedruckte  arabische  Zahlen  erkannte  unser 
Pat,  wie ,  auch  die  Fat.  Battebham's  und  Billndenbubg^s  meistens.  Sollte  das 
wenigstens  in  unserem  Falle  nicht  auch  dadurch  zu  erklären  sein,  dass  die  ge- 
druckten Zahlen  im  Unterschiede  zu  den  Buchstaben,  den  geschriebenen  völlig 
gleichen,  dass  also  auch  sie  schreibend  gelesen  werden?  Manchmal  machte 
unser  Patient  auch  beim  Lesen  der  Zahlen  Schreibbewegungen  mit  der  rechten 
Hand.  Wir  wissen  wohl,  dass  die  Zahlen  auch  in  anderen  Fällen  von  Aphasie 
eine  gesonderte  Stellung  einnahmen;  sie  verhalten  sich  nach  Gbashey,  dem 
Webnickb  beitritt,  mehr  analog  den  Bildern  concreter  Objecto,  also  ganz  anders 
wie  die  Buchstaben,  sie  sind  Symbole  für  ganze  Worte  und  nicht  for  einzelne 
Buchstaben;  immerhin  glauben  wir,  dass  for  unseren  Fall  auch  die  oben  er- 
wähnte Ansicht  Berocksichtigung  verdient  Nach  einer  Andeutung  Qppekbbim 's 
in  seiner  oben  citirten  Arbeit  könnte  das  besondere  Verhalten  der  Zahlen  auch 
darin  seinen  Grund  haben,  dass  die  Zahlenbilder  in  näherer  Beziehung  zur 
rechten  Hemisphäre  stünden,  wie  die  Bilder  der  übrigen  Symbole. 


^  S.  a.  LiOAUD,  Note  sur  nn  cas  d'amnesie  verbale  visuelle  avec  antopsie.  Progr^s 
m^dical.  1887.  Nr.  86. 

Nach  Chabcot  würde  man  das  so  ausdrücken:  Der  gedruckte  Buchstabe  hat  ausser 
der  ihm  mit  dem  geschriebenen  gemeinsamen  memoire  auditive  und  ftiotrice  d*articuIation, 
nur  noch  eine  memoire  visueUe;  der  geschriebene  eine  memoire  visuelle  und  motrice  graphique. 
Ist  die  Bahn  von  der  memoire  visuelle  des  Buchstabens  zu  dem  Lautcentrum  unterbrochen, 
so  kann  für  den  gedruckten  Buchstaben  die  lautUche  Bezeichnung  nicht  mehr  gefunden 
werden»  zugleich  wird  er  überhaupt  nicht  mehr  erkannt;  ftlr  den  geschriebenen  tritt  die 
memoire  motrice  graphique  helfend  ein  und  löst  auf  der  umgekehrt  abgewandelten  Schreib- 
bahn die  Erkenntniss  des  Buchstabens  aus.  Schriftmaler,  wie  Chabcot  ä.  a.  0.  geistreich 
bemerkt,  Rundschriftschreiber  und  auch  wohl  eine  ganze  Anzahl  anderer  Individuen,  die  je 
einmal  das  Nachzeichnen  der  Druckschrift  geübt,  haben  dann  auch  für  diese  eine  memoire 
motrice  graphique  und  würden  in  Krankheitefällen,  wie  der  unserige,  auch  diese  schreibend, 
wenn  auch  wohl  mit  grösserer  Mühe,  erkennen.  Factisch  ist  das  auch  in  einer  Anzahl  der 
betreffenden  Ej'ankheitsgeschichten  berichtet  und  lehrt  wieder,  wie  verschiedenartig  bei  ganz 
gleichen  Laaionen  die  aphatischen  Störxmgen  bei  verschiedenen  Individuen  sein  können. 


—    520    — 

Erkläniog  der  Schemata. 
B,  BegrifiiMSdntnim. 
S.  Sensoiisches  Spiachoentnun. 
M.  Motorisches  Sprachcentram. 
S.C,  Schreibcentram. 
Schrbb.  Schreibbahn,  sabcortioale. 
Sprh.  Sprachbahn,  sabcortioale. 

Ass. f.  Aasociatioiisfasem  zwischen  beiden  optischen  Oentren. 
Schema  3:  —.-..—  Verbindungsbahn  zwischen  rechtem  Oocipitallappen  nnd  Sprachcentram. 

....  Verbindungsbahn  zwischen  linkem  Occipitallappen  und  Sprachcentram. 

Wernicke's  Schreibbahn. 

Schema  4:  ....  Mögliche  Schreibbahn,   wenn  nur  die  Verbindung  des  rechten  Occipital- 

lappens  mit  dem  Sprachcentram  zerstört  wäre. 

Bahn,  auf  der  dann  auch  wohl  das  Lesen  zu  Stande  käme. 

NB.  Auf  beiden  Sohematen  ist  der  Einfachheit  halber  das  Schreibcentmm  nur  in  Ver- 
bindung mit  dem  linken  optischen  Oentrum  gezeichnet;  es  besteht  natürlich  eine  ebensolche 
mit  dem  rechten. 


n.  Beferate. 


Anatomie. 

1)  The  grouplng  of  the  oranlal  nerves,  by  Hill.    (Brain.  1888.  Januar.) 

Verf.  nimmt  fOr  jeden  spinalen  Nenren  4  Ursprünge  an:  1.  sensibel  aus  der 
hinteren  Wurzel;  2.  und  3.  motorisch  aus  den  Ganglienzellenhaufen  im  Vorder* 
Seitenhorn  und  4.  vasomotorisch  aus  der  Clarke'schen  Säule;  2,  3  und  4  in  der 
vorderen  Wurzel  austretend.  (Die  doch  wohl  sicher  constatirten  Verbindungen  der 
hinteren  Wurzeln  mit  der  Glarke*schen  Säule  werden  nicht  erwähnt)  Folgen  wir 
dieser  Annahme,  so  können  wir  die  NervenursprOnge  im  verlängerten  Mark  voll* 
ständig  mit  denen  im  Bückenmark  in  Analogie  bringen.  Im  Halsmark  schon  trennt 
sich  der  Ursprung  aus  dem  Seitenhorn  als  Accessorius  spinalis  vollständig  von  der 
vorderen  Wurzel  ab;  sein  Kern  bildet  später  den  motorischen  Kern  des  Vagoglosso- 
phaiyngeus  und  setzt  sich  in  den  Facialis  und  motorischen  Trigeminuskem  fort  Die 
aus  den  Fortsetzungen  der  Vorderhomgangliengruppe  hervorgehenden  Himnerven  sind 
Hypoglossus,  Abducens,  Trochlearis  und  Oculomotorius.  Die  Clarke'sche  Säule  lässt 
er  nach  Boss  in  dem  grossen  Vagus-,  resp.  Vagoglossopharyngeuskem  und  den 
Ursprungsstätten  für  die  Portio  intermedia  endigen.  Auch  nach  Gaskell  ist  der 
grosse  Vaguskem  hauptsächlich  sympathischer  Natur.  Das  Hinterhom  setzt  sich  in 
die  aufsteigende  Trigeminuswurzel  fort;  diese  giebt  wohl  auch  die  sensiblen  Fasern 
für  den  Vagus  und  Glossopharyngeus  her.  Es  entsprechen  also  einem  Spinalnerven 
vier  vollständig  getrennte  Oblongatanerven ;  z.  6.  Hypoglossus  (Vorderhoraganglien- 
gruppe),  Accessorius  (die  des  Seitenhomes),  Vagus  (Clarke'sche  Säule)  und  aufsteigende 
Trigeminuswurzel  (Hinterhom).  Eine  Umlagerung  hat  nur  insofern  stattgefunden,  als, 
während  im  Bückenmark  die  sympathischen  und  die  Seitenhomwurzelfasem  mit  der 
vorderen  Wurzel  austreten,  sie  in  der  MeduUa  sich  mehr  dem  Austritt  der  sensiblen 
Wurzeln  im  dorsalen  Gebiete  anschliessen.  Bruns. 


2)  MloroBOopioal  examination  of  Glarke's  oolumn  in  maa,  the  monkey  and 
the  dog,  by  Fr.  Mott.    (Joum.  of  Anat  and  Physiol.  1888.  April.) 

M.  bestätigt  die  von  Gaskell  angegebene  Thatsache,  dass  die  Clarke'schen  Säulen 
auf  denjenigen  Bückenmarksabschnitt  beschränkt  sind,  aus  welchen  die  feinen  mark- 


—    621    — 

halfdgen  Nervenfasern  der  Eingeweide  und  Gefässe  entspringen.  Zerstreute  Zellen- 
gmppen  der  Clarke'schen  Säulen  fand  M.  im  menschlichen  Bückenmark  bis  zur  Höhe 
des  1.  Dorsalnerven,  während  der  Hauptkdrper  vom  8.  Dorsalnerven  bis  zum  2.  Lumbar- 
nerven sich  erstreckt.  Unterhalb  des  2.  Lumbamerven  finden  sich  keine  Clarke'schen 
Zellen  (mit  Ausnahme  des  StUling'schen  Kernes).  Bei  dem  Affen  und  namentlich 
beim  Hund  sind  die  Glarke'schen  Säulen  im  unteren  Dorsal-  und  oberen  Lumbarmark 
weniger  zellenreich  als  beim  Menschen,  im  oberen  Dorsalmark  zellenreicher.  Die 
Grösse  der  Zellen  in  der  Höhe  des  8.  Dorsalnerven  beträgt  durchschnittlich  0,05  mm. 
Die  Zellen  sind  z.  Th.  klein  und  bläschen-  oder  spindelförmig  und  bipolar,  z.  Th. 
gross  und  multipolar.  Ob  die  Clarke*schen  Zellen  nur  mit  hinteren  Wurzelfasem 
oder  auch  mit  centrifugalen,  feinen  markhaltigen  Nervenfasern  (Gaskell)  zusammen- 
hängen, ist  rein  anatomisch  nicht  zu  entscheiden.  Da  centralwärts  die  Clarke'schen 
Säulen  mit  der  directen  Kleinhimseitenstrangbahn  und  peripheriewärts  mit  Eingeweide- 
nerven zusammenhängen,  möchte  M.  annehmen,  dass  es  sich  um  eine  Bahn  handelt, 
welche  Organempfindungen  der  Eingeweide  centripetal  dem  Kleinhirn  zuleitet  und  die 
Erhaltung  des  Gleichgewichts  und  der  aufrechten  Körperstellung  refiectorisch  ver- 
mittelt So  würde  sich  auch  die  verschiedene  Vertheilung  der  01arke*schen  Zellen 
beim  Menschen  einerseits  und  beim  Affen  und  Hund  andererseits  erklären.  Ob  nebenher 
vielleicht  die  kleineren  Clarke'schen  Zellen  auch  feine  markhaltige  Nervenfasern  zu 
den  Vorderhömem  abgeben,  bleibt  zweifelhaft.  Th.  Ziehen. 


3)  The  morphology  of  the  Vagus  nerve»  by  Thomas  W.  Shore.    (Journal  of 
Anai  and  Physiology.  1888.  April.) 

Verfassers  Arbeit  ist  ein  werthvoller  Beitrag  zur  vergleichenden  Anatomie  und 
Entwickelungsgeschichte  des  Vagus  in  der  Thierreihe  und  ist  namentlich  im  Hin- 
blick auf  Gaskell*s  neuere  Arbeiten,  deren  Resultate  sie  z.  Th.  bestätigt,  interessant. 

Th.  Ziehen. 

4)  Nerve-elementer,  deres  struktur  og  sammenhäng  i  centralnenresystemet, 

af  Fridtiof  Nansen.    (Nord.  med.  ark.  1887.  XIX.  4.  Nr.  24.) 

Durch  seine  Untersuchungen  ist  N.  zu  einer  den  Angaben  fast  aller  Autoren 
widerstreitenden  Auffassungen  der  Structur  der  Nervenröhren  gelangt.  Nach 
ihm  besteht  der  Inhalt  der  Nervenröhren  (ohne  Markscheide)  aus  feinen  Böhrchen 
(Primitivröhren),  aus  einer  festen  Substanz  (Spongioplasma),  die  mit  einer 
homogenen,  halbflflssigen  Substanz  (Hyaloplasma),  der  eigentlichen  Nervensubstanz 
nach  N.,  gefüllt  sind;  jede  Nervenröhre  besteht  also  aus  einem  BOndel  feiner  Böhr- 
chen, das  in  die  Scheide  der  Nervenröhre  eingeschlossen  ist  Die  Primitivröhren 
bilden  wahrscheinlich  die  niedrigste  Einheit,  aus  der  die  Nervenröhren  aufgebaut  sind. 
Wenn  man  lebende  Nervenröhren  in  optischen  Längsschnitten  bei  starker  Vergrösse- 
mng  untersucht,  zeigt  sich  eine  deutliche  Längsstreifung,  nach  Anwendung  geeigneter 
Beagentien  (Osmiumsäure,  Essigsäure,  Chromsäure)  tritt  eine  deutlich  fibrilläre  Längs- 
streifung hervor,  auf  Querschnitten  aber  sieht  man  bei  starker  Vergrösserung  ein 
Netzwerk  mit  runden  Maschen,  deren  durchschnittlicher  Durchmesser  genau  dem  Ab- 
stand zwischen  den  Längsstreifen  auf  Längsschnitten  entspricht,  und  welche  die  Quer- 
schnitte feiner  Bohren  darstellen.  Bei  Untersuchung  frisch  isolirter  Nervenröhren 
sieht  man  in  diesen  Primitivröhren  die  erwähnte  hyaline,  halbflüssige  Substanz,  die 
bei  Druck  aus  dem  Schnittende  in  Form  feiner  Perlen  austritt.  So  ist  die  Structur 
bei  allen  von  N.  untersuchten  Wirbellosen,  wie  auch  bei  Amphioxus  und  Myxine. 
Die  fibrilläre  Axe  in  den  grossen  Nerven  der  Hummern  wird  nach  N.  aus  einer  Art 
von  Concentration  der  Primitivröhren  gebildet. 

Die   Ganglienzellen    umgiebt   in   der  Begel  eine  Membran  oder  Scheide  aus 


—    622    — 

brndegewebsartigem  Gewebe,  dass  sich  als  Stfttzsubstanz  über  das  ganze  Nervensystem 
ausbreitet  Aach  im  Protoplasma  der  Ganglienzellen  glanbt  N.  PrimitivrOlireD  als 
die  anfbaoende  Einheit  annehmen  zn  mttssen,  als  deren  Wandnngen  er  die  Maschen 
deutet,  die  im  Protoplasma  ein  über  die  ganze  Zelle  aasgedehntes  Netzwerk  bilden; 
die  Ganglienzellen  können  nach  N.  als  Knäuel  von  PrimitiTrGhren  betrachtet  werden 
die  in  äosserst  complichier  Weise  nm  den  Kern  aufgewickelt  sind.  Ausser  den 
Primitivröhren  muss  aber  noch  ein  anderer  Stoff  in  den  Ganglienzellen  vorhanden 
sein,  der  in  den  Nervenröhren  nicht  vorkommt  und  entweder  in,  oder  zwischen  den 
Wandungen  der  Primitivröhren  liegt  und  die  tiefere  Färbung  des  Protoplasma  durch 
Osmiumsäure  und  Färbeflüssigkeiten,  besonders  Hämatoxylin,  bedingt.  Diese  Substanz 
fehlt  häufig  an  oft  scharf  umgrenzten  Stellen,  die  dann  dasselbe  Aussehen  haben 
wie  der  Inhalt  der  Nervenröhren,  und  in  gefärbten  Präparaten  durch  ihre  hellere 
Färbung  scharf  abstechen.  Die  GanglienzeUen  sind  also  zusammengesetzt  aus  dem 
Hyaloplasma,  das  den  halbflüssigen  Inhalt  der  Primitivröhren,  aus  dem  Spongioplasma, 
das  die  Scheide  derselben  bildet,  und  aus  der  erwähnten,  noch  unbestimmten  Substanz. 
Die  Ausläufer  der  Ganglienzellen  sind  entweder  nervöse  oder  protoplas- 
matische; erstere  fehlen  in  keiner  GanglienzeUe;  directe  Verbindungen  zwischen  den 
Ganglienzellen  durch  protoplasmatische  oder  nervöse  Ausläufer  existiren  in  der  Regel 
nicht.  Die  nervösen  Ausläufer  behalten  entweder  ihre  Individualität  bei,  geben  keine 
Seitenzweige  ab  und  gehen  direct  in  die  Bildung  von  Nervenröhren  über,  oder  sie 
lösen  sich  in  feine  Zweige  auf,  die  sich  vollständig  im  flbrillären  Gewebe  verlieren. 
Die  bei  den  wirbellosen  Thleren  den  centralen  Theil  der  Ganglien  ausmachende 
weissliche  Substanz,  die  Leidig'sche  Punktsubstanz,  besteht  nach  N.  aus  einer 
nicht  unter  einander  anastomosirenden ,  Primitivröhren  bildenden  Substanz  (Spongio* 
plasma),  die  Hyaloplasma  umschliesst.  Ob  die  Stützsubstanz  aus  Neuroglia  entsteht^ 
kounte  N.  nicht  feststellen,  sicher  kommt  aber  Neuroglia  in  derselben  vor. 

Die  peripherischen  Nervenröhren  entspringen  entweder  direct  aus  den 
Ganglienzellen,  sind  directe  Fortsetzungen  der  nervösen  Ausläufer  derselben,  oder  sie 
entspringen  aus  der  Punktsubstanz,  oder  dem  fibrillären  Gewebe  bei  den  Wirbelthieren 
und  werden  dann  durch  eine  Vereinigung  feberer  Bohren  gebildet  Im  Bückenmark 
von  Myxine  fand  N.,  dass  die  Nervenröhren  in  den  vordem  oder  centralen  Wurzeln 
wahrscheinlich  stets  direct  aus  den  Ganglienzellen  entspringen,  während  die  in  den 
hintern  oder  dorsalen  Wurzeln  durch  eine  Vereinigung  feinerer  Bohren  sich  bilden. 
Wahrscheinlich  gilt  für  die  ganze  Thierreihe,  was  Golgi  für  die  Wirbelthiere  an- 
nahm, dass  die  direct  ans  den  Ganglienzellen  entstehenden  motorische,  die  aus  feineren 
Bohren  zusammengesetzten  sensitive  Nervenröhren  sind. 

Die  Ganglienzellen  stehen  durchaus  in  keiner  directen  Verbindung 
mit  einander,  ihre  protoplasmatischen  Ausläufer  haben,  wie  N.  fand,  in  der  Begel 
eine  peripherische  Bichtung;  wo  mehrere  Lagen  von  Ganglienzellen  vorhanden  waren, 
fand  N.,  dass  die  nach  aussen  liegenden  wesentlich  unipolare,  die  innem  Lagen  da- 
gegen multipolare  Zellen  waren,  deren  protoplasmatische  Ausläufer  sich  nach  aussen, 
nach  der  Peripherie  hin,  richteten.  Dieses  Verhalten  stützt  nach  N.  die  Annahme, 
dass  die  Function  dieser  Ausläufer  in  der  Ernährung  der  Ganglienzellen  besteht, 
indem  die  äusseren  Ganglienzellen,  die  der  Emährungsflüssigkeit  zunächst  liegen, 
solche  Hülfsorgane  weniger  brauchen,  als  die  femer  gelegenen  inneren.  Bei  Myxine 
und  Amphioxus  konnte  N.  nachweisen,  dass  ziemlich  alle  protoplasmatischen  Aus- 
läufer durch  die  weisse  Masse  nach  der  Peripherie  hin  dringen,  wo  sie  unter  der 
innem,  das  Bückenmark  umgebenden  Scheide  enden,  meist  in  kleinen  Verdickungen 
oder  Platten. 

Bei  der  Zusammensetzung  des  Beflexbogens  sind  nach  N.*s  Annahme  die 
GanglienzeUen  gar  nicht  betheiligt;  nach  ihm  geht  ein  Beiz,  wenn  er  durch  die 
centripetale  Nervenröhre  und  ihre  Verzweigungen  hindurchgeführt  ist,  direct  in  die 
Seitenzweige  über,  die  von  den  motorischen  oder  centrifugalen  Nervenröhren  abgeben 


—    B28    — 

(das  ceatrale  Fibrillengewebe),  und  direct  durch  diese  in  die  motorischen  Endapparate. 
Bei  wirbellosen  Thieren  ist  der  überfahrende  Theil  des  Beflexbogens  die  Punktsnb- 
stanz.  Die  Ganglienzellen  Terlieren  durch  diese  Annahme  ihre  Bedeutung  fdr  die 
Reflexbewegungen  nnd  damit  auch  für  die  Nerrenthätigkeit  selbst;  ihre  Function 
besteht  Tielmehr  nach'N.'s  Annahme  darin,  dass  sie  die  nntritiTen  Centra  für 
die  Nervenröhren  und  die  von  diesen  ausgehenden  Fibrillen  sind.  Das  centrale 
Fibrillengewebe,  das  um  so  entwickelter  in  seinem  Bau  ist,  je  entwickelter  das 
Thier,  hat  nach  N.  grosse  Bedeutung  für  die  Nervenphysiologie;  er  nimmt  dieses 
Gewebe  und  nicht  die  Ganglienzellen  als  den  wesentlichen  Sitz  der  Intelligenz  an. 

Walter  Berger. 

Experimentelle  Physiologie. 

5)  Studien  über  den  centralen  Verlauf  der  vasomotorisohen  Nervenbahnen, 
von  Dr  Hei  weg,  Secundärarzt  der  Irrenanstalt  bei  Aarhus.  (Als  Auszug  aus 
dem  dänischen  Original  bearbeitet  von  Dr.  Kurella  in  Owinsk.)  (Archiv  für 
Psychiatrie.  1888.  XIX.  1.) 

Die  sehr  beachtenswerthe  Arbeit  des  Verf.  zerfällt  in  einen  anatomischen  und 
einen  physiologischen  Theil. 

Bei  der  Untersuchung  des  Rückenmarks  von  Geisteskranken  wurde  U.  auf  eine 
eigenthümliche  Formation  zwischen  dem  2.  und  4.  Cervicalnerven  aufmerksam,  die 
kein  Forscher  am  normalen  Bückenmark  bisher  gesehen  oder  beschrieben  hat,  und 
von  welcher  nach  H.  aus  der  Litteratur  über  Bückenmarkskrankheiten  sich  nur  eine 
einzige  Angabe  findet,  die  von  Westphal  herrührt;  W.  beschreibt  sie  in  einer  Ab- 
handlung über  4  Fälle  von  acuter  aufsteigender  Spinalparalyse  (Landry)  in  zweien 
dieser  Fälle  als  etwas  anscheinend  nicht  Pathologisches.  —  Diese  Formation  besteht 
in  einer  gut  begrenzten  Bahn  äusserst  feiner  Nervenfasern  (1,5 — 2  fc  Dicke)  im 
vorderen  Theile  des  Seitenstrangs,  ein  Dreieck  bildend,  dessen  Basis  an  der  Peripherie 
des  Bückenmarks  gelegen,  dessen  Spitze  g^en  die  Mitte  des  Vorderhoms  hin  — 
dieses  nicht  erreichend  —  gerichtet  ist;  die  äusseren  Bündel  der  vorderen  Wurzel- 
fasem  durchziehen  eben  noch  den  mediansten  Theil  der  Basis  des  Dreiecks.  Dies 
ist  des  Verf.  dreikantige  Bahn  im  Halsmark.  —  H.  fand  nun,  dass  in  der 
ganzen  Höhe  des  Rückenmarks  aus  dem  Vorderhom  äusserst  feine  Fasern  austreten, 
welche  in  den  Seitenstrangresten  und  in  dem  an  diese  angrenzenden  Theil  der  Vorder- 
stränge  senkrecht  nach  oben  ziehen,  zwischen  den  stärkeren  Fasern  zerstreut;  sie 
sind,  ausser  durch  ihre  gleichmässige  äusserste  Feinheit,  charakterisirt  durch  ihre 
leichte  Färbbarkeit  mit  Oarmin.  Weil  sie  diflfus  zerstreut  sind,  nennt  sie  H.  die 
diffuse  Seitenstrangformation  und  die  diffuse  Vorderstrangformation; 
erst  vom  4.  Cervicalnerven  an  nach  aufwärts  gesellt  sich  zu  diesen  beiden  die  com- 
pacte Formation  der  dreikantigen  Bahn.  —  Westphal  hat  in  einem  Falle  von 
Bleilähmung  ähnlich  feine  Fasern  im  N.  radialis  gefunden.  —  H.  hält  sie  im  Sinne 
Pick*s  für  schlecht  entwickelte,  durch  Wachsthumshemmung  schwächlich  angelegte 
Fasern.    Er  berechnet  ihre  Menge  in  der  dreikantigen  Bahn  auf  etwa  100,000. 

Diese  Formationen  verfolgt  H.  nun  weiter  nach  aufwärts,  dabei  vielfach  in  sehr 
eingehender  Weise  die  feine  Anatomie  der  Med.  obl,  des  Pons,  der  Himstiele  u.  s.  w., 
sowie  die  Angaben  anderer  Forscher  berücksichtigend.  Hier  kann  nur  kurz  zusammen- 
gefasst  werden,  dass  die  dreikantige  Bahn  mit  ihren  beiden  Begleitern,  der  diffusen 
Formation  der  Vorderstränge  und  der  diSiisen  Formation  der  Seitenstränge,  sich  zu 
einem  dreitheiligen  Bündel  gestaltet;  es  geht  die  dreikantige  Bahn  in  die  Olive  (Ol. 
inf.)  über,  während  die  diffusen  Formationen  in  der  Umhüllungsmasse  der  Olive  auf- 
gehen. Dann  strebt,  oberhalb  der  Olive  von  neuem  als  „ovale  Bahn''  formirt,  der 
mittlere  Theil  des  Gesammtstranges  (das  ist  die  frühere  dreikantige  Bahn)  abge- 
trennt etwas  nach  aussen  und  setzt  sich  in  ein  Bündel  fort,  welches  aussen  um  den 


—    624    — 

Prooeosos  cerebelli  geht,  bedeckt  vom  Lemniscus;  der  äussere  Theil  (frühere  diffdse 
Seitenstrangformation)  senkt  sich  in  die  Oliva  superior  ein,  und  seine  Fortsetzung 
jenseits  derselben  verbindet  sich  von  neuem  mit  dem  inneren  Theil  des  Gesammt- 
Stranges  und  geht  mit  diesem  zusammen  in  die  Commissura  posterior  über,  und  durch 
diese  in  den  Thalamus  opticus.  —  Dies  in  wenigen  groben  Zügen  das  Ergebniss  der 
vortrefiflichen  anatomischen  Untersuchungen  des  Verf. 

H.  hat  dieses  Ergebniss  gewonnen  durch  die  Untersuchung  des  Bückenmarks 
von  47  Geisteskranken  der  verschiedensten  Erankheitsform,  und  im  Alter  von  16  bis 
80  Jahren.  In  95,8%  dieser  Falle  fand  er  die  abnorm  feinen  Fasern  der  drei- 
kantigen Bahn,  in  72,7  ^/^  die  der  diffusen  Formationen. 

Als  das  gemeinsam  Pathologische  am  Nervensystem  aller  Geisteskranken  erkennt 
H.  das  vasomotorische  System.  Er  findet  auch  eine  genügende  Uebereinstimmung 
der  von  ihm  gefundenen  anatomischen  Bahn  mit  den  Resultaten  physiologischer  For- 
schung. So  ergab  letztere  z.  B.  für  die  vasomotorischen  Nerven  der  Extremitäten 
folgende  Bahnen:  Seitenstrang  im  Bückenmark  (Dittmar),  Seitenstrang  in  der  Oblon- 
gata  (Dittmar  und  Owsjannikow),  Oliva  superior  (Dittmar),  Seitentheil  des 
Tegmentum  (Owsjannikow),  Pedunculi  cerebri  —  nicht  genau  —  (Budge),  Corpora 
quadrigemina  (dafQr  müsste  Thalamus  opt.  ermittelt  werden)  (Vulpian),  endlich 
vordere  Gentralwindung  (Ealenburg  und  Landois).  —  Vielleicht  ist  die  obere 
Qlive  das  gemeinsame  Beflexcentrum  für  alle  (}efassnerven  des  E6rpers  oder 
doch  seiner  äusseren  Theile.  —  Die  dreikantige  Bahn,  welche  Beziehungen  zu  den 
4  obersten  Gehimnerven  und  durch  Bami  communicantes  derselben  zu  dem  Sym- 
pathicus  hat,  ist  vielleicht  die  Bahn  fOr  die  Gefässnerven  des  Gehirns. 

22  Abbildungen  sind  der  Arbeit  beigegeben.  Hadlich. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

6)  Gase  of  haemorrhage  into  the  meduUa  oblongata.  Recovery,  by  Batter- 
ham.     (Brain.  1887.  April.) 

Der  Fall  hat  folgende  Symptome:  Apoplectischer  Beginn  ohne  Krämpfe  und  ohne 
Bewusstseins Verlust;  Parese  des  1.  Armes  und  Beines,  leichtere  des  r.  Armes.  Parese 
des  Mundfacialis  besonders  rechts.  Abweichung  der  Zunge  nach  1.  Sprachstörung 
bulbärer  Natur.  Erweiterung  der  r.  Pupille,  Erschwerung  der  Accommodation,  sonst 
keine  Augenerscheinungen.  Erschwerung  des  Schluckens.  Nausea,  Erbrechen,  Schwindel- 
eracheinungen.  In  2  Monaten  vollständige  Heilung.  Während  des  grössten  Theiles 
der  Krankheit  war  die  Pat.  frei  von  Asthmaanföllen,  an  denen  sie  seit  9  Jahren  litt, 
später  traten  sie  wieder  auf. 

Verf.  stellte  die  Diagnose  eines  kleinen  Blutergusses  in  die  Medulla  oblongata. 
Den  Pons  schliesst  er  wegen  der  Gruppirung  der  Symptome  bei  jedenfalls  kleiner 
Blutung  und  des  Mangels  von  Augenmuskellähmungen  aus.  Für  die  Facialisstörungen 
recurrirt  er  auf  den  doch  wohl  sehr  problematischen  sogenannten  medullären  Facialis- 
kem,  der  neben  dem  Uypoglossuskem  im  Funiculus  teres  liegen  soll.  Die  Sch?rindel- 
geffihle  ist  er  geneigt  auf  eine  Affection  des  inneren  Acusticuskemes  oder  der  hin- 
teren (?)  Wurzel  dieses  Nerven  zurückzuführen,  der  nach  neueren  Forschungen 
Yesübulamerv  sei,  keine  eigentlichen  Uörfunctionen  habe,  sondern  dem  „sense  of 
direction"  diene.  (Nach  den  betreflfenden  Untersuchungen  von  Forel,  Onufrowicz, 
Flechsig  ist  aber  die  vordere,  resp.  innere  Wurzel  des  Acusticus  Vestibulamerv.  Bef.) 
Die  Augenstörungen  werden  auf  eine  Afifection  der  ciliospinalen  Fasern  zurückgeführt. 

Bruns. 

7)  Olioma  of  the   medulla  oblongata,   by   Dr.  W.  Osler.     (Joum.  of  nervous 
and  mental  disease.  1888.  XV.  p.  172.) 


—    525    — 

32j&hriger  Mann;  Lues  und  bald  darauf  ein  heftiger  Kopfsehmerzanfall,  vor 
2  Jahren;  seit  6 — 8  Wochen  epileptiforme  Krämpfe,  2  — 5mal  in  der  Woche,  und 
Unsicherheit  und  SchwächegefQhl  in  den  Unterextremitäten. 

Bei  der  Aufnahme  klares  Bewusstsein,  Hinterhauptslcopfschmerz,  Steifigkeit  im 
Nacken,  Schwindelgeffihle,  Parasthesien  und  besonders  Kälteempfindung  in  Händen 
und  Ffissen;  Ataxie  und  Schwäche  der  Extremitäten,  bei  erhaltener  Muskelkraft, 
Steigerung  der  Kniereflexe  etc.  7  Tage  später  plötzlicher  Anfall  von  Bewusstlosig- 
keit»  ohne  Krämpfe,  und  Tod  unter  den  Andeutungen  des  Cheyne-Stokes'schen  Zeichens. 

Die  Section  ergab  ein  hämorrhagisches  Gliom  von  Kastaniengrösse,  unterhalb  des 
Calamus  beginnend,  das  einen  Theil  der  rechten  und  den  grösseren  Theil  der  linken 
Hälfte  der  Oblongata,  hauptsächlich  die  Corpora  restiformia,  die  hinteren  Pyramiden 
und  die  Hinterstränge  ergriffen  hatte.  Sommer. 


m.  Bibliographie. 

Chariti-Aimalen.  XIII.  Jahrgang.  Redigirt  von  Director  Dr.  Mehlhausen, 
Generalarzt  L  Cl.  und  Geh.  Ob.  Medic  Bath.  (Berlin  1888,  August  Hirsch wald. 
768  Seiten,  3  Tafeln.) 

Der  XIII.  Band  der  Charit^- Annalen,  gut  ausgestattet  wie  immer,  und  den  Augen 
erfreulich  durch  grossen  klaren  Druck,  enthält  reichliches  neurologisches  Material, 
zu  dem  nicht  nur  die  Nerven-  und  psychiatrische  Klinik,  sondern  auch  die  übrigen 
Abtheilungen  beitragen. 

Dr.  Leyden  eröffnet  die  Reihe  mit  einer  Arbeit  »»Zur  Iiehre  von  der  Looali- 
sation  in  der  OroBShirnrinde*'.     Es  sind  4  interessante  Beobachtungen. 

I.  Eine  Hirnapoplexie  von  seltenem  Sit:^  des  Heerdes:  von  äusseren  Umfang 
des  linken  Linsenkems  auf  äussere  Kapsel,  Vormaner  und  Inselmark  übergreifend; 
auch  auf  das  Centrum  semiovale  dehnte  sich  die  Blutung  nach  oben  und  seitlich 
von  der  Hauptstolle  her  aus.  Es  bestand,  neben  einer  an  Intensität  sehr  wechselnden 
rechtsseitigen  Lähmung,  fast  totale  Aphasie,  und  dabei  traten  epileptiforme  Krämpfe 
(Bindenepilepsie)  von  sehr  charakteristischem  Verlaufe  (Gesicht,  Schulter,  Ober-, 
Onterextremität,  dann  Unterextremität  der  anderen  Seite)  auf. 

II  und  III.  Zwei  sehr  ähnliche  Fälle  von  Schädelfractur  mit  Gehimaffection. 
Beide  Male  war  der  Sitz  der  Himläsion  auf  der  der  Fractur  entgegengesetzten  Seite, 
wie  im  ersten  Falle  (mit  Worttaubheit  complicirt)  die  Erscheinungen,  im  zweiten  die 
Autopsie  lehrten. 

lY.  iSn  Fiall  von  Gumma  syphiliticum  in  der  Rinde  des  linken  Schläfenlappens 
(Aphasie,  Hemianopsie,  Andeutungen  von  rechtsseitiger  Hemiplegie  mit  epileptiformen 
Zuckungen),  ausgezeichnet  durch  das  anfallsweise  Auftreten  der  Erscheinungen:  häufig 
wurde  Fat  unter  Schwindel  plötzlich  aphasisch  und  worttaub  7^ — ^  Stunden  lang. 
—  Inunctionskur  brachte  schnelle  Besserung. 

Stabsarzt  Dr.  WaetzolÜt  berichtet  über  2  Fälle  von  Gtohimtomor. 

I.  Ein  Fibrosarcoma  regionis  cerebelli,  das  sich  sehr  langsam  entwickelt  und 
daher,  obwohl  es  fast  hühnereigross  war  und  den  Ponf«,  die  Medulla  oblongata  und 
das  Cerebellum  sehr  stark  comprimirt  und  verschoben  hatte,  doch  fast  gar  keine  bul- 
bären  Symptome  gemacht  hatte. 

n.  Sarcom  der  hinteren  linken  Centralwindung,  gleichfalls  fast  hühnereigross, 
bemerkenswerth  durch  den  Umstand,  dass  —  wenn  auch  viele  Jahre  vorher  —  eine 
starke  Verletzung  derselben  Kopfseite  stattgefunden  hatte. 

Gleichfalls  zwei  „casuistische  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Heerderkrankungen  des 
Gehirns"  liefert  Dr.  H.  Senator: 

I  Solitftrer  Tuberkel  im  llnlcen  ThaXamos  optious.  Beobtsseitige  Ataxie, 


—    526    — 

Der  Tuberkel  hatte  den  linken  Thalamus  opticus  so  zerstört,  dass  nur  nach  hinten 
und  nach  oben  ein  Theil  seiner  Substanz  erhalten  war.  Es  bestand  rechtsseitige 
Facialisparese,  Schwäche  und  Ataxie  im  r.  Arm  und  Bein;  Haut-  und  Sehnenreflexe 
normal,  ebenso  die  Sensibilität;  der  r.  Arm  ist  etwas  atrophisch.  —  S.  bezieht  sich 
im  Allgemeinen  zustimmend  auf  die  Angaben  von  Bechterew,  hebt  aber  herfor, 
dass  die  Bewegungsstörungen  entschieden  atactisch,  nicht  choreatisch  waren,  und  dass 
die  mimischen  Gesichtsbewegungen  nicht  nur  nicht  fehlten  (Bechterew),  sondern  dass 
sogar  bei  ihnen  die  Facialisparese  unbemerkbar  wurde. 

n.  Eine  Analogie  zu  dem  bekannten  WestphaPschen  Falle  bildet  die  zweite 
Beobachtung,  in  welcher  bei  der  Section  ganz  unerwartet  ein  Abaceas  im  linken 
Sohl&fenlappen  von  mehr  als  Wallnussgrösse  gefunden  wurde,  der  gar  keine 
Störungen  des  Gehörs  und  der  Sprache  (von  Ohrensausen  abgesehen)  gemacht 
hatte.  Es  ergab  sich,  dass,  wie  S.  sofort  vermuthete,  der  Patient  Linkshänder 
gewesen  war;  und  zwar  war  in  der  betrefifenden  Familie  die  Linkshändigkeit  erblich, 
indem  von  5  Geschwistern  4  es  sicher  waren,  und  die  beiden  Kinder  des  Patienten 
dieselbe  Eigenschaft  zeigten. 

Aus  der  Ger  bardischen  Klinik  stammt  eine  Mittheilung  vom  Stabsarzt  Dr. 
Martins  (über  „Hemianopsie  mit  hemianopisoher  Fupillenreaotion**.  Ein 
Fall  von  Hämorrhagia  cerebri,  bei  dem  ausser  der  Hemianopsie  noch  Parese  der  linken 
Körpermusculatur,  linksseitige  Parästhesien  und  eine  partielle  Störung  des  rechten 
Oculomotorius  bestand.  Der  Heerd  war  also  an  diejenige  Gegend  längs  des  äusseren 
unteren  Theils  des  GrosshimstieLs  zu  verlegen,  wo  derselbe  vom  Tractus  opticus 
umschlungen  wird.  M.  giebt  eine  vortrefiTliche  Epikrise  des  Falles  und  spricht  sein 
Bedauern  aus,  dass  die  Wer  nie  keusche  hemiopische  Pupillenreaction  bisher  theils 
nicht  genug  beobachtet,  theils  (Seguin)  missverstanden  sei.  Klinische  unzweifelhafte 
Beobachtungen  liegen  überhaupt  noch  nicht  vor,  sodass  der  Martius*8che  Fall  demnach 
der  erste  sichere  wäre.  Die  Prüfung  wurde  so  gemacht,  dass  mit  einem  einfachen 
Augenspiegel  die  Spitze  eines  Lichtkegels  bald  von  vom,  bald  von  rechts,  bald  von 
links  in  das  eine  oder  das  andere  Auge  geworfen  wurde.  Dabei  stellt  sich  heraas, 
dass  eine  Verengerung  der  Pupille  nur  eintrat»  wenn  die  Fovea  centralis  oder  die 
linke  l^etzhauthalfte  beleuchtet  wurde.  Wurde  die  rechte  Netzhauthälfte  —  sei  es 
des  linken  oder  rechten  Auges  —  beleuchtet,  so  blieb  die  Iris  unbewegt 

Gleichfalls  von  der  GerhardVschen  Klinik  bringt  Dr.  Friedrich  Müller  zwei 
Fälle  von  Tetanie  bei  Dilatatio  ventrioiUi  und  bei  Azendrehung  des  ICagens. 
Seit  Kussmaul  ist  diese  interessante  Afifection  mehrfach  beschrieben  worden  (von 
L.  Gaillard,  Dujardin-Beaumetz  und  Oettinger,  von  Martin  (Lancet  1887),  Dreyfuss- 
Brissac,  Malinowski,  MacaU,  zuletzt  von  Dr.  Benvers  (Leyden'sche  Klinik).  Die 
Magendilatation  in  den  beiden  hier  beschriebenen  Fällen  war  durch  peritonitische 
Verwachsungen  in  der  Pylomsgegend  und  an  anderen  Stellen  bedingi  M.  w^st  ein- 
gehend nach,  dass  .es  sich  um  wahre  Tetanie  gehandelt  hat:  Anfalle  tonischer  Krämpfe 
von  Stunden-  bis  Tag^Dauer,  an  Händen  und  Füssen  beginnend,  zuletzt  auch  das 
Gesicht  (risus  sardonicus)  betreffend;  sie  verschwanden  während  des  Schlafes  nicht 
vollständig;  es  bestand  Starre  der  ad  maximum  erweiterten  Pupillen,  Erhöhung  der 
mechanischen  (Trousseau)  und  elektrischen  (Erb)  Erregbarkeit  von  Kerv  und 
Muskel;  Sehnenphänomene  inconstant,  dagegen  beide  Male  sehr  ausgesprochen  das 
WestphaTsche  paradoxe  Phänomen  und  AehnUches  auch  an  anderen  Extremitäten- 
Muskeln.  —  Beide  Fälle  endeten  tödtlich,  sodass  von  8  bisherigen  Beobachtungen 
5  zum  Exitus  letalis  führten.  —  M.  erörtert  die  Theorie  dieser  Fälle,  bei  welchen 
Kussmaul  die  Wasserentziehung  des  Körpers  als  Ursache  des  schweren  Nerven- 
leidens betrachtet,  und  konunt  zu  dem  Ergebniss,  dass  eine  IntoxicaUon  durdi 
Zersetzungsproducte  nicht  unmöglich,  aber  ein  vom  Magen  ausgehender  Beflexvorgang 
am  wahrscheinlichsten  sei:  hierfür  seien  Analoga  die  Tetanie  der  Säuglinge,  die 
Krämpfe    durch    Helminthen,    das  Vorkommen  von  Schwindel,  Asthma,  Aphasie, 


—    527    — 

Krämpfen,  Lähmungen,  Hallncinationen,  Urticaria  bei  (rastrectasie  ans  Dyspepsie. 
Eine  Art  von  Tetanie  hat  M.  auch  einmal  bei  einem  Falle  Ton  perforativer  Peri- 
tonitis beobachtet. 

Ans  der  Westphal'schen  Nerven-  und  psychiatrischen  Klinik  finden  wir  eine 
Anzahl  bemerkenswerther  Arbeiten. 

Zunächst  H.  Oppenheim  „lieber  Hirasymptome  bei  Carcinomatose**. 
Kach  einer  Zusammenstellung  von  Erkrankungen  des  Nervensystems  mit  scharf 
umschriebenen  Symptomenbildem,  bei  welchen  sich  bei  der  Section  keinerlei  anatomische 
Veränderungen  nachweisen  liessen,  theilt  0.  einen  Fall  von  Magencarcinom  mit,  in 
welchem  sich  8  Tage  vor  dem  Tode  eine  fast  complete  Aphasie  und  Lähmung  der 
rechten  KOrperhälfte  entwickelte.  Eine  anatomische  Grundlage  konnte  durch  die 
Section  nicht  nachgewiesen  werden,  auch  nicht  bei  sorg^tiger  mikroskopischer  Durch- 
forschung der  in  Frage  kommenden  Gebiete.  —  In  einem  zweiten  Falle  traten  neben 
anderen  schweren  Gehimerscheinungen  Krämpfe  auf,  die  sich  vom  rechten  Bein  auf 
den  rechten  Arm,  rechte  Hals-  und  rechte  Gesichtshälfte,  zuletzt  auf  die  linke  Ge- 
sichtshälffce  ausdehnen.  Tod  am  zweiten  Tage.  Auch  hier  konnte  die  anatomische 
Untersuchung  nichts  nachweisen.  —  0.  neigt  sich  der  Ansicht  zu,  dass  es  sich  hier 
um  eine  auf  dem  Boden  der  Carcinose  entstandene  toxische  Heerderkrankung  des 
Gehirns  handele.  Allerdings  scheine  in  gewissen  analogen  Fällen  eine  congenitale 
mangelhafte  Anlage  des  Nervensystems  eine  wichtige  Bolle  zu  spielen. 

Derselbe  Autor  widmet  sodann  eine  eingehende  Studie  (38  Seiten)  dem  „Ver- 
halten der  muflikaliBohen  Ausdrucksbewegungen  und  des  musikaliBohen 
VerständnlBses  bei  Aphatisohen**.  Mit  der  ihm  eigenen  Schärfe  und  Klarheit 
in  Beobachtung  und  BeweisfQhrung  analysirt  0.  16  Krankheitsfalle.  In  den  11  ersten 
Fällen  war  trotz  des  mehr  oder  weniger  vollständigen  Verlustes  des  sprachlichen 
Ausdrucks  und  meistens  auch  des  Verständnisses  für  gesprochene  Worte  durch  die 
Fähigkeit  zu  singen  und  Melodien  aufzufassen  erhalten  geblieben.  In  eingehender 
Auseinandersetzung  weist  0.  nach,  dass  bei  diesen  Kranken  fast  durchweg  auch  die 
zwei  verwandten  Ausdrucksweisen,  die  Affectsprache  und  das  mechanische  Beci- 
tiren,  das  automatische  Sprechen  bis  zu  einem  gewissen  Grade  erhalten  war, 
und  erklärt  so  das  Oonserviren  der  musikalischen  Fähigkeiten.  —  In  den  5  anderen 
Fällen  dagegen  war  mit  dem  Verlust  der  Sprache  auch  die  Fähigkeit  zu  singen  und 
Melodien  aufzufassen  verloren  gegangen,  und  zwar  konnte  wenigstens  fftr  2  dieser 
Fälle  nachgewiesen  werden,  dass  die  betreffenden  Leute  sangesknndig  gewesen  waren. 
Diese  selteneren  Symptomenbilder  —  von  denen  0.  noch  einen  weiteren  Fall  (Fall  17) 
beschreibt  —  stehen  mit  den  ersteren  in  einem  gewissen  Widerspruche  und  können 
durchaus  nicht  einfach  als  besonders  schwere  bezeichnet  werden,  weil  in  ebenso 
schweren  die  musilCEtlischen  Fähigkeiten  erhalten  waren.  0.  deutet  aber  darauf  hin, 
dass  vielleicht  die  musikalischen  Fähigkeiten  wie  die  Sprache  an  ein  besonderes 
Terrain  der  linken  Hemisphäre  geknüpft  seien;  für  die  Zahlen-Erinnerungs- 
bilder kann  eine  Erkrankung  der  rechten  Hemisphäre  —  wie  ein  von  0.  beobach- 
teter Fall,  in  welchem  die  Sprache  ganz  unbeeinträchtigt  war,  beweist  —  zerstörend 
wirken.  —  Auch  nach  der  Seite  der  musikalischen  Fähigkeiten  hin  bleibt  also  auf 
dem  Gebiete  der  Aphasie  noch  manches  zu  erforschen,  nachdem  0.  der  Forschung 
die  Wege  gewiesen  hat. 

Im  Anschluss  hieran  seien  noch  8  Fälle  von  Aphasie  uxid  Paraphasie  er- 
wähnt, welche  Dr.  Schütz,  Assistent  der  psychiatrischen  Klinik,  mittheilt  mit  genauer 
Analyse  und  ausführlicher  Angabe  der  Formen  der  Sprachstörung. 

Dr.  H.  Oppenheim  bringt  sodann  noch  die  Beschreibung  eines  Falles  von 
juveniler  progressiver  Muskelatrophie,  der  besonders  merkwürdig  ist  durch 
Störungen  im  Bereiche  der  Augenmuskeln  und  der  Kehlkopfmusculatur. 
Die  seitlichen  Bewegungen  der  Bulbi  sind  beeinträchtigt  (besonders  Rectus  extemus), 
und    bei   angestrengten   Seitenbewegungen   tritt  Nystagmus  ein.     Sobald  man  femer 


—    528    — 

das  eine  Auge  schliesst,  wird  das  andere  von  nystagmusartigen  Zuckungen  ergriffen. 
—  Gaumenbewegungen  schwach,  beim  Phoniren  wird  der  ganze  weiche  Gaumen  etwas 
nach  rechts  verzogen.  Uvula  steht  stark  nach  links.  —  Laryngoskopiach  wird  con- 
statirty  dass  beim  Phoniren  zwischen  den  Stimmbändern  ein  schmaler  ovalärer  Spalt 
bleibt.  —  Der  Muskelschwund  betrifiFt  besonders  die  Laüssimi  dorsi  (starke  Lordose) 
Bhomboidei,  CucuUares  und  die  Oberarme;  an  den  Oberschenkeln  die  Qoadric.  ond 
Adductores,  an  den  Unterschenkeln  die  Peronei.  Patient  kann  gehen,  aber  nur  so, 
dass  er  sich  vollständig  auf  die  Fussspitzen  stellt  und  die  Be'me  breit  aoseinander- 
setzty  den  ganzen  Körper  dabei  stark  hinüberbiegt 

Dr.  B.  Thomson  giebt  die  vortreffliche  Beschreibung  von  4  Fftllen  von 
traumatisoher  und  Beflexpayohose.  Die  beiden  ersten  sind  primär-tranmatische 
Irreseinsformen:  im  ersten  Falle  trat  wenige  Stunden  nach  einer  Verletzung  der  linken 
Kopfseite  eine  hallucinatorische  Psychose  auf,  von  welcher  sich  später  nur  die  Hallu- 
cinationen  —  einseitigl  und  zwar  nur  links  —  dauernd  erhielten.  Ausser 
allgemeiner  nervöser  Schwäche,  Parästhesien,  Arbeitsunfähigkeit  war  von  objectiven 
Erscheinungen  dauernd  nur  concentrische  Gesichtsfeld-Einschränkung  vorhanden,  ein 
Symptom,  das  nach  Th.  als  isolirtes,  ohne  sonstige  Sensibilitätsstörungen,  sehr 
selten  isi  —  Im  zweiten  Falle  —  Kopfcontusionen  durch  Eisenbahnunfall  —  war 
eine  schnell  (nach  2  Tagen)  vorübergehende  Psychose,  blödsinniger  Verfolgungswahn, 
bemerkenswerth,  mit  Amnesie  vom  Inhalte  derselben.  Die  anfängliche  Anästhesie 
macht  einer  Hyperästhesie,  speciell  der  behaarten  Kopfhaut,  Platz  und  als  dauerndes 
objectives  Symptom  eine  wechselnd  starke  concentrische  Gesichtafeldeinschränknii^ 
neben  Beeinträchtigung  des  Geruchs,  Geschmacks  und  Gehörs;  vielfache  vage  Schmerzen 
im  ganzen  Körper.  Th.  wählt  zur  Bezeichnung  dieser  Formen  das  Wort  Railway- 
Brain.  —  Der  dritte  Fall,  Reflex-Psychose,  ist  in  diesem  Centralblatt  (1888. 
Nr.  2.  S.  61)  bereits  ausführlich  beschrieben.  —  Ihm  ähnlich  ist  der  vierte  Fall. 
Hier  handelt  es  sich  um  echte  epileptische  Anfalle,  die  von  einer  Verletzung  des 
rechten  Handgelenks  bedingt  sind  und  mit  Sprachbehinderung  und  Hemipareae  einher- 
gehen. Nach  Exstirpation  der  Narbe  schwinden  die  Anfälle,  es  tritt  aber  sofort 
stärkere  Benommenheit  und  14  Tage  später  ein  nächtlicher  Dämmerzustand  mit  Am- 
nesie und  nach  weiteren  4  Tagen  ein  intensiver  halludnatorischer  Verfolgungswahn 
auf,  der  nach  einer  Woche  einem  normalen  psychischen  Verhalten  Platz  macht  Die 
concentrische  Gesichtsfeldeinschränkung,  welche  während  der  Krampfanfalle  bestand, 
zeigte  sich  auch  während  der  nachfolgenden,  als  psychisches  Aequivalent  der  epi- 
leptischen Anfalle  anzusehenden,  Psychose,  nach  und  mit  derselben  verschwindend; 
zu  keiner  Zeit  waren  sonstige  sensible  Störungen  nachweLsbar. 

Th.  hebt  zum  Schluss  die  grosse  Wichtigkeit  des  Symptoms  der  sensorisch-sen- 
siblen Anästhesien  bei  traumatischen  und  Beflex-Psychosen  hervor,  wegen  dieses  auch 
der  Hysterie  eigenthümlichen  Symptoms,  aber  solche  Krankheitsbilder  als  „hysterische'' 
zu  bezeichnen,  erscheint  ihm  verfehlt  Die  grosse  Bedeutung  der  Gesichtsfeldein- 
schränkung —  „dieses  feinen  Beagens  auf  die  (fluctuirende)  Functionshemmung  des 
corticalen  Sehfeldes"  —  wird  noch  besonders  erörtert. 

In  Bezug  auf  Dr.  Siemerling's  umfassende  Arbeit  „Zur  Lehre  von  der 
progressiven  Paralyse  der  Frauen'*  verweisen  wir  auf  das  Beferat  in  diesem 
Centralblatt  (1888.  Nr.  11.  S.  333),  und  schliessen  unsem  Bericht  mit  0.  WestphaTs 
Äufisatz  „über  multiple  Sklerose  bei  zwei  Knaben",  welcher  demnächst  folgt. 

Hadlich. 

Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 


Einsendungen  für  die  Bedaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel, 

Berlin,  NW.   Schiff bauerdamm  20. 


Verlag  von  Vbit  &  Coiip.  in  Leipzig.  ^  Druck  von  Mbtzobr  &  Wittio  in  Leipzig. 


Neurologisches  Centr  alblah. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  "  ^^  Jahrgang. 

^ I  p  ■       .1         ■  ■  ■     I     »  -  ■  ■■  ■■■■II  ■  ■        ■  ■_  ■     ■— _  I      M    ——  ■  ■         ■  ■  ■»■■■■■■       — ■—  I  I  ^ 

MonaÜich  ersclieiiieii  zwei  Nnmmem.   Preis  des  Jahrganges  20  Mark.   Zu  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Ilentschea  Beicbs,  sowie 

direct  Yon  der  VerlagsbuchhandluAgt. 

188ä  ~  1.  October.  ^-  N«  19. 


Inhalt.  I.  Originalmittheilung.  Ueber  die  Ungleichheit  der  Ejiiephänomene  bei  Tabes 
dorsalis,  von  Dr.  S.  Goldflam. 

II.  Rtferaie.  Anatomie.  1.  Ueber  die  Peutung  der  Zirbel  bei  den  Saugethieren»  von 
Flesch.  —  Experimentelle  Physiologie.  2.  Ueber  die  Reactionszeit  für  Erregung  und 
f&r  Hemmung,  von  Gad.  —  Pathologische  Anatomie.  8.  Falle  von  abnorm  kurzem 
Corpus  callosum  oerebri,  von  Schröter.  4.  Glykogen  in  den  Ca^illaren  der  Grosshirnrinde 
beim  Diabetes  mellitus,  von  FDtterer.  5.  Sul  peso  deirencefalo  ux  rapporto  con  i  caratteri 
craniometrid  negli  aüenati,  nota  del  Morseili.  6.  Sullo  spessore  della  corteccia  cerebrale 
negli  aüenati,  del  ClMlnin  —  Pathologie  des  Nervensystems.  7.  Hypertrichosis,  due 
to  general  disease  of  tibe  nervous  system,  by  Olimann-Dumesnii.  8.  Demonstration  seltener 
Bewegungsstörungen,  von  Rieger.  9.  Centributo  al  significato  semiologico  deirepilessia  par- 
ziale,  del  Stppilli.    10.  Gontribution  a  T^tude  du  paaaris  anatgdaique,  par  MOnod  et  Reboiil. 

III.  Aus  den  Geselisciiaften. 
lY.  Personalien. 


I.  Originalmittheilungen. 


Ueber  die  Ungleichheit  der  Kniephänomene  bei 

Tabes  dorsalis. 

Von  Dr.  B.  Gk>ldflaiii,  Warschau. 

Bei  Beuitheilung  der  Bedeutung  des  Fehlens  der  Sehnenphänomene  bei 
Tabes  dorsalis,  wie  auch  bei  anderen  Krankheiten,  gehen  wir  zunächst  von  der 
Voraussetzung  aus,  dass  das  Wichtigste  von  ihnen,  das  Eniephänomen,  eine  all- 
gemeine, physiologische,  bei  allen  gesunden  Menschen  vorkommende  Erscheinung 
darstellt.  PELizAEirs  fand  es  bei  allen  Kindern,  die  er  untersuchte;  Zenneb 
vermisste  es  nur  einmal  auf  1000  Menschen;  andere  Verfasser  fianden  ein  zwar 
höheres  Verhältniss,  jedoch  nur  bei  hereditär  belasteten  Individuen.  Ausserdem 
muss  vorausgesetzt  werden,  dass  bei  einem  gesunden  Individuum  und  bei  gleich- 
massigen  Verhältnissen,  dieses  Phänomen  im  gegebenen  Momente  beiderseits 
gleichmasäg  stark  aioh  kund  giebt,  denn  abgesehen  davon,  ob  man  ein  centrales, 
oder  peripherisches  Entstehen  dieses  Phänomens  annimmt,  jedenfalls  muss  man 

81 


—    530    — 

zugeben,  dass  seine  beiderseitige  Gleichmässigkeit  ein  ebensolches,  durch  iden- 
tischen Bau,  bedingtes  physiologisches  Postulat  ist,  als  z.  B.  die  gleichmässige 
Beaction  beider  Pupillen  auf  Licht,  die  gleichmässige  elektrische  Beaction  der 
Nerven  und  Muskeln  beider  Körperhälften  u.  s.  w.  Bisher  haben  wir  zwar  kein 
strenges  Maass,  um  die  Grösse  des  Eniephänomens,  oder  besser  gesagt,  der  Con- 
traction  des  M.  quadriceps  femoris  zu  beurtheilen  und  die  Erfindung  einer  klinisch 
leicht  anwendbaren  Methode  zu  diesem  Zwecke  halte  ich  für  sehr  wünschenswerth,^ 
doch  soll  das  normale  Eniephänomen  eine  gewisse,  durch  praktische  Erfahrung 
festgestellte  Grösse  besitzen  und  jede  Abweichung  von  dieser  Norm,  aufwärts  oder 
abwärts,  wird  als  pathologische  Verstärkung  oder  Abschwächung  au^efasst  — 
Nun  will  ich  bald  darauf  aufmerksam  machen,  dass  nur  diejenige  Untersuchung 
der  Sehnenphänomene,  die  vielmals  und  bei  allen  möglichen  Gautelen  ausgeführt 
wurde,  Bedeutung  gewinnen  kann.  Die  beste  Methode,  das  Eniephänomen,  mit 
welchem  wir  in  dieseni  Aufsatze  hauptsächlich  uns  beschäftigen  werden,  hervor- 
zurufen, ist  meiner  Ansicht  nach  die  in  der  Westphal'schen  Klinik  geübte:  Der 
Kranke  soll  auf  dem  Bücken  mit  vollständig  entblössten  Unterextremitäten  ge- 
lagert sein,  denn  das  Zuschnüren  des  Oberschenkels  mit  irgendwelchem  Kleidungs- 
stücke stört  oft;  das  r^elmässige  Erscheinen  des  Phänomens,  was  ich  vielmals 
zu  beobachten  Gelegenheit  hatte;  die  Unterextremitäten  werden  im  Kniegelenke 
unter  einen  offenen  Winkel  mittelst  der  untergeschobenen  Hand  des  Untersuchers 
gebeugt,  wobei  alle  Muskeln  relaxirt  sein  müssen,  eventuell  soll  die  Aufinerksam- 
keit  des  Ejranken  abgelenkt  werden,  oder  das  Jendrassik'sche  Verfahren,  das, 
wie  bekannt,  im  Auseinanderziehen  der  Finger  beider  Hände  besteht  und  die 
Kniephänomene  steigert,  angewandt  werden;  alsdann  wird  der  unteren  Patellar- 
sehne  mit  einem  Percussionshammer  ein  kurzer  Schlag  versetzt,  wobei  die  Ent- 
stehung und  die  Grösse  des  Phänomens  nicht  nur  von  der  Stärke  des  Schlages, 
sondern  und  noch  mehr  sogar  vom  getroffenen  Punkte  abhängen,  so  sind  z.  B. 
die  Bänder  der  Sehne  reizbarer,  als  deren  Mitte. 

Alle  Fälle  von  Tabes,  die  weiter  unten  zur  Besprechung  kommen  werden, 
wurden  auf  diese  Weise  untersucht;  überhaupt  wird  dieser  Vorgang  immer  von 
mir  angewandt,  wo  es  sich  um  genaue  Untersuchung  handelt 

Nur  wenige  semiotische  Entdeckungen  wurden  so  schnell  gewürdigt  und 
haben  so  allgemeines  Bürgerrecht  erhalten,  wie  das  Fehlen  der  Kniephänomene, 
welches  zuerst  von  Ebb  und  Westphal,  fast  gleichzeitig,  bei  Tabes  dorsalis 
festgestellt  wurde.  Alle  späteren  Verfasser  bestätigten  diese  Angaben,  dass  es  bei 
Tabes  ein  nahezu  constantes  Symptom  darstellt  Obgleich  man  später  zur  Ueber- 
zeugung  kam,  dass  es  für  Tabes  durchaus  nicht  pathognomisch  ist,  da  es  eben- 
falls bei  anderen  Nervenkrankheiten  vorkonmit,  als  Poliomyelitiden,  allen  Arten 
progressiver  Muskelatrophie,  inclusive  der  sogenannten  falschen  Muskelhyper- 
trophie, multiple  Neuritis,  entzündlichen  Zuständen  und  Traumen  des  Lenden- 


^  Hellsb  (Berl.  klin.  Wocb.  18S6.  Nr.  52)  giebt  zwar  einen  zu  diesem  Zwecke  dienenden 
Apparat  an,  doch  ist  derselbe  selbst  in  der  Klinik  schwer  anzuwenden.  Mittels  dieses 
Apparates  hat  dessen  Erfinder  die  Stärke  des  rechten  Kniephänomens  um  einen  Qrad  (25®) 
höher  gefanden,  als  des  linken  (24^). 


—    531     — 

marks,  acuter  ascendiiender  sog.  Landiy'scher  Paralyse  etc.,  wie  auch  bei  gewissen 
AUgemeinleiden,  wie  z.  B.  Zuckerruhr,  Diphtherie,  Alkoholvergiftung,  Marasmus 
senilis,  verschiedenen  Gachexien  u.  s.  w.,  wobei  es  sich  nach  Oppenheim  und 
Siemerling's  Untersuchungen  um  eine  Degeneration  peripherischer  Nerven  han- 
deln soll,  so  wird  dadurch  die  wichtige  Solle  dieses  Symptoms  bei  der  Diagnose 
der  Tabes  dorsaUs  durchaus  nicht  geschmälert,  denn  Fälle  von  Tabes  ohne  Er- 
löschen der  Kniephänomene  sollen  ja  zu  den  Seltenheiten  gehören.  Durch  dieses 
sogenannte  Westphal'sche  Zeichen  wurde  besonders  die  Diagnose  der  Anfangs- 
stadien dieses  Leidens  gesichert,  da  es  nicht  nur  zu  den  constantesten,  sondern 
auch  zu  den  frühesten  gehört.  Wie  bekannt,  sind  wir  jetzt  im  Stande,  einige, 
ja  selbst  viele  Jahre  früher,  als  vorher,  dies  heimtückische,  progressive  und 
schwere  Leiden  zu  erkennen.  Zwar  ist  das  Fehlen  der  Eniephänomene  allein 
für  das  sichere  Erkennen  der  Tabes  nicht  maassgebend,  doch  ist  es  als  patho- 
logisches Symptom  (die  oben  angefahrten  Krankheiten  werden  leicht  durch  die 
Differentialdiagnose  ausgeschlossen)  sehr  wichtig,  da  es  im  Zusammenhang  mit 
zwei  anderen  Erscheinungen,  nämlich'  dem  Argyll-Bobertson'schen  (reflectorische 
Pupillenstane)  und  den  charakteristischen  Schmerzen,  oder  nur  mit  einem  von 
beiden  —  die  Diagnose  Tabes  sichert,  oder  wenigstens  mit  grosser  Wahrschein- 
lichkeit stellen  lässt 

Meine  persönliche  Erfahrung  erlaubt  mir,  die  Wichtigkeit  der  Untersuchung  der 
Kniephänomene  bei  der  Tabes,  besonders  der  Frühstadien  derselben,  zu  bestätigen, 
da  ich  in  keinem  einzigen  Falle  ihr  normales  Verhalten  zu  beobachten  Gelegen- 
heit hatte.  Ich  habe  mich  von  dem  sehr  oft  vorkommendem  Fehlen  überzeugt, 
aber  zugleich  muss  ich  auf  meine  Beobachtungen  gestützt,  behaupten,  dass  sie, 
obgleich  in  anormaler  Gestalt,  doch  gar  nicht  selten  bei  Tabes  auch  vorhanden 
sein  können.  Zu  diesem  Resultate  bin  ich  nach  Untersuchung  von  64  Fällen 
der  Klinik  des  Krankenhauses  zum  heiligen  Geiste,  wie  auch  meiner  Privat- 
praxis, über  die  ich  specielle  Au&eichnungen  besitze,  gekommen.  Unter  den 
64  Fällen  sind  47  Fälle  ohne  Kniephänomene  und  17  Fälle  mit  anomalen 
Phänomenen  verzeichnet.  Die  mit  anomalen  Phänomenen  behafteten  Fälle  zer- 
fallen folgendermaassen :  1  Fall  mit  abgeschwächtem  Kniephänomen;  1  Fall, 
wobei  das  Westphal'sche  Zeichen  nur  auf  einer  Seite  vorhanden  war;  6  Fälle 
(darunter  zwei  mit  wahrscheinlich  combinirter  Degeneration  der  Hinter-  und 
Seitenstränge)  mit  verstärkten  Kniephänomenen;  3  Fälle,  in  denen  die  Knie- 
phänomene  während  der  Beobachtung  allmählich  schwächer  wurden  bis  zum 
vollkommenen  Erlöschen  an  einem  (1  Fall)  oder  an  beiden  (2  Fälle)  Knieen; 
schliesslich  7  Fälle,  wo  die  Kniephänomene  nicht  gleichartig  auf  beiden  Seiten 
auftraten.  —  Es  ist  nicht  meine  Absicht,  das  ganze  von  mir  beobachtete  Material 
zu  verwerthen,  noch  kann  ich  eine  allgemeine  Pathologie  der  Tabes  dorsalis  hier 
niederlegen;  mein  Ziel  ist  ein  streng  umschränktes.  Hier  will  ich  nur  bemerken, 
dass  in  Betreff  der  viel  ventilirten  Frage  über  das  Yerhältmss  der  Tabes  zur 
Lues  mein  Material  Folgendes  aufzuweisen  hat:  Auf  47  Fälle  mit  fehlenden 
Kniq>hänomenen  kommen  21  ohne  Lues,  15  mit  sicher  bewiesener  Syphilis, 
7  mit  sogenanntem  weichen  Schanker  ohne  Secundärsymptome  und  ohne  oder 

81* 


—    532 

aehi  ungenügender  Queoksilberkur,  und  4  Falle,  wo  keine  sioheien  diesbezüglichen 
Angaben  zu  ermitteln  waren.  Auf  17  Fälle  mit  bestehenden,  aber  umegelmassigen 
Phänomenen  kommen  10  ohne  Syphilis,  6  mit  Lues  und  1  Fall  ohne  sichere 
Angaben.  Von  den  Fallen  mit  Westpharschem  Zeichen  standen  10  im  vor- 
atactischen,  21  im  atactischen,  4  im  Uebergangs-,  12  im  paralytischen  Stadium-, 
Ton  den  mit  unregelmässigen  Phänomenen  behafteten  waren  9  Fälle  im  vcr- 
atactischen,  6  im  atactischen  und  2  im  Uebergangsstadium. 

Ich  werde  mich  mit  solchen  Abweichungen  der  Eniepbänomene,  als  Ab- 
schwächung,  Verstärkung,  Westphal'sches  Zeichen  nur  auf  einer  Seite  nicht  be- 
fiassen,  da  diese  Erscheinungen  bekannt  sind,  obgleich  nicht  genügend  gewür- 
digt. Ebenfalls  sind  diejenigen  Fälle  von  Tabes  bekannt,  wo  die  Kniephänomene 
im  Verlaufe  des  Leidens  aUmählich  schwächer  wurden  bis  zum  Erlöschen.  Nur 
eine  Anomalie  der  Eniephänomene,  die  ich  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte, 
soll  den  Stoff  zu  dieser  Arbeit  abgeben,  nämlich  die  Ungleichheit  dieses 
Phänomens  auf  beiden  Seiten,  und  dessen  ungleichmässiges  und  un- 
gleich starkes  Auftreten  an  einem  Knie.  —  Selbstverständlich  sah  ich  mich 
nur  alsdann  zur  Festsetzung  einer  Ungleichheit  des  Phänomens  berechtigt,  wenn 
dieselbe  bei  allen  möglichen  Gauteln  und  bei  identischen  Untersuchongsmethoden 
vielmals  constatirt  wurde.  —  Obgleich  ich  schon  früher  dieses  Symptom  bei 
einigen  Tabikem  beobaditete,  so  wurde  doch  meine  Aufmerksamkeit  spedell 
durch  folgenden  Fall  darauf  gelenkt..  In  meine  Bdiandlung  kam  ein  35jahriger 
Mann,  der  seit  8  Jahren  an  Schmerzen  in  bald  dieser,  bald  der  anderen  Unter- 
extremität,  an  Parästhesien,  wie  z.  B.  an  einem  sehr  unangenehmen  Gefühle  eines 
fremden  Körpers,  an  einem  Ermüdungsgefühle  in  beiden  Füssen  etc.  zu  leiden 
hatte,  die  jeder  Behandlung  hartnäckig  trotzten.  Bei  diesem  Kranken  waren 
gar  keine  pathologischen  Symptome  objectiv  vorhanden ,  ausgenommen  der  Un- 
gleichheit der  Kniephänomene;  das  rechte  war  nämlich  schwächer  als  das  linke 
und  ungleichmässig,  d.  h.  bald  stärker,  bald  schwächer.  —  Wäre  das  West^hal'sche 
Zeichen  in  diesem  Falle  vorhanden,  so  könnte  in  Hinsicht  auf  die  charakteristischen 
Schmerzen  und  Parästhesien  die  Diagnose  auf  beginnende  Tabes  dorsaUs  mit 
Wahrscheinlichkeit  gestellt  werden.  —  Doch  musste  die  von  mir  gefundene  und 
viebnals  bestätigte  Ungleiciiheit  der  Kniephänomene  und  deren  ungleidunässiges 
Auftreten,  als  ein  pathologisches  Symptom  gedeutet  werden  und  wurde  ich  aof 
den  Gedanken  geführt,  dass  möglicherweise  die  Abweseidieit  der  KniephäncHDene 
und  deren  beiderseitige  Ungleichheit  in  naher  Beziehung  stehen,  dass  die  Un- 
gleichheit vielleicht  als  erste  Stufe  der  pathologischen  Sehnenphajiomeae,  deieu 
Höhepunkt  in  völligem  Erlöschen  derselben  gipfelt,  aufrufieissen  wäre.  —  Selbst- 
verständlich würde  bei  Bestätigung  dieser  Idee  die  Ungleichheit  der  Kniaphän>- 
mene,  als  diagnostisch  wichtiges  Symptom  der  Tabes,  sehr  an  Bedeutung  gewinnen. 
Nun  handelte  es  sich  darum,  den  Nachweis  zu  führen,  ob  Fälle  von  festgestellter 
Tabes  vorkommen,  wo  statt  des  Westphal'schen  Zeich^is  eine  Ungleichheit  der 
Kniephänomene  zu  beobachten  wäre,  femer,  ob  klinische  Beoboditungen  vor- 
liegen, welche  die  nahe  Verwandtschaft  der  Ungleichheit  der  Kni^hänomeDe 
und  des  Erlöschens  derselben  feststellen;  einen  solchen  Beweis  würde  ein  fUl 


—    633    — 

abgeben,  in  welchem  die  Ungleichheit  der  Phänomene  in  Tollkommenes  Fehlen 
derselben  übergehen  sollte.  Werden  solche  Beweise  von  der  Klinik  geliefert,  so 
wird  auch  die  Bedeutung  des  Symptoms  for  die  Diagnose  der  Tabes  feste  Wurzeln 
fassen.  Meine,  hier  folgenden  Beobachtungen  sollen  die  aufgesteUten  Prämissen 
bestätigen. 

Ich  lasse  nun  die  Fälle  yon  unzweifelhafter  Tabes  mit  ungleichen  Eni&> 
Phänomenen  kurz  referirt  folgen: 

Fall  I. 

Joseph  B.y  39  Jahre,  Buchhalter  in  einer  Zuckerfabrik,  trat  im  Januar  1 887 
in  die  Klinik  ein.  Schon  vor  3  Jahren  begann  er  an  lancinirenden  Schmerzen 
im  ganzen  Köiper  und  besonders  in  den  unteren  Extremitäten  zu  leiden;  all- 
mählich wurden  diese  Schmerzen  inmier  intensiver.  Vor  2  Jahren  entstand  das 
Gürtelgefühl,  dann  kamen  Störungen  seitens  der  Harnblase,  Nachtschmerzen  in 
der  Harnröhre,  Blasenincontinenz,  Abschwächung  des  Sehvermögens  und  Gehör- 
sinnes. Im  25.  Jahre  inficirte  er  sich  mit  Lues  mit  Secundärsymptomen  und 
machte  eine  Inunctionskur  durch.  Im  27.  Jahre  litt  er  an  Magenstörungen: 
Appetitmangel,  Sodbrennen,  Aufstossen,  saurem  Geschmack  im  Munde,  Meteoris- 
mus, Stuhlverstopfang ;  alle  diese  Symptome  dauern  noch  bis  jetzt  Im  36.  Jahre 
Recidiv  der  Lues,  wieder  mit  Inunctionen  behandelt.  Ein  Bruder  des  Kranken 
starb  an  einer  Nervenkrankheit. 

Patient  ist  von  gutem  Bau  und  guter  Ernährung;  die  inneren  Organe  sind 
gesund.  Auf  den  Rücken  gelagert  ist  Patient  im  Stande,  alle  Bewegungen  mit 
den  unteren  Extremitäten  mit  Kraft  und  ohne  Ataxie  selbst  bei  geschlossenen 
Augen  aaszufahren;  bei  passiven  Bewegungen  kein  Widerstand.  Der  (rang  ist 
aber  abnorm  und  hat  einen  atactisch-spastischen  Charakter;  beim  Umdrehen 
kreuzen  sich  die  Extremitäten,  der  Fuss  wird  am  Fussboden  geschleppt  und  auf- 
gestampft; bei  geschlossenen  Augen  wird  der  Grang  noch  unsicherer;  Bomberg'- 
sches  Symptom  stark  ausgesprochen.  Das  Treppenabsteigen  ist  dem  Kranken 
besonders  umständlich.  —  Die  Kniephänomene  sind  auf  beiden  Seiten  vorhanden, 
aber  verschieden:  links  ist  dasselbe  gut  ausgesprochen,  rechts  sehr  schwach  und 
nur  im  M.  vastus  extemus,  selbst  bei  Anwendung  des  Jendrassik'schen  Ver- 
fahrens. Beim  Anschlagen  der  rechten  Patellarsehne  wird  immer  eine  Gontrac- 
tion  der  linken  Adductoren  ausgelöst  Die  Plantar-  und  Cremasterreflexe  sind 
vorhanden.  Nachts  geht  der  Harn  unwillkürlich  ab,  am  Tage  ist  der  Kranke 
nicht  im  Stande,  den  Harndrang  aufzuhalten.  —  Obstipatio  alvi;  der  Kranke 
fühlt  den  abgehenden  Stuhl  nicht.  Erectionen  und  Pollutionen  bleiben  seit 
längerer  Zeit  aus.  Das  Gefühl  ist  an  den  Geschlechtsorganen  erhalten;  der 
Tastsinn  ist  auch  an  den  unteren  Extremitäten  erhalten  mit  Ausnahme  einer 
kleinen  Fläche  am  Metatarsus  sinister  in  der  Nähe  der  grossen  Zehe  und  einer 
anderen  an  der  äusseren  Oberschenkelfläche  von  der  Grösse  eines  Fünfmarkstückes, 
welche  anästhetisch  sind.  —  Selbst  eine  leise  Berührung  der  Fusssohlen  ist  für 
den  Kranken  fast  immer  schmerzhaft.  An  den  Füssen  und  Unterschenkeln,  hier 
im  geringeren  Grade,  fühlt  Patient  Stiche  als  Berührungen,  oder  sehr  oft  zuerst 
als  Berührungen,  alsdann  als  Schmerz  (Remak'sches  Symptom).    Der  Temperatur- 


—    534    — 

sinn  ist  for  grössere  Differenzen  erhalten,  für  kleinere  abgestampft.  Auch  der 
Moskelsinn  ist  betroffen:  der  Kranke  kann  nicht  mit  der  einen  Extremität  die 
Lage  der  anderen  nachahmen,  kann  deren  g^nseitige  Lagerang  nidit  pracis 
angeben,  hat  keine  genaue  Yorstellong  Ton  einer  Aenderong  der  Fingerlagerong 
u.  s.  w.  Bei  Tag  und  Nacht  erleidet  der  Kranke  stechende  Schmerzen  in  ver- 
schiedenen Stellen,  der  unteren  Extremitäten,  bald  in  den  Knöcheln,  bald  in  den 
Zehen,  Waden,  Schenkelbeugen  u.  s.  w.  Der  Schmerz  danert  yerscbieden  lange 
Zeit,  einige  Minuten  bis  einige  Stunden  und  länger.  An  diesen  schmelzenden 
Stellen  wird  die  Haut  so  empfindlich,  dass  selbst  eine  leise  Berührung  das 
Zittern  der  ganzen  Extremität  zur  Folge  hat  Die  Haut  schwillt  an  solchen 
Stellen  an,  es  bildet  sich  hier  ein  rother  Fleck,  der  sich  später  mit  einer  Kroste 
bedeckt 

Die  Wirbelsäule  ist  schmerzlos  bei  Druck.  Das  Gefühl  am  ganzen  Thorax 
erhalten,  mit  Ausnahme  eines  schmalen  zweifingerbreiten  Streifens,  der  von 
der  linken  Brustwarze  in  der  Richtung  zum  Schulterblatte  verläuft,  und  einer 
anderen  kleinen  Fläche  am  unteren  Winkel  des  rechten  Schulterblattes  wo  das 
Tastgefahl  abgeschwächt  ist  —  Patient  hat  an  vorübergehenden  Schmerzen  in 
den  Lenden,  an  Stichen  in  der  Brust  zu  leiden.  —  Die  Kraft  der  rechten 
oberen  Extremität  ist  geringer,  als  die  der  linken,  doch  immer  noch  genügend 
gross;  alle  Bewegungen  werden  gut  ausgeführt  mit  Ausnahme  der  Opposition 
der  beiden  kleinen  Finger,  besonders  der  rechten  Hand.  Muskelatrophien  sind 
nicht  vorhanden,  Ataxie  fehlt  Das  Gefühl  und  der  Muskelsinn  sind  intact. 
In  den  oberen  Extremitäten  verspürt  Patient  ähnliche  Schmerzen,  wie  in  den 
unteren,  die  mit  Bildung  kleiner,  nach  einigen  Tagen  eintrocknenden  Bläschen 
einhergehen,  ausserdem  hat  er  ein  Gefühl  von  Jucken  in  den  Handflächen. 

Pupillen  sind  ungleich,  die  linke  breiter,  die  rechte  ziemlich  eng,  auf  Licht 
reagiren  beide  nicht,  ziehen  sich  aber  beim  Convergiren  sehr  gut  zusanunen. 
Die  Bewegungen  der  Augäpfel  sind  normal.  S=l.  Ophthalmoskopisch  wurden 
keine  Veränderungen  wahrgenommen.  Das  Gesichtsfeld  ist  für  Weiss  und  Farben 
normal.  Das  Gehör  stark  abgeschwächt,  man  muss  den  Kranken  laut  ansprechen; 
das  ührticken  wird  von  ihm  weder  aus  der  Feme  noch  unmittelbar  vom  Knochen 
aus  vernommen.  —  Diese  Symptome  haben  sich  seit  einem  halben  Jahre  pro- 
gressiv entwickelt,  ohne  Schmerzen  und  ohne  Ausfiuss  aus  dem  Gehöigange, 
aber  mit  einem  Gefühle  vom  Rauschen  in  den  Ohren.  Die  Untersuchung  von 
specialistischer  Seite  erwies  keinerlei  Veränderungen  im  Mittelohre  und  muss 
ein  Leiden  der  Gehörnerven  selbst  angenommen  werden,  da  der  Kranke  rechter- 
seits  das  hohe  A  des  Gamertons  nicht  hört  und  linkerseits  ist  die  Knochenleitung 
unterbrochen  und  der  Kammerton  wird  nur  auf  dem  Warzenfortsatze  deutlich 
gehört 

Vor  einem  Jahre  litt  er  auch  an  Kopfschmerzen,  jetzt  hat  er  ein  Summen 
im  Kopfe.    Sprache,  Gredächtniss  sind  normal    Schlaf  gut 

Alle  klassischen  Symptome  von  Tabes  sind  in  diesem  Falle  vorhanden; 
charakteristische,  seit  8  Jahren  dauernde  Schmerzen,  Ataxie  beim  Gehen,  Rom- 
berg'sohes  Symptom,  Argyll-Bobertson'sches  Symptom,  Anästhesien,  Remak'sches 


—    535    — 

Symptom,  Stonmgen  des  Maskelsinnes,  der  Blasenftinctiony  des  Rectums,  der 
Qeschlechtsfimctionen  u.  s.  w.  Wie  steht's  aber  mit  den  Eniephonomenen?  Sie 
sind  nicht  erloschen,  man  kann  sie  beiderseits  hervorrufen,  doch  in  ungleichem 
Grade,  linkerseits  ist  das  Phänomen  gut  ausgesprochen,  rechterseits  ist  es  schwach 
und  nur  am  M.  vastus  extemus  bemerkbar. 

Wären  diese  Phänomene  selbst  ganz  normal,  so  könnten  wir  in  diesem 
Falle  mit  der  Diagnose  der  Tabes  dorsalis  nicht  zögern.  Dieser  Fall  weist 
also  darauf  hin,  dass  die  Ungleichheit  der  Eniephänomene  bei  ausgesprochener 
Tabes  vorkommt  und  dass  sie  vielleicht  ein  Uebergangsstadium  zum  völligen 
Erlöschen  dieser  Phänomene  bildet.  Die  Bichtigkeit  dieser  letzten  Aussig  vnrd 
durch  einen  weiter  unten  zu  beschreibenden  Fall  nachgewiesen.  Vorläufig  wUl 
ich  noch  einen  Fall  von  Tabes  anfuhren,  wo  nicht  nur  die  Eniephänomene, 
sondern  auch  die  Achillessehnenphänomene  beiderseits  ungleich  auftreten. 

Fall  n. 

Stanislaus  B.,  37 jähr.  Landwirth,  kam  am  19. 11.  1888  in  die  Elinik  wegen 
Geh-  und  Sehstörungen.  Bereits  vor  10  Jahren  begann  das  Leiden,  zuerst  mit 
einem  Gefühl  von  Steifigkeit  der  rechten  unteren  Extremität  und  einem  Pelzig- 
werden beider  Eniee.  Er  konnte  zwar  in  der  ersten  Zeit  gehen  und  arbeiten, 
doch  verschlimmerte  sich  sein  Zustand  mit  jedem  Jahre,  so  dass  er  seit  zwei 
Jahren  fast  gar  nicht  in's  Feld  gehen  kann,  obgleich  er  noch  im  vorigen  mit 
vieler  Noth  und  Mühe  und  vielmaligen  Pausen  sein  Stückchen  Feld  besäen 
konnte.  Seit  3  Jahren  werden  seine  Finger  pelzig,  er  fühlt  nicht  die  Gegen- 
stände, die  er  in  Händen  hält  Acute  Schmerzen  hatte  er  in  den  Extremitäten 
nicht,  doch  hat  er  ein  Eältegefühl  in  den  Fusssohlen  fast  vom  Anfange  seiner 
Erankheit  an  verspürt  Blasenstörungen  begannen  ebenfalls  vor  3  Jahren  und 
zwar  als  hartnäckige  Harnverhaltung,  die  erst  in  der  letzten  Zeit  in  Incotinenz 
überschlug,  welche  besonders  bei  Nacht  aufzutreten  pflegt.  Zur  selben  Zeit  be- 
gann auch  der  Gesichtssinn  zu  leiden,  zuerst  auf  dem  rechten  Auge,  im  letzten 
Jahre  auch  auf  dem  linken. 

Vor  15  Jahren  heirathete  Patient  und  hat  6  gesunde  Einder  am  Leben, 
6  sind  verstorben.  Er  war  früher  immer  giösund,  machte  keine  venerische  Erank- 
heit durch,  trank  massig.  Sein  Vater  starb  mit  76  Jahren  und  litt  im  vor- 
gerückten Lebensalter  an  Steifigkeit  der  Beine,  was  ihm  am  Gehen  hinderte. 
Sonst  sind  keine  Hereditätsmomente  vorhanden. 

Patient  ist  gut  gebaut  und  ernährt  Pulsschlag  72,  innere  Organe  normal. 
Eine  ausgesprochene  Ataxie  ist  weder  im  Liegen,  noch  beim  Gehen  vorhanden,, 
nur  beim  Umdrehen  und  während  der  Kranke  mit  •geschlossenen  Augen  gelit 
ist  eine  gewisse  üngeschicktheit  der  Bewegungen  und  ein  zu  starkes  Auftreten 
der  Fusshacken  bemerkbar.  Das  Bomberg'sche  Symptom  schwach  ausgesprochen. 
Die  activen  Bewegungen  der  unteren  Extremitäten  sind  kräftig,  die  passiven 
ohne  Widerstand.  Das  Gehen  wird  dem  Eranken  schwer,  er  muss  oft  ausruhen. 
—  Die  Eniephänomene  sind  beiderseits  vorhanden,  rechterseits  aber  viel  schwächer, 
doch  bei  Benutzung  des  Jendrassik'sohen  Verfahrens  wird  es  starker,  obwohl 
nicht  so  stark  wie  das  linke. 


—    636    — 

I)a8  Verhalten  der  Achillessehnenphänomene  ist  ganz  eigenfhümlich  nnd 
den  Eniephänomenen  entgegengesetzt:  rechteiseits  ist  sogar  das  Fussphanomen 
unzweifelhaft  vorhanden  und  heim  Anschlagen  der  Achillessehne  mit  dem  Per- 
cussionshanmier  bekommt  man  eine  sehr  deutliche  Plantarflexion  des  Fnsses, 
linkerseits  aber  fehlt  das  Fussphanomen  und  das  Anschlagen  der  Achillessehne 
hat,  nicht  immer,  ein  schwaches  Zusanunenziehen  der  Wadenmuskeln  zur  Folge. 
Der  Gremasterreflex  ist  erhalten.  —  Die  Sensibilität  und  der  Muskelsinn  sind  ftst 
unverändert.  Patient  hat  ein  Gefühl  von  Leim  oder  Baumwolle  unter  den  Fuss- 
sohlen.  Incontinentia  urinae;  Stuhl  ganz  normal.  Erectionen  sdiwach.  Wirbel- 
saule schmerzlos,  die  Sensibilität  ist  am  Thorax  erhalten,  am  Kreuzbein  ein 
Gefühl  von  Steifheit 

Die  Bewegungen  der  oberen  Extremitäten  gehen  energisch,  ohne  Ataxie  von 
Statten,  die  feineren  Arbeiten  (Zuknöpfen  etc.)  werden  aber  ungeschickt  ausge- 
führt. Kleinere  auf  der  Hand  liegende  Gegenstände  fühlt  er  gar  nicht,  grössere 
(Weinglas,  Federmesser  u.  s.  w.)  werden  nicht  erkannt.  Ein  Stich  wird  von  ihm 
als  Gefühl  eines  scharfen  Gegenstandes,  aber  ohne  Schmerz  vemonamen.  Tem- 
peratursinn ist  erhalten.  Der  Muskelsinn  unverändert  Muskeln  und  Nerven 
sind  auf  Druck  nicht  schmerzhaft 

Pupillen  normaler  Grösse,  die  rechte  etwas  breiter,  reagiren  direot  auf  Licht 
und  auch  durch  Yermittelung  des  anderen  Auges;  die  Beaction  ist  aber  träge 
und  Erweiterung  erfolgt  alsbald.  Die  Bew^^gen  der  Augäpfel  sind  normal. 
Graue  Yerfilrbung  der  Papillen  Nn.  opticorum.   Sehstärke  intensiv  herabgesetzt 

Es  liegt  uns  also  ein  langjähriges  (seit  10  Jahren),  progressives  Leiden  des 
Bückenmarks  mit  hauptsächlich  parästhetischen  Symptomen  und  geringen  Ver- 
änderungen der  Sensibilität  vor,  welches  zwar  ohne  evidente  Ataxie  einhergeht, 
doch  durch  ungeschickte  Bewegungen,  durch  ein  Missverhältniss  zwischen  roher 
Kraft  und  Gehvermögen,  durch  Störungen  der  Blasenfnnction  u.  s.  w.  sich  kund- 
giebt  Es  fehlen  zwar  die  für  Tabes  charakteristischen  Schmerzen,  aber  die 
Parästhesien  sind  stark  ausgesprochen  und  sind  auch  Gtohimnerven  afficirt, 
nämlich  die  beiden  Optici  sind  der  grauen  Entartung  verfallen.  Die  Sehnen- 
phänomene zeigen  hier  ein  eigenthümlich  ungleiches  Verhalten;  die  Eniephäno- 
mene  sind  vorhanden,  das  rechte  ist  viel  schwächer,  das  rechte  Fussphanomen 
(tr^pidation  du  pied)  ist  ebenfalls  vorhanden,  was  entschieden  pathologisch  ist  nnd 
auf  Verstärkung  der  Sehnenphänomene  hinweist  Auch  das  Achillessehnenphäno- 
men ist  diesseits  sehr  ausgesprochen,  während  linkerseits  das  Fussphanomen  ganz 
ausbleibt  und  das  Achillessehnenphänomen  nur  schwach  auftritt  und  nicht  jedes- 
mal zum  Vorschein  kommt  Auch  in  diesem  Falle  haben  wir  es  also  mit  Un- 
gleichheit der  Kiüephänomene,  der  Achillessehnenphänomene,  mit  ungleichmässigem 
Auftreten  der  letzteren  und  zi^leich  mit  einem  umgekehrten  Verhalten  der  Knie- 
und  Achillessehnenphänomene  zu  thun,  denn  dem  schwächeren,  rechtsseitigen 
Kniephänomen  entspricht  das  rechte  Fussphanomen,  und  dem  linken  ausge- 
sprochenen Kniephänomen  das  schwache  Achillessehnenphänomen. 

(SohloBs  folgt) 


537    — 


n.  Beferate. 


Anatomie. 

1)  Ueber  die  Deutung  der  Zirbel  bei  den  Säugethieren,  von  Prof.  Dr.  Max 
Fl  esc  h,  Frankfurt  a.  M.     (Anatomischer  Anzeiger.  1888.  III.  Jahrg.  Nr.  6.) 

Den  Beweis  gegen  die  Ansicht,  dass  die  Zirbel  der  Säugethiere  das  rudimentäre 
Parietalauge  sei  und  somit  keine  weitere  Aufgabe  im  Haushalte  des  KOrpers  zu  er- 
füllen habe,  führt  Verf.  folgendermaassen :  Die  Zirbel  ist  kein  rudimentäres  Organ, 
dagegen  spricht:  1.  das  Eintreten  von  Nerven,  2.  das  Vorkommen  eigenartiger  Ab- 
scheidungen, 3.  die  Existenz  eigenartiger,  epithelialer  Structuren  auf  der  der  Himhöhle 
abgekehrten  Seite  des  Organs.  Unter  eigenartigen  Abscheidungen  versteht  Fl.  nicht 
den  Gehimsand;  als  specifische  Bildungen  betrachtete  er  eigenthümliche  Pigmentdarsen. 
An  Sinnesepithelien  erinnern  Bildungen,  die  den  Sehepithelien  in  Augen  niederer, 
wirbelloser  Thiere  ähnlich  sind.  Form,  Consistenz,  Grösse,  Structur  und  besonders 
der  Pigmentreichthum  der  Zirbel  zeigt  bei  den  Säugethieren  grosso  Verschiedenheiten 
und  diese  scheinen  nicht  dafür  zu  sprechen,  dass  dies  Organ  ein  rudimentäres  Auge 
sei.  Was  aber  ist  es?  Fl.  vermuthet  ein  Sinnesorgan,  das  bei  Säugethieren  nichts 
mehr  von  seiner  Sehfunction  besitzt.  Bestätigt  sich  die  Existenz  eines  Fiebercentrnms 
in  den  benachbarten  Himabschnitten,  so  könnte  vielleicht  die  Zirbel  dazu  bestimmt 
sein,  Schwankungen  der  Körpertemperatur  wahrzunehmen  und  auf  dem  Beflexwege 
ihre  Wahrnehmungen  für  den  Körper  zu  verwerthen.  P.  Kronthal. 


Experimentelle  Physiologie. 

2)  Ueber  die  Beactionsseit  für  Erregung  und  für  Hemmung,  von  J.  Gad 
(nach  Versuchen  von  Dr.  Orschansky).  (Verhandl.  der  Berl.  physiolog.  Gesell- 
schaft 1887.  Nr.  13  u.  14.) 

0.  hat  unter  G.*s  Leitung  die  Zeit  gemessen,  welche  vergeht  von  dem  Moment 
eines  gegebenen  Signals  bis  zu  dem  Moment  des  Beginnes  der  auf  dies  Signal  will- 
kürlich ausgeführten  Entspannung  eines  bis  dahin  willkürlich  gespannten  antagonisten- 
losen  Muskels,  und  verglich  diese  „Beactionszeit  für  Hemmung''  mit  „der  Beactions« 
zeit  für  Erregung''.    Zu  den  Versuchen  ward  der  M.  masseter  gewählt. 

Es  ergab  sich  als 

Beactionszeit  für  die  Erregung:  Beactionszeit  für  die  Hemmung: 

vor  der  Uebung         =s  0,25  See  vor  der  Uebung         =  0,30  See. 

nach  der  Uebung       ==  0,15  See.  nach  der  Uebung       =3  0,14  See. 

bei  minimalem  Beiz    =  0,20  See  bei  minimalem  Beiz   =  0,17  See. 

bei  mittlerem  Beiz     =  0,15  See.  bei  mittlerem  Beiz     :=  0,14  See. 

bei  maximalem  Beiz  =  0,12  See.  bei  maximalem  Beiz  =  0,11  See. 

Es  sind  also  die  beiden  Beactionszeiten  wesentlieh  gleich.  Ein  Grund,  anzu- 
nehmen, dass  die  willkürliehe  Hemmung  wülkürlich  unterhaltener  Muskelerregung 
anderswo  angreife,  als  am  eortiealen  Ausgangspunkt  dieser  Erregung,  liegt  also  zu- 
nächst nicht  vor.  Th.  Ziehen. 


Pathologische  Anatomie. 

3)  Fälle  von  abnorm  kursem  Corpus  oallosum  oerebri,  von  Direetor  Dr.  B. 
Schroeter,  fiichberg.    (AUg.  Ztschr.  f.  Psychiatrie.  1888.  XLIV.  4  u.  5.) 

Der  Aufsatz  enthält  den  in  der  psychiatrischen  Seetion  der  Naturforscher- Ver- 


—    538     — 

Sammlung  1887  vom  Verf.  gehaltenen  Vortrag.    Derselbe  ist  in  diesem  Ceutralblatt 
1887  S.  440  bereits  aosfohrUcli  referirt  Th.  Ziehen. 


4)  Glykogen  in  den  Capfllsren  der  Qroflahimrinde  beim  l>iabeteB  mellitus, 
von  Dr.  6.  Fütterer,  Assistent  am  path.-anat  Institat  zn  Würzburg.  (Ctrlbl. 
f.  cL  med.  Wissenscb.  1888.  Nr.  28.) 

Neben  Glykogen  in  der  Leber  und  im  Bückenmark  fand  sich  auch  solches  im 
Grosshim.  Der  Nachweis  wurde  an  Stücken  gefOhrt,  die  in  Alkohol  gehärtet,  mit 
der  Ehrlich^schen  Jodgummilösung  behandelt  wurden;  bei  Wasserzusatz  zu  den  Prä- 
paraten lösste  sich  das  Glykogen,  und  eine  Färbung  mit  Methylenblau  zeigte  dann 
ein  glykogenfreies  Präparat  Die  meisten  Capillaren  der  Ifimrinde  waren  mit  krüme- 
ligen Glykogenmassen  erfüllt,  die  wohl  auf  embolischen  Wege  hierher  gelangt  waren. 
Bei  der  grossen  Verbreitung  des  Glykogens  in  der  Hirnrinde  müssen  ausgedehnte 
Ernährungsstörungen  eingetreten  sein.  Ob  das  stellenweise  Fehlen  der  peripherische 
Bindennerrenfaserschichten  directe  Folge  derartiger  Ernährungsstörungen  war,  bleibt 
einstweilen  dahingestellt.    Weitere  Untersuchungen  werden  folgen.        Ealischer. 


5)  Svd  peso  dell'enoefalo  in  rapporto  oon  i  caratteri  oraniometrici  negli 
alienati,  nota  del  Prof.  E.  Morselli.  (Bivista  speriment.  di  Freniatria  ecc. 
1888.  XIII.  p.  366.) 

Verf.  hat  104  Schädel  und  Gehirne  von  Irren  und  zwar  von  59  M.  und  45  W. 
untersuchen  können,  und  da  seine  Besultate  in  manchen  Beziehungen  von  den  Er- 
gebnissen anderer  Autoren  abweichen,  so  seien  aus  seiner  werthvollen  Arbeit  hier 
folgende  Angaben  mitgetheilt. 

1.  Das  Gewicht  der  Hirnhäute  etc.  incl.  Dura  betrug 

unter  50  g  bei  M.     2 mal;  bei  W.     4mal;  in  Summa     6mal. 

50—100  g  bei  M.  12mal;  bei  W.  21  mal;  in  Summa  3dmal. 
101—150  g  bei  M.  23mal;  bei  W.  18mal;  in  Summa  41  mal. 
151—200  g  bei  M.  13mal;  bei  W.  2mal;  in  Summa  15mal. 
201—300  g  bei  M.     6mal;  bei  W.      — ;     in  Summa     6  mal. 

über  300  g  bei  M.     3mal;  bei  W.     — ;     in  Summa     3mal. 

Im  Mittel   also,   wenn  man  die  extremen  Gewichte  über  200  g  ausser  Ansatz  lässt, 
wiegen  die  Gehirnhüllen  bei  m.  Irren  124,5  und  bei  w.  Irren  93,3  g. 

2.  Das  Gewicht  der  Hirne  allein  betrug  bei  m.  Irren  1216,2  und  bei  w.  Irren 
1127,5  g.  Die  Gehirnhüllen  wiegen  also  etwa  9  %  ^^  Gesammthimgewichts  mit 
Häuten. 

3.  Das  Verhältniss  des  Gesammthimgewichts  (mit  Häuten)  zum  Schädelvolumen 
betrug  bei  m.  Irren  91,6%,  bei  w.  Irren  92,9%;  wurde  das  Nettohimgewicht  der 
Berechnung  zu  Grunde  gelegt,  so  betrug  das  Verhältniss  zum  Schädelinhalt  81,8 
resp.  86,8  ^/q.     Die  Cubatur  der  Schädel  ist  übrigens  nach  Broca*s  Methode  erfolgt. 

4.  Das  Verhältniss  zwischen  Capacität  und  Form  des  Schädels  ergiebt  sich  aus 
folgender  Zusammenstellung: 

M.  W. 

bei  Dolichocephalie  beträgt  die  Capacität     1510  1239 

Subdolichocephalie  1494  1272 

Mesaticephalie  1422  1255 

Subbrachycephalie  1479  1301 

Brachycephalie  1501  1342 


Er  beträgt 

bei  einem 

der  Schädelinhalt 

Netto-H 

imgewi 

Alter  von 

M.         W. 

M. 

W. 

unter  25  J. 

1295     1336 

1138 

1163 

26     40  J. 

1450     1243 

1192 

1116 

41     60  J. 

1500     1307 

1221 

1106 

über  60  J. 

1492     1258 

1209 

1086 

—    539    — 

5.  Form  des  Sch&dels  und  Himgewiclii  stehen  zu  einander  in  folgender  Ver- 
bindung: 

Es  ergiebt  sich  ein  mittleres  Nettohimgewicht  von 

bei  Doüchocephalie  M.  1179  g  W.  1125  g  Sa.  1154  g 
Subdolichocephalie  M.  1234  g  W.  1094  g  Sa.  1191  g 
Mesaticephalie  M.  1215  g  W.  1081  g  Sa.  1164  g 
Subbrachycephalie  M.  1118  g  W.  1076  g  Sa.  1143  g 
Brachycephalie        M.  1238  g  W.  1159  g  Sa.  1186  g. 

6.  Der  Einflass  des  Alters  auf  das  Himgewicht  ergiebt'  sich  aus  folgender 
Tabelle : 

Yerhältniss  des  Nettogewichts 
tt  zum  Schädelinhalt 

M.        W. 
88,5     87,1 
82,2     87,3 
82,1     84,6 
81,5     86,3 

Im  Weiteren  gelangt  Verf.  selbst  zu  folgenden  Schlüssen: 

Bei  Yergleichung  von  Himgewichten  muss  der  Einfluss  der  Hirnhäute  und  zwar 
in  ihrer  Modification  durch  das  Alter,  durch  die  Eörperlänge,  durch  das  Körpergewicht 
und  durch  die  Dauer  der  terminalen  Erkrankung  der  Patienten  berücksichtigt  werden. 

Das  Durchschnittsgewicht  der  HimhüUen  incl.  Liquor  ist  bei  Irren  höher  als  bei 
geistig  Qesnnden.  Dasselbe  wächst  mit  dem  Lebensalter;  es  ist  grösser  bei  chronischen 
Psychopathien,  spedell  im  Terminal-  und  im  Altersblödsinn  und  bei  der  Paralyse, 
als  bei  den  einfachen  Seelenstörungen  und  bei  den  Psychoneurosen. 

-  Das  durchschnittliche  Himgewicht  ist  bei  Irren  niedriger  als  bei  geistig  Gesunden, 
und  der  „Schädelhirnindex''  (das  Yerhaltniss,  in  dem  das  Himgewicht  zum  Yolum  des 
Schädels  steht)  ist  bei  Irren  viel  niedriger  als  bei  Normalen. 

Bei  -Melancholikem  und  bei  Epileptikern  finden  sich  häufig  verhältnissmässig 
recht  hohe  Schädelcapacitäten  und  Himgewichte.  Die  Gewichtsabnahme  der  para- 
lytischen und  der  terminalen  Gehirne  hängt,  abgesehen  vom  Einfluss  der  Krankheit 
an  sich,  besonders  von  der  Dauer  der  Krankheit  und  von  der  mit  dieser  verbundenen 
Ernährungsstörung  ab. 

Im  Allgemeinen  aber  glaubt  Yerf.,  dass  die  Frage  nach  dem  Zusammenhang 
zwischen  Himentwickelung  und  Intelligenz  durch  die  bisherigen  Untersuchungen  noch 
durchaus  nicht  gelöst  sei. 

Den  Schluss  der  Arbeit  bildet  die  tabellarische  Zusammenstellung  der  Einzel- 
werthe  seines  Materiales.  Sommer. 

6)  Sullo  spesBore  della  oorteooia  cerebrale  negli   alienati,  del  Dott.  Att. 
Cionini.    (Biv.  speriment.  di  Freniatr.  ecc.  1888.  XIII.  p.  436.) 

Yerf.  benutzt,  zu  seinen  Messungen  der  Himrindendicke  einen  feinen  Zirkel  mit 
Nonius,  der  direct  Vio  ^^  abzulesen  gestattet.  Die  zu  untersuchenden  Hemisphären 
werden  durch  Schnitte  längs  der  Fissura  praecentralis  und  postcentralis  in  3  Theile 
zerlegt:  in  die  Pars  praerolandica,  die  postrolandica  und  endlich  die  Pars  rolandica, 
die  also  die  beiden  Centralwindungen  enthält. 

Er  hat  bereits  80  Irrengehime,  an  deren  jedem  er  150  Messungen  gemacht 
hat,  untersucht;  in  der  vorliegenden  Arbeit  giebt  er  jedoch  nur  die  Besultate,  die 
er  an  15  paralytischen  Gehirnen  erlangt  hat. 

1.  Bei  Paralytikern  ist  die  Hirnrinde  über  das  ganze  Hirn  hin  verschmälert. 

i.  Die  grösste  Dicke  der  Binde  findet  sich  in  der  hinteren  Hälfte  der  vorderen 
Centralwindung  (Frontalis  ascendens).    . 


—    540    — 

3.  Die  gröaste  Yerschmälerang  findet  sich  in  der  Pars  rolandica  nnd  spedell 
in  der  hinteren  Gentralwindong  (Parietalis  ascendens). 

4.  In  beiden  Gentralwindungen  ist  die  Binde  der  hinteren  Hälfte  dicker  als  die 
der  vorderen. 

5.  Die  untere  Räche  der  Pars  praerolandica  und  postrolandica  ist  mit  einer 
dünneren  Binde  bedeckt  als  die  äussere  nnd  die  mediane  Fläche. 

6.  Die  Hirnrinde  ist  auf  der  linken  Hemisphaere  ceteris  paribns  dicker  als  auf 
der  rechten. 

7.  Die  linke  Hemisphäre  wiegt  mehr  als  die  rechte;  auch  die  Entwickelung  der 
Gefassforchen  auf  der  Innenseite  des  Schädels  ist  links  bedeutender  als  rechts.  Verf. 
macht  femer  darauf  aufmerksam,  dass  in  Bezug  auf  die  Gefässfnrchen  eine  gewisse 
Compensation  zwischen  rechts  nnd  links  öfters  beobachtet  werden  kann:  sind  die 
Furchen  auf  der  einen  Seite  tiefer,  so  sind  sie  auf  der  anderen  zahlreicher  aus- 
gebildet. 

Die  Einzelwerthe  der  Messungen  sind  in  tabellarischer  Form  ebenfalls  mit- 
getheilt.  Sommer. 

Pathologie  des  Nervensystems. 

7)  HypertriohoslB,   due  to^general   disease  of  the  nervous  System,  by  A. 

H.  Ohmann-Dumesnil.     (Alienist  and  Neurologisi  1887.  YIII.  p.  483.) 

Eine  28jährige  Dame,  die  auch  nach  der  Versicherung  ihres  Hausarztes  früher 
einen  auffallend  zarten  Teint  besessen  hatte,  bemerkte  vor  Kurzem,  dass  sich  auf 
beiden  Seiten  der  Stirn,  auf  beiden  Wangen  und  auf  der  Oberlippe  die  Haut  dunkel 
zu  förben  und  mit  sehr  dichten  dünnen  ^/^ — V2  ^^^^  langen  Haaren  zu  bedecken 
begann;  die  Flaumhaare  schienen  allgemein  ein  wenig  verlängert  zu  sein.  Aus  leicht 
erklärlichen  Gründen  wollte  Patientin  von  diesem  höchst  entstellenden  Leiden  befreit 
sein.  Verf  wies  aber  bei  ihr  das  Bestehen  schwerer  Neurasthenie  des  Hirn-  und 
Bückenmarkssystem  nach  und  da  proportional  dem  Auftreten  der  nervösen  Symptome 
das  Unterhautzellgewebe  immer  reichlichere  Massen  Fett  angesetzt  hatte,  so  glaubte 
er  auch  die  ungewöhnliche  Haarentwickelung  auf  ähnliche  und  zuletzt  somit  auf 
nervöse  Einflüsse  zurückführen  zu  dürfen.  Und  der  Erfolg  wenigstens  gab  ihm  Bechi 
Als  nach  etwa  einjähriger  Behandlung  die  Neurasthenie  geschwunden  war,  war  auch 
die  Haameubildung  vollständig  beseitigt,  natürlich  ohne  irgend  einen  localen  Eingriff. 

Sommer. 

8)  Demonstration  seltener  Bewegungsstöningen,   von  Professor  Dr.  Bieger. 
(Sitzungsberichte  der  Würzburger  Phys.  med.  Gesellsch.  1887.) 

Der  43jährige  Eisenbahn-Conducteur  Dennerlein  erlitt  bei  dem  Eisenbahnunfall 
am  Faulenberge  (1.  Juli  1886)  eine  Fractur  beider  Malleoli  links,  sowie  eine  Con- 
tusion  des  linken  Kniegelenks.  Am  9.  Aug.  1886  als  anscheinend  völlig  gesund 
aus  der  chirurgischen  Behandlung  entlassen,  zeigten  sich  in  den  folgenden  Wochen 
doch  noch  Gehstörungen,  weshalb  er  im  August  1886  die  Poliklinik  von  Prof.  Bieger 
für  Nervenkranke  aufsuchte.  Die  Untersuchung  ergab  bezüglich  der  Knochen-  und 
Gelenkverhältnisse  der  erkrankten  Extremität  vollständig  normales  Verhalten.  Fractur 
so  glatt  geheilt,  dass  sie  kein  Bewegungshindemiss  abgeben  konnte,  auch  das  Knie- 
gelenk zeigte  nichts  Abnormes. 

Dagegen  zeigte  sich,  was  auch  als  Ursache  der  ganzen  Störung  im  G^mecha- 
nismus  zu  betrachten  ist,  eine  Atrophie  der  Musculatur  an  der  Vorderseite  des  Ober- 
schenkels, also  in  der  Quadricepsgruppe.  Auffallende  Differenz  im  Umfang  des  linken 
Oberschenkels  gegenüber  dem  rechten.  Anfangs  1  cm,  später  2  cm.  Infolgedessen 
geschieht   die   active   Streckung  des  linken  Unterschenkels  mit  geringerer  Kraft  als 


—    541     — 

die  des  rechten.  Kraft  der  Beuger  beiderseits  gleich.  Elektrische  Beaction  im  Quadri- 
ceps  durchweg  normal;  Patellarrefleze  beiderseits  gleich.  Weder  Mechaiio-  noch 
Elektrotherapie  hat  eine  Besserung  der  Atrophie  herbeizuführen  yermocht  In  Folge 
der  Atrophie  und  Schwäche  des  Muse,  rectus  femoris  hat  sich  ein  ganz  abnormer 
und  fehlerhafter  G^ng  entwickelt  Die  leichte  Kniegelenkscontusion  könnte  vielleicht 
eine  Atrophie  bedingt  haben,  die  an  und  für  sich  zu  denen  gehört,  auf  die  Charcot 
in  neuerer  Zeit  die  Aufmerksamkeit  gelenkt  hat. 

Bef.  hatte  in  der  jüngsten  Zeit  wiederholt  Gelegenheit,  den  Patienten  D.  bezüg- 
lich des  oben  geschilderten  Symptomencomplexes  genauer  zu  untersuchen.  Das  ganze 
Krankheitsbild  hat  sich  bis  jetzt  in  nichts  geändert,  trotz  der  fortgesetzten  mecha- 
nischen und  elektrischen  Behandlung. 

Es  ist  wohl  mit  Sicherheit  anzunehmeui  dass  die  Atrophie  der  Strecker  durch 
die  Gelenksaffection  bedingt  wurde. 

InjectionsYersnche  in  die  atrophische  Mnsculatur  schienen  anfangs  von  einer 
Besserung  gefolgt  zu  sein,  letztere  war  aber  so  vorübergehender  Natur,  dass  der 
ganze  Versuch  vorläufig  keine  weitere  Besprechung  verdient.  Eine  genauere  Bear- 
beitung vorliegenden  Falles  erscheint  in  der  Münchener  med.  Wochenschrift. 

•  L.  P.  Hügel  (Würzburg). 

9)  Ck>ntributo  al  signifloato  semiologioo  dell'epilessia  paniale.   Nota  clinica 
del  Dott.  Gius.  Seppilli.     (Bivist.  speriment.  di  Freniatr.  1888.  XIII.  p.  274.) 

Verf.  macht  darauf  aufmerksam,  dass  der  Symptoroencomplex  der  Jackson*schen 
Epilepsie  durchaus  nicht  immer  den  Schluss  auf  das  Vorhandensein  einer  gröberen 
Erkrankung  des  in  Betracht  zu  ziehenden  Bezirkes  des  motorischen  Bindenfeldes 
gestatte.  Er  theilt  4  Krankenfälle  mit,  in  denen  alle  charakteristischen  Erscheinungen 
der  partiellen  Epilepsie  häufig  zum  Ausbruch  gekommen  waren,  und  doch  zeigte  die 
Section  jedesmal  eine  ganz  diffuse  und  über  beiden  Hemisphären  gleich  ausgebildete 
Meningitis  ohne  Spur  einer  der  Gehimlocalisation  nach  zu  erwartenden  Bindenzerstörung 
durch  Tumor,  Erweichung,  Blutung  etc.  oder  auch  nur  durch  periencephalitische  Ver- 
wachsungen zwischen  Binde  und  Hirnhäuten. 

In  der  Litteratur  findet  sich  (unter  den  von  Luciani  und  Verf.  gesammelten 
50  Fällen  von  partieller  Epilepsie  mit  Sectionsbericht)  merkwürdiger  Weise  kein 
einziger  FaU,  in  dem'  nicht  eine  gröbere  organische  Zerstörung  nachgewiesen  wäre. 

Sommer. 

10)  Ck>ntribution  4  l'ötude  du  panaris  analgösique  (Maladie  de  Morvan)« 

par  Ch.  Monod  et  Beboul.    (Arch.  g^n^r.  de  M^d.  1888.  Juli.) 

Die  Verff.  haben  einen  typischen  Fall  jener  seltenen  Affection,  die  Morvan 
zuerst  1883  beschrieben  hat  und  von  der  überhaupt  erst  21  Fälle  beschrieben  worden 
sind,  beobachtet.  Bei  einem  öGjährigen  Manne  stellte  sich  Taubheit  und  Analgesie 
des  rechten  5.  Fingers,  dann  Schwäche  der  Flexoren  und  Extensoren  der  Finger  und 
Atrophie  der  Musculatur  der  rechten  Hand  ein.  Nach  einem  Jahr  auch  Analgesie 
der  linken  Hand.  Nach  einigen  weiteren  Monaten  Eiterung  am  rechten  Mittelfinger 
und  Nekrose  der  2.  Phaiange.  Genauere  Untersuchung  stellte  verbreitete  Atrophien, 
Paresen  und  Anästhesien  an  beiden  Händen  und  Füssen  fest,  femer  trophische  Stö- 
rungen an  Haut  und  Nägeln  und  eine  Beihe  anderweitiger  Ulcerationen,  so  nament- 
lich auch  ein  .Mal  perforant  an  beiden  Füssen.  Das  Kniephänomen  war  rechts  normal, 
links  abgeschwächt.  Keine  Ataxie,  kein  Bomberg*sches  Schwanken,  keine  lancinirenden 
Schmerzen,  keine  Parese  der  Arm-  und  Beinmuskeln.  Mehrere  Amputationen  wurden 
durch  immer  neu  hinzutretende  ulceröse  und  nekrotische  Processe  nöthig.  Die  An- 
ästhesie breitete  sich  allmählich  bis  auf  Oberschenkel  und  Oberarm  aus,  auch  im 
Gesicht  war  sie  zu  constatiren.    Die  Sehnenphänomene  der  Arme  waren  gesteigert, 


—     542    — 

leichter  Fassklonus  stellte  sich  ein.  Sebsch&rfe,  Geruch  und  Gedächtniss  iiahmGn 
etwas  ab.  Arme  und  Beine  bewegt  Fat  noch  kraftig.  Arthropathien  traten  nicht 
auf.  An  den  Beinen  bestand  ein  fortwährendes  Kältegefühl.  Oft  localisirte  Schweisse 
an  Kopf  und  Nacken. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Nerven  der  amputirten  Finger  ergab  eine 
schwere  parenchymatöse  und  interstitielle  Neuritis.  Die  Morvan^sche  Krankheit  oder 
Par6so-analg6sie  ist  daher  nur  eine  Varietät  der  peripherischen  Neuritis.  Yermuthungs- 
weise  deuten  die  Yerff.  die  Möglichkeit  an,  dass  die  Morvan'sche  Krankheit  in  ätio- 
logischer Beziehung  zu  dem  Gewerbe  der  befallenen  Individuen  steht  Es  faandeli 
sich  nämlich  auffallend  oft  um  Leute,  die  irgendwie  mit  Fischen  zu  thun  haben. 

Th.  Ziehen. 


m.   Aus  den  Gesellschaften. 

JahresBitBUsg  des  Vereins  deutscher  Irrenärste  im  Festsaale 
der  Provinzial-Irrenanstalt  in  Bonn  am  16.  und  17.  September  1888. 

Originalbericht-  von  Dr.  Bruns  (Hannover). 

Der  Vorsitzende  Westphal  eröfibet  die  Versammlung.  Nasse  (Bonn)  heisst 
dieselbe  in  den  Bäumen  der  Bonner  Anstalt  willkommen. 

1.  Mendel:  Referat  über  den  Vortrag  von  Prof.  Jelly  „Ueber  geminderte 

Zurechnungsfähigkeit".^ 

Jolly  hatte  beantragt,  dass  man  petitioniren  solle,  dass  eine  Bestimmung  über 
geminderte  Zurechnungsfahigkeit  in  das  Strafgesetzbuch  eingeführt  werden  solle. 
Mendel  entwickelt  an  der  parlamentarischen  Geschichte  der  Entstehung  des  jetzigen 
Strafgesetzbuches,  dass  das  System  der  mildernden  Umstände  die  geminderte  Zu- 
rechnungsföhigkeit  ersetzen,  sollte.  Die  Annahme  JoUy's,  dass  jene  gar  nicht  dazu 
bestimmt  sein  konnten,  widerlegt  sich  durch  die  Erklärungen  des  Berichterstatters 
V.  Schwartze  (Stenogr.  Bericlite  des  Reichstags  1870.  I.  S.  233).  Allerdings  sind 
die  Versuche,  die  mildernden  Umstände  auf  sämmtliche  Delicto  auszudehnen,  wie  sie 
z.  B.  von  den  Abgeordneten  Lasker  und  Becker  bei  dem  Morde  versucht  wurden, 
an  dem  entschiedenen  Widerspruch  der  Regierung  gescheiteri  Nichtsdestowemger 
ist  die  Sache  nicht  so  schlimm,  wie  es  nach  den  Darstellungen  Jolly*s  scheinen 
könnte.  Von  seinen  177  Delicten,  bei  denen  mildernde  Umstände  nicht  zugelassen, 
fallen  104  sofort  weg,  da  bei  ihnen  ein  Strafminimum  überhaupt  nicht  angegeben, 
demnach  durch  Verhängung  von  nur  1  Tag  Gefängniss  oder  3  Mark  Strafe  jedem 
Fall  Gerechtigkeit  geschehen  könne,  bei  andern  Verbrechen  ist  durch  Fahrlassigkeits- 
Paragraphen  (Meineid)  die  Möglichkeit  gegeben,  dem  subjectiven  Zustand  des  Thäters 
gerecht  zu  werden. 

An  eine  Ausdehnung  der  mildernden  Umstände  auf  die  Verbrechen,  bei  denen 
sie  1870  nicht  zugelassen,  ist  bei  der  jetzigen  Zusammensetzung  des  Reichstages 
nicht  zu  denken ;  bekannt  ist  ja  auch,  dass  im  Allgemeinen  seitdem  sich  vielmehr  die 
Absicht  geltend  gemacht,  das  Strafgesetz  zu  verschärfen,  als  zu  mildern.  Eine  Zu- 
lassung einer  verminderten  Zurechnungsfahigkeit  würde  mit  Nothwendigkeit  eine  Um- 
arbeitung des  Strafgesetzbuches  in  Bezug  auf  die  Zulassung  mildernder  Umstände 
herbeiführen.  Die  geminderte  Zurechnungsfähigkeit  als  solche  ist  aber  von  einer 
Reihe  von  hervorragenden  Psychiatern  als  ein  zweifelhaftes  Geschenk,  von  einem 
grossen  Theil  von  Juristen  als  eine  juristische  Unmöglichkeit  dargestellt  worden. 
Vortragender  selbst  kann  Bedenken  nicht  unterdrücken,  dass  unzweifelhafte  Fälle  von 
Geisteskrankheit,   welche   unter   den   §  51  des  Si-G.-B.  gehören,   leicht   von  nicht 

*  Cf.  d.  Ctrlbl.  1887.  S.  435  und  Ztschr.  f.  Psych.  XLIV.  S.  461. 


—    543    — 

psychiatrisch  gebildeten  Sachverstandigen  als  Fälle  von  verminderter  Zurechnungs- 
fahigkeit  erklärt  werden  würden. 

Wenn  man  aber  über  all  diese  Bedenken  hinweg  sich  setzen  und  lediglich  den 
principiellen  Standpunkt  festhalten  wollte,  dann  müsste  man  nicht  mit  Baisonnements, 
die  zum  so  und  sovielsten  Male  voi^ebracht  werden,  sondern  mit  Thatsachen  kommen, 
man  müsste  bestimmte  Fälle  anführen,  in  denen  das  jetzige  Strafgesetzbuch  die  be- 
hauptete Lücke  gezeigt  habe.  Davon  ist  nichts  geschehen.  Der  einzige  von  JoUy 
angeführte  Fall  beweist  das  Qegentheil  von  dem,  was  er  beweisen  soll. 

Im  Uebrigen  glaubt  Redner,  dass  für  die  Fälle,  die  in  Betracht  kommen,  von 
viel  grösserer  Wichtigkeit  der  Strafvollzug,  als  die  etwas  längere  oder  kürzere 
Strafe  sei.  Bei  einem  Gesetzentwurf  über  den  Strafvollzug  in  Deutschland,  der  ja 
noch  aussteht,  würden  die  Psychiater  vor  Allem  ihre  dessfallsigen  Wünsche  vor- 
bringen können. 

Ck>rTeferent  Grashey  (München):  Der  Antrag  Professor  Jolly*s  stützte  sich 
auf  die  Annahme,  dass  wohl  jeder  Psychiater  in  seiner  forensen  Thätigkeit  mne  Lücke 
des  deutschen  Strafgesetzbuches  in  der  Znrechnungsfähigkeitsfrage  würde  gefunden 
haben,  dass  die  Gründe,  die  gesetzliche  Bestimmungen  über  geminderte  Zurechnungs- 
flhigkeit  hintan  hielten,  formeller  und  doctrinärer  Natur  gewesen  seien,  dass  der  Sach- 
verständige im  concreten  Falle  nicht  blos  Geistesstörung  nachzuweisen  habe,  sondern 
einen  erheblichen  Grad  geistiger  Störung,  dass  das  deutsche  Strafgesetzbuch  keine 
präcise  Bestimmung  über  den  zum  Ausschluss  der  Strafbarkeit  nöthigen  Grad  der 
Erkrankung  enthalte  und  auch  keine  Bestimmungen  über  die  Fälle,  in  welchen  zwar 
psychiatrische  Symptome  nachweisbar  seien,  aber  kein  erheblicher  Grad  dieser  Er- 
scheinungen. J.'s  Behauptung,  dass  nicht  alle  Fälle  von  Geistesstörung  in  gradueller 
Beziehung  einander  gleichstehen  und  dass  nicht  alle  eine  gleiche  forense  Behandlung 
erfahren  dürfen,  sei  zweifellos  richtig,  unrichtig  aber  sei  die  Annahme,  dass  das 
Gesetz  eine  klare  Bestimmung  über  den  Grad  der  Störung  vermissen  lasse.  Das 
Gesetz  stelle  den  Grad  der  Erkrankung  dadurch  präcise  fest,  dass  es  den  Ausschluss 
der  freien  Willensbestimmung  verlange.  Daran  müsse  man  festhalten  und  in  jedem 
Falle  untersuchen,  ob  die  in  Frage  kommende  Handlung  auch  mit  krankhaften 
Symptomen  in  ursächlichem  Zusammenhange  stehe. 

§  51  des  St.-G.-B.  sei  nur  dann  anwendbar,  wenn  dieser  ursächliche  Znsammen- 
hang sich  nachweisen  lasse.  Ein  Erankheitssymptom,  welches  zu  einem  bestimmten 
Beate  nicht  in  Beziehung  stehe,  könne  die  Strafe  nicht  ausschliessen.  Verfahre  man 
in  dieser  Weise,  dann  seien  Bestimmungen  über  geminderte  Zurechnungsfähigkeit 
nicht  nöthig  und  auch  nicht  zu  befürchten,  was  unter  der  Herrschaft  der  geminderten 
Zurechnungsfähigkeit  leicht  vorkommen  könne,  dass  ein  Mensch  wegen  ein  und  der- 
selben Handlang  erst  gestraft  und  im  Interesse  der  öffentlichen  Sicherheit  nach  über- 
standener  Strafe  auf  unbestimmte  Zeit  in  eine  Irrenanstalt  gesandt  werde.  Er  bitte 
daher,  den  Antrag  J.'s  abzulehnen. 

Discussion. 

Schäfer-Lengerich.  Wenn  Mendel  erklärt  habe,  dass  für  die  Zulassung 
der  geminderten  Zurechnungsfähigkeit  nur  44  Beate  in  Betracht  kämen,  so  sei  auch 
das  genug.  Fragen,  ob  die  jetzige  Zeit  zur  Einbringung  eines  dahingehenden  An- 
trages opportun  wäre,  kämen  nicht  in  Betracht;  auch  habe  Mendel  ja  selber  gesagt, 
dass  auch  die  Juristen  sich  über  die  Frage  nicht  einig  seien.  Den  Fall  J.*s  habe 
Mendel  falsch  aufgefasst. 

Finkeinburg  (Bonn)  empfiehlt  die  Femhaltung  juristischer  oder  Opportunitäts- 
fragen  aus  der  Discussion.  Es  bestehe  eine  thatsächliche  Lücke  und  der  Verein 
müsse  auf  sie  hinweisen  und  ihre  Ausfüllung  verlangen,  gleichviel  ob  das  jetzt  opportun 
sei  oder  nicht.    F.  wendet  sich   dann   gegen  die  Ansicht  Grashey's,  als  sei  nur 


—     544     — 

dann  Straffälligkeit  yorhanden,  wenn  ein  psychologischer  Zusammenhang  zwischen 
That  und  krankhaften  Symptomen  nachzuweisen  sei;  das  sei  ein  längst  überwundener 
Standpunkt,  dessen  Annahme  zu  Justizmorden  führen  würde. 

Erafft-Ebing  (Graz)  weist  darauf  hin,  dass  in  Oestreich  generelle  mildernde 
Umstände  (§  50.  Schwäche  des  Verstandes)  im  Strafgesetzbuche  sich  finden  —  und 
sich  in  Fällen  von  geminderter  Zurechnungsfähigkeit,  die  das  Gesetzbuch  nicht  kennt, 
durchaus  bewähren.  Die  Ansicht  Gräshey's  vom  erkennbaren  psychologischen  Zusammen- 
hange zwischen  Krankheitserscheinungen  und  That  bekämpft  er. 

Grashey  erwidert  KrafiPt-Ebing,  dass  bei  der  Darlegung  der  Genese  einer  krank- 
haften Handlung  es  darauf  ankäme,  ob  der  Betrefifende  seinen  krankhaften  Impulsen 
noch  habe  Widerstand  leisten  können  oder  nicht;  nur  im  letzteren  Falle  sei  die  That 
Ausfluss  der  Krankheit.  Finkeinburg  erwiderte  er,  dass  man  in  foro  sehr  oft  ge- 
nöthigt  sei,  den  Zusammenhang  zwischen  krankhaften  Ideen  und  That  klarzulegen 
und  dass  es  schlimm  um  den  Fall  stehe,  wenn  man  das  nicht  könne. 

Schule  (lUenau).  Eine  Lücke  in  der  Gesetzgebung  sei  allseitig  anerkannt, 
diese  müsse  ausgefüllt  werden.  Ob  durch  die  Annahme  verminderter  Zurechnungs- 
fähigkeit, oder  durch  die  Ausdehnung  mildernder  Umstände  auf  alle  Beate,  sei  ziem- 
lich gleich.  Er  selber  scheue  sich  vor  dem  Begriff  der  geminderten  Zurechnungs- 
fähigkeit nicht.  Der  Ansicht  Grashey*s  könne  er  sich  nicht  anschliessen,  man  könne 
nie  mit  Bestimmtheit  sagen,  dass  ein  Zusammenhang  zwischen  Krankheitsideen  und 
Handlung  nicht  bestehe. 

Die  Versammlung  nimmt  darauf  einstimmig  die  von  Mendel  beantragte  Reso- 
lution, in  der  auf  Wunsch  Schüle*s  die  Forderung  nach  Thatsachen  noch  etwas 
schärfer  hervorgehoben  wurde,  an: 

Scharfe  Grenzen  zwischen  geistiger  Gesundheit  und  Geisteskrankheit  bestehen 
nicht  Das  Strafgesetz  hat  auf  diejenigen  Thäter  einer  strafbaren  Handlung,  welche 
sich  auf  diesem  Grenzgebiet  befinden,  billige  Rücksicht  zu  nehmen.  Thatsächlich 
ist  dies  in  dem  jetzt  bestehenden  Recht  bei  einer  Anzahl  verbrecherischer  Hand- 
lungen nicht  geschehen.  Der  augenblickliche  Zeitpunkt  scheint  jedoch  nicht  ge- 
eignet, an  die  zuständigen  Behörden  mit  der  Forderung  auf  eine  Abänderung  des 
Strafgesetzbuches  nach  dieser  Richtung  hin  vorzugehen.  Zur  endgültigen  Ent- 
scheidung über  die  Frage  wird  an  die  Mitglieder  des  Vereins  die  Aufforderung 
gerichtet,  einschlägige  Thatsachen  zu  sanmieln  und  zu  publiciren,  welche  die  Lacke 
der  Gesetzgebung  beweisen  können. 

2.  Mendel:  Beferat  über  den  Entwarf  eines  bürgerlichen  GtoBetzbuoheB  für 

das  deutsche  Reich. 

§  28.  Eine  Person,  welche  des  Vemunftgebrauchs  beraubt  ist,  kann  wegen 
Geisteskrankheit  entmündigt  werden.  Hört  der  im  ersten  Absatz  bezeichnete  Zu- 
.stand  auf,  so  ist  die  Entmündigung  wieder  aufzuheben. 

Den  Fortschritt,  welcher  in  dem  §  28  gegen  die  bisher  bestehende  Gesetzgebung 
liegt,  zuerst  hervorhebend,  wendet  er  sich  sodann  gegen  den  Passus:  welche  des 
Vemunftgebrauchs  beraubt  ist.  Er  weist  nach,  dass  weder  das  Römische  Recht 
(mente  captus),  noch  die  späteren  Gesetze,  welche  den  Ausdruck  aufgenommen,  noch 
die  Commentare  zu  diesen  Gesetzen,  noch  die  Entscheidungen  oberster  Gerichtshöfe 
erkennen  lassen,  was  darunter  zu  verstehen  sei.  Die  Philosophie  giebt  ebenfalls 
keinen  Aufschluss,  der  Sprachgebrauch  des  Volkes  lässt  auf  die  grösste  Zahl  der 
Geisteskranken  jene  Bezeichnung  nicht  zu,  die  psychiatrische  Wissenschaft  perhorres- 
cirt  ihn.     Er  schlägt  vor,  zu  sagen 

principaliter;  Eine  Person,  welche  an  einer  Geisteskrankheit  leidet,  kann  ent- 
mündigt werden. 


—    645    — 

evoDtaaliter:   Eine  Person,  welche  wegen  Geisteskrankheit  nicht  im  Stande  ist, 
für  sich  oder  für  ihr  Vermögen  gehörig  zn  sorgen,  kann  entmündigt  werden. 

Ausser  bei  den  Geisteskranken  and  den  Verschwendern  sollte  auch  die  Möglich- 
keit gegeben  werden,  die  Gewohnheitstrinker  zn  entmündigen,  eine  Forderung,  welche 
anch  der  Juristentag  soeben  erhoben  hat.  Das  entscheidende  Moment,  welches  der- 
selbe anf  die  „Gefährlichkeit''  des  Trinkers  legt,  ist  nach  psychiatrischen  Erfahrungen 
viel  zn  eng. 

Die  „blosse  Geistesschwäche''  sondert  der  Entwurf  aus,  er  wül  sie  nicht  als 
Grund  der  Entmündigung  zulassen  und  verweist  sie  auf  §  1739  mit  einer  Pfleg- 
schaft. Diese  Auffassung  ist,  wie  die  über  den  mente  captns,  aus  dem  Fatuus  des 
römischen  Bechts  enstanden.  Der  Geistesschwache  ist  ein  Geisteskranker,  bedarf  der 
Vormundschaft. 

Unzweifelhaft  ist  es  Sache  des  Gresetzgebers,  die  Merkmale  zu  bestimmen,  welche 
nothwendig  sind,  um  einen  Geisteskranken  als  unter  den  besonderen  Schutz  des 
Staates  gehörig  zu  betrachten,  und  über  ihn  die  Entmündigung  zu  verhängen,  aber 
die  Merkmale  müssen  aus  der  zur  Zeit  erlangten  wissenschaftlichen  Kenntniss 
der  Geisteskrankheiten  entnommen  werden,  nicht  aus  der  dürftigen  Psychiatrie  der 
alten  Römer. 

Vortragender  wendet  sich  sodann  zur  Besprechung  des  §  64  des  Entwurfs 
(Geschäftsfähigkeit),  hebt  die  correcte  Auffassung  der  Lucida  intervalla,  welche 
durch  denselben  geschaffen  wird,  hervor,  bemängelt  auch  hier  den  Ausdruck:  „des 
Vemunftgebrauchs  beraubt",  und  glaubt,  dass,  da  hier  die  Geschäftsfähigkeit  unter  den- 
selben Umständen  (cf.  Motive)  aufgehoben  wird,  wie  die  Zurechnungsfahigkeit  im 
§  51  des  St.-G.-B.,  auch  dieselbe  Bezeichnung,  wie  an  letzterer  Stelle  gewählt  werden 
sollte,  also:  Dasselbe  gilt  von  einer  Person,  welche,  wenn  auch  nur  vorübergehend, 
in  einem  Zustand  von  Bewusstlosigkeit  oder  krankhafter  Störung  der  Geistesthätig- 
keit  sich  befindet,  für  die  Dauer  dieses  Zustandes. 

(Der  Vortrag  erscheint  in  extenso  in  der  £ulenberg*schen  Vierteljahrsschrift.) 

Pelmann  (Gräfenberg)  hat  nur  über  §  708  zu  berichten,  und  zwar  auch  nur 
in  soweit,  als  er  die  Beschränkung*  enthält,  dass  auch  eine  des  Vemunftgebrauchs 
beraubte  Person  f&r  angerichteten  Schaden  verantwortlich  gemacht  wird,  wenn  der 
Vemunftgebrauch  durch  selbstverschuldete  Betrunkenheit  ausgeschlossen  war.  In 
dieser  Beschränkung  liegt  etwas  Neues,  das  wir  als  den  ersten  Schritt  nach  dieser 
Richtung  hin  mit  Freuden  begrüBsen.  Zu  beachten  ist  einerseits,  dass  die  Nicht- 
Aufhebung der  Delictfähigkeit  durch  Verschulden  auf  diesen  einzigen  Fall  (durch 
Berauschung)  beschränkt  ist  und  dass  eine  Delictsfähigkeit  eintreten  kann,  wo  die 
Geschäftsunfähigkeit  bestehen  bleibt. 

Auch  bleibt  anerkannt,  dass  ein  intensiver  Rausch  an  sich  die  Zurechnungs- 
ßihigkeit  aufheben  kann,  aber  auch  ein  solcher  Rausch  entschuldigt  nicht,  wenn  er 
ein  selbstverschuldeter  ist. 

Erafft-Ebing.  Nach  §  1440  des  Entwurfs  eines  bürgerlichen  Gesetzbuches 
für  das  deutsche  Reich  ist  unheilbare  Geisteskrankheit  als  Ehescheidungsgrund  nicht 
mehr  zulässig.  Früher  war  die  Ehescheidung  bei  unheilbarer  Geistesstörung  zulässig 
im  Gebiete  des  allgemeinen  Landrechtes,  in  Baden,  Sachsen  und  Bayern.  Der  Ent- 
wurf lässt  Ehescheidung  nur  bei  Verschulden  des  einen  Theiles  zu,  also  nicht  bei 
Krankheit.  So  ist  es  auch  nach  dem  Code  civil.  R.  erörtert  dann  die  Verhand- 
lungen, die  in  Frankreich  in  Bezug  auf  die  Regelung  dieser  Frage  stattgefunden 
haben.  Besonders  sei  hervorgehoben,  dass  die  Prognose  der  Unheilbarkeit  eine  viel 
zu  unsichere  sei.  Auch  England  habe  sich  nicht  zu  Gunsten  der  Scheidung  ent- 
schieden. Die  Motive  des  deutschen  Entwurfes  haben  sich  den  mannigfaltigen  Grün- 
den, die  fOr  die  Zulassung  der  Scheidung  bei  unheilbarer  Geistesstörung  sprechen, 
nicht  verschlossen,  doch  halten  sie  die  Gegengründe  für  gewichtiger.  Sie  sind  ausser 


—    546    — 

solchen  rein  ethischer  Natur  mehr  formelle;  beliehen  sich  vor  allen  auf  die  Unsicher- 
heit der  Prognose;  dann  nehmen  sie  auch  an,  dass  das  Bedflrfniss  der  betreffenden 
ZnlassuDg  nicht  constatirt  sei.  Nach  K.  spricht  ffir  die  Zulassung  der  Ehescheidung, 
das  sittliche  und  moralische  Wohl  des  gesunden  Theiles  und  der  Kinder,  denn  un- 
heilbare Geistesstörung  sei  nicht  gleich  zu  achten  körperlicher  Erkrankung;  gegen 
dieselbe:  Bücksichten  auf  das  Institut  der  Ehe,  humane  Bücksichten  auf  den  Kranken, 
die  Möglichkeit  einer  Speculation  bei  Eingehung  einer  Ehe  mit  geisteskranken  Per- 
sonen; vor  Allem  die  Unsicherheit  der  Prognose.  Besonders  sei  es  schwierig  eine 
Zeitgrenze  zu  bestimmen,  yon  der  an  man  die  Kranken  für  unheilbar  erklaren  soll. 
K.  schlagt  schliesslich  die  Annahme  folgender  Thesen  vor. 

1.  Die  projectirte  absolute  Ausschliessung  der  Geisteskrankheit  als  Ehescheidungs- 
grund  muss  als  ein  Bückschritt  bezeichnet  werden. 

2.  Als  relativer  Ehescheidungsgrund  und  facultativ  sollte  die  Geisteskrankheit 
beibehalten  werden. 

3.  Nur  geistiges  Siechthum  und  Untergang  der  früheren  gesunden  Persönlich- 
keit bei  sachverständigem  Nachweis  der  Aussichtslosigkeit  der  Wiederherstellung  und 
nach  5j&hriger  Krankheitsdauer  sollte  als  Ehescheidungsgrund  civilrechüich  aner* 
kannt  werden. 

4.  Ist  die  Krankheit  durch  Verschulden  des  gesunden  Ehegatten  entstanden,  so 
kann  sie  kein  Scheidungsgrund  sein. 

6.  Sollte  die  Gesetzgebung  keine  Möglichkeit  der  Codification  der  Geisteskrank- 
heit als  Ehescheidungsgrund  finden,  so  möge  §  1440  nur  körperliche  Krankheit  als 
fehlenden  Grund  der  Ehescheidung  erwähnen.  Damit  bleibt  dann  die  Frage  wegen 
Geisteskrankheit  eine  offene,  dem  richterlichen  Ermessen  überlassene,  wie  in  England. 
Eventuell  könnte  sie  der  landesherrlichen  Entscheidung  überlassen  bleiben,  gleich  wie 
andere,  seltene  im  (besetze  nicht  vorgesehene  Ehescheidungsgründe. 

§  1231  spricht  aus,  dass  geschäftsunföhige  Personen  eine  Ehe  nicht  schliessen 
können.  Das  schliesst  Ehen  Entmündigter  aus.  Aber  auch  nicht  Entmündigte  können 
eine  gültige  Ehe  nicht  schliessen,  wenn  ihnen  zur  Zeit  der  Schliessung  derselben 
„mangelnder  YemunftgebraucV  nachgewiesen  wird.  Besser  wäre  hier  wohl  das  Kri- 
terium der  freien  Entschliessung;  denn  eine  Ehe  kann  ganz  vernünftig  sein,  aber 
ohne  resp.  sogar  gegen  den  Willen  des  einen  Theiles  abgeschlossen  sein. 

§  1232.  „Eine  Person,  deren  Geschäftsfähigkeit  beschränkt  ist,  bedarf  zur  Ehe- 
schliessung der  Einwilligung  des  gesetzlichen  Vertreters."  Hier  wäre  bei  Geistes- 
störung (Imbecillität  etc.)  erwünscht,  jedesmal  zu  constatiren,  ob  der  betreffenden  Ehe 
keine  ärztlichen  Bedenken,  speciell  in  Bezug  auf  die  Nachkommenschaft^  entgegen 
stehen  und  sie  in  diesem  Falle  zu  verbieten. 

§  1259  enthält  unter  anderen  die  Anwendung  auf  solche  Fälle,  in  denen  dem 
anderen  Theile  wissentlich  z.  B.  periodische  Psychosen  oder  Epilepsie,  vieUttcht  auch 
conträre  Sexualempfindung  verschwiegen  ist.  In  diesem  Falle  ist  die  Ehe  ungültig. 
Die  Entscheidung  wird  hier  nicht  selten  eine  sehr  schwierige  sein,  z.  B.  bei  Epilepsia 
nocturna. 

Die  Versammlung  beschliesst  nach  längerer  Debatte:  Der  Vorstand  möge  die 
vorstehenden  Verhandlungen,  sowie  etwa  daran  sich  anschliessende  Meinungsverschieden- 
heiten, resp.  die  betreffenden  Fragen  illustrirenden  Fälle,  die  an  den  Vorstand  ein- 
zusenden sind,  möglichst  bald  in  Druck  legen  und  bis  zur  nächsten  Versammlung 
etwa  für  nothwendig  gehaltene  Schritte  bei  der  Gesetzescommission  selbständig  thun. 

3.  Pelman  spricht  über  die  Ministerialverordnung  vom  19.  I.  1888, 
die  PrivatanBtalten  betreffend.  Da  seit  ihrer  Veröffentlichung  die  Verfügung  in 
zahlreichen  Verhandlungen  besprochen  worden  ist  und  zu  verschiedenen  Veröffent- 
lichungen geführt  hat,  so  verzichtet  der  Vortragende  auf  ein  weiteres  Eingehen  auf 


—    547    — 

die  Sache  selbst  und  richtet  an  die  Versammlang  die  Fn^e,  ob  sie  die  Verfügung 
ihrer  Allgemeinheit  nach  für  zweckentsprechend  halte,  oder  ob  sie  der  Meinung  sei, 
dieselbe  führe  zu  solchen  Missständen,  dass  ihre  Abänderung  dringend  zu  wünschen 
sei.  In  der  sehr  lebhaften  Discussion,  an  der  sich  Oebbecke,  Ehrenwall,  Nasse, 
Bruns  und  Zenker  betheiligten,  erhob  sich  keine  Stimme  für  die  Verfügung,  wenn 
sich  auch  in  der  Schätzung  des  Grades  der  Unzuträglichkeiten  für  und  wider  ver- 
schiedene Ansichten  geltend  machten.  Die  Versammlung  war  demnach  einstimmig 
der  Ansicht,  dass  eine  Abänderung  der  Verfügung  anzustreben  sei  und  sie  beauftragt 
den  Vorstand,  die  dazu  erforderlichen  Schritte  einzuleiten. 

4.   Finkeinburg  (Bonn):    Ueber  Fhrenasthenie. 

F.  hält  den  Begriff  der  Neurasthenie,  wie  er  heute  gefasst  werde,  für  einen  zu 
weiten,  er  will  ihn  enger  fassen  und  zunächst  einmal  zwei  Unterarten  charakterisiren. 
1.  Erschöpfbarkeit  der  Arbeitsfähigkeit  allein  (torpide  Form);  2.  Erschöpfbarkeit  der 
psychischen  Hemmungscentren  (erethische  Form).  Die  erste  finde  sich  besonders  nach 
'Infectionskrankheiten  und  bei  melancholischen  und  hypochondrischen  Individuen.  Sie 
sei  ziemlich  reine  Cerebrasthenie.  Sie  komme  ausserdem  hauptsächlich  nach  geistiger 
Ueberanstrengung  vor,  während  bei  der  erethischen  Form  meist  noch  Beizung  der 
emotiven  Sphäre  dazu  kommen  müsse.  Letztere  zeichne  sich  aus  durch  Mangel  an  Zu- 
rückhaltung der  Qemüthsbewegungen,  Mangel  der  Selbstbeherrschung  und  durch  starke 
Betheiligung  der  vasomotorischen  und  spinalen  Sphäre.  Sexuelle  Excesse  führten 
bei  Männern  mehr  die  erste,  bei  Frauen  die  zweite  Form  herbei.  Bei  der  ersten 
Form  genüge  die  Femhaltung  .der  Schädlichkeiten,  bei  der  zweiten  müsse  eine  active 
Therapie  eingreifen,  hier  seien  besonders  die  offenen  Anstalten  am  Platze.  Statt  des 
barbarischen  „Cerebrasthenie*'  empfiehlt  F.  den  Namen  Fhrenasthenie. 

An  der  Discussion  betheiligten  sich  Brosius  (Bendorf),  welcher  die  betr.  Fälle 
zur  Melancholie  rechnet  und  sie  in  die  geschlossenen  Anstalten  weist,  Knecht  (Ucker- 
münde)  und  Mendel.  Der  letztere  glaubt»  dass  mit  der  Einführung  der  Neurasthenie 
überhaupt  ein  Rückschritt  in  der  Nervenpathologie  geschehen  sei.  Die  Thatsachen  seien 
ja  selbstverständlich  nicht  zu  leugnen,  sie  seien  aber  auch  früher  bekannt  gewesen, 
während  man  sich  aber  früher  bemühte,  die  sog.  functionellen  Neurosen  und  Psycho- 
nenrosen  unter  Hysterie,  Hypochondrie,  Melancholie  u.  s.  w.  gesondert  zu  betrachten, 
habe  man  jetzt  Alles  zusammen  in  den  grossen  Topf  der  Neurasthenie  geworfen.  Die 
zu  lobende  Methode  Finkelnburg's,  wieder  zu  sondern,  würde  uns  dann  allmählich 
wieder  auf  den  Standpunkt  vor  der  Neurasthenie  bringen. 

5.  Bumm  (Erlangen):   Experimenteller  Beitrag  zur  Kenntniss  des  Corpus 

trapesoides  beim  Kaninchen. 

Die  nach  der  Gudden'schen  Methode  vorgenommenen  Experimente  ergeben  den 
Zusammenhang  der  hinteren  Wurzel  des  Acusticus  mit  dem  vorderen  (accessorischen) 
Kerne,  weiter  centralwärts  konnte  eine  Degeneration  nicht  verfolgt  werden.  Für  die 
vordere  Wurzel  ergeben  Durchschneidungen  dieser  selbst,  sowie  Exstirpationen  einer 
Kleinhimhemisphäre,  resp.  des  Wurmes  den  Weg  im  Corpus  restif.  zum  Kleinhirn, 
sowie  eine  Verbindung  mit  dem  feinen,  die  Fortsetzung  der  inneren  Abtheilung  des 
Corpus  restiforme  bildenden  Fasemetze  ventral  vom  Deiters*schen  Kerne. 

6.  Wildermuth  (Stetten):  Untersuchungen  über  den  Muaiksinn  der  Idioten 

(mit  Vorzeigung  von  Momentphotographien). 

Die  Mittheilungen  waren  das  Resultat  der  Untersuchung  bei  180  Idioten  ver- 
schiedenster Grade  und  85  normalen  Schulkindern.  Untersucht  werden  Treffsicher- 
heit, Harmoniesinn  und  Musikgedächtniss  bei  schwachsinnigen  Idioten  und  Gesunden. 
Danach  werden  die  betreffenden  Individuen  in  4  Klassen  eingetheilt.  I  =  gut.  IV  ==  0. 


—     548    — 

Bei  Idioten  Bei  gesnnden  Kindern. 

1-27  7o  1=60  o/o 

11=36  o/o  n«27  0/^ 

m=26  0/^  m=iio/^ 

IV-llo/o  IV=2  0/,. 

Also  ein  relativ  ^tes  Resultat  bei  den  Idioten. 

Bei  den  Blödsinnigen  konnte  nur  der  Eindruck,  den  die  Musik  macht,  im  Mienen- 
spiel constatirt  werden;  bei  25  von  30  war  der  Eindruck  ein  durchaus  freudiger. 
Bezüglich  der  Verhältnisse  zur  Aphasie  ergab  sich  das  bemerkenswerthe  Resultat, 
dass  die  kranken  mit  intellectueller  Aphasie  (Dysphasie)  meist  sehr  musikaliscli 
waren,  während  bei  Kranken  mit  motorischer  Aphasie  der  Musiksinn  meist  völlig  fehlte. 

Bei  den  Folgezuständen  der  infantilen  Encephalitis  (r.  und  L  Hemiparese)  war 
Störung  des  Musiksinnes  ohne  gleichzeitige  Aphasie  nicht  vorbanden.  Bei  sklerot^hen 
Heerden  war  der  Musiksinn  äusserst  gering  oder  fehlte  ganz. 

7.  Jehn  (Menig):  Zweifelhalte  Gtoisteesustftnde  nach  Kopfverletsung  unter 

BerüokBiohtignng  der  Haltpfliohtfrage. 

Der  Vortragende  beschränkt  sich  auf  diejenigen  leichteren  und  inconstanten, 
von  den  Praktikern  meist  verkannten  (daher  nicht  im  eigentlichen  Sinne  zweifel- 
haften) Störungen,  wie  sie  als  Folgezustände  von  Eisenbahnunfallen  in  Deutschland 
besonders  von  Oppenheim  und  Bernhardt  beschrieben  sind.  Sie  kommen  auch  bei 
andern  Verletzungen  vor.  Die  Symptome  sind  meist  psychischer  Natur  und  der 
Psychiater  ist  der  richtige  Arzt  dieser  Kranken.  Von  körperlichen  Symptomen  er- 
wähnt J.:  Schwäche  resp.  Parese  des  Facialis,  Anomalien  der  Sehnenreflexe,  Herab- 
setzung resp.  Erhöhung  des  Sexualtriebes,  bedenkliche  Störungen  der  allgemeinen 
Ernährung,  manchmal  Albuminurie.  Psychisch  treten  besonders  geringe  Arbeitsfähig- 
keit, grosse  Reizbarkeit^  geringer  Widerstand  gegen  Alcoholica  hervor;  nicht  selten 
machen  die  Kranken  den  Eindruck  leicht  dementer  und  hypochondrischer  Fälle.  J. 
bringt  mehrere  Beispiele  und  fordert  die  CoUegen  zur  Publication  aller  einschlägigen 
Fälle  auf. 

8.   Futh  (Bonn):   Ueber  symmetrisohe  AfDdotion  der  Qliedmaassen  bei 

Gteisteskranken. 

Der  erste  Fall  betrifift  eine  alkoholische  Psychose.  Es  fanden  sich  Störungen 
des  Nagelwachsthumes  und  Abstossen  der  Nägel.  Bemerkenswerth  ist  die  Symmetrie 
der  Affection,  sowie  ihre  Verschlimmerung  congruent  mit  der  Psychose.  Der  zweite  Kranke 
war  ein  Hallucinant,  der  schon  früher  häufig  an  flüchtigen  Oedemen,  localen  Schweissen 
etc.  gelitten  hatte.  Er  bekam  später  symmetrische  Gangrän  an  den  Händen.  Die 
Affection  muss  als  eine  nervöse  angesehen  werden.  Es  besteht  auch  nicht  selten 
locale  Syncope  resp.  Asphyxie  oder  localer  Ruber.  Die  Pulscurven  der  Radialarterie 
deuten  auf  eine  Lähmung  der  Gefässwände  hin. 

0.   Brie  (Bonn):   Ueber  plötsliohe  Todesfälle  bei  Psychosen. 

Verf.  will  die  nicht  selten  rasch  tödtiich  verlaufenden  Psychosen  wie  Delirium 
acutum  oder  alcoholicum  nicht  mitbetrachten;  auch  nicht  solche  Fälle^  in  denen  der 
plötzliche  Tod  die  Folge  wohl  erkannter  körperlicher  Symptome  war.  Er  erwähnt 
nur  solche  Fälle,  die  vor  ihrem  Tode  keine  Zeichen  körperlicher  Erkrankung  geboten 
hätten.  In  allen  den  Fällen  fand  sich  Fettdegeneration  des  Herzmuskels  und  Athero- 
matose  der  Gefösse.  Sie  betrafen  ungefähr  alle  Hauptarten  von  Psychosen.  Schliess- 
lich bespricht  Verf.  noch  die  Frage  des  Verbältnisses  zwischen  der  Psychose  und  der 
Herzkrankheit»  ohne  sich  zu  entscheiden,  was  man  für  das  primäre  halten  müsse. 

Die  ausscheidenden  Vorstandsmitglieder  Schule  und  Grashey  werden  durch 
Acclamation  wieder  gewählt. 


—    549    — 

Dia  SeotUm  für  Neurologie  und  Psychiatrie  auf  der  61.  Versammlung 

deutscher  NaAuforscher  und  Aerste. 

Originalbericht  von  Dr.  Nissl. 

Sitzung  am  19.  September  1888.    Ycnrsitzender  Hofrath  Meynert. 

Bastelberger  (Eichberg)  spricht  über  Technik  und  Werth  mikrophoto- 
graphischer  Präparate,  besonders  des  Centralnervensystems.  Bei  Ausführung 
der  Photographien  empfiehlt  er  besonders  das  nasse  Vorfahren.  Vortragender  betont 
fürs  Erste  den  objectiven  Und  zuverlässigen  Gopirapparat  in  der  miln'ophotographischen 
Kammer,  durch  welche  es  möglich  ist,  bald  vergängliche  Präparate  zu  fixiren.  Zweitens 
legt  er  Werth  auf  die  MÖglichlseit,  exacte  Messungen  anzustellen,  wenn  man  das 
Ocularmikrometer  mit  photographirt.  Drittens  schlägt  er  vor,  den  Versuch  zu  unter- 
nehmen, ob  es  vielleicht  nicht  gelänge,  mit  Hülfe  der  Mikrophotographie  eine  weitere 
morphologische  Differenzirung  von  Geweben  des  Centralorgans  zu  erzielen,  die  uns 
jetzt  noch  homogen  erscheinen.  Redner  denkt  sich  dieses  in  der  Weise,  wie  z.  B. 
beim  Photographiren  ganz  verblasster  Stellen  in  Handschriften,  wo  es  manchmal  ge- 
lingt, die  Schrift  deutlich  zu  erhalten,  indem  durch  Beste  des  verblichenen  Farb- 
stoffes noch  die  für  das  Auge  unsichtbaren  ultravioletten  Strahlen  reflectirt  werden, 
die  die  photographischen  Platten  stark  afficiren. 

In  der  Discussion  empfiehlt  Mies  (Köln)  bezüglich  des  2.  Punktes  Schemata 
mit  Absdssen  und  Ordinaten  sowie  mit  eingezeichneten  Badien  und  concentrischen 
Kreisen  zu  benützen. 

Schnopfhagen  (Linz  a./D.)  erörtert  in  seinem  Vortrage  über  Faltung  der 
GroBShimrinde,  dass  die  Projections-  nnd  Associationsfasersysteme  vollständig  ge- 
sondert in  die  Binde  eintreten  und  zwar  in  der  Weise,  dass  erstere,  welche  die 
innersten  Blätter,  den  Kern  des  Marklagvrs  bilden,  die  Kämme  der  Windungen  für 
sich  in  Anspruch  nehmen,  während  letztere  nur  im  Windungsgebiete  der  Furchen 
sich  verbreiten  und  zwar  in  der  Weise,  dass  die  langem  Fasern  die  oberen,  die 
kürzeren  die  tieferen  Partien  dör  Furchen  in  Anspruch  nehmen.  Diese  anatomische 
Vertheilung  der  Fasern  ermöglicht  es,  eine  plausible  Faltungstheorie  aufzustellen, 
dahin  gehend,  dass  die  radiär  aus  den  Ganglien  in  die  Binde  einstrahlenden  Pro- 
jectionsfasem  bei  ihrem  Wachsthum  naturgemäss  die  von  ihnen  besetzten  Binden- 
gebiete zu  Wülsten  emporheben,  die  schliesslich  zu  den  vollendeten  Windungen  sich 
herausbilden  unter  Mithülfe  der  Associationsfasem,  die  längs  der  Furchenthäler  am 
allerkürzesten  sind  und  daher  nur  eine  geringe  Wachsthumsenergie  zu  Wege  bringen, 
als  Folge  deren  auch  der  Furchungsschnitt  entsteht. 

Bruns  (Hannover):   Multiple  Himnervenlfthmung  nach  Basisfractur.    Ein 
Beitrag  aur  Frage  des  Verlaufe  der  Q^schmacksnerven« 

B.  beschreibt  einen  Fall  von  Basisfractur  mit  linksseitiger  partieller  Lähmung 
des  Oculomotorius,  totaler  des  Trochleans,  Abducens  und  des  sensiblen  und  motoriBchen 
Quintns  (Anästhesie  im  ganzen  Gebiet  für  aUe  sensiblen  Beize,  Keratitis  neuropara- 
^ca,  totale  Kaoimiskellähmiug  mit  Verlust  der  faradischen  Erregbarkeit),  r.  bestand 
leichte  Abdaceoi^arese  xmd  totale  Lähmung  des  Facialis  mit  Entartungsreaction  distal 
vom  Ganglion  genicolL  Leichter  oontundirt  war  auch  der  rechte  Opticus.  Die 
übrigen  Himnerven  special  auch  die  Glossopharyngei  iatact.  Keine  Zeichen  cen- 
traler Läsionen. 

Die  mit  allen  Cautelen  ausgeführte  Geschmacksprüfung  ergab:  totale  Hemiageusie 
vom  und  hinten  auf  der  Zunge  und  am  Gaumensegel  für  alle  Geschmacksarten,  r.  auf 
der  Seite  der  Facialislähmung,  vollständiges  Erhaltenbleiben  des  Geschmackes  1.  auf 
der  Seite  der  Trigeminoslähmung« 


—    550    — 

B.  hebt  zunächst  die  Durchsichtigkeit  seines  Falles  in  pathologisch-anatomischer 
Beziehung  hervor;  derselbe  lasse  wohl  kaum  eine  andere  Deutung  zu^  als  die  einer 
totalen  Zerstörung  sowohl  des  Quintus  1.  wie  des  Facialis  r.  Er  erläutert  dann  an 
der  Hand  der  hauptsächlichsten  neueren  Hypothesen  über  den  Verlauf  der  Geschmacks- 
nervenfasem,  dass  keine  derselben  die  Störungen  in  seinem  Falle  erklärmi  könnte. 
Am  ersten  wäre  dazu  noch  die  Ynlpian'sche  Ansicht  im  Stande  (jA^t  Intermedius 
ist  Oeschmacksnerv  und  bleibt  im  Facialisstamme  bis  zum  Gkmglion  geniculi  resp. 
bis  zur  Chorda  tympani'O»  wenn  man  auch  die  zunächst  im  Glossopharyngeus  ver- 
laufenden Geschmacksfasem  der  hinteren  Znngenhälfte  durch  den  Plexus  tympanicus 
in  den  Facialis  übergehen  Hesse.  Doch  will  B.  keine  neue  Hypothese  aufstellen;  er 
stellt  nur  seinen  Fall  zur  Discussion,  um  zu  beweisen,  dass  die  Yerlaufsart  der  Ge- 
schmacksnerven keineswegs  so  sicher  constatirt  ist»  wie  man  nach  den  meijsten  deut- 
schen Lehr-  und  Handbüchern  annehmen  sollte,  was  ja  übrigens  ausser  älteren  Be- 
obachtungen auch  die  von  Gowers,  Dana  und  Vulpian,  allerdings  im  anderen  Sinne, 
wie  die  B.*s  beweisen. 

Gk>ld8t6in  (Aachen)  spricht  über  2  Fälle  von  complicirter  Fraotor  des 
Sohlftfenbelns,  bei  denen  eine  grosse  Quantität  Himmasse  verloren  ging.  In  beiden 
Fällen  befindet  sich  die  Fracturstelle  oberhalb  des  Jochbeins  linkerseits.  Das  wich- 
tigste Symptom  war  in  beiden  Fällen  eine  absolute  motorische  Aphasie.  Vortragender 
stellt  beide  nun  geheilte  Kranken  vor.  Im  Anschluss  daran  erwähnt  er  noch  einen 
Fall  von  Himabscess,  der  an  derselben  Stelle  etablirt  und  von  ihm  diagnosticirt  war, 
wie  die  Trepanation  bestätigte.  Der  Kranke  starb  4  Wochen  nach  der  Operation 
an  den  Folgen  des  dadurch  entstandenen  Gehimprolapses.  Redner  behält  sich  die 
ausführliche  Beschreibung  dieser  Fälle  vor. 

2.  Sitzung  am  20.  September.    YoraitKender  Prof.  Arndt  (Greifswald). 

Der  Vortrag  von  Prof.  Steiner  (Heidelberg)  über  Pathogenese  des  Krampfee 
(der  einen  Theil  einer  bald  erscheinenden  Arbeit  behandelt)  lässt  sich  in  Kürze  nicht 
wiedergeben.  Im  Wesentlichen  erörtert  der  Redner,  dass  die  Krämpfe,  die  man  einer- 
seits vom  Hirne,  anderseits  vom  Bückenmark  ausK^sen  kann,  wohl  von  einander  unter- 
schieden werden  müssen.  Er  behandelt  nur  die  ersteren.  Redner  postulirt^  dass 
man  den  Punkt  des  Grehimes  kennen  lernen  müsse,  von  dem  S[rämpfe  insbesondere 
epileptische  Krämpfe  ausgelöst  werden  können.  Um  diesen  Punkt  zu  finden,  müsse 
man  von  den  niedem  Thieren  (Amphiozus  lanceol.)  zu  den  hohem  experimentell 
arbeitend  vorwärts  schreiten.  Diesen  Weg  einschlagend  kommt  Redner  zu  dem 
Resultate,  dass  es  einen  Punkt  giebt,  wo  sämmtliche  Nervenfasern  des  Muskelappa- 
rates einmünden.  Er  nennt  diesen  Funkt  das  allgemeine  Bewegungscentnun.  Vor- 
tragender meint»  die  Zwangsbewegung  sei  eine  Function  dieses  allgemeinen  Bewegungs- 
centrums. Beim  Säugethier  liege  es  bereits  im  Grosshim.  Wie  die  centralen  Functionen 
überhaupt  in  der  Thierreihe  vom  Mittelhim  zum  Grosshim  wandern,  so  sei  dieses 
auch  der  Fall  beim  allgememen  Bewegungscentram. 

Nisal  (München)  spricht  über  den  Ztuiammenhang  Ton  SSellstractor  und 
Zellfünetion  in  der  centralen  Nervenselle.  Redner  erörtert,  dass  bei  den  cen- 
tralen Nervenzellen,  wenn  man  sie  nach  der  von  ihm  angegebenen  Methode  behandelt 
(Vorbehandlung  mit  Alkohol  und  Tinction  mit  einer  wässrigen  Lösung  einer  bestimmten 
Anilinfarbe  [Magenta]),  viele  Formen  von  Zellstracturen  vorhanden  sind.  Aus  dieser 
grossen  Grappe  von  ZeUstmcturen  kommt  eine  derselben  gesetzmässig  und  ausschliess- 
lich in  allen  motorischen  Nervenkemen  und  im  Vorderhom  des  Rückenmarkes  vor 
und  zwar  wurde  sie  bis  jetzt  beim  Kaninchen,  Hunde,  Katze  und  beim  Menschen 
constatirt.  Diese  Zellen  haben  einen  ganz  bestimmten,  eigenartigen  inneren  Bau  und 


—    551     — 

untersclieiden  sich  deatlich  darch  ihre  Structur  von  andern  Zellformen,  die  an  Orten 
zu  finden  sind,  die  niemals  motorische  Functionen  auslösen,  z.  B.  im  Centrum  des 
Olfactorius,  des  Opticus,  im  sensiblen  Quintuskem,  im  Acusticuskem,  im  Hinterhom 
des  Bflckenmarkes.  Die  histologischen  Structuren  der  hier  vorhandenen  Formen,  die 
Bedner  nur  gemeinsam  im  Gegensatz  zu  den  ersterwähnten  Structurformen  beschreibt, 
bieten  deutliche  in  die  Augen  springende  Verschiedenheiten,  die  sie  unschwer  von 
den  Structuren  der  Zellen  in  motorischen  Kernen  unterscheiden.  Aus  diesem  Befunde 
glaubt  Bedner  den  berechtigten  Schluss  ziehen  zu  dürfen,  dass  letztere  Structurformen 
mit  motorischen  Functionen  in  Zusammenhang  zu  bringen  sind.  Conseqnent  schliesst 
er  sodann  weiter,  dass  man  auch  dann  diese  Formen  mit  motorischen  Functionen  in 
Beziehung  bringen  dürfe,  auch  wenn  sich  derartige  Zellen  nicht  an  sicher  festge- 
stellten motorischen  Orten  zeigen,  z.  B.  in  der  Grosshimrinde  des  Menschen.  Bedner 
demonstrirt  diesbezügliche  Präparate,  deren  detaillirte  Beschreibung  vorausgeschickt 
wurde. 

Nach  Schluss  der  Sitzung  Besichtigung  der  Irrenanstalt  Lindenburg. 

3.  Sitzung  am  21.  September.    Vorsitzender  Medicinalrath  Dr.  Sander. 

Prof.  Arndt  (Greifswald)  spricht  über  Othftmatom.  Vortragender  tritt  der 
Ansicht  entgegen,  dass  das  Othämatom  ausschliesslich  als  eine  Folge  roher  Misshand- 
lung von  Seite  der  Pfleger  aufzufassen  sei,  sondern  hält  es  für  die  Folge  einer  Er- 
nährungsstörung, auf  Grund  deren  freilich  das  Othämatom  in  fast  allen  Fällen  durch 
ein  Trauma  und  zwar  selbst  durch  ein  ganz  leichtes  Trauma  (z.  B.  Beiben  an  der 
Goncha)  in  letzter  Instanz  hervorgerufen  wird.  Bezüglich  der  Ernährungsstörung 
handelt  es  sich  um  ein  anatomisch  verändertes  Gewebe  im  Sinne  Ludwig  Meyer*s. 
Bedner  will  durch  seine  Ausführungen  die  Anklage  gegen  Anstaltsärzte  und  Pfleger, 
als  seien  in  jedem  Falle  von  Othämatom  rohe  Misshandlungen  die  Ursache,  entlasten 
—  eine  Ansicht,  die  namentlich  von  den  Chirurgen  getheilt  wird.  Vortragender  er- 
wähnt eines  Falles  von  idiopathischem  Othämatom.  Was  die  Behandlung  der  Othäma- 
tome  anlangt,  empfiehlt  Bedner  conservative  Therapie.  Zum  Schlüsse  werden  Zeich- 
nungen mikroskopischer  Präparate,  femer  Gypsabgüsse  von  Othämatomen  gezeigt. 

Das  Besum^  aus  der  sich  an  den  Vortrag  knüpfenden  Discussion  lässt  sich  dahin 
zusammenfassen,  dass  gerade  die  Ueberzeugnng,  dass  das  Othämatom  als  Folge  von 
grob  traumatischen  Einwirkungen  aufzufassen  sei,  ungemein  segensreich  in  Bezug  auf 
die  praktische  Irrenpflege  gewirkt  habe.  Man  verdanke  es  Gudden,  der  diese  Auf- 
fassung zuerst  aufstellte,  dass  die  Othämatome  fast  gänzlich  aus  den  Irrenanstalten 
verschwunden  seien.  Man  müsse  deshalb  in  der  Praxis  an  dieser  Ansicht  festhalten. 
Dass  eine  gewisse  Prädisposition  zum  Othämatom  beim  Paralytiker  vorliege,  ist  schon 
deshalb  anzunehmen,  weil  Epileptiker,  die  doch  vielen  traumatischen  Einflüssen  aus- 
gesetzt seien,  selten  Othämatome  bekommen.  Laudahn  (Köln)  erwähnt  ausserdem 
noch  2  Fälle  von  Othämatom  ohne  nachweisbare  Ursache. 

Mies  (Köln):  Ueber  das  Gtohimgewioht  neugeborener  Kinder. 

Vortragender  sagt,  dass  die  Ergebnisse  verschiedener  Forscher  über  das  Gehirn- 
gewicht von  einander  abweichen,  ja  sogar  sich  widersprechen.  Dies  rührt  her  von 
der  Berücksichtigung  unbrauchbarer  Fälle  und  von  der  geringen  Verwerthung  der 
Beobachtungen.  Oft  findet  man  nur  das  geringste,  mittlere  und  höchste  Gehimgewicht, 
zuweilen  sogar  ohne  Angabe  der  Zahl  der  Beobachtungen.  Das  Verhältniss  zwischen 
Gehimgewicht  und  Körpergewicht,  sowie  das  bei  fast  immer  mehr  oder  weniger 
abgemagerten  menschlichen  Leichen  zuverlässigere  Verhältniss  zwischen  Gehimgewicht 
und  KörperläDge  wurden  vielfach  ausser  Acht  gelassen. 

Eine  bessere  Verwerthung  der  Fälle  zeigt  Vortragender  an  dem  Gehimgevrichte 
neugeborener  Kinder.    Das   mittlere   Gehimgewicht  von  203  lebend   neugeborenen, 


—    552    — 

ausgetragenen  Kindern  ist  339,35  g.  Darunter  befinden  sieb  21  noch  nicht  Ter- 
öffentlicbte  Fälle,  welche  Vortragender  der  Gflte  des  Herrn  Obermedicinalratfas  von 
Volt  verdankt.  Die  übrigen  F&lle  sind  aus  der  gesämmten  Litterator  zusammenge- 
stellt. Nur  bei  148  Kindern  ist  das  Geschlecht  angegeben,  nämlich  bei  79  Knaben 
und  €9  Mädchen.  Erstere  haben  ein  mittleres  Gehimgewieht  yon  339,25  g,  letztere 
von  329,99  g.  Das  mittlere  Gehimgewicht  der  Knaben  ist  also  2,73  ^/^  schwerer 
als  das  der  Mädchen. 

Die  durch  einige  geringe  oder  hohe  Angaben  leicht  beeinflussten  Mittelzahlen 
haben  aber  viel  weniger  Werth  als  Mittelgebiete,  d.  h.  die  Abgrenzung  von  Gebieten, 
innerhalb  deren  eine  verhaltnissmässig  grosse  Zahl  von  Beobachtungen  sich  einreihen. 
Zur  Beslimmung  der  Mittelgebiete  gebraucht  man  die  einzelnen  Beobachtungen.  Kur 
bei  77  Neugeborenen  fand  Vortragender  das  Gehimgeincht  einzeln  angeführt  Von 
diesen  77  Fällen  hatten  21  oder  27,27  ^/o  Gehirne,  die  370 — 399,9  g  wogen.  Das 
Mittelgebiet  des  Gehimgewichts  der  darunter  befindlichen  Knaben  liegt  tiefer,  ist 
ungünstiger  als  das  der  Mädchen.  Das  mittlere  Gehimgewicht  dieser  77  Fälle  ist 
nur  361,33  g,  so  dass  ein  385  g  schweres  Grehim  eines  neugeborenen  E[indes  diesem 
mittleren  Gehimgewieht  gegenüber  mehr  als  mittelschwer  erscheint^  während  ee  in 
der  Mitte  des  Mittelgebietes  liegt. 

Um  die  zur  Berechnung  des  relativen  Gehimgewichts  unbrauchbaren  Fälle  aus- 
zuschalten, müsste  man  zuerst  das  Mittelgebiet  des  Körpergewichts  und  der  Körper- 
länge neugeborener  Kinder  kennen,  Mittelzahlen  genügen  nicht.  Das  Mittelgebiet  lies 
Verhältnisses  zwischen  dem  Gehimgewieht  und  Körpergewicht  (auf  1  g  Gehimgewieht 
bezogen)  lag  zwischen  7,5  und  8,5;  d.  h.  auf  lg  Gehirn  kamen  7,5 — 8,5g  Körper. 
Das  Mittelgebiet  war  bei  den  Knaben  günstiger  als  bei  den  Mädchen,  vielleicht  weil 
die  Knaben  atrophischer  als  die  Mädchen  waren.  Denn  bei  grosser  Körpergewichts- 
Abnahme  nimmt  das  Gehimgewieht  viel  weniger  ab.  Das  Mitt^lgebiet  des  Verhält- 
nisses zwischen  Gehimgewieht  und  Körperlänge  lag  zwischen  1,225  und  1,375  mm; 
d.  h.  auf  ungefähr  1^^ — 1^/3  mm  kam  lg  Gehim.  Die  auch  hier  günstigere  Stel- 
lung der  Knaben  ist  wegen  der  geringen  Anzahl  der  Fälle  noch  nicht  bewiesen. 

Zum  Schlüsse  empfiehlt  Vortragender  das  Verhältnias  zwischen  den  (durch  Ver- 
drängung 4^0.  warmen,  destillirten  Wassens  bestimmten)  Volumina  des  Gehirns  und 
Körpers  zu  berechnen.  Dividirt  man  dann  die  auf  lg  Gehim  kommende  Köiper- 
masse  durch  das  auf  ein  Kubikcentimeter  Gehim  kommende  Körpervolum,  so  erhält 
man  einen  Quotienten,  welcher  angiebt,  wie  viel  das  spedfische  Gewicht  des  Körpers 
betrüge,  wenn  das  specifische  Gewicht  des  Gehirns  gleich  1  gesetzt  würde. 

Samelsohn  (Köln)  spricht  über  eine  seltene  Affection  des  Sympathicns. 

Die  Details  dieses  Vortrags  werden  denmächst  veröffentlicht. 
Schluss  der  Sitzungen, 


IV.  Personalien. 

Unser  verehrter  Mitarbeiter  Herr  Prof.  Dr.  Fr.  Schnitze  in  Dorpat  wurde  zum 
Prof.  ord.  und  Director  der  med.  Klinik  in  Bonn  berafen  und  hat  den  Buf  angenommen. 


Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Heransgeber  wird  gebeten. 


Einsendimgen  für  die  Bedaction  find  zu  richten  an  Prol  Dr.  £.  Mendel, 

Berlin,  NW.  Schiffbauerdamm  20. 


Verlag  von  Veit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzgbb  ft  Wimo  in  Leipzig. 


NeurologischesCentralblatt. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geistesicranicheiten. 

Heraasgegeben  Ton 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  »boüii.  Jahrgang. 

MonaÜich  exscheineii  zwei  Nmnmeni.   Preis  des  Jahrganges  20  MarL   Zu  beziehen  doroh 
alle  Bachhandlangen  des  In-  and  Aaslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direet  von  der  Yerlagsbaohhandlang. 


.;  I    '.  :     Tl.-'     ■•■        VT     ■'•'         TT—T— r 


1888.  15.  Oetober.  No:20. 


Inhalt.  I.  Orlginalmltthenungen.  l.üeber  den  Einfinss  der  Hirnrinde  auf  die  Speichel- 
aeeretion,  Yon  F^of.  Dr.  W.  Bochtarew  and  Privatdocent  Dr.  N.  Mlslawt ky.  2.  üeb^  die  Un- 
gleichheit der  Kniephänomene  bei  Tabes  dorsalis»  Yon  Dr.  8.  Goldflam  (Schlass). 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  Zar  Frage  Über  den  Ban  des  hinteren  Längsbündels,  Yon 
lahowMko.  2.  Sa  aloani  miglionmenti  deUa  tecnica  della  reazione  al  nitraio  d'argento  nei 
centri  ^ervosi  per  ottenerla  sa  pezzi  di  grandi  dimensioni,  pel  Martlnoitl.  -r-  Experimen- 
telle Physiologie.  8.  üeber  die  VerandeniDgen  des  Centrainer vensystems  in  Abhängig- 
keit von  künstlich  erzengter  Hyperämie,  von  Kusnazow.  4.  Inflaence  des  ezcitations  simplea  et 
^Ueptog^nes  .dn  cerveaa  sar  Tappareil  oircalatoire,  par  Fran^ols-Franck,  5.  Ueber  das  Cen- 
tnim  ano-vesicale,  Yon  Rotenthal.  6.  üeber  eine  Eeflexwirkang  anf  die  Athmang  bei  Bleiznng 
der  ComearAeste  des  Trigeminns;  Yon  Qflttmann.  —  Pathologische  Anatomie.  7.  Les 
Porenc^phalies,  aar  Audry.  8.  Solle  granalazioni  deirependima»  pel  Baron^inl.  9.  Beitrage 
ZOT  Maskelpathologie,  Yon  Krauss.  10.  Veränderangen  im  Rückenmarke  des  Menschen  nach 
.nmiter  Arsenveigiftcuig,  Yon  PopolT.  —  Pathologie  des  NerYensystems.  11.  L'oj^- 
thalmopl^e  externe  et  les  paralysiea  des  nerfs  moteors  balbaires  dana  leors  rapporta  ayeo 
le  goitre  exophthalmiqtie  et  rhysterie,  par  Ballet.  12.  Ophthsjmoplegia  externa  partialis,  by 
Slirr.  18.  Notes  of  Ayo  cases  of  Ophthalmoplegia,  by  Saguln.  14.  Acnte  compkte  Aogen- 
moskellähmang,  Yon  Thomsen.  15.  Basale  and  oacleäre  Aagenmaskellahmangen,  Yon  Berq- 
hard.  16.  Ophthalmoplegia  externa.  17.  Ophthsdmoplegia  externa  dae  to  Aloohol,  by  SimA- 
ling.  18.  Moltiple  Sklerose  bei  2  Knaben,  Yon  Westphai.  19.  ProgresalYe  ünskelatröphie, 
yon  Hitzig«  20.  H^miatrophie  cong^nitale  de  la  langae,  paralysie  sp^tiqae  des  extr^mitös 
inflrieores,  üär  Prancotte.  21.  Observation  de  myopathie  progresslYe  primitive  ä  type  fado- 
-Kapolohamoral»  par  Spillmaim  et  Haiislialtar.  22.  Hemiatrophia  üftdalis  progressiva,  ron 
Bachterew.  28.  De  la  paralysie  faciale  des  noavean-n^,  par  Stephan.  24.  De  la  paralysie 
faciale  tardive  dans  les  fractores  da  rocher,  par  Demoulln.  25.  Contribato  alle  stadio  della 
localizzazione  del  riflesso  patellare  nel  midollo  spinale,  pel  Fornario.  7-  Psychiatrie. 
26.  Cocain  and  Morphinismos,  von  Oberstsiner.  27.  Üeber  die  Psychosen  in  der  ^nzelhaft, 
▼OD  Kim,  28«  La  CatatoHie^  par  8<gUs  et .  Chailin.  29.  Ueber  KatatoDie^  yon  Taaiburlnl. 
SO.  La  gaarigione  della  pazzia .  cronica»  pel  Gucci.  81,  M^galomani^j;  mort  sabite  par.  rap- 
tare  ad  coear,  par  MeTlhon. 

Hl.  Varmischtet. 

Bariefctigung. 


.  tm^mmimmmmmmmmtkmmt^^mmtmmmmmmmm^t^mi^^mmm^m*' 


L  Qrlginalmittlieilungen« 


-  ► 


iä  '■ 


1.   Ueber  den  Binflnss  der  Hirnrinde  ftnf  die 
,  i  .'.  j  r  i.       1      SpeicheJsecretioii, .  fi 

von  Prof.  Dr.  W.  Bepllterew'iind  Pnvat-Dacent  Dr.'Ä,  Mislawsky. 

üeber  die  Innervation 'der  Spei6beldrd8e&  säitmc^  d^^^!BErnnnde  ha^^    wir 
bis  jetzt  nur  spärliche  Eenntniss.  Die  ersten  poätFVoh  Ai^tien  •  tber  den  Ein- 

82 


T'  l      y 


554    — 


•  * 


&iss  { 'b^fltiiiQiier  Efezirbe  fier  Hirnrinde  atif  4^e  j^i^bettbaoaieintng!  fiddeB  mr 
bei  Lepine  und  Bochefontactb.^  Diese  Autoren  überzeugten  sich,  dass  Reizung 
3er -Toräereit  Abschnitte  der  Hemispbärea  mittelsi  'dnes  sdliwackeil  Saromtt 
SpeiQhidtibsoiuiQntiig  aäs-dien  BttbmaziUaEdrfiseir  hervorraft;  häofig  wird  auf  der 
der  Beizung  entsprechenden  Seite  der  Speichel  in  grosserer  Menge  abgesondert, 
als  auf  der  entgegengesetzten;  der  abfressende  Speichel  ist  hell,  durchsichtig 
und  bietet,  laut  der  Bßinerbuiqr.derg^snnteai  4ntor«9ii|  alle  Eigentiiümlichkeiten 
d^  «ü&  den  bei  Beizung  der  Corda  tympani  abgesonderten  Speichel  kepcBeiohnfliL 
Mit  der  Durdischneidung  des  genannten  Nerven  hört  zugleich  auch  die  durch 
Eeizung  der  Hirnrinde  herbeigeführte  Speichelsecretion  auf.  Auf  Grund  ihrer 
Untersuchungen  geben  die  beiden  Autoren  keine  abschliessende  Antwort  auf  die 
Frage;  ob  es  in  der  Hirnrinde  solche  Punkte  giebt,  deren  Beizung  in  der  er- 
wollten  Beziehung  besonders  wirksam  w&i-e.  Ihrer  Meinung  nach  wird  Speiebel- 
absonderung  hervorgerufsn  durch  die  Erregung  sammtlicher  Punkte  L  der  nn- 
ioittelbar  hinter  dem  8u)ö.  cmciatus  liegenden^  Begioli,  '2.  der  Begioni  weldie 
sich  von  der  genannten  Furche  nach  vorw9;rt8  bis  zum  Lobus  olfactorius  erstreckt 
md  8;  der  ?0n  dem  Sole,  crnäatus  nach  abwärts  liegenden  Begion.  Die  Oo- 
dpitalregionen  dagegen  haben  in  der  fraglichen  Beziehung  einen  sehr  schwachen» 
oder  gar  nur  einen  zweifelhaften  Skiflass.^ 

In  ihrer  Mittheilung  berücksichtigen  die  genannten  Autoren  auch  die  Ex- 
perimente TOB  KÜI4Z,'  welcher  bei  eiaer  in  kurzen  Zeitzwischenraomen  wieder- 
holten Beizung  des  Hitzig'schen  Facialisceptrum  keine  Steigerung  der  Speichet- 
secretiom  aus  den  Submaxillardräsoi  gesehen  hatte.  Gegenüber  diesen  Angaben 
voii  EüLz  vertreten  Böchefontaike  und  Lepimib  die  Ansicht^  dass  der  die 
Speichdjsecretion  beeinflussende  Bindenbezirk  sich  von  den  vordersten  Theilea 
der  Hemisphären  nach  rflckwärts  bis  einschliesslich  des  Hitäg'schen  Fadalis^ 
eentrum  erMrecke. 

Es  ist  übrigens  nicht  überflüssig ,  hier  noch  beizufSgen^  dai^  Eülz  söwoU 
•wie  auch  Bbaun^  bei  länger  anhaltender  Beisong  der  obeii  erwähnten  Binden- 


^  Ia^inv».  BpcHBFONTAura,  Qaz,  m^.  1875. . 

'  -  "In  einer  meiner  späteren  Arbeiten  gkibt  Bo<»SFÖNfAiKB  (Areh.  de  phy».  norm.  elpAlK. 
1S76.  p.  16 ij  die  Begionen  der  Hirnrinde  genauer  an,  welche  SpeicheUecretion  henrorrafeo. 
Seinen  Experimenten  znfolge  sind  die  Ferrier'Bchen  Pankte  1,  ^,  8  and  A  (]U^sh  der  Zeich- 
nung Ton  Cabyillb  und  Dübet«  Tgl.  Arch.  de  phys.  1875),  gleichwie  der  d«m  FmMT'achen 
Puiiktti'4"gegeull[ieiliegcune,  hinter"  den*  3ulcitB  ciuviAiiu  getegene  "srnnit  bbb  veseinen'  wira* 
sam  anzusehen.  Etwas  schwächer  wirken  auf  die  Speichelsecretion,  zufolge  BocHSFOirnnB, 
die  unmittelbar  tot  dem  Gyr.  sigmoideus  liegenden  Windungeif,  gleichwie  der  dem  Lob.  ol« 
factorius  anliegende,  supraorbitale  Theil  des  Stimlappens.  Ausserdem  wurde  in  den  Experi- 
menten des. genannten  fieobaehtarsSpeielMlaeQiftaettTielmakdiMvhMräig;^ 
Punkte  11  und  15  hervorgerufen  und  in  zwei  Fällen  endlich  erzielte  der  Autor  eine  merk- 
liche Steigerung  der  Secretion  aus  der  Submaiillardrtbe  mit  Hfilfe  der  Faradisation  der 
äusaereo-pbercn  .und  der  änsseren-mittlereu  Windungen  (ciropuTo^i^t.  ezte]::ne  supdrieure  et 
externe  ^oyenne),  welche  hinter  den  Ferrief'schen  Centren  10  und  17  gelegen  sind. 

^  Kfli.2.    Centnffl)].  L  d.  med«  WisaeBaob.  I815r  p«  419. . 

.[  *:lteKaAM)'»  BritiMe.  VIL  «. 


—    565    — 

Tegion  eiDe  tob  Anergischef  BpeiebelseeTeiäon  begleitete,  sUrke  Cott« 
traction  der  Gedchtsmuskeln  wie  auch  benachbarter  Muskelgrappen  beobachteten.^ 

TTnsere  Sipemiiente  wurden  an  oaratnirteti  'HmrdeDf  ani^fAhtti  'denen 
ßta^iB  in  die  Wharton'scbön  Gange/ in  ihekreren  l!zpenttie»teii  aber  aneseiteitf 
noch  deiche  in  den  Btenon'sdien  Gang«  eiiigef&hrt  waren«  Tixet  Beg&Mnm^dei 
Speiehelstoetiom  warde  der  Bpeiohd  entweder  in  gradiai»n  Glaeqylifidcan  ixxP 
getegieni  an  dessen  Theänngen  d«in  die  Qnantittt  des  binneii  jeder  litmrfi 
abgesonderten  Speichels  abgelesen  Wurde,  oddr  es  wiirdeki  die  an»  jeder  dev 
CamBen;  lffind>Menden  Tiepffan  ge^ahtt;  Die'  letztere  Me&ode'  wandten  wi^ 
fibfigens  w^  seltener  an,  als  die  ersMbesekriebene.  •     ^  :.  '   .; 

Den  Sehadel  erdfiheten  wir  in  nnseieil  Yereoeben  Jedesmal  bi  gtosser  Äxa^ 
debauBg,  nm  datin  die  TecBchiedenen^  Punkte  d^  Hbnobevflftobe  nach  einande» 
btnäobtliab  ihres  EiaAussee  auf  die  Spdcheiseeretiott  zu  fMeä.  Zb  diesem;  Bs^ 
Imfe  wurde  mittdrt  zweier  nahe  bei  einander  lisgenden  Nadelelekirodeii  ei» 
eebwacher  Strom,  von  der  seeuadfaen,  BoU»  des  du  BoiSfBejbinniid'aehtfn  8driitlS0< 
apparates  dem  betreffenden  Punkte  zugeleitet 


I 


;.     t  ., 


vr 


Aus  unseren  Versuchen.  is)|  erae^tliob,  dass  dßij^iga  lieil  d^c  Tiertea  Ur- 
windung,  welcher  oberhalb  der  Sjlvi'sc)ien  Furche  und  nach  vom  von  derselben 
liegt  (s.  A  auf  beigefügter  Figui);  betreffe  der  Speichelsecretion  aus  der  Sub- 
maxillaris  am  wirksamsten  eflichiiuib  YW/dctti  gemmnten  Himtheile  aus  ge- 
lingt es,  die  Speichelsecretion  mit  Hülfe  so  schwacher  Ströme  hervorzurufen, 
welche,  an  anderen  Regionen  der  Hirnrinde  angewandt,  in  betreffender  Bezieh- 
tnftg^'^vdläg  wiittingdos  erscbeitien.  Webiger  scharf  aüsgesptt)c{ieik  uhd  nAr  bei 
etwas  starketetis  SliK>me  faervertr^tend  i^  der  ffi^fluss,  den  der  ganze  vtfrdete 
(nach  vom  von  dem  Sulc.  cmdatus .  gelegene)  Abschnitt  des  Gyrus  sigmoides, 
sowie  der  äussere  Theil  des  hinteren  Abschnittes  der  genannten  Windung,  die 
Wdereii  IRieife  *  d^  zweiton  und  dritten  tfrwindüng  tmd  tbeQweise  auch  nach 
tmten  von  Äer;  %hri^sbheii  futehe  liegende  Abschnitt  der  tier^n'TTrwihdung 
(s.  B  auf  beigefegtdr  Rgür)  in  der  ÄügHchen  Beziehung  Äussern  (die  ÖteTle  der 
ZWidmung).  ^  .  "   '    .  ..       . 

Was  die  SpeibfieKecretiott  aus  der  Parotis  1)etiifff>  so  äusserte  sie  sich  in 


^aiiUi^*^»««*kJaI 


Dkr  Teatt^  wardiii  a»  Viiiid^h  öittd  Naiicoie  angett^nt- 


32 


—    656    — 

miseren  yersa(dien  nur  bei  Beizung  des  oben  erwähnten  Abschnittes  {J)  der 
vierten  XJrwindung. 

.  Der  Yordeiste  Absohnitt  der  Hemisphären,  namentlich  der  Stimlappen  blieb, 
trotz  der  gegentheiligen  Angaben  Ton  Lepinb  und  BöOHBFOxrTAnray  in  unseren 
Experimenten  stets  ohne  merkliche  Wirkung  auf  die  Speiehelsecrelian.  Ebenso 
wirkungslos  erwies  sich  gewöhnlich  aach  die  Reizung  der  hinteren  Abschnitte  der 
Hemisphären  (der  parietalen,  ocdpitalen  und  des  grössten  Uieiles  der  tempo- 
ralen Regionen  der  Hirnrinde).  In  einigen  Experimenten  folgte  zwar  auf  Bdzang 
der  mehr  nach  rückwärts  liegenden  Hemispbärenabechnitte  eine  Termebrte  Secre- 
tion  aus  den  SubmaxillardrüseU)  allein  es  waren  hierzu  stets  stärkere  Staröme 
erforderlich  und  auch  in  diesen  Fällen  trat  die  Secretion  erst  um  vieles  spater 
eüXf  als  in  den  Yersudien  mit  Reizung  der  vorher  erwähnten  Bezirke  der  Him- 
oberfläche.  Die  Speicbelabsonderung  ging  in  unseren  Versuchen  gxdsstenüieils 
auf  der  der  Reizung  entsprechenden  Seite  starker  vor  sich,  als  auf  der  ent- 
gegengesetzten, obwohl  wir  in  einigen  Yersudien  die  umgekehrte  Wirkung  er- 
hielten. 

Was  die  Eigenschaften  des  von  der  Submaxillaris  abgesonderten  Speidiels 
anlangt,  so  war  letzterer  bei  Reizung  der  oben  angegebenen  wirksamen  R^onen 
der  Hirnrinde  stets  dünnflüssig  und  zeigte  alle  Eigenthümlichkeiten  des  Chorda- 
Speichels.  Und  in  der  That,  die  Durchschneidüng  der  Chorda  tympani  bewirkt 
völlige  Sistirung  der  Speichelabsonderung  auf  der  operirten  Seite.  Dagegen 
äusserte  die  Durchschneidung  des  Sympathicus  in  unseren  Experimenten  nicht 
den  mindesten  Einfluss  auf  die  Speichelabsonderung.  Indess  muss  hier  bemerkt 
werden,  dass  die  Sympathicusreizung  bei  Hunden  überhaupt  nur  geringe  Speichel- 
secretion  hervorruft. 

Kasan,  Juli  1888. 


2.  TIebfer  die  Ungleichheit  der  Klniephanomene  bei 

;1[abes  doraalis. 

Von  Dr.;  8k  GMdflaoi  in  VlTarsehan. 

(SchluBs.). 

•  .  Folgender  Fall,  zweifelloser  .Tabes  beweist,  dass  die  Ungleidiheit  der  Enie- 
phänomene  ein  Ueb^angssjinptom  zu  deren  völligem  j^rloschen  bildet 

'  Fall  ÖL   [.',/'['     ,  ;\ 

Theophil  B.,  42  Jahre  alt,  kam  im  September  1883  in  die  Klinik.  Vor 
drei  Jahren  verspürte  ex  d^n  Anfaiig  des.  jetzigen  Leidens  ,^  nämlich  eine 
Schwäche  im  Kreuze,  die  lait  ^einer  SchwerbewcgUchkeit  der  Wirbelsäule,  und 
Schmerz  zwischen  den  Schulterblättern  einherging.  Er  führte  diese  Symptome 
auf  Strapazc^n  während  einer  Wagenreise  zurück  .uiid  musste  d^uial^  eine 
Weiche  im  Bette  liegen.  Nach  einigen  Monaten  fiel  ihm  sein  ungeschickter 
Gang  auf,  er  merkte,  dass.  £iein.fW.imfSträi^  Diese 


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Stöningen  wurden  allmählich  grösser,  so  dass  er  schon  vor  einem  Jahre  zum 
Stocke  Zuflucht  nahm  und  das  Gehen  ihm  überhaupt  schwer  wurde.  Bald  ge- 
sellte sich  Blasenincontinenz,  zuerst  bei  Nacht,  dann  auch  am  Tage  bei  jeder 
Muskelanstrengung  und  selbst  beim  Stehen,  der  Stuhlgang  wurde  sehr  trage. 
Im  Februar  1883  litt  er  an  starkem  Brennen  in  den  Handflächen,  an  Schlaf- 
losigkeit^ was  den  ganzen  Sonmier  üihielt  und  erst  mü&ngst  vorbeiging.  Während 
dieser  ganzen  Zeit  sass  er  im  Lehnsessel,  denn  im  Bette  steigerte  sich  das  Brennen 
in  den  Händen  und  auch  in  den  anderen,  mit  den  Bettdecken  sich  berührenden 
Hauttheilen.  —  Seit  16  Jahren  ist  er  verheirathet,  hat  9  Kinder,  ron  denen  5 
am  Leben  sind  (das  jüngste  zahlt  6  Jahre),  venerische  Krankheiten  hat  er  nie 
gehabt.  Yor  10  Jahren  hatte  er  dem  Bacchus  während  8  Jahren  stark  gehuldigt^ 
später  trank  er  nur  wenig.  Nervöse  Hereditat  besteht  nicht  Seine  Krankhat 
fuhrt  er  auf  moralische,  deprimirende  Einflüsse  in  Folge  des  Verlustes  seiner 
Stellung  zurück. 

Yen  mittlerem  Wuchs,  mittelmässig  gebaut  und  ernährt,  vorzeitig  altes  Aus- 
sehen, graues  Haar.  In  den  inneren  Organen  keine  wahrnehmbaren  Yeränderungen. 
Füsse  etwas  geschwollen,  zuweilen  wird  eine  unwillkürliche  Contraction  bald  in 
diesem,  bald  in  jenem  Muskel  der  ünterextremitäten  beobachtet.  Passive  Be- 
w^fungen  derselben  sind  ohne  Widerstand,  die  activen  energisch,  doch  mit  aus- 
gesprochener Ataxie,  die  sich  durch  eine,  bei  geschloissenen  Augen  sich  nocb 
steigernde,  zickzackartige  Bewegungen  kund  giebt  Beim  Aufidtzen  geräüi  der 
ganze  Körper  in  Wackeln  (Ataxie  des  Stammes).  Das  Stehen  und  Oehen  ist 
nur  mit  Unterstützung  möglich,  atactisch,  das  Bombei;^sche  Symptom  stark 
ausgesprochen.  Die  Kniephänomene  sind  vorhanden,  das  linke  viel  stärker  als 
das  rechte  und  überhaupt  stärker  als  normal.  —  Das  Fussphänomen  beiderseits 
vorbanden,  links  aber  viel  stärker:  Die  Flantarreflexe  sind  vorhanden,  die  der 
Cremasteren  fehlen.  —  Der  Tastsinn  ist  mit  guter  Localisation  erhalten,  das 
Schmerzgefühl  abgestumpft,  besonders  an  den  Füssen.  Es  kommt  auch  oft 
vor,  dass  der  Kranke  einen  Stich  doppelt  verspürt,  zuerst  als  Berührung,  dann 
als  Schmerz  (Remak'sches  Symptom).  Temperatursinn  auf  beiden  Füssen  abge- 
stumpft   Der  Druck-  und  MuskeMnn  intact. 

Beständiges  Abträufeln  des  Harns,  welcher  wegen  seiner  Alcalescenz  Böäiung 
und  Anschwellen  der  inneren  Schenkelflächen  und  des  Hodensacks  hervorgerufen 
hat    Stuhl  verstopft,  Erectionen  schwach. 

Die  gröbere  Eraft  ist.  in  den  oberen  Extremitäten  erhalten,  bei  feineren 
Bewegungen  (Hemdzoknopfen,  Nasenputzen  etc.)  tritt  Ataxie,  bescmdon  in  der 
rechten  Hand  auf;  Zittern  nicht- vorhaoden.  Beflexe  des  Triceps  bracfaii.verstäckb 
Passive  Bewegungen  ohne  Widerstand.    Sensibilität  erhalten. 

Seiteikd  des  Gesichts,  Zunge,  Sprache  und  Intelhgenz  keine  YeräoderungeiL 
Die  Augäpfel  können  bei  den  Seitenbewegungen  nicht  bis  an  die  äusseren- 
Eanten  geföhrt  werden,  Doppelsehen  besteht  nicht  Sehschärfe  gering,  Patient 
imterscheidet  nicht  die  Einger  in  einer  EntEomung  von  5  Schritten,  sbeakA 
Mjopifi,  welche  durch  >concave  Gläser  nur  wenig  verbessert  wird.  Linke  Pupille 


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tiel  weiter  Bis  die  rechte,  beide  reagiren  weder  saf  licht,  nöeh  anf  CioiiTer- 
genz'uiid  H^^itreize. 

Dieser  Fall  gohört  aweifellos  zur  Tabes^  es  8iH:ech0n  dafar:  die  ansgeeprodiene 
Ataiie  der  Extrooiitaten  und  des  Stammes,  die  diarakteristisoben  partidlen  8tö- 
rangen  der  Sensibilität,  die  Blasenstömngen,  die  re&ectorische  Papülenstarre,  die 
Parese  dier  ansehen  Angenmnskeln  jl  s.  w.  Zum  voUständigen  Bilde  fehl^i  nur 
£e  eharakteristisQhen  Bchmeraen,  deren  Stelle  die  Parasthmen  nnd  der  Schnitz 
zwisofaea  den  Soholterblättem  yertreten.  Und  wie  yersehieden  sind  doch  die  Sdmen- 
Phänomene  in  diesem  Falle  im  Yeigleich  zum  gewöhnlichen  Yerhsdten  derselben 
bei  Tabesl  —  Sie  sind  yerstiffld;,  selbst  Fassphänomene  sind  beiderseits  vorhandeo, 
^Aer.anf  beiden  Seiten  ungleich,  linkerseits  and  sie  nämlich  riel  st&rker,  als 
tedUeneits.  Diese  paäiol(^^soha  Erscheinnng  der  beiderseitigen  Ungleichheit 
der  Sehnenphähomene  ist  nnr  ein  Uebergangsstadinm  zn  deren  Tölligem  Er- 
löschen, wie  der  weitere  Yerlauf  des  Falles  beweist  Am  24.  XI.  1883  wurde 
Folgendes  yeizßiGbjiet :  Bedeutende  Ataxie  der  Unterextremitaten  bei  betrachtlicher 
rober  Kraft,  Analgesie,  an  den  Fusssohlen  kommt  oft  das  Remak'scbe  Symptom 
mit  Terlängerter  Dauer  der  Scbmerzempfindung  vor,  der  Tastsinn  ist  aber  überall 
erbalten,  ja  sogar  Hyperästhesie  wird  in  den  Yordertheilen  der  Fasssohlen  con- 
^tatirt;  durch  langer  dauernde  Einwirkung  des  Tasteindruckes  wird  seine  Wahr- 
nehmung abgeschwächt.  —  Fussphänomene  ganz  verschwunden,  das  linke  Enie- 
phanomen  deutlich,  das  rechte  sehr  schwach.  Andere  Symptome  wie  früher, 
I)as  Allgemeinbefinden  ist  aber  scblinmx^.  Am  1.  II.  1884.  JDas  reoh;te  Knie- 
phänoI^en  gans  geschwundeni  das  linke  schwach.  Incontinenz  des  Ham&  Sonst 
keine  Aenderung. 

Wir  waren  also  Zeugen,  wie  in  diesem  Falle  d«js  West^al'sche  Zeichen, 
wenigstens  auf  einer  Seite,  zu  Staikde  kanu  Die  zuerst  verstärkten  Sehnen- 
Phänomene  verschwanden  im,  Laufe  einiger  lioikate.  Bei  der  ersten  Untersuchung 
lirar  das,  linke  Kniephänomen  verstärkt  und  grösser  ab  das  rechte,  die  Fussphäno* 
mene  existirteri  beiderseits,  das  Unke  war  stärker  als  das  rechte.  Schon  nach 
2  Monaten  versohwimden  zuerst  die  Fnssphänomme,  das  rechte  3^ephäAQ(men 
wurde  bedeutend  schwächer,  das  linke  w^  noch  gut  an8geq>rQcheiu  Kach  weiteren 
2  Monaten  verschwand  auch  das  rechte  Kniephänomen,  das  linke  wurd^  viel 
schwächer. 

Dieser  Fäll  beweist,  dass  in  eiiiem  gewissen  Stadium  der  Tabes  die  Sehnen- 
phänomene verstärkt,  ja  sogar  das  Fnssphänomen  vorkommen  kann  und  dass 
dabei  diese  Symptome  ungleich  auf  beiden  Seiten  auftreten,  diese  UngMehheit 
id)er  eine  pathok^iische  Ersehernung  ist,  die  dein  SxlösoheiL  des  Sniqphftnoniens 
analog  ist,  und  ein  Uebeigangsstadium  nun  letateion  bildet. 

Folgender  FaU  stellt  die  beste  Illustration  zu  unserer  Anschauung  dar,  dass 
JWalich  zwischen  normalen  Kniephänomengp  und  deren  Erlöschen  Tersdnedene 
Uebeigangsstadien  vorkommen,  unter  denen  deren  UngleidUieit  niid^i  das  Un- 
wtehtlgste  nnd  Seltenste  ist  Letztgenanntee  Symptopi  kann  schon  in  den  frühesten 
IMhesstadien  auftreten  nnd  abdann  eine  fär  die  Diagnose  dieser  Krankheit  wkfa* 
Ug%  dem  vollkommenen  Eiiöschen  der  JCniephänomene  analoge  Bedentong  ge* 


—    5M    — 

irinitötk  Unser  Bertrobea  geht  ja  darauf  Mnaos,  die  Symptome,  welche  eine  Mba 
DikgDoee  ditoes  «ohweren  and  der  Thenipie  solchen 'Widerstand  bietenden  Leidet^^ 
<rm$gtioheny  so  Mh  als  m^lioh  wahnrnnehinen.  Therapeutisch  ist  diesingofeiti 
wichtagy  als,  wie  bekannt,  wir  in  den  spateren  Stadien  die  Tabes  liidit  heUeli, 
j9  fid^t.  einmal  de^n  prog^essiveii  Yerlaiof  aufhalten  kön^en^wliureBd  in  den 
frohesten  Stadie^i  mau  yi^eioht  durch.  Aufmeaeksapimachm  des  Emnl^en  atif 
daa  ihm  drohende  TJebel,  dcQ^ch  Begeliing  seJAec  Leben^wleiee,  dnroh  entspreofaeo.^ 
Hisilmethoden  n«  s.  w.  das  Mden  in  seinem  {Mtogres^v^m  Yerlanfe  a»&^halteu 
liofbn  darf.  In  derx  letzten  Zeiten  wurde  die  Diagnostik  der  Tabes  duKCh  ein%e 
sebr  wiichtige  Merkmale^  die  bewts  in  frühen  Stadiem  i»s  Leidens  aoSsreMv. 
iKKieioheart;  daront^  ist  zuerst  das  We^tphal'schQ;  dann  das  Aig7U-£Qbei:t8oii'sch& 
Slymptom  m  zahlen.  Das  Fehlen  des  Eniephanom^ns  ist  allerdings  ein. sehr.  oCb 
imd  s(d]iOQ  sehr  früh  aulbcetendes  Symptom,  aber,  wie  obeii  bemerljit,  ist  es  nicht 
daa  einogo  unter  di^  pathologische  Selmenpbänonbeqen.  :         -: 

Bevor  die  Kniephanomene  erlSschen)  erleiden  m  yeischißclene  Yeränderungen, 
die  wir  vielleicht  nicht .  gen^icind  zu  beobachten  verstehen,  die  viallejk^t  bis  jetet 
mcfat  wahigenonunen  .worden  sind,  die  jedoch  vorhanden  sein,  mfissen«  Sßbsm, 
a  prioiä  ist  es  ja  vtnm^ch  anzunehmen,  dass  die  normalen  Kniephaiiomene 
ohne  alle  IJebergangsstadien,  mit  einem  Schlage,  erloschen  koKmen^  es  inuaiieilt 
nooh  andexe .  pathologische  Yeranderungen  der  Sehnenphänomene  auftreten,  bevor 
sie  vollständig  erlöschen.  Eine  deiselben  wäre  also,  wie  klinisch  oben  nachg^ 
wiesen  worden  ist,  die  Ungleichheit  der  Phänomene  auf  beiden  Seiten^ 

Eolgend«  Beobaditmg  ist  ein  Fall  von  Tabes  im  Frühstadiumt 

Fall  IV. 

H«rm  11,  üntersuehungsrichter  aus  JitbaueU)  sah  ich  zum  ersten  Male 
im  September  1886.  Vor  3  J^ahren  traten  bei  ihm  Blasenstörungen,  auf  nöA  swsr 
sehr  oftes  Hameiv  4a&n  Dysuiie.  Gleichzeitig  wurden  «eine  Beine  sehwach,  doeb 
w»!  das  kein-  bestbidigea  Symptom.  Dann  kamen  kmrzdauemde  und  i  nicht  all» 
iustarke  Schmerzen  In  den  Beinen,  iLrmen  und  im  Stamme;  jet&st  strahlen  die» 
Sehmerzto  besonders  in^  die  vorderen  und  äusseren  Unterschenkdfläohen^  die  als«^ 
dann  auf  BerOhrung  sehr  0mp£ndlioh  werden;  auch  klagt  der  Kranke  üb^ 
Brennen  in  den  Fasssohlen.  S^it  einer  gewissen  Zeit  ffiesst  ans  der  Harmröhre 
während  des  Stiüilgangs  eine  dmr<Mehtigie,  Uebiige  Flttei^eit  heraus,  die  Erec« 
tionen  sind  schwaiA,  Pollutiimen  sehr  freqnent  Keine  Ezcesse  in  venere.  Yw 
11  Jahren  harter  Sehank^^  ohne  iäumthem,  aber  mit  Begleitung,  von  Hahh 
tduneirz;  er  wurde  mit  QueckiUberpillen  behand^  Seit  B^nn  der  Krankbiit 
Sttthlveistopftmg,  die  seit  einem  Jahre  m  Neigung  zu  Diarrhoe  Überging. 

Patient,'  80  Jahre  alt,  ist  gut  gebaut  und  ernährt. .  Atane  und  Bomberg**. 
eelies  Symgptom  bestdien  sieht,  -üe  gtobe  Kmft  der  Extreeütäten  gut  erhalten« 
KidejäUboen^na  normal,  I^mtar*  und  Gremasterreflede  vorhanden.  Hyperistbeaa 
heim  Berflihrsnder  tTnterschenkel,  sonst  nonnaler  Tafiftsimi,>  der  Sdmiecz  vnrd 
aU'  den  Fassen  und  Unterschenkeln  doppelt,  ab  Berflhvung  zuerst  imd  dann  aU 
Schmerz  empfunden.  Tahpeiatuii-  4md  Muskelsinn  gut  erhalten.  PiqnUe&  etwas 


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eng,  imgleiohy  reagicen  auf  licht  und  Gonvergenz.  Der  Ejtanke  ist  moralisch 
depnmirty  weil  er  eine  schwere  Krankheit  befurchtet  Appetit  sdiwacb.  Im 
häutigen  Theile  des  Hamröhrenkanals  eine  geringe  Stiictar;  Samenßden  wurden 
im  Harne  nicht  aufgefunden« 

Die  Schmerzen,  über  wetohe  der  Kranke  klagte,  entsprachen  allerdings  daien, 
die  bei  Tabes  yorzukommen  pflegen^  es  wurden  zwar  die  bei  diesem  Leiden 
charakteristischen  (obgleich  sie  auch  bei  anderen  Krankheiten,  wie  z.  B.  mul- 
tipler Neuritis,  Yorkommen)  Yerandemngen  der  Schmerzleitnng  angekrofifen,  näm- 
lich das  Bemak'sche  Symptom,  die  Pupillen  waren  ungleich,  es  war  aber  sehr 
schwer,  wegen  Mangel  anderer  Symptome  und  namentbdi  bei  normalen  Knie- 
ph&nomenen,  die  Diagnose  auf  Tabes  mit  Sicherheit  zu  stellen.  Wir  waren  zur 
Annahme  genöthigt,  dass  eine  den  Kranken  erschöpfende  Besehäfldgimg,  ein 
öfteres  und  ermüdendes  Reisen  auf  Wagen,  Ausfluss  aus  der  Prostata  etc.,  ehie 
Störung  des  Nervensystems  und  eine  psychische  Depression  verursacht  hatten.  Ich 
habe,  in  üebereinstimmung  mit  mehreren  anderen  GoUegen,  die  Kiankheä;  als 
Neurasthenia  sexualis  (mit  gewisser  Beserve)  bezeichnet  und  dem  Patienten, 
neb^  einer  localen  Behandlung  der  Hamröhrenstrictur,  ein  Zurückziehen  von 
seiner  Beschäftigung  und  eine  allgemeine  roborirende  Kur,  hauptsäohlidi  hydria- 
ÜBcbß  Proceduren,  verordnet 

Bald  hatte  ich  aber  Gelegenheit,  mich  zu  überzeugen,  dass  mein  Ver- 
dacht auf  Tabes,  ein  berechtigter  war.  Den  Kranken  habe  ich  zum  zweiten 
Mal  im  Juni  1887  gesehen.  Es  trat  keine  Besserung  seines  Zustandes  ein,  er 
klagte  über  Schmerzen  in  verschiedenen  Körpertheilen,  der  Patient  fühlt  sich 
schwach  und  ist  missgestinunt  Bei  der  Untersuchung  ist  bei  den  Bew^^gen 
mit  geschlossenen  Augen  eine  sehr  geringe  Ataxie  in  den  unteren  Extremitäten 
bemerkbar.  Das  Bomberg'sche  Symptom  ist  nicht  vorhanden*  Die  Kniephäno- 
mene sind  ungleich^  das  linke  nämlich  ist  schwach,  das  re<dite  stärker.  Das 
Tastgefühl  ist  mit  ungenauer  Localisation  erhalten;  Verdoppelung  des  Schmerz- 
gefühls (Bemak'sches  Symptom).  Im  Juli  1887  klagte  Patient  über  Schmen 
und  unangenehmes  Gefühl  in  den  Augen.  Die  rechte  Pupille  ist  bedeutend 
weiter  als  die  linke,  beide  reagiren  auf  Licht.  Das  Kniephänonuan  ist  beider-^ 
seits  nicht  vorhanden.    Brennen  in  den  Fusssohlen. 

Der  eb^  Fall,  wie  auch  Beobachtung  III  beweisen,  dass  die  Ungleich- 
heit der  Kniephänomene  ein  Uebeirgangssymptom  zwischen  dem  normalen  Zu- 
sta]}de  und  dem  völligen  Verschwinden  der  Phänomene  bildet  Während  noch 
im  September  1886  die  Kniephänomene  normal  waren,  und  man  nur  den  Be^ 
gixm  eines  Bückenmarksleidens  .?ennuthen .  konnte,  waren  dieselben  9  Monate 
später  ungleich  auf  beiden  Seiten  und  hat  sich  die  Dingnoße  Tabes  als  wahr* 
scheinlich  herausgestellt.  Einen  Monat  später  hat  das  voUständigeVeischwInden 
des  Kniepbänom^s  die  Diagnpse  bestätigt.  D^  Sch,windeii  des  Kpi^phanomeos. 
kann  sich  also  in  einer  so  kurzen  Zeit  vollziehen.  —  Dieser  fall  beweist^  da^ 
das  Symptom  der  Ungleichheit  in  den  frühen  Stadien  der  Tabes,  nocjh  yor  dem 
Verschwinden  dex  Sehnenphänopiene,  auftreten  k^nn,  dass .  es  a^p,  eyentueU,  als 
ein  wichtiges  diagnostisches  M,erkmdl  beni^t  werden  l^ann.      ..  ,::,  ,.    ^     .    , 


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Sehr  lehneich  ist  auch  in  dieser  Hinsicht  der  folgende  Fall,  welchen  ich 
im  Monat  Mai  d.  J.  za  beobachten  Oäegenheit  hatte. 

Fall  V. 

Herrn  J.  sah  ich  zum  ersten  Mal  am  13.  Y.  1888,  er  leidet  seit  4  Jahren 
an  Beissen  in  verschiedenen  Theilen  der  unteren  Extremitäten,  namentlich  bei 
Witterungsveranderungen  und  bei  Ermüdung.  Vor  2  Jahren  war  ein  Brennen 
in  der  rechten  Achselhöhle  nnd  wahrend  8  Tagen  ein  Schmerz  an  einer  um- 
grenzten Stelle  des  Bumpfes  yorhanden.  Seit  einem  Jahre  empfindet  Patient 
im  AugenbliclTy  wo  er  sich  in's  Bett  legt,  Ameisenkriechen  in  den  Fusssohlen  und 
ein  Steifigkeitsgefühl  in  den  Fingern.  Yor  10  Tagen  erwachte  Fat  mit  heftigen, 
schiessenden  Schmerzen,  welche  auf  eine  begrenzte  Stelle,  von  der  Grosse  eines 
Handtellers,  in  der  Gegend  der  hinteren  Fläche  des  linken  Oberschenkels  locaUsirt 
waren:  Patient  musste  das  Bett  während  einiger  Tage  hüten.  In  der  letzten 
Nacht  hat  der  Kranke  ein  sehr  unangenehmes  Brennen  auf  der  inneren  Fläche 
des  rechten  Armes,  in  der  rechten  Achselhohle  und  in  den  angrenzenden  Par- 
tien des  Brustkorbes  empfunden;  schon  die  Berührung  des  Hemdes  verursacht 
eine  höchst  unangenehme  Empfindung,  ein  stärkerer  Druck  bringt  in  gewissem 
Grade  Erleichterung.  Zeitweise  wird  dem  Patienten  dunkel  vor  den  Augen 
und  sieht  er  dabei  gelbe  Flocken.  Im  Jahre  1874  hat  Patient  einen  Schanker 
gehabt,  secundäre  Sjrmptome  waren  nicht  aufgetreten.  Vorsichtshalber,  wie  sich 
Patient  ausdrückt,  wurden  86  Frictionen  genommen.  Vor  9  Jahren  hat  Patient 
geheirathet  und  2  gesunde  Kinder  erzeugt,  seine  Frau  hat  nicht  abortirt.  Der 
Kranke  leistete  während  eines  Jahres  den  Dienst  im  preussischen  Heere.  Yon 
der  mütterlichen  Seite  existirt  eine  Prädisposition  zu  Geisteskrankheiten.' 

Patient  ist  ein  Mann  von  40  Jahren,  gut  gebaut  und  von  guter  Ernährung, 
zeigt  keine  Symptome  von  Lues  und  keine  Veränderungen  in  den  inneren  Or- 
ganen. Der  Gang  ist  vollständig  normal,  das  Bomberg'sche  Symptom  nicht  vor- 
handen. Das  rechte  Knieph&nomen  schwach,  von  ungleicher  Intensität,  tritt 
nicht  bei  jedem  Anschlagen  mit  dem  Percussionshammef  auf,  das  linke  ist  stärker^ 
aber  nicht  verstärkt.  Das  Taatgef&U  ist  an  den  untren  Extremitäten  erhalten^ 
das  Schmerzgefühl  stark  herabgesetzt,  der  Kranke  empfindet  ziemlich  starke 
Einstiche  nur  als  Berührung.  An  der  inneren  Fläche  des  rechten  Armes  ver« 
ursachem  schwache  Berührungen  eine  unangenehme  Empfindung..  Die  rechte 
Pupille  weiter  als  die  linke;  die  letztere  ist  oval,  reagirt  auf  Liidit  schwach  und 
erweitert  ach  sofort,  ungeachtet  weiterer  Einwirkung  der  Lichtquelle;  auch  ist 
die  Beaotion  der  rechten,  nicht  ganz  runden  Pupille  eine  schwache.  Die-  Seh-^ 
kralfc  ist  gut^  Faarben  werden  g&t  unterschieden. 

Es  unterli^  keinem  Zweifel^  .dass  wir  es  hier  mit  einem  frühen  Stadium 
der  Tabes  zu  tbon  habep.  Dafür  sprechen  die  seit  4  Jahren  andauerndem  und 
der  Behandlung  trotzenden  s^tsiblen  Symptome,  wie  ohaiaktesristisches  Beissen 
in  deia  Beio^en,  sohieesei^de  sehr  heflage  Schmejrzen^  Parästbesien,  wie  Brennen, 
Ameisenkriecheia,  PeMgsein,  wie  auch  die  Hyperästhesie  der  Haut,  u;  s.  w« 
Objectiv  wnr4e  gsfonden:  Abstfmpfung  der  Schmarzempfindung  in  den  unteren 
Extremiitaten,  wgleiohe  und  nicht  runde,  schwach  auf  licht  rec^end^  fupillfin, 


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und  ein  fBr  mich  wicbtigeB,  die  Diagnose  Tabes  nnteistötzeDdes  Syrnftlom  — 
die  Ungleichheit  der  Eniephanoniene.  IKese  letzteren  sind  nicht  alldn  tm^ich, 
aber  das  rechte  ist,  was  Intensität  anbetrifit,  ausserdem  nngleichmassigy  und 
tritt  nicht  bei  jedem  Hammersehlage  auf,  bei  Bewahrung  (leiselben  Bedingungen 
des  Experiments  (horizontale  Lage,  offener  Winkel  im  Knie,  Belaxation  der 
Muskehl,  gleiches  Au&chlagen  auf  dieselbe  Stelle  der  Patellarsehne  mit  dem 
Sammer  u.  &  w.).  Diese  üngleiohmässigkeit  würde  yielleicht  auf  eine  Yerande- 
i\mg  der  Beizbarkeit  des  reflectorisehen  CSentralapparats  in  der  grauen  Substanz 
des  Bückenmarks,  oder,  was  viel  wahrscheinlicher  ist^  auf  eineu  sich  YoUziehen- 
den,  aber  noch  nicht  beendeten  Dßgenerationsvorgang  in  den  Nervenfasern  an 
der  Stelle  der  Burdach'schen  Strange  hinweise];,  der^  Degeneration  nach  Wssr- 
PHAii  das  Verschwinden  der  Eniephanomene  yerursacht  (Wurzeleintrittszone, 
bandelettes  externes  von  Ghaboot).  Man  könnte  annehmen,  dass  Z^all  und 
Schwund  des  Myelins  eine  Veränderung  der  Leitung  in  den  Nerrenfasem  und 
eine  rasche  functionelle  Erschöpfang  hervorruft,  die  sich  durch  Ungleichmässig- 
keit  der  Sehnenphanomene  kundgiebt.  Was  die  Ungleichheit  der  beiden  £jne- 
phanomene  anbetrifft,  sp  war  für  mich  ihre  Bedeutung  in  dem  obigen  Falle 
eine  für  die  Diagnose  Tabes  entscheidende  und  beinahe  von  derselben  Bedeu- 
tung, als  wenn  das  Westphal'sche  Symptom  vorhanden  wäre. 

Schliesslich  will  idi  mir  erlauben  einen  Fall  von  Tabes  mitzutbeilen,  welcher 
beweist,  dass  man,  mittels  des  Jendrassik'schen  Verfahrens,  das  melu^xuüs  er- 
wähnte Symptom  der  Ungleichheit  der  Eniephanomene  auch  dort,  wo  bei  ge- 
w^nlichen  Untersuchungsmethoden  ein  Fehlen  des  Kniephänomens  auf  einer 
Seite  vorhanden  ist,  hervorrufen  kann.  Dies  kann  als  weiterer  Beweis  der  Ver- 
wandtschaft dieses  Symptoms  mit  dem  Westphal'schen  Zeichen,  dessen  niederen 
Stufe  es  büdet,  dienen. 

Fall  VL 

KoGB.kSki  Ladislaus,  81  Jahre  alt,  Polizeibeamter,  wurde  im  Februax  d.  J. 
wegen  hartimokigen  Erbrechens  in  die  EHnik  angenommen.  Im  Juli  voiigea 
Jahres  hat  Patient  an  Uebelkeit  und  Magenkrajnpfen  gelitten^  zum  Erbieoben 
kam  es  aber  damals  nidit;  diese  Symptome  traten  mehrmals  auL  Vor  Weih- 
nachten 1887  trat  in  Folge  eines  DiätMIeis  zum  ernten  Male  neben  starkm 
Schmereen  in  der  Magengegend  «sich  Erbrechen  von  mefarstflnd^;er  Daner  wat 
Im  Laufe  der  2  letzten  Monate  wiederholten'  sieh  ähnliche  AnfiHe  dmai,  aber 
unabhängig  von  den  aufgenommenen  Speisen.  Es  sind  das  seht  heftige  Scbidenen 
in  der  Magengegend,  verbunden  mit  sehr  TridiliGhem  Brbtechen  von  fiHkadgen, 
gelben  oder  ungefärbten  Massen,  dieselben  dauern  emige  oder  mehrere  Stunden 
und  verursaefaw  eine  sehr  starke  Erschöpfang,  sa  dass  Patient  nach  dem  AnM 
geDotlugt  ist  im  Bett  zu  bleiben.  Wfthivnd  des  Anfidles  ist  der  Kranke  nicht 
im  Stande  Speisen  aufzundmien^    Er  iet  stark  abgemagert. 

Schon  während  semes  ersten  Militftrdienfates  im  Jahre  :1S7&  tmtphui  Vtü 
ein  peinliches  Ermüdung^efithl  in  den  Beinen,  wdehee  im  Jahre  1864  im 
Charakter  von  Beissen,  Stechen,  Bohren  sMitifthm-  Diese  Schmeraen  hab^  im 
vorigen  Jahre  ihre  grSsste  Intensität  erreidit,  als  Patient  an  Uebelkeit  an^ 


—    588    — 

anfing  und  Tenusachten  oft  Sehlafloägkeit  Es  sind  dies  Sohmenen  an  veischi^ 
denen  Partien  der  unteren  Extrenutäten^  welche  von  Irarzer  Dauer  sind  nnd 
von  einer  Stelle  auf  die  andere,  ja  sogar  auf  die  oberen  Extremitäten,  den  Rumpf 
mid  den  Kopf  flberspringen.  Im  Jahr^  1879  will  Patient  nur  eine  Phimose 
gdiabt  hahen,  es  bildeten  sich  2mal  Lymphdr&sen-Anschwellungen  in  der  Inr 
guinalgegend,  welche  sich  einmal  spontan  öSheten.  Gin  Oeschwflr  un  Penia 
will  Patient  nicht  gehabt  haben,  auch  spUen  keine  SyQq^tome  der  In&ction 
vorhanden  geifesen  sein;  speoifisch  wurde  er  nicht  behandelt  Vom  17.  bis 
29.  LebeuQslure  hat  er  täglioh  bedeutende  ^Bxcease  in  Baocho  bis  zu  vollst&ndigQT 
Trunkenheit  gemacht    Zur  Zdt  trinkt  er  nur  mäs^  WeiUi  raucht  viel, 

Die  Mutter  des  Patienten  starb,  an  Schwindsucht  im  53,  Leben^ahro»  der 
7at^  in  demselben  Lebensgahxe  an  Apoplexie.  Der  Bruder  ist  sehwächlich,  drei 
SohwOBtem  sind  gesund. 

Patient  ist  von  gutem  Wuohs  and  Körperbau,  aber  von  mfissiger  Emati- 
rang.  Puls  schwach,  klein,  86—100  Schlüge  in  der  Minute.  Die  Herzton0 
lein,  sohwadi.  In  der  rechten  Langenq>itz6  ist  das  Athmnngsgerausoh  schwacher 
als  in  der  linken,  rhonchi  äbiluites  äberall  hörbar.  Das  Abdomen  ist  eingesunken^ 
auf  Druck  nicht  schmerzhaft,  Zunge  rein.  Im  Momente  der  Untersuchung  war 
keiu  Erbrechen  mehr  vorhanden,  aber  Durchfall.  An  der  Qlans  penis  in  der 
Nähe  des  Frenulum  sieht  man  auf  der  rechten  Seite  eine  grosse,  weiche  Narbe. 
Die  Inguinaldräsen  ve^össert  und  hart 

Der  Gang  ist  mit  offenen  und  geschlossenen  Augen  normal,  ktine  Spur 
von  Ataxie.  Hautsensibilitat  vollständig  normal.  Fehlen  des  rechten  Eniepiii^ 
nomens,  das  linke  sehr  schwach.  Die  AchiUessehnenphänomene  beid^^ts  vor- 
handen. Gremasterreflexe  könneu  nicht  hervc^rgerufen  werden.  Erectionen  vcmv 
banden«  Eist  seit  d^m  leisten  MagenanM  traten  Störungen  der  Functi<Hi  der 
Harnblase  auf,  schweres  Hamen,  schwacher  Strahl,  eiimial  kam  es  auch  zum 
mwillkfirlichen  Harnlassen  in  der  Nacht  Atzophie  und  Schmenhaft^keit  der 
Muakdn  nicht  vorhanden« 

Von  Seite  der  Wirbelsäule,  der  oberen  Extremität  und  des  Oesichts  ist 
nichts  Abnonoes  vorhanden.  Sprache,  Oedäehtniss,  Intelligenz  normal  Die  reohte 
Pupille  ist  xmiegelmässig  rund  und  bedeutend  weiter  als  die  linke,  diese  letztere 
ist  schräg  oval,  mittelmässig  eng,  beide  reagiren  nicht  auf  Licht^  sondern  nur 
auf  Aocommoi^itum.  Die  Bew^rangen  der  Augäpfel  normal.  Patient  sah  Flocken 
iror  d«Ei  Augen  und  sogar  eine  Zeit  lang  doppelt  Die  ophtfaalmoskopiscbe  Untar- 
guohimg  zeigt  nichts  Abnormes.  Die  Sehkrafk  rechts  ^  ^^/^y  Unks  ^/^o«  Das 
Gesichtsfeld  normal. 

3.  m  1888.  Patient  flkhlt  sich  im  ADgemeinen  besser,  der  Darohfidl  hat 
nacfagriassen,  über  Beissen  in  den  FQssen,  namenttich  in  der  Naoht^  wird  aber 
weiter  geUagt  Bei  der  gewSmlichen  TJutosuchungsmethode  kann  man  kein 
Eniephftnomen  redits  hervorrufen,  das  linke  ist  schwach  und  tritt  nicht  bei 
jedem  Sddage  auf.  Bei  d«r  Anwendung  des  Jendrassik'schen  Teifahiens  er- 
seliäflt  i$3  rechte  EmepfaSnomen  schwach,  das  Unke  ziemhefa  stark  aasgesprochsn. 

In  diesem  falle  von  b^innender  Tabes  mit  Magenanfälten  (csises  gastrique^ 


—    564    — 

besonders  beaehtenswerth  das  nnglddie  Verhalten  der  Eni^  nnd  AdiiQefr' 
sehnenj^nomene/  Während  die  ersten  geschwächt  ersehemen,  ja  sogar  bei  der 
gewöhnlichen  üntersnchnngsmethode  auf  der  einen  Seite  gar  nidit  anftreten, 
sind  im  GegenfheQ  die  Achülessehnenphänomene  beiderseitB  gnt  anßgespirochen 
nnd  gleich.  Bekannflieh  verhalten  sicfa  diese  beiden  Phänomene  (Knie-  und 
AdiiUessehne)  bei  der  Tabes  gleich,  namentUdi  ist  ihr  Fehlen  gewöhnlich  der  EalL 

Dies  nngleichmässige  Verhalten  der  Knie-  und  Achülessehnenphänomene 
würde  auf  eine  ungleiche  Intensität  des  krankhaften  Processes  auf  yerschiedener 
Höhe  des  Rückenmarks  hindeuten«  Ausserdem  lehrt  dieser  Fall,  dass,  bei  An- 
Wendung  des  Jendrassik'schen  Yer&hrens,  eine  Ungleichheit  in  dem  Yerhalten 
der  Eniephänomene  hervorgerufen  werden  kann  dort^  wo  dieselbe  bei  der  ge- 
wöhnlichen Methode  nicht  vorhanden  war.  Es  trat  nämlich  bei  dem  Jendrassik^- 
schen  Verfahren  ein  schwaches  rechtes  Eniephänomen  auf,  das  bei  der  gewöhnlichen 
Methode  nicht  vorhanden  war,  und  das  Unke  wurde  verstärkt  Dies  bewäst, 
dass  das  Westphal'sche  Zeichen  und  die  Ungleichheit  der  Eniephänomene  in 
einander  übergehen  können,  dass  dieselben  verwandte  Erscheinungen  darstellen, 
verschiedene  Grade  eines  und  desselben  pathologischen  Symptoms  —  Störungen 
der  Sehnenphänomene  —  bilden. 

Den  siebenten  Fall  von  Ungleichheit  der  Eniephänomene  fahre  ich  nidit 
an,  da  er  ohne  besonderes  Interesse  ist 

Aus  der  Beihe  der  obigen  Beobachtungen  ist  ersichtlich,  dass  die  Ungleich- 
heit sowohl  der  Enie-  wie  der  Achülessehnenphänomene  gar  nicht  so  selten  in 
den  verschiedenen  Stadien  der  Tabes  vorkommt,  denn  in  7  Fällen  auf  die 
ganze  Zahl  von  64  Beobachtungen  (4,88  ^/q).  Wir  konnten  uns  überzeugen, 
dass  die  Ungleichheit  sowohl  bei  den  versttrkten  (Fall  III)  wie  auch  bei  den 
geschwächten  Sehnenphänomenen  auftreten  kann;  am  häufigsten  war  ein  Enie- 
phänomen normal,  das  andere  bedeutend  schwächer. 

In  den  7  von  mir  beobachteten  Fällen  bot  nur  einer  (Fall  IQ)  äne  aus- 
gesprochene Ataxie,  die  Mehrzahl  der  Patienten  befand  sieh  im  präataetischen 
Stadium  und  die  Fälle  lY,  Y  und  VI  darf  man  als  im  An£Emgsstadium  befind- 
liche betrachtenu  Drei  Eranke  haben  ganz  sieber  Syphilis  gehabt  (Fall  I,  IV,  V), 
ein  Fall  ist  zweifieUiafb  (VI),  in  den  drei  anderen  war  Steher  kerne  Syi^iilis  vor- 
handen gewesen. 

In  den  Fällen,  welche  wir  eine  längere  Zeit  zu  beobachten  Gelegenheit 
hatten,  kxmnten  wir  uns  überzeugen,  dass  die  Ungldchhdt  der  Sdmenphänomene 
kein  langdauemdes,  oder  gar  coiistantes,  sondern  ein  ziemlich  rasch,  in  ^äaugen 
Fällen  schon  nach  Yerlauf  von  einigen  Monaten,  vorübergehendes  Symptom  bildet, 
welches  allmählich  in  Fehlen  des  Phänomens  übergeht  (Fall  IH  und  IV).  Wir 
sahen,  dass  die  Ungleichheit  der  beiderseitigen  Phänomene  aas:  den. normalen 
entsteht  (Fall  IV).  Wir  sind  alsdann  zur  Ueberzeugung  gekonmuen»  ilaas  die 
Ungleichheit  der  Sehnenphänomene  eine  patboliogische  Erseheinung.  deiseibeB 
Kategorie  und  Beihe  darstellt,  als  das  Fehlen  derselben.  Sie  ibildet  aomit  einen 
verschiedenen  Grad  eines  und  desselben  pathologischen  Symptoms^^  der  Stöiungon 
der  SehnenjAiänomene«    Bevor  es  zum  vollständigen  Schwinden  :der  normalen 


—    666    — 

Sehnenphanomene  kommt,  zeigen  dieselbe  verschiedene  Abweichungen,  dessen 
niederste  Stufe  vieUeicht  die  tTugleichheit  bildet  In  der  That,  trat  die  letztere 
yor  dem  Westphal'schen  Zeichen  auf  (Fall  m,  IV)  und  am  häufigsten  in  den 
sehr  frühen  Stadien  der  Tabes. 

Die  Ungleichheit  der  Sehnen-,  namentlicb  der  Eniephänomene,  kann  also  ein 
sehr  wichtiges  diagnostisches  Zeichen  für  die  Tabes  abgeben,  nämlich  zur  früh- 
zeitigen Diagnose  dieses  Leidens  yerwerthet  werden.  Bei  der  Untersuchung  der 
Sehnenphänomene  müssen  wir  unsere  Aufmerksamkeit  nicht  nur  auf  das  Vor- 
handensein, oder '  Fehlen  derselben  richten,  sondern  auch,  ob  bei  genauer  Unter- 
suchung und  Beibehaltung  aller  Cautelen  dieselben  auf  beiden  Seiten  gleich,  oder 
aber  bedeutend  verschieden  in  ihrer  Grösse  sind. 

Ich  will  nicht  behaupten,  dass  die  Ungleichheit  der  Eniephänomene  pa- 
thc^omonisch  für  Tabes  sei,  denn  es  ist  wahrscheinlich,  dass  man  dieses  Sym- 
ptom auch  bei  anderen  Krankheiten  des  Nervensystems  finden  wird.  Lombboso^ 
hat  bei  hereditax  belasteten  Yerbrechem  unter  anderen  Anomalien  der  Enie- 
phänomene auch  eine  Ungleichheit  derselben  in  einem  grossen  Prooentsatz  (147o) 
gefunden.  Ceakp^  erwähnt  einer  Ungleichheit  der  Eniephänomene  bei  progressiver 
Paralyse.  Von  dieser  Anomalie  bei  Tabes  habe  ich  in  der  mir  zugänglichen 
Litteratnr  keine  Angaben  gefunden.  Nur  Gowebs'  sagt:  „Zu  den  grossen  Selten- 
heiten gehört  ein  Fall  von  wirklicher  Tabes,  wo  die  Eniephänomene  erhalten 
wären.  Sehr  selten  durfte  ein  früher  Fall  vorkommen,  bei  welchem  sie  nicht 
verschwinden,  so  doch  vermindert^  und  gewöhnlich  ungleich  auf  beiden  Seiten.^' 
(Yery  rarely  an  early  case  may  be  met  with  in  which  it  is  not  lost,  although 
diminished,  and  commonly  unequal  on  the  two  sides.) 

Auch  von  dem  Auftreten  eines  ungleichmässigen  Kniephänomens  auf  einer 
Seite  fand  ich  keine  Angaben;  in  unseren  Fällen  n,  Y  und  TL  war  das  Phä- 
nomen bei  gleicher  Unteimichungsmethode  einmal  stärker,  das  andere  Mal 
söhwächer,  ein  anderes  Mal  wiederum  konnte  man  es  gar  nicht  hervorrufen. 

Ich  bin  nicht  im  Stande,  eine  genügende  Erklärung  weder  der  Ungleichheit, 
noch,  der  Ungleichmässigkeit  der  Sehnenphänomene  zu  geben.  Die  Frage  der 
Entstehung  der  Sehnenphänomene  ist  ja  bis  jetzt  noch  nicht  endgültig  entschieden, 
ob  dieselben  einen  refiectorischen  Vorgang  bilden,  oder  peripfaerischeü  Ursprungs 
sind,  und  zudem'  ist  keiner  von  den  obigen  Fällen  zur  mikroskopischen  Unter- 
suchung gelangt.  Ich  habe  oben  die  Vermuthung  ausgesprochen,  dass  die  Un- 
gleichmässigkeit von  Veränderungen  in  der  Nervenleitung  abhängig,  sein  kann, 
welche  durch  pathologische  Froceoae  in  den  Nervenfasern,  wie  Zerfall  und 
Sehwmid  des  Myelins,  Verdünnung  des  Axeneylinders  etc.  hervorgerufen  wer- 
den, bevor  es  zur  vollständigen  Atrophie  der  Fasern  kommt.  Was  die  Un- 
gleichheit der  Sehnenphänomene  anbetrifll,  so  ist  es  möglich,  dass  beide  Hälften 
des .  Bückennoiarka  ^i  einoin  ungleichen  Grade  von  der  Degeneration  betrofien 
warden*  £9  ist  selbstvWäiidlioh,  dass  dies  nur  Bypotbraen  sind,  und  4{U3s  nur 
aütoinisehe  UnteimichungW'die  Pftthotegie  diescor  Symptome  aufklären  kdttnen. 


-j — -rjr- 


1    i 


\£ef^at>  diesem  Centralbl.  1884  S.  57.  >  Brain.  1885.  S.  65—77. 

'  Mannal  of  diseaaes  of  the  neryona.  systexn.  1886.  Vol.  I.  S.  296. 


—    566 


n.  Beferate. 


Anatomie. 

1)  Zur  Ftc^e  über  den  B^n,  aoi  UBteveii  JAtitsA^deüB  (famAoolvm 
tudinalis  posterior),   you  W.  Jakowenko,    Au^  dem  Laboratoriom  tod  Prot 
Flechsig  in  Leipzig.    (Wjestnik  psichiatrii  i  nevrQpatologii.  1888.  Bossiscb^ 

'  Die  Arbeit  des  Terfassers  beisteht  in  der  mikroskopischen  Untersuchang  mm 
menschlichen  Gehirns,  in  welchem  das  hintere  Längsbündel  deg^nerirt  war.  .  üeber 
den  klinischen  Verlauf  des  Falles  konnte  nur  ermittelt  werden,  dass  Pat.  an  Sprach- 
störung, linksseitiger  Hemiplegie  und  epileptoiden  Anf&üen  gelitten  hatte.  Der  makro- 
skopische Befund  am  Gehirn  bestand  in  Folgendem:  Srweiohitdg  dofljenigeü  AbBehmili 
der  hinterea  Hälfte  der  ersten  TempoiJalwindaDg;  waldnar  an  den  Solcoa  tempor.  snp. 
grenzt,  und  desjenigen  Theils  der  zweiten  Temporalwindung«  welcher  ZrWlscben  den 
hinteren  Ende  des  Sulc.  tempor.  sup.^  und  dem  Sulc.  occipii  anter.  11^  —  in  der 
linken  Hemisphäre;  femer  Erweichung  der  dieser  Windungen  entsprechenden  weissen 
ISübstanz  fast  bis  zur-  äusseren  Wand  des  Snterhoms.  Die  A.  basilaris  war  beinalw 
in  3irem  ganzen  Verianf  antforysmalisch  erweitert  An  Scbnittflil^hen  ttmten  in  beite 
Hemisphären  an  yielen  Stellen  punktförmige  Heerdo  hervoi',  and  die  GapUbngefiwe 
erschienen  überall  erweitert  und  sklerosirt  Daa  linke  Pulvinar  war  deutsch  atraphiri 

J,  fertigte  eine  fortlaufende  Schnittreihe  aus  dem  Himstamm  an,  vom  hinteren 
Ende  der  Sehhügel  bis  zur  Pyramidenkreuzung.  Die  Präparate  wurden  nach  Weigert- 
Fal'soher  Methode  gefärbt.  Es  fanden  sich  an  ihnen  überall  zahlreielie  tnüiare  Aneu- 
rysmen, erweiterte  Gapillaren  und  Hämorrhaglen,  stellenweise  auch  Erw^inrngen.  In 
Folge  4e68en  waren  fast  alle  Faflersjsteme  mehr  oder  weniger  enterbrocben  imd  in 
yerschiedenen  Richtungen  degenenri  Die  grOsste  Menge  degenerirter  Fasern  fand 
sich  in  der  rechten  Fyramidenbahn,  in  dar  rechten  centralen  Haubeabahn«  femer  im 
inneren  Abschnitt  der  linken  SchleÜ'e,  im  linken  Türck'schen  Bündel  des  Himschenkels 
und  in  beiden  hinteren  Längsbflndeln.  Das  Studium  der  Yeränderungen  in  letzteren 
führte  ZQ  folgenden  Etgefinissen: 

Deutliche  und.  ausgeprägte  Degeneration  dar  Fasecn  des  hinteren  Ungsbettdeli 
wurde  nur  an  den  Stellen  angetroffen,  wo  die  anliegende  centrale  graue  Subataox  und 
die  in  ihr  enthaltenen  Kerne  (Nncl.  aquaeducti  und  der  WestphaVsche  Kern)  oder 
die  Nucl.  trochlear.  und  Oculomotörii  lädirt  waren.  Yon  diesen  Stellen  an  setzt  sich 
die  Degeneration  in  aufeteigender  Sichtung  fort  und  nimmt  erst  im  ü^irean  der  top 
deren  Abtheümig  der  Ooulomotoriuskeine  ete  Ende,  Im  gegebenen  Fisll  waite  zer- 
glüki:  ein  geringer  Theil  des  rechten  Trocblearis  und  beiAnr  OculeaatoriDskene^  die 
rechte.  Seite  des  Hucl.  aquaeducti^'  der  linke  Wes^al'sche  KncL  lateraüa  und  m 
verschiedenen  Stellen  die  centrale  graue  Substanz  selbst.  Dementsprechend  schwankte 
die  Menge  der  atrophischen  Ftoem,  des  hinteren  Längsbündels  liHBetändig  an  beiden 
Seiten,  je  nach  dem  Mi?eau  des  Schnitten,  nnd  nur  roxi  der  ä6he  der  Oeulomotorius» 
kerne  ab  war  die  Degenentünm'  umcnterbrochen  bis-  z\sr  hinteren  COmnilMir  zu  ver^ 
felgea.  Weiter  evdtreckte  sie  eich  nichts  imd.  dann»  zielbt.  Yerf;  den  3eh]Mii»  dasH 
die;  Fasern  4^  hinteren  Längsbündels,  wel^e  in  den  qeotrßjen  Theil  der  hintena 
Conimi^ur  übergehen,  nicht  als  Fortsetzung  der  unteren  Abschnitte  zu  betsachtci 
sind,  sondern  anderen  UrE(prungs  sein  müssen.  Femer  nimmt  er  a.Tif  GFrund  seinem 
Beflindes  an,  dass  im  hinteren  Längsbünd^  in  grösser  Anzahl  kurte  iPaserlt  entiialten 
sind,  Wfftchetfur  Verbindong  twUcheti  y«irBclHeden#ii  Aba<)hiiitfefi  im  eentnilen  grance 
Sobetanfe  dieaed«  und  daas  die  langen  Fasern  A^  ita^mm.  Itegebind^. — '  m  i» 
betracht  ihrer  aufsteigenden  Degeneration  —  yielleicht  sensibler  Natur  mnd. 

V,  Bwenfeach. 


—    6ftT    — 

a>  Sa  «Icnuil  migUorameiil}  doU»  teaiüe&  d^a  vem^on^  al  nitrato  d^arguntp 
Uff  09nM  MrvcüBi  per  ott«Aeyla  au  peasi  4i  grandi  dünmsloni»  pd  dotb 
G.  MartmoUL    (Annali  di  FrenialrüL  }8S8.  L  p.  36.)    ■    ^ 

Die  Metliöde  taid  die  Vorzüge  der  (Jolgi'schen  Schwarzfärbung  mit  MÜUertchet 
Flüseiglteit  und  BGHensteinlQming  sind  schon  öfters  in  diesem  Centralblatt,  ansfObt* 
Heb  z.  6.  im  Jabrg.  Y.  1886,  S.  299,  besprochen  worden.  Dies  jetzt  zu  erw&bneHde 
Verfahren  gew&hrt  den  Vortbeil,  dass  man  grossere  Objecte  dei^  Sdiwarzfärbim^ 
nntenrerfen  femn  (z.  B.  nnzertheilte  Gfehime  von  Himden,  Kaninchen,  die  ganze  Ob* 
longsta  nnd  Pens,  d — 3  cm  dielte  Qnersehnitte  ganzer  HMisph&ren  vom  Mensehen  etc.). 
Es  ifird  folgende  Anweisung  gegeben: 

Das  möglichst  frische  Oehim  wird  durch  die  Oarotiden  im  €huizen  mitMfiller**- 
scher  LGsnng  injicirh  Nach  erfolgter  Zertheilnng  kommen  die  einzeben  Btflcke  in 
möglfehst  grosse  Mengen  Müller*scher  Lösung  und  bleiben  im  Sommer  etwa  S*!! onate^ 
im  Winter  etwa  3  Monate  in  derselben  liegen.  Gelegentliche  Proben  sind  wünschens- 
woth,  um  den  Erfolg  der  H&rtnng-  zn  constatiren. 

Für  die  sp&tere  Versilbenmg  der  Objecto  in  toto  sind  beaditenswerth  1 .  da^ 
grosse  Quantum  der  Höllensteinlösung  im  Verh&ltniss  zum  Volumen  der  Stücke  (z.  B. 
500  kern  fftr  einen  Hemisphärenquerschnitt  von  2  cm  Dicke),  2.  die  lange  Dauer  det 
Immersion  (10— 20Tage)^  8.  die  möglichst  gleichmassige  Erhaltung  der  Temperatur 
der  H(^ensteinlösung  auf  20 — 25^0.,  wenn  man  die  Ganglien,  anf  36 — 40^,  wenn 
man  die  Neurogliii  besonders  färben  will. 

Ansserdem  empfiehlt  sich  ein  Znsatz  von  Glycerin  (etwa  5^/^)  in  höchstem 
Grade  und  eine  gleichmässigere  Färbung  wird  dadurch  erzielt,  dass  man  die  einzelnen 
Objeete  mit  einem  plastischen  Brei  von  zerstampftem  Löschpapier  einhtllt. 

Zum  Schluss  theilt  Verf.  noch  einige  anatomische  Entdeckungen  mit;  die  er  mit 
HtUfe  seiner  neuen  Technik,  speciell  flbei'  Anastomosen  zwischen  Axencjlihderfortsätzen 
nnd  seüsstständigen  Nervenfasern  gewonnen  hat.  Sommer. 


Experimentelle  Physiologie. 

3)  TTeber  die  irerftnderungeii  des  Centralnerv^nsystidms  üx  Abhängigkeit 
von  künstlich  erzeugter  Hyperämie,  von  W.  Kusnezow.  (Dissertation.  St. 
Petersburg  1888     Bussisch.) 

Die  Untersnohniii^en  desYerf.  wurden  auf  YeranlasBUBg.  Prof«  Miervejewski's 
in  deasea  klinis<&em  Laboratosium  aoqgef&hrt.  Er  stellte  sie  an  Hunden  und  Kttnisr 
chen  an.  Zur  HerT(»*bringang  von  Hyperämie  des  Oehima  benatete  er  die  Versnoha^ 
anordnmg  fen  Mendel:  Das  Thier  wurde  anf  «n  nmdes  Brett  mit  ca,  1  m  langem 
Dorohmesser,  den  Kopf  zur  Peripherie,  aufgebunden,  und  das  Brett  mit  beliebigeiv 
genau  bealämmbarer  Geschwindigkeit  gedreht.  Wenn  dieselbe  150-*^2(H)  Drehungen 
in  dar  Mkmte  betrug,  so  gingen  die  Thiere  meistens  schon  heim  ersten  Yersueh  zn 
Qnmds^  wobei  die  Seetion  starke  Gengestion  zum  Kopfende  und^Blotungen  im  Gehirn 
ergab»  ,  Falls  nur  90-t100  DrehungeQ  in  der  Minute  stattfanden,:  und  letztere  mit 
kurzen  Unterbrechungen  über  eine  Stunde  fortgesetzt. wurden,-  so  stellten  sieh  verr 
achiedene  St<tareii^gfn  ein«.  (Puls-*  und  Bespirationsyerlangsamung»  Njsta^u«,  Pupillen- 
iorweitemng,  Krämpfe  d^r  Halsmuscolatnr),  die  nach  Beendigung  des  Ezp^ments 
T^sch wunden;  doeh  bei.  Fortsetsung  solcher.  Yersuche  im  Laufe  mehrera'  Woi^hen 
hegiunM»  die  1  Thiere  f^bzumagenii  aie.verieren  ibrai  AppetiV  wufdsH  ^^ftthiseh  und 
trftge.  ]fl«i  ZnslBads  allgemefneiv  CoUapsfs  exfolgte  r  der.  Todr .  dem  saweflea  AnflUl$ 
tonischer  ivad  kl(Hkischi|r.Kr^iiH»fe  Timngiiigsa*  Dumilr  die  .Thiere  längere  Zeit  am 
Leben  blieben»,  wurden  die  Drebuiigan  (90— ICfO  Mal  in  i')  nieht.  lAnger  aOs  d  bis 
10  Minuten  an  Kaninchen  und  15—30  Minuten  an  Hundeu,  täglieh  oder  3— *4  Mai 


—    568    — 

in  def  Woclie  aosgeffOirt.  Unter  diesen  Bedingungen  trat  der  Tod  eist  nach  melireren 
(2 — 5)  Monaten  ein.  Einige  Yersnchsthiere  wurden  im  Lanfe  des  ersten  Monats 
nach  Beginn  der  Drehnngen  getödtet.  Die  Autopsie  ergab  in  diesen  Fällen  folgende 
Yerandenmgen:  Die  Mnsculatur  des  Kopfendes  ist  feachter  und  ihre  Blatfüllung 
grösser,  als  am  entgegengesetzten  Eörpertheil,  wo  sie  trocken  und  anämisch  erscheint 
Die  Diploe  der  Schädelknochen  sehr  blutreich.  Die  Dura  mater  lässt  sich  sowohl 
im  Gehirn,  als  im  Bückenmark  frei  abziehen;  ihre  venösen  Sinus  sind  mit  Blut  über- 
füllt. Pia  cerebralis  hyperänüsch,  mit  kleinen  Blutungen,  ohne  Verwachsungen  uid 
Trübungen.  Die  Gehimsubstanz  hjperämisch,  auf  ihren  Schnittflächen  treten  kl^ne 
punktförmige  Blutungen  hervor.  In  den  Himventrlkeln  bedeutende  Flüssigkeitsmongen. 
Im  Wirbelkanal  sind  die  Veränderungen  des  Halsmarks  denen  des  Gehirns  analog; 
Dorsal-  und  Lendenmark  dagegen  sind  blutleer.  Femer  wurden  mehrmate  kleine 
Blutungen  im  Pleuralsack  und  hämorrhagische  Infarcte  in  den  Nieren  gefunden. 

In  den  Fällen  mit  chronischem  Verlauf,  wo  die  Versuchsthiere  erst  mehrere 
Monate  nach  Beginn  der  Drehungen  zur  Autopsie  gelangten,  waren  die  nämliohen 
Veränderungen  in  grösserer  Intensität  vorhanden.  Ausserdem  wurde  hier  Verwach- 
sung der  Schädolknochen  mit  der  Dura  mater,  und  Verwachsung  letzterer  mit  der 
Pia  mater  gefunden.  Diese  Verwachsungen  betrafen  am  häufigsten  die  Umgebnng 
des  Sulcus  cruciatus  und  erschienen  in  Gestalt  dünner,  iVi — 2  mm  breiter,  mit 
Blutgeftoen  versehener  Bälkchen.  Stellenweise,  vorzüglich  längs  der  Gefasse^  erschien 
die  Pia  getrübt,  und  nicht  überall  liess  sie  sich  frei  von  der  Gehimsubstanz  abziehen. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab  folgende  Veränderungen  im  Cential- 
nervensystem  der  Versuchsthiere: 

Sowohl  im  Bückenmark,  als  in  den  verschiedenen  Gebieten  des  Gehirns  (Hami- 
sphären,  Sehhügel,  Kleinhirn),  aus  denen  in  üblicher  Weise  Schnitte  mit  Oarmintinc- 
ticm  gefertigt  wurden,*  erschienen  zahlreidie  mit  Blutkörperchen  angefüllte  Go&ae; 
letztere  i^aren  häufig  von  sog.  „exsudat  phismatique"  umgeben,  was  auf  Transsudation 
des  Plasmas  hinweist;  ebenso  häufig  fanden  sich  Ansammlungen  von  Blutkörperchen, 
die  per  diapedesin  ausgetreten  waren,  zuweilen  auch  echte  kleine  Hämorrhagien  mit 
Buptur  der  Gefässwände.  Eine  grosse  Anzahl  der  Nervenzellen  bot  das  bekannte 
Bild  degenerativer  Atrophie  *  —  Veränderungen  der'  Structur  und  des  Tinctionsver- 
mögens  des  Protoplasma,  Vacuolisaüon,. Schwund  der. Fortsätze,  bis  zti  vollständiger 
Zerstörung  der  Zelle.  Viele  Nervenfasern  waren  ebepfajUis  im  Degenerationszostand, 
was  sich  durch  Anschwellung  und  anderweitige  Veränderung  des  Axencjlindera  und 
Zerfall  der  Mjelinscheide  äusserte.  Die  Neurogliazellen  erschienen  z.  Th.  vermehrt, 
z.  Th.  vergröBsert  (hypertrophisch);  auch  die  Neurogliabälkchen  waren  an  vielen  Stellen 
verdiekt.  Die  subadventitialen  lymphatischen  Bäume  waren  erweitert,  und  die  Ghmnd- 
Bubstanz  der  Präparate  selbst,  besonders  im  Rückenmark/ hatte  oft- ein  verscSiwemmenes 
Aussehen,  als  ob  sie  von  trüber  Flüssigkeit  durohdetzt'  wäre.  Die  Intenaitäl  aSer 
beschriebenen  pathologischen  Verändemngen  war  «n  denjenigen  Thieren  am  grGflslen, 
die  die  Dreh  versuche  mehrere  Monate  lang  eorträgen  hatten;  m  den  Fällen,  iro  die 
Versuchsthiere  nur  einige  Wochen  gelebt  hatten,  wai*  meistens  an  den  Mementen  der 
Neuroglla  und  weissen  Substanz  im  Gehirn  und  Rüclcenmarl:  nidits  AbncMmes  zu 
hemerken,  während  seitens  der  Blutgefiuse^  und  Nervenzellen  auch  hier 'die  Erschei- 
nungen deutlich  ausgeprägt  waren: 

Verfasser  untersuchte  auch  das  Centralnervensysteni  einiger  Tfaiefe, '  die  in  um- 
gekehrter Lage  -^  mit  'dem  Kopf  tvtm  Centrum  utid  den  Hinterftkdsen  zur  Periph^uie 
■^~  gedreht  waren.  Hf4r  fanden  sich  an  den  Präparaten  aus  <lehifh  und  RftckehiBiatk 
auch  einzelne  Nervenzellen  im  Begenerationszustand,  dooh  sonst  wat'eürlteint»  Msite- 
ibgischen  Veränderungen  -zu  constatiren;  Imbtbiöon  *  der  Gtundstihsta^,  Hyperfimie 
-der  Blutgefässe  tmd^  Hypertrophie  der  NenrogHa-Elemetfte  fehlten  Vullst&n^g.  Nur 
ftti  Letideiin^k  wurdet  in -der  'griiueb  Substanz' ^erweiterte  G^fässe  und'«telldnwra9e 
'lAmorrhagien  abgetroffen.'      '- 


^    «89    ^ 

ireldi0D '  firelmig  der  TUere-tt&i  äem>  £opf  ^ior  'Feripli^0^<itt0^t^^uAeb»MAyer- 
änderantpen^ -b^twirkt    £f  gelku^  za.id^m  iSobliigtl^'das»./^^  0rdlMiaK«tt  der 

^,li|tdrpck  i?i,d^,  wm  ?op(  tüta^^rÖBf^Ä»  .j|teigt,,.si^4^,.d|^  .wigleipb;4®T..A^fi^^ 

Lyippbe  stattfindet,'  WQdnxcb  bei^öJäeiiürWie^^r^olgftg.  4^  Y?T§H^.ö.  Wß  3Brp%roi&^ 
#ruflg..det  Kvvßii^^menteMnjt.wir^,,;,;^^^^       '    ..'n  :f  :^:-..\i^:.P^^m^^9^r^ 

'.♦■-•■    '•.•i»''i       .•    t,'  ./r     -:..■.■    \\    r-i ■    ■>[    ='  .:•     ^'r.t»   hiu -j   '"i-j-:.  ;    ih   \Li'     L-Mh.iH     w<f 

-4)^  iDiliwiiGlQ vi:d68  eoBOitaByoHB  ^implei'^a  do^  eerveaut  mir 

;'    'irerf/liÄt  seine  Mltereü  VerönChö  übef  den  fönMs  äet'^Ölriiifihäeft^^ 
'*fiert  imd  Gefesse  iriedei*boll  nncLzvailölinö  diie'.  Thiere  init'Cyrare'zif'ittinobi^- 
Vffeh.  Es  ergab  tficli,  dass  iTäbren^  der  lK)ni8fclien'^Ktäöe  dös  dmxib  Birnirindfeltf^^ 
'ans^elCstöuijifaQes  dbr  nerz^Ua^'l^^    verlati^a&t';  dm  lin 'kloniscbeüi^  Stadinä 
'dentUcbe  Bescbleunigang  th  zkgm. '  TbrUuft.  ä^i  ^yf^^^ASscblie^licii  .klonisölj/  ]s^ 
''Wird  Ijedigüüli ' eine  Bescbleniiigtni^  des  äerisrfblags  beobäc^ötV'    .'."' "  ;^  '    '    '^  *  . ^ 
^'    *   pass  diiö  in '  der  AnÄÜeu  'stets   eitotreterid0:Stefge^ 
wö&entUch  auf  einem  central  ausgelGst^n  (j^ef&sSspasihtiä^benäiCergfd 
dass  bei  atropinisirten  Thieren  wäbrend  des  Anfalls  das  Volum  einer  Pfote  oder  einer 
Niere  fortgesetzt  abnimmt,  während  der  arterielle  Druck  fortgesetzt  steigt. 

Fr.  nimmt  an,  dass  l  moh:  4ift  ^dti  BpÜvpidgeitöb^  ^äss^eren  Erregungen  der 

Hirnrinde  einerseits  von  vasoconstrictoriscben  Wirkungen  und  andrerseits  je  nach  ihrer 

Inte^Hftt^  ^'  B«B<M6tuägttäg  W^  ^CeMati^attiy|i  des  fieti^(^kgs"^^ 

Nur.  Erregungen  innerhalb  der  motorischen  Zone  wückiÄ  ifi»  ^idstsr-^eise.  -Bk^der- 

iaa^ni  mn4  :kf$iM  .bes^ei:^^  Cftat^^.r||rHaBB?-BftichJ#wi|gujigjHpi^  .^Verjia^gipmung 

iWd  itQjQekpsy^cmSWimE   aRjBWihiWßn^, fiÖ0iv*f!?rn.^4ie  uWto^€Sw?.^öfi..y^)ialt:M9l|tJ4j)r 

wie  eine  sensible  Flache  und  spielt  die  Bolle  eines  Ausgangspunktes,.f^ipyc^:^.jd^-4<)S 

.IBffiBruiiggwb^dei^  ftl5g^D»  Är.^ierßäpJWtatW^  i>iLT,l^ö2^j,9^)ien. 

•im!)  'lVMa£toibä8plichtliZllelc9i^dietiUon>?^ad^^  eoqpietimeiilelljieiihältex^tti 

iBrisaliMf  tbet>^ftt0A  mäixt^vMtxSbm^i^^BBrfi^i^^  auf  iBlaäe  aiold  Mwiitftim. 

'&js  (BiBtrunr^lltt'iidiebeiJQDg&ne'iwliide  inl'dir^ke  «bto  di^^i-Lendetairb^^^^äuid^. 
inn6'<int6a'i)0uti^i]flhnflohbn--nalüdioli  abdprsi^sfilipyiidiü  dai  ^üekieitBtai^  gi^öhiüiictijlxar 
^)di|<:iz«m/^iIimid0n«iEbebji:rQi<Ait!  »uNttiäiJ  Iveiydteiii  '^liaMutldie/JniQtdrisblianiiOBtasäo- 
märyencjdniif  4otnf)'2i>  u)|di<9.  ILöMbalikeDviiii  ites  ?jM(dMnmai^.  ilQh|lrcoikh]itfle0ti.d^ 
'ano^Mlcidei  CtntDuir  ia^dleioiite^  Ifiisibalffei^ibiu  ^ad|^  einem  FaUb  iKirck&ofl/iS 
müsste  das  fragHcherOeitriilm-iiy'JiBr  lQ0gBiidid»ii9^^ 

.^dMitt.N   (EL  bdncJiieti  ikhnl  getiBmnmim  s^fast  beM»Q)rte8l6ii  FalL aj)fiteed^  ^tftet  ein 
ctfenäoül  LakmaqgBbüa  dw^  fiefldxö6nt»6n;!4»iriS^^üMäreai  x)hii0  jeglieheitiotiiia^ 
•Mbäfile:  'Bele&n^tfichiignnp  id^rnGliBdii^^  Y^esf.  .^^telfigb  Initlfidrohhoff^jdtti 

xSito !d4s' fisi^iohen 'CMntrosia« :i»i^eiHöbe  des .AJiiutirit<t>  der .Sacn±in0;5^^ 
:St&t2eM' 4i^er uAamäIhffl«  ' be^i^aditett  er  #i:lExi)f«timeid;6  Fejiitpr'ifiuiid  iArtbilüd'8- 

ii'  'iviiilnstthrlifilil  wicd  noeb*^^  edahmeiidto  yvlifamblase-  evöriait.  lU 

83 


—    «76    -- 


#>^ire)>er  eine  Sefl6gK]8i^lcmis  iauf  die 'Aifihiniing  belBaitfiutg  daroornea- 
..  A98te.<c|(9S.^Trigemliiua^  TDn.Dn  P^ol'«  ^Oititmaoii/ fintlidMiD  Director  te 
1  .>  st&dlitoaheiv  ErankenbaoAes  Moabit;  in  BevHfi.    (Tffobov'a  H^rcb.  GSJH»  ^) 

'■  •;  -'Birf  tnab^'vbh  4'jabirenr'2  Iffonäteh  liatfe  ötwi'6,01  ^  Atropin.  snlfc  getrunlcen 
tmd  ^äf  nlicÄ  wernigeii  ilGnaten  «chwindlig,  dann  Iränümnien  nnd  nnrnhig  geWorden, 
"Bitte  •'rtaxitniirertfeitörte'  PtrpiHeln,  einö  Pulslrecjiuöiiz  yoti  160—160  etc.  bekommen 
Aaatsten^kr^tbrl^  Hesse  batte  ibm  Morpb.' mnr.  Ö|0!l2  gege/ben«  Excitantien  etc. 
Der  Knabe  lag  in  tiefem  Coma  da,  ond  in  diesem  Zustande  wird  die  merkwürdige 
Beobacbtnng  gemacbt»  dass  bei  jeder  Berührung  der  Cornea,  ja  selbst  schon  beim 
«jftidiaiiidMibr.derp^eii^'flQferti  Mfltetoriscb.die.'rAthnmiig  fitülatebtinnd  vnwt^kk  Rt- 
spiffattonsriellmig  d^s-Tboraxi  Sie  Dauer  des  AihmnngisSliiUfitBndes  belr&gtT6«*H9  See 
nnd  der  Wiedereintritt  der  Athmnng  geschieht  stets  mit  einer  tiefen  Inspiratidit^>  Diese 
«Erscheinung  blieb  e^i^wa  5  Stunde^  besteben  und  auch  dann. noch»  als  bereits  beider 
JBerührung*  der  Comiaa ,  wieder  ^ne,  bis  d^hin  verschwundenei  leichte  ^Schliessang  der 
Augenlider  refiQCtoriscb  zu  Stande  kam.  J^acb  8 — 9  Stunden  w^r  die  Yergiftungs- 
^efahr  beseitigt.  —  0.  .^tellt  die  Beobachtungen  und  Experimente  über  Atbmungs- 
refiiejse  vom  Trigeminus  aus  Zusammen  (von  Schiff,  Kratschmer,  Fr^d^ricq; 
^.  Falk,  Öh'ristiani^  Harkwaldi  Langendorff).  In  keinem  Fall  war  ein  solcher 
^flex  yon  den  Gomea-Aesten  bisher  beobachtet  worden,  und  überhaupt  handelte  es 
B\ch  um  den  1.  Ast  des  Trigeminus  nur  bei  Schiff.  Hadlich. 


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Pathologi^ehe  Aaatomia 


7>  Xsee.PcMrenoj&pluaiea,  par  le  Dr«  Audry,  de  Lyon,  .^vne  de  M^dedne.  1888. 
,  f.  Juii.  p.  4W.  Julii  p,  553.)  v    .        ,        .   .    , 

"''  '  Die  Arbät  enthält  süsser  drei  netten  Beobachtungen  eine  sergÖItige  nnd  daher 
'WMhVelle  Zasammenstellung  von  100  bub  der  Litteratu»  gesammelten  Fallen  Yon 
^orentepiftlie.  .      ;    .  . 

"  Von  den  drei  eigenen  Fftlien  dea  Yerf.- betrifft  der  e rate  eilt  2^li^ht^seB  Kind, 
von  welchem  alle  anamnestischen  Daten  fehlten.  Das  Kind  erschien  völlig  blödsinnig, 
in  allen  Gliedern  spastische  Starre,  welche  nur  von  h&ufigen  convulsiven  Anfallen 
unterbrochen  wird.  Bei  der,S.ection  fanden  sich  fast  die  vorderen  zwei  Dritttheile 
beider  Hemi6i)h&ren  fehlend.  Tiefere  Theile  des  Öehlms  anscheinend  normal.  —  Ifii 
zweiten  Falle  handelte  es  sich  um  ein  2 V2 Jähriges  Kitid,  welche^  mit  Masern  ins 
Sp&tkl  kam.  Das  Kind  hatte  ;ein»  reehteeitige  Hemiplegie  und  starb  bald  ttnter  Con- 
TulnonetL  Bie  Section  ergab  einen  grossen  por^ieepbaUaeben  Defect  in  der  Unken 
B^mispbfire,  ixiabeBondere  4n  der  Gegend  der  vorderen  Geatralvindong.  Ancb  hier 
-leblü  über  <die  SnistebüiBg:  der  Hemiplegie  jede  Angabe.  —  D^r  dritte  Fall  betritt 
•ein  lOmonaüicbes  Kiad,.bei  welchem  die  Unteteucbntig  auf  beaeodere 'nervöse. Sjm- 
ytome  kaum  möglioh  v<»r.  Geistig  erschien:  das  Kind  TöUig.  znrückgebUebem  Bei 
lier  Seotion  fand  man  grosse  Defeete  beider  Hemispb&ren,;  yon^  weleben  leixteren 
fast  nnr  die  Occipitallappen  annähernd  normal  entwickelt  waren. 

Ana  der  Znaammeastellimg  aller  von.  A<  geaatarndten  Fallen  ergiebi  sieh  znoAobai, 
däss  unter  96  verwertbbaren  Beobachtungen  88  Male,  beide  Heiai^b&rea..'Del^acle 
zeigten,  88  Male  die  linke,  36. Male  die  rechte  Hemiapbär:eu  In  18  F&Uenfetdtea 
b^de  Heniflpbfiren  fast  voUst&ndig.  Yon  den  einseitigen  ParencepbalieD  betr^en 
7  I^Ue  deb  Stimläppen,' 4  den  S^bl&fealappen»  17  Fälle  dia  «oitleren  Partien,  ncr 
3  die  hinteren  Abschnitte.  Eine  Abgrenzung  der  Defecte  nach  Gef&ssgebiet«!  ver- 
mochte A.  nicht  festzustellen;  In  Betreff  der  sonstigen  anatomiachen  Sinxeljiheiten 
vergl.  Jnan  die  Originalabhandlung. 

Was   die   Pathogenese   der  Porencephalie  betrifft,  so  kommt  auch  A.  zu  der 


AiiscbäiHing/'ättös?  Tiie^M 'w^Weaene  U  in  "BStracht  kommen;    Tör  Allem 

sind  die  örworbenien  und'die  congenitaTen PötencepMIifen  äüs' Einander  ta  Haltönl 
Die  letzteren'  sind  "Äatn  Tbeil  gewiss  dte' rtine' E^tWiclcMöngsanomäRen  aufztifesseti: 
In  einzelneii  Tiäleh  kötinie'^  si^li 'vielleicM  anch  tim'  eineä  primären  Hydrocepbalüs 
mit'  seonüd^rer  Atrophie  handeln  (?),  um  fötale  Gefässanomalien,  Blntangen,  Ence- 
phalitiden  n.  dgl.    Anch   bei   den   erworbenen   Porencephalien  spielen  sicher  ver- 

iehie^An9r>yqß^l|äiidib.^iqft  B9^^  ^^^Chroiiib^isep^TEinboUejBi^nfiQQ^ph^^^  r^atitBgfiajn^dL 
Unter  58  sr^rwerthb&reii<  fallen!  :sc]^ienen  .^4,  fötalen  Un^rpngs  an  wify  Ift  .waren 
entstanden  während  der  ersten  2  Lebensjahre,  10  im  Alter  zwischen  3  und  1^  Jahren. 
y9];bej^6h9nde  acut^  ^2)raAkhe|te|ii.  un^d.  ^jcaui^i»]^  yArej?  .i)^i.deii>  erwqrhenep,  j^oren- 
eephajien  einig^-Mal& nachweisbar,  —  Die  kliijisichßu,  Sjmpjtbmiö  dar  Porenc^hali^ 
werden  vöji.  A.,  ausführliclj  besprochen..  Yiix.ißjmn  auch^in  Beziehung. hierauf ^i^ 
die  Originalarbeit  Y^rweisen«  da  das  'SjJoptqmenbUd  theils-  e^n  zieI^lich  unbestimmt^ 
(DemenZi  spastische.  Starre,.  Gonvulsionei^)  ist»  th^ils  ^er.  hinläogli^  bekanntep.j^emi^' 
plegia  spa^tica*  iuiaii,tilis  entspricht,  JDia  biagnQ^e,  der  Fproncephalie  ist  .meist 
keine  ganz  siph^eire^  da.Yerwechselungen  n\it  MikroioephaUe  und  inabesondere,  mit  diܫ 
fuser  Hirasklef ose  leicht  vorkommen.  kOwefL       .  .     V    Strüi^p^ll. 


8)  Bulle  granulaa4o^i  fleirependima,  .osseryazioni  del  doti.B.  Barp^icinL  .(Aroh. 

,  itaUan,  per  le.inakt,^e^ose,ecc*.  1888^  ;p^  ..  ,•      .         .    .^  .,    ....    .. 

¥erf«  hat  die  Frage  nach  dem  Vorkommen  der  Ependymgfraniäatioiifiii  an  ddr 
Hand  eines  reichen  Untersnchnngsmaterials  von  Neuem  bearbeitet  und  ist  dabei  zu 
folgenden  Ergebnissen  gelangt 

Ependymgranulationen  t  Ssäm  mh.  bei^  allen  FoitnMn  yon  Geistesstörung^  aber*  nicht 
allzu  häufig:  bei  652  Autopsien  wurden  sie  nur  d2mal  beobachtet  Am  häufigsten 
ktmiinent  acft  bei  PttslTtikeln  von-i^on  jene»  i32'Fttlen*^Ment«üfFaffäl]iiklB(ir  2^7.  816 
suid-aber  durehanisi  tüfiht.oenstaiii  M  diiesati/dernn  ebenrnar  2?  wieseiiVoii'tö-i^ara- 
lytikem' diefte .  Abnormität  auf;-         ■■' 

Ihr.  Yorko9imen  häng^  aic^iif  dir^ct  von  der  Pa^er^^^i^^^j^si^eit  a^,  def^  die 
letztere  schwankte  bei  den  Paralytikern  mit  Ependymgranulationen  zwischen. 4  wi 
19  Mopat  Sie  ^nden  sich  gewöl^nlich  in.  gleicher  {Jäufigkeit  und.  Ausdehnupg  in 
alle^  Ventrikeln;,  nur  2maJL  waren  ßie.  ganz  auf  den  4.  Ventrik^]i  beschränkt  .  Ibr^ 
Äusbilduug  scheint  in  geradem  Verhalts jsijr  Eptzjoindimg, der,  Meningen  etc.  zu  stehen*. 

.    ,  _. '_ ._^  ..;   .  Soipiii.er,  .., 

0>  Beiträge  mx  W[u8kelpatbo]logi6^  IvLstologiBeha  imd  obemiaclia.  TJntw^ 
snohangen  naoh  Tenotom;!^  uqd  Nourotomie^  (Aus  dem  physioh»g.  Inatitiii 
der.  Qmirarfiu  Bi^ealau.)    Von  Dr.  £4.  Kx»u«;i,  Afiaisteozarzt  der  med,  /Klinik  in 
.  Bora.;    (Viwhow'ft  Ärch.  CXIII.  2,) 

Die  Lebensvorgättfee  im 'Muskel  stehen  unter  demEinflüss  mannigfachei"  Bedin-; 
gpingen:  Üh&tigkeit  oder  Buhe,  Spannung  oder  ErschlaffQhgi  Hantreize  und  die  un- 
merkfiche  beständige  Ihnervatiort  (,,chemischer  Tonus''  naöh  Böhrig  und  Züntz)' 
odöT  Trennung  vom  Nervön  wirken  verachieetenärtig.  Verf.  suchte  die  Bedingungen 
einzeln  zu  studiren  tmd  «war  zunächst  in  Bezug  auf  histologische  Verhältnisse.  Aber 
die  Tenotonfkie  behufs  Entspantiung^  des  MuskiBls  lieferte  keine  remeh  Ergebnisse, 
well  die  Ton  der  Sehnenwimde  sich  förtpflanzendö  primäre  Entzündung  die  beobach- 
teten Atrophie-Ersch^nungen  beelnflnsste.  —  Dio  N'eurotomie'  dagegen,  deren  Wir^ 
kungen  auf  das  Oewebe  des  Muäkels  bisher  nicht  studirt  sind,'  ergab  „als  primäre 
Veränderung  eine'  Wufcheifuiig  deif  Sarfcoglia,'  wodurch  die  Fibrillen  comprimirt  und 
zur  Atrophie  gebracht  werden.  Da  nun  die  Mnskelschläuche  atrophiren,  wuchst  daä' 
zur  Atisfällung  itniner  Weite  Binde-  unä  Fettgewebe/' ' 

38  • 


..   /Pep^^emiapxDA  des  HiukQb,.b,QmiiflitfBt  d^ 
teqUriie  Viarf.  ^im,  Gly^gfeo^elialt ,  der  .im.  Allgem^nen,, , im ,  .uni^k^brton  .yeäi&ltiua^ 
zÜr^TMU^keit  fitebi.  ^,  f and,  dase  iwl^  l^^furq^oue  imd  Teuo^mi)»,  :der..Sto9^ed)8d 

,    •     ,»        'I     )      '•  ,  .  I  ■.'•'•'.*•     l'l        '   '  ,->'.•'•  **  ••  ■".  •'     '  1     .     ■    /  ^*  •*  ' 


M))  UetaV'  die  yetftnaerangexi  dm  iS(Miömiiatk»iki  KttiuKfliiMrttäioli  «i9iil»f 
I' •  ;> AMdsnrergtftiniff^ .  van)  IBfbi:  K;  Mi'  Fnoi^off  iii  VWatwäiatt.    (fkdfdW^  ArdüT. 

•'■ '"  irWÖfri«  ü.  A:  Ilabeil  ftätain1fi(*  dW  BWbailiÄihÄ^er^  ;pk)py.ff  s  ttber'Verände- 
fm^iaä  i^tn  6ebtrahierveftfi(jäeiii  l-esp:  Bf&ekeMärk;  nach  actitöfr^ii^ver^ifhiin  IBr 
fetoötßrodttctö'  «ittil. '  ^Dito  gpigientiW' ^iebt'¥^l^fr 'heiror;  diw^  den 

Be^^i^tibhisyör^g ^ der ' N^^b  sücceksi^etr— '^äc&  ider^^i^o^  und 

Schwere  der'  Tergifiittj^  ^'^intf elenden  •  Probest  ÄachgeWießW  •  Imbiö ; .  tmd '  JR^raeh  däsa 
te^'^tfit  gl^kihet'  Bi»hkdIting'd^'Mb1^nthalrke'>^^  itmen  zur 

lÖWcheitmtifg'  kamw,  je^ tfachdfelh: eto' «cWör  'oft«?  Itf^ht '  vergütet  wkrth^.  . 

''F^-liät  jÄzt  einen  an  acnter  Arsentiä^nbn^' gestorbenen -1^^ 
an  dessen  Bückenmark  seine  Beobachtongen  an-Hnnden  bestätigt  gefanden:  es  fanden 
sich  „doch  recht  oft"  Zellen  mit  trübem  Protoplasma,  ohne  If^en^,  rundlich  und  fast 
ofe^  äiteläüfbi'  n.''s;''Vl;  Va^lifötWZrtl'eü  ^^ff^^m'^  ^6Ö!M''^^»d'^8lss8 
waren  erweitert,  in  der  I^She  dbs*  ^d^trall&naU  ^hlreSdhe  BlWte^essfoti^  nnd 
ItowÄ»  »iwöwlwi:sS»^ödi^    ■-:   ■'-■:«.■•;  vi-.,. 7  .,;.,,.   .«-mm:   ...  i   u'-,   '.fla'dlibh. 

;.rx   i'»c:j."'    fj   ,'i:- i    *-j  *'»!.'•.' i..)-i   .11;«. ".i^   r!">v   ''J/.Jv>tri.".-\  -l''! '!j>.-:  ,■!;:  )   i>M'v.t    l'^^',*    ';..*' 

l»)  X-^ldrtliAlffigp)^«  Mt9ieM M  fdMtilMfft  tabtoua tlivl-i 

par  le  Dr.  Gilbert  Ballet    (Bevne  de  MMecinenJSj^v  j|[aiii.p.'aafi.)iv  .  / 


'•^-  'üöii  ^^fcli^iAt'^Mibi3'^!ß^«kuiigön^^ft'^  fili'dÄ  teiidä*'^  ihiW^  g^iAachta 


V  J       »    " 


psyätUeh^n^' Reizbarkeit  keine  besonderen  Erankheitserscheinnngen  dar.  Erst  Ende 
October  stellte  sich  heftiges  Herzklopfen  ein.  Gleichzeitig  wurde  der  Hals  dicker 
undJxA  inl^ntMlton  iMKTki^ili^m^P^e^  iBSUh^kSkOi 

hierbei   zeigten   sich   sowohl   ausgesprochene   Hj4tii^i«^h«(^'l^mfir«tflfii9/j(allglifiiiine 

Pfljcl^npne»),  ^oW<*!  de^tOi?^.:  ;SwlW.^i?«*i!Wf<>,^H« 'B»'¥!iÄ.o^i^^^ 

h§f<;|^fi(;  Hejrzyopfpft^i  Tachycarjäio./^lSp^^iUft.,^  d^r  Jß^ut^)  wd  ^hbl 

l^ndlicli")^ .  iiS:-?Wiifti^ . J.88a. .,mrtej:8uchte  fl.  .dea.JCraakei^,;  Jrj ff^pd.4ifl€»l]^e^^hj|stei^ 
s(shen,$jm|)|tojDae,;i;isb.e^Q9d^esQlu'  ^i^^gedehnte  AftjgB^esiei^rlgf^  .^1^         de»  j?^r|Bchs^ 

(J^qchmßßlJSi,  Cfeh^».  ete^    ,y<)s,,§yiigjtome|^..^p^  ¥^4»  ^im^¥^  W^^  /«§]»J*fi^ 
g^f^9.,S;trxLma.....ui^d.  b.ei.  der  JUscj^tion  ifmÜHO^^.w^^^ 

P^^isfireguenz  140---lßO  Sqlt^^  in .  4eE..  JiUautf^  HE^^igei;  ]j^j^}i||;)if^^ 

*^^W!;P03seisyßWsph€t  ESfregb^lf^itr  ß^l^.Pajbraijie^(tÄgJiiijlM^^ 

mi  ^tspreohender-Polxdip^ie, :......  4.  y  ..j.  .  'i  j,a  .ir; -m/  lü-rtd-c  '^ii..  üA  v. 

Ausser  den  genannten  Eisqbeipung^  j^el  abeü  ffr^era^  /^  Sf^ki^lRW^W^^ 


*  (■,! 
•^  j 


—  Aw  — 


ÜübewygHöhltWt  &#iaeTr  "Än^pfel. '  ö^'^fefilte-^kanntö  einem  VoHfel^ 
und  bewogen  0]yj«)ae''äBcfi  k<tfiier'^'ä^n^^fiicGiiJ^g-'«^  mii 

gegen  yölikommeli 
wechflaüdfer* '  Wj^ite; 
ebenfellB  norniai;'   Ini^i^r  'aieser''8fti^g;'a<^='A^  vbiif'B^ 


'     Eine^-äer  eben  ÄltgAiheüW'^^'''&bnBcha*  BöbBäc^dn^'Häbiil" Witnei'  rinff 
Brißtowfe  0tf^a:'fciiir/ir«iiöa<5fiönfl:'188S:  >;#7'fiäd'^Brtin[l«^/ p:'«!*^^^ 
A^ci  Mör ' lia;(dttte'^  'sich'tii^'  'ife^  $äsedowäf  Ai$^ÖiAii^(5)f0gia'  e^       Äe!c^^ 
zeifig'  mhiseftige'  iivöttrisisliö  ttemifttfiteöieä^'liysfötfeph^^^^  Ä.  -a.'  'B^rftoif* 


„    _,  ,         .  l^nntptömöOiilitKaiiböj^ldg^^  kanii;^'^lc}i9  züw%^  ,.. 

bii&den''  fit '  tmi  iPateisen  '  anderef  'Bbfb&hrött'iy'^^abfiai^/'tWt^^^  H^of- 

glosaus).  -^  '''"•""''  •'•>''^'i'"''f  ''''-'»ii.' 

•     Was'^die'Wthö^enesö  ,del^«f^^  bfeVrtffi/W'Tcänn'  es-achlacft  B.  nnr 

nw  emiö'  rtrfdeafö  oder  'eine  tbröcäle' Stirim^'  hkMbfii^'^Ei^lpörtä  '^(ihöi^it  ihitf  ^^alip' 
öcliemfiÄ   da  •  er ^überKadpt"  «e^  "lisliMf  M;Hü-'dVT''^qif\i:'h(im^ 
lydlliäre  'K^ürtiäe  it:  '•^Öef '^iiusfttrUthÖn^BegTftÄ'dfe^ 
letzte  Äbsi^nift  der  irbU«  gd^tbnei  äa^htt^i  ^Aij'lirtr^^^^ 
Hypotbesen '  ancb    von   B.  anerkannt  isi  -Dagegen  sucht  B.  zu  beweisen,  dass  die 


in  der  Oblöngata  erklären  lasst  ubd .  dass  ^jicb^  al^e  ubng^i^  Sym^ 

(Exophthalmus  und  Sti:nma  durch^  ilä^^üng  Yaso<M}nstricio'nscher  Öentren/  ferner  das 

Cfr8fe*8fclie  Symptöiti,  •di^^^Polywieetd.)  iiir'Me^ 

Zu  den  bulbären  Störungen  können  sich  aber  unter  Umständen'  Filiale  ün'd  doMtiSif 

Störung^  hiii*ug^eU0Ä;.»ViÄ-dyr\tf^^^  mk  aji- 

deren  TTeürosöp' cHj^^^^       fi^llepsie,  J*8fyci!p?^)' *verbiild(StI  ifUÖ.dleisci  tfeu^rosefa'e^^^ 

stehen  besonders- leicTit' bei  eioetii  hereditär'* biereitä  ^ro  beanlagf{^  Ner^^ngysfetf  ^ 

,.    ■-■'.'..•.'   '  i\  j  •.•'.  ;-'  .^- /'♦'••.■'•  >.t:J  •,'.!■  \-.i...)'Vj:'-.;r    it-An-n.//"'    :•>. /.'i   'Wff'tt'iiiü^flJ'^^^'^ 

12)  OphtbataioplQglft  ^eartoima.ipaarlfiaiflj  iKfDroAU'on  Btti^i:!t;.<JoiinL'oftiemM 

:Änd*  üuental- dlseasej  I8g8.  XRi4)*'30i-()r  i:.'- ;T:»i  .^»  Mir>t/o    :iji:-.:0  .f. 

'  '  "Verf.  beipricTit  itijseiier'iesensweirthen  jjlihanditing  die  öentn^eh  Augeihnuikirf-^ 
lähmpngen  tmd  yeist  dBrraüf  hin,  dasä  eä  neben  den  KeiUShmungen  dieser  Art  auch^ 
soldie  Fälle  giebt,  iii  denrin 'iiuf'ehizelne''Aestid'^  ein^s  Opi^lomotonüs  erkrankt  sind/ 
in  denen  ^Iso  ein  Theil  der  Wfirzelfasern  ^desselben  in'  Ihrem  Tetiänfe  vom  J^epi  bis' 
zuÄ  Audtritt  aus  iieta  Hirn  zerstört  dein  'mflsBeii.'  '^  *  Selbst  ^^ebt  dfe  Schilderung 
eines  eigenen 'Falles  voh,, Ophthalmoplegie  externa' pattialis'^,  irie'er  diese' Form' 
geg^nüb^  der  totalen  und  fast  stets,  bili^teralen  Klemlähmttn^  bezeichilei     *'     ; 

Ehr  A0jähr. '  Malni''  nut'  Aort^enose  und  liätifigen'  Mi^neanföllen  ierrlitt '  eineii 
plöülichen  Anfall  von  Schwindel,  Doppeltsehen  ünfd  In  tichnellstem  Tetlauf  sich  kn- 
schließsender  Somnolenz, , die  3  Tage  anhielt..  Es  blieb  aber  Schwindel  und  Diplonie 
Äfück;'dle'genauer$  tTntersuöhapg'  ergkb'aüfd^recttefa  Äuge  Pai^Jyse  des*  R 
inferior,  "und  Parese  des  Eectus' internus,' 'auf  dem  linkön^aber  .Paralysd  des'Rectus 
snp^rior  tmd  des  inferior,. sowie' eine.  Ungleichheit  beider  Pupillen  (r>l),^e  aber 
ebenso  wie  die  Parede'des  rechten  ^Internus  -nach' weitidren  ^  'l^ageh  schwand.    Alle 


mucde  .au£.  JBmbolie  der  ^^emen  Aftemn,  gestellt,,  ,die  in  .^die  ^^abstaatia  perfprata 
piosterjtpr,  resp.  io;  d^8„  Tßgm^ntum  .graris  eindriiigai]*  .aiid;(dL6ren  Ters^blosa  kleine 
%weipbiuigab0erde  im  rptben.KQrn, bedingt  babe« ,  jDarQb.ileijztere.  sejien  ^  einzelne  der 
Q^ulo^notoriuafasem  in  Uporepi  yerlajol-dv^^b  jl^n  rotben  Kern  zerßt{^rt  worden«  Den 
biirt^äcüigen  ßcbwii^del  jsacbii  Yerf^^  im.  ^orlicigeDden  f^all  dnrcb  4ie,  anaiK)mi8che  Yer- 
bin^i^i^g  d^r  irotben.,, Kerrie.; ipiti;. den, /oberen. Eleinhirnscb^Q^  erkUrep,  also  alB 

ein^n  q^ebellareoi  Scbwindel,'n])d  bebt  nocK  benor^  dass  ßcblnse  der  Angei^ .  keinen 
E)ijadQia88..anf  d^:  Int^nsiijät  des  Schwindels  gebabt  babe. 

Znm  Scbinss  giebt  Verf.  np^b  4^1^  Yersncb,, alle  Angenmnskelläbmungen  nach 
dei^  Sit9&  der*  o;i;ganificb^n  Störiipg  zi^  differenziiren.  ..Ist  die  Iris  allein  ergrilGan,  so 
ist  der.Erkmaknngsbe^rd  kl^in.imd  ;U^,eQtwe4er  peripher»  im  Ganglion  ciliare  eto. 
o4er,an  der  £inmfindT^)gasteUe.  des  Mnaedoctiiß  Sjlvii  in  den  dritten  Ventrikel.  Sind 
alle  ]([qskeln,  sowobl  die  vQm  Ocnlpmotorius»  als  aupti  die  yom  Troßhlearis  und  Ab- 
dncßnß  versprgten^  ergriffen»  die'  Iris  aber  normal»  so  handelt.es  sich,  um  eine  Oph- 
l^pjmoplegii^  ejKtema  totalis  nnd  der  Heerd  liegt  in  der  grauen  Substanz  am  Boden 
djSfii,  4.  Ventrikels  uod  .des  Aquaeductus;  auch  sind  dann  fajst  immer  beide  Augen  be- 
fallen. Sind  ^e  Muskelui  4ie  ypm  Qcu^pmotoijius  ;abb&i^pn»  incL  der  Iris,  ergriffen, 
so  iab  die  Lasipn  fasj;  immer  nur  ein^itig  und  peripher;  häufig  finden  sich  Störungen 
anderer  Himnerven  vereinigt. 

ßindnur  einzelne  der  vom  Oculoipotorius  versorgten  Muskeln  erkrankt,  so  liegt 
4er  ^eerd  im  Tegmentum,  j  zwischen  dem  Oculomotoriuskem  und  dem  Austritt  des 
^Qrvpn  aus  dem  |Iim.  Die  Erkrankung,  kann  beideirseitig  seiUi  ist  aber  selten  sym- 
U|ie:^ph.  Genau  dasselbe  Krankbeitsbild  kann  tbrigens  durch  postdiphtberische  Läh- 
mungen erzeugt  werden,  in  welchen  Fällen  die  Anamnese  die  Diagnose  ergiebt. 

.      Sommer.    . 

lä)  K'otea  of  five  cases  of  Ophthalmoplegia, .  bj  E.  C.  Seguin.    (Journal  of 
nervous  and  mental  disease.  1888.  XV.  jj».  3^7.) 

5  Krankengeschichteu ,  (ohne  Sectionsbefund),  die  )iier  im  kurzen  Auszuge  wieder- 
gegeben werden  mOgen. 

1«  Ophthalmoplegia  externa. et  interna  bilateralia«  M.,  31  J.,  luetisch; 
beiderseitige  Ptosis  und  Paralyse  resp.  Parese  der  von^  Ocubmotorius  versorgten 
AugenmuskeUi.  Linke  Pupille  >  r«  Beiderseitige  Pupillenstarre  bei  Accommodation 
und  Lichteinfall.  Blasenbeschwerden,  Steigerung  der  Kniereflexe.  Später  Blitzschmerzen, 
Abnahme  der  Befiexe  und  fortschreitende  Atrophie  beider  M.  temporales  und  masseteres. 

2.  Ophth.  externa  et  interna  bilateralis.  Frau,  20  J.,  progressive  Parese 
beider  Levatores  palpebr.,  gelegentliche  Diplopie  und  Parese  der  linken  Iris. 

3.  Ophth.  externa  et  interna  bilateralls.  M.,  40  J.,  luet.,  rechtsseitige 
Parese  und  linksseitige  Paralyse  der  Levatores  palpebr.  Beiderseitige  Paralyse  aller 
Oculomotoriusmuskeln  und  Parese  des  linken  Abducens.  Pupillenstarre.  Linksseitige 
Facialparese.  Steigerung  der  Sehnenreflexe.  Anästhesie  im  Gebiet  4er  oberen  Aeste 
des  linken  Trigeminus.    Blasenbeschwerden. 

.4.  Ophth.  externa  bilateralls.  M.,  42  J.,  beiderseits  Ptosis  und  Paralyse 
resp.  Parese  der  Oculomotoriusmuskeln  und  des  linken  Abducens.  Anästhesie  und 
Analgesie  im  Gebiet  des  rechten  Trigeminus. 

5.  Ophth.  interna  bilateralls.  Frau,  35  J.»  luet.?  Mydriasis  und  Pupillen- 
starre.    Heilung  durch  Eserin  und  später  Sublimat.  Sommer. 


14)  Zur  Pathologie  und  pathologisohon  Anatomie  der  acuten  oompleten 
(alkoholischen)  Augenmuskellfthmung  (Polioenoephalitia  acuta  superior 
Wemioke).  Aus  der  psychiatr.  Klinik  der  Charit^  (Prof.  Westphal).  Von 
Dr.  ß.  Thomson,  Berlin.    (Arch.  f.  Psych,  1888.  XIX.  1.) 


--    5SÖ-  — 

/■t  Yerf.'glelA  zireliEiHBkengoscihichtea'iiniiSectifMSefond.'^döb^^ 
die  Angaben  WernickeX  tU).er  dj^e  cfeltenje.  Kronjkl^eit.b^ilitig^n«,  ün^  Lebest  [ganz 
acute  Opl^tbalniople^  extedor.  mit.Änd^scjtiiiißci  dea  Leyator  ;palpeb|aQ  ,und,Sp}iincjl(Q|. 
iridis;  taumelnder  Gang  (Steifheit  mit  Ataxie),  Bewusstseinsstörungen  ähnlich .  d^ußE; 
des  Deljurium  Jemens.  Die  übrige^.  Hironerren  aind  ^r^i;  ,i>.i;u:  in  4el^  .e^nen,  tFalle 
fand  sieb  eine  zweifelhafte  einseitige  JFacialislaJunung.  An.Bumpf  und  Gliedern  )£aup<e^ 
Lähmung,  keine  Anästhesie;  Beflexe  und  Sehnenphäp^omene  g^it  erhalten.  — .  J^eid?^ 
Fälle'  betrafen  starke  Trinkei*^  bpide  f&hrt^n  aehr  schnßll  t-  in  12  resp.  2.Q  Ts^gen, 
—  zum  Tode.  . ,  .  vi 

Die  Section  ergab  beide  Male  braune  Atrophie  des  Herzens  und  interstitielle 
Nephritis.  Am  Gtohim  Oedem  und  chronische  Verdickung  der  Pia.  —  Das  BQcken- 
mark  war.  in  allen  Theilen  noonal.  AUe.fiisDBenrenat&inBiey  aueb  die 'defl^AugOdi 
zeigten  sich  ganz  normal,  ebenso  die  Angenmuskeln,  —  Di»  einzigen.  Erkrankungen 
der  Gtohimsnbstanz  waren  folgende:  >, 

Im  ersten  Falle  war  das  Bodengran  de^  4.  Ventrikels,  und  um  f^p  Aquaer. 
ductus  Sjlyii  herum  stark  hyperämisch  und  von  massenhaften  capillaren  Blutungen 
durchsetzt,  ganz  besonders  zahlreich  im  Kerngebiete  des  Oculomotoriqs,  abwärtia 
weniger.  Doch  zeigten  sich  die  eigentlichen  Himneryenkeme  und  ihre  Wurzelbünde), 
selbst  ziemlich  unberührt;  nur  ihre  Umgebung  betroffen. 

Im  zweiten  Falle  hochgradige  Hyperämie^  aber  nur  vereinzelte  Blutungen; 
dagegen  starke  Degeneration  eii^elner  Nervenkeme,  ganz  besonders  de^  Al^ducenSi. 
etwas  weniger  des  Oculomotorius,  am  geringsten  des  Trochlearis,  ausserdem  aber  in. 
hohem  Grade  des  Hypoglossus.  Die  austretenden  Worzelbündel  sind  auch  hier 
ganz  gesund. 

Thomson  meint,  dass  im  ersten  Falle  die  Ernährungsstörung  in  den  Kernen 
noch  zu  frisch  war,  um  sichtbare  Degenerationen  zu  veranlassen;  iQi  zweiten  Falle^ 
wo  der  Verlauf  sich  auf  8  Tage  länger  ausdehnte,  kam  es  bereits  dazu.  . 

Mit  der  Bezeichnung  „Ophthalmoplegia  exterior  acuta  alcoholica"  will  Thom- 
son andere  ätiologische  Momente  (Wernicke  sah  die  Erkrankung  einmal  nach  Schwefel- 
sänrevergiftung)  nicht  ausgesehloesen  haben.  —  Aber  Wernicke*s  Ausdruck  ;,süperior'' 
(d.  b.  nur  bis  zum  Abducenskem  inclusive  die  Aflfoction  zu  begrenzen)  trifft  in  Fall  'S" 
TlM>maen,  wo  der  Hypoglossusk^m  auch  degenerirt  war,  nicht  zu.  Hadlich^ 


16)  Beiträge  8ur  Iiohire  von  den  basalen  und  nuoleftren  Augemnnskellfth« 
mnngen,  von  Bernhard.    (Arch.  f.  Psych.  1868;  XIX.  2.) 

1.  Fall  von  einseitiger  totaler  basaler  Augenmuskellähmung;  es  waren  ausser 
den  3  motorischen  Augennerven  auch  noch  der  Trigeminus  betheiligi  Jodkali  und 
Galvanisation  führten  in  5  Wochen  eine  ziemlich  vollständige  Heilung  herbei. 

2.  3.  4.  Fälle  nucleärer  Augenmuskellähmung.  Fall  2  ist  durch  9  Jahre  be- 
obachtet. Der  in  Bezug  auf  den  Augenbefund  sehr  wechselnde  Krankheitsverlauf  mpss 
im  Original  nachgelesen  werden.  Erst  nach  9  Jahren  treten  Störungen  des  Allgemein- 
befindens auf,  die  an  Tabes  denken  lassen. 

In  Fall  3  bestand  neben  den  Störungen  in  der  Bulbusbewegung  Schwäche  des 
motorischen  Trigeminus.  Fall  4  war  vielleicht  eine  Blicklähmung  nach  rechts;  auch 
hier  bestanden  Störungen  im  Kauen  und  herabgesetzte  Geschmacksempfindung  der 
vorderen  Zungenpartien  rechts.  In  Fall  3  trat  vollständige,  in  Fall  4  fast  vollständige 
Heilung  ein  unter  Galvanisation  und  Jodkaligebrauch. 

Das  Hauptinteresse  der  Fälle  liegt  an  dem  günstigen  Verlauf,  den  sie  genommen 
oder  in  Fall  2  wenigstens  durch  Jahre  beibehalten  haben.  Bemerkenswerth  ist  auch, 
dass  in  keinem  der  Fälle  von  Nuclearlähmung  SyphOis  constatirt  werden  konnte. 

Bruns. 


—    SittSi    — 

im  f^hllMüato^^  jAfratLilfi^a  $kn;  14^  j\  81.) 

über  Ät^enschmerzeUi  ,»SMd  In 

Belastung:  äypliilis  nicH  nkcli- 

üff^ÜeH: '■"'■'■  |-'' ••;'■■• -i--'-;  ;^=';'-  .    •-'•"f^    •  -  ""'•'"'■■■;;  '■'"■  .   ;''" 

sAÄttöts  'ititliiöitVdas' fi^^  Spin-,  vpn  AWrmitSt 'im  Ange,  nicM 

Iföni^v>^;'!fiä  W^^        'äeiiiiacii  eliie  c6mj)t^  Z.  IJeiYen' in, Folge 

DoflQn  von  Jojäkaliam  machten  die  Behandlung  aus.,  L.  Lehmann  (OeynhJaufien). 

.'  '|.,,  ii't-.-f.;«jff     ]  ,xj    •  .«  -.•rnJ?     .-.>-i    '.•  ■  ;•■•    •'     '^"..   r  "     '.  .    /        .  •  .■  •■  </«      *>     '* ,  -        •  i^^ 

-n'>"''"Ü:'i      -••'!      ■    -     .1'''       f-'«     *.:•■•/'     '•    VV      >M',.n!l.'l!f.-      •,   •;,      ,-...     ..;  l     .  :>.*      ,,:/,  '-,\-     / 

S.  theilt  einen  Fall,  Tpn  Op^ithalmoplegia  epft?  aSls  "Folge  yöaAlköbolmifisbrauch 
M/;&^r'm^  j^s  'ijänien  ja  Augenlähmüngen  bei  qfriiikeni 

Vor/  dbch^  hicUt  gerade  diese,  lii^r'  geu^^mte^  $1b  Oi^thalmoplegia'  ext.  beiieichnete. 
Sejid^'  :^ugen  '(lhijcs,''ir6nigei*  Mark)'  zeigen  .^to^is/  rechts'  ausserdem  Stratüsinus  ex- 
lieitiitisi'diV  Bewegung  ^des  Bhlbus  nach  ot>en  un^  unten  war  apfgehobei^  die  seitliche 
Bewe^ng,war  ungestört.  Pupillen  reagireii,' auf  Ucht^  Vw-engi  PatellarreflexWder- 
8Ä^'yeröcbwTim'den,'¥laiitäm  gfestelgerf^'  Waden  und  eÜenöd"  di^  hbit(^bn  ^lal- 
neryeii  b^  Drück  säÜr  schmer^atT-V  Das  elektrische  Terhälteh  (^er  Beinmuskeln  normal 
-|Ii  t^lllgöni' 6% 'veirririgert.,  *  '.  '  .'  ~  V',^,  /  '  .'  '  '.  ..'  V  ''  '  '  . 
''  '  Die  Entziehnügsktir  im  äospitale  Verbessä-iö  die  Augenlähmung'  ansehnliciu 
,,      .  ,,.,.,  L.  LeJimann  (Oevnhauisiin)'. 

f.f  >i  ,it  fl    (j  i;-    }f  ■    '•■f'"*,'i.  V"^^)''  *  «     •  ••■  /i     ***** — tttifftj     tut*'  -»o      •'•  •. «        '..">< IT  ^    .  y      ,, ,        ^   ' 

i£i)  XJei)er  miii'tipie  SM^^  2  Knaben,  ^on  Brot  C.  W^atpl^aV  j[Charit^. 

^ ,.  .,4^^lep.  ;j88f '  Xin..Jfihrg;,  —  ScJilu^R.aus  ^ri  18  S.  61.80..'  .m  ..i    .».;- 

^•  .£d  ^ilxd  '0  UidJfi^M :  fieob^hilingeii/  welohe  W.  bmgt,  ttid'  Ton*  wqIoImi  di» 
di0<  d^-Kflabeti' WiHi^lmilCeeatr,  ll'JahreraUv  die  ic^^ito  Oeoi^  Beikifaoldv' d '  Jalm- 
idt;  betrifft'  Jtoi' beiden  Snai»ei(biB8fiiÄdMolonB^  SclniAelie  d«li/u«fcereB'tnd  obii^äi 
Ext]JBiA)tlLtfea,  und  zwarto'deiiimtereireiBimimsten  faei'der  B^ogii^ 
Kniegelenken;  die  Streckung  im  Knie  war  kräftiger  als  die  Beugung.  Spastische 
Erscheinungen  im  Bereich  des  Oberschenkels  bestanden  bei  dem  ersten  Knaben;  bei 
Mdtti?.^nen€eQiti9ctiii^ 'dMr?  WadefarnnskrtAi^-  Die^StimenphAnemeher!  fnires  M  -  b^ided 
erhöht.  Der  Gking  Wer  fligenJMütilicbV ' bteltbäini^  uivd' unfiöeher,  '«ü'-Krimngr  des 
Beckens,  weil  die  Fü^se,.  md.  zwar  mit,  den  S^itzenj,.auf  depa  Bode^i  ^hleiften  ;(Waden- 
(voutractur)..—  An'den  oberen  lEx^emitätp  .wairen  alle  aptiyen  Bewegungen  ipögUch,, 
aber  mit  geringer  Kr^ft';  Sps^smein  Jehi,ien«  die..^eh^enpi)^nomQ][ie  wi^^ 
I)ef  ^te  Knabe  soll  'früher  beim  Schreiben  ge^tteri  ha|)e]),.    .      ,         '         * 

^Sensibilität  ungestört.  .—  ,])iee§3  zeigte  keine  iBlasenstÖrung;  jj^emhoid  lieeß  Unn, 
und  Zoth',  unter  sich.  ^— Pacialisgebiet  frei,  Zunge  gut  beweglich,  Spwchp.vo^Luigsamt 
Die  Augen  zeigten  sich  in  mehrfacher  Besiehung  in  das  :Berei<^  der  ELranikheit 
gei^ogen,  die  Bewegungen  djer  Bujbi  ifaren ,—  jwmentlich  bei  Eeinbold  7-  i^ach  ver- 
schiedenen Bichtungen  hin  bescApräivliLt  resp.  ^fifgel^pben  .(dabei  Jiy^tagiiuis).,  Die  Pu- 
pillen waren  bei  Heinhold  eng  und  r^sfirten  tra^e  auf  .Licht;  bei  Meepis.wa^  m 
weit.  Bei  beiden  Knaben  bestand  Atrophie  der,  tjapi^en,  bei.  Heess  eine  beidei:e^tige 
temporale  (links  stärker),  bei  Eeinhold  eine  totale  (rechts  stärker). .,  !ßm  JJteesa  £^ 
schränkung  des  Gesichtsfeldes,  namentlich  für  Farben.  r- 

,     Die  Intelligenz  war  ,bei  beiden  Kranken  deutlich  beeinträchtigt    .. 

'Meess   hatte   mit  6  Jahren, einen   Krampfanfall,  nachdem J^  am  Tage  ,Torber 

ein  Hund  ins  Bein  gebissen  hatte;   mit  9  Jahren  litt  er  viel  an  Schwindelanfällen. 

W.  hebt  hervor,   dass   gegenüber   der  Schilderung  von   Gharcot,   bei  seinen 


-  mr  -- 

stömngett,  di^M  tnaltipil^  8kleto£^  sieh  iAi(^  W.  Iiätrfig^r  ftnden/ w^nil  rttai  genatr 
owtertuclit,  Wüten.-  •  "•/•''    '-'  '  •  •'"  •'  '"'''  "'^•••""'  -  '  ^    -' '■  •"•-•;^ 

'.    '  IHe  Biagnos«  itt1;^c1seh    ÄlleträhigB  i!&d''aäalo^e  FfilDef  ^!me  fllnatdmkcl»^  ^^^^ 
&ndenmg0n  beöbtfdUt^  flbcnr  iü  Bdsmg:  Mdk^tif  kt  dkB  ^dBtdhM  de^r'Fai^illehalarbpliils^^ 
flBiMheideiid'  fQi'  inBltijilo  19ld«r0se,'  W&!u^  i]ür''F6liled  Ifeln^  b^stiihmtdn  B6hlii8s 

Di«  nur  ton  mtittipldr'^Sfeüe^ose' M'Kiridferti  in  der' LltteMni^' sMd  ^«M  l^ä^' 
aellei  imd  zwar  iat  die^EiNinldii^«' 8«ftidn  it!i^  Alt^  g^iid^' 

Eine  FbnüU^anlage  —  wie  bei  den  FSIlen  von  Pelizäns  n.  A.  —  konnte  W.  hier 
nicht  nachweisen;  doch  war  der  Vater  von  Beinhold  psychisch  krank,  durch  Selbst- 
moid ^^g^oÄMtir  -^  AlJtoiAi^  iät'M^lii^i^  >Al^' ti#^'^11!^'«Ü^i9r"pyiGMr 
PoHacVs'  FmH  'seheint  1^^  dein  K^aAklie(t8{»r6()e«e'  dei<  tanR^I^B-El^  'nSSh'f  %anz 
zu  entspi^diöÄ;  ."..it-.'.'ir  ■•' •.  .-V  M  •..•'«•.i-.'r  .',■•■.!$    .'.u-i.!     .    " -ffiiaiiicS. 

19)  Beittftge  zar'Xelire  von  de^  pröfi^dsSiVen  Ittitskelätirophie«  vdii  Ihrof.'  Slj 
•      Hitzig.    (Berl.'klui:  ^ööh.  ISSS.  Nr.'SS  ti.  85"^  "     •"  '   '       ""      "V  '  T' ' 

Dei: . TorUegende  .BejLtrf^,))phaodeU..4^aU0  d^er  mu^eMäüen  Pornif  der  !pr>orf 
gre>asiYAn  jyLas kß Atrophie  (ja¥enUeM«8keUF9tc99t^  aMh<  Ev^)r.dereik  4imklei' 
Wesen  darcb.  die  hi^r.  erfolgte ,nukrq8kopi|H3he..ifnfkaliii)d^i8  auch  JceiaMr 

Aufklanmg,  so  doc^  werthyoUe  Belenchtang  erf&hrt.  AAfirdii^^iBaeteeii  F&)lefeiQiRi7f 
geheim  wl^rde  zn^w^it  {Ah^ei^ r  4i^her.  apllea^)iiarv.«iur:;die',we8entUc)Kflb9ii  Biesiiltate 
mitg^beUi  werden.  Dar.letat^.der pilgetheil^ F&Ue <4^ft)in  HMiMaebeii9r)^e{Bito> 
den  bKaachboDsteii.Seftavd..  \:  ......•."      •  t-.-  .?•  "'"ri  •  .1    •"'•  ■:  /•  •••'•    '••'••f 

Aller  Erfahrung  nach  hudelte  eS:  sieb  hierium  ^nen.F4lspUUitor.]lu«kelatiWlW 
mit  se^polphnmeraJ^m  Tjpua^  Yer^fte^  aiu^bdieseDiasQiPB^bU.derim^ 
Befand  aiisge^chiuttener  MHskelstflcki^awesjbeipem'belahite:'«^  l^.b](perr 

trophiaphe-FjuEwii,  2.]rondlioli%atcpphi8iveBde  Fmor^^  3»  IJ^iifi^clie  i^phiooreode  Fi^m^j 
Das  geg^naeii^  YerhAltiMSS/.'dme^njm  «a3aiidiBr-.{faiiie.,deiiiyei!t  -tr^Mben  den 
Beobachtungen  an,den.aD4e|:n  Fällen  iai. frühem  Sta4ie|^hr<VEi  folgeoteriAAfilsqun^ 
des  iqtierein  Forganges,  welche  cum  grano  salis  fOr  alle  derartigen  Fälle  zu  gelten 
hätte:  den  Beginn  im  ErankheitsTerlauf  machen  Muskelfasern,  welche  durch  innem 
Bei7.,4&|dc.:h]Fjpe£trwhireB.;UQd  »p.  Bm^^  (haipi)^  ^»ichiRtigeis rBleMQto  an^ 

rein;  mchapia^bani.  Wege  ..wachsend,  aict^.gegonsettigr.ilure  FpitU'  l^estiaitlwai'iDie 
schwächeren  Elemente  werden  erdrückt  und  atrophiren  (primäre  Atrophie  i^^eiidger 
Moskelfibr^len ,  ^oU  z^cht  ganz^  joi,  Abrede.  g;e{it^t.  werden),  ..\u|id  nehmen  Je,)  nach 
den  3edi]^ungen  des  ihi^en,  zur  YerfC^ung  §]^^he^^9.  Bai^Q^iS!  ziuide.  .oder  ^^n^ohß. 
Oestalt  an^  .in  beiden  Fällen. siclx^u, gewissen  2^gea.Q4er  Bajiken  Qrdnenid.  .Bipdo-, 
und  Fettgewebe  spielt. bei  dieser  ^rankbe.itsfonn  keine  Bollen  cane., etwaige  yeanehr> 
rang  ist  nur  relativ^    (Vop  d^  P9eßdobjpectrop^^,^jBpfe(d\en.^    awh  Yßrf.  in 

einem  späteren  i^ufsat^/vorbebi^tQnO...    .  ,  .,»    ...;;  -r     -i       • .  "  r- 

Dieser  ^jaU  IV  bietet  noch  einige  ai^dero  recbti  iuterfssante  MQQ^te..  Yoz;  Allem 
ist  es  eine  eigenthümliche  Beziehung  der  Jtuskelat^qkur  zip:  elektrischen  Erregbarkeit^ 
Der  rechte  Biceps,  welcher  sich  im, Zustand  jeiner  atafrjw'.Conjbractnr.I^fand  (upi  lui-i 
dem  betheiligten  Musliialn  zeigte^  •slcji  sehr,  lebhafte  totale. upd.fihriUto  Zujt^ungen) 
und  dessen  Musoulatur. '  in ,  dem  obßngesc^^erte^^, Zustand  ^lochiSfihr  yiel  quergen 
streifter  Substanz  aufwies,  war  trotzdem  iaraidis(^h  direct.  yollkomme^  indireiQt  ,n|ir 
ein  wenig,  desgleichen  ^ai^cb  .g^^vanisch  nur  m^ün^d  Vregl^^».  ,(D^e., Function  flQsht^ 
also  In  diesem  Falle,  parallel  der  elektrischen  ^eaction»  ..Bef.)  ..  ,  . .  .  . ,  •  . 
Äucli .  klinisch  i^t  dieser  Fall  ungewöhnlich, ,  4äher.  auch  der  Wechsel  in  d|BV 
Diagnose,,  welcher  durch  die  anatomische  /Untersuchung,. nothwex^g  gemacht  word^ 
Der  Fall  begann  nicht  chronisch,  sondern  subacut;  ganz  zuerst  bestanden  auch  Par- 


^    578    — 

ästbffion  n9ben..dw  YeiinderiingeDi  4e9  l(a8kdsjstoiQ0.  la  '/«  Ahiea  war- der  Fori* 
BcliriU  if^x  Kwikheit  .so. weit  gediehepu  daas  Pai.  des  .Gebrauchs  der  obeam  Ex» 
tremitäten  Tollkommen  beraubt  war.  Der  Muskelschwrmd  war  anoh  Auf  die  Haad 
übeigegangßn.  £s  wgka^  «icb  auch,  motorieohe  SeizersclieiiutDgeB  in.  Foarm  Ton 
^ßokui^^u  vni  KrämpfeB«.  wogegen  die  Sehnenrefleza  an  den  Armen  fehlten. .    . 

. .  Man  wH  ^03.  dif^em  Falle,  swiesoihwer  nnter.UmstSndsn  die  Diffetentialdiagnose. 
werden  kann,  und  daas  diese  sieb  mancbmal  —  soweit  beute  das  Wissen  rwcbt  — 
npr  anatXMQia<^  stallen  l&set  Oh  m/cbt.anoh  Fälle  rein  spinaler  Muskelairopfaie  die 
g}^icb0n  YerandenmgeA  der  ICiiacnlatar  asAigen  kennen,  das  ist.  noch  eina  offene  FVageu 

.......    ^  i .  Sperling« 

90)  H&niatrophie  ooQg^x^told .  de  Im  laogoA,  paralysie  epaaUque  des  ak- 
trömjLtäß  inüirieiireat  par.le.doctenr  Xavier  .Francatte,  chaigiS  de  conrs  k 
rqniyei^it^  de  Li^ge.    (Li^ge,  imprimerie  H.  Yaillaut-Carmanne.  1688.) 

Die  17 jährige  erblich  unbelastete  Patientin  leidet  an  angeborener  Atrophie  der 
linken  ^ungenhälfte,  welche;  keinerlei.  Beschwerden  machte.  Kindheit  ,und  Entwicke- 
lung  normal.  Linke  Zungenhälfte  galvanisch  und  faradisch  weniger  erregbar  als  die 
rechte.  Die  ganze  linke  Gesichtshälfte  nicht  so  gut  entwickelt  als  die  rechte.  Para« 
lyse  des  linken  Bectns  eztemns,  leichte  Parese  des  linken  Facialis.  Vor  6  Jahren 
trat  langsam  Lähmong  der  nnteren  Bxtremitäten  ein,  die  zur  yollständigen  spastischen 
Paralyse  ffthrte;  die  Sensibilität  an  den8elb\9n  sdieint  nur  wenig  herabgesetzt  zu  sem; 
keine  trophisöhen  Störungen. 

Yerf.  oitirt  ans  der  Litterator  alle  Fälle  von  Hemiatropbia  linguae  nnd  findet 
darunter  keinen  eongenitalen,  ebensowenig  einen  mit  spastischer  Paralyse  complicirten. 
Ueber  die  Art  der  Erkrankung  stellt  er  Terschiedene  Möglichkeiten  auf«  ohne  sich 
fOr  eine  zu  entoeheiden;  den  Sitz  loeaüsirt  er:  die  Erkrankung  muss  die  beiden 
Pyramiden  im  Balbbs  treffen  und  zwar  nur  die  Fasern  fOr  die  unteren  Extremitäten, 
sie  muss  weniger  nach  rechts  als  nach  links  reichen,  indem  sie  hier  den  Kern  des 
Hypoglossus  und  des  äusseren  Oculomotorius  schädigt  und  deü  Facialis  afQciri 

Während  des  Dmiekes  der  voriiegenden  Arbeit  wurde  in  diesem  Centralblatti 
1.  August  1888,  ein  ähnlicher  Fall  von  Fr.  Schnitze  beschrieben. 

________  P.  KronthaL 

■ 

21)  Observation  de  myopathie  progresBive  primitive  4  type  flaoio-soapiilo- 
hum^ral,  par  Spillmann  et  Haushalter.  (Revue  de  M^edne.  1888.  JnnL 
p.  461.) 

Klinisch  beobachteter  Fall  ohne  Autopsie.  Beginn  des  Leidens  bei  dem  zur  Zeit 
der  Untersuchung  28  Jahre  alten  Manne,  in  der  Kindheit.  Familiäre  Disposition  nicht 
nachweisbar.  Pai  konnte  niemals,  wie  andere  Kinder,  pfeifen.  Hit  13  Jahren  wollte 
er  Comet  ä  pistons  blasen  lernen,  war  hierzu  aber  nicht  im  Stande,  ungefähr  um 
dieselbe  Zeit  beginnende  Schwäche  in  den  Armen  mit  merklicher  Abmagerung  der- 
selben.   Im  18.  Lebensjahr  dieselben  Erscheinungen  an  den  Oberschenkeln. 

Bei  der  Untersuchung  fand  sich:  starke  Lordose  der  Wirbelsäule.  Watschelnder, 
langsamer  Gang.  Unfähigkeit  sich  aus  sitzender  Stellung  f^ei  zu  erheben.  Fast  völlige 
Unbeweglichkeit  der  Qesichtsmuskeln.  Atrophie  der  Stemocleidomastoidei,  CucuUares, 
Pectorales.  Schulterblätter  weit  abstehend  vom  Thorax.  Geringe  Abplattung  der 
Fossae  supra-  und  infraclaviculares.  Deltoidei  and  Oberarm-Muskeln  fast  völlig  ge- 
schwunden. Atrophie  der  Strecker  am  Vorderarm.  Kleine  Eandmuskeln  fast  ganz 
normal.  Atrophie  der  Glutaei  und  der  Oberschenkel,  besonders  an  der  Yorderfiäche. 
Unterschenkelmusculatur  kräftig.  Keine  fibriUären  Zuckungen.  Patellarreflexe  fehlen. 
Nirgends  Entartungsreaction.  In  einem  kleinen  durch  die  Harpune  entnommenen 
Muskelstückchen  fand  sich  nur  einfache  Atrophie.  StrUmpell. 


--      579;    - 

,ii^en:opafcblqgü,,18§8.  VI,  Smaaisch.)   .   .       , .....:.,, 

.  Die  Beobachtnng  heinfft  ein  yieij&hngea  Hädehen.  Die  Atrophie  war  im  Ver- 
ästelupg^ebiet  des.  mitileren  und  unteren  Trigeminusastes  an  der  linken  Gesichtslialfta 
bcaUsirt..  Die  TP'ange  war  entsprechend,  der  vorderen,  Fläche  des  Oberkiefers  etwas 
eingesnnten,  die.  äaat  hier  ungemein  dünn^  das  Fettpolster  verschwunden/ Muskeln 
und  Knochi^n ,  atrophiri;.  Die  nämlichen  Verhältnisse  bestanden  auch  In  der  Gegend, 
der  linken  ünterhälfte.  Ausserdem  hatte  sich  am  Kinn,  V2  ^^  ^^^  ^^^  ^^^  Mittel- 
linie, eine  ziemlich  tiefe  verticale  Rinne  gebildet,  in  welcher  die  Haut  narbenähnlich! 
aussah,  und  stark  pigmentirt  war.  Die  linke  ^ungenhälfte  war  ebenfalls  atrophirt». 
t)ie  faradisch(9  .und  galvanische  Erregbarkeit  der  afficirten  Muskeln  erschien  vermin- 
dertf  /  Sensibilität  überall  ohne  Veränderung.  Die  atrophische  Wange  zeigte  eine* 
auftauende  bläuliche  Verfärbung,  wahrscheinlich  in  Folge  Durchscheinens  der  Ge&»e. 
Was  die  Aetiologie  des  Falles  betrifft;,  so  sind  Erblichkeit  und  traumatische 
Einfiflsse  auszuschliessen.  Patientin  war  früher  immer  gesund  gewesen.  Kurze  Zeit 
vor  Beginn  der  Atrophie,  im  Jahre  1B85,  hatte*  das  Kind  sich  in  der  Badestube 
stark  erschreckt,  und  Verf.  ist  geneigt,  diesem  Umstand  ätiologische  Bedeutung  bei; 
zumessen.  Bei  Besprechung  der  Theorie  der  Krankheit  Äiacht  er  ai^  die  'Wichtigkeit 
des  vor  Kurzem  von  Mendel  veröffentlichten  Befundes  aufmerksam. 

'  ■ '  ■    ■  P.  Bosenbaeh. 

23)  De  la  paralysie  fooiale  des  nouTeau-nös,   par  le  Dr.  B.  H.  Stephan,  k 
Zaandam,  Hollande.    (Bevue  de  MMecine.  1888.  Juli.  p.  548.) 

Auaä^r  den  bekannten  Facialislähmungen  der  Neugeborenen,  welche  durch  Zangen« 
dmek  oder  Drbck  bei  schweren  Cteburten  gegen  das  Becken  u.  dgl.  entstanden,  giebt 
es  noch  eine  dritte  seltene  Form,  von  welcher  S.  ein  Beispiel  mittheilt.  Die  Facialis-' 
l&hmung  wird  gleioh  nach  der  Gebart  (beim  Schreien  des  Kindes)  bemerkt;  sie  hati 
keine  weiteren  Folgen,  ist  aber  unheilbar  und  stets  vereinigt  mit  Abnahme  des  Q^ 
hdrs  auf  dwselben  Seite.  Das  Trommelfell  findet  man  intaci  Wahrscheinlich  handelt 
es  sich  um  irgendwelche  noch  nicht  näher  bekannte  intra*uterine  Affectionen  des 
Felsenbeins.  Str  timpell. 

24)  De  la  paralysie  fiaciale  tardlve  daas  les  flraoturea  du  roober»  par  A, 
DemouHn.    (Gaz.  möd.  1888.  Nr.  27— 29.) 

Verf.  hat  einen  Fall  von  Basisfractur,  in  welchem  die  Facialisl&hmung  sich  erst 
mehrere  Tage  nach  dem  Trauma  einstellte,  selbst  beobachtet  und  7  ähnliche  Fälle 
in  der  Litteratur  gefunden.  Zur  Section  kam  es  nur  in  einem  Falle  von  Chauvel: 
hier  fiel  die  Untersuchung  des  N.  facialis  negativ  aus.  Eine  Contusion  des  Nerven 
mit  langsamer  nachfolgender  parenchymatöser  Neuritis  kann  nicht  Ursache  der  Spät- 
lähmung, des  Facialis  sein,  da  nie  Zuckungen  oder  Contracturen  in  den  gelähmten 
Muskeln  auftraten,  die  elektrische  Erregbarkeit  intact  blieb  und  —  statt  rascher 
Atrophie  —  meist  Heilung  eintritt.  Eher  könnte  eine  Perineuritis,  vielleicht  zu- 
sammen mit  einer  periaxilen  Neuritis,  zu  emer  Schwellung  des  Nerven  und  so  zu 
einer  Compression  der  Nervenfasern  im  Fallopischen  Kanal  führen.  Als  wesent- 
liche Ursache  der  Lähmung  ist  jedoch  die  Schwellung  des  Periosts  im  Fallopischen 
Kanal  zu  betrachten;  dieselbe  ist  eine  Theilerscheinnng  des  Bückbildungsprocessea 
und  comprimirfc  den  Facialis  ähnlich,  wie  B  ich  et  es  für  den  Badialis  dargethan. 

Am  häufigsten  tritt  die  Spätlähmung  am  5.  Tage  auf,  zuweilen  schon  am  3.» 
zuweilen  erst  am  8.  Nach  2  Wochen  beginnt  die  Heilung,  nach  4  Wochen  ist  sie 
vollendet  Nach  Schädeltraumen  kommt  sofortige  Facialislähmung  ohne  Felsenbein- 
fractur  und  diese  ohne  jene  vor;  die  Spätlähmung  des  Facialis  hingegen  weist  stets 
direct  auf  Fractur  des  Felsenbeins  hin.  Th.  Ziehen. 


-  m  - 

mldoUo  spinale,  pel  Doti  Fornariö.'   (Lft  'J^dclSiiaiiria^^lSÖTJ'Vl'Jt^.WlO 

". '.  l^Quer  Pail  von  Tabes  mit  Demätitia.  iiaral^tica;  indem  ^e  genaue  Locaii^ 
derjemgen   örganiflchen   Störung   miöglicli  ;:war,  *  welche   die  Aufiebu^^  dßs 'fti!t^^ 
refiexea/beäingt.   .Im  Leben'  halte  neben' den  anderen  Smptomiaji  des 'Gnmd^eidens 
eme  Steigerung  ,des  lEnierpüelxes  Imks   und,,  eine.  voUstSjidige^^ 
rechts  .bestanclen:  \äei  der  genaueiren  Ü^ntehsüchung 'des  1S^ 
u.  A.^e  ilWürzeleintrittszone'/  tin&a  unversehrt  und  rechts,  wo  derVBeiä^ez  Temichfei 
w^r,  sMerosift,  wie  dies  bereits  We.'siphal  h^te'  anheben 'können. \'Be8ond^rs"4e^^^ 
Uch' trat  diese   ÖiffiBreni,  mit  Htllfe  der  Welgert'ä(^enj  fe^ 
Die  Würzelfasem  selbst'   wären   beideriseits  atröpmsöh  auch  aüsserbalh  deö  Btidkeni' 
markes.  .   t  .      '      r  r    .     /        ,     .Sommer. 

*iii  •    '■..'.:"■«!   ]■ »!'    w».  i' '.' i*  i    '  ri.-.    '"^^^    rnprrrn     n'I'.'[    >,c«;>    oM.-.'.ifro/    .-ir,,'    r-i'/?^ 

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20)  Cpof4?^  ymd  .MorplimjüsimuB,  .ypj^  P^f..  ,H,.  OberfltcjiflP^i.,  (Wipw^  ?^^4^ 
■  Wochenschrift, ^;^.-%.l.?Ö.-i-::   ,:■.) i.jK'i.-.;!-.^  :;.m-';1  ,-',   .  .:s.j.;:  rv  ■•". 
is>!d€r  Aetiölogie   des  Gocalnismus   handelt  es  sich  fast  ausnahmslos  um  Mor- 
phinisten,  die   Ton   der   Meinung  ausgehen,  mit  Hülfe  dieses  Mittels  das  Morphium 
loswordto  •  KU  kbnnbn.^  •  Die  ^tadi^doeniFofi|H|]^ndfiahkri«^deb'<)<^^  W 

eine  sehr  verschiedeie';  ^giebt  Moisclteii,' beKd^en'M'bienate 
kovMWl^vmM.  0beiiSQ{.ist..fmoli  difrlZMt,^'imeb;W^her  <b6.:^SuiQräioM^ 
anftntir^^ewiet  wecbfl0lqde.(o£i<s<AM^  ,mmtw  3?ac^[ -«mi.^e^ugfQ.  CbsunMi^' 

Uiit«r  d^r  .BulwirkvilgsTdM  ;Ckic^&.  laidfmi  S4rp0r  /up4  .Qeiak-  m^gl^hdr  WmsfL  fitr^ 
pidlr. Verfiel  .der'  KOdteji  Atmngßtm^e^  9Q|n!6k9lAtt;tntli.  b^irdem  ;MQrf]|bii8(»ii\#^! 
nachdem  «rvCocain  an  iaiwwd«ng';eea»g9n;<  <  Yan  .ßeitOA  46r,.rPfi^r)he»:flii»4«.4i&  bv 
s^mngen  ral/we^r/  gtoictoäasis  sotuitte^di  odAc 'plcroiqrsiQcpveW  9tt 

mehr  -oder  wenigaK  freien  Inter^ßUeK^fAnglKtgeNlilA»  WalmT9i9tiUt||iigaRi  (Yieiifo^^ 
ideen)  px^  Hallucinationen  (meist  des  Gesichts,  Gefühls  und  Gehörs)  tcelWraafiL 
letztere  meist  mit  unangenehmen  Inhalt.  Zwei  Häuptarten  von  Cocain-Hallucinationen 
kann  man  mitunter  abwechselnd, an  demselben  Individuen  beobachten.  Bei  de 
Art  schreckhafte  Gestalten,  fratzenhafi|9  G^^j^chter,  OJLi^sionen,  Werfen  loidrS 
nach  den  vermeintlichen  Verfolgern,  Angsrelc. .  Wieder'  zeigt  sich  die' zweite' Art 
ödf  f  er&ndehin^n  des'  Hautgefühls  .Otleine^Thiere  ari  Haut 'inM^  andere  Arten,  rer- 
meintlifchö  '  Läuse,  •  Müben  •  etc.). '  Schlaflosigkeit,  •  ÄppiEJtitmangel, '  Iifipcflctoi  Tef+nfi* 
ständigen  dais  Bild  '  des  Cocäinii^mus,'  k&nnen  aber  'meist''  äticfi'  auT ^Becljfmn^  der 
Horphiumgebrauchi^  geschiieben  werden'.  'Die  ISrdcheiüungen!  der  'Cocabüabätinenz 
können  öich  gelegentlich  erst  spät  nach  dein  Aussetzen  dW  Cocairis^^l^'^age- und' 
ihehr)  geltend  machen,  ohne  das^'  irgend  welche  Abätinenzer^cheint^gen  Tor^u^ge* 
gangen  sind;  femer'  sind  diese  Ahstinenzerscheinungen  oft  tiel  hartnäckiger  als  nadf 
Morpfalumentziehüngj  sie'  können  Wochen,  selbst  Monate' läilg  in*  itahezu  gleicher 
Intensität  fortbestehen.  Das  Verlangen  nach  O'öcaiii'wird  gat' nicht  oder  tiiilder  ge- 
äussert, als  bei  Morphin.  Angstznstätde,  WahntorsteÜilngen,  Hailucinaäonen  'treten 
auch  in  der  Abstinenzjperiode  wie  'während  des  Oocaingebränchis  niit  SchwätAd^nder 
Intensität  auf;  sie  wechseln  hier '  mit  Perioden  klarer  feisicht' uhd 'ßnhe^  CoUaps^' 
zustände  treten  oft  plötzlich  ein,  und  handelt' es  sieh. nicht 'dabei  tim'lfbrphittin- 
cdllaps",  da  eine  neue  Morphium^abe  kleiinerlei  Erleioliterung*  bringt.  Die  Eit^äirung 
hebt  sidh  mitunter  rasch  nach'  dem  Aussetzen  des  Ööcains,  meist' daideit  eär  aber 
langiö,  ehe  die  tiefgreifende  Vetändörring  des  Organismus  wieder*  ausgegiichen  ist — 
Aus  der"  Moii)hiümentziehungskuf  will  Verf.  die  Cocaihtherapie'  trotzdem  nicht  ganx 
eliminirt  sehen,  doch  soll  man  erst  zum  Cocain  greif en,  w^nn  absoM  keii  ttbrphiinii 


-  m  = 

i24^8,Sti^9  i^\A^  lfrftrien:.lfojg)lg«wpbeX  Feptaar  ?oU  ,4as,.Co^HW.iwwrl^l^, 

jicijph;.  DKi^Jt  ^r^,  ,0,5  ppoi  dia,  .Am?,  o^w'?.  THgfl/gobff  nw  mit  dam  Tog^ 

Hwyntpn  ra0p>  bnuptor  .imi  as^tze  ^die  Cpiifi^beliui^lipg.  j^uch^  .Ungar  .(^,.^-^6X4^ 

ßff*-  0 .  SpMt*^^  «<5^. '  die  ,  geriDjate»,  Jßi^i^A^gioiTL ,  emi  Int<«ic^tioB  zejgßAi  so  ,iqiw 

^;i^Uel  4»!wiH.gSW^di  b^  S^ite.gelwsepvweyÄWnrr-.^tdi^^ 

ffoja  ^  jßttel  4<5bt:*^  Yerwerffl«^.4ÄWKdi^ifRwttJfc^^ 

ia)Bi4c(to^: i^,Sit^  ,  ....    ^  :,....,..;  .  JaU^MA. 

'! '^>^l31iiityitiJlM)h^fesp^^       M  dSi^  TtaatäkcH^^bs«  bei  derft^iaft  Bätt^lkei^ 
1(060'  EbpfeS(  Oeisleekranice  ktoitnety;  bei  iQefangn^ii  ttiaf  ^000  S^pfa  30  -^ 

loi)  i  D^tt'Chmnd  'ffi^rAi^  HÜBbt  ?0tf.^  in-  Her^  ,,«^geii^'  erbdhtMpsyohöpatUädiati  Ptä* 
difltNlBitfun  ^i  :^dl3li  Y^^rbb^h^ft, '  W€lk3i&  lhf<^ '  Eirttit^luigBfteit  naäi  bald  alä  €Üi6 
iugribi«ro&e;  bald  aIb  ti!M''«»iroHlm&e  b^iars«^tei  wclrdeii  iDiiiss''r '  Dftbci^oU'niebk  ^#- 

iHaft- dle^Emriltif^ 'sehr  'f  tffiM^b'  nä6%>  elriP^tgleT  feünbp'ef  rttnrg  hefYorgehtfen:  '•■ 

Die  Gefangenscbaft  zeitigt  einige  ihr  ganz  eigenilii'tiilic^&'''P8y'e1so9eii 
m  '<Aiyiürtdri^«ifl^e^''  B^iiA<-4nA-^yMfti£r/' \md  'zwm- 1)it(igt '^  f  eliieiB8i6haftüch6 
HilftiitiltfliiilsolM;  MMbeM'>beilbä^''t'sir(AK)^li'  Mti^iihde/dlige^^  6inz^afl-d€lreii 
tt^^itfiiJZahl/abW  fteü«^  dftd'lekM'hd'SeilaV'übfati^elietäe.'  '•  ^'  '  -  '^'- ;'v 
*'>2 1  ifJIrU^Meit^ i led^tem' '  Skid  die'  biliidgsl^iif  a»(>ni^  li  »litt «ii^ at d^r is <^h  e* W^l^ iliilt^^l 
U^^'i  mc^hmwgeigkoill^^r 'V^&tM  ifttd^Stbrati^  di^  M^etneiübefindeüä'  tf^ 

itf^  a»lit^r  #eid^^IMhc1näti»i^^':atif^'dl^  itnä  Mleb 

/M  tt#Ftti'''ftWt6tör  Q0ib«'^  ViÖlM^hiihtd^  Hdirtt^'d^rFlHl«  -^"Mf^W"^  6^^ 
sicÜtMliälti^äiationen,  w&hrend  die  andern  Sinne  ir^d^'4)i«Ch»bigl^^8Md:^  \AngM 
in  Form  Ton  Präcordialangst  sind  meist  Toihanden.    Daner:   wenige  Wochen  bis  zu 

Die  zweite  Fc(rj^  DAl^t.^^erY  aiiptip,  ,fla^.u.cjnft|(^y^l89l^^ 
unmittelbar  mit  Siniiesf&uscHungen,  wobei  die  öeliöriBliailacinationeii  überwiegen;  die 
Wi/^Msk  m^^iÄ  -d6^'>'b^ii^fblg^'  ^d^r'-'HiinfitkMt' ^ös  !A«f«i^nil^''Te^fblgang8-, 
Qif^n^i-lreMgi^t) 'i^tteller' ^iltti.'^^Tk'M^'mt^Qr&Wfiic^ 'bis'  tt'iridni^ 'Mmiatett. 
-'>i^  TO^'le]4et^'T«»(^'ii^  di#''iä'eii^b'4«liubilyttW)jÜctifld''  Ha^i«r^,llo6^€lte 
i^ri^g'%Qli  >'  tUf' -tje^tO^DDf  «fi^Wüsiii^iü'  tmiP  'idtitdö'mn^eli^flr  ^ofi'  HalMeiliätionök« 
SUlfoetl^-^^ewtct^tri^'  bi9^  a^n^'äölrd;^  mefet' kä^«i^  Abl^  tiiid'^TFeber'gan^  in  -^ge 

i{o:)iiJ^rP>}i^t- uHt^r'-lB^^itli'  ]^bai^^^^!Md^^faii^8''%dOli4cMd^ti  Äyeh^sM  ^ 
»tflil '^rfPÄädöiB«'^  'li'i'j.,:'./!  -.'.:  m1»  ,'-':i  d  Mi'i:  üm.'i  ^     ...i'i  !v,\    \-.A  '••  •'jf^t^Hnfe'.'' f 

^.I.,ji5  jK^^)^^'-AlJh«uJJWlg^•üb^^.dk,.J^  ]$9.  Wir4,-  zwiebat  .ein 

^h^.VV/c*J..frh^j?i,d?ß  Jite^Wbajüup>phe  .SphUderwig.geg^l>ffPi/8o4|iW,4ieiübftr:de«  <J#gftir- 
a^^oV<9;te^dpnf^iIii1rterahff,  durp^icfetaii,.  i^w^tis  (Mg^llffl^iff^pfc, wrti  HMpiw0ift»ng«i; 
#Bf"/lffl<»iiM!y^  ^A^^^»!^m  Ma^  b§^n4efi«w» fl#§ts*B4ige  ÄJfwttöMsfiMmi  4^ 
<»<te»ifiß^,  iftid^i};,^ter.,4m;^W^..KÄ*»*<>»»'  b^rtfieb^ftw  FUJair/nmr  .Vwawtffli 


-   »i   -^ 

iMikatimt^r  und  TiellfescliridbeB^r  TypML  Die  Anäljrse  äet  sp^iiÜMjll  IslKlNHiisebeB 
BreclMiiitmgen  in  der  mötorlscheii  ^liSre  eiigiebt  nmi,  diiss  ääe  ehixelBen  ilo'^^ 
fldiriebenen  Symptome  sieh  bei  den  terscliiedensien  'FonneB  d«r  Psycheeen^  finden. 
Bei  4eii  Hyeteriecben/  Epileptisehen,  denStaporOsen,  llelflaicli<^clien,'bel  tlehen  trdi 
Prftcordialaiigst  und'  bei  Tielen  Anderen  finden  sieii  Baspiek.  Solche  werdtei  eis 
der  eigenen  BeobacMang  ctor  Yeil  angefBhri  Im  üflA)rigen  hai  die  Art  OireB  Attf> 
tretene  nichts  Specifisches  and  mchts  Be^elnäsfrigee,  aneh  nicht  ihre  räat^e  Be- 
dentnng  gegenftber  den  peyeMseben  Symptemen.  Sie  richten  ei^h  oit  nach  dmi  t^afan- 
ideen,  diese  können  ^echmb  mid  andere  mottniadhe  Aeossarnngen  herrtirrafen  und 
snggeiiren.  Andererseits  können  sie  unabhängig  sein  von  Wadmideen  nnd  mxik  M 
Wiliensanssernngen  als  einfache,  andi  sonst  beobachtete  Anspannung  zeigen,  weLche 
▼erschwinden,  wenn  man  die  Aufmerksamkeit  der  Kranken  auf  etwas  Anderes  richtet 

In  gleicher  Weise  lassen*  sich  die'  als  'sj^clfiach  "beftfhriei^en'  psyijhisehen  Sy^ 
ptome  der  Yerbigeration,  des  Hutisnras,  dei*  sisreotypen  Oesten  der  pathetischen 
AUitfiden  imd  des  Wideistandes  gegm  Alles  auch  aoderswe  beobachten  and  haben 
nicht  die  klinische  Bedeutung»  welche  ihnen  beigelegt  worden  ist  *^  Kndlich  sdieiiii 
den  Yerff.  auch  der  Verlauf  der  Krankheit  nichts  Charakten9ti8<^es  in  haben.  9k 
meinen  daher,  dass  eine  Coexistenzr  Aber  nicht  eine  Associatiim  oad  Qombinatien  der 
Sjxpptome  stattfindet,  wie  sie  bei  einer  bestinunten  Krankheit, vorhanden  sein  mvs^ 
wo  Natur,  Entstehung,  nraftchliche^  Folge  und  ZosamaeDhang  ein  fest  veiiiniidenflB 
(GKinses  sdiafiCen.  Der  .  Tersnchte  Hinweis  auf  die  Analogie  mit  der  Dementia  pars:- 
lytica  sei  hinfallig  wegen  der  solidni  Basis  der  letzteren  in  pathologisch-anatomischsr 
und  klinischer  Beziehnng. 

Somit  Temeinen  die.  Yerff.  die  Existenz  der  Katatonie  als  einer  Krankhwt  sai 
generis;  sie  sind  unter  den  Hereditaheni  und  Degenerirten  öfters  dcp  flguren  be* 
gegnet,  auf  welche  die  Beschreibung  der  Katatoma  passt;  besonders  auch  unter  den 
Systerisch^n;  und  sie  meinen,  dass  in  den  als  katatonis<shen  von  den  Anteren  Be- 
schriebenen manche  Hysterische  stecken.  Eine  eigeixe  liierhergehönge  Beobachtmig 
geben  sie  ausführlich.  Sie  halten  dlQ  Catatonie  demnach  für  eine  Art  4^  Stupors, 
dcia  einfachen  .oder  des  symptomatiffchen,  mit  starker  Beimengong  degenecatiTor  und 
Jbesonders  hysterischer  Beziehungen.  Siemens. 


29)  Ueber  Katatonie,  von  Prof.  A.  Tamburini.    Uebersetzt  von  Dr.  J.  Fra^nkel 

tmd  Dr.  A.  Cionini.    (Der  Irrenfretind.  1887.  Nr.  8  u.  9.) 

•  •    .  '  ■     •      ■ 

.Nach  ^iner  kurzen  Litteratorangabe  theilt  T.  5  Fälle  ^catatonischer  SeoLenstörung 
ans  smer  eigenen  Beobachtung  mit  ausfOhrlicl^eo  Krankengeschichten  mit,  J)tf^ 
derselben  entsprechen  dem  fischen  Bilde  Kahlbaums^  G^meinsqhaftliQh  .wansii  die- 
sen 5  Fällen:  4aa  woibUcbe  Geschlecht,  das  Alter  (tlber  20  JAhre),  die,  erbliche  B^ 
lastong,  die  Oligämie  und  d^  Amenorrhoe.  Die  Entwickelung  der  Kn^ikhett  wap 
in  allen  Fällen  langsam,  in  zwei  Fällen  trat  lethaler  Ausgang  durch  Lungentuber-^ 
culose  ein^  in  pinem  H^il^g, nach  dem  mamiakalischen<  Stadivsp;  in  zweien  hudelt 
es  äch  um  einen  chroQi^hen  Zustand  (terminale  Demenz?)^  AjDtf  zwei  Fr^en  geht 
Verf.  sodann  des  Näheren  ein.  Gaben  alle  Fälle,  die  als  Katatonie  beschrieb^  sind« 
das  Becht,  eine  nosographische  Gruppe  für  sich  aufzustellen?  Und  welches  ist  die 
Pathogenese  der  charakteristiBchen  Läsion,  die  allen  diesen  Fällen  gemeinsam  ist^ 
^ämüch  der  motorischen  centralen ^piumung?  Dem  Yerlauf  nn4,de(%|aft^9i|it$lQgiS 
nach  ist  die  Katatonie  in  keine  der  gewöhnlichen  Formen  der  Geisteskrankheiien 
einzureihen,  vielmehr  stellt  eöe  ihehrereFoABen  derselben  iü  ihrem  Terlftnf  dar^Mel, 
Manie,  Stupor,  Demenz).  Audererseits  haben  dte  Autoren '  unter  Katatdnie' Vet^hie« 
den  rerlaufende' Geisteskrankheiten  beschrieben,  die  unmöglich  %nt0r  eine  eigene 
Form  zu  subsummiren  sind  und  denen  nur  die  katatonische  ^rre  gi^meinsam  ürt» 
In "fthnli^er  Weise   kommt  aneh   die  mdtelHeohB  Paralyse  atiss6r>  in' d«r  typis(^ee 


—    B88    — 

aUgeminnen  progressiveii  PnculTse  auch  bei  anderes  (Jeisteskrankbeiten  vor  (Alcoho- 
lismits,  hooB  cerebl-aliB,  'coBgestive  Yecrftclrtheit  etc.).  Nicbtsdestoweniger  tnaclit  di« 
VerbiiidaBg  gewisser  Onippeti  fwntytiBdbeF'  ßrsebdntmgien  mit  der  Aufdnanderfolge 
p^ohopatfaisober  Stadien  (ICel.,iOr(ysseiKwahn,  Dem^is)  eine  nosologisebe  Form  At 
sieb  aus.  Ebenso  nan,  wie  bei  der  progressiven  Paralyse;  ist  <der  tyiHSobe  übamkto 
der.YonJKablbaum  festgestellten  Krapkbeitsfonn  n|cht  so^sebr  dnrcb  die  Anfeinander- 
folge  der  mannigfaltig^  psycbopatbisohen  l^rocesse  bestiinmt^  wie  anrcb  die  speciellen 
begleitenden  mo^riscben  Pbäiiomenei^  Dei4  Yerlänfe  nacb  erinnert  die  Katatonie 
einerseits  an  die  von  Guislain,  Zeller  etc.  '  bescbiiebene  typische  Yesanie  (wesbalb 
sie  aucb  Arndt  Yesanta  typica  <»ta>fx)nica  nannte),  anierenseits'äbitelt  sie  dem  circu- 
lären  Irresein,  das  .mit  dem  motorischen  katatonischen  Phänomen  vereinigt  w&re.  In 
Folge  des  langwierigen  Verlaufs,  der  erblichen  Belastung  und  der  hiufigen  Unheil- 
barkeit  rechnet  Verf.  die  JKatatonie  weniger  zu  den  Psychonenrosen  als  zu  den  de- 
generativen Psychosen.  Für  die  typische  Form  der  Katatonie  schlägt  er  den  Namen 
katatonisches  circuläres  Irresein  vor,  während  er  die  einfache  Melancholie,  oder  den 
einfachen  Stupor,  der  sich  mir  katatonischen  Symptomen  verbindet,  katatonische  He^ 
lancholie,, katatonischen  Stupor  nennt.  Diin  motorische  Spannung  sei  durch  die  Theil; 
nähme  der  corticalen  psychomotorischen  Centren  bedingt,  die  gewissermaassen  in  einem 
spasmodischen  öder  tetanischen.  oder  convulsivischen,  Zustande  sich  befanden,  zumal 
sich  der  tetanische  Zustand  'zuweilen  mit  einem  klonischen  Krampf  verbindet  oder 
ablöst.  In  demselben  Zustande  befinden  sich  die  psychischen  (iorticalen  Gentren,  denn 
zugleich  mit  der  tetanischen  Starre  findet  sieh  Schweigsamkeit  und  Mangel  jeder 
psychischen  A.eusserung,  als  wenp  die  Centren  der  Psyche  tetanlsirt  wären. .  Wie 
femer  die  motorischeh  Erscheinungen  zuweilen  den  Charakter  der  monotonen  und 
fortdauernden  Wiederholung  beschränkter  Muskelbewegungen  annehmen,  so  hört  man 
auch  zaWeileii  moiiotone,  andauernd  wiederholte  Bedetisarten  (Verbigeratton).  Die 
pathologische  Hisliologie 'und  die  experimentelle  Pliysfologie  werden  festzustellen  liabdit; 
ob  dieser  tetanische  Zustand  der  eortioalet  Centren  durch  einen  Eeizungspröcess  der- 
selben oder  durch  krankhafte  Erhöhung  der  in  der  Binde  befindlichen'  Hemmung^ 
centreti  bedingt  ^i;  -Bei  der  Sumpfschildkröte  hat  Fano  (Biv.  di  Fren.  e  Med.  Leg. 
1886)  bereits  in  den  lob.  optilr.  ein  hebimendes,  widerstanderregendes  Centrum  dach^ 
gewiesen  für  diis  eentripetale  und  centriftigale  Leitung.  Eine  Zerstörung  dieses  Cenl- 
trums  ruft  ein  Uebermaass  automatisdier  Acte  hervor;  während  En-e^g  desselben 
mfittebi  Ohlomatriüm  eine  Steigerung  der  Hemmung,  üubeweglichkeit,  Katatonie  her^- 
vorbrachte.  Kalisc'hiör'.   • 

I  '  •  I 

30)  La  gaarigione  della  pasBia  oronioa,  pel  Doti  B.  Gucci.  (Lo  Sperimentälö. 
1888.  Aprü.) 

Mit  Bftcksicht  auf  die  neneria.  V«rt(tBiKtiiAuj]ge&  über  den  späten  und  gewöhn- 
lic]^;  dann  ganz  unerwarteten  Eintritt  einer  Heilung  in  veralteten  Fällen  von  Psychose 
bat,  sich  Yeirf^  der  Kühe  unterzogen,,  s&nuntliohe  Aaftiahmen  in  vdie  Irrwaostalt  ai 
Flbreni  von  1850 — 1887  auf  ihren  endlichen  Ausgang*  zu  untersuchen. 

Es  sind  in  jenem  Zeitraum  aufgenommen  8048  M.  und  6889  W^,  von  denöti 
als  genasen ^630  M.  und, 2415  W*  entlassen  werden  konnten.  Kacli  einem  Aufent- 
halte in  der  Anstalt  von  über  2  Jahren. sind  nocb  73  M.  «nd  97  W.  geoesen.  eat^ 
laaseii  und  zwar  im     .    .  '/ 

O.Jahr  10. Jahr  übeilÖJ. 

M.  W.  M.  W.       M.   W. 

—    1  —    2         5     3 

-1  2^  8 

Von  den  8  nach  dem  10.  Jahr  Genesenen  hatten  die  Männer  11,  13,  15,  20  und 
32  Jahre,  die.  Fian&sk.  13,  16  ^und  23 ,  Jahre  in  der  Anstalt  zAgebEachi  y 


3.  Jahr 

4.  Jahr 

5.  Jahr 

6.  Jahr 

7.  Jahr 

S.Jahr 

M.  W. 

M.  W. 

M.  W. 

M.    W. 

M.   W, 

M^  w. 

19  34 

18  27 

12  14 

10    8 

'6     7 

i    1 

53 

45    : 

26' 

^    ii3 

13 

3 

—    «»4    — 

,.  )MckiftUig.,g(BWj9r4w#  40  diu»  .31$ .  wi^dir  MSgwmnm  weidiiiiiiiiuBteii,  Büd^üB 
jAnen  1&9  vkiki.g»m^  ein  Dritte,  uämUcb  SIM.  und  30  yf*  Benirkaiflwerth  iil 
nWr  d^a/»  w|lvrei|d  bqb«^  Ha  B&clrfaUe<  in. den  aaste»  2  Jabü^  naob  der  Eotlaainog 
m  Wofigstovi  yoirzakommen  pflc»gen^.die»  bei, den  »pM  erfalgfem  fieüongeii  wenigar 
)ier^4^triitt:.4dim  eiu  Beödif  tca^i.eiii 

nach:      6  Mon.'    1  J.   '2  J.    3  J.     4  J.     5'J.    "6  J.     7  J.    8  J,     9  J.    10  J. 

bei  M.:.      3   '       — ''      3      ^    1  "  ,  4         2f    *     —  '      1         1  3         1 

beiW.:       6/2         3 2        4        I  i         2.1         2         2 

11  J.      12  Jv^    laO.      14  X       20  J.      «0  J. 

-  .  .  •    ■ .  :w.  ^«- •  •    -1  •  ••-.  f-    •  ^     •' -a'  •     •••!  •  '■' 

'  Auf 'öriind  seiner  weiteren  TTntersncliungen  Kommt  Verf.  dann-  zu  dem  Schlußs, 
däss  bei  einer  einfachen  Seeleuistörung/dle  ohjpe  wesentliche  Zeichen  zunehmender 
geistiger  Schwäche  chroniscli  zu  werden  droht»  die'.Hoffiiungen  auf  eine  Yielleicbt 
nöcli  zu  erwartende  ^^späte"  Genesung .  beffflnstigt  werden,  wenn  es  aicli  um  einen 
bepressioDS-  oder  Rxaltationszustand  mit  Bemij9sionen  oder  mit.  langem  Frodromal- 
stadium  handelt,  wenn  das  ergriffene  Individuum  weiblich  ist  wenn  ä&t  Ausbrach 
der  Psychose  erst  iin  reiferen  Alter  erfolgte,  wenn  Hereditat  vorliegt  und  wenn  m 
schwerer' ^,Shok''  die.  Teränlassung  zum  ^endlichen  Ausbinich  gegeben  |iat. 

^      .    .     .  .        Sommer. 


M'-i»        4.......4. 


Sl)  Itägalomanfe;  mort  subitje  par  rupture  du .poetur«  par. Hellhon«  (Annalas 
,j  "\  m^dico-psychologiques.  1888,.  Arctives  oUniqüeSv  p.  230.).  .*,  .^' 

,,.'.  EÜD^ . 5S^iahrigf  an«ohdiqeAd . körperlidi  yöUig  .g^eiwde,  .robu^tQ;  IkofBOHi  waLdie 
jin.  ehrgeizigen  Wahnvorstellongen^  .Utt,  .nieou^B:  .die.  Ann^ermig  der^  Aeisto-  doldot«! 
siäczte.  .unt^r  stark^..Qonge6Üp^se]:scbemuBlgeI^  ;9um  Koßf.9(UWDmenJU]4  starb,  knne 
^.it:.nacbber  plötzüchL.;  ...    j   ^; .  .  .  [  -      •.   , .     .:  »j  ■■.■ 

^_. . i  Pie/:  S^ction  /eigab  «i^be^t  ipif[e9entU4^  ßi^e^T^  ^ranl^fitsreeteii.  %, die. zu- 
liebe: Todesart  die  Brkl&nuag*  in  einer  .jSpp^ur,  des  ^lypertro^hisfob^Q'  Q^  fitark  fettig 
dc^enttdrt^n  Heizens.,  inie  hinteife  W^nd^d^  Jcftum  1  ci^i^Stäffe^i'auf^is^ndeA .Ipd^ 
.yentrikels;  war .  eiiigei;isseo./,  Der  fiifß  ^bräg*  .veri^ai^d*.  ^%:im  We  9Bd  eftt^.^.iain 
J^e^ ,  diQ.  ;^der«  bucbtig:'U|iregelm&§9lg*i /i>id  <4M0g^t^&^  Bliiiia||^9erf.:welQl»^  das 
Per^^ardii^n)^  ji^d  maximum  gespannt  hatte,  wog  316  g.  .o^ibrir 

Das  Gehirn   zeigte   sich  in  lebhaftester  Hyperämie  und  wies   in  dem  linken 
^T^J^OaiPW.  9pt^cus  _f>^<m  ,,p.i,  eu-.Mr.Jrsx').  ^?f  ?f;j 


(.  :'.4/-     >•".-  r 


^"  ^^I  iiöm!  degli  ÄÄe«at5/pÄi''doH.«:'Ötiic^:'tLo'äpöriU^  «toc.  «tt^^  Bec!) 

lat^edMtttAr  AtafMz  Obtf  «e^dluAciMi«^ ^vAg^VtöhnllBhdl'  ^«k- gatizl%xtiraVagttirt6r *)eimaiMR 
bei  GeiBteskrai^n,  aad  b^ßondtfnt-W  oelmti  nit'4e^ntea4dtMir.Foninji-,}alaar.  bei<iBr)>Ufti 
jBelastet^^^  vpn  .63  iire^  .Mävsern,:  die.ahentei^rliphe . Yo^ioi^n  ,^tA^*  iitte^.  47»  ;ipd  von 
58 'grauen  dbenfAlls  47  aq  Degenerationspsychoseh * efc.  -.•,.,  ,  V'' i,-"''-  ■  ^ 
'  '  (ta  öeutschland  kannmaft  ttnabge  Beöbachttingftn'ebArfans  anBtelWff;'  deih"Äf.'z;  B. 
iM^es^'Mtt' Duydhseh^xf'dsr  liifÄiiiiiaiAbele^j  fndoilildii'aacb  dk  Nkmeii  dei^  Cfeioliwteter  atf- 
geftihrt  zu  werden  pflegen,  schon  häufig  aufgefaUen,  welche  nngew5h]ilichcjiri^O]M«iQa««fib 
bei  Kranken  und  bei  deren  Geschwistern  vorfindQp.)  ,    ,  Sommer. 

Per  in  der  .vorigen  Nfimmer  dieses  Centralb^attes  S..^50  Z.  22  Ton  oben  erwähnte  KfifinlEe 
des  Herrn  Golds t ein  starb  nicht,  4  Wochen/ sondern  4  ^onate  nach  der  Operation. 

Verlag  von  Vn»  ds^Coli».  ii^  L«Spzigi  ^  ^Dhiik^  vDtt  ülktzoia  ai  W]ffii!i«iln.i3gitiii^- 


NEÜROLOGISCHESCENTRALBLAn. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  ^  ^^"^  Jahrgang. 


Monatlich  erscheinen  zwei  Nummern.    Preis  des  Jahrganges  20  Mark.    Zu  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Beichs,  sowie 

direct  Ton  der  Verlagsbuchhandlung. 


1888.  1.  NoTember.  Nä  21. 


Inhalt.  I.  Origlnalmittheilungen.  1.  üeber  die  Diffnsionselektrode  von  Adamkiewicz 
und  die  Chlorofonnkataphorese,  von  Dr.  J.  Hoffmann.  2.  Zur  Darreichung  und  Wirkung  des 
Snlfonals,  von  Dr.  H.  Ruscheweyh.    3.  üeber  Yagusexstirpationen,  von  Dr.  Dees. 

il.  Referate.  Anatomie.  1.  Ueber  die  Bestandtheile  des  vorderen  Kleinhirnschenkels, 
von  Bechterew.  —  Experimentelle  Physiologie.  2.  Contribuidon  a  l'^tude  du  centre 
c^röbrosensitif  visuel  chez  le  chien,  par  Vitzon.  3.  ^e  objective  cause  of  Sensation.  Part.  III: 
The  sense  of  smell,  by  Haycrafft.  4.  Report  on  some  of  the  motor  functions  of  certain  cranial 
nerves  and  of  the  three  first  cervical  nerves  in  the  monkey,  by  Beevor  and  Horsley.  5.  Zur 
Anatomie  und  Physiologie  des  Nervus  vagus,  von  Dees.  —  Pathologische  Anatomie. 
6.  Beitrage  zur  Pathologie  des  N.  vagus,  von  Lewin.  7.  Beitrag  zur  pathologischen  Anatomie 
der  Gliose  der  Himrinife,  von  Buchholz.  8.  Beitrag  zur  Golgi'schen  Färbungsmethode  der 
nervösen  Centralorgane,  von  Greppin.  9.  Die  progressive  Paralyse,  von  FIschl.  —  Patho- 
logie des  Nervensvstems.  10.  Ein  Fall  von  Gehirntumor  in  der  motorischen  Region, 
von  Siemens.  U.  De  la  c^cite  verbale,  par  Landolt.  12.  Gase  of  motor  Aphasia:  Aphemia, 
under  the  care  of  Suclcüng.  13.  üeber  das  Gehirn  eines  Aphasischen,  von  Schidss.  14.  Heerd- 
erkrankung  des  unteren  Scheitelläppchens,  von  Wernicice.  15.  Cerebral  tumour,  by  Franks. 
16.  Zur  GehimlocalisatioD,  von  Renvers.  17.  Gase  of  tumour  in  the  floor  of  the  fourth  ven- 
trikle  with  conjugate  deviation  of  the  eyes,  due  to  paralysis  of  the  sixth  nerve,  by  Finlayson. 

18.  Statistische  und  casuistische  Mittheilnngen  fiber  den  Typhus  abdomimüis,  von  Alexander. 

19.  Fall  af  nervstöringar  af  cerebral  orsak  efter  tyfus,  af  Homin.  —  Psychiatrie.  20.  Disturbi 
psichici  provocati  o  sostenuti  dalle  malattie  auricolari,  pel  Cozzolino.  21.  Insanity  from  Bright*s 
disease,  by  Bremer.  22.  Contributo  allo  studio  delle  malattie  somatiche  nei  pazzi:'dia^osi 
e  cura  della  pleurite  con  versamento,  memoria  clinica  del  Venanzio.  —  Therapie.  23.  La 
galvanizzazione  della  tiroide  negli  epilettici,  pel  Sighiceill.  24.  Die  Elektrotherapie  der  Ge- 
bärmutterkrankheiten, von  Benedilit.  25.  Einige  Bemerkungen  über  die  Wirksamkeit  des 
Sulfonals,  von  FrSnkel.  26.  Ueber  die  Art  der  Darreichung  und  Verordnung  des  Sulfonals, 
von  Käst.  27.  Hyoscine  as  a  hypnotic,  by  Pittcairn.  —  Anstalt swesen.  28.  Bericht  über 
die  Verwaltung  dier  Provinzial-Irren-Anstalt  zu  Neustadt  in  Westprenssen  für  das  Etatsjahr 
1./4.  1887/88,  von  KrSmer. 

ili.  Bibliographie. 
iV.  Personalien. 
V.  Vermischtes. 

I.  Originalmittheilungen. 


1.    Ueber  die  Diffusionselektrode  von  Adamkiewicz  und  die 

Chlorofonnkataphorese. 

Von  Dr.  J.  Hoftaann,  Privatdocenten  in  Heidelberg. 

Vor  ca.  '/^  Jahren  befanden  sich  gleichzeitig  zwei  Fälle  sehr  hartnäckiger 
Neuralgie  auf  der  Abtheilung  des  Herrn  Prof.  Erb.  Da  die  gewöhnlichen  thera- 

84 


—    586    — 

peatjschen  Mittel  im  Stiebe  liesseD,  wurde  beschlossen,  die  von  Adamkiewicz 
angegebene  und  wegen  ihrer  ausgezeichneten  Wirkung  von  ihm  so  sehr  gerühmte 
DiflEiifiionselektrode^  zu  versuchen.  Ich  will  gleich  hier  vorausschicken,  dass  wir 
auch  damit  keinen  Erfolg  erzielten  und  aus  nachstehend  angeführten  Orunden 
bald  von  der  weitern  Anwendung  dieses  Instruments  absahen. 

Adamkiewicz  ging  bei  der  Construction  seiner  DiflFusionselektrode  von  dem 
ganz  anerkennenswerthen  Gedanken  aus,  die  Wirkung  der  galvanischen  Anode 
mit  derjenigen  eines  Antineuralgicum  zu  verbinden.  Die  Idee  war  nicht  neu, 
denn  Wagneb  hatte  schon  Cocain  in  gleicher  Weise  angewandt  und  mit  ganz 
gutem  Erfolg.  Adamkiewicz  wählte  das  Chloroform,  erstens  weil  es  bei  Weitem 
billiger  ist  als  Cocain  und  weil  es  ihm  zweitens  als  Chloroformcompresse  sehr 
gute  Dienste  bei  Gelenkneuralgien  geleistet  hatte.  Er  versuchte  deshalb  dieses 
Medicament  durch  den  galvanischen  Strom  von  der  Anode  aus  unter  die  Haut 
überzufuhren,  zu  „kataphoresiren"  und  gedachte  so  eine  grössere  Gesammtwirkung 
zu  erzielen.  Die  Anode  regelmässig  mit  Chloroform  zu  befeuchten,  und  zwar 
öfters  wegen  der  „schnellen  Verdunstung  des  Mittels^',  ging  nicht,  ohne  die 
continuirliche  Stromwirkung  zu  alteriren.  Er  ersann  deshalb  eine  besondere 
Vorrichtung,  die  von  ihm  sogenannte  Diffusionselektrode.  Die  Beschreibung, 
Anwendung  und  Wirkung  des  Instruments  und  die  Chloroformkataphorese  findet 
sich  a.  a.  0.  —  Die  DiSusionselektrode,  auf  deren  Construction  ich  später  noch 
zurückkommen  werde,  wird  mit  der  Anode  einer  constanten  Batterie  verbunden, 
damit  der  Eataphoresenstrom  von  der  Oberfläche  der  Haut  in  die  Tiefe  geht. 
„Man  wartet  nach  Ladung  des  Reservoirs  mit  Chloroform,  bis  sich  der  Ueberzug 
völlig  mit  Chloroform  durchsogen  hat  und  bei  der  Berührung  mit  der  Kathode 
einen  Nadelausschlag  giebf  Man  setzt  dann  die  DifTusionselektrode  (=  An] 
auf  den  Schmerzpunkt  und  lässt  einen  Strom  von  8 — 7  M.-A.  durchgehen;  nach 
ca.  5  Minuten  lässt  sich  Abnahme  des  Schmerzsinns  constatiren.  Nach  Adam- 
S3EWI0Z  besteht  die  schmerzstillende  Wirkung  der  Chloroformkataphorese  darin, 
die  schmerzhafte  Partie,  zumal  den  kranken  Nerven  direct  zu  anästhesiren.  Bei 
7 — 10  M.-A.  Stromstärke  sind  in  5  Minuten  2 — 3  ccm  Chloroform  verschwunden 
und  zwar  „in  der  Haut*'.  Die  Anästhesie  ist  nur  von  kurzer  Dauer.  Geringe 
Verschorfung  der  Epidermis  lässt  sich  zuweilen  nicht  vermeiden. 

Auf  diese  Empfehlung  des  Chloroforms  zur  Kataphorese  kam  bald  eine  Er- 
widerung von  Paschkis  und  Wagnbb,*  die  bei  Controlversuchen  gefunden  hatten, 
dass  Chloroform  den  elektrischen  Strom  fast  gar  nicht  leitet.  Sie  fanden 
seinen  absoluten  Leitungswiderstand  48^ j^  Millionen  S.  E.  oder  seinen  specüBschen 
Leitungswiderstand  4  Billionen  S.  E.  Damit  war  festgestellt,  dass  Chloroform 
geradezu  ein  Nichtleiter  ist.  Beide  Autoren  halten  die  Angaben  von  Adamkie- 
wicz für  unverständlich  und  schieben  sie  auf  einen  groben  Irrthum.  Wo  der 
Irrthum  liege,  darüber  geben  sie  nichts  an,  lassen  sogar  zu,  dass  der  elektrische 
Strom  am  Chloroform  doch  vielleicht  seine  kataphorische  Wirkung  entfalten 
könne.    Anästhesie  beobachteten  auch  diese  beiden  Autoren,  führen  sie  aber  anf 

>  Dieses  Centralblatt  1886  S.  219. 
*  Dieses  Centralblatt  1886  S.  413. 


—    587    — 

directe  Chloroformwirkung  auf  die  Haut  zurück,  da  sie  auch  ohne  Strom  ent- 
stehe und  auch  bei  Ausschluss  von  Verdunstung.  Die  therapeutischen  Erfolge 
von  Adamkievtigz  bestreiten  sie  nicht,  halten  nur  die  Auffassung  desselben 
über  ihre  Entstehung  für  eine  irrige. 

Diesen  Ausführungen  gegenüber  gab  Adameiewicz^  eine  mehr  scharfe,  als 
sachliche  Erwiderung.  Er  bleibt  bei  seiner  Behauptung,  dass  das  Chloroform 
den  elektrischen  Strom  nicht  allein  nicht  unterbreche,  sondern  ihn  nicht  einmal 
merklich  beeinflusse.  Er  fügt  nur  jetzt  hinzu,  man  müsse  vorher  die  Elektroden 
mit  Wasser  befeuchten  und  die  Leinwand  gut  auspressen,  damit  die  Poren  der- 
selben für  das  Chloroform  offen  seien.  Dass  Chloroform  für  sich  allein  das 
Gefühl  für  Schmerz-  und  Temperatureindrücke  herabsetze,  giebt  er  zu,  führt 
aber  die  Steigerung  dieser  anästhesirenden  Wirkung  bei  gleichzeitiger  Anwendung 
des  galvanischen  Stromes  darauf  zurück,  dass  der  Strom  das  Chloroform  in  die 
Gewebe  „hineinzieht."  Für  die  Richtigkeit  seiner  Angabe  führt  er  dann  noch 
einen  Versuch  an,  den  er  am  Kaninchenohr  mit  Gentianaviolett  gefärbtem 
Chloroform  anstellte.  Unter  seiner  Difiusionselektrode  war  die  Haut  weniger 
geßLrbt,  wenn  er  keinen  Strom  durchgehen  liess,  als  wenn  er  sie  als  Anode 
eines  galvanischen  Stromes  benutzte. 

Damit  mir  Wiederholungen  erspart  bleiben,  will  ich  kurz  anführen,  wie 
Adajmeiewigz  die  Diffusionselektrode  herstellte.  Sie  besteht  aus  folgenden  Theilen: 
einem  Reservoir  im  Innern  einer  messingnen  Röhre,  nach  unten  durch  poröse 
elektrische  Kohle  abgeschlossen  und  3  com  Flüssigkeit  fassend.  Nach  oben  be- 
findet sich  in  dem  metallenen  Schaft  eine  Schraubenmutter,  womit  die  Elektrode 
an  das  ebenfalls  metallene  untere  Ende  des  Elektrodenhalters  angeschraubt  wird. 
Sowohl  der  Schaft  der  Diffusionselektrode  wie  das  untere  Ende  des  Elektroden- 
tragers  sind  durchbohrt;  ihr  Hohlraum  setzt  das  Reservoir  der  Diffusionselektrode 
dicht  unter  dem  Stromunterbrecher  durch  eine  verschliessbare  Oeffhung  mit  der 
äussern  Luft  in  Communication  und  „verhindert  es,  dass  während  der  Kata- 
phorese  im  Reservoir  der  Diffusionselektrode  ein  Vacuum  sich  bildet,  dessen 
Entstehung  der  weiteren  Diffusion  der  Kataphoresenflüssigkeit  hinderlich  sein 
müsse."  lieber  die  elektrische  Kohle  wird  eine  Leinwandkappe  übei^estülpt, 
die  in  Metall  gefasst  ist.  Der  Metallring  liegt  dabei  der  Messingwand  der 
p]lektrode  direct  an. 

Zunächst  war  zu  entscheiden,  ob  das  Chloroform  den  elektrischen  Strom 
leite  (Adamkebwicz)  oder  nicht  (Pabohkis  und  Wagneb).  Um  darüber  ins 
Klare  zu  kommen,  wiederholte  ich  den  Versuch  von  Paschkis  und  Waqnbb, 
goss  Chloroform  in  eine  Porzellanschale  und  leitete  einen  Strom  von  30  El.-St 
durch.  Eß  gab  keine  Spur  von  Nadelausschlag,  so  lange  nicht  die  beiden  in 
das  Chloroform  eingetauchten  Metallstifte  der  Leitungsschnur  sich  direct  be- 
rührten. Daraus  konnte  man  schon  schhessen,  dass  Chloroform  den  elektrischen 
Strom  schlecht  leitet  Sollte  es  in  der  ADAMKiEWicz'schen  Elektrode  seine 
physikalischen  Eigenschaften   ändern?    Das  war  kaum  zu  ei-warten  und  auch 


1  Dieses  Gentralblatt  1886  S.  497. 

84' 


'  —    588    — 

thatsächlich  nicht  der  Fall,  wie  folgender  einfache  Versuch  zweifellos  beweist. 
Ich  fällte  den  Behälter  der  Diffdsionselektrode,  nachdem  ich  ihn  von  dem  Elek- 
trodenträger abgeschraubt  hatte,  bis  zum  Band  des  Schaftes  mit  Chloroform,  legte 
unter  die  elektrische  Kohle  das  metallene  Ende  des  negativen  Poles  und  tauchte 
mit  dem  Stift  des  positiven  Poles  in  das  Chloroform  ein,  während  die  Batterie 
in  Action  war.  Die  Galvanometemadel  rührte  sich  nicht  Berührte  ich  aber 
die  Messingwand  des  Behälters  mit  dem  positiven  Pol,  so  erhielt  ich  einen 
stürmischen  Nadelausschlag.  Ebenso  blieb  die  Galvanometemadel  in  Buhe,  wenn 
ich  den  den  positiven  Pol  repräsentirenden  Metallstift  in  das  Chloroform  tief 
eintauchte,  so  lange  ich  nicht  auf  die  innere  Fläche  der  elektrischen  Kohle  aof- 
stiess.  Sobald  ich  diese  berührte,  bekam  ich  starke  Nadelablenkung.  Das 
Besultat  war  den  eben  angefahrten  analog,  wenn  ich  über  die  elektrische  Kohle 
die  mit  Wasser  angefeuchtete  Leinwand  überzog,  d.  h.  man  erhielt  einen  Nadel- 
ausschlag, wenn  man  mit  dem  positiven  Pol  die  Metallwand  berührte,  oder 
keinen,  wenn  derselbe  frei  ins  Chloroform  des  Behälters  tauchte. 

Pasohkis  und  Waqneb  waren  demnach  im  Becht,  wenn  sie  behaupteten, 
dass  das  Chloroform  den  elektrischen  Strom  nicht  leitet.  Aber  Adam- 
KiEwioz  bekam  doch  einen  Nadelausschlag  von  10  M.-A.  und  mehr,  wenn  es 
ihm  beliebte,  und  schliesst  daraus,  dass  das  Chloroform  in  seiner  Elektrode  den 
elektrischen  Strom  „nicht  nur  nicht  unterbricht,  sondern  nicht  einmal  merklich 
beeinflusst'^.  Sehen  wir,  woher  das  kommt  Er  benetzt  die  Leinwand  beider 
Elektroden  mit  Wasser  —  in  seiner  ersten  Publication  sagt  Adamktkvicz,  man 
soUe  warten  mit  dem  Au&etzen  der  Elektrode,  bis  das  Chloroform  die  Leinwand 
durchtränkt  habe;  daraus,  dass  Paschkib  und  Wagneb  dies  befolgten,  macht 
er  ihnen  später  einen  Vorwurf  — ,  setzt  sie  auf  den  Körper  auf  und  bekommt 
einen  Nadelausschlag.  Das  kann  nun  wahrlich  nicht  Wunder  nehmen,  sind 
doch  dem  elektrischen  Strome  jetzt  eigentlich  zwei  Wege  frei,  eiimial  durch  den 
Messingbehälter  über  die  elektrische  Kohle  und  die  angewässerte  Leinwand  und 
dann  noch  über  die  Metallfassung  und  die  Leinwand.  Dass  da  der  elektrische 
Strom  nicht  allein  nicht  unterbrochen,  sondern  nicht  einmal  merklich  beeinflusst 
wird,  ist  leicht  begreiflich.  Aber'  ebenso  sicher  steht  nach  bekannten  physi- 
kalischen Gesetzen  fest,  dass  der  elektrische  Strom  nicht  seinen  Weg  durch  das 
so  gut  wie  nichtleitende  Chloroform  nimmt,  wenn  ihm  zur  Passage  eine  metallene 
Leitung  zur  Verfügung  steht. 

Als  weiterer  Beweis,  dass  Chloroform  die  Elektricität  nicht  leitet,  diene 
folgende  Versuchsanordnung  und  ihr  Ergebniss.  Man  nimmt  zwei  mit  Leinwsuad 
überzogene  Elektrodenplatten,  presst  sie,  während  die  Batterie  in  Thätigkeit  ist, 
gegen  einander,  indem  man  continuirlich  so  viel  Chloroform  auf  dieselben  giesst, 
dass .  der  Ueberschuss  abtrieft;  selbstverständlich  bleibt  auch  da  ein  Ausschlag 
der  Galvanometemadel  aus.  Befeuchtet  man  aber  die  eine  Platte  mit  Wasser^ 
die  andere  mit  Chloroform  und  presst  sie  alsdann  aneinander,  so  reagirt  die 
Nadel,  weil  dabei  ein  Theil  des  Wassers  in  die  Leinwand  der  chloroformbenetzten 
Elektrode  durch  den  Druck  eingetrieben  wird  und  dem  elektrischQ^  Strom  eme 
passirbare  Brücke  schafft. 


—    589    — 

Dass  nun  ein  Körper,  der  den  elektrischen  Strom  nicht  leitet,  nicht  durch 
sich  hindurchgehen  ISsst,  von  demselhen  mit  fortgeschleppt,  kataphoresirt  werden 
könne,  ist  a  priori  unwahrscheinlich.  Der  elektrische  Strom  wird  ihn  erst  recht 
unbeachtet  liegen  lassen,  wenn  ihm  der  Weg  so  bequem  gemacht  ist,  wie  in 
der  Diffusionselektrode.  Ob  das  Chloroform  überhaupt  und  wie  viel  davon 
eventuell  durch  den  Strom  in  die  Haut  übergeföhrt  werden  kann,  wenn  der 
Versuch  nach  der  AnAMEiEwicz'schen  Angabe  angestellt  wird,  darauf  will  ich 
weiter  unten  eingehen. 

Zunächst  noch  ein  paar  Worte  über  das  „Vacuum"  in  dem  Reservoir,  das 
bei  der  Thätigkeit  des  Stromes  entstehen  und  durch  eine  eigene  Vorrichtung 
vermieden  werden  soll.  Ich  glaube,  auch  ohne  die  letztere  wäre  das  Vacuum 
nicht  zu  befürchten,  nicht  einmal  in  dem  Falle,  dass  das  Chloroform  wirklich 
durch  den  Strom  in  grösserer  Menge  weitergeführt  würde.  Dafür  ist  in  dem 
Bau  der  Diffusionselektrode  schon  genügend  gesorgt,  einmal  durch  die  nicht 
luftdicht  schliessende  Schraubenmutter,  sodann  durch  die  Porosität  der  elek- 
trischen Kohle.  Wenn  aber  der  elektrische  Strom  das  Chloroform  nicht  mit  sich 
aus  dem  Reservoir  fortträgt,  wie  kommt  es  dann  heraus.  Denn  dass  es  heraus- 
kommt, darin  hat  Adamkiewicz  zweifellos  Recht.  Man  findet  nämUch  nach 
einiger  Zeit  den  Chloroformbehälter  zum  Theil  oder  vöUig  leer.  Aber  man  findet 
ihn  auch  leer,  einerlei  ob  die  Elektrode  m  den  Strom  eingeschaltet  war  oder 
nicht;  man  findet  ihn  leer,  wenn  man  die  Elektrode  fuUt  und  einige  Stunden 
aufrecht  stehen  lässt.  Nun  das  Chloroform  kommt  sehr  einfach  aus  seinem 
Behälter  heraus.  Es  folgt  dem  Gesetz  der  Schwere  und  fliesst  durch  die  Poren 
der  elektrischen  Kohle  durch,  verdunstet  dann  u.  s,  w.  Das  riecht  man  nicht 
nur,  wie.  schon  Wagner  und  Faschkis  erwähnen,  das  sieht  man  auch;  man 
braucht  zu  dem  Zwecke  nur  ein  Stück  Schreibpapier  unter  die  Elektrode  zu 
legen  und  zu  beobachten.  Es  entsteht  alsbald  ein  heller  Fleck  in  dem  Papier, 
der  rasch  schwindet,  sobald  man  die  Elektrode  in  die  Höhe  hebt  und  der 
Chloroformzufluss  verhindert  ist  Es  macht  keinen  Unterschied,  ob  die  Eohle 
nackt  oder  mit  Leinwand  überzogen  dem  Papier  anliegt  Entfernt  man  die 
Leinwandkappe  während  dieses  Versuchs  rasch  von  der  Elektrode  und  riecht 
daran,  so  hat  man  in  den  ersten  Momenten  einen  ebenso  intensiven  Chloroform- 
geruch, wie  von  einer  chloroformgetränkten  Maske.  Dieser  Versuch  beweist 
ausserdem,  wie  problematisch  das  Vacunm  ist.  —  Dass  das  Chloroform  rasch 
verdunstet,  lehrt  auch  folgende  Beobachtung.  Ich  hatte  die  mit  Chloroform  ge- 
füllte Diffusionselektrode  an  einem  der  heissen  Tage  vor  etlichen  Wochen  im 
Schatten  aufgestellt  Nach  Inirzer  Zeit  war  die  messingne  Seitenwand  mit  einem 
tropfenformigen  Wassemiederschlag  bedeckt,  wie  er  von  dem  DanieU'schen  Aether- 
hygrometer  her  bekannt  ist  Dies  konnte  nur  durch  betrachtliche  Abkühlung 
des  MetaUs  in  Folge  der  raschen  Verdunstung  des  Chloroforms  zu  Stande  ge- 
kommen sein. 

■ 

Was  lehrt  nun  die  Anwendung  der  Chloroformelektrode  am  Menschen?  Die 
dabei  gemachten  Beobachtungen  und  Resultate  stimmen  in  ihren  Hauptzügen 
mit  denjenigen  von  Pasohkis  und  Wagneb  überein.    Setzt  man 


—    590    — 

1.  die  Diffosionselektrode  mit  oder  ohne  Leinwandüberzug,  mit  oder  ohne 
Durchfeuchtung  der  letztern  mit  Wasser,  auf 'die  Haut,  so  entsteht  unter  der- 
selben nach  Va — ^U  Minute  ein  Gefühl  von  Kälte,  nach  1 — 1V2  Minuten  inten- 
sives Brennen  etc.,  das  später  nachlässt.  Ist  man  im  Stande,  den  Schmen 
einige  Minuten,  zu  ertragen,  so  findet  sich  an  der  betreffenden  Stelle  Abstom- 
pfung  des  Schmerzsinns  und,  wie  es  scheint,  auch  des  Temperatursinns.  Der 
Tastsinn  ist  vorhanden,  aber  nicht  scharf.  Dies  Alles  ohne  Mithülfe  des  elek- 
trischen Stromes. 

2.  Man  applicirt  beide  Elektroden  auf  die  Haut,  durchfeuchtet  die  als  in- 
differente Elektrode  dienende  Ka  mit  Wasser,  lässt  aber  die  Leinwand  der  Dif- 
fusionselektrode (=  An),  die  mit  Chloroform  gefüllt  ist,  trocken  und  schliesst 
jetzt  den  Strom.  Dieselben  Erscheinungen  in  der  gleichen  Zeit,  wie  sub  1,  ohne 
dass  die  Oalvanometemadel  sich  vom  Platze  rührt. 

3.  Man  befeuchtet  beide  Elektroden  mit  Wasser  und  setzt  sie  auf  die  Haut 
Jetzt  erhält  man  aus  weiter  oben  angegebenen  Gründen  einen  Nadelausschlag. 
Die  anfängliche  Kälte  unter  der  Diffiisionselektrode  (=An)  geht  in  Brennen 
über,  das  bei  Zunahme  der  Stromintensität  und  des  Nadelausschlags  sich  bis 
zur  Unerträglichkeit  steigert.  Später  sind  Temperatur-  und  Schmerzsinn  abge- 
stumpft Die  Haut  ist  unter  der  Diffusionselektrode  aufgelockert,  hellroth  und 
die  Papillen  leicht  opac;  die  Veränderungen  sind  jedenfalls  stärker  als  nach 
Versuch  2. 

4.  Versuchsanordnung  wie  bei  3,  nur  ist  die  Diffusionselektrode  jetzt  zur  Ka 
gemacht.  Es  lässt  sich  ein  wesentlicher  Unterschied  von  8  in  dem  Effect  nicht 
erkennen. 

5.  Es  wird  statt  des  galvanischen  Stromes  der  faradische  Strom  genommen. 
Der  Effect  ist  bei  stärkerem  Strom  resp.  geringerem  Bollenabstand  fast  derselbe, 
wie  bei  2  und  3. 

Die  Epidermis  verhält  sich  bei  3. — 5.  wie  bei  Anwendung  eines  sehr  starken 
galvanischen  resp.  faradischen  Stromes  (Quellung,  Böthung,  Verschorfang  oder 
Bläschenbildung,  langsame  Heilung  etc.),  diese  Symptome  entstehen  in  der  Haut 
oft  schon  bei  einer  Stromstärke  von  3 — 5  M.-A.,  sind  weniger  stark,  wenn  kein 
Strom  durchgeht,  bleiben  aber  auch  dann  nicht  aus,  abgesehen  von  der  Ver- 
schorfung. 

Diese  Beobachtungen  weisen  darauf  hin,  dass  das  Chloroform  vorwiegend 
durch  den  einfachen  Contact  mit  der  Haut  wirkt  und  dass  die  Eataphorese 
derselben  durch  den  galvanischen  Strom  nicht  wesentlich  dabei  ist.  Denn  es 
könnte  sonst  die  Wirkung  nicht  fast  die  gleiche  sein,  wenn  der  Strom  umge- 
kehrt geht,  d.  h.  die  Bichtung,  in  der  das  Chloroform  in  die  Haut  übeigefohrt 
werden  soll,  entgegengesetzt  Dass  die  Wirkung  eine  intensivere  ist,  wenn 
gleichzeitig  die  Haut  durch  den  galvanischen  Strom  aufgelockert  und  hyper- 
ämisch  ist,  als  wenn  man  eine  einfache  Chloroformwirkung  auf  die  normale  Haut 
hat,  ist  nicht  besonders  auffallend.  Ist  doch  der  Effect  auch  grosser,  wenn  man 
die  mit  Chloroform  gefüllte,  nicht  elektrisch  durchflossene  Diffusionselektrode  auf 
eine  Hautpartie  setzt,  durch  die  vorher  einige  Zeit  ein  elektrischer  Strom  durch- 


.    —    691     — 

ging.  Es  werden  dadurch  Yeränderaiigen  der  Haut  geschafien,  die  dem  mecha- 
nischen  Eindringen  des  Clilorofonns  förderlich  sind.  In  dieser  Weise  ist  auch 
wohl  die  Beobachtung  von  Adamkiewigz  zu  deuten,  die  er  an  dem  Eaninchen- 
ohr  machte.  Es  fand  sich  mehr  Gentianaviolett  vor  in  der  Haut  des  Ohres, 
wenn  gleichzeitig  durch  die  aufgesetzte  Elektrode  ein  galvanischer  Strom  floss, 
als  wenn  sie  ohne  einen  solchen  aufgesetzt  wurde.  Ob  das  Gentianaviolett  bei 
diesem  Versuch  an  das  Chloroform  gebunden,  in  die  Haut  eindrang  oder  in 
dem  Wasser  der  Elektrode  gelöst,  ist  eine  untergeordnete  Frage.  Jedenfalls 
hatte  aber  dieser  Versuch  Adamkiewioz  sehen  lassen  müssen,  dass  das  Chloro- 
form aus  seinem  Behälter  einfach  ausfliesst  und  nicht  durch  den  galvanischen 
Strom  weiterbewegt  wird. 

Bis  jetzt  haben  wir  gesehen,  dass  das  Chloroform  den  elektrischen  Strom 
nicht  leitet  und  folglich  in  reinem  Zustand  von  demselben  auch  nicht  kata- 
phoresirt  werden  kann.  —  Etwas  complicirter  scheint  bei  nicht  genauer  Be- 
trachtung die  Sache  dadurch  zu  werden,  dass  Adameobwicz  die  Leinwandkappe 
mit  Wasser  befeuchtete,  wodurch  Chlorofonn  mit  Wasser  in  Berührung  kam, 
in  demselben  gelöst  und  als  Chloroformlösuug  in  die  Haut  kataphoresirt  werden 
konnte.  Nach  den  physikalischen  Gesetzen  ist  die  üeberführung  einer  Flüssig- 
keit vom  positiven  zum  negativen  Pole  um  so  bedeutender,  je  grösser  der 
Leitungswiderstand  der  Flüssigkeit  (Lösung)  ist,  immer  vorausgesetzt,  dass  die 
Flüssigkeit  überhaupt  leitet  und  auch  durchflössen  wird.  Es  könnte  sich  dies 
mit  der  Chloroformlösung  ebenso  verhalten.  IJm  dies  beurtheilen  zu  können, 
muss  man  nothwendigerweise  die  Löslichkeit  des  Chloroforms  in  Wasser  kennen. 
Es  lösen  sich  nun  in  1000  Theilen  Wasser  8 — 9  Theile  Chloroform, 
wie  mir  Herr  Prof.  Quinkb  die  Freundlichkeit  hatte  mitzutheilen;  zur  Befeuch- 
tung des  Leinwandüberzuges  der  DiSusionselektrode  braucht  man  etwas  mehr 
als  1  com  Wasser.  Angenommen,  es  wären  2  ccm  oder  Gramm  nöthig,  wovon 
nach  der  Sitzung  mindestens  die  ELälfte  in  der  Leinwand  zurückbleiben  wird, 
so  könnte  günstigen  Falls  ein  Gramm  in  Verbindung  mit  Chloroform  getreten 
und  kataphoresirt  worden  sein.  Dieses  Gramm  Wasser  würde  enthalten  0,008  bis 
0,009  Chloroform,  eine  Quantität,  der  man  einen  grossen  EfTect  kaum  zuzu- 
schreiben geneigt  sein  dürfte. 

Eine  andere  Möglichkeit,  wie  das  Chloroform  von  dem  elektrischen  Strom 
in  die  Haut  „hineingezogen^'  werden  könnte,  wäre  die,  dass  es  in  dem  Wasser 
des  Leinwandüberzuges  suspendirt  vorkäme.  Lnmer  frische  Thälchen  könnten 
an  die  SteUe  der  alten  treten,  wenn  diese  der  Strom  forttrüge,  so  dass  auf  diese 
Weise  doch  eine  ganz  genügende  Quantität  unter  die  Haut  gelangte.  Aber 
auch  gegen  diese  zu  Gunsten  der  von  Adamkiewioz  angegebenen  Kataphorese 
gemachte  Annahme  sprechen  physikalische  Thatsachen.  Jüb&bnsen  wies  namr 
lieh  schon  im  Jahre  1860  nach,  dass  feste  Theilchen  in  einer  Flüssigkeit 
—  und  als  solche  haben  wir  Chloroformkügelchen,  die  in  Wasser  suspendirt  sind, 
zu  betrachten  —  in  der  Richtung  des  negativen  Poles  sich  bewegeA. 
Dies  Gesetz  ist  so  feststehend,  dass,  wie  du  Bois-Rsymoio)  sich  ausdrückt, 
„man  so  gewiss,  wie  aus  der  Ablenkung  der  Magnetnadel  die  Bicbtung  des 


-      592    - 

negativen  Poles  aus  seiner  anaphorisohen  Wirkung  auf  die  festen  Körperchen 
würde  bestimmen  können."  Herr  Prof.  Quincke,  eine  auf  diesem  Gebiete  an- 
erkannte Autorität,  bestätigte  mir  dies  und  äusserte  sich  dahin,  dass  es  sich 
mit  Chloroform  nicht  anders  verhalten  würde,  wenn  er  auch  gerade  diesen 
Körper  nicht  speciell  untersucht  habe;  die  Kügelchen  würden  vom  negativen 
zum  positiven  Pole  geführt  werden.  Auf  unsem  Fall  angewandt  geht  daraus 
hervor,  dass  bei  Anordnung  der  Elektroden  und  des  Stromes,  wie  es  Adahkie- 
wioz  that,  das  Chloroform,  wäre  es  in  suspendirtem  Zustande  gewesen,  aus  der 
Leinwand  nicht  nach  der  Haut,  sondern  gegen  die  Elektrode  hin  durch  den 
Strom  hätte  transportirt  werden  müssen.  Da  es  dies  aber  nicht  that,  sondern 
ruhig  auf  die  Haut  floss,  darf  man  wohl  annehmen,  dass  sich  das  Chloroform 
wenig  an  dem  elektrischen  Strom  störte  und  dieser  sich  auf  seinem  bequemen 
Wege  über  Metall  und  feuchte  Leinwand  wenig  um  das  Chloroform  kümmerte. 

Einmal  in  oder  unter  die  Haut  gelangt  —  wie?  haben  wir  bereits  gesehen  . 
—  kann  Chloroform  allenfalls  in  geringer  Menge  von  der  Gewebeflüssigkeit  ge- 
löst werden;  daran  trägt  aber  dann  die  Elektricität  keine  Schuld.  Der  gal- 
vanische Strom  selbst  konnte  im  allergünstigsten  Falle  nicht  mehr 
als  0,008-— 0,009  Chloroform  in  Lösung  kataphoresiren,  alles  andere  ge- 
schah, abgesehen  von  der  Auflockerung  der  Haut,  ohne  ihn.  So  viel  ist  fest- 
stehend, dass  Adamkiitwioz  die  Diffusionselektrode  für  den  Zweck, 
zu  dem  sie  dienen  sollte,  physikalisch  falsch  construirt  hat  und  ein 
Mittel  wählte,  das  wegen  seines  Verhaltens  gegen  den  elektrischen  Strom 
geradezu  unbrauchbar  ist. 

Damit  soll  den  therapeutischen  Erfolgen,  die  Adamkikwigz  mittelst  seiner 
Behandlungsmethode  erzielte,  gar  kein  Abbruch  gethan  werden.  Die  Anoden- 
wirkung des  galvanischen  Stromes  war  ja  da  und  die  Reizung  der  Haut  erkennt- 
lich an  deren  Böthung,  *  Quellung,  Bläschenbildung  etc.  kann  ganz  wohl  ableitend 
gewirkt  haben,  ebensogut,  wie  es  ein  trockner  Schröpf  köpf,  Senfteig  u.  s.  w.  bei 
Neuralgien  thun  und  dadurch  direct  schmerzlindernd  wie  heilend  wirken  können. 
Also  an  der  Wirkung  der  A t) a mtcth vicz'schen  Methode  kann  man  nicht  zweifeln; 
falsch  ist  nur  seine  Erklärung  dieser  Wirkung.  Empfehlen  kann  ich  die  Me- 
thode w^n  ihrer  Schmerzhaftigkeit  nicht. 

Ist  die  Application  des  Nervinum  subcutan  m^lich,  so  würde  ich,  will  man 
absolut  die  beiden  Heilmittel,  Elektricität  und  Antineuralgicum ,  zusammen  an- 
wenden, folgende  Methode  der  Anwendung  entschieden  praktischer  finden:  Man 
injicirt  das  Antineuralgicum  subcutan  über  dem  Schmerzpunkte  und  soweit  als  mög- 
lich in  die  Nähe  desselben  oder  des  Nerven,  sucht  die  EinstichöShung  möglichst 
entfernt  und  seitlich  von  dem  Nervenpunkt  anzubringen  und  lässt  dann  d^  gal- 
vanischen Strom  in  Action  tretra,  so  dass  die  Anode  direct  über  dem  Nerven- 
punkt aufsitzt.  Dadurch  erzielt  man,  dass  dem  Strom  der  Transport  des  Mittels 
durch  die  sehr  grossen  Widerstand  bietende  Haut  erspart  bleibt  und  dass  der 
Strom  das  Mittel  in  möglichster  Nähe  des  Nerven  in  ziemlich  concentrbler 
Lösung  auf  seinem  Wege  findet,  was  ihm  die  üeberführung  desselben  in  den 
Nerven  erleichtem  wird.    Jedenfalls  sind  die  Chancen,  auf  diesem  Wege  eine 


593    — 


combinirte  Wirkung,  eine  grössere  Gesammtleistung  von  Medicament  und  gal- 
vanischer Anode  zu  erreichen,  viel  grössere. 
Heidelberg,  im  August  1888. 


2.  Zur  Darreichung  und  Wirkung  des  Sulfonals. 

Von  Dr.  H.  Busoheweyh. 
(Aus  der  psychiatrischen  Klinik  zu  Jena.) 

Seit  Kast's  Aufsatz  im  Juliheft  der  therapeutischen  Monatshefte  „lieber 
die  Art  der  Darreichung  und  Verordnung  des  Sulfonals"  sind  weitere  Arbeiten 
über  dieses  neuste  Hypnoticum  nicht  erschienen,  wenigstens  liegen  keine  Ver- 
öffentlichungen vor,  die  der  von  Käst  auf  Grund  von  chemischen  Experimenten 
und  Thierversuchen  vorgeschlagenen  Art  der  Verordnung  des  Sulfonals  Rechnung 
tragend,  eine  Bestätigung  derselben  in  der  Praxis  aufwiesen.  Kast  empfahl  in 
Folge  der  Schwerlöslichkeit  des  Sulfonals  und  schweren  Angreifbarkeit  seines 
Moleküls,  infolge  der  aus  beiden  Factoren  resultirenden  unsicheren  Wirkung 
bezüglich  Eintritt  und  Dauer  des  Schlafes,  das  Sulfonal  fein  pulverisirt  mit 
^venigstens  200  ccm  womöglich  warmer  Flüssigkeit  in  den  frühen  Abendstunden 
mit  dem  Abendessen  darzureichen,  wo  also  ein  grösseres  Flüssigkeitsquantum 
mit  gutem  Salzsäuregehalt  und  reichlichen  Mengen  von  Salzen  und  Peptonen 
dem  Sulfonal  die  günstigsten  Bedingungen  für  eine  rasche  Lösung  darbietet. 

Wir  haben  diese  Verordnung  Kast's  an  unserer  Klinik  praktisch  verwerthet, 
und  die  besseren  Resultate,  die  wir  seitdem  mit  dem  Sulfonal  (stets  Sulfonal 
Bayeb)  erzielten,  sowie  einige  weitere  Beobachtungen  über  dieses  Hypnoticum 
veranlassten  mich,  dieselben  mitzutheilen. 

Im  Ganzen  kam  das  Sulfonal  212mal  an  34  Kranken  zur  Anwendung. 
Die  Einzeldosen  variirten  zwischen  0,5 — 4  g. 

Von  den  212mal  versagte  das  Mittel  nur  24mal,  d.  h.  in  ca.  11%  der 
Fälle.  Es  ist  interessant,  dass,  wenn  auch  einige  wenige  Male  Kleinheit  der 
Dosis  oder  äussere  Momente,  wie  hochgradige  Unruhe  von  Mitkranken,  Ursache 
einer  negativen  Wirkung  waren,  jedenfalls  sämmtliche  ausbleibende  Erfolge  in 
die  Zeit  vor  der  Verabreichung  des  Sulfonals  nach  I^t's  neuerer  Vorschrift 
fallen.  Wir  gaben  vordem  das  Sulfonal,  wie  wir  es  aus  der  Fabrik  direct  er- 
hielten .  oder  fein  pulverisirt  im  Löffel  oder  Weinglase  mit  kaltem  Wasser,  un- 
abhängig von  dem  Abendbrote.  Nachdem  stets  wohl  verrührt  in  ca.  V2  ^^^ 
heisser  Bouillon  oder  Milch  zum  Abendessen  —  und  in  letzter  Verabreichung 
liess  uns  das  Mittel  nie  im  Stich. 

Wir  hatten  eine  Maniaca,  der  wir  wiederholt  8  g  im  Weinglase  Wasser  ohne 
jeden  Erfolg  dargereicht  hatten;  und  trotzdem  ihre  Erregung  eher  noch  zuge- 
nommen hatte,  erzielten  wir  später  auf  Verordnung  in  Bouillon  einen  tiefen, 
achtstündigen  Schlaf.  Ja,  wir  konnten  sogar  in  den  nächsten  Tagen  auf  2  g 
heruntergehen  und  erreichten  denselben  Effect.  Und  so  auch  bei  andern  Kranken, 
wo  die  vorherige  Darreichung  mit  etwas  kaltem  Wasser  erfolglos  geblieben  war. 


—    694    — 

Ein  Naohtheil  tritt  dabei  allerdings  ins  Spiel:  die  vielgerühmte  Oesohmacklosig- 
keit  des  Sulfonals  kommt  in  Wegfall.  IMe  Bouillon  oder  die  Milch  bekommen 
einen  deutlich  bitteren  Oeschmack,  der  durch  Gewürze  oder  Zucker  nicht  zu 
beseitigen  ist.  Er  ist  aber  nicht  derartig  unangenehm,  dass  deshalb  das  Mittel 
von  den  Kranken  verschmäht  wurde.  Jedenfalls  ist  dies  kein  einziges  Mal  vor- 
gekommen. — 

Ich  kann  also  diese  Art  der  Darreichung  nur  empfehlen.  Sie  bürgt  am 
besten  für  eine  sichere  Resorption  und  völlige  intensive  Wirkung  des  Sulfonals. 
Eine  aufTallende  Beschleunigung  des  Eintritts  des  Schlafes  habe  ich  nicht  con- 
statiren  können.  Während  derselbe  bei  der  früheren  Verordnung  binnen  Va  ^is 
5  Stunden  sich  einstellte,  so  habe  ich  in  der  Verabreichung  nach  East  doch 
auch  mehrere  Fälle  gesehen,  wo  die  Wirkung  erst  nach  4  Stunden  erfolgte.  — 
In  einigen  wenigen  Fällen,  wo  Damiederliegen  der  Magenthätigkeit  uns  einen 
Fingerzeig  gab,  verordneten  wir  einige  Tropfen  Salzsäure  mit  dem  Sulfonal,  was 
ebenfalls  eine  sichere  und  auch  schnellere  Wirkung  hervorrief. 

Hand  in  Hand  mit  dem  prompteren  Erfolge  des  Sulfonals  ging  das  Aus- 
bleiben der  Nachwirkung  am  nächsten  Tage,  ich  meine  insofern,  als  die  Kranken 
da  nicht  über  Müdigkeit  und  Verlangen,  weiter  zu  schlafen,  klagten.  Weitaus 
die  Mehrzahl  betonte  oft  si)ontai),  sich  ausnehmend  „erquickt  und  erfrischt"  zu 
fühlen.  Dieselben  Kranken  hoben  aber  auch  hervor,  dass  sie  am  Abend  eher 
müde  wurden,  denn  sonst,  sich  zeitiger  zu  Bette  legten  und  —  ohne  Sulfonal 
die  zweite  Nacht  vortrefflich  schliefen.  Hierunter  befand  sich  auch  eine  Mor- 
phinistin mit  absoluter  Agiypnie,  die  doch  mindestens  ihre  2 — 3  Stunden  in 
der  zweiten  Nacht  nach  dem  Sulfonalgebrauch  schlief.  Ich  hebe  diese  That- 
sachen  besonders  hervor,  weil  diese  Ausdehnung  der  Sulfonalwirkung  auf  die 
zweite  Nacht  immer  nur  im  Zusammenhang  mit  allgemeiner  Müdigkeit  am 
Tage  angeführt  worden  ist.  Diese  Beobachtung,  dass  nach  einer  auf  Sulfonal 
durchgeschlafenen  Nacht  die  Kranken  sich  am  Tage  „wohlauf  und  frisch"  be- 
fanden, die  nächste  Nacht  ohne  Mittel  auch  gut  schliefen,  die  dann  folgende 
Nacht  aber  ohne  Sulfonal  nicht  mehr  —  ist  ein  interessanter  Beleg  für  die 
eigenthümliche  Wirksamkeit  dieses  Hypnoticums.  Offenbar  circulirt  dasselbe  über 
24  Stunden  im  Blute;  und  seine  einschläfernde  Wirkung  kommt  dem  am  zweiten 
Abende  eintretenden  physiologischen  Schlafbedürfnisse  in  der  Weise  zu  Gute, 
dass  wirklicher  Schlaf  eintritt,  während  sie  am  Tage  die  corticalen  Vorgänge 
bis  zur  Schläfrigkeit  nicht  herabzustimmen  vermag.  Ich  habe  diese  Wahrnehmung 
sehf-^eÖLbestätigt  gefunden,  so  dass  ich  bei  vielen  Kranken  geradezu  nur  eine 
Nacht  um  die  anderejas  Mittel  verordnete.  Nur  bei  sehr  aufgeregten  Para- 
lytikern und  acut  Paranoißcjien  —  bei  welch'  letzteren  nebenbei  die  Wirkung 
des  Sulfonals  am  wenigsten  eciatant  wsff  — .  war  ich  genöthigt,  es  täglich  zu 
verabreichen. 

Schliesslich  will  ich  noch  einige  besondere  Fälle  hervorheben,  wo  sich  das 
Sulfonal  wider  Erwarten  hülfreich  erwies.  Zunächst  bei  einer  Morphinistin. 
Diese  stand  am  Ende  ihrer  Entwöhnungszeit  und  wies  die  heftigsten  Abstinenz- 
erscheinungen auf,  die  sich  neben  denen  von  Seiten  des  Digestionstraotus  nament- 


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lieh  in  totaler  Schlaflosigkeit,  innerer  Unruhe  und  Drang  nach  Bewegung  kund- 
gaben. Hier  half  das  Sulfonal  Abends  in  Dosen  von  2 — 3  g  gegeben  yortheilhaft 
über  die  fatalen  subjectiven  Beschwerden  hinweg.  Patientin  gab  an,  neben  dem 
prompt  erfolgenden  erquickenden  Schlafe  stetig  ein  Schwinden  der  inneren  Un- 
ruhe dabei  an  sich  wahrgenommen  zu  haben.  Auch  pries  sie,  dass  der  Schlaf  so 
völlig  traumlos  war,  eine  Beobachtung,  die  mir  auch  andere  Kranke,  die  sonst  von 
bösen  Träumen  heimgesucht  wurden,  versicherten.  —  Sodann  hatten  wir  zwei  Herren 
in  Behandlung,  die  wegen  Lues  Calomelinjectionen  erhielten.  Dieselben  hatten  in- 
folgedessen recht  starke  Schmerzen  und  schlaflose  Nächte.  Der  Eine  wurde  oben- 
drein von  Asthma  syphiliticum  gequält.  Beiden  wurde  1  gr  Sulfonal,  dem  Einen 
als  „Stomachicum"  gegeben,  und .  sie  schliefen  vorzüglich,  letzterer  zu  seiner 
grossen  Ueberraschung,  so  dass  er  mich  am  andern  Morgen  fragte,  ob  ich  mich 
nicht  vergriffen  und  ihm  aus  Versehen  ein  Schlafmittel  verabreicht  hätte. 

Ich  will  die  Arbeit  nicht  abschliessen,  ohne  auf  einige  Folgeerscheinungen 
des  Sulfonals  aufmerksam  gemacht  zu  haben.  Sie  fallen  allerdings  vorwiegend 
in  die  Zeit,  wo  wir  es  unabhängig  vom  Abendbrote  als  Pulver  in  wenig  Wasser 
darreichten,  wo  wir  öfters  am  Morgen  Gelegenheit  hatten,  die  Kranken  noch 
unter  dem  Einflüsse  des  Sulfonals  zu  sehen.  So  habe  auch  ich  das  Verlangen  der 
Patienten  gehört,  am  Tage  noch  weiter  schlafan  zu  wollen,  wo  offenbar  die  Wir- 
kung des  Hypnoticums  erst  so  recht  zur  Geltung  zu  kommen  anfing.  Drei 
Melancholiker,  die  zugleich  unter  Meconbehandlung  standen,  sowie  eine  Dame 
mit  Zwangsvorstellungen  (ohne  jede  weitere  Medication)  klagten  wiederholt  am 
Morgen  über  Schwindel  und  deutlich  objectiv  wahrnehmbaren  Taumel,  der  nicht 
bloss  als  Schlaftrunkenheit  zu  deuten  war.  Ein  Hypochonder  endlich  betonte 
zweimal,  dass  er  sich  am  Morgen  „dösig"  und  „elend"  (nach  1  resp.  1  Va  g) 
fühle,  doch  nahm  er  jedesmal  mit  Freuden  wieder  das  Mittel  wegen  seiner 
exact^n  Wirkung.  —  Dieses  „elende"  Gefühl  habe  ich  nun  freilich  auch  später, 
als  wir  das  Sulfonal  nach  Eabt's  Vorschrift  gaben,  wiedergefanden  als  Aeusse- 
rung  eines  gestörten  Digestionstractus.  Eine  Maniaca  brach  an  zwei  Morgen, 
nachdem  sie  Abends  vorher  3  resp.  4  g  Sulfonal  erhalten  hatte;  eine  Paralytica 
hatte  nach  einmaliger  3  g  Dosis  recht  heftiges  morgentliches  Erbrechen,  was  wie 
oben  weder  vorher  noch  nachher  beobachtet  ward,  also  nur  dem  Sulfonal  zuge- 
schrieben werden  konnte. 

Einmal  —  bei  einer  Maniaca,  die  das  Sulfonal  längere  Zeit  (10  Tage  hinter- 
einander) erhielt  —  war  zugleich  deutliche  Abnahme  des  Appetits  auffallend, 
was  sich  äusserlich  auch  in  bedeutender  Abnahme  des  Körpergewichts  (um 
8  Pfund)  documentirte.  Nach  Aussetzen  des  Mittels  hob  sich  letzteres  mit  dem 
Appetit  wieder.  Wiederholentüch  habe  ich  auch  Diarrhöen  während  der  Sulfonal- 
therapie  beobachtet,  die  allein  dem  Mittel  zuschreiben  zu  wollen  ich  nicht  wage. 

Es  bleibt  noch  übrig  der  Controlversuche  mit  einigen  Worten  zu  gedenken. 
Der  oben  erwähnte  Hypochonder  bekam  wiederholt  abwechselnd  (ohne  sein  Wissen) 
Sulfonal  und  Kreide,  gab  aber  jedesmal  recht  prompt  an,  wann  es  Sulfonal  ge- 
wesen war.  Vergleiche  mit  Paraldehyd  fielen  fast  stets  zu  Ungunsten  des 
letzteren  aus.  Die  Maniaca  z.  B.,  die  auf  3  und  2  g  Sulfonal  recht  gut  8  Stunden 


i    hei  eih 
die  heftifff>, 


—    596    — 

lang  schlief y  reagirte  auf  4  g  Paraldehyd  absolut  nicht;  ebensowenig  auf  3,5  g 
Amylenhydrat.  Eine  Melancholica,  die  Abends  0,05  oder  0,1  Opium  erhielt. 
Schlief  stets  darauf  schlecht,  während  1  g  Sulfonal  Sstündigen  Schlaf  ihr  yer- 
schaflte.  Ein  Melancholiker,  bei  dem  (neben  Opium)  0,5  Sulfonal  zu  einem 
Tstündigen  Schlafe  gent^,  fand  ebensogut  auf  2  g  Paraldehyd  oder  0,25  He- 
thylal  Schlaf. 

In  refracta  dosi  als  Heilmittel  der  Geisteskrankheiten  selbst  ist  das  Sulfonal 
nicht  in  Anwendung  gebracht  worden.  Die  Manien  etc.,  deren  symptomatische 
Schlaflosigkeit  mit  Erfolg  durch  Sulfonal  bekämpft  wurde,  blieben  selbst  ganzlich 
unbeeinflusst. 

Auf  Orund  unserer  Erfahrungen  können  wir  aber  das  Sulfonal  als  „Hyp- 
noticum^'  nur  durchaus  empfehlen,  namentlich  in  der  von  Käst  empfohlenen 
Verordnung  in  Dosen  von  2 — 3  gr  als  ein  sehr  sicheres,  nur  höchst  selten  von 
unangenehmen  Folgeerschemungen  (seitens  der  Yerdauong)  begleitetes  Mittel 


3.   lieber  Vagusexstirpationen. 

Von  Dr.  Deea  in  Eaufbeuren. 

Nachtrag  zu  dem  Aufsatz  „Zur  Anatomie  und  Physiologie  des  N.  vagus^' 

(Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  XX.  H.  1). 

Nachstehendes  bezieht  sich  auf  Exsürpationen  des  N.  vagus,  welche  zu  dem 
Zweck  gemacht  wurden,  die  centralen  Endigungen  (Kerne)  desselben  kennen  zu 
lernen.  Seinerzeit  als  ich  den  N.  accessorius  untersuchte  (im  Münchener  Labora- 
torium), erhielt  ich  von  Güdden  2  Schnittserien  der  Med.  obl.  von  E^aninchen, 
die  er  gleich  nach  ihrer  Geburt  in  der  Weise  operirt  hatte,  dass  er  nach  Er- 
öffnung des  Foramen  obturatorium  cervicis  mittels  eines  kleinen  Häkchens  die 
Wurzeln  des  IX. — XTL  Himnerven  direct  von  der  Medulia  ausriss.  Nach  einer 
durch  Herrn  Prof.  Grashet  auf  Anfrage  mir  gütig  gewordenen  Mittheilung  ist 
über  diese  Präparate  in  dem  nächstens  erscheinenden  wissenschaftlichen  Nachlass 
Gubden'b  nichts  enthalten;  ich  sehe  es  deshalb  als  Pflicht  an,  was  mir  darüber 
bekannt  ist,  bekannt  zu  geben,  w^nn  ich  auch  die  Präparate  nidit  alle  genau 
untersucht:  In  den  Präparaten  war  zu  erkennen  ausser  den  Accessoriusatrophien 
Atrophien  im  dorsalen  und  ventralen  Vago-Glossopharyngeuskem,  im  Hypoglossns- 
kem  und  im  solitären  Bündel.  Die  Atrophie  des  dorsalen  und  ventralen  Vago- 
Glossopharyngeuskems  war  jedoch  namentlich  in  den  capitalwärts  goldenen 
Partien  nicht  ganz  vollkommen,  was  Güdden  damit  erklärte,  dass  er  die  ent- 
sprechenden Wurzeln  nicht  gut  habe  erfassen  können  —  eine  Ansicht,  die  nach 
dem  durch  meine  Yagusdurchschneidung  erzielten  Ergebniss  jedenfalls  die  rich- 
tige ist 

Während  meines  Aufenthaltes  zu  Zürich  1887  hatte  Herr  Professor  Forel 
ebenfalls  die  Güte,  mir  2  Serien  von  Präparaten  aus  der  Med.  obl.  von  Meer- 
schweinchen vorzulegen,  die  ebenfalls  schöne  Atrophien  im  dorsalen  Yaguskem 
zeigten;  ich  weiss  leider  nur,  dass  dieselben  von  Herrn  Dr.  Mayseb  in  Bezug 
auf  den  Yagus  operirt  waren,  doch  nicht,  wie  die  Operation  ausgeführt  wurde. 


—    597    — 

Da  mir  daran  gel^n  war,  die  begonnene  Untersuchung  zu  beenden  und 
zwar,  da  ich  nicht  wie  Oxtddbk  eine  Untersuchung  des  bezeichneten  Nerven- 
complexes  im  Allgemeinen,  sondern  eine  solche  jedes  einzelnen  dieser  Nerven 
bezweckte,  machte  ich  die  Yagusdurchschneidung,  wie  sie  sammt  dem  Ergebnis» 
im  XX.  Bd.  H.  1  des  Arch.  f.  Psych,  beschrieben  ist.^ 


II.  Referate. 


Anatomie. 

1)  Ueber  die  Bestandtheile  des  vorderen  Klelnhimschenkels»  von  W.  Bech- 
terew.   (Arch.  f.  Anat.  u.  Physiologie.  Anat.  Abth.  1888.) 

Zuerst  fasst  B.  das  Wenige,  was  bisher  über  die  Anatomie  des  vorderen  Klein- 
himschcDkels  bekannt  ist,  zusammen.  Er  selbst  hat  seine  Stadien  nach  der  von 
Flechsig  angegebenen  entwickelungsgeschichtlichen  Methode  angestellt  und  4  ein- 
zelne Bündel  erkannt,  deren  Fasern  zu  verschiedeneu  Entwickelungsperioden  des  Fötus 
Markscheiden  bekommen. 

1.  Das  am  frühesten  —  bei  27 — 28  cm  langen  Föten  —  entwickelte  kleinste 
Bündel  liegt  ventral  (ventrales  Bündel). 

2.  Ein  weit  grösseres,  bei  33  cm  langen  Föten  markhaltiges,  liegt  dorsal  (dor- 
sales Bündel). 

3.  Ein  Bündel,  das  bei  35 — 38  cm  langen  Föten  markhaltig  wird.  Es  ist  grösser 
als  das  erste  und  kleiner  als  das  zweite  und  liegt  theils  zwischen  den  Fasern 
der  beiden  ersten,  theils  vermischt  es  sich  mit  den  Fasern  des  zweiten  (mitt- 
leres Bündel). 

4.  Ein  Bündel,  welches  das  grösste  ist  und  sich  zu  Ende  des  intrauterinen 
Lebens  entwickelt.  Es  liegt  theils  zwischen  den  Fasern  der  beiden  vorher- 
gehenden, theils  innen  von  denselben  (inneres  Bündel). 

Das  ventrale  Bündel  tritt  nicht  in  das  Kleinhirn»  sondern  verliert  sich  in  der 
Gegend  des  Kerns  des  Hömerven  (Bechterew);  nach  vom  geht  es  bis  zu  dem  oberen 
Theile  des  Föns,  verlässt  den  vorderen  Kleinhimschenkel,  zieht  ventralwärts  und  nach 
innen  und  tritt  nach  Art  der  Commissurfasem  über  die  Mittellinie. 

Die  Fasern  des  dorsalen  Bündels  erreichen  zum  Kleinhirn  hin  theils  den  Dach- 
kem,  theils  ziehen  sie  zur  Binde  des  oberen  Wurms  der  gleichen  Seite. 

Die  Fasern  des  mittleren  Bündels  vertheilen  sich  hauptsächlich  auf  den  Kugel-, 
zum  Theil  auf  den  Pfropfkem.  Nach  vom  hin  enden  die  Fasem  des  zweiten  und 
dritten  Bündels  im  rothen  Kern.  Das  innere  Bündel  endet  mit  einem  Theil  der 
Fasem  im  Corpus  dentatum  cerebelli,  ein  anderer  Theil  scheint  direct  zur  Rinde  der 
Kleinhimhemisphäre  zu  ziehen.  Nach  vom  hin  kreuzt  es  sich  zusammen  mit  Bündel  2 
und  3  unter  dem  Vierhügel  und  geht  darauf  zum  rothen  Kern.       P.  Kronthal. 


Experimentelle  Physiologie. 

2)  c:k>ntribution  a  l'ötude  du  oentre  oöribroseiiBitif  visuel  ohea  le  ohien, 
par  A.  N.  Yitzon.     (Gomptes  rendua.  1888.  23.  Juli.) 

Verf.  entscheidet   die  Frage,   ob  nur  der  OccipitaUappen  oder  auch  der  Gyrus 
angularis   zur   Sehsphäre   zu    rechnen  sind,  zu  Gunsten  Munk*s.     Nach  einseitiger 


^  Cf.  das  Referat  Nr.  5  in  dieser  Nummer. 


—    698    — 

Zerstörang  der  Binde  der  MunVschen  Sebspbäre  bei  Hunden  constatirte  Verf.  Blind- 
beit  des  contralateralen  Auges,  welcbe  sieb  freilieb  späterbin  als  eine  nicbt  absolute 
erwies.  Kacb  beiderseitiger  Abtrs^ng  der  Occipitallappen  (in  einer  Sit&ung) 
tritt  eine  vollständige  und  dauernde  Blindbeit  auf  beiden  Augen  ein.  In 
einem  vom  Verf.  genau  bescbriebenen  Yersucb  blieb  das  Tbier  3  Monate  leben,  der 
Tod  erfolgte  in  Folge  epileptiformer  Anfölle.  Die  Section  bestätigte,  dass  die  bintere 
Hälfte  der  3  Parallelwindungen  abgetragen  worden  war.  Die  Blindbeit  war  eine 
absolute  gewesen,  Gebor  und  Berübrungsempfindlicbkeit  verscbärft.  Aucb  bei  dem 
Affen  bat  der  Gyr.  angularis  nicbts  mit  der  Sebspbäre  zu  tbuu.         Tb.  Zieben. 


3)  The  objeotive  cause  of  Sensation.    Part.  m.    The  sense  of  smell,  by 

Haycrafft.     (Brain.  1888.  Juli.) 

Die  Arbeit  scliliesst  sieb  eng  an  den  2.  Tbeil:  „Taste"  (Brain.  1887.  Juli.  — 
Dieses  Ceutralblatt  1887  S.  544)  an,  auf  den  zum  Tbeil  verwiesen  werden  muss. 
Aucb  hier  gebt  H.  von  dem  Gesetz  der  periodiscben  Wiederkebr  der  Function  oder 
Eigenschaft  der  Elemente  aus,  einer  Feriodicität,  die  sich  bei  Gruppirung  derselben 
nach  ihren  Atomgewichten  zeigt  (Mendelejeff'scbe  Gruppen).  Er  zeigt,  dass  zunächst 
anorganische  Elemente  einer  und  derselben  nach  diesem  Gesetze  gebildeten  Gruppe 
und  ihre  Verbindungen  mit  gleichen  anderen  Elementen,  soweit  sie  überhaupt  riechen, 
ziemlich  gleiche  Gerüche  hervorbringen.  Es  können  dabei  die  Endglieder  der  betr. 
Gruppen  ziemlich  verschiedene  Geruchsempfindungen  erregen,  z.  B.  Chloroform  und 
Jodoform;  immer  aber  sind  Uebergänge  da,  hier  z.  B.  das  Bromoform.  Ebenso  ist 
es,  wie  H.  bewiesen,  auch  beim  Geschmack  (s.  d.  betr.  Tab'eUen).  Da  nun  nach 
Oarnelley  gleiche  Verbindungen,  z.  B.  die  Chlor-  und  Jodsalze  einer  bestimmten 
nach  dem  Gesetze  der  Feriodicität  geordneten  Gruppe,  wenn  sie  auch  nicbt  die  gleiche 
Farbe  haben,  so  doch  in  Bezug  auf  diese  in  gesetzmässiger  Weise  verschieden  sind 
(je  höher  das  Atomgewicht  des  betreffenden  Elementes  der  Gruppe  ist,  desto  naher 
dem  rothen,  je  niedriger,  desto  näher  dem  blauen  Ende  des  Spectrums  wird  Licht 
resorbirt  und  demgemäss  ändert  sich  die  Farbe,  wobei  auch  hier  die  Uebergänge 
ganz  allmählige  sind),  die  Aenderungen  in  der  Farbe  aber  sicher  durch  Aendenmgen 
in  den  Molecularschwingungen  der  betreffenden  Substanzen  bedingt  sind,  so  muss  man 
per  analogiam  annehmen,  dass  auch  die  Verschiedenheiten  im  Geruch  auf  solchen 
Aenderungen  in  den  Schwingungen  beruhen;  gleichscbwingende  Moleküle  werden  auch 
denselben  Geruch  hervorbringen. 

Aehnlich  ist  es  nun  auch  bei  den  organischen  Verbindungen.  Gehen  wir  in 
den  einzelnen  Gruppen  z.  B.  den  einatomigen  Alkoholen,  den  Fettsäuren  etc.  von  den 
Verbindungen  niedrigsten  zu  denen  höchsten  Moleculargewichts,  so  finden  wir  auch 
ganz  allmähliche  Aenderungen  im  Geruch  von  der  einen  zur  anderen,  während  die 
beiden  Endglieder  sehr  verschieden  riechen  können.  Dennoch  kann  man  wohl  von 
dem  „generellen''  Geruch  einer  Gruppe  sprechen.  Es  ist  nun  constatirt,  dass  die 
Absorptionsstreifen  gewisser,  nicht  farbiger  organischer  Gruppen  z.  B.  der  Alkohole, 
wenn  man  wieder  von  den  niederen  zu  den  höheren  aufsteigt,  bei  den  höheren  all- 
mählich mehr  an  das  rothe  Ende  des  Spectrums  rücken.  Man  ist  also  auch  hier 
berechtigt,  die  Aenderungen  im  Geruch,  die  gerade  so  allmählich  eintreten,  wie  die 
Aenderung  in  der  Stellung  der  Absorptionsstreifen,  auf  Aenderungen  in  den  Schwin- 
gungen der  Substanzen  zurückzuführen. 

Verf.  kommt  schliesslich  zu  folgenden  Schlüssen: 

1.  Geht  man  von  den  niederen  zu  den  höheren  Gliedern  der  Mendelejeff*schen  Gruppen, 
so  wird  nach  den  bisherigen  Untersuchungsresultaten  die  Wellenlänge  der  Mole- 
cularvibrationen  eine  niedrigere.  Zur  selben  Zeit  ändern  sich  die  Farben-,  Ge- 
Bclimacks-  und  Geruchsempfindungen,  wo  sie  überhaupt  vorhanden  sind. 


—    599    — 

2.  Qehi  man  von  den  niedrigeren  zu  den  höheren  Gliedern  organischer  Beihen,  z.  B. 
der  Alkohole,  so  werden  die  Wellenlängen  der  Molecolarvibrationen,  soviel  wir  jetzt 
wissen,  geringer.  Farben-,  Geruchs-  und  Geschmacksempfindungen  ändern  sich 
dementsprechend  in  der  angedeuteten  Weise.  Bruns. 


4)  Boport  on  some  of  the  motor  functions  of  oertain  cranial  nerves  (V, 
Vn,  IX,  X,  XI,  XIT)  and  of  the  three  first  cervical  nerves  in  the 
monkey  (Maoacns  sinieus),  by  Gh.  Beevor  and  Yic.  Horsley.  (The  Brit. 
med.  Journ.  1888.  4.  Aug.  p.  220.) 

B.  und  H.  haben  an  Affen  die  in  der  üeberschrift  genannten  Nerven  auf  ihre 
motorische  Function  untersucht  und  einige  bisher  irrige  Annahmen  in  Bezug  darauf 
richtig  zu  stellen  gesucht  Die  genau  beschriebene  Untersuchungsmethode  steckte 
sich  zum  Ziel,  die  bezüglichen  Nerven  nach  Trennung  vom  Bulbus  an  der  Basis  der 
Schädelhöhle  und  auch  in  der  Gegend  des  Nackens  ausserhalb  des  Schädels  vor  und 
nach  ihrer  Theilung  zu  reizen.  Als  Beizung  diente  der  secundäre  Inductionsstrom; 
die  Thiere  waren  narkotisirt. 

Trigeminus.  Die  Beizung  der  motorischen  Wurzel  erzeugte  kräftigen  Eiefer- 
schluss,  doch  wich  der  Unterkiefer,  obgleich  nur  die  Muskeln  der  einen  Seite  thätig 
waren,  ni^ht  seitwärts  ab. 

(VII.)  Man  nahm  bisher  noch  häufig  an,  dass  der  Gaumenheber  vom  Facialis 
mittelB  des  N.  petrosus  superficialis  innervirt  werde.  In  diesen  Versuchen  wurde 
gezeigt,  dass  die  stärksten  Ströme  auf  das  peripherische  Ende  des  im  Meat.  auditor. 
int  gekreuzten  Nerven  keinerlei  Hebung  des  welchen  Gaumens  zur  Folge  hatte,  das 
Gesicht  aber  wurde  in  heftigen  Krämpfen  verzerrt.  —  Die  Innervation  des  Levator 
palati  mollis  geschieht  durch  den  XI.  Nerv. 

(IX.)  Niemals  sahen  die  beiden  Forscher  Bewegung  des  weichen  Gaumens, 
wenn  der  N.  glossopharyngeus  innerhalb  der  Schädelhöhle  gereizt  wurde.  Dass  in 
2  Fällen  Reizung  des  Nerven  vor  der  Durchschneidung  unter  dem  Ligam.  stylo-hyoi- 
deum  Hebung  des  Gaumens  hervorbrachte,  muss  wohl  als  Beflexwirkung  aufgefasst 
werden. 

(X.)  Wurde  der  Vagus  ausserhalb  der  Schädelhöhle  gereizt,  unterhalb  seiner 
Verbindung  mit  dem  Hypoglossus,  so  erfolgten  rhythmische  Schluckbewegungen,  25  in 
35  Secunden.  In  einem  Falle  folgte  auf  Reizung  des  peripherischen  Endes  (nach 
Durchschneidung)  Constriction  der  Pharynx,  Wenn  das  peripherische  Ende  des  durch- 
schnittenen Nerven  innerhalb  der  Schädelhöhle  gereizt  wurde,  so  entstand  keine  Be- 
wegung, zum  Beweise,  dass  die  Schluckbewegungen  Reflexwirkung  waren.  Der  Ramus 
laryngeus  superior  gab  bei  Reizung  rhythmische  Schluckbewegungen  (17  in  15  See). 
Wurde  der  Nerv  durchschnitten  und  das  peripherische  Ende  gereizt,  so  entstand  im 
Larynx  nur  unbedeutende  Bewegung,  augenscheinlich  durch  Contraction  des  M.  crico- 
thyreoideus. 

(XI.)  Der  Gaumenheber  wird  gänzlich  vom  11,  Nerven  innervirt  (vgl.  oben  VII). 
Wenn  das  peripherische  Ende  des  durchschnittenen  Nerven  innerhalb  des  Schädels 
gereizt  wurde,  so  erfolgte  ausnahmslos  Hebung  des  weichen  Gaumens.  Die  Wege  dei- 
Innervation  liegen  wahrscheinlich  im  oberen  Theile  des  Plexus  pharyngealis,  Felix 
Semon  fand  ähnliche  Verhältnisse  beim  Hunde. 

(XII.)  Reizung  des  Hypoglossus  unter  seiner  Verbindungsstelle  mit  dem  ersten 
Cervicalnerv  erzeugte  Nioderlegung  der  hinteren  gleichnamigen  Zungenhälfte  und  Vor- 
Streckung  der  Zungenspitze.  Niemals  entstand  ein  Zungenberg.  Zugleich  wurde  das 
Zungenbein  niedergedrückt  und  dadurch  zuweilen  das  Vorstrecken  der  Zunge  verhindert. 
Wurde  das  peripherische  Ende  des  durchschnittenen  Nerven  an  derselben  Stelle  gereizt, 
erfolgte  derselbe  Effect  —  Mit  Bestimmtheit  konnte  erkannt  werden,  dass  die  Zungen- 


—    600    — 

beweguDgen  unilateral  vor  sich  gingen.  Beizung  des  durchschnittenen  Nerven  innerhalb 
des  Schädels  ergab:  die  Zunge  hinten  abgeflacht  und  nach  derselben  Seite  vorgestreclLt^ 
aber  das  Zungenbein  nicht  hinabgedrückt.. 

Die  Zungenbein-Niederdrücker  erhalten  ihre  Innervation  vom  1.  und  2.  Cervical- 
nerven  im  Gegensatz  zur  gewöhnlichen  Annahme,  dass  der  Hy^oglossus  diese  Function 
habe.  Der  Irrthum  entstand  dadurch,  dass  der  Hypoglossus  gereizt  wurde  an  einer 
Stelle,  die  unterhalb  seiner  Verbindung  mit  dem  1.  Cervicalnerven  liegt. 

Die  motorischen  Functionen  der  3  ersten  Cervicalnerven  wurden  studirt  durch 
Beizung  derselben  innerhalb  des  Wirbelkanals,  und  dann  durch  Beizung  nach  ihrem 
Austritt  zwischen  den  Proc.  transversi  der  Wirbel. 

1.  Cervicalnerv.     Yerbindnngszweig  zum  Hypoglossus. 

Beizung  desselben  erzeugt  Contraction  in  den  Depressoren  des  Os  hyoideum 
(besonders  M.  sterno-hyoideus  und  stemo-thyroideus),  weniger  stark  ausgesprochen  im 
Omo-hyoideus  (und  in  einigen  Fallen  hier  gar  keine  Contraction). 

2.  Cervicalnerv.  Beizung  erregt  Contraction  im  M.  omohyoideus  und  nament- 
lich in  dessen  hinterm  Bauch.  Die  Betheiligung  im  Stemo-hyoideus  und  Sterno- 
thyreoideus  war  dabei  nicht  so  ausgesprochen  und  nicht  ausnahmslos  in  allen  Fällen. 
—  Die  motorischen  Fasern  des  absteigenden  Astes  des  Glossophatyngeus  nehmen 
ihren  Ursprung  aus  dem  1.  und  2.  Cervicalnerven.  Die  Depressoren  des  Zungenbeins 
scheinen  also  allein  von  dem  1.  und  2.  Cervicalnerven  innervirt  zu  werden. 

L.  Lehmann  (Oeynhausen). 

6)  Zur  Anatomie  und  Physiologie  des  Nervus  vagus,  von  Dr.  Otto  Dees, 
2.  Assistenzarzt  in  der  Heilanstalt  f.  Geistoskranke  zu  Kauf  benren.  (Arch.  f.  Psych, 
u.  Nervenkrankheiten.  XX.  1.) 

Nach  einem  Ueberblick  über  die  einschlägige  Litteratur  schildert  Verfasser  die 
eigenen  Thierversuche  und  deren  Ergebnisse.  Der  Vagus  wurde  in  der  Mitte  des 
Halses  freigelegt,  durchschnitten  und  das  peripherische  Ende  ausgerissen.  Auf  der 
operirten  Seite  fehlten  sowohl  der  dorsale  als  auch  der  ventrale  Vagoglossopharp- 
geus-Eern,  die  Fasern  des  solitaren  Bündels  waren  verringert.  Dies  beweist  für  den 
dorsalen  Kern:  Die  Axencylinder  der  Zellen  dieses  Kernes  werden  Nervenfasern  des 
gleichseitigen  Vagus.  Die  Fortsätze  dieser  Zellen  ziehen  sämmtlich  im  Vagus  ver- 
einigt in  die  Brusthöhle.  Die  Geschmacksnerven  gehen  nicht  aus  diesem  Kern  henor. 
Die  aus  diesem  Kern  entspringenden  Nervenfasern  sind  keine  sensiblen,  denn  der 
N.  glossopharyngeus,  wie  die  Br.  auricularis  und  laryngeus  sup.  N.  vagi  zeigten  sich 
unversehrt.  Die  Duval'sche  Annahme,  dass  der  N.  intermedius  Wrisbergii  in  diesem 
Kern  seinen  Ursprung  habe,  besteht  nicht  zu  Becht.  Die  Fasern  dieses  Kernes  sollen 
nur  Vasomotoren  sein.  Der  ventrale  Glossopharyngeuskem  ist  das  nächste  Centram 
für  die  Innervation  der  Kehlkopfmusculatur.  Das  solitäre  Bündel  ist  die  aufsteigende 
sensible  Wurzel  des  Vagus  und  Glossopharyngeus.  Dafür,  dass  Fasern  aus  der  Baphe 
in  die  Vaguswurzeln  übergehen,  haben  sich  keine  Anhaltspunkte  ergeben.  Die  In- 
tactheit  des  Funiculus  teres  bewies,  dass  aus  ihm  keine  Vagusfasem  entspringen. 

P.  KronthaL 

Pathologische  Anatomie. 

6)  Beiträge  sur  Pathologie  des  N.  vagus  ^  von  A.  Lew  in.  (Dissertation.  Si 
Petersburg  1888.    Bussisch.) 

Eine  pathologisch -anatomische  Untersuchung  des  Granglion  irunci  nervi  vagi 
(s.  Gangl.  nodosum)  des  Menschen.  Das  Material  dazu  lieferten  mehr  als  100  Ca- 
daver aus  den  städtischen  Krankenhäusern,  von  Subjecten,  die  an  verschiedenen 
inneren  nnd  Infectionskrankheiten  verstorben  waren.    Die  histologische  Untersuchung 


—    601    — 

wurde  sowohl  an  frischen  Präparaten,  als  aach,  und  zwar  hauptsächlich  an  Schnitten 
aus  erhärteten  Präparaten  mit  verschiedener  Tinction  ausgeführt. 

Die  Arbeit  enthält  genaue  Beschreibung  des  histologischen  Befundes  am  Gangl. 
nodosum  n.  vagi  in  26  Fällen  von  Ileotjphus,  19  Fällen  von  Herzkrankheiten  und 
20  Fällen  Lungenschwindsucht  In  allen  Fällen  wurden  pathologische  Veränderungen 
vorgefunden,  obgleich  zwar  in  sehr  verschiedener  Intensität.  Was  die  Natur  der 
Veränderungen  anbetrifft,  so  bestanden  sie  vorwiegend  in  Infiltration  des  Stroma  des 
Ganglions  mit  lymphoiden  Eörperchen,  Proliferation  des  Endotheliums  an  den  die 
Nervenzellen  umgebenden  Kapseln  nebst  Verdickung  letzterer,  und  degenerativen  Vor- 
gängen an  den  Nervenzellen  selbst  (Vacuolisation,  körniger  Zerfall,  Atrophie).  Die 
Beschreibung  ist  durch  überzeugende  Zeichnungen  illustrirt  P.  Bosenbach. 


7)  Beitrag  sur  pathologischen  Anatomie  der  Qliose  der  Hirnrinde,   von 

Buchholz.     (Arch.  f.  Psych.  XIX.  S.  590.) 

B.  untersuchte  ein  Gehirn,  dessen  Grosshimrinde  eine  Unzahl  jener  bis  steck- 
nadelkopfgrossen Höckerchen  darbot^  welche  Fürstner  als  Gliose  beschrieben;  die 
Höckerchen  erwiesen  sich  solide,  nur  in  einem  fand  sich  eine  makroskopisch  sicht- 
bare, noch  Innerhalb  der  Binde  liegende  Höhle.  Die  Hirnhäute  zeigten  auch  makro- 
skopisch die  Zeichen  chronischer  Entzündung;  die  erste  wenig  tingirbare  und  stark 
verbreitete  Bindenschicht  liess  ein  verschiedenmaschiges,  bald  mehr  feines,  bald  derbes 
Fasemetz  mit  Spinnenzellen  in  wechselnder  Menge  erkennen;  ausserdem  reichliche 
Bundzellen  besonders  in  der  Nähe  der  Geisse,  nebst  zahlreichen  üebergangsformen 
zu  jenen;  stellenweise  vorhandene  derbere  Faserzüge  leitet  B.  von  den  Spinnenzellen 
ab;  die  Gefasse  und  zwar  vor  Allen  die  der  obersten  Schicht  zeigten  Verdickung  der 
Wandung  und  starke  Kemvermehrung;  andere  schienen  in  homogene  schlauchartige 
Gebilde  oder  in  Stränge  von  parallelen  Fasern  verwandelt ;  die  mit  diesem  Untergang 
von  Gefässen  in  Widerspruch  stehende  Vermehrung  der  Geßi^e  wird  als  eine  schein- 
bare, durch  Schwund  des  Gewebes  bedingte  erklärt.  An  den  den  Hockerchen  ent- 
sprechenden Stellen  erscheint  das  Gewebe  der  obersten  Schicht  in  die  tieferen  hinein- 
gewuchert, wahrscheinlich  unter  tbeilweisem  Schwund  und  theilweiser  Verdrängung 
der  betreffenden  Gewebselemente,  wodurch  die  untere  Gontour  ein  vielfach  gewundenes 
Ansehen  erhält;  das  Gewebe  der  Tubera,  das  im  Allgemeinen  die  geschilderte  Be- 
schaffenheit zeigt,  lässt  wenig  zellige  Elemente,  fast  ausschliesslich  Spinnenzellen, 
daneben  zahlreiche  faserartige  Gebilde  erkennen;  in  der  Mitte  des  Höckerchens  liegt 
häufig  ein  Gefäss  oder  GeHLssrudiment,  wohl  als  Ausgangspunkt  der  Bildung  zu 
deuten;  einzelne  Tubera  zeigen  dicke,  verschiedenartig  gerollte,  oft  concentrische 
Bindegewebszüge  mit  eingelagerten  langgestreckten  Kernen;  das  umgebende  Gewebe 
zeigt  die  vorher  beschriebenen  Veränderungen.  In  der  Umgebung  der  vorerwähnten 
Höhle  reichen  die  Bindegewebszüge  wohl  entsprechend  dem  bedeutenderen  Alter  der 
Bildung  weiter  in  das  umgebende  Gewebe;  die  Wandungen  der  Höhle  zeigten  aussen 
derbere,  innen  weichere  Gewebslagen,  in  denen  zahlreiche  Kerne  und  einzelne  Gefäss- 
rudimente  liegen. 

In  einzelnen  Präparaten  sieht  man,  wie  von  einer  centralen  als  Rest  eines  de- 
generirten  Gefasses  nachweisbaren  Partie  eine  Beihe  derber,  radiärer  Spinnenzellen 
entstammenden  Fasern  ausgehen,  die  in  circulär  angeordneten  verschwinden;  in  diesem 
letzten  Befunde  sieht  B.  ein  früheres  Stadium  der  Bildung  der  Tubera. 

Die  Ganglienzellen  der  tieferen  Schicht  zeigten  nur  unsichere  Veränderungen 
aber  deutliche  Verminderung;  die  Nervenfasern  waren  nur  an  den  den  Tubera  ent- 
sprechenden Stellen  vollständig  geschwunden,  sonst  nicht  auffallend  vermindert;  die 
Optici  zeigten  deutliche,  ziemlich  hochgradige  Atrophie.  A.  Pick. 


35 


—    602    — 

8)  Beitrag  zur  Gk>lgi'8ohen  E&rbungsmethode  der  nervösen  Centralorgane, 

von  Dr.  L.  Greppin,  2.  Arzt  an  der  Irrenanstalt  Basel.  (Arch.  f.  Psychiatrien. 
Nervenkrankheiten.  XX.  1.) 

G.  bediente  sich  znm  Schneiden  des  Gefriermikrotoms  und  hält  dies  fQr  nfitz- 
licher,  als  die  Härtung  in  Alkohol  und  darauffolgende  Einbettung.  Bei  Paralytiker- 
Gehirnen  constatirte  Verf.  auch  eine  beträchtliche  Anhäufung  von  Spinnenzellen,  will 
dies  jedoch  nicht  fOr  pathologisch  gelten  lassen,  da  auch  in  normalen  Präparaten 
manchmal  sehr  zahlreiche  derartige  Zellen  in  allen  Schichten  gefunden  würden. 
Ganglienzellen,  wie  sie  der  Ref.  in  diesem  Centralblatt  1887  Nr.  14  aus  der  zweiten 
StimwinduDg  eines  Paralytikers  als  pathologisch  abgebildet  hat,  kann  G.  als  solche 
nicht  anerkennen,  „da  man  bei  durchaus  normalen  Gehirnen  regelmässig  bald  in 
di^er,  bald  in  jener  Schicht  nebst  gut  entwickelten  Zellen  die  ganz  gleich  de- 
generirt  aussehenden  Bilder  findet/'  Im  angeblichen  ferneren  Gegensatz  zu  der  oben 
citirten  Arbeit  fand  Verf.  in  einer  atrophischen  Windung  eines  Paralytikergehimes 
Ganglienzellen,  die  weit  mehr  Fortsätze  hatten,  wie  die  in  den  Abbildungen  des  Bef. 
als  normal  bezeichneten.    Es  folgen  die  Protokolle  der  Versuche. 

Ob  es  nützlicher  ist  mit  dem  Gefriermikrotx)m  zu  arbeiten,  oder  die  Stücke  auf 
24  Stunden  in  Alkohol  zu  legen  und  dann  mit  dem  Basirmesser  zu  schneiden,  ist 
Ansichtssache.  Die  Einbettung,  von  der  gesprochen  wird,  erscheint  kaum  erforderlich, 
da  die  Präparate  nach  24stündiger  Alkoholhärtung  vorzügliche  Schnittconsistenz  be- 
sitzen und  es  obendrein  für  die  Golgi'sche  Methode  gar  nicht  nothwendig  ist,  sehr 
dünn  oder  sehr  gleichmässig  zu  schneiden. 

Bef.  hat  in  normalen  Präparaten  Spiunenzellen  auch  an  anderen  Orten,  als 
dicht  unter  der  Oberfläche  oder  an  der  Grenze  der  grauen  und  weissen  Substanz 
gesehen,  wie  aus  den  Worten  seiner  Arbeit  Seite  2  unten  „fast  ausschliesslich'' 
hervorgeht  Aber  auch  jetzt  noch  behauptet  er,  dass  sie  in  Gehirnen  von  Paralytikern 
weit  zahlreicher  sind.  Natürlich  ist  ein  Präparat  nicht  beweisend,  sondern  man  muss 
eine  ganze  Reihe  von  Schnitten  desselben  Gehirnes  mustern. 

Was  die  pathologisch  veränderten  Ganglienzellen  betrifift,  so  ist  der  darauf  be- 
zügliche Ausspruch  G.*s  oben  citirt.  Seite  5  der  angegriffenen  Arbeit  findet  sich  der 
Satz:  „Es  kommen  zwar  auch  im  normalen  Hirne  Ganglienzellen  von  sehr  verschie- 
dener Grösse  vor.''  Auch  hier  kann  man  also  nur  ein  Urtheil  fällen,  wenn  man 
nicht,  wie  es  Verf.  thut,  ans  einem  einzelnen  Präparat,  nämlich  dem  abgebildeten, 
Schlüsse  zieht,  sondern  sich  die  Serie  anschaut.  Es  konnte  natürlich  nur  ein  Schnitt 
als  Muster  gezeichnet  werden. 

Dasselbe  gilt  auch  für  die  dritte  Behauptung  G.*s.  Er  fand  in  einer  atrophischen 
Windung  eines  Paralytikers  Ganglienzellen  mit  mehr  Fortsätzen,  als  dem  in  der  mehr- 
fach erwähnten  Arbeit  für  normal  abgebildeten.  Dass  Bef.  nicht  etwa  glaubte,  im 
Paralytikergehim  atrophiren  alle  Ganglienzellen,  geht  doch  wohl  daraus  hervor,  dass 
in  der  Abbildung  des  pathologischen  Gehirnes  2  Zellen  ausdrücklich  als  normal  be- 
zeichnet sind.  Von  den  normalen  Schnitten  wurde  derjenige  zur  Zeichnung  ausgewählt, 
der  in  einem  Gesichtsfelde  möglichst  viele  und  schöne  Zellen  enthielt.  Ob  in  einem 
andern  eine  Zelle  noch  mehr  Fortsätze  hatte,  war  für  die  Wahl  des  abzubildenden 
Präparates  nicht  bestimmend. 

Im  Uebrigen  war  die  vermittelst  der  Golgi*schen  Methode  constatirte  Vermeh- 
rung der  Spinnenzellen  und  Atrophie  der  Ganglienzellen  durchaus  nichts  Neues.  Die 
einfachen  Garmin-  oder  NissPschen  Präparate  lehrten  dies  bereits  längst  und  giebt 
es  wohl  nur  noch  sehr  wenige,  die  derartige  Befunde  nicht  anerkennen  zu  müssen 
glauben. 

Leider  hatte  G.,  wie  es  scheint,  bei  Abfassung  seines  Aufsatzes  noch  keine 
Kenntniss  von  der  Arbeit  Bossbach's  und  Sehrwaldt's,  die  für  die  Theorie  der  Golgi'- 
schen  Färbung  von  ungemeiner  Bedeutung  ist  und  ganz  andere  Anschauungen  über 
dieselbe  verbreiten  muss,   Anschauungen,  welche  den  Schlüssen  des  Herrn  Greppin 


—    603    — 

den  Boden  entziehen.  Dem  Bef.  ist  diese  Gelegenheit  willkommen  zu  der  ErUäning, 
dass  er  die  Angaben ,  die  in  seinem  Artikel  „Zur  pathologischen  Anatomie  der  pro- 
gressiven Paralyse  der  Irren''  gemacht  wurden,  sofern  dieselben  lediglich  durch  diese 
Methode  begründet  sind,  nur  so  weit  aufrecht  erhalten  kann,  als  sie  sich  mit  den 
von  Bossbach  und  Sehrwaldt  in  ihrer  Arbeit  „Ueber  die  Lymphwege  des  Gehirns'' 
(Centralblatt  für  die  medic.  Wissenschaften.  1888.  Nr.  25.)  veröffentlichten  Besultaten 
vereinigen  lassen.  Die  Durchsicht  älterer  Präparate  sowie  eine  Reihe  von  Versuchen, 
die  zum  Theil  nach  den  Angaben  dieser  Autoren  angestellt  wurden,  haben  ihm  die 
Ueberzeugung  aufgezwungen,  dass  dieselben  mit  ihrer  Anschauung  über  das  Zustande- 
kommen der  Tinction  bei  nach  Golgi  behandelten  Organen  das  Richtige  gefunden 
haben.  Er  ist  jetzt  mit  ihnen  der  Meinung,  dass  die  körperlichen  Gebilde  in  der- 
artigen Präparaten  überhaupt  nicht  tingirt  sind,  sondern  die  Methode  darauf  beruht, 
dass  in  die  Lymph-  und  Spaltr&ume  des  Centridnervensystems  Metall  abgelagert  wird. 

'_  P.  Kronthal. 

9)  Die  progressive  Paralyse.    Eine  histologische  Studie  von  J.  Fischl.  (Ztschr. 
f.  HeUkunde.  1888.  IX.) 

F.  ergänzt  zuerst  seine  in  diesem  Blatte  1886  S.  79  referirte  Arbeit  durch 
Angaben  über  einige  Färbungsmethoden  und  warnt  vor  Deutung  nachstehender  Be- 
funde als  pathologische:  1.  Fehlen  oder  Ersetztsein  der  Eemkörperchen,  namentlich 
der  kleineren  Ganglienzellen  durch  Körner,  die  kleiner  als  das  Eemkörperchen  sind; 

2.  rudimentäre  Kemkörperchen  (Löwit  bekam  davon  den  Eindruck  von  Eemtheilungs- 
figuren,   doch  konnte  F.  niemals   einen   doppelten  Kern  in   Ganglienzellen   finden); 

3.  zackige  Contour  des  Kemkörperchens;  4.  mangelhafte  Abgrenzung  des  sonst  nor- 
malen Kerns  gegen  das  Zellenprotoplasma;  in  der  weiteren  Darstellung  der  Befunde 
an  normalen  Gehirnen  hebt  F.  hervor  das  vorwiegend  häufige  Vorkommen  eines  ellip- 
soidischen  Kerns  in  den  Ganglienzellen,  das  regelmässige,  mit  dem  Alter  zunehmende 
Vorkommen  von  Pigment  in  den  Ganglienzellen;  die  pericellulären  Bäume  fehlen 
ebenso  häufig  besonders  bei  Alkoholhärtung  wie  sie  vorkommen;  in  den  vorhandenen 
finden  sich  gelegentlich  einzelne  nicht  immer  als  pathologisch  anzusprechende  Kerne. 
Im  Anschluss  an  einige  die  Ge^se  betreffenden  Bemerkungen  bemerkt  F.,  dass  die 
Neurogliaschicht  den  geringsten  Kemreichthum  aufweist  und  dass  er  an  normalen 
Gehirnen  Spinnenzellen  niemals  nachweisen  konnte. 

An  den  Gehirnen  Paralytischer  constatirte  F.  folgendes:  Bezüglich  des  Nerven- 
faserschwundes in  der  Grosshimrinde  bestätigt  F.  zuerst  die  diesbezüglichen  Angaben 
Zacher's,  doch  ist  er  geneigt,  die  von  diesem  beschriebene  Knotenbildung  und  Quel- 
lung der  Nervenfasern,  falls  sie  nicht  hochgradig  und  an  vielen  Stellen  vorkommt, 
nicht  für  pathologisch  zu  halten;  weiter  schliesst  er,  dass  es  nicht  gestattet  ist, 
jedesmal  die  entzündlicHen  interstitiellen  Veränderungen  als  Folge  der  Nervenfaser- 
degeneration anzusehen;  diese  letztere  als  Folge  der  stellenweise  vorhandenen  Erkran- 
kung der  Piagefösse  anzusehen»  ist  F.  nicht  geneigt. 

Hinsichtlich  der  Ganglienzellen  fand  F.  niemals  mit  Sicherheit  Kemtheilungs- 
figuren,  häufig  jedoch  die  oben  beschriebenen  Befunde  an  Kemkörperchen,  niemals 
Kemtheilungen,  ziemlich  häufig  pigmentöse  Degeneration,  sowie  fettige  Entartung, 
welch*  letztere  zu  völligem  Zerfall  der  Ganglienzellen  zu  führen  scheint;  Hypertrophie 
von  Ganglienzellen  fand  sich  niemaLs;  die  von  Einzelnen  beschriebene  Sklerose  der- 
selben fand  sich  bei  Alkoholhärtung  gleichfalls  nicht;  ebensowenig  Verkalkung, 
Vacuolenbildung  und  Einwanderung  von  Zellen  in  das  Protoplasma.  Die  Zahl  der 
Ganglienzellen  erscheint  in  vielen  Fällen  von  Paralyse  entschieden  vermindert  und 
zwar  vorwiegend  in  der  3.  Schicht  (nach  Meynert);  eine  Regel  hinsichtlich  des 
regionären  Verhaltens  dieses  Zellschwundes  liess  sich  nicht  constatiren;  die  peri- 
cellulären Bäume  erscheinen  erweitert,  die  Zahl  der  in  denselben  liegenden  Kerne 
vermehrt,  Anhäufung  gelblich-grauer  Massen  in  denselben  fand  sich  niemals. 

85* 


—    604    — 

Hinsichtlich  der  Piagefässe  fand  F.,  regionär  in  der  yerschiedensten  Weise  ver- 
breitet: am  häufigsten  deutliche  Entwickelung  der  Membrana  fenestrata  an  etwas 
grösseren  arteriellen  Gefasschen  und  colossale  Anhäufung  von  Kernen  in  der  Nähe 
der  Gefasse  (Details  siehe  im  Original);  sonst  noch:  Massenzunahme  an  den  Arterien, 
bedingt  durch  Umwandlang  der  Media  in  eine  hyaline  Masse;  an  den  Gefassen  der 
Himsubstanz  war  nur  selten  Kemvermehrung  zu  vermissen^  deren  Sitz  zumeist  der 
perivasculäre  Baum  war;  neben  dieser  fanden  sich  sehr  häufig  in  wechselnder  Menge 
fettig  pigm^ntöse  Massen;  in  einem  Falle  fand  F.  die  von  Binswanger  beschriebenen 
Kemanhäufungen;  Eemtheilungsfiguren  an  den  Gelassen  der  Pia  und  des  Gehirns 
beobachtete  er  niemals,  ebensowenig  Verdickung  der  Intima,  hyaline  Degeneration, 
Verkalkung,  amyloide  oder  colloide  D^eneration  an  den  Himgefässen,  mehrfach  jedoch 
Sklerose  der  Capillaren  der  Neurogliaschicht;  eine  Entscheidung,  ob  bei  reichlicher 
Gefössanordnung  Neubildung  vorlag,  war  nicht  zu  fällen.  Hinsichtlich  der  Zwischen- 
substanz giebt  F.  folgende  an:  Am  Spärlichsten  ist  die  Zahl  der  Kerne  in  der  1.  bis 
3.  Schicht,  am  reichlichsten  in  der  4.  Schicht  (Schwalbe),  doch  finden  sich  Aus- 
nahmen von  dieser  Begel,  Spinnenzellen  fanden  sich  am  häufigsten  in  der  Neuroglia- 
schicht, weder  an  ihnen  noch  an  den  andern  Elementen  der  Glia  konnten  Kem- 
theilungsfiguren  gesehen  werden;  die  von  Andern  als  diffuse  und  disseminirte  Skleroso 
beschriebenen  Befunde  konnte  F.  nicht  constatiren,  einigemale  fand  er  aber  in  nor- 
malen Gehirnen  deutliche  fibrilläre  Massen. 

Die  von  F.  beschriebenen  Befunde  von  zwei  untersuchten  Bflckenmarken  bieten 
nichts  Neues. 

Am  Schlüsse  der  Arbeit  beantwortet  F.  die  Frage,  ob  die  vorliegenden  Befunde 
das  Wesen  der  Paralyse  erklären,  mit  Nein,  und  spricht  die  Vermuthung  ans,  da&) 
jene  sich  als  eine  Gliederung  in  mehrere  anatomische  Formen  herausstellen  werden. 

Die  Litteratnr  ist  eingehend  benützt  und  sehr  vollständig  zusammengestellt; 
eine  Doppel tafel  illustrirt  einige  Befunde.  A.  Pick. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

10)  Ein  Fall  von  Gehirntumor  in  der  motorischen  Region,    von  Med.-Batl) 
Dr.  F.  Siemens  in  Lauenburg  i.  P.     (Berl.  klin.  Woch.  1888.  Nr.  15.) 

Bei  einer  erblich  nicht  belasteten  53jähr.  ledigen  Dame  tritt  nach  schwächenden 
Momenten  im  Klimacterium  eine  Psychose  in  der  Form  des  Grössen-  und  Verfolgungs- 
wahns auf.  Durchaus  keine  Heerdsymptome  dabei.  Nach  einer  kleinen  Hantverletzung 
am  linken  Knöchel  entsteht,  wahrscheinlich  durch  Infection  mit  Gartenerde,  auf  der 
die  Kranke  häufig  zu  sitzen  pflegte,  eine  ausgebreitete  gangränöse  Entzündung.  ALs 
daher  im  Verlauf  derselben  tetanieartige,  von  dem  kranken  (linken)  Bein  ausgehende, 
zuerst  die  linke  Körperseite  betreffende  und  dann  auch  auf  die  rechte  Qbergebende 
Krämpfe  auftreten,  ohne  dass  Bewusstseins«,  Motilitäts-  oder  Sensibilitäts-Störungen 
wahrzunehmen  sind,  liegt  der  Gedanke  nahe,  dass  die  betr.  Krämpfe  dnrcli  das  gleich- 
zeitig in  den  Körper  gedrungene  Virus  des  Tetanus  veruilasst  worden  sind. 

Nach  dem  an  Pneumonie  und  Pleuritis  alsbald  erfolgten  Tode  wurde  eine  bac- 
teriologische  Untersuchung  des  pleuritischen  Exsudates  angestellt,  wobei  sich  zwei 
Golonien  entwickelten,  von  denen  die  eine  aus  einem  Eitercoccus  bestand;  die  andere 
„tiefe  erwies  sich  als  nur  einen  kurzen  kleinen,  sich  im  hängenden  Tropfen  lebhaft 
bewegenden,  die  Gelatine  nicht  verflüssigenden,  und  in  der  Stichcultur  ähnlich  wie 
der  Typhusbacillus  wachsenden  Bacillus  enthaltend.^' 

Indess  deckte  die  Section  noch  einen  runden  8  cm  im  Durchmesser  und  4  cm  ui 
der  Dicke  messenden  Tumor  der  rechten  Hemisphäre  auf  (Spindelsellensarcom),  welcher 
den  hintern  Theil  der  1.  Stimwindung,  obem  Theil  der  vordem  Central  Windung  und 
des  Paracentralläppchens  einnimmt 


605     - 

Demnach  ist  die  Natur  der  Krämpfe  als  cortical-epileptisch  erwiesen. 

Die  sehr  geringen  und  dann  erst  kurz  vor  dem  Tode  als  Krampf  und  Spannung 
und  Schwäche  des  linken  Beines  eintretenden  Heerderscheinungen  lassen  auf  ein  sehr 
langsames  Wachsen  des  Tumors  schliessen. 

Eine  Beziehung  zwischen  der  Geschwulst  und  der  Psychose  ist  nicht  anzunehmen. 

. Sperling. 

II)  De  la  oöcitö  verbale.    Lösion  isolöe  de  rimage  visuelle  du  mo(,  dissö- 

mination  possible  des  centres  visuels  graphiques,  et  moteurs  dann  les 

deux  hömisphöres,  looalisation  oortioale  du  sens  ohromatique,  par  E. 

'  Landolt.    (Travail   publik   dans  Touvrage  d6di6  ä  M.  Donders  ä  Toccasion  de 

son  jubüö,  Utrecht  27.  Mai  1888.) 

I.  64jähr.  gebildeter  Mann,  nach  mehreren  Anfallen  von  Eingeschlafensein  des 
rechten  Beins  und  nach  längerem  Spaziergang  Anfälle  von  Parästhesie  in  der  recliten 
Hälfte  der  Lippen,  auf  die  Eingeschlafensein  der  rechten  Extremitäten  und  vorüber- 
gehende Schwäche  des  rechten  Beins  folgt;  auch  in  den  übrigen  Abschnitten  der 
rechten  Körperhälfte  ähnliche  Sensationen,  Fehlen  einzelner  Worte,  vielleicht  leichte 
Bewussüosigkeit;  in  den  folgenden  Tagen  Steigerung  der  Erscheinungen»  Parese  der 
rechten  Extremitäten;  nach  8  Tagen  sind  alle  motorischen  und  sensiblen  Erschei- 
nungen geschwunden,  es  bleibt  aber  Gedächtnissschwäche  und  massige  motorische 
Aphasie;  in  den  folgenden  Tagen  tritt  Schriftblindheit  auf;  Oopiren  von  Buchstaben 
erfolgt  durch  Nachzeichnen,  Hypermetropie  1,5  D,  S  7io>  rechtäseitige  incomplete 
Hemianopsie.  Gedächtniss  und  Sprache  frei;  Spontanschreiben  später  langsam,  aber 
correct,  früher  unregelmässig;  einfache  Zahlen  werden  erkannt^  grössere  erst  mit 
Hülfe  der  Schrift;  während  Weiss  auch  bei  indirectem  Sehen  erkannt,  und  auch  in 
der  rechten  Gesichtsfeldhälfte  als  grau  erkannt  wird,  besteht  rechtsseitige  absolute 
Hemiachromatopsie;  Sensibilität  frei,  rechte  Hand  etwas  schwächer.  Anfalle  von  rechts- 
seitigen Parästhesien,  Papillen  blass,  Pupillen  eng,  früher  angeblich  weit,  reagiren  gut. 

II.  52jähr.  Mann,  r.  Hemianopsie,  S  B  ^j^q,  L  7io>  Myopie  9  D,  Staphyloma 
post.,  Papillen  normal;  Farbensinn  normal.  Geringe  Paraphasie,  Schriftblindheit, 
Copiren  möglich.  Erkennen  der  eigenen  Schrift  durch  Buchstabiren  bis  zu  dem  zu 
lesenden  Buchstaben;  beim  Spontanschreiben  hilft  ebenfalls  das  Buchstabiren,  ohne 
dieses  Paragraphie.  Sensibilität  und  Motilität  frei  bis  auf  Anfalle  linksseitigen  Kopf- 
schmerzes, die  in  der  Folge  sich  steigern,  ebenso  wie  die  Paraphasie  zunimmt. 

m.  45jähr.  Mann,  1884  plötzlicher  Verlust  der  optischen  Erinnerungsbilder, 
Lesen  ist  unmöglich,  linksseitige  Hemianopsie,  Parese  des  1.  Beines,  1885  1.  Ptosis 
und  Lähmung  des  1.  Bectus  intern.  Der  Verlust  der  optischen  Erinnerungsbilder 
besteht  dauernd,  linksseitige  absolute  Hemianopsie,  normale  centrale  Sehschärfe,  Schrift 
und  Sprache  frei,  Pat.  ist  rechtshändig,  keine  Spur  von  Hemiplegie. 

In  den  epikritischen  Bemerkungen  betont  L.  für  den  dritten  Fall,  die  Noth- 
wendigkeit  der  Annahme  des  Sitzes  der  optischen  Erinnerungsbilder  der  Worte  in 
der  r.  Hemisphäre,  während  die  übrigen  bei  der  Sprache  in  Betracht  kommenden 
Centren  links  liegen. 

Im  Anhange  findet  sich  eine  kurze  Mittheilung  Über  den  pathologisch-anatomischen 
Befund  in  einem  Falle  von  chromatischer  Hemianopsie. 

60jähr.  Frau,  mit  den  Erscheinungen  einer  Dyslexie,  absolute  r.  Hemiachroma- 
topsie, mit  Verminderung  des  Lichtsinnes  und  der  Sehschärfe  in  den  entsprechenden 
Retinahälften.  Section:  Ausser  einer  für  den  Tod  verantwortlich  zu  machenden  Blu- 
tung im  Balken,  eine  alte  hämorrhagische  Cyste  im  basalen  Theil  des  1.  Hinterhaupts- 
lappens; dieselbe  liegt  zwischen  Basis  des  Hinterhoms  und  der  Basalfläche  des  Lob. 
occip.  und  beschlägt  die  weisse  Substanz  der  3.  Occipitalwindung,  theilweise  des 
Gyms  lingualis  und  fusiformis,  sowie  der  hinteren  unteren  Spitze  des  Gyr.  cunei- 
formis;   gegen  die  Basis  n&hert  sie  sich  der  medialen  Fläche  des  Lob.  ocdpii  ohne 


—    606    — 

vollständig  die  Kinde  zu  durcli brechen;  in  ihrer  grössten  sagittalen  Ansdehnung  misst 
sie  3^/a  cm  Länge,  1  cm  Breite  und  1^/^  cm  Höhe.  Verrey,  dem  die  Beobachtimg 
entstammt,  schliesst,  dass  das  Gentrum  des  Farbensinns  in  dem  tiefsten  Abschnitt 
des  Lob.  occip.,  wahrscheinlich  in  der  hinteren  Partie  des  Gyr.  lingaalis  nnd  fusi- 
formis  zu  suchen  ist.  A.  Pick. 


12)  Gase  of  motor  Aphasia:  Aphemia,  under  the  care  of  C.  W.  Snckling.  (The 
Brit.  med.  Joum.  1888.  15.  Sept.  p.  618.) 

Das  19jährige  Mädchen  hatte  schon  9  Monate  vor  der  Auhiahme  ins  Hospital 
einen  epileptischen  Anfall  gehabt  mit  hinterlassender  Hemiplegie  rechterseits,  auch 
des  Gesichts.  Sie  war  sprachlos;  bei  der  Speisung  Speichelfluss.  —  Solche  AnMe 
(Jackson*sche  Epilepsie)  traten  mehrere  ein,  in  Folge  zweifellos  bestehender  corticaler 
Läsion. 

Bei  ihrer  Aufnahme  bestand  rechts  Hemiplegie,  Reflexe  gesteigert,  Fussklonus. 
Rechte  Gesichtshälfte  paretisch,  Zungenhälfte  ausgestreckt  nach  rechts.  Keine  Sensi- 
bilitätsstörung; Augonhintergrund  normal,  ebenso  das  Herz;  keine  Albuminurie.  Das 
Sprechen  der  Patientin  bestand  in  den  paar  Wörtern  „Mutter",  ,ja",  durch  Geberden 
aber  bekundete  sie,  dass  sie  die  richtigen  Bezeichnungen  kannte,  kopfschüttelte,  weno 
sie  selbst  das  falsche  Wort  gebrauchte,  nickte,  wenn  sie  das  richtige  hörte.  Sie  that 
richtig,  was  man  ihr  sagte  und  verstand  Geschriebenes.  Sie  konnte  mit  der  linken 
Hand  ziemlich  gut  schreiben.  Sie  konnte  Gesprochenes  nicht  nachsprechen,  wohl 
aber  Dictirtes  niederschreiben.  Uebrigens  war  die  Intelligenz  ungestört.  Zweifellos 
bestand  weder  sensorische  Aphasie,  noch  Worttaubheit,  noch  Agraphie;  lediglich  die 
Wort- Articulation  war  ausgefallen ;  Aphemie.  —  Während  des  Aufenthaltes  im  Kranken- 
haus wurde  nur  wenig  Besserung  erzielt;  es  konnten  einige  Worte  mehr,  als  bei  der 
Aufnahme  hervorgebracht  werden. 

Zur  Diagnose  werden  folgende  Bemerkungen  gemacht.  Der  plötzliche  Ausbruch 
der  Krankheit  spricht  für  Gefässläsion  oder  für  Hysterie.  —  Gegen  letztere  sprechen 
die  Hemiplegie,  die  Theilnahme  des  Gesichts  und  der  Zunge  und  die  Gonstanz  der 
Symptome. 

Die  Anfalle  von  Partial-Epilepsie  rechterseits  (Gesichtshälfte)  und  BewnssÜosig- 
keit  sprechen  für  Geßlssverletzung,  so  dass  Embolie,  Thrombose  oder  Riss  der  linken 
mittleren  Gehimarterie  bestanden  haben  mnss.  —  Embolie  ist  auszuschliessen,  weil 
nirgends  eine  Ursache  dafür  aufgefunden  wurde.  Blutung  ist  in  solchen  jungen  Indi- 
viduen sehr  selten,  da  auch  ein  Aneurysma  (Chorea  und  Rheumatismus  fehlen  in  der 
Anamnese)  nicht  vermuthet  werden  konnte.  Bleibt  Thrombose  in  Folge  kranker  Gehirn- 
gefässe,  obwohl  Syphilis  auszuschliessen.  —  Der  Thrombus  sitzt  in  der  linken  mitt- 
leren Cerebralarterie  vor  Abgang  der  perforirenden  Zweige,  welche  die  innere  Kapsel 
versorgen.  Da  das  Endäste  sind,  so  kann  der  collaterale  Kreislauf  keine  Abhülfe 
schaffen,  weshalb  die  Hemiplegie  persistirt.  —  Da  reine  motorische  Aphemie  selten 
Hemiplegie  begleitet,  so  wird  im  Anfang  auch  sensorische  Aphasie  bestanden  haben. 
Die  corticalen  Arterien  variiren  bei  verschiedenen  Individuen  und  anastomosiren,  wo- 
durch die  sensorische  Aphasie  allmählich  beseitigt  worden  sein  konnte.  —  Die  Aphemie 
hängt  ab  vom  Verschluss  des  untern  frontalen  Zweiges  der  1.  mittl.  Cerebralarterie; 
der  Fortbestand  derselben  beweist  den  Verlust  des  corticalen  Centrums  in  dem  hin- 
tern Theil  der  dritten  1.  Stimwindung.  Agraphie  ist  meist  mit  Aphemie  verbunden, 
da  die  betreffenden  Centren  ganz  benachbart  liegen.  Hier  musste  das  Centrum  für 
das  Schreiben  (nach  Exner  im  hintern  Theile  der  zweiten  1.  Stimwindung)  unver- 
letzt geblieben  sein.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


—    607    — 

13)  Ueber  das  Qehim  eines  Aphasisohen,  von  Dr.  H.  SchlGss,  Secundararzt 
der  iL-ö.  Landes-Irrenanstalt  in  Wien.    (Jahrbflcher  f.  Psych.  YIII.  1  n.  2.) 

Ein  54  Jahre  alter  Tagelöhner,  dessen  Matter  Fotatrix  war  nnd  dessen  Bruder 
durch  Selbstmord  endete,  war  bis  zum  Jahre  1884  geistig  normal.  Im  Herbst  dieses 
Jahres  stürzte  er  vom  Wagen  und  zwar  mit  dem  Hinterhaupt  auf  einen  Eckstein. 
Nach  dem  Falle  war  er  eine  Stunde  bewusstlos,  dann  kehrten  Sprache  und  Bewusst- 
sein  wieder,  doch  war  er  seit  damals  verändert,  arbeitete  wenig,  trank  viel,  trieb  sich 
umher  und  wurde  wiederholt  von  der  Polizei  halb  entkleidet  aufgegriffen.  Mai  1885 
gab  er  auf  alle  Fragen  die  stereotype  Antwort  „no  was  denn'',  was  auch  Mai  1886 
bei  seiner  Untersuchung  geschah.  Dabei  zeigte  er  rechtsseitige  Ptosis,  die  Zunge 
wich  zitternd  nach  rechts  ab;  Dynamometer  rechts  130,  links  200;  Patellarreflexe, 
Hodenreflexe  etc.  waren  beiderseits  gesteigert;  auch  bestand  beiderseits  Hyperalgesie 
am  ganzen  Körper.  Bis  auf  die  Fragen  nach  Geburtsort  und  Namen,  die  er  richtig 
angab,  war  die  stereotype  Antwort  „no  was  denn",  die  meist  von  herzlichem  Lachen 
begleitet  war.  Handlungen,  die  man  ihm  auftrug,  führte  er  aus;  er  schrieb  seinen 
Namen  richtig,  las  ihn;  vorgesprochene  Worte  sprach  er  bisweilen  richtig  nach;  oft 
sprach  er  dafür  „no  was  denn'':  Mai  1886  zeigte  sich  eine  tuberculöse  Infiltration 
der  Lungen,  und  unter  Husten,  Fieber,  Abmagerung,  Decubitus,*  Marasmus  erfolgte 
im  October  der  Exit.  let.  Die  Section  ergab  Hydrocephalus  extemus.  Die  innem 
Hirnhäute  waren  diffus  getrübt  und  verdickt,  und  in  den  beiden  Stimlappen  zu  grau- 
lichen sulzigen  Geweben  verwandelt;  sie  waren  überall  leicht  abziehbar  ausser  an  der 
Orbitalfläche  des  Frontallappens  und  am  Schläfenlappen.  Stimlappen  bis  zur  vorderen 
Gentralfurche  links  und  Schläfenlappen  mit  Ausnahme  der  1.  Schlaf enwindung  waren 
erheblich  verkleinert;  die  Windungen,  um  ein  Drittel  kleiner,  zeigen  ein  braungelbes 
Golorit  und  sind,  theils  wenig  veränderter  Gonsistenz  theils  weich  hohl  und  coUabirend. 
Rechts  begrenzt  sich  die  Atrophie  auch  an  der  vorderen  Gentralwindung,  doch  ist 
sie  im  Bereiche  der  lateralen  Stimwindung  und  der  Insel  nicht  so  bedeutend.  Die 
Ventrikel  sind  erweitert,  das  Ependym  des  linken  verdickt,  reicher  vascularisirt  und 
von  einzelnen  Hämorrhagien  gesprenkelt.  Die  Lungen  zeigen  tuberculöse  Gavemen. 
—  Der  Fall  entspricht  in  Bezug  auf  die  Localisation  der  aphasischen  Störung  den 
Resultaten,  die  Naunyn  aus  seinen  Beobachtungen  gewonnen  hat.  (Ueber  die  Locali- 
sation der  Gehimkrankheiten,  von  Dr.  Nothnagel  und  Dr.  Naunyn.  Wiesbaden 
1887).  —  Was  die  Gontusion  als  Ursache  anbetrifft,  so  kann  nach  Bergmann  der 
Ort  der  Gontusion,  wenn  der  Körper  mit  breiter  Angriffsfläche  auf  den  Schädel  ein- 
wirkt, bald  unter  der  Stelle  des  Anpralls,  bald  dieser  gegenüber,  bald  an  beiden 
gleichzeitig  liegen.  Hier  war  der  zweite  Fall  eingetreten.  —  Dass  sich  der  Process 
am  ^yr.  centralis  anterior  begrenzte,  kann  möglicherweise  durch  die  Verschiedenheit 
des  Faserlaufs  von  den  Gentralwindungen  und  den  Partien  vor  denselben  bedingt  sein. 

Kalischer. 

14)  Heerderkrankung  des  unteren  Soheitelläppohens,   von  Wernicke.    Aus 
der  psychiatr.  Klinik  zu  Breslau.     (Arch.  f.  Psych.  XX.  1.) 

Ein  TOjähriger  Mann,  der  seit  ungefähr  einem  Jahre  Zeichen  allgemeiner  cere- 
braler Gircolationsstörungen  bot,  erkrankte  am  27.  Juni  1887  plötzlich  ohne  apo- 
plectischen  Insult  bei  ganz  leichter  Benommenheit  mit  folgenden  Symptomen: 
Gonjugirte  Augenabweichung  nach  r.  mit  Unmöglichkeit  die  Bulbi  nach  1.  zu  drehen: 
linksseitige  Hemianästhesie  mit  besonderer  Beeinträchtigung  des  stereognostischen 
Sinnes,  des  Lage-  und  Muskelgefühles.  L.  Hemianopsie  und  Herabsetzung  der  Hör- 
schärfe 1.    Nur  ganz  leichte  linksseitige  Parese  ohne  Ataxie. 

Am  29.  Juni  weichen  die  Augen  in  der  Ruhe  zwar  noch  etwas  nach  r.  ab, 
können  aber  auch  vollständig  in  den  1.  Winkel  gebracht  werden. 

In  der  Nacht  zum  30.  Juni  neuer  Anfall:  jetzt  ausgesprochene  linksseitige  Läh-» 


608     - 

muDg,  vorwiegend  der  Extromitaten.  Die  übrigen  Symptome  dieselben.  Die  links- 
seitige Lähmung  kommt  dem  Fat.  gar  nicht  recht  zum  Bewusstsein:  er  glaubt  ihm 
aufgetragene  Bewegungen  mit  dem  1.  Arme  ausgeführt  zu  haben,  und  giebt  sogar 
mit  der  r.  Hand  an,  wie  hoch  er  nach  seiner  Meinung  die  1.  erhoben  hat.  Ohne 
weitere  besondere  Aenderungen  im  Krankheitsbilde  tritt  am  6.  Juli  der  Tod  ein. 

Die  Section  ergab  ausser  einigen  kleinen  Erweichungsheerden  der  1.  Hemisphäre: 
1.  einen  frischen  Erweichungsheerd  des  r.  unteren  Scheitelläppchens  speciell  des 
Gjrus  angularis;  2.  einen,  wie  die  mikroskopische  Untersuchung  ergab,  noch  frischeren 
grösseren  Heerd,  dessen  Centrum  das  dritte  Glied  des  r.  Linsenkemes  bildete  und 
der  die  r.  innere  Kapsel  nicht  direct  mitbetheiligte;  3.  einen  alten,  zum  Theil  schon 
verkalkten  Heerd  in  der  r.  Brückenhälfte  ungefähr  an  der  Grenze  zwischen  oberem 
und  mittlerem  Drittel  der  Brücke;  hauptsächlich  nur  die  tiefe  Querfaserschicht  der 
Brücke  einnehmend;  also  in  einer  Gegend,  wo  weder  ein  Nervenkem  betroffen,  noch 
die  Pyramidenbahn  betheiligt  ist,  und  von  der  auch  das  Fonscentrum  für  assodirte 
Seitwärtsbewegungen  der  Augen  weit  genug  entfernt  ist.  (Genaueres  über  die  Loca- 
lisation  der  Heerde  muss  im  Original  nachgesehen  werden;  von  dem  Fonsheerd  ist 
auch  eine  Abbildung  beigegeben.) 

W.  hat  in  diesem  Falle  intra  vitam  die  Diagnose  auf  einen  Heerd  im  r.  unteren 
Scheitelläppchen  gestellt  aus  folgenden  Gründen: 

1.  Die  am  27.  Juni  notirten  Symptome  waren  ohne  Insult  eingetreten:  in  dieser 
Weise  entstandene  Ausfallserscheinungen  kann  man  nach  klinischen  Erfahrungen  von 
vornherein  mit  grosser  Sicherheit  als  directe  Heerdsymptome  bezeichnen. 

2.  Ueber  den  Werth  der  Deviation  conjugee  als  Heerdsymptom  wissen  wir  bisher 
sehr  wenig,  dennoch  weisen,  allerdings  sehr  geringe  klinische  (besonders  Grasset), 
aber  übereinstimmende  experimentelle  Erfahrungen  (Ferrier,  Munk:  übereinstimmend 
wenigstens  in  den  beobachteten  Thatsachen,  wenn  auch  nicht  in  den  Folgerungen) 
auf  das  untere  Scheitelläppchen  als  corticales  Centrum  für  die  associirte  Augen- 
bewegung nach  der  gekreuzten  Seite  hin.  Hier  müssen  wir  also  mit  Wahrscheinlich- 
keit auch  den  Sitz  der  Läsion  suchen,  wenn  die  Deviation  conjugee  directes  Heerd- 
symptom ist:  das  Symptom  ist  aber,  trotzdem  es  directes  Heerdsymptom  ist,  ein 
vorübergehendes,  weil  die  Augenbewegungen  zu  denjenigen  gehören,  die  in  jeder 
Hemisphäre  vollständig  präsentirt  sind. 

3.  Hemianästhesie  kommt  bei  Läsionen  des  Carrefour  sensitif  und  des  Scheitel- 
lappens zur  Beobachtung,  für  letztere  Localisation  ist  besonders  die  schwere  Störung 
des  sogenannten  Muskelgefühles  charakteristisch.  Deshalb  und  im  Zusammenhang 
mit  der  direct  entstandenen  conjugirten  Deviation  konnte  nur  der  Scheitellappen  in 
Betracht  kommen. 

Die  am  30.  Juni  eingetretene  Hemiplegie  ist  indirectes  Heerdsymptom  des  zweit- 
erwähnten ganz  frischen  Heerdes.  Auch  die  Existenz  eines  solchen  war  in  vivo  an- 
genommen. Von  dem  Brückenheerde  weist  W.  überzeugend  nach,  dass  er  für  die 
Deutung  der  beobachteten  Symptome  überhaupt  nicht  in  Betracht  kommt. 

Zum  Schluss  beweist  Verf.  durch  eine  Casuistik  von  42  Fällen  noch  folgende 
Sätze: 

1.  In  Fällen,  in  denen  eine  conjugirte  Deviation  der  Augen,  wie  in  dem  seinigen, 
als  directes  Heerdsymptom  aufgefasst  werden  musste,  war  eine  liision  des  betreffenden 
unteren  Scheitelläppchens  resp.  seiner  Markstrahlung  vorhanden.    4  Fälle. 

2.  Bei  Heerden  im  unteren  Scheitelläppchen  ist  stets,  wenigstens  vorübergehend, 
Deviation  conjugee  nachzuweisen.  13  Fälle.  Fälle,  die  längere  Zeit  nach  dem  Anfall 
zur  Beobachtung  kamen  und  das  Symptom  nicht  zeigten,  beweisen  nach  den  obigen 
Ausführungen  natürlich  nichts.  Auch  andere  scheinbare  Abweichungen  lassen,  wie 
Verf.  ausführt,  eine  plausible  Erklärung  zu:  doch  muss  in  Bezog  auf  diese  auf  das 
Original  verwiesen  werden*  Nur  ein  ausdrücklich  erwähnter  Fall  Reinhard 's  passt 
noch   zu   den  entwickelten  Ansichten.     Bei  chronischen  Heerderkrankungen  dieser 


609      - 

Region  scheint  es  meist  za  fehlen:  offenbar  weil  dann  das  contralaterale  Centram 
ganz  allmählich  die  betreffende  Function  fibemimmi  (Ref.  hat»  was  er  zu  der  letzten 
Bemerkung  hinzufügen  möchte,  in  der  letzten  Zeit  in  einem  Falle  von  Tumor  der  r. 
motorischen  Region,  speciell  des  Armcentrums  mit  typischer  cortialer  Epilepsie  und 
allmählich  eintretenden  linksseitigen  Lähmungen  und  Contracturen,  Deviation  conjug^e 
nach  r.  hin,  also  nach  der  Seite  des  Heerdes  beobachtet.  Der  Functionsausfall  zeigte 
sich  namentlich  bei  der  ophthalmoskopischen  Untersuchung,  die  am  r.  Auge  dadurch 
erschwert  war,  weil  dieses  Auge  immer  nur  einen  Moment  im  inneren  Winkel  be- 
harrte. Bei  genauerem  Zusehen  fand  man,  dass  die  associirte  Linksdrehung  beider 
Augen  erschwert  war  und  nur  kurze  Zeit  erhalten  werden  konnte.  In  der  Nähe 
standen  die  Augen  nur  eine  Spur  nach  r.  von  der  Mittellinie.  Das  Symptom  war 
während  einer  Beobachtung  von  8  Tagen  gleich  geblieben  und  fand  sich  überhaupt 
erst  bei  der  zweiten  Untersuchung  des  Kranken  mit  gleichzeitiger  Zunahme  der  Läh- 
mungen und  Contracturen  im  1.  Facialis  und  1.  Beine.  Bei  den  Anfallen  hatte  die 
sehr  gut  beobachtende  Frau,  auch  nachdem  sie  besonders  darauf  hingewiesen  war, 
Nystagmus  bemerkt.    Die  Kranke  blieb  später  aus  der  Behandlung  fort.) 

3.  Fälle  von  doppelseitiger  Erkrankung  der  unteren  Scheitelwindung  scheinen 
ein  allerdings  noch  etwas  unklares  Bild  totaler  Ophthalmoplegie  zu  geben,  die  dann 
also  eine  pseudonucleäre  wäre.    (3  Fälle.)  Bruns. 


15)  Cerebral  tumour,  by  Kendal  Franks.  (The  Brit.  med.  Joum.  1888.  21.  Jan. 
p.  138.) 

Die  folgende  Krankheitsgeschichte,  welche  F.  in  der  irländischen  med.  Akademie 
vorträgt,  giebt  Veranlassung  zu  einer  eingehenden  Discussion  zwischen  den  consul- 
tirenden  Aerzten  einerseits,  und  den  Mitgliedern  der  Gesellschaft  andererseits  über 
die  Natur  der  Krankheit  (Tumor;  Abscess),  und  die  Behandlung  (Trepanation;  an 
welcher  Stelle?).    Auf  das  Detail  wird  hier  verwiesen. 

Die  Patientin,  immer  gesund,  bekam  in  heissem  Wetter  (Juni  1887)  einen  An- 
fall von  Bewusstlosigkeit,  Hinstürzen,  kalten  Extremitäten,  schwachem  Pulse.  Nach 
einigen  Stunden  Herstellung.  Einige  Wochen  hindurch  folgten  sich  ähnliche  Zufälle 
und  verschwanden.  Sie  wusste  nach  solchem  Anfalle  gut,  was  sie  sagen  wollte, 
konnte  aber  die  passenden  Wörter  nicht  finden;  auch  konnte  sie  keinen  Brief  schreiben. 
Bald  entwickelte  sich  heftiger  Kopfschmerz,  Erbrechen,  Halbbewusstsein,  Verlust  der 
Stuhlcontrole,  Ischurie.  Puls  96 — 110;  Respiration  unter  24;  Temperatur  unter  100. 
Nicht  Neuritis  optica;  nicht  Albumen  im  Urin.     Herz  gesund« 

Die  Autopsie  ergab  beim  Durchsägen  des  Schädels  eine  nachgiebige  Stelle  im 
Knochen  hinter  dem  linken  Ohr;  die  Säge  drang  plötzlich  ein.  Eine  helle,  seröse 
Flüssigkeit  drang  aus  der  OefiEhung  über  und  hinter  dem  Ohr.  Die  Gtohimmembranen 
waren  gesund.  Die  Cyste  lag  im  Lohns  temporo-sphenoidalis,  die  Entfernung  der- 
selben vom  vorderen  BÜuide  der  Fissura  Sylvii  betrug  l^/j  ZolL 

Franks  diagnoscirte  einen  linkerseits  gelegenen  Gehirntumor.  Dafftr  spreche 
die  Abwesenheit  einer  disponirenden  Ursache,  die  allmähliche  Entwickelung  der  Krank- 
heit ohne  Fieber  (bis  3  Tage  vor  dem  Tode)  und  Mangel  aller  anf  Eiter  hinweisen- 
den Erscheinungen.  Der  Ort  als  Sitz  des  Tumors  lasse  sich  nicht  angeben.  Broca's 
Region,  wie  Wheeler  wegen  der  den  epileptoiden  Anfällen  folgenden  amnestischen 
und  aphasischen  Symptomen  vermuthete,  sei  durch  diese  Symptome  keineswegs  ge- 
kennzeichnet. —  Der  Letztgenannte  hatte  eine  flüssige  Ansammlung  (auch  Abscess) 
im  Gehirn  vermuthet  und  schlug  vor,  über  der  Broca*schen  Region  zu  trepaniren. 
Der  Tod  erfolgte  unter  Ooma.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


—    610    — 

16)  Zur  Gtohimlooalisation.  (Aus  der  Prof.  LeydeB'schen  Klinik.)   Von  Stabsarzt 
Dr.  Benvers,  Berlin.     (Deutsche  med.  Woch.  1888.  Nr.  17.) 

Ein  55  jähriger  Mann  bemerkte  vor  3  Jahren  zuerst  eine  anfallsweise  Schwäche 
im  linken  Arm  mit  ziehenden  Schmerzen,  später  auch  Schwäche  und  Parästhesien 
im  linken  Bein,  sowie  Verschlechterung  des  Sehvermögens,  Im  October  1887  apo- 
plectiformer  Insult  mit  linksseitiger  Hemiplegie  und  Taubsein  auf  dem  linken  Ohr; 
die  Hemiplegie  besserte  sich  nur  in  Bezug  auf  das  Boin.  Der  linke  Arm  blieb  ge- 
lähmt und  magerte  ab.  Neben  einem  massigen  Taubheitsgefühl  der  Haut  an  den 
linken  Gliedmassen  bestand  nur  eine  geringe  Abschwächung  sämmtlicher  GefQhls- 
qualitäten.  Sensorium  frei,  Gedächtniss  gut,  aber  weinerliches  Wesen.  An  den 
Augen  ophthalmoskopisch  nichts,  aber  Heroianopsia  homonyma  sinistra;  Taubheit 
links.     Am  Herzen  nichts.     An  den  Lungen  beiderseits  Spitzeninflltration. 

Die  Diagnose  wurde  auf  rechtsseitige  Bindenerweichung,  durch  multiple  Throm- 
bose, in  der  motorischen  Zone  und  im  Hinterhaupts-Schläfenlappen  gestellt  Patient 
starb  am  8.  Januar  1888  nach  einem  neuen  Insult,  und  die  Section  ergab  die  Richtig- 
keit der  Diagnose.  Es  waren  erweicht  die  mittlare  Hälfte  der  vorderen  Central- 
Windung,  nach  vom  davon  der  hintere  Theil  der  ersten  und  ^/j  der  zweiten  Stiru- 
windung;  ferner  Lob.  pariet.  inf.  vollständig,  von  L.  par.  sup.  nur  ein  kleines  Stück, 
dann  der  Gyr.  occip.  II  und  Gyr.  tempor.  II.  Die  Erweichung  drang  ün  Scheitel-, 
Schläfen-  und  Hinterhauptslappen  bis  tief  in  die  Marksubstanz  ein.  —  An  den 
basalen  Ganglien,  Himstamm  u.  s.  w.  nichts,  bis  auf  eine  secund&re  absteigende 
Degeneration  der  Pyramidenbahn.  Ha d lieh. 


17)  Gase  of  tumour  in  the  floor  of  the  fourth  ventrikle  with  ooQjugate 
deviation  of  the  eyes,  due  to  paralysis  of  the  sixth  nerve,  by  Dr.  J. 

Finlayson.     (The  Glasgow  Medical  Journal.  1888.  April.) 

Ein  7^2 jähriges  Mädchen,  aus  einer  scrophulds  und  tuberculOs  veranlagten 
Familie  stammend,  litt  nach  einem  Scharlach  an  heftigen  Kopfschmerzen.  Dazu  trat 
in  wenigen  Wochen  Schielen  auf  dem  rechten  Auge  und  Doppeltsehen,  Erbrechen 
am  Morgen,  Schwindel  beim  Aufrichten,  Taubheit  auf  dem  rechten  Ohre;  nach  einem 
Anfall  von  Bewusstlosigkeit  ohne  Krämpfe  war  die  rechte  Wange  und  Cornea  an- 
ästhetisch, der  Geruch  fehlte  rechts  und  das  rechte  Auge  blieb  im  Schlaf  ange- 
schlossen, die  Zunge  wich  nach  rechts  ab;  das  rechte  Auge  stand  dicht  an  der 
Nasenwurzel  und  konnte  ophthalm.  nicht  untersucht  werden;  links  ergab  sich  Papil- 
litis  und  Prominenz  des  Sehnerven.  Die  Intelligenz  blieb  bis  kurz  vor  dem  Tode 
ungetrübt.  Nach  starkeit  Schluckbeschwerden  erfolgte  der  Tod  einige  Monate  nach 
dem  Beginn  des  Leidens  in  Folge  von  Bespirationslähmung.  Bechts  waren  betroffen: 
der  Facialis,  Olfactorius,  Acusticus,  sensible  Trigeminusast,  Abducens,  Hypoglossus. 
Auffallend  in  dem  Verlauf  war  die  conjugirte  Deviation  der  Augen  nach  links.  Eine 
Lähmung  des  linken  Oculomot.  konnte  höchtens  partiell  sein  und  allein  den  linken 
Rect.  internus  betreffen,  da  sonst  die  Beweglichkeit  des  linken  Auges,  Pupille,  Lid  etc. 
normal  waren ;  nur  der  Rect.  intern,  links  war  etwas  paretisch  und  da  der  Beet  ex. 
überwiegte,  standen  in  Ruhe  beide  Augen  nach  links  gewandt.  Aach  wenn  die 
synerget.  Function  des  rechten  Kect.  extern,  und  linken  Kect.  intern,  durch  Schliessen 
des  rechten  Auges  unterdrückt  wurde,  konnte  das  linke  Auge  nicht  über  die  Mittel- 
linie hinaus  bewegt  werden.  Gaston  Graux  beschrieb  Fälle,  in  denen  eine  einseitige 
Lähmung  des  Kernes  des  Abducens  conjugirte  Deviation  der  Augen  zur  Fo^e  hatte. 
(De  la  paralysie  du  moteur  oculaire  externe  avec  deviation  conjug^e.  Paris  1878.) 
Auch  in  unserem  Falle  wäre  eine  nucleäre  Lähmung  des  rechten  Abducens  zu  ver- 
muthen;  durch  eine  Verbindung  dieses  Kernes  mit  dem  Oculomotoriuskerne  der 
anderen  Seite  würde  die  Schwäche  und  Parese  des  linken  Beet,  internus  bedingt  sein. 


—    611    — 

• 

Ein  Tamor  tabercul  Natnr  wnrde  am  Boden  des  lY.  Ventrikels  vermothet.  Die 
postmortale  Untersncbung  ergab  zonäcbst  allgemeine  Tubercolose  der  Lnnge,  Leber, 
Niere,  Milz.  Die  Gebimventrikel  waren  mit  Flfissigkeit  erfüllt  and  erweitert.  Becbts 
im  (}ebim  befanden  sieb  drei  tubercul.  Heerde:  1)  am  hinteren  Theil  der  rechten 
mittleren  Frontalwindung,  2)  änsserste  hintere  Theil  des  Thal,  opticus,  3)  ein  be- 
trächtlicher Heerd  in  der  rechten  Hälfte  der  Med.  oblongata,  der  vom  lY.  Ventrikel 
ans  sichtbar  war,  den  Ped.  cerebelli  umfasste  und  im  Ventrikel  selbst  die  Mittel- 
linie erreichte.  Auch  Pons  und  der  Ped.  cerebelli  waren  Yom  von  der  Erweichung 
betroffen.  Kalischer. 


18)  StatifltiBohe  und  oasuistisohe  Mittheilongen  über  den  Typhus  abdomi- 
nalis, von  Dr.  Alexander,  Secundärarzt  an  der  med.  Universitäts-Poliklinik  zu 
Breslau.     (Breslauer  ärztliche  Ztschr.  1887.  Nr.  20—24.) 

Ein  17  Jahr  alter  Schreiber  hatte  in  seinem  8.  Lebensjahr  eine  grosse  Geschwulst 
am  rechten  Ellbogengelenk,  die  incidirt  wurde.  Im  9.  Lebensjahre  stellten  sich  an 
der  linken  Hand  unwillkürliche  Greifbewegungen  ein,  welche  in  den  nächsten  zwei 
Jahren  zunahmen  und  dann  stationär  blieben.  Die  Bewegungen  waren  oft  so  stark, 
dass  die  Nägel  in  die  Vola  manus  einschnitten  und  an  Zeigefinger  und  Mittelfinger 
tiefe  Excoriationen  in  Folge  der  Reibung  entstanden.  Aebnliche  Beweguugon  traten 
auch  am  linken  Fuss  auf,  dabei  machten  die  Extremitäten  drehende  Bewegungen. 
Die  Bewegungen  hörten  auf,  wenn  sich  Pat.  in  seine  Beschäftigung  vertiefte,  ebenso 
wie  im  Schlaf;  nach  Gemüthsaufregungen  nahmen  sie  zu.  Seit  damals  kann  Pat. 
das  linke  Handgelenk  nicht  mehr  beugen  und  strecken,  das  linke  Ellbogen-  und 
Schultergelenk  weniger  gut  bewegen  als  das  rechte;  das  linke  Bein  kann  er  bei 
gestrecktem  Kniegelenk  nur  wenig  bewegen.  November  1876  erkrankte  er  am 
Typhus.  In  der  Klinik  zeigten  sich  eigenthümliche  Bewegungen  der  linken  Körper- 
hälfte, Gesicht,  Nasenflügel,  Oberlippe,  Mundwinkel,  Unterarm,  Finger,  Bein,  Fuss. 
Der  linke  Facialis  erscheint  bei  willküiiichen  Bewegungen  etwas  paretisch  im  Vergleich 
zum  rechten.  Die  Bewegungen  der  Finger  waren  so  krampfhaft,  dass  die  Finger- 
nägel sich  in  die  Hohlhand  einpressten  und  Schmerzen  verursachten.  Im  Schlaf 
hören  die  Bewegungen  auf.  Der  linke  Unterarm  ist  heisser  und  dicker  als  der 
rechte;  der  Arm  wird  meist  im  Ellbogengelenk  gestreckt  und  der  Unterarm  supmirt 
gehalten.  Auch  das  linke  Bein  ist  wärmer  und  zeigt  stärker  entwickelte  Venennetze, 
als  das  rechte;  das  Bern  ist  gestreckt,  setzt  passiver  Beugung  leichten  Widerstand 
entgegen,  der  Fuss  steht  contractnrirt  in  Pes  equinus-Stellung.  Die  Zehen  befinden 
sich  in  lebhafter  Bewegung,  Abduction,  Adduction,  Flexion,  Extension.  Patellar- 
Sehnenreflex  fehlt  (nur  links  oder  auch  rechts?).  Sensibilität  des  ganzen  Körpers 
normal.  Stehen  kaftn  Pat.  auch  bei  geschlossenen  Augen,  beim  Gehen  zeigt  sich  ein 
deutliches  Schleifen  des  linken  Beines.  Im  Verlauf  des  Typhus  wechselten  die 
choreatischen  Bewegungen  zwar  an  Intensität,  hörten  aber  nur  im  Schlaf  ganz  auf; 
in  der  Glutäalgegend  links  und  rechts  entstanden  Decubital-Geschwüre  und  Abscesse; 
der  obere  Lungenlappen  war  infiltrirt  etc.,  nach  ca.  4  Wochen  trat  der  Exit.  let. 
ein.  Im  Gehirn  fand  sich  ein  haselnussgrosser  verkalkter  Herd  im  äusseren  und 
unteren  Theile  des  Thalam.  optic.  dexter,  der  vielfach  an  die  innere  Kapsel  heran- 
reicht. Der  Kalkherd  ist  an  einzelnen  Stellen  deutlich  abgekapselt;  am  härtesten 
ist  der  Kern;  am  Rückenmark  macht  sich  eine  geringe  Abnahme  der  Gewebselemente 
der  linken  Hälfte,  namentlich  in  den  oberen  Theilen  bemerkbar.  Nach  Ijjrhärtung 
des  Gehirns  in  chromsaurem  Kali  und  Alcohol  sieht  man  bei  einem  dicht  hinter  dem 
Ghiasma  gellten  Frontalscbnitt  den  Anfang  der  degenerirten  Partien  von  der  Mitte 
der  inneren  Kapsel  an  sich  nach  innen  und  oben  zu  erstrecken;  die  Kalkeüilagerungen 
sind  in  dieser  gelblichbraun  verfärbten  Stelle  weniger  deutlich.  Der  Herd  bleibt 
Ton  der  Commiss.  moU.  12  mm.  entfernt,  von  der  Oberfläche  des  Thalam.  5 — 6  mm. 


612 

Nach  hinten  ist  er  bis  nahezu  an  die  YierhQgel  so  verfolgen.  Ob  es  sich  um  einen 
verkalkten  Tuberkel  oder  sonstige  Neubildung  handelt^  Hess  sich  nicht  erniren.  Pons 
und  MedoUa  schienen  normal.  Das  linke  Vorderhom  war  schon  im  oberen  Halsmark, 
am  auffälligsten  aber  in  der  Gegend  der  Cervicalanschwellung  schmaler  als  das  rechte. 
(Differenz  1mm.).  Im  Dorsal-  und  Lendenmark  verschwindet  der  Unterschied  all- 
mählich. Die  Ganglienzellen  der  Vorderhömer  der  linken  Seite  schienen  an  Zahl 
abgenommen  zu  haben.  —  In  einem  anderen  Falle  von  Typh.  abdominalis  war  ein 
8  jähriger  Knabe  seit  Beginn  der  Erkrankung  mit  totaler  Aphasie  behaftet;  die  In- 
telligenz schien  erhalten,  wenn  er  auch  erst  spät  und  langsam  auf  Anrede  reagirte. 
Er  sprach  bis  zu  seinem  Tode  nach  ca.  4  Wochen  kein  Wort.  Section  des  Gehirns 
wurde  nicht  vorgenommen.  Ealischer. 


10)  Fall  af  xiervBt5ringar  af  cerebral  orsak  efter  tyfas,  af  Dr.  Homen. 
(Finska  läkaresällsk.  handl.  1887.  XXIX.  6.  S.  338.) 

Der  Vater   des  23  J.  alten  Kranken  soll  gesund  gewesen,   aber  im  Alter  von 
35  J.  nach  Auftreten   von  Krampf  gestorben  sein,   die  Mutter  und  eine  Schwester 
waren  kränklich  (Lungenleiden?).  Fat  selbst  hatte  als  Kind  eine  fieberhafte  Krank- 
heit mit  nachfolgendem  Ohrenfluss  gehabt  und  war  auf  dem  linken  Ohr  taub;  später 
hatte  er  2mal  an  fieberhaften  Krankheiten,  vor  ungeföhr  4  J.  1^/,  J.  lang  an  Wechsel- 
fieber gelitten.    Ende  1886  erkrankte   er  an  schwerem  Abdominaltyphus,  wobei  er 
mit  Alkoholinjectionen  in   den  rechten  Arm  behandelt  worden  war,   denen  Abscesse 
und  kleine  gangränöse  Heerde  folgten.  Schon  während  der  Behandlung  war  Schwäche 
in  den  rechten  Extremitäten  aufgetreten,  die  später  zunahm  und  mit  taubem  Geffihl 
und  Anästhesie  verbunden  war.  In  der  Folge  traten  unregelmässig,  meist  aber  jeden 
2.  Tag,  Frostanfalle  mit  folgendem  Schweiss  auf.    Fat.  klagte  über  Aprosexie.    Die 
Untersuchung  der  Augen  ergab  auf  beiden  Einschränkung  des  Sehfeldes,  am  meisten 
rechts,  die  Pupillen  reagirten  auf  Licht,  aber  etwas  trag;   der  Lichtsinn  war  herab- 
gesetzt,  der   Farbensinn   normal.    Auf  dem  rechten  Ohr  war  das  Hörvermögen  be- 
deutend herabgesetzt,    das  linke  war  ganz  taub.    Der  Geschmack  fehlte  auf  beiden 
Seiten  der  Zunge,  der  Geruch  auf  der  rechten  Seite,  links  war  er  herabgesetzt  Die 
Sensibilität,  sowohl   die  tactile,   wie  die  faradocutane,   auch  die  Schmerzempfindung, 
fehlten  auf  der  rechten  Seite  ganz,  ziemlich  genau  bis  zur  Mittellinie,  links  war  sie 
herabgesetzt;  auch  das  Muskelgefühl  fehlte  rechts  und  war  links  etwas  herabgesetzt 
Der  Druck  der  Hand  war  rechts  viel  schwächer  als  links,   die  Muskelkraft  war  in 
den  rechten  Extremitäten   gering.    Nerven  und  Muskeln  reaguten  normal  bei  gal- 
vanischer und  faradischer  Reizung.  Die  Hautreflexe  waren  erhalten,  die  Sehnenrefiexe 
gesteigert.    Oefter  trat   ein   einem  Schüttelfrost  ähnliches  Zittern  auf,  das  sich  oft 
über  einen  grossen  Theil  des  Körpers  ausbreitete.  Später  trat  Gürtelgefühl  auf,  auch 
auf  der  linken  Seite  nahm  die  Kraft  ab  und  nach  einiger  Zeit  war  auch  diese  Seite 
vollständig  anästhetisch,  die  Muskelsensibilität  und  das  Geruchsvermögen  auf  ihr  voll- 
kommen aufgehoben,  das  Sehfeld  noch  mehr  eingeschränkt.    Temperatursteigerungeu 
wurden  nicht   beobachtet,   die   Pulsfrequenz  nahm  in  der  letzten  Zeit  zu.    Die  Be- 
handlung  hatte   in   allgemeiner   Faradisation,  Halbbädern  und  Anwendung  von  Jod- 
kalium, später  von  Eisen,  bestanden.    Fat.  wurde  ungebessert  entlassen.  —  Nach  H. 
liegt  in  diesem  Falle  eine  cerebrale  Hemianästhesie  von  nicht  reiner  Form  vor,  wahr- 
scheinlich nur  von  functioneller  Natur.  Walter  Berger. 


Psychiatrie. 


20)  DiBturbi  pelohici  proTOoatl  o  sostenuti  dalle   malattie  aorioolari,  pel 

Prof.  V.  Cozzolino.    (La  Psichiatria.  1887.  V.  p.  285.) 


—    618    — 

Historische  and  kritische  Zasammenstellung  der  Aber  den  Gausalnexus  zwischen 
Ohrerkranknngen  and  Gehdrshallucinationen  resp.  Geistesstönmgen  erschienenen  Ar- 
beiten mit  endgültiger  Aufstellnng  folgender  Sätze: 

1.  Erkrankungen  des  inneren  Ohres  sind  bei  Irren  häufig,  und  in  einer  grösseren 
Zahl  der  Fälle  haben  sie  einen  bedeutenden  Einfluss  auf  die  Entstehung  der  Gehörs- 
hallncinationen. 

2.  Bei  allen  Irren  mit  Geh6rshallucinationen  ist  eine  genaue  Untersuchung  der 
Gehörorgane  nothwendig,  um  wenigstens  in  einzelnen  Fällen  durch  Beseitigung  der 
Ohrerkranknng  die  Ursache  der  Psychose  zu  entfernen  und  letztere  auf  diesem  Wege 
zur  Heilung  zu  bringen.  Sommer. 


21)  Insanity  trotn  Bright's  disease,  by  Dr.  Bremer.    (Journal  of  nervous  and 
mental  disease.  1888.  XV.  p.  374.) 

Verf.  weist  darauf  hin,  dass  sich  nicht  allzu  selten  Geistesstörungen  bei  Patienten 
mit  Morbus  Brightii  entwickeln,  die  bald  mehr  den  Charakter  eines  heftigen  Deliriums, 
bald  aber  auch  den  einer  wirklichen  Psychose  mit  beginnender  Systematisirung  der 
einzelnen  Wahnvorstellungen  haben.  Sie  pflegen  nicht  lange  anzuhalten  und  enden 
gewöhnlich  mit  dem  Tode;  doch  ist  auch  eine  Heilung,  oft  mit  Amnesie  an  die  Er- 
krankung, möglich.  Verf.  möchte  sie  gewissermaassen  als  „psychische  Aequivalente" 
eines  urämischen  Anfalles  angesehen  wissen. 

Der  Ausbruch  erfolgt  gewöhnlich  plötzlich  und  Verf.  empfiehlt  daher  in  allen 
rapid  entstandenen  Geistesstörungen,  sobald  Alkoholismus,  Epilepsie  etc.  auszuschliessen 
sind,  auf  das  Bestehen  eines  Morbus  Brightii  zu  untersuchen.  Für  den  Praktiker 
ist  dieser  Bath  von  einer  gewissen  Wichtigkeit,  da  beim  Nachweis  einer  „Urämie- 
psychose"  meistens  von  der  Ueberführung  in  eine  Irrenanstalt  wird  abgesehen  werden 
können. 

Die  klinische  Form  derartiger  Psychosen  hat  nichts  Typisches.  Die  Diagnose 
stützt  sich,  abgesehen  von  dem  psychischen  Befunde,  auf  die  Erkennung  des  Morbus 
Brightii,  auf  die  plötzliche  Entwickelung,  auf  das  Fehion  von  Voraitus,  Convulsionen 
und  Fieber  u.  s.  w. 

Verf.  theilt  noch  7  Krankengeschichten  mit,  die  er  selbst  beobachtet  hat,  und 
die  eine  typische  Krankheitsform  allerdings  nicht  erkennen  lassen.  Sommer. 


22)  Contributo  allo  studio  delle  malattie  somatiche  nei  pazzi:  diagnosi  e 
cura  della  pleurite  con  versamento,  memoria  clinica  del  Dott.  F.  Venanzio. 
(Archiv,  italian.  per  le  mal.  nervöse  ecc.  1888.  XXV.  p.  145.) 

Auch  für  Kichtpsychiater  lesenswerthe  Schilderung  der  Symptomatologie  und 
Diagnose  der  exsudativen  Pleuritis  bei  geisteskranken  Individuen  mit  besonderer 
Hervorhebung  der  grossen  Vortheile  einer  operativen  Behandlung  des  P^rgusses. 

Sommer. 

Therapie. 

23)  La  galvanizEasione  della  Uroide  negli  epiletüci,  pel  Dott.  G.  Sighicelli. 
(Bivista  speriment.  di  Freniatr.  e  di  Medicina  legale  ecc  1888.  p.  393.) 

Auf  Grund  der  neueren  Untersuchungen  über  die  Functionen  der  Schilddrüse 
und  über  den  Eintritt  der  Cachexia  strumipriva  mit  ihren  epileptoiden  Krämpfen, 
wie  sie  besonders  Albertoni  beschrieben  hat^  sowie  gestützt  auf  zwei  eigene  Be- 
obachtungen über  einen  anscheinend  vorhandenen  Zusammenhang  zwischen  Erkran- 
kungen der  Thyreoidea   und   schweren  nenropsychopathischen  Symptomen,  kam  Verf. 


—    614    — 

anf  die  Yermutliang,  es  könnten  Fälle  von  Epilepsie  ezistiren,  die  mit  einer  Er- 
krankung der  Thyreoidea  in  ursächlichem  Zusammenhange  stflnden.  (Die  ebenfalls 
hierhergehörige  Beobachtung  Awtokratow's,  dass  nach  Ezstirpation  der  Thyreoidea 
bei  Hunden  die  Erregbarkeit  der  motorischen  Rindencentren  erheblich  gesteigert  sei, 
kam  dem  Verf.  erst  nachträglich  zur  Kenntniss.) 

Verf.  unternahm  es,  bei  7  Epileptikern  eine  elektrische  Behandlung  einzuleiten 
und  zwar  durch  Querleitung  eines  constanten  Stromes  von  2 — 10  Milliamperes  durch 
die  Thyreoidea  und  auf  die  jedesmalige  Dauw  von  2 — 5  Minuten. 

Nach  mehreren  Wochen  konnte  er  constatiren,  dass  bei  3  Patienten  der  Verlauf 
der  Epilepsie  allerdings  unverändert  geblieben  war;  bei  den  andern  4  zeigte  sich 
aber  zunächst  eine  Steigerung  und  dann  eine  dauernde  erhebliche  Abnahme  in  der 
Häufigkeit  der  Anfalle,  femer  ein  fast  völliges  Schwinden  der  prä-  und  postparozys- 
mellen  Zustände,  eine  Abschwächung  der  Dauer  und  der  Heftigkeit  eines  jeden  An- 
falles und  eine  günstige  Beeinflussung  des  ethischen  und  psychischen  Verhaltens  der 
Kranken. 

Weitere  Untersuchungen  dürften  daher  wünschenswerth  sein.  Sommer. 


24)  Die  Elektrotherapie  der  Gfrebärmutterkrankheiten,  von  Prof.  Dr.  Moritz 
Benedikt  in  Wien.     (Berl.  klin.  Woch.  1888.  Nr.  30.'  S.  597.) 

Eine  kurze  ,,poliklinischs  Vorlesung"  in  welcher  6.  das  Verfahren  von  Apostoli, 
der  auf  diesem  Gebiet  die  Wege  geebnet  hat,  sowie  die  von  ihm  getroffenen  Modi- 
ficationen  darstellt.  B.  braucht  Ströme  bis  zu  300  M.-A.  —  ,,Seit  Apostoli/'  sagt 
der  Verf.,  „muss  die  Vernachlässigung  der  elektrolytischen  Behandlung  der  Gebär- 
mntterkrankheit  als  Kunstfehler  und  zwar  als  sträflicher  angesehen  werden."  Zum 
Schluss  wird  betont,  einen  wie  mächtigen  Einfluss  die  Elektricität  auf  die  Hyper- 
ästhesien des  Genitalapparates  übt.  Verf.  meint,  dass  man  durch  deren  Anwendung 
sich  manche  Castration  hätte  ersparen  können.  Sperling. 


26)  Einige  Bemerkungen  über  die  Wirksamkeit  des  Solfonals«  von  Dr.  J. 
Frank el,  Arzt  an  der  Dr.  Bichter'schen  Frivatirrenanstalt  in  Pankow.  (BerL 
klin.  Wochenschr.  1888.  Nr.  30.) 

Das  Präparat  (aus  der  Biederschen  Fabrik)  kam  nahezu  lOOmal^  meist  bei 
Psychosen  bald  in  Pulverform,  bald  in  Tabletten  zur  Anwendung.  Die  Einzeldosis 
betrug  2 — 3  g.  Die  Wirkung  trat  nicht  immer  gleichzeitig  und  gleichmässig  ein. 
Der  Schlaf  war  meist  ein  ruhiger  und  fester.  Bei  einigen  Kranken  trat  eine  üble 
Nachwirkung  ein  (Mattigkeit,  Abgeschlagenheit  der  Glieder,  .Benommenheit  des  Kopfes 
während  des  ganzen  folgenden  Tages).  Die  Controlversuche  wurden  derart  angestellt, 
dass  Sulfonal  erst  verabreicht  wurde,  wenn  sich  nach  dem  Aussetzen  des  gewohnten 
Hypnoticum  oder  Narcoticum  thatsächlich  Schlaflosigkeit  erweisen  liess.  Nach  mehr- 
maligem Gebrauch  wurde  es  wieder  ausgesetzt  und  erst  wieder  nach  einer  oder 
mehreren  unruhig  und  sclilaflos  zugebrachten  Nächten  verabreicht.  —  Im  Ganzen 
wird  die  Wirkung  des  Mittels  als  eine  sehr  günstige  bezeichnet.  Kalischer. 


26)  Heber  die  Art  der  Darreiohung  und  Verordnung  des   Sulfonals,  von 

Prof.  A.  Käst,  Freiburg.    (Therapeutische  Monatshefte.  1888.  IL  Jahrg.  H.  7.) 

Unter  den  Nachtheilen  der  Sulfonalanwendung  machen  sich  hauptsächlich  zwei 
Umstände  geltend.  Einmal  verzögert  sich  der  Eintritt  der  schlafmachenden  Wirkung 
länger  als  2 — 3  Stunden  und  ferner  dehnte  sich  der  Schlaf,  Mattigkeit  und  Buhe- 
bedürfniss  noch  in  den  nächsten  Tag  hinein  aus,  —  eine  recht  üble  Nachwirkunsr. 
die  auch  Ref.  bei  den  Versuchen  in  der  Dr.  Hichter'schen  Anstalt  zu  Pankow  wieder- 
holt beobachten  konnte.    Die  allmählich  eintretende  Wirkung,  wie  die  unerwünschte 


—    615    — 

Nachdauer  derselben  in  einzelnen  Fällen  beruht  auf  der  ScbwerlGslichkeit  des  Solfonals 
in  Wasser  and  anf  der  schweren  Angreifbarkeit  seines  Moleküls.  Bei  Bluttemperatur 
sind  450  Theile  Wasser  zur  völligen  Lösung  eines  Theils  Sulfonal  erforderlich.  Be- 
günstigt wird  die  Löslichkeit  durch  Anwendung  von  Salzen  und  Peptonen.  Drei 
Versuche  an  Hunden,  die  2— 6  Stunden,  nachdem  sie  2  g  fein  pulverisirtes  Sulfonal 
erhalten  hatten,  getödtet  wurden  —  lehrten,  dass  zu  einer  Zeit»  wo  die  Resorption 
des  Sulfonals  aus  dem  Darmkanal  bereits  völlig  abgeschlossen  war,  noch  kleine  Mengen 
vom  Sulfonal  unzersetzt  im  Blute  circulirten.  Am  besten  wird  das  Mittel  fein  pul- 
verisirt  mit  wenigstens  200  ccm,  womöglich  warmer  Flüssigkeit  in  den  frühen  Abend- 
stunden zwischen  7  und  8  Uhr  gereicht,  vielleicht  in  Suppe  oder  Thee  zum  Abend- 
essen. Dies  muss  insbesondere  in  den  Fällen  geschehen,  wo  die  Wirkung  schnell 
eintreten  soll  oder  wo  die  Besorption  erschwert  ist,  wie  z.  B.  bei  Herzkranken  mit 
gestörter  Compensation.  Schnelle  Wirkung  nach  ^/^  Stande  wurde  unter  anderen 
auch  *  in  einem  Falle  von  Abdominaltyphus  mit  furibunden  Delirien  beobachtet,  wo 
Chloral,  Bäder  erfolglos  waren  (Bäum  1er).  —  Der  ehem.  Besistenzfähigkeit  seines 
Moleküls  wird  bei  der  verzögerten  Wirkung  des  Sulfonals  nur  eine  secundäre  Bolle 
zugeschrieben;  auch  die  störende  Nachdauer  der  Wirkung  wird  mehr  durch  die  lang- 
same Löslichkeit  und  Besorption  bei  unzweckmässiger  Anwendung  hervorgerufen,  als 
durch  die  ehem.  Besistenzfähigkeit  seines  Moleküls.  Denn  die  im  Blute  gefundenen 
Beste  von  Sulfonal  waren  in  obigen  Versuchen  nach  6  Stunden  schon  so  unbedeutend, 
dass  spätere  Symptome  unmöglich  darauf  zurückgeführt  werden  können.  Eine  Be- 
rücksichtigung der  Löslichkeitsverhältnisse  und  individualisirende  Bemessung  der  Dosen 
(2 — 4  g)  dürfte  die  Zahl  der  Fälle  von  protraMrter  Nachwirkung  sicher  einschränken. 
Anmerkang.  In  derselben  Nummer  der  Therapeut  Monatshefte  berichtet  Dr. 
Schmey  (Beuthen)  über  einen  Fall,  in  welchem  ein  61jähr.  Mann,  der  in  Folge  von 
Arteriosklerose  an  Angina  pectoris  und  Schlaflosigkeit  litt,  erfolgreich  mit  Amylnitrit 
und  Amylenhydrat  (3  g  pro  dos.)  behandelt  worden  war.  Da  er  das  letztere  Mittel 
wegen  seines  unangenehmen  G^cbmacks  nicht  weiter  nehmen  wollte,  erhielt  er  2  g 
Sulfonal.  Kurz  nach  dem  Einnehmen  traten  die  Anfälle  von  Angina  pectoris  sehr 
heftig  auf,  und  hielten  die  ganze  Nacht  mit  kurzen  Unterbrechungen  an;  Amylnitrit 
wirkte  nur  vorübergehend.  2  Stunden  nach  Einnahme  des  Sulfonals  trat  ein  zwei- 
stündiger Halbschlummer  ein,  der  durch  häufige  Anfölle  unterbrochen  war.  Noch  die 
nächsten  2  Tage  traten  die  AnföUe  mit  ungewöhnlicher  Stärke  und  Häufigkeit  auf, 
so  dass  S.  bei  der  Angina  pectoris  und  Arteriosklerose  vor  Anwendung  des  Mittels 
warnt.   Das  Herz  sollte  das  Mittel  nach  Angaben  Kast's  nicht  ungünstig  beeinflussen. 

Kalischer. 

27)   HyoBoine  as  a  hypnotio,   by  Pittcairn.    (The  Brit.  med.  Journal.  1888. 
14.  Juli.  p.  76.) 

Verf.  theilt  3  Krankheitsfälle  mit  (Delirium  tremens  bei  einem  32jähr.  Manne, 
Insomnie  bei  einem  älteren  Manne,  maniakalische  Erregung  bei  einem  40jähr.  Melan- 
choliker), in  welchen  alle  sonstigen  Mittel  (Bromide,  Narkotica,  verschiedene  Seda- 
tiva) vergeblich  und  erfolglos  angewandt  wurden,  Hyoscin  aber  in  Dosis  von  Vioo  &ran 
(»0,0006  g)  subcutan  von  glänzendem  Erfolg  begleitet  wurde.  Schlaf  trat  manch- 
mal für  19  Standen  ein,  und  das  Befinden  war  dann  gut.  —  Die  nachfolgenden 
Anwendungen  erfordern  meist  grössere  Mengen,  daher  thue  man  gut,  mit  150stel  Gran 
anzufangen,  dann  Vioo>  Vto  ^^*  ^^  injiciren.  An  der  Injectionsstelle  entstehe  kein 
Schmerz.  —  Sollten  unangenehme  Folgen,  was  unwahrscheinlich,  eintreten,  so  em- 
pfehlen sich  Coffein,  Pilocarpin,  Natr.  salicylicnm. 

Hierza  vergleiche  man  einen  Fall  von  Sinclair-Thomson  (The  Brit.  med.  Journ. 
p.  421),  in  welchem  ®/g^  gran  vertragen  wurde,  Yio  &ra^  jedoch  Intoxicationserschei- 
nungen  beunruhigenden  Grades  hervorriefen.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


—    616    — 

Anstaltswesen. 

28)  Berioht  über  die  Verwaltung  der  Provinzial-Irren- Anstalt  su  NenBtadt 
in  Westpreussen  für  das  Etatsjahr  1./4.  1887/88.   Director  Dr.  Erömer. 

Krankenbestand  am  1./4.  1887:  165  M.  u.  190  Fr. 
Aufgenommen  1./4.  1887— 1./4.  1888:     78  M.  n.     62  Fr. 

Summe  der  Verpflegten:  243  M.  u.  252  Fr. 

Aus  der  grossen  Beihe  von  Tabellen  sei  erwähnt,  dass  in  erfreulicher  Weise 
die  Zahl  der  Aufnahmen  der  frisch  erkrankten  Personen  steigt,  dass  die  Trunksucht 
als  ausschliessliche  Krankheitsursache  nur  bei  10  Männern  und  1  Frau  beobachtet 
wurde,  und  dass  hereditäre  Anlage  in  35,7  ^/q  nachgewiesen  werden  konnte.  Mit  zu 
lobender  Offenheit  erwähnt  der  Bericht  auch,  dass  eine  melancholische  Frau  in  der 
Anstalt  sich  das  Leben  nahm.  Sie  erhing  sich  an  einer  Thürklinke  im  Wohnraum, 
fast  in  Gegenwart  der  übrigen  Kranken  bei  offener  Thür.  Vereitelte  SelbstmordTer- 
suche  kamen  11  vor.  Die  Tabellen  29 — 37  zeigen  eine  ausgedehnte  Arbeitsleistung 
der  Kranken. 

Durchschnittskosten  per  Kopf  und  Jahr  584,82  Mark.  M. 


IIL  Bibliographie. 

Bealencyolop&die  der  gesammten  Heilknnde.  Med.-obinuK«  Handwörter- 
buch für  praktlsohe  Aerzte,  herausgegeben  von  Prof.  Dr.  Albert  Eulenburg 
in  Berlin.  2.  umgearbeitete  und  vermehrte  Auflage.  (Wien  und  Leipzig  1888. 
Urban  &  Schwarzenberg.) 

Der  vorliegende  XIV.  Band  (cf.  d.  Ctrlbl.  1888  S.  336)  enthält  folgende  grossere 
Arbeiten,  welche  für  den  Neuropathologen  von  besonderem  Interesse  sind,  und  far 
deren  Werth  schon  der  Name  der  Autoren  bürgt:  Nerv  (histologisch):  Bardeleben 
(Jena);  Nerv  (physiologisch):  Gad  (Berlin);  Nervendegeneration  und  Regeneration: 
Eichhorst  (Zürich);  Neurasthenie:  Arndt  (Greifswald);  Neurectomie  und  Neurotomie: 
Sonnenburg  (Berlin);  Neuritis:  Bemak  (Berlin);  Neurotomia  opticociliaris:'  Hirschberg 
(Berlin);  Night  terrors:  Soltmann  (Breslau);  Nystagmus:  Hock  (Wien);  Oocipital- 
neuralgie:  Seeligmüller  (Halle);  Ohnmacht:  Samuel  (Königsberg);  Onanie:  Fürbringer 
(Berlin).  M. 

IV.   Personalien. 

An  Stelle  des  zum  Director  der  Irrenanstalt  Frankfurt  a.  M.  ernannten  Dr.  Sioli 
ist  Director  Dr.  Stöver-Brieg  zum  Director  in  Bunzlau  ernannt;  Dr.  Petersen, 
2.  Arzt  in  Kreuzburg,  ist  als  Director  nach  Brieg,  Dr.  Dornblüth,  2.  Arzt  in  Brieg, 
als  2.  Arzt  nach  Kreuzburg  (Oberschlesien)  versetzt. 


V.  Vermischtes. 

Eine  Choleraepidemie  in  einer  Irrenanstalt  Als  im  Herbst  1887  in  der  Gegend  von 
Neapel  Cholera  herrschte,  konnte  trotz  der  sorgfältigsten  Prophylaxe  das  Eindringen  der 
Krankheit  in  die  bekannte  Irrenanstalt  zn  Nocera  nicht  verhütet  werden.  Strengste  Iso- 
lirung,  genaueste  Desinfection  aller  Bäume,  Möbel  und  Kleidungsstücke,  SchÜeasung  der 
Abortc  und  der  Brunnen  —  es  wurden  dafür  täglich  15000  Liter  Trinkwasser  ungefähr 
40  Kilometer  weit  von  Neapel  herbeigebracht  —  vermochten  nicht  den  Eintritt  und  die  Aus- 
breitung der  Cholera  in  der  Anstalt  zu  hindern.  Bei  einem  BcBtande  von  ca.  570  Insassen 
erkranläen  81  Personen,  und  46  von  diesen  starben,  ein  nicht  ungünstiges  Yerhaltniss.  wenn 
man  bedenkt,  dass  es  sich  meistens  um  hinfallige  und  sieche  Individuen  handelte. 

Die  Pflichttreue  des  Anstaltspersonals  war  rühmend  anzuerkennen.  Ein  Krankenwärter 
starb,  ein  Arzt  erkrankte,  wurde  aber  wieder  hergestellt.    (II  Manicomio.  1888.  IV.  p.  181.) 

Sommer. 

In  Athen  wurde  die  erste  nach  europäischem  Muster  eingerichtete  Irrenanstalt  eröffnet 


Verlag  von  Vbit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mstzorb  &  Wittio  in  Ijeipzig. 


NeürologischesCentralbuh. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

HeraUBgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  *"  ^^^  Jahrgang. 

Monatlich  erscheinen  zwei  Nninmern.   Preis  des  Jahrganges  20  Mark.   Zu  beziehen  durch 
alle  Bachhandlangen  des  In-  und  Aaslandes,  die  Postanstalten  des  Dentschen  Reichs,  sowie 

direot  von  der  Verlagsbachhandlang. 


1888.  15.  NoTember.  M  22. 


Inhalt.  I.  Originalmittheilung.  Ein  Fall  von  Cysticercus  thalami  optici,  von  Dr. 
Wilhelm  Manasse. 

II.  Referate.  Anatomie.  1.  La  ghiandola  pineaie  e  il  terzo  occhio  dei  vertebrati,  pel 
Cioaini.  2.  L'entre-croisement  incomplet  des  fibres  nerveuses  dans  le  cbiasma  optiquo  chez 
le  chien,  note  de  Vllzou.  8.  Verbreitungsweise  der  Hautnerven  beim  Menschen,  von  Eich- 
hörst  —  Experimentelle  Physiologie.  4.  A  Beoord  of  exi>erimentB  npon  the  funotions 
of  the  cerebral  cortez,  by  Hortley  and  Schaefer.  5.  An  iavestigation  into  tiie  functions  of 
the  oocipital  and  temporal  lobes  of  the  monkey's  brain,  by  Brown  and  Schaefer.  6.  On  olec- 
trieal  ezcitation  of  the  ocoipital  lobe  and  a^jacent  parts  of  the  monkey's  brain,  by  Schaefer. 
7.  Experiments  on  the  electrical  excitation  of  the  Visual  area  of  the  cerebral  cortex  in  the 
monkey,  by  Schaofer.  8.  A  comparison  of  the  latencv  period  of  the  ocular  moscles  on  ex- 
citation 01  the  frontal  and  occipito-temporal  regions  of  the  brain,  by  Schaefer.  9.  On  the 
relative  len^  of  the  neriod  of  latency  of  the  ocular  musdes  etc.,  by  Schaefer.  10.  Einfluss 
des  Antipynn  auf  das  Nervensystem,  von  Blumenau.  —  Pathologische  Anatomie.  11.  Bei- 
trag zur  Anatomie  der  cerebralen  Kinderlähmung,  von  Hoven.  12.  Pathologische  Verände- 
rungen der  Hypophysis  cerebri  bei  Erkrankungen  des  Qehirns  und  seiner  Häute,  histologische 
Un^rsuchong  von  Wassiljew.  13.  Diffuse  Hirnsklerose,  von  Schmaus.  —  Pathologie  des 
Nervensystems.  14.  Sudiun  oaso  dl  lesione  distruttiva  del  lobo  temporosfenoidale  si- 
nistro  in  un  mancino  e^ilettico  senz'alcuno  disturbo  della  parola,  per  Blanchi.  15.  Et  Tilfiüide 
af  Tumor  thalami  optici  et  capsulae  intemae  med  Hemianästesi,  af  Thue.  16.  Gase  of  ab- 
soess  of  the  sella  turcica  and  pituitary  bod^,  by  Battiscombe.  17.  Tumor  der  Yierhügel,  von 
Hoppe.  18.  Qlio-Sarcoma  of  the  Pens  Yarohi,  by  Middleton.  19.  Tumour  of  the  Pons  Varolii, 

aMaccrogor.  20.  Cysticercus  cellulosae  of  brain.  21.  Cysticercus  cellulosae  im  Gehirn  des 
msehen,  von  Bolliagtr.  22.  A  fatal  caae  of  tumour  of  the  left  auditory  nerve,  by  Sbarkey. 
23.  Intra-cranial  tumour,  by  Mallins.  24.  Zur  Aetiologie  der  Gehirnerweichung  nacn  Kohlen- 
dunstveigiftung,  nebst  einigen  Bemerkungen  zur  Hirnquetsohung,  von  Poelchen,  25.  Gehirn- 
symptome bei  der  eitrij^en  Pleuritis,  von  de  C^renvlllo.  26.  Snlle  paralisi  da  malaria,  del 
Saechl.  27.  La  percussione  della  rotula,  contributo  alla  semeiotica  delle  uaralisi,  nota  pre- 
vcntiva  del  Borghorini.  28.  Gontribution  a  l'^tude  des  manifestations  spinales  de  la  blennor- 
ragie,  par  Hayem  et  Parmontior.  —  Psvchiatrie.  29.  Psychometrisohe  Untersuchungen  an 
Geistesjcranken,  von  Walitzln|a.  30.  Aonorm  tiefe  Körpertemperaturen  bei  Geisteskranken, 
von  SchSnfeldt.  31.  Puerperale  Geisteskrankheit  und  puerperale  Infection,  von  Hansen.  — 
Forensische  Psychiatrie.  32.  Die  Criminalpsychologie  in  ihrer  Beziehung  zum  Gefiingniss^ 
wesen,  von  Kim.  —  Therapie.  33.  Atronin  und  Hyoscyamin,  von  Will.  34.  On  poisoning 
by  Antipyrin,  by  Jennlngt.  85.  De  Temploi  ae  FHyosciamine  comme  hypnotique,  par  Lemolne. 

IV.  Bibliographie.  Anthropologische  Methoden.  Anleitung  zum  Beobachten  und  Sammeln, 
von  Dr.  Emil  Schmidt. 


S6 


618 


I.  Originalmittheiliingen. 


Ein  Fall  von  Cysticercns  thalami  optici. 

Von  Dr.  Wilhelm  ManaBse, 

Assistent  an  der  int  Poliklinik  des  jüdischen  Krankenhanses  zu  Berlin. 

Fräulein  Marie  B.,  20  Jahre  alt,  ein  etwas  anämisches,  aber  kraftig  gebautes 
Mädchen,  hat  sich  stets  gesund  gefühlt  bis  auf  massige  Eurzathmigkeit  beim 
Treppensteigen  und  bisweUen  auftretende  Mattigkeit  in  den  Gliedern.  Diese 
Beschwerden  waren  indessen  so  geringfügiger  Natur,  dass  Patientin  bis  kurz  toi 
ihrem  Todestage  anhaltend  arbeitete  und  sich  noch  in  der  letzten  Woche  ihres 
Lebens  lebhaft  an  Tanzvergnügungen  betheiligte. 

Am  29.  Mai  h.  a.  madite  Pat.  einen  Morgenspaziergang  mit  einer  Freundin, 
auf  welchem  sie  derselben  über  ein  eigenthümliches,  prickelndes  GefOhl  in  den 
Händen  klagte.  Zwei  Stunden  später  stellte  sich  heftiges  Messen  ein,  das  den 
ganzen  Tag  über  mit  nur  kurzen  freien  Intervallen  andauerte. 

Am  80.  Mai  klagte  Marie  B.  über  Eopfischmerz;  und  allgemeines  Unbehagen, 
am  meisten  quälte  sie  das  wieder  auftretende  Kiesen;  sie  zählte  an  diesem  Tage 
112  einzelne  Niesanfalle  von  solcher  Vehemenz,  dass  ihr  die  Augen  anschwollen 
und  der  Eopf  dröhnte,  wie  sie  sich  ausdrückte. 

Dessenungeachtet  aber  konnte  sie  noch  bis  Abends  7  Uhr  nahen  mit  einer  ein- 
stündigen Unterbrechung  des  Mittags. 

Am  81.  Mai  vermehrten  sich  die  Eopfischmerzen,  sie  stellte  die  Arbeit  ein, 
ass  aber  noch  mit  ihren  Hausgenossen  gemeinsam  zu  Mittag.  Einige  Stunden 
später  konnte  sie  sich  nicht  mehr  „rühren''.  Ich  wurde  consultirt  und  &nd 
Abends  8  Uhr  folgenden  Zustand: 

Die  Patientin  hatte  eine  Lähmung  der  Extremitäten  linkerseits  derartig, 
dass  sie  den  Arm  und  das  Bein  nur  einige  Gentimeter  heben  konnte.  Auf  mein 
Verlangen  mir  die  Hand  zu  drücken  griff  sie  zu  und  bewegte  die  Finger,  ohne 
indess  einen  Druck  ausüben  zu  können.  —  Beim  Versuch  zu  stehen  brach  ae 
zusanmien.  Aehnliche  Lähmungserscheinungen  stellten  sich  kurz  darauf  rechts, 
wenn  auch  in  geringerem  Maasse  ein. 

Dazu  kam  völlige  Unfähigkeit  auch  nur  einen  Tropfen  Flüssigkeit  zu  äA 
zu  nehmen.  Sie  konnte  nicht  schlucken  und  machte  nach  Darreichung  einiger 
Tropfen  Wasser  langandauemde  heftige  Würgbewegungen. 

Die  Sprache  war  völlig  wie  vor  der  Erkrankung,  ebenso  blieben  die  geistigen 
Functionen  ungestört 

Die  Sensibilität  war  normal. 

Der  Patellarreflex  fehlte. 

Die  Lähmungen  nahmen  beiderseits  an  Stärke  zu;  bald  kannte  Pat  d^ 
Eopf  nicht  mehr  bewegen,  sie  rang  nach  Luft.  In  der  Nacht  an  das  Eiank^- 
bett  gerufen  wurde  ich  durch  häusliche  Verhältnisse  der  Patientin  genötiiigt^ 
die  Uebeiführung  derselben  in  das  jüdische  Krankenhaus  anzuordnen. 


—    619    — 

Am  Morgen  des  1.  Juni  wurde  der  Transport  vermittelst  Tragbahre  bewirkt 
Bei  der  Ankunft  im  Erankenhanse  war  Fat.  bereits  todt 

Die  Obdaction,  die  auf  Oehim,  Lungen,  Herz  und  Leber  beschrankt  werden 
musste,  ergab  Folgendes: 

Im  Thalamus  opticus  linkerseits  befindet  sich  in  Mitten  der  Substanz  ein 
Tumor  Yon  der  Grösse  einer  Weinbeere.  Die  mikroskopische  Untersuchung  der- 
selben zeigte  einen  völlig  ausbildeten  Cysticercus.  Bis  auf  geringe  Böthung 
und  Infiltration  der  aUemächsten  Umgebung  des  Tumors  ist  die  SehhQgel-Suh- 
stanz  in  normalem  Zustande.^ 

Trotz  genauer  Untersuchung  der  übrigen  HimtheUe  finden  sich  nirgends 
abnorme  Verhältnisse. 

Die  linke  Fleura  und  die  linke  besonders  blutreiche  Lunge  ist  durohsetzt 
von  einer  grossen  Zahl  verkalkter  Gysticercen.  In  der  Haut  sind  nirgends  Gysti- 
cercen  nachweisbar. 

Leider  war  Ort  und  Zeit  nicht  dazu  angetban,  eine  genauere  Beobachtung 
des  Verlaufe  der  Krankheit  und  eine  sorgfaltigere  FrOfung  jedes  einzelnen  Sym- 
ptomes  vorzunehmen.  Wenn  wir  trotzdem  den  Fall  der  Oeffentiichkeit  übergeben, 
so  geschieht  dies  in  der  Ueberzeugung,  dass  schon  das  Gebotene  manches  inter- 
essante und  theilweise  der  Aufklärung  bedürftige  Detail  enthalten  dürfte. 

Zunächst  ist  es  eine  jedenfalls  immer  wieder  hervorzuhebende  Thatsache, 
dass  der  in  einem  Stammganglion  sitzende  Tumor  von  der  genannten  Grösse 
nichts  als  $nale  Erscheinungen  machte.  Weder  vorausgegangener  Eopfischmerz, 
noch  Uebelkeit  oder  andere  Vorboten  eines  cerebralen  Tumors  deutete  auf  ihn 
hin,  obschon  er  im  Stande  war,  das  Leben  des  kräftigen  Mädchens  innerhalb 
48  Stunden  zu  beenden.  Dazu  tritt  das  immerhin  seltene  Vorkommen  der  bis 
zur  Schlusskatastrophe  erhaltenen  Intelligenz. 

Ein  weiteres  auffallendes  Moment  liegt  in  der  zuerst  in  Erscheinung  treten- 
den Parese  der  linken  Extremitäten  bei  gleichseitigem  Sitz  des  Tumors.  Wir 
verweisen  diesbezüglich  auf  Webkioke,'  der  in  seinem  Lehrbuch  über  Gehim- 
krankheiten  auf  die  verhaltnissmässig  oft  publicirten  Fälle  von  ungekreuzten, 
auf  der  Seite  des  Tumors  sitzenden  Hemiplegien  aufmerksam  macht,  welche 
Fkxsdbbioh  und  Lebebt  zur  Aufstellung  einer  eignen  Unterart  der  Hemiplegie 
bewogen  haben. 

Wenn  wir  dann  im  weiteren  Verlauf  der  Ejankheit  auch  die  rechte  Seite 
von  der  Lähmung  ergrifien  sehen,  so  können  wir  diesen  Umstand  recht  gut 
mit  einem  einseitig  sitzenden  Tumor  in  Zusammenhang  bringen,  da  derselbe 
Autor  es  for  eine  besondere  Eigenthümlichkeit  der  gerade  durch  Tumoren  be- 
wirkten Hemiplegien  erklärt,  dass  leicht  im  weiteren  Verlaufe  beide  Seiten  sich 
ergriffen  zeigen,  sodass  HuGHLmas  Jaokson'  dieses  Vorkommniss  als  dritten 
Grad  der  Hemiplegie  oder  den  über  die  Hemiplegie  hinausgehenden  Grad  zu 
bezeichnen  sich  veranlasst  fühlte.^ 

1  Herr  Prof.  Dr.  Mskdbl  hatte  die  Gttte,  die  diesbesfigUehe  UntenmchuDg  yorzanehmen. 

'  V^EBKiCKB,  Lehrbach  der  Oehirnkrankheiten.  S.  307. 

>  British  med.  Jonrn.  1874.  Jnly  25. 

*  Wbbnickb,  ibidem.  86* 


—    620    — 

Ferner  zeichnet  sich  unser  Fall  dadurch  aus,  dass  wir  es  hier  mit  einem 
isolirten  Cysticercus  in  einem  Stammganglion  zu  thon  haben,  wahrend  die 
Litteratur  zumeist  Fälle  von  multiplen  Gysticeroen  aufzuweisen  hat  (Nothkagsl, 
Eüohenmeisteb),  die  gerade  an  der  Oberfläche  des  Gehirns  sitzen  und  schon 
frühzeitig  epileptische  Anfälle  auszulösen  pflegen. 

Ein  derartig  isolirter  Tumor  muss  aber  besond»«  dazu  auffordern,  die 
klinischen  Erscheinungen  zu  durchmustern,  um  so  ein  Bild  über  die  Functionen 
des  Organs,  in  dem  er  sich  befindet,  zu  gewinnen. 

Im  Jahre  1866  sah  sich  Yttlpian^  'noch  zu  dem  Ausspruche  veranlasst: 
„Wir  wissen  gamichts  über  die  specielle  Function  der  Sehhügel/' 

Man  nahm  an,  dass  die  Zwangsbewegungen  (tour  de  manj)ge  etc.),  die 
Storuil^en  des  Eörpergleichgewichts  von  der  Sehhügelzerstörung  abhängig  seien. 

Andere  Autoren  wieder  sahen  den  Sitz  der  sensiblen  Function  in  der  Seh- 
hügelsubstanz und  glaubten  den  Wirkungskreis  dieses  Ganglions  auch  auf  die 
höheren  Sinnesoigane  ausdehnen  zu  müssen. 

Schliesslich  gewann  Nothnagel  aus  seinen  Versuchen  das  Resultat,  dass 
weder  Motilitäts-  noch  Sensibilitätsstörungen  durch  die  Zerstörung  der  Sehhügel 
ohne  Verletzung  benachbarter  Theile  gesetzt  würden. 

Den  vorliegenden  Fall  betreffend  interesdren  uns  ganz  besonders  die  ?on 
Bechterew  und  Mislawbkt'  in  neuester  Zeit  aus  ihren  Thierexperimenten  ge- 
wonnenen Schlüsse. 

Ausser  anderen  für  die  Function  der  Sehhügel  sprechenden  Momenten,  auf 
die  einzugehen  wir  leider  nicht  in  der  Lage  sind,  gelangten  sie  bei  ihren  Ver- 
suchen zu  der  Ueberzeugung,  dass  die  Beizung  des  Sehhügels  von  deutlicher 
Wirkung  auf  die  Herzthätigkeit  begleitet  ist,  indem  sie  Verlangsamung  und  sogar 
StiUstand  der  letzteren  hervorruft;,  was  bei  Beizung  anderer  Centraltheile  des 
Gehirns  nicht  beobachtet  wird. 

Wir  fügen  noch  hinzu  die  späterhin  von  Bechterew^  erwähnte  Thatsache, 
dass  bei  einer  beschränkten  Verletzung  der  Sehhügel  die  Erscheinungen  schwach 
ausgeprägt  waren,  oder  sogar  vollständig  fehlten. 

Mit  Hülfe  dieser  Beobachtung  erklärt  sich  einerseits  die  lange  Latenz  des 
Tumors.  So  lange  derselbe  von  geringem  Umfange  war  und  im  Sehhügel  ohne 
stärkere  Bewegung  eingebettet  lag,  war  keine  Wirkung  nach  aussen  hin  zn 
spüren.  Andererseits  aber  findet  auch  aus  diesen  durch  exacte  Thierexperimente 
gefundenen  Sätzen  der  sonst  räthselhafte  durch  die  Obduction  nicht  genügend 
begründete  plötzliche  Tod  der  Fat  eine  ungezwungene  Deutung,  da  wir  nun- 
mehr annehmen  dürfen,  dass  der  grösser  gewordene  und  in  lebhafte  Bewegung 
gerathene  Sehhügel-Gysticercns  eine  momentane  und  totale  Lähmung  der  Hen- 
thätigkeit  bewirken  konnte. 

'  VuLPiAN,  Iie9ons  sur  la  phys.  du  systöme  nenreux.  Paris  1866.  p.  659. 

*  Bechterew  und  Mislawskt,  dieses  Centralblatt  1S86. 

*  Beohtebew,  Archiv  f.  klin.  Med.  1886.  S.  884. 


—    621     — 


n.   Referate. 


Anatomie. 

1)  lA  ghiandola   pineale  e  il  terso  ooohio  dei  yertobrati,  pel  dott  Att. 
CioninL  .  (Blvist  speriment.  di  Freniatna  ecc.  1888.  XIY.  p.  65.) 

Verf.,  der  in  früheren  Arbeits  (tgL  dieses  GentralbUitfc  1885  S.  820  mid  1887 
8.  476,  sowie  anch  1886  S.  262)  den  vollständigen  Mangel  an  nervteen  Elementen 
in  der  Zirbeldrüse  bewiesen  zn  haben  glaubte,  und  daher  zn  dem  Schlüsse  gekommen 
war,  sie  stelle  ein  mdimentftres  Organ  im  Sinne  der  Descendenztheorie  dar,  giebt 
nun  auf  Grund  seiner  neuesten  Untersuchungen  mit  Hülfe  der  Weigert'schenUäma- 
tozylinfarbung  2ti,  dass  wenigstens  im  Stide  deS'Oonariums  feine  Nervenfasern  ver- 
laufen, die  mit  der  hinteren  Gommissur  und  indirect  mit  den  Oculomotoriuskernen  in 
Verbindung  stehen,  die  aber  nicht,  wie  Darkschewitsoh  behauptet^  durch  die  ganze 
Zirbel  zu  verfolgen^  sind. 

Bekanntlich  wird  in  neuester  Zeit  das  Oonarium  der  höheren  Wirbelthiere  als 
Rudiment  des  „unpaaren  Scheitelanges'',  wie  es  bei  niederen  Vertebraten  noch  mehr 
oder  weniger  deutlich  ausgebildet  ist,  aufgefasst;  zwei  vom  Verf.  reprodndrte  Abbil- 
dungen über  daa  Scheitelauge  bei  Anguis  fragüis  (aus  der  Arbeit  von  H.  ran  Graaf) 
und  bei  Hatteda  punctata  (ans  der  Arbeit  von  Spencer)  sind  allerdings  in  dieser 
Hmsieht  ausserordentlich  überzeugend. 

Verf.  sieht  nun  in  dem  Zusammenhang  der  Nervenfasern  des  Gonariums  mit  den 
Oculomotoriuskernen  eine  weitere  Stütze  für  jene  atavistische  Theorie,  doch  möchte 
er  die  Zirbeldrüse  nicht  dem  ganzen  „Soheitelauge'',  sondern  nur  dem  „Opticus"  des- 
selben gleichstellen.  Sommer. 


S)  If'entre-oroisement  inoomplet  des  flbrea  nerveuaea  dana  Is  ohiasma  op- 
tlque  ohas  le  dhien.  Note  de  M.  Alexandre  N.  Vitzou,  adress^e  par  M. 
de  Lacaze-Dnthiers.  Acad^mie  des  seienoes.  Stence  du  17.  Sept.  1888.  (Joum. 
des  soci^tte  sdentifiques.  26.  Sept.  1888.) 

E'mem  Hunde  wurde  der  linke  OccipitaUappen  entfernt.  Es  zeigte  sich  Hemi- 
anopsia  lateralis  homonyma,  welche  die  äusseren  ^/^  des  Gesichtsfelder  des  rechten 
und  das  äussere  Viertel  des  linken  Auges  einnahm. 

Verfl  schliesst  daraus,  dass  beini  Hunde  keine  vollständige  Kreuzung  im  Chiasma 
stattfindet,  sondern  ^/^  der  Fasern  aus  dem  OccipitaUappen  zur  Betina  der  entgegen- 
gesetzten Seite  gehen,  während  dais  letzte  Viertel  die  Betina  derselben  Seite  innervirt. 

P.  Kronthal. 

■  '  '      ■■      *■ 

3)  VerbreitungsweiBe  der  Hautnerven  beiin  JCenaoben,  von  Prof.  Dr.  Herrn. 
Eichhorst  in  Zürich.    (Ztschr.  f.  klin.  Med.  XIV.  5  u.  6.  S.  519.) 

Die  Untersuchung  der  Grenzen  zwischen  sensibler  nnd  anftsthelascher  Zone  bei 
sehr  abgegrenzten  Krankheitsprocesseti  im 'Bückenmark  (untersucht  sind  5  Ffilie)  hat 
zur  Entdeckung  einer  charakteristischen  Curve  geführt;  nidit  im  geradlinigen  Verlauf 
finden  sich  die  Endausbreitungen  der  sensiblen  Bückenmarksta^rven  angeordnet,  son- 
dern sie  baden  eine  Cürve,  welche  sieh  durch  eine  „Veitebral-,'  Scapulat-  und  Matnillar- 
Etevaüon"  iniszeichnet  ^—  die  betraffenden  Ausdrücke  sind  wohl  verBt&ndHch.  Gurven- 
Zeichnungen  sind  beigegeben.  Sperling. 


—    622    — 

Experimentelle  Physiologie. 

4)  A  Beoord  of  ezperiments  upon  the  fünctions  of  the  oerebral  oortex» 

by  Victor  Horsley  and  Edward  Albert  Schaefer,  Professors  etc.  (From 
the  pbysiological  laboratory,  University  College.)  Philosoph.  Transact  VoL  179. 
(1888.)  B.  Plates  1—7. 

Die  Yerff.  theilen  die  Resultate  einer  Serie  von  Beizungs-  und  AbtragongsTer- 
sneben  mit,  die  sie  am  Qrosshim  des  Affen  angestellt  haben.  Sie  theilen  für  ihren 
Zweck  das  Gehirn  in  4  Regionen  ein:  I  die  präfrontale,  II  die  centrale  oder  moto- 
rische, III  die  OGcipitale,  IV  die  temporo*sphenoidale  nnd  limbische  Region. 

I.  Reizung  der  pr&frontalen  Region  blieb  vor  dem  vorderen  Ende  des 
sagittalen  Schenkels  des  Sulcns  praecentralis  ohne  Erfolg.  Abtragung  dieser  Region 
ergab  gleichfalls  ein  lediglich  negatives  Resultat,  sowohl  was  die  Motilit&t,  als  was 
die  Intelligenz  angeht.  Nach  den  Abbildungen  zu  schliessen«  sind  die  am  weitesten 
rückwärts  liegenden  Schnitte  einige  Millimeter  vor  den  Schenkeln  des  Sulcus  prae- 
centralis geführt. 

n.  Motorische  Region,  a)  Reizung  der  Gonvexität  und  der  medialen 
Fläche  des  Randwulstes.  Hierüber  ist  bereits  in  Nr.  14  des  Jahi^angs  1887 
dieses  Centralblattes  berichtet  worden.^  Es  bleibt  nur  nachzutragen,  dass  die  YeA 
durch  Reizung  des  „Gesichtsgebietes''  auch  Bewegungen  des  oberen  Theiles  dsB 
Nabrungsschlauches  —  Mund,  Schlund  und  „Larynx"  —  auslosten.  An  der  medialen 
Fläche  ist  die  Gegend  bis  zum  Knie  des  Corp.  <»U.  unerregbar,  dann  folgen  Gebiete, 
welche  von  vom  nach  hinten  der  Reihe  nach  an  GrOsse  zonehmen  .und  bis  zum  hintern 
Ende  des  Sulc.  calL  marg.  reichen,  für  den  Kop(  den  Arm,  den  Stamm  und  das  Bein. 

b)  Abtragung  der  motorischen  Gebiete  der  Gonvexität  und  des  im 
Raudwulste  belegenen  Theiles  des  Beingebietes  bedingt  (ast  voUständige 
Lähmung  des  entgegengesetzten  Armes,  Gesichtslähmung,  Parese  des  Beins  und  der 
Kopfbewegungen. 

c)  Doppelseitige  Abtragung  der  motorischen  Zone  des  Randwulstes 
fährt  zu  vollkommener  Lähmung  der  Muskeln  des  Stammes,  hochgradigei  Lähmung 
der  Muskehl  der  Beine  und  Schwäche  der  Arme.  Haltung  und  Bewegung  so  operirter 
Affen  sind  sehr  charakteristisch;  sie  liegen  auf  dem  Baudi  und  kOnnen  sich  fast  nur 
mit  Hülfe  der  oberen  Extremitäten  fortbewegen.  Die  Operation,  obwohl  an  sich 
ziemlich  geringfügig,  wird  den  Thieren  gleichwohl  früher  oder  später,  längstens  inner- 
halb 3 — 4  Wochen  verhängniasvoll.  Innerhalb  dieser  Zeit  war  aber  von  Besserung 
der  Lähmung,  besonders  in  den  Beinen,  nichts  zu  bemerken.  Bei  einseitiger  Ab- 
tragung derselben  Gegend  sind  die  Erscheinungen,  wenn  auch  gut  erkennbar,  doch 
bei  weitem  weniger  ausgesprochen,  sQs  bei  doppelseitiger  Operation.  Die  Verfo^er 
erklären  dies  dadurch,  dass  die  Bewegungen  der  unteren  Extremitäten  und  des 
Stammes  vermuthlich  mehr  unter  der  Herrschaft  secundärer  Gentren  stünden;  sie  er- 
wähnen dagegen  nicht  die  immerhin  nicht  weit  abseits  liegende  Erklärung  durch  bi- 
laterale cerebrale  Innervation  dieser  Bewegungen. 

d)  Die  Gonstatirung  von  SensibilitätsstOrungen  in  motorisch  gelähmten 
Theilen  begegnet  beim  Affen,  wie  übrigens  schon  Munk  hervorgehoben  hat,  den 
grossesten  Schwierigkeiten.  Gieichwohl  glauben  die  Yerff.  sich  überzeugt  zu  haben, 
dass  motorische  Lähmungen  durchaus  nicht  nothwendig  von  Anästhesie  begleitet  sein 
müssen,  also  auch  nicht  auf  ihr  beruhen  können. 

IIL  Occipjtale  Region.  Die  hier  angefahrten  Versuche  sind  nicht  zahlreich 
und  beweiskräftig  genug,  um  zur  Entscheidung  der  schwebenden  Prägen  etvn&s  bei- 
zutragen, 

lY.   Tempero-sphenoidale  und  limbische  Region,  Broca  (Gyms  hippo* 

^  Ueber  die  motorischen  Rindenoeotren  dee  Affengehüms,  von  E.  A.  Schaefer. 


—    688    - 

GUB]^  «Bd  UMWBatiis).  fis  kam  dea  Verff.  hanpMUsUieh  auf  Prtfmig  der  Angaben 
Ferri«r*8^  an«  naoh  dmen  auf  Zem^ßmag  des  Hippocampne  and  des  QjnB  uicinataa 
Heniaiiäatlie^e  folgen  eollte.  SKe  fanden  bei  nicht  aDznaasgedehnten  Zeratftnmgen 
k^M  Sensibilititatöningen,  bei  sehr  groseen  Zerstörungen  wurde  allerdings  in  ein- 
zefaMA  Fftllen  aber  nicht  immer  SensibilitftteBiOning  beobachtet  und  diese  war  dann 
weder  ToUBÜndig  noeb  Ton  längerer  Daner;  nriygiidierwmee  war  sie  auf  Behelligung 
des  Qjr*  tomc.  an  beäehen.  Auf  HönMrungen  wurde  mehr  nebenbei  geachtet;  Ton 
einer  unbedingten  Abhfiogigkeit  des  HOrvermGgens  von  dem  Beetande  der  Schlftfen- 
lappen  oder  deren  oberster  Windnng  im  l^nne  von  Ferrier  und  Mtinlc  vermochten 
die  ?erff.  sich  dabei  nicht  zu  ftberseogen. 

Bine  doppelsMtige  oder  auch  nur  einsMÜge  vollständige  Abtragung  des  Gyrujs 
forni«.  gelang  den  Verfif.  nicht.  Hatten  sie  jedoch  gr&ssere  Partien  dieeee  Gyrus  ent- 
fernt, 80  ftnden  sie  stets  eine,  allerdings  mehr  oder  minder  ausgesprochene  contra- 
latoale  AiAsthesie  manchmal  mit  Yerinst  der  F&higkint  au  localisiren.  Motorische 
Störungen  waren  dabei  gelegentlich  vorhanden,  die  AnfietAieeie  wurde  aber  auch  wenn 
sie  fehlten  beobachtet.  Wurde  erst  der  Gyr.  hippocampi  und  dann  der  Gyr.  fomic. 
angegriffen,  so  war  die  Anfisthesie  hochgradiger,  w&hrend  eine  auf  die  Zerstörung  des 
Gyraa  fomic  folgende  Verletzung  des  Gyr.  hippoc.  an  den  durch  die  erste  Operation 
gesetaten  Erscheinungen  nicht  viel  ftndeite. 

Die  Arbeit  ist  durch  eine  Anzahl  von  Krankengeschichten  und  durch  7  Tafeln 
mit  86  Abbildungen  iUastrirt.  Hitzig. 


5)  An  inT6itiga^n  into  the  AmeÜoiiB  of  the  oooipital  and  temporal  lobea 
of  the  moxikey's  brain,  by  Sanger  Brown  and  B.  A.  Schaefer.  (Philos. 
Tranaact.  of  the  Royal  Social^  of  London.  1888.  VoL  179.  B.  p.  303 — 327.) 

6)  On  eleotrioal  ezoitatlon  of  the  oooipital  lobe  aad  adjaoent  parta  of  the 
monkey'a  brain,  by  £.  A.  Schaefer.  (Proceedings  of  the  Royal  Society.  1888. 
VoL  43.) 

7)  Experiments  on  the  eleotrioal  exoitation  of  the  viaual  area  of  the  oere- 
bral  oortex  in  the  monkey,  by  E.  A.  Schaefer.    (Brain.  1888.  April.) 

8)  A  oomparison  of  the  latenoy  i>eriod  of  the  ooular  mnaoles  on  ezoitatlon 
of  the  frontal  and  oooipito-temporal  regiona  of  the  brain,  by  E.  A. 
Schaefer.    (Ebenda.) 

0)  Qn  the  relative  length  of  the  period  of  latenoy  of  the  oonlar  mnaotea  eto., 

by  E.  A.  Schaefer.    (Internat.  Monatsschr.  f.  Anat.  u.  Fhys.  1888.  Bd.  Y.  H.  4.) 

Ad  6)  Die  Yerft  unternahmen  Totalexstirpationen  der  Schiäfenlappen,  Hinter- 
hanptslappen  und  des  Gyrus  angularis  des  Affen  in  der  Absicht,  die  widersprechenden 
Angaben  von  Ferrier,  Mnnk  und  Luciani-Tambnrini  zu  prüfen.  Von  3  ge- 
lungenen Versuchen  an  den  Hinterhanptslappen  ergab  der  eine  mit  halbseitiger 
Ezstirpation  dauernde  homonyme  bilaterale  Hemianopsie,  der  zweite  mit  doppelseitiger 
Exfltirpation  vollständige  and  daaemde  Blindheit  beider  Augen,  der  dritte,  bei  dem 
ein  kleines  Stflck  des  rechten  Tisppens  erhalten  geblieben  war,  zwar  dauernde,  aber 
nicht  vollständige  Blindheit;  der  untere  Theil  beider  Retinae  war  lichtempfindlich 
geblieben.  Die  Yerff.  stellen  sich  auf  Grund  dieser  Erfahrungen  auf  die  Seite  Mnnk's 
und  sind  auch  geneigt,  mit  ihm  eine  Art  von  Localisation  der  einzelnen  Theile  der 
Retina  im  Ocdpitallappen  anzunehmen. 

Die  Versuche  am  Gyrus  angularis  gaben  ein  vollkommen  negatives  Resultat 
Es  war  weder  eine  Affsetion  der  Sensibilität  und  der  Motilität  des  Bulbus  —  wie 
Mnnk  wolHe  —  noch  eine  Beeinträchtigung  des  Sehvermögens  —  wie  Ferrier 


1  Vgl.  dieees  Centrftlbl.  1887  Nr.  8. 


—    6j84    — 

wollte  — jni  constatiren.  Allerdings  wnrtoi  .iror^Ü>ergehende  Sehgtteiagep  beohüfctct, 
diese  sind  aber  darch  die  Nachbarsohaft  des  Lob.  ocoipit.  aogezwungen  zu  eddäreiL 

Partielle  Exstirpationen  des  Sch^äfenlappens  gaben  kein  poedtiTeB  BesoUit 
Weder  ging  der  Geruch  und  der  Geachinack«  mit  der  Spitze  des  Lappeus,  uoeh  auch 
das  Gehör  oüt  den  beiden  oberen  Schlafenwindungen  verlorien.  (Merkwürdig  genug 
behauptete  Ferrier,  der  mehrere  der  ersten  SchULfenwindung  beraubte  Affm  geseboi 
und  ihnen  das  HOnrermKgen  zugestanden  hatt^  dass  der  Affe  der  Beebachtong  5 
taub  sei,  wahrend  gerade  diesem  Affen  —  wie  die  Section  eigab  —  UnkerBeits  ver- 
sehentlich die  zweite  an  Stelle  der  ersten  Schläfenwindung  genommen  worden  war.) 
indessen  erlitten  diese  Sinne  anch  dann  keine  £inbQssei  wenn  beide  Schlätadappen 
gänzlich  entfernt  wurden,  die  Thiere  schienen  vielmehr  ebensogut  zu  hören,  zu  riechen 
und  zu  schmecken,  als  vor  der  Operation.  Uier  befinden  sich  die  Y^rff.  also  im 
Widerspruch  sowohl  mit.  Mank  als  mit  Ferrier.  Zwei  im  Lob.  tempor.  operirte 
Thiere  liessen  aber  eine,  l&ngere  Zeit  anhaltende  hochgradige  Demenz  erkennen,  welciie 
Yerff.  geneigt  sind,  auf  die  Beleidigung  der  Arter.  fossae  Sylvii  zu  beziehen.  Drei 
Tafeln  mit  33  Abbildungen  begleiten  die  Abhandlung. 

Ad  6  und  7)  Elektrische  Beizung  einer  mittleren  Zone  des  hinteren  ThAÜes  des 
Affenhimes  bewirkt  reine  gleichsinnige  Ablenkung  beider  Angen  nach  der  «itgegen- 
gesetzten  Seite.  Trifft  die  Beizung  den  hinteren  Schenkel  des  Gyrus  angularis,  die 
oberen  Enden  der  beiden  ersten  Sohl&fenwindungen  und  die  unmittelbar  hinter  dem 
Sulc.  pariei  occip.  belegenen  Theile,  so  combinirt  sich  mit  dieser  Bewegung  eine  sehr 
deutliche  Senkung  beider  Sehazen.  Trifft  die  Beizung  aber  die  nach  hinten  und 
unten  belegenen  Theile  des  Lob.  ocdp.,  so  drehen  sich  die  Sehaxen  gleichzeitig  nach 
oben.  In  diesen,  beiden  letzteren  F&Uen  wird  h&ufig  eine  eonsensoelle  Senkung  hezw. 
Hebung  des  oberen  Lides  beobachtet. 

Schaefer  glaubt  hieraus  auf  die  Existenz  identischer  Punkte  der  Betina  auf 
der  Hirnrinde  im  Sinne  Munk's  sohUessen  zu  dürfen,  (Dieser  Sehluss  dfirfte  noch 
eine  riel  genauere  Begründung,  welche  Schaefer  übrigens  in  Aussicht. stellt,  erfordern. 
Zunächst  scheint  derselbe  dem  Beferenten  mit  den  vorher  berichteten  Ausschaltungs- 
versuchen  nicht  recht  zu  stimmen.) 

Ad  8  u.  9)  Gleichsinnige  contralaterale  Ablenkung  der  Augen  ist  durch  Beizung 
nicht  nur  der  eben  genannten  Theile,  sondern  auch  eines  Bezirkes  der  motorischen 
Begion  zu  'erzielen.  Jedoch  wird  eine  L&hmung  dieser  Bewegung  nur  durch  Aus- 
schaltung dee  letztgedabhten  Gebietes  bedingt.  Daraus  schloss  Ferrier,  dass  hier 
das  motorische  Bindencentrum  fOr  die  Augenmuskeln  belegen  sei,  während  die  Bei- 
zung der  ersterwähnten  Gebiete  indireot  durch  Erregdhg  Von  ^Gesidhts-  oder- Gviiörs- 
bildem  wirksam  würde.  Um  die  Bichiigkeit'  dieser  Ansicht  zu  prüfen,  bestimmte 
Schaefer  die  Beactionszeit  bei  Beizung  des  Stimtheils  im  Yerhältniss  zu  derjenigen 
jener  anderen  Theile  und  fand  die  Erstere  um  mehrere  Hundertstel  einer  Secunde 
kürzer  als  die  letztere.  Der  Beiz  muss  deshalb  in  dem  einen  Falle  mindeetena  ein 
Centrum  mehr  als  in  dem  andern  Falle  passiren.  Da  die  Beizung  dei:  sensuellen 
Gebiete  aber  .  auch  noch  nach  den  ausgiebigsten  doppelseitigen  Zerstörungen  der 
motorischen  Theile  wirksam  bleibt,  kann  das  supponirte  Centrum  nicht  dort  liegen; 
vielleicht  ist  es  in  einem  der  Ganglien  zu  suchen.  Hitzig. 


10)   tfeber  den  Sinfltuis   des  Antipsrriti   auf  das   Ne^ehny stein »   von  L. 

Blümenau.    (Wjestnik  psichiatrii  i  nevropatologii.  1888.  Y^^YI.    Bussisch.) 

Yerf.  suchte  hauptsächlich  die  .Wirkung  des  Antipyrin  auf  das  Yerhalten  der 
Bpinalreflexe,  der  Sensibilität  und  der  Erregbarkeit  der.  Hirnrinde-  zu  ermitteln. 

Seine  Yersuche  an  Fröschen,  denen  das  Bück^nmark  unmittelbar  unter, dem. ver- 
längerten durchschnitten  war,  oder  denen  die  Grosshimhemisphären  vorsichtig  abge- 
tragen wurden,   zeigen,   dass  Antipyrin  auf  das  isolucte  Btto^enmark.  nur  ül  grossen 


-     626    — 

DoBOH  (0^06  sabcataB)  wirkt,  indem  es,  älmlioh  dem  Stcycbnin»  dieBeflexerregbarkeit 
fftr  taciile  lud  elekiriBobe  Beise  steigert,  ohne  diesribe  tf^r  chemijache  Beiuu^  zn 
verftndem«  Wenn  das  Bflekenmark  .in  Zosammenhang  mit  dem  Grosskim  gelassen 
wurde,  so  stellte  sich  bei  der  n&mlichen  Dosis  bei  dentUcher  Steigerang  der  tactilen 
und  elektrischen  Seflexe  eine  nicht  minder  aasgepr&gte  Herabsetzung  der  chemischen 
(8&ore^)BeflaKe  ein;  letztere  liess  sich  flbiigens  auch  durch  gerHugere  Dosen  (0,02 
bis  0,03)  bewirken. 

Die  Sensibilität  wurde  durch  grosse  Dosen  herabgesetzt  Dieses  Resultat  liess 
sich  an  curarisirten  Hunden  vermittelst  des  Studiums  der  Blutdruckschwankungen  bei 
sensiblen  Beizen  (Applicatien  deslnductionsstromes  an  den  N.  isduadicoa)  copstatiren, 
wenn  die  Dosis  nidit  weniger  als  0,15  pro  Kilo  betrug.  Was  die  Beeinflussung  der 
Sensibilität  durch  therapeutische  Dosen  betrifft^  so  führte  die  Untersuchjong  eines 
Subjects«  das  2  g  Antipyrin  eingenommen  hatte,  zu  negativen  Ergebnissen. 

Die  Experimente  des  Verf.  mit  elektrischer  Beizung  der  motorischen  Binden- 
gegend an  Hunden  zeigten,  dass  intravenöse  Injection  von  0,2  Antipyrin  pro  Kilo 
nach   ungefnhr  10  Minuten   deutliche   Herabsetzung  der  Bindenerregbarkeit  bewirkt 

Auf  Grund  seiner  Untersuchungen  gelangt  Verf.  zu  dem  Schluss,  dass  Beein- 
flussung des  Nervensystems  durch  Antipyrin  an  gesunden  Thieren  und  Menschen  nur 
bei  verhältnissmässig  grossen  Dosen  stattfindet.  Er  hält  es  jedoch  für  mOglich,  dass 
bei  pathologischen  Bedingungen  die  Nervencentren  der  Wirkung  dieses  Mittels  leichter 
unterliegen.  Er  selbst  sah  davon  guten  Erfolg  bei  Kopfschmerzen  verschiedenen 
Ursprungs,  sogar  in  solchen  Fällen,  wo  die  Kopfschmerzen  Symptom  einer  organischen 
Gehimerkrankang  waren.  P.  Rosonbach. 


Pathologische  Anatomie. 

11)  Beitrag  sur  Anatomie  der  oerebralen  Kinderlähmung,  von  Th.  Hoven. 
(Arch.  f.  Petych.  XIX.  S.  563.) 

H.  unterstützt  durch  einen  genau  makro-  und  mikroskopisch  untersuchten  Fall, 
in  welchem  die  Binde  völlig  gesund  ist  und  abgesehen  von  unbedeutenden  Theilen 
des  Thal,  opt.,  des  Corp.  striat.  und  der  Vormauer  nur  das  Marklager  und  ein  kleiner 
Theü  der  innem  Kapsel  erkrankt  sind,  die  Ansicht  derjenigen  Autoren,  welche  sich 
gegen  die  bekannte  Aufstellung  StrQmpeirs  ausgesprochen;  als  die  Ursache  der 
Läsion  ist  einö  in  frühester  Kindheit  eingetretene  Hämorrhagie  oder  Erweichung  an- 
zusehei^,  die  Vielfältigkeit  der  Befunde  in  klinisch  übereinstimmenden  Fällen  spreche 
für  die  vorläufige  Belassung  der  alten  klinischen  Benennung.  A.  Pick. 


12)  Die  pathologiaehen  Veränderungen  der  Hypophysia  oerebri  bei  Sr- 
krankimgen  des  Oehima  und  seiner  Häuten  «ine  histologische  Untersuchung 
von  A.  Wassiljew.    (Dissertation.    St.  Petersburg  1888.    Buasisoh.) 

Die  Arbeit  enthält  zuvörderst  eine  Zusammenstellung  der  neuesten  histologischen 
Untersuchungen  über  den  normalen  Bau  der  Hypophysis.  Darauf  folgt  eine  kurze 
Uebersicht  der  in  der  Litteratur  beschriebenen'  an  der  Hypc^hysis  gemachten  patho- 
logischen Befunde.  Die  eigenen  Untersuchungen  des  Verf.  betreffen  14  Fälle  von 
Gehiraerkrankongen  —  meistens '  Meningitis  und  Mehingoencephalitis  chron.,  einige 
Meningitis  purulenta  und  tuberculosa^  und  2  Apoplexia  eerebri  ohne  «ntfcündliohe  Ver- 
änderung der  Hirnhäute.  Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Hypophysis  eerebri 
wurde  haupteächlich  an  Schnitten-  des  gehärteten  Präparats  angestellt,  die  jmi  Häma- 
tozylift  und  Eoain  (nach  Dostoje.wski*s  Abgabe)  behandelt  waren.  Das  Ergebniss 
der  Untersuchung  bestand  darin,  dass  die  Hypophysis  in  allen  Fällen  an  der  AUgemein- 
erkrankung  des  Qehims  und  seiner  Häute  Theil  nimmt.  -  Bei  den  .acuten  Krankheiten 


_    626 

(Meningitis  puroienta  und  taberculosa)  worden  an  den  Sehnitten  ans  der  Hypopbjsis 
entzftndlicbe  Hjper&mie,  BlotextraTasate,  Infiltration  lymphoider  Kdrperehen  nnd  fet^ 
Degeneration  der  Zellenelemente  dee  Parenchyms  Yorgefnnden.  Bei  dien  chronischen 
(Meningo-encephalitis  und  Encephalitis  chron.)  waren  anch  die  Ter&nderangern  in  der 
Hypophysis  chronisch- entzflndlicher  Natur  —  es  fiand  sich  Yermehmng  der  bmde- 
gewebigen  Elemente,  Yerdiclcung  der  Ad?entitia  der  Geftsse  und  coUoide  Entartong 
des  Epithels  in  den  Follikeln.  .   F.  Bosenbach. 


13)  Zur  Kenntniaa  der  diflUsen  Himaklerose.  (Aus  dem  pathol.  Institut  und 
dem  Dr.  von  Hauner*schen  fcinderspital  zu  München.)  Von  Dr.  Hans  Schmaus, 
Assistenten  am  pathol.  Institut  zu  Mflnchen.    (Yirchow*s  Archiv.  1888.  CXTV.) 

Dreü&hriges  Mädchen,  hereditär  unbelastet;  seit  1  Jahr  Krämpfe;  phobische 
8t6rung.  Arme  in  Beugecontractur  mit  pronirten  Händen,  Beine  in  ExtenBionscontractur 
mit  Yaro-equinus-Stellung;  Strabismus  divergens;  linker  Abducens  paretisch;  zweifel- 
hafte Amaurose;  Pupillen  weit,  reagiren  träge  auf  Licht;  Nystagmus  horizontalis; 
leichte  Facialisparese  links;  beiderseits  erhöhte  Kniephänomene;  Sensibilität  and  Haut- 
reflexe normal;  faradische  Beaction  erhalten.  Temperatur  in  ano  38,5;  Pals  anter  40; 
Bespiration  82. 

Sectionsbefund:  Dififuae  Sklerose  mit  enormer  Atrophie  des  Grosdiims,  besonders 
der  Windungen.  Hydrocephalusint.  et  ext  ex  vacuo.  Pachymeningitis  int.  Hydro- 
cephalus  ext.  Atrophie  und  Yorderseitenstrangsklerose  des  Bückenmarks.  Gehini  und 
Bückenmark  wogen  340  g  (normaliter  1020  g). 

Histologischer  Befund  des  Gentralnervensystems:  1)  Gehirn:  Ganglienzellen  in 
der  Form  unverändert,  näher  aneinandergerückt  als  sonst;  zwischen  ihnen  ein  dichtes 
fein  granulirtes  Fasemetz.  Axencylinderfortsätze  vielfach  hakenförmig  gekrümmt 
Spärliche  Spinnen-,  zahlreiche  Bfastzellen.  Hirnrinde  in  toto  und  in  den  einzelnen 
Schichten  verschmälert.  2)  Bückenmark:  Hals-  und  Brustmark:  Sklerose  der  Yorder- 
seitenstränge;  die  ihnen  anliegende  Pia  ^Jark  verdickt;  Hinterstränge  intact  Lenden- 
mark: die  Kleinhiniseitenstrangbahn  wird  normal  von  der  Mitte  des  Dorsalmarkes  ab. 

Yerf.  bespricht,  anknüpfend  an  diesen  Fall,  die  verschiedenen  Arbeiten  Aber  die 
Hirnsklerose  und  kommt  zu  dem  Sohluss,  dass  dieselbe  eine  chronisch  interstitielle 
Entzündung  darstellt  und  die  Betheiligung  der  Nervenzellen  seeundär  ist  —  Die 
Systemerkrankung  des  Bückenmarkes  nach  diffuser  Hirnsklerose  ist  hier  zum  ersten 
Male  beobachtet 

Als  Symptom  der  in  Bede  stehenden  Affeotion  wurden  angegeben:  Eärscheinungen, 
die  für  eine  raumbeschränkende  Erkrankung  und  Beizung  der  Hirnrinde  sprechen; 
Symptome,  die  von  einer  Läsipn  der  Pyramidenseitenstrangbahn  herrühren;  einfache 
Atrophie;  keine  Entartungsreaction;  erhöhte  Beflexe;  geringe  Betbeiligung  des  sen- 
siblen Systems;  träge  Pnpillarreaction;  Nystagmus. 

Der  anregenden  Arbeit  ist  eine  erläuternde  Tafel  beigegeben. 

P.  Kronthal. 

Pathologie-des  Nervensystems. 

14)  8a  di  un  oaso  dl  leslone  distruttiva  del  lobo  temporoBfenoidale  sinistro 
in  im  manoiiio  epUettioo  senz'alouno  distiirbo  della  parola,  per  il  Dott 
L.  Bianchi.    (La  Psichiatria.  1888.  VI.) 

24jähriger  Mann,  psychopathisch  veranlagt,  seit  Jugend  epileptisch  und  mit  dem 

Häufigerwerden  der  Krämpfe  von  postparoxysmellen  Dämmerzuständen  ergriflen  und 

unter   Zunahme  der   psychischen   Beizbarkeit  allmählich  verbindend,  wurde  etwa  im 

17.  Jahre  einer  Irrenanstalt  fibergeben.  Hier  konnte  u.  A.  constatirt  werden:  Plagio- 


—    627 

cephalie/  Makroceplialie,  Linksh&ndigkeit  (wobei  aBerdings  nicht  mit  Skiherheit  fest- 
»ttMleii  war,  ob  diwe  angeboren  oder  Tielleieht  ent  dnroh  die  GtobraocliBunf&higkflit 
der  rechten  Hand  in  Folge  einer  schweren  Verbimranng  derselben  erworben  sei)  und 
endlich  hochgradiger  postepüeptischer  Ködsimi  mit  Beizbarkeii  Ohne  dass  irgend 
ein  Heerdsymptom ,  speeiell  etwa  eine  Spraohstönmg,  eingetreten  wäre,  starb  Patient 
im  28.  Lebensjahre.  Die  Section  ergab  neben  Hjper&mie  der  Meningen  nnd  kleinen 
frischen  Submeningealblntangen  eine  grosse  apopleetlsche  Gjste  Ton  etwa  3  <an  L&nge, 
2  cm  Breite  and  fast  9  cm  Tiefe,  nach  der  beigegebenen  Abbildong  gemessen,  die 
auf  der  Convezitftt  des  linken  Schlftfenlappens  lag  nnd  das  mittlere  Drittel  der  sweiteu 
nnd  dritten  Schläfenwindung,  sowie  önen  Theil  der  ersten  bis  in  das  centrale  Mark 
zerstört  hatte.  Man  hätte  daher  im  Leben  Worttanbheit  oder  wenigstens  eine  be- 
trächtliche Sprächstömng  erwarten  müssen,  wenn  Patient  rechtshändig  gewesen  wäre. 
Da  dies  aber  nicht  der  Fall,  so  kann  diese  Beobachtung  als  ein  neuer  Beweis  fdr 
die  bekannte  AnnahmjB,  dass  bei.„Link8em''  die  rechte  Hemisphäre  in  functioneller 
Hinsicht  prävalire,  angesehen  werden.  Sommer. 


15)  Bt  TUlUde  af  Tumor  thalaml  opttoi  et  oapsulae  intemae  med  Henü- 
BBästeai,  af  H.  J.  Thne.  (Norsk.  |lag.  f.  Lägevidensk.  1888.  4.  B.  UL  7.  S.  566.) 

Ein  42  J.  alter  Mann,  der  ?on  Ole  B.  Bull  im  J.  1883  an  vorübergehender 
Sehschwäche  aaf  beiden  Augen,  doch  zumeist  auf  dem  rechten,  mit  G^ichtsfeldein- 
schränkung  nnd  Störung  des  Farbensinns  bebandelt  worden  war,  hatte  Ende  Sept.  1887 
ein  dumpfes  Gefühl  im  rechten  Beine,  das  sich  im  Laufe  von  8  Tagen  über  die  ganze 
rechte  Körperhälfte  verbreitete;  gleichzeitig  nahm  das  Sehvermögen  auf  beiden  Augen 
ab  und  später  stellte  sich  Kopfschmerz  ein.  Die  Zunge  wich  bei  der  Untersuchung 
am  7.  Oct.  etwas  nach  rechts  ab,  beim  Stehen!  fiel  Pat.,  wenn  er  die  Augen  schloss, 
nach  rechts  zu,  auf  dem  rechten  Beine  allein  konnte  er  nicht  stehen.  Auf  beiden 
Augen  war  die  Sehschärfe  herabgesetzt,  Pat.  sah  Gegenstände  oft  mehrfach,  auch  bei 
Schluss  eines  der  beiden  Augen.  Das  Hörvermögen  war  auf  dem  rechten  Ohr  ver- 
mindert Die  Sensibilität  für  Berührung  und  Temperatur  war  auf  der  ganzen  rechtjen 
Körperhälfte  herabgesetzt,  die  Schmerzempfindung  erhalten.  Der  Pateüarreflez  fehlte 
rechts  ganz,  aber  bei  Schlag  auf  die  rechte  Patellarsehne  stellte  sieh  Gontractlon  des 
linken  Quadriceps  femoris  ein,  links  war  der  Patellarreflex  etwas  erhöht;  Scrotal- 
nnd  Abdominalreflexe  fehlten.  Am  nächsten  Tage  zwang  heftiger  KopfiKhmerz  nnd 
Erbrechen  den  Pat,  sich  zu  Bett  zu  legen.  Der  Puls  wurde  immer  langsamer  und 
hatte  am  15.  Oct.  42  Schläge  in  der  Minute,  das  Sensorium  wurde  benommen  und 
Delurien  stellten  sich  ein,  beide  Patellarreflexe  waren  verschwunden.  Am  10.  Oct. 
hatte  das  Erbrechen  aufgehört,  der  Kopfschmerz  nachgelassen,  aber  unwillkürliche 
Bntleemngen  stellten  sieh  ein;  die  Pulsfrequenz  nahm  zu.  Am  20.  Oct.  war  kein 
Kopfischmerz  mehr  vorhanden,  das  Sehvermögen  fast  erloschen,  die  rechte  Pupille 
etwas  weiter  als  die  linke,  Strabismus  begann,  die  rechten  Extremitäten  begannen 
rigid  zu  werden,  beide  Patellarreflexe  waren  vorhanden  und  etwas  vermehrt.  In  den 
nächsten  Tagen  hatte  der  Puls  120 — 180  Schläge  und  wurde  schliesslich  unzählbar, 
die  Pupillen  wurden  immer  kleiner,  Patient  verfiel  immer  mehr,  Zuckungen  in  den 
linken  Extremitäten  stellten  sich  ein  und  am  ^9.  Oct  erfolgte  der  Tod.  —  Bei  der 
Section  fand  sich  eine  7  cm  lange,  4  cm  breite  und  ebenso  dicke,  ziemlich  scharf 
begrenzte  weiche  GesohwuLst  (Gliom),  welche  die  hintere  Hälfbe  des  linken  Thalamus 
opticus  und  ungefähr  das  hintere  Drittel  des  hintern  Schenkels  der  Capsula  interna 
einnahm,  doch  einen  schmalen  Band  längs  des  hintern  Bandes  der  Linse  übrig  lassend. 
Das  Unke  obere  Corpus  quadrigeminum  war  auch  etwas  vergrössert,  aber  nicht  durch 
Oeschwulstmasse,  sondern  durch  Vermehrung  der  Neurogliamasse. 

Die  Geschwulst  hatte  jedenfalls  schon  vor  4  J.  sich  zu  entwickehi  begonnen  und 
damals  vielleicht  nur  den  Thalamus  opticus  betroffen,  nicht  die  Capsula  interna,  weil 


—    628    — 

dODBt' jedeniaSs  Zeichen  von  BensiUen  Störungen  Mtten  vorhanden  sem  aAasen.  Da- 
nach mfksste  ein  Thal,  opi  Einfloss  auf  das  Sehvermögen  beeidet  Augen, . vorzugsweise 
aber  des  entgegengesetxten,  haboi;  diese  Beeinflussung  brauchte  aber,  wie  im  vor- 
liegenden Falle,  nur  vorübergehend  vi  sein,  wenn  man  annimmt,  dass  ändere  ffim- 
tbeik,  aunftchst  der  entgegengesetsie  ThaWus  ^ür  den  andern  in  Function  treten 
und  vicanren  köunträ.  Dass  im  nätgetheihen  Falle  die  Anästhesie  nicht  voUstandig 
war,  kann  nach  Th.  vielleicht  darauf  beruhen,  dass  vom  hintern  Schenkel  der  Oap- 
sula  interna  noch  ein  schmaler  Band  flbng  war  oder  dass  die  Leitungs&aem  von 
der  G^eschwntet  nur  gedrftekt  oder  infiltrirt,  nicht  zerstört  worden  waren.  Muskel- 
schwäche  in  den  rechten  Extremitäten,  die  Th.  bei  der  ersten  Untersuidimig  fand, 
kann  wohl  durch  den  Druck  auf  den  die  Pyramidenbahnen  enthaltenden  mitüeren 
Theil  der  Capsula  interna  erklärt  werden.  Walter  Berger. 


16)  Gase  of  absoess  of  the  sella  turoioa  and  pituitary  body,  by  C.  G.  Battis- 
combe.     (The  Lancet.  1888.  Vol.  I.  Kr.  20.) 

Eine  33jähr.  gesunde,  syphilitisch  nie  affidrte  Frau  klagte  über  Schwäche  und 
Unfähigkeit  zu  Gehen.  Natiseä,  Jucken  der  Kopfbaut,  Schmerz  am  Scheitel  und 
Hinterhaupte,  Ohrgeräusche,  heftige  Photophobie  ohne  Sehstörung,  viel  Durst^  Appetit- 
losigkeit.  Stechende  Schmerzen  in  den  Augen  imd  Schläfen.  In  einigen  Tagen  zeigte 
sich  Böthung  der  Conjjanctivae  und  Chemosis  bulborum,  welche  letztere  in  kurzer 
Mt  so  zunahm,  dass  sich  die  geschwollenen  Bindehäute  etwa  ^4  ^^  ^^t  zwischen 
den  Lidern  vordrängten.  Taubheit,  Unlust  zu  sprechen;  Protrusio  bulborum.  Plötz- 
lich Oollaps.    Tod  im  Conuu 

Es  fand  sich  bei  der  Obduction  die  Sella  turcica  mit  fötidem  Eiter  und  Stücken 
der  Hypophysis  angefüllt,  der  Knochen  blossgelegt.  Die  über  den  Föns  Yarolli  laufen- 
den Gefässe  waren  stark  ipjicirt.  Der  Abscess  erreichte  beiderseits  die  GaroUden  und 
war  durch  die  Foramina  optica  gedrungen,  die  aus  dem  Schädel  tretenden  Optici 
dicht  umlagernd.  J.  Buhemann  (Berlin). 

X7)  Ueber  einoa  Fall  Ton  Tumor  der  Vierhügel.  Inaugural-Dissertation  v(m 
Otto  Hoppe,  prakt.  Arzt  aus  Bielefeld.  (Aus  Prof.  Hitziges  Klinik.  Halle,  Juni 
1B88.    34  Seiten.) 

Nach  kurzer  Schilderung  der  Physiologie  der  Vierhügel  folgt  die  Krankengeschichte. 
Ein  19jähriger  Mann,  der  Ende  des  ersten  Lebensjahres  und  später  wiederholt  an 
„Gehirnentzündung''  gelitten  haben  soll,  hatte  seit  3  Monaten  periodisch  auftretende 
Schmerzen  im  Hinterkopf  und  anfallsweise  sich  zeigende  tremorartigo  Erschütterung 
des  ganzen  Körpers.  Eine  Untersuchung  ergab  ausserdem,  Coordinations-  resp.  Asse- 
ciationslähmung  des  Blickes  nach  oben  und  Doppeltsehen  in  der  ganzen  Ausdehnosg 
des  Gesichtsfeldes.  Die  Bilder  standen  unter  einander  und  die  Distanzen  wuchsen 
nur  im  geringen  Grade  bei  der  Bestrebung  nach  i>hmi  zu  sehen.  Die  linke  Pupille 
4^2  mm,  die  rechte  5  mm;  beide  zeigen  reflectorii»he  PupiUenstacre.  Der  ophthalmo- 
skopische Befund  ergab  beiderseits  leichte  Stautmgsneuritis.  Rechts  hochfj^ndige 
Schwerhörigkeit;  Schwingungen  der  Stimmgabel  wurden  bei  AufiBetzmig  letzterer  auf 
irgend  einen  Theil  des  Kopfes  vorwaltend  links  gehört  (rechtsseitige  AcnsdenalähmaDg). 
Links  eine  geringe  Spur  der  gleichen  Affection.  Zuweilen  zeigte  sich  Erbrechen  umi 
Kopfschmerz.  Einen  Monat  später  war  auch  die  Oootdinationslähmung  beim  Blick 
nach  unten  vorhanden,  die  Schwerhörigkeit  links  nahm  zu,  penedenweise  heftige 
Kopfschmerzen,  Jactationen  wechselnd  mit  somnölenten  Ruhezuständen ^  zanehmender 
Tremor  namentlich  in  der  rechten  Köiperhälfte;  Decubitus,.  Abgang  von  Um  und 
Fäces,  Dysphagia  paralytica;  f^eie  Beweglichkeit  der '  Extremitäten  l»B.zam  Ezit.  iei, 
der  er.  4  Monate  nach  der  ersten  Untersuchung  erfoigte;  Die  Section  «rgab  Dilata- 
tion und  Hydrops  der  Seltenventrikel  und  Uasige  Vorstülpung  des  IH.  Ventrikels. 


—    629    — 

An  Stelle  der.Lamin«  corp.  qaadngvm.  fapid  sich  dn  toub^eigrosser  röibliclier  Tttmor, 
der  den  Balken  etwas  nach  oben  hebt  und  den  Hirnstamm  so  nach  aussen  dringt, 
dass  in  beiden  Thalam.  optic  eine  concave  Ansbachtung  entsteht.  Aqu.  Sylvii  nur  iu 
der  hintern  Hälfte  erhalten,  die  hintern  Yierhügel  noch,  üemüch  genau  erkeimhar. 
Der  Tumor  hatte  nach  3monatlicher  H&rtung  in  Hüller'scher  Flüssigkeit  eine  liänge 
von  4  cm,  Breite  von  2,8  und  Höhe  von  1,5  cm.  An  Stelle  des  herausgeschälten 
Tumors  findet  man  eine  ebene  weiche  Fläche,  die  vom  und  hinten  den  Eingang  in 
die  obliterirte  Sylv.  Wasserleitung  zeigte.  Von  den  Tierhfigeln  ist  rechts  nichts  mehr 
zu  erkennen,  links  sieht  man  die  Form  des  hintern  geschwellten  Yierhügels.  An  der 
vordem  Schnittfläche  des  Präparats  zeigt  der  Frontalschnitt  einen  kleineren  Tumor 
im  Körper  des  Nucl.  caudatus.  Die  mikroskopische  Untersuchung  zeigte  ein  Filz  werk 
feiner  glänzender  Fasern  mit  zahlreichen  kurz  ovalen  kleinen  Eemen  und  massen- 
haften erweiterten  Gefässen  (Sarcoma  telangiectaticum).  Kervenfasera  waren  nicht 
nachweisbar.  —  In  der  Gegend  der  Fyramidenkreuzung,  die  in  eine  Reihe  feinerer 
Querschnitte  zerlegt  wurde,  zeigte  sich  auf  dem  40.  Schnitt  (von  unten  nach  oben 
gezählt;  die  ersten  Schnitte  stammen  aus  der  Gegend  des  IL  Cervicalnerven)  aoi 
symmetrischen  Stellen  beider  vorderen  Wurzeln  eine  auf  dem  Querschnitt  in  der  Form 
oines  gleichschenkligen  Dreiecks  sich  zeigende,  an  Säurefuchsinpräparaten  dunkler  als 
normale  weisse  Rückenmarkssubstanz  gefärbte  Stelle.  Dieselbe  bestand  aus  einem 
feinen  Filzwerk  glänzender  Fasern  mit  nicht  sehr  reichlichen  Eemen  und  markhaltigen 
Nervenfasern.  Proximal  nimmt  die  Intensität  der  Degeneration  allmählich  ab,  links 
langsamer  als  rechts.  Die  mit  der  Peripherie  des  Schnitts  zusammenfallende  Basis 
des  Dreiecks  ist  beiderseits  6  mm  lang.  Im  130.  Schnitt  sind  die  Stellen  kaum  noch 
different.  In  den  allerersten  Präparaten  dieser  Serie  (er.  1 — 5)  zeigte  sich  die  gleiche 
Yeränderang  an  einer  schmalen  Ra^idzone  der  Yorderstränge  in  einer  Breite  von 
0,8 — 1,0  mm,  mit  vermehrtem  Bindegewebe  und  geringerer  Anzahl  von  N.ervenfasem. 
Das  Verhalten  entsprach  einer  partiellen  ringförmigen  Randsklerose.  Dass  symmetrische 
Stellen  betroffen  waren,  spricht  für  eine  absteigende  Degeneration;  während  der  Um- 
stand, dass  die  Degeneration  nach  oben  weniger  intensiv  wird,  für;  eine  zufällige 
Sklerose  spricht.  —  Es  folgt  nun  eine  Casnistik  der  seit  1880  pnblicirten  9  Fälle 
von  Yierhügeltnmoren  (Nothnagel,  Ferrier,  Bristowe,  Feilehenfeld,  Pontoppidan,  Fisher, 
Bristowe,  Schulz,  Reinhold);  hieran  schliesst  sich  eine  Betrachtung  über  die  Patho- 
logie der  Yierhügel;  auch  in  den  erwähnten  Fällen 'zeigten  sich  Stümngen  des  Ge-^ 
Sichtssinnes  (Neuritis  optic,  Sehnervenatrophie),  Ungleichheit  der  Pupillen,  Augen- 
muskellähmungen (Abdncens,  Oculomotorius),  Gehörleiden.  Für  die  Annahme,  da^ü 
anderweitige  Symptome  wie  Gleichgewichts-  oder  Coordinationsstörangen  etc.  durch 
Erkrankung  der  Yierhügel  bedingt  seien,  liefern  die  bis  jetzt  vorliegenden  Erfahrungen 
keinen  zwingenden  Beweis.  In  dem  beschriebenen  Falle,  wo  erst  associhie  ParalyBe 
resp.  Parese  der  Heber,  dann  auch  der  Senker  der  Augen  bestand,  lässt  sich  an- 
nehmen, dass  der  Tumor  sich  in  der  Richtung  von  vom  nach  hinten  ausgebreitet 
hat;  lie^  doch  nach  Heusen  und  Yölkers  das  Gentram  für  die  Bewegung  beider 
Augen  nach  oben  im  hintern  Theil  des  Bodens  des  UL  Yentrikels^  während  das 
Oentram  für  die  Bewegung  beider  Augen  nach  unten  am  Boden  der  Sylvi'sehen  Wasser- 
leitung gelegen  ist.  Reflectorische  PupiUenstanre  wurde  in  diesem  Falle  zum  ersten 
Male  bei  einem  Tumor  der  Yierhügel  beobachtet,  was  dafür  spricht,  dass.  der  vorderste 
Theil  der  Yierhügel'  Sitz  des  Gentrovs'  für  die  reflectonsche  Iriscentraction  sei.  Dodi 
körnte  die  reflectorische  •  Starre  auch  diduish  bedingt  sein>  dass  die  Leitung  ddr 
Optic.  und  Oculom.  durch  den  Tumor  unterbrochen  und  der  III.  Yentrikel  durch  den- 
selben beschädigt  war.  Die  AcusticusstOrung  ist  vielleicht  einem  ähnlichen  Grunde 
zuznsdnreiben,  wie  die  bei  'tUniftttmdren  so  hftttfige  Atrophie  dos  0)^<^,vnnd^  han- 
delt es  sich  wohl  um  Gompression  des  Nerv^  an  der  Basis,  nicht  um*  eineti  spe- 
cifiaoihen  Binflnss  des  Corp.  qu,adrigem.  auf  das  Gehör.  ^  Die  Sehstörungg  hochgradige 
Abnahme  der  Sehschärfe  hatte  wiiB  meisti  bei  Tumoren  der .  Yierhflgql  nichts  für  die 


~         6S0     - 

BrlnraDkang   derselben  GharakteriatiBches.    Der  Tremor  wird   dareh  Femwirkung  sa 
deoten  gesucht.  Kaliaeber. 

■»■■  ^  I^IMIIl»  Pia» 

I 

18)  Oaae  of  Glio-Sarooma  of  the  Fona  Varolü,  by  Dr.  G.  Middleton.    (The 
Glasgow  Medical  JournaL  1888.  ApriL) 

Sin  Knabe  von  4  V«  Jahren  erlitt  einen  Fall,  bei  dem  er  sieb  geringe  Yer- 
wundongen  nnd  Quetschungen  von  Stirn  und  Hinterhaupt  zuzog.  Als  er  sich  erhob, 
taumelte  er»  In  der  folgenden  Nacht,  wie  auch  an  den  späteren  Tagen  litt  er  an 
heftigem  Erbrechen.  Am  12.  Tage  schielte  das  rechte  Auge  nach  innen  und  Pal 
fiel  oft  auf  die  Seite,  häufiger  nach  links  als  nach  rechts.  Beim  Sprechen  stiess  er 
mit  der  schwer  beweglichen  Zunge  an;  dabei  bestand  Speichelfluss,  leerer  Gesichts- 
ausdruck,  taumelnder  Gang,  rechts  Strabismus  internus.  Die  PateUarrefiexe  waren 
auf  beiden  Seiten  erhobt.  Puls  100  Schläge.  Temperatur  normal.  In  den  Armen 
bestand  zunehmende  Muskelschwäohe  ebenso  wie  in  den  Beinen.  2 — 3  Monate  er. 
nach  dem  Fall  trat  der  Exii  lei  plötzlich  ein.  Man  vermuthete  eine  Affection  des 
PoBs.  In  der  Lunge  fand  sich  ein  theils  käsiger,  theils  kalkiger  Knoten.  Die 
HimTentrikel  waren  voU  Flüssigkeit,  Pens  und  zum  Theil  auch  Med.  oblongata  waren 
¥on  einem  diffusen  Tumor  fester  Gonsiatenz  durchsetzt;,  rechts  mehr  als  links.  Die 
mikroskopische  Untersuchung  wies  ein  feines  Netzwerk  mit  zahlreichen  Bnndzdlen 
nach  (Gliosarcom),  Yirchow,  Bastian  und  Andere  sind  der  Ansicht,  dass  Gliome 
in  Folge  von  traumatischer  Einwirkung  entstehen  können,  indem  sie  von  kleinen  Zer- 
reissungen  der  Himsubstanz  ihren  Ursprung  nehmoi.  Kali  seh  er. 


19)  Two  08868  of  Tumour.  of  the  Pona  Vftrolii.  by  Maccregor.    (The  firit 
med,  Joura  1887.  14.  Mai.  p.  1046.) 

M.  berichtet  unter  Vorlegung  von  Präparaton  über  2  Fälle  von  Tumoren,  weldie 
in  der  Yarolsbrflcke  bei  Kindern  vorkommen.  Diese  2  FiÜle  waren  lUustratioiMn  fftr 
eine  ganze  Reihe  ähnlicher.  Die  Erkrankung  verlief  bei  allen  unter  Nekrose  der 
Goniea  mit  Neuritis  optica.  Der  eine  Fall  zeigte  Kopfweh,  Uebelkeil^  £rt)rechen, 
gesteigerten  Patellarreflez,  linkerseits  Exophthalmus.  In  keinem  Falle  motorische 
Lähmung,  wenn  auch  in  dem  einen  leicht  schwankender  Gang.  Es  fand  sieb  in 
beiden  ein  erbsengross^  Tumor  links  am  Pens.  Der  Tumor  zeigt  eine  weiehkäsige 
Aushöhlung.     Der  3.  Fall  war  fftr  die  Untersuchung  noch  nicht  genflgend  gehärtet 

L.  Lehmann  (OeynhansenX 

20)  A  oaae  of  Cyattoerous  oelluloaae  of  brain.    (The  Brii  med.  Joam.  188R 
24.  März.  p.  643.) 

Ein  23jähriger  Kuli,  dessen  ananmestische  Lebensgeschichte  unbekannt,  stirbt 
in  Madras  unter  den  Erscheinungen  von  Imbecillität  und  häufig  sich  wiederholenden 
epileptischen  Anfällen  und  endlichem  Coma.  Bei  der  Autopsie  findet  sich  BntsQndung 
der  Membranen  an  der  Gehimbasis,  adhärente  Dura,  auf  der  Ctohim-  und  Kkttnhim- 
oberfiäche  zahlreiche  Cysten,  desgleichen  solche  in  den  Ventrikeln  und  in  der  grauen 
Rinde.  Auch  im  linken  Herzventrikel  und  an  der  Pleura  der  rechten  Lunge  fanden 
sich  Cysten,  dieselben  rfihrten  nachgewiesenermaassen  vom  Cysticercus  cell,  her,  ein 
Wurm,  der  in  Madras  sehr  selten  vorkommt.  L.  Lehmann  (OeynhanseD). 


2L)  Ueber  Cyatloeroua  oelluloaae  Im  Gtohlm  dee  Meneohen,  von  O.  B(ollinger. 

(Mfinch.  med.  Woch.  1888.  Nr.  31.  B.  516.) 

Unter  25  vom  Verf.  in  MOnchen  beobachteten  Fällen  fand  sich  nur  Imal  Tunis 
solium,  I6mal  Taenia  suginata  und  8mal  Botriocephalus  latus.    Cysticercus  cellulosae 


—    681 

wurde  in  Mfinchen  zuerst  Tom  Yerf.  beobachtet.  Von  den  beiden  FftUen  boten  w&hrend 
dM  Lebens  der  erste  keine,  der  cweite  sehr  unbedeutende  Symptome  (Scbwindelanftlle 
und  Kopfechmerzen),  obwohl  hier  der  yierte  Ventrikel  dadurch  ansgeflOlt  war,  während 
sich  dort  der  CysticercuB  in  der  Qrösse  eines  Kirschkerns  in  die  Grenze  zwischen 
mittlerer  und  unterer  rechter  Stimwindnng  eingelagert  hatte. 

Yerf.  erinnert  an  die  von  Küchenmeister  gemachte  Statistik:  Unter  88  Fftllen 
von  Himcysticercen  verliefen  16  (18%)  symptomlos.  6mal  wurden  leichtere  Affec- 
tionen,  24mal  Epilej^e,  6mal  Krämpfe,  42mal  Lähmungserscheinungen  und  23mal 
Geistesstörungen  beobachtet. 

Der  C.  cellulosae  ist  in  Manchen  selten  (unter  14000  Sectionen  die  beiden 
ersten  Fälle  —  auch  im  Auge  bisher  nur  in  3  Fällen),  weil  rohes  Schweinefi0i8ch 
wenig  gegessen  wird  und  die  Schweine  dort  selten  finnig  sind.  Sperling. 


22)  A  üital  oBBe  of  tumour  of  the  loft  auditory  nerve,  by  Sharkey.  (Brain. 
1888.  April.) 

Der  ausserordentlich  interessante  und  wicht^;e  Fall  bot  bei  der  ersten  Unter- 
suchung folgende  Symptome:  Die  Krankheit  hatte  im  Laufe  des  vorhergehenden  Jahres 
begonnen  und  zwar  zuerst  mit  Taubheit  und  snbjectiven  Geräuschen  im  linken  Ohre 
und  Schwindelerscheinungen«  die  anfallsweise  sich  verstärkten«  aber  stets  vorhanden 
waren.  In  einzelnen  Anfallen  zeigte  sich  auch  Zuuahme  einer  auch  sonst  vorhandenen 
Sehschwäche  und  kurzdauernde  Bewusstlosigkeit;  das  Ohrgeräusch  nahm  nicht  gleich- 
massig  mit  dem  Schwindel  während  der  Anfälle  zu.  Ausserdem  bestand  heftiger 
Kopfischmerz  in  der  Stirn-  und  Scheitelregion.  Es  fanden  sich  also  alle  Symptome 
der  Menidreschen  Krankheit;  nm:  sollte  gegen  die  Erkrankung  des  inneren  Ohne  nach 
Dr.  Glutton  sprechen,  dass  Sehwindel  und  Geräusche  in  den  AnfiUlen  mcht  gleich- 
massig  zunehmen.  S.  fand  dann  noch  doppelseitige  Stauungspapille,  dieser  Befund 
machte  die  Cerebrale  Natur  der  Affection  sicher;  man  konnte  schwanken  zwischen 
einem  Tumor  des  N.  acusticus  und  einem  solchen  in  der  corticalen  HOrsphäre.  Gegen 
letzteren  Sitz  sprachen  die  ausgeprägten  Schwindelanfälle.  Im  späteren  Verlauf  ent- 
wickelte sich  vollständige  Blindheit;  es  trat  leichte  1.  Facialisparese  und  Anfälle 
tonischer  Krämpfe  auf.  Es  fand  sich  ein  Tumor  von  der  Grösse  einer  Bosskaatanie, 
der  offenbar  vom  1.  Acusticus  ausgegangen  war,  im  Winkeil  zwischen  Gerebellum  und 
Föns  sass,  auf  die  Umgebung  ziemlich  stark  gedrückt  hatte,  aber  nirgends  mit  ihr 
verwachsen  war.     Eine  sehr  gute  Abbildung  illustrirt  den  Befund. 

Der  Werth  der  Beobachtung  liegt  darin,  dass  sich  hier  der  Meni^resche  Sym- 
ptomencomplex  bei  isolirter  Erkrankung  eines  Hömerven,  denn  es  fanden  sich  alle 
Symptome  schon  im  ersten  Beginn  der  Erkrankung,  voll  ausgebildet  gefunden  hat. 
!Nur  der  Befund  der  Stauungspapille  ermöglichte  die  Diagnose.  Freilich  ist  auch 
hier  nicht  auszuschliessen,  dass  die  Schwindelerscheinungen  vom  Druck  auf  das  Klein- 
hirn abhingen.  *  Bruns. 

2S)  Notas  of  a  oase  of  intra-cranial  tumour,  by  H.  Mallins.    (The  Lancet. 
1888.  Vol.  L  Nr.  20.) 

Bei  einem  35jährigen  Zimmermann,  welcher  im  Jahre  1883  zur  Untersuchung 
kam,  wurden  in  den  letzten  Jahren  Nachlass  der  Energie  und  Hang  zu  Schläfrigkeit 
bemerkt.  Seine  Klagen  bezogen  sich  auf  massig  heftige  Anfälle  von  rechtsseitiger 
Sapraorbitalneuralgie.  Das  r.  Auge  zeigte  Atrophie  der  Papille  mit  vollkommener 
Amaurose,  das  1.  Auge  beginnende  Atrophie.  Die  Pupillen  waren  gleich  und  prompt 
reagirend.  Normale  Reflexe,  keine  Störungen  der  Motilität  und  Sensibilität.  Einige 
Zeit  später  wurden  neben  Zunahme  der  Schläfrigkeit  Verwirrtheit  und  Stupidität 
constatirt.    40  Pulse  in  der  Minute,  zahlreiche  Anfälle  von  Erbrechen  und  heftigen 


-    «82 

OcdpitaLschmerzen.  Die  Diagnose  lautete  auf  Cerebellartumor.  Spftter  aeigten  eioh 
torübergehend  Strabiemua  com^ergens  und  Stottern.  Die  Klagen  des  Fat  bezogen 
sich  nebe»  den  SupraorbitalneunJgieii'  Yorn&mlicb  auf  allgemeiue  MoriLolachwädie. 
Einige  Wocben  später  eigab  die  Untersuchung  Verlust  der  temporalen  Geaichtafeld- 
hälfte  auf  dem  1.  Auge.  Nach  einem  Stadium  vorübwgeheQder  Besserung,  in  wel<Aem 
Kopfschmerz  und  Schwindel  nachliessen,  Kraft  und  Arbeitsf&higkibit  wiederkehrten, 
ze^en  sich  Sclid&frigkeit,  Reizbarkeit,  Gedächtnissschwäche,  Muskelspasmen,  welche 
den  ganzen  Körper  nach  vom  warfen,  Nausea  und  Flatulenz.  Betri^htUi^h  spftter 
trat  die  Tendenz,  beim  Stehen  nach  vom  zu  fallen,  deutlich  hervor,  neben  Indifferen- 
tismus wurde  beträchtliche  Abstumpfung  der  Intidligenz  bemerkbar.  Zunahme  der 
allgemeinen  Muskelschwäche,  unsicherer  Gang.  Yölliga  Erblindung  auch  auf  dem 
1.  Auge.  Anfalle  von  stertorOser  Athmung  mit  krampfhafter  Drehung  des  Nackens 
nach  der  1.  Seite  und  Zusammenballen  der  1.  Hand.  R.  Ftose.  Unter  Zunahme  der 
Schwäche  und  Auftreten  leichter  Convulsionen  Tod  im  Coma. 

Die  Section  ergab  ausser  >  Hyperämie  der  Schädelknoohen,  Mraingen  uud  Gehirn- 
Oberfläche,  ausser  starken  Adhäsionen  an  der  Basis  ein  2^4  Zoll  brtdtes,  3^^  Zoll 
langes  Rundzellensarcom,  welches  den  mittleren  Theil  des  vorderen  Drittels  der  Gehirn- 
basis  einnahm  und  aus  der  cerebralen  Masse  auszuschälen  war.  Durch  Compression 
von  Seiten  des  Tumors  waren  das  Corp.  callosum  abgeflacht,  die  Yorderhömer  der 
Seitenventrikel  verengt^  das  Chiasma  nervor.  optic.  völlig  geschwunden.  Die  Bella 
turcica,  deren  knöcherner  Grund  erweicht  war,  fQllten  derbe  fibröse  Stränge  aus. 

Das  Interesse  des  Falles  knüpft  sich  an  das  Fehlen  der  Stauungspapille  und 
die  Abwesenheit  von  Paralysen  an.  J.  Buhe  mann  (Berlin). 


24)  Zur  Aetiologie  der  Oehirnerweiohung  nach  Kohlendunstvergiftung, 
nebst  einigen  Bemerkungen  sur  EUrnquetsohung.  (Aus  dem  patholog. 
Institut  der  Universität  Greifswald.)  Von  Dr.  R.  Poeich en.  (Virchow's  Archiv. 
CXII.  1.) 

Verf.  stellt  12  Fälle  von  Encephalomalacie  nach  Kohlendunstvergiftung  zusammen. 
Ein  neuer  Fall  —  aus  der  Mosler'schen  Klinik,  von  Grawitz  secirt  —  pebt 
über  die  Entstehungsweise  der  Encephalomalacie  nach  des  Verf.'s  Untersuchungen 
Aufschlüsse. 

Es  lag  hier  jederseits  ganz  symmetrisch  im  mittleren  Gliede  des  Linsenkemes« 
an  das  Mark  der  Capsula  interna  anstossend,  ein  Heerd  vou  graugelber  Farbe,  galler- 
tiger Weichheit,  etwa  6  mm  breit  und  lang,  nach  hinten  grade  bis  zur  Frontalebene, 
die  das  vorderste  Ende  des  Thalanus  opticus  trifft,  reichend.  Die  Gefässe  und  die 
Hirnhäute  erschienen  vollkommen  zart.  Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  wurden 
auch  die  feineren  Verästelungen  alle  normal  gefunden,  bis  die  feinen  Arterien, 
welche  als  sog.  Centralarterien  in  die  Substantiae  perforat.  laterales  eindringend  den 
entsprechenden  Theil  des  Himstammes  versorgen,  und  welche  fast  sämmtlich  sehr 
weit  vorgeschrittene  Verfettung  der  Intima  und  Muscularis,  in  letzterer  auch  Ver- 
kalkung, zeigten;  einen  Thrombus  konnte  P.  jedoch  nicht  finden.  —  Zufallig  konnte 
Verf.  gleichzeitig  einen  Fall  von  Phösphorvergiftung  untersuchen,  niit  eltiem  ganx 
ähnlichen  gelben  Erweichungsherd  in  den  beiden  inneren  Gliedern  des  rechnen  Linsen- 
kemes.  Auch  hier  fand  sich  Verfettung  und  Verkalkung  der  versorgende  Arterien,  so- 
wie im  Theilungswinkel  zweier  Arterien  ein  mikroskopischer  Heerd  aus  KömchenzelleD. 
F.  meint  nun  für  die  Kohtenozydvergiftung,  dass  bei  derselben  cbs  im  Blute  eirca- 
Urende  Gift  die  Gefässe  zur  Verfettung  und  Verkalkung  bringt,  den  BlutsEofluas  auf- 
hebt und  so  einen  Erweichungsherd  erzeugt;  die  Gefässe  der^  Substant  perforat. 
lateral,  seien  gleich* von  ihrem  Ursprung  an  ausserordentlioh  eng  und  dabei^erhebiidt 
länger,  als  die  anderen  Centralarterien:  das  sei  wohl  der  Grund,  warum  sie  zuers: 
(vorerst  nur  sie)  erkrankt  seien;  bei  länget'  dauernder  Einwirkung  'der  Noxe  würdse 


—    688'    - 

wobl  «ach   andere  Territorien   ergriffen  woitien  eein/  viedae  ja  M  4er  Fhospfacr» 
Tergiftnng  schon  beobachtet  sei. 

In  einem  Anhang  spridit  sich  F..  dabin  ans^  dass  die  von  Gharoot  so  genannten 
yj^laqnes  jannes"  der  Hirnrinde«  welche  Gharcot  nnd  nach  ihm  Wernicke  und 
Garl  Friedländer  anf  i6<dKftmisohe  ürweichnng  beziehen^  yidmehr  Analoga  deraog. 
apoplectischen  Gyste  seien,  d.  h.  ans  einer  Zerreiseung,  Zerquetechnng  der  granen 
Rinde  mit  secondärer  Erweichung  herrorgingen.  Dies  sei  auch  die  Ton  Yirchow 
immer  festgehaltene  Auflassung  der  Plaques  jaunes.  Die  wirkliche  ischämisohe  fir- 
weichungy  welche  übrigens  immer  umfangreicher  sei«  graue  Binde  und  Mark  bis  in 
grössere  Tiefen  betreffe,  zeige  ein  Tiel  hellerea  Gelb,  häufig  milchweisse  Farbe,  nicht 
das  Ockergelb  der  Plaques  jannes.  Kindlich. 


25)  Gehimaymptome  bei  der  eitrigen  PleuiriMs,   von  Dr.  de  G^renville  in 
Lausanne.    (Bevue  m^.  de  la  Suisse  roroande.    1888.    1  u.  2.) 

Verf.  behandelt  sehr  ausführlich  auf  etwa  40  Seiten  eine  bisher  in  Deutschland 
noch  wenig  beobachtete  (oder  beschriebene?)  Affection,  nämlich  das  Auftreten  von 
epileptischen,  resp.  epileptoiden  Anfällen  nach  Empyem-Operationen.  Er  stellt  21  Fälle 
(Yon  Aubonin,  Martin,  Zimmer  in  Aubonne  und  Billroth  [2]  sowie  6  von 
Verf.  selbst)  zusammen,  in  welchen  derartige  Anfälle  auftraten,  und  zwar  Wochen 
nach  äer  Operation:  in  13  Fällen  nur  dreimal  vor  der  5.  Woche,  siebenmal  zwischen 
der  5.  und  10.  Woche,  dreimal  nach  der  10.  Woche  post  operationem.  Meist  ganz 
plötzlich,  während  einer  Ausspülung  der  Pleurahöhle,  oder  auch  bei  EinfQhrung  eines 
neuen  Drains,  oder  gar  bei  blosser  Sondirung  der  Wunde  bricht  ein  vollständiger 
epileptischer  Anfall  aus;  selten  gehen  imangenehme  Sensationen  vorher,  das  Bewusst- 
sein  ist  fast  stets  ganz  erloschen,  die  Pupillen  stark  erweitert  (Andere  sahen  eine 
anfängliche  Verengerung).  Die  Krämpfe  treten  meistens  auf  einer  Seite  stärker  aul 
als  auf  der  anderen,  doch  ist  die  operirte  Seite  nicht  immer  die  stärker  betheiligte, 
wie  Aubouin  und  Martin  angeben.  In  seltenen  Fällen  kommt  es  nur  zu  Schwindel 
oder  Ohnmacht.  Sprachstörungen,  Paresen  einzelner  Glieder,  Schmerzen,  vasomoto- 
rische Störungen  (rothe  Flecke,  Boseola,  Urticaria  der  Haut)  Amaurose  und  Gesichts- 
störungen anderer  Art  (Flimmern,  Funken)  bestehen  mehr  oder  weniger  lange  Zeit 
nach  den  Anfällen.  Während  die  Anfalle  selbst  von  5  Minuten  bis  Vj^  Stunden, 
bis  16  Stunden,  ja  als  intermittirende  Anfalle  bis  2  und  sogar  6  Tage  dauern, 
haben  die  Folgerscheinungen  eine  Dauer  von  einigen  Minuten  bis  Tagen;  Fälle  mit 
bleibenden  Symptomen  (Monoplegien  etc.)  beruhen  auf  besonderen  Störungen  (sogen, 
hemiplegiscfae  Form).  Während  nämlich  die  Sectionen  im  Ganzen  nur  einen  nega- 
tiven (lehimbefond  ergeben  haben,  dflrften  in  den  Fällen  bleibender  Lähmungen  mit 
Atrophie  u.  s.  w.  doch  palpable  Yeiänderungen  vorliegen.  —  Im  Auge  wurde  einmal 
Enge  der  Betinalgefässe,  Blässe  und  Verschwommenheit  der  Papille,  2  mal  (de  C^ren* 
ville  und  Dr.  Seh  netzler)  Hyperämie  mit  Extravasaten  längs  der  Gefässe  gefun- 
den und  de  G^re^nville  möchte  einen  dem  analogen  Zustand  der  Gehirnrinde  an« 
nehmen. 

Pathologisch  nimmt  Yerf.  einen  von  der  Pleura  ausgehenden  Beflexreiz  an, 
welcher  auf  die  vasomotorischen  Centren  wirkt.  —  Bemerkenswerth  ist  mitunter  eine 
auffallende  Berährungsempfindlichkeit  der  Operationswtmde,  resp.  der  Pleura,  wohei 
die  Pupillen  sich  erweitem  oder  ungleich  werden.  —  Im  Anfall  sind  Beizmittel  am 
Platze,  bei  anbaltend^en  Couvulsionen  Chlorofpreinathmuugen.  .        .      v 

Ton  äen  vom  Verf.  zusammengestellten  21  FäUen  endeten  6  lethsl,  doch  zum 
Hieil  nicht  direct  in  Folge  der  Gehimerscheinungen;  in  4  dieser  Fälle  lagen  Herz- 
anomalien vor.  Hadlich. 


—    684    — 

26)  Solle  pmnlM  da  maUtfi»,  del  dott  Bm.  SacchL  (BiTisia  Vcneia  di  8amio$ 
mediehe.  1888.) 

Nach  einer  lAngeren  geecbkhtlicben  Rtoleitang  Ober  die  enteD  Beobachluigeii 
Ton  L&biDüDg  im  Ansdilius  an  iBtermittenaerlmuilnmgen  (durch  Ferne!  in  seiner 
1667  erschienenen  „Universa  Ifedicina''  Lib.  lY)  grapiM^^  Verf.  die  TerBcbiedenen  hier 
zn  berQcksichtigenden  Lfthmungen  folgendermaassen. 

1.  Paralysen,  die  w&brend  eines  Mnfachen  Intermitiensaiifiüles  eintreten,  Bit 
demselben  wieder  schwinden  und  b&nfig  bei  neuen  Paroxysmen  wiederkehren;  das 
Bewnsstsein  ist  dabei  ungetrübt.    Yerh&ltniasmftssig  seltene  Form. 

2.. Paralysen,  die  sich  an  pemidöse  WechselfieberanflUle  anschliessen;  sie  sind 
mit  schwerer  Congestion  and  mit  Bewnsstseinsverlnst  verbunden,  dauern  noch  Ober 
den  eigentlichen  Anfall  hinaus  und  reddiviren  sehr  gem.  Gelegentlich  steigert  sidi 
die  Congestion  bis  zur  Apoplexie.    Yerh&ltnissmässig  die  häufigste  Form. 

3.  KOnnen  sich  in  sehr  seltenen  Fällen  Parafysen  auf  dem  Boden  einmr  chro- 
nischen Malariakachexie  ohne  sonstige  weitere  Yeranlassnng  ausbilden. 

Was  die  Malarialähmungen  selbst  betrifft»  so  können  sowohl  motorische  als  auch 
sensible  und  sensorische  Nerven  gelähmt  sein.  Der  häufigste  Symptemencomplex  ist 
eine  Hemiplegie  mit  oder  ebne  Aphasie;  es  kommen  aber  auch  isolirte  Paralysen  dner 
Extremität  oder  auch  nur  einer  Muskelgruppe  allein  vor  ohne  Sensibilitätsstörungen. 

Nicht  gerade  selten  sind  Fälle  von  intermittirender  Taubheit  und  Blindheit,  die 
öfters  das  alleinige  Zeichen  eines  Wechselfieberanfalles  sein  können,  und  die  gewöhn- 
lich einer  rationellen  Chininverordnung  weichen.  Ganz  vereinzelt  ist  auch  Yerlust 
des  Geruchs  oder  des  Geschmacks  im  Gefolge  eines  Paroxysmns  beobachtet  worden. 
Andauerndere  Lähmungen  der  Sinnesnerven  kommen,  wie  schon  angedeutet,  nur  bei 
pemiciösem  Intermittens  oder  bei  schwerer  Kachexie  vor. 

Die  Pathologie  der  transiterischen  wie  der  chronischen  Paralysen  ist  wenig  be- 
kannt, doch  lässt  nch  aus  dem  spontanen  oder  durch  Medication  bewirkten  Schwinden 
derselben  wohl  schliessen,  dass  eine  schwerere  organische  Läsion  nicht  anzunehmen 
ist.  Uebrigens  haben  alle  Malarialähmungen  einen  centralen  Charakter.  Yerf.  glaubt, 
fär  die  transiterischen  Formen  eine  mehr  oder  weniger  genau  localisirte  (Kongestion 
im  Hirn  annehmen  zu  dflrfen,  während  er  die  hartnäckigeren  Zustände  auf  Pigment- 
embolien  oder  auf  Apoplexien  in  Folge  schwerer  Congestion,  oder  auf  circumscripte 
Erweichongsheerde  zurückfahren  möchte. 

Die  Diagnose  einer  Malarialähmung  ist  an  und  für  sich  meistens  nicht  schwer, 
wenn  sich  die  letztere  im  Gefolge  eines  Wechselfieberparoxysmus  einstellt  und  einen 
intermittirenden  Yerlauf  nimmt.  In  anderen  Fällen  werden  die  Anamnese  und  besondeis 
die  Symptome  der  chronischen  Malariünfection  und  der  Kachexie  (die  Hautfarbe,  die 
Milz-  und  Leberschwellung,  die  mikroskopisch  erkennbaren  Yeränderungen  des  Blutes 
etc.)  und  zuletzt  der  Erfolg  der  Chinintherapie  zur  Diagnose  herangezogen  werden 
müssen. 

Die  Prognose  der  paroxysmellen  Lähmungen  ist  günstig,  die  der  anderen  F(Hfmen 
immer  zweifelbaft:  wenn  man  auch  von  den  Todesfallen  bei  pemiciösem  Intermittens 
absieht,  so  werden  doch  die  functionellen  Störungen  nicht  allzuselten  unheilbar. 

Die  Therapie  hat  unter  allen  Umständen  die  Bekämpfung  der  Malariainfection 
und  der  Kachexie  zur  Aufgabe.  Bei  heftigen  Congestionen  werden  Blutegel,  Pur- 
gantien,  Hautreize  und  andere  Derivantien  anzuordnen  sein.  Sommer. 

27)  La  i>eroii88ione  della  rotala,  oontributo  alla  senielotioa  delle  pacallai; 

note  preventiva  del  dott.  A.  Borgherini.    (Bivist  sperim.  di  Freniatria  eoc 
1888.  XIV.  p.  111.) 

Yerf.  macht  darauf  aufmerksam,  dass  die  Percussion  der  Kniescheiben  (mit  dem 
Hammer)  einen  eigenthümlichen  Ton   hervorruft,  der  als  diagnostisches  Hülfsmittel 


—    636    - 

öfters  benntst  werden  kann.  Besopdefs  bei  Hemiple^e  und  ancb  bei  Hemipareee  soll 
scbon  in  den  ersten  24  Stunden  dee  Leidens  eine  deutliche  Differenz  im  Ton  auf  der 
gesonden  und  auf  der  kranken  Seite  zu  TemduDen  «ein.  W&brend  er  auf  der  erstem 
voll,  bell  und  lang  G^pieno,  cbiaro  e  lungo^  ist^  wird  er  anf  der  letzteren  noch  heller, 
l&nger  und  meistens  tiefer.  Yerf.  sucht  diese  aufßlllige  Differenz  durch  den  verschie- 
denen  Tonus  der  die  Patella  auf  dem  Femur  fixirenden  Muskelmafiden  zu  erklären. 

Bei  Kindern  ist  der  Fercussionsschall  auch  unter  normalen  Yerhftltnissen  kflrzer 
und  leerer,  als  bei  Erwachsenen.  Sommer. 


S8)  Cöntribtitlon  a  Vitade  des  manlfcwtations  spinales  de  la  blennonagie» 
par  G.  Hajem  et  Em.  Parmentier.  (Revue  de  HMecine.  18S8.  Jain.  p.  483.) 

Ein  26jähriger  Kutscher  erkrankte  im  Mai  1883  an  einer  Gonorrhoe.  Nach 
3  Wochen  hörte  der  Ausfluss  auf;  dafür  stellteD  sich  aber  ziehende  Schmerzen  in 
der  rechten  Hüfte  und  Schalter,  sowie  im  linken  Fuss  ein,  welche  indessen  nach 
einer  2monatlichen  Hospitalbehandlung  grösstentheils  wieder  verschwanden.  Gegen 
Ende  des  Jahres  1884  nahmen  die  Schmerzen  in  den  Füssen,  besonders  in  den 
Hacken,  wieder  so  zu,  dass  Pat.  atbeitsunfähig  wurde.  Im  Juli  1885  wurde  sein 
Gang  unsicher,  Schmerzen  in  den  Nierengegenden  und  auf  der  Brust  stellten  sich 
ein.  Am  24.  Mai  1886  wurde  folgender  Status  praesens  festgestellt:  heftige  Gürtel- 
schmerzen, Schmerzen  und  Parästhesien  in  den  Beinen.  Hyperästhesie  der  Haut, 
grosse  Druckempfindlichkeit  der  Brost-  und  Lendenwirbelsäule.  Gesteigerte  Sehnen- 
refiexe  und  deutliches  Fassphänomen.  Aeusserst  lebhafte  Hautreflexe.  Gang  mühsam, 
schwankend.  Grobe  Kraft  der  Muskeln  an  den  Beinen  herabgesetzt.  Keine  Blasen- 
und  keine  MastdarmstOrungen.  Im  Juli  1886  traten  wieder  schmerzhafte  GMenk- 
schwellungen  im  rechten  Knie,  in  den  Händen  und  Schultern  auf.  Danach  ver- 
schlimmerten sich  auch  die  nervösen  Symptome  von  Neuem.  Mit  mehrfachem  Wechsel 
zog  sich  die  Krankheit  so  hin  bis  zum  Frühling  1887.  Insbesondere  traten  häufig 
Becidive  der  Gelenksaffection  ein.  Wirbelgelenke,  Hüfte,  Kniee,  Schultern,  Füsse, 
kleine  F^gergelenke  u.  a.  wurden  wiederholt  befallen.  In  den  Muskeln  trat  deut- 
liche Abmagerung  ein.  Erst  im  Mai  1887  besserte  sich  der  Zustand  andauernd  und 
gegen  Ende  des  Jahres  konnte  der  Kranke  endlich  seine  frühere  Beschäftigung  wieder 
aufnehmen.  Die  Behandlung  hatte  bestanden  in  der  Darreichung  von  salicylsaurem 
Natron,  in  Schwefelbädern,  Dampfbädern,  Massage  u.  dgl. 

Der  zweite  vjon  den  Yerff.  selbstbeobachtete  Fall  betrifft  einen  29jährigen  Mann, 
welcher  sich  im  September  1886  eine  schwere  Gonorrhoe  zuzog.  2  Wochen  später 
heftige  Schmerzen  in  den  Beinen,  darauf  Anschwellung  des  rechten  und  später  des 
linken  Knies.  Innerhalb  der  nächsten  Monate  trat  Atrophie  der  Muskeln  ein.  Die 
Schmerzen  dauerten  fort,  die  Sehnenreflexe  waren  sehr  erhöht.  Häufiges  Zittern  der 
Beine.  Sphincteren  vGllig  normal,  ebenso  die  Sensibilität.  Pai  konnte  allein  kaum 
stehen.  Erst  nach  einem  halben  Jahr  trat  langsam  eine  Besserung  ein,  welche  erst 
im  April  1887  8o  weit  fortgeschritten  war,  dass  der  Kranke  entlassen  werden  konnte. 

Im  Anschluss  an  die  beiden  ausführlicher  referirten  Fälle  führen  die  Yerff.  noch 
einige  ähnliche  Beobachtungen  aus  der  Litteratur  an.  Dass  er  sich  in  allen  diesen 
Fällen  um  schwere  gonorrhoische  Gelenkerkrankungen  handelt,  ist  wohl  im  höchsten 
Grade  wahrseheinlich.  Dasa  die  beschriebenen  nervösen  Symptome  (Schmerzen,  Hyper- 
äethesie»  gesteigerte  Beflexempfindlichkeit,  Muskelschwäche  und  Abmagerung)  aber, 
wie  die  Yerff.  glauben,  wirklich  von  einer  gonorrhoischen  Meningitis  oder  gar  l^elitis 
abhängen,  kann  schwerlich  ohne  Weiteres  zugegeben  werden,  zumal  ähnliche  Erschei- 
nungen zuweilen  auch  im  Anschluss  an  andere  chronische  Gelenkaffectionen  vorkommen 
können.  Strümpell. 


—    686    — 
Psychiftttie. 

•  •  •  *  ,  ,  '  ■ 

29)  JBur  Fmge  über  psyohomeferisohe  UnteniiohttAfleii  mh  OeistesknoikeB, 

.  von  Marie  Walitzkaja.     (Wjestnik  psichiatrii  i  nevropatolof^.    1888.    YI. 
Bnssisch.) 

VerfasBerin  ermittelte  mit  Hfdfe  des  Hipp'seben  Chronoslcopa  die  Zeitdauer  «n- 
focher  psychischer  Vorgänge  an  7  GttsteBkränken;  unter  denselben  waren  8  F&Ue 
Dementia  paralytica  primit.,  1  Fall  Paral.  progr.  maniiib.  im  Anfangsstadimn,  1  Fall 
Remissio  post  ezalt.  maniac.,  1  Fall  Remission  vor  dem  Eintritt  maniakaliacher  £r- 
reg^g,  die  sich  während  der  Untersuohnng  entwickelte,  nnd  1  Fall  Bemission  im 
Verlauf  pnmärer  Verrüdctheit  Zum-  Veigleich  dienten  ^hlen,  die  von  der  Verf.  an 
5  normalen  Sabjecten  (lüedicinem)  in  der  nämlichen  Weise  erhalten  worden.  Die 
Zeitdauer  wurde  für  folgende  Acte  bestimmt: 

Erstens  fdr  die  einfache  Beaction  auf  acustische  Beize,  in  dem  als  Signal 
der  durch  Aufschlagen  einer  fallenden  Kugel  hervorgebrachte  Schall  diente;  ferner 
für  die  einfache  Wahl,  indem  von  zwei  acnstischen  Reizen  verschiedener  Intensüat 
nur  einer  (der  stärkere)  als  Signal  galt,  der  andere  dagegen  unbeachtet  bleiben  sollte; 
dann  für  complicirtere  Wahl,  wobei  der  eine  SchaJl  mit  der  rechten,  der  andere 
mit  der  linken  Hand  registrirt  wurde.  Endlich  wurde  durch  mannigfaltige  Versache 
die  Associationszeit  ermittelt. 

Die  mittleren  Zahlen,  die  Verfasserin  an  gesunden  Menschen  erhielt,  stimmen 
im  Allgemeinen  mit  den  Angaben  anderer  Autoren  überein. 

Was  die  Ergebnisse  der  Untersuchung  an  den  Kranken  betrifft,  so  fand  sich 
deutliche  Veränderung,  und  zwar  Verlängerung  der  einfachen  Reacüonszeit  nur  in 
den  3  Fällen  von  Dementia  paralyt.  primitiva;  während  sie  in  der  Norm  zwischen 
Q,168 — 0,207"  schwankte,  betrug  sie  hier  bei  ausgeprägtem  Schwächsinn  meistens 
über  0,300"  und  stieg  sogar  bis  0,491". 

Die  einfache  Wahlzeit  war  ebenfalls  bei  Dementia  paralyt.  primitiva,  ansserdem 
aber  auch  bei  maniakalischer  Exaltation  verlängeH;  in  Bemissionszuständen  näherte 
sie  sich  mehr  den  normalen  Werthen,  erschien  aber  doch  noch  verlangsamt  Das 
Nämliche  bezieht  sich  in  noch  höherem  Grade  auf  den  complicirten  Wahlact;  letzterer 
betrug  z.  B.  bei  5  Gesunden  durchschnittlich  0,351—0,406",  bei  den  untersuchten 
Paralytikern  dagegen  0,707—0,943"  und  in  einem  Fall  maniakalischer  Exaltation 
1,085".  ' 

Die  Associationszeit .  wies  die  beträchtlichste  Verlangsamung  auf  in  einem  F^ 
von  Bemission  mit  melancholischer  Verstimmung  und  bei  Dementia  {Muidyt.;  in  mania* 
kaiischen  Zuständen  erschien  sie  verkürzt  (0,194^-0,322"  gegen  die  noimale  Grösse 
0,664—0,716"). 

Zum  Schluss  ist  zu  bemerken,  dass  die  von  der  Verfasserin  ermittelten  Durch- 
schnittswerthe  für  die  einzelnen  psychischen  Vorgänge  auf  einer  grossen  Menge  von 
Versuchen  beruhen,  deren  Gesammtzahl  sich  auf  18,000  belauft  Der  Hänptxweck 
der  üntersuchu^,  welche  auf  Veranlassung  von  Prof.  Bechterew  in  dessen  Labo- 
ratorium ausgefQhrt  ist,  bestand  in  der  Prüfung  der  Angaben  vOn  Tschisch  über 
den  nämlichen  Gegenstand  (vgl.  dieses  Ctrlbl.  1885  Nr.  10).        F.  Bosenbach. 


30)  Zur  Onatitetik  der  abnorm  ttefen  Körperfeemperatoreii  bei  Ctoiatea- 
^aemahea,  von  Dr.  M.  SchOnfeldt,  Assistenzarzt  der  IrrenansAalt  BothenbiBg- 
Biga.    (Si  Petersbntger  med.  Woch.  1888.  Nc  31«)     . 

Es  werden  2  Fälle  von  subnormaler  Körpertemperatur  bei  Geisteskranken  mit 
Angabe  der  Krankengeschichten  und  der  Sectionsbefunde  näher  beschrieben  (circa 
30  derartige  Fälle  sind  bereits  seit  der  Arbeit  von  LOwenhardt  in  der  AUgem.  Ktechr. 
f.  Psych.  Bd.  XXV  im  Jahre  1868  von  verschiedenen  Autoren  mitgetheilt).     Die  Ur- 


—    637     — 

Sachen  der  subnormalen  Temperaturen  bei  (Geisteskranken  wurden  in  den  yerscbie- 
densten  Umständen  gesucht,  wie  z.  B.  äussere  Schädlichkeiten!  gesteigerte  Arbeits- 
leistungen und  Wärmeverluste,  Erkrankungen  im  Pens,  Lähmung  des  excitocalorischen 
CentmmSy  Affection  der  den  Centralganglien  benachbarten  Territorien  (Eulenburg  und 
Landois),  Afifection  des  thermischen  Centrums  im  Föns  (Heidenhain)  oder  im  oberen 
Theil  des  Rückenmarks  (Naunyn  und  Quincke),  Blutungen  unter  die  Pia  etc.  —  Bei 
dem  ersten  Kranken  wird  die  Ursache  hier  in  der  andauernden,  aufreibenden  Unruhe, 
der  ungenfigenden  Bekleidung  zu  suchen  sein,  welche  im  Verein  mit  der  geringen 
Nahrungsaufnahme  und  dem  Säfteverlust  in  Folge  der  zahlreichen  Furunkel  die  Er- 
schöpfung des  Kranken  beschleunigt  haben.  Freilich  kommt  es  unter  gleichen  Um- 
ständen nicht  immer  zum  Sinken  der  Körperwärme.  In  dem  zweiten  Falle  mussten 
die  häufigen  Bäder  und  Waschungen  in  kalter  Jahreszeit  und  das  vollständige  Fehlen 
einer  schützenden  Kleidung  hochgradige  Wärmeverluste  zur  Folge  haben.  Beide  Fälle 
haben  mit  vielen  der  sonst  veröffentlichten  Beobachtungen  gemein:  die  Form  der  Er- 
krankung (Dementia  paralytica),  frühes  Potatorium,  andauernde  Unruhe,  Steigerung 
des  Verbrauches  an  Körperwärme  nach  völligem  Schwund  des  Fettpolst«^,  und  end- 
lich als  directe  Todesursache  Pneumonie.  Letztere  ist  bei  erheblicher  Temperatur- 
senknng  eine  so  häufige  Terminalerscheinung,  dass  Zenker  der  Ansicht  ist,  in  Folge 
der  abnorm  tiefen  Körperwäime  laufen  „offenbar  die  Bespirationsorgane  Oefahr  zu 
erkranken".  In  den  erwähnten  Fällen  wird  die  Ursache  für  die  lobuläre  Pneumonie 
in  septischer  Infection  gesucht  und  zwar  bei  dem  ersten  Kranken  durch  Resorption 
vom  Decubitus  aus,  bei  dem  zweiten  durch  Aspiration  von  zersetztem,  in  den  Kehl- 
kopf herabgeflossenem  Speichel  etc.  Die  Pneumonie  vermochte  einmal  die  auf  29,5 
gesunkene  Körpertemperatur  bis  auf  37,2  zu  erhöhen.  Kali  scher. 


31)  Ueber  das  Verhältniss  zwischen  der  puerperalen  Geisteakrankheit  und 
der  puerperalen  Infeotion,  von  Th.  B.  Hansen,  Kopenhagen.  (Zeitschr.  f. 
Qeburtshülfe  u.  Gjnäcologie.  XV.  l.) 

49  Fälle  von  Geistesstörung,  die  in  den  ersten  Wochen  (4 — 6)  nach  einer  Ge- 
burt entstand,  werden  beschrieben;  21  Fälle  davon  hat  Verf.  selbst  im  städtischen 
Krankenhaus  zu  Kopenhagen  (auf  der  psychiatr.  Abtheilung)  und  in  der  Gebäranstalt 
beobachtet  42  der  Kranken  zeigten  somatische  Symptome  puerperaler  Infection;  bei 
40  derselben  verlief  re.^p.  begann  die  Psychose  als  eine  acute  hallucinatorische  Ver- 
worrenheit; in  den  beiden  andern  Fällen  handelte  es  sich  um  eine  Manie  von  kurzer 
Daner  (hallucinatorische?).  In  5  der  7  Fälle,  wo  sich  keine  puerperale  Infection 
nachweisen  Hess,  hatten  die  psychischen  Symptome  einen  ähnlichen  Charakter,  bei 
4  dieser  Kranken  waren  epileptiforme  Krämpfe  unmittelbar  vorausgegangen,  bei  der 
5.  fand  sich  eine  acute  Infectionskrankheit  (floride  Phthisis).  In  den  2  Fällen,  wo 
weder  acute  Infection  noch  Bdampsie  vorausgegangen  war,  verlief  die  Psychose  in 
dem  einen  Falle  als  Manie,  in  dem  andern  als  Melancholie.  Der  Name  „puerperale 
Geistesstörung"  soll  nur  auf  solche  Psychosen  beschränkt  werden,  die  mit  puerperaler 
Infection  in  Verbindung  stehen;  wie  bei  andern  Frauen,  so  können  auch  bei  den 
Wöchnerinnen  Geistesstörungen  durch  andere  Ursachen,  wie  psych.  Affecte,  Epilepsie, 
Alkoholismus  etc.  entstehen,  die  nur  eine  zufällige  Verbindung  mit  dem  Puerperium 
aufweisen  und  sehr  selten  sind.  Tritt  in  den  ersten  Wochen  des  Puerperiums  eine 
Psychose  in  Form  einer  acuten  hallucinator.  Verworrenheit  auf,  ohne  dass  sich  eine 
andere  (nicht  puerperale)  acute  Infectionskrankheit  findet  und  ohne  dass  Eclampsie 
vorausgegangen  ist,  so  liegt  eine  puerperale  Infection  vor,  selbst  wenn  Fieber  und 
andere  somatische  Symptome  durch  eine  gründliche  Untersuchung  nicht  nachweisbar 
sind.  Bisher  wurden  die  Ursachen  für  die  puerperale  Geisteskrankheit  mehr  in  psych. 
Affecten,  Einfluss  der  hereditären  und  individuellen  Disposition,  Circulationsstörung, 
Ernährungsstörung,  Erschöpfung  etc.  gesucht;  jedoch  die  meisten  Autoren  fanden  unter 


—    638    — 

den  geisteskranken  Wöchnerinnen  eine  nicht  geringe  Anzahl  mit  ernstlichen  Wochen* 
bettkrankheiten.  BerOcksichtigt  man  mehr  das  frische  Material  nnd  sieht  man  von 
den  Erfahrungen  der  Irrenanstalten  ab,  so  kann  man  die  Paerperalpsychose  als  eine 
kurze  heilbare  Geistesstörung  betrachten  (Tuke).  Meist  bietet  die  Erkrankong  die 
von  Fflrstner  beschriebene  Form  ,,hallucinatorisches  Irresein  der  Wöchnerinnen"  dar; 
diese  Form  hält  der  Verfasser  fflr  identisch  mit  WestphaPs  ,»aGute  YerrUcktheit'', 
Meynert's  ,»acute  hallucinatorische  Verwirrtheit'',  MendePs  ,,Mania  hallncinatoria", 
V.  Krafft-Ebing*s  ,,hallucinatorischer  Wahnsinn",  Mayser's  „acutes  asthenisches 
Delirium"  und  Konrad*s  „acute  hallucinatorische  Verworrenheit"  etc.  Von  deu 
42  Kranken  mit  Puerperalpsychose  starben  12,  und  zwar  3  Tage  bis  3  Wochen 
nach  dem  Begiim  der  Erkrankung.  Alle  12  boten  die  Symptome  einer  heftigen 
puerperalen  Infection  dar,  die  bei  7  erst  nach  dem  Tode  (Endometritis  etc.)  con- 
statirt  werden  konnte.  Bei  ^3  der  Wöchnerinnen,  welche  die  Krankheit  überlebten, 
„abortirte"  die  psychische  Störung  mit  einigen  Tagen  (meist  8)  hallucinatorischer  Ver- 
worrenheit, bei  16  dauerte  sie  weniger  als  1  Monat,  bei  2  nur  1  Tag.  In  der 
Mehrzahl  dauerte  die  Geisteskrankheit  nach  Schluss  des  ersten  Stadiums  kitaere 
oder  l&ngere  Zeit  unter  einer  andern  Form  fort  (Manie,  Stupidität,  Stupidität  mit 
Depression  etc.);  der  Verlauf  zog  sich  von  einigen  Wochen  bis  zu  1 — 2  Jahren  hin. 
Nur  in  einem  Falle  fand  der  Uebergang  in  wirkliche  Manie  statt  (Mayser  contra 
Meynert);  die  Krankheit  dauerte  V2  J^hr  bei  einer  Frau,  die  bereits  vorher  einmal 
geisteskrank  war  und  es  später  noch  zweimal  wurde;  stets  unter  der  Form  der  Manie. 
Der  Uebergang  in  hallucinatorische  Tobsucht  oder  Stupidität  nach  der  acuten  Ver- 
worrenheit fand  häufiger  statt,  um  mit  Genesung  zu  enden.  Jedenfalls  bezeichnet 
die  acute  hallucinatorische  Verworrenheit  am  besten  den  Symptomencomplex,  welchen 
die  puerperale  Infection  bei  gewissen  (disponirten)  Individuen  hervorruft  Eine  deut- 
liche üebereinstimmung  zwischen  der  Intensität  der  somatischen  wie  der  psychischen 
Symptome  zeigten  die  einzelnen  Fälle  nicht;  mitunter  dauerte  die  Psychose  nur  kurze 
Zeit,  wo  eine  ernstliche  somatische  Manifesüition  der  Infection  ihr  folgte,  und  anderer- 
seits dauerte  die  Psychose  zuweilen  bei  weitem  länger  als  die  Symptome  der  Infection. 
Bei  24  der  Wöchnerinnen  fand  sich  ernstliches  Fieber  zu  Anfang  der  Geistesstörung 
(Akmepsychose,  Fieberpsychose);  bei  4  begann  die  Psychose  mit  dem  Sinken  der 
Fiebertemperatur  (postfebrile  Psychose).  In  5  Fällen  trat  die  Psychose  einige  Tage 
vor  dem  Fieber  auf  (Prodromal-  oder  Incubationspsychose);  diese  5  Falle  verliefen 
lothal.  Der  Symptomencomplex  der  Psychose  war  meist  derselbe  und  die  gemein- 
schaftliche Ursache  wird  in  der  Infection  zu  suchen  sein  (Infectionsdelirien,  Infeciions- 
psychose).  Tritt  die  Psychose,  wie  in  der  bei  weitem  geringeren  Anzahl  der  Fälle, 
zur  Zeit  des  Incubations-  oder  postfebrilen  Stadiums  auf,  so  zeigt  sie  eine  gewisse 
Selbstständigkeit  und  Unabhängigkeit  von  dem  somatischen  Leiden;  im  Akmestadium 
hingegen,  wo  sie  mit  den  somatischen  Symptomen  zusammen  auftritt^  treten  diese 
oft  in  den  Vordergrund  und  man  bezeichnet  die  Psychose  als  Delirien;  erreicht  sie 
eine  besondere  Stärke,  so  bezeichnet  man  sie  als  Akmepsychose.  Die  Prodromal- 
psychosen  treten  bei  ernstlicherer  Infection  auf  als  die  Initial-  resp.  Akmepsychosen, 
und  diese  wiederum  bei  ernstlicherer  Infection  als  die  postfebrilen  Psychosen.  Eme 
scharfe  Differentialdiagnose  zwischen  Delirien  beim  Wochenbettfieber  mit  längerer 
Dauer  und  hallucinatorischer  Verworrenheit  und  zwischen  der  Puerperalpsychose  (acute 
hallucinatorische  Verworrenheit)  selbst,  hält  H.  nicht  für  durchführbar.  Es  handelt 
sich  da  nur  um  Gradunterschiede.  Auch  sieht  er  das  Delirium  acutum  bei  Wöch- 
nerinnen nicht  als  genuine,  von  der  Infection  unabhängige  Gehimkrankheit  an,  son- 
dern er  betrachtet  es  als  die  heftigste  Form  des  Infectionsdeliriums  resp.  der  In- 
fectioDspsychose;  meist  sind  diese  Fälle  mit  Pyämie  resp.  Septicämie  verbanden.  — 
Bei  den  Psychosen,  die  im  Puerperium  spät  entstehen,  findet  man  häufig  eine  Infection 
in  Form  von  Mastitis.  —  Was  die  Disposition  anbetrifft»  so  waren  unter  den  21  selbst 
beobachteten  geisteskranken  Wöchnerinnen  7  schon  fr&her  geisteskrank  gewesen,  eine 


—    689    — 

war  epileptiflch  und  3  hysterisch.  Von  den  18  Frauen,  die  von  diesen  21  an  der 
Infectionspsychose  litten  und  sämmtlich  im  frühen  Stadium  das  Bild  der  acuten 
hallucinatorischen  Verworrenheit  zeigten,  wnren  6  schon  Yorher  geisteskrank  (3  im 
früheren  Puerperium)  und  2  hatten  an  hysterischen  Krämpfen  gelitten.  —  Von  den 
7  geisteskranken  Wöchnerinnen  ohne  Infection  waren  3  so  lange  krank,  dass  sie  als 
unheilbar  in  die  Provinzialanstalt  überführt  werden  mussten.  Ealischer. 


Forensische  Psychiatrie. 

8S)  Die  GriminalpByohologie  in  ihrer  Beziehung  zum  Gefängniaaweien,  von 

Prof.  Dr.  Kirn  in  Freiburg  i.  Br.    (Sep.-Abdr.  aus  Handbuch  des  Gefangniss- 
wesen von  Prof.  Y.  Holtzendorff  und  Dr.  v.  Jagemann.  1888.) 

Verf.  behandelt  nach  einleitenden  Bemerkungen  die  menschliche  Willensfireiheit, 
die  Eintheilung  der  Verbrecher  nach  ihren  psychischen  Eigenschaften  (Gelegenheits- 
verbrecher, Gewohnheitsverbrecher),  die  Anthropologie  und  Pathologie  der  Verbrecher 
nach  den  Forschungen  der  verschiedenen  Culturländer  und  schliesst  mit  kritischen 
Betrachtungen.  Die  knappe  Diction,  wie  die  in  Gestalt  von  Thesen  auftretenden 
Ausführungen  gestatten  einen  Auszug  der  iuhaltsreichen  Schrift  nicht,  auf  welche 
hier  nur  hingewiesen  werden  soll. 

Hervorheben  als  bezeichnend  für  den  Standpunkt  des  Verf.  wollen  wir  hier  nur, 
dass  bei  einer  Classe  von  Verbrechern  zum  Theil  vererbte,  pathologische,  körper- 
lich bedingte  Zustände  vorbanden  sind,  welche  in  einem  ursächlichen  Verbältniss  zu 
der  bei  ihnen  bestehenden  Neigung  zur  Verübung  gesetzwidriger  Handlungen  stehen, 
dass  dagegen  die  von  mehreren  Autoren  geäusserte  Anschauung,  das  Verbrecherthum 
im  Allgemeinen  als  eine  pathologische  Erscheinung  aufzufassen,  schon  dadurch  hin- 
fallig wird,  dass  wir  in  den  Strafanstalten,  namentlich  m  den  Gefängnissen,  zahl- 
reiche Individuen  finden,  welche  auch  bei  genauer  psychischer  und  anthropologischer 
Untersuchung  keinerlei  Zeichen  irgend  einer  Abweichung  von  der  Norm  bieten. 

Ausführlich  bringt  Verf.  zum  Schluss  noch  eine  sehr  treffende  Schilderung  der 
sog.  Entartungszustände,  deren  Nachweis  allein  noch  nicht  zur  Annahme  einer  voU- 
kommnen  geistigen  Unfreiheit  genügt.  Er  plaidirt  für  diese  Zustände,  soweit  sie 
nicht  zu  Geisteskrankheiten  entwickelt  sind,  für  mildernde  Umstände.  Mit  vollem 
Becht  legt  er  aber  den  Hauptwerth  hier  auf  den  Strafvollzug,  in  die  Strafanstalt, 
welche  eine  dem  Zustande  entsprechende  individualisirende  Behandlung  durchzuführen 
habe.  M. 

Therapie. 

33)  Ueber  Atropin  und  Hyosoyamin,  Vortrag  des  Dr.  W.  Will.  (Verhandlungen 
der  Physiologischen  Gesellschaft  zu  Berlin.  1888.  Nr.  13—16.) 

Schon  lange  war  es  bekannt,  dass  Belladonin,  Daturin,  Hyoscin  etc.  nur  Gemenge 
von  Hyoscyamin  und  Atropin  resp.  Hyoscin  seien,  wie  dass  sich  aus  den  Spaltungs- 
producten  des  Hyoscyamins  das  Atropin  wieder  aufbauen  lasse.  Nun  ergab  sich  in 
der  früher  Schering'schen  Fabrik  bei  Verarbeitung  von  Belladonnawurzel  zu  Alkaloid, 
dass  man  aus  derselben  Wurzel  um  so  weniger  Atropin  und  um  so  mehr  Hyoscyamin 
erhielt,  je  sorgfältiger  man  arbeitete;  bei  richtiger  Verarbeitung  gut  behandelter 
Belladonnawurzel  erhält  man  nur  Hyoscyamin.  Es  gelang  W.,  das  Hyoscyamin  anf 
verschiedene  Methoden  glatt  in  Atropin  überzuführen  (Erhitzen  auf  110^  im  Eoch- 
salsbad  oder  Zusatz  von  Natron  oder  Kalilauge  in  alkoholischer  Lösung).  Bei  der 
Verarbeitung  der  Belladonnawurzel  wurd  stets  das  Alkaloid  durch  ein  Alkali  in  Frei- 
heit gesetzt  und  die  Zeitdauer  der  Berührung  mit  demselben,  sowie  die  Concentration 
eines,  modiflciren  das  Verhältniss,  in  welchem  Atropin  und  Hyoscyamin  ausgebracht 
werden.  Kalischer. 


-~    640    — 

34)  On  poisoning  by  Antipyrin,  by  0.  Jennings.    (The  Lancet).  1888.  YoL  1. 
Nr.  3365.) 

Ein  67jähr.  Fräulein  mit  rheumatiscben  Gelenkaflfectionen  nahm  t&glioh  2^/,  g 
Antipjrrin  ein.  Am  9.  Tage  der  Medication  rothe  Flecke  an  den  Armen,  Schlaflosig- 
keit; eiskalte  Füsse,  am  folgenden  Tage  starkes  Oedem  des  Gesichts.  Die  nicht 
jackenden  rothen  Flecke  hatten  die  Grösse  eines  ^^threepenny^'-Stflcks  und  bedeckten 
den  ganzen  Körper  äusserst  dicht,  ohne  aber  zu  verschwimmen.  Conjunctivitis,  Heiser- 
keit; leichter  Schnupfen  und  Appetitlosigkeit  folgten.  Puls  76,  während  er  sonst  35 
betrug  (I),  niedrige  Temperatur,  Haut  kühl.  Geringes  Ohrensausen.  Unter  kleinen 
Dosen  von  Belladonnatinctur  verloren  sich  die  Symptome;  EältegefQhl  und  Hinfällig- 
keit bestehen  noch  fort. 

In  einem  anderen  Fall  trat  am  2.  Tag  einer  Medication  von  5  g  Antipyrin  pro 
die  Verwirrtheit  und  Gedächtnissschwäche  auf;  es  folgte  eine  schwere  6wöchentliche 
Gastroenteritis  und  langsame  Besserung  der  Intelligenz. 

In  einem  dritten  Falle  Schwellungen  auch  im  Halse,  68tündiger  Erstickungsanfall, 
nicht  juckendes  Exanthem  und  Hyperidrosis.  Th.  Ziehen. 


35)  De  Temploi  de  rHyosoiamine  comme  hypnotique,  par  G.  Lern o ine,  Lille. 
(Gaz.  möd.  1888.  Nr.  28  et  29.) 

L.  räth  das  Hyoscyamin  nur  in  kleinen  Dosen  (1 — 5  mg)  anzuwenden.  2  mg 
genügten  bei  neurasthenischer  Agrypnie  meist  zur  HerbeifflhruDg  eines  Sstundigen 
Schlafes  binnen  1 — 2  Stunden.  Bei  dieser  Anwendungsweise  traten  niemals  unan- 
genehme subjective  oder  objective  Nebenerscheinungen  auf.  Eine  Angewöhnung  tritt 
überhaupt  nicht  ein.  Auch  bei  erregten  Geisteskranken  genügen  die  obigen  Dosen. 
Unter  mehr  als  120  Fällen  versagte  das  Mittel  nur  lOmal.  Es  ist  wirksamer  als 
Chloral  und  Bromkali.  Bei  Geisteskranken  versagt  es  zuweilen  in  den  ersten  Nächten, 
in  der  dritten  beginnt  seine  Wirkung,  welche  nun  fortgesetzt  zunimmt  bis  zum  Ver- 
schwinden jeder  nächtlichen  Erregung.  Alle  Formen  der  Geistesstörung  sind  geeignet 
Die  Verabreichung  kann  statt  per  Injectionem  auch  in  Granulös,  die  man  in  etwas 
Wasser  auflöst,  erfolgen.    Specielie  Beeinflussung  des  Zerstörungstriebs  sah  L.  nicht. 

Th.  Ziehen. 

IIL  Bibliographie. 

Anthropologische  Methoden.    Anleitung  ssum  Beobachten  und  Sammeln, 

von  Dr.  Emil   Schmidt,  Docent  für   Anthropologie  an  der  Universität  Leipzig. 
(Veit  &  Comp.     1888.    Preis  6  M.) 

Die  vorliegende  Arbeit  enthält,  abgesehen  von  einer  Reihe  von  Dingen  von  allge- 
meinem Interesse,  für  den  Neurologen  und  speciell  für  den  Psychiater  eine  sehr  gute 
und  praktische  Anleitung  zur  Schädelmessung  sowohl  beim  Lebenden,  wie  beim  Todten. 
Besonders  die  Craniometrie  der  letzteren  ist  mit  grosser  Sorgfalt  ausgearbeitet  Auch 
der  Ermittelung  der  topographischen  Beziehungen  zwischen  Schädel-  und  Gehirn- 
Oberfläche  ist  gedacht. 

Da  die  Arbeiten,  welche  die  Schädelmessung  behandeln,  in  sehr  verschiedenen 
Zeitschriften  veröffentlicht,  und  dieselben  in  der  Kegel  schwer  zu  eriangen  sind,  so 
kann  man  dem  Verf.  nur  Dank  wissen,  dass  man  hier  eme  übersichtliche  Zosammen- 
stellung  des  nach  dieser  Richtung  hin  Wissenswerthen  bekommt.  li. 


Einsendungen  für  die  Redaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel* 

Berlin,  NW.  Schiffbauerdamm  20. 


Verlag  von  Yxit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzobb  &  WiTXia  in  Leipzig. 


NEUROLOGISCHESCENTRALBLAn. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  Yon 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  »"  ^m»-  Jahrgang. 

Monatlich  erscheinen  zwei  Nummern.   Preis  des  Jahrganges  20  Mark.   Zu  besehen  durch 
alle  Bnchhandlnngen  des  In-  and  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs»  sowie 

direct  von  der  Verlagsbuchhandlung. 


1888.  1.  December.  M  23. 

Inhalt.  I.  Origiimlmlttheilung.  Oiiginalbericht  der  Gesellschaft  für  Psychiatrie  und 
NerTenkrankheiten  zu  Berlin  am  12.  November  1888,  von  UMhoff»  BomharA,  Remak,  Mtrtius, 
und  OppMihoim. 

II.  Referate.    Anatomie.    1.  Eine  neue  Anwendung  der  Paraffin-Methode,  von  Krauss. 

—  Experimentelle  Physiologie.  2.  Toxikologisches  über  das  Hydroxvlamin,  von  Blnz. 
3.  Des  N^Txites  proYoqu^  par  le  contact  de  Talcool  pur  ou  dilu^  aveo  les  Ner&  viTants, 
par  Pitros  et  Vaillard.  —  Pathologische  Anatomie.  4.  Sülle  degenerazioni  consecutive 
alla  estirpazione  totale  e  parziale  del  cerveletto,  del  Marehl.  5.  Untersuchungen  über  458 
nach  Meynerfa  Methode  getheilte  und  gewogene  Gehirne  von  geisteskranken  Ostpreuaaen, 
von  Jenson.    6.  Das  Gewicht  des  Gehirns  und  seiner  Theile  bei  Geisteskranken,  von  TIgqos. 

—  Patholof^ie  des  Nervensystems.  7.  Neuritis,  von  Remak.  8.  Mededeelingen  uit  net 
beri-beri  gestiebt  te  fiuitenzorg,  door  van  Eecko.  9.  Peripheral  neuritis  in  enteric  fever,  by 
Handford.  10.  A  case  of  double  wrist  drop  apparently  due  to  multiple  neuritis  of  alcoholic 
origin,  by  Buzzard.  11.  Ueber  apoplectiforraes  Einsetzen  neuritischer  Erscheinungen,  von 
DMboif.  12.  Wasting  palsv  of  arm,  by  Barrt.  13.  Fracture  de  la  elavioule,  cal  vicieux  ayant 
d^teimin^  de  la  n^vnte  du  plexus  bracMal,  par  Boaumd.  14.  Sur  une  döformation  partiouli^re 
du  trone  causde  par  la  sciatique,  par  Bablntki.  15.  Peripheral  neuritis  in  acute  rheumatism 
and  the  relation  of  muscnlar  atirophy  to  affections  of  the  joints,  by  Bury.  16.  A  contribution 
on  the  tiieorv  of  the  nervous  ongin  of  rheumatoid  Arthritis,  by  Garrod.  17.  Degeneration 
of  the  peripneral  nerves  in  locomotor  ataxia,  by  Shaw.  18.  fiecherches  cliniques  sur  les 
troubles  de  la  sensibilit^  cutan^e  dans  la  Chlorose,  par  Laporto.  19.  Ein  Fall  von  spontaner 
symmetrischer  Gangran,  von  Stolnor.  20.  Case  of  Baynaud's  disease  or  symmetrical  gannene, 
by  Smith-Shand.  21.  Paramyoclonus  multiplex  nahestehendes  Erankheitsbild,  von  Kny.  22.  Para- 
myocIonuB  multiplex,  by  Fry.  28.  Ueber  Paramyoclonus  multiplex  -und  idiopathische  Muskel- 
krämpfe, von  Uterina.  24.  Paramyoclonus,  von  SeollgmOllor.  --  Psychiatrie.  25.  Ueber 
Simutation  geistiger  Störungen,  von  FOrstnor.  26.  Erfahrungen  über  ^Simulation  von  Irrsinn 
und  das  Zusammentreffen  derselbem  mit  wirklicher  geistiger  Erkrankung,  von  Fritsch.  27.  Di 
an  nuovo  criterio  diagnostico  nella  paralisi  progressiva  derivato  daU'anallsi  delle  orine,  del 
Harro,  -r  Therapie.  28.  Notes  on  the  cause  and  treatment  of  fünctional  insomnia,  by 
Sacht.  29.  Permanganate  of  potasdum  in  the  treatment  of  amenorrhoea  assodated  with 
mental  disease,  by  Macdonald.  80.  The  treatment  of  migraine  with  indian  hemp,  bvGroono. 
31.  Ueber  Hyoscin  und  Hyoscvamin  in  der  Psychiatrie,  von  Mloth.  ^2.  Beitrag  zur  Wirkung 
des  Aconitins,  von  Cohn.  —  Anstaltswesen.  88.  Verslag  omtrent  het  geneeskundig  ffe- 
sticht  voor  Krankzinnigen  te  Utrecht  over  het  jaar  1887,  door  Moll.  84.  Bericht  über  die 
Provinzial-Irren-Anstalt  zu  Leubns  in  Schlesien,  von  AKor. 

III.  Aus  den  Gosellschaften.  American  Neurological  Association,  Washington.  New  York 
Neurological  Society. 

IV.  Perionallon. 


87 


—    642    — 

I.  OriginalmittheiluiLgen. 


Originalbericht  der  Gesellschaft  fär  Psychiatrie  und 
Nervenkrankheiten  zu  Berlin  am*  12,  November  1888/ 

Herr  Uhthoff  stellt  eine  27jälir.  Patientin  mit  multipler  Sklerose  vor,  die 
seit  ca.  Vi  Jahre  auch  an  einer  Sehstöning  und  pathologischen  ophthalmoekopischen 
Yeränderungen  leidet  Die  Sehstöning  begann  auf  dem  rechten  Auge  plötzlich, 
auf  dem  linken  ganz  allm&hlich.  Zur  Zeit  besteht  auf  beiden  Augen  centrales 
Ringskotom  und  zwar  in  der  Weise,  dass  der  Fixirpunkt  frei;  eine  kleine,  den 
Fixirpunkt  umgebende  Zone  jedoch  eine  Farbenstörung  aufweist  Eine  solche 
Form  des  Skotomes  gehört  bei  Stammerkrankungen  des  Nervus  opticus  zu  den 
grossen  Seltenheiten.  U.  schliesst  an  diesen  Fall  noch  Bemerkungen  über  das 
Auftreten  der  Sehstörung  bei  multipler  Sklerose  im  Allgemeinen  und  über  das 
Vorkommen  des  centralen  Skotoms  dieser  Erkrankung  im  Speciellen,  femer  über 
das  Yerhältniss  vom  ophthalmoskopischen  Befund  zur  Oesichtsfeldstönmg. 

Hierauf  hält  Herr  Bebmhabdt  den  angekündigten  Vortrag  über  Peroneus- 
lähmungen (mit  Erankenvorstellung). 

Der  erste  Fall  betraf  einen  früher  gesunden  Asphaltleger,  welcher  am 
18.  September  1888  nach  mehrstündiger,  in  kniehockender  Stellung  vollbrachter 
Arbeit  sich  mit  einer  vollkommen  rechtsseitigen  Lähmung  im  Oebiet  des  Nervus 
peroneus  erhob.  Die  Lähmung  erwies  sich  bei  der  etwa  14  Tage  später  erfolgten 
ersten  Untersuchung  als  eine  im  elektrodiagnostischen  Sinne  leichte;  subjective 
Sensibilitätsstörungen  bestanden  hinten -aussen  an  der  Wade  etwa  vom  zweiten 
Drittel  ab,  welche  sich  nach  vom  bis  zur  Schienbeinkante,  nach  abwärts  bis 
zur  grossen  Zehe  hin  erstreckten.  —  Redner  macht  auf  die  relative  Seltenheit 
der  Dmcklähmungen  an  den  unteren  Extremitäten  gegenüber  solchen  an  den 
oberen  z.  B.  dem  N.  radialis  aufmerksam,  zugleich  auf  ähnliche  schon  1883  von 
Zbnkeb  und  Roth  bei  Eartoffelfeldarbeitem  und  im  Jahre  1885  von  Ott  bei 
einem  Manne  angestellte  Beobachtungen  hinweisend,  wobei  eben&Us  der  in  hocken- 
der kniegebeugter  Stellung  auf  den  N.  peroneus  ausgeübte  Drack  das  ätiologische 
Moment  der  beobachteten  Fuss-  (vorwiegend  Peroneus-)  Paresen  abgab. 

An  zweiter  Stelle  wurde  ein  22jähriger  Mann  vorgestellt,  der  vor  12  Jahren 
durch  einen  herabfallenden  schweren  Ast  eine  tiefe  Schädel-  und  Hirnverletzung 
am  hinteren  oberen  Winkel  des  rechten  Scheitelbeins  erlitten  hatte.  Zwei  Tage 
war  der  Kranke  damals  bewusstios  und  einige  Zeit  vollkommen  linksseitig  ge- 
lähmt: die  Paralyse  der  linken  oberen  Extremität  besserte  sich  bald,  die  der 
linken  unteren  erst  nach  Monaten.  —  Dann  aber  war  der  Pat  bis  vor  7  Wochen 
gesund;  seit  dem  hat  sich  neuerdings  eine  Parese  des  linken  Beins  und  spedell 
des  linken  Fusses  eingestellt,  dessen  Dorsalflexion  sehr  behindert  ist  Diese  bildet 
zur  Zeit  das  Haupthindemiss  für  das  freie  Fortschreiten.  —  Die  elektrische  Er- 
regbarkeit  ist  auch  im  paretischen  Gebiet  wohl  erhalten,  desgleichen,  was  speciell 
hervorgehoben  wird,  die  Sensibilität  Das  Eniephänomen  ist  links  ausgeprägter 

^  Nach  den  Referaten  der  Herren  Autoren. 


643    — 

als  rechts,  massiger  Dorsalklonus  des  Fusses  besteht  nur  links.  Die  linken  Ex- 
tremitäten, spedell  die  unteren,  sind  an  Umfang  im  Vergleich  zu  den  rechten 
magerer.  Dabei  ist  aber  zur  Zeit  die  linke  obere  Extremität  vollkommen  in- 
tact  Desgleichen  sind  Ungleichheiten  im  linken  Facialisgebiet  nicht  zu  con- 
statiren. 

P^che,  Sinne,  Sprache  intact. 

Zieht  man  eine  Linie  vom  Eingang  des  rechten  äusseren  Gehörgangs  zum 
linken,  so  findet  man  in  einer  Höhe  von  16  cm  oberhalb  des  rechten  äusseren 
Gehörgangs  und  etwa  2  cm  hinter  dieser  Linie  eine  tiefe  Enochennarbe,  welche 
nach  dem  Vortragenden  etwa  der  obersten  Partie  des  rechten  oberen  Scheitel- 
lappens oder  dem  rechten  Lobulus  paracentralis  entspricht,  derjenigen  Stelle, 
welche  man  nach  neueren  Forschungen  als  die  Inuervationsstelle  der  contra- 
lateralen unteren  Extremität  aufzufassen  hat 

Die  hier  zu  beobachtende  Parese  im  linken  Peroneusgebiet  ist  also  keine 
peripherische,  sondern  eine  centrale  und  nur  eine  Theilerscheinung,  wenn 
auch  die  hervorragendste  der  die  gesammte  linke  Unterextremität  betreffenden 
Parese. 

Des  Weiteren  bespricht  B.  einen  Fall  von  partieller  (nur  den  N.  peroneus 
profundus  betreffender)  aber  im  elektrodiagnostischen  Sinne  schwerer  Peroneus- 
lähmung, den  er  1883  bei  einem  Manne  beobachtete,  welcher  damals  ausser 
dem  Westphal'schen  Phänomen  und  massiger  Behinderung  der  Blasenentleerung 
kein  weiteres  Erankheitssjmptom  darbot.  Die  Lähmung  nahm  fast  ein  Jahr 
zu  ihrer  vollkommenen  Heilung  in  Anspruch.  Jetzt,  im  Jahre  1888,  also  5  Jahre 
seit  dem  Auftreten  der  Peroneuslähmung,  sind  unzweideutige  Symptome 
der  Tabes  vorhanden  (crises  laryng^es,  crises  gastriques,  lancinirende  Schmerzen, 
Impotenz  etc.  etc.) ;  es  ist  mithin  bei  sonst  scheinbar  ohne  äussere  Veranlassung 
auftretenden  Peroneuslähmungen  auf  Zeichen  eines  etwa  vorhandenen  tieferen 
centralen  Leidens  zu  fahnden,  da  derartige  Lähmungen  peripherischer  Nerven 
(speciell  des  Peroneus)  auch  schon  im  Frühstadium  der  Tabes  zur  Beobachtung 
kommen  und  auf  die  Diagnose  führen  können. 

Schliesslich  macht  B.  mit  Uebergehung  der  durch  toxische  Einwirkungen 
(Alkohol,  Blei,  Arsenik)  bedingten  meist  doppelseitig  vorkommenden  Peroneus- 
lähmungen auf  die  einseitig  nach  Erkältung  (Infection?)  vorkommenden  rheu- 
matischen und  die  eim'gemale  von  ihm  auch  bei  Wöchnerinnen  beobachteten 
Lähmungen  im  Bereich  des  Ischiadicus,  speciell  des  Peroneus  aufmerksam.  In 
leteteren  Fällen  war  eine  Dmckläsion  des  N.  isch.  im  Becken  durch  den  Kopf 
des  Kindes  oder  die  Manipulationen  des  Geburtshelfers  nicht  immer  nachzuweisen. 
—  Andere  traumatische^  durch  zufällige  Verletzungen  entstandenen  Peroneus- 
lähmungen sind  bei  dieser  Betrachtung  nicht  berücksichtigt  worden. 

Herr  Bemak  will  den  zweiten  Fall  von  cerebraler  Monoplegie  der  Unter- 
extremität als  Peroneuslähmung  ebensowenig  gelten  lassen,  wie  eine  besonders 
starke  Betheiligung  der  Streckmuskeln  am  Vorderarm  bei  Hemiplegien  als  Radialis, 
lähmung  bezeichnet  würde.  Bezüglich  der  Frequenz  der  Peroneuslähmungen  im 
Verhältniss  zu  den  Lähmungen  an  der  Oberextremität  kamen  auf  105  periphe- 


—    644    — 

Tische  Radialisparalysen  (die  Bleilähmungen  nicht  mitgerechnet)  20  peripheiische 
Peroneuslähmungen  zur  Beobachtung,  unter  welchen  9  traumatisch  entstanden 
waren  (Druck,  Zerrung  etc.).  Ganz  wie  in  dem  zuerst  vorgestellten  Falle  hatte 
sich  ein  Tischler  beim  Abhobeln  emes  Fussbodens  in  der  l^elage  schon  in  den 
ersten  Tagen  dieser  ungewohnten  Arbeit  eine  Peroneuslähmung  zugezogen,  weldie 
unter  elektrischer  Behandlung  in  8  Tagen  heilte.  Ein  anderer  Fall  war  plötz- 
lich durch  Zerrung  beim  Fehltreten  auf  einer  Nothtreppe  entstanden.  Zweimal 
war  die  Peroneuslähmung  eine  Folge  von  Extensionsversuchen  bei  Contractureu 
des  Kniegelenks  aufgetreten,  einmal  bei  einem  Hemiplegiker.  Hier  bestand  eine 
schwere  Form  der  partiellen  Entartungsreaction  und  fehlte  zuerst  das  Fuss- 
phänomen,  trat  aber  alsbald  auf  bei  fortbestehender  galvanomusculärer  EaB  der 
Peroneusmusculatur,  was  fOr  das  Yerhältniss  der  Sehnenphänomene  zur  EaB 
von  Interesse  scheint.  3  Fälle  schwerer  Peroneuslähmung  kamen  nach  acuten 
Krankheiten  vor  (Gelenkrheumatismus,  Masern,  Scharlach),  die  übrigen  traten 
unter  neuritischen  Erscheinungen  oder  dem  Bilde  einer  Ischias  auf  einmal  bei 
einer  Sechsgebärenden  nach  praedpitirter  Geburt  auf.  Hier  war  noch  eher  an  den 
Druck  des  Kindskopfes  auf  den  Plexus  im  Becken,  als  an  die  von  Herrn  B. 
erwähnte  puerperale  Neuritis  zu  denken.  Nachdem  Redner  schon  1874  gelegent- 
lich Peroneuslähmung  in  einem  Falle  von  Tabes  beschrieben,  hat  er  diese  Com- 
plication  noch  dreimal  gesehen.  Ein  Patient,  welcher  wegen  der  partiellen 
Localisation  der  degenerativen  Lähmung  im  M.  tibialis  anticus,  als  Beobach- 
tung XIX  in  der  Arbeit  „lieber  die  Localisation  atrophischer  Spinallähmungen  etc.'' 
1879  beschrieben  wurde,  kam  einige  Jahre  später  mit  ausgebildeten  Symptomen 
der  Tabes.  Da  seine  vorübergehende  partielle  Peroneuslähmung  unter  Kreuz- 
schmerzen aufgetreten  war,  wurde  seinerzeit  eine  partielle  Plexuserkrankung 
.ungenonunen. 

Herr  Mabtius:  M.  H.I  Im  Anschluss  an  den  Vortrag  des  Heim  Bkbn- 
HABDT  erlaube  ich  mir,  eines  Falles  von  Peroneus-Lähmung  kurz  Erwähnung  zu 
thun,  den  ich  auf  der  H.  med.  Klinik  beobachtete  und  der  nach  mehreren  Rich- 
tungen hin  einiges  Interesse  beanspruchen  dürfte. 

Es  handelte  sich  um  einen  21jährigen  Bäckergesellen,  der  im  Nov.  1886 
wegen  eines  linksseitigen  Empyems  aufgenommen  wurde.  14  Tage  nach  der 
Aufoahme  wurde  die  Radicaloperation  mit  Rippenresection  vorgenommen  •  nnd 
eine  grosse  Menge  dünnflüssigen^  stinkenden  Eiters  entleert  Pat  überstand 
die  Operation  gut.  Die  Heilung  nahm  sehr  lange  Zeit  in  Anspruch.  Etwa 
ein  Jahr  nach  der  Operation,  als  Pat.  noch  mit  oflfener,  secemirender  Fistel 
im  Bett  lag,  wurde  eines  Tages  eine  Lähmung  des  rechten  Fusses  bemerkt 
Befragt  erklärte  Pat,  seit  etwa  4  Wochen  eine  zunehmende  Schwäche  des 
rechten  Fusses  verspürt,  aber,  da  sie  ihn  bei  ruhiger  Betüage  nicht  störte, 
nicht  weiter  beachtet  zu  haben.  Die  objective  Untersuchung  ergab  den  typischen 
Befund  einer  Lähmung  der  vom  Ramus  profundus  des  N.  peron.  versorgten 
Huskeln:  des  M.  tibial.  ant,  Extens.  comm.  und  Ext  hall.  long. 

Die  elektrische  Untersuchung  ergab  folgendes  Resultat: 


—    645    — 


Nervus  peroneus. 

Links. 
Rdaotion  im   ganzen  |  60  Mm.  B.  A. 
Peroneosgebiet 


Zacknngen  blitzartig 


H 


Farad.  B. 


64  Mm.  B.  A. 


3  M.  A. 
8  M.  A. 


£l.  ö.  Z. 
An.  S.  Z. 


6  M.  A. 
8  M.  A. 


Bechts. 
Tetanns  des  peron.  longus. 
Tibial.  ant.  und  Extens.  blei- 
ben aach  bei  stärksten  Strö- 
men nnerregt. 
INnr  im  Peron.  long. 
M.  tib.  antic.  und  Extensoren 
bleiben  vollkommen  anerregt. 


Musculus  tibialis  auticus. 


Zuckungen  blitzartig  { 


6  M.  A. 

8  M.  A. 

65 


K.  o.  Z. 
An.  S.  Z. 
Farad.  B. 


6  M.  A. 

6  M.  A. 

35  Mm.  B.  A. 


IZuckungen  deutlich  träge. 

DieBeaction  vorhanden, 
aber  exquisit  träge. 
Der  Muskel  schwillt 
sehr  allmählich  teta- 
nisch  an. 


Faradocutane  Sensibilität  und  Schmerzhaftigkeit  an  der  Aussenseite  des 
rechten  Unterschenkels  bedeutend  herabgesetzt.  Dieser  Befund  unterscheidet 
sich  von  der  typischen  Entartungsreaotion  nur  dadurch,  dass  der  Muskel, 
anstatt  unerregbar  gegen  den  directen  farad.  Strom  zu  sein,  auf  denselben  mit 
einem  ,ytragen''  Tetanus  antwortete.  Unser  Fall  zeigte  also  die  von  K  Remak 
zuerst  als  faradische  Entartungsreaotion  beschriebene  Modification  der  E.A. 
Die  ,,indirecte  Zuckungstragheit''  Ebb's  fehlte  dabei  ganz.  Man  kann  den  Be- 
fund am  besten  wohl  kurz  so  charakterisiren,  dass  neben  typischer  gälvano- 
mnskulärer  Ea.B.  ausgesprochene  faradomuskuläre  EaJK.  bei  völliger  Unerreg- 
barkeit  des  Nerven  für  beide  Stromesarten  bestand.  (Yergl.  über  diesen  Punkt: 
E.  Bebcak,  über  faradische  Entartungsreaction.  Tagebl.  der  59.  Naturt-Yers. 
Berlin  1886.  ä  218.  Femer:  M.  Bebnhabbt,  Beitrag  zur  Lehre  von  den 
Modificationen  der  partiellen  Entartungsreaction.  GentnJbl.  für  Psych,  etc.  von 
Eklenmbyeb.  1887.  Nr.  7.  S.  193,  und  Stinziko:  Die  Varietäten  der  Entar- 
tungsreaction und  ihre  diagnostisch-prognostische  Bedeutung.  Deutsch.  Arch.  f. 
klin.  Med.   1886.) 

Von  einigem  Interesse  erschien  es  mir  nun,  den  Fall  dazu  zu  benutzen, 
um  genauer,  als  es  durch  die  blosse  Beobachtung  möglich  ist,  mit  Hülfe 
graphischer  Apparate  den  eigenthümlich  trägen  Ablauf  der  tetanischen  Con-^ 
traction  bei  der  faradomuskulären  Ea.B.  zu  studiren.  Folgende  Vorrichtung 
erwies  sich  als  sehr  geeignet  für  diesen  Zweck. 

Auf  genau  symmetrische  Punkte  der  Sehnen  des  M.  tibial.  ant.  wurde 
beiderseits  je  die  Pelotte  eines  Marey^schen  Tambour  enregistreur  —  genau 
wie  bei  Polsuntersuchungen  auf  die  betreffende  Arterie  —  aufgebunden.  Diese 
Aufnahme-Trommeln  standen  durch  gleich  lange  Schlauche  mit  den  entsprechen- 
den B^istrir-Trommeln  des  Grunmach'schen  Polygraphion  in  Verbindung.  Dann 
wurden  zwei  Erhasche  Normalelektroden  (also  von  gleichem  Querschnitt)  auf  die 
einander  genau  entsprechenden  motorischen  Punkte  der  beiden  M.  tibial.  ant. 


au^esetzt.  Bei  DurcMeitnng  eines  constantea  Stromes  mossten  also  beide 
Moskeln  gleichzeitig  add  (da  die  HaotwiderstäDde  an  den  beiden  symmetrischen 
Stellen  als  gleich  angesehen  weiden  konnten)  mit  genau  gleicher  Stiom- 
stärke  nnd  Stiomdichte  gereizt  werden,  nur  dass  an  dem  einen  Anoden-, 
an  dem  andern  Kathoden  -  Reizung  Statt  hat  Ein&che  Stromwendung  im 
metallischen  Tbeil  der  Leitung  bei  unverrückten  Elektroden  gab  das  umgdtebrte 
VerhälbiisB.  So  erhielt  ich  unmittelbar  unter  einander  geschrieben  die  normalen 
und  die  der  Ea.R.  eigenthümlichen  Ka.  und  An.S- Zuckungen  zrreier  gleicher 
Muskeln  unter  genau  gleichen  Bedingungen. 

Da  die  galvanomuskuläie£a.B.  schon  verschiedentlich  graphisch  veizeicbnet 
wurde  (wenn  auch  meines  Wissens  noch  nicht  in  der  angegebenen,  genaue 
Vergleichnng  ermöglichenden  Form),  so  will  ich  auf  die  Analyse  der  so  ge- 
wonnenen interessanten  Gurren  nicht  weiter  eingehen.  Wichtiger  ist  mir,  dass 
sich  in  derselben  Welse  nun  auch  der  träge  faradomuskuläre  Tetanos  gleich- 
zeitig mit  dem  des  gesunden  Muskels  aufschreiben  liess. 


In  dem  obenst«henden  Gurvenabschnitt  stammt  die  obere  Cnrve  von  dem 
degenerativ-atrophischen  rechten,  die  untere  von  dem  gesunden  linken  Muskel. 
Die  beiden  vertioaleu  Stücke  bezeichnen  isochrone  Punkte  der  beiden  Corven. 
Zunächst  fällt  bei  der  Veigileichung  der  sehr  viel  grössere  motorische  Effect 
des  gesunden  Muskels  in  die  Augeu.  Deutlich  ist  femer  das  schnellere  An- 
steigen und  Abfallen  der  Gurve  des  normalen  Muskels  ausgeprägt  Am  aof- 
ßUigsten  ist  aber  die  Thatsache,  dass  bei  völliger  Gleichzeit^keit  des  Einbrecliens 
der  Beize  der  kranke  Muskel  sich  um  eine  bemerkbare  Zeit  später  zu  coutra- 
hiren  b^nnt,  als  der  gesunde.  Da  gleichzeitig  mit  den  Telauus-Gurven  die 
Zeit  in  Hundertstel-Secunden  aufgeschrieben  wurde,  so  lies  sich  die  der  Strecke 
a — b  ent^rechende  Zeit  leicht  ermitteln.  Sie  beträgt,  an  mehreren  Curven  ge- 
messen, Öbereinstimmend  10  Bnndertstel  See.  Um  diese  Grösse  ist  also  dem 
diiecten  Beize  tetanisirender  Wechselströme  gegenüber  die  Zeit  der  latenten 
Reizung  des  erkrankten  Muskels  gewachsen. 

Von  weit«rem  Interesse  ist  femer  bei  unserem  Falle,  dass  die  auf  graphi- 


—     647     — 

sohem  Wege  gewissennaassen  actenmassig  festgestellten  Veränderungen  der 
Err^barkeit  auffallend  schnell  wieder  verschwanden.  Schon  4  Wochen  nach 
Entdeckung  der  Lähmung  war  die  Willkürbeweglichkeit  wiedergekehrt,  bildeten 
sich  die  normalen  Erregbarkeitsverhältnisse  zurück. 

Derartig  schnelle  Rückbildungen  eines  ausgesprochen  d^enerativ-atrophischen 
Processes  in  einem  gelahmten  Nerv -Muskelgebiet  kommen  erfahrungsgemäss 
wohl  nur  den  Lähmungen  bei  peripherer  Neuritis  zu.  Dass  es  sich  um  eine 
solche  gehandelt  habe,  dafür  spricht  neben  der  Abwesenheit  jeder  andern  pal- 
pabeln  Ursache  (Trauma  etc.)  wohl  noch  besonders  die  im  Oebiete  des  Nerv, 
comm.  peron.  nachgewiesene  Sensibilitätsstörung.  Dass  im  Anschluss  an  er- 
schöpfende, namentlich  auch  an  mit  Eiterung  einhergehende  Krankheiten  peri- 
phere Neuritiden  sich  entwickeln  können,  ist  eine  bekannte  Erfahrung.  Nament- 
lich an  die  im  Verlaufe  eines  schweren  Puerperiums  sich  entwickelnden 
derartigen  Fälle  wäre  zu  erinnern.  Hier  handelte  es  sich  offenbar  um  eine  an 
ein  Empyem  sich  anschliessende  periphere  Neuritis,  die  zur  degenerativ- 
atrophischen  Lähmung  nur  eines  Zweiges  des  Peroneus-Gebietes  geführt  hat.  — 

Herr  Rbmak  bemerkt  zu  dem  soeben  mitgetheilten  elektrodiagnostischen 
Befunde,  dass  er  in  einem  Vortrag  „Ueber  fetradische  Entartungsreaction''  auf 
der  Berliner  Naturforscherversamnüung  1886  (Tageblatt  S.  618)  mehrere  Be- 
obachtungen von  faradischer  EaB  bei  aufgehobener  Nervenerregbarkeit  mitgetheilt 
und  aus  diesen  gefolgert  habe,  dass  seine  foradische  EaB  der  Muskeln  und  die 
indirecte  Zuckungstragheit  (Ebb)  auseinandergehalten  werden  müssen. 

Herr  Oppenheim:  lieber  einen  Fall  von  combinirter  Erkrankung 
der  Bückenmarksstränge  im  Eindesältef. 

Die  Beobachtung,  die  ich  heute  mittheilen  werde,  ist  noch  nicht  ganz  ab- 
geschlossen, hat  aber  zu  einzelnen  Ergebnissen  geführt,  die  an  sich  von  Interesse 
und  der  Besprechung  würdig  sind. 

Das  15jährige  Mäddien  wurde  im  Mai  1886  zum  ersten  Male  in  die 
Charit^  aufgenonmien.  lieber  die  Entwickelung  der  damals  bestehenden  Krank- 
heitserscheinungen konnte  nicht  viel  Bestimmtes  ermittelt  werden.  Angehörige 
hatte  die  Fat.  nicht  und  die  eigenen  Angaben  derselben  mussten  mit  Vorsicht 
aufgenommen  werden. 

Nach  denselben  wax  sie  gesund  bis  zum  zehnten  Lebensjahre,  überstand 
dann  die  Masern,  im  Anschluss  daran  soll  sich  eine  fortschreitende  Sehstörung 
auf  dem  rechten  Auge  entwickelt  haben,  die  weiteren  Ersdieinungen  folgten  aber 
erst  im  zwölften  Lebensjahre  nach  einem  Sturze  ins  Wasser. 

Die  Symptome,  welche  sich  während  ihres  damaligen  Hospitalaufenthaltes 
bot,  möchte  ich  aus  nachher  zu  erörternden  Gründen  in  zwei  Gruppen  bringen. 
In  die  erste  gehören  eigenthümliche,  etwa  als  choreatische  zu  bezeichnende 
Zuckungen  in  der  linken  Eörperhälfte,  die  G^chts-,  Zungen-,  Eiefer- 
Musculatur  und  vor  Allem  den  linken  Arm,  weniger  das  Bein  betreffend.  Die- 
selben bestanden  im  geringen  Grade  fortwährend,  steigerten  sich  bei  Bewegungen 
und  besonders  im  Affect,  so  auch  bei  der  Unterhaltung;  man  sah  dann  die 


—    648    — 

Zunge  gegen  den  linken  Mundwinkel  stossen,  Schmeckbewegungen  der  linken 
Mundhälfte,  der  Unterkiefer  wurde  nach  links  geschoben  und  der  linke  Arm 
ffihrte  unwillkürliche  Bewegungen  aus,  sodass  die  Fat  häufig  gezwungen  war, 
ihn  mit  der  rechten  Hand  zu  fixiren.  Hand  in  Hand  damit  ging  ein  geringer 
Grad  von  Schwäche  und  es  bestand  auch  eine  leichte  Gontractur  in  den 
Gelenken  der  linken  Obereitremität. 

Durch  die  Zuckungen,  durch  ein  geringes  Näseln,  sowie  durch  eine  be- 
schleunigte, in  ihrem  Rhythmus  wechselnde,  zeitweise  keuchende  Respiration 
war  die  Sprache  etwas  unyerständlioh,  aber  nicht  in  irgend  einer  charakteristi- 
schen Weise  verändert. 

In  die  zweite  Gruppe  gehören  Krankheitserscheinungen,  die  eine  Verwandt- 
schaft mit  dem  Symptomenbüde  der  Tabes  dorsalis  bekunden. 

Es  bestand  eine  beiderseitige  Opticusatrophie,  die  rechts  zu  yölli- 
ger  Amauroee,  auf  dem  linken  Auge  zu  einer  beträchtlichen  Herabsetzung  der 
Sehschärfe  gef&hrt  hatte.  Beide  Pupillen  von  mittlerer  Weite,  absolut  licht- 
starr, ob  Convergenzreaction  vorhanden,  liess  sich  nicht  feststellen.  Die  Augen- 
bewegungen  im  Wesentlichen  frei;  aber  es  bestand  eine  deutliche  rechtsseitige 
Ptosis. 

Von  weiteren  Symptomen  war  das  bemerkenswertheste  das  Westpharsche 
Zeichen;  das  Eniephänomen  war  auf  keine  Weise  zu  erzielen. 

Der  Ghmg  war  etwas  schwerfallig  und  in  der  R&ckenlage  machten  sich 
eine  massige  Schwäche  sowie  eine  spurweise  Ataxie  in  den  unteren  Extremi- 
täten geltend.  Ausserdem  stellten  sich  Mitbewegungen  und  selbst  beim  Er- 
heben der  Beine  solche  in  den  oberen  Extremitäten  ein.  Keine  Störung  der 
Sensibilität  und  der  Blasenfunction ,  keine  Schmerzen;  dagegen  deutliches 
Schwanken  bei  Augenschlüss. 

Hinzuzufügen  bliebe  noch,  dass  die  Pat  in  ihrer  geistigm  Entwickelung 
etwas  zurückgeblieben  war,  ohne  jedoch  anfällige  Symptome  in  dieser  Hinsicht 
2n  bieten. 

Sie  wurde  nach  wenigen  Monaten  entlassen  und  von  Neuem  recipirt  im 
AprU  1887;  sie  war  zu  Hause  offenbar  sehr  vernachlässigt  worden,  es  hatte  sich 
ein  tiefer  Decubitus  in  der  Kreuzgegend  ausgebUdet  Die  Schwäche  der  un- 
teren Extremitäten,  welche  in  starker  Beugestellung  verharrten,  hatte  zugenonmien. 
Die  Kranke  starb  nach  wenigen  Tagen. 

Die  Obduction  ei^b  im  Gehirn  ausser  einem  leichten  Hydrocephalus, 
einem  Oedem  der  Pia  mater  und  einer  Ependymitis  am  Boden  des  IV.  Ven- 
trikels nichts  Pathologisches,  speciell  keine  Heerderkrankung.  Die  Optici  zeigten 

• 

eine  graue  Färbung.    Im  Rückenmark  makroskopisch  nichts  Abnormes. 

Einer  mikroskopischen  Prüfung  habe  ich  bisher  das  Rückenmark,  die  Me- 
dulla  oblong.,  Pons-  und  Yierhügelgegend  unterzogen  und  will  ich  die  bemerkens- 
werthesten  Veränderungen  in  aller  Kürze  mittheilen.  Im  Rückenmark  handelt 
es  sich  um  eine  Erkrankung  einzelner  Fasergebiete,  die  sich  durch  das 
^^anze  Organ  hindurch  verfolgen  liess  und  zwar  sind  betroffen  die  Pyramiden- 
seitenstrangbahnen,    die   Pyramidenvorderstrangbahnen,    die  Goir- 


—    649       - 

sehen  und  Bardach'schen  Stränge,  doch  so,  dass  in  den  Hintersträngen 
die  Atrophie  am  schwächsten  ausgeprägt  ist.  Wenn  man  sich  nicht  streng  an 
das  Flechsig'sche  Schema  bindet  und  geringe  Irr^ularitaten  in  der  Verbreitung 
zulässt,  so  hat  man  wohl  die  Berechtigung;  in  diesem  Falle  von  einer  combi- 
nirten  Systemerkrankung  zu  sprechen,  doch  kommt  es  mir  nicht  darauf 
an,  nach  dieser  Richtung  etwas  Entscheidendes  auszusagen  —  genug:  eine  Er- 
krankung, die  sich  auf  ein2;elne  Fasergebiete  beschränkt  und  im  Ganzen  nahezu 
symmetrisch  ausgeprägt  ist  und,  was  ich  besonders  betone,  im  Ganzen  von  sehr 
geringer  Intensität  ist 

Der  Process  charakterisirt  sich  als  parenchymatöse  Entartung.  Gesund  ist 
die  graue  Substanz,  in  specie  die  Glarke'schen  Säulen.  An  den  Wurzeln  nichts 
Wesentliches.  —  Die  Hinterstrangaffection  erstreckt  sich  bis  in  die  Gegend  der 
Kerne  der  zarten  und  Keilstränge,  ist  hier  eben  noch  nachzuweisen.  Die  Er- 
krankung der  motorischen  Bahnen  lässt  sich  aber  durch  die  Pyramidenkreuzung 
hindurch  in  die  Pyramiden  der  Oblongata  bis  hinauf  zur  Höhe  des  austretenden 
Facialis  und  Abducens  verfolgen,  um  sich  hier  allmählich  zu  verlieren. 

An  den  Kernen  des  Bulbus  nichts  Pathologisches,  ebensowenig  an  der  auf- 
steigenden Quintus Wurzel,  dagegen  finden  sich  im  Pons  und  in  der  Yierhügel- 
gegend  einige  sehr  bemerkenswerthe  Veränderungen:  die  absteigende  Quintus- 
wurzel  ist  nämlich  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  atrophirt  (Demon- 
stration der  Präparate),  die  Nervenröhren,  die  sie  zusammensetzen,  sind  fast 
vollständig  untergegangen,  von  den  Ganglienkugeln  sind  nur  noch  einzelne 
wahrzunehmen.  Auch  die  Zellen  des  Locus  coerulens  scheinen  etwas  in  Mit- 
leidenschaft gezogen. 

Der  Oculomotoriuskem  ist  in  seinen  hinteren  (unteren)  Abschnitten  normal. 
Der  vordere  (obere)  Abschnitt  scheint  etwas  ärmer  an  Ganglienzellen,  als  normal. 

Sehr  evident  ist  nun  aber  die  Atrophie  der  von  Westphal  be- 
schriebenen Zellgruppen  im  oberen  Niveau  des  Oculomotoriuskemes,  wie 
die  demonstrirten  Präparate  lehren.  Die  Ganglieiizellen  sind  in  denselben  fast 
vollständig  untergegangen,  die  Gerüstsubstanz  ist  verbreitert  und  es  finden  sich 
in  derselben  zahlreiche  Spinnenzellen. 

Herr  Geheimrath  Westphal  hat  die  Befunde  bestätigt,  ebenso  College 

StWMRRTjTNG. 

Epikrise:  Der  Befund  einer  combinirten  Erkrankung  der  Bückenmarks- 
stränge  im  Kindesalter  erinnert  zunächst  an  die  Friedreich'sche  Krankheit,  die 
bereditäre  Ataxie  (Fktbpkktch,  Sghxtltze,  Bütimeyeb  etc.).  In  diese  Kategorie 
gehört  mein  Fall  jedoch  nach  seinem  klinischen  Verhalten  nicht 

Will  man  die  Diagnose:  Friedreich'sche  Krankheit  stellen,  so  muss  man 
sich  strenge  an  die  von  demselben  aufgestellten  Ejiterien  halten.  Es  fehlt  die 
ausgeprägte  Ataxie,  der  Nystagmus,  der  Nachweis  der  Heredität;  dagegen  finden 
wir  eine  Reihe  von  Symptomen,  die  der  Friedreich'schen  Krankheit  nicht  zu- 
kommen: Opticusatrophie,  Pupillenstarre,  Ptosis  etc. 

Es  ist  aber  der  Fall  in  Parallele  zu  bringen  mit  den  Beobachtungen  über 
«combinirte  Erkrankungen  der  Bückenmarksstränge,  wie  sie  von  Westphal, 


-    650 

KAWT.TgTt  u.  Pick,  Strümpell  \l  A.  geschildert  worden  sindi  und  lasst  sieb  auch 
symptomatologisch  damit  in  KinMang  bringen ,  wenn  man  in  Racksieht  zieht^ 
dass  der  anatonusche  Process  (namentlich  die  Hinterstrangaffection)  sich  noch 
in  einem  sehr  frühen  Stadium  befindet 

Das  Interesse  liegt  denn  in  dem  frühzeitigen  Anfbreten  im  SSndesalter, 
sowie  in  den  anatomischen  Y erander ongen ,  die  in  der  oberen  Ponggegend 
gefanden  wurden. 

Eine  Atrophie,  die  sich  auf  die  Westphal'schen  Zellengruppen  des  Oculo- 
motoriuskemes  beschränkt,  ist  bisher  noch  nicht  beschrieben  worden. 

Von  einer  Atrophie  der  absteigenden  Trigeminuswurzel  ist  meines  Wiss^is 
nur  die  Bede  in  einem  Falle  von  Tabes,  welchen  Boss  mitgetheilt  hat  Boss  ist 
geneigt,  die  in  seinem  Falle  bestehende  Ophthalmoplegie  in  einen  ZusammenhaDg 
mit  dieser  Atrophie  zu  bringen.  Ich  bin  überhaupt  nicht  im  Stande,  meinen 
Befand  klinisch  zu  deuten. 

In  Bücksicht  auf  die  im  vordersten  Abschnitt  des  Oculomotoiiuskemes  ge- 
fundenen Veränderungen  würde  es  allerdings  sehr  verlockend  sein,  im  Hinblick 
auf  die  Experimente  von  Hensen  und  Yoelkebs  die  Pupillenstane  auf  Bech- 
nung  dieser  nudeären  Erkrankung  zu  bringen. 

Aber  Westphal,  der  von  dieser  Vorstellung,  dass  seine  Zellengruppen 
vielleicht  den  Kern  der  Binnenmuskeln  des  Auges  bilden,  ausgeht,  fand  dieselbe 
sehr  schön  ausgeprägt  bei  fehlender  PupiUarreaction  und  ich  selbst  habe  noch 
jüngst  einen  Fall  von  Tabes  dorsualis  mitgetheilt,  in  welchem  die  PupiUarreaction 
aufgehoben  war  und  Augenmuskellähmung  bestand,  während  der  Nebenkem  sich 
sehr  schön  entwickelt  zeigte.  Man  muss  also  vorläufig  auf  eine  klinische  Yer- 
werthung  dieses  Befundes  verzichten. 

(Zusatz:)  Ich  möchte  noch  darauf  hinweisen,  dass  in  den  letzten  Jahren 
mehrfach  (besonders  von  B.  Beicak)  Fälle  beobachtet  worden  sind,  in  denen 
tabische  Symptome  im  Eixidesalter  (Opticusatrophie,  Westphal'sches  Zeichen 
etc.)  vomämlich  bei  congenitaler  Lues  hervortreten.  Man  muss  freilich  mit  der 
Deutung  solcher  Erscheinungen  vorsichtig  sein,  da  auch  andere  Erkrankungen, 
besonders  die  syphilitischen  der  Hirn-  und  Bückenmarkshäute  in  einem  Stadium 
ihres  Verlaufes  zu  solchen  Symptomen  führen  können  (wie  in  dem  von  Seemsb* 
LiNG  mitgetheilten  von  congenitaler  Hirn-  und  Bückenmarkssyphilis). 

Immerhin  lehrt  die  heute  geschilderte  Beobachtung,  dass  auch  tabische 
Symptome  auf  Orund  einer  der  Tabes  sehr  nahe  verwandten  Er- 
krankung (der  combinirten  Erkrankung  der  Hinter-  und  Seiten- 
stränge des  Bückenmarkes)  im  Eindesalter  vorkommen. 


IL   Referate. 


Anatomie. 

1)  Eine  neue  Anwendung  der  Paraffin-Methode,  von  Dr.  William  C.  Krau ss, 
Attica,  New  York.     (Portschritte  der  Medicin.  1888.  Nr.  16.) 


-     651     — 

Verf.  wandte  im  Menderschen  Laboratorium  die  von  Fredericq  angegebene  und 
von  Schwalbe  später  genau  beschriebene  Methode  zur  Härtung  und  trockenen  Conser- 
yirung  ganzer  G«hime  fftr  Durchschnitte  an.  Die  in  Alkohol  gehärteten  Objecto 
kommen  auf  8  Tage  in  Alkohol  mit  einem  Zusatz  von  Chlorcalcium,  fflr  ebenso  lange 
Zeit  in  Ol.  terebinth.,  dann  auf  3 — 8  Tage  in  Paraffin  und  für  2—3  Tage  auf  Lösch- 
papier ausgebreitet  in  den  Brutofen.  Statt  des  Ol.  terebinth.  hat  Yerf.  auch  Benzin 
angewandt.  —  Im  Laboratorium  von  Prof.  Mendel  wird  die  Methode  jetzt  folgender- 
maassen  geübt:  Die  in  Alkohol  —  der  Zusatz  von  Chlorcalcium  bringt  keinen  Nutzen 
—  gut  gehärteten  und  gänzlich  wasserfreien  Präparate  kommen  auf  10  Tage  in  Ol. 
terebinth.  oder  Benzin  oder  Petroleum  oder  irgend  ein  beliebiges  Oel,  hierauf  für 
2  Tage  in  Paraffin  und  bleiben  dann  8  Tage  auf  Löschpapier  im  Brütofen.  Die 
schönste  Zeichnung  findet  man  jetzt  erst,  wenn  man  die  oberste  Schicht  der  Präpa- 
rate abschneidet.  P.  Kronthal. 


Experimentelle  Physiologie. 

2)  Toxikologisches  über  das  Hydroacylamin,  von  Prof.  C.  Binz  in  Bonn. 
(Virchow's  Archiv.  CXIII.  1.) 

B.  hat  die  durch  das  Hydroxylamin  bewirkte  Narkose  studirt,  welche  er  a  priori 
aus  der  energischen  BUdung  Ton  Methämoglobin,  welche  jener  Stoff  im  lebenden 
Körper  bewirkt,  vermuthete.  —  Er  fand,  dass  Winterfrösche  in  30  Minuten  durch 
0,005—0,05  Hydroxylamin  so  stumpf  werden,  dass  sie  sich  die  Bückenlage  gefallen 
Hessen.  —  Kaninchen  wurden  von  0,01  g  benommen  und  schläfrig  für  3—4  Stunden; 
bei  0,1  g  traten  heftige  Krämpfe  auf,  die  in  Lähmung  endigten.  —  Ein  Hund  von 
5200  g  Gewicht  zeigte  bei  einer  Dosis  von  1,5  g  trägen  Gkuig;  er  bekam  nach  '/^  Stun- 
den noch  1  g,  wurde  danach  wie  betrunken,  war  am  nächsten  Tage  wieder  munter. 

—  Ein  kleiner  Hund  war  von  2,5  g  nach  20  Minuten  todt  ohne  vorherige  Krämpfe. 

—  Mit  der  Bildung  von  Methämoglobin  hat  die  narkotische  Wirkung  nichts  zu  thun. 
B.  findet  die  Erklärung  der  Wirkung  des  Hydroxylamins  (wie  er  es  analog  bei  Jodo- 
form, jodsaurem  Natrium,  salpetrigsaurem  Natrium,  Chlor-,  Brom-  und  Jod-Dämpfen, 
ozonisirter  Luft  und  WasserstofiGsuperoxyd  nachgewiesen  hat)  im  Disponibelmachen 
von  activem  Sauerstoff  oder  von  einem  der  drei  Halogene  innerhalb  des  Thieres:  da- 
durch wird  die  centrale  Zellenlähmung  bewirkt.  —  Therapeutisch  dürfte  es  vielleicht 
in  der  Dermatologie  als  Ersatz  für  Pyrogallussäure  und  Chrysarobin  zu  verwenden 
sein;  innerlich  schwerlich.  Hadlich. 

3)  Des  Növrites  provoquöes  par  le  contact  de  l'aloool  pur  ou  dllu6  avec 
lee  Nerfo  vivants,  par  A.  Pitres  et  L.  Yaillard.  (Extrait  des  Comptes  rendus 
de  la  Soci^t^  de  Biologie.  Juni  1888.) 

Injidrt  man  in  das  subcutane  Gewebe  des  Schenkels  eines  Meerschweinchens,  in 
die  Gegend  des  Nerv,  ischiadicus  Vs  ^^  Aethyl-  oder  Methylalkohol  von  85  ^/q,  so 
entwickelt  sich  an  der  Injectionsstelle  eine  Schwellung  und  zuweilen  ein  Brandschorf; 
meist  jedoch  vertheilt  sich  die  Schwellung  schnell,  ohne  Eiterung  noch  Necrose  etc. 
des  Gewebes  zur  Folge  zu  haben.  Einige  Minuten  nach  der  Injection  kann  man  eine 
motorische  Lähmung  des  Beines  und  Fusses  und  vGUige  Anästhesie  aller  oder  der 
beiden  äusseren  Zehen  feststellen.  Der  Alkohol  bewirkt  also  in  dieser  Goncentration, 
ebenso  wie  der  Aether,  eine  Leitungsunterbrechung  der  motorischen  und  sensiblen 
Eindrücke.  Die  Lähmung  wie  Anästhesie  dauern  meist  einige  Wochen  und  sind  oft 
von  trophischen  Störungen  (Oedem,  Ulceration  etc.)  begleitet  Die  Structurveränderung 
der  betroffenen  Nerven  wurde  nach  Tödtung  der  verschiedenen  Versuchsobjecte  zu 
den   verschiedensten   Zeiten   mikroskopisch   festgestellt.    In   den  ersten  24  Stunden 


—    652    - 

nach  der  Injection  zeigten  die  Nerven  nach  Behandlung  mit  Osminmsäore  (1:150), 
Pikrocarmin,  Eosin  etc.  fast  normale  histologische  Stmctur;  nur  der  Axencylinder  war 
weniger  gef&rbt  nnd  dflnner  als  bei  den  normalen  Nerven.  Nach  2  Tagen  er.  war 
die  Myelinmasse  nicht  mehr  blauschwarz  (wie  normal  mit  Osminmsäure),  sondern  ganz 
schwarz  und  opak,  sodass  der  Axencylinder  kaum  noch  in  seinem  Verlauf  unter- 
schieden werden  konnte,  die  Kerne  waren  geschrumpft  und  f&rbten  sich  gar  nicht 
oder  schlecht;  es  bot  sich  das  Bild  der  Necrose  dar.  Derartige  Fasern  pflegen  ab- 
zusterben, allmählich  resorbirt  zu  werden,  und  ihre  peripherischen  Enden  degeneriien 
meist.  Bis  zum  10.  Tage  ca.  bleibt  das  Bild  unverändert.  Yom  10.  bis  zum  30.  Tage 
zerfällt  das  Myelin  in  Kugeln,  der  Axencylinder  schwindet  völlig,  in  der  Schwann*- 
schen  Scheide  sieht  man  Kerne  auftreten,  und  man  sieht  nichts  sonst,  als  Myelin- 
kugeln und  Yaricositäten.  Gegen  den  40.  Tag  bemerkt  man  die  ersten  Erscheinungen 
der  Regeneration  an  den  degenerirten  Fasern;  es  entstehen  neue  Fasern  unter  der. 
Form  grauer  Fäden,  die  von  einer  dünnen  Schicht  transparenten  Myelins  umgeben 
sind  etc.  —  Demnach  macht  der  concentrirte  Alkohol  ähnliche  Erscheinungen  der 
Necrose,  wie  der  Aether  sulph.  —  Alkohol  von  50^0  "^^  ähnlich;  nur  tritt  der 
Myelinzerfall  und  die  Resorption  früher  ein,  und  die  Regeneration  beginnt  bereits  am 
25.  Tage.  25procentiger  Alkohol  zeigt  weniger  die  Erscheinungen  der  Necrose,  als 
die  der  Irritation  und  nach  der  Injection  bemerkt  man  nur  Hypästhesie  der  Zehen 
und  leichte  Parese  resp.  Schwäche  des  Beins.  Injicirt  man  löprocentigen  Alkohol 
und  noch  schwächeren,  so  zeigt  sich  keine  functionelle  Störung  noch  Degeneration; 
nur  eine  Yolumszunahme  der  Kerne  macht  sich  bemerkbar.  Man  darf  daraus  nicht 
schliessen,  dass  15proc.  Alkohol  unschädlich  ist;  die  Schädlichkeit  desselben  kann 
man  durch  die  Irrigation  nachweisen,  wie  sie  Ranvier  am  blossgelegten  Iscbiadicos 
am  Kaninchen  mit  Wasser  vornahm.  Irrigirt  man  eine  Wunde,  in  der  der  Ischiadicus 
frei  liegt,  ca.  20  Minuten  mit  destillirtem  Wasser  von  der  Temperatur  des  betreffenden 
Thieres,  so  verliert  der  Nerv  seine  motorische  nnd  sensible  Erregbarkeit.  Irrigirt 
man  beide  Nn.  ischiadici  eines  Kaninchen  zu  gleicher  Zeit,  nnd  zwar  den  einen  mit 
Wasser,  den  andern  mit  lOproc.  Alkohol,  so  verliert  der  letztere  seine  mechanische 
Erregbarkeit  bereits  nach  5  Minuten,  während  der  erstere  erst  nach  25 — 30  Minuten 
der  Irrigation  unerregbar  wird.  Natürlich  besteht  zwischen  der  Injection  und  Irri- 
gation eine  erhebliche  Differenz,  da  doch  bei  der  ersteren  ein  Theil  der  Flüssigkeit 
gleich  resorbirt  wird  und  der  übrige  Theil  durch  Mischung  mit  den  Gewebss&ften  in 
seiner  Stärke  und  Concentration  abgeschwächt  wird;  auch  die  Dauer  der  Einwirkung 
ist  eine  verschiedene.  —  Die  angeführten  Yersuche  beziehen  sich  nur  auf  Aethyl- 
und  Methylalkohol.  Die  andern  Alkoholarten  (Amyl-,  Fropyl-,  Capryl-,  Allyl- Alkohol  etc.) 
hatten  eine  bei  weitem  heftigere  Wirkung;  schon  in  10 — Iproc.  Lösungen  greifen  sie 
die  Nerven  mehr  an.  Glycerin,  das  chemisch  der  Alkoholgruppe  nahe  steht,  ist  lange 
nicht  so .  schädlich;  bei  der  Injection  bewirkt  es  nur  leichte  Neuritis  —  Erscheinungen, 
die  mehr  dem  Typus  der  Irritation,  als  dem  der  Necrose  gleichkommen. 

Kalischer 

Pathologische  Anatomie. 

4)  Sülle  deg^nerasioni  oonseoutive  aUa  estirpaaione  totale  e  paniale  dal 
oerveletto,  secunda  communicazione  preventiva  del  Dott.  Y.  Marchi.  (Rivist. 
speriment   di  Freniatria  ecc.  1888.  XIII.  p.  446.) 

• 

In  Ergänzung  seiner  früheren  (auch  in  diesem  Centralblatt  1886.  Y.  S.  559 
besprochenen)  Mittheilung  über  die  Degenerationen  nach  Kleinhimexstirpationen  giebt 
Yerf.  die  folgenden  Sätze  als  Resultat  seiner  neueren  Untersuchungen  an  7  Hunden: 

1.  Die  Entfernung  einer  Kleinhimhälfte  bedingt  eine  Degeneration  des  Bulbus, 
nicht  nur  auf  der  Seite  der  Operation,  sondern  auch  auf  der  entgegengesetzten,  weim 
schon  in  geringerem  Grade;  bei  den  Oliven  ist  das  Yerhalten  umgekehrt     Dann  er- 


—    653    — 

giebt  sich,  dass  die  oberen  Kleinhimscbenkel  sich  nicht  vollständig  kreuzen,  und  dass 
die  mittleren  .keine  wahre  Commissur  zwischen  beiden  Kleinhimh&lften  bilden,  sondern 
dass  sie  sich  beide  in  der  grauen  Substanz  der  Brücke  verlieren. 

2.  Die  Entfernung  einer  Kleinhimhalfbe  bedingt  femer  eine  Degeneration  im 
Vorderseitenstrang,  ind.  der  Flechsig*schen  Eleinhiniseitenstrangbahn,  und  zahlreicher 
Fasern  des  Pyramidenstranges  der  Operatioosseite;  in  der  anderen  Bückenmarkshalfte 
sind  nur  vereinzelte  Fasern  degenerirt. 

3.  Endlich  finden  sich  noch  degenerirte  Fasern  in  den  Himnerven  und  in  den 
vorderen  Bfickenmarkswurzeln  der  operirten  Seite,  sowie  eine  partielle  fettige  Ent- 
artung der  Musculatur  der  gleichseitigen  Extremitäten.  Sommer. 


5)  TJntersaohuiigen  über  463  naoh  Meynert'B  Methode  getheilte  und  ge- 
wogene Qehime  von  geisteskranken  Ostpreussen,  von  Dr.  Julius  Jensen, 
Irrenanstaltsdirector  zur  Disposition  (Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrank- 
heiten. XX.    Ir) 

Die  Theüung  wurde  nach  den  Angaben  Meynert's  mit  der  Modification  vor- 
genommen, dass  das  Qesammtencephaloa  gewogen,  dann  in  Mantel,  Kleinhirn,  Stamm 
getheilt,  abermals  mit  den  Häuten  gewogen,  hierauf  erst  bei  Theilung  des  Mantels 
die  Häute  entfernt,  swischen  Flieespapier  getrocknet,  gewogen  und  aus  der  Düferenz 
die  Menge  der  abgeflossenen  Flflssigkeit  festgestellt  wurde.  Bei  Paralytikern  betrug 
in  jedem  Krankheitegahre  die  Abnahme  des  Himgewichts  etwa  20  g.  Die  Betrach- 
tung der  Qewicbtstabellen  aus  den  einzelnen  Jahren  der  Krankheit  zeigt  einen  Him- 
schwund,  der  vom  Stimhim  beginnt,  Aber  den  Mantel  zieht  und  auch  noch  den 
Stamm  energisch  betheiligt.  —  Bei  der  Melancholie  atrophirt  gleichfalls  der  Him- 
mantel  Dei"  Durchschnitt  des  Mantelpromille  ergiebt  normaliter  785,82  p.  M.  Bei 
Melancholikern  zeigte  er  fOr  Männer  780,01,  fflr  Frauen  779,51.  Bei  dieser  Atrophie 
ist  das  Stimhim  nicht  betheiligt!  —  Es  folgt  nun  eine  grosse  Reihe  von  Zahlen, 
die  die  Schwere  der  einzelnen  Gehimtheile  bei  sämmtlichen  Geisteskrankheiten  «fOr 
Männer  sowohl  als  auch  fQr  Frauen  auf  jedes  einzelne  Krankheitsjahr  berechnet 
angeben. 

Becht  bemerkenswerth  ist  noch  ein  Schluss,  der  aus  der  sehr  ausfAhrlichen  und 
interessanten  Arbeit  gezogen  werden  muss,  dass  nämlich  die  rechte  Hirahälfte  schwerer 
ist  als  die  linke.  P.  Kronthal. 


6)  Das  Gtowicht  des  Gtohims  und  seiner  Theile  bei  Qehimkranken,  von 

Tigges,  Düsseldorf.    (Allg.  Ztschr.  f.  Psychiatrie.  1888.  XLV.  1  u.  2.)    ^ 

T.  hat  nach  Meynert*s  Methode  das  Himgewicht  von  250  Geisteskranken 
(123  Männer,  127  Frauen)  in  Sachsenberg  bestimmt.  Es  ergab  sich  ein  durch- 
schnittliches Himgewicht  (mit  Häuten)  von  1362,3  g  bei  den  Männern,  1243,6  g 
bei  den  Frauen.  Aus  einem  Vergleich  mit  den  Zahlen  anderer  Autoren  folgert  T., 
dass  wahrscheinlich  die  verschiedenen  deutschen  Bevölkerungen  ein  verschiedenes 
durchschnittliches  Himgewicht  besitzen.  Die  Geisteskranken  haben  z.  Th.  ein  höheres, 
z.  Th.  ein  niedrigeres  Himgewicht  als  die  Geistesgesunden;  jedenfalls  finden  sich 
grössere  Schwankungen  um  das  Mittelgewicht  bei  den  ersteren.  Das  durchschnitt- 
liche Gehimgewicht  betrug  bei  den  Männem  fflr  Melancholie  1392,8  g,  Manie  1430,7  g, 
primäre  Formen  im  Allgemeinen  1402,3  g,  secundäre  Formen  1401,3  g,  einfache 
Geistesstörong  1401,7  g,  Paralyse  1283,7  g,  Epilepsie  1362,3  g.  Bei  den  Frauen 
zeigte  umgekehrt  die  Melancholie  ein  höheres  Gewicht  als  die  Manie,  die  secundären 
Formen  stehen  hinter .  den  primären  an  Himgewicht  noch  mehr  zurfick  als  bei  den 
Männern.  —  Die  secundären  Formen  theilt  T.  in  Wahnsinn,  Blödsinn  und  periodische 


—    654 

Seelenstörungen.  Die  letzten  haben  ein  durchschnittliches  Gewicht  von  1400,3  resp. 
1347,5  g.  Die  epileptischen  Fraaen  haben  verhältnissmässig  mehr  schwere  Gehine 
als  die  epileptischen  Männer;  überhaupt  aber  weist  die  Epilepsie  neben  Yielen  leichten 
auch  viele  schwere  und  schwerste  Gehirne  auf.  Bei  der  Paralyse  stellen  die  Frauen 
in  höherem  Maasse  leichte  Gehirne  (Durchschnitt  1185,1  g)  als  die  Männer. 

Durch  die  Entfernung  der  Häute,  Liq.  cer.  etc.  erleidet  das  männliche  Gehirn 
meist  einen  geringeren  durchschnittlichen  Gewichtsverlust  als  das  weibliche,  diu  secun- 
dären  Formen  einen  stärkeren  als  die  primären,  Epilepsie  und  Idiotie  einen  geringen. 
Bei  der  Meynert'schen  Zerlegung  ergaben  sich  fQr  die  einzelnen  Himtheile  folgende 
Procentantheile  am  Gesammtgewicht: 

Mantel  Kleinhirn  Stamm 
Männer  78,66  10,95  10,40 
Frauen     78,50        11,05        10,45. 

Das  procentuale  Uebergewicht  der  Frauen  im  Stammhim  ist  vorzugsweise  auf 
Streifenhügel,  Insel,  Sehhügel  und  Hirnschenkel  zu  beziehen.  Vielleicht  ist  dabei 
auch  an  die  grössere  Unmittelbarkeit,  die  geringere  Beherrschung  durch  intellectnelie 
Vorgänge  beim  Weibe  zu  denken.  Die  Gegensätze  der  einzelnen  Psychosen  in  dem 
durchschnittlichen  Gesammthimgewicht  sind  wesentlich  durch  die  des  Mantelhims 
bedingt.  Das  Kleinhirn  hat  im  Ganzen  ein  gleichmässigeres  Gewicht;  bei  Paralyse 
und  Idiotie  steht  es  relativ  hoch,  bei  Epilepsie  und  Manie  niedrig.  Auffällig  niedrig 
ist  auch  das  Gewicht  von  Pons  und  Oblongata  bei  Epileptischen,  während  der  Hirn- 
stammrest  unversehrt  isi  Ueberhaupt  geht  der  Himstammrest  dem  Himmantel,  hin- 
gegen Pons,  Oblongata  und  C!orpp.  quadrigemina  meist  dem  Kleinhirn  im  Gewicht 
parallel.  Die  secundären  Formen  der  Frauen  stehen,  wo  sie  im  Gesammthim  be- 
sonders tief  stehen,  im  Mantelhim  noch  tiefer  als  in  den  übrigen  Himtheilen. 

Aus  der  Mehrzahl  der  Beobachtungen  von  Meynert  und  Tigges  oigiebt  sich  ein 
Uebergewicht  des  weiblichen  Stimhims,  des  männlichen  Scheitelhiins  und  meist  auch 
Schläfenhinterhaupthims.  Ausnahmslos  gilt  -dies  auch  nach  den  Sachsenberg^  Be- 
obachtungen nicht 

•  Diejenigen  Himmanteltheile,  welche  in  den  primären  Seelenstörungen  bei  Männern 
und  Frauen  mehr  entwickelt  sind  als  andere,  erleiden  in  den  secundären  den  grösseren 
Verlust.  Bei  der  Melancholie  steht  das  Stimhim  relativ  hoch,  bei  der  Manie  rektiv 
niedrig.  Beim  Wahnsinn  (ind  der  Fälle  primärer  Verrücktheit)  steht  das  Scheitel- 
him  und  namentlich  das  Schläfenhinterhauptshirn  hinter  dem  Stimhim  zurück.  T. 
versucht  auch,  diese  Befunde  mit  dem  psychopathologischen  Wesen  dieser  drei  Geistes- 
störungen in  Einklang  zu  bringen.  Beim  secundären  Blödsinn  richtet  sich  das  Hirn* 
gewicht  nach  der  Form,  aus  welcher  derselbe  entstanden  isi  Bei  der  Paralyse  zeigt 
das  Stimhim  den  tiefsten  Stand  aller  Himmanteltheile,  bei  der  Epilepsie  verhalten 
sich  die  einzelnen  Himmanteltheile  sehr  unregelmässig  zu  einander. 

Bei  Geisteskranken  überwiegt  die  rechte  Himhälffce  über  die  linke  in  höherem 
Maasse  als  bei  Geistesgesunden.  Von  den'  einzelnen  Theilen  überwiegt  das  Stimhim 
rechts  ausnahmslos,  das  Scheitelhim  mit  Ausnahme  der  primären  Geistesstörungen 
links.  Am  ausgesprochensten  ist  die  Ungleichheit  der  beiden  Hemisphären  bei  der 
Idiotie,  Epilepsie  und  Paralyse,  auch  wandert  das  Uebergewicht  relativ  häufig  auf 
die  linke  Seite.  Die  secundären  Geistesstömngen  haben  eine  geringere  Ungleichheit 
der  Hemisphären  als  die  primären. 

Das  männliche  Himgewicht  erreicht  im  Allgemeinen  seine  Höhe  im  3.  Jahrzehnt, 
erst  im  8.  beginnt  der  Abfall.  Bei  den  Frauen  dauert  die  Höhe  der  Entwickelung 
vom  4.  bis  in  das  7.  Jahrzehnt.  Der  Gewichtsverlust  bei  der  Enthäutung  nimmt 
auf  den  höheren  Altersstufen  zu. 

Bei  der  einfachen  Geistesstörung  hat  die  kürzeste  Krankheitsdauer  ein  namhaft 
höheres  Himgewicht  als  das  durchschnittliche.  Bei  längerem  Verlauf  ergeben  sich 
2  Minima    des  Gewichts,   während   die   zwischenliegenden   und  nachfolgenden  Stufffl 


—    665    ~ 

der  Krankheitsdauer  wieder  Erhebungen  z.  Th.  über  das  Anfangsgewicht  hinaus 
zeigen.  Auch  die  Paralyse  zeigt  ein  Minimum  nach  einer  Krankheitsdauer  von  ^/^  bis 
2  Jahren  bei  den  Männern,  von  3 — 5  Jahren  bei  den  Frauen;  dann  beginnt  wieder 
ein  leichter  Anstieg. 

Mit  der  EGrperlange  wächst  das  Hirngewicht,  bei  den  Frauen  mehr  als  bei  den 
Männern.  Das  relative  Himgewicht  (im  Yerhältniss  zur  KGrperlänge)  nimmt  mit  zu- 
nehmender KGrperlänge  ab. 

Die  äusserst  inhaltsreiche  Arbeit,  in  welcher  stets  auch  Bezug  auf  die  Messungen 
anderer  Forscher  zur  Gewinnung  aUgemeiuerer  Resultate  genommen  ist,  verdient  ein 
eingehendes  Studium  im  Original.  Th.  Ziehen. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

7)  Neuritis,  von  Docent  Dr.  Bemak,  Berlin.  (Sep.-Abdr.  aus  der  Beal-Encjclo- 
pädie  der  gesammten  Heilkunde.  2.  Aufl.  Uerausgeg.  von  Prof.  Dr.  A.  Eulen- 
bürg.     1888.) 

Eine  sehr  ooncise  Darstellung  des  in  neuester  Zeit  so  ausserordentlich  an  Um- 
fang gewachsenen  und  durch  neue  Thatsachen  bereicherten  Themas.  Zu  der  einlei- 
tenden Definition  m6chte  Bef.  bemerken,  dass  ihm  die  Ausdehnung  des  Begriffes 
^,Neuritis''  auf  Veränderungen  der  Centralorgane,  die  Bezeichnung  „Neuritis  cen- 
tralis'^ (Benedikt)  nicht  zweckmässig  erscheint.  Es  trägt  diese  Bezeichnung  jeden- 
falls zum  Verständniss  der  in  Frage  kommenden  centralen  Processe  nichts  bei  und 
wird  besser  durch  die  gewöhnliche  Nomendatur  ersetzt. 

Die  im  Abschnitt  „pathologische  Anatomie"  sich  bietende  Gegenüberstellung  der 
anatomischen  Thatsachen  und  der  klinischen  Erscheinungsformen  der  „Neuritis"  lässt 
klar  erkennen,  wie  wenig  diese  klimschen  Formen  nach  pathologisch-anatomischem 
Schema  sich  dassificiren  lassen.  Die  im  Ganzen  wenig  „entzündliche"  Natur  der 
multiplen  parenchymatösen  oder  degenerativen  Neuritis  wird  genügend  hervorgehoben. 
Die  vielßltige  Aetiologie  dieser  multiplen  Neuritisform  ist  so  kurz  wie  vollständig 
zusammengestellt. 

In  der  Symptomalogie  macht  B.  den  Versuch,  die  Perineuritis  (Neuritis  no- 
dosa) und  die  Neuritisdegeneration  auseinanderzuhalten.  Freilich  ist  diese 
üntmcheidung  namentlich  fOr  die  localisirte  degenerative  Neuritis  gegenüber 
der  Perineuritis  nicht  scharf  durchzuführen,  da  erstere  öfter  zu  der  letzteren 
hinzutritt.  Doch  gestattet  sie,  der  multiplen  degenerativen  Neuritis  oder  „acuten 
degenerativen  amyotrophischen  Polyneuritis"  den  gebührenden  Platz  anzu- 
weisen. Die  Charakteristik  dieser  letzteren  wird  in  gedrängtester  Kürze  gegeben  und 
doch  sind  alle  wichtigen  und  in  der  Pathologie  dieser  Erkrankung  eine  Bolle  spie- 
lenden Thatsachen  (Sehnenphänomene,  elektrisches  Verhalten  etc.)  berührt. 

Der  genannten  amyotrophischen  Form  der  degenerativen  Neuritis  wird  die 
Neurotabes  Dejerine^s  oder  die  Pseudotabes  der  Alkoholiker  (Erüche) 
als  sensible  oder  ataktische  Form  der  multiplen  degenerativen  Alkoholneuritis 
gegenübergestellt,  dabei  aber  betont,  dass  auch  eine  Uebergangsform  speciell  auf 
alkoholistischer  Basis  vorkommt. 

Die  diphtherischen  Ataxien  der  Extremitäten  dürften  nach  Ansicht  des 
Bef.  mit  um  so  grösserer  Wahrscheinlichkeit  ebenfalls  auf  peripherische  dege- 
nerative Neuritis  zurückgeführt  werden,,  als  dies  für  die  überwiegende  Mehrzahl 
der  diphtherischen  Lähmungen  zu  geschehen  hat. 

Die  Bubrik  „Diagnose"  giebt  klar  und  bündig  die  Anhaltspunkte  zur  Unter- 
scheidung der  acuten  Polyneuritis  von  verschiedenen  Muskel-  und  Spinalerkrankungen. 
Mit  angemessener  Betonung  wird  die  Schwierigkeit  der  differentiellen  Diagnose  zwischen 
der   erstgenannten  Affection  und  der  Poliomyelitis  anterior  hervorgehoben,   während 


—    656    — 

für  die  spinale  Tabes  und  die  sensible  oder  ataktische  Form  der  Alkobolnenritis 
sicherere  Marken  der  Unterscheidung  gezogen  werden.  Von  Prognose  nnd  The- 
rapie ist  das  Bekannte  nnd  KOthige  gegeben.  Die  Litteratur  ist  in  sorg^ügster 
nnd  vollständigster  Weise  zusammengestellt.  Eisenlohr. 


8)  Mededeelingen  uit  het  beri-beri  gestioht  te  Buitenaorg,   door  J.  W.  J. 
van  Eecke.    (Geneesk.  Tijdschr.  voor  NederL  Indid.  1888.  XXVm.  1.  S.  145.) 

Im  Anschluss  an  eine  frfthere  Mittheilnng  (vgl.  dies  Gentralbl.  1888.  S.  424) 
giebt  .van  Eecke  ausführliche  Mittheilnngen  über  die  Aetiologie  der  Beri-Beri.  Die 
Veränderungen  der  motorischen  und  sensiblen  Nerven  betreffen  hauptsächlich  die 
Peripherie,  wo  sie  constant  vorkommen  und  oft  so  bedeutend  sind,  dass  von  einer 
Nervenfaser  weiter  nichts  übrig  bleibt,  als  die  Schwann*sche  Scheide,  nur  hier  und 
da  mit  einer  kleinen  Detritusmasse  als  Ueberbleibdel  der  Markscheide,  vielleicht  auch 
des  Axencylinders.  Mehr  nach  dem  Centrum  zu  findet  sich  mehr  Inhalt,  der  aus 
unregelmässigen  Klumpen  eines  fetthaltigen  Stoffe  besteht  mit  vielen  kleinen  Oeff- 
nun^en  (sogen,  schaumige  Degeneration).  Noch  weiter  nach  dem  Centrum  zu  nehmen 
diese  Klumpen  eine  mehr  umschriebene  Form  an,  der  abgebrochene  Azencylinder 
erscheint  oder  man  sieht  diesen  in  Bosenkransform  und  allmählich  in  den  normalen 
Zustand  zurückkehrend;  gleichzeitig  nehmen  die  in  der  Peripherie  seltenen  normalen 
Nervenfasern  an  Zahl  zu,  bis  sich  schliesslich  das  Nervenbündel  unversehrt  zeigt 
Aber  die  Abnahme  der  pathologischen  Veränderungen  nach  dem  Centmm  zu  ist  keine 
regelmässige  oder  gleichmässige;  oft  finden  sich  in  unmittelbarer  NachbarBcbaft  be- 
trächtlich auseinanderliegende  Stadien  der  Entartung.  Wo  und  wodurch  diesen  Ver- 
änderungen eine  Grenze  gesetzt  wird,  ist  nicht  mit  Sicherheit  zu  bestimmen;  für  die 
Hirn-  und  Bückenmarksnerven  scheinen  die  Ghinglienzellen  diese  Bedeutung  zu  haben. 
Ebenso  ist  die  Frage,  durch  welchen  pathologischen  Process  diese  Veränderungen  in 
den  Nerven  zu  Stande  kommen,  noch  eine  offene;  Entzündungserscheinnngen  hat  ▼.  E. 
nicht  wahrgenommen.  —  Die  mullaple  peripherische  Nervendegeneration,  welche  das 
pathologisch-anatomische  Substrat  der  Beri-Beri  ist,  wird  durch  verschiedene  Mikro- 
organismen verursacht  Drei  solche  Organismen  hat  v.  E.  untersucht  (zwei  sind 
Kokken,  die  dritte  scheint  eine  polymorphe  Art  zu  sein),  es  kann  aber  noch  mehr 
geben.  Walter  Berger. 


9)  Feripheral  neuritie  in  enterio  fever,  by  Handford.    (Brain.   1888.  Juli.) 

3  Fälle  neuritischer  Lähmung:  zwei  im  1.,  einer  im  rechten  ülnarisgebiete  im 
Verlaufe  von  l^hus  abdominalis.  Verf.  ist  geneigt,  der  Ansicht *Go wer s*  zuzu- 
stimmen, der  diese  Localisation  darauf  zurückführt,  dass  die  Pat,  bei  allgemein 
schlechtem  Ernährungszustände  in  Folge  der  Infectionskrankheit,  ihren  Ulnaris  durch 
Hyperflezion  des  Ellenbogengelenkes  einer  länger  dauernden  Zerrung  aussetzen.  Zwei 
seiner  Pat  hatten  längere  Zeit  so  und  zwar  auf  der  entsprechenden  Seite  gelegen. 
Er  meint,  man  könne  sich  auf  andere  Weise  die  isolirte  Erkrankung  des  Ubarls- 
gebietes  nicht  erklären:  erwähnt  aber  zugleich,  dass  in  einem  dieser  Fälle,  wie  in 
manchen  anderen  von  ihm  beobachteten,  hochgradige  Schmerzhaftigkeit  der  Zehen 
bestanden  habe,  die  er  auch  auf  Neuritis  zurückführt.  Bruns. 


10)  A  case  of  double  wrist  drop  apparently  due  to  multiple  neuritls  of 
alcoholic  origin,  by  Buzzard.     (Brain.  1888.  April.) 

Die  Affection  des  Pat.  machte  bei  seiner  Aufnahme  9  Monate  nach  Beginn  der 
Erkrankung  zuerst  den  Eindruck  einer  Bleilähmong.     Doch  hatte  Pat  seit  7  Jahren 


657    — 

nichts  mit  Blei  za  thun  gehabt,  wohl  aber  sehr  viel  Whisky  gelnmken.  Auch  waren 
zwar  die  LähmongserscheiDimgen  und  die  elektrischen  Alterationen  in  den  Extensores 
Gomm.  digit.  am  stärksten,  aber  anch  der  Sapinator  longus  bot  beiderseits  herabge- 
setzte elektrische  Erregbarkeit  Bleisaum  bestand  nicht.  Semon  constatirte  noch 
eine  Parese  des  1.  Thyreoarytaenoldeus  internus.  Qtegen.  eine  Poliomyelitis  sprach, 
dass  im  Anfang  auch  Sensibilitätsstömngen  vorhanden  gewesen  waren.  Auffallend 
war  der  Fall  dadurch,  dass  die  Afifection  der  oberen  Extremitäten  hier  eine  sehr  viel 
stärkere  war,  als  die  der  unteren,  wie  auch  noch  in  einem  anderen  Falle  ans  B.'s 
Privatpraxis.  Pat.  hatte  nur  kurze  Zeit  an  Schwäche  in  den  Beinen  und  schleichen- 
dem Gange  gelitten:  bei  seiner  Aufnahme  war  hier  nichts  zu  constatiren.    Bruns. 


11)  Ueber  apopleotiformeB  EiiiBetzen  neuritiBcher  Srsoheinangen ,  von  Dr. 
Dubois,  Bern.     (Gorrespondenzblatt  ffir  Schweizer  Aerzte.    1888.    Nr.  14.) 

So  bekannt,  wie  das  plötzliche  Auftreten  cerebraler,  bulbärer  und  spinaler  Läh- 
mungen ist,  so  neu  erscheint  dem  Verf.  die  Mittheilung  plötzlich  einsetzender  peri- 
pherischer Lähmungen  und  die  Verbindung  des  Wortes  apoplectiform  mit  dem  Begriffe 
Neuritis.  Schon  vor  Jahren  beobachtete  er  einen  Fall,  in  welchem  ein  bisher  ge- 
sunder Mann  plötzlich  heftige  Schmerzen  im  rechten  Arm  und  sofortige  Lähmung 
bemerkte.  Die  Erkrankung  betraf  den  Plexus  brachialis  in  einem  Punkte,  wo  die 
Nervenstämme  heraustreten  und  Ulnaria  und  Badialis  bereits  fertige  Nervenstämme 
bilden,  da  sämmtliche  vom  Ulnans  und  Badialis  versorgten  Muskeln  betroffen  waren. 
In  diesem  wie  in  anderen  Fällen  neuritischer  und  traumatischer  Lähmung  beobachtete 
Dubois  excentrische  Sensationen,  welche  von  verschiedenen  Hautstellen  reflectorisch 
ausgelöst  werden  konnten.  Da  weder  Trauma  noch  sonst  ein  bekanntes  ätiologisches 
Moment  vorausgegangen  war,  dürfte  die  plötzliche  Lähmung  wohl  durch  eine  sub- 
acute Entzündung  der  Nerven  bedingt  gewesen  sein.  Nach  ca.  l^/j  Jahren  trat 
Heilung  ein;  die  ausstrahlenden  Schmerzen,  Parästhesien,  motorische  und  sensible 
Lähmung,  Entartungsreaction  und  trophische  Störungen  waren  allmählich  geschwunden. 
In  einem  anderen  Falle  entstand  eine  Erkrankung  des  Plexus  und  der  Nervenstämme 
namentlich  Med.  und  Ulnar,  plötzlich  nach  einem  Trauma  unter  dem  Bilde  der 
Lähmung.  Die  Erkrankung  wurde  als  Neuritis  traumatica -rheumatica  bezeichnet 
Antipyrin  brachte  Besserung.  Der  Patient  hatte  schon  früher  wiederholt  an  rheu- 
matischen Schmerzen  gelitten.  Femer  wird  ein  dritter  Fall  erwähnt,  in  dem  ein 
Mann  mit  Erscheinungen  heftiger  Neuritis  nerv.  uln.  dextr.  erwachte.  Die  Erkrankung 
ging  secundär  auf  andere  Nerven  über.  (Neuritis  ascendens  und  descendens.)  Dieser 
Fall  von  Neuritis  rheumatica  betraf  ebenso  wie  der  zuerst  erwähnte  Leute,  die  längere 
Zeit  vor  dieser  Erkrankung  an  einer  Erkrankung  der  grossen  Zehe  (gichtisch-rheu- 
matisch)  gelitten  hatten.  Wenn  leichte  Traumen  so  schwere  Folgen  haben,  muss 
man  an  eine  Prädisposition  denken;  diese  sucht  Verf.  in  der  bald  ererbten,  bald  er- 
worbenen rheumatischen  Disposition  (Diathese).  Hier  entstehen  Neuritiden  plötzlich, 
theils  spontan,  theils  traumatisch  oder  a  frigore,  analog  wie  TorticoUis,  Hexenschuss, 
Facialislähmung  etc.  Das  Trauma  bewirkt  oft  nur  die  Localisation  des  Uebels  (Gicht 
und  Rheumatismus).  Wie  bei  Bheumatismus  und  Gicht  dürften  sich  auch  bei  chirur- 
gischen Erkrankungen  des  Hüft-  und  Schultergelenks  die  nervösen  Wirkungen  häufiger 
auf  Neuritiden  zurückführen  lassen,  wenn  Motilität,  Sensibilität,  electrisches  Verhalten 
sorgfältig  geprüft  werden  würden.  Kalischer. 


12)  Wasting  palsy  of  arm»  by  Barrs.     (The  British  med.  Joum.  1887.  3.  Dec. 
p.  1217.) 

B.  stellt  in  der  Leeds  and  W.  Biding  med.-chir.  Ges.  einen  25jähr.  Mann  vor, 
der  eine  acute  amyotrophische  Lähmung  der  oberen  Extremität  und  der  Scapula  hatte. 

38 


—     658    — 

• 

Der  Kranke,  linksbändig,  bekam  diese  Affecüon  plGtzlicb  nacb  sebr  scbwerer  Tages- 
arbeit unter  allgemeinem  Uebelbefinden,  Uebelkeit,  Pyrexie  nnd  Kopfvreb,  keine  An- 
ästbesie,  aber  mebr  oder  weniger  verscbwnndene  fuüdiscbe  Beaction.  Der  Vortragende 
betrachtet  den  Fall  als  peripherischen  Ursprungs  namentlich  wegen  der  anfänglich 
bestehenden  heftigen  Schmerzen.  L.  Lehmann  (Oejnhansen). 


13)  Fraotare  de  la  olavioule,  cal  vioieux  ayaat  däterminä  de  la  nivrite 
du  plexuB  brachial,  par  M.  Beaum6.    (Arch.  gen^r.  de  M^.   1888.  Jnni.) 

Die  Calluswncherung  einer  geheilten  Clavicolarfraktor  führte  zu  einer  Nenritis 
des  Plexus  hrachialis.  Die  ersten  Symptome  traten  nach  etwa  vier  Wochen  auf. 
Allgemeine  Atrophie  der  Armmusculatur,  leichte  Oontractur  des  M.  biceps,  Parese 
der  Flexoren  der  Finger,  Hyperästhesie  für  Hautreize,  keine  spontanen  Schmerzen, 
Parästhesien  in  den  Händen,  Druckempfindlichkeit  der  Nervenstämme,  Gelenkdefor- 
mationen, glossy  skin,  Hyperidrosis,  Krümmung  und  Furchung  der  Nägel,  Haot- 
temperatur  der  kranken  Hand  ^/^^^  tiefer.  —  Die  Besection  des  Callas  führte  zu 
langsamer  Genesung.  Tb.  Ziehen. 


14)  8iir  une  deformation  parttoulldre  da  trono  oausöe  par  la  sciatique, 

par  Dr.  Babinski.     (Arch.  de  Neurol.  .1888.    XY,  p.  1.) 

Verf.  beschreibt  an  der  Hand  von  5  Krankengeschichten  die  von  Charcot  bei 
Ischias  zuerst  beobachtete  eigenthümliche  Körperhaltung.  Indem  sich  die  Kranken 
vorzüglich  auf  die  gesunde  Extremität  stützen  und  das  schmerzhafte  Bein  schonen^ 
nimmt  die  Wirbelsäule  eine  gewisse  Krümmung  und  das  Becken  eine  abnorme  Haltung 
an.  Die  Haltung  der  Schultern  ist  verschieden  und  inconstant.  Die  Haltung  des 
Rumpfes  aber  ist  stets  dieselbe:  Der  Kumpf  wird  nach  der  gesunden  Seite  hin  ge- 
neigt, der  untere  Kippenrand  derselben  Seite  dem  Bande  der  Darmbeinschaufeln  ge- 
nähert, das  Becken  von  der  kranken  Seite  etwas  gehoben.  Die  Wirbelsäule  zeigt 
demgemäss  die  entsprechenden  Krümmungen.  —  Die  Zeit  der  Entstehung  der  fehler- 
haften Haltung  ist  verschieden;  der  Beginn  scheint  mit  den  Schmerzexacerbationen  zu 
coincidiren;  auch  im  Verlauf  lässt  sie  mit  den  schmerzfreien  Zeiten  nach.  Gewisse 
Eigenthümlichkeiten  der  Haltung  daueni  auch  während  der  Bettruhe  und  des  Schlafes. 
Die  Grade  der  Deformität  sind  verschieden  und  die  Erklärung  dafür,  dass  man  sie 
bisher  nicht  beobachtet  hat,  liegt  darin,  dass  man  die  Kranken  ganz  nackt  unter- 
suchen muss,  was  z.  B.  bei  Frauen  doch  nicht  gebräuchlich  ist.  Charcot  hält  dies 
übrigens  bei  jeder  neuropathologischen  Untersuchung  für  nöthig.  Bei  manchen  Ischias- 
Kranken  fehlt  die  fehlerhafte  Haltung,  ohne  dass  man  sagen  kaim,  warum. 

In  differentiell-diagnostischer  Hinsicht  muss  man  an  Malum  Pottii,  an  Wirbel- 
fractur,  an  Rachitis  denken;  die  bei  Hysterischen  zuweilen  vorkommenden  Krüm- 
mungen sind  eher  zu  verwechseln,  doch  zeigen  diese  Kranken  meist  nebenbei  den 
spastischen  TorticoUis.  Auch  bezüglich  der  Coxalgie  muss  man  Acht  geben:  hier 
wird  aber  auf  der  kranken  Seite  der  Bippenrand  der  der  Darmbeinschaufel  genähert  — 
Abdildungen  einschlägiger  Fälle  illustriren  die  Abhandlung.  Siemens. 

? 

16)  Peripheral  neuritis  in  acute  rheumatism  and  the  relation  of  mus- 
cular  atrophy  to  affeotions  of  the  jointe,  by  Judson  S.  Bury,  Assistant 
Physician  to  the  Clinical  Hospital  etc.  Manchester.  (Beprinted  from  The  Medical 
Chronicle.    1888.    Juni.) 

Einem  kurzen  historischen  Ueberblick  über  die  einschlägige  Litteratur  folgt  die 
ausführliche  Beschreibung  von  11  Fällen,  die  durch  beigefügte  Abbildungen  der  er- 


—    659    — 

krankten  Gelenke  Yeranschaulicht  werden.  Wie  bei  anderen  Gelenkerkranknngeii, 
finden  wir  auch  beim  Gelenkrheumatismus  Mnskelatropbie  und  Parese.  Die  plötzliche 
Entstehung  dieser  Symptome  wird  am  besten  durch  einen  Beflexmechanismus  erklärt, 
bei  welchem  der  Beiz  sich  vom  Gelenk  durch  die  peripherischen  Nerven  fortpflanzt 
und  die  functionelle  Thätigkeit  der  motorischen  Zellen  in  den  Vorderhömem  hemmt; 
der  progressive  Charakter  jedoch  und  die  Dauer  der  Atrophie  weisen  auf  organische 
Veränderungen  centraler  oder  peripherischer  Natur  hin.  Die  Gegenwart  der  ge- 
steigerten Beflexe,  Contracturen,  wie  die  Thatsache,  dass  von  einer  arthritischen 
Affection  eine  Lateralsclerose  entstehen  kann  (Gowers*  „Diseases  of  the  Nervous  System" 
V6l  I  p.  330),  beweisen,  dass  nicht  nur  in  den  motorischen  Zellen  Veränderungen 
vorhanden  sind,  sondern  wahrscheinlich  auch  in  den  Endigungen  der  Pyramidenstränge 
oder  in  dem  Netzwerk  der  Nervenfasern,  durch  welche  dieselben  mit  den  (Ganglien- 
zellen in  Verbindung  stehen.  Diese  Veränderungen  können  vielleicht  mehr  als  func- 
tionell  sein  und  doch  durch  das  Mikroskop  nicht  erkennbar.  Eine  der  häufigsten  Er- 
scheinungen des  acuten  wie  subacuten  oder  chronischen  Bheumatismus  ist  die  Atrophie 
der  Interossei  der  Hand,  und  wenn  auch  dieselbe  mitunter  auf  demselben  Wege  (reflec- 
torisch)  entstehen  mag,  wie  die  anderen  Atrophien  nach  Geletikleiden,  so  ist  es  doch 
unzweifelhaft,  dass  in  einer  grossen  Zahl  die  Atrophie  des  Nervus  ulnaris  die  Ursache 
ist.  Doch  auch  andere  Muskeln  der  Hand  wie  der  Adduct.  poUicis  und  Abductor 
indicis  sind  nicht  selten  befallen.  Evident  wird  die  ülnarisaffection  oft  durch  die 
herabgesetzte  Sensibilität  im  Gebiete  dieses  Nerven;  wie  der  Ulnaris  werden  auch 
andere  Nerven  des  Plexus  brachialis,  lumbar.,  sacral.  etc.  wenn  auch  seltener  befallen. 
Die  peripherischen  Nervenaffectionen  können  auch  eintreten  in  der  Beconvalescenz 
von  einem  Bheumatismusfieber,  bei  welchem  die  Gelenke  gar  nicht  afficirt  waren,  als 
Paralyse,  Atrophie,  Anästhesie  etc.  Dieser  Umstand  lässt  uns  diese  Symptome  nicht 
nur  auf  eine  Neuritis,  sondern  auch  auf  eine  Invasion  des  rheumatischen  Giftes  zu- 
rückfahren. Dass  derartige  Neuritiden  sehr  oft  latent  verlaufen,  nimmt  nicht  Wunder, 
seitdem  Pitres  und  Vaillard  bei  Phthisis,  Tabes,  Typhus  etc.  so  häufig  Neuritiden 
nachwiesen,  die  sich  gar  nicht  oder  kaum  bemerkbar  gemacht  hatten.  Diese  latente 
Neuritis  kann  beim  Bheumatismus  mitunter  viele  Nervenstämme  befallen  und  all- 
gemeine Muskelabmagemng  zur  Folge  haben.  Wie  weit  derartige  peripherische 
Nervenaffectionen  einen  centralen  Ursprung  haben  können,  lässt  Verf.  unentschieden. 
Zum  Schluss  weist  er  auf  einige  Sätze  hin,  die  Graves  vor  ca.  40  Jahren  in  seinen 
einleitenden  Bemerkungen  zu  dem  Buche  „Diseases  of  the  Nervous  System"  machte. 
Dort  hebt  dieser  geschätzte  Autor  hervor,  wie  wenig  man  bei  den  Nervenleiden  und 
dem  Studium  über  die  Ursachen  derselben  die  Nervenstämme  selbst  und  ihre  peri- 
pherischen Endigungen  berücksichtige.  Ealischer. 


16)  A  contribation  on  the  theory  of  the  nervous  origin  of  rheumatoid 
Arthritifl,  by  Archibald  E.  Garrod.  (The  Brit:  med.  Journ.  1887.  26.  Nov. 
p.  1155.) 

G.  hielt  in  der  königl.  medicin.-chir.  Gesellschaft  einen  Vortrag  über  die  Wahr- 
scheinlichkeit der  Theorie,  dass  die  rheumatische  Arthritis  nervösen  Ursprungs  ist, 
auf  Grundlage  einer  statistischen  Prüfung  von  500  Fällen.  Die  folgenden  3  Gesichts- 
punkte wurden  zunächst  berücksichtigt:  die  Natur  der  Arthr.  rheum.  erzeugenden  Ur- 
sachen in  ihrer  Beziehung  zum  Nervensystem;  die  Vertheilung  der  bei  A.  rheum. 
vorkommenden  Affectionen;  die  Aehnlichkeit  der  Vertheilung  dieser  Affectionen  hier 
und  bei  spinalen  Erkrankungen. 

Zuerst  lag  Erblichkeit  vor  216mal  unter  500;  Gicht  86mal;  Bheumatismus 
64mal;  wahrscheinliche  rheumatische  Arthritis  84mal.  —  Die  Zahlen  konnten  natür- 
lich nur  nach  den  Angaben  der  Patienten  genommen  werden  und  machen  auf  ab- 
solute Sicherheit  keinen  Anspruch. 

38* 


—    660    — 

Wurden  die  bezüglichen  F&lle  bei  Franen  nach  dem  Lebensalter  nnd  der  Anfangs- 
zeit der  Krankheit  betrachtet,  so  war  die  Zeit  der  Menopause  bemerkenswerlh  häufig 
die  Anfangszeit  der  Arthr.  rheumatica,  während  nach  dieser  Periode  die  Häufigkeit 
des  Krankheitsanfangs  abnimmt  —  Von  den  Kranken  waren  411  Frauen,  89  Männer. 

Weiter  wurden  Sorgen,  Gemüthsafifecte,  Kälte,  Nässe  als  Ursachen  bei  Arthritis 
rheum.  nachgewiesen. 

Weiter  fiel  die  Symmetrie  der  Yertheilung  der  Gelenkaffectionen  auf.  —  Femer 
konnte  festgestellt  werden,  dass  die  Gelenkkrankheit  von  der  Peripherie  nach  dem 
Stamm  hin  aufsteige,  wenn  das  auch  nicht  ausnahmslos  geschah.  Am  meisten  er- 
kranken die  Hände,  dann  die  Kniee. 

Schliesslich  wurde  hingewiesen  darauf,  dass  die  Yertheilung  der  Gelenkkrankheit 
hier  ähnlich  sei  derjenigen,  welche  Rflckenmarkskrankheit  in  Folge  von  Erschfitfceruug 
zu  begleiten  pflege.  Bei  Tabes  sei  mehr  ein  grosses  Gelenk,  auch  wohl  mehrere 
grössere,  Sitz  der  Läsion.  Andere  Erscheinungen,  als:  Muskelatrophie,  Steigerung  der 
Sehnenreflexe  etc.  konnten  auch  als  Folgen  der  Gelenkkrankheit  aufgefasst»  nnd  daher 
zur  Begründung  der  Theorie  vom  nervösen  Ursprung  der  Arthritis  nicht  herange- 
zogen werden. 

Eine  an  diesen  Vortrag  sich  anknüpfende  Discussion  enthält  nichts  besonders 
Bemerkenswerthes.  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


17)  Degeneration  of  the   peripheral   nerves   in   locomotor   ataxia,   by  Dr. 

J.  Shaw.     (Joum.  of  nervus  and  mental  disease.  1888.  XHL  S.  433.) 

Verf.  macht  auf  eine  eigenartige  pathologische  Veränderung  aufmerksam,  die  er 
in  den  peripherischen  Nerven  eines  an  Tabes  (und  prc^essiver  Himparalyse)  ver- 
storbenen Mannes  gefunden  hat  Sie  unterscheidet  sich  von  der  typischen  Nerven- 
degeneration durch  das  Fehlen  der  Kemschwellung  und  Vermehrung  in  der  Schwann'- 
sehen  Scheide,  durch  das  Erhaltenbleiben  der  Axencylinder  und  durch  die  Verwandlung 
des  Myelins  in  eine  ganz  fein  granulirte  Masse,  die  sich  nur  schwer  durch  üeber- 
osminmsäure  färben  lässt.  Daneben  finden  sich  vereinzelte  Fasern,  die  typisch  de- 
generirt  sind,  und  recht  häufig  solche,  in  denen  nur  ein  bestimmtes  Segment  in  der 
oben  geschilderten  Weise  verändert  ist,  während  die  oberhalb  und  unterhalb  gelegenen 
Abschnitte  normal  oder  auch  typisch  degenerirt  sein  können.  Er  erblickt  in  diesen 
Verschiedenheiten  nicht  differente  Stadien  eines  und  desselben  Vorganges,  sondern 
stellt  seinen  Befund  der  segmentären  Neuritis  zur  Seite,  wie  sie  Gombault  auf 
Grund  seiner  experimentellen  Ergebnisse  (chronische  Bleivergiftung)  beschrieben  hat. 
(Archives  de  Neurologie.  1880  u.  1881.)  Sommer. 


18)  Beoherches  oliniques  sur  les  troubles  de  la  senBibilitä  outanöe  dans 
la  Chlorose,  par  le  docteur  F.  G.  Laporte.  (Bordeaux  1888.  Imprimerie 
J.  Durand.     84  Seiten.) 

Nach  einer  kurzen  historischen  Uebersicht  theilt  uns  Verf.,  ein  Schüler  von 
Pitres,  35  Fälle  von  Chlorose  mit  und  ohne  Hautanfisthesie  mit;  zahlreiche  Ab- 
bildungen veranschaulichen  die  Grenzen  der  anästhetischen  Hautstellen.  Dann  werden 
die  Symptome  einzehi  besprochen  und  mit  den  Sensibilitätsstömngen  bei  Hysterie 
verglichen.  Dabei  stellt  es  sich  heraus,  dass  die  Störungen  der  Hautsensibilität  bei 
Chlorose  nervöser  resp.  hysterischer  Natur  seien  und  von  einer  functionellen  Ver- 
änderung der  basilaren  Centren  herrühren.  Die  Chlorose,  als  schwächendes  Moment, 
begünstigt  die  Entwickelung  dieser  Symptome  bei  Individuen,  die  auffeilend  hänfi? 
durch  die  hereditären  Antecedentien  eine  Disposition  zu  nervösen  Affectionen  auf- 
weisen. Die  Störungen  der  Hautsensibilität  bei  Chlorose  bestehen  in  völliger  An- 
ästhesie, Analgesie,  Hypoästhesie  und  Hyperästhesie.    Selten  sind  sie  allgemein  oder 


—    661    — 

hemilateral  verbreitet;  hänfiger  betreffen  sie  disseminirte  Inseln»  die  weder  dem  Ver- 
lauf der  Nerven,  noch  dem  der  Gef&sse  jener  Gegend  entsprechen.  Sie  können  sich 
sowohl  spontan,  wie  durch  äussere  Einflösse  (Gemüthsbewegangen,  ästhesiogene  Mittel, 
Transfert  etc.)  verändern  nnd  sind  meist  mit  keinerlei  snbjectiven  Beschwerden  ver- 
bunden. Zugleich  mit  den  Störungen  der  Hautsensibilität  finden  sich  bei  Chlorose 
solche  der  Sensibilität  der  Schleimhäute  wie  der  Sinnesorgane  und  der  tieferen  Gewebe. 

Kalischer. 

19)  Ein  Fall  von  spontaner  symmetrisoher  Gangrän,  von  Ereiswundarzt  Dr. 
Steiner  in  Bosenberg  O./S.    (Dtsch.  med.  Wochenschr.  1888.  Nr.  4.) 

Der  sehr  interessante  Fall  betrifft  ein  17 jähriges,  erst  seit  einem  Jahre  men- 
struirtes,  leicht -chlorotisches  Mädchen,  das  nach  schwerer  Gemüthsbewegung  und 
daraus  entstandener  allgemeiner  Entkräftung  mehrere  Monate  im  Erankenhause  zu- 
gebracht hatte.  Geheilt  entlassen  bekam  sie  nach  einiger  Zeit  (10.  December  1886) 
eine  gangränöse  Stelle  auf  dem  Dorsum  der  rechten  Hand  und  nach  8  Wochen, 
während  jene  heilte,  eine  oberflächliche  Gangrän  der  ganzen  Beugefläche  des 
rechten  Vorderarmes,  an  welche  sich  nach  2  Tagen  eine  ebensolche  Affection  der 
ganzen  Streckseite  des  linken  Vorderarmes  anschloss.  Kribbeln  und  Schmerzen  an 
den  betreffenden  Stellen  gingen  den  ersten  sichtbaren  Veränderungen  12 — 24  Stunden 
vorher.  —  Die  Abstossung  der  brandigen  Theile  dauerte  bis  Ende  Januar  1887, 
die  Vemarbung  entsprechend  länger. 

Die  grosse  Ausdehnung,  die  Lokalität  (Vorderarme  —  während  sonst  Gesicht, 
Nates,  Schamlippen  u.s.  w.  meistens  betroffen  sind;,  die  Oberflächlichkeit  des  Fro- 
cesses,  der  nirgends  in  die  Tiefe  ging,  machen  diesen  Fall  von  Baynaud'scher 
Krankheit  (Asphyxie  locale  et  gangr^ne  symm^trique  des  extr^mit^)  bemerkenswerth. 

Hadlich. 

20)  Case  of  Baynaud'8  disease  or  symmetrioal  gangrene,  by  J.  W.  F.  Smith- 
Shand.    (The  British  med.  Joum.  1888.  18.  Febr.  p.  343.) 

Dieser  Fall,  auf  dessen  ausführliche  Behandlung  hier  verwiesen  wird,  ist  durch 
beigegebene  Holzschnitte,  die  linke  und  rechte  Eörperhälfte  der  20jähr.  Patientin 
darstellend,  illustrirt.  Er  unterscheidet  sich  von  den  bekannten  Fällen  dieser  Art 
durch  das  vorhandene  Fieber  und  durch  die  Oertlichkeit  der  Affection.  Ohrläppchen, 
Wange,  Nasenspitze,  Gesicht,  Hals,  Arme,  Hände,  Beine  (oberhalb  des  Knies)  wurden 
nach  und  nach  an  symmetrischen  Stellen  afflcirt.  Stanmi,  Finger,  FQsse  blieben  freL 
Schwarze  Blasen,  mit  Serum  gefüllt,  entstanden  nach  vorhergegangenem  brennenden 
GefühL  Nach  10  Tagen  schrumpften  die  Blasen  und  hinterliessen  eine  Borke. 
Das  Fieber  blieb  wohl  3  Wochen.  Dysurie,  Albuminurie  und  Diarrhoe  begleiteten 
die  Krankheit  und  die  Gonvalescenz.  Auf  der  Höhe  der  Krankheit  schien  grosse 
Gefahr  für  das  Leben  der  Patientin  vorhanden  zu  sein.  (Puls  125^,  Temperatur 
104,4^  F.)  L.  Lehmann  (Oeynhausen). 


21)  lieber  ein  dem  Paramyoolonns  multiplex  (Friedreioh)  nahestehendes 
Krankheitsbild,  von  KKny,  Strassburg.   (Arch.  f.  Psychiatrie.  1888.  XIX.  3.) 

Verfasser  berichtet  über  zwei  Fälle,  die  er  als  Myoclonus  fibrillaris  multiplex 
bezeichnen  möchte.  In  dem  zweiten  genauer  beschriebenen  handelt  es  sich  um  einen 
28  jährigen  Landmann.  Weder  erbliche  Belastung  noch  Syphilis  noch  Alkoholismns 
nachweisbar.  Ostern  1887  erlitt  er  einen  Deichselstoss  in  die  linke  Leistengegend; 
ein  erheblicher  Schrecken  war  nicht  damit  verbunden.  Im  Juli  war  er  von  der 
Oontusion  genesen.  Acht  Tage  danach  schmerzhaftes  Klopfen  erst  in  der  rechten, 
dann  auch  in  der  linken  Wade,  nach  längerem  Gehen  Gefühl  von  Ziehen  bis  in  die 


—    662    — 

Fusssoblen,  allmählich  auch  Zuckungen  in  den  Oberschenkeln»  Schw&chegefühl  auch 
in  den  Armen  und  Kribbeln  in  den  Fingerspitzen.  Im  August  wurden  continuirliche 
massenhafte  fibriUäre  Contractionen  constatirt:  am  stärksten  in  den  Mm.  gastrocnemü 
und  quadricipites,  rechts  noch  mehr  wie  links.  Die  Zehen  sind  in  fortwährender 
spielender  Bewegung,  die  zuweilen  durch  den  Stiefel  hindurch  sichtbar  ist. 
Schwächere  fasciculäre  Contractionen  finden  sich  in  den  Deltoidei  und  Streckmuskeln 
des  Arms  sowie  den  Brust-  und  Rückenmuskeln.  Das  Tempo  der  Contractionen  ist 
wechselnd,  stets  sind  mehrere,  aber  nie  sämmtliche  Bündel  desselben  Muskels  gleich- 
zeitig betroffen.  Ausser  an  den  Zehen  kein  locomotorischer  Effect.  Während  actirer 
Bewegungen  nehmen  die  Zuckungen  ab,  in  der  Buhe  nach  einer  activen  Bewegung 
zu.  Im  tiefsten  Schlafe  nur  cessiren  sie.  Hautreize  steigern  die  Zuckungen.  Patellar- 
reflexe  stark,  Hautreflex  etwas  verstärkt,  idiomuskuläre  Erregbarkeit  gesteigert. 
Leichter  Tremor  der  Zunge  und  der  ausgestreckten  Hände.  Dynamometer  rechts  20, 
links  33  kg.  Sensibilität  intact,  Nervenstämme  nicht  druckempfindlich,*  willkürliche 
Bewegungen  etwas  unsicher  und  rasch  ermüdend.  Faradische  und  galvanische  An- 
spruchsiahigkeit  der  Gastrocnemü  stark  erhöht  Bei  Strömen  von  über  10  M. — A. 
nach  kurzer  Ea — S  ein  Tetanus,  der  die  Stromöffhung  überdauert.  Die  elektrische 
Erregbarkeit  der  Nerven  vom  Muskel  aus  ist  normal.  Bei  Behandlung  mit  dipolaren 
und  monopolaren  Bädern  genas  F.  bis  zum  December  völlig.  Das  Dynamometer 
ergibt  jetzt  beiderseits  39  kg.  Die  directe  faradische  und  galvanische  Erregbarkeit 
ist  gegen  früher  deutlich  vermindert. 

Im  ersten  Fall  bestanden  auch  tonische  Wadenkrämpfe;  derselbe  ist  sonst  sehr 
ähnlich.  Auch  hier  jene  Erb'sche  myotonische  elektrische  Beaction,  aber  ohne 
Zuckungsträgheit.  Der  fibrilläre  Typus  sowie  die  eigenthümliche  elektrische  Beaction 
unterscheiden  die  beiden  Fälle  von  Friedreich*s  Paramyoklonus.  Th.  Ziehen. 


22)  A  caae  of  paramyoclonus  multiplex,  reported  by  Frank  B.  Fry.    (Jonm. 
of  nervous  and  mental  diseases.    1888.  XY.  p.  397.) 

Ein  30  jähr.  Mädchen,  ohne  nervöse  oder  hysterische  Antecedentien,  das  aber 
seit  mehr  als  12  Jahren  täglich  10—12  Stunden  an  einer  Nähmaschine  mit  Fuss- 
betrieb  thätig  war,  wurde  eines  Tages  während  der  Arbeit  von  einem  eigenthüm- 
lichen  rhythmischen  Zittern  des  linken  besonders  angestrengten  Beines  ergriffen,  das 
bald  in  ein  regelmässiges  Heben  und  Senken  der  linken  Unterextremität  im  Hüft- 
gelenk übergiug  und  das  mehrere  Stunden  anhielt.  Mit  der  Zeit  wurden  derartige 
Anfölle  häufiger  oft  täglich;  manchmal  wiederholten  sie  sich  in  kurzen  Zwischen- 
räumen, dauerten  aber  nur  noch  einige  Minuten. 

Bei  der  genaueren  Untersuchung  zeigten  sich  keine  wesentlichen  Abnormitäten: 
es  fehlten  Paresen,  Sensibilitäts-  und  Coordinationsstörungen.  Die  Muskelerregbarkeit 
war  gesteigert,  und  ebenso  die  Sehnenreflexe.  Der  Anfall  selbst  bestand  in  einem 
sehr  schnell  sich  wiederholenden  und  energischen  Stampfen  beider  Füsse  auf  den 
Boden,  gewöhnlich  eingeleitet  durch  einige  tiefe  Athemzüge  und  beendet  durch 
einige  Zuckungen  des  rechten  Arms  und  der  rechten  Schulter,  und  ebenfalls  von 
mehreren  tiefen  Inspirationen.  Nach  dem  Anfall  fühlte  sich  Patientin  jedesmal 
sehr  erschöpft. 

Medicamentöse  Behandlung  blieb  ziemlich  erfolglos;  eine  sehr  bedeutende  Bes- 
serung —  so  dass  der  ganze  Anfall  auf  leichte  fibrilläre  Zuckungen  der  betheiligtra 
Muskeln  beschränkt  ist,  —  wurde  durch  methodische  Ghilvanisation  erzielt. 

(Ob  übrigens  diese  Erankenbeobachtung  grade  als  ein  Fall  von  Faramyodonas 
betrachtet  werden  muss,  scheint  dem  Eef.  noch  nicht  ganz  zweifellos:  man  würde 
auch  an  eine  functionelle  Erampfform,  wie  sie  in  der  Neuzeit  so  häufig  zu  seben 
ist,  zu  denken  haben.)  Sommer. 


—    663    . 

23)  Ueber  FaramyoclontLs  multiplex  und  idiopathisohe  Muskelkrämpfe, 

von  Alessandro  B.  Marina,  Triest.    (Arch.  f.  Psychiatrie,  1888.    XIX,  3.}^) 

Verf.  stellt  ans  der  Litteratnr  20  Fälle  von  Paramyj^clonus  multiplex  zasammen 
und  fügt  zwei  eigene  Beobachtungen  hinzu.  In  der  Zusammenstellung  fehlt  der 
Rybalkin*sche  Fall.  Der  Fall  von  Hughes  Bennet,  in  welchem  auch  temporäre 
Lähmung  der  befallenen  Muskeln  bestand,  geWri  wahrscheinlich  gar  nicht  hierher. 
Aus  der  italicBischen  litteratur  des  Jahres  1887  citirt  Verf.  3  neue  Fälle  von  Lembo, 
Feletti  und  Sllvestrini. 

Der  erste  Fall  Marina*s  betrifffc  einen  37jährigen,  erblich  belasteten  Kaufmann. 
Derselbe  litt  vor  einigen  Jahren  an  Intermittens  und  ist  starker  Baucher.  Die 
Zuckungen  sind  klonisch  und  rhythmisch  und  treten  anfallsweise  auf.  Jeder  Anfall 
dauert  5 — 10  Minuten.  Die  Zuckungen  betrefifen  an  den  Oberschenkeln  besonders 
die  Yasti  und  Glutaei,  Bectus  abdom.,  Pectoralis,  Latissimus  und  Longissimus  dorsi, 
Masseteren  und  spurweise  den  Biceps  brachialis.  Die  Yasti  der  linken  Seite  con- 
trahiren  sich  tonisch  und  zwar  etwa  „60  Mal  in  der  Minute".  Die  Yasti  rechts 
zeigen  bis  120  klonische  Zuckungen  pro  Minute.  Kälte  steigert  die  Zuckungen, 
andere  Hautreize  sind  einflusslos.  Der  Schlaf  hebt  die  Zuckungen  auf,  Druck  auf 
die  Domfortsätze  der  Lenden-  und  Brustwirbel,  sowie  auf  einen  braun  plgmentirten 
Fleck  in  der  Gegend  der  Sacralwirbel  vermindert  sie.  Die  Krämpfe  in  den  unteren 
Extremitäten  sind  willkürlich  in  gewissem  Maasse  beherrschbar.  Die  Kniephänomene 
sind  sehr  gesteigert,  die  Hautreflexe  und  die  electrische  Erregbarkeit  normal.  Unter 
stabiler  absteigender  Galvanisation  des  Bückens  und  Bromtherapie   völlige  Heilung. 

Im  zweiten  Fall  —  bei  einem  27jährigen  Lastträger  —  liegen  als  ätiologische 
Momente  oft  recidivirende  Darmkatarrhe  und  Kummer  vor.  Die  Anfalle  äusserten 
sich  zuerst  in  Angst,  Kopfschwindel  und  Athemnoth;  dann  trat  Schwäche  in  den 
unteren  Extremitäten  hinzu.  Die  Musculatur  des  Abdomens  hebt  und  senkt  sich 
unter  Borborygmen  ca.  60  Mal  in  der  Minute;  nach  einer  Weile  (sofort  bei  Per- 
cussion  des  Lig.  patell.)  beginnen  clonische  Zuckungen  im  rechten  Quadriceps,  während 
der  linke  in  tonischer  Gontraction  verharrt.  Die  Pectorales  sind  in  tetanischem 
Krampf.  Im  Anfall  auch  Globus,  am  Ende  des  Anfalls  flrilläre  Zuckungen  in  den 
Intercostalmuskeln  beiderseits.  Die  Quadriceps-Zuckuugen  können  vom  Willen  ein 
wenig  beherrscht  werden  und  hören  bei  willkürlichen  Bewegungen  auf;  die  Krämpfe 
der  Bauchmuskeln  cessiren  nur  in  der  Bückenlage  und  im  Schlafe.  Sehnenphänomen 
und  Hautreflexe  gesteigert.  Normale  electrische  Erregbarkeit.  Bei  faradischer  Bei- 
zung des  motorischen  Punktes  des  ObUquus  abdominis  rechts  starker  clonischer  Krampf 
im  Abdomen  und  rechten  Quadriceps  und  tetanischer  im  linken.  Im  Anfall  und  im 
Buhezustand  rhythmische  Krämpfe  des  Yelum  und  der  Uvula,  Unbeweglichkeit  des  linken 
Stimmbandes  in  der  Medianlinie,  rhythmische  Krämpfe  des  rechten.  Abweichung  der 
Epiglottis  nach  rechts  und  Senkung  bei  jeder  Inspiration.  Beide  Gesichtsfelder  con- 
centriBch  eingeengt.  Bei  der  ersten  Spiegeluntersuchung  Hyperästhesie,  bei  der 
folgenden  Anästhesie  des  Yelum.  Bei  Bromtherapie  und  absteigender  Galvanisation 
keine  Besserung,  bei  Bettruhe  und  Anodenbehandlung  fast  vollständige  Heilung.  Die 
Unbeweglichkeit  des  linken  Stinunbandes  bezieht  M.  auf  tonischen  Krampf  der  Ad- 
ductoren. 

Yerf.  erörtert  alsdann  das  Wesen  des  Paramyoclonus  in  wesentlicher  Ueberein- 
siimmung  mit  dem  Bef.,  meint  aber,  da  in  8  von  seinen  22  Fällen  auch  tonische 
Contractionen  vorhanden  waren,  die  Bezeichnung  Myoclonia  verwerfen  zu  müssen  und 
bezeichnet  die  Krankheit  als  Myospasia.  Bef.  bemerkt  hierzu  nur,  dass  eine 
60malige  tonische  Gontraction  in  der  Minute,  wie  sie  M.  in  seinem  ersten  Fall 
beschreibt,  in  sich  widerspruchsvoll  erscheint  und  dass  eine  gelegentliche  Summation 
der  clonischen  Zuckungen  zu  einem  kurzen  Tetanus  (Friedreich*s,  Marie*s  und  Bech- 


^  Cf.  auch  Biv.  sperim.  di  Freniatria  1888.    XIY,  p.  40. 


—    664    — 

terew*s  Fälle  gehören  wohl  hierher)  nichts  zu  thon  hat  mit  jenem  gewisBermaassen 
primären  tonischen  Krampf,  der  als  Myotonie  bezeichnet  wird.  Dem  Paramyodoniis 
als  der  Myospasia  simplex  möchte  M.  denn  eine  Myospasia  impolsiva  gegenüberstellen, 
bei  welcher  sich  plötzlich  oder  mit  steigender  Intensität  ein  Krampf  einer  oder 
mehrerer  Muskelgrappen  in  der  Weise  entwickelt,  dass  bei  einer  gewissen  Intensität 
unwiderstehliche  Dislocation  der  befallenen  Theile  eintritt  Hierzu  rechnet  IL  die 
Chorea  magna,  die  Maladie  des  Tics  convulsifs,  die  Erinnerungs-  und  die  statischen 
Krämpfe.  Th.  Ziebeu. 

24)  ParamyoolonuB,  von  Prof.  Dr.  Seeligmüller,  Halle.    (Sep.-Abdr.   aus  der 
Beal-Encyklopädie  der  gesammten  Heilkunde.     2.  Aufl.     7  Seiten.) 

Die  von  Friedreich  sogenannte  Krankheit  umfasst  nach  der  vorliegenden  neuen 
Bearbeitung  ungefähr  20  Fälle  in  der  Litteratur.  Die  weitere  Litteraturangabe  über 
dieses  Thema  enthält  26  Nummern. 

Verf.  hält  den  Namen  „Myoclonie"  für  geeigneter,  weil  das  symmetrische  Auf- 
treten der  Zuckungen  selten  ist,  stimmt  aber  Friedreich  bei,  dass  der  Krankheit 
eine  gesteigerte  Erregbarkeit  der  motorischen  Gfanglienzellen  in  den  grauen  Yorder- 
säulen  des  Bückenmarks  zu  Grunde  liegt. 

Verf.  beansprucht  für  die  Myoclonie  durchaus  eine  eigene  Stelle  unter  den  Krank- 
heitsbildem;  am  meisten  Aehnlichkeit  hat  sie  mit  der  Chorea  electrica;  von  der  ge- 
wöhnlichen Chorea,  dem  Tic  non  douloureuz,  der  Maladie  des  Tics,  der  Hysterie  und 
Athetose  trennen  sie  genug  Merkmale.  Sperling. 


Psychiatrie. 

25)  Ueber   Simulation  geistiger  Störungen,  von  Prof.  Fürstner.     (Arch.  f. 
Psych.  XIX.  S,  601.) 

F.,  der  unter  31  zur  Begutachtung  zugewiesenen  Fällen  12  als  SimulatioB 
nachweisen  und  in  9  derselben  nachträglich  den  Ausspruch  controliren  konnte,  be- 
spricht zuerst  die  Gründe  für  die  verschiedenen  Anschauungen  bezüglich  der  Häufig- 
keit  der  Simulation,  sowie  er  die  für  die  Seltenheit  derselben  angeführten  Gründe 
als  für  die  in  der  Gegenwart  geänderten  Verhältnisse  nicht  mehr  stichhaltig  nach- 
weist. Er  scheidet  die  Fälle  in  solche,  wo  geistig  Gesunde  simuliren  und  in  solche, 
wo  bei  Vorhandensein  psychischer  Anomalien  diese  hochgradig  übertrieben  oder  mit 
willkürlich  producirten  Symptomen  combinirt  dargestellt  werden.  In  der  Scala  der 
Häufigkeit  steht  obenan  die  Simulation  des  Blödsinns  mit  Apathie,  Stummheit  oder 
auffallend  verkehrter  Reaction  in  Wort,  Schrift  und  That;  dann  folgen  abnorme  Be- 
wusstseinszustände,  welche  zur  Zeit  der  That  bestanden  haben  sollen,  meist  begleitet 
von  Sinnestäuschungen,  in  den  Intervallen  besteht  gleichfalls  die  erwähnte  auffallende 
Beaction;  in  einer  dritten  Gruppe  finden  sich  sehr  verschiedene,  unregelmässig  wech- 
selnde Symptomencomplexe,  die  keinem  bekannten  Erankheitsbilde  entsprechen;  eine 
vierte  Gruppe  bilden  Erregungszustände  mit  Verworrenheit  und  Gewaltth&tigkeit; 
gelegentlich  werden  auch  andere  Formen  simulirt;  die  differentialdiagnostischen  Merk- 
male dieser  Gruppen  werden  eingehend  dargestellt  und  durch  Casuistik  erläutert; 
von  ganz  besonderem  Interesse  ist  der  ausführlich  mitgetheilte  Fall  eines  17jährigen 
Mädchens,  das  die  verschiedensten,  zum  Theil  an  Hysterie  erinnernden  Erscheinungen 
simulirte,  um  den  Glauben  an  religiöse  Wunder  zu  erwecken.  A.  Pick. 


26)  Erfahrungen  über  Simulation  von  Irrsinn  und  das  Zusammentreffen 
derselben  mit  wirklicher  geistiger  Erkrankung,  von  Frivatdocent  Dr.  J. 
Fritsch.     (Jahrbücher  für  Psychiatrie.  1888.  VIII.  1  u.  2.) 


—    665    — 

Aus  seiner  8jährigen  Erfahrung  über  200  geistefikranke  Untersuchungsgefangene 
theilt  F.  10  Fälle  von  Simulation  mit.  Nur  in  2  Fällen  handelte  es  sich  um  geistig 
intacte  Individuen,  die  andern  waren  alle  psychisch  nicht  unbelastet.  3  hatten  eine 
neuropathische  Constitution,  erregbare  Natur,  jähzorniges  Temperament;  die  thatsäch- 
lichen  Störungen  waren  bei  ihnen  keineswegs  derartig,  dass  annähernd  von  eigent- 
licher Geistesstörung  hätte  gesprochen  werden  kOnnen.  Die  andern  6  Fälle  zeigten 
wirkliche  psychische  Alienation,  deren  Form  Bilder  darstellt,  die  als  Ausdruck  psycho- 
pathischer Veranlagung  und  psychischer  Degeneration  angesehen  werden  müssen.  Es 
handelte  sich  um  ausgesprochene  hereditäre  Belastung,  epileptische  Grundlage,  originäre 
Veranlagung,  atypische  (Gestaltung  des  Symptomenbildes,  relative  Intactheit  der  psych. 
Verrichtungen,  und  einen  minder  prägnanten  Charakter  der  Krankheitserscheinungen. 
7  dieser  Simulanten  standen  wegen  Eigenthumsdelicte  in  Untersuchung,  von  den  an- 
dern dreien  waren  2  bereits  wegen  Diebstahls  bestraft.  Verbrecher  dieser  Kategorie 
zeichnen  sich  durch  CharaktereigenthümUchkeiten  aus,  die  sie  für  die  Bolle  des 
Simulanten  besonders  geeignet  erscheinen  lassen  (Kunstfertigkeit  des  Lügens,  Ueber- 
treibens  und  Vorstellens  etc.).  Es  erhellt  aus  dieser  Betrachtung,  dass  das  Vor- 
kommen der  Simulation  an  sich  auf  gleichzeitiges  Bestehen  neuropath.  Disposition  und 
Psychopath.  Veranlagung  hinweist  und  zu  vorhandenen  Zuständen  sogenannter  psych. 
Entartung  in  Beziehung  gebracht  werden  kann.  Auch  in  den  Fällen,  wo  zweifeUos 
Irre  simuliren  und  zu  den  bestehenden  Symptomen  neue  hinzufügen,  handelt  es  sich 
nach  Brosius  meist  um  erblich  veranlagte,  defecte  Individuen.  Kalischer. 


27)  Dl  un  nuovo  oriterio  diagnoBtioo  nella  paralisi  progressiva  derivato 

dall'  analisi  delle  orine,  del  dott.  A.  Marro.    (Annali  di  Freniatria.   1888. 

I.  p.  101.) 

Ueber  eine  frühere  Arbeit  von  Maccabruni,  der  Peptonurie  als  Zeichen 
schwererer  Ernährungsstörungen,  latenter  Eiterungen  etc.  etc.  bei  Irren  häufig  be- 
obachtet hatte,  ist  in  diesem  Centralblatt  bereits  V.  1886,  p.  114  referirt  worden, 
und  ibid.  VII.  1888,  pag.  268  ist  schon  eine  vorläufige  Mittheilung  Marro *s  be- 
sprochen. 

Auf  Grund  seiner  weiteren  Untersuchungen,  die  an  22  Paralytikern  angestellt 
sind,  hat  nun  Marro  gefunden,  dass  Peptonurie  ein  constantes  Symptom  der  pro- 
gressiven Paralyse  ist;  er  glaubt  Peptonurie  als  ein  so  sicheres  Zeichen  ansehen  zu 
dürfen,  dass  er  in  zweifelhaften  Fällen  den  Nachweis  von  Pepton  im  Urin  für  die 
Dii^ose  der  Paralyse  benutzt;  fehlt  dagegen  Pepton  im  Urin  eines  Geisteskranken, 
so  liegt  nach  der  Ansicht  des  Verf.s  sicher  keine  Paralyse  vor. 

Die  Untersuchung  wird  nach  der  Hofmeister'schen  Methode  vorgenommen, 
und  man  muss,  um  sicher  zu  gehen,  grössere  Mengen  Urin,  600 — 1000  cbcm.  (am 
besten  Morgenham  oder  den  Urin  von  vollen  24  Stunden)  benutzen.       Sommer. 


Therapie. 

28)  Notes  on  the  cause  and  treatment  of  Itmctional  insomnia,  by  Dr.  Sachs 
(Medical  News.  1887.  May  28.) 

Verf.  berücksichtigt  hier  nur  die  Fälle  von  Schlaflosigkeit,  die  nicht  von  or- 
ganischen Gehimerkrankungen,  von  Psychosen  und  Fieber  etc.  abhängen.  Er  betrachtet 
die  Schlaflosigkeit  bei  anämischen  und  oeurasthenischen  Zuständen,  um  die  es  sich 
hier  hauptsächlich  handelt,  und  die,  welche  gleichzeitig  oder  abwechselnd  mit  Migräne- 
anfallen einhergeht,  als  Folge  vasomotorischer  Anomalien.  Dem  entsprechend  empfiehlt 
er  für  ihre  Behandlung  viel  weniger  Sedativa  und  Uypnotica,  als  Boborantia  und 
Tonica  und  besonders  die  Oertersche  Kur  gegen  Herzschwäche,  von  der  er  die  besten 
Erfolge  gesehen.     Die  passiven  Bewegungen  bei  der  Playfair-Mitchell'schen  Methode 


—     666      - 

faUt  er  für  weit  weniger  empfehlenswerth  und  hat  während  der  letzteren  einmal  sogar 
eine  sehr  betrachtliche  Verschlimmerang  der  Schlaflosigkeit  beobachtet 

Sommer. 

29)  Permanganate  of  potassium  in  the  treatment  of  amenorrhoea  asao- 
oiated  with  mental  disease,  by  P.  W.  Macdonald.  (The  Practitioner. 
1888.  Juni.) 

Gegen  Amenorrhoe  mit  psychischen  Anomalien  wandte  Verf.  das  1883  von  Binger 
und  Murell  als  Emmenagogum  empfohlene  Kall  hypermanganicum  mit  gutem  Erfolge 
an  (3mal  taglich  1  Pille  k  1  Gran  ==  0,06  Gramm).  Von  9  beschriebenen  Fälleu 
wurden  in  6  die  geistigen  Fähigkeiten,  wie  die  Functionen  des  Uterus  und  Ovarium 
völlig  hergestellt,  in  3  Fällen  nur  die  letzteren  ohne  Bückkehr  des  psychischen 
Gleichgewichts;  in  2  derselben  hörten  die  Menses  wieder  au^  sobald  man  die  Pillen 
fortliess.  Dieselben  müssen  mindestens  3  Monate  lang  nach  dem  Erscheinen  der 
Menses  gegeben  werden.  In  Fällen,  wo  ein  organisches  Leiden  der  Amenorrhoe  zu 
Grunde  liegt,  bleibt  das  Mittel  erfolglos.  Die  psychischen  Störungen  schwinden  bei 
dieser  Behandlung  bald  vor,  bald  nach  dem  Erscheinen  der  Menses^  und  will  Verf. 
das  Mittel  als  Blut-  und  Nerventonicum  betrachten.  Von  den  6  gebesserten  Fällen 
war  die  Amenorrhoe  in  3  Symptom,  in  3  Ursache  der  psychischen  Störungen.  Bei 
jungen  Mädchen  ist  sie  häufiger  die  Ursache,  bei  Frauen  meist  Symptom  der  psy- 
chischen Erkrankung.  Die  Behandlung  ist  für  beide  die  gleiche. .  Als  begleitende 
psychische  Anomalien  werden  angeführt:  Gharakterveränderungen,  Wechselznstände 
von  Verstimmung  und  Erregung,  moralische  Verkehrtheit,  impulsive  Manie,  Hystero- 
Manie,  stuporöse  Melancholie,  maniakalische  Zustände  etc.  Kalischer. 


30)   The   treatment   of  migraine  with   indian  hemp,   by  B.  Greene.     (The 

Practitioner.  1888.  Juli.) 

G.  wandte  Cannab.  indica  mit  gutem  Erfolge  gegen  Migräne  an,  ohne  je  üble 
Nachwirkungen  zu  sehen.  Meist  eignet  sich  das  alkoholische  Extract  am  besten; 
doch  giebt  er  auch  Pillen,  die  ^'g — V2 — ^/s  ^^^  enthalten  und  von  denen  täglich 
1  Pille  gegeben  wird.  Die  Anwendung  geschieht  continuirlich  durch  Wochen  resp. 
Monate.  Mit  Seguin  vergleicht  der  Verf.  die  gute  Wirkung  des  Cannab.  indic.  bei 
Migräne  mit  den  Erfolgen  der  Bromide  bei  Epilepsie.  Die  Anfälle  werden  weniger 
stark,  seltener,  schwinden  ganz.  Bei  Frauen  wirkte  es  besser;  vielleicht  weil  die 
Migräne  bei  ihnen  mit  Anomalien  in  der  Function  des  Uterus  zusammenhängt  und 
Cannab.  indic.  als  Speciflcum  gegen  Uterusleiden  bekannt  ist.  Kalischer. 


31)  lieber  Hyosoin  und  Hyoscyamin  in  der  Psychiatrie.  Inaugural-Disser- 
tatiou  von  H.  Mieth,  Assistenzarzt  der  Provinzial-Irren-Anstalt  Nietleben  bei 
Halle  a.  S.     (Leipzig,  April  1888.     60  Seiten.) 

Nach  einer  ausführlichen  Beschreibung  der  bisher  in  der  Litteratur  verzeichneten 
Anwendungsweisen  und  Erfolge  von  Hyoscyamin  und  Hyoscin,  folgen  die  eigenen 
therapeutischen  Versuche,  die  mit  brom-  und  chlorwasserstofiDsaurem  Hyoscin  (Merck) 
angestellt  sind.  Zur  Beseitigung  der  Schmerzhaftigkeit  der  Injection  empfiehlt  sieb 
eine  L5sung  des  Hyoscins  in  '/«^/o  Kochsalzlösung.  Bei  etwa  60  Kranken  wurde 
das  Mittel  in  mehr  als  300  subcutanen  Gaben  und  fast  ebenso  vielen  innerlichen 
Gaben  angewandt.  Die  niedrigste  Dosis  betrug  0,1 — 0,15  mgr,  die  höchste  0,75 
bis  1,0  mgr.  In  grossen  Dosen  traten  neben  der  beruhigenden  Wirkung  auch  Beiz- 
erscheinungen auf,  und  zwar  können  dieselben  bei  schwächlicher  Constitution  und 
geringer  narcotischer  Capacität  schon  bei  0,5  mgr  sich  bemerkbar  machen.  Es  sind 
dies:  Uebelkeit,  Brechneigung,  Erbrechen,  Unruhe,  Schlaflosigkeit,  Ideenflucht  bis 
Delirien,  Sinnestäuschungen.  Die  Depressionserscheinungen  bestehen  in  ScbwiildeL 
Ataxie,  Müdigkeit,  Schlaf,  Parese  bis  Paralyse.   Bei  der  chronischen  Anwendung  des 


—    667    — 

Hyoscins  zeigte  sich:  Blässe  und  SprOdigkeit  der  Haut,  kleiner  weicher  Puls,  Ab- 
nahme des  Körpergewichts,  Kopfschmerz,  Schvrindel,  Erbrechen  und  als  schlimmste 
Erscheinung  Circulationsstörungen,  wie  Gyanose  und  Kühle  der  Extremitäten,  Furunkel- 
bildung etc.  —  Bei  lebhaft  haÜucinirenden  Kranken  wurden  die  Sinnestäuschungen 
und  namentlich  die  des  Gesichts  durch  das  Hyoscin  gesteigert;  bei  hallucinatorisch 
Verrückten  bewirkte  es  mitunter  eine  Steigerung  der  Erregung.  Bei  Melancholie, 
progressiver  Paralyse  und  einfacher  Manie  eignete  es  sich  nicht;  am  besten  wirkte 
es  bei  chronisch  und  periodisch  verlaufenden  Psychosen  mit  Auftegungszuständen  ohne 
besonders  starke  Sinnestäuschungen.  Bei  den  Erregungen  chronischer  Manie  erreicht 
man  durch  eine  einmalige  Tagesdosis  von  0,3 — 0,5 — 0,75  mgr  nicht  nur  Nachts 
Buhe  und  Schlaf,  sondern  auch  am  Tage  Beruhigung.  Da  das  Hyoscin  eine  ausge- 
sprochen cumulirende  Wirkung  besitzt,  ist  es  in  seltenen  Dosen  (meist  höchstens 
Imal  pro  die)  anzuwenden.  Bei  länger  fortgesetztem  Gebrauch  steigern  sich  die 
unangenehmen  Nebenwirkungen  zu  sehr.  Dem  Hyoscyamin  ist  es  jedenfalls  vorzu- 
ziehen, da  die  bei  ersterem  vorhandenen  Uebelstände  zum  Theil  fehlen,  zum  Theil 
geringer  sind.  Kalischer. 

32)  Beitrag  sur  Wirkung  des  Aconitins.  Inaugural- Dissertation  von  Alfred 
Cohn.     (Berlin,  Mai  1888.    30  Seiten.) 

Neue  Versuche  über  dieses  Mittel  an  Kaninchen,  die  C.  unter  Prof.  Liebreich's 
Leitung  anstellte,  lehrten,  dass  sich  unter  dem  Einfluss  des  Aconitins  in  der  Um- 
gebung der  Injectionsstelle  allmählich  eine  Abschwächung  der  Sensibilität  geltend 
macht,  die  nach  und  nach  in  ein  völliges  Erlöschen  derselben  übergeht.  Die  injicirte 
Flüssigkeit  erregte  heftige  Schmerzen.  Auch  sich  selber  injicirte  Verf.  ^/^qq  mgr. 
0,00005  Aconit,  nitric.  (^/^  Spritze).  Sofort  entstand  starkes  Brennen  im  Umkreis 
von  2  cm,  nach  10  Minuten  taubes  Gefühl,  nach  15  Minuten  heftiges  Brennen  bei 
völligem  Schwinden  der  Empfindlichkeit  für  Nadelstiche,  des  Kälte-,  Druckgefühls  etc. 
Nach  25  Minuten  bestand  vollständige  Anästhesie,  die  einige  Stunden  anhielt.  Im 
weiteren  Umkreis  um  den  Stichcanal,  ca.  3 — 4  cm,  waren  die  Empfindungen  unbe- 
stimmt und  stumpf.  An  dem  Krankenmaterial  der  Nervenpoliklinik  des  Prof.  Mendel 
wurden  fernere  Versuche  angestellt,  jedoch  nur  bei  der  idiopathischen  Neuralgie 
(sogenannte  rheumatische  Neuralgie,  Ischias,  Gesichtsneuralgien  etc,).  Die  Dosis  be- 
trug ^/]Qo — 7io  ™^  Aconitin.  nitric.  Auch  hier  schmerzten  und  reizten  die  Injec- 
tionen  anfangs,  jedoch  es  folgte  bald  locale  Anästhesie  und  Analgesie  und  gehört 
daher  das  Mittel  zu  den  sogen.  „Anästhetica  dolorosa".  Absolute  Bemheit  des  Prä- 
parates und  idiopathische  Natur  der  Neuralgie  sind  Vorbedingungen  für  die  Ver- 
wendbarkeit. —  Laborde  und  Duquesnel,  welche  von  ihrem  crystallisirten  Aconitin 
Pillen  anfertigten,  hatten  überraschende  Besultate;  freüich  blieben  den  genannten 
Beobachtern  heftige  Intoxicationserscheinungen  nicht  erspart.  Dieselben  treten  nicht 
auf,  wenn  man  das  Mittel  in  oben  erwähnter  Form  und  Dosis  als  locales  Anästheticum 
anwendet.  Kalischer. 

Anstaltswesen. 

33)  Verslag  omtrent  het  geneeskundig  gestloht  voor  grankginnigen  te 
TJtreoht  over  het  jaar  1887.  Door  Dr.  A.  Th.  Moll.  Utrecht  1888.  (Kemink 
en  Zoon.    8^     138  Seiten.) 

Der  Krankenbestand  betrug  am  1.  Jan.  1887  421  (224  M.,  197  W.),  neu  auf- 
genommen wurden  93  (44  M.,  49  W.),  im  Ganzen  verpflegt  also  514  (268  M., 
246  W.).  Davon  sind  37  (24  M.,  13  W.),  gestorben,  38  (16  M.,  22  W.)  ungeheilt, 
21  (10  M.,  11  W.)  geheilt  entlassen  worden,  mithin  betrug  der  Bestand  am  1.  Jan. 
1888  418  (218  M.,  200  W.).  Unter  den  Verstorbenen  waren  9  (5  M.,  4  W.)  das 
I.Jahr  in  der  Anstalt  und  schon  in- hoffnungslosem  Zustande  aufgenommen  worden; 


—    668    — 

eine  Fi^au,  bei  deren  Aufnahme  Selbstmordneigung  aosdrücklich  in  Abrede  gestellt 
worden  war,  erhenkte  sich  trotz  Ueberwachnng  in  einem  unbeobachteten  Moment, 
nachdem  sie  nur  1  Monat  in  der  Anstalt  gewesen  war.  Unter  den  YerstorbeneD 
fanden  sich  femer  1  Frau,  die  54^2»  2  Frauen,  die  42  und  1  Frau,  die  32  Jahre 
in  der  Anstalt  verpflegt  worden  waren,  4  Männer,  die  16,  15  und  12  J.  verpflegt 
worden  waren.  Der  Tod  erfolgte  bei  7  (6  M.,  1  W.)  an  Pneumonie,  bei  6  (5  M., 
1  W.)  an  Tuberculose,  bei  2  Männern  an  Pleuritis,  bei  1  M.  an  acuter  Bronchitis, 
bei  1  W.  an  Lungenlähmung,  bei  2  W.  an  Herzlähmung,  bei  je  1  M.  an  Herzhyper- 
trophie, Erstickung,  bei  1  W.  Erhenkung,  bei  7  (4  M.,  3  W.)  an  Marasmus,  bei 
3  W.  an  Apoplexie,  bei  2  M.  an  Erysipel,  bei  je  1  M.  an  Urämie,  Morbus  Brightü, 
bei  1  W.  an  allgemeinem  Hydrops.  —  Unter  den  geheilt  Entlassenen  befand  sich 
ein  Mann,  der  an  Melancholia  agitata  litt  und  5  J.  lang  in  der  Anstalt  war,  ein 
erblich  belasteter  junger  Mann,  der  nach  Kopfverletzung  an  maniakalisclien  Anfallen 
litt,  ein  an  Angstaniullen  mit  Hallucinationen  Leidender  und  2  an  Puerperalpsychosen 
Leidende. 

Unter  50  Sectionen,  die  seit  1885  gemacht  wurden,  fanden  sich  grössere  Heerde 
im  Gehirn  in  4,  kleinere  Heerde  (multiple  Sklerose,  Tuberculose,  diffuse  Sklerose)  in 
3  Fällen.  Von  5  Fällen  von  Dementia  senilis  fanden  sich  in  4  bedeutend  za  grosse 
Schädel,  in  allen  die  klassischen  Erscheinungen.  Bei  Dementia  paralytica  (12  Fälle) 
konnte  M.  den  schon  von  Mendel  und  Andern  aufgestellten  Unterschied  bestätigen, 
dass  sich  in  manchen  Fällen  die  Pia  von  der  Binde  nicht  ohne  Verletzung  der  letz- 
teren abziehen  liess,  in  andern  dagegen  leicht,  die  Bindo  war  grau,  bräunlich  oder 
hell  rosa  gefärbt,  mitunter  fleckig.  Nicht  ohne  Einfluss  auf  den  angegebenen  Unter- 
schied schien  M.  die  Dauer  der  Krankheit  zu  sein;  in  beiden.  Fällen  aber  hat  M.  nie 
Anhäufung  von  Leukocyten  längs  der  Gefässe  vermissi  Auch  in  der  Binde  fanden 
sich  immer  (doch  nicht  immer  leicht  nachweisbare)  Veränderungen  (Anhäufung  von 
Ausläufern  der  Spinnenzellen,  Verschwinden  markhaltiger  Nervenfasern,  Vermehrung 
der  Spinnenzellen,  Veränderungen  in  den  kleinen  GeiUssen  und  um  dieselben  herum; 
progressive  Veränderungen  der  Nervenzellen  hat  M.  nie  gesehen).  Himödem  fand 
sich  in  8  Fällen,  Bildungsfehler  in  9,  Herzhyperämie  in  2,  Exostosen  des  Schädels 
in  2  Fällen,  in  4  Fällen  wurde  die  Section  des  Gehirns  nicht  gest-attei 

Walter  Berger. 

34)  Bericht  über  die  Frovinsial-Irren- Anstalt  bu  Leubus  in  Sohlesien  1887 
und  1.  Quartal  1888  vom  Director  Dr.  Alter. 

Bnde  1886    ....       90  M.     102  Fr. 
1887  aufgenommen      .     134  M.     165  Fr. 

224  M.     267  Fr." 
Es  gingen  ah      .     .     .     145  M.     147  Fr. 


Bestand  Ende  1887  79  M.     120  Fr.;  zusammen  199. 

Erbliche  Anlage  bei  38,3  ^/^  der  Aufgenommenen. 

Als  genesen  wurden  31,5^0  ^^^^  ^^^lo  ^™  Voijahre  entlassen. 

Durchschnittliche  Behandlungsdauer  der  Genesenen  219  Tage. 

7  Paralytiker  wurden  gebessert  entlassen,  die  Behandlung  derselben  hatte  i& 
kräftiger  Ernährung  und  kfihlen  Bädern  bestanden. 

Unter  einer  grösseren  Beihe  interessanter  forensischer  Fälle,  welche  mitgetheüt 
werden,  verdient  ein  des  Mordes  angeklagter  22jähriger  Schlossergeselle  K.  besondere 
Erwähnung.  A.  hatte  ihn  für  schwachsinnig  erklärt,  der  Gefängnissarzt  fOr  gesund, 
das  MedicinalcoUegium  zu  Breslau  fflr  pathologisch  schwachsinnig.  Das. letztere 
hatte  aber  ausgeführt,  dass  der  Schwachsinn  nicht  so  hochgradig  sei,  „dass  der  K.  des 
Unterscheidungsvermögens  zwischen  Becht  und  Unrecht  ermangelt  und  zur  Zdt  dn 
Strafthat  in  einem  Zastande  von  B^wusstlosigkeit  oder  krankhafter  Störung  der  Geistes- 


—    669      - 

thätigkeit  sieb  befunden  babe,  dnrcb  welcben  seine  freie  Willensbestimniung  ausge- 
scblossen  war."  Ein  solcbes  Gutachten  wird  ebenso  wie  den  Verf.  des  Berichts  jeden 
Psychiater  in  hohem  Grade  befremden.  Die  Fähigkeit,  Recht  vom  Unrecht  zu  unter- 
Bcheiden,  als  ein  Kriterium  von  Zurechnungs-  oder  Unzurechnungsfähigkeit  zu  be- 
trachten« ist  ein  Standpunkt,  der  zum  Mindesten  als  obsolet  bezeicbnet  werden  muss. 
Der  Kranke  wurde  zu  10  Jahr  Zuchthaus  verurtheilt  M. 


m.  Aus  den  GresellschafteiL 

Amerioan  Neurologioal  Assooiation. 
Washington,  18.  19  u.  20.  September  1888. 

Dr.  James  J.  Futnam  (Boston)  bespricht  das  h&ufige  Vorkommen  von  Blei 
im  Harne  gesunder  sowohl  wie  kranker  Menschen.  Bei  23  darauf  untersuchten 
Studenten  fand  er  Blei  bei  dreien,  die  sonst  vollständig  gesund  waren.  F.  glaubt, 
dass  die  Anwesenheit  von  Blei  die  Grundlage  abgebe  für  manche  sogenannte  Keurose. 

Knapp  (Boston)  bespricht  Bailway  Spina,  Bailway  Braln  etc.,  und  ist  der 
Meinung,  dass  nicht  nur  functionelle,  neurasthenische  und  hysterische  Zustände  auf 
diese  Weise  zu  Stande  kommen,  sondern  dass  auch  oft  organische  VeräKdeningen  aus 
Eisenbahnunfällen  resultiren,  die  sich  dann  als  chronische  degenerative  Processe  am 
Bückenmarke,  als  Neuritiden  etc.  kundgeben. 

Seguin  weist  auf  seine  Fublication  aus  dem  Jahre  1875  hin  bezüglich  des 
gleichzeitigen  Vorkommens  von  Hysterie  und  oi^nischen  Erkrankungen  des  Bücken- 
markes und  des  Gehirnes.  Baüway  Spine,  Bailway  Brain  stellen  eine  ähnliche  Com- 
bination  vor. 

Ott  (Easton):  Die  thermischen  Centren  des  Menschen  verlegt  der  Bedner 
in  das  Corpus  striatum  und  in  die  Umgebung  des  Sulcus  Bolando.  Hierfür  werden 
klinische  und  physiologische  Beweise  herbeigeführt. 

Edes  erö&et  die  Discassion  über  das  Verhältniss  swischen  Erkran- 
kungen der  Nieren  und  des  Nervensystems.  Die  hauptsächlichen  nervösen 
Erscheinungen,  die  auf  chronische  Nierenerkrankungen  zurückzuführen  seien,  sind 
Muskelzuckungen,  Fupillenphänomene,  Cephalalgien,  Schlaflosigkeit,  Stupor,  Krämpfe. 
Diese  sind  nicht  immer  als  urämisch  zu  bezeichnen,  sie  mögen  neurotisch,  angio- 
neurotisch,  angio-hydrämisch,  urotoxisch  oder  uroseptisch  sein.  Bedner  weist  beson- 
ders auf  Fälle  von  Urämie  hin,  bei  denen  die  Hamabsonderung  eine  reichliche  war. 
Psychosen  im  Verlaufe  von  Nierenerkrankungen  seien  nicht  urämischer  Natur.  Hemi- 
plegien in  Folge  von  Nierenerkrankungen  seien  auf  Oedema  cerebri  zurückzuführen. 

Der  cum  bespricht  die  Schwierigkeit  der  Diagnose  zwischen  den  gewöhnlichen 
Apoplexien  und  urämischen  Gonvulsionen;  verlässt  sich  auf  die  subnormalen  Tempera- 
turen bei  Urämie. 

Seguin  betont,  dass  Cephalalgien  urämischen  Ursprunges  sehr  oft  vorkommen 
zu  einer  Zeit,  in  der  Eiweiss  noch  nicht  nachgewiesen  werden  konnte.  Man  finde 
aber  meistens  schon  vermehrte  Arterien^annung  und  verstärkten  Herzstoss.  Nieren- 
erkrankungen im  Verlaufe  von  Dementia  paralyüca  habe  er  häufig  bei  der  Autopsie 
nachgewiesen,  und  er  hält  dafür,  dass  die  epileptiformen  und  apoplectiformen  Anfälle 
der  Paralytiker  zum  Theile  ihre  Erklärung  hierin  fanden. 

Dana:  Die  Looalisation  der  Hautempflndungsoentren  in  der  Binde. 
Gestützt  auf  137  genau  durchsuchter  Fälle  von  Bindenläsionen  behauptet  D.,  dass 
die  motorischen  und  sensorischen  Gentren  identisch  seien. 

Discussion:  Mills  hält  dafür,  dass  motorische  Centren  öfters  lädirt  seien  ohne 
Anästhesie. 


670    - 

Starr  und  Seguin  stimmen  mit  Dana  überein.  Ersterer  weist  dimiaf  hin, 
dasä  Heerde  im  Gjrus  Hippocampi  von  Heerden  der  Orura  cerebri  klinisch  nicht 
leicht  zu  differenziren  seien,  da  der  Gyr.  H.  auf  dem  Himschenkel  läge. 

Seguin  betont  die  wichtigen  Schlüsse,  die  aus  der  sensorischen  Aura  bei  Binden- 
epilepsie zu  ziehen  wären. 

Der  cum  bespricht  einen  sehr  interessanten  Fall  einer  Dystrophie  des  sub- 
cutanen Bindegewebes  der  Arme  und  des  Bückens.  Der  Fall  war  in  mancher 
Hinsicht  dem  Myxödem  ähnlich  j  die  typischen  Sprach-  und  Gtohimstörungen  des 
Myxödems  waren  nicht  vorhanden;  die  histologischen  Veränderungen  der  Haut  hätten 
schon  auf  Myxödem  schliessen  lassen. 

Horsley,  der  die  mikroskopischen  Schnitte  untersuchte,  betrachtete  den  Fall 
als  dem  Myxödem  verwandt,  ohne  jedoch  typisch  zu  sein. 

G.  W.  Jacoby  beschreibt  in  sehr  ausführlicher  Weise  einen  Fall  von  Poly- 
myositis progressiva  subacuta.  Es  wären  aus  der  Litteratnr  nur  3  ähnliche 
Fälle  aufzuweisen.  J/s  Fall  ist  als  eine  progressiv  fortschreitende  Muskelentzündung 
aufzufassen,  welche  in  den  Beinen  begann,  und  nach  und  nach  fast  alle  Muskeln  des 
Körpers  ergriffen  hatte.  Nach  2V2  Jahren  tritt  der  Tod  ein  in  Folge  Ergriffensein 
der  respiratorischen  Muskeln.  Mikroskopisch  war  eine  subacute  parenchymatöse  Myo- 
sitis nachzuweisen.  Bedner  fasst  den  Process  als  eine  acute  primäre  Myopathie  auf, 
die  mit  den  chronischen  Formen  verwandt  sei. 

B.  Sachs:  Ueber  progressive  Muskelatrophien.  Nach  einer  kritischen 
Beleuchtung  der  ganzen  Frage  wird  zuerst  der  Type*Duchenne-Aran  besprochen, 
dessen  spinaler  Ursprung  zweifellos  sei»  doch  glaubt  S.,  dass  die  progressive  Muskel- 
atrophie  (Duchenne)  nur  eine  klinische  Symptomengruppe  darsteUe,  dass  der  Process 
nur  selten  auf  die  Vorderhömer  beschränkt  bleibt,  und  dass  das  Duchenne'sche  Krank- 
heitsbild nur  ein  Stadium  oder  eine  Phase  des  Krankheitsprocesses  repräsentire. 
Wahrscheinlich  verwandt  mit  dieser  spinalen  Form  sei  die  sogenannte  „peroneale 
Form"  von  Charcot  und  Tooth,  der  Eedner  das  Wort  spricht  unter  Beschreibung 
eines  einschlägigen  typischen  Falles.  Es  werden  dann  die  primären  Formen  der 
Muskelatrophien  verhandelt;  zu  diesen  rechnet  S.  die  Pseudohypertrophie,  die  Erb'sche 
juvenile  Form,  den  Typus  Landouzy- Dejerine  und  die  hereditären  Formen.  Was  die 
Pseudohypertrophie  anbetrifft,  so  stimmt  S.  mit  den  neueren  Autoren  überein,  und 
nach  gründlicher  Durchsuchung  der  neueren  und  älteren  amerikanischen  Litteratnr, 
dass  die  Pseudohypertrophie  mit  Rückenmarkserkrankungen  nichts  zu  thun  habe.  Die 
Pseudohypertrophie  sei  mit  der  Erhaschen  Form  nahe  verwandt,  aber  durchaus  nicht 
identisch,  wie  Erb  das  haben  will.  Redner  meint,  dass  Erb  und  Andere  viel  zu 
viel  Gewicht  auf  die  topographische  Verbreitung  von  Atrophie  und  Hypertrophie  ge- 
legt hätten.  Im  Anschlüsse  hieran  werden  2  Fälle  von  eigenthümlicher  Pseudohyper- 
trophie besprochen,  in  denen  die  Atrophie  sich  auf  die  oberen  Körpertheile  verbreitete, 
t)hne  jedoch  die  Erb'sche  Form  der  Verbreitung  anzunehmen.  In  einem  Falle  von 
ausgesprochener  Pseudohypertrophie  der  Ober-  und  Unterschenkel  ging  die  Atrophie» 
auf  den  r.  Serratus  und  auf  die  Interossei  beider  Hände  über  und  dazu  kam  dann 
eine  gleichmässige  Abmagerung  der  ganzen  oberen  Extremitäten. 

Die  hereditären  Formen  und  Type  Landouzy-Dejerine  seien  nicht  als  separate 
Formen  aufzufasseu.  Manche  hereditäre  Formen  gehörten  zur  peronealen  Form,  und 
alle  anderen  Typen  konnten  hereditär  sein. 

Man  solle  anatomische  Verschiedenheiten  fallen  lassen,  dann  könnte  man  als 
primäre  Myopathien  solche  Formen  bezeichnen,  in  denen  anfangs  oder  im  Verlaufe 
der  Krankheit  eine  Hypertrophie  vorgelegen  habe,  die  niemals  fibrilläre  Zucknngen 
noch  Entartungsreaction  aufzuweisen  hätten.  Diese  seien  die  Cardinalsymptome,  durc}: 
die  man  die  primären  von  den  spinalen  Muskeldystrophien  trennen  könnte. 

(Discussion  vor  der  New  York  Neurological  Society,  cf.  Bericht  derselben.) 


-     671 

Lloyd  und  Deaver  besprechen  einen  Fall,  von  L.  diagnostidrt  und  von  D. 
operirt.  Es  handelte  sich  um  eine  Bindenepilepsie,  die  zur  Trepanation  und  Weg- 
nahme des  motorischen  Gentrums  führte.     Keine  An^le  seit  3  Monaten. 

An  der  Diacussion  betheiligten  sich  Ferrier  und  Horsley  ans  London.  Ferner 
meint,  man  soll  diese  Fälle  nicht  früher  als  geheilt  betrachten,  bis  Jahre  darüber 
verflossen  w&ren.  Er  berichtet  mehrere  Fälle,  in  denen  die  Anfälle  durch  mehrfache 
Operationen  nicht  geheilt  wurden.  Er  rathet  deshalb,  recht  früh  nach  geschehenem 
Trauma  zu  operiren. 

Horsley  stimmt  mit  Ferrier  überein,  was  die  Operationsmethode  anbetrifift,  so 
giebt  er  an,  dass  der  Lappen  mit  der  Gonvexität  nach  hinten  präparirt  werden  soll, 
er  befürwortet  auch  hypodermatische  Einspritzungen  von  Gocalu,  und  die  Benutzung 
eines  antiseptischen  Sprays  während  der  ganzen  Operation. 

Dr.  G.  L.  Wal  ton  (Boston)  beschreibt  2  Fälle  von  Dislooation  der  Hals- 
wirbel, die  in  Heilung  ausgingen. 

Aehnliche  Fälle  werden  von  Webber  und  Gray  erzählt. 

Dr.  Blackburn  demonstrirte  eine  neue  Methode,  um  grosse  Qehim- 
sol^iitte  zu  erhalten.  Das  Gehirn  oder  irgend  ein  Gehimthei],  nach  einer  der 
üblichen  Methoden  gehärtet,  wird  gründlich  entwässert  und  dann  in  eine  Lösung  von 
japanesischem  Wachs  und  Ghloroform  gebracht,  worin  das  Präparat  3  Tage  verweilen 
solL  Es  'wird  dann  auf  weitere  Tage  in  geschmolzenem  japanesischen  Wachs  aufbe- 
wahrt; das  Wachs  wird  durch  ein  Wasserbad  geschmolzen  erhalten.  Das  Präparat 
wird  nach  Verlauf  dieser  Zeit  entfernt  und  an  der  Luft  getrocknet 

Von  Weir  Mitchell  wurde  eine  Arbeit  verlesen  über  einen  Fall  von  Aneu- 
rysma einer  anomalen  Arterie,  die  eine  Längstheilnng  des  Ghiasma  opticum 
und  bitemporale  Hemianopsie  verursachte.  Farbensinn  war  normal;  keine  weiteren 
Grehimsymptome;  Fundus  'bMder  Augen  normal.  Das  Aneurysma  hatte  die  Grösse 
einer  Gitrone  und  lag  in  der  erodirten  Höhlung  der  Sella  turcica. 

Petersen  (New- York)  lieferte  eine  fleissige  Arbeit  über  myographische  Auf- 
zeichnungen der  verschiedenen  Arten  von  Muskelzuckungen.  Die  Zuckungen  be- 
trügen durchschnittlich  bei  Paralysis  agitans  3,7 — 5,8;  bei  multipler  Sklerose  4,6 — 6,3; 
bei  Morbus  Basedowii  8,7—12;  bei  Tremor  hystericus  7,6 — 7,8;  bei  Tremor  alco- 
bolicus  8,5 — 11,2;  bei  Neurasthenie  7,4  und  bei  Delirium  tremens  5,6 — 6,8  per 
Secunde;  während  des  Fussklonus  fand  P.  6  Zuckungen  per  Secunde. 

Dr.  £.  G.  Seguin  wurde  zum  Vorsitzenden  der  nächstjährigen  Versammlung 
erwählt.  Sachs  (New  York). 

New  York  Neurologioal  Society,  2.  Ootober  1888. 

Sachs  stellt  die  3  Patienten  vor,  deren  Geschiebten  er  in  seinem  in  Washington 
verlesenen  Aufsatze  behandelte. 

Fall  I.  Mädchen  12^2  Jalire  alt.  Im  Alter  von  10  Monaten  grosser  Schreck; 
zu  4  Jahren  Diphtherie.  Im  Alter  von  6^2  Jahi'en  ist  die  Vergrösserung  der  Waden 
und  Oberschenkel  den  Eltern  erst  aufgefallen.  Als  Patientin  vor  2  Jahren  in  die 
Beobachtung  kam,  war  nur  sehr  ausgesprochene  Pseudohypertroph ie  beider  Waden 
und  Oberschenkel  zu  constatiren.  Nach  1^/^  Jahren  konnte  S.  constatiren,  dass  die 
Pseudohypertrophie  im  Abnehmen  begriffen  war  und  dass  sich  eine  deutliche  Atrophie 
der  Interossei  beider  Hände  und  eine  sonst  gleichmässige  Abmagerung  beider  Ober- 
extremitäten eingestellt  hatte,  so  dass  die  grobe  Kraft  hier  gleich  Null  war.  Von 
sonstigen  Muskeln  waren  nur  noch  die  Serrati  atrophisch. 

Man  sieht  also,  dass  wenn  zu  einer  bestehenden  typischen  Pseudohypertrophie 
Atrophie  der  Oberextremitäten  hinzukommt,  der  Process  sich  nicht  nothwendigerweise 
der  Erhaschen  Form  nach  verbreitet. 


-    Ü72       - 

Fall  II.  Knabe  10  J.  alt;  keine  Hereditat.  Hypertrophie  hauptsächlich  (fast 
ausschliesslich)  in  der  Muscnlator  der  Oberschenkel  localisirt  Es  fand  sich  ausser- 
dem nur  Atrophie  des  rechten  Serratus;  fernerhin  hatte  auch  das  Gesicht  einen  sehr 
verdächtigen  Ausdruck,  dem  type  Landouzy -Dejerine  (facies  myopathique)  ähnlich. 
Wirkliche  Paresen  der  Musculatur  waren  nicht  aufzuweisen. 

Fall  III.  Mädchen,  Russin,  12  Jahre  alt,  hat  zu  verschiedenen  Zeiten  Masern, 
Blattern,  Scharlach  und  Typhus  durchgemacht;  ist  trotzdem  kräftig  aussehendes 
Mädchen.  Es  stellte  sich  vor  circa  8  Monaten  eine  sich  sehr  langsam  verbreitende 
Lähmung  der  rechten  unteren  Extremität  ein,  die  evident  im  Extensor  hallucis  longus 
ihren  Anfang  genommen  und  von  dort  aus  auf  die  ganze  untere  Extremität  inclusive 
den  Qlutaeis  sich  verbreitet  hat. 

Anfangs  und  im  ganzen  Verlaufe  weder  Fieber,  Krämpfe  noch  Schmerzen,  Enie- 
pbänomeu  rechts  verschwunden,  linkerseits  etwas  erhöht;  kein  Fussklonus.  Fibrilläre 
Zuckungen  sind  hier  und  da  constatirt  worden.  Elektrische  Beaction  normal  bis  auf 
den  Tibialis  anticus  und  Extensor  hall,  long.,  die  rechterseits  faradisch  nicht  erregbar 
sind  und  deren  galvanische  Erregbarkeit  stark  herabgesetzt  ist,  mit  Annäherung  der 
ASZ  an  die  KSZ.  Der  Fall  wird  als  peroneale  Form  der  progressiven  Muskelatrophie 
diagnosticirt. 

S.  wiederholt  in  Kurzem  die  in  Washington  vertheidigten  Ansichten  bezüglich 
der  Muskeldystrophien. 

Birdsall  stimmt  mit  S.  in  der  Beurtheilung  des  letzten  Falles  vollkommen 
überein,  glaubt  aber,  dass  man  nicht  immer  eine  scharfe  Trennungslinie  ziehen  könnte 
zwischen  den  myopathischen  und  myelopathischra  Dystrophien;  ist  auch  bereit,  wie  S. 
es  gethan,  die  Aufstellung  von  Typen  auf  topographischer  Verbreitung  von  Atrophie 
und  Hypertrophie  beruhend  fallen  zu  lassen. 

Dana  berichtet  über  einen  typischen  Fall  von  Pseudohypertrophie,  in  dem  e8 
zu  ausgesprochener  Hypertrophie  der  Vorderarme  kam.  Dana  will  doch  einen  Unter- 
schied ziehen  zwischen  der  typischen  progressiven  Muskelatrophie  und  der  Poliomye- 
litis anterior  chronica;  letztere  hätte  einen  retrogressiven  oder  stationären  Charakter. 

Gray  bespricht  die  Resultate  der  Behandlung  in  Fällen  von  progressiver  Muskel- 
atrophie und  fasst  sie  im  Ganzen  als  verhältnissmässig  günstige  auf;  die  primären  Myo- 
pathien seien  der  Behandlung  durch  Elektricität,  Massage  etc.  viel  zugänglicher  als 
die  spinalen  Formen. 

Dr.  M.  D.  Field:  Ueber  Othaematoms.  Nach  Besprechung  der  verschiedenen 
Ansichten,  die  hierüber  herrschen,  machte  F.  eine  sehr  interessante  Vorstellung  zum 
Beweise  dafür,  dass  das  Othaematoma  rein  traumatischen  Ursprungs  sein  könnte.  Er 
präsentirte  nämlich  eine  ganze  Anzahl  von  Faustkämpfern  (Pugilists),  deren  linke 
Ohren  (weil  sie  stets  von  der  rechten  Faust  des  Gegners  getroffen  werden)  verschie- 
dene Stadien  des  Othaematoma  vorstellten.  Unter  diesen  Kämpfern  sei  dies  so  häufig, 
dass  einer  der  6  „Kämpfer'',  der  nicht  an  dem  Abend  kommen  konnte,  einen  Stell- 
vertreter in  die  Versammlung  sandte.  Das  Othaematoma  komme  nicht  häufig  bei 
denjenigen  vor,  die  nur  gelegentlich  kämpfen,  sondern  bei  denen,  die  fast  allnächtlich 
an  solchen  Kämpfen  (mit  gepolsterten  Handschuhen)  sich  betheiligen  —  also  chro- 
nisches Trauma.  Sachs  (New  York). 

IV.  Personalien. 

Unser  verehrter  Mitarbeiter  Herr  Prof.  Dr.  Hitzig  wurde  zum  Geheimen  Me- 
dicinahrath  ernannt. 


Einsendungen  für  die  Redaction  sind  zu  richten  an  Prot  Dr.  E.Mendel, 

Berlin,  NW.  Schiffbauerdamm  20. 


Verlag  von  Veit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Mbtzobr  &  Wittio  in  Leipzig. 


Neurologisches  Centralblatt. 

Uebersicht  der  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Nervensystemes  einschliesslich  der  Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  E.  Mendel 
Siebenter  "  ß«'"°  Jahry^ang. 


Monatlich  erscheinen  zwei  Nummern.    Preis  des  Jahrganges  20  Mark.    Zu  beziehen  durch 
alle  Buchhandlungen  des  In-  und  Auslandes,  die  Postanstalten  des  Deutschen  Reichs,  sowie 

direct  von  der  Yeriagsbuchhandlung. 


1888.  15.  December.  N^  24. 


I.  Referate.  Anatomie.  1.  Ueber  den  Klangstab  nebst  Bemerkungen  fiber  den  Acusticus- 
ui Sprung,  von  Nussbaum.  —  Experimentelle  Physiologie.  2.  Uebcr  das  Verhältniss 
zwischen  der  einseit'gen  Wahrnehmung  dos  Diapason-Vcrtex,  den  functionellen  Zuständen 
und  der  elektrischen  Erregbarkeit  des  Acusticus,  von  Gradenigo.  —  Pathologische  Ana- 
tomie. 3.  Un  cas  de  fibrome  de  la  dure-märe  spinale,  par  Francotte.  —  Pathologie  des 
Nervensystems.  4.  Ueber  die  Entstehung  von  Entbindungslähmungen,  von  F.  Schultze. 
5.  Unique  case  of  bilateral  athetosis,  by  Hughes.  6.  Two  cases  of  neculiar  movements  of 
children,  by  White.  7.  Uober  Abscheidung  neuer  Formen  nervöser  Magenkrankheiten,  von 
JDrgensen.  8.  Ueber  die  Neurosen  des  Magens,  von  Glax.  9.  Ueber  mechanische  und  elek- 
trische Erregbarkeit  der  Nerven  und  Muskeln  bei  Tetanie,  von  v.  Frankl-Hochwart.  10.  Ein 
Fall  von  Tetanie  nach  Scharlach,  von  Schotten.  11.  Zur  Casuistik  des  Morb^is  Basedowii, 
von  Levin.  12.  A  case  of  epilepsy  with  exophthalmic  goitre,  neurotic  history,  by  Oliver. 
13.  Elektrische  Mnskelreactionen  bei  der  Thomsen'schen  Krankheit,  von  BlumMiau.  14.  Note 
sur  un  cas  de  maladie  de  Basedow.  Amelioration  remarquable  des  ph^nomenes  de  la  serie 
goitre  exophthalmique  sous  l'influence  d'ane  grossesse,  par  Souza-Leite.  15.  Zur  Symptoma- 
tologie und  Pathofi^enese  des  Morbus  Basedowii,  von  Huber.  16.  AUochirie  bei  multipler 
Him-BBckenmarkssklerose,  von  Huber.  17.  Un  cas  de  paralysie  gän^rale  spinale  ant^rieure 
Bubaigae  suivi  d'autopsie,  par  Pitres  et  Valllard.  —  rsychiatrie.  18.  Ueber  Intentions- 
psychosen,  von  Meyer.  19.  Delirium  grave,  by  Spitzln«  20.  Des  anomalies  des  organes  g4ni- 
tanx  chez  les  idiots  et  les  äpileptiques,  par  Bourneville  et  Sollier.  —  Therapie.  21.  Paralde- 
hyde,  by  Keniston.  —  Anstaltswesen.  22.  Bericht  über  die  Verwaltung  der  Provinzial- 
Irren-Heil-  und  Pflege-Anstalt  zu  Schwetz,  von  Grünau.  23.  Ueber  Wachtabtheilungen  in 
Irrenanstalten,  von  Scholz. 

11.  Aus  den  Gosellichaften. 

Hl.  Bibliographie. 

iV.  Zuschrift  an  die  Redaction. 

V.  Register. 


I.   Referate. 


Anatomie. 

1)  Ueber  den  Klangstab  nebst  Bemerkungen  über  den  Aoosticusursprung« 

von  Dr.  Julius  Nussbaum,  Secandararzt  am  k.  k.  Wiener  allgem.  Krankenhanse. 
(Med.  JahrbCicher.  Neue  Folge.  Jahrg.  1888.) 

Von  den  Striae  acusticae  hebt  sich  oft  ein  Faserzag  durch  seine  stark  cerebrale 
Richtung  ab.  Bergmann  machte  zuerst  auf  ihn  aufmerksam  und  nannte  ihn  Klang- 
stab, Conductor  sonorus.    Später  hat   ihn   Stilling   genauer  beschrieben  und  zwar 

89 


—     674     — 

als  hintere,  inconstaute  Wurzel  des  nnteren  Trigeminus.  —  Verf.  fand  als  Bestand- 
theile  des  Klangstabes  Längsfasem  der  Haube,  Striae  medulläres,  die  durch  den  dor- 
salsten Tbeil  der  Raphe  zum  Boden  des  4.  Ventrikels  der  anderen  Seite  gelangen, 
Fasern,  die  parallel  der  Eaphe  auf  derselben  oder  der  gekreuzten  Seite  dorsalwärts 
aufsteigen.  Die  Fasern  unterscheiden  sich  mikroskopisch  nicht  von  denen  der  Striae 
acustic.  und  umfassen  in  ihrem  Verlaufe  eine  rundliche  GanglienzeUengmppe.  Sie 
wurden  theils  bis  zum  Boden  der  Bauten^ube,  theils  bis  zum  Loc.  coemleus  ver- 
folgt. Die  Frage,  ob  der  Klangstab  überhaupt  zum  Qebiete  des  Acustic.  zu  rechnen 
sei,  konnte  Verf.  nicht  entscheiden. 

In  der  Verlängerung  der  inneren  Grenze  der  Corpora  restiformia,  (legend  des 
Deiters*schen  Kernes,  tritt  im  Bodengrau  durch  seine  dorsale,  isolirte  Lage  ein  Bftndel 
quer  getroffener  Fasern  hervor,  dem  medial  grosse  Zellen  anliegen.  Es  wächst  cere- 
bralwärts,  rasch,  ohne  dass  ein  Zuzug  sichtbar  ist.  N.  zählt  es  wegen  seines  Ent- 
stehens und  Verlaufes  der  aufsteigenden  VIII.  Wurzel  zu.  Das  Bflndel  biegt  dann 
nach  aussen  in  die  laterale  Vni.  Wurzel  um.  Somit  wäre  eine  Verbindung  der 
lateralen  und  aufsteigenden  Acusticuswurzel  hergestellt.  P.  Kronthal. 


Experimentelle  Physiologie. 

2)  Ueber  das  Verhältniss  zwischen  der  einseitigen  Wahrnehmung  des 
Diapason- Vertex,  den  functionellen  Zuständen  und  der  elektrisohen 
Erregbarkeit  des  Aoustious,  von  Dr.  Giuseppe  Gradenigo,  Docent  fflr 
Ohrenheilkunde  a.  d.  Universität  zu  Padua.    (Arch.  f.  Ohrenheilkunde.  XVII.) 

Verf.  hat  durch  eine  genaue  elektrische  Untersuchung,  die  allen  Fordemngen 
der  Neuzeit  entspricht,  die  Beaction  für  den  Acusticus  in  solchen  Fällen  ermittelt, 
in  welchem  auf  einer  Seite  die  Stimmgabelwahmehmung  erhöht  war  —  nach  Stein- 
brügge sollte  diese  Erscheinung  durch  Erregbarkeitssteigerung  des  Gtohörsnerven 
veranlasst  sein  —  und  dann  auch  zur  Gontrole  in  andern,  bei  welchen  sich  normale 
Verhältnisse  zeigten.  Verf.  fand,  dass  das  Verhältniss  der  oben  genannten  Erschei- 
nungen kein  constantes  ist,  dass  vielmehr  vielfache  Combinationen  zwischen  plus  und 
minus  der  einen  oder  der  andern  derselben  sich  geltend  machen.  Deshalb  bedeutet 
eine  Steigerung  der  elektrischen  Erregbarkeit  des  Acusticus  nicht  noth wendiger- 
weise eine  functionelle  Steigerung  desselben. 

Auf  viele  recht  interessante  Einzelheiten  kann  hier  leider  nicht  eingegangen 
werden.  Sperling. 

Pathologische  Anatomie. 

3)  Un  oas  de  fibrome  de  la  dure-m^re  spinale,  par  le  Dr.  Xavier  Fran- 
cotte,  charg^  de  cours  ä  Fnniversit^  de  Li^ge.  (Extnüt  des  Annales  de  la  soci^t^ 
mödico-chirurgicale  de  Li^ge.    1888.) 

Patientin  erkrankte  unter  den  Erscheinungen  einer  Compressionsmyelitis  und 
ging  an  Decubitus  zu  Qrunde,  nicht  ohne  dass  vorher  noch  hypnotische  Versuche 
gemacht  wurden.  Die  Section  ergab  zwischen  dem  3.  und  4.  Dorsalnerven,  rechts, 
vom,  von  der  Dura  ausgehend  einen  Tumor,  der  die  Mittellinie  nicht  überschritt 
Auf  dem  Durchschnitt  war  er  hellgrau,  massig  hart  und  erwies  sich  als  Fibrom. 
Nach  Härtung  zeigte  das  Bückenmark  aufsteigende  Degeneration  der  GolPschen  Stränge, 
der  Eleinhimseitenstrangbahnen,  der  Gowers*schen  Bündel,  absteigende  Degeneration 
der  gekreuzten  Pyramidenbahnen.  Die  Ganglienzellen  der  Vorderhömer  sind  atrophisch, 
ihre  Fortsätze  vom  fixirt,  das  Protoplasma  zeigt  Zeichen  von  Degeneration  mit)  Pig- 
mentanhäufung.   Ein  Theil  der  Zellen  hat  keine  Kerne.    In  der  Höhe  des  Tumors: 


—    675    — 

difihiBe  Sklerose  der  weissen  Substanz,  reichliche  Kern-  und  GefSsswachemngi  Blut- 
extravasale;  die  Gkinglienzellen  vermindert  an  Zahl,  atrophisch,  degenerirt.  In  der  der 
Mitte  des  Tumors  entsprechenden  Gegend  ist  die  Structur  des  Markes  nicht  mehr 
zu  erkennen.  P.  Eronthal. 


Pathologie  des  Nervensystems. 

4)  Ueber  die  Entstehung  von  Entbindungslähmungen,   Notiz   von   Prof.  Dr. 
F.  Schnitze  in  Dorpat.    (Arch.  f.  Gynäkologie.  1888.  XXXII.  H.  3.) 

Verf.  macht  auf  einen  Fall  aufmerksam,  bei  welchem  bei  der  Geburt  eine  Erhasche 
Lähmung  vrahrscheinlich  dadurch  entstanden  ist,  dass  bei  Extraction  der  Schulter  in 
Steisslage  mit  nach  rückwärts  gerichtetem  Oberarm  die  Clavicula  gegen  die  seitliche 
Halsgegend,  den  Plexus  brachialis  und  im  Besondem  gegen  den  Erhaschen  Punkt  ge- 
drückt hat  Diese  Lähmung  besteht  bei  dem  2jährigen  Mädchen  noch  —  und  zwar 
noch  immer  mit  EaB. 

Verf.  macht  darauf  aufmerksam,  dass  schon  ein  längeres  Yerweüen  der  Schulter 
in  der  angedeuteten  ungünstigen  Lage  üble  Folgen  nach  sich  ziehen  kann. 

Der  Prager  Handgriff  (mit  Zeige-  und  Mittelfinger  von  hinten  über  den  Nacken 
nach  der  seitlichen  und  vorderen  Halsgegend  zur  Extraction  des  nachfolgenden  Kopfes), 
welcher  von  Erb  als  diese  Lähmung  bewirkend  angeschuldigt  wird,  ist  hier  nicht 
angewandt  worden.  Sperling. 


6)  Uniqne  oase  of  bilateral  athetosis,  by  Dr.  G.  H.  Hughes.    (The  Alienist 
and  Neurologist.  1887.  VIII.  p.  388.) 

Ein  11  jähriger  Knabe  hatte  in  Folge  eines  Eisenbahnunglückes  eine  schwere 
Himerschütterung  mit  allerdings  nur  kurzer  Bewnsstlosigkeit,  zwei  Bippenfracturen 
und  eine  heftige  Contusion  der  Lendengogend  davongetragen;  für  einige  Wochen 
blieb  Parese  beider  Unterextremitäten  und  des  linken  Armes  zurück.  Ein  Jahr 
später  Contractur  des  linken  Armes  und  eine  Erschwerung  der  Bewegungen  des 
rechten  Armes,  die  aber  beide  allmählich  wieder  schwanden.  Erst  nach  weiteren 
4  Jahren  stellten  sich  unregelmässige  Zuckungen  in  den  Fingern  und  in  den  Streckern 
und  Beugern  der  Arme  ein,  die  dann  bald  in  beiderseitige  ausgesprochene  Athetose 
übergingen.  Durch  die  Behandlung  des  Verf.  wurde  im  9.  Jahre  eine  wesentliche 
Besserung  erzielt.  Bemerkenswerth  ist  das  beiderseitige  Auftreten  der  Athetose,  das 
Fehlen  vorausgegangener  Epilepsie  oder  Apoplexie,  die  sehr  protrahirte  Entwicklung 
auf  Grund  einer  Himerschütterung  und  der  endlich  noch  günstige  Verlauf  des  Leidens. 
Zwei  Holzschnitte  stellen  den  Patienten  im  Zustande  der  stärksten  Extension  der 
Finger  und  Arme  dar  und  lassen  die  Hypertrophie  der  betheiligten  Muskeln  erkennen. 

Sommer. 

6)  Two  oases  of  pdculiar  movements  of  ohildren,  by  Haie  White.  (Brain. 
1887.  Juli.) 

Im  ersten  Falle  bestanden  von  Geburt  an  bei  dem  jetzt  14jährigen  Patienten 
unwillkürliche  Bewegungen  der  rechten  Seite,  im  Gesicht  und  an  den  Extremitäten, 
die  nach  der  Beschreibung  am  meisten  choreatischen  gleichen.  Die  linke  Seite  war 
fast  gar  nicht  betheiligt.  Paresen  oder  Gontracturen  bestanden  nicht,  wohl  aber 
beiderseitiger,  allerdings  nicht  constanter  Achillesclonus.    Die  Intelligenz  war  intact. 

Im  zweiten  Falle  bestanden  neben  Krämpfen,  Gontracturen  und  Schwäche  des 
rechten  Armes,  Bigidität  des  rechten  Beines  mit  Pes-equinus-Stellung  im  Liegen  und 
aufgehobenen  Patellarreflexen,   Parese  des  rechten  unteren  Facialis  und  des  linken 

89* 


—     676 

Levator  palpebrae,  und  Behinderung  der  Sprache.     In  diesem  Falle  war  die  Krank- 
heit erst  im  9.  Jahre  deutlich  in  die  Erscheinung  getreten. 

Ueber  die  anatomische  Ursache  dieser  Erscheinungen  will  sich  Verf.  nicht  aus- 
sprechen, sondern  erst  etwaige  Autopsien  abwarten.  (Die  Krankheit  erinnert  ihren 
Symptomen  nach  wohl  am  meisten  an  die  als  posthemiplegische  Hemichorea  und 
Athetose  beschriebenen  KrankheitBbilder:  ätiologisch  würde  sie  wohl  in  das  Gebiet 
der  cerebralen  Kinderlähmung  fallen,  deren  anatomische  Ursache  ja  jedenfalls  eine 
sehr  verschiedene  nach  Art  und  Localisation  sein  kann.     Ref.)  Bruns. 


7)  Ueber  Absoheidung  neuer  Formen   nervöser  Magenkrankheiten,   von 

Dr.  Christ.  Jürgensen  in  Kopenhagen.  (D.  Arch.  f.  kl.  Med.  XLIII.  1888.  H.  1.) 

Verf.  zeigt  an  der  Hand  der  einschlägigen  Litteratur,  wie  man  in  neuerer  Zeit 
bemüht  gewesen  ist,  aus  der  grossen  Gruppe  der  „nervösen  Magenkrankheiten"  ge- 
wisse Kategorien  auszuscheiden  und  als  selbständige  Formen  hinzustellen.  —  So 
nimmt  Riegel  an,  dass  bestimmte  pathologische  Magensymptome  entstehen  können, 
je  nachdem  die  sensible  oder  die  motorische  oder  die  secretorische  Mageninnervation 
erkrankt  ist. 

Bossbach  beschrieb  unter  „nervöser  Gastroxynsis"  eine  Magenaffection,  welche 
als  eine  auf  nervösem  Wege  zu  Stande  kommende  Störung  aufzufassen  ist. 

Verf.  theilt  nun  folgenden,  dieser  letzteren  Form  ähnlichen  Fall  mit: 

Patient  hatte  einen  Typhus  durchgemacht,  und  seitdem  Jahre  lang  an  „schwachem 
Magen''  gelitten.  In  letzterer  Zeit  traten  aller  3  Wochen,  früher  aller  2  Wochen, 
heftige  Anfälle  ein.  Beim  Erwachen  am  Morgen  Kopfdruck,  Uebligkeit,  Gefühl  von 
Säure  im  Magen;  nach  der  Morgenmahlzeit,  die  mit  Appetit  eingenommen  wurde, 
jede  Esslust  verschwunden.  Gleichzeitig  starker  Kopfschmerz,  anfangs  den  ganzen 
Kopf,  später  nur  eine  Seite  einnehmend,  Lichtscheu,  Augenschmerzen;  Nachmittags 
3 — 4maliges  Erbrechen  saurer  Massen;  Abends  8  Uhr  Anfall  vorüber.  —  Wohl- 
befinden. 

Mildere  2 — 4tägige  AnföUe  waren  nicht  von  Himsymptomen  (Kopfschmerz  etc.) 
begleitet. 

Veranlasst  wurden  die  Anfalle  meistens  durch  stärkere  Gemüthsbewegungen, 
durch  welche  sie  jedoch  auch  unterbrochen  und  abgekürzt  wurden. 

In  den  Zwischenzeiten  litt  P.  bei  vorsichtiger  Diät  nur  an  geringen  dyspep tischen 
Erscheinungen.    Im  Uebrigen  ist  P.  nervös  reizbar. 

Die  Untersuchung  des  erbrochenen  Mageninhaltes  ergab: 

1.  Portion  (2  Stunden  nach  der  Mahlaeit):  gleichmässig  breiig,  braungelb. 

Acidität  =   79  ccm  7io  Normalnatron  auf  100  ccm  Magenfiltrat. 
Mit  Methylviolett:    Deutliches  Blau  violett. 
Mit  Eisenchloridcarbol:  Entfärbung. 

2.  Portion  zeigt  70  Aciditätsgrade. 

Mit  Methylviolett:  Reines  Blau. 
Mit  Eisenchloridcarbol:  Vollständige  Entfärbung. 
Der  Zustand  des  Patienten  besserte  sich  wesentlich  im  Verlaufe  einiger  Monate 
durch  hydrotherapeutische  Behandlung  und  Regelung  der  Diät. 

Verfasser  nimmt  an,  dass  es  sich  im  vorliegenden  Falle  um  ein  nervöses 
Magenleiden  handelt  und  dass  dasselbe  am  meisten  der  Form  von  nervöser  Dys- 
pepsie ähnlich  sei,  welche  von  Bossbach  als  „nervöse  Gastroxynsis",  als  eine 
„Secretionsneurose  des  Magens"  beschrieben  wurde.  P.  Seifert  (Dresden). 


8)  Ueber  die  Netirosen  des  Magens,   von  Prof.  Jul.  Glax.     (Klinische  Zeit- 
und  Streitfragen.   Bd.  I.  Heft  6.) 


—     677     — 

In  klarer,  übersichtlicher  Darätellung,  unter  Berücksichtiggsng  der  Bedürfnisse 
des  Praktikers,  behandelt  Verf.  aaf  etwa  30  Seiten  sein  Thema.  Er  beginnt  mit 
einer  allgemeinen  Besprechung  der  nervösen  Dyspepsie,  „weil  wir  in  der  That  beinahe 
nar  combinirte  Gastroneurosen  beobachten'',  geht  dann  aber  auf  die  von  Oser 
and  Rosenthal  angenommene  Eintheilung  in  Motilitäts-  (I.),  Sensibilitäts- 
(II.)  und  Secretionsneurosen  (III.)  ein,  in  anerkennenswerther  Weise  dabei  nach 
Möglichkeit  Wiederholungen  vermeldend. 

Unter  I.  werden  als  Hyperkinesen  die  peristaltische  Unruhe  des  Magens,  der 
Ructus  und  der  Vomitns  nervosus  abgehandelt,  und  der  gastrische  Krampf,  letzterer 
als  Krampf  des  Pylorus,  als  Krampf  der  Gardia  und  als  mediane  Einschürung 
unterschieden.  —  Aus  ier  Fülle  practischer  Bemerkungen  sei  hier  nur  hervorgehoben, 
dass  nach  G.  Kranke  mit  Ulcus  ventriculi  warme  Mineralwasser  ausserordentlich  gut 
vertragen,  nicht  danach  erbrechen,  während  bei  Patienten  mit  Reflexvomitus  das 
warme  Wasser  meistens  sofort  erbrochen  wird.  —  Als  Hypokinesen  bespricht  Verf. 
die  Atonie  des  Magens;  dann  die  Insufficenz  der  Cardia  und  die  des  Pylorus,  wobei 
er  dort  die  Buminatio  humana  erwähnt,  hier  auf  Ebstein*8  und  Oser 's  bezügliche 
Arbeiten  besonders  eingeht.  Bei  dem  schwierigen  Kapitel  der  Cardialgie  theilt  G. 
diese  in  eine  centrale  und  reflectorische  Form  und  bespricht  ausführlich  die  Gastral- 
gie  der  Hysterischen  und  Neurasthenischen,  die  reflectorische  Cardialgie  (bei  Uterus-, 
Leber-,  Nieren-,  Darmleiden  u.  s.  w.),  die  Cardialgie  der  Anämischen  und  Chloro- 
tischen,  endlich  die  intermittirende  Malaria-Cardialgie.  —  Die  Anomalien  des  Hui^er- 
gefühls  auf  nervöser  Grundlage  —  Anorexie,  Hyperorexie  und  Bulimie  resp.  Poly- 
phagie, Parorexie  —  und  die  Secretionsauuinalien  (III.),  die  nervöse  Gastroxynsis, 
und  als  Gegensatz  dazu  die  Saore-Insufficienz  des  Magens  bilden  den  Schluss  der 
lesenswerthen  Abhandlung.  .   Hadlich. 

9)  Ueber  meohanisohe  imd  elektrische  Erregbarkeit  der  Nerven  tind 
Muskeln  bei  Tetanie,  von  Dr.  Loth.  v.  Frankl- Hochwart  in  Wien.  (Deutsch. 
Archiv  f.  kl.  Med.   B.  XLIII.  H.  1.) 

Um  über  die  anormalen  Erregbarkeitsverhältnisse  der  Nerven  und  Muskeln  bei 
Tetanie  ein  Urtheil  zu  gewinnen,  stellte  Verfasser  zuerst  eine  lange  Beihe  elektrischer 
Untersuchungen  an  normalen  Individuen  an.  In  Bezug  auf  die  Methode  der  Unter- 
suchung schloss  er  sich  hauptsächlich  derjenigen  Gärtners  an.  Verf.  prüfte  an 
seinem  eignen  Nerv,  ulnaris,  welchen  Erregbarkeitsschwankungen  ein  und  derselbe 
Nerv  im  Verlaufe  einer  längeren  Beobachtungszeit  (33  Tage)  unterworfen  ist  und 
fand  bei  galvanischer  Reizung  Schwankungen  von  1  MA.  und  bei  faradischer  Beizung 
Differenzen  von  14  mm. 

Auffallender  Weise  waren  diese  Schwankungen  für  beide  Stromesarten  nicht 
immer  gleichmässig  parallel  laufende,  sondern  differirten  unter  einander. 

Sodann  wurde  an  53  Personen,  von  denen  19  ganz  gesund  und  34  an  nicht 
nervösen  Krankheiten  litten,  die  elektrische  Reizbarkeit  untersucht  und  zwar  an 
folgenden  Nerven  und  Muskeln:  Nn.  facialis,  medianus,  ulnaris,  radialis,  peroneus, 
den  Mm.  frontalis,  flexor  digitor.  sublimis,  extensor  digitor.  commun.,  biceps  und 
tibialis  anticus. 

Ein  Vergleich  dieser  10  gefundenen  Normalwerthe  mit  denjenigen  an  19  Tetanie- 
kranken  constatirten  ergab  folgendes  Resultat: 

1.  Die  galvanische  Erhöhung  der  Nervenerregbarkeit  ist  ein  fast  constantes 
Merkmal  der  Tetanie;  doch  sind  nicht  alle  Nerven  gleichmässig  betheiligt. 

2.  Die  Erhöhung  erfolgte  nur  in  12  Fällen  für  beide  Stromesarten  gleichzeitig. 
48  Mal  bestand  galv.  Erhöhung  ohne  faradische,  4  Mal  faradische  ohne  gleichzeitig 
galvanische. 

3.  Bei  Prüfung  der  oben  bezeichneten  Muskeln  war  die  elektrische  Reaction 


—    678    — 

unter  17  Individuen  mit  erhöhter  Nervenerregbarkeit:  3  Mal  eine  normale,  in 
14  Fällen  ebenfalls  gesteigert. 

4.  Die  mechanische  Erregbarkeit  der  Nerven  und  Muskeln  war  in  den  meisten 
Fällen  von  Tetanie  ebenfalls  deutlich  verstärkt. 

Am  ausgeprägtesten  zeigte  sich  dieses  Phänomen  —  wie  gewöhnlich  —  am 
N.  facialis  (mittlerer  und  unterer  Ast).  — 

Die  mechanische  Hyperexacitabüität  fand  sich  jedoch  —  wie  weitere  Versuche 
ergaben  —  auch  ziemlich  oft  bei  Individuen,  die  gar  nicht  an  nervösen  Zustanden 
litten,  femer  bei  einigen  Nervenkranken,  bei  denen  eine  erhöhte  elektrische  Reiz- 
barkeit der  Nerven  gänzlich  fehlte. 

Der  Arbeit  sind  eine  Anzahl  Yersuchstabellen  beigegeben,  in  welchen  die 
elektrischen  Erregbarkeitsverhältnisse  in  übersichtlicher  Weise  zusammengestellt  sind. 

F.  Seifert  (Dresden). 

10)  Ein  Fall  von  Tetanie  nach  Scharlach,  von  Dr.  Ernst  Schotten  in  Cassel. 
(Berl.  klin.  Woch.  1888.  Nr.  14.  S.  273.) 

Der  auf  die  Extremitäten  beschränkte  tonische  drei  Tage  dauernde  Krampf 
trat  bei  dem  8jährigen  Knaben,  der  seit  frfiher  Kindheit  „an  ausgebildeten  und  rudi- 
mentären Krampfanfallen''  gelitten,  am  16.  Krankheitstage  einer  mittelschweren  Scarla- 
tina  auf,  die  sich  jedoch  durch  eine  ungemein  starke,  nässende  Haut  zurücklassende 
Abschuppung  auszeichnete,  und  zwar  nachdem  am  Tage  zuvor  laue  Abwaschungen 
des  Körpers  vorgenommen  worden  waren. 

Das  Trousseau'sche  Phänomen  fehlte. 

Die  Muskelcontracturen  verhielten  sich  wie  es  gewöhnlich  bei  Tetanie  der  Fall 
zu  sein  pflegt.  Auch  die  anfanglichen  Farästhesien  waren  vorhanden.  Angaben 
über  Sensibilität  und  Reflexe,  desgleichen  über  elektrisches  Verhalten  fehlen. 

Als  ursächlich  wird  in  erster  Reihe  die  Scarlatina,  in  zweiter  eine  Erkältung 
verantwortlich  gemacht.  (Sollte  man  nicht  bei  der  ausgedehnten  Uauterkrankung  die 
Tetanie  hier  als  Reflexneurose  auffassen  dürfen?     Ref.)  Sperling. 


11)  Zur  CasulBtik  des  Morbus  BasedowlL    Inaugural-Dissertation  von  Arthur 
Lewin.     (Berlin,  Juli  1888.     30  Seiten.) 

Fflr  seine  Betrachtungen  standen  dem  Verf.  27  Fälle  aus  der  Klinik  der  Proff. 
Eulenburg  und  Mendel  zu  Gebote.  .  Das  Yerhältniss  der  betroffenen  Frauen  zur 
Zahl  der  Männer  betrug  8:1.  2  Erkrankte  waren  unter  20  Jahren,  7  zwischen 
20  und  30,  12  zwischen  30  und  40,  4  zwischen  40  und  50,  2  über  50  Jahraalt. 
In  3  Fällen  bestand  in  der  Familie  eine  Disposition  zu  Nervenkrankheiten.  In 
2  Fällen  trat  ein  plötzlicher  B^inn  des  Leidens  nach  Aufregung  auf.  In  2  Fällen 
entwickelte  sich  die  Krankheit  im  Anschluss  an  Gravidität.  Nie  konnte  voraufge- 
gangene oder  bestehende  Syphilis  constatirt  werden.  Am  constantesten  fanden  sich 
die  Herzpalpitationen;  deutliche  Struma  fehlte  in  2^  Exophthalmus  in  5  Fällen.  Die 
Pulsfrequenz  war  bis  auf  2  Fälle  immer  erhöht,  120—150  Schläge.  Das  Graefe'sche 
Symptom  fand  sich  in  15  unter  22  Fällen.  Ulcerationsprocesse  an  der  Cornea  etc. 
waren  in  keinem  Falle  vorhanden.  Tremor  fand  sich  in  13  Fällen,  und  machte  sich 
zuweilen  als  erstes  Symptom  geltend.  In  einem  Falle  bei  einem  9jährigen  Knaben 
entstand  nach  heftigem  Schreck  plötzliches  Zittern  und  stotternde  Sprache;  ganz  all- 
mählich entwickelte  sich  sodann  bis  zum  17.  Jahre  dajs  volle  Bild  des  Morb.  Base- 
dowii.  —  Zweimal  fand  sich  Mydriasis  und  dreimal  Myosis.  Einmal  war  die  Myosiz» 
mit  einseitigem  Schwitzen  und  einseitig  besonders  ausgebildeter  Struma  verbunden. 
Auch  zeigte  in  diesem  Falle  die  rechte  Gesichtshälfte  und  Hand  höhere  Temperatur 
und  erhöhte  Schweisssecretion.     Halbseitiges  Schwitzen  bei  Morbus  Basedowii  wnrde 


—    679    — 

bisher  nur  zweimal  beobachtet  (Nitzelnadeli  Ghyostek).  —  Objecüv  liess  sich 
eine  Temperatarerhöhung  in  einem  Falle  beobachten  (d8|8  in  der  Axilla).  In  9  Fällen 
fand  sich  ein  anderes  vasomotorisches  Symptom,  das  jedoch  auch  häufig  bei  gesunden 
und  anderweitig  leidenden  Personen  vorkommt,  Trousseau^s  ,,Tache  c^r^brale";  auch 
Asphyxie  locale  wurde  einmal  an  den  Fingern  beobachtet.  In  3  Fällen  bildete  das 
Erbrechen  eine  Hauptklage.  Beschleunigte  Athmung,  Oppressionsgefühl,  profuse 
Diarrhöen  etc.  sind  nicht  beobachtet  worden.  In  einem  Falle  bestand  Polyurie,  in 
einem  andern  die  Complication  mit  Diabetes  mellitus.  Femer  wurden  einmal  braune 
Pigmentirungen  der  Haut,  und  in  einem  Falle  multiple  Herpeseruption  und  starkes 
Hautjucken  festgestellt;  eine  andere  Kranke  klagte  über  starken  Haarausfall.  Kopf- 
schmerzen, die  in  2  Fällen  halbseitig  auftraten,  Schwindel,  Angst,  Unruhe,  Schlaf- 
losigkeit, Gedächtnissschwäche,  Yergesslichkeit,  Wechsel  der  Gemüthsstimmung  ge- 
hörten zu  den  gewöhnlichen  Klagen.  In  5  Fällen  bestand  grosse  Schmerzhaftigkeit 
der  Nacken-  und  seitlichen  Halsgegend.  Allgemeine  Ernährungsstörungen,  Anämie, 
Abmagerung  waren  anch  sehr  häufig.  —  Es  werden  die  3  Cardinalsymptome  der 
Erkrankung  auf  eine  einheitliche  physiologische  Störung  (Affection  des  Halssympathicus) 
zurückgeführt,  und  auch  die  anderen  seltener  bei  Morb.  Basedowii  zu  beobachtenden 
Symptome  als  Lähmungserscheinungen  des  Sympathicus  zu  deuten  gesucht.  —  Von 
13  bisher  zur  Section  gekommenen  Fällen  wurden  neunmal  Veränderungen  im  Hals- 
sympathicus nachgewiesen.  Kalischer. 


12)  A  oase  of  epilepsy  with  exophthalmio  goitre.    lifeiirotio  history.    £y 

Oliver.     (Brain.  1888.  Januar.) 

Die  an  Morbus  Basedowii  leidende  Patientin  hatte  bis  zur  Pubertätszeit  nur 
Anfälle  von  petit  mal  gehabt;  später  bildeten  sich  klassische  epileptische  Anfalle  aus. 
Der  Vater  ist  ebenfalls  epileptisch;   ein  Bruder  hat  wahrscheinlich  einen  Hirntumor. 

Bruns. 

13)  lieber  die  eleotrischen  Muskelreaotionen  bei  der  Thomsen'sohen 
Krankheit,  voii  L.  Blumenau.  (Mitgetheilt  in  der  Septembersitzung  der 
St.  Petersburger  psychiatrischen  Gesellschaft.   1888.   Russisch.) 

Der  Patient^  an  welchem  die  Untersuchungen  des  Verfassers  angestellt  wurden, 
ein  30jähr.  Bauer,  ist  ein  typischer  Repräsentant  der  Thomsen*schen  Krankheit. 
Bei  allen  willkürlichen  Bewegungen,  mit  Ausnahme  der  Mimik  und  Sprache,  ist  die 
Erschlaffung  der  Muskeln  nach  den  ersten  Gontractionen  erschwert  und  verlangsamt. 
Bei  Wiederholung  der  Bewegungen,  auch  unter  dem  Einfiuss  von  Wärme  oder  ge- 
ringen Alkoholdosen  verschwindet  die  Störung,  oder  sie  nimmt  bemerkbar  ab.  Patient 
leidet  daran  seit  seiner  Kindheit;  auch  einer  seiner  Brüder  soll  davon  befallen  ge- 
wesen sein.  Trotz  athletischen  Körperbaues  ist  seine  Muskelkraft  nicht  gross. 
Seitens  der  Sensibilität,  Reflexe  und  psychischen  Sphäre  lässt  sich  nichts  Abnormes 
Gonstatiren. 

Die  mechanische  Erregbarkeit  der  Muskeln  ist  in  hohem  Grade  gesteigert: 
Beklopfen  derselben  mit  dem  Percussionshammer  bewirkt  lang  anhaltende  Contraction; 
Beklopfen  der  motorischen  Nervenstämme  dagegen  bleibt  ohne  Erfolg.  Ebenso  ist 
auch  die  faradische,  besonders  aber  die  galvanische  Erregbarkeit  der  Muskeln  erhöht, 
während  diejenige  der  Nervenstämme  unverändert  erscheint.  Verf.  untersuchte  die 
elektrischen  Muskelreactionen  an  seinem  Patienten  vermittelst  der  graphischen 
Methode  and  gelangte  hierbei  zu  folgenden  Ergebnissen: 

Die  Zuckungsformel  der  Muskeln  bei  galvanischer  Reizung  war  im  Allgemeinen 
erhalten,  indem  bei  schwachen  Strömen  zuerst  KaSZ,  dann  bei  Steigerung  der 
Stromsiärke  AnSZ,  AnOZ  und  schliesslich  KaOZ  eintrat.  Doch  war  eine  Abweichung 
in  der  Hinsicht  zu  constatiren,  dass  KaSTe  bereits  \m  solcher  Stromstärke  sich 


—    680    — 

einstellte,  bei  welcher  noch  nicht  KaOZ  ausgelöst  wurde.  Die  ZackungacoiTeo 
wiesen  sogar  bei  schwachen  Strömen  (KaS)  eine  beträchtliche  VerlängeruDg  im  Ver- 
gleich zur  Norm  auf,  und  auch  die  Latenzpenode  der  Zuckung  war  yergröesert  — 
sie  betrug  0,025  bis  0,030"  anstatt  der  normalen  0,010".  Zuweilen  kamen  an  der 
Curve  einige  secnndäre  Zuckungswellen  vor.  Die  Jjatenzperiode  war  anch  an  den- 
jenigen Zuckungen  yergrössert  (0,025 — 0,030'')  >  welche  durch  einzelne  Oeffiiongs- 
schläge  des  Inductionsstroms  ausgelöst  wurden,  während  die  Zucknngscunren  selbst 
in  diesem  Fall  normal  erschienen;  gewöhnlich  waren  sie  im  Anfang  der  Untersnchung 
(nach  längerer  Buhe  des  Muskels)  etwas  mehr  ausgezogen,  als  später,  bei  nach- 
folgender Wiederholung  der  Reizung.  Falls  letztere  durch  eine  Reihe  von  Inductions- 
schlagen  ausgeführt  wurde,  so  stellte  sich  die  Curve  nicht  in  Gestalt  der  üblichen 
Tetanusform  dar,  sondern  sie  erschien  als  unregelmässige  wellenförmige  Linie. 

P.  Rosenbach. 

14)  Note  aar  un  oaa  de  maladie  de  Basedow.  —  Amölioration  remarquable 
des  phänomönes  de  la  sörie  goitre  exophthalmique  soua  llnfluenoe 
d'une  grosaesae,  par  Souza-Leite.     (Progr.  m6d.  1888.  Nr.  35.) 

Bei  einer  27jährigen  Frauensperson,  die  an  der  Basedow*8chen  Krankheit 
litt,  konnte  etwa  4  Jahre  nach  Einsetzen  der  ersten  Krankheitserscheinungen  eine 
sehr  ausgesprochene  wesentliche  Besserung  der  Herzsymptome,  des  Zittems  nnd  eine 
Verminderung  der  Exophthalmie  und  der  strumösen  Halsanschwellnng  (um  ein  Drittel) 
constatirt  werden.  Verf.  führt  diesen  überaus  günstigen  Verlauf  in  der  im  Ganzen 
selten  zu  bessernden  Krankheit  auf  den  Eintritt  einer  Schwangwschaft  zurück.  Die 
Person  ist  im  6.  Monate  gravid.  Gharcot  hat  schon  i.  J.  1856,  als  er  noch  Piorry^s 
Assistent  gewesen,  auf  den  heilsamen  Einfluss  der  Schwängerung  auf  die  an  Base- 
dow'scher  Krankheit  leidenden  Frauen  aufmerksam  gemacht.  L aquer. 


16)  Zur  Symptomatologie  und  Pathogenese   des   Morbus  Basedowii,  von 

Dr.  Armin  Huber,  Secundärarzt.   (Aus  der  medic.  Klinik  zu  Zürich.)  (Deutsche 
medic.  Wochenschr.  1888.  Nr.  36.) 

Ein  20 jähriges  Mädchen  wurde  im  Januar  1888  aufgenommen,  welches,  schon 
vorher  bleichsüchtig  gewesen,  1884  mit  Krampfzuständen,  Zittern  und  ganz  allmäh- 
licher Abmagerung  und  Schwäche  im  linken  Arme,  besonders  der  Hand,  erkrankt 
war;  im  Frühjahr  1887  trat  stärkere  Schwellung  der  früher  geringen  Struma  ein, 
und  im  Herbst  1887  Exophthalmus,  noch  später  auch  Schwäche  und  Zittern  der 
Beine.  Bei  der  Aufnahme  wurde  ausserdem  allgemeine  psychische  Erregtheit,  links- 
seitige Hemianästhesie,  starke  Herzhypertrophie  und  Tachycardie  (112 — 120  Pols- 
schlage,  bisweilen  bis  160)  festgestellt  Die  Atrophie  des  linken  Arms  —  der  auch 
kürzer  ist,  als  der  rechte  —  betrifft,  ausser  dem  Deltoideus,  besonders  die  Muskehi 
des  Vorderarms,  des  Thenar  und  Antithenar.  An  den  atrophischen  Muskeln  des 
linken  Arms  exquisite  Entartungsreaction,  an  einzelnen  völliges  Erloschensein  jeder 
Beaction.  —  Der  Tremor  der  Arme  und  Beine  (von  Charcot  und  Marie  zuerst 
beschrieben  bei  Morb.  Based.)  zeigt  ganz  die  von  den  französischen  Autoren  ange- 
gebenen Eigenschaften,  8 — 9  Zuckungen  in  der  Secunde. 

Was  die  atrophischen  Lähmungen  betrifft,  so  bietet  die  neuere  Litteratnr  doch 
schon  so  viel  Material,  Lähmungen  in  Form  von  Mono-,  Hemi-  und  Paraplegien, 
Gesichtslähmung,  mit  oder  ohne  sensible  Störungen  (bei  Ballet,  Silva^  Dreyfas- 
Brisac,  Potain,  Bosenthal,  Gardarelli,  Du  Gazal,  Jendrassik),  dass  Verf. 
sich  berechtigt  hält,  dieses  Symptom  dem  Morb.  Basedowii  zuzuschreiben  und  auf 
eine  centrale  Ursache  (Med.  oblong.)  zurückzuführen.  Das  Wesen  des  Morb.  Basedowii 
bleibt  bei  alledem  immer  noch  duiÜLoL    Im  vorliegenden  Falle  war  noch  bemorkens* 


—    681     — 

werth,  dass  zeitlich  Tremor  und  Atrophien  der  Struma  und  Tachycardie  vorangingen. 
£b  handelte  sich  also  in  den  Jahren  1884 — 1887  nm  eine  „forme  fruste''  im  Sinne 
von  Charcot  und  Marie;  letzterer  diagnosticirt  unter  Umstanden  den  Basedow  aus 
der  Tachycardie  und  dem  charakteristischen  Tremor,  wenn  auch  Struma  und  Ex- 
ophthalmus fehlen,  resp.  noch  fehlen.  Ha  dl  ich. 


16)    Alloohirie  bei  multipler   Him-Bückenmarksaklerose,  von   Dr.  Armin 
Huber  in  Zürich.    (Münch.  med.  Woch.  1888.  Nr.  34  S.  663  u.  N.  35  S.  586.) 

Unter  dem  Namen  Allochirie  hat  Obersteiner  (Wiener  med.  Woch.  1885 
Nr.  5)  eine  merkwürdige  Sensibilitätsstörung  beschrieben,  die  darin  besteht,  dass  die 
Kranken  die  Empfindung  eines  Reizes  nicht  in  die  gereizte  Extremität,  sondern  in 
die  entsprechende  der  andern  Seite  verlegen.  Er  fand  dieselbe  bei  Tabikem  und 
einmal  bei  einer  Hysterischen.  Die  Litteratur  weist  auch  noch  andere  diesbezügliche 
Angaben  auf,  die  Verf.  alle  anführt.  Jedoch  ist  wohl  die  sogenannte  „Gehörsaliochirie"' 
bei  der  jungen  Frau  (Fall  Gelle.  Sociöte  de  Biolog.  14.  I.  1888.),  welche  das  „piep- 
sende Geräusch"  der  rechten  Carotis  auf  dem  linken  Ohre  wahrnimmt  —  „sie  hat 
augenscheinlich  Mittelohraffection,  besonders  heftig  links"  —  wohl  durch  nichts  an- 
deres, als  gerade  durch  diese  Mittelohraffection  und  der  damit  verbundenen  bessern 
Knochenleitung,  ähnlich  wie  bei  dem  Stimmgabelversuch,  zu  erklären. 

In  dem  vom  Verf.  genau  beobachteten  und  beschriebenen  Falle  von  multipler 
Hini-  und  Rückenmarkssklerose  —  auch  durch  Section  erwiesen,  wiewohl  die  totale 
graue  Entartung  im  Beginn  der  Lendenanschwellung  und  zum  Theil  der  Seitenstränge 
ein  wenig  darüber  hinausgeht  —  findet  sich  diese  Allochirie  an  den  Beinen  (jedoch 
ist  die  Erfindung  eines  neuen  Ausdrucks  wohl  unnöthig)  und  zwar  für  Tast-  und 
manchmal  auch   für  Temperaturempfindung.     Diese  Erscheinung  war  vorübergehend. 

Eine  darüber  aufgestellte  Theorie  rührt  von  Hammond  her  und  bezieht  sich 
nur  auf  einseitige  Rückenmarksverletzung. 

Weitere  Beobachtungen  sind  abzuwarten,  auf  die  sich  eine  genügende  Erklärung 
gründen  könnte.  Sperling. 


17)  Un  oas  de  paralysie  gänärale  spinale  antörienre  subaigue  suivi  d'au- 
topsie,  par  Pitres  et  Yaillard.     (Frogr.  m^d.  1888.  35.) 

Die  von  Duchenne  i.  J.  1853  unter  dem  vorstehenden  Namen  beschriebene 
Spinal- Affection,  welche  sich  aus  folgenden  Symptomen  zusammensetzt:  Rapid  ein- 
tretende Lähmung  aller  vier  Extremitäten,  völliges  Erlöschen  der  faradischen  Erreg- 
barkeit und  Massen- Atrophie  der  Muskeln,  Erhaltenbleiben  der  Sphinkteren-Function, 
—  Fehlen  jeder  .sensiblen  oder  intellectuellen  Störung,  welche  eine  heilbare  der 
der  Landry*schen  Paralyse  ähnliche  Krankheit  darstellt,  ist  in  Bezug  auf  ihre  Patho- 
genie  eine  noch  ziemlich  dunkle  Krankheit.  Etwa  2 — 3  Fälle  sind  zur  Section 
gelangt  (Verf.  berücksichtigt»  wie  es  scheint,  nur  die  französische  Litteratur)  —  und 
diese  haben  nur  theilweise  die  theoretische  Annahme  Dachenne*8,  dass  es  sich  um 
eine  Erkrankung  der  vorderen  Partien  des  Bückenmarkes  handle,  bestätigt.  —  Lan- 
douzy und  Dejerine  fanden  in  einem  von  ihnen  i.  J.  1882  genau  beschriebenen 
Falle  leichte  und  diffuse  Veränderungen  der  grauen  Vorderhömer,  die  Nervenwnrzeln 
und  die  peripherischen  Nerven  unversehrt.  —  Die  Beobachtung  der  Verff.  spricht 
für  die  moderne  Auffassung  vieler  Neurologen,  welche  die  genannte  und  ähnliche 
bisher  als  spinal  verschriene,  heilbare  Symptomencomplexe  in  das  weite  Gebiet  der 
peripherischen  multiplen  Neuritis-Formen  zu  verweisen  bestrebt  sind. 

Ein  43jähriger,  bisher  gesunder  Mann,  der  in  einem  Zuaven-Begiment  diente, 
erkrankte   nach  einer  argen   Durchnässung  an  gastrointestinalen  Erscheinungen,  die 


—    682    - 

viele  Monate  lang  dauerten,  sich  bald  besserten,  bald  verschlimmerten,  fieberlos  ver- 
liefen, schliesslich  aber  einen  hochgradigen  allgemeinen  Schw&cheznstand  herbeiffthrten, 
dass  die  Aufnahme  des  Fat.  in  das  Hospital  du  Yal  de  Grace  nöthig  wurde.  — 
Am  29.  November  1886  traten  die  ersten  Lähmungserscheinungen,  zuerst  in  beiden 
Armen,  schon  am  5.  December  auch  in  den  Beinen  auf,  bis  schliesslich  fast  alle 
Muskeln  des  Körpers  von  einer  schlaffen  vollkommenen  Lähmung  ergriffen  waren.  — 
Die  faradische  Erregbarkeit  war  in  den  betroffenen  Muskelgruppen  aufgehoben,  die 
Sensibilität  aber,  sowie  Blase  und  Mastdarm  blieben  unversehrt.  £nde  Januar  1887 
war  das  Volumen  aller  gelähmten  Muskeln  besonders  an  den  oberen  Extremitäten 
erheblich  vermindert.  —  Von  März  bis  Mai  desselben  Jahres  konnte  man  eine  lang- 
same Bückkehr  der  Beweglichkeit  in  den  oberen  Extremitäten  feststellen.  —  Am 
11.  Mai  1887  erlag  der  Fat.  einer  Fnenmonie.  Die  genaue  mikroskopische  Unter- 
suchung des  4  Monate  lang  in  Chromsäure  gehärteten  Rückenmarks  ergab  nnr  wenig 
und  dazu  geringfügige  Veränderungen  in  demselben.  Die  grauen  Vorderhömer  er- 
schienen ganz  verschont.  Dagegen  zeigten  die  peripherischen  Nerven  sehr  bedeutende 
degenerative  Läsionen  in  den  Nervenfasern,  ebensowohl  in  den  sensiblen  wie  in  den 
motorischen  Nerven. 

Epikritisch  besprechen  die  Verff.  die  in  den  letzten  Jahren  oft  ventilirte  Frage 
der  primären,  von  den  trophischen  Centren  der  MeduUa  abhängigen  neuhtischen  Ver- 
änderungen. L  aquer. 


Psychiatrie. 

18)  Ueber  IntentionspsychoBen,  von  L.  Meyer.  (Arch.  f.  Fsych.  1888.  XX.  H.  1.) 

M.  geht  von  einem  Gesetze  aus,  welches  er  in  einer  Arbeit  aus  den  Charite- 
Annalen  v.  J.  1854  folgendermaassen  formulirte:  „Ist  irgend  ein  Glied  in  der  Kette 
einer  bestimmten  psychischen  Kategorie  verändert,  so  modificiren  sich  die  übrigen 
selbst  gesunden  Glieder  später  oder  früher,  der  entsprechenden  Bichtung  gemäss  in 
ihrer  Keaction  zur  Aussenwelt."  Die  krankhafte  Veränderung  des  Gemeingefühls 
pflegt  das  erste  Glied  der  Kette  zu  sein.  Später  kann  der  ganze  krankhafte  Vor- 
gang oder  Anfall  sowohl  von  einer  oft  ganz  accidentell  angeregten  Vorstellung  oder 
Handlungsintention  wie  von  der  ursprünglich  krankhaften  Sensation  ausgehen.  Ein 
Gerichtsschreiber  empfindet  während  der  Führung  eines  Frotokolls  einen  plötzlichen 
Schwindel  mit  Herzklopfen  und  Oppressionsgefühl.  Bei  jedem  folgenden  Versuch  zu 
Protokolliren  wiederholte  sich  der  Anfall,  jedoch  nur  in  Gegenwart  Anderer.  —  Die 
krankhaft  gesteigerte  Aufmerksamkeit  (Intentio)  auf  eine  gerade  vorhandene  Wahr- 
nehmung fällt  bei  den  Anfallen  zumeist  auf  und  hat  neben  einer  gewissen  Analogie 
zum  Intentionstremor  M.  zur  Wahl  des  betreffenden  Namens  veranlasst.  Auch  viele 
Fälle  von  Höhenschwindel  und  Flatzangst  gehören  hierher.  Bei  einem  Kranken 
knüpfte  die  Flatzangst  besonders  an  gepflasterte  Flätze  und  Strassen  an,  seitdem 
derselbe  einmal  auf  einem  gepflasterten  Alpensaumpfad  ausgeglitten  war,  den  Fuss 
verstaucht  und  danach  einen  eigenthümlichen  Drang  hinzufallen  empfanden  hatte. 
Auch  manche  impulsive  Handlungen  haben  eme  ähnliche  Genese;  so  knüpfte  die 
Zwangsvorstellung  die  eigenen  Kinder  ermorden  zu  müssen  in  mehreren  Fällen  an 
den  gleichzeitigen  Anblick  eines  Brodmessers  und  der  Kinder  an. 

Auch  bei  Idioten  ist  zuweilen  das  Accidens  festzustellen,  welches  bestimmend 
auf  die  Bichtung  der  Erregungsanfalle  gewirkt  hat.  So  wurde  bei  einem  12jährigeD 
Knaben,  der  in  seinen  Anfällen  alles  in  seinem  Bereich  befindliche  Qeschhrr  zer- 
trümmerte, festgestellt,  dass  vor  dem  ersten  Anfall  dieser  Art  der  anfwartenden 
Dienstmagd  gerade  eine  Schüssel  gefallen  und  zerbrochen  war,  so  dass  der  Knabe 
heftig  zusammenschrak.  Namentlich  sind  auch  sexuelle  Erregungsakte  in  ihrem  ersten 
Auftreten  öfter  an  eine  „Intention"  gebunden.    So  bemerkt  z.  B.  ein  sonst  peinlich 


—     683     — 

decenter  Mensch,  eben  im  Begriff  auf  einem  Spas^iergang  zu  urinieren,  Kinder  in  der 
Nähe,  welche  seine  Geschlechtstheile  gesehen  haben  mflssten.  Statt  sich  abzuwenden 
fühlt  er  sich  wie  getrieben  den  Penis  in  der  Hand  auf  die  Kinder  loszugehen.  Seit- 
dem trat  anfallsweise  die  Neigung  zur  Entblössung  der  Genitalien  immer  wieder  auf. 
Auch  den  Fall  eines  Kranken,  der  in  einem  Anfall  von  Herzklopfen,  Beklemmung 
und  Schwindel  zuerst  einmal  eine  Frauenunterhose  wegnahm  und  seitdem  stets  von 
Zeit  zu  Zeit  Kleidungsstücke  von  Dienstmägden  stahl,  rechnet  M.  hierher. 

Selbstverständlich  will  M.  die  Bezeichnung  „Intentionspsychose"  nur  dann  an- 
wenden, wenn  jene  perversen  psychischen  Yoi^änge  nicht  als  Symptom  einer  ander- 
weitigen Psychose,  namentlich  der  Paranoia  auftreten.  Zum  Schlüsse  macht  er  auf 
die  Analogie  mit  den  normalen  affectartigen  Erregungen  und  mit  ShockanföUen  im 
übrigen  Nervengebiet  aufmerksam.  Th.  Ziehen. 

(In  einem  Nachtrag  —  S.  304  —  berichtet  Verf.  über  zwei  weitere  hierher  ge- 
hörige Fälle,  welche  sich  bei  Locomotivführem  nach  Schädeltraumen  entwickelten.  Bef.) 


19)  Delirium  grave,  by  E.  C.  Spitzka.   (Journal  of  the  American  Medical  Asso« 
ciation.  1887.  13.  Aug.) 

In  einer  Vorlesung  über  den  Symptomencomplex,  den  man  in  Deutschland  mit 
dem  Namen  Delirium  acutum  zu  bezeichnen  pflegt,  giebt  Verf.  einige  statistische  und 
pathologische  Daten,  die  hier  mitgetheilt  werden  mögen. 

Was  hereditäre  Veranlagung  betrifft,  so  fand  sich  eine  solche  unter  30  Fällen 
(5  M.  u.  25  W.)  überhaupt  und  unter  24  Fällen  (4  M.  u.  20  W.)  mit  genügender 
Anamnese  16mal  (2  M.  u.  14  W.).  In  3  Fällen  hatte  früher  eine  gewisse  Geistes- 
schwäche bestanden,  in  7  Fällen  war  bereits  früher  einmal  eine  Geistesstörung  be- 
obachtet worden,  2mal  bestand  Trunksucht.  Eine  direct  den  Ausbruch  des  Deliriums 
veranlassende  Ursache  war  unter  18  anamnestisch  bekannten  Fällen  ISmal  angegeben, 
meistens  als  Schreck  oder  kummervolle  Gemüthserschütterung;  3mal  wurde  Insolation 
und  nur  je  einmal  Ueberarbeitung  und  Trinkexcess  beschuldigt.  Auffallig  häufig  vor 
dem  definitiven  Ausbruch  ein  schweres  Krankheitsgefühl  oder  die  geheimnissvolle 
Empfindung,  als  drohe  ein  schweres  (Ji^lück,  öfters  schon  wochenlang  vorausgegangen; 
fast  immer  war  über  Verdauungsbeschwerden,  oft  über  Schlaflosigkeit,  Arbeitsunfähig- 
keit und  Gedankenverwirrung  geklagt  worden.  18  von  27  Fällen  standen  im  Alter 
von  26 — 37  Jahren;  das  jüngste  Individuum  war  18  und  das  älteste  50  Jahre  alt. 
Der  Verlauf  der  Krankheit  scheint  etwas  langsamer  vor  sich  zu  gehen,  als  man  nach 
früheren  Angaben  anzunehmen  geneigt  ist:  in  12  genau  beobachteten  Fällen  betrug 
die  Dauer  15  Tage  (19  in  max.  und  6  in  minimo).  Der  Ausgang  war  fast  regel- 
mässig der  Tod. 

Im  Uebrigen  glaubt  Verf.  das  Delirium  acutum  als  eine  „Selbstrergiftung''  dem 
Goma  diabeticum  an  die  Seite  stellen  zn  können.  Ob  sich  ein  Ptomaln  oder  irgend 
ein  anderer  toxischer  Körper  in  Folge  der  vorausgegangenen  mangelhaften  oder  ab- 
normen Ernährung  bildet,  wagt  er  nicht  zu  entscheiden;  die  objectiyen  Veränderungen 
im  Centralnervensystem  betrachtet  er  als  secundär  und  ihre  verschiedene  Ausbildung 
daher  als  abhängig  von  der  Dauer  der  Krankheit.  Sommer. 


20)  Des  anomaliea  des  organes  gönitauz  ohez  les  idiots  et  les  äpileptiques, 

par  Bourneville  et  Sollier.    (Progr.  m^d.  1888.  Nr.  7.) 

Die  Beobachtungen,  welche  sich  auf  die  Anomalien  im  Bereiche  der  Urogenital- 
Apparate  erstrecken,  sind  an  728  Individuen,  theils  Idioten,  theils  Epileptischen  in 
der  Anstalt  Bic^tre  angestellt  worden.  Die  in  Betracht  kommenden  Abnormitäten 
waren  die  Fhimosis,  die  Hypospadie,  die  Varicocele,  Entwickelungsmängel  oder  Atrophie 
eines  oder  beider  Hoden,  die  Hernien  und  Missstaltungen  des  Gliedes  im  Allgemeinen, 


—     684     — 

unter  denen  besonders  die  unverhältnissmässig  grosse  Entwickelung  der  Glans  (Keulen- 
und  Elöpfelform  des  Penis)  sehr  häufig  angetrofifen  wird.  —  Ein  ausführliches  und 
sorgfaltig  geordnetes  Tableau  veranschaulicht  die  Details  dieser  statistischen  Zusammen- 
stellung: Es  geht  aus  derselben  hervor,  dass  von  728  Patienten  262  jene  Störungen 
entweder  isolirt  oder  gepaart  mit  andern  körperlichen  Abnormitäten  darbieten.  — 
Das  ist  eine  ungeheuer  grosse  Zahl,  wenn  man  sie  mit  Statistiken  bei  Gesunden 
vergleicht.  —  Diejenigen  Epileptiker,  welche  ihre  Krankheit  erst  in  einem  gewissen 
Alter,  also  nicht  in  dcfn  ersten  Lebensjahren  acquirirt  haben,  zeigen  die  genannten 
Anomalien  weit  seltener,  als  die  einfachen  Idioten.  —  Ihre  Zeugungsfahigkeit  scheint 
seltener  vermindert  zu  sein,  als  die  der  Idioten.  Die  physische  und  intellectuelle 
Entartung,  welche  eine  Folge  der  Epilepsie  ist,  scheint  die  Entwickelung  der  Yari- 
cocele  zu  begünstigen,  da  letztere  fast  gar  nicht  bei  Idioten  ohne  Epilepsie  ange- 
troffen wird.  —  Auch  die  von  den  ersten  Lebensmonaten  an  bestehende  Idiotie  hat 
grösseren  Nachtheil  auf  die  körperliche  Entwickelung  des  Individuums,  als  diejenige, 
welche  in  den  Pubertätsjahren  und  später  auftritt.  Dies  bezieht  sich  auch  auf  die 
Entwickelung  der,  Genitalien.  —  Die  ganze  ziemlich  ausführliche  Betrachtang,  auf 
deren  Details  wir  uns  hier  nicht  einlassen  können,  erscheint  den  Yerff.  ganz  be- 
sonders wichtig  und  der  Nachprüfung  werth  von  dem  Gesichtspunkte  aus,  in  wie 
weit  die  geschilderten  Abnormitäten  der  Sexualorgane  die  Potenz  der  betr.  Individuen 
nachtheilig  beeinflussen.  —  Wenn  das  der  Fall  wäre,  würde  natürlich  die  Fort- 
pflanzung derselben  seltener  und  damit  auch  die  Häufigkeit  der  hereditären  Formen 
der  Idiotie  und  Epilepsie  verringert  werden.  Laquer. 


Therapie. 

21)   Faraldehyde,   by  J.  M.  Keniston.    (American  Jounial   of  Insanity.    1888. 
XLV.  p.  278.) 

Verf.  hat  in  der  Irrenanstalt  von  Connecticut  einen  sehr  ausgiebigen  Gebrauch 
von  Paraldehyd  als  Schlafmittel  gemacht  und  berichtet  darüber  in  günstiger  Weise. 

Von  646  Dosen  hatten  497  den  gewünschten  Erfolg,  d.  h.  Schlaf  von  4 — 8  Stun- 
den Dauer;  39mal  erfolgte  nur  ein  kürzerer  Schlaf  und  nur  lOmal  versagte  das 
Mittel  vöUig.  Die  durchschnittliche  Dosis  betrug  1  Drachme  =  3,75;  das  Maximum, 
das  aber  nur  zweimal  zur  Anwendung  kam,  betrug  3  Drachmen  =  1 1,0. 

Obschon  Paraldehyd  einigemal  20  selbst  40  Tage  lang  hintereinander  gegeben 
worden  ist,  war  keine  Steigerung  der  Dosis  noth wendig;  am  wenigsten  wirksam  schien 
es  bei  sehr  hochgradiger  motorischer  Erregung,  bei  der  Verl,  in  Zukunft  eine  Gom- 
bination  von  Paraldehyd  mit  Hyoscin  versuchen  will. 

Bei  bestehendem  Magenkatarrh  etc.  empfiehlt  Verf.  die  auch  in  Deutschland 
bereits  angewendeten  Suppositorien  von  Paraldehyd  mit  20  ^/^  Paraffin  im  Wasser- 
bade vereinig^.  Sommer. 


Anstaltswcsen. 

22)  Berioht  über  .die  Verwaltung  der  Provinzial-Irreii-Heil-  und  Pflege- 
anstalt zu  SohwetB  vom  1.  April  1887  bis  1.  April  1888,  von  Director 
Dr.  Grünau. 

Bestand  am  1.  April  1887    .     166  M.     168  Fr. 
Aufgenommen 39  M.      38  Fr. 

205  M.     206  Fr. 

Es  schieden  aus    ...     .      26  M.      24  Fr. 


Bestand  am  31.  März  1888     179  M.     182  Fr.;  in  Summa  361. 


685      - 

Kranke  kostet  pro  Tag  1,16  Mark. 

Ausser  den  gewöhnlichen  Tabellen  der  Berichte  enthält  der  vorliegende  noch  eine 
sehr  sorgfältige  über  die  Aetiologie  der  verschiedenen  Krankheitsformen,  lieber  eine 
Anzahl  forensischer  Fälle  wird  kurz  referirt.  M. 


23)  Ueber  Waohtabtheilungen  in  Irrenanstalten,  von  Dir.  Scholz,  Bremen. 
(Allg.  Ztschr.  f.  Psychiatrie.  XLV.  H.  1  u.  2.) 

Gegenüber  Pätz,  der  v.  Gudden  die  Priorität  der  Einrichtung  von  Ueber- 
wachni^sstationen  streitig  machte,  betont  Scholz,  dass  er  schon  im  Jahre  1876  — 
4  Jahre  vor  Patz  —  Wachtabtheilungen  eingerichtet  hat.  Die  Bettbehandlung  frisch 
Erkrankter  hat  Seh.  schon  im  J.  1869  im  Bremer  Irrenhause  eingeführt.  Die  letztere 
Maassregel  führte  bei  dem  Anwachsen  der  Zahl  der  frischen  Fälle  allmählich  dazu, 
mehrere  in  einem  Baum  zu  vereinigen.  So  entwickelten  sich  also  schliesslich  die 
Wachtabtheilungen  aus  praktischen  Nothständen,  nicht  aus  theoretischen  Erwägungen. 

Seh.  hat  mit  den  Wachtabtheilungen  die  besten  Erfahrungen  gemacht.  Das 
Bedenken,  die  Kranken  könnten  sich  untereinander  aufregen,  fand  er  nicht  bestätigt. 
Auch  Tobsüchtige  dürfen  nur  stundenweise  isolirt  werden.  Von  den  Narcoticis  half 
keines  bei  den  Erregungszuständen  der  Manie.  Bei  melancholischen  Angstanfallen 
bewährte  sich  Morphium  vor  dem  Höhestadium  gegeben,  bei  Deliranten  Cbloral,  jedoch 
erst  im  Abfallstadium  der  Erregung.  Bromkali  versagte  oft.  Seh.  verwahrt  sich 
dagegen,  dass  man  die  so  sehr  wirksamen  hydropathischen  Ein  Wickelungen  dadurch 
diskreditirt,  dass  man  von  einem  versteckten  Wiedereinführen  des  Eestraints  spricht. 

Die  Indicationen  für  die  Aufnahme  in  die  Wachtabtheilung  stellt  Seh.  fast  genau 
ebenso  wie  Patz.  Für  allzu  störende  Kranke  wünscht  Seh.  einen  besonderen  Wach- 
saal oder  Einzelverpflegung  (Krankenzimmer  und  Wärterin),  keine  Zellenisolirung. 
Die  Bettbehandlung  in  der  Wachtabtheilung  hat  erst  dann  aufzuhören,  wenn  Still- 
stand in  der  Körpergewichtabnahme  oder,  noch  besser,  Zunahme  erzielt  ist.  Die 
Bremer  Anstalt  hat  32  Betten  auf  der  Wachtabtheilung  bei  einer  Gesammtzahl  von 
174  Betten  (18 ^/o!).  Th.  Ziehen. 


II.  Aus  den  Oesellschaften. 

Aus  der  Sitzung  der  Berliner  medioinisohen  Qesellschaft  vom  5.  Dec.  1888. 

Herr  von  Bergmann  stellte  einen  Fall  von  geheiltem  Gehirnabscess  vor. 
Er  wies  darauf  hin,  dass  bei  der  Diagnose  der  Gehimabscesse  die  Aetiologie  von 
grosser  Wichtigkeit  sei.  Unter  70  Fällen  habe  man  55  veranlasst  gefunden  durch 
chronische  Eiterung  im  Ohre,  demnächst  durch  Traumen  und  Lungenaffectionen. 
Nur  sehr  selten  sei  der  Gehirnabscess  aus  einer  acuten  Otitis  media  herzuleiten, 
wie  in  einem  Falle,  den  v.  B.  beobachtete. 

Auch  bei  dem  vorgestellten  Kranken,  einem  29jährigen  Arbeiter,  handelte  es 
sich  um  eine  seit  11  Jahren  bestehende  Eiterung  aus  dem  rechten  Ohre.  Vor  etwa 
6  Wochen  fing  der  Kranke  an,  an  allgemeinem  Unwohlsein  und  Yerdauungstörungen 
mit  Frösteln  und  abendlichen  Fieberexacerbationen  zu  klagen.  Da  die  Eiterung  aus 
dem  Ohr  unverändert  dieselbe  war  wie  früher,  wo  sie  niemals  Fieber  erzeugt  hatte, 
auch  kein  Oedem  hinter  dem  Ohre  zu  finden  war,  so  musste  der  Verdacht  auf  Eite- 
rung im  Gehirn  entstehen,  denn  der  Kranke  klagte  auch  über  anhaltenden  Kopf- 
schmerz und  hatte  trotz  des  abendlichen  Fiebers  nur  eine  Pulsfrequenz  von  50,  also 
eine  Druckzunahme  in  cavo  cranii.  Von  weiteren  Symptomen  war  nur  eine  Herab- 
setzung  der  Sensibilität   der  linken  Körperhälfte  und  eine  gewisse  Muskelschwäche 


—    686       - 

nachzuweisen:  der  linke  Arm  konnte  nur  kurze  Zeit  horizontal  erhoben  gehalten 
werden.  Es  bestand  auch  noch  eine  geringe  rechtsseitige  (sie!)  Facialis-Parese. 
Für  die  genauere  Lokalisation  gab  es  also  nur  geringe  Anhaltspunkte,  doch  sprach 
der  Umstand  für  eine  Affectiou  im  Schläfenlappen,  resp.  gegen  eine  solche  im  cere- 
bellum,  dass  die  Zellen  des  Processus  mastoideus  nicht  von  dem  Eiteningsprocesse 
betroffen  waren. 

y.  Bergmann  entschloss  sich  zur  Operation,  legte  oben -hinten  von  der  Ohr- 
muschel eine  grosse  Oefifhung  an  (möglichste  Erhaltung  des  Periostes)  von  etwa  3  cm 
im  Quadrat  und  legte  die  Himsubstanz  bloss.  Vom  Funktiren  derselben  sieht  v.  B. 
jetzt  ab,  weil  er  in  zwei  früheren  Fällen  von  Uimabscess,  wo  er  punktirte  nnd  keinen 
Eiter  entleeren  konnte,  von  der  Operation  Abstand  nahm,  während  entsprechende 
Incisionen  zur  Entleerung  des  Eiters  geführt  haben  würden. 

V.  B.  machte  also  wiederholte,  nach  und  nach  tiefer  dringende  Incisionen  und 
bei  der  dritten  entleerte  er  eine  grosse  Menge  übel  riechenden,  grünen  Eiters.  Bei 
entsprechender  Behandlung,  Drainirung  etc.  ist  in  3  Wochen  die  Höhle  des  Gehirns 
geschwunden  und  die  Wunde  verheilt;  die  rechtsseitige  Facialis-Parese  und  die  Stö- 
rungen der  linken  Eörperhälfte  sind  verschwunden,  doch  ist  es  bisher  leider  nicht 
gelungen,  auch  die  Ohreneiterung  zur  Heilung  zu  bringen.  Ha  dl  ich. 


Berliner  Gtosellsohaft  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.    Sitzung  vom 

10.  December  1888. 

Herr  Sperling  spricht  über  einen  Fall  von  isolirter  lifthmiing  des  Ner- 
vus Buprascapularis  (der  Bericht  darüber  wird  demnächst  in  extenso  in  d.  Bl. 
erscheinen)  und  stellt  einen  Fall  von  Peroneuslähmung  vor. 

Herr  Westphal:  Ich  habe  vor  einiger  Zeit  hier  einen  Fall  von  Ophihalmo- 
plegia  externa  besprochen  und  Ihnen  die  betreffenden  Präparate  deroonstrirt.  Ich 
machte  dabei  auf  zwei  neue  Ganglienzellengruppen  in  der  Gegend  des  vorderen  Theiles 
des  Oculomotoriuskemes  aufmerksam,  welche  ich  dsn  medialen  und  den  lateralen  Kern 
nannte.  Neuerdings  habe  ich  gefunden,  dass  hier  ausser  diesen  beiden  soeben  ge- 
nannten Kernen  noch  eine  weitere  neue  Ganglienzellengruppe  existirt,  nach  aussen 
und  vom  von  den  beiden  ersten  gelegen.  Die  Zellen  sind  in  kreisförmiger  Grup- 
pirung  angeordnet,  und  ich  will  sie  deshalb  „Kreisgruppe**  nennen.  Ich  bin  bei 
der  Untersuchung  eines  pathologischen  Falles  auf  diese  neue  Kreisgruppe  aufmerksam 
geworden,  habe  sie  aber  auch  an  normalen  Präparaten  wiedergefunden.  In  normalen 
Präparaten  sind  etwa  50 — 60  Ganglienzellen  in  der  Kreisgruppe  vorhanden;  in  einem 
pathologischen  Falle  (Atrophie)  dagegen  nur  25.  —  Bemerkenswerth  ist  noch,  dass 
in  einem  Falle  von  Oculomotorius-Atrophie  die  Kreisgruppe  mit  von  der  Atrophie 
ergriffen  war,  dagegen  die  beiden  anderen  neuen  Kerne,  der  mediale  und  laterale, 
nicht.     (Demonstration.) 

Herr  Westphal  demonstrirt  sodann  noch  die  Abbildung  eines  interessanten 
Präparates:  ein  mikroskopischer  Schnitt  durch  eine  Abduoenswursel  an  der 
Stelle,  wo  sie  durch  einen  sklerotischen  Fleck  hindurchgeht:  es  ist  genau  zu  sehen, 
dass  es  identische  Fasern  sind,  welche  da,  wo  sie  durch  den  sklerotischen  Fleck  hin- 
durchgehen, lichtbraun  üngirt  sind,  während  sie  ausserhalb  dieser  Stelle  die  normale 
Schwarzfärbung  zeigen. 

Herr  Siemerling:  Es  finden  sich  neuerdings  in  der  Litteratur  mehr  Fälle  vor, 
wo  klinischer  und  anatomischer  Befund  sich  nicht  zu  decken  scheinen.  Westphal 
z.  B.  und  Thomson  haben  Fälle  veröffentlicht,  wo  alle  Erscheinungen  auf  Heerd- 
erkrankungen  hindeuteten,  aber  die  Section  nichts  davon  nachwies;  Charcot  umge- 
kehrt glaubte  in  einem  Falle  nur  eine  Neurose  vor  sich  zu  haben,  und  fand  eme 
Sklerose   der   Pyramiden-Seitenstränge.  —  Um    einen   solchen   Fall   handelt   es  sich 


—    687     — 

aocli  hier,  und  zwar  ist  er  klinisch  bereits  von  Thomsen  und  Oppenheim  be- 
Bchrieben. 

Er  betrifft  ein  31jährigeS|  nicht  neuropathisch  belastetes  Dienstmädchen,  deren 
Vater  an  Phthise  gestorben,  und  die  sehr  spät  und  stets  nnregelmässig  menstruirt 
ist.  Nach  einem  im  21.  Jahre  überstandenen  schweren  Abdominaltyphus  blieb  sie 
kräoklich.  Es  entwickelte  sich  allmählich  eine  totale  Anästhesie  des  ganzen  Körpers, 
in  allen  Qualitäten,  auch  an  den  Schleimhäuten.  Es  bestand  starke  concentrische 
Einengung  des  Gesichtsfeldes  für  Weiss,  Dyschromatopsie  beiderseits  (ophthalmosko- 
pisch nichts).  Der  Geruch  fehlte,  das  Gehör  war  beiderseits  sehr  herabgesetzt,  der 
Geschmack  schwer  zu  prüfen,  weil  Fat.  spontan  bittem  Geschmack  hatte.  Das  Muskel- 
gefühl fehlte  g&nzlich.  —  Ausserdem  bestand  ein  sehr  auffälliges  Wesen,  eine  schwere 
Apathie:  die  Kranke  sprach  nichts,  antwortete  selten  einige  Worte,  hatte  die  Augen 
geschlossen,  bewegte  sich  nicht,  sank  in  sich  zusammen,  wenn  sie  aus  dem  Bett  ge- 
nommen wurde  oder  machte  nur  wenige  langsame  Schritte.  Bei  passiven  Bewegungen 
bemerkte  man  keinen  Widerstand.  — 

Alle  Therapie  erwies  sich  fruchtlos. 

Ende  November  1888  machte  Fat.  eine  Entbindung  durch.  Anfangs  zeigte  sie 
etwas  Theilnahme  für  ihr  Kind,  aber  in  der  zweiten  Woche  traten  halludnatorische 
Delirien  auf,  sie  glaubte  sich  verhöhnt  u.  s.  w.  Aber  diese  mit  Erregungen  einher- 
gehenden Delirien,  welche  sich  mehrfach  wiederholten,  waren  doch  nur  vorübergehend, 
sie  blieb  im  Uebrigen  apathisch,  musste  lange  mit  der  Sonde  gefüttert  werden,  wog 
zuletzt  47  Pfund  und  ging  an  Inanition  zu  Grunde. 

Die  Section  ergab:  Fhthisis,  sonst  makroskopisch  nichts.  Dagegen  lieferte  die 
mikroskopische  Untersuchung  Herrn  Siemerling  sehr  merkwürdige  Veränderungen: 

Im  Bückenmark  Degeneration  der  Hinterstränge  —  Goll*sche  und  Burdach*sche 

—  im  Hals-  und  oberen  und  mittleren  Dorsaltheil;  myelitische  Processe  in  den  me- 
dialen Theilen  der  Hinterstränge.    Leichte  Degeneration  auch  in  den  Seitensträngen. 

—  Im  unteren  Dorsalmark  war  hiervon  nichts  zu  sehen,  wohl  aber  abnorme  quer- 
verlanfende  Nervenfasern  in  den  Hintersträngen  und  Seitensträngen,  wo  sie  besonders 
aus  dem  einen  Yorderhom  ausstrahlten.  —  Ausserdem  Heterotopie  grauer  Substanz; 
ferner  Verlagerung  der  Clarke'schen  Säulen,  die  an  einer  Stelle  fast  bis  zur  Berüh- 
rung genähert  sind.  —  Im  Uebrigen  die  Ganglienzellen,  die  Wurzeln,  die  Häute 
normal.  In  der  Medulla  oblongata  fand  sich  ein  merkwürdiger  Querspalt,  der  da, 
wo  die  Fyramidenkreuzung  voUendet  ist,  die  ganze  Breite  des  Markes  betrifiFt,  aber 
am  Beginn  des  XII.  Kernes  nur  noch  in  der  Mitte  vorhanden  ist.  (Demonstration 
der  Präparate.)  —  Ausserdem  sind  die  motorischen  Kerne  alle  degenerirt,  am  Hy- 
poglossus-.  Facialis-  Abducenskem  fehlen  die  Ganglienzellen  fast  ganz,  am  relativ 
besten  ist  noch  der  Oculomotorius-Kem  erhalten,  aber  auch  er  ist  stark  atrophirt. 
Die  Wurzeln  und  peripherischen  Nerven  sind  dagegen  ganz  intact. 

Um  zu  reaümiren:  Es  handelt  sich  also  um  eine  schwere  Hysterie  mit  Psychose 
(chronische  Paranoia),  und  diese  ergiebt  den  geschilderten  anatomischen  Befund.  Der 
grösste  Theil  der  Veränderungen  ist  wohl  congenital,  die  querverlaufenden  Fasern 
(jwie  sie  ähnüch  Hitzig  beschrieben  hat),  die  Verlagerung  der  Glarke*schen  Säulen, 
der  Querspalt,  die  Heterotopie  der  grauen  Substanz.  —  Viel  von  dem  Befunde  und 
auch  seiner  Beziehung  zu  den  klinischen  Symptomen  bleibt  dunkel. 

Herr  Oppenheim  betont  im  Anschluss  an  diesen  Vortrag  die  Wichtigkeit  con- 
g'enitaler  Veränderungen  bei  schweren  Neurosen.  So  führt  er  einen  Fall  von  Hemi- 
anästhesie,  später  totaler  Anästhesie  mit  Psychose  an,  in  welchem  sich  Retinitis 
pigmentosa  fand:  der  Kranke  stammte  aus  einer  Ehe  von  Verwandten.  Auch  ein 
Fall  von  Bnlbär-Paralyse  dürfte  hierher  gehören,  in  welchem  sich  auffallend  schmale 
^W^urzeln  der  Nerven  der  MeduUa  oblongata  nachweisen  Hessen,  die  wohl  als  conge- 
nital mangelhaft  entwickelt  anzusehen  waren.  H  ad  lieh. 


—    688    — 

III.  Bibliographie. 

Pathologie  und  Therapie  der  Nervenkrankheiten  für  Aerzte  und  Studirende 
bearbeitet.     Von  L.  Hirt.    (Erste  Hälfte:  Bogen  1 — 16.     Wien  und  Leipzig, 
*  Urban  &  Schwarzenberg,  1888.) 

Die  vorliegende  erste  Hälfte  des  Hirt*schen  Baches  enthält  die  Darstellang  der 
Himkrankheiten,  und  zwar  in  3  Hauptabschnitten:  1)  Krankheiten  der  Hirn- 
häute; 2)  Krankheiten  der  Hirnnerven;  3)  Krankheiten  der  Hirnsubstanz. 

Im  ersten  Abschnitt  werden,  nach  einer  kurzgefassten  anatomischen  Einleitcmg, 
die  Entzündung  der  Dura  und  die  der  weichen  Häute  in  2  Oapiteln  besprochen. 
Der  zweite  Abschnitt  bringt  in  11  Gapiteln  die  Krankheiten  des  Olfactorius,  des 
Opticus,  der  motorischen  Augennerven,  des  Trigeminus,  Facialis,  Acusticus,  Glosso- 
pharyngeus,  Vagus,  Accessorius,  Hypoglossus  und  die  gleichzeitige  Erkrankung 
mehrerer  Himnerven. 

Jedem  Gapitel  geht  eine  kurze  anatomische  Orientirang  voraus,  welche  durch 
in  den  Text  eingeschaltete  Holzschnitte  unterstützt  wird.  Der  Inhalt  einzelner  Ga- 
pitel ist  natürlich  etwas  bunt  gemischt,  namentlich  derjenige  über  „Krankheiten" 
des  Opticus,  des  Trigeminus  und  Vagus.  So  wird  unter  den  „peripherischen  Quintus- 
affectionen"  Kopfschmerz  und  Migräne  abgehandelt;  anhangsweise  auch  der  „Tnge- 
minushusten''  als  Beflexneurose  des  Quintus  besprochen.  Bei  den  Acusticnskrank- 
heiten  findet  sich  die  Menidre*sche  Krankheit,  der  eine  Abhandlung  „über  Schwindel 
im  Allgemeinen'^  vorausgeht,  welche  man  an  dieser  Stelle  wohl  nicht  so  leicht  suchen 
würde.  Unter  den  „Vaguskrankheiten"  wird  ausser  dem  Bronchialasthma,  der  Angina 
pectoris  etc.  auch  die  Basedow'sche  Krankheit  abgehandelt,  wogegen  doch  wohl  ent- 
schieden Protest  zu  erheben  sein  dürfte.  Wenn  diese  Krankheit  schon  mit  dem 
Hals-Sympathicus  nichts  zu  thun  hat,  so  jedenfalls  noch  viel  weniger  mit  dem  Vagus; 
die  vom  Verf.  citirte  Sattler'sche  Hypothese  einer  „circumscripten  Läsion  im  Bereiche 
des  Vaguscentrums"  ist  ganz  willkürlich  und  ohne  jede  anatomisch-physiologische 
Basis;  die  Basedow'sche  Krankheit  gehört  überhaupt  nicht  unter  die  Krankheiten 
eines  einzelnen  Himnerven,  sondern  unter  die  allgemeinen  Neurosen. 

Im  elften  Capitel  dieses  Abschnittes  (gleichzeitige  Erkrankung  mehrerer  Him- 
nerven) werden  die  Polioencephalitis  sup.  und  inf.  in  ihren  acuten  und  chronischen 
Formen,  namentlich  die  progressive  Bulbärparalyse  („Duchenne*sche  Krankheit")  be- 
sprochen. 

Dem  dritten,  den  Krankheiten  der  Hirnsubstanz  gewidmeten  Hauptabschnitt 
geht  als  Einleitung  die  „topische  Diagnostik  und  Localisationslehre"  voraus. 
Es  ist  dies  bekanntlich  ein  für  die  Darstellung  ausserordentlich  schwieriges  Gebiet, 
wobei  es  kaum  möglich  ist»  allen  Ansprüchen  zu  genügen;  doch  scheint  mir  beispiels- 
weise der  dem  gleichen  Thema  gewidmete  Abschnitt  in  dem  kürzlich  besprochenen 
Seeligmüller*schen  Buche  an  Anschaulichkeit  und  Klarlegung  des  Sachverhaltes  die  Hirt*- 
sche  Darstellung  theilweise  zu  übertreffen.  Die  letztere  ist  auch  von  Generalifiirungon  und 
von  inneren  Widersprüchen  nicht  frei,  welche  auf  den  Anfänger  verwirrend  wirken 
können  (vgl.  z.  B.  das,  was  p.  151  über  die  „Verwechselung  einer  corticalen  mit  einer 
peripherischen  Lähmung''  bemerkt  ist,  wo  u.  A.  die  „schnelle  Entwickelung  binnen 
einigen  Stunden"  und  der  „ganz  schmerzlose  Verlauf  als  unterscheidende  Griterien 
corticaler  Affectionen  im  Vergleiche  zu  peripherischen  angeführt  werden).  —  Die 
diese  Capitel  illustrirenden  Holzschnitte,  zum  Theil  nach  Edinger,  sind  reichlich  nnd 
gut  gewählt;  auch  die  Ausführung  derselben  ist  eine  vorzügliche.  —  Es  folgen  nun 
„die  Hirnläsionen  nach  ihrer  pathologischen  Natur  betrachtet  (Patho- 
logische Diagnostik")!  und  zwar  zuerst  „die  auf  Gefässerkrankungen  be- 
ruhenden Affectionen  der  Hirnsubstanz.  A.  die  Erkrankung  der  Hirn- 
arterien und  ihre  Folgezustände  (Hirnblutung,  Embolie  und  Thrombose,  End- 
arteriitis  syphilitca,  Erweiterung,  Neurosen  der  Hiraarterien);  B.  die  Erkrankungen 


-     689 

der  Hirnvenen  (in  der  Inhaltsübersicht  heisst  es  irrthümlich  „Hirnnerven*')  und 
ihrer  Sinus.  Diese  hier  zum  ersten  Male  durchgeführte  Abzweigung  der  Gefasskrank- 
heiten  des  Hirns  und  die  Benutzung  dieses  Eintheilungszweiges  überhaupt  scheint 
mir  ein  sehr  glücklicher  Griff  des  Verfassers  zu  sein;  nur  hätten  dabei  einzelne 
Sonderbarkeiten,  wie  die  Bezeichnung  der  Himanämie  und  -hyperämie  als  „Neurosen 
der  Himarterien'*  vermieden  werden  können.  Die  Sinusthrombose  gehört  auch  wohl 
mehr  in  den  Abschnitt  über  die  Krankheiten  der  Hirnhäute.  —  Es  'folgen  nun 
weiter  „die  entzündlichen  Processe  der  Hirnsubstanz",  eitrige  Ence- 
phalitis, Hirnabscess,  und  die  nicht  eitrige  Encephalits  mit  ihren  Folge- 
zuständen,  wobei  die  cerebrale  Einderlähmung  und  Athetose  eine  verhält- 
nissmässig  sehr  eingehende,  durch  eigene  Beobachtungen  des  Verfassers  und  durch 
Abbildungen  bereicherte  Darstellung  erfahren.  Wenn  nach  Hirt 's  Ansicht  (p.  237) 
„die  Erkrankung  der  Binde  für  die  Athetose  unbedingt  die  Hauptrolle 
spielt",  so  stimmt  dies  ganz  überein  mit  dem,  was  Beferent  zuerst  schon  vor  langer 
Zeit  behauptet  und  ausführlich  begründet;  vgl.  mein  Lehrbuch  der  Nervenkrankheiten, 
2,  Aufl.,  II,  p.  677  und  678.  —  Den  Schluss  machen  die  Hirntumoren  (nebst 
Hirnparasiten)  und  die  angeborenen  Erkrankungen  (Hydrocephalus,  Meningo- 
cele,  Porencephalie;  Defecte  einzelner  Himtheile).  —  Die  noch  ausstehende  zweite 
Hälfte  soll  die  Erkrankungen  des  Bückenmarkes  und  die  des  Gesammtnervensystems 
umfassen. 

Das  Buch  dürfte  so  wie  es  ist  —  einzelner  kleiner  Mängel  ungeachtet  —  seiner 
Bestimmung  „für  Studirende  und  für  diejenigen  Aerzte,  welche  sich  ohne  allzugrossen 
Zeitaufwand  über  neuere  pathologische  Thatsachen  informiren  wollen^'  vortrefflich  ent- 
sprechen; es  wird  ihm  gevnss  an  zahlreichen  Lesern  nicht  fehlen.  Die  Litteratur- 
verzeichnisse,  die  ohnehin  ziemlich  willkürlich  zusammengestellt  sind,  dürften  wohl  im 
Interesse  dieses  Leserkreises  ganz  gut  wegbleiben.  Eulenburg. 


IV.   Zuschrift  an  die  Redaotion. 

Geehrter  Herr  Collegel 

Mit  Bezug  auf  das  in  der  letzten  Nummer  (1.  Dec.  1888)^  dieses  Centralblatts 
enthaltene  Beferat  des  Herrn  Siemens  über  die  Arbeit  von  Dr.  Babinski  „sur 
une  d^formation  particul.  du  tronc  causee  par  ia  sciatique"  sehe  ich  mich  im  In- 
teresse der  historischen  Gerechtigkeit  veranlasst,  darauf  hinzuweisen,  dass  der  Gegen- 
stand bereits  wiederholt  anderwärts  eine  literarische  Bearbeitung  gefunden  hat;  und 
zwar  durch  C.  Nicoladon i.  Die  erste  Mittheilung  desselben  findet  sich  in  der 
Wiener  med.  Fresse  1886  Nr.  26  u.  27  unter  dem  Titel  „üeber  eine  Art  des  Zu- 
sammenhangs zwischen  Ischias  und  Scoliose"  und  in  der  Wien.  med.  Pr.  1887  Nr.  39 
ist  ein  weiterer  Fall  mitgetheilt. 

Die  merkwürdige  Körperhaltung  bei  Ischias  (die  ich  selbst  übrigens  auch  wieder- 
holt und  schon  vor  längerer  Zeit  beobachtet  habe),  ist  also  nicht  von  Charcot 
zuerst  gesehen  worden,  wie  Herr  Babinski  meint;  die  erste  Arbeit  von  Nicola- 
doni  war  bereits  erschienen,  ehe  Charcot  überhaupt  seine  erste  derartige  Beobach- 
tung machte  (Sept.  1886). 

Genehmigen  Sie  etc. 

Heidelberg,  8.  Dec.  1888. 

Ihres  ergebenen 

W.  Erb. 
>  Cf.  S.  658. 

40 


Register   1888. 

I.  Originalaufsätze. 

Saila 

1.  Cytisin  gegen  Migräne,  von  Prof.  £.  Eraepelin l 

2.  Doppelseitige  Trochlearispareae,  von  Dr.  ErnstBemaic 5 

3.  Znr  Anatomie  des  Froschgehirns,  von  Dr.  M.  Koppen 10 

4.  Üeber  einen  Fall  von  hereditärer  Chorea  der  Erwachsenen,  von  Dr.  Zacher    .    .  M 

5.  Ein  Fall  von  Dyslexie  (Berlin)  mit  Störungen  der  Schrift,   von   Dr.  Ludwig 
Bruns .38.68 

6.  Die  histologischen  Veränderungen  in  den  peripherischen  Nerven,   deren   Spinal- 
ganglien und  dem  Kückenmarke  in  Folge  von  Amputation,  von  Prof.  E.  A.  Hom^n  66 

7.  Üeber  Heterotopie  grauer  Substanz  im  Rückenmark,  von  Dr.  P.  Kronthal      .    .  97 

8.  Progressive  Paralyse  mit  Tabes  bei  einem  ISjähr.  Mädchen,  von  Prof.  Dr.  Adolf 
Strümpell 122 

9.  Beitrag  zu  der  Beziehung  zwischen  gewissen  Formen  von  Epilepsie  und  der  Aus- 
scheidung von  Harnsäure,  von  Dr.  A.  Ha  ig       127 

10.  Eine  Beooachtung  über  die  Localisation  der  hypnagogischen  Hallncinationen ,  von 
Prof.  Dr.  Fr.  Fuchs 131 

11.  Ueber  die  Erregbarkeit  einzelner  Faser bündel  im  Rückenmark  neugeborener  Thiere, 

von  Prof.  W.  Bechterew 154 

12.  Zur  therapeutischen  Verwerthung  der  Hypnose,  von  Dr.  M.  Nonne     .    .    .      185.  226 

13.  Gesichtsstörungen   in  ihrem  Abnängigkeitsverhaltniss    von  Occipitallappenerkran- 
kung,  von  Dr.  Mooren 218 

14.  Ein   Kinesiästhesiometer,  nebst   einigen  Bemerkungen  über  den  Muskelsinn,  von 
Prof.  E.  Hitzig 249.  2b3 

15.  Isolirte   peripherische   Lähmung  des  Nervus  suprascapularis  sinister,    von   Dr.  J. 
Hoffmann 254 

16.  Einiges  über  Suggestion,  von  Dr.  Ernst  Jendrässik 281.  321 

17.  Einige  thera|>eutische  Versuche  mit  der  Hypnose,  von  Dr.  Sperling     .    313.  373.  41S 

18.  Die  Karminfarbung  für  Nervengewebe,  von  Dr.  HenryS.Upson 319 

19.  Bemerkung  zu  Vorstehendem,  von  Dr.  William  C.  Krauss 320 

20.  Zur  Localisation  der  sensorischen  Aphasie,  von  Dr.  LeopoldLaqner     .     .    .     .     337 

21.  Ueber  die  Kosten  des  optischen  Katnetometers  in  der  Kraniometrie,  von  Prof.  Dr. 
Benedikt 352 

22.  Die  Spondylarthritis  synovialis,  von  A.  Caspari 369 

23.  Zur  Lehre  von  der  Hemiatrophia  facialis,  von  E.  Mendel       401 

24.  Seltene  Symptomencomplexe  bei  Nervenkranken,  von  Prof.  Fr.  Schnitze    .     433.  400 

25.  Etwas  über  Schädel- Asymmetrie  und  Stirnnaht,  von  M.  0.  Fraenkel      .     .    .    .     43t« 

26.  Ein  klinischer  Beitrag  über  den  Verlauf  des  Geschmacks n erven ,   von   Dr.  Philip 
Zenner 457 

27.  Ein  Fall  von  Alexie  mit  rechtsseitiger  homonymer  Hemianopsie  („subcorticale  Alezie** 
Wernicke),  von  Dr.  L.  Bruns  und  Dr.  B.  Stölting 481.  509 

28.  Anatomischer  Befund  bei  einer  diphtherischen  Lähmung,  von  Dr.  W.  C.  Krauss     490 

29.  Die  Hirncentra  für  die  Bewegung  der  Harnblase,  von  Prof.  Dr.  W.  Bechterew 

und  Privatdocent  Dr.  N.  Mislawsky 505 

30.  Ueber  die  Ungleichheit  der  Kniephänomene  bei  Tabes  dors.,  v.  Dr.  S.  Gol  dflam    529.  556 

31.  Ueber  den  Einfluss  der  Hirnrinde  auf  die  Speichelsecretion ,  von  Prof.  W.  Bech- 
terew und  Privatdocent  Dr.  N.  Mislawsky 553 

32.  Ueber  die  Diffusionselektrode  von  Adamkibwic:^  und  die  (^hloroformkataphorese,  von 

Dr.  J.  Hoff  mann .jsj 

33.  Zur  Darreichung  und  Wirkung  des  Sulfonals,  von  Dr.  H.  Ruscheweyh      ...     593 


691 

Seite 

34.  üeber  Vagaseistirpationen,  von  Dr.  De  es 596 

35.  Ein  Fall  von  Cysticercus  thalami  optici,  vod  Dr.  Wilhelm  Manasse     .    .    .    .    617 

36.  Originalbericht  der  Qesellschaft  für  Psychiatrie  and  Nervenkrankheiten  zu  Berlin 
am  12.  November  1888:  Verhandlung  übier  Peroneusl&hmang.  von  Uhthoff,  Bern- 
hardt, Bemak,  Martins  and  Oppenheim 642 


n.  Namenregister. 

(Die  in  Paranthesen  eingeklammerten  Zahlen  bedeaten:  Bemerkong  in  der  Discossion.) 


Abadie  (455). 

d'Abando:  Nenritis  79. 

Acker:  Paralys.  progr.  29. 

Adam:  Melancholie  172. 

Adamkiewicz:  combinirte  De- 
generation des  Bückenmarks 
272. 

Aikman:  Syphilis  148. 

Alexander:  Typhas  and  Him- 
erkrankang  611. 

Algeri:  Trepanation  247. 

Alt:  Merycismos  470. 

Alter:  Anstaltsbericht  668. 

Andry:  Tabes  19.  Porencepha- 
lie  570. 

Anfimow:  Vacaolen  der  Gang- 
lienzellen 261. 

Annandale:   Trepanation  114. 

Armanni:  progr.  Paralyse  452. 

Arndt:  Othämatom  551. 

d'Arsonval  (308). 

Arthaad :  Physiologie  des  Va- 
gus 808. 

Aufrecht :  Chloral  u.  Morphium 
365. 

Avellis:  Aroylenliydrat  176. 


Babinski:  Paralysie  pyocya- 
niqae309.  Deformität  durch 
Ischias  658. 

Bäumler:  Dystroph,  muscul. 
progr.  397. 

Baülarger:  Paralys.  pellagrosa 
u.  Paralys.  generalis  501. 

Ball:  Folie  drotique  170. 

Ballet:   hereditär  Degenerirte 
445.    Basedow'sche  Krank- 
heit 454.  Spasmen  u.  chron. 
Gelenkrheumatismus  456. 
Ophthalmoplegie  572. 

Barillot:  Morphium  184. 

Barlow:  disseminirte  Myelitis 
52. 

Baroneini :  Ependymgranula- 
tion  571. 

Barrs:  Neuritis  657. 

Bartels:  Wortnenbildung  bei 
Geisteskranken  312. 

Bastelberger:  mikrophotogra- 
phische  Präparate  549. 

Bateman:  Aphasie  237. 


Batterham:  Amnesie  240.  Hä- 
morrhagie  der  Med.  oblong. 
524. 

Battiscombe:  Abscess  d.  Glan- 
dula pituitaria  628. 

Baumgfl^n:  Hemianopia  tem- 
poralis  241. 

Beach:  Syphilis  145. 

Beale  Clifford:  Chorea  386. 

Beaum^:  Neuritis  658. 

Bechterew :  Hirnrinde  14.  Er- 
regbarkeit einzelner  Bücken- 
marksstrange 45.  154.  hin- 
tere Rückenmarkswurzeln 
75.  secundäre  Degeneration 
des  Hirnschenkels  108.  N. 
vagus  294.  Hirncentra  für 
Bewegung  der  Blase  505. 
Hirnrinde  u.  Speichelsecre- 
tion  553.  Hemiatrophia  fa- 
cialis 579.  Bestandtheile  des 
vordem  Kleinhirnschenkelä 
597. 

Beevor:   Rindencentren  76. 
Erhasche   Lähmung    109. 
Hirnnerven,   mot.  Function 
599. 

Benda:  (30)  (432)  Härtungs- 
verfahren 432. 

Benedikt:  Kraniometrie  292. 
352.  Elektrotherapie  der 
Gebärmutterkrankheit.  614. 

Bennett:  Wortblindheit  236. 
hypertonische  Paralyse  270. 
(272). 

Bentzon:  Hvpnotismus  209. 

Berbez:  Tabes  21. 

Berg:  Hirntumor  115. 

Berger:  Augenerkrankung  bei 
Tabes  455. 

Bergmann  v.  E. :  Chirurgische 
Behandlung  der  Hirnkrank- 
heiten 111.  Himabscess  685. 

Berkhan:  Irrenwesen  312. 

Berlin:  Dyslexie  63. 

Bernardini:  Ganglienzellen  bei 
Paralyse  und  Epilepsie  452. 

Bernhardt:  (63)  Rückenmarks- 
localisation  334.  (432).  Ta- 
bes 39 1 .  495.  Augenmuskd- 
lähmungen  575.  Peroneus- 
lähmung 642. 


Bianchi:  progr.  Paralyse  und 
Vagus  452.  Nervendegene- 
ration 452.  Zerstörung  des 
Lob.  tempor.  sphenoid.  626. 

Binswanger :  moral.  Irresein 
90.  Hypnotismus  203.  Epi- 
lepsie 277. 

Binz:  Hydroxylamin  651. 

Birdsall:  (672). 

Blackburn:    Gehimschnitte 
671. 

Blanc-Fontenille :  hysterisches 
Delirium  198. 

Blaschko:  Herpes  digitalis  88. 

Bleibtreu:  Eiweissumsatz  160. 

Blin :  doppelseitige  Athetose 
469. 

Blocq:  hysterische  Arthralgie 
199.  Astasie  u.  Abadie  384. 
doppelseitige  Athetose  469. 

Blocqu:  Contracturen  297. 

Blumenau:    Antipvrin   624. 
Thomsen'sche  Krankh.  679. 

Bodamer:  Hirntumor  115. 

Bötticher:  Herpes  zoster  87. 

BolUnger:  Tod  aus  Angst  475. 
Cysticercus  des  Gehirns  630. 

Bonnet:  Paralys.  progr.  29. 

Bonomo:  Verdoppelung  des 
Rückenmarks  136. 

Borgherini :  combinirte  System- 
erkrankung 300.  Eniephä- 
nomen  bei  Paralyse  634. 

Borosdina  -  Rosenstein :  circu- 
läres  Irresein  445. 

Bouüheron:  Ohr  u.  Psychosen 
93. 

Bourneville :  Idiotie  57.   Tem- 
peratur bei  Epilepsie  110. 
Gen  italorganeo.  Idioten  683. 

Bourru:  Suggestion  204. 

Bramwell:  Ataxie  19.  Him- 
präparate  353. 

Braun :  combinirte  Rücken- 
markserkrankung 427. 

Bremer:  Psychose  u.  Nieren- 
erkrankung 618. 

Bri9on:  Idiotie  57. 

Brie :  plötzliche  Todesfälle  bei 
Psychosen  548. 

Brieger :  spastische  Spinalpara- 
lyse 142. 

40* 


692 


Brocks:  Medianuß  44S. 

Brosius  (547). 

Brousse:  Hypnotismns  212. 

Brown  Sanger:  Hinterhanpt- 
ond  Schläfenlappenfanction 
623. 

Brown-S^qnard :  Transfert  147. 

Bruch:  Porencephalie  831.453. 

Braen:  Porencephalie  453. 

Branner:  Spina  bifida  142. 

Brans:  Dyslexie  38.  68.  Hirn- 
afTectionen  310.(312).  Alexie 
481.  50^.  multiple  Hirn- 
nervenlähmung  549. 

Brunton :  Str  jchnin  als  Schlaf- 
mittel 175. 

Buchholz:  Gliose  der  Hirn- 
rinde 601. 

Bull:  Idiotie  58. 

Bullen:  Tabes  u.  Paralyse  503. 

Bum:  Massage  175. 

Bumm :  Corpus  trapezoides 
547. 

Burot:  Suggestion  2(  4. 

Burton :  Osteophyten  derArach- 
noidea  48. 

Bury:  Neuritis  658. 

Butakow:  nicht  progr.  Muskel- 
atrophie 473. 

Butte :  Physiologie  des  Vagus 
308. 

Buttersack:  Synhilis  des  Cen- 
tralnervensYstems  144. 

Bazzard:  Sennenreflexe  263. 
(271).     Neuritis  656. 

Cantani:  Wuthgift  279. 

Cantarano:  sexuelle  Perversi- 
tät 448. 

Carlsen:  Hypnotismns  210. 

Caspar! :  Spondylarthritis  fv- 
novialis  869. 

Ceci:  Trauma  des  Hirns  113. 

C<$renville  de:  Gehimsymptoiue 
bei  eitriger  Pleuritis  6H3. 

Charcot :  hysterischeArthra]*^  le 
199.  Hysterie  u.  Syphilis  201. 

Charlin:  Katatonie  581. 

('harrin:  Paralys.  pyocyanique 
309. 

Chastaing:  Morphium  184. 

Christian:  Paralys.  progr.  27. 
Othämatora  307. 

Cionini:  Hirnrinde  bei  Para- 
lyse 452.  Hirnrinde  bei 
Geisteskranken  539.  Glan- 
dula pinealis  621. 

Clemon :  hysterisches  Fieber 
201. 

Coats:  Hirnkrebs  468.  469. 

Cobbold :     Selbstmord    bei 
Schwachsinn  58. 

Co6n  B.:  Sprechanomalien  119. 

CoSn  E.:  Heilung  von  Stich- 
wunden des  Gehirns  17. 

Cohu:  Aconitin  667. 


Collier:  Tabes  u.  Gelenkaffec- 
tion  498. 

Combemale:  Antipyrin  149. 
Alkoholintoxication  310. 

Cook:  Chorea  886. 

Cornelius:  multiple  Neuritis 
423. 

Coming:  Subst.  gelatin.  Ro- 
land. 442, 

Cozzoli  Qo :  Ohrerkrankung*  u . 
GehÖrshallucination  61 2. 

Cramer:  Sulfonal  480.  ADgio- 
sarcom  467. 

Cuy litis:  criminelle  Irre  180. 

nana:  Anencephalie261.  com- 
binirte  Systemerkrankung 
301.  Thomsen'sche  Krank- 
heit 458.  Hautempfindungs- 
centren  in  Hirnrinde  660. 
(672). 

Darksche witsch :  Leitungsbah- 
nen im  Ocalomotorius  380. 

Deaver:   Rindenepilepsie  671. 

Dees:  Accessorius  880.  Vagus- 
exstirpation  596.  600. 

Ddiio :  Einfluss  von  Coffein  u. 
Thein  auf  psych.  Vorgänge 
107. 

Dejerine:  Alkoholneuritis  83. 
Cocainvergiftung  150.  Kin- 
derlähmung 471.  Tab.  cervi- 
calis  496.  (309). 

Demoulin :    Facialislähmung 
579. 

Derkum:  Rheumatismus  269. 
Cholesteatom  358.  Hemi- 
Chorea  389.  (669).  Dystro- 
phie des  subcutanen  Binde- 
gewebes 670. 

Dessoir:  Hypnotismus  216. 

Diomidoff:  chromolept.  Sub- 
stanz 331. 

Dontrin  (272). 

Dreschfeld :  Sklerose d.  Rücken- 
marks 302. 

Drummond:  Ataxie  248. 

Dubois:  Neuritis  657. 

Dujardin-Beaumetz:  (179) 

Dupuy:  Antipyrin  boi  See- 
krankheit 96.  Physiologie 
des  Kleinhirns  149.  Rinden- 
centren  880. 

Durdufi:  Morb.  Basedow ii  137. 

Dutil:  progr.  Muskelatrophie 
140. 

Kbstein:  Hautentzündung  u. 
Lähmung  auf  infcctiöser 
Basis  470. 

Eccles:  Schlaflosigkeit  865. 

Edes:  Nieren-  und  Nerven- 
erkrankung 609. 

Edgren:  Urticaria  factitia  86. 

Edinger:  Entwiekdung  des 
Hirumantels  428. 


vanEecke:  Beri-Beri  424. 656. 

Eibe:  Heredität  bei  Psychosen 
448. 

Eichhorst :  Neuritis  faacians 
424.  Verbreitungsweise  der 
Hautnerven  621. 

Eisenlohr:  acute  Polvneuritis 
80.  centrale  Kehlkopfläh- 
mungen 162. 

Erb:  Akromegalie  858.  Dys- 
troph, rouscul.  progr.  396. 
Deformation  u.  Ischias  689. 

Erlenmeyer :  Morphiomsucht 
94. 

Escherich:  Aphasie  nach  Ty- 
phus 284. 

Estor:  Myelitis  141. 

Eulenbnrg:  galvanischer  I^ei- 
tongswiderstand  304.  Beal- 
encyolopädie  386.  616. 

Exner:  Rindenfeld  des  Facialis 
43.  Schablone  des  Gehirns 
95. 

Falchi:  Histogenese  der  Re- 
tina und  des  Opticus  466. 

Farges:  Aphasie  284. 

Felkin:  Trepanation  246. 

F^r^ :  Nystagmusschwindel  bei 
Epileptikern  148.  sensorielle 
Erregungen  149.  Kn^  der 
Epileptiker  150.  EinbUdung 
u.  Delirium  806.  Andifcion 
color^e  807.  Epilepsie  308. 
Elektrisch.  Widerstand  308. 
Hysterische  Hemianästhesie 
398. 

Ferri:  criminelle  Irre  183. 

Ferrier:  Trigeminuslahmung 
167.  cerebrale  Hemianästhe- 
sie 244.  Trepanation  bei 
Himabscess  247.  (271)  (671). 

Field:  Othämatom  672. 

Finkeinburg:  (548).  Phren* 
asthenie  547! 

Finlayson:  Tumor  der  Med. 
oblong.  610. 

Fischl:  Aphasie  nach  Typhus 
284.    Paralys.  pvogr.  603. 

Flatow:  Tabes  499. 

Flechsig:  Leipziger  Iirenkh'nik 
151. 

Flesch:  Fissur,  parieto-oceipit. 
159.    Qlandul.  pineal.  537. 

Forel:  Hypnotismus  207.  Al- 
koholismns  895. 

Fomaiio :  Lokalisation  des 
Patellarreflexes  580. 

FränkelB.:  Sympathicuspara- 
lyse  361. 

Fränkel  (Pankow):  Sulfonal 
614. 

Fränkel  M.O.:  Verbreeher  39.^. 
Schädelasymmetrie  438. 

Fränkel  (Slagelae):  Hypnotis 
mus  209. 


—     693     - 


Fnui^oiB'Franck :  Einfloss  des 
Hirns  auf  Circalatdon  569. 

Francotte :  Hemiatropbie  der 
Zunge  578. 

Fibrom,  dar.  matr.  spinal. 
674. 

V.  Frankl-Hochwart :  Tetanie 
677. 

Franks:  Himtamor  609. 

Frew :  Cerebrospinabneningitis 
248. 

Friedenreicb :   Hypnotismos 
211. 

Frigerio:   Sitophobie  445. 
Riecbcentrom  452. 

Fritsob:  Simulation  von  Irre- 
sein 664. 

Fry:  Paramyoklonas  662. 

Fucbs:  bypuagogische  Halla- 
cination  131. 

Fürstner:  Simulation  geistiger 
Stömng  664. 

Fütterer:  Glycogen  in  Gehirn- 
rinde bei  Diabetes  538. 

Fanajoli:  Follia  a  qnattro  172. 

Futh:  symmetrische  Affection 
d.  Qliedmaassen  b.  Geistes- 
kranken 548. 

Gad:  Beactionszeit  für  Erre- 
gung und  Hemmung  537. 

G^tner:  Therapie  durch  Mus- 
kelarbeit 91. 

Garrod:  Arthritis  659. 

Gasperini:  Gesichtsneuralgien 
452. 

Gaule:  Kleinhirn  92. 

Gay:  Tabes  495. 

Gebhard:  secundäre  Degene- 
ration 161. 

Gerlier:  Schwindel  262. 

Gerstenberg:  (812). 

Gilbert:  multiple  Sklerose  51. 

Gilles  de  la  Toorette :  Hysterie 
Q.  Syphilis  ?81.  hysterischer 
Schlaf  479. 

GioYanni:  Hallucination  91. 

Girard:  Antipyrin  60. 

Giuffrä :  Erhasche  Lähmung 
108. 

Glax:  Neurosen  des  Magens 
677. 

Gley:  trophische  Störungen 
nach  Nervenreizung  420. 

Gluck:  Nervennaht  432. 

Godlee:  Acromegalie  359. 

Qoldflam:  Kniephänomen  bei 
Tabes  529.  556. 

Goldscheider:  Ataxie  u.  Mus- 
kelsinn  16.  Temperatursinn- 

Srüfung  133.     Einwirkung 
er  Kohlensäure  134. 
Goldstein:  complicirte Fractur 
des  Schläfebeins  550.  584. 
Gottstein :  Krankheiten  d.  Kehl- 
kopfs 456. 


Gowers:  Tumor  der  Mednlia,  |  Hoche:  Tuberculose  des  Cen- 


Ooeration  93. 

Graaenigo:  Acusticus  674. 

Grashey:  geminderte  Zurech- 
nungsfahigkcit  543.  (544). 

Grasset:  Myelitis  141.  Hyp- 
notismus  212.    Solanin  504. 

Giay:  Syphilis  des  Nerven- 
systems 174.  (672). 

Greene:  Cannab.  indica  lei 
Migräne  666. 

Greidenberg:  periodische  spi- 
nale L^mung  54. 

Greppin:  Gjigi'sche  Färbungs- 
methode 602. 


tralnerveusystems  17. 

HofiPmann  August  (Erlangen) : 
Halbseitenläsion  d  Rücken- 
marks 53. 

Hoffmann  (Heidelberg):  Tabes 
163.  Lähmung  des  N.  supra- 
scapularis  254.  Chorea  265. 
progressive  Muskelatrophie 
427.  Diffusionselektrode  585. 

Hogbeu:  Messingataxie  499. 

Homen:  Veränderung  im  Ner- 
vensystem nach  Amputation 
66.  Typhus  und  Nerven- 
affection  612.    * 


Grödel:  Herzaffection  u.  Tabes    Hoppe:  Tumor  der  Vierhügel 


496. 

Grünau:  Anstaltsbericht  61. 
684. 

Gucci:  Heilung  chron.  Psycho- 
sen 583.  Namen  der  Geistes- 
kranken 584. 

Guder :  gerichtliche  Medicin 
183. 

Guinon:  mercurielle  Hysterie 
146.    Maladie  des  tics  166. 

Guttmann  P.:  Reflexwirkuug 
auf  Athmung  seitens  des 
TrigeminuB  570. 

Guyon:  Neuralgie  der  Blase 
85. 


628. 

Horslev:  Laryngealmuskeln76. 
Bindencentren  76.     Tumor 

*  der  Medulla.  Operation  93. 
Hirnchirurgie  177.247.  Hirn- 
nerven motor.  Function  599. 
Function  der  Hirnrinde  622. 
(670)  (671). 

Hoven :  cerebrale  Kinderläh- 
mung 625. 

Huber:  Chorea  hereditaria 264. 
Morb.  Basedowii  680.  Allo- 
chirie  681. 

Hü  ekel:  Suggestion  214. 

Huet:  Kinderlähmung  471. 

Hughes:  Athetosis  bilateralis 
675. 

Hutchinson :  Sphincterenläh- 
mung  245. 

Hytten:  Hypnotismus  208. 


Hadden :    Acromegalie    859. 
Sarcom  der  Pia  spinalis  468. 

Haig :  Epilepsie  u.  Harnsäure- 
ausscheidung 127. 

Handford:  Neuritis  656. 

Hansen:  puerperale  Psychosen    Jackson   (Hugblings):    Hirn- 
637.-  tumor  114.  (200.  271). 

Haushalter:   Dystroph,   musc.  ,  Jacobi  Rud.:  Sensibilitätsphä- 
progr.  578.  |      nomene  168. 

Haycrafft:  Geschmacksem pfin-  i  Jacoby  (New  York):   Pseudo- 


hypertrophie  383.  670. 

Jakins:  Migräne  248. 

Jakowenko:    hinteres    Längs- 
bündel 566. 

Jappa:  Neuritis  425. 

im 


düng  598. 
Hayem :    Bückenmarkssympt. 

bei  Blenorrhagie  635. 
Hebold :  Tabes  25. 
H6ger:  criminelle  Irre  179. 
Heiweg:   vasomotor.    Nerven  !  Jastrowitz:    Localisation 

523.  Grosshim  230. 

Henschcn:Facialiskrampfl66.    Jawenko:    inducirtcs  Irresein 
Hermann:   Magnetwirkung  364. 

456.  ,  Jegorow :    Syiupathicus    und 

Herringham:  Ataxie  bei  Katzen  I      Vogelpupille  160. 

32.  I  Jehn:    Psychosen    und   Kopf- 

Herrmann  G.:   Bückenmarks-  j      Verletzung  548. 

entwickelung  330.  '  Jeudrässik :    Saggestion    281. 

Hess:  multiple  Sklerose  49.  321. 

Heusser:    Hypophysistumoren  |  Jennings:    Vergiftung    durch 

136.  ••    Atropin    179.      Vergiftung 

Hill:  Hirnnerven  520.  i      durch  Antipyrin  640. 

Hirsch:  Biograph. Lexicon  336.  '  Jensen:  Narbe  ioi  Gehirn  48. 
Hirt:   Pathologie  u.  Therapie        (334).      Hirngewichte    bei 

der  Nervenkrankheiten  688.        Geisteskranken  653. 
Hitzig    Kinästhcsiometer  249.    Jeffrey:  amyotrophische  Tabes 


283. 
577. 


progr.  Muskelatrophie 


309. 
Johansen:  Hypnotismus  209. 


-     694 


Jnda:  Tabes  23. 

Jadee:  Nerv  eneinflass  auf  Spei- 
chel 148. 

Jürgensen:  nervöse  Magen- 
krankheiten 676. 

Kager :  vasodilaiatorische  Cen- 
tren im  Rückenmark  448. 

Kahlden:  Tabes  21. 

Karewski :  Erythrophlaem  1 50. 
Kinderlähmung  472. 

Karger:  Tabes  22. 

Käst:  Aphasie  430.  Snlfonal 
449.  614. 

Kaufmann:  Balkcnmangel  47. 

Kelp:  Psychosen  im  Kindes- 
alter 502. 

Keniston:  Paraldehyd  684. 

KirD :  Psychosen  in  Einzelhaft 
397.  581.  Crhninalpsycho- 
logie  639. 

Knapp:  Railway  Spine  669. 

Knecht:  Lehrbuch  93.  Apha- 
sie 298. 

Knies:  Angenbefunde  bei  Epi- 
lepsie 394. 

Kny:  ParamyoklonuB  661. 

Koch  Paul:  Chorea  387. 

Koch  P.  D. :  H^notismuB  211. 
Hemiatrophie  der  Zunge  494. 

Koppen :  Froschgehirn  10. 
Albuminurie  bei  Geistes- 
kranken 428.  Chorea  bei 
Geisteskranken  476. 

Köster:  Nervendegeneration  u 
Nerrenatrophie  418. 

Kotlarewsky  Anna:  Nerven- 
zellen 14. 

Kowalewskv:  Epilepsie  90. 

Kräpelin:  Cjftisin  1. 

Y.  Krafft-Ebing:  Hypnotismus 
214.  Delirium  tremens  307. 
Psychosen  durch  sexuelle 
Abstinenz  476.  Bürgerliches 
Gesetzbuch  (544)  545. 

Krauss  (Attica):  Nervensystem 
von  Corydalus  cornutus  106. 
Karminfarbung  320.  diph- 
therische LuiDiung  490. 
Paraffinmethode  650. 

Krauss  Ed.:  Muskelpathologie 
571. 

Krömer:  Anstaltsbericht  60. 
616. 

Krönig:  Tabes  und  Wirbeler- 
krankung 497. 

Kronthal:    Heterotopie    im 
Bückenmark  97.     Syringo- 
myelie  832. 

Kusnezow:  künstliche  Hyper- 
ämie des  Hirns  567. 

Ijaborde:  Vaguskern  444. 
Ladame:  Hypnotismus,  foren- 
sische Bedeutung  214. 
Laffont:  Cooainwirkung  149. 


Landolt:  Tabes  31.  Wortblind- 
heit 605. 

LangendorfT  0. :  Lidschluss 
16.  Athembewegungen  45. 
Strychnindiabetes  184. 

Langgaard:  Sulfonal  451. 

Lannois:  Ohrenleiden  u.  psy- 
chische Störung  58. 

Laporte :  Sensibilität  bei  Chlo- 
rose 660. 

Laauer:  Aphasie  337. 

Ledere:  Hirntumoren  262. 

Legal:  Cephal.  pharyngo-tym- 
pan.  86. 

Legrouz:  AnÜpyrin  gegen  Cho- 
rea 92. 

Lemoine:  Epilepsie  59.  Anti- 
pyrin  175.  cerebrale  Ble- 
pnaroptose  245.  Conts-ac- 
turen  bei  Epileptikern  898. 
Hyoscyamin  64U. 

Lcntz:  criminelle  Irre  180. 

Leven:  Nervensystem  und  Er- 
nährung 31. 

Levin:  hered.  progr.  Muskel- 
atrophie 473. 

Levinstein:  Paralys.  progr.  27. 

Lewin:  Hayagift  117. 

Jjewin  (Russland) :  Nv.  vagas 
600. 

Lewin  A. :  Morbus  Basedowii 
678. 

Lcyden:  Polyneuritis  421.  Lo- 
oalisation  in  Hirnrinde  525. 

Liebreich:  Erythrophlaein  118. 
Anästhesie  276. 

Linden:  Hypnotismus  210. 

Lion:  multiple  Sklerose  51. 

Lloyd:  Basedow'sche  Krank- 
heit 454.  Bindenepilepsie 
671. 

Löwenfeld:  Tabes  19. 

Lombroso:  Verbrecher  398. 

Lothringer:    Hypophysls   132. 

Lucas-Championn^re:  Hysterie 
201.    Schädeleröffnung  455. 

Luokinger:  Aphasie  238. 

Lumbroso:  hysterische  Läh- 
mung 197. 

Lunz :  Nervenaifection  nach 
acuten  infectiösen  Processen 
80. 

Luys:  Opiophagie  173.  Hypno- 
tismus 206. 

Lytken:  Hypnotismus  208. 

JHao- Donald:  Criminalirren- 
anstalten  367.  Kali  hyper- 
manganicum  bei  Amenorrhoe 
666. 

Maccregor:  Tumoren  desPons 
630. 
I  Mackenzie:  Chorea  385. 

Mairet:  Antipyrin  149.  Alko- 
hol in  toxication  bei  Hunden 
310. 


Mallins:  intracranieller  Tumor 
631. 

Manasse:  Cysticercus  Thalam. 
opt.  618. 

Manz:  Neurit.  opt.  393. 

Marandon  de  Montyel:  Pyro- 
manie 59. 

Marchi:  Goll'sche  Stränge  452. 
Degeneration  nach  Entfer- 
nung des  Kleinhirns  652. 

Marfan:  Svncope  locale  84. 

Marie:  Aphasie  und  Agraphie 
232.  Hemiatrophie  der  Zunge 
494. 

Marina:    Paramvoklonus  663. 

Marro:  progr.  Paralyse  268. 
Peptonurie  bei  Paralyse  665. 

Martmotti:  Bückenmarksver- 
änderung  nach  Kleinhirn- 
affection  363.  Mikroskop. 
Technik  567. 

Martins:  Tabes  494.  Hemi- 
anopsie 526.  Peroneusläh- 
mung 644. 

Mathieu:  troj^h.  Störungen  420. 

May:  Kleinhimtumor  117. 

Mays:  The'ln  366. 

Meilhon:  Megalomanie  584. 

Mendel  E.:  Jackson'sche  Epi- 
lepsie 28.  Hemiatrophia 
facialis  401.  Erkrankung  des 
Nervensystems  bei  zwei  Ge- 
schwistern 431.  geminderte 
Zurechnungsfabigkeit  542. 
Bürgerliches  Gesetzbuch  544 
(334)  (547). 

Mendel  F.:  Ataxie  26. 

Mcrcandino:  Bücken marksver- 
änderungen  nach  Kleinhim- 
affection  383. 

Meyer  L.:  Intentionspsychosen 
682. 

Meyer  P. :  Ophthalmoplegie 
180. 

Michel:  Sehnervendegeneration 

und  Kreuzung  95. 
Middleton:  Pseudohypertropbie 

474.    Gliosarcom  des  rons 

630. 
Mierzejewski:  Amblyopia  cra- 

ciata  240. 
Mies:   Gehirngewicht  Neuge- 

bomes  551. 
Michl:  Hyoscin  n.  Hyoscyaiuin 

666. 
Mills:  Hirntumoren  115.  245. 

Cerebrospinalmeningi^  und 

multiple  Neuritis  424. 
Mislawsky :  Hirnoentren  f.  Be- 
wegung der  Blase  505.  fiir 

Speichelsecretion  553. 
Mitchell:  Tabes  oerricalis  497. 

Aneurysma  einer  anomalen 

Arterie  671. 
Moeli:   Lto  Verbrecher  Ibl. 

(334). 


695 


Moll   (Berlin):    Hypnotismofi 

269. 
Moll  (Utrecht) :  Anstaltsbericht 

667. 

V.  Monakow  (92). 

Monod:  Morvan'sche  Krank- 
heit 541. 

Mooren :  Occipitallappen  -  Er- 
krankung u.  Qesichtsstörang 
218 

Morseili :  Hirngewicht  857. 
538. 

Motet  (307). 

Mott:  Pemphigus  426.  Clarke*- 
8che  Säulen  520. 

Müller  Friedr.:  Tetanie  526. 

MüUer-Lyer:  Amblyopie  466. 

BTansen:  Nervenstructur  521. 

Nasse:  Paranoia  secundaria 
268. 

Naunyn:  Syphilis  des  Nerven- 
systems 394. 

Neisser :  Paranoia  originär. 
268. 

Neumann  H.:  Tabes  24. 

Neuraann  (Paris):  Facialisläh- 
mung  168. 

Nissl :  centrale  Nervenzelle  550. 

Nonne:  Tabes  163.  Hypnotis- 
mus  185.  226. 

Nothnagel  (277)  (279). 

Noyes:    Typenphotographie 
248. 

Nussbaum :  Ueber  den  Klang- 
stab 673. 

Obersteiner:  Cocain  und  Mor- 
phinismus 580. 

Ohmann-Dumesnil :  Hypertri- 
chosis  540. 

Oliver:  Tumor  der  Gauda 
equina  54.  Epilepsie  und 
Basedow'soheKranKheit  679. 

Ollivier  (179). 

Oppenheim :  Morbus  Basedowii 
29.  63.  Hemianopsie  243. 
Tabes  dorsalis  335.  Erkran- 
kung des  Sacraltheils  des 
Rückenmarks  389.  Hirn- 
symptome beiCarcinomatose 
527.  musikalisches  Yerständ- 
niss  bei  Anhasie  527.  juve- 
nile Muskelatrophie  527. 
combinirte  Erkrankung  der 
Rückenmarksstrange  im  Kin- 
desalter 647  (392)  (432)  (687). 

Ormerod:  hysterischer  Tremor 
200.  Friedreich'sche  Krank- 
heit 302.  Sarcom  der  Pia 
spinalis  468. 

Osler:  Hirntumor  246.  Epi- 
lepsie 269.  Raynaud'sche 
Krankheit  453.  Venöse  Stau- 
ung 454.  Gliom  der  Med. 
oblong.  524. 


Oston:  Aphasie  237. 

Ott:  Wärmecentrum  355.  669. 

Paget:  Aphasie  235. 

Pal:  Nervenfärbung  43.  vaso- 
dilatator.Centren  im  Rücken- 
mark 443.  Innervation  der 
Leber  444. 

Paneth:  Rindenfeld  des  Facia- 
lis 43. 

Parmentier:  Rückenmarkssym- 
ptome  bei  Blenorrhagie  635. 

Pasteur:  Sarcom  der  Pia  spi- 
nalis 468.  bulbäre  Kinder- 
lähmung 471. 

Pelman:  bürgerliches  Gesetz- 
buch 545.  Ministerialverord- 
nung  546. 

Penny:  locale  Schweisse  89. 

Petersen:  Hypnotismus  210. 

Petersen :  Muskelzuckungen 
(myographisch)  671. 

Petrazzoni:  Schlafmittel  59. 
Sitzungsbericht  451. 

Pianetta:  Idiotie  452. 

Pichon:  multiple  Delirien  171. 
Sebstörungen  bei  der  Hyste- 
rie 480. 

Pick:  Gutachten  174.  Locali- 
sation  der  Gehorshallucina- 
tionen  477.  epileptisches 
Irresein  477.  Reflexpsycho- 
sen 478. 

Picqu6 :  Pupillenbewegung 
455. 

Pillich:  Morphiumvergiftung 
149. 

Pitres-  Tabes  31.  Neuritis  79. 
309.  426.  hysterische  An- 
äsÜiesie  194.  Pseudotabes 
500.  künstliche  Neuritis  651. 
Paralys.  spinal,  ant.  681. 

Pittcairn:  Hyoscin  615. 

Pölchcn :  Gehirnerweichung 
nach  Kohlendunstvergiftung 
632. 

Pomorski:    Rankenneurome 
135. 

Popoff:  Rückenmark  nachAr- 
sonvcrgiftung  572. 

Porter:  Tabes  20.  Chorea  386. 

Preston :  atactische  Lateral- 
sklerose  499. 

Preyer:  Hypnotismus  202.  Bo- 
gengänge 261. 

Pugibet:  Lähmung  bei  Dysen- 
terie 469. 

Putnam:  Blei-Pseudotabes498. 
Blei  im  Urin  669. 

I|,uincke:  Muskelatrophie  bei 
Himerkrankungen  472. 

ttabbas:  Sulfonal  450. 
Rabjw:  Sulfonal  451. 


Rählmann:  sklerotische  Ver- 
änderungen der  Netzhaut- 
gcfasse  393. 

Ran  vier:  Venen  im  Sympathi- 
cus  260. 

Raymond:  Ephidrosis  des  Ge- 
sichts 475. 

Reboul:  Morvan'sche  Krank- 
heit 541. 

Reckless:  Tabes  20. 

R^gis:  Intervalla  lucida  172. 
Paralyse  und  Syphilis  503. 

Remak:  Trochlearisparese  5. 
Tabes  22.  Bulbärkem-Er- 
krankung  62.  Pachymenin- 
gitis  ccrvicalis  hypertrophica 
299.  Sympathicusparalyse 
360.  Athetosis  392.  (391) 
(392)  (647).  Peroneusläh- 
mung 643.    Neuritis  655. 

Rendu:  hysterische  Monoplegie 
200. 

Renvers:  Himlocalisation  610. 

Rezzonico:  Himporose  18. 
progr.  Paralyse  108. 

Ribot:  Psychologie  368. 

Rieger:  Hirnschädel  12.  Elek- 
tricitätslehre  95.  Aphasie 
239.  Lähmungen  und  Con- 
tracturcn  367.  Bewegungs- 
störungen 540. 

Rolland:  Jackson'sche  Epilep- 
sie 138. 

Roller:  Menstruation  b. Opiuni- 
und  Morphiumgebrauch  312. 

Rooseveldt:  Morb.  Basedowii 
453. 

Rosenbach  P. :  Nervenkrank- 
heiten 118. 

Rosenheim:  multiple  Neuritis 
81. 

Rosenthal  (Erlangen):  Wärme- 
production  381. 

Rosenthal  (Wien):  Hemiläsion 
des  Rückenmarks  52.  Hyste- 
rie 196.  Centrum  ano-vesi- 
cale  569. 

Ross:  sensible  Nervenverthei- 
hing  257. 

Rossbach :  Lymphwege  des 
Hirns  465. 

Rütimeyer:  hereditäre  Ataiie 
25. 

Rumpf:  Syphilis  142.  Phena- 
cetin  451. 

Rumschewitsch :  Hemianopsie 
242. 

Ruscheweyh:  Sulfonal  593. 

ISacchi:  Paralysen  durch  Ma- 
laria 634. 

Sachs:  Idiotie  56.  Schlaflosig- 
keit 665.  progr.  Muskel- 
atrophien  670.  671. 

Saint-Martin:  Einfl.  d.  Schlafe 
auf  Respiration  148. 


696 


Salomonsohn :  Weg  der  Ge- 
schmacksfasern 295. 

Samelsohn:  Sympathicns  552. 

Sander  W.  (334). 

Sandoz:  Syphil.  heredit.  143. 

Sarda:  Solanin  504. 

Bangster:  Pemphigns  426. 

Sanndby:  hypertonische  Para- 
lyse 308. 

Savage:  Lehrbuch  93.  Psy- 
chosen 178. 

Scaravelli:  Suggestion  213. 

Schäfer  (Leneench)  (543). 

Schäfer  (London):  Muskelsinn 
135.  Lokalisation  in  Hirn- 
rinde 229.  Function  der 
Hirnrinde  622.  Hinterhaupt-  i 
u.  Schläfelappen  623.  Elektr. 
Reizungen  etc.  623. 

Schaffer:  Lyssa  78.  , 

Schleisner:  Hypnotismus  211. 

SchlÖss :  Amylcnhydrat  504. 
Gehirn  eines  Aphasischen 
607. 

Schmalfuss  (312). 
Schmaus:  diffuse  Hirnsklerose 
626. 

Schmidt:  anthropologische  Me- 
thoden 640. 

Schnopfhageu:  Faltung  der 
Grosshimrinde  549. 

Schöler:  Erythrophlaein  118. 

Schönfeld  A.:  multiple  Skle- 
rose bei  Kindern  499. 

Schönfeldt  M.:  tiefe  Körper- 
temperaturen bei  Geistes- 
kranken 686. 

Schötz:  Riesenwuchs  360. 

Scholz:  Schlaf  u.  Traum  151. 
Irrenanstalt  695. 

Schotten:  Tetanie  678. 

Schrader :  Physiolog.  d.  Frosch- 
Gehirns  46. 

Schröter:  Corpus  callosum587. 

Schubert :    Blepharospasmus 
165. 

Schule  (544). 

Schütz:  acute  Myelitis  141. 

Aphasie  527. 
Schnitze  F.:  82.  Syringomye- 

lie  266.     Nervenaffectionen 

483.     Ophthalmopleg.   ext. 

460.  Entbindungsläbmungen 

675. 

Schwalbe:  Sulfonal  450. 
Schwarz:  Chorea  388. 
Schweder:  Ueberosmiumsäure 

bei  Epilepsie  332. 
S^e  (179). 

Seeligmttller:  Intercostalneu- 
ralgie  85.  Lehrbuch  152. 
Paramyoklonus  664. 

Seglas :  Melancholie  90.  com- 
binirte  Psychosen  806.  Ka- 
tatonie 581. 


Seguin:    Hemianopsie  242. 
Ophthalmoplegie  574.  (669) 
(669)  (670). 

Sehrwald :  Lymphwege  den 
Gehirns  465. 

Seil:  Hypnotismus  211. 

Semal:  criminelle  Irre  179. 

Semon:  Laryngealmuskeln  76. 

Senator :    periodische    Oculo- 
motoriuslähmung 55.    Myo-  I 
sitis  422.    Heerderkrankun-  i 
gen  des  Hirns  525. 

Seppilli:  Paramyoklonns  388.  ! 
partielle  Epilepsie  541. 

Sharkey:  Hemianopie  243.  Tu- 
mor des  Acusticus  631. 

Shaw:  peripher.  Nerven  bei 
Tabes  660. 

Shore:  Vagusnerv  521. 

Sibley:  Himabscess  248. 

Siemens:  Hirntumor  604. 

Siemerling:  Hirnsyphilis  here- 
ditäre 30.  Paralyse  d.  Frauen 
333. 528  (432).  Hysterie  mit 
Psychose  686. 

Sigaud:  Wortblindheit  240. 
Sigbicelli:  progr.  Paralyse  111. 

Galvanisat  der  Thyreoidea 

618. 

Silcock:  Syringomyelie  161. 
Simon:  Trauma,  Hallucinatio- 
nen  etc.  172. 

Singer:  Bückenmark  356. 
Skinner:  Seekrankheit  177. 
Smith-Shand:  symmetr.  Gan- 
grän 661. 

Suell:  Paralys.  progr.  502. 

SoUier  Alice:  Zahne  der  Idio- 
ten   57.      Sugp^estion    213. 

Genitalor^ane  bei  Idioten  683. 

Souza-Leite:  Chorea  169.  Mor- 
bus Basedowii  680. 

Sperling:  Hypnotismus  313. 
373.  413.  Lähmung  des 
Nerv,  suprascapularis  686. 
Peroneuslähmung  686. 

Spillmann:  Dystroph,  musc. 
progr.  578. 

Spitzka:  Delirium  grave  683. 
;  Spronck:  Rückenmark  857. 
'  Starr:  Hirntumor  453.    Oph- 
'      thalmoplejrie  573  (670). 
;  Steinach :    Temperatur-    und 
Drucksinn  830. 
Steiner:  Pathogenese  d.  Kram- 
pfes 550. 

Steiner  (Boseuberg):  symmetr. 
Gangrän  661. 

Stephan:  Tntentionstremor  49. 
posthemiplegischer  Tremor 
169.    Facialislähmung  579. 

Stewart:  Pachymeningitis  in- 
terna 114. 

Stölting:  Alexie  481. 


Strümpell:  progr.  Paralyse  u. 
Tabes  122.  Muskelatrophie 
und  amyotrophische  Seiten- 
strangsklerose  139. 

Suckling:  Migräne  und  Oculo- 
motoriuslähmung 56.  Kay- 
naud'sche  Krankn.85.  Klein- 
hirntumor 113.  Aphemie285. 
senile  Chorea  386.  multiple 
Neuritis  424.  Tabes  acuta 
497.  McBsing^taxie  499. 
Ophthalmoplegie  576.  Apha- 
sie 606. 

Sutton:  Nervensystem  352. 

Tambi'oni:  progress.  Paralyse 
110. 

Tamburini:  Katatonie  582. 

Taubner:  Himlipome  78. 

Terrien:  Trauma,  Ep':l  paie  q. 
Paralyse  502. 

Thierscn:  Himsyphilis  145. 

Thomas:  Strangurie  429. 

Thompson :  Hyoscin.  hydrojod. 
366. 

Thomsen :  traumatische  Beflex- 
paralvse  61.  528.  retrobul- 
bäre Neuritis  216.  alcohol. 
Augenmuskellähmung  574. 

Thomson:  Aphasie  233. 

Thorbum:  Cauda  c<\^^^  ^^ 

Thue:  Tumor  des  Thal.  opt. 
627. 

Tigges :  Hirngewicht  b.  Geistes- 
kranken 658. 

Toumeur:  Bückenmarksent- 
wickelung  330. 

Treitel:  Hemianop.  temporal, 
unilat.  241. 

Trzebinski:  Peripherische  Ner- 
ven-Bindegewebshyperplasie 
418. 

TukeHack:  Folie  ä  deux  363. 

Torner,  Ch. :  Syringomyelie  77. 

Turner,  J. :  Urin  bei  Psychosen 
89. 

Uhthoff:  Alcohol  und  Seli- 
Organ  83.  multiple  Sklerose 
und  Auge  642. 

ünger:  multiple  Sklerose  im 
Kindesalter  50. 

Un verriebt:  multiple  Himner- 
venlähmung  164.  Atbem- 
bewegungen  274  (279). 

üpsou:  Karminfarbung  819. 

Taillard:  Tabes  31.  Neuritis 
79.  309.  426.  Künstliche 
Neuritis  651.  Paralys.  spinal, 
ant.  681. 

Yenanzio :  Pleuritis  bei  Geistes- 
kranken 613. 

Yenturi:  transitorische  Psy- 
chosen 447. 


( 


697 


Vigouroox :  Morbus  Basedowii 
137.  Eleotrischer  Leitangs- 
widerstand  303.  Eleotrici- 
tat;  des  meDschlichen  Kör- 
pers 308. 

Vintscbgau:  Temperatur-  und 
Drucksinn  330. 

Vircho w,  H. :  Nervenzellen  29. 

Vitzon :  Sebsphare  597.  Kreu- 
zung des  Sehnerven  621. 

Vizioli:  Hemiatrophia  facialis 
452. 

Voisin:  Suggestion  213. 

Yolkmann :  Gliom  des  Rücken- 
markes 300, 

Waetzold:  Hirntumoren  525. 

Walitzkaja:  Psychometrie  bei 
Geisteskranken  636. 

Wallenberg:  cerebrale  Kinder- 
lähmung 382. 

Wallich:  Tabes  und  Knochen- 
brüche 498. 

Wälton :  Dislocation  der  Hals- 
wirbel 671. 


Warner:  Syphilis  145. 
Wassiljew :  Veränderungen  der 

Hypophysis  cerebri  625. 
Weizsäcker:  Tabes  20. 
Werner:  psychische  Contagion 

365. 
Wemieke :  Heerderkrankung 

d.  unteren  Scheitelläppchens 

607. 
Westphal:  Augenmuskeln  bei 

Ophthalmoplegie  431.  mul- 

tipleSklerose  576  (334)  (432). 

Kreis^uppe   des   Oculomo- 

toriuskems    686.     skleroti- 
scher Fleck  686. 
Wetterstraud:  Hypnotismus 

208. 

'  White    Haie :    Aphasie     285 
i      (272). 

Bewegungsanomalien  bei 
'      Kindern  675. 
Wiedersheim:  Himmodelle 

397. 
Wiglesworth :    Pachymeningi- 

tis  500. 


Wilda:  Gesichtsschwitzen  88. 

Wildermuth:  Idiotie  547. 

Will:  Atropin  u.  Hyoscyamin 
639. 

Wille:  Verwirrtheit  361. 

Willers:  Castration  bei  Neu- 
rosen und  Psychosen  60. 

Wilson:  Antipyrin  366. 

Wising:  Hirntumor  115. 

Witkowski:  Neurit.  multipl. 
82. 

Wolfenden:  Morb.  Basedowii 
138. 

Wollenberg:  psychische  Infec- 
tion  392. 

Kacher:   Chorea   hereditaria 
34. 

Zenner:  Geschinacksnerven- 
verlauf  457. 

Ziehen:  ehem.  Beizung  der 
GroBshimrinde  106.  Knie- 
Phänomen  264.  Myoklonus 
264.  Physiologie  der  sub- 
corticalen  Centren  429. 


Abasie  169.  384. 
AccessoriuB:  Anatomie  380. 

—  Physiologie  599. 

—  paralyse  360. 
Aconitin  667. 
Acusticus  631.  673.  674. 
Addisonsche  Krankheit  29. 
Agraphie  232. 
Akromegalie    358.     359    (2). 

360. 

Albuminurie  bei  Gtisteskran- 
ken  428. 

Alcoholiutoxication  bei  Hun- 
den 310. 

AlcoholismuB  Therapie  395. 

Alkoholneuritis  82.  83.  422. 
656. 

—  und  Sehorgan  83. 
cf.  Neuritis. 

Alexie  481.  509. 
Allochirie  681. 
Amblyopia  cruciata  240. 

—  exp.  Untersuchungen  466. 
Amenorrhoe  und  Psychose  660. 
Amnesie  236.  240. 

—  des  Gehörs  233. 

—  des  Gesichts  233.  240. 

—  der  Schrift  233. 

—  der  Sprache  233. 
Amputation,  Veränderung  da- 
nach iin  Nervensystem  66. 

Amylenhydrat  60.  176. 
Amvotrophie  cf.  Muskelatro- 
phie. 


in.  Sachregister. 

Amyotrophische    Lateral  Skle- 
rose cf.  Lateralsklerose. 
Anaesthesie,  locale  276. 

—  bei  Chlorose  660. 
Anaesthesia  optica  224. 
Anaestheticum :  Aconitin  667. 
Anencephalie  261. 

Angina  pectoris  260. 
Angst,  Tod  durch  475. 
Anstalt  cf.  Irrenanstalten. 
Anthropolog.  Methoden  640. 
Antipyrin:  Wirkung  auf  Ner- 
vensystem 624. 

—  auf  therm.  Centren  60. 

—  auf  Thierkörper  353. 

—  gegen  Chorea  92. 

—  gegen  Seekrankheit  96. 
->  als  Schlafmittel  t49. 

—  bei  Epilepsie  175. 

—  Vergiftung  179,  640. 
~  als  Analgeticum  366. 
Aphasie    232.    233.    284    (2). 

235  (2).  237  (2).  238.  239  (2). 
240.  337.  397.  430.  527.  606. 
607. 

Aphemie  235.  606. 

Arachnoidfa:  Osteophyten  48. 

Arsenik,  Einfluss  auf  Rücken- 
mark 572. 

Arthralgie,  hysterische  199. 

Arthritis  rheumatioa,  nervöser 
Ursprung  659. 

Arthropathien  bei  Tabes  19. 
20  (8).  21. 


Asphyxie,  locale  cf.  Raynauds 

Krankheit. 
Astasie  169.  384. 
Ataxie  beim  Esel  248. 

—  und  Muskelsinn  16.  19. 

—  hereditäre  25.  302. 

cf.    Friedreichsche    Krank- 
heit. 

—  bei  Bulbärlähmung  26. 

—  cerebellare  bei  Katzen  32. 

—  spastische  801. 

—  und  Lateralsklerose  499. 

—  nach  Diphtherie  80. 

—  nach  Scharlach  311. 

—  bei  Bleivergiftung  498. 

—  bei  Messingarbeiten  499  (2 ) . 

—  bei  Thalamustumoren  526. 
Atfaembewegungen ,    Innerva- 
tion 45. 

—  Mechanismus  274. 
Athetose  bei  Tabes  19. 

—  392. 

—  doppelseitig.  469.  675. 
Atropm  639. 

Audition  coloröe  307. 
Auge,  Lähmung  der  Convcr- 
genzbewegung  bei  Tabes  31. 

—  und  AlcohoUsmus  83. 
Augenmuskeln   bei  AlcohoUs- 
mus 84.  574.  576. 

—  bei  Ophthalmoplegie  431. 
cf.  Ophthmaloplegie  und  ein- 
zelne    Augenmuskelner- 
ven, Oculomotorius  etc. 


698    — 


BalkeD,  Maogel  desselbeu  47. 

—  Erweichaog  47. 

—  abnorme  Kürze  537. 
Basedow'sche  Krankheit   29. 

137  (2).  138.  304.  453.  454. 

455.  678.  679.  680  (2). 
~  und  Ophthalmoplegie  572. 
Beri-Beri  424.  656. 
BewegangsstÖmogen  540. 
Biographisches  Lexicon  886. 
Blase,  Neuralgie  derselben  85. 

—  Himccntmm  für  Bewegun- 
gen derselben  505. 

cf.  Sphincter. 

Blei  im  Harn  669. 

Bleiataxie  498. 

Bleiintozication  427. 

Bleilähmung  98. 

Blepharoptose,  corticale  245. 

Blepharospasmus  165. 

Bogengänge,  Physiologie  261. 

Brachialplexus,  Lähmung  108. 
109. 

Brown  •  S^quard'schc  Halb- 
seitenläsion  cf.  Rücken- 
marks-Pathologie. 

Bulbärkemerkrankung  62. 

Bulbärparalyse,  acute  810. 

Calorimetrischc  Untersuchnn- 

gen  381. 
("annab.  indica  gegen  Migräne 

660. 
('arcinom,  Hirnsymptome  da- 
bei 527. 
Cauda  cquina  Tumoren  54. 

-  Verletzungen  802. 
(>entren,  subcorticale  429. 

cf.  Lokalisation. 
Centram,  ano-vesicale  569. 
(-ephalalgia    und   Hamsäure- 

ausficheidung  130. 
('ephalalgia  pharyngo.  tympa- 

nica  86. 
(*erebellum  cf.  Kleinhirn. 
<'ervicalnerven  Pbysiolog.  600. 

—  Lähmung  des  5.  u.  6.  109. 
Chiasma,  nerT.  opt.  95.  242. 

621. 

—  Längbtheilung  durch  Aneu- 
rysma einer  anomalen  Ar- 
terie 671. 

Ohloralschlaf  und  Respiration 
148. 

—  Anwendung  365. 
Chloroformschlaf  und  Respira- 
tion 148. 

(Cholesteatom  im  Hirn  858. 
(vhorda  tympani  295.  ! 

Chorea  major  169. 
C'horea  385.  387.  675. 

—  hereditaria  bei  Erwachse- 
nen 84.  264.  265.  I 

--  imitatorische  888.  i 

—  senile  886.  i 

—  posthemiplegica  169. 


Chorea,  Aetiologie  886. 

—  schnell  tödtliche  886. 

—  bei  Geisteskranken  476. 

—  Antipyrin  dagegen  92. 

cf.   Hemichorea,  Paramyo- 
olonus  u.  8.  w. 
Chromoleptische  Substanz  83 1 . 
Circuläres  Irresein  445. 
Clarke'sche  Säulen,  Anatomie 

75. 

—  comparative  Anatomie  521. 
Cocain,  Wirkung  149. 

—  Vergiftung  150.  580. 
Coffein :  Einfluss  auf  psychische 

Vorgänge  107. 

Conjugirte  Deviation  cf.  De- 
viation, conjugirtc. 

Conta^on,  psychische  365 
cf.  Psychosen,  iuducirte. 

Contracturen  297. 

—  Behandlung  867. 
Corpora  quadrigemina  Tumor 

628. 
Corpus  callosum  of.  Balken. 
Corpus  striatum  Sarkom  245. 

—  Wärmecentrum  355. 
Corpus  trapezoides  547. 
Criminelle  Irre  179.  180.  181. 

183.  689. 
cf.  Irrenanstalten. 
Cysticercus  im  Thalamus  618. 

—  im  Hirn  630  (2). 
Cytisin  gegen  Migräne  1. 


egeneration,  secundäre,  des 
Hirnschenkels  108. 

—  vom  Pons  aus  161. 

—  im  Rückenmark  300. 
Degenerative     Qeistesstörung 

90. 
Degenerirte  hereditäre  445. 
Delirium,  erotisches  170. 

—  grave  683. 

—  hystericum  198. 

—  der  Negation  90. 

—  traumaticum  u.  nervosum 
478. 

—  multiples  bei  denselben  In- 
dividuen 171. 

—  und  Einbildaugskraft  306. 
Delirium   tremens,  Methylal- 

injection  307. 
Dementia.  Hirn  dabei  48. 
Deviation,  conjugirte  derAugen 

607.  610.  624. 
Diabetes  insipidus  144. 

—  Glycogen  m  Grosshirnrinde 
588. 

Diapason  Vertex  674. 
Diffusionselectrode  585. 
Diphtherie,  multiple  Sklerose 

danach  499. 
Diphtherische  Lähmung  490. 
Dispositionsfähigkeit  172. 

cf.  Forensische  Fälle. 
Drucksinn  Zeitmessung  830. 


Dura  mater  spinalis   Fibrom 

674. 
Dysleiie  88.  63.  68. 
Dystrophia  musc.  progr.  3b3. 

396.  397.  473.  474.  527.  577. 

578.  670.  671. 

cf.  Muskelatrophie  und  Po- 
lymyositis progr. 
Dystrophie     des    subcutanen 

Binoegewebes  der  Arme  und 

des  Rückens  670. 

Kchinococous  des  Rfickenmar- 

kes  303. 
Electricitätslehre  95. 
— -  Acusticus  674. 

—  bei  Morb.  Basedowii  137. 

—  des  menschlichen  Körpers 
308. 

—  bei  Tetanie  677. 

—  bei  Thomsen'scher  Krank- 
heit 679. 

—  Leitungswiderstand     803. 
304.  808. 

Electrotherapie  585.  613.  614. 
Eucophalomalacie  nachEohlen- 

dunstvergiftung  632. 
Entartungsreaction,  faradische 

645.  647. 
Entbindungslähmungen  675. 
Ependymgranulation  571. 
Ephidrosis  des  Gesichts  475. 

Epilepsie:    physiol.   Patho- 
logie 277.  429.  550. 

Symptomatologie. 

—  Perversion  des  Geschlechts- 
sinns  90. 

-  Genitalien  688. 

—  centrale  Temperatur  110. 

—  Nystagmus  148  (2). 

—  Dynamometer  150. 

—  Athmung  308. 

~  Augenbefund  394. 

—  Contractur  398. 

—  -  sensitive  477. 

-  Worttaubheit  als  Aura  477. 

-  Inesein  478. 

Aetiologie. 

-  Herzaffection  59. 

—  HamsäureauBscheidnng 
127. 

—  Basedow'sche    Krankheit 
679. 

Path.  Anatomie. 

—  Hirnrinde  452. 

Therapie. 

—  Chirurg.  Behandlung  113. 
247. 

—  Antipyrin  175. 

-  Nitroglycerin  269. 

—  Ueberosmiumsääure  332. 

—  Galvanisation  der  Thyreoi- 
dea 613 

Epilepsie  corticale  cf.  Jsck- 
sonsche  Epilepsie. 


—    699 


Epileptische   AnföUe,    Patho- 

geoese  277. 
Erb'sche  LähmuDg  108.  109. 

675. 
Ergostat  91. 

EriDDerangsfalschangen  268. 
ErythrophlaeiD  117.  150. 

Facialis,  Rindenfeld  43. 

—  Ceotrum  245. 

—  Anatomie  599. 

—  iutracraniclle  Verletzung 
459. 

—  Krampf  165.  166. 

—  Lähmuog  168. 

bei  Felsenbeinfractui  CD 

579. 
bei  Neogebornen  579. 

—  Farbenempfindafigen   307. 
Fieber,  hysterisches  201. 
Fissora  parieto-occipitalis  159. 
Folie  ä  deux  cf.  Psychosen  in- 

dncirte. 
Forensische  Mediciu  und  Hyp- 

notismns  214. 
Forensische  Psychiatrie    172. 

174.    180.    181.    183.    367. 

398.  400.  542.  544. 

—  Simulation  von  Geistes- 
krankheiten 664  (2) 

Frledreich'sche  Krankheit  25. 

26.  273.  302. 
Froschgehim,  Anatomie  10. 
Fussklonus  478. 

cf.  Sehnenreflexe. 

i4unglienzelldn  -  Strnctnr  521. 
550. 

—  in  peripherischen  Ganglien 
14. 

--  Vacuolisation  261. 

—  Granula  in  denselben  29. 

—  Gangrän,  symmetrische  cf. 
Raynaud'sche  Krankheit.      | 

(iaoltheriaol  269. 

GühÖrshallucinationen  u.  Ohr- 
erkrankung 612. 

Geisteskranke ,  Namen  der- 
selben 584. 

Genitalien  bei  Idioten  n.  Epi- 
leptikern 684. 

Ge.sohlechtssinn ,  Perversion 
bei  Epileptischen  90. 

Geschraacksempfindnng  598. 

Geschmacksfasern,  Weg  zum 
Gehirn  295.  457.  549. 

Gesetzbuch,  bürgerliches  544. 

Glandula  pinealis  537.  621. 

rUandula  nituitana,  Abscess 
628.    Adenom  248. 

—  Carcinom  262  (2). 
Glossopharyngeus  Physiologie 

599. 
Glycogen    in   Capi Ilaren    der 
Grosshirnrinde  bei  Diabetes 
538. 


Golgische  -  Färbungsmethode 
602. 

Goirsche  Stränge,  Erregbar- 
keit 155. 

—  Faserverlauf  452. 
Gonorrhoe :     Rückenmarkser- 
scheinungen danach  635. 

Grave's  Krankheit  cf.  M.  Base- 

dowii. 
Gustation  coloree  307. 
Gyr.  angularis  623. 

—  und  Sehcentrum  229. 

—  und  Blepharoptose  245. 

—  und  Woilblindheit  351. 
Gyr.  centralis  Tumoren  231. 

Hallucination  91.  172. 

—  hypnagog.  131. 
Halswirbel,  Dislocation  671. 
Harnsäure  und  Epilepsie  ^ind 

Kopfschmerz  127. 
Hautnerven ,    Yerbreitungs- 

weise  621. 
Hayagift  117. 
Hemiachromatopsie  605. 
Hemianästhesie,  cerebrale  244. 

627. 

—  hysterische  398. 
Hemianopsie   219.   232.    242. 

243.  481.  509.  526. 

—  temporale  241.  242.  243. 
~  bitemporale    durch   Aneu- 
rysma 671. 

Hemiatrophia  facialis  401. 452. 
579. 

—  der  Zunge  494.  578. 
Hemichorea  389. 
Hemikranie  56.  248. 

cf.  Migräne. 
Hemiläsion  des  Bückeumarkes 

52.  53. 
Hemiplegie :  ^osthemiplegischo 

BeizerscheinuDgen  169. 
Heredität  cf.  Psychosen. 
Herpcs  digitalis  88. 
Herpes  zoster  87. 

Hirn,  Schablone  95. 

Anatomie. 

—  Gewicht  48.  367.  538.  551. 
cf.  auch  Psychosen. 

—  Präparirung  353.  650.  671. 

—  Härtung  432. 

—  Lymphwege  465. 

—  Mikrophotographie  549. 

—  Technik  567. 

—  Modelle  397. 

—  des  Frosches  10. 

Physiologie. 

—  des  Froschgchims  46. 

—  Transfort  147. 

Path.  Anatomie. 

—  bei  Idiotie  58. 

—  Lipome  78. 

cf.  Hirnabscess,   Tumorcu, 
Cysticercus  etc. 


Hirn:  patholog.  Anatomie. 

—  Brweichungsheide  610. 
cf.  Encephalomalacie. 

—  Plaques  jaunes  633. 

Therapie. 

—  Chirurgie  der  Hirnkrank- 
heiten 111.  177. 

cf.  Trepanation. 
Hirnabscess  beim  Schaf  248. 

—  Trepanation  112.  247.  685. 
Hirndruck  112. 
Hirnerkrankung  und  Mnskel- 

atrophie  472. 
Hirnmantel,  Entwicklung  428. 
Hirnnerven,  Gruppirung  520. 
Hirnner venlähmung,  inultiple 

164.  549. 
Hirnporose  18. 
Hirnrinde,  motor.  Feld  14  622. 

—  Gliose  601. 

—  Localisation  in  derselben 
cf.  Locali&ation. 

—  bei  Idiotie  57. 

—  Dicke  bei  Geisteskranken 
539. 

—  Faltung  derselben  549. 

—  Reizung  u.  Einfluss 
auf  Circulation  569. 

Himschenkel:  secundäre  De- 
generation 108. 

Hirnsklerose,  diffuse  626. 

Hirnstichwunde  17. 

Hirnsymptome  bei  Carcinose 
527. 

—  bei  eitriger  Pleuritis  633. 
fiirnsyphilis  30. 145. 174.  243. 

cf.  Syphilis. 
Hirntumoren   112.   114.    115. 

116.    117.    245.    246.    262. 

358.    453.    468.    469.    525. 

604.    609.    631. 

cf.  die  einzelnen  Theile  des 

Hirns,  Corp.  striat.  u.s.w. 

Huntington'sche  Chorea  264. 

265. 
Hydrooephalus  internus  143. 
Hydroxylamin  651. 
Hyoscin  615.  666. 
Hyoscyamin  639.  640.  666. 
Hypertonische  Paralyse  270. 

308. 
Hypertrichose  14^.  540. 
Hypnotica'  59. 
flypnotisraus    185.    202.  203. 

206.  207  (2).  208. 2 12.  213(3). 

214(3).  216.  226.  269.  281. 

313.  321.  336.  373.  395.  413. 

cf.  auch  Suggestion. 
Hypoglossus,  Physiologie  599. 

—  Atrophie  494. 

—  Paralyse  360. 
Hypophysis,  Anatomie  132. 

—  Tumoren  136.  358. 

—  pathol.  Veränderungen  625. 
Hysterie  212.  214.374.  414. 

—  Wesen  derselben  196. 


—     700     ~ 


Hysterie:  Symptomatologie. 

—  Amaarose  149. 

—  SehstÖrangen  480. 

—  Anästhesie  194.  201. 
-  HemiaDästhesie  398. 

—  Aithralgie  199. 

—  Tremor  200. 

—  Maladie  des  tics  166. 

—  Lähmangen  197. 

—  Monoplegie  200. 

—  Ophtbalmoplcgie  572. 
--  Ddirium  198. 

—  Fieber  201. 

—  Schlaf  479. 

Aetiologie. 
~  meronrielle  146. 

—  Syphilis  201. 

—  Bleivergiftung  202. 

—  beim  Knaben  213. 

—  beim  Manne  201. 

—  Iherapie  213(2). 

—  anatomischer  Befnnd   687. 
Hystero- Epilepsie  213  (2).  314. 

372.  375.  377. 

Jackson'sche    Epilepsie    und  ' 
Psychose  28.  138.  541.  671.  . 

I 
Idiotie,  Psychosen  dabei  452.  i 

—  Musiksinn  547. 

—  Genitalien  683. 

—  Zähne  57. 

—  Aetiologie  58.  , 

—  pathol.  Anatomie  56.  57.    i 
Imbccillität,  Selbstmord  dab<i  i 

58. 
— -  u.  progr.  Paralvse  111. 

Psychosen  dabei  452.     i 

Inducirtes  Irresein 

cf.  Psychosen,  indocirte.       i 
1  nfectionskrankbeiten ,    A  fiec- 

tionen  d.  Nervensystems  80.  ' 

—  Neuritis  danach 
cf.  diese. 

Intentionsnystagmus  437. 
Inteutionspsychosen  682. 
I  utentionszittern,  Genese  49.    ' 
1  nterco8talnerven,Neuralgie85. 
Intervalla  lucida  172. 
Irrenanstalten»  Berichte  61(2). 

64.  305(3).   812.   616.   667. 

668.  684. 

—  criminelle    179.  180.    181.  ' 
183.  867. 

—  Choleraepidemie  in  Irren- 
anstalten 616. 

—  Wachtabtheiluugen  685. 
Ischiadicus,  Le wasche w'sches  | 

Experiment  421. 
Ischias.  Deformation  des  Stam-  ! 
mes  danach  658.  689. 

Kali    hypermangauicum    bei 
Psychosen  mit  Amenorrhoe  , 
666. 

Kataphorese  586, 


Katatonie  581.  582. 
Kathetometer  bei  Eraniometrie 

352. 
Kchlkopflähmung,  centrale 

162. 

—  und  Nervenerkrankung  456. 
Kephalometrie  292. 
Kiiiästhesiometer  249.  283. 
Kinderlähmung  u.  progr.  Mus> 

kelatrophie  140. 

—  bulbäre  471. 

—  cerebrale   path.    Anatomie 

382.  625. 

—  spinale  halbseitige  471. 

—  Gelenkcontracturen  472. 
Klangstab  673. 
Kleinhirn»  Anatomie  92. 

—  Physiologie  149. 

^  und  Bewegungs Vorstellun- 
gen 13^ 

—  Tumoren  113.  117. 

—  Rückenmarksverändernn- 
g<  n  bei  Kleinhirn affectionen 

383.  652. 
Kleinhirnschenkel ,     vorderer, 

Bestandtheile  597. 
Kniephänomen  264. 
cf.  Sehnenrefleze^Westphar- 
sches  Zeichen. 

—  Ijokalisation  580. 

—  Percussionsschall  dabei  635. 
Körpertemperatur,   tiefe,  bei 

Geisteskranken  636. 
Kopfschmerz  cf.  Ccphalalgie. 
Kiaftsinn  285. 
Krampf,  Pathogenese  550. 
Kraniometrie  292.  812.  352. 


Längsbündel,  hinteres  566. 
Laryngeus  recurrens  76. 
Larynxmuskeln  76. 
LateraLiklerose ,     amyotrophi- 
sche 140. 

—  atactißche  499. 

Leber,  Innervation  derselben 
444. 

Leitungswideratand ,  electri- 
schcr  303.  804.  308. 

Leptomeningitis,  tubercnlöse 
17. 

Lichtrciz,  Leitungsbahn  zum 
.( )v'.ulomotoriu8  380. 

Lidbcbluss,  einseitig  u.  doppel- 
seitig 16. 

Lobi  cf.  auch  Gyn. 

L)bu8  frontalis,  Tumor  231. 

Lobus  occipitalis  623. 

—  u.  Gesichtsstörungen  218. 
liob.  parietalis  infer.  240.  607. 
li'>bus  temporalis  628. 

Hörcentrum  230.  626. 
Worttaubheit  351. 
-  Gliom  115. 

—  Abscess  526. 

—  Tumor  262. 


Localisation: 

—  im  Hirn  525.  610. 
für  Wftrme  353.  355. 

—  in    Hirnrinde    76.   (622. 
623.  Affe). 

för  psychomotor.  Cen- 
tren 3H1. 
für  Arm  (Affe)  76. 

—  —  f.  Bewegung  der  Harn- 
blase 505. 

—  —  für  conjugirte  Augen- 
.  ab  weichung  607.  610.  624. 
für  FaciaUs  48. 

—  —  für  Farbensinn  605. 

—  —  für  GehörBhallncination 
477. 

für  HautempfinduDgen 

622.  623.  669. 
fürHören230.526.626. 

—  —  für  Lev.  palpebr.  sup. 
24'> 

für  Riechen  452. 

für  Sehen  218.229.232. 

597. 

f.  Speichelsecretion  564. 

für   Sprache  234.  235. 

337.   526.  607. 
für  Wortblindheit  240. 

—  im   Rückenmark,   Cen- 
trum generandi  335.  389. 

Centrum    ano  -  yesicalc 

569. 

Kniephänomen  580. 

Lymphwege  des  Gehirns  465. 
Lyssa  78. 

Riagenneurosen  676  (2). 
Magnetwirkung  456. 
Mal  perforant  142. 
Maladie  des  Tics  166. 
Malaria,  Paralysen  danach  634. 
Mania  Hyosc.  hydrob.  366. 
Massage  175. 
Mastzellen  422. 
Medianus,  Verästlung  443. 

—  Lähmung  169. 
MeduUa    oblongata,    Hämor- 

rhagie  524. 

—  Querspalt  687. 

—  Gliom  524. 

cf.  Bulbärparalyae. 
Megalomanie  584. 
Melancholie  mit  Delirium  d«r 

Negation  90. 

—  mit  Nahrungsverweigerung 
172. 

Meniere'sche  Symptomenconi- 

plexe  631. 
Meningitis  cerebrospuialis  24  s 

424. 

—  chronica  145. 

cf.  Leptomeningitis. 
Menstruation  bei  Opium  uod 

Morphium   beeinflnsst  311 
MerydsmuB  470. 
Mesaingataxie  499  (2). 


701 


Metalloscopie  206. 
Meihylal  60.  307. 
Migräne,  Cytisin  1. 

—  Massage  176. 

—  Cannab.  indica  666. 
cf.  Hemikranie. 

Mikropbotographische  Präpa- 
rate 549. 

Mikropsie  bei  Hysterie  480. 

MoDoplegia  bracblalis  nach 
Typhus  82. 

—  hysterica  200. 
Moralisches  Irresein  90. 
Moria  231. 

Morphinismus  94.  580. 
Morphium,  Chemie  184. 

—  EinfluBs  auf  Menstruation 
312. 

—  Anwendung  365. 

—  Schlaf  und  Respiration  bei 
Morphium  148. 

Morphiumvergiftung  und  histo- 
logische Veränderungen  149. 

Morvan'sohe  Krankheit  541. 

Motorische   Kegion   in    Hirn- 
rinde 231. 
cf.  Localisation. 

Muscul.  supraspinat.  u.  infra- 
Spinat.,  Function  257. 

Muskelarbeit  als  therapeuti- 
sches Mittel  91. 

Muskelatrophie  670.  671. 
cf.  Dystroph,  musc,  Kinder- 
lähmung, Poliomyelitis. 

—  neuritische  bei  Tabes  (cf. 
Tabes)  22.  309. 

—  und  piogr.  Paralyse  HO. 

—  progr.  spinale  139.  427. 
Diagnose  577  und  Kinder- 
lähmung 140. 

—  bei  Gehirnerkrankungen 
472. 

—  nicht  progressive  473. 

—  hereditäre  progressive  473. 

—  an  oberer  Extremität  657. 

—  nach  Tenotomie  und  Neu- 
rotomie  571. 

—  nach  acutem  Rheumatis- 
mus 658. 

—  bei  Morb.  Basedowii  680. 
Muskelkrämpfe    idiopathische 

663. 

cf.  Paramyocionus. 
Muskelsinn  232.  249. 

—  und  Ataxie  16. 

—  bei  Tabes  19. 

—  Wahrnehmung  eigner  pas- 
siver Bewegungen  durch 
denselben  135.  289. 

MuskelzuckuDgen,  Myographie 

646.  671. 
Hyelitis  acuta  141. 

—  cervicalis  141. 

—  disseminata  nach  Masern 
52. 

—  bei  Lyssa  78. 


Myoklonus  264. 
cf.  Paramyoklonus. 

Myositis  multiple,  bei  Neuri- 
tis 422. 

STahrungsverweigerung  96. 

172.  445. 
Nerven ,    peripherische ,   Ver» 

änderung  nach  Amputation 

66. 

—  trophische  Störungen  na -h 
.  Reizung  420. 

—  Inoculation   mit  Wuthgift 
279. 

—  Bindegewebshyperplasie  in 
denselben  418. 

—  degenerative  Atrophie  4 IH. 

—  Varicositäten  420. 
Nerven,  myästhetische  135. 

—  sensible,   Einwirkung   der 
Kohlensäure  134. 

—  Vertheilung  derselben  257. 
cf.  Hautnerven. 

—  vasomotorische  523. 

cf.  im  Uebrigen  unter  Ac- 

cessorius,  Oculomotorius  etc. 
Nervengewebe,Karminfärbung 

319. 
Nervenkrankheiten,  Pathologie 

und  Therapie  688. 
Nervennetz  432. 
Nervenröhren,  Structur  521. 
Nervensystem,   centrales,  Tu- 

berculose  17. 

—  congenitale  Veränderungen 
687. 

—  und  Ernährung   des   Kör- 
pers 31. 

—  nach  Infectionskrankheiten 
80. 

—  desCorydalus  comutus  106. 

—  und  Darmcanal  352. 

—  bei  Erkrankungen  von  Ge- 
schwistern 431. 

—  Härtungsverfahren  432. 

—  Künstlich  erzeugte  Hyper- 
ämie 567. 

Nerven  wurzeln,  hintere,  Ana- 
tomie 75. 

Nervenzellen 
cf.  Ganglienzellen. 

Netzhautgefasse,   sklerotische 
Veränderungen  893. 

Neuralgie  der  Blase  85. 

—  der  Intercostalnerven  85. 

Neuritis  655. 

—  durch  Aetherinjection  79. 

—  durch    Alkohol,   künstlich 
651. 

—  durch    Bacilleninoculation 
79. 

—  nach  acuten  infectiösen  Er- 
krankungen 80.  82.  656. 

—  bei  Wundtetanus  809. 

—  multiple  80,  81.  419.  421. 
423.  424  (2).  656. 


Neuritis,  multiple  Alkohol-  82 
83.  422.  656. 

—  Myositis  dabei  422. 

—  bei  Rheumatismus  acutus 
658. 

—  bei  Rheumatismus  chron. 
426. 

—  bei  Tuberculose  425. 

—  bei  Pemphigus  426. 

—  bei  Tabes  ct.  Tabes. 

—  retrobulbäre,hereditäre216. 

—  fascians  424. 

—  u.  Rückenmarkserkrankung 
427. 

—  des  Vagus  bei  Paralyse  452. 

—  apoplectiformes  Einsetzen 
657. 

~  interstitialis  prolif.  trigem. 
405. 

—  optica  393. 

—  radialis  406. 

—  des  Plexus  brachialis  658. 
Neurom,  Rrankenneurom  135. 
Neurose   durch   sexuelle    Ab- 
stinenz 476. 

—  des  Magens  676  (2). 
Neurotomie,  Einfluss  auf  Mus- 
keln 571. 

Nierenerkrankung  u.  Nerven- 
system 669. 
Nodus  cardiacus  444. 
Nymphomanie  170. 
Nystagmus  437. 

—  bei  Epilepsie  148. 

Oculomotorius,  Bahn  vom 
Lichtreiz  aus  380. 

Oculomotoriuskem ,  Atrophie 
der  Westphal'schen  Zellen- 
gruppe 619. 

—  Kreisgruppe  686. 
Oculomotoriuslähmung  55.  HB. 

88.  180. 

cf.  Ophthalmoplegie. 

Olfaction  color^e  307. 

Olive,  obere  5. 

Onomatomanie  446. 

Ophthalmoplegie  180.431.460. 
572.  573. 574  (2).  575. 576  ( 2 ). 

Opiophagie  173. 

Opium,  Einfluss  auf  Menstru- 
ation 312. 

Opticus,  Atrophie  242. 

—  bei  Geschwistern  431. 

—  Degeneration  u.  Kreuzung 
95. 

—  Histogenese  466. 

—  bei  chron.  Alkoholismus  88. 

—  Faserkreuzung  621. 
cf.  Chiaama. 

Othämatom  307.  551.  672. 

Pachymenin^tis  cervicalis 

hypertrophica  299. 
Pachymeningitis  interna,  Tre* 

panat.  114. 


702 


Pachynieningitis  bei  Psychosen 
500. 

PanaritiTim  analgeticnm  541. 

Papilla  nv.  optici  ef.  Opticns. 

Paraldebyd  684. 

Paralyse,  in  Folge  von  Dysen- 
terie 469. 

—  auf  infectioser  Basis  470. 

—  in  Folge  von  Malaria  634. 

—  diphtherische  490. 

—  hypertonische  270. 

—  dnrch  Mikroben  309. 

Paralyse,  progressive  29. 

Symptomatologie. 

—  mit  progressiver  Muskel- 
atrophie  110. 

—  -  bei  einem  epilept-Imbecillen 
111. 

—  Aphasie  und  Schriftblind- 
heit 239. 

—  Peptonnrie  268.  675. 

—  Lungenentzündung  452. 

Aetiologie  27. 

—  Syphilis  27.  503. 

—  bei  Mädchen  von  13  Jahren 
122. 

-  bei  17 jähr.  Knaben  145. 

—  bei  Frauen  333.  528. 

—  Trauma  502. 

—  Häufigkeit  502. 

—  Tabes  503. 

Path.  Anatomie 
108.  143.  145.  608.  668. 

—  mit  Porencephalie  331. 

—  Ganglienzellen  452. 

—  Neuritis  des  Vagus  452. 

—  peripherische  Nerven  452 

—  Hirnrinde  452.  540. 

—  Pachvmeningitis  500. 

—  Epenoymgranulationen  571 

—  Ganglienzellen  602. 

—  Diagnose,  Paralyse  progr 
und  pellagrosa  501. 

—  Ausgänge,  Heilung  151. 
Erstickung  29. 

—  bei  Hunden  durch  Alkohol 
intozication  310. 

—  durch  künstliche  Hyper 
ämie  567. 

Paralysis  agitans,  Pseudocon 

tractur  298. 
Paralysis  periodica  spinalis  55 
Paralys.  spinal,  anter.  681. 
Paramyoklonus  167.  264.  388 

661.  662.  663.  664. 
Paranoia  originäre  268. 

—  secundäre  268. 

—  Wortneubildungen  dab.312. 
Paraphasie  847.  527. 

cf.  Aphasie. 
Pellagra  und  Paralyse  501. 
Pemphigus  und  Neuritis  426. 
Peptonnrie  268.  665. 
Peroneuslähmung  642  u.f.  686 
Phenacetin  451. 


Phrenasthenie  547. 

Pia  spinalis  Angiosarkom  467. 

—  Sarkom  468. 
Pleuritis  bei  Psychosen  613. 

—  Himsymptome  dabei   633. 
Polioenoephalitis  acuta  supe- 

rior  574. 

Poliomyelitis  unilateralis  471. 

Polydipsie  144. 

Polymyositis  progr.  subacuta 
670. 

Polyneuritis  cf.  Neuritis  mul- 
tiplex. 

Polyopie  bei  Hysterie  480. 

Polyurie  144. 

Pens  Varolii,  Tuberkel  u.secun- 
cundäre  Degeneration  161. 

—  Gliom  311. 

—  Wärmecentrum  355. 

—  Gliosarkom  680. 

-  Tumoren  630(2). 

Porencephalie  331.  453.  454. 
570. 

Posthemiplegische  Reizerschei- 
nungen 169. 

Preisaufgaben  32.  184.  284. 

Pseudohypertrophie  path  JLnat. 
383. 
cf.  Dystrophia  muse.  progr. 

Pseudotabes  498.  500. 

Psychiatrie,  Geschichte  400. 

—  Lehrbuch  93. 

—  forensische  cf.  Forensische 
Psvchiatrie. 

Psychologie  368. 
Psychometrie  537.  686. 

Psychosen  173. 

cf.  Delirium,  Dementia, 
Manie  Melancholie,  Para- 
noia u.  s.  w. 

Symptomatologie. 
--  erotische  170. 

—  combinirte  306. 

—  Verwirrtheit  361. 

—  Umbildung  einer  Form  in 
eine  andere  260. 

—  der  Hexen  400. 

—  Chorea  dabei  476. 

—  Sehstorungen  480. 

—  symmetrische  Aifectionen 
der  Gliedmaassen  548. 

—  tiefe  Körpertemperatur  636. 

—  Pleuritis  613. 
Urin  89. 

—  Albuminurie  428. 

Aetiologie. 

—  communicirte  172. 

—  inducirte  363. 364. 365. 392. 

—  degenerative  90. 

—  Heredität  448. 

—  hereditäre  Degenerescenz 
445. 

—  bei  Idioten  u.  Imbecillen  452. 

—  sexuelle  Abstinenz  476. 

—  Einzelhaft  397. 


Psychosen:  Aetiologie. 
.  -   Ohrenleiden  58.  93.  613. 
I  —  Beflexpsychooen  478.  528. 
;  —  Epilepsie  478. 

—  Intentionspsychosen  682. 

—  Jackson'scne  Epilepsie  28. 

—  puerperale  637. 

—  im  Kindesalter  502. 

—  Kopfverletzung  548. 

—  Tabes  25. 

~  Nierenaffectionen  613. 

Path.  Anatomie. 

—  Hirngewichte     357.     538. 
653  (2). 

—  -  Pachymeningitis  500. 

—  Nerveusvstem  524. 

—  Hirnrindendicke  539. 

—  Ependymgranulation  571. 

—  Verlauf:  Lucida  intervalla 
172. 

—  Ausgänge:  plötzIicheTodes- 
falle  548.  584. 

späte  Heilungen  588. 

—  Diagnose:    Simäation 
664  (2). 

Therapie: 

—  Castration  60. 

—  Antipyrin  (als  Schlafmittel 
149. 

—  Hyoscin.  hydrobr.  366. 666. 

—  Hyoscyamin  666. 

—  Sulfonal  450. 

—  Amylenhydrat  504. 

—  Kalihypermanganicnm  666. 
Psychosen,  circuläre  445. 

—  transitorische  447. 
Puerperium  u.  Aphasie  237(2). 

238. 

—  und  Geisteskrankheit  637. 
Pupillarreaction,  conträre  108. 

—  nemiopische  242.  526. 
Pupi  llen,  bei  Alcoholisten  84. 

—  der  Vögel  u.  Sympathicns 
160. 

—  Bewegung  455. 

—  bei  Tabes  455. 
Pyramidenbahnen,  Defect26l. 
Pyromanie  59.  174. 

^uecksilberintoxication  bei 
Hysterie  146. 

Radialislähmung  169. 
,  Railway  spine  669. 
>  Baynaud'sche   Krankheit  84. 
'      85.  453.  661  (2). 
Reactionszeit  für  Erregung  n. 

Hemmung  537. 
Bealencyolopädie  836.  616. 
Reflexparalysen,  traumatische 

61. 
I  Respiration  und  Schlaf  148. 
Retina,  Histogenese  466. 
i  Rheumatische    ErkrankuDgen 
269. 


—    703 


Rheumatismus  art.  acutus  und 
Neuritis  658. 

—  art  chron.  u.  Neuritis  426. 
Rieseu wuchs  360. 

cf.  Akrome^alie. 

Rindenepilepsie  cf.  Jackson'- 
sche  Epilepsie. 

Rückenmark  cf.  Clarke'sche 
Säulen,  Canda  equina,  Mye- 
litis u.  s.  w. 

—  Anatomie  43.  75.  357. 

—  Entwickelungsgeschichte 
380. 

—  Subst.  gelatinosa  442. 

—  Goll'sche  Strange  452. 

Physiologie. 
-  Athmungscentrum  45. 

—  Erregbarkeit  bei  neuge- 
borenen Thieren  45.  154. 

—  Lokalisation  335. 

cf.  Lokalisation  im  Rücken- 
mark. 

—  Yasodilatator.  Centren  443. 

—  nach  Verschluss  d.  Bauch- 
aorta 356.  357. 

—  Transfert  147. 

Pathologie. 

—  Syphilis  30. 

—  Hemiläsion  52.  53.  300. 

—  Tumor  54. 

—  periodische  Lähmung  54. 

—  Affection  des  Sacraltheils 
390. 

>    combinirte  Erkrankung  427. 

—  Erscheinungen  nach  Gonor- 
rhoe 685. 

Pathol.  Anatomie. 

—  Veränderung  nach  Ampu- 
tation 66. 

—  Heterotopie  der  grauen 
Substanz  77.  687. 

—  Verdoppelung    desselben 
136. 

—  combinirte  Degeneration  d. 
Rückenmarksstränge  272. 
300.  301.  647. 

—  Gliom  300. 

—  Sklerose  302. 

—  Echinococcus  303. 

—  Spindelzellensarkom  333. 

—  beiKleinhimafrectionen383. 

—  Angiosarkom  der  Pia  spi- 
nalis  467. 

—  Sarkom  derselben  468. 
cf.  Dura  mater  spin. 

—  Einfluss  von  Arsenvergif- 
tung 572. 

Therapie. 

—  Entfernung  eines  Tumors 
durch  Operation  98. 

Salol  269. 

Satyriasis  170. 

Schädel,  Formen  desselben  12. 

—  Asymmetrie  438. 


Sohädelmessung  640. 
Schädeleröffnung  455. 

cf.  Trepanation. 
Schallrichtung,  Wahrnehmung 

261. 
Scharlach,  Ataxie  danach  311. 

—  Tetanie  danach  678. 
Schläfelappen   cf.   Lob.  tem- 
poral. 

Sonlaf,  Einfluss  auf  Respira- 
■      tion  148. 

—  Antipyrin  als  Schlafioaittel 
149. 

—  HyoBcyamin  640. 

—  und  Traum  151.  172. 
--  hysterischer  479. 

—  Strychnin  als  Schlafmittel 
175. 

—  Amylenhydrat  60.  176. 

—  Sulfonal  cf.  dieses. 
--  Paraldehyd  684. 

,  Schlaflosigkeit  365.  665. 

Schleife,  secundäre  Degenera- 
tion 161. 

Schriftblindheit  239. 

Schriftstörungen  38.  68. 

Schweiss,  localisirter  88. 
of.  Ephidrosis. 

Schwindel     mit    Lähmungen 
268. 

Seekrankheit,  Antipyrin  dabei 
96. 

—  Behandlung  177. 
Sehcentrum  218.  229.  597. 

cf.  Lokalisation. 

Sehnenreflexe  263.  264.  271. 
529.  556. 

cf.  Eniephänomeni  Westphal- 
sches  Zeichen. 

Sehnerv  cf.  Opticus. 

Sehstörungen  oei  hysterischen 
Psychosen  480.  i 

cf.  Amblyopie. 

Sensibilitätsphänomen  168.       ^ 

cf.    Anästhesie,     Hemian-  ; 

ästhesie.  ! 

SensibilitätsstörungenbeiChlo-  ' 
rose  660.  i 

Sexualcentrum     im    Rücken-  , 
mark  385.  389. 

Sexualempfindungen^  conträre  ! 
446.  448.  i 

Sexuelle  Abstinenz  476. 

Simulation  geistiger  Störungen 
664  (2). 

Sinnesorgane,  Erregungen  der- 
selben 149. 

Sitophobie    cf.   Nahrungsver- 
weigerung. 

Sklerose,  multiple  49. 

—  AUochirie  681. 

—  Litentionszittern  49. 

—  im  Eindesalter  50.499. 576. 

—  paralytische  Form  .01. 

—  Sehstörung  642. 

—  Solanin  dabei  504. 


Solanin  bei  Zittern  504. 

Solitäres  Bündel  294. 

Spasmen  und  chron.  Gelenk- 
rheumatismus 456. 

Spastische  Spinalparalyse  142. 
272. 

Speichel,  Einfluss  des  Nerven- 
systems 148. 

—  und  Hirnrinde  554. 

Sphincterenlähmung  bei  Er- 
krankung des  Corp.  stria- 
tum  245. 

Spina  bifida  occulta  142. 
Spinalganglien,   Veränderung 

nach  Amputation  66. 
Splanchnicus  444- 
Spondylarthritis  synovialis  369. 
Sprachanomalien  119. 
Sprachoentrum  348. 

cf.  Aphasie  u.  Lokalisation. 
Stirnnath  438. 
Strafgesetzbuch,  italienisches 

400. 
Strangurie,  reflectorische  429. 
Strychnin  als  Schlafmittel  175. 

—  Diabetes  184. 
Substantia  gelatinosa  Rolandi 

442. 
Saggestion  204.  213  (3).  2 14  (3). 

281.  321. 

cf.  Hypnotismus. 
Sulfonal   430.    449.    450   (2). 

451.  593.  614  (2), 
Suprascapularis,  Lähmung 

254.  686. 
Syrapathicus ,     Einfluss     auf 

Vogelpupille  160. 

—  Venen  in  demselben  260. 

—  Affection  552. 

—  Paralyse  360. 
Syncope,  locale  cf.  Raynaud- 

sehe  Krankheit. 
Syphilis  des  Hirns  u.  Rücken- 
markes 30.  144. 

—  des  Hirns  145. 

—  des  Rückenmarkes  302. 
cf.  Paralys.  progr.  u.  Tabes. 

—  chron.  Vergiftung  142. 

—  des  Nervensystems  143. 
174. 

—  u.  Hydrocephalus  int.  143. 

—  und  chron.  Meningitis  145. 

—  und  Hysterie  201. 
--  und  Paralyse  503. 

—  Prognose  394. 
Syringomyelie   77.    161.   266. 

333. 
Systemerkrankung  d.  Rücken- 
markes 300.  301. 


Tabes. 

Sympto  matologie. 

—  Initialsymptome  22. 

-  peripher.  Nerven  163. 

—  Sensibilität  164. 


704 


Tabes :  Symptomatologie.  Ver. 
lust  des  Moskelsinns  19. 

—  Lähmung  der  Convergenz- 
bewegang  31. 

—  Ataxie  des  LarjDx  495. 

—  chorciforme    Bewegungen 
und  Athetose  19. 

—  Bulbärsymptome  335.  391. 

—  vasomotorische  und  secre- 
torische  Störungen  23. 

—  gastrische  und  enterische 
Störungen  163. 

—  Arthropathien  19.  20  (8). 

21.  498  (2). 

—  Wirbelerkrankung  497. 

—  trophische  Störungen  499. 
Herzaffection  496. 

—  Augenerkrankung  455. 

—  neuritische  Mnskelatrophie 

22.  164. 

—  Muskelatrophie  163.  309. 

—  Hemiatrophie    der    Zunge 
494. 

—  Psychosen  25. 

—  Kniephänoroen  529.  556. 

Aetiologie. 

—  hereditäre  Anlage  24. 

—  bei  13jähr.  Mädchen  122. 

—  im  Kindesalter  650. 

—  Syphilis  24. 

—  Blei  Pseudo-Tabee  498. 

—  und  Paralyse  503. 

—  Path.  Anatomie    31.  274. 
835.  422.  494.  660. 

—  Pseudotabes  500. 

—  Verlauf,  acute  Tabes  20. 
497. 

—  Therapie  163. 

Tabes  cervicalis  495.  496. 497. 
Tachycardie  83. 
Temperaturempfindung  53.  54. 

—  Methode  der  Prüfung  133. 

—  Zeitmessung  830. 

vi.  Körpertemperatur. 


!    T 


Tetanie  bei  Dilatat.  veutr.  526. 

—  Erregbarkeit  677. 

—  nach  Scharlach  678. 
Tetanus,  Neuritis  dabei  309. 
Thalam.  opt,  Function  618. 

—  Sitz  des  Intentionszittems 
49. 

—  Tumor  245. 

—  Tuberkel  525. 

—  Heerd  611. 

—  Cysticercus  618. 

—  Gliom  627. 

Thec:  Einfiuss  auf  psychische 

Vorgänge  107. 
Tliein  gegen  Schmerzen  366. 
Thomsen'scha  Krankheit  453. 

679. 
Transfert  147. 
Traum  und  Schlaf  151. 
lYemor  hystericus  200. 
Trepanation    111.    112.    113. 

114.    115.    116.    117.    177. 

230.  246.  247  (2).  550.  584. 
Trigeminu6,Anatoniie411.599. 

—  Refiexwirkung  auf  Ath- 
mung  570. 

—  Neuralgie  452. 

—  bei  Tabes  335. 

—  Lähmung  167. 
Trigeminus,  absteigende  Wur- 
zelatrophie 406.  650. 

Trochlearisparesc ,  doppelsei- 
tig 5. 

Typenphotographien  (Para- 
lyse, Melancholie)  248. 

Typhus  und  Aphasie  234. 

—  Hirnerkrankung  611. 

—  und  Nervenaffection  612. 

Ueberosmiumsäure    bei    Epi- 
lepsie 332. 
Urin  bei  Geiskranken  89. 

—  vom  Vagus  abhängig  808. 
cf.  Albuminurie,  Polyurie  etc. 


'  Urticaria  facti tia  86. 
.  Usustatus  135. 

Vacuolisation  der  Ganglien- 
zellen 261. 

Vagus  von  Corydalus  comutos 
106. 

VagusexstirpatioD  596.  600. 

Vaguskem  444. 

Vagusnerv  521.  599. 

—  centrale  Endigungen  294 

—  Physiologie  308. 

—  Pathologie  600. 
Vagusneuritis    bei     ParalvM* 

452. 
Verbrecher 

cf.  criminelle  Irre. 
Verrücktheit 

cf.  Paranoia. 
Verwirrtheit  861. 

Wärmecentrum  353. 355. 869. 

Wärmeproduction  des  Armes 
381. 

Weigert'sche  Färbung  432. 

Weingeist  als  Heilmittel  277. 

Weir-Mitchell'sche  Kur  160. 

Westpharsches  Zeichen  263. 
264.  529.  556.  580. 

Wortblindheit  63.  233.  236. 
240.  351.  605.  cf.  Amnesie. 

Wortneubildungen  bei  Geistes- 
kranken 312. 

Worttaubheit  236.  347.  477. 
627. 

WutLgifte  279. 

Kähne  bei  Idiotie  57. 
Zirbel  cf.  Glandula  pinealis. 
Zunge,  Atrophie  438. 

—  Hemiatrophie  494.  578. 
cf.  Hypoglossus. 

Zurechnungsfahigkeit.  vermin- 
derte 542. 
cf.  forensische  Psychiatrie. 


Um  Einsendung  von  Separatabdrücken  an  den  Herausgeber  wird  gebeten. 

Einsendungen  für  die  Redaction  sind  zu  richten  an  Prof.  Dr.  E.Mendel, 

Berlin,  NW.   Schiff bauerdamm  20. 

Veriag  von  Vbit  &  Comp,  in  Leipzig.  —  Druck  von  Metzübr  &  Wittio  in  lieipzig. 


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